Unternehmensnachfolge - Steuerliche und rechtliche Gestaltung 9783504385675

Das Handbuch bietet eine umfassende und fundierte Aufarbeitung der Materie aus Praktikersicht. Es befasst sich mit allen

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Unternehmensnachfolge - Steuerliche und rechtliche Gestaltung
 9783504385675

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Wiese

Unternehmensnachfolge

.

Unternehmensnachfolge Steuerliche und rechtliche Gestaltung herausgegeben von

Prof. Dr. Götz T. Wiese Rechtsanwalt, Steuerberater, Fachanwalt für Steuerrecht Honorarprofessor der Bucerius Law School, Hamburg

2021

.

Bearbeiter Dr. Johannes Baßler Rechtsanwalt und Steuerberater, Hamburg Dr. Christian Bochmann, LL.M. (Cambridge) Rechtsanwalt, Hamburg Dr. Kai Bodenstedt, LL.M. (Edinburgh) Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Hamburg Dr. Werner Born Rechtsanwalt, zertifizierter Mediator (Univ. HD), Mediator (BAFM), Mannheim Dr. Max Braeuer Rechtsanwalt und Notar, Berlin Prof. Dr. Alexander Burger Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Stuttgart Dr. Carsten Cramer, LL.M. (Columbia) Notar, Hamburg David Falkowski Rechtsanwalt, Köln Dr. Torsten Kohl, Dipl.-Kfm. Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, Bonn Dr. Nils Krause, LL.M. (Durham) Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Handelsund Gesellschaftsrecht, Hamburg Jens Lenski Rechtsanwalt, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Bremen Hubertus Leo, LL.M. (McGeorge) Rechtsanwalt, Hamburg Ulrike Leyh Rechtsanwältin, Fachanwältin für Steuerrecht, Steuerberaterin, Bonn Dr. Philipp Lukas, LL.M. (American Univ.) Rechtsanwalt und Steuerberater, Hamburg

Dr. Cornelia Maetschke-Biersack Rechtsanwältin, Mediatorin, Fachanwältin für Familienrecht, Düsseldorf Dr. Nils Meyer-Sandberg Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Steuerberater, Hamburg Prof. Dr. Christian Möller, LL.M. (Taxation) Steuerberater, Hamburg Dr. Thorben Rein Rechtsanwalt, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Hamburg Dr. Philippe Rollin Rechtsanwalt, Hamburg Helmut Rundshagen Rechtsanwalt und Steuerberater, Hamburg Dr. Edzard A. Schmidt-Jortzig, LL.M. (Stellenbosch) Rechtsanwalt, Hamburg Dr. Felix Sparka, LL.M. (Miami) Rechtsanwalt, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Hamburg Dr. Andrea Tiedemann Rechtsanwältin, Fachanwältin für Erbrecht, Hamburg Dr. Valentin Todorow Rechtsanwalt, Berlin Dr. Axel Wenzel, LL.M. (Norwich) Rechtsanwalt, Köln/Hamburg Prof. Dr. Götz T. Wiese Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Steuerberater, Hamburg Dr. Andreas Witte Rechtsanwalt, Hamburg

Zitierempfehlung: Bearbeiter in Wiese, Unternehmensnachfolge, Rz. ...

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-25083-6 © 2021 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: PMGi – Agentur für intelligente Medien GmbH, Hamm Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Germany

Vorwort Die Bedeutung der Unternehmensnachfolge in Familienunternehmen kann weder in volkswirtschaftlicher Hinsicht noch mit Blick auf jedes einzelne Unternehmen überschätzt werden: Familienunternehmen sind das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Für Familienunternehmen ist die Nachfolgegestaltung die zentrale Herausforderung jeder Generation. Nach Schätzungen des Instituts für Mittelstandsforschung werden jedes Jahr rund 30.000 Unternehmen im Rahmen einer Nachfolgegestaltung übertragen. Nach anderen Schätzungen sollen es noch deutlich mehr sein. Das Thema Unternehmensnachfolge ist also immer wieder hoch aktuell und in erster Linie eine große unternehmerische Herausforderung und eine Leitungsaufgabe. Zudem ist es in mehrfacher Hinsicht ein fachspezifisches Querschnittsthema, auch und gerade in juristischer und steuerlicher Hinsicht. Dabei ändern sich die Rahmenbedingungen für die Nachfolgegestaltung laufend. Das vorliegende Handbuch für Unternehmensnachfolge greift diese Aktualität auf. Es behandelt das Querschnittsthema Unternehmensnachfolge für Praktiker. Es will Unternehmern, Gesellschaftern und Beiräten, aber auch und gerade Rechts-, Steuer- und Strategieberatern Orientierung geben und dabei einen grundlegenden praktischen Zugriff auf das Thema ermöglichen. Schwerpunkte liegen auf den Bereichen Recht und Steuern. Die Darstellung des Handbuchs geht vom Allgemeinen zum Besonderen: In Teil 1 werden die Rahmenbedingungen der Unternehmensnachfolge dargestellt und wichtige allgemeine Strukturüberlegungen zur Lösung von Zielkonflikten ausgebreitet. Dabei werden die allgemeinen rechtlichen Grundlagen dargelegt, vom allgemeinen Zivilrecht über das Familien-, Erb- und Gesellschaftsrecht sowie das Steuerrecht bis zur Unternehmensbewertung. Wegen der zunehmenden Internationalisierung von Familienunternehmen wird auch die Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug umfassend behandelt. In Teil 2 werden vor diesem Hintergrund die wichtigsten Gestaltungen bei der Unternehmensnachfolge innerhalb der Familie ausführlich dargestellt, namentlich die vorweggenommene Erbfolge und die Unternehmensnachfolge von Todes wegen. Teil 3 berücksichtigt die Einbeziehung von Dritten, angefangen beim Testamentsvollstrecker und beim Beirat über die Stiftung als Instrument der Unternehmensnachfolge bis hin zur Einbindung von Fremdmanagement, Investoren, Unternehmenspächtern und -käufern. Fokus wird auch auf Konfliktlösungsmechanismen gerichtet. Teil 4 behandelt typische Konstellationen der Unternehmensnachfolge und gibt wichtige praktische Gestaltungshinweise: Mit Blick auf Einzelunternehmen, Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften umfasst die Darstellung jeweils die Interessen der verschiedenen Beteiligten, den sich daraus ergebenden Regelungsbedarf, rechtliche und steuerliche Implikationen sowie praktische Abwicklungsthemen. Der 5. Teil greift mit verschiedenen Mustern diese praktischen Gestaltungshinweise auf und rundet das Handbuch ab. Die Idee zu diesem Handbuch entstand in zahlreichen Gesprächen mit Herrn Thomas Fischer, dem Leiter des Programms Steuerrecht im Verlag Dr. Otto Schmidt. Das Konzept haben wir sodann mit Frau Dr. Sabine Kick, der zuständigen Programmbereichsleiterin im Verlag, weiter besprochen und verfeinert. Ich danke Herrn Fischer und Frau Dr. Kick sehr herzlich für die großartige Zusammenarbeit bei der Erstellung dieses Handbuchs. Ebenso gilt mein Dank allen Autorinnen und Autoren, die mit großem Engagement und neben ihrer beratenden Tätigkeit ihre jeweiligen Kapitel erstellt und dabei ihre in zahllosen UnternehmensVII

Vorwort übertragungen gewonnenen praktischen Erfahrungen eingebracht haben. Unser aller Dank gilt dem Verlag und allen Kolleginnen und Kollegen in Programmleitung, Lektorat und Produktion für die Realisierung dieses Gemeinschaftsprojekts. Wir hoffen sehr, dass dieses Handbuch eine positive Aufnahme beim Fachpublikum finden wird. Anregungen und Kritik, Zustimmung und Verbesserungsvorschläge sind Herausgeber, Autoren und Verlag stets willkommen. Hamburg im Oktober 2020

VIII

Götz T. Wiese

Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Seite VII

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XI

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XXIII

1. Teil Grundlagen der Unternehmensnachfolge Kapitel 1

Rahmenbedingungen der Unternehmensnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

Kapitel 2

Familienrechtliche Strukturüberlegungen bei der Unternehmensnachfolge

38

Kapitel 3

Entgeltliche und unentgeltliche Unternehmensnachfolge, Nießbrauch und Versorgungsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

105

Kapitel 4

Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

132

Kapitel 5

Erbrechtliche Strukturüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

224

Kapitel 6

Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

353

Kapitel 7

Unternehmensbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

487

Kapitel 8

Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

565

2. Teil Unternehmensnachfolge in der Familie Kapitel 9

Vorweggenommene Erbfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

637

Kapitel 10 Unternehmensnachfolge von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

734

3. Teil Unternehmensnachfolge unter Einbeziehung von Dritten Kapitel 11 Die Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge

845

Kapitel 12 Beirat als Instrument der Unternehmensnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . .

907

Kapitel 13 Stiftungen als Instrument der Unternehmensnachfolge . . . . . . . . . . . . . . .

948

Kapitel 14 Fremdgeschäftsführung in Familienunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1004

Kapitel 15 Finanzinvestoren und Familienunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1024

IX

Inhaltsübersicht

Kapitel 16 Verkauf und Verpachtung des Familienunternehmens . . . . . . . . . . . . . . .

Seite 1044

Kapitel 17 Mediation für Familienunternehmen – Innovative Anwendungen und Einsatzgebiete in den Systemen Familie, Unternehmen und Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1095

4. Teil Gestaltung typischer Unternehmensnachfolgekonstellationen Kapitel 18 Einzelunternehmen: Vermögensübertragung und Regelung für den Erbfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1207

Kapitel 19 Personengesellschaften: Anteilsübertragung und Regelung für den Todesfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1253

Kapitel 20 Kapitalgesellschaften: Anteilsübertragung und Regelung für den Todesfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1309

Kapitel 21 Der Ehevertrag des Unternehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1382

Kapitel 22 Die Nießbrauchsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1423

Kapitel 23 Gestaltung von Versorgungsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1456

Kapitel 24 Die Rückabwicklung der Unternehmensnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1484

5. Teil Muster Muster 1

Ehevertrag des Unternehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1555

Muster 2

Lebzeitige Übertragung Einzelunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1561

Muster 3

Einzeltestament Einzelunternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1566

Muster 4

Schenkungs- und Übertragungsvertrag betreffend GmbH-Anteile (mit besonderer Berücksichtigung der Interessen des Schenkers) . . . . . . .

1569

Muster 5

Schenkungs- und Übertragungsvertrag mit Leibrentenversprechen betreffend eine GbR-Beteiligung (mit besonderer Berücksichtigung der Interessen des Schenkers) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1573

Muster 6

Nießbrauchsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1579

Muster 7

Schenkung von GmbH-Geschäftsanteilen gegen Versorgungsleistungen .

1584

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1589

X

Abkürzungen

a.A.

andere(r) Ansicht

a.a.O.

am angegebenen Ort

ABl. EG

Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (bis Januar 2003)

ABl. EU

Amtsblatt der Europäischen Union (ab Februar 2003)

Abs.

Absatz

Abschn.

Abschnitt

AcP

Archiv für die civilistische Praxis (Zeitschrift)

a.E.

am Ende

AEAO

Anwendungserlass zur Abgabenordnung

AEAStG

Anwendungserlass zum Außensteuergesetz

AEUV

Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

a.F.

alte Fassung

AfA

Absetzung für Abnutzung

AG

Aktiengesellschaft; auch „Die Aktiengesellschaft“ (Zeitschrift); auch Amtsgericht

AktG

Aktiengesetz

Alt.

Alternative

a.M.

anderer Meinung

amtl.

amtlich

Anh.

Anhang

Anm.

Anmerkung

AO

Abgabenordnung

AOA

Authorised OECD Approach

APV

Adjusted Present Value

AR

Der Aufsichtsrat (Zeitschrift)

ArbG

Arbeitsgericht; auch Arbeitgeber

ArbN

Arbeitnehmer

ArbnErfG

Gesetz über Arbeitnehmererfindungen

ArGe

Arbeitsgemeinschaft

Art.

Artikel

AStG

Außensteuergesetz

ATE

Auslandstätigkeitserlass

Aufl.

Auflage

AÜG

Gesetz zur Regelung der Arbeitnehmerüberlassung XI

Abkürzungen AuslInvG

Auslandsinvestmentgesetz

AWD

Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters (Zeitschrift)

Az.

Aktenzeichen

BaFin

Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht

BAG

Bundesarbeitsgericht

BAO

Bundesabgabenordnung (Österreich)

BB

Betriebs-Berater (Zeitschrift)

BBEV

Beraterbrief Erben und Vermögen (Zeitschrift)

Bd.

Band

BDI

Bundesverband der Deutschen Industrie

Begr.

Begründung

Beschl.

Beschluss

BeSt

Beratersicht zur Steuerrechtsprechung (Zeitschrift)

betr.

betreffend

BewG

Bewertungsgesetz

BewRGr

Richtlinien für die Bewertung des Grundvermögens

BFH

Bundesfinanzhof

BFHE

Entscheidungssammlung des BFH

BFH/NV

BFH/NV (Zeitschrift)

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl.

Bundesgesetzblatt Teil I oder II

BGH

Bundesgerichtshof

BIFD

Bulletin for International Fiscal Documentation

BLIT

Branch Level Interest Tax

BMF

Bundesministerium der Finanzen

BPT

Branch Profits Tax

BR-Drucks.

Drucksachen des Bundesrates

BSG

Bundessozialgericht

Bsp.

Beispiel

BStBl.

Bundessteuerblatt Teil I, II oder III

BT-Drucks.

Drucksachen des Bundestages

BTR

British Tax Review

Buchst.

Buchstabe

BV

Besloten Vennootschap met beperkte aansprakelijkheid

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

bzgl.

bezüglich

XII

Abkürzungen BZSt

Bundeszentralamt für Steuern

bzw.

beziehungsweise

CAPM

Capital Asset Pricing Model

C-Corp

Subchapter C Corporation

CDFI

Cahiers de Droit Fiscal International

CFC

Controlled Foreign Company

Corp

Corporation

CPM

Comparable Profit Method

CTA

Contractual Trust Agreements

CV

Commanditaire Vennootschap

DB

Der Betrieb (Zeitschrift)

DBA

Doppelbesteuerungsabkommen

DCF

Discounted Cashflow

DEG

Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft

ders.

derselbe

d.h.

das heißt

dies.

dieselbe(n)

DK

Der Konzern (Zeitschrift)

DNotZ

Deutsche Notar-Zeitschrift

DRE

Disregarded Entity (US)

DStJG

Veröffentlichungen der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft e.V. (Tagungsbände)

DStR

Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift)

DStRE

Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst (Zeitschrift)

DStZ

Deutsche Steuerzeitung (Zeitschrift)

DSU

Dispute Settlement Understanding

DSWR

Datenverarbeitung in Steuer, Wirtschaft und Recht (Zeitschrift)

Dt.-Iran. NiederlassAbk

Niederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien

Dt.-Sowjet. KonsularV

Konsularvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR

Dt.-Türk. NachlAbk

Nachlassabkommen zwischen dem Deutschen Reich und der Türkischen Republik

-E

(Gesetzes-)Entwurf

EAS

Express-Antwort-Service des BMF (Österreich)

XIII

Abkürzungen EBIT

Earnings before Interest and Taxes

EC Tax Review

European Communities Tax Review (Zeitschrift)

ECSD

European Convention on the Settlement of Disputes

EFG

Entscheidungssammlung der Finanzgerichte (Zeitschrift)

EG

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der Fassung des Vertrages von Amsterdam

EGBGB

Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch

ENZ

Europäisches Nachlasszeugnis

ErbbauRG

Gesetz über das Erbbaurecht

ErbBstg

Erbfolgebesteuerung (Zeitschrift)

ErbR

Zeitschrift für die gesamte erbrechtliche Praxis

ErbStG

Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz

ErbStR

Erbschaftsteuer-Richtlinien

EStB

Einkommen-Steuerberater (Zeitschrift)

EStDV

Einkommensteuer-Durchführungsverordnung

EStG

Einkommensteuergesetz

EStR

Einkommensteuer-Richtlinien

ET

European Taxation (Zeitschrift)

et al.

et alii

EU

Europäische Union

EUErbVO

Europäische Erbrechtsverordnung

EuGH

Europäischer Gerichtshof

EuGHE

Entscheidungssammlung des EuGH

EuGüVO

Europäische Güterrechtsverordnung

EuPartVO

Europäische Partnerschaftsverordnung

EUSchK

EU-Schiedsverfahrenskonvention

EuZW

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Zeitschrift)

EWIV

Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung

EWR

Europäischer Wirtschaftsraum

EWS

Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Zeitschrift)

f.

folgende (eine Seite)

FA

Finanzamt

FamFR

Familienrecht und Familienverfahrensrecht (Zeitschrift)

FamRB

Familien-Rechtsberater

FAUB

Fachausschuss für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft

FB

Finanzbetrieb (Zeitschrift)

FCP

Fonds Commun de Placement

XIV

Abkürzungen F&E

Forschung und Entwicklung

ff.

fortfolgende (mehrere Seiten)

FF

Forum Familienrecht (Zeitschrift)

FG

Finanzgericht

FGO

Finanzgerichtsordnung

FinMin.

Finanzminister/ium

FinVerw.

Finanzverwaltung

Fn.

Fußnote

FPR

Familie Partnerschaft Recht (Zeitschrift)

FR

Finanz-Rundschau (Zeitschrift)

FRL

Fusions-Richtlinie

FS

Festschrift

FTE

Flow to Equity

FuS

Zeitschrift für Familienunternehmen und Stiftungen

FVerlV

Funktionsverlagerungsverordnung

FVG

Finanzverwaltungsgesetz

FZA

Freizügigkeitsabkommen

GA

Generalanwalt

GATS

General Agreement on Trade in Services

GATT

General Agreement on Tariffs and Trade

GAufzV

Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung

GbR

Gesellschaft des bürgerlichen Rechtes

GebrMG

Gebrauchsmustergesetz

gem.

gemäß

GenG

Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften

GeschmMG

Geschmacksmustergesetz

GewStG

Gewerbesteuergesetz

GewStR

Gewerbesteuer-Richtlinien

ggf.

gegebenenfalls

GKKB

Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage

GmbH

Gesellschaft mit beschränkter Haftung

GmbHG

Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung

GmbHR

GmbH-Rundschau (Zeitschrift)

GmbH-StB

GmbH-Steuerberater (Zeitschrift)

GmSOGB

Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe

GP

General Partnership

GPR

Zeitschrift für das Privatrecht der EU XV

Abkürzungen GrEStG

Grunderwerbsteuergesetz

GrS

Großer Senat

GS

Gedächtnisschrift

GStB

Gestaltende Steuerberatung (Zeitschrift)

GuV

Gewinn- und Verlustrechnung

GWG

Geringwertiges Wirtschaftsgut

GWR

Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht (Zeitschrift)

Halbs.

Halbsatz

HB II

Handelsbilanz 2

HGB

Handelsgesetzbuch

h.M.

herrschende Meinung

HöfeO

Höfeordnung

Hrsg.

Herausgeber

HUP

Haager Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anwendbare Recht

IAS

International Accounting Standard

IBFD

International Bureau of Fiscal Documentation

ICSID

International Centre for Settlement of Investment Disputes

i.d.F.

in der Fassung

i.d.R.

in der Regel

i.d.S.

in dem Sinne

IDW

Institut der Wirtschaftsprüfer

i.e.S.

im engeren Sinne

IFA

International Fiscal Association

IFRS

International Financial Reporting Standard

IGH

Internationaler Gerichtshof

i.H.v.

in Höhe von

Inc.

Incorporated

INF

Die Information für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer (Zeitschrift)

Intertax

International Tax Review (Zeitschrift)

InvFR

Investitionsfondsrichtlinie (Österreich)

InvG

Investmentgesetz

InvStG

Investmentsteuergesetz

InvZulG

Investitionszulagengesetz

IPO

Initial Public Offering

IPR

Internationales Privatrecht

IPrax

Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts (Zeitschrift)

XVI

Abkürzungen IRR

Internal Rate of Return

IRS

Internal Revenue Service

i.S.

im Sinne

ISR

Internationale Steuer-Rundschau (Zeitschrift)

IStR

Internationales Steuerrecht (Zeitschrift)

ITPJ

International Transfer Pricing Journal (Zeitschrift)

i.V.m.

in Verbindung mit

IWB

Internationale Wirtschafts-Briefe

JbFStR

Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht

JStG

Jahressteuergesetz

JTPF

Joint Transfer Pricing Forum

jurisPR

juris Praxisreport

JV

Joint Venture

KAG

Kapitalanlagegesellschaft

Kap.

Kapitel

KG

Kommanditgesellschaft

KGaA

Kommanditgeselschaft auf Aktien

KMU

kleine und mittelgroße Unternehmen

KÖSDI

Kölner Steuerdialog (Zeitschrift)

KStG

Körperschaftsteuergesetz

KStR

Körperschaftsteuer-Richtlinien

KWG

Gesetz über das Kreditwesen

LAG

Landesarbeitsgericht

LBO

Leveraged Buy Out

LG

Landgericht

lit.

Litera

Ltd.

Private Company Limited by Shares, Limited

LLC

Limited Liability Company

LLP

Limited Liability Partnership

LoB

Limitation on Benefits

LP

Limited Partnership

LPartG

Lebenspartnerschaftsgesetz

LuftVG

Luftverkehrsgesetz

XVII

Abkürzungen MA

Musterabkommen

m.a.W.

mit anderen Worten

m.Anm.

mit Anmerkung(en)

MarkenG

Markengesetz

MBO

Management Buy Out

Mio.

Million(en)

MittBayNot

Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins, der Notarkasse und der Landesnotarkammer Bayern (Zeitschrift)

MittRhNotK

Mitteilungen der Rheinischen Notarkammer (Zeitschrift)

MoMiG

Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen

MoRaKG

Gesetz zur Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen

MTRL

Mutter-Tochter-Richtlinie

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

MwStSystRL

Mehrwertsteuersystemrichtlinie

n.F.

neue Fassung

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NJWE-FER

NJW-Entscheidungsdienst Familien- und Erbrecht

NL

Niederlande

NotBZ

Zeitschrift für die notarielle Beratungs- und Beurkundungspraxis

NPLY

Non Profit Law Yearbook

Nr.

Nummer

NV

Naamloze Vennootschap

NZFam

Neue Zeitschrift für Familienrecht

NZG

Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht

OECD

Organization for Economic Cooperation and Development

OECD-MA

OECD-Musterabkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Vermögen

OECD-MK

OECD-Musterkommentar

OEEC

Organisation for European Economic Co-operation (Vorgängerorganisation der OECD)

OFD

Oberfinanzdirektion

OGH

Oberster Gerichtshof des Bundes

OGK

Online-Großkommentar

OHG

offene Handelsgesellschaft

XVIII

Abkürzungen OK

Online-Kommentar

OR

Schweizerisches Obligationsrecht

p.a.

per annum

PartGG

Partnerschaftsgesellschaftsgesetz

PatG

Patentgesetz

PersG

Personengesellschaft

PIStB

Praxis Internationale Steuerberatung (Zeitschrift)

plc

Public Limited Company

PRICAF

Private Equity à Capital Fixe

PSM

Profit Split Method

PTLP

Publicly Traded Limited Partnership

RabelZ

Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht (Zeitschrift)

RAP

Rechnungsabgrenzungsposten

REIT

Real Estate Investment Trust

RFH

Reichsfinanzhof

RG

Reichsgericht

RGRK

Reichsgerichtsrätekommentar

RIC

Regulated Investment Company

RIW

Recht der internationalen Wirtschaft (Zeitschrift)

rkr.

rechtskräftig

RL

Richtlinie

RNotZ

Rheinische Notar-Zeitschrift

Rs.

Rechtssache

Rspr.

Rechtsprechung

RStBl.

Reichssteuerblatt

Rz.

Randzahl

S.

Seite; auch siehe

SBV

Sonderbetriebsvermögen

S.A.

Société anonyme; Sociéta a accomandita

Sàrl

Société à responsabilité limitée

SE

Societas Europea

SEStEG

Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften

SG

Sozialgericht XIX

Abkürzungen SICAF

Société d'investissement à capital fixe

SICAV

Société d’investissement à capital variable

Slg.

Amtliche Sammlung der EuGH Entscheidungen

SNC

Société en nom collectif

s.o.

siehe oben

sog.

so genannt

Soparfi

Société de Participations Financieres

SpA

Societa per Azioni

SrC

Sociedad regular colecitva

StAG

Staatsangehörigkeitsgesetz

StB

Der Steuerberater (Zeitschrift)

Stbg

Die Steuerberatung (Zeitschrift)

StbJb

Steuerberater-Jahrbuch

StBp

Die steuerliche Betriebsprüfung (Zeitschrift)

StEK

Steuererlasse in Karteiform

StIGH

Ständiger Internationaler Gerichtshof

StJ

Steuerjournal (Zeitschrift)

StuB

Steuern und Bilanzen (Zeitschrift)

StuW

Steuer und Wirtschaft (Zeitschrift)

StVergAbG

Steuervergünstigungsabbaugesetz

SWI

Steuer & Wirtschaft International (Zeitschrift)

TIEA

Tax Information Exchange Agreement

TMTP

Tax Management Transfer Pricing (Zeitschrift)

TNI

Tax Notes International (Zeitschrift)

TNMM

Transactional Net Margin Method

TPG

Transfer Pricing Guideline

TPIR

Tax Planning International Review (Zeitschrift)

Tz.

Textziffer

u.a.

unter anderem

Ubg

Die Unternehmensbesteuerung (Zeitschrift)

UmwG

Umwandlungsgesetz

UmwStG

Umwandlungssteuergesetz

Urt.

Urteil

US-MA

Musterabkommen der USA

UStG

Umsatzsteuergesetz

XX

Abkürzungen v.

vom, von

VA

Verwaltungsakt

VAG

Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen

VAT

Value added Tax

vE

verdeckte Einlage

Vfg.

Verfügung

vGA

verdeckte Gewinnausschüttung

vgl.

vergleiche

VgV

Vermögensübertragung gegen Versorgungsleistungen

v.H.

vom Hundert

VN-MA

Musterabkommen der Vereinten Nationen

VO

Verordnung

VWG

Verwaltungsgrundsätze

vwt

Der Wirtschaftstreuhänder (Zeitschrift)

WACC

Weighted Average Cost of Capital

WEG

Wohnungseigentumsgesetz

WKBG

Gesetz zur Förderung von Wagniskapitalbeteiligungen

WVK

Wiener Vertragsrechtskonvention

WPg

Die Wirtschaftsprüfung (Zeitschrift)

WÜD

Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen

WÜK

Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen

WÜRV

Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge

WZG

Wahlzugewinngemeinschaft

WZGA-F

Deutsch-französisches Abkommen über den Güterstand der Wahlzugewinngemeinschaft

z.B.

zum Beispiel

ZBstA

Zinsbesteuerungsabkommens zwischen der EU und der Schweiz v. 29.12.2004

ZErb

Zeitschrift für die Steuer- und Erbrechtspraxis

ZEV

Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge

ZFE

Zeitschrift für Familien- und Erbrecht

ZfPW

Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft

ZfZ

Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern

ZHR

Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht

ZiLiRL

EU-Zins- und Lizenzgebühren-Richtlinie

ZIP

Zeitschrift für Wirtschaftsrecht XXI

Abkürzungen ZNotP

Zeitschrift für die Notarpraxis

ZVglRWiss

Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft einschließlich des Rechts der Entwicklungsländer und der ethnologischen Rechtsforschung

XXII

Literaturverzeichnis Ballwieser/Hachmeister

Unternehmensbewertung, 5. Aufl. 2016

Bamberger/Roth/Hau/Poseck (Hrsg.)

BGB, Kommentar, 4. Aufl. 2012 ff.

Bamberger/Roth/Hau/Poseck (Hrsg.)

BGB, Beck´scher Online-Kommentar (zit. BeckOK)

Baumbach/Hopt

HGB, Kommentar, 39. Aufl. 2020

Baumbach/Hueck

GmbHG, Kommentar, 22. Aufl. 2019

Baus

Die Familienstrategie, 5. Aufl. 2016

Beck´sches Handbuch der GmbH

hrsg. von Prinz/Winkeljohann, 5. Auf. 2014

Beck´sches Handbuch Immobiliensteuerrecht

hrsg. von Haase/Jachmann, 2. Aufl. 2020, 1. Aufl. 2016

Beck´sches Handbuch der Personengesellschaften

hrsg. von Prinz/Kahle, 5. Aufl. 2020

Bengel/Reimann

Handbuch der Testamentsvollstreckung, 6. Aufl. 2017

Bergschneider (Hrsg.)

Familienvermögensrecht, 3. Aufl. 2016

Bergschneider

Verträge in Familiensachen, 6. Aufl. 2018

Binz/Sorg

Die GmbH & Co. KG, 12. Aufl. 2018

Blümich

EStG, KStG, GewStG, Kommentar (Loseblatt)

Bundesministerium für Wirtschaft und Energie

Unternehmensnachfolge: die optimale Planung (Stand: Juli 2019)

Burandt/Rojahn (Hrsg.)

Erbrecht, 3. Aufl. 2019

Canessa/Escher/Koeberle-Schmid/ Preller/Weber

Das Family Office, 2016

Centrale für GmbH

GmbH-Handbuch (Loseblatt)

Crezelius

Unternehmenserbrecht, 2. Aufl. 2009

Damrau/Tanck (Hrsg.)

Praxiskommentar Erbrecht, 4. Aufl. 2020

Daragan/Halaczinsky/Riedel (Hrsg.)

Praxiskommentar ErbStG und BewG, 3. Aufl. 2017

Dötsch/Pung/Möhlenbrock

Die Körperschaftsteuer (Loseblatt)

DWS-Institut (Hrsg.)

Handbuch Familienunternehmen (Loseblatt)

Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn

HGB, 4. Aufl. 2020 ff., 3. Aufl. 2014 ff.

Erman

BGB, Kommentar, hrsg. von Westermann/Grunewald/Maier-Reimer, 16. Aufl. 2020, 15. Aufl. 2017

Esskandari/Frank/Künnemann

Unternehmensnachfolge 2012

Firsching/Graf

Nachlassrecht, 11. Aufl. 2019

Fischer/Pahlke/Wachter (Hrsg.)

ErbStG, Kommentar, 7. Aufl. 2020, 6. Aufl. 2017

Fleischer/Hüttemann (Hrsg.)

Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2019

Frotscher/Drüen (Hrsg.)

KStG – GewStG – UmwStG, Kommentar (Loseblatt) XXIII

Literaturverzeichnis Gosch

AO – FGO, Kommentar (Loseblatt)

Groll/Steiner

Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, 5. Aufl. 2019

Gsell/Krüger/Lorenz/Heymann

BGB, Beck.online Großkommentar, 2019 (zit. BeckOGK)

Hannes

Formularbuch Vermögens- und Unternehmensnachfolge, 2. Aufl. 2017

Hauschild/Kallrath/Wachter (Hrsg.)

Notarhandbuch Gesellschafts- und Unternehmensrecht, 2. Aufl. 2017

Heckschen/Heidinger (Hrsg.)

Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018

Hennerkes/Kirchdorfer

Die Familie und ihr Unternehmen, 2015

Henssler/Strohn (Hrsg.)

Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2019

Herrler (Hrsg.)

Gesellschaftsrecht in der notar- und Gestaltungspraxis, 2017

Herrmann/Heuer/Raupach

EStG – KStG (Loseblatt)

Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns

Handbuch GmbH & Co. KG, 22. Aufl. 2020, 21. Aufl. 2016

Hölters (Hrsg.)

Handbuch Unternehmenskauf, 9. Aufl. 2019

Hübschmann/Hepp/Spitaler

AO – FGO, Kommentar (Loseblatt)

Hüffer/Koch

AktG, Kommentar, 13. Aufl. 2018

Jauernig

BGB, Kommentar, hrsg. von Stürner, 17. Aufl. 2018

Kanzleiter/Wegmann

Vereinbarungen unter Ehegatten, 7. Aufl. 2007

Kallmeyer

UmwG, Kommentar, 7. Aufl. 2020

Kapp/Ebeling

Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar (Loseblatt)

Koeberle-Schmid/Fahrion/Witt

Family Business Governance, 3. Aufl. 2018

Koeberle-Schmid/Grottel (Hrsg.)

Führung von Familienunternehmen, 2013

Koller/Kindler/Roth/Drüen

HGB, Kommentar, 9. Aufl. 2019

Korn

EStG, Kommentar (Loseblatt)

Kreutziger/Schaffner/Stephany (Hrsg.)

BewG, Kommentar, 4. Aufl. 2018

Kroiß/Horn/Salomon (Hrsg.)

Nachfolgerecht, Kommenatr, 2. aufl. 2019

Lange

Erbrecht, 2. Aufl. 2017

Langenfeld/Fröhler

Testamentsgestaltung, 5. Aufl. 2015

Langenfels/Milzer

Handbuch Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen, 8. Aufl. 2019

Lorz/Kirchdörfer

Unternehmensnachfolge, 2. Aufl. 2011

Lüdicke/Sistermann

Unternehmensteuerrecht, 2. Aufl. 2018

Lutter

Umwandlungsgesetz (UmwG), hrsg. von Bayer/Vetter, Kommentar, 6. Aufl. 2019

XXIV

Literaturverzeichnis Lutter/Hommelhoff

GmbHG, Kommentar, 20. Aufl. 2020

May/Bartels (Hrsg.)

Nachfolge im Familienunternehmen, 2016

Mayer/Bonefeld (Hrsg.)

Testamentsvollstreckung, 4. Aufl. 2015

Meincke/Hannes/Holtz

ErbStG, Kommentar, 17. Aufl. 2018

Meyer-Scharenberg/Müller/Ohland/ Brandmüller

Gestaltung der Erb- und Unternehmensnachfolge in der Praxis (Loseblatt)

Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt

GmbHG, Kommentar, 3. Aufl. 2017

Moench/Weinmann

ErbStG, Kommentar (Loseblatt)

Münch (Hrsg.)

Familienrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 2. Aufl. 2015

Münchener Anwaltshandbuch Erbrecht

hrsg. von Scherer, 5. Aufl. 2018 (zit. MAH)

Münchener Anwaltshandbuch Familienrecht

hrsg. von Schnitzler, 4. Aufl. 2014 (zit. MAH)

Münchener Anwaltshandbuch Personengesellschaftsrecht

hrsg. von Gummert, 3. Aufl. 2019 (zit. MAH)

Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts

6. Aufl. 2020 ff., 5. Aufl. 2018 ff.

Münchener Kommentar AktG

hrsg. von Goette, 5. Aufl. 2019 ff. (zit. MüKo)

Münchener Kommentar BGB

hrsg. von Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, 8. Aufl. 2018 ff. (zit. MüKo)

Münchener Kommentar GmbHG

hrsg. von Fleischer/Goette, 3. Aufl. 2018 f. (zit. MüKo)

Münchener Kommentar HGB

hrsg. von Karsten Schmidt, 4. Aufl. 2016 ff. (zit. MüKo)

Münchener Kommentar InsO

hrsg. von Stürner/Eidenmüller/Schoppmeyer, 4. Aufl. 2019 ff., 8. Aufl. 2019 ff. (zit. MüKo)

Münchener Vertragshandbuch

Band I Gesellschaftsrecht, hrsg. von Böhm/Burmeister, 8. Aufl. 2018

Nieder/Kössinger

Handbuch der Testamentsgestaltung, 5. Aufl. 2015

von Oertzen/Loose (Hrsg.)

ErbStG, Kommentar, 2. Aufl. 2017

Oetker

HGB, Kommentar, 6. Aufl. 2019

Pahlke

GrEStG, Kommentar, 6. Aufl. 2018

Palandt

BGB, Kommentar, 79. Aufl. 2020, 78. Aufl. 2019

Peemöller (Hrsg.)

Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 7. Aufl. 2019

Rau/Dürrwächter (Hrsg.)

Kommentar zum Umsatzsteuergesetz (Loseblatt)

von Rechenberg/Thies/Wiechers (Hrsg.)

Handbuch Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, 2. Aufl. 2020

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Testamentsvollstreckung in der Wirtschaftspraxis, 3. Aufl. 1998 XXV

Literaturverzeichnis Reiß/Kraeusel/Langer (Hrsg.)

Umsatzsteuergesetz, Kommentar (Loseblatt)

Riedel (Hrsg.)

Praxishandbuch Unternehmensnachfolge, 2. Aufl. 2018

Rödl/Scheffler/Winter (Hrsg.)

Internationale Familienunternehmen, Festschrift für Bernd Rödl zum 65. Geburtstag, 2008

Röhricht/von Westphalen/Haas (Hrsg.)

HGB, Kommentar, 5. Aufl. 2019

Röthel/K. Schmidt (Hrsg.)

Grundfragen der Organisation von Familienunternehmen, 2020

Röthel/Schmidt (Hrsg.)

Strategie und Führung in Familienunternehmen, 2017

Roth/Altmeppen

GmbHG, Kommentar, 9. Aufl. 2019

Rowedder/Schmidt-Leithoff

GmbHG, Kommentar, 6. Aufl. 2017

Scherer (Hrsg.)

Unternehmensnachfolge, 6. Aufl. 2020; Sudhoff (Hrsg.), Unternehmensnachfolge, 5. Aufl. 2005

Scherer/Blanc/Groth/Kormann/Wimmer

Familienunternehmen, 2. Aufl. 2012

Schmidt, Karsten

Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002

Schulze/Grziwotz/Lauda (Hrsg.)

BGB, Kommentiertes Vertrags- und Prozessformularbuch, 4. Aufl. 2019

Sölch/Ringleb (Hrsg.)

Umsatzsteuergesetz (UStG), Kommentar (Loseblatt)

Spiegelberger

Unternehmensnachfolge, 2. Aufl. 2009

Staub

Großkommentar zum HGB, hrsg. von Canaris/Habersack/C. Schäfer, 5. Aufl. 2010 ff.

Tipke/Lang

Steuerrecht, 24. Aufl. 2021

Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk

ErbStG, mit Bewertungsrecht und Verfahrensrecht, Kommentar (Loseblatt)

Viskorf/Schuck/Wälzholz

ErbStG, BewG, Kommentar, 6. Aufl. 2020

Wachter (Hrsg.)

Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, 4. Aufl. 2018

Weitnauer

Handbuch Venture Capital, 6. Aufl. 2019

Wiesehahn (Hrsg.)

Unternehmensnachfolge, 2. Aufl. 2020; Wegmann/ Wiesehahn, Unternehmensnachfolge, 2015

Wilms/Jochum (Hrsg.)

Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar (Loseblatt)

Wimmer/Domayer/Oswald

Familienunternehmen – Auslaufmodell oder Erfolgstyp?, 3. Aufl. 2018

Winkler

Der Testamentsvollstrecker, 22. Aufl. 2016

Würzburger Notarhandbuch

hrsg. von Limmer/Hertel/Frenz/Mayer, 5. Aufl. 2017

Zimmermann

Die Testamentsvollstreckung, 4. Aufl. 2014

XXVI

1. Teil Grundlagen der Unternehmensnachfolge Kapitel 1 Rahmenbedingungen der Unternehmensnachfolge A. Nachfolge in Familienunternehmen I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Familienunternehmen: Definition und Typisierungen 1. Definition Familienunternehmen . . . 2. Typisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Drei Kreise: Familie, Unternehmen, Gesellschafter 1. Das Drei-Kreise-Modell . . . . . . . . . . 2. Pragmatische Paradoxien . . . . . . . . . 3. Paradoxienmanagement . . . . . . . . . . IV. Gesamtkonzept für die Nachfolgeplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die weitere Darstellung . . . . . . . . . . . B. Regelungsziele rechtlicher Nachfolgeplanung I. Sicherung des Unternehmens . . . . . . II. Sicherung des Familienzusammenhalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vermögens- und Liquiditätsplanung IV. Gesellschaftsrechtliche Gestaltung . . V. Familienrechtliche und steuerliche Gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Bestandsaufnahme im Unternehmen und im Gesellschafterkreis I. Positionierung und Businessplan des Familienunternehmens . . . . . . . . . . . II. Corporate Governance . . . . . . . . . . . III. Gesellschafterkreis und Rechtsform . IV. Das internationale Familienunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Bestandsaufnahme in der Familie I. Entwicklungsstufe der Unternehmerfamilie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Family Governance . . . . . . . . . . . . . . III. Unternehmerische Eignung von Familienmitgliedern . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1.1 1.4 1.9 1.14 1.26 1.31 1.33 1.37

1.38 1.43 1.45 1.52 1.56

1.59 1.66 1.72 1.75

1.76 1.78

IV. V. VI. VII. E. I. II. III. IV. V. 1. 2. 3. 4. VI. VII. F. I. II. III. IV. V. G. H.

Versorgung und Absicherung . . . . . . 1.85 Freies Familienvermögen . . . . . . . . . 1.88 Pflichtteilsberechtigte . . . . . . . . . . . . 1.91 Die internationale Familie, ausländische Beteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.93 Gestaltungsoptionen und Umsetzung Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . 1.94 Gestaltungsoptionen . . . . . . . . . . . . . 1.99 Familieninterne vs. familienexterne Nachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.101 Familieninterne Nachfolge . . . . . . . . 1.103 Familienexterne Nachfolge . . . . . . . . 1.108 Trennung von Eigentum und Geschäftsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.109 Verkauf und Börsengang . . . . . . . . . 1.111 Stiftungslösungen . . . . . . . . . . . . . . . 1.115 Vorbereitende Maßnahmen . . . . . . . 1.116 Umsetzung der Nachfolge im Familienunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.122 Absicherung und Versorgung des Unternehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.125 Notfallplanung Vorsorge für Notfälle . . . . . . . . . . . . 1.128 Gesellschaftsrechtliche Gestaltung . . 1.129 Letztwillige Verfügungen . . . . . . . . . 1.130 Vorsorgevollmacht von Unternehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.131 Patientenverfügung von Unternehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.133 Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . 1.134 Berater bei der Unternehmensnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.135

1.81

Wiese | 1

Kap. 1 | Rahmenbedingungen der Unternehmensnachfolge Literatur: Baus, Die Familienstrategie, 5. Aufl., Wiesbaden 2016; Bengel, Unternehmen vererben – Rechtliche Strategien für die geregelte Unternehmensnachfolge, in Rödl/Scheffler/Winter (Hrsg.), Internationale Familienunternehmen, FS B. Rödl, München 2008, S. 225; Brass, Organisation des Nachfolgeprozesses, in Wegmann/Wiesehahn, Unternehmensnachfolge, Wiesbaden 2015, S. 221; Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (Hrsg.), Unternehmensnachfolge – Die optimale Planung, Berlin 2018; Canessa/Escher/Koeberle-Schmid/Preller/Weber, Das Family Office, Wiesbaden 2016; Dauner-Lieb/Freudenberg/Werner (Hrsg.), Familienunternehmen im Fokus von Wirtschaft und Wissenschaft, FS Binz, München 2014; Davis, Enduring Advantage, 2. Aufl., Kindle 2018; Deutscher Industrie- und Handelskammertag (Hrsg.), Unternehmensnachfolge – die Herausforderung wächst, DIHK-Report zur Unternehmensnachfolge, Berlin 2017; Ehlers/Meimberg/Pohl, Die strategische Unternehmensnachfolge, NWB 2012, 2783; Erker, Beiräte – Der institutionelle Einfluss Dritter – Konfliktvermeidung in Familienunternehmen, DStR 2014, 105; Finch, Identifying and addressing the causes of conflict in family business, 2005; Fleischer, Das Rätsel Familienverfassung: Realbefund – Regelungsnatur – Rechtswirkungen, ZIP 2016, 1509; Fleischer, Familiengesellschaften und Familienverfassungen: Eine historisch-vergleichende Standortbestimmung, NZG 2017, 1201; Graf/Bisle, Der „Governance Kodex für Familienunternehmen“: Kein Ersatz für „maßgeschneiderte“ Gesellschaftsverträge, DStR 2010, 2409; Habbe/Gieseler, Freunde kann man sich aussuchen, Familie hat man – Strategien zur Vermeidung und Lösung von Konflikten in Familienunternehmen, NZG 2016, 1010; Hamburger Kreis Recht der Familienunternehmen an der Bucerius Law School, Die Familienverfassung aus rechtlicher Perspektive, DB 2018, M26; Hannes, Steuerstrategien für Familienunternehmen, in Röthel/Schmidt (Hrsg.), Strategie und Führung in Familienunternehmen, Hamburg 2017, S. 13; Binge/Kirchdörfer, Die Familie und ihr Unternehmen, Frankfurt 2015; Holler, Die Familienverfassung im Recht der Familienunternehmen, ZIP 2018, 553; Hüttemann, Unternehmensnachfolge mit Stiftungen, DB 2017, 591; Jorde/Polka, Praxis-Leitfaden zur Strukturierung von Familienunternehmen, WPg 2020, 849; Kay/Suprinovič/Schlömer-Laufen/Rauch, Unternehmensnachfolgen in Deutschland 2018 bis 2022, hrsgg. vom Institut für Mittelstandsforschung, Bonn 2018; Klein, Internationale Familienunternehmen – Definition und Selbstbild, in Rödl/Scheffler/Winter (Hrsg.), Internationale Familienunternehmen, FS B. 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Rödl, Rechtsformwahl internationaler Familienunternehmen in Rödl/Scheffler/Winter (Hrsg.), Internationale Familienunternehmen, FS B. Rödl, München 2008, S. 61; Scherer/Blanc/Kormann/Groth/Wimmer, Familienunternehmen, 2. Aufl., Frankfurt am Main 2012; v. Schlippe/Groth/Rüsen, Die beiden Seiten der Unternehmerfamilie, 2. Aufl., Göttingen 2018; Chr. Schmidt, Steuerliche Gestaltung der Unternehmensnachfolge im internationalen Familienunternehmen, in Rödl/Scheffler/Winter (Hrsg.), Internationale Familienunternehmen, FS B. Rödl, München 2008, S. 255; Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, Heidelberg 2012; Simon/Wimmer/Groth, Mehr-GenerationenFamilienunternehmen. Erfolgsgeheimnisse von Oetker, Merck, Haniel u. a., Heidelberg 2017; Spiegelberger, Die Familienverfassung – Gestaltung von Gesellschaftsverträgen in Rödl/Scheffler/Winter (Hrsg.), Internationale Familienunternehmen, FS für B. Rödl, München 2008, 89; Spiegelberger, Unternehmensnachfolge, 2. 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2 | Wiese

A. Nachfolge in Familienunternehmen | Rz. 1.4 Kap. 1 Staub-Ney/Schröder/Schuster, Gestaltungs- und Finanzierungsprobleme im Rahmen der Unternehmensnachfolge, StB 2017, 58 (Teil I) u. 88 (Teil II); Watrin/Kappenberg, Internationale Besteuerung von Vermögensnachfolgen, ZEV 2011, 105; Wegmann/Wiesehahn (Hrsg.), Unternehmensnachfolge, Wiesbaden 2015; Wimmer/Domayer/Oswald/Vater, Familienunternehmen – Auslaufmodell oder Erfolgstyp, 3. Aufl., Wiesbaden 2018; Wöhe, Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 27. Aufl., München 2020; Woywode/Keese/Tänzler, Corporate Governance in geschlossenen Gesellschaften – insbesondere in Familienunternehmen, ZGR 2012, 419.

A. Nachfolge in Familienunternehmen I. Einführung Thematische Eingrenzung: Nachfolge in Familienunternehmen. Die Definition des Themas dieses Handbuchs ist schwieriger, als es der Titel „Unternehmensnachfolge“ vermuten lässt. Wir befassen uns in diesem Buch im Wesentlichen mit der Nachfolge in Familienunternehmen. Aber auch mit dieser Eingrenzung ist noch nicht viel gewonnen, denn auch die Definition des „Familienunternehmens“ ist eine Herausforderung. Was ist Familie? Was ist ein Unternehmen? Was ist ein Familienunternehmen?

1.1

Beispielhafte Annäherung. Wenn wir uns dem Thema auf angelsächsische Weise ganz praktisch nähern, etwa nach dem Motto „I know it when I see it“, dann werden wir uns sicher schnell auf Folgendes verständigen können: Ein Familienunternehmen ist ohne Frage ein eingesessenes Handwerksunternehmen mit zwanzig Mitarbeitern, das von zwei Brüdern gegründet wurde, die sich mittlerweile zur Ruhe gesetzt haben. Heute wird das Unternehmen von den Kindern der Gründer geführt. Die Enkelkinder befinden sich noch in der Ausbildung und zeigen teilweise Interesse, im Unternehmen mitzuarbeiten. Ein Familienunternehmen kann aber auch ein großes Industriekonglomerat mit 100 Familiengesellschaftern sein, die sich in mittlerweile siebter Generation einer Unternehmensgruppe verpflichtet fühlen, welche zwar auch noch das ursprüngliche Kerngeschäft betreibt, aber insgesamt eine Industrieholding mit weltweit verzweigten Aktivitäten darstellt.

1.2

Historische und aktuelle Annäherung. Wenn wir uns dem Thema historisch nähern, zeigen sich die großen Linien, vom „Haus“ im klassischen Altertum (griech. oikos) als wirtschaftlicher Überlebenseinheit (daher „Ökonomie“, vgl. Simon, 2012, S. 17) über die großen Renaissance-Dynastien bis zu den Hidden Champions der Gründer- und Nachkriegszeit. Heute stellen Familienunternehmen 91 % der privatwirtschaftlichen Unternehmen in Deutschland. 57 % der Beschäftigten in Deutschland arbeiten in familienkontrollierten Unternehmen und erwirtschaften etwa 55 % des Gesamtumsatzes der Privatunternehmen (Untersuchungen des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung und des Instituts für Mittelstandsforschung für die Stiftung Familienunternehmen 2017).

1.3

Aber die Frage bleibt: Was ist ein Familienunternehmen?

II. Familienunternehmen: Definition und Typisierungen 1. Definition Familienunternehmen Ein Familienunternehmen ist ein Unternehmen, bei dem eine (ggf. aus mehreren Strängen bestehende) Familie über mehrere Generationen aufgrund Eigentümerschaft einen maßgeb-

Wiese | 3

1.4

Kap. 1 Rz. 1.4 | Rahmenbedingungen der Unternehmensnachfolge

lichen Einfluss auf die Unternehmensentwicklung ausübt (Wimmer/Domayer/Oswald/Vater, 2018, S. 19 f.; Simon, 2012, S. 16; v. Schlippe/Groth/Rüsen, 2018, S. 27).

1.5

Definitorisch lässt sich dies noch weiter verfeinern: Unternehmen. Ein Unternehmen ist – vereinfacht dargestellt – eine planvoll organisierte Wirtschaftseinheit, in der Sachgüter und Dienstleistungen erstellt und abgesetzt werden. Es besteht aus verschiedenen Produktionsfaktoren (Wöhe, 2020). Die Eigentümer des Unternehmens treffen über den Einsatz der Produktionsfaktoren Entscheidungen, auf deren Grundlage sie ihre Zielsetzungen (Einkommenserzielung, Unternehmenserhalt, Verbesserung ihres Sozialprestiges, etc.) in möglichst optimaler Weise realisieren können.

1.6

Familie. Das familiale Element stützt sich zunächst auf gegebene enge verwandtschaftliche Beziehungen, in der weiteren Entwicklung aber auch auf eine konsensuale Vereinbarung ggf. nur noch weitläufig verwandter Gesellschafter, das Unternehmen in einer Familientradition fortzuführen (Binge/Kirchdörfer, 2015, S. 33 ff., 36). Rechtlich fußt diese Vereinbarung regelmäßig auf dem Gesellschaftsvertrag, aber oftmals auch auf Gesellschafter- und Poolvereinbarungen, Beiratsordnungen und ähnlichen vertraglichen Elementen. Auch eine sog. Familienverfassung wird diskutiert.

1.7

Kontrolle. Entscheidende Bedeutung gewinnt das familiale Element jedenfalls in der maßgeblichen Einflussnahme auf die Strategie und die Geschäfte des Unternehmens sowie in der kapitalmäßigen Beteiligung am Unternehmen. Das Kontrollelement bedeutet, dass eine Familie ein Unternehmen (mit-)kontrolliert, wobei hier unterschiedliche Formen der maßgeblichen Beteiligung am Eigenkapital und in den geschäftsführenden Organen denkbar sind. Familienunternehmen stützen sich dabei oftmals auf typische Elemente einer (Family) Corporate Governance: Dabei geht es um die Zusammensetzung und Arbeitsweise der Führungs- und Kontrollorgane, insbesondere unter Beteiligung von Familienangehörigen, und dabei u.a. um die Bündelung und Ausübung von Stimmrechten in der Gesellschafterversammlung, um Geschäftsführungsrechte und um die Besetzung von Beiräten etc.; dabei geht es um Regeln für die Erbringung und Vergütung von Gesellschafterbeiträgen und für die Feststellung, Verwendung und Entnahmefähigkeit des Jahresergebnisses; und es geht um die Übertragbarkeit und Vererbbarkeit von Beteiligungen sowie die Bedingungen für das Ausscheiden von Familienmitgliedern aus dem Unternehmen und dessen Organen. Regeln einer solchen (Family) Corporate Governance machen zwar begrifflich Anleihen bei dem Konzept guter Unternehmensführung kapitalmarktnaher Unternehmen. Sie müssen jedoch stets im Blick haben, dass es bei Familienunternehmen in der Regel weniger um den Principal-Agent-Konflikt fremdgeführter Unternehmen geht, sondern in erster Linie um den generationenübergreifenden Markterfolg des Familienunternehmens und um die Vermeidung von Konflikten innerhalb der Familie, die das Unternehmen trägt. Da – wie schon die o.g. Beispiele des Handwerksunternehmens und der Industriedynastie zeigen – Familienunternehmen höchst unterschiedlich strukturiert sein können, muss auch bei der Kontrolle und Führung von Familienunternehmen jeweils ein individuelles Konzept gefunden werden (zum Ganzen Wälzholz, 2017, S. 27 ff.).

1.8

Generationenfolge. Definitorische Bedeutung kommt auch dem Umstand zu, dass ein Familienunternehmen in der Generationenfolge steht. Im Hinblick auf die Kontrolle des Unternehmens werden Beteiligung am Eigenkapital und Geschäftsführung auf nachfolgende Generationen übertragen (v.Schlippe/Groth/Rüsen, 2018, S. 28). Ein Start up-Unternehmer, der auch Familie hat, führt zunächst kein Familienunternehmen; dieses entsteht erst, wenn Familienmitglieder am Unternehmen mit langfristiger Perspektive beteiligt werden und in diesem arbeiten und wenn somit eine Familie das Unternehmen kontrolliert. – Während sich das 4 | Wiese

A. Nachfolge in Familienunternehmen | Rz. 1.13 Kap. 1

Unternehmen wandelt, wandelt sich auch die Ausgestaltung des Gesellschafterkreises und die Ausübung der Kontrolle der Familie auf das Familienunternehmen.

2. Typisierungen Unternehmensgröße und Rechtsform. Größe und Rechtsform des Unternehmens sind für die Definition des Familienunternehmens nicht von entscheidender Bedeutung. Das o.g. Handwerksunternehmen ist sicher ein Familienunternehmen, aber auch der Dax-gelistete Automobilbauer kann noch Elemente eines Familienunternehmens aufweisen, wenn eine Familie die Hauptversammlungsmehrheit für die Ausübung von Kontrolle nutzt. Größe und Rechtsform sind bei Familienunternehmen daher ebenso wenig aussagekräftig wie bei der Definition des Begriffs „Mittelstand“. Auch die Rechtsform ist nicht entscheidend. Richtig ist aber, dass Familienunternehmen in Deutschland typischerweise als Personengesellschaften (namentlich als GmbH & Co. KG) oder als GmbH organisiert sind, seltener als Aktiengesellschaften. Familienunternehmen in Deutschland sind dabei nicht notwendigerweise als eine einzige Gesellschaft organisiert, sondern haben vielfach Tochtergesellschaften und Beteiligungen im Inund Ausland. Die Familiengesellschafter sind z.T. nicht direkt am Familienunternehmen beteiligt, sondern indirekt über (u.U. im Ausland ansässige) Beteiligungsgesellschaften oder über Unterbeteiligungs- und Treuhandverhältnisse.

1.9

Weitere typisierende Elemente kommen hinzu:

1.10

Unternehmens- und Familienvermögen. Familienunternehmen weisen oft ein solides Eigenkapital auf. Umgekehrt haben Familiengesellschafter oftmals vergleichsweise weniger freies Privatvermögen, was Verteilungskonflikte innerhalb der Familie vorprogrammiert, wenn nicht sämtliche Familienmitglieder am Unternehmen beteiligt werden können oder sollen. Finanzierung. Bei der Finanzierung setzen Familienunternehmen neben der Binnenfinanzierung typischerweise auf Bankkredite und Objektfinanzierung (Leasing, Factoring), während ein (vollständiger) Zugang zum Kapitalmarkt regelmäßig nicht besteht. Konflikte sind vorprogrammiert, wenn Einschränkungen bei der Kapitalausstattung die Fortentwicklung des Unternehmens hemmen.

1.11

Geschäftsführung. In Familienunternehmen stellt sich wie in jedem Unternehmen die allgemeine Frage, wie die leitenden Organe des Unternehmens bestmöglich besetzt werden können, damit das Unternehmen am Markt bestehen kann. Bei Familienunternehmen stellt sich zusätzlich die Frage, ob die Besetzung mit Familienmitgliedern erfolgversprechend ist. Hier entstehen Konflikte, wenn innerhalb der Familie, aber auch bei Kunden, Mitarbeitern und Geldgebern unterschiedliche Auffassungen bestehen.

1.12

Verantwortlichkeit. Bei Familienunternehmen schlägt der wirtschaftliche Erfolg des Unternehmens auf die Familie durch, und zwar im Gewinnfall trotz zurückhaltender Entnahmebzw. Ausschüttungspolitik und im Verlustfall trotz der typischerweise bestehenden Haftungsbeschränkung der Gesellschafter; jedenfalls die Werthaltigkeit der Anteile wird vom Unternehmenserfolg beeinflusst. Dieser Zusammenhang ist umso bedeutender, je geringer das Familienvermögen diversifiziert ist. – Wenn die Geschäftsführung von Familienmitgliedern wahrgenommen wird, zeigt sich die Verantwortlichkeit für den wirtschaftlichen Erfolg in besonderer Weise. Auch hier besteht ein Spannungsfeld, wenn einige Familiengesellschafter in der Geschäftsleitung tätig sind, andere hingegen nicht.

1.13

Wiese | 5

Kap. 1 Rz. 1.14 | Rahmenbedingungen der Unternehmensnachfolge

III. Drei Kreise: Familie, Unternehmen, Gesellschafter 1. Das Drei-Kreise-Modell 1.14

Mit den vorstehenden definitorischen und typisierenden Merkmalen sind die Rahmenbedingungen, die das eigentliche Wesen eines Familienunternehmens ausmachen, noch nicht hinreichend beschrieben. Für das richtige Verständnis von Familienunternehmen ist es entscheidend, Unternehmen, Familie und Gesellschafterkreis als eigene soziale Einheiten zu begreifen, deren Mitglieder unterschiedliche Ziele verfolgen und unterschiedliche Formen der Rationalität, Kommunikation und Spielregeln pflegen (können).

1.15

Das Beziehungsgeflecht zwischen den sozialen Einheiten Unternehmen, Familie und Gesellschafterkreis wird weithin mit dem Drei-Kreise-Modell (Tagiuri/Davis, 1996, Abb. 1) beschrieben.

1.16

Übersicht. Das Modell stellt die drei sozialen Kreise – Unternehmen, Familie, Gesellschafter – dar und verdeutlicht, dass die drei genannten sozialen Einheiten nicht aus jeweils denselben Personen bestehen müssen und auch typischerweise nicht bestehen, sondern dass die Beteiligten durchaus unterschiedliche Positionen innehaben. Dies illustriert das folgende Beispiel:

1.17

Der Unternehmer, ein verheirateter Familienvater, hat eine GmbH ursprünglich von seinen Eltern geerbt; er hält heute 55,1 % der Anteile der GmbH, ist Geschäftsführer und Mitglied des Beirats (7). Am Kapital des Unternehmens hat sich ein familienfremder stiller Gesellschafter (3) still beteiligt. Zudem ist ein Fremdgeschäftsführer (6) mit 2 % am Kapital der Gesellschaft beteiligt. Eine verheirate Tochter (7) hält 20,0 % der Anteile und ist im Unternehmen halbtags tätig; daneben kümmert sie sich mit ihrem Mann (1) um zwei kleine Kinder (1). Ein lediger Sohn (5) des Hauptgesellschafters arbeitet im Unternehmen mit, ohne bereits Anteile erhalten zu haben. Der Hauptgesellschafter hat zudem zwei Kinder (1) aus erster Ehe, die nicht im Unternehmen mitarbeiten. Die Ehefrau (4) des Hauptgesellschafters hält 5,0 % der Anteile, ohne im Unternehmen mitzuarbeiten. Die Schwester der Ehefrau (5) ist im Unternehmen tätig. Das Unternehmen hat 80 weitere Angestellte (2). 6 | Wiese

A. Nachfolge in Familienunternehmen | Rz. 1.23 Kap. 1

Unterschiedliche Identitäten, unterschiedliche Erwartungshorizonte. Zwar ist das DreiKreise-Modell durchaus holzschnittartig, und es wird den individuellen Gegebenheiten nicht in jedem Einzelfall gerecht. Auch ist beispielsweise das System „Gesellschafterkreis“ für Zwecke moderner Corporate Governance mit Blick auf Gesellschafterstellung und Geschäftsführung weiter zu differenzieren. Klar ist jedoch: Alle drei sozialen Einheiten – Unternehmen, Familie und Gesellschafterkreis – pflegen unterschiedliche Identitäten (Simon, 2012, S. 24 ff.), die große emotionale und intellektuelle Anforderungen an alle Beteiligten stellen. Fortlaufend ist die Zugehörigkeit zu klären und Abgrenzung erforderlich. Aber auch mit der Klärung der Zugehörigkeit ist die Problematik noch nicht gelöst. Vielmehr bedeutet die Zugehörigkeit zu zwei oder drei der o.g. Kreise, dass sich jede/r Beteiligte mehreren Erwartungshorizonten gleichzeitig ausgesetzt sieht (v. Schlippe, 2011; v. Schlippe/Groth/Rüsen, 2018, S. 77 ff.). In jedem System geht es um Entscheidungen; um diese Entscheidungen herbeizuführen, wird innerhalb des jeweiligen Systems kommuniziert. Wo jemand vor zwei oder drei Erwartungshorizonten – mit jeweils unterschiedlichen Erwartungen, Zielen und Kommunikationswegen – gleichzeitig steht, entstehen naturgemäß Spannungen. Es werden „verschiedene Spiele gespielt“, man hat „verschiedene Hüte auf“.

1.18

Unterschiedliche „Währungen“; unterschiedliche „Rationalitäten“. Die „Währungen“, mit denen in den drei sozialen Einheiten Unternehmen, Familie und Gesellschafterkreis „gezahlt“ wird, sind dabei vollkommen unterschiedlich. Dies lässt sich deutlich zuspitzen, wenn man die jeweiligen „Währungen“ mit den Schlagworten „Geld“, „Liebe“ und „Macht“ bezeichnet. Jede dieser Währungen ist mit Emotionen belegt. Insoweit ist nach unterschiedlichen Rationalitäten weiter zu differenzieren:

1.19

Sozialkreis Unternehmen. Unternehmen folgen einer betriebswirtschaftlichen Rationalität. Sie bieten auf Märkten ihre Waren und Dienstleistungen an, um Gewinn zu erzielen. Der Erwartungshorizont ist, dass Mitarbeiter als Funktionsträger zur Lösung von Sachproblemen beitragen. Im Grundsatz gilt: Unternehmen sind sachorientiert und kommunizieren entsprechend (Entscheidungskommunikation).

1.20

Sozialkreis Familie. Familien folgen einer personenorientierten Rationalität. Sie sind darauf ausgerichtet, ihre jeweilige Gemeinschaft entsprechend den aktuellen und langfristigen psychischen und physischen Bedürfnissen ihrer Mitglieder zu organisieren. Der Erwartungshorizont ist, dass Familienmitglieder einander helfen und Bindung sicherstellen. Im Grundsatz gilt: Familien sind personenorientiert und kommunizieren entsprechend (Bindungskommunikation).

1.21

Sozialkreis Gesellschafter. Gesellschafter folgen einer auf das Eigentum ausgerichteten, rechtlich verfassten Rationalität. Der Erwartungshorizont ist, dass die Mitgesellschafter entsprechend den rechtlichen Vorgaben ihre unternehmerischen Ziele verwirklichen und das Ergebnis diesen Vorgaben entsprechend verteilen. Im Grundsatz gilt: Gesellschafter sind sachorientiert, gesellschaftsrechtlich verfasst und kommunizieren entsprechend (formale Entscheidungskommunikation).

1.22

Drei-Dimensionen-Modell. Eine Weiterentwicklung des Drei-Kreise-Modells stellt das DreiDimensionen-Modell für eine Inhaber-Strategie dar (May, 2009, Abb. 2).

1.23

Wiese | 7

Kap. 1 Rz. 1.24 | Rahmenbedingungen der Unternehmensnachfolge

1.24

Dieses Modell zeigt die drei sozialen Kreise – Unternehmen, Familie, Gesellschafter – in ihrer zeitlichen Abfolge und verdeutlicht die Schwierigkeiten für Inhaberstruktur, Geschäftsmodell und Governance Struktur:

1.25

Daraus leiten sich wichtige Fragen auch für die Unternehmensnachfolge ab, die im Folgenden als „pragmatische Paradoxien“ bezeichnet werden (Simon, 2012, S. 28 ff.).

2. Pragmatische Paradoxien 1.26

Zwischen ratio und emotio. Unterschiedliche Erwartungshorizonte und Kommunikationswege in den drei Sozialkreisen Familienunternehmen, Unternehmerfamilie und Gesellschafter wirken auf die Beteiligten ein. Dabei folgt jedes soziale System nicht nur seiner eigenen Rationalität. Jedes System ist zudem emotional stark besetzt. Jede/r Beteiligte sieht sich widerstreitenden Situationen ausgesetzt. Die entscheidende Frage ist daher, wie die Beteiligten mit der gleichzeitigen Präsenz von Familien-, Unternehmens- und Gesellschaftererwartungen umgehen (v. Schlippe/Groth/Rüsen, 2018, S. 78 f.). Welche Erwartungen gelten in welcher Situation? Die Klärung dieser Frage ist nicht immer möglich, da sich paradoxe Situationen ergeben. Was in dem einen System richtig sein mag, kann in dem anderen System falsch sein; gleichwohl ist der Beteiligte an mehrere Systeme gebunden. Es entstehen „pragmatische Paradoxien“, d.h. widersprüchliche Handlungsanweisungen, die sich logisch ausschließen. Pragmatische Paradoxien in Familienunternehmen sind zum Beispiel die Folgenden (vgl. Simon/Wimmer/Groth, 2005, S. 35 ff.):

1.27

Beziehung. Der Zugang zur Familie ist schicksalhaft durch Geburt oder aus Liebe (Emotion). Die Zugehörigkeit ist schwer oder gar nicht kündbar. Familienmitglieder sind nicht aus8 | Wiese

A. Nachfolge in Familienunternehmen | Rz. 1.32 Kap. 1

tauschbar und individuell unverwechselbar. – Die Zugehörigkeit zum Unternehmen ist dagegen eine bewusste vertragliche Entscheidung, die indes kündbar ist. Mitarbeiter sind prinzipiell ersetzbar und müssen es auch bleiben. Kommunikation. Familiäre Kommunikation ist nicht formalisiert und überwiegend mündlich. Sie findet typischerweise unter Anwesenden statt. – Kommunikation in Unternehmen ist dagegen formalisiert und folgt Berichtslinien; Entscheidungen werden schriftlich festgehalten und auch über unpersönliche Kommunikationswege transportiert.

1.28

Rollen, Beiträge, Spielregeln. In Familien sind Spielregeln der Interaktion selbstorganisiert und, entsprechend den Bedürfnissen der Mitglieder und den familiären Traditionen, Änderungen unterworfen. Im Zweifel ändern sich die Rollen im Laufe der Familiengeschichte („Heute Säugling, morgen Greis“). Familienmitglieder ordnen sich unter Zurückstellung egoistischer Interessen den Zielen der Gemeinschaft oder der Bedürftigkeit anderer Mitglieder unter. – Im Unternehmen orientieren sich Spielregeln typischerweise an sachlichen Notwendigkeiten. Rollen und Funktionen sind weithin definiert. Mitarbeiter können im Unternehmen verschiedene Positionen bekleiden. Im Zweifel setzen Mitarbeiter ihre egoistischen Ziele vor das Unternehmensinteresse.

1.29

Vergütung, Gewinn. „Leistungen“ in und von Familien sind höchst persönlicher Art und ergeben sich aus Talenten, Neigungen und Notwendigkeiten. Der Wert eines Familienmitglieds ist die Familienzugehörigkeit an sich. Gegenleistungen werden nicht unmittelbar erwartet; vielmehr wechseln sich Phasen des Gebens und Nehmens über die Jahre und in der Generationenfolge ab. Sie werden allenfalls langfristig und subjektiv bilanziert. Prinzipiell sind Familien „ökonomiefreie Zonen“. Der „Gewinn“ ist überwiegend ideeller Natur. – Leistungen von Unternehmen sind dagegen marktfähige Produkte. Der Wert eines Mitarbeiters orientiert sich daran, in welcher Weise er zu diesem Produkt beiträgt. Seine Leistung ist vertraglich vereinbart, ebenso die Gegenleistung. Dies alles ist kurzfristig und idealerweise überprüfbar. Die Gegenleistung für den Mitarbeiter ist ebenso materieller Natur wie der Gewinnanspruch des Kapitalgebers.

1.30

3. Paradoxienmanagement Paradoxien annehmen. Es ist von zentraler Bedeutung, diese und andere pragmatische Paradoxien nicht nur wahrzunehmen, sondern auch anzunehmen als das, was sie sind: als nicht ideal auflösbare Aufforderungen zur Entscheidung zwischen zwei oder mehr einander oftmals widersprechenden oder sich gar ausschließenden Alternativen. Problematisch ist, dass der zur Entscheidung Aufgeforderte sich aus den Bindungen, die die pragmatische Paradoxie hervorrufen, nicht lösen kann oder will.

1.31

Tragfähige Lösungen finden. Die Unentscheidbarkeit zwischen Familien-, Unternehmensund Gesellschafterinteresse muss nicht nur ertragen, sondern bewusst akzeptiert werden, um zu dauerhaft tragfähigen Lösungen zu kommen (Simon, 2012, S. 39 ff.). Es bedarf verschiedener Überlebensstrategien, die je nach Situation angewandt werden können (dazu ausf. Simon, 2012, S. 42 ff.). Dabei lassen sich die Sozialkreise ebensowenig voneinander trennen wie miteinander verschmelzen. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass die o.g. pragmatischen Paradoxien als Folge der Sozialkreise mit ihren unterschiedlichen Rationalitäten und Kommunikationswegen bestehen. Zu berücksichtigen ist dabei auch der Konflikt als unausweichliches Instrument der Klärung auf den unterschiedlichen Ebenen.

1.32

Wiese | 9

Kap. 1 Rz. 1.33 | Rahmenbedingungen der Unternehmensnachfolge

IV. Gesamtkonzept für die Nachfolgeplanung 1.33

Gestaltung. Es besteht angesichts der genannten pragmatischen Paradoxien das allseitige (indes nicht immer gleichgerichtete) Interesse, ein Gesamtkonzept für die pragmatische Unternehmensnachfolge und ihre Durchführung zu entwickeln. Zahlreiche Soziologen, Psychologen und andere Experten haben aus dem Blickwinkel ihrer jeweiligen Disziplin wichtige Beiträge zur strategischen Nachfolgeplanung geleistet; auf diese Beiträge wird verwiesen (s. Literaturverzeichnis vor Rz. 1.1). Der juristische und steuerliche Berater wird sich viele der darin genannten Überlegungen zu eigen machen müssen, um diese bei der Gestaltung zu berücksichtigen. Indes unterscheidet sich das Instrumentarium des Juristen deutlich von dem der Gesellschaftswissenschaftler und der Mediziner. Juristen gestalten die rechtlichen Verhältnisse nach den Interessen der Beteiligten. Juristen klären die Rechtsfrage, wer gegen wen einen Anspruch hat oder erhält. In der Kautelarpraxis geht es dabei um den Ausgleich von Interessen und um die Vermeidung von Interessenkonflikten. Für die Nachfolgeplanung im Familienunternehmen ist zu berücksichtigen, dass das Gesetzesrecht den praktischen Anforderungen an die Unternehmensnachfolge nicht genügt. Vielmehr müssen gestaltende Maßnahmen durch (vom Gesetzestypus abweichende) vertragliche Vereinbarungen und Verfügungen von Todes wegen ergriffen werden.

1.34

Kautelarpraxis. Die Schwierigkeit in der Kautelarpraxis besteht darin, dass die gebotene Klarheit der rechtlichen Regelung der vorherigen Klärung der potenziell mit pragmatischen Paradoxien belasteten Themen bedarf. Vor der rechtlichen und steuerlichen Gestaltung steht die Entscheidung, wie weiter vorgegangen werden soll.

1.35

Vorüberlegungen. Aus der Erfahrung mit zahlreichen Nachfolgeprojekten sollen der weiteren Untersuchung die folgenden Überlegungen für ein Gesamtkonzept pragmatischer Unternehmensnachfolge vorangestellt werden: Vorüberlegungen für ein Gesamtkonzept 1. Nichtstun ist keine Lösung. Das Gesetzesrecht der Unternehmensnachfolge ist für den unternehmerischen Bereich unzulänglich. Es bedarf einer steuerlich optimierten Vertragsgestaltung und darauf abgestimmter Verfügungen von Todes wegen. 2. Bis zur Umsetzung des Vertragswerks ist eine rechtliche Notfallplanung unerlässlich. 3. Unternehmensnachfolge ist ein kommunikativer Prozess, der in Familie, Unternehmen und Gesellschafterkreis (mit unterschiedlichen Rahmenbedingungen und Rationalitäten) geführt werden muss. 4. Unternehmensnachfolge beginnt mit der Erziehung und Ausbildung der Kinder, also in der Familie. Am Ende von Erziehung und Ausbildung oder auch an einem späteren Zeitpunkt mag die Erkenntnis stehen, dass (einzelne) Kinder nicht für einen Eintritt ins Unternehmen in Betracht kommen. 5. Unternehmensnachfolge beginnt mit der Sicherung der Leistungsfähigkeit des Geschäftsbetriebs, also im Unternehmen. 6. Unternehmensnachfolge beginnt mit der Bestandsaufnahme und Planung des Gesamtvermögens und der Liquidität, also auf Gesellschafterebene. Die vertragliche Situation auf Gesellschaftsebene ist zu analysieren. Mitgesellschafter sind rechtzeitig einzubeziehen. 7. Unternehmensnachfolge bedarf der Entscheidung und Umsetzung. Konflikte auf Beziehungs- und Sachebene werden auftreten. Sie müssen angenommen werden. Paradoxien10 | Wiese

A. Nachfolge in Familienunternehmen | Rz. 1.37 Kap. 1

management ist unerlässlich. Dies bedeutet eine Gewichtung der verschiedenen Lösungsansätze und erfordert Entscheidungskraft gerade angesichts prinzipiell unvereinbarer Handlungsanweisungen. 8. Der unzulängliche Kompromiss ist oftmals der Grund für das Scheitern der Nachfolge. 9. Gutes Timing ist ein wichtiges Element für eine gelungene Nachfolge. Manche Dinge müssen reifen (und beherzt geerntet werden, wenn sie reif sind). 10.Unternehmensnachfolge ist ein fortlaufender Prozess. Die rechtliche Gestaltung muss laufend dahingehend überprüft werden, ob und inwieweit sie geändert werden sollte und geändert werden kann. Handlungsfähigkeit. Aus dem Vorstehenden ergibt sich: Rechtliche Gestaltung und Umsetzung der Nachfolgekonzeption bedürfen der Klärung der Erwartungshorizonte der Beteiligten und einer Entscheidung, welches Ziel angestrebt wird. Dabei vorhandene Konflikte anzunehmen und trotz der Konflikte handlungsfähig zu bleiben, ist die zentrale Aufgabe aller Beteiligten, insbesondere der Familiengesellschafter. Eine gelungene rechtliche Gestaltung setzt Kommunikation, Klärung und Entscheidung in Unternehmerfamilie und Familienunternehmen voraus.

1.36

V. Die weitere Darstellung Aufbau des Handbuchs. Bei der Gestaltung der Unternehmensnachfolge mit den Mitteln des Zivil-, Gesellschafts- und Steuerrechts geht es darum, die Handlungsfähigkeit zu nutzen, die das dispositive und für die Unternehmensnachfolge grundsätzlich unzureichende Gesetzesrecht bietet. In diesem Buch werden wir uns daher auf die rechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen der Unternehmensnachfolge konzentrieren. Dabei stehen zunächst zentrale Ausführungen im Vordergrund (1. Teil), die für die rechtliche Gestaltung von besonderer Relevanz sind; betriebswirtschaftliche Erwägungen werden dabei ebenfalls berücksichtigt. Sodann werden die rechtlichen Grundlagen der Unternehmensnachfolge (2. Teil) im Allgemeinen ausgebreitet und jeweils für sich dargestellt: von allgemeinen zivilrechtlichen Erwägungen über das Familien-, Erb- und Gesellschaftsrecht bis hin zu Steuern und Bewertung; ein eigenständiges Kapitel erhalten Übertragungsvorgänge mit Auslandsbezug. Sodann werden die typischen Übertragungsvorgänge innerhalb der Familie (3. Teil) und unter Einbeziehung von Dritten (4. Teil), auch unter Einbindung von Testamentsvollstreckern, Beiräten, Stiftungen etc., und letztlich bis hin zum Verkauf des Unternehmens, dargestellt; hier werden die zuvor getrennt dargestellten Rechtsgebiete jeweils miteinander verschränkt und die typischen Querschnittsthemen der Unternehmensnachfolge praxisnah dargestellt. Eine gesonderte Darstellung weiterer besonders praxisrelevanter Einzelthemen, mit Hinweisen für die Gestaltungspraxis in Zivil-, Gesellschafts- und Steuerrecht, schließt sich an (5. Teil): Von der Übertragung von Einzelunternehmen, Personengesellschaften und Körperschaften bis zu einzelnen Gestaltungsfragen z.B. bei Eheverträgen, Nießbrauchsgestaltungen und Rückübertragungsvorgängen. Muster werden in die Darstellung eingebunden. – Die Darstellung in diesem Buch geht also vom Allgemeinen zum Speziellen. Wo immer möglich, verweisen die mit besonderen Themen befassten Kapitel in hinteren Teilen des Buches auf die in vorderen Teilen vorhandenen allgemeinen Darstellungen. Gewisse Überschneidungen sind dabei gewollt und zeigen erst die besondere praktische Relevanz, aber auch die Verschränkung der verschiedenen rechtlichen Einzeldisziplinen bei der Gestaltung der Unternehmensnachfolge auf.

Wiese | 11

1.37

Kap. 1 Rz. 1.38 | Rahmenbedingungen der Unternehmensnachfolge

B. Regelungsziele rechtlicher Nachfolgeplanung I. Sicherung des Unternehmens 1.38

Verfassung des Unternehmens i.w.S. Die Sicherung des Unternehmens steht bei der Nachfolgeregelung auf Gesellschafterebene und im Bereich der Geschäftsführung insoweit an erster Stelle, als die Leistungsfähigkeit des Unternehmens langfristig gesichert werden soll. In diesem Sinne hat das Unternehmen stets Vorrang vor den Einzelinteressen von Mitgesellschaftern und Familienmitgliedern. Die besonderen Schwierigkeiten zeigt hier auch das Drei-Dimensionen-Modell auf: Beim inhabergeführten Gründungsunternehmen, das in die zweite Generation übertragen wird, ist dies noch vergleichsweise einfach, da der Gründer bzw. die Gründerin regelmäßig nicht den gesellschaftsrechtlichen Bindungen unterliegt wie ein Unternehmen, das bereits einen diversifizierten Gesellschafterkreis hat. Andererseits öffnet die Nachfolgesituation auch den Blick für die Bedürfnisse des Unternehmens in der nächsten Generation oder, auf das Unternehmen bezogen, im nächsten Lebenszyklus des Unternehmens. Ist die Organisationsstruktur noch angemessen? Wurden innerhalb des Unternehmens formale Strukturen eingeführt, die dem Zustand des Unternehmens und der Position der handelnden Personen hinreichend entsprechen? Passt die gesellschaftsrechtliche Organisationsstruktur zu dem aus der Generationenfolge hervorgehenden Gesellschafterkreis? Die Entwicklung geht vom inhabergeführten Unternehmen über das familiengeführte zum familienkontrollierten Unternehmen und letztlich zum fremdgeführten Familienunternehmen. Hier stellt sich ganz allgemein die Frage nach der Angemessenheit der Corporate Governance Struktur.

1.39

Gesellschaftsrechtliche Struktur. Die Überprüfung und Anpassung der gesellschaftsrechtlichen Struktur ist eine zentrale Aufgabe bei der Gestaltung der Unternehmensnachfolge. Der Veränderungsbedarf liegt auf der Hand, wenn in der Generationenfolge aus dem Ein-Gesellschafter-Unternehmen eine Gesellschaft mit mehreren Gesellschaftern wird, wenn in dem Mehr-Gesellschafter-Unternehmen das Stammesprinzip eingeführt wird oder wenn später Familiengesellschafter in der fünften oder sechsten Generation nur noch mit Zwerganteilen oder Unterbeteiligungen beteiligt sind. Aber ganz allgemein bedarf es der Überprüfung der Führungs- und Kontrollstruktur. Dabei ist auch die Tauglichkeit des gewählten gesellschaftsrechtlichen Statuts zu hinterfragen, insbesondere die Gesellschaftsform, aber neben dem Gesellschaftsvertrag auch sonstige Gesellschaftervereinbarungen und freiwillige Regelungen (z.B. Zustimmungsvorbehalte, Beirat, etc.)

1.40

Handlungsfähigkeit der Geschäftsführung. Besonderes Augenmerk ist auf die Qualifikation und die Handlungsfähigkeit der Geschäftsführung zu richten. Das Unternehmen braucht qualifiziertes Personal. Zudem ist gerade bei einer Trennung zwischen Gesellschaftern und Geschäftsführern die Absicherung der Entscheidungsfähigkeit der Geschäftsführung von großer Bedeutung.

1.41

Wahrung der Eigentümerinteressen. Der Sicherung des Gesellschafterinteresses kommt ebenfalls große Relevanz zu: Informations- und Verwaltungsrechte sind in der Weise abzusichern, dass die Steuerung des Unternehmens durch die Eigentümer, im Rahmen des gesellschaftsrechtlichen Statuts der Gesellschaft, gelingt.

1.42

Beteiligung Dritter. Der Gesellschaftsvertrag ist auch bei Einbindung fremder Investoren und Manager entscheidend. Hier stellt sich in besonderer Weise die Frage, wie der Charakter und die Kultur des Familienunternehmens erhalten werden können und welche vertraglichen und organisatorischen Änderungen angesichts der Einbindung Dritter erforderlich sind.

12 | Wiese

B. Regelungsziele rechtlicher Nachfolgeplanung | Rz. 1.47 Kap. 1

II. Sicherung des Familienzusammenhalts Verfassung der Familie i.w.S. Die Familie als soziale Einheit ist regelmäßig nicht gesondert rechtlich verfasst, wenn man einmal von den familienrechtlichen Grundlagen, namentlich dem Fürsorge-, Güterstands- und Unterhaltsrecht, und vom Erbrecht absieht. In Bezug auf die Unternehmensnachfolge gewinnt die Versorgung des überlebenden Ehegatten und weichender Erben große Bedeutung; in diesem Zusammenhang spielt auch das Pflichtteilsrecht eine erhebliche Rolle. Neuerdings wird teilweise der Versuch unternommen, die Unternehmerfamilie auf bestimmte Regeln einer „Familienverfassung“ zu verpflichten, um sie in ihrem Bestand zu sichern (vgl. Baus, 2016, S. 107 ff.). Auch wenn der Begriff „Familienverfassung“ (auch „Familiencharta“, „Familienstatut“ etc.) eine rechtliche Bindungswirkung vermuten lässt, sind unmittelbare Rechte und Pflichten, die sich aus einer solchen Verfassung ergeben sollen, regelmäßig nicht gewollt. Mittelbare Rechtswirkungen lassen sich indes nicht ausschließen.

1.43

Zusammengehörigkeitsgefühl. Gesichert wird die Familie im Bestand vor allem durch Strukturen, die die Zusammengehörigkeit fördern, namentlich durch Familientreffen, die auch diejenigen Familienmitglieder umfassen, die nicht in das Familienunternehmen als Gesellschafter oder Mitarbeiter eingetreten sind. Größere Familien geben sich insoweit, d.h. unabhängig vom Familienunternehmen, eine eigene Rechtsform, z.B. durch einen Familienverband (Verein).

1.44

III. Vermögens- und Liquiditätsplanung Risiko Liquiditätsabfluss. Für das Unternehmen ist ein Liquiditätsabfluss aus Anlass der Unternehmensnachfolge ein beträchtliches Risiko. Aus Sicht des Unternehmers und seiner Familie besteht dagegen oftmals das Bedürfnis, zum Zwecke echter oder vermeintlicher Gleichbehandlung der Familienmitglieder und zur Absicherung des ausscheidenden Unternehmers, seines Ehepartners und vorhandener Schutzbefohlener Teile des Vermögens oder der mit diesem zu erzielenden Liquidität für Sicherungs- und Versorgungszwecke zu nutzen.

1.45

Familienvermögen. Für den Unternehmer folgt hieraus die Aufgabe, rechtzeitig mit der Planung des gesamten Familienvermögens, also des Unternehmensvermögens und des daneben bestehenden freien Privatvermögens, zu beginnen. Vor allem sollte es das Ziel sein, freies Vermögen für die Altersversorgung und für die Übertragung an weichende Erben, die nicht in das Familienunternehmen eintreten, vorzuhalten. Dieses kann auch für Abfindungszahlungen und Pflichtteilsleistungen eingesetzt werden. Mit freiem Vermögen wird zudem die Möglichkeit geschaffen, Zukäufe zu tätigen oder andere Familienstämme und sonstige Gesellschafter auszukaufen. – Letztlich wird bei größeren Unternehmerfamilien auch der Aufbau eines Family Office in Betracht kommen, in dem freies Vermögen professionell gemanagt wird.

1.46

Steuern. Von zentraler Bedeutung für die Planung der Unternehmensnachfolge sind auch mögliche steuerliche Lasten, die bei Umsetzung der Nachfolgegestaltung anfallen können. Steuern sind betriebswirtschaftlich Kosten und führen zu einem Liquiditätsabfluss. Im Hinblick auf die unentgeltliche Übertragung von Unternehmensvermögen bzw. Gesellschaftsanteilen stellt es oftmals die größte Sorge dar, dass Erbschaft- bzw. Schenkungsteuern anfallen. Zwar bestehen auch nach der Erbschaftsteuerreform 2016 weiterhin beträchtliche Verschonungsregelungen, aber es ist durchaus nicht sämtliches Unternehmensvermögen privilegiert. Anlass zur Vorsicht besteht insbesondere bei Anteilen an Kapitalgesellschaften und bei sog. Verwaltungsvermögen, das nicht per se der Erzielung unternehmerischer Einkünfte dient. – In der Praxis ist daneben die Ertragsteuer von großer Relevanz. Der Übergang von

1.47

Wiese | 13

Kap. 1 Rz. 1.47 | Rahmenbedingungen der Unternehmensnachfolge

Vermögen auf eine andere Person kann zur Aufdeckung stiller Reserven führen. Gleiches gilt bei der Zurückbehaltung (Entnahme) von Betriebsvermögen. Dies ist z.B. dann besonders schädlich, wenn vormaliges Betriebsvermögen ohne Liquiditätszufluss in die private Vermögenssphäre überführt wird.

1.48

Internationale Strukturen. Auch die Komplexität internationaler Strukturen, insbesondere durch die Auffächerung des Gesellschafterkreises auf mehrere Länder, spielt bei der Vermögensplanung oftmals eine gewichtige Rolle. Zwar sind innerhalb der Europäischen Union die Grundfreiheiten der Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit weitgehend umgesetzt. Steuerlich gilt jedoch das Territorialitätsprinzip, das bei grenzüberschreitenden Strukturen, gerade auch beim Umzug von Gesellschaftern oder bei Übertragungsvorgängen im Ausland, berücksichtigt werden muss, wenn stille Reserven als aufgedeckt gelten, ohne dass ein Verkehrsgeschäft vorliegt.

1.49

Strukturierungs- und Transaktionskosten. Beratungskosten bei der Vorbereitung der Unternehmensnachfolge und Transaktionskosten, wie z.B. Notar-, Grundbuch- und Registergebühren, schlagen oftmals nicht unerheblich zu Buche. Ggf. kommen Kosten für die Einholung einer verbindlichen Auskunft vom zuständigen Finanzamt hinzu (vgl. Rz. 1.139).

1.50

Finanzierung auf Unternehmensebene. Für die Vermögens- und Liquiditätsplanung ist zudem ein Blick auf die Passivseite der Bilanz und auf die Finanzierung der unternehmerischen Tätigkeit im Ganzen zu richten. Gesellschafterdarlehen und -bürgschaften, Bankkredite und andere Finanzierungen wirken sich auf das Unternehmen unmittelbar aus. Fraglich ist, ob diese Finanzierungen stehen bleiben bzw. mit den Anteilen übergehen oder ob eine Refinanzierung gewollt ist. – Bei der Übertragung von Vermögen, das dem Unternehmen als Betriebsmittel oder Sicherheit dient, bedarf es einer eingehenden Analyse, inwieweit Kreditvertragsbestimmungen (Covenants) oder andere Bestimmungen dazu führen, dass die vorherige Zustimmung Dritter einzuholen ist. Hinzu kommen Fragen des Credit Ratings des Unternehmens und der Kosten der Finanzierung.

1.51

Gesellschafterstreit. Die größte Gefahr für Liquidität, Firmenwert und Vermögen und damit für den Bestand des Unternehmens ist ein langanhaltender Gesellschafterstreit. Ein solcher Streit löst erhebliche, potentiell existenzbedrohende Kosten aus und bindet das Management oftmals über alle Maßen. Das Unternehmen wird destabilisiert, kann wichtige Entscheidungen nicht mehr treffen und kämpft anschließend mit Vertrauensverlusten bei Banken, Geschäftspartnern und Mitarbeitern.

IV. Gesellschaftsrechtliche Gestaltung 1.52

„Mitwachsen“ des Gesellschaftsvertrages. Der Gesellschaftsvertrag ist die Magna Charta des Familienunternehmens (Binge/Kirchdörfer, 2015, S. 121 ff.; Wälzholz, 2017, S. 28 ff.). Die Unternehmensnachfolge sollte dafür genutzt werden, den Gesellschaftsvertrag auf seine Zukunftsfähigkeit hin zu überprüfen. Ein mehr als 20 Jahre alter Gesellschaftsvertrag kann im Familienunternehmen nicht mehr ohne weiteres der nächsten Evolutionsstufe der Unternehmerfamilie gerecht werden. Dies gilt insbesondere für die Geschäftsführung und deren Kontrolle. Beim Übergang vom familiengeführten Unternehmen hin zum fremdgemanagten, familienkontrollierten Unternehmen sind Principal-Agent-Konflikte (Villalonga/Amit/Trujillo/ Guzman, 2015, Abb. 3) zu lösen.

14 | Wiese

B. Regelungsziele rechtlicher Nachfolgeplanung | Rz. 1.54 Kap. 1

Konflikte bestehen u.a. zwischen (1) Familiengesellschaftern und Familienmitgliedern, die nicht Gesellschafter sind, zwischen (2) Familiengesellschaftern und Gesellschaftern, die keine Familienmitglieder sind, und zwischen (3) den Gesellschaftern und dem Management des Unternehmens. Auch sind die Anforderungen an Unternehmen, die in weltweitem Wettbewerb stehen, heute andere als vor 20 Jahren. So besteht ggf. Bedarf zur Anpassung des Gesellschaftsgegenstandes und des Katalogs zustimmungsbedürftiger Geschäfte: Der Ausgleich zwischen Geschäftsführerfreiheit und Eigentümerkontrolle sollte ggf. neu justiert werden. Dies gilt auch für die Rolle des Beirats. Gesellschaftsform. Auch die Gesellschaftsform sollte überprüft werden. Zwar weisen Familienunternehmen unabhängig von der Rechtsform typischerweise die Gemeinsamkeit auf, dass sich die Eigentümerinteressen stets durchsetzen. Geschäftsführung und Beirat fügen sich, bei aller Autonomie ihrer jeweiligen Organe, ein. Familienunternehmen sind typischerweise keine anonymen Publikumsgesellschaften in der Rechtsform der AG, bei der der Vorstand ein von den Eigentümern weithin unabhängiges Eigenleben führt (§ 76 Abs. 1 AktG). Allerdings mag die Rechtsform aus unternehmerischen, organisatorischen oder steuerlichen Gründen anzupassen sein. – Gerade der Beirat als beratendes Organ kann im Zuge der Unternehmensnachfolge eine wichtige Rolle spielen. Hier dient der Beirat als Kompetenzzentrum, das den Übergang der Unternehmensführung absichert.

1.53

Liquiditätsschutz, Abfindungsregeln. Um einen schädlichen Gesellschafterstreit zu vermeiden, ist es dringend empfehlenswert, gerade diejenigen Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages zu überarbeiten, die in erster Linie liquiditätswirksam werden können. Dies gilt für Regeln über die Gewinnverteilung und die Entnahme genauso wie für Abfindungsregelungen bei Ausscheiden eines Gesellschafters.

1.54

Wiese | 15

Kap. 1 Rz. 1.55 | Rahmenbedingungen der Unternehmensnachfolge

1.55

Vinkulierung. Zudem spielt die Kontrolle über den Gesellschafterkreis eine entscheidende Rolle. In Pool- und Stammesvereinbarungen wird nicht nur das Abstimmungsverhalten festgelegt; vielmehr muss sichergestellt werden, dass die Anteile nicht auf familienfremde Gesellschafter übertragen werden oder jedenfalls ein Vorerwerbsrecht zugunsten der Mitgesellschafter besteht.

V. Familienrechtliche und steuerliche Gestaltung 1.56

Güterstandsrecht. So unterschiedlich die Familienunternehmen sind, so unterschiedlich sind auch die Unternehmerfamilien. Während das Familienrecht angesichts des Leitbilds der intakten Ehe und Familie von wechselseitigen Unterhalts- und Versorgungsleistungen ausgeht und in diesen Fällen stabilisierende Wirkung hat, stellen die gesetzlichen Bestimmungen bei Scheitern von Ehe und Familie eine erhebliche Bedrohung für das Familienunternehmen dar. Dies gilt zuvörderst für den Zugewinnausgleich bei Ehescheidung, wenn die Ehe im gesetzlichen (nicht modifizierten) Güterstand der Zugewinngemeinschaft geführt wurde. Vor diesem Hintergrund ist der Abschluss eines Ehevertrages für den Fall der Scheidung, aber ggf. auch für den Fall des Todes unbedingt empfehlenswert. Der modifizierte Zugewinnausgleich geht typischerweise auch mit einer pauschalierenden Unterhaltsregelung und mit dem Ausschluss des Versorgungsausgleichs einher. Auf diese Weise wird vermieden, dass das Unternehmen beim Scheitern der Ehe mit einem Liquiditätsabfluss (und Streit darüber) belastet wird, weil der ausgleichspflichtige Unternehmer die erforderliche Liquidität aus dem Unternehmen abzieht. Die Validität solcher Regelungen, die vom gesetzlichen Leitbild abweichen, ist von Zeit zu Zeit auf ihre fortwährende Tauglichkeit und Angemessenheit hin zu überprüfen. – Ziel sollte es sein, dass der nicht unternehmerisch tätige Ehegatte beim Aufbau eigenen Vermögens unterstützt wird.

1.57

Pflichtteilsrecht. Große praktische Bedeutung hat das Pflichtteilsrecht, das demjenigen gesetzlich erbberechtigten Ehegatten und Abkömmling zusteht, der nicht die Hälfte des gesetzlichen Erbteils erlangt. Wenn das Unternehmen, das oftmals das wesentliche Vermögen des Erblassers darstellt, nicht jeweils anteilig auf die gesetzlich Erbberechtigten übertragen werden kann, kommt es zu einer Aushöhlung des gesetzlichen Erbrechts der weichenden Erben. Dem soll das Pflichtteilsrecht, das von einer prinzipiell freien Verteilbarkeit des Nachlasses ausgeht, entgegenwirken. Das Pflichtteilsergänzungsrecht greift dabei auch dann ein, wenn pflichtteilsunterlaufende Schenkungen innerhalb von 10 Jahren vor dem Tod des Unternehmers vorgenommen worden sind. Die Pflichtteilsergänzung wurde zwar in der Weise entschärft, dass die Schenkung innerhalb des ersten Jahres vor dem Erbfall in vollem Umfang, innerhalb jedes weiteren Jahres vor dem Erbfall aber um jeweils ein Zehntel weniger berücksichtigt wird (Abschmelzung). Das Pflichtteilsrecht führt gleichwohl oftmals zu einem dramatischen Liquiditätsabfluss beim Unternehmenserben. Ziel sollte es letztlich sein, einen Pflichtteilsverzicht weichender Erben gegen moderate Abfindungsleistungen zu bewirken. Auch vor diesem Hintergrund ist der Unternehmer gut beraten, außerhalb des Unternehmens hinreichend Privatvermögen (nicht betriebsnotwendiges Vermögen) aufzubauen, so dass eine mehr als nur symbolische Abfindungsleistung an weichende Erben gerichtet werden kann. – Substanzielle Schenkungen innerhalb der Familie sollten stets unter Anrechnung auf den Pflichtteil erfolgen.

1.58

Steuerliche Optimierung. Die erbschaftsteuerliche und ertragsteuerliche Optimierung der Unternehmensnachfolge hat sicherlich erhebliche Relevanz, da Steuern betriebswirtschaftlich Kosten darstellen und einen Liquiditätsabfluss bedeuten. Eine Gestaltung sollte allerdings nicht allein aus steuerlichen Gründen vorgenommen werden. Auch muss vor steuerlichen Ge16 | Wiese

C. Bestandsaufnahme im Unternehmen und Gesellschafterkreis | Rz. 1.62 Kap. 1

staltungen gewarnt werden, die so kompliziert oder gar lebensfremd sind, dass sie die Gesellschafter oder Geschäftsführer in ihrer unternehmerischen Bewegungsfreiheit einengen. Vielmehr geht es in erster Linie darum, die steuerliche Verhaftung stiller Reserven in den Jurisdiktionen, in denen das Unternehmen ansässig oder tätig ist, sicherzustellen. Hierbei kann auch eine Umstrukturierung in Betracht kommen, ggf. unter Ausnutzung der Acht-Monats-Frist des Umwandlungssteuerrechts. Oftmals bietet sich eine Umwandlung ohnehin an, um die Rechtsform oder Struktur des Unternehmens zu verbessern. – Neben der ertragsteuerlichen Seite kommt in der Praxis der Inanspruchnahme der Verschonungsregeln des Erbschaftsteuerrechts, das auch bei der vorweggenommenen Erbfolge greift, eine große Rolle zu. – Im Zuge der Vertragsgestaltung muss sichergestellt werden, dass Haltensfristen oder Obliegenheiten auf Erwerberebene und im Unternehmen eingehalten werden, damit Voraussetzungen für steuerneutrale Übertragungen und etwaige nachlaufende Tatbestandsmerkmale nicht unterlaufen werden. So kann z.B. der Erwerber das erhaltene Unternehmensvermögen nicht innerhalb von Haltefristen versilbern, ohne im Nachhinein Einkommen- oder Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer auszulösen.

C. Bestandsaufnahme im Unternehmen und im Gesellschafterkreis I. Positionierung und Businessplan des Familienunternehmens Markt- und Unternehmensanalyse. Die Vorbereitung der Unternehmensnachfolge ist Anlass, das gesamte Unternehmen auf den Prüfstand zu stellen. Ausgehend von einer Marktanalyse müssen Stärken und Schwächen, Chancen und Risiken des Unternehmens nüchtern analysiert werden. Dies gilt für sämtliche Geschäftsbereiche, angefangen beim Management, und bezieht sich auf die Organisation und betrieblichen Abläufe des Unternehmens in allen seinen Teilen, also auf Forschung und Entwicklung, Technik und Fertigung, Marketing und Vertrieb, Finanzen und andere Stabsabteilungen und nicht zuletzt auf alle Mitarbeiter im Unternehmen. Auf welchen Märkten ist das Unternehmen tätig? Auf welchen Märkten möchte das Unternehmen mit welchen Produkten und Dienstleistungen tätig sein? Wo liegt der Wettbewerbsvorteil des Unternehmens und wie kann er auch in der Zukunft aufrechterhalten werden?

1.59

Der Befund ist: „Wirtschaftliche Lebenszyklen werden immer kürzer. Einige Wirtschaftszweige verschwinden ganz von der Bildfläche. Die Lebensdauer von Geschäftsmodellen war nie kürzer“. Woraus sich die entscheidende Frage ableitet, die jeweils neu gestellt werden muss (Davis, 2018): „Gibt es ein Geschäftsmodell, das sich in dieser Welt anpassen und erfolgreich sein kann?“

1.60

Wechsel in Gesellschafterstellung und Geschäftsführung. Im Rahmen der Unternehmensnachfolge muss also zunächst ganz allgemein beantwortet werden, was das Unternehmen auch in der nächsten Generation auf den relevanten Märkten wettbewerbsfähig macht. Der Wechsel im Gesellschafterkreis und in der Geschäftsführung und damit ganz allgemein die Unternehmensnachfolge stellen hier eine zusätzliche Herausforderung dar. Die Herausforderungen der Unternehmensnachfolge verschärfen die Anforderungen an Strategie und Planung in Familienunternehmen. Die Unternehmensnachfolge bietet aber auch eine Chance, die Frage nach der Wettbewerbsfähigkeit neu zu stellen und zu beantworten.

1.61

Vergangenheitsanalyse. Eine Kernfrage für eine erfolgreiche Unternehmensnachfolge lautet: Was waren (bisher) die Treiber für den Erfolg der Vergangenheit? Wie werden diese Treiber

1.62

Wiese | 17

Kap. 1 Rz. 1.62 | Rahmenbedingungen der Unternehmensnachfolge

bewahrt und erfolgreich in die Zukunft übertragen? Die Werttreiber in Familienunternehmen sind vielfach neben fachlichem Know-how auch eine starke emotionale und soziale Kompetenz der Inhaber/Führungskräfte. Dies drückt sich zum Beispiel durch eine starke Vertrauensbasis innerhalb des Unternehmens und durch eine langjährige Zugehörigkeit von Mitarbeitern in Schlüsselpositionen aus. Mit der Kenntnis der wesentlichen Werttreiber sollten sämtliche Prozesse analysiert werden, die die Leitungsebene abbilden. Wer hat über technologische Entwicklungen, deren Marktreife, den Ressourceneinsatz, den strategischen Einkauf, die passenden Absatzmärkte und die Preise entschieden? Wie sind die Entscheidungsträger in der Vergangenheit geführt bzw. koordiniert worden? Wie wurden Entscheidungen vorbereitet, auf welcher Basis wurden diese getroffen und wer hat am Ende tatsächlich entschieden? Aus den Antworten auf diese Fragen lassen sich Vorüberlegungen für das zukünftige Lenkungsmodell – bzw. die Herausforderungen, die es bis dahin zu meistern gilt, – ableiten.

1.63

Businessplan. Die Antworten auf diese Hausforderungen müssen im Businessplan gegeben werden, also im Rahmen einer systematischen Darstellung der Unternehmensidee nach Umsetzung der Nachfolge einschließlich Forschungs-, Fertigungs-, Marketing- und Vertriebskonzept, Personalplanung und Finanzierung. In Bezug auf die Finanzierung muss das Rechnungswesen des Familienunternehmens einer kritischen Betrachtung unterzogen werden. Liefert es die für die Situationsanalyse relevanten Zahlen? Für die Ermittlung der Finanzlage sind Gewinn- und Verlustrechnung sowie Cash-Flow-Analyse der Ausgangspunkt. Der Betrachtungszeitraum sollte mindestens 10 Jahre umfassen. Mit Hilfe finanzwirtschaftlicher Kennzahlen, insbesondere mit Blick auf Liquidität, Rentabilität und Produktivität, wird der Businessplan aufgestellt und überprüft werden.

1.64

Benchmarking und Key Performance Indicators (KPI). Der Vergleich mit anderen Unternehmen oder Branchenzahlen (Benchmarking) und die Messung kritischer Erfolgsfaktoren innerhalb des Unternehmens erlauben es, die Umbruchsituation im Unternehmen für dessen Optimierung zu nutzen. Dieses Vorgehen diszipliniert und erlaubt eine Stärkung der Leistungsfähigkeit des Unternehmens, ggf. auch durch Strukturmaßnahmen.

1.65

Optionen der Unternehmensnachfolge. Mit Hilfe des Businessplans können die Optionen für die Unternehmensnachfolge ausgelotet werden. Neben der familieninternen Nachfolge muss zumindest auch erwogen werden, Fremdmanagement einzubinden oder das Unternehmen mit Wettbewerbern zu fusionieren oder an einen strategischen Käufer zu veräußern, wenn die unternehmerische Führung durch Familienmitglieder oder die Fortexistenz in bisheriger Weise auch bei organischem Wachstum keinen langfristigen Erfolg verspricht. Teil des Businessplans sind daher auch Antworten auf die zentrale Frage, wie das Unternehmen nach Ausscheiden des Prinzipals oder der bisherigen geschäftsführenden Gesellschafter personell richtig aufgestellt ist, um sich langfristig am Markt zu behaupten. Der Businessplan des Unternehmens muss vor diesem Hintergrund mit den leitenden Mitarbeitern des Unternehmens, insbesondere mit Fremdgeschäftsführern, besprochen werden, ebenso mit Mitgesellschaftern, potenziellen Nachfolgern, Banken und anderen Akteuren oder Beratern, die am Nachfolgeprozess beteiligt sind. Eine zentrale Rolle spielt dabei auch der Beirat als Instrument der Nachfolgeplanung, der gerade auch in der Phase des Umbruchs bei der Aufstellung des Business Plans als Sparringspartner fungieren kann (dazu sogleich Rz. 1.68).

18 | Wiese

C. Bestandsaufnahme im Unternehmen und Gesellschafterkreis | Rz. 1.71 Kap. 1

II. Corporate Governance Begriff. Die Kontrolle und Führung des Familienunternehmens sind maßgeblich von dem oder den Familienmitgliedern geprägt, die für das Unternehmen als Gesellschafter und/oder als Geschäftsführer Verantwortung übernehmen. Als Teil der Nachfolgeplanung ist ein Konzept der Inhaber des Familienunternehmens zu erarbeiten, wie dieses künftig effizient und effektiv geführt werden kann. Dies wird unter dem Stichwort „Corporate Governance“ (Grundsätze guter Unternehmensführung) diskutiert.

1.66

Gute Unternehmensführung bei Familienunternehmen. Für das konkrete Familienunternehmen muss erarbeitet werden, wie dieses auch nach Umsetzung der Unternehmensnachfolge gut geführt werden kann. So unterschiedlich Familienunternehmen sind, so unterschiedlich wird hier auch jeweils ein „gutes Führungskonzept“ aussehen. Schon deswegen bietet es sich nicht an, Familienunternehmen in einen allgemeinen Corporate Governance-Kodex hineinzuzwängen. Zudem geht es bei Familienunternehmen regelmäßig nicht darum, durch regelbasierte Unternehmensführung und hinreichende Transparenz das Vertrauen von Anlegern etc. in das Unternehmen zu stärken. Vielmehr muss der Familieneigentümer durch klare gesellschaftsvertragliche Regeln und ein straffes Berichtswesen sicherstellen, dass das Unternehmen gut geführt werden kann. Hierfür muss eine konkrete Lösung gefunden und gegenüber Mitarbeitern, Banken und anderen Partnern kommuniziert werden. Dabei ist die Auflösung bestehender Principal-Agent Konflikte in den Blick zu nehmen.

1.67

Beirat. Für die Corporate Governance bei Familienunternehmen kommt dem Beirat zentrale Bedeutung zu. Der Beirat ist typischerweise ein freiwilliges Organ der Unternehmensverfassung. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Unternehmen als Personengesellschaft oder GmbH verfasst ist und eine unternehmerische Mitbestimmung nicht greift. Die Gesellschafter können einen Beirat bilden und Teile der Verantwortlichkeit der Gesellschafter oder Geschäftsführung auf den Beirat übertragen. Für das Familienunternehmen stellt sich daher die Frage, ob ein Beirat wünschenswert oder gar erforderlich ist, welche Aufgaben dieser haben sollte, wie dieser personell besetzt und seine Arbeitsfähigkeit sichergestellt ist. Mit Blick auf die Unternehmensnachfolge ist die Einrichtung eines Beirats sicherlich sinnvoll.

1.68

Beratung und Kontrolle. Wenn ein Beirat als Organ eingerichtet ist, muss festgelegt werden, ob und – wenn ja – welche Beratungs- und Kontrollaufgaben und (Mit-)Entscheidungsrechte des Beirats vorgesehen werden. Dies reicht von der Beratung der Gesellschafter und Geschäftsführer über die Kontrolle der Geschäftsführung bis hin zur Einbindung in bestimmte Entscheidungsprozesse mit entsprechenden Vorbehaltsrechten. Denkbar ist, die Kompetenzen des Beirats je nach Situation unterschiedlich auszugestalten; so können diese beispielsweise im Fall des Todes des Prinzipals deutlich stärker ausgestaltet werden als zu dessen Lebzeiten.

1.69

Erfahrung. In jedem Fall sollte der Beirat mit starken, erfahrenen und kommunikativen Persönlichkeiten besetzt werden. Im Übrigen sind verschiedene Konzepte denkbar: Während ein Alleininhaber im Wesentlichen auf die Beratung durch einen Marktexperten, einen Banker und einen Experten im Rechnungswesen setzen mag, hat der Beirat beim Familienunternehmen, das auf mehreren Familienstämmen fußt, auch die Aufgabe, die Interessen der Familienstämme im Beirat auf angemessene Weise zur Geltung zu bringen.

1.70

Formalia. Sobald ein Beirat aktiv wird, sollte dieser auch nach bestimmten Formalien tätig werden: Dies gilt für die rechtzeitige Ladung unter Mitteilung der Beratungs- und Beschluss-

1.71

Wiese | 19

Kap. 1 Rz. 1.71 | Rahmenbedingungen der Unternehmensnachfolge

gegenstände, aber auch für eine straffe Sitzungsleitung und die Erstellung eines Sitzungsprotokolls.

III. Gesellschafterkreis und Rechtsform 1.72

Wahl und Anpassung der Rechtsform. Mit der Änderung des Gesellschafterkreises im Zuge der Unternehmensnachfolge rückt auch die Rechtsform des Familienunternehmens in den Fokus. Vom Einzelunternehmen der ersten Generation bis zur anonymen, ggf. sogar börsennotierten Aktiengesellschaft stehen verschiedene Rechtsformen zur Verfügung; dabei sind für deutsche Familienunternehmen insbesondere die GmbH und die Kommanditgesellschaft, namentlich die GmbH & Co. KG, von besonderem Interesse. Sowohl die GmbH als auch die GmbH & Co. KG zeichnen sich durch eine erhebliche Flexibilität aus, die für Familienunternehmen genutzt werden kann. Andererseits besteht Bedarf zur individuellen, bedarfsgerechten Überprüfung und Anpassung der Gesellschaftsverträge und der übrigen rechtlichen Rahmenbedingungen des Familienunternehmens. Spätestens die Unternehmensnachfolge ist der richtige Zeitpunkt, Besonderheiten, die in der Vergangenheit richtig gewesen sein mögen, zu streichen, wenn sie in der Zukunft überflüssig oder gar schädlich sein werden. Auch ist eine Anpassung an Änderungen der Rechtsprechung und Gesetzgebung erforderlich. – In Deutschland besteht für die GmbH und GmbH & Co. KG kein „Gesellschaftsbuch“, aus dem sich die rechtlichen Rahmenbedingungen des Unternehmens vollständig ergeben. Es empfiehlt sich, für die Unternehmensnachfolge sämtliche vertraglichen Grundlagen zusammenzutragen und entsprechend zu überprüfen. Dann kann auf gesicherter Grundlage entschieden werden, inwieweit für die künftige Verfassung des Familienunternehmens mit Blick auf Haftungsregime, Besteuerung, Entscheidungsfindung, Leitung und Überwachung, Übertragbarkeit der Anteile, Publizität und Finanzierung Änderungen angezeigt sind.

1.73

Bindungen der Familiengesellschafter. Ein eigenständiges Thema in diesem Zusammenhang ist die Frage, welchen Bindungen die Anteile der Familiengesellschafter unterliegen sollen, von der Vinkulierung (Vorbehalt der Zustimmung zur Veräußerung, Belastungsverbot, Vorerwerbsrecht, etc.) über Ausschüttungsregelungen bis zu Anteilsbewertungen (insbesondere bei Einziehungen oder Anteilsübertragungen im Gesellschafterkreis). Diese Regelungen sind die Grundlage für den Fortbestand als Familiengesellschaft. Aber in der Generationenfolge sind ggf. Anpassungen am konkreten Konzept erforderlich.

1.74

Konfliktlösung. Im Zuge der Nachfolge ist auch zu klären, inwieweit der Konfliktlösungsmechanismus im Gesellschaftsvertrag der Überarbeitung bedarf. Gerade wegen der erheblichen Gefahr, die Gesellschafterstreitigkeiten für das Familienunternehmen bedeuten, sollte für die Streitbeilegung die Einrichtung eines Schiedsgerichts erwogen werden. Dieses entscheidet oftmals schneller, kostengünstiger, sachnäher und ohne Publikumswirksamkeit. Zur Vermeidung von (schieds-)gerichtlichen Verfahren sind im Vorwege klärende Mechanismen wie z.B. Beiratskonsultation oder Mediation wichtig.

IV. Das internationale Familienunternehmen 1.75

Internationalisierung. Zusätzliche Komplexität ergibt sich für das Familienunternehmen dann, wenn es international aufgestellt ist. Die Internationalität kann sich aus Tochtergesellschaften im Ausland ergeben, aber ganz allgemein auch aus Leistungsbeziehungen mit Lieferanten und Kunden im Ausland. Die gesellschaftsrechtlichen und steuerlichen Vorgaben ausländischen Rechts wirken dann auf das Familienunternehmen ein. Die Errichtung ausländischer Tochtergesellschaften wird nach unserer Erfahrung dazu führen, dass stärker von der 20 | Wiese

D. Bestandsaufnahme in der Familie | Rz. 1.78 Kap. 1

Rechtsform der Kapitalgesellschaft Gebrauch gemacht wird. Dies ist für die Gesellschafter auch regelmäßig wünschenswert, um eine persönliche beschränkte Steuerpflicht im Ausland weitgehend zu vermeiden; die Besteuerung von Veräußerungen und Dividendenzahlungen wird dann regelmäßig auf Doppelbesteuerungsabkommen gestützt. – Letztlich sollten sämtliche in I. bis III. genannten Aspekte berücksichtigt werden, um das Familienunternehmen auch für die Zeit nach der Übertragung in die nächste Generation richtig aufzustellen.

D. Bestandsaufnahme in der Familie I. Entwicklungsstufe der Unternehmerfamilie Von „klassisch“ bis „Patchwork“. Es wurde schon verschiedentlich angesprochen, dass es „die eine“ Unternehmerfamilie nicht gibt. Dies liegt nicht nur daran, dass jeweils die Geschichte, Größe und Zusammensetzung der Familie unterschiedlich sind und sich laufend weiterentwickeln. Im Zusammenhang mit der Unternehmensnachfolge ist besonders bedeutsam, welchen Status die Familie im Verhältnis zum Unternehmen hat: Nach der Gründung des Unternehmens wird es aus Sicht der Unternehmerin bzw. des Unternehmers zunächst um die Gründerfamilie gehen, also die eigenen Kinder und Enkelkinder. Hier zeigt sich das klassische Drei-Generationen-Schema der Familie. Schon insoweit ist allerdings innezuhalten und zu betonen, dass dieses klassische Schema heute jedenfalls insoweit stärker aufgeweicht ist, als schon in der Gründerfamilie Patchwork-Situationen vorliegen mögen, bei denen die einzelnen Beteiligten mehrmals oder auch gar nicht verheiratet sind und Abkömmlinge aus verschiedenen Verbindungen haben.

1.76

Generationenfolge. Die Kinder der Unternehmensgründer haben bereits selbst Erfahrungen mit der Unternehmensnachfolge gemacht; sie haben das Unternehmen übernommen. Oftmals ist dann aber schon Schluss: Nach empirischen Untersuchungen schaffen nur etwa drei bis vier Prozent der Familienunternehmen den Übergang von der zweiten zur dritten Generation (Simon, 2012, S. 70, unter Verweis auf Zucker/Borwig, 1992, S. 215). Wenn aber das Familienunternehmen über mehrere Generationen innerhalb der Familie übertragen und fortgeführt wird, kommt es zu weiteren Stufen familiärer Organisation, von der Kleinfamilie („Geschwistergesellschaft“) über die Stammesbildung („Vetternkonsortium“) bis hin zur Großfamilien-Organisation/-Dynastie (s. Drei-Dimensionen-Modell (Rz. 1.23 f.). Dabei bleibt aber auch bei Unternehmen, die von einer Großfamilie gehalten werden, jeweils im Kleinen das Kleinfamilienmodell erhalten, da auch innerhalb der Familienstämme sich Eltern immer wieder fragen müssen, ob sie Anteile auf ihre Kinder übertragen.

1.77

II. Family Governance Rollenverständnis in der Unternehmerfamilie. Innerhalb der Unternehmerfamilie stellt sich die Frage nach der Strategie, die die Familie als solche langfristig verfolgen will. Hier geht es um das Selbstverständnis der Familie, die ganz wesentlich, aber eben bei weitem nicht nur eine Unternehmerfamilie ist. So ist der Blick auch auf diejenigen zu richten, die nicht in das Familienunternehmen eintreten werden. Dies zeigen schon das Drei-Kreise- und das Drei-Dimensionen-Modell. Mit zeitlicher Abfolge und möglicher Verkleinerung der prozentualen Beteiligung eines jeden Familienmitglieds am Unternehmen muss geklärt werden, was die Familie verbindet, welche Rolle die Familienmitglieder spielen sollen und welche Bedeutung das Unternehmen für jede/n einzelne/n hat. Hier gibt es erhebliche Entwicklungschancen und -ri-

Wiese | 21

1.78

Kap. 1 Rz. 1.78 | Rahmenbedingungen der Unternehmensnachfolge

siken, die sich nicht nur im Unternehmen, sondern auch in der Familie auswirken können. Diese Chancen und Risiken müssen innerhalb der Familie erkannt und thematisiert werden.

1.79

„Familienverfassung“. Daraus folgt: Die Familie als eigener Sozialkreis (neben dem Familienunternehmen und den Beteiligungen daran) braucht Strategie und Struktur. Seit einiger Zeit werden insoweit Instrumente diskutiert, die mit ihrer Bezeichnung als „Familienverfassung“ oder „Familiencharta“ einen rechtlichen Rahmen für die Familienstrategie bzw. Family Governance vermuten lassen (s. bereits Rz. 1.43; dazu auch Fleischer, 2016; Huffmann, 2015). Die Idee einer Familienverfassung stellt mittlerweile eine globale Erscheinung dar und steht zwischen Vertrag, Moralobligation und Mission Statement. Die Rechtsnatur solcher Konstrukte ist noch zu klären; auch ist nicht ganz klar, ob diese wirklich zu mehr Vertrauen innerhalb der Familie führen. Oftmals ist hier „der Weg das Ziel“, dass nämlich innerhalb der Familie über die Frage gesprochen wird, wo man gemeinsam hinwill, und dass man sich um übergreifenden Konsens bemüht. – Dieser Konsens hat auch zu berücksichtigen, dass Gleichbehandlung der Familienmitglieder innerhalb der Familie gewünscht sein mag, gerade in Bezug auf das Unternehmen aber zu einer Belastung führen kann. Aber selbst eine Gleichbehandlung wegen der potenziellen Unternehmensfortführung kann problematisch sein, wenn auch von den Kindern, die keine Nähe zum unternehmerischen Handeln verspüren, verlangt wird, ihre Ausbildung und ersten beruflichen Schritte in diesem Bereich zu absolvieren.

1.80

Güterstands- und Pflichtteilsrecht. Zu einer Belastung innerhalb der Familie führt potenziell auch das eheliche Güterstandsrecht sowie das erbrechtliche Pflichtteilsrecht. Beide Institute bringen nicht nur innerhalb der Familie Belastungen mit sich, wenn vermögensrechtliche Ansprüche durchgesetzt werden sollen, sondern sind potenziell auch geeignet, das Familienunternehmen ausbluten zu lassen (Rz. 1.56). Die Familienstrategie sollte auch Leitlinien beinhalten, wie man mit Zugewinnausgleichsansprüchen und Pflichtteilsrechten umgehen will.

III. Unternehmerische Eignung von Familienmitgliedern 1.81

Leistungsgerechtigkeit. Eine entscheidende Rolle bei der Unternehmensnachfolge innerhalb der Familie spielt natürlich die unternehmerische Eignung der in Betracht kommenden Abkömmlinge und weiteren Familienmitglieder. Aus Sicht der Eltern als Unternehmensinhaber oder Gesellschafter kommt dabei der Leistungsgerechtigkeit entscheidende Bedeutung zu. Natürlich ist auch diese nur subjektiv messbar, allemal im Hinblick auf die künftige Behauptung als Unternehmensinhaber und Geschäftsführer im Unternehmen. Auch stellt die vermeintlich befriedende Betonung des Leistungsgedankens möglicherwiese eine verschärfende Belastung für die Familie dar, wenn zwischen Geschwistern o.ä. ein ungesunder Leistungswettbewerb ausgerufen wird.

1.82

Ausbildung. Jedenfalls sollten Eltern ihren Kindern eine bestmögliche Ausbildung angedeihen lassen, die nicht nur in Sprachkursen, erstklassigen Schulen und weiteren Ausbildungsangeboten besteht. Die Eltern sollten zudem Freiraum für Entfaltung eigener Interessen und Kreativität lassen, so dass eine ganzheitliche Persönlichkeitsbildung gelingt. Dabei muss auch akzeptiert werden, wenn Kinder kein „Unternehmer-Gen“ haben, sondern sich vornehmlich für andere Bereiche des Lebens interessieren.

1.83

Unternehmertum. Im Hinblick auf die Unternehmensnachfolge spielt also nicht nur die Ausbildung, sondern wahrscheinlich noch viel mehr das Naturell des Familienmitglieds und dessen bzw. deren Neigung, sich in das Unternehmen einzubringen, eine Rolle. Vielleicht hat die oben angesprochene Tatsache, dass nur selten der Übergang von der zweiten auf die dritte 22 | Wiese

D. Bestandsaufnahme in der Familie | Rz. 1.88 Kap. 1

Generation gelingt, auch damit etwas zu tun, dass – neben der materiellen Unabhängigkeit und der Vielzahl unterschiedlicher persönlicher Interessen – den Enkelkindern klar vor Augen steht, dass Unternehmertum auch eine besondere Anstrengung und Leistungsbereitschaft bedeutet. Andererseits führt dieser Befund auch wieder hin zu dem Kriterium der Leistungsgerechtigkeit. Kunden, Mitarbeiter, Kreditgeber und andere Stakeholder dürfen erwarten, dass das Unternehmen auch in der nächsten Generation mit voller Leistungsfähigkeit geführt wird. Familieninterne oder -externe Lösung. Die entscheidende Frage lautet daher: Ist es im Hinblick auf das Unternehmen und seine Mitarbeiter richtig, das Steuer an die nächste Generation weiterzureichen, oder sollten Dritte einbezogen werden, als Fremdgeschäftsführer oder letztlich auch als Eigentümer?

1.84

IV. Versorgung und Absicherung Interessen. Aus Sicht der Unternehmensinhaber, aber auch der ganzen (Klein-)Familie sind Versorgungs- und Sicherungsüberlegungen von vitalem Interesse; die Absicherung in Alter und Krankheit ist ein ebenso zentraler Punkt wie die Versorgung der Kinder und Enkelkinder. Der Unterhalt bezieht sich nicht nur auf eine bestmögliche Ausbildung, sondern kann auch längerfristiger Natur sein, z.B. bei Kindern mit Behinderung und bei anderen Schutzbefohlenen. Die Familienstrategie hat auch oft eine gewisse wirtschaftliche Sicherstellung oder gar Gleichstellung der Lebensverhältnisse innerhalb der Familie zum Ziel.

1.85

Liquidität. Die Versorgungs- und Sicherungsinteressen innerhalb der Familie stehen regelmäßig im Widerspruch zum Unternehmensinteresse, das auf eine weitgehende Binnenfinanzierung durch Thesaurierung von Gewinnen gerichtet ist. In den Gesellschaftsverträgen wird daher typischerweise vorgesehen, dass neben der Entnahme von persönlichen Einkommensteuern nur in begrenzter Weise Liquidität abgezogen werden kann. Mit einer gesteigerten Fremdfinanzierung des Unternehmens und der Ausschüttung bzw. Entnahme von Gewinnen kann allerdings auch eine gewisse Unabhängigkeit vom Unternehmen erreicht werden, mit durchaus positiven Effekten (s. Rz. 1.88).

1.86

Nießbrauch. Bei der Unternehmensnachfolge wird das Versorgungsinteresse vielfach durch Nießbrauchsgestaltungen gedeckt. Hierbei sollte aber auch darauf geachtet werden, dass die Nachfolger als künftige Mitunternehmer mit ihren Anteilen auskömmliche Erträge erzielen, so dass das unternehmerische Engagement hinreichend attraktiv bleibt. Auch wenn es hier keine scharfe Trennlinie geben kann, sollte es bei der Ausgestaltung des Nießbrauchs (z.B. als Quoten- oder Höchstbetragsnießbrauch) ein Ziel sein, den Nachfolgern schon bei den laufenden Erträgen einen Anreiz für eigene Beiträge und Investitionen zu geben. Auch sollte beachtet werden, dass Kapitalvermögen, das unter dem Nießbrauch bei der übertragenden Generation anwächst, künftig nicht erbschaftsteuerlich privilegiert sein wird, wenn es nicht als Unternehmensvermögen qualifiziert (§§ 13a, 13b ErbStG).

1.87

V. Freies Familienvermögen Klumpenrisiko. Innerhalb der Unternehmerfamilie wird das Familienunternehmen oftmals den wesentlichen Vermögensgegenstand darstellen. Dies bedeutet ein erhebliches Klumpenrisiko. Selbst wenn sich Familienunternehmen diversifizieren und in mehreren Sparten geschäftlich tätig sind, bleibt es eben doch Unternehmensvermögen mit den hierfür typischen Risiken. Hier sollte auch in andere Vermögensgegenstände (Asset-Klassen) investiert werden. Wiese | 23

1.88

Kap. 1 Rz. 1.88 | Rahmenbedingungen der Unternehmensnachfolge

Aber auch der Blick auf die Versorgungs- und Sicherungsbedürfnisse von Familienmitgliedern, die nicht notwendigerweise am Unternehmen beteiligt sind, zeigt, dass der Aufbau „freien“ Familienvermögens große Bedeutung hat. Dieses gilt es auch in der Weise zu schützen, dass es nicht bei einem Verfall des Unternehmens gleichermaßen in Mitleidenschaft gezogen wird. Insoweit ist auch die schlichte Struktur der Betriebsaufspaltung kaum geeignet, freies Vermögen „hinter die Brandmauer“ zu bringen.

1.89

Aufbau freien Vermögens. Die Familienstrategie muss daher auch ein Konzept für den Aufbau und Erhalt freien Familienvermögens beinhalten. Zunächst bedeutet dies die konsequente, den Liquiditätsbedürfnissen des Unternehmens ebenso wie dem Sicherungsinteresse der Familie Rechnung tragenden Überführung von Gewinnen in das Privatvermögen. Dies gilt insbesondere in „guten Zeiten“. Zunächst muss der eigene Lebensstandard dauerhaft gesichert werden können; sodann geht es um langfristigen zusätzlichen Vermögensaufbau, der das Klumpenrisiko, welches das Unternehmensvermögen darstellt, schrittweise reduziert. Auch sollte das freie Vermögen dazu genutzt werden, den Vermögensaufbau auch des nicht unternehmerisch tätigen Ehegatten zu unterstützen und mit Blick auf eine als gerecht empfundene Verteilung des Restvermögens innerhalb der Familie später auch solche Kinder und Enkelkinder zu berücksichtigen, die nicht am Unternehmensvermögen beteiligt werden.

1.90

Vermögensverwaltung. Schließlich muss die Strategie zum Aufbau freien Familienvermögens auch eine adäquate Vermögensverwaltung vorsehen. Vom Vermögensdepot bei einer Privatbank bis zur Einrichtung eines verselbständigten „Family Office“ gibt es hier unterschiedliche Möglichkeiten, die sich jeweils auch an der Größe des freien Privatvermögens orientieren.

VI. Pflichtteilsberechtigte 1.91

Grundlagen. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Ehegatten und Abkömmlinge (d.h. Kinder und, im Falle des Vorversterbens der Kinder, auch Enkelkinder) die Hälfte des gesetzlichen Erbteils als Pflichtteilsrecht geltend machen können, wenn und soweit sie testamentarisch von ihrem Erbrecht ausgeschlossen worden sind. Der Pflichtteil lässt sich ohne Zustimmung des Pflichtteilsberechtigten nicht beseitigen (Binge/Kirchdörfer, 2015, S. 201). Der Pflichtteilsberechtigte hat einen Zahlungsanspruch gegen den Erben bzw. die Erbengemeinschaft. Ein Pflichtteilsergänzungsanspruch besteht auch dann, wenn und soweit der Erblasser in einem Zeitraum von 10 Jahren vor seinem Tod Schenkungen oder andere unentgeltliche Verfügungen an Dritte vorgenommen hat und die Abschmelzung (Rz. 1.57) noch nicht vollständig erfolgt ist. Umgekehrt bedeutet dies, dass bei Vermögensübertragungen eine Pflichtteilsergänzung nicht mehr stattfindet, wenn zwischen Schenkung und Erbfall ein Zeitraum von 10 Jahren verstrichen ist.

1.92

Pflichtteilsstrategien. Unternehmer und Unternehmerinnen sollten daher stets das Pflichtteilsrecht im Auge behalten, wenn sie beabsichtigen, das Unternehmen nicht auf sämtliche potenziell Pflichtteilsberechtigten zu übertragen. Zwar kann von den Pflichtteilsberechtigten ein Verzicht auf die Geltendmachung des Pflichtteils ausgesprochen werden. Oft werden daher Kinder an ihrem 18. Geburtstag zunächst zum Pflichtteilsverzicht zum Notar einbestellt, ehe sie in den Raum mit ihren Geburtstagsgeschenken geführt werden. Doch ist zum einen nicht sicher, ob Pflichtteilsverzichte dieser Art immer wirksam sind (s. z.B. OLG Hamm, Urt. v. 8.11.2016 – 10 U 36/15, FamRZ 2017, 1167). Zum anderen ist ganz allgemein zu berücksichtigen, dass eine solche Überrumpelung zwar für die Liquidität des Familienunternehmens hilfreich, für die Familie aber höchst problematisch sein kann. Auch hilft heute nicht mehr durchgängig der Hinweis, dass ein entsprechendes Vorgehen „früher üblich“ gewesen sei. – 24 | Wiese

E. Gestaltungsoptionen und Umsetzung | Rz. 1.96 Kap. 1

Empfehlenswert ist oftmals der Einsatz freien Vermögens zur Abgeltung möglicher Pflichtteilsrechte. Natürlich hilft auch hier eine allseits konsentierte Familienstrategie und das Gespräch innerhalb der Familie über den Umgang mit dem Familienvermögen.

VII. Die internationale Familie, ausländische Beteiligte Zivilrechtliche und steuerliche Schwierigkeiten. Die internationale Unternehmerfamilie stellt in rechtlicher und steuerlicher Hinsicht eine besondere Herausforderung dar. Gerade bei größeren Unternehmerfamilien, die bereits in der Enkel- und Urenkelgeneration unterhalten werden, wirft das internationale Gesellschafts-, Erb- und Steuerrecht große Schwierigkeiten auf. Dies gilt bei im Ausland belegenem Unternehmensvermögen ebenso wie bei Gesellschaftern oder anderen Familienmitgliedern, die im Ausland ansässig sind oder z.B. qua Staatsangehörigkeit ausländischem Recht unterliegen. Schwierigkeiten ergeben sich schon bei der Frage der Wirksamkeit von Schenkungen, Anteilsübertragungen oder Testamenten. Steuerlich kommt noch das Problem der Doppelbesteuerung hinzu. Während schon der Wohnsitzwechsel eines Gesellschafters ins Ausland große Probleme mit sich bringt (Wegzugsbesteuerung), ertragsteuerlich aber wenigstens noch ein Netz von Doppelbesteuerungsabkommen und der unionsrechtliche Grundsatz der Niederlassungsfreiheit greifen, ist erbschaftsteuerlich die Situation oftmals desaströs, wenn mehrere Staaten Erbschaft- oder Nachlasssteuern erheben, die aufeinander nicht angerechnet werden. Jede Gestaltung mit Auslandsbezug muss daher besonders sorgfältig geplant werden. Dies gilt insbesondere bei Tatbeständen, die Steuern auszulösen, ohne mit einer Vermögens- bzw. Liquiditätszufuhr verbunden zu sein.

1.93

E. Gestaltungsoptionen und Umsetzung I. Vorüberlegungen Nachfolgekonzept. Die Möglichkeit, unter verschiedenen Gestaltungsoptionen für die Nachfolge auszuwählen und eine oder mehrere dieser Optionen weiter zu verfolgen und als Nachfolgekonzept zu konkretisieren, setzt voraus, dass die Vorbereitung der Unternehmensnachfolge rechtzeitig als bewusst zu steuernder Prozess wahrgenommen und betrieben wird. Die Erarbeitung eines Nachfolgekonzepts sollte zu einem Zeitpunkt erfolgen, in dem die Nachfolge zwar noch nicht unmittelbar bevorsteht (oder besser: bevorzustehen scheint), in dem aber noch möglichst viele Gestaltungsoptionen für die Nachfolge verfolgt werden können.

1.94

Übertragung zu Lebzeiten oder mit dem Versterben. Grundsätzlich ist die Entscheidung zu treffen, ob die Übertragung des Unternehmens auf den Nachfolger noch zu Lebzeiten des Unternehmers vorgenommen werden soll, d.h. im Wege der vorweggenommenen Erbfolge, oder ob das Unternehmen erst durch letztwillige Verfügung auf den Nachfolger übergehen soll. Dies hängt auch davon ab, ob und zu welchem Zeitpunkt ein geeigneter Nachfolger zur Verfügung steht und ob der Unternehmer bereits frühzeitig die Nachfolge in Gang zu setzen beabsichtigt.

1.95

Kombination. Vorweggenommene Erbfolge und testamentarische Regelung schließen sich jedoch nicht gegenseitig aus. Im Gegenteil: Die lebzeitige Nachfolge – im Rahmen einer langfristig angelegten Nachfolgestrategie – ist der Regelfall. Dann bildet das Testament des Unternehmers regelmäßig den Schlusspunkt einer schrittweisen Übertragung des Vermögens auf den Nachfolger. Gerade dann, wenn der Nachfolger zu Lebzeiten des Unternehmers noch in das Unternehmen „hineinwachsen“ soll und Unternehmensanteile von dem Unternehmer da-

1.96

Wiese | 25

Kap. 1 Rz. 1.96 | Rahmenbedingungen der Unternehmensnachfolge

her zunächst nicht oder nur in sehr begrenztem Umfang auf den Nachfolger übertragen werden, kann der Vermögensübergang aufgrund letztwilliger Verfügung ein wichtiger letzter Baustein der Unternehmensnachfolge sein (und ist als Notfallplanung ohnehin erforderlich, s. Rz. 1.128). Die schrittweise Übertragung noch zu Lebzeiten bietet den Vorteil, dass der Unternehmer beobachten kann, wie der Nachfolger mit seiner unternehmerischen Verantwortung umgeht; wenn erforderlich, kann der Unternehmer noch korrigierend eingreifen. Die Einflussnahme ist dagegen erheblich eingeschränkt, wenn die Nachfolge erst mit dem Ableben des Unternehmers einsetzt. Hier kann lediglich in Grenzen, z.B. über eine angeordnete Testamentsvollstreckung, auf das Verhalten des Nachfolgers eingewirkt werden.

1.97

Keine vorzeitige Übertragung nur aus steuerlichen Gründen. Die Entscheidung darüber, ob das Unternehmen bereits zu Lebzeiten oder erst mit dem Versterben des Unternehmers auf den Nachfolger übergehen soll, sollte nicht allein nach steuerlichen Gesichtspunkten getroffen werden. Es kann nicht oft genug betont werden: Keine Übertragung nur aus steuerlichen Gründen! Es ist sicherlich zutreffend, dass über eine frühzeitige Übertragung ggf. einkommensteuerliche Progressionsvorteile genutzt und erbschaftsteuerliche Freibeträge mehrfach in Anspruch genommen werden können. Dies sollte jedoch nicht den Blick auf die eigentlich entscheidende Frage verstellen: Welcher Zeitpunkt ist aus strategischer, operativer, betriebswirtschaftlicher und nicht zuletzt familiärer Perspektive der beste Übertragungszeitpunkt? Die Rückabwicklung einer verfrühten und übereilten Nachfolge führt naturgemäß zu erheblichen Problemen und Konflikten.

1.98

Veränderungen. Die Planung der Nachfolge ist ein dynamischer Prozess. Sowohl das Unternehmen als auch die hinter dem Unternehmen stehende Familie sind fortwährenden Veränderungen unterworfen, und immer wieder verändern sich Umstände derart, dass auch ein Um- oder Neudenken bei der Nachfolge erforderlich wird. Unternehmensbezogene Änderungen können sich insbesondere auf den wirtschaftlichen Erfolg und den Bestand des Unternehmens beziehen. Gerade die Annahme, dass die Versorgung der Elterngeneration auch nach der Übertragung aus den unternehmerischen Gewinnen, z.B. mittels Nießbrauchs oder Versorgungsleistungen, erfolgen kann, sollte immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden. Stets überprüft werden sollte aber auch, ob der designierte Nachfolger noch sämtliche an ihn gestellte Erwartungen erfüllt. Ggf. ändern sich dessen privaten oder beruflichen Umstände derart, dass eine Übertragung auf diese Person für den Unternehmer nicht weiter in Frage kommt. All dies sollte eine umfassende Nachfolgeplanung zwar bereits von Beginn an berücksichtigen; eine laufende Überprüfung des Nachfolgekonzepts ist aber unerlässlich. Hinzu kommen Rücktrittsrechte und Widerrufsvorbehalte, die auf Extremfälle des Scheiterns eines Nachfolgekonzepts bezogen sind.

II. Gestaltungsoptionen 1.99

Alternativen. Schon aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass Gegenstand der Unternehmensnachfolgeplanung nicht zwingend die familieninterne Unternehmens- und Anteilsübertragung ist. Im Gegenteil: Oftmals stellen die Einbindung von Fremdmanagement, der Verkauf an Fremdgeschäftsführer und Dritte oder die sonstige Umstrukturierung des Unternehmens bessere Alternativen dar. Eines gilt für sämtliche Gestaltungsoptionen: Die Sicherstellung einer guten Unternehmensnachfolge ist eine unternehmerische Herausforderung für die gesamte Unternehmerfamilie.

26 | Wiese

E. Gestaltungsoptionen und Umsetzung | Rz. 1.103 Kap. 1

Einen Überblick über mögliche Gestaltungsalternativen gibt das folgende Schaubild:

1.100

III. Familieninterne vs. familienexterne Nachfolge Weichenstellung. Die zentrale Entscheidung im Vorfeld der Unternehmensnachfolge ist die Beantwortung der Frage, ob die Nachfolge familienintern erfolgen kann oder ob im Rahmen einer familienexternen Nachfolgelösung die Einbeziehung familienfremder Dritter geboten ist.

1.101

Grenzen familieninterner Nachfolge. Die Beteiligten sollten sich vor Augen führen, dass jede familieninterne Nachfolgelösung mit der besonderen Situation „belastet“ ist, dass sich der bisherige Inhaber und der Unternehmensnachfolger künftig als Unternehmer und Familienmitglieder gegenüberstehen. Das besondere Konfliktpotential zeigt das Drei-Kreise-Modell (s. Rz. 1.14 ff.) auf. Eine rein familieninterne Nachfolgelösung stößt aber nicht nur dort an ihre Grenzen, wo die Unternehmerfamilie oder einzelne Familienstämme untereinander zerstritten sind, sei es aufgrund operativer, strategischer oder persönlicher Konfliktpunkte. Vielfach treten die Konflikte erst nach der Unternehmensübergabe auf, weil potenzielle Konfliktpunkte nicht bereits im Vorfelde geklärt worden sind. Für den Übertragungsprozess muss es das Ziel der Familiengesellschafter im Unternehmen sein, typische Konfliktsituationen zu antizipieren und so eine Belastung zum Nachteil des Familienunternehmens, aber auch der Unternehmerfamilie zu vermeiden.

1.102

IV. Familieninterne Nachfolge Potenzielle Nachfolger. Der Erfolg der familieninternen Nachfolge hängt entscheidend davon ab, ob persönlich und fachlich geeignete Nachfolger im Familienkreis vorhanden und diese zudem gewillt sind, das Familienunternehmen fortzuführen. In der Unternehmerfamilie wird eine familieninterne Nachfolgelösung regelmäßig als Idealfall empfunden und einer Nachfolge unter Einbeziehung familienfremder Dritter oftmals vorgezogen. Dies kann dazu Wiese | 27

1.103

Kap. 1 Rz. 1.103 | Rahmenbedingungen der Unternehmensnachfolge

führen, dass familieninterne Nachfolger herangezogen werden, obgleich externe Dritte besser geeignet wären. Dies wäre ein höchst problematisches Szenario: Allgemein gilt, dass der Nachfolger aus der Familie so geeignet sein muss wie ein verfügbarer Fremdgeschäftsführer. Andererseits zeigt die Praxis, dass Kinder und andere familieninterne Nachfolger von den Eltern oft strenger beurteilt werden als von außenstehenden Dritten. Um die Objektivität bei der Auswahl zu erhöhen, ist es oftmals hilfreich, die Auswahl eines geeigneten Nachfolgers durch externe Berater, den Beirat, etwaige Fremdgeschäftsführer oder die Personalabteilung im Unternehmen unterstützen zu lassen. Die designierten Nachfolger sollten idealerweise auch Erfahrung außerhalb des Familienunternehmens gesammelt haben, d.h. in Unternehmen, in denen sie nicht bereits als künftige Unternehmensinhaber und Vorgesetzte wahrgenommen werden, sondern unter „neutralen Bedingungen“ in die Rolle als künftige Unternehmer/innen hineinwachsen können.

1.104

Keine familieninterne Lösung „um jeden Preis“. Insgesamt ist die Bereitschaft der Nachfolgegeneration, unternehmerische Verantwortung im Familienunternehmen zu übernehmen, von einer Vielzahl von Faktoren abhängig. Während manche die unternehmerische Betätigung gar nicht mehr als erstrebenswert ansehen, sind manche geeignete Unternehmensnachfolge eher an der Gründung ihres eigenen Unternehmens, gerade in technologieaffinen Branchen, interessiert. Eine familieninterne Nachfolge „um jeden Preis“ sollte in diesen Fällen im Hinblick auf den Fortbestand des Unternehmens, seine Wettbewerbsfähigkeit – und damit auch den Erhalt des Familienvermögens – vermieden werden. Letztlich gefährdet die Übertragung des Familienunternehmens auf einen familieninternen, aber ungeeigneten oder unwilligen Nachfolger auch den Familienfrieden.

1.105

Gleitende Übergabe. Zeichnet sich ab, dass ein geeigneter Nachfolger in der Familie vorhanden ist, soll zunächst darauf gedrängt werden, dass sich der Nachfolger in der Praxis „bewährt“, und es bietet sich oftmals an, den Nachfolger schrittweise an die Übernahme der unternehmerischen Verantwortung heranzuführen. Die Nachfolge wird in diesem Fall schrittweise umgesetzt, indem der Nachfolger zunächst nur mit einem geringen Anteil am Unternehmen beteiligt wird oder zwar bereits Mehrheitseigner des Unternehmens wird, durch die rechtliche Ausgestaltung der Übertragung aber wirtschaftlich alles beim Alten bleibt, so dass der Senior weiterhin als zentrale Figur im Unternehmen agiert (z.B. durch Stimmbindungsvereinbarungen).

1.106

„Vorläufige“ Übergabe. Im besonders gelagerten Einzelfall kann es zielführend sein, das Unternehmen im Wege einer vorläufigen Nachfolgeregelung zunächst für einen bestimmten Zeitraum an den potentiellen Nachfolger zu verpachten, um diesem die Bewirtschaftung des Unternehmens zu überlassen und ihm und der Unternehmerfamilie auf diese Weise einen „Praxistest“ und eine praxisnahe Vorbereitung auf die Übernahme der unternehmerischen Verantwortung zu ermöglichen. Während der Verpachtung bleiben die bisherigen Gesellschafter Eigentümer des Unternehmens, so dass sie über etwaige Verfügungen über das Unternehmen und ggf. zu einem späteren Zeitpunkt erneut über die Unternehmensnachfolge entscheiden können. Bewährt sich der in den Blick genommene potenzielle Nachfolger während seiner Zeit als Unternehmenspächter, kann dann zu einem geeigneten späteren Zeitpunkt die teilweise oder vollständige Übertragung des Unternehmens auf diesen erfolgen. – Die Verpachtung ist jedoch typischerweise eher bei der Einbindung von Fremdgeschäftsführern relevant, beispielsweise um eine gewisse Zeit zu überbrücken, ehe die Nachfolger bereitstehen (s. Rz. 1.107).

28 | Wiese

E. Gestaltungsoptionen und Umsetzung | Rz. 1.111 Kap. 1

Aufnahme in die Geschäftsleitung. In die gleiche Richtung gehen Gestaltungen, bei denen der Nachfolger zunächst, ohne Eigentümer des Unternehmens zu werden, in die Geschäftsleitung aufgenommen wird. Auch hier kann sich der potenzielle Nachfolger bewähren und sich für eine spätere Unternehmensübertragung empfehlen.

1.107

V. Familienexterne Nachfolge Anlass. Familienexterne Nachfolge – von der Einbindung von Fremdmanagement bis zum Verkauf des Familienunternehmens an einen Erwerber außerhalb der Familie – ist vor allem dann angezeigt, wenn im Familienkreis ein geeigneter und zugleich übernahmewilliger Nachfolger nicht vorhanden ist. Zu bedenken ist auch der Fall, dass zwar ein möglicher Nachfolger vorhanden ist, dieser aber aufgrund seines jugendlichen Alters oder seiner noch fehlenden Qualifikation noch nicht in der Lage ist, das Familienunternehmen sofort zu übernehmen.

1.108

1. Trennung von Eigentum und Geschäftsführung Fremdmanagement. Richtet sich der Blick auf mögliche familienexterne Nachfolger, die das Unternehmen vollständig oder teilweise fortführen sollen, ist damit noch nicht zwangsläufig eine Trennung von Familie und Unternehmen verbunden. Eine Zwischenlösung kann z.B. darin bestehen, das Eigentum an dem Unternehmen und den Anteilen – jedenfalls überwiegend oder zumindest teilweise – bei der Familie zu belassen, die Unternehmensführung aber – zumindest vorübergehend – auf ein Fremdmanagement zu übertragen, um auf diese Weise die Leitung des operativen Geschäfts in geeignetere Hände zu geben. In diesem Fall zieht sich die Familie zwar im Zuge der Nachfolge – zumindest vorübergehend – aus dem unmittelbaren operativen Geschäft zurück. Sie behält sich aber aufgrund ihrer Eigentümerstellung und ggf. durch gezielte Besetzung von Unternehmensgremien (z.B. eines Beirats) Einflussmöglichkeiten vor. Wie weit die Einflussnahme der Unternehmerfamilie reicht, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab. Der Einfluss kann jedoch sehr weitgehend sein, so dass die Unternehmerfamilie maßgebliche Mitspracherechte bei Fragen der strategischen und operativen Ausrichtung des Unternehmens ausübt und ihre Vorstellungen von der operativen Unternehmensführung gegenüber dem Management durchsetzen kann.

1.109

Verpachtung an Dritte. Zeichnet sich ab, dass zu einem späteren Zeitpunkt ein geeigneter Nachfolger im Familienkreis vorhanden sein wird, ist dieser aber noch nicht in der Lage, vollständig in die Eigentümerstellung und in die unternehmerische Verantwortung einzurücken, kann die Familie das Unternehmen für eine Übergangszeit an einen familienfremden Manager verpachten. Das Eigentum am Unternehmen bleibt in den Händen der Familie, die damit sicherstellen kann, dass Werte erhalten bleiben, ohne dass der Bestand des Unternehmens durch einen ungeeigneten Nachfolger gefährdet wird. Der Pächter leitet das Unternehmen so lange, bis der familieneigene Nachfolger übernimmt. Auf diese Weise besteht zum einen die Möglichkeit, dass der familieninterne Nachfolger das Unternehmen zu einem späteren Zeitpunkt fortzuführt. Zum anderen kann die Unternehmensverpachtung an den Fremdmanager auch zur Dauerlösung werden.

1.110

2. Verkauf und Börsengang Verkauf des Familienunternehmens. Scheitern familieninterne Nachfolgelösungen oder, um es weniger negativ darzustellen, bieten sich familieninterne Nachfolgelösungen nicht an, stellt der Verkauf des Familienunternehmens die letzte und oftmals beste Möglichkeit dar, die Wettbewerbsfähigkeit und damit den langfristigen Fortbestand des Unternehmens zu gewährWiese | 29

1.111

Kap. 1 Rz. 1.111 | Rahmenbedingungen der Unternehmensnachfolge

leisten. Je nachdem, ob der Erwerber ein strategischer Investor, d.h. ein operativ tätiges Unternehmen, ein Finanzinvestor oder ein Akteur aus dem vorhandenen Management des Unternehmens ist, wird die Fortführung des Unternehmens auf Erwerberseite mit unterschiedlichen Vorstellungen verknüpft sein.

1.112

Zielsetzung von Käufern. Während ein Wettbewerber als strategischer Investor typischerweise Synergieeffekte zum eigenen Unternehmen zu nutzen sucht und die Integration der Zielgesellschaft in sein eigenes Unternehmens beabsichtigt, zielt der Erwerb durch Finanzinvestoren (Private Equity) regelmäßig darauf ab, das erworbene Unternehmen nach einer gewissen Zeit wieder zu veräußern (Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel). Beide Szenarien ziehen unterschiedliche Folgen für das Familienunternehmen nach sich. Die Integration des erworbenen Familienunternehmens in das Unternehmen eines strategischen Käufers kann mit dem vollständigen Aufgehen des erworbenen Unternehmens in dem Erwerberunternehmer enden; für den Erwerber ist diese vollständige Integration sogar oftmals das zentrale Ziel. Dass diese Zielsetzung für das Familienunternehmen den Verlust der gewachsenen Unternehmensidentität und Unternehmenskultur bedeuten kann, muss allen Beteiligten klar sein. Es kann jedoch gerade der langfristige Investitionshorizont eines strategischen Investors sein, der die Übertragung des Familienunternehmens auf diesen aus Sicht der Unternehmerfamilie interessant macht. Besonders interessant wird diese Lösung für die bisherigen Eigentümer u.U. dann, wenn diese durch Einbringung des Unternehmens in eine Erwerbergesellschaft zu (Minderheits-)Gesellschaftern der Erwerbergesellschaft werden. Die unternehmerische Beteiligung wandelt sich in ein Finanzinvestment um.

1.113

Management Buy-Out und Management Buy-In. Ein Sonderfall des Verkaufs des Unternehmens ist die Veräußerung an ein Management-Team, das den Erwerb mit Akquisitionsdarlehen oder mit Beteiligungskapital von Finanzinvestoren (Private Equity) finanziert. Der Verkauf an das eigene Management kann für das Unternehmen große Vorteile bieten. Ist die Entscheidung zur Übergabe des Unternehmens an einen familienfremden Erwerber gefallen, ist zu erwarten, dass der Eigentümerwechsel spürbare Veränderungen der Unternehmensverfassung und -struktur sowie operative Veränderungen mit sich bringt. Handelt es sich bei dem Erwerber um eine unternehmensinterne Führungskraft oder mehrere Inhouse-Manager, die das Familienunternehmen oder Teile davon im Wege eines Management Buy-Out (MBO) erwerben, sind die Erwerber jedoch oftmals bereits in hohem Maße mit der Unternehmenskultur und den operativen Abläufen vertraut. Sollte sich im Familienkreis kein geeigneter Nachfolger finden lassen, kann der MBO daher eine Übergabe an einen neuen, aber zugleich vertrauten Eigentümer ermöglichen. Aber auch ein Management Buy-In (MBI) kommt in Betracht, wenn externe Führungskräfte mit Branchenkenntnissen etc. das Unternehmen erwerben.

1.114

Börsengang. Alternativ zu einem Verkauf der Unternehmensanteile an einen spezifischen Erwerber kann die – ggf. auch nur teilweise – Loslösung der Unternehmerfamilie von ihrem Unternehmen auch im Wege eines Börsengangs erfolgen. Über den Börsengang kann ggf. zusätzliches Kapital eingeworben werden, ohne dass sich die Unternehmerfamilie vollständig aus ihrem Unternehmen zurückziehen muss. Bei der Entscheidungsfindung ist zu berücksichtigen, dass die Vorbereitung eines Börsengangs zeit- und kostenintensiv ist. Zudem muss klar sein, dass das Kapitalmarktumfeld mit seinen Usancen und Transparenzanforderungen die Rahmenbedingungen des privaten (d.h. nicht börsennotierten) Familienunternehmens grundlegend ändert.

30 | Wiese

E. Gestaltungsoptionen und Umsetzung | Rz. 1.119 Kap. 1

3. Stiftungslösungen Anlass und Bedeutung. Stiftungslösungen erfreuen sich immer größerer Beliebtheit („Aus dem Schatten ins Licht“, Rawert, 2018). Sie tragen dem oftmals gehegten Wunsch der Unternehmerfamilie Rechnung, das Familienunternehmen dauerhaft zu erhalten und langfristig gegen Zersplitterung durch Erbgänge, Streit oder Verkauf zu schützen; neben dem Erhalt des Familienunternehmens in seinem Bestand ist oft gerade auch der Erhalt der Unternehmenskultur und gewachsener Prinzipien eine wesentliche Motivation für eine Stiftungslösung. Bei richtiger Umsetzung können diese Ziele gemeinsam mit einer wirtschaftlichen Absicherung der Unternehmerfamilie erreicht werden. – Eine Stiftungslösung kann auch aus erbschaftsteuerlichen Gründen von besonderem Interesse sein.

1.115

4. Vorbereitende Maßnahmen Rechtzeitige Vorbereitung der Nachfolge. Jede Art der Nachfolge – insbesondere auch die Veräußerung an Dritte – bringt ihre eigenen Schwierigkeiten und Herausforderungen mit sich. Welche Maßnahmen im Vorfeld der Nachfolge konkret zu treffen sind, hängt auch maßgeblich von dem gewählten Durchführungsweg ab. In jedem Fall sollte ein ausreichender zeitlicher Vorlauf für die Durchführung vorbereitender Maßnahmen eingeplant werden. Während im Einzelfall wenige Monate ausreichen können, wird bei größeren Unternehmen und komplexeren Strukturen aber u.U. auch weit über ein Jahr für die Vorbereitung zu veranschlagen sein.

1.116

Vorbereitung in der Familie. Der Zeitraum für die Vorbereitung der familienexternen Nachfolge ist davon abhängig, ob im Unternehmen und im Gesellschafterkreis bereits Erfahrung mit Unternehmenstransaktionen im M&A-Geschäft vorhanden ist, die Gesellschafter über den Verkauf und dessen Durchführung einig sind und das Unternehmen für einen Verkauf gut aufgestellt ist.

1.117

Vorbereitende Maßnahmen im Unternehmen. Vor der Übertragung auf den Erwerber sind möglicherweise unternehmensinterne Vorbereitungsmaßnahmen angezeigt. Sollen nur einzelne Unternehmens- oder Betriebsteile auf den Erwerber übertragen werden oder Teilverkäufe erfolgen, muss das unternehmerische Vermögen vor der Übertragung so strukturiert werden, dass eine Aufteilung im Rahmen des Übertragungsprozesses möglich ist. Gleiches gilt für Mitarbeiter: Es ist frühzeitig zu klären, welche Mitarbeiter im Unternehmen bleiben. Sollen einzelne oder mehrere Mitarbeiter das Unternehmen im Zuge der Übertragung verlassen, ist rechtzeitig für eine Nachfolge zu sorgen. Um einen reibungslosen Übergang zu erreichen, ist hier ggf. mit Übergangslösungen zu arbeiten, bei denen das bisherige Management für einen bestimmten Zeitraum im Unternehmen verbleibt, um den Übergang auf den Erwerber zu erleichtern.

1.118

Offener Austausch. Eine entscheidende Voraussetzung für einen erfolgreichen Verkaufsprozess ist auf Seiten des Familienunternehmens, dass die Gesellschafter den Willen zur Übertragung des Unternehmens an den konkreten Erwerber gemeinsam tragen. Hierzu ist ein offener Austausch unter den Gesellschaftern und die Entwicklung einer gemeinsamen Vorstellung über die Übertragung des Unternehmens erforderlich. Dies betrifft die Art und Durchführung der Übertragung sowie die Auswahl des Erwerbers, aber auch die Frage, wie die Familie nach Verkauf des Unternehmens miteinander verbunden bleibt: Soll der Verkaufserlös gemeinsam investiert werden, z.B. über ein Family Office, oder entscheidet jeder Gesellschafter für sich, wie mit dem Verkaufserlös umgegangen werden soll? In einer intakten Unternehmerfamilie werden nicht nur die Gesellschafter in diese Diskussion eingebunden, sondern auch die Mit-

1.119

Wiese | 31

Kap. 1 Rz. 1.119 | Rahmenbedingungen der Unternehmensnachfolge

glieder der Nachfolgegeneration. Die Ergebnisse dieser Diskussion sollten schriftlich fixiert werden. Zeichnet sich ab, dass einzelne oder mehrere Familiengesellschafter den konkret ins Auge gefassten Verkaufsplan nicht mittragen, sollten sich die Gesellschafter gleichwohl im Innenverhältnis darüber verständigen, wie sie gemeinschaftlich weiter vorgehen. Denkbar ist z.B., dass einzelne Gesellschafter ihre Mitgesellschafter herauskaufen oder ihnen zumindest ein Mitveräußerungsrecht eingeräumt werden.

1.120

Einbindung von Beratern. Frühzeitig sollten externe Berater – M&A-Berater, Banker, Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer sowie ggf. weitere Dienstleister – in den Prozess eingebunden werden, gerade wenn im Unternehmen bislang keine oder wenig Erfahrung mit Unternehmenstransaktionen vorhanden ist. Die Einbindung der Berater spart Zeit und entlastet Gesellschafter und Geschäftsführer von wesentlichen Elementen des Übertragungsprozesses; Gesellschafter und Geschäftsführer können sich dann besser um das operative Geschäft kümmern, das parallel zum Übertragungsprozess weiterläuft.

1.121

Sonstige Leistungsbeziehungen. Soweit Mitglieder der Unternehmerfamilie über das Gesellschaftsverhältnis hinaus in Leistungsbeziehungen zum Unternehmen stehen, ist frühzeitig auch deren künftige Position zu klären. Dies gilt z.B. dann, wenn Gesellschafter der Gesellschaft Darlehen gewähren oder Betriebsgrundstücke aus ihrem eigenen Vermögen überlassen. Was auch immer hier gewollt ist – die rechtlichen und insbesondere steuerlichen Folgen aus diesen Vorgängen müssen frühzeitig geklärt werden.

VI. Umsetzung der Nachfolge im Familienunternehmen 1.122

Vollzug des Vertragswerks. In formeller Hinsicht ist sicherzustellen, dass das für die Übertragung erforderliche Vertragswerk sämtlichen Formerfordernissen genügt und dass alle erforderlichen Zustimmungen, insbesondere Zustimmungen zu Anteilsübertragungen, formgerecht eingeholt worden sind und sämtliche erforderlichen Vollmachten in der entsprechenden Form vorliegen. Die Beteiligung Minderjähriger bringt eigene Wirksamkeitserfordernisse mit sich (z.B. Anordnung einer Ergänzungspflegschaft, Genehmigung des Familiengerichts).

1.123

Konsequente Umsetzung. Die erfolgreiche Umsetzung der Nachfolge erfordert nicht nur eine sorgfältige Vorbereitung; die Umsetzung ist auch eine Managementaufgabe, die durch die Unternehmensführung einzuleiten und abzuschließen ist. Die Umsetzung der Nachfolge in Gestalt der Übergabe unternehmerischer Verantwortung durch den Senior an seinen Nachfolger sollte konsequent um- und durchgesetzt werden. Erfahrungsgemäß fällt der übertragenden Generation das „Loslassen“ oftmals schwer, allemal dann, wenn es sich um Unternehmensgründer oder langjährige Prinzipale handelt. Eine konsequente Umsetzung der Nachfolge erfordert daher insbesondere, dass die Beteiligten sich im Vorfeld über einen Zeitplan für das Ausscheiden der Altgesellschafter einigen und darauf achten, dass an diesem Zeitplan auch festgehalten wird, wenn nicht Unvorhergesehenes geschieht. Für alle Beteiligten sollte klar ersichtlich sein, ab welchem Zeitpunkt der bestimmende Einfluss der Altgesellschafter im Unternehmen endet. In den Fällen, in denen der Nachfolger über einen längeren Übergangszeitraum schrittweise auf den Eintritt in die unternehmerische Verantwortung vorbereitet werden soll, ist die Durchführung der Nachfolge besonders zu beobachten. Gerade wenn der Nachfolger in verschiedenen Phasen der „Eingewöhnung“ an das Unternehmen herangeführt werden soll, ist stets festzustellen, wann der Übergang von einer Phase zur nächsten erfolgt; dies sollte ggf. auch deutlich nach außen kommuniziert werden.

32 | Wiese

E. Gestaltungsoptionen und Umsetzung | Rz. 1.127 Kap. 1

Kommunikation. Entscheidend – und dies sei zum Schluss noch einmal betont – zum Gelingen eines Nachfolgekonzeptes trägt es bei, wenn dieses frühzeitig und fortlaufend gerade auch innerhalb der Familie kommuniziert wird; eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Die Praxis zeigt jedoch, dass die ausscheidende Generation das von ihr erdachte Nachfolgekonzept häufig nicht hinreichend innerhalb der Familie kommuniziert (Binge/Kirchdörfer, 2015, S. 181) und auch nicht gemeinsam im Gespräch entwickelt. Eine gute Nachfolgeplanung bezieht aber immer auch die Nachfolgegeneration mit ein. Die Nachfolgegeneration muss die Nachfolgeplanung zum einen juristisch nachvollziehen und zum anderen den sozialen und (betriebs-) wirtschaftlichen Sinn hinter der Nachfolgeplanung erkennen können. Auch die eigenen Bedürfnisse der übernehmenden Generation sind im Gespräch herauszuarbeiten.

1.124

VII. Absicherung und Versorgung des Unternehmers Absicherung. Wesentliche Bedeutung kommt Sicherungsmechanismen zugunsten der ausscheidenden Unternehmer zu, und zwar unabhängig davon, ob die Nachfolge innerhalb oder außerhalb des Familienkreises erfolgt. Diese Sicherungsmechanismen lassen sich unterteilen in vertragliche und gesetzliche Regelungen: Vertragliche Regelungen zur wirtschaftlichen Absicherung, d.h. zur Versorgung des ausscheidenden Unternehmers (Versorgungsleistungen, Nießbrauch) einerseits und gesetzliche, aber idealerweise vertraglich präzisierte Rückforderungsrechte, wenn der Zugriff Dritter auf Unternehmen oder Anteile droht oder der designierte Nachfolger nicht die an ihn gestellten Erwartungen erfüllt. Eine präzise Vereinbarung des Rückforderungsrechts des ausgeschiedenen Unternehmers ist auch aus erbschaft- und schenkungsteuerlichen Gründen anzuraten, um die Erstattung von Steuern bei Rückabwicklung des Übertragungsvertrags sicherzustellen.

1.125

Versorgung. Die Übergabe des Unternehmens an die nachfolgende Generation bedeutet für die ausgeschiedenen Unternehmer regelmäßig auch, dass diese eine wesentliche Grundlage ihrer wirtschaftlichen Existenz aus den Händen geben. Es ist daher Aufgabe der Nachfolgeplanung zu regeln, wie die ausgeschiedenen Unternehmer und ihre Familie künftig wirtschaftlich abgesichert sind. In vielen Fällen sollen mit der Übergabe des Unternehmens an den Nachfolger nicht zugleich auch sämtliche künftigen Erträge des Unternehmens an den Nachfolger fallen. Gerade wenn das Unternehmen unentgeltlich auf den Nachfolger übertragen wird, ist das Bedürfnis nach wirtschaftlicher Absicherung aus dem übertragenen Vermögen besonders evident. Dem Versorgungsbedürfnis der ausgeschiedenen Unternehmer und ihrer Familie kann durch eine betriebliche Versorgungszusage, die Vereinbarung eines Nießbrauchs oder durch Zahlung von Versorgungsleistungen in Gestalt einer Leibrente sichergestellt werden. Diesen Versorgungsmechanismen ist jedoch immanent, dass die Versorgung unmittelbar vom wirtschaftlichen Erfolg des übertragenen Unternehmens abhängt.

1.126

Nießbrauch. Der besondere Charme von Nießbrauchsgestaltungen liegt aus Sicht des Unternehmers darin, dass der Nießbrauch neben unternehmerischen Erträgen regelmäßig auch weitgehende Mitwirkungsrechte im Unternehmen sichern kann. Typischerweise behält sich der übertragende Gesellschafter den Nießbrauch bereits bei der Übertragung des Unternehmens oder der Anteile auf den Nachfolger vor (Vorbehaltsnießbrauch). Über die entsprechende Ausgestaltung der Nießbrauchsvereinbarung kann erreicht werden, dass sich im täglichen operativen Ablauf des Unternehmens nur wenig ändert, während die formale Eigentümerposition hinsichtlich des Unternehmens oder der Anteile bereits auf den Nachfolger übergegangen ist. Wirtschaftlich bleibt in diesen Fällen vieles beim Alten. Der übertragende Gesellschafter wirkt als Nießbraucher an wichtigen Entscheidungen im Unternehmen mit, und ihm stehen die entnahme- oder ausschüttungsfähigen Gewinne zu. Natürlich sind auch Zwischen-

1.127

Wiese | 33

Kap. 1 Rz. 1.127 | Rahmenbedingungen der Unternehmensnachfolge

lösungen denkbar, in denen sich Nießbraucher und Nachfolger die Erträge und die unternehmerischen Mitwirkungsrechte teilen (Quotennießrauch). Auch kann ein Nießbrauch einem Dritten, z.B. dem Ehegatten oder einem versorgungsbedürftigen Abkömmling, zugewendet werden (Zuwendungsnießbrauch). – Gerade bei Personenunternehmen müssen die steuerlichen Konsequenzen von Nießbrauchsgestaltungen besonders sorgsam bedacht werden.

F. Notfallplanung I. Vorsorge für Notfälle 1.128

Bedeutung. Jede Nachfolgeplanung muss auch eine Notfallplanung umfassen: Damit sind Vorkehrungen für den Todesfall gemeint, insbesondere Testament und Erbvertrag, aber auch anderweitige Verfügungen. Für den Fall des plötzlichen Todes des Unternehmers oder für andere Fälle, in denen seine Handlungsfähigkeit nicht mehr gegeben ist (z.B. infolge eines Unfalls) sind Vorkehrungen zu treffen, um die Führung des Unternehmens und die Zusammensetzung des unternehmerischen Vermögens nicht zu gefährden. Die steigende Lebenserwartung und der medizinische Fortschritt zwingen auch Unternehmer mehr denn je dazu, nicht nur für den Fall ihres Versterbens vorzusorgen, sondern auch den Fall zu bedenken, dass sie zwar am Leben, aber nicht mehr voll handlungsfähig sind. Wenn der Unternehmer durch Krankheit oder Behinderung nicht mehr in der Lage sein sollte, seine Angelegenheiten persönlich zu regeln, ist sicherzustellen, dass die persönlichen Geschicke, aber insbesondere auch diejenigen des Unternehmens, nicht von einem fremden Dritten, z.B. vom Vormundschaftsgericht oder von dem behandelnden Arzt, bestimmt werden. Hier sollte vielmehr die Übertragung der Entscheidungskompetenz auf Personen erfolgen, die das Vertrauen des Unternehmens haben und auch in wirtschaftlichen Angelegenheiten hinreichend kompetent sind. Bestandteile einer angemessenen Notfallplanung sind daher neben einem Unternehmertestament auch die Vorbereitung einer Vorsorgevollmacht und einer Patientenverfügung.

II. Gesellschaftsrechtliche Gestaltung 1.129

Sicherstellen von Handlungsfähigkeit. Auch im Gesellschaftsvertrag sowie in etwaigen Gesellschaftervereinbarungen, Geschäftsordnungen und weiteren relevanten Dokumenten muss die Möglichkeit eines plötzlichen Todes des Unternehmers durch entsprechende Regelungen berücksichtigt werden. Die Konsistenz dieser Regelungen zielt darauf ab, die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft und der relevanten Gesellschaftsgremien sicherzustellen und Zweifel über die Zusammensetzung des Gesellschafterkreises und der Gesellschaftsgremien erst gar nicht aufkommen zu lassen.

III. Letztwillige Verfügungen 1.130

Unternehmertestament als Notfallplan. Auch wenn die Unternehmensnachfolge regelmäßig im Wege vorweggenommener Erbfolge erfolgen sollte, empfiehlt sich das Abfassen eines Unternehmertestaments bereits zu einem frühen Zeitpunkt, um den Fall des frühen, überraschenden Todes des Unternehmensinhabers zu regeln. Die Rechtsfolgen der gesetzlichen Erbfolge sind in diesen Fällen meistens nicht gewünscht und können im Einzelfall gravierende Folgen für den Fortbestand des Unternehmens haben. So muss z.B. verhindert werden, dass durch das Eingreifen der gesetzlichen Erbfolge und das Einrücken einer Erbengemeinschaft in die unternehmerische Position die Verwaltung des Unternehmens und der Bestand des Unternehmensvermögens nicht länger koordiniert werden können. Der Rolle des Testaments34 | Wiese

G. Kommunikation | Rz. 1.134 Kap. 1

vollstreckers kann hier besondere Bedeutung zukommen. – Stellt sich heraus, dass Vorbereitung und Verfassen des Unternehmertestaments einige Zeit in Anspruch nehmen werden, empfiehlt sich die Abfassung eines Notfalltestaments, das die Funktion eines „Übergangstestaments“ hat und lediglich bis zur Abfassung eines endgültigen detaillierten Testaments oder Erbvertrags gelten soll.

IV. Vorsorgevollmacht von Unternehmern Bedeutung. Mit der Vorsorgevollmacht bevollmächtigt der Unternehmensinhaber eine Person seines Vertrauens, z.B. einen Familienangehörigen, ihn in sämtlichen Angelegenheiten zu vertreten, wenn er aufgrund seines Alters oder wegen Unfall oder Krankheit nicht mehr selbst handlungsfähig ist. Gegenüber der Bestellung eines Betreuers bietet dies den Vorteil, dass der Bevollmächtigte nicht den Beschränkungen des Betreuungsrechts unterliegt und z.B. auch unentgeltliche Verfügungen über das Vermögen des Betreuten treffen darf.

1.131

Ausgestaltung. Der Unternehmer kann zudem frei wählen, ob er einer einzigen Person eine Vorsorgevollmacht erteilen möchte oder ob er für verschiedene Belange, z.B. private Belange einerseits und unternehmerische Belange andererseits, unterschiedliche Personen bevollmächtigt. Im Einzelfall kann es sich auch anbieten, mehrere Bevollmächtigte für denselben Bereich vorzusehen, damit eine gegenseitige Kontrolle gewährleistet ist. Eine Vorsorgevollmacht vermeidet zudem die missliche Situation, dass Richter und Rechtspfleger in unternehmerische Entscheidungsprozesse hineingezogen werden.

1.132

V. Patientenverfügung von Unternehmern Nebeneinander von Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht. Neben der Vorsorgevollmacht sollte der Unternehmer auch eine Patientenverfügung abfassen, in der er für bestimmte Notfälle Vorgaben hinsichtlich seiner ärztlichen Behandlung und medizinischen Versorgung macht. Die Patientenverfügung sollte regelmäßig aktualisiert werden, um Zweifel darüber auszuschließen, ob sie noch dem aktuellen Willen des Unternehmers entspricht.

1.133

G. Kommunikation Offene und rechtzeitige Kommunikation. Kommunikation ist – wie schon mehrfach angesprochen wurde – notwendiger Erfolgsfaktor für die Unternehmensnachfolge. Es geht darum, Familienmitglieder, Mitarbeiter/innen, Kunden und sonstige Stakeholder „mitzunehmen“. Die Nachfolge gelingt nur, wenn die Kommunikation innerhalb von Unternehmen und Familie, aber auch gegenüber Dritten, angemessen und rechtzeitig erfolgt. Auch wenn die Nachfolgeplanung von dem Unternehmer ausgeht und dieser den Nachfolgeprozess steuert, ist es letztlich die Nachfolgegeneration, auf die die unternehmerische Verantwortung übertragen werden soll. Die Nachfolgegeneration muss daher den Prozess der Nachfolge und das Ergebnis verstehen – wirtschaftlich, kulturell, juristisch. Frühzeitig sind das Nachfolgekonzept und die Entwürfe für das Vertragswerk daher mit den Nachfolgern im persönlichen Gespräch zu erörtern. Sieht das Nachfolgekonzept vor, dass mehrere in Frage kommende Nachfolger bei der Übertragung der unternehmerischen Verantwortung nicht gleichbehandelt werden, ist Kommunikation besonders wichtig. Durch eine frühzeitige und angemessene Kommunikation erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass die Regelung von allen Beteiligten akzeptiert wird. Dafür sollten ggf. unterschiedliche Gremien (z.B. Beirat, erweiterte Geschäftsführung, FamiliWiese | 35

1.134

Kap. 1 Rz. 1.134 | Rahmenbedingungen der Unternehmensnachfolge

enrat) genutzt werden. Auch können gezielt Ereignisse geschaffen werden, um mit einem größeren Adressatenkreis zu kommunizieren (z.B. Führungskräftetagung, Firmenjubiläen, Familientage).

H. Berater bei der Unternehmensnachfolge 1.135

„Familienanwalt“. Im sensiblen Beratungsfeld der Unternehmensnachfolge ist der Rechtsanwalt mehr als ein juristischer Berater. Gerade hier ist seine Funktion als „Familienanwalt“ oder als „Consigliere“ (Binge/Kirchdörfer, 2015, S. 292 f.) in besonderem Maße gefragt, die weit über eine rein rechtliche Beratung hinausgeht. Der rechtliche Berater muss über das Feingefühl, die Argumentationsstärke, die persönliche Integrität und die Autorität verfügen, das Nachfolgekonzept so vorzubereiten und umzusetzen, dass es von den verschiedenen Familienmitgliedern (und ggf. von den verschiedenen Familienstämmen) akzeptiert wird. Diese Anforderungen kann in der Regel nur erfüllen, wer über hinreichende Beratungserfahrung verfügt und das persönliche Vertrauen der Beteiligten genießt. Das Beratungsfeld Unternehmensnachfolge erfordert daher eine persönliche, vertrauensvolle Beratung. Der Berater muss für den Unternehmer und seine Familie persönlich ansprechbar sein; die Arbeit in großen Teams ist dann eher hinderlich. Es gilt, sich immer wieder von Neuem die Bedeutung der Nachfolge für die Familie und ihr Unternehmen vor Augen zu führen. Wenig andere Situationen verbinden so unmittelbar familiäre mit unternehmerischen Fragen.

1.136

Steuerliche Berater. Die Unternehmensnachfolge bringt regelmäßig auch in steuerlicher Hinsicht erheblichen Beratungsbedarf mit sich. Dann stellt sich die Frage, ob der angestammte Steuerberater, der für das Unternehmen seit vielen Jahren Abschlüsse und Steuererklärungen vorbereitet, das Projekt Unternehmensnachfolge mit den hierfür erforderlichen Detailkenntnissen vollständig übernehmen kann. Oftmals empfiehlt es sich, spezialisierte steuerliche Berater für das Projekt Unternehmensnachfolge hinzuzuziehen, die die Nachfolge Hand in Hand mit dem angestammten Steuerberater vorbereiten und umsetzen, ggf. auch als „zweite Meinung“. Dies darf keineswegs so verstanden werden, dass der angestammte Berater für die Unternehmensnachfolge außen vor ist; im Gegenteil, die Kenntnis der steuerlichen Vergangenheit von Familie und Unternehmen ist notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche steuerliche Nachfolgeplanung. Erforderlich sind also steuerliche Detailkenntnis und Kenntnis von Familie und Unternehmen. Im Zweifelsfall sollte ein Nachfolgespezialist hinzugezogen werden, der auch die nicht-steuerlichen Themen im Blick hat, insbesondere das Gesellschaftsund Erbrecht. Eine steuerliche Gestaltung muss immer auch daran gemessen werden, ob ihre Umsetzung rechtlich funktioniert und wirtschaftlich sinnvoll ist. Es gilt: Keine Nachfolge allein aus steuerlichen Gründen!

1.137

Notar. Der Notar wirkt bei der Unternehmensnachfolge zwingend mit, wenn Verträge beurkundet und Registeranmeldungen beglaubigt werden müssen. Aber auch aus Sicherheitsgründen und zur Sicherstellung des „Vier-Augen-Prinzips“ kann die Einbindung eines Notars geboten sein.

1.138

Interessenkonflikte. Ein nicht zu unterschätzendes Problem bei der Unternehmensnachfolge stellt sich für Berater in der typischen Situation, dass die Unternehmensinhaber (Elterngeneration) das Nachfolgekonzept erarbeiten lassen und dann mit den übrigen Beteiligten (Nachfolgern, Unternehmen) umsetzen. Wenn das Beratungsverhältnis mit den bisherigen Gesellschaftern besteht, sind die Nachfolger in das bestehende Mandatsverhältnis nicht nur nicht eingebunden; vielfach bestehen klar zutage tretende Interessengegensätze, wenn Verträge ab36 | Wiese

H. Berater bei der Unternehmensnachfolge | Rz. 1.139 Kap. 1

geschlossen werden, bei denen die jeweiligen Beteiligten unterschiedliche Verpflichtungen eingehen. Die Unternehmensnachfolger, die ein wirtschaftliches Engagement eingehen, haben eigene Interessen. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn Verpflichtungen gegenüber den bisherigen Unternehmensinhabern eingegangen werden, beispielsweise Versorgungsleistungen und andere Pflichten. Einen „Berater der Unternehmensnachfolge“ gibt es nicht. Das jeweilige Mandatsverhältnis besteht stets zu den handelnden Personen, die den Beratungsauftrag erteilt haben. Wenn hier Interessenkonflikte bestehen, darf der Berater nicht tätig werden. Oftmals wird versucht, dieses Dilemma dadurch aufzulösen, dass sich die Beteiligten damit einverstanden erklären, dass ein Berater ein Konzept erarbeitet, das von den beteiligten Personen dann eigenständig gewürdigt wird. Diese eigenständige Würdigung muss allerdings dann auch vorgenommen werden. Hier sollten sich die Berater nicht in eine „Grauzone“ hineinmanövrieren lassen. Eine solche Grauzone liegt z.B. dann vor, wenn Kinder einer Nachfolgelösung erkennbar in der Annahme zugestimmt haben, dass die Berater der Eltern auch ihre Interessen berücksichtigen. – Auf die durchaus unterschiedlich gelagerten Interessen ist auch bei der Abfassung des Mandatsvertrages zu achten. Dies gilt für die Beschreibung der Tätigkeit, die der Berater erbringen soll. In der Praxis wird das Mandatsverhältnis oftmals mit der Gesellschaft begründet, deren Anteile übertragen werden sollen. Sicherlich hat auch die Gesellschaft ein Interesse an einer geordneten Unternehmensnachfolge. Allerdings ist stets zu fragen, inwieweit die Beratung nicht doch eher im Interesse der Gesellschafter erfolgt. Dies hat auch Auswirkungen auf die Abzugsfähigkeit als Betriebsausgaben und die Möglichkeit, Vorsteuer zu ziehen. Absicherung der Beteiligten; verbindliche Auskunft. Zur Absicherung der Beteiligten sind vor diesem Hintergrund ggf. jeweils eigene Berater hinzuzuziehen, die die jeweiligen (potenziell divergierenden) Interessen berücksichtigen. Im Verhältnis zur Finanzverwaltung stellt sich vielfach die Frage, inwieweit eine Nachfolgestruktur durch die Einholung einer verbindlichen Auskunft abgesichert werden soll (§ 89 AO). Auch wenn eine verbindliche Auskunft Gebühren auslöst, ist diese bei komplexen Nachfolgestrukturen i.d.R. empfehlenswert; bei Personenunternehmen ist sie oftmals unausweichlich. Eine verbindliche Auskunft sichert nur die jeweiligen Antragsteller ab. Teilweise wird zu Fragen, die mehrere Gesellschafter betreffen, nur zugunsten eines Gesellschafters eine verbindliche Auskunft eingeholt, in der Annahme, dass die Finanzverwaltung die Auskunft auch bei der Besteuerung der übrigen Gesellschafter zugrunde legen werde. Gesichert ist dies indes nicht; gerade bei der Beteiligung mehrerer Finanzämter kann es zu abweichenden Entscheidungen im Einzelfall kommen.

Wiese | 37

1.139

Kapitel 2 Familienrechtliche Strukturüberlegungen bei der Unternehmensnachfolge A. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Eherechtliche Fragestellungen der Unternehmensnachfolge I. Das gesetzliche Ehe- und Scheidungsfolgenrecht 1. Der gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zugewinnausgleich bei Beendigung der Zugewinngemeinschaft c) Berechnung der Ausgleichsforderung aa) Berechnungsschritte . . . . . . bb) Anfangsvermögen . . . . . . . . cc) Endvermögen . . . . . . . . . . . dd) Bewertungsfragen . . . . . . . . ee) Höhe der Zugewinnausgleichsforderung, Fälligkeit d) Auskunftsansprüche . . . . . . . . . . e) Verfügungsbeschränkungen . . . . f) Bewertung des gesetzlichen Güterstandes aus Sicht des Unternehmer-Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . 2. Ansprüche außerhalb des gesetzlichen Güterrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Versorgungsausgleich . . . . . . . . . . . . 4. Nachehelicher Unterhalt . . . . . . . . . . II. Ehevertragliche Gestaltungsmöglichkeiten 1. Begriff und Form des Ehevertrages . . 2. Inhaltskontrolle von Eheverträgen a) Inhaltskontrolle als Grenze der Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . b) Kernbereichslehre . . . . . . . . . . . . c) Wirksamkeitskontrolle . . . . . . . . d) Ausübungskontrolle . . . . . . . . . . e) Schlussfolgerungen für die Gestaltung des Ehevertrages und das Verhandlungs- und Beurkundungsverfahren aa) Inhalt des Ehevertrages . . . . bb) Verhandlungs- und Beurkundungsverfahren . . . . . . . . . . 3. Rechtswahl a) Notwendigkeit und Nutzen der Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . . . . .

38 | Cramer

2.1

4.

2.2 2.4 2.5 2.6 2.9 2.11 2.13 2.16 2.20 2.25 2.28 2.30 2.32 2.37 2.40 2.42 2.47 2.51

C. I. II. 1. 2.

2.53

III.

2.55

1. 2.

2.56

b) Ehegüterrecht . . . . . . . . . . . . . . . 2.59 c) Scheidungsstatut . . . . . . . . . . . . 2.62 d) Versorgungsausgleich . . . . . . . . 2.64 e) Unterhaltsrecht . . . . . . . . . . . . . 2.65 Gestaltungsmöglichkeiten im Einzelnen a) Gestaltungen im Bereich des Güterrechts aa) Gütertrennung . . . . . . . . . . 2.68 bb) Modifizierte Zugewinngemeinschaft (1) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.75 (2) Ausschluss des Zugewinns im Scheidungsfall . . . . . . . . 2.76 (3) Herausnahme des Unternehmens aus dem Zugewinn . . 2.79 (4) Modifizierung auch für den Todesfall . . . . . . . . . . . . . . . 2.85 (5) Bewertungsvereinbarungen 2.89 (6) Sonstige Modifizierungen . 2.90 (7) Ausschluss von Verfügungsbeschränkungen . . . . . . . . . 2.92 (8) Erstellung eines Vermögensverzeichnisses . . . . . . . . . . . 2.94 cc) Ausschluss von Ansprüchen des Nebengüterrechts . . . . . 2.95 dd) Deutsch-französischer Wahlgüterstand . . . . . . . . . . . . . . 2.97 b) Gestaltungen im Bereich des Versorgungsausgleichs . . . . . . . . . . . 2.101 c) Gestaltungen im Bereich des nachehelichen Unterhalts . . . . . 2.104 Beteiligung von Minderjährigen Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.105 Gesetzliche Vertretung und familiengerichtliche Genehmigungsbedürftigkeit Gesetzliche Vertretung . . . . . . . . . . . 2.108 Familiengerichtliche Genehmigungsbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.114 Die Gründung von Gesellschaften unter Beteiligung Minderjähriger Personengesellschaften . . . . . . . . . . . 2.117 Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . 2.119

Familienrechtliche Strukturüberlegungen | Kap. 2 IV. Eintritt des Minderjährigen in eine bestehende Gesellschaft 1. Personengesellschaften a) Originärer Anteilserwerb . . . . . . b) Derivativer Anteilserwerb . . . . . . 2. Kapitalgesellschaften a) Originärer Anteilserwerb aa) GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Derivativer Anteilserwerb . . . . . .

2.121 2.123 2.127 2.129 2.131

V. Der Minderjährige in der Gesellschaft 1. Gesellschafterbeschlüsse . . . . . . . . . . 2. Handelsregisteranmeldungen . . . . . . 3. Erteilung einer Handelsregistervollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Veräußerung von Gesellschaftsgrundbesitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.133 2.138 2.139 2.140

Literatur: Amann, Die Verfügungsbeschränkung über die Familienwohnung im Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft, DNotZ 2013, 252; Arens, Gegenständlich beschränkter Zugewinnausgleich – Ausschluss von Unternehmen, Beteiligungen und Betriebsvermögen durch Ehevertrag, FamRB 2006, 88; Bärmann, Das neue Ehegüterrecht, AcP 157 (1958/59), 145; Bergschneider, Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen – Wirksamkeit und richterliche Inhaltskontrolle – Überlegungen für die Praxis, FamRZ 2004, 1757; Bergschneider, Güterrecht und richterliche Inhaltskontrolle, FamRZ 2010, 1857; Bergschneider, Schenkung, ehebezogene Zuwendung und Ehegatteninnengesellschaft bei Scheidung und Tod, FPR 2011, 244; Bergschneider/Wolf, Richterliche Inhaltskontrolle von Eheverträgen, NZFam 2018, 61 (Teil 1), 162 (Teil 2), 254 (Teil 3), 344 (Teil 4), 392 (Teil 5); Born, Auskunftsansprüche im Unterhaltsrecht, NZFam 2016, 349; Bost, Familienrechtliche Genehmigungsbedürftigkeit der Übertragung einer Beteiligung an Publikumskommanditgesellschaften durch Minderjährige, NJOZ 2012, 241; Böttcher, Die Entwicklung des Grundbuch- und Grundstücksrechts bis Juni 2013, NJW 2013, 2805; Brandt, Die „klassischen“ Modifikationen des gesetzlichen Güterstandes, RNotZ 2015, 117; Braun, Die Wahl-Zugewinngemeinschaft: Ein neuer Güterstand im deutschen (und französischen) Recht, MittBayNot 2012, 89; Breuers/Thormeyer, Konkrete Bedarfsberechnung im Unterhaltsrecht, FuR 2018, 179; Brudermüller, Die Entwicklung des Familienrechts seit Mitte 2007 – Güterrecht und Versorgungsausgleich, NJW 2008, 3191; Büchel, Beteiligung von Minderjährigen an Familiengesellschaften, Diss., Aachen 2001; Buck, Der Erwerb von Gesellschaftsanteilen durch Minderjährige, Diss., Univ. Würzburg, 2012; Bürger, Die Beteiligung Minderjähriger an Gesellschaften mit beschränkter Haftung, RNotZ 2006, 156; Büte, Gütertrennung oder modifizierter Zugewinnausgleich – Hinweise für die anwaltliche und notarielle Tätigkeit, FuR 2014, 87 (Teil 1), 338 (Teil 2); Cramer, Die Bestellung von Vorstandsmitgliedern zu Geschäftsführern einer Tochter-GmbH, NZG 2012, 765; Czeguhn/Dickmann, Der Minderjährige in der BGB-Gesellschaft, FamRZ 2004, 1534; Damrau, Kein Erfordernis der gerichtlichen Genehmigung bei Schenkungen von Gesellschaftsbeteiligungen an Minderjährige, ZEV 2000, 209; Dauner-Lieb, Gütertrennung zwischen Privatautonomie und Inhaltskontrolle – Ein Zwischenruf, AcP 210 (2010), 580; Dauner-Lieb, Die Zukunft der Familie und der Familienarbeit, in Brühler Schriften zum Familienrecht, Bd. 19, 21. Deutscher Familiengerichtstag vom 21. bis 24.10.2015 in Brühl, Bielefeld 2016, 25; Döbereiner Die Europäischen Güterrechtsverordnungen, Anwendungsempfehlungen und Formulierungsvorschläge für die notarielle Praxis, notar 2018, 244; Dümig, Die Beteiligung Minderjähriger an einer rechtsfähigen Gesellschaft bürgerlichen Rechts aus familien- bzw. vormundschaftsgerichtlicher Sicht, FamRZ 2003, 1; Dutta, Das neue internationale Güterrecht der Europäischen Union – ein Abriss der europäischen Güterrechtsverordnungen, FamRZ 2016, 1973; Elden, Die externe Teilung als Ausnahmefall im Versorgungsausgleich, FPR 2009, 206; Erbarth, Die Auswirkungen der EuGüVO auf das Internationale Privatrecht und die Internationale Zuständigkeit der Wirkungen der Ehe im Allgemeinen (§§ BGB §§ 1353 ff. BGB) – Teil 1, NZFam 2018, 249; Falkner, Das (Neben-)Güterrecht, DNotZ 2013, 586; Flume, Zur Reichweite familiengerichtlicher Genehmigungstatbestände im Unternehmensrecht, FamRZ 2016, 277; Fortun, Erfordernis vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung bei Unternehmensakquisitionen, NJW 1999, 754; Fröhler, Erbausgleichung und Pflichtteilsanrechnung aufgrund Schenkung bzw. Ausstattung, BWNotZ 2010, 94; Führ/Nikoleyczik, Vertretung und Genehmigungspflicht bei schenkweiser Übertragung von Kommanditanteilen auf Minderjährige, BB 2009, 2105; Gageik, Die aktuelle ober- und

Cramer | 39

Kap. 2 | Familienrechtliche Strukturüberlegungen höchstrichterliche Rechtsprechung zur Inhaltskontrolle von Eheverträgen und ihre Auswirkungen auf die notarielle Praxis, RNotZ 2004, 295; Gebele, Die Vertretung Minderjähriger bei der Schenkung von Gesellschaftsanteilen, BB 2012, 728; Grziwotz, Eheverträge von Unternehmern, ZIP 2006, 9; Grziwotz, Auseinandersetzung einer faktischen Lebensgemeinschaft – Arbeitshilfe und Rechtsprechungsübersicht, NZFam 2015, 543; Herr, Die Systematik des Nebengüterrechts, NJW 2012, 1847; Herr, Die ehebezogene Zuwendung als Teil des materiellen Nebengüterrechts, NJW 2012, 3486; Herr, Nebengüterrecht – Ausgleichsansprüche bei Gütertrennung und gestörtem Zugewinnausgleich, München 2013; Herrler, Gesellschaftsrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, München 2017; Hilbig-Lugani, Parteiautonomie im Zusammenspiel des neueren Europäischen Kollisionsrechts, DNotZ 2017, 739; Hoffmann, Inhaltskontrolle und Funktionsäquivalenz, FS 40 Jahre Familienrechtsreform, 2017, S. 231; Hohaus/Eickmann, Die Beteiligung Minderjähriger an vermögensverwaltenden Familien-Kommanditgesellschaften – Anforderungen für die steuerliche Anerkennung, BB 2004, 1707; Hoischen, Der deutsch-französische Wahlgüterstand in der notariellen Praxis, RNotZ 2015, 317; Hölscher, Güterstandsklauseln und Unternehmereheverträge auf dem Prüfstand, NJW 2016, 3057; Ivo, Die Übertragung von Kommanditanteilen an minderjährige Kinder, ZEV 2005, 193; Jäger, Der neue deutschfranzösische Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft – Inhalt und seine ersten Folgen für die Gesetzgebung und Beratungspraxis, DNotZ 2010, 804; Jünemann, Der neue Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft: Familienrechtliche Grundlagen und erbrechtliche Wirkungen, ZEV 2013, 353; Kappe/Dehne, Entscheidungskriterien für die Wahl des Ehegüterstandes bei Unternehmern, DStR 1992, 1691; Kaulbach, Gestaltungsoptionen für Familienunternehmen: Zur Wirksamkeit von Güterstandsklauseln, NZG 2020, 653; Keim, Testamentsgestaltung bei der Patchworkfamilie, notar 2013, 115; Kemper, Die Regelungsbefugnisse bei Vereinbarungen der Ehegatten zum Versorgungsausgleich, ZFE 2011, 179; Klamroth, Zur Anerkennung von Verträgen zwischen Eltern und minderjährigen Kindern – Zivilrechtliche Gültigkeit und tatsächliche Durchführung als Voraussetzung für die steuerliche Anerkennung, BB 1975, 525; Knoop, Der deutsch-französische Wahlgüterstand, NJW-Spezial 2016, 708; Kohler, Die Maßnahmen des Unternehmers gegen die Risiken der Zugewinngemeinschaft, BB 1959, 929; Kölmel, Minderjährige in der notariellen Praxis – Grundlagen, RNotZ 2010, 1; Kornexl, Nachlassplanung bei Problemkindern, Recklinghausen 2006; Kuckenburg, Unternehmensbewertung im Zugewinnausgleichsverfahren, FuR 2012, 222; Lohse/Triebel, Vermögensverwaltende Gesellschaften bürgerlichen Rechts mit minderjährigen Gesellschaftern und gerichtliche Genehmigungspraxis, ZEV 2000, 337; Lüdecke, Vermögensverwaltung unter Beteiligung Minderjähriger, NJOZ 2018, 681; Maier-Reimer/Marx, Die Vertretung Minderjähriger beim Erwerb von Gesellschaftsbeteiligungen, NJW 2005, 3025; Martiny, Die Anknüpfung güterrechtlicher Angelegenheiten nach den Europäischen Güterrechtsverordnungen, ZfPW 2017, 1; Mayer, Herausnahme von einzelnen Gegenständen bzw. Wirtschaftseinheiten aus dem Zugewinnausgleich – eine optimale Gestaltungsvariante im privaten und unternehmerischen Bereich?, DStR 1993, 991; Meise, Rechtswahl in vorsorgenden Eheverträgen und Scheidungsfolgenvereinbarungen – Teil 1, Allgemeine Ehewirkungen, Güterrecht und Scheidungsrecht mit Versorgungsausgleich, RNotZ 2016, 485; Meise, Rechtswahl in vorsorgenden Eheverträgen und Scheidungsfolgenvereinbarungen – Teil 2, Unterhaltsrecht, Erb-/Pflichtteilsverzichte, Eingetragene Partnerschaften, Kostenfolgen, RNotZ 2016, 553; Menzel/Wolf, Der minderjährige Kommanditist – bei Gründung, unentgeltlicher Anteilsübertragung und Erwerb von Todes wegen, MittBayNot 2010, 186; Merkenich, Erwerb von Personen- und Kapitalgesellschaftsanteilen durch Minderjährige, Diss., Frankfurt a. M. 2015; Milzer, Die Rechtsprechung des BGH und der Oberlandesgerichte zu Eheverträgen und Scheidungsvereinbarungen in den Jahren 2014 und 2015, NZFam 2016, 433; Münch, Inhaltskontrolle von Eheverträgen – Das Urteil des BGH vom 11.2.2004 – XII ZR 265/02, ZNotP 2004, 122; Münch, Die Altersvorsorge im Zugewinn – der „eingesperrte“ Versorgungsausgleich, FamRB 2008, 350; Münch, Die Reform des Zugewinnausgleichsrechts, MittBayNot 2009, 261; Münch, Die steuerrechtliche Qualifikation familienrechtlicher Kompensationsvereinbarungen, FPR 2012, 302; Münch, Inhaltskontrolle bei Eheverträgen mit modifizierter Zugewinngemeinschaft, FamRB 2014, 71; Münch, Die subjektive Imparität – Streitpunkte der Inhaltskontrolle, NZFam 2015, 243; Münch, Unternehmerehevertrag und Familienarbeit, FamRB 2018, 247; Norpoth, Der Unterhaltsbedarf bei überdurchschnittlichen Einkommensverhältnissen – Bemessung nach den konkreten Lebensverhältnissen, ZFE 2003, 179; Oelers, Aktuelle Probleme der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung im Gesellschaftsrecht aus notarieller Sicht, MittRhNotK 1992, 69; Pauli, Unternehmensnachfolge mit Minderjährigen, ZErb

40 | Cramer

Familienrechtliche Strukturüberlegungen | Kap. 2 2016, 131; Pietsch, Rechtswahl für Ehesachen nach „Rom III“, NJW 2012, 1768; Piltz/Wissmann, Unternehmensbewertung beim Zugewinnausgleich nach Scheidung, NJW 1985, 2673; Plate, Die modifizierte Zugewinngemeinschaft im Ehevertrag von Unternehmern, MittRhNotK 1999, 257; Pogorzelski, Auswirkungen von Abfindungsbeschränkungen für den Fall des Todes des Gesellschafters einer Personengesellschaft auf Pflichtteils- und Zugewinnausgleichsansprüche Teil II: Zugewinnausgleichsansprüche, RNotZ 2017, 577; Prütting, Formerfordernis bei Güterstandsklauseln im Personengesellschaftsrecht, ZfPW 2016, 385; Raue, Die internationale Dimension von Unternehmereheverträgen, DNotZ 2015, 20; Rauscher, Ehegattenzuwendungen, NZFam 2014, 298; Reetz, „Begrenzungsklauseln“ bei der ehevertraglichen Herausnahme von Vermögenswerten aus der Zugewinnausgleichsberechnung – Zugleich Anmerkungen zum Beschl. des BGH v. 17.7.2013 – XII ZB 143/12, DNotZ 2014, 85; Reetz, BGH: Inhaltskontrolle (§ 138 Abs. 1 BGB) und Gesamtbetrachtung – Gesamtnichtigkeit – Unternehmerehe – Zugleich Anmerkungen zum Beschl. des BGH v. 15.3.2017 – XII ZB 109/16, DNotZ 2017, 809; Reimann, Der Minderjährige in der Gesellschaft – Kautelarjuristische Überlegungen aus Anlaß des Minderjährigenhaftungsbeschränkungsgesetzes, DNotZ 1999, 179; Rieck, Die Scheidungsvereinbarung und die EU-Verordnungen, NZFam 2016, 1138; Röthel, Erwerbstätigenbonus und Halbteilungsgrundsatz, FamRZ 2001, 328; Röthel, Plädoyer für eine echte Zugewinngemeinschaft – Bemerkungen anlässlich des Regierungsentwurfs zur Änderung des Zugewinnausgleichs, FPR 2009, 273; Rust, Die Beteiligung von Minderjährigen im Gesellschaftsrecht – Vertretung, familien-/vormundschaftsgerichtliche Genehmigung und Haftung des Minderjährigen (Teil I), DStR 2005, 1942; Rust, Die Beteiligung von Minderjährigen im Gesellschaftsrecht – Vertretung, familien-/vormundschaftsgerichtliche Genehmigung und Haftung des Minderjährigen (Teil II), DStR 2005, 1992; Saß, Die Kapitalerhöhung bei der GmbH – Ein Überblick, RNotZ 2016, 213; Schaub, Stellvertretung bei Handelsregisteranmeldungen, MittBayNot 1999, 539; Schäuble, Die Sicherung von Unterhaltsvereinbarungen zwischen Ehegatten durch Rechtswahl zu Gunsten deutschen Rechts, NZFam 2014, 1071; Scherpe, Ehegüterrecht und Eheverträge im Common Law – Beratungshinweise, DNotZ 2016, 644; Schlitt/Müller, Handbuch Pflichtteilsrecht, 2. Aufl., München 2017; Schröder, Bewertungen im Zugewinnausgleich, 5. Aufl., Bielefeld 2011; Servatius, Die gerichtliche Genehmigung von Eltern-Kind-Geschäften, NJW 2006, 334; Steiner, Zuwendungen in Scheidungsvereinbarungen – Wie kann Schenkungsteuer vermieden werden?, ErbStB 2012, 284; Stenger, Güterstand bei Unternehmerehen – Die Zugewinngemeinschaft, ZEV 2000, 51; Stuhlfelner/Dauner-Lieb, Gütertrennung in der Unternehmerehe, FF 2011, 382; Stürner, Der deutsch-französische Wahlgüterstand als Modell für die europäische Rechtsvereinheitlichung, JZ 2011, 545; Süß, Der deutsch-französische Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft als erbrechtliches Gestaltungsmittel, ZErb 2010, 281; Triebs, Begrenzung und Befristung des Ehegattenunterhalts nach § 1578b BGB n.F., FPR 2008, 31; van de Loo/ Strnad, Familiengerichtliche Genehmigung bei Übertragung von Kommanditbeteiligungen an einer vermögensverwaltenden Gesellschaft auf Minderjährige, ZEV 2018, 617; Wachter, Neue Grenzen der Ehevertragsfreiheit – Die Entscheidung des BGH vom 11.2.2004 – XII ZR 265/02 und ihre Konsequenzen, ZFE 2004, 132; Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, 4. Aufl., Bonn 2018; Weber, Die Europäischen Güterrechtsverordnungen: Eine erste Annäherung, DNotZ 2016, 659; Weinbrenner, Ergänzungspflegschaft und vormundschafts-/familiengerichtliche Genehmigung bei der Schenkung von KG-Gesellschaftsanteilen an Minderjährige, FPR 2009, 265; Wellenhofer, Ausgleich von Zuwendungen unter Ehegatten nach § 313 BGB, NZFam 2014, 314; Wenckstern, Güterstandsklauseln in Gesellschaftsverträgen, NJW 2014, 1335; Werner, Beteiligung Minderjähriger an gesellschaftsrechtlichen Transaktionen im Recht der GmbH und GmbH & Co. KG, GmbHR 2006, 737; Werner, Die Güterstandsklausel im Gesellschaftsvertrag der GmbH, ZErb 2014, 65; Werner, Eheverträge zur Absicherung der Unternehmensnachfolge, ZErb 2017, 182; Wertenbruch, Familiengerichtliche Genehmigungserfordernisse bei der GbR mit minderjährigen Gesellschaftern, FamRZ 2003, 1714; Wertenbruch, Familiengerichtliche Genehmigung für Grundstücksveräußerung durch GbR mit minderjährigem Gesellschafter?, NJW 2015, 2150; Wever, Vermögensauseinandersetzung der Ehegatten außerhalb des Güterrechts, 7. Aufl., Bielefeld 2018; Winkler, C., Unternehmensnachfolge und Pflichtteilsrecht – Wege zur Minimierung des Störfaktors „Pflichtteilsansprüche“, ZEV 2005, 89; Winkler, C., Die „güterrechtliche Lösung“ als Störfaktor bei der Unternehmensnachfolge, ZErb 2005, 360; Winkler, C., Eheverträge von Unternehmern – Gestaltungsmöglichkeiten zum Schutz des Unternehmers, FPR 2006, 217; Winkler, K., Die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts zu gesellschaftsrechtlichen Akten bei Beteiligung Minderjähriger, ZGR 1973, 177.

Cramer | 41

Kap. 2 Rz. 2.1 | Familienrechtliche Strukturüberlegungen

A. Überblick 2.1

Familienrechtliche Überlegungen stehen bei der lebzeitigen Unternehmensnachfolge typischerweise nicht im Vordergrund. Ihnen kommt in vielen Fällen aber gleichwohl eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Die größte praktische Relevanz haben bei der lebzeitigen Unternehmensnachfolge Fragen des Ehe- bzw. des Scheidungsfolgenrechts. Der übertragende Unternehmer sowie der Unternehmensnachfolger haben i.d.R. das Interesse, dass dem derzeitigen oder dem künftigen Ehepartner des Unternehmensnachfolgers im Scheidungs- und/ oder im Todesfall keine Ansprüche im Hinblick auf das übertragene Unternehmen zustehen (B., Rz. 2.2). Die Unternehmensnachfolge ist in vielen Fällen überhaupt erst möglich, wenn der Unternehmensnachfolger durch den Abschluss eines Ehevertrages sichergestellt hat, dass der Bestand des Unternehmens im Scheidungs- und/oder Todesfall nicht gefährdet ist. Familienrechtliche Fragen stellen sich auch bei Beteiligung minderjähriger Unternehmensnachfolger. Hier liegen die Probleme in der (gesetzlichen) Vertretung sowie in der gerichtlichen Genehmigungsbedürftigkeit (C., Rz. 2.105 ff.).

B. Eherechtliche Fragestellungen der Unternehmensnachfolge I. Das gesetzliche Ehe- und Scheidungsfolgenrecht 1. Der gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft a) Überblick

2.2

Aus dem Bereich des gesetzlichen Eherechts spielen bei der Unternehmensnachfolge Fragen des Güterrechts die größte Rolle.1 Darüber hinaus stellen sich Fragen im Zusammenhang mit potentiellen Ansprüchen des sog. Nebengüterrechts (2., Rz. 2.28), des Versorgungsausgleichs (3., Rz. 2.30) sowie des nachehelichen Unterhalts (4., Rz. 2.32).

2.3

Treffen die Ehegatten keine ehevertraglichen Vereinbarungen zum Güterrecht, leben sie im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft (§ 1363 Abs. 1 BGB). Die Zugewinngemeinschaft zeichnet sich entgegen einer in der Bevölkerung kaum auszuräumenden Fehlvorstellung2 durch die Trennung der beiden Vermögensmassen aus (§ 1363 Abs. 2 Satz 1 BGB). Jeder Ehegatte bleibt nach Eheschließung (alleiniger) Inhaber seines Vermögens und verwaltet es allein (§ 1364 BGB; s. zu Ausnahmen unter Rz. 2.20). Eine dingliche Beteiligung an dem Vermögen des anderen Ehegatten erfolgt nicht. Auch eine Haftung für die Verbindlichkeiten des anderen Ehegatten droht in Ermangelung eines besonderen Schuldgrundes und abgesehen von der Sonderregelung des § 1357 BGB, die (güterstandsunabhängig3) lediglich für Geschäfte zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs gilt,4 nicht.

1 Grüßenmeyer in Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 15 Rz. 66. 2 Vgl. C. Winkler, ZErb 2005, 360 (362); C. Winkler, FPR 2006, 217; Röthel, FPR 2009, 273; Brandt, RNotZ 2015, 117 (118). 3 Roth in MüKo8, § 1357 BGB Rz. 13. 4 S. etwa zur Haftung für Forderungen aus einem von dem anderen Ehepartner geschlossenen Energielieferungsvertrag BGH v. 24.4.2013 – XII ZR 159/12, NJW-RR 2013, 897; keine Haftung hingegen für Forderungen aus einem von nur einem Ehegatten geschlossenen Wohnraummietvertrag, s. LG Mannheim v. 24.2.1993 – 4 S 112/92, NJW-RR 1994, 274.

42 | Cramer

B. Eherechtliche Fragestellungen | Rz. 2.6 Kap. 2

b) Zugewinnausgleich bei Beendigung der Zugewinngemeinschaft Mit der Beendigung der Zugewinngemeinschaft wird der Zugewinn ausgeglichen (§ 1363 Abs. 2 Satz 2 BGB). In welcher Weise dieser Ausgleich erfolgt, ist abhängig von dem Ereignis, das zur Beendigung der Zugewinngemeinschaft führt. Wird die Zugewinngemeinschaft durch den Tod eines Ehegatten beendet, wird der Ausgleich des Zugewinns gem. § 1371 Abs. 1 BGB in der Weise durchgeführt, dass sich der gesetzliche Erbteil des überlebenden Ehegatten um ein Viertel erhöht. Dies gilt unabhängig davon, ob, in welcher Höhe und bei welchem Ehegatten ein Zugewinnausgleichsanspruch nach den §§ 1373 ff. BGB bestünde (§ 1371 Abs. 1 Halbs. 2 BGB). Wird der Güterstand auf andere Weise als durch den Tod eines Ehegatten beendet, wird der Zugewinn nach Maßgabe der §§ 1373 bis 1390 BGB ausgeglichen (§ 1372 BGB). Dies gilt insbesondere im Fall der Scheidung.1 Aber auch dann, wenn der Güterstand durch den Tod eines Ehegatten endet, der überlebende Ehegatte aber (ggf. auch erst infolge einer Ausschlagung, vgl. § 1371 Abs. 3 BGB) nicht Erbe oder Vermächtnisnehmer wird, kann er gem. § 1371 Abs. 2 BGB den Ausgleich des konkreten Zugewinns verlangen (sog. güterrechtliche Lösung).

2.4

c) Berechnung der Ausgleichsforderung aa) Berechnungsschritte Die Berechnung des Zugewinnausgleichsanspruchs erfolgt in vier Schritten2: In einem ersten Schritt muss das Anfangsvermögen (§ 1374 BGB) sowie das Endvermögen (§ 1375 BGB) des jeweiligen Ehegatten zum maßgeblichen Stichtag ermittelt werden. Als zweiter Schritt wird für jeden Ehegatten die Differenz zwischen dem Anfangs- und dem Endvermögen errechnet. Diese Differenz stellt den für ihn maßgeblichen Zugewinn dar (§ 1373 BGB). Sodann ist die Differenz zwischen den beiden Zugewinnen zu ermitteln (dritter Schritt). Ausgleichsberechtigt ist derjenige Ehegatte, der den geringeren Zugewinn erwirtschaftet hat: Er erhält in einem vierten Schritt die Hälfte der Differenz zwischen den jeweiligen Zugewinnen als Ausgleichsforderung (§ 1378 Abs. 1 BGB). Der Zugewinnausgleichsanspruch ist ein reiner Geldanspruch.3 Der ausgleichsberechtigte Ehegatte erhält also auch bei Durchführung des Zugewinnausgleichs keine dingliche Berechtigung an dem Vermögen des ausgleichsverpflichteten Ehegatten oder einen Anspruch auf Übertragung konkreter Vermögensgegenstände.4

2.5

bb) Anfangsvermögen Das Anfangsvermögen ist das Vermögen, das einem Ehegatten nach Abzug der Verbindlichkeiten beim Eintritt des Güterstandes gehört (§ 1374 Abs. 1 BGB). Es ist, ebenso wie das Endvermögen,5 kein Sondervermögen, sondern eine bloße Rechnungsgröße für die Zwecke der Ermittlung des Zugewinns.6 Das Anfangsvermögen kann gem. § 1374 Abs. 3 BGB negativ sein, sodass durch den Schuldenabbau während der Ehe Zugewinn entsteht. Bis zur Einfüh1 S. zu weiteren Fällen Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 15. 2 S. aber Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 16: „drei Rechenschritte“. 3 Koch in MüKo8, § 1378 BGB Rz. 3. 4 BGH v. 26.11.1981 – IX ZR 91/80, NJW 1982, 1093 (1094 f.); s. aber § 1383 BGB; einen Anspruch auf Übertragung von Haushaltsgegenständen im gemeinsamen Eigentum vermittelt § 1568b BGB. 5 Koch in MüKo8, § 1375 BGB Rz. 2. 6 Everts in Münch, Familienrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis2, § 2 Rz. 7.

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2.6

Kap. 2 Rz. 2.6 | Familienrechtliche Strukturüberlegungen

rung dieser Regelung im Jahr 20091 gab es nach dem Gesetz kein negatives Anfangsvermögen, sodass ein solches, sofern gewünscht, ehevertraglich vereinbart werden musste. Allerdings hat der Gesetzgeber die Vermutung in § 1377 Abs. 3 BGB (Endvermögen stellt Zugewinn dar, d.h. Anfangsvermögen wird mit 0 Euro vermutet) nicht geändert, sodass bei Vorhandensein von negativem Anfangsvermögen ein Verzeichnis des Anfangsvermögens erstellt werden sollte. Andernfalls würde über § 1377 Abs. 3 BGB u.U. ein zu geringer Zugewinn vermutet und die Schuldentilgung würde sich tatsächlich nicht im Zugewinn niederschlagen.2 Einen „negativen Zugewinn“ gibt es weiterhin nicht, um im wirtschaftlichen Ergebnis eine wechselseitige Schuldenhaftung auszuschließen.3

2.7

Dem Anfangsvermögen wird gem. § 1374 Abs. 2 BGB das sog. privilegierte Vermögen hinzugerechnet, d.h. dasjenige Vermögen, das ein Ehegatte nach Eintritt des Güterstandes von Todes wegen oder mit Rücksicht auf ein künftiges Erbrecht, durch Schenkung oder als Ausstattung (§ 1624 BGB) erwirbt, soweit es nicht den Umständen nach zu den Einkünften zu rechnen ist.4 Dieses Privileg gilt jedoch nicht im Hinblick auf die Wertsteigerungen des privilegierten Vermögens, die somit ausgleichspflichtig sind.5 Ist das in diesem Sinne privilegierte Vermögen mit einem Nießbrauch belastet (z.B. unter Nießbrauchsvorbehalt übertragene GmbH-Geschäftsanteile), unterliegt allerdings der allmähliche Wertzuwachs, der dadurch entsteht, dass der Nießbrauch durch Zeitablauf an Wert verliert, nicht dem Zugewinnausgleich.6

2.8

Zum Zwecke der Berechnung des Zugewinns erfolgt eine Indexierung des Werts des Anfangsvermögens, d.h. die unechten Wertsteigerungen des Anfangsvermögens werden herausgerechnet und sind nicht ausgleichspflichtig.7 cc) Endvermögen

2.9

Das Endvermögen ist das Vermögen, das einem Ehegatten nach Abzug der Verbindlichkeiten bei der Beendigung des Güterstandes gehört (§ 1375 Abs. 1 Satz 1 BGB). Verbindlichkeiten sind auch im Hinblick auf das Endvermögen gem. § 1375 Abs. 1 Satz 2 BGB über die Höhe des Vermögens hinaus abzuziehen.8 Illoyale Vermögensminderungen werden nach Maßgabe von § 1375 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 BGB dem Endvermögen hinzugerechnet.9 Hierbei handelt es sich um Fälle unentgeltlicher Verfügungen, die nicht einer sittlichen Pflicht oder einer

1 Gesetz zur Änderung des Zugewinnausgleichs- und Vormundschaftsrechts v. 6.7.2009 (BGBl. I, 1696). 2 Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 102; Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 29. 3 BGH v. 6.10.2010 – XII ZR 10/09, NJW-RR 2011, 73 (75 f.); Koch in MüKo8, § 1373 BGB Rz. 4, § 1378 BGB Rz. 5; im Ergebnis auch Cziupka in BeckOK, § 1373 BGB Rz. 5. 4 S. zur Frage, ob § 1374 Abs. 2 BGB analog auf vergleichbare Fälle angewandt werden kann, Koch in MüKo8, § 1374 BGB Rz. 16. 5 Everts in Münch, Familienrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis2, § 2 Rz. 12; Grüßenmeyer in Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 15 Rz. 2; Brandt, RNotZ 2015, 117 (121). 6 BGH v. 6.5.2015 – XII ZB 306/14, NJW 2015, 2334. 7 BGH v. 14.11.1973 – IV ZR 147/72, NJW 1974, 137 (138 f.); Everts in Münch, Familienrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis2, § 2 Rz. 6; zu Einzelheiten Koch in MüKo8, § 1373 BGB Rz. 5 ff.; Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 45 f. 8 S. zu Berechnungsbeispielen Koch in MüKo8, § 1375 BGB Rz. 26 f. 9 Die dort geregelten Fälle sind abschließend, s. Koch in MüKo8, § 1375 BGB Rz. 1.

44 | Cramer

B. Eherechtliche Fragestellungen | Rz. 2.12 Kap. 2

auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprechen (Nr. 1)1, Verschwendungsfälle (Nr. 2) und um Handlungen, die in Benachteiligungsabsicht vorgenommen werden (Nr. 3). Eine Hinzurechnung findet aber nicht statt, wenn die Vermögensminderung mindestens zehn Jahre vor der Beendigung des Güterstandes eingetreten ist oder wenn der andere Ehegatte mit der unentgeltlichen Zuwendung oder mit der Verschwendung einverstanden gewesen ist (§ 1375 Abs. 3 BGB). Vor diesem Hintergrund empfiehlt sich bei einer Übertragung des Unternehmens auf den Nachfolger nicht nur wegen § 1365 BGB, sondern auch wegen § 1375 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB die Einholung der Zustimmung des Ehepartners, weil der verschenkte Gegenstand andernfalls trotz seiner Aussonderung aus dem Vermögen u.U. in den Zugewinn eingestellt wird.2 Abgesichert wird diese Regelung zur Hinzurechnung von Vermögensminderungen durch die Beweislastregel in § 1375 Abs. 2 Satz 2 BGB. Danach muss der Ehegatte, dessen Endvermögen geringer ist als das Vermögen, das er in der Auskunft zum Trennungszeitpunkt angegeben hat (§ 1379 BGB), darlegen und beweisen, dass kein Fall illoyaler Vermögensminderung gem. § 1375 Abs. 2 Satz 1 BGB vorliegt.3 Stichtag für die Ermittlung des Endvermögens ist der Zeitpunkt der Beendigung des Güterstandes (§ 1375 Abs. 1 Satz 1 BGB). Zum weiteren Schutz vor illoyalen Vermögensminderungen wird dieser Stichtag für den Fall der Scheidung gem. § 1384 BGB auf den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags vorverlagert.4

2.10

dd) Bewertungsfragen Sowohl das Anfangs- als auch das Endvermögen sind Wert- bzw. Rechnungsgrößen zur Berechnung des jeweiligen Zugewinns.5 Sämtliche Aktiva und Passiva müssen, auch wenn es sich dabei um Sachgesamtheiten handelt, zu den jeweiligen Stichtagen bewertet werden, um den jeweiligen Zugewinn errechnen zu können. Das Gesetz macht hierzu in § 1376 BGB die Vorgabe, dass im Hinblick auf das Anfangsvermögen der Wert beim Eintritt des Güterstandes maßgeblich ist und dass das dem Anfangsvermögen hinzuzurechnende Vermögen (§ 1374 Abs. 2 BGB) mit dem Wert zum Zeitpunkt des Erwerbs in die Berechnung einzustellen ist (§ 1376 Abs. 1 BGB). Im Hinblick auf das Endvermögen gibt § 1376 Abs. 2 BGB vor, dass der bei Beendigung des Güterstandes vorhandene Wert maßgeblich ist und dass dem Endvermögen hinzuzurechnende Vermögensminderungen (§ 1375 Abs. 2 Satz 1 BGB) mit dem Wert zum Zeitpunkt des Eintritts der Vermögensminderung zugrunde zu legen sind. Das Gesetz belässt es damit bei einer Vorgabe von Bewertungsstichtagen und sieht lediglich für land- und forstwirtschaftliche Betriebe in § 1376 Abs. 4 BGB eine konkrete Bewertungsvorschrift vor.

2.11

Nach der Vorstellung des BGH ist es Sache des Tatrichters, die im Einzelfall zutreffende Bewertungsmethode auszuwählen und anzuwenden.6 Dabei ist anerkannt, dass hinsichtlich der

2.12

1 S. zur Frage, ob Abfindungsbeschränkungen in Gesellschaftsverträgen unentgeltliche Zuwendungen i.S.d. § 1375 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB darstellen, Pogorzelski, RNotZ 2017, 577 (579 ff.). 2 Cziupka in BeckOK, § 1375 BGB Rz. 74; Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 152; Grüßenmeyer in Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 15 Rz. 3. 3 S. auch Cziupka in BeckOK, § 1375 BGB Rz. 82; Langenfeld/Milzer, Handbuch der Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen8, Rz. 235. 4 S. auch §§ 1387, 1318 Abs. 3 BGB für den vorzeitigen Zugewinnausgleich, die vorzeitige Aufhebung der Zugewinngemeinschaft und die Eheaufhebung. 5 Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 42, 48, 64. 6 BGH v. 8.9.2004 – XII ZR 194/01, NJW-RR 2005, 153 (154).

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Kap. 2 Rz. 2.12 | Familienrechtliche Strukturüberlegungen

einzubeziehenden Vermögenspositionen der volle, wirkliche Wert zu ermitteln ist,1 sodass insbesondere handelsbilanzielle oder steuerliche Werte nicht maßgeblich sind.2 Welcher Wert einem Unternehmen beizumessen, welche Bewertungsmethode heranzuziehen und wie diese im konkreten Fall anzuwenden ist, kann im Einzelfall allerdings unterschiedlich beurteilt werden, sodass diese Fragen insbesondere im Scheidungsfall mit erheblichem Konfliktpotential verbunden sind.3 Die Vereinbarung von ehevertraglichen Regelungen zur Unternehmensbewertung kann daher empfehlenswert sein (Rz. 3.89), sofern das Unternehmen nicht ohnehin dem Zugewinnausgleich entzogen wird (Rz. 3.79). ee) Höhe der Zugewinnausgleichsforderung, Fälligkeit

2.13

Die Höhe der Ausgleichsforderung entspricht der hälftigen Differenz der jeweiligen Zugewinne (§ 1378 Abs. 1 BGB). In der Praxis liegt die Schwierigkeit bei der Berechnung der Ausgleichsforderung häufig in der Feststellung des Anfangsvermögens. Haben die Ehegatten kein Verzeichnis hinsichtlich des Anfangsvermögens erstellt (§ 1377 Abs. 1 BGB), ist die Rekonstruktion des Anfangsvermögens oftmals mit Schwierigkeiten verbunden und bei langer Ehedauer häufig unmöglich.4 Nach dem Gesetz gilt dann die Vermutung, dass das Endvermögen eines Ehegatten seinen Zugewinn darstellt (§ 1377 Abs. 3 BGB).

2.14

Die Höhe der Ausgleichsforderung ist gem. § 1378 Abs. 2 Satz 1 BGB durch den Wert des Vermögens begrenzt, das nach Abzug der Verbindlichkeiten bei der Beendigung des Güterstandes bzw. im Fall der Scheidung bei Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags (§ 1384 BGB) vorhanden ist. Die Norm soll verhindern, dass sich der ausgleichsverpflichtete Ehegatte zum Zwecke der Erfüllung der Ausgleichsforderung verschulden muss. Diese Folge wäre z.B. denkbar, wenn ein Zugewinn nur deshalb entstanden ist, weil der ausgleichsverpflichtete Ehegatte negatives Anfangsvermögen (Rz. 3.6) hatte, er dieses während der Ehe reduziert hat und das Endvermögen weiter negativ oder jedenfalls nicht höher als die errechnete Ausgleichsforderung ist.5 Allerdings sieht § 1378 Abs. 2 Satz 2 BGB insofern eine Ausnahme vor als illoyale Vermögensminderungen dem vorhandenen Vermögen hinzugerechnet werden. In diesem Fall besteht dann für den ausgleichsverpflichteten Ehegatten die Gefahr, dass er die Ausgleichsforderung nur um den Preis der Begründung neuer Verbindlichkeiten erfüllen kann.6 Die gleiche Folge droht dem ausgleichspflichtigen Ehegatten, wenn sich sein Vermögen zwischen der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags, d.h. dem für die Berechnung der Höhe der Ausgleichsforderung maßgeblichen Zeitpunkt (§ 1384 BGB), und der Beendigung des Güterstandes (ggf. sogar unverschuldet) verschlechtert (z.B. durch Aktienkursverluste). Er bleibt

1 Schröder, Bewertungen im Zugewinnausgleich5, Rz. 85; Koch in MüKo8, § 1376 BGB Rz. 8; C. Winkler, ZErb 2005, 360 (362). 2 BGH v. 8.9.2004 – XII ZR 194/01, NJW-RR 2005, 153 (154); Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 73. 3 S. auch Cziupka in BeckOK, § 1376 BGB Rz. 5; Bergschneider/Wolf in Münch, Familienrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis², § 7 Rz. 184; Wenckstern, NJW 2014, 1335; s. ausführlich zur Bewertung von Unternehmen im Zugewinnausgleich Schröder, Bewertungen im Zugewinnausgleich5, Rz. 83 ff.; Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 65 ff.; Kuckenburg, FuR 2012, 222. 4 Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 40. 5 Berechnungsbeispiel bei Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 108. 6 Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 58.

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B. Eherechtliche Fragestellungen | Rz. 2.18 Kap. 2

dann zum Zugewinnausgleich verpflichtet, auch wenn hierfür bei Beendigung des Güterstandes nicht mehr genügend Vermögen vorhanden ist.1 Der Zugewinnausgleichsanspruch entsteht gem. § 1378 Abs. 3 Satz 1 BGB mit der Beendigung des Güterstandes und wird im Zeitpunkt seiner Entstehung fällig.2 Im Fall der Auflösung der Ehe durch Scheidung tritt die Fälligkeit daher mit der Rechtskraft des Scheidungsbeschlusses ein.3

2.15

d) Auskunftsansprüche Jeder Ehegatte ist nach Maßgabe von § 1379 BGB berechtigt, Auskunft von dem anderen Ehegatten zu verlangen. Auf diesen Anspruch ist er i.d.R. angewiesen, denn der ausgleichsberechtigte Ehegatte trägt die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Bestehens und der Höhe des Zugewinnausgleichsanspruchs.4 Ohne Kenntnis der Vermögensverhältnisse des ausgleichsverpflichteten Ehegatten lässt sich die Höhe des Anspruchs nicht zuverlässig ermitteln.5 Auch der in Anspruch genommene Ehegatte benötigt u.U. den Auskunftsanspruch, um sich gegen die Inanspruchnahme zu verteidigen.6

2.16

Der Auskunftsanspruch bezieht sich auf das Vermögen zum Zeitpunkt der Trennung (§ 1379 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 BGB) sowie auf das Vermögen, soweit es für die Berechnung des Anfangs- und Endvermögens maßgeblich ist (§ 1379 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB).7 Da für die Berechnung des Anfangs- und Endvermögens auch das privilegierte Vermögen (§ 1374 Abs. 2 BGB) sowie Vermögensminderungen i.S.d. § 1375 Abs. 2 Satz 1 BGB bedeutsam sind, erstreckt sich das Auskunftsrecht auch auf diese.8 Der Auskunftsanspruch hinsichtlich des Vermögens zum Zeitpunkt der Trennung gem. § 1379 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 BGB ist vor dem Hintergrund des § 1375 Abs. 2 Satz 2 BGB bedeutsam. Nach dieser Norm wird vermutet, dass Vermögensminderungen, die nach Erteilung der Auskunft zum Vermögen im Trennungszeitpunkt eintreten, illoyal sind, sodass sie im Zweifel dem Endvermögen gem. § 1375 Abs. 2 Satz 1 BGB hinzugerechnet werden. Die Auskunft hat in Form eines Vermögensverzeichnisses (§ 260 Abs. 1 BGB) zu erfolgen, in dem sämtliche Aktiva und Passiva in geordneter und nachprüfbarer Weise darzustellen sind.9

2.17

Die Norm enthält mit dem Anspruch auf Belegvorlage und dem Anspruch auf Wertermittlung zwei weitere Ansprüche. Der Anspruch auf Belegvorlage folgt aus § 1379 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die Verpflichtung ist sehr weitgehend, da die Vorlage von Belegen auch zu Kontroll-

2.18

1 BGH v. 4.7.2012 – XII ZR 80/10, NJW 2012, 2657 mit dem Hinweis, dass in diesem Fall ggf. eine Korrektur über § 1381 BGB erfolgen könne; so auch Brudermüller in Palandt79, § 1381 BGB Rz. 4; ablehnend Cziupka in BeckOK, § 1384 BGB Rz. 13. 2 Koch in MüKo8, § 1378 BGB Rz. 12, 14; Cziupka in BeckOK, § 1378 BGB Rz. 11; Everts in Münch, Familienrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis2, § 2 Rz. 23. 3 Koch in MüKo8, § 1378 BGB Rz. 14. 4 BGH v. 1.10.1986 – IV b ZR 69/85, NJW 1987, 321 (322); Cziupka in BeckOK, § 1378 BGB Rz. 45. 5 Im Hinblick auf das Anfangsvermögen hilft aber ggf. die Vermutung des § 1377 Abs. 3 BGB. 6 BGH v. 31.1.2018 – XII ZB 175/17, NJW 2018, 950. 7 S. zum Verhältnis der Ansprüche Brudermüller in Palandt79, § 1379 BGB Rz. 2. 8 Koch in MüKo8, § 1379 BGB Rz. 1, 18; Brudermüller in Palandt79, § 1379 BGB Rz. 2. 9 BGH v. 6.5.1982 – IX ZR 36/81, NJW 1982, 1643 (1644); Brudermüller in Palandt79, § 1379 BGB Rz. 9 f.

Cramer | 47

Kap. 2 Rz. 2.18 | Familienrechtliche Strukturüberlegungen

zwecken verlangt werden kann1 und grundsätzlich nicht durch die Berufung auf schutzwürdige Interessen Dritter oder Vertraulichkeitsvereinbarungen versagt werden darf.2 Daher müssen auf Verlangen z.B. Bilanzen, Gewinn- und Verlustrechnungen und sogar Sozietätsverträge von Freiberuflern vorgelegt werden.3 Der Anspruch auf Wertermittlung ist § 1379 Abs. 1 Satz 3 BGB zu entnehmen. Er besteht nach Vorlage des Verzeichnisses und bezieht sich auf die Ermittlung des Wertes der darin angegebenen Gegenstände.4 Über den Wortlaut des § 1379 BGB hinaus kann im Einzelfall auch ein Anspruch auf Wertfeststellung durch Sachverständige bestehen. Ein solcher Anspruch kommt in Betracht, wenn wegen der Komplexität der Umstände eine Wertfeststellung ohne sachverständige Hilfe nicht möglich ist.5 Dies ist insbesondere bei Vorhandensein von Unternehmen oder Gesellschaftsbeteiligungen im Zugewinnausgleich denkbar. Der Anspruch beschränkt sich auf die Duldung der Tätigkeit des Sachverständigen durch den Auskunftspflichtigen.6

2.19

Der Auskunftsanspruch kann durch Ehevertrag nicht ausgeschlossen werden, da es sich um zwingendes Recht handelt.7 Allerdings erstreckt sich der Auskunftsanspruch nicht auf solche Vermögensgegenstände, die dem Zugewinnausgleich nicht unterliegen.8 Er besteht ebenfalls nicht, wenn dem Auskunft Begehrenden unzweifelhaft kein Zugewinnausgleichsanspruch zusteht (und er sich auch nicht gegen einen solchen verteidigen muss), etwa weil der Zugewinnausgleich ausgeschlossen ist oder auf einen festen Betrag begrenzt ist, der vom Schuldner anerkannt bzw. gezahlt wird.9 e) Verfügungsbeschränkungen

2.20

Der Grundsatz, nach dem jeder Ehegatte sein Vermögen selbständig verwaltet (§ 1364 BGB), erfährt in § 1365 BGB und in § 1369 BGB zwei Ausnahmen. Während die Verfügungsbeschränkung betreffend Gegenstände des ehelichen Haushalts in § 1369 BGB für die Beratungspraxis im Zusammenhang mit der Unternehmensnachfolge keine Bedeutung hat, enthält § 1365 BGB eine praktisch höchst relevante Verfügungsbeschränkung. Danach kann sich ein Ehegatte nur mit Einwilligung des anderen Ehegatten zu einer Verfügung über sein Vermögen im Ganzen verpflichten und eine Verpflichtung, die ohne Zustimmung übernommen worden ist, nur mit Einwilligung seines Ehegatten erfüllen. Die Norm begründet ein (die

1 Koch in MüKo8, § 1379 BGB Rz. 26; Cziupka in BeckOK, § 1379 BGB Rz. 19a. 2 Koch in MüKo8, § 1379 BGB Rz. 6; Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 156. 3 Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 155. 4 Koch in MüKo8, § 1379 BGB Rz. 22, 30. 5 BGH v. 6.5.1982 – IX ZR 36/81, NJW 1982, 1643 (1644); Koch in MüKo8, § 1379 BGB Rz. 32; Brudermüller in Palandt79, § 1379 BGB Rz. 16. 6 BGH v. 6.5.1982 – IX ZR 36/81, NJW 1982, 1643 (1644); Koch in MüKo8, § 1379 BGB Rz. 32; Brudermüller in Palandt79, § 1379 BGB Rz. 16. 7 Koch in MüKo8, § 1379 BGB Rz. 41; Cziupka in BeckOK, § 1379 BGB Rz. 43. 8 BGH v. 26.3.1997 – XII ZR 250/95, NJW 1997, 2239 (2240); s. aber auch Bergschneider, Verträge in Familiensachen6, Rz. 545a mit dem Hinweis, dass bei Herausnahme einzelner Gegenstände aus dem Zugewinnausgleich gleichwohl ein (umfassender) Auskunftsanspruch bestehen kann, wenn im konkreten Fall die Grenze zwischen den ausgleichspflichtigen und den ausgleichsfreien Gegenständen nicht gezogen werden kann. 9 BGH v. 17.10.2012 – XII ZR 101/10, NJW 2012, 3722 (3723); BGH v. 31.1.2018 – XII ZB 175/17, NJW 2018, 950; Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 80.

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B. Eherechtliche Fragestellungen | Rz. 2.22 Kap. 2

Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs ausschließendes1) absolutes Verfügungsverbot2 und soll die wirtschaftliche Grundlage der Ehe und Familie sowie die Durchsetzung des Zugewinnausgleichsanspruchs sichern.3 § 1365 BGB ist bei Verfügungen über Unternehmen bzw. Unternehmensbeteiligungen besonders bedeutsam.4 Die Norm ist nach der Rechtsprechung über ihren Wortlaut hinaus nämlich auch dann anwendbar, wenn sich ein Ehegatte dazu verpflichtet, über einen einzelnen Gegenstand zur verfügen, der im Wesentlichen oder nahezu sein gesamtes Vermögen ausmacht (sog. Einzeltheorie5), sofern der Vertragspartner dies weiß oder zumindest die Verhältnisse kennt, aus denen sich dies ergibt (sog. subjektive Theorie6).7 Nach der Rechtsprechung liegen diese Voraussetzungen bei kleineren Vermögen vor, wenn das Geschäft mehr als 85 % des Vermögens betrifft, und bei größeren Vermögen, wenn das Geschäft mehr als 90 % des Vermögens ausmacht,8 wobei von einem größeren Vermögen bereits ab einem Vermögenswert von 250000 Euro auszugehen sein soll.9 Da das Unternehmen bzw. die entsprechende Beteiligung häufig einen Großteil des Vermögens des Unternehmer-Ehegatten ausmacht, hat § 1365 BGB in vielen Fällen zur Folge, dass eine Verfügung über das Unternehmen bzw. die Beteiligung ohne Einwilligung des anderen Ehegatten ausgeschlossen ist. Der Anwendbarkeit des § 1365 BGB steht in diesem Fall auch nicht entgegen, dass dem Unternehmer-Ehegatten eine Gegenleistung für die Verfügung zufließt.10

2.21

Beispiel: F erhält im Wege der lebzeitigen Unternehmensnachfolge von ihrer Mutter M eine Kommanditbeteiligung an der M-Familien-KG, an der neben F nur noch M als Kommanditistin beteiligt ist. Die Beteiligung macht 95 % des Vermögens der F aus. Da der Gesellschaftsvertrag keine Abfindungsregelung bei Ausscheiden eines Gesellschafters vorsieht, beschließen M und F nach Aufnahme der F als Gesellschafterin in die KG eine Änderung des Gesellschaftsvertrages dahingehend, dass den Erben keine Abfindung im Fall des Todes eines Gesellschafters zu zahlen ist.11 1 Brudermüller in Palandt79, § 1368 BGB Rz. 2. 2 BGH v. 13.11.1963 – V ZR 56/62, NJW 1964, 347 („absolutes Veräußerungsverbot“); Brudermüller in Palandt79, § 1365 BGB Rz. 1; Langenfeld/Milzer, Handbuch der Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen8, Rz. 506. 3 BGH v. 21.3.1996 – III ZR 106/95, NJW 1996, 1740; BGH v. 16.1.2013 – XII ZR 141/10, NJW 2013, 1156 (1157). 4 S. zu weiteren Anwendungsfällen im Gesellschaftsrecht Brudermüller in Palandt79, § 1365 BGB Rz. 4. 5 Koch in MüKo8, § 1365 BGB Rz. 12. 6 Koch in MüKo8, § 1365 BGB Rz. 27 ff.; Langenfeld/Milzer, Handbuch der Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen8, Rz. 508. 7 BGH v. 25.6.1980 – IV b ZR 516/80, NJW 1980, 2350; BGH v. 21.3.1996 – III ZR 106/95, NJW 1996, 1740; BGH v. 16.1.2013 – XII ZR 141/10, NJW 2013, 1156. 8 BGH v. 25.6.1980 – IV b ZR 516/80, NJW 1980, 2350 (2351) (zu kleineren Vermögen); BGH v. 13.3.1991 – XII ZR 79/90, NJW 1991, 1739 (1740) (zu größeren Vermögen); BGH v. 16.1.2013 – XII ZR 141/10, NJW 2013, 1156 (zu kleineren Vermögen); a.A. Koch in MüKo8, § 1365 BGB Rz. 23 f. (unabhängig von der Höhe des Vermögens muss stets über mehr als 90 % des Vermögens verfügt werden) und Brudermüller in Palandt79, § 1365 BGB Rz. 6 (unabhängig von der Höhe des Vermögens müsse stets über mindestens 90 % des Vermögens verfügt werden). 9 BGH v. 13.3.1991 – XII ZR 79/90, NJW 1991, 1739 (1740): 500.000 DM. 10 Langenfeld/Milzer, Handbuch der Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen8, Rz. 509; s. jedoch zur Berücksichtigung eines im Zuge der Verfügung bestellten dinglichen Rechts (Wohnungsrecht) beim verbleibenden Vermögen BGH v. 16.1.2013 – XII ZR 141/10, NJW 2013, 1156. 11 S. zur Wirksamkeit einer solchen Regelung Roth in Baumbach/Hopt39, § 131 HGB Rz. 62.

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2.22

Kap. 2 Rz. 2.23 | Familienrechtliche Strukturüberlegungen Lösung:

2.23

Änderungen des Gesellschaftsvertrages (genauer: die Stimmabgabe des Gesellschafters zu einer solchen Änderung) können eine Verfügung über das Vermögen im Ganzen darstellen, wenn sie sofort oder im späteren Vollzug zur Preisgabe nahezu des gesamten Vermögens des betroffenen Gesellschafters führen.1 Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Das Ergebnis hätte vermieden werden können, wenn die Änderung des Gesellschaftsvertrages vor Aufnahme der F in die KG beschlossen worden wäre.

2.24

Die Rechtsfolge eines entgegen § 1365 BGB ohne Einwilligung des Ehegatten geschlossenen Vertrages ist dessen schwebende Unwirksamkeit. Die nachträgliche Zustimmung (Genehmigung) bleibt möglich (§ 1366 Abs. 1 BGB).2 Einseitige Rechtsgeschäfte, die unter Verstoß gegen § 1365 BGB vorgenommen werden, sind unheilbar nichtig (§ 1367 BGB). Der nicht einwilligende Ehegatte kann die Rechte aus der Unwirksamkeit der Verfügung gegen den Dritten geltend machen (sog. Revokationsrecht, § 1368 BGB). Unter den Voraussetzungen des § 1365 Abs. 2 BGB kann die fehlende Einwilligung des Ehegatten gerichtlich ersetzt werden. f) Bewertung des gesetzlichen Güterstandes aus Sicht des Unternehmer-Ehegatten

2.25

Die Aufgabe des Beraters liegt darin, dem Unternehmer die vorbeschriebenen Folgen des gesetzlichen Güterstandes aufzuzeigen und gemeinsam mit diesem und seinem Ehegatten herauszuarbeiten, ob und welche Abweichungen von dem gesetzlichen Güterstand im konkreten Fall erforderlich sind. In aller Regel wird diese Beratung zur Erkenntnis des UnternehmerEhegatten führen, dass der gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft ohne ehevertragliche Modifikationen nicht der für ihn passende Güterstand ist. Auch in der juristischen Literatur wird dem Unternehmer nachdrücklich zum Abschluss eines Ehevertrages geraten.3 Handlungsbedarf besteht zudem häufig aufgrund von gesellschaftsvertraglichen Güterstandsklauseln. Auf deren Grundlage müssen die Gesellschafter Sanktionen fürchten (z.B. die Einziehung von Geschäftsanteilen), die an den Nichtabschluss eines Ehevertrages mit bestimmten Inhalten anknüpfen.4

2.26

Die Gefahren, die für den Unternehmer-Ehegatten im gesetzlichen Güterstand liegen, sind vielfältig. An erster Stelle ist darauf hinzuweisen, dass den Unternehmer-Ehegatten die Erfüllung der Ausgleichsforderung in finanzielle Schwierigkeiten bringen kann. Der Zugewinnausgleichsanspruch ist ein Geldanspruch (Rz. 3.5) und der ausgleichsverpflichtete Ehegatte damit ohne Ersetzungsbefugnis5 zur Leistung in Geld verpflichtet. Sofern der Zugewinn des Unternehmers ganz oder in großen Teilen auf die Wertentwicklung des Unternehmens zurückzuführen ist, verfügt der Unternehmer ggf. nicht über die liquiden Mittel, um die mit Beendigung des Güterstandes fällige (Rz. 3.15) Zugewinnausgleichsforderung zu erfüllen.6 Nach dem Gesetz kann der Unternehmer-Ehegatte allenfalls darauf hoffen, dass das Familiengericht auf

1 Koch in MüKo8, § 1365 BGB Rz. 71; Langenfeld/Milzer, Handbuch der Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen8, Rz. 516; Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 330. 2 Zu den Einzelheiten s. Brudermüller in Palandt79, § 1365 BGB Rz. 15. 3 Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 4384; C. Winkler, FPR 2006, 217; Wenckstern, NJW 2014, 1335 (1337); Raue, DNotZ 2015, 20 (34). 4 Zu Güterstandsklauseln in Gesellschaftsverträgen Wenckstern, NJW 2014, 1335; Werner, ZErb 2014, 65; Hölscher, NJW 2016, 3057; zur Frage der Formbedürftigkeit Prütting, ZfPW 2016, 385. 5 Koch in MüKo8, § 1383 BGB Rz. 2. 6 Kappe/Dehne, DStR 1992, 1691 (1693); C. Winkler, ZErb 2005, 360 (362); Raue, DNotZ 2015, 20 (21); Werner, ZErb 2017, 182 (183).

50 | Cramer

B. Eherechtliche Fragestellungen | Rz. 2.28 Kap. 2

Antrag eine Stundung ausspricht (§ 1382 BGB).1 Trotz Stundung kann der Ehegatte gezwungen sein, auf die Substanz des Unternehmens zuzugreifen, wodurch wiederum dessen Liquidität und Fortbestand erheblich gefährdet werden können.2 Sofern der Ehegatte nur Mitgesellschafter in einer Gesellschaft ist, scheidet auch die Möglichkeit des Zugriffs auf das Gesellschaftsvermögen regelmäßig aus. Der Ehegatte kann ggf. nicht einmal seine Beteiligung verwerten, wenn hierzu die Zustimmung der Mitgesellschafter erforderlich ist. Der Ehegatte kann dann zu einer Kündigung der Mitgliedschaft gezwungen sein und erhält als Abfindung nach dem Gesellschaftsvertrag möglicherweise nur einen unter dem Verkehrswert der Beteiligung liegenden Geldbetrag.

Von erheblicher Brisanz sind für den Unternehmer-Ehegatten auch die Auskunftsansprüche, denen er gem. § 1379 BGB ausgesetzt ist.3 Da der Ehegatte umfangreiche Auskünfte erteilen, Belege vorlegen und im Einzelfall sogar die Wertfeststellung durch einen Sachverständigen dulden muss (Rz. 3.16), besteht die Gefahr, dass vertrauliche Informationen an den Ehegatten und möglicherweise sogar an Dritte gelangen.4 Es ist damit insbesondere im Scheidungsfall zu befürchten, dass ein möglicher Streit zwischen den Ehegatten in das Unternehmen getragen wird. Dies wiederum kann zu Zerwürfnissen zwischen dem Unternehmer-Ehegatten und seinen Mitgesellschaftern führen. Schließlich kann sich auch die Verfügungsbeschränkung des § 1365 BGB als Gefahrenquelle für den Unternehmer-Ehegatten erweisen.5 Liegen die Voraussetzungen des § 1365 BGB vor, können unternehmerisch sinnvolle Verfügungen im Hinblick auf das Unternehmen bzw. die Unternehmensbeteiligung an dem Widerstand des Ehegatten scheitern.

2.27

2. Ansprüche außerhalb des gesetzlichen Güterrechts Neben den gesetzlichen Ansprüchen können im Scheidungsfall Ansprüche des sog. Nebengüterrechts in Betracht kommen.6 Von Interesse sind an dieser Stelle insbesondere zwei Fallgruppen.7 In vielen Fällen geht es darum, dass ein Ehegatte im Trennungs- bzw. Scheidungsfall unter Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage einen Ausgleich für oder die Rückgewähr von sog. ehebedingten Zuwendungen verlangt. Ehebedingte Zuwendungen sind keine Schenkungen8 im Rechtssinne, sondern liegen vor, wenn ein Ehegatte dem anderen einen Vermögenswert um der Ehe willen und als Beitrag zur Verwirklichung und Ausgestaltung, Erhaltung oder Sicherung der ehelichen Lebensgemeinschaft zukommen lässt, wobei er die Vorstel1 S. zur Möglichkeit einer Stundung bei sonst erforderlichen überstürzten Veräußerungen Koch in MüKo8, § 1382 BGB Rz. 7. 2 BGH v. 21.11.2012 – XII ZR 48/11, NJW 2013, 457 (459); BGH v. 15.3.2017 – XII ZB 109/16, NJW 2017, 1883 (1885); Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 4384; Langenfeld/Milzer, Handbuch der Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen8, Rz. 287; Wenckstern, NJW 2014, 1335 f. 3 Grüßenmeyer in Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 15 Rz. 1; Raue, DNotZ 2015, 20 (21); Werner, ZErb 2017, 182 f. 4 C. Winkler, ZErb 2005, 360 (362); Wenckstern, NJW 2014, 1335; Werner, ZErb 2014, 65; Raue, DNotZ 2015, 20 (21). 5 Vgl. Kappe/Dehne, DStR 1992, 1691 (1692). 6 S. zum Nebengüterrecht Wever, Vermögensauseinandersetzung der Ehegatten außerhalb des Güterrechts7; Herr, Nebengüterrecht, 2013; Herr, NJW 2012, 1847; Falkner, DNotZ 2013, 586; Bergschneider, FPR 2011, 244; s. zur Kritik an dem Begriff Herr in Münch, Familienrecht in der Notarund Gestaltungspraxis2, § 6 Rz. 4. 7 S. zu weiteren Fällen den Überblick bei Cziupka in BeckOK, § 1372 BGB Rz. 17 ff.; s. auch die Rechtsprechungsübersicht bei Grziwotz, NZFam 2015, 543 (548 ff.). 8 S. zur Abgrenzung Bergschneider, FPR 2011, 244.

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2.28

Kap. 2 Rz. 2.28 | Familienrechtliche Strukturüberlegungen

lung oder Erwartung hegt, dass die eheliche Lebensgemeinschaft Bestand haben und er innerhalb dieser Gemeinschaft am Vermögenswert und dessen Früchten weiter teilhaben werde.1 Scheitert die Ehe, können sich zugunsten des Zuwendenden gem. § 313 BGB Ausgleichsansprüche im Hinblick auf die erfolgte Zuwendung ergeben, wenn die Beibehaltung der durch die Zuwendung bewirkten Vermögenslage dem Zuwendenden nicht zumutbar ist. Leben die Ehegatten im Güterstand der Gütertrennung, wird diese Voraussetzung in der Rechtsprechung relativ großzügig angenommen.2 Leben die Ehegatten im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft, ist der Ausgleich über den Zugewinnausgleich als grundsätzlich vorrangig gegenüber § 313 BGB anzusehen. Ausgleichsansprüche gem. § 313 BGB kommen dann nur im Ausnahmefall in Betracht, wenn der Zugewinnausgleich zu schlechthin unangemessenen und untragbaren Ergebnissen führt.3 Art und Höhe des Billigkeitsanspruchs hängen von einer Gesamtwürdigung aller Einzelfallumstände ab, z.B. der Ehedauer, der Frage, wie lange und mit welchem Erfolg die Zuwendung ihrem Zweck gedient hat, dem Alter der Ehegatten, der Art und dem Umfang der vom Zuwendungsempfänger innerhalb seines Aufgabenbereichs erbrachten Leistungen, dem Einsatz eigenen Vermögens, der Höhe der noch vorhandenen Vermögensmehrung oder dem dem Zuwendenden verbliebenen Vermögen.4 Ein Ausgleich findet in aller Regel in finanzieller Form statt, wobei die Höhe des Anspruchs auf den Wert der Zuwendung begrenzt ist, der zum Zeitpunkt des Scheiterns der Ehe noch vorhanden ist.5 Eine dingliche Rückforderung des Zuwendungsgegenstandes kommt nur im Ausnahmefall in Betracht.6

2.29

Möglich sind auch gesellschaftsrechtliche Ansprüche aufgrund einer bestehenden Ehegatteninnengesellschaft. Eine solche (stillschweigend geschlossene) Innengesellschaft kommt in Betracht, wenn die Ehegatten einen über die Verwirklichung der ehelichen Lebensgemeinschaft hinausgehenden Zweck verfolgen und dabei die Vorstellung haben, dass das gemeinsam geschaffene Vermögen wirtschaftlich betrachtet nicht nur dem formal berechtigten, sondern auch dem anderen Ehegatten zustehen soll.7 Hieran ist etwa zu denken, wenn die Ehe1 BGH v. 30.6.1999 – XII ZR 230-96, NJW 1999, 2962 (2965); BGH v. 21.7.2010 – XII ZR 180/09, NJW 2010, 2884; Rauscher, NZFam 2014, 298 (299); zur Anwendung auch auf nicht verheiratete Partner BGH v. 9.7.2008 – XII ZR 179/05, NJW 2008, 3277 (3278); BGH v. 19.9.2012 – XII ZR 136/10, NJW 2012, 3374 (3375); s. zur Annahme eines familienrechtlichen Vertrages eigener Art bei Mitarbeit BGH v. 30.6.1999 – XII ZR 230-96, NJW 1999, 2962 (2965); Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 163. 2 BGH v. 4.11.1987 – IVb ZR 100/86, NJW-RR 1988, 965 (966); BGH v. 30.6.1999 – XII ZR 230-96, NJW 1999, 2962 (2965); BGH v. 19.9.2012 – XII ZR 136/10, NJW 2012, 3374 (3376); Grüneberg in Palandt79, § 313 BGB Rz. 52; Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 164; Bergschneider, FPR 2011, 244 (245). 3 Grüneberg in Palandt79, § 313 BGB Rz. 51; Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 164; Bergschneider, FPR 2011, 244 (245); Wellenhofer, NZFam 2014, 314. 4 BGH v. 30.6.1999 – XII ZR 230-96, NJW 1999, 2962 (2965); Herr, NJW 2012, 3486 (3488 f.); s. ausführlich zur Höhe des Anspruchs Wellenhofer, NZFam 2014, 314 (315 ff.); s. auch Bergschneider, Verträge in Familiensachen6, Rz. 577: „unberechenbar“. 5 Bergschneider, FPR 2011, 244 (245). 6 BGH v. 26.11.1981 – IX ZR 91/80, NJW 1982, 1093 (1095); Bergschneider, FPR 2011, 244 (245). 7 BGH v. 30.6.1999 – XII ZR 230-96, NJW 1999, 2962 (2966); BGH v. 3.2.2016 – XII ZR 29/13, NZG 2016, 547 (548); der eheüberschreitende Zweck ist das entscheidende Abgrenzungsmerkmal zu den ehebezogenen Zuwendungen, die um der Ehe willen erfolgen, s. BGH v. 19.9.2012 – XII ZR 136/10, NJW 2012, 3374 (3375); Bergschneider, FPR 2011, 244 (246); Falkner, DNotZ 2013, 586 (590 f.); kritisch zur Abgrenzung u.a. Herr, NJW 2012, 3486 (3487); s. zur Innengesellschaft bei nicht verheirateten Partnern BGH v. 9.7.2008 – XII ZR 179/05, NJW 2008, 3277 (3278); Falkner, DNotZ 2013, 586 (588).

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B. Eherechtliche Fragestellungen | Rz. 2.31 Kap. 2

gatten durch Einsatz von Vermögenswerten und Arbeitsleistungen gemeinsam ein Unternehmen aufbauen oder berufliche oder gewerbliche Tätigkeiten ausüben.1 Endet die Ehegatteninnengesellschaft,2 findet keine gegenständliche Auseinandersetzung statt. Es besteht aber ein schuldrechtlicher Anspruch des formal nicht am Vermögen beteiligten Ehegatten auf Zahlung des Auseinandersetzungsguthabens (§§ 730 ff., 738 ff. BGB).3 Dies gilt nach Ansicht des BGH auch in der Zugewinngemeinschaft, ohne dass es dabei darauf ankommt, ob der Zugewinnausgleich zu einem angemessenen Ergebnis führt.4

3. Versorgungsausgleich Der Versorgungsausgleich dient ebenso wie der Zugewinnausgleich der Teilung von während der Ehe erwirtschaftetem Vermögen,5 wobei der Versorgungsausgleich die Teilung der Versorgungsanrechte zum Gegenstand hat. Nach dem seit dem 1.9.2009 maßgeblichen VersAusglG erfolgt keine Gesamtsaldierung der Anrechte (s. aber § 10 Abs. 2 VersAusglG) samt Einmalausgleich,6 sondern eine anrechtsbezogene Teilung sämtlicher Rechte. Jeder Ehegatte teilt daher im Rahmen des Versorgungsausgleichs seine ehezeitbezogenen Anrechte und erwirbt im Gegenzug die ehezeitbezogenen Anrechte des anderen Ehegatten (§ 1 Abs. 1 VersAusglG). Die Teilung erfolgt i.d.R. intern, d.h. bei demselben Versorgungsträger, bei dem das jeweilige Anrecht besteht (§§ 10–13 VersAusglG). Im Zuge dessen überträgt das Familiengericht mit rechtsgestaltender Wirkung für die ausgleichsberechtigte Person zulasten des Anrechts der ausgleichspflichtigen Person ein Anrecht i.H.d. Ausgleichswerts (§ 1 Abs. 2 Satz 2 VersAusglG) bei dem Versorgungsträger, bei dem das auszugleichende Anrecht besteht (§ 10 Abs. 1 VersAuslgG). Nur ausnahmsweise erfolgt eine externe Teilung, d.h. die Begründung von Anrechten bei einem anderen Versorgungsträger (§§ 14 Abs. 2, 16 Abs. 1 und 2, 17 VersAusglG).7

2.30

Im Unterschied zum Zugewinnausgleich stellt sich der gesetzliche Versorgungsausgleich nicht als eine Gefahr für das Unternehmen dar, sodass ehevertragliche Modifikationen oder Verzichte aus Gründen des Unternehmensschutzes nicht zwingend erforderlich sind. Die Besonderheit in der Unternehmerehe liegt häufig aber darin, dass Unternehmer-Ehegatten in vielen Fällen ausschließlich oder überwiegend durch Kapitalbildung Altersvorsorge betreiben und damit nur wenige oder sogar keine auszugleichenden Anrechte i.S.d. § 2 VersAusglG erwerben. Die Durchführung des Versorgungsausgleichs kann dann dazu führen, dass der (voraussichtlich) weniger vermögende und einkommensschwächere Ehegatte, der ggf. sogar die Kinderbetreuung übernimmt, dem Unternehmer-Ehegatten mehr Anrechte übertragen muss, als

2.31

1 BGH v. 30.6.1999 – XII ZR 230-96, NJW 1999, 2962 (2964); BGH v. 28.9.2005 – XII ZR 189/02, DNotZ 2006, 531 (532). 2 S. zum Zeitpunkt der Beendigung BGH v. 28.9.2005 – XII ZR 189/02, DNotZ 2006, 531 (535); Bergschneider, FPR 2011, 244 (247); Falkner, DNotZ 2013, 586 (590). 3 BGH v. 30.6.1999 – XII ZR 230-96, NJW 1999, 2962, 2967; BGH v. 28.9.2005 – XII ZR 189/02, DNotZ 2006, 531, 533; Bergschneider, FPR 2011, 244 (247); s. zur Ermittlung der Beteiligungshöhe an der Innengesellschaft BGH v. 3.2.2016 – XII ZR 29/13, NZG 2016, 547 (549). 4 BGH v. 28.9.2005 – XII ZR 189/02, DNotZ 2006, 531 (533 f.); Falkner, DNotZ 2013, 586 (590). 5 BVerfG v. 20.5.2003 – 1 BvR 237/97, FamRZ 2003, 1173. 6 S. zur früheren Rechtslage Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 156. 7 S. zur externen Teilung Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 177 ff.; Elden, FPR 2009, 206; zum schuldrechtlichen Versorgungsausgleich bei nicht ausgleichsreifen Anrechten Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 165, 180 ff.

Cramer | 53

Kap. 2 Rz. 2.31 | Familienrechtliche Strukturüberlegungen

er im Gegenzug erhält.1 Die Durchführung des gesetzlichen Versorgungsausgleichs ist in diesem Fall ohne weitere Modifikationen i.d.R. nicht sachgerecht (Rz. 3.101).

4. Nachehelicher Unterhalt 2.32

Das nacheheliche Unterhaltsrecht wird im Ausgangspunkt durch den in § 1569 Satz 1 BGB verankerten Grundsatz der Eigenverantwortung geprägt. Allerdings wird dieser Grundsatz durch die sieben im Gesetz festgelegten Unterhaltstatbestände durchbrochen. Es handelt sich hierbei um die folgenden Unterhaltstatbestände: Betreuungsunterhalt (§ 1570 BGB), Unterhalt wegen Alters (§ 1571 BGB), Unterhalt wegen Krankheit oder Gebrechen (§ 1572 BGB), Unterhalt wegen Erwerbslosigkeit (§ 1573 Abs. 1 BGB), Unterhalt wegen Ausbildung, Fortbildung oder Umschulung (§ 1575 BGB), Aufstockungsunterhalt (§ 1573 Abs. 2 und 3 BGB) und Billigkeitsunterhalt (§ 1576 BGB).2

2.33

Liegen die Voraussetzungen eines Unterhaltstatbestandes vor, ist dessen Höhe zu bestimmen. Diese richtet sich gem. § 1578 Abs. 1 BGB nach den konkreten ehelichen Lebensverhältnissen und umfasst den gesamten Lebensbedarf.3 Maßgeblich sind die Lebensverhältnisse, die für die Ehe prägend waren. Zu ermitteln sind die Einkommensverhältnisse beider Ehegatten4 sowie das Vermögen, soweit es zur Bedarfsdeckung und nicht zur Vermögensbildung verwendet wurde.5 Damit sind auch die Erträge aus unternehmerischem Vermögen in die Unterhaltsberechnung einzubeziehen.6 Maßgeblicher Zeitpunkt dafür, welche Umstände die ehelichen Verhältnisse prägen, ist der Zeitpunkt der Rechtskraft der Scheidung, wobei solche Entwicklungen berücksichtigt werden dürfen, die einen Anknüpfungspunkt in der Ehe finden, also gleichsam in ihr angelegt waren, oder die bei Fortbestand der Ehe auch deren Verhältnisse geprägt hätten.7 Nach dem sog. Halbteilungsgrundsatz8 steht dem Unterhaltsberechtigten grundsätzlich die Hälfte des verteilungsfähigen Einkommens zu (sog. Quotenunterhalt).9 Bei Einkünften aus Erwerbstätigkeit wird jedoch üblicherweise ein Erwerbstätigenbonus von 1/7 vorgenommen.10 Hinter diesem Quotenunterhalt steht die tatsächliche Vermutung, dass das gesamte Einkommen zu Konsumzwecken verbraucht wird. Bei einem überdurchschnittlichen 1 S. etwa den Fall BGH v. 15.3.2017 – XII ZB 109/16, NJW 2017, 1883 (1885); s. auch Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 3541; Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 212. 2 S. für einen guten Überblick über die Unterhaltstatbestände, die jeweiligen Voraussetzungen, Einsatzzeitpunkte und Konkurrenzverhältnisse, die hier jeweils nicht näher behandelt werden, Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 241. 3 S. zur Aufteilung in Elementarbedarf, Mehrbedarf, Vorsorgeunterhalt und Sonderbedarf Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 273 ff. 4 Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 255. 5 S. zu den Einzelheiten Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 284 ff. 6 Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 261. 7 BGH v. 7.12.2011 – XII ZR 151/09, NJW 2012, 384 (386); s. zur früheren, noch weitergehenden Rechtsprechung des BGH, wonach die ehelichen Lebensverhältnisse wandelbar waren, Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 267 ff. 8 BVerfG v. 5.2.2002 – 1 BvR 105/95, 1 BvR 559/95, 1 BvR 457/96, FPR 2002, 180 (181); Brudermüller in Palandt79, § 1578 BGB Rz. 47. 9 S. zu den Berechnungsmethoden im Einzelnen Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 295 ff. 10 BGH v. 16.4.1997 – XII ZR 233/95, NJW 1997, 1919 f.; Brudermüller in Palandt79, § 1578 BGB Rz. 48 f. (in Norddeutschland); Röthel, FamRZ 2001, 328; kritisch Schmitz in Münch, Familienrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis2, § 3 Rz. 186.

54 | Cramer

B. Eherechtliche Fragestellungen | Rz. 2.36 Kap. 2

Einkommen ging der BGH bislang davon aus, dass ein Teil des Einkommens nicht zum Konsum, sondern für die Vermögensbildung verwendet wird.1 Der Unterhalt war dann nicht nach Quoten, sondern anhand einer konkreten Bedarfsberechnung des Unterhaltsberechtigten zu berechnen. Diese Rechtsprechung hat der BGH mit Beschluss vom 15.11.2017 aufgegeben.2 Auch bei überdurchschnittlichen Einkommen, von denen der BGH ausgeht, wenn sie das Doppelte des höchsten Einkommensbetrages der Düsseldorfer Tabelle übersteigen, kann danach der Unterhalt nach der Quotenmethode berechnet werden. Hierzu muss der Unterhaltsberechtigte aber darlegen und notfalls beweisen, dass das Einkommen vollständig für den Lebensbedarf verwendet wird. Eine Höchstgrenze für den Quotenunterhalt, oberhalb derer stets eine konkrete Darlegung des Unterhaltsbedarfs erforderlich ist, existiert damit nicht mehr.3 Der gesetzliche Unterhalt ist nur geschuldet, wenn der Berechtigte bedürftig, d.h. nicht in der Lage ist, sich selbst zu unterhalten (§ 1577 Abs. 1 BGB). Solange und soweit der Berechtigte in der Lage ist, seinen Bedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen aus seinem eigenen Einkommen und Vermögen zu decken, besteht kein Unterhaltsanspruch. Auf der anderen Seite findet der Unterhaltsanspruch seine Grenze in der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten, d.h. in dem Betrag, den der Verpflichtete für seinen eigenen Unterhalt und den Unterhalt vorrangiger Berechtigter benötigt (§ 1581 BGB).4

2.34

Liegen die Voraussetzungen des § 1578b BGB vor, ist der Unterhaltsanspruch auf den angemessenen Lebensbedarf herabzusetzen (Abs. 1) oder/und (s. Abs. 3) zu befristen (Abs. 2).5 Bei der hiernach erforderlichen Billigkeitsabwägung sind insbesondere ehebedingte Nachteile und die Dauer der Ehe zu berücksichtigen (§ 1578b Abs. 1 Satz 2 BGB). Der angemessene Lebensbedarf bemisst sich danach, welches Einkommen der unterhaltsberechtigte Ehegatte ohne die Ehe und die Kindererziehung aus eigenen Einkünften zur Verfügung gehabt hätte.6 Das Existenzminimum darf dabei nicht unterschritten werden.7

2.35

Die Ehegatten sind einander gem. §§ 1580, 1605 BGB zur Auskunft über ihre Einkünfte und ihr Vermögen verpflichtet. Auf Verlangen sind Belege (Bilanz, GuV, Steuererklärung und -bescheid)8 vorzulegen (§ 1605 Abs. 1 Satz 2 BGB). Für den Unternehmer-Ehegatten können sich diese Ansprüche ebenso belastend darstellen wie die Auskunftsansprüche hinsichtlich des Zugewinnausgleichs (Rz. 3.27). Verfügt der Unternehmer-Ehegatte über ausreichend Einkommen und Vermögen, lag eine Strategie zur Umgehung der Auskunftsansprüche bislang darin, dass er sich für unbegrenzt leistungsfähig erklärte.9 Da der Unterhalt in diesem Fall nicht nach einer Quote, sondern anhand des konkreten Bedarfs des Unterhaltsberechtigten berechnet werden sollte, mussten die geforderten Auskünfte dann i.d.R. nicht erteilt werden, da sie nicht für die Unterhaltsberechnung erforderlich waren.10 Mit dem Beschluss des BGH

2.36

1 BGH v. 22.6.1994 – XII ZR 100/93, NJW 1994, 2618 (2619); BGH v. 11.8.2010 – XII ZR 102/09, NJW 2010, 3372 (3373); s. auch OLG Köln v. 9.5.2001 – 27 UF 136/99, NJWE-FER 2001, 305 f. 2 BGH v. 15.11.2017 – XII ZB 503/16, DNotZ 2018, 530. 3 S. auch Winter in BeckOGK, § 1580 BGB Rz. 28.2. 4 S. zu den Einzelheiten Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 311 ff. 5 S. dazu näher Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 256 ff. 6 BGH v. 4.7.2018 – XII ZB 122/17, ZNotP 2018, 326 (327). 7 Brudermüller in Palandt79, § 1578b BGB Rz. 13; Triebs, FPR 2008, 31 (34). 8 Maurer in MüKo7, § 1580 BGB Rz. 53. 9 Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 270; Norpoth, ZFE 2003, 179 (180). 10 BGH v. 22.6.1994 – XII ZR 100/93, NJW 1994, 2618 (2619 f.); Maurer in MüKo7, § 1580 BGB Rz. 24; s. auch Born, NZFam 2016, 349 (351).

Cramer | 55

Kap. 2 Rz. 2.36 | Familienrechtliche Strukturüberlegungen

vom 15.11.2017 ist dieser Strategie der Boden entzogen worden.1 Da nunmehr auch bei überdurchschnittlichen Einkommen eine Berechnung des Unterhalts nach der Quotenmethode in Betracht kommt, ist das Einkommen des Verpflichteten auch dann von Relevanz, wenn er sich für unbeschränkt leistungsfähig erklärt.2

II. Ehevertragliche Gestaltungsmöglichkeiten 1. Begriff und Form des Ehevertrages 2.37

Ein Ehevertrag ist nach der Legaldefinition des § 1408 Abs. 1 BGB ein Vertrag, durch den Ehegatten ihre güterrechtlichen Verhältnisse regeln (Ehevertrag i.e.S.). Der gesetzliche Begriff des Ehevertrags zielt damit allein auf das Ehegüterrecht ab. Dies entspricht nicht dem Begriffsverständnis der Praxis. Im funktional erweiterten Sinn wird der Ehevertrag in der Kautelarpraxis als Vertrag verstanden, der Vereinbarungen zum Güterstand i.S.v. § 1408 Abs. 1 BGB, zum Versorgungsausgleich (§ 1408 Abs. 2 BGB), zum nachehelichen Unterhalt (§ 1585c BGB) oder zu sonstigen ehebezogenen oder familienrechtlichen Verhältnissen (z.B. allgemeine Ehewirkungen, Immobilienzuwendungen, Ehegatteninnengesellschaft) zum Gegenstand haben kann (Ehevertrag i.w.S.).3 Ein „vorsorgender Ehevertrag“4 wird üblicherweise vor Eingehung der Ehe, kann aber auch erst während der Ehe geschlossen werden. Letzteres geschieht in der Praxis nicht selten anlässlich der Unternehmensnachfolge, wenn die Ehegatten bis zu diesem Zeitpunkt keine Notwendigkeit für den Abschluss eines Ehevertrages gesehen haben, beide nun jedoch – ggf. auf „Druck“ des Übergebers oder aufgrund einer gesellschaftsvertraglichen Güterstandsklausel – zu einem, die Unternehmensnachfolge möglicherweise erst ermöglichenden Abschluss eines Ehevertrages bereit sind.

2.38

Der Ehevertrag bedarf fast immer der notariellen Beurkundung.5 Dies folgt für den Ehevertrag i.e.S. (§ 1408 Abs. 1 BGB) zwingend aus § 1410 BGB und gilt gem. §§ 1408 Abs. 2, 1410 BGB, § 7 Abs. 3 VersAusglG auch für Vereinbarungen über den Versorgungsausgleich in einem Ehevertrag.6 Das Beurkundungserfordernis gilt aber auch dann, wenn der Ehevertrag lediglich eine Vereinbarung über den Versorgungsausgleich enthält und vor Rechtskraft der Entscheidung über den Wertausgleich bei der Scheidung geschlossen wird (§ 7 Abs. 1 VersAusglG).7 Dasselbe gilt gem. § 1585c Satz 2 BGB für Vereinbarungen zum Unterhalt für die 1 BGH v. 15.11.2017 – XII ZB 503/16, DNotZ 2018, 530. 2 S. auch Winter in BeckOGK, § 1580 BGB Rz. 28.2; Breuers/Thormeyer, FuR 2018, 179 (180). 3 S. hierzu Siede in BeckOK BGB46, § 1408 BGB Rz. 6; Langenfeld/Milzer, Handbuch der Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen8, Rz. 7 ff.; Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 1; Bergschneider, Verträge in Familiensachen6, Rz. 3 ff. 4 Im Unterschied zur Scheidungsvereinbarung, die erst in der Krise der Ehe geschlossen wird und eine konkrete Scheidung regelt, s. dazu Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 643; s. auch Bergschneider/Wolf in Münch, Familienrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis2, § 7 Rz. 13: „Scheidungs-Eheverträge“ sowie in Rz. 12 zum Begriff des „Krisenehevertrags“. 5 S. zu den Formerfordernissen Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 397 ff.; Grüßenmeyer in Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 15 Rz. 18; zur Ersetzung der notariellen Form durch gerichtlichen Vergleich gem. § 127a BGB s. Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 647 ff. 6 S. zum Umfang des Formerfordernisses Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 665 ff.; Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 4. 7 Zur Abgrenzung von § 7 Abs. 1 VersAusglG (keine gleichzeitige Anwesenheit erforderlich) und § 1408 Abs. 2 BGB, § 7 Abs. 3 VersAusglG (gleichzeitige Anwesenheit erforderlich) s. Kanzleiter in MüKo8, § 1408 BGB Rz. 19.

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B. Eherechtliche Fragestellungen | Rz. 2.40 Kap. 2

Zeit nach der Scheidung, die vor Rechtskraft der Scheidung geschlossen werden. Schließlich bedürfen gem. § 1378 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 BGB Vereinbarungen, die die Ehegatten während eines Verfahrens, das auf die Auflösung der Ehe gerichtet ist, für den Fall der Auflösung der Ehe über die konkrete Zugewinnausgleichsforderung treffen, der notariellen Beurkundung.1 Zuletzt kann das Gebot notarieller Beurkundung aus sonstigen Formvorschriften folgen, etwa aus § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB, wenn der Erwerb oder die Veräußerung von Grundbesitz Gegenstand des Vertrages ist, oder aus § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO, wenn der Vertrag eine Zwangsvollstreckungsunterwerfungserklärung enthält. Für „formfreie“ Eheverträge verbleibt damit kein praktischer Anwendungsbereich.2 Das Gesetz verlangt in § 1410 BGB, § 7 Abs. 3 VersAusglG für den Ehevertrag i.e.S. und für Vereinbarungen über den Versorgungsausgleich in einem Ehevertrag zusätzlich die gleichzeitige Anwesenheit beider Teile bei der Beurkundung. Ausgeschlossen ist damit die sukzessive Beurkundung eines Ehevertrages durch Angebot und Annahme (§ 128 BGB). Gleichzeitige Anwesenheit bedeutet allerdings nicht höchstpersönliche Anwesenheit.3 Ein Ehevertrag kann daher auch unter Einschaltung von Bevollmächtigten oder Vertretern ohne Vertretungsmacht geschlossen werden, wobei die Vollmacht sowie die Genehmigungserklärung keiner besonderen Form bedürfen (§§ 167 Abs. 2, 182 Abs. 2 BGB).4 Allerdings ist die Praxis gut beraten, von diesen Gestaltungsmöglichkeiten keinen Gebrauch zu machen oder sich eines (vollmachtlosen) Vertreters nur im begründeten Ausnahmefall5 zu bedienen. Im Rahmen der Inhaltskontrolle des Ehevertrages (Rz. 3.40) kann die Abwesenheit eines Ehepartners nämlich als ein Indiz für eine ungleiche Verhandlungsposition angesehen und damit als Gesichtspunkt für die Unwirksamkeit des Ehevertrags angeführt werden.6

2.39

2. Inhaltskontrolle von Eheverträgen a) Inhaltskontrolle als Grenze der Vertragsfreiheit Die Vertragsfreiheit gilt im Grundsatz auch im Bereich des Scheidungsfolgenrechts, sodass der Zugewinnausgleich, der Versorgungsausgleich und das nacheheliche Unterhaltsrecht grundsätzlich der vertraglichen Disposition der Ehegatten unterliegen. Allerdings müssen die Vereinbarungen der Ehegatten nach ständiger Rechtsprechung des BGH, die auf Entscheidungen des BVerfG zurückzuführen ist,7 einer Inhaltskontrolle standhalten (vgl. auch § 8

1 Hierzu Koch in MüKo8, § 1378 BGB Rz. 24 ff. 2 Grüßenmeyer in Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 15 Rz. 18; s. zu möglichen formfreien Vereinbarungen auf der Grundlage des weiten Ehevertragsverständnisses Bergschneider, Verträge in Familiensachen6, Rz. 8; formfrei möglich sind aber z.B. Vereinbarungen über den Zugewinnausgleichsanspruch nach Beendigung des Güterstandes, Cziupka in BeckOK, § 1378 BGB Rz. 25. 3 Langenfeld/Milzer, Handbuch der Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen8, Rz. 32. 4 BGH v. 1.4.1998 – XII ZR 278/96, DNotZ 1999, 46 (47 ff.). 5 In der Praxis werden Vertreter bisweilen bei stark zerstrittenen Ehepaaren im Zusammenhang mit der Beurkundung von Scheidungsvereinbarungen hinzugezogen, wobei dann meist die anwaltlichen Berater als Vertreter fungieren. 6 Bergschneider, Verträge in Familiensachen6, Rz. 535; Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 398; Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 655 f. 7 Vgl. BVerfG v. 6.2.2001 – 1 BvR 12/92, NJW 2001, 957; BVerfG v. 29.3.2001 – 1 BvR 1766/92, NJW 2001, 2248.

Cramer | 57

2.40

Kap. 2 Rz. 2.40 | Familienrechtliche Strukturüberlegungen

Abs. 1 VersAusglG1).2 Die Disponibilität der Scheidungsfolgen darf nach Auffassung des BGH nämlich nicht dazu führen, dass der Schutzzweck der gesetzlichen Regelungen durch vertragliche Vereinbarungen beliebig unterlaufen wird. Diese Grenze ist nach der Auffassung des BGH überschritten, wenn infolge der ehevertraglichen Vereinbarungen eine evident einseitige und durch die konkreten ehelichen Lebensverhältnisse nicht gerechtfertigte Lastenverteilung entsteht, die für den belasteten Ehegatten auch unter Berücksichtigung der Belange des anderen Ehegatten unzumutbar ist.3

2.41

Der Tatrichter hat im Rahmen der Inhaltskontrolle ein zweistufiges Prüfungsprogramm zu durchlaufen.4 Auf der ersten Stufe, der sog. Wirksamkeitskontrolle, ist zu prüfen, ob der Ehevertrag schon zum Zeitpunkt seines Zustandekommens und losgelöst von der künftigen Entwicklung der Ehegatten und ihrer Lebensverhältnisse eine derart einseitige Lastenverteilung vorsieht, dass ihm ganz oder teilweise wegen Verstoßes gegen die guten Sitten (§ 138 Abs. 1 BGB)5 die Anerkennung zu versagen ist.6 Wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, erfolgt auf der zweiten Stufe die sog. Ausübungskontrolle gem. § 242 BGB, in deren Rahmen der Richter korrigierend in den Ehevertrag eingreifen kann, wenn sich im Zeitpunkt des Scheiterns der Ehe eine evident einseitige und nach Treu und Glauben unzumutbare Lastenverteilung ergibt.7 b) Kernbereichslehre

2.42

Der BGH legt der Inhaltskontrolle die sog. Kernbereichslehre zugrunde.8 Danach unterliegen die ehevertraglich vereinbarten Verzichte und Beschränkungen einer umso genaueren Prüfung, je unmittelbarer die vertragliche Abbedingung gesetzlicher Regelungen in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingreift. Der BGH nimmt die Rangabstufung danach vor, welche Bedeutung die einzelnen Scheidungsfolgenregelungen für den Berechtigten in seiner jeweiligen Lage haben.9 1 S. zu dessen missglücktem Wortlaut Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 195. 2 S. die Grundsatzentscheidung des BGH v. 11.2.2004 – XII ZR 265/02, NJW 2004, 930 sowie aus der Literatur Münch, NZFam 2015, 243; Bergschneider/Wolf, NZFam 2018, 61 (162, 254, 344, 392). 3 BGH v. 11.2.2004 – XII ZR 265/02, NJW 2004, 930 (934); BGH v. 21.11.2012 – XII ZR 48/11, NJW 2013, 457 (458); BGH v. 17.1.2018 – XII ZB 20/17, NZFam 2018, 267 (268). 4 S. zum Begriff der Inhaltskontrolle als Oberbegriff für die Wirksamkeits- und Ausübungskontrolle Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 444. 5 S. zu § 138 Abs. 2 BGB Langenfeld/Milzer, Handbuch der Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen8, Rz. 77. 6 BGH v. 28.3.2007 – XII ZR 130/04, NJW 2007, 2851 (2853); BGH v. 21.11.2012 – XII ZR 48/11, NJW 2013, 457 (458); BGH v. 8.10.2014 – XII ZB 318/11, NJW 2015, 52 (53); BGH v. 17.1.2018 – XII ZB 20/17, NZFam 2018, 267 (268). 7 BGH v. 21.11.2012 – XII ZR 48/11, NJW 2013, 457 (460 f.); BGH v. 8.10.2014 – XII ZB 318/11, NJW 2015, 52 (53). 8 S. zur Kernbereichslehre auch Grziwotz, ZIP 2006, 9 (11); s. aber Langenfeld/Milzer, Handbuch der Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen8, Rz. 72, 74 die die Kernbereichslehre nach dem Stand der Rechtsprechung für weitgehend gegenstandslos halten, auch wenn der BGH dem Sprachgebrauch nach noch an ihr festhalte; gegen die Kernbereichslehre vor dem Hintergrund des neuen Unterhaltsrechts auch Schmitz in Münch, Familienrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis2, § 3 Rz. 148 ff. 9 BGH v. 11.2.2004 – XII ZR 265/02, NJW 2004, 930 (934).

58 | Cramer

B. Eherechtliche Fragestellungen | Rz. 2.46 Kap. 2

Auf der ersten Stufe steht dabei der Betreuungsunterhalt gem. § 1570 BGB.1 Er unterliegt, auch wegen seines drittschützenden Charakters, nicht der freien Disposition der Ehegatten, auch wenn nicht jede Modifikation ausgeschlossen ist.2

2.43

Die Unterhaltsansprüche wegen Alters und Krankheit (§§ 1571, 1572 BGB) stehen auf der zweiten Stufe.3 Sie können im Einzelfall ausgeschlossen werden, insbesondere dann, wenn zum Zeitpunkt des Ausschlusses nicht absehbar ist, ob, wann und unter welchen wirtschaftlichen Gegebenheiten ein entsprechender Anspruch entstehen könnte.4 Auf derselben Stufe wie der Altersunterhalt steht der Versorgungsausgleich.5 Er ist Modifikationen ebenfalls nur begrenzt zugänglich.6 Die Sittenwidrigkeit kann sich in diesem Fall insbesondere ergeben, wenn ein Ehepartner nach dem geplanten oder schon verwirklichten Zuschnitt der Ehe über keine hinreichende Alterssicherung verfügt, weil er sich der Betreuung der gemeinsamen Kinder widmet und auf eine versorgungsbegründende Erwerbstätigkeit verzichtet.7 Der Ausschluss des Versorgungsausgleichs muss in der Unternehmerehe für sich betrachtet allerdings nicht zwingend zu beanstanden sein, vor allem dann, wenn als dessen Folge letztlich der u.U. weniger vermögende und weniger einkommensstarke Ehegatte des Unternehmer-Ehegatten begünstigt wird.8

2.44

Nicht zum Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts zählen die Unterhaltsansprüche wegen Erwerbslosigkeit (§ 1573 Abs. 1 BGB), der Aufstockungsunterhalt (§ 1573 Abs. 2 BGB)9, der Unterhalt wegen Ausbildung (§ 1575 BGB)10 sowie der Billigkeitsunterhalt (§ 1576 BGB).11

2.45

An letzter Rangstelle steht der Zugewinnausgleich. Zulässig sind damit Modifikationen im weitesten Sinne.12 Dies ist für die Gestaltung des Unternehmer-Ehevertrages von erheblicher

2.46

1 S. zu weiteren Differenzierungen zwischen § 1570 Abs. 1 und 2 BGB Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 18, 332 ff.; Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 434 f.; s. zur Frage, ob auch Anschlussunterhaltsansprüche nach der Kinderbetreuung zum Kernbereich zählen, Grüßenmeyer in Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 15 Rz. 50. 2 BGH v. 11.2.2004 – XII ZR 265/02, NJW 2004, 930 (934); BGH v. 28.3.2007 – XII ZR 130/04, NJW 2007, 2851 (2853 f.); BGH v. 15.3.2017 – XII ZB 109/16, NJW 2017, 1883 (1885). 3 BGH v. 11.2.2004 – XII ZR 265/02, NJW 2004, 930 (934). 4 BGH v. 29.1.2014 – XII ZB 303/13, NJW 2014, 1101 (1104 f.); BGH v. 15.3.2017 – XII ZB 109/16, NJW 2017, 1883 (1885). 5 BGH v. 11.2.2004 – XII ZR 265/02, NJW 2004, 930 (934). 6 BGH v. 21.11.2012 – XII ZR 48/11, NJW 2013, 457 (459). 7 BGH v. 29.1.2014 – XII ZB 303/13, NJW 2014, 1101 (1102). 8 BGH v. 28.3.2007 – XII ZR 130/04, NJW 2007, 2851 (2854); BGH v. 15.3.2017 – XII ZB 109/16, NJW 2017, 1883 (1885); Reetz, DNotZ 2017, 809 (813); s. auch Werner, ZErb 2014, 65 (66). 9 BGH v. 11.2.2004 – XII ZR 265/02, NJW 2004, 930 (934); BGH v. 29.1.2014 – XII ZB 303/13, NJW 2014, 1101 (1105); s. zu u.U. problematischen Fällen jedoch Grüßenmeyer in Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 15 Rz. 53 ff. 10 S. zur Einordnung des Krankenvorsorge- und Altersunterhalts Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 437; Bergschneider/Wolf, NZFam 2018, 61 (62). 11 BGH v. 28.11.2007 – XII ZR 132/05, NJW 2008, 1080 (1082). 12 BGH v. 11.2.2004 – XII ZR 265/02, NJW 2004, 930 (934); BGH v. 28.3.2007 – XII ZR 130/04, NJW 2007, 2851 (2853); BGH v. 21.11.2012 – XII ZR 48/11, NJW 2013, 457 (458); BGH v. 29.1.2014 – XII ZB 303/13, NJW 2014, 1101 (1104); BGH v. 17.1.2018 – XII ZB 20/17, NZFam 2018, 267 (268); s. zur Diskussion darüber, inwiefern in der Unternehmerehe aufgrund der als gleichwertig anzusehenden Familienarbeit Einschränkungen hinsichtlich der Verzichtsmöglichkeiten bestehen, Dauner-Lieb, Brühler Schriften zum Familienrecht, Bd. 19, S. 25 ff.; Münch, FamRB 2018, 247.

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Kap. 2 Rz. 2.46 | Familienrechtliche Strukturüberlegungen

Bedeutung und ermöglicht es, durch güterrechtliche Gestaltungen das Unternehmen vor all jenen Risiken zu schützen, denen es im gesetzlichen Güterstand andernfalls ausgesetzt wäre (Rz. 3.25).1 Der Zugewinnausgleich ist selbst dann kernbereichsfern, wenn absehbar ist, dass der Unternehmer-Ehegatte seine Altersvorsorge hauptsächlich durch Vermögensbildung betreibt (Funktionsäquivalenz zwischen Zugewinnausgleich und Versorgungsausgleich), und zwar auch dann, wenn bereits bei Vertragsschluss absehbar ist, dass sich der andere Ehegatte ganz oder teilweise aus dem Erwerbsleben zurückziehen wird und ihm deshalb eine vorhersehbar nicht kompensierte Lücke in der Altersversorgung verbleibt.2 c) Wirksamkeitskontrolle

2.47

Im Rahmen der Wirksamkeitskontrolle unterzieht der BGH zunächst jeden einzelnen (Teil-) Verzicht der richterlichen Kontrolle, um eine mögliche Sittenwidrigkeit festzustellen.3 Sind die einzelnen Regelungen des Ehevertrages für sich betrachtet nicht zu beanstanden, kann die Sittenwidrigkeit aus einer Gesamtschau aller Regelungen folgen, wenn deren Zusammenwirken erkennbar auf die Benachteiligung eines Ehegatten zielt.4 So kann der Ausschluss des Zugewinnausgleichs, des Versorgungsausgleichs und ein weitgehender Ausschluss des nachehelichen Unterhaltsrechts für sich betrachtet nicht zu beanstanden sein, in seiner Gesamtschau jedoch eine unzumutbare einseitige Benachteiligung eines Ehegatten bewirken.5 Ob im Rahmen der Gesamtbetrachtung auch ein zusammen mit dem Ehevertrag in die Urkunde aufgenommener Pflichtteilsverzichtsvertrag mit in die Wertung aufzunehmen ist und ob die Nichtigkeit der ehevertraglichen Regelungen auch einen mitbeurkundeten Pflichtteilsverzichtsvertrag erfasst, ist noch nicht geklärt.6 Vorsorglich sollte die Beurkundung in einer Urkunde unterbleiben, auch wenn derzeit nicht gesichert erscheint, dass sich allein durch die Trennung der Urkunden eine andernfalls gegebene Gesamtunwirksamkeit vermeiden lässt.7

2.48

Besondere Bedeutung kommt bei der Wirksamkeitskontrolle ehevertraglich vereinbarten Kompensationsleistungen zu. Diese können der Annahme der Sittenwidrigkeit eines ehevertraglichen Verzichts entgegenstehen8 oder im Rahmen der Gesamtwürdigung als Gesichts-

1 Vgl. BGH, v. 28.3.2007 – XII ZR 130/04, NJW 2007, 2851 (2853); BGH v. 21.11.2012 – XII ZR 48/ 11, NJW 2013, 457 (459); BGH v. 15.3.2017 – XII ZB 109/16, NJW 2017, 1883 (1885); Reetz, DNotZ 2017, 809 (813 f.). 2 BGH v. 21.11.2012 – XII ZR 48/11, NJW 2013, 457 (459); BGH v. 15.3.2017 – XII ZB 109/16, NJW 2017, 1883 (1885); Reetz, DNotZ 2017, 809 (813 f.); s. zur Kritik an dieser Auffassung in den Fällen der Funktionsäquivalenz Brudermüller, NJW 2008, 3191 (3192 f.); Dauner-Lieb, AcP 210 (2010), 580 (602 ff.); Bergschneider, FamRZ 2010, 1857 (1859); Werner, ZErb 2017, 182 (186); kritisch auch Grüßenmeyer in Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 15 Rz. 60. 3 S. etwa BGH v. 25.5.2005 – XII ZR 296/01, NJW 2005, 2386 (2389 f.); BGH v. 15.3.2017 – XII ZB 109/16, NJW 2017, 1883 (1884 f.). 4 BGH v. 29.1.2014 – XII ZB 303/13, NJW 2014, 1101 (1105); BGH v. 15.3.2017 – XII ZB 109/16, NJW 2017, 1883 (1885); BGH v. 17.1.2018 – XII ZB 20/17, NZFam 2018, 267 (268). 5 S. den Sachverhalt BGH v. 15.3.2017 – XII ZB 109/16, NJW 2017, 1883. 6 S. dazu Hölscher, NJW 2016, 3057 (3061 f.) sowie Reetz, DNotZ 2017, 809 (822) m.w.N. 7 S. zur vergleichbaren Frage, ob ehevertragliche Vereinbarungen durch Aufspaltung auf verschiedene Urkunden „gerettet“ werden können, zu Recht ablehnend, wenn der Aufspaltung ein „Gesamtplan“ zugrunde liegt, Münch, ZNotP 2004, 122 (130). 8 S. BGH v. 29.1.2014 – XII ZB 303/13, NJW 2014, 1101 (1104): Abschluss einer privaten Rentenversicherung und Übertragung einer Immobilie als Gegenleistung für den Ausschluss des Versorgungsausgleichs.

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B. Eherechtliche Fragestellungen | Rz. 2.49 Kap. 2

punkt berücksichtigt werden, der gegen die einseitige Benachteiligung des durch die Kompensationsleistung begünstigten Ehegatten spricht.1 Das Verdikt der Sittenwidrigkeit kann infolge einer solchen Kompensation nicht nur bei einer gleichwertigen Ausgleichsleistung entfallen, sondern bereits dann, wenn es sich um eine angemessene Kompensation handelt.2 An derartige Kompensationsleistungen ist etwa zu denken, wenn nicht nur der Zugewinnausgleich, sondern auch der Versorgungsausgleich ausgeschlossen wird. Auch wenn Letzteres ggf. zur Sicherung des Ehegatten des Unternehmers erfolgt, weil der Unternehmer-Ehegatte ausschließlich durch Vermögensbildung Altersvorsorge betreibt,3 ändert dies nichts daran, dass durch die Verzichte u.U. eine Versorgungslücke des Nichtunternehmers verbleibt.4 Abhilfe können Vereinbarungen schaffen, nach denen der Unternehmer-Ehegatte verpflichtet ist, eine private Vorsorge zugunsten seines Ehepartners aufzubauen (z.B. durch Immobilienzuwendungen, Zahlungen in private Rentenversicherungen, Fonds-/ETF-Sparpläne). Die aus dem objektiven Zusammenspiel einseitig belastender Regelungen resultierende objektiv einseitige Belastung eines Ehegatten genügt für sich betrachtet aber noch nicht für die Annahme der Sittenwidrigkeit, denn das Gesetz kennt keinen unverzichtbaren Mindestgehalt an Scheidungsfolgen.5 Es müssen vielmehr Umstände außerhalb der Vertragsurkunde hinzutreten, die eine subjektive Imparität bei Vertragsschluss nahelegen.6 Hierzu ist es erforderlich, dass sich in dem unausgewogenen Vertragsinhalt eine auf ungleicher Verhandlungsposition basierende einseitige Dominanz eines Ehegatten widerspiegelt.7 Ist dies der Fall, kann nach Ansicht des BGH auf die für die Sittenwidrigkeit erforderliche verwerfliche Gesinnung des begünstigten Ehepartners geschlossen werden.8 Diese Voraussetzungen können vorliegen, wenn eine Zwangslage, soziale oder wirtschaftliche Abhängigkeit oder intellektuelle Unterlegenheit ausgenutzt wird.9 Eine Schwangerschaft der (künftigen) Ehefrau rechtfertigt das Verdikt der Sittenwidrigkeit jedoch (noch) nicht.10 Ebenso stellt das Ansinnen eines Ehegatten, eine Ehe nur unter der Bedingung des Abschlusses eines Ehevertrags eingehen zu wollen, für sich genommen auch bei Vorliegen eines Einkommens- und Vermögensgefälles in der Regel noch keine (Zwangs-)Lage dar, aus der ohne Weiteres auf eine gestörte Vertragsparität ge-

1 BGH v. 28.3.2007 – XII ZR 130/04, NJW 2007, 2851 (2853); BGH v. 15.3.2017 – XII ZB 109/16, NJW 2017, 1883 (1886); Reetz, DNotZ 2017, 809 (815, 818). 2 BGH v. 29.1.2014 – XII ZB 303/13, NJW 2014, 1101 (1104); Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 23. 3 Wenckstern, NJW 2014, 1335 (1336). 4 Münch, FamRB 2018, 247 (251). 5 BGH v. 29.1.2014 – XII ZB 303/13, NJW 2014, 1101 (1105); BGH v. 8.10.2014 – XII ZB 318/11, NJW 2015, 52 (53). 6 BGH v. 21.11.2012 – XII ZR 48/11, NJW 2013, 457 (460); BGH v. 29.1.2014 – XII ZB 303/13, NJW 2014, 1101 (1105); BGH v. 17.1.2018 – XII ZB 20/17, NZFam 2018, 267 (269); Münch, NZFam 2015, 243; Reetz, DNotZ 2017, 809 (816); die Inhaltskontrolle stellt sich daher jedenfalls nach dem inzwischen erreichten Stand der Rechtsprechung nicht als objektive Richtigkeitskontrolle dar, s. zur Kritik an einer in diesem Sinne zu verstehenden Inhaltskontrolle Siede in BeckOK, § 1408 BGB Rz. 15a f. 7 BGH v. 29.1.2014 – XII ZB 303/13, NJW 2014, 1101 (1105); BGH v. 15.3.2017 – XII ZB 109/16, NJW 2017, 1883 (1885). 8 BGH v. 15.3.2017 – XII ZB 109/16, NJW 2017, 1883 (1885). 9 BGH v. 29.1.2014 – XII ZB 303/13, NJW 2014, 1101 (1105); Reetz, DNotZ 2017, 809 (816). 10 BGH v. 25.5.2005 – XII ZR 296/01, NJW 2005, 2386 (2389); BGH v. 28.3.2007 – XII ZR 130/04, NJW 2007, 2851 (2853).

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2.49

Kap. 2 Rz. 2.49 | Familienrechtliche Strukturüberlegungen

schlossen werden kann.1 Allerdings kann durch die Verfahrensgestaltung vor und während der Beurkundung die Imparität hervorgerufen oder verstärkt werden.2 In dem Sachverhalt, der dem Beschluss des BGH vom 15.3.2017 zugrunde lag, wurde die subjektive Imparität etwa daraus abgeleitet, dass der Ehefrau vor dem Termin kein Entwurf zur Verfügung gestellt worden war, ein Leseexemplar im Termin nicht ausgehändigt wurde, der Ehevertrag anlässlich weiterer gesellschaftsrechtlicher Angelegenheiten des Ehemanns beurkundet wurde und das weniger als einen Monat alte Kind während der Beurkundung anwesend war.3

2.50

Sind nur eine oder einzelne Regelungen eines Ehevertrages unwirksam, kann der Ehevertrag im Übrigen entgegen § 139 BGB wirksam sein, wenn der Ehevertrag eine salvatorische Klausel enthält.4 Die Aufnahme einer salvatorischen Klausel in einen Unternehmer-Ehevertrag empfiehlt sich daher regelmäßig.5 Ergibt sich jedoch die Gesamtnichtigkeit des Ehevertrages aus der Gesamtschau aller Regelungen, verhilft auch eine salvatorische Klausel dem Ehevertrag nicht zur (Teil-)Wirksamkeit, weil sich in diesem Fall auch in der salvatorischen Klausel die subjektive Imparität widerspiegelt.6 d) Ausübungskontrolle

2.51

Hält der Ehevertrag der Wirksamkeitskontrolle stand, kann er gleichwohl im Wege der Ausübungskontrolle einer Anpassung unterliegen. Im Rahmen der Ausübungskontrolle hat der Tatrichter zu hinterfragen, ob der sich im Scheidungsfall auf den Ehevertrag berufende Ehegatte die ihm durch den Ehevertrag eingeräumte Rechtsmacht missbraucht (§ 242 BGB). Dies ist der Fall, wenn sich im Zeitpunkt des Scheiterns der Ehe eine evident einseitige und nach Treu und Glauben unzumutbare Lastenverteilung ergibt.7 Vor diesem Hintergrund kann etwa der Ausschluss des Versorgungsausgleichs der Ausübungskontrolle nicht standhalten, wenn

1 BGH v. 17.1.2018 – XII ZB 20/17, NZFam 2018, 267 (269) mit Ausnahme für den Fall, dass der mit dem Verlangen nach dem Abschluss eines Ehevertrags konfrontierte Ehegatte erkennbar in einem besonderen Maße auf die Eheschließung angewiesen ist. Im konkreten Fall war der (künftige) Ehegatte von der Ausweisung bedroht. 2 Reetz, DNotZ 2017, 809 (816). 3 BGH v. 15.3.2017 – XII ZB 109/16, NJW 2017, 1883 (1886); s. auch BGH v. 17.1.2018 – XII ZB 20/17, NZFam 2018, 267 (269 f.); s. demgegenüber den Fall BGH v. 29.1.2014 – XII ZB 303/13, NJW 2014, 1101 (1106), hier wurden im Vorfeld der Beurkundung verschiedene Entwürfe ausgetauscht, was gegen eine unterlegene Verhandlungsposition sprach; zu Recht kritisch hinsichtlich der Argumentation des BGH im Hinblick auf die Anwesenheit des Kindes Reetz, DNotZ 2017, 809 (816 f.). 4 BGH v. 25.5.2005 – XII ZR 296/01, NJW 2005, 2386 (2388); Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 449; s. ausführlich zur Bedeutung von salvatorischen Klauseln in Eheverträgen Langenfeld/Milzer, Handbuch der Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen8, Rz. 107 ff. 5 Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 57; Hölscher, NJW 2016, 3057 (3062); zurückhaltender Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 449 (anders aber in Rz. 463). 6 BGH v. 21.11.2012 – XII ZR 48/11, NJW 2013, 457 (460); BGH v. 17.1.2018 – XII ZB 20/17, NZFam 2018, 267 (270); Reetz, DNotZ 2017, 809 (818). 7 BGH v. 11.2.2004 – XII ZR 265/02, NJW 2004, 930 (935); BGH v. 21.11.2012 – XII ZR 48/11, NJW 2013, 457 (460 f.); BGH v. 27.2.2013 – XII ZB 90/11, DNotZ 2013, 773 (776); BGH v. 8.10.2014 – XII ZB 318/11, NJW 2015, 52 (53); BGH v. 20.6.2018 – XII ZB 84/17, BeckRS 2018, 16247.

62 | Cramer

B. Eherechtliche Fragestellungen | Rz. 2.52 Kap. 2

ein Ehegatte aufgrund einer einvernehmlichen Änderung der Lebensumstände1 über keine ausreichende Versorgung verfügt und dies mit dem Gebot nachehelicher Solidarität schlechthin unvereinbar erscheint.2 Die Rechtsfolge der Ausübungskontrolle liegt allerdings nicht in der Unwirksamkeit des Ehevertrages oder einzelner seiner Regelungen. Stattdessen hat der Tatrichter diejenige Rechtsfolge anzuordnen, die den berechtigten Interessen beider Ehepartner in der eingetretenen Situation Rechnung trägt.3 Dabei sollen ehebedingte Nachteile ausgeglichen werden, sodass der durch die Ausübungskontrolle begünstigte Ehegatte nicht besser gestellt werden darf, als er ohne die Ehe und die ehebedingte Rollenverteilung stünde.4 Hiernach kann sich die Berufung auf die Gütertrennung u.U. als rechtsmissbräuchlich erweisen, wenn die Ehegatten bei Beurkundung von beiderseitiger, vergleichbarer Berufstätigkeit ausgegangen sind, diese Planung aber später aufgrund von Umständen aus dem gemeinsamen Risikobereich der Ehegatten nicht verwirklicht wurde.5 In besonderen Sachverhaltskonstellationen soll im Rahmen der Ausübungskontrolle aufgrund der Funktionsäquivalenz von Zugewinnausgleich und Versorgungsausgleich auch ein „Hinübergreifen“ vom Bereich des Versorgungsausgleichs in den Zugewinnausgleich in Betracht kommen können.6 Der BGH hält etwa die Gewährung eines „(modifizierten) Zugewinnausgleichs“ für möglich, wenn ein Ehegatte aufgrund der von ihm übernommenen Familienarbeit keine Anrechte i.S.d. § 2 VersAusglG erwirbt und der andere Ehegatte bei vereinbarter Gütertrennung nur durch Vermögensbildung für das Alter vorsorgt, sodass der benachteiligte Ehegatte über den Versorgungsausgleich keine Kompensation erlangt.7 Die Höhe dieses Ausgleichs sei dann aber begrenzt durch den Betrag, der zum Aufbau der entgangenen Versorgungsanrechte erforderlich sei, sowie durch die gesetzliche Höhe des Ausgleichsanspruchs.8 Ein solches Hinübergreifen unter dem Gesichtspunkt der Funktionsäquivalenz scheidet aber aus, wenn der Versorgungsausgleich durchgeführt wird und aufgrund des Vorhandenseins von Anrechten die ihm obliegende Funktion, dem Versorgungsberechtigten eine (Basis-)Absicherung für den Fall von Alter oder Invalidität zu bieten, erfüllen kann.9

1 Beruht die Ausübungskontrolle auf einer Änderung der Lebensplanung, ist umstritten, ob eine solche einvernehmlich erfolgen muss, s. dazu Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 60. 2 BGH v. 8.10.2014 – XII ZB 318/11, NJW 2015, 52 (53 f.); beruht die abweichende Gestaltung nicht auf einer Entscheidung der Eheleute, sondern auf einer von ihnen unbeeinflussten Veränderung von Umständen außerhalb der Ehe und Familie, kann ggf. über die Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) eine Korrektur erfolgen, vgl. BGH v. 27.2.2013 – XII ZB 90/ 11, DNotZ 2013, 773 (776); BGH v. 20.6.2018 – XII ZB 84/17, BeckRS 2018, 16247l. 3 BGH v. 11.2.2004 – XII ZR 265/02, NJW 2004, 930 (935); BGH v. 21.11.2012 – XII ZR 48/11, NJW 2013, 457 (461); BGH v. 27.2.2013 – XII ZB 90/11, DNotZ 2013, 773 (776 f.). 4 BGH v. 27.2.2013 – XII ZB 90/11, DNotZ 2013, 773 (777); BGH v. 8.10.2014 – XII ZB 318/11, NJW 2015, 52 (54); BGH v. 20.6.2018 – XII ZB 84/17, BeckRS 2018, 16247. 5 BGH v. 11.2.2004 – XII ZR 265/02, NJW 2004, 930 (937); BGH v. 8.10.2014 – XII ZB 318/11, NJW 2015, 52 (55). 6 S. zu dem umgekehrten Fall, in dem der Mangel im Zugewinnausgleich liegt, gegen ein „Hinübergreifen“ in den Versorgungsausgleich Münch in MüKo8, § 1408 BGB Rz. 68; Münch, NJW 2015, 288 (290); Milzer, NZFam 2016, 433 (434 f.); dafür jedoch Hoffmann, FS 40 Jahre Familienrechtsreform (2017), S. 231 (242). 7 BGH v. 8.10.2014 – XII ZB 318/11, NJW 2015, 52 (55); s. auch Münch, FamRB 2008, 350 (354). 8 BGH v. 8.10.2014 – XII ZB 318/11, NJW 2015, 52 (55). 9 BGH v. 20.6.2018 – XII ZB 84/17, BeckRS 2018, 16247.

Cramer | 63

2.52

Kap. 2 Rz. 2.53 | Familienrechtliche Strukturüberlegungen

e) Schlussfolgerungen für die Gestaltung des Ehevertrages und das Verhandlungsund Beurkundungsverfahren aa) Inhalt des Ehevertrages

2.53

Die Vorgaben des BGH zur Inhaltskontrolle von Eheverträgen zwingen zu großer Vorsicht sowohl bei der Gestaltung des Vertragsinhalts als auch bei der Steuerung des in dem Abschluss des Ehevertrags mündenden Verfahrens (Rz. 3.55).1

2.54

Der vorsichtige Vertragsgestalter wird ehevertragliche Verzichte nur insoweit vorsehen, als sie zum Schutz des Unternehmens erforderlich sind. Da der BGH das Interesse des Unternehmensschutzes ausdrücklich anerkennt und der Zugewinnausgleich nicht zum Kernbereich der Scheidungsfolgen zählt, ist ein Ehevertrag, mittels dessen (nur) der Zugewinnausgleich ausgeschlossen oder modifiziert wird, grundsätzlich nicht zu beanstanden.2 Es ist daher in jedem Einzelfall abzuwägen, ob über die güterrechtlichen Verzichte hinaus auch Verzichte im Bereich des Versorgungsausgleichs3 und des Unterhaltsrechts vereinbart werden sollen, wodurch möglicherweise das Risiko der Gesamtnichtigkeit des Ehevertrages steigt.4 Nach dem Grundsatz „weniger ist mehr“5 ist eine auf den notwendigen Unternehmensschutz beschränkte, aber wirksame ehevertragliche Vereinbarung einer weitgehenden Abbedingung der Scheidungsfolgen vorzuziehen, die sich im Scheidungsfall als zu weitreichend erweisen kann und zur Gesamtnichtigkeit des Ehevertrages führt.6 Sind dennoch über den Unternehmensschutz hinausgehende Verzichte gewünscht, sollte darüber nachgedacht werden, die Folgen der ehevertraglich vereinbarten Verzichte, insbesondere die mögliche Entstehung ehebedingter Nachteile, durch Kompensationsvereinbarungen auszugleichen oder zumindest abzumildern.7 Eine der Wirksamkeitskontrolle standhaltende Gestaltung kann auch darin liegen, dass der Ausschluss des Versorgungsausgleichs sowie des nachehelichen Unterhalts durch die Geburt eines Kindes auflösend bedingt vereinbart werden.8

1 S. speziell zu Maßnahmen zur Vermeidung der Ausübungskontrolle Langenfeld/Milzer, Handbuch der Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen8, Rz. 113 ff. 2 S. zur Kritik an dieser Rechtsprechung und zu möglichen Ausnahmen Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 469 ff. m.w.N.; s. auch Reetz, DNotZ 2017, 809 (821 f.) mit dem Hinweis, dass nach der neuesten Rechtsprechung der Gesichtspunkt des Unternehmensschutzes es nicht gestattet, sich über eine Imparitätslage hinwegzusetzen. 3 Es sei denn, der Verzicht des Versorgungsausgleichs schützt den Nichtunternehmer-Ehegatten, weil der Unternehmer voraussichtlich allein durch Vermögensbildung Vorsorge betreibt. 4 S. auch BGH v. 15.3.2017 – XII ZB 109/16, NJW 2017, 1883 (1886), wonach ein Unterhaltsverzicht nicht mit dem Unternehmensschutz gerechtfertigt werden kann. 5 Münch, ZNotP 2004, 122 (130); s. auch Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 45; Bergschneider, FamRZ 2010, 1857 (1860). 6 S. auch den Hinweis von Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 472. 7 Reetz, DNotZ 2017, 809 (819); Münch, FamRB 2018, 247 (251); s. auch Hölscher, NJW 2016, 3057 (3060), der in den Fällen, in denen der Zugewinnausgleich das Funktionsäquivalent des Versorgungsausgleichs ist, das Minimum der Kompensation in dem Ausschluss des Ausgleichs der Anrechte des Nichtunternehmers im Scheidungsfall sieht; s. auch Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 464 mit dem Vorschlag einer allgemeinen Auffangklausel zum Ausgleich ehebedingter Nachteile; s. allgemein zum Ausgleich ehebedingter Nachteile im Rahmen der Vertragsgestaltung Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 46 f. 8 So ausdrücklich gebilligt vom BGH v. 20.6.2018 – XII ZB 84/17, BeckRS 2018, 16247.

64 | Cramer

B. Eherechtliche Fragestellungen | Rz. 2.55 Kap. 2

bb) Verhandlungs- und Beurkundungsverfahren Von großer Bedeutung ist es, das Verhandlungs- und Beurkundungsverfahren in einer Weise zu gestalten, dass der Nichtunternehmer-Ehegatte aktiv in dieses eingebunden wird und seine Interessen zur Geltung bringen kann.1 Sinnvoll (wenn auch aufgrund der Mitwirkung eines Notars rechtlich nicht zwingend geboten) kann es zur Herstellung der Parität zwischen den Ehegatten sein, dass der Nichtunternehmer-Ehegatte einen eigenen anwaltlichen Beistand erhält.2 Hieran ist zur Herstellung der „Waffengleichheit“ insbesondere zu denken, wenn auch der Unternehmer-Ehegatte anwaltlich beraten ist.3 Die Beurkundung des Ehevertrages sollte grundsätzlich erst nach einer Vorbesprechung des Notars mit beiden Ehegatten erfolgen.4 Hiervon sollte nur im begründeten Einzelfall, etwa bei einer eigenen anwaltlichen Beratung des Nichtunternehmer-Ehegatten, abgesehen werden.5 In Anlehnung an § 17 Abs. 2a Satz 2 Nr. 2 BeurkG sollte der Notar den Ehegatten vor der Beurkundung den Entwurf des Ehevertrages zur Verfügung stellen.6 Man wird zwar entgegen § 17 Abs. 2a Satz 2 Nr. 2 BeurkG nicht verlangen müssen, dass zwischen dem Entwurfsversand durch den Notar und der Beurkundung zwei Wochen liegen.7 Die Zurverfügungstellung muss aber so rechtzeitig erfolgen, dass sich beide Ehegatten auf den Beurkundungstermin vorbereiten und auch im Vorfeld noch Fragen äußern können.8 Es sollten daher zumindest drei bis fünf Tage, idealerweise mindestens eine Woche zwischen dem Versand des Vertragsentwurfs und der Beurkundung liegen. Spricht ein Ehegatte nicht hinreichend Deutsch, sollte nicht nur bei der Beurkundung ein öffentlich vereidigter Dolmetscher hinzugezogen werden, sondern bereits im Vorfeld zur Beurkundung eine Übersetzung des Entwurfs erfolgen.9 Während des Beurkundungstermins, bei dem beide Parteien persönlich anwesend sein sollten (Rz. 3.39),10 sollten den Ehegatten Leseexemplare zur Verfügung gestellt werden, damit der Verlesung und Verhandlung besser gefolgt werden kann. Es empfiehlt sich zudem, dass die näheren Umstände des Verhandlungs- und Beurkundungsverfahrens (Entwurfsversand, Besprechungen, anwaltliche Vertretung, Belehrungen durch den Notar) in der notariellen Urkunde festgehalten werden, um etwaige Unklarheiten hinsichtlich des Verfahrens, die sich im Fall einer Scheidung nach langjähriger Ehe ergeben können, zu vermeiden.11

1 2 3 4

5 6 7 8 9 10 11

S. auch Langenfeld/Milzer, Handbuch der Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen8, Rz. 111. Wachter, ZFE 2004, 132 (137); Münch, NZFam 2015, 243 (247). Gageik, RNotZ 2004, 295 (315); Wachter, ZFE 2004, 132 (137). Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 50; Münch, NZFam 2015, 243 (247); auch Gageik, RNotZ 2004, 295 (315) mit allerdings nicht überzeugender Ausnahme für die Altersehe; s. auch Langenfeld/Milzer, Handbuch der Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen8, Rz. 39 mit dem zutreffenden Hinweis, dass ein Entwurf nicht auf der Grundlage der Vorbesprechung mit nur einem Ehegatten vorgelegt werden sollte. Gageik, RNotZ 2004, 295 (315) mit dem zutreffenden Hinweis, dass dann zumindest mit den anwaltlichen Beratern Rücksprache zu halten ist. Wachter, ZFE 2004, 132 (137). So aber Bergschneider, FamRZ 2004, 1757 (1765); Gageik, RNotZ 2004, 295 (316). Münch, NZFam 2015, 243 (247). S. dazu den Fall BGH v. 17.1.2018 – XII ZB 20/17, NZFam 2018, 267; s. auch Wachter, ZFE 2004, 132 (137); Münch, ZNotP 2004, 122 (130). Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 457; Wachter, ZFE 2004, 132 (137); Münch, ZNotP 2004, 122 (130). Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 458; Grüßenmeyer in Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 15 Rz. 35.

Cramer | 65

2.55

Kap. 2 Rz. 2.56 | Familienrechtliche Strukturüberlegungen

3. Rechtswahl a) Notwendigkeit und Nutzen der Rechtswahl

2.56

Jedenfalls dann, wenn die Unternehmerehe einen Auslandsbezug aufweist, weil etwa einer der Ehegatten ausländischer Staatsangehöriger ist oder weil ein längerer Auslandsaufenthalt der Ehegatten absehbar ist, sollte an die Möglichkeit einer Rechtswahl gedacht werden.1 Durch eine Rechtswahl bietet sich die Möglichkeit, die Scheidungsfolgen einem einheitlichen Recht zu unterstellen und auf diese Weise schwierige Qualifikationsfragen im Grenzbereich zwischen den Statuten zu vermeiden.2 Auch eine Vereinheitlichung von Güterrechts- und Erbstatut kann zur Vermeidung von Abgrenzungsfragen sinnvoll sein.3 Zudem kann die Rechtswahl dem Ziel dienen, das für den Unternehmer-Ehegatten tendenziell günstigere Recht zur Anwendung zu bringen.4

2.57

Das Problem der Rechtswahl liegt darin, dass ihre Anerkennung im Ausland nicht immer sichergestellt ist. Sofern ein ausländisches Gericht zuständig ist, wendet es „seine“ Kollisionsregelungen an und gelangt dadurch ggf. zu einem anderen materiellen Recht. Dieses erkennt eine in Deutschland getroffene Rechtswahl möglicherweise aber nicht an.5 Aufgrund der Vereinheitlichungen des internationalen Kollisionsrechts, inzwischen etwa auch durch die Europäische Güterrechtsverordnung (EuGüVO)6, erhöht sich die Rechtssicherheit in diesem Bereich zwar, sodass jedenfalls in den teilnehmenden Mitgliedstaaten die Anerkennung einer Rechtswahl gesichert ist. Unsicherheiten verbleiben aber, wenn sich ein Gericht in einem nicht teilnehmenden Staat für zuständig erklärt. Wird etwa ein englisches Gericht mit der Scheidung bzw. den vermögensrechtlichen Scheidungsfolgen befasst,7 wendet es englisches Recht an.8 Danach steht es dem Gericht frei, eine Umverteilung nicht nur des während der Ehe erwirtschafteten Vermögens anzuordnen, sondern auch voreheliches sowie während der Ehe geerbtes oder durch Schenkung erworbenes Vermögen zum Gegenstand der gerichtlichen Anordnung zu machen.9 Mithin ist das Vermögen des Unternehmer-Ehegatten einer enor-

1 Grüßenmeyer in Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 15 Rz. 10; Meise, RNotZ 2016, 485. 2 Hausmann in Hausmann/Odersky, Internationales Privatrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis3, 3. Teil § 9 Rz. 121, 136; Schäuble, NZFam 2014, 1071 (1074 f.). 3 Meise, RNotZ 2016, 485 (494). 4 Grüßenmeyer in Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 15 Rz. 9. 5 S. hierzu etwa aus unterhaltsrechtlicher Sicht Schäuble, NZFam 2014, 1071 (1074); s. auch Raue, DNotZ 2015, 20 (22); Meise, RNotZ 2016, 485. 6 Verordnung (EU) 2016/1103 des Rates vom 24.6.2016 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterstands, ABl. Nr. L 183 S. 1, ber. 2017 Nr. L 113 S. 62 und 2018 Nr. L 167 S. 36; s. zur EuPartVO Weber, DNotZ 2016, 659 (693 ff.). 7 Der räumliche Anwendungsbereich der EuGüVO erstreckt sich nicht auf das Vereinigte Königreich, s. Hilbig-Lugani, DNotZ 2017, 739 (740). 8 Sofern das englische Gericht seine Zuständigkeit als forum conveniens bejaht, sieht das englische internationale Familienrecht grundsätzlich die Anwendung des eigenen nationalen Rechts vor, s. Raue, DNotZ 2015, 20 (22); Scherpe, DNotZ 2016, 644 (646 ff.); s. zur Anwendung englischen Rechts durch ein deutsches Gericht unter Geltung der EuGüVO Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1983); s. zu Abgrenzungsfragen zwischen Güterrecht und Unterhaltsrecht bei (nur teilweiser) Anwendbarkeit englischen Rechts Martiny, ZfPW 2017, 1 (10). 9 Scherpe, DNotZ 2016, 644 (645, 654).

66 | Cramer

B. Eherechtliche Fragestellungen | Rz. 2.60 Kap. 2

men Umverteilungsgefahr ausgesetzt. Aufgrund des freien Ermessens der Scheidungsgerichte1 besteht für den Unternehmer-Ehegatten erhebliche Rechtsunsicherheit, die noch dadurch bestärkt wird, dass ein wirksam geschlossener Ehevertrag im englischen Recht nicht in jedem Fall bindend ist und nur als ein Element im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung berücksichtigt wird.2 Der Vertragsgestalter kann versuchen, das vorgenannte Risiko durch den (zusätzlichen) Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung zu reduzieren.3 Ob derartige Vereinbarungen in nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten Anerkennung finden, ist aber ebenfalls nicht gesichert. Es entscheidet nämlich im Einzelfall das ausländische nationale Verfahrensrecht darüber, ob die vertragliche Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstands zu einem Prozesshindernis vor dem ausländischen Gericht führt.4

2.58

b) Ehegüterrecht In Bezug auf das Ehegüterkollisionsrecht richtet sich das anzuwendende Recht für bis zum 28.1.2019 geschlossene Ehen nach Art. 15 EGBGB.5 Für den Fall, dass keine Rechtswahl getroffen wurde, unterliegen die güterrechtlichen Ehewirkungen gem. Art. 15 Abs. 1 EGBGB dem Recht, das zum Zeitpunkt der Eheschließung für die allgemeinen Wirkungen der Ehe maßgebend ist (Art. 14 Abs. 1 EGBGB). Das hiernach maßgebliche Recht ist primär das Recht der gemeinsamen Staatsangehörigkeit bei Eheschließung (Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB) und ist unwandelbar.6 Verweist das deutsche IPR auf ein ausländisches Recht (z.B. bei gemeinsamer ausländischer Staatsangehörigkeit der Ehegatten), beinhaltet dies als Gesamtverweisung das ausländische IPR, weshalb zu prüfen ist, ob das ausländische Recht den Verweis annimmt oder Rück- oder Weiterverweisungen gelten (Art. 4 Abs. 1 Satz 1 EGBGB).7 Die Möglichkeiten einer Rechtswahl ergeben sich aus Art. 15 Abs. 2 EGBGB, wobei eine Rechtswahlvereinbarung gem. Art. 15 Abs. 3 i.V.m. Art. 14 Abs. 4 EGBGB notariell zu beurkunden ist.

2.59

Wird eine Ehe8 ab dem 29.1.2019 geschlossen oder wird ab dem 29.1.2019 eine Rechtswahl des auf den Güterstand anzuwendenden Rechts getroffen (unabhängig von dem Zeitpunkt der Eheschließung), bemisst sich das anzuwendende Recht nach der EuGüVO (vgl. Art. 69 Abs. 3 EuGüVO).9 Dies hat für die Praxis zur Folge, dass die Art. 15, 14 EGBGB noch lange Zeit auf „Altehen“ anzuwenden sein werden.10 Der sachliche Anwendungsbereich der EuGü-

2.60

1 Hierzu Scherpe, DNotZ 2016, 644 (649 f.). 2 Raue, DNotZ 2015, 20 (21, 23); s. eingehend zur Berücksichtigung von Eheverträgen im englischen Recht Scherpe, DNotZ 2016, 644 (654 ff.). 3 S. zu Gerichtsstandsvereinbarungen nach der EuGüVO Meise, RNotZ 2016, 485 (495 ff.); Weber, DNotZ 2016, 659 (691 f.); s. ausführlich zu Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen Raue, DNotZ 2015, 20 (28 ff.). 4 S. zum Unterhaltsrecht Schäuble, NZFam 2014, 1071 (1074). 5 S. zu Sonderfällen und Altehen Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 4435 ff. 6 Hertel in Würzburger Notarhdb.5, Teil 7 Kap. 2 Rz. 38; zu Ausnahmen Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 4432. 7 Raue, DNotZ 2015, 20 (31); Meise, RNotZ 2016, 485 (489). 8 S. zur EuPartVO sowie zur Abgrenzung von Ehe und eingetragener Partnerschaft Duttta, FamRZ 2016, 1973 (1976); Martiny, ZfPW 2017, 1 (7 f.). 9 In der ursprünglichen Fassung des Art. 69 Abs. 3 EuGüVO war (systemwidrig) der 30.1.2019 als maßgeblicher Stichtag vorgesehen; dies wurde jedoch inzwischen berichtigt, vgl. Erbarth, NZFam 2018, 249 f., was bisweilen noch übersehen wird, s. etwa Döbereiner, notar 2018, 244. 10 Weber, DNotZ 2016, 659 (663); Döbereiner, notar 2018, 244.

Cramer | 67

Kap. 2 Rz. 2.60 | Familienrechtliche Strukturüberlegungen

VO (vgl. Art. 27 EuGüVO) ist weiter als derjenige nach Art. 15 EGBGB, da in ihm auch Fragen des Nebengüterrechts und alle ehespezifischen (und nicht lediglich güterstandsspezifischen) Verfügungsbeschränkungen enthalten sind.1 Das objektiv anzuwendende Recht richtet sich nach Art. 26 Abs. 1 EuGüVO, wonach im Unterschied zu Art. 15 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB primär das Recht des ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts nach Eheschließung zur Anwendung kommt.2 Dies gilt auch dann, wenn hierdurch auf das Recht eines nicht teilnehmenden Mitgliedstaates verwiesen wird (universelle Geltung, vgl. Art. 20 EuGüVO). Es handelt sich um einen Verweis nur auf das Sachrecht, nicht auf das jeweilige IPR, sodass Rück- oder Weiterverweisungen, auch im Verhältnis zu Drittstaaten (Art. 32 EuGüVO), ausgeschlossen sind.3 Das Güterstatut ist im Grundsatz unwandelbar,4 sodass lediglich eine Rechtswahl zur Anwendung einer anderen Rechtsordnung führen kann.5

2.61

Die Möglichkeit einer Rechtswahl im Hinblick auf das auf den Güterstand anzuwendende Recht besteht nach Maßgabe von Art. 22 EuGüVO. Wählbar ist entweder das Recht des Staates, in dem die oder einer der Ehegatten zum Zeitpunkt der Rechtswahlvereinbarung ihren bzw. seinen gewöhnlichen Aufenthalt haben bzw. hat (Abs. 1 lit. a) oder dessen Staatsangehörigkeit einer der Ehegatten besitzt (Abs. 1 lit. b). Die Rechtswahl muss in formeller Hinsicht zumindest in Einklang mit Art. 23 Abs. 1 EuGüVO erfolgen (schriftlich, datiert und von beiden Ehegatten unterzeichnet oder dauerhaft elektronisch übermittelt).6 Gelten nach dem Recht des Mitgliedstaates, in dem die Ehegatten bei Abschluss der Rechtswahl ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben, weitere Formvorschriften für Vereinbarungen über den ehelichen Güterstand, sind auch diese gem. Art. 23 Abs. 2 EuGüVO zu beachten.7 In Bezug auf Deutschland bedeutet dies, dass gem. §§ 1408 Abs. 1, 1410 BGB zwingend eine notarielle Beurkundung bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Teile vorzunehmen ist.8

1 Weber, DNotZ 2016, 659 (665 f.); Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1975); Martiny, ZfPW 2017, 1 (8 f.); s. demgegenüber zu Art. 15 EGBGB Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 4465; s. allgemein auch Looschelders in MüKo7, EuGüVO Rz. 90 ff.; Döbereiner, notar 2018, 244 (245 ff.). 2 S. zum Begriff des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts Weber, DNotZ 2016, 659 (670 f.). 3 Hertel in Würzburger Notarhdb.5, Teil 7 Kap. 2 Rz. 25; Weber, DNotZ 2016, 659 (662); Meise, RNotZ 2016, 485 (491). 4 Hertel in Würzburger Notarhdb.5, Teil 7 Kap. 2 Rz. 20; Meise, RNotZ 2016, 485 (492); Martiny, ZfPW 2017, 1 (21); s. jedoch zur rückwirkenden Anwendung des Rechts des ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts, wenn zunächst in Ermangelung eines solchen das Recht der gemeinsamen Staatsangehörigkeit (Art. 26 Abs. 1 Buchst. b EuGüVO) maßgeblich war und ein gemeinsamer Aufenthalt noch binnen drei Monaten nach Eheschließung begründet wird, Weber, DNotZ 2016, 659 (672); gegen eine solche Zeitgrenze, aber ebenfalls für eine rückwirkende Anwendung des Aufenthaltsrechts, wenn zum Zeitpunkt der Eheschließung ein gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt konkret geplant ist, Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1982 Fn. 58); s. zudem auch die Ausweichklausel in Art. 26 Abs. 3 EuGüVO. 5 Weber, DNotZ 2016, 659 (674). 6 S. demgegenüber Art. 25 EuGüVO zur Formgültigkeit einer Vereinbarung über den ehelichen Güterstand und hierzu Döbereiner, notar 2018, 244 (256 f.). 7 S. ferner Art. 23 Abs. 3 und 4 EuGüVO. 8 Meise, RNotZ 2016, 485 (493); Weber, DNotZ 2016, 659 (679); Martiny, ZfPW 2017, 1 (18 f.); Döbereiner, notar 2018, 244 (252); s. auch Hausmann in Hausmann/Odersky, Internationales Privatrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis3, 3. Teil § 9 Rz. 16, allerdings mit unzutreffendem Verweis auf Art. 15 Abs. 3 i.V.m. Art. 14 Abs. 4 Satz 1 EGBGB als maßgebliche Formvorschrift.

68 | Cramer

B. Eherechtliche Fragestellungen | Rz. 2.64 Kap. 2

c) Scheidungsstatut Das Scheidungsstatut regelt insbesondere, unter welchen Voraussetzungen eine Ehe geschieden werden kann.1 Maßgeblich hierfür ist die Rom-III-Verordnung.2 Das anzuwendende Recht bestimmt sich nach der in Art. 8 Rom-III-VO festgeschriebenen Anknüpfungsleiter mit zwingender Rangordnung. Hiernach ist gem. lit. a primär das Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts der Ehegatten im Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts anwendbar.3 Dieses Recht gilt auch dann, wenn es sich nicht um dasjenige eines teilnehmenden Mitgliedstaates handelt (Art. 4 Rom-III-VO). Rück- oder Weiterverweisungen sind unbeachtlich (Art. 11 Rom-III-VO).

2.62

Daneben sieht Art. 5 Rom-III-VO die Möglichkeit einer Rechtswahl bezüglich des anzuwendenden Scheidungsrechts vor.4 Die verschiedenen Wahlmöglichkeiten, unter denen eine freie Auswahl besteht,5 werden in Abs. 1 aufgeführt. Im Hinblick auf die Form der Rechtswahlvereinbarung handelt es sich bei Art. 7 Abs. 1 Rom-III-VO (schriftlich, datiert und von beiden Ehegatten unterzeichnet oder dauerhaft elektronisch übermittelt) lediglich um ein Mindestformerfordernis. Es steht den teilnehmenden Staaten frei, weitergehende Regelungen zu erlassen, sodass in Deutschland nach Art. 46e Abs. 1 EGBGB die notarielle Beurkundung vorgeschrieben ist.6 Dieses Formgebot ist nach Maßgabe des Art. 7 Abs. 2 bis 4 Rom-III-VO zu beachten.

2.63

d) Versorgungsausgleich Der Versorgungsausgleich ist auf internationaler Ebene nicht geregelt,7 sodass deutsches IPR und Sachrecht anzuwenden ist.8 Gem. Art. 17 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 EGBGB ist für den Versorgungsausgleich das auf die Scheidung anzuwendende Recht maßgeblich. Jedoch findet der Versorgungsausgleich nur statt, wenn durch die Rom-III-Verordnung deutsches Recht berufen ist. Zudem muss das Recht eines der Staaten, denen die Ehegatten im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags angehören, den Versorgungsausgleich kennen (Art. 17 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 EGBGB).9 Deutsches Recht ist in diesem Sinne nicht nur dann anwendbar, wenn es objektiv nach Art. 8 Rom-III-VO berufen ist, sondern auch, wenn eine Rechtswahlvereinbarung bezüglich deutschen Rechts gem. Art. 5 Rom-III-VO getroffen wurde.10 Die Ehegatten können daher mittelbar über die Wahl des Scheidungsstatuts Einfluss 1 Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 4536; das Scheidungsfolgenrecht, insbesondere die vermögensrechtlichen Folgen, unterliegt nicht dem Scheidungsstatut, vgl. Art. 1 Abs. 2 Rom-III-VO; s. aber auch Meise, RNotZ 2016, 485 (497). 2 Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates vom 20.12.2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts, ABl. Nr. L 343 S. 10. 3 Meise, RNotZ 2016, 485 (498). 4 Hierzu Pietsch, NJW 2012,1768 (1769). 5 Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 4537; Meise, RNotZ 2016, 485 (499). 6 Beachte aber Art. 7 Abs. 2, 3 und 4 Rom-III-VO. 7 Gem. Art. 1 Abs. 2 Buchst. f EuGüVO ist er vom Anwendungsbereich der EuGüVO ausdrücklich ausgenommen. 8 Rieck, NZFam 2016, 1138 (1140); s. zur gerichtlichen Zuständigkeit Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 4530. 9 Meise, RNotZ 2016, 485 (497); s. auch OLG Jena v. 28.4.2015 – 1 UF 668/14, NJW 2015, 2270 (2271); zum Begriff des „Kennens“ Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 4522 ff. 10 Hausmann in Hausmann/Odersky, Internationales Privatrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis3, 3. Teil § 12 Rz. 44.

Cramer | 69

2.64

Kap. 2 Rz. 2.64 | Familienrechtliche Strukturüberlegungen

auf den Versorgungsausgleich nehmen, d.h. den Versorgungsausgleich durch die Wahl des deutschen Scheidungsstatuts von Amts wegen zur Anwendung bringen oder ihn durch die Wahl eines ausländischen Scheidungsstatuts abbedingen (s. aber auch Art. 17 Abs. 4 Satz 2 EGBGB1).2 e) Unterhaltsrecht

2.65

Das Unterhaltskollisionsrecht richtet sich seit dem 18.6.2011 nach dem Haager Unterhaltsprotokoll von 2007 (HUnthProt)3 aufgrund des in Art. 15 der EuUnthVO4 enthaltenen Verweises. Während das HUnthProt das auf Unterhaltspflichten anwendbare materielle Recht bestimmt,5 trifft die daneben bestehende EuUnthVO lediglich verfahrensrechtliche Regelungen6 und ermöglicht etwa eine Gerichtsstandsvereinbarung im Hinblick auf Unterhaltsstreitigkeiten (Art. 4 EuUnthVO).7 Das nach dem HUnthProt zu ermittelnde Unterhaltsstatut bestimmt u.a., ob, in welchem Umfang und von wem die berechtigte Person Unterhalt beanspruchen kann (Art. 11 lit. a HUnthProt).8

2.66

Für das Unterhaltsstatut ist nach Art. 3 Abs. 1 HUnthProt das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Unterhaltsberechtigten maßgebend, und zwar auch dann, wenn sich dieser in einem Nichtvertragsstaat befindet (Art. 2 HUnthProt).9 Es handelt sich um einen Verweis auf die Sachnormen des jeweiligen Rechts, ohne die Möglichkeit eines Rück- oder Weiterverweises (Art. 12 HUnthProt).10 Da Art. 3 Abs. 2 HUnthProt eine wandelbare Anknüpfung des Unterhaltsstatuts anordnet, ist mit der Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts ab diesem Zeitpunkt das neue Aufenthaltsrecht maßgeblich.11

2.67

Angesichts der Wandelbarkeit des Unterhaltsstatuts sollte in der Praxis verstärkt an eine Rechtswahl gedacht werden, und zwar auch bei rein deutschen Ehepaaren, wenn sie einen Umzug in das Ausland nicht ausschließen.12 Das HUnthProt ermöglicht eine Rechtswahl in Bezug auf ein

1 Dazu Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 4525 ff. sowie Süß in Beck’sches Notarhdb.6, Teil H Rz. 191; Meise, RNotZ 2016, 485 (497 f.). 2 Hausmann in Hausmann/Odersky, Internationales Privatrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis3, 3. Teil § 12 Rz. 44 sowie Rz. 45 f. zur Frage, ob es möglich ist, eine Rechtswahl auf das Scheidungsstatut zu begrenzen und den Versorgungsausgleich auszuklammern, sodass dieser sich weiterhin nach dem objektiv anzuwendenden Recht richtet. 3 Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 23.11.2007, ABl. 2009 Nr. L 331 S. 19; s. näher hierzu und zu weiteren Rechtsgrundlagen des Unterhaltsstatuts Schäuble, NZFam 2014, 1071. 4 Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18.12.2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen, ABl. Nr. L 7 S. 1. 5 S. Art. 15 HUnthProt. 6 Schäuble, NZFam 2014, 1071. 7 Dazu Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 4504 ff.; Meise, RNotZ 2016, 553 (560). 8 Die Aufzählung in Art. 11 HUnthProt ist nicht abschließend, s. Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 4496. 9 Beachte aber die Sonderanknüpfung in Art. 5 HUnthProt sowie dazu Schäuble, NZFam 2014, 1071 (1072 f.); Meise, RNotZ 2016, 553 (555). 10 Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 4490. 11 Schäuble, NZFam 2014, 1071 (1072). 12 Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 324 f.; Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 4493; s. auch Meise, RNotZ 2016, 553 (556).

70 | Cramer

B. Eherechtliche Fragestellungen | Rz. 2.70 Kap. 2

einzelnes gerichtliches Verfahren (Art. 7 HUnthProt) oder eine vorsorgliche Rechtswahl unabhängig von einem bestimmten Verfahren (Art. 8 HUnthProt). Im Rahmen des Art. 7 HUnthProt ist die Wahl auf die lex fori des angerufenen oder anzurufenden Gerichts beschränkt.1 Zweck einer solchen Rechtswahl ist es, dem angerufenen Gericht die Prozessführung durch die Anwendung seines eigenen materiellen Unterhaltsrechts zu erleichtern, sofern dieses nicht ohnehin schon aufgrund der objektiven Anknüpfungsregeln anzuwenden ist.2 Die verschiedenen Rechtswahlmöglichkeiten für eine allgemeine Rechtswahl gem. Art. 8 HUnthProt sind in dessen Abs. 1 aufgeführt. Denkbar ist etwa die Wahl des Rechts des Staates, dem eine der Parteien im Zeitpunkt der Rechtswahl angehört (lit. a) oder in dem eine der Parteien im Zeitpunkt der Rechtswahl ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat (lit. b).3 Zu beachten ist allerdings, dass hinsichtlich eines Unterhaltsverzichts die Rechtsordnung nicht gewählt werden kann (Art. 8 Abs. 4 HUnthProt).4 Im Unterschied zur EuGüVO und der Rom-III-VO ist eine ausdrückliche Öffnungsklausel für nationale Formvorschriften für die Rechtswahl im HUnthProt nicht vorgesehen. Nach wohl h.M. ist damit die Formvorschrift des Art. 8 Abs. 2 HUnthProt (schriftlich oder auf Datenträger erfasst, dessen Inhalt für spätere Einsichtnahme zugänglich ist) abschließend.5 Soll jedoch eine kumulierte Rechtswahl in Bezug auf das Güter-, Scheidungs- und Unterhaltsstatut in einem Akt erfolgen, setzt sich praktisch die strengste Formvorschrift durch.6

4. Gestaltungsmöglichkeiten im Einzelnen a) Gestaltungen im Bereich des Güterrechts aa) Gütertrennung Die Ehegatten haben gem. § 1414 BGB die Möglichkeit, durch Ehevertrag (§ 1408 Abs. 1 BGB) den Güterstand der Gütertrennung zu vereinbaren.7 Ein Zugewinnausgleich findet dann nicht statt, insbesondere nicht im Scheidungs- und Todesfall. Die Verfügungsbeschränkungen (§§ 1365, 1369 BGB) finden in der Gütertrennung ebenso wenig Anwendung wie die Auskunftsansprüche gem. § 1379 BGB.

2.68

Formulierungsvorschlag: Wir schließen hiermit für unsere Ehe den gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft aus und vereinbaren den Güterstand der Gütertrennung, und zwar ab Beginn unserer Ehe.

2.69

Die Gütertrennung beseitigt sämtliche Gefahren, die für den Unternehmer-Ehegatten mit dem gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft einhergehen. Gleichwohl wird sie heute zu Recht nur selten vereinbart.8 Die Wahl der Gütertrennung schießt nämlich in vielen

2.70

1 Hausmann in Hausmann/Odersky, Internationales Privatrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis3, 3. Teil § 10 Rz. 74; Schäuble, NZFam 2014, 1071 (1077). 2 Hausmann in Hausmann/Odersky, Internationales Privatrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis3, Teil 3 § 10 Rz. 73. 3 Schäuble, NZFam 2014, 1071 (1075). 4 Näher dazu Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 4499 ff. 5 Hilbig-Lugani, DNotZ 2017, 739 (748 f.); s. m.w.N. Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 4503. 6 Hilbig-Lugani, DNotZ 2017, 739 (749). 7 S. zu weiteren Entstehungsgründen für die Gütertrennung Grziwotz in Beck’sches Notarhdb.6, B.I. Rz. 81. 8 Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 134; s. zur früheren Praxis Grziwotz, ZIP 2006, 9; s. zur steuerlich motivierten Rückkehr aus der Gütertrennung in die Zugewinngemeinschaft Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 479 ff.

Cramer | 71

Kap. 2 Rz. 2.70 | Familienrechtliche Strukturüberlegungen

Fällen über das Ziel des Unternehmensschutzes hinaus. Da in der Gütertrennung ein Zugewinnausgleich insgesamt nicht stattfindet, ist der Ehegatte nicht nur von der Entwicklung des Unternehmens ausgeschlossen. Er partizipiert auch nicht an einer Erhöhung des Privatvermögens des Unternehmer-Ehegatten. Die Vereinbarung der Gütertrennung kann daher im Einzelfall (z.B. Einverdienerehe) der Idee einer gerechten Teilhabe am Erwirtschafteten widersprechen und dementsprechend auf Widerstand des Ehegatten stoßen.1

2.71

Darüber hinaus kann die Gütertrennung erhebliche erbschaft- und schenkungsteuerliche Nachteile haben. Gemäß § 5 ErbStG ist die Ausgleichsforderung in der Zugewinngemeinschaft in voller Höhe steuerfrei. Dies gilt im Fall der Beendigung der Zugewinngemeinschaft durch den Tod eines Ehegatten bei erbrechtlicher Lösung gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 BGB hinsichtlich des fiktiven Zugewinnausgleichsanspruchs und bei güterrechtlicher Lösung gem. § 5 Abs. 2 ErbStG hinsichtlich des tatsächlichen Zugewinnausgleichsanspruchs. Damit können in der Zugewinngemeinschaft über die allgemeinen Steuerfreibeträge des Ehegatten hinaus mitunter erhebliche Vermögenswerte steuerfrei vererbt werden2 oder es können durch die ehevertragliche Beendigung der Zugewinngemeinschaft während der Ehe Vermögenswerte zu Lebzeiten steuerfrei übertragen werden.3 Diese steuerlichen Vorteile bestehen in der Gütertrennung nicht.4

2.72

In der Beurkundungspraxis wird aus den vorgenannten Gründen in der Mehrzahl der Fälle auf Gestaltungen zurückgegriffen, mittels derer der gesetzliche Güterstand beibehalten, aber im Interesse des Unternehmensschutzes modifiziert wird (Rz. 3.75). Auf diese Weise sollen die steuerlichen Vorteile der Zugewinngemeinschaft erhalten bleiben. In Ausnahmefällen kann sich gleichwohl die Wahl der Gütertrennung als für die Ehegatten passende Gestaltungsvariante anbieten. Gegenüber den verschiedenen Fallgruppen der modifizierten Zugewinngemeinschaft hat die Gütertrennung den Vorteil der eindeutigen, einfachen und verständlichen Regelung.5 Demgegenüber sind die verschiedenen Erscheinungsformen der modifizierten Zugewinngemeinschaft den Beteiligten teils schwer vermittelbar und sie sind typischerweise anfälliger für Manipulationen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn nur einzelne Unternehmen bzw. Beteiligungen aus dem Zugewinn herausgenommen werden (Rz. 3.79). Spielen die erbschaftsteuerlichen Vorteile im Einzelfall keine überragende Rolle, kann die Gütertrennung daher als Alternative in den Blick genommen werden. Sie kann sich im Ausnahmefall anbieten, wenn der Ehegatte (z.B. wegen entsprechender gesellschaftsrechtlicher Nachfolgeklauseln) nicht Erbe des Unternehmer-Ehegatten werden soll oder jedenfalls nicht das (den wesentlichen Vermögensposten ausmachende) Unternehmen, sondern lediglich das Privatvermögen des Unternehmer-Ehegatten von Todes wegen erwerben soll.6 Der steuerliche Vorteil, der in diesem Fall zulasten des überlebenden Ehegatten verloren geht, beschränkt sich dann auf das Privatvermögen. Die entsprechende Mehrbelastung kann bei hohem Privatvermögen zwar auch dann erheblich sein. Sie wird in Einzelfällen aber als „Preis“ für die klarere Gestaltung akzeptiert. Allerdings ist in diesem Fall stets darüber nachzudenken, ob der Ausschluss 1 2 3 4

Vgl. Werner, ZErb 2014, 65 (66). S. hierzu das Berechnungsbeispiel bei Spiegelberger, Unternehmensnachfolge2, § 3 Rz. 34 ff. Brandt, RNotZ 2015, 117 (120 f.). C. Winkler, ZErb 2005, 360 (363); C. Winkler, FPR 2006, 217 (218); Werner, ZErb 2014, 65 (66); Wenckstern, NJW 2014, 1335 (1336); Brandt, RNotZ 2015, 117 (119 f.). 5 Kanzleiter in MüKo7, § 1408 BGB Rz. 14; Everts in Münch, Familienrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis2, § 2 Rz. 99; Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 476; Büte, FuR 2014, 87 (88); s. auch C. Winkler, FPR 2006, 217. 6 So auch Wenckstern, NJW 2014, 1335 (1336).

72 | Cramer

B. Eherechtliche Fragestellungen | Rz. 2.76 Kap. 2

der Teilhabe an dem Vermögen des Unternehmer-Ehegatten auf andere Weise, insbesondere durch die Vereinbarung von Kompensationsleistungen (Rz. 3.48), ausgeglichen bzw. abgemildert werden soll.1 Hält die Ehe, treten spätestens im fortgeschrittenen Alter meist wieder steuerliche Erwägungen in den Vordergrund. Es stellt sich dann die Frage, ob durch einen „rückwirkenden“ Wechsel in die Zugewinngemeinschaft, d.h. durch die Wahl des Güterstandes der Zugewinngemeinschaft mit der Maßgabe, dass hinsichtlich der Berechnung des Anfangsvermögens auf den Zeitpunkt der Eheschließung abzustellen ist, der Steuervorteil des § 5 ErbStG wiedererlangt werden kann. Wegen § 5 Abs. 1 Satz 4 ErbStG ist dies nur im Hinblick auf die güterrechtliche Lösung (§ 5 Abs. 2 ErbStG, § 1371 Abs. 2, 3 BGB) denkbar (Rz. 3.4).2

2.73

Die Frage, ob der Güterstand der Gütertrennung zumindest im Ausnahmefall vereinbart werden sollte, hängt damit von einer komplexen Abwägungsentscheidung ab. In diese sind auch erbrechtliche Erwägungen einzubeziehen. Die Vereinbarung der Gütertrennung kann nämlich, da die Erbquoten der Abkömmlinge wegen § 1931 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 BGB höher als in der Zugewinngemeinschaft ausfallen können, zu einer Erhöhung der Pflichtteilsansprüche der Abkömmlinge führen.3 Dies kann ein weiteres Argument gegen die Vereinbarung der Gütertrennung sein, weil die erhöhten Pflichtteilsansprüche derjenigen Abkömmlinge, die nicht als Unternehmensnachfolger vorgesehen sind, die Unternehmensnachfolge erschweren können. Wird die Gütertrennung dennoch gewählt, sollte daran gedacht werden, die Ansprüche des güterrechtlichen Nebenrechts auszuschließen (Rz. 3.95), damit nicht über den Umweg des Nebengüterrechts eine Korrektur der Vermögenszuordnung erfolgt.4

2.74

bb) Modifizierte Zugewinngemeinschaft (1) Begriff In der Beratungs- und Beurkundungspraxis wird aufgrund der vorgenannten steuerlichen und erbrechtlichen Erwägungen im Regelfall auf die sog. modifizierte Zugewinngemeinschaft zurückgegriffen. Entgegen mancher Vorstellung verbirgt sich hinter diesem Begriff kein konkreter Vertragstyp. Es handelt sich um den Oberbegriff für Gestaltungen, die es im Grundsatz bei dem gesetzlichen Güterstand belassen, einzelne Regelungen der Zugewinngemeinschaft jedoch abbedingen bzw. abweichend von dem gesetzlichen Modell ausgestalten. Im Folgenden werden typische Erscheinungsformen der modifizierten Zugewinngemeinschaft aufgegriffen.

2.75

(2) Ausschluss des Zugewinns im Scheidungsfall In vielen Fällen kann es sachgerecht sein, die Zugewinngemeinschaft dahingehend zu modifizieren, dass ein Zugewinnausgleich nur dann stattfindet, wenn der gesetzliche Güterstand 1 Bergschneider, Verträge in Familiensachen6, Rz. 552, 557. 2 Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 139. 3 Langenfeld/Milzer, Handbuch der Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen8, Rz. 258; Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 1144; Kornexl, Nachlassplanung bei Problemkindern, Rz. 443; C. Winkler, FPR 2006, 217 (218); Hölscher, NJW 2016, 3057 (3060); unrichtig allerdings Grüßenmeyer in Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 15 Rz. 73, wonach das gesetzliche Erbrecht des Ehegatten auch bei einem Kind nur ⅓ betragen soll (richtig: ½). 4 Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 476; kritisch jedoch im Hinblick auf den Ausschluss der Ansprüche des Nebengüterrechts im vorsorgenden Ehevertrag Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 140.

Cramer | 73

2.76

Kap. 2 Rz. 2.76 | Familienrechtliche Strukturüberlegungen

durch den Tod eines Ehegatten endet. Für alle anderen Fälle wird der Zugewinnausgleich ausgeschlossen. Diese Gestaltung trägt dem Interesse des Unternehmer-Ehegatten am Unternehmensschutz im Scheidungsfall Rechnung und erhält den steuerlichen Vorteil des § 5 ErbStG für den überlebenden Ehegatten im Todesfall aufrecht. Zudem stellt sie – ebenso wie die Gütertrennung – eine für den Scheidungsfall klare Lösung bereit.1 Da es gleichzeitig bei den (potentiell) niedrigeren Pflichtteilsansprüchen der Abkömmlinge verbleibt, ist eine derartige Modifizierung der Zugewinngemeinschaft im Vergleich mit der Vereinbarung der Gütertrennung regelmäßig die bessere Variante.2

Formulierungsvorschlag: 2.77

Für unsere Ehe soll grundsätzlich der Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelten. Wir vereinbaren von diesem Güterstand jedoch folgende Abweichungen: (1) Für den Fall, dass der gesetzliche Güterstand durch den Tod eines von uns endet, soll es uneingeschränkt zu dem gesetzlichen Zugewinnausgleich kommen. Auch im Fall einer Beendigung des Güterstandes durch Ehevertrag verbleibt es beim Zugewinnausgleich. (2) Wird jedoch der gesetzliche Güterstand auf andere Weise als durch den Tod eines Ehegatten oder als durch Ehevertrag beendet, also insbesondere durch Scheidung unserer Ehe, findet kein Zugewinnausgleich statt. Entsprechendes gilt für einen Anspruch auf vorzeitigen Zugewinnausgleich bzw. im Fall der vorzeitigen Aufhebung der Zugewinngemeinschaft, insbesondere bei einem Getrenntleben.

2.78

Vorbehalten bleiben sollte in dieser Variante auch der Zugewinnausgleich für den Fall der Beendigung des Güterstandes durch Ehevertrag.3 Dies ermöglicht die Durchführung der sog. Güterstandsschaukel.4 Hierbei wird der Güterstand der Zugewinngemeinschaft aufgehoben und Gütertrennung vereinbart, um schenkungsteuerfrei (§ 5 Abs. 2 ErbStG) Vermögen zwischen den Ehegatten zu transferieren. Anschließend erfolgt in derselben oder, was vorzugswürdig ist, in einer späteren Urkunde die Rückkehr in die Zugewinngemeinschaft.5 (3) Herausnahme des Unternehmens aus dem Zugewinn

2.79

Der vollständige Ausschluss des Zugewinnausgleichs für alle Fälle, in denen der gesetzliche Güterstand nicht durch Tod oder durch Ehevertrag beendet wird, kann sich aus Sicht des Ehegatten, zu dessen Lasten der Ausschluss mutmaßlich wirkt, als zu weitgehend erweisen. Der Ehegatte wird durch eine solche Gestaltung im Scheidungsfall nicht nur von der Teilhabe an dem unternehmerischen Vermögen, sondern auch von derjenigen am Privatvermögen des Unternehmer-Ehegatten ausgeschlossen. Zur Sicherung des Unternehmens ist eine solche Gestaltung nicht zwingend erforderlich.6 Aus diesem Grund wird die Zugewinngemeinschaft in 1 Grziwotz, ZIP 2006, 9 (12). 2 Kanzleiter in MüKo8, § 1408 BGB Rz. 14; Hölscher, NJW 2016, 3057 (3061). 3 Brandt, RNotZ 2015, 117 (120 f.); dasselbe Ergebnis kann erzielt werden, wenn der Zugewinnausgleich nicht für den Fall der Beendigung des Güterstandes, sondern für den Fall der Beendigung der Ehe ausgeschlossen wird, s. zu einem solchen Formulierungsvorschlag Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 82. 4 Dazu aus steuerlicher Sicht BFH v. 12.7.2005 – II R 29/02, BStBl. II 2005, 843; s. demgegenüber zum „fliegenden Zugewinnausgleich“, der eine freigebige Zuwendung darstellt, BFH v. 28.6.2007 – II R 12/06, BStBl. II 2007, 785. 5 S. zu Einzelheiten der Güterstandsschaukel Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 483 ff. 6 Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 91; s. auch die Kritik von Dauner-Lieb, AcP 210 (2010), 580 (604); Stuhlfelner/Dauner-Lieb, FF 2011, 382.

74 | Cramer

B. Eherechtliche Fragestellungen | Rz. 2.81 Kap. 2

der Praxis häufig dahingehend modifiziert, dass lediglich das unternehmerische Vermögen des Unternehmer-Ehegatten bei der Berechnung des Zugewinnausgleichs aus der Betrachtung herausgenommen wird und im Übrigen ein Zugewinnausgleich stattfindet. Das unternehmerische Vermögen wird also kraft ehevertraglicher Gestaltung weder beim Anfangs- noch beim Endvermögen berücksichtigt.1 Eine derartige Modifizierung der Zugewinngemeinschaft geht nicht weiter, als es zur Sicherung des berechtigten Interesses des Unternehmer-Ehegatten am Schutz des Unternehmens geboten ist. Sie findet daher häufig die Akzeptanz des anderen Ehegatten. Allerdings stellt diese Gestaltungsvariante den Vertragsgestalter vor erhebliche Herausforderungen.2 Eine große Schwierigkeit besteht bereits darin, die aus dem Zugewinn ausgenommenen Vermögensbestandteile hinreichend präzise zu erfassen.3 Sofern eher allgemein gehaltene Formulierungen gewählt werden und z.B. pauschal „jegliches Betriebsvermögen“ aus dem Zugewinn ausgenommen wird,4 können sich erhebliche Abgrenzungsprobleme ergeben, da weder zivilrechtlich noch steuerlich ein eindeutiger Begriff des Betriebsvermögens existiert.5 Wird hingegen versucht, das von dem Zugewinnausgleich ausgenommene Vermögen möglichst präzise zu beschreiben, muss der Vertragsgestalter künftige Veränderungen der ausgenommenen Vermögensgegenstände bei der Vertragsgestaltung berücksichtigen. Soll beispielsweise eine zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses existierende Kommanditbeteiligung an einer KG von dem Zugewinnausgleich ausgenommen werden, ist an die Behandlung etwaiger Surrogate (z.B. eines Veräußerungserlöses) bei der Berechnung des Zugewinnausgleichs zu denken.6 Regelungsbedürftige Veränderungen können auch die Umwandlung des Unternehmens, eine Betriebsaufspaltung oder die Begründung von zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht vorhandenem Sonderbetriebsvermögen oder sonstigem zur langfristigen Nutzung überlassenen Vermögen sein.7

2.80

Der Regelungsbedarf geht jedoch über die Herausnahme des unternehmerischen Vermögens samt etwaigen Surrogaten hinaus. Auch die Behandlung von Verbindlichkeiten, Erträgen und Verwendungen bedarf einer Regelung im Ehevertrag. Hinsichtlich Verbindlichkeiten, die die ausgenommenen Aktiva betreffen, sollte festgehalten werden, dass sie ebenfalls aus dem Zugewinnausgleich herausgenommen sind.8 Andernfalls könnte sich der UnternehmerEhegatte durch Verbindlichkeiten „arm rechnen“, während die Aktiva, deren Finanzierung

2.81

1 C. Winkler, FPR 2006, 217 (218). 2 Vgl. Arens, FamRB 2006, 88 (89); Grziwotz, ZIP 2006, 9 (11). 3 Vgl. Werner, ZErb 2014, 65 (66); s. dazu etwa den Fall BGH v. 20.6.2018 – XII ZB 84/17, BeckRS 2018, 16247, in dem ein Hausgrundstück nur mit dem hälftigen Wert abzüglich der Belastungen für die Berechnung eines Zugewinnausgleichsanspruchs angesetzt werden sollte und die Ehegatten darüber stritten, ob der Abzug vom vollen Wert oder vom hälftigen Wert vorzunehmen war. 4 S. etwa die Formulierung im Fall BGH v. 26.3.1997 – XII ZR 250/95, NJW 1997, 2239; s. auch Stenger, ZEV 2000, 51 (54). 5 Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 502 ff.; C. Winkler, FPR 2006, 217 (218); Arens, FamRB 2006, 88 (89); Büte, FuR 2014, 338 (340); Brandt, RNotZ 2015, 117 (125); eher positiv hingegen die Einschätzung von Spiegelberger, Unternehmensnachfolge2, § 3 Rz. 52. 6 Dazu Plate, MittRhNotK 1999, 257 (265 f.). 7 C. Winkler, FPR 2006, 217 (218); s. im Überblick auch Münch in Wachter, Praxis des Handelsund Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 502. 8 Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 508; C. Winkler, FPR 2006, 217 (218); Brandt, RNotZ 2015, 117 (122).

Cramer | 75

Kap. 2 Rz. 2.81 | Familienrechtliche Strukturüberlegungen

die Verbindlichkeiten dienen, aus der Betrachtung ausgenommen wären.1 In welcher Weise Erträge des nichtausgleichspflichtigen Vermögens und Verwendungen aus dem ausgleichspflichtigen Vermögen auf das nichtausgleichspflichtige Vermögen bei der Berechnung des Zugewinnausgleichs berücksichtigt werden sollen, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab. In der Literatur und in der Beurkundungspraxis finden sich hierzu unterschiedliche Gestaltungsvarianten. Hinsichtlich der Erträge des nichtausgleichspflichtigen Vermögens kann etwa geregelt werden, dass diese insgesamt nicht ausgleichspflichtig,2 insgesamt ausgleichspflichtig oder dass sie nicht ausgleichspflichtig sind, wenn sie den unternehmerischen Bereich noch nicht verlassen haben oder auf einem separaten Konto angelegt wurden. Soweit die Erträge nicht ausgleichspflichtig sind, diese jedoch im Wesentlichen zur Bestreitung des Lebensunterhalts benötigt werden, kann hiervon wieder eine Ausnahme im Hinblick auf einen kalkulatorischen Unternehmerlohn gemacht werden.3 Auch bezüglich Verwendungen4, die aus dem ausgleichspflichtigen Vermögen auf das nichtausgleichspflichtige Vermögen gemacht werden, lassen sich Pauschallösungen (immer ausgleichspflichtig, nie ausgleichspflichtig) oder differenzierende Lösungen (z.B. nur ausgleichspflichtig, wenn binnen einer bestimmten Zeitspanne vor Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags erfolgt) finden.

2.82

Üblicherweise erfolgt bei Herausnahme einzelner Vermögensgegenstände aus dem Zugewinnausgleich auch eine Vereinbarung im Hinblick auf § 1378 Abs. 2 Satz 1 BGB dahingehend, dass das nichtausgleichspflichtige Vermögen als „vorhandenes“ Vermögen gilt. Andernfalls wäre möglicherweise nicht ausreichend Vermögen i.S.d. § 1378 Abs. 2 Satz 1 BGB vorhanden, wenn das ausgleichspflichtige Vermögen infolge von Verwendungen auf das nichtausgleichspflichtige Vermögen, die nach dem Ehevertrag aber ausgleichspflichtig sind, aufgezehrt wurde.5 Es empfiehlt sich auch die Aufnahme einer Vollstreckungsvereinbarung in der Weise, dass eine Vollstreckung in das nichtausgleichspflichtige Vermögen erst erfolgen darf, wenn die Vollstreckung in das ausgleichspflichtige Vermögen nicht erfolgreich war.6

2.83

In jedem Fall sollte an eine Regelung zum sog. „Umkippen“ der Ausgleichsrichtung gedacht werden.7 Wenn die Ehegatten die Herausnahme einzelner Vermögensgegenstände aus dem Zugewinnausgleich vereinbaren, gehen sie typischerweise davon aus, dass derjenige Ehegatte, der Vermögensgegenstände aus dem Zugewinnausgleich herausnimmt, im Zweifel auch der Ausgleichsschuldner sein wird. Sofern dies nicht der Fall ist, kann die Herausnahme des Vermögens dazu führen, dass sich der Ausgleichsanspruch des Unternehmer-Ehegatten weiter erhöht. Es ist sogar denkbar, dass der Unternehmer-Ehegatte infolge der Herausnahme der Vermögensgegenstände überhaupt erst ausgleichsberechtigt wird. Nachdem der BGH entschieden hat, dass dieses Ergebnis in Ermangelung einer ehevertraglichen Vereinbarung Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 93. Kritisch insoweit Werner, ZErb 2014, 65 (66). Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 509. Ehevertraglich sollte festgehalten werden, dass Verwendungen auch die Schuldentilgung erfassen, da der zivilrechtliche Verwendungsbegriff die Schuldentilgung nicht beinhaltet, s. dazu Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 510; C. Winkler, FPR 2006, 217 (218); Brandt, RNotZ 2015, 117 (123). 5 Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 512; C. Winkler, FPR 2006, 217 (219); Brandt, RNotZ 2015, 117 (123). 6 Brandt, RNotZ 2015, 117 (123 f.); s. den Formulierungsvorschlag bei Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 1200; für die Vereinbarung eines vollständigen Ausschlusses der Vollstreckung in das nichtausgleichspflichtige Vermögen Arens, FamRB 2006, 88. 7 C. Winkler, FPR 2006, 217 (219); Wenckstern, NJW 2014, 1335 (1337); Münch, FamRB 2014, 71 (73 f.); eingehend hierzu Reetz, DNotZ 2014, 85.

1 2 3 4

76 | Cramer

B. Eherechtliche Fragestellungen | Rz. 2.85 Kap. 2

grundsätzlich hinzunehmen ist,1 sollte im Zweifel eine Regelung aufgenommen werden, wonach ein Zugewinnausgleichsanspruch maximal in der Höhe besteht, wie er unter Berücksichtigung des nichtausgleichspflichtigen Vermögens des Unternehmer-Ehegatten bestehen würde.2 Alternativ kann auch jeder Zugewinnausgleichsanspruch des Unternehmer-Ehegatten ehevertraglich ausgeschlossen werden.3 Die vorstehenden Erwägungen zeigen, dass die Herausnahme einzelner Vermögensgegenstände aus dem Zugewinnausgleich ein komplexes Vorhaben ist. Die Gestaltung kann sich als maßgeschneiderte Lösung für die Ehegatten erweisen, sie bisweilen aber überfordern. Zudem ergeben sich aufgrund des Vorhandenseins von zwei Vermögensmassen für die Zwecke des Zugewinnausgleichs vielfältige Manipulationsmöglichkeiten.4 Werden etwa keine Regelungen zu Verwendungen getroffen oder werden Verwendungen auf das nichtausgleichspflichtige Vermögen pauschal für nicht ausgleichspflichtig erklärt, kann für den Unternehmer-Ehegatten der Anreiz bestehen, kurz vor der Einreichung eines Scheidungsantrags ausgleichspflichtiges Vermögen auf das herausgenommene Vermögen zu verwenden. Sind kraft der ehevertraglichen Vereinbarungen Erträge, sofern sie im Unternehmen verbleiben, nicht ausgleichspflichtig, besteht die Gefahr, dass der Unternehmer-Ehegatte Erträge auch entgegen der unternehmerischen Vernunft thesauriert. Der Berater sollte in jedem Fall auf derartige Manipulationsmöglichkeiten hinweisen5 und kautelarjuristische Vorsorge gegen solche Manipulationsmöglichkeiten treffen.6

2.84

(4) Modifizierung auch für den Todesfall In der Praxis wird häufig übersehen, dass die Modifizierung der gesetzlichen Regelungen zur Zugewinngemeinschaft (nur) für den Fall, dass der Güterstand auf andere Weise als durch den Tod eines Ehegatten oder als durch Ehevertrag endet, zu kurz greifen kann.7 Wird der Güterstand nämlich durch den Tod des Unternehmer-Ehegatten beendet, könnte der überlebende Ehegatte, wenn er nicht Erbe wird oder das ihm Zugewandte ausschlägt, über die güterrechtliche Lösung des § 1371 Abs. 2 BGB den konkreten Zugewinn verlangen. Eine Enterbung des Ehegatten oder die Vereinbarung eines Pflichtteilsverzichts ändern hieran nichts.8 Es drohen damit im Todesfall genau diejenigen Konsequenzen für das Unternehmen, die 1 BGH v. 17.7.2013 – XII ZB 143/12, NJW 2013, 2753. 2 S. zur schwierigen Formulierung einer solchen Begrenzungsklausel Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 93 f. 3 Arens, FamRB 2006, 88 (90); Werner, ZErb 2014, 65 (66); eher zurückhaltend Münch, FamRB 2014, 71 (74). 4 Grüßenmeyer in Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 15 Rz. 90; Grziwotz, ZIP 2006, 9 (12); Werner, ZErb 2014, 65 (66); Büte, FuR 2014, 338 (340 f.); s. auch Mayer, DStR 1993, 991 (993): „Zweikontenmodell für den Scheidungsfall“; zu Möglichkeiten, derartige Manipulationsmöglichkeiten zu begrenzen, Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 506 f. 5 Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 512; Hölscher, NJW 2016, 3057 (3061). 6 Wenckstern, NJW 2014, 1335 (1337); s. die Vorschläge bei Hölscher, NJW 2016, 3057 (3061); kritisch hingegen Grüßenmeyer in Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 15 Rz. 93. 7 Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 14; Spiegelberger, Unternehmensnachfolge2, § 3 Rz. 14; C. Winkler, ZErb 2005, 360 (361); s. aber Geck in Kapp/Ebeling, § 5 ErbStG Rz. 29, wonach die Herausnahme für den Scheidungsfall ausreichen soll und weitergehende Vereinbarungen meist über das Ziel hinausgingen. 8 Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 14.

Cramer | 77

2.85

Kap. 2 Rz. 2.85 | Familienrechtliche Strukturüberlegungen

durch die Modifizierung der Zugewinngemeinschaft für alle anderen Fälle vermieden werden sollen. Es kann daher erforderlich sein, dass die Modifikationen (Rz. 3.76 und Rz. 3.79) auch für den Fall des Todes des Unternehmer-Ehegatten vorgesehen werden müssen. Dies gilt insbesondere in Familiengesellschaften, bei denen die Ehegatten nicht zu den nachfolgeberechtigten Personen zählen, sodass sie auch erbrechtlich nicht oder allenfalls hinsichtlich des Privatvermögens bedacht werden.1 Beispiel:

2.86

E und F vereinbaren, dass die Beteiligung der F an der F-Familien-KG (Wert 10 Mio. Euro) für den Fall, dass die Zugewinngemeinschaft auf andere Weise als durch den Tod eines Ehegatten oder als durch Ehevertrag endet, sowohl beim Anfangs- als auch beim Endvermögen der F nicht berücksichtigt wird. E und F schließen einen gegenständlich beschränkten Pflichtteilsverzichtsvertrag, wonach E im Hinblick auf die Beteiligung der F auf sämtliche Pflichtteilsansprüche verzichtet. F setzt, da nur Abkömmlinge nachfolgeberechtigt sind, die beiden gemeinsamen Kinder K1 und K2 zu Erben ein und wendet E im Wege eines Vermächtnisses das gesamte Privatvermögen zu (Wert 500.000 Euro). E selbst hat keinen Zugewinn erwirtschaftet. Lösung:

2.87

Hier besteht die Möglichkeit, dass E das Vermächtnis ausschlägt und den Zugewinnausgleich gem. § 1371 Abs. 2 BGB verlangt. Der gegenständlich beschränkte Pflichtteilsverzicht beschränkt nur den daneben bestehenden Pflichtteilsanspruch (vgl. § 1371 Abs. 3 BGB). Sofern der Wert der Beteiligung ganz oder zu einem großen Teil Zugewinn darstellt, besteht damit die Gefahr einer hohen Ausgleichsforderung, die die Erben aus den liquiden Mitteln des Nachlasses möglicherweise nicht erfüllen können. Ehevertraglich sollte daher geregelt werden, dass die Beteiligung auch im Fall des Todes eines Ehegatten nicht bei der Berechnung des Zugewinns berücksichtigt wird. Zugleich zeigt der Fall, dass bei der ehevertraglichen Beratung immer auch das Erbrecht in den Blick genommen werden sollte. Soll etwa E Alleinerbe der F sein (weil keine Nachfolgebeschränkung bei der F-Familien-KG besteht), wäre eine Regelung für den Todesfall nicht zwingend erforderlich, weil dann typischerweise keine Ausschlagung und Geltendmachung der konkreten Zugewinnausgleichsforderung droht.

2.88

Die Modifikation der Zugewinngemeinschaft kann sogar so weit gehen, dass der Zugewinnausgleich insgesamt ausgeschlossen wird. Es kommt dann in keinem Fall, also weder im Scheidungsfall, im Todesfall noch in sonstigen Fällen, ein Zugewinnausgleich in Betracht. Eine solch „denaturierte“2 Zugewinngemeinschaft ist zulässig, denn es bleibt zumindest bei der Geltung der gesetzlichen Verfügungsbeschränkungen des gesetzlichen Güterstandes. § 1414 Satz 2 BGB steht dem nicht entgegen.3 Es sollten sogar alle Gestaltungen Anerkennung finden, auf deren Grundlage die Regelungen des gesetzlichen Güterstandes ausgeschlossen 1 Entgegen Grüßenmeyer in Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 15 Rz. 83 ist es zur Lösung dieses Problems nicht immer möglich, dem Ehegatten erbrechtlich so viel zuzuwenden, dass der (nach Ausschlagung) bestehende konkrete Zugewinnausgleichsanspruch samt kleinem Pflichtteil keinen Vorteil bietet; in diese Richtung aber auch Werner, ZErb 2014, 65 (67), der die Beurkundung eines Pflichtteilsverzichtsvertrages für ausreichend hält; jedenfalls dann, wenn das unternehmerische Vermögen (nahezu) vollständig Zugewinn ist und das Privatvermögen, das dem Ehegatten erbrechtlich zukommen kann, nur einen unwesentlichen Teil des Nachlasses ausmacht, kann ein Anreiz zur Ausschlagung und zur Geltendmachung des konkreten Zugewinnausgleichsanspruchs bestehen. 2 Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 79; Arens, FamRB 2006, 88. 3 Für die Zulässigkeit dieser Gestaltung Kanzleiter in MüKo7, § 1408 BGB Rz. 14; Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 69; C. Winkler, ZErb 2005, 360 (364); C. Winkler, FPR 2006, 217 (220); Keim, notar 2013, 115 (118); a.A. Bärmann, AcP 157 (1958/59), 145 (203); Kohler, BB 1959, 929 (933); anders auch Stenger, ZEV 2000, 51 (55).

78 | Cramer

B. Eherechtliche Fragestellungen | Rz. 2.89 Kap. 2

werden, sofern es bei zumindest einer gesetzlichen Regelung des gesetzlichen Güterstandes verbleibt, die die Zugewinngemeinschaft von der Gütertrennung unterscheidet. Daher kann zusätzlich zu dem vollständigen Ausschluss des Zugewinnausgleichs die – aus Sicht des Unternehmer-Ehegatten i.d.R. sinnvolle (Rz. 3.92) – Abbedingung des § 1365 BGB vereinbart werden, sofern es bei der Geltung des § 1369 BGB verbleibt. Sofern jedoch der Zugewinnausgleich insgesamt und auch alle Verfügungsbeschränkungen ausgeschlossen werden, kann von einer Zugewinngemeinschaft nicht mehr die Rede sein. Eine solche Gestaltung stellt de facto eine Gütertrennung dar und sollte auch als solche behandelt werden.1 Die Praxis kann sich behelfen, indem zumindest für den Todesfall nur der Zugewinnausgleich gem. § 1371 Abs. 2 und 3 BGB, nicht jedoch gem. § 1371 Abs. 1 BGB ausgeschlossen wird2 und der Zugewinnausgleich bei einem Güterstandswechsel durch Ehevertrag vorbehalten bleibt. Eine solche Gestaltung sollte ebenfalls als Zugewinngemeinschaft Anerkennung finden, auch wenn die erbrechtliche Lösung des § 1371 Abs. 1 BGB im Einzelfall (z.B. wegen eines abweichenden Testaments) nicht zum Tragen kommt.3 Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die Grenzen der zulässigen Modifikationen nicht mit hinreichender Sicherheit ausgelotet sind. Ob von der Zugewinngemeinschaft etwa auch dann noch die Rede sein kann, wenn ein Zugewinnausgleich nur bei Wechsel des Güterstandes durch Ehevertrag durchgeführt wird und im Übrigen, wie auch alle Verfügungsbeschränkungen, ausgeschlossen ist, ist nicht gesichert. Eine solche Gestaltung würde im Einzelfall zwar ggf. viele Vorteile in sich vereinigen (kein Zugewinnausgleich außer bei ggf. steuerlich motiviertem Güterstandswechsel, keine Verfügungsbeschränkungen, keine potentielle Erhöhung der Pflichtteilsansprüche der Kinder). Der vorsichtige Vertragsgestalter wird in Zweifelsfällen aber gleichwohl zur Vereinbarung einer Gütertrennung raten, wenn der gesetzliche Güterstand zu weitgehend entfremdet und kaum noch von der Gütertrennung zu unterscheiden ist.4 (5) Bewertungsvereinbarungen Der Ehevertrag kann sich darauf beschränken, Vereinbarungen zur Bewertung des unternehmerischen Vermögens vorzusehen, oder solche Vereinbarungen neben weiteren Abreden enthalten.5 Hierdurch kann u.U. Streit zwischen den Ehegatten hinsichtlich der für das unternehmerische Vermögen passenden Bewertungsmethode und der Anwendung der Methode im konkreten Fall vermieden werden.6 Empfehlenswert sind Verweise auf allgemein anerkannte Bewertungsmethoden wie z.B. den IDW-Standard. Dabei sollte klargestellt werden, ob es sich um einen statischen Verweis auf den Standard zum Zeitpunkt der Beurkundung oder um eine dynamische Verweisung handelt.7

1 C. Winkler, FPR 2006, 217 (220). 2 S. allerdings Grüßenmeyer in Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 15 Rz. 82 zu der Frage, ob in diesem Fall das Steuerprivileg des § 5 Abs. 1 ErbStG erhalten bleibt. 3 Dafür Langenfeld/Milzer, Handbuch der Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen8, Rz. 260; Keim, notar 2013, 115 (118); ebenso, allerdings nur im Hinblick auf die Gestaltung für den Todesfall, Kornexl, Nachlassplanung bei Problemkindern, Rz. 442. 4 So auch die Empfehlung von Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 1148. 5 Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 496 f.; Piltz/Wissmann, NJW 1985, 2673 (2677); C. Winkler, FPR 2006, 217 (221); Wenckstern, NJW 2014, 1335 (1337). 6 Konfliktpotential dürfte aber in Einzelfällen weiter bestehen, zutreffend Wenckstern, NJW 2014, 1335 (1337). 7 Vgl. C. Winkler, FPR 2006, 217 (221).

Cramer | 79

2.89

Kap. 2 Rz. 2.90 | Familienrechtliche Strukturüberlegungen

(6) Sonstige Modifizierungen

2.90

Neben den vorgenannten Modifikationen gibt es verschiedene weitere Gestaltungsvarianten, die dem Interesse des Unternehmer-Ehegatten am Unternehmensschutz Rechnung tragen können. So kann durch die Vereinbarung vom Gesetz abweichender Fälligkeitsregelungen1 Vorsorge dagegen getroffen werden, dass der Unternehmer-Ehegatte unmittelbar nach der Scheidung gezwungen ist, das Unternehmen oder Unternehmensteile zum Zwecke der Befriedigung der Ausgleichsforderung zu verwerten. Die Liquidität des Unternehmens kann ergänzend oder alternativ durch eine vertragliche Verringerung der Ausgleichsquote geschützt werden.2 Dasselbe Ziel lässt sich durch eine Deckelung der Höhe der Ausgleichsforderung erreichen, wobei der Ehevertrag einen festen oder variablen (ggf. gestaffelt nach Ehejahren) Höchstbetrag sowie eine Indexierung vorsehen kann.3 Diese Gestaltungsvarianten können zwar nicht alle Probleme des gesetzlichen Güterstandes lösen (z.B. Bewertungsfragen, Auskunftsansprüche).4 In vielen Fällen können sie aber eine für die Ehegatten sachgerechte Alternative zu den gängigen Gestaltungsvorschlägen sein.

2.91

Allerdings scheiden alle hier vorgestellten Gestaltungsvarianten aus, wenn der UnternehmerEhegatte an einer Gesellschaft beteiligt ist, die nach der gesellschaftsvertraglichen Güterstandsklausel insgesamt aus dem Zugewinnausgleich ausgenommen werden muss. In einem solchen Fall kann aber z.B. der Zugewinnausgleich vollständig ausgeschlossen und es können im Gegenzug vertragliche Kompensationsleistungen vorgesehen werden (z.B. Geldzahlung, Immobilienübertragung).5 Diese Gestaltung hat allerdings den steuerlichen Nachteil, dass der BFH die Kompensationsleistungen als freigebige Zuwendungen und damit als schenkungsteuerbaren Erwerb ansieht, weil nach Auffassung des BFH der Verzicht auf eine im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch nicht entstandene, erst zukünftig möglicherweise entstehende Ausgleichsforderung keinen in Geld bewertbaren Vermögenswert darstelle, sondern allenfalls eine bloße Erwerbschance verkörpere, die nicht in Geld veranschlagt werden könne und deshalb nach § 7 Abs. 3 ErbStG bei der Feststellung, ob eine Bereicherung vorliegt, nicht zu berücksichtigen sei.6 Bei der Gestaltung sollte daher beachtet werden, dass die Kompensationsverpflichtung frühestens mit der Eheschließung entsteht und fällig wird, da erst ab diesem Zeitpunkt die schenkungsteuerlichen Freibeträge für Ehegatten gelten. Auch darüber hinaus kann es aus steuerlichen Er-

1 Wenckstern, NJW 2014, 1335 (1337); eine solche Gestaltung wirft die Frage nach einer Verzinsung und Sicherung der Ausgleichsforderung auf, s. dazu Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 515 f.; C. Winkler, FPR 2006, 217 (221). 2 S. dazu Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 517 ff.; Mayer/ Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 116; C. Winkler, FPR 2006, 217 (220). 3 Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 520 ff.; Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 118; C. Winkler, FPR 2006, 217 (220). 4 Sieht der Ehevertrag einen Höchstbetrag vor, hat der Unternehmer-Ehegatte aber immerhin die Option, durch die Zahlung des Höchstbetrags eine Unternehmensbewertung und die Auskunftsansprüche des Ehegatten zu umgehen, s. auch BGH v. 31.1.2018 – XII ZB 175/17, NJW 2018, 950. 5 Für diese Gestaltung im Vergleich mit den verschiedenen Varianten der Herausnahme von Unternehmensvermögen aus dem Zugewinnausgleich Grüßenmeyer in Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 15 Rz. 95. 6 S. etwa BFH v. 24.8.2005 – II R 28/02, ZEV 2006, 41 (42 f.); BFH v. 28.6.2007 – II R 12/06, ZEV 2007, 500, 501; BFH v. 17.10.2007 – II R 53/05, DStR 2008, 348 (349); s. auch Grüßenmeyer in Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 15 Rz. 85; zu Recht ablehnend vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BGH zur Inhaltskontrolle von Eheverträgen Münch, FPR 2012, 302 (303 ff.); Münch, FamRB 2018, 247 (252); zu derselben Frage im Zusammenhang mit Scheidungsvereinbarungen Steiner, ErbStB 2012, 284.

80 | Cramer

B. Eherechtliche Fragestellungen | Rz. 2.94 Kap. 2

wägungen ratsam sein, die sofort entstehenden und fällig werdenden Kompensationsleistungen im Rahmen der Steuerfreibeträge zu halten und darüber hinausgehende Zuwendungen aufschiebend bedingt vorzusehen (vgl. § 9 ErbStG). Die Bedingung kann etwa darin liegen, dass die Ehe für einen bestimmten Zeitraum hält oder dass die Ehe geschieden wird.1 (7) Ausschluss von Verfügungsbeschränkungen Besonderer Aufmerksamkeit im Rahmen der Vertragsgestaltung bedürfen die gesetzlichen Verfügungsbeschränkungen der Zugewinngemeinschaft (Rz. 3.20). Da wegen § 1365 BGB aus unternehmerischer Sicht gebotene Verfügungen über das Unternehmen bzw. über eine Unternehmensbeteiligung an dem Widerstand des Ehepartners scheitern können, liegt es regelmäßig im Interesse des Unternehmer-Ehegatten, § 1365 BGB abzubedingen. Empfehlenswert und in der Praxis gebräuchlich ist es, das in § 1365 BGB enthaltene absolute Verfügungsverbot ehevertraglich vollständig auszuschließen.2 Es ist aber ebenfalls denkbar, die Norm lediglich insoweit abzubedingen, als Verfügungen über Unternehmen bzw. Unternehmensbeteiligungen im Allgemeinen oder Verfügungen über ein konkretes Unternehmen bzw. eine konkrete Unternehmensbeteiligung nicht der Einwilligung des Ehegatten bedürfen.3 In diesem Fall ist die Reichweite der Befreiung von den Beschränkungen des § 1365 BGB zu klären und sorgfältig zu formulieren. Es muss insbesondere festgelegt werden, ob die Ausnahme auch für die Surrogate und für Gegenstände gilt, die der Gesellschaft lediglich zur Nutzung überlassen sind. Obwohl aus Sicht des Unternehmensschutzes nicht zwingend geboten, wird in der Praxis typischerweise auch die in § 1369 BGB enthaltene Verfügungsbeschränkung für eheliche Haushaltsgegenstände vollständig ausgeschlossen.

2.92

Formulierungsvorschlag: Wir vereinbaren den Ausschluss der gesetzlichen Verfügungsbeschränkungen der Ehegatten, das heißt jeder von uns ist während der Dauer unserer Ehe berechtigt, über das ihm gehörende Vermögen, auch über sein Vermögen im Ganzen und die ihm gehörenden Gegenstände des ehelichen Haushalts, frei und ohne Zustimmung des anderen Ehegatten zu verfügen und sich zu solchen Verfügungen zu verpflichten.

2.93

(8) Erstellung eines Vermögensverzeichnisses Wird der Zugewinnausgleich nicht vollständig ausgeschlossen, empfiehlt sich regelmäßig die Erstellung eines Verzeichnisses des Anfangsvermögens (§ 1377 BGB).4 Hiervon wird in der 1 S. zu Gestaltungsvorschlägen Münch, FPR 2012, 302 (305); auch dann, wenn die Kompensation aufschiebend bedingt auf die Scheidung erfolgt, dürfte auf der Grundlage der Rechtsprechung des BFH von einer (zum Zeitpunkt der Scheidung) freigebigen Zuwendung auszugehen sein, d.h. ein (hypothetischer) Zugewinnausgleichsanspruch, der zu diesem Zeitpunkt errechnet werden könnte, kann selbst in diesem Fall nicht als Gegenleistung angesehen werden, weil der Zugewinnausgleichsanspruch gerade ausgeschlossen wurde und nicht zur Entstehung gelangt. Aus steuerlicher Sicht ist daher die Deckelung des Zugewinnausgleichsanspruchs die günstigere Gestaltung. 2 Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 84; Langenfeld/Milzer, Handbuch der Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen8, Rz. 266; C. Winkler, FPR 2006, 217 (221); eher zurückhaltend Brandt, RNotZ 2015, 117 (121). 3 S. zu Formulierungsvorschlägen Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 25 f. 4 Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 102; Münch, MittBayNot 2009, 261 (267).

Cramer | 81

2.94

Kap. 2 Rz. 2.94 | Familienrechtliche Strukturüberlegungen

Praxis zwar nur selten Gebrauch gemacht. Im Scheidungsfall bestehen nach langer Ehedauer aber häufig erhebliche Schwierigkeiten, das Anfangsvermögen zu rekonstruieren. Die Vermutung des § 1377 Abs. 3 BGB kann dann zu einer erheblichen Mehrbelastung des ausgleichsverpflichteten Ehegatten führen. Die Errichtung eines Verzeichnisses hilft auch im Todesfall, die (fiktive) Zugewinnausgleichsforderung, die gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 ErbStG erbschaftsteuerfrei ist, nachzuweisen. Steuerlich findet die Vermutung des § 1377 Abs. 3 BGB wegen § 5 Abs. 1 Satz 3 ErbStG nämlich keine Anwendung.1 cc) Ausschluss von Ansprüchen des Nebengüterrechts

2.95

Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Regelungen zu den Ansprüchen des Nebengüterrechts. Vereinbaren die Ehegatten Gütertrennung oder schließen sie den Zugewinnausgleich jedenfalls für den Scheidungsfall aus, besteht aus Sicht des Unternehmer-Ehegatten die Gefahr, dass über das Nebengüterrecht im Wege eines „Quasi-Zugewinnausgleichs“2 ein Ergebnis erzielt wird, mit welchem bei Abschluss des Ehevertrages kein Ehegatte gerechnet hat.3 Im Normalfall sollten daher sämtliche Ansprüche des Nebengüterrechts ausgeschlossen werden.4 Rückforderungsrechte, Vergütungsansprüche oder sonstige Ansprüche bestehen dann nur, wenn die Ehegatten im Einzelfall ausdrücklich etwas anderes vereinbart haben. Wenn bereits bei Beurkundung absehbar ist, dass dies für einen der Ehegatten ein unangemessenes Ergebnis ist (z.B. bei Mitarbeit im Unternehmen), sollte sogleich auf den Abschluss einer ausdrücklichen Vereinbarung hingewirkt werden (z.B. Arbeitsvertrag). In allen anderen Fällen sind die Ehegatten darauf hinzuweisen, an den Abschluss einer Vereinbarung zu denken, wenn eine Tätigkeit (jedenfalls für den Scheidungsfall) nur gegen Zahlung einer Vergütung erfolgen soll bzw. wenn Rückforderungsrechte bestehen sollen.

Formulierungsvorschlag: 2.96

Bei Scheidung unserer Ehe oder einer dauerhaften Trennung schließen wir hiermit jede Korrektur der Vermögenszuordnung und jeden Ausgleich für Zuwendungen, Arbeitskraft oder sonstige Leistungen aus. Schenkungen, ehebedingte Zuwendungen oder sonstige Zuwendungen und Leistungen, gleich welcher Art, die ein Ehegatte dem anderen hat zukommen lassen, können aus keinem Rechtsgrund zurückgefordert werden, insbesondere nicht wegen groben Undanks oder Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Auch eine Vergütung, insbesondere für Arbeitsleistungen eines Ehegatten, sowie Ansprüche aus einer stillschweigend geschlossenen Ehegatteninnengesellschaft sind ausgeschlossen. Vorstehendes gilt nicht, soweit wir ausdrücklich privatschriftlich etwas anderes vereinbaren bzw. vereinbaren werden, insbesondere also bei der jeweiligen Zuwendung ein entsprechendes Rückforderungsrecht bzw. eine Ausgleichspflicht oder eine Ehegatteninnengesellschaft.

dd) Deutsch-französischer Wahlgüterstand

2.97

Mit der Wahl-Zugewinngemeinschaft („WZG“) gem. § 1519 BGB steht heute neben der Zugewinngemeinschaft, der Gütertrennung und der (hier nicht näher behandelten) Gütergemeinschaft (§§ 1415 ff. BGB) ein vierter Güterstand zur Verfügung. Für die WZG gelten 1 S. hierzu auch Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 14. 2 Herr, NJW 2012, 1847 (1848); Falkner, DNotZ 2013, 586 (587). 3 Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 165; Brandt, RNotZ 2015, 117 (121); s. dazu, allerdings im Zusammenhang mit einer Scheidungsfolgenvereinbarung den Fall BGH v. 28.9.2005 – XII ZR 189/02, DNotZ 2006, 531. 4 Kritisch jedoch Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 140.

82 | Cramer

B. Eherechtliche Fragestellungen | Rz. 2.99 Kap. 2

§ 1368 BGB (vgl. § 1519 Satz 2 BGB) und im Übrigen die Bestimmungen des Abkommens über den Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft zwischen Deutschland und Frankreich vom 4.2.2010 („WZGA“). Der Güterstand ist entgegen dem ersten Eindruck nicht auf deutsch-französische Ehepaare beschränkt. Er kann durch Ehevertrag (§ 1519 Satz 1 BGB, Art. 3 Abs. 1 WZGA) gewählt werden, wenn der Güterstand dem Sachrecht eines der beiden Vertragsstaaten unterliegt (Art. 1 Satz 1 WZGA).1 Ehevertragliche Modifizierungen der WZG sind in ähnlicher Weise möglich, wie dies auch bei der deutschen Zugewinngemeinschaft denkbar ist (vgl. Art. 3 Abs. 3 WZGA, der Abweichungen allerdings nur von Kapitel V gestattet).2 Die WZG weist gegenüber der deutschen Zugewinngemeinschaft eine Reihe von Besonderheiten auf. Hervorzuheben ist etwa3, dass ein pauschaler Zugewinnausgleich durch Erhöhung des Erbanteils in der WZG nicht vorgesehen ist (s. demgegenüber § 1371 Abs. 1 BGB), sondern auch im Todesfall ein güterrechtlicher Ausgleich stattfindet.4 Dies kann im Einzelfall zur Reduzierung von Pflichtteilsansprüchen der Abkömmlinge führen bzw. genutzt werden.5 Wertsteigerungen von Grundstücken sind gem. Art. 9 Abs. 2 Satz 1 WZGA vom Zugewinnausgleich ausgenommen (s. aber Art. 9 Abs. 2 Satz 3 WZGA). Gemäß Art. 5 WZGA besteht eine (dinglich wirkende und nicht durch Gutgläubigkeit des Erwerbers zu überwindende!) Verfügungsbeschränkung im Hinblick auf die Familienwohnung.6

2.98

Die WZG führt derzeit ein Schattendasein und ist in der Praxis fast nicht zu beobachten.7 Während einige Autoren ihre Existenzberechtigung in Frage stellen bzw. zumindest von der Vereinbarung der WZG abraten,8 sehen andere zumindest in Spezialfällen einen praktischen Anwendungsbereich für die WZG.9 Letzteres gilt nach Auffassung mancher Autoren auch für Unternehmerehen.10 Für den Unternehmer-Ehegatten vorteilhaft ist etwa, dass eine dem § 1365 BGB entsprechende Regelung in der WZG nicht existiert.11 Für den UnternehmerEhegatten im Einzelfall günstig können sich zudem Art. 8 Abs. 3 Nr. 2, Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 lit. b WZGA auswirken. Gegenstände, die aus dem Anfangsvermögen an Verwandte gerader Linie verschenkt werden, sind danach vom Anfangsvermögen abzuziehen und dem

2.99

1 S. zum persönlichen Anwendungsbereich Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 470 ff.; Hoischen, RNotZ 2015, 317 (319 f.). 2 Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 479, 506; Hoischen, RNotZ 2015, 317 (323). 3 S. näher Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 495 ff.; Langenfeld/Milzer, Handbuch der Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen8, Rz. 388. 4 Hoischen, RNotZ 2015, 317 (337 f.). 5 S. näher zu den erbrechtlichen Auswirkungen Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 499 ff.; Jäger, DNotZ 2010, 804 (824); Jünemann, ZEV 2013, 353 (359 f.); Hoischen, RNotZ 2015, 317 (339 f.). 6 Dies ist ein erhebliches Problem im Hinblick auf die Praxis der Beurkundung von Immobilienkaufverträgen, s. näher Langenfeld/Milzer, Handbuch der Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen8, Rz. 394; Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 485 ff.; Amann, DNotZ 2013, 252. 7 Hoischen, RNotZ 2015, 317 (318); Knoop, NJW-Spezial 2016, 708. 8 Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 511. 9 Langenfeld/Milzer, Handbuch der Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen8, Rz. 393; Hoischen, RNotZ 2015, 317 (320 f.); s. speziell aus erbrechtlichen Erwägungen Jünemann, ZEV 2013, 353 (361). 10 Langenfeld/Milzer, Handbuch der Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen8, Rz. 392 f., 1034; in diese Richtung auch Hoischen, RNotZ 2015, 317 (338). 11 Vgl. Hoischen, RNotZ 2015, 317 (332).

Cramer | 83

Kap. 2 Rz. 2.99 | Familienrechtliche Strukturüberlegungen

Endvermögen nicht hinzuzurechnen,1 und zwar im Hinblick auf das Endvermögen2 – insofern anders als in der deutschen Zugewinngemeinschaft (§ 1375 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB) – auch ohne Zustimmung des Ehegatten oder Ablauf der Zehnjahresfrist (§ 1375 Abs. 3 BGB).3 Der Unternehmer-Ehegatte muss damit nicht fürchten, dass das Unternehmen trotz der Übertragung auf einen Verwandten gerader Linie ohne Zustimmung des Ehepartners oder vor Ablauf der Zehnjahresfrist dem Endvermögen hinzugerechnet wird und damit seinen Zugewinn möglicherweise erhöht (anders im Hinblick auf Wertzuwächse infolge von Verbesserungen aus Vermögen, das nicht Anfangsvermögen ist, Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 lit. b Satz 2 WZGA).4

2.100

Gleichwohl ist nach Abwägung aller Interessen zumindest derzeit von der Wahl der WZG abzuraten. Da es sich um einen „neuen“ Güterstand handelt und viele Fragen aufgrund seiner geringen Verbreitung auf absehbare Zeit nicht geklärt werden dürften, stellt die Entscheidung für die WZG ein Wagnis dar, das insbesondere im Unternehmerbereich nicht eingegangen werden sollte.5 Zudem lassen sich auch durch die Modifizierung der deutschen Zugewinngemeinschaft sinnvolle Ergebnisse erzielen,6 sodass ein zwingendes praktisches Bedürfnis für die Verwendung der WZG derzeit nicht festzustellen ist. b) Gestaltungen im Bereich des Versorgungsausgleichs

2.101

Die Ehegatten können Vereinbarungen hinsichtlich des Versorgungsausgleichs treffen (§ 6 Abs. 1 Satz 1 VersAusglG). Derartige Vereinbarungen sind zwar nicht aus Gründen des Un1 S. demgegenüber Langenfeld/Milzer, Handbuch der Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen7, Rz. 366 ff. zur Diskussion, ob § 1375 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB auch dann gilt, wenn die Zuwendung aus Anfangsvermögen oder durch Ehevertrag ausgenommenem Vermögen stammt; zu Recht gegen die Überlegungen dort Cziupka in BeckOK, § 1375 BGB Rz. 74; anders jetzt auch Langenfeld/Milzer, Handbuch der Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen8, Rz. 390. 2 Einen Abzug des verschenkten Unternehmens vom Anfangsvermögen gibt es in der deutschen Zugewinngemeinschaft nicht, s. Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 496. 3 Im Einzelfall können die Regelungen der WZG, was von den Anhängern der WZG wohl nicht bedacht wird, aus Unternehmersicht aber auch nachteilig gegenüber dem gesetzlichen Güterstand sein, etwa dann, wenn das verschenkte Unternehmen während der Ehe eine erhebliche Wertminderung erfahren hat. In diesem Fall wird im gesetzlichen Güterstand nämlich „nur“ der geminderte Unternehmenswert dem Endvermögen zugerechnet (§ 1376 Abs. 2 BGB), während der erhöhte Wert im Anfangsvermögen verbleibt. In der WZG kann die Ausgleichsforderung in diesem Fall infolge des Abzugs des verschenkten Gegenstandes vom Anfangsvermögen (in der zu diesem Stichtag noch nicht wertgeminderten Höhe) höher ausfallen. 4 S. auch Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 496. 5 Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 506, 1317; Süß, ZErb 2010, 281 (284); s. auch Koch in MüKo8, Vorb. WZGA-F Rz. 6. 6 Koch in MüKo8, Vorb. WZGA-F Rz. 5; Bergschneider, Verträge in Familiensachen6, Rz. 729o; Süß, ZErb 2010, 281 (284); Stürner, JZ 2011, 545 (550); Braun, MittBayNot 2012, 89 (94); hiervon gibt es allerdings Ausnahmen; so kann die (allerdings ohnehin kritisch zu bewertende) Verfügungsbeschränkung des Art. 5 Abs. 1 WZGA im Hinblick auf das Familienheim nicht mit dinglicher Wirkung (§ 137 BGB) vereinbart werden und auch nicht geregelt werden, dass dem überlebenden Ehegatten beim Tod seines Ehegatten der konkrete Zugewinnausgleichsanspruch zusteht, obwohl er Erbe wird oder ihm ein Vermächtnis zusteht, s. Süß, ZErb 2010, 281 (285); Hoischen, RNotZ 2015, 317 (320); Knoop, NJW-Spezial 2016, 708 (709); nach zutreffender, aber umstrittener Auffassung ist auch § 1375 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB abdingbar, s. Brudermüller in Palandt79, § 1375 BGB Rz. 24; für die Abdingbarkeit von § 1375 Abs. 2 Satz 1 BGB insgesamt Koch in MüKo8, § 1375 BGB Rz. 53.

84 | Cramer

B. Eherechtliche Fragestellungen | Rz. 2.103 Kap. 2

ternehmensschutzes erforderlich (Rz. 3.31). Sie können jedoch angebracht sein, wenn der Zugewinnausgleich zugunsten des Unternehmer-Ehegatten ausgeschlossen oder modifiziert ist und der Unternehmer-Ehegatte, der selbst (fast) ausschließlich durch Vermögensbildung Vorsorge betreibt, über den Versorgungsausgleich an den Anrechten des NichtunternehmerEhegatten partizipieren würde. In diesem Fall kann sich ein vollständiger Verzicht auf den Versorgungsausgleich anbieten, wobei in diesem Zusammenhang aber auch stets an das Erfordernis von Kompensationsleistungen zu denken ist (Rz. 3.48).

Formulierungsvorschlag: Wir schließen für den Fall der Scheidung unserer Ehe die Durchführung des gesetzlichen Versorgungsausgleichs aus. Auch eine Änderung dieser Vereinbarung durch das Familiengericht soll ausgeschlossen sein. Wir nehmen die vorstehenden Erklärungen wechselseitig an. Eine Vereinbarung oder Veränderung unseres Güterstands wollen wir mit diesem Verzicht ausdrücklich nicht treffen. Der Ausschluss des Versorgungsausgleichs enthält keinen Verzicht auf den Altersvorsorgeunterhalt, soweit auf diesen nicht in dieser Urkunde verzichtet wird.

2.102

Der Verzicht kann auch nur für den Fall angeordnet werden, dass der Unternehmer-Ehegatte bei einem Vergleich der korrespondierenden Kapitalwerte i.S.d. § 47 VersAusglG1 derjenige ist, der die Anrechte mit dem insgesamt niedrigeren Betrag hat.2 Die Regelung ist insofern für den Nichtunternehmer-Ehegatten günstiger, als der Versorgungsausgleich bei dieser Formulierung durchgeführt wird, wenn der Unternehmer-Ehegatte wider Erwarten doch in der Summe Anrechte mit einem höheren Wert erwirtschaftet. Eine solche Gestaltung kann gerade bei jungen Ehegatten sinnvoll sein, wenn ungewiss ist, ob der Unternehmer-Ehegatte tatsächlich lebenslang unternehmerisch tätig ist oder ggf. doch irgendwann in einem Anstellungsverhältnis oder durch private Rentenvorsorge in erheblichem Umfang ausgleichspflichtige Anrechte erwirbt.3 Der uneingeschränkte Ausschluss des Versorgungsausgleichs hält dann u.U. auch einer Ausübungskontrolle nicht stand. Allerdings wird verschiedentlich bezweifelt, ob der korrespondierende Kapitalwert ein geeignetes und praxistaugliches Vergleichskriterium ist.4 Wer derartige Fragestellungen vermeiden will, kann dasselbe wirtschaftliche Ergebnis erreichen, indem ein vollständiger Verzicht auf den Versorgungsausgleich vereinbart, dem Nichtunternehmer-Ehegatten aber ein Rücktrittsrecht hinsichtlich des vereinbarten Verzichts zugebilligt wird, sodass infolge des Rücktritts der Versorgungsausgleich durchgeführt wird (mit Wirkung ex nunc oder ex tunc).5 Hinsichtlich weiterer Gestaltungsmöglichkeiten wird auf die weiterführende Literatur verwiesen.6

2.103

1 S. dazu, ob auf § 47 Abs. 1 VersAusglG oder auf § 47 VersAusglG insgesamt verwiesen werden sollte, Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 3562. 2 S. Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 542 f. sowie Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 3555 ff., jeweils mit Formulierungsvorschlag. 3 Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 3544. 4 Kemper, ZFE 2011, 179 (180); aufgeschlossen jedoch Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 3497. 5 Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 542; Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 214; Kemper, ZFE 2011, 179 (186); s. auch den Formulierungsvorschlag von Langenfeld/Milzer, Handbuch der Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen8, Rz. 729, wonach auch dem Unternehmer-Ehegatten ein Rücktrittsrecht eingeräumt wird, wenn er seine unternehmerische Tätigkeit aufgibt. 6 S. etwa Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 186 ff.; Langenfeld/Milzer, Handbuch der Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen8, Rz. 721 ff.; Kemper, ZFE 2011, 179.

Cramer | 85

Kap. 2 Rz. 2.104 | Familienrechtliche Strukturüberlegungen

c) Gestaltungen im Bereich des nachehelichen Unterhalts

2.104

Interessen des Unternehmensschutzes verlangen es nicht zwingend, die gesetzlichen Regelungen zum nachehelichen Unterhalt abzubedingen oder einzuschränken. Vor dem Hintergrund der Inhaltskontrolle von Eheverträgen sollte daher sorgfältig geprüft werden, ob Modifikationen in diesem Bereich vorgenommen werden sollten, zumal dann, wenn bereits (kompensationslose) Einschränkungen des Zugewinnausgleichs sowie des Versorgungsausgleichs vorgesehen sind. Sollen gleichwohl Vereinbarungen getroffen werden, kommt eine Vielzahl an Gestaltungsmöglichkeiten in Betracht. Nacheheliche Unterhaltsansprüche können vollständig1 oder mit Ausnahme einzelner Unterhaltstatbestände2 ausgeschlossen, höhenmäßig beschränkt3, (ggf. abhängig von der Ehedauer) befristet4 oder verlängert werden (unterhaltsverstärkende Vereinbarungen).5 Unterhaltsverzichte oder -beschränkungen können aufschiebend oder auflösend bedingt vereinbart oder unter Rücktrittsvorbehalt gestellt werden.6 Es können einzelne Einkünfte, etwa die Erträge des Unternehmens, das ggf. auch aus dem Zugewinn ausgenommen ist, aus der Unterhaltsberechnung ausgeschlossen werden.7 Im unternehmerischen Bereich, vor allem bei weit überdurchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen, besteht bisweilen auch der Wunsch, das nacheheliche Unterhaltsrecht vollständig auszuschließen und einen konkret bezifferten vertraglichen Unterhaltsanspruch an dessen Stelle zu setzen.8 Auf diese Weise kann dem Unterhaltsberechtigten beispielsweise unter Anknüpfung an eine Referenzvergütung, etwa eine bestimmte Besoldungsstufe für Beamte,9 ein Unterhaltsanspruch zugesprochen werden. Derartige Vereinbarungen haben für den Unterhaltsschuldner den Vorteil, dass sich in ihrer Folge die gesetzlichen unterhaltsrechtlichen Auskunftsansprüche erübrigen, denn Auskünfte sind für den Unterhaltsberechtigten nicht erforderlich, wenn der Unternehmer-Ehegatte nicht den gesetzlichen, sondern einen vertraglichen Unterhalt schuldet und diesen leistet.10

1 Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 527 ff. sowie Rz. 531 zur Zulässigkeit des Verzichts auch auf den Kindesbetreuungsunterhalt gem. § 1570 BGB. 2 Etwa mit Ausnahme des Kindesbetreuungsunterhaltsanspruchs, wobei dann klarzustellen ist, ob sich der Vorbehalt auf alle oder nur einzelne der Tatbestände des § 1570 BGB sowie auf § 1573 Abs. 2 BGB erstreckt, soweit dieser Anspruch neben § 1570 BGB besteht, s. Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 530 ff. 3 Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 534 f. 4 Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 537 ff. 5 Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 361 ff. 6 Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 346. 7 Mayer/Reetz in Würzburger Notarhdb.5, Teil 3 Kap. 1 Rz. 371; Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 261. 8 Münch, Ehebezogene Rechtsgeschäfte4, Rz. 3105 ff. 9 S. etwa das Formulierungsbeispiel bei Grüßenmeyer in Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 15 Rz. 106. 10 Grüßenmeyer in Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 15 Rz. 103; s. auch Münch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 18 Rz. 535 im Zusammenhang mit der Vereinbarung von Unterhaltshöchstgrenzen; hieran ändert auch die Entscheidung BGH v. 15.11.2017 – XII ZB 503/16, DNotZ 2018, 530 nichts, denn der BGH hält weiter daran fest, dass die Auskunft nicht geschuldet ist, wenn die begehrte Auskunft den Unterhaltsanspruch oder die Unterhaltsverpflichtung unter keinem Gesichtspunkt beeinflussen kann.

86 | Cramer

C. Beteiligung von Minderjährigen | Rz. 2.107 Kap. 2

C. Beteiligung von Minderjährigen I. Motive Von Seiten des Übergebers besteht teilweise der Wunsch, die Unternehmensnachfolge bereits zu einem Zeitpunkt einzuleiten, zu dem der bzw. einzelne Unternehmensnachfolger noch minderjährig sind. Es geht in diesen Fällen i.d.R. nicht um die vollständige Übernahme des Unternehmens durch den minderjährigen Nachfolger, sondern um die Einräumung einer Beteiligung an der unternehmenstragenden Gesellschaft. Die Motivation hierfür ist im Regelfall eine steuerrechtliche.1 Durch die frühzeitige Beteiligung des Nachfolgers können die schenkungsteuerlichen Freibeträge ggf. mehrfach ausgenutzt (§ 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG) und ertragsteuerlich der Grundfreibetrag (§ 32a Abs. 1 Nr. 1 EStG) sowie Progressionsvorteile in Anspruch genommen werden („Familiensplitting“).2 Zivilrechtlich kann durch die frühzeitige Übertragung u.U. die Höhe der Pflichtteilsansprüche reduziert werden (§ 2325 Abs. 3 BGB).3

2.105

Dieser Zielsetzung stehen jedoch potentielle Nachteile gegenüber. Ein Nachteil liegt bereits darin, dass die Aufnahme des Minderjährigen in die Gesellschaft in den meisten Fällen die Hinzuziehung eines Ergänzungspflegers erforderlich macht und/oder der familiengerichtlichen Genehmigung bedarf. Zudem können die Eltern das minderjährige Kind, wenn mindestens ein Elternteil Mitgesellschafter ist, zumindest bei Grundlagenbeschlüssen in der Gesellschaft nicht vertreten, sodass mit der Aufnahme des Minderjährigen ein Verlust an Flexibilität in der Gesellschafterversammlung einhergehen kann.4 Ob das in die Gesellschaft aufgenommene minderjährige Kind tatsächlich ein „würdiger“ Unternehmensnachfolger ist, lässt sich zu einem solch frühen Zeitpunkt regelmäßig auch nicht sicher beurteilen.5 Zudem darf nicht übersehen werden, dass im Fall der Trennung der Eltern die gemeinsame Sorge zwar grundsätzlich bestehen bleibt, das Familiengericht auf Antrag aber etwas anderes anordnen kann (§ 1671 BGB), sodass der Unternehmer-Ehegatte bereits vor der Vollendung des 18. Lebensjahres des Kindes faktisch die Kontrolle über die aus der Hand gegebene Unternehmensbeteiligung verlieren kann.6 Dem Vorteil des sog. Familiensplittings kann als Nachteil der Verlust der Mitversicherung in der Familienversicherung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V) gegenüberstehen.7 Die Entscheidung zur Aufnahme eines minderjährigen Unternehmensnachfolgers sollte daher nicht vorschnell, sondern erst nach einer umfassenden Interessenabwägung erfolgen.

2.106

Im Folgenden sollen zunächst die Grundlagen zur gesetzlichen Vertretung Minderjähriger sowie zur familiengerichtlichen Genehmigungsbedürftigkeit gelegt werden (II.) Sodann werden die Fälle der Gesellschaftsgründung (III.) und des Eintritts des Minderjährigen in eine bestehende Gesellschaft (IV.) in den Blick genommen. Zuletzt werden Besonderheiten angesprochen, die sich innerhalb einer Gesellschaft ergeben, an der ein Minderjähriger beteiligt ist (V.).

2.107

1 Riedel in Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 12 Rz. 22; Hohaus/Eickmann, BB 2004, 1707; Gebele, BB 2012, 728. 2 Riedel in Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 12 Rz. 23; Ivo in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 19 Rz. 1; Reimann, DNotZ 1999, 179; Lohse/Triebel, ZEV 2000, 337 f.; Hohaus/Eickmann, BB 2004, 1707. 3 Reimann, DNotZ 1999, 179. 4 Everts in Herrler, Gesellschaftsrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, § 18 Rz. 1. 5 Rust, DStR 2005, 1942; Gebele, BB 2012, 728 (729). 6 Reimann, DNotZ 1999, 179 (181). 7 Büchel, Beteiligung von Minderjährigen an Familiengesellschaften, S. 10 f.

Cramer | 87

Kap. 2 Rz. 2.108 | Familienrechtliche Strukturüberlegungen

II. Gesetzliche Vertretung und familiengerichtliche Genehmigungsbedürftigkeit 1. Gesetzliche Vertretung 2.108

In allen Fällen der Unternehmensnachfolge, in denen Minderjährige beteiligt sind, sind zwei Fragen zu unterscheiden, die nicht immer streng voneinander getrennt werden1: Kann der gesetzliche Vertreter das minderjährige Kind bei dem Vorgang vertreten oder ist ein Ergänzungspfleger zu bestellen? Und: Bedarf der Vorgang der familiengerichtlichen Genehmigung?

2.109

Minderjährige werden durch ihre gesetzlichen Vertreter vertreten. Die Vertretung erfolgt durch beide Eltern (§ 1629 Abs. 1 Satz 2 BGB) oder, nach Maßgabe von § 1629 Abs. 1 Satz 3 BGB, d.h. insbesondere wenn ein Elternteil das Sorgerecht allein ausübt (z.B. kraft Anordnung durch Verfügung von Todes wegen gem. § 1638 Abs. 3 BGB) oder ihm das Sorgerecht allein zusteht (z.B. infolge Todes des anderen Elternteils, § 1680 BGB), durch den allein zuständigen Elternteil.2 Ist das Kind geschäftsunfähig (§ 104 Nr. 1 BGB), müssen Willenserklärungen zwingend durch die Eltern abgegeben werden, die Erklärung des Geschäftsunfähigen wäre nichtig (§ 105 Abs. 1 BGB; zum Zugang s. § 131 Abs. 1 BGB). Ist das Kind zumindest beschränkt geschäftsfähig (§ 106 BGB), können Willenserklärungen auch von ihm selbst abgegeben werden, bedürfen dann jedoch grundsätzlich der Einwilligung bzw. der Genehmigung der Eltern (§ 107 BGB). Steht der Minderjährige nicht unter elterlicher Sorge (z.B. infolge des Todes beider Elternteile) oder sind die Eltern weder in den die Person noch in den das Vermögen betreffenden Angelegenheiten zur Vertretung des minderjährigen Kindes berechtigt (z.B. bei gerichtlicher Entziehung der gesamten elterlichen Sorge, § 1666 BGB)3, erhält das Kind einen Vormund (§ 1773 Abs. 1 BGB)4, der das Kind grundsätzlich ebenso wie die Eltern5 vertritt (§ 1793 Abs. 1 Satz 1 BGB).

2.110

Die gesetzliche Vertretung durch die Eltern erfährt in § 1629 Abs. 2 Satz 1 BGB eine praktisch wichtige Ausnahme. Danach können die Eltern das Kind insoweit nicht vertreten, als nach § 1795 BGB ein Vormund von der Vertretung des Kindes ausgeschlossen ist. Dies beinhaltet insbesondere alle Fälle, in denen die Eltern selbst Vertragsbeteiligte sind oder zugleich als Vertreter eines Dritten (z.B. auch eines anderen Kindes!) handeln (§§ 1795 Abs. 2, 181 BGB). Der Ausschluss von der gesetzlichen Vertretung gilt auch dann zulasten beider Elternteile, wenn nur einer von ihnen an dem Vertrag beteiligt ist und die Vertretung durch den „unbe-

1 Everts in Herrler, Gesellschaftsrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, § 18 Rz. 19; Maier-Reimer/Marx, NJW 2005, 3025; so kann die Genehmigungsbedürftigkeit nicht etwa damit verneint werden, dass das Geschäft rechtlich lediglich vorteilhaft ist, so aber OLG Jena v. 22.3.2013 – 2 WF 26/13, MittBayNot 2013, 387 (388); Führ/Nikoleyczik, BB 2009, 2105 (2107); ob das Geschäft rechtlich lediglich vorteilhaft ist, ist nur für den Vertretungsausschluss gem. §§ 1795 Abs. 2, 181 BGB relevant, nicht für die Genehmigungsbedürftigkeit, vgl. Ivo in Wachter, Praxis des Handelsund Gesellschaftsrechts4, § 19 Rz. 3, 21; im Rahmen der Prüfung der Genehmigungsfähigkeit kann aber auch die rechtliche Vorteilhaftigkeit in die Betrachtung einbezogen werden, Egger, MittBayNot 2019, 132 (137). 2 S. zu den verschiedenen Fällen der Alleinvertretung durch ein Elternteil Huber in MüKo7, § 1629 BGB Rz. 22 ff. 3 S. dazu BayObLG v. 10.2.1997 – 1Z BR 271/96, FamRZ 1997, 1553. 4 S. zu den verschiedenen Fällen Götz in Palandt79, § 1773 BGB Rz. 2 ff.; Spickhoff in MüKo7, § 1773 BGB Rz. 6 ff. 5 S. dazu Götz in Palandt79, § 1793 BGB Rz. 5; Spickhoff in MüKo7, § 1793 BGB Rz. 21.

88 | Cramer

C. Beteiligung von Minderjährigen | Rz. 2.112 Kap. 2

teiligten“ Elternteil erfolgen soll.1 Allerdings erfahren die §§ 1629 Abs. 2 Satz 1, 1795 Abs. 2, 181 BGB nach ihrem Schutzzweck eine teleologische Reduktion in den Fällen, in denen das Rechtsgeschäft für den Minderjährigen rechtlich lediglich vorteilhaft ist.2 Ob ein Rechtsgeschäft diese Voraussetzung erfüllt, bedarf allerdings einer genauen Prüfung im Einzelfall. So kann der unentgeltliche Erwerb eines Gesellschaftsanteils im Wege der Anteilsabtretung nach h.M. bereits dann nicht als rechtlich lediglich vorteilhaft angesehen werden, wenn der Schenker bestimmt, dass sich der Beschenkte den Wert der Zuwendung auf den Pflichtteil anrechnen lassen muss (§ 2315 BGB). Nach h.M. ist aufgrund der Vergleichbarkeit der Anrechnungsbestimmung mit einem beschränkten Pflichtteilsverzichtsvertrag ein Ergänzungspfleger zu bestellen3 und nach teilweise vertretener Auffassung sogar eine familiengerichtliche Genehmigung erforderlich.4 Ist die gesetzliche Vertretung durch die Eltern (oder durch den Vormund) ausgeschlossen, ist gem. § 1909 BGB ein Ergänzungspfleger zu bestellen.5 Der Ergänzungspfleger wird in den hier interessierenden Fällen nur für die Besorgung bestimmter Angelegenheiten bestellt (z.B. die Vertretung bei der Gründung einer Gesellschaft), die Pflegschaft kann jedoch auch als Dauerpflegschaft für unbestimmte Dauer angeordnet werden (§ 1909 Abs. 1 Satz 2 BGB).6 Der Pfleger selbst kann nicht zugleich mehrere Minderjährige vertreten, sodass wegen §§ 1915 Abs. 1 Satz 1, 1795 Abs. 2, 181 BGB für jedes minderjährige Kind grundsätzlich ein eigener Pfleger zu bestellen ist, es sei denn, die Kinder geben untereinander keine Erklärungen ab (Rz. 3.125).7 Die Person des Pflegers wird durch das Familiengericht ausgewählt.8 Es empfiehlt sich, dem Gericht zumindest einen Vorschlag hinsichtlich der Person des Pflegers zu unterbreiten. In der Praxis wird auf diese Weise häufig versucht, die steuerlichen oder rechtlichen Berater9 oder Personen aus dem Bekanntenkreis10 zu Pflegern einzusetzen.

2.111

Wird der Vertrag ohne die erforderliche Mitwirkung des Ergänzungspflegers geschlossen, ist er nicht nichtig, sondern schwebend unwirksam (§§ 177 ff. BGB).11 Insbesondere dann, wenn ein Ergänzungspfleger noch nicht bestellt ist, kann damit ein Vertreter ohne Vertretungsmacht

2.112

1 BGH v. 14.6.1972 – IV ZR 53/71, NJW 1972, 1708; Götz in Palandt79, § 1629 BGB Rz. 14; Ivo in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 19 Rz. 6; Gebele, BB 2012, 728 (729). 2 BFH v. 12.5.2016 – IV R 27/13, NJW 2016, 3470 (3472); Maier-Reimer in Erman15, § 181 BGB Rz. 23. 3 Lange in MüKo7, § 2315 BGB Rz. 17; C. Winkler, ZEV 2005, 89 (92); Keim, MittBayNot 2008, 8 (11 f.); der BGH hat lediglich entschieden, dass eine Zuwendung mit Ausgleichungsverpflichtung gem. § 2050 BGB rechtlich nicht nachteilig sei, s. BGH v. 10.11.1954 – II ZR 165/53, NJW 1955, 1353; diese Entscheidung lässt sich nach h.M. nicht auf die Anrechnungsbestimmung gem. § 2315 BGB übertragen, s. etwa Blum in Schlitt/Müller2, Hdb. Pflichtteilsrecht, § 3 Rz. 121; a.A. etwa Müller-Engels in BeckOK, § 2315 BGB Rz. 9. 4 Lange in MüKo7, § 2315 BGB Rz. 17 (§ 1822 Nr. 2 BGB); Fröhler, BWNotZ 2010, 94 (102) (analog §§ 1822 Nr. 2, 2347 Abs. 1 BGB); a.A. jedoch Müller-Engels in BeckOK, § 2315 BGB Rz. 9; C. Winkler, ZEV 2005, 89 (92); Keim, MittBayNot 2008, 8 (12). 5 S. näher zum gerichtlichen Verfahren Heinemann in Hauschild/Kallrath/Wachter, Notarhdb. Gesellschafts- und Unternehmensrecht2, § 32 Rz. 69 ff. 6 Götz in Palandt79, § 1909 BGB Rz. 2; s. speziell zur Dauerpflegschaft auch Bürger, RNotZ 2006, 156 (175 f.). 7 Kölmel, RNotZ 2010, 1 (14 f.). 8 Ivo in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 19 Rz. 28. 9 Vgl. Ivo in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 19 Rz. 10. 10 Gebele, BB 2012, 728 (730). 11 Kölmel, RNotZ 2010, 1 (15).

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Kap. 2 Rz. 2.112 | Familienrechtliche Strukturüberlegungen

auftreten und die Genehmigung durch den Ergänzungspfleger nachfolgen.1 Der Vertrag wird dann mit ex tunc Wirkung (§ 184 Abs. 1 BGB) wirksam. Die erforderliche Mitwirkung des Ergänzungspflegers wird nicht durch eine familiengerichtliche Genehmigung des Vertrages ersetzt.2 Ist der Minderjährige inzwischen volljährig, kann er die Genehmigung selbst erklären.3

2.113

Die zivilrechtliche Rückwirkung wird aus Sicht des Steuerrechts allerdings nicht anerkannt. Stattdessen ist steuerlich die Wirksamkeit nur für die Zukunft anzunehmen. Etwas anderes gilt allenfalls dann, wenn die Genehmigung innerhalb kurzer Zeitspanne erfolgt.4 Sollen die mit der Aufnahme des Minderjährigen typischerweise im Vordergrund stehenden steuerlichen Ziele erreicht werden (Rz. 3.105), ist es daher von überragender Bedeutung, dass hinsichtlich der Vertretung des Kindes die Grenzen der §§ 1629 Abs. 2 Satz 1, 1795 BGB beachtet werden.

2. Familiengerichtliche Genehmigungsbedürftigkeit 2.114

Von der gesetzlichen Vertretung zu unterscheiden ist die Frage, ob der (durch die Eltern, den Vormund oder den Ergänzungspfleger) geschlossene Vertrag der gerichtlichen Genehmigung bedarf. Diese Frage beantworten für den Vormund u.a. die §§ 1821, 1822 BGB, die über § 1915 BGB auch für den Ergänzungspfleger5 und über § 1643 Abs. 1 BGB in Teilen für die Eltern gelten. Für die Praxis der Unternehmensnachfolge besonders bedeutsam sind § 1822 Nr. 3 BGB (entgeltlicher Erwerb und Veräußerung eines Erwerbsgeschäfts6, Gesellschaftsvertrag zum Betrieb eines Erwerbsgeschäfts) und § 1822 Nr. 10 BGB (Übernahme einer fremden Verbindlichkeit7). Zuständig ist in allen Fällen das Familiengericht.8 Sofern im Einzelfall zwei1 2 3 4

5 6

7 8

Ivo in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 19 Rz. 14. Ivo in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 19 Rz. 12. Kölmel, RNotZ 2010, 1 (15). BFH v. 23.4.1992 – IV R 46/91, NJW 1993, 1415 (1416); s. auch BFH v. 5.3.1981 – IV R 150/76, BStBl. II 1981, 435 (zur Genehmigung durch den Minderjährigen selbst nach Erlangung der Volljährigkeit mit den weiteren Erfordernissen, dass für den vorzeitigen Abschluss betriebliche Gründe vorliegen und keine besonderen steuerlichen Vorteile erstrebt werden); s. auch Hohaus/Eickmann, BB 2004, 1707 (1712); ohne diese Differenzierung und generell gegen die steuerliche Rückwirkung Ivo in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 19 Rz. 3, 13, der lediglich im Hinblick auf die familiengerichtliche Genehmigung in Rz. 27 eine Rückwirkung unter engen Voraussetzungen anerkennt. Schwab in MüKo7, § 1915 BGB Rz. 19. Es ist umstritten, ob hiernach nur das schuldrechtliche Geschäft oder auch das dingliche Geschäft genehmigungsbedürftig ist; für die Genehmigungsbedürftigkeit nur des schuldrechtlichen Geschäfts OLG München v. 8.2.2011 – 34 Wx 40/11, MittBayNot 2011, 238 (239); Götz in Palandt79, § 1822 BGB Rz. 6; Fortun, NJW 1999, 754 (755); Flume, FamRZ 2016, 277 (278); für die Genehmigungsbedürftigkeit auch des dinglichen Geschäfts Büchel, Beteiligung von Minderjährigen an Familiengesellschaften, S. 97; Piehler/Schulte in Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht4, Bd. 2, § 35 Rz. 16; s. auch Kroll-Ludwigs in MüKo7, § 1822 BGB Rz. 13, die zwar grundsätzlich nur das schuldrechtliche Geschäft für genehmigungsbedürftig hält, das Genehmigungserfordernis beim Erwerb von Gesellschaftsanteilen jedoch auch auf das dingliche Geschäft erstreckt; im Grundsatz so auch Veit in Staudinger, 2014, § 1822 BGB Rz. 43, 50, die aber aufgrund der erforderlichen Zustimmung der Mitgesellschafter beim Erwerb von Gesellschaftsanteilen an Personengesellschaften daneben § 1822 Nr. 3 Var. 3 BGB für einschlägig hält. Genehmigungsbedürftig ist insoweit allein das dingliche Geschäft, denn erst infolge des Erwerbs des Gesellschaftsanteils kann eine Haftung für fremde Verbindlichkeiten entstehen. Ivo in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 19 Rz. 28; s. näher zum gerichtlichen Verfahren Heinemann in Hauschild/Kallrath/Wachter, Notarhdb. Gesellschafts- und Unternehmensrecht2, § 32 Rz. 94 ff.

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C. Beteiligung von Minderjährigen | Rz. 2.116 Kap. 2

felhaft ist, ob die Voraussetzungen für das gerichtliche Genehmigungserfordernis vorliegen, sollte versucht werden, vorsorglich die Genehmigung einzuholen.1 Dieses Vorgehen ist gegenüber der Beantragung eines Negativattests vorzugswürdig, weil Letzteres die (entgegen der Rechtsauffassung des Gerichts erforderliche) Genehmigung nicht ersetzt.2 Ist das Gericht zur Erteilung einer solchen „vorsorglichen“ Genehmigung nicht bereit,3 sollte zumindest ein Negativattest beantragt werden. Ob die gerichtliche Genehmigung zu erteilen ist, bemisst sich nach dem Kindesinteresse.4 Die persönliche Haftung des Kindes rechtfertigt die Versagung der Genehmigung nicht.5 Das Gericht hat vielmehr im Wege einer Gesamtabwägung zu beurteilen, ob der Vertrag für das Kind vorteilhaft, zweckmäßig und nützlich ist.6 Fehlt die erforderliche gerichtliche Genehmigung, ist der geschlossene Vertrag schwebend unwirksam,7 kann aber (zivilrechtlich mit Rückwirkung) genehmigt werden, und zwar auch durch den inzwischen volljährig gewordenen Minderjährigen (§ 1829 Abs. 3 BGB). Steuerlich wird die Rückwirkung der fehlenden gerichtlichen Genehmigung aber nur anerkannt, wenn die Genehmigung unverzüglich beantragt und in angemessener Frist erteilt wird.8

2.115

Für den Berater stellt sich in vielen Fällen das Problem, dass die Beantwortung der Frage, ob ein Vorgang einer familiengerichtlichen Genehmigung bedarf, eine umfassende Sachverhaltsaufklärung erfordert. So bedarf etwa eine GmbH-Anteilsübertragung, die im Wege der Schenkung erfolgt, nach h.M. nicht der Genehmigung gem. § 1822 Nr. 10 BGB, wenn sämtliche Einlagen auf die GmbH-Geschäftsanteile voll eingezahlt sind und auch keine Rückzahlungen gem. § 30 GmbHG erfolgt sind, die zu einer Haftung des Minderjährigen gem. § 31 Abs. 3 GmbHG führen können (Rz. 3.132). Der Berater muss also, um die Frage der Genehmigungsbedürftigkeit zu beantworten, nicht nur die ursprünglichen Einzahlungen auf die Geschäftsanteile prüfen, sondern auch nachvollziehen, ob in der Vergangenheit Auszahlungen entgegen § 30 GmbHG erfolgt sind. Dies macht eine umfassende Bewertung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaft erforderlich, die auch die Prüfung beinhaltet, ob verdeckte Gewinnausschüttungen unter Verstoß gegen § 30 GmbHG9 stattgefunden haben.

2.116

1 Heinemann in Hauschild/Kallrath/Wachter, Notarhdb. Gesellschafts- und Unternehmensrecht2, § 32 Rz. 9; Bürger, RNotZ 2006, 156 (164 f.); für die Einholung eines Negativattests Riedel in Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 12 Rz. 44; für die Einholung der „Genehmigung bzw. ein[es] Negativattest[s]“ Ivo in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 19 Rz. 17. 2 Kroll-Ludwigs in MüKo7, § 1828 BGB Rz. 23; Bürger, RNotZ 2006, 156 (164 f.). 3 Gegen die Zulässigkeit zumindest bei schon geschlossenen Geschäften Kroll-Ludwigs in MüKo7, § 1828 BGB Rz. 24; für die Zulässigkeit hingegen BayObLG v. 7.1.1963 – BReg. 1 Z 171/61, BayObLGZ 1963, 1 (9), wenn die Auslegung als genehmigungsbedürftiges Geschäft zumindest möglich ist. 4 OLG Hamm v. 11.4.2000 – 2 UF 53/00, FamRZ 2001, 53; Everts in Herrler, Gesellschaftsrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, § 18 Rz. 48. 5 OLG Braunschweig v. 30.10.2000 – 2 W 237/00, ZEV 2001, 75 f. 6 OLG München v. 17.7.2007 – 31 Wx 18/07, NJW-RR 2008, 672; Götz in Palandt79, § 1828 BGB Rz. 8 f. 7 Czeguhn/Dickmann, FamRZ 2004, 1534 (1536); die Errichtung einer Einpersonen-GmbH ohne die erforderliche familiengerichtliche Genehmigung soll hingegen nach h.M. (unheilbar) nichtig sein, vgl. Cramer in Scholz12, § 2 GmbHG Rz. 51 m.w.N. 8 BFH v. 1.2.1973 – IV R 49/68, BStBl. II 1973, 307; BFH v. 5.3.1981 – IV R 150/6, BStBl. II 1981, 435; Reimann, DNotZ 1999, 179 (189). 9 Hierzu Fastrich in Baumbach/Hueck22, § 30 GmbHG Rz. 52.

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Kap. 2 Rz. 2.116 | Familienrechtliche Strukturüberlegungen

Wenn eine solche umfassende Kontrolle im Einzelfall nicht möglich oder (vor allem aus Kostengründen) seitens der Mandanten nicht gewünscht ist, sollten aus Beratersicht jedenfalls entsprechende Versicherungen der Beteiligten eingeholt bzw. in die Urkunde aufgenommen werden. Im vorgenannten Beispiel sollte also seitens der Beteiligten versichert werden, dass die Einzahlungen erfolgt sind und verbotene Auszahlungen nicht stattgefunden haben.1

III. Die Gründung von Gesellschaften unter Beteiligung Minderjähriger 1. Personengesellschaften 2.117

Bei der Gründung von Personengesellschaften werden minderjährige Kinder grundsätzlich durch ihre gesetzlichen Vertreter vertreten. Ein Ergänzungspfleger muss dann bestellt werden, wenn mindestens ein Elternteil selbst an der Gründung teilnimmt (Insichgeschäft) oder wenn mehrere Kinder Gesellschafter der Gesellschaft werden sollen (Mehrfachvertretung, §§ 1629 Abs. 2 Satz 1, 1795 Abs. 2, 181 BGB).2 Eine teleologische Reduktion des § 181 BGB kommt in diesem Fall nicht in Betracht, denn die Beteiligung eines minderjährigen Kindes an der Gründung einer Personengesellschaft stellt sich aufgrund der mit der Beteiligung einhergehenden Haftung sowie der gesellschaftsvertraglichen Verpflichtungen niemals als rechtlich lediglich vorteilhaft dar,3 und zwar auch dann nicht, wenn die geschuldete Einlage dem Minderjährigen seitens eines Dritten schenkungsweise zur Verfügung gestellt wird.4 Für jedes Kind ist ein eigener Ergänzungspfleger zu bestellen (§§ 1915 Abs. 1 Satz 1, 1795 Abs. 2, 181 BGB).5

2.118

Der Abschluss des Gesellschaftsvertrages kann zudem der familiengerichtlichen Genehmigung bedürfen. Dies ist der Fall, wenn der Vertrag auf den Betrieb eines Erwerbsgeschäfts6 gerichtet ist (§ 1822 Nr. 3 Var. 3 BGB). Die praktische Schwierigkeit liegt in vielen Fällen darin, das Erwerbsgeschäft von der rein vermögensverwaltenden Tätigkeit abzugrenzen, da das Genehmigungserfordernis im letzteren Fall nicht einschlägig ist.7 Die Rechtsprechung neigt zu einer extensiven Auslegung des Genehmigungserfordernisses,8 weshalb sich in Zweifelsfällen die vorsorgliche Einholung der Genehmigung empfiehlt.9 Ob der Minderjährige eine

1 S. auch Everts in Herrler, Gesellschaftsrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, § 18 Rz. 36. 2 Nicht gem. §§ 1629 Abs. 2 Satz 1, 1795 Abs. 2, 181 BGB ausgeschlossen wäre es, wenn der (nicht am Vertragsschluss beteiligte) gesetzliche Vertreter zumindest ein Kind vertritt und die weiteren Kinder jeweils durch einen Ergänzungspfleger vertreten werden. Dann kommt jedoch wegen der Interessenkollision eine gerichtliche Entziehung der Vertretungsmacht in Betracht (§§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 BGB), s. Ivo in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 19 Rz. 6, 9. 3 Pauli, ZErb 2016, 131 (132); s. zur Anteilsübertragung BFH v. 27.4.2005 – II R 52/02, DStR 2005, 1937 (1940) („Bündels von Rechten und Pflichten“). 4 Ivo in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 19 Rz. 7. 5 Reimann, DNotZ 1999, 179 (183); Lohse/Triebel, ZEV 2000, 337 (338); Rust, DStR 2005, 1942 (1943). 6 S. zum Begriff Götz in Palandt79, § 1822 BGB Rz. 5. 7 OLG Zweibrücken v. 14.1.1999 – 3 W 253–98, NJW-RR 1999, 1174 (1175); OLG Bremen v. 16.6.2008 – 2 W 38/08, ZEV 2008, 608 (609) (zum Anteilserwerb); Veit in Staudinger, 2014, § 1822 BGB Rz. 76 f. 8 S. etwa BayObLG v. 5.3.1997 – 1Z BR 210/96, NJW-RR 1997, 1163 und OLG Nürnberg v. 16.12.2014 – 11 WF 1415/14, MittBayNot 2015, 235 die jeweils die Voraussetzungen des § 1822 Nr. 3 BGB auch dann für gegeben halten, wenn die Gesellschaft für eine lange Dauer errichtet wird, um gewerblich nutzbare Immobilien von erheblichem Wert zu verwalten, zu vermieten und zu verwerten; kritisch hierzu van de Loo/Strnak, ZEV 2018, 618 (620 f.). 9 Lüdecke, NJOZ 2018, 681 (684).

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C. Beteiligung von Minderjährigen | Rz. 2.120 Kap. 2

Einlage oder sonstige Leistungen erbringen muss, ist für die Zwecke des § 1822 Nr. 3 Var. 3 BGB irrelevant.1 Gemäß § 1822 Nr. 10 BGB ist die Übernahme einer fremden Verbindlichkeit genehmigungsbedürftig. Hierunter sind Fälle zu verstehen, in denen der Mündel eine Subsidiärhaftung übernimmt, d.h. wenn ihm im Fall der Inanspruchnahme ein Ersatzanspruch gegen den Primärschuldner zusteht.2 In der Rechtsprechung und Literatur wird wegen der Haftung gem. §§ 128, 130 HGB (analog) überwiegend davon ausgegangen, dass § 1822 Nr. 10 BGB auch dann einschlägig ist, wenn der Minderjährige sich an der Gründung einer GbR, OHG oder KG (als persönlich haftender Gesellschafter) beteiligt.3 Auch die Beteiligung an dem Gründungsvorgang einer KG als Kommanditist ist dann nicht anders zu behandeln, da der Minderjährige auch in diesem Fall zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses für alle Gesellschaftsverbindlichkeiten haftet, wenn auch summenmäßig beschränkt auf die Hafteinlage (zum derivativen Erwerb eines Kommanditanteils Rz. 3.123).4 In der Praxis sollte daher schon aus Vorsichtsgründen in allen Fällen der Beteiligung eines Minderjährigen an der Gründung einer Personengesellschaft die gerichtliche Genehmigung eingeholt werden.5

2. Kapitalgesellschaften Auch bei der Gründung einer AG oder GmbH wird das minderjährige Kind grundsätzlich durch die gesetzlichen Vertreter vertreten. Die Hinzuziehung eines Ergänzungspflegers ist allerdings unter denselben Voraussetzungen erforderlich, wie dies im Fall der Gründung einer Personengesellschaft der Fall ist. Die Ausführungen unter Rz. 3.117 gelten entsprechend.

2.119

Eine familiengerichtliche Genehmigung kann auch im Fall der Gründung einer Kapitalgesellschaft gem. § 1822 Nr. 3 und/oder Nr. 10 BGB erforderlich sein. Zu § 1822 Nr. 3 BGB kann auf die Ausführungen unter Rz. 3.118 verwiesen werden.6 Im Hinblick auf § 1822 Nr. 10 BGB ist umstritten, ob das Genehmigungserfordernis zumindest dann nicht gilt, wenn die Einlagen auf alle Geschäftsanteile einer GmbH im Zuge der Gründung in voller Höhe geleistet werden. Weil in diesem Fall die Haftung des Minderjährigen gem. § 24 GmbHG ausgeschlossen sei und der Minderjährige damit nicht die Haftung für eine fremde Verbindlichkeit übernehme, wird verschiedentlich die Genehmigungsbedürftigkeit verneint.7 Diese Auffassung ist jedoch zweifelhaft, weil die Einlagen zum Zeitpunkt des Abschlusses des Gesellschaftsvertrages mangels Vorhandenseins eines Zahlungsempfängers noch nicht geleistet sein können und die Frage der Genehmigungsbedürftigkeit allein mit Blick auf diesen Zeitpunkt beantwortet werden muss. Zum Zeitpunkt der Gründung lässt sich eine Haftung des Minderjährigen nicht ausschließen, da die Mitgesellschafter ihre Einlagen ggf. nicht vollständig leisten könnten und die Ausfallhaftung dann doch noch greifen könnte.8 Zudem treffen den Minderjährigen die spezi-

2.120

1 Götz in Palandt79, § 1822 BGB Rz. 8. 2 BGH v. 20.2.1989 – II ZR 148/88, NJW 1989, 1926; Kroll-Ludwigs in MüKo7, § 1822 BGB Rz. 62. 3 OLG Hamm v. 11.4.2000 – 2 UF 53/00, FamRZ 2001, 53; Dümig, FamRZ 2003, 1 (3 f.); Wertenbruch, NJW 2015, 2150 (2152); Lüdecke, NJOZ 2018, 681 (684). 4 Ivo in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 19 Rz. 19, der aber selbst § 1822 Nr. 10 BGB nicht für einschlägig hält. 5 Ivo in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 19 Rz. 19; Rust, DStR 2005, 1942 (1943 f.). 6 S. ausführlich zu § 1822 Nr. 3 BGB im Zusammenhang mit der GmbH-Gründung Bürger, RNotZ 2006, 156 (159 f.). 7 S. etwa Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe3, § 2 GmbHG Rz. 86. 8 Zutreffend Bürger, RNotZ 2006, 156 (160).

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Kap. 2 Rz. 2.120 | Familienrechtliche Strukturüberlegungen

fischen Risiken der Haftung in der Vorgesellschaft,1 weshalb in der Praxis jedenfalls aus Vorsichtsgründen von der Genehmigungsbedürftigkeit ausgegangen werden sollte. Die Errichtung einer Einpersonen-Kapitalgesellschaft ist jedoch in keinem Fall gem. § 1822 Nr. 10 BGB genehmigungsbedürftig.2

IV. Eintritt des Minderjährigen in eine bestehende Gesellschaft 1. Personengesellschaften a) Originärer Anteilserwerb

2.121

Der Eintritt des Minderjährigen in eine Personengesellschaft kann im Wege eines Beitritts als weiterer Gesellschafter (originärer Anteilserwerb) oder im Wege des Erwerbs eines bereits vorhandenen Gesellschaftsanteils (derivativer Anteilserwerb) vollzogen werden.

2.122

Der originäre Anteilserwerb vollzieht sich durch Abschluss eines Aufnahmevertrages zwischen dem Beitretenden und allen vorhandenen Gesellschaftern. Eine solche Vereinbarung stellt eine Änderung des Gesellschaftsvertrages dar,3 sodass die Ausführungen zur Vertretung des Minderjährigen (Rz. 3.117) sowie zur Genehmigungsbedürftigkeit bei Gründung einer Personengesellschaft (Rz. 3.118) auch für diesen Vorgang Geltung beanspruchen. b) Derivativer Anteilserwerb

2.123

Ein Gesellschafterwechsel bzw. die Aufnahme eines Gesellschafters kann auch durch Übertragung eines vorhandenen Gesellschaftsanteils auf den Erwerber vollzogen werden (§§ 413, 398 BGB), wenn alle Gesellschafter (ggf. bereits schon im Gesellschaftsvertrag) zustimmen.4 Der minderjährige Erwerber wird auch beim derivativen Erwerb des Gesellschaftsanteils von seinem gesetzlichen Vertreter vertreten. Erwirbt das minderjährige Kind den Anteil von seinen Eltern oder einem Elternteil, sind beide Elternteile gem. §§ 1629 Abs. 2 Satz 1, 1795 Abs. 2, 181 BGB von der Vertretung ausgeschlossen.5 Dies gilt wegen der unbeschränkten Haftung jedenfalls dann, wenn der Minderjährige auf diese Weise die Stellung eines unbeschränkt haf-

1 Ob das Risiko einer Haftung des Minderjährigen aus §§ 24, 31 Abs. 3 GmbHG wegen erst in der Zukunft liegender Geschehnisse, etwa einer Rückzahlung an einen Mitgesellschafter entgegen § 30 GmbHG, für sich betrachtet das Genehmigungserfordernis begründet, ist umstritten, s. dazu im Zusammenhang mit der Gründung Heinze in MüKo3, § 2 GmbHG Rz. 89a; Werner, GmbHR 2006, 737 (738). Die Frage stellt sich auch im Zusammenhang mit dem Erwerb von Anteilen im Wege der Kapitalerhöhung (Rz. 3.129) und beim derivativen Erwerb von Geschäftsanteilen (Rz. 3.133). Dieses Risiko allein dürfte, da nicht hinreichend konkret, die Anwendung des § 1822 Nr. 10 BGB nicht rechtfertigen, anders noch Cramer in Scholz12, § 2 GmbHG Rz. 50. 2 Cramer in Scholz12, § 2 GmbHG Rz. 50; Heinemann in Hauschild/Kallrath/Wachter, Notarhdb. Gesellschafts- und Unternehmensrecht2, § 32 Rz. 5. 3 Schäfer in MüKo7, § 719 BGB Rz. 17. 4 Schäfer in MüKo7, § 719 BGB Rz. 27. 5 Dies gilt jedoch nicht hinsichtlich des schuldrechtlichen Geschäfts, wenn es sich bei diesem um eine Schenkung handelt und es auch sonst rechtlich lediglich vorteilhaft ist. Eine sog. Gesamtbetrachtung zwischen dem schuldrechtlichen und dem dinglichen Geschäft findet nach heute h.M. gerade nicht mehr statt, s. BGH v. 25.11.2004 – V ZB 13/04, NJW 2005, 415 (416 f.); BGH v. 30.9.2010 – V ZB 206/10, NJW 2010, 3643; s. ausdrücklich auch Schmitt in MüKo8, § 107 BGB Rz. 46; Maier-Reimer in Erman15, § 181 BGB Rz. 23; anders noch Ellenberger in Palandt79, § 107 BGB Rz. 6; Ivo in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 19 Rz. 47.

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C. Beteiligung von Minderjährigen | Rz. 2.125 Kap. 2

tenden Gesellschafters erlangt (GbR, OHG, Komplementär in KG).1 Ob dies auch dann gilt, wenn das Kind einen voll eingezahlten Kommanditanteil im Wege der Schenkung erwirbt, ist umstritten. Eine vordringende Ansicht geht davon aus, dass auch das dingliche Geschäft2 in diesem Fall wegen der nicht bestehenden Haftung rechtlich lediglich vorteilhaft sei,3 jedenfalls dann, wenn die Abtretung aufschiebend bedingt auf die Eintragung der Sonderrechtsnachfolge im Handelsregister erfolge.4 Diese Ansicht überzeugt, für die Praxis kann sie aber (noch) nicht als gesichert gelten.5 Zudem kann unabhängig von der Volleinzahlung des Kommanditanteils in Einzelfällen aufgrund besonderer Regelungen des Gesellschaftsvertrages ein rechtlicher Nachteil in Betracht kommen.6 Dies gilt etwa dann, wenn der Gesellschaftsvertrag Nachschusspflichten vorsieht.7 Bis auf weiteres empfiehlt sich daher die Einschaltung eines Ergänzungspflegers.8 In diesem Zusammenhang genügt jedoch regelmäßig die Hinzuziehung nur eines Ergänzungspflegers auch für mehrere Kinder.9 Beispiel: Mutter M teilt und verschenkt ihren voll eingezahlten Kommanditanteil an der M-KG in Höhe von 90.000 Euro an ihre minderjährigen Kinder A, B und C in der Weise, dass jeder einen (Teil-)Kommanditanteil in Höhe von 30.000 Euro erhält, und tritt den jeweiligen Teilkommanditanteil an das jeweilige Kind ab. Der Gesellschaftsvertrag sieht vor, dass jeder verheiratete Gesellschafter verpflichtet ist, seine Unternehmensbeteiligung aus dem Zugewinnausgleich auszunehmen.10

2.124

Lösung: Da der Erwerb des jeweiligen Kommanditanteils mit Pflichten einhergeht (hier: Abschluss eines Ehevertrages), sollte bis auf weiteres nicht davon ausgegangen werden, dass es sich um ein rechtlich ledig-

1 Czeguhn/Dickmann, FamRZ 2004, 1534 (1535); Maier-Reimer/Marx, NJW 2005, 3025 (3026). 2 Zum schuldrechtlichen Geschäft s. Fn. 410. 3 OLG Köln v. 26.3.2018 – 4 Wx 2/18, RNotZ 2018, 494; OLG München v. 28.12.2017 – 2 WF 1509/17, MittBayNot 2019, 132 (134); OLG Bremen v. 16.6.2008 – 2 W 38/08, ZEV 2008, 608; Ellenberger in Palandt79, § 107 BGB Rz. 4; Maier-Reimer/Marx, NJW 2005, 3025 (3026); Werner, GmbHR 2006, 737 (739 f.); Pauli, ZErb 2016, 131 (132 f.); a.A. LG Köln v. 17.9.1969 – 24 T 6/69, Rpfleger 1970, 245; Everts in Herrler, Gesellschaftsrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, § 18 Rz. 13; wohl auch Hohaus/Eickmann, BB 2004, 1707 (1709). 4 S. dazu OLG Köln v. 26.3.2018 – 4 Wx 2/18, RNotZ 2018, 494 (496); Maier-Reimer/Marx, NJW 2005, 3025 (3026); Rust, DStR 2005, 1942 (1946); Führ/Nikoleyczik, BB 2009, 2105 (2106 f.). 5 Anders entschied in jüngerer Zeit auch OLG Oldenburg v. 17.7.2019 – 12 W 53/19, GmbHR 2019, 1119. 6 Damit ist also nicht gemeint, dass bereits der Eintritt als solcher und die damit verbundene Übernahme eines „Bündels von Rechten und Pflichten“ einen rechtlichen Nachteil zur Folge hat; a.A. OLG Oldenburg v. 17.7.2019 – 12 W 53/19, GmbHR 2019, 1119 (1121). 7 S. auch Führ/Nikoleyczik, BB 2009, 2105 (2107). 8 Riedel in Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 12 Rz. 33; Ivo in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 19 Rz. 46; Rust, DStR 2005, 1942 (1946); Gebele, BB 2012, 728 (730). 9 Ivo, ZEV 2005, 193 (194 f.); Werner, GmbHR 2006, 737 (740); a.A. Heinemann in Hauschild/Kallrath/Wachter, Notarhdb. Gesellschafts- und Unternehmensrecht2, § 32 Rz. 32, anders aber in Rz. 42 für die Übertragung eines Kommanditanteils. 10 Güterstandsklauseln, die eine direkte Verpflichtung zum Abschluss eines Ehevertrages vorsehen, sind in der Praxis häufig zu beobachten; zu Recht kritisch Wenckstern, NJW 2014, 1335 (1339) vor dem Hintergrund der Eheschließungsfreiheit und der mangelnden Durchsetzbarkeit einer solchen Regelung. Besser sollte der Nichtabschluss eines Ehevertrages im Gesellschaftsvertrag lediglich als Ausschluss- bzw. Einziehungsgrund vorgesehen werden.

Cramer | 95

2.125

Kap. 2 Rz. 2.125 | Familienrechtliche Strukturüberlegungen lich vorteilhaftes Geschäft handelt.1 Es ist ein Ergänzungspfleger hinzuzuziehen. Allerdings ist es hier ausreichend, nur einen Ergänzungspfleger für alle drei Kinder zu bestellen. Zwar kann der Ergänzungspfleger wegen §§ 1915 Abs. 1 Satz 1, 1795 Abs. 2, 181 BGB grundsätzlich nicht mehrere minderjährige Kinder vertreten. Hier werden jedoch, auch bei Zusammenfassung in einer Urkunde, keine Vereinbarungen unter den Kindern getroffen, sondern sog. gleichgerichtete Erklärungen2 durch den Ergänzungspfleger gegenüber M abgegeben. Sofern auch im Übrigen keine Vereinbarungen unter den Kindern getroffen werden, genügt die Bestellung nur eines Ergänzungspflegers für alle Kinder im Fall.3 Anders wäre dies zu beurteilen, wenn die Kinder im Wege eines Aufnahmevertrages mit allen Gesellschaftern der KG beitreten, weil in diesem Fall eine vertragliche Vereinbarung auch der Kinder untereinander getroffen würde.4

2.126

Die Notwendigkeit der familiengerichtlichen Genehmigung kann sich aus § 1822 Nr. 3 und/ oder Nr. 10 BGB ergeben. Betreibt die Gesellschaft ein Erwerbsgeschäft i.S.d. § 1822 Nr. 3 BGB, bedarf jedenfalls der entgeltliche Erwerb eines Gesellschaftsanteils der gerichtlichen Genehmigung.5 Nach h.M. gilt dies, wenn die Gesellschaft ein Erwerbsgeschäft betreibt,6 in gleicher Weise für den unentgeltlichen Erwerb, weil der unentgeltliche derivative Erwerb eines Gesellschaftsanteils an einer Personengesellschaft dem Abschluss eines Gesellschaftsvertrages i.S.d. § 1822 Nr. 3 Var. 3 BGB gleichgestellt wird.7 Im Übrigen gilt die Genehmigungsbedürftigkeit aus § 1822 Nr. 10 1 S. auch OLG Bremen v. 16.6.2008 – 2 W 38/08, ZEV 2008, 608 (609), das grundsätzlich nicht die Notwendigkeit der Bestellung eines Ergänzungspflegers sieht, in diesem Zusammenhang aber darauf hinweist, dass die gesellschaftsvertragliche Verpflichtung zum Abschluss eines Ehe- und Pflichtteilsverzichtsvertrages im konkreten Fall gerade nicht für den minderjährigen Gesellschafter galt; anders jedoch OLG Köln v. 26.3.2018 – 4 Wx 2/18, RNotZ 2018, 494 (497) mit dem Argument, dass der Minderjährige im konkreten Fall bei Nichtabschluss eines Ehevertrages allenfalls der Verlust der Gesellschafterstellung durch Ausschluss aus der Gesellschaft drohte, jedoch keine Beeinträchtigung des sonstigen Vermögens. 2 Ellenberger in Palandt79, § 181 BGB Rz. 7; a.A. für den vorliegenden Fall OLG Oldenburg v. 17.7.2019 – 12 W 53/19, GmbHR 2019, 1119; dagegen zu Recht Wachter, GmbHR 2019, 1119 (1124). . 3 OLG München v. 17.6.2010 – 31 Wx 70/10, ZEV 2010, 646 (647); Ivo in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 19 Rz. 49; a.A. jedoch Reimann, DNotZ 1999, 179 (190); Hohaus/Eickmann, BB 2004, 1707 (1709); kritisch auch Everts in Herrler, Gesellschaftsrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, § 18 Rz. 5. 4 OLG München v. 17.6.2010 – 31 Wx 70/10, ZEV 2010, 646 (647); zweifelnd Maier-Reimer/Marx, NJW 2005, 3025 (3027). 5 Ivo in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 19 Rz. 50; s. Wachter, GmbHR 2019, 1119 (1125 f.), zur Frage, ob die Genehmigungsbedürftigkeit nur das schuldrechtliche oder auch das dingliche Geschäft betrifft. 6 Verneint etwa in OLG München v. 28.12.2017 – 2 WF 1509/17, MittBayNot 2019, 132 (134 f.). 7 OLG Oldenburg v. 17.7.2019 – 12 W 53/19, GmbHR 2019, 1119 (1121 f.); OLG München v. 28.12.2017 – 2 WF 1509/17, MittBayNot 2019, 132 (134); OLG Frankfurt a. M. v. 27.5.2008 – 20 W 123/08, ZEV 2008, 607 (Kommanditanteil); Piehler/Schulte in Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht4, Bd. 2, § 35 Rz. 16; Reimann, DNotZ 1999, 179 (190 f.); Ivo, ZEV 2005, 193 (195 f.); Führ/Nikoleyczik, BB 2009, 2105 (2107); im Ergebnis auch Weinbrenner, FPR 2009, 265 (268 f.); genehmigungsbedürftig dürfte bei dieser Gleichstellung aber wohl nur das dingliche Geschäft sein, denn die Gesellschafterstellung erlangt der Minderjährige erst durch die Abtretung, sodass nur diese und nicht das zugrunde liegende schuldrechtliche Geschäft dem Abschluss eines Gesellschaftsvertrages gleichgestellt werden kann; gegen das Genehmigungserfordernis Wachter, GmbHR 2019, 1119 (1125 f.); Menzel/Wolf, MittBayNot 2010, 186 (188 ff.); Damrau, ZEV 2000, 209 (210); ebenso van de Loo/Strnak, ZEV 2018, 618 (621) jedenfalls für den Fall, dass weniger als 50% der Anteile auf den Minderjährigen übertragen werden; offengelassen von Veit in Staudinger, 2014, § 1822 BGB Rz. 80, die insofern ein Eingreifen des Gesetzgebers für erforderlich hält.

96 | Cramer

C. Beteiligung von Minderjährigen | Rz. 2.127 Kap. 2

BGB immer dann, wenn den Minderjährigen infolge des Anteilserwerbs eine Haftung gem. §§ 128, 130 HGB (analog) trifft.1 Im Fall des Erwerbs eines voll eingezahlten Kommanditanteils ist die familiengerichtliche Genehmigung gem. § 1822 Nr. 10 BGB indes nicht erforderlich.2

2. Kapitalgesellschaften a) Originärer Anteilserwerb aa) GmbH Der Minderjährige kann im Rahmen einer Kapitalerhöhung Geschäftsanteile erwerben. Dies erfolgt durch Abschluss eines Übernahmevertrages zwischen dem Minderjährigen und der Gesellschaft, die bei Abschluss des Übernahmevertrages nicht durch die Geschäftsführer, sondern durch die Gesellschafter vertreten wird.3 Die Erklärung des Minderjährigen ist aufgrund der durch den Übernahmevertrag begründeten Einzahlungsverpflichtung nicht rechtlich lediglich vorteilhaft, sodass der gesetzliche Vertreter mitwirken muss.4 Sind die Eltern (noch) nicht an der GmbH beteiligt, können sie Anteile zugleich für sich selbst und/oder im Namen anderer Kinder übernehmen, ohne dass die §§ 1629 Abs. 2 Satz 1, 1795 Abs. 2, 181 BGB dem entgegenstehen. Die Übernahmeverträge sind rechtsgeschäftliche Vereinbarungen ausschließlich zwischen dem jeweiligen Übernehmer und der Gesellschaft (gleichgerichtete Erklärungen).5 Sind nur die Eltern oder nur ein Elternteil Gesellschafter der GmbH, kann der Übernahmevertrag wegen §§ 1629 Abs. 2 Satz 1, 1795 Abs. 2, 181 BGB nicht von den Eltern selbst geschlossen werden. Es bedarf eines Ergänzungspflegers, der wiederum auch mehrere Kinder vertreten kann.6 Sind neben den Eltern bzw. einem Elternteil weitere Gesellschafter an der GmbH beteiligt, ist die Rechtslage umstritten. Bisweilen wird vertreten, dass die Gesellschaft in diesem Fall unter Ausschluss der gem. § 181 BGB ausgeschlossenen Gesellschafter durch die weiteren Gesellschafter vertreten werden könne, weshalb die Bestellung eines Ergänzungspflegers entbehrlich sei.7 Teils wird § 181 BGB auch generell nicht für einschlägig gehalten.8 Nach einer strengeren Auffassung bedarf es stets der Bestellung eines Ergänzungspflegers.9 1 Czeguhn/Dickmann, FamRZ 2004, 1534 (1535). 2 Weinbrenner, FPR 2009, 265 (268); van de Loo/Strnak, ZEV 2018, 618 (622); Lüdecke, NJOZ 2018, 681 (688). 3 BGH v. 30.11.1967 – II ZR 68/65, NJW 1968, 398 f.; OLG Frankfurt a.M. v. 28.4.1981 – 20 W 795/ 80, NJW 1982, 2388; nicht zutreffend Heinemann in Hauschild/Kallrath/Wachter, Notarhdb. Gesellschafts- und Unternehmensrecht2, § 32 Rz. 13; Reimann, DNotZ 1999, 179 (191) und Bürger, RNotZ 2006, 156 (167), die allesamt Probleme im Hinblick auf § 181 BGB deshalb nicht sehen, weil nicht die Gesellschafter, sondern die GmbH Vertragspartner sei; im Einzelnen ist aber auch auf der Grundlage der Auffassung, wonach die Gesellschaft durch die Gesellschafter vertreten wird, vieles streitig, s. im Überblick zu den Streifragen Ziemons/Jaeger in BeckOK, § 55 GmbHG Rz. 111. 4 Werner, GmbHR 2006, 737 (738). 5 Lieder in MüKo2, § 55 GmbHG Rz. 114, 140. 6 Heinemann in Hauschild/Kallrath/Wachter, Notarhdb. Gesellschafts- und Unternehmensrecht2, § 32 Rz. 13. 7 Hermanns in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt3, § 55 GmbHG Rz. 77; Saß, RNotZ 2016, 213 (220); im Ergebnis ebenso Zöllner/Fastrich in Baumbach/Hueck22, § 55 GmbHG Rz. 36, dies allerdings über den Weg der Ermächtigung der verbleibenden Gesellschafter durch die gem. § 181 BGB ausgeschlossenen Gesellschafter. 8 Ziemons/Jaeger in BeckOK, § 55 GmbHG Rz. 111, weshalb dann auch kein Ergänzungspfleger erforderlich sein dürfte, wenn nur die Eltern an der Gesellschaft beteiligt sind. 9 Ivo in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 19 Rz. 54; Wegemann in Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht5, Bd. 3, § 53 Rz. 32; Werner, GmbHR 2006, 737 (738).

Cramer | 97

2.127

Kap. 2 Rz. 2.128 | Familienrechtliche Strukturüberlegungen

2.128

§ 1822 Nr. 3 BGB ist beim Erwerb von GmbH-Geschäftsanteilen im Wege der Kapitalerhöhung nach h.M. nicht einschlägig. Gegen die Anwendbarkeit spricht, dass die Übernahme von Geschäftsanteilen an einer GmbH nicht dem Abschluss eines Gesellschaftsvertrages (§ 1822 Nr. 3 Var. 3 BGB) gleichgestellt werden kann.1 Das Erwerbsgeschäft wird zudem nicht von den Gesellschaftern, sondern von der GmbH betrieben.2 Allerdings wird man auf der Grundlage der Rechtsprechung des BGH zum derivativen Anteilserwerb (Rz. 3.132) eine Ausnahme machen und die Genehmigungsbedürftigkeit annehmen müssen, wenn der Minderjährige infolge der Übernahme der Geschäftsanteile mit mehr als 50 % an der GmbH beteiligt ist, weil dann die Voraussetzungen des entgeltlichen Erwerbs eines Erwerbsgeschäfts (§ 1822 Nr. 3 Var. 1 BGB) vorliegen sollen.3 Größere Bedeutung hat § 1822 Nr. 10 BGB. Danach besteht das Genehmigungserfordernis, wenn der Minderjährige infolge des Beitritts einer Ausfallhaftung gem. § 24 GmbHG4 oder einer Haftung gem. § 31 Abs. 3 GmbHG wegen in der Vergangenheit erfolgter Auszahlungen ausgesetzt ist.5 Besteht eine solche Haftung nicht und sollen auch die Einlagen auf die neuen Geschäftsanteile voll eingezahlt werden, liegen die Voraussetzungen für das Genehmigungserfordernis nicht vor. Existiert jedoch das vorgenannte Haftungsrisiko oder sollen die Einlagen nicht voll eingezahlt werden, ist die Genehmigung erforderlich.6 Etwas anderes gilt nur, wenn ausschließlich der Minderjährige neue Anteile übernimmt, die nicht voll eingezahlt werden müssen, und das vorbezeichnete Haftungsrisiko nicht besteht. § 1822 Nr. 10 BGB gilt dann nicht, weil den Minderjährigen in diesem Fall nicht die Haftung für eine fremde Verbindlichkeit trifft. Bei einer Sachkapitalerhöhung ist § 1822 Nr. 10 BGB stets einschlägig, weil die Gesellschafter gem. §§ 56 Abs. 2, 9, 24 GmbHG auf eine etwaige Wertdifferenz haften.7 Ist der Minderjährige bereits Gesellschafter und über-

1 Hermanns in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt3, § 55 GmbHG Rz. 78; Ivo in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 19 Rz. 57; s. für den Fall der Anteilsübertragung BGH v. 20.2.1989 – II ZR 148/88, NJW 1989, 1927. 2 Lieder in MüKo2, § 55 GmbHG Rz. 116. 3 Bürger, RNotZ 2006, 156 (167 f.); s. im Zusammenhang mit der Kapitalerhöhung auch Ulmer/ Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe2, § 55 GmbHG Rz. 64; a.A. wohl Hermanns in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt3, § 55 GmbHG Rz. 78; Werner, GmbHR 2006, 737 (738). 4 Lieder in MüKo2, § 55 GmbHG Rz. 115. 5 Bürger, RNotZ 2006, 156 (168). 6 Priester in Scholz11, § 55 GmbHG Rz. 108; Lieder in MüKo2, § 55 GmbHG Rz. 115; a.A. Bayer in Lutter/Hommelhoff19, § 55 GmbHG Rz. 37, der im Hinblick auf die Ausfallhaftung gem- §§ 24, 31 Abs. 3 GmbHG die Genehmigungsbedürftigkeit stets für gegeben sieht; teilweise wird auch vertreten, dass bereits dann, wenn neben dem Minderjährigen weitere Gesellschafter Geschäftsanteile übernehmen, die Genehmigung erforderlich sei, weil zum Zeitpunkt der Übernahme die Einzahlung auf die Geschäftsanteile typischerweise noch nicht erfolgt sei und der Minderjährige daher für die Einzahlungen aller Zeichner haften könne, so ausdrücklich Bürger, RNotZ 2016, 156 (168) und Saß, RNotZ 2016, 213 (220); hiergegen spricht jedoch, dass die Haftung des Minderjährigen aus § 24 GmbHG für die Einzahlungen der weiteren Übernehmer – insofern anders als bei der Gründung – erst nach Durchführung der Kapitalerhöhung und Aufnahme des Minderjährigen in die Gesellschafterliste besteht und dass eine Haftung dann, wenn die Kapitalerhöhung erst nach Volleinzahlung der neu geschaffenen Geschäftsanteile vollzogen werden soll, ausgeschlossen bzw. allenfalls dann möglich ist, wenn entgegen dem Erhöhungsbeschluss die Durchführung der Kapitalerhöhung vor Volleinzahlung erfolgt. Ein solch theoretischer Geschehensablauf rechtfertigt aber nicht das Genehmigungserfordernis. 7 Lieder in MüKo2, § 55 GmbHG Rz. 115; auch insofern muss aber eine Ausnahme gemacht werden, wenn nur der Minderjährige eine Sache einbringt.

98 | Cramer

C. Beteiligung von Minderjährigen | Rz. 2.131 Kap. 2

nimmt er weitere Geschäftsanteile, besteht das Genehmigungserfordernis gem. § 1822 Nr. 10 BGB nicht, da die Haftung dann auf der schon vorhandenen Gesellschafterstellung, nicht auf der Übernahme neuer Anteile beruht.1 bb) AG Bei der AG übernimmt der Minderjährige neue Aktien durch den Abschluss eines Zeichnungsvertrages. Dieser wird mit der AG geschlossen, die dabei, insoweit anders als bei der GmbH, durch den Vorstand vertreten wird.2 Ein Vertretungsausschluss der Eltern gem. §§ 1629 Abs. 2 Satz 1, 1795 Abs. 2, 181 BGB kommt daher nur in Betracht, wenn ein Elternteil zugleich als Vorstand für die AG handelt.3 Die Stellung der Eltern als Aktionär ist ohne Einfluss auf ihre gesetzliche Vertretungsmacht für das minderjährige Kind.

2.129

Die Zeichnung von Aktien ist nicht gem. § 1822 Nr. 10 BGB genehmigungsbedürftig, da bei der AG eine Haftung für fremde Verbindlichkeiten im Zusammenhang mit der Teilnahme an einer Kapitalerhöhung nicht besteht.4 Hinsichtlich der Genehmigungsbedürftigkeit gem. § 1822 Nr. 3 BGB kann auf die Ausführungen zur GmbH verwiesen werden (Rz. 3.128).5

2.130

b) Derivativer Anteilserwerb Der derivative Erwerb von GmbH-Geschäftsanteilen oder Aktien von den Eltern bedarf jedenfalls dann der Hinzuziehung eines Ergänzungspflegers, wenn der Erwerb entgeltlich erfolgt6 und/oder die Geschäftsanteile bzw. Namensaktien (vgl. § 10 Abs. 2 AktG) nicht voll eingezahlt sind.7 Der unentgeltliche Erwerb voll eingezahlter Aktien ist rechtlich lediglich vorteilhaft, weil im Aktienrecht eine dem GmbH-Recht vergleichbare Ausfallhaftung nicht existiert.8 Ob dies auch für den unentgeltlichen Erwerb von voll eingezahlten GmbH-Geschäftsanteilen gilt, ist umstritten. Wegen der Möglichkeit einer (späteren) Ausfallhaftung gem. §§ 24, 31 Abs. 3 GmbHG wird verschiedentlich davon ausgegangen, dass ein rechtlicher

1 2 3 4 5 6 7

8

Priester in Scholz11, § 55 GmbHG Rz. 108; Lieder in MüKo2, § 55 GmbHG Rz. 115. Koch in Hüffer/Koch14, § 185 AktG Rz. 23. Ivo in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 19 Rz. 56. Buck, Der Erwerb von Gesellschaftsanteilen durch Minderjährige, S. 74; Ivo in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 19 Rz. 59. S. speziell zur AG auch Büchel, Beteiligung von Minderjährigen an Familiengesellschaften, S. 111. Everts in Herrler, Gesellschaftsrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, § 18 Rz. 11; Bürger, RNotZ 2006, 156 (165); der Ergänzungspfleger muss in diesem Fall hinsichtlich der Vornahme des Verpflichtungsgeschäfts bestellt werden. S. zu teileingezahlten Namensaktien Büchel, Beteiligung von Minderjährigen an Familiengesellschaften, S. 82; s. auch Heinemann in Hauschild/Kallrath/Wachter, Notarhdb. Gesellschafts- und Unternehmensrecht2, § 32 Rz. 21, der insoweit möglicherweise jedoch von einem Nachteil des Verpflichtungsgeschäfts ausgeht; tatsächlich dürfte der Nachteil dem Verfügungsgeschäft anhaften. Ellenberger in Palandt79, § 107 BGB Rz. 4; Riedel in Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 12 Rz. 34; Ivo in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 19 Rz. 62; Maier-Reimer/Marx, NJW 2005, 3025; Rust, DStR 2005, 1942 (1947); Gebele, BB 2012, 728 (730); Flume, FamRZ 2016, 277 (280).

Cramer | 99

2.131

Kap. 2 Rz. 2.131 | Familienrechtliche Strukturüberlegungen

Nachteil bestehe,1 sodass sicherheitshalber ein Ergänzungspfleger beigezogen werden sollte. Es genügt allerdings – in Ermangelung von Vereinbarungen zwischen den Kindern – die Bestellung nur eines Ergänzungspflegers auch für mehrere Kinder.2

2.132

Eine familiengerichtliche Genehmigung gem. § 1822 Nr. 3 BGB ist aus den unter Rz. 3.128 genannten Gründen grundsätzlich nicht erforderlich. Nach h.M. gilt jedoch etwas anderes, wenn der Minderjährige infolge des entgeltlichen Erwerbs einer erheblichen Beteiligung wirtschaftlich eine Beteiligung am von der Gesellschaft betriebenen Erwerbsgeschäft erwirbt.3 Der BGH sieht die Voraussetzungen der Genehmigungsbedürftigkeit bereits bei einem Erwerb von mehr als 50 % der Geschäftsanteile an einer GmbH als gegeben.4 Der unentgeltliche Erwerb auch einer erheblichen Beteiligung bedarf keiner Genehmigung gem. § 1822 Nr. 3 BGB.5 Diese Ausführungen gelten für die AG entsprechend.6 Aus § 1822 Nr. 10 BGB folgt die Genehmigungsbedürftigkeit beim derivativen Erwerb, wenn den Minderjährigen eine Haftung für noch offene Einlagen auf die zu erwerbenden Geschäftsanteile (§ 16 Abs. 2 GmbHG7), wegen § 24 GmbHG die Haftung für ausstehende Einlagen der Mitgesellschafter oder wegen § 31 Abs. 3 GmbHG die Haftung für bereits erfolgte verbotene Auszahlungen treffen kann und ihm im Innenverhältnis der Regress vorbehalten ist.8 § 1822 Nr. 10 BGB gilt

1 Insofern ist der rechtliche Nachteil nach h.M. also weiter zu verstehen als die Verbindlichkeit i.S.d. § 1822 Nr. 10 BGB, s. etwa Ivo in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 19 Rz. 61; Everts in Herrler, Gesellschaftsrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, § 18 Rz. 13; Klamroth, BB 1975, 525 (527); Maier-Reimer/Marx, NJW 2005, 3025 f.; Bürger, RNotZ 2006, 156 (162); Werner, GmbHR 2006, 737 (738); Gebele, BB 2012, 728 (730); Flume, FamRZ 2016, 277 (280); rechtlich nachteilig wäre in diesem Fall aber i.d.R. nur das dingliche Geschäft, nicht der schuldrechtliche Schenkungsvertrag; a.A. und gegen die Annahme eines rechtlichen Nachteils Knothe in Staudinger, 2012, § 107 BGB Rz. 29; Riedel in Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 12 Rz. 34. 2 Heinemann in Hauschild/Kallrath/Wachter, Notarhdb. Gesellschafts- und Unternehmensrecht2, § 32 Rz. 7; Maier-Reimer/Marx, NJW 2005, 3025 (3026 f.). 3 OLG Hamm v. 9.7.1984 – 15 W 33/83, OLGZ 1984, 327 (330 f.); Reichert/Weller in MüKo3, § 15 GmbHG Rz. 502. 4 BGH v. 28.1.2003 – X ZR 199/99, ZEV 2003, 375 (376); nach der vorzugswürdigen Gegenansicht besteht das Genehmigungserfordernis nur dann, wenn der Minderjährige (nahezu) alle Anteile an der GmbH erwirbt, so etwa Seibt in Scholz12, § 15 GmbHG Rz. 244; Ebbing in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt3, § 15 GmbHG Rz. 168; s. auch Flume, FamRZ 2016, 277 (279). 5 BGH v. 20.2.1989 – II ZR 148/88, NJW 1989, 1926 (1927 f.); Reichert/Weller in MüKo3, § 15 GmbHG Rz. 502; Rust, DStR 2005, 1942 (1948); Bürger, RNotZ 2006, 156 (163 f.); a.A. Riedel in Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 12 Rz. 42, der entgegen dem Gesetzeswortlaut offenbar davon ausgeht, dass auch der unentgeltliche Erwerb das Genehmigungserfordernis gem. § 1822 Nr. 3 BGB auslöst. 6 Veit in Staudinger, 2014, § 1822 BGB Rz. 62; Fortun, NJW 1999, 754 (756); Rust, DStR 2005, 1942 (1948); Bost, NJOZ 2012, 241 (244). 7 S. zur Haftung des Rechtsnachfolgers einer Aktie für offene Einlageforderungen Koch in Hüffer/ Koch14, § 54 AktG Rz. 4. 8 Ebbing in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt3, § 15 GmbHG Rz. 169; das Genehmigungserfordernis besteht daher nicht, wenn ausschließlich die auf den Minderjährigen zu übertragenden Geschäftsanteile noch nicht voll eingezahlt sind und nach der Abrede zwischen Veräußerer und Erwerber die Einzahlung durch den Minderjährigen erfolgen soll, da ein Regress dann gerade nicht vorbehalten ist, s. Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe3, § 15 GmbHG Rz. 289; Flume, FamRZ 2016, 277 (281); in einem solchen Fall könnte nach Ansicht des BGH aber § 1822 Nr. 3 BGB greifen (entgeltlicher Erwerb), wenn der Minderjährige mehr als 50 % der Anteile erwirbt.

100 | Cramer

C. Beteiligung von Minderjährigen | Rz. 2.133 Kap. 2

jedoch nicht, wenn eine Haftung gem. § 31 Abs. 3 BGB zum Zeitpunkt des Anteilserwerbs1 nicht besteht und erst infolge künftiger Auszahlungen theoretisch entstehen könnte.2 Beim Erwerb von Aktien an einer AG besteht das Genehmigungserfordernis des § 1822 Nr. 10 BGB nur dann, wenn die Einlagen auf Namensaktien noch nicht voll eingezahlt sind und die Einzahlungsverpflichtung im Verhältnis zum minderjährigen Erwerber den Veräußerer treffen soll, sodass der Minderjährige zum Regress berechtigt ist.3

V. Der Minderjährige in der Gesellschaft 1. Gesellschafterbeschlüsse Der Minderjährige wird in der Gesellschafterversammlung durch seinen gesetzlichen Vertreter vertreten, der somit auch das Stimmrecht im Namen des Mündels abgeben kann. Ist der gesetzliche Vertreter selbst an der Gesellschaft beteiligt, stellt sich die Frage, ob § 181 BGB der Stimmabgabe entgegensteht. Nach heute ganz h.M. ist zu unterscheiden: Betrifft die Stimmabgabe einen Grundlagenbeschluss, wie z.B. die Änderung des Gesellschaftsvertrages, ist § 181 BGB anwendbar und der gesetzliche Vertreter ist von der Stimmabgabe ausgeschlossen. Handelt es sich dagegen um einen Beschluss, der die Geschäftsführung bzw. die laufenden gemeinsamen Gesellschaftsangelegenheiten betrifft, greift § 181 BGB nicht ein und der gesetzliche Vertreter kann das Stimmrecht für sich selbst und für den Mündel ausüben.4 Der BGH erkennt nur in dem zuerst genannten Fall den für § 181 BGB typischen Interessenkonflikt, bei dem sich die Beteiligten als Geschäftsgegner gegenüberstehen, während in der zweiten Fallgruppe die Verfolgung des gemeinsamen Gesellschaftszwecks im Vordergrund stehe, was der Heranziehung von § 181 BGB entgegenstehe.5 Entscheidende Bedeutung kommt damit der Abgrenzung der beiden Fallgruppen zu. Zu den Grundlagenbeschlüssen werden neben der bereits angesprochenen Satzungsänderung Beschlussfassungen gezählt, die die Auflösung der Gesellschaft, die Bestellung des gesetzlichen Vertreters zum Geschäftsführer, die Umwandlung nach dem UmwG oder den Abschluss von Unternehmensverträgen betreffen.6 Dasselbe soll für die Zustimmung zu einem Gesellschafterwechsel in der KG gelten.7 In diesen

1 S. zum Anteilserwerb als maßgeblichem Zeitpunkt Reichert/Weller in MüKo3, § 15 GmbHG Rz. 503. 2 BGH v. 20.2.1989 – II ZR 148/88, NJW 1989, 1926 (1927); Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe3, § 15 GmbHG Rz. 289; Seibt in Scholz12, § 15 GmbHG Rz. 244; a.A. Rust, DStR 2005, 1942 (1948). 3 A.A. Heinemann in Hauschild/Kallrath/Wachter, Notarhdb. Gesellschafts- und Unternehmensrecht2, § 32 Rz. 22; s. zu §§ 1811, 1807 BGB im Zusammenhang mit dem Erwerb von Aktien Merkenich, Erwerb von Personen- und Kapitalgesellschaftsanteilen durch Minderjährige, S. 122 f.; Ivo in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 19 Rz. 59. 4 BGH v. 18.9.1975 – II ZB 6/74, NJW 1976, 49; Noack in Baumbach/Hueck22, § 47 GmbHG Rz. 60; Cramer, NZG 2012, 765 (767); dies gilt auch für die Personengesellschaften, s. Schilken in Staudinger, 2014, § 181 BGB Rz. 26; a.A. und für die Anwendung des § 181 BGB auf alle Beschlüsse Römermann in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt3, § 47 GmbHG Rz. 125. 5 Kritisch jedoch insofern Maier-Reimer in Erman15, § 181 BGB Rz. 19. 6 Noack in Baumbach/Hueck22, § 47 GmbHG Rz. 60; Ivo in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 19 Rz. 67; speziell zur Geschäftsführerbestellung (allerdings bei einer GbR) BGH v. 24.9.1990 – II ZR 167/89, NJW 1991, 691; anders jedoch OLG Nürnberg v. 12.4.2018 – 12 W 669/18, MittBayNot 2018, 333 für die Bestellung eines Geschäftsführers, der nicht der gesetzliche Vertreter, dessen Ehegatte, Lebenspartner oder Verwandter in gerader Linie i.S.v. § 1795 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist; ebenso Bürger, RNotZ 2006, 156 (172) mit der richtigen Empfehlung, eine geplante Geschäftsführerbestellung vor dem Beitritt des Minderjährigen zu vollziehen. 7 OLG Oldenburg v. 17.7.2019 – 12 W 53/19, GmbHR 2019, 1119; OLG Oldenburg v. 18.3.2019 – 12 W 9/19, NZG 2019, 503; dagegen jedoch Wachter, GmbHR 2019, 1119 (1124).

Cramer | 101

2.133

Kap. 2 Rz. 2.133 | Familienrechtliche Strukturüberlegungen

Fällen ist auch der Ergänzungspfleger zur Teilnahme an der Gesellschafterversammlung zu laden.1 Ist zweifelhaft, ob ein Grundlagenbeschluss vorliegt, sollte vorsorglich ein Ergänzungspfleger hinzugezogen werden.2 In der AG ist § 181 BGB auf die Stimmabgabe in der Hauptversammlung unanwendbar und die Bestellung eines Ergänzungspflegers nicht erforderlich.3

2.134

Im Einzelfall können in der Gesellschaft gefasste Beschlüsse auch der familiengerichtlichen Genehmigung bedürfen. Dies betrifft allerdings nicht Änderungen des Gesellschaftsvertrages, die bei einer GmbH nach ganz h.M.4 und bei den Personengesellschaften zumindest nach der Rechtsprechung des BGH5 nicht gem. § 1822 Nr. 3 BGB genehmigungsbedürftig sind. § 1822 Nr. 10 BGB kann jedoch im Einzelfall einschlägig sein, insbesondere bei der Änderung der Gesellschafterstellung als Kommanditist zu derjenigen eines Komplementärs.6 Im Einzelfall ist die Genehmigungsbedürftigkeit auch bei einer Umwandlung nach dem UmwG denkbar.7

2.135

Zur Vermeidung einer ggf. erforderlichen Mitwirkung eines Ergänzungspflegers kann es sich empfehlen, den oder die in die Gesellschaft aufzunehmenden Minderjährigen über eine für diesen Zweck zu gründende Beteiligungsgesellschaft an der Zielgesellschaft zu beteiligen.8 Beispiel:

2.136

Mutter M ist an einer Familien-GmbH mit 20 % am Stammkapital beteiligt und möchte die Hälfte ihrer Anteile auf ihren minderjährigen Sohn S übertragen. Da in der Zukunft umfassende Änderungen der Satzung vorgesehen sind, fürchten die Mitgesellschafter den äußeren Einfluss eines Ergänzungspflegers. Sie erwägen, die nach der Satzung erforderliche Zustimmung zur Anteilsübertragung zu versagen. Lösung:

2.137

Es besteht die Möglichkeit, S über eine zu errichtende Beteiligungsgesellschaft (z.B. GmbH) an der Familiengesellschaft zu beteiligen, zu deren Geschäftsführerin M oder eine sonstige dritte Person bestellt wird. Die künftigen Satzungsänderungen in der Familien-GmbH können dann ohne Einschaltung eines Ergänzungspflegers beschlossen werden, weil S nicht unmittelbar an der Zielgesellschaft

1 Hüffer/Schürnbrand in Ulmer/Habersack/Löbbe2, § 51 GmbHG Rz. 12; Ivo in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 19 Rz. 69; Bürger, RNotZ 2006, 156 (170). 2 Ivo in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 19 Rz. 66. 3 Schilken in Staudinger, 2014, § 181 BGB Rz. 25; Maier-Reimer in Erman15, § 181 BGB Rz. 19; Ivo in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 19 Rz. 68; Everts in Herrler, Gesellschaftsrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, § 18 Rz. 14; a.A. Leptien in Soergel13, § 181 BGB Rz. 21. 4 Noack in Baumbach/Hueck22, § 53 GmbHG Rz. 81; Veit in Staudinger, 2014, § 1822 BGB Rz. 94; Ulmer/Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe2, § 53 GmbHG Rz. 25; Harbarth in MüKo2, § 53 GmbHG Rz. 84; Oelers, MittRhNotK 1992, 69 (77); a.A. jedoch Teile der Literatur, s. etwa KrollLudwigs in MüKo7, § 1822 BGB Rz. 28; die Genehmigungsbedürftigkeit dürfte jedoch bestehen, wenn infolge der Änderung des Gesellschaftsvertrages die Gesellschaft künftig nicht mehr vermögensverwaltend tätig ist, sondern ein Erwerbsgeschäft i.S.d § 1822 Nr. 3 BGB betreibt, s. van de Loo/Strnak, ZEV 2018, 618 (622). 5 BGH v. 20.9.1962 – II ZR 209/61, NJW 1962, 2344; zustimmend Schäfer in MüKo7, § 705 BGB Rz. 71; Roth in Baumbach/Hopt39, § 105 HGB Rz. 26; Veit in Staudinger, 2014, § 1822 BGB Rz. 94; a.A. jedoch Teile der Literatur, s. etwa Kroll-Ludwigs in MüKo7, § 1822 BGB Rz. 28. 6 Veit in Staudinger, 2014, § 1822 BGB Rz. 95; Ivo in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 19 Rz. 71; K. Winkler, ZGR 1973, 177 (201); Weinbrenner, FPR 2009, 265 (268). 7 S. OLG Stuttgart v. 20.9.1978, OLGZ 1978, 426; Reimann, DNotZ 1999, 179 (198 f.); Rust, DStR 2005, 1992 (1994). 8 S. auch Everts in Herrler, Gesellschaftsrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, § 18 Rz. 1.

102 | Cramer

C. Beteiligung von Minderjährigen | Rz. 2.140 Kap. 2 beteiligt ist und die Beteiligungsgesellschaft durch den Geschäftsführer in der Gesellschafterversammlung der Familien-GmbH vertreten wird.

2. Handelsregisteranmeldungen Bei Anmeldungen zum Handelsregister können (auch mehrere) minderjährige Kinder ohne die Notwendigkeit eines Ergänzungspflegers durch die gesetzlichen Vertreter vertreten werden. Die §§ 1629 Abs. 2 Satz 1, 1795 Abs. 2, 181 BGB stehen dem nicht entgegen, weil es sich bei der Registeranmeldung um eine Verfahrenserklärung gegenüber dem Registergericht handelt und nicht um eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung zwischen den Kindern oder den Kindern und den jeweiligen gesetzlichen Vertretern.1 Beteiligt sich also der Minderjährige an der Gründung einer OHG oder KG, muss die entsprechende Handelsregisteranmeldung nicht von dem Ergänzungspfleger unterzeichnet werden. Die Registeranmeldung kann jedoch von dem Ergänzungspfleger unterzeichnet werden, wenn deren Abgabe zu seinem Aufgabenkreis zählt.2

2.138

3. Erteilung einer Handelsregistervollmacht Ist der Minderjährige Gesellschafter einer OHG oder KG, müssen nahezu alle Änderungen auf Ebene der Gesellschaft, die zum Handelsregister angemeldet werden müssen, durch alle Gesellschafter unter Einschluss des Minderjährigen zum Register angemeldet werden.3 Die Praxis behilft sich in diesen Fällen mit der Verwendung von Handelsregistervollmachten. Eine solche Handelsregistervollmacht kann auch der gesetzliche Vertreter für das minderjährige Kind erteilen.4 Sie erlischt nicht durch den Wegfall der gesetzlichen Vertretungsmacht und besteht auch bei Eintritt der Volljährigkeit des zuvor Minderjährigen bis zu ihrem Widerruf fort.5

2.139

4. Veräußerung von Gesellschaftsgrundbesitz Die Eltern bedürfen gem. §§ 1643 Abs. 1, 1821 Nr. 1 und 4 BGB zur Verfügung über ein Grundstück und zur Eingehung einer diesbezüglichen Verpflichtung der familiengerichtlichen Genehmigung. Verfügt die Gesellschaft über ein Grundstück und soll dieses veräußert werden, stellt sich die Frage, ob das Genehmigungserfordernis auch in diesem Fall gilt. Dies ist jedenfalls nicht der Fall, wenn es sich bei der Gesellschaft um eine juristische Person, insbesondere also um eine GmbH oder AG, handelt, und zwar selbst dann nicht, wenn der Minderjährige deren einziger Gesellschafter ist.6 Dasselbe gilt im Hinblick auf die Personenhandelsgesellschaften.7 Andernfalls würde das Familiengericht gleichsam in die Gesellschaft „hineinregieren“ und das Genehmigungserfordernis, das nur zum Schutz des Minderjährigen be-

1 BayObLG (2.ZS) v. 21.5.1970 – BReg. 2 Z 24/70, BayObLGZ 1970, 133 (134); Schaub, MittBayNot 1999, 539 (544); Maier-Reimer/Marx, NJW 2005, 3025 (3026); Gebele, BB 2012, 728 (729). 2 Ivo in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 19 Rz. 31. 3 Quinke in Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht4, Bd. 1, § 50 Rz. 14. 4 Ivo in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 19 Rz. 33. 5 Ivo in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 19 Rz. 33; Schaub, MittBayNot 1999, 539 (541). 6 Kroll-Ludwigs in MüKo7, § 1821 BGB Rz. 8. 7 BGH v. 29.6.1970 – II ZR 158/69, NJW 1971, 375 (376) (zu § 1822 Nr. 3 BGB); Kroll-Ludwigs in MüKo7, § 1821 BGB Rz. 9.

Cramer | 103

2.140

Kap. 2 Rz. 2.140 | Familienrechtliche Strukturüberlegungen

steht, würde sich zulasten aller Gesellschafter auswirken.1 Nicht abschließend geklärt ist die Rechtslage, wenn es sich bei der Gesellschaft um eine GbR handelt. Nach heute h.M. ist eine Genehmigung auch bei der GbR nicht erforderlich, wenn die GbR ein Erwerbsgeschäft betreibt, weil eine spätere Veräußerung dann bereits von der Genehmigung des Beitritts des Minderjährigen zur Gesellschaft gedeckt sei.2 Für rein vermögensverwaltende Gesellschaften wird überwiegend jedoch das Genehmigungserfordernis befürwortet, und zwar selbst dann, wenn bereits der Beitritt des Minderjährigen familiengerichtlich genehmigt wurde.3 Bis auf weiteres sollte daher jedenfalls bei einer vermögensverwaltenden GbR das Familiengericht vorsorglich eingebunden werden.

1 BGH v. 29.6.1970 – II ZR 158/69, NJW 1971, 375 (376) (zu § 1822 Nr. 3 BGB). 2 OLG Schleswig v. 21.6.2001 – 2 W 133/01, MittBayNot 2002, 294; OLG Hamm v. 18.3.2016 – 2 WF 170/15, NZG 2016, 907. 3 OLG Koblenz v. 22.8.2002 – 9 UF 397/02, NJW 2003, 1401 (1402); OLG Nürnberg v. 4.10.2012 – 15 W 1623/12, MittBayNot 2014, 165 (jedenfalls dann, wenn Veräußerung von Grundbesitz aus Gesellschaftsvertrag nicht erkennbar); Böttcher, NJW 2013, 2805 (2807); etwas anderes soll nach teilweise vertretener Auffassung aber gelten, wenn die Veräußerung von Grundbesitz Bestandteil des Gegenstandes des Unternehmens ist, weshalb die Aufnahme einer entsprechenden Regelung in den Gesellschaftsvertrag empfohlen wird, so Ivo in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts4, § 19 Rz. 79; in diese Richtung auch Kroll-Ludwigs in MüKo7, § 1821 BGB Rz. 9, die aber zusätzlich verlangt, dass die Grundstücksgeschäfte zum Zeitpunkt der familiengerichtlichen Genehmigung absehbar waren; a.A. (niemals genehmigungsbedürftig) Wertenbruch, FamRZ 2003, 1714 f.; Czeguhn/Dickmann, FamRZ 2004, 1534 (1536 f.); Wertenbruch, NJW 2015, 2150.

104 | Cramer

Kapitel 3 Entgeltliche und unentgeltliche Unternehmensnachfolge, Nießbrauch und Versorgungsleistungen A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Unternehmensnachfolge gegen Entgelt I. Entgeltliche Nachfolge bei Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Entgeltliche Nachfolge bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Unentgeltliche Unternehmensnachfolge I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unentgeltliche Nachfolge bei Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Unentgeltliche Nachfolge bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Unternehmensnachfolge gegen Teilentgelt I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Teilentgeltliche Nachfolge bei Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Teilentgeltliche Nachfolge bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Entgeltlichkeit: Grenzfälle I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vermutungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vorbehaltsnießbrauch . . . . . . . . . . . . IV. Versorgungsleistungen . . . . . . . . . . . V. Weitergabe von Teilen des erworbenen Vermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Abstands- und Ausgleichszahlungen VII. Übernahme von Verbindlichkeiten . F. Nießbrauch I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zivilrecht 1. Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestellung und Ende des Nießbrauchs 3. Rechtsfolgen des Nießbrauchs a) Lückenhafte gesetzliche Regelung b) Stimmrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gewinnberechtigung . . . . . . . . . . .

3.1

3.3

III. 1. 2. 3. 4.

3.5

3.9 3.10

G. I. II. 1. 2.

3.11

3.15 3.16

3.

3.19 3.23 3.24 3.25 3.26 3.27 3.28 3.29 3.30 3.32 3.33 3.35 3.36 3.38

4. 5. 6. 7. 8. 9. H. I. II. III. J.

Steuerrecht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.40 Ertragsteuer: Mitunternehmerstellung 3.41 Ertragsteuer: Keine Versteuerung stiller Reserven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.44 Erbschaftsteuer a) Steuermindernder Abzug des Kapitalwertes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.48 b) Begünstigungsregelungen (§§ 13a, 13b ErbStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.49 Versorgungsleistungen Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.53 Steuerrechtliche Voraussetzungen Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.56 Begünstigtes Vermögen a) Abschließende Aufzählung . . . . . . 3.58 b) Mitunternehmeranteil an einer Personengesellschaft . . . . . . . . . . . 3.59 c) Betrieb oder Teilbetrieb . . . . . . . . 3.63 d) GmbH-Beteiligung . . . . . . . . . . . . 3.64 Näheverhältnis a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.65 b) Empfänger des Vermögens . . . . . . 3.66 c) Empfänger der Versorgungsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.67 Unentgeltlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.68 Ausreichend Ertrag bringendes Vermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.69 Vertragsgerechte Erbringung von Versorgungsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . 3.70 Rechtsfolgen bei Vorliegen von Versorgungsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.71 Rechtsfolgen bei Nichtvorliegen von Versorgungsleistungen . . . . . . . . . . . . 3.72 Erbschaft-/Schenkungsteuer . . . . . . . . 3.73 Veräußerungsrenten Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.74 Veräußerung eines Betriebes oder Mitunternehmeranteils gegen private Veräußerungsrente . . . . . . . . . . . . . . 3.76 Veräußerung einer GmbH-Beteiligung gegen private Veräußerungsrente . . . 3.82 Vergleich Nießbrauch/Versorgungsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.90

Möller | 105

Kap. 3 Rz. 3.1 | Nachfolge, Nießbrauch, Versorgungsleistungen

A. Einleitung 3.1

Die Unterscheidung zwischen unentgeltlicher und entgeltlicher Unternehmensnachfolge ist vor allem im Hinblick auf die Steuerfolgen von wesentlicher Bedeutung. Die unentgeltliche Nachfolge ist häufig ertragsteuerneutral – insbesondere ohne die Versteuerung vorhandener stiller Reserven – möglich, unterliegt aber grundsätzlich der Schenkungsteuer (vorbehaltlich insbesondere der weit reichenden Verschonungsregelungen für Betriebsvermögen). Eine entgeltliche Nachfolge löst dagegen häufig eine Ertragsteuerbelastung beim Übergeber, aber keine Schenkungsteuer aus.

3.2

Im Folgenden werden zunächst die Rechtsfolgen der entgeltlichen, der unentgeltlichen und der teilentgeltlichen Nachfolge einander gegenübergestellt (Abschnitte B. [Rz. 3.3], C. [Rz. 3.9], D. [Rz. 3.15]). Im Anschluss daran werden Grenzfälle behandelt, in denen das Vorliegen eines Entgelts zweifelhaft sein kann (Abschnitt E. [Rz. 3.23]). Darauf folgen Überblicksdarstellungen zur Unternehmensnachfolge unter Nießbrauchsvorbehalt und gegen Versorgungsleistungen (Abschnitte F. [Rz. 3.30], G. [Rz. 3.53]). Dabei handelt es sich nach Rechtsprechung und Finanzverwaltung um wichtige Fälle der unentgeltlichen Nachfolge; der vom Nachfolger eingeräumte Nießbrauch respektive die vom Nachfolger gezahlten Versorgungsleistungen sollen keine Gegenleistung darstellen, sondern vorbehaltene Erträge des übertragenen Vermögens.1 Auf Einzelheiten zu den Themen Vorbehaltsnießbrauch und Versorgungsleistungen wird in gesonderten Kapiteln dieses Buches eingegangen (Kapitel 22 und 23). Von als Versorgungsleistungen einzuordnenden Renten sind Renten abzugrenzen, die als Gegenleistung (Entgelt) für eine Vermögensübertragung zugesagt werden (Veräußerungsrenten, Abschnitt H. [Rz. 3.74]).2 Der Veräußerer hat hier häufig ein Wahlrecht zwischen Sofort- und Zuflussbesteuerung. Das Kapitel schließt mit einem Abschnitt zu der Frage, welche Aspekte in der Praxis häufig die Wahl zwischen Versorgungsleistungen und Nießbrauch entscheiden (Abschnitt J. [Rz. 3.90])

B. Unternehmensnachfolge gegen Entgelt I. Entgeltliche Nachfolge bei Kapitalgesellschaften 3.3

Wird das zu übertragende Unternehmen in der Rechtsform der Kapitalgesellschaft (insbesondere als GmbH oder AG) betrieben, kommt eine Nachfolge sowohl im Wege des Asset Deals als auch im Wege des Share Deals in Betracht. – Beim Asset Deal tritt als Veräußerin die Kapitalgesellschaft auf. Gegenstand der Veräußerung sind die einzelnen positiven und negativen Wirtschaftsgüter, die den Betrieb der Kapitalgesellschaft bilden. – Beim Share Deal veräußert der Gesellschafter der Kapitalgesellschaft seine Anteile an dieser.

3.4

Für die Wahl zwischen Asset und Share Deal werden die Unterschiede in der steuerlichen Behandlung häufig den Ausschlag geben: – Der Asset Deal wird bei der veräußernden Kapitalgesellschaft wie ein normaler Geschäftsvorfall besteuert. Verkürzt gesprochen, versteuert die Gesellschaft also ihren Veräuße1 BFH v. 5.7.1990 – GrS 4-6/89, BStBl. II 1990, 847. 2 S. dazu Förster, FR 2019, 500 ff.

106 | Möller

B. Unternehmensnachfolge gegen Entgelt | Rz. 3.4 Kap. 3

rungsgewinn – berechnet als Differenz zwischen dem Veräußerungspreis und den Buchwerten der übertragenen Wirtschaftsgüter – mit einem Steuersatz von rund 30 % (wenn der Gewinn auch der Gewerbesteuer unterliegt und abhängig vom jeweiligen Gewerbesteuer-Hebesatz). Beim Erwerber führt der gezahlte Kaufpreis zu Anschaffungskosten bzw. Buchwerten, die sich auf die einzelnen dem Betrieb zugehörigen Wirtschaftsgüter verteilen. Damit ist meistens ein gegenüber dem Share Deal erhöhtes Abschreibungsvolumen verbunden. – Auf Gesellschafterebene hat ein Asset Deal, bei dem eine Kapitalgesellschaft ihr Unternehmen verkauft, grundsätzlich1 keine steuerlichen Folgen. Wegen des Trennungsprinzips, das für die Besteuerung der Kapitalgesellschaften und deren Anteilseigner prägend ist, führt insbesondere ein von der Kapitalgesellschaft erzielter Veräußerungsgewinn nicht zu einer Steuerlast des Gesellschafters. Vom Gesellschafter zu versteuernde Einkünfte ergeben sich erst, wenn die Kapitalgesellschaft den Gewinn oder einen Teil davon ausschüttet. – Der Share Deal ist häufig aus Veräußerersicht steuerlich vorteilhaft: Bei natürlichen Personen unterliegt der Veräußerungsgewinn aus Anteilen, die § 17 EStG unterfallen (Beteiligung von mindestens 1 % innerhalb der letzten fünf Jahre) der Besteuerung nur nach dem Teileinkünfteverfahren; 40 % des Veräußerungsgewinns bleiben also steuerfrei (§ 3 Nr. 40 Satz 1 lit. d EStG i.V.m. § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG). Ist die Veräußerin der Beteiligung ihrerseits eine Kapitalgesellschaft (etwa eine Holdinggesellschaft), bleibt der Veräußerungsgewinn nach § 8b Abs. 2, 3 KStG im Ergebnis regelmäßig sogar zu 95 % steuerfrei. Diesen Vorteilen für den Veräußerer stehen aus Sicht des Erwerbers Nachteile gegenüber. Insbesondere hat der gezahlte Kaufpreis auf die Buchwerte der Wirtschaftsgüter, die sich im Vermögen der Gesellschaft befinden, keinen Einfluss. Bei einem Kaufpreis, der die Buchwerte übersteigt, findet also keine „Aufstockung“ statt, das Abschreibungsvolumen auf Gesellschaftsebene ändert sich nicht. Ein hoher Anteilskaufpreis führt zwar zu hohen Anschaffungskosten für die erworbenen Anteile. Diese Anteile unterliegen aber keiner planmäßigen Abschreibung. Auch eine steuerwirksame Abschreibung auf einen niedrigeren Teilwert kommt entweder gar nicht (bei Beteiligungen im Privatvermögen sowie nach § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG) oder nur zu 60 % (Teileinkünfteverfahren, § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG) in Betracht. – Auf Gesellschaftsebene führt der Share Deal über Anteile an einer Kapitalgesellschaft nicht zu einer Steuerlast. Der Gesellschafterwechsel lässt die steuerliche Situation der Gesellschaft aber häufig nicht ganz unberührt. Insbesondere können – systematisch vor dem Hintergrund des Trennungsprinzips nicht überzeugend – Verlustvorträge nach § 8c KStG untergehen.2 Der Gesetzgeber hat allerdings Ausnahmen vom Verlustuntergang eingeführt, die in der Praxis zu einer gewissen Entschärfung des Problems geführt haben (s. insbesondere die sog. Stille Reserven-Klausel in § 8c Abs. 1 Satz 6 ff. sowie die Regelungen zum fortführungsgebundenen Verlustvortrag in § 8d KStG). Nach Auffassung des BMF soll § 8c KStG zudem nicht greifen beim „Erwerb seitens einer natürlichen Person durch 1 Anders ist dies etwa, wenn sich im Betriebsvermögen der Kapitalgesellschaft Anteile an einer anderen Kapitalgesellschaft befinden, die aufgrund einer vorangegangenen Einbringung zu Buchwerten sperrfristbehaftet i.S.v. § 22 Abs. 2 UmwStG sind. 2 Das BVerfG hat zwar mit Beschluss vom 29.3.2017 (Az. 2 Bvl 6/11 – BGBl. I 2017, 1289) entschieden, dass die alte Fassung des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG, die einen anteiligen Verlustuntergang bei Übertragung von mehr als 25 % und bis zu 50 % der Anteile vorsah, verfassungswidrig war. § 8c KStG gilt daher heute nur noch bei Anteilsübertragungen von mehr als 50 %, s. Hörmann, DStR 2019, 847 ff.

Möller | 107

Kap. 3 Rz. 3.4 | Nachfolge, Nießbrauch, Versorgungsleistungen

Erbfall einschließlich der unentgeltlichen Erbauseinandersetzung und der unentgeltlichen vorweggenommenen Erbfolge zwischen Angehörigen iSd § 15 AO“.1 Dass der Anwendungsbereich des § 8c KStG auf diesem Weg (weiter) eingeschränkt wird, ist grundsätzlich erfreulich. Als problematisch erweist sich aber, dass der Begriff der „vorweggenommenen Erbfolge“ gesetzlich nicht definiert ist. Zudem bindet die BMF-Auffassung die Gerichte nicht; daraus ergibt sich ein gewisses „Rechtsprechungsrisiko“.2

II. Entgeltliche Nachfolge bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften 3.5

Bei einem einzelunternehmerisch betriebenen Gewerbe entstehen durch den Unternehmensverkauf beim Veräußerer Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 EStG). Ist das veräußerte Vermögen ein ganzer Betrieb oder ein Teilbetrieb, kommen der Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG und/oder die Tarifbegünstigungen für außerordentliche Einkünfte gem. § 34 EStG in Betracht. Abweichend vom Einkommensteuerrecht unterliegt die Veräußerung eines ganzes Betriebes oder eines Teilbetriebes durch eine natürliche Person nicht der Gewerbesteuer.3

3.6

Ist Unternehmensträger eine Personengesellschaft, kommt – wie bei einer Kapitalgesellschaft als Unternehmensträger – eine Nachfolge sowohl im Wege des Asset Deal als auch im Wege des Share Deal in Betracht. Veräußert die Personengesellschaft ihre Aktiva und Passiva (Asset Deal), wird die Veräußerung für Zwecke der Einkommensteuer wie die Veräußerung eines Gewerbebetriebes durch einen Einzelunternehmer behandelt (transparente Besteuerung von Personengesellschaften). Es kommt also beim Gesellschafter zu Einkünften aus Gewerbebetrieb, die gem. § 16 Abs. 4 EStG und § 34 EStG begünstigt sein können. Nach § 7 Satz 2 Nr. 1 GewStG unterliegt ein Gewinn aus der Veräußerung eines ganzen Betriebs oder eines Teilbetriebs durch eine Mitunternehmerschaft nicht der Gewerbesteuer, soweit er auf eine natürliche Person als unmittelbar beteiligter Mitunternehmer entfällt.

3.7

Veräußert ein Mitunternehmer seinen Anteil an einer Mitunternehmerschaft mit gewerblichen Einkünften, ist auch ein dadurch entstehender Veräußerungsgewinn oder -verlust den Einkünften des Mitunternehmers aus Gewerbebetrieb (§ 15 EStG) zuzurechnen. Wiederum kommen der Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG und/oder die Tarifbegünstigungen für außerordentliche Einkünfte gem. § 34 EStG in Betracht, allerdings nur bei Übertragung eines gesamten Mitunternehmeranteils. Das Ergebnis aus der Veräußerung nur eines Teils eines Mitunternehmeranteils ordnet § 16 Abs. 1 Satz 2 EStG dagegen dem laufenden Ergebnis zu.

3.8

Gewerbesteuerlich führt auch die Veräußerung eines Mitunternehmeranteils zu einer Steuerlast auf Ebene der Gesellschaft (nicht auf Ebene des veräußernden Gesellschafters, s. § 7 Satz 2 GewStG).4 In Fällen der Unternehmensnachfolge ergibt sich Abweichendes aber regelmäßig aus § 7 Satz 2 Nr. 2 GewStG. Danach geht der Gewinn aus der Veräußerung eines ganzen Mitunternehmeranteils, soweit er auf eine natürliche Person als unmittelbar beteiligter Mitunternehmer entfällt, nicht in die Ermittlung des Gewerbeertrages ein.

1 BMF, Schr. v. 28.11.2017 – IV C 2 - S 2745-a/09/10002:004, DOK 2017/0789973, BStBl. I 2017, 1645, Rz. 4. 2 S. Lüdicke/Oppel in Lüdicke/Sistermann, Unternehmensteuerrecht2, § 16 Rz. 10. 3 GewStR 7.1 Abs. 3 sowie GewStH 7.1 Abs. 3 Stichwort „Veräußerungs- und Aufgabegewinne“ m.w.N. 4 Die Regelung ist verfassungsmäßig, s. BVerfG v. 10.4.2018 – 1 BvR 1236/11, BStBl. I 2018, 303.

108 | Möller

C. Unentgeltliche Unternehmensnachfolge | Rz. 3.13 Kap. 3

C. Unentgeltliche Unternehmensnachfolge I. Einleitung Die unentgeltliche Unternehmensnachfolge löst zunächst häufig Erbschafts- oder Schenkungsteuer aus. Darauf wird in anderen Teilen dieses Werkes ausführlich eingegangen (s. Rz. 6.155). Daneben kann die unentgeltliche Unternehmensnachfolge ertragsteuerlich relevant sein. Die ertragsteuerlichen Rahmenbedingungen werden im Folgenden behandelt.

3.9

II. Unentgeltliche Nachfolge bei Kapitalgesellschaften Die unentgeltliche Übertragung eines Anteils an einer Kapitalgesellschaft, den der Übergeber im Privatvermögen hält, führt beim Übergeber nicht zu einer Ertragsteuerlast. Zwar behandelt der BFH die Übertragung wertloser Anteile auf einen fremden Dritte ohne Gegenleistung als entgeltliche Veräußerung i.S.d. § 17 EStG (und bejaht daher einen steuerlich zu berücksichtigenden Veräußerungsverlust).1 Die unentgeltliche Übertragung werthaltiger Anteile erfüllt aber keinen Einkommensteuertatbestand (anders als bei Einzelunternehmen und Anteilen an Mitunternehmerschaften, bei denen grundsätzlich ein Entnahmetatbestand zu bejahen ist, s. Rz. 3.11). Der Erwerber führt bei unentgeltlichem Erwerb die Anschaffungskosten des Übergebers fort (§ 11d EStDV).

3.10

III. Unentgeltliche Nachfolge bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften Die unentgeltliche Übertragung von Wirtschaftsgütern, die zu einem Betrieb gehören, auf eine andere Person löst beim Übertragenden als Entnahmevorgang grundsätzlich die Besteuerung der stillen Reserven im übertragenen Vermögen aus. Bei den in § 6 Abs. 3 EStG genannten Sachgesamtheiten macht der Gesetzgeber davon indes eine Ausnahme. Die Vorschrift erleichtert insbesondere die vorweggenommene Erbfolge in Unternehmen.

3.11

Nach § 6 Abs. 3 EStG sind, wenn ein Betrieb, ein Teilbetrieb oder der Anteil eines Mitunternehmers an einem Betrieb unentgeltlich übertragen wird, bei der Ermittlung des Gewinns des bisherigen Betriebsinhabers (Mitunternehmers) die Wirtschaftsgüter grundsätzlich mit ihren Buchwerten anzusetzen; der Erwerber führt diese Buchwerte fort. Durch diese zwingende Buchwertverknüpfung wird beim Übergeber ein steuerbarer Übertragungsgewinn vermieden; vorhandene stille Reserven werden auf den Erwerber transferiert (Durchbrechung des Subjektsteuerprinzips).

3.12

Die Buchwertverknüpfung nach § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG setzt voraus, dass alle wesentlichen Betriebsgrundlagen durch einen einheitlichen Vorgang übertragen werden.2 Insbesondere müssen bei der Übertragung eines Mitunternehmeranteils auch Gegenstände des Sonderbetriebsvermögens übertragen werden, soweit sie zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen gehören. Behält der Übergeber eine wesentliche Betriebsgrundlage zurück, liegt – vorbehaltlich der gesetzlich geregelten Ausnahmen (s. Rz. 3.14) – keine erfolgsneutrale Übergabe, sondern eine Aufgabe des Betriebes oder Mitunternehmeranteils vor, die zur Aufdeckung vorhandener stiller Reserven führt (§ 16 Abs. 3 EStG). Die „Wesentlichkeit“ einer Betriebsgrundlage bestimmt sich dabei nur nach funktionalen Aspekten. Wirtschaftsgüter, in denen (lediglich) stille Reserven ruhen, die

3.13

1 S. zuletzt BFH v. 12.6.2018 – VIII R 32/16, DStR 2018, 1964 ff. m.w.N. 2 Ehmcke in Blümich, § 6 EStG Rz. 1222a f. (Stand: 8.2019).

Möller | 109

Kap. 3 Rz. 3.13 | Nachfolge, Nießbrauch, Versorgungsleistungen

für die Funktion des Betriebes aber nicht von Bedeutung sind, können daher zurückbehalten werden, ohne dass die Buchwertfortführung dadurch ausgeschlossen wird.1

3.14

Das Gesetz regelt Ausnahmen von dem Erfordernis einer Übertragung des ganzen Mitunternehmeranteils. – Zunächst ist die Buchwertverknüpfung ausdrücklich auch für die unentgeltliche Übertragung eines Teils eines Mitunternehmeranteils angeordnet, allerdings nur, wenn Erwerber eine natürliche Person ist (§ 6 Abs. 3 Satz 2 EStG). – Nach § 6 Abs. 3 Satz 3 EStG kann der Veräußerer zudem Gegenstände des Sonderbetriebsvermögens zurückbehalten, allerdings nur, wenn diese die Eigenschaft als Sonderbetriebsvermögen nicht verlieren, was voraussetzt, dass der Veräußerer an der Mitunternehmerschaft beteiligt bleibt. Der Rechtsnachfolger darf den übernommenen Mitunternehmeranteil zudem über einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren weder veräußern noch aufgeben. Es empfiehlt sich regelmäßig eine entsprechende Verpflichtung des Erwerbers im Übertragungsvertrag.

D. Unternehmensnachfolge gegen Teilentgelt I. Einleitung 3.15

Eine teilentgeltliche Übertragung liegt vor, wenn der Erwerber eine Gegenleistung erbringt, deren Wert niedriger ist als der Wert der Leistung. Die zivilrechtliche Unterscheidung zwischen gemischter Schenkung und Auflagenschenkung spielt für das Steuerrecht keine Rolle. Nach der Rechtsprechung des Großen Senates des BFH sind beide Fälle einheitlich nach den Regeln für teilentgeltliche Geschäfte zu behandeln.2

II. Teilentgeltliche Nachfolge bei Kapitalgesellschaften 3.16

Anders als bei den betrieblichen Sachgesamtheiten i.S.d § 16 EStG, für die die Einheitstheorie gilt (Rz. 3.19), findet auf die teilentgeltliche Übertragung einer Kapitalbeteiligung i.S.d. § 17 die Trennungstheorie Anwendung.3 Der Vorgang wird danach in einen entgeltlichen und einen unentgeltlichen Teil aufgespalten. Der entgeltliche Teil führt zu einem nach § 17 EStG steuerbaren Veräußerungsgewinn oder -verlust. Die Übertragung des unentgeltlichen Teils ist für den Übergeber nicht steuerbar; der Erwerber setzt insoweit die anteiligen Anschaffungskosten des Übergebers nach § 11d EStDV fort. Die Trennungstheorie findet auf Beteiligungen des Privatvermögens auch Anwendung, wenn die Beteiligungsschwelle des § 17 EStG nicht erreicht ist (sondern ein Veräußerungsergebnis nach § 20 Abs. 2 EStG steuerbar ist). Beispiel (nach BMF v. 13.1.1993 – IV B 3 - S 2190 – 37/92, BStBl. I 1993, 80, ber. 464 Tz. 23):

3.17

V hält 10 % der Aktien der A-AG im Privatvermögen. Die Anschaffungskosten betragen 1 Mio. €, der aktuelle Kurswert beläuft sich auf 2 Mio. €. V überträgt die Aktien im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auf seinen Sohn S. S leistet an V eine Abstandszahlung von 1,5 Mio. €.

1 BFH v. 6.5.2010 – IV R 52/08, BStBl. II 2011, 261; BMF v. 3.3.2005 – IV B 2 - S 2241 – 14/05, BStBl. I 2005, 458, Rz. 4 ff.; Ehmcke in Blümich, § 6 EStG Rz. 1222e (Stand: 8.2019). 2 BFH v. 5.7.1990 – GrS 4-6/89, BStBl. II 1990, 847; Gratz/Uhl-Ludäscher in HHR, § 6 EStG Rz. 233 (Stand: 8.2018). 3 BFH v. 17.7.1980 – IV R 15/76, BStBl. II 1981, 11; BMF v. 13.1.1993 – IV B 3 - S 2190 – 37/92, BStBl. I 1993, 80, ber. 464, Tz. 2.

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D. Unternehmensnachfolge gegen Teilentgelt | Rz. 3.22 Kap. 3 Lösung: Die Abstandszahlung stellt ein Entgelt dar (s. Rz. 3.28). Beträfe der Fall die Übertragung einer betrieblichen Sachgesamtheit i.S.v. § 16 EStG, wäre die Übertragung insgesamt entgeltlich, weil das Entgelt höher ist als die Anschaffungskosten (Einheitstheorie). Da V aber eine Beteiligung i.S.v. § 17 EStG überträgt, gilt die Trennungstheorie. S erwirbt danach zu ¾ (Verhältnis des Entgelts zum gemeinen Wert der erworbenen Beteiligung) entgeltlich und zu ¼ unentgeltlich. V erzielt einen Veräußerungsgewinn von (1,5 Mio. € ./. ¾ * 1 Mio. € =) 750.000 €. Die Anschaffungskosten des S für die Beteiligung setzen sich zusammen aus der Abstandszahlung (1,5 Mio. €) und ¼ der Anschaffungskosten des V (250.000 €), sie betragen insgesamt also 1,75 Mio €. Dass S hinsichtlich des unentgeltlich erworbenen Teils der Beteiligung (¼ der erworbenen Aktien) die anteiligen Anschaffungskosten des V fortführt, ergibt sich aus § 11d EStDV.

3.18

III. Teilentgeltliche Nachfolge bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften Nach gefestigter Rechtsprechung und Auffassung der Finanzverwaltung gilt für die teilentgeltliche Übertragung der in § 16 Abs. 1 EStG genannten betrieblichen Sachgesamtheiten die Einheitstheorie. Die Übertragung ist danach nicht in einen entgeltlichen und einen unentgeltlichen Teil aufzuspalten (Trennungstheorie, wie sie insbesondere zu §§ 17, 20 EStG sowie zu § 6 Abs. 5 EStG der h.M. entspricht). Der Vorgang wird vielmehr einheitlich entweder als entgeltliche oder als unentgeltliche Übertragung behandelt. Liegt das Entgelt über dem Buchwert der Sachgesamtheit, wird eine § 16 EStG unterfallende Veräußerung bejaht. Ist das Gegenleistung dagegen geringer als der Buchwert, liegt eine unentgeltliche Übertragung vor, die nach § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG behandelt wird.1

3.19

Beispiel (nach BMF v. 13.1.1993 – IV B 3 - S 2190 – 37/92, BStBl. I 1993, 80, ber. 464 Tz. 35 ff.): V überträgt im Wege der vorweggenommenen Erbfolge seinen Gewerbebetrieb mit einem Verkehrswert von 10 Mio. € einschließlich der betrieblichen Verbindlichkeiten auf seinen Sohn S. S verpflichtet sich, an V eine Abstandszahlung von 500.000 € zu leisten und an seine Schwester einen Gleichstellungsbetrag von 2 Mio. € (Abwandlung: 200.000 €) zu zahlen. Die Bilanz des Gewerbebetriebs zum Übertragungszeitpunkt weist einen Buchwert des Eigenkapitals von 1 Mio. € aus.

3.20

Lösung des Ausgangsfalles: Für den Erwerb des Betriebs wendet S 2,5 Mio. € auf. Dieses Entgelt ist höher als der Buchwert des Eigenkapitals. Daher liegt insgesamt ein entgeltlicher Vorgang vor, auf den § 6 Abs. 3 EStG keine Anwendung findet. V erzielt einen Veräußerungsgewinn i.H.v. 1,5 Mio. €, der durch § 34 EStG begünstigt sein kann (der Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG scheidet wegen der Höhe des Veräußerungsgewinns aus). Von dem von S gezahlten Entgelt entfällt nur ein Teilbetrag von 1 Mio. € auf den Buchwert des erworbenen Betriebes. In Höhe des überschießenden Betrages von 1,5 Mio. € sind die Buchwerte bilanzierter Wirtschaftsgüter, die stille Reserven enthalten, aufzustocken, ggf. bislang nicht bilanzierte Wirtschaftsgüter erstmalig zu bilanzieren und nachrangig ein Geschäftswert auszuweisen.

3.21

Lösung der Abwandlung: In der Abwandlung wendet S nur 700.000 € zum Erwerb des Betriebs auf. Dieses Entgelt ist niedriger als der Buchwert des Eigenkapitals. Daher liegt insgesamt ein unentgeltlicher Vorgang vor, auf den § 6 Abs. 3 EStG Anwendung findet. V erzielt keinen Veräußerungsgewinn. S führt die Buchwerte des V fort.

1 BFH v. 9.5.2017 – VIII R 1/14, BFH/NV 2017, 1418 (NV) m.w.N.; ausführlich Geissler, FR 2014, 152 ff.

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3.22

Kap. 3 Rz. 3.23 | Nachfolge, Nießbrauch, Versorgungsleistungen

E. Entgeltlichkeit: Grenzfälle I. Einleitung 3.23

Ob eine Leistung des Erwerbers als Entgelt i.S.d. unter Rz. 3.3 ff. behandelten Unterscheidung zwischen entgeltlichen und unentgeltlichen Unternehmensübertragungen einzuordnen ist, kann im Einzelfall zweifelhaft sein. Nach dem BFH kommt es darauf an, „ob sich bei Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls – wirtschaftlich gesehen – das Gesamtbild eines entgeltlichen Geschäfts ergibt“. Dies soll der Fall sein, „wenn Leistung und Gegenleistung nach kaufmännischen Gesichtspunkten abgewogen [worden sind]“.1 Trotz objektiver Ungleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung kann ein Veräußerungs-/Erwerbsgeschäft vorliegen, wenn die Beteiligten subjektiv von der Gleichwertigkeit ausgegangen sind.2 Zu Grenzfällen zwischen Entgeltlichkeit und Unentgeltlichkeit hat der BFH vor allem in der Entscheidung des Großen Senates vom 5.7.1990 wichtige Aussagen gemacht.3 Die Finanzverwaltung folgt den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen.

II. Vermutungen 3.24

Bei Übertragungen zwischen einander fremden Personen sieht der BFH „im Allgemeinen keine Veranlassung zu einer unentgeltlichen Zuwendung“. Bei solchen Verträgen spricht daher eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen eines entgeltlichen Geschäfts.4 Dies gilt auch bei einer Übertragung gegen wiederkehrende Leistungen. Solche Leistungen eines Dritten sind also im Zweifel als Veräußerungsrente und nur ausnahmsweise als Versorgungsleistungen einzuordnen. Bei einer Übertragung zwischen einander nahestehenden Personen spricht dagegen eine Vermutung dafür, dass diese auf familiären Gründen beruht und daher unentgeltlich ist.5 Wiederkehrende Leistungen zwischen Familienangehörigen sind danach im Zweifel als Versorgungsleistungen, nicht als Veräußerungsrente einzuordnen (s. im Einzelnen Rz. 23.45).

III. Vorbehaltsnießbrauch 3.25

Bei der Unternehmensnachfolge unter Nießbrauchsvorbehalt handelt es sich nach Rechtsprechung und Finanzverwaltung um einen wichtigen Fall der unentgeltlichen Nachfolge. Der vom Nachfolger eingeräumte Nießbrauch stellt danach keine Gegenleistung dar. Der Übergeber behalte sich dadurch vielmehr lediglich die Erträge des übertragenen Vermögens vor.6 S. zum Vorbehaltsnießbrauch im Überblick die Rz. 3.30 ff. sowie im Einzelnen die Rz. 22.1 ff.

IV. Versorgungsleistungen 3.26

Unter engen Voraussetzungen sind auch bestimmte Renten und dauernde Lasten, die dem Übergeber bei der Übertragung unternehmerischen Vermögens vom Erwerber zugesagt werden, nicht als Entgelt einzuordnen (Vermögensübertragung gegen Versorgungsleistungen). Auch insoweit behalte sich der Übergeber – wie beim Nießbrauch – „typischerweise Erträge seines Ver1 2 3 4 5 6

BFH v. 31.5.1972 – I R 49/69 BStBl. II 1972, 696. BFH v. 29.1.1992 – X R 193/87, BStBl. II 1992, 465. BFH v. 5.7.1990 – GrS 4-6/89, BStBl. II 1990, 847. BFH v. 5.7.1990 – GrS 4-6/89, BStBl. II 1990, 847. BFH v. 5.7.1990 – GrS 4-6/89, BStBl. II 1990, 847. BFH v. 5.7.1990 – GrS 4-6/89, BStBl. II 1990, 847.

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E. Entgeltlichkeit: Grenzfälle | Rz. 3.29 Kap. 3

mögens [vor], die nunmehr allerdings vom Vermögensübernehmer erwirtschaftet werden [müssten]“.1 Für die Abgrenzung einer Versorgungsleistung von einer als Entgelt zu qualifizierenden Veräußerungsrente sind die oben behandelten Vermutungen (Übertragung zwischen Familienangehörigen oder unter fremden Dritten?) von wesentlicher praktischer Bedeutung. S. zu Versorgungsleistungen im Überblick die Rz. 3.53 ff. sowie im Einzelnen die Rz. 23.1 ff.

V. Weitergabe von Teilen des erworbenen Vermögens Wenn in einem Übergabevertrag vereinbart wird, dass der Übernehmer Bestandteile des übernommenen Vermögens – der BFH nennt beispielhaft Bauland – auf Angehörige übertragen soll, führt dieser Umstand nach dem BFH nicht zu einer entgeltlichen Übertragung. Die Verpflichtung sei keine Gegenleistung für die Übertragung des Vermögens; sie mindere vielmehr von vornherein das übertragene Vermögen.2

3.27

VI. Abstands- und Ausgleichszahlungen Abstandszahlungen an den Übergeber stellen ein Entgelt dar. Nichts Anderes gilt, wenn sich der Übernehmer zu Ausgleichszahlungen an Dritte – häufig an die eigenen Geschwister – verpflichtet. Solche Zahlungen führen also – anders als die Weitergabe von Teilen des übernommenen Vermögens (Rz. 3.27) – für den Übergeber zu einem Veräußerungsvorgang und für den Erwerber zu einem Anschaffungsgeschäft.3

3.28

VII. Übernahme von Verbindlichkeiten Bei der Übernahme von Verbindlichkeiten des Übergebers durch den Erwerber ist zu unterscheiden:4 – Wird eine Sachgesamtheit i.S.d. § 16 Abs. 1 EStG (Betrieb, Teilbetrieb oder Mitunternehmeranteil) übertragen, umfasst das Betriebsvermögen regelmäßig auch Verbindlichkeiten. Der Übergang solcher betrieblicher Verbindlichkeiten auf einen Erwerber bzw. (beim Übergang eines Mitunternehmeranteils) die fortbestehende Belastung des Gesamthandsvermögens einer Mitunternehmerschaft mit der Verbindlichkeit führt nicht zur (Teil-)Entgeltlichkeit der Übertragung, wenn die Übertragung im Übrigen unentgeltlich erfolgt.5 Erfolgt der Übergang des Betriebes oder Mitunternehmeranteils dagegen entgeltlich, führt auch die Schuldübernahme zu Anschaffungskosten.6 – Die Übernahme anderer Verbindlichkeiten des Übergebers durch den Erwerber stellt dagegen eine Gegenleistung dar. Ein entgeltlicher Vorgang liegt danach insbesondere vor, wenn ein Betriebserwerber private Schulden des Übergebers übernimmt7 oder wenn ein Übergeber zwei Betriebe hat, er nur einen dieser Betriebe auf einen Nachfolger überträgt, und der Nachfolger dafür Verbindlichkeiten übernimmt, die Betriebsvermögen des anderen Betriebes sind. 1 BFH v. 5.7.1990 – GrS 4-6/89, BStBl. II 1990, 847. 2 BFH v. 5.7.1990 – GrS 4-6/89, BStBl. II 1990, 847; BMF v. 13.1.1993 – IV B 3 - S 2190 – 37/92, BStBl. I, 80, ber. 464, Tz. 8. 3 BFH v. 5.7.1990 – GrS 4-6/89, BStBl. II 1990, 847; BMF v. 13.1.1993 – IV B 3 - S 2190 – 37/92, BStBl. I, 80, ber. 464, Tz. 7. 4 S. auch Ehmcke in Blümich, § 6 EStG Rz. 191 ff. m.w.N. (Stand: 8.2019). 5 BFH v. 5.7.1990 – GrS 4-6/89, BStBl. II 1990, 847. 6 Ehmcke in Blümich, § 6 EStG Rz. 193 m.w.N. (Stand: 8.2019). 7 BFH v. 5.7.1990 – GrS 4-6/89, BStBl. II 1990, 847.

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3.29

Kap. 3 Rz. 3.30 | Nachfolge, Nießbrauch, Versorgungsleistungen

F. Nießbrauch I. Einleitung 3.30

Die Übertragung unternehmerischen Vermögens unter Nießbrauchsvorbehalt ist eine gängige Gestaltung der vorweggenommenen Erbfolge in Unternehmen. Insbesondere Anteile an Personengesellschaften und GmbH-Geschäftsanteile werden häufig unter Nießbrauchsvorbehalt übertragen. Dabei geht die unternehmerische Vermögenssubstanz dinglich auf den Übernehmer über; der Übergeber vereinnahmt aber weiterhin die Erträge aus dem Unternehmen (Auseinanderfallen von Substanz und Nutzungsbefugnis). Der Übergeber kann zudem – je nach Gestaltung im Einzelfall, die vor allem den steuerrechtlichen Hintergrund berücksichtigen muss – weiterhin Einfluss auf die Geschicke des Unternehmens nehmen.

3.31

Ertragsteuerlich konnte und kann die Übertragung ohne Aufdeckung stiller Reserven vorgenommen werden. Neuere Rechtsprechung hat aber bei der Übertragung von Anteilen an Personengesellschaften für Unsicherheit gesorgt; das Bedürfnis nach einer vorab erteilten verbindlichen Auskunft (§ 89 Abs. 2 AO) ist gewachsen (s. Rz. 22.58 ff.). Erbschaft-/schenkungsteuerlich kann die Übertragung unter Nießbrauchsvorbehalt so gestaltet werden, dass die Begünstigungen für Betriebsvermögen (§§ 13a, 13b ErbStG) zur Anwendung kommen; darüber hinaus wird die Bemessungsgrundlage für die Schenkungsteuer durch den Abzug des kapitalisierten Nießbrauchs reduziert. § 25 ErbStG a.F., der diesen Abzug früher untersagte, ist mit Wirkung zum 1.1.2009 gestrichen worden.

II. Zivilrecht 1. Rechtsnatur 3.32

Der Nießbrauch (§§ 1030 ff. BGB) ist als Spielart der Dienstbarkeit (§§ 1018 ff. BGB) ein beschränktes dingliches Recht. Wenn sich der Nießbrauch auf eine Sache bezieht, erlaubt er es dem Nießbraucher, „die Nutzungen der Sache zu ziehen“ (§ 1030 BGB). Nach § 1068 BGB kann Gegenstand des Nießbrauchs auch ein Recht sein; die Vorschriften über den Nießbrauch an Sachen finden dann grundsätzlich entsprechende Anwendung. Als mit einem Nießbrauch belastetes Recht kommen u.a. ein Geschäftsanteil an einer GmbH oder ein Gesellschaftsanteil an einer oHG oder KG in Betracht; die daraus dem Nießbraucher zustehenden Nutzungen sind – vereinfacht gesprochen – die auf der Beteiligung beruhenden entnahmefähigen Gewinnanteile.

2. Bestellung und Ende des Nießbrauchs 3.33

Die Bestellung eines Nießbrauchs an einem Recht erfolgt nach den für die Übertragung des Rechts geltenden Vorschriften (§ 1069 Abs. 1 BGB), bei Gesellschaftsanteilen also grundsätzlich durch Abtretung nach §§ 413, 398 BGB. Aus dem Verweis auf die für die Übertragung des Rechts geltenden Vorschriften können sich Form- und Zustimmungserfordernisse ergeben, auf die an anderer Stelle eingegangen wird (Rz. 22.17 ff.).

3.34

Ein Nießbrauch ist nicht übertragbar (§ 1059 Satz 1 BGB). Wenn nicht ein früheres Ende des Nießbrauchs (z.B. durch Kündigung) vereinbart ist, erlischt der Nießbrauch mit dem Tod des Nießbrauchers (§ 1061 BGB). Der Nießbrauch kann also nicht als vererbliches Recht ausgestaltet werden. Ein „weitergeleiteter Nießbrauch“ kommt aber in der Form in Betracht, dass aufschiebend bedingt durch das Ableben des Nießbrauchers einer anderen Person –

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F. Nießbrauch | Rz. 3.38 Kap. 3

meist dem Ehegatten des Nießbrauchers – ein mit dem ursprünglichen Nießbrauch inhaltsgleicher neuer Nießbrauch eingeräumt wird (Rz. 22.24).

3. Rechtsfolgen des Nießbrauchs a) Lückenhafte gesetzliche Regelung Die Rechtsfolgen eines Nießbrauchs an einem Recht (etwa an einer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung) sind im BGB nur lückenhaft geregelt. Ein Nießbrauch, dessen Inhalt sich allein nach dem BGB richtet, weil die Parteien keine Abweichung vom dispositiven Gesetzesrecht vereinbart haben (im Folgenden auch als „BGB-Nießbrauch“ bezeichnet) führt daher zu Unsicherheiten. Diese betreffen vor allem die – praxisrelevanten – Fragen danach, wem die Stimmrechte aus der belasteten Beteiligung zu stehen und welche Ergebnisanteile im Einzelnen als „Früchte“ der Beteiligung dem Nießbraucher zustehen.

3.35

b) Stimmrecht Es ist umstritten, wem bei mit einem Nießbrauch belasteten Gesellschaftsanteilen die aus der Mitgliedschaft sich ergebenden Gesellschafterrechte zustehen. Die Frage ist aber vor allem im Hinblick auf die Stimmrechte in der Gesellschafterversammlung relevant. Dazu werden verschiedene Ansichten vertreten (zum Meinungsstand s. Rz. 22.26). Zutreffend erscheint die Auffassung, nach der die Belastung eines Gesellschaftsanteils mit einem Nießbrauch das Stimmrecht des Gesellschafters (des Nießbrauchbestellers) aus dem Anteil unberührt lässt.1 Der BGH hat entschieden, dass dem Gesellschafter zumindest bei Abstimmungen über Beschlussgegenstände, die die Grundlagen der Gesellschaft betreffen, immer ein Stimmrecht zustehe.2

3.36

Wenn dem Nießbraucher – abweichend von dieser gesetzlichen Ausgangslage – Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft eingeräumt werden soll, bestehen mehrere Gestaltungsmöglichkeiten. U.a. kommen eine Stimmbindungsvereinbarungen, eine Stimmrechtsvollmacht für den Nießbraucher sowie die Übertragung des Stimmrechts vom Gesellschafter auf den Nießbraucher in Betracht (zu Einzelheiten s. Rz. 22.31). Dabei sind jeweils die steuerlichen Implikationen zu beachten – ein sehr weitgehender Einfluss des Nießbrauchers kann die Mitunternehmerstellung des Gesellschafters ausschließen (Rz. 22.53).

3.37

c) Gewinnberechtigung Dem Nießbraucher stehen „diejenigen Gewinnanteile [zu], die der Gesellschafter im Rahmen von Gesetz, Gesellschaftsvertrag und festgestelltem Jahresabschluss zu entnehmen berechtigt ist“.3 Im Einzelnen erfasst der Nießbrauch dabei nur den laufenden Gewinn; Gewinne aus der Realisierung stiller Reserven und aus der Auflösung vor Vereinbarung des Nießbrauchs gebildeter offener Rücklagen stehen dagegen dem Gesellschafter zu. Die Beschränkung des Nießbrauchs auf entnahmefähige Beträge bedeutet, dass der Nießbraucher sich bei Bestellung des Nießbrauchs das Recht ausbedingen sollte, auf die Ausübung des Stimmrechts durch den Ge1 OLG Köln v. 7.10.2019 – 18 Wx 18/19, BeckRS 2019, 29420; OLG München v. 8.8.2016 – 31 Wx 204/16, DStR 2016, 2000; Pohlmann in MüKo8, § 1068 BGB Rz. 71 ff.; Karsten Schmidt in MüKo3, vor § 230 HGB Rz. 21; Wachter, DStR 2016, 2065 (2067). 2 BGH v. 9.11.1998 – II ZR 213/97, NJW 1999, 571. 3 BFH v. 20.4.1972 – II ZR 143/69 NJW 1972, 1755 (1756).

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3.38

Kap. 3 Rz. 3.38 | Nachfolge, Nießbrauch, Versorgungsleistungen

sellschafter in der Frage der Ausschüttung oder Thesaurierung von Gewinnen Einfluss zu nehmen. Generell empfehlen sich präzise Regelungen zum Umfang des dem Nießbraucher zustehenden Ertrages im Nießbrauchsvertrag (zu Einzelheiten s. Rz. 22.33 und 22.89).

3.39

Ein Auseinandersetzungsguthaben (im Fall der Auflösung der Gesellschaft) sowie eine Abfindung, die der Gesellschafter bei Ausscheiden aus der Gesellschaft enthält, sind grundsätzlich keine Früchte der Beteiligung, sondern Surrogate der Beteiligungssubstanz. Sie stehen daher grundsätzlich dem Gesellschafter, nicht dem Nießbraucher, zu. Der Nießbrauch setzt sich aber kraft dinglicher Surrogation gem. §§ 1074, 1075 BGB am Auseinandersetzungsguthaben bzw. an der Abfindung fort (zu Einzelheiten s. Rz. 22.36).

III. Steuerrecht 1. Einleitung 3.40

Steuerrechtlich stehen bei der Beratung im Zusammenhang mit Nießbrauchsgestaltungen folgende Aspekte im Vordergrund: – Die Übertragung des Vermögens soll ertragsteuerneutral vollzogen werden; stille Reserven im übertragenen Vermögen sollen also nicht aufgedeckt werden. U.a. würde eine durch die Übertragung ausgelöste Ertragsteuerbelastung den Übergeber in vielen Fällen wirtschaftlich überfordern, weil ihm keine Gegenleistung zufließt, aus der er die Steuerlast tragen könnte („dry income“). Die schenkweise Übertragung von Anteilen an Kapitalgesellschaften (ob mit oder ohne vorbehaltenen Nießbrauch) erfüllt von vornherein keinen Steuertatbestand und ist daher ertragsteuerneutral möglich. Bei der Übertragung von Betrieben und Mitunternehmeranteilen wird die Aufdeckung stiller Reserven vermieden, wenn die Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 EStG erfüllt sind. – Erbschaft-/schenkungsteuerrechtlich sollen auf die Übertragung die Verschonungsregelungen in §§ 13a, 13b ErbStG zur Anwendung kommen. – Was die Besteuerung des laufenden Ergebnisses betrifft, liegt das Gestaltungsziel bei der Übertragung von Anteilen an Personengesellschaften häufig darin, dass sowohl der Übertragende als auch der Erwerber Mitunternehmer sind (Verdoppelung der Mitunternehmerstellung, s. Rz. 22.50 ff.).

2. Ertragsteuer: Mitunternehmerstellung 3.41

Für den Nießbrauch am Anteil an einer Personengesellschaft (zur Kapitalgesellschaft s. Rz. 22.47 ff.) ist nach bislang h.M. bei einem „BGB-Nießbrauch“ (keine Abweichung von dispositiven Vorschriften der §§ 1068 ff. BGB) von der Möglichkeit einer „Verdoppelung der Mitunternehmerstellung“ auszugehen. Danach können sowohl der Erwerber (Gesellschafter/ Besteller des Nießbrauchs) als auch der Übergeber (Nießbraucher) Einkünfte aus Gewerbetrieb erzielen1. Neuere BFH-Rechtsprechung hat Zweifel daran ausgelöst, ob eine doppelte Mitunternehmerstellung weiterhin möglich ist (s. Rz. 22.50 ff.).

3.42

Weichen die Parteien von den dispositiven Vorschriften der §§ 1068 ff. BGB ab (kein „BGBNießbrauch“), kann dadurch die Mitunternehmerstellung eines Beteiligten zu verneinen sein,

1 BFH v. 1.3.1994 – VIII R 35/92, BStBl. II 1995, 241; Götz/Hülsmann, Der Nießbrauch im Zivilund Steuerrecht12, Rz. 1202.

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F. Nießbrauch | Rz. 3.47 Kap. 3

sodass dieser Beteiligte keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt.1 Problematisch sind typischerweise – und zwar unter dem Aspekt der Mitunternehmerinitiative – solche Fälle, in denen der Übergeber „das Sagen im Unternehmen“ behalten will und sich deshalb umfangreich mit Stimmrechten ausstatten oder zur Ausübung von Stimmrechten bevollmächtigen lässt. Geht der Nießbraucher in dieser Hinsicht zu weit, ist die Mitunternehmerstellung des Gesellschafters abzulehnen. S. dazu die Ausführungen unter Rz. 22.52. Die Vereinbarung eines freien Widerrufsrechts zugunsten des Übergebers steht bei einer Schenkung unter Nießbrauchsvorbehalt der Mitunternehmerstellung des Erwerbers/Nießbrauchbestellers entgegen.2 Schenkungsteuerlich ist damit verbunden, dass nur die Steuervergünstigungen für Betriebsvermögen versagt sind; die Steuerbarkeit der Schenkung entfällt dagegen nicht.

3.43

3. Ertragsteuer: Keine Versteuerung stiller Reserven Die schenkweise Übertragung von Anteilen an Kapitalgesellschaften (ob mit oder ohne vorbehaltenen Nießbrauch) erfüllt von vornherein keinen Steuertatbestand und ist daher ertragsteuerneutral möglich. Bei der Übertragung von Betrieben und Mitunternehmeranteilen wird die Aufdeckung stiller Reserven vermieden, wenn die Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 EStG erfüllt sind.

3.44

Nach § 6 Abs. 3 EStG sind bei der unentgeltlichen Übertragung eines Betriebes, ein Teilbetriebes und eines Mitunternehmeranteil zwingend die Buchwerte anzusetzen; es kommt also nicht zu einer steuerbaren Aufdeckung stiller Reserven beim Übertragenden. Bei einer Übertragung unter Vorbehalt des Nießbrauchs ist die Unentgeltlichkeit zu bejahen. Der vom Erwerber bestellte Nießbrauch ist kein Entgelt für die Übertragung des Vermögens, da der Übertragende insoweit lediglich die ihm bereits zuvor zustehenden Erträge zurückbehält.

3.45

Während die Gestaltungspraxis bis vor Kurzem relativ rechtssicher mit § 6 Abs. 3 EStG arbeiten konnte, hat ein Urteil des BFH (X. Senat) vom 25.1.20173 für Unsicherheit gesorgt. Der BFH entschied für die Übertragung eines einzelunternehmerisch betriebenen Gewerbebetriebes (nicht eines Mitunternehmeranteils) unter Nießbrauchsvorbehalt, dass die Buchwertfortführung nach § 6 Abs. 3 EStG nur Anwendung finde, wenn der Übertragende seine bisherige gewerbliche Tätigkeit einstelle. Der Begriff des „Betriebes“ in § 6 Abs. 3 EStG sei tätigkeitsbezogen auszulegen. Die Anwendung der Vorschrift setze daher voraus, dass der Übertragende seine unternehmerische Tätigkeit aufgebe. Dies sei bei einer „gestaffelten Betriebsübergabe“ wie bei der Übertragung unter Nießbrauchsvorbehalt nicht der Fall.

3.46

Das Urteil ist zur Übertragung eines (zudem ruhenden) Einzelunternehmens ergangen. Ob der BFH (dann voraussichtlich der IV. Senat) in Fällen, die die Übertragung von Mitunternehmeranteilen betreffen, im gleichen Sinne entscheiden wird, ist offen. Seit das BFH-Urteil ergangen ist, wird daher eine erhebliche Rechtsunsicherheit konstatiert und ein Antrag auf verbindliche Auskunft (§ 89 Abs. 2 AO) empfohlen. An der Entscheidung wird verbreitet Kritik geübt. Immerhin hat das BMF inzwischen verlautbart, dass das Urteil nur auf die Übertragung verpachteter Einzelunternehmen anzuwenden sei und insbesondere nicht auf die

3.47

1 BFH v. 16.5.2013 – II R 5/12, BStBl. II 2013, 635; Götz/Hülsmann, Der Nießbrauch im Zivil- und Steuerrecht12, Rz. 1202 f. 2 BFH v. 16.5.1989 – VIII R 196/84, BStBl. II 1989, 877; H E 13b.5 ErbStH 2011 „Schenkung von Betriebsvermögen unter freiem Widerrufsvorbehalt“; Götz, NWB-EV 2017, 318 (322). 3 BFH v. 25.1.2017 – X R 59/14, BFH/NV 2017, 1077.

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Kap. 3 Rz. 3.47 | Nachfolge, Nießbrauch, Versorgungsleistungen

Übertragung von Mitunternehmeranteilen.1 Darauf und auf die Folgen des Urteils für die Gestaltungspraxis wird in diesem Werk an anderen Stellen eingegangen (Rz. 22.58 ff. und 22.79 ff.).

4. Erbschaftsteuer a) Steuermindernder Abzug des Kapitalwertes

3.48

Das früher geltende Abzugsverbot des § 25 Abs. 1 Satz 1 ErbStG a.F. wurde mit Wirkung ab 2009 aufgehoben.2 Ein dem Schenker eingeräumter Vorbehaltsnießbrauch mindert seitdem die Bemessungsgrundlage für die Schenkungsteuer. Ein Nießbrauch ist dabei mit seinem Kapitalwert in Abzug zu bringen, der sich bei einem lebenslangen Nießbrauch gem. § 14 Abs. 1 BewG unter Berücksichtigung der Sterbetafeln des Statistischen Bundesamtes und eines Zinssatzes von 5,5 % p.a. berechnet. Das BMF veröffentlicht gem. § 14 Abs. 1 Satz 4 BewG fortlaufend Tabellen, die die sich ergebenden aktuellen Vervielfältiger (abhängig von Lebensalter und Geschlecht der Berechtigten) nennen.3 Soweit Betriebsvermögen oder GmbH-Anteile nach den Verschonungsregelungen der §§ 13a, 13b ErbStG teilweise von der Erbschaftsteuer verschont bleibt, ist bei der Bemessung der Schenkungsteuer auch ein durch den Schenker vorbehaltener Nießbrauch nach § 10 Abs. 1 Satz 4 ErbStG nur anteilig in Abzug zu bringen.4 b) Begünstigungsregelungen (§§ 13a, 13b ErbStG)

3.49

§ 13a Abs. 1, 2, 10 ErbStG sehen für begünstigtes Vermögen i.S.v. § 13b Abs. 2 ErbStG einen Verschonungsabschlag von 85 % (Regelverschonung) oder 100 % (Vollverschonung oder Optionsverschonung) sowie einen Abzugsbetrag vor. Begünstigtes Vermögen können u.a. Anteile an Personen- und an Kapitalgesellschaften sein. Dafür gelten jeweils eigene Voraussetzungen, woran sich zeigt, dass das Erbschaftsteuerrecht nicht rechtsformneutral ist.5

3.50

Begünstigungsfähiges Vermögen ist nach § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG zunächst der Anteil an einer Kapitalgesellschaft, wenn die Kapitalgesellschaft im Zeitpunkt der Entstehung der Steuer (§ 9) Sitz oder Geschäftsleitung im Inland oder in der EU/dem EWR hat. Das Gesetz verlangt einschränkend eine unmittelbare Beteiligung des Erblassers oder Schenkers am Nennkapital der Gesellschaft von mehr als 25 % (Mindestbeteiligung). Wird der Anteil unter Nießbrauchsvorbehalt übertragen, setzt die Begünstigungsfähigkeit (§ 13a Abs. 1 ErbStG) weder voraus, dass auf den Erwerber ein Mindestmaß an Vermögensrechten übergeht, noch dass der Erwerber mit der Beteiligung die sich daraus ergebenden Verwaltungsrechte erwirbt. Anders als bei der Übertragung von Mitunternehmeranteilen, bei der die erworbene Beteiligung Mitunternehmerrisiko und Mitunternehmerinitiative vermitteln muss (dazu sogleich), sind selbst weitgehend „entrechtete“ Anteile an Kapitalgesellschaften begünstigungsfähig.6

3.51

Nach § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG sind u.a. Anteile i.S.v. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 EStG begünstigungsfähig, also Anteile an einer gewerblich tätigen, gewerblich geprägten oder kraft „Abfärbung“ gewerblichen Personengesellschaft (Mitunternehmerschaft). Die Steuervergünstigungen sind dabei nach der Rechtsprechung des BFH nur zu gewähren, wenn das erwor1 2 3 4 5 6

BMF v. 20.11.2019, BStBl. I 2019, 1291 Tz. 7; s. dazu Viskorf/Wegener, ZEV 2020, 85 (88 f.) Art. 1 Nr. 20 ErbStRG 2009 v. 24.12.2008, BGBl. I 2008, 3018. BMF v. 2.12.2019, BStBl. I 2019, 1288. BFH v. 20.5.2014 – II R 7/13, BFH/NV 2014, 1848. Wachter, DStR 2016, 2065 f. Wachter, DStR 2016, 2065 f.

118 | Möller

G. Versorgungsleistungen | Rz. 3.54 Kap. 3

bene Vermögen durchgehend sowohl beim bisherigen als auch beim neuen Rechtsträger den Tatbestand des § 13a Abs. 4 Nr. 1 ErbStG erfüllt. Es genügt daher nicht, dass der Übertragende Mitunternehmer war; auch der Erwerber muss vielmehr durch den Erwerb Mitunternehmer werden, also Mitunternehmerinitiative entfalten können und Mitunternehmerrisiko tragen. Nach dem BFH muss dem Erwerber gerade der übertragene Anteil die Stellung als Mitunternehmer vermitteln. Dass er schon zuvor an der Gesellschaft als Mitunternehmer beteiligt war und dies auch nach der Schenkung bleibt, genügt für die Begünstigung nicht.1 In dem Erfordernis, dass der Erwerber durch den Erwerb Mitunternehmer werden muss, liegt eine Hürde, an der die erbschaftsteuerliche Begünstigung der Übertragung von Personengesellschaftsanteilen in der Praxis gelegentlich scheitert. Problematisch sind solche Fälle, in denen der Übergeber „das Sagen im Unternehmen“ behalten will und sich deshalb umfangreich mit Stimmrechten ausstatten oder zur Ausübung von Stimmrechten bevollmächtigen lässt. Die sich insoweit aus der Rechtsprechung ergebenden Grenzen werden an anderer Stelle behandelt (Rz. 22.53).

3.52

G. Versorgungsleistungen I. Einleitung Die Vermögensübertragung gegen Versorgungsleistungen (VgV) ist ein steuerrechtliches Rechtsinstitut, das der BFH basierend auf den gesetzlichen Vorschriften über Sonderausgaben (§ 10 EStG) und wiederkehrende Bezüge (§ 22 Nr. 1 EStG) entwickelt hat. Der BFH selbst spricht von einem „Sonderrecht der Versorgungsleistungen“2 und vom „steuerlich privilegierte[n] Rechtsinstitut der sog. privaten Versorgungsrente“.3 Der Gesetzgeber hat (erst) mit dem JStG 2008 Regelungen geschaffen, die sich spezifisch auf „auf besonderen Verpflichtungsgründen beruhende, lebenslange und wiederkehrende Versorgungsleistungen“ beziehen:

3.53

– § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG regelt den Sonderausgabenabzug beim Empfänger des Vermögens und Erbringer der Versorgungsleistungen (bis Ende 2014 fand sich die Regelung wortgleich in § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG); – § 22 Nr. 1a EStG regelt die Steuerbarkeit der empfangenen Versorgungsleistungen beim Übertragenden als sonstige Einkünfte (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EStG). Anders als private Veräußerungsrenten, von denen nach § 22 Nr. 1 Satz 3 lit. a bb EStG nur der Ertragsanteil zu versteuern ist, stellen Versorgungsleistungen also zu 100 % steuerbare Einnahmen des Rentenempfängers dar. Mit der Reform durch das JStG 2008 ist der Gesetzgeber der aus seiner Sicht zu großzügigen Rechtsprechung entgegengetreten und hat den Anwendungsbereich der VgV auf einen Kernbereich zurückgeführt, der insbesondere die Übertragung betrieblicher Einheiten ([Teil-]Betriebe und Mitunternehmerteile) umfasst. Wirtschaftsgüter des Privatvermögens sind grundsätzlich nicht mehr begünstigt; eine Ausnahme gilt in tatbestandlich eng gefassten Fällen der Übertragung bestimmter GmbH-Beteiligungen. Das BMF hat im sog. Vierten Rentenerlass4 ausführlich zur neuen Rechtslage Stellung genommen. 1 BFH v. 16.5.2013 – II R 5/12, BStBl. II 2013, 635; BFH v. 6.5.2015 – II R 34/13, BStBl. II 2015, 821 Rz. 27. 2 S. etwa BFH v. 21.7.2004 – X R 44/01, BStBl. II 2005, 133. 3 S. etwa BFH v. 31.3.2004 – X R 66/98, BFH/NV 2004, 881. 4 BMF v. 11.3.2010 – IV C 3 - S 2221/09/10004, BStBl. I 2010, 227.

Möller | 119

3.54

Kap. 3 Rz. 3.55 | Nachfolge, Nießbrauch, Versorgungsleistungen

3.55

Leistungen, die Versorgungsleistungen im genannten Sinne sind, stellen nach st. Rspr. des BFH wegen der spezialgesetzlichen Zuordnung zu Sonderausgaben und wiederkehrenden Bezügen keine Gegenleistungen für den Vermögensübergang dar. Der Veräußerer vereinnahmt kein Veräußerungsentgelt, der Erwerber hat keine Anschaffungskosten. Wegen dieser Unentgeltlichkeit findet bei Übertragung der in § 6 Abs. 3 EStG genannten betrieblichen Einheiten die dort geregelte Buchwertfortführung Anwendung1; bei begünstigten GmbH-Anteilen entsteht kein nach § 17 EStG zu versteuernder Veräußerungsgewinn.

II. Steuerrechtliche Voraussetzungen 1. Überblick 3.56

Im Überblick müssen nach geltendem Recht (§ 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG) folgende Voraussetzungen erfüllt sein, damit eine begünstigte Vermögensübertragung gegen Versorgungsleistungen zu bejahen ist: – Es muss begünstigtes Vermögen betroffen sein. Dabei handelt es sich im Kern um bestimmte Mitunternehmeranteile, bestimmte Betriebe und Teilbetriebe sowie (unter weiteren Voraussetzungen) GmbH-Beteiligungen von mindestens 50 % (s. im Einzelnen Rz. 23.19 ff.). – Dieses Vermögen muss übertragen werden (s. im Einzelnen Rz. 23.40 f.). – Daraus, dass es sich bei den versprochenen Leistungen um Versorgungsleistungen handeln muss, ist abzuleiten, dass entweder der Übertragende selbst Empfänger der Versorgungsleistungen sein muss oder zwischen dem Übertragenden und dem Empfänger der Versorgungsleistungen ein Näheverhältnis (meist familiärer Art) bestehen muss. – Die Übertragung muss unentgeltlich sein. – Der Erwerber muss dem Veräußerer wiederkehrende Leistungen versprechen (s. Rz. 23.13 f.). – Die Leistungen müssen lebenslang (solange der Empfänger der Versorgungsleistungen lebt) geschuldet sein. – Das Merkmal der „Versorgung“ ist weiter nur erfüllt, wenn das übertragene Vermögen ausreichend Ertrag bringt, um die Versorgung des Übergebers aus dem übernommenen Vermögen zumindest zu einem Teil zu sichern (s. dazu im Einzelnen Rz. 23.46 ff.). – Der Empfänger der Versorgungsleistungen muss – so der Wortlaut des § 10 Abs. 1a Nr. 2 Satz 1 EStG – unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Die Finanzverwaltung macht davon Ausnahmen.2 1 BFH v. 5.7.1990 – GrS 4-6/89, BStBl. II 1990, 847; BFH v. 3.5.2017 – X R 9/14, BFH/NV 2017, 1164. 2 Eine Ausnahme (Abziehbarkeit von Versorgungsleistungen als Sonderausgaben) gilt nach dem IV. Rentenerlass, wenn (kumulativ) der Vermögensübernehmer EU- oder EWR-Staatsangehöriger und nach § 1 Abs. 1 oder Abs. 3 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist, der Empfänger der Versorgungsleistungen seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der EU oder im EWR hat, und wenn die Besteuerung der Versorgungsleistungen beim Empfänger durch eine Bescheinigung der zuständigen ausländischen Steuerbehörde nachgewiesen wird (BMF v. 11.3.2010 – IV C 3 - S 2221/09/10004, BStBl. I 2010, 227 Rz. 53). BMF v. 11.3.2010 – IV C 3 - S 2221/09/ 10004, BStBl. I 2010, 227 Rz. 54: Fallen die Voraussetzungen der Rz. 53 nach der Vermögensübertragung weg, liegen ab dem Zeitpunkt des Wegfalls nichtabziehbare Unterhaltsleistungen i.S.d. § 12 Nr. 2 EStG vor. Ebenso stellen die wiederkehrenden Leistungen solange Unterhaltsleistungen i.S.d. § 12 Nr. 2 EStG dar, bis die Voraussetzungen der Rz. 53 erfüllt werden, sofern diese Voraussetzungen im Zeitpunkt der Vermögensübertragung nicht vorliegen.

120 | Möller

G. Versorgungsleistungen | Rz. 3.62 Kap. 3

– Die Versorgungsleistungen dürfen nicht mit Einkünften in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, die bei der Veranlagung außer Betracht bleiben.1 Sind diese Voraussetzungen vollständig erfüllt, ist der Erwerber hinsichtlich der erbrachten Versorgungsleistungen zum Sonderausgabenabzug nach § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG berechtigt; korrespondierend hat der Übertragende die Versorgungsleistungen als sonstige Einkünfte nach § 22 Nr. 1b EStG zu versteuern. Die Übertragung ist unentgeltlich, sodass der Übertragende keinen Veräußerungsgewinn zu versteuern hat und beim Erwerber keine Anschaffungskosten entstehen. Die o.g. Voraussetzungen werden in diesem Handbuch im Kapitel „Versorgungsleistungen“ im Detail erläutert (s. Rz. 23.15 ff.). Im Vorgriff darauf werden im Folgenden lediglich einige Kernthemen behandelt.

3.57

2. Begünstigtes Vermögen a) Abschließende Aufzählung § 10 Abs. 1a Nr. 2 Satz 2 EStG nennt enumerativ das begünstigte Vermögen. Der Sonderausgabenabzug ist danach möglich bei Versorgungsleistungen im Zusammenhang mit der Übertragung bestimmter betrieblicher Sachgesamtheiten sowie qualifizierter GmbH-Anteile.

3.58

b) Mitunternehmeranteil an einer Personengesellschaft Begünstigt ist zunächst die Übertragung eines Mitunternehmeranteils an einer Personengesellschaft (OHG, KG, GbR) oder an einer anderen Gesellschaft, bei der der Gesellschafter als Mitunternehmer anzusehen ist (z. B. atypisch stille Gesellschaft). Dies gilt nach § 10 Abs. 1a Nr. 2 Satz 2 lit. a EStG jedoch nur, wenn die Gesellschaft eine Tätigkeit i.S.d. § 13 EStG (Land- und Forstwirtschaft), des 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG (Gewerbebetrieb) oder des § 18 Abs. 1 EStG (selbstständige Arbeit) ausübt. Bei bloßer gewerblicher Prägung (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG) ist die Regelung dagegen nicht anwendbar.

3.59

Anders als eine gewerbliche Prägung führt eine gewerbliche Abfärbung in den Fällen des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 1 EStG zur Anwendbarkeit des § 10 Abs. 1a EStG. Übt also eine oHG, eine KG oder eine andere Personengesellschaft (nicht auch eine bloße Gemeinschaft) auch eine gewerbliche Tätigkeit aus, ist die Übertragung von Anteilen an der Gesellschaft insgesamt begünstigt.2

3.60

Begünstigt ist neben der Übertragung des gesamten Mitunternehmeranteils auch die Übertragung eines Teils eines Mitunternehmeranteils3; dies entspricht der Regelung in § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 EStG. Nichts anderes gilt für die unentgeltliche Aufnahme des Übernehmers in ein bestehendes Einzelunternehmen4; s. auch insoweit die entsprechende Regelung in § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 EStG.

3.61

Vorsicht ist geboten, wenn Sonderbetriebsvermögen (SBV) vorhanden ist. Ein Mitunternehmeranteil umfasst neben der gesellschaftsrechtlichen Beteiligung nach allgemeinen Grundsät-

3.62

1 S. dazu BMF v. 11.3.2010 – IV C 3 - S 2221/09/10004, BStBl. I 2010, 227 Rz. 49. 2 BMF v. 11.3.2010 – IV C 3 - S 2221/09/10004, BStBl. I 2010, 227 Rz. 9. 3 BMF v. 11.3.2010 – IV C 3 - S 2221/09/10004, BStBl. I 2010, 227 Rz. 8 a.E.; Wälzholz, DStR 2008, 273 (275); a.A. Hutter in Blümich, § 10 EStG Rz. 96 (Stand: 8.2019). 4 BMF v. 11.3.2010 – IV C 3 - S 2221/09/10004, BStBl. I 2010, 227 Rz. 8 a.E.

Möller | 121

Kap. 3 Rz. 3.62 | Nachfolge, Nießbrauch, Versorgungsleistungen

zen auch etwaiges SBV. Die Finanzverwaltung verlangt daher, dass der Übertragende bei der Übertragung eines gesamten Mitunternehmeranteils sein gesamtes Sonderbetriebsvermögen mit überträgt. Bei der Übertragung eines Teils eines Mitunternehmeranteils sollen die „wesentlichen Betriebsgrundlagen des Sonderbetriebsvermögens“ im entsprechenden quotalen Umfang mitübertragen werden müssen (zur Kritik daran s. Rz. 23.27 ff.). c) Betrieb oder Teilbetrieb

3.63

Nach § 10 Abs. 1a Nr. 2 Satz 2 lit. b EStG ist die „Übertragung eines Betriebs oder Teilbetriebs“ begünstigt. Erfasst sind die Betriebe und Teilbetriebe von Einzelunternehmern, die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft (§ 13 EStG), Gewerbetrieb (§ 15 EStG) oder selbstständiger Arbeit (§ 18 EStG) erzielen. d) GmbH-Beteiligung

3.64

Nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des JStG 2008 waren prinzipiell sämtliche Gegenstände des Privatvermögens (insbesondere Immobilien) taugliche Übertragungsgegenstände einer VgV, wenn sie ausreichend ertragbringend waren. Nach aktueller Rechtslage können nur noch Geschäftsanteile an einer GmbH (einschließlich UG (haftungsbeschränkt), § 5a GmbHG) sowie Anteile an Gesellschafen vergleichbarer Rechtsformen anderer Mitgliedstaaten der EU oder des EWR1 begünstigt sein (§ 10 Abs. 1 Nr. 1a Satz 2 lit. c EStG). Aktien sind (auch bei „kleinen“ Aktiengesellschaften) nicht erfasst.2 Für die Begünstigung einer GmbHBeteiligung gelten enge Voraussetzungen: – Die Beteiligung muss mindestens 50 % betragen. Dabei ist nicht erforderlich, dass der Übergeber seinen gesamten Anteil überträgt, sofern der übertragene Anteil mindestens 50 % beträgt.3 – Der Übergeber muss als Geschäftsführer tätig gewesen sein. – Der Übernehmer muss die Geschäftsführertätigkeit nach der Übertragung übernehmen.

3. Näheverhältnis a) Überblick

3.65

Versorgungsleistungen setzen nach den Ausführungen im IV. Rentenerlass ein Näheverhältnis zwischen dem Übertragenden und dem Empfänger des Vermögens einerseits sowie zwischen dem Übertragenden und dem Empfänger der wiederkehrenden Leistungen andererseits voraus. Zwischen dem Erwerber des Vermögens und dem Empfänger der wiederkehrenden Leistungen ist ein Näheverhältnis nicht erforderlich. b) Empfänger des Vermögens

3.66

Eine nach § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG begünstigte Vermögensübertragung ist nach dem IV. Rentenerlass stets unter Angehörigen möglich; als Empfänger des Vermögens kommen danach 1 BMF v. 11.3.2010 – IV C 3 - S 2221/09/10004, BStBl. I 2010, 227 Rz. 15. 2 BFH v. 20.3.2017 – X R 35/16, BFH/NV 2017, 1368; a.A. Wälzholz, DStR 2008, 273 (275 f.). 3 BMF v. 11.3.2010 – IV C 3 - S 2221/09/10004, BStBl. I 2010, 227 Rz. 16.

122 | Möller

G. Versorgungsleistungen | Rz. 3.68 Kap. 3

sowohl Abkömmlinge als auch gesetzlich erbberechtigte entferntere Verwandte des Übergebers in Betracht.1 Nach dem BFH setzt die VgV ein Näheverhältnis zwischen Vermögensübergeber und -empfänger dagegen nicht voraus. Eine VgV sei mit steuerrechtlicher Wirkung grundsätzlich auch unter Fremden möglich.2 Während bei der Übertragung auf Abkömmlinge die Vermutung der Unentgeltlichkeit gelte, bestehe allerdings die nur in Ausnahmefällen widerlegbare Vermutung, dass bei der Übertragung von Vermögen zwischen Fremden Leistung und Gegenleistung kaufmännisch gegeneinander abgewogen seien, es sich mithin um ein entgeltliches Anschaffungsgeschäft handele. c) Empfänger der Versorgungsleistungen Begünstigte Versorgungsleistungen liegen nur vor, wenn Empfänger der Leistungen der Übertragende oder bestimmte diesem nahe stehende Personen sind.3 Als nahe stehende Personen kommen vor allem der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner sowie die gesetzlich erbund pflichtteilsberechtigten Abkömmlinge des Übertragenden in Betracht.4 Ist Empfänger der wiederkehrenden Leistungen ein Bruder oder eine Schwester des Übertragenden, scheidet nach der Rechtsprechung eine VgV aus; der BFH betont, dass die Erbberechtigung des Geschwisterteils im konkreten Einzelfall nicht ausreiche, sondern eine VgV vor dem Hintergrund der fehlenden Pflichtteilsberechtigung zu verneinen sei.5 Geschwister des Übernehmers kommen zwar grundsätzlich als Empfänger von Versorgungsleistungen in Betracht.6 Allerdings ist in dieser Konstellation eine unentgeltliche Übertragung regelmäßig zu verneinen. Nach dem BFH besteht nämlich die – allerdings widerlegbare – Vermutung, dass Geschwister des Übernehmers nicht versorgt, sondern gleichgestellt werden sollen.7 Nicht zum Generationennachfolgeverbund gehörende Personen (z.B. die langjährige Haushälterin, der Lebensgefährte/die Lebensgefährtin, Mitarbeiter im Betrieb) können nicht Empfänger von Versorgungsleistungen sein.8

3.67

4. Unentgeltlichkeit Kerngedanke der VgV ist, dass es sich bei den erbrachten Versorgungsleistungen (ähnlich wie beim Vorbehaltsnießbrauch) um vorbehaltene Vermögenserträge und damit nicht um ein Entgelt handelt.9 Ob eine Vermutung für oder gerade gegen eine Unentgeltlichkeit in diesem Sinne spricht, richtet sich danach, in welchem Verhältnis Übertragender und Erwerber zueinander stehen:10 – Bei der Übertragung auf Angehörige spricht nach dem BFH eine widerlegbare Vermutung dafür, dass die wiederkehrenden Leistungen unabhängig vom Wert des übertragenen Ver-

1 BMF v. 11.3.2010 – IV C 3 - S 2221/09/10004, BStBl. I 2010, 227 Rz. 4. 2 BFH v. 16.12.1997 – IX R 11/94, BStBl. II 1998, 718. 3 BFH v. 5.7.1990 – GrS 4-6/89, BStBl. II 1990, 847; BMF v. 11.3.2010 – IV C 3 - S 2221/09/10004, BStBl. I 2010, 227 Rz. 50. 4 BFH v. 27.2.1992 – X R 139/88, BStBl. II 1992, 612. 5 BFH v. 26.11.2003 – X R 11/01, BStBl. II 2004, 820. 6 BFH v. 20.10.1999 – X R 86/96, BStBl. II 2000, 602. 7 BFH v. 27.2.1992 – X R 139/88, BStBl. II 1992, 612; BFH v. 8.6.2011 – X B 216/10, BFH/NV 2011, 1511. 8 BFH v. 26.11.2003 – X R 11/01, BStBl. II 2004, 820. 9 BFH v. 12.5.2003 – GrS 1/00, BStBl. II 2004, 95. 10 S. zum Folgenden auch BMF v. 11.3.2010 – IV C 3 - S 2221/09/10004, BStBl. I 2010, 227 Rz. 5 f.

Möller | 123

3.68

Kap. 3 Rz. 3.68 | Nachfolge, Nießbrauch, Versorgungsleistungen

mögens nach dem Versorgungsbedürfnis des Berechtigten und nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Verpflichteten bemessen worden sind.1 Die Übertragung ist daher im Regelfall unentgeltlich. Die genannte Vermutung ist widerlegt, wenn die Beteiligten Leistung und Gegenleistung nach kaufmännischen Gesichtspunkten gegeneinander abgewogen haben und subjektiv von der Gleichwertigkeit der beiderseitigen Leistungen ausgehen durften, auch wenn Leistung und Gegenleistung objektiv ungleichwertig sind. Die Anforderungen an den Nachweis eines kaufmännischen Aushandelns des Entgelts dürfen nach dem BFH nicht überspannt werden2 – Unter Fremden besteht dagegen eine nur im Ausnahmefall widerlegbare Vermutung für die Entgeltlichkeit, nämlich dafür, dass bei der Veräußerung von Vermögen Leistung und Gegenleistung kaufmännisch gegeneinander abgewogen sind.

5. Ausreichend Ertrag bringendes Vermögen 3.69

Vor dem Hintergrund, dass es sich bei Versorgungsleistungen (ähnlich wie beim Vorbehaltsnießbrauch) um vorbehaltene Vermögenserträge handeln soll, verlangen Rechtsprechung und Finanzverwaltung, dass „die erzielbaren Nettoerträge des überlassenen Wirtschaftsgutes im konkreten Fall – soweit bei überschlägiger Berechnung vorhersehbar – ausreichen, um die Versorgungsleistungen abzudecken“3 („ausreichend Ertrag bringendes Vermögen“). Die entsprechende Ertragskraft ist bei der Übertragung begünstigten Vermögens allerdings regelmäßig zu vermuten, so dass eine darauf bezogene Prüfung entbehrlich ist.

6. Vertragsgerechte Erbringung von Versorgungsleistungen 3.70

Indem die VgV ein Näheverhältnis zwischen dem Erbringer und dem Empfänger der Leistungen voraussetzt, ist sie besonders „anfällig“ dafür, dass die vertraglichen Bestimmungen einerseits und der tatsächliche Vollzug des Vertrages andererseits voneinander abweichen – „innerhalb der Familie“ nimmt man es mit dem Wortlaut des Vertrages oft nicht so genau. Davor, vom Versorgungsvertrag abzuweichen, ist aber zu warnen – nach dem BFH kann daraus auf einen mangelnden Rechtsbindungswillen der Beteiligten zu schließen sein. Allerdings befinden sich die Beteiligten in einem gewissen Spannungsverhältnis: – Nach der Rechtsprechung liegt es gerade in der Rechtsnatur des Versorgungsvertrags, dass die Vertragspartner z.B. auf geänderte Bedarfslagen angemessen reagieren. Gewisse Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse erlauben daher Abweichungen vom ursprünglich Vereinbarten nicht nur, sondern erzwingen diese sogar.4 Darauf wird im Rahmen der Gestaltungsüberlegungen (Rz. 23.78 ff.) näher eingegangen. – In Fällen, in denen die tatsächlichen Umstände unverändert geblieben sind, können Abweichungen des tatsächlich Durchgeführten vom Vereinbarten dagegen steuerschädlich sein. Der BFH betont allerdings in ständiger Rechtsprechung, dass nur solche Abweichungen schädlich seien, die auf einen fehlenden Rechtsbindungswillen der Parteien schließen ließen. Davon sei etwa bei Nichtbeachtung einer Wertsicherungsklausel nicht auszugehen.5 1 2 3 4 5

BFH v. 16.12.1997 – IX R 11/94, BStBl. II 1998, 718. BFH v. 30.7.2003 – X R 12/01, BStBl. II 2004, 211. BFH v. 12.5.2003 – GrS 1/00, BFH/NV 2003, 1480. BFH v. 8.7.2015 – X R 47/14, BFH/NV 2016, 184 m.w.N. BFH v. 3.3.2004 – X R 14/01, BFH/NV 2004, 877; BFH v. 8.7.2015 – X R 47/14, BFH/NV 2016, 184 m.w.N.

124 | Möller

H. Veräußerungsrenten | Rz. 3.74 Kap. 3

7. Rechtsfolgen bei Vorliegen von Versorgungsleistungen Sind die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG vollständig erfüllt, ist der Erwerber hinsichtlich der erbrachten Versorgungsleistungen zum Sonderausgabenabzug berechtigt. Korrespondierend hat der Übertragende die Versorgungsleistungen als sonstige Einkünfte nach § 22 Nr. 1b EStG zu versteuern. Die Steuerbarkeit beim Empfänger der Versorgungsleistungen setzt dabei nicht voraus, dass sich deren Abzug beim Erwerber tatsächlich steuermindernd ausgewirkt hat.1 Anders als private Veräußerungsrenten, von denen nach § 22 Nr. 1 Satz 3 lit. a bb EStG nur der Ertragsanteil zu versteuern ist, stellen Versorgungsleistungen zu 100 % steuerbare Einnahmen des Rentenempfängers dar.

3.71

8. Rechtsfolgen bei Nichtvorliegen von Versorgungsleistungen Die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1a Nr. 2 Satz 2 EStG können aus diversen Gründen nicht vorliegen. Beispielsweise kann Vermögen übertragen werden, das nicht begünstigt ist, oder die Übertragung begünstigten Vermögens kann entgeltlich geschehen. In diesen Fällen stellt eine zugesagte Rente (ggf. ein Teil davon) ein Entgelt oder ein Teilentgelt für das übertragene Vermögen dar. Auf die steuerliche Behandlung einer solchen Veräußerungsrente wird in diesem Handbuch an anderer Stelle eingegangen (Rz. 3.74).

3.72

9. Erbschaft-/Schenkungsteuer Erbschaft-/schenkungsteuerrechtlich ist die VgV unter Lebenden eine freigebige Zuwendung i.S.v. § 7 ErbStG. Die Rechtsprechung ordnet die VgV als gemischte Schenkung oder als Auflagenschenkung ein.2 Entsprechend § 10 Abs. 1 Satz 1 und 2 ErbStG gilt auch bei der gemischten Schenkung oder Schenkung unter einer Auflage als steuerpflichtiger Erwerb die Bereicherung des Bedachten, soweit sie der Besteuerung nach dem ErbStG unterliegt. Die Bereicherung wird ermittelt, indem vom Steuerwert der Leistung des Schenkers der Kapitalwert der Versorgungsleistungen, der nach § 14 BewG zu ermitteln ist, abgezogen wird.3

3.73

H. Veräußerungsrenten I. Einleitung Wenn der Erwerber dem Übertragenden im Zusammenhang mit der Übertragung von Unternehmen oder Gesellschaftsanteilen eine Leibrente zusagt, können diverse Umstände dazu führen, dass diese Leibrente keine Versorgungsleistung i.S.d. § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG darstellt, sondern ein Veräußerungsentgelt. Beispiele: – Es ist kein begünstigtes Vermögen i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 1a Satz 2 EStG betroffen, sondern z.B. eine Immobilie, ein Aktienpaket, eine GmbH-Beteiligung von weniger als 50 % oder ein Mitunternehmeranteil an einer gewerblich geprägten Personengesellschaft; oder – es wird zwar begünstigtes Vermögen übertragen, aber nicht unentgeltlich (sondern z.B. zwischen fremden Dritten – zu der in diesem Fall bestehenden Vermutung der Entgeltlichkeit s. Rz. 23.45); oder – die wiederkehrenden Leistungen sind nicht auf die Lebenszeit des Berechtigten zu zahlen. 1 BMF v. 11.3.2010 – IV C 3 - S 2221/09/10004, BStBl. I 2010, 227 Rz. 51. 2 BFH v. 2.3.2005 – II R 11/02, BStBl. II 2005, 532. 3 R E 7.4 ErbStRL 2019.

Möller | 125

3.74

Kap. 3 Rz. 3.75 | Nachfolge, Nießbrauch, Versorgungsleistungen

3.75

In allen genannten Fällen sind die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG (Vermögensübertragung gegen Versorgungsleistungen) nicht erfüllt. Die zugesagten Renten stellen damit keine vorbehaltenen Erträge dar und die Übertragung geschieht nicht unentgeltlich; die Rentenzahlungen sind vielmehr (ggf. teilweise) Entgelt (Gegenleistung) für die Vermögensübertragung. In diesen Fällen ist häufig von einer „Veräußerungs(leib)rente“ die Rede.1 Nach der Finanzverwaltung enthalten wiederkehrende Leistungen im Austausch mit einer Gegenleistung bis zur Grenze der Angemessenheit in Höhe ihres Barwerts eine nichtsteuerbare oder steuerbare Vermögensumschichtung (Tilgungsanteil) und daneben einen Zinsanteil.2 – Entspricht der Barwert (Tilgungsanteil) der wiederkehrenden Leistungen dem Wert des übertragenen Vermögens, liegt eine voll entgeltliche Übertragung vor (und zwar eine solche ohne zusätzliche Zuwendungen des Erwerbers an den Übertragenden i.S.v. § 12 Nr. 2 EStG). Die Steuerfolgen dieses entgeltlichen Rechtsgeschäfts richten sich insbesondere nach der Art des übertragenen Vermögens. Der Erwerber hat häufig ein Wahlrecht zwischen Sofortbesteuerung und Zuflussbesteuerung. In diesem Handbuch finden sich Beispiele für die Übertragung (jeweils gegen Zusage einer privaten Veräußerungsrente) von Mitunternehmeranteilen an lediglich gewerblich geprägten Personengesellschaften (Rz. 3.76 ff.) und von GmbH-Geschäftsanteilen (Rz. 3.82 ff.). Dieses Wahlrecht besteht im Einzelfall auch bei anderen langfristigen Zahlungen als Leibrenten: Wird ein Kaufpreis in Raten über einen Zeitraum erbracht, der über zehn Jahre hinausgeht, oder wird eine Zeitrente über mehr als zehn Jahre gezahlt, und werden diese Vereinbarungen im (Versorgungs-)Interesse des Veräußerers getroffen, gewähren Finanzverwaltung und Rechtsprechung ebenfalls das Wahlrecht zwischen Sofort- und Zuflussbesteuerung.3 – Ist der Barwert (Tilgungsanteil) der wiederkehrenden Leistungen höher als der Wert des übertragenen Vermögens, ist Entgeltlichkeit in Höhe des angemessenen Kaufpreises anzunehmen. Der übersteigende Betrag ist eine Zuwendung i.S.v. § 12 Nr. 2 EStG. Ist der Barwert der wiederkehrenden Leistungen mehr als doppelt so hoch wie der Wert des übertragenen Vermögens, liegt insgesamt eine Zuwendung i.S.v. § 12 Nr. 2 EStG vor. – Ist der Wert des übertragenen Vermögens höher als der Barwert der wiederkehrenden Leistungen, liegt ein teilentgeltliches Geschäft vor.

II. Veräußerung eines Betriebes oder Mitunternehmeranteils gegen private Veräußerungsrente 3.76

Bei der Veräußerung von Betrieben oder Mitunternehmeranteilen gegen Zusage einer Leibrente hat der Veräußerer nach EStR 16 Abs. 11 ein Wahlrecht zwischen Sofortbesteuerung und Zuflussbesteuerung:4 – Der Veräußerer kann den bei der Veräußerung entstandenen Gewinn sofort versteuern (Sofortbesteuerung). In diesem Fall ist der Freibetrag des § 16 Abs. 4 EStG zu gewähren und die Tarifbegünstigungen des § 34 EStG können Anwendung finden. Veräußerungs1 S. dazu im Zusammenhang mit der Übertragung von Anteilen an Kapitalgesellschaften Förster, FR 2019, 500 ff. 2 BMF v. 11.3.2010 – IV C 3 - S 2221/09/10004, BStBl. I 2010, 227 Rz. 57 mit Verweis auf BFH v. 12.5.2003 – GrS 1/00, GrS 2/00, BStBl. II 2004, 95. S. auch Förster, FR 2019, 500. 3 BFH v. 5.11.2019 – X R 12/17 – juris; EStH 16 (11) „Ratenzahlungen“. 4 S. (jeweils mit Berechnungsbeispielen) Schoor, NWB 2016, Beil. 3/2016, S. 7 ff.; Haberstock, SteuK 2010, 287 (289 f.).

126 | Möller

H. Veräußerungsrenten | Rz. 3.78 Kap. 3

gewinn ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem nach den Vorschriften des BewG ermittelten Barwert der Rente, vermindert um etwaige Veräußerungskosten des Veräußerers., und dem Buchwert des steuerlichen Kapitalkontos im Zeitpunkt der Veräußerung des Betriebs. Die in den Rentenzahlungen enthaltenen Ertragsanteile sind sonstige Einkünfte i.S.d. § 22 Nr. 1 Satz 3 lit. a bb EStG. – Die Sofortbesteuerung kann für den Veräußerer nachteilig sein. Weil ihm die Rentenzahlungen erst im Lauf der Zeit zufließen, kann er eine sofort fällige Steuer nicht daraus bestreiten, sondern muss dafür anderes vorhandenes Vermögen angreifen. Außerdem kommt es nicht zu einer Korrektur der entstandenen Steuer, wenn der Veräußerer früher stirbt als es der statistischen Lebenserwartung entspricht. – Der Veräußerer kann daher statt der Sofortbesteuerung die Zuflussbesteuerung wählen. Macht er davon Gebrauch, finden die Begünstigungen der §§ 16, 34 EStG keine Anwendung. Die Rentenzahlungen sind nach Auffassung der Finanzverwaltung wie folgt aufzuteilen1: – Der in den Rentenzahlungen enthaltene Zinsanteil stellt von Anfang an im Zeitpunkt des Zuflusses nachträgliche Betriebseinnahmen dar, die nach § 15 i.V.m. § 24 Nr. 2 EStG zu versteuern sind. – Der Kapitalanteil der wiederkehrenden Leistungen führt ebenfalls zu nachträgliche Betriebseinnahmen gem. § 15 i.V.m. § 24 Nr. 2 EStG, allerdings zeitlich hinausgeschoben: Steuerbare Einnahmen entstehen erst ab dem Zeitpunkt, in dem die Summe der Kapitalanteile das steuerliche Kapitalkonto des Veräußerers zuzüglich etwaiger Veräußerungskosten übersteigt. Beispiel: Herr V (65 Jahre alt) ist alleiniger Kommanditist der X-GmbH & Co. KG, die vermögensverwaltend tätig und gewerblich geprägt ist. Am 1.1.2020 überträgt V seinen Mitunternehmeranteil auf seinen Sohn S. Der Kapitalanteil des V beträgt zu diesem Zeitpunkt 100.000 €. S verpflichtet sich als Gegenleistung zu einer monatlichen Leibrente von 2.000 € an den V. Der Kapitalwert der Rente beträgt (Jahresrente 24.000 € * Vervielfältiger 11,506 =) 276.144 € (§ 14 Abs. 1 BewG2). Dieser Kapitalwert entspricht dem Verkehrswert der übertragenen Beteiligung.

3.77

Lösung: Die zugesagte Rente ist keine Versorgungsleistung i.S.d. § § 10 Abs. 1 Nr. 1a Satz 2 EStG, weil Mitunternehmeranteile an gewerblich geprägten Personengesellschaften nicht zu den begünstigten Übertragungsgegenständen gehören (Rz. 23.22). V entsteht ein Veräußerungsgewinn in Höhe der Differenz zwischen dem Rentenbarwert von € 276.144 und seinem Kapitalkonto von 100.000 €, also in Höhe von 176.144 €. Der Gewinn übersteigt die Freibetragsgrenze des § 16 Abs. 4 Satz 3 EStG um 40144 €, sodass ein um diesen Betrag gekürzter Freibetrag von (45.000 € ./. 40.144 € =) 4.856 € verbleibt (der Freibetrag wird einmal im Leben und auf Antrag gewährt). Der steuerpflichtige Veräuße1 Die hier dargestellte Aufteilung folgt EStR 16 (11) Satz 7 Halbs. 2 und gilt nach Auffassung der Finanzverwaltung für Veräußerungsfälle nach dem 31.12.2003. Die laufenden Zahlungen sind danach von Anfang an in einen Zins- und Tilgungsanteil aufzuteilen. Ein Gewinn entsteht erst, wenn die Summe der Tilgungsanteile den Buchwert des Betriebsvermögens und die Veräußerungskosten übersteigt. Alternativ könnten von Anfang an die ungeteilten Zahlungen zu verrechnen sein. Der BFH hat offen gelassen, ob er die von der Finanzverwaltung bejahte Aufteilung für richtig hält (BFH v. 18.11.2014 – IX R 4/14, BStBl. II 2015, 526; ebenso jüngst BFH v. 5.11.2019 – X R 12/17 – juris; s. auch Horn in HHR, § 24 EStG Rz. 81 [Stand: 2.2020]). 2 BMF v. 22.11.2018, BStBl. I 2018, 1306.

Möller | 127

3.78

Kap. 3 Rz. 3.78 | Nachfolge, Nießbrauch, Versorgungsleistungen rungsgewinn beträgt (176.144 € ./. 4.856 € =) 171.288 €. Dieser Gewinn wird nach § 34 EStG tarifbegünstigt besteuert. Die Rentenzahlungen sind bei V nur noch mit ihrem Ertragsanteil gem. § 22 Nr. 1 Satz 3 lit. a bb EStG als sonstige Einkünfte zu versteuern (Sofortbesteuerung, wenn V nicht die Zuflussbesteuerung beantragt).

3.79

Wählt V dagegen die Zuflussbesteuerung, erzielt er steuerbare Einnahmen erst mit dem Zufluss von Rentenzahlungen. Diese Zahlungen sind nach EStR 16 Abs. 11 Satz 7 EStR in einen Zins- und Tilgungsanteil (Kapitalanteil) aufzuteilen. Der Tilgungsanteil ist die im jeweiligen Veranlagungszeitraum eingetretene Minderung des Rentenbarwerts, hier also für 2020: Barwert der Rente 1.1.2020: 24.000 € * 11,506 = 276.144 € (s. Rz. 3.77) Barwert der Rente 31.12.2020: 24.000 € * 11,220 = 268.632 € Barwertminderung = Tilgungsanteil = 7.512 € Zinsanteil (24.000 € ./. 7.512 € =) 16.488 €.

3.80

Zins- und Tilgungsanteil sind nachträgliche Einkünfte gem. § 24 Nr. 2 EStG. Der Zinsanteil unterliegt mit Zufluss sofort in voller Höhe der Besteuerung, der Tilgungsanteil dagegen erst nach Verrechnung mit dem Kapitalkonto sowie den Veräußerungskosten. Die Begünstigungen gem. §§ 16, 34 EStG finden keine Anwendung.

3.81

Der Erwerber erzielt aus dem übertragenen Vermögen gewerbliche Einkünfte (§ 15 EStG). Die versprochenen Rentenleistungen wirken sich bei ihm wie folgt aus: – Der Barwert der Rentenverpflichtung stellt Anschaffungskosten des erworbenen Vermögens dar.1 Stirbt der Veräußerer früher oder später als nach den statistischen Werten zu erwarten, werden die Anschaffungskosten dadurch nicht (nachträglich) gemindert oder erhöht.2 – Der Barwert der Rente stellt auch die Bemessungsgrundlage für Absetzungen für Abnutzung, erhöhte Absetzungen und Sonderabschreibungen dar. – Für den Erwerber sind die Tilgungsanteile im Zeitpunkt der jeweiligen Zahlung nicht als Werbungskosten abziehbar.3 – Die Ertragsanteile sind dagegen als Betriebsausgaben/Werbungskosten abziehbar. – Für den Fall, dass der Veräußerer länger lebt als nach der Statistik zu erwarten, wird die Frage diskutiert, ob nach Ablauf der statistischen Lebenserwartung auch der Tilgungsanteil (mit den vorgenannten Beschränkungen) als Betriebsausgabe/Werbungskosten abziehbar ist.4

III. Veräußerung einer GmbH-Beteiligung gegen private Veräußerungsrente 3.82

Auch bei § 17 EStG unterfallenden („relevanten“) Beteiligungen an Kapitalgesellschaften besteht bei der Veräußerung gegen Zusage einer Leibrente ein Wahlrecht des Veräußerers zwischen Sofort- und Zuflussbesteuerung (EStR 17 Abs. 7 Satz 2 mit Verweis auf EStR 16 1 FG Baden-Württemberg v. 28.4.2010 – 3 K 5794/08, juris Rz. 24 m.w.N. 2 BFH v. 11.8.1967 – VI R 80/66, BStBl. III 1967, 699; FG Baden-Württemberg v. 28.4.2010 – 3 K 5794/08, juris Rz. 27. 3 BMF v. 11.3.2010 – IV C 3 - S 2221/09/10004, BStBl. I 2010, 227 Rz. 70. 4 Die Frage offen lassend FG Baden-Württemberg v. 28.4.2010 – 3 K 5794/08, juris Rz. 31 f. S. dazu auch Förster, FR 2019, 500 (501), der auch eine Einordnung als Anschaffungskosten für möglich hält.

128 | Möller

H. Veräußerungsrenten | Rz. 3.88 Kap. 3

Abs. 11). Der Freibetrag nach § 17 Abs. 3 EStG kommt bei Wahl der Zuflussbesteuerung nicht in Betracht. Wird neben der Rente auch ein Barpreis zugesagt, ist für diese Barkompenente zwingend die Sofortversteuerung durchzuführen; der Freibetrag nach § 17 Abs. 3 EStG ist maximal in Höhe des durch den festen Barpreis erzielten Veräußerungsgewinns zu gewähren. Für die Ermittlung des Freibetrags ist auch der Kapitalwert der Rentenzahlungen als Teil des Veräußerungspreises zu berücksichtigen.1 Beispiel (angelehnt an Deutschländer, NWB 2013, 2249 [2253 f.]): Frau V (70 Jahre alt) ist zu 25 % an einer GmbH beteiligt (Anschaffungskosten: 10.000). Sie veräußert die gesamte Beteiligung am 1.1.2020 an K gegen Barzahlung von 100.000 und Zusage einer monatlichen Leibrente von 1.000 €. Es sind keine Veräußerungskosten entstanden.

3.83

Lösung: Ein Veräußerungsgewinn ist nach § 17 EStG zu versteuern, nach dem Teileinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40 lit. c i.V.m. § 3c Abs. 2 EStG) im Ergebnis nur zu 60 %. Der Barkaufpreis unterliegt zwingend der Sofortbesteuerung. Insoweit hat Frau V einen Veräußerungsgewinn von (60 % * (100.000 € ./. 10.000 € =) 45.000 € zu versteuern. Wegen der Höhe dieses Gewinns kommt der Freibetrag gem. § 17 Abs. 3 EStG im Ergebnis nicht zur Anwendung. Die Tarifermäßigungen des § 34 EStG sind bei Veräußerungsgewinnen nach § 17 EStG nicht anwendbar.

3.84

Hinsichtlich der Rentenzahlungen hat Frau V ein Wahlrecht. Wählt sie nicht die Zuflussbesteuerung, kommt es zur Sofortbesteuerung. Der Rentenbarwert ist dann als zusätzlicher Veräußerungspreis i.S.v. § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG zu behandeln. Weil die Anschaffungskosten bereits für die Barkomponente vollständig „verbraucht“ sind, entsteht im Ergebnis in 2020 ein zusätzlicher steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn i.H.v. 60 % (Teileinkünfteverfahren) des Rentenbarwerts. Der maßgebliche Vervielfältiger gem. § 14 Abs. 1 BewG beträgt 11, 155.2 Der Rentenbarwert beträgt damit (12.000 € * 11,155 =) 13.3860 €. 60 % davon (80.316 €) hat Frau V in 2020 zusätzlich als Veräußerungsgewinn zu versteuern.

3.85

Frau V hat weiter den Ertragsanteil der ihr zugeflossenen Rentenzahlungen im Jahr des jeweiligen Zuflusses als sonstige Einkünfte nach § 22 Nr. 1 Satz 3 lit. a bb EStG zu versteuern. In 2020 und den Folgejahren belaufen sich die Einnahmen jeweils auf (12.000 € * 15 % [Ertragsanteil bei Rentenbeginn 70. Lebensjahr] =) 1.800 €. Bei Berechnung der Einkünfte ist mindestens der Werbungskostenpauschbetrag gem. § 9a Satz 1 Nr. 3 EStG zu berücksichtigen.

3.86

Wählt Frau V stattdessen die Zuflussbesteuerung, betrifft dies von vornherein nicht den Barkaufpreis (insoweit zwingend Sofortbesteuerung). Die Rentenzahlungen sind aber (vollständig) erst bei Zufluss zu versteuern. Das betrifft zunächst (wie bei Sofortversteuerung) den nach § 22 Nr. 1 Satz 3 lit. a bb EStG als sonstige Einkünfte zu versteuernden Ertragsanteil aus den Rentenzahlungen (steuerpflichtige Einnahmen in 2020: 1.800 €, s. oben Rz. 3.85). Ebenfalls erst bei Zufluss zu versteuern ist der Tilgungsanteil aus den Rentenzahlungen, in 2020 also (12.000 € ./. 1800 € =) 10.200 €. Dieser Tilgungsanteil stellt einen nachträglichen Veräußerungsgewinn gem. §§ 17, 15, 24 Nr. 2 EStG dar, bei dessen Berechnung die Anschaffungskosten von Frau V wiederum keine Rolle spielen (durch den Barpreis „verbraucht“). Für den Tilgungsanteil gilt das Teileinkünfteverfahren.

3.87

Die Veräußerung erfolgt steuerlich zu dem Zeitpunkt, in dem die übertragenen Anteile nicht mehr dem Veräußerer, sondern nach § 39 AO dem Erwerber zuzurechnen ist, also nicht zwingend erst mit dem zivilrechtlichen Übergang.3

3.88

1 Deutschländer, NWB 2013, 2249 (2252) unter „analog“-Verweis auf BFH v. 21.12.1988 – III B 15/ 88, BStBl. II 1989, 409. 2 BMF v. 22.11.2018, BStBl. I 2018, 1306. 3 FG Baden-Württemberg v. 28.4.2010 – 3 K 5794/08, juris Rz. 22 m.w.N.

Möller | 129

Kap. 3 Rz. 3.89 | Nachfolge, Nießbrauch, Versorgungsleistungen

3.89

Der Erwerber erzielt aus der erworbenen Beteiligung, wenn er diese im Privatvermögen hält, Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 EStG; ein etwaiger späterer Veräußerungsgewinn kann auch § 17 EStG unterfallen). Hält der Erwerber die Beteiligung dagegen in einem gewerblichen Betriebsvermögen, kommt es zu Einkünften aus Gewerbebetrieb (§ 20 Abs. 8 EStG i.V.m. § 15 EStG). Die versprochenen Rentenleistungen wirken sich beim Erwerber wie folgt aus: – Der Barwert der Rentenverpflichtung stellt Anschaffungskosten der erworbenen Beteiligung dar.1 Stirbt der Veräußerer früher oder später als nach den statistischen Werten zu erwarten, werden die Anschaffungskosten dadurch nicht (nachträglich) gemindert oder erhöht.2 – Was die wiederkehrenden Leistungen des Erwerbers betrifft, ist der darin enthaltene Tilgungsanteil im Zeitpunkt der Zahlung nicht als Werbungskosten abziehbar.3 – Der Ertragsanteil ist dagegen grundsätzlich als Betriebsausgabe/Werbungskosten abziehbar. Bei einer Beteiligung im Betriebsvermögen ist der Abzug jedoch auf 60 % beschränkt (§ 3c Abs. 2 S. 1 EStG) und bei einer Beteiligung im Privatvermögen durch das Abzugsverbot des in § 20 Abs. 9 EStG regelmäßig ausgeschlossen.4 Bei einer Beteiligung im Privatvermögen kann der Erwerber unter den Voraussetzungen des § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG zur Besteuerung von Gewinnausschüttungen nach dem Teileinkünfteverfahren optieren und so auch einen Abzug von 60 % des Ertragsanteils erreichen.5 – Für den Fall, dass der Veräußerer länger lebt als nach der Statistik zu erwarten, wird die Frage diskutiert, ob nach Ablauf der statistischen Lebenserwartung auch der Tilgungsanteil (mit den vorgenannten Beschränkungen) als Betriebsausgabe/Werbungskosten abziehbar ist.6

J. Vergleich Nießbrauch/Versorgungsleistungen 3.90

Bei der Wahl zwischen Nießbrauch und Versorgungsleistungen kommen in einer konkreten Nachfolgesituation u.a. folgende Überlegungen in Betracht: – Im Einzelfall schließt die Art des zu übertragenen Vermögens bestimmte Nachfolgegestaltungen aus. So hat der Gesetzgeber das Institut der unentgeltlichen Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen durch das JStG 2008 auf bestimmte – im Kern betriebliche – Übertragungsgegenstände – beschränkt (§ 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG; zu Einzelheiten s. Rz. 23.19 ff.). Bei den danach nicht begünstigten Gegenständen kommt die Übertragung gegen Versorgungsleistungen grundsätzlich nicht in Betracht (s. aber die Gestaltungsüberlegungen unter Rz. 23.62 ff., bei denen es jeweils darum geht, grundsätzlich nicht begüns-

1 FG Baden-Württemberg v. 28.4.2010 – 3 K 5794/08, juris Rz. 24 m.w.N. 2 BFH v. 11.8.1967 – VI R 80/66, BStBl. III 1967, 699; FG Baden-Württemberg v. 28.4.2010 – 3 K 5794/08, juris, Rz. 27. 3 BMF v. 11.3.2010 – IV C 3 - S 2221/09/10004, BStBl. I 2010, 227 Rz. 70. 4 BMF v. 11.3.2010 – IV C 3 - S 2221/09/10004, BStBl. I 2010, 227 Rz. 72. 5 S. auch Förster, FR 2019, 500 (501). 6 Die Frage offen lassend FG Baden-Württemberg v. 28.4.2010 – 3 K 5794/08, juris Rz. 31 f. S. dazu auch Förster, FR 2019, 500 (501), der auch eine Einordnung als Anschaffungskosten für möglich hält.

130 | Möller

J. Vergleich Nießbrauch/Versorgungsleistungen | Rz. 3.90 Kap. 3

tigtes Vermögen in begünstigtes Vermögen zu transformieren). Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass das JStG 2008 zu einer gesteigerten Beliebtheit der Übertragung unter Nießbrauchsvorbehalt geführt hat.1 – Ein Nießbrauch führt zu schwankenden Einnahmen des Berechtigten, während als Versorgungsleistungen feste Rentenbeträge (Leibrenten) vereinbart werden können. Wenn es dem Übertragenden vor allem um eine verlässliche Absicherung geht, wird er daher Versorgungsleistungen in Form einer Leibrente anstreben und darüber hinaus eine Änderung der zugesagten Rente aufgrund geänderter Verhältnisse (§ 323 ZPO) ausdrücklich ausschließen. Allerdings kommt dem Übertragenden dann auch ein unerwartet guter Verlauf der Geschäfte nicht zugute. – Während bislang davon auszugehen war, dass bei der Übertragung von Anteilen an einer Personengesellschaft eine fortbestehende Mitunternehmerstellung des Übergebers der Inanspruchnahme des § 6 Abs. 3 EStG (Buchwertfortführung) nicht entgegensteht, ist die Rechtslage insoweit aufgrund neuerer BFH-Rechtsprechung unsicher. Bei sehr vorsichtiger Gestaltung, die gerade auf die Buchwertfortführung abzielt, wird sich der Übergeber derzeit keine Mitverwaltungsrechte vorbehalten, wenn nicht eine abweichende verbindliche Auskunft erteilt worden ist (s. Rz. 22.58 ff.). Geht es dem Übergeber gerade um fortbestehenden unternehmerischen Einfluss, wurde bislang der Nießbrauch gewählt. Dieser Vorteil des Nießbrauchs gegenüber Versorgungsleistungen könnte nun hinfällig sein, wenn die Buchwertfortführung sicher erreicht werden soll – die weitere Entwicklung ist aber abzuwarten. – Neue Rechtsprechung des BFH hat zu Zweifeln daran geführt, ob sich das Ziel einer doppelten Mitunternehmerstellung, das mit einem Nießbrauch an Personengesellschaftsanteilen häufig verfolgt wird, noch erreichen lässt (s. Rz. 22.55 f.). Die doppelte Mitunternehmerstellung ist als Gestaltungsziel u.a. deshalb attraktiv, weil sie eine Aufteilung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb zwischen zwei Steuerpflichtigen bedeutet und damit in der Gesamtbetrachtung der Beteiligten zu Progressionsvorteilen führen kann. Sollte die zukünftige Entwicklung zeigen, dass beim Nießbrauch nur einer der Beteiligten Mitunternehmer sein kann, würde die Ergebnisbeteiligung des anderen Beteiligten eine steuerlich irrelevante Vermögensverwendung darstellen, sodass sich kein Progressionsvorteil ergäbe. Dieser Vorteil könnte aber durch die Vereinbarung von Versorgungsleistungen erreicht werden – die Kombination zwischen dem Sonderausgabenabzug beim Erwerber und der Bejahung steuerbarer Einnahmen beim Übergeber bewirkt hier die „Verschiebung von Steuerbemessungsgrundlage“ zwischen den Beteiligten. – Die Zehn-Jahres-Frist für Pflichtteilsergänzungsansprüche (§ 2325 Abs. 3 BGB) beginnt nach dem BGH bei einer Schenkungen unter Nießbrauchsvorbehalt erst zu laufen, wenn der Nießbrauch wegfällt.2 Soweit ersichtlich, wird diese Rechtsprechung nicht auf eine Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen übertragen; diese kann sich daher als gegenüber dem Nießbrauch vorzugswürdig erweisen, wenn Pflichtteilsergänzungsansprüche gezielt verhindert werden sollen.3

1 Messner, MittBayNot 2018, 1. 2 BGH v. 27.4.1994 – IV ZR 132/93, NJW 1994, 1791 f. 3 Braun/Siemers in Beck’sches Handbuch der GmbH5, § 20 Rz. 156.

Möller | 131

Kapitel 4 Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen A. Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Grundlagen der Unternehmensnachfolge I. Spezifische nachfolgebezogene Herausforderungen von und Konfliktpotential in Familienunternehmen 1. Familienunternehmen und Familiengesellschaft als Realtypen . . . . . . . . . 2. Gesellschaftsrechtliche Nachfolgeplanung und Konfliktmanagement in Familienunternehmen a) Chancen und Risiken von Familienunternehmen . . . . . . . . . . . . . b) Kernaufgaben des Gesellschaftsrechts bei der Nachfolgeplanung II. Gesellschaftsrechtliche Gestaltungsfreiheit und ihre Grenzen 1. Gesetzliche Gestaltungsgrenzen . . . . 2. Privatautonom etablierte Gestaltungsgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anpassung der gesellschaftsrechtlichen Grundlagen und Befreiung von statutarischen Beschränkungen 1. Ausgangspunkt: Qualifizierte Mehrheitserfordernisse oder Einstimmigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mitwirkungspflicht in Bezug auf Statutenanpassungen/Befreiung von statutarischen Beschränkungen? a) Treupflichtgebundenheit des Stimmrechts . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine gerichtliche Zweckmäßigkeitskontrolle des Abstimmungsverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einzelfälle aa) Entvinkulierung . . . . . . . . . bb) Statutenanpassung . . . . . . . IV. Trennung von Vermögens- und Verwaltungsrechten 1. Entkoppelung von Inhaberschaft und Geschäftsführung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mediatisierung des Nachfolgereinflusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Differenzierung zwischen Nachfolgern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

132 | Bochmann

4.1

4.4 4.6 4.10 4.17

4.20

4.23 4.25 4.28 4.33

4.35 4.41 4.45

V. Umwandlungsrecht als Nachfolgeplanungsinstrument 1. Überprüfung und Anpassung der Rechtsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umstrukturierungs- und Umwandlungsvorgänge außerhalb des UmwG 3. Umwandlungsvorgänge nach dem UmwG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Rechtsformwahl und rechtsformspezifische Besonderheiten der Nachfolgegestaltung I. Gesellschaftsrechtliche Determinanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Personengesellschaften 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesellschaft bürgerlichen Rechts a) Grundzüge aa) Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks auf vertraglicher Grundlage . . . . . . . . . . bb) Abgrenzung zur Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Innen- und Außengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Keine gesetzlichen Formerfordernisse . . . . . . . . . . . . . ee) Organisationsverfassung (1) Gesamtgeschäftsführung und Gesamtvertretung . . . . . . . . (2) Selbstorganschaft . . . . . . . . (3) Einstimmigkeitsprinzip und Mehrheitsklauseln . . . . . . . ff) Finanz- und Haftungsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Keine Handels- und Transparenzregisterpublizität . . . hh) Tatsächliche Erscheinungsformen (1) Vielgestaltigkeit der Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . (2) Vermögensverwaltende GbR (3) Pool-/Schutzgemeinschaftsverträge . . . . . . . . . . . . . . . .

4.47 4.48 4.50

4.54 4.57

4.58 4.59 4.60 4.61 4.63 4.64 4.65 4.70 4.72

4.74 4.75 4.76

Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen | Kap. 4 b) Gestaltungsherausforderungen im Nachfolgekontext aa) Identifikations- und Transparenzaspekte (1) Dokumentation . . . . . . . . . . 4.77 (2) Rechtsformwechsel? . . . . . . 4.79 bb) Fortsetzungsmöglichkeit im Todesfall eines Gesellschafters und Nachfolgeklauseln (1) Zweipersonengesellschaft . . 4.80 (2) Auflösung durch Tod eines Gesellschafters . . . . . . . . . . . 4.81 (3) Fortsetzungsbeschluss . . . . . 4.82 (4) Fortsetzungsklausel . . . . . . . 4.83 (5) Erbrechtliche Nachfolgeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.84 (6) Rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel . . . . . . . . . . . . . . . 4.87 cc) Einzelrechtsnachfolge bei mehreren nachfolgeberechtigten Erben . . . . . . . . . . . . . 4.88 dd) (Nach-)Haftung der Erben des GbR-Gesellschafters . . . 4.92 ee) Eintrittsklauseln (1) Rechtsgeschäftliche Nachfolge in den Gesellschaftsanteil 4.96 (2) Gestaltungsvarianten . . . . . . 4.99 (3) Schicksal des Abfindungsanspruchs gem. § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . 4.100 ff) Abfindungshöhe bei Ausscheiden und Abfindungsklauseln (1) Grundsätze: Abfindung zum vollen wirtschaftlichen Wert und Disponibilität . . . . . . . . 4.105 (2) Abfindungsklauseln zu Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . 4.108 (3) Abfindungsklauseln zur Abfindungshöhe und zu Auszahlungsmodalitäten . . . . . . 4.110 (4) Grundsätze der gerichtlichen Inhaltskontrolle . . . . . . . . . . 4.112 gg) Testamentsvollstreckung (1) Problemaufriss . . . . . . . . . . . 4.120 (2) Grundsatz: Testamentsvollstreckung lediglich an der sog. „Außenseite“ des Gesellschaftsanteils . . . . . . . . . . . . 4.121 (3) Abfindungsanspruch als Gegenstand der Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . 4.123

(4) Gesellschaftsanteil an Liquidationsgesellschaft als Gegenstand der Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.124 (5) Ausnahme: Haftungsbeschränkter Gesellschaftsanteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.125 hh) Alternativen und Begleitmaßnahmen zur Testamentsvollstreckung (1) Vollmachtlösung . . . . . . . . . 4.127 (2) Treuhandlösung . . . . . . . . . 4.132 (3) Weisungsgeberlösung . . . . . 4.133 3. Offene Handelsgesellschaft a) Grundzüge aa) Betrieb eines Handelsgewerbes oder einer Vermögensverwaltung mit Eintragung im Handelsregister . . . . . . . 4.134 bb) Organisationsverfassung . . . 4.137 cc) Finanz- und Haftungsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.139 ee) Handelsregisterpublizität . . 4.140 ff) Transparenzregisterpublizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.142 gg) Tatsächliche Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.143 b) Gestaltungsherausforderungen im Nachfolgekontext aa) Tod eines Gesellschafters und Nachfolgeklauseln . . . . . . . . 4.144 bb) Umwandlung der Beteiligung durch Erben in Kommanditanteil (1) Problemaufriss . . . . . . . . . . 4.146 (2) Wahlrecht des Erben . . . . . . 4.147 (3) Verweigerung der Beteiligungsumwandlung: Erbe bleibt persönlich haftender Gesellschafter . . . . . . . . . . . 4.148 (4) Verweigerung der Beteiligungsumwandlung: Erbe scheidet aus der Gesellschaft aus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.149 (5) Zustimmung zur Beteiligungsumwandlung: Erbe wird Kommanditist . . . . . . . 4.150 cc) Gestaltungsvarianten im Hinblick auf § 139 Abs. 4 HGB (1) Notwendigkeit gestalterischer Vorsorge . . . . . . . . . . . . . . . 4.151 (2) Eintrittsklausel . . . . . . . . . . 4.152 (3) Kombinierte Nachfolge- und Umwandlungsklausel . . . . . 4.153

Bochmann | 133

Kap. 4 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen (4) Klausel mit Umwandlungsautomatik . . . . . . . . . . . . . . 4.155 (5) Gesellschafts-Umwandlungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.156 dd) „Umgekehrte Umwandlungsklausel“ . . . . . . . . . . . . . . . . 4.157 ee) Zweipersonengesellschaft . . 4.159 4. Kommanditgesellschaft a) Grundzüge aa) Modifizierte offene Handelsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . 4.160 bb) Organisationsverfassung (1) Ausschluss der Kommanditisten von Geschäftsführung und Vertretung . . . . . . . . . . 4.161 (2) Widerspruchsrecht der Kommanditisten bei außergewöhnlichen Maßnahmen . . 4.163 cc) Finanz- und Haftungsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.168 dd) Handelsregisterpublizität . . 4.171 ee) Transparenzregisterpublizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.174 ff) Tatsächliche Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.176 b) Die GmbH & Co. KG . . . . . . . . . 4.177 c) Gestaltungsherausforderungen im Nachfolgekontext aa) Tod eines Kommanditisten 4.179 bb) Wechsel in die Kommanditistenstellung bei Nachfolge in Komplementärsbeteiligung 4.180 cc) Haftung des Kommanditistenerben und Nachfolgevermerk im Handelsregister (1) Parallelität von erbrechtlicher und gesellschaftsrechtlicher Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . 4.181 (2) Nachfolgevermerk . . . . . . . 4.183 (3) Nachfolger kraft Eintrittsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.185 dd) Testamentsvollstreckung am Kommanditanteil (1) Zulässigkeit, Voraussetzungen und Testamentsvollstreckervermerk . . . . . . . . . . . . 4.186 (2) Ausübung der Gesellschafterrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.189 III. Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . 4.194 1. Gesellschaft mit beschränkter Haftung a) Grundzüge aa) Kapitalgesellschaft mit beschränkter Haftung . . . . . . . 4.195

134 | Bochmann

bb) Organisationsverfassung (1) Gesellschafterversammlung als oberstes Gesellschaftsorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.197 (2) Fremdgeschäftsführung . . . 4.200 cc) Finanzverfassung . . . . . . . . 4.203 dd) Handelsregisterpublizität . . 4.204 ee) Transparenzregisterpublizität 4.206 ff) Tatsächliche Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . 4.208 gg) Sonderfall: UG (haftungsbeschränkt) . . . . . . . . . . . . . 4.210 b) Gestaltungsherausforderungen im Nachfolgekontext aa) Zwingende Vererblichkeit des Geschäftsanteils und Erbengemeinschaft als GmbHGesellschafter . . . . . . . . . . . 4.211 bb) Steuerung des Gesellschafterkreises trotz freier Vererblichkeit (1) Ausgangspunkt . . . . . . . . . . 4.213 (2) Einziehungsklauseln . . . . . . 4.217 (3) Abtretungsklauseln . . . . . . . 4.221 (4) Kombinierte Abtretungsund Einziehungsklausel . . . 4.226 (5) Unklare gesellschaftsvertragliche Anordnungen . . . . . . . 4.227 cc) Die Bedeutung der Gesellschafterliste im Erbfall . . . . 4.228 dd) Testamentsvollstreckung . . 4.230 2. Aktiengesellschaft a) Grundzüge aa) Aktienrechtliche Satzungsstrenge . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.234 bb) Organisationsverfassung . . 4.235 cc) Finanz- und Haftungsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.239 dd) Handels- und Transparenzregisterpublizität . . . . . . . . . 4.243 ee) Verbreitung und tatsächliche Erscheinungsformen . . . . . 4.245 b) Gestaltungsherausforderungen im Nachfolgekontext aa) Ausgangspunkt . . . . . . . . . . 4.246 bb) Zwingende Vererblichkeit . 4.247 cc) Beschränkte Möglichkeit der Steuerung des Gesellschafterkreises . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.249 dd) Schuldrechtliche Nebenvereinbarungen . . . . . . . . . . . . 4.254 ee) Legitimation von Erben-Aktionären . . . . . . . . . . . . . . . . 4.260 ff) Testamentsvollstreckung . . 4.261

A. Grundlagen der Unternehmensnachfolge | Rz. 4.1 Kap. 4 3. Kommanditgesellschaft auf Aktien a) Grundzüge aa) Organisationsverfassung . . . bb) Finanz- und Haftungsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Handels- und Transparenzregisterpublizität . . . . . . . . . dd) Verbreitung und tatsächliche Erscheinungsformen . . . . . .

4.262 4.267 4.269

b) Gestaltungsherausforderungen im Nachfolgekontext aa) Wechsel in die Rechtsform der KGaA . . . . . . . . . . . . . . 4.271 bb) Sicherung des Familieneinflusses . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.272 IV. Stiftungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.273

4.270

Literatur: Baus, Die Familienstrategie, 2013; Binge/Kirchdörfer, Die Familie und ihr Unternehmen, 2015; Bochmann, Aktuelle Herausforderungen und Gestaltungsmöglichkeiten bei der Nachfolgeplanung in Familienunternehmen, NotBZ 2019, 361; Bochmann, Vertraulichkeit versus Publizität in Familienunternehemen, in Röthel/Karsten Schmidt (Hrsg.), Grundfragen der Organisation von Familienunternehmen, 2020, S. 145; Bochmann/Scheller/Prütting, Münchener Hdb. des Gesellschaftsrechts, Bd. 9, Recht der Familienunternehmen, 6. Aufl. 2021; Eidenmüller/Engert/Fleischer/Schön, Rechtsregeln für die geschlossene Kapitalgesellschaft, 2012; Flick/Hannes/v. Oertzen, Dynamik & Co. KG, 2009; Freudenberg, Familienunternehmen im Fokus von Wirtschaft und Wissenschaft, FS Binz, 2014; Grunewald, Ausschluss aus Gesellschaft und Verein, 1987; Hueck, Die Familienverfassung – Rechtliche Konturen eines Instruments der Governance in Familienunternehmen, 2017; Kalss/Probst, Familienunternehmen, 2013; Koeberle-Schmid/Fahrion/Witt, Family Business Governance, 3. Aufl. 2018; Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 4. Aufl. 2017; Röthel/Karsten Schmidt, Die Verträge der Familienunternehmer, 2013; Röthel/Karsten Schmidt, Konfliktvermeidung in Familienunternehmen, 2014; Röthel/Karsten Schmidt, Familienunternehmen im Wandel, 2015; Scherer/Blanc/ Kormann/Groth/Wimmer, Familienunternehmen – Erfolgsstrategien zur Unternehmenssicherung, 2. Aufl. 2012; Seibert/Kiem/Schüppen, Handbuch der kleinen AG, 5. Aufl. 2008; Sigle, Beiräte in Familienunternehmen – Berater, Wächter, Feuerwehr, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1147.

A. Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Grundlagen der Unternehmensnachfolge I. Spezifische nachfolgebezogene Herausforderungen von und Konfliktpotential in Familienunternehmen 1. Familienunternehmen und Familiengesellschaft als Realtypen Gegenstand der Unternehmensnachfolgeplanung sind Familienunternehmen. Wenngleich keine Einigkeit in Bezug auf eine abschließende und trennscharfe Definition von Familienunternehmen besteht,1 so steht doch außer Zweifel, dass neben dem – extrem vereinfacht formuliert – bestimmenden Einfluss einer Familie auf das Unternehmen und die damit verbundenen Interdependenzen zwischen diesen beiden Systemen2 die Ausrichtung auf eine familieninterne Generationenfolge in der Inhaberschaft der Anteile an der unternehmenstragenden

1 Vgl. Stiftung Familienunternehmen, Die Volkswirtschaftliche Bedeutung von Familienunternehmen, 2017, S. 73; Hueck, Die Familienverfassung, S. 22 ff.; Prütting/Schirrmacher, ZGR 2017, 829 (832 f.); Sanders, NZG 2017, 961 (966 ff.). 2 Vgl. m.w.N. Röthel in Röthel/Karsten Schmidt, Die Verträge der Familienunternehmer, S. 33.

Bochmann | 135

4.1

Kap. 4 Rz. 4.1 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

Familiengesellschaft ein kennzeichnendes Merkmal ist.1 Jedes Familienunternehmen ist deshalb letztlich permanent der Herausforderung der Nachfolgeplanung ausgesetzt (Rz. 4.54), und zwar einschließlich der Unternehmen, die sich noch in der alleinigen Hand des Gründers befinden und überhaupt erst aufgrund des Willens zur Überführung in die zweite Generation als Familienunternehmen bezeichnet werden können.2

4.2

Wenn die Nachfolgeplanung aus dem gesellschaftsrechtlichen Blickwinkel betrachtet wird, ist somit zu berücksichtigen, dass das Anschauungsobjekt stets Familiengesellschaften mit ihren gegenüber sonstigen Gesellschaften im Regelfall in vielerlei Hinsicht deutlich komplexeren Strukturen sind.3

4.3

Kein Definitionsmerkmal von Familiengesellschaften ist hingegen die Existenz in einer bestimmten Rechtsform.4 Die gesellschaftsrechtliche Nachfolgeplanung ist somit einerseits ein rechtsformübergreifendes Thema, etwa im Hinblick auf den Zeitpunkt der Planung und Umsetzung. Andererseits müssen die Besonderheiten der unterschiedlichen Rechtsformen bei der Nachfolgeplanung gleichwohl berücksichtigt werden, etwa die gänzlich unterschiedlichen Modalitäten, nach denen sich die Gesamtrechtsnachfolge in Personengesellschafts- und Kapitalgesellschaftsanteile vollzieht (Rz. 4.57 ff. und Rz. 4.194 ff.).

2. Gesellschaftsrechtliche Nachfolgeplanung und Konfliktmanagement in Familienunternehmen a) Chancen und Risiken von Familienunternehmen

4.4

Gerade mit der Existenz als Familienunternehmen sind besondere Chancen und Risiken verbunden: Die Chancen – um nur die wichtigsten zu nennen – bestehen in einer besonders ausgeprägten Identifikation mit und dem Aufopferungswillen für das Unternehmen, langfristigen unternehmerischen Planungshorizonten und deren konsequenter Umsetzung, effizienter und unbürokratischer Entscheidungsfindung sowie lokaler Verwurzelung und sozialem Verantwortungsbewusstsein am Standort des Familienunternehmens.5 Dem stehen besondere Risiken gegenüber, zuvorderst dasjenige der Infizierung des Unternehmens mit Konflikten, die aus der zwischenmenschlich-familiären Sphäre herrühren und das Unternehmen in der Sache im Ausgangspunkt eigentlich gar nicht berühren;6 die Beschädigung unternehmerischer Wer-

1 Vgl. Prütting/Schirrmacher, ZGR 2017, 829; Scherer, BB 2010, 323; Holler in Münchener Hdb. Gesellschaftsrecht5, § 75 Rz. 9. 2 Zur Typologie Bochmann, NotBZ 2019, 361 (362); Fleischer, NZG 2017, 1201 (1202); Fleischer, WM 2019, 2819 (2819 ff.); Hack/Meyer in Koeberle-Schmid/Fahrion/Witt, Family Business Governance3, S. 59 (63 ff.); Holler in Münchener Hdb. Gesellschaftsrecht5, § 75 Rz. 7 ff., 15 ff.; Hueck, Die Familienverfassung, S. 22 ff. 3 Vgl. hierzu Holler in Münchener Hdb. Gesellschaftsrecht5, § 75 Rz. 125 ff., sowie Prütting/Schirrmacher, ZGR 2017, 829 (833 ff.). 4 Vgl. Stiftung Familienunternehmen, Die Volkswirtschaftliche Bedeutung von Familienunternehmen, 2017, S. 73. 5 Bochmann, NotBZ 2019, 361 (362); Goebel in FS Binz, S. 241; Kormann in Scherer/Blanc/Kormann/Groth/Wimmer, Familienunternehmen2, Rz. 211 f. 6 Vgl. Bachmann/Eidenmüller/Engert/Fleischer/Schön, Rechtsregeln für die geschlossene Kapitalgesellschaft, 2012, S. 26; Bochmann, GmbHR 2017, 558 (558); Gläßer in FS Binz, S. 228 (236 f.); Sanders, NZG 2017, 961 (964); Verse in Röthel/Karsten Schmidt, Konfliktvermeidung in Familienunternehmen, S. 33 ff.

136 | Bochmann

A. Grundlagen der Unternehmensnachfolge | Rz. 4.8 Kap. 4

te durch familiäre Konflikte führt dabei nicht selten zu einer weiteren Eskalation der ursprünglichen familiären Konflikte.1 Es kann zwar nicht die Aufgabe des Gesellschaftsrechts sein, jene familiären Spannungen und Konflikte zu verhindern. Der Anspruch der gesellschaftsrechtlichen Nachfolgeplanung muss jedoch darin bestehen, (auch) auf gesellschaftsrechtlicher Ebene einen Rahmen zu etablieren, der es verhindert oder zumindest erschwert, dass zwischenmenschlich-familiäre Konflikte in die gesellschaftsrechtliche Sphäre hineingetragen werden. Dem Gesellschaftsrecht kommt hierbei deshalb eine herausgehobene Funktion zu, weil es – anders als in Nicht-Familienunternehmen – die Spielregeln für Gesellschafter aufstellen muss, deren Gesellschafterstellung nicht auf einen autonomen Gründungs- oder entgeltlichen Erwerbsakt zurückgeht, sondern ererbt oder im Wege der vorweggenommenen Erbfolge erworben ist. Die Einbindung in das für unternehmerisch tätige Gesellschaften jeder Art charakteristische umfangreiche und prospektiv offene Geflecht von Rechten und Pflichten erfolgt bei Familienunternehmen deshalb in einem von Heteronomie geprägten Umfeld – der Nachfolger wird gleichsam in die Gesellschafterrolle „geworfen“ –,2 wenngleich aus rechtlicher Perspektive selbstredend niemand in eine Gesellschafterstellung gezwungen werden kann, da die vorweggenommene Erbfolge auf schenkungsvertraglicher Grundlage beruht (Rz. 9.9) und demgemäß nicht ohne eine entsprechende Willenserklärung des Nachfolgers denkbar ist und bei der Nachfolge von Todes wegen das Recht zur Ausschlagung (§§ 1942 ff. BGB) besteht.

4.5

b) Kernaufgaben des Gesellschaftsrechts bei der Nachfolgeplanung Die Kernaufgaben des Gesellschaftsrechts bei der Nachfolgeplanung sind dementsprechend dreierlei:

4.6

Erstens kommt dem Gesellschaftsrecht eine Verklammerungsfunktion im Hinblick auf die übrigen bei der Nachfolgeplanung relevanten Rechtsgebiete Steuer-, Familien- und Erbrecht zu. Das folgt daraus, dass Träger des Gegenstands der Nachfolgeplanung – des Familienunternehmens – mit Ausnahme des einzelkaufmännischen Unternehmens eine Familiengesellschaft ist, sämtliche rechtlichen Überlegungen bei der Nachfolgeplanung deshalb letztlich in diesem rechtlichen Bindeglied zwischen Unternehmerfamilie und Familienunternehmen reflektiert sein müssen, es jedenfalls keine Hindernisse enthalten darf, die den übrigen Erwägungen zuwiderlaufen. Zusammengefasst wird diese Gestaltungsaufgabe häufig in der Kernaussage, dass letztwillige Verfügungen des Unternehmers und der Gesellschaftsvertrag aufeinander abgestimmt sein müssen.3 Dies wiederum verbietet es, letztwillige Verfügungen eines Familienunternehmers ohne Konsultation der Statuten des Familienunternehmens und umgekehrt die Statuten in Unkenntnis bestehender oder auch nur geplanter letztwilliger Verfügungen zu ändern.4

4.7

Zweitens muss das Gesellschaftsrecht möglichst präzise die Rolle, die dem oder den jeweiligen Nachfolgern zugeschrieben ist, abbilden. Sind die Rollen in der Gründergeneration noch

4.8

1 Vgl. Binge/Kirchdörfer, Die Familie und ihr Unternehmen, S. 62 (Streit als der „größte Wertevernichter“ in Familienunternehmen); Holler, ZIP 2018, 553; Kellermanns/Schlippe/Mähler in Koeberle-Schmid/Fahrion/Witt, Family Business Governance3, S. 389 (390); Sanders, NZG 2017, 961 (964). 2 Vgl. hierzu Erker in Röthel/Karsten Schmidt, Konfliktvermeidung in Familienunternehmen, S. 21. 3 Vgl. Flick, ZEV 1994, 34; Reichert, GmbHR 1998, 257; Reimann, ZEV 2014, 521. 4 Vgl. Flick, ZEV 1994, 34; Reimann, ZEV 2014, 521.

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Kap. 4 Rz. 4.8 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

kraft Natur der Sache klar verteilt, ohne dass es zu ihrer Bestimmung jemals eines Blickes in den Gesellschaftsvertrag bedarf, kann hiervon bei der nachfolgenden Generation nicht mit der gleichen Selbstverständlichkeit ausgegangen werden; die Bedeutung der Gesellschaftsstatuten wächst im Zuge der Unternehmensnachfolge.1 Je nach Grad des intendierten Einflusses auf der Gesellschafter- oder Geschäftsführungsebene sind mannigfaltige gesellschaftsrechtliche Gestaltungen denkbar, kommen aber bestimmte Strukturen auch gerade nicht in Betracht.

4.9

Drittens sollten die gesellschaftsrechtlichen Kautelen im Vorfeld einer Unternehmensnachfolge den skizzierten mit Familienunternehmen assoziierten Risiken Rechnung tragen, indem sie die Übertragung familiärer Konflikte zumindest erschweren und für den Fall der Fälle sachgerechte Konfliktaustragungs- und Konfliktbeilegungsmechanismen vorhalten.

II. Gesellschaftsrechtliche Gestaltungsfreiheit und ihre Grenzen 1. Gesetzliche Gestaltungsgrenzen 4.10

Gesellschaftsrechtliche Gestaltungsgrenzen sind bei der Nachfolgeplanung nach Möglichkeit frühzeitig zu berücksichtigen, damit das Gesellschaftsrecht seiner dienenden bzw. vermittelnden Funktion im Zusammenhang mit der Unternehmensnachfolge gerecht werden kann. Zu unterscheiden ist zwischen gesetzlich und privatautonom gesetzten Restriktionen.

4.11

Gesetzliche Gestaltungsgrenzen folgen im Ausgangspunkt aus dem sog. numerus clausus der Rechtsformen und dem damit verbundenen Typenzwang. Numerus clausus und Typenzwang schränken nicht etwa die Vertragsfreiheit als solche ein, zwingen das Privatrechtssubjekt, das privatrechtliche Verbände gründen und gestalten will, jedoch zur Wahl zwischen einer begrenzten Anzahl gesetzlich vorgeprägter Rechtsformen.2 Anders als im Schuldrecht ist es nicht möglich, kautelarjuristisch gänzlich neue Rechtsformen privatautonom zu kreieren. Um die vorgegebenen Rechtsformen „nutzen“ zu können, ist es vielmehr erforderlich, gesetzliche Mindeststandards, die je nach Rechtsform unterschiedlich streng bzw. detailliert sind, zu erfüllen.3

4.12

Die komplexesten und starrsten Mindeststandards hält die Aktiengesellschaft bereit. Nach dem sog. Prinzip der Satzungsstrenge (§ 23 Abs. 5 AktG) darf die Verbandsverfassung – die Satzung – nur dann von den Vorgaben des Aktiengesetzes abweichen, wenn das Aktiengesetz selbst dies ausdrücklich zulässt. Den Gegenpol bildet die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, deren Ausgestaltung jenseits der Minimalvorgabe, dass es sich um eine Personenmehrheit handeln muss, die sich vertraglich zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks zusammenschließt (§ 705 BGB), der freien Disposition der vertragschließenden Parteien unterliegt.4 Ähnlich weitgehend ist die Gestaltungsfreiheit in den Personenhandelsgesellschaften (offene Handelsgesellschaft, Kommanditgesellschaft), die aber immerhin bestimmte Anforderungen insbesondere an den Unternehmensgegenstand sowie die Ausgestaltung von Gesellschafterrechten und -pflichten stellen und überdies – anders als die Gesellschaft bürgerlichen Rechts – der zwingenden Handelsregisterpublizität unterliegen. Auch das Recht der GmbH ist ungeachtet zwingender Regelungen etwa zur Kapitalaufbringung und -erhaltung ganz überwiegend

1 2 3 4

Reichert, GmbHR 1998, 257. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 5 II 1 a. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 5 II 1 a. Vgl. Schäfer in MüKo8, § 705 BGB Rz. 132 f.

138 | Bochmann

A. Grundlagen der Unternehmensnachfolge | Rz. 4.16 Kap. 4

nachgiebigen Charakters – insbesondere im Hinblick auf das Innenverhältnis der Gesellschafter zueinander –, d.h. individuellen Regelungen zugänglich.1 Die zwingenden gesetzlichen Gestaltungsgrenzen sind bei der Nachfolgeplanung zu beachten, werden sich wirtschaftlich und/oder erbrechtlich intendierten Gestaltungen aber nur in den seltensten Fällen als unüberwindbare Hindernisse in den Weg stellen. Vielmehr wird es in erster Linie darum gehen, die Gestaltungsfreiheit innerhalb der gesetzlich vorgezeichneten Typen auszuschöpfen, Gesellschaftsvertrag oder Satzung den Erfordernissen der Nachfolgeplanung anzupassen oder mithilfe des Schuldrechts jenseits der Verbandssphäre Parallellösungen zu entwickeln. Wo dies innerhalb der jeweils gegebenen Gesellschaftsform nicht erreichbar ist, wird an eine formwechselnde Umwandlung zu denken sein (Rz. 4.47 ff., 4.79).

4.13

Die bedeutendste bei der Nachfolgeplanung zu beachtende gesetzliche Gestaltungsgrenze des Gesellschaftsrechts stellt die fundamental verschiedene Art und Weise dar, in der sich eine Nachfolge von Todes wegen in Personengesellschaftsbeteiligungen einerseits und Kapitalgesellschaftsbeteiligungen andererseits vollzieht (dazu näher Rz. 4.77 ff., 4.144 ff., 4.179 ff. und Rz. 4.211 ff., 4.246 ff., 4.271 ff.). GmbH-Geschäftsanteile (vgl. § 15 Abs. 1 GmbHG) und Aktien sind nach der gesetzlichen Konzeption ohne weiteres vererblich, wobei die Möglichkeit besteht, dieses vom Gesetz vorgezeichnete Ergebnis statutarisch – durch Ausschlussmöglichkeiten von Erben-Gesellschaftern bzw. Einziehungsklauseln (§ 34 GmbHG, § 237 AktG) – zu revidieren (dazu näher Rz. 4.211 und Rz. 4.247). Parallel hierzu stellt sich die Rechtslage bei der Kommanditgesellschaft dar, in der ohne abweichende Regelung die Gesellschaft mit den Erben fortgesetzt wird (§ 177 HGB), abweichende gesellschaftsvertragliche Regelungen aber zulässig sind.2 In der oHG hingegen muss gesellschaftsvertraglich Vorsorge getroffen werden, dass im Falle des Ablebens eines Gesellschafters überhaupt eine Nachfolge möglich ist (vgl. § 131 Abs. 3 Satz 1 HGB), bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts gilt es gar, die mit dem Tod eines Gesellschafters einhergehende Auflösung zu verhindern (vgl. § 727 BGB).3

4.14

Als weiteres wichtiges Beispiel seien die gesellschaftsrechtlichen Restriktionen in Bezug auf die Testamentsvollstreckung an Personengesellschaftsbeteiligungen, mit denen eine unbeschränkte persönliche Haftung einhergeht, hervorgehoben (Rz. 4.120). Zwar soll nach h.A. der Testamentsvollstrecker lediglich die sog. „Außenseite“ von Beteiligungen, mit denen eine unbeschränkte persönliche Haftung einhergeht, verwalten können (Rz. 4.121).4 Mittels rechtsgeschäftlicher Vollmachten oder der Transformation der in Rede stehenden Beteiligung in einen Kommanditanteil lässt sich jene dogmatische Hürde jedoch weitgehend einebnen (Rz. 4.127 ff., 4.146 ff.).

4.15

Schließlich stellen im Nachfolgekontext das personengesellschaftsrechtliche Prinzip der Selbstorganschaft und die zwingende organschaftliche Vertretungsordnung bedeutende gesetzliche Gestaltungsgrenzen dar5. GbR, oHG und KG haben geschäftsführende und sie vertretende Gesellschafter, während in der Aktiengesellschaft der Vorstand und in der GmbH die Geschäftsführer bestellt werden.6 Das bedeutet nicht, dass nicht auch weiteren, nicht schon von Gesetzes wegen zur Geschäftsführung und Vertretung berufenen Gesellschaftern (nach

4.16

1 2 3 4 5 6

Bochmann/Cziupka in GmbH-Hdb., Rz. I-9. Roth in Baumbach/Hopt39, § 177 HGB Rz. 7. Westermann in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I-1220 ff. BGH v. 13.5.1986 – X ZR 35/85, BGHZ 98, 45. Zum Prinzip der Selbstorganschaft Karsten Schmidt in MüKo4, § 125 HGB Rz. 5 ff. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 14 II 2 a.

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Kap. 4 Rz. 4.16 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

überwiegender Ansicht sogar organschaftliche1) Geschäftsführungsbefugnis und/oder rechtsgeschäftliche Vertretungsbefugnis, etwa in Gestalt der Prokura, eingeräumt werden könnte. Gleichwohl bleiben in jedem Falle die persönlich haftenden Gesellschafter vertretungs- und geschäftsführungsbefugt, eine vollständige Trennung zwischen Anteilsinhaberschaft und Management (dazu noch Rz. 4.200 f.) dementsprechend zwingend verschlossen.

2. Privatautonom etablierte Gestaltungsgrenzen 4.17

Privatautonom gesetzte Gestaltungsgrenzen ergeben sich im Wesentlichen aus den Statuten der Gesellschaft, bezüglich derer eine Nachfolge geplant wird, selbst. Etabliert der Gesellschaftsvertrag etwa bestimmte Anforderungen, um Gesellschafter und/oder Geschäftsführer sein zu können – beispielsweise eine bestimmte berufliche Qualifikation oder Berufserfahrung –, kann dies die Nachfolge in den Gesellschaftsanteil und/oder die Geschäftsführung des Familienunternehmens versperren, auch wenn erbrechtlich die richtigen Weichen gestellt werden. Regelmäßig werden in Familiengesellschaften bewusst statutarische Hürden etabliert, die den Charakter gerade als Familiengesellschaft bewahren sollen, insbesondere in Gestalt der Vorgabe, dass lediglich Familienangehörige Nachfolger sein können bzw. dürfen.2 Damit wird zwar einerseits die familieninterne Sukzession reflektiert und gewissermaßen bereits vorgezeichnet, die familienexterne Nachfolge (Rz. 1.108 ff.) hingegen abgeschnitten oder zumindest deutlich erschwert. In Bezug auf die familieninterne Unternehmensnachfolge selbst sind Anforderungen an die Person von Gesellschaftern (Rz. 4.84, 4.179) als wichtigste Gestaltungsgrenze hervorzuheben.

4.18

Diese Nachfolgehürden werden im Regelfall sowohl bei der Nachfolge von Todes wegen als auch bei der vorweggenommenen Unternehmensnachfolge zu berücksichtigen sein. Maßgeblich dafür ist letztlich die Gestaltung des in Rede stehenden Gesellschaftsvertrags bzw. der in Rede stehenden Satzung. Die Beteiligungen an Personengesellschaften sind gleichsam gesetzlich vinkuliert, das heißt Übertragungen unter Lebenden bedürfen, da es sich konstruktiv um Gesellschaftsvertragsänderungen handelt, der Zustimmung sämtlicher Mitgesellschafter,3 soweit der Gesellschaftsvertrag nicht die freie Übertragbarkeit oder die Übertragung aufgrund (qualifizierten) Mehrheitsbeschlusses – ggf. unter bestimmten Voraussetzungen, etwa in der Person des vorgesehenen Neugesellschafters – gestattet.4 GmbH-Gesellschaftsanteile sind zwar gem. § 15 Abs. 1 GmbHG frei veräußerlich. Nach § 15 Abs. 5 GmbH ist ihre Vinkulierung jedoch zulässig und der praktische Regelfall.5 Auch die Übertragung von Namensaktien (nicht Inhaberaktien) kann gem. § 68 Abs. 2 Satz 1 AktG an die Zustimmung der Gesellschaft gebunden werden.6

4.19

Die durch privatautonome Entscheidung geschaffenen Gestaltungsgrenzen auf gesellschaftsrechtlicher Ebene können – anders als die zwingenden gesetzlichen – in eben dieser Weise wieder beseitigt werden, sei es durch Änderungen der Statuten, sei es durch schlichten Beschluss, wie etwa im Falle der Zustimmung zur Übertragung vinkulierter Gesellschaftsanteile. 1 Vgl. BGH v. 27.6.1955 – II ZR 232/54, BGHZ 17, 393 (395); Grunewald in MüKo4, § 164 HGB Rz. 24. 2 Zur Steuerung des Gesellschafterkreises eingehend Heckschen, NZG 2019, 721 ff.; vgl. ferner Binz/ Mayer, NZG 2012, 201 ff.; Lange/Sabel, NZG 2015, 1249 ff. 3 Vgl. BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 (89). 4 Vgl. Schäfer in MüKo7, § 719 BGB Rz. 28 ff. 5 Seibt in Scholz12, § 15 GmbHG Rz. 107; Reichert/Weller in MüKo3, § 15 GmbHG Rz. 358. 6 Bayer in MüKo5, § 68 AktG Rz. 34.

140 | Bochmann

A. Grundlagen der Unternehmensnachfolge | Rz. 4.23 Kap. 4

Gleichwohl können auch die privatautonom etablierten Hürden sich als problematisch und bisweilen konfliktträchtig darstellen, und zwar insbesondere dann, wenn rivalisierende Mitgesellschafter oder Gesellschaftsstämme sich einer Anpassung bzw. Öffnung versperren.

III. Anpassung der gesellschaftsrechtlichen Grundlagen und Befreiung von statutarischen Beschränkungen 1. Ausgangspunkt: Qualifizierte Mehrheitserfordernisse oder Einstimmigkeit Passen die gesellschaftsrechtlichen Grundlagen nicht zur intendierten Nachfolge, stellt sich im Zusammenhang mit der Nachfolgeplanung die Frage nach ihrer Anpassung; das gleiche gilt für erforderliche Beschlüsse, etwa im Hinblick auf vinkulierte Anteile. Handelt es sich um rechtsformspezifische zwingende gesetzliche Grenzen, wird eine formwechselnde Umwandlung in Betracht kommen, bei statutarisch etablierten Grenzen die Änderung von Gesellschaftsvertrag oder Satzung und bei Beschlusserfordernissen schlichtweg die Herbeiführung der notwendigen Beschlusslage.

4.20

Im Ergebnis unproblematisch sind Anpassungen bei Gesellschaften, in denen der oder die Angehörigen der „abgebenden Generation“ über sämtliche Anteile – in welcher konkreten Rechtsform auch immer – verfügen, da innerhalb der gesetzlichen Gestaltungsgrenzen nach eigenem Ermessen disponiert bzw. zwischen den gesetzlichen Typen frei gewählt werden kann; der Paradefall hierfür ist der Alleingesellschafter, der seine Nachfolge plant. Unter diesen Bedingungen wird es primär darauf ankommen, dass überhaupt (rechtzeitig) die gesellschaftsrechtlichen Gestaltungsgrenzen in Bezug auf die konkret intendierte Nachfolge erkannt und die ggf. erforderlichen Gestaltungsmaßnahmen ergriffen werden.

4.21

Anders stellt sich die Situation in Gesellschaften mit mehreren Gesellschaftern dar. Etwaiger Anpassungsbedarf muss in diesem Fall nicht lediglich erkannt und artikuliert, sondern auch von der jeweils erforderlichen Mehrheit gebilligt werden. Zur Änderung der gesellschaftsrechtlichen Grundlagen ist in GmbH und AG vorbehaltlich abweichender Bestimmungen eine Dreiviertelmehrheit (vgl. § 179 Abs. 2 AktG, § 53 Abs. 2 Satz 2 GmbHG) erforderlich. Das gleiche gilt im Grundsatz für Umwandlungen unter Beibehaltung der beschränkten Haftung (§ 233 Abs. 2 Satz 1, § 240 Abs. 1 UmwG); der Übertritt in eine mit persönlicher Haftung verbundene Rechtsform bedarf sogar der Einstimmigkeit (§ 233 Abs. 1 UmwG). Umgekehrt stellt sich die Situation in Personengesellschaften dar: Für diese gilt im gesetzlichen Ausgangspunkt das Einstimmigkeitsprinzip, soweit nicht der Gesellschaftsvertrag selbst Mehrheitsentscheidungen vorsieht.1

4.22

2. Mitwirkungspflicht in Bezug auf Statutenanpassungen/Befreiung von statutarischen Beschränkungen? a) Treupflichtgebundenheit des Stimmrechts Treten bei der Unternehmensnachfolgeplanung oder nach einer bereits vollzogenen Nachfolge gesetzliche oder statutarische Hindernisse in den Weg, ohne dass die an der Nachfolge unmittelbar Beteiligten selbst über die für Modifikationen der gesellschaftsrechtlichen Grundlagen oder die Herbeiführung notwendiger Beschlüsse erforderlichen Mehrheiten verfügen, stellt sich die Frage, ob Mitgesellschafter, wenn sie nicht freiwillig mitwirken, hierzu unter 1 Vgl. BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77; BGH v. 11.9.2018 – II ZR 307/16, NJW 2019, 157; vgl. Überblick bei Heckschen/Bachmann, NZG 2015, 531.

Bochmann | 141

4.23

Kap. 4 Rz. 4.23 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

Umständen verpflichtet sind.1 Besteht also etwa die Pflicht, den Gesellschaftsvertrag einer Personengesellschaft in der Weise zu ändern, dass überhaupt eine Nachfolge in den Gesellschaftsanteil möglich wird? Oder dahin, dass der Weg einem anderen – möglicherweise gleich qualifizierten – Abkömmling als dem ursprünglich auch gesellschaftsvertraglich vorgesehenen die Nachfolge in den Gesellschaftsanteil eröffnet wird? Gibt es ferner eine Pflicht, der Übertragung generell vinkulierter Anteile etwa auf Abkömmlinge von Mitgesellschaftern zuzustimmen? Oder Testamentsvollstreckung an Gesellschaftsanteilen zu ermöglichen?

4.24

Mit den vorstehenden Fragen ist die Freiheit bzw. Pflichtgebundenheit der Ausübung des Stimmrechts angesprochen. Grundsätzlich ist das Stimmrecht rechtsformunabhängig ein eigennütziges Verwaltungsrecht, das heißt es kann nach Belieben des Gesellschafters ausgeübt werden und ist gerade nicht vorrangig im Interesse der Gesellschaft (wie etwa Geschäftsführungsrechte eines Gesellschafters) oder gar eines Mitgesellschafters wahrzunehmen.2 Auch eigennützige Verwaltungsrechte unterliegen jedoch den allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Bindungen in Gestalt der Treuepflicht.3 In diesem Sinne treuwidrig abgegebene Stimmen sind nichtig.4 Hieraus wiederum darf jedoch keinesfalls der Schluss gezogen werden – und zwar auch nicht bei kleinen, personalistisch geprägten Gesellschaften –, dass generell ein Anspruch gegen die Mitgesellschafter bestehe, ihr Stimmrecht in einer Weise auszuüben, die einem bestimmten Gesellschafter die Nachfolgeplanung erleichtert oder gar erst ermöglicht. b) Keine gerichtliche Zweckmäßigkeitskontrolle des Abstimmungsverhaltens

4.25

In der auch jüngeren Rechtsprechung wurde mehrfach deutlich hervorgehoben, die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht erlaube keine gerichtliche Zweckmäßigkeitskontrolle des Abstimmungsverhaltens von Gesellschaftern; die Entscheidung darüber, wie die Interessen der Gesellschaft gewahrt werden sollen, obliege im Grundsatz den Gesellschaftern selbst.5 Die Ablehnung eines Beschlussgegenstands ist demgemäß nicht schon deshalb treuwidrig, weil die intendierte Maßnahme objektiv sinnvoll oder zweckmäßig erscheint, und zwar ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Bedeutung. Ferner ist es unerheblich, wenn die Begründung des Stimmverhaltens falsch oder töricht erscheint bzw. ist, da ein Gesellschafter ohnehin nicht verpflichtet ist, sein Abstimmungsverhalten zu rechtfertigen.6

4.26

Die Treupflicht kann nur dann ein bestimmtes Abstimmungsverhalten eines Gesellschafters gebieten, wenn – so die Formel des BGH – die betreffende Maßnahme „zur Erhaltung wesentlicher Werte, die die Gesellschafter geschaffen haben, oder zur Vermeidung erheblicher Verluste, die die Gesellschaft bzw. die Gesellschafter erleiden könnten, objektiv unabweisbar erforderlich ist

1 Überblicke bei H.P. Westermann in Röthel/Karsten Schmidt, Die Verträge der Familienunternehmer, S. 47 (51 ff.); Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck22, § 47 GmbHG Rz. 110 ff. 2 Vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff20, § 47 GmbHG Rz. 13; Karsten Schmidt in Scholz11, § 47 GmbHG Rz. 26; Schäfer in MüKo7, § 105 BGB Rz. 193 f.; Seibt in Scholz12, § 14 GmbHG Rz. 99. 3 Roth in Baumbach/Hopt39, § 119 HGB Rz. 6. 4 BGH v. 9.11.1987 – II ZR 100/87, BGHZ 102, 178; OLG München v. 14.8.2014 – 23 U 4744/13, NZG 2015, 66; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck22, § 47 GmbHG Rz. 108; Bochmann/Cziupka in GmbH-Hdb., Rz. I-1628. 5 BGH v. 12.4.2016 – II ZR 275/14, GmbHR 2016, 759 (760); OLG München v. 23.6.2016 – 23 U 4531/15, GmbHR 2016, 925; OLG Brandenburg v. 5.1.2017 – 6 U 21/14, GmbHR 2017, 408 (413 f.); Überblick bei Bochmann/Cziupka in GmbH-Hdb., Rz. I-1630. 6 BGH v. 12.4.2016 – II ZR 275/14, GmbHR 2016, 759 (760); OLG München v. 23.6.2016 – 23 U 4531/15, GmbHR 2016, 925.

142 | Bochmann

A. Grundlagen der Unternehmensnachfolge | Rz. 4.30 Kap. 4

und den Gesellschaftern unter Berücksichtigung ihrer eigenen schutzwürdigen Belange zumutbar ist, also wenn der Gesellschaftszweck und das Interesse der Gesellschaft gerade diese Maßnahme zwingend gebieten und der Gesellschafter seine Zustimmung ohne vertretbaren Grund verweigert“.1 Diese sich selbst beschränkende Rechtsprechung basiert letztlich auf dem Gedanken, die Gesellschafter bezüglich der Gestaltung ihrer internen Verhältnisse selbst in die Verantwortung zu nehmen, da es nicht die Aufgabe der Treuepflicht bzw. staatlicher Gerichte sein kann, als unzulänglich empfundene Regelungen durch gestaltende Eingriffe zu „verbessern“. Die dargelegten jüngeren Rechtsprechungsleitlinien beanspruchen nicht lediglich für Beschlüsse zu Geschäftsführungsmaßnahmen (strategischen operativen Entscheidungen etc.) Geltung, sondern auch und gerade für Grundlagenbeschlüsse wie die Änderung der Gesellschaftsstatuten.2

4.27

c) Einzelfälle aa) Entvinkulierung Ob eine – nach dem Dargelegten ohnehin nur in engen Ausnahmekonstellationen anzunehmende – treupflichtinduzierte Zustimmungspflicht zur Herstellung von Nachfolgevoraussetzungen oder zur Beseitigung von Nachfolgehindernissen auf Gesellschaftsebene besteht, erfordert naturgemäß stets eine Beurteilung des konkreten Einzelfalls unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter Umstände desselben.

4.28

Recht detailliert ausgeleuchtet sind im Schrifttum, aber auch in der Rechtsprechung die Fälle, in denen eine Vinkulierungsklausel in der GmbH der Anteilsübertragung auf einen lebzeitigen Nachfolger entgegensteht.3 Zu unterscheiden ist dabei zwischen Vinkulierungen in Verbindung mit statutarisch festgelegten Tatbeständen, in denen die Befreiung zu erteilen ist bzw. verwehrt werden kann, und der schlichten Vinkulierung ohne nähere Verlautbarungen in der Satzung zu Entvinkulierungsszenarien.4

4.29

Im erstgenannten Fall wird es vordergründig keines Rückgriffs auf die Treuepflicht bedürfen, sondern lediglich auf die Tatbestandsmerkmale der Zustimmungspflicht bzw. des Versagungsgrundes; je nachdem, ob diese (nicht) gegeben sind, kann die Zustimmung zur Anteilsübertragung gerichtlich durchgesetzt werden.5 Im zweitgenannten Fall gebietet die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht eine fehlerfreie Ermessensentscheidung,6 an der es insbesondere dann fehlen kann, wenn die Verweigerung der Zustimmung zur Übertragung rechtsmissbräuchlich ist oder dem gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz widerspricht.7 Dies wird aber nur in Ausnahmefällen anzunehmen sein, da bei der Ermessensentscheidung bezüglich der Zustimmung zur Anteilsübertragung das Übertragungsinteresse des betreffenden Gesellschafters gegen das Vinkulierungsinteresse der Gesellschaft steht.8 Gerade der Umstand der Vinkulierung dokumentiert aber das Gesellschaftsinteresse daran, die Zusammensetzung

4.30

1 BGH v. 12.4.2016 – II ZR 275/14, GmbHR 2016, 759. 2 Bochmann/Cziupka in GmbH-Hdb., Rz. I-1631; vgl. auch Seibt in Scholz12, § 14 GmbHG Rz. 99. 3 Überblick (auch jenseits von Unternehmensnachfolgekonstellationen) bei Seibt in Scholz12, § 15 GmbHG Rz. 127, sowie Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe3, § 15 GmbHG Rz. 253 ff. 4 Vgl. Seibt in Scholz12, § 15 GmbHG Rz. 127. 5 Zur Technik Seibt in Scholz12, § 15 GmbHG Rz. 127. 6 Verse in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht4, § 15 GmbHG Rz. 96. 7 Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe3, § 15 GmbHG Rz. 255. 8 Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe3, § 15 GmbHG Rz. 254.

Bochmann | 143

Kap. 4 Rz. 4.30 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

des Gesellschafterkreises zur Disposition der Gesellschafter(-mehrheit) zu stellen; wenn dann von eben dieser Dispositionsbefugnis – zu Lasten des Übertragungsinteresses eines Gesellschafters – Gebrauch gemacht wird, dürfen entsprechende Entscheidungen nur mit größter Zurückhaltung unter Rückgriff auf die Treuepflicht korrigiert werden.

4.31

Verweigert die Gesellschaftermehrheit die Übertragung eines Gesellschaftsanteils im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auf den Abkömmling eines Gesellschafters, so soll dies nicht zu beanstanden sein, wenn die Übertragung lediglich aufgrund von außerhalb der Gesellschaft liegender Interessen erfolgen sollte.1 Als Beispiele für eine ausnahmsweise Reduzierung des Zustimmungsermessens auf Null werden (unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung) der Fall einer ständigen Übung der Zustimmungserteilung2 sowie (unter dem Gesichtspunkt der Treuepflicht) die existenzielle Notlage eines Gesellschafters, die eine Veräußerung erfordert, genannt.3

4.32

Als Unterfall des zuletzt genannten dürfte folgende im Nachfolgekontext relevante Konstellation zu betrachten sein: Sieht die Satzung vor, dass ein Geschäftsanteil nur an bestimmte Personengruppen von Todes wegen übertragen werden darf und bei Verstoß hiergegen eingezogen werden kann (Rz. 4.217 ff.), wird es treuwidrig sein, die Anteilsabtretung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge (Rz. 9.2 ff.) zu blockieren, es sei denn, dass die übrigen Gesellschafter Gründe aufzeigen, die den Ausschluss des Abtretungsdestinatärs nach allgemeinen Grundsätzen rechtfertigten.4 bb) Statutenanpassung

4.33

Statutenanpassungen können aus der Perspektive eines Gesellschafters etwa zur Ermöglichung der Nachfolge in einen Personengesellschaftsanteil (Rz. 4.34) – wobei es sich effektiv um nichts anderes als die Aufhebung der „gesetzlichen Vinkulierung“ des Personengesellschaftsanteils handelt – oder zur Eliminierung von Ausschlussgründen bei GmbH (hierzu Rz. 4.213 ff.) erforderlich sein. Wenngleich das Stimmrecht (der Mehrheit) auch insofern im Grundsatz eigennützig ausgeübt werden kann, ist bei satzungsändernden Beschlüssen auch den Interessen der (Minderheits-)Mitgesellschafter Rechnung zu tragen.5 In Ausnahmefällen kann die Treuepflicht eine Stimmenthaltung6, um auf diese Weise eine Mehrheit der Ja-Stimmen zustande zu bringen, oder gar eine positive Stimmpflicht gebieten.7 Die Schwelle hierfür 1 Vgl. OLG Brandenburg v. 26.2.2002 – 6 U 112/01, NZG 2002, 872 (873) (in Rede stand das Interesse an der Reduzierung der Erbschaft- und Schenkungsteuerlast); vgl. auch Lieder in Michalski/ Heidinger/Leible/J. Schmidt3, § 13 GmbHG Rz. 189. 2 Verse in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht4, § 15 GmbHG Rz. 96. 3 Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe3, § 15 GmbHG Rz. 254; Verse in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht4, § 15 GmbHG Rz. 96. 4 Vgl. OLG Hamm v. 6.4.2000 – 27 U 78/99, NJW-RR 2001, 109 (111). 5 BGH v. 28.1.1980 – II ZR 124/78, BGHZ 76, 352 (355 f.); BGH v. 16.2.1981 – II ZR 168/79, BGHZ 80, 69 (74); BGH v. 1.6.1987 – II ZR 128/86, BGHZ 101, 113 (116). 6 Seibt in Scholz12, § 14 GmbHG Rz. 98. 7 BGH v. 25.9.1986 – II ZR 262/85, BGHZ 98, 276 (279); BGH v. 10.6.1965 – II ZR 6/63, BGHZ 44, 40 (41); BGH v. 24.1.1972 – II ZR 3/69, WM 1972, 489; BGH v. 28.4.1975 – II ZR 16/73, BGHZ 64, 253 (258); BGH v. 20.10.1986 – II ZR 86/85, ZIP 1987, 166 (167); BGH v. 8.11.2004 – II ZR 350/02, ZIP 2005, 25; BGH v. 7.7.2012 – II ZR 230/09, ZIP 2012, 917; BGH v. 12.4.2016 – II ZR 275/14, GmbHR 2016, 759 (760); OLG München v. 23.6.2016 – 23 U 4531/15, GmbHR 2016, 925; OLG Brandenburg v. 5.1.2017 – 6 U 21/14, GmbHR 2017, 408 (413 f.); Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 5 IV 2; Bayer in Lutter/Hommelhoff20, § 47 GmbHG Rz. 17.

144 | Bochmann

A. Grundlagen der Unternehmensnachfolge | Rz. 4.35 Kap. 4

dürfte nach dem in Rz. 4.26 Ausgeführten – „zur Erhaltung wesentlicher Werte ... oder zur Vermeidung erheblicher Verluste, die die Gesellschaft bzw. die Gesellschafter erleiden könnten, objektiv unabweisbar erforderlich“1 – in Parallele zu derjenigen bezüglich der Entscheidung über die Zustimmung zur Übertragung eines Gesellschaftsanteils zu bestimmen sein; in jedem Falle darf die in Rede stehende Entscheidung nicht nur dringlich geboten, sondern muss dem in die Pflicht genommenen Gesellschafter auch zumutbar sein.2 Da die jüngere BGH-Rechtsprechung „Verluste, die die ... Gesellschafter erleiden könnten“3 als möglichen Anknüpfungspunkt einer positiven Stimmpflicht aufführt, kann auch die Lösung dringender Nachfolgefragen die Zustimmung zu einer Statutenänderung auf der Grundlage der gesellschaftsrechtlichen Treupflicht diktieren.4 In diesem Sinne hat der BGH (für Personengesellschaften) entschieden, dass zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit und damit letztlich des Bestands von (Familien-)Unternehmen eine Zustimmungspflicht zu einer Gesellschaftsvertragsänderung bestehen kann, welche eine im Gesellschaftsvertrag für die Nachfolge von Todes wegen bestimmte Regelung für den Fall gesellschaftsvertraglich gerade nicht geregelter lebzeitiger Nachfolge adaptiert.5 So soll etwa ein Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft, wenn es die Erhaltung eines Familienunternehmens in der Zukunft erfordert, aufgrund der gesellschaftlichen Treuepflicht gehalten sein, dem Verlangen seines Mitgesellschafters zuzustimmen, dass dieser seine Stellung gerade als persönlich haftender Gesellschafter schon zu Lebzeiten auf einen Nachfolger übertragen darf, und zwar auch dann, wenn der Gesellschaftsvertrag lediglich bestimmt, dass die Erben eines persönlich haftenden Gesellschafters im Erbfall als Kommanditisten mit dem Kapitalanteil des Erblassers in die Gesellschaft eintreten können, die (lebzeitige) Einräumung der Stellung als persönlich haftende Gesellschafter jedoch von der Zustimmung aller Gesellschafter abhängig macht.6

4.34

IV. Trennung von Vermögens- und Verwaltungsrechten 1. Entkoppelung von Inhaberschaft und Geschäftsführung Eine Erwägung im Nachfolgekontext, mit der ggf. gesellschaftsrechtlicher Gestaltungsbedarf einhergeht, besteht in der Entkoppelung von Vermögens- und Verwaltungsrechten bei dem an die nachfolgende Generation zu übergebenden Unternehmen;7 entsprechender Gestaltungsbedarf muss in einem Nachfolgeprozess möglichst frühzeitig erkannt und adressiert werden, um die gestalterischen Möglichkeiten auch tatsächlich nutzen zu können. Die Trennung von Vermögens- und Verwaltungsrechten kann unterschiedlichen Umfangs sowie dauerhafter oder vorübergehender Natur sein; überdies kann sie für alle oder auch nur für bestimmte Nachfolger-Gesellschafter erfolgen. In jedem Falle führt eine derartige Trennung dazu, dass die unmittelbaren Erben eines Unternehmers nicht in gleicher Art und Weise in die unternehmerische Verantwortung einrücken, wie der Übergeber selbst sie wahrgenommen hat. Die

1 BGH v. 12.4.2016 – II ZR 275/14, GmbHR 2016, 759. 2 Vgl. BGH v. 12.4.2016 – II ZR 275/14, GmbHR 2016, 759; Bayer in Lutter/Hommelhoff20, § 47 GmbHG Rz. 17; Karsten Schmidt in Scholz11, § 47 GmbHG Rz. 31. 3 BGH v. 12.4.2016 – II ZR 275/14, GmbHR 2016, 759. 4 Vgl. Karsten Schmidt in Scholz11, § 47 GmbHG Rz. 31. 5 BGH v. 8.11.2004 – II ZR 350/02, NJW-RR 2005, 263 (264). 6 BGH v. 20.10.1986 – II ZR 86/85, NJW 1987, 952 (953); hierzu Bergmann in jurisPK8, § 709 BGB Rz. 25; Karsten Schmidt in Scholz11, § 47 GmbHG Rz. 31. 7 Die folgenden Ausführungen unter IV. und V. beruhen im Wesentlichen auf Bochmann, NotBZ 2019, 361 (365 ff.).

Bochmann | 145

4.35

Kap. 4 Rz. 4.35 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

Motive hierfür können ganz unterschiedlich sein – und ebenso die zu ihrer Verwirklichung eingesetzten Gestaltungsinstrumente.

4.36

Ein Motiv für die Trennung von Vermögens- und Verwaltungsrechten kann darin bestehen, der nachfolgenden Generation berufliche/unternehmerische Perspektiven außerhalb des Familienunternehmens zu eröffnen. Auch kann das Unternehmen eine Größe erreicht haben, bei der die „human resources“ der Unternehmerfamilie – qualitativ und/oder quantitativ – nicht ausreichen, um die (umfassende) Inhaberführung verlässlich zu gewährleisten.1 In den beiden genannten Fällen wird die Trennung von Vermögens- und Verwaltungsrechten darin bestehen, die Geschäftsführungsbefugnisse in die Hände familienfremder Dritter zu legen.2 Die Initiative hierzu muss von der jeweils übergebenden, noch selbst in unternehmerischer Verantwortung stehenden Generation ausgehen, wenngleich die Motivation gerade mit Rücksicht auf die nachfolgende Generation entstehen wird. Fatal und deshalb in jedem Falle zu vermeiden sind Situationen, in denen die Nachfolge in die Gesellschaftsanteile unvermittelt von Todes wegen eintritt, die Nachfolgergeneration – aus welchen Gründen auch immer – jedoch nicht oder noch nicht für die Übernahme der Geschäftsführung bereit steht, gleichzeitig aber keine Vorkehrungen für eine Fremdgeschäftsführung getroffen sind. In diesem Fall wird das Unternehmen de facto führungslos, was erhebliche wirtschaftliche Risiken mit sich bringen kann.3

4.37

Mit der Übergabe der Geschäftsführung in die Hände Dritter ist typischerweise kein vollständiger Rückzug der Unternehmerfamilie aus den unternehmerischen Angelegenheiten des Unternehmens verbunden. Denn im Ausgangspunkt bleiben die (übrigen) Gesellschafterrechte – das Recht, die Geschäftsführung zu bestimmen und zu kontrollieren, über die strategische Ausrichtung des Unternehmens zu entscheiden etc. – bei den Familiengesellschaftern. Die Einsetzung von Fremdgeschäftsführung geht aber üblicherweise mit flankierenden (gesellschaftsrechtlichen) Maßnahmen einher, die das „Ungleichgewicht“ zwischen Inhaberschaft und unternehmerischer Verantwortung kompensieren sollen und nicht selten auch die Ausübung der Gesellschafterrechte modifizieren.

4.38

Zum einen ist der vornehmlich in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur viel beschriebene sog. Principal-Agent-Konflikt – d.h. das Auseinanderfallen der Interessenlagen von Fremdmanagern und Inhabern – nach Möglichkeit zu minimieren. Ansatzpunkte hierfür können insbesondere die Vergütungsstrukturen des Managements, die zur Herstellung eines Interessengleichlaufs mit den Inhabern reale oder virtuelle Beteiligungen am Unternehmen vorsehen können,4 sowie Maßnahmen zur Steuerung und Überwachung der Geschäftsführung wie etwa periodische Berichtspflichten gegenüber den Gesellschaftern oder Geschäftsordnungen sein.5 Vgl. zu Fremdmanagement im Familienunternehmen im Übrigen Rz. 4.37, 4.200 ff.

1 Vgl. hierzu Berger/Rinn in FS Binz, S. 62 (64 ff.); § 38 Rz. 66; Kormann in Scherer/Blanc/Kormann/Groth/Wimmer, Familienunternehmen2, Kap. 1 Rz. 141 ff.; Scheid in FS Binz, S. 474 (476 ff.); Prütting/Bochmann/Rauffus, FuS 2017, 206 ff.; Wälzholz, DStR 2003, 511 f. 2 Zu den Chancen der Fremdgeschäftsführung in Familienunternehmen vgl. Kormann in Scherer/ Blanc/Kormann/Groth/Wimmer, Familienunternehmen2, Kap. 1 Rz. 141 ff.; Prütting/Bochmann/ Rauffus, FuS 2017, 206 ff. 3 Vgl. zu diesem Szenario Sigle in FS Hoffmann-Becking, S. 1147 (1149 f.); Wicke, ZGR 2012, 450 (489 f.). 4 Dazu etwa Schockenhoff, NZG 2018, 201 ff.; Stenzel, DStR 2017, 82 ff., sowie DStR 2018, 139 ff. 5 Bochmann/Cziupka in GmbH-Hdb., Rz. I-1464.

146 | Bochmann

A. Grundlagen der Unternehmensnachfolge | Rz. 4.44 Kap. 4

Zum anderen gilt es, den mit der Abgabe der Geschäftsführung verbundenen Risiken der Entfremdung der Nachfolger von ihrem Familienunternehmen – die wiederum insbesondere in einer mangelhaften Überwachung der Geschäftsführung und damit Profitabilitätseinbußen münden kann – zu begegnen.1 Dies kann insbesondere über identifikationsstiftende Maßnahmen auf Familienebene geschehen;2 vgl. zu der in diesem Zusammenhang diskutierten Familienverfassung Rz. 17.148 ff.

4.39

Die klassische Begleitmaßnahme im Zusammenhang mit dem endgültigen oder interimistischen Übergang von Eigen- zu Fremdgeschäftsführung besteht in der Einrichtung eines weiteren Organs – eines Beirats, Aufsichtsrats, Gesellschafterausschusses, Kuratoriums, Verwaltungsrats oder dergleichen.3 Bei der erstmaligen Übergabe der Geschäftsführung in fremde Hände wird der Beirat nicht selten in erster Linie die Warte darstellen, von der aus die zuvor selbst noch geschäftsführenden Gesellschafter die nunmehrigen Fremdgeschäftsführer – typischerweise sehr eng – überwachen. Zu den weiteren Funktionen von Beiräten im Zusammenhang mit der Nachfolgeplanung sowie den damit korrespondierenden Gestaltungsvarianten ist auf Rz. 12.3 ff. zu verweisen.

4.40

2. Mediatisierung des Nachfolgereinflusses Aus verschiedensten Gründen kann es gewünscht sein, nicht lediglich die Geschäftsführung des Familienunternehmens auf Dritte zu verlagern, sondern auch weitergehende Funktionen. Dies kann in ganz unterschiedlicher Intensität und unter Heranziehung unterschiedlichster Instrumente geschehen:

4.41

Der Extremfall der Schwächung des Nachfolgereinflusses auf das Familienunternehmen besteht in dessen Veräußerung und der Vererbung lediglich der Erlöse (oder an deren Stelle getretener Substitute); diesbezüglich ist auf Rz. 16.1 ff. zu verweisen.

4.42

In den wirtschaftlichen Wirkungen mit der Veräußerung vergleichbar sind „Versorgungslösungen“ mit der vollständigen oder zumindest weitgehenden Separierung der unternehmerischen Substanz von dem später den Nachlass bildenden Vermögen. Das übliche Instrument hierfür sind Stiftungslösungen, hinsichtlich derer auf die Ausführungen unter Rz. 4.273 zu verweisen ist. Ein im Gegensatz zu den Stiftungslösungen revisibles, auf Zeit angelegtes Modell besteht in der Verpachtung des Familienunternehmens; diesbezüglich ist auf Rz. 16.130 ff. zu verweisen.

4.43

Weniger invasiv als die zuvor genannten Gestaltungen sind graduelle Beschneidungen der Gesellschafterrechte. Die Möglichkeiten hierzu beginnen bei der Rechtsformwahl: In der GmbH etwa bilden die Gesellschafter das oberste und allkompetente Gesellschaftsorgan (Rz. 4.198), in der Aktiengesellschaft leitet der Vorstand unter eigener Verantwortung und wird vom Aufsichtsrat, nicht von der Hauptversammlung, bestellt (Rz. 4.235 ff.). In Personengesellschaften und GmbH ist es möglich, die Wahrnehmung von Gesellschafterrechten in weitgehendem Maße unter Einsatz von Beiräten (hierzu bereits unter Rz. 4.40 sowie einge-

4.44

1 Kormann in Scherer/Blanc/Kormann/Groth/Wimmer, Familienunternehmen2, Kap. 1 Rz. 120 ff.; vgl. zu Entfremdungsrisiken in Familienunternehmen auch Holler, ZIP 2018, 553 (555 f.). 2 Vgl. hierzu Baus, Die Familienstrategie, S. 44 ff.; Holler, ZIP 2018, 553 (555 f.). 3 Vgl. Binz/Sorg in Binz/Sorg, Die GmbH & Co. KG12, § 10 Rz. 8; Binge/May, NJW 1988, 2761 (2762); Priester in FS Binz, S. 523 (525); Prütting/Bochmann/Rauffus, FuS 2017, 206 (208 f.); Reich/Bode, ZIP 2017, 1798 (1799); Reichert in FS Maier-Reimer, 2010, S. 543 ff.; Sanders, NZG 2017, 961 (962 ff.); Wälzholz, DStR 2003, 511; Wicke, ZGR 2012, 450 (465).

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Kap. 4 Rz. 4.44 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

hend unter Rz. 12.1 ff., 12.5) Dritten anzuvertrauen. Denn auch auf (überwiegend) mit Nichtgesellschaftern besetzte Beiräte können gesellschaftsvertraglich in erheblichem Umfang – übertragungsfest sind lediglich bestimmte, den Gesellschaftern zwingend zugewiesene Grundlagenzuständigkeiten1 – Kompetenzen übertragen werden, die originär der Gesellschaftergesamtheit zustehen.2 Entscheidend ist dabei, dass der Beirat als Organ derart in die Gesellschaftsverfassung eingebunden ist, dass er auf das Gesellschaftsinteresse verpflichtet wird und sein Mandat vom Vertrauen der Gesellschafter ableitet.3

3. Differenzierung zwischen Nachfolgern 4.45

Nicht selten ist der Wunsch, Erben bezüglich der Nachfolge in ein Familienunternehmen unterschiedlich behandeln zu können, der Anlass für die Trennung von Vermögens- und Verwaltungsrechten. Wenn der Gesellschafterkreis im Zuge der Nachfolge zu groß zu werden droht und damit effektive Entscheidungsfindungen und die klare Führung des Unternehmens bedroht sind, kann dies Anlass sein, bestimmten Erben zwar die vermögensmäßige Nachfolge in das Unternehmen zu ermöglichen, nicht aber die unternehmerische. Dass diejenigen Erben, die von der unternehmerischen Verantwortung ausgeschlossen sein sollen, überhaupt – wenn auch lediglich vermögensmäßig – an dem Unternehmen beteiligt werden, kann seinen Grund insbesondere darin haben, dass ihnen auf anderem Wege mangels Verfügbarkeit weiteren (nicht für die Zahlung der Erbschaftsteuer benötigten) Vermögens nicht einmal der Pflichtteil zugewendet werden könnte, ein Pflichtteilsverzicht aber nicht in Betracht kommt.

4.46

Die offenkundigste Gestaltungsvariante besteht darin, die mit den Anteilen an dem in Rede stehenden Unternehmen verbundenen Mitverwaltungsrechte unterschiedlich auszugestalten, d.h. unterschiedliche Anteilsklassen zu kreieren. Bei Aktiengesellschaft etwa können neben Stammaktien stimmrechtslose Vorzugsaktien geschaffen werden (§ 139 Abs. 1 Satz 1 AktG). Nur diejenigen Nachfolger, denen mit einem Stimmrecht verbundene Stammaktien zugewendet werden, haben fortan – über die Wahl des Aufsichtsrats – Einfluss auf die unternehmerischen Geschicke der Gesellschaft.4 Bei GmbHs lassen sich die mit Geschäftsanteilen verbundenen Rechte – bis auf einen Kernbereich an zwingenden Residualrechten – praktisch frei ausgestalten (Rz. 4.202). Insbesondere ist es möglich, stimmrechtslose Geschäftsanteile zu schaffen und die Gewinnverteilung disproportional zur nominalen Beteiligungshöhe festzulegen (Rz. 4.207). Auch können etwa Sonderrechte zur Geschäftsführung etabliert werden (Rz. 4.202). In Personengesellschaften ist eine ähnlich freie Gestaltung nach Maßgabe der individuellen Bedürfnisse möglich. Allerdings müssen die Besonderheiten der Rechtsform und der jeweiligen Gesellschafterstellung beachtet werden.

V. Umwandlungsrecht als Nachfolgeplanungsinstrument 1. Überprüfung und Anpassung der Rechtsform 4.47

Dem Umwandlungsrecht kommt im Zuge der Nachfolgeplanung eine dienende Funktion zu. Wie bereits hervorgehoben, stellt sich spätestens mit Blick auf die konkrete Planung der Un-

1 Bochmann/Cziupka in GmbH-Hdb., Rz. I-1501. 2 Karsten Schmidt in Scholz11, § 45 GmbHG Rz. 9, 15; Bochmann/Cziupka in GmbH-Hdb., Rz. I1497. 3 Karsten Schmidt in Scholz11, § 45 GmbHG Rz. 13; Bochmann/Cziupka in GmbH-Hdb., Rz. I1497. 4 Dazu etwa Rothärmel, BB 2012, 716 (718).

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A. Grundlagen der Unternehmensnachfolge | Rz. 4.49 Kap. 4

ternehmensnachfolge die Frage nach der Adäquanz der jeweils aktuellen Rechtsform des zu übergebenden Familienunternehmens (Rz. 4.79, 4.271 f.) sowie der Struktur einer Mehrzahl betroffener Gesellschaften.1 Die nachfolgend unter B. dargestellten rechtsformspezifischen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Nachfolgeplanung – aber natürlich auch steuerliche und weitere Erwägungen – können im Vorfeld einer Unternehmensübergabe etwa Anlass geben, die Rechtsform zu wechseln, das Unternehmen aufzuteilen, bestimmte Rechtsträger zusammenzuführen oder schlicht umzustrukturieren. Die Umstrukturierungsvorgänge als solche sind dann nicht nachfolgespezifisch – und in erster Linie nicht gesellschafts-, sondern steuerrechtlich motiviert –, sondern folgen allgemeinen Grundsätzen und Regeln, die auch für Umstrukturierungen bzw. Umwandlungen jenseits des Nachfolgekontext gelten, weshalb die in Betracht kommenden Maßnahmen an dieser Stelle lediglich grob skizziert werden sollen und im Übrigen auf Spezialliteratur2 verwiesen werden kann.

2. Umstrukturierungs- und Umwandlungsvorgänge außerhalb des UmwG Im einfachsten Fall erfolgen Umstrukturierungen durch schlichte Anteilsübertragungen, ggf. in Verbindung mit Kapital(erhöhungs)maßnahmen. Soll etwa aus einer gewöhnlichen GmbH & Co. KG (dazu Rz. 4.177) eine sog. Einheits-GmbH & Co. KG (dazu Rz. 4.178) erschaffen werden, ist dafür im Grundsatz nicht mehr als die Abtretung (vgl. § 15 Abs. 3 GmbHG) sämtlicher Geschäftsanteile an der Komplementär-GmbH an die GmbH & Co. KG selbst erforderlich – die freilich von gesellschaftsvertraglichen Anpassungen zur „Verzahnung“ der beiden Gesellschaften (dazu Rz. 4.178) begleitet sein muss. Sollen mehrstöckige GmbH-(Holding-)Strukturen geschaffen werden, um in den Genuss des Schachtelprivilegs des § 8b KStG zu kommen, kann dies wiederum durch die schlichte Abtretung (vgl. § 15 Abs. 3 GmbHG) der Geschäftsanteile an einer bestehenden GmbH auf eine neue GmbH erfolgen, was aus ertragsteuerlichen Gründen regelmäßig im Zuge einer Kapitalerhöhung bei der neuen GmbH geschehen wird.3 Das Gegenstück zur Übertragung von Beteiligungen an Gesellschaften besteht in der Übertragung einzelner Gegenstände aus dem Privatvermögen auf Gesellschaften sowie der Übertragung von Vermögensgegenständen von einer Gesellschaft auf eine andere Gesellschaft.

4.48

Echte, identitätswahrende Rechtsformwechsel außerhalb des UmwG betreffen ausschließlich Personengesellschaften und sind dort zwingende Rechtsfolge bestimmter Gestaltungen bzw. Umstände:4 Betreibt etwa eine als GbR gegründete Gesellschaft ein Handelsunternehmen, wird sie zwingend und ipso iure zur oHG (Rz. 4.134).

4.49

1 Vgl. Hoger in Lutter6, Einf. v. § 190 UmwG Rz. 18 ff.; Flick/Hannes/v. Oertzen, Dynamik & Co. KG, 2009, S. 63; Grziwotz in Münchener Hdb. Gesellschaftsrecht4, Bd. 3, § 2 Rz. 3, 7; Heckschen/ Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis4, § 1 Rz. 15 ff.; Kalss/Probst, Familienunternehmen, Rz. 190 ff.; Zimmermann in Röthel/Karsten Schmidt, Familienunternehmen im Wandel, S. 23. 2 Vgl. etwa Lutter, UmwG, 6. Aufl. 2019; Kallmeyer, UmwG, 7. Aufl. 2020; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 12. 3 Vgl. § 21 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 UmwStG, der die Einbringung zum Nennwert – die auch für den Veräußerungserlös des Einbringenden maßgeblich ist – nur bei der „Gewährung neuer Anteile“ gestattet; vgl. hierzu Rabback in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut2, § 21 UmwStG Rz. 28, 94. 4 Überblick bei Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 12 I.4.

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Kap. 4 Rz. 4.50 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

3. Umwandlungsvorgänge nach dem UmwG 4.50

Das UmwG kennt als Umwandlungsvorgänge (vgl. § 1 Abs. 1 UmwG) die Verschmelzung (§§ 2 ff. UmwG), die Spaltung (§§ 123 ff. UmwG), die (aufgrund ihres spezifischen Anwendungsbereichs im Nachfolgekontext bedeutungslose) Vermögensübertragung (§§ 174 ff. UmwG) sowie den Formwechsel (§§ 190 ff. UmwG) und ordnet an, dass eine Umwandlung mit den Charakteristika des UmwG – Identitätswahrung und Gesamtrechtsnachfolge – nur in den im UmwG und in sonstigen Gesetzen ausdrücklich bestimmten Fällen zulässig ist (sog. numerus clausus).1 Beachtlich ist § 1 Abs. 2 UmwG nicht nur für die Umwandlungsvorgänge als solche, sondern auch mit Blick auf die umwandlungsfähigen Rechtsträger (vgl. § 3 Abs. 1, § 124 Abs. 1, § 175, § 191 Abs. 1 UmwG).2 Die unter Rz. 4.146 ff. skizzierten umwandlungsgleichen Vorgänge im Personengesellschaftsrecht sind hierdurch jedoch nicht ausgeschlossen, wie sich aus § 190 Abs. 2 UmwG ergibt.3

4.51

Charakteristikum der Verschmelzung ist die Fusion zweier oder mehrerer Rechtsträger zu einem einzigen, wobei das gesamte Vermögen des (oder der) übertragenden Rechtsträger(s) auf den übernehmenden Rechtsträger im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übergeht, der übertragende Rechtsträger ohne Liquidationsverfahren erlischt und die Anteilsinhaber des erlöschenden Rechtsträgers Anteilsinhaber des aufnehmenden werden (vgl. § 2 UmwG).4 Das Gegenstück zur Verschmelzung ist die Spaltung, bei der drei Spielarten zu unterscheiden sind. Ein übertragender Rechtsträger kann gem. § 123 UmwG (i) unter Auflösung ohne Liquidationsverfahren sein Vermögen aufspalten, (ii) von seinem Vermögen einen Teil oder mehrere Teile abspalten oder (iii) aus seinem Vermögen einen Teil oder mehrere Teile ausgliedern – und zwar jeweils zur Aufnahme auf bereits bestehende Rechtsträger oder im Wege der gleichzeitigen Gründung neuer Rechtsträger.5

4.52

Die Verschmelzung kann im Nachfolgekontext insbesondere zur Vereinfachung oder Neuordnung komplexer Strukturen zum Einsatz kommen, die Spaltung hingegen etwa zur Separierung unternehmerischer Aktivitäten, die sodann getrennt auf verschiedene Nachfolger übertragen werden können. Die besondere Spielart der Ausgliederung aus dem (unternehmerischen) Vermögen eines Einzelkaufmanns gem. § 152 UmwG hat bei der Nachfolgeplanung eine praktische Bedeutung, wenn ein einzelkaufmännisches Unternehmen, das natürlich auch als solches auf einen Nachfolger übertragen werden kann – d.h. die zugehörigen einzelnen Aktiva und Passiva –, überhaupt erstmals in eine Gesellschaft eingebracht werden soll, die sodann Gegenstand der Nachfolgeplanung wird.6

4.53

Der Rechtsformwechsel kann im Zuge der Nachfolgeplanung ganz unterschiedlich motiviert sein. In erster Linie dürfte die Rechtsformwahl steuerlich motiviert sein und mit Rücksicht auf die mit den jeweiligen Rechtsformen bzw. Beteiligungsformen verbundenen Haftungsgefahren erfolgen. Im Übrigen ist auf die mit den jeweiligen Rechtsformen verbundenen Besonderheiten unter B. zu verweisen.

1 Kallmeyer/Marsch-Barner in Kallmeyer7, § 1 UmwG Rz. 16. 2 Vgl. Drygala in Lutter6, § 3 UmwG Rz. 3 f.; Kallmeyer/Marsch-Barner in Kallmeyer7, § 3 UmwG Rz. 2. 3 Kallmeyer/Marsch-Barner in Kallmeyer7, § 1 UmwG Rz. 18. 4 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 13 III.1.a. 5 Überblick bei Sickinger in Kallmeyer7, § 123 UmwG Rz. 7 ff. 6 Hierzu Leitzen in Habersack/Wicke, § 152 UmwG Rz. 10 ff.

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B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.57 Kap. 4

B. Rechtsformwahl und rechtsformspezifische Besonderheiten der Nachfolgegestaltung I. Gesellschaftsrechtliche Determinanten Aus den unter A. skizzierten Gründen ist anzuraten, die Rechtsform der in Rede stehenden Gesellschaft kontinuierlich daraufhin zu überwachen, ob sie den steuerlichen und erbrechtlichen Erwägungen im Zusammenhang mit der sich früher oder später stellenden Frage der Unternehmensnachfolge gerecht werden kann.

4.54

Die wesentlichen gesellschaftsrechtlichen Determinanten der Rechtsformwahl (zu den steuerlichen Aspekten Rz. 6.1 ff.) bestehen in der mit der Beteiligung an der jeweiligen Gesellschaftsform verbundenen Haftung, den korrespondierenden Mitverwaltungsrechten/-pflichten sowie den Finanzierungspflichten und damit verbundenen -rechten. Als grobe Leitlinie lässt sich formulieren, dass weitestgehende Flexibilität im Umgang mit der Gesellschaft und ihrem Vermögen nur um den Preis persönlicher Haftung zu erlangen ist, wobei dieser Grundsatz durch den Einsatz von Kapitalgesellschaft & Co.-Gestaltungen letztlich auch relativierbar ist.

4.55

Das Recht der Gesellschaften bürgerlichen Rechts (§§ 705 ff. BGB) sowie der offenen Handelsgesellschaften (§§ 105 ff. HGB) kennt dementsprechend keine gesetzlichen Kapitalerhaltungsregelungen und stellt die Ausgestaltung des Gesellschaftsverhältnisses weitgehend zur Disposition der Gesellschafter – sieht allerdings auch deren zwingende unbegrenzte persönliche Haftung gegenüber Gesellschaftsgläubigern vor (§ 128 HGB [analog für die GbR]). Bei GmbH und Aktiengesellschaft hingegen haftet im Grundsatz lediglich die Gesellschaft selbst für ihre Verbindlichkeiten (§ 13 Abs. 2 GmbHG; § 1 Abs. 1 Satz 2 AktG). Dieses Privileg ist allerdings lediglich durch die Befolgung strenger Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften (§§ 5, 19, 30 f. GmbHG; §§ 7 ff., 26 ff., 57 ff. AktG) zu erlangen. Mischformen (GmbH & Co. KG, AG & Co. KG etc.) sind der Versuch der Kautelarpraxis, die jeweiligen Vorteile von Personen- und Kapitalgesellschaften zu kombinieren und damit eine Optimierung im Hinblick auf die Rechtsform zu leisten, was zum Teil durchaus gelingt, die skizzierte gegenläufige Abhängigkeit von Flexibilität und Haftung aber nicht vollends aufzuheben vermag.

4.56

II. Personengesellschaften 1. Allgemeines Aus gesellschaftsrechtlicher Perspektive verlangt die Nachfolge in Personengesellschaftsbeteiligungen eindeutig größere Aufmerksamkeit und gestalterische Sorgfalt als die Vererbung von Kapitalgesellschaftsanteilen. Denn anders als GmbH-Geschäftsanteile oder Aktien sind Personengesellschaftsbeteiligungen schon im Ansatzpunkt nicht per se vererblich, und auch dann, wenn eine Nachfolge in den Personengesellschaftsanteil möglich ist, werden mitunter erbrechtliche Grundsätze wie die Universalsukzession oder die Testamentsvollstreckung ganz oder teilweise ausgestochen (vgl. Rz. 4.120 ff. und Rz. 4.186 ff., 4.190 f.). Um die Folgen dessen beherrschbar zu machen, ist zum einen das Postulat der Verzahnung von letztwilliger Verfügung und Gesellschaftsvertrag in besonderem Maße ernst zu nehmen und ist zum anderen auf gesellschaftsrechtlicher Ebene selbst erhöhter Gestaltungsaufwand vonnöten.1

1 Überblicke bei Bregulla-Weber in Scherer, Unternehmensnachfolge6, § 4 Rz. 22; sowie Mutter/ Gündisch in MAH Personengesellschaftsrecht2, § 20.

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4.57

Kap. 4 Rz. 4.58 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

2. Gesellschaft bürgerlichen Rechts a) Grundzüge aa) Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks auf vertraglicher Grundlage

4.58

Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist die Grundform der Personengesellschaft1 und in §§ 705 ff. BGB – jedoch äußerst lückenhaft2 – gesetzlich geregelt. Durch den Abschluss eines nicht lediglich auf Leistungsaustausch gerichteten (Gesellschafts-)Vertrags zur Förderung eines gemeinsamen Zwecks (vgl. § 705 BGB) entsteht eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, sofern nicht die zusätzlichen Merkmale der besonderen Personengesellschaftsformen (oHG, KG) – insbesondere also der Betrieb eines Handelsgewerbes oder die Eintragung im Handelsregister bei bloßer Vermögensverwaltung (Rz. 4.134) – hinzutreten.3 Das Recht der GbR ist nicht zuletzt deshalb von so herausgehobener Bedeutung, weil die §§ 705 ff. BGB kraft Verweisung auch für die oHG (§ 105 Abs. 3 HGB) und die KG (§ 161 Abs. 2 i.V.m. § 105 Abs. 3 HGB) subsidiäre Geltung beanspruchen. bb) Abgrenzung zur Gemeinschaft

4.59

Abgrenzungsmerkmal der GbR zur Gemeinschaft (§§ 741 ff. BGB) ist die Vereinbarung, einen gemeinsamen Zweck zu verfolgen, und zwar jenseits der gemeinschaftlichen Berechtigung an einem Gegenstand.4 cc) Innen- und Außengesellschaften

4.60

Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts kann als reine Innengesellschaft auftreten, bei der sich die in Rede stehenden rechtlichen Beziehungen auf den Kreis der Gesellschafter untereinander beschränken und die insbesondere über kein Gesellschaftsvermögen verfügt.5 Sie kann aber auch, was im Wortlaut des Gesetzes gerade nicht zum Ausdruck kommt (vgl. vor allem § 719 Abs. 1 BGB), höchstrichterlich jedoch seit einer Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 20016 praktisch unumstößlich (geworden) ist, als (teil-)rechts- und parteifähige Außengesellschaft am Rechtsverkehr teilnehmen, d.h. Trägerin von Rechten und Pflichten sein, ein Gesellschaftsvermögen haben, klagen und verklagt werden, im Grundbuch eingetragen werden (vgl. § 899a BGB), Gesellschafterin anderer Gesellschaften sein und als solche im Handelsregister (vgl. § 162 Abs. 1 Satz 2 HGB) sowie in GmbH-Gesellschafterlisten (vgl. § 40 Abs. 1 Satz 2 GmbHG) eingetragen werden etc.7 Entscheidend für die „Kategorisierung“ der jeweils betrachteten Gesellschaft ist einzig die vertragliche Abrede der Gesellschafter: Zur Annahme einer Außengesellschaft muss diese darauf gerichtet sein, gerade als rechtsfähige Gesellschaft gegenüber Dritten aufzutreten, d.h. Rechte und Pflichten zu begründen.8 Verfügt die Gesell1 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 43 II 1. 2 Überblick zur diesbezüglichen Kritik und Reformbestrebungen bei Schäfer in Verhandlungen des 71. Deutschen Juristentags, 2016, S. E51 ff. 3 Sprau in Palandt79, § 705 BGB Rz. 1; Schäfer in MüKo7, § 705 BGB Rz. 3; Stürner in Jauernig17, § 705 BGB Rz. 7. 4 Sprau in Palandt79, § 705 BGB Rz. 3; Stürner in Jauernig17, § 705 BGB Rz. 5. 5 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 58 II 2 b. 6 BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341; dazu Karsten Schmidt, NJW 2001, 993. 7 Schäfer in MüKo7, § 705 BGB Rz. 316 f.; Servatius in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht4, § 705 BGB Rz. 68. 8 Servatius in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht4, § 705 BGB Rz. 7; Schäfer in MüKo7, § 705 BGB Rz. 2.

152 | Bochmann

B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.64 Kap. 4

schaft über ein Gesellschaftsvermögen, ist sie notwendigerweise derartige Rechtsbeziehungen eingegangen und demzufolge Außengesellschaft.1 dd) Keine gesetzlichen Formerfordernisse Die Errichtung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts unterliegt keinen gesetzlichen Formerfordernissen und erfolgt insbesondere im Falle von Innengesellschaften nicht selten konkludent.2

4.61

Eine Formerfordernis kann sich aber daraus ergeben, wenn mit dem Gesellschaftsvertrag Einlagepflichten begründet werden, die ihrerseits formbedürftig sind, etwa die Einbringung von Grundstücken (§ 311b BGB) oder die Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen (§ 15 Abs. 4 GmbHG), die eine notarielle Beurkundung bedingen.3 In derartigen Konstellationen unterfällt der gesamte Gesellschaftsvertrag dem Formerfordernis, nicht lediglich die in Rede stehende Klausel.4 Die etwaige Formnichtigkeit (§ 125 BGB) kann dann auch nicht durch die Grundsätze fehlerhafter Gesellschaften überwunden werden.5

4.62

ee) Organisationsverfassung (1) Gesamtgeschäftsführung und Gesamtvertretung

Die Organisationsverfassung der GbR ist im Gesetz nur rudimentär geregelt und auch die gesetzlich ausdrücklich niedergelegten Strukturmerkmale sind praktisch durchweg dispositiv;6 die wenigen Ausnahmen in §§ 716 Abs. 2, 723 Abs. 3, 724 Satz 1, 725 Abs. 1 BGB sind letztlich Konkretisierungen der Grenzen der guten Sitten in ihrer Ausprägung des Verbots übermäßiger, knebelnder Bindungen. Die gesetzlich vorgezeichnete dispositive Regelung ist die Gesamtgeschäftsführungsbefugnis aller Gesellschafter einer GbR (§ 709 BGB); es können aber auch Gesellschafter von der Geschäftsführung ausgeschlossen und bestimmten Gesellschaftern Einzelgeschäftsführungsbefugnis eingeräumt werden (vgl. § 710 BGB). Der Umfang der Vertretungsbefugnis ergibt sich mangels anderweitiger Vereinbarung aus der Geschäftsführungsregelung (§ 714 BGB), d.h. in der gesetzlich vorgezeichneten Regelverfassung sind sämtliche Gesellschafter gesamtvertretungsbefugt; es besteht aber auch insofern die Möglichkeit, gesellschaftsvertraglich anderweitige Vertretungsregelungen zu schaffen, insbesondere bestimmte Gesellschafter von der Vertretung auszuschließen und anderen Einzelvertretungsbefugnis einzuräumen.

4.63

(2) Selbstorganschaft Die Gesellschafter einer GbR sind kraft ihrer Mitgliedschaft die (geborenen) Organe der Gesellschaft – es gilt mithin das sog. Prinzip der Selbstorganschaft.7 Dieses verbietet es zum

1 H.M.; vgl. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 58 II 2 b; Sprau in Palandt79, § 705 BGB Rz. 33; in jüngerer Zeit jedoch zunehmend umstr.; vgl. Beuthien, NZG 2017, 201 ff.; Servatius in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht4, § 705 BGB Rz. 8; vgl. auch die Vorschläge bei Schäfer in Verhandlungen des 71. Deutschen Juristentags, 2016, S. E53 ff. 2 Schäfer in MüKo7, § 705 BGB Rz. 1, 25. 3 Lüke in Hannes, Formularbuch Vermögens- und Unternehmensnachfolge2, C.1.10 Rz. 8. 4 BGH v. 9.12.1971 – II ZR 33/68, NJW 1972, 480 (zur KG). 5 BGH v. 9.12.1971 – II ZR 33/68, NJW 1972, 480 (zur KG). 6 Servatius in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht4, § 705 BGB Rz. 31. 7 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 14 II 2 a; Sprau in Palandt79, Vorb. vor § 709 BGB Rz. 3a.

Bochmann | 153

4.64

Kap. 4 Rz. 4.64 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

einen, sämtliche Gesellschafter von der Geschäftsführung und Vertretung auszuschließen, und macht es zum anderen unmöglich, Nichtgesellschaftern organschaftliche Geschäftsführungs- und/oder Vertretungsmacht einzuräumen.1 Eine Entkoppelung von Beteiligung und unternehmerischer Verantwortung (vgl. noch Rz. 4.35 ff.) ist damit deutlich erschwert. Gleichwohl kann sich selbstredend auch die (Außen-)GbR auf der Grundlage des Instrumentariums der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre zur Erfüllung von Aufgaben Dritter bedienen, etwa durch das Engagement von Geschäftsführern auf schuldrechtlicher (etwa dienstvertraglicher) Grundlage und ihrer Ausstattung mit rechtsgeschäftlicher Vollmacht.2 (3) Einstimmigkeitsprinzip und Mehrheitsklauseln

4.65

Das Recht der GbR im Besonderen (vgl. § 709 Abs. 1 BGB) wie das Personengesellschaftsrecht im Allgemeinen (vgl. § 119 Abs. 1 [i.V.m. § 161 Abs. 2] HGB) ist durch das Einstimmigkeitsprinzip geprägt: Gesellschafterbeschlüsse können mit Rücksicht auf die personale Verbundenheit der Gesellschafter grundsätzlich nur einstimmig gefasst werden.3 Dies erklärt auch das Fehlen gesetzlicher Vorschriften zu Gesellschafterversammlungen in BGB und HGB nach Vorbild der §§ 48 ff. GmbHG, denn wo es in der Sache ohnehin der Zustimmung jedes Einzelnen bedarf, ist der Schutz vor verfahrensbezogener Überrumpelung – etwa durch zu kurze Ladungsfristen etc. – entbehrlich.

4.66

Ebenso fundamental wie das Einstimmigkeitsprinzip ist im Personengesellschaftsrecht jedoch die Gestaltungsfreiheit der Gesellschafter, welche auch die Aufnahme von Mehrheitsklauseln in den Gesellschaftsvertrag umfasst.4 Der – im Ausgangspunkt vom Willen jedes einzelnen Gesellschafters getragene – Gesellschaftsvertrag kann nicht lediglich Geschäftsführungsangelegenheiten oder andere Gegenstände minderer Bedeutung dem Mehrheitswillen unterwerfen, sondern auch die Entscheidung solcher Fragen, welche die Grundlagen der Gesellschaft betreffen – etwa Gesellschaftsvertragsänderungen oder die Zustimmung zur Übertragung von Gesellschaftsanteilen – oder sich auf ungewöhnliche Maßnahmen beziehen.5

4.67

Ob über einen in Rede stehenden Gegenstand mit – und ggf. mit welcher – Mehrheit entschieden werden kann, ist dem Gesellschaftsvertrag anhand der allgemeinen Auslegungsgrundsätze6 auf Grundlage von §§ 133, 157 BGB zu entnehmen.7 Der BGH hat dem früheren sog. Bestimmtheitsgrundsatz, der die ausdrückliche Ausformulierung aller Gegenstände verlangte, bei denen eine Mehrheitsentscheidung zulässig sein soll, eine Absage erteilt. Er soll insbesondere nicht als Auslegungsregel herangezogen werden können, um allgemein formulierten Mehrheitsklauseln („Gesellschafterbeschlüsse werden mit einfacher Mehrheit gefasst“)

1 Servatius in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht4, § 709 BGB Rz. 13. 2 Servatius in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht4, § 709 BGB Rz. 14. 3 Vgl. BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 (83); BGH v. 15.11.1982 – II ZR 62/82, BGHZ 85, 350 (354) Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 16 II 2 a; Schäfer in MüKo7, § 709 BGB Rz. 81; Heckschen/Bachmann, NZG 2015, 531; Wicke, MittBayNot 2017, 125. 4 Vgl. BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 (83, 87 f.); BGH v. 15.11.1982 – II ZR 62/ 82, BGHZ 85, 350 (350 f., 353 ff.); Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 16 II 2 a. 5 BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 (82); Schäfer in MüKo7, § 705 BGB Rz. 132. 6 Zu denkbaren Besonderheiten bei Familiengesellschaften Prütting/Schirrmacher, ZGR 2017, 829; Holler in Münchener Hdb. Gesellschaftsrecht5, Bd. VII, § 75 Rz. 129. 7 BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 (83, 85); BGH v. 15.1.2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 Rz. 10; Schäfer, ZGR 2013, 237 (243 f.).

154 | Bochmann

B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.70 Kap. 4

im Hinblick auf besonders gewichtige bzw. Grundlagenentscheidungen die Anerkennung zu versagen.1 Ein Mehrheitsbeschluss auf Grundlage einer Mehrheitsklausel gewährleistet jedoch lediglich die formelle Legitimation der getroffenen Entscheidung.2 Dass zu ihrer Wirksamkeit einzelnen oder allen Gesellschaftern gegenüber ggf. weitere Umstände hinzutreten – etwa die individuelle Zustimmung bestimmter Gesellschafter – oder fehlen müssen – etwa die Verletzung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht –, ist eine materielle Frage, die der BGH in mittlerweile ständiger Rechtsprechung auf einer zweiten, von der formellen Legitimation durch Mehrheitsbeschluss losgelösten Stufe beurteilt.3

4.68

Das Einstimmigkeitsprinzip ist sperrig und wird praktischen Erfordernissen oftmals nicht gerecht.4 Spätestens im Zuge der Nachfolgeplanung sollte deshalb die Einführung von Mehrheitsentscheidung erwogen werden. Solange der Gesellschafterkreis klein ist – in der Gründergeneration und möglicherweise auch in der zweiten Gesellschaftergeneration –, mögen Mehrheitsentscheidungen nur ein theoretisches Thema sein, da in enger personaler Zusammenarbeit alles stets einvernehmlich entschieden werden kann. Dieses Einvernehmen gilt es zu nutzen, um für spätere Generationen ebenso effektive Entscheidungsmechanismen zu schaffen, wofür das Einstimmigkeitsprinzip in Anbetracht eines gewachsenen Gesellschafterkreises jedoch selten den richtigen Rahmen bieten wird.

4.69

ff) Finanz- und Haftungsverfassung Die Gesellschafter einer GbR haften für deren Verbindlichkeiten neben dem Gesellschaftsvermögen akzessorisch, persönlich, primär und unbeschränkt.5 Sie können von Gläubigern folglich direkt in Anspruch genommen werden – und zwar ohne dass es zuvor (des Versuchs) der Inanspruchnahme der Gesellschaft bedarf – und haften zum einen für die gesamte Gesellschaftsschuld – nicht lediglich in Höhe ihres Gesellschaftsanteils – und zum anderen mit ihrem gesamten Vermögen. Neben eigenen Einwendungen können sie einem Gläubiger die Einwendungen der Gesellschaft entgegenhalten und die Befriedigung verweigern, solange die Gesellschaft das zugrunde liegende Rechtsgeschäft anfechten oder der Gläubiger sich durch Aufrechnung gegen eine fällige Forderung der Gesellschaft befriedigen kann. All dies ergibt sich aus der entsprechenden Geltung der §§ 128 f. HGB für die Haftungsverfassung der GbR, die in Anbetracht des § 105 Abs. 3 HGB merkwürdig erscheint, sich aber (historisch) daraus erklärt, dass die GbR im BGB ursprünglich nicht als rechtsfähige Gesellschaft konzipiert war und die Frage der Gesellschafterhaftung für Schulden der Gesellschaft sich somit gar nicht stellte, mit der höchstrichterlichen Bestätigung der Rechtsfähigkeit der Außen-GbR aufgrund der Wesensverwandtschaft von GbR und oHG der Rückgriff auf die für Letztere geltenden Vorschriften jedoch der naheliegendste Weg zur Füllung jener Lücke war.6

1 BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 (85 f.); Schäfer, ZGR 2013, 237 (245). 2 BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77; BGH v. 11.9.2018 – II ZR 307/16, NJW 2019, 157. 3 BGH v. 15.1.2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 Rz. 10; BGH v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 Rz. 16; BGH v. 15.11.2011 – II ZR 266/09, BGHZ 191, 293 Rz. 16; BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 (85 f.). 4 Vgl. BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 (87 f.). 5 BGH v. 8.2.2011 – II ZR 243/09, NJW 2011, 2045. 6 Vgl. BGH v. 8.2.2011 – II ZR 263/09, NJW 2011, 2040 (2042).

Bochmann | 155

4.70

Kap. 4 Rz. 4.71 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

4.71

Die persönliche Haftung der Gesellschafter gegenüber Gläubigern kann ausgeschlossen oder beschränkt werden – etwa auf eine bestimmte Haftungsquote oder Haftungssumme –, jedoch lediglich durch Individualvereinbarung1 zwischen Gläubiger und Gesellschaft (als Vertrag zugunsten der Gesellschafter gem. § 328 BGB) bzw. zwischen Gläubiger und Gesellschafter, nicht jedoch durch einen wie auch immer gearteten Hinweis auf eine allgemeine Haftungsbeschränkung („GbR mbH“, „GbR (haftungsbeschränkt)“ oder dergleichen) im Gesellschaftsnamen.2 gg) Keine Handels- und Transparenzregisterpublizität

4.72

Es besteht im Gegensatz zu den Personenhandelsgesellschaften oHG und KG keine Handelsregisterpublizität in Bezug auf die GbR; weder diese selbst noch ihre Gesellschafter sind im Handelsregister einzutragen.3 Zwar existieren Vorschriften zur Eintragung von GbR etwa im Grundbuch (§ 899a BGB, § 47 Abs. 2 Satz 1 GBO), im Handelsregister (§ 162 Abs. 1 Satz 2 HGB) oder in der GmbH-Gesellschafterliste (§ 40 Abs. 1 Satz 2 GmbHG). Diese Anforderungen wurzeln jedoch in Transparenzbedürfnissen im jeweiligen Sachzusammenhang des Grundbuchs, des Handelsregisters und der Gesellschafterliste, die gerade auf die mangelnde Registerpublizität der GbR zurückzuführen sind: Da weder Bezeichnung noch Sitz noch Gesellschafterbestand verlässlich aus einem Register ablesbar sind, schreiben die genannten Vorschriften im Sinne des Verkehrsschutzes vor, dass GbR, die Grundeigentümer, Kommanditist oder GmbH-Gesellschafter sind, mit ihrem zu jeder Zeit aktuellen Gesellschafterbestand in die jeweiligen Register einzutragen sind.

4.73

GbR sind ferner nicht als „Vereinigungen“ vom Transparenzregisterregime der §§ 19 ff. GwG erfasst, d.h. sie sind weder selbst im Transparenzregister einzutragen noch sind ihre wirtschaftlichen Berechtigten darin zu erfassen.4 Dies überrascht insofern, als das Anliegen der §§ 19 ff. GwG, Transparenz im Hinblick auf die wirtschaftlichen Eigentümer der hinter Gesellschaften stehenden natürlichen Personen zu schaffen, mit Blick auf die fehlende Handelsregisterpublizität von GbR als besonders dringlich erscheint.5 Es entspricht aber dem eindeutigen Wortlaut des § 20 Abs. 1 Satz 1 GwG, der lediglich „eingetragenen Personengesellschaften“ und deren wirtschaftlich Berechtigten Mitteilungs- und Angabepflichten auferlegt; auch die Gesetzesmaterialien sprechen insofern eine eindeutige Sprache.6 hh) Tatsächliche Erscheinungsformen (1) Vielgestaltigkeit der Erscheinungsformen

4.74

Das Recht der GbR ist nicht zuletzt aufgrund der Vielgestaltigkeit ihrer Erscheinungsformen von so herausragender Bedeutung. Das gilt ungeachtet des Umstandes, dass immer dann, wenn der Zweck der Gesellschaft auf den Betrieb eines Handelsgewerbes gerichtet ist,

1 BGH v. 24.11.2004 – XII ZR 113/01, NJW-RR 2005, 400; BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 (361). 2 Vgl. KG v. 3.6.2004 – 12 U 51/03, NZG 2004, 714. 3 Vgl. die jüngsten Reformvorschläge bei Schäfer in Verhandlungen des 71. Deutschen Juristentags, 2016, S. E61 ff.; vgl. ferner Karsten Schmidt, ZHR 177 (2013), 712. 4 Bochmann, DB 2017, 1310 (1312 f.); Rieg, BB 2017, 2310 f.; vgl. auch Bochmann in FS Seibert, 2019, S. 107 (109). 5 Vgl. Bochmann, DB 2017, 1310 (1312). 6 Begr. RegE Geldwäscherichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 18/11555, 2 (126).

156 | Bochmann

B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.76 Kap. 4

eine offene Handelsgesellschaft gegeben ist (§ 105 Abs. 1 HGB) (Rz. 4.134), das Gros der unternehmenstragenden Gesellschaften folglich gerade keine GbR sind. Als „unternehmerisch tätige“ Gesellschaften, die gleichwohl GbR sein können, kommen vor allem solche in Betracht, die auf den Betrieb eines Kleingewerbes i.S.v. § 2 Satz 2, § 105 Abs. 2 Satz 1 Var. 1 HGB sowie einer Freiberuflersozietät gerichtet sind1. Die Häufigkeit und wirtschaftliche Bedeutung der erstgenannten Kategorie dürfte jedoch nicht sonderlich hoch sein, und in der zweitgenannten Kategorie sind die maßgeblichen Determinanten der „Nachfolgeplanung“ nicht im Gesellschaftsrecht, sondern in den spezifischen standesrechtlichen Regelungen der freien Berufe, insbesondere den Anforderungen an deren Ergreifung, zu finden. (2) Vermögensverwaltende GbR Von erheblicher Bedeutung im Nachfolgekontext sind jedoch vermögensverwaltende GbR, da eine Gesellschaft, die lediglich eigenes Vermögen verwaltet – und sei es ganz erhebliches wie etwa im Falle von Grundstücken oder Unternehmensbeteiligungen –, grundsätzlich kein Handelsgewerbe betreibt und somit nicht kraft § 105 Abs. 1 HGB zwingend offene Handelsgesellschaft ist.2 Wird nur eigenes Vermögen verwaltet und liegt (deshalb) kein Handelsgewerbe vor, steht zwar der Weg in die Rechtsform der oHG und der KG offen, wenn eine Eintragung ins Handelsregister erfolgt (§ 105 Abs. 2 HGB). Es handelt sich hierbei jedoch um eine bloße Gestaltungsmöglichkeit;3 der Verbleib in der – intransparenten (Rz. 4.72 f.) – Rechtsform der GbR ist ohne Abstriche zulässig. Beispiele sind Besitzgesellschaften – etwa Grundbesitzgesellschaften oder Objektgesellschaften –, Vermiet-/Verpachtungsgesellschaften im Falle von Betriebsaufspaltungen sowie Holdinggesellschaften, die lediglich ihren Anteilsbesitz verwalten, ohne selbst Unternehmensleitungsfunktionen (für ihre Untergesellschaften) wahrzunehmen.4

4.75

(3) Pool-/Schutzgemeinschaftsverträge Der „Auffangcharakter“ der Rechtsform der GbR wird daran deutlich, dass zahlreiche rechtliche Gestaltungen in Bezug auf unternehmenstragende Gesellschaften anderer Rechtsform ihrerseits als GbR zu qualifizieren sein können. Zu nennen sind insbesondere Nebenvereinbarungen in Kapitalgesellschaften wie Poolverträge oder Schutzgemeinschaftsverträge (dazu noch Rz. 4.227 und Rz. 4.254 ff.), deren Abschluss vor dem Hintergrund der Regelung in § 13b Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 ErbStG häufig nicht zuletzt erbschaft- und schenkungsteuerlich motiviert ist (vgl. hierzu Rz. 6.230 ff.). Ferner können die Rechtsverhältnisse, die Grundlage mittelbarer Unternehmensbeteiligung – etwa der Unterbeteiligung (dazu noch Rz. 9.31 ff.) – sind, sich als (Innen-)Gesellschaften bürgerlichen Rechts darstellen; schließlich wird die stille Beteiligung als Variante der (Innen-)GbR charakterisiert.5

1 Vgl. Roth in Baumbach/Hopt39, § 105 HGB Rz. 4. 2 Roth in Baumbach/Hopt39, § 105 HGB Rz. 13. 3 Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas5, § 105 HGB Rz. 9; Wertenbruch in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 105 HGB Rz. 37. 4 Vgl. Wertenbruch in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 105 HGB Rz. 37; Roth in Baumbach/ Hopt39, § 105 HGB Rz. 13. 5 Karsten Schmidt in MüKo4, § 230 HGB Rz. 6.

Bochmann | 157

4.76

Kap. 4 Rz. 4.77 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

b) Gestaltungsherausforderungen im Nachfolgekontext aa) Identifikations- und Transparenzaspekte (1) Dokumentation

4.77

Gerade der Umstand, dass für GbR grundsätzlich keine Formerfordernisse und keine registerrechtliche Publizität bestehen, ist nicht selten ein Beweggrund für die Wahl dieser Rechtsform. Spätestens im Zuge der Nachfolgeplanung sollten die Vorteile der mangelnden Handelsregisterpublizität jedoch gegen die Nachteile abgewogen werden und ggf. eine Korrektur erfolgen. Denn die mangelnde Publizität geht – in Verbindung mit den fehlenden Formerfordernissen in Bezug auf den Gesellschaftsvertrag der GbR – mit einem erheblichen Maß an Rechtsunsicherheit einher, das möglicherweise für die Gründer einer GbR aufgrund ihrer Sachnähe noch tolerabel erscheinen mag, die Nachfolgegeneration jedoch leicht überfordern kann. So kann nicht nur der Gesellschafterbestand selbst ungewiss sein, sondern auch die Geschäftsführungs- und Vertretungsverhältnisse – und damit wichtige Determinanten der einen Nachfolger treffenden Risiken.

4.78

Mindestens sollte daher, wenn dies nicht bereits der Fall ist, der Gesellschaftsvertrag verschriftlicht oder eine möglicherweise sehr alte Schriftfassung des Gesellschaftsvertrags erneut schriftlich bestätigt und ggf. um zwischenzeitliche (konkludente) Änderungen1 ergänzt und dafür gesorgt werden, dass diese Dokumentation dem (designierten) Nachfolger zugänglich gemacht wird. (2) Rechtsformwechsel?

4.79

Darüber hinaus sollte aber auch kritisch hinterfragt werden, ob die GbR überhaupt die adäquate Rechtsform ist. Handelt es sich um reine Innengesellschaften wie Stimmbindungs-, Schutzgemeinschafts- oder Poolverträge (dazu noch Rz. 4.254 ff.), wird sich dies zwanglos bejahen lassen, da letztlich praktisch gar keine andere Rechtform zur Verwirklichung des damit intendierten Zwecks zur Verfügung stehen dürfte. Anderes gilt namentlich für Besitz-, Vermiet-/Verpacht-, Objektgesellschaften etc. Diesen steht als Alternative die Rechtsform der (vermögensverwaltenden) oHG oder (GmbH & Co.) KG offen. Die GmbH & Co. KG hat dabei den offenkundigen Vorzug einer umfassenden Haftungsbeschränkung (Rz. 4.177). Aber auch ohne Rücksicht auf Haftungsfragen sind die o.g. Vorteile der mangelnden Handelsregisterpublizität der GbR gerade bei grundbesitzenden GbR bei Lichte besehen eher nachteilig. Denn gem. § 899a BGB, § 47 Abs. 2 Satz 1 GBO sind, wie bereits ausgeführt (Rz. 4.60, 4.72), stets sämtliche Gesellschafter einer grundbesitzenden GbR im Grundbuch einzutragen. Im Falle eines Anteilsübergangs von Todes wegen ist somit das Grundbuch zu berichtigen, was nicht nur den Nachweis der Erbenstellung sowie nach mittlerweile wohl h.A. die Offenlegung des Gesellschaftsvertrags gegenüber dem Grundbuchamt2 – hieraus wird sich wegen § 727 Abs. 1 BGB schließlich regelmäßig die Nachfolgeberechtigung in den Anteil ergeben – erfordert, sondern auch mit nicht unerheblichen Kosten verbunden sein kann.3

1 Vgl. hierzu Heidel in Dauner-Lieb/Langen3, § 705 BGB Rz. 150. 2 OLG München v. 4.7.2017 – 34 Wx 123/17, NZG 2017, 941 (942); OLG Brandenburg v. 14.9.2011 – 5 Wx 53/11, ZEV 2012, 116 (117); a.A. KG v. 29.3.2016 – 1 W 907/15, NZG 2016, 555. 3 Überblick zum Grundbuchverfahren bei Suttmann, NJW 2013, 423 f.

158 | Bochmann

B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.82 Kap. 4

bb) Fortsetzungsmöglichkeit im Todesfall eines Gesellschafters und Nachfolgeklauseln (1) Zweipersonengesellschaft Zur Sonderkonstellation der Zweipersonengesellschaft gelten die Ausführungen zur zweigliedrigen oHG (Rz. 4.159) entsprechend.

4.80

(2) Auflösung durch Tod eines Gesellschafters Die bedeutendste rechtliche Herausforderung in Bezug auf GbR hält im Nachfolgezusammenhang § 727 Abs. 1 BGB bereit: Danach wird die Gesellschaft durch den Tod eines der Gesellschafter aufgelöst, sofern sich aus dem Gesellschaftsvertrag nicht etwas anderes ergibt. Hierin unterscheidet die GbR sich von der oHG (vgl. § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 HGB), von der KG (vgl. § 177 HGB) und von der stillen Gesellschaft (vgl. § 234 Abs. 2 HGB). Erschöpft die GbR sich in reinen Innenrechtsbeziehungen zwischen ihren Gesellschaftern, hat sie insbesondere kein Vermögen, führt die Auflösung zu ihrer Vollbeendigung.1 Anderenfalls tritt die Gesellschaft ins Liquidationsstadium ein, deren Zweck fortan die Auseinandersetzung gem. §§ 730 ff. BGB, d.h. die Berichtigung der Gesellschaftsschulden und die Verteilung des hernach verbleibenden Vermögens, ist.2

4.81

(3) Fortsetzungsbeschluss Zwar können die Gesellschafter die GbR mithilfe eines, ggf. auch konkludent gefassten, Fortsetzungsbeschlusses ohne den verstorbenen Gesellschafter aus dem zwischenzeitlichen Liquidationsstadium herausführen. Ein solcher Beschluss bedarf jedoch vorbehaltlich einer Mehrheitsklausel der Einstimmigkeit3, was unter Umständen zu erheblichen Schwierigkeiten führen kann. Diese können sich vor allem daraus ergeben, dass der Erbe oder die Erben des Gesellschafters, dessen Tod zur Auflösung der Gesellschaft führt, an dessen Stelle in die Liquidationsgesellschaft eintreten4 – bei mehreren Erben wird der Anteil an der Liquidationsgesellschaft nach h.M. entgegen dem Grundsatz der Sonderrechtsnachfolge in Personengesellschaftsanteile (Rz. 4.88 ff.) Teil des gesamthänderisch gebundenen, der Verwaltung der Erbengemeinschaft unterliegenden Nachlasses5 – und deshalb zur Fortsetzung auch ihre Mitwirkung erforderlich ist. Mit anderen Worten: Die verbleibenden Gesellschafter können die Gesellschaft nicht unter Wahrung ihrer Identität gegen den Willen des oder der Erben ohne diese erhalten.6 Entschließen sich in Erbengemeinschaft verbundene mehrere Erben zur Fortsetzung der Gesellschaft mit den übrigen Gesellschaftern, so teilt sich der in Rede stehende Gesellschaftsanteil automatisch auf die Erben auf, die jeweils Gesellschafter werden.7

1 Vgl. BGH v. 22.6.1981 – II ZR 94/80, NJW 1982, 99; Westermann in Erman15, § 730 BGB Rz. 2; Sprau in Palandt79, Vorb. vor § 723 BGB Rz. 2. 2 Westermann in Erman15, § 723 BGB Rz. 1; Sprau in Palandt79, Vorb. vor § 723 BGB Rz. 2. 3 Sprau in Palandt79, Vorb. vor § 723 BGB Rz. 2; § 736 BGB Rz. 2a. 4 OLG München v. 7.9.2010 – 34 Wx 100/10, NJW-RR 2010, 1667; Schäfer in MüKo7, § 727 BGB Rz. 13. 5 BGH v. 14.5.1986 – IVa ZR 155/84, BGHZ 98, 48 (58); BGH v. 21.9.1995 – II ZR 273/93, NJW 1995, 3314 (3315); Schäfer in MüKo7, § 727 BGB Rz. 14. 6 Sprau in Palandt79, Vorb. vor § 723 BGB Rz. 2. 7 BGH v. 20.5.1981 – V ZB 25/79, NJW 1982, 170; Westermann in Erman15, § 727 BGB Rz. 3.

Bochmann | 159

4.82

Kap. 4 Rz. 4.83 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

(4) Fortsetzungsklausel

4.83

Die Herausforderung in der Nachfolgeplanung liegt folglich darin, dem Eintritt der geschilderten Rechtsfolgen des § 727 Abs. 1 BGB zu begegnen. Hierfür stehen im Wesentlichen zwei Instrumente zur Verfügung, die im Detail verschiedentlich variiert werden können: Es kann gesellschaftsvertraglich vor Ableben eines Gesellschafters bestimmt werden, dass im Todesfall die Gesellschaft unter den verbliebenen Gesellschaftern fortgesetzt wird (Fortsetzungsklausel). Eine solche Regelung bewirkt das Ausscheiden eines Gesellschafters im Todesfall; seine Mitverwaltungsrechte erlöschen dabei und sein Gesellschaftsanteil wächst den verbleibenden Gesellschaftern gem. § 736 Abs. 1 BGB an.1 Die Erben des Ausgeschiedenen erhalten im Gegenzug eine Abfindung gem. §§ 738–740 BGB,2 ggf. mit gesellschaftsvertraglichen Modifikationen (dazu Rz. 4.104 ff., 4.110). Die Gesellschaft hingegen bleibt identitätsgleich erhalten. (5) Erbrechtliche Nachfolgeklausel

4.84

Die Alternative besteht in sog. erbrechtlichen Nachfolgeklauseln.3 Diese sind in verschiedenen Spielarten denkbar, haben aber alle den gemeinsamen Nenner, dass sie den Gesellschaftsanteil vererblich machen, indem sie bestimmen, dass die Gesellschaft mit dem, mit den oder mit näher bestimmten Erben eines Gesellschafters fortgesetzt wird.4 Es ist dabei hervorzuheben, dass mit einer Nachfolgeklausel lediglich die Vererblichkeit des GbR-Gesellschaftsanteils ermöglicht wird, der Anteilsübergang im Todeszeitpunkt jedoch nur dann gelingen kann, wenn ferner eine korrespondierende Verfügung von Todes wegen getroffen wird, die denoder diejenigen gesellschaftsvertraglich zugelassenen Nachfolger in den Anteil auch zu Erben macht.5 Mit einer einfachen Nachfolgeklausel wird der Anteil ohne nähere Anforderungen an den oder die Nachfolger vererblich gestellt, mit einer qualifizierten Nachfolgeklausel werden nur mehr oder minder allgemein oder präzise umschriebene (potentielle) Nachfolger zugelassen.

4.85

Zur Abstimmungsproblematik zwischen gesellschaftsvertraglicher Nachfolgeklausel und Verfügung von Todes wegen sowie zu Ausgleichsansprüchen weichender Erben und Pflichtteilsberechtigter s. Rz. 4.104).6

4.86

Zur Abgrenzung von Nachfolge- und Eintrittsklauseln s. Rz. 4.96. (6) Rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel

4.87

Als Alternative zur Nachfolgeklausel, welche einen erbrechtlichen Anteilsübergang eröffnet, kommt die rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel in Betracht.7 Bei dieser handelt es sich letztlich um ein gewöhnliches Verfügungsgeschäft nach allgemeinen Regeln, das dem Begünstigten den in Rede stehenden Gesellschaftsanteil aufschiebend bedingt auf den Todesfall auf rechtsgeschäftlichem Wege zukommen lassen soll, ohne dass der Anteil überhaupt in den

1 2 3 4 5 6 7

Klein/Lindemeier in Münchener Hdb. Gesellschaftsrecht4, Bd. I, § 11 Rz. 12, 17. Sprau in Palandt79, § 727 BGB Rz. 2 f. Sprau in Palandt79, § 727 BGB Rz. 3. Vgl. BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225 (229); Schäfer in MüKo7, § 727 BGB Rz. 28. Schäfer in MüKo7, § 727 BGB Rz. 28. Schäfer in MüKo7, § 727 BGB Rz. 28. Vgl. hierzu OLG München v. 4.7.2017 – 34 Wx 123/17, NZG 2017, 941 (943) sowie Schäfer in MüKo7, § 727 BGB Rz. 49 ff.

160 | Bochmann

B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.89 Kap. 4

Nachlass fällt (und damit dem erbrechtlichen „Verteilungsmechanismus“ zugänglich gemacht wird).1 Die Problematik liegt darin, dass es einseitige Verfügungen nicht gibt2 und demzufolge der Begünstigte in irgendeiner Weise „Partei“ der rechtsgeschäftlichen Nachfolgeklausel werden muss, was insbesondere – aber nicht nur – dann gelingt, wenn der Begünstigte bereits Gesellschafter ist.3 Daraus folgt zwingend, dass bei rechtsgeschäftlichen Nachfolgeklauseln im Gegensatz zu erbrechtlichen Nachfolgeklauseln, bei denen die Person des Nachfolgers mehr oder weniger klar umrissen werden kann und zudem von den erbrechtlichen Dispositionen des Erblassers abhängt, stets unmittelbar feststeht, wer den Gesellschaftsanteil als Nachfolger erhalten wird.4 cc) Einzelrechtsnachfolge bei mehreren nachfolgeberechtigten Erben Einer der gravierendsten Unterschiede zwischen der Nachfolge in Kapitalgesellschaftsbeteiligungen und Personengesellschaftsbeteiligungen – nicht lediglich GbR-Gesellschaftsanteile, sondern auch oHG- und Kommanditbeteiligungen – besteht darin, dass im Falle mehrerer nachfolgeberechtigter Erben und der Fortsetzung der Gesellschaft mit den Erben entgegen der erbrechtlichen Regelung in § 2032 BGB nicht die Erbengemeinschaft als Gesamthandsgemeinschaft in die Gesellschafterposition des Erblassers einrückt. Zwar fällt ein Personengesellschaftsanteil in den Nachlass. Die Erbengemeinschaft kann nach ganz h.M. jedoch nicht Gesellschafter einer werbenden GbR oder Personenhandelsgesellschaft sein.5 Indirekt ergibt sich das für persönlich haftende Gesellschafter von Personenhandelsgesellschaften aus § 139 Abs. 1 HGB.6

4.88

Jenseits dieser Anhaltspunkte im Gesetzeswortlaut stützt die h.M. sich auf die Inkompatibilität der Haftungs- und Organisationsverfassung der Erbengemeinschaft mit der Mitgliedschaft in einer werbenden Personengesellschaft: Der Miterbe kann über seinen Anteil an der Erbengemeinschaft verfügen (§ 2033 Abs. 1 BGB) und jederzeit Auflösung der Erbengemeinschaft verlangen (§ 2042 Abs. 2 BGB), womit de facto ein mittelbarer Gesellschafterwechsel einherginge, der aus der Warte des Personengesellschaftsrechts deshalb suspekt erscheinen muss, weil Personengesellschaftsanteile „gesetzlich vinkuliert“ sind (Rz. 4.18), d.h. die Entscheidungsgewalt über den konkreten Gesellschafterbestand zumindest im Ausgangspunkt in der Hand aller Gesellschafter – keiner darüber angesiedelten Instanz wie einer Erbengemeinschaft – liegen soll (Rz. 10.104, 5.540 ff.).7 Auch die Haftungsverhältnisse der GbR (und der oHG) – die unbeschränkte akzessorische Haftung für Gesellschaftsverbindlichkeiten im Au-

4.89

1 Vgl. OLG München v. 4.7.2017 – 34 Wx 123/17, NZG 2017, 941 (943) sowie Schäfer in MüKo7, § 727 BGB Rz. 49; Sprau in Palandt79, § 727 BGB Rz. 4. 2 Vgl. BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225 (231 ff.). 3 BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225 (231 ff.); BayObLG v. 21.6.2000 – 3Z BR 108/00, NZG 2000, 1026 (1027); Schäfer in MüKo7, § 727 BGB Rz. 51. 4 Vgl. BayObLG v. 21.6.2000 – 3Z BR 108/00, NZG 2000, 1026 (1027). 5 RG v. 17.3.1886 – I 12/86, RGZ 16, 40 (56); BGH v. 22.11.1956 – II ZR 222/55, BGHZ 22, 186 (192); BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225 (237); BGH v. 17.10.2006 – VII ZB 94/05, NJW 2006, 3715 (3716); Leipold in MüKo8, § 1922 BGB Rz. 122; Karsten Schmidt in MüKo4, § 105 HGB Rz. 104; Schäfer in Staub5, § 105 HGB Rz. 100, § 139 HGB Rz. 43; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I-149c, I-1231. 6 BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225 (237); Karsten Schmidt in MüKo4, § 105 HGB Rz. 104. 7 Vgl. Schäfer in MüKo7, § 705 BGB Rz. 81.

Bochmann | 161

Kap. 4 Rz. 4.89 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

ßenverhältnis (Rz. 4.70) – würden durch die Beschränkung der Miterbenhaftung in der ungeteilten Erbengemeinschaft auf den Nachlass (§ 2059 BGB; Rz. 5.53 f.) konterkariert.1

4.90

Aufgelöst wird der Konflikt zwischen Erbrecht und Gesellschaftsrecht in der Weise, dass wenn mehrere nachfolgeberechtigte Erben existieren, ein Personengesellschaftsanteil automatisch auf die Erben entsprechend ihrer jeweiligen Erbquote aufgeteilt (Singularsukzession) wird; jeder nachfolgeberechtigte Erbe wird damit einzeln Gesellschafter.2

4.91

Wird die Gesellschaft durch den Tod eines Gesellschafters aufgelöst – handelt es sich also um eine Liquidationsgesellschaft –, erhält die Erbengemeinschaft den vererbten Personengesellschaftsanteil zur gesamten Hand, da sich die geschilderte Beeinträchtigung gesellschaftsrechtlicher Strukturmerkmale durch das Prinzip der Universalsukzession bei einer auf Abwicklung gerichteten und deshalb nicht auf Dauer angelegten Liquidationsgesellschaft als weniger gravierend darstellt und die h.M. deshalb dem erbrechtlichen Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge den Vorrang einräumt.3 Wird die durch Tod aufgelöste Gesellschaft durch Beschluss fortgesetzt, führt dies, nachdem der Gesellschaftsanteil des verstorbenen Gesellschafters nach dem Prinzip der Universalsukzession zunächst ungeteilt in die Erbengemeinschaft fiel, zur Aufteilung des Gesellschaftsanteils auf die nachfolgeberechtigten Miterben nach Maßgabe ihrer jeweiligen Erbquote.4

4.92

Unabhängig davon, ob die Erben eines GbR-Gesellschafters in dessen Anteil nachfolgen oder aus der Gesellschaft ausscheiden und eine Abfindung erhalten: In jedem Falle werden sie mit persönlicher Haftung nach den unter Rz. 4.70 dargestellten Grundsätzen konfrontiert sein. Nimmt ein Erbe die Gesellschafterstellung des Erblassers an, haftet er selbstverständlich nach allgemeinen Regeln für die während seiner Gesellschafterstellung begründeten Schulden, aber auch für die vor seinem Eintritt begründeten Altschulden der Gesellschaft analog § 130 HGB.5

4.93

Aber auch das Ausscheiden aus der Gesellschaft schneidet das Haftungsband nicht endgültig ab. Vielmehr gilt § 160 HGB entsprechend, d.h. den oder die Erben trifft die sog. Nachhaftung, die auch einen Gesellschafter trifft, der zu Lebzeiten aus der Gesellschaft ausscheidet; die Nachhaftung des durch Tod Ausscheidenden ist eine Nachlassverbindlichkeit gem. § 1967 BGB.6 Im Ausgangspunkt gilt damit, dass eine Haftung für die im Zeitpunkt begründeten Verbindlichkeiten besteht.7 Immerhin gelten insofern aber zwei Erleichterungen: Zum einen

dd) (Nach-)Haftung der Erben des GbR-Gesellschafters

1 Vgl. Nachw. in Fn. 5 zu Rz. 4.88. 2 RG v. 17.3.1886 – I 12/86, RGZ 16, 40 (56); BGH v. 22.11.1956 – II ZR 222/55, BGHZ 22, 186 (192); BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225 (237); BGH v. 14.5.1986 – Iva ZR 155/84, BGHZ 98, 48 (58); BGH v. 17.10.2006 – VIII ZB 94/05, NJW 2006, 3715 (3716); Leipold in MüKo8, § 1922 BGB Rz. 122; Karsten Schmidt in MüKo4, § 105 HGB Rz. 104, § 139 Rz. 12 f.; Schäfer in Staub5, § 105 HGB Rz. 100, § 139 HGB Rz. 43; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I-149c, I-1231. 3 BGH v. 14.5.1986 – IVa ZR 155/84, BGHZ 98, 48 (58); Leipold in MüKo8, § 1922 BGB Rz. 111; Schäfer in MüKo7, § 727 BGB Rz. 14. 4 Vgl. BGH v. 20.5.1981 – V ZB 25/79, NJW 1982, 170 (171); Schäfer in Staub5, § 131 HGB Rz. 85 f.; Westermann in Erman15, § 727 BGB Rz. 3. 5 Vgl. BGH v. 17.12.2013 – II ZR 121/12, WM 2014, 1137. 6 Klein/Lindemeier in Münchener Hdb. Gesellschaftsrecht4, Bd. I, § 11 Rz. 18. 7 Schäfer in MüKo7, § 738 BGB Rz. 4.

162 | Bochmann

B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.96 Kap. 4

trifft die Erben keine Endloshaftung, sondern sie haben analog § 160 Abs. 1 Satz 1 HGB nur für solche Verbindlichkeiten einzustehen, deren Rechtsgrund im Todesfall bereits gelegt war und die innerhalb von fünf Jahren nach dem Ausscheiden fällig und in auf eine der in § 160 Abs. 1 Satz 1 HGB näher bezeichneten Arten geltend gemacht werden.1 Zum anderen können die Erben zumindest im Innenverhältnis von der Gesellschaft Freihaltung von Ansprüchen von Gesellschaftsgläubigern verlangen (§ 738 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BGB), wobei dieser Freihaltungsanspruch in der Praxis häufig gesellschaftsvertraglich ausgeschlossen wird.2 Zu der davon losgelösten, zusätzlich bestehenden Möglichkeit der erbrechtlichen Haftungsbeschränkung Rz. 4.131, 4.144.

Diesen Haftungsgefahren lässt sich mit den skizzierten allgemeinen Instrumentarien begegnen, d.h. individuellen Vereinbarungen mit Gläubigern, die eine Haftung überhaupt ausschließen, wobei es sich allerdings um ein praktisch wenig brauchbares Mittel handelt. Unklar ist, ob der Erbe eines GbR-Gesellschafters sein Verbleiben in der Gesellschaft davon abhängig machen kann, dass ihm nach dem Vorbild des § 139 Abs. 1 HGB unter Belassung des bisherigen Gewinnanteils die Stellung als Kommanditist (den zwar auch die – wenn auch mit dem Privileg des § 139 Abs. 4 HGB verbundene – Nachhaftung für Altverbindlichkeiten trifft) eingeräumt wird. Denn die analoge Anwendbarkeit von § 139 HGB auf die GbR ist nicht gesichert, d.h. ein Erbe, der Gesellschafter wird, kann nicht davon ausgehen, verlangen zu können, dass seine Beteiligung in eine Kommanditbeteiligung umgewandelt wird (was naturgemäß die Umwandlung – und Umwandelbarkeit – der GbR in eine Kommanditgesellschaft voraussetzen würde).3

4.94

Dies könnte Anlass sein, im Vorfeld des Erbfalles die Umwandlung der GbR in eine oHG oder gar gleich eine (GmbH & Co.) KG zu erwägen, um den Erben die Möglichkeit einzuräumen, eine haftungsbeschränkte Gesellschafterstellung einzunehmen (dazu näher Rz. 4.143).

4.95

ee) Eintrittsklauseln (1) Rechtsgeschäftliche Nachfolge in den Gesellschaftsanteil Während Nachfolgeklauseln den erbrechtlichen Übergang des Gesellschaftsanteils auf den oder die Erben im Zeitpunkt des Ablebens eines Gesellschafters ermöglichen, sollen Eintrittsklauseln mehr oder minder spezifizierten Personen – Erben oder Dritten – im Todesfall eines Gesellschafters den Weg zur rechtsgeschäftlichen Nachfolge in den Gesellschaftsanteil ebnen.4 Eine Eintrittsklausel ist nichts anderes als eine gesellschaftsvertragliche Regelung, wonach eine bestimmte oder zu bestimmende Person (oder Personen) durch rechtsgeschäftliche Übertragung des Gesellschaftsanteils eines Verstorbenen Gesellschafter werden kann.5 Ist un1 Sprau in Palandt79, § 736 BGB Rz. 10 f.; vgl. auch die Beispiele bei Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 51 I 2 und 3. 2 Klein/Lindemeier in Münchener Hdb. Gesellschaftsrecht4, Bd. I, § 11 Rz. 18; Schäfer in MüKo7, § 714 BGB Rz. 71, § 738 BGB Rz. 77. 3 Offen gelassen von BGH v. 17.12.2013 – II ZR 121/12, ZIP 2014, 1221; a.A. Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 60; Schäfer, NJW 2005, 3665 ff.; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 139 HGB Rz. 97; vgl. auch Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas5, § 139 HGB Rz. 23. 4 Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 25, 29; Klein/Lindenmeier in Münchener Hdb. Gesellschaftsrecht4, Bd. I, § 11 Rz. 35, § 79 Rz. 73; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 139 HGB Rz. 37; Schäfer in MüKo7, § 727 BGB Rz. 53; Sprau in Palandt79, § 727 BGB Rz. 4; Westermann in Erman15, § 727 BGB Rz. 12; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I-1243. 5 Vgl. Nachw. in Fn. 4 zu Rz. 4.96.

Bochmann | 163

4.96

Kap. 4 Rz. 4.96 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

klar, ob eine Nachfolgeklausel oder eine Eintrittsklausel vorliegt, besteht nach h.M. – ggf. sogar gegen den Wortlaut der Klausel – eine Vermutung für das Vorliegen einer Nachfolgeklausel.1

4.97

Die Nachfolge in einen Gesellschaftsanteil auf Grundlage einer Nachfolgeklausel zerfällt in zwei Schritte: Im ersten Schritt scheidet der verstorbene Gesellschafter aus der unter den übrigen Gesellschaftern fortgesetzten Gesellschaft aus;2 in der Existenz einer Eintrittsklausel wird stets auch eine – ggf. stillschweigend vereinbarte – Fortsetzungsklausel zu erblicken sein, da die Eintrittsklausel ohne Fortsetzung der Gesellschaft leer liefe.3 Im zweiten Schritt wird durch Eintritt des durch die Eintrittsklausel Begünstigten eine neue Mitgliedschaft begründet und der Eintretende Gesellschafter.4 Hieraus folgt auch, dass im Falle einer Zweipersonengesellschaft diese mit Ableben eines Gesellschafters ohne Liquidation vollbeendet wird und sodann allenfalls eine Neugründung mit dem oder den Eintrittsberechtigten in Betracht kommt.5

4.98

Rechtsgestalterisch sind somit die folgenden Gegenstände zu bedenken: Auf Gesellschaftsebene ist zunächst die Eintrittsklausel als solche zu schaffen. Hierfür ist eine Änderung des Gesellschaftsvertrags notwendig, die nach allgemeinen Regeln erfolgt. Da es sich in der Sache um die (künftige) Aufnahme eines neuen Gesellschafters handelt, kann eine Eintrittsklausel nur einstimmig beschlossen werden, sofern nicht bereits eine den allgemeinen Anforderungen genügende Mehrheitsklausel existiert, die mehrheitliche Änderungen des Gesellschaftsvertrags durch Aufnahme neuer Gesellschafter gestattet. Die Eintrittsklausel muss eine Bestimmung darüber treffen, wer im Todesfall Gesellschafter soll werden dürfen; es können bereits eine oder mehrere Personen bestimmt oder die Bestimmung dem künftigen Erblasser oder auch einem Dritten – etwa dem Testamentsvollstrecker – anheimgestellt werden.6 Das Zuwendungsverhältnis zwischen Erblasser, sofern dieser gemäß der Eintrittsklausel zur Benennung des Begünstigen berechtigt ist, und Eintrittsberechtigtem/n kann, muss aber nicht in einer Verfügung von Todes wegen liegen;7 vgl. hierzu auch noch Rz. 4.101 ff. (2) Gestaltungsvarianten

4.99

Mit einer Eintrittsklausel wird im Rahmen eines echten Vertrags zugunsten Dritter auf den Todesfall (§§ 328 Abs. 1, 331 BGB) ein Recht des bereits bezeichneten oder noch zu spezifizierenden Nachfolgers begründet – wobei der spätere Erblasser Versprechensempfänger ist und die Mitgesellschafter Versprechende sind –, der Gesellschaft beizutreten.8 § 2301 BGB 1 BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225 (231 ff.); Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 26; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 139 HGB Rz. 45; Schäfer in Staub5, § 139 HGB Rz. 20; Westermann in Erman15, § 727 BGB Rz. 15. 2 Vgl. Nachw. in Fn. 4 zu Rz. 4.96. 3 Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 25; Klein/Lindenmeier in Münchener Hdb. Gesellschaftsrecht4, Bd. I, § 79 Rz. 74. 4 Vgl. Nachw. in Fn. 4 zu Rz. 4.96. 5 Klein/Lindenmeier in Münchener Hdb. Gesellschaftsrecht4, Bd. I, § 11 Rz. 36; Lorz in Ebenroth/ Boujong/Joost/Strohn4, § 139 HGB Rz. 39; Rapp, MittBayNot 1987, 70 (74); Schäfer in MüKo7, § 727 BGB Rz. 55; Westermann in Erman15, § 727 BGB Rz. 13. 6 Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 27; Klein/Lindenmeier in Münchener Hdb. Gesellschaftsrecht4, Bd. I, § 79 Rz. 80. 7 Klein/Lindenmeier in Münchener Hdb. Gesellschaftsrecht4, Bd. I, § 80 Rz. 15. 8 Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 27; Schäfer in MüKo7, § 727 BGB Rz. 57; Klein/Lindenmeier in Münchener Hdb. Gesellschaftsrecht4, Bd. I, § 79 Rz. 75.

164 | Bochmann

B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.101 Kap. 4

und das damit einhergehende Formerfordernis sind aufgrund des Vorrangs der Regelungen des Vertrags zugunsten Dritter unanwendbar.1 Da der Beitritt somit in jedem Falle noch des Vollzugs bedarf, ist mit der Beitrittsklausel auch eine Bestimmung darüber zu treffen, ob der Nachfolgeberechtigte lediglich der Anspruch auf Abschluss eines Aufnahmevertrags zugewendet werden soll – wovon mangels anderweitiger Präzisierung im Zweifelsfall auszugehen sein wird – oder ob ihm im Sinne einer Call-Option das Recht eingeräumt wird, seine Mitgliedschaft in der Gesellschaft durch einseitige Erklärung mittelbar zur Entstehung zu bringen.2 (3) Schicksal des Abfindungsanspruchs gem. § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB Da ein Gesellschaftsanteil mit einer Eintrittsklausel den Erben jedenfalls gegenständlich entzogen werden kann, stellt sich die Frage nach dem Schicksal des in dem Anteil verkörperten Werts. Mangels (ggf. konkludenter) Regelungen hierzu gelten die allgemeinen Grundsätze zum Ausscheiden – die Eintrittsklausel führt gerade zur Fortsetzung und zum Ausscheiden (Rz. 4.96) – und Eintreten von Gesellschaftern: Infolge des Ausscheiden des versterbenden Gesellschafters entsteht ein Abfindungsanspruch gem. §§ 736 Abs. 1, 738 Abs. 1 Satz 2 BGB, der als verkehrsfähiger Zahlungsanspruch Nachlassgegenstand wird und damit den Erben zufällt.3 Der Eintretende wird, wenn er die Mitgliedschaft mit bestimmten Einlageverpflichtungen, Kapitalkonten etc. so neu zur Entstehung bringt, wie sie zuvor beim verstorbenen Gesellschafter bestand, entsprechende Einlagen zu erbringen haben.4

4.100

Die geschilderten Konsequenzen werden von den Beteiligten typischerweise so nicht gewollt sein; die Fortsetzungsklausel wird zumeist lediglich unter gestalterischen Gesichtspunkten, nicht hinsichtlich der Rechtsfolgen als Alternative zu Nachfolgeklauseln betrachtet werden. In Anbetracht dessen kann eine Eintrittsklausel, wenn aus ihr die Regelungsabsicht hervorgeht, den Eintretenden auch vermögensmäßig mit dem Ausscheidenden gleichzustellen, dahin zu verstehen sein – und soll es im Zweifel auch –, dass beim Ausscheiden gerade kein Abfindungsanspruch (zugunsten der Erben) entsteht; dies ist als Variante des zulässigen Ausschlusses von Abfindungsansprüchen im Todesfall unbedenklich.5 Die verbliebenen Gesellschafter sollen vielmehr die vermögensmäßige Teilhabe – nicht den Gesellschaftsanteil als solchen, der in jedem Falle den übrigen Gesellschaftern anwächst (Rz. 4.83) – des Ausscheidenden zunächst treuhänderisch für den Eintrittsberechtigten halten und der Eintretende soll mit seinem Eintritt neben der „neuen“ Mitgliedschaft die „alte“ Vermögensbeteiligung des Ausgeschiedenen erhalten (sog. „Treuhandlösung“).6 § 2301 BGB und die damit einhergehenden Formerfordernisse sind wiederum nicht zu beachten, da die Zuwendung im Rahmen eines Vertrags zugunsten Dritter erfolgt.7 Richtigerweise wird man im Zweifel davon ausgehen müssen, dass vorstehend geschilderte Konstruktion, insbesondere der Ausschluss des Abfin-

4.101

1 Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 28; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I-1252. 2 Klein/Lindenmeier in Münchener Hdb. Gesellschaftsrecht4, Bd. I, § 79 Rz. 81; Schäfer in MüKo7, § 727 BGB Rz. 57. 3 Schäfer in MüKo7, § 727 BGB Rz. 58. 4 Vgl. Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 30; Schäfer in MüKo7, § 727 BGB Rz. 58; Westermann in Erman15, § 727 BGB Rz. 14. 5 Schäfer in MüKo7, § 727 BGB Rz. 59, § 738 BGB Rz. 61. 6 Vgl. Ulmer, ZGR 1972, 195 (219 f.); Schäfer in MüKo7, § 727 BGB Rz. 59; Westermann in Erman15, § 727 BGB Rz. 14. 7 Schäfer in MüKo7, § 727 BGB Rz. 59.

Bochmann | 165

Kap. 4 Rz. 4.101 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

dungsanspruchs zulasten der Erben, unter der auflösenden Bedingung des Nichteintritts des Berechtigten steht.1 Dabei kann freilich die Frage nach dem endgültigen Ausbleiben des Eintritts im Einzelfall schwer zu beantworten sein; im Zweifelsfall ist ein Beitritt nur innerhalb angemessener Frist, welche insbesondere den Informationsbedürfnissen des Begünstigten Rechnung trägt, statthaft.2

4.102

Ebenfalls im Wege der Auslegung kann aus der Eintrittsklausel im Einzelfall eine gem. § 2301 BGB auf den Todesfall bedingte Vorausabtretung des Abfindungsanspruchs gem. §§ 736 Abs. 1, 738 Abs. 1 Satz 2 BGB durch den Ausscheidenden an den Eintrittsberechtigten abgeleitet werden, womit ihm ebenfalls die vermögensmäßige Stellung des Ausscheidenden an die Hand gegeben wäre.3

4.103

Dem Eintrittsberechtigten kann der in der Beteiligung des Erblassers verkörperte Wert alternativ auf erbrechtlichem Wege zugewendet werden, d.h. indem sichergestellt wird, dass er gegen die auf seine neue Beteiligung entfallende Einlagepflicht gegenüber der Gesellschaft mit einem in den Nachlass fallenden Abfindungsanspruch gem. §§ 736 Abs. 1, 738 Abs. 1 Satz 2 BGB aufrechnen kann (sog. „erbrechtliche Lösung“).4 Es darf ihm dabei nicht lediglich der Wert der Beteiligung zugewendet werden, sondern – gegenständlich – gerade der Abfindungsanspruch, was etwa im Wege einer Teilungsanordnung oder eines Vorausvermächtnisses geschehen kann.5

4.104

Rechtsgestalterisch ist folglich, wenn eine Eintrittsklausel verwendet werden soll, zu beachten, dass nicht nur eine Regelung darüber getroffen werden sollte, wie der Begünstigte im Falle des Ablebens eines Altgesellschafters überhaupt Neugesellschafter werden kann, sondern auch dazu, wie diese Neubeteiligung wertmäßig „gedeckt“ werden soll. Es ist dringend davon abzuraten, sich auf die geschilderten Zweifelssätze etwa zur Treuhandlösung (vgl. Rz. 4.101) zu verlassen. Vielmehr sollten, wenn eine rechtsgeschäftliche Lösung favorisiert wird, ausdrückliche Bestimmungen zum Schicksal des Abfindungsanspruchs in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen werden.6 Die Betonung, dass Eintrittsklauseln im Kontrast zu Nachfolgeklauseln ein rein rechtsgeschäftlich/gesellschaftsrechtliches Instrument zur Nachfolge in einen Gesellschaftsanteil darstellen, birgt das Risiko, die gleichwohl gegebene Bedeutung der Abstimmung mit den letztwilligen Anordnungen des seine Nachfolge planenden Gesellschafters zu übersehen. Konstruktiv ist die Eintrittsklausel zwar von diesen losgelöst, aber eben nicht in der Sache. Denn selbst wenn Regelungen zur Erbringung der Einlage getroffen wurden, muss auch sichergestellt sein, dass (Mit-)Erben und/oder Pflichtteilsberechtigte, die nicht den Gesellschaftsanteil nachfolgen, quotengerecht abgefunden werden können.7 Denn anderenfalls drohen die sich etwa ergebenden Ausgleichsansprüche gem. § 2325, § 2329 und §§ 2050 ff. BGB (hierzu eingehend Rz. 5.397 ff., 5.412 ff., 5.659) die mit der Eintrittsklausel geschaffene Anteils- und Wertzuordnung zu konterkarieren. Schäfer in MüKo7, § 727 BGB Rz. 59. Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 28. Schäfer in MüKo7, § 727 BGB Rz. 59; Westermann in Erman15, § 727 BGB Rz. 14. Ulmer, ZGR 1972, 195 (220); Westermann in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I-1246. 5 Ulmer, ZGR 1972, 195 (220); Westermann in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I-1246. 6 Vgl. Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 25; Klein/Lindenmeier in Münchener Hdb. Gesellschaftsrecht4, Bd. I, § 79 Rz. 82 f. 7 Vgl. Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 25, 30; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. I-1246. 1 2 3 4

166 | Bochmann

B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.107 Kap. 4

ff) Abfindungshöhe bei Ausscheiden und Abfindungsklauseln (1) Grundsätze: Abfindung zum vollen wirtschaftlichen Wert und Disponibilität Das Recht, im Falle des Ausscheidens aus der Gesellschaft eine Abfindung zu erhalten, gehört zu den fundamentalen mitgliedschaftlichen Rechten eines Gesellschafters.1 Der gegen die Gesellschaft2 auf Abfindung in Geld gerichtete Anspruch gem. § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB entsteht grundsätzlich in Höhe des vollen wirtschaftlichen Wertes der in dem Anteil verkörperten Beteiligung am fortgeführten Unternehmen (Verkehrswert)3 und wird im Zeitpunkt des Ausscheidens fällig.4 Der Abfindungsanspruch ist auf der Grundlage einer Auseinandersetzungsbilanz zu ermitteln,5 wobei der Wert des fortgeführten Unternehmens maßgeblich ist.6

4.105

Die Höhe der Abfindung, die Art und Weise ihrer Berechnung sowie die Modalitäten ihrer Auszahlung sind grundsätzlich gesellschaftsvertraglichen Regelungen zugänglich.7 In der Praxis ist die Verwendung derartiger Abfindungsklauseln sehr stark verbreitet. Dabei ist zu beachten, dass Abfindungsklauseln – auf Grundlage der allgemeinen Schranken vertraglicher Gestaltungsfreiheit (Rz. 4.66) – der richterlichen Inhaltskontrolle unterliegen.

4.106

Im Nachfolgekontext „treffen“ die Wirkungen von Abfindungsklauseln in der Regel die Nachfolgeprätendenten: Ist diesen – bei Personengesellschaften – gesellschaftsrechtlich die Nachfolge in die Beteiligung des Erblassers versperrt (dazu Rz. 4.17), wird das Ausscheiden aus der Gesellschaft – aus Sicht der Erben: der Nichteinlass in die Gesellschaft – immerhin durch den Abfindungsanspruch kompensiert (dazu Rz. 4.105), jedoch nur in der durch Abfindungsklausel bestimmten Höhe. In GmbH können Erben auf entsprechender gesellschaftsvertraglicher Grundlage gerade deshalb ausgeschlossen werden, weil sie in die Beteiligung von Todes wegen nachgefolgt sind (Rz. 4.217), und erhalten dann ebenfalls eine Abfindung gerade in der klauselmäßig vorbestimmten Höhe. Abfindungsklauseln sollen ihre Wirkungen aber weniger im Zeitpunkt des Erbfalls selbst und weniger im Falle eines Ausscheidens entfalten als in der Zeit nach der Übertragung von Anteilen auf Nachfolger (sei es unter Lebenden, sei es von Todes wegen). Denn das Hauptmotiv ihrer Verwendung besteht typischerweise darin, die Kapitalbasis des Familienunternehmens zu sichern (Kapitalerhaltungsfunktion), indem Abfindun-

4.107

1 BGH v. 29.4.2014 – II ZR 216/13, GmbHR 2014, 811 (812) mit Komm. Wachter. 2 BGH v. 12.7.2016 – II ZR 74/14, DStR 2016, 2607. 3 BGH v. 24.9.1984 – II ZR 256/83, NJW 1985, 192 (193) („wirklichen Wert des Gesellschaftsanteils“; „Beteiligung an einem Gesellschaftsunternehmen“); BGH v. 21.4.1995 – II ZR 227/53, BGHZ 17, 130 (136) (zur oHG); BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/19, BGHZ 116, 359 (370 f.) (zur GmbH: „vollen wirtschaftlichen Wert des Gesellschaftsanteils“); Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas5, § 131 HGB Rz. 48; Karsten Schmidt in MüKo4, § 131 HGB Rz. 138; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 131 HGB Rz. 64; Roth in Baumbach/Hopt39, § 131 HGB Rz. 49; Schäfer in MüKo7, § 738 BGB Rz. 32; Schäfer in Staub5, § 131 HGB Rz. 155 ff. 4 Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas5, § 131 HGB Rz. 42; Lorz in Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn4, § 131 HGB Rz. 66 f.; Schäfer in Staub5, § 131 HGB Rz. 145. 5 BGH v. 18.7.2013 – IX ZR 198/10, NJW 2014, 305 Rz. 17; Habermeier in Staudinger, 2003, § 738 BGB Rz. 15; Sprau in Palandt79, § 738 BGB Rz. 4. 6 Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas5, § 131 HGB Rz. 48; Lorz in Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn4, § 131 HGB Rz. 64; Roth in Baumbach/Hopt39, § 131 HGB Rz. 49; Schäfer in Staub5, § 131 HGB Rz. 155 ff.; Karsten Schmidt in MüKo4, § 131 HGB Rz. 143. 7 BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 (368) (zur GmbH); Karsten Schmidt in MüKo4, § 131 HGB Rz. 149; Fleischer/Bong, WM 2017, 1957 (1957 ff.); Reformimpulse bei Hamburger Kreis Recht der Familienunternehmen, NZG 2020, 104 (105).

Bochmann | 167

Kap. 4 Rz. 4.107 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

gen unterhalb des Verkehrswerts festgelegt werden, die Gesellschafter überdies überhaupt davon abhalten sollen, ihre Beteiligung durch Ausscheiden aus der Gesellschaft zu „liquidieren“ (Disziplinierungsfunktion).1 Bei der Anwendung von Abfindungsklauseln steht somit typischerweise der Einzelne (Ausscheidende) der Gesellschaftergesamtheit in einem krassen Interessengegensatz gegenüber – das Tischtuch ist endgültig zerschnitten und es geht nunmehr lediglich noch um die Höhe der Abfindung –, was Abfindungsklauseln zu einem gefährlichen Konfliktherd macht und in Anbetracht der Möglichkeit zur inhaltlichen Überprüfung (durch den Einzelnen) eine überaus sorgfältige Gestaltung gebietet. (2) Abfindungsklauseln zu Verfahrensfragen

4.108

Jenseits von Kapitalsicherungs- und Disziplinierungsfunktionen können und sollen Abfindungsklauseln häufig zunächst schlicht die methodischen Grundlagen der Ermittlung der Abfindung außer Streit stellen, indem sie anordnen, nach welcher Methode die Unternehmensbewertung im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters zu erfolgen hat, indem sie etwa die Anwendung der Grundsätze der Unternehmensbewertung gemäß IDW S 1 oder eines an dessen Stelle tretenden Standards anordnen.

4.109

Im Sinne der effektiven Klärung von Streitfällen kann außerdem die Anrufung eines qualifizierten Schiedsgutachters vorgesehen werden, womit freilich der Rechtsweg zur Überprüfung des schiedsgutachterlichen Ergebnisses nicht ausgeschlossen werden kann, die Urteilsfindung aber immerhin erleichtert wird, da §§ 317 ff. BGB auf Schiedsgutachten im engeren Sinne entsprechend anzuwenden sind2 und die gerichtliche Überprüfung des schiedsgutachterlichen Ergebnisses somit auf offenbare Unrichtigkeit reduziert wird.3 Mit der Funktion als Schiedsgutachter kann auch der Beirat betraut werden.4 Soll Streit vor ordentlichen Gerichten über die Abfindung vermieden werden – immerhin droht das öffentliche Bekanntwerden des Unternehmenswerts und der wertbildenden Faktoren –, muss zusätzlich eine Schiedsabrede über Abfindungsstreitigkeiten getroffen werden.5 (3) Abfindungsklauseln zur Abfindungshöhe und zu Auszahlungsmodalitäten

4.110

Ganz typischer Regelungsgegenstand von Abfindungsklauseln ist die Abfindungshöhe, wobei zwei Kategorien unterschieden werden können: (i) Klauseln, die eine Methode zur Berechnung der Abfindung vorgeben, die typischerweise zu einem Wert unterhalb des Verkehrswerts führen, und (ii) Klauseln, die einen pauschalen prozentualen Abschlag auf den Ver-

1 Karsten Schmidt in MüKo4, § 131 HGB Rz. 150; Hannes/Oenings in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, GmbH & Co. KG22, § 8 Rz. 250 f.; Schäfer in Staub5, § 131 HGB Rz. 162; vgl. aber auch zu den Erwägungen, die gegen zu hohe Ausstiegsschwellen und für die Regelung geordneter Ausstiegsszenarien sprechen, Kalss in FS Binz, 2014, S. 343 (352 f.); vgl. auch BGH v. 29.4.2014 – II ZR 216/13, GmbHR 2014, 811 (812 f.) mit Komm. Wachter. 2 BGH v. 17.1.2013 – III ZR 10/12, NJW 2013, 1296 Rz. 13; Grüneberg in Palandt79, § 317 BGB Rz. 3, § 319 BGB Rz. 4; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 131 HGB Rz. 145. 3 BGH v. 17.1.2013 – III ZR 10/12, NJW 2013, 1296 Rz. 13; OLG Stuttgart v. 15.3.2017 – 14 U 3/14, GmbHR 2017, 913 (919) mit Komm. Wagner; Überblick bei Würdinger in MüKo7, § 317 BGB Rz. 28 ff. 4 Reichert/Ullrich in Reichert, GmbH & Co. KG7, § 19 Rz. 95. 5 Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 131 HGB Rz. 145; vgl. auch Salger in Reichert, GmbH & Co. KG7, § 44 Rz. 41.

168 | Bochmann

B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.113 Kap. 4

kehrswert vorsehen. Zur erstgenannten Kategorie sind die sog. Buchwertklauseln1 zu zählen sowie solche, welche die Anwendung des (bis 2009) für erbschaft- und schenkungsteuerliche Zwecke maßgeblichen sog. Stuttgarter Verfahrens2 anordnen. Gemeinsam ist beiden Klauselarten, dass sie regelmäßig zu niedrigeren Werten als dem Verkehrswert führen, überdies aber auch die Ermittlung der Abfindung vereinfachen.3 Mit Klauseln der zweitgenannte Kategorie sollen die rechtlichen Grenzen der Abfindungsbeschränkung beziffert und damit nach Möglichkeit berechenbar und rechtssicher festgelegt werden; derartige Klauseln mit pauschalen Abschlägen auf den Verkehrswert werden deshalb zu Recht als sicherste Lösung empfohlen.4 Modalitäten zur Auszahlung der Abfindung determinieren ebenfalls die Abfindungshöhe, wenn nicht die Reduzierung des Barwerts der künftigen Zahlungen durch eine entsprechende Verzinsung kompensiert wird. Klauseln, welche die Abfindungszahlung stunden und/oder über mehrere Jahre strecken, sind grundsätzlich zulässig,5 sehr üblich und im Sinne der Kapitalschonung der abfindungsbelasteten Gesellschaft zu empfehlen. Es ist jedoch zu beachten, dass auch die Abfindung faktisch verkürzende Auszahlungsregelungen der gerichtlichen Inhaltskontrolle unterliegen (vgl. noch Rz. 4.117).

4.111

(4) Grundsätze der gerichtlichen Inhaltskontrolle Grundlagen der Inhaltskontrolle sind § 723 Abs. 3 BGB sowie § 138 BGB, und zwar jeweils vor dem Hintergrund des gesetzlichen Abfindungsanspruchs gem. § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB.6 Die Kasuistik hierzu ist reich und wechselhaft, weshalb – für die vorausschauende Gestaltungspraxis – lediglich auf folgende Grundsätze verwiesen werden soll:

4.112

Klauseln, welche die Abfindung eines Gesellschafters zur Gänze ausschließen, sind grundsätzlich sittenwidrig gem. § 138 Abs. 1 BGB und damit nichtig, da das Recht auf Abfindung zu den fundamentalen mitgliedschaftlichen Rechten gehört (Rz. 4.105).7 Begründet wird dies vom BGH in ständiger Rechtsprechung im Wesentlichen damit, dass der Gesellschafter durch Kapitaleinsatz und ggf. auch Mitarbeit zur Schaffung des im Wert seines Geschäftsanteils repräsentierten Gesellschaftsvermögen beigetragen hat, die Gesellschafterstellung deshalb nicht ohne Wertausgleich verloren gehen darf und ein Abfindungsausschluss für den Gesellschafter, der Vermögen und Arbeitskraft in die Gesellschaft eingebracht hat, existenzgefährdend sein

4.113

1 Vgl. Hannes/Oenings in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, GmbH & Co. KG22, § 8 Rz. 303; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 131 HGB Rz. 118 ff.; Karsten Schmidt in MüKo4, § 131 HGB Rz. 151. 2 Vgl. OLG Stuttgart v. 15.3.2017 – 14 U 3/14, GmbHR 2017, 913 mit Komm. Hannes/Oenings in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, GmbH & Co. KG22, § 8 Rz. 305 ff. 3 Hannes/Oenings in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, GmbH & Co. KG22, § 8 Rz. 303; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 131 HGB Rz. 118 ff.; Schäfer in Staub5, § 131 HGB Rz. 164 ff., 189; Karsten Schmidt in MüKo4, § 131 HGB Rz. 151. 4 Hannes/Oenings in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, GmbH & Co. KG22, § 8 Rz. 309; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 131 HGB Rz. 141. 5 Vgl. BGH v. 9.1.1989 – II ZR 83/88, NJW 1989, 2685 (2686); Karsten Schmidt in MüKo4, § 131 HGB Rz. 171. 6 Überblick, Kritik und w. Nachw. bei Karsten Schmidt in MüKo4, § 131 HGB Rz. 156; vgl. ferner Fleischer/Bong, WM 2017, 1957 (1958 ff.). 7 BGH v. 2.6.1997 – II ZR 81/96, BGHZ 135, 387 (390); BGH v. 29.4.2014 – II ZR 216/13, GmbHR 2014, 811 (812) mit Komm. Wachter; BGH v. 27.9.2011 – II ZR 279/09, GmbHR 2012, 92 Rz. 8.

Bochmann | 169

Kap. 4 Rz. 4.113 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

und seine wirtschaftliche Freiheit beeinträchtigen kann.1 Mit Blick auf diese Begründung erklärt sich, dass auch der Fall des Ausschlusses aus wichtigem Grund keinen Verlust der Abfindung – allenfalls eine Reduktion – rechtfertigt (vgl. aber noch Rz. 4.114 ff.).2 Als Ausnahmen sind Management-/Mitarbeiterbeteiligungen, die ohne Kapitaleinsatz erworben wurden, sowie Beteiligungen an Gesellschaften, die einen ideellen Zweck verfolgen, anerkannt.3 Im Nachfolgekontext kann die weitere Ausnahme von Interesse sein, wonach die Abfindung für den Fall des Verlusts der Beteiligung durch Tod des Gesellschafters komplett ausgeschlossen werden kann.4 Gilt dieser Ausschluss für alle Gesellschafter, handelt es sich um ein entgeltliches Geschäft, bei dem das Risiko des abfindungslosen Anteilsverlusts (das freilich die Gesellschafter-Erben trifft) der Chance auf den (quotalen) Erwerb des Anteilswerts vorversterbender Mitgesellschafter gegenübersteht;5 dies soll jedoch nicht gelten, wenn im Vereinbarungszeitpunkt extreme Unterschiede bei den Lebenserwartungen der Gesellschafter bestehen.6

4.114

Ferner sind Abfindungsklauseln nichtig, wenn im Zeitpunkt ihrer Vereinbarung ein grobes Missverhältnis zwischen dem wahren Anteilswert und der sich aus der Klausel ergebenden Abfindung besteht (anfängliches grobes Missverhältnis).7 Konsequenz ist ein Abfindungsanspruch in Höhe des wahren Werts der Beteiligung (dazu Rz. 4.105).8 Stellt sich ein grobes Missverhältnis bei einer anfänglich wirksam vereinbarten Klausel erst nachträglich ein (nachträgliches grobes Missverhältnis), führt dies jedoch nicht zur nachträglichen Nichtigkeit der Klausel.9 Vielmehr ist eine geltungserhaltende Reduktion im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung vorzunehmen, bei der die Abfindungshöhe unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls – insbesondere mit Rücksicht auf die Person des Ausscheidenden und den Grund ihres Ausscheidens – festzulegen ist;10 eine Anpassung auf den Verkehrswert soll dies regelmäßig nicht zur Folge haben, sondern eine Abfindungshöhe zwischen Verkehrsund Buchwert.11 Dabei ist jedoch ungeklärt, im Hinblick auf welche Zeitpunkte neben der Gesellschaftsgründung bzw. der gänzlichen Neuaufnahme einer Abfindungsklausel in den Ge1 Vgl. etwa BGH v. 29.4.2014 – II ZR 216/13, GmbHR 2014, 811 (812) mit Komm. Wachter; eingehend zur Rechtsprechungshistorie Fleischer/Bong, WM 2017, 1957 (1957 ff.). 2 BGH v. 29.4.2014 – II ZR 216/13, GmbHR 2014, 811 (812 f.) mit Komm. Wachter; Karsten Schmidt in MüKo4, § 131 HGB Rz. 166. 3 BGH v. 29.4.2014 – II ZR 216/13, GmbHR 2014, 811 (812) mit Komm. Wachter. 4 BGH v. 29.4.2014 – II ZR 216/13, GmbHR 2014, 811 (812) mit Komm. Wachter; BGH v. 20.12.1976 – II ZR 115/75, GmbHR 1977, 81; BGH v. 22.11.1956 – II ZR 222/55, BGHZ 22, 186 (194 f.); Hannes/Oenings in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, GmbH & Co. KG22, § 8 Rz. 302; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 131 HGB Rz. 125. 5 BGH v. 22.11.1956 – II ZR 222/55, BGHZ 22, 186, 194; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 131 HGB Rz. 125. 6 Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 131 HGB Rz. 125. 7 Vgl. BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359; Hannes/Oenings in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, GmbH & Co. KG22, § 8 Rz. 288, 294; Karsten Schmidt in MüKo4, § 131 HGB Rz. 168; Roth in Baumbach/Hopt39, § 131 HGB Rz. 64. 8 Hannes/Oenings in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, GmbH & Co. KG22, § 8 Rz. 294; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 131 HGB Rz. 132. 9 BGH v. 20.9.1993 – II ZR 104/92, BGHZ 123, 281 (284); BGH v. 19.6.2000 – II ZR 73/99, BGHZ 144, 365 (369). 10 Vgl. BGH v. 20.9.1993 – II ZR 104/92, BGHZ 123, 281; BGH v. 19.6.2000 – II ZR 73/99, BGHZ 144, 365. 11 Vgl. BGH v. 20.9.1993 – II ZR 104/92, BGHZ 123, 281, S. 289; BGH v. 13.6.1994 – II ZR 38/93, BGHZ 126, 226, 244, 245.

170 | Bochmann

B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.117 Kap. 4

sellschaftsvertrag der Maßstab des anfänglichen groben Missverhältnisses anzulegen ist. Eine nicht selten als „gänzlich“ oder „komplett“ apostrophierte Neufassung des Gesellschaftsvertrags, die eine zuvor bereits existente Abfindungsklausel, die über die Zeit zu einem groben Missverhältnis geführt hat – und damit im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung anzupassen wäre –, sollte jedenfalls nicht aufgrund der bloßen Neuvereinbarung als „anfänglich“ – nämlich im Zeitpunkt eben jener Neuvereinbarung – unverhältnismäßig und damit nichtig beurteilt werden. Das Vorstehende gilt grundsätzlich auch dann, wenn ein Gesellschafter seine Beteiligung wie in Familienunternehmen üblich unentgeltlich – sei es durch Schenkung, sei es durch Nachfolge von Todes wegen – erworben hat; es gibt keinen „Gesellschafter minderen Rechts“ für Abfindungszwecke.1

4.115

Wann ein grobes Missverhältnis vorliegt, ist eine Frage des jeweiligen Einzelfalls,2 weshalb es keine generell zulässigen prozentualen Abschläge auf den Verkehrswert gibt.3 Als zulässig werden jedoch Abschläge von bis zu 50 % im Falle des Ausscheidens aufgrund eines in der Person des Gesellschafters liegenden wichtigen Grundes4 und von bis zu 30 % in übrigen Fällen erachtet.5 Dass Abschläge von bis zu 30 % auf den Verkehrswert bei Familienunternehmen zum Schutz ihrer Kapitalbasis zulässig sein können, hat der (Steuer-)Gesetzgeber indirekt anerkannt, indem er entsprechende Abfindungsabschläge erbschaft- und schenkungsteuerlich gem. § 13a Abs. 9 Satz 3 ErbStG honoriert (vgl. zum Vorwegabschlag bei Familienunternehmen auch Rz. 6.283 ff.).6

4.116

Auch Regelungen über die Modalitäten der Auszahlung von Abfindungen können ungeachtet ihrer grundsätzlichen Zulässigkeit wegen unzulässiger Beschränkung der Kündigungsfreiheit gem. § 723 Abs. 3 BGB unwirksam sein.7 Laut BGH sollen sie nicht zu beanstanden sein, solange sie „im ganzen noch als sachgemäß anerkannt werden können“.8 Das sollte in einem vom BGH entschiedenen Fall aus dem Jahr 1979/1980 trotz angemessener Verzinsung i.H.v. 6 % p.a. – wobei der BGH nicht ausgeführt hat, nach welchen Kriterien die Angemessenheit zu beurteilen ist9 – des Abfindungsguthabens bei einer Auszahlung in 15 gleichen Jahresraten

4.117

1 BGH v. 9.1.1989 – II ZR 83/88, NJW 1989, 2685; Karsten Schmidt in MüKo4, § 131 HGB Rz. 179; für größere Gestaltungsfreiheit Fleischer/Bong, WM 2017, 1957 (1960); Fleischer, BB 2019, 2819 (2825); Holler, DStR 2019, 931 (940 f.). 2 BGH v. 29.4.2014 – II ZR 216/13, GmbHR 2014, 811 (812) mit Komm. Wachter. 3 Binz/Sorg in Binz/Sorg, Die GmbH & Co. KG12, § 6 Rz. 168; Hannes/Oenings in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, GmbH & Co. KG22, § 8 Rz. 288; Karsten Schmidt in MüKo4, § 131 HGB Rz. 168; Roth in Baumbach/Hopt39, § 131 HGB Rz. 64. 4 Ulmer/Schäfer, ZGR 1995, 134 (153), sowie Schäfer in Staub5, § 131 HGB Rz. 176; im Anschluss daran etwa Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 50 IV.2.c.ee; Binz/Sorg in Binz/Sorg, Die GmbH & Co. KG12, § 6 Rz. 171; Fleischer/Bong, WM 2017, 1957 (1960). 5 Ulmer/Schäfer, ZGR 1995, 134 (153), sowie Schäfer in Staub5, § 131 HGB Rz. 176. 6 Vgl. auch Begr. RegE zum Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des BVerfG, BT-Drucks. 18/5923, 24. 7 BGH v. 9.1.1989 – II ZR 83/88, NJW 1989, 2685 (2686). 8 BGH v. 9.1.1989 – II ZR 83/88, NJW 1989, 2685 (2686). 9 Da der Ausscheidende der Gesellschaft das „Abfindungsguthaben“ – unabhängig von der umstrittenen Frage der insolvenzrechtlichen Qualifikation des Abfindungsanspruchs (vgl. dazu BGH v. 26.4.2017 – I ZB 119/15, NJW-RR 2017, 1327 [1328]) – letztlich als Fremdkapital „überlässt“, sollte der Zins eines hinsichtlich Höhe, Laufzeit und Besicherung vergleichbaren Darlehens eines Dritten maßgeblich sein.

Bochmann | 171

Kap. 4 Rz. 4.117 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

nicht der Fall sein.1 Verbreitet wird deshalb empfohlen – wobei es aber wie bei der Zulässigkeit der Abfindungsbeschränkung letztlich auf den Einzelfall ankommt –, die Auszahlung über nicht mehr als 10 Jahre zu strecken und das Abfindungsguthaben angemessen zu verzinsen.2

4.118

Aus der Anpassungsrechtsprechung des BGH folgt die Vorzugswürdigkeit von Klauseln mit einem pauschalen Abschlag auf den Verkehrswert, da bei diesen das Auseinanderdriften von Abfindungshöhe und Verkehrswert ausgeschlossen ist. Im Übrigen sollte der Rechtsprechung Rechnung getragen werden, indem in Abfindungsklauseln vorgesehen wird, dass im Falle ihrer Unverhältnismäßigkeit der niedrigste noch zulässige Wert als vereinbart gelten soll, wobei nach Möglichkeit die Motive für die sowie die Kriterien der Anpassung niedergelegt werden sollten.3

4.119

Nichtig sind schließlich abfindungsbeschränkende Klauseln, die gezielt Gläubiger eines Gesellschafters benachteiligen, indem sie ausschließlich – und sei es trotz anderslautender Formulierung von vornherein faktisch ausschließlich – für den Fall der Anteilspfändung und/ oder Insolvenz des Gesellschafters eingreifen.4 gg) Testamentsvollstreckung (1) Problemaufriss

4.120

Höchst problematisch und nicht in allen Einzelheiten geklärt stellt sich die Testamentsvollstreckung an GbR-Anteilen dar. Es kollidieren dabei die erbrechtlich im Ausgangspunkt legitime Gestaltungsoption, Nachlassgegenstände dem unmittelbaren Zugriff und den Entscheidungen der Erben beschränkt und auf Zeit zu entziehen, indem dem Testamentsvollstrecker Verfügungsmacht hierüber eingeräumt wird (§§ 2205, 2211 BGB), mit dem gesellschaftsrechtlichen Leitbild der personalen Zusammenarbeit (vgl. Rz. 4.63 im Hinblick auf Geschäftsführung und Vertretung), dem Grundsatz kollektiver und unbeschränkter persönlicher Haftung (Rz. 4.70) und letztlich auch dem sog. Abspaltungsverbot5, wonach Gesellschafterrechte aus dem Gesellschaftsverhältnis nicht abtrennbar und übertragbar sind (vgl. § 717 BGB). Der Testamentsvollstrecker ist aber gerade gesellschaftsfremder Dritter. Könnte man sämtliche mit einem GbR-Gesellschaftsanteil verbundenen Rechte uneingeschränkt seiner (Dauer-)Verwaltung (§ 2209 BGB) unterwerfen, führte das letztlich zu einer jedenfalls zeitweisen faktischen Trennung von Mitgliedschaft und mitgliedschaftlichen Rechten und Pflichten, womit insbesondere die Interessen der Mitgesellschafter tangiert wären, die jedenfalls keinen unmittelbaren Einfluss auf die Entscheidung der Anordnung von (Dauer-)Testamentsvollstreckung über den Anteil eines Mitgesellschafters haben.

1 BGH v. 9.1.1989 – II ZR 83/88, NJW 1989, 2685 (2686). 2 Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 131 HGB Rz. 144; Roth in Baumbach/Hopt39, § 131 HGB Rz. 68; Karsten Schmidt in MüKo4, § 131 HGB Rz. 171. 3 Vgl. Hannes/Oenings in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, GmbH & Co. KG22, § 8 Rz. 300. 4 Vgl. – zur GmbH – BGH v. 12.6.1975 – II ZB 12/73, BGHZ 65, 22 (26 ff.); BGH v. 7.4.1960 – II ZR 69/58, BGHZ 32, 151 (155 f.); Karsten Schmidt in MüKo4, § 131 HGB Rz. 160; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 131 HGB Rz. 126. 5 Vgl. hierzu Schäfer in MüKo7, § 717 BGB Rz. 110 f.

172 | Bochmann

B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.123 Kap. 4

(2) Grundsatz: Testamentsvollstreckung lediglich an der sog. „Außenseite“ des Gesellschaftsanteils In allen Fällen, in denen ein Gesellschaftsanteil an einer werbenden Gesellschaft Nachlassgegenstand wird, ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung wie folgt zu differenzieren: Die sog. Außenseite des Gesellschaftsanteils soll bei angeordneter (Dauer-)Testamentsvollstreckung der Verfügungsgewalt des Testamentsvollstreckers unterliegen und damit dem Zugriff der Erben (§ 2211 BGB) sowie deren Eigengläubigern (§ 2214 BGB) entzogen sein.1 Der Testamentsvollstrecker ist damit insbesondere berechtigt, über den Gesellschaftsanteil so zu verfügen, wie der Erblasser es nach den allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Regeln konnte und soweit keine erbrechtliche Beschränkung nach § 2208 BGB besteht.2 Ferner unterliegen die mit dem Gesellschaftsanteile verbundenen verkehrsfähigen Vermögensrechte – das Gewinnrecht sowie der Anspruch auf Liquidationsüberschuss – der Testamentsvollstreckung.3 Dieser eingeschränkte Umfang der Testamentsvollstreckung bedarf nach h.A. nicht der Zustimmung der Mitgesellschafter.4

4.121

Die sog. Innenseite des Gesellschaftsanteils hingegen unterliegt nach herrschender Ansicht nicht der Verfügungsgewalt des Testamentsvollstreckers, sondern – entgegen § 2211 BGB – derjenigen der Erben.5 Das Gesellschaftsrecht setzt sich insofern folglich gegenüber dem Erbrecht durch, und zwar gemäß BGH in erster Linie deshalb, weil der Testamentsvollstrecker ohne Zustimmung des Erben lediglich berechtigt ist, Verbindlichkeiten für den Nachlass einzugehen (§§ 2206 f. BGB), und die Erben ihre Haftung auf den Nachlass beschränken können (§§ 1967, 1973 f. BGB), ein persönlich haftender Gesellschafter nach dem unter Rz. 4.70 Ausgeführten aber notwendigerweise unbeschränkt persönlich für Gesellschaftsverbindlichkeiten haftet.6 Darüber hinaus wären vor dem Hintergrund des gesetzlichen Leitbildes der personalen Realstruktur von Personengesellschaften offenkundig auch die Interessen von Mitgesellschaftern von umfassenden Testamentsvollstreckerbefugnissen betroffen,7 wobei sich dieser Einwand allerdings aufgrund des Erfordernisses der Zustimmung der Mitgesellschafter zur Testamentsvollstreckung als nicht durchschlagend darstellt.8 Dem oder den Erben steht das sich aus dem Anteil ggf. ergebende Recht auf Geschäftsführung zu und überhaupt sind sie für sämtliche Handlungen zuständig, die zu einer persönlichen Haftung führen können.9

4.122

(3) Abfindungsanspruch als Gegenstand der Testamentsvollstreckung Unproblematisch ist hingegen der Fall, in dem lediglich ein Abfindungsanspruch aus einer gerade nicht in den Nachlass fallenden GbR-Beteiligung – etwa aufgrund einer rechtsgeschäft1 BGH v. 14.2.2012 – II ZB 15/11, DStR 2012, 866; LG Leipzig v. 13.5.2008 – 6 T 212/08, ZEV 2009, 96; Pauli in Bengel/Reimann, Hdb. Testamentsvollstreckung6, 5. Kap. Rz. 219. 2 BGH v. 14.5.1986 – IVa ZR 155/84, BGHZ 98, 48 (57); BGH v. 14.2.2012 – II ZB 15/11, DStR 2012, 866; v. Proff, DStR 2018, 415 (416 f.). 3 Vgl. BGH v. 12.1.1998 – II ZR 23/97, DStR 1998, 304; BGH v. 10.1.1996 – IV ZB 21/94, DStR 1996, 929 (930). 4 Vgl. Schäfer in MüKo7, § 705 BGB Rz. 116. 5 Vgl. BGH v. 14.2.2012 – II ZB 15/11, DStR 2012, 866 (867); BGH v. 10.1.1996 – IV ZB 21/94, DStR 1996, 929 (930); Übersicht der Rechtsprechung bei Kämper, RNotZ 2016, 625 (632 ff.). 6 Vgl. BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, BGHZ 108, 187 (195). 7 Vgl. BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, BGHZ 108, 187 (195). 8 Schäfer in MüKo7, § 705 BGB Rz. 111. 9 Vgl. BGH v. 14.2.2012 – II ZB 15/11, DStR 2012, 866 (867); BGH v. 10.1.1996 – IV ZB 21/94, DStR 1996, 929 (930).

Bochmann | 173

4.123

Kap. 4 Rz. 4.123 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

lichen Übertragung auf die Mitgesellschafter (Rz. 4.87) oder der Inkompatibilität von letztwilliger Verfügung und (qualifizierter) Nachfolgeklausel im Gesellschaftsvertrag – Gegenstand der Verfügungsmacht des Testamentsvollstreckers wird. Jegliche Interferenz zwischen Testamentsvollstrecker und innergesellschaftlichen Angelegenheiten ist dabei von vornherein ausgeschlossen, weshalb keine Bedenken im Hinblick auf die Zulässigkeit von Testamentsvollstreckung über diesen letztlich gewöhnlichen Anspruch vermögensrechtlicher Natur bestehen.1 (4) Gesellschaftsanteil an Liquidationsgesellschaft als Gegenstand der Testamentsvollstreckung

4.124

Wird eine Gesellschaft gem. § 727 Abs. 1 BGB durch den Tod eines Gesellschafters aufgelöst, fällt in den Nachlass, und damit in die Verwaltung des Testamentsvollstreckers, folglich nur eine Beteiligung an einer Liquidationsgesellschaft, ist der geschilderte Konflikt zwar nicht gänzlich ausgeräumt, da immerhin noch innergesellschaftliche Angelegenheiten wie etwa die bestmögliche Verwertung des Vermögens zu entscheiden sind, stellt sich jedoch als deutlich weniger gravierend als bei einer werbenden Gesellschaft dar. Der Zweck der Gesellschaft ist lediglich noch auf die Beendigung gerichtet, so dass zumindest keine langfristigen Entscheidungen zur Verwirklichung des ursprünglichen Gesellschaftszwecks zu treffen sind. Dementsprechend ist sowohl die Abwicklungs- als auch die Dauertestamentsvollstreckung über Anteile an Auflösungsgesellschaften höchstrichterlich bestätigt.2 (5) Ausnahme: Haftungsbeschränkter Gesellschaftsanteil

4.125

Eine Ausnahme von den skizzierten Grundsätzen – und damit die Zulässigkeit umfassender Dauertestamentsvollstreckung über einen GbR-Gesellschaftsanteil – wird teilweise für den Fall befürwortet, dass die Haftung eines Gesellschafters sowohl gesellschaftsvertraglich als auch durch (Individual-)Vereinbarung (s. Rz. 4.71) mit den Gesellschaftsgläubigern beschränkt ist, da sich der Konflikt zwischen § 2206 Abs. 1 Satz 1 BGB und dem Grundsatz unbeschränkter Gesellschafterhaftung (Rz. 4.56) dann nicht materialisieren könne.3 Voraussetzung einer derart weiten Testamentsvollstreckung wird aber auch dann die Zustimmung aller Mitgesellschafter sein, die in gleicher Weise wie die Zustimmung zur Nachfolge in den Gesellschaftsanteil von Todes wegen durch Beschluss ad hoc oder durch gesellschaftsvertragliche Vorkehrung erfolgen kann;4 die Zulässigkeit der Testamentsvollstreckung kann sich dabei auch konkludent aus einer gesellschaftsvertraglichen Nachfolgeklausel ergeben.5 Von einer derartigen Gestaltung kann jedoch nur abgeraten werden, da bereits völlig ungeklärt er-

1 BGH v. 25.2.1985 – II ZR 130/84, NJW 1985, 1953 (1954); BGH v. 24.11.1980 – II ZR 194/79, NJW 1981, 749. 2 BGH v. 14.5.1986 – IVa ZR 155/84, BGHZ 98, 48 (58); vgl. Schäfer in MüKo7, § 727 BGB Rz. 22. 3 Vgl. Kämper, RNotZ 2016, 625 (635 f.). 4 Schäfer in MüKo7, § 705 BGB Rz. 115; Zimmermann in MüKo8, § 2205 BGB Rz. 34; vgl. BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225 (241); BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, BGHZ 108, 187 (191), sowie BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, BGHZ 108, 187 (195) zur Zustimmungspflichtigkeit umfassender Testamentsvollstreckung an Kommanditanteilen (vgl. noch unter Rz. 4.187), wobei für den GbR-Gesellschaftsanteil, wenn umfassende Testamentsvollstreckung zulässig sein soll, nichts anderes gelten kann. 5 Vgl. Zimmermann in MüKo7, § 2205 BGB Rz. 34, insbesondere auch zu den Schranken der Ableitung der Zulässigkeit von Testamentsvollstreckung aus Nachfolgeklauseln.

174 | Bochmann

B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.129 Kap. 4

scheint, wie sich eine permanente Haftungsbegrenzung gegenüber sämtlichen Gläubigern der Gesellschaft sicherstellen lassen soll. Abschließend ist hervorzuheben, dass die Differenzierung zwischen Innen- und Außenseite durchaus keine trennscharfe ist und insofern stets erhebliche Unsicherheiten bestehen,1 welche es nahelegen, die Einsetzung eines Testamentsvollstreckers durch nachfolgende Maßnahmen zumindest zu flankieren, wobei in jedem Falle mindestens an die Zulassung der Testamentsvollstreckung im Gesellschaftsvertrag oder zumindest an einen entsprechenden Adhoc-Beschluss zu denken ist.

4.126

hh) Alternativen und Begleitmaßnahmen zur Testamentsvollstreckung (1) Vollmachtlösung Als gesellschaftsrechtliche Gestaltungsoptionen zur Überwindung der geschilderten Beschränkungen im Hinblick auf die Verfügungsgewalt eines Testamentsvollstreckers an GbRGesellschaftsanteilen stehen die folgenden zur Verfügung, die von der Praxis breitflächig genutzt werden, deren Zulässigkeit jedoch bislang nicht höchstrichterlich bestätigt wurde. In Anbetracht der Tatsache, dass die nachfolgenden Gestaltungsoptionen gerade die genannten zwingenden gesellschaftsrechtlichen Beschränkungen umgehen sollen, lassen sich ohne eine solche Klärung Restzweifel2 an ihrer Belastbarkeit nicht endgültig ausräumen.

4.127

Bei der sog. Vollmachtlösung erteilt entweder der Erblasser dem Testamentsvollstrecker eine umfassende postmortale Vollmacht zur Wahrnehmung sämtlicher Rechte – d.h. auch derjenigen, die der „Innenseite“ zuzuordnen sind – aus der in Rede stehenden Beteiligung oder verpflichtet den oder die Erben durch Bedingung (§§ 2074 ff. BGB) oder Auflage (§§ 1940, 2192 ff. BGB), den Testamentsvollstrecker mit einer entsprechenden Vollmacht auszustatten oder eine bereits erteilte postmortale Vollmacht zu bestätigen.3

4.128

Auch die Vollmachtlösung soll der Zustimmung sämtlicher Mitgesellschafter bedürfen, sei es ad hoc oder durch gesellschaftsvertragliche Regelung,4 da sie im Ergebnis eine Situation schaffe, wie sie bei umfassender Testamentsvollstreckung an Innen- und Außenseite des GbR-Gesellschaftsanteils bestünde, die, da sie die Interessen der Mitgesellschafter tangiert, ebenfalls deren Zustimmung bedürfte (Rz. 4.125). Dem ist schon deshalb zuzustimmen, weil von einer umfassenden Vollmacht höchstpersönlich wahrzunehmende Gesellschafterrechte wie das Recht auf Geschäftsführung betroffen sind und selbst die Erteilung von Stimmrechtsvollmachten im Personengesellschaftsrecht – anders als im Kapitalgesellschaftsrecht – nach allgemeinen Grundsätzen der Zustimmung der Mitgesellschafter5 bedarf.6 Ist im Gesellschaftsvertrag Testamentsvollstreckung ohne Einschränkung zugelassen, wird sich – auch wenn damit allein die Testamentsvollstreckung an der Innenseite des Gesellschaftsanteils gerade nicht zulässig werden würde (Rz. 4.122) – hieraus jedoch typischerweise auch die kon-

4.129

Vgl. Weidlich in Palandt79, § 2205 BGB Rz. 12. Vgl. hierzu Kämper, RNotZ 2016, 625 (642 f.); Zimmermann in MüKo8, Vor § 2197 BGB Rz. 20. v. Proff, DStR 2018, 415 (419); M. Schmidt in Erman15, § 2205 BGB Rz. 22, 30. Zimmermann in MüKo8, § 2205 BGB Rz. 38; Bommert, BB 1984, 178 (183). Vgl. RGZ v. 12.2.1929 – II 295/28, RGZ 123, 289 (299); OLG München v. 7.3.2012 – 7 U 3453711, BeckRS 2012, 5719; Lieder in Oetker6, § 119 HGB Rz. 17; Westermann in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, Rz. 490 f.; Schubert in MüKo8, § 164 BGB Rz. 93. 6 Vgl. auch Schäfer, ZHR 175 (2011), 557 (567 f.) zur parallelen Problematik bei Vorsorgevollmachten.

1 2 3 4 5

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Kap. 4 Rz. 4.129 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

kludente Zustimmung der Gesellschafter zu einer Vollmachterteilung ableiten lassen. Zur Vermeidung von Unklarheiten empfiehlt es sich, auch die Erteilung umfassender (postmortaler) Vollmacht zu gestatten; diese Gestattung kann zudem mit einem Hinweis verbunden werden, dass den Gesellschaftern, die Testamentsvollstreckung anzuordnen beabsichtigen, empfohlen wird, diese Anordnung durch die Vollmachtlösung zu flankieren.

4.130

Die Vollmachtlösung weist jedoch eine Reihe von praktischen und rechtlichen Unzulänglichkeiten auf. Eine besteht darin, dass die Erteilung – sei es eine durch den Erblasser oder den Erben – einer den Rechtsinhaber verdrängenden Vollmacht nach allgemeinen Grundsätzen ausgeschlossen ist,1 der Erbe die Rechte aus dem Gesellschaftsanteil folglich auch selbst – und zwar in den Testamentsvollstrecker als Bevollmächtigten verdrängender Weise – geltend machen kann, soweit sie nicht der Verfügungsmacht des Testamentsvollstreckers als solchem unterliegen.2 Außerdem ist eine Vollmacht in jedem Falle aus wichtigem Grund widerrufbar,3 so dass die Erben jenseits des erbrechtlichen Instrumentariums (vgl. §§ 2227, 2216 BGB) auch im Wege des Vollmachtentzugs gegen den Testamentsvollstrecker vorgehen könnten. Schließlich ist die Vollmachtlösung potentiell streitanfällig, da es sich um keinen selbstvollziehenden Mechanismus handelt, sondern der Erbe ggf. auf Erteilung der Vollmacht in Anspruch genommen und notfalls verklagt werden muss.4

4.131

Zudem werden mit Blick auf § 2206 Abs. 1 BGB grundsätzliche Zweifel an der Vollmachtlösung in der Spielart der Erzwingung einer entsprechenden Vollmacht durch den Erben mittels erbrechtlicher Instrumente (Auflage, Bedingung) artikuliert:5 § 2206 BGB bildet das korrektiv zur Verfügungsmacht des Testamentsvollstreckers über fremde Rechte, indem Abs. 1 die Verpflichtungsbefugnis des Testamentsvollstreckers auf den Nachlass beschränkt und Abs. 2 klarstellt, dass der Erbe berechtigt ist, nach den allgemeinen Vorschriften seine Haftung auf den Nachlass zu beschränken (vgl. §§ 1975 ff. BGB), im Ergebnis also nicht mit seinem Privatvermögen für Verbindlichkeiten, die der Testamentsvollstrecker begründet hat, haften muss. Durch die Vollmachtlösung bei gleichzeitig angeordneter Testamentsvollstreckung wird diese Möglichkeit der Haftungsbeschränkung aber konterkariert, da eine rechtsgeschäftliche Vollmacht nach allgemeinen Grundsätzen dazu führt, dass der Testamentsvollstrecker auch Verpflichtungen zu Lasten des Erben selbst begründen kann.6 Eine zur Unwirksamkeit führende Sittenwidrigkeit gem. § 138 BGB dürfte in der damit begründeten Struktur, bei der Testamentsvollstreckerbefugnisse und damit korrespondierende Haftung des oder der Erben dauerhaft auseinanderfallen, aber regelmäßig gleichwohl nicht zu erblicken sein, da die vollmachtbasierten Befugnisse des Testamentsvollstreckers aufgrund der dargelegten Defizite gerade weniger stark sind als die in §§ 2205 ff. BGB begründeten. (2) Treuhandlösung

4.132

Ein weiteres kautelarjuristisches Substitut zur Testamentsvollstreckung an GbR-Gesellschaftsanteilen und zugleich eine Alternative zur Vollmachtlösung, die deren Unzulänglichkeiten 1 2 3 4 5

Reimann in Staudinger, 2016, § 2205 BGB Rz. 154. Reimann in Staudinger, 2016, § 2205 BGB Rz. 175. Kämper, RNotZ 2016, 625 (641). Zimmermann in MüKo8, Vor § 2197 BGB Rz. 20. Reimann in Staudinger, 2016, § 2205 BGB Rz. 154; Kämper, RNotZ 2016, 625 (641 f.); Ulmer, ZHR 146 (1982), 555 (573); vgl. auch Zimmermann in MüKo8, Vor § 2197 BGB Rz. 20. 6 Grigas, BWNotZ 2002, 25 (27, 31); Kämper, RNotZ 2016, 625 (641); vgl. auch Zimmermann in MüKo8, Vor § 2197 BGB Rz. 20.

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B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.134 Kap. 4

weitgehend vermeidet – dafür aber andere aufweist –, besteht in der sog. Treuhandlösung. Bei dieser wird der Testamentsvollstrecker treuhänderischer Vollrechtsinhaber des in Rede stehenden Gesellschaftsanteils, d.h. der Treuhänder selbst wird Gesellschafter, hält den Gesellschaftsanteil jedoch für Rechnung des Erben.1 Die mit der Gesellschafterstellung des Testamentsvollstreckers verbundenen umfassenden Rechte bedingen auch umfassende Gesellschafterpflichten, allen voran die unbeschränkte persönliche Haftung für Gesellschaftsschulden (Rz. 4.70). Wenngleich der Testamentsvollstrecker-Treuhänder aufgrund des zwischen ihm und dem Erben bestehenden Auftragsverhältnisses Anspruch auf Freihaltung bzw. Aufwendungsersatz hat (§ 670 BGB),2 stellen die Unwägbarkeiten der persönlichen Haftung praktisch eine erhebliche Hürde für die Treuhandlösung dar. Dies gilt vor allem deshalb, weil der Erbe seinerseits seine Haftung gegenüber dem Testamentsvollstrecker auf den Nachlass beschränken kann.3 Dass die (treuhänderische) Übertragung des Gesellschaftsanteils auf den Testamentsvollstrecker der Zustimmung der übrigen Gesellschafter bzw. einer gesellschaftsvertraglichen Grundlage bedarf, ergibt sich bereits aus den allgemeinen Grundsätzen zur Übertragbarkeit von Gesellschaftsanteilen (Rz. 4.66). (3) Weisungsgeberlösung Schließlich steht als Alternative zur Testamentsvollstreckung die sog. Weisungsgeberlösung zu Gebote.4 Der Erbe folgt dabei als Gesellschafter in den Gesellschaftsanteil des Erblassers nach und verfügt damit selbst über sämtliche damit verbundenen Gesellschafterrechte, ist aber durch eine Auflage dahin beschwert, dass er im Hinblick auf die Ausübung der Gesellschafterrechte Weisungen des Testamentsvollstreckers (§ 2208 Abs. 2 BGB) unterliegt.5 Diese Gestaltungsvariante kann sich auch auf sämtliche Gesellschafterrechte – mithin auf die Innenund Außenseite der Beteiligung – beziehen und bedarf grundsätzlich nicht der Zustimmung der übrigen Gesellschafter.6

4.133

3. Offene Handelsgesellschaft a) Grundzüge aa) Betrieb eines Handelsgewerbes oder einer Vermögensverwaltung mit Eintragung im Handelsregister Die offene Handelsgesellschaft unterscheidet sich von der GbR im Ausgangspunkt darin, dass entweder ihr Zweck auf den Betrieb eines Handelsgewerbes gerichtet ist (§ 105 Abs. 1 HGB) oder sie unter ihrer Firma im Handelsregister als solche eingetragen ist und entweder einen Gewerbebetrieb (sog. Kleingewerbe) betreibt (§ 105 Abs. 2 Satz 1 Var. 1 HGB) oder nur eigenes Vermögen verwaltet (§ 105 Abs. 2 Satz 1 Var. 2 HGB). Der Unterschied ist folglich zum einen ein gradueller, und zum anderen vollzieht sich der Übergang von der GbR zur oHG i.S.v. § 105 Abs. 1 HGB von Gesetzes wegen und automatisch: Sobald eine bereits exis1 Schäfer in MüKo7, § 705 BGB Rz. 110 f. 2 Weidlich in Palandt79, § 2205 BGB Rz. 13 i.V.m. 8; Zimmermann in MüKo8, § 2205 BGB Rz. 28; Kämper, RNotZ 2016, 625 (641). 3 Vgl. Weidlich in Palandt79, § 2205 BGB Rz. 13 i.V.m. 8; Zimmermann in MüKo8, § 2205 BGB Rz. 28; Kämper, RNotZ 2016, 625 (641). 4 Reimann in Staudinger, 2016, § 2205 BGB Rz. 157; Kämper, RNotZ 2016, 625 (642). 5 Weidlich, ZEV 1998, 339 (341); Reimann in Staudinger, 2016, § 2205 BGB Rz. 157; Kämper, RNotZ 2016, 625 (642). 6 Kämper, RNotZ 2016, 625 (642).

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4.134

Kap. 4 Rz. 4.134 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

tierende Gesellschaft i.S.d. §§ 705 ff. BGB ein Handelsgewerbe betreibt, wird sie oHG.1 Die Eintragung unter gemeinschaftlicher Firma im Handelsregister ist hierfür keine Voraussetzung; vielmehr ist die Pflicht zur Eintragung im Handelsregister gem. § 106 Abs. 1 HGB Konsequenz der Existenz einer offenen Handelsgesellschaft.2

4.135

Im Falle der Neugründung einer oHG wird diese ausweislich § 123 Abs. 1 HGB im Verhältnis zu Dritten in jedem Falle in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie im Handelsregister eingetragen wird. Ist sie auf den Betrieb eines Handelsgewerbes gerichtet – liegt also kein Fall einer oHG i.S.v. § 105 Abs. 2 HGB vor –, beginnt die oHG bereits im Zeitpunkt des Geschäftsbeginns, wozu auch bereits Vorbereitungshandlungen im Hinblick auf das intendierte Handelsgewerbe gehören.3

4.136

Auch die Gründung der oHG und spätere Änderungen des Gesellschaftsvertrags unterliegen (wie bei der GbR; vgl. Rz. 4.61) grundsätzlich keinen Formvorschriften, insbesondere nicht der notariellen Beurkundung, soweit im Gesellschaftsvertrag nicht formbedürftige Verpflichtungen wie etwa zur Einbringung von Grundbesitz oder GmbH-Geschäftsanteilen eingegangen werden. bb) Organisationsverfassung

4.137

Anders als bei der GbR und der KG ist nach dem gesetzlichen Leitbild jeder Gesellschafter einzelgeschäftsführungsbefugt (§ 114 Abs. 1 HGB)4 und einzelvertretungsberechtigt (§ 125 Abs. 1 HGB).5 Es gilt auch insofern das Prinzip der Selbstorganschaft, jedoch wiederum einerseits mit der Freiheit, die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse der Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag auszugestalten – insbesondere durch verschiedentliche Variationen der Gesamtgeschäftsführung/Gesamtvertretung –, und zum anderen mit der Möglichkeit, Dritte auf rechtsgeschäftlichem Wege mit Geschäftsführungs-/Vertretungsaufgaben zu betrauen (vgl. bereits Rz. 4.64). Für Letzteres steht der oHG als Personenhandelsgesellschaft insbesondere die in ihrem Umfang gesetzlich vordefinierte und im Handelsregister eintragbare (und einzutragende) Prokura gem. §§ 48 ff. HGB zur Verfügung.

4.138

Die Befugnis zur Geschäftsführung erstreckt sich auf alle Handlungen, die der Betrieb des Handelsgewerbes der Gesellschaft mit sich bringt (§ 116 Abs. 1 HGB). Zur Vornahme außergewöhnlicher Maßnahmen ist jedoch ein Gesellschafterbeschluss erforderlich, der nach dem gesetzlich vorgezeichneten Normalstatut der oHG einstimmig zu fassen ist (§ 116 Abs. 2, § 119 Abs. 1 HGB). Sieht der Gesellschaftsvertrag Mehrheitsentscheidungen vor, so ist gem. § 119 Abs. 2 HGB nach Köpfen abzustimmen. Die Gewinn- und Verlustverteilung orientiert sich nach § 121 HGB am variablen „Kapitalanteil“ jedes Gesellschafters. Die vorbezeichneten Bestimmungen sind durchweg dispositiv und verlangen in Anbetracht ihrer Holzschnittartigkeit jedenfalls dann, wenn die Gesellschaft mehr als zwei Gesellschafter hat, regelmäßig nach individueller gesellschaftsvertraglicher Modifikation. Hierfür bietet sich das auch bei Kommanditgesellschaften typischerweise praktizierte Modell von Mehrheitsentscheidungsklauseln6 sowie Festkapital- und variablen Kapitalkonten an, wobei die Gewinn- und Verlustbetei1 2 3 4 5 6

Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 46 I 1 c aa. Langhein in MüKo4, § 106 HGB Rz. 1. BGH v. 19.2.1990 – II ZR 42/89, WM 1990, 586; BGH v. 13.5.2004 – 5 StR 73/03, ZIP 2004, 1208. Roth in Baumbach/Hopt39, § 114 HGB Rz. 4. Roth in Baumbach/Hopt39, § 125 HGB Rz. 10. Hierzu grundlegend BGH v. 15.1.2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283; BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77.

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B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.142 Kap. 4

ligung sowie die Stimmrechte eines jeden Gesellschafters sich nach dem jeweils gesellschaftsvertraglich definierten Festkapitalkonto des Gesellschafters richten.1 cc) Finanz- und Haftungsverfassung Von der Kommanditgesellschaft (und der GbR) unterscheidet die oHG sich in der Ausgestaltung der Gesellschafterrechte- und -pflichten: Während in der KG die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung – mit damit einhergehenden gesetzlichen Beschränkungen der Mitverwaltungsrechte (Rz. 4.161) – besteht, haften in der oHG sämtliche Gesellschafter gemäß den bereits unter Rz. 4.70 skizzierten Grundsätzen, d.h. akzessorisch, persönlich, primär und unbeschränkt (§ 128 HGB).

4.139

ee) Handelsregisterpublizität Eine Gesellschaft, die ein Kleingewerbe betreibt oder nur eigenes Vermögen verwaltet (§ 105 Abs. 2 HGB), kann, eine Gesellschaft, deren Zweck auf den Betrieb eines Handelsgewerbes gerichtet ist (§ 105 Abs. 2 HGB), muss zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet werden.2 Einzutragen sind der Gesellschafterbestand einschließlich Name, Geburtsdatum und Wohnort jedes Gesellschafters, Firma, Sitz und inländische Geschäftsanschrift der Gesellschaft sowie die Vertretungsmacht der Gesellschafter (§ 106 HGB); auch spätere Änderungen dieser Umstände sind zur Eintragung ins Handelsregister anzumelden (§ 107 HGB).

4.140

Neben diesen punktuellen Publizitätserfordernissen besteht keine allgemeine Publizität im Hinblick auf den Inhalt des Gesellschaftsvertrags. Nicht zuletzt deshalb, weil dieser keinem Formerfordernis unterliegt (Rz. 4.136), insbesondere also nicht verschriftlicht als einheitliches Dokument vorliegen muss, besteht auch keine Pflicht (oder auch nur Möglichkeit), den Gesellschaftsvertrag – wie bei der GmbH (vgl. § 8 Abs. 1 Nr. 1, § 54 Abs. 1 Satz 2 GmbHG) – zum Handelsregister einzureichen. Die weitgehenden Gestaltungsmöglichkeiten im Recht der oHG können folglich weitgehend unbeobachtet von der Öffentlichkeit genutzt werden. Insbesondere die Höhe der wirtschaftlichen Beteiligung an einer Gesellschaft sowie die Verteilung von Gewinn und Verlust in der oHG werden damit jedenfalls im Handelsregister nicht offengelegt.3

4.141

ff) Transparenzregisterpublizität Die offene Handelsgesellschaft als eingetragene Personengesellschaft (vgl. § 20 Abs. 1 Satz 1 GwG) sowie ihre Gesellschafter (§ 20 Abs. 3 Satz 1 GwG) unterliegen den Angabe- und Mitteilungspflichten der §§ 19 ff. GwG im Hinblick auf das Transparenzregister.4 Ist die oHG ordnungsgemäß im Handelsregister eingetragen (Rz. 4.140), dürften sie und ihre Gesellschafter jedoch stets vollumfänglich von der sog. Meldefiktion profitieren und damit im Ergebnis weder zu Angaben der Gesellschafter gegenüber der oHG noch zu Mitteilungen der oHG an das Transparenzregister veranlasst sein. Sind die wirtschaftlich Berechtigten einer Gesellschaft

1 Vgl. Heckschen in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, V. Teil, Muster M1 § 9. 2 Born in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 106 HGB Rz. 4 f. 3 Born in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 106 HGB Rz. 21. 4 Vgl. Seibert/Bochmann/Cziupka, GmbHR 2017, 1128; Bochmann, DB 2017, 1310 (1310 f.); Bochmann in FS Seibert, 2019, S. 107 (109); Longrée/Pesch, NZG 2017, 1081.

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4.142

Kap. 4 Rz. 4.142 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

nämlich bereits mit den von § 19 Abs. 1 GwG geforderten Angaben zu Vor- und Nachname, Geburtsdatum, Wohnort sowie Art und Umfang des wirtschaftlichen Interesses aus dem Handelsregister ersichtlich, erübrigt sich eine entsprechende Mitteilung an das Transparenzregister (§ 20 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 GwG) und damit auch Angaben der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft (§ 20 Abs. 4 GwG). Die Anforderungen von Handelsregister (§ 106 Abs. 2 Nr. 1 HGB) und Transparenzregister an die personenbezogenen Daten der Gesellschafter/wirtschaftlich Berechtigten sind identisch, so dass ordnungsgemäße Handelsregisterpublizität die Transparenzregisterpublizität ersetzt. Auch die von § 19 Abs. 1 Nr. 4 GwG geforderte Angabe zu Art und Umfang des wirtschaftlichen Interesses dürfte mit der Eintragung als Gesellschafter einer oHG als solcher stets erfüllt sein. Dies gilt auch dann, wenn – wie in der Praxis aufgrund von Mehrheitsklauseln und festen Kapitalanteilen häufig der Fall (Rz. 4.138) – die kapitalmäßige und ggf. stimmenmäßige Beteiligung eines Gesellschafters von dem Regelstatut der §§ 115, 119, 121 HGB abweicht. Denn eine präzise Spezifizierung der kapital- und/oder stimmenmäßigen Beteiligung verlangt § 19 Abs. 1 Nr. 4 GwG gerade nicht, und die Charakterisierung als wirtschaftlich Berechtigter i.S.v. § 19 Abs. 2 Satz 1, § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GwG ergibt sich bereits aus der Position als persönlich haftender Gesellschafter. gg) Tatsächliche Erscheinungsformen

4.143

Die Erscheinungsformen der oHG sind entsprechend der skizzierten zulässigen Zwecke (Rz. 4.134) potentiell vielfältig. Ihre tatsächliche Verbreitung ist gleichwohl deutlich geringer als diejenige der Rechtsformen der (GmbH & Co.) KG sowie der GmbH.1 Grund hierfür ist die unbeschränkte persönliche Haftung der Gesellschafter, die gerade im Falle des Betriebs eines Handelsgewerbes (anders als etwa bei bestimmten Formen der Vermögensverwaltung, in denen das Verlustrisiko praktisch auf die Einlage begrenzt ist) besonders riskant ist und Rechtsformen mit der Möglichkeit der Beschränkung der Gesellschafterhaftung attraktiver erscheinen lassen. Da mit der Kommanditgesellschaft, insbesondere in der Variante der GmbH & Co. KG, eine Rechtsform zur Verfügung steht, die aufgrund der Parallelität ihrer Voraussetzungen jedenfalls aus gesellschaftsrechtlicher Perspektive stets als Alternative zur oHG zur Verfügung steht und persönliche Haftung auf bestimmte Gesellschafter eingrenzt oder de facto sogar ganz vermeidet, sollte bei der Nachfolgeplanung (zum Nachfolgefall selbst Rz. 4.151 ff.) stets auch der Wechsel in diese Rechtsform (vgl. auch noch Rz. 4.146 ff.) erwogen werden. b) Gestaltungsherausforderungen im Nachfolgekontext aa) Tod eines Gesellschafters und Nachfolgeklauseln

4.144

Anders als bei der GbR (Rz. 4.81) zieht das Ableben eines oHG-Gesellschafters nicht die Auflösung der Gesellschaft nach sich. Vielmehr ordnet § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 HGB an, dass der Tod eines Gesellschafters zu seinem Ausscheiden aus der Gesellschaft führt. Diese wird im Übrigen grundsätzlich von den verbleibenden Gesellschaftern fortgesetzt, was auch bedeutet, dass Erben des Verstorbenen nicht in die Gesellschaft eintreten.2 Gem. § 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 738 Abs. 1 Satz 1 BGB wächst der Anteil des verstorbenen Gesellschafters am Gesellschaftsvermögen – richtigerweise: seine Beteiligung an der Gesellschaft als solche – den ver1 Vgl. Kornblum, GmbHR 2019, 689 (690). 2 Roth in Baumbach/Hopt39, § 131 HGB Rz. 34; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 131 HGB Rz. 41.

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B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.146 Kap. 4

bleibenden Gesellschaftern an.1 Der oder die Erben erhalten den sich mit dem Ausscheiden ergebenden Abfindungsanspruch gem. § 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB2 und haften für die im Zeitpunkt des Erbfalls begründeten Gesellschaftsverbindlichkeiten gem. §§ 128, 160 HGB (dazu bereits Rz. 4.92), wobei einerseits die Möglichkeit der erbrechtlichen Haftungsbeschränkung nach §§ 1975 ff. BGB (Rz. 4.131 ff.)3 und andererseits der gesellschaftsrechtlichen Haftungsbeschränkung gem. § 139 Abs. 4, § 160 Abs. 3 HGB besteht (vgl. Rz. 4.146 ff.).

Wenngleich sich mit § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 HGB der Gestaltungsaufwand erübrigt, der bei der GbR erforderlich ist, um ihre Fortsetzung überhaupt sicherzustellen, ist auch bei der nach dem gesetzlichen Regelstatut verfassten oHG nicht gewährleistet, dass und wie eine Nachfolge in die Beteiligung eines Erblassers gelingen kann. Auch in der oHG sind bei der Nachfolgeplanung deshalb gesellschaftsrechtliche Nachfolgeklauseln zu erwägen. Für diese gelten die zur GbR geschilderten Grundsätze (Rz. 4.84 ff., 4.87); bezüglich der Herausforderung der Verzahnung von Gesellschaftsvertrag und letztwilliger Verfügung ist auf die Ausführungen in Rz. 4.84 ff., 4.87 zu verweisen. Insbesondere werden mehrere Erben, die auch von der Nachfolgeklausel erfasst sind, wie bei der GbR in Abweichung von § 2032 Abs. 1 BGB jeweils entsprechend ihrer Miterbenquote Gesellschafter, d.h. die Beteiligung fällt nicht in die Erbengemeinschaft, sondern teilt sich gewissermaßen auf die gemäß der Nachfolgeklausel berechtigten Erben auf (Rz. 4.88 ff.).4

4.145

bb) Umwandlung der Beteiligung durch Erben in Kommanditanteil (1) Problemaufriss Enthält der Gesellschaftsvertrag eine Nachfolgeklausel und wird ein Erbe auf deren Grundlage Gesellschafter der oHG, sieht das Gesetz über die Möglichkeiten der erbrechtlichen Haftungsbeschränkung hinaus folgende Möglichkeit der Beschränkung der Haftungsexposition des Nachfolgers vor: Nach § 139 Abs. 1 HGB kann, wenn der Gesellschaftsvertrag eine Nachfolgeklausel vorsieht und ein oder mehrere Erben aufgrund dessen Gesellschafter der oHG werden, jeder Erbe sein Verbleiben in der Gesellschaft davon abhängig machen, dass ihm – durch (Gesellschafts-)Vertrag mit den Mitgesellschaftern5 – unter Belassung des bisherigen Gewinnanteils die Stellung eines Kommanditisten eingeräumt und der auf ihn entfallende Teil der Einlage des Erblassers als Kommanditeinlage anerkannt bzw. umgebucht wird.6 Diese Regelung ist Ausdruck der gesetzgeberischen Grundsatzentscheidung, dass einem Erben die Übernahme eines mit unbeschränkter Haftung verbundenen Gesellschaftsanteils nicht zugemutet werden kann, da die unmittelbar beim Erben mit Eintritt in die Gesellschafterstellung entstehende gesellschaftsrechtliche Haftung (§ 128 HGB) – und zwar auch für Altverbindlichkeiten (§ 130 HGB) – anders als die ererbte gesellschaftsrechtliche Haftung des Erblassers keine Nachlassverbindlichkeit darstellt und deshalb die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung gem. §§ 1975 ff. BGB (dazu Rz. 4.149) insofern leerläuft.7 Wenn er den Gesellschaftsanteil Saenger in Schulze9, § 738 BGB Rz. 2 f. Saenger in Schulze9, § 738 BGB Rz. 5. Roth in Baumbach/Hopt39, § 131 HGB Rz. 34. BGH v. 22.11.1956 – II ZR 222/55, BGHZ 22, 186 (192); BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, BGHZ 108, 187 (192), Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 13, 18; Schäfer in Staub5, § 139 HGB Rz. 45 f. 5 Roth in Baumbach/Hopt39, § 131 HGB Rz. 39. 6 Überblick bei Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 5. 7 Vgl. Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 5, sowie Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/ Haas5, § 139 HGB Rz. 23. 1 2 3 4

Bochmann | 181

4.146

Kap. 4 Rz. 4.146 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

übernimmt, soll er deshalb nicht schlechter stehen, als er im Falle des Ausscheidens gem. § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 HGB – d.h. ohne Fortsetzungsklausel – oder als Erbe einer Kommanditbeteiligung stünde.1 (2) Wahlrecht des Erben

4.147

Der Erbe hat sein Wahlrecht innerhalb von drei Monaten nach dem Zeitpunkt, in welchem er von dem Anfall der Erbschaft Kenntnis erlangt hat, geltend zu machen (§ 139 Abs. 3 Satz 1 HGB); es besteht mangels Schutzbedürftigkeit jedoch von vornherein nicht, wenn er bereits vor dem Erbfall selbst als persönlich haftender Gesellschafter beteiligt war.2 Wie § 139 Abs. 2 HGB deutlich zeigt, besteht aber grundsätzlich kein Anspruch auf Umwandlung der Beteiligung in eine Kommanditbeteiligung (zu Gestaltungsvarianten noch Rz. 4.151).3 Vielmehr haben hierüber die übrigen Gesellschafter zu entscheiden, und zwar – vorbehaltlich anderweitiger gesellschaftsvertraglicher Bestimmungen – einstimmig.4 Aufgrund der Sonderrechtsnachfolge in den Anteil (Rz. 4.88 ff., 4.145) kann jeder Erbe, der Gesellschafter geworden ist, das Recht nach § 139 Abs. 1 HGB jeweils für sich ausüben,5 und auch die Gesellschafter können die Entscheidung nach § 139 Abs. 2 HGB gegenüber jedem Erben unabhängig voneinander und damit unterschiedlich treffen.6 (3) Verweigerung der Beteiligungsumwandlung: Erbe bleibt persönlich haftender Gesellschafter

4.148

Im Falle der Verweigerung der Beteiligungsumwandlung steht der Erbe vor der Wahl: Er kann den Anteil so, wie er ihn geerbt hat, behalten, also die Rolle als persönlich haftender Gesellschafter annehmen. In diesem Fall gelten die allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Haftungsregeln. Der Erbe haftet für die vor dem Erbfall begründeten Verbindlichkeiten als neu eintretender Gesellschafter gem. § 130 HGB und für die ab dem Zeitpunkt seines Eintritts neu entstehenden Verbindlichkeiten gem. § 128 HGB persönlich und unbeschränkt.7 Da es sich dabei um eine originär aus der Gesellschafterstellung erwachsende eigene gesellschaftsrechtliche Haftung handelt, kommt eine Haftungsbeschränkung gem. §§ 1975 ff. BGB nicht in Betracht.8 (4) Verweigerung der Beteiligungsumwandlung: Erbe scheidet aus der Gesellschaft aus

4.149

Alternativ kann der Erbe gem. § 139 Abs. 2, Abs. 3 HGB ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist innerhalb von drei Monaten nach dem Zeitpunkt, zu dem er von dem Anfall der Erbschaft Kenntnis erlangt, sein Ausscheiden aus der Gesellschaft erklären. Er kann dann nach

1 Vgl. Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 5. 2 Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 65. 3 Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 139 HGB Rz. 96; Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 5, 137. 4 Roth in Baumbach/Hopt39, § 139 HGB Rz. 39. 5 BGH v. 21.12.1970 – II ZR 258/67, BGHZ 55, 267 = NJW 1971, 1268 (1268 f.); Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 5. 6 Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 5; Roth in Baumbach/Hopt39, § 139 HGB Rz. 39. 7 Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 108. 8 Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 108.

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B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.150 Kap. 4

den allgemeinen Regelungen zum Ausscheiden aus der Gesellschaft seinen Abfindungsanspruch (§ 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB; dazu bereits Rz. 4.105) geltend machen1 und haftet wie folgt: Für die Haftung des Erblassers gem. § 128 HGB zum Zeitpunkt des Erbfalls hat der Erbe nach allgemeinen erbrechtlichen Vorschriften der §§ 1967 ff. BGB einzustehen; er kann diese ererbte Haftung folglich auf den Nachlass beschränken (§§ 1975 ff. BGB).2 Dieses erbrechtliche Haftungsprivileg als solches nützt dem Erben jedoch (vorbehaltlich des § 139 Abs. 4 HGB) deshalb im Ausgangspunkt nichts, weil in dem Augenblick, in dem er Gesellschafter wird, in seiner Person unmittelbar eine vom Haftungsumfang des Erblassers unabhängige eigene gesellschaftsrechtliche Haftung für – vom Zeitpunkt des Eintritts in die Gesellschafterstellung aus betrachtet – sämtliche Alt- und Neuverbindlichkeiten der Gesellschaft gem. §§ 128, 130 HGB entsteht (vgl. bereits Rz. 4.146). An dieser einmal entstandenen eigenen Haftung vermag auch ein rascher Austritt des Erben aus der Gesellschaft nichts zu ändern; einzig die Vorschriften zur zeitlich – aber gerade nicht umfänglich auf den Nachlass – beschränkten Nachhaftung (§ 160 Abs. 1 HGB) stünden insofern zu Gebote. Diese umfassende eigene gesellschaftsrechtliche Haftung des Erben gem. §§ 128, 130 HGB beseitigt § 139 Abs. 4 HGB im Falle des fristgerechten Austritts des Erben rückwirkend und komplett; die einzige Erschwernis gegenüber einem Ausscheiden bereits im Zeitpunkt des Erbfalls besteht für den Erben darin, dass der Erbe auch für die zwischen dem Erbfall und seinem späteren – innerhalb der Drei-Monats-Frist erfolgenden – tatsächlichen Ausscheiden haftet, aber im Sinne des § 139 Abs. 4 HGB konsequenterweise eben nicht unbeschränkt wie ein Gesellschafter, sondern so, als handelte es sich auch bei dieser Haftung um eine lediglich ererbte Haftung, d.h. insbesondere mit der Möglichkeit der Beschränkung gem. §§ 1975 ff. BGB.3 Voraussetzung für das Eingreifen dieses Privilegs ist allein das Ausscheiden innerhalb der Frist des § 139 Abs. 3 HGB, nicht auch, dass dieses gerade deshalb erfolgte, weil die Mitgesellschafter ein Umwandlungsersuchen negativ beschieden haben;4 auch ein einvernehmliches Ausscheiden durch Vereinbarung (statt durch einseitige Erklärung) führt zur Privilegierung.5 Dass für Gesellschaftsverbindlichkeiten, die nach dem Ausscheiden begründet werden, keinerlei Haftung besteht, ist letztlich eine Selbstverständlichkeit.6 Für die hinterlassene Haftung des Erblassers gem. § 128 HGB, für die der Erbe gem. § 1967 BGB einzustehen hat, gelten unabhängig von der Beschränkbarkeit gem. §§ 1975 ff. HGB die zeitlichen Grenzen der Nachhaftung gem. § 160 Abs. 1 HGB;7 dies ist letztlich Konsequenz der intendierten Gleichstellung mit der Situation beim sofortigen Ausscheiden im Todeszeitpunkt des Erblassers (vgl. bereits Rz. 4.146). (5) Zustimmung zur Beteiligungsumwandlung: Erbe wird Kommanditist Wird der Erbe fristgerecht gem. § 139 Abs. 3 HGB Kommanditist – was gem. § 162 HGB zur Eintragung ins Handelsregister anzumelden ist8 –, stellt sich das Haftungsregime wie folgt dar: Die der zwischenzeitlich eingenommenen Stellung als persönlich haftender Gesellschafter ohne Existenz des § 139 Abs. 4 HGB geschuldete Konsequenz der unbeschränkten und unbe1 Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 139 HGB Rz. 110. 2 Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 108. 3 Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 101, 115 f.; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 139 HGB Rz. 128. 4 BGH v. 21.12.1970 – II ZR 258/67, BGHZ 55, 267 = NJW 1971, 1268 (1268 f.); Lorz in Ebenroth/ Boujong/Joost/Strohn4, § 139 HGB Rz. 128; Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 115 f. 5 BGH v. 21.12.1970 – II ZR 258/67, BGHZ 55, 267 = NJW 1971, 1268 (1269 f.). 6 Roth in Baumbach/Hopt39, § 139 HGB Rz. 48. 7 Karsten Schmidt in MüKo4, § 160 HGB Rz. 20; Klöhn in Henssler/Strohn4, § 160 HGB Rz. 8. 8 Roth in Baumbach/Hopt39, § 139 HGB Rz. 47.

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4.150

Kap. 4 Rz. 4.150 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

schränkbaren gesellschaftsrechtlichen Eigenhaftung des Erben gem. §§ 128, 130 HGB für Gesellschaftsverbindlichkeiten, die im Zeitpunkt des Erbfalls bestanden und darüber hinaus bis zur Beendigung der Stellung als persönlich haftender Gesellschafter – nämlich durch Übertritt in die Position eines Kommanditisten – entstanden sind, wird wiederum rückwirkend beseitigt. Insofern wird der Kommanditist – gleich dem endgültig ausscheidenden Gesellschafter – so gestellt, als handele es sich um eine lediglich gem. § 1967 BGB ererbte Haftung des verstorbenen Gesellschafters, für die insbesondere die §§ 1975 ff. BGB gelten.1 Neben diese erbrechtliche Haftung tritt die Kommanditistenhaftung, denn der Erbe bleibt ja Gesellschafter – nur eben fortan als Kommanditist. Aufgrund des Eintritts als Kommanditist in die Gesellschaft ist § 173 Abs. 1 HGB anwendbar: Für sämtliche vor seinem Eintritt begründeten Altverbindlichkeit haftet der Kommanditist folglich als Kommanditist nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 171 f. HGB.2 Für ab dem Zeitpunkt seines Eintritts als Kommanditist begründete Verbindlichkeiten versteht sich dies von selbst.3 Wie beim unmittelbaren „Eintritt“ eines Kommanditisten-Erben soll auch in diesem Zusammenhang § 176 Abs. 2 HGB nicht anwendbar sein,4 wohl aber die Rechtsscheinhaftung des § 15 Abs. 1 HGB bei verzögerter Eintragung der Anteilsumwandlung;5 während der Schwebezeit zwischen Erbfall und Anteilsumwandlung besteht eine die Rechtsscheinhaftung auslösende Pflicht zur Eintragung ins Handelsregister nach h.M. hingegen gerade nicht.6 Im Hinblick auf die daneben bestehende ererbte Haftung des Erblassers (§ 128 HGB) gilt unabhängig von der erbrechtlichen Beschränkbarkeit (§§ 1975 ff. HGB) wiederum konsequenterweise die zeitliche Enthaftung gem. § 160 Abs. 1 HGB. Richtigerweise dürfte die Anwendbarkeit des § 160 Abs. 1 HGB aber nicht aus dem Wechsel des Erben von der zunächst ererbten Position eines persönlich haftenden Gesellschafters in diejenige eines Kommanditisten gem. § 160 Abs. 3 Satz 1 HGB abzuleiten sein,7 sondern allein aus dem Ausscheiden des Erblassers als persönlich haftender Gesellschafter. Denn die Anwendung des § 160 Abs. 3 Satz 1 HGB hieße wiederum, dem Erben im Hinblick auf die Zeit vor der Einnahme der Rolle des Kommanditisten, in welcher er übergangsweise persönlich haftender Gesellschafter war, die damit korrespondierende Haftung nach §§ 128, 130 HGB zuzuschreiben, die durch § 139 Abs. 4 HGB gerade eliminiert wird.8 cc) Gestaltungsvarianten im Hinblick auf § 139 Abs. 4 HGB (1) Notwendigkeit gestalterischer Vorsorge

4.151

Angesichts der Komplexität der dargestellten Haftungsfolgen, gepaart mit der Ungewissheit über die Möglichkeit, die ererbte Beteiligung in eine haftungsbeschränkte Kommanditbeteiligung umwandeln zu können, drängt sich gestalterische Vorsorge geradezu auf. Rechtsgeschäftliche Nachfolgeklauseln können keinen Zwang in die Gesellschafterstellung bedeuten (vgl. bereits Rz. 4.87)9 und damit nur dann sinnvoll eingesetzt werden, wenn der desig-

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 110 f. Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 112; Roth in Baumbach/Hopt39, § 139 HGB Rz. 47. Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 112; Roth in Baumbach/Hopt39, § 139 HGB Rz. 47. Vgl. BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, BGHZ 108, 187 (195) (zum Kommanditisten-Erben); Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 139 HGB Rz. 125 f. Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 139 HGB Rz. 126. BGH v. 21.12.1970 – II ZR 258/67, BGHZ 55, 267 = NJW 1971, 1268; Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 105. So aber wohl Kindler in Koller/Kindler/Roth/Drüen9, § 139 HGB Rz. 12a, § 160 Rz. 2. Karsten Schmidt in MüKo4, § 160 HGB Rz. 50; Klöhn in Henssler/Strohn4, § 160 HGB Rz. 24. Schäfer in Staub5, § 139 HGB Rz. 153.

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B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.154 Kap. 4

nierte Nachfolger bereits mitwirkt und sich insbesondere bezüglich seines Wahlrechts in § 139 HGB festlegt.1 (2) Eintrittsklausel Näher liegt es daher, die gesetzliche Rechtsfolge des § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 HGB zunächst hinzunehmen, dem ausgeschiedenen Gesellschaftererben aber qua Eintrittsklausel die Möglichkeit einzuräumen, gerade als Kommanditist Gesellschafter zu werden und den Abfindungsanspruch zur Erbringung seiner Einlage zu verwenden.2 Dabei sind die bereits unter Rz. 4.96 ff. dargestellten Aspekte zu beachten, d.h. es ist insbesondere zu regeln, wie der Eintritt vollzogen werden soll. Wird dem designierten Nachfolger ein bloßer Anspruch auf Eintritt als Kommanditist eingeräumt, ist es – anders als bei Nachfolgeklauseln3 – unproblematisch, wenn sich dieser im Fall der Fälle nicht innerhalb der Frist des § 139 Abs. 2 HGB gerichtlich durchsetzen lässt. Denn wenn der Nachfolger zunächst gem. § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 HGB aus der Gesellschaft ausscheidet, entsteht die unbeschränkte persönliche gesellschaftsrechtliche Haftung für Altverbindlichkeiten gem. § 130 HGB von vornherein nicht – sondern lediglich mit dem Eintritt die beschränkte Kommanditistenhaftung gem. §§ 171 ff. HGB4 –, so dass die diesbezügliche Privilegierung (dazu Rz. 4.149) nicht benötigt wird.5

4.152

(3) Kombinierte Nachfolge- und Umwandlungsklausel In Betracht kommt ferner die sog. kombinierte Nachfolge- und Umwandlungsklausel.6 Mit dieser wird zunächst die Rechtsfolge des § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 HGB abbedungen und sodann eine Regelung über das Schicksal des Wahlrechts getroffen:

4.153

Es kann zum einen vorgesehen werden, dass der Nachfolger einen Anspruch auf Umwandlung seiner Beteiligung (sog. obligatorische Umwandlungsklausel7) oder eine entsprechende einseitig auszuübende Option (sog. Optionsklausel8) erhält. Die obligatorische Umwandlungsklausel ist deshalb nur mit größter Zurückhaltung einzusetzen, weil sie das unbeherrschbare Risiko birgt, dass die Mitgesellschafter den Umwandlungsanspruch nicht innerhalb der Drei-Monats-Frist des § 139 Abs. 3 HGB erfüllen, da eine rechtskräftige (vgl. § 894 ZPO) gerichtliche Durchsetzung in diesem Zeitraum praktisch nie zu erlangen sein wird.9

4.154

1 Vgl. Schäfer in Staub5, § 139 HGB Rz. 12 ff., 144. 2 Schäfer in Staub5, § 139 HGB Rz. 144. 3 Vgl. Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 112 (in Bezug auf die so bezeichnete „obligatorische Umwandlungsklausel“). 4 Vgl. BGH v. 29.9.1977 – II ZR 214/75, NJW 1978, 264 (266). 5 Vgl. Roth in Baumbach/Hopt39, § 139 HGB Rz. 53; vgl. auch Schäfer in Staub5, § 139 HGB Rz. 153. 6 Ausführlich und grundlegend hierzu Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 135 ff.; Karsten Schmidt, BB 1989, 1702 ff. 7 Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 135; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 139 HGB Rz. 137; Schäfer in Staub5, § 139 HGB Rz. 8. 8 Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 136; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 139 HGB Rz. 137. 9 Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 135.

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Kap. 4 Rz. 4.155 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

(4) Klausel mit Umwandlungsautomatik

4.155

Zum anderen kann aber auch eine sog. Klausel mit Umwandlungsautomatik1 vereinbart werden, mithilfe derer der Erbe ohne weitere Vollzugshandlung Kommanditist und das Austrittsrecht gem. § 139 Abs. 2 HGB – im Zweifel stillschweigend – ausgeschlossen wird. Dass der Gesellschaftsvertrag gem. § 139 Abs. 5 HGB die Anwendung der Vorschriften in Abs. 1 bis 4 nicht abbedingen und damit insbesondere das Wahlrecht des Erben nicht beeinträchtig oder gar entzogen werden kann,2 steht der Klausel mit Umwandlungsautomatik nach h.A. nicht entgegen, da der Nachfolger gerade nicht persönlich haftender Gesellschafter wird – sondern im Ergebnis wie der Erbe eines Kommanditisten steht – und des Schutzes durch das Wahlrecht in § 139 Abs. 1 HGB folglich nicht bedarf.3 (5) Gesellschafts-Umwandlungsklausel

4.156

Besteht die Möglichkeit, dass im Zeitpunkt eines Umwandlungsverlangens bereits alle übrigen Gesellschafter Kommanditisten (geworden) sind – es sich folglich nicht mehr um eine oHG, sondern eine KG handelt –, sollte durch eine sog. Gesellschafts-Umwandlungsklausel Vorsorge getroffen werden, da es eine KG ohne persönliche haftenden Gesellschafter per Definition nicht geben kann. Besonders dringlich ist entsprechende Vorsorge – vor allem aus der Perspektive der Gesellschaft und der übrigen Gesellschafter –, wenn die Umwandlung der ererbten Beteiligung als persönlich haftender Gesellschafter einseitig herbeigeführt werden kann (Optionsklausel) oder sich gar automatisch vollzieht. Denn dann haben es die übrigen Gesellschafter nicht selbst in der Hand, die mit dem Verlust des letzten persönlich haftenden Gesellschafters verbundene automatische Auflösung4 zu verhindern.5 Sollen mit Blick hierauf im Gesellschaftsvertrag Pflichten begründet werden, die Gesellschaft ggf. (z.B.) in eine GmbH umzuwandeln oder eine GmbH zu gründen und als Komplementärin aufzunehmen, so bedarf dies der notariellen Beurkundung.6 Aufgrund der Schwerfälligkeit des Vollzugs derartiger Klauseln wird es, wenn ein Ausfall des letzten persönlich haftenden Gesellschafters tatsächlich absehbar ist, aber näher liegen, bereits zu Lebzeiten des seine Nachfolge planenden Gesellschafters die Aufnahme einer Komplementär-GmbH in die Wege zu leiten. dd) „Umgekehrte Umwandlungsklausel“

4.157

Die Nachfolge in die Beteiligung eines persönlich haftenden Gesellschafters hat nicht nur für den Nachfolger einschneidende (Haftungs-)Konsequenzen – welche § 139 HGB im Ergebnis neutralisiert –, sondern auch für die Mitgesellschafter. Diese mögen sich im Grundsatz einig gewesen sein, dass der Tod eines Gesellschafters nicht grundsätzlich zum Ausscheiden und zur Abfindung der Erben führen soll und eine Nachfolgeklausel vereinbart haben. Ist diese – zulässigerweise – derart spezifisch formuliert, dass nur bestimmte Individuen als Erben die Nachfolge in den Gesellschaftsanteil antreten können (Rz. 4.84), kann es keine (bösen) Über1 Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 137; Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas5, § 139 HGB Rz. 47; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 139 HGB Rz. 138. 2 Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas5, § 139 HGB Rz. 44; Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 92. 3 Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas5, § 139 HGB Rz. 44; Schäfer in Staub5, § 139 HGB Rz. 8; Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 137. 4 Karsten Schmidt in MüKo4, § 131 HGB Rz. 46. 5 Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 138. 6 Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 138.

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B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.160 Kap. 4

raschungen geben. Praktisch wird es aber häufig nicht möglich sein, im Zeitpunkt der Formulierung der (qualifizierten) Nachfolgeklausel zu antizipieren, welche Person genau in die Beteiligung einrücken soll; dies ist nicht selten für den seine Nachfolge planenden Gesellschafter selbst kompliziert genug, erst recht aber für die übrigen Gesellschafter. Aus diesem Grund wird die qualifizierte Nachfolgeklausel häufig abstrakt dahin formuliert, dass Abkömmlinge von Gesellschaftern nachfolgeberechtigt sind. Um zu verhindern, dass den übrigen Gesellschaftern ein missliebiger persönlich haftender Gesellschafter „aufgedrängt“ wird – der grundsätzlich einzelgeschäftsführungs- und einzelvertretungsbefugt ist (Rz. 4.137) –, kann es sich empfehlen, den übrigen Gesellschaftern das Recht einzuräumen, die Umwandlung der Beteiligung in eine Kommanditgesellschaft zu verlangen und seine Mitverwaltungsrechte damit auf diejenigen des § 164 HGB zu beschränken1 oder eine durch die übrigen Gesellschafter gemeinsam einseitig auszuübende entsprechende Option gesellschaftsvertraglich zu verankern. Sinnvollerweise sollte auch hierfür die Drei-Monats-Frist des § 139 Abs. 3 HGB vorgesehen werden; denn erfolgt die Umwandlung innerhalb dieser Frist auf Verlangen der übrigen Gesellschafter, greift auch das Haftungsprivileg des § 139 Abs. 4 HGB (Rz. 4.149).

4.158

ee) Zweipersonengesellschaft Scheidet der vorletzte Gesellschafter aus einer oHG aus – etwa gem. § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 HGB mit seinem Tode –, wird die Gesellschaft automatisch vollbeendet – nicht lediglich aufgelöst; es handelt sich um einen ungeschriebenen Beendigungstatbestand.2 Die Gesellschaft erlischt ohne Liquidation, und das gesamte Gesellschaftsvermögen – Aktiva und Passiva – geht auf den letzten Verbliebenen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge über.3 Diese Rechtsfolge lässt sich, einmal eingetreten, nicht mit Rückwirkung beseitigen, und die gesellschaftsrechtliche Unternehmensnachfolge kann dann insbesondere nicht mehr qua Eintrittsklausel gelingen (Rz. 4.152). Der einzig sichere Vorsorgeweg besteht hier darin – soll nicht gleich eine Umwandlung in eine Kapitalgesellschaft erfolgen –, eine juristische Person als Gesellschafter aufzunehmen.

4.159

4. Kommanditgesellschaft a) Grundzüge aa) Modifizierte offene Handelsgesellschaft Die Kommanditgesellschaft ist eine spezielle Variation der offenen Handelsgesellschaft (deren Grundtatbestand wiederum demjenigen der Gesellschaft bürgerlichen Rechts entspricht; Rz. 4.58).4 Dieser Umstand kommt auch in der sie betreffenden gesetzlichen Regelungstechnik zum Ausdruck: Gem. § 161 Abs. 2 HGB finden auf die KG die für die oHG geltenden Vorschriften Anwendung, soweit in den §§ 161 ff. HGB keine besondere Regelung getroffen ist; inkludiert ist damit insbesondere die Verweisung in § 105 Abs. 3 HGB auf das Recht der GbR. Bei der KG muss es sich also um einen Zusammenschluss mindestens zweier Personen handeln, die auf Basis eines Gesellschaftsvertrags einen gemeinsamen Zweck verfolgen, der 1 2 3 4

Lüke in Hannes, Formularbuch Vermögens- und Unternehmensnachfolge2, C.1.10 Rz. 56. Karsten Schmidt in MüKo4, § 131 HGB Rz. 7. Karsten Schmidt in MüKo4, § 131 HGB Rz. 7, § 145 HGB Rz. 32 ff. Grunewald in MüKo4, § 161 HGB Rz. 1; Haas/Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas5, § 161 HGB Rz. 29; Roth in Baumbach/Hopt39, § 161 HGB Rz. 1 f.

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4.160

Kap. 4 Rz. 4.160 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

entweder im Betrieb eines Handelsgewerbes oder eines im Handelsregister eingetragenen Gewerbes oder im Handelsregister eingetragener Vermögensverwaltung i.S.v. § 105 Abs. 2 HGB besteht (Rz. 4.134).1 Zusätzlich zu diesem Grundtatbestand der oHG muss gesellschaftsvertraglich vereinbart sein, dass es zwei Typen von Gesellschaftern gibt und muss jeweils ein Gesellschafter jedes der beiden Typen auch tatsächlich vorhanden sein: Komplementäre/persönlich haftende Gesellschafter, deren Rechtsstellung im Wesentlichen derjenigen von oHG-Gesellschaftern entspricht – die also insbesondere gem. § 128 HGB unbeschränkt persönlich haften –, sowie Kommanditisten, deren Gesellschafterrechte gegenüber denjenigen von Komplementären deutlich reduziert sind, die dafür aber auch nur beschränkt in den Grenzen der §§ 171 ff. HGB haften. bb) Organisationsverfassung (1) Ausschluss der Kommanditisten von Geschäftsführung und Vertretung

4.161

Die Organisationsverfassung der Kommanditgesellschaft ist durch die bereits skizzierten beiden Gesellschaftertypen gekennzeichnet. Die Kommanditisten sind von der Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft ausdrücklich ausgeschlossen (§ 164 Satz 1 Halbs. 1, § 170 HGB). Die Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft liegen vielmehr in den Händen des oder der Komplementäre (§ 161 Abs. 2 i.V.m. § 114 und § 125 HGB), für deren Verhältnis zueinander das zu oHG-Gesellschaftern Ausgeführte entsprechend gilt; grundsätzlich gilt also Alleingeschäftsführungs- und Alleinvertretungsbefugnis (vgl. § 163 HGB) (Rz. 4.137); aufgrund der auch für die KG geltenden weitgehenden organisationsbezogenen Gestaltungsfreiheit2 sind aber auch insofern sämtliche zur oHG skizzierten Abweichungen darstellbar.

4.162

Kommanditisten kann nach h.A. in Abweichung von § 164 Satz 1 Halbs. 1 HGB per Gesellschaftsvertrag organschaftliche Geschäftsführungsbefugnis eingeräumt werden.3 Ihr Ausschluss von der organschaftlichen Vertretung der Gesellschaft ist nach h.A. hingegen zwingend,4 was aber die rechtsgeschäftliche Bevollmächtigung von Kommanditisten – etwa die Erteilung von Prokura – nicht ausschließt.5 (2) Widerspruchsrecht der Kommanditisten bei außergewöhnlichen Maßnahmen

4.163

Gem. § 164 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 HGB können Kommanditisten einer Handlung der Komplementäre nicht widersprechen, es sei denn, dass die Handlung über den gewöhnlichen Betrieb des Handelsgewerbes hinausgeht. Nach h.M. handelt es sich ungeachtet des Wortlauts nicht lediglich um ein Widerspruchsrecht, sondern gem. (§ 161 Abs. 2 i.V.m.) § 116 Abs. 2 HGB erfordert ein außergewöhnliches Geschäft einen einstimmigen Zustimmungsbeschluss sämtlicher Gesellschafter, d.h. Kommanditisten wie Komplementäre.6 Es handelt sich dabei grundsätzlich um ein Legitimationserfordernis allein im Innenverhältnis; die Vertretungs-

1 Grunewald in MüKo4, § 161 HGB Rz. 1. 2 Grunewald in MüKo4, § 161 HGB Rz. 29. 3 BGH v. 4.3.1976 – II ZR 178/74, BB 1976, 526 (526); Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/ Haas5, § 164 HGB Rz. 4; Roth in Baumbach/Hopt39, § 164 HGB Rz. 7. 4 BGH v. 9.12.1968 – II ZR 33/67, BGHZ 51, 198 (200); Roth in Baumbach/Hopt39, § 170 HGB Rz. 1. 5 Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas5, § 170 HGB Rz. 9. 6 OLG Stuttgart v. 11.3.2009 – 14 U 7/08, ZIP 2010, 474 (476); Roth in Baumbach/Hopt39, § 164 HGB Rz. 2.

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B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.167 Kap. 4

macht des die in Rede stehende Maßnahme umsetzenden Komplementärs wird folglich – vorbehaltlich der allgemeinen Grundsätze zum Missbrauch der Vertretungsmacht1 – nicht berührt.2 Außergewöhnliche Geschäfte sind solche, die über übliche Geschäfte und Maßnahmen des konkreten Gesellschaftsunternehmens hinausgehen oder über das übliche Maß hinausgehende Risiken und Gefahren bergen.3 Sie dürfen nicht mit sog. Grundlagengeschäften verwechselt werden, bei denen es sich gerade nicht um Geschäftsführungsmaßnahmen handelt, sondern um die Gesellschaftsgrundlagen und das Verhältnis der Gesellschafter untereinander betreffende Fragen wie Gesellschaftsvertragsänderungen, die Aufnahme neuer Gesellschafter, die Konzernierung der Gesellschaft4 oder auch die Feststellung des Jahresabschlusses5. Für Grundlagengeschäfte gilt nicht § 164 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 HGB, sondern vorbehaltlich gesellschaftsvertraglicher Mehrheitsklauseln (dazu Rz. 4.66) das allgemeine gesellschaftsrechtliche Einstimmigkeitsprinzip.6

4.164

Die Rechte der Kommanditisten können gesellschaftsvertraglich gegenüber dem in § 164 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 HGB vorgesehenen Maß beschränkt oder erweitert werden. Das Widerspruchsrecht kann nach h.M. gänzlich ausgeschlossen7 und damit auch auf bestimmte Gegenstände reduziert werden, womit auch feststeht, dass Mehrheitsklauseln zulässig sind; ferner ist es etwa möglich, die Außergewöhnlichkeit eines Geschäfts gesellschaftsvertraglich zu definieren. Aus steuerlicher Sicht ist dabei zu beachten, dass die Beschneidung der Kommanditistenrechte seine Mitunternehmerstellung nicht infrage stellen darf (hierzu eingehend Rz. 6.89). Gesellschaftsrechtlich ist zu beachten, dass eine Mehrheitsklausel einen darauf basierenden Beschluss grundsätzlich lediglich formell legitimiert, in materieller Hinsicht aber weitere Schranken bestehen können (dazu bereits Rz. 4.65 ff.).

4.165

Es ist umgekehrt aber auch statthaft, den Kommanditisten weitgehende Mitspracherechte einzuräumen, etwa in Gestalt von Weisungsrechten gegenüber dem Komplementär oder durch die Erweiterung des Beschlusserfordernisses in § 164 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 HGB auf nicht außergewöhnliche Geschäfte und Maßnahmen;8 hiervon wird insbesondere in der GmbH & Co. KG – und dort wiederum nicht selten in Kombination mit Mehrheitsklauseln – reger Gebrauch gemacht (Rz. 4.177 f.).

4.166

Die Rechte der Gesellschafter untereinander – insbesondere der Kommanditisten – werden insbesondere dann, wenn der Gesellschaftsvertrag Mehrheitsentscheidungen vorsieht, in Entsprechung zu ihren Kapitalkonten festgelegt werden. Wenngleich das Gesetz zu diesen nur rudimentäre Regelungen trifft (§§ 169 f. HGB), sind sie für die Gestaltung der Binnenverhält-

4.167

1 Hierzu Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 10 II 2. 2 Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas5, § 164 HGB Rz. 8; Weipert in Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn4, § 164 HGB Rz. 9; Roth in Baumbach/Hopt39, § 164 HGB Rz. 2. 3 OLG München v. 19.11.2003 – 7 U 4505/03, NZG 2004, 374 (375); Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas5, § 164 HGB Rz. 11. 4 Roth in Baumbach/Hopt39, § 164 HGB Rz. 4. 5 BGH v. 15.1.2007 – II ZR 245/05, ZIP 2007, 475 (477). 6 Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas5, § 164 HGB Rz. 11. 7 BGH v. 6.10.1992 – KVR 24/91, BGHZ 119, 346 (357); Roth in Baumbach/Hopt39, § 164 HGB Rz. 6. 8 Vgl. BGH v. 17.3.1966 – II ZR 282/63, BGHZ 45, 204 (207 ff.); OLG Stuttgart v. 25.2.2009 – 14 U 24/08, ZIP 2010, 131 (132); Roth in Baumbach/Hopt39, § 164 HGB Rz. 7.

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Kap. 4 Rz. 4.167 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

nisse in Kommanditgesellschaften elementar.1 Üblicherweise werden die Kommanditistenrechte – vornehmlich Stimm- und Gewinnbeteiligungsrechte – anhand unveränderlicher Kapitalkonten (häufig als Kapitalkonto I bezeichnet) festgelegt, in deren Höhe auch eine Einlage zu erbringen ist.2 Daneben treten regelmäßig variable Kapitalkonten (häufig als Kapitalkonto II bezeichnet), auf denen Gewinne und Verluste verbucht werden, nicht selten ferner Darlehenskonten und gesamthänderisch gebundene Rücklagenkonten; diese Konten geben in Abgrenzung zum Kapitalkonto I Auskunft über die jeweilige konkrete/situative vermögensmäßige Position des Kommanditisten, regelmäßig aber nicht über seine Mitverwaltungsrechte und seine abstrakten Gewinnbeteiligung.3 cc) Finanz- und Haftungsverfassung

4.168

Auch die Finanz- und Haftungsverfassung der Kommanditgesellschaft ist durch den Dualismus der Gesellschaftertypen gekennzeichnet. Für die Komplementäre kann vollumfänglich auf die Ausführungen zur oHG in Rz. 4.139 verwiesen werden. Kommanditisten haften ausweislich § 171 Abs. 1 Halbs. 1 HGB den Gläubigern der Gesellschaft lediglich bis zur Höhe ihrer Einlage unmittelbar, und zwar insofern nach den Prinzipien des § 128 HGB.4 Die Haftung ist gem. § 171 Abs. 1 Halbs. 2 HGB ausgeschlossen, soweit die Einlage geleistet ist, gilt jedoch als gegenüber den Gläubigern nicht geleistet, soweit sie an den Kommanditisten zurückbezahlt wird. Nach § 172 Abs. 1 HGB wird im Verhältnis zu den Gesellschaftsgläubigern nach Eintragung in das Handelsregister die Einlage eines Kommanditisten durch den in der Eintragung angegebenen Betrag bestimmt.

4.169

Die Formulierungen in §§ 171 f. HGB sind missverständlich, da sie folgende Differenzierung nicht hinreichend klar zum Ausdruck bringen:5 Für die Haftung des Kommanditisten gegenüber den Gesellschaftsgläubigern ist einzig und allein seine im Handelsregister eingetragene Haftsumme maßgeblich (welche das Gesetz in § 172 Abs. 1 HGB als „den in der Eintragung angegebenen Betrag“ bezeichnet).6 Davon zu unterscheiden ist die gesellschaftsvertraglich der Gesellschaft versprochene Einlage.7 Diese wird allein der Gesellschaft im Innenverhältnis geschuldet, führt also nicht zu einer unmittelbaren Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern; entsprechende Ansprüche der Gesellschaft können allerdings nach allgemeinen Regeln von deren Gläubigern gepfändet und eingezogen werden.8 Wann und wie die Einlage zu erbringen ist, bestimmt sich nach dem Gesellschaftsvertrag.9

4.170

Es ist ohne weiteres zulässig, im Handelsregister eine von der Einlage abweichende Haftsumme einzutragen;10 welche Haftsumme einzutragen ist, bestimmt sich nach dem Gesellschaftsvertrag. Im Insolvenzfall zieht der Insolvenzverwalter (vgl. § 93 InsO) rückständige Einlagen ein, soweit diese zur Gläubigerbefriedigung erforderlich sind; für die wirtschaftliche 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 47 III 2 c. Priester in MüKo4, § 120 HGB Rz. 101. Überblick bei Ehricke in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 120 HGB Rz. 69 ff. Karsten Schmidt in MüKo4, § 172 HGB Rz. 2. Grundlegend hierzu Karsten Schmidt, Einlage und Haftung des Kommanditisten, 1977, S. 5 ff.; vgl. ferner Grunewald in MüKo4, § 162 HGB Rz. 2. Strohn in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 172 HGB Rz. 2. Karsten Schmidt in MüKo4, § 172 HGB Rz. 5. Karsten Schmidt in MüKo4, § 172 HGB Rz. 12. Karsten Schmidt in MüKo4, § 172 HGB Rz. 11. Karsten Schmidt in MüKo4, § 172 HGB Rz. 22.

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B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.174 Kap. 4

Risikoexposition des Kommanditisten ist deshalb im Ergebnis die Einlage – nicht die Haftsumme – maßgeblich. Nach richtiger Ansicht hat der Liquidator rückständige Einlagen nicht nur zur Gläubigerbefriedigung sowie für liquidationszweckgemäße Maßnahmen und Geschäfte einzufordern, sondern auch zum Zwecke des Binnenausgleichs unter den Gesellschaftern.1 dd) Handelsregisterpublizität Für die Handelsregisterpublizität ist zunächst auf Rz. 4.140 zu verweisen. Neben diesen in § 106 Abs. 2 HGB vorgesehenen Pflichtangaben ist gem. § 162 Abs. 1 Satz 1 HGB im Handelsregister zudem kenntlich zu machen, dass ein Gesellschafter Kommanditist ist und welche Haftsumme für ihn bestimmt ist. Die Eintragung hat wie bei der oHG grundsätzlich keine konstitutive Wirkung – mit Ausnahme der Fälle, in denen die Gesellschaft überhaupt erst kraft Eintragung die Rechtsform als Kommanditgesellschaft erlangt (§ 161 Abs. 2 i.V.m. § 105 Abs. 2 HGB; dazu Rz. 4.135, 4.140) –, ist aber deshalb von herausragender Bedeutung, weil das Privileg der Haftungsbeschränkung für Kommanditisten gem. §§ 171 f. HGB an deren Eintragung als solche mit ihrer Haftsumme anknüpft.

4.171

Hat eine Gesellschaft ihre Geschäfte nämlich begonnen, bevor sie in das Handelsregister – mit den vorbezeichneten Informationen – eingetragen ist, haftet jeder Kommanditist, der dem Geschäftsbeginn zugestimmt hat, gem. § 176 Abs. 1 HGB für die bis zur Eintragung begründeten Verbindlichkeiten gleich einem Komplementär (also nach § 128 HGB), es sei denn, dass die Beteiligung gerade als Kommanditist dem betreffenden Gläubiger bekannt war. Relevanz hat diese Vorschrift weniger in ihrem eigentlichen Anwendungsbereich der Gesellschaftsgründung als im Rahmen des Eintritts eines Kommanditisten in die Gesellschaft. Nach § 176 Abs. 2 HGB gilt die Haftungsfolge des Abs. 1 nämlich bei Beitritt eines Kommanditisten – Wirksamkeitsvoraussetzung hierfür ist die Eintragung gerade nicht – auch für die in der Zeit zwischen dem Beitritt und dessen Verlautbarung im Handelsregister begründete Verbindlichkeiten, weshalb die Gestaltungspraxis stets darauf bedacht sein sollte, den Beitritt aufschiebend bedingt auf den Zeitpunkt der Eintragung im Handelsregister zu vereinbaren.2

4.172

Zu § 176 HGB im Falle der Nachfolge in den Kommanditanteil von Todes wegen vgl. Rz. 4.150.

4.173

ee) Transparenzregisterpublizität Die Kommanditgesellschaft ist vor dem Hintergrund der Regelungen in §§ 19 ff. GwG und den Anforderungen des Transparenzregisters die problemträchtigste Rechtsform. Denn anders als bei den meisten anderen relevanten Rechtsformen gibt es bei Kommanditgesellschaften regelmäßig keine belastbaren Informationen aus dem Handelsregister (oder anderen Registern) über die wirtschaftlichen Beteiligungsverhältnisse,3 weshalb die Meldefiktion i.S.v. § 20 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 GwG nicht ohne weiteres eingreift. Die Ursache hierfür ist, dass der Kommanditist im Handelsregister lediglich mit der für ihn bedungenen Haftsumme eingetra1 Karsten Schmidt, ZHR 153 (1989), 270, (294 ff.); Karsten Schmidt in MüKo4, § 149 HGB Rz. 20 ff.; für die Publikums-KG so nunmehr auch BGH v. 30.1.2018 – II ZR 95/16, WM 2018, 709; dazu Bochmann/Becker, EWiR 2018, 197. 2 Vgl. entsprechende Empfehlung z.B. bei Roth in Baumbach/Hopt39, § 176 HGB Rz. 1, 9; Herchen in Münchener Hdb. Gesellschaftsrecht4, Bd. II, § 30 Rz. 106. 3 Vgl. zum Ganzen Bochmann, DB 2017, 1310 (1317); Seibert/Bochmann/Cziupka, GmbHR 2017, 1128 (1132).

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4.174

Kap. 4 Rz. 4.174 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

gen ist, die aber keine verlässliche Aussage über seinen Einfluss auf die Gesellschaft i.S.d. § 19 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 3 Abs. 2 GwG zulässt.1

4.175

Der Gesetzgeber2 und zunächst auch das Bundesverwaltungsamt3 als Rechtsaufsichtsbehörde im Zusammenhang mit dem Vollzug der Transparenzregistervorschriften gingen gleichwohl vom Eingreifen der Meldefiktion (§ 20 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 GwG) aus, wenn eingetragene Haftsumme und Einlage übereinstimmten. Aus praktischer Perspektive war diese im Einklang mit dem erklärten Willen des Gesetzgebers stehende Sichtweise begrüßenswert. Inzwischen hat das Bundesverwaltungsamt seine Auffassung jedoch vollständig revidiert und vertritt die Ansicht, die im Handelsregister eingetragenen Haftsummen könnten die Mitteilungsfiktion grundsätzlich nicht begründen.4 Zwingend ist dieser Meinungsumschwung ungeachtet der fehlenden Korrelation von Haftsumme und internen Beteiligungsverhältnissen in der Kommanditgesellschaft nicht, da sich der in den Gesetzesmaterialien bekundete Wille des Gesetzgebers mit den Anforderungen der Mitteilungsfiktion durchaus in Einklang bringen ließe, wenn man mit folgender Vermutungsregelung operierte: Immer dann, wenn im Transparenzregister nichts verlautbart ist, darf man davon ausgehen, dass die internen Ergebnis- und Vermögensbeteiligungsverhältnisse in einer Kommanditgesellschaft kongruent zu den im Handelsregister eingetragenen Haftsummen sind. Mangels Eintragbarkeit von Haftsummen für Komplementäre bedeutet dies, dass diese, soll die genannte Vermutungsregelung eingreifen, nicht am Ergebnis und Vermögen beteiligt sein dürfen, was jedenfalls bei GmbH & Co. KG (dazu Rz.4.177 f.) der praktische Regelfall ist. ff) Tatsächliche Erscheinungsformen

4.176

Die Kommanditgesellschaft ist im Allgemeinen wesentlich häufiger verbreitet als die oHG,5 und erfreut sich im Besonderen als die Rechtsform für Familienunternehmen großer Beliebtheit.6 Wenngleich das Gesetz die KG in der Weise konzipiert hat, dass die Komplementäre gleichsam den personalistischen Kern bilden und sie kraft ihrer organschaftlichen Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis steuern, die Kommanditisten hingegen primär kapitalistisch beteiligt im Hintergrund stehen, hat die Kautelarpraxis diese Rollenverteilung in Gestalt der GmbH & Co. KG (dazu sogleich unter Rz. 4.177 f.) für den praktischen Regelfall in das Gegenteil verkehrt;7 die GmbH als einzige Komplementärin ist lediglich Mittel zum Zweck des Vollzugs des Kommanditistenwillens. b) Die GmbH & Co. KG

4.177

Die GmbH & Co. KG ist keine eigene Rechtsform, sondern eine Kommanditgesellschaft mit einer GmbH als Komplementärin, die typischerweise auch die einzige Komplementärin ist. 1 Bochmann, DB 2017, 1310 (1317). 2 Begr. RegE 4. Geldwäscherichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 18/11555, S. 91. 3 Bundesverwaltungsamt, Transparenzregister – Fragen und Antworten, Stand 5.1.2018, Ziff. II.13. (nicht mehr online abrufbar); vgl. aber Weiske/Mocker, GWR 2017, 445 (448 f.). 4 Bundesverwaltungsamt, Transparenzregister – Fragen und Antworten, Stand 20.2.2020, Ziff. II.18. (zuletzt online abgerufen am 15.6.2020); hierzu Bochmann, GmbHR 2020, 256 (258). 5 Vgl. Kornblum, GmbHR 2019, 689 (690). 6 Zur Bedeutung der Familien-KG Ulmer, ZIP 2010, 549 ff.; Holler, BB 2012, 719 ff.; Grunewald in MüKo4, § 161 HGB Rz. 12; Casper in Staub5, § 161 HGB Rz. 25. 7 Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas5, § 161 HGB Rz. 4; Casper in Staub5, § 161 HGB Rz. 24 f.

192 | Bochmann

B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.178 Kap. 4

Aus dieser Kombination ergeben sich ihre charakteristischen gesellschaftsrechtlichen Vorteile: Die GmbH & Co. KG ist Personengesellschaft und profitiert von allen damit einhergehenden Gestaltungsfreiräumen.1 Hieraus folgt aber effektiv nicht die für Personengesellschaften typische persönliche Haftung, da die einzige unbeschränkt nach den Grundsätzen des §§ 161 Abs. 2, 128 HGB haftende Gesellschafterin ihrerseits eine haftungsbeschränkte Gesellschaft – nämlich eine GmbH – ist, für deren Verbindlichkeiten – einschließlich der sich aus ihrer persönlichen Haftung für Verbindlichkeiten der KG ergebenden – lediglich das Gesellschaftsvermögen haftet (Rz. 4.196).2 Die GmbH & Co. KG ist seit rund 100 Jahren höchstrichterlich anerkannt.3 Auch der Gesetzgeber hat die Zulässigkeit dieser Rechtsformkombination in vielerlei Hinsicht reflektiert und damit gebilligt.4 Mithilfe der GmbH & Co. KG ist – aus gesellschaftsrechtlicher Perspektive im Nachfolgekontext – eine weitgehende Trennung von Vermögens- und Verwaltungsrechten darstellbar (vgl. bereits Rz. 4.35).5 Die Komplementär-GmbH leistet üblicherweise keine Einlage in die GmbH & Co. KG und ist im Gegenzug nicht an ihrem Gewinn und Vermögen beteiligt,6 so dass die kapitalmäßige Beteiligung und diejenige am Ergebnis sich auf die Kommanditisten beschränkt. Aufgrund des Grundsatzes der Selbstorganschaft ist die GmbH jedoch geborenes Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan, weshalb die Führung des Unternehmens letztlich denjenigen zufällt, die an der Komplementär-GmbH beteiligt sind.7 Eine besondere Gestaltungsform ist die sog. Einheits-GmbH & Co. KG, bei der die GmbH & Co. KG selbst Alleingesellschafterin „ihrer“ Komplementär-GmbH ist. Um die von der Rechtsprechung als Konsequenz dieser Insichbeteiligung gebilligte Ausübung der Gesellschafterrechte in der Komplementär-GmbH durch deren Geschäftsführer8 – in Vertretung der GmbH, die ihrerseits die GmbH & Co. KG vertritt – zu vermeiden, wird nicht selten bestimmt, dass die Kommanditisten qua Beschlusses über die Ausübung eben jener Beteiligungsrechte zu befinden haben.9 Eine weitere verbreitete Gestaltungsalternative besteht darin, die Ausübung der Gesellschafterrechte aus den Geschäftsanteilen an der Komplementär-GmbH – jedenfalls hinsichtlich der Besetzung, Überwachung, Entlastung und Abberufung der Geschäftsführung – auf einen Beirat der GmbH & Co. KG zu übertragen.10

1 2 3 4

5 6 7 8

9 10

Mueller-Thuns in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, GmbH & Co. KG22, § 2 Rz. 5, 11 ff. Mueller-Thuns in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, GmbH & Co. KG22, § 2 Rz. 3. Seit RG v. 4.7.1922 – II B 2/22, RGZ 105, 101 ff. Etwa bezüglich der Insolvenzantragspflicht (§ 130a HGB), der Abschlusserstellung und -publizität (§ 264a HGB) sowie der unternehmerischen Mitbestimmung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 MitbestG) in der GmbH & Co. KG; vgl. Karsten Schmidt, JZ 2005, 425 (425 f.); Bochmann, GmbHR 2018, 289 (292). Mueller-Thuns in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, GmbH & Co. KG22, § 2 Rz. 6 f. Binz/Sorg in Binz/Sorg, Die GmbH & Co. KG12, § 4 Rz. 48. Vgl. Mueller-Thuns in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, GmbH & Co. KG22, § 2 Rz. 6. BGH v. 16.7.2007 – II ZR 109/06, GmbHR 2007, 1034 mit Komm. Werner; OLG Hamburg v. 22.3.2013 – 11 U 27/12, GmbHR 2013, 580 mit Komm. Haase; OLG Celle v. 6.7.2016 – 9 W 93/ 16, GmbHR 2016, 1094 mit Komm. Sammet; vgl. zu den mit § 181 BGB verbundenen Komplikationen in der Einheits-GmbH & Co. KG Bochmann in FS Karsten Schmidt II, Band I, 2019, S. 117 ff. Vgl. BFH v. 13.7.2017 – IV R 42/14, GmbHR 2017, 1158 Rz. 17 ff. mit Komm. Karl. Vgl. Mutter in Münchener Hdb. Gesellschaftsrecht4, Bd. II, § 8 Rz. 35; Binz/Sorg in Binz/Sorg, Die GmbH & Co. KG12, § 10 Rz. 22; Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, GmbH & Co. KG22, § 4 Rz. 245.

Bochmann | 193

4.178

Kap. 4 Rz. 4.179 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

c) Gestaltungsherausforderungen im Nachfolgekontext aa) Tod eines Kommanditisten

4.179

Anders als bei GbR (Rz. 4.81) und oHG (Rz. 4.144) gelingt die Nachfolge in den Kommanditanteil von Todes wegen grundsätzlich reibungslos: Denn gem. § 177 HGB wird die Gesellschaft mangels abweichender gesellschaftsvertraglicher Bestimmungen mit den Erben fortgesetzt. Es bedarf hierfür also keiner Fortsetzungs- oder Nachfolgeklausel.1 Nicht selten existieren Nachfolgeklauseln jedoch auch in Kommanditgesellschaftsverträgen, und zwar im Sinne – grundsätzlich zulässiger2 – qualifizierter Nachfolgeklauseln, welche den Übergang des Kommanditanteils im Todesfall an bestimmte Voraussetzungen in der Person des Erben knüpfen und die Nachfolge in den Anteil an den übrigen Erben vorbei ermöglichen;3 ist dies der Fall, ist aus der Perspektive des Erblassers wiederum ein besonderes Augenmerk auf die Kongruenz der letztwilligen Verfügung und der qualifizierten Nachfolgeklausel zu legen. Wie bei GbR und oHG vollzieht sich auch die Nachfolge in eine Kommanditbeteiligung im Wege der Einzelrechtsnachfolge, d.h. die Kommanditbeteiligung verteilt sich im Erbfall auf die nachfolgeberechtigten Erben nach Maßgabe ihrer Erbquote automatisch auf.4 Wegen des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Mitgliedschaft vereinigt sich die vererbte Kommanditbeteiligung mit einer etwa schon bestehenden Kommanditbeteiligung des Erben; ist der Erbe bereits Komplementär, vereinigen sich die bestehende und die ererbte Beteiligung zu einem einheitlichen Komplementäranteil.5 bb) Wechsel in die Kommanditistenstellung bei Nachfolge in Komplementärsbeteiligung

4.180

Der Tod eines Komplementärs beurteilt sich wie derjenige eines persönlich haftenden Gesellschafters in der oHG (dazu Rz. 4.144).6 Insbesondere zum Wechsel in die Kommanditistenstellung im Falle der Nachfolge in die Beteiligung eines Komplementärs ist auf die Ausführungen in Rz. 4.146 ff. zu verweisen, die in der Kommanditgesellschaft entsprechend gelten (§ 161 Abs. 2 HGB). cc) Haftung des Kommanditistenerben und Nachfolgevermerk im Handelsregister (1) Parallelität von erbrechtlicher und gesellschaftsrechtlicher Haftung

4.181

Hinsichtlich der Haftung des Nachfolgers in eine Kommanditbeteiligung ist wie bei der Nachfolge in einen oHG-Anteil zwischen der erbrechtlichen Haftung für Nachlassverbindlichkeiten und der originär gesellschaftsrechtlichen Haftung als Konsequenz des Eintritts in die 1 Thiessen in Staub5, § 177 HGB Rz. 8; Karsten Schmidt in MüKo4, § 177 HGB Rz. 5. 2 Zu der im Gefolge eines österreichischen höchstrichterlichen Urteils – OGH Wien, Urt. v. 24.1.2019 – 6 Ob 55/18h, NZG 2019, 904 ff. m. Anm. Kalss – zu sogenannten Geschlechterklauseln in Gesellschaftsverträgen auch in Deutschland entbrannten Diskussion Heckschen in Röthel/ K. Schmidt, Grundfragen der Organisation von Familienunternehmen, 2020, (im Erscheinen); bereits vor der österreichischen Entscheidung eingehend Foerster, AcP 213 (2013), 173 ff., sowie Kalss/Dauner-Lieb, GesRZ 2016, 249 ff. 3 Karsten Schmidt in MüKo4, § 177 HGB Rz. 9. 4 RG v. 17.3.1886 – I 12/86, RGZ 16, 40 (56); BGH v. 22.11.1956 – II ZR 222/55, BGHZ 22, 186 (192); BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225 (237); BGH v. 17.10.2006 – VIII ZB 94/ 05, NJW 2006, 3715 (3716); Karsten Schmidt in MüKo4, § 177 HGB Rz. 16. 5 Karsten Schmidt in MüKo4, § 177 HGB Rz. 19 f. 6 Thiessen in Staub5, § 177 HGB Rz. 9.

194 | Bochmann

B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.184 Kap. 4

Gesellschafterstellung des Erblassers zu unterscheiden.1 Bei der – in den Grenzen des §§ 171 f. HGB beschränkten – Kommanditistenhaftung des Erblassers handelt es sich um Nachlassverbindlichkeiten i.S.d. §§ 1967 ff. BGB, für die der Erbe seine Haftung mithin gem. §§ 1975 ff. BGB beschränken kann;2 das gleiche gilt hinsichtlich der Haftung des Erblassers für offene Einlageschulden.3 Davon zu unterscheiden ist die gesellschaftsrechtliche Haftung für Altverbindlichkeiten – die für Neuverbindlichkeiten versteht sich von selbst (§ 171 Abs. 1 HGB) –, die den Nachfolger gem. § 173 HGB trifft; der Vorschrift liegt kein technisches Verständnis des „Eintritts“ zugrunde, sondern erfasst jedes Hinzukommen eines zuvor nicht vorhandenen Kommanditisten.4 Diese Haftung entsteht als gesellschaftsrechtliche originär bei dem Nachfolgekommanditisten, weshalb es sich nicht um Nachlassverbindlichkeiten handelt und die Haftungsbeschränkung gem. §§ 1975 ff. BGB ausscheidet.5 Nach h.A. ist damit auch keine Schlechterstellung gegenüber dem Erben eines persönlich haftenden Gesellschafters, die eine entsprechende Anwendung von § 139 Abs. 4 HGB rechtfertigen könnte, verbunden.6 Im Ergebnis muss der Kommanditist damit, wenn er die mit der Kommanditbeteiligung verbundene Haftung nicht zu tragen bereit ist, die Erbschaft ausschlagen.7

4.182

(2) Nachfolgevermerk Ob der Kommanditist, der gem. § 177 HGB als Erbe in die Kommanditbeteiligung nachfolgt, effektiv – im Außenverhältnis gem. § 172 Abs. 1 HGB für Gesellschaftsverbindlichkeiten und im Innenverhältnis für offene Einlagen – haftet, hängt somit davon ab, ob und inwiefern der Erblasser im Zeitpunkt seines Ablebens bereits auf seine Einlage und/oder8 Haftung geleistet hatte und ob und inwiefern eine Zurückzahlung der Einlage erfolgt war (§ 171 Abs. 1 Halbs. 2, § 172 Abs. 4 Satz 1 HGB). Da der Erbe vollumfänglich in die bestehende Beteiligung eintritt, kommt ihm folglich auch die bereits erfolgte Enthaftung seines Rechtsvorgängers zugute.9

4.183

Von herausragender Bedeutung ist in diesem Falle aber die richtige Eintragung der Rechtsnachfolge von Todes wegen im Handelsregister; diesbezügliche Fehler können die materielle Haftungsfreiheit des Nachfolgers konterkarieren. Wegen § 173 HGB darf im Handelsregister unter keinen Umständen der Eindruck entstehen, der Erblasser sei aus der Gesellschaft ausgeschieden und der Nachfolger eingetreten, ohne dass die Nachfolge in den nämlichen Kommanditanteil deutlich wird. Denn dies würde im Innenverhältnis zur Gesellschaft zwar keinen Unterschied in Bezug darauf machen, ob und inwiefern die Einlage bereits geleistet ist – und

4.184

1 Roth in Baumbach/Hopt39, § 173 HGB Rz. 15; Karsten Schmidt in MüKo4, § 173 HGB Rz. 44. 2 OLG Hamburg v. 5.11.1993 – 11 U 39/93, BB 1994, 238. 3 BGH v. 21.9.1995 – II ZR 273/93, NJW 1995, 3314; Karsten Schmidt in MüKo4, § 177 HGB Rz. 23. 4 Karsten Schmidt in MüKo4, § 173 HGB Rz. 5 und 8. 5 Karsten Schmidt in MüKo4, § 173 HGB Rz. 44. 6 Karsten Schmidt in MüKo4, § 173 HGB Rz. 44; Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas5, § 173 HGB Rz. 29; Roth in Baumbach/Hopt39, § 173 HGB Rz. 15; Gummert in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht4, § 173 HGB Rz. 25. 7 Vgl. Strohn in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 173 HGB Rz. 26. 8 Zur Abgrenzung Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 54 I 2. 9 Karsten Schmidt in MüKo4, § 173 HGB Rz. 30; Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas5, § 173 HGB Rz. 16.

Bochmann | 195

Kap. 4 Rz. 4.184 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

dies dem Nachfolger zugutekommt1 –, führte aber nach h.M. im Außenverhältnis unabhängig von vorherigen Leistungen des Erblassers zur Haftung des Neukommanditisten in Höhe der für ihn eingetragenen Haftsumme, da ohne Nachfolgevermerk für den Rechtsverkehr der Eindruck entstehe, neben die Haftsumme des Ausscheidenden trete eine weitere Haftsumme des Eintretenden.2 Dass dies nicht der Fall ist, ist durch einen entsprechenden Nachfolgevermerk im Handelsregister kenntlich zu machen.3 (3) Nachfolger kraft Eintrittsklausel

4.185

Ist im Gesellschaftsvertrag geregelt, dass – abweichend von § 177 HGB – der Gesellschaftsanteil nicht auf die Erben übergehen soll, sondern diese oder Dritte zum Eintritt in die Gesellschaft berechtigt sein sollen (vgl. zur Eintrittsklausel bereits Rz. 4.96 f.), ist § 173 HGB ebenfalls ohne weiteres einschlägig.4 Da die Eintrittsklausel dazu führt, dass der Kommanditanteil des Verstorbenen zunächst den übrigen Gesellschaftern anwächst und dem oder den Erben ein Abfindungsanspruch zusteht (§ 162 Abs. 2 i.V.m. § 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB), ist der bei Eintritt des Berechtigten neu entstehende (vgl. Rz. 4.97) Kommanditanteil im Ausgangspunkt wertmäßig nicht gedeckt.5 Der Eintretende ist demnach im Ausgangspunkt der Kommanditistenhaftung ausgesetzt, wenn ihm nicht über das Treuhandmodell (Rz. 4.101) oder kraft letztwilliger Verfügung (Rz. 4.103) der mit dem Kommanditanteil des Erblassers verbundene Vermögenswert zugewendet wird.6 dd) Testamentsvollstreckung am Kommanditanteil (1) Zulässigkeit, Voraussetzungen und Testamentsvollstreckervermerk

4.186

Aufgrund der beschränkten Haftung und Mitverwaltungsrechte von Kommanditisten stellt sich das Spannungsverhältnis zwischen personengesellschaftsrechtlichen und erbrechtlichen Prinzipien bei der Kommanditgesellschaft als im Vergleich zu GbR und oHG weniger gravierend dar.7 Nach heute h.M. ist die Verwaltungs- bzw. Dauertestamentsvollstreckung (§ 2209 BGB) am Kommanditanteil deshalb grundsätzlich zulässig,8 und zwar sowohl im Hinblick auf die die sog. Außen- als auch die Innenseite (vgl. zu dieser Differenzierung Rz. 4.121 f.) des Anteils.9

4.187

Die h.M. verlangt jedoch unter Hinweis auf den ungeachtet des reduzierten Einflusses des Kommanditisten personalen Einschlag auch einer Kommanditbeteiligung die Zustimmung

1 Karsten Schmidt in MüKo4, § 173 HGB Rz. 36; Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas5, § 173 HGB Rz. 21. 2 Karsten Schmidt in MüKo4, § 173 HGB Rz. 35 f.; Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas5, § 173 HGB Rz. 15; Strohn in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 173 HGB Rz. 27. 3 Karsten Schmidt in MüKo/HGB4, § 173 HGB Rz. 35; Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/ Haas5, § 173 HGB Rz. 19; Strohn in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 173 HGB Rz. 27. 4 Roth in Baumbach/Hopt39, § 173 HGB Rz. 16. 5 Karsten Schmidt in MüKo4, § 173 HGB Rz. 42; Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas5, § 173 HGB Rz. 4. 6 Karsten Schmidt in MüKo4, § 173 HGB Rz. 42. 7 Thiessen in Staub5, § 177 HGB Rz. 8, 17. 8 BGH v. 3.7.1989 – BGHZ 108, 187 (195); BGH v. 14.12.2012 – II ZB 15/11, ZIP 2012, 623; Thiessen in Staub5, § 177 HGB Rz. 17; Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 45. 9 Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 45.

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B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.189 Kap. 4

der übrigen Gesellschafter zur Testamentsvollstreckung.1 Dies erscheint vor dem Hintergrund, dass die Testamentsvollstreckung am GmbH-Geschäftsanteil keiner derartigen Billigung durch die Mitgesellschafter bedarf, zwar nicht wertungskonsistent,2 ist aber in der Gestaltungspraxis dringend zu berücksichtigen. Die Zustimmung kann zwar auch ad hoc durch Gesellschafterbeschluss erteilt werden.3 Aus gestalterischer Sicht verspricht jedoch eine die Testamentsvollstreckung gestattende Klausel im Gesellschaftsvertrag4 die größte Planungssicherheit. Sind Kommanditanteile nach dem Gesellschaftsvertrag frei übertragbar – d.h. auch unter Lebenden –, so bringt dies zum Ausdruck, dass kein gesteigertes Interesse daran besteht, im Einzelnen kontrollieren zu können, wer die Rechte aus dem Anteil ausübt, weshalb darin die stillschweigend konzedierte generelle Zulässigkeit von Testamentsvollstreckung zu erblicken ist.5 Gleiches kann aber nicht bereits aus einer einfachen – wegen § 177 HGB letztlich redundanten – Nachfolgeklausel und damit auch nicht aus dem gänzlichen Fehlen einer Nachfolgeregelung abgeleitet werden.6 Die Dauertestamentsvollstreckung über den Kommanditanteil ist eine im Handelsregister – auf Antrag des Testamentsvollstreckers – eintragungsfähige Tatsache (sog. Testamentsvollstreckervermerk);7 nach verbreiteter Ansicht in der Literatur besteht sogar eine entsprechende Eintragungspflicht.8

4.188

(2) Ausübung der Gesellschafterrechte Die Gesellschafterrechte aus dem der Verwaltungsvollstreckung unterliegenden Kommanditanteil werden unter Verdrängung des oder der Erben-Kommanditisten (§§ 2205 Satz 1, 2211 Abs. 1 BGB; dazu Rz. 4.120) grundsätzlich umfassend vom Testamentsvollstrecker ausgeübt.9 Der Testamentsvollstrecker ist dabei nicht an den Willen des oder der Erben gebunden;10 die freie Stellung des Testamentsvollstreckers gegenüber den (Gesellschafter-)Erben ist ein Kerncharakteristikum der Testamentsvollstreckung. Grenzen finden die Kompetenzen des Testamentsvollstreckers lediglich in den Verboten unentgeltlicher Verfügungen (§ 2205 Satz 3 BGB) und der Begründung einer persönlichen Haftung der Erben (§ 2206 BGB) sowie seiner allgemeinen Pflicht gegenüber den Erben, den Nachlass ordnungsgemäß zu verwalten.11

1 BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225 (241) (Testamentsvollstreckung jedenfalls ohne Zustimmung der Mitgesellschafter nicht zulässig); BGH v. 3.7.1989 – BGHZ 108, 187 (191 f.); Roth in Baumbach/Hopt39, § 139 HGB Rz. 26; a.A. Karsten Schmidt in FS Maier-Reimer, 2010, S. 629 ff. 2 Karsten Schmidt in FS Maier-Reimer, 2010, S. 629 (634 f.). 3 BGH v. 3.7.1989 – BGHZ 108, 187 (191); Roth in Baumbach/Hopt39, § 139 HGB Rz. 26; Oetker in Oetker6, § 177 HGB Rz. 16. 4 Vgl. BGH v. 3.7.1989 – BGHZ 108, 187 (191); Roth in Baumbach/Hopt39, § 139 HGB Rz. 26. 5 Ulmer, NJW 1990, 73 (76); Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas5, § 177 HGB Rz. 9; Roth in Baumbach/Hopt39, § 139 HGB Rz. 26. 6 Vgl. Roth in Baumbach/Hopt39, § 139 HGB Rz. 26; a.A. Zimmermann in MüKo8, § 2205 BGB Rz. 44. 7 BGH v. 14.12.2012 – II ZB 15/11, GmbHR 2012, 510 (511 f.). 8 Karsten Schmidt in MüKo4, § 177 HGB Rz. 37; Strohn in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 177 HGB Rz. 22. 9 Vgl. BGH v. 13.5.2014 – II ZR 250/12, BGHZ 201, 216 (216 f., 222 ff.); vgl. auch BGH v. 19.12.2017 – II ZR 255/16, GmbHR 2018, 308 (309 f.); Bochmann, GmbHR 2018, 289 (291 f.). 10 Vgl. BGH v. 13.5.2014 – II ZR 250/12, BGHZ 201, 216 (228). 11 Vgl. BGH v. 13.5.2014 – II ZR 250/12, BGHZ 201, 216 (222).

Bochmann | 197

4.189

Kap. 4 Rz. 4.190 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

4.190

Eine praktisch wichtige Grenze der Testamentsvollstreckerbefugnisse markiert § 2206 BGB mit dem grundsätzlichen Verbot, für den Erben persönliche Verbindlichkeiten zu begründen. Mit Blick darauf ist der Testamentsvollstrecker nicht berechtigt, (durch Mitwirkung an einer entsprechenden Änderung des Gesellschaftsvertrags) die Haftsumme des Erben-Kommanditisten zu erhöhen, ohne vor Eintragung durch Zahlung auf die Haftsumme mit Mitteln aus dem Nachlass die damit verbundene persönliche Haftung des Erben-Kommanditisten auszuschließen (§ 171 Abs. 1 Halbs. 2 HGB);1 das gleiche gilt in Bezug auf Einlageversprechen.2 Umstritten ist die vom BGH3 ausdrücklich offen gelassene Frage, ob und inwiefern der Testamentsvollstrecker auch zur Ausübung der mitgliedschaftlichen Rechte aus den Kommanditanteilen berechtigt ist (insbesondere wiederum das Stimmrecht), wenn die Entscheidung den Kernbereich der Mitgliedschaft des oder der Erben-Kommanditisten – nach neuerer Lesart also relativ oder absolut unentziehbare mitgliedschaftliche Rechte – berührt. Nach überzeugender Ansicht – insbesondere mit Blick auf die jüngere BGH-Rechtsprechung zum weiten Umfang der Testamentsvollstreckerbefugnisse4 – ist anzunehmen, dass der Testamentsvollstrecker stets zuständig ist, soweit seine Dispositionen lediglich den Nachlass betreffen.5

4.191

Der Grundsatz der umfassenden Befugnisse des Testamentsvollstreckers aus dem Kommanditanteil bedeutet etwa auch, dass allein der Testamentsvollstrecker ein im Gesellschaftsvertrag jedem „Gesellschafter“ zugebilligtes Recht zur Einberufung einer Gesellschafterversammlung wahrzunehmen hat – und zwar selbst dann, wenn der Testamentsvollstrecker in Bezug auf einen Beschlussgegenstand der in Rede stehenden Gesellschafterversammlung vom Stimmrecht ausgeschlossen ist.6

4.192

Das Stimmrecht selbst hingegen fällt bei Eingreifen eines Stimmverbots in der Person des Testamentsvollstreckers zwar an den Kommanditisten zurück.7 Da der Testamentsvollstrecker jedoch hinsichtlich der übrigen mitgliedschaftlichen Befugnisse nicht verdrängt wird – insbesondere nicht hinsichtlich des Einberufungsrechts –, kommt ihm gleichwohl eine gewisse Blockademöglichkeit zu. Indes ist auch diese nicht unüberwindbar, und sind die Erben ungeachtet der starken Position des Testamentsvollstreckers nicht schutzlos gestellt. Sie müssen allerdings auf erbrechtlicher Ebene gegen den Testamentsvollstrecker vorgehen, da der Konflikt letztlich auch im Erbrecht – in Gestalt der Anordnung der Testamentsvollstreckung – begründet ist, nicht in der Verteilung der mitgliedschaftlichen Befugnisse in der Gesellschaft.8

4.193

Grundlage hierfür ist ihr Anspruch gegen den Testamentsvollstrecker auf ordnungsgemäße Verwaltung des Nachlasses (§ 2216 Abs. 1 BGB) – und damit auch der in Rede stehenden 1 BGH v. 14.12.2012 – II ZB 15/11, GmbHR 2012, 510 (512); präzisierend Zimmermann in MüKo8, § 2205 HGB Rz. 44. 2 Strohn in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 177 HGB Rz. 20; Zimmermann in MüKo8, § 2205 BGB Rz. 44. 3 BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, BGHZ 108, 187 (198 f.). 4 Vgl. BGH v. 13.5.2014 – II ZR 250/12, BGHZ 201, 216. 5 Vgl. LG Mannheim v. 10.11.1998 – 2 O 193/98, MittBayNot 2000, 570; Lorz in FS Boujong, 1996, S. 330 ff.; Karsten Schmidt in MüKo4, § 177 HGB Rz. 31; Zimmermann in MüKo7, § 2205 BGB Rz. 45; a.A. etwa Roth in Baumbach/Hopt39, § 139 HGB Rz. 30; Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas5, § 177 HGB Rz. 11. 6 Vgl. BGH v. 13.5.2014 – II ZR 250/12, BGHZ 201, 216 (217, 224 ff.). 7 Vgl. BGH v. 13.5.2014 – II ZR 250/12, BGHZ 201, 216 (227). 8 BGH v. 19.12.2017 – II ZR 255/16, BGHZ 201, 216 = GmbHR 2014, 863 m. Komm. Werner; vgl. ferner BGH v. 19.12.2017 – II ZR 255/16, GmbHR 2018, 308, und hierzu Bochmann, GmbHR 2018, 289 (291 f.).

198 | Bochmann

B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.195 Kap. 4

Kommanditbeteiligung –, der ggf. auch gerichtlich durchgesetzt werden kann.1 Primär wird es bei der nicht ordnungsgemäßen Wahrnehmung von Gesellschafterrechten darum gehen, dass die Gesellschafter-Erben den Testamentsvollstrecker auf die begehrte Handlung oder Erklärung – etwa die Einberufung einer Gesellschafterversammlung – in Anspruch nehmen.2 Daneben können aber auch Schäden aus der pflichtwidrigen Wahrnehmung der mitgliedschaftlichen Rechte geltend gemacht (§ 2219 Abs. 1 BGB) oder kann gar die nachlassgerichtliche Abberufung des Testamentsvollstreckers aus wichtigem Grund erwirkt werden (§ 2227 BGB).3

III. Kapitalgesellschaften Die gesellschaftsrechtlichen Herausforderungen der Nachfolgeplanung bei Kapitalgesellschaften sind deutlich weniger komplex als bei Personengesellschaften. Dies folgt daraus, dass Aktien und GmbH-Geschäftsanteile im Ausgangspunkt ohne weiteres vererblich sind (vgl. bereits Rz. 4.14), so dass die Nachfolge in die Gesellschafterstellung auch ohne diesbezügliche besondere Vorkehrungen, wie sie bei der GbR und oHG erforderlich sind, um den letztwillig designierten Nachfolger überhaupt den Weg in die Gesellschafterposition zu eröffnen, gelingt. Die Aufgabe der Verzahnung der erbrechtlichen und der gesellschaftsvertraglichen Nachfolgeanordnungen verliert damit jedoch allenfalls an rechtsdogmatischer Brisanz – nicht aber in der Sache.

4.194

1. Gesellschaft mit beschränkter Haftung a) Grundzüge aa) Kapitalgesellschaft mit beschränkter Haftung Die GmbH ist juristische Person (§ 13 Abs. 1 GmbHG) und besteht als solche unabhängig von ihren Mitgliedern – potentiell also „ewig“.4 Nicht zuletzt aus diesem Grund ist die Übertragung von Geschäftsanteilen sowohl unter Lebenden als auch von Todes wegen im Ergebnis konstruktiv unproblematisch.5 Die Modalitäten der Geschäftsanteilsübertragung (unter Lebenden) hat der Gesetzgeber mit dem Erfordernis der notariellen Beurkundung sowohl von Verpflichtungen, über Geschäftsanteile zu verfügen (§ 15 Abs. 4 GmbHG), als auch von entsprechenden Verfügungen selbst (§ 15 Abs. 3 GmbHG) bewusst erschwert, um den spekulativen Handel mit Geschäftsanteilen zu unterbinden.6 Aus dieser Intention wird das gesetzgeberische Leitbild der GmbH als personalistisch strukturierte Gesellschaft erkennbar.7 Verstärkt wird dieses durch die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit, die Übertragung von Geschäftsanteilen unter Lebenden in der Satzung mit dinglicher Wirkung zu beschränken (Vinkulierung; § 15 Abs. 5 GmbHG).

1 2 3 4 5 6

BGH v. 13.5.2014 – II ZR 250/12, BGHZ 201, 216 (228 f.). BGH v. 13.5.2014 – II ZR 250/12, BGHZ 201, 216 (229). BGH v. 13.5.2014 – II ZR 250/12, BGHZ 201, 216 (229). Lutter/Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff20, Einl. GmbHG Rz. 2. Bochmann/Cziupka in GmbH-Hdb., Rz. I-5. Begr. GmbH-Gesetz, 1891, S. 38; BGH v. 10.3.2008 – II ZR 312/06, GmbHR 2008, 589 (590); Lieder/Villegas, GmbHR 2018, 169 (171); Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe3, § 15 GmbHG Rz. 43; Reichert/Weller in MüKo3, § 15 GmbHG Rz. 16. 7 Reichert/Weller in MüKo3, § 15 GmbHG Rz. 16; Lieder/Villegas, GmbHR 2018, 169 (171);

Bochmann | 199

4.195

Kap. 4 Rz. 4.196 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

4.196

Charakteristisch für die GmbH ist die Haftungsbeschränkung gem. § 13 Abs. 2 GmbHG, wonach für Verbindlichkeiten der Gesellschaft den Gläubigern derselben nur das Gesellschaftsvermögen haftet. Die Gesellschaft selbst haftet mit ihrem Vermögen unbeschränkt, ihre Gesellschafter hingegen grundsätzlich – mit Durchbrechungen in bestimmten durch die Rechtsprechung entwickelten Missbrauchskategorien1 wie dem sog. existenzvernichtenden Eingriff – überhaupt nicht.2 bb) Organisationsverfassung (1) Gesellschafterversammlung als oberstes Gesellschaftsorgan

4.197

Die Organisationsverfassung der GmbH zeichnet sich einerseits durch eine recht hohe gesetzliche Regelungsdichte, andererseits aber durch ein dem Personengesellschaftsrecht ähnliches hohes Maß an Flexibilität aus, da die Vorschriften zur Organisationsverfassung – anders als diejenigen zur Finanzverfassung – weitgehend dispositiver Natur sind.3

4.198

Prägendes Merkmal der GmbH-Verfassung ist die herausgehobene Stellung der Gesellschafterversammlung und ihre Allzuständigkeit sowohl in Grundsatzangelegenheiten als auch in Detailfragen, insbesondere auch hinsichtlich der Geschäftsführung.4 Die Gesellschafterversammlung verfügt über die sog. „Kompetenz-Kompetenz“5 auch jenseits der in § 46 GmbHG aufgezählten Zuständigkeiten. Hierin liegen Chance und Risiko zugleich. Einerseits erlaubt die Allzuständigkeit es GmbH-Gesellschaftern – in Abgrenzung zu Aktionären oder (typischen) Kommanditisten –, auch ohne kumulative Geschäftsführerstellung das unternehmerische Schicksal ihrer Gesellschaft aktiv mitzugestalten; andererseits schlagen Konflikte im Gesellschafterkreis (vgl. bereits Rz. 4.4) unmittelbar auf das Alltagsgeschäft einer GmbH durch, insbesondere wenn nicht z.B. ein Beirat als mediatisierende Instanz existiert.6

4.199

Die Gesellschafter bilden ihren Willen in Gesellschafterversammlungen (§ 48 Abs. 1 GmbHG) oder außerhalb von Gesellschafterversammlungen (§ 48 Abs. 2 GmbHG) durch regelmäßig einfachmehrheitliche (§ 47 Abs. 1 GmbHG, § 53 Abs. 2 Satz 1 GmbHG) Beschlussfassungen.7 Das entsprechende Verfahren ist im Gesetz jedoch nur lückenhaft und bisweilen missverständlich geregelt.8 Hieraus sowie aus der Allzuständigkeit der Gesellschafterversammlung ergibt sich die Aufgabe für den Satzungsgestalter – bei Gründung der Gesellschaft, aber auch im Verlauf ihres Bestehens9 und insbesondere in Vorbereitung von Unternehmensnachfolgen –, ein für die Betroffenen verständliches und rechtssicher handhabbares Verfahren zu schaffen, welches im Sinne der statutarischen Konfliktprävention durch Verfahrensgestaltung

1 Vgl. BGH v. 24.6.2002 – II ZR 300/00, GmbHR 2002, 902; Überblick bei Bochmann/Cziupka in GmbH-Hdb., Rz. I-24 ff. 2 Bochmann/Cziupka in GmbH-Hdb., Rz. I-8. 3 Bochmann/Cziupka in GmbH-Hdb., Rz. I-1. 4 Bochmann/Cziupka in GmbH-Hdb., Rz. I-1401, I-1405; Bayer in Lutter/Hommelhoff20, § 46 GmbHG Rz. 1. 5 Hüffer/Schürnbrand in Ulmer/Habersack/Löbbe2, § 45 GmbHG Rz. 5. 6 Bochmann/Cziupka in GmbH-Hdb., Rz. I-1401. 7 Bochmann/Cziupka in GmbH-Hdb., Rz. I-1400. 8 Vgl. Bochmann, GmbHR 2017, 558 (559 f.). 9 Zu den Vorteilen einer regelmäßigen „Satzungsinventur“ Bochmann/Cziupka in GmbH-Hdb., Rz. I-410 ff.

200 | Bochmann

B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.202 Kap. 4

das Überspringen namentlich familiärer Konflikte in Familienunternehmen in die Gesellschaftssphäre nach Möglichkeit verhindert.1 (2) Fremdgeschäftsführung Von der Allzuständigkeit der Gesellschafter nicht umfasst ist die Vertretung der GmbH sowie, jedenfalls im Ausgangspunkt, die Geschäftsführung, die vielmehr in den Händen des oder der Geschäftsführer liegen (vgl. § 35, § 37 GmbHG). Nur in Ausnahmefällen – etwa im Falle der Vertretung der Gesellschaft gegenüber dem Geschäftsführer – hat die Gesellschafterversammlung Vertretungsmacht,2 und die Geschäftsführung ist jedenfalls solange Aufgabe des oder der Geschäftsführer, wie die Gesellschafterversammlung keinen Gebrauch von ihrem diesbezüglichen Weisungsrecht (vgl. § 37 Abs. 1 GmbHG) macht.3

4.200

Die GmbH muss dementsprechend ausweislich § 6 Abs. 1 GmbHG zwingend einen oder mehrere Geschäftsführer haben. In Betracht kommen ausschließlich natürliche, unbeschränkt geschäftsfähige Personen (§ 6 Abs. 2 GmbHG). Keine Voraussetzungen für die Bekleidung des Geschäftsführeramts ist hingegen die Gesellschafterstellung. Es gilt folglich das Prinzip der Fremdorganschaft, das Gesellschafter-Geschäftsführer allerdings keineswegs ausschließt.4 Dieses Prinzip der Fremdorganschaft begünstigt passgenaue Nachfolgeregelungen, da sie es erlaubt – aber keineswegs dazu zwingt –, das Management und die Eigentümerstruktur eines Unternehmens voneinander zu entkoppeln.5 So beschränkt die vermögensmäßige Nachfolge den Nachfolger nicht notwendigerweise in der Berufswahl, und ferner kann die Fremdgeschäftsführung Kompetenz- oder bei größeren Gesellschaften schlicht Kapazitätsdefizite kompensieren.6

4.201

Gleichzeitig begünstig das GmbH-Recht Regelungen zur Sicherung des Einflusses bestimmter Familienmitglieder, Familienstämme oder sonstiger Gesellschafter(-gruppen) auf Ebene der Geschäftsführung. Denn es können statutarische Sonderrechte vorgesehen werden, die entweder das Recht begründen, ohne gesonderten Gesellschafterversammlungsbeschluss Geschäftsführer zu ernennen oder der Gesellschafterversammlung Geschäftsführer zur Wahl vorzuschlagen, ggf. verbunden mit spezifischen Ablehnungsgründen.7 Derartige Sonderrechte können mit bestimmten Geschäftsanteilen oder Beteiligungsschwellenwerten verbunden sein – und sind dann mit den entsprechenden Geschäftsanteilen vererblich –, sie können aber auch an die Gesellschafterstellung bestimmter Individuen anknüpfen und demgemäß mit deren „Ausscheiden“ aus der Gesellschaft – durch Tod und Gesamtrechtsnachfolge ihrer Erben in ihre Geschäftsanteile – erlöschen.8

4.202

1 Überblick und Empfehlungen bei Bochmann, GmbHR 2017, 558 (559 ff.); vgl. zu den Möglichkeiten der Konfliktprävention durch Satzungsgestaltung auch Verse in Röthel/Karsten Schmidt, Konfliktvermeidung in Familienunternehmen, S. 33 ff. 2 Vgl. etwa BGH v. 25.3.1991 – II ZR 169/90, GmbHR 1991, 363; Überblicke bei Fleischer/Wedemann, GmbHR 2010, 449 ff.; Lieder, NZG 2015, 569 ff. 3 Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz11, § 37 GmbHG Rz. 1; Bochmann/Cziupka in GmbH-Hdb., Rz. I-1457 f. 4 Bochmann/Cziupka in GmbH-Hdb., Rz. I-7. 5 Bochmann/Cziupka in GmbH-Hdb., Rz. I-7. 6 Vgl. zur Fremdgeschäftsführung in Familienunternehmen auch Prütting/Bochmann/Rauffus, FuS 2017, 206 ff. 7 Überblick bei Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz12, § 6 GmbHG Rz. 79 ff. 8 Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz12, § 6 GmbHG Rz. 83 f.

Bochmann | 201

Kap. 4 Rz. 4.203 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

cc) Finanzverfassung

4.203

Rigider als die Organisationsverfassung stellt sich die Finanzverfassung der GmbH dar. Deren Eckpfeiler sind das gesetzliche Mindestkapital, das zwingende Gebot der realen Kapitalaufbringung und die Ausschüttungsbarrieren des § 30 GmbHG.1 Die GmbH hat ein in der Satzung festzulegendes Stammkapital, das mindestens 25.000 Euro betragen (§ 5 Abs. 1 GmbHG) und, wenn es sich um eine Bargründung handelt, vor Eintragung mindestens zur Hälfte eingezahlt sein muss (§ 7 Abs. 2 Satz 2 GmbHG). Ausschüttungen im weitesten Sinne sind nur insoweit erlaubt, als das Reinvermögen der Gesellschaft – mithin das Vermögen abzgl. Verbindlichkeiten und Rückstellungen – das Stammkapital übersteigt (§ 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG);2 verbotswidrige Ausschüttungen sind der Gesellschaft grundsätzlich zu erstatten (§ 31 Abs. 1 GmbHG) und die Geschäftsführer haften gem. § 43 Abs. 2 Satz 1 GmbHG. dd) Handelsregisterpublizität

4.204

Vor der Eintragung in das Handelsregister des Sitzes der Gesellschaft besteht die GmbH gem. § 11 Abs. 1 GmbHG als solche nicht. Die Betonung liegt auf „als solche“, da die Gesellschaft ab ihrer Errichtung im Wege der notariellen Beurkundung durchaus als sog. Vor-GmbH (GmbH i.G.) existiert und den Vorschriften des GmbHG unterworfen ist, soweit diese nicht gerade die Eintragung voraussetzen.3 Im Handelsregister einzutragen ist nicht lediglich die Gesellschaft als solche, sondern gem. § 10 Abs. 1 GmbHG insbesondere Firma und der Sitz der Gesellschaft, eine inländische Geschäftsanschrift – die nicht mit dem Sitz übereinstimmen muss –, der Gegenstand des Unternehmens, die Höhe des Stammkapitals, der Tag des Abschlusses des Gesellschaftsvertrages und die Personen der Geschäftsführer; ferner ist einzutragen, welche Vertretungsbefugnis die Geschäftsführer haben. Zum Handelsregister ist außerdem der jeweils aktuelle Satzungstext in einer konsolidierten Urkunde einzureichen (§ 8 Abs. 1 Nr. 1, § 54 Abs. 1 Satz 2 GmbHG) und gem. § 9 Abs. 1 Satz 1 HGB einsehbar.

4.205

Von elementarer Bedeutung im GmbH-Recht ist neben den eigentlichen Handelsregistereintragungen die Gesellschafterliste i.S.v. § 40 GmbHG. Sie ist das zentrale Dokument im Recht der GmbH, da im Verhältnis zur Gesellschaft als Inhaber eines Geschäftsanteils nur gilt, wer als solcher in der im Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste eingetragen ist.4 Nicht die materielle Rechtsinhaberschaft, sondern die Eintragung in der Gesellschafterliste und deren Aufnahme zum Handelsregister sind somit entscheidend etwa für die Möglichkeit, an Gesellschafterversammlungen teilnehmen zu dürfen, das Stimmrecht auszuüben oder Ausschüttungen zu erhalten.5 Die Gesellschafterliste mit dieser herausgehobenen Bedeutung ist ein Produkt des MoMiG aus dem Jahr 2008; die damit verbundenen Komplikationen haben sich in jüngerer Zeit mit der Verschärfung der Anforderungen an die formale Ausgestaltung der Gesellschafterliste durch das Geldwäscherichtlinie-Umsetzungsgesetz noch einmal verschärft.6 Zu den sich damit verbindenden Problemen im Nachfolgekontext vgl. Rz. 4.228.

1 Vgl. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 33 V.1. 2 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 37 III.1.d; Fastrich in Baumbach/Hueck22, § 30 GmbHG Rz. 6. 3 BGH v. 12.7.1956 – II ZR 218/54, BGHZ 21, 242; BGH v. 2.5.1966 – 219/63, BGHZ 45, 338 (347); Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 34 III.3.a. 4 Bayer in Lutter/Hommelhoff20, § 16 GmbHG Rz. 9 ff.; Heidinger in MüKo3, § 16 GmbHG Rz. 2. 5 Bayer in Lutter/Hommelhoff20, § 16 GmbHG Rz. 9 ff.; Heidinger in MüKo3, § 16 GmbHG Rz. 2. 6 Vgl. Seibert/Bochmann/Cziupka, GmbHR 2017, R241 f.; OLG München v. 12.10.2017 – 31 Wx 299/17, GmbHR 2018, 35; vgl. hierzu Bochmann/Cziupka, EWiR 2018, 11 f.; OLG Nürnberg v. 23.11.2017 – 12 W 1866/17, GmbHR 2018, 86 mit Komm. Bochmann/Cziupka.

202 | Bochmann

B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.209 Kap. 4

ee) Transparenzregisterpublizität Für die GmbH gelten als juristische Person gem. § 20 Abs. 1 Satz 1 GwG die Angabe- und Mitteilungspflichten in Bezug auf das Transparenzregister.1 Die Angaben in der Gesellschafterliste ersetzen sowohl die Mitteilungs- als auch die Angabepflicht (§ 20 Abs.2 Satz 1 Nr. 1, § 22 Abs.1 Satz 1 Nr.4 GwG), soweit die wirtschaftlich Berechtigten sich daraus ergeben. Da die Gesellschafterliste ausgesprochen detaillierte Angaben zu den Beteiligungsverhältnissen in der GmbH verlangt, wird sie also ganz regelmäßig gesonderte Mitteilungen an das Transparenzregister überflüssig machen.2

4.206

Obacht ist aber im Hinblick auf sämtliche Sachverhalte geboten, die zu einer Abweichung der Stimmrechtsmacht von der in der Gesellschafterliste allein ausgewiesenen kapitalmäßigen Beteiligung (vgl. § 40 Abs. 1 Satz 1 GmbHG: „durch den jeweiligen Nennbetrag eines Geschäftsanteils vermittelte jeweilige prozentuale Beteiligung am Stammkapital“) – etwa aufgrund von Mehrstimmrechten, stimmrechtslosen Geschäftsanteilen oder Stimmrechtspools3 – oder zu einer Verschleierung der wirtschaftlich Berechtigten wie namentlich bei Treuhandverhältnissen4 führen. Derartige gerade in Familienunternehmen und zur Flankierung von Unternehmensnachfolgen verwendete Instrumente (vgl. noch Rz. 4.46) sind, wenn sie zu einer Verschiebung der wirtschaftlichen Berechtigungen gegenüber den in der Gesellschafterliste verlautbarten (kapitalmäßigen) Beteiligungsverhältnissen führen, gesondert an das Transparenzregister zu melden.5

4.207

ff) Tatsächliche Erscheinungsformen Die GmbH ist mit rund 1,2 Mio. Gesellschaften per 1.1.2017 die in Deutschland mit großem Abstand beliebteste und verbreitetste Rechtsform.6 Typischerweise tritt sie dem gesetzlichen Leitbild (vgl. bereits Rz. 4.195) entsprechend als personalistisch strukturierte Gesellschaft auf, die keinen oder nur flankierenden Gebrauch von der Möglichkeit macht, Nichtgesellschafter zu Geschäftsführern zu bestellen.7

4.208

Die GmbH als Handelsgesellschaft und damit Kaufmann kraft Rechtsform (§ 13 Abs. 3 GmbHG, § 6 Abs. 1 HGB) kann jeden erlaubten Zweck verfolgen, wobei statistisch der Zweck der Gewinnerzielung in Verbindung mit einer unternehmerischen Tätigkeit in den Bereichen Dienstleistung, Handel und Produktion dominieren.8

4.209

1 Bochmann in FS Seibert, 2019, S. 107 (109); Bochmann, DB 2017, 1310 (1312); Seibert/Bochmann/ Cziupka, GmbHR 2017, 1128. 2 So auch die gesetzgeberische Intention; vgl. Begr. RegE Geldwäscherichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 18/11555, 92 f., 125, 127 ff., und hierzu Seibert/Bochmann/Cziupka, GmbHR 2017, 1128 ff. 3 Seibert/Bochmann/Cziupka, GmbHR 2017, 1128 (1131 f.); Schaub, DStR 2018, 871 ff. 4 Dazu eingehend Bochmann, DB 2017, 1310 (1315 f.). 5 Vgl. Bochmann, FuS 2017, 106 (107 f.); Seibert/Bochmann/Cziupka, GmbHR 2017, 1128 (1131 f.); Schaub, DStR 2018, 871 ff. 6 Vgl. Lieder/Ringlage, GmbHR 2017, 1065; Kornblum, GmbHR 2019, 689 (690). 7 Vgl. Fastrich in Baumbach/Hueck22, Einl. GmbHG Rz. 12; Saenger in Saenger/Inhester3, Einl. GmbHG Rz. 18. 8 Bochmann/Cziupka in GmbH-Hdb., Rz. I-12.

Bochmann | 203

Kap. 4 Rz. 4.210 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

gg) Sonderfall: UG (haftungsbeschränkt)

4.210

Die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) ist eine Subform der GmbH, deren Besonderheit darin besteht, dass sie mit einem geringeren Stammkapital als dem gesetzlichen Mindeststammkapital von € 25.000 gegründet wird (vgl. § 5a GmbHG). Für sie gelten grundsätzlich die Vorschriften des GmbHG, soweit eben dieses nicht selbst Abweichungen vorsieht.1 Die wesentlichen Unterschiede zur GmbH bestehen darin, dass das Stammkapital – das aber im Zweifel auch nur 1 Euro betragen kann – vor der Eintragung vollständig eingezahlt sein muss und Sacheinlagen ausgeschlossen sind (§ 5a Abs. 2 GmbHG), die Gesellschaft als „Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)“ oder „UG (haftungsbeschränkt)“ firmieren muss (§ 5a Abs. 1 GmbHG) und gesetzlich die Bildung einer Rücklage vorgesehen ist, aus der nach dem Leitbild des Gesetzgebers eine Kapitalerhöhung zur Erreichung des Status einer gewöhnlichen GmbH vorgenommen werden soll (aber nicht muss) (§ 5a Abs. 3, § 57c GmbHG). Mit Blick auf die Nachfolgeplanung stellen sich jedoch keine von sonstigen GmbH abweichenden Herausforderungen. b) Gestaltungsherausforderungen im Nachfolgekontext aa) Zwingende Vererblichkeit des Geschäftsanteils und Erbengemeinschaft als GmbHGesellschafter

4.211

Aufgrund der Verselbstständigung der GmbH als juristische Person von ihren Gesellschaftern sind GmbH-Geschäftsanteile im Ausgangspunkt wie andere Gegenstände nach den allgemeinen erbrechtlichen Regelungen zu behandeln. Beim Tod eines Gesellschafters fällt der Geschäftsanteil in den Nachlass und geht gem. § 1922 BGB auf den oder die Erben über. GmbH-Geschäftsanteile sind gem. § 15 Abs. 1 GmbHG zwingend vererblich. Gesellschaftsvertragliche Gestaltungen vermögen an der Vererblichkeit selbst nichts zu ändern (vgl. aber Rz. 4.216 zu alternativen Gestaltungsstrategien).2 Insbesondere können Vinkulierungsklauseln i.S.v. § 15 Abs. 5 GmbHG den Übergang von Geschäftsanteilen von Todes wegen nicht beschränken bzw. steuern.3

4.212

Anders als bei Personengesellschaften (dazu Rz. 4.88) tritt keine Sonderrechtsnachfolge ein; vielmehr fällt der Geschäftsanteil mehreren Erben in Erbengemeinschaft zur gesamten Hand an (§ 2032 Abs. 1 BGB).4 Bestätigt wird dies durch § 18 GmbHG, der gerade den Fall der ungeteilten Mitberechtigung mehrerer an einem Geschäftsanteil regelt. Die Verwaltung des Gesellschaftsanteils im Verhältnis der Miterben zueinander richtet sich nach den allgemeinen erbrechtlichen Vorschriften, d.h. die Miterben verwalten den Geschäftsanteil grundsätzlich gemeinschaftlich (§ 2038 Abs. 1 Satz 1 BGB).5 § 18 GmbHG bestimmt sodann auf gesellschaftsrechtlicher Ebene, dass die Mitverwaltungsrechte aus dem Anteil ebenfalls nur gemeinschaftlich – d.h. primär zum Schutze der Gesellschaft: einheitlich – ausgeübt werden können.6 Hierzu können die Miterben einen gemeinsamen Vertreter bestellen (arg e § 18 Abs. 3 Satz 1 1 Wälzholz in GmbH-Hdb., Rz. I-404. 2 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 35 II.3.a. 3 Vgl. BGH v. 5.11.1984 – II ZR 147/83, BGHZ 92, 386 (393); Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe3, § 15 GmbHG Rz. 38; Seibt in Scholz12, § 18 GmbHG Rz. 9. 4 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 35 II.3.a; Gergen in MüKo8, § 2032 BGB Rz. 88; Ivo, ZEV 2006, 252 (253). 5 Überblicke bei Raue, GmbHR 2015, 121 ff.; Schürnbrand, NZG 2016, 241 (243 ff.). 6 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 35 II.3.a; Bayer in Lutter/Hommelhoff20, § 15 GmbHG Rz. 13; Seibt in Scholz12, § 15 GmbHG Rz. 24 ff., § 18 GmbHG Rz. 17.

204 | Bochmann

B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.215 Kap. 4

GmbHG), müssen es aber nicht.1 Deshalb ist es aus Perspektive der Gesellschaft und der verbliebenen Mitgesellschafter im Sinne der Rechtssicherheit und -klarheit empfehlenswert, für den Fall der Mitberechtigung einer Erbengemeinschaft im Gesellschaftsvertrag zu bestimmen, dass die Mitberechtigten einen gemeinsamen Vertreter, der ggf. bestimmte Qualifikationen zu erfüllen hat (Mitgesellschafter; zur Berufsverschwiegenheit verpflichtete Person), zur Ausübung der Reche aus dem Geschäftsanteil zu benennen haben, indem angeordnet wird, dass nur dieser die Rechte aus den Geschäftsanteilen überhaupt ausüben kann.2 bb) Steuerung des Gesellschafterkreises trotz freier Vererblichkeit (1) Ausgangspunkt Die freie Vererblichkeit des Geschäftsanteils und die Möglichkeit der Mitberechtigung von Miterben in Erbengemeinschaft bergen für die Gesellschaft und den nach dem Tod eines Gesellschafters verbliebenen Gesellschafterkreis die ernst zu nehmende Gefahr der unkontrollierten Erweiterung oder Zersplitterung des Gesellschafterkreises, was insbesondere bei personalistisch geprägten Gesellschaften und Familienunternehmen unerwünscht sein wird.3 Dass Vinkulierungsklauseln den Übergang von Gesellschaftsanteilen von Todes wegen nicht zu beeinflussen vermögen, wurde bereits ausgeführt (Rz. 4.211).

4.213

Darüber hinausgehende Risiken birgt zudem § 2033 Abs. 1 Satz 1 BGB, demzufolge jeder Miterbe frei über seinen Anteil am Nachlass verfügen kann (vgl. dazu auch Rz. 4.89). Eine derartige – notariell zu beurkundende (§ 2033 Abs. 1 Satz 2 BGB) – Verfügung über den Anteil am Nachlass, zu dem ein GmbH-Gesellschaftsanteil gehört, ist streng von der Verfügung über den Nachlassgegenstand „GmbH-Geschäftsanteil“ i.S.v. § 15 Abs. 3 GmbHG zu unterscheiden.4 Nach h.A. greifen deshalb statutarische Abtretungsbeschränkungen i.S.v. § 15 Abs. 5 GmbHG wiederum gerade nicht ein, wenn Miterben über ihren Anteil am Nachlass verfügen.5 Durch die Übertragung sämtlicher Nachlassanteile kann folglich auch eine Person Gesellschafter werden, an die der zum Nachlass gehörende Gesellschaftsanteil wegen Beschränkungen gem. § 15 Abs. 5 GmbHG nicht wirksam abgetreten werden könnte; auf etwaige aus dem Umgehungsgedanken abgeleitete Ausnahmen6 sollte man sich prospektiv nicht verlassen.

4.214

Der gesetzliche Grundsatz der freien Vererblichkeit von Geschäftsanteilen steht nach h.M. statutarischen Anordnungen entgegen, die eben jenen Grundsatz aushebeln würden. Der Gesellschaftsvertrag kann folglich nicht effektiv bestimmen (vgl. aber auch noch Rz. 4.227), dass im Todesfall eine bestimmte Person Nachfolger des verstorbenen Gesellschafters in den betreffenden Geschäftsanteil wird,7 dass bestimmte Individuen oder Personenkreise dies nicht werden können,8 dass die Nachfolge in den Geschäftsanteil von Zustimmungen der Gesell-

4.215

1 Seibt in Scholz12, § 18 GmbHG Rz. 21. 2 Seibt in Scholz12, § 18 GmbHG Rz. 21; Ivo, ZEV 2006, 252 (253); J. Schmidt, NZG 2015, 1049 (1054 f.). 3 Vgl. Hübner in Scherer, Unternehmensnachfolge6, § 6 Rz. 210. 4 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 35 II.3.b; Seibt in Scholz12, § 18 GmbHG Rz. 9. 5 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 35 II.3.b; Seibt in Scholz12, § 18 GmbHG Rz. 9. 6 Dazu Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 35 II.3.c; Seibt in Scholz12, § 18 GmbHG Rz. 9. 7 OLG Koblenz v. 19.1.1995 – 6 U 829/93, GmbHR 1995, 586 (587); Servatius in Baumbach/Hueck22, § 15 GmbHG Rz. 12; Seibt in Scholz12, § 15 GmbHG Rz. 28. 8 Servatius in Baumbach/Hueck22, § 15 GmbHG Rz. 12; Seibt in Scholz12, § 15 GmbHG Rz. 28.

Bochmann | 205

Kap. 4 Rz. 4.215 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

schafterversammlung oder dergleichen abhängen soll1 oder dass ein Geschäftsanteil im Todesfall automatisch eingezogen wird.2

4.216

Ungeachtet dessen ist die Steuerung der Zusammensetzung des Gesellschafterkreises im Wege der vorsorgenden Gestaltung möglich. Selbstredend kann der Erblasser mithilfe der allgemeinen erbrechtlichen Instrumentarien dafür sorgen, dass lediglich ein bestimmter Erbe Nachfolger in den Gesellschaftsanteil wird, etwa im Wege der Teilungsanordnung oder des Vorausvermächtnisses,3 ggf. – da der Geschäftsanteil in beiden Fällen zunächst Nachlassgegenstand wird – im Sinne der zeitnahen Umsetzung effektuiert durch Anordnung von Testamentsvollstreckung4 oder Erteilung einer postmortalen Vollmacht zur Vermächtniserfüllung.5 Die Gesellschaft sowie die Mitgesellschafter sind damit aber nicht geschützt, da die letztwilligen Verfügungen, soweit erbrechtlich zulässig, jederzeit abgeändert werden können. (2) Einziehungsklauseln

4.217

Ausgangspunkt von Überlegungen auf gesellschaftsrechtlicher Ebene muss – anders als bei Personengesellschaften – sein, dass die von dem versterbenden Gesellschafter zur Nachfolge berufenen Erben zunächst Gesellschafter werden.6 Statutarisch kann jedoch Vorsorge getroffen werden, dass „missliebige“ Personen nicht Gesellschafter bleiben. Das hierfür gesetzlich zu Gebote stehende Instrument ist die Einziehung des Geschäftsanteils gem. § 34 GmbHG. Die Satzung kann also bestimmen, dass der Geschäftsanteil von Personen, die aufgrund einer Verfügung von Todes wegen Gesellschafter werden, jedoch bestimmte Anforderungen nicht erfüllen, eingezogen werden kann oder gar muss;7 sind die Familiengesellschafter nur mittelbar über Zwischenholdings, Stammesgesellschaften etc. an der in Rede stehenden Gesellschaft beteiligt, müssen die Einziehungsklauseln auf einen Gesellschafterwechsel in der Gesellschafter-Gesellschaft zugeschnitten sein.8

4.218

Da es sich dabei um eine Einziehung ohne Zustimmung des betroffenen Gesellschafters handelt, ist § 34 Abs. 2 GmbHG zu beachten. Danach findet die Einziehung nur statt, wenn die Voraussetzungen derselben vor dem Zeitpunkt, in welchem der Berechtigte den Geschäftsanteil erworben hat, im Gesellschaftsvertrag festgesetzt waren. Soll eine derartige Einziehungsklausel nachträglich in die Satzung aufgenommen werden, so ist hierfür nach herr1 Seibt in Scholz12, § 15 GmbHG Rz. 28. 2 Servatius in Baumbach/Hueck22, § 15 GmbHG Rz. 12; Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe3, § 15 GmbHG Rz. 12; Seibt in Scholz12, § 15 GmbHG Rz. 27; Ivo, ZEV 2006, 252. 3 Überblick bei D. Jasper/Wollbrink in Münchener Hdb. Gesellschaftsrecht4, Bd. 3, § 25 Rz. 49 ff., 52 ff. 4 Vgl. Mayer, ZEV 2002, 209 (212). 5 Zu den einzelnen Gestaltungsvarianten und m.w.N. Ivo, ZEV 2006, 252 (256). 6 Prägnant Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 35 II.3.a, zu Nachfolgeklauseln in GmbH (in Abgrenzung zu solchen in Personengesellschaften): „Die gesellschaftsvertragliche Nachfolgeklausel bestimmt nicht, welcher Erbe im Todesfall Nachfolger ist, sondern sie kann nur bestimmen, wer Nachfolger werden soll.“ 7 BGH v. 20.12.1976 – II ZR 115/75, BB 1977, 563; OLG München v. 6.7.1984 – 23 U 1899/84, ZIP 1984, 1349; Bayer in Lutter/Hommelhoff20, § 15 GmbHG Rz. 20; Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe3, § 15 GmbHG Rz. 17; Reichert/Weller in MüKo3, § 15 GmbHG Rz. 457; Seibt in Scholz12, § 15 GmbHG Rz. 30; Strohn in MüKo3, § 34 GmbHG Rz. 55; vgl. auch Überblick und Gestaltungsempfehlungen bei Heckschen, NZG 2019, 721 (725 f.); Heckschen in Röthel/K. Schmidt, Grundfragen der Organisation von Familienunternehmen, (im Erscheinen). 8 Vgl. Heckschen, NZG 2019, 721 (731); Heckschen in Röthel/K. Schmidt, Grundfragen der Organisation von Familienunternehmen, (im Erscheinen).

206 | Bochmann

B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.222 Kap. 4

schender Ansicht Einstimmigkeit erforderlich, da jeder Gesellschafter die Risiken der Zwangseinziehung für sich und seine Nachfolger kennen und kalkulieren können muss;1 jedenfalls vermag eine mit Dreiviertelmehrheit eingefügte Zwangseinziehungsklausel nicht solche Gesellschafter, die nicht zugestimmt haben, und auch nicht deren Nachfolger zu binden.2 Grundsätzlich hat der Gesellschafter, dessen Geschäftsanteil eingezogen wird, einen Abfindungsanspruch gegen die Gesellschaft.3 Nicht zuletzt deshalb stellt § 34 Abs. 3 GmbHG die Einziehung, die vorbehaltlich anderweitiger gesellschaftsvertraglicher Regelungen mit der Beschlussfassung wirksam wird – d.h. die Leistung der Abfindung nicht zur Voraussetzung, sondern zur Folge hat – unter den Vorbehalt des § 30 Abs. 1 GmbHG. Die Abfindung darf folglich nur aus dem Reinvermögen der Gesellschaft geleistet werden; steht bei Beschlussfassung über die Einziehung bereits fest, dass dies nicht möglich ist, hat dies die Nichtigkeit des Einziehungsbeschlusses zur Folge.4 Konsequenterweise dürfen nur voll eingezahlte Geschäftsanteile eingezogen werden (vgl. auch § 19 Abs. 2 Satz 1 GmbHG).5

4.219

Ohne nähere statutarische Regelung wird als Abfindung der volle (Verkehrs-)Wert des Anteils geschuldet, wobei die Abfindung mit Einziehung fällig wird.6 Die Höhe ist aber im gleichen Maße wie bei Personengesellschaften gesellschaftsvertraglichen Regelungen zugänglich (vgl. hierzu Rz. 4.105 ff.) und kann demgemäß unter Umständen auch Null betragen.7

4.220

(3) Abtretungsklauseln Als Alternative oder Ergänzung von Einziehungsklauseln stehen sog. Abtretungsklauseln zu Gebote. Diese bestimmen, dass ein Geschäftsanteil durch den oder die Erben auf einen bestimmten Erben, einen Mitgesellschafter, einen Dritten oder auch auf die Gesellschaft durch Abtretung (§ 15 Abs. 3 GmbHG) zu übertragen ist.8

4.221

Zu bedenken ist dabei, dass eine derartige Klausel lediglich den Anspruch auf Abtretung vermittelt, und zwar mangels abweichender Regelung – etwa durch Begünstigung des potentiellen Abtretungsempfängers – der Gesellschaft selbst.9 Da die Anspruchsdurchsetzung mühsam

4.222

1 Vgl. Strohn in MüKo3, § 34 GmbHG Rz. 13 ff., 41. 2 Vgl. BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 (372); Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 35 III.1.b. 3 BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157 (168); BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 (364 ff.); BGH v. 9.5.2005 – II ZR 29/03, ZIP 2005, 1318 (1323); Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 35 III.2.b, IV.2.d; Strohn in MüKo3, § 34 GmbHG Rz. 205. 4 BGH v. 19.6.2000 – II ZR 73/99, BGHZ 144, 365 (369 f.); BGH v. 17.9.2001 – II ZR 245/99, DStR 2001, 1898; BGH v. 5.4.2011 – II ZR 263/08, NJW 2011, 2294 Rz. 13; BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236 Rz. 7. 5 BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157 (168 f.); BGH v. 2.12.2014 – II ZR 322/13, BGHZ 203, 303 Rz. 31; Ulmer/Habersack in Ulmer/Habersack/Löbbe2, § 34 GmbHG Rz. 19; Kersting in Baumbach/Hueck22, § 34 GmbHG Rz. 11. 6 Bayer in Lutter/Hommelhoff20, § 15 GmbHG Rz. 18; Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe3, § 15 GmbHG Rz. 18; Reichert/Weller in MüKo3, § 15 GmbHG Rz. 460. 7 Bayer in Lutter/Hommelhoff20, § 15 GmbHG Rz. 18; Reichert/Weller in MüKo3, § 15 GmbHG Rz. 461; Seibt in Scholz12, § 15 GmbHG Rz. 31. 8 Vgl. OLG Koblenz v. 19.1.1995 – 6 U 829/93, GmbHR 1995, 586 (587); Bayer in Lutter/Hommelhoff20, § 15 GmbHG Rz. 16; Görner in Rowedder/Schmidt-Leithoff6, § 15 GmbHG Rz. 134; Reichert/Weller in MüKo3, § 15 GmbHG Rz. 452 f.; Seibt in Scholz12, § 15 GmbHG Rz. 32. 9 Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe3, § 15 GmbHG Rz. 16; Seibt in Scholz12, § 15 GmbHG Rz. 32.

Bochmann | 207

Kap. 4 Rz. 4.222 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

und langwierig sein kann, empfiehlt sich die – zulässige – statutarische Ermächtigung der Gesellschaft (§ 185 BGB) zur (zwangsweisen) Vornahme der Abtretung.1 Ist im Gesellschaftsvertrag nichts anderes geregelt, soll eine derartige Ermächtigung jedoch nur mit einem Gesellschafterbeschluss analog § 46 Nr. 4 GmbHG ausgeübt werden dürfen.2

4.223

Die Abtretungsklausel kann und sollte überdies Regelungen dazu treffen, ob und ggf. in welcher Höhe von dem Abtretungsempfänger ein Entgelt zu zahlen ist und wann dies fällig wird,3 da anderenfalls im Zweifel davon auszugehen ist, dass – entsprechend der Rechtslage bei der Einziehung – ein Entgelt in Höhe des Verkehrswertes des in Rede stehenden Geschäftsanteils Zug um Zug gegen die Zwangsabtretung zu zahlen ist.4 In jedem Falle, in dem nicht gerade die Gesellschaft selbst Abtretungsempfängerin ist, vermeidet die Abtretungskonstruktion aber folglich den mit der Einziehung von Geschäftsanteilen verbundenen Kapitalabfluss bei der Gesellschaft.

4.224

Für die Regelung der Höhe des Abtretungsentgelts gelten die gleichen Grundsätze wie für die Abfindungshöhe. Im Extremfall kann die Abtretung demzufolge unentgeltlich erzwungen werden;5 praktisch häufiger treten dagegen die für Abfindungsfälle üblichen pauschalen Abschläge auf den Verkehrswert auf.6

4.225

Die Entscheidung über Einziehung oder Abtretung muss in angemessener Frist getroffen werden; anderenfalls droht Verwirkung.7 Ein Zeitraum von einem Jahr sollte zulässig sein, da die Gesellschafterversammlung die Gelegenheit erhalten muss, sich mit der Entscheidung zu befassen; nach Ansicht des OLG München ist als angemessen sogar „ein Zeitraum von zwei Gesellschafterversammlungen anzusehen, weil den übrigen Gesellschaftern ausreichend Gelegenheit gegeben werden muß, die Kooperationsfähigkeit der Nachfolger des Erblassers zu testen.“8 Ein zu langes Zuwarten birgt das Risiko, dass der Erbfall nicht mehr als Ausschließungsgrund trägt, die entsprechende Entscheidung sich vielmehr an den allgemeinen Grundsätzen messen lassen muss, die eine „freie“/grundlose Hinauskündigung wegen der damit verbundenen Beschränkung der Entscheidungsfreiheit des Gesellschafters aber gerade nicht zulässt.9 Die mit der Angemessenheit der Frist verbundene Rechtsunsicherheit kann mit einer gesellschaftsvertraglichen Regelung reduziert werden, die bestimmt, in welchem Zeitraum die 1 Vgl. BGH v. 20.6.1983 – II ZR 237/82, GmbHR 1984, 74; Bayer in Lutter/Hommelhoff20, § 15 GmbHG Rz. 16; Seibt in Scholz12, § 15 GmbHG Rz. 32; Reichert/Weller in MüKo3, § 15 GmbHG Rz. 456. 2 Vgl. BGH v. 20.6.1983 – II ZR 237/82, GmbHR 1984, 74; Bayer in Lutter/Hommelhoff20, § 15 GmbHG Rz. 16; Seibt in Scholz12, § 15 GmbHG Rz. 32; Reichert/Weller in MüKo3, § 15 GmbHG Rz. 456. 3 Priester, GmbHR 1981, 206 (210); Bayer in Lutter/Hommelhoff19, § 15 GmbHG Rz. 18; Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe3, § 15 GmbHG Rz. 21 f.; Reichert/Weller in MüKo3, § 15 GmbHG Rz. 460 f.; Seibt in Scholz12, § 15 GmbHG Rz. 33. 4 Vgl. BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 (370); Seibt in Scholz12, § 15 GmbHG Rz. 33. 5 BGH v. 20.12.1976 – II ZR 115/75, GmbHR 1977, 81 (82); Ploß in Scherer, Unternehmensnachfolge6, § 24 Rz. 740 f.; Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe3, § 15 GmbHG Rz. 20; Servatius in Baumbach/Hueck22, § 15 GmbHG Rz. 14; Reichert/Weller in MüKo3, § 15 GmbHG Rz. 461; Seibt in Scholz12, § 15 GmbHG Rz. 33. 6 Reichert/Weller in MüKo3, § 15 GmbHG Rz. 460 f.; Seibt in Scholz12, § 15 GmbHG Rz. 33. 7 Vgl. BGH v. 20.12.1976 – II ZR 115/75, BB 1977, 563; OLG München v. 6.7.1984 – 23 U 1899/84, ZIP 1984, 1349 (1350); Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe3, § 15 GmbHG Rz. 17. 8 Vgl. auch OLG München v. 6.7.1984 – 23 U 1899/84, ZIP 1984, 1349 (1350). 9 Vgl. BGH v. 19.9.1988 – II ZR 329/87, BGHZ 105, 213 (218 ff.); Langner/Heydel, GmbHR 2005, 377 (382); Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe3, § 15 GmbHG Rz. 17; Seibt in Scholz12, § 15 GmbHG Rz. 30.

208 | Bochmann

B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.227 Kap. 4

Einziehung bzw. Abtretung des in Rede stehenden Geschäftsanteils erfolgen muss, nachdem die Gesellschaft von dem Erbfall Kenntnis erlangt hat.1 Eine derartige statutarische Befristung darf ihrerseits nicht übermäßig lang bemessen sein; ein Jahr wird aber als zulässig erachtet.2 (4) Kombinierte Abtretungs- und Einziehungsklausel In der Praxis verbreitet sind Kombinationen von Abtretungs- und Einziehungsklauseln. Ziel dieser Klauseln ist es, soweit möglich den mit der Einziehung verbundenen Kapitalabfluss bei der Gesellschaft durch die Übertragung des Anteils zu verhindern, gleichzeitig aber die Möglichkeit zur Einziehung zu eröffnen, wenn keine geeignete Person für die Übernahme des Geschäftsanteils zur Verfügung steht. Regelungstechnisch werden typischerweise gleichwohl zunächst die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Einziehung definiert und vorgesehen, dass anstelle der Einziehung auch die (Zwangs-)Abtretung beschlossen werden kann.3

4.226

(5) Unklare gesellschaftsvertragliche Anordnungen Unklare gesellschaftsvertragliche Regelungen zur Nachfolge von Todes wegen in Geschäftsanteile sowie insbesondere solche, die prima facie dem Grundsatz widersprechen, dass das Gesellschaftsrecht die zwingende Vererblichkeit von Gesellschaftsanteilen nicht einzuschränken vermag (Rz. 4.215), sind bei der vorausschauenden Gestaltung selbstredend nach Möglichkeit zu vermeiden – notfalls aber auch der Auslegung zugänglich. Bestimmt der Gesellschaftsvertrag etwa, dass Geschäftsanteile nur an bestimmte Personen vererbt werden dürfen, wird dies regelmäßig dahin ausgelegt werden können, dass ein nicht zu diesem Personenkreis gehörender Erbe zur Abtretung an die statutarisch „Begünstigten“ verpflichtet und die Gesellschaft hilfsweise zur Einziehung des betreffenden Geschäftsanteils verpflichtet ist.4 Dies folgt daraus, dass die Gesellschafter einer GmbH weitgehende Freiheit genießen, ihre auch gesellschaftsrechtlichen Angelegenheiten – etwa die Ausübung des Stimmrechts, die Besetzung der Geschäftsführung, die Ausschüttungspolitik sowie die Nachfolge in Geschäftsanteile – außerhalb der Satzung in schuldrechtlichen Neben- bzw. Poolvereinbarungen zu regeln.5 Wegen der Einzelheiten ist auf die parallelen Grundsätze in der Aktiengesellschaft in Rz. 4.254 ff. zu verweisen. Bei GmbH ist jedoch im Zusammenhang mit schuldrechtlichen Nebenvereinbarungen stets auch an die Formvorschriften des § 15 Abs. 4, Abs. 5 GmbHG zu denken. D.h. sobald Verpflichtungen zur Abtretung von Geschäftsanteilen begründet oder gar – und sei es bedingte – Verfügungen vereinbart werden, unterliegt die schuldrechtliche Nebenabrede der notariellen Beurkundung – freilich aber nicht der Publizität des Handelsregisters, was von den Beteiligten häufig als entscheidender Vorteil betrachtet wird.6 1 Vgl. auch Seibt in Scholz12, § 15 GmbHG Rz. 30 („kann im Gesellschaftsvertrag an eine Frist gebunden werden“). 2 Grunewald, Der Ausschluss aus Gesellschaft und Verein, 1987, S. 212; Seibt in Scholz12, § 15 GmbHG Rz. 30; Langner/Heydel, GmbHR 2005, 377 (382). 3 Vgl. Formulierungsbeispiele bei Mutter in Becksches Formularbuch Erbrecht3, G.I.7, und Seibt in MAH GmbH3, § 2 Rz. 253. 4 Vgl. OLG Koblenz v. 19.1.1995 – 6 U 829/93, GmbHR 1995, 586 (587); Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe3, § 15 GmbHG Rz. 15; Servatius in Baumbach/Hueck22, § 15 GmbHG Rz. 13; Seibt in Scholz12, § 15 GmbHG Rz. 29. 5 Überblicke bei Bayer in Lutter/Hommelhoff20, § 3 GmbHG Rz. 59 ff.; Priester in Münchener Hdb. GesR5, Bd. 3, § 21. 6 Vgl. hierzu Bochmann in Röthel/K. Schmidt, Grundfragen der Organisation von Familienunternehmen, (im Erscheinen).

Bochmann | 209

4.227

Kap. 4 Rz. 4.228 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

cc) Die Bedeutung der Gesellschafterliste im Erbfall

4.228

Für Erben von Geschäftsanteilen gilt nichts anderes als für jeden anderen (lebzeitigen) Erwerber: Gem. § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG gilt im Verhältnis zur Gesellschaft nur derjenige als Gesellschafter, der als solcher in der im Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste gem. § 40 GmbHG eingetragen ist.1 Materiell-rechtlich vollzieht sich der Übergang des Geschäftsanteils zwar nach den allgemeinen erbrechtlichen Grundsätzen mit dem Erbfall (§§ 1922, 1967 BGB). Entscheidend für die Ausübung der Gesellschafterrechte aus dem Geschäftsanteil ist aber – anders als in der Aktiengesellschaft mit § 67 Abs. 2 AktG – auch bei der erbrechtlichen Universalsukzession ohne jede Einschränkung wie auch bei lebzeitigen (Einzelrechts-)Übertragungen nicht dieser materielle Rechtsübergang, sondern das formale Kriterium der Eintragung des Erben in der Gesellschafterliste.2 Diese Eintragung möglichst schnell nach dem Erbfall zu erreichen ist für den oder die Erben deshalb von nicht zu unterschätzender Bedeutung.

4.229

Zuständig für die Erstellung und Einreichung einer neuen Gesellschafterliste ist grundsätzlich der oder die Geschäftsführer (in vertretungsberechtigter Zahl3) (§ 40 Abs. 1 Satz 1 GmbHG). Dieser hat auf Nachweis zu handeln (§ 40 Abs. 1 Satz 4 GmbHG). Der oder die Erben haben dem Geschäftsführer folglich ihre Erbenstellung nachzuweisen, was etwa durch Vorlage eines Erbscheins oder eines notariellen Testaments geschehen kann.4 Ungeteilte Erbengemeinschaften werden als solche in die Gesellschafterliste aufgenommen.5 dd) Testamentsvollstreckung

4.230

(Dauer-)Testamentsvollstreckung an GmbH-Geschäftsanteilen ist nach allgemeinen Grundsätzen zulässig;6 die Einschränkungen und Unsicherheiten des Personengesellschaftsrechts (Rz. 4.120) sind nicht einschlägig. Es gilt aber, wie auch beim Kommanditanteil, dass der Testamentsvollstrecker keine Handlungen vornehmen darf, die eine persönliche Verpflichtung des Erben-Gesellschafters nach sich ziehen, etwa eine Kapitalerhöhung gegen Einlagen (mit-) beschließen, wenn die Einlagen nicht aus den der Verwaltung unterliegenden sonstigen Nachlassmitteln erbracht werden können.7

1 OLG Naumburg v. 1.9.2016 – 2 U 95/15, GmbHR 2017, 86; Heidinger in MüKo3, § 16 GmbHG Rz. 146; Perzborn, RNotZ 2017, 405 (412 f.); Verse in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht4, § 16 GmbHG Rz. 19. 2 OLG Naumburg v. 1.9.2016 – 2 U 95/15, GmbHR 2017, 86 (unter zutreffendem Hinweis auf Begr. RegE MoMiG, BR-Drucks. 354/07, 86); dazu Staake, EWiR 2017, 267; OLG Köln v. 27.6.2019 – 18 Wx 11/19, FGPrax 2019, 219; Heidinger in MüKo3, § 16 GmbHG Rz. 146; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis4, Rz. 676 ff.; Mayer, ZEV 2002, 209 (209 f.); Verse in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht4, § 16 GmbHG Rz. 19. 3 OLG Jena v. 5.7.2011 – 6 W 82/11, NZG 2011, 909; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis4, Rz. 692. 4 Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis4, Rz. 677; Heidinger in MüKo3, § 40 GmbHG Rz. 105. 5 Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis4, Rz. 677; Heidinger in MüKo3, § 40 GmbHG Rz. 112; Wachter, DB 2009, 159 (161). 6 BGH v. 12.6.1989 – II ZR 246/88, BGHZ 108, 21 (23); Servatius in Baumbach/Hueck22, § 15 GmbHG Rz. 17; Seibt in Scholz12, § 15 GmbHG Rz. 250. 7 Priester in FS Stimpel, 1985, S. 463 (478 ff.); Mayer, ZEV 2002, 209 (210); D. Jasper/Wollbrink in Münchener Hdb. Gesellschaftsrecht4, Bd. 3, § 25 Rz. 81 f.; Seibt in Scholz12, § 15 GmbHG Rz. 250.

210 | Bochmann

B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.234 Kap. 4

Wiederum verkehrt sich damit in der Gegenüberstellung mit dem Personengesellschaftsrecht – wie schon beim Anteilsübergang von Todes wegen (Rz. 4.211 f.) – das Regel-Ausnahme-Verhältnis bei der Nachfolgegestaltung: Es gilt aus der Perspektive der Gesellschaft bzw. der verbleibenden Gesellschafter, ggf. das Eindringen Dritter in die Gesellschaft – des Testamentsvollstreckers, der die mitgliedschaftlichen Rechte aus dem seiner Verwaltung unterliegenden Geschäftsanteil ausübt – zu verhindern. Als weniger invasive Maßnahme im Vergleich zu Einziehungsund/oder Abtretungsklauseln ist es zulässig, statutarisch zu bestimmen, dass mitgliedschaftliche Rechte aus einem Geschäftsanteil durch Testamentsvollstrecker generell nicht wahrgenommen werden können oder nur dann, wenn die Person des Testamentsvollstreckers bestimmte Voraussetzungen erfüllt, z.B. selbst Gesellschafter ist.1 Gegen derartige Beschränkungen bestehen mit Rücksicht darauf, dass die mit Gesellschaftsanteilen verbundenen Rechte statutarisch weitgehend frei variiert werden können, keine Bedenken;2 sieht die Satzung die höchstpersönliche Ausübung der Mitverwaltungsrechte durch den Gesellschafter vor, dürfte damit ein stillschweigender Ausschluss des Testamentsvollstreckers vorliegen.3 Da mit derartigen Klauseln aber individuelle Gesellschafterrechte eingeschränkt werden, ist ihre Einführung durch nachträgliche Satzungsänderung nur mit Zustimmung aller davon betroffenen Gesellschafter zulässig.

4.231

Bei der statutarischen Beschränkung der Testamentsvollstreckerbefugnisse ist zu beachten, dass dann die betroffenen mitgliedschaftlichen Rechte während der Testamentsvollstreckung von den Erben-Gesellschaftern selbst ausgeübt werden können.4 Dies wiederum gilt aber nur vorbehaltlich anderweitiger statutarischer Anordnungen, die etwa dahin lauten können, dass die mitgliedschaftlichen Rechte während der Dauer der Testamentsvollstreckung ruhen.5

4.232

Höchstrichterlich geklärt ist nunmehr, dass die Eintragung eines „Testamentsvollstreckervermerks“ in die Gesellschafterliste, der dem Rechtsverkehr die beschränkte Verfügungsbefugnis des Erben-Gesellschafters über den Geschäftsanteil verdeutlicht, nicht zulässig ist.6

4.233

2. Aktiengesellschaft a) Grundzüge aa) Aktienrechtliche Satzungsstrenge Von herausragender Bedeutung für das Verständnis der Verfassung der Aktiengesellschaft ist die sog. aktienrechtliche Satzungsstrenge i.S.v. § 23 Abs. 5 AktG. Danach kann die Satzung von den Vorschriften des Aktiengesetzes nur abweichen, wenn dies im Aktiengesetz ausdrücklich zugelassen ist. Damit ist die gesetzgeberische Absicht verbunden, die Aktie zum Schutz der Gläubiger und künftiger Aktionäre – wobei der Gesetzgeber Erwerber im Wege der Einzelrechtsnachfolge, nicht Erben-Gesamtrechtsnachfolger im Blick hat – zu einem ohne großen Aufwand im Einzelfall berechenbaren, standardisierten Produkt auszuformen.7 1 Vgl. BGH v. 10.6.1959 – V ZR 25/58, NJW 1959, 1820; OLG Frankfurt v. 16.9.2008 – 5 U 187/07, GmbHR 2009, 152; Seibt in Scholz12, § 15 GmbHG Rz. 250. 2 Vgl. BGH v. 10.6.1959 – V ZR 25/58, NJW 1959, 1820; OLG Frankfurt v. 16.9.2008 – 5 U 187/07, GmbHR 2009, 152; Mayer, ZEV 2002, 209 (212 f.); Seibt in Scholz12, § 15 GmbHG Rz. 250. 3 Mayer, ZEV 2002, 209 (212 f.). 4 Vgl. BGH v. 12.6.1989 – II ZR 246/88, BGHZ 108, 21 (28); OLG Frankfurt v. 16.9.2008 – 5 U 187/ 07, GmbHR 2009, 152; Mayer, ZEV 2002, 209 (212 f.); Priester in FS Stimpel, 1985, S. 463 (471). 5 Mayer, ZEV 2002, 209 (213). 6 BGH v. 24.2.2015 – II ZB 17/14, GmbHR 2015, 526 mit Komm. Bayer; dazu Heckschen/Strnad, EWiR 2015, 303; Wicke, DB 2015, 1094. 7 Vgl. Arnold in KölnKomm.3, § 23 AktG Rz. 130; Koch in Hüffer/Koch14, § 23 AktG Rz. 34.

Bochmann | 211

4.234

Kap. 4 Rz. 4.235 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

bb) Organisationsverfassung

4.235

Die – auch insofern zwingende – Governance der Aktiengesellschaft ist geprägt von dem Zusammenspiel von Vorstand (§§ 76 ff. AktG), Aufsichtsrat (§§ 95 ff. AktG) und Hauptversammlung (§§ 118 ff. AktG). Charakteristisch ist dabei die – über das auch für die AG maßgebliche Prinzip der Fremdorganschaft hinaus – starke Unabhängigkeit des Vorstands von den Aktionären,1 die wirtschaftliche Eigentümer des Gesellschaftsunternehmens sind.2 Der Vorstand leitet die Gesellschaft unter eigener Verantwortung (§ 76 Abs. 1 AktG) und ist dabei weder Weisungen der Hauptversammlung noch des Aufsichtsrats unterworfen.3 Die Hauptversammlung ist überhaupt nur in den in Gesetz und Satzung vorgeschriebenen Fällen zuständig (§ 119 Abs. 1 AktG), und zwar im Wesentlichen für die Grundlagen der Gesellschaft betreffende Fragen (Satzungsänderungen, Eigenkapitalmaßnahmen, aber auch die Bestellung der Abschlussprüfer sowie die Verwendung des Bilanzgewinns). Der Vorstand kann der Hauptversammlung zwar Fragen der Geschäftsführung zur Entscheidung vorlegen (§ 119 Abs. 2 AktG), ist hierzu aber nicht verpflichtet,4 und selbst die Satzung kann – wegen § 23 Abs. 5 AktG – jenseits der Bestimmung des Unternehmensgegenstands keine entsprechenden Mitwirkungsmöglichkeiten der Hauptversammlung begründen, welche die eigenverantwortliche Leitung durch den Vorstand infrage stellen würden.5

4.236

Vermittelndes Bindeglied zwischen den Aktionären und dem Vorstand ist der Aufsichtsrat, der aus mindestens drei Personen besteht (vgl. § 95 Abs. 1 Satz 1 AktG) und dessen Mitglieder von der Hauptversammlung gewählt werden (vgl. § 101 Abs. 1 Satz 1, § 119 Abs. 1 Nr. 1 AktG), soweit sie nicht aufgrund von Satzungsbestimmungen durch Aktionäre in den Aufsichtsrat entsendet (vgl. § 101 Abs. 2 AktG) oder aufgrund der Vorschriften zur unternehmerischen Mitbestimmung von den Arbeitnehmern gewählt werden (vgl. § 96 AktG). Gem. § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 7 Abs. 2 MitbestG verteilen sich die Aufsichtsratsmandate bei Aktiengesellschaften (und KGaA), die in der Regel mehr als 2.000 Arbeitnehmer beschäftigen, hälftig auf Mitglieder der Aktionäre und der Arbeitnehmer. Bei Aktiengesellschaften (und KGaA) mit in der Regel mehr als 500 (und weniger als 2000) Arbeitnehmern setzt sich der Aufsichtsrat gem. § 1, § 4 Abs. 1 DrittelbG zu einem Drittel aus Arbeitnehmervertretern und im übrigen Aktionärsvertretern zusammen.

4.237

Die Hauptaufgaben des Aufsichtsrats bestehen in der Bestellung und Abberufung des Vorstands (vgl. § 84 AktG), der Überwachung der Geschäftsführung (§ 111 Abs. 1 AktG) sowie der Vertretung der Gesellschaft gegenüber den Vorstandsmitgliedern (§ 112 AktG).

4.238

Bei der Wahrnehmung seiner Personalkompetenz ist der Aufsichtsrat unabhängig und hat eigenes unternehmerisches Ermessen (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) auszuüben.6 Rechtsgeschäftliche Bindungen, die dieses Ermessen einschränken – etwa indem der Aufsichtsrat sich gegen-

1 Fleischer in Spindler/Stilz4, § 76 AktG Rz. 1; Spindler in MüKo5, § 76 AktG Rz. 1. 2 Vgl. zur Begr. RegE AktG 1965 bei Kropff, Aktiengesetz 1965, S. 14 („Richtlinie aller aktienrechtlichen Regelungen muß daher die Fragestellung sein, ob die einzelne Regelung der Stellung der Aktionäre als der wirtschaftlichen Eigentümer des Unternehmens entspricht ...“). 3 Fleischer in Spindler/Stilz4, § 76 AktG Rz. 1, 57 f.; Spindler in MüKo5, § 76 AktG Rz. 1, 22. 4 Spindler in MüKo5, § 76 AktG Rz. 22. 5 Priester in FS Hüffer, 2010, S. 777 (785); Fleischer in Spindler/Stilz4, § 82 AktG Rz. 33; Spindler in MüKo5, § 76 AktG Rz. 1, § 82 AktG Rz. 35; Bochmann, Covenants und die Verfassung der Aktiengesellschaft, 2012, S. 226 ff. 6 Koch in Hüffer/Koch14, § 84 AktG Rz. 5; Spindler in MüKo5, § 84 AktG Rz. 15.

212 | Bochmann

B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.242 Kap. 4

über einem (Groß-)Aktionär zur Bestellung bestimmter Vorstandsmitglieder verpflichtet –, sind nach h.M. nichtig (was informelle Absprachen aber natürlich nicht ausschließt).1 cc) Finanz- und Haftungsverfassung Die Finanzverfassung der Aktiengesellschaft entspricht im Kern derjenigen der GmbH: Für Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftet den Gläubigern nur das Gesellschaftsvermögen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AktG); die persönliche Haftung von Aktionären ist damit grundsätzlich ausgeschlossen. Zum Schutze der Gläubiger verfügt die Aktiengesellschaft jedoch über ein festes Grundkapital, dessen vermögensmäßige Deckung durch Vorschriften zur Kapitalaufbringung und -erhaltung gesichert werden soll, wobei die aktienrechtlichen Kapitalaufbringungsund Kapitalerhaltungsregeln im Vergleich zur GmbH durch eine größere Strenge gekennzeichnet sind.2

4.239

Die AG hat ein in Aktien zerlegtes Grundkapital von mindestens 50.000 Euro (§ 1 Abs. 2, § 7 AktG). Es können mit der Satzung entweder Nennwertaktien mit einem Nennwert von mindestens einem Euro – wobei die Summe der Nennwerte das Grundkapital ergibt – oder Stückaktien mit einem rechnerischen anteiligen Betrag am Grundkapital, der nicht unter einem Euro betragen darf, begründet werden (§ 8 AktG). Die Satzung hat ferner zu bestimmen, ob die Aktien als Inhaberaktien oder als Namensaktien begeben werden (§ 23 Abs. 3 Nr. 5 AktG),3 wobei seit der Aktienrechtsnovelle 2016 in § 10 Abs. 1 Satz 1 AktG die Namensaktie als gesetzlicher Regelfall vorgesehen ist und Inhaberaktien nur noch für börsennotierte Aktiengesellschaften oder bei Ausschluss des Anspruchs auf Einzelverbriefung und im Falle der Sammelverwahrung bei einer Wertpapiersammelbank oder einem regulierten Zentralverwahrer zulässig sind (§ 10 Abs. 1 Satz 2 AktG).4

4.240

Das Grundkapital kann durch Bar- oder Sacheinlagen aufgebracht werden.5 Sacheinlagen sind im Aktiengesetz im Sinne der realen Kapitalaufbringung strenger reglementiert als im GmbHG und lösen grundsätzlich (mit praktisch wichtigen Ausnahmen in § 33a AktG) insbesondere eine Gründungsprüfung gem. § 33 Abs. 2 Nr. 4 AktG aus; eine weitere Verschärfung gegenüber dem GmbH-Kapitalaufbringungsregime stellen die Regelungen zur sog. Nachgründung (§ 52 AktG) dar, die gründungsnahe Austauschgeschäfte mit Aktionären den Sachgründungsvorschriften gleichstellen.6

4.241

Die Kapitalerhaltung in der AG ist insofern rigider als in der GmbH, als nicht nur das zur Erhaltung des Grundkapitals erforderliche Vermögen nicht ausgeschüttet werden darf, sondern § 57 AktG jede Ausschüttung verbietet, die nicht in der Ausschüttung von Bilanzgewinn besteht (§ 57 Abs. 3 AktG).7

4.242

1 Fleischer in Spindler/Stilz4, § 84 AktG Rz. 10; Koch in Hüffer/Koch14, § 84 AktG Rz. 5; Spindler in MüKo5, § 84 AktG Rz. 15. 2 Vgl. Fleischer in MüKo3, Einl. GmbHG Rz. 301. 3 Koch in Hüffer/Koch14, § 23 AktG Rz. 30. 4 Koch in Hüffer/Koch14, § 10 AktG Rz. 5 ff. 5 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 29 II.1. 6 Vgl. hierzu Koch in Hüffer/Koch14, § 52 AktG Rz. 1. 7 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 29 II.2.a.

Bochmann | 213

Kap. 4 Rz. 4.243 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

dd) Handels- und Transparenzregisterpublizität

4.243

Die Handelsregisterpublizität der Aktiengesellschaften entspricht im Wesentlichen derjenigen der GmbH. Aus dem Handelsregister sind insbesondere die inländische Geschäftsanschrift, Art und Umfang der Vertretungsbefugnis der jeweiligen Vorstandsmitglieder (§ 37 Abs. 2 AktG) sowie die jeweils aktuelle Satzung (§ 37 Abs. 1 Nr. 1, § 181 Abs. 1 Satz 2 AktG) ersichtlich (§ 9 Abs. 1 Satz 1 HGB). Darüber hinaus muss eine jeweils aktuelle, wiederum gem. § 9 Abs. 1 Satz 1 HGB einsehbare Liste der Mitglieder des Aufsichtsrats zum Handelsregister eingereicht sein (§ 37 Abs. 4 Nr. 3a, § 106 AktG).

4.244

Die Beachtung der Transparenzregistervorschriften ist für Aktiengesellschaften üblicherweise nicht mit Zusatzaufwand verbunden. Denn für börsennotierte Aktiengesellschaften ist die Pflicht zur Mitteilung an das Transparenzregister aufgrund der Bereichsausnahme in § 20 Abs. 2 Satz 2 GwG stets als erfüllt anzusehen,1 und bei nichtbörsennotierten Aktiengesellschaften dürfte häufig die Meldefiktion gem. § 20 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 GwG eingreifen.2 Letzteres folgt daraus, dass Aktionäre, die „Unternehmen“ im konzernrechtlichen Sinne sind,3 einer nichtbörsennotierten Aktiengesellschaft gem. § 20 Abs. 1 AktG mitzuteilen haben, wenn ihnen mehr als ein Viertel der Aktien einer Aktiengesellschaft gehören; eben dieser Schwellenwert indiziert auch eine wirtschaftliche Berechtigung gem. § 19 Abs. 2 Satz 1, § 3 Abs. 2 Satz 1 GwG; bei der Mitteilung sollte – aus aktienrechtlicher Perspektive überobligatorisch – das Geburtsdatum des Aktionärs mit angegeben werden, um § 19 Abs. 1 Nr. 2 GwG zu genügen.4 Entsprechende Mitteilungen hat die Gesellschaft gem. § 20 Abs. 6 AktG im Bundesanzeiger bekannt zu machen, und eben diese Bekanntmachung ersetzt gem. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5, Abs. 3, § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GwG die gesonderte Mitteilung an das Transparenzregister. ee) Verbreitung und tatsächliche Erscheinungsformen

4.245

Die zahlenmäßige Verbreitung der Aktiengesellschaft ist deutlich geringer als die der Personenhandelsgesellschaften und der GmbH.5 Darüber hinaus ist die Bedeutung der Aktiengesellschaft als Rechtsform im Mittelstand bzw. von Familienunternehmen gering,6 da sie – ungeachtet von Erleichterungen für sog. Kleine Aktiengesellschaften7, welche die AG für Familien- und mittelständische Unternehmen attraktiver machen sollten8 – gesetzgeberisch als Kapitalsammelbecken für einen großen (anonymen) Gesellschafterkreis9 konzipiert und dementsprechend detailliert und weitgehend zwingend reglementiert ist.

1 Bochmann, BOARD 2017, 259 (261 f.). 2 Bochmann, BOARD 2017, 259 (262). 3 Zu dieser Einschränkung im Vergleich zur Mitteilungspflicht gegenüber dem Transparenzregister – aus der sich auch bei Beteiligungen von über 25 % die Notwendigkeit von Mitteilungen an das Transparenzregister ergeben kann – vgl. Koch in Hüffer/Koch14, § 20 AktG Rz. 2. 4 Vgl. Rieg, BB 2017, 1310 (1314). 5 Vgl. Kornblum, GmbHR 2019, 689 (690) (ca. 15.000 in deutschen Handelsregistern eingetragene Aktiengesellschaften per 1.1.2019). 6 Ploß in Scherer, Unternehmensnachfolge6, § 5 Rz. 39. 7 Überblick bei Seibert in Hdb. der kleinen AG5, 2008, Rz. 3 ff.; Gegenüberstellung mit der GmbH bei Böcker, RNotZ 2002, 130 ff. 8 Vgl. RegE Aktienrechtsnovelle 1994, BT-Drucks. 12/6721, 5. 9 Vgl. Begr. RegE AktG AktG 1965, BT-Drucks. IV/171, 94 (abgedruckt bei Kropff, Aktiengesetz, 1965); Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt2, 1996, S. 78.

214 | Bochmann

B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.249 Kap. 4

b) Gestaltungsherausforderungen im Nachfolgekontext aa) Ausgangspunkt Die Charakteristika der Standardisierung, der (stark) eingeschränkten Gestaltungsfreiheit sowie der Unabhängigkeit des Managements von den Inhabern stehen den spezifischen Bedürfnissen in Familiengesellschaften häufig diametral entgegen. Gleichwohl entscheiden sich auch Familienunternehmen durchaus für die Rechtsform der Aktiengesellschaften1 – und dies nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Nachfolgeplanung. Die damit verbundenen Herausforderungen sind aber regelmäßig weniger gesellschaftsrechtlicher als betriebswirtschaftlicher Natur. Denn die Wahl der Rechtform der Aktiengesellschaft ist häufig mit dem Ziel eines Börsengangs zur Wachstumsfinanzierung verbunden.2 Die diesbezüglichen gesellschafts- und kapitalmarktrechtlichen Gestaltungsaufgaben wiederum sind nicht nachfolgespezifisch, weshalb auf allgemeine Darstellungen verwiesen werden kann.3

4.246

bb) Zwingende Vererblichkeit Aktien sind ebenso wie GmbH-Geschäftsanteile (Rz. 4.211) zwingend vererblich.4 Durch Satzungsgestaltung kann auf die Zusammensetzung des Aktionärskreises infolge von Erbfällen folglich kein Einfluss genommen werden; dies gilt insbesondere für – nur in Bezug auf Namensaktien zulässige (vgl. § 68 Abs. 2 AktG) – Vinkulierungsklauseln.5 Letztere können allenfalls dann zum Tragen kommen, wenn im Nachgang zum eigentlichen Erbfall noch rechtsgeschäftliche Übertragungen von Namensaktien erforderlich sind, etwa zur Erfüllung eines Vermächtnisses oder im Zuge der Erbauseinandersetzung.6

4.247

In ungeteilter Erbengemeinschaft verbundene Miterben von Aktien können die Rechte aus Aktien nur durch einen gemeinsamen Vertreter ausüben (§ 69 Abs. 1 AktG); ein statutarischer Dispens von dieser Vorschrift ist wegen § 23 Abs. 5 AktG nicht zulässig.7 Hat der Erblasser Testamentsvollstreckung angeordnet, ist der Testamentsvollstrecker gemeinschaftlicher Vertreter i.S.v. § 69 Abs. 1 AktG.8

4.248

cc) Beschränkte Möglichkeit der Steuerung des Gesellschafterkreises Nicht nur die Vererblichkeit von Aktien muss aus gestalterischer Perspektive im Ausgangspunkt hingenommen werden, sondern auch die Tatsache, dass im Anschluss an den Erbfall – anders als bei der GmbH – die Reaktionsmöglichkeiten und korrespondierenden statutarischen Vorsorgemöglichkeiten begrenzt sind.

1 Vgl. Hoffmann-Becking in Münchener Hdb. Gesellschaftsrecht4, Bd. 4, § 2 Rz. 8; Karsten Schmidt in K. Schmidt/Lutter3, Einl. AktG Rz. 2. 2 Vgl. Grobecker/Hueck, AG 2017, R140 f.; instruktiv aus unternehmerischer Sicht hierzu auch der Beitrag von Fielmann in FS Binz, 2014, S. 199 ff.; vgl. auch RegE Aktienrechtsnovelle 1994, BTDrucks. 12/6721, 5. 3 Vgl. etwa Harrer in Beck’sches Hdb. der AG3, § 20. 4 Bayer in MüKo5, § 68 AktG Rz. 52; Gergen in MüKo8, § 2032 BGB Rz. 89; Weidlich in Palandt79, § 1922 BGB Rz. 23. 5 Bayer in MüKo5, § 68 AktG Rz. 52; Koch in Hüffer/Koch14, § 68 AktG Rz. 11. 6 Bayer in MüKo5, § 68 AktG Rz. 52; Koch in Hüffer/Koch14, § 68 AktG Rz. 11. 7 Bayer in MüKo5, § 69 AktG Rz. 1; Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter3, § 69 AktG Rz. 4. 8 Bayer in MüKo5, § 69 AktG Rz. 10; Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter3, § 69 AktG Rz. 7; Koch in Hüffer/Koch14, § 69 AktG Rz. 3.

Bochmann | 215

4.249

Kap. 4 Rz. 4.250 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

4.250

Abtretungsklauseln sind nach überwiegender Ansicht unzulässig, was aus den aktienrechtlichen Beschränkungen in Bezug auf die Vereinbarung von Nebenpflichten (§ 55 AktG) bzw. aus § 23 Abs. 5 AktG abgeleitet wird.1 Zwingend erscheint diese Schlussfolgerung nicht, da man die Abtretungsverpflichtung als „Minusmaßnahme“ zu der gem. § 237 AktG zulässigen Einziehung (dazu sogleich Rz. 4.251) betrachten kann; als Instrument der Nachfolgeplanung empfehlen sich derartige Klauseln aufgrund der damit verbundenen erheblichen Unsicherheiten jedoch nicht.

4.251

Einziehungsklauseln sind hingegen statthaft, und die Voraussetzungen der Einziehung von Aktien können ähnlich flexibel ausgestaltet werden wie bei der GmbH.2 Es bedarf hierfür einer satzungsmäßigen Grundlage, und zwar entweder in Gestalt einer angeordneten Zwangseinziehung (vgl. § 237 Abs. 6 AktG), die der Vorstand bei Vorliegen der Voraussetzungen vollziehen muss,3 oder als gestattete Zwangseinziehung (vgl. § 237 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 AktG), bei welcher die Hauptversammlung im Einzelfall – wiederum aber nur bei Vorliegen der statutarischen Voraussetzungen – entscheidet, ob die Einziehung vorgenommen werden soll.4 Laut h.M. bedarf der Hauptversammlungsbeschluss seinerseits der sachlichen Rechtfertigung im Sinne einer Zweck-Mittel-Abwägung.5 Schon in dem damit verbundenen Anfechtungspotential liegt eine erhebliche Unsicherheit, die das Instrument der Einziehung bei Aktiengesellschaften wenig attraktiv erscheinen lässt.

4.252

Darüber hinaus ist aber auch die tatsächliche Durchführung einer zulässigerweise beschlossenen Einziehung deutlich schwerfälliger als bei der GmbH.6 Denn mit der Einziehung verbindet sich stets eine Kapitalherabsetzung,7 und zwar grundsätzlich im ordentlichen Kapitalherabsetzungsverfahren (§ 237 Abs. 2 Satz 1 AktG), das insbesondere einen Gläubigeraufruf und das Abwarten eines Sperrhalbjahres verlangt und den Gläubigern im Übrigen Anspruch auf Sicherheitsleistung gewährt (§ 225 AktG).8 Gem. § 237 Abs. 3 AktG kommt aber ein sog. vereinfachtes Einziehungsverfahren – ohne Befolgung der Vorschriften über die ordentliche Kapitalherabsetzung – in Betracht, wenn der Ausgabebetrag auf die Aktien voll geleistet ist und die Aktien der Gesellschaft unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden – mithin keine Abfindung geleistet wird –, die Abfindung aus Bilanzgewinn oder frei verwendbaren Gewinnrücklagen geleistet wird oder Stückaktien eingezogen werden und der Beschluss der Hauptversammlung bestimmt, dass sich durch die Einziehung der Anteil der übrigen Aktien am Grundkapital gem. § 8 Abs. 3 AktG erhöht.

4.253

Erheblich größere Unsicherheiten als bei Personen(handels)gesellschaften und GmbH birgt die Abfindungshöhe bzw. die Höhe des Einziehungsentgelts. Bei der angeordneten Einziehung muss die Satzung zwingend hinreichend bestimmte Regelungen zur Höhe der Abfin1 Becker, ZGR 1986, 383 (395 f.); Scherer in Scherer, Unternehmensnachfolge6, § 14 Rz. 69; MarschBarner in Spindler/Stilz4, § 237 AktG Rz. 6; Scholz in Münchener Hdb. Gesellschaftsrecht4, Bd. 4, § 63 Rz. 3. 2 Koch in Hüffer/Koch14, § 237 AktG Rz. 11; Marsch-Barner in Spindler/Stilz4, § 237 AktG Rz. 12; Perzborn, RNotZ 2017, 405 (425); Veil in K. Schmidt/Lutter3, § 237 AktG Rz. 12. 3 Koch in Hüffer/Koch14, § 237 AktG Rz. 10; Oechsler in MüKo4, § 237 AktG Rz. 28. 4 Koch in Hüffer/Koch14, § 237 AktG Rz. 16; Oechsler in MüKo4, § 237 AktG Rz. 42. 5 Koch in Hüffer/Koch14, § 237 AktG Rz. 16; Marsch-Barner in Spindler/Stilz4, § 237 AktG Rz. 15; Oechsler in MüKo4, § 237 AktG Rz. 45 ff.; Veil in K. Schmidt/Lutter3, § 237 AktG Rz. 14; a.A. Scholz in Münchener Hdb. Gesellschaftsrecht4, Bd. 4, § 63 Rz. 13. 6 von Hoyenberg, RNotZ 2007, 377 (387); Perzborn, RNotZ 2017, 405 (424). 7 Koch in Hüffer/Koch14, § 237 AktG Rz. 1. 8 Koch in Hüffer/Koch14, § 237 AktG Rz. 27.

216 | Bochmann

B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.255 Kap. 4

dung treffen, so dass der Vorstand diese lediglich noch vollziehen muss, ohne selbst einen diesbezüglichen Entscheidungsspielraum zu haben.1 Ist bei der gestatteten Einziehung – zulässigerweise – in der Satzung keine Regelung zur Höhe des Einziehungsentgelts getroffen worden, erhält der Aktionär den vollen (Verkehrs-)Wert der eingezogenen Aktien.2 Davon abweichende Regelungen sind möglich,3 nach h.M. ist jedoch – anders als bei Personengesellschaften und GmbH – ein kompletter Ausschluss unzulässig.4 Aufgrund dessen sind auch die Grenzen zulässiger Abschläge auf den Verkehrswert unsicherer als bei Personengesellschaften und GmbH, wobei aber überwiegend – und zu Recht – jedenfalls für personalistisch geprägte (Familien-)Aktiengesellschaften die für Personengesellschaften und GmbH anerkannten Abschläge (dazu Rz. 4.110 f., 4.224) als statthaft betrachtet werden.5 dd) Schuldrechtliche Nebenvereinbarungen Auf Aktiengesellschaften bezogene schuldrechtliche Nebenvereinbarungen – auch Poolvereinbarung, Konsortialvertrag oder Schutzgemeinschaftsvertrag genannt6 – zwischen Aktionären sind nach h.M. grundsätzlich zulässig7 und insbesondere bei Familienaktiengesellschaften schon aufgrund erbschaft- und schenkungsteuerlicher Erwägungen (§ 13b Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 ErbStG) weit verbreitet.8 Häufiger Regelungsgegenstand ist die Ausübung des Stimmrechts der an der Nebenvereinbarung beteiligten Aktionäre in der Hauptversammlung. Für derartige Abreden sind die aktienrechtlichen Vorgaben zur korporativen Ebene der Gesellschaft grundsätzlich nicht maßgeblich.9 Insbesondere können auf Poolebene andere Mehrheiten für abzustimmende Gegenstände als vom Aktiengesetz bestimmt werden,10 es können sich aber auch Aktionäre verpflichten, nach Weisung eines möglicherweise nur kleinstbeteiligten Konsortialführers abzustimmen.11

4.254

Schuldrechtliche Nebenvereinbarungen sind aber auch ein probates Mittel, um den aktienrechtlichen Unsicherheiten der Steuerung des Aktionärskreises mit Blick auf die Nachfolge von Todes wegen in Beteiligungen an Aktiengesellschaften (Rz. 4.247) zu begegnen.12 Auf-

4.255

1 Oechsler in MüKo4, § 237 AktG Rz. 63; Scholz in Münchener Hdb. Gesellschaftsrecht4, Bd. 4, § 63 Rz. 16. 2 Vgl. BGH v. 22.1.2013 – II ZR 80/10, NZG 2013, 220 (222); Veil in K. Schmidt/Lutter3, § 237 AktG Rz. 16. 3 A.A. Veil in K. Schmidt/Lutter3, § 237 AktG Rz. 17. 4 Vgl. BGH v. 22.1.2013 – II ZR 80/10, NZG 2013, 220 (222); Koch in Hüffer/Koch14, § 237 AktG Rz. 17; Oechsler in MüKo4, § 237 AktG Rz. 65; Scholz in Münchener Hdb. Gesellschaftsrecht4, Bd. 4, § 63 Rz. 21. 5 Oechsler in MüKo4, § 237 AktG Rz. 67; Scholz in Münchener Hdb. Gesellschaftsrecht4, Bd. 4, § 63 Rz. 16. 6 Hoffmann-Becking in Münchener Hdb. Gesellschaftsrecht4, Bd. 4, § 39 Rz. 43. 7 BGH v. 25.9.1986 – II ZR 272/85, AG 1987, 129; BGH v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 = AG 2009, 163; Noack, Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S. 66; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 5 I.5. 8 Vgl. Binnewies in Ziemons/Binnewies, Hdb. AG, Rz. 1612 ff.; Gätsch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG4, Rz. 4.74. 9 Vgl. BGH v. 22.1.2013 – II ZR 80/10, NZG 2013, 220 (221); BGH v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 = AG 2009, 163 (164) (in Bezug auf die aktienrechtlichen Mehrheitserfordernisse); Pentz in MüKo5, § 23 AktG Rz. 198; Seibt in K. Schmidt/Lutter3, § 23 AktG Rz. 64 ff. 10 BGH v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 = AG 2009, 163. 11 BGH v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 = AG 2009, 163 (164). 12 Überblick bei Mayer, MittBayNot 2006, 281 ff.; vgl. auch Reichert, ZIP 2014, 1957 (1962 f.) (zur SE).

Bochmann | 217

Kap. 4 Rz. 4.255 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

grund der stark eingeschränkten Gestaltungsfreiheit auf korporativer Ebene (vgl. § 23 Abs. 5 AktG und dazu Rz. 4.235) besteht hierfür bei Aktiengesellschaften ein erhöhter Bedarf. Gleichzeitig bieten sich schuldrechtliche Nebenvereinbarungen, die auch Verfügungspflichten in Bezug auf Aktien zum Gegenstand haben, gerade bei Aktiengesellschaften deshalb besonders an, weil sie – anders als Poolverträge, die (potentielle) Pflichten zur Übertragung von Geschäftsanteilen begründen (vgl. § 15 Abs. 4 GmbHG)1 – keine Pflicht zur notariellen Beurkundung nach sich ziehen.2 Dabei ist zwischen zwei Grundmodellen zu unterscheiden:

4.256

Zum einen kann ein Aktionärspool als rechtsfähige Außen-GbR zwischen den Poolmitgliedern ausgestaltet sein, der die Aktien der Poolmitglieder übertragen werden. Sämtliche Nachfolgefragen stellen sich alsdann lediglich noch auf Ebene der Pool-GbR, an der allein die Poolmitglieder beteiligt sind; es gelten damit die unter Rz. 4.77 ff. dargestellten Grundsätze.

4.257

Zum anderen kann der Pool als reine Innen-GbR konzipiert sein, bei der die beteiligten Aktionäre Inhaber ihrer Aktien bleiben, aber für bestimmte Fälle – insbesondere für den Fall des Todes eines Poolmitglied-Aktionärs – Vorkaufsrechte, Andienungspflichten oder Veräußerungsverbote im Hinblick auf die vererbten Aktien vereinbaren.3 Dass auch und gerade die Erben-Aktionäre an die auf der Ebene der Innen-GbR getroffenen Vereinbarungen gebunden sind, lässt sich wiederum durch eine entsprechende Fortsetzungs- und Nachfolgeklausel in dem Innen-GbR-Vertrag (dazu bereits Rz. 4.83 f.) sicherstellen.

4.258

Derartige als Innen-GbRs strukturierte Poolverträge stellen dabei ungeachtet der in der Rechtsprechung formulierten Grenzen zur zulässigen Höchstbindungsdauer4 ein probates Mittel zur dauerhaften Steuerung des Aktionärskreises dar. Denn es wird als grundsätzlich zulässig betrachtet, die Kündigung eines Poolvertrags ebenso wie die Absicht der Veräußerung gepoolter Anteile dauerhaft daran zu binden, dass das ausscheidende bzw. veräußerungswillige Poolmitglied verpflichtet ist, die gepoolten Anteile zuvor den übrigen Mitgliedern des Pools zum Erwerb anzubieten;5 nichts anderes kann für „Übernahmerechte“ der übrigen Poolmitglieder und vergleichbare Mechanismen gelten. Mit anderen Worten: Es ist zulässig, ein Poolmitglied dauerhaft vor die Wahl zu stellen, auf unabsehbare Zeit in dem Pool zu verbleiben oder den gepoolten Beteiligungsbesitz endgültig zu verlieren. Darin soll nach höchstrichterlicher Rechtsprechung „weder ein unzulässiger Ausschluß noch eine gesetzeswidrige Beschränkung des Kündigungsrechtes i.S. des § 723 III BGB“6 liegen. Allerdings muss sich der für die (Zwangs-) Übernahme der gepoolten Anteile vorgesehene Preis wieder an den allgemeinen Grundsätzen (vgl. bereits unter Rz. 4.113 ff.) messen lassen: Liegt bereits bei (Pool-)Vertragsschluss ein grobes Missverhältnis zwischen Übernahmepreis und Verkehrswert der Anteile vor, ist jedenfalls die in Rede stehende Preisabrede nichtig; im Falle eines sich nachträglich einstellenden groben Missverhältnisses gilt ein den veränderten Umständen angepasster Preis.7 1 Servatius in Baumbach/Hueck22, § 15 GmbHG Rz. 33. 2 Vgl. BGH v. 25.9.1986 – II ZR 272/85, NJW 1987, 890 (891); Pentz in MüKo5, § 23 AktG Rz. 198; Peters in Hannes, Formularbuch Vermögens- und Unternehmensnachfolge2, C.2 Rz. 9. 3 Vgl. BGH v. 22.1.2013 – II ZR 80/10, NZG 2013, 220 (221); BGH v. 25.9.1986 – II ZR 272/85, NJW 1987, 890 (891); BGH v. 13.6.1994 – II ZR 38/93, NJW 1994, 2536; Mayer, MittBayNot 2006, 281 (285 f.). 4 Vgl. BGH v. 19.01.1967 – II ZR 27/65, WM 1967, 315 (316) („im allgemeinen eine Bindung der Gesellschafter bis zu 30 Jahren als unbedenklich angesehen werden kann“); vgl. hierzu Schäfer in MüKo7, Vor § 705 BGB Rz. 69a, § 723 BGB Rz. 66. 5 Vgl. BGH v. 13.6.1994 – II ZR 38/93, BGHZ 126, 226 (235) („Schutzgemeinschaftsvertrag I“). 6 Vgl. BGH v. 13.6.1994 – II ZR 38/93, BGHZ 126, 226 (Ls. 1) („Schutzgemeinschaftsvertrag I“). 7 Vgl. BGH v. 13.6.1994 – II ZR 38/93, BGHZ 126, 226 (240) („Schutzgemeinschaftsvertrag I“).

218 | Bochmann

B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.259 Kap. 4

Wenig beleuchtet ist die Frage, ob ein anfänglich grobes Missverhältnis zur Nichtigkeit lediglich der Preisklausel – und deren Ersetzung durch den Verkehrswert der in Rede stehenden Anteil – oder zur Gesamtnichtigkeit des Andienungs-/Übernahmemechanismus führt. Gegen letztgenannte Sichtweise – Entfall der gesamten Andienungspflicht – spricht, dass der Bundesgerichtshofs Andienungsklauseln im Ausgangspunkt unabhängig von den damit verbundenen Preisregelungen beurteilt.1 Gegen die erstgenannte Auffassung könnte hingegen sprechen, dass die Erhaltung der Andienungspflicht – wenn auch zum Verkehrswert der betroffenen Anteile – die Grenze zum nachträglich eintretenden groben Missverhältnis verwischt. Wählt man i.S.v. § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB die Auflösung des Pools als Vergleichsmaßstab für die Beurteilung der Wirksamkeit einer mit einer Andienungsverpflichtung verbundenen Preisklausel, so spricht dies eher für einen Entfall der Andienungsverpflichtung, da es bei einer reinen Innen-GbR kein auseinanderzusetzendes Gesellschaftsvermögen gibt, sondern jeder Innen-Gesellschafter schlichtweg unter Entfall seiner Pflichten fortan wieder frei über seine gebundenen Aktien disponieren kann. Im Ergebnis hat der Bundesgerichtshof so auch in dem Fall entschieden, in dem ein schuldrechtlicher Vertrag zwischen einer Aktiengesellschaft und einem Aktionär vorgesehen hat, dass der Aktionär seine zuvor entgeltlich erworbenen Aktien unentgeltlich auf die Aktiengesellschaft zu übertragen hat, wenn jener schuldrechtliche Vertrag beendet wird.2 In dieser Entscheidung wurde die gesamte Übernahmeklausel als nichtig beurteilt, da ein wegen eines sittenwidrigen Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung nichtiges Rechtsgeschäft grundsätzlich nicht durch Anpassung der Leistungen auf ein noch vertretbares Maß aufrechterhalten werden solle.3 Ein weiteres Argument, das in jener Entscheidung für die Gesamtnichtigkeit einer gänzlich unentgeltlichen Übernahmeklausel – und damit letztlich gegen die Erhöhung des Übernahmeentgelts – ins Feld geführt wurde, lautete, es seien keine Umstände ersichtlich, aufgrund derer ermittelt werden könne, welche Regelung die Parteien bei angemessener Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben getroffen hätten, wenn sie die Unwirksamkeit der Übernahmeklausel bedacht hätten.4 Dieser Gesichtspunkt dürfte gegen die Annahme der Gesamtnichtigkeit sprechen, da im Falle von Poolverträgen mit Andienungspflichten oder Übernahmerechten und „lediglich“ grob unverhältnismäßigen Preisklauseln doch zumindest der Wille der Parteien zum Ausdruck gekommen sein wird, im Sinne der Zusammenhaltung des Anteilsbesitzes einen möglichst niedrigen Andienungspreis zu vereinbaren. Nimmt man als Vergleich zu Andienungspflichten in einer InnenGbR einen Aktionärspool, bei dem eine Außen-GbR tatsächlich Inhaberin der gepoolten Aktien wird, in den Blick,5 so spricht dies im Falle der Nichtigkeit der Preisklausel ebenfalls eher für eine Andienungsverpflichtung zum Verkehrswert, da im Falle der Nichtigkeit einer Abfindungsklausel bei Außengesellschaften ein ausscheidender Gesellschafter zum Verkehrswert abzufinden ist.6 Die Rückführung nichtiger Klauseln auf den Verkehrswert bei Außengesellschaften ist jedoch gerade dem Umstand geschuldet, dass eben dieser sich daraus ergibt, dass im Falle einer unwirksamen Klausel dispositives Recht gilt, das die Abfindung zum vollen (Verkehrs-)Wert der Beteiligung am fortgeführten Unternehmen gebietet (Rz. 4.105). Dispositives Gesetzesrecht zu Andienungs-/Übernahmeklauseln existiert jedoch gerade nicht, da das gesamte Konzept derartiger Klauseln eine Schöpfung der Vertragsgestaltungspraxis ist.

1 2 3 4 5

BGH v. 13.6.1994 – II ZR 38/93, BGHZ 126, 226 (244) („Schutzgemeinschaftsvertrag I“). BGH v. 22.1.2013 – II ZR 80/10, NZG 2013, 220. BGH v. 22.1.2013 – II ZR 80/10, NZG 2013, 220 (222). BGH v. 22.1.2013 – II ZR 80/10, NZG 2013, 220 (222). So auch der BGH bei der Beurteilung von Andienungsverpflichtungen als solche; vgl. BGH v. 13.6.1994 – II ZR 38/93, BGHZ 126, 226 (234). 6 BGH v. 20.9.1993 – II ZR 104/92, BGHZ 123, 281 (285).

Bochmann | 219

4.259

Kap. 4 Rz. 4.260 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

ee) Legitimation von Erben-Aktionären

4.260

Ein gravierender Unterschied zur GmbH mit dem rigiden Legitimationssystem der Gesellschafterliste (Rz. 4.205) besteht hinsichtlich der Legitimation von Erben-Aktionären gegenüber der Gesellschaft. Gem. §§ 1922, 1967 BGB gehen sämtliche Rechte und Pflichten des Erblassers auf den Erben über. Da für Inhaberaktien kein formales Legitimationserfordernis besteht, ergeben sich insofern ohnehin keine Probleme. Für Namensaktien ordnet § 67 Abs. 2 Satz 1 AktG jedoch an, dass im Verhältnis zur Gesellschaft nur derjenige als Aktionär gilt, der als solcher im Aktienregister eingetragen ist. Anders als bei § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG geht die h.M. bei Namensaktionären jedoch davon aus, dass auch die Eintragung des Erblassers im Aktienregister im Zuge der Universalsukzession gem. §§ 1922, 1967 BGB auf den oder die Erben übergeht, dass also eine Rechtsnachfolge in diese „Buchposition“ stattfindet und demgemäß Erben-Aktionäre auch ohne eigene Eintragung ihrer Person gegenüber der Gesellschaft als Gesellschafter gelten.1 ff) Testamentsvollstreckung

4.261

Die Anordnung von Testamentsvollstreckung im Hinblick auf Aktien unterliegt keinen Beschränkungen. Gleichzeitig ist es aber auch nicht möglich, die Ausübung von Rechten aus Aktien im Falle der Testamentsvollstreckung statutarisch zu beschränken, etwa bestimmte Anforderungen an die Person des Testamentsvollstreckers zu stellen.2

3. Kommanditgesellschaft auf Aktien a) Grundzüge aa) Organisationsverfassung

4.262

Ausweislich § 278 Abs. 1 AktG ist die Kommanditgesellschaft auf Aktien eine Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit, bei der mindestens ein Gesellschafter den Gesellschaftsgläubigern unbeschränkt haftet (persönlich haftender Gesellschafter) und die übrigen an dem in Aktien zerlegten Grundkapital beteiligt sind, ohne persönlich für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft zu haften (Kommanditaktionäre). Obgleich das Aktiengesetz selbst die KGaA als juristische Person qualifiziert („Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit“), handelt es sich in der Sache um eine Mischform mit kapital- und personengesellschaftsrechtlichen Zügen.3

4.263

Letztere werden mit Blick auf § 278 Abs. 2 AktG offenkundig, wonach sich das Rechtsverhältnis der persönlich haftenden Gesellschafter untereinander und gegenüber der Gesamtheit der Kommanditaktionäre sowie gegenüber Dritten, namentlich die Befugnis der persönlich haftenden Gesellschafter zur Geschäftsführung und zur Vertretung der Gesellschaft, nach den Vorschriften des Handelsgesetzbuchs über die Kommanditgesellschaft bestimmt. Hierin liegt die Besonderheit der KGaA, die sie von allen anderen Rechtsformen unterscheidet: Einerseits ist sie Aktiengesellschaft – für die gem. § 278 Abs. 3 AktG grundsätzlich die allgemei-

1 OLG Brandenburg v. 6.6.2001 – 7 U 145/00, NZG 2002, 476 (478); OLG Jena v. 25.2.2004 – 2 U 635/03, AG 2004, 268 (270 f.); Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter3, § 69 AktG Rz. 13. 2 Wicke, ZGR 2015, 161 (166); Koch in Hüffer/Koch14, § 134 AktG Rz. 31; vgl. auch Herrler in Grigoleit, § 134 AktG Rz. 31. 3 Karsten Schmidt in K. Schmidt/Lutter3, § 278 AktG Rz. 1.

220 | Bochmann

B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.266 Kap. 4

nen aktienrechtlichen Vorschriften gelten – und kann als solche durch die Emission von Aktien Eigenkapital am Kapitalmarkt aufnehmen.1 Andererseits ist ein Kernelement der Organisationsverfassung von Aktiengesellschaften – der Vorstand als eigenverantwortliches Leitungsorgan – durch die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis des persönlich haftenden Gesellschafters (§ 278 Abs. 2 AktG i.V.m. § 164, § 162 Abs. 2, §§ 114 ff., § 125 HGB) ersetzt. Die Verweisung in § 278 Abs. 2 AktG auf das Recht der Kommanditgesellschaft ersetzt insofern auch die aktienrechtliche Satzungsstrenge (§ 23 Abs. 5 AktG) durch die personengesellschaftsrechtliche Gestaltungsfreiheit.2

4.264

In dieser Gestaltungsfreiheit liegen die besonderen Chancen der Verwendung von KGaA. Denn sie erlaubt es, die wirtschaftlichen Beteiligungsverhältnisse weitgehend von den Einflussmöglichkeiten zu entkoppeln, was sich insbesondere Familienunternehmen zunutze machen. Da es überdies höchstrichterlich anerkannt ist, eine haftungsbeschränkte Kapitalgesellschaft als (alleinigen) persönlich haftenden Gesellschafter zu installieren,3 stehen praktisch sämtliche aus dem Recht der GmbH & Co. KG bekannten Wege der Einflusssteuerung und -sicherung (Rz. 4.178) offen, ohne dass damit die Risiken persönlicher Haftung einhergingen.4 So ist es namentlich möglich, den Einfluss einer Familie auf den geschäftsführungs- und vertretungsbefugten persönlich haftenden Gesellschafter mit den Instrumenten des GmbHRechts zu sichern – etwa mittels Geschäftsführungssonderrechten, Vinkulierungs-, Einziehungs- und/oder Abtretungsklauseln (Rz. 4.195, 4.217, 4.221) – und gleichzeitig die Mitwirkungsrechte der Kommanditaktionäre noch hinter das in § 278 Abs. 2 AktG i.V.m. § 164 Satz 1 Halbs. 2 HGB vorgesehene Maß zurückzudrängen (Rz. 4.161).5

4.265

Eine weitere Besonderheit gegenüber Aktiengesellschaften ist der von Gesetzes wegen deutlich beschränkte Einfluss des Aufsichtsrats in der KGaA, der namentlich bei, aufgrund der Überschreitung der einschlägigen Arbeitnehmerschwellenwerte (Rz. 4.236), mitbestimmten Gesellschaften das Motiv für die Wahl der KGaA als Rechtsform sein kann.6 Diese Besonderheit resultiert wiederum aus der Organisationsverfassung der KGaA.: Da der natürlich haftende Gesellschafter „geborenes“ Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan ist, entfallen die in der AG charakteristische Personalkompetenz des Aufsichtsrats (vgl. Rz. 4.238) sowie das Recht, Zustimmungsvorbehalte für Vorstandsmaßnahmen gem. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG festzulegen, ersatzlos;7 auch ist gem. § 33 Abs. 1 Satz 2 MitbestG kein Arbeitsdirektor zu bestellen. Gem. § 286 Abs. 1 AktG stellt überdies – in Abweichung von § 172 Satz 1 AktG – die Hauptversammlung den Jahresabschluss fest. Schließlich sind Arbeitnehmer der KGaA grundsätzlich – auch bei kapitalistisch strukturierten Gesellschaften – nicht einer als persönlich haftender Gesellschafter fungierenden Kapitalgesellschaft (analog § 4 MitbestG) zuzurechnen,8 so

4.266

1 Herfs in Münchener Hdb. Gesellschaftsrecht4, Bd. 4, § 76 Rz. 8; von Eiff/Otte, GWR 2015, 246 (247); Kruse/Doming/Frechen, DStR 2017, 2441 (2441 f.). 2 Reichert, ZIP 2014, 1957 (1960); Karsten Schmidt in K. Schmidt/Lutter3, § 281 AktG Rz. 8. 3 BGH v. 24.2.1997 – II ZB 11/96, GmbHR 1997, 595; dazu Bochmann/Cziupka in GmbH-Hdb., Rz. I-56; Fett/Stütz, NZG 2017, 1121 ff. 4 Vgl. Bochmann/Cziupka in GmbH-Hdb., Rz. I-56. 5 von Eiff/Otte, GWR 2015, 246 (247); Reichert, ZIP 2014, 1957 (1960). 6 Herfs in Münchener Hdb. Gesellschaftsrecht4, Bd. 4, § 76 Rz. 8; Reichert, ZIP 2014, 1957 (1960 f.). 7 Fett/Stütz, NZG 2017, 1121 (1122 f.); von Eiff/Otte, GWR 2015, 246 (246); Koch in Hüffer/Koch14, § 278 AktG Rz. 15; Perlitt in MüKo5, § 278 AktG Rz. 282. 8 Vgl. BGH v. 24.2.1997 – II ZB 11/96, GmbHR 1997, 595; OLG Celle v. 7.5.2014 – 23 O 30/13, GmbHR 2015, 317.

Bochmann | 221

Kap. 4 Rz. 4.266 | Gesellschafts- und umwandlungsrechtliche Strukturüberlegungen

dass diese als Entscheidungs- und Lenkungszentrum der Kapitalgesellschaft & Co. KGaA mitbestimmungsfrei bleibt.1 Aufgrund der personengesellschaftsrechtlichen Gestaltungsfreiheit der Rechtsverhältnisse der KGaA gegenüber ihrer Komplementärin kann der Aufsichtsrat statutarisch jedoch auch mit starken Rechten gegenüber der Geschäftsführung ausgestattet werden; insbesondere können die Rechte und Pflichten des KGaA-Aufsichtsrats denen des gewöhnlichen AG-Aufsichtsrats nachgebildet werden.2 bb) Finanz- und Haftungsverfassung

4.267

Der organisationsrechtliche Dualismus der KGaA setzt sich in der Finanzverfassung fort: Für die Einlagen der persönlich haftenden Gesellschafter gelten im Wesentlichen die personengesellschaftsrechtlichen Grundsätze für Komplementäre einer KG – mit einer gewissen Kapitalbindung gem. § 288 AktG –, für die auf das Grundkapital, das auch bei der KGaA mindestens 50.000 Euro betragen muss, gelten die allgemeinen aktienrechtlichen Kapitalaufbringungsund Kapitalerhaltungsgrundsätze.3

4.268

Für Verbindlichkeiten der Gesellschaft haften das Gesellschaftsvermögen (§ 278 Abs. 3, § 1 Abs. 1 Satz 2 AktG) und daneben die persönlich haftenden Gesellschafter nach den für Komplementäre einer KG geltenden Grundsätzen4 (Rz. 4.168) (§ 278 Abs. 2 AktG i.V.m. §§ 128 ff. HGB); die Kommanditaktionäre haften ebenso wenig wie die Aktionäre einer gewöhnlichen Aktiengesellschaft.5 cc) Handels- und Transparenzregisterpublizität

4.269

Bezüglich der Handels- und Transparenzregisterpublizität der KGaA gelten die Ausführungen in Rz. 4.171, 4.174 entsprechend. dd) Verbreitung und tatsächliche Erscheinungsformen

4.270

Die Kommanditgesellschaft auf Aktien erfährt in jüngerer Zeit zunehmend Aufmerksamkeit6 und wird aufgrund ihrer mitbestimmungsrechtlichen Vorzüge sowie der Möglichkeit, die Kapitalsammelfunktion der AG mit der Sicherung des Einflusses bestimmter Gesellschafter zu kombinieren, häufig als Gestaltungsvariante für mittlere und große Familienunternehmen diskutiert.7 Rein zahlenmäßig betrachtet ist sie mit gerade einmal rund 300 in Handelsregistern eingetragenen Exemplaren8 jedoch – trotz des kontinuierlichen Anstiegs in jüngerer Zeit9

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Bochmann/Cziupka in GmbH-Hdb., Rz. I-56; Koch in Hüffer/Koch14, § 278 AktG Rz. 22. Herfs in Münchener Hdb. GesR4, Bd. 4, § 79 Rz. 67; Perlitt in MüKo4, § 287 AktG Rz. 50. Perlitt in MüKo5, § 278 AktG Rz. 50 ff., § 288 AktG Rz. 30. Karsten Schmidt in K. Schmidt/Lutter3, § 278 AktG Rz. 43; Perlitt in MüKo4, § 278 AktG Rz. 3, 160 ff. Karsten Schmidt in K. Schmidt/Lutter3, § 278 AktG Rz. 6; Perlitt in MüKo4, § 278 AktG Rz. 3. Vgl. etwa zur Auseinandersetzung um das Verhältnis der eine Komplementär-Gesellschaft beherrschenden Gesellschafter zur KGaA Bachmann, AG 2019, 581 ff.; Habersack, ZIP 2019, 1453 ff. Reichert, ZIP 2014, 1957 ff.; Fett/Stütz, NZG 2017, 1121 ff.; Kruse/Domning/Frechen, DStR 2017, 2440 ff.; von Eiff/Otte, GWR 2015, 246 ff. Vgl. Kornblum, GmbHR 2019, 689 (690). Zur Entwicklung Karsten Schmidt in K. Schmidt/Lutter3, § 278 AktG Rz. 1; Koch in Hüffer/ Koch14, § 278 AktG Rz. 2.

222 | Bochmann

B. Rechtsformwahl und Besonderheiten der Nachfolgegestaltung | Rz. 4.273 Kap. 4

– nach wie vor eine Randerscheinung.1 Gleichzeitig haben immerhin vier der 30 DAX-Unternehmen die Rechtsform der KGaA.2 b) Gestaltungsherausforderungen im Nachfolgekontext aa) Wechsel in die Rechtsform der KGaA Mit Blick auf die Kommanditgesellschaft auf Aktien besteht die wesentliche Aufgabe im Nachfolgekontext in der Abwägung, ob der Wechsel in die Rechtsform der KGaA mit Rücksicht auf ihre Charakteristika opportun erscheint. Neben den (allerdings nicht nachfolgespezifischen) Aspekten der unternehmerischen Mitbestimmung (Rz. 4.265) dürfte unter Nachfolgegesichtspunkten entscheidend sein, ob die langfristige Erschließung potentieller weiter Anlegerkreise die mit der KGaA einhergehende komplexe Struktur – Aktienrecht einerseits, Personengesellschaftsrecht andererseits und überdies die Aufgabe der Verzahnung von KGaA und Komplementär-Kapitalgesellschaft – rechtfertigt.3 Wo diese Aspekte nicht von herausgehobener Bedeutung sind, wird die Kapitalgesellschaft & Co. KG die weniger aufwendige und näherliegende Rechtsform darstellen.

4.271

bb) Sicherung des Familieneinflusses Soll die Rechtsform der Kapitalgesellschaft & Co. KGaA gewählt werden, wird der gestalterische Fokus auf die Sicherung des Familieneinflusses zu legen sein. Da die Komplementärin aufgrund ihrer Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis von herausragender Bedeutung ist, können auf ihrer Ebene die bereits dargestellten Instrumentarien eingesetzt werden. Handelt es sich um eine GmbH, kommen insbesondere Beiratsstrukturen, Geschäftsführungssonderrechte, Vinkulierungs-, Einziehungs- und/oder Abtretungsklauseln in Betracht. Im Hinblick auf die üblicherweise bestehende parallele Beteiligung als Kommanditaktionär ist aufgrund der insofern begrenzten statutarischen Steuerungsmöglichkeiten (Rz. 4.265) insbesondere wiederum an Poolverträge zu denken; als Variante kommt in Betracht, die Aktien auf die Komplementär-Gesellschaft zu übertragen – was, wie sich aus § 285 Abs. 1 Satz 1 AktG ergibt, zulässig ist –, die dann neben ihrer eigentlichen Funktion auch die einer Außen-Poolgesellschaft erfüllt, womit wiederum insbesondere die GmbH-rechtlichen Optionen zur Steuerung des Gesellschafterkreises eröffnet sind.

4.272

IV. Stiftungen Zu Stiftungen als Instrument der Nachfolgegestaltung ist auf Kapitel 13 zu verweisen.

1 Vgl. auch Lieder/Hoffmann, AG 2016, 704 ff.; Fett/Stütz, NZG 2017, 1121 (1121 f.); Herfs in Münchener Hdb. Gesellschaftsrecht4, Bd. 4, § 76 Rz. 4. 2 Per 1.1.2020: Fresenius Medical Care AG & Co. KGaA; Henkel AG & Co. KGaA; Fresenius SE & Co. KGaA; Merck KGaA. 3 Zur Abwägung von Vor- und Nachteilen vgl. Herfs in Münchener Hdb. Gesellschaftsrecht4, Bd. 4, § 76 Rz. 8 f.

Bochmann | 223

4.273

Kapitel 5 Erbrechtliche Strukturüberlegungen Großer Dank gilt meinem Erbrechtsteam bei Brödermann Jahn, insbesondere Herrn Rechtsanwalt Dr. Francisco Fernández Sánchez, LL.M. (Göttingen) und der Wissenschaftlichen Mitarbeiterin Frau Ref. Dipl.-Juristin Laura Kaufmann, für ihre Unterstützung bei der Erstellung dieses Beitrags. A. Reichweite des deutschen Erbrechts I. Abgrenzung zu ausländischen Erbrechten 1. Die Frage nach dem anwendbaren Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bilaterale Abkommen a) Allgemeines zur Anwendbarkeit der bilateralen Abkommen . . . . b) Deutsch-Persisches Niederlassungsabkommen . . . . . . . . . . . . . c) Deutsch-Türkisches Nachlassabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Deutsch-Sowjetischer Konsularvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Europäisches IPR a) Geltungsbereich der Europäischen Erbrechtsverordnung . . . . . . . . . b) Anknüpfung an den letzten gewöhnlichen Aufenthalt . . . . . . . . c) Anknüpfung an die engste Verbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtswahl des Erblassers aa) Kreis der wählbaren Rechte bb) Staatsangehörigkeit, Staatenlose und Flüchtlinge . . . . . . cc) Form der Rechtswahl . . . . . dd) Vorteile der Rechtswahl . . . e) Rück- und Weiterverweisung . . f) Geringe Relevanz des Belegenheitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Staaten mit mehr als einem Rechtssystem . . . . . . . . . . . . . . . h) Vorsicht bei Statutenwechsel . . . 4. Deutsches IPR a) Verhältnis zwischen EuErbVO und EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . b) Art. 25 EGBGB n.F. . . . . . . . . . . c) Art. 25 EGBGB a.F. aa) Zeitlicher Anwendungsbereich des alten Rechts . . . bb) Maßgeblicher Anknüpfungspunkt: Staatsangehörigkeit .

224 | Tiedemann

5.1

5.

5.5 5.7 5.10 5.13 5.15 5.20 5.25 5.27 5.29 5.32 5.33 5.34 5.37 5.42 5.45 5.48 5.49 5.53 5.54

II. 1. 2. 3. III. 1. 2. 3. 4. IV. 1. 2. B. I. 1. 2. 3. II.

cc) Rück- und Weiterverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.55 dd) Begrenzte Rechtswahl . . . . . 5.56 ee) Vorrang des Belegenheitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.57 Ausländisches IPR a) Bedeutung des ausländischen IPR 5.59 b) Verschiedene Anknüpfungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.63 c) Faktische Nachlassspaltung . . . . 5.66 d) Vorsicht bei ausländischen Erbrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.68 Abgrenzung zum Güterrecht Relevanz des Güterstands . . . . . . . . 5.70 Anwendbares Güterrecht . . . . . . . . 5.72 a) Anknüpfung nach der EuGüVO 5.74 b) Anknüpfung nach der EuPartVO 5.76 Qualifikation Erbrecht/Güterrecht . 5.78 Abgrenzung zum Gesellschaftsrecht Spannungsverhältnis Gesellschaftsrecht/Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.83 Vorrang des Gesellschaftsrechts: „Gesellschaftsrecht bricht Erbrecht“ 5.85 Erbrechtliche Folgen/Ausgleichsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.89 Abstimmung Gesellschaftsvertrag/ Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.90 Abgrenzung zum Sachenrecht Spannungsverhältnis Sachenrecht/ Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.91 Kollisionsrechtliche Abgrenzung Sachenrecht/Erbrecht . . . . . . . . . . . . . 5.93 Gesetzliche Erbfolge Universalsukzession und Singularsukzession Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge 5.98 Ausnahme: Sondererbfolge bei Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . 5.99 Ausnahme: Höferecht . . . . . . . . . . . 5.101 Anwendungsbereich der gesetzlichen Erbfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.102

Erbrechtliche Strukturüberlegungen | Kap. 5 III. Gesetzliches Erbrecht der Verwandten 1. Verwandtenerbrecht . . . . . . . . . . . . 5.104 2. Ordnungssystem . . . . . . . . . . . . . . . 5.105 3. Stammes-, Linien- und Gradualsystem a) Stammessystem . . . . . . . . . . . . . . 5.108 b) Liniensystem . . . . . . . . . . . . . . . . 5.110 c) Gradualsystem . . . . . . . . . . . . . . . 5.111 IV. Gesetzliches Erbrecht des Ehegatten 1. Grundsatz des Ehegattenerbrechts . 5.112 2. Erhöhung bei Zugewinngemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.114 3. Modifizierung bei Gütertrennung . . 5.115 4. Keine Modifizierung bei Gütergemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.116 V. Gesetzliches Erbrecht des gleichgeschlechtlichen Partners . . . . . . . . 5.117 VI. Nichteheliche Kinder . . . . . . . . . . . 5.121 C. Gewillkürte Erbfolge I. Testierfreiheit und ihre Schranken 1. Grundsatz der Testierfreiheit . . . . . . 5.125 2. Grenzen der Testierfreiheit a) Gesetzliche Verbote . . . . . . . . . . 5.127 b) Sittenwidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . 5.129 c) Pflichtteilsrecht . . . . . . . . . . . . . . 5.133 d) Bindungswirkung gemeinschaftlicher Testamente und Erbverträge 5.136 II. Formen der Verfügung von Todes wegen 1. Zum Begriff der „Verfügung von Todes wegen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.138 2. Testament a) Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.139 b) Ordentliche und außerordentliche Testamente . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.141 c) Öffentliches Testament aa) Errichtung . . . . . . . . . . . . . . 5.143 bb) Vor- und Nachteile . . . . . . . 5.144 cc) Widerruf . . . . . . . . . . . . . . . 5.146 d) Eigenhändiges Testament aa) Errichtung . . . . . . . . . . . . . . 5.147 bb) Vor- und Nachteile . . . . . . . 5.148 cc) Widerruf . . . . . . . . . . . . . . . 5.150 e) Gemeinschaftliches Testament aa) Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . 5.151 bb) Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.152 cc) Inhalt, Berliner Testament, Einheits- oder Trennungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.154

3.

III. 1. 2.

3.

IV. 1. 2.

3.

dd) Wechselbezügliche Verfügungen und Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.159 ee) Wiederverheiratungsklausel 5.163 ff) Widerruf und andere Lösungsmöglichkeiten . . . . . . . 5.164 Erbvertrag a) Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.167 b) Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.169 c) Inhalt aa) Vertragschließende, Begünstigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.170 bb) Verfügungen mit Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . 5.172 cc) Einseitige Verfügungen . . . . 5.174 d) Wirkung auf frühere oder spätere letztwillige Verfügungen . . . . . . . 5.175 e) Aufhebung, Rücktritt . . . . . . . . . 5.176 f) Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.178 g) Verfügungen unter Lebenden, Unwirksamkeit Beeinträchtigender Schenkungen . . . . . . . . . . . . 5.182 Besondere Voraussetzungen für die Errichtung einer Verfügung von Todes wegen Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.185 Testierfähigkeit a) Begriff und Voraussetzungen . . . 5.187 b) Fähigkeit zum Abschluss eines Erbvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . 5.191 c) Testierunfähigkeit . . . . . . . . . . . . 5.193 Höchstpersönlichkeit a) Persönliche Errichtung/Keine Stellvertretung . . . . . . . . . . . . . . . 5.195 b) Keine Bestimmung durch Dritte 5.198 Inhalt der Verfügung von Todes wegen/Erbrechtliche Instrumentarien Überblick über die erbrechtlichen Instrumentarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.202 Erbeinsetzung a) Bestimmung des Erben . . . . . . . . 5.204 b) Ermittlung des Erblasserwillens aa) Individuelle Auslegung des Testaments . . . . . . . . . . . . . 5.209 bb) Auslegungsregeln . . . . . . . . 5.211 c) Auslegungsvertrag . . . . . . . . . . . 5.213 Enterbung a) Anordnung der Enterbung aa) Enterbung als letztwilliges Gestaltungsmittel . . . . . . . . 5.214 bb) Ausdrückliche Enterbung . . 5.216 cc) Stillschweigende Enterbung 5.218

Tiedemann | 225

Kap. 5 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen b) Wirkung der Enterbung . . . . . . . 5.220 4. Vor- und Nacherbfolge a) Prinzip der Vor- und Nacherbfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.222 b) Sondervermögen . . . . . . . . . . . . . 5.224 c) Befreite/Nicht befreite Vorerbschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.225 d) Anordnung der Vor- und Nacherbfolge aa) Anordnung durch letztwillige Verfügung . . . . . . . . . . . . . . 5.227 bb) Person des Vor- und Nacherben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.228 cc) Gestaffelte Nacherbfolge . . . 5.231 e) Eintritt des Nacherbfalls . . . . . . . 5.233 f) Rechtsstellung des Vorerben aa) Verhältnis zum Erblasser . . 5.236 bb) Verfügungsbeschränkungen 5.237 cc) Prinzip der Surrogation . . . 5.240 g) Rechtsstellung des Nacherben aa) Verhältnis zum Erblasser und Vorerben . . . . . . . . . . . . . . . 5.242 bb) Vor Eintritt des Nacherbfalls 5.244 cc) Nach Eintritt des Nacherbfalls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.246 h) Praktische Hinweise . . . . . . . . . . 5.250 5. Teilungsanordnung a) Anordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.254 b) Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.255 6. Vermächtnis a) Rechtsnatur des Vermächtnisses 5.258 b) Arten von Vermächtnissen aa) Bedingtes oder befristetes Vermächtnis . . . . . . . . . . . . 5.261 bb) Untervermächtnis . . . . . . . . 5.264 cc) Nachvermächtnis . . . . . . . . 5.266 dd) Vorausvermächtnis . . . . . . . 5.268 ee) Bestimmungs- und Verteilungsvermächtnis . . . . . . . . 5.273 ff) Supervermächtnis . . . . . . . . 5.276 7. Auflage, Bedingung a) Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.282 b) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.284 8. Letztwillige Schiedsklausel . . . . . . . 5.285 D. Testamentsvollstreckung I. Anordnung der Testamentsvollstreckung 1. Motive für eine Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.288 2. Anordnung in einer Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.290

226 | Tiedemann

3. Person des Testamentsvollstreckers a) Anforderungen an einen Testamentsvollstrecker . . . . . . . . . . . . 5.294 b) Natürliche Personen aa) Familienangehörige . . . . . . 5.296 bb) Personen aus dem beruflichen Umfeld . . . . . . . . . . . . 5.298 cc) Notare . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.299 dd) Erben, Miterben, testamentarisch Bedachte . . . . . . . . . . . 5.300 c) Juristische Personen . . . . . . . . . . 5.303 d) Ämterhäufung . . . . . . . . . . . . . . 5.305 II. Arten der Testamentsvollstreckung 1. Abwicklungsvollstreckung . . . . . . . 5.308 2. Verwaltungsvollstreckung . . . . . . . . 5.311 3. Dauervollstreckung . . . . . . . . . . . . . 5.312 4. Nacherbenvollstreckung . . . . . . . . . 5.316 5. Vermächtnisvollstreckung . . . . . . . 5.317 III. Aufgaben und Befugnisse des Testamentsvollstreckers 1. Aufgaben a) Erblasserwille . . . . . . . . . . . . . . . 5.318 b) Rechtsstellung . . . . . . . . . . . . . . 5.321 2. Befugnisse a) Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . 5.322 b) Sondervermögen . . . . . . . . . . . . 5.324 c) Verfügungsbefugnisse . . . . . . . . 5.325 d) Prozessführungsbefugnis . . . . . . 5.327 3. Testamentsvollstreckung bei Unternehmen a) Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.330 b) Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . 5.331 c) Einzelkaufmännische Unternehmen aa) Unzulässigkeit wegen unbeschränkter persönlicher Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.332 bb) Ersatzlösungen . . . . . . . . . . 5.334 d) Personengesellschaften aa) Unzulässigkeit von uneingeschränkter Verwaltung für pHG-Anteile . . . . . . . . . . . . 5.335 bb) Beschränkte Verwaltung und Ersatzlösungen . . . . . . . . . . 5.337 cc) Zulässigkeit bei KG-Anteilen 5.341 e) Kapitalgesellschaften aa) Gesellschaft mit beschränkter Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . 5.343 bb) Aktiengesellschaft . . . . . . . . 5.347 IV. Beginn und Ende der Testamentsvollstreckung 1. Annahme und Ablehnung des Amts 5.350 2. Beendigung des Amts . . . . . . . . . . . 5.351

Erbrechtliche Strukturüberlegungen | Kap. 5 V. Kosten der Testamentsvollstreckung 1. Vergütung und Aufwendungsersatz 5.352 2. Bestimmung durch den Erblasser . . 5.354 3. Vergütungsvereinbarung mit den Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.355 4. Angemessene Vergütung a) Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.356 b) Wertgebühr . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.357 5. Fälligkeit, Schuldner, Entlastung . . . 5.359 E. Pflichtteilsrecht I. Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.362 II. Voraussetzungen eines Pflichtteilsanspruchs 1. Pflichtteilsberechtigung a) Die nächsten Angehörigen . . . . . 5.366 b) Kein Ausschluss der Erbberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.368 2. Ausschluss von der Erbfolge a) Ausschluss durch Letztwillige Verfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.371 b) Inhalt der Ausschlusserklärung . 5.373 c) Ausschlagung der Erbschaft . . . . 5.377 III. Höhe des Pflichtteilsanspruchs 1. Rechtsnatur des Anspruchs . . . . . . . 5.379 2. Pflichtteilsquote a) Hälfte des gesetzlichen Erbteils . 5.381 b) Besonderheit bei Ehegatten aa) Kleiner Pflichtteil . . . . . . . . . 5.383 bb) Großer Pflichtteil . . . . . . . . . 5.386 cc) Folge für andere Pflichtteilsberechtigte . . . . . . . . . . . . . . 5.388 3. Bewertung des Nachlasses . . . . . . . . 5.389 IV. Anrechnung und Ausgleichung 1. Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.391 2. Anrechnung a) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . 5.394 b) Berechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.395 3. Ausgleichung a) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . 5.397 b) Berechnung aa) Lebzeitige Zuwendungen . . 5.399 bb) Besondere Leistungen i.S.d. § 2057a BGB . . . . . . . . . . . . 5.401 4. Kumulation von Ausgleichung und Anrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.402 V. Pflichtteilsentziehung 1. Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.404 2. Gründe für die Pflichtteilsentziehung a) Nach dem Leben Trachten . . . . . 5.406 b) Verbrechen oder schweres vorsätzliches Vergehen . . . . . . . . . . . 5.407

3. VI. 1. 2. 3. 4. 5.

6.

7. VII. 1. 2.

c) Böswillige Verletzung der gesetzlichen Unterhaltspflichten . . . . . . 5.408 d) Rechtskräftige Verurteilung und Unzumutbarkeit für den Erblasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.409 Form und Beweislast . . . . . . . . . . . . 5.410 Pflichtteilsergänzung Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.412 Rechtsnatur des Anspruches . . . . . . 5.414 Anspruchsinhaber . . . . . . . . . . . . . . 5.415 Anspruchsgegner . . . . . . . . . . . . . . . 5.418 Schenkung a) Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.420 b) Beschenkter . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.421 c) Einzelfälle aa) Anstandsschenkungen . . . . 5.422 bb) Ehebedingte Zuwendungen 5.423 cc) Gemischte Schenkungen . . . 5.424 dd) Lebensversicherung . . . . . . . 5.425 ee) Stiftung . . . . . . . . . . . . . . . . 5.426 ff) Aufnahme eines Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.427 gg) Fortsetzungsklausel in Gesellschaftsverträgen mit Abfindungsausschluss . . . . . . . . . 5.428 d) Bewertung der Schenkung . . . . . 5.431 e) Zeitliche Begrenzung aa) Zehn-Jahres-Frist und Abschmelzlösung . . . . . . . . . . . 5.433 bb) Fristbeginn . . . . . . . . . . . . . 5.436 Berechnung der Ergänzung a) Berechnungsmethode . . . . . . . . . 5.439 b) Berücksichtigung von Eigengeschenken . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.441 Auskunftsanspruch . . . . . . . . . . . . . 5.442 Pflichtteilsvermeidungsstrategien Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.443 Gestaltungsmöglichkeiten a) Lebzeitige Rechtsgeschäfte und Handlungen aa) Pflichtteilsverzichtsvertrag . 5.445 bb) Güterstandsvereinbarung im Ehevertrag . . . . . . . . . . . . . . 5.446 cc) Güterstandsschaukel . . . . . . 5.447 dd) Verbrauch . . . . . . . . . . . . . . 5.450 ee) Schenkungen . . . . . . . . . . . . 5.451 b) Erweiterung des Kreises der Pflichtteilsberechtigten aa) Eheschließung . . . . . . . . . . . 5.453 bb) Adoption . . . . . . . . . . . . . . . 5.455 c) Gesellschaftsrecht aa) Einbringung in Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . 5.458

Tiedemann | 227

Kap. 5 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

VIII. 1. 2. F. I. 1. 2. 3.

II. 1.

2.

bb) Abfindungsausschluss und Anwachsung von Gesellschaftsanteilen . . . . . . . . . . . d) Internationales Privatrecht aa) Wechsel des Anwendbaren Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verlagerung von Vermögen ins Ausland . . . . . . . . . . . . . Pflichtteilsverzicht Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abwicklung des Nachlasses Annahme und Ausschlagung Automatischer Anfall der Erbschaft Annahme der Erbschaft . . . . . . . . . Ausschlagung der Erbschaft a) Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . c) Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Inhalt aa) Willenserklärung . . . . . . . . bb) Verbot der Teilausschlagung cc) Separate Ausschlagung bei mehreren Berufungsgründen dd) Separate Ausschlagung bei mehreren Erbteilen . . . . . . . ee) Separate Ausschlagung von Vermächtnis und Erbschaft f) Folgen der Ausschlagung . . . . . . g) Wirksamkeit und Anfechtung der Annahme und Ausschlagung . . . Erbenhaftung Haftung für Nachlassverbindlichkeiten a) Übergang auf den Erben . . . . . . b) Begriff der Nachlassverbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erblasserschulden . . . . . . . . bb) Erbfallschulden . . . . . . . . . . cc) Nachlasserbenschulden . . . Haftungsbeschränkungen a) Möglichkeiten zur Haftungsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . b) Aufgebotsverfahren . . . . . . . . . . c) Nachlassverwaltung . . . . . . . . . . d) Nachlassinsolvenz . . . . . . . . . . . e) Erbrechtliche Einreden aa) Verschweigungseinrede . . . bb) Dürftigkeitseinrede . . . . . . . cc) Dreimonatseinrede . . . . . . . dd) Einrede des ungeteilten Nachlasses . . . . . . . . . . . . . .

228 | Tiedemann

5.460 5.462 5.464 5.467 5.468

5.469 5.471 5.475 5.478 5.483 5.487 5.490 5.492 5.496 5.498 5.500 5.501 5.503

5.508 5.509 5.510 5.512 5.514 5.515 5.519 5.521 5.525 5.531 5.533 5.537 5.538

III. Erbengemeinschaft 1. Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.540 2. Verfügung des Miterben über seinen Erbteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.542 3. Verwaltung des Nachlasses a) Grundsatz der gemeinschaftlichen Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.545 b) Ordnungsgemäße Verwaltung . . 5.548 c) Notwendige Verwaltung . . . . . . 5.550 d) Außerordentliche Verwaltung . . 5.551 e) Verfügungen über Nachlassgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.552 f) Praktische Hinweise . . . . . . . . . . 5.556 IV. Auseinandersetzung 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.557 2. Ausschluss der Auseinandersetzung 5.559 3. Durchführung der Auseinandersetzung a) Einvernehmliche Teilung . . . . . . 5.563 b) Begleichung von Nachlassverbindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . 5.567 c) Grundsätze der Teilung . . . . . . . 5.568 d) Ausgleichung von Vorempfängen 5.572 e) Teilungsklage . . . . . . . . . . . . . . . 5.575 4. Rechtsfolgen der Auseinandersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.576 V. Der Erbschein 1. Nachweis der Erbfolge . . . . . . . . . . 5.577 2. Richtigkeitsvermutung und Öffentlicher Glaube des Erbscheins a) Rechtsschein . . . . . . . . . . . . . . . . 5.580 b) Gutgläubiger Erwerb . . . . . . . . . 5.583 3. Erbscheinsverfahren . . . . . . . . . . . . 5.585 4. Einziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.590 5. Keine materielle Rechtskraft . . . . . . 5.592 6. Das Europäische Nachlasszeugnis a) Zweck und Inhalt . . . . . . . . . . . . 5.594 b) Verhältnis zum deutschen Erbschein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.596 c) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . 5.598 G. Ausschluss von der Erbfolge I. Erbunwürdigkeit 1. Begriff und Rechtsnatur . . . . . . . . . 5.601 2. Erbunwürdigkeitsgründe a) (Versuchte) Tötung des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.606 b) Verhinderung einer letztwilligen Verfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.608 c) Täuschung und Drohung bei Errichtung einer letztwilligen Verfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.610 d) Urkundendelikte . . . . . . . . . . . . 5.612

Erbrechtliche Strukturüberlegungen | Kap. 5 3. Rechtsfolge a) Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.615 b) Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.617 4. Vermächtnis- und Pflichtteilsunwürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.618 5. Verzeihung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.620 II. Erb-, Pflichtteils- und Zuwendungsverzicht 1. Begriff, Zweck, Rechtsnatur . . . . . . . 5.622 2. Wirksamkeit a) Formelle Voraussetzungen . . . . . 5.625 b) Persönliche Voraussetzungen . . . 5.626 c) Inhaltliche Voraussetzungen aa) Abstrakter Vertrag auf den Todesfall . . . . . . . . . . . . . . . 5.627 bb) Beteiligte . . . . . . . . . . . . . . . 5.629

cc) Gegenleistung . . . . . . . . . . . dd) Gegenständliche Beschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Bedingung/Befristung . . . . . d) Wirksamkeit aa) Sittenwidrigkeit . . . . . . . . . . bb) Inhaltskontrolle . . . . . . . . . . cc) Praktische Erwägungen . . . . 3. Abfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsfolgen a) Erbverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Pflichtteilsverzicht . . . . . . . . . . . c) Zuwendungsverzicht . . . . . . . . . . 5. Anfechtung und Aufhebung . . . . . .

5.631 5.633 5.638 5.640 5.643 5.645 5.650 5.656 5.658 5.662 5.664

Literatur: Barry, Nießbrauch an GmbH-Geschäftsanteilen, RNotZ 2014, 401; Basedow/Hopt/Zimmermann/Stier (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of European Private Law, Oxford 2014; Blaurock (Hrsg.), Handbuch der stillen Gesellschaft, 5. Aufl.1998; Brödermann/Rosengarten, Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht, 8. Aufl. 2019; Burandt, Das Europäische Erbrecht im Wandel (Teil 1), FuR 2013, 314; Buschbaum, Die künftige Erbrechtsverordnung. Wegbereiter für den acquis im europäischen Kollisionsrecht, in Beckmann (Hrsg.), Weitsicht in Versicherung und Wirtschaft, GS U. Hübner, 2012, S. 589; Cording, Beweismittel zur Klärung der Testier(un)fähigkeit, ZEV 2010, 23; Dauner-Lieb/Grziwotz (Hrsg.), Pflichtteilsrecht, 2. Aufl. 2017; Deixler-Hübner/Schauer (Hrsg.), EuErbVO Kommentar, Wien 2015; Döbereiner, Das internationale Güterrecht nach den Güterrechtsverordnungen, MittBayNot 2018, 405; Döbereiner, (Bindende?) Rechtswahlen nach der EU-Erbrechtsverordnung, DNotZ 2014, 323; Dörner, EuErbVO: Die Verordnung zum Internationalen Erb- und Erbverfahrensrecht ist in Kraft!, ZEV 2012, 505; Dörner, Vorschläge für ein europäisches internationales Erbrecht, in Saar/Roth/Hattenhauer (Hrsg.), Recht als Erbe und Aufgabe, FS Holzhauer, 2006, S. 474; Dutta, Erbfolge und Güterrecht – Das Zusammenspiel von Erbrechtsverordnung und künftigen Güterrechtsverordnungen, in Lipp/Münch (Hrsg.), Die neue Europäische Erbrechtsverordnung, 2016, S. 117; Ebeling, Korrekturvermächtnisse im Berliner Testament und deren erbschaftsteuerliche Folgen, ZEV 2000, 87; Enzensberger/Maar, Testamente für Geschiedene und Patchworkehen, 4. Aufl., 2017; Everts, Neue Perspektiven zur Pflichtteilsdämpfung aufgrund der EuErbVO?, ZEV 2013, 124; Fernández Sánchez, Die Parteiautonomie im internationalen Erbrecht, Diss. Bonn, 2020; Frank, Die Testamentsvollstreckung über Aktien, ZEV 2002, 389; Herzog, Die Erbenhaftung, 2017; Hüßtege/ Mansel (Hrsg.), Rom-Verordnungen, Bd. 6, 3. Aufl. 2019; Kämper, Testamentsvollstreckung an Personengesellschaftsanteilen, RNotZ 2016, 625; Kapfer, Gerichtliche Inhaltskontrolle von Erb- und Pflichtteilsverzichtsverträgen? – zugleich Anmerkung zum Urteil des OLG München vom 25.1.2006, 15 U 4751/04 -, MittBayNot 2006, 385; Keim, „Super“ oder „(super) falsch“? – Das „Supervermächtnis“ zur Erbschaftsteuerersparnis beim Berliner Testament, ZEV 2016, 6; Keim, Fallstricke bei Erbund Pflichtteilsverzichten, RNotZ 2013, 411; Knoop, Die Ehe für alle, NJW-Spezial 2017, 580; Kunz, Die neue europäische Erbrechtsverordnung – Ein Überblick, GPR 2012, 208; Lange, Erbrecht, 2. Aufl. 2017; Langenfeld, Testamentsgestaltung und Steuerrecht: Das Berliner Testament mit Supervermächtnis, JuS 2002, 351; Lehmann, Die EU-ErbVO: Babylon in Brüssel und Berlin, ZErb 2013, 25; Leipold, Erbrecht, 22. Aufl. 2020; Leipold, Neue Erbchancen für „alte“ nichteheliche Kinder: der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und der BGH beseitigen die Diskriminierung, ZEV 2017, 489; Leipold, EuErbVO: Die Verordnung zum internationalen Erb- und Erbverfahrensrecht ist in Kraft!, ZEV 2012, 505; Lipp, Die Europäische Erbrechtsverordnung – Eine Einführung, in Lipp/Münch (Hrsg.), Die neue Europäische Erbrechtsverordnung, 2016, S. 1; Lüdtke-Handjery/von Jeinsen (Hrsg.), Höfe-

Tiedemann | 229

Kap. 5 Rz. 5.1 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen ordnung, 11. Aufl. 2015; Mayer, Die Testamentsvollstreckung über GmbH-Anteile, ZEV 2002, 209; Mayer/Bonefeld, Testamentsvollstreckung, 4. Aufl. 2015; Mayer/Süß/Tanck/Bittler/Wälzholz (Hrsg.), Handbuch Pflichtteilsrecht, 4. Aufl. 2017; Müller-Lukoschek, Die neue EU-Erbrechtsverordnung, 2. Aufl. 2015; Münch (Hrsg.), Familienrecht, 2. Aufl. 2016; Münch, Infiziert der Ehevertrag erbrechtliche Verzichte oder Verfügungen?, ZEV 2008, 571; Muscheler, Erbrecht, 2010; Muscheler, Grundlagen der Erbunwürdigkeit, ZEV 2009, 58; Nordmeier, Grundfragen der Rechtswahl in der neuen EUErbrechtsverordnung – Eine Untersuchung des Art. 22 ErbRVO, GPR 2013, 148; Obergfell, Erbrecht, 2013; Ponath/Jestaedt, Dauertestamentsvollstreckung und Stiftungen (unter besonderer Berücksichtigung der Stiftungserrichtung von Todes wegen), ZErb 2012, 281; Reimann, Anmerkung zu OLG Frankfurt vom 15.10.2010 – 4 U 134/10, ZEV 2011, 609; Rißmann, Die Erbengemeinschaft, 3. Aufl. 2019; Röthel, Verzicht auf den Kindespflichtteil: Plädoyer für mehr Wachsamkeit, NJW 2012, 337; Röthel, Umgehung des Pflichtteilsrechts, AcP 2012, 157; Scherer (Hrsg.), Münchener Anwaltsbuch Erbrecht, 5. Aufl. 2018; Schewe, Stiftung und Dauertestamentsvollstreckung, ZEV 2012, 236; Schlitt/ Müller, Handbuch Pflichtteilsrecht, 2. Aufl. 2017; Schmoeckel, Erbrecht, 5. Aufl. 2018; Steinmetz, EuErbVO: Beibehaltung des letzten gewöhnlichen Aufenthalts ohne Unterkunft im Herkunftsstaat? – Überlegungen zur Maßgeblichkeit des Erblasserwillens und zum „Mallorca-Rentner“, ZEV 2018, 317; Süß (Hrsg.), Erbrecht in Europa, 4. Aufl. 2020; Tiedemann, Die Wahl des richtigen Partners – und wie diese unser Leben beeinflussen kann. Ein Beispiel aus dem deutschen Erbrecht, in Dieners/Dietzel/Gasteyer (Hrsg.), Liber Amicorum Dolf Weber, 2016, S. 585; Tiedemann, Internationales Erbrecht in Deutschland und Lateinamerika, Diss. Hamburg, 1993; Todtenhöfer, Testamentsvollstreckung an GmbH-Anteilen in der notariellen Praxis, RNotZ 2017, 557; Ulmer, Testamentsvollstreckung am Kommanditanteil – Voraussetzungen und Rechtsfolgen, NJW 1990, 73; Uricher (Hrsg.), Erbrecht, 3. Aufl. 2017; von Proff, Die Erbfolge in Beteiligungen an Personengesellschaften – Funktionsweise und Gestaltungsmöglichkeiten, DStR 2017, 2555; von Proff, Erbschaftsverträge in der Praxis, ZEV 2013, 183; Wachter, Inhaltskontrolle von Pflichtteilsverzichtverträgen? (Teil I), ZErb 2004, 238; Weber, Interdependenzen zwischen Europäischer Erbrechtsverordnung und Ehegüterrecht – de lege lata und de lege ferenda, DNotZ 2016, 424; Weber/Francastel, Der gewöhnliche Aufenthalt pflegebedürftiger Erblasser im Kontext von EuErbVO und FamFG, DNotZ 2018, 163; Weidlich, Die Testamentsvollstreckung an Beteiligungen einer werbenden OHG bzw. Kommanditgesellschaft, ZEV 1994, 206; Wendt, Unverzichtbares bei erbrechtlichen Verzichten, ZNotP 2006, 2; Werner, Die Testamentsvollstreckung an einer GmbH & Co. KG, ZErb 2008, 195.

A. Reichweite des deutschen Erbrechts I. Abgrenzung zu ausländischen Erbrechten 1. Die Frage nach dem anwendbaren Recht 5.1

Bei der Gestaltung einer Unternehmensnachfolge stellt sich zunächst die Frage nach dem anwendbaren Recht, wenn der Sachverhalt einen Auslandsbezug aufweist. Dabei sollte nicht vorschnell von der Anwendbarkeit des deutschen Rechts ausgegangen werden.

5.2

Auslandsbezüge können vielfältiger Natur sein: ausländische Gesellschaften, Vermögensgegenstände im Ausland, gewöhnlicher Aufenthalt des künftigen Erblassers im Ausland oder eine mögliche (spätere) Verlegung ins Ausland, gemischt-nationale Ehe und/oder mögliches ausländisches Güterrecht des Erblassers oder einer der möglichen Erben.1 Der Berater muss sich in einer solchen Konstellation zum einen mit der Frage befassen, ob das deutsche oder ein ausländisches (Erb-) Recht Anwendung findet. Zum anderen muss eine Abgrenzung zu benachbarten Rechtsgebieten erfolgen, wie beispielsweise zum Güterrecht, zum Gesellschafts-

1 Vgl. Brödermann/Rosengarten, Rz. 4 ff.

230 | Tiedemann

A. Reichweite des deutschen Erbrechts | Rz. 5.6 Kap. 5

recht oder zum Sachenrecht. Dabei sind die einzelnen Rechtsfragen danach zu qualifizieren, welchem Rechtsgebiet sie unterfallen. Dies ist insbesondere in internationalen Sachverhalten von Relevanz, weil sich das anwendbare Erbrecht („Erbstatut“) vom anwendbaren Güterrecht („Güterrechtsstatut“, Rz. 5.70 ff.), dem anwendbaren Gesellschaftsrecht („Gesellschaftsstatut“, Rz. 5.83), oder dem anwendbaren Sachenrecht („Sachstatut“, Rz. 5.91) unterscheiden kann. Die Frage nach dem anwendbaren Recht beantwortet das Internationale Privatrecht („IPR“, auch Kollisionsrecht genannt). Im erbrechtlichen Bereich spricht man vom Internationalen Erbrecht. Es gibt aus deutscher Perspektive drei Quellen des Internationalen Erbrechts: Bilaterale Abkommen der Bundesrepublik Deutschland mit Drittstaaten (Rz. 5.5 ff.), das europäische Internationale Erbrecht (Rz. 5.15 ff.) und das deutsche autonome Internationale Erbrecht (Rz. 5.48 ff.). Dieser komplexe Rechtsquellenpluralismus spielt in der grenzüberschreitenden Praxis eine entscheidende Rolle und gehört zu dem Wissensrepertoire eines jeden Rechtsanwenders, der mit internationalen Fällen konfrontiert ist. .1 Zum internationalen Steuerrecht der Unternehmensnachfolge s. Kapitel 8.

5.3

Zu berücksichtigen ist auch der Blickwinkel des Rechtsgestalters. Deutsches Kollisionsrecht ist nationales Recht und findet daher nur aus dem deutschen Blickwinkel (insbesondere vor deutschen Gerichten) Anwendung. Ausländische Gerichte wenden ihr eigenes IPR an. Daher müssen internationale Sachverhalte aus verschiedenen Blickwinkeln durchgeprüft und dabei auch ausländisches Kollisionsrecht mit in die Betrachtung einbezogen werden.

5.4

2. Bilaterale Abkommen a) Allgemeines zur Anwendbarkeit der bilateralen Abkommen Die Bundesrepublik Deutschland hat mit drei Drittstaaten bilaterale Abkommen geschlossen, in denen erbrechtliche Kollisionsnormen enthalten sind. Im Verhältnis zum Iran gilt das Deutsch-Persische Niederlassungsabkommen (Dt.-Iran. NiederlassAbk)2, im Verhältnis zur Türkei das Deutsch-Türkische Nachlassabkommen (Dt.-Türk. NachlAbk)3 und im Verhältnis zur Russischen Föderation der Deutsch-Sowjetische Konsularvertrag (Dt.-Sowjet. KonsularV)4.

5.5

Alle drei Abkommen genießen Vorrang vor dem innerstaatlichen Recht (Art. 3 Nr. 2 EGBGB) und auch der Europäischen Erbrechtsverordnung („EuErbVO“)5, wenn der jeweilige Anwendungsbereich eröffnet ist (Art. 75 Abs. 1 EuErbVO).6 Der Rechtsanwender hat daher in der Praxis diese bilateralen Abkommen zu beachten, wenn der Erbfall einen Auslandsbezug

5.6

1 Brödermann/Rosengarten, Rz. 41 ff. 2 Niederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien v. 17.2.1929, RGBl. II 1930, 1006. 3 Anlage zu Art. 20 des Konsularvertrags zwischen dem Deutschen Reich und der Türkischen Republik v. 28.5.1929, RGBl. II 1930, 748. 4 Konsularvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken v. 25.4.1958, BGBl. II 1959, 233. 5 Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.7.2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, ABl. 2012 L 201 S. 107. 6 Brödermann/Rosengarten, Rz. 533.

Tiedemann | 231

Kap. 5 Rz. 5.6 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

entweder zum Iran, zur Türkei oder zu einem Nachfolgestaat der Sowjetunion aufweist bzw. der Erblasser einem dieser Staaten angehört. b) Deutsch-Persisches Niederlassungsabkommen

5.7

Für iranische Staatsangehörige ist das Dt.-Iran. NiederlassAbk zu beachten. Der Anwendungsbereich des Abkommens ist aus deutscher Sicht eröffnet, wenn der Erblasser die iranische Staatsangehörigkeit besitzt.1 Art. 8 Abs. 3 Dt.-Iran. NiederlassAbk knüpft das Personal-, Familien- und Erbstatut an die Staatsangehörigkeit des Erblassers an. Ist der Erblasser iranischer Staatsangehöriger, so ist iranisches Erbrecht auf seine Erbfolge anzuwenden. Der gewöhnliche Aufenthalt oder der Wohnsitz des Erblassers spielen dabei keine Rolle. Der Erblasser darf keine Rechtswahl treffen.2 Das Erbstatut umfasst nach dem Dt-Iran. NiederlassAbk sowohl bewegliches als auch unbewegliches Vermögen – unabhängig davon, wo sich dieses befindet.3

5.8

Das Dt.-Iran. NiederlassAbk regelt nicht den Fall, in dem der Erblasser Doppelstaater, also gleichzeitig deutscher und iranischer Staatsangehöriger ist. Das Abkommen findet nach der Rechtsprechung des BVerfG auf solche Fälle keine Anwendung: „Sinn des Niederlassungsabkommens ist es, den Staatsangehörigen des jeweils anderen Vertragsstaats in dem von dem Abkommen geregelten Bereich grundsätzlich die gleichen Rechte und Pflichten wie den eigenen Staatsangehörigen zukommen zu lassen. Wer [...] beide Staatsangehörigkeiten besitzt, bedarf dieser Privilegierung aber nicht, da ihm ohnehin die mit beiden Staatsangehörigkeiten jeweils verbundene Rechtsstellung zusteht.“4 In einem solchen Fall finden die kollisionsrechtlichen Regeln der EuErbVO (Rz. 5.15 ff.) Anwendung.

5.9

Besitzt der Erblasser neben der iranischen eine weitere ausländische Staatsangehörigkeit, so kommt das Dt.-Iran. NiederlassAbk zur Anwendung, wenn die iranische Staatsangehörigkeit die effektive Staatsangehörigkeit des Erblassers ist (enge Verbindung des Erblassers zum Iran nach dem Gedanken des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EGBGB).5 c) Deutsch-Türkisches Nachlassabkommen

5.10

Bei türkischen Staatsangehörigen sind die Kollisionsregeln des Dt.-Türk. NachlAbk zu beachten.6 Das Abkommen differenziert zwischen beweglichem und unbeweglichem Vermögen und kann damit zur Nachlassspaltung führen.7 Das anwendbare Recht für bewegliches Vermögen wird durch die Staatsangehörigkeit des Erblassers bestimmt, § 14 Abs. 1 Dt.-Türk. NachlAbk. Bei einem türkischen Staatsangehörigen führt dies zu Anwendung türkischen Erbrechts. Das unbewegliche Vermögen unterliegt dagegen dem Recht des Staats, in dem dieses sich befindet (Recht des Belegenheitsortes). Ist ein türkischer Staatsangehörige Eigentümer eines Grundstücks in Deutschland und hat er Bar- oder Bankvermögen in der Türkei, so findet Dutta in MüKo7, Art. 75 EuErbVO Rz. 10. Dutta in MüKo7, Art. 75 EuErbVO Rz. 12. Dutta in MüKo7, Art. 75 EuErbVO Rz. 13. BVerfG v. 4.12.2006 – 2 BvR 1216/06, NJW-RR 2007, 577 (578); im Ergebnis auch OLG München v. 1.2.2010 – 31 Wx 37/09, ZEV 2010, 255. 5 AG Hamburg v. 13.4.2015 – 970 VI 1645/12, FamRZ 2016, 670 (671); zustimmend Dutta in MüKo7, Art. 75 EuErbVO Rz. 10. 6 Dutta in MüKo7, Art. 75 EuErbVO Rz. 19. 7 Dutta in MüKo7, Art. 75 EuErbVO Rz. 18; vgl. zur Nachlassspaltung Tiedemann, S. 19 f. 1 2 3 4

232 | Tiedemann

A. Reichweite des deutschen Erbrechts | Rz. 5.13 Kap. 5

deutsches Erbrecht auf das deutsche Grundstück Anwendung, während das türkische Erbrecht für das Bar- oder Bankvermögen in der Türkei maßgeblich ist. Diese differenzierte Regelung kann in der Praxis Schwierigkeiten bereiten, weil eine Qualifikation der Nachlassgegenstände als bewegliches oder unbewegliches Vermögen notwendig ist. Eine solche Qualifikation ist nach dem Recht des Staates durchzuführen, in dem sich der jeweilige Gegenstand befindet (Art. 12 Abs. 3 Dt.-Türk. NachlAbk). Dies wird insbesondere relevant bei der Frage, welche Bestandteile eines Grundstücks mit zum unbeweglichen Vermögen gehören. Liegt das Grundstück (einschließlich seiner Bestandteile) in Deutschland, so ist für die Abgrenzung Zubehör und wesentliche Bestandteile das deutsche Recht maßgeblich (vgl. §§ 94 ff. BGB).

5.11

Das Dt.-Türk. NachlAbk sollte auf deutsch-türkische Doppelstaater keine Anwendung finden. Die Überlegungen des BVerfG zur Anwendbarkeit des Dt.-Iran. NiederlassAbk (Rz. 6.8) können aber auf das Dt.-Türk NachlAbk übertragen werden. Dies ist allerdings umstritten.1 Im Zweifel sollte daher bei deutsch-türkischen Doppelstaatern das Dt.-Türk NachlAbk zumindest berücksichtigt werden. Das Dt.-Türk. NachlAbk findet auch Anwendung, wenn ein türkischer Erblasser zugleich eine weitere ausländische Staatsangehörigkeit besitzt (Mehrstaater mit auch türkischer Staatsangehörigkeit), sofern die türkische Staatsangehörigkeit die effektive Staatsangehörigkeit ist.2

5.12

d) Deutsch-Sowjetischer Konsularvertrag Bei unbeweglichem Vermögen in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion ist der DeutschSowjetische Konsularvertrag zu beachten, der am 25.4.1958 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) geschlossen wurde. Der Konsularvertrag gilt auch nach der Auflösung der UdSSR weiter im Verhältnis zur Russischen Föderation3, Armenien4, Aserbaidschan5, Georgien6, Kasachstan7, Kirgisistan8, Moldau9, Tadschikistan10, Weißrussland11, der Ukraine12 und Usbekistan13, mit denen entsprechende Vereinbarungen geschlossen wurden. Keine völkerrechtliche Regelung wurde mit den restlichen Staaten getroffen, die damals zur UdSSR gehörten (Estland, Lettland, Litauen, Turkmenistan). Die Rechtslage ist damit unklar, insbesondere ist problematisch, ob der Konsularvertrag für die baltischen Staaten weiter gilt.14 Aus diesem Grund sollte der Rechtsanwender bei Nachlassgegenständen in einem der ehemaligen Sowjetstaaten auch das jeweilige Belegenheitsrecht im Auge behalten.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

Vgl. Nachweise bei Dutta in MüKo7, Art. 75 EuErbVO Rz. 19 und Fn. 41. Dutta in MüKo7, Art. 75 EuErbVO Rz. 19. BGBl. II 1993, 1016. BGBl. II 1993, 169. BGBl. II 1996, 2471. BGBl. II 1992, 1128. BGBl. II 1992, 1120. BGBl. II 1992, 1015. BGBl. II 1996, 768. BGBl. II 1995, 255. BGBl. II 1994, 2533. BGBl. II 1993, 1189. BGBl. II 1993, 2038. Dutta in MüKo7, Art. 75 EuErbVO Rz. 28.

Tiedemann | 233

5.13

Kap. 5 Rz. 5.14 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

5.14

Der Dt.-Sowjet. KonsularV enthält eine kollisionsrechtliche Regelung nur für das unbewegliche Vermögen. Das unbewegliche Vermögen unterliegt dem Recht des Staates, in dem dieses belegen ist. Eine Regelung für bewegliches Vermögen sieht der Konsularvertrag nicht vor, so dass hier die Vorschriften der EuErbVO heranzuziehen sind.1 Folge dieses Zusammenspiels ist eine Nachlassspaltung2: Die Erbfolge in das unbewegliche Vermögen richtet sich nach dem Belegenheitsrecht, die Erbfolge in das bewegliche Vermögen nach dem Recht des letzten gewöhnlichen Aufenthalts (mit Rechtswahlmöglichkeit) nach den Regeln der EuErbVO (Rz. 5.15 ff.).

3. Europäisches IPR a) Geltungsbereich der Europäischen Erbrechtsverordnung

5.15

Das Kollisionsrecht ist auf europäischer Ebene im Bereich des Erbrechts seit 2015 durch die EuErbVO vereinheitlicht.3 Für das deutsche IPR bedeutet dies: Das anwendbare Recht bestimmt sich nach den Regeln der EuErbVO, wenn keine bilateralen Abkommen Anwendung finden.

5.16

Die EuErbVO ist ein europäischer Rechtsakt, der sowohl das Kollisionsrecht als auch die internationale Zuständigkeit in Erbsachen regelt. Sie führt darüber hinaus ein Europäisches Nachlasszeugnis (ENZ) ein und enthält Regelungen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Erbsachen.

5.17

Die Verordnung gilt für alle Mitgliedstaaten der EU mit Ausnahme von Großbritannien, Irland und Dänemark.4 Der sachliche Anwendungsbereich beschränkt sich auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen (Art. 1 Abs. 1 EuErbVO). Der Begriff „Rechtsnachfolge von Todes wegen“ ist in Art. 3 Abs. 1 Buchst. a EuErbVO definiert: „Jede Form des Übergangs von Vermögenswerten, Rechten und Pflichten von Todes wegen, sei es im Wege der gewillkürten Erbfolge durch eine Verfügung von Todes wegen oder im Wege der gesetzlichen Erbfolge“. Die Verordnung gilt trotz des Ausdrucks „gesetzliche Erbfolge“ auch für die gewillkürte und die zwingende Erbfolge.5

5.18

Eine Regelung über den räumlich-persönlichen Anwendungsbereich enthält die EuErbVO nicht.6 Der räumlich-persönliche Anwendungsbereich richtet sich nach den jeweiligen Vorschriften der einzelnen Regelungsbereiche der Verordnung.7 Der räumlich-persönliche Anwendungsbereich des Kapitels über die internationale Zuständigkeit ist immer dann eröffnet, wenn der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt zum Zeitpunkt seines Todes in einem Mitgliedstaat der EU hatte (Art. 4 EuErbVO), wenn sich Nachlassvermögen in der EU befindet (Art. 10 EuErbVO) oder wenn der Erbfall einen engen Bezug zu einem Mitgliedstaat der EU aufweist (Art. 11 EuErbVO). Die Normen über das anwendbare Recht (Kapitel III EuErbVO) finden immer Anwendung, wenn ein europäisches Gericht im Sinne der EuErbVO inter-

1 Dutta in MüKo7, Art. 75 EuErbVO Rz. 28. 2 Dutta in MüKo7, Art. 75 EuErbVO Rz. 31; vgl. allgemein zur Nachlassspaltung und ihren Folgen: Tiedemann, S. 19 f. und Dutta in MüKo7, Vorbem. zu Art. 20 EuErbVO Rz. 9 ff. 3 Überblick zur Entstehungsgeschichte der EuErbVO in Fernández Sánchez, S. 80 ff. 4 Erwägungsgründe 82 und 83 EuErbVO. 5 Ratsdokument Nr. 11870/11 Satz 5 Fn. 2. 6 Fernández Sánchez, S. 84 f. 7 Dutta in MüKo7, Vorbem. zu Art. 1 EuErbVO Rz. 32.

234 | Tiedemann

A. Reichweite des deutschen Erbrechts | Rz. 5.23 Kap. 5

national zuständig ist, da die Kollisionsnormen der EuErbVO universell anwendbar sind (Art. 20 EuErbVO). Zeitlich gilt die EuErbVO für Erbfälle ab dem 17.8.2015 (Art. 83 Abs. 1 EuErbVO). Maßgeblicher Zeitpunkt ist dabei der Tod des Erblassers.

5.19

b) Anknüpfung an den letzten gewöhnlichen Aufenthalt Die EuErbVO bringt einen Paradigmenwechsel für das deutsche Kollisionsrecht mit sich: Entscheidend für die Bestimmung des Erbstatuts ist jetzt grundsätzlich der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers (Art. 21 Abs. 1 EUErbVO). Die Vorschrift des Art. 21 Abs. 1 EuErbVO stellt eine allgemeine Kollisionsnorm mit universeller Anwendbarkeit dar. Dies bedeutet, dass sie nicht nur gegenüber EU-Bürgern, sondern auch im Verhältnis zu Drittstaaten anwendbar ist („loi uniforme“).1 Die Kollisionsregel des Art. 21 EuErbVO ist immer dann anzuwenden, wenn der Erblasser keine wirksame Rechtswahl (Rz. 5.27) nach Art. 22 Abs. 1 EuErbVO getroffen hat.

5.20

Die Vorschrift des Art. 21 EuErbVO unterstellt die Rechtsnachfolge von Todes wegen dem Recht des letzten gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers zum Zeitpunkt seines Todes. Das Erbstatut wird damit durch das Recht des Staates bestimmt, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Dabei spielt seine Staatsangehörigkeit keine Rolle. Stirbt ein englischer Staatsangehöriger mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland, so findet auf seinen Erbfall deutsches Recht Anwendung. Die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers ist für das deutsche Kollisionsrecht eine wichtige Neuerung, da das alte deutsche Internationale Erbrecht eine Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit des Erblassers vorsah (Art. 25 Abs. 1 EGBGB a.F., Rz. 5.54).2

5.21

Der Begriff „gewöhnlicher Aufenthalt“ ist nicht legaldefiniert. Dies kann für die Ermittlung des gewöhnlichen Aufenthalts eines Erblassers Schwierigkeiten bereiten.3 Dabei ist zu beachten, dass die Auslegung des Begriffes sich nach gemeineuropäischem Verständnis richtet.4 Die Rechtsprechung des EuGH wird hier aus diesem Grund hohe Relevanz erlangen.

5.22

Der gewöhnliche Aufenthalt betrifft im Kern den Daseinsmittelpunkt einer Person.5 Er hat objektive und subjektive Elemente. Entscheidende Kriterien objektiver Natur sind die Gründe, die Dauer und die Regelmäßigkeit des Aufenthalts an einem bestimmten Ort, die Eingliederung an dem Aufenthaltsort (etwa durch Sprachkenntnisse vermittelt) sowie die familiären und sozialen Beziehungen des Erblassers.6 Subjektiv ist der Bleibewille des Erblassers nach der Rechtsprechung des EuGH vorrangig von Bedeutung: „Maßgebend für die Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthalts in den Aufnahmestaat ist nämlich vor allem der Wille des Betreffenden, dort den ständigen oder gewöhnlichen Mittelpunkt seiner Interessen in der Absicht zu begründen, ihm Beständigkeit zu verleihen“7. Dabei geht es nicht ausschließlich um

5.23

Dutta in MüKo7, Vorbem. Art. 20 EuErbVO Rz. 42. Vgl. Dutta in MüKo7, Art. 21 EuErbVO Rz. 3. Vgl. Erwägungsgrund Nr. 24 EuErbVO. So der EuGH zur autonomen Auslegung von Rechtsakten, die auf Grundlage des 81 AEUV erlassen werden, EuGH v. 8.11.2005 – C-443/03 – Leffler, EuGHE 2005, I-9611 Rz. 45. 5 Dörner, ZEV 2012, 505 (510); Fernández Sánchez, S. 97 f. 6 Erwägungsgründe Nr. 23 und Nr. 24 EuErbVO; Deixler-Hübner in Deixler-Hübner/Schauer, Art. 4 ff. EuErbVO Rz. 11. 7 EuGH v. 22.12.2010 – C-497/10 – Mercredi, EuGHE 2010, I-14309 Rz. 51. 1 2 3 4

Tiedemann | 235

Kap. 5 Rz. 5.23 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

den natürlichen Willen des Erblassers, sondern auch um die äußere Manifestierung eines Bleibewillens.1 Beispielweise kann der Erwerb oder die Anmietung einer Wohnung im neuen Aufenthaltsstaat ein Indiz für die Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthalts sein.2

5.24

Die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts bedarf einer Gesamtwürdigung aller Umstände, die mit dem Lebensmittelpunkt des Erblassers verbunden sind.3 Für den Rechtsgestalter bedeutet dies, entsprechende Ausführungen zum gewöhnlichen Aufenthalt, insbesondere zum Bleibewillen oder zu einer geplanten Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts in die letztwillige Verfügung aufzunehmen. Beabsichtigt jemand beispielweise, seinen Lebensabend auf Mallorca oder an der Côte d’Azur zu verbringen, will aber nicht seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Rechtssinne dorthin verlegen, so empfiehlt sich, die sozialen Beziehungen zum Ursprungsstaat (wie Bankkonto, Wohnung, Vermögen) nicht vollständig aufzugeben und entsprechende Ausführungen zum Bleibewillen ins Testament aufzunehmen. c) Anknüpfung an die engste Verbindung

5.25

Art. 21 Abs. 2 EuErbVO macht eine Ausnahme von der allgemeinen Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt. Nach dieser Ausweichklausel ist auf die Erbfolge ausnahmsweise das Recht anzuwenden, mit dem der Erblasser „offensichtlich eine engere Verbindung“ hatte.

5.26

Der Sinn dieser Regelung ist im Schrifttum umstritten.4 Es ist schwer vorstellbar, dass der gewöhnliche Aufenthalt einer Person in einem Staat belegen ist, aber gleichzeitig eine engere Verbindung zu einem anderen Staat vorliegt. Denn bereits bei der Prüfung des gewöhnlichen Aufenthalts geht es um „eine besonders enge und feste Bindung [des Erblassers] zu dem betreffenden Staat“5. Der Unionsgesetzgeber schildert in Erwägungsgrund Nr. 25 Satz 1 einen Beispielfall, in dem eine engere Verbindung i.S.d. Art. 21 Abs. 2 EuErbVO gegeben sein kann: Nämlich, wenn der Erblasser „kurz vor seinem Tod in den Staat seines gewöhnlichen Aufenthalts umgezogen ist und sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass er eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Staat hatte“. Das Beispiel des Unionsgesetzgebers zeigt den geringen praktischen Anwendungsbereich der Ausnahmevorschrift. Denn die „enge Verbindung“ wird bereits bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts gewürdigt. So wird man annehmen können, dass der gewöhnliche Aufenthalt eines deutschen Rentners, der ein Jahr vor seinem Tod nach Mallorca umzieht, zum Zeitpunkt seines Todes immer noch in Deutschland ist, wenn er keinen Kontakt zu Einheimischen pflegt und seine Familie und sein Freundeskreis in Deutschland sind.6 Es ist außerdem zu beachten, dass Art. 21 Abs. 1 EuErbVO eine Ausnahmeregelung ist (im Wortlaut: „Ergibt sich ausnahmsweise aus der Gesamtheit der Umstände [...]“). Für die Praxis gilt: Je mehr Ausführungen im Testament zu den Verbindungen des Testators zu einem bestimmten Ort/Land gemacht werden, desto einfacher und sicherer lässt sich das anwendbare Recht bestimmen.

1 Vgl. Steinmetz, ZEV 2018, 317 (318); zum gewöhnlichen Aufenthalt eines Erblassers, der sich in einem Staat nur aufhält, weil er pflegebedürftig ist vgl. Weber/Francastel, DNotZ 2018, 163 (164 ff.). 2 EuGH v. 2.4.2009 – C-523/07 – Hallinto-Oikeus, EuGHE 2009, I-2805 Rz. 40. 3 Vgl. Fernández Sánchez, S. 97 f. 4 Dazu Dutta in MüKo7, Art. 21 EuErbVO Rz. 6 m.w.N. 5 Erwägungsgrund Nr. 23 Satz 3 EuErbVO. 6 So auch Dutta in MüKo7, Art. 21 EuErbVO Rz. 6.

236 | Tiedemann

A. Reichweite des deutschen Erbrechts | Rz. 5.30 Kap. 5

d) Rechtswahl des Erblassers aa) Kreis der wählbaren Rechte Die EuErbVO eröffnet auch die Möglichkeit einer Rechtswahl. Der Erblasser kann nach Art. 22 Abs. 1 Satz 1 EuErbVO eine Rechtswahl zugunsten des Rechts des Staates treffen, dem er zum Zeitpunkt der Rechtswahl oder zum Zeitpunkt seines Todes angehört (sog. subjektive Anknüpfung). Wichtig ist, dass der Erblasser nur das Recht seiner Staatsangehörigkeit wählen darf.1 Besitzt der Erblasser mehrere Staatsangehörigkeiten (Mehrstaater), so kann er das Recht eines der Staaten wählen, denen er angehört (Art. 22 Abs. 1 Satz 2 EuErbVO). Eine Rechtswahl zugunsten des Rechts eines anderen Staates ist unzulässig.2 Der Erblasser kann insbesondere nicht das Recht seines derzeitigen gewöhnlichen Aufenthalts wählen und dieses Recht auf diese Weise perpetuieren. Das ist insbesondere problematisch für Ausländer mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland, denen nur ihr Heimatrecht für eine Rechtswahl offen steht, nicht aber das deutsche Recht, als Aufenthaltsrecht.3

5.27

Der Erblasser hat nach Art. 22 Abs. 1 EuErbVO eine sehr beschränkte Rechtswahlfreiheit. Für diese Beschränkung gibt es zwei Gründe. Zum einen soll dadurch der Schutz der Pflichtteils- oder Noterbberechtigten gewährleistet sein.4 Der Erblasser soll nicht die berechtigten Erwartungen seiner Angehörigen dadurch beeinträchtigen oder umgehen können, dass er ein Recht wählt, welches kein Pflichtteils- oder Noterbrecht vorsieht. Daher soll ihm nicht gestattet sein, jedes staatliche Recht der Welt zu wählen.5 Zum anderen soll durch die Beschränkung der wählbaren Rechte sichergestellt werden, dass eine Sachnähe zwischen dem Erblasser und dem anwendbaren Recht besteht.6

5.28

bb) Staatsangehörigkeit, Staatenlose und Flüchtlinge Der zukünftige Erblasser kann nur ein Recht wählen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Die Frage, ob eine Person die Staatsangehörigkeit eines bestimmten Staates besitzt, unterliegt dem Recht dieses Staates.7 Staatsangehörigkeitsrecht ist öffentliches Recht. Jeder Staat entscheidet im Rahmen seiner Souveränität selbst, nach welchen Regeln er die Staatsangehörigkeit vergibt, welche Personen er einbürgert und unter welchen Voraussetzungen seine Staatsangehörigen ihre Staatsangehörigkeit verlieren.8 So regeln bespielweise viele Staatsangehörigkeitsgesetze den automatischen Verlust der Staatsangehörigkeit, wenn auf Antrag eine andere Staatsangehörigkeit erworben wird (z.B. für Deutschland § 25 Abs. 1 StAG).

5.29

Auch Staatenlose können eine Rechtswahl treffen. Die EuErbVO enthält keine Regelung für Staatenlose, und der EuGH hat noch keinen Anlass gehabt, Stellung zu beziehen. Es gibt zwei Möglichkeiten, diese Lücke zu schließen: Zum einen durch einen Rückgriff auf das mitgliedschaftliche Recht (in Deutschland Art. 5 Abs. 2 EGBGB, was zum Recht des gewöhnlichen oder des schlichten Aufenthalts führen würde), zum anderen durch Rechtsfortbildung der Eu-

5.30

1 2 3 4 5 6 7 8

Ausführlich Fernández Sánchez, S. 87 f. Dutta in MüKo7, Art. 22 EuErbVO Rz. 2. Fernández Sánchez, S. 102 ff. Fernández Sánchez, S. 91 f. Erwägungsgrund Nr. 38 EuErbVO. Erwägungsgrund Nr. 23 EuErbVO. Looschelders in Hüßtege/Mansel3, Bd. 6, Art. 22 EuErbVO Rz. 10. Fernández Sánchez, S. 88 f.

Tiedemann | 237

Kap. 5 Rz. 5.30 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

ErbVO durch (Ersatz-) Anknüpfung an das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts.1 Damit haben Staatenlose die Möglichkeit der Wahl des Rechts ihres gewöhnlichen Aufenthalts.

5.31

Ähnliches sollte für Flüchtlinge gelten. Auch hier sollte der gewöhnliche Aufenthalt bzw. der schlichte Aufenthalt an die Stelle der Staatsangehörigkeit treten, selbst wenn diese in aller Regel eine Staatsangehörigkeit haben (Art. 12 des Genfer UN-Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.7.19512).3 cc) Form der Rechtswahl

5.32

Die Rechtswahl muss ausdrücklich und in einer Verfügung von Todes wegen erfolgen (Art. 22 Abs. 1 EuErbVO). Eine Verfügung von Todes wegen im unionsrechtlichen Sinne ist entweder ein Testament (Art. 3 Abs. 1 Buchst. d EuErbVO), ein gemeinschaftliches Testament (Art. 3 Abs. 1 Buchst. c EuErbVO) oder ein Erbvertrag (Art. 3 Abs. 1 Buchst. d EuErbVO). Die Rechtswahl ist formwirksam, wenn die Form einer Verfügung von Todes wegen eingehalten ist (Art. 22 Abs. 1 EuErbVO). Möglich ist nach ganz überwiegender Auffassung4 eine isolierte Rechtswahl. Dies bedeutet, dass die Verfügung von Todes wegen außer der Rechtswahl keine weiteren Anordnungen zu enthalten braucht. dd) Vorteile der Rechtswahl

5.33

Der bedeutendste Vorteil einer Rechtswahl ist die Vorhersehbarkeit des (künftigen) anwendbaren Rechts. Die heutige Welt ist von Globalisierung und Mobilität geprägt, so dass es immer häufiger ist, dass eine Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Laufe ihres Lebens mehrmals wechselt. Daher ist es für den Rechtsgestalter wichtig, im Voraus das anwendbare Recht festzulegen. Nur so gibt es eine Rechtssicherheit. Eine einmal getroffene Rechtswahl bleibt selbst dann wirksam, wenn der Erblasser zu einem späteren Zeitpunkt seine Staatsangehörigkeit wechselt, denn maßgeblich für die Wirksamkeit ist entweder die Staatsangehörigkeit zum Zeitpunkt der Rechtswahl oder zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers (Art. 22 Abs. 1 EuErbVO). Auf diese Weise kann das Erbstatut durch Rechtswahl perpetuiert werden.5 e) Rück- und Weiterverweisung

5.34

Die Frage nach einer Rück- und Weiterverweisung („Renvoi“) ist stets zu stellen, auch wenn ein Renvoi nach den Regeln der EuErbVO aufgrund des (mit der EuErbVO angestrebten) Gleichlaufs von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht von geringer praktischer Bedeutung sein wird .6

5.35

Nicht in allen Fällen ist die Rück- oder Weiterverweisung zu beachten.7 Die Rück- und Weiterverweisung ist in Art. 34 EuErbVO sehr differenziert danach geregelt, auf welches Recht zurück- oder weiterverwiesen wird. Nach Art. 34 Abs. 1 EuErbVO handelt es sich um eine 1 Dutta in MüKo7, Art. 22 EuErbVO Rz. 5; Nordmeier, GPR 2013, 148 (149 f.); Döbereiner, DNotZ 2014, 323 (324); Bauer in Dutta/Weber, Internationales Erbrecht, Art. 22 EuErbVO Rz. 9. 2 BGBl. II 1953, 560 mit Zusatzprotokoll vom 31.1.1967 (BGBl. II 1969, 1294). 3 Vgl. auch Dutta in MüKo7, Art. 22 EuErbVO Rz. 5. 4 Zum Meinungsstreit vgl. Dutta in MüKo7, Art. 22 EuErbVO Rz. 16 Fn. 65. 5 Dutta in MüKo7, Art. 22 EuErbVO Rz. 1. 6 Bauer in Dutta/Weber, Internationales Erbrecht, Art. 34 EuErbVO Rz. 3. 7 Brödermann/Rosengarten, Rz. 535.

238 | Tiedemann

A. Reichweite des deutschen Erbrechts | Rz. 5.39 Kap. 5

Verweisung auf die gesamte ausländische Rechtsordnung einschließlich der Regeln des IPR („Gesamtverweisung“), wenn die ausländische Rechtsordnung auf das Recht eines Mitgliedstaats oder das Recht eines anderen Drittstaats verweist, welches sein eigenes Recht anwenden würde. In diesen Fällen ist ein Renvoi zu beachten. Die übrigen Fälle sind nicht ausdrücklich geregelt. Dies wird praktisch wenig relevant werden: Wendet der zweite Drittstaat sein eigenes Recht an, so ist dies beachtlich – die Frage nach einer Rück- oder Weiterverweisung stellt sich nicht. Nur in den Fällen, in denen der zweite Drittstaat sein eigenes Sachrecht nicht anwendet, sondern auf den ersten Drittstaat zurückverweist oder auf einen weiteren Drittstaat weiter verweist. Für diese Fälle folgert die deutsche Kommentarliteratur aus dem Ausnahmecharakter des Renvoi, dass es bei der Anwendbarkeit des Rechts des ersten Drittstaats verbleiben solle (Sachnormverweisung aus der EuErbVO).1 Nach Art. 34 Abs. 2 EuErbVO sind in bestimmten Fällen – insbesondere bei einer Rechtswahl – die Rück- und Weiterverweisung nicht zu beachten. Die Ratio dieser Renvoi-feindlichen Regelung ist, die Verweisungen vom Renvoi auszunehmen, deren Sinn durch den Renvoi durchkreuzt wäre.2

5.36

f) Geringe Relevanz des Belegenheitsrechts Das Recht des Ortes, an dem sich Nachlassgegenstände befinden, spielt – anders als nach dem alten deutschen IPR des EGBGB (dazu Rz. 5.57 f.)3 – nur noch eine marginale Rolle im Kollisionsrecht der EuErbVO.

5.37

Es gilt nach der EuErbVO der Grundsatz der Nachlasseinheit.4 Es gibt kaum noch eine kollisionsrechtliche Nachlassspaltung, z.B. aufgrund einer gespaltenen kollisionsrechtlichen Anknüpfung (wie im US-amerikanischen Recht). Eine Nachlassspaltung ergibt sich nur noch bei einer teilweisen Rückverweisung aus einem Drittstaat mit gespaltener kollisionsrechtlicher Anknüpfung. Dies kann der Fall bei einem Erblasser mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt in New York und Immobilien in Deutschland sein. Das New Yorker IPR unterwirft die Erbfolge in Immobilien dem Recht des Belegenheitsorts und verweist damit für die Immobilie in Deutschland auf deutsches Recht zurück. Für den übrigen beweglichen Nachlass verbleibt es beim New Yorker Recht.5

5.38

Darüber hinaus ergibt sich keine Nachlassspaltung aufgrund einer kollisionsrechtlichen Sonderanknüpfung. Grund dafür ist die Aufhebung des Art. 3a Abs. 2 EGBGB a.F.6 Nach dieser Vorschrift galt nach altem Recht für Gegenstände im Ausland das Recht des Belegenheitsortes, wenn das Belegenheitsrecht gerade aufgrund der Belegenheit zwingend. sein eigenes Recht auf diese Gegenstände anwenden würde.7 So führte Art. 3a Abs. 2 EGBGB a.F zu einer Nachlassspaltung.

5.39

1 2 3 4 5 6

Bauer in Dutta/Weber, Internationales Erbrecht, Art. 34 EuErbVO Rz. 15–19 m.w.N. Bauer in Dutta/Weber, Internationales Erbrecht, Art. 34 EuErbVO Rz. 6. Vgl. Dutta in MüKo6, Art. 25 EGBGB Rz. 62 ff. Dutta in MüKo7, Vor Art. 20 EuErbVO Rz. 6. Döbereiner in Firsching/Graf, Nachlassrecht11, § 48 Rz. 70. Vgl. zum alten Recht: Dutta in MüKo6, Art. 25 EGBGB Rz. 102; Süß in Süß, Erbrecht in Europa4, § 2 Rz. 162; Müller-Lukoschek, § 3 Rz. 80; Lehmann, ZErb 2013, 25 (30); Tiedemann, S. 39 ff. 7 v. Hein in MüKo6, Art. 3a EGBGB a.F. Rz. 14.

Tiedemann | 239

Kap. 5 Rz. 5.40 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

5.40

Eine vergleichbare Vorschrift wie Art. 3a Abs. 2 EGBGB a.F. enthält die EuErbVO nicht.1 Dies bedeutet für den Gestalter das „Ende der Florida-Immobilie“. Es gibt keine Gestaltungsmöglichkeit mehr, durch den Erwerb von einer Florida-Immobilie dem deutschen Pflichtteilsrecht zu entgehen (s. zum alten Recht Rz. 5.58).2

5.41

Eine Ausnahme vom Grundsatz der Nachlasseinheit gilt nach Art. 30 EuErbVO nur bei einer Sondererbfolge in bestimmte Nachlassgegenstände, wie z.B. landwirtschaftliche Güter.3 Dann findet unabhängig vom Erbstatut die nach dem Belegenheitsrecht geltende Sondererbfolge – in Deutschland z.B. die Höfeordnungen – Anwendung. g) Staaten mit mehr als einem Rechtssystem

5.42

Bei Staaten mit mehr als einem Rechtssystem gelten Besonderheiten. So haben einige Staaten keine einheitliche Rechtsordnung, sondern verschiedene Regelwerke für unterschiedliche Gebietseinheiten (interlokale Rechtsspaltung) oder sogar für unterschiedliche Personengruppen („interpersonale Rechtsspaltung“).

5.43

Ein Beispiel für interlokale Rechtsspaltung ist das Königreich Spanien.4 Es gibt in Spanien neben einem gemeinspanischen Erbrecht geregelt im Código Civil weitere Teilrechtsordnungen (sog. Foralrechte), die in bestimmten Regionen gelten. Ein europäisches Beispiel für interpersonale Rechtsspaltung ist Liechtenstein, wo Sondererbrechte für einzelne adelige Familien gelten.5

5.44

Für solche Fälle der interlokalen oder interpersonalen Rechtsspaltung verweisen Art. 36 Abs. 1 und Art. 37 Satz 1 EuErbVO in erster Linie auf das interlokale oder interpersonale Kollisionsrecht des jeweiligen Staats, um den es geht. Nur wenn der betroffene Staat keine interlokalen Kollisionsvorschriften kennt, finden die komplexen Regeln des Art. 36 Abs. 2 EuErbVO Anwendung. Ähnliches gilt für die interpersonale Rechtsspaltung, bei welcher das Recht der engsten Verbindung Anwendung finden soll (Art. 37 Satz 2 EuErbVO). h) Vorsicht bei Statutenwechsel

5.45

Es ist höchste Vorsicht geboten bei einem Statutenwechsel. Ein Statutenwechsel (Wechsel des Erbstatuts) liegt beispielweise vor, wenn sich das anwendbare Recht aufgrund der Verlegung des Anknüpfungspunkts ändert.6 Die Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers ins Ausland führt zu einem Wechsel des anwendbaren Rechts, weil für das Erbstatut der gewöhnliche Aufenthalt zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers maßgeblich ist (Art. 21 Abs. 1 EuErbVO). Der Rechtsgestalter muss daher im Voraus bedenken, dass der zukünftige Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Laufe seines Lebens verlegen kann. Angesichts der heutigen Mobilität dürfte dies keine Seltenheit sein.

1 Vgl. zum Anwendungsbereich von Art. 3a Abs. 2 EGBGB a.F. und von Art. 30 EuErbVO: v. Hein in MüKo7, Art. 3a EGBGB Rz. 16 f. 2 Lehmann, ZErb 2013, 25 (29 f.); Everts, ZEV 2013, 124 (125); Hertel in Beck’sches Formularbuch Zivil-, Wirtschafts- und Unternehmensrecht D-E4, Abschnitt G.I.3. Rz. 2. 3 Dutta in MüKo7, Art. 30 EuErbVO Rz. 8; vgl. auch Lipp in Lipp/Münch, Die neue Europäische Erbrechtsverordnung, S. 16 f. 4 Dutta in MüKo7, Art. 36 EuErbVO Rz. 5. 5 Dutta in MüKo7, Art. 37 EuErbVO Rz. 2. 6 Kropholler, Internationales Privatrecht6, S. 188.

240 | Tiedemann

A. Reichweite des deutschen Erbrechts | Rz. 5.49 Kap. 5

Dies hat Auswirkungen auf das im Erbfall anwendbare Recht, die Gültigkeit von Testamenten und Erbverträgen sowie etwaigen Pflichtteilsverzichten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass über Art. 24 Abs. 1 EuErbVO das hypothetische Erbstatut zum Zeitpunkt der Errichtung nur für die Zulässigkeit und materielle Wirksamkeit gilt. Die Frage der Zulässigkeit betrifft z.B. Verbote bestimmter Arten von Verfügungen von Todes wegen.1 Die Fragen der materiellen Wirksamkeit betreffen das Zustandekommen und sind definiert in Art. 26 Abs. 1 EuErbVO.

5.46

Ebenso hat ein Statutenwechsel Auswirkungen auf die lebzeitige Vermögensplanung, etwa im Hinblick auf die Pflichtteilsfestigkeit von Schenkungen. So können z.B. nach vielen romanischen Rechtsordnungen lebzeitige Schenkungen an Pflichtteilsberechtigte rückgängig gemacht bzw. reduziert und zurückgefordert werden.2 Auf diese Rückforderungsrechte („claw back“) ist nicht etwa das hypothetische Erbstatut zum Zeitpunkt der Schenkung, sondern das tatsächliche Erbstatut zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers anwendbar.3 Daher sollte der Rechtsgestalter eine lebzeitige Vermögensplanung sinnvollerweise mit einer Rechtswahl verbinden, damit Rechtssicherheit und damit Planungssicherheit über das im Erbfall anwendbare Recht geschaffen wird. Es kann in bestimmten Konstellationen weiter Sinn machen, die Rechtswahl mit erbvertraglicher Bindungswirkung zu treffen – etwa wenn die Pflichtteilsverzichte von Schwiegerkindern bestandskräftig abgesichert werden sollen.

5.47

4. Deutsches IPR a) Verhältnis zwischen EuErbVO und EGBGB

Das deutsche Internationale Erbrecht wird grundsätzlich durch die Europäische Erbrechtsverordnung verdrängt, wenn ihr Anwendungsbereich eröffnet ist.4 Dies bedeutet, dass grundsätzlich die Vorschriften der EuErbVO angewendet werden und die Vorschriften des (alten) EGBGB nicht (mehr) angewendet werden, soweit die EuErbVO gilt.5 Die EuErbVO enthält umfassende Kollisionsnormen, die nicht nur gegenüber Mitgliedstaaten, sondern allumfassend angewendet werden (Art. 20 EuErbVO, „loi uniforme“). Es gibt damit kaum noch Raum für das EGBGB – lediglich für Altfälle, das heißt Erbfälle vor dem 17.8.2015 (Art. 84 S. 2 EuErbVO) (s. Rz. 5.53).

5.48

b) Art. 25 EGBGB n.F. Die zentrale Norm des deutschen internationalen Kollisionsrechts bleibt Art. 25 EGBGB. Die Vorschrift ist durch das Gesetz zum Internationalen Erbrecht und zur Änderung von Vorschriften zum Erbschein sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften (IntErbRVG)6 neu gefasst worden. 1 Dutta in MüKo7, Art. 24 EuErbVO Rz. 3. 2 Schmidt in Dutta/Weber, Internationales Erbrecht, Art. 23 EuErbVO Rz. 120; im Einzelnen für Frankreich: Frank in Kroiß/Ann/Mayer, BGB Erbrecht5, Länderbericht Frankreich Rz. 126; für Italien: Frank in Kroiß/Ann/Mayer, BGB Erbrecht5, Länderbericht Italien Rz. 103; für Spanien: Franke in Burandt/Rojahn3, Länderbericht Spanien Rz. 99 f.; für die Schweiz: Süß in Kroiß/Ann/ Mayer, Erbrecht5, Länderbericht Schweiz Rz. 53; vgl. auch allgemein zum sog. „Claw-Back-Problem“: Schmidt in Dutta/Weber, Internationales Erbrecht, Art. 23 EuErbVO Rz. 123. 3 Vgl. Dutta in MüKo7, Art. 23 EuErbVO Rz. 35. 4 Zum Anwendungsvorrang des Unionsrechts vgl. EuGH v. 15.7.1964 – 6/64 - Costa ENEL, EuGHE 1964, I-1141. 5 Dutta in MüKo7, Vorbem. zu Art. 1 EuErbVO Rz. 34. 6 Gesetz zum Internationalen Erbrecht und zur Änderung von Vorschriften zum Erbschein sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften vom 29.6.2015, BGBl. I 2015, 1042.

Tiedemann | 241

5.49

Kap. 5 Rz. 5.50 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

5.50

Nach Art. 25 EGBGB n.F. gelten die Vorschriften des Kapitels III der EuErbVO („Anwendbares Recht“) selbst dann entsprechend wenn und soweit die Rechtsnachfolge von Todes wegen nicht in den Anwendungsbereich der EuErbVO fällt. Voraussetzung ist allerdings, dass die Rechtsfrage, um die es sich handelt, nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt. Gemeint ist hier der sachliche Anwendungsbereich der EuErbVO.1

5.51

Damit bezweckt der Gesetzgeber, Lücken zwischen der EuErbVO und dem deutschen Kollisionsrecht zu schließen.2 Ohnehin richten sich nach der EuErbVO alle Fragen, die nach gemeineuropäischem Verständnis als erbrechtlich anzusehen sind und die nicht vom sachlichen Anwendungsbereich der EuErbVO ausgeklammert werden (Art. 1 EuErbVO). Darüber hinaus richten sich alle Rechtsfragen, die aus deutscher Sicht als erbrechtlich zu qualifizieren sind, auch nach den Bestimmungen des Kapitels III der EuErbVO, selbst wenn sie nicht in den sachlichen Anwendungsbereich der EuErbVO fallen.3 Auf dieser Weise wird vermieden, dass sich erbrechtliche Fragen nach verschiedenen Erbstatuten richten.

5.52

Das gilt aber nicht für den zeitlichen Anwendungsbereich der EuErbVO. Die Vorschriften des Kapitels III der EuErbVO finden keine Anwendung, wenn die Verordnung zeitlich nicht anwendbar ist. Die Vorschriften der EuErbVO finden in zeitlicher Hinsicht auf alle Erbfälle von Personen Anwendung, die am 17.8.2015 oder danach verstorben sind (Art. 83 Abs. 1 EuErbVO). c) Art. 25 EGBGB a.F. aa) Zeitlicher Anwendungsbereich des alten Rechts

5.53

Für alle Erbfälle vor dem 17.8.2015 gelten weiter die Vorschriften des EGBGB der alten Fassung.4 bb) Maßgeblicher Anknüpfungspunkt: Staatsangehörigkeit

5.54

Nach Art. 25 Abs. 1 EGBGB a.F. wurde ein Erblasser nach dem Recht beerbt, dem er angehörte. Dies bedeutet, dass der maßgebliche Anknüpfungspunkt die Staatsangehörigkeit des Erblassers war. Bei mehrfacher Staatsangehörigkeit galt die effektive Staatsangehörigkeit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 EGBGB), Vorrang hatte immer die deutsche Staatsangehörigkeit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EGBGB). cc) Rück- und Weiterverweisung

5.55

Rück- und Weiterverweisungen waren grundsätzlich zu beachten (Art. 4 Abs. 1 Satz 2 EGBGB).5 Bei Staaten mit gespaltener kollisionsrechtlicher Anknüpfung führte dies oft zu einer Nachlassspaltung.6

1 2 3 4 5 6

Dutta in MüKo6, Art. 25 EGBGB Rz. 2. Dutta in MüKo6, Art. 25 EGBGB Rz. 2. Dutta in MüKo6, Art. 25 EGBGB Rz. 3. Dutta in MüKo7, Art. 83 EuErbVO Rz. 2. Tiedemann, S. 31 f. Tiedemann, S. 31 ff.

242 | Tiedemann

A. Reichweite des deutschen Erbrechts | Rz. 5.61 Kap. 5

dd) Begrenzte Rechtswahl Auch hatte der Erblasser nach altem Recht eine sehr beschränkte Möglichkeit der Rechtswahl: Nach Art. 25 Abs. 2 EGBGB a.F. konnte der Erblasser für in Deutschland belegenes unbewegliches Vermögen das deutsche Recht wählen. Dadurch kam es bei ausländischen Erblassern oft zu einer Nachlassspaltung.1

5.56

ee) Vorrang des Belegenheitsrechts Weiter galt nach altem IPR der sog. Vorrang des Belegenheitsrechts nach Art. 3a Abs. 2 EGBGB a.F. Dies bedeutete, dass das ausländische Recht des Ortes, an dem Nachlassgegenstände sich befanden, immer dann zu beachten war, wenn es „besondere Vorschriften“ enthielt. Als solche besonderen Vorschriften wurden insbesondere auch kollisionsrechtliche Vorschriften angesehen, die zwingend Nachlassgegenstände dem Belegenheitsrecht unterwarfen (wie z.B. in den USA für unbewegliches Vermögen).2 Hierdurch ergab sich oft eine kollisionsrechtliche Nachlassspaltung.

5.57

Das Prinzip der kollisionsrechtlichen Nachlassspaltung machten sich Rechtsgestalter oft zunutze, um Pflichtteilsrechte zu umgehen. Denn bei einer Nachlassspaltung wird jeder Nachlassteil so behandelt, als sei er der gesamte Nachlass – mit der Folge, dass Pflichtteilsrechte für jeden Nachlassteil getrennt betrachtet wurden.3 So ergab sich für den Gestalter die Möglichkeit, durch den Erwerb von unbeweglichen Vermögensgegenständen in Florida beispielsweise das Florida-Recht für diese Immobilie zur Anwendung zu bringen, welches keine Pflichtteilsrechte kennt.4 Damit war die Florida-Immobilie bei der Berechnung des Pflichtteils außer Ansatz.

5.58

5. Ausländisches IPR a) Bedeutung des ausländischen IPR Bei der Gestaltung eines Nachfolgekonzepts oder einer Unternehmensnachfolge müssen nicht nur die Regeln des deutschen IPR berücksichtigt werden. Vielmehr muss der Rechtsanwender auch die Regeln des ausländischen IPR beachten.

5.59

Im Grundsatz gilt: Jede Rechtsordnung hat ihr eigenes IPR; das IPR ist nationales Recht.5 Für den gleichen Sachverhalt können mehrere Kollisionsrechte anwendbar sein, je nach dem, aus wie vielen Perspektive man den Sachverhalt betrachtet muss. Die IPR-Normen regeln (leider) nicht, wann welches IPR anwendbar ist (kein „IPR“ des „IPR“).6

5.60

Für die Anwendbarkeit des IPR gilt das lex-fori-Prinzip: Jedes (Nachlass-) Gericht wendet sein eigenes IPR an.7 Dies bedeutet, dass deutsche Gerichte das deutsche IPR anwenden, ausländische Gerichte wenden ihr eigenes nationales IPR an.

5.61

1 2 3 4 5 6 7

Tiedemann, S. 4 f. Tiedemann, S. 39 ff. zur Vorgängervorschrift des Art. 3 Abs. 3 EGBGB. v. Hein in MüKo6, Art. 3a EGBGB a.F. Rz. 71; Tiedemann, S. 19 f. Everts, ZEV 2013, 124 (125); Lehmann, ZErb 2013, 25 (29). BVerfG v. 4.5.1971 – 1 BvR 636/68, NJW 1971, 1509 (1510 f.). Vgl. v. Hein in MüKo7, Einleitung IPR Rz. 2 ff. v. Hein in MüKo7, Art. 3 EGBGB Rz. 7.

Tiedemann | 243

Kap. 5 Rz. 5.62 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

5.62

Für den Rechtsanwender hat dies zur Folge: Jeder Sachverhalt ist darauf zu untersuchen, vor welchem Gericht eine mögliche spätere Streitigkeit ausgetragen werden könnte. Dies ist im Wesentlichen der Ort, wo sich Vermögensgegenstände befinden, der Wohnsitz der beteiligten Personen oder deren gewöhnlicher Aufenthalt. Auch die Staatsangehörigkeit einer Person kann von Bedeutung sein. Daher muss der Rechtsgestalter den Sachverhalt oft aus verschiedenen Blickwinkeln prüfen, insbesondere aus Sicht der Rechtsordnungen, wo sich Vermögensgegenstände befinden. b) Verschiedene Anknüpfungskonzepte

5.63

Die Kollisionsregeln der unterschiedlichen nationalen Rechtsordnungen haben verschiedene Anknüpfungskonzepte.

5.64

Die Normen des Internationalen Privatrechts sind in den verschiedenen Staaten der Welt so unterschiedlich wie das Sachrecht auch. Jeder Staat entscheidet im Regelfall selbst, welcher Anknüpfungspunkt für das Erbstatut gilt. In Deutschland galt früher das Staatsangehörigkeitsprinzip, ebenso wie in vielen anderen europäischen Staaten auch.1 In den klassischen Einwanderungsländern galt und gilt das Wohnsitzprinzip2, zum Teil mit einer Inländerbevorzugung.3 Vereinzelt gilt auch das Belegenheitsprinzip.4 Die modernen Kodifikationen haben sich für die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt entschieden, weil diese am ehesten die Sachnähe zwischen Sachverhalt und anwendbarem Recht herstellt.5

5.65

Durch die verschiedenen Anknüpfungspunkte kann es zu der Anwendbarkeit von unterschiedlichen Rechtsordnungen auf ein und denselben Sachverhalt kommen, je nachdem, welche Gerichte mit der Sache befasst sind. c) Faktische Nachlassspaltung

5.66

Zu einer faktischen Nachlassspaltung kann es kommen, wenn ein Sachverhalt vor verschiedenen Gerichten anhängig gemacht wird, diese Gerichte jeweils ihr eigenes IPR anwenden und zu unterschiedlichen Ergebnissen im Hinblick auf das anwendbare Recht gelangen.6

5.67

Dies ist vor Geltung der EuErbVO regelmäßig in Nachlasssachen dann der Fall gewesen, wenn deutsche Erblasser ihren Wohnsitz in Staaten hatten, in welchen das Wohnsitzprinzip galt. Oft wurden verschiedene Nachlassverfahren in den unterschiedlichen Ländern angestrengt. In Deutschland galt aufgrund des Staatsangehörigkeitsprinzips (Art. 25 Abs. 1 EGBGB a.F.) das deutsche Recht, in den Wohnsitzstaaten das Recht des letzten Wohnsitzes des Erblassers. Dies hat in der Praxis oft zu Friktionen geführt, die schwer aufzulösen waren. Nach Inkrafttreten der EuErbVO wird dieses Problem minimiert und tritt faktisch nicht mehr auf.7 Dies liegt daran, dass die EuErbVO einen einheitlichen Gerichtsstand für Nach-

1 Dörner in FS Holzhauer, S. 474 (476); Burandt, FuR 2013, 314 (318 f.). 2 So z.B. USA und Kanada mit einer gespaltenen kollisionsrechtlichen Anknüpfung, vgl. für USA Odersky in Kroiß/Ann/Mayer, BGB5, Länderbericht USA Rz. 6 ff.; für Kanada vgl. Ferid/Firsching/ Dörner/Hausmann, Internationales Erbrecht, sub Kanada Rz. 4. 3 Vgl. für Lateinamerika Tiedemann, S. 161 ff. 4 Vgl. für Lateinamerika Tiedemann, S. 125 ff. 5 Kunz, GPR 2012, 208. 6 Vgl. Dutta in MüKo7, Vorbem. zu Art. 20 EuErbVO Rz. 7. 7 Vgl. Dutta in MüKo7, Vorbem. zu Art. 20 EuErbVO Rz. 6 f.

244 | Tiedemann

A. Reichweite des deutschen Erbrechts | Rz. 5.71 Kap. 5

lasssachen und für andere erbrechtliche Streitigkeiten in Art. 4 EuErbVO vorsieht, der nur mit Zustimmung aller Beteiligten geändert werden kann (Art. 5; Art. 7 Buchst. c und Art. 9 EuErbVO). d) Vorsicht bei ausländischen Erbrechten Wenn aufgrund der anwendbaren Regeln des deutschen oder eines ausländischen IPR einmal das ausländische Erbrecht zur Anwendung kommt, ist für den Rechtsgestalter höchste Vorsicht geboten: Dies gilt insbesondere, wenn romanische Rechte zur Anwendung gelangen. Denn nach den meisten romanischen oder römisch-rechtlich geprägten Rechten (wie Frankreich, Spanien, Portugal, Italien, Schweiz)1 gelten für nahe Angehörige wie Abkömmlinge sehr starke Pflichtteilsrechte und zum Teil auch Ehegatten feste Erbquoten (sog. „Noterbrechte“),2 die zwingend zu berücksichtigen sind. Weiterer Ausfluss des sehr starken Pflichtteilsrechts ist das grundsätzliche Verbot von Pflichtteilsverzichten, welche dem Rechtsanwender dann für die Gestaltung nicht mehr zur Verfügung stehen.

5.68

Auch ist Vorsicht geboten bei der Verwendung von gemeinschaftlichen Testamenten mit Bindungswirkung und Erbverträgen, die in etlichen Rechtsordnungen gerade wegen der Bindungswirkung unzulässig sind, weil sie die Testierfreiheit des späteren Erblassers sehr stark beschränken.3 In vielen romanischen Rechtsordnungen gilt z.B. das Verbot von gemeinschaftlichen Testamenten nicht nur als Formvorschrift, sondern als materielle Vorschrift,4 so dass es immer dann zum Tragen kommt, wenn das entsprechende Recht Erbstatut ist.

5.69

II. Abgrenzung zum Güterrecht 1. Relevanz des Güterstands Bei der Gestaltung der Unternehmensnachfolge muss auch der Güterstand des (späteren) Erblassers und möglicher Erben bzw. Unternehmensnachfolger berücksichtigt werden. Das gilt insbesondere dann, wenn ausländisches Güterrecht zur Anwendung kommt. So sehen viele ausländische Güterrechte eine Gütergemeinschaft oder eine Errungenschaftsgemeinschaft als gesetzlichen Güterstand vor.5

5.70

Dies hat oft zur Folge, dass die Ehepartner Transaktionen zustimmen müssen, damit sie wirksam sind. Hier empfiehlt sich ein flankierender Ehevertrag (Rz. 5.446) mit Gütertren-

5.71

1 Für Frankreich Lauck in Burandt/Rojahn3, Länderbericht Frankreich Rz. 92 ff.; für Spanien Franke in Burandt/Rojahn3, Länderbericht Spanien Rz. 80 ff.; für Portugal Wollmann in Süß, Erbrecht in Europa4, Portugal Rz. 87 ff.; für Italien Frank in Burandt/Rojahn3, Länderbericht Italien Rz. 108 ff.; für die Schweiz Solomon in Burandt/Rojahn3, Länderbericht Schweiz Rz. 108 ff. 2 Frank in Burandt/Rojahn3, Länderbericht Italien Rz. 108. 3 Vgl. zum Verbot gemeinschaftlicher Testamente in Europa Süß, IPRax 2002, 22 (23 ff.); im Einzelnen: Für Frankreich Frank in Kroiß/Ann/Mayer, BGB5, Länderbericht Frankreich Rz. 96 ff.; fur Spanien Reckhorn-Hengemühle in Kroiß/Ann/Mayer, BGB5, Länderbericht Spanien Rz. 22; für Portugal Müller-Bromley in Kroiß/Ann/Mayer, BGB5, Länderbericht Portugal Rz. 136; für Italien Frank in Kroiß/Ann/Mayer, BGB5, Länderbericht Italien Rz. 79. 4 So beispielweise im italienischen Recht Frank in Burandt/Rojahn3, Länderbericht Italien Rz. 84. 5 Beispiele aus der EU: Gütergemeinschaft als gesetzlicher Güterstand in Belgien, Dänemark, Luxemburg, Niederlande und Polen; Errungenschaftsgemeinschaft in Estland, Frankreich, Italien, Lettland und Portugal, Zeiser in BeckOK/GBO, Internationale Bezüge Rz. 84.

Tiedemann | 245

Kap. 5 Rz. 5.71 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

nung, die nach vielen Rechtsordnungen möglich ist (zum Ehevertrag des Unternehmers s. Kapitel 21).

2. Anwendbares Güterrecht 5.72

Das Kollisionsrecht auf güterrechtlicher Ebene ist ebenfalls europaweit vereinheitlicht: Seit dem 29.1.2019 gelten die Europäische Güterrechtsverordnung („EuGüVO“)1 und die Europäische Partnerschaftsverordnung („EuPartVO“)2 für sämtliche Mitgliedstaaten der EU mit Ausnahme von Dänemark, Estland, Großbritannien, Irland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, die Slowakei und Ungarn.3 Das anwendbare Güterrecht bemisst sich also nach der EuGüVO und der EuPartVO. Dabei ist zunächst der Anwendungsbereich jeder Verordnung zu beachten. Die EuGüVO findet Anwendung auf eheliche Güterstände (Art. 1 EuGüVO), während die EuPartVO auf die Güterstände eingetragener Partnerschaften anwendbar ist (Art. 1 EuPartVO).

5.73

Die Frage, wann eine Ehe und wann eine eingetragene Partnerschaft vorliegt, beantwortet das jeweilige anwendbare Recht.4 Es ist also Sache des jeweiligen Gesetzgebers, das Rechtsinstitut der Ehe zu definieren. Eine Definition von eingetragener Lebenspartnerschaft enthält dagegen Art. 3 Abs. 1 Buchst. a EuPartVO: „Eingetragene Partnerschaft [ist] eine rechtlich vorgesehene Form der Lebensgemeinschaft zweier Personen, deren Eintragung nach den betreffenden rechtlichen Vorschriften verbindlich ist und welche die in den betreffenden Vorschriften vorgesehenen rechtlichen Formvorschriften für ihre Begründung erfüllt.“ a) Anknüpfung nach der EuGüVO

5.74

Das Güterrechtstatut richtet sich, wenn die Eheleute keine Rechtswahl getroffen haben, nach dem ersten gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten nach der Eheschließung (Art. 26 Abs. 1 Buchst. a EuGüVO). Bei Fehlen eines gemeinsamen Aufenthalts gilt das Recht der gemeinsamen Staatsangehörigkeit der Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung (Art. 26 Abs. 1 Buchst. b EuGüVO).5 Wenn die Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung keine gemeinsame Staatsangehörigkeit haben, so wird das Recht des Staates angewendet, mit dem die Ehegatten unter Berücksichtigung aller Umstände die engste Verbindung aufweisen (Art. 26 Abs. 1 Buchst. c EuGüVO).

5.75

Die Ehegatten können durch Rechtswahl eines ihrer Heimatrechte oder das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts eines von ihnen wählen. Damit ist eine begrenzte Rechtswahl möglich. Der Kreis der wählbaren Rechte ist in Art. 22 EuGüVO festgelegt: das Recht des Staates, in dem beide oder einer der Ehegatten zum Zeitpunkt der Rechtswahl ihren bzw. seinen ge-

1 Verordnung (EU) 2016/1103 des Rates vom 24.6.2016 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterstands, ABl. 2016, Nr. L 183 S. 1. 2 Verordnung (EU) 2016/1104 des Rates vom 24.6.2016 zur Durchführung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen güterrechtlicher Wirkungen eingetragener Partnerschaften, ABl. 2016, Nr. L 183 S. 30. 3 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 11 EuGüVO/EuPartVO. 4 Döbereiner, MittBayNot 2018, 405. 5 Döbereiner, MittBayNot 2018, 405 (411).

246 | Tiedemann

A. Reichweite des deutschen Erbrechts | Rz. 5.82 Kap. 5

wöhnlichen Aufenthalt haben bzw. hat (Art. 22 Abs. 1 Buchst. a EuGüVO), oder das Recht des Staates, dem einer der Ehegatten angehört (Art. 22 Abs. 1 Buchst. b EuGüVO). b) Anknüpfung nach der EuPartVO Für das Güterrecht der eingetragenen Lebenspartner gilt, wenn keine Rechtswahl getroffen wurde, das Recht des Staates, in dem die eingetragene Partnerschaft begründet wurde (Art. 26 Abs. 1 EuPartVO). Dies bedeutet, wo die eingetragene Partnerschaft registriert wurde.1

5.76

Eine Rechtswahl ist möglich. Die Lebenspartner können eines ihrer Heimatrechte, das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts eines von ihnen oder das Recht wählen, in dem die Lebenspartnerschaft begründet (d.h. registriert) wurde (Art. 22 Abs. 1 EuPartVO). Damit entsprechen die Möglichkeiten der Rechtswahl in Art. 22 Abs. 1 EuPartVO im Wesentlichen denen in Art. 26 Abs. 1 EuGüVO. Es gilt dabei die Besonderheit, dass die Rechtswahl nur unter der Bedingung getroffen werden kann, dass das gewählte Recht güterrechtliche Folgen an die eingetragene Partnerschaft knüpft (Art. 22 Abs. 1 EuPartVO: „...sofern dieses Recht güterrechtliche Wirkungen an das Institut der eingetragenen Partnerschaft knüpft...“).

5.77

3. Qualifikation Erbrecht/Güterrecht Die Qualifikation zwischen Güterrecht und Erbrecht ist nicht immer ganz einfach.

5.78

Der Anwendungsbereich zwischen EuGüVO/EuPartVO einerseits und der EuErbVO andererseits ist deutlich geregelt. Nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. d EuGüVO/EuPartVO ist die Rechtsnachfolge von Todes wegen von dem Anwendungsbereich der Güterrechtsverordnungen ausgeschlossen. Ergänzend bestimmt Art. 1 Abs. 1 Buchst. d EuErbVO, dass die Fragen des Güterrechts vom Anwendungsbereich der EuErbVO ausgeklammert werden.

5.79

Allerdings ist damit noch nicht klar geregelt, was zum Erbrecht und was zum Güterrecht gehört. Dies ist eine Frage der Qualifikation, die zur Anwendung unterschiedlicher Kollisionsnormen führt. Einige materiell-rechtliche Vorschriften haben keinen klaren erbrechtlichen oder güterrechtlichen Charakter. Das ist beispielweise im deutschen Recht bei §§ 1371 und 1931 Abs. 4 BGB der Fall.

5.80

Der EuGH hat sich bereits zum „klassischen“ Fall des pauschalierten Zugewinnausgleichs im Todesfall nach § 1371 Abs. 1 BGB (Erhöhung des gesetzlichen Erbrechts des Ehegatten um ein Viertel) geäußert und den pauschalierten Zugewinnausgleich als erbrechtlich qualifiziert.2 Damit hat sich der EuGH gegen die ehemals bahnbrechende Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2015 gestellt, die einen jahrzehntelangen Streit um die rechtliche Qualifikation des § 1371 Abs. 1 BGB beendete und die Vorschrift als güterrechtlich qualifiziert hatte.3

5.81

Vom EuGH noch nicht entschieden bleibt immer noch die Qualifikation des gesetzlichen Erbrechts des Ehegatten nach § 1931 Abs. 4 BGB. Nach dieser Vorschrift erhöht sich der gesetzliche Erbteil des Ehegatten, wenn ein oder zwei Kinder neben dem Ehegatten zum gesetzlichen Erben berufen sind und Gütertrennung zwischen den Ehegatten bestand. Die Vor-

5.82

1 Vgl. Döbereiner, MittBayNot 2018, 405 (423). 2 EuGH v. 1.3.2018 – C-558/16, ECLI:EU:C:2018:138 Rz. 40 ff. – Mahnkopf, ZEV 2018, 205. 3 BGH v. 13.5.2015 – IV ZB 30/14, NJW 2015, 2185.

Tiedemann | 247

Kap. 5 Rz. 5.82 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

schrift des § 1931 Abs. 4 BGB dürfte als erbrechtlich zu qualifizieren sein, da sie eine erbrechtliche Gleichstellung des Ehegatten mit den Kindern des Erblassers verfolgt.1

III. Abgrenzung zum Gesellschaftsrecht 1. Spannungsverhältnis Gesellschaftsrecht/Erbrecht 5.83

Wenn der Erblasser Gesellschaften oder Anteile an Gesellschaften besaß, müssen sowohl Gesellschafts- als auch erbrechtliche Vorschriften beachtet werden. Es gilt ein Nebeneinander von Gesellschaftsrecht und Erbrecht. Dabei entscheidet das Gesellschaftsrecht, ob und unter welchen Voraussetzungen die Gesellschaftsanteile vererblich sind und in den Nachlass fallen. Das Erbrecht entscheidet dann, WIE der Nachlass verteilt wird, insbesondere wer Erbe wird und ob es Ausgleichsansprüche für diejenigen Erben gibt, die nicht in die Gesellschaft nachfolgen.2

5.84

Das Gleiche gilt für die kollisionsrechtliche Abgrenzung Erbstatut/Gesellschaftsstatut: Das Erbstatut entscheidet, WIE der Nachlass verteilt wird. Das Gesellschaftsstatut entscheidet, WAS in den Nachlass fällt.3 Das Erbstatut richtet sich grundsätzlich nach der EuErbVO (dazu Rz. 5.15 ff.). Das Gesellschaftsstatut ist differenziert zu behandeln. Für Gesellschaften aus der EU und aus dem EWR folgt das Gesellschaftsstatut dem Recht des Staates, nach dem die Gesellschaft gegründet wurde, wenn sie dort ihren Satzungssitz hat (Gründungstheorie).4 Für Gesellschaften aus Drittstaaten ist umstritten, ob ebenfalls die Gründungstheorie oder die Sitztheorie (Recht des tatsächlichen Verwaltungssitzes) gilt.5

2. Vorrang des Gesellschaftsrechts: „Gesellschaftsrecht bricht Erbrecht“ 5.85

Das Gesellschaftsrecht entscheidet, welche Gesellschaftsanteile in den Nachlass fallen. Dazu gehören auch die Einschränkungen in der Vererblichkeit durch z.B. qualifizierte Nachfolgeklauseln (s. dazu Rz. 5.89, 4.84, 4.144), die sich oft in Gesellschaftsverträgen finden. Das Erbrecht muss es daher hinnehmen, wenn eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung des Erblassers nicht oder nur eingeschränkt vererblich ist. Das entspricht ständiger Rechtsprechung.6 Daraus hat die herrschende Meinung den Grundsatz gemacht „Gesellschaftsrecht bricht Erbrecht“.7 Dies bedeutet, dass sich der Umfang der Vererblichkeit des Gesellschaftsanteils nach Gesellschaftsrecht richtet.

1 Dutta in Lipp/Münch, Die neue Europäische Erbrechtsverordnung, S. 117 (125); Weber, DNotZ 2016, 424 (434). 2 Vgl. für das Kollisionsrecht: Dutta in MüKo7, Art. 1 EuErbVO Rz. 37. 3 Vgl. Dutta in MüKo7, Art. 1 EuErbVO Rz. 37 ff. 4 BGH v. 13.3.2003 – VII ZR 370/98, NJW 2003, 1461, nach entsprechender Rechtsprechung des EuGH, vgl. EuGH v. 5.11.2002 – C-208/00 – Überseering, EuGHE 2002, I-09919. 5 Seit jeher folgte die deutsche Rechtsprechung der Sitztheorie, vgl. dazu Kindler in MüKo7, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rz. 358. 6 BGH v. 22.11.1956 – II ZR 222/55, BGHZ 22, 186 (192) = NJW 1957, 180; BGH v. 10.2.1977 – I ZR 120/75, NJW 1977, 1339 (1340); BGH v. 4.5.1983 – IVa ZR 229/81, NJW 1983, 2376 (2377); BGH v. 14.5.1986 – IVa ZR 155/84, NJW 1986, 2431 (2432). 7 Vgl. zum kollisionsrechtlichen Schrifttum: Dutta in MüKo7, Art. 1 EuErbVO Rz. 38; Mankowski in Deixler-Hübner/Schauer, Art. 1 EuErbVO Rz. 58; Schmidt in Dutta/Weber, Internationales Erbrecht, Art. 1 EuErbVO Rz. 98; Dörner, ZEV 2012, 505 (508).

248 | Tiedemann

A. Reichweite des deutschen Erbrechts | Rz. 5.89 Kap. 5

Für Kapitalgesellschaften gibt es keine Einschränkungen für die Vererblichkeit (vgl. z.B. § 15 Abs. 1 GmbHG) (zur Vertiefung s. Rz. 4.211, 10.136 ff.). Für Personengesellschaften ist dies differenzierter zu sehen, je nach Art der Gesellschaft und Nachfolgeklausel im Gesellschaftsvertrag gelten unterschiedliche Regeln.

5.86

Bei der oHG und der GbR kann der Gesellschaftsanteil im Gesellschaftsvertrag vererblich gestellt werden. Enthält dieser keine Regeln darüber, gilt: Der Tod eines Gesellschafters einer oHG führt zu dessen Ausscheiden.1 Dasselbe gilt, wenn der Komplementär einer KG stirbt (§ 161 Abs. 1 i.V.m. § 131 Abs. 3 Nr. 1 HGB). Für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts gilt der Grundsatz, dass die Gesellschaft bei Tod eines Gesellschafters aufgelöst wird, sofern sich aus dem Gesellschaftsvertrag nicht etwas anderes ergibt (§ 727 Abs. 1 BGB). Anders ist der gesetzliche Regelfall, wenn ein Kommanditist stirbt. Bei Tod eines Kommanditisten wird die Gesellschaft mit den Erben fortgesetzt, wenn der Gesellschaftsvertrag keine abweichende Regelung vorsieht (§ 177 HGB). (Zur Vertiefung s. Rz. 10.91 ff.).

5.87

Gesellschaftsverträge können abweichende Regelungen vorsehen, welche die Vererblichkeit herstellen, einschränken oder unter besondere Voraussetzungen stellen (beispielsweise Fortsetzung nur mit bestimmten Erben des verstorbenen Gesellschafters). Diese sog. Nachfolgeklauseln gibt es in vielfältiger Ausgestaltung (einfache oder qualifizierte Nachfolgeklauseln) (s. Rz. 5.89, 4.144, 10.113 ff.).

5.88

3. Erbrechtliche Folgen/Ausgleichsansprüche Die erbrechtlichen Folgen von Nachfolgeklausel (ebenso wie Fortsetzungs- oder Anwachsungsklauseln, Rz. 5.460) richten sich nach dem Erbrecht. Es gilt der Grundsatz, dass der Gesellschaftsanteil wirtschaftlich in den Nachlass fällt und von dem qualifizierten Nachfolger (beispielsweise bei einer qualifizierten Nachfolgeklausel) voll auszugleichen ist, wenn nicht der Gesellschaftsvertrag oder das Testament eine andere Regelung vorsieht.2 Denn der zugewandte Gesellschaftsanteil ist trotz qualifizierter Nachfolgeklausel Bestandteil des Nachlasses.3 Der Nachfolgeklausel wird dabei die Wirkung einer Teilungsanordnung zugemessen. Der Ausgleich wird dabei nach den Grundsätzen der Auseinandersetzung vorgenommen.4 Dies bedeutet, dass die anderen nicht nachfolgeberechtigten Erben andere Nachlassgegenstände erhalten, welche dem Wert des Gesellschaftsanteils entsprechen. Problematisch wird es, wenn die Gesellschaftsanteile den Hauptvermögenswert des Erblassers ausmachen und die übrigen Nachlassteile nicht ausreichen, um die nicht nachfolgeberechtigten Erben zu befriedigen. Nach herrschender Meinung ist dann ein voller Wertausgleich in Geld von den nachfolgeberechtigten Erben an die anderen Erben zu leisten.5 Denn ohne eine entsprechende testamentarische Regelung soll ein Miterbe gegenüber den anderen Miterben nicht mehr erhalten, als seinem Anteil an der Erbschaft entspricht. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Gesellschaftsvertrag oder eine Verfügung von Todes wegen keine anderslautenden Regelungen enthalten. Der Erblasser hat das Recht, den Ausgleich durch Testament vollständig auszuschließen oder einzuschränken.6 Leipold, Erbrecht22, Rz. 585 f. Gergen in MüKo8, § 2032 BGB Rz. 63; Flechtner in Burandt/Rojahn3, § 2032 BGB Rz. 41. Gergen in MüKo8, § 2032 BGB Rz. 79. Gergen in MüKo8, § 2032 BGB Rz. 79. BGH v. 22.11.1956 – II ZR 222/55, BGHZ 22, 186-197; BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225-241; OLG München v. 25.3.1980 – 5 U 3711/79, BeckRS 1980, 31089799; Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 20; Schöne in BeckOK, § 727 BGB Rz. 18. 6 Weidlich in Palandt79, § 1922 BGB Rz. 19a.

1 2 3 4 5

Tiedemann | 249

5.89

Kap. 5 Rz. 5.90 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

4. Abstimmung Gesellschaftsvertrag/Testament 5.90

Für den Gestalter ist es dringend zu empfehlen, die gesellschaftsvertraglichen Regeln mit den testamentarischen Regeln in Übereinstimmung zu bringen. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass die Gesellschaftsverträge einfache Fortsetzungsklauseln (Rz. 10.123 ff., 10.181 ff.), qualifizierte Fortsetzungsklauseln (Rz. 19.8) oder Einziehungsklauseln (Rz. 18.199) vorsehen. Hier sollte klar geregelt werden, ob die qualifizierten gesellschaftsrechtlichen Nachfolger erbrechtliche Ausgleichs- oder Abfindungsansprüche zu leisten haben. Solche Regeln können entweder im Gesellschaftsvertrag oder im Testament, idealerweise aber korrespondierend in beidem, aufgenommen werden.

IV. Abgrenzung zum Sachenrecht 1. Spannungsverhältnis Sachenrecht/Erbrecht 5.91

Für die Abgrenzung des Erbrechts zum Sachenrecht gilt: Das Sachenrecht entscheidet darüber, OB eine bestimmte Sache oder ein Recht dem Erblasser gehört(e), OB er Eigentümer ist oder Inhaber eines Rechts ist, und die Sache in den Nachlass fällt oder nicht. Weiter entscheidet das Sachenrecht darüber, OB eine Sache oder ein Recht vererblich ist. Das Erbrecht beantwortet dann die Frage, WIE der Nachlass verteilt wird und wie das Eigentum übergeht.

5.92

In der Regel sind Sachen und Vermögensrechte vererblich, nichtvermögensrechtliche Positionen oftmals nicht.1 So sind grundsätzlich schuldrechtliche Ansprüche und Verbindlichkeiten vererblich,2 während einige höchstpersönliche Rechte wie die elterliche Sorge nicht auf die Erben übergehen.3 Von dieser Regel gibt es aber zahlreiche Ausnahmen: Pflichtteilsansprüche sind vererblich (§ 2317 Abs. 2 BGB), Schadensersatzansprüche dagegen nur unter bestimmten Voraussetzungen4, das Nießbrauchrecht ist nicht vererblich (§ 1061 Satz 1 BGB).

2. Kollisionsrechtliche Abgrenzung Sachenrecht/Erbrecht 5.93

Auf kollisionsrechtlicher Ebene kann es vorkommen, dass das Sachstatut und das Erbstatut unterschiedlichen Rechtsordnungen unterliegen. In einer solchen Konstellation können Widersprüche entstehen.5 Beispiel: Der Erbe erwirbt nach dem Erbstatut ein dingliches Recht an einer Sache des Erblassers und er will es in einem Staat geltend machen, der dieses Recht sachenrechtlich nicht kennt.

5.94

Für dieses Problem enthält Art. 31 EuErbVO eine Regelung: Macht jemand ein dingliches Recht nach dem Erbstatut geltend, das dem Mitgliedstaat, in dem dieses geltend gemacht wird, unbekannt ist, so ist dieses Recht „soweit erforderlich und möglich an das in der Rechtsordnung dieses Mitgliedstaats am ehesten vergleichbare Recht anzupassen, wobei die mit dem besagten dinglichen Recht verfolgten Ziele und Interessen und die mit ihm verbundenen Wirkungen zu berücksichtigen sind“. Betroffen sind Fälle, in denen es um die Geltendmachung eines fremden (dinglichen) Rechts in dem Staat geht, in dem die Sache belegen ist.6 1 2 3 4 5 6

Leipold in MüKo8, § 1922 BGB Rz. 19. Leipold in MüKo8, § 1922 BGB Rz. 25. Schmoeckel, Erbrecht5, § 4 Rz. 7. Leipold in MüKo8, § 1922 BGB Rz. 73. Vgl. Dutta in MüKo7, Art. 31 EuErbVO Rz. 3. Lipp in Lipp/Münch, Die neue Europäische Erbrechtsverordnung, S. 1 (12).

250 | Tiedemann

B. Gesetzliche Erbfolge | Rz. 5.98 Kap. 5

Eine Anpassung i.S.d. Art. 31 EuErbVO ist nur dann erforderlich, wenn das dingliche Recht (das Erwerbsergebnis) – und nicht der Erwerbsvorgang – der betroffenen Rechtsordnung unbekannt ist.1 Denn der Erwerbsvorgang richtet sich immer nach dem Erbstatut (Art. 23 Buchst. e EuErbVO).

5.95

Eine Anpassung ist z.B. erforderlich, wenn ein Nießbrauchrecht aus einer romanischen Rechtsordnung ins Spiel kommt. Beispielweise kennt das gemeinspanische Erbrecht ein Nießbrauchrecht des überlebenden Ehegatten an einer Vermögensgesamtheit (Art. 834 ff. Código Civil).2 Eine solche Konstruktion ist dem deutschen Recht fremd, welches nur den Nießbrauch an einzelnen Gegenständen kennt (§ 1085 BGB). Im Wege der Anpassung kann in Deutschland ein Nießbrauch an einzelnen Gegenständen entstehen, ohne dass zusätzliche Bestellvorgänge erforderlich sind, wenn die Erbfolge sich nach spanischem Recht richtet und der überlebende Ehegatte den Nießbrauch in Deutschland (an in Deutschland belegenen Gegenständen) geltend macht.3

5.96

Keine Anpassung ist dagegen notwendig, wenn ein Vermächtnisnehmer ein Vermächtnis in Deutschland geltend macht, durch das dieser unmittelbar vom Erblasser Eigentum an der vermachten Sache erlangt („Vindikationslegat“). Vindikationslegate sind in romanischen Rechtsordnungen üblich. So handelt es sich beispielweise beim Vermächtnis spanischen Rechts („legado“) um eine testamentarische Anordnung des Erblassers, durch die der Vermächtnisnehmer mit dem Tode des Erblassers automatisch Eigentümer der vermachten Sache wird (Art. 668 Código Civil). Das deutsche Erbrecht kennt eine solche Art des automatischen Vermögensübergangs im Wege der Einzelrechtsnachfolge nicht. Nach deutschem Recht erhält der Vermächtnisnehmer einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den Erben, das Vermächtnis zu erfüllen und den Vermächtnisgegenstand zu übertragen (§ 2174 BGB, „Damnationslegat“). Diesen Anspruch muss der Vermächtnisnehmer geltend machen, wenn er das Eigentum an der vermachten Sache erhalten will. Aus diesem Grund wurden Vindikationslegate in Deutschland lange Zeit nicht anerkannt, sondern in Damnationslegate angepasst. Erst kürzlich hat der EuGH4 entschieden, dass auch in Deutschland ein Vindikationslegat des polnischen Rechts anerkannt werden müsse. Dies bedeutet, dass der Vermächtnisnehmer bei einem Vindikationslegat des ausländischen Rechts automatisch mit dem Erbfall Eigentümer wird und eine dingliche Übertragung durch den Erben nicht erforderlich ist.

5.97

B. Gesetzliche Erbfolge I. Universalsukzession und Singularsukzession 1. Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge Im deutschen Erbrecht gilt der Grundsatz der Universalsukzession (Gesamtrechtsnachfolge). Nach § 1922 Abs. 1 BGB geht mit dem Erbfall das Vermögen des Erblassers als Ganzes auf den oder die Erben über. Dies bedeutet, dass alle vererblichen Rechte und Verbindlichkeiten insgesamt und ungeteilt auf den oder die Erben übergehen.5 Die Gesamtrechtsnachfolge er-

1 2 3 4 5

Schmidt in Dutta/Weber, Internationales Erbrecht, Art. 31 EuErbVO Rz. 13. Schmidt in Dutta/Weber, Internationales Erbrecht, Art. 31 EuErbVO Rz. 27. Vgl. Tiedemann, S. 109. EuGH v. 12.10.2017 – C-218/16, ECLI:EU:C:2017:755 Rz. 49 f. – Kubicka. Weidlich in Palandt79, § 1922 BGB Rz. 10; Müller-Christmann in Bamberger/Roth/Hau/Poseck4, § 1922 BGB Rz. 12; Lange, Erbrecht², § 8 Rz. 21.

Tiedemann | 251

5.98

Kap. 5 Rz. 5.98 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

folgt also in das gesamte Vermögen und nicht in einzelne Gegenstände.1 Sie vollzieht sich unmittelbar kraft Gesetzes, so dass es keinen ruhenden oder herrenlosen Nachlass gibt.2

2. Ausnahme: Sondererbfolge bei Personengesellschaften 5.99

Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt für die Nachfolge in Personengesellschaften bei Tod eines Gesellschafters.3

5.100

Sind Personengesellschaftsanteile vererblich (dazu Rz. 5.87), etwa im Fall einer einfachen oder qualifizierten Nachfolgeklausel, geht der Personengesellschaftsanteil automatisch auf den oder die Erben über, ohne dass es einer Auseinandersetzung oder Übertragung durch die Erbengemeinschaft bedarf. Die Vererbung des Personengesellschaftsanteils erfolgt im Wege einer Sonderrechtsnachfolge (Singularsukzession oder Einzelrechtsnachfolge).4 Dies bedeutet, dass die vererblich gestellte Mitgliedschaft in einer Personengesellschaft beim Tode ihres Inhabers nicht „als Ganzes“, sondern unmittelbar und geteilt ohne weiteres Dazutun an den oder die Nachfolger-Erben übergeht.5 Das Gesellschaftsrecht hat hier Vorrang vor dem Erbrecht (Rz. 5.85).

3. Ausnahme: Höferecht 5.101

Auch im landwirtschaftlichen Erbrecht, dem sog. Höferecht, kann Vermögen mittels Sondererbfolge übergehen. Gesetzliche Regelungen hierzu finden sich auf Bundes- und Länderebene.6 Das Höferecht bezweckt, dass der landwirtschaftliche Hof nebst Zubehör und Bestandteilen nur an einen Hoferben fällt.7 Dies kann sowohl im Wege der Sondererbfolge (vgl. § 4 HöfeO) als auch durch Erbauseinandersetzung erreicht werden (zur Erbauseinandersetzung Rz. 5.557 ff.).8 Ziel des Höferechts ist, den Hof im Erbfall als wirtschaftliche Einheit zu erhalten.

II. Anwendungsbereich der gesetzlichen Erbfolge 5.102

Die gesetzliche Erbfolge nach §§ 1924–1936 BGB findet Anwendung, wenn der Erblasser keinen Erben durch Verfügung von Todes wegen bestimmt hat oder die Verfügung von Todes wegen unwirksam ist.9 Sie kommt also nur subsidiär zur Anwendung.10

1 Weidlich in Palandt79, § 1922 BGB Rz. 10. 2 Weidlich in Palandt79, § 1922 BGB Rz. 10; Tersteegen in Erbrecht in Europa3, Länderbericht Deutschland Abschnitt B Rz. 8. 3 Müller-Christmann in Bamberger/Roth/Hau/Poseck4, § 1922 BGB Rz. 77 ff. 4 BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, BGHZ 108, 187 (192); BGH v. 14.5.1986 – IVa ZR 155/84, BGHZ 98, 48 (52); Müller-Christmann in Bamberger/Roth/Hau/Poseck4, § 1922 BGB Rz. 84; Weidlich in Palandt79, § 1922 BGB Rz. 17. 5 BGH v. 14.5.1986 – IVa ZR 155/84, BGHZ 98, 48 (52). 6 Die HöfeO (VOBl.Brit.Z. 1947, S. 505) gilt als partielles Bundesrecht in den Ländern Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Daneben haben Hessen, Rheinland-Pfalz, Bremen und Baden-Württemberg länderrechtliche Bestimmungen. Vgl. zur HöfeO und Höferecht der übrigen Bundesländer Lüdtke-Handjery/von Jeinsen11, Einleitung Rz. 25 ff. 7 Leipold in MüKo8, BGB, Einleitung Erbrecht Rz. 127. 8 Weidlich in Palandt79, § 1922 BGB Rz. 11, 12. 9 Große-Boymann in Burandt/Rojahn3, § 1924 BGB Rz. 1. 10 Weidlich in Palandt79, § 1922 BGB Rz. 1.

252 | Tiedemann

B. Gesetzliche Erbfolge | Rz. 5.107 Kap. 5

Wer gesetzlicher Erbe ist, bestimmt sich nach dem Verwandten- und Ehegattenerbrecht.1 Nur wenn es keinen Verwandten, Ehegatten oder Lebenspartner gibt, erbt nach § 1936 BGB der Staat.

5.103

III. Gesetzliches Erbrecht der Verwandten 1. Verwandtenerbrecht Wer gesetzlicher Erbe ist, bestimmt sich zunächst nach dem Verwandtenerbrecht.2 Durch das Verwandtenerbrecht wird eine (Erb-)Reihenfolge zwischen den Verwandten des Erblassers hergestellt.3 Dies erfolgt durch das Ordnungssystem, welches durch das Stammes-, Linien- und Gradsystem ergänzt wird.

5.104

2. Ordnungssystem Zur Bestimmung des gesetzlichen Erben werden die Verwandten des Erblassers zunächst nach dem Grad ihrer Verwandtschaft i.S.v. § 1589 Abs. 1 BGB in verschiedene Ordnungen (Parentele) eingeteilt.4

5.105

Die verschiedenen Ordnungen selbst sind in § 1924 bis § 1929 BGB geregelt. Nach § 1924 Abs. 1 BGB sind die Abkömmlinge des Erblassers (Kinder, Enkel und Urenkel etc. des Erblassers) gesetzliche Erben erster Ordnung. Erben der zweiten Ordnung sind nach § 1925 Abs. 1 BGB die Eltern des Erblassers sowie deren Abkömmlinge (Geschwister, Nichten und Neffen des Erblassers). Erben der dritten Ordnung sind nach § 1926 Abs. 1 BGB die Großeltern des Erblassers und deren Abkömmlinge (Onkel und Tanten des Erblassers). Erben der vierten Ordnung sind nach § 1928 Abs. 1 BGB die Urgroßeltern des Erblassers und deren Abkömmlinge usw.

5.106

Die Rangfolge der verschiedenen Ordnungen ergibt sich aus § 1930 BGB.5 Danach ist ein Verwandter solange von der Erbfolge ausgeschlossen, wie es einen Verwandten einer vorhergehenden Ordnung gibt. Gibt es einen Erben erster Ordnung, schließt er sämtliche Erben der zweiten Ordnung von der gesetzlichen Erbfolge aus.

5.107

1 Weidlich in Palandt79, Einleitung zu § 1922 BGB Rz. 3; Meyer-Pritzel in Staudinger: Eckpfeiler des Zivilrechts4, Abschnitt Y Rz. 18. 2 Weidlich in Palandt79, Einleitung zu § 1922 BGB Rz. 3; Meyer-Pritzel in Staudinger: Eckpfeiler des Zivilrechts4, Abschnitt Y Rz. 18. 3 Meyer-Pritzel in Staudinger: Eckpfeiler des Zivilrechts4, Abschnitt Y Rz. 18. 4 Große-Boymann in Burandt/Rojahn3, § 1924 BGB Rz. 1. 5 Lange, Erbrecht², § 21 Rz. 32.

Tiedemann | 253

Kap. 5 Rz. 5.107 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

3. Stammes-, Linien- und Gradualsystem a) Stammessystem

5.108

Ergänzt wird das Ordnungssystem bei der ersten Ordnung durch das Stammessystem. In der zweiten und dritten Ordnung spricht man vom Liniensystem. Ab der vierten Ordnung greift das Gradsystem.

5.109

In der ersten Ordnung bildet nach § 1924 Abs. 3 BGB jedes Kind des Erblassers einen Stamm. Die Kinder erben nach § 1924 Abs. 4 BGB zu gleichen Teilen. Ein lebender Abkömmling des Erblassers schließt nach § 1924 Abs. 2 BGB, die durch ihn mit dem Erblasser verwandten Abkömmlinge von der Erbfolge aus. Ist ein Abkömmling hingegen vorverstorben, so erben dessen Abkömmlinge nach § 1924 Abs. 3 BGB an seiner Stelle.

b) Liniensystem

5.110

In der zweiten und dritten Ordnung erfolgt die Erbfolge nach Linien. Die Eltern bzw. Großeltern des Erblassers bilden jeweils eine Linie, deren Nachkommen werden wiederum in Stämme eingeteilt. Leben beide Elternteile bzw. alle vier Großelternteile des Erblassers, erben sie nach §§ 1925 Abs. 2, 1926 Abs. 2 BGB zu gleichen Teilen, also zu je ½ bzw. je ¼. Sowohl die väterliche als auch die mütterliche Linie erhalten also denselben Erbteil. Lebt ein Elternbzw. Großelternteil nicht mehr, treten nach §§ 1925 Abs. 3 Satz. 1, 1926 Abs. 3 Satz 1 BGB an dessen Stelle seine Abkömmlinge. Sind keine Abkömmlinge vorhanden, erbt nach § 1925 Abs. 3 Satz 2, 1926 Abs. 3 Satz 2 BGB der noch lebende Teil allein.

254 | Tiedemann

B. Gesetzliche Erbfolge | Rz. 5.116 Kap. 5

c) Gradualsystem Ab der vierten Ordnung wird das Parentelsystem aufgegeben und auf die Gradnähe der Verwandtschaft (Gradualsystem) abgestellt.1 Leben die Urgroßeltern, so erben sie nach § 1928 Abs. 2 Satz 1 BGB allein, gegebenenfalls zu gleichen Teilen. Eine Aufteilung nach Linien erfolgt nicht. Die dem Grad nach näheren Verwandten schließen die entfernteren aus. Sind mehrere dem Grad nach gleichnahe Verwandten vorhanden, erben sie nach § 1928 Abs. 3 BGB zu gleichen Teilen.

5.111

IV. Gesetzliches Erbrecht des Ehegatten 1. Grundsatz des Ehegattenerbrechts Das Ehegattenerbrecht kommt neben dem Verwandtenerbrecht zur Anwendung, wenn der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes verheiratet ist. Im Ehegattenerbrecht gilt das Teilungsprinzip. Jedem überlebenden Ehegatten steht neben den Verwandten des Erblassers ein Teil des Vermögen zu.2 Die Höhe dieses Teils ist abhängig von der Anzahl und Ordnung der Verwandten und dem Güterstand der Ehegatten.

5.112

Unabhängig vom Güterstand erbt der überlebende Ehegatte nach § 1931 Abs. 1 BGB neben Verwandten der ersten Ordnung zu ¼ und neben Verwandten der zweiten Ordnung oder neben den Großeltern zu ½. Sind weder Verwandte der ersten oder zweiten Ordnung noch Großeltern vorhanden, so erbt der überlebende Ehegatte nach § 1931 Abs. 2 BGB allein.

5.113

2. Erhöhung bei Zugewinngemeinschaft Leben die Ehegatten im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft erhöht sich der Erbteil nach §§ 1931 Abs. 3, 1371 Abs. 1 BGB pauschal um ¼. Dabei handelt es sich um den sog. pauschalierten Zugewinnausgleich.3

5.114

3. Modifizierung bei Gütertrennung Leben die Ehegatten im Güterstand der Gütertrennung, erbt der überlebende Ehegatte nach § 1931 Abs. 4 BGB neben einem oder zwei Kindern des Erblassers zu gleichen Teilen wie das Kind bzw. die Kinder. Hat der Erblasser drei oder mehr Kinder, verbleibt es bei dem Viertel des Ehegatten (§ 1931 Abs. 1, 4 BGB).

5.115

4. Keine Modifizierung bei Gütergemeinschaft Sofern der Güterstand der Gütergemeinschaft vereinbart ist, bleibt es bei der gesetzlichen Regelung nach § 1931 Abs. 1 BGB. Denn nach § 1482 Satz 2 BGB wird der verstorbene Ehegatte nach den allgemeinen Vorschriften beerbt. Der Anteil am Gesamtgut des verstorbenen Ehegatten fällt nach § 1482 Satz 1 BGB in den Nachlass.

1 Leipold, Erbrecht22, Rz. 141. 2 Meyer-Pritzl in Staudinger: Eckpfeiler des Zivilrechts4, Abschnitt Y Rz. 22; Lange, Erbrecht², § 22 Rz. 67 . 3 Lange, Erbrecht², § 22 Rz. 74.

Tiedemann | 255

5.116

Kap. 5 Rz. 5.117 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

V. Gesetzliches Erbrecht des gleichgeschlechtlichen Partners 5.117

Das gesetzliche Erbrecht des gleichgeschlechtlichen Partners hat in letzter Zeit viele Änderungen erlebt. Am 1.8.2001 trat das Gesetz über die eingetragene Lebenspartnerschaft in Kraft. Damit wurde die Erbenstellung des gleichgeschlechtlichen Lebenspartners mit der Erbenstellung des Ehegatten weitgehend gleichgestellt. § 10 Abs. 1 und Abs. 2 LPartG entsprechen im Wesentlichen der Regelung des § 1931 BGB.1 Auch bei Lebenspartnern hängt die Höhe des Erbteils von der Anzahl der Verwandten und dem Güterstand ab.

5.118

Am 1.10.2017 trat das Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts2 in Kraft („Ehe für alle“). Die maßgebliche Änderung enthält § 1353 Abs. 1 Satz 1 BGB: „Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen“. Dieses Gesetz ermöglicht gleichgeschlechtliche Personen, die Ehe einzugehen. Die Wirkungen der Ehe sind die gleichen für hetero- und homosexuelle Ehegatten.3 Das gilt auch für die erbrechtliche Stellung des überlebenden (hetero- oder homosexuellen) Ehegatten.

5.119

Allerdings werden die Lebenspartnerschaften nach dem LPartG durch das Gesetz zur „Ehe für alle“ nicht aufgehoben. Sie bleiben bestehen, es sei denn, die Lebenspartner wandeln nach § 20a LPartG ihre eingetragene Lebenspartnerschaft in eine Ehe um.

5.120

Dies hat für das Erbrecht die Folge, dass unterschiedliche Vorschriften auf das gesetzliche Erbrecht des überlebenden Ehegatten einerseits und des überlebenden Lebenspartners andererseits Anwendung finden. Für eingetragene Lebenspartnerschaften gilt weiterhin § 10 Abs. 1 und 2 LPartG. Für eine Ehe i.S.d. § 1353 Abs. 1 BGB und das Erbrecht des Ehegatten gelten die erbrechtlichen Vorschriften der §§ 1922 ff. BGB.

VI. Nichteheliche Kinder 5.121

Durch das seit dem 1.4.1998 geltende Erbrechtsgleichstellungsgesetz4 werden eheliche Abkömmlinge und nichteheliche Kinder mittlerweile erbrechtlich grundsätzlich gleichbehandelt.

5.122

Nichteheliche Kinder, welche vor dem 1.7.1949 geboren sind, waren ursprünglich nach ihrem Vater nicht erbberechtigt (§ 1589 Abs. 2 a.F. BGB), weil sie als nicht verwandt mit ihrem Vater galten. Nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am 28.5.2009 entschieden hatte, dass diese Regelung die vor dem 1.7.1949 geborenen nichtehelichen Kinder diskriminiere, hat der Gesetzgeber diese Regelung für alle Erbfälle nach dem 29.5.2009 aufgehoben.5

5.123

Im Juli 2017 hat der BGH, nach einem vorausgegangenen Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte6, dann entschieden, dass der Ausschluss vom Erbrecht auch für Erbfälle vor dem 29.5.2009 die betroffenen Kinder diskriminiere, wenn zwischen den Beteiligten eine Nähebeziehung bestand und andere nahe gesetzliche Erben fehlen.7 1 2 3 4 5 6 7

Lange, Erbrecht², § 23 Rz. 93. BGBl. I 2017, 2787. Vgl. Knoop, NJW-Spezial 2017, 580. BGBl. I 1997, 2968. EGMR v. 28.5.2009 – 3545/04, ZEV 2009, 510. EGMR v. 23.3.2017 – 59752/13 u. 66277/13, ZEV 2017, 507. BGH v. 12.7.2017 – IV ZB 6/15, ZEV 2017, 510.

256 | Tiedemann

C. Gewillkürte Erbfolge | Rz. 5.128 Kap. 5

Bei Erbfällen vor dem 29.5.2009 muss für das Erbrecht eines vor dem 1.7.1949 geborenen nichtehelichen Kindes jeweils im Einzelfall geprüft werden, ob eine Versagung von Erbansprüchen unverhältnismäßig wäre. Dabei muss die hohe Bedeutung des Diskriminierungsverbots mit dem Vertrauensschutz der anderen Beteiligten abgewogen werden, um so festzustellen, ob eine konventionskonforme Auslegung des deutschen Rechts erforderlich ist, die zu einer erbrechtlichen Gleichstellung mit ehelichen Kindern führen würde.1

5.124

C. Gewillkürte Erbfolge I. Testierfreiheit und ihre Schranken 1. Grundsatz der Testierfreiheit Die gewillkürte Erbfolge ist Ausfluss der Testierfreiheit. Die Testierfreiheit ist ein zentrales Prinzip des deutschen Erbrechts.2 Diese Freiheit besagt, dass der Erblasser durch eine Verfügung von Todes wegen über sein Vermögen verfügen kann. Das BVerfG bezeichnet die Testierfreiheit als „bestimmendes Element der Erbrechtsgarantie“; sie ist „als Verfügungsbefugnis des Eigentümers über den Tod hinaus eng mit der Garantie des Eigentums verknüpft und genießt wie diese als Element der Sicherung der persönlichen Freiheit des Einzelnen von Verfassungs wegen besonders ausgeprägten Schutz“.3

5.125

Die Testierfreiheit ist aber nicht unbeschränkt. Der Gesetzgeber kann vorschreiben, unter welchen Voraussetzungen die Testierfreiheit ausgeübt werden darf. Beispiele dafür sind die Erreichung eines Mindestalters von 16 Jahren für die Errichtung einer Verfügung von Todes wegen (§ 2229 Abs. 1 BGB) oder die Einhaltung einer bestimmten Form.4 Auch findet die Testierfreiheit Grenzen in gesetzlichen Verboten, der Sittenwidrigkeit und im Pflichtteilsrecht (dazu Rz. 5.127 ff.).

5.126

2. Grenzen der Testierfreiheit a) Gesetzliche Verbote Eine Verfügung von Todes wegen kann aufgrund ihres Inhalts nichtig sein, wenn sie gegen ein gesetzliches Verbot verstößt (§ 134 BGB).5

5.127

In der Praxis sehr relevante Beispiele sind die Einschränkungen, welche die Heimgesetze der Länder enthalten. Dem Träger eines Alten- oder Pflegeheims ist untersagt, sich von Heimbewohnern oder Bewerbern um einen Heimplatz Geld, geldwerte Leistungen oder letztwillige Zuwendungen über das vereinbarte Entgelt hinaus versprechen oder gewähren zu lassen.6 Das gilt auch für Zuwendungen in letztwilligen Verfügungen. Das gesetzliche Verbot des § 134 BGB greift, wenn dem Heimträger die Zuwendung zu Lebzeiten des Bewohners bekannt und

5.128

1 2 3 4 5 6

Leipold, ZEV 2017, 489 (496). BGH v. 5.6.1992 – BLw 7/91, NJW 1992, 2827; Lange, Erbrecht², § 11 Rz. 1. BVerfG v. 16.10.1984 – 1 BvR 513/78, NJW 1985, 1455. Leipold, Erbrecht22, Rz. 70. Lange, Erbrecht², § 11 Rz. 37. So z.B. § 5a Abs. 1 des Hamburgischen Wohn- und Betreuungsqualitätsgesetzes (HmbWBG), HmbGVBl. 2009, Nr. 56/494.

Tiedemann | 257

Kap. 5 Rz. 5.128 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

keine behördliche Ausnahmegenehmigung eingeholt wurde.1 Das Gleiche gilt, wenn die Zuwendung sich nicht an den Heimträger, sondern an den Leiter, einen Beschäftigten oder einen sonstigen Mitarbeiter des Heims richtet.2 Diese Verbote sind jedoch nicht (analog) anwendbar auf das Verhältnis zwischen dem Betreuer und dem Betreuten3 und auf Fälle der häuslichen Pflege4. Betreuer und häusliche Pfleger können also letztwillig bedacht werden. b) Sittenwidrigkeit

5.129

Verfügungen von Todes wegen sind nichtig, wenn sie gegen die guten Sitten verstoßen (§ 138 Abs. 1 BGB). Früher wurden unter dem Begriff „gute Sitten“ Moralvorstellungen verstanden, die gesellschaftlich allgemein anerkannt waren.5 Diese Vorstellungen allein waren der Maßstab für die Sittenwidrigkeit. So wurden früher „Geliebten-Testamente“ unter dem Gesichtspunkt der „Hingabe für die Hergabe“ nach § 138 BGB als nichtig angesehen.6 Diese Betrachtungsweise hat sich aber in letzter Zeit wesentlich verändert.

5.130

Der Beurteilungsmaßstab richtet sich heutzutage in erster Linie nach rechtlichen Wertungen, wobei die Grundrechte als Werteordnung eine entscheidende Rolle spielen.7 So hat der BGH ausgeführt, dass eine Beschränkung der Testierfreiheit nach § 138 BGB nur in Betracht komme, „wenn sich das Verdikt der Sittenwidrigkeit auf eine klare, deutlich umrissene Wertung des Gesetzgebers oder allgemeine Rechtsauffassung stützen könnte“.8 Mit der neueren Rechtsprechung des BGH richtet sich der Maßstab der Sittenwidrigkeit nun überwiegend nach rechtlichen Wertungen und nur sekundär nach der (verwerflichen) Gesinnung des Erblassers.9

5.131

Für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit kommt es auf eine Gesamtwürdigung des Rechtsgeschäfts an. Dabei sind Inhalt, Wirkungen, der Beweggrund und der verfolgte Zweck der Verfügung von Todes wegen zu beachten.10 Keine Rolle spielt dagegen welche Beziehung der Erblasser zum Bedachten hatte oder was für einen Lebensstil die Beteiligten geführt haben.11

5.132

Bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit muss die Testierfreiheit vor allem mit anderen kollidierenden Grundrechten abgewogen werden. In den Hohenzollern-Entscheidungen des BGH12 und des BVerfG13 ging es um die Abwägung der Testierfreiheit mit der Eheschließungsfreiheit. Die höchsten deutschen Gerichte hatten über die Wirksamkeit einer Heiratsklausel im Erbvertrag des ehemaligen deutschen Kaisers aus dem Hause der Hohenzollern zu entscheiden. Der Erbvertrag sah vor, dass nur derjenige Vor- und Nacherbe werden konnte, 1 BayObLG v. 28.6.1991 – BReg. 1 a Z 3/90, NJW 1992, 55; BayObLG v. 19.2.1999 – 1Z BR 176-98, NJW-RR 1999, 1454. 2 Leipold, Erbrecht22, Rz. 242. 3 BayObLG v. 18.12.1997 – 1Z BR 73-97, NJW 1998, 2369. 4 OLG Düsseldorf v. 9.2.2001 – 3 Wx 350 u. 366/00, NJW 2001, 2338. 5 Leipold, Erbrecht22, Rz. 244. 6 Vgl. Leipold, Erbrecht22, Rz. 243 mit Nachweisen aus der älteren Rechtsprechung und weiteren Hinweisen in Fn. 14. 7 Leipold, Erbrecht22, Rz. 244. 8 BGH v. 20.10.1993 – IV ZR 231/92, NJW 1994, 248 (250). 9 Leipold, Erbrecht22, Rz. 244. 10 Leipold, Erbrecht22, Rz. 245. 11 OLG Frankfurt v. 27.6.1994 – 20 W 108/94, NJW-RR 1995, 265 (266). 12 BGH v. 2.12.1998 – IV ZB 19–97, BGHZ 140, 118. 13 BVerfG v. 22.3.2004 – 1 BvR 2248/01, BVerfGE 110, 141.

258 | Tiedemann

C. Gewillkürte Erbfolge | Rz. 5.137 Kap. 5

der aus ebenbürtigen Ehe stammte und selbst ebenbürtig verheiratet war. Hier hatten die Gerichte zu entscheiden, ob die Testierfreiheit des Erblassers aus Art. 14 Abs. 1 GG die Eheschließungsfreiheit des potentiellen Erben nach Art. 6 Abs. 1 GG und den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG überwiegt.1 Nach Ansicht des BVerfG sei das Recht des Erblassers, die Erben willkürlich ungleich zu behandeln, grundsätzlich von der Testierfreiheit gedeckt. Allerdings dürfe durch eine Heiratsklausel kein unzumutbarer Druck auf den potentiellen Erben ausgeübt werden, der in seine Eheschließungsfreiheit eingreifen könnte. Es sei eine Einzelfallprüfung erforderlich, bei der die Kriterien der Wert des Vermögens, die Lebenssituation der Beteiligten und die verfügbaren Heiratskandidaten seien. Die vom BVerfG entwickelte „Drucktheorie“ lässt sich auf andere Potestativbedingungen gut übertragen. Für die Gestaltung einer Unternehmensnachfolge muss beachtet werden: Sind Potestativbedingungen geeignet, in die persönliche und grundrechtlich geschützte Lebensführung eines Bedachten einzugreifen und die Entschließungsfreiheit zu beeinträchtigen, ohne dass ein sachlicher Grund vorliegt, kann dies zu einer Sittenwidrigkeit der Bedingung oder gar des ganzen Testaments führen.2 Daher sollte für jede Potestativbedingung ein sachlicher und nachvollziehbarer Grund im Testament genannt werden (z.B. Unternehmensinteresse). c) Pflichtteilsrecht Das Pflichtteilsrecht stellt ebenfalls eine (faktische) Grenze der Testierfreiheit dar, auch wenn das Pflichtteilsrecht nicht das Recht des Erblassers beschränkt, über sein Vermögen frei zu verfügen. Der Pflichtteil stellt im deutschen Recht – anders als in romanischen Rechtsordnungen – kein echtes Erbrecht dar, sondern gibt nur einen Ersatzanspruch in Geld.

5.133

Der Erblasser kann in Ausübung seiner Testierfreiheit auch enge Familienangehörige ausschließen. Im Gegenzug garantiert das Gesetz (aus rechtspolitischen Gründen) engen Familienangehörigen (den Pflichtteilsberechtigten i.S.d. § 2303 Abs. 1 BGB) eine Mindestteilhabe am Nachlass in der Form eines Geldanspruchs für den Fall, dass sie von der Erbfolge ausgeschlossen werden (s. Rz. 5.362 ff.).3

5.134

Für den Rechtsgestalter bedeutet dies, dass immer auch die Pflichtteilsrechte der nahen Angehörigen (Ehepartner, Abkömmlinge, Eltern) beachtet werden müssen. Die Pflicht zur Befriedigung von Pflichtteilsansprüchen kann dazu führen, dass wesentliche Nachlassteile veräußert werden müssen. Dies kann die beabsichtigte Nachfolgeplanung beeinträchtigen.

5.135

d) Bindungswirkung gemeinschaftlicher Testamente und Erbverträge Auch durch gemeinschaftliche Testamente oder Erbverträge kann es zur Beschränkung in der Testierfreiheit kommen. Durch die Bindungswirkung (§§ 2271 Abs. 2, 2289 Abs. 1 BGB) und eingeschränkte bzw. erschwerte Widerruflichkeit (§§ 2271 Abs. 1, 2296 BGB) wird die Testierfreiheit erheblich eingeschränkt.

5.136

Dies ist Erblassern bei der Errichtung oft nicht bewusst, insbesondere wenn das gemeinschaftliche Testament handschriftlich und ohne rechtliche Beratung aufgesetzt wurde. Daher müssen Berater immer nach früheren Testamenten und insbesondere gemeinschaftlichen

5.137

1 Zur ausführlichen Auseinandersetzung mit den Entscheidungen s. Tiedemann in FS Weber, S. 585 (588). 2 Preuß in BeckOGK, § 1922 BGB Rz. 30, 33. 3 Zur rechtspolitischen Diskussion Lange in MüKo8, § 2302 BGB Rz. 3 ff.

Tiedemann | 259

Kap. 5 Rz. 5.137 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

Testamenten und Erbverträgen fragen, um noch zu Lebzeiten formgerecht (durch notariell beglaubigte Erklärung gegenüber dem anderen Ehegatten, § 2296 BGB) widerrufen zu können.

II. Formen der Verfügung von Todes wegen 1. Zum Begriff der „Verfügung von Todes wegen“ 5.138

Das BGB stellt dem Erblasser verschiedene Instrumente zur Verfügung, die Weitergabe seines Vermögens nach dem Tod zu gestalten. Die „Verfügung von Todes wegen“ umfasst als Oberbegriff sowohl das Testament in seinen verschiedenen Ausprägungen als auch den Erbvertrag.1 Diese unterschiedlichen Formen stehen gleichwertig nebeneinander. Der Erblasser kann in ihnen Anordnungen über die Erbeinsetzung, Vermächtnisse und Auflagen treffen, aber auch andere Regelungen treffen, wie z.B. eine Testamentsvollstreckung anordnen. Sie unterscheiden sich jedoch zum Teil in ihren Formerfordernissen und in ihrer Widerruflichkeit.

2. Testament a) Rechtsnatur

5.139

Das Testament ist eine einseitige nicht empfangsbedürftige Willenserklärung des Erblassers, die erst mit seinem Tod Wirkung erlangt.2 Das Gesetz sieht verschiedene Arten zur Errichtung vor und bietet für Ehegatten und eingetragene Lebenspartner die Möglichkeit, gemeinsam ein Testament zu errichten.

5.140

Die gesetzlichen Formvorschriften der jeweiligen Testamente sind zwingend.3 Bei einem Verstoß gegen die gesetzliche Form ist das Testament nach § 125 Satz 1 BGB nichtig. b) Ordentliche und außerordentliche Testamente

5.141

Testamente in ihrer ordentlichen Gestalt i.S.d. § 2231 BGB können jederzeit errichtet und widerrufen werden. Dazu zählen das öffentliche Testament i.S.d. § 2232 BGB und das eigenhändige Testament nach § 2247 BGB.

5.142

Daneben sieht das Gesetz ausnahmsweise die außerordentlichen Testamente vor, die in bestimmten Notsituationen die Errichtung einer letztwilligen Verfügung an erleichterte Formbedingungen knüpfen (z.B. das Nottestament auf See, § 2251 BGB).4 Diese Form der Testamentserrichtung findet nur der Vollständigkeit wegen Erwähnung, da sie für die Planung der Unternehmensnachfolge in der Regel keine Rolle spielen dürfte. c) Öffentliches Testament aa) Errichtung

5.143

Das öffentliche Testament wird nach § 2232 BGB dadurch errichtet, dass der Erblasser dem Notar seinen letzten Willen erklärt oder ihm eine bereits geschriebene Erklärung offen oder verschlossen überreicht. 1 2 3 4

Weidlich in Palandt79, § 1937 BGB Rz. 2. Leipold in MüKo8, § 1937 BGB Rz. 6. Weidlich in Palandt79, § 2231 BGB Rz. 1. Lange, Erbrecht², § 15 Rz. 58.

260 | Tiedemann

C. Gewillkürte Erbfolge | Rz. 5.149 Kap. 5

bb) Vor- und Nachteile Der Vorteil dieser Art der Testamentserrichtung besteht darin, dass der Notar den Erblasser zur Rechtslage beraten kann. Außerdem stellt der Notar die Identität des Testators fest und trifft Aussagen zur Testierfähigkeit. Auch wenn der Notar regelmäßig kein Mediziner ist, so geben seine Feststellungen zur Testierfähigkeit wesentliche Anhaltspunkte. Durch die amtliche Verwahrung werden außerdem Auffindungsschwierigkeiten verhindert und Zweifel an der Echtheit eines Testaments ausgeräumt.1 Dies dient der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit.

5.144

Der Nachteil des öffentlichen Testaments liegt in den entstehenden Kosten. Für die Beurkundung durch den Notar fallen nach § 102 GNotKG Gebühren je nach Höhe des Vermögens des Erblassers an. Außerdem entstehen Gebühren für die Verwahrung des Testaments beim AG nach Nr. 12100 KV GNotKG in Höhe einer Pauschale von 75 €. Der Erblasser kann damit jedoch den Erben ggf. anfallende Kosten für einen Erbschein ersparen. Das öffentliche Testament mit Eröffnungsprotokoll ersetzt nämlich den Erbschein im Rechtsverkehr, sofern sich die Erbfolge daraus einwandfrei ersehen lässt. Dies gilt nicht nur im Grundbuchverkehr nach § 35 GBO, sondern auch allgemein im Rechtsverkehr, beispielsweise gegenüber Banken. Diese dürfen keinen Erbschein verlangen, sondern müssen sich mit dem öffentlichen Testament und dem Eröffnungsprotokoll zum Nachweis der Erbfolge zufrieden geben.2

5.145

cc) Widerruf Das öffentliche Testament kann widerrufen werden durch ein Widerrufstestament nach § 2254 BGB, durch Rücknahme aus der amtlichen Verwahrung nach § 2256 BGB sowie nach § 2258 BGB durch spätere Verfügungen von Todes wegen, die mit dem früheren Testament in Widerspruch stehen.

5.146

d) Eigenhändiges Testament aa) Errichtung Das eigenhändige Testament kann nach § 2247 Abs. 1 BGB durch eigenhändig geschriebene und unterschiebene Erklärung errichtet werden. Außerdem soll der Erblasser nach § 2247 Abs. 2 BGB angeben, an welchem Datum und an welchem Ort er das Testament errichtet hat.

5.147

bb) Vor- und Nachteile Der Vorteil des eigenhändigen Testaments ist, dass es jederzeit und ohne hemmende Kosten errichtet und geändert werden kann. Gerade junge Testatoren nutzen gern die Möglichkeit des eigenhändigen Testaments, da sie das Gefühl haben, so ohne Kosten flexibler auf ihre jeweiligen Lebenssituationen (Heirat, Kinder, Vermögensaufbau) reagieren zu können. So sollte ein Testament alle 3–5 Jahre auf die jeweilige Lebenssituation angepasst werden.

5.148

Nachteile bei eigenhändigen Testamenten ergeben sich insbesondere, wenn sie ohne Rechtsberatung errichtet werden. So hat die Praxis gezeigt, dass viele eigenhändige Testamente „am Küchentisch“ und ohne ausführliche rechtliche Beratung geschrieben werden. Dadurch kann

5.149

1 Hagena in MüKo8, § 2232 BGB Rz. 1. 2 BGH v. 7.6.2005 – XI ZR 311/04, NJW 2005, 2779.

Tiedemann | 261

Kap. 5 Rz. 5.149 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

es zu Unklarheiten hinsichtlich des Inhalts und der Bestimmung eines Schriftstücks als Testament sowie etwaiger Bindungswirkungen kommen. Außerdem ist die Gefahr der Verfälschung, des Verlusts und der Unterdrückung im Erbfall gegeben.1 Dieser Unsicherheit kann aber mit einer öffentlichen Verwahrung beim AG nach § 2248 BGB begegnet werden. cc) Widerruf

5.150

Das eigenhändige Testament kann auf die gleiche Weise widerrufen werden wie das öffentliche Testament (s. dazu Rz. 5.146). Zusätzlich kommt ein Widerruf durch Vernichtung oder Veränderung des Testaments nach § 2255 BGB in Betracht, soweit der Erblasser in der Absicht handelt, die Verfügung aufzuheben. e) Gemeinschaftliches Testament aa) Rechtsnatur

5.151

Ein gemeinschaftliches Testament ist ein einheitliches Testament, welches die Vermögensnachfolge für zwei Erbfälle regelt (s. auch Rz. 10.254 ff.).2 Eine solche Verfügung kann nur von Ehegatten (§ 2265 BGB) und von eingetragenen Lebenspartnern (§ 10 Abs. 4 Satz 1 LPartG) getroffen werden. Anderen Personen wie Verlobten, Verwandten oder Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft ist die Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments nicht erlaubt.3 bb) Form

5.152

Für das gemeinschaftliche Testament gelten im Wesentlichen die gleichen Formvorschriften wie für Einzeltestamente, mit einigen Besonderheiten, die sich aus der gemeinschaftlichen Errichtung ergeben (vgl. §§ 2265 ff. BGB). Die Form zur Errichtung eines eigenhändigen gemeinschaftlichen Testaments wird durch § 2267 BGB erleichtert. Danach ist es für die wirksame Errichtung ausreichend, wenn ein Ehegatte das Testament in der Form des § 2247 BGB aufsetzt (eigenhändig schreibt und unterzeichnet) und der andere die gemeinschaftliche Erklärung eigenhändig mitunterzeichnet.

5.153

Das gemeinschaftliche Testament braucht nicht zwingend in einer Urkunde errichtet zu werden.4 Es muss aber der Wille der Ehegatten zum Ausdruck gebracht werden, ein gemeinschaftliches Testament errichten zu wollen.5 cc) Inhalt, Berliner Testament, Einheits- oder Trennungslösung

5.154

In einem gemeinschaftlichen Testament können all diejenigen Verfügungen getroffen werden, welche die Ehegatten sonst jeweils in einem Einzeltestament getroffen hätten. Oft haben Eheleute den Wunsch, die Rechtslage nach ihrem Versterben einheitlich und aufeinander abgestimmt zu regeln. Erstellen die Ehegatten ein Testament mit dem Inhalt, dass sie sich gegen-

1 2 3 4 5

Hagena in MüKo8, § 2247 BGB Rz. 1. Leipold, Erbrecht22, Rz. 456. Weidlich in Palandt79, § 2265 BGB Rz. 2. Weidlich in Palandt79, Einführung § 2265 BGB Rz. 2. Leipold, Erbrecht22, Rz. 460.

262 | Tiedemann

C. Gewillkürte Erbfolge | Rz. 5.159 Kap. 5

seitig als alleinige Erben einsetzen und bestimmen sie bereits einen Dritten (z.B. Abkömmlinge) als Erben des Überlebenden, so kann dies verschieden ausgelegt werden. Nach der Einheitslösung (s. auch Rz. 10.282 ff.) soll der überlebende Ehegatte unbeschränkter Erbe des Erstverstorbenen werden, und der Dritte wird als Schlusserbe gesondert Erbe des Überlebenden.1 Man spricht von der Einheitslösung, da mit dem ersten Erbfall die Vermögensmassen beider Ehegatten beim Überlebenden zu einer Einheit verschmelzen.2 Ein gemeinschaftliches Testament mit einer solchen gegenseitigen Erbeinsetzung der Eheleute und der Einsetzung der gemeinsamen Kinder als Schlusserben nennt man im praktizierten juristischen Sprachgebrauch auch Berliner Testament.3 Eine solche Testamentsgestaltung wird von vielen Eheleute so gewollt, um den Überlebenden abzusichern und die Kinder zu bedenken; sie ist aber für die Unternehmensnachfolgeplanung wenig geeignet. Man sollte andere Wege finden, den Überlebenden abzusichern.

5.155

Nach der Trennungslösung (s. auch Rz. 10.289 ff.) setzen die Eheleute sich gegenseitig zu Vorerben und den Dritten (z.B. die Kinder) zu Nacherben ein (zur Vor- und Nacherbschaft s. Rz. 5.222 ff.).4 Der Dritte wird gleichzeitig als Ersatzerbe des Überlebenden (§ 2096 BGB) eingesetzt. Der Dritte wird dann Nacherbe des Erstversterbenden und (Ersatz-)Erbe des Letztversterbenden. Er erhält auf diese Weise zwei getrennte Nachlassmassen aus zwei Erbgängen.5

5.156

Viele Ehegatten sind sich dieses Unterschiedes nicht bewusst und bringen daher nicht klar zum Ausdruck, welche Gestaltung gewollt ist. Oftmals werden auch die Begriffe „Schlusserbe“ und „Nacherbe“ verwechselt. Bedeutung hat die Gestaltung z.B. im Pflichtteilsrecht, da ein gemeinsamer Abkömmling der Ehegatten nach der Einheitslösung beim Tod des Erstversterbenden Pflichtteilsansprüche geltend machen kann, ohne sein Erbrecht nach dem Letztversterbenden zu verlieren.6 Außerdem unterliegt der Ehegatte nach der Einheitslösung keinen Verfügungsbeschränkungen hinsichtlich des Nachlassvermögens. Die Ehegatten können ihre Erbfolge aber auch durch Pflichtteilsstrafklauseln für Pflichtteilsberechtigte bei der Einheitslösung7 und Befreiung von Verfügungsbeschränkungen des Vorerben im Rahmen des § 2136 BGB bei der Trennungslösung modifizieren.

5.157

Der Rechtsgestalter sollte genau differenzieren und deutlich machen, ob Einheits- oder Trennungslösung gewollt ist. Im Zweifel ist nach der Auslegungsregel des § 2269 Abs. 1 BGB das Einheitsprinzip anzunehmen.

5.158

dd) Wechselbezügliche Verfügungen und Bindungswirkung Ein wesentliches Merkmal bei gemeinschaftlichen Testamenten ist die Bindungswirkung für wechselbezügliche Verfügungen. Dabei ist nicht das gesamte Testament wechselbezüglich (und damit bindend), sondern nur einzelne Verfügungen im Testament. Die Bindungswirkung der wechselbezüglichen Verfügungen ist vielen Ehegatten nicht bewusst. Für wechselbe-

1 2 3 4 5 6 7

Weidlich in Palandt79, § 2269 BGB Rz. 10. Leipold, Erbrecht22, Rz. 463. Musielak in MüKo8, § 2269 BGB Rz. 11. Braun in Burandt/Rojahn3, § 2269 BGB Rz. 39. Leipold, Erbrecht22, Rz. 462. Musielak in MüKo8, § 2269 BGB Rz. 64. Zur Gestaltung Musielak in MüKo8, § 2269 BGB Rz. 65.

Tiedemann | 263

5.159

Kap. 5 Rz. 5.159 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

zügliche Verfügungen (§ 2270 BGB) ergeben sich Besonderheiten für den Widerruf zu Lebzeiten des anderen Ehegatten und eine Bindungswirkung nach dem Tod des erstversterbenden Ehegatten. Diese strengen Widerrufsvoraussetzungen und die Bindungswirkung ergeben sich nur für die wechselbezüglichen Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament. Nicht alle Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament sind aber wechselbezüglich.1

5.160

Der Begriff der „wechselbezüglichen Verfügung“ ist in § 2270 Abs. 1 BGB definiert: Wechselbezügliche Verfügungen sind solche Verfügungen, bei denen anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen sein würde. Zwischen den beiden Verfügungen muss ein derartiger innerer Zusammenhang bestehen, dass die eine Verfügung mit der anderen „stehen oder fallen soll“.2 Nach der Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB ist Wechselbezüglichkeit im Zweifel anzunehmen, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken oder wenn dem einen Ehegatten von dem anderen eine Zuwendung gemacht wird und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahe steht. Darüber hinaus gibt es eine Fülle von Rechtsprechung und Äußerungen im juristischen Schrifttum3, welche Indizien für oder gegen eine gewollte Wechselbezüglichkeit sprechen können: Erheblicher Altersunterschied4, unterschiedliche Vermögensverhältnisse der Ehegatten5, Sprachliche Zusammenfassung der Verfügung6 und Formulierung der Verfügung im Plural7. Für den Rechtsgestalter bedeutet dies, am besten genaue Hinweise in der letztwilligen Verfügung aufzunehmen, ob generell und wenn ja, für welche Verfügung, eine Bindung des überlebenden Ehegatten von beiden Ehegatten gewollt ist. Es gibt auch die Möglichkeit einer Öffnungsklausel, welche dem überlebenden Ehegatte beschränkte Änderungsmöglichkeiten gibt, dass dieser beispielsweise Vermächtnisse zugunsten bestimmter Personen oder in einer bestimmten Höhe aussetzen oder dass er die Erbquoten unter den Abkömmlingen verschieben darf.

5.161

Die Bindungswirkung von wechselbezüglichen Verfügungen ist vom Gesetzgeber wie folgt ausgestaltet: Zu Lebzeiten beider Ehegatten kann eine wechselbezügliche Verfügung nicht einseitig aufgehoben (§ 2271 Abs. 1 Satz 2 BGB) und nur unter erschwerten Voraussetzungen widerrufen werden (§ 2271 Abs. 1 Satz 1 BGB, dazu Rz. 5.164 ff.). Die Nichtigkeit und der Widerruf der einen (wechselbezüglichen) Verfügung hat automatisch die Unwirksamkeit der anderen zur Folge (§ 2270 Abs. Satz 2 BGB). Nach dem Tode des erstversterbenden Ehegatten können wechselbezügliche Verfügungen gar nicht mehr geändert werden (§ 2271 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 BGB). Die wechselbezüglichen Verfügungen werden nach dem Tod des Erstversterbenden bindend.8 Der Überlebende kann dann nicht mehr in Widerspruch zu den wechselbezüglichen Verfügungen testieren.

5.162

Der überlebende Ehegatte kann das Recht des Schlusserben oder Vermächtnisnehmers auch nicht durch beeinträchtigende Schenkungen vereiteln, da die erbvertraglichen Regelungen der §§ 2286-2288 BGB (s. Rz. 5.182 ff.) auf das bindend gewordene gemeinschaftliche Testa1 2 3 4 5 6 7 8

Leipold, Erbrecht22, Rz. 466. BayObLG v. 17.3.2005 – 1Z BR 106/04, FGPrax 2005, 164 (165). Vgl. Zusammenstellung bei Weidlich in Palandt79, § 2270 BGB Rz. 4 ff. BayObLG v. 24.3.1997 – 1Z BR 175/96, FamRZ 1997, 1241. OLG Hamm v. 7.11.1994 – 15 W 288/94, NJW-RR 1995, 777. BayObLG v. 4.3.1996 – 1Z BR 160/95, ZEV 1996, 188. OLG Hamm v. 7.12.2010 – 15 Wx 44/10, ZErb 2011, 111 (114). Leipold, Erbrecht22, Rz. 471.

264 | Tiedemann

C. Gewillkürte Erbfolge | Rz. 5.165 Kap. 5

ment entsprechend anzuwenden sind.1 Daher hat der Schlusserbe gegen den Beschenkten einen Anspruch auf Herausgabe des Geschenks nach § 2287 Abs. 1 BGB, wenn der überlebende Ehegatte die Schenkung in der Absicht vorgenommen hat, den Schlusserben zu beeinträchtigen. Dazu hat sich eine umfangreiche Rechtsprechung entwickelt.2 Generell kann gesagt werden, dass eine beeinträchtigende Schenkung in Betracht kommt, wenn kein lebzeitiges Eigeninteresse (z.B. Pflegeerwartung) des zukünftigen Erblassers (s. Rz. 5.184) vorliegt.3 ee) Wiederverheiratungsklausel In gemeinschaftlichen Testamenten finden sich oft sog. Wiederverheiratungsklauseln. (s. auch Rz. 10.307 f.)4 Wenn die Ehegatten sich gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt haben, wird oft vorgesehen, dass sie im Falle einer Wiederheirat das Alleinerbrecht verlieren und stattdessen nur ihren gesetzlichen Erbteil oder ein Vermächtnis erhalten sollen. Es gibt viele Spielarten einer Wiederverheiratungsklausel: So wird oft eine auflösend bedingte Vollerbschaft mit einer aufschiebend bedingten Nacherbschaft kombiniert.5 Es kann auch vorgesehen werden, dass im Fall der Wiederheirat Vermächtnisse in Höhe der gesetzlichen Erbteile an die Abkömmlinge ausgesetzt werden. Solche Wiederverheiratungsklausel sollen sicher stellen, dass der neue Ehepartner nicht über sein gesetzliches Erb- oder Pflichtteilsrecht am Vermögen des ersten und verstorbenen Ehegatten partizipiert. Stattdessen sollen die gemeinsamen Abkömmlinge der Eheleute im Fall der Wiederheirat ihren Teil am Vermögen des Erstversterbenden erhalten.

5.163

ff) Widerruf und andere Lösungsmöglichkeiten Das gemeinschaftliche Testament kann zu Lebzeiten beider Ehegatten jederzeit frei widerrufen werden (§ 2253 BGB). Haben die Ehegatten wechselbezügliche Verfügungen i.S.d. § 2270 BGB getroffen, muss der Widerruf durch notariell beurkundete Erklärung gegenüber dem Ehegatten erfolgen (§§ 2271 Abs. 1, 2296 Abs. 2 Satz 2 BGB). Wichtig ist, dass der notarielle Widerruf dem anderen Ehegatten zugehen muss. Aus Nachweisgründen empfiehlt sich – wenn der andere Ehegatte nicht beim Notartermin anwesend ist – die Zustellung des in der notariellen Urkunde enthaltenen Widerrufs per Einschreiben/Rückschein oder durch Gerichtsvollzieher. Ist der andere Ehegatte nicht mehr geschäftsfähig, muss ein Betreuer nach § 1896 BGB bestellt werden.

5.164

Der überlebende Ehegatte kann seine eigene Verfügung auch aufheben und ändern, wenn er das ihm vom Erstversterbenden Zugewendete ausschlägt (§ 2271 Abs. 2 Satz 2 BGB). Möglich ist auch die Anfechtung binnen Jahresfrist (§§ 2079 Satz 1, 2082 Abs. 1 BGB), wenn weitere Pflichtteilsberechtigte – etwa bei einer weiteren Eheschließung, Geburt eines weiteren Kindes oder Adoption – hinzugekommen sind (s. Rz. 5.180) oder wenn ein Irrtum vorliegt.6 Für bindend gewordene wechselbezügliche Verfügungen gelten die Vorschriften über die Anfechtung von Erbverträgen analog (s. Rz. 5.178 ff.).7 Im Fall der Anfechtung tritt nachträglich die ge-

5.165

1 Musielak in MüKo8, § 2271 BGB Rz. 47. 2 BGH v. 23.4.1986 – IVa ZR 97/85, NJW-RR 1987, 2; BGH v. 26.10.2011 – IV ZR 72/11, NJW-RR 2012, 207; BGH v. 28.9.2016 – IV ZR 513/15, NJW 2017, 329. 3 BGH v. 26.10.2011 – IV ZR 72/11, NJW-RR 2012, 207 (208). 4 Vgl. zu den Wiederverheiratungsklauseln Leipold, Erbrecht22, Rz. 478 ff. 5 Dazu Leipold, Erbrecht22, Rz. 480. 6 Leipold, Erbrecht22, Rz. 476. 7 Leipold, Erbrecht22, Rz. 475; Lange, Erbrecht2, § 33 Rz. 57.

Tiedemann | 265

Kap. 5 Rz. 5.165 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

setzliche Erbfolge nach dem Erstversterbenden ein; es kann auch ein früheres Testament des Erstverstorbenen wieder aufleben.1

5.166

Daneben bleibt freilich die Möglichkeit des gemeinschaftlichen Widerrufs und/oder der gemeinschaftlichen Änderung der wechselbezüglichen Verfügungen durch beide Ehegatten.2 Vgl. im Übrigen zu den Möglichkeiten der Beseitigung der Bindungswirkung auch Rz. 10.338 ff.

3. Erbvertrag a) Rechtsnatur

5.167

Der Erblasser kann auch durch den Abschluss eines Erbvertrags (§ 1941 Abs. 1 BGB) letztwillig verfügen. Als zweiseitiges Rechtsgeschäft hat der Erbvertrag im Gegensatz zum Testament eine weitgehende Bindungswirkung, welche noch stärker als die des gemeinschaftlichen Testaments ist.3

5.168

Der Erbvertrag ist ein erbrechtliches Rechtsgeschäft sui generis, auf das die schuld- oder sachenrechtlichen Bestimmungen des BGB nicht anzuwenden sind.4 Seine Rechtswirkungen entfalten sich erst mit dem Tod des Erblassers. Verfügt nur ein Vertragspartner von Todes wegen und verpflichtet sich der andere gleichzeitig zu Leistungen, wie Pflege oder Unterhaltszahlungen, so ist letzteres nur ein (schuldrechtliches) Verpflichtungsgeschäft unter Lebenden, aber nicht Inhalt des Erbvertrags i.S.d. §§ 2274 ff. BGB, auch wenn beide Abreden äußerlich in einer Urkunde zusammengefasst werden.5 b) Form

5.169

Der Abschluss des Erbvertrages durch Angebot und Annahme kann nach § 2276 Abs. 1 BGB nur zur Niederschrift eines Notars bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Teile erfolgen. Der Erblasser kann sich dabei nicht vertreten lassen (§ 2274 BGB). Anschließend wird der Erbvertrag wahlweise in besondere amtliche Verwahrung beim AG genommen (§ 344 Abs. 3, §§ 346 f. FamFG) oder beim Notar aufbewahrt (§ 34 Abs. 2, 3 BeurkG). c) Inhalt aa) Vertragschließende, Begünstigte

5.170

Der Erbvertrag kann im Gegensatz zum gemeinschaftlichen Testament nicht nur von Eheleuten, sondern von jedermann und auch von mehr als zwei Personen geschlossen werden.6

5.171

Der Erblasser kann im Erbvertrag den Vertragspartner oder einen Dritten bedenken. Ebenso ist eine gegenseitige Einsetzung der Vertragspartner i.S.d. § 2298 Abs. 1 BGB denkbar.7

1 2 3 4 5 6 7

Leipold, Erbrecht22, Rz. 477. Musielak in MüKo8, § 2271 BGB Rz. 3; Lange, Erbrecht2, § 33 Rz. 34. Weidlich in Palandt79, § 2289 BGB Rz. 1. Leipold, Erbrecht22, Rz. 495; Lange, Erbrecht2, § 17 Rz. 143. Leipold, Erbrecht21, Rz. 496; Lange, Erbrecht2, § 17 Rz. 146. Weidlich in Palandt79, § 2274 BGB Rz. 3. Lange, Erbrecht², § 17 Rz. 142.

266 | Tiedemann

C. Gewillkürte Erbfolge | Rz. 5.177 Kap. 5

bb) Verfügungen mit Bindungswirkung Von der charakteristischen Bindungswirkung des Erbvertrags werden nach § 2278 Abs. 2 BGB nur Erbeinsetzungen, Vermächtnisse, Auflagen und die Rechtswahl erfasst. Ob eine Bestimmung konkret als eine vertragsmäßige, also mit Bindungswirkung getroffene Verfügung anzusehen ist, hängt von dem Willen der Vertragsschließenden ab und ist später nur durch Auslegung zu ermitteln.1 Es empfiehlt sich eine Klarstellung über die Bindung im Erbvertrag selbst.

5.172

Jeder Erbvertrag muss mindestens eine vertragsmäßige Verfügung i.S.d. § 2278 Abs. 2 BGB enthalten, um als solcher qualifiziert werden zu können.2 Die Bindungswirkung der einzelnen vertragsmäßigen Verfügungen kann durch Änderungsvorbehalte eingeschränkt werden.3

5.173

cc) Einseitige Verfügungen Daneben können die Vertragspartner durch den Erbvertrag nach § 2299 Abs. 1 BGB auch einseitige Verfügungen von Todes wegen treffen, die nicht von der Bindung erfasst werden und dadurch einen testamentarischen Charakter aufweisen.4

5.174

d) Wirkung auf frühere oder spätere letztwillige Verfügungen Hatte der Erblasser vor Abschluss des Erbvertrags bereits ein (einseitiges) Testament errichtet, so wird dies durch den Erbvertrag aufgehoben, soweit es das Recht des Vertragserben beeinträchtigen würde (§ 2289 Abs. 1 Satz 1 BGB). Das gilt aber nicht bei gemeinschaftlichen Testamenten, soweit diese Bindungswirkung entfalten.5 Ebenso sind spätere Verfügungen von Todes wegen nach § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB insoweit unwirksam, als sie das Recht des im Erbvertrag Bedachten beeinträchtigen.

5.175

e) Aufhebung, Rücktritt Die Beseitigung einzelner Verfügungen oder des ganzen Erbvertrags kann durch einen einvernehmlichen notariellen Aufhebungsvertrag i.S.d. § 2290 BGB erreicht werden. An diesem Aufhebungsvertrag müssen sämtliche Vertragschließende, nicht aber der vertragsmäßig Bedachte, mitwirken.6 In einem Erbvertrag enthaltene Vermächtnisse und Auflagen können auch vereinfacht durch Testament des Erblassers mit (notariell beurkundeter) Zustimmung des Vertragspartners aufgehoben werden (§ 2292 BGB).7 Schließlich kann der Erbvertrag auch durch einvernehmliche Rücknahme aller Vertragschließenden aus der amtlichen oder notariellen Verwahrung aufgehoben werden (§ 2300 BGB).8

5.176

Daneben kommt ein Rücktritt in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen in Betracht: (i) wenn sich die Beteiligten im Erbvertrag einen Rücktritt vorbehalten haben (§ 2293 BGB); (ii) wenn

5.177

1 2 3 4 5 6 7 8

Weidlich in Palandt79, § 2278 BGB Rz. 2. Musielak in MüKo8, § 2278 BGB Rz. 2. BGH v. 2.12.1981 – IVa ZR 252/80, NJW 1982, 441. Lange, Erbrecht², § 17 Rz. 165. Weidlich in Palandt79, § 2289 BGB Rz. 3. Leipold, Erbrecht22, Rz. 509; Lange, Erbrecht², § 34 Rz. 69. Leipold, Erbrecht22, Rz. 510. Lange, Erbrecht², § 34 Rz. 90.

Tiedemann | 267

Kap. 5 Rz. 5.177 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

sich der Bedachte einer Verfehlung i.S.d. § 2233 BGB schuldig macht (z.B. Angriff auf das Leben des Erblassers) (§ 2294 BGB); oder (iii) wenn die vereinbarte schuldrechtliche Gegenverpflichtung aufgehoben wird (§ 2295 BGB). f) Anfechtung

5.178

Der Erblasser kann den Erbvertrag anfechten (§ 2281 BGB) und sich auf diese Weise von der Bindung des Erbvertrags befreien. Im Gegensatz zum einseitigen Testament kann der Erblasser den Erbvertrag auch selbst anfechten.1 Dies relativiert die Bindungswirkung erheblich.2

5.179

Es gelten nach § 2281 Abs. 1 BGB dieselben Anfechtungsgründe wie für das Testament, so dass insbesondere eine Anfechtung wegen eines Motivirrtums nach § 2078 Abs. 2 BGB möglich ist. So können z.B. enttäuschte Erwartungen des Erblassers über das künftige Verhalten des Bedachten oder über den harmonischen Verlauf der Ehe mit dem Bedachten einen Anfechtungsgrund bilden.3

5.180

Von hoher praktischer Bedeutung ist auch die Anfechtungsmöglichkeit wegen Übergehung eines später hinzugetretenen (und bei Abschluss des Erbvertrags noch nicht vorhandenen) Pflichtteilsberechtigten (§ 2079 Satz 1 BGB). Ein neuer Pflichtteilsberechtigter entsteht bereits, wenn der überlebende Ehepartner wieder heiratet, neue pflichtteilsberechtigte Abkömmlinge geboren oder Kinder adoptiert werden. Dabei ist unerheblich, dass der Anfechtende den Anfechtungsgrund durch Heirat oder Adoption selbst geschaffen hat4 Eine neue Eheschließung oder eine Adoption können daher eine Möglichkeit sein, um sich von einem unliebsamen Erbvertrag zu lösen.5 Für den Rechtsgestalter kann es sich – je nach Interessenlage – aus Gründen der Rechtssicherheit für das Nachfolgekonzept empfehlen, die Anfechtungsmöglichkeit im Erbvertrag auszuschließen. Dies ist grundsätzlich möglich, muss aber konkret die Umstände bezeichnen, auf die sich der Ausschluss der Anfechtung bezieht.6

5.181

Die Anfechtung muss höchstpersönlich binnen Jahresfrist ab Kenntnis des Anfechtungsgrunds erfolgen (§§ 2282 Abs. 1, 2283 BGB); sie bedarf der notariellen Beurkundung (§ 2282 Abs. 3 BGB). g) Verfügungen unter Lebenden, Unwirksamkeit Beeinträchtigender Schenkungen

5.182

Die erbvertragliche Bindung beeinträchtigt nicht das Recht des Erblassers, über sein Vermögen durch Rechtsgeschäft unter Lebenden zu verfügen (§ 2286 BGB). 1 Lange, Erbrecht², § 34 Rz. 87. 2 Leipold, Erbrecht22, Rz. 515. 3 Leipold, Erbrecht22, Rz. 515 mit Beispielen aus der Rechtsprechung; einschränkend Weidlich in Palandt79, § 2281 BGB Rz. 3; auch Deppenkämper in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 2281 BGB Rz. 2. 4 Vgl. Weidlich in Palandt79, § 2281 BGB Rz. 6; Deppenkämper in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 2281 BGB Rz. 3. 5 Vgl. aber BGH v. 3.11.1969 – III ZR 52/67, FamRZ 70, 79 (82), der darauf hinweist, dass kein Anfechtungsrecht gegeben sei, wenn der alleinige Grund für die Adoption die Schaffung eines Anfechtungsgrunds sei. 6 Vgl. Musielak in MüKo8, § 2281 BGB Rz. 17; Litzenburger in BeckOK, § 2281 BGB Rz. 13; vgl. zum Ausschluss des Anfechtungsrechts im Erbvertrag wegen Übergehung von Pflichtteilsberechtigten BGH v. 10.1.1983 – VIII ZR 231/81, NJW 1983, 2247 (2249); OLG Celle v. 29.11.1962 – 10 U 197/61, NJW 1963, 353.

268 | Tiedemann

C. Gewillkürte Erbfolge | Rz. 5.188 Kap. 5

Lebzeitige Schenkungen sind allerdings unwirksam, soweit sie den Vertragserben oder den vertragsmäßig Bedachten beinträchtigen (§ 2287 BGB) und in Beeinträchtigungsabsicht (Rz. 5.184) vorgenommen worden sind. Die Schenkungen sind nach dem Erbfall von dem Beschenkten wieder herauszugeben. Dies ist vielen Vertragschließenden oft nicht bewusst und sollte daher vom Rechtsberater ausdrücklich besprochen und geregelt werden. So gibt es die Möglichkeit, die vertragsmäßige Bindung einzuschränken, Verfügungen bis zu einer bestimmten Höhe oder an bestimmte Personen zuzulassen.

5.183

Es gibt eine umfangreiche Rechtsprechung, wann eine Beeinträchtigungsabsicht anzunehmen ist.1 Im Regelfall fehlt eine Beeinträchtigungsabsicht bei lebzeitigem Eigeninteresse des Erblassers an der Schenkung2; diese muss dann von dem Vertragserben hingenommen werden. Im Regelfall liegt lebzeitiges Eigeninteresse vor bei einer sittlichen Verpflichtung zur Schenkung, bei einer Schenkung zur Sicherung der Altersvorsorge und Pflege im Alter, oder zur Bindung einer (jüngeren) Ehefrau aus der Zweitehe.

5.184

III. Besondere Voraussetzungen für die Errichtung einer Verfügung von Todes wegen 1. Zweck Es gibt zwei (besondere) Voraussetzungen für die Errichtung einer Verfügung von Todes wegen: Der Erblasser muss testierfähig sein, und er muss seine letztwillige Verfügung höchstpersönlich errichten. Dies soll den Testierenden vor unüberlegten letztwilligen Verfügungen und vor dem Einfluss Dritter schützen. Liegt eine dieser Voraussetzungen nicht vor, ist das Testament unheilbar nichtig.3

5.185

Diese besonderen Voraussetzungen unterstreichen die Bedeutung und den hohen Stellenwert der Testierfreiheit als Ausdruck der Selbstbestimmung und die mit ihr einhergehende Verantwortung und den Schutz des Erblassers vor Beeinflussung.

5.186

2. Testierfähigkeit a) Begriff und Voraussetzungen Die Testierfähigkeit ist ein Unterfall der Geschäftsfähigkeit (§§ 104 ff. BGB) und ist in § 2229 BGB geregelt.4 Die Testierfähigkeit meint die Fähigkeit einer Person, ein Testament wirksam errichten, ändern oder aufheben zu können.5 Das deutsche Recht geht im Zweifel von der Testierfähigkeit einer Person aus: Jeder ab einem bestimmten Alter (16 Jahre) gilt so lange als testierfähig, bis das Gegenteil bewiesen ist.6 Testierunfähigkeit bildet die Ausnahme.

5.187

Das Gesetz knüpft die Testierfähigkeit an zwei Voraussetzungen. Zum einen muss der Testierende über eine gewisse geistige Reife verfügen, die ab einem bestimmten Alter vermutet

5.188

1 Vgl. ausführlich bei Deppenkämper in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 2287 BGB Rz. 8 f. 2 Ständige Rspr., vgl. z.B. BGH v. 28.9.2016 – IV ZR 513/15, NJW 2017, 329 (330) Rz. 13; BGH v. 23.4.1986 – IVa ZR 97/85, NJW-RR 1987, 2; BGH v. 26.10.2011 – IV ZR 72/11, NJW-RR 2012, 207. 3 Leipold, Erbrecht22, Rz. 277. 4 Avenarius in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 2229 BGB Rz. 1; Lange, Erbrecht², § 11 Rz. 16. 5 Weidlich in Palandt79, § 2229 BGB Rz. 1. 6 BayObLG v. 30.10.1956 – 1 Z 54/56, BayObLGZ 1956, 377 (380).

Tiedemann | 269

Kap. 5 Rz. 5.188 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

wird. Zum anderen muss er sich von der geistigen Gesundheit her in einem Zustand befinden, in dem er die Reichweite seiner letztwilligen Verfügungen begreifen kann. Ein Testament soll nur errichten können, wer selbstbestimmt handeln und eigenverantwortlich Entscheidungen treffen kann.1

5.189

Testierfähig ist nach § 2229 Abs. 1 BGB, wer das 16. Lebensjahr vollendet hat. Der testierfähige Minderjährige bedarf zur Errichtung eines Testaments nicht der Zustimmung seiner gesetzlichen Vertreter (§ 2229 Abs. 2 BGB). In der Testamentsform ist der Minderjährige jedoch eingeschränkt: Bis zum Eintritt der Volljährigkeit darf er kein eigenhändiges Testament errichten (§ 2247 Abs. 4 BGB). Dies hat den Grund, dass der Minderjährige durch die Beratung eines Notars vor unbedachten letztwilligen Verfügungen bewahrt werden soll.2 Daher kann er nicht nur kein wirksames eigenhändiges Testament verfassen, sondern darf auch kein öffentliches Testament durch Überreichung einer verschlossenen Schrift an den Notar errichten (§ 2233 Abs. 1 BGB). Stattdessen kann er nur durch Erklärung vor dem Notar oder durch Überreichung einer offenen Schrift testieren (§ 2233 Abs. 1 BGB). Einen Erbvertrag darf der Minderjährige nicht schließen (vgl. dazu Rz. 5.191).

5.190

Der Notar soll die Testierfähigkeit bei Errichtung eines öffentlichen Testaments prüfen und vermerken (§§ 11, 28 BeurkG). Wenn Zweifel an der Testierfähigkeit einer Person bestehen, ist immer ein notarielles Testament empfehlenswert. Die Feststellung des Notars ist zumindest ein Indiz für die Testierfähigkeit, wenn auch kein Beweis. Denn der Notar ist kein Mediziner. Daher empfiehlt sich eine Bestätigung des behandelnden Arztes (am besten ein Neurologe) vom gleichen oder im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Errichtung des Testaments liegenden Tag. b) Fähigkeit zum Abschluss eines Erbvertrages

5.191

Einen Erbvertrag darf der Minderjährige nicht schließen, dafür ist volle Geschäftsfähigkeit erforderlich (§ 2275 Abs. 1 BGB). Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Minderjährige im Erbvertrag letztwillige Verfügungen treffen will, nicht aber für den minderjährigen Vertragspartner eines Erbvertrags.3 Für den Vertragspartner, der durch den Erbvertrag nicht letztwillig verfügt, gelten die allgemeinen Vorschriften über die Geschäftsfähigkeit (§§ 104 ff. BGB). So kann z.B. ein Minderjähriger einen Erbvertrag mit dem Erblasser abschließen, soweit er für ihn lediglich rechtlich vorteilhaft i.S.d. § 107 BGB ist, ansonsten mit der Zustimmung seiner gesetzlichen Vertreter.

5.192

Eine gesetzliche Ausnahme galt bis zum 21.7.2017 für minderjährige Ehepartner, Lebenspartner und Verlobte (§ 2275 Abs. 2 und 3 BGB a.F.); dann musste aber deren gesetzlicher Vertreter zustimmen. Diese Vorschrift ist seit 2017 aufgehoben.4 c) Testierunfähigkeit

5.193

Testierunfähig sind Minderjährige unter 16 Jahren sowie diejenigen Personen, welche wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, Geistesschwäche oder Bewusstseinsstörung nicht in

1 2 3 4

Avenarius in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 2229 BGB Rz. 3. Leipold, Erbrecht22, Rz. 267. Leipold, Erbrecht22, Rz. 272 f. Deppenkemper in Prütting/wegen/Weinreich14, § 2275 BGB Rz. 1.

270 | Tiedemann

C. Gewillkürte Erbfolge | Rz. 5.198 Kap. 5

der Lage sind, die Bedeutung ihrer abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln (§ 2229 Abs. 4 BGB).

Eine Testierunfähigkeit ist im Nachhinein oft schwer nachzuweisen.1 Eine geistige Erkrankung des Erblassers kann zur Testierunfähigkeit führen, muss sie aber nicht. Es kommt immer darauf an, ob die Erkrankung gerade die Fähigkeit beeinträchtigt, Inhalt und Auswirkungen des Testaments zu erfassen und einen entsprechenden freien Willen zu bilden.2 Bei Altersdemenz kommt es auf die Gesamtumstände an.3 Um die Testierunfähigkeit in einem Gerichtsverfahren beweisen zu können, erfordert es ein medizinisches (psychiatrisches) Gutachten.4

5.194

3. Höchstpersönlichkeit a) Persönliche Errichtung/Keine Stellvertretung Der Erblasser kann ein Testament nur persönlich errichten (§ 2064 BGB) und einen Erbvertrag auch nur persönlich abschließen (§ 2274 BGB). Das gleiche gilt für den Widerruf eines Testaments5 und für die Aufhebung oder den Rücktritt vom Erbvertrag.6

5.195

Das schließt sowohl die gesetzliche als auch die rechtsgeschäftliche Stellvertretung bei der Abgabe von letztwilligen Willenserklärungen aus.7 Im Verbot der Stellvertretung kommen die Bedeutung und der höchstpersönliche Charakter der Testamentserrichtung zum Ausdruck.8 Der Erblasser soll die Verantwortung für die Regelung seiner Erbfolge selbst tragen.9 Überdies bestünde bei der Errichtung des Testaments durch einen Vertreter ein gesteigertes Risiko, dass die konkrete Verfügung dem wirklichen Willen des Erblassers nicht entspricht.10

5.196

Wenn der Erblasser sich dennoch vertreten lässt, so ist das vom Vertreter errichtete Testament unheilbar nichtig; eine etwaige Genehmigung führt nicht zur Wirksamkeit des durch den Vertreter errichteten Testaments.11

5.197

b) Keine Bestimmung durch Dritte Der Erblasser muss Geltung und Inhalt der letztwilligen Verfügung vollständig selbst festlegen und darf dies nicht einem Dritten überlassen.12 So darf er die Gültigkeit seines Testaments nicht von dem Willen eines anderen abhängig machen (§ 2065 Abs. 1 BGB).13 Außerdem darf er auch die inhaltlichen Bestimmungen seiner letztwilligen Verfügung nach § 2065 Abs. 2 BGB nicht einem Dritten überlassen. So darf er z.B. einem Dritten nicht die Bestimmung überlassen, wer Erbe werden soll.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

Vgl. Cording, ZEV 2010, 23 ff.; Cording, ZEV 2010, 115 ff. Avenarius in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 2229 BGB Rz. 5 f. Vgl. Schmoeckel, NJW 2016, 433 ff. Vgl. umfangreiche Hinweise bei Cording, ZEV 2010, 115 ff. Weidlich in Palandt79, § 2064 BGB Rz. 1. Weidlich in Palandt79, § 2274 BGB Rz. 2. Leipold, Erbrecht22, Rz. 277. Leipold, Erbrecht22, Rz. 277. BGH v. 18.11.1954 – IV ZR 152/54, NJW 1955, 100. Leipold, Erbrecht22, Rz. 277. Leipold, Erbrecht22, Rz. 277. Avenarius in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 2065 BGB Rz. 1; Lange, Erbrecht², § 27 Rz. 13. Avenarius in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 2065 BGB Rz. 4.

Tiedemann | 271

5.198

Kap. 5 Rz. 5.199 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

5.199

Der Erblasser kann allerdings bei aufschiebenden oder auflösenden Bedingungen einem Dritten (Schiedsgutachter) die Entscheidung über den Eintritt der Bedingung übertragen.1 Die Bedingung muss aber ausreichend konkret formuliert sein, ansonsten liegt ein Verstoß gegen das Höchstpersönlichkeitsgebot vor. Auch möglich sind sog. Potestativbedingungen, deren Eintritt vom Willen oder Handlungen des Bedachten abhängt. Entscheidend ist, dass der Erblasser seinen Willen vollständig gebildet hat und dass die Herbeiführung des Bedingungseintritts nicht beliebig ist und faktisch auf eine Vertretung im Erblasserwillen hinausläuft.2 Zulässig sind z.B. folgende Bedingungen: Nichteinforderung des Pflichtteils beim Tode des Erstversterbenden (sog. Pflichtteilstrafklausel, vgl. dazu Rz. 5.157), Heirat, Abschluss einer bestimmten Ausbildung.3 Problematisch bei Potestativbedingungen ist, dass nicht zu stark in die persönliche Lebensführung des Bedachten eingreifen und die Entschießungsfreiheit beeinträchtigen dürfen, ohne dass ein sachlicher Grund vorliegt (vgl. zur sog. Drucktheorie des BVerfG Rz. 5.132).

5.200

Ausnahmen vom Grundsatz der Höchstpersönlichkeit bestehen bei der Bestimmung eines Vermächtnisnehmers nach § 2151 Abs. 1 BGB (sog. Bestimmungs- und Verteilungsvermächtnis, vgl. Rz. 5.273 ff.): Soweit der Erblasser den Personenkreis abgrenzt, kann ein Dritter oder der Beschwerte die Person des Vermächtnisnehmers bestimmen. Auch kann der Dritte bzw. der Beschwerte bestimmen, welche Anteile (z.B. Höhe eines Geldbetrags) jeder der Vermächtnisnehmer erhalten soll (§ 2153 BGB). Hat der Erblasser lediglich den Zweck bezeichnet, kann der Dritte bzw. der Beschwerte die Leistung nach billigem Ermessen bestimmen (sog. Zweckvermächtnis, § 2156 BGB). Gleiches gilt für eine Auflage nach § 2193 BGB, deren Zweck bezeichnet wurde. Diese Möglichkeiten kann man sich beim sog. Supervermächtnis (vgl. Rz. 5.276 ff.) und beim frühzeitigen Unternehmertestament zunutze machen, bei denen ein der überlebende Ehegatte die Höhe der Vermächtnisse z.B. der gemeinsamen Kinder nach Liquiditätsgesichtspunkten oder ein Dritter den Unternehmensnachfolger nach Eignung bestimmt. Auch die Auswahl des Testamentsvollstreckers kann nach § 2198 BGB einem Dritten oder nach § 2200 BGB dem Nachlassgericht überlassen werden. Nach § 14 Abs. 3 HöfeO kann auch der überlebende Ehegatte unter den Abkömmlingen den Erben des Hofes bestimmen, soweit der Erblasser ihm eine entsprechende Befugnis durch letztwillige Verfügung erteilt hat.

5.201

Gleiches gilt für den Erbvertrag, da auf vertragsmäßige Zuwendungen und Auflagen die Vorschriften für letztwillige Zuwendungen und Auflagen entsprechende Anwendung finden (§§ 2279 Abs. 1, 2299 BGB).

IV. Inhalt der Verfügung von Todes wegen/Erbrechtliche Instrumentarien 1. Überblick über die erbrechtlichen Instrumentarien 5.202

Der Erblasser hat verschiedene erbrechtliche Instrumentarien zur Verfügung, mit denen er seine Nachfolge regeln kann und letztwillige Zuwendungen anordnen kann. Zu nennen sind zum einen die Erbeinsetzung (Rz. 5.204 ff.) und Enterbung (Rz. 5.214 ff.), zum anderen Vermächtnisse (Rz. 5.258 ff.) und Teilungsanordnungen (Rz. 5.254 ff.), Bedingungen und Auflagen (Rz. 5.282 ff.).

1 Avenarius in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 2065 BGB Rz. 5. 2 Leipold in MüKo8, § 2065 BGB Rz. 12 f. 3 Avenarius in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 2065 BGB Rz. 7.

272 | Tiedemann

C. Gewillkürte Erbfolge | Rz. 5.208 Kap. 5

Wichtig ist im deutschen Recht, dass es immer einer Erbeinsetzung bedarf. Dies ist ein grundlegender Unterschied zum anglo-amerikanischen Recht und liegt am Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge (Rz. 5.98). Viele nicht juristisch beratene Personen wenden in ihrem Testament lediglich Einzelgegenstände – wie Unternehmen, Aktien, Häuser, Auto – zu und vergessen eine echte Erbeinsetzung. Die Zuwendung von Einzelgegenständen sind im Regelfall Vermächtnisse, die – zumindest im deutschen Recht1 – keine dingliche Wirkung haben.2 Gewollt sind aber oft Erbeinsetzungen im Sinne einer Gesamtrechtsnachfolge. Daher sollte dies klar im Testament zum Ausdruck gebracht werden, wer Erbe ist, wenn nicht gesetzliche Erbfolge eintreten soll.

5.203

2. Erbeinsetzung a) Bestimmung des Erben Die Erbeinsetzung ist das zentrale inhaltliche Gestaltungsrecht des Erblassers. Die Erbeinsetzung erfolgt durch letztwillige Verfügung und ist stets auf eine Gesamtnachfolge gerichtet (Rz. 5.98). Die testamentarische Erbeinsetzung schließt – je nach Reichweite – die gesetzliche Erbfolge aus und wirkt daher wie eine Enterbung.3 Der Erblasser kann aber auch nur für einen Bruchteil seines Vermögens testamentarisch einen oder mehrere Erben einsetzen.4 Für den übrigen Teil des Vermögens bleibt es bei der gesetzlichen Erbfolge (§ 2088 BGB).

5.204

Der Erblasser kann im Testament (§ 1937 BGB) oder in einem Erbvertrag (§ 1941 BGB) einen oder mehrere Erben einsetzen. Dabei kann er auch die Erbteile (Quoten) festlegen, zu denen die Erben jeweils eingesetzt werden. Nennt der Erblasser keine Quoten, so sind mehrere Erben im Zweifel zu gleichen Teilen eingesetzt (§ 2091 BGB).

5.205

Der Erblasser sollte auch Ersatzerben bestimmen für den Fall, dass einer der eingesetzten Erben vor oder nach dem Eintritt des Erbfalls wegfällt (§ 2096 BGB). Dies betrifft die Fälle des Vorversterbens und der Ausschlagung des ursprünglich eingesetzten Erben.5 Die Anordnung einer Ersatzerbschaft soll die Anwachsung des Erbteils (§ 2094 BGB) bzw. die gesetzliche Erbfolge (§ 2088 Abs. 1 BGB) verhindern.6

5.206

Sonderformen der Erbeinsetzung ist die Anordnung einer Vor- und Nacherbfolge und die Bestimmung der Vor- und Nacherben (§ 2100 BGB, dazu Rz. 5.222 ff.).

5.207

Als Ausfluss der Testierfreiheit ist der Erblasser in der Bestimmung des oder der Erben frei und muss diese Entscheidung auch nicht begründen.7 Er darf auch Abkömmlinge ungleich behandeln.8 Eine Erbeinsetzung kann aber in seltenen Fällen wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten nach § 138 BGB unwirksam sein (Rz. 5.129 ff.).9

5.208

1 Vgl. im Gegensatz zu den Damnationslegaten im deutschen Recht die sog. Vindikationslegate in ausländischen Rechtsordnungen, dazu Rz. 5.97. 2 Weidlich in Palandt79, § 2087 BGB Rz. 8; Leipold, Erbrecht22, Rz. 351. 3 Weidlich in Palandt79, § 1937 BGB Rz. 7; Lange, Erbrecht², § 27 Rz. 1. 4 Zimmer in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 1937 BGB Rz. 23; Lange, Erbrecht², § 27 Rz. 6. 5 Weidlich in Palandt79, § 1937 BGB Rz. 1; Lange, Erbrecht², § 27 Rz. 36. 6 Avenarius in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 2096 BGB Rz. 2. 7 Zimmer in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 1937 BGB Rz. 25. 8 BVerfG v. 16.10.1984 – 1 BvR 513/78, NJW 1985, 1455. 9 Weidlich in Palandt79, § 1937 BGB Rz. 15.

Tiedemann | 273

Kap. 5 Rz. 5.209 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

b) Ermittlung des Erblasserwillens aa) Individuelle Auslegung des Testaments

5.209

Zur Bestimmung, wer Erbe geworden ist, muss das Testament nach § 133 BGB individuell ausgelegt werden, um den wirklichen Willen des Erblassers zu ermitteln. Allein entscheidend ist, was der Erblasser wollte.1 Dabei bildet der Wortlaut den Ausgangspunkt für die Ermittlung des Erblasserwillens. Daneben müssen alle auch außerhalb des Testaments liegenden Umstände ausgewertet werden.2 Dazu gehört z.B. das Verhalten des Erblassers vor und nach der Testamentserrichtung und frühere (aufgehobene) Testamente.3

5.210

Die Grenze der Auslegung ist eine Andeutung des letzten Willens des Erblassers im Testament (sog. Andeutungstheorie). Dies entspricht der ganz allgemeinen Auffassung in der Rechtsprechung.4 Im Testament muss durch irgendeine Andeutung der letzte Wille des Erblassers zum Ausdruck gebracht worden sein. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass der letzte Wille des Erblassers formwirksam erklärt wird und worden ist.5 Dies bedeutet für den Rechtsgestalter, dass möglichst viel über die Hintergründe des Testaments und den Willen des Erblassers im Testament enthalten sein sollte (z.B. in einer Präambel oder Vorbemerkung). Auf diese Weise wird eine möglicherweise später erforderlich werdende Auslegung vereinfacht. bb) Auslegungsregeln

5.211

Kommt die – vorrangige – Auslegung zu keinem eindeutigen Ergebnis, was der Erblasser gewollt hat, bestimmen gesetzliche Auslegungsregelungen, wie das Testament im Zweifel zu deuten ist. Dies muss bei Abfassung einer Testaments immer berücksichtigt werden, insbesondere wenn die Anwendung der Auslegungsregeln nicht dem Willen des zukünftigen Erblassers entspricht. Lässt der Inhalt einer letztwilligen Verfügung mehrere Auslegungsansätze zu, so bestimmt § 2084 BGB, dass derjenigen Auslegung der Vorzug zu gewähren ist, bei der die Verfügung wirksam wäre („favor testamenti“).

5.212

Die §§ 2066 ff. BGB enthalten einige Auslegungsregeln bei Unklarheit über die Person des Bedachten. Hat der Erblasser z.B. seine „Verwandten“ ohne nähere Bestimmung bedacht, so sind nach § 2067 BGB im Zweifel diejenigen gemeint, die beim Erbfall seine gesetzlichen Erben gewesen wären. Die §§ 2087 ff. BGB enthalten ebenfalls Auslegungs- und Ergänzungsregelungen (dazu Rz. 5.204 ff.). c) Auslegungsvertrag

5.213

Bei Streitigkeiten über die Auslegung eines Testaments empfiehlt sich zur Beendigung des Streits ein Auslegungsvertrag, in dem sämtliche Bedachten eine bestimmte Auslegung des Testaments festschreiben.6 Auf diese Weise können langwierige Streitigkeiten vermieden werAvenarius in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 2084 BGB Rz. 5. Avenarius in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 2084 BGB Rz. 11. BGH v. 7.10.1992 – IV ZR 160/91, NJW 1993, 256. BGH v. 8.12.1982 – IVa ZR 94/81, NJW 1983, 672 (673); BGH v. 16.1.2002 – IV ZB 20/0, NJW 2002, 1126 (1127). 5 Weidlich in Palandt79, § 2084 BGB Rz. 4. 6 Avenarius in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 2084 BGB Rz. 3 f.; Weidlich in Palandt79, § 2084 BGB Rz. 1.

1 2 3 4

274 | Tiedemann

C. Gewillkürte Erbfolge | Rz. 5.219 Kap. 5

den. Der Auslegungsvertrag wirkt zwar nur schuldrechtlich, so dass staatliche Gerichte bei einem Streit über die Erbenstellung im Erbscheinverfahren grundsätzlich nicht daran gebunden sind. Vielfach halten sich die Gerichte aber daran, wenn die Erben einig sind.

3. Enterbung a) Anordnung der Enterbung aa) Enterbung als letztwilliges Gestaltungsmittel Neben der positiven Erbeinsetzung in § 1937 BGB gestattet das Gesetz dem Erblasser in § 1938 BGB, Verwandte und Ehegatten bzw. Lebenspartner von der Erbfolge auszuschließen. Ein Ausschluss kann nach § 1938 BGB durch Testament vorgenommen werden. Außerdem kann der Erblasser durch eine einseitige Verfügung in einem Erbvertrag eine Person enterben (§ 2299 Abs. 1, 2 BGB). Als vertragsmäßige Verfügung mit Bindungswirkung ist eine Enterbung im Erbvertrag hingegen nicht möglich (§ 2278 Abs. 2 BGB).1 Und auch als wechselbezügliche Verfügung im gemeinschaftlichen Testament ist ein Ausschluss von der Erbfolge nach § 2270 Abs. 3 BGB nicht möglich.2

5.214

Die Möglichkeit zur Enterbung ist – wie die Erbeinsetzung – Ausdruck der Testierfreiheit und kann daher ebenfalls ohne Begründung erfolgen.3 Wenn eine Begründung gegeben wird, sollte sie zutreffend sein und auf zutreffenden Tatsachen beruhen; anderenfalls könnte der Enterbte möglicherweise die Enterbung anfechten.4

5.215

bb) Ausdrückliche Enterbung Die Enterbung kann auf zwei Wegen erfolgen. Der Erblasser kann entweder ausdrücklich durch letztwillige Verfügung einen oder mehrere gesetzliche Erben von der Erbfolge ausschließen. Er kann die Enterbung nach § 1938 BGB anordnen, ohne gleichzeitig den Nachlass bzw. den frei werdenden Anteil einer anderen Person zuzuwenden. Verbleiben nach der Enterbung noch (weitere) gesetzliche Erben, so werden sie Rechtsnachfolger des Erblassers.5

5.216

Enterbt der Erblasser alle gesetzlichen Erben, ohne einen gewillkürten Erben einzusetzen, so erbt der Staat nach § 1936 BGB. Das Erbrecht des Staates als Letzter in der gesetzlichen Erbfolgeordnung kann nicht ausgeschlossen werden.6

5.217

cc) Stillschweigende Enterbung Eine Enterbung ist auch stillschweigend möglich. Der Wille des Erblassers zum Ausschluss muss dann „unzweideutig zum Ausdruck kommen“7.

5.218

Der Erblasser kann beispielsweise letztwillig eine oder mehrere Personen zu seinen alleinigen Erben bestimmen und dadurch mittelbar seine gesetzlichen Erben von der Erbfolge ausschließen. Auch in der Entziehung des Pflichtteils kann eine stillschweigende Enterbung lie-

5.219

1 2 3 4 5 6 7

Zimmer in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 1938 BGB Rz. 3. OLG München v. 13.9.2005 – 31 Wx 064/05, DNotZ 2006, 132; Lange, Erbrecht², § 27 Rz. 31 . BGH v. 14.1.1965 – III ZR 131/63, NJW 1965, 584. Zimmer in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 1938 BGB Rz. 4. Leipold in MüKo8, § 1938 BGB Rz. 5. Weidlich in Palandt79, § 1938 BGB Rz. 1. BayObLG v. 7.5.1965 – 1 b Z 312/64, BayObLGZ 1965, 166 (174).

Tiedemann | 275

Kap. 5 Rz. 5.219 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

gen (Näheres zum Pflichtteilsrecht s. Rz. 5.362 ff.). Dabei kann auch eine nach den §§ 2333 ff. BGB unwirksame Pflichtteilsentziehung zum Ausdruck bringen, dass der Betroffene nichts vom Nachlass erhalten und von der Erbfolge ausgeschlossen sein soll.1 b) Wirkung der Enterbung

5.220

Die Enterbung von Verwandten oder des Ehegatten bzw. Lebenspartners hat zur Folge, dass diese von der Erbfolge ausgeschlossen werden. Sie können dann nach § 2303 BGB den Pflichtteil (Rz. 5.365) verlangen. Eine über die Enterbung hinausgehende Entziehung des Pflichtteils kann nur unter den Voraussetzungen der §§ 2333 ff. BGB erfolgen (s. Rz. 5.404 ff.).

5.221

Hat der Erblasser daneben keine anderen Erben bestimmt, wirkt sich der Ausschluss von der Erbfolge so aus, dass die gesetzliche Erbfolge ohne den Ausgeschlossenen gelten soll.2 Bei Ausschluss des Ehegatten bzw. Lebenspartners erhöhen sich die gesetzlichen Erbteile der Verwandten. Bei Ausschluss eines Verwandten der ersten drei Ordnungen wird dieser jeweils durch seine Abkömmlinge ersetzt. Beim Ausschluss aller Verwandten und des Ehegatten bzw. Lebenspartners erbt der Staat (§ 1936 BGB).

4. Vor- und Nacherbfolge a) Prinzip der Vor- und Nacherbfolge

5.222

Durch eine Vor- und Nacherbfolge kann über das Schicksal des Vermögens über den Tod des Erben hinaus – und möglicherweise über mehrere Generationen hinaus – bestimmt werden. Dies hat folgenden Hintergrund: Normalerweise regelt der Erblasser bei einer einfachen Erbeinsetzung, wer seinen Nachlass nach seinem Tod erhält. Der Erbe ist dann normalerweise frei, das Vermögen, welches er selbst geerbt hat und was bei seinem Tod noch übrig ist, seinen eigenen Erben zu hinterlassen. Auf deren Bestimmung hat der ursprüngliche Erblasser wegen der Testierfreiheit seines Erben aber keinen Einfluss. Er kann also über seinen eigenen Tod hinaus grundsätzlich nicht bestimmen, wem sein Vermögen in fernerer Zukunft zufallen soll. Dem kann mit der Anordnung einer Vor- und Nacherbfolge entgegengewirkt werden. Sie ermöglicht es dem Erblasser, den Bestand seines Vermögens als Einheit über seinen Tod hinaus zu garantieren und seine Weitergabe zu gestalten.3

5.223

Bei einer Vor- und Nacherbfolge bestimmt der Erblasser zunächst einen Vorerben, der sein Vermögen für eine bestimmte Zeit (meistens die gesamte Lebenszeit des Vorerben) erhalten soll, und zugleich einen Nacherben, welcher das Vermögen nach Bedingungseintritt (meistens Tod des Vorerben erhalten soll (§§ 2100 ff. BGB). Ab Eintritt des vom Erblasser bestimmten Zeitpunkts oder Ereignisses (Bedingungseintritt) fällt das Vermögen schließlich nach § 2139 BGB an den Nacherben. Durch diese Nachlassgestaltung kann der Erblasser erreichen, dass der Vorerbe zu Lebzeiten finanziell abgesichert ist, bevor das Vermögen schließlich an den oder die eigentlich gewollten (Nach-)Erben übergeht.4 Gleichzeitig kann der Erblasser auf diese Weise die Erben und Pflichtteilsberechtigte des (Vor-) Erben ausschalten bzw. sicher stellen, dass diese nichts von seinem ursprünglichen Vermögen erhalten.

1 2 3 4

BayObLG v. 30.11.1995 – 1Z BR 86/95, NJW-RR 1996, 967 (968). Zimmer in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 1938 BGB Rz. 6. Leipold, Erbrecht22, Rz. 668. Zimmer in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 2100 BGB Rz. 23.

276 | Tiedemann

C. Gewillkürte Erbfolge | Rz. 5.227 Kap. 5

b) Sondervermögen Der Nachlass fällt mit dem Erbfall zunächst an den Vorerben. Dort verbleibt das Nachlassvermögen als Einheit und wird zu Sondervermögen in der Hand des Vorerben.1 Es muss getrennt gehalten werden und soll sich nicht mit dem Eigenvermögen des Vorerben vermischen.2 Dies ist bei Immobilien und körperlichen Gegenständen unproblematisch. Problematisch wird es bei Geld, wenn dies nicht separat gehalten und mit dem Eigenvermögen des Erben vermischt wird.3 Dann muss der Nacherbe beweisen, welches Geld der Nacherbschaft unterliegt.4

5.224

c) Befreite/Nicht befreite Vorerbschaft Das Gesetz unterscheidet zwischen der befreiten und nicht befreiten Vorerbschaft (§ 2136 BGB). In der deutschen Rechtspraxis ist die befreite Vorerbschaft als Gestaltungsmittel weit verbreitet. Bei der nicht befreiten Vorerbschaft kann der Vorerbe nur die Früchte ziehen und den Stamm des Vermögens nicht verbrauchen (§§ 2111, 2130, 2133, 2134 BGB). Bei der befreiten Vorerbschaft kann der Vorerbe auch den Stamm des Vermögens verbrauchen und muss nur das übrig Gebliebene an den Nacherben herausgeben (§§ 2136, 2137 BGB, s. zu den Befreiungen auch Rz. 5.239).5

5.225

Bei der befreiten Vorerbschaft sind weitgehende Befreiungen möglich, von denen sich die meisten auf die Verwaltungsbeschränkungen und -anordnungen beziehen.6 Die Befreiungsmöglichkeiten sind in § 2136 BGB abschließend aufgezählt, eine weitergehende Befreiung ist nicht möglich.7 Die Verfügungsbeschränkung hinsichtlich unentgeltlicher Verfügungen (§ 2113 Abs. 2 BGB) gilt daher sowohl für den befreiten als auch für den nicht befreiten Vorerben: Weder der befreite noch der nicht befreite Vorerbe darf daher unentgeltlich verfügen . Der Erblasser kann den Vorerben aber umgekehrt über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus beschränken.8 So kann der Erblasser dem Vorerben Vermächtnisse zugunsten des Nacherben auferlegen oder sogar sein Nutzungs- und Fruchtziehungsrecht einschränken oder entziehen.9 Die Verwaltung des Nachlasses kann sowohl bei der befreiten als auch bei der nicht befreiten Vorerbschaft einem Testamentsvollstrecker übertragen werden.10

5.226

d) Anordnung der Vor- und Nacherbfolge aa) Anordnung durch letztwillige Verfügung Die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft stellt eine Erbeinsetzung i.S.d. §§ 1937, 1941 Abs. 1 BGB dar. Sie kann durch Testament oder Erbvertrag erfolgen.11 Ob der Erblasser in seiner letztwilligen Verfügung eine Vor- und Nacherbschaft anordnen wollte, ist durch Aus1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Weidlich in Palandt79, § 2100 BGB Rz. 2. Weidlich in Palandt79, § 2100 BGB Rz. 10. Lieder in MüKo8, § 2111 BGB Rz. 26. Lieder in MüKo8, § 2111 BGB Rz. 5. Weidlich in Palandt79, § 2137 BGB Rz. 1. Vgl. Mayer, ZEV 2000, 1 ff. Lieder in MüKo8, § 2136 BGB Rz. 1. Weidlich in Palandt79, § 2136 BGB Rz. 1. Weidlich in Palandt79, § 2136 BGB Rz. 1. BayObLG v. 10.4.1959 – 1 Z 178/58, BayObLGZ 1959, 128. Lieder in MüKo8, § 2100 BGB Rz. 9.

Tiedemann | 277

5.227

Kap. 5 Rz. 5.227 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

legung zu ermitteln. Die Worte Vor- und Nacherbschaft brauchen dabei nicht verwendet zu werden. Es ist ausreichend, wenn der Wille deutlich wird, das Vermögen zunächst dem Vorerben und dann dem Nacherben zuwenden zu wollen.1 bb) Person des Vor- und Nacherben

5.228

Der Erblasser muss neben der Anordnung der Vor- und Nacherbfolge grundsätzlich auch die jeweilige(n) Person(en) des Vor- und Nacherben benennen. Bei einer generationenübergreifenden Nachfolgeplanung werden oftmals die Abkömmlinge des Vorerben zu Nacherben bestimmt.2 Die Bestimmung „Abkömmlinge“ ist grundsätzlich ausreichend, weil sie bestimmbar sind.3 Die Abkömmlinge müssen zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers noch nicht leben (vgl. § 2101 Abs. 1 BGB), aber zum Zeitpunkt des Bedingungseintritts (Tod des Vorerben) bereits gezeugt sein.4

5.229

Die §§ 2104, 2105 BGB ergänzen hilfsweise unvollständige letztwillige Verfügungen, in denen zwar die Anordnung einer Vor- und Nacherbfolge enthalten ist, aber nicht die Person des Vor- oder des Nacherben. Ist nur der Vorerbe benannt, so sind nach § 2104 BGB die gesetzlichen Erben des Erblassers als Nacherben berufen. In gleicher Weise wird die Verfügung nach § 2105 BGB ergänzt, wenn der Erblasser lediglich den Nacherben bestimmt hat.

5.230

Die Bestimmung eines Vor- oder Nacherben kann nach § 2065 BGB keinem Dritten überlassen werden. Es ist aber mit § 2065 Abs. 2 BGB vereinbar, wenn der Erblasser den Vorerben durch letztwillige Verfügung ermächtigt, den Nacherben aus einem durch den Erblasser bestimmten Personenkreis auszuwählen.5 cc) Gestaffelte Nacherbfolge

5.231

Der Erblasser kann auch seine Nachfolge über mehrere Generationen regeln und gestaffelt mehrere Nacherben hintereinander bestimmen (sog. „Gestufte oder Gestaffelte Nacherbfolge“, auch „Weitere Nacherbfolge“ genannt).6 Dabei ist jeder Nacherbe gleichzeitig Vorerbe des weiteren Nacherben.7 Solche gestaffelten Nacherbfolgen finden sich z.B. in den Nachfolgeregelungen vermögender Familien, die über mehrere Generationen das Vermögen in der Familie erhalten wollen. Auch fanden sich solche gestaffelten Nacherbfolgen bei ehemals adliger Familien in Deutschland, die auf diese Weise die (abgeschafften) Fideikommiss-Regeln aufrechterhalten wollten.8

5.232

Das Gesetz beschränkt diese Möglichkeit jedoch in zeitlicher Hinsicht. Die Einsetzung eines Nacherben wird nach § 2109 Abs. 1 Satz 1 BGB grundsätzlich 30 Jahre nach dem Erbfall unwirksam, wenn sie bis dahin nicht eingetreten ist. Eine wichtige Ausnahme von dieser Regelung ist in § 2109 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB normiert. Soll die Nacherbfolge mit dem Tod des Vorerben eintreten, so bleibt die Nacherbeneinsetzung danach auch über 30 Jahre hinweg 1 2 3 4 5 6 7 8

Lieder in MüKo8, § 2100 BGB Rz. 12. Leipold, Erbrecht22, Rz. 673. Leipold in MüKo8, § 2084 BGB Rz. 44. Lieder in MüKo8, § 2100 BGB Rz. 18. OLG Hamm v. 17.8.1972 – 15 W 163/72, OLGZ 1973, 103. Leipold, Erbrecht22, Rz. 673. Weidlich in Palandt79, § 2100 BGB Rz. 1. Vgl. Tiedemann in FS Weber, S. 585 (587).

278 | Tiedemann

C. Gewillkürte Erbfolge | Rz. 5.237 Kap. 5

wirksam, sofern der Vorerbe beim Tod des Erblassers bereits gelebt hat. Beispiel: Lebte zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers der Enkel des Erblassers bereits, so wird dieser Nacherbe nach dem Kind des Erblassers und zugleich Vorerbe nach seinen eigenen Kindern (den Urenkeln des Erblassers).1 Die Nacherbfolge endet im Beispielsfall bei den Urenkeln des Erblassers, in deren Hand das Vermögen zu frei vererblichem Vermögen wird. Auf diese Weise ist – je nach Fallgestaltung – möglich, das Vermögen über 4-5 Generationen über die Vor- und Nacherbfolge zu vererben. e) Eintritt des Nacherbfalls Der Erblasser kann das für den Nacherbfall maßgebliche Ereignis (Bedingungseintritt) frei bestimmen. In vielen Fällen wird dies der Tod des Vorerben sein.2 Dieser markiert auch nach 2106 Abs. 1 BGB den Eintritt der Nacherbfolge, falls der Erblasser in seiner letztwilligen Verfügung keinen Zeitpunkt oder kein Ereignis bestimmt hat.

5.233

Weitere Beispiele für den Eintritt des Nacherbfalls sind die Geburt des Nacherben, die Erreichung eines bestimmten Alters des Nacherben oder der Abschluss einer Ausbildung. Der Erblasser kann den Nacherben auch unter einer Bedingung oder Befristung einsetzen.3

5.234

Die Nacherbfolge kann auch für den Fall angeordnet werden, dass der überlebende Ehegatte erneut eine Ehe eingeht.4 Das Prinzip der Nacherbfolge wird damit in den in gemeinschaftlichen Testamenten oder Erbverträgen oft verwendeten Wiederverheiratungsklauseln (Rz. 5.163) genutzt. Bedingungseintritt für den Anfall der Nacherbschaft ist die (Wieder-) Verheiratung des überlebenden Ehegatten.5

5.235

f) Rechtsstellung des Vorerben aa) Verhältnis zum Erblasser Der Vorerbe wird mit dem Tod des Erblassers dessen Erbe. Er rückt als sein Nachfolger unmittelbar in dessen Rechtsstellung ein und wird Eigentümer des Nachlasses.6 Der Nachlass stellt jedoch ein Sondervermögen (Rz. 5.224) dar, das rechtlich vom übrigen Vermögen des Vorerben zu trennen ist. Für dieses Sondervermögen hat er Nutzungs- und Verwaltungsrechte.7

5.236

bb) Verfügungsbeschränkungen Der Vorerbe kann nach § 2112 BGB grundsätzlich über die Nachlassgegenstände verfügen. Das Wesen der Vor- und Nacherbfolge liegt jedoch in der Erhaltung und Weitergabe des Nachlasses an den Nacherben.8 Daher normieren die §§ 2113 ff. BGB Ausnahmetatbestände, nach denen der Vorerbe in seinem Verfügungsrecht beschränkt ist.

1 2 3 4 5 6 7 8

Vgl. auch Beispiele bei Lieder in MüKo8, § 2109 BGB Rz. 6. Leipold, Erbrecht22, Rz. 669. Zimmer in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 2100 BGB Rz. 34. Leipold, Erbrecht22, Rz. 669. Weidlich in Palandt79, § 2269 BGB Rz. 16. Lieder in MüKo8, § 2100 BGB Rz. 31. Zimmer in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 2100 BGB Rz. 47. Leipold, Erbrecht22, Rz. 674.

Tiedemann | 279

5.237

Kap. 5 Rz. 5.238 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

5.238

Die wichtigsten Beschränkungen enthält § 2113 BGB. Nach Abs. 1 ist es dem Vorerben untersagt, über ein zur Erbschaft gehörendes Grundstück zu verfügen, soweit die Verfügung das Recht des Nacherben an dem Grundstück in seiner konkreten Gestalt vereiteln oder beeinträchtigen würde. Eine Verfügung wider diese Vorschrift wird mit Eintritt des Nacherbfalls absolut unwirksam.1 Gleiches gilt nach § 2113 Abs. 2 BGB für die unentgeltliche Verfügung über Erbschaftsgegenstände, soweit es sich dabei nicht um die Erfüllung einer Schenkung handelt, die auf einer sittlichen Pflicht beruht. Der Erwerber wird in beiden Fällen durch § 2113 Abs. 3 BGB geschützt. Danach kann er durch eine entsprechende Anwendung der §§ 932, 892 BGB Gegenstände, die zur Nacherbschaft gehören, wirksam erwerben, soweit er gutgläubig ist.

5.239

Der Erblasser kann den Vorerben durch letztwillige Verfügung über die gesetzlichen Pflichten hinaus weiter beschränken.2 Er kann die Rechtsstellung des Vorerben aber auch verbessern, indem er ihn nach § 2136 BGB von bestimmten Beschränkungen befreit (sog. befreite Vorerbschaft, s. dazu Rz. 5.225). cc) Prinzip der Surrogation

5.240

Ein wesentliches Merkmal der Vor- und Nacherbschaft ist das Prinzip der Surrogation nach § 2111 BGB: Was der Vorerben aufgrund eines zur Vorerbschaft gehörenden Gegenstandes erhält, z.B. als Ersatz für Zerstörung, oder mit Mitteln der Vorerbschaft erwirbt, gehört automatisch wiederum zur Vorerbschaft und ist beim Eintritt des Nacherbfalls an den Nacherben herauszugeben.3 Dieses Prinzip wird insbesondere relevant bei (mehrfacher) Veräußerung von Nachlassgegenständen und Erwerb von neuem Vermögen mit dem Veräußerungserlös.

5.241

Die Darlegungs- und Beweislast, ob Gegenstände durch Surrogation zum nacherbengebundenen Nachlass gehören und beim Nacherbfall herauszugeben sind, obliegt den Nacherben.4 g) Rechtsstellung des Nacherben aa) Verhältnis zum Erblasser und Vorerben

5.242

Der Nacherbe wird ebenfalls Erbe des Erblassers.5 Der Nacherbe beerbt zivilrechtlich nicht den Vorerben, sondern den Erblasser.6 Steuerrechtlich gilt dies aber nicht: Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 ErbStG gilt im Nacherbfall das Vermögen als vom Vorerben erworben.

5.243

Der Nacherbe erhält beim Nacherbfall nur das sich beim Vorerben befindliche Sondervermögen, das aus dem Nachlass des Erblassers stammt.7 Über das sonstige Vermögen des Vorerben kann dieser unabhängig letztwillig verfügen.8

1 2 3 4 5 6 7 8

Leipold, Erbrecht22, Rz. 674. Weidlich in Palandt79, § 2136 BGB Rz. 1. Leipold, Erbrecht22, Rz. 677. BGH v. 29.6.1983 – IVa ZR 57/82, NJW 1983, 2874; Leipold, Erbrecht22, Rz. 678. Weidlich in Palandt79, § 2100 BGB Rz. 1. Lieder in MüKo8, § 2100 BGB Rz. 1. Leipold, Erbrecht22, Rz. 670. Leipold, Erbrecht22, Rz. 670.

280 | Tiedemann

C. Gewillkürte Erbfolge | Rz. 5.250 Kap. 5

bb) Vor Eintritt des Nacherbfalls Vor Eintritt des Nacherbfalls ist der Nacherbe zwar noch nicht Erbe geworden, doch die Erbschaft steht bereits so sicher in Aussicht, dass er ein Anwartschaftsrecht innehat.1 Über dieses kann er schon vor dem Nacherbfall verfügen, es z.B. veräußern.2

5.244

Eine Übertragung des Nacherbenanwartschaftsrechts wirkt sich so aus, dass der Erwerber voll in die Rechtsstellung des Nacherben eintritt. Dies bedeutet: Mit dem Nacherbfall fällt der Nachlass dem Erwerber ohne Durchgangserwerb des eigentlich eingesetzten Nacherben an.3

5.245

cc) Nach Eintritt des Nacherbfalls Mit dem Eintritt des Nacherbfalls geht die Erbschaft nach § 2139 BGB automatisch auf den Nacherben über. Dem Nacherben steht ab dem Nacherbfall ein Herausgabeanspruch gegen den Vorerben nach § 2130 BGB zu. Ist die Nacherbfolge durch dessen Tod eingetreten, richtet sich der Anspruch als Nachlassverbindlichkeit gegen die Erben des Vorerben.4

5.246

Im Gegensatz zum (Vor-)Erbfall geht mit dem Nacherbfall der Besitz nicht automatisch auf den Nacherben über, da die Gegenstände, die der Vorerbe in seinem Besitz hatte, bereits automatisch nach § 857 BGB auf dessen persönliche Erben übergehen.5

5.247

Der Nacherbe muss nachweisen, was zur Nacherbschaft gehört.6 Darin liegt auch eine Schwachstelle der Vor- und Nacherbschaft. Denn bei einer befreiten Vorerbschaft und einer Vermischung von Vorerben- und Nacherbenvermögen kann der Nachweis schwierig werden. Das gilt insbesondere im Fall der Vermischung von Geld und bei mehrfacher Veräußerung von Nachlassgegenständen, wo die Surrogation schwer nachzuweisen ist.

5.248

In den Fällen der §§ 2130–2134 BGB hat der Nacherbe außerdem Schadens- oder Wertersatzansprüche gegen den Vorerben bzw. dessen Erben, wenn der Vorerben gegen seine Pflichten zur ordnungsgemäßen Verwaltung verstoßen hat.

5.249

h) Praktische Hinweise Es gibt verschiedene Gründe für die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft7: (1) Sicherung und Erhaltung des Vermögens über die nachfolgende Generation; (2) Finanzielle Absicherung des Vorerben und Zuwendung der Nutzungen des Nachlasses an den Vorerben, (3) Durchsetzung eigener Interessen und des eigenen Willens durch Bestimmung über das Schicksal seines Vermögens über den eigenen Tod hinaus („Regieren mit kalter Hand“) sowie (4) Verringerung von Pflichtteilsansprüchen beim Vorerben durch Verminderung des frei vererblichen Nachlasses in der Hand des Vorerben (insbesondere bei Patchwork-Situationen von Bedeutung).

1 2 3 4 5 6 7

Weidlich in Palandt79, § 2100 BGB Rz. 12. Lieder in MüKo8, § 2100 BGB Rz. 51. Lieder in MüKo8, § 2100 BGB Rz. 62. Weidlich in Palandt79, § 2130 BGB Rz. 1. Lieder in MüKo8, § 2100 BGB Rz. 80. BGH v. 29.6.1983 – IVa ZR 57/82, NJW 1983, 2874; Leipold, Erbrecht22, Rz. 678. Gierl in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2100 BGB Rz. 3.

Tiedemann | 281

5.250

Kap. 5 Rz. 5.251 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

5.251

So erfreut sich die Vor- und Nacherbschaft seit vielen Jahren einer großen Beliebtheit. Sie wird oft als Gestaltungsmittel zur Absicherung des überlebenden Ehegatten (sog. Trennungslösung, s. Rz. 5.156) oder zum Ausschluss unliebsamer Schwiegerkinder verwendet. Ein weiterer Vorteil ist bei einer gestaffelten Vor- und Nacherbfolge über mehrere Generationen auch die Ausschaltung des Pflichtteilsrechts bei den weiteren Nacherben. Denn ein Pflichtteilsanspruch besteht nur beim ersten Erbfall (§ 2306 BGB).1

5.252

Die Bedeutung der Vor- und Nacherbfolge relativiert sich jedoch durch folgende Erwägungen: Gerade bei Ehegatten spielt oft das Vertrauen in den überlebenden Ehegatten eine große Rolle, dass dieser die Nachfolge im Sinne beider Ehegatten regeln wird. Der überlebende Ehegatte ist bei der Einheitslösung (Rz. 5.155) flexibler, insbesondere wenn keine oder nur eine eingeschränkte Bindungswirkung besteht. Dann hat der Überlebende die Möglichkeit, einen geeigneten Nachfolger auszusuchen. Das gilt insbesondere auch dann, wenn noch kein geeigneter Unternehmensnachfolger feststeht.

5.253

Auch bewährt sich die Vor- und Nacherbfolge hauptsächlich bei großem nicht-volatilem Vermögen (beispielsweise großem Immobilien- und land- oder forstwirtschaftlichem Vermögen), welches im Nacherbfall leicht identifizierbar ist. Bei volatilem Vermögen, welches einfach zu verkaufen ist, und insbesondere bei Geld ist oftmals der Nachweis der Zugehörigkeit zum nacherbengebundenen Vermögen schwierig. Dann kann der Zweck der Vor- und Nacherbfolge, nämlich Weitergabe des Vermögens an den Nacherben, nur noch schwer erfüllt werden.

5. Teilungsanordnung a) Anordnung

5.254

Der Erblasser kann seine Erben durch letztwillige Verfügung nicht nur auf bestimmte Quoten einsetzen. Er kann nach § 2048 Satz 1 BGB auch konkret bestimmen, wie sein Vermögen unter den Miterben aufgeteilt werden soll. Eine solche Teilungsanordnung ist Ausdruck der Testierfreiheit und hat deshalb eine so hohe Bedeutung, weil die Sondererbfolge in einzelne Gegenstände nach dem BGB grundsätzlich nicht möglich ist.2 Eine Ausnahme gilt nur bei Personengesellschaftsanteilen und im Höferecht (vgl. Rz. 5.99 ff.). b) Wirkung

5.255

Die Teilungsanordnung hat keine dingliche Wirkung.3 Trifft der Erblasser für den gesamten Nachlass oder für bestimmte Gegenstände eine Teilungsanordnung, so erhalten beim Erbfall zunächst alle Miterben Miteigentum an den jeweiligen Gegenständen. Erst im Rahmen der Erbauseinandersetzung ist die Erbengemeinschaft verpflichtet, dem bedachten Miterben den betreffenden Gegenstand zukommen zu lassen.

5.256

Eine Teilungsanordnung hat dabei auf die Höhe der Erbquoten keinen Einfluss.4 Ein durch Teilungsanordnung zugedachter Vermögensgegenstand wird bei der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft wertmäßig auf den Erbteil des Begünstigten angerechnet. Kommt dem durch Teilungsanordnung zugewendeten Vermögensgegenstand ein höherer Wert zu, als 1 Musielak in MüKo8, § 2269 BGB Rz. 63; Otte in Staudinger, § 2074 BGB Rz. 44; s. auch Tiedemann in FS Weber, S. 585 (593). 2 Ann in MüKo8, § 2048 BGB Rz. 1. 3 Leipold, Erbrecht22, Rz. 749. 4 BGH v. 28.1.1987 – IVa ZR 191/85, FamRZ 1987, 475 (476).

282 | Tiedemann

C. Gewillkürte Erbfolge | Rz. 5.261 Kap. 5

dem Erben nach seiner Quote zusteht, muss der Erblasser ihm gleichzeitig eine entsprechende Ausgleichspflicht gegenüber den Miterben auferlegen.1 Wollte der Erblasser den bedachten Erben hingegen durch eine zusätzliche Zuwendung gegenüber seinen Miterben wertmäßig begünstigen, so liegt in der Zuweisung des Gegenstandes ein Vorausvermächtnis (s. Rz. 5.268). Die Abgrenzung, ob ein Vorausvermächtnis oder eine Teilungsanordnung gewollt ist, kann im Einzelfall schwierig sein.2 Daher empfiehlt es sich für den Rechtsgestalter, genau zu regeln, ob der zugewendete Gegenstand auf den Erbteil angerechnet werden soll oder nicht.

5.257

6. Vermächtnis a) Rechtsnatur des Vermächtnisses Der Erblasser hat nicht nur die Möglichkeit, sein Vermögen als Ganzes oder Quoten davon zu vererben. Er kann auch einzelne Gegenstände – wie Immobilien, Aktien, Unternehmen – bestimmten Personen zuwenden. Die Zuwendung einzelner Gegenstände wird als Vermächtnis bezeichnet.3 Ein Vermächtnis wird in § 1939 BGB als Zuwendung eines Vermögensvorteils definiert, ohne dass der Erblasser den Bedachten als Erben einsetzen muss. Vermächtnisse können in einem Testament oder durch Erbvertrag angeordnet werden. Gegenstand eines Vermächtnisses können nicht nur Sachen, sondern auch Rechte (Nießbrauch, Wohnrecht, Rentenanspruch) sein.

5.258

Der durch ein Vermächtnis zugewandte Vermögensgegenstand geht nach deutschem Recht nicht unmittelbar durch den Erbfall auf den Bedachten zu. Der Begünstigte erlangt stattdessen einen Anspruch auf Übertragung des vermachten Vermögensgegenstandes gegen den mit dem Vermächtnis Beschwerten (sog. Damnationslegat4).5

5.259

Als Beschwerten kann der Erblasser den oder die Erben oder einen anderen Vermächtnisnehmer einsetzen (§ 2147 Satz 1 BGB). Hat er nicht näher bestimmt, wer mit dem Vermächtnis beschwert sein soll, so ist der Erbe zu dieser Leistung verpflichtet (§ 2147 Satz 2 BGB). Ist durch Auslegung nicht eindeutig zu ermitteln, ob der Erblasser den Begünstigten zum Erben oder lediglich als Vermächtnisnehmer einsetzen wollte, gelangt die Auslegungsregel des § 2087 Abs. 2 BGB zur Anwendung. Danach hat der Erblasser den Bedachten im Zweifel dann nicht als Erbe eingesetzt, wenn er ihm nur einzelne Gegenstände zuwendet. Daher sollte bei der Gestaltung einer letztwilligen Verfügung ausdrücklich geregelt werden, wer als Vermächtnisnehmer und wer als Erbe eingesetzt wird.

5.260

b) Arten von Vermächtnissen aa) Bedingtes oder befristetes Vermächtnis Der Anspruch des Vermächtnisnehmers entsteht grundsätzlich mit dem Erbfall (§ 2176 BGB). Ein Vermächtnis kann aber auch unter einer aufschiebenden Bedingung oder Befris-

1 BGH v. 23.9.1981 – IVa ZR 185/80, BGHZ 82, 274 (279). 2 Vgl. umfangreiche Stellungnahmen im juristischen Schrifttum bei Flechtner in Burandt/Rojahn3, § 2048 BGB Rz. 21 ff. 3 Lange, Erbrecht², § 28 Rz. 60. 4 Im Gegensatz dazu die Vindikationslegate der romanischen Rechtsordnungen, s. Rz. 6.97. 5 Weidlich in Palandt79, § 1939 BGB Rz. 3.

Tiedemann | 283

5.261

Kap. 5 Rz. 5.261 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

tung angeordnet werden. Tritt die Bedingung oder der bestimmte Termin erst nach dem Erbfall ein, so fällt das Vermächtnis erst mit Bedingungseintritt an (§ 2177 BGB).

5.262

Das Gesetz schafft in § 2162 Abs. 1 BGB eine zeitliche Grenze für die Bedingung und Befristung von Vermächtnissen. Danach wird das aufgeschobene Vermächtnis grundsätzlich nach 30 Jahren unwirksam, wenn bis dahin die Bedingung oder Befristung nicht eingetreten ist. Die §§ 2162 Abs. 2, 2163 BGB normieren Ausnahmen dazu. Ist das Vermächtnis unter einer auflösenden Bedingung oder Befristung angeordnet, so ist damit regelmäßig ein Nachvermächtnis (s. Rz. 5.266) an einen weiteren Vermächtnisnehmer oder ein Rückvermächtnis gemeint, das eine Rückgewähr an den Beschwerten anordnet.1

5.263

In dem Zeitraum zwischen Erbfall und Anfall des Vermächtnisses ist der Vermächtnisnehmer nach § 2179 BGB bereits Inhaber eines Anwartschaftsrechts, über das er verfügen kann. bb) Untervermächtnis

5.264

Beim Untervermächtnis ist der zunächst bedachte Hauptvermächtnisnehmer mit einem weiteren Vermächtnis beschwert. Dieses Untervermächtnis kann auf einen ganz anderen Gegenstand gerichtet sein als das Hauptvermächtnis.2 Dem Hauptvermächtnisnehmer wird z.B. ein Pkw vermacht und ein Untervermächtnis zur Zahlung von 1000 Euro an eine andere Person auferlegt. Als Untervermächtnis wird auch oft ein Nießbrauchrecht eingeräumt, beispielsweise wird eine Immobilie einer Person als Hauptvermächtnisnehmer vermacht, der einer weiteren Person (Untervermächtnisnehmer) ein Nießbrauchrecht einräumen muss (zur Nießbrauchsvereinbarung s. Kapitel 22).

5.265

Der Anspruch des Untervermächtnisnehmers ist nach § 2186 BGB in seiner Fälligkeit abhängig von dem Anfall des Hauptvermächtnisses. cc) Nachvermächtnis

5.266

Ähnlich wie bei der Vor- und Nacherbfolge (Rz. 5.222 ff.) kann der Erblasser verschiedene Vermächtnisnehmer hintereinander einsetzen.3 Das Nachvermächtnis ist in § 2191 BGB geregelt. Es stellt einen Fall des Untervermächtnisses dar, das den zunächst bedachten Vorvermächtnisnehmer mit der Verpflichtung belastet, nach Eintritt eines bestimmten Ereignisses oder Zeitpunkts den vermachten Gegenstand an den Nachvermächtnisnehmer herauszugeben.4 Beispiel: Eine Immobilie wird an die Schwester des Erblassers als Vorvermächtnis vermacht. Nach ihrem Tod muss sie bzw. ihre Erben die Immobilie an die Neffen als Nachvermächtnisnehmer herausgeben.

5.267

Im Unterschied zum Untervermächtnis handelt es sich beim Nachvermächtnis um die Weitergabe des identischen Vermögensgegenstandes.5

1 2 3 4 5

Rudy in MüKo8, § 2177 BGB Rz. 6. Rudy in MüKo8, § 2186 BGB Rz. 2. Schiemann in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 2150 BGB Rz. 2. Lange, Erbrecht², § 28 Rz. 97. Schiemann in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 2150 BGB Rz. 2.

284 | Tiedemann

C. Gewillkürte Erbfolge | Rz. 5.274 Kap. 5

dd) Vorausvermächtnis Ein Vorausvermächtnis ist ein Vermächtnis an einen Erben, welches dieser zusätzlich zu seinem Erbteil erhält (§ 2150 BGB). Es begünstigt also den Erben über seine Erbquote hinaus.

5.268

Eine solche Zuwendung ist grundsätzlich von der Erbschaft unabhängig. Der Erbe kann z.B. die Erbschaft ausschlagen und das Vermächtnis annehmen und umgekehrt. Der Erblasser kann das Vermächtnis aber auch davon abhängig machen, dass der Vermächtnisnehmer Erbe wird.1

5.269

Neben der wertmäßigen Begünstigung des Erben hat das Vorausvermächtnis einen weiteren Vorteil: Der Erbe muss nicht bis zur Erbauseinandersetzung warten, bis er den zugewandten Gegenstand bekommt. Das (Voraus-) Vermächtnis ist als Nachlassverbindlichkeit sofort fällig und vor der Auseinandersetzung zu erfüllen.2 Daher bietet sich ein Vorausvermächtnis immer dann an, wenn ein Erbe zum einen wertmäßig bevorzugt werden und zum anderen den Vermächtnisgegenstand zeitnah nach dem Erbfall erhalten soll. Dann erspart man sich die Verwaltung durch die Erbengemeinschaft (Rz. 5.540 ff.) bis zur Auseinandersetzung.

5.270

Eine beliebte Spielart des Vorausvermächtnisses ist die Kombination mit der Vor- und Nacherbschaft (sog. Vorerbenvorausvermächtnis).3 Auf diese Weise kann der Erblasser dem Vorerben bestimmte Vermögensgegenstände zur freien Verfügung zuwenden.

5.271

Das Vorausvermächtnis muss von der Teilungsordnung (Rz. 5.254 ff.) unterschieden werden. Abgrenzungskriterium ist der Begünstigungswille.4 Wollte der Erblasser, dass der Bedachte den Gegenstand zusätzlich zu seinem Erbteil bekommt, so liegt ein Vorausvermächtnis vor. Wollte er lediglich quotengerecht festlegen, welcher Erbe welchen Vermögensgegenstand erhalten soll, so hat er eine Teilungsanordnung getroffen (s. Rz. 5.256). Bedeutung hat die Differenzierung nicht nur für die Frage, welcher Erbe was und wie viel vom Nachlass erhält. Im Unterschied zur Teilungsanordnung kann nur das (Voraus-)Vermächtnis nach § 2270 Abs. 3 BGB als wechselbezügliche Verfügung im gemeinschaftlichen Testament oder nach § 2278 Abs. 2 BGB als bindende Verfügung in einem Erbvertrag angeordnet werden.

5.272

ee) Bestimmungs- und Verteilungsvermächtnis Beim Bestimmungs- und/oder Verteilungsvermächtnis hat der Erblasser das Recht, einem Dritten die Auswahl der Person des Vermächtnisnehmers und der Höhe des Vermächtnisses zu überlassen (§§ 2151–2153 BGB). Dies stellt eine Ausnahme vom Prinzip der Höchstpersönlichkeit dar.5 Der Erblasser muss lediglich den Personenkreis allgemein bestimmen.6

5.273

Das Bestimmungs- und Verteilungsvermächtnis eröffnet weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten, insbesondere beim Unternehmertestament, wenn der Unternehmensnachfolger noch nicht feststeht. Auf diese Weise kann der Unternehmer-Erblasser eine dritte Person seines

5.274

1 Leipold in MüKo8, § 1953 BGB Rz. 6. 2 Schiemann in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 2150 BGB Rz. 1. 3 Schiemann in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 2150 BGB Rz. 2; Horn/Mayer in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2150 BGB Rz. 5 ff.; Mayer, ZEV 2000, 1 (4). 4 Vgl. Flechtner in Burandt/Rojahn3, § 2048 BGB Rz. 21 ff.; Schiemann in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 2150 BGB Rz. 4; Zimmer in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 2048 BGB Rz. 13 f. 5 Horn/Mayer in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2151 BGB Rz. 1. 6 Horn/Mayer in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2151 BGB Rz. 1.

Tiedemann | 285

Kap. 5 Rz. 5.274 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

Vertrauens dazu bestimmen, aus einem festgelegten Personenkreis den Unternehmenserben auszuwählen.1

5.275

Die Bestimmung erfolgt durch den Dritte gegenüber dem Beschwerten; wenn der Beschwerte die Bestimmung vornehmen soll, erfolgt sie gegenüber dem Begünstigten (§ 2151 Abs. 2 BGB). ff) Supervermächtnis

5.276

Bei einem Supervermächtnis wird der Vermächtnisnehmer, der Vermächtnisgegenstand, die Bedingungen und der Zeitpunkt der Erfüllung des Vermächtnisses in das Ermessen des Beschwerten gestellt.2 Auf diese Weise können Eheleute die höchst mögliche Flexibilität erlangen, den Versorgungsinteressen des Überlebenden Rechnung tragen und gleichzeitig die erbschaftsteuerlichen Freibeträge für ihre Kinder ausnutzen.

5.277

Gerade beim gemeinschaftlichen Testament nach der Einheitslösung, bei dem sich die Ehegatten gegenseitig als Alleinerben und ihre Kinder zu Schlusserben einsetzen (s. Rz. 5.155), kommt es bei größerem Vermögen zu erbschaftsteuerlichen Nachteilen. Denn die steuerlichen Freibeträge der Abkömmlinge werden beim Tod des erstversterbenden Ehegatten nach dieser Lösung nicht ausgeschöpft. Dem kann mit einem Supervermächtnis begegnet werden, wobei der Überlebende flexibel bleibt und je nach Versorgungslage Höhe und Erfüllung der Vermächtnisse bestimmen kann.

5.278

Das Supervermächtnis nutzt die vom Gesetz ausnahmsweise in den §§ 2151 ff. BGB zugelassenen Drittbestimmungsmöglichkeiten für den Inhalt von Vermächtnissen aus.3 Im Mittelpunkt des Supervermächtnisses steht ein Zweckvermächtnis i.S.d. § 2156 BGB.

5.279

Für das Ehegatten-Testament sieht dies wie folgt aus: Der überlebende Ehegatte wird dabei mit einem Zweckvermächtnis nach § 2156 BGB zugunsten der Abkömmlinge beschwert. Der Zweck des Vermächtnisses ist die ganze oder teilweise Ausnutzung der erbschaftsteuerlichen Freibeträge.4 Der überlebende Ehegatte soll die Leistung zur Erfüllung des Zwecks nach § 2156 Satz 1 BGB nach billigen Ermessen selbst festlegen können. Ferner darf der Überlebende nach § 2186 BGB die Zeit der Erfüllung festlegen und nach § 2151 Abs. 2 BGB auch die Anteile der jeweiligen Vermächtnisnehmer an der Zuwendung bestimmen. Selbst eine Bestimmung der Vermächtnisnehmer aus einem vom Erblasser benannten Personenkreis ist nach § 2151 Abs. 1 BGB möglich.

5.280

Durch diese postmortalen Bestimmungsrechte können bei größeren Vermögen die Steuerbelastungen der Mit- oder Nacherben optimiert werden, indem man die steuerlichen Freibeträge nach § 16 ErbStG der Höhe nach ausnutzt, dem beschwerten Erben aber zunächst das Verfügungsrecht über die Vermächtnisgegenstände lässt.5 Bei der Bestimmung des Erfül1 Schiemann in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 2151 BGB Rz. 1; Horn/Mayer in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2150 BGB Rz. 20. 2 Horn/Mayer in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2151 BGB Rz. 22 ff.; Hölscher in BeckOGK, § 2151 BGB Rz. 44 ff.; Schiemann in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 2156 BGB Rz. 1; Nieder/Kössinger in Nieder/Kössinger, Testamentsgestaltung5, Rz. 56; Schlitt in Scherer, MAH Erbrecht5, § 13 Rz. 206; Langenfeld, JuS 2002, 351 ff.; Keim, ZEV 2016, 6. 3 Keim, ZEV 2016, 6 (7). 4 Langenfeld, JuS 2002, 351 (352). 5 Ebeling, ZEV 2000, 87 ff.

286 | Tiedemann

C. Gewillkürte Erbfolge | Rz. 5.284 Kap. 5

lungszeitpunkts sollte aber vorsichtig gestaltet werden: Wird dies zu lange hinaus gezögert, kann es die steuerliche Anerkennung als vom Erstversterbenden erworben gefährden. Daher wird im Schrifttum vorgeschlagen, einen festen Zeitpunkt zu benennen, etwa 5 Jahre nach dem Erbfall oder der 75. Geburtstag.1 Ansonsten kann es zur nicht gewünschten Versteuerung nach dem Zweitversterbenden kommen.2 Dieses mögliche Bestimmungsrecht des alleinerbenden Ehegatten über Art, Umfang, Empfänger und Fälligkeit des Vermächtnisses ist angesichts des im Erbrecht geltenden Prinzips der Höchstpersönlichkeit von letztwilligen Verfügungen allerdings nicht unumstritten.3

5.281

7. Auflage, Bedingung a) Rechtsnatur Die Auflage ist ein Gestaltungsmittel, mit dem der Erblasser einem Erben oder einem Vermächtnisnehmer zu einer Leistung verpflichten kann, ohne dem Begünstigten ein Recht auf die Leistung zuzuwenden (§ 1940 BGB). Die Auflage wirkt bisweilen ähnlich wie eine Bedingung (vgl. zu Bedingungen Rz. 5.132, 5.163, 5.199). Gerade die Potestativbedingung ist oftmals schwer von einer Auflage abzugrenzen, insbesondere wenn es um zukünftige Ereignisse geht, welche von Willen oder Handlungen des Bedachten abhängen, z.B. bestimmte Verhaltensweisen zu unterlassen. Bei der Testamentsgestaltung sollte daher genau geregelt werden, ob eine echte Bedingung gemeint ist (ob die Zuwendung vom Eintritt der Bedingung abhängig gemacht wird) oder ob es lediglich einen Anspruch auf Vollzug der Auflage geben soll.

5.282

Bei der Auflage steht nicht die Zuwendung, sondern die Verpflichtung des Beschwerten zu einer Leistung im Mittelpunkt. Wird durch die Auflage jemand begünstigt, erhält derjenige im Unterschied zum Vermächtnisnehmer keinen Anspruch auf die Leistung. Allerdings steht die Leistung auch nicht im Belieben des Beschwerten; dieser ist rechtlich zur Leistung verpflichtet.4 Der Erbe, der Miterbe sowie derjenige, der beim Wegfall des Beschwerten unmittelbar mit der Auflage belastet wäre, können die Leistung an den Dritten verlangen (§ 2194 Satz 1 BGB). Bei beschwerten gesetzlichen Erben wären Letztere z.B. die nächstberufenen gesetzlichen Erben. Wenn die Vollziehung der Auflage im öffentlichen Interesse liegt, ist nach § 2194 Satz 2 BGB auch der Staat vollzugsberechtigt.

5.283

b) Inhalt Der Erblasser kann dem Beschwerten ein Tun oder Unterlassen jeglicher Art auferlegen.5 Es muss sich bei der Auflage daher nicht notwendigerweise um die Zuwendung eines Vermögensvorteils an jemanden handeln.6 Die abverlangte Leistung muss auch nicht einmal einen Vorteil für jemanden begründen.7 Durch Auflagen können z.B. Anordnungen über die Grabpflege getroffen werden oder die Erbeinsetzung davon abhängig gemacht werden, dass der Erbe einer bestimmten Person eine monatliche Summe zukommen lässt oder sich um das 1 Vgl. Hölscher in BeckOGK, § 2151 BGB Rz. 48. 2 Vgl. Schlitt in Scherer, MAH Erbrecht5, § 13 Rz. 206. 3 Befürwortend Langenfeld, JuS 2002, 351; Ebeling, ZEV 2000, 87; Kritik von Otte in Staudinger, § 2156 BGB Rz. 2; Keim, ZEV 2016, 6. 4 Leipold, Erbrecht22, Rz. 780; Zimmer in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 1940 BGB Rz. 2. 5 Leipold, Erbrecht22, Rz. 780. 6 Weidlich in Palandt79, § 2192 BGB Rz. 3. 7 Leipold in MüKo8, § 1940 BGB Rz. 4.

Tiedemann | 287

5.284

Kap. 5 Rz. 5.284 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

Haustier des Erblassers kümmert. Inhalt einer Auflage kann auch sein, dass der Erbe oder Vermächtnisnehmer das vermachte Unternehmen fortführt oder gewisse unternehmerische Entscheidungen (nicht) trifft.1

8. Letztwillige Schiedsklausel 5.285

Der Erblasser kann für Konflikte im Zusammenhang mit seiner letztwilligen Verfügung die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts vorsehen.2 Dies kann Streitigkeiten über Auslegung, Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit von Testamenten und über die Erbeinsetzung, Vermächtnisse oder Auflagen, nicht aber über Pflichtteilsfragen entscheiden, weil diese der Dispositionsbefugnis des Erblassers entzogen sind.3 Das Erbscheinverfahren durch die staatlichen Gerichte bleibt von der Schiedsklausel unberührt.4

5.286

Die Zulässigkeit einer Schiedsklausel ist im BGB nicht geregelt, aber in § 1066 ZPO vorgesehen und allgemein anerkannt.5 In der Praxis finden sich letztwillige Schiedsklauseln noch sehr selten.6 Es kann sich aber durchaus in manchen Fällen empfehlen, eine Schiedsklausel im Testament aufzunehmen, etwa wenn der Erblasser Streitigkeiten unter den Erben, Vermächtnisnehmern und dem Testamentsvollstrecker vorhersieht. In diesem Fall empfiehlt sich, dass der Erblasser im Testament einen oder mehrere Schiedsrichter namentlich benennt, um insbesondere auch die Schwierigkeiten bei einem Mehrparteien-Schiedsverfahren zu vermeiden.

5.287

Die Einsetzung eines Schiedsgerichts kann im Testament und über § 2299 BGB im Erbvertrag erfolgen, jedoch nach § 2278 Abs. 2 BGB nicht mit vertragsmäßiger Bindungswirkung.7

D. Testamentsvollstreckung I. Anordnung der Testamentsvollstreckung 1. Motive für eine Testamentsvollstreckung 5.288

Die Testamentsvollstreckung ist ein wichtiges Gestaltungsmittel in der Unternehmensnachfolge. Durch die Anordnung der Testamentsvollstreckung hat der Erblasser die Möglichkeit, seinen letzten Willen über seinen Tod hinaus umzusetzen bzw. sicherzustellen, dass seine in der letztwilligen Verfügung getroffenen Anordnung auch umgesetzt werden.8 Hier soll ein Überblick über die Testamentsvollstreckung gegeben werden. Eine vertiefte Darstellung zur Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge findet sich in Kapitel 11.

5.289

Die Motive für die Anordnung einer Testamentsvollstreckung können vielfältig sein. In den meisten Fällen geht es um den Schutz des Nachlasses vor unbedachten Entscheidungen der 1 Zimmer in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 1940 BGB Rz. 3; Leipold, Erbrecht22, Rz. 780; Kroiß/ Mayer in Kroiß/Ann/Mayer5, § 1940 BGB Rz. 3 ff. 2 Leipold, Erbrecht22, Rz. 356a; Lange, Erbrecht2, § 31 Rz. 55. 3 Leipold, Erbrecht22, Rz. 356a. 4 OLG Celle v. 10.12.2015 – 6 W 204/15, NJW-RR 2016, 331 (332). 5 OLG Hamm v. 8.10.1990 – 8 U 38/90, NJW-RR 1991, 455. 6 So auch Krug in Krug/Rudolf/Kroiß/Bittler, Anwaltsformulare Erbrecht6, § 23 Rz. 3. 7 Krug in Krug/Rudolf/Kroiß/Bittler, Anwaltsformulare Erbrecht6, § 23 Rz. 5. 8 Weidlich in Palandt79, Einführung § 2197 BGB Rz. 1.

288 | Tiedemann

D. Testamentsvollstreckung | Rz. 5.292 Kap. 5

Erben oder ihrer Vertreter. In folgenden typischen Fallkonstellationen ist eine Testamentsvollstreckung sinnvoll:1 – Minderjährige Erben (Aushebeln der Verwaltungsrechte der gesetzlichen Vertreter) – Ungeeignete, geschäftsunerfahrenen oder böswilligen Erben (Schutz des Nachlasses vor Zerschlagung) – Sicherung der Unternehmensnachfolge – Privilegierung eines Miterben in der Verwaltung – Vereinfachung der Abwicklung bei der Erbauseinandersetzung, insbesondere bei einer Vielzahl von Erben – Dauer-Verwaltungsvollstreckung eines Erbteils eines Miterben – Sicherung der Erfüllung von Vermächtnissen und Auflagen – Sicherung eines Nießbrauchs für einen der Erben oder Vermächtnisnehmer – (Dritt-) Bestimmung von Vermächtnisnehmern und Vermögenszuwendungen, insbesondere auch Bestimmung eines Unternehmensnachfolgers (Bestimmungs- und Verteilungsvermächtnis, Rz. 5.273 ff.) – Patchwork-Situationen, Verhinderung von Streit zwischen Miterben – Verhinderung des Zugriffs von Eigengläubigern auf den Nachlass – Besondere Sachkunde eines Testamentsvollstreckers (Unternehmensführung, rechtliche und/oder steuerliche Angelegenheiten)

2. Anordnung in einer Verfügung von Todes wegen Es sind die Anordnung einer Testamentsvollstreckung und die Einsetzung eines Testamentsvollstreckers (Rz. 6.294 ff.) voneinander zu unterscheiden.2

5.290

Die Testamentsvollstreckung muss der Erblasser persönlich durch Verfügung von Todes wegen anordnen, eine (nachträgliche) Anordnung durch Rechtsgeschäft unter Lebenden ist nicht möglich.3 Der Erblasser kann, aber muss nicht, die Person des Testamentsvollstreckers bestimmen und einen oder mehrere Personen als Testamentsvollstrecker und sollte auch Ersatztestamentsvollstrecker benennen (§§ 2197, 2299 Abs. 1). Die Bestimmung der Person kann aber auch einem Dritten (§ 2198 BGB) oder dem Nachlassgericht (§ 2200 BGB) überlassen werden.

5.291

Hat der Erblasser lediglich Testamentsvollstreckung angeordnet und keine Person zum Testamentsvollstrecker bestimmt, so ist nach § 2084 BGB davon auszugehen, dass die Ernennung durch das Nachlassgericht erfolgen soll.4

5.292

1 Vgl. J. Mayer in Mayer/Bonefeld, Testamentsvollstreckung3, § 2 Rz. 2; Kroiß in Kroiß/Ann/Mayer5, Vor §§ 2197–2228 BGB Rz. 5. 2 Zimmermann in MüKo8, § 2197 BGB Rz. 1. 3 Kroiß in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2197 BGB Rz. 3, 4. 4 Kroiß in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2197 BGB Rz. 3; Lange, Erbrecht2, § 63 Rz. 36.

Tiedemann | 289

Kap. 5 Rz. 5.293 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

5.293

Hat der Erblasser umgekehrt lediglich die Person des Testamentsvollstreckers in seiner Verfügung von Todes wegen benannt und fällt diese vor dem Erbfall weg oder nimmt das Amt nicht an, so ist durch Auslegung zu ermitteln, ob der Erblasser generell Testamentsvollstreckung anordnen oder nur diese eine Person zum Testamentsvollstrecker bestimmen wollte.1 Wollte der Erblasser Testamentsvollstreckung generell anordnen, so muss das Nachlassgericht einen Testamentsvollstrecker ernennen (s. Rz. 5.292). Daher ist es wichtig, in der Verfügung von Todes wegen genau zu formulieren, was gewollt ist, ob es um die Testamentsvollstreckung als solche oder um die bestimmte Person als Testamentsvollstrecker geht.

3. Person des Testamentsvollstreckers a) Anforderungen an einen Testamentsvollstrecker

5.294

Die Person des Testamentsvollstreckers sollte mit Bedacht ausgewählt werden, denn die Ausübung des Testamentsvollstreckeramts erfordert viel Verantwortung und Sachkunde. Die Person oder Institution sollte davon abhängig gemacht werden, welche Ziele (zu den Motiven s. Rz. 5.289) mit der Testamentsvollstreckung verfolgt werden.

5.295

Zum Testamentsvollstrecker kann grundsätzlich jede (natürliche oder juristische) Person bestimmt werden, die voll geschäftsfähig ist und nicht unter Vermögensbetreuung nach § 1896 BGB steht2. Weitere Anforderungen nennt das Gesetz in § 2201 BGB nicht. b) Natürliche Personen aa) Familienangehörige

5.296

Häufig werden Vertrauenspersonen aus dem privaten Umfeld als Testamentsvollstrecker ausgewählt, wie etwa Familienangehörige, Geschwister, Kinder, Nichten/Neffen. Dies hat den Grund, dass der Erblasser zu diesen Personen eine Nähebeziehung hat und das Vertrauen, dass sie seinen Willen am besten kennen und diesen umsetzen werden. Dabei wird oft übersehen, dass eine Testamentsvollstreckung eine erhebliche Belastung sein kann, da sie mit viel Verantwortung und Aufwand verbunden ist. Daher sollte dies gut überlegt und mit den in Frage kommenden Personen abgesprochen werden.

5.297

Gegen Personen aus dem privaten Umfeld spricht auch, dass oftmals die spätere Lebenssituation schlecht im Voraus eingeschätzt werden kann. So kann der Lieblingsneffe dann aus beruflichen oder privaten Gründen in einer anderen Stadt oder in einem anderen Land sein oder aus beruflichen oder privaten Gründen so eingespannt sein, dass er die oftmals sehr aufwendige Aufgabe einer Testamentsvollstreckung nicht noch nebenbei übernehmen kann.

5.298

Vielfach werden Personen aus dem beruflichen Umfeld als Testamentsvollstrecker eingesetzt: Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte, Notare. Dies hat den Vorteil, dass sie die rechtlichen und finanziellen Verhältnisse des Erblassers kennen und die Testamentsvollstreckung als Teil ihrer beruflichen Tätigkeit ausüben. Der Erblasser kann bei diesen Berufsgruppen Erfahrung und rechtliche Kenntnisse erwarten. Auch werden diese Personen oft an der

bb) Personen aus dem beruflichen Umfeld

1 OLG Zweibrücken v. 16.3.2006 – 3 W 42/06, ZEV 2007, 31. 2 Zimmermann in MüKo8, § 2197 BGB Rz. 8.

290 | Tiedemann

D. Testamentsvollstreckung | Rz. 5.304 Kap. 5

Gestaltung der Nachfolgeregelung mitgewirkt haben und kennen daher den Willen und die Ziele des Erblassers genau. cc) Notare Für Notare gilt die Besonderheit, dass sie das Testament, in welchem sie als Testamentsvollstrecker eingesetzt werden, nicht selbst beurkunden dürfen (§§ 7, 27 BeurkG). Allerdings kann die Einsetzung zum Testamentsvollstrecker in einer separaten Urkunde entweder handschriftlich oder vor einem anderen Notar (nicht Sozius des einzusetzenden Testamentsvollstreckers) erfolgen.1 Diese separate Urkunde sollte dann möglichst nicht gemeinsam mit dem Testament aufbewahrt werden, um jeden Schein einer Umgehung zu vermeiden.2

5.299

dd) Erben, Miterben, testamentarisch Bedachte Auch kommt als Testamentsvollstrecker ein Miterbe oder Vermächtnisnehmer selbst in Betracht.3 Der Alleinerbe kann demgegenüber nicht alleiniger Testamentsvollstrecker sein – außer im Falle der Vermächtnisvollstreckung.4

5.300

Es können auch alle Miterben zu Testamentsvollstreckern bestellt werden.5 Dies hat den Vorteil, dass bei Meinungsverschiedenheiten unter den Miterben-Testamentsvollstreckern das Nachlassgericht entscheidet (§ 2224 Abs. 1 Satz 1 BGB), was sonst bei einer Erbengemeinschaft nicht vorgesehen ist.

5.301

Ein Vermächtnisnehmer wird beispielsweise oft als Testamentsvollstrecker bestellt, wenn er in die Lage versetzt werden soll, sich sein Vermächtnis selbst zu erfüllen oder ihm der Nießbrauch an einem oder mehreren Nachlassgegenständen zugewendet wurde und er diesen selbst verwalten soll.

5.302

c) Juristische Personen Auch juristische Personen und Personenhandelsgesellschaften können als Testamentsvollstrecker eingesetzt werden (arg. §§ 2210, 2163 Abs. 2 BGB).6 Sie handeln dann durch ihre Organe.

5.303

Zunehmend haben sich Banken, Sparkassen und Anwaltskanzleien oder Testamentsvollstreckungsgesellschaften als professionelle Testamentsvollstrecker etabliert. Dies koppelt die Testamentsvollstreckung von einer bestimmten natürlichen Person als Testamentsvollstrecker ab und bietet die Gewähr für eine professionelle und erfahrene Verwaltung und Abwicklung, für die innerhalb der Organisation der juristischen Person Sorge getragen wird. Auch muss sich der Erblasser keine Gedanken über die individuelle Lebenssituation des eingesetzten Tes-

5.304

1 Zimmermann in MüKo8, § 2197 BGB Rz. 12; vgl. auch LG Göttingen v. 6.2.1952 – 1 T 635/51, DNotZ 1952, 445. 2 Vgl. OLG Bremen v. 15.7.2014 – 5 W 13/14, ErbR 2014, 491; a.A. OLG Bremen v. 10.3.2016 – 5 W 40/15, ZEV 2016, 273. 3 Zimmermann in MüKo8, § 2197 BGB Rz. 10 f. 4 Zimmermann in MüKo8, § 2197 BGB Rz. 11; BayObLG v. 8.6.2001 – 1Z BR 74/00, ZEV 2002, 24 (25). 5 Zimmermann in MüKo8, § 2197 BGB Rz. 11. 6 Zimmermann in MüKo8, § 2197 BGB Rz. 9; Lange in BeckOK, § 2197 BGB Rz. 28.

Tiedemann | 291

Kap. 5 Rz. 5.304 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

tamentsvollstreckers und einen Ersatz-Testamentsvollstrecker machen. Die juristische Person bleibt im Regelfall bestehen, kann nicht sterben und handelt durch ihre jeweiligen Organe. Daher kann es empfehlenswert sein, eine juristische Person mit einer Testamentsvollstreckung zu betrauen, wenn der Erblasser nicht Wert auf eine bestimmte natürliche Person legt, der er die Abwicklung seines Nachlasses anvertraut. d) Ämterhäufung

5.305

Bei der Nachlassplanung kann es zur „Ämterhäufung“ beim Testamentsvollstrecker kommen. So kann der Testamentsvollstrecker gleichzeitig eine postmortale Vollmacht des Erblassers haben, Miterbe oder Vermächtnisnehmer sein oder zugleich gesetzlicher Vertreter, Vormund oder Betreuer des Erben sein. All dies ist erlaubt und kann durchaus sinnvoll sein. Hat der Erblasser beispielsweise eine Stiftung als Erbin eingesetzt, so kann der Testamentsvollstrecker auch zugleich Organ der Stiftung (Vorstand, Beirat, Kuratoriumsmitglied) sein, wobei eine Testamentsvollstreckung über das Vermögen einer gemeinnützigen Stiftung (dazu im Einzelnen Kapitel 13) allerdings nicht möglich ist.1

5.306

Eine Interessenkollision mag im Einzelfall bestehen, sie macht die Einsetzung des Testamentsvollstreckers aber nicht unwirksam, wenn und soweit dies vom Erblasser vorhersehbar war und gewollt einkalkuliert wurde.2

5.307

Problematisch kann allerdings die Testamentsvollstreckung durch den gesetzlichen Vertreter eines minderjährigen Erben sein. Im Einzelfall kann dies zu einer Ergänzungspflegschaft oder einer Ergänzungsbetreuung führen.3

II. Arten der Testamentsvollstreckung 1. Abwicklungsvollstreckung 5.308

Der Regelfall einer Testamentsvollstreckung ist die sog. Abwicklungsvollstreckung nach § 2203 BGB.4 Der Testamentsvollstrecker soll den Nachlass „abwickeln“.

5.309

Dazu soll der Testamentsvollstrecker den Nachlass vorerst verwalten (§ 2205 Satz 1 BGB), Vermächtnisse und Auflagen des Erblassers zur Ausführung bringen (§ 2203 BGB) und die Auseinandersetzung unter den Miterben vornehmen (§ 2204 BGB).

5.310

Der Erblasser kann die Aufgaben des Testamentsvollstreckers aber auch in seiner letztwilligen Verfügung auf seinen Willen zuschneiden.5 Er kann z.B. die Testamentsvollstreckung gegenständlich beschränken und nur gewisse Nachlassgegenstände der Testamentsvollstreckung unterwerfen (§ 2208 Abs. 1 Satz 2 BGB).6 Er kann z.B. dem Testamentsvollstrecker die Auf-

1 Zimmermann in MüKo8, § 2197 BGB Rz. 10; OLG Frankfurt/Main v. 15.10.2010 – 4 U 134/10, ZEV 2011, 605. 2 Vgl. Reimann in Staudinger, § 2197 BGB Rz. 86. 3 Vgl. Lange in BeckOK, § 2197 BGB Rz. 27; OLG Köln v. 19.7.2018 – 10 WF 172/17, ZEV 2019, 149; OLG Nürnberg v. 29.6.2001 – 11 UF 1441/01, ZEV 2002, 158; a.A. OLG Zweibrücken v. 21.12.2006 – 5 UF 190/06, ZEV 2007, 333. 4 Lange, Erbrecht², § 62 Rz. 14. 5 Leipold, Erbrecht22, Rz. 794; Lange, Erbrecht², § 62 Rz. 13. 6 Zimmermann in MüKo8, § 2208 BGB Rz. 8; Reimann in Staudinger, § 2208 BGB Rz. 9.

292 | Tiedemann

D. Testamentsvollstreckung | Rz. 5.317 Kap. 5

gabe zuweisen, die Vermächtnisse zu erfüllen und die übrige Nachlassauseinandersetzung den Erben überlassen.1

2. Verwaltungsvollstreckung Der Erblasser kann den Testamentsvollstrecker bei einer Verwaltungsvollstreckung i.S.d. § 2209 Satz 1 Halbs. 1 BGB auch nur mit der Verwaltung des Nachlasses oder einzelner Nachlassgegenstände (§ 2208 Abs. 1 Satz 2 BGB) betrauen. Dann hat der Testamentsvollstrecker nur das Verwaltungsrecht, ohne die Auseinandersetzung durchführen zu können.

5.311

3. Dauervollstreckung Bei der Dauervollstreckung soll der Testamentsvollstrecker den Nachlass ebenfalls verwalten. Hier geht der Verwaltungsvollstreckung aber regelmäßig die Abwicklung des Nachlasses voraus (§ 2209 Satz 1 Halbs. 2 BGB).2 Die Erledigung der Abwicklung führt bei angeordneter Dauervollstreckung nicht zur Beendigung der Testamentsvollstreckung. Sie dauert so lange fort, wie der Erblasser sie angeordnet hat (z.B. bis zum 30. Geburtstag eines Erben).

5.312

Die Dauervollstreckung kann auf die Erbteile einzelner Erben3 oder einzelne Nachlassgegenstände (z.B. ein Unternehmen) beschränkt werden.4

5.313

Die Höchstgrenze einer Verwaltungs- oder Dauervollstreckung beträgt nach § 2210 Satz 1 BGB 30 Jahre. Ausnahmsweise kann sie über einen noch längeren Zeitraum angeordnet werden (§ 2210 Satz 2 BGB), z.B. bis zum Tod des Erben oder bis zum Tod des Testamentsvollstreckers.

5.314

Bei gemeinnützigen Stiftungen ist umstritten, ob eine Dauervollstreckung zulässig ist. Das Hauptargument für die überwiegende Auffassung der Unwirksamkeit der Dauervollstreckung bei einer (gemeinnützigen) Stiftung ist, dass das Vermögen nicht auf Dauer der Stiftung und der Verwaltung durch den Stiftungsvorstand sowie der Aufsicht durch die Stiftungsbehörde entzogen werden darf.5

5.315

4. Nacherbenvollstreckung Möglich ist auch die Anordnung einer Nacherbenvollstreckung zur Wahrnehmung der Rechte des Nacherben bis zum Nacherbfall (§ 2222 BGB).

5.316

5. Vermächtnisvollstreckung Eine weitere Form der Testamentsvollstreckung ist die Vermächtnisvollstreckung (§ 2223 BGB). Sie bezieht sich darauf, dass der Vermächtnisvollstrecker die dem Vermächtnisnehmer auferlegten Beschwerungen vollzieht, beispielsweise Einräumung eines Nießbrauchs.6 1 2 3 4 5

Vgl. Reimann in Staudinger, § 2208 BGB Rz. 4; Lange in BeckOK, § 2208 BGB Rz. 5. Lange, Erbrecht², § 62 Rz. 16. BGH v. 22.1.1997 – IV ZR 283/95, NJW 1997, 1362. Reimann in Staudinger, § 2209 BGB Rz. 17. Vgl. OLG Frankfurt v. 15.10.2010 – A4 U 134/10, ZEV 2011, 605; Hüttemann/Rawert in Staudinger, § 83 BGB Rz. 2; Ellenberger in Palandt79, § 83 BGB Rz. 1; Weitemeyer in MüKo8, § 83 BGB Rz. 17 (mit Hinweis, dass dies vor allem dann gelte, wenn Stifter und Erblasser identisch sind); a.A. Schewe, ZEV 2012, 236; Ponath/Jestaedt, ZErb 2012, 281; Reimann, ZEV 2011, 609. 6 Reimann in Staudinger, § 2223 BGB Rz. 2.

Tiedemann | 293

5.317

Kap. 5 Rz. 5.318 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

III. Aufgaben und Befugnisse des Testamentsvollstreckers 1. Aufgaben a) Erblasserwille

5.318

Der Aufgabenkreis des Testamentsvollstreckers bestimmt sich nach dem Willen des Erblassers.1 Dieser sollte klar im Testament formuliert werden.

5.319

Entscheidend ist der Erblasserwille. Der Testamentsvollstrecker ist kein Vertreter der Erben und nicht deren Weisungen unterworfen.2 Er ist ausschließlich dem Erblasserwillen verpflichtet.

5.320

Je nach Anordnung des Erblassers hat der Testamentsvollstrecker insbesondere den Nachlass zu verwalten, Nachlassverbindlichkeiten zu begleichen und die Auseinandersetzung unter Miterben vorzunehmen. b) Rechtsstellung

5.321

Der Testamentsvollstrecker hat die Stellung eines Treuhänders und ist Träger eines privaten Amts, das ihm vom Erblasser übertragen ist.3 Er übt das Amt unabhängig vom Willen des Erben entsprechend der letztwilligen Verfügung des Erblassers aus.4 Er ist insbesondere kein Vertreter der Erben; vielmehr ist er ausschließlich dem Erblasserwillen verpflichtet.

2. Befugnisse a) Verwaltungsrecht

5.322

Ein Testamentsvollstrecker hat weitgehende Befugnisse. So hat er grundsätzlich das volle Verwaltungsrecht über alle der Testamentsvollstreckung unterliegenden Nachlassteile, § 2205 Satz 1 BGB. Dies schließt die Erben von der Verwaltung des Nachlasses aus (§ 2211 BGB).

5.323

Die Rechtshandlungen, zu denen der Testamentsvollstrecker befugt ist, werden hauptsächlich durch die Anordnungen des Erblassers festgelegt.5 Das Gesetz ergänzt und begrenzt die Anordnungen des Erblassers. b) Sondervermögen

5.324

Mit dem Erbfall wird zwar Eigentümer des Nachlasses der Erbe. Der Teil des Nachlasses, der von der Testamentsvollstreckung betroffen ist, bildet jedoch ein Sondervermögen, welches vom sonstigen Vermögen des Erben getrennt bleibt und über welches der Erbe nicht verfügen kann (§ 2211 BGB).6 Auch können Gläubiger des Erben dieses Vermögen nicht pfänden.7

1 Weidlich in Palandt79, Einführung § 2197 BGB Rz. 3; Lange, Erbrecht², § 64 Rz. 85. 2 Vgl. Leipold, Erbrecht22, Rz. 799; Reimann in Staudinger, § 2203 BGB Rz. 8. 3 BGH v. 9.10.1957 – IV ZR 217/57, BGHZ 25, 275; Zimmermann in MüKo8, Vorbem. zu § 2197 BGB Rz. 5; Weidlich in Palandt79, Einführung § 2197 BGB Rz. 2. 4 BGH v. 29.4.1954 – IV ZR 152/53, BGHZ 13, 203. 5 Zimmermann in MüKo8, § 2203 BGB Rz. 2; Lange, Erbrecht², § 64 Rz. 109. 6 BGH v. 1.6.1967 – II ZR 150/66, BGHZ 48, 214. 7 Zimmermann in MüKo8, § 2214 BGB Rz. 1.

294 | Tiedemann

D. Testamentsvollstreckung | Rz. 5.330 Kap. 5

c) Verfügungsbefugnisse Der Testamentsvollstrecker ist nach § 2205 Satz 2 BGB befugt, den Nachlass in Besitz zu nehmen und über Nachlassgegenstände zu verfügen. Unentgeltliche Verfügungen sind ihm grundsätzlich untersagt (§ 2205 Satz 3 BGB).1 Wegen der allgemein anerkannten analogen Anwendung des § 181 BGB sind dem Testamentsvollstrecker Insichgeschäfte nur möglich, sofern der Erblasser dies gestattet.2 Dies sollte bei der Gestaltung berücksichtigt werden.

5.325

Der Testamentsvollstrecker kann nach § 2206 Abs. 1 Satz 1 BGB Verbindlichkeiten für den Nachlass eingehen, soweit dies einer ordnungsgemäßen Verwaltung entspricht.

5.326

d) Prozessführungsbefugnis Für Rechte, welche der Testamentsvollstreckung unterliegen, hat der Testamentsvollstrecker nach § 2212 BGB die ausschließliche Prozessführungsbefugnis in Aktivprozessen. Ist der Testamentsvollstrecker selbst der Nachlassschuldner, so kann der Erbe den Anspruch gegen ihn gerichtlich geltend machen.3

5.327

Hat der Testamentsvollstrecker die Befugnis zur Verwaltung des Nachlasses, können Ansprüche gegenüber dem Nachlass sowohl gegenüber ihm als auch den Erben geltend gemacht werden (§ 2213 Abs. 1 Satz 1, 2 BGB).

5.328

Dies gilt jedoch nicht für Pflichtteilsansprüche, welche nach § 2213 Abs. 1 Satz 3 BGB stets gegenüber den Erben geltend gemacht werden müssen. Der Testamentsvollstrecker ist lediglich zur Duldung der Zwangsvollstreckung verpflichtet (§ 2213 Abs. 3 BGB).

5.329

3. Testamentsvollstreckung bei Unternehmen a) Motivation

5.330

Gerade bei Unternehmen kann eine Testamentsvollstreckung sinnvoll sein: – Der Erblasser kann die Umsetzung seiner Nachfolgeregelung in die Hände einer sachkundigen und neutralen Person legen.4 – Der Erblasser kann die Unternehmensleitung für eine vorübergehende Zeit, bis der designierte Nachfolger ausreichend beruflich qualifiziert und erfahren ist, in die Hände des Testamentsvollstreckers legen.5 – Der Erblasser kann die Auswahl des Unternehmensnachfolgers in die Hände des Testamentsvollstreckers legen.6 – Der Erblasser kann mit dem Testamentsvollstrecker die gesetzlichen Vertreter der minderjährigen Erben vom Unternehmen ausschließen.7 – Der Erblasser kann sein Unternehmen vor den Eigengläubigern des Erben schützen.8 1 2 3 4 5 6 7 8

Lange, Erbrecht², § 65 Rz. 136. BGH v. 29.4.1959 – V ZR 11/58, BGHZ 30, 67. BGH v. 14.11.2002 – III ZR 19/02, NJW-RR 2003, 217. Todtenhöfer, RNotZ 2017, 557 (561). Kämper, RNotZ 2016, 625 (629); vgl. Werner, ZErb 2008, 195. Werner, ZErb 2008, 195. Vgl. v. Proff, DStR 2008, 415. Todtenhöfer, RNotZ 2017, 557 (561); Zimmermann in MüKo8, § 2214 BGB Rz. 1.

Tiedemann | 295

Kap. 5 Rz. 5.331 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

b) Problematik

5.331

Die Problematik einer Testamentsvollstreckung im Unternehmensbereich liegt im Bereich der Personengesellschaften und einzelkaufmännischen Unternehmen: Aufgrund des Haftungsthemas wird eine Testamentsvollstreckung als problematisch angesehen und teilweise nicht für zulässig gehalten. Denn in einer Personengesellschaft oder in einem einzelkaufmännischen Unternehmen muss immer (mindestens) eine Person unbeschränkt haften. Problematisch ist daher, dass mit der Anordnung einer Testamentsvollstreckung im Unternehmensbereich ein Haftungswiderspruch entsteht:1 Die Haftung eines Einzelkaufmanns oder der (persönlich haftenden) Gesellschafter einer Personengesellschaft ist unbeschränkt, während der Erbe seine Haftung für Verbindlichkeiten, die der Testamentsvollstrecker eingeht, auf das Nachlassvermögen beschränken kann.2 c) Einzelkaufmännische Unternehmen aa) Unzulässigkeit wegen unbeschränkter persönlicher Haftung

5.332

Für ein einzelkaufmännisches Unternehmen wird eine Testamentsvollstreckung nicht für zulässig gehalten, da erbrechtliche und handelsrechtliche Grundsätze kollidieren.3

5.333

Nach den erbrechtlichen Regelungen würde der Testamentsvollstrecker für Verbindlichkeiten aus dem Handelsgeschäft nicht persönlich haften und der Erbe kann die Haftung wiederum auf den Nachlass beschränken (s. Rz. 5.515 ff.).4 Im Handelsrecht gilt jedoch das Prinzip, dass der Inhaber eines einzelkaufmännischen Unternehmens unbeschränkt persönlich haftet. bb) Ersatzlösungen

5.334

In der Praxis wurden zur Lösung dieses Problems verschiedene Ersatzlösungen entwickelt.5 Der Testamentsvollstrecker kann sich z.B. im Rahmen der sog. Vollmachtlösung zur Fortführung des Handelsgeschäfts durch die Erben bevollmächtigen lassen, welche als Inhaber des Handelsgeschäfts ins Handelsregister eingetragen werden und persönlich haften.6 Bei der Treuhandlösung führt der Testamentsvollstrecker das Handelsgeschäft hingegen im eigenen Namen treuhänderisch für die Erben fort.7 d) Personengesellschaften aa) Unzulässigkeit von uneingeschränkter Verwaltung für pHG-Anteile

5.335

Bei der Testamentsvollstreckung von Anteilen an Personengesellschaften ergeben sich ähnliche Probleme, soweit Anteile betroffen sind, für die eine volle Haftung besteht.8 Denn auch 1 Kämper, RNotZ 2016, 625, 633. 2 Zimmermann in MüKo8, § 2205 BGB Rz. 14 ff.; Weidlich in Palandt79, § 2205 BGB Rz. 7 ff.; Lange in BeckOK, § 2205 BGB Rz. 28. 3 BGH v. 18.1.1954 – IV ZR 130/53, BGHZ 12, 100. 4 Leipold, Erbrecht22, Rz. 804. 5 Weidlich in Palandt79, § 2205 BGB Rz. 7 ff.; Heckschen in Burandt/Rojahn3, § 2205 BGB Rz. 21 ff.; Muscheler, Erbrecht, Rz. 2793. 6 Zimmermann in MüKo8, § 2205 BGB Rz. 25. 7 Zimmermann in MüKo8, § 2205 BGB Rz. 27. 8 Weidlich in Palandt79, § 2205 BGB Rz. 11; Heckschen in Burandt/Rojahn3, § 2205 BGB Rz. 29; Reimann in Staudinger, § 2205 BGB Rz. 142 ff.

296 | Tiedemann

D. Testamentsvollstreckung | Rz. 5.342 Kap. 5

hier gilt das Prinzip, dass die unbeschränkte Haftung zusammen mit den Gesellschaftsrechten im Wege der Sonderrechtsnachfolge unmittelbar auf den zum Nachfolger ernannten Erben übergehen. Deshalb wird die uneingeschränkte Verwaltung des Anteils an einer Personengesellschaft durch den Testamentsvollstrecker für unzulässig erachtet.1 Dies gilt für den Anteil an einer BGB-Gesellschaft oder an einer oHG und für einen Komplementär-Anteil an einer KG,2 nicht hingegen für den Kommanditanteil an einer KG, da der Gesellschafter hier nicht unbeschränkt, sondern nur mit seiner Einlage haftet.3

5.336

bb) Beschränkte Verwaltung und Ersatzlösungen Für Anteile an Personengesellschaften kommt aber eine beschränkte Testamentsvollstreckung in Betracht. Danach kann der Testamentsvollstrecker die der Gesellschaftsbeteiligung innewohnenden Vermögensrechte (z.B. Entgegennahme von Gewinnausschüttung oder Liquidationserlös) wahrnehmen, nicht dagegen Mitgliedschaftsrechte, wie das Stimmrecht oder die Geschäftsführung, ausüben.4

5.337

Auch bei Personengesellschaften können die sog. Vollmacht- oder Treuhandlösung (s. Rz. 5.334) Abhilfe verschaffen, sofern sich dies mit dem Willen des Erblassers und dem Gesellschaftsvertrag vereinbaren lässt.

5.338

Es ist aber stets der Gesellschaftsvertrag der betreffenden Personengesellschaft zu beachten, der eine Testamentsvollstreckung oder Vollmachtslösung einschränken oder ausschließen kann.5

5.339

Bei der Vollmachtslösung ist die Kernbereichslehre (vgl. Rz. 5.342) zu beachten: In der Gesellschaft dürfen Vertragsänderungen, die in den Kernbereich der Mitgliedschaft des einzelnen Gesellschafters eingreifen, nur mit Zustimmung des betroffenen Gesellschafters (Erben, Vollmachtgebers) erfolgen.6

5.340

cc) Zulässigkeit bei KG-Anteilen Bei KG-Anteilen ist eine Testamentsvollstreckung zulässig, sofern sie nicht im Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen ist.7

5.341

Es ist jedoch umstritten, ob die Kernbereichslehre (vgl. Rz. 5.340) auf die Testamentsvollstreckung von KG-Anteilen Anwendung findet.8 Hierbei geht es um die Frage, ob Maßnah-

5.342

1 BGH v. 24.11.1980 – II ZR 194/79, NJW 1981, 749 (750). 2 Reimann in Staudinger, § 2205 BGB Rz. 167; Heckschen in Burandt/Rojahn3, § 2205 BGB Rz. 29. 3 Zimmermann in MüKo8, § 2205 BGB Rz. 14; Reimann in Staudinger, § 2205 BGB Rz. 180; Heckschen in Burandt/Rojahn3, § 2205 BGB Rz. 39. 4 Leipold, Erbrecht22, Rz. 807. 5 Weidlich in Palandt79, § 2205 BGB Rz. 13. 6 Schäfer in MüKo8, § 709 BGB Rz. 91 ff.; Todtenhöfer, RNotZ 2017, 557 (561, 564). 7 Zimmermann in MüKo8, § 2205 BGB Rz. 44. Vgl. auch Reimann in Staudinger, § 2205 BGB Rz. 177. 8 Dafür OLG Hamm v. 6.1.2001 – 27 U 64/01, NJW-RR 2002, 729; Roth in Baumbach/Hopt39, § 139 HGB Rz. 27; Weidlich, ZEV 1994, 206 (208 ff.); Ulmer, NJW 1990, 73 (79); Dagegen LG Mannheim v. 10.11.1998 – 2 O 193/98, ZEV 1999, 443 (444); Schäfer in MüKo8, § 705 BGB Rz. 119; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn3, § 139 HGB Rz. 85; Everts, MittBayNot 2003, 427 (429 f.).

Tiedemann | 297

Kap. 5 Rz. 5.342 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

men des Testamentsvollstreckers, die unmittelbar in die mitgliedschaftliche Rechtsstellung der Erben eingreifen oder die Verbandsstruktur der Gesellschaft verändern, der Zustimmung der Erben bedürfen.1 Als Beispiele können die satzungsmäßige Änderung der Gewinnverteilung oder die Umwandlung der Gesellschaft genannt werden.2 e) Kapitalgesellschaften aa) Gesellschaft mit beschränkter Haftung

5.343

Eine Testamentsvollstreckung ist bei Kapitalgesellschaften grundsätzlich möglich.3 Aufgrund der Haftungsbeschränkung bei Kapitalgesellschaften, kommt es bei der Testamentsvollstreckung an ihren Anteilen nicht zur Kollision von erbrechtlichen und handelsrechtlichen Haftungsbestimmungen.4

5.344

Der nach § 15 Abs. 1 GmbHG vererbliche Geschäftsanteil an einer GmbH kann mit Ausnahme der höchstpersönlichen Gesellschafterrechte der Verwaltung des Testamentsvollstreckers unterliegen.5 Auch hier ist umstritten, ob die Kernbereichslehre (vgl. Rz. 5.340, 5.342) bei der Testamentsvollstreckung Anwendung findet.6

5.345

Die Verwaltungsbefugnis der Testamentsvollstreckers umfasst grundsätzlich alle Rechtshandlungen, welche sonst vom Erben als Gesellschafter ausgeübt werden könnten. Das schließt insbesondere die Entgegennahme der Gewinnausschüttung oder des Liquidationserlöses und die Ausübung des Stimmrechts und etwaiger Sonderrechte, wie z.B. das Recht zur Geschäftsführung, ein.7

5.346

Auch zur Veräußerung des GmbH-Geschäftsanteils oder zur Kündigung der Mitgliedschaft ist der Testamentsvollstrecker ermächtigt.8 Es ist ihm jedoch nach § 2205 Satz 3 BGB untersagt, unentgeltlich über den Gesellschaftsanteil zu verfügen. bb) Aktiengesellschaft

5.347

Für die Testamentsvollstreckung über Anteile an einer Aktiengesellschaft gelten die gleichen Grundsätze wie bei GmbH-Geschäftsanteilen.9

5.348

Neben der Ausübung des Stimmrechts und der weiteren versammlungsgebundenen Aktionärsrechte ist der Testamentsvollstrecker auch für die Ausübung der Vermögensrechte verantwortlich.10 Dazu zählen insbesondere das Bezugsrecht (§ 186 AktG) und das Recht auf den Liquidationserlös (§ 271 AktG).11 1 Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn3, § 139 HGB Rz. 84 f. 2 Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn3, § 139 HGB Rz. 84 f. 3 Reimann in Staudinger, § 2205 BGB Rz. 201; Zimmermann in MüKo8, § 2205 BGB Rz. 50 ff.; Weidlich in Palandt79, § 2205 BGB Rz. 19 f. 4 Bonefeld in Damrau, Erbrecht3, § 2205 BGB Rz. 65. Vgl. Reimann in Staudinger, § 2205 BGB Rz. 201. 5 Bonefeld in Uricher, Erbrecht3, Rz. 405. 6 Vgl. Todtenhöfer, RNotZ 2017, 557 (561, 564). 7 Mayer, ZEV 2002, 209 (210). 8 Zimmermann in MüKo8, § 2205 BGB Rz. 51. 9 Reimann in Staudinger, § 2205 BGB Rz. 210. Vgl. Zimmermann in MüKo8, § 2205 BGB Rz. 53; Weidlich in Palandt79, § 2205 BGB Rz. 20. 10 Frank, ZEV 2002, 389 (390). 11 Zimmermann in MüKo8, § 2205 BGB Rz. 53; Frank, ZEV 2002, 389 (391).

298 | Tiedemann

D. Testamentsvollstreckung | Rz. 5.354 Kap. 5

Bei einer Testamentsvollstreckung über Aktien gelten keine Besonderheiten: Auch hier ist umstritten, ob die Kernbereichslehre (vgl. Rz. 5.340, 5.342) Anwendung findet.1

5.349

IV. Beginn und Ende der Testamentsvollstreckung 1. Annahme und Ablehnung des Amts Die Testamentsvollstreckung beginnt nach § 2202 Abs. 1 BGB mit der Annahme des Amts des Testamentsvollstreckers. Es steht dem Ernannten grundsätzlich frei, das Amt anzunehmen, es sei denn, die Pflicht zur Annahme ergibt sich aus einem Vertrag mit dem Erblasser.2 Die Annahme oder die Ablehnung des Amts erfolgen durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht (§ 2202 Abs. 2 Satz 1 BGB).

5.350

2. Beendigung des Amts Das Amt des Testamentsvollstreckers endet grundsätzlich, wenn er all seine Aufgaben erfüllt hat. Aber auch durch Zeitablauf (§ 2210 BGB), den Tod des Testamentsvollstreckers (§ 2225 BGB), den Verlust seiner vollen Geschäftsfähigkeit oder die Entlassung durch das Nachlassgericht (§ 2227 BGB) endet das Amt des Testamentsvollstreckers. Daneben hat der Testamentsvollstrecker das Recht aus § 2226 BGB, sein Amt jederzeit zu kündigen und niederzulegen. Nach Beendigung des Amts ist der Nachlass nach §§ 2218 Abs. 1, 667 BGB an die Erben herauszugeben.

5.351

V. Kosten der Testamentsvollstreckung 1. Vergütung und Aufwendungsersatz Der Testamentsvollstrecker hat nach § 2221 BGB einen Anspruch auf eine angemessene Vergütung, sofern nicht der Erblasser ein anderes bestimmt hat.

5.352

Der Vergütungsanspruch des Testamentsvollstreckers ist abzugrenzen vom Anspruch des Testamentsvollstreckers auf Aufwendungsersatz. Macht der Testamentsvollstrecker zum Zwecke der Ausführung der ihm übertragenen Aufgaben Aufwendungen, die er den Umständen nach für erforderlich halten durfte, kann er sie nach §§ 2218, 670 BGB ersetzt verlangen.3

5.353

2. Bestimmung durch den Erblasser In erster Linie bestimmt sich die Vergütung des Testamentsvollstreckers – ohne Rücksicht auf ihre Angemessenheit – nach dem Willen des Erblassers.4 Maßgebend dafür ist, was in der letztwilligen Verfügung formwirksam bestimmt ist.5 Erscheint dem Testamentsvollstrecker das vom Erblasser bestimmte Honorar als unangemessen niedrig, kann er mit den Erben über die Vergütung verhandeln, das Amt ablehnen oder das übernommene Amt kündigen.6

1 2 3 4 5 6

Vgl. Zimmermann in MüKo8, § 2205 BGB Rz. 53. Leipold, Erbrecht22, Rz. 792. Zimmermann in MüKo8, § 2221 BGB Rz. 35. Reimann in Staudinger, § 2221 BGB Rz. 2; Heckschen in Burandt/Rojahn3, § 2221 BGB Rz. 1. Weidlich in Palandt79, § 2221 BGB Rz. 1. Zimmermann in MüKo8, § 2221 BGB Rz. 6.

Tiedemann | 299

5.354

Kap. 5 Rz. 5.355 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

3. Vergütungsvereinbarung mit den Erben 5.355

Eine Vereinbarung des Testamentsvollstreckers mit den Erben über seine Vergütung ist ohne (oder auch bei bestehender) Anordnung des Erblassers empfehlenswert.1 Dabei ist zu beachten, dass nur insoweit von den Anordnungen des Erblassers abgewichen werden darf, als andere Nachlassbeteiligte wie z.B. Vermächtnisnehmer oder Nachlassgläubiger nicht beeinträchtigt werden.2

4. Angemessene Vergütung a) Kriterien

5.356

Fehlt eine formwirksame Bestimmung der Vergütung durch den Erblasser, steht dem Testamentsvollstrecker die in § 2221 BGB genannte „angemessene Vergütung“ zu. Eine gesetzliche Vergütungsordnung oder verbindliche Vergütungsrichtlinien existieren nicht.3 Die Höhe der angemessenen Vergütung richtet sich nach dem konkret zu bewältigenden Aufgaben- und Pflichtenkreis des Testamentsvollstreckers.4 Dabei sind zu berücksichtigen: Art und der Gegenstand der Testamentsvollstreckung (Strukturierung, Dauer, Umfang und Wert), die Anzahl an beteiligten Personen, die Größe der Verantwortung und die Erforderlichkeit von Vorkenntnissen und Erfahrungen und auch die Geschicklichkeit des Testamentsvollstreckers und der dadurch erzielte Erfolg.5 b) Wertgebühr

5.357

Es ist üblich, das Honorar anhand von Prozentsätzen am Bruttowert des Nachlasses (also ohne Abzug von Schulden) zu orientieren, weil gerade die Schuldenregulierung oft besonders aufwendig ist.6

5.358

In der Praxis wird häufig die „Neue Rheinische Tabelle“ des Deutschen Notarvereins7 herangezogen, welche auch zunehmend von der Rechtsprechung angewendet wird.8 Nach der „Neuen Rheinischen Tabelle“ deckt ein sich am Bruttonachlasswert orientierender Vergütungsgrundbetrag die einfache Testamentsvollstreckung ab.9 Die Grundvergütung erhöht sich bei der Übernahme von zusätzlichen Tätigkeiten. Dazu zählen eine aufwendige Grundtätigkeit, die Auseinandersetzung, eine komplexe Nachlassverwaltung, aufwendige oder schwierige Gestaltungsaufgaben und Steuerangelegenheiten.10 Bei Betriebsvermögen kommt ein Honorar i.H.v. 10 % des jährlichen Reingewinns oder ein branchenübliches Gehalt bzw. Vergütung in Betracht.11

1 2 3 4 5 6 7 8

Lange in BeckOK, § 2221 BGB Rz. 4. Lange in BeckOK, § 2221 BGB Rz. 4. Zimmermann in MüKo8, § 2221 BGB Rz. 9. Reimann in Staudinger, § 2221 BGB Rz. 31. BGH v. 28.11.1962 – V ZR 225/60, NJW 1963, 487. Zimmermann in MüKo8, § 2221 BGB Rz. 8. Tabelle in Reimann in Staudinger, § 2221 BGB Rz. 45. OLG Schleswig v. 25.8.2009 – 3 U 46/08, ZEV 2009, 625; OLG Köln v. 2.5.2007 – 2 U 126/06, ZEV 2008, 335; LG Hamburg v. 29.5.2013 – 318 O 35/13, BeckRS 2015, 7036; weitere unveröffentlichten Entscheidungen bei Reimann in Staudinger, § 2221 BGB Rz. 44. 9 Heckschen in Burandt/Rojahn3, § 2221 BGB Rz. 9. 10 Heckschen in Burandt/Rojahn3, § 2221 BGB Rz. 11. 11 Heckschen in Burandt/Rojahn3, § 2221 BGB Rz. 13.

300 | Tiedemann

E. Pflichtteilsrecht | Rz. 5.363 Kap. 5

5. Fälligkeit, Schuldner, Entlastung Wenn der Erblasser nichts anderes bestimmt hat, ist das Honorar insgesamt erst mit der Beendigung des Amtes fällig.1 Nur bei einer länger dauernden Tätigkeit kann der Testamentsvollstrecker jährlich eine entsprechende Vergütung verlangen.2 Einen Vorschuss auf die noch nicht fällige Vergütung kann der Testamentsvollstrecker nicht verlangen.3 Demgegenüber ist in der „Neuen Rheinischen Tabelle“ (s. Rz. 5.358) geregelt, dass der Vergütungsgrundbetrag zur Hälfte nach Abschluss der Konstituierung und im Übrigen mit Abschluss der Erbschaftsteuerveranlagung fällig ist. Da eine Testamentsvollstreckung oftmals mehrere Jahre andauert, ist die eine sinnvolle Regelung, welche bei der Gestaltung des Testaments berücksichtigt werden sollte. Ein Verweis auf die Geltung der „Neuen Rheinischen Tabelle“ (s. Rz. 5.358) ist daher auch aus dem Vergütungsaspekt sinnvoll und zweckmäßig.

5.359

Schuldner der Vergütung sind die Erben.4 Die Vergütung ist als Erbfallschuld Nachlassverbindlichkeit (§ 1967 Abs. 1 BGB) und kann vom Testamentsvollstrecker aus dem Nachlass entnommen werden.5 Besteht Streit über die Höhe der Vergütung, so entscheidet hierüber ein Zivilgericht (nicht das Nachlassgericht!).6 Es ist daher empfehlenswert, mit den Erben eine Schlussvereinbarung über die Höhe der Vergütung abzuschließen.

5.360

In einer Schlussvereinbarung kann auch eine Entlastung des Testamentsvollstreckers geregelt werden. Die Erben sind nicht verpflichtet, dem Testamentsvollstrecker eine Entlastungserklärung zu erteilen7, es sei denn, dies ist im Testament vorgesehen. Dies sollte bei der Testamentsgestaltung berücksichtigt werden.

5.361

E. Pflichtteilsrecht I. Zweck In der Gestaltung der Unternehmensnachfolge muss auch das Pflichtteilsrecht als eine Schranke der Testierfreiheit (Rz. 5.133 ff.) berücksichtigt werden. Auch wenn der Pflichtteil nach deutschem Recht kein echtes Erbrecht darstellt, sondern lediglich einen Wertersatzanspruch in Geld8, so kann die Erfüllung von Pflichtteilsansprüchen einen erheblichen Liquiditätsabfluss bedeuten.

5.362

Das Pflichtteilsrecht sichert den nächsten Angehörigen des Erblassers eine Teilhabe an seinem Nachlass, wenn dieser von seiner Testierfreiheit Gebrauch macht und eine von der gesetzlichen Erbfolge abweichende Weitergabe seines Vermögens anordnet. Er ist nicht verpflichtet, seiner Familie etwas zuzuwenden. Als Ausgleich für diese Freiheit sichert das in den §§ 2303 ff. BGB geregelte Pflichtteilsrecht den nächsten Verwandten eine Mindestteilha-

5.363

1 Zimmermann in MüKo8, § 2221 BGB Rz. 31; Heckschen in Burandt/Rojahn3, § 2221 BGB Rz. 16; Weidlich in Palandt79, § 2221 BGB Rz. 13. 2 Weidlich in Palandt79, § 2221 BGB Rz. 13. 3 Zimmermann in MüKo8, § 2221 BGB Rz. 32. 4 Weidlich in Palandt79, § 2221 BGB Rz. 12. 5 Weidlich in Palandt79, § 2221 BGB Rz. 12, 14. 6 Weidlich in Palandt79, § 2221 BGB Rz. 13. 7 Heckschen in Burandt/Rojahn3, § 2219 BGB Rz. 3. 8 Leipold, Erbrecht22, Rz. 828; Lange, Erbrecht2, § 83 Rz. 1.

Tiedemann | 301

Kap. 5 Rz. 5.363 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

be am Nachlass in Form eines Geldanspruchs für den Fall, dass sie von der Erbfolge ausgeschlossen sind.

5.364

Diese grundsätzlich unentziehbare Mindestbeteiligung am Nachlass wird nach einem Urteil des BVerfG aus dem Jahre 2005 durch die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Schutz der Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistet.1

5.365

Einen Anspruch auf den Pflichtteil hat nach § 2303 Abs. 1 BGB derjenige Pflichtteilsberechtigte, den der Erblasser durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen hat.

II. Voraussetzungen eines Pflichtteilsanspruchs 1. Pflichtteilsberechtigung a) Die nächsten Angehörigen

5.366

Pflichtteilsberechtigt sind nur die nächsten Familienangehörigen. Das Gesetz gewährt den Pflichtteil nach § 2303 Abs. 1 Satz 1 BGB den Abkömmlingen des Erblassers und nach § 2303 Abs. 2 Satz 1 BGB seinen Eltern und seinem Ehegatten. Lebenspartner sind über § 10 Abs. 6 LPartG ebenfalls pflichtteilsberechtigt.

5.367

Geschwister als potentielle gesetzliche Erben der zweiten Ordnung i.S.d. § 1925 Abs. 1 BGB oder Großeltern als Erben der dritten Ordnung nach § 1926 Abs. 1 BGB gehören nicht mehr zum Kreise der Pflichtteilsberechtigten. b) Kein Ausschluss der Erbberechtigung

5.368

Die Pflichtteilsberechtigung setzt voraus, dass dem Berechtigten ohne die letztwillige Verfügung des Erblassers ein gesetzliches Erbrecht zugestanden hätte.2 Daher darf der Berechtigte nicht schon durch andere Gründe von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen sein.3

5.369

Kein Pflichtteilsrecht steht daher nach § 2309 BGB den entfernteren Abkömmlingen und den Eltern des Erblassers zu, sofern ein näherer Abkömmling pflichtteilsberechtigt ist, der die entfernteren Abkömmlinge oder die Eltern von der gesetzlichen Erbfolge ausschließen würde. Auf diese Weise soll eine Vervielfältigung der Pflichtteilslast4 und eine zu hohen Pflichtteilsbelastung für den Nachlass durch Mehrfachbegünstigung desselben Stammes5 verhindert werden.

5.370

Kein Pflichtteilsrecht haben – mangels gesetzlichen Erbrechts – Erbunwürdige (Rz. 5.601 ff.), Personen, die auf ihr gesetzliches Erbrecht verzichtet haben (Rz. 5.622 ff.) sowie solche, die nur auf ihren Pflichtteil verzichtet haben (Rz. 5.622 ff.) oder denen der Pflichtteil wirksam entzogen wurde (Rz. 5.404 ff.).6

1 2 3 4 5 6

BVerfG v. 19.4.2005 – 1 BvR 1644/00, NJW 2005, 1561. Lange, Erbrecht², § 85 Rz. 13. Bock in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2303 BGB Rz. 19 f. Bock in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2309 BGB Rz. 1. BGH, v. 27.6.2012 – IV ZR 239/10, BGHZ 193, 369 (370). Vgl. Bock in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2309 BGB Rz. 20.

302 | Tiedemann

E. Pflichtteilsrecht | Rz. 5.378 Kap. 5

2. Ausschluss von der Erbfolge a) Ausschluss durch Letztwillige Verfügung Der Pflichtteilsberechtigte muss von der Erbfolge ausgeschlossen sein. Die fehlende Erbberechtigung muss sich nach § 2303 Abs. 1 BGB aus einer letztwilligen Erklärung des Erblassers ergeben.1 Nötig ist also ein Ausschluss von der Erbfolge durch Testament oder Erbvertrag.

5.371

Die Tatsache allein, dass der Pflichtteilsberechtigte nicht Erbe wird, genügt nicht, um den Pflichtteilsanspruch auszulösen.2 Eine durch Erklärung des Pflichtteilsberechtigten bewirkte Ausschlagung der Erbschaft ist kein Ausschluss von der Erbfolge i.S.d. § 2303 Abs. 1 BGB und führt daher grundsätzlich nicht zur Entstehung des Pflichtteilsanspruchs (zu den Ausnahmen s. Rz. 5.378).3

5.372

b) Inhalt der Ausschlusserklärung Der Ausschluss kann durch ausdrückliche oder stillschweigende Enterbung i.S.d. § 1938 BGB erfolgen (s. Rz. 5.216 ff.). Eine stillschweigende Enterbung liegt vor, wenn andere Personen zu Erben eingesetzt wurden.4

5.373

Wird der gesetzliche Erbe nicht gänzlich von der Erbfolge ausgeschlossen, fehlt es zwar an einem Ausschluss i.S.d. § 2303 BGB. Er hat aber Anspruch auf einen Zusatzpflichtteil nach § 2305 BGB, wenn ihm weniger als die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils hinterlassen wurde.5

5.374

Wird der gesetzliche Erbe mit einem Vermächtnis bedacht, ist er zwar von der Erbfolge ausgeschlossen. Er hat aber nach § 2307 BGB nur dann einen Pflichtteil, wenn er das Vermächtnis ausschlägt oder das Vermächtnis den Pflichtteil nicht voll deckt.6

5.375

In der Zuwendung nur des Pflichtteils liegt nach der Auslegungsregel des § 2304 BGB im Zweifel ein Ausschluss von der Erbfolge. Auch mit der Einsetzung als Ersatzerbe i.S.d. § 2096 BGB schließt der Erblasser den Berufenen von der Erbfolge aus.7

5.376

c) Ausschlagung der Erbschaft Die Ausschlagung der Erbschaft durch den Pflichtteilsberechtigten ist kein Ausschluss von der Erbfolge i.S.d. § 2303 Abs. 1 BGB und führt daher grundsätzlich nicht zu Entstehung des Pflichtteilsanspruchs.8

5.377

Das Gesetz normiert Ausnahmefälle, in denen bei Ausschlagung der Erbschaft durch den Pflichtteilsberechtigten dennoch der Pflichtteil verlangt werden kann. Dies gilt zum einen für Ehegatten unter den Voraussetzungen des § 1371 Abs. 3 BGB (s. Rz. 5.382). Und zum ande-

5.378

1 2 3 4 5 6 7 8

Bock in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2303 BGB Rz. 21. Klingelhöffer, Pflichtteilsrecht4, Rz. 93. Lange, Erbrecht², § 85 Rz. 16. Lange in MüKo8, § 2303 BGB Rz. 18. Bock in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2303 BGB Rz. 22. Bock in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2303 BGB Rz. 23. Weidlich in Palandt79, § 2303 BGB Rz. 2. Zimmer in Prütting/Wegen/Weinreich13, § 2303 BGB Rz. 5.

Tiedemann | 303

Kap. 5 Rz. 5.378 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

ren haben Erben, die nach § 2306 BGB mit einer Beschränkung oder mit Vermächtnissen oder Auflagen belastet sind, die Wahl, ihren Erbteil auszuschlagen und stattdessen den Pflichtteil zu verlangen. Dies gilt z.B. für den Vor- und Nacherben (s. Rz. 5.222 ff.), da der Vorerbe grundsätzlich in der Verfügung beschränkt ist und für den Nacherben nicht sicher ist, wie viel beim Nacherbfall von der Erbschaft tatsächlich noch vorhanden sein wird.

III. Höhe des Pflichtteilsanspruchs 1. Rechtsnatur des Anspruchs 5.379

Das Pflichtteilsrecht des BGB gewährt dem Pflichtteilsberechtigten keine dingliche Beteiligung am Nachlass.1 Der Pflichtteilsanspruch ist als schuldrechtlicher Geldanspruch gegen den Erben ausgestaltet.2 Der Anspruch entsteht nach § 2317 Abs. 2 BGB mit dem Erbfall und stellt nach § 1967 Abs. 2 BGB eine Nachlassverbindlichkeit (Rz. 5.509) dar.

5.380

Aus der Rechtsnatur als Geldanspruch folgt, dass der Pflichtteilsberechtigte vom Erben und umgekehrt der Erbe vom Pflichtteilsberechtigten nicht verlangen kann, dass der Erbe dem Pflichtteilsberechtigten einzelne Gegenstände aus dem Nachlass zur Befriedigung des Pflichtteilsanspruchs übereignet.3 Dies gilt auch für persönliche Gegenstände des Erblassers und Erinnerungsstücke aus dem Nachlass, auf die Pflichtteilsberechtigten grundsätzlich keinen Anspruch haben. Besteht indes beiderseitiges Interesse, den Pflichtteilsanspruch anders als in Geld abzugelten, steht es dem Erben und Pflichtteilsberechtigten frei, eine vom Zahlungsanspruch abweichende Vereinbarung zu treffen.4

2. Pflichtteilsquote a) Hälfte des gesetzlichen Erbteils

5.381

Die Höhe des Pflichtteils beträgt nach § 2303 Abs. 1 Satz 2 BGB die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Maßgeblich ist derjenige Erbteil, welchen der Pflichtteilsberechtigte im (hypothetischen) Fall der gesetzlichen Erbfolge erben würde.5

5.382

Bei Berechnung dieser fiktiven Erbquote werden auch all diejenigen Personen berücksichtigt, die enterbt wurden, die Erbschaft ausgeschlagen haben oder für erbunwürdig erklärt wurden (§ 2310 Satz 1 BGB). Bei der Berechnung nicht berücksichtigt werden nach § 2310 Satz 2 BGB solche Personen, die durch Erbverzicht von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen sind (Rz. 5.622). b) Besonderheit bei Ehegatten aa) Kleiner Pflichtteil

5.383

War der Erblasser im Güterstand der Zugewinngemeinschaft verheiratet, ist bei der Bestimmung der Pflichtteilsquote des überlebenden Ehegatten zwischen dem kleinen und dem großen Pflichtteil zu unterscheiden.

1 2 3 4 5

Klingelhöffer, Pflichtteilsrecht4, Rz. 131. Leipold, Erbrecht22, Rz. 828. Klingelhöffer, Pflichtteilsrecht4, Rz. 137. Klingelhöffer, Pflichtteilsrecht4, Rz. 138. Lange in MüKo8, § 2303 BGB Rz. 14.

304 | Tiedemann

E. Pflichtteilsrecht | Rz. 5.390 Kap. 5

Der Ehegatte erhält den sog. kleinen Pflichtteil, wenn er weder Erbe noch Vermächtnisnehmer nach seinem Ehegatten geworden ist (§ 1371 Abs. 2 BGB).1 Die Höhe des kleinen Pflichtteils beträgt die Hälfte derjenigen Erbquote, die dem Ehegatten nach § 1931 BGB zustünde. Ihm steht zusätzlich zum Pflichtteilsanspruch ein Anspruch auf Ausgleich des rechnerisch genau ermittelten Zugewinns zu.2

5.384

Der Ehegatte kann durch Ausschlagung erreichen, dass er Anspruch auf den kleinen Pflichtteil zusätzlich zum Zugewinn erlangt (§ 1371 Abs. 3 BGB). Dies kann je nach Herkunft des Vermögens des Erblassers vorteilhaft sein: Wenn das wesentliche Vermögen des Erblassers in den Zugewinn fällt, erhält der überlebende Ehepartner neben der Hälfte als Zugewinn noch den Pflichtteil i.H.v. mindestens 1/8 (Hälfte von ¼ nach §§ 2303 Abs. 1 Satz 2, 1931 Abs. 1 BGB) – je nachdem, ob der Erblasser Abkömmlinge hinterlässt. Der Nachteil dieser Lösung ist jedoch für den überlebenden Ehegatten, dass er als reiner Pflichtteilsberechtigter keine dingliche Beteiligung am Nachlass hat.

5.385

bb) Großer Pflichtteil Den sog. großen Pflichtteil kann der überlebende Ehegatte verlangen, soweit er zwar Erbe oder Vermächtnisnehmer geworden ist, aber insgesamt weniger als die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils erhält.3 Dies kommt als Zusatzpflichtteil oder Pflichtteilsrest i.S.d. §§ 2305, 2307 Abs. 1 Satz 2 BGB in Betracht.

5.386

Die Höhe des (fiktiven) gesetzlichen Erbteils bemisst sich beim großen Pflichtteil nach dem gem. § 1371 Abs. 1 BGB um ¼ erhöhten gesetzlichen Erbteil aus § 1931 BGB.4

5.387

cc) Folge für andere Pflichtteilsberechtigte Der Pflichtteilsanspruch der anderen Pflichtteilsberechtigten wächst oder vermindert sich entsprechend § 1371 Abs. 2 Halbs. 2 BGB jeweils danach, ob der Ehegatte den großen oder kleinen Pflichtteil verlangen kann.

5.388

3. Bewertung des Nachlasses Zur konkreten Bestimmung der Höhe des Pflichtteilsanspruchs muss die Pflichtteilsquote mit dem Wert des Nachlasses multipliziert werden. Der Wert des Nachlasses wird anhand der Vorschriften der §§ 2311–2313 BGB ermittelt. Nach § 2311 Abs. 1 BGB ist der Wert des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalls entscheidend. Er ist, soweit erforderlich, durch Schätzung zu ermitteln (§ 2311 Abs. 2 BGB). Zur Bewertung eines Unternehmens s. Kapitel 7.

5.389

Der Pflichtteilsberechtigte hat gegen den Erben nach § 2314 Abs. 1 Satz 1 BGB einen Anspruch auf Auskunft über den Bestand des Nachlasses.

5.390

1 2 3 4

Weidlich in Palandt79, § 2303 BGB Rz. 15. Zimmer in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 2303 BGB Rz. 10. Leipold, Erbrecht22, Rz. 830. Bock in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2315 BGB Rz. 32, 34.

Tiedemann | 305

Kap. 5 Rz. 5.391 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

IV. Anrechnung und Ausgleichung 1. Zweck 5.391

Bei der Berechnung der Höhe des Pflichtteils sind auch die lebzeitigen Zuwendungen des Erblassers an den Pflichtteilsberechtigten und an die anderen gesetzlichen Erben zu berücksichtigen, sofern diese anrechnungs- oder ausgleichungspflichtig sind. Die Anrechnung von lebzeitigen Zuwendungen des Erblassers erfolgt nach § 2315 BGB und die Ausgleichung nach §§ 2316, 2050 ff. BGB. Dabei soll jeweils eine Doppelbegünstigung des Pflichtteilsberechtigten am Vermögen des Erblassers verhindert werden, indem lebzeitige Zuwendungen sdes Erblasser bei der Berechnung der Höhe des Pflichtteilsanspruchs berücksichtigt werden.1

5.392

Bei der Anrechnung (s. Rz. 5.392 ff.).) muss sich der Pflichtteilsberechtigte den Wert der lebzeitigen Zuwendung des Erblassers auf seinen Pflichtteils anrechnen lassen, wenn er die Zuwendung mit einer Anrechnungsbestimmung des Erblassers angenommen hat.2 Bei der Ausgleichung (s. Rz. 5.397 ff.) geht es darum, dass der Pflichtteil konkret berechnet wird und in der Hälfte dessen besteht, was der Pflichtteilsberechtigte unter Berücksichtigung der Ausgleichungsbestimmungen nach §§ 2050 ff. BGB (Rz. 5.397) als gesetzlicher Erbe erhalten hätte (hypothetische Ausgleichung).3 Daher sind nicht nur die Zuwendungen an den Pflichtteilsberechtigten selbst, sondern auch die Zuwendungen an die anderen ausgleichungspflichtigen Abkömmlinge des Erblassers zu berücksichtigen.

5.393

Die Anrechnung kommt dabei für alle Pflichtteilsberechtigten i.S.d. §§ 2303, 2309 BGB in Betracht (also auch Ehegatten).4 Die Ausgleichung betrifft nach § 2316 Abs. 1 BGB hingegen nur die pflichtteilsberechtigten Abkömmlinge des Erblassers.

2. Anrechnung a) Voraussetzungen

5.394

Die Anrechnung setzt nach § 2315 Abs. 1 BGB eine lebzeitige Zuwendung des Erblassers an den Pflichtteilsberechtigten voraus. Der Erblasser muss die Zuwendung mit der Bestimmung versehen, dass sie auf den Pflichtteil des Zuwendungsempfängers angerechnet werden soll. Die Bestimmung bedarf grundsätzlich keiner Form und kann auch stillschweigend erfolgen, sofern nicht das der Zuwendung zugrunde liegende Verpflichtungsgeschäft einer bestimmten Form unterliegt (z.B. die Übereignung eines Grundstücks nach § 311b Abs. 1 BGB).5 b) Berechnung

5.395

Die Berechnung des Anrechnungspflichtteils erfolgt nach § 2315 Abs. 2 Satz 1 BGB auf Basis eines fiktiven Anrechnungsnachlasses.6 Die Zuwendung wird dabei dem Nachlass hinzugerechnet, im Regelfall auf den Erbfall indexiert und sodann vom Pflichtteil des Pflichtteilsberechtigten abgezogen.7

1 2 3 4 5 6 7

Vgl. Bock in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2315 BGB Rz. 1. Bock in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2315 BGB Rz. 1. Bock in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2316 BGB Rz. 1. Lange in MüKo8, § 2315 BGB Rz. 9. Weidlich in Palandt79, § 2315 BGB Rz. 2. Bock in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2315 BGB Rz. 13. Bock in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2315 BGB Rz. 12 ff.

306 | Tiedemann

E. Pflichtteilsrecht | Rz. 5.401 Kap. 5

Bei mehreren Anrechnungspflichtigen ist der Pflichtteilsanspruch für jeden Pflichtteilsberechtigten gesondert zu berechnen.1 Der fiktive Nachlass wird dabei immer nur mit der konkret anrechnungspflichtigen Zuwendung gebildet, wodurch bei jedem Anrechnungspflichtigen von einem verschieden hohen fiktiven Anrechnungsnachlass auszugehen ist.2

5.396

3. Ausgleichung a) Voraussetzungen Die Ausgleichung nach § 2316 Abs. 1 BGB geht davon aus, dass Grundlage für die Berechnung des Pflichtteils nur das sein kann, was der Pflichtteilsberechtigte als gesetzlicher Erbe unter Berücksichtigung der Ausgleichungspflichten nach §§ 2050 ff. BGB (Rz. 5.399) erhalten würde. Daher sind hypothetische Ausgleichungspflichten aller Abkömmlinge zu berücksichtigen.3 Mitgezählt werden auch solche Abkömmlinge, die von der Erbfolge ausgeschlossen sind, die die Erbschaft ausgeschlagen haben oder die für erbunwürdig erklärt wurden.4 Nicht mitgezählt werden nach § 2316 Abs. 1 Satz 2 BGB diejenigen Abkömmlinge, die durch Erbverzicht von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen sind.

5.397

Eine (hypothetische) Ausgleichung erfolgt nur, wenn es ausgleichungspflichtige lebzeitige Zuwendungen des Erblassers i.S.d. § 2050 BGB oder einer besonderen Leistung i.S.d. § 2057a BGB gegeben hat (dazu Rz. 5.399 ff.).

5.398

b) Berechnung aa) Lebzeitige Zuwendungen Für lebzeitige Zuwendungen des Erblassers an den Abkömmling wird in § 2316 Abs. 1 BGB auf die Regeln über die Ausgleichspflicht bei der gesetzlichen Erbfolge verwiesen (§§ 2050 ff. BGB). Der Ausgleichungspflichtteil ist daher auf Grundlage eines fiktiven Ausgleichserbteils zu ermitteln.5

5.399

Hat ein Abkömmling durch die lebzeitige Zuwendung mehr erhalten hat, als ihm nach dem Ausgleichserbteil zustünde, so entfällt zwar sein Anspruch auf seinen Pflichtteil, den Mehrbetrag muss er jedoch nach § 2056 BGB nicht herausgeben. Er kann aber einem Pflichtteilsergänzungsanspruch nach den §§ 2325 ff. BGB ausgesetzt sein, sofern das Zugewendete eine Schenkung darstellt.

5.400

bb) Besondere Leistungen i.S.d. § 2057a BGB Bei besonderen Leistungen i.S.d. § 2057a BGB, also von Leistungen des Abkömmlings an den Erblasser, erfolgt die Berechnung des für den Ausgleichspflichtteil maßgebenden Ausgleichserbteils nach § 2057a Abs. 4 BGB i.V.m. § 2316 BGB.

1 2 3 4 5

Lange in MüKo8, § 2315 BGB Rz. 23. Weidlich in Palandt79, § 2315 BGB Rz. 7. Lange in MüKo8, § 2316 BGB Rz. 5. Bock in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2316 BGB Rz. 7. Lange in MüKo8, § 2316 BGB Rz. 14; Berechnungsbeispiele bei Bock in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2316 BGB Rz. 14 ff.

Tiedemann | 307

5.401

Kap. 5 Rz. 5.402 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

4. Kumulation von Ausgleichung und Anrechnung 5.402

In vielen lebzeitigen Übertragungsverträgen wird eine Kumulation von Anrechnung und Ausgleichung angeordnet („muss sich die Zuwendung auf seinen Erb- und Pflichtteil anrechnen lassen“).

5.403

In diesen Fällen wird die Zuwendung bei der Ausgleichung voll berücksichtigt, auf den Pflichtteil dann aber nur zur Hälfte angerechnet, § 2316 Abs. 4 BGB.1 Anderenfalls wäre die Zuwendung doppelt berücksichtigt.

V. Pflichtteilsentziehung 1. Zweck 5.404

Bei einem besonders schwerwiegenden Fehlverhalten des Pflichtteilsberechtigten kann es für den Erblasser unzumutbar sein, eine Nachlassteilhabe dieses Verwandten hinnehmen zu müssen. Daher ist es dem Erblasser nach § 2333 Abs. 1 BGB in Ausnahmefällen möglich, dem Verwandten über eine Enterbung hinaus auch den Pflichtteil zu entziehen.

5.405

Nicht jedes Fehlverhalten eines Pflichtteilsberechtigten, das zu Zerrüttung oder Entfremdung in der Familie führt, ist geeignet, sein Recht auf den Pflichtteil zu verwirken. Die gesetzlich geregelten Entziehungsgründe des § 2333 Abs. 1 BGB sind wegen der verfassungsrechtlichen Garantie des Pflichtteilsrecht (s. Rz. 5.364) eng umschrieben und abschließend.2

2. Gründe für die Pflichtteilsentziehung a) Nach dem Leben Trachten

5.406

Ein schwerwiegendes Verhalten des Pflichtteilsberechtigten, welches zum Entzug des Pflichtteils berechtigt, kann nach § 2333 Abs. 1 Nr. 1 BGB darin liegen, dass er dem Erblasser, dessen Ehegatten oder einem Abkömmling des Erblassers oder einer ihm ähnlich nahestehenden Person (z.B. Stiefkinder oder der nichteheliche Lebensgefährte)3 nach dem Leben trachtet. Das „nach dem Leben Trachten“ erfordert den ernsten Willen zur Herbeiführung des Todes einer der im Gesetz aufgeführten Personen.4 b) Verbrechen oder schweres vorsätzliches Vergehen

5.407

Gleichsam kann der Pflichtteil nach § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB entzogen werden, wenn sich der Pflichtteilsberechtigte eines Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens zu Lasten der in Nr. 1 aufgeführten Personen (Rz. 5.406) schuldig macht. Es bestehen keine Beschränkungen hinsichtlich des betroffenen Rechtsguts, so dass neben Körperverletzungsdelikten z.B. auch Vermögensdelikte in Frage kommen.5 Eine strafrechtliche Verurteilung ist nicht erforderlich.6

1 2 3 4 5 6

Vgl. Beispiele bei Bock in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2316 BGB Rz. 27 ff. BGH v. 1.3.1974 – IV ZR 58/72, BGH 1974,1084. Lange in MüKo8, § 2333 BGB Rz. 16. BVerfG v. 19.4.2005 – 1 BvR 1644/00, NJW 2005, 1561 (1566). Lange in MüKo8, § 2333 BGB Rz. 23. Herzog in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2333 BGB Rz. 7.

308 | Tiedemann

E. Pflichtteilsrecht | Rz. 5.414 Kap. 5

c) Böswillige Verletzung der gesetzlichen Unterhaltspflichten Der Erblasser kann den Pflichtteil auch entziehen, wenn der Pflichtteilsberechtigte die ihm gesetzlich obliegenden Unterhaltspflichten gegenüber dem Erblasser böswillig verletzt (§ 2333 Abs. 1 Nr. 3 BGB). Der Pflichtteilsentziehung aus diesem Grund kommt in der Praxis eher symbolische Bedeutung zu, da ein auf Unterhalt angewiesener Erblasser in der Regel kein nennenswertes Vermögen hat, das er vererben könnte.1

5.408

d) Rechtskräftige Verurteilung und Unzumutbarkeit für den Erblasser Nach § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB kann der Erblasser den Pflichtteil demjenigen entziehen, der wegen einer Straftat zu mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt worden ist und dessen Teilhabe am Nachlass für den Erblasser daher unzumutbar ist. Unzumutbarkeit liegt vor, wenn die Straftat den persönlichen, in der Familie gelebten Wertvorstellungen des Erblassers im hohen Maße widerspricht.2

5.409

3. Form und Beweislast Der Pflichtteil muss nach § 2336 Abs. 1 BGB durch letztwillige Verfügung entzogen werden. Das Recht zur Entziehung des Pflichtteils steht dem Erblasser höchstpersönlich zu; er kann nicht darauf verzichten, aber es durch Verzeihung verlieren (§ 1937 BGB).3 Der Grund der Entziehung muss zur Zeit der Errichtung bestehen und in der letztwilligen Verfügung angegeben sein (§ 2336 Abs. 2 BGB).

5.410

Die Beweislast trägt nach § 2336 Abs. 3 BGB derjenige, der die Pflichtteilsentziehung durch den Erblasser geltend macht. Dies wird insbesondere der Erbe sein, der die Erfüllung eines in Frage stehenden Pflichtteilsanspruchs verweigert.

5.411

VI. Pflichtteilsergänzung 1. Zweck Der Erblasser soll den Pflichtteilsanspruch seiner nahen Angehörigen nicht dadurch vereiteln, dass er sein Vermögen durch lebzeitige Schenkungen minimiert. Das Gesetz sichert dem Pflichtteilsberechtigten die Mindestbeteiligung am Nachlass daher zusätzlich durch den Pflichtteilsergänzungsanspruch.

5.412

Die Pflichtteilsergänzung aufgrund von lebzeitigen Schenkungen des Erblassers hat in der Praxis der Nachlassplanung eine große Bedeutung. Nach § 2325 Abs. 1 BGB werden diejenigen Schenkungen, die der Erblasser in den letzten zehn Jahren vor dem Erbfall gemacht hat, dem Nachlass bei der Berechnung des Pflichtteils hinzugerechnet. Ergibt sich eine Differenz des fiktiven zum ordentlichen Pflichtteil, kann der Pflichtteilsberechtigte diese Differenz als Ergänzung zu seinem Pflichtteil verlangen.

5.413

2. Rechtsnatur des Anspruches Der Pflichtteilsergänzungsanspruch ist ein schuldrechtlicher Geldanspruch des Pflichtteilsberechtigten gegen die Erben auf Zahlung der Differenz zwischen ordentlichem und fiktivem 1 Herzog in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2333 BGB Rz. 18. 2 LG Stuttgart v. 15.2.2012 – 16 O 638/11, FamRZ 2013, 332. 3 Lange in MüKo8, § 2333 BGB Rz. 8.

Tiedemann | 309

5.414

Kap. 5 Rz. 5.414 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

Pflichtteil.1 Er greift nicht die Wirksamkeit der Schenkung an und ist auch nicht wie der ordentliche Pflichtteilsanspruch auf eine wertmäßige Beteiligung am tatsächlichen Nachlass gerichtet.2

3. Anspruchsinhaber 5.415

Für den Anspruchsinhaber setzt der Pflichtteilsergänzungsanspruch ein bestehendes Pflichtteilsrecht voraus.3 Der Pflichtteilsergänzungsanspruch ist in seinem Bestehen aber vom ordentlichen Pflichtteilsanspruch i.S.d. § 2317 BGB unabhängig.4 Dies bedeutet, dass der Anspruchsinhaber lediglich abstrakt pflichtteilsberechtigt sein muss, aber nicht die Voraussetzungen für einen Pflichtteilsanspruch erfüllen muss (insbesondere nicht enterbt sein muss).5

5.416

Auch der Erbe ist abstrakt pflichtteilsberechtigt und kann nach § 2326 BGB einen Anspruch auf Pflichtteilsergänzung haben, da er nicht schlechter stehen soll, als wenn er lediglich den Pflichtteil bekommen würde. Ist dem pflichtteilsberechtigten Erben die Hälfte des gesetzlichen Erbteils oder weniger hinterlassen, so errechnet sich sein Anspruch nach §§ 2326 Satz 1, 2325 Abs. 1 BGB. Wenn das ihm Zugewendete mehr als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils beträgt, so ist nach § 2326 Satz 2 BGB der Wert der Zuwendung, der über die Hälfte des gesetzlichen Erbteils hinausgeht, von seinem Ergänzungsanspruch abzuziehen.

5.417

Für die Pflichtteilsberechtigung kam es lange Zeit darauf an, dass diese zum Zeitpunkt der Schenkung bestand (Lehre von der Doppelberechtigung).6 Dies bedeutet, dass die pflichtteilsberechtigte Person schon zum Zeitpunkt der Schenkung vorhanden gewesen sein musste (ein Kind schon geboren, die Ehe schon geschlossen). Diese Lehre von der Doppelberechtigung ist mittlerweile aber für Abkömmlinge vom BGH aufgegeben worden.7 Nicht ganz klar ist, ob dies auch für Ehegatten gilt. Dies stellt den Nachlassplaner vor Probleme, da ein erst nach der Schenkung hinzugekommener Pflichtteilsberechtigter ergänzungsberechtigt wäre und damit den Zweck der Planung vereiteln könnte. Dem kann aber durch einen (u.U. gegenständlich beschränkten) Pflichtteilsverzicht (Rz. 5.467 ff.) bei Eheschließung begegnet werden.

4. Anspruchsgegner 5.418

Schuldner des Pflichtteilsergänzungsanspruchs ist grundsätzlich der Erbe.8 Mehrere Erben haften als Gesamtschuldner.

5.419

Der Beschenkte haftet nach § 2329 BGB subsidiär, wenn und soweit der Erbe zur Ergänzung nicht verpflichtet ist. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Erbe selbst pflichtteilsberechtigt ist: Dann kann er die Pflichtteilsergänzung nach § 2328 BGB verweigern, soweit ihm nach Befriedigung des Anspruchs weniger verbleiben würde, als ihm selbst nach seinem Pflichtteil und nach der Pflichtteilsergänzung zustünde. Der Ergänzungsberechtigte hat nach Weidlich in Palandt79, § 2325 BGB Rz. 1, 3. BGH v. 27.3.1996 – IV ZR 185/95, BGHZ 132, 240. Lange in MüKo8, § 2325 BGB Rz. 7. Weidlich in Palandt79, § 2325 BGB Rz. 2. Bock in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2325 BGB Rz. 6. BGH v. 21.6.1972 – IV ZR 69/71, BGHZ 59, 210 (212); vgl. auch Bock in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2325 BGB Rz. 7. 7 BGH v. 23.5.2012 – IV ZR 250/11, BGHZ 193, 260. 8 Bock in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2325 BGB Rz. 10. 1 2 3 4 5 6

310 | Tiedemann

E. Pflichtteilsrecht | Rz. 5.424 Kap. 5

§ 2329 Abs. 1 BGB in diesem Fall einen Anspruch gegen den Beschenkten auf Herausgabe des Geschenks. Der Beschenkte kann nach § 2329 Abs. 2 BGB die Herausgabe der Zuwendung durch Zahlung des Ergänzungsbetrags abwenden. Falls der Beschenkte seinerseits pflichtteilsberechtigt ist, so muss er analog § 2328 BGB nur dasjenige herausgeben, was den Wert seines eigenen Pflichtteils übersteigt.1

5. Schenkung a) Definition Es muss eine Schenkung des Erblassers i.S.d. § 516 Abs. 1 BGB vorliegen und so eine Minderung des Nachlassvermögens eingetreten sein.2 Eine Schenkung i.S.d. § 2325 Abs. 1 BGB ist eine Zuwendung aus dem Vermögen des Erblassers, die einen anderen bereichert und bei der sich die Beteiligten über ihre Unentgeltlichkeit einig sind. Eine etwaige Benachteiligungsabsicht des Erblassers zu Lasten des Pflichtteilsberechtigten ist für den Tatbestand des § 2325 BGB nicht erforderlich.3

5.420

b) Beschenkter Der Beschenkte kann Dritter, (Mit-)Erbe oder auch ein Pflichtteilsberechtigter sein. Schenkungen, die der anspruchstellende Pflichtteilsberechtigte selbst erhalten hat, muss er sich nach § 2327 Abs. 1 Satz 1 BGB auf seinen Pflichtteilsergänzungsanspruch anrechnen lassen (Rz. 5.394 ff.). Solche Eigenschenkungen sind unabhängig von einer zeitlichen Befristung anzurechnen, so dass auch Schenkungen berücksichtigt werden, welche der Pflichtteilsberechtigte vor mehr als zehn Jahren erhalten hat (s. Rz. 5.441).4 Dies ist – neben der Abschmelzung (s. Rz. 5.433 ff.) – einer der Gründe, die den Pflichtteilsergänzungsanspruch schwächer als den Pflichtteilsanspruch machen.

5.421

c) Einzelfälle aa) Anstandsschenkungen Anstandsschenkungen, die auf einer sittlichen Pflicht beruhen, werden nach § 2330 BGB nicht berücksichtigt.

5.422

bb) Ehebedingte Zuwendungen Ehebedingte Zuwendungen an den Ehegatten führen nach der Rechtsprechung des BGH zu Pflichtteilsergänzungsansprüchen, auch wenn sie in der Regel nicht unentgeltlich erfolgen.5

5.423

cc) Gemischte Schenkungen Berücksichtigt werden auch gemischte Schenkungen, bei denen der Wert der vereinbarten Gegenleistung objektiv hinter dem Wert der Leistung des Erblassers zurückbleibt.6 Die 1 2 3 4 5 6

BGH v. 10.11.1982 – IVa ZR 29/81, NJW 1982, 1485 (1487). Leipold, Erbrecht22, Rz. 840. Weidlich in Palandt79, § 2325 BGB Rz. 7. Bock in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2327 BGB Rz. 7a. BGH v. 27.11.1991 – IV ZR 164/90, BGHZ 116, 167. BGH v. 3.12.2008 – IV ZR 58/07, NJW 2009, 1143.

Tiedemann | 311

5.424

Kap. 5 Rz. 5.424 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

Rechtsprechung hat dazu die Formel vom „groben Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung“ entwickelt, welches für eine Teil-Unentgeltlichkeit sprechen solle.1 Dies liege bei einer Unterschreitung des Verkehrswerts von 20 % noch nicht vor.2 dd) Lebensversicherung

5.425

Auch die unentgeltliche Zuwendung einer Lebensversicherung kann zu einem Ergänzungsanspruch führen.3 Für die Bestimmung der Zuwendung muss zwischen widerruflicher und unwiderruflicher Bezugsberechtigung unterschieden werden: Beim widerruflichen Bezugsrecht besteht die Zuwendung im Rückkaufswert in der logischen Sekunde vor dem Tod des Erblassers.4 Beim unwiderruflichem Bezugsrecht besteht die Zuwendung im Wert der Lebensversicherung zum Zeitpunkt der Einräumung.5 ee) Stiftung

5.426

Zuwendungen an eine gemeinnützige Stiftung zur Förderung des Stiftungszweckes können auch einen Pflichtteilsergänzungsanspruch auslösen.6 Dies hat der BGH bei einer unentgeltlichen Zuwendung an eine Stiftung zur Förderung der Dresdner Frauenkirche entschieden.7 ff) Aufnahme eines Gesellschafters

5.427

Die Aufnahme eines persönlich haftenden Gesellschafters in eine bestehende Gesellschaft stellt regelmäßig keine ergänzungspflichtige Schenkung dar.8 Dies gilt auch, wenn die Bedingungen für den eintretenden Gesellschafter besonders günstig sind oder er keine Einlage zu erbringen hat.9 Etwas anderes kann für Kommanditisten ohne Leistung einer Einlage gelten.10 gg) Fortsetzungsklausel in Gesellschaftsverträgen mit Abfindungsausschluss

5.428

Eine Fortsetzungsklausel in einem Gesellschaftsvertrag kann vorsehen, dass die Gesellschaft beim Tod eines Gesellschafters mit den verbleibenden Gesellschaftern fortgesetzt (Rz. 5.87) und die Abfindung der Erben des verstorbenen Gesellschafters ausgeschlossen (Rz. 5.461) oder reduziert wird. In diesem Fall wächst der Gesellschaftsanteil des verstorbenen Gesellschafters den anderen Gesellschaftern an (Anwachsungsklausel, Rz. 5.460).11

5.429

Solche Fortsetzungsklausel in Gesellschaftsverträgen mit Abfindungsausschluss gelten nach überwiegender Auffassung nicht als unentgeltliche Vereinbarung, wenn und soweit sie dem Unternehmenserhalt dienen und alle Gesellschafter gleichermaßen betreffen, so dass alle Gesellschafter die Chance haben, den Gesellschaftsanteil des anderen durch Anwachsung zu 1 2 3 4 5 6 7 8 9

BGH v. 6.3.1996 – IV ZR 374/94, NJW-RR 1996, 754. BGH v. 6.3.1996 – IV ZR 374/94, NJW-RR 1996, 754. Leipold, Erbrecht22, Rz. 843. BGH v. 28.4.2010 – IV ZR 73/08, BGHZ 185, 252. Bock in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2325 BGB Rz. 19. Bock in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2325 BGB Rz. 21. BGH v. 10.12.2003 – IV ZR 249/02, BGHZ 157, 178. Bock in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2325 BGB Rz. 25c; Lange in MüKo8, § 2325 BGB Rz. 37. BGH v. 21.4.1959 – VIII ZR 71/58, NJW 1959, 1433; BGH v. 26.3.1981 – IVa ZR 154/80, NJW 1981, 1956. 10 Bock in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2325 BGB Rz. 25c; Lange in MüKo8, § 2325 BGB Rz. 37. 11 v. Proff, DStR 2017, 2555 (2557).

312 | Tiedemann

E. Pflichtteilsrecht | Rz. 5.436 Kap. 5

erwerben.1 Dies hat zur Folge, dass die Erben des verstorbenen Gesellschafters weder in die Gesellschaft nachfolgen noch Pflichtteils- oder Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend machen können. Der Anteil des verstorbenen Gesellschafters wird bei der Bemessung des Pflichtteilsanspruchs nicht mit gerechnet. Dies gilt aber nicht bei großem Altersunterschied der Gesellschafter oder wenn ein Gesellschafter bereits krank und sein Versterben vorhersehbar ist.2 Dies gilt ebenfalls nicht, wenn beim Abfindungsausschluss erkennbar die abfindungsfreie Übertragung auf den anderen Gesellschafter im Vordergrund steht und kein Unternehmensinteresse erkennbar ist.3

5.430

d) Bewertung der Schenkung Die Schenkungen sind bei der Berechnung des Anspruchs grundsätzlich mit ihrem Verkehrswert anzusetzen.4 Für verbrauchbare Sachen i.S.d. § 92 BGB ist der Wert im Zeitpunkt der Schenkung maßgeblich (§ 2325 Abs. 2 Satz 1 BGB) und wegen des Kaufkraftschwunds auf den Erbfall zu indexieren.5

5.431

Bei nichtverbrauchbaren Gegenständen wird entweder der Wert zur Zeit des Erbfalls oder der Wert im Zeitpunkt der Zuwendung angesetzt. Maßgeblich ist dabei stets der Wert, der niedriger ist (Niederstwertprinzip6, § 2325 Abs. 2 Satz 2 BGB).

5.432

e) Zeitliche Begrenzung aa) Zehn-Jahres-Frist und Abschmelzlösung Wenn zwischen der Schenkung und dem Erbfall zehn Jahre vergangen sind, wird die Schenkung bei der Pflichtteilsergänzung nach § 2325 Abs. 3 Satz 2 BGB nicht mehr berücksichtigt.

5.433

Vor der Erbrechtsreform von 2009 wurde die Schenkung nach § 2325 Abs. 3 BGB a.F. vor Ablauf der Zehn-Jahres-Frist bei der Berechnung des Ergänzungsanspruchs vollständig berücksichtigt. Für Erbfälle vor dem 1.1.2010 gilt dies auch weiterhin.

5.434

Für Erbfälle nach dem 1.1.2010 gilt die sog. Abschmelzlösung.7 Danach nimmt die Berücksichtigung der Schenkung nach § 2325 Abs. 2 Satz 1 BGB innerhalb des Zehn-Jahres-Zeitraums mit jedem Jahr 10 % ab. Damit sind nur diejenigen Schenkungen vollumfänglich ergänzungspflichtig, die im letzten Jahr vor dem Erbfall gemacht wurden.

5.435

bb) Fristbeginn Die Frist beginnt, wenn der Erblasser seine Rechtsstellung als Eigentümer des Gegenstandes vollständig aufgibt und darauf verzichtet, den Gegenstand weiterhin zu nutzen.8 Abzustellen ist daher auf den Zeitpunkt der dinglichen Übereignung des Zuwendungsgegenstands. 1 BGH v. 2.6.1997 – II ZR 81/96, BGHZ 135, 387 (390); BGH v. 20.12.1965 – II ZR 145/64, DNotZ 1966, 620; BGH v. 22.11.1956 – II ZR 222/55, BGHZ 22, 186 (194); Pawlytta in Mayer/Süß/Tanck/ Bittler4, § 7 Rz. 81 ff., v. Proff, DStR 2017, 2555 (2558); kritisch Lange in MüKo8, § 2325 BGB Rz. 40. 2 BGH v. 26.3.1981 – IVa ZR 154/80, NJW 1981, 1956 (1957). 3 BGH v. 3.6.2020 – IV ZR 16/19, ZEV 2020, 420 (421 ff.), Rz. 21, 25. 4 Weidlich in Palandt79, § 2325 BGB Rz. 18. 5 Bock in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2325 BGB Rz. 29. 6 Bock in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2325 BGB Rz. 30. 7 Deppenkemper in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 2325 BGB Rz. 31. 8 BGH v. 27.4.1997 – IV ZR 132/93, BGHZ 125, 395.

Tiedemann | 313

5.436

Kap. 5 Rz. 5.437 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

5.437

Behält sich der Erblasser Nutzungsrechte vor (z.B. einen Nießbrauch), beginnt die Frist nicht zu laufen, ehe das Nutzungsrecht wegfällt.1 Bei einem Wohnrechtsvorbehalt, der nur Teile des verschenkten Grundstücks betrifft, beginnt der Fristlauf mit Umschreibung im Grundbuch.2

5.438

Ist der Ehegatte der Zuwendungsempfänger, so beginnt die Frist nach § 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB erst mit Auflösung der Ehe.

6. Berechnung der Ergänzung a) Berechnungsmethode

5.439

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch ist nach § 2325 Abs. 1 BGB auf den Betrag gerichtet, um den sich der ordentliche Pflichtteil erhöhen würde, wenn der verschenkte Gegenstand zum Nachlass hinzugerechnet würde.

5.440

Dazu wird ein fiktiver Nachlass (Ergänzungsnachlass) durch Addition des Schenkungswertes zum tatsächlichen Nachlass gebildet.3 Der Wert des Nachlasses bestimmt sich nach den §§ 2311 ff. BGB. Der Ergänzungsnachlass wird mit der Pflichtteilsquote multipliziert. Davon wird der ordentliche Pflichtteil bzw. andere Zuwendungen (Erbteil, Vermächtnis, Eigengeschenk) abgezogen. Die Differenz bestimmt die Pflichtteilsergänzung. b) Berücksichtigung von Eigengeschenken

5.441

Der Pflichtteilsergänzungsberechtigte hat von seinem Ergänzungsanspruch insbesondere Eigengeschenke abzuziehen (§ 2327 BGB). Dies sind Geschenke, die er selbst vom Erblasser erhalten hat. Dies gilt unabhängig von einer Zehn-Jahres-Frist (§ 2327 Abs. 2 BGB).4 Daher sind auch länger zurückliegenden Schenkungen anrechnungs- und abzugspflichtig.

7. Auskunftsanspruch 5.442

Der Auskunftsanspruch des Pflichtteilsberechtigten gegen den Erben aus § 2314 Abs. 1 BGB erstreckt sich auch auf Schenkungen, gemischte Schenkungen.5

VII. Pflichtteilsvermeidungsstrategien 1. Problematik 5.443

Der Pflichtteil ist über Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützt (s. Rz. 5.364) und ist außer in den Fällen des § 2333 Abs. 1 BGB (s. Rz. 5.406 ff.) grundsätzlich unentziehbar.

5.444

Das zwingende Pflichtteilsrecht kann für den Erblasser dennoch eine große Belastung sein. Etwa weil das Verhältnis zu dem Berechtigten unheilbar zerrüttet ist, aber keiner der gesetzlichen Entziehungsgründe vorliegt. Bei der Unternehmensnachfolge und Nachlassplanung

1 2 3 4 5

Weidlich in Palandt79, § 2325 BGB Rz. 26. BGH v. 29.6.2016 – IV ZR 474/15, NJW 2016, 2957. Bock in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2325 BGB Rz. 38. Bock in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2327 BGB Rz. 7a. Bock in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2325 BGB Rz. 47 f.

314 | Tiedemann

E. Pflichtteilsrecht | Rz. 5.449 Kap. 5

können Pflichtteilsforderungen unter Umständen auch den Weiterbestand des Unternehmens gefährden. Aus diesen Gründen wurden in der Praxis verschiedene Strategien zur Vermeidung oder Reduzierung des Pflichtteils entwickelt.

2. Gestaltungsmöglichkeiten a) Lebzeitige Rechtsgeschäfte und Handlungen aa) Pflichtteilsverzichtsvertrag Das effektivste Mittel zur Vermeidung von Pflichtteilsansprüchen ist der vertragliche Erbverzicht nach § 2346 BGB (Rz. 5.622 ff.) oder die Beschränkung auf den Pflichtteilsverzicht nach § 2346 Abs. 2 BGB (s. Rz. 5.467 f.). Er bewirkt, dass der Pflichtteilsanspruch des eigentlich Berechtigten gar nicht erst entsteht. Da es hierfür der Mitwirkung des Pflichtteilsberechtigten bedarf, wird der Verzicht oftmals nur gegen Gegenleistung bzw. durch Zahlung einer Abfindung zu erreichen sein (Rz. 5.631 f.).1

5.445

bb) Güterstandsvereinbarung im Ehevertrag Auch durch eine Güterstandsvereinbarung im Ehevertrag kann der Pflichtteil reduziert werden. Die Pflichtteilsquote bestimmt sich nach der gesetzlichen Erbquote. Die gesetzliche Erbquote des Ehegatten wiederum ist nach §§ 1931, 1371 BGB abhängig vom Güterstand (s. dazu Rz. 5.383 ff.). Zum einen erhöht sich der Erbteil beim gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft pauschal um ein Viertel. Zum anderen ändert sich der gesetzliche Erbteil des Ehegatten bei Gütertrennung, § 1931 Abs. 4 BGB. Durch die Wahl des Güterstands kann daher – in beide Richtungen – Einfluss auf die Höhe des Pflichtteils sowohl des Ehegatten als auch mittelbar der übrigen Pflichtteilsberechtigten genommen werden.

5.446

cc) Güterstandsschaukel Mit der sog. Güterstandsschaukel können Pflichtteilsansprüche reduziert werden.2 Dabei vereinbaren die Ehegatten in einem Ehevertrag einen Wechsel vom gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft hin zur Gütertrennung, so dass der Ehegatte mit dem geringeren Zugewinn seinen Ausgleichsanspruch aus § 1378 Abs. 1 BGB gegen den anderen Ehegatten geltend machen kann.3 In einem zweiten Schritt vereinbaren die Ehegatten ehevertraglich wieder den gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft.4

5.447

Durch das „Hinschaukeln“ zur Gütertrennung und den Zugewinnausgleich wird das Vermögen des Ehegatten mit höherem Zugewinn effektiv geschmälert, was den Pflichtteilsanspruch seiner Pflichtteilsberechtigten faktisch verringert. Dieser Vorgang ist auch nicht schenkungsteuerpflichtig (§ 5 Abs. 2 ErbStG). Durch das „Zurückschaukeln“ zur Zugewinngemeinschaft werden die höheren Pflichtteilsquoten der Abkömmlinge bei der Gütertrennung vermieden (vgl. § 1931 Abs. 1, 4 BGB).

5.448

Die Güterstandsschaukel kann aber unter Umständen Pflichtteilsergänzungsansprüche nach § 2325 Abs. 1 BGB auslösen (dazu s. Rz. 5.412 ff.), wenn der erste Güterstandswechsel und

5.449

1 2 3 4

Deppenkemper in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 2346 BGB Rz. 12. Schlünder/Geißler in Münch, Familienrecht2, § 18 Rz. 46, 47. Schlünder/Geißler in Münch, Familienrecht2, § 18 Rz. 40. Herrler in Dauner-Lieb/Grziwotz, Pflichtteilsrecht2, Anh. 2 Rz. 168.

Tiedemann | 315

Kap. 5 Rz. 5.449 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

der daraus folgende Zugewinnausgleich als Schenkung angesehen wird. So hat der BGH entschieden, dass im doppelten Wechsel des Güterstands eine missbräuchliche Schenkung liegen könne, wenn dieser planmäßig erfolge und die Ehegatten damit ehefremde Zwecke verfolgten.1 Dies könne insbesondere die Benachteiligung pflichtteilsberechtigter Angehöriger sein.2 Erfolgen die beiden Güterstandswechsel in kurzem zeitlichen Abstand, so kann dies ein Indiz für einen solchen Missbrauch sein.3 Daher sollte eine gewissen Frist („Schamfrist“) abgewartet werden. Allerdings kann auch dann nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden, dass die Güterstandsschaukel pflichtteilsfest ist.4 dd) Verbrauch

5.450

Der lebzeitige Verbrauch des Vermögens durch den Erblasser selbst ist die effektivste Möglichkeit der Pflichtteilsreduzierung. Durch den Verbrauch vermindert sich der spätere Nachlass und damit der Pflichtteil. Denn die Höhe des Pflichtteils richtet sich nach dem Wert des Nachlasses zum Zeitpunkt des Erbfalls (§ 2311 Abs. 1 Satz 1 BGB). Solches Vermögen, das vom Erblasser lebzeitig verbraucht wurde, findet bei der Berechnung des Pflichtteils keine Berücksichtigung. Diese Strategie funktioniert aber nur bei verbrauchbarem und liquidem Vermögen und ist aber wegen der für den Erblasser einhergehenden Unsicherheit und einer möglichen Bedürftigkeit in den letzten Lebensjahren mit einem gewissen Risiko belastet. Auch wird es oft auch dem Willen des Erblassers widersprechen, der sein Vermögen erhalten und nicht verbrauchen möchte, um es an bestimmte Personen unter Ausschluss der Pflichtteilsberechtigten weiterzugeben. ee) Schenkungen

5.451

Auch lebzeitige Schenkungen mindern das Erblasservermögen und damit den Pflichtteil. Problematisch ist zum einen, dass sich der Erblasser früh seines Vermögens entäußert, und zum anderen, dass unentgeltliche Zuwendungen innerhalb der Zehn-Jahres-Frist (Rz. 5.433) Pflichtteilsergänzungsansprüche nach § 2325 Abs. 1 BGB auslösen können (Rz. 5.412 ff.).

5.452

Trotzdem können Schenkungen eine erhebliche Pflichtteilsreduzierung bewirken. Größtmögliche Wirkung erzielen dabei frühzeitige Schenkungen, die mehr als zehn Jahre vor dem Erbfall vorgenommen werden, da diese nach § 2325 Abs. 3 Satz 2 BGB bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs keine Berücksichtigung mehr finden. Aber schon zuvor gilt die Abschmelzungsregel (Rz. 5.435): Die Schenkung wird mit jedem Jahr seit ihrer Zuwendung mit einem Zehntel weniger berücksichtigt, § 2325 Abs. 3 Satz 1 BGB (s. Rz. 5.435), so dass eine Schenkung schon nach einem Jahr den Pflichtteil reduziert. Zu beachten ist dabei, dass sich der Erblasser keinen Nießbrauch vorbehalten darf und die Schenkung auch nicht an den Ehepartner gehen sollte: Denn die Frist des § 2325 Abs. 3 BGB beginnt erst zu laufen, wenn der Erblasser seine Rechtsstellung als Eigentümer endgültig aufgibt und auch darauf verzichtet, den verschenkten Gegenstand weiterhin im Wesentlichen zu nutzen.5 Bei Ehepartnern gilt die Zehn-Jahres-Frist nicht (§ 2325 Abs. 3 BGB, s. Rz. 5.438).

1 2 3 4 5

BGH v. 27.11.1991 – IV ZR 266/90, NJW 1992, 558. BGH v. 27.11.1991 – IV ZR 266/90, NJW 1992, 558 (559). Herrler in Dauner-Lieb/Grziwotz, Pflichtteilsrecht2, Anh. 2 Rz. 168. Schlünder/Geißler in Münch, Familienrecht2, § 18 Rz. 47. BGH v. 27.4.1994 – IV ZR 132/93, BGHZ 125, 395.

316 | Tiedemann

E. Pflichtteilsrecht | Rz. 5.457 Kap. 5

b) Erweiterung des Kreises der Pflichtteilsberechtigten aa) Eheschließung Der Pflichtteil bereits vorhandener Pflichtteilsberechtigter kann durch die Ausweitung des Kreises der Pflichtteilsberechtigten gemindert werden. Kommen weitere Pflichtteilsberechtigte hinzu, verringert sich die Erbquote nach der gesetzlichen Erbfolge eines jeden gesetzlichen Erben und damit auch der Pflichtteil.

5.453

Die effektivste Möglichkeit der Pflichtteilsreduzierung von Abkömmlingen ist die (erneute) Eheschließung. Auf diese Weise reduziert sich der Erb- und Pflichtteils der Abkömmlinge eines ledigen, verwitweten oder geschiedenen Erblassers um die Hälfte (vgl. §§ 1931, 1371 BGB). Ebenso reduziert sich bei Eheschließung der Pflichtteil der Eltern auf ein Viertel vom Pflichtteil ohne Eheschließung (vgl. §§ 1931, 1371 BGB).

5.454

bb) Adoption Eine Ausweitung des Kreises der Pflichtteilsberechtigten kann auch durch die Adoption eines fremden Kindes, eines Erwachsenen oder eines Stiefkindes erwirkt werden. Denn durch die Adoption wird zwischen dem Annehmenden und dem Angenommenen ein wechselseitiges Erb- und Pflichtteilsrecht begründet.1 Auf diese Weise werden die Erb- und Pflichtteile der übrigen Abkömmlinge entsprechend reduziert.

5.455

Die Adoption erfolgt nach § 1752 Abs. 1 BGB durch gerichtlichen Beschluss auf Antrag der Beteiligten. Die Adoption eines Minderjährigen ist im deutschen Recht nach §§ 1741 ff. BGB als Volladoption ausgestaltet.2 Das angenommene Kind wird nach § 1754 BGB wie ein leibliches Kind des Annehmenden behandelt und das Verwandtschaftsverhältnis zur bisherigen Familie erlischt (§ 1755 BGB). Es hat daher gesetzliche Erb- und Pflichtteilsansprüche sowohl nach dem Annehmenden als auch nach dessen Verwandten, verliert aber seine Ansprüche nach seiner bisherigen Familie.3

5.456

Die Volljährigenadoption nach §§ 1767 ff. BGB entfaltet im Gegensatz zur Adoption eines Minderjährigen grundsätzlich nur schwache Wirkung.4 Das bedeutet, dass ein Verwandtschaftsverhältnis lediglich zum Annehmenden begründet wird (§ 1770 Abs. 1 BGB). Die familienrechtlichen Beziehungen zur bisherigen Familie bleiben bestehen (§ 1770 Abs. 2 BGB). Der Adoptierte ist erb- und pflichtteilsberechtigt sowohl nach dem Annehmenden als auch nach seinen ursprünglichen Verwandten.5 Daher tritt durch die Adoption eine Reduzierung der Pflichtteilsansprüche nicht nur nach dem Annehmenden ein, sondern durch Vermehrung an Elternteilen vor allem nach dem Angenommenen, sofern dieser keine eigenen Abkömmlinge hat, welche das Pflichtteilsrecht der Eltern ausschließen würden.

5.457

1 2 3 4 5

Kroiß in Kroiß/Ann/Mayer5, § 1924 BGB Rz. 14, 15. Maurer in MüKo8, § 1754 BGB Rz. 2. Kroiß in Kroiß/Ann/Mayer5, § 1924 BGB Rz. 14. Maurer in MüKo8, § 1770 BGB Rz. 1. Götz in Palandt79, § 1770 BGB Rz. 1, 2.

Tiedemann | 317

Kap. 5 Rz. 5.458 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

c) Gesellschaftsrecht aa) Einbringung in Personengesellschaften

5.458

Eine Reduzierung von Pflichtteilsansprüchen kann auch durch die Übertragung von Vermögen auf eine Personengesellschaft und die anschließende Aufnahme eines persönlich haftenden Gesellschafters erreicht werden. Dies stellt keine ergänzungspflichtige Schenkung i.S.d. § 2325 Abs. 1 BGB dar, sofern die eigentlich unentgeltliche Mitbeteiligung oder Übertragung von Personengesellschaftsanteilen mit einer persönlichen Haftung des Mitgesellschafters verknüpft ist (Rz. 5.427).1 Allerdings ist die Grenze des Gestaltungsmissbrauchs zu beachten: So kann die geringe Lebenserwartung des Aufnehmenden für eine gemischte Schenkung sprechen.2

5.459

Dies gilt für die oHG und GbR. Bei einer KG ist zu unterscheiden: Die Aufnahme als Kommanditist bzw die unentgeltliche Zuwendung eines Kommanditanteils kann im Gegensatz zur Aufnahme als Komplementär als Schenkung anzusehen sein, da den Kommanditisten anders als den Komplementär keine persönliche, sondern eine auf die Einlage beschränkte Haftung trifft (Rz. 5.427).3 bb) Abfindungsausschluss und Anwachsung von Gesellschaftsanteilen

5.460

Auch Anwachsungsklauseln mit Abfindungsausschluss in (Personen-) Gesellschaftsverträgen (Rz. 5.428 ff.) können eine wirksame Pflichtteilsreduzierung bewirken. Die Anwachsungsklausel bedeutet, dass die Gesellschaft nach dem Tod eines Gesellschafters mit den übrigen Gesellschaftern fortgesetzt wird und die Anteile des Erblassers den übrigen Gesellschaftern anwachsen.

5.461

Bei einer Anwachsungsklausel fallen die Gesellschaftsanteile des Erblassers nicht in den Nachlass und finden damit bei der Pflichtteilsberechnung keine Berücksichtigung. Wenn die Abfindung der Erben für die Anwachsung ausgeschlossen ist, löst dies wegen des aleatorischen Charakters grundsätzlich keine Pflichtteilsergänzungsansprüche aus (Rz. 5.429).4 Dies gilt aber nur insoweit, als der Abfindungsausschluss für alle Gesellschafter gilt und keine eindeutigen Umstände dafür sprechen, dass einer der Gesellschafter zuerst verstirbt (s. Rz. 5.430).5 Ferner gilt dies nach einer Entscheidung des BGH aus Juni 2020 nicht, wenn der Abfindungsausschluss nicht dem Unternehmenserhalt, sondern allein der abfindungsfreien Übertragung an den anderen Gesellschafter dient. Damit ist die Anwachsungsklausel mit Abfindungsausschluss als Pflichtteilsvermeidungsstrategie weitgehend entwertet und nur noch im unternehmerischen Zusammenhang zu empfehlen.6 d) Internationales Privatrecht aa) Wechsel des Anwendbaren Rechts

5.462

Auch können durch geschickte Wahl oder Beeinflussung des anwendbaren Rechts Pflichtteilsansprüche umgangen oder reduziert werden. Hintergrund ist, dass es Rechtsordnungen ohne Pflichtteilsrecht gibt. So gewähren die Rechtsordnungen des common law eine Teilhabe am Nachlass nur, wenn die Angehörigen bedürftig sind.7 Für die meisten anderen common 1 2 3 4 5 6 7

BGH v. 26.3.1981 – IVa ZR 154/80, NJW 1981, 1956. BGH v. 26.3.1981 – IVa ZR 154/80, NJW 1981, 1956. BGH v. 2.7.1990 – II ZR 243/89, NJW 1990, 2616. Enzensberger/Maar in Enzensberger, Testamente für Geschiedene und Patchworkehen4, § 3 Rz. 87. BGH v. 20.12.2019 – 65 II ZR 145/64, DNotZ 66, 620. BGH v. 3.6.2020 – IV ZR 16/19, ZEV 2020, 420 (421 ff.) Rz. 21, 25. Solomon in Burandt/Rojahn3, Länderbericht England und Wales Rz. 121.

318 | Tiedemann

E. Pflichtteilsrecht | Rz. 5.466 Kap. 5

law-basierten und anglo-amerikanischen Rechtsordnungen gibt es kein echtes Pflichtteilsrecht, allenfalls – auch nicht in allen Ländern – eine Teilhabe im Falle von Bedürftigkeit (sog. family provision).1 Durch einen Wechsel oder eine Wahl des Erbstatuts zugunsten einer pflichtteilsarmen Rechtsordnung können damit Pflichtteilsansprüche reduziert oder ausgeschlossen werden. Dazu muss ein Erblasser aber entweder seinen gewöhnlichen Aufenthalt dauerhaft in das Land mit der pflichtteilsarmen Rechtsordnung verlegen oder er muss Staatsangehöriger dieses Landes sein und sein Heimatrecht für seine Erbfolge wählen. Für Erbfälle ab dem 17.8.2015 gilt die EuErbVO (Rz. 5.19), welche in Art. 21 Abs. 1 grundsätzlich das Recht des letzten gewöhnlichen Aufenthalts für anwendbar erklärt und in Art. 22 Abs. 1 eine Rechtswahl nur für das Recht eines Landes erlaubt, dessen Staatsangehörigkeit der Erblasser besitzt (Rz. 5.27). Entscheidend ist die Staatsangehörigkeit zum Zeitpunkt der Rechtswahl oder zum Zeitpunkt des Todes. Es ist also aus Pflichtteilsvermeidungsgründen theoretisch denkbar, dass der künftige Erblasser zunächst die Staatsangehörigkeit eines pflichtteilarmen Landes erwirbt, eine Rechtswahl trifft, und dann die Staatsangehörigkeit wieder wechselt. Da sich die Staatsangehörigkeit nicht so leicht wechseln lässt wie der gewöhnliche Aufenthalt dürfte diese Lösung aus Praktikabilitätsgründen schwierig werden.

5.463

bb) Verlagerung von Vermögen ins Ausland

Eine Pflichtteilsreduzierung durch Verlagerung von Vermögen ins Ausland ist seit Geltung der EuErbVO schwierig geworden. Nach früherem Recht konnte durch den Erwerb von Vermögen in einem pflichtteilsfeindlichem oder -armen Land mit international-privatrechtlicher Belegenheitsanknüpfung (Rz. 5.39) eine Nachlassspaltung nach Art. 3a Abs. 2 EGBGB a.F. (Rz. 5.57) erreicht werden (Rz. 5.58), bei der im Hinblick auf das Auslandvermögen das Belegenheitsrecht (lex rei sitae) zur Anwendung gelangte (z.B. bei einer Florida-Immobilie, Rz. 5.58). So wurde das Auslandsvermögen bei der Berechnung des Pflichtteils nicht mit berechnet.2

5.464

Seit Geltung der EuErbVO führt diese Struktur nicht mehr zur Pflichtteilsreduzierung. Denn die Norm des Art. 3a Abs. 2 EGBGB a.F., welche die kollisionsrechtliche Sonderbehandlung des Belegenheitsrechts akzeptierte, ist abgeschafft. Die EuErbVO erklärt für das gesamte Vermögen das Recht des Staates für anwendbar, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder dessen Recht er gewählt hat (Rz. 5.38). Dies führte zum sog. „Ende der Florida-Immobilie“.

5.465

Heutzutage kann mit Florida-Immobilien nur dann der Pflichtteil reduziert werden, wenn das Florida-Recht (oder ein anderes pflichtteilsfeindliches Recht) kollisionsrechtlich im Wege

5.466

1 Vgl. zum common law: Kroppenberg in Basedow/Hopt/Zimmermann/Stier, The Max Planck Encyclopedia of European Private Law, sub „Compulsory Portion“ 337 (338); vgl. für USA: Frank in Burandt/Rojahn3, Länderbericht USA Rz. 78; Süß in Mayer/Süß/Tanck/Bittler/Wälzholz, Handbuch Pflichtteilsrecht3, § 19 Rz. 575; vgl. für Irland: Süß in Mayer/Süß/Tanck/Bittler/Wälzholz, Handbuch Pflichtteilsrecht3, § 19 Rz. 195; vgl. für Israel: Süß in Mayer/Süß/Tanck/Bittler/Wälzholz, Handbuch Pflichtteilsrecht3, § 19 Rz. 197; vgl. für Australien: Süß in Mayer/Süß/Tanck/Bittler/Wälzholz, Handbuch Pflichtteilsrecht3, § 19 Rz. 2; vgl. für Neuseeland: Süß in Mayer/Süß/ Tanck/Bittler/Wälzholz, Handbuch Pflichtteilsrecht3, § 19 Rz. 263; vgl. für Südafrika: Süß in Mayer/Süß/Tanck/Bittler/Wälzholz, Handbuch Pflichtteilsrecht3, § 19 Rz. 508. 2 Vgl. für England und Wales: Odersky in Süß, Erbrecht in Europa4, Großbritannien: England und Wales, Rz. 67.

Tiedemann | 319

Kap. 5 Rz. 5.466 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

der Weiterverweisung angerufen wird. Beispiel: Der letzte gewöhnliche Aufenthalt in England verweist zunächst auf englisches Recht (Art. 21 Abs. 1 EuErbVO), welches nach Art. 34 Abs. 1 EuErbVO für die Florida-Immobilie auf das Florida-Recht weiter verweist, da das englische Kollisionsrecht für unbewegliches Vermögen das Belegenheitsrecht für maßgeblich erklärt.1

VIII. Pflichtteilsverzicht 1. Voraussetzungen 5.467

Die Pflichtteilsberechtigten können nach § 2346 Abs. 2 BGB durch Vertrag mit dem Erblasser auf ihr Pflichtteilsrecht verzichten (detailliert s. Rz. 5.622 ff.). Der Vertrag bedarf nach § 2348 BGB der notariellen Beurkundung und der Erblasser kann den Vertrag nur persönlich abschließen (§ 2347 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 BGB). Eine Gegenleistung (z.B. eine Abfindung) ist keine Voraussetzung, wird aber in der Regel vereinbart (s. Rz. 5.631 f.).2

2. Wirkung 5.468

Ein solcher Pflichtteilsverzicht hat zur Folge, dass der Pflichtteilsanspruch des abstrakt Pflichtteilsberechtigten nicht entsteht. Beinhaltet der Vertrag nicht zugleich einen Erbverzicht nach § 2346 Abs. 1 BGB, so berührt der Pflichtteilsverzicht die gesetzliche Erbfolge mit der Folge nicht, dass der Verzichtende Erbe wird, sofern der Erblasser nicht abweichend letztwillig verfügt (s. auch Rz. 5.658). Die Rechtsnatur des Pflichtteilsanspruchs als Geldforderung ermöglicht es außerdem, den Pflichtteil auf einen bestimmten Höchstbetrag zu begrenzen (s. auch Rz. 5.636).3

F. Abwicklung des Nachlasses I. Annahme und Ausschlagung 1. Automatischer Anfall der Erbschaft 5.469

Mit dem Tod des Erblassers fällt die Erbschaft automatisch den Erben an.4 Dies hängt mit dem Prinzip des Vonselbsterwerbs in § 1922 BGB zusammen (ausführlich dazu s. Rz. 5.98). Danach geht das Vermögen des Erblassers als Ganzes zum Zeitpunkt des Todes ohne Wissen und Willen des Erben auf diesen über.5 Dieser automatische Anfall der Erbschaft führt für den Erben zunächst zu einer vorläufigen Erbenstellung, die durch Ausschlagung beseitigt werden kann.6

5.470

Die Erben können nach dem Tod des Erblassers die Erbschaft entweder annehmen oder ausschlagen (§ 1946 BGB). Der Erbe ist mit dem Tod des Erblassers zunächst als vorläufiger Erbe anzusehen, bis Klarheit über die Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft besteht: Er

1 2 3 4 5 6

Solomon in Burandt/Rojahn3, Länderbericht England und Wales Rz. 3. Kroiß in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2346 BGB Rz. 26. Weidlich in Palandt79, § 2346 BGB Rz. 15. Leipold, Erbrecht22, Rz. 601. Weidlich in Palandt79, § 1942 BGB Rz. 1. Weidlich in Palandt79, § 1942 BGB Rz. 2.

320 | Tiedemann

F. Abwicklung des Nachlasses | Rz. 5.476 Kap. 5

wird endgültig Erbe, wenn er die Erbschaft angenommen hat. Er wird dagegen behandelt, als ob er nie Erbe gewesen wäre, wenn er die Erbschaft ausschlägt (§ 1953 Abs. 1 BGB).

2. Annahme der Erbschaft Die Annahme der Erbschaft kann entweder ausdrücklich oder konkludent erklärt werden. Eine ausdrückliche Annahmeerklärung ist nicht erforderlich, kann aber abgegeben werden.1 Eine konkludente Annahme liegt vor, wenn der vorläufige Erbe sich als endgültiger Erbe aufführt oder wenn die Ausschlagungsfrist verstrichen ist – dann kann der Erbe nicht mehr ausschlagen (§ 1943 BGB).

5.471

Der vorläufige Erbe führt sich als endgültiger Erbe auf, wenn er objektiv zum Ausdruck bringt, Erbe zu sein und die Erbschaft behalten zu wollen.2 Beispiele dafür sind die Beantragung eines Erbscheins und die Veräußerung und Belastung von Nachlassgegenständen.3 Diese erwecken aus der Sicht eines objektiven Dritten den Eindruck, dass der Verfügende Erbe ist. Wer sich noch nicht entschieden hat, ob er eine Erbschaft annehmen oder ausschlagen möchte, sollte daher mit Verwaltungshandlungen vorsichtig sein.4

5.472

Keine Annahme ist dagegen in Handlungen zu sehen, die allein der Sicherung des Nachlasses dienen.5 So ist oft notwendig, Nachlassgegenstände außer Gefahr vor widerrechtlicher Aneignung zu bringen (z.B. Schmuck, Gemälde). Entsprechendes gilt für Maßnahmen, die der Erhaltung einzelner Nachlassgegenstände dienen (z.B. Fütterung von Tieren, Reinigung einer Wohnung).

5.473

Die Erbschaft gilt auch als angenommen, wenn die Ausschlagungsfrist verstrichen ist und keine entsprechende Ausschlagungserklärung abgegeben worden ist (§§ 1943, 1944 BGB) (ausführlicher dazu Rz. 5.487 ff.).6

5.474

3. Ausschlagung der Erbschaft a) Rechtsnatur Kein Erbe ist verpflichtet, die Erbschaft des Erblassers anzunehmen, sondern kann sie ausschlagen. Eine Ausnahme gilt für den Staat, der die ihm angefallene Erbschaft nicht ausschlagen kann (§ 1942 Abs. 2 BGB). Die Erbschaft kann erst ausgeschlagen werden, nachdem sie angefallen ist, also erst nach dem Erbfall (§ 1946 BGB). Eine Ausschlagung kommt insbesondere in Betracht, wenn die Passiva den Wert der Aktiva übersteigen. Eine wirtschaftliche Erwägung ist daher stets notwendig.

5.475

Die Erben können die Erbschaft unabhängig davon ausgeschlagen, ob sie die Erbenstellung im Wege der gewillkürten oder der gesetzlichen Erbfolge erlangt haben.7 Das Ausschlagungsrecht ist vererblich (§ 1952 Abs. 1 BGB), kann aber durch Rechtsgeschäft nicht über-

5.476

Leipold in MüKo8, § 1942 BGB Rz. 2; Schmoeckel, Erbrecht5, § 11 Rz. 2. BayObLG v. 11.1.1999 – 1Z BR 113/98, FamRZ 1999, 1172 (1173). Weidlich in Palandt79, § 1943 BGB Rz. 2. Vgl. insbesondere das „ABC der schlüssigen Annahmehandlungen“ bei Ivo in Kroiß/Ann/Mayer5, § 1943 BGB Rz. 12. 5 Schmoeckel, Erbrecht5, § 11 Rz. 2. 6 Weidlich in Palandt79, § 1943 BGB Rz. 3. 7 Leipold in MüKo8, § 1942 BGB Rz. 12.

1 2 3 4

Tiedemann | 321

Kap. 5 Rz. 5.476 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

tragen werden.1 Eine Ausschlagung ist nicht mehr möglich, wenn die Annahme bereits erfolgt ist (§ 1943 Halbs. 1 BGB).

5.477

Die Ausschlagung ist eine amtsempfangsbedürftige Willenserklärung des Ausschlagenden, die formwirksam und fristgerecht gegenüber dem Nachlassgericht abzugeben ist.2 b) Zuständigkeit

5.478

Die Ausschlagungserklärung ist in öffentlich beglaubigter Form oder zur Niederschrift des Nachlassgerichts abzugeben (§ 1945 Abs. 1 BGB).3 Sachlich zuständig für die Entgegennahme der Ausschlagung ist das AG als Nachlassgericht (§ 23a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 GVG). Funktionell ist der Rechtspfleger zuständig (§ 3 Nr. 2c RpflG).

5.479

Örtlich zuständig ist das Nachlassgericht am Ort des letzten gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers (§ 343 Abs. 1 FamFG). Der Ausschlagende kann die Ausschlagung auch vor dem Nachlassgericht seines gewöhnlichen Aufenthalts abgeben, welches dann die Erklärung an das zuständige Nachlassgericht weiter leitet (§ 344 Abs. 7 FamFG). Wird die Ausschlagung vor einem unzuständigen Nachlassgericht abgegeben, so ist dies unschädlich, wenn das Nachlassgericht die Erklärung annimmt, diese an das zuständige Nachlassgericht weiter leitet und sie dort vor Fristablauf (Rz. 5.487) eingeht.

5.480

Die internationale Zuständigkeit für die Entgegennahme der Ausschlagung richtet sich nach der EuErbVO. Der Ausschlagende kann seine Erklärung vor den Gerichten des Staates abgeben, die nach der EuErbVO international zuständig sind.4 Die internationale Zuständigkeit richtet sich grundsätzlich nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers zum Zeitpunkt seines Todes (Art. 4 ff. EuErbVO). Das kann insbesondere dann eine Belastung für den Ausschlagenden sein, wenn der Erblasser sich in einem Staat aufhielt, der geographisch weit entfernt von dem gewöhnlichen Aufenthalt der Erben ist.

5.481

Der Unionsgesetzgeber hat eine Regelung in Art. 13 EuErbVO getroffen, die dem Ausschlagenden die Abgabe seiner Willenserklärung erleichtern soll. Die Ausschlagungserklärung kann auch vor den Gerichten des Staates abgegeben werden, in dem der Ausschlagende seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. So wird die Abgabe der Ausschlagungserklärung für den Einzelnen erheblich vereinfacht.

5.482

Die sachliche und die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach deutschem Recht, wenn deutsche Gerichte für die Entgegennahme der Ausschlagungserklärung international zuständig sind. c) Form

5.483

Die Ausschlagungserklärung ist nach § 1945 Abs. 1 BGB zur Niederschrift des Nachlassgerichts oder in öffentlich beglaubigter Form abzugeben. Möglich und verbreitet ist die Erklärung der Ausschlagung bei einem Notar, der dann die Ausschlagungserklärung an das zuständige Nachlassgericht schickt.

1 2 3 4

Leipold in MüKo8, § 1952 BGB Rz. 1; Weidlich in Palandt79, § 1952 BGB Rz. 1. Schmoeckel, Erbrecht5, § 11 Rz. 3. Ivo in Kroiß/Ann/Mayer5, § 1945 BGB Rz. 17. Vgl. Dutta in MüKo7, Art. 13 EuErbVO Rz. 1.

322 | Tiedemann

F. Abwicklung des Nachlasses | Rz. 5.489 Kap. 5

Die Ausschlagung muss in deutscher Sprache erfolgen.1

5.484

Sie ist eine Willenserklärung nach materiellem Recht und keine Verfahrenshandlung, so dass die Vorschriften des allgemeinen Teils des BGB hier Anwendung finden.2 Dies bedeutet insbesondere, dass eine Anfechtung wegen Willensmängeln möglich ist (§ 1954 BGB; s. Rz. 5.504).

5.485

Das Nachlassgericht prüft seine Zuständigkeit (Rz. 5.478 ff.) und nimmt im Übrigen die Ausschlagungserklärung zu den Akten, ohne sie inhaltlich zu prüfen. Die Wirksamkeit der Ausschlagung wird daher erst in dem Verfahren (gerichtlich) überprüft und festgestellt, in dem es darauf ankommt, beispielsweise im Erbscheinsverfahren oder in einem streitigen Verfahren, in dem es um die Erbenfeststellung geht.3

5.486

d) Frist Der Erbe hat eine Frist von sechs Wochen, um die Ausschlagung zu erklären, wobei die Frist mit dem Zeitpunkt beginnt, in welchem der Erbe von dem Anfall und dem Grund der Berufung Kenntnis erlangt (§ 1944 Abs. 1 BGB). Die Ausschlagungsfrist beträgt sechs Monate, wenn der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen letzten Wohnsitz nur im Ausland hatte oder wenn sich der berufene Erbe bei Beginn der Frist im Ausland aufhält (§ 1944 Abs. 3 BGB). Wichtig ist für die erweiterte Frist von sechs Monaten, dass der Erblasser seinen letzten Wohnsitz ausschließlich im Ausland haben muss; sie gilt nicht, wenn der Erblasser einen doppelten Wohnsitz im In- und Ausland hatte.4 Für den Erben kommt es, damit die erweiterte Frist von sechs Monate gilt, darauf an, wo er sich bei Fristbeginn aufgehalten hat.5

5.487

Die Kenntnis des Anfalls ist mit der Kenntnis des Todes des Erblassers gleichzusetzen.6 Die Kenntnis des Grundes der Berufung meint dagegen die Kenntnis des konkreten Grundes, durch welchen man Erbe geworden ist: entweder aufgrund der gesetzlichen Erbfolge oder aufgrund einer konkreten Verfügung von Todes wegen.7 Daher beginnt die Frist regelmäßig erst dann, wenn der Erbe nicht nur Kenntnis vom Erbfall, sondern auch von dem konkreten Berufungsgrund (Gesetz, Testament, Erbvertrag) hat.8

5.488

Bei gewillkürter Erbfolge muss der Erbe Kenntnis davon erlangt haben, dass er durch Verfügung von Todes wegen zum Erben berufen ist.9 Die Frist beginnt dann mit Eröffnung des Testaments durch das Nachlassgericht zu laufen (§ 1944 Abs. 2 Satz 2 BGB). Die Bekanntgabe der Verfügung von Todes wegen ist erst dann erfolgt, wenn der Erbe von der Eröffnung Kenntnis erlangt hat.10 Dies wird in den meisten Fällen erst dann sein, wenn der Erbe das Testament einschließlich Eröffnungsprotokoll vom Nachlassgericht erhalten hat (§ 348

5.489

1 OLG Köln v. 12.2.2014 – 2 Wx 25/14, NJW-RR 2014, 1037 (1038 f.); OLG Schleswig v. 11.2.2015 – 3 Wx 90/14, ZEV 2015, 583 (585). 2 Leipold in MüKo8, § 1945 BGB Rz. 2. 3 Vgl. auch Ivo in Kroiß/Ann/Mayer5, § 1945 BGB Rz. 18. 4 Ivo in Kroiß/Ann/Mayer5, § 1944 BGB Rz. 20 f. 5 Ivo in Kroiß/Ann/Mayer5, § 1943 BGB Rz. 22. 6 Leipold in MüKo8, § 1944 BGB Rz. 3; Schmoeckel, Erbrecht5, § 11 Rz. 4. 7 Leipold in MüKo8, § 1944 BGB Rz. 4. 8 Zimmer in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 1944 BGB Rz. 5; vgl. auch OLG Schleswig v. 20.6.2016 – 3 Wx 96/15, ZEV 2016, 698. 9 Zimmer in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 1944 BGB Rz. 10. 10 BGH v. 26.9.1990 – IV ZR 131/89, NJW 1991, 169.

Tiedemann | 323

Kap. 5 Rz. 5.489 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

Abs. 3 Satz 1 FamFG), denn in der nachlassgerichtlichen Praxis wird in aller Regel davon abgesehen, die Beteiligten nach § 348 Abs. 3 FamFG zum Eröffnungstermin zu laden und das Testament zu verlesen. Bei der Bekanntgabe des Testaments durch das Nachlassgericht ist zu beachten, dass dieses drei Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gilt (§ 15 Abs. 2 FamFG), wenn nicht der Beteiligte glaubhaft macht, dass ihm das Schriftstück erst später zugegangen ist (§ 15 Abs. 2 Satz 2 FamFG). e) Inhalt aa) Willenserklärung

5.490

Die Ausschlagung ist eine Willenserklärung des (vorläufigen) Erben, für deren Zustandekommen die Vorschriften des allgemeinen Teils gelten.1

5.491

Der Ausschlagende muss deutlich zum Ausdruck bringen, die Erbschaft ausschlagen zu wollen. Falls notwendig, muss im Wege der Auslegung (§ 133 BGB) ermittelt werden, ob der Erklärende eine Ausschlagung äußern wollte.2 bb) Verbot der Teilausschlagung

5.492

Die Ausschlagung (Rz. 5.475) muss sich grundsätzlich auf die ganze Erbschaft beziehen (§ 1950 Satz 1 BGB). Die Annahme oder Ausschlagung eines Teils der Erbschaft ist grundsätzlich unwirksam (§ 1950 Satz 2 BGB). Das Verbot umfasst sowohl eine gegenständlich beschränkte (also auf einzelne Nachlassgegenstände beschränkte) Ausschlagung als auch eine Beschränkung auf einen ideellen Bruchteil der Erbschaft.3 Dies gilt auch bei der Sondererbfolge in Personengesellschaftsanteile (Rz. 5.99 f.),4 so dass ein Unternehmenserbe nicht die Erbschaft ausschlagen und die – kraft Gesellschaftsvertrags eintretende – Sondererbfolge in die Personengesellschaft annehmen kann oder umgekehrt.

5.493

Dies gilt aber nicht bei einem ererbten Ausschlagungsrecht: Stirbt der Erbe während der Ausschlagungsfrist, so erwerben seine Erben das Ausschlagungsrecht (§ 1952 Abs. 1 BGB) jeweils für ihren eigenen Erbteil (§ 1952 Abs. 3 BGB) und können dann auch für ihren eigenen Teil ausschlagen.

5.494

Dies gilt ferner nicht im Fall der kollisionsrechtlichen Nachlassspaltung (Rz. 5.38), die dann eintritt, wenn unterschiedliche Teil-Nachlässe unterschiedlichen Rechtsordnungen unterliegen. In dem Fall kann für jeden Nachlassteil separat ausgeschlagen werden (Rz. 5.377 f.).5

5.495

Ausnahmen vom Verbot der Teilausschlagung sind weiter in den §§ 1948 und 1951 BGB enthalten (dazu sogleich Rz. 5.496 ff.). cc) Separate Ausschlagung bei mehreren Berufungsgründen

5.496

Wichtigster Fall ist die Beschränkung der Ausschlagung bei mehreren Berufungsgründen. Dies regelt die Vorschrift des § 1948 BGB: Ist eine Person gleichzeitig durch Verfügung von 1 2 3 4 5

Ivo in Kroiß/Ann/Mayer5, § 1954 BGB Rz. 1. Leipold in MüKo8, § 1945 BGB Rz. 5. Ivo in Kroiß/Ann/Mayer5, § 1950 BGB Rz. 1. Ivo in Kroiß/Ann/Mayer5, § 1950 BGB Rz. 4. Ivo in Kroiß/Ann/Mayer5, § 1950 BGB Rz. 5.

324 | Tiedemann

F. Abwicklung des Nachlasses | Rz. 5.501 Kap. 5

Todes wegen und (ohne die Verfügung von Todes wegen) durch Gesetz zum Erben berufen, kann sie die testamentarische Erbschaft ausschlagen und die Erbschaft als gesetzlicher Erbe annehmen (§ 1948 Abs. 1 BGB). Das gleiche gilt für den Fall, dass eine Person gleichzeitig durch Testament und Erbvertrag zum Erbe berufen ist: Dann kann sie die Erbschaft aus dem einen Berufungsgrund annehmen und aus dem anderen ausschlagen (§ 1948 Abs. 2 BGB). Allerdings sollte bei einer solchen Beschränkung der Ausschlagung sorgfältig formuliert werden, da sich die Ausschlagung im Zweifel auf alle Berufungsgründe erstreckt, die dem Erklärenden zum Zeitpunkt der Erklärung bekannt sind (§ 1949 Abs. 2 BGB).

5.497

dd) Separate Ausschlagung bei mehreren Erbteilen Einen weiteren Fall der erlaubten Beschränkung der Ausschlagung gilt nach § 1951 BGB, wenn ein Erbe aufgrund verschiedener Berufungsgründe auf mehrere Erbteile zum Erben berufen wird. Eine solche Situation entsteht beispielweise, wenn jemand aus einer Ehe zwischen Verwandten hervorgeht (z.B. Geschwisterkinder).1 Das Geschwisterkind gehört in diesem Fall innerhalb derselben Ordnung mehreren Stämmen an und ist daher mehrfach mit dem Erblasser verwandt, so dass er den in jedem dieser Stämme ihm zufallenden Anteil erhält (§ 1927 BGB). Auf einen konkreten Erbteil kann er nach § 1951 Abs. 1 BGB gesondert verzichten bzw. er kann den einen Erbteil annehmen und den anderen ausschlagen.

5.498

Das gilt nicht, wenn die Berufung auf demselben Grund beruht (§ 1951 Abs. 2 Satz 1 BGB). Bei einem einheitlichen Berufungsgrund ist keine Teilausschlagung möglich. Ein einheitlicher Berufungsgrund liegt vor, wenn der Erblasser dem Erben in derselben Verfügung – also durch einheitlichen Rechtsakt – mehrere Erbteile zugewendet hat.2 Die Berufung beruht auch auf demselben Grund, wenn sie in verschiedenen Testamenten oder vertragsmäßig in verschiedenen zwischen denselben Personen geschlossenen Erbverträgen angeordnet ist (§ 1951 Abs. 2 Satz 2 BGB). Der Erblasser kann allerdings die separate Annahme und Ausschlagung gestatten, wenn er einen Erben auf mehrere Erbteile eingesetzt hat (§ 1951 Abs. 3 BGB). Die Gestattung kann auch konkludent erfolgen3

5.499

ee) Separate Ausschlagung von Vermächtnis und Erbschaft Der Erbe kann ein Vermächtnis annehmen (§ 2180 BGB) und die Erbschaft ausschlagen – oder umgekehrt. Die separate Annahme und Ausschlagung von Vermächtnis und Erbschaft ist vom Verbot der Teilausschlagung nach § 1950 Satz 1 BGB nicht umfasst.4 Will der Erblasser verhindern, dass der Erbe das Vorausvermächtnis annimmt und die Erbschaft ausschlägt, so kann er das Vorausvermächtnis unter die Bedingung der Annahme der Erbschaft stellen.5

5.500

f) Folgen der Ausschlagung Die Erbschaft fällt nach der Ausschlagung demjenigen an, welcher berufen sein würde, wenn der Ausschlagende zur Zeit des Erbfalls nicht mehr gelebt hätte (§ 1953 Abs. 2 Halbs. 1 BGB). 1 2 3 4 5

Leipold in MüKo8, § 1927 BGB Rz. 2. Ivo in Kroiß/Ann/Mayer5, § 1951 BGB Rz. 5; Leipold in MüKo8, § 1951 BGB Rz. 6. Ivo in Kroiß/Ann/Mayer5, § 1951 BGB Rz. 7. Ivo in Kroiß/Ann/Mayer5, § 1950 BGB Rz. 6. Ivo in Kroiß/Ann/Mayer5, § 1950 BGB Rz. 6.

Tiedemann | 325

5.501

Kap. 5 Rz. 5.501 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

Das geschieht mit Rückwirkung, so dass die neuen (vorläufigen) Erben so behandelt werden, als ob sie zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers Erben geworden wären (§ 1953 Abs. 2 Halbs. 2 BGB). Die neuen Erben sind als vorläufige Erben anzusehen, weil sie auch ein eigenes Ausschlagungsrecht haben, und zwar zu den gleichen Bedingungen wie der Erstausschlagende.1 Die Ausschlagungsfrist für den Nächstberufenen beginnt frühestens mit dem Eintritt des Erbfalls (§ 1946 BGB), wenn dieser zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers von dem Anfall und dem Grunde der Berufung Kenntnis erlangt hat (§ 1944 Abs. 2 BGB).

5.502

Die Frist für den Nächstberufenen beginnt spätestens ab der Mittelung des Nachlassgerichts über die Ausschlagung des Erstberufenen.2 Das Nachlassgericht hat grundsätzlich die Pflicht, dem Nächstberufenen die Ausschlagung des Erstberufenen mitzuteilen (§ 1953 Abs. 3 BGB). Eine Mitteilung kann das Nachlassgericht jedoch unterlassen, wenn ihm bekannt ist, dass der Nächstberufene bereits Kenntnis von der Ausschlagung des Erstberufenen hat.3 g) Wirksamkeit und Anfechtung der Annahme und Ausschlagung

5.503

Die Annahme der Erbschaft ist unwirksam, wenn ein Irrtum über den Berufungsgrund vorliegt (§ 1949 Abs. 1 BGB).

5.504

Darüber hinaus können als Willenserklärungen sowohl die Annahme als auch die Ausschlagung in Irrtumsfällen angefochten werden (§§ 1954 ff. BGB).4 Auch die Versäumung der Ausschlagungsfrist kann nach § 1956 BGB wie die Annahme angefochten werden.

5.505

Die Anfechtung richtet sich dann nach den allgemeinen Regeln der §§ 119 ff. BGB.5 Der Erbe kann seine Annahme oder Ausschlagung insbesondere anfechten, wenn er über die Rechtsfolgen geirrt hat.6 In einem solchen Fall liegt ein Inhaltsirrtum i.S.d. § 119 Abs. 1 1. Alt. BGB vor.7 Motivirrtümer sind unbeachtlich.8

5.506

Die Anfechtungsfrist beträgt sechs Wochen und beginnt mit der Kenntnis des Anfechtungsgrund oder bei Beendigung der Zwangslage, wenn eine solche besteht (§ 1954 Abs. 1 BGB).9 Die Anfechtung muss gegenüber dem Nachlassgericht erklärt (§ 1955 Abs. 1 BGB) und zur Niederschrift des Gerichts oder in öffentlich beglaubigter Firm abgegeben werden (§ 1955 Abs. 2 i.V.m. § 1945 BGB).10

5.507

Die Rechtsfolge der Anfechtung ist die Nichtigkeit der Annahme bzw. der Ausschlagung (§ 142 Abs. 1 BGB) und damit das jeweilige Gegenteil der Erklärung:11 Die Anfechtung der

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Vgl. Leipold in MüKo8, § 1953 BGB Rz. 15. Leipold in MüKo8, § 1953 BGB Rz. 15. Leipold in MüKo8, § 1953 BGB Rz. 16; Weidlich in Palandt79, § 1953 BGB Rz. 6. Leipold, Erbrecht22, Rz. 612. Ivo in Kroiß/Ann/Mayer5, § 1954 BGB Rz. 3 ff.; Muscheler, Erbrecht, § 45 Rz. 3034. Ausführlich zum Irrtum im erbrechtlichen Kontext Muscheler, Erbrecht, § 45 Rz. 3034 ff.; Leipold, Erbrecht22, Rz. 612 ff.; Schmoeckel, Erbrecht5, § 11 Rz. 8 f. Leipold, Erbrecht22, Rz. 614. Leipold, Erbrecht22, Rz. 616; zum Motivirrtum Armbrüster in MüKo8, § 119 BGB Rz. 105; Singer in Staudinger, § 119 BGB Rz. 3 BGB. Leipold in MüKo8, § 1954 BGB Rz. 22. Einzelheiten zur Form der Anfechtung Leipold in MüKo8, § 1955 BGB Rz. 1 ff. Obergfell, Erbrecht, Rz. 416.

326 | Tiedemann

F. Abwicklung des Nachlasses | Rz. 5.512 Kap. 5

Annahme führt zur Ausschlagung und die Anfechtung der Ausschlagung zur Annahme (§ 1957 Abs. 1 BGB).

II. Erbenhaftung 1. Haftung für Nachlassverbindlichkeiten a) Übergang auf den Erben Nach dem Tod des Erblassers geht nicht nur sein Aktiv-Vermögen auf den Erben über (§ 1922 Abs. 1 BGB), sondern auch die Nachlassverbindlichkeiten (§ 1967 Abs. 1 BGB). Dies folgt aus dem Grundsatz der Universalsukzession (Rz. 5.98).1 Der Erbe haftet grundsätzlich für jede Verbindlichkeit.2 Die Haftung bezieht sich nicht nur auf den Nachlass, sondern auch auf das eigene Vermögen des Erben.3

5.508

b) Begriff der Nachlassverbindlichkeit Das Gesetz differenziert in § 1967 Abs. 2 BGB zwischen „vom Erblasser herrührenden Schulden“ (Erblasserschulden) und „die den Erben als solchen treffenden Verbindlichkeiten, insbesondere die Verbindlichkeiten aus Pflichtteilsrechten, Vermächtnissen und Auflagen“ (Erbfallschulden). Außer diesen sind noch die Nachlasskosten und die Nachlasserbenverbindlichkeiten zu nennen.

5.509

aa) Erblasserschulden Erblasserschulden sind vererbliche Verbindlichkeiten privatrechtlicher Natur, die schon zu Lebzeiten in der Person des Erblassers begründet waren.4 Entscheidend ist, dass die Verbindlichkeit zu Lebzeiten des Erblassers bestand, unabhängig davon, wann sie fällig wird (z.B. aufgrund einer aufschiebenden Bedingung).5

5.510

Voraussetzung ist allerdings, dass die Verbindlichkeiten des Erblassers vererblich sind. So haftet der Erbe beispielweise nicht für Unterhaltsverpflichtungen, da diese mit dem Tode des Erblassers erlöschen (§ 1615 Abs. 1 BGB),6 mit Ausnahme von nachehelichem Ehegattenunterhalt und dem Unterhaltsanspruch der nichtehelichen Mutter (§ 1615l BGB).7

5.511

bb) Erbfallschulden Die Erbfallschulden sind diejenigen Verbindlichkeiten, die im Zusammenhang mit dem Erbfall stehen.8

1 2 3 4 5

Obergfell, Erbrecht, Rz. 446. Leipold, Erbrecht22, Rz. 696. Vgl. Küpper in MüKo8, § 1967 BGB Rz. 1. Küpper in MüKo8, § 1967 BGB Rz. 5. Leipold, Erbrecht22, Rz. 701; BGH v. 7.6.1991 – V ZR 214/89, NJW 1991, 2558 (Rückforderungsanspruch eines Schenkers richtet sich gegen die Erben des Beschenkten, wenn seine Bedürftigkeit nach dem Todesfall eintritt). 6 Krug in Kroiß/Ann/Mayer5, § 1967 BGB Rz. 18. 7 Krug in Kroiß/Ann/Mayer5, § 1967 BGB Rz. 19 ff. 8 Küpper in MüKo8, § 1967 BGB Rz. 10; Krug in Kroiß/Ann/Mayer5, § 1967 BGB Rz. 54.

Tiedemann | 327

5.512

Kap. 5 Rz. 5.513 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

5.513

Zu den Erbfallschulden zählen insbesondere Verbindlichkeiten aus den Pflichtteilsrechten, Vermächtnisse und Auflagen (§ 1967 Abs. 2 BGB), die Kosten der Beerdigung (§ 1968 BGB)1, aber auch die Nachlassverwaltungskosten.2 cc) Nachlasserbenschulden

5.514

Daneben stehen die sog. Nachlasserbenschulden. Dies sind Verbindlichkeiten, die der Erbe im Rahmen einer ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses eingegangen ist.3 Für sie haften sowohl der Nachlass als auch das Eigenvermögen des Erben.4

2. Haftungsbeschränkungen a) Möglichkeiten zur Haftungsbeschränkung

5.515

Ausgehend von dem Grundsatz der unbeschränkten und persönlichen Haftung des Erben stellen die Möglichkeiten der Haftungsbeschränkung Ausnahmen dar.

5.516

Der Erbe kann immer versuchen, rechtsgeschäftlich mit Gläubigern zu vereinbaren, dass seine Haftung auf den Nachlass begrenzt wird.5 Die Vereinbarung kann hier auch konkludent erfolgen, indem der Erbe zum Ausdruck bringt, seine Haftung auf den Nachlass beschränken zu wollen und der Vertragspartner sich darauf einlässt.6 Dies kommt bei Nachlasserbenschulden in Betracht.

5.517

Weiter haben die Erben drei Möglichkeiten, ihre Haftung zu beschränken, ohne dass sie rechtsgeschäftlich handeln müssen: Aufgebotsverfahren (Rz. 5.519 f.), Nachlassverwaltung (Rz. 5.521 ff.) und Nachlassinsolvenzverfahren (Rz. 5.525 ff.).

5.518

Daneben stehen dem Erben erbrechtliche Einreden zur Verfügung, die zum Teil haftungsbegrenzend wirken und zum Teil die Haftung hinausschieben (Rz. 5.531 ff.). b) Aufgebotsverfahren

5.519

Zunächst hat der Erbe die Möglichkeit, ein Aufgebotsverfahren durchzuführen (§§ 1970 ff. BGB). Beim Aufgebotsverfahren werden die Nachlassgläubiger aufgefordert, ihre Forderungen anzumelden (§ 1970 BGB). Die Haftung ist gegenüber denjenigen Gläubigern auf den Nachlass beschränkt, die sich nicht melden.

5.520

Das Verfahren wird durch §§ 433 ff. und §§ 454 ff. FamFG geregelt.7 Das Gericht setzt den Gläubigern eine Frist zur Anmeldung ihrer Forderungen.8 Nach Fristablauf ergeht ein Ausschließungsbeschluss (§ 439 FamFG). Ab diesem Zeitpunkt kann der Erbe die Leistung an die Gläubiger verweigern, die ihre Forderung nicht angemeldet haben, wenn der Nachlass bereits durch die Befriedigung der angemeldeten Gläubiger erschöpft ist (§ 1973 Abs. 1 Satz 1 BGB). 1 2 3 4 5 6 7 8

Küpper in MüKo8, § 1967 BGB Rz. 10. Küpper in MüKo8, § 1967 BGB Rz. 11; Leipold, Erbrecht22, Rz. 702. Krug in Kroiß/Ann/Mayer5, § 1967 BGB Rz. 56 ff. Krug in Kroiß/Ann/Mayer5, § 1967 BGB Rz. 56. Ausführlich dazu Küpper in MüKo8, § 1967 BGB Rz. 25. BGH v. 25.3.1968 – II ZR 99/65, BeckRS 1968, 31174235. Vgl. dazu die aktuelle Kommentierung von Dörndorfer in MüKo3, § 433 FamFG Rz. 1 ff. Zu den Einzelheiten der Aufforderung Dörndorfer in MüKo3, § 435 FamFG Rz. 1 ff.

328 | Tiedemann

F. Abwicklung des Nachlasses | Rz. 5.528 Kap. 5

c) Nachlassverwaltung Eine weitere Möglichkeit der Haftungsbeschränkung ist die Nachlassverwaltung nach §§ 1975 ff. BGB. Bei der Nachlassverwaltung wird die Verwaltung des Nachlasses auf einen vom Nachlassgericht zu bestellenden Nachlassverwalter zum Zwecke der Erfüllung der Nachlassverbindlichkeiten übertragen. Die gesetzliche Folge ist die Beschränkung der Haftung für Nachlassverbindlichkeiten auf den Nachlass (§ 1975 BGB).

5.521

Die Nachlassverwaltung ist das Mittel zur Haftungsbeschränkung, wenn der Nachlass weder überschuldet noch zahlungsunfähig i.S.d. § 320 Insolvenzordnung (InsO) ist.1

5.522

Die Nachlassverwaltung wird auf Antrag angeordnet (§ 1981 Abs. 1 BGB). Antragsberechtigt sind u.a. die Erben, Nachlassgläubiger (unter bestimmten Umständen), Testamentsvollstrecker. Bei einer Erbengemeinschaft dürfen die Miterben den Antrag nur gemeinschaftlich und vor der Teilung beantragen (§§ 1981 Abs. 1 und 2063 BGB). Die antragstellenden Erben müssen ihre Rechtsposition glaubhaft machen (z.B. durch Vorlage eines Erbscheins).2

5.523

Der Nachteil bei einer Nachlassverwaltung ist, dass den Erben die Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis entzogen wird und auf den Nachlassverwalter in dem Moment übergeht, wenn das Nachlassgericht die Nachlassverwaltung anordnet (§ 1984 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1986 Abs. 1 BGB). Die Hauptaufgabe des Nachlassverwalters ist die Erfüllung der Nachlassverbindlichkeiten (§§ 1985 Abs. 1 und 1986 Abs. 1 BGB). Die Nachlassverwaltung endet, wenn ein Nachlassinsolvenzverfahren eröffnet wird (§ 1988 Abs. 1 BGB) oder wenn ein Aufhebungsbeschluss des Nachlassgerichts ergeht (§ 1919 BGB). Der Restnachlass ist dann an die Erben herauszugeben, wenn die Nachlassverwaltung beendet ist (§ 1986 Abs. 1 BGB). Im Falle der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ist der Restnachlass dem Insolvenzverwalter herauszugeben.3

5.524

d) Nachlassinsolvenz Bei einem insolventen Nachlass ist die Nachlassinsolvenz das vorgesehene Mittel zur Haftungsbeschränkung. Die gesetzliche Folge ist die Beschränkung der Haftung für Nachlassverbindlichkeiten auf den Nachlass (§ 1975 BGB).

5.525

Das Nachlassinsolvenzverfahren ist ein Insolvenzverfahren im Sinne der InsO.4 Die Vorschriften der InsO sind daher für das Nachlassinsolvenzverfahren maßgeblich.

5.526

Für das Nachlassinsolvenzverfahren bedarf es eines Grundes für seine Eröffnung. Eröffnungsgründe sind nach § 320 Satz 1 InsO die Überschuldung und die Zahlungsunfähigkeit des Nachlasses. Nach § 320 Satz 2 InsO ist die drohende Zahlungsunfähigkeit auch ein Eröffnungsgrund, wenn der Antrag auf Eröffnung von dem Erben, dem Nachlassverwalter, einem anderen Nachlasspfleger oder einem Testamentsvollstrecker gestellt wird.

5.527

Im Nachlassinsolvenzverfahren werden vorrangig die Vorrechte der Aussonderungsberechtigten (§§ 47 f. InsO), der Absonderungsberechtigten (§§ 49 ff. InsO) und die Massever-

5.528

1 Herzog, Die Erbenhaftung, § 4 Rz. 38; zu den Begriffen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit Siegmann in MüKo4, § 320 InsO Rz. 1 ff. 2 Dobler in Staudinger, § 1981 BGB Rz. 13; Herzog, Die Erbenhaftung, § 8 Rz. 8. 3 Herzog, Die Erbenhaftung, § 8 Rz. 35. 4 Küpper in MüKo8, § 1975 BGB Rz. 4.

Tiedemann | 329

Kap. 5 Rz. 5.528 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

bindlichkeiten (§§ 55, 55, und 324 InsO) beglichen. Im Anschluss daran erfolgt nachrangig die Begleichung von Pflichtteils- und Vermächtnisansprüchen (§ 327 Abs. 1 InsO).

5.529

Antragsbefugt ist in erster Linie der Erbe (§ 317 Abs. 1 InsO). Bei einer Erbengemeinschaft kann jeder Erbe allein einen Antrag stellen (§ 316 Abs. 2 InsO). Die Stellung des Eröffnungsantrags wird für den Erben zur Pflicht, wenn er von der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung des Nachlasses Kenntnis erlangt (§ 1980 Abs. 1 Satz 1 BGB). Der Nachlassverwalter ist in diesen Fällen ebenso verpflichtet, einen Antrag auf Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens zu stellen (§ 1985 Abs. 2 BGB).

5.530

Antragsberechtigt sind im Übrigen die Nachlassgläubiger (§ 319 InsO), der Nachlassverwalter, der Nachlasspfleger und der Testamentsvollstrecker (§ 317 InsO), der mitverwaltende Ehegatte bei Gütergemeinschaft (§ 318 InsO) und der Erbschaftskäufer (§ 330 InsO). e) Erbrechtliche Einreden aa) Verschweigungseinrede

5.531

Ein Nachlassgläubiger, der seine Forderung später als fünf Jahre nach dem Erbfall gegenüber dem Erben geltend macht, wird wie ein im Aufgebotsverfahren (s. Rz. 5.519 f.) ausgeschlossener Gläubiger behandelt, es sei denn, dass die Forderung dem Erben vor dem Ablauf der fünf Jahre bekannt geworden oder im Aufgebotsverfahren angemeldet worden ist (§ 1974 Abs. 1 Satz 1 BGB).

5.532

Diese Vorschrift bezweckt den Schutz des Erben, der erst fünf Jahre nach dem Erbfall von einer bestimmten Verbindlichkeit erfährt.1 Der Erbe soll fünf Jahre nach dem Erbfall Rechtssicherheit in Bezug auf seine geerbten Verbindlichkeiten haben. Wenn ein Gläubiger eine Forderung erst fünf Jahre nach dem Erbfall geltend macht, steht dem Erben die Verschweigungseinrede nach § 1974 Abs. 1 Satz 1 BGB zu. Dies führt zur Haftungsbegrenzung auf den Nachlass. bb) Dürftigkeitseinrede

5.533

Die Dürftigkeitseinrede nach §§ 1990 f. BGB ist von großer praktischer Bedeutung. Sie steht dem Erben ohne zeitliche Beschränkung zu.2 Sie kann außergerichtlich oder im Prozess erhoben werden.3 Die Folge der Geltendmachung der Dürftigkeit des Nachlasses besteht darin, dass der Erbe den vorhandenen Aktiv-Nachlass den Gläubigern zum Zwecke der Zwangsvollstreckung herauszugeben hat.4 Im Prozess muss diese Einrede durch Aufnahme eines Vorbehalts nach § 780 Abs. 1 ZPO geltend gemacht werden.5

5.534

Das Gesetz gibt den Erben in § 1990 BGB diese Möglichkeit der faktischen Haftungsbeschränkung auf den Nachlass vor dem Hintergrund, dass oftmals der Nachlass für die Kosten der Nachlassverwaltung und der Nachlassinsolvenz nicht ausreicht.6 Dann müsste der Erbe die Kosten aus seinem eigenen Vermögen leisten, was eine unzumutbare Härte bedeuten 1 2 3 4 5 6

Küpper in MüKo8, § 1974 BGB Rz. 1. Küpper in MüKo8, § 1990 BGB Rz. 4; Lohmann in BeckOK, § 1990 BGB Rz. 5. Krug in Kroiß/Ann/Mayer5, § 1990 BGB Rz. 1. Krug in Kroiß/Ann/Mayer5, § 1990 BGB Rz. 2. Krug in Kroiß/Ann/Mayer5, § 1990 BGB Rz. 14. Küpper in MüKo8, § 1982 BGB Rz. 1 m.w.N.

330 | Tiedemann

F. Abwicklung des Nachlasses | Rz. 5.541 Kap. 5

würde, die der Gesetzgeber nicht in Kauf nehmen wollte. Aus diesem Grund ist die Dürftigkeitseinrede in § 1990 BGB vorgesehen.1 Für die Dürftigkeit ist der Erbe beweispflichtig.2 Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Dürftigkeit ist der Zeitpunkt der Entscheidung über die Einrede.3

5.535

Die Dürftigkeitseinrede gibt dem Erben den Vorteil, den Nachlass zunächst einmal selbst zu verwalten und nicht in die Hand eines Dritten (Nachlassverwalter, Nachlassinsolvenzverwalter) zu geben. Er kann auf diese Weise die Nachlassverbindlichkeiten selbst begleichen, soweit der Nachlass reicht.4 Es sind dann die bei Erhebung der Einrede noch vorhandenen Nachlassgegenstände herauszugeben.

5.536

cc) Dreimonatseinrede Die Erben haben die Möglichkeit, die Berichtigung einer Nachlassverbindlichkeit für einen Zeitraum von drei Monaten nach der Annahme der Erbschaft zu verweigern, jedoch nicht über die Errichtung des Inventars hinaus (§ 2014 Satz 1 BGB). Das Gesetz gestattet dem Erben diese Einrede, damit dieser sich durch ein Inventar oder das Aufgebotsverfahren Klarheit über den Zustand des Nachlasses verschaffen kann.5

5.537

dd) Einrede des ungeteilten Nachlasses Eine weitere zeitlich begrenzte Einrede sieht § 2059 Abs. 1 Satz 1 BGB vor: Ein Miterbe kann bis zur Teilung des Nachlasses die Berichtigung von Nachlassverbindlichkeiten aus dem Vermögen, das er außer seinem Anteil an dem Nachlass hat, verweigern.

5.538

Der Nachlassgläubiger hat aber immer noch die Möglichkeit, seine eigene Forderung gegen den ungeteilten Nachlass des Erblassers geltend zu machen (Gesamthandsklage, § 2059 Abs. 2 BGB).

5.539

III. Erbengemeinschaft 1. Rechtsnatur Bei einem Erbfall sind oft nach gesetzlicher oder testamentarischer Erbfolge mehrere Personen zu Erben berufen. Auch in diesem Fall geht die Erbschaft als Ganzes auf die Erben über.6 Die Miterben bilden eine Erbengemeinschaft nach § 2032 BGB.

5.540

Die Erbengemeinschaft ist eine Gesamthandsgemeinschaft.7 Das bedeutet zum einen, dass die Erbengemeinschaft keine juristische Person ist und daher nicht Träger von Rechten und

5.541

1 Küpper in MüKo8, § 1990 BGB Rz. 1. 2 KG v. 21.11.2002 – 12 U 32/02, NJW-RR 2003, 941 (942); vgl. OLG Koblenz v. 31.5.2005 – 3 U 1313/04, NJW-RR 2006, 377 (378). 3 BGH v. 10.11.1982 – IVa ZR 29/81, NJW 1983, 1485; Küpper in MüKo8, § 1990 BGB Rz. 4; Lohmann in BeckOK, § 1990 BGB Rz. 5. 4 Vgl. Krug in Kroiß/Ann/Mayer5, § 1990 BGB Rz. 26. 5 Küpper in MüKo8, § 2014 BGB Rz. 1. 6 Obergfell, Erbrecht, Rz. 459. 7 Leipold, Erbrecht22, Rz. 721.

Tiedemann | 331

Kap. 5 Rz. 5.541 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

Pflichten sein kann.1 Zum anderen hat dies zur Folge, dass die Rechte am Nachlass nur allen Miterben gemeinsam zustehen und Verfügungen über einzelne Gegenstände nur von allen Erben gemeinschaftlich zulässig sind.2 Keinem der Miterben steht vor Teilung ein Recht an einem bestimmten Nachlassgegenstand zu.3

2. Verfügung des Miterben über seinen Erbteil 5.542

Es gibt keine Miteigentumsanteile, über welche die Miterben gesondert verfügen könnten (vgl. § 2033 Abs. 2 BGB). Der Erbteil eines Miterben besteht nicht in einer Eigentumsquote, sondern in einem Anteil am Nachlass.4 Über diesen Anteil kann jeder Miterbe verfügen (§ 2033 Abs. 1 Satz 1 BGB).

5.543

Eine wirksame Verfügung über einen Anteil am Nachlass (Erbteil) setzt ihre notarielle Beurkundung voraus (§ 2033 Abs. 1 Satz 2 BGB). Der Erbteil eines Miterben erhört sich, wenn er den Erbteil eines anderen Miterben erwirbt.5

5.544

Da die Miterben nicht einen Fremden in der Erbengemeinschaft dulden müssen, haben die restlichen Miterben ein Vorkaufsrecht (§ 2034 Abs. 1 BGB).6 Das Vorkaufsrecht besteht nicht, wenn an einen Miterben verkauft wird.7

3. Verwaltung des Nachlasses a) Grundsatz der gemeinschaftlichen Verwaltung

5.545

Für die Praxis von großer Bedeutung sind die Regeln über die Verwaltung des Nachlasses innerhalb einer Erbengemeinschaft (§§ 2038 ff. BGB). Es gilt der Grundsatz der gemeinschaftlichen Verwaltung nach § 2038 Abs. 1 Satz 1 BGB. Dies macht die Verwaltung innerhalb einer Erbengemeinschaft sehr schwerfällig. Daher sollte bei größeren Nachlässen mit Unternehmensbeteiligung eine Verwaltung durch eine Erbengemeinschaft möglichst vermieden werden (s. praktische Hinweise Rz. 5.556).

5.546

Das Gesetz differenziert bei der Erbengemeinschaft – anders als bei der BGB-Gesellschaft – nicht zwischen der Geschäftsführung im Innenverhältnis der Miterben untereinander (z.B. Beschlussfassung über die Veräußerung eines Gegenstandes) und der Vertretung im Außenverhältnis Dritten gegenüber (z.B. Übereignung des veräußerten Gegenstandes an den Erwerber).8 Aus diesem Grund ist unter dem Begriff „Verwaltung“ i.S.d. § 2038 BGB sowohl das Außen- als auch das Innenverhältnis der Erbengemeinschaft zu verstehen.9

5.547

Die Verwaltung des Nachlasses umfasst sowohl Maßnahmen zur Erhaltung und Bewirtschaftung des Nachlassvermögens, zur Verwertung von Nachlassgegenständen und zur Erfüllung von Nachlassverbindlichkeiten.10 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

BGH v. 11.9.2002 – XII ZR 187/00, NJW 2002, 3389 (3390). Obergfell, Erbrecht, Rz. 464. Obergfell, Erbrecht, Rz. 464. Leipold, Erbrecht22, Rz. 724. Vgl. Löhnig in Staudinger, § 2033 BGB Rz. 5. Löhnig in Staudinger, § 2034 BGB Rz. 1. Gergen in MüKo8, § 2034 BGB Rz. 20. Gergen in MüKo8, § 2038 BGB Rz. 6; Löhnig in Staudinger, § 2038 BGB Rz. 2. Gergen in MüKo8, § 2038 BGB Rz. 14. BGH v. 22.2.1965 – III ZR 208/63, FamRZ 1965, 267 (269); Schmoeckel, Erbrecht5, § 34 Rz. 4.

332 | Tiedemann

F. Abwicklung des Nachlasses | Rz. 5.553 Kap. 5

b) Ordnungsgemäße Verwaltung Maßnahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung können mehrheitlich durch die Erbengemeinschaft beschlossen werden (§ 2038 Abs. 2 Satz 1 BGB i.V.m. § 745 Abs. 1 Satz 1 BGB). Eine Maßnahme entspricht einer ordnungsgemäßen Verwaltung, wenn sie von einer vernünftig, wirtschaftlich denkenden Person in der gegebenen Lage vorgenommen werden würde.1 Eine Maßnahme muss dann vorgenommen werden, wenn eine verständige Person sie im Rahmen einer ordnungsgemäßen Verwaltung für notwendig hält.2

5.548

Die Zustimmung eines widersprechenden Miterben kann durch Klage erzwungen werden, wenn die erforderliche Mehrheit hier nicht erreicht wird (§ 745 Abs. 1 BGB), da jeder Miterbe eine Mitwirkungspflicht hat (§ 2038 Abs. 2 Satz 1 BGB).3

5.549

c) Notwendige Verwaltung Maßnahmen der notwendigen Verwaltung kann ein Miterbe allein vornehmen (§ 2038 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BGB). Eine Maßnahme ist notwendig, wenn sie zur Erhaltung des Nachlasses erforderlich war.4 Dabei geht es um Maßnahmen, die so dringlich sind, dass keinen Aufschub dulden und es für den Nachlassgegenstand ohne die Maßnahme negative Folgen gehabt hätte.5 Diese Maßnahmen kann jeder Miterbe ohne die Mitwirkung der anderen vornehmen.

5.550

d) Außerordentliche Verwaltung Maßnahmen, die weder im Sinne einer ordnungsgemäße Verwaltung sind oder als notwendig verstanden werden können, sind außerordentlich und bedürfen Einstimmigkeit für deren Durchführung.6

5.551

e) Verfügungen über Nachlassgegenstände Die Erben können nach § 2040 Abs. 1 BGB über einen Nachlassgegenstand nur gemeinschaftlich verfügen. Verfügungen sind Rechtgeschäfte, die eine Einwirkung auf ein bestehendes Recht haben (Übertragung, Änderung, Aufhebung oder Belastung eines Rechts).7

5.552

Ein Problem entsteht, wenn Verwaltungsmaßnahmen (§ 2038 BGB) gleichzeitig Verfügungen (§ 2040 BGB) sind oder Verfügungen erfordern. Nach allgemeiner Auffassung des BGH ist § 2040 BGB grundsätzlich lex specialis zu § 2038 Abs. 1 BGB.8 Dies bedeutet: Das Prinzip der Mehrheitsverwaltung aus § 2038 Abs. 1 BGB gilt nur im Innenverhältnis im Rahmen der Nachlassverwaltung, während die Verfügung (als Umsetzung) sich nach § 2040 BGB richtet.9

5.553

1 BGH v. 11.11.2009 – XII ZR 210/05, NJW 2010, 765; BGH v. 8.5.1952 – IV ZR 208/51, NJW 1952, 1252. 2 Löhnig in Staudinger, § 2038 BGB Rz. 14; Gergen in MüKo8, § 2038 BGB Rz. 41. 3 Gergen in MüKo8, § 2038 BGB Rz. 43 m.w.N. 4 Obergfell, Erbrecht, Rz. 468. 5 BGH v. 8.5.1952 – IV ZR 208/51, NJW 1952, 1252 (1253). 6 Obergfell, Erbrecht, Rz. 469. 7 Leipold, Erbrecht22, Rz. 735. 8 BGH v. 28.9.2005 – IV ZR 82/04, ZEV 2006, 24; umstritten, vgl. Löhnig in Staudinger, § 2038 BGB Rz. 33a m.w.N. 9 Gergen in MüKo8, § 2040 BGB Rz. 3; Löhnig in Staudinger, § 2040 BGB Rz. 34.

Tiedemann | 333

Kap. 5 Rz. 5.553 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

Für die Erfüllung eines eingegangenen Verpflichtungsgeschäftes gilt dagegen die spezielle Norm des § 2040 Abs. 1 BGB mit dem Erfordernis der Mitwirkung aller Miterben.1

5.554

Von diesem Grundsatz gibt es zwei Ausnahmen. Für Verfügungen, die gleichzeitig notwendige Maßnahmen sind, gilt die noch speziellere Norm des § 2038 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BGB, so dass jeder Miterbe ohne die Mitwirkung der anderen notwendige Maßnahmen nicht nur beschließen (Innenverhältnis), sondern auch durchführen (Außenverhältnis) kann.2

5.555

Für Verfügungen, die gleichzeitig Maßnahmen der ordnungsmäßigen Verwaltung sind, gilt entgegen dem Wortlaut des § 2040 BGB das Mehrheitsprinzip, wenn „dadurch die auf den Erhalt des Nachlassbestands gerichteten Interessen der anderen Miterben nicht beeinträchtigt werden“.3 f) Praktische Hinweise

5.556

Folgende Gestaltungsvarianten gibt es, um die aus dem Primat der gemeinschaftlichen Verwaltung des Nachlasses bei Erbengemeinschaften entstehenden Probleme zu vermeiden: (1)Durch die Anordnung einer Testamentsvollstreckung (Rz. 5.288 ff.) wird den Miterben das Verwaltungsrecht entzogen und auf den Testamentsvollstrecker übertragen. (2)Die Entstehung einer Erbengemeinschaft kann vermieden werden, indem einer der vorgesehenen Miterben zum Alleinerben eingesetzt wird, während die anderen vorgesehenen Miterben Vermächtnisse erhalten. Diese können als Quotenvermächtnisse ausgestaltet werden. (3)Der Nachlassgegenstand, der am verwaltungsintensivsten und am streitanfälligsten ist, z.B. ein Unternehmen oder Immobilienvermögen, kann als Vorausvermächtnis (Rz. 5.268 ff.) einem der Miterben zugewandt werden. (4)Ein oder mehrere Nachlassgegenstände können in eine Gesellschaft eingebracht werden, so dass nur Gesellschaftsanteile zu vererben sind. Einer der Miterben kann zum Geschäftsführer eingesetzt werden. Oder es gibt einen Fremdgeschäftsführer. (5)Es kann eine Auflage angeordnet werden, nach der nur ein Miterbe verwaltungsberechtigt ist, oder alle Erben verpflichtet sind, einem Miterben eine Vollmacht zur Verwaltung von einem oder mehreren Nachlassgegenständen zu erteilen.4

IV. Auseinandersetzung 1. Allgemeines 5.557

Die Erbengemeinschaft ist eine Liquidationsgemeinschaft und nicht auf Dauer angelegt.5 Grundsätzlich kann jeder Miterbe jederzeit die Auseinandersetzung verlangen (§ 2042 Abs. 1 BGB). Mit dem Begriff „Auseinandersetzung“ ist die Aufteilung des Nachlasses unter den Miterben und die vollständige Auflösung der Erbengemeinschaft gemeint.6 1 2 3 4 5 6

Gergen in MüKo8, § 2040 BGB Rz. 3; Leipold, Erbrecht22, Rz. 736. BGH v. 12.6.1989 – II ZR 246/88, NJW 1989, 2694 (2697). BGH v. 28.4.2006 – LwZR 10/05, ZEV 2006, 358 (359). Gergen in MüKo8, § 2038 BGB Rz. 20. Obergfell, Erbrecht, Rz. 462. Schmoeckel, Erbrecht5, § 35 Rz. 1.

334 | Tiedemann

F. Abwicklung des Nachlasses | Rz. 5.564 Kap. 5

Die Erbengemeinschaft bleibt umgekehrt so lange bestehen, wie die Miterben den Nachlass ungeteilt fortbestehen lassen.1 Zeitliche Grenzen zieht das Gesetz hier nicht. Das gilt auch für die Fortführung eines Handelsgeschäfts bzw. eines Unternehmens.2

5.558

2. Ausschluss der Auseinandersetzung Die Auseinandersetzung ist nach § 2043 Abs. 1 BGB ausgeschlossen, wenn ein Miterbe gezeugt, aber noch nicht geboren ist. In einem solchen Fall muss man bis zu seiner Geburt warten. Entsprechendes gilt für die Fälle, in denen eine Entscheidung über einen Antrag auf Annahme eines Kindes, über die Aufhebung eines Annahmeverhältnisses oder die Anerkennung einer vom Erblasser errichteten Stiftung als rechtsfähig noch aussteht (§ 2043 Abs. 2 BGB).

5.559

Nach § 2044 Abs. 1 BGB kann der Erblasser in seiner Verfügung von Todes wegen die Auseinandersetzung ausschließen. Der Ausschluss der Auseinandersetzung kann für eine bestimmte oder unbestimmte Zeit (maximal bis 30 Jahre nach dem Erbfall, vgl. § 2044 Abs. 2) angeordnet oder an die Einhaltung einer Kündigungsfrist geknüpft werden.3

5.560

Die Anordnung des Erblassers hat schuldrechtliche Wirkung, so dass die Miterben einvernehmlich das Verbot des Erblassers außer Kraft setzen und die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft betreiben können.4 Die Miterben können aber auch die Auseinandersetzung durch vertragliche Vereinbarung ausschließen (§ 2044 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. § 751 BGB).

5.561

Darüber hinaus kann jeder Miterbe die Aufschiebung der Auseinandersetzung verlangen, wenn ein gerichtliches oder ein privates Gläubigeraufgebot besteht (§ 2045 BGB).

5.562

3. Durchführung der Auseinandersetzung a) Einvernehmliche Teilung Nach deutschem Recht muss die Teilung einvernehmlich zwischen den Erben herbeigeführt werden. Es gibt kein – wie es in anderen Ländern üblich ist – gerichtliches oder gerichtlich moderiertes Teilungsverfahren. Das FamFG sieht zwar in §§ 363 ff. FamFG ein notariell moderiertes Teilungsverfahren vor. Dies hat aber kaum praktische Bedeutung.

5.563

Vielmehr müssen sich die Erben auf einen Auseinandersetzungsplan einigen und dann die Auseinandersetzung einvernehmlich durchführen. Dazu muss die Erbengemeinschaft als Gesamthandsgemeinschaft die Nachlassgegenstände in einem separaten Übertragungsakt einzeln dinglich übertragen. Bei Immobilien und GmbH-Gesellschaftsanteilen ist notarielle Beurkundung des Übertragungsakts und des Auseinandersetzungsvertrags erforderlich.5

5.564

Gergen in MüKo8, § 2032 ff. BGB Rz. 5; Leipold, Erbrecht22, Rz. 742. Leipold, Erbrecht22, Rz. 744. Ann in MüKo8, § 2044 BGB Rz. 5, 21. Ann in MüKo8, § 2044 BGB Rz. 7 f.; Löhnig in Staudinger, § 2044 BGB Rz. 6; Weidlich in Palandt79, § 2044 BGB Rz. 2. 5 Ann in MüKo8, § 2042 BGB Rz. 37; Lohmann in BeckOK, § 1990 BGB Rz. 5; Löhnig in Staudinger, § 2042 BGB Rz. 63. 1 2 3 4

Tiedemann | 335

Kap. 5 Rz. 5.565 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

5.565

Einigen sich die Erben nicht, kann eine Teilungsklage (Rz. 5.575) vor dem Prozessgericht1 (§ 27 ZPO) eingereicht werden, wobei die Teilungsklage vor einem staatlichen Gericht wegen der hohen Voraussetzungen der Teilungsreife (Rz. 5.575) selten vorkommt.2

5.566

Die Erben können sich auch auf Teil-Auseinandersetzungen verständigen.3 Ein Anspruch auf Teil-Auseinandersetzung besteht grundsätzlich nicht.4 Eine Art von (persönlicher) TeilAuseinandersetzung ist eine Abschichtung, bei der ein Erbe gegen Abfindung aus der Erbengemeinschaft ausscheidet.5 b) Begleichung von Nachlassverbindlichkeiten

5.567

Zur Durchführung der Auseinandersetzung sind zunächst die Nachlassverbindlichkeiten zu berichtigen. Die Vorschrift des § 2046 Abs. 1 BGB gibt den zeitlichen Ablauf vor, nach dem zuerst die Schulden beglichen werden und dann der Nachlass geteilt wird.6 Dies dient dem Schutz der Miterben.7 Die Berichtigung der Nachlassverbindlichkeiten ist auch erforderlich, damit der Nachlass die erforderliche Teilungsreife erhält.8 c) Grundsätze der Teilung

5.568

Die Teilung erfolgt in erster Linie nach den Teilungsanordnungen des Erblassers (§ 2048 BGB). Subsidiär richtet sich die Teilung nach den Regeln des §§ 2042 Abs. 2 i.V.m. 752–757 BGB, wenn der Erblasser keine Teilungsanordnung getroffen hat.

5.569

Nach § 752 BGB hat die Teilung grundsätzlich in Natur zu erfolgen. Damit gemeint ist die physische Teilung eines Gegenstandes. Eine Teilung ist aber bei vielen Nachlassgegenständen kraft Natur der Sache nicht möglich (z.B. ein Pferd oder ein Haus). In einem solchen Fall einigen sich die Erben üblicherweise darauf, wer welche Gegenstände erhält und welcher Wert dafür anzusetzen ist, oder ob der Nachlassgegenstand freihändig verkauft werden soll.9

5.570

Können sich die Erben nicht einigen, erfolgt die Teilung nach § 753 Abs. 1 BGB durch (Zwangs-)Verkauf des Gegenstands und durch Teilung des Erlöses. Für bewegliche Sachen gelten nach § 753 Abs. 1 BGB die Vorschriften über den Pfandverkauf (§§ 1234–1240 BGB); für Grundstücke und grundstücksähnliche Rechte wie Erbbaurechte, Schiffe und Flugzeuge gelten dagegen die Vorschriften der Zwangsversteigerung (§ 180 ZVG).10

5.571

In der Praxis kommt es immer einmal wieder zur Teilungsversteigerung von Grundstücken, auch um für die Auseinandersetzung Druck aufzubauen. Der Antrag auf Teilungsversteigerung kann von jedem Erben gestellt werden (§ 2042 BGB); allerdings darf die Teilungsverstei1 Vgl. den Überblick zu den prozessualen Einzelheiten bei Löhnig in Staudinger, § 2042 BGB Rz. 63. 2 Ann in MüKo8, § 2042 BGB Rz. 55; vgl. zu den Anforderungen an einen Teilungsplan zur Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft OLG Jena v. 18.6.2008 – 4 U 726/06, ZErb 2009, 133. 3 Eberl-Borges in Kroiß/Ann/Mayer5, Vor §§ 2042–2057a BGB Rz. 7 ff.; Löhnig in Staudinger, § 2042 BGB Rz. 59. 4 Ann in MüKo8, § 2042 BGB Rz. 19; Löhnig in Staudinger, § 2042 BGB Rz. 59. 5 Vgl. Flechtner in Burandt/Rojahn3, § 2042 BGB Rz. 34 f. 6 Ann in MüKo8, § 2046 BGB Rz. 2. 7 Eberl-Borges in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2046 BGB Rz. 1. 8 Vgl. OLG Brandenburg v. 17.3.1998 – 10 W 45/97, FamRZ 1998, 1521, 1522. 9 Vgl. Löhnig in Staudinger, § 2042 BGB Rz. 6; Lohmann in BeckOK, § 2042 BGB Rz. 10. 10 Rißmann3, § 7 Rz. 78.

336 | Tiedemann

F. Abwicklung des Nachlasses | Rz. 5.576 Kap. 5

gerung nur mit dem Ziel der Auseinandersetzung betrieben werden.1 Dies bedeutet, dass eine Teilungsversteigerung für einzelne Nachlassgegenstände nicht möglich ist.2 Wenn der Erblasser die Teilung in seiner Verfügung von Todes wegen ausgeschlossen oder die Immobilie einem der Miterben kraft Teilungsanordnung zugewiesen hat, können die anderen Erben sich mit einer Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO wehren.3 d) Ausgleichung von Vorempfängen Bei der Auseinandersetzung sind auszugleichende lebzeitige Zuwendungen des Erblassers nach §§ 2050 ff. BGB zu berücksichtigen.4 Nach § 2050 Abs. 1 BGB sind Ausstattungen i.S.v. § 1624 Abs. 1 BGB an Abkömmlinge auszugleichen, wenn nicht der Erblasser etwas anderes bei der Zuwendung angeordnet hat. Nach § 2050 Abs. 3 BGB sind umgekehrt alle lebzeitigen Zuwendung auszugleichen, wenn der Erblasser dies bei der Zuwendung angeordnet hat.

5.572

Die Ausgleichung hat in der Praxis eine enorme Bedeutung. Sie führt oft zu einer erheblichen Verschiebung der Erbteile. Die Ausgleichung wird nach § 2055 BGB durchgeführt, indem die Zuwendung auf den Erbfall indexiert5 und dem Nachlass hinzugerechnet und dann vom Erbteil des ausgleichungspflichtigen Erben abgezogen wird.6 Dabei nehmen nur die Erbteile der ausgleichungspflichtigen Abkömmlinge an der Ausgleichung teil; die Erbteile der anderen Erben werden vorher abgezogen. Der Erblasser kann abweichende Regeln, wie und mit welchem Wert die Ausgleichung durchzuführen ist, anordnen.7 Auch die Erben können einvernehmlich die Ausgleichung auf eine andere Art vornehmen.8

5.573

Für die Praxis ist zu empfehlen, dass genau bestimmt wird, ob und ggf. mit welchem Wert eine Zuwendung im Erbfall auszugleichen ist.

5.574

e) Teilungsklage Können sich die Erben nicht auf eine Auseinandersetzung einigen, kommt eine Erbteilungsklage in Betracht.9 Diese ist auf Zustimmung zu einem bestimmten Auseinandersetzungsplan gerichtet.10 Sie ist regelmäßig nur erfolgreich, wenn der Nachlass teilungsreif ist, d.h. nur noch in Geld besteht und die Teilung einfach vorgenommen werden kann.11

5.575

4. Rechtsfolgen der Auseinandersetzung Mit erfolgter Auseinandersetzung ist die Erbengemeinschaft beendet. Eine Rückabwicklung bereits verteilter Gegenstände kommt nur kraft Gesetzes in Betracht; die Erbengemeinschaft 1 Vgl. Ann in MüKo8, § 2042 BGB Rz. 1 f. 2 Lohmann in BeckOK, § 2042 BGB Rz. 9. 3 Vgl. Eberl-Borges in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2044 BGB Rz. 16; s. auch OLG Hamburg v. 23.8.1960 – 2 U 56/60, NJW 1961, 610 (LS a). 4 Eberl-Borges in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2050 BGB Rz. 2. 5 Zimmer in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 2055 BGB Rz. 15 ff. 6 Zimmer in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 2055 BGB Rz. 6. 7 Eberl-Borges in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2055 BGB Rz. 19; Zimmer in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 2055 BGB Rz. 16. 8 Zimmer in Prütting/Wegen/Weinreich14, § 2055 BGB Rz. 17. 9 Vgl. Eberl-Borges in Kroiß/Ann/Mayer5, Vor §§ 2042–2057a BGB Rz. 24 ff. 10 Eberl-Borges in Kroiß/Ann/Mayer5, Vor §§ 2042–2057a BGB Rz. 26. 11 Eberl-Borges in Kroiß/Ann/Mayer5, Vor §§ 2042–2057a BGB Rz. 25.

Tiedemann | 337

5.576

Kap. 5 Rz. 5.576 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

kann privatautonom nicht wieder hergestellt werden.1 Allein die Anfechtung des Vollzuges der Auseinandersetzung führt nach § 142 BGB aufgrund der ex-tunc-Wirkung dazu, dass die Erbengemeinschaft wieder entsteht.2 Ansonsten können die Miterben am Gesamthandskonzept nur festhalten, wenn sie die Nachlassgegenstände gemeinschaftlich in Form einer GbR oder einer Personenhandelsgesellschaft halten.3

V. Der Erbschein 1. Nachweis der Erbfolge 5.577

Der Erbschein ist von großer praktischer Bedeutung für die Erben. Der Erbschein dient als Zeugnis zum Nachweis der Erbenstellung.4 Mit dem Erbschein können die Erben im Rechtsverkehr ihre Erbenstellung nachweisen und Zugriff auf das Vermögen erhalten.

5.578

Der Erbschein ist in §§ 2353 ff. BGB geregelt und wird den Erben vom Nachlassgericht auf Antrag erteilt (s. Verfahren unter Rz. 5.585 ff.).

5.579

Im Grundbuchverkehr wird bei testamentarischer Erbfolge der Erbschein durch ein öffentliches Testament mit Eröffnungsprotokoll ersetzt (§ 35a GBO). Dies gilt allerdings nur, wenn sich aus dem Testament die Erbfolge unzweideutig ergibt.5 Auch im übrigen Rechtsverkehr hat es sich eingebürgert, das öffentliche Testament mit Eröffnungsprotokoll als Ersatz für den Erbschein zu akzeptieren.6 Banken müssen das öffentliche Testament mit Eröffnungsprotokoll als Nachweis des Erbrechts akzeptieren.7 Aus diese Weise spart der Erbe die Kosten für den Erbschein.

2. Richtigkeitsvermutung und Öffentlicher Glaube des Erbscheins a) Rechtsschein

5.580

Im Rechtsverkehr hat der Erbschein deshalb eine so große Bedeutung, weil ihm eine besondere Legitimationswirkung zukommt.8 Für den Erbschein gilt die gesetzliche Richtigkeitsvermutung des § 2365 BGB. Danach wird vermutet, dass das in dem Erbschein angegebene Erbrecht demjenigen zusteht, der im Erbschein als Erbe aufgeführt ist und dass er nur durch die dort angegebenen Anordnungen beschränkt ist.

5.581

Der Erbschein soll Rechtssicherheit in dem Sinne schaffen, dass der Dritte, der mit dem Erbscheinserben ein Rechtsgeschäft schließt, von der Verfügungsbefugnis des letzteren ausgehen kann.9 Kein Zweck des Erbscheins ist dagegen die endgültige Klärung der erbrechtlichen Rechtslage (dazu Rz. 5.592 f.). Der Erbschein hindert daher einen Erbprätendenten nicht daran, seine Rechte geltend zu machen.

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Ann in MüKo8, § 2042 BGB Rz. 47. Löhnig in Staudinger, § 2042 BGB Rz. 66; Rißmann3, § 7 Rz. 84. Ann in MüKo8, § 2042 BGB Rz. 47. Obergfell, Erbrecht, Rz. 487. Vgl. Grziwotz in MüKo8, § 2353 BGB Rz. 194. So z.B. gegenüber Banken Grziwotz in MüKo8, § 2353 BGB Rz. 204. BGH v. 7.6.2005 – XI ZR 311/04, NJW 2005, 2779. Obergfell, Erbrecht, Rz. 488; Lange, Erbrecht², § 78 Rz. 1. Grziwotz in MüKo8, Vorbem. zu §§ 2353 ff. BGB Rz. 1; Leipold, Erbrecht22, Rz. 642.

338 | Tiedemann

F. Abwicklung des Nachlasses | Rz. 5.588 Kap. 5

Aufgrund der Funktion des Erbscheins ist die Richtigkeitsvermutung des § 2365 BGB eine widerlegbare Vermutung.1 Im Prozess liegt die Beweislast konsequenterweise bei demjenigen, der sich auf die Unrichtigkeit des Erbscheins beruft.2

5.582

b) Gutgläubiger Erwerb Folge der Richtigkeitsvermutung des Erbscheins ist, dass die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs vom „falschen“ Erben besteht.3 Denn der Erbschein begründet öffentlichen Glauben an seinem Inhalt.4 Nach § 2366 BGB kann ein Dritter einen Erbschaftsgegenstand, ein Recht an einem solchen Gegenstand und die Befreiung von einem zur Erbschaft gehörenden Recht vom Erbscheinserben wirksam erwerben. Für weitere Verfügungen des Erbscheinserben ist der Rechtsverkehr über § 2367 BGB geschützt.

5.583

Der gute Glaube des Erwerbers schützt nach § 2366 BGB allein Verfügungen, nicht Verpflichtungsgeschäfte.5 Daher bleiben die Verträge des „falschen“ Erben mit dem Dritten vom öffentlichen Glauben unberührt.

5.584

3. Erbscheinsverfahren Der Erbschein wird vom Nachlassgericht auf Antrag ausgestellt. Sachlich zuständig ist das AG, Abteilung für Nachlasssachen (§ 23a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 GVG).

5.585

Die örtliche Zuständigkeit liegt beim AG des Ortes, in dem der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte (§ 343 Abs. 1 FamFG). Funktionell zuständig ist grundsätzlich der Rechtspfleger (§ 3 Nr. 2c RPflG). Der Richter ist ausnahmsweise funktionell zuständig, wenn eine Verfügung von Todes wegen vorliegt oder wenn ausländisches Recht zur Anwendung kommt (§ 16 Abs. 1 Nr. 6 RPflG).

5.586

Antragsbefugt sind der Erbe, der Testamentsvollstrecker, der Nachlassverwalter, der Nachlassinsolvenzverwalter sowie Gläubiger, die zum Zweck der Zwangsvollstreckung einen Erbschein benötigen.6 Das Gericht kann als Beteiligte u.a. die gesetzlichen Erben und/oder die Personen hinzuziehen, die nach der Verfügung von Todes wegen des Erblassers als Begünstigte in Betracht kommen (§ 345 Abs. 1 Satz 2 FamFG).

5.587

Der Erbscheinsantrag ist an sich an keine bestimmte Form gebunden.7 Allerdings ist eine Eidesstattliche Versicherung des Antragstellers nach § 352 Abs. 3 FamFG erforderlich, so dass in der Praxis der Antrag entweder zu Protokoll der Geschäftsstelle des Nachlassgerichts oder in notariell beurkundeter Form gestellt wird. Die Kosten sind in beiden Fällen gleich, beim Notar fällt lediglich noch die gesetzliche Mehrwertsteuer an. Die Eidesstattliche Versicherung kann nur in Ausnahmefällen vom Nachlassgericht erlassen werden (§ 352 Abs. 3 Satz 4 FamFG).

5.588

1 2 3 4 5 6 7

Grziwotz in MüKo8, § 2365 BGB Rz. 8. Leipold, Erbrecht22, Rz. 655. Leipold, Erbrecht22, Rz. 656. Schmoeckel, Erbrecht5, § 9 Rz. 11. Grziwotz in MüKo8, § 2366 BGB Rz. 9; Schmoeckel, Erbrecht5, § 9 Rz. 14. Leipold, Erbrecht22, Rz. 645. Kroiß in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2353 BGB Rz. 25.

Tiedemann | 339

Kap. 5 Rz. 5.589 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

5.589

Das Gericht muss im Erbscheinsverfahren prüfen, ob das behauptete Recht dem Antragsteller zusteht (§ 26 FamFG). Es gilt der Amtsermittlungsgrundsatz.1 Das Gericht erlässt dann einen Beschluss, wenn alle Voraussetzungen zur Erteilung eines Erbscheins vorliegen (§ 352e Abs. 1 Satz 2 FamFG). Darauf erfolgt dann die Erteilung des Erbscheins.2

4. Einziehung 5.590

Der Erbschein wird vom Nachlassgericht eingezogen, wenn dieser sich als unrichtig erweist (§ 2361 Satz 1 BGB). Die Einziehung hat auch zu erfolgen, wenn die Überzeugung des Gerichts, der erteilte Erbschein sei richtig, erschüttert ist.3 Der Gesetzgeber will durch diese Vorschrift die Gefahren eines unrichtigen Erbscheins vermeiden, da dieser öffentlichen Glauben begründet und dadurch erhebliche Schäden für den wahren Erben entstehen können.

5.591

Die Einziehung des Erbscheins erfolgt in zwei Phasen: die Anordnung der Einziehung einerseits und die tatsächliche Einziehung andererseits.4 Es müssen die Urschrift und alle Ausfertigungen des Erbscheins an das Nachlassgericht zurück gegeben werden.5

5. Keine materielle Rechtskraft 5.592

Der Erbschein und die Feststellungen im Erbschein erwachsen nicht in materieller Rechtskraft.6 Dies bedeutet, dass mit Erteilung des Erbscheins nicht rechtskräftig feststeht, wer Erbe geworden ist. Der Erbschein erschöpft sich in seiner Gutglaubenswirkung.

5.593

Eine rechtskräftige Feststellung des Erbrechts kann nur durch eine Erbenfeststellungsklage erreicht werden.7 Die Erbenfeststellungsklage ist vor den ordentlichen Gerichten zu erheben (§ 27 ZPO), während der Erbschein im Rahmen der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom Nachlassgericht ausgestellt wird. Diese Zweigleisigkeit von Freiwilliger Gerichtsbarkeit und Ordentlicher Gerichtsbarkeit ist im Erbrecht unbefriedigend und für viele Außenstehende nicht nachvollziehbar.8 Daher gibt es bereits Reformbestrebungen mit dem „Großen Nachlassgericht“, welches für alle erbrechtlichen Streitigkeiten und Nachlasssachen zuständig sein soll.9

6. Das Europäische Nachlasszeugnis a) Zweck und Inhalt

5.594

Auf europäischer Ebene wurde im Jahr 2015 das Europäische Nachlasszeugnis (ENZ) durch die Europäische Erbrechtsverordnung (Rz. 5.15 ff.) eingeführt. Das ENZ ermöglicht den Erben, Vermächtnisnehmern, Testamentsvollstreckern und Nachlassverwaltern, ihren erbrechtlichen Status in einem anderen Mitgliedstaat ohne weiteres nachzuweisen (Art. 63 Abs. 1 1 BGH v. 11.10.1990 – IX ZR 114/89, NJW-RR 1991, 515 (516); Leipold, Erbrecht22, Rz. 646; Schmoeckel, Erbrecht5, § 9 Rz. 6. 2 Leipold, Erbrecht22, Rz. 647. 3 Grziwotz in MüKo8, § 2361 BGB Rz. 30. 4 BayObLG v. 20.12.2000 – 1Z BR 153/99, ZEV 2001, 489 (490). 5 OLG Oldenburg v. 30.9.1957 – 3 Wx 17/57, DNotZ 1958, 263. 6 BGH v. 14.4.2010 – IV ZR 135/08, ZEV 2010, 468 (469). 7 Leipold, Erbrecht22, Rz. 653. 8 Vgl. Krätzschel in Firsching/Graf, Nachlassrecht11, § 38 Rz. 1; Fröhler in BeckOGK, § 2353 BGB Rz. 145. 9 Krätzschel in Firsching/Graf, Nachlassrecht11, § 38 Rz. 1; vgl. Frieser, ErbR 2017, 635.

340 | Tiedemann

F. Abwicklung des Nachlasses | Rz. 5.600 Kap. 5

EuErbVO). Das ENZ hat in erster Linie eine Beweis- und Legitimationsfunktion (Art. 69 Abs. 2 EuErbVO) und wirkt ähnlich wie der deutsche Erbschein.

Das ENZ enthält auch eine Gutglaubenswirkung. Das ENZ bewirkt zum einen die positive Vermutung, dass die aufgeführten Personen die Inhaber der angegebenen Rechte sind (Art. 69 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 EuErbVO). Zum anderen bewirkt das ENZ die negative Vermutung, dass ihre Rechte keinen weiteren als den dort aufgeführten Beschränkungen unterliegen (Art. 69 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 EuErbVO). Der Schutz des guten Glaubens greift nicht ein, wenn derjenige, der sich darauf beruft, von der Unrichtigkeit des Zeugnisses positiv wusste oder ihm dies in Folge grober Fahrlässigkeit unbekannt war (Art. 69 Abs. 3 Halbs. 2 EuErbVO).

5.595

b) Verhältnis zum deutschen Erbschein Das ENZ tritt neben den deutschen Erbschein und andere nationale Erbbescheinigungen.1 Die Verwendung des ENZ ist nicht verpflichtend (Art. 62 Abs. 2 EuErbVO) und tritt auch nicht an die Stelle des deutschen Erbscheins (Art. 62 Abs. 3 EuErbVO). Es ist daher möglich, gleichzeitig einen deutschen Erbschein und ein ENZ zu beantragen, wenn der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte.

5.596

Die Beantragung eines deutschen Erbscheins ist dagegen nicht möglich, wenn der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt zum Zeitpunkt seines Todes in einem anderen Mitgliedstaat hatte, da die internationale Zuständigkeit zur Erteilung der mitgliedstaatlichen Erbnachweise sich auch nach Art. 4 ff. EuErbVO richtet.2

5.597

c) Voraussetzungen Das ENZ darf nur ausgestellt werden, wenn ein Erbfall mit Auslandsbezug vorliegt.3 Die Vorschrift des Art. 62 Abs. 1 EuErbVO setzt voraus, dass das ENZ in einem anderen Mitgliedstaat verwendet werden soll. Die internationale Zuständigkeit für die Erteilung des ENZ richtet sich nach Art. 4 ff. EuErbVO (Art. 64 EuErbVO). Die örtliche, sachliche und funktionelle Zuständigkeit richtet sich in Deutschland nach dem internationalen Erbrechtsverfahrensgesetz4 (IntErbRVG).

5.598

Antragsbefugt sind nach Art. 65 Abs. 1 i.V.m. Art. 63 Abs. 1 EuErbVO die Erben, Vermächtnisnehmer, Testamentsvollstrecker oder der Nachlassverwalter. Das ausstellende Gericht behält die Urschrift des ENZ, während Abschriften denjenigen ausgestellt werden, die ein berechtigtes Interesse nachweisen können (Art. 70 Abs. 1 EuErbVO).

5.599

Das ENZ kennt kein Einziehungsverfahren wie der deutsche Erbschein.5 Das ist insbesondere problematisch, weil das ENZ Träger einer Richtigkeitsvermutung ist. Der Missbrauch eines unrichtigen ENZ kann daher nicht ganz ausgeschlossen werden. Einen gewissen Schutz bietet immerhin Art. 70 Abs. 3 EuErbVO: Danach sind die Abschriften des ENZ nur sechs Monate lang gültig.

5.600

Grziwotz in MüKo8, § 2353 BGB Rz. 217. EuGH v. 21.6.2018 – C-20/17 – Oberle, NJW 2018, 2309. Buschbaum in GS Hübner, S. 598; Grziwotz in MüKo8, § 2353 BGB Rz. 216. Gesetz zum Internationalen Erbrechtsverfahrensgesetz und zur Änderung von Vorschriften zum Erbschein vom 29.6.2015, BGBl. I 2015, 1042. 5 Dutta in MüKo7, Art. 71 EuErbVO Rz. 7. 1 2 3 4

Tiedemann | 341

Kap. 5 Rz. 5.601 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

G. Ausschluss von der Erbfolge I. Erbunwürdigkeit 1. Begriff und Rechtsnatur 5.601

Erbunwürdig ist, wer sich schweren Verfehlungen gegenüber dem Erblasser schuldig gemacht hat und deshalb nicht erben soll.1 Die Erbunwürdigkeit ist in den §§ 2339 ff. BGB geregelt und soll vermeiden, dass ein gesetzlicher oder gewillkürter Erbe sich dadurch das Vermögen des Erblassers verschafft, indem er dessen Tod herbeiführt oder ihn anderweitig daran hindert, wirksam von seiner Testierfreiheit Gebrauch zu machen.

5.602

Unwürdig kann nicht nur ein Erbe sein, sondern auch der Vermächtnisnehmer oder Pflichtteilsberechtigte (§ 2345 BGB).

5.603

Die Erbunwürdigkeit verhindert nicht, dass der „Unwürdige“ Erbe wird, sondern kann lediglich dafür sorgen, dass er nicht Erbe bleiben darf. Die Erbunwürdigkeit tritt nicht kraft Gesetzes ein, sondern wird durch Anfechtung geltend gemacht (§ 2340 Abs. 1 BGB).

5.604

Erbunwürdigkeit ist keine absolute Eigenschaft, sondern bezieht sich stets nur auf die Beziehung des Erben zum konkreten Erblasser.2 Die Unwürdigkeit eines Erben wird nicht auf seinen Stamm übertragen, so dass bei Wegfall des Erbunwürdigen unter Umständen seine Abkömmlinge an seine Stelle treten.3

5.605

Der Katalog der Erbunwürdigkeitsgründe in § 2339 Abs. 1 BGB ist abschließend und nicht analogiefähig.4 Eine strafgerichtliche Verurteilung wegen der in § 2339 Abs. 1 BGB aufgeführten Delikte ist keine Tatbestandsvoraussetzung, und das Zivilgericht ist bei der Beurteilung der Erbunwürdigkeit auch nicht an eine rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung gebunden.5

2. Erbunwürdigkeitsgründe a) (Versuchte) Tötung des Erblassers

5.606

Erbunwürdig ist der Erbe, der den Erblasser tötet oder zu töten versucht oder ihn in einen bis zu dessen Tode andauernden testierunfähigen Zustand versetzt (§ 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Der Erbe muss dabei vorsätzlich, rechtswidrig und auch schuldhaft handeln.6

5.607

Die Motive des Erben für die (versuchte) Tötung oder das Hervorrufen des testierunfähigen Zustands sind unerheblich und müssen daher nicht im Zusammenhang mit der potentiellen Erbenstellung des Täters stehen.7

1 2 3 4 5 6 7

Lange, Erbrecht², § 40 Rz. 63. Müller-Engels in Burandt/Rojahn3, § 2339 BGB Rz. 7. Muscheler, ZEV 2009, 58 (59). Weidlich in Palandt79, § 2339 BGB Rz. 2. BGH v. 16.3.2005 – IV ZR 140/04, ZEV 2005, 307. BGH v. 11.3.2015 – IV ZR 400/14, NJW 2015, 1382. Weidlich in Palandt79, § 2339 BGB Rz. 3.

342 | Tiedemann

G. Ausschluss von der Erbfolge | Rz. 5.614 Kap. 5

b) Verhinderung einer letztwilligen Verfügung

Die vorsätzliche und widerrechtliche Verhinderung des Erblassers, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten oder aufzuheben, stellt ebenfalls einen Erbunwürdigkeitsgrund dar (§ 2339 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Vorsatz und Widerrechtlichkeit sind i.S.d. § 123 BGB zu verstehen.1 Zwischen dem Handeln des Erben und dem Ausbleiben der konkret beabsichtigten Testamentserrichtung oder des Widerrufs muss ein kausaler Zusammenhang bestehen.2

5.608

Die Verhinderung kann durch physische Gewalt aber auch durch Täuschung, Drohung oder Ausnutzung einer Zwangslage erfolgen.3

5.609

c) Täuschung und Drohung bei Errichtung einer letztwilligen Verfügung Erbunwürdig ist außerdem der Erbe, der den Erblasser durch arglistige Täuschung oder durch widerrechtliche Drohung bestimmt hat, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten oder aufzuheben (§ 2339 Abs. 1 Nr. 3 BGB). Die Begriffe der „arglistigen Täuschung“ und „widerrechtlichen Drohung“ sind i.S.d. § 123 BGB zu verstehen.4 Ist oder wird die Verfügung von Todes wegen vor dem Erbfall unwirksam, so tritt keine Erbunwürdigkeit ein (§ 2339 Abs. 2 BGB).

5.610

Im Gegensatz zu § 2339 Abs. 1 Nr. 2 BGB (Verhinderung einer letztwilligen Verfügung) geht es bei diesem Tatbestand der Täuschung und Drohung um die Errichtung oder Aufhebung einer Verfügung von Todes wegen. Die Täuschung oder Drohung muss sich unmittelbar auf die Errichtung oder Aufhebung der Verfügung von Todes wegen beziehen.5

5.611

d) Urkundendelikte Wer sich in Bezug auf eine Verfügung des Erblassers eines Urkundendelikts nach §§ 267, 271-274 StGB strafbar macht, ist ebenfalls erbunwürdig (§ 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB). Hierunter fallen Tatbestände wie Urkundenfälschung, Urkundenunterdrückung, aber auch Gebrauch einer unechten Urkunde im Rechtsverkehr.6

5.612

Ob auch der Versuch eines Urkundendelikts für die Erbunwürdigkeit ausreicht, ist nicht abschließend geklärt.7 Dagegen spricht, dass in § 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB anders als in § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB der Versuch nicht ausdrücklich genannt wurde. Dafür spricht als gewichtiges Argument der Verweis auf die §§ 267, 271-274 StGB, welche auch den Versuch unter Strafe stellen.

5.613

Die Erbunwürdigkeit tritt auch bei den Urkundendelikten nicht ein, wenn die Verfügung von Todes wegen vor Eintritt des Erbfalls unwirksam war oder geworden ist (§ 2339 Abs. 2 BGB).

5.614

1 2 3 4 5 6 7

BGH v. 14.2.1990 – IV ZR 286/88, NJW-RR 1990, 515 (516). Weidlich in Palandt79, § 2339 BGB Rz. 5. Müller-Engels in Burandt/Rojahn3, § 2339 BGB Rz. 22, 24. BGH v. 21.9.1967 – III ZR 208/66, NJW 1968, 642 (643). Weidlich in Palandt79, § 2339 BGB Rz. 6. Kroiß in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2339 BGB Rz. 11. Vgl. Kroiß in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2339 BGB Rz. 12.

Tiedemann | 343

Kap. 5 Rz. 5.614 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

Die Straftat kann allerdings im Gegensatz zu den anderen Erbunwürdigkeitsgründen auch nach dem Erbfall begangen worden sein.1

3. Rechtsfolge a) Anfechtung

5.615

Die Erbunwürdigkeit tritt nicht automatisch kraft Gesetzes ein, sondern muss durch Anfechtung geltend gemacht werden (§ 2340 Abs. 1 BGB).2 Der Erbschaftserwerb muss durch eine (Anfechtungs-) Klage angefochten werden. Beim Vermächtnis und Pflichtteil bedarf es lediglich einer Anfechtungserklärung (§ 2345 BGB).3

5.616

Die Anfechtung erfolgt durch die Erhebung einer Anfechtungsklage nach § 2342 Abs. 1 BGB innerhalb der Frist von einem Jahr, nachdem der Anfechtungsberechtigte vom Anfechtungsgrund Kenntnis erlangte (§§ 2340 Abs. 3, 2082 BGB). Anfechtungsberechtigt ist jeder, dem der Wegfall des Erbunwürdigen zustattenkommen würde (§ 2341 BGB). b) Wirkung

5.617

Der Erbe verliert seine Rechtsstellung als Nachfolger des Erblassers erst mit rechtskräftigem Gestaltungsurteil (§ 2342 Abs. 2 BGB). Erst mit Urteil wird die Anfechtung wirksam. Der Anfall der Erbschaft an den Erbunwürdigen gilt dann nach § 2344 Abs. 1 BGB rückwirkend als nicht erfolgt. Nach § 2344 Abs. 2 BGB wird nun derjenige Erbe, der bei Vorversterben des Erbunwürdigen berufen oder bedacht gewesen wäre.

4. Vermächtnis- und Pflichtteilsunwürdigkeit 5.618

Die Erbunwürdigkeitsgründe in § 2339 Abs. 1 Nr. 1-4 BGB stellen gleichzeitig Gründe für eine Vermächtnisunwürdigkeit (§ 2345 Abs. 1 BGB) oder eine Pflichtteilsunwürdigkeit (§ 2345 Abs. 2 BGB) dar.

5.619

Die Vermächtnis- bzw. Pflichtteilsunwürdigkeit wird wie die Erbunwürdigkeit durch Anfechtung durch einen Berechtigten geltend gemacht. Anders als für die Erbunwürdigkeit bedarf es jedoch keiner Klage. Die Anfechtung erfolgt durch Erklärung i.S.d. § 143 BGB gegenüber dem Vermächtnis- oder Pflichtteilsunwürdigen.4

5. Verzeihung 5.620

Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn der Erblasser dem Erbunwürdigen verziehen hat (§ 2343 BGB). Verzeihung ist der nach außen kundgemachte Entschluss des Erblassers, aus den erfahrenen Kränkungen nichts mehr herleiten und über sie hinweggehen zu wollen.5

1 2 3 4 5

Müller-Engels in Burandt/Rojahn3, § 2339 BGB Rz. 34. Kroiß in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2340 BGB Rz. 1. Kroiß in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2340 BGB Rz. 1. Helms in MüKo8, § 2345 BGB Rz. 2; Kroiß in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2340 BGB Rz. 1. BGH v. 1.2.1974 – IV ZR 58/72, NJW 1974, 1084.

344 | Tiedemann

G. Ausschluss von der Erbfolge | Rz. 5.626 Kap. 5

Die Verzeihung kann ausdrücklich oder stillschweigend durch ein schlüssiges Verhalten erfolgen.1 Der Erblasser muss Kenntnis vom Unwürdigkeitsgrund haben. Positive Kenntnis über die rechtlichen Folgen der Verzeihung oder die Erbenstellung ist nicht erforderlich.2

5.621

II. Erb-, Pflichtteils- und Zuwendungsverzicht 1. Begriff, Zweck, Rechtsnatur Das Gesetz lässt in § 2346 BGB einen Verzicht auf das gesetzliche Erb- oder Pflichtteilsrecht sowie in § 2352 BGB den Verzicht auf eine letztwillige Zuwendung zu. Diese Rechtsinstitute sind unverzichtbarer Bestandteil einer Nachfolgeplanung. Durch die Verzichtsverträge erhält der Erblasser die Möglichkeit, seine Erbfolge genau nach seinen Wünschen und Bedürfnissen einvernehmlich mit den Verzichtenden zu gestalten.

5.622

Mit einem Erbverzicht verzichtet der Verzichtende auf sein gesetzliches Erbrecht (§ 2346 Abs. 1 BGB). Mit einem Pflichtteilsverzicht verzichtet der Verzichtende auf sein gesetzliches Pflichtteilsrecht (§ 2346 Abs. 2 BGB), er kann weiter gesetzlicher oder testamentarischer Erbe sein.3 Mit einem Zuwendungsverzicht verzichtet der Verzichtende auf eine testamentarische Zuwendung, sei es auf die testamentarische Erbfolge oder ein testamentarisch oder erbvertraglich ausgesetztes Vermächtnis (§ 2352 BGB); dies hat keine Auswirkungen auf sein gesetzliches Erb- oder Pflichtteilsrecht.4

5.623

Erb-, Pflichtteils- und Zuwendungsverzicht sind erbrechtliche Verfügungsverträge und keine Verfügungen von Todes wegen, so dass die Normen des Allgemeinen Teils heranzuziehen sind, sofern die § 2346 ff. BGB keine besonderen Reglungen enthalten.5 Die persönlichen und formellen Anforderungen für alle Verzichtsarten sind in §§ 2347, 2348 BGB geregelt (Rz. 5.625 f.).

5.624

2. Wirksamkeit a) Formelle Voraussetzungen Der Erb-, Pflichtteils oder Zuwendungsverzichtsvertrag bedarf nach §§ 2348, 2352 Satz 3 BGB der notariellen Beurkundung.

5.625

b) Persönliche Voraussetzungen Der Erblasser kann den Vertrag nur persönlich abschließen (§ 2347 Abs. 2 Satz 1, Halbs. 1 BGB), wohingegen Stellvertretung für den Verzichtenden zulässig ist.6 Falls der Erblasser nur beschränkt geschäftsfähig ist, bedarf er nicht der Zustimmung seiner gesetzlichen Vertreter (§ 2347 Abs. 2 Satz 1, Halbs. 2 BGB). Ist der Erblasser geschäftsunfähig, kann der Vertrag von seinem gesetzlichen Vertreter oder einem Betreuer (1896 BGB) geschlossen werden (§ 2347 Abs. 2 Satz 2, Halbs. 1 BGB); allerdings ist die Genehmigung des Familien- bzw. des Betreuungsgerichts erforderlich (§ 2347 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2, Abs. 1 BGB). 1 2 3 4 5 6

Müller-Engels in Burandt/Rojahn3, § 2345 BGB Rz. 6. Helms in MüKo8, § 2343 BGB Rz. 1. Schotten in Staudinger, § 2346 BGB Rz. 74 m.w.N.; Wegerhoff in MüKo8, § 2346 BGB Rz. 21. Kroiß in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2352 BGB Rz. 12. Leipold, Erbrecht22, Rz. 545b. Kroiß in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2347 BGB Rz. 4; Leipold, Erbrecht22, Rz. 549a.

Tiedemann | 345

5.626

Kap. 5 Rz. 5.627 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

c) Inhaltliche Voraussetzungen aa) Abstrakter Vertrag auf den Todesfall

5.627

Der Verzichtsvertrag muss grundsätzlich keine nähere Begründung enthalten.1 Er ist ein abstrakter Vertrag unter Lebenden auf den Todesfall, der unmittelbar die Entstehung des Erbrechts oder des Pflichtteilsrechts verhindert.2

5.628

Es empfiehlt sich aber aus Gründen der Vermeidung einer späteren Anfechtung (Rz. 5.664) oder Geltendmachung von Sittenwidrigkeit (Rz. 5.640 ff.), im Verzichtsvertrag die Beweggründe für den Verzicht anzugeben. bb) Beteiligte

5.629

Am Verzichtsvertrag können nur der Erblasser und die gesetzlichen Erben bzw. Zuwendungsempfänger beteiligt sein. Es kommt nicht darauf an, dass der Verzichtende zum Zeitpunkt des Vertrags bereits konkret Erbe oder Zuwendungsempfänger ist, es kann auch auf ein künftiges Erb- oder Pflichtteilsrecht verzichtet werden.3

5.630

Auch künftige gesetzliche Erben untereinander können einen Vertrag schließen, aber nur in Form eines Erbschaftsvertrags nach § 311b Abs. 5 BGB, der allerdings nur schuldrechtliche Wirkung hat.4 Dies ist aber oft eine gute Möglichkeit für künftige gesetzliche Erben, bereits zu Lebzeiten des Erblassers ohne dessen Zutun streitvermeidende Verträge abzuschließen. cc) Gegenleistung

5.631

Der Verzichtsvertrag kann mit oder ohne Gegenleistung abgeschlossen werden.5 Dies hat auf die Wirksamkeit keinen Einfluss.6

5.632

In aller Regel gibt es aber eine Gegenleistung.7 Diese kann in einer Abfindung (Rz. 5.650 ff.) oder in sonstigen Zuwendungen bestehen. So kann als Gegenleistung dem Verzichtenden auch ein Vermächtnis mit erbvertraglicher Bindung (Rz. 6.258 f.) ausgesetzt werden.8 dd) Gegenständliche Beschränkung

5.633

Der Erb-, Pflichtteils- und Zuwendungsverzicht können gegenständlich beschränkt werden. Der Umfang und die Art und Weise der Beschränkung sind jedoch je nach Art des Verzichts unterschiedlich:

5.634

Der Erbverzicht kann nicht auf einzelne Gegenstände, sondern nur auf Bruchteile an der Erbschaft beschränkt werden.9 Dies folgt aus dem Grundsatz der Gesamtrechtsnachfolge 1 Vgl. zum Inhalt eines Erbverzichtsvertrages Schotten in Staudinger, Einleitung zu §§ 2346-2352 Rz. 23 ff. 2 Kroiß in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2346 BGB Rz. 2. 3 Kroiß in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2346 BGB Rz. 3. 4 Ruhwinkel in MüKo8, § 311b BGB Rz. 124 ff.; von Proff, ZEV 2013, 183 (184 f.). 5 Kroiß in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2346 BGB Rz. 25 f.; Wegerhoff in MüKo8, § 2346 BGB Rz. 21. 6 Vgl. Leipold, Erbrecht22, Rz. 547. 7 Kroiß in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2346 BGB Rz. 26; Schotten in Staudinger, § 2346 BGB Rz. 122. 8 BayObLG v. 27.1.1995 – 1Z BR 22/94, BayObLGZ 1995, 29; Schotten in Staudinger, § 2346 BGB Rz. 141. 9 Kroiß in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2346 BGB Rz. 10.

346 | Tiedemann

G. Ausschluss von der Erbfolge | Rz. 5.638 Kap. 5

(Rz. 5.98). Ein unzulässiger gegenständlich beschränkter Erbverzicht (etwa: „Ich verzichte auf mein Erbe in Höhe von 1 Mio. Euro“) kann jedoch in einen Bruchteilsverzicht umgedeutet werden, wobei für die Bestimmung des Bruchteils das Verhältnis aus dem gegenständlichen Verzicht zum Gesamtnachlass zu bilden ist.1 Der Erbverzicht kann aber als Teilverzicht ausgestaltet werden etwa in der Weise, dass sich der Verzichtende hinsichtlich seines Erbrechts Beschränkungen unterwirft, beispielsweise Beschränkungen des Erblassers wie Testamentsvollstreckung oder Nacherbeneinsetzung hinnimmt und auf seine Rechte aus § 2306 BGB (Rz. 5.378) verzichtet.2 Auch ist ein Verzicht in der Weise möglich, dass sich der Verzichtende eine Zuwendung auf seinen Erbteil nach §§ 2050 ff. BGB anrechnen lassen muss.3 Das kann in vielen Fällen von praktischer Bedeutung werden, wenn der Erblasser vergessen hat, bei der Zuwendung die Ausgleichung und Anrechnung anzuordnen.

5.635

Der Pflichtteilsverzicht kann beliebig beschränkt4 und insbesondere gegenständlich beschränkt werden. Inhalt des gegenständlich beschränkten Pflichtteilsverzichts ist, dass bestimmte Gegenstände bei der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs als nicht zum Nachlass gehörend angesehen werden sollen und damit für die Berechnung des Pflichtteils ausscheiden.5 Auf diese Weise können besondere wichtige Vermögensteile – etwa Unternehmen oder Unternehmensbeteiligungen – bei der Berechnung des Pflichtteils ausgenommen werden. Auch wird der gegenständlich beschränkte Pflichtteilsverzicht (der Schwiegerkinder) oft im Zusammenhang mit lebzeitigen Übertragungen im Wege der vorweg genommenen Erbfolge an einen Abkömmling vereinbart.6

5.636

Der Zuwendungsverzicht kann gegenständlich auf einzelne von mehreren Zuwendungen, auf den Bruchteil der Erbschaft, dagegen nicht auf einzelne Nachlassgegenstände beschränkt werden.7 Wenn ein Vermächtnis teilbar ist, kann der Verzicht auf einen Teil des Vermächtnisses beschränkt werden.8

5.637

ee) Bedingung/Befristung Der Verzichtsvertrag kann unter jede Art von Bedingung oder Befristung gestellt werden, so z.B. Zahlung oder Erfüllung der Gegenleistung.9 Die Bedingung kann als aufschiebende oder auflösende Bedingung ausgestaltet sein und vor oder nach dem Erbfall eintreten.10 Tritt die Bedingung nach dem Erbfall ein, so ist der Verzichtende bis zum Eintritt der Bedingung als Vorerbe oder Nacherbe anzusehen.11 1 Kroiß in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2346 BGB Rz. 10; Schotten in Staudinger, § 2346 BGB Rz. 41; Wegerhoff in MüKo8, § 2346 BGB Rz. 14; Weidlich in Palandt79, § 2346 BGB Rz. 3. 2 Wegerhoff in MüKo8, § 2346 BGB Rz. 16; Kroiß in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2346 BGB Rz. 14. 3 Wegerhoff in MüKo8, § 2346 BGB Rz. 16; Kroiß in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2346 BGB Rz. 15. 4 Kroiß in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2349 BGB Rz. 16. 5 Weidlich in Palandt79, § 2346 BGB Rz. 15; Kroiß in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2349 BGB Rz. 16; G. Müller in Schlitt/Müller, Handbuch Pflichtteilsrecht2, § 10 Rz. 87; Schotten in Staudinger, § 2346 BGB Rz. 50; Wegerhoff in MüKo8, § 2346 BGB Rz. 22. 6 Vgl. G. Müller in Schlitt/Müller, Handbuch Pflichtteilsrecht2, § 10 Rz. 87. 7 Kroiß in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2352 BGB Rz. 3. 8 Kroiß in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2352 BGB Rz. 3. 9 BGH v. 4.7.1962 – V ZR 14/61, NJW 1962, 1910 (1912); Schotten in Staudinger, § 2346 BGB Rz. 54; Wegerhoff in MüKo7, § 2346 BGB Rz. 15. 10 Schotten in Staudinger, § 2346 BGB Rz. 54; Wegerhoff in MüKo8, § 2346 BGB Rz. 28. 11 Kroiß in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2346 BGB Rz. 13; Wegerhoff in MüKo8, § 2346 BGB Rz. 28.

Tiedemann | 347

5.638

Kap. 5 Rz. 5.639 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

5.639

Eine Bedingung ist in § 2350 BGB vorgesehen: Der Erbverzicht kann generell vereinbart werden oder zugunsten einer bestimmten Person für den Fall, dass diese bestimmte Person Erbe wird (§ 2350 BGB). d) Wirksamkeit aa) Sittenwidrigkeit

5.640

Die mögliche Sittenwidrigkeit von Erb- und Pflichtteilsverzichtsverträgen wird immer wieder diskutiert, insbesondere wenn diese ohne Gegenleistung oder unter Ausnutzung von besonderen persönlichen Umständen (Unerfahrenheit, Fremdbeeinflussung, Ausnutzen von Zwangslagen) geschlossen werden.

5.641

Die Sittenwidrigkeit eines Pflichtteilsverzichts eines Sozialleistungsbeziehers war lange Zeit umstritten.1 Der BGH hat jetzt im Jahr 2011 entschieden, dass zumindest der Pflichtteilsverzicht eines behinderten Sozialleistungsempfängers nicht sittenwidrig ist.2

5.642

In jüngerer Zeit wird die Sittenwidrigkeit von Pflichtteilsverzichten wieder vermehrt diskutiert. Im Fokus stehen die Fälle, in denen persönliche Umstände des Verzichtenden in Kombination mit der Art und Weise der Aufklärung und/oder des Abschlusses gegen die guten Sitten verstoßen. Im Jahre 2016 hat das OLG Hamm einen Pflichtteilsverzicht für sittenwidrig gehalten, weil dort die Beeinflussbarkeit und Überforderung sowie das jugendliche Alter des Verzichtenden (2 Tage nach seinem 18. Geburtstag) ausgenutzt wurden und ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen Leistung (Verzicht auf Erb- und Pflichtteil) und tatsächlicher Gegenleistung (Abfindung) bestand.3 Diese Entscheidung mag zwar einen Einzelfall darstellen, könnte aber auch eine Tendenz in der Rechtsprechung anzeigen, bei Kumulation von dubiosen Umständen beim Abschluss des Verzichtsvertrags und Unausgewogenheit im Inhalt zum Verdikt der Sittenwidrigkeit zu gelangen. Daher ist dem Rechtsgestalter zu empfehlen, Pflichtteilsverzichte möglichst fair, ausgewogen und umsichtig zu gestalten. Denn die Beurteilung der Sittenwidrigkeit erfolgt durch eine Gesamtwürdigung der Umstände.4 bb) Inhaltskontrolle

5.643

Im neueren juristischen Schrifttum wird eine umfassende richterliche Inhaltskontrolle von Erb- und Pflichtteilsverzichtsverträgen wie bei Eheverträgen5 diskutiert.6 Die Inhaltskontrolle würde zusätzlich zur Sittenwidrigkeitsprüfung noch zu einer Rechtsmissbrauchs- bzw. Ausübungskontrolle führen.7 Ähnlich wie bei Eheverträgen – so wird argumentiert – bestehe ein „situationstypisches Durchsetzungsgefälle“ und ein „verzichtstypisches Rationalisierungs1 Vgl. Wegerhoff in MüKo8, § 2346 BGB Rz. 7. 2 BGH v. 19.1.2011 – IV ZR 7/10, JuS 2011, 837. 3 OLG Hamm v. 8.11.2016 – 10 U 36/15, NJW 2017, 576; vgl. auch zur sog. Umstandssittenwidrigkeit OLG München v. 25.1.2006 – 15 U 4751/04, ZEV 2006, 313. 4 BGH v. 3.4.2008 – III ZR 190/07, NJW 2008, 2026; BGH v. 28.4.2015 – XI ZR 378/13, NJW 2015, 2248; BGH v. 12.4.2016 – XI ZR 305/14, NJW 2016, 2662. 5 BGH v. 11.2.2004 – XII ZR 265/02, NJW 2004, 930. 6 Münch, ZEV 2008, 571 ff.; Kapfer, MittBayNot 2006, 385 ff.; Wachter, ZErb 2004, 234; Röthel, NJW 2012, 337 f.; Röthel, AcP 2012, 157 (189 ff.); Wendt, ZNotP 2006, 2; kritisch Keim, RNotZ 2013, 411. 7 Münch, ZEV 2008, 571 (576).

348 | Tiedemann

G. Ausschluss von der Erbfolge | Rz. 5.650 Kap. 5

defizit“. In Extremfällen ergebe sich ein Bedürfnis nach Inhaltskontrolle, die zu einer Unwirksamkeit führen könne. Die Rechtsprechung ist mit einer solchen umfassenden Inhaltskontrolle noch zurückhaltend. Für den Rechtsanwender ist dennoch Vorsicht geboten, da nicht mit Sicherheit vorherzusehen ist, wie sich dieser Streit entwickelt.

5.644

cc) Praktische Erwägungen Der Rechtsanwender sollte vorausschauend planen und gestalten, um etwaige spätere Streitigkeiten über die Wirksamkeit eines Erb- oder Pflichtteilsverzicht zu vermeiden. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass sich die Frage der Wirksamkeit des Erb- oder Pflichtteilsverzichts erst in vielen Jahren beim Tod des Erblassers stellen wird und sich die Rechtsprechung dann schon weiter entwickelt haben mag. Auch erscheint es nicht ausgeschlossen, dass die für Eheverträge entwickelten Prinzipien des anglo-amerikanischen Rechts „full disclosure“ (volle Aufklärung und Offenlegung des Vermögens) und „independant legal advice“ (eigenständige Rechtsberatung jedes Vertragspartners) in näherer Zukunft Einzug ins deutsche Recht halten.

5.645

Daher ist zu empfehlen, möglichst über die ungefähre Höhe des Vermögens des (zukünftigen) Erblassers aufzuklären. Dies ist zwar keine ausdrückliche Wirksamkeitsvoraussetzung,1 führt aber dazu, dass sich die Verzichtenden über die Angemessenheit des Verzichts und der Gegenleistung ein eigenes Bild verschaffen können. Dies sollte jedenfalls bei umfassenden Erb- und Pflichtteilsverzichten von Abkömmlingen berücksichtigt werden. Pflichtteilsverzichte von Schwiegerkindern im Rahmen von umfassenden Nachfolgeplanungen sind demgegenüber nicht so gefährdet, da es dort alternative Gestaltungsmöglichkeiten gibt, welche die Schwiegerkinder auch ausschließen (z.B. Vor- und Nacherbfolge, s. Rz. 5.222 ff.)

5.646

Auch sollte, wenn eine Abfindung vereinbart wird, diese angemessen sein. Die Abfindung kann wegen des aleatorischen Charakters des Pflichtteilsanspruchs auch unter der Höhe des erwarteten Pflichtteils liegen.

5.647

Außerdem sollten die Motive für den Pflichtteilsverzicht angegeben werden (z.B. Erhalt eines Unternehmens, keine Zersplitterung des Familienvermögens etc.), auch wenn die Nennung an sich keine Wirksamkeitsvoraussetzung ist. Da sich die mögliche Sittenwidrigkeit immer aus einer Gesamtschau ergibt, können achtenswerte Motive andere Umstände neutralisieren.

5.648

Schließlich sollte – und das gilt für jede Beurkundung – der Verzichtende nicht überrumpelt werden und ausreichend Überlegungszeit erhalten, auch um sich eigenen Rechtsrat einzuholen.

5.649

3. Abfindung In der Regel wird mit dem Verzichtsvertrag eine Abfindung vereinbart.2 Dies wird normalerweise als entgeltlicher Verzicht bezeichnet (Rz. 5.632). Der Abfindungsvertrag ist eine schuldrechtliche Verpflichtung des Erblassers, die rechtlich unabhängig vom Verzichtsver-

1 Vgl. z.B. OLG Düsseldorf v. 21.2.2013 – 3 Wx 193/12, ZErb 2013, 94 (96), wo die Sittenwidrigkeit eines Verzichts trotz verschwiegenen hohen Auslandsvermögens verneint wurde. 2 Wegerhoff in MüKo8, § 2346 BGB Rz. 23; Große-Boymann in Burandt/Rojahn3, § 2346 BGB Rz. 24; Kroiß in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2346 BGB Rz. 26.

Tiedemann | 349

5.650

Kap. 5 Rz. 5.650 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

trag ist, die aber mit dem Verzichtsvertrag durch eine rechtsgeschäftliche Bedingung nach § 158 BGB verknüpft werden kann.1

5.651

In der Abfindung kann zivilrechtlich eine Schenkung liegen, wenn sich die Parteien über deren Unentgeltlichkeit einig sind.2 Die Einordnung als Schenkung hat für verschiedene Bereiche Relevanz: Anfechtbarkeit nach dem Anfechtungsgesetz3, Rückforderung wegen groben Undanks (§ 530 Abs. 1 BGB) oder Verarmung des Schenkers (§ 528 Abs. 1 BGB), Steuerrecht und Pflichtteilsergänzungsrecht (Rz. 5.412 ff.).

5.652

Ob eine unentgeltliche Zuwendung von den Parteien gewollt war, bemisst sich nach den Umständen des Einzelfalls. Maßgeblich sind der Wortlaut des Verzichtsvertrags und die Umstände seines Zustandekommens.4 Nach einer neueren Entscheidung des BGH aus dem Jahre 2015 spricht es nicht gegen die Einordnung als Schenkung, wenn die Abfindung nach dem Willen der Parteien eine lebzeitige Zuwendung des Erbteils darstellen soll und die Höhe der Abfindung in etwa der Erberwartung entspricht.5 Dies bedeutet, dass die Abfindung wie eine vorweggenommene Erbfolge (s. Kapitel 9) behandelt wird, wenn die Höhe der Abfindung etwa der Erberwartung entspricht. Auch hier kann der Erblasser die Zuwendung bei Verarmung oder grobem Undank zurückfordern.

5.653

Steuerrechtlich ist die Abfindung grundsätzlich als Schenkung anzusehen, so dass grundsätzlich Schenkungsteuer anfällt.6

5.654

Trotz der Einordnung der Abfindung als Schenkung löst die Abfindung keine Pflichtteilsergänzungsansprüche nach § 2325 Abs. 1 BGB aus, wenn sich die Höhe im Rahmen der Erberwartung des Verzichtenden hält.7 Der Pflichtteilsergänzung unterliegt nur der Abfindungs (teil)betrag, der über eine angemessene Abfindung für den Verzicht hinausgeht, das heißt der über den Wert des Erbteils oder des Pflichtteils deutlich hinausgeht.8 Dies gilt sowohl beim Erbverzicht9 als auch beim Pflichtteilsverzicht.10

5.655

Für den Rechtsgestalter bedeutet dies einmal mehr, beim Verzichtsvertrag genau die Vorstellungen der Parteien über und Hintergründe aufzunehmen. Weiter bedeutet dies, dass auch die Erberwartung oder Pflichtteilserwartung des Verzichtenden in etwa beziffert wird 1 Leipold, Erbrecht21, Rz. 547; Wegerhoff in MüKo8, § 2346 BGB Rz. 28, 25 f.; Kroiß in Kroiß/Ann/ Mayer5, § 2346 BGB Rz. 26. 2 Umstritten, vgl. Zusammenstellung des Streitstands bei Schotten in Staudinger, § 2346 BGB Rz. 124; s. auch Wiedergabe des Streitstands bei BGH v. 7.7.2015 – X ZR 59/13, NJW 2016, 324 (325) Rz. 12. 3 S. dazu BGH v. 28.2.1991 – IX ZR 74/90, NJW 1991, 1610. 4 Große-Boymann in Burandt/Rojahn3, § 2346 BGB Rz. 32. 5 BGH v. 7.7.2015 – X ZR 59/13, NJW 2016, 324 (326) Rz. 19. 6 Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 315 ff. 7 BGH v. 3.12.2008 – IV ZR 58/07, NJW 2009, 1143; Große-Boymann in Burandt/Rojahn3, § 2346 BGB Rz. 33. 8 BGH v. 3.12.2008 – IV ZR 58/07, NJW 2009, 1143 unter Hinweis darauf, dass hierbei die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Feststellung eines groben Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung bei der gemischten Schenkung heranzuziehen sind. Zur 80 % -Regel zur Feststellung des groben Missverhältnisses s. BGH v. 6.3.1996 – IV ZR 374/94, NJW-RR 1996, 754. 9 Große-Boymann in Burandt/Rojahn3, § 2346 BGB Rz. 33; Schotten in Staudinger, § 2346 BGB Rz. 136. 10 Umstritten, vgl. dazu Lange in MüKo8, § 2325 BGB Rz. 30.

350 | Tiedemann

G. Ausschluss von der Erbfolge | Rz. 5.661 Kap. 5

4. Rechtsfolgen a) Erbverzicht Durch den Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht wird der Verzichtende beim Erbfall so behandelt, als wäre er vorverstorben (§ 2346 Abs. 1 Satz 2 BGB). Ihm steht auch kein Pflichtteilsrecht zu (§ 2346 Abs. 2 BGB). Dafür erhöhen sich die Pflichtteils- und gesetzliche Erbansprüche der anderen gesetzlichen Erben.1 Der Verzichtende kann aber weiterhin testamentarisch bedacht werden.2

5.656

Der Verzicht erstreckt sich auch auf die Abkömmlinge, wenn der Verzichtende ein Abkömmling oder Seitenverwandter des Erblassers ist und nichts anderes vereinbart wurde (§ 2349 BGB). Damit soll erreicht werden, dass der gesamte Stamm des Verzichtenden von der Erbfolge ausgeschlossen ist, ohne dass die vorhandenen Abkömmlinge des Verzichtenden am Verzichtsvertrag mitwirken müssen.3

5.657

b) Pflichtteilsverzicht Durch den nach § 2346 Abs. 2 BGB auf das Pflichtteilsrecht beschränkte Verzicht verliert der Verzichtende sein Pflichtteilsrecht. Wenn der Erblasser nicht anderweitig testiert, bleibt der Verzichtende Erbe nach den allgemeinen Vorschriften (s. auch Rz. 5.623).4

5.658

Der Pflichtteilsverzicht umfasst sämtliche pflichtteilsbezogenen Ansprüche, darunter insbesondere den Pflichtteilsrestanspruch (§§ 2305, 2307 BGB) und den Pflichtteilsergänzungsanspruch (§§ 2325, 2329 BGB).5

5.659

Der Pflichtteilsverzicht wirkt sich bei der Berechnung der Pflichtteile der übrigen Berechtigten anders aus als der Erbverzicht. Diejenigen, die durch Erbverzicht den Anspruch auf den Pflichtteil verlieren, werden im Rahmen der Berechnung des Pflichtteils der anderen Berechtigten nach § 2310 Satz 2 BGB nicht mitgezählt. Wer sein Pflichtteilsrecht hingegen durch den Pflichtteilsverzicht verliert, wird bei der Berechnung der übrigen Pflichtteile berücksichtigt.6 Durch einen Erbverzicht, der auch einen Pflichtteilsverzicht umfasst, erhöhen sich also die Pflichtteilsansprüche der anderen Pflichtteilsberechtigten, so dass die Pflichtteilslast für den Nachlass unverändert bleibt. Wird hingegen nur auf den Pflichtteil verzichtet, so fällt der Verzichtende weg, ohne dass sich dadurch die Ansprüche der anderen Pflichtteilsberechtigten erhöhen. Dadurch kann die Pflichtteilslast für den Nachlass deutlich reduziert werden.

5.660

Der Pflichtteilsverzicht erfasst – als kleiner Erbverzicht – auch den gesamten Stamm des Verzichtenden.7

5.661

1 2 3 4 5 6 7

Schotten in Staudinger, § 2346 BGB Rz. 60 f. Wegerhoff in MüKo8, § 2346 BGB Rz. 33. Kroiß in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2349 BGB Rz. 1. Schotten in Staudinger, § 2346 BGB Rz. 74 m.w.N. Kroiß in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2349 BGB Rz. 16. Schotten in Staudinger, § 2346 BGB Rz. 77. Schotten in Staudinger, § 2349 BGB Rz. 11 m.w.N.

Tiedemann | 351

Kap. 5 Rz. 5.662 | Erbrechtliche Strukturüberlegungen

c) Zuwendungsverzicht

5.662

Verzichtet der testamentarische oder erbvertraglich eingesetzte Erbe oder Vermächtnisnehmer auf das ihm Zugewandte, so wird die Verfügung von Todes wegen zwar nicht aufgehoben, jedoch büßt sie ihre Wirkung ein.1 Der ursprünglich Bedachte wird so behandelt, als wenn er zur Zeit des Erbfalls vorverstorben wäre. Der Zuwendungsverzicht kann, muss aber nicht notwendigerweise gleichzeitig einen Verzicht auf das gesetzliche Erb- oder Pflichtteilsrecht beinhalten.2

5.663

Der Zuwendungsverzicht erfasst nach einer Gesetzesänderung im Jahre 2010 auch den gesamten Stamm des Verzichtenden (§ 2049 BGB).3

5. Anfechtung und Aufhebung 5.664

Die Anfechtung des Verzichtsvertrags richtet sich nach dem Allgemeinen Teil des BGB. Es gelten die §§ 119 ff. BGB. Die §§ 2078 ff. BGB sind nicht anwendbar. Dies bedeutet: Ein Irrtum über den Wert des Vermögens des (zukünftigen) Erblassers oder über die zukünftige Wertermittlung stellt im Hinblick auf den Risikocharakter des entgeltlichen Erbverzichts einen Motivirrtum dar, der unbeachtlich ist.4 Ein Irrtum über wertbildende Umstände oder den Bestand des Vermögens bei Vertragsabschluss kann jedoch ein Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft (§ 119 Abs. 2 BGB) sein (z.B. ein Irrtum über die Berechnungsgrundlage bei der Höhe der Abfindung).5 Auch aus diesem Grund ist es wichtig, den Verzichtenden über die ungefähre Höhe des Vermögens des Erblassers aufzuklären.

5.665

Auch eine Anpassung der Abfindung nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage kommt auch noch nach dem Erbfall in Betracht.6

5.666

Der Erbverzicht kann durch Vertrag auch wieder aufgehoben werden (§ 2351 BGB). Es gelten für den Aufhebungsvertrag die gleichen formellen und persönlichen Voraussetzungen wie für den Verzichtsvertrag selbst.

Wegerhoff in MüKo8, § 2352 GB Rz. 12. Weidlich in Palandt79, § 2352 BGB Rz. 4. Wegerhoff in MüKo8, § 2352 BGB Rz. 14. Allg. Auffassung: vgl. Kroiß in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2346 BGB Rz. 29. Kroiß in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2346 BGB Rz. 29; J. Mayer in Bamberger/Roth/Hau/Poseck4, § 2346 BGB Rz. 43; Schotten in Staudinger, § 2346 BGB Rz. 178; Wegerhoff in MüKo8, § 2346 BGB Rz. 26. 6 BGH v. 29.11.1996 – BLw 16/96, NJW 1997, 653; BGH v. 4.11.1998 – IV ZR 327–97, NJW 1999, 789.

1 2 3 4 5

352 | Tiedemann

Kapitel 6 Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge A. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Einkommensteuer I. Einkommensteuer in der Unternehmensnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vorweggenommene Erbfolge 1. Unentgeltlicher Übergang von Unternehmensvermögen a) Fortführung der Buchwerte . . . . b) Unentgeltlicher Übergang betrieblicher Sachgesamtheiten nach § 6 Abs. 3 EStG aa) § 6 Abs. 3 in der Unternehmensnachfolge . . . . . . . . . . . bb) Voraussetzungen und Rechtsfolgen von § 6 Abs. 3 EStG . cc) Sonderthema: Sonderbetriebsvermögen (1) Mitübertragung von funktional wesentlichem Sonderbetriebsvermögen . . . . . . . . (2) Trennung von Gesamthandsvermögen und funktional wesentlichem Sonderbetriebsvermögen . . . . . . . . . . . . . . . c) § 50i EStG: Sonderregelung für grenzüberschreitende Übertragungsvorgänge aa) Entstrickungsschutz nach § 50i Abs. 1 EStG . . . . . . . . . bb) Aufdeckung stiller Reserven nach § 50i Abs. 2 EStG . . . . cc) Gestaltungsüberlegungen zur Vermeidung einer Entstrickungsbesteuerung . . . . . . . d) Unentgeltliche Übertragung betrieblichen Vermögens im Wege der Realteilung aa) Bedeutung der Realteilung für die Nachfolgeplanung . . bb) Grundlagen der Realteilung cc) Steuerliche Beurteilung der Realteilung . . . . . . . . . . . . . . dd) Sonderthema: Realteilung mit Spitzenausgleich . . . . . . . . . e) Übertragungen betrieblicher Wirtschaftsgüter nach § 6 Abs. 5 EStG

6.1

6.6

6.10

6.11 6.13

6.16

6.20

6.22 6.24 6.26

6.27 6.28 6.33 6.37 6.40

2. Entgeltliche und teilentgeltliche Übertragung a) Übertragung im Austausch mit einer Gegenleistung aa) Abgrenzung entgeltlicher und unentgeltlicher Übertragungen . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einkommensteuerliche Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . b) Übertragung gegen wiederkehrende Leistungen aa) Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen . . . . bb) Abgrenzung von Kaufpreisraten und Unterhaltsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Sonderthema: Besteuerungszeitpunkt bei Vereinbarung einer Kaufpreisrente . . . . . . 3. Sonderthemen a) Betriebsaufspaltung aa) Die Betriebsaufspaltung in der Unternehmensnachfolge bb) Steuerliche Rahmenbedingungen der Betriebsaufspaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nießbrauch aa) Der Nießbrauch in der Unternehmensnachfolge . . . . . bb) Nießbrauch an einem Einzelunternehmen . . . . . . . . . . . . cc) Nießbrauch an Mitunternehmeranteilen . . . . . . . . . . . . . dd) Nießbrauch an Kapitalgesellschaftsanteilen . . . . . . . . . . . ee) Sonderfragen zur Buchwertfortführung bei Vorbehaltsnießbrauch (1) Einstellung der gewerblichen Tätigkeit durch den Übertragenden . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Nießbrauch und Sonderbetriebsvermögen . . . . . . . . ff) Gestaltungsalternativen . . . III. Erbfall 1. Steuerliche Folgen der Gesamtrechtsnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.44 6.49

6.55 6.61 6.65

6.67 6.69 6.75 6.79 6.80 6.83

6.84 6.87 6.89 6.91

Wiese/Lukas | 353

Kap. 6 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge 2. Keine Vererbbarkeit von Verlusten . 6.94 3. Verhältnis von Einkommensteuer und Erbschaftsteuer a) Doppelbelastung mit Einkommensteuer und Erbschaftsteuer . 6.99 b) Entlastung nach § 35b EStG . . . . 6.103 4. Erbengemeinschaft und Erbauseinandersetzung a) Einkommensteuer und Erbschaftsteuer im Erbfall . . . . . . . . . . . . . 6.108 b) Übergang eines Gewerbebetriebs 6.109 c) Übergang von Personengesellschaftsanteilen aa) Steuerliche Folgen gesellschaftsrechtlicher Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.110 bb) Auflösungs- und Fortsetzungsklauseln . . . . . . . . . . . 6.111 cc) Übernahme- und Eintrittsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . 6.113 dd) Nachfolgeklauseln . . . . . . . . 6.115 d) Auflösung der Erbengemeinschaft durch Erbauseinandersetzung aa) Steuerliche Folgen der Erbauseinandersetzung . . . . . . 6.117 bb) Auseinandersetzung über Privatvermögen . . . . . . . . . . . . 6.121 cc) Auseinandersetzung über Betriebsvermögen . . . . . . . . . . 6.122 dd) Auseinandersetzung über Mischnachlass . . . . . . . . . . . 6.126 ee) Möglichkeit einer Teilerbauseinandersetzung . . . . . . . . . 6.127 C. Körperschaftsteuer I. Körperschaftsteuer in der Unternehmensnachfolge 1. Trennung zwischen Körperschaft und Gesellschafterebene . . . . . . . . . . . . . . 6.128 2. Zuwendung an Körperschaft durch Dritten als Betriebseinnahme . . . . . . 6.129 3. Mittelbare Zuwendung an Mitgesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.136 4. Zuwendung an Gesellschafter durch Körperschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.137 II. Körperschaftsteuerliche Verlustvorträge 1. Verlustuntergang bei schädlichem Beteiligungserwerb . . . . . . . . . . . . . . . . 6.138 2. Erfassung unentgeltlicher Übertragungsvorgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.141

354 | Wiese/Lukas

D. Gewerbesteuer I. Gewerbesteuer in der Unternehmensnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.144 II. Einzelunternehmen und Mitunternehmerschaften 1. Besteuerung des laufenden Betriebs . 6.147 2. Gewerbesteuerliche Folgen der Nachfolge in den Mitunternehmeranteil . 6.148 III. Körperschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.151 IV. Gewerbesteuerliche Fehlbeträge 1. Einzelunternehmen und Mitunternehmerschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.153 2. Körperschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.154 E. Erbschaft- und Schenkungsteuer I. Erbschaftsteuer in der Unternehmensnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.155 II. Steuerpflichtiger Erwerb 1. Erwerb von Todes wegen . . . . . . . . . 6.157 a) Erwerb durch Erbanfall und Vermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.158 b) Erwerb durch Pflichtteil . . . . . . . 6.160 2. Vorweggenommene Erbfolge a) Freigebige Zuwendungen unter Lebenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.161 b) Erwerb durch Schenkung auf den Todesfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.162 3. Sonderthemen a) Zuwendungen durch Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.163 b) Fiktive Erwerbe bei Ausscheiden aus einer Gesellschaft . . . . . . . . . 6.165 c) Disquotale Gesellschafterrechte aa) Steuerpflichtige Zuwendung 6.170 bb) Personengesellschaften . . . . 6.171 cc) Kapitalgesellschaften . . . . . 6.172 d) Besteuerung von Stiftungen aa) Steuerpflichtige Erwerbe . . 6.176 bb) Entstehungszeitpunkt der Steuer . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.181 cc) Erbersatzsteuer . . . . . . . . . . 6.183 dd) Ausländische Familienstiftungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.185 4. Teilentgeltlichkeit a) Gemischte Schenkung und Schenkung unter Auflage . . . . . . . . . . 6.187 b) Erbschaftsteuerliche Behandlung 6.190 5. Persönliche Steuerpflicht a) Unbeschränkte und beschränkte Steuerpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . 6.195 b) Erweiterte unbeschränkte und erweiterte beschränkte Erbschaftsteuerpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . 6.197

Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge | Kap. 6 6. III. 1. 2. 3. 4. IV. 1. 2.

3.

4.

Freibeträge und Steuerbefreiungen . . 6.199 Bewertung und Besteuerung Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.204 Steuerklassen und Steuersatz . . . . . . . 6.205 Härteausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.207 Tarifbegrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.208 Steuerbefreiungen für Unternehmensvermögen Erbschaftsteuerreform 2016 . . . . . . . . 6.211 Systematik a) Überblick über die Verschonungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.213 b) Großerwerbe aa) Wahlrecht zwischen zwei Verschonungsmodellen . . . . 6.216 bb) Abschmelzungsmodell . . . . 6.219 cc) Verschonungsbedarfsprüfung 6.220 c) Stundung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.226 Begünstigungsfähiges Betriebsvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.227 a) Das begünstigungsfähige Betriebsvermögen im Einzelnen aa) Einzelunternehmen und Personengesellschaften . . . . . . . 6.228 bb) Anteile an Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.230 cc) Übersicht zum Umfang des begünstigungsfähigen Vermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.233 b) Nießbrauch aa) Übertragung unter Vorbehalt des Nießbrauchs . . . . . . . . . 6.234 bb) Nießbrauch am Personengesellschaftsanteil (1) Erbschaftsteuerliche Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.235 (2) Mitunternehmerstellung der Beteiligten (a) Mitunternehmerinitiative . . 6.236 (b) Mitunternehmerrisiko . . . . . 6.239 (3) Gestaltungshinweise . . . . . . 6.240 cc) Nießbrauch an Kapitalgesellschaftsanteilen . . . . . . . . . . . 6.242 c) Grundstücke . . . . . . . . . . . . . . . . 6.243 Verwaltungsvermögenstest a) Grundzüge aa) Verwaltungsvermögen nicht begünstigt . . . . . . . . . . . . . . 6.245 bb) Umfang des Verwaltungsvermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.248 cc) Ausnahme: Deckungsvermögen für die betriebliche Altersversorgung . . . . . . . . . 6.252

b) Ermittlung des begünstigten Vermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.254 c) Erläuterungen zum Berechnungsschema aa) 90 %-Test . . . . . . . . . . . . . . . 6.255 bb) Berechnung des begünstigten Vermögens (1) Finanzmitteltest i.S.v. § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG . . . . . . 6.256 (2) Berechnung der verbleibenden Schulden . . . . . . . . . . . . 6.261 (3) Nettowert des Verwaltungsvermögens (a) Ermittlung des Verwaltungsvermögenssaldos . . . . . . . . . 6.262 (b) Berechnung der anteilig verbleibenden Schulden . . . . . . 6.264 (c) Berechnung des Nettowerts des Verwaltungsvermögens 6.266 (4) Steuerpflichtiger Wert des Verwaltungsvermögens (a) Berechnung der Bemessungsgrundlage des unschädlichen Verwaltungsvermögens . . . . 6.268 (b) Gekürzter Nettowert des Verwaltungsvermögens . . . . 6.269 (c) Berechnung des steuerpflichtigen Werts des Verwaltungsvermögens . . . . . . . . . . . . . . 6.270 (5) Begünstigtes Vermögen . . . 6.271 cc) Besonderheit: Verbundvermögensaufstellung (1) Konsolidierte Ermittlung des Verwaltungsvermögens . . . . 6.272 (2) Anwendungsfragen . . . . . . . 6.275 d) Steuerung der Verwaltungsvermögensquote . . . . . . . . . . . . . . . . 6.279 e) Reinvestitionsklausel . . . . . . . . . . 6.280 5. Vorwegabschlag für Familienunternehmen a) Bedeutung und Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.283 b) Voraussetzungen aa) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 6.285 bb) Gesellschaftsvertragliche Beschränkungen von Entnahmen und Ausschüttungen . . 6.287 cc) Verfügungsbeschränkung . . 6.290 dd) Abfindung unter gemeinem Wert der Beteiligung . . . . . . 6.291 ee) Zeitliche Voraussetzungen . 6.292 ff) Gegenstand des Vorwegabschlags . . . . . . . . . . . . . . . 6.295 c) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . 6.296

Wiese/Lukas | 355

Kap. 6 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge 6. Lohnsummentest a) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . 6.299 b) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . 6.307 7. Behaltensregelung . . . . . . . . . . . . . . . 6.308 F. Grunderwerbsteuer I. Grunderwerbsteuer in der Unternehmensnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.317 II. Gegenstand der Grunderwerbsteuer 6.318 III. Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . 6.323 IV. Personengesellschaften 1. Grundstücksübertragungen unter Beteiligung der Gesellschafter . . . . . . . . 6.325

2. Übertragungen von Gesellschaftsanteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Befreiungstatbestände . . . . . . . . . . . VI. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Steuerbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Steuerbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . H. Besteuerungsverfahren I. Anzeige- und Erklärungspflichten . II. Verbindliche Auskunft . . . . . . . . . . III. Stundung und Erlass . . . . . . . . . . . .

6.326 6.328 6.335 6.337 6.338 6.340 6.343 6.348 6.354

Literatur: Althof, Verwaltungsvermögen nach der Erbschaftsteuerreform, in Bäuml (Hrsg.), Rechtliche und steuerliche Aspekte der Nachfolgegestaltung (NWB Sonderheft 2019), 19; Bäuml/Bauer, Steueroptimierte Übertragungsmöglichkeiten von kleinen und mittelgroßen Familienunternehmen, in Bäuml (Hrsg.), Rechtliche und steuerliche Aspekte der Nachfolgegestaltung (NWB Sonderheft 2019), 3; Bisle, Vorbehaltsnießbrauch an einem Personengesellschaftsanteil, NWB 2017, 65; Broekelschen/ Kohlmann, Steuerliche Folgen und steueroptimale Gestaltung von Betriebsveräußerungen nach der Unternehmensteuerreform, DStR 2009, 1161; Bruschke, Der Erwerb von Todes wegen Erbschaftsteuerliche Behandlung der Erben, Vermächtnisnehmer und Pflichtteilsberechtigten, ErbStB 2013, 122; Chuchra/Dorn/Schwarz, Untergang von Verlusten bei Anteilsübertragungen: Greift § 8c KStG bei Übertragungen im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge?, DStR 2016, 1404; Crezelius, Pflegeheim-GmbH: Erbschaft als Betriebseinnahme, ZEV 2017, 169; Crezelius, Erbschaftsteuerreform 2016: Ein rechtssystematischer Überblick, ZEV 2016, 541; Crezelius, Konkurrenz zwischen Einkommensteuer und Erbschaft- und Schenkungsteuer, ZEV 2015, 392; Crezelius, Kunst im Nachlass – Ertrag- und erbschaftsteuerrechtliche Probleme, ZEV 2014, 637; Crezelius, Disquotale Einlagen und verdeckte Gewinnausschüttungen – Bemerkungen zu einem Gesetzentwurf, ZEV 2011, 393; Dietz, Großvermögen in der Steuergestaltung, in Bäuml (Hrsg.), Rechtliche und steuerliche Aspekte der Nachfolgegestaltung (NWB Sonderheft 2019), 11; Ditz/Quilitzsch, Die Änderungen im internationalen Steuerrecht durch das Anti-BEPS-Umsetzungsgesetz, DStR 2017, 281; Dräger, Übertragung von Mitunternehmeranteilen unter Vorbehaltsnießbrauch, DB 2017 2768; Egner/Geißler, Die Stiftung als „long-term-RETT-Blocker“, DStZ 2015, 333; El Mourabit, Aufdeckung stiller Reserven bei unentgeltlicher Übertragung von Einzelunternehmen und Mitunternehmeranteilen unter Nießbrauchsvorbehalt im Wege der vorweggenommenen Erbfolge?, ZEV 2016, 14; Eliker/Zillmer, Böses Erwachen beim Körperschaftsteuerbescheid – Was tun, wenn Poolverträge vermeintlich Verlust- und Zinsvorträge zerstört haben?, BB 2009, 2620; Erkis, Die Neuregelung des Verschonungssystems für Betriebsvermögen im ErbStG – Vorgaben des BVerfG-Urteils v. 17.12.2014 umgesetzt?, DStR 2016, 1441; Erkis, Der Entwurf zur Anpassung des ErbStG an das BVerfG-Urt. v. 17.12.2014 – „minimalinvasiv“ oder „maximaladministrativ“?, DStR 2015, 1409; Esskandari, „Naked in – naked out“ und dennoch Steuern zahlen nach § 7 Abs. 7 ErbStG, DStR 2016, 1251; Esskandari, Einkommen- und gewerbesteuerliche Folgen bei Tod eines Personengesellschafters, ZEV 2012, 249; Esskandari, Umsatz- und grunderwerbsteuerrechtliche Folgen bei Tod eines Personengesellschafters, ZEV 2012, 308; Feldner/Stoklassa, Die Familienstiftung als Instrument der Unternehmensnachfolge – Teil I, ErbStB 2014, 201; Feldner/Stoklassa, Die Familienstiftung als Instrument der Unternehmensnachfolge – Teil II, ErbStB 2014, 227; Felten, Vorbehaltsnießbrauch am Personengesellschaftsanteil – Praxisfragen, ErbStB 2016, 117; Fischer, Die Neuregelung des § 7 Abs. 8 ErbStG durch das BeitrRLUmsG, ZEV 2012, 77; Fleischer, Nochmals: Schenkung einer mitunternehmerischen Beteiligung unter Vorbehalt eines Nießbrauchs, DStR 2013, 902; Förster/Walla, Disquotale Einlagen bei personenbezogenen Kapitalgesellschaften, FR 2015, 961; Friedrich-Büttner/Herbst, (Steuer-)Rechtliche Chancen und Risiken des

356 | Wiese/Lukas

Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge | Kap. 6 lebzeitigen Zugewinnausgleichs, ErbStB 2011, 45; Fuhrmann/Potsch, Disquotale Einlagen und verdeckte Gewinnausschüttungen im Schenkungsteuerrecht, NZG 2012, 681; Geck, Der koordinierte Ländererlass zur Erbschaftsteuerreform vom 22.6.2017: eine Hilfestellung für die Beratungspraxis?, ZEV 2017, 481; Geck, Erbschaftsteuerreform 2016: Die neuen Voraussetzungen der Verschonung von Unternehmensvermögen unter Einschluss der Nachsteuertatbestände, ZEV 2016, 546; Geck/Messner, ZEV-Report Steuerrecht, ZEV 2017, 622; Gluth/Rund, Top-Themen im Erbschaftsteuer- und Erbrecht, ErbStB 2015, S003; Götz, Zivilrechtliche und steuerliche Sonderzuordnung des Gesellschaftsanteils bei Bestellung eines Quotennießbrauchs am Anteil einer Personengesellschaft?, ZEV 2014, 241; Götz, Schenkungsteuerliche Risiken beim Vorbehaltsnießbrauch an GmbH-Anteilen?, DStR 2013, 448; Gräfe/Kraft, Vorbehaltsnießbrauch hindert steuerneutrale unentgeltliche Übertragung eines Gewerbebetriebs, ZEV 2017, 471; Graw, Möglichkeiten steuerneutraler Übertragungen bei Personengesellschaften, NWB 2017, 1498; Halaczinsky, Aktuelle Entwicklungen bei der beschränkten Erbschaft-/Schenkungsteuerpflicht, ErbStB 2017, 142; Halaczinsky, Grunderwerbsteuerliche Aspekte bei Schenkungen und Erwerben von Todes wegen, ErbStB 2012, 335; Halaczinsky, Doppelbelastung mit GrESt und Erbschaft-/Schenkungsteuer (I), ErbStB 2005, 100; Hannes, Erbschaftsteuerreform 2016: Neuregelungen zur Bewertung und zum Umfang der Verschonung, ZEV 2016, 554; Hechtner, Neuregelung des § 35b EStG durch das ErbStRG – Ermittlung der Steuerermäßigung und ökonomische Belastungsanalyse, BB 2009, 486; Heide, Der Güterstandswechsel im Schenkungsteuerrecht, in Bäuml (Hrsg.), Rechtliche und steuerliche Aspekte der Nachfolgegestaltung (NWB Sonderheft 2019), 38; Herbst, Das neue Erbschaftsteuerrecht, ErbStB 2016, 347; Hermes, Die Innengesellschaft als Gestaltungsinstrument für ein mitunternehmerisches Nießbrauchsrecht, DStR 2019, 1777; Heß, (Erneute) Neufassung des Realteilungserlasses – Update zu BB 2017, 363 ff., BB 2019, 239; Hochheim/Wagenmann, Der Vorbehaltsnießbrauch am Kommanditanteil und die Mitunternehmerschaft, ZEV 2010, 109; Hoheisel/Graf Nesselrode, Kunst im Betriebsvermögen und Erbschaftsteuer, DStR 2011, 441; Holthusen, Streitfragen im Rahmen der Neuregelung des § 7 Abs. 8 ErbStG, ZEV 2016, 311; Holtz, Erbschaftsteuerreform 2016 – Das neue Verschonungssystem für Unternehmensvermögen, NJW 2016, 3750; Honert, Willentliche Beendigung einer Betriebsaufspaltung, EStB 2003, 310; Honert/ Obser, Steuerlich nicht genutzte Verluste und/oder Zinsvorträge in der Gesellschaft – Vorsicht beim Abschluss von Stimmrechtsvereinbarungen!, BB 2009, 1161; Höreth/Stelzer, Erbschaftsteuerreform – Unternehmensnachfolge nach den neuen Regeln, DStZ 2016, 901; Hübner/Friz, Buchwertfortführung bei der Übertragung eines Einzelunternehmens unter Nießbrauchsvorbehalt? – Anmerkungen zum BFH-Urteil X R 59/14, DStR 2017, 2353; Jansen, Umsatzsteuerrechtliche Rechtsnachfolge bei der Geschäftsveräußerung, UR 2017, 409; Keß, Das Verhältnis der Erbschaft- und Schenkungsteuer zur Einkommensteuer: Die aktuelle Rechtsprechung des BFH und ihre möglichen Konsequenzen, ZEV 2015, 254; Kesseler, Zivilrechtliche Fragen des Wiesbadener Modells, DStR 2015, 1189; Kleinert/Bahnmüller, Mitunternehmerinitiative bei (Vorbehaltsquoten-) Nießbrauch und gesellschaftsvertraglichem Einstimmigkeitserfordernis in Grundlagen- sowie Kernbereichsangelegenheiten, BB 2017, 1687; Kleinert/ Geuß, Schenkung einer mitunternehmerischen Beteiligung unter Vorbehalt oder Zuwendung eines (Quoten-)Nießbrauchs Sicherung der Betriebsvermögensbegünstigung durch präzise Vertragsgestaltung, DStR 2013, 288; Königer, Risiken und Nebenwirkungen der Verbundvermögensaufstellung des § 13b Abs. 9 ErbStG aus Sicht der Beratungspraxis, ZEV 2017, 365; Königer, FG Münster: Untergang von Verlustvorträgen bei vorweggenommener Erbfolge, BB 2016, 995; Korezkij, ErbStR-E 2019: Änderungen bei der Betriebsvermögensnachfolge, DStR 2019, 137; Korezkij, Anwendungserlasse zur Erbschaftsteuerreform: Eine erste Bestandsaufnahme, DStR 2017, 1729; Korezkij, Neuer Verwaltungsvermögenstest im Konzern aus der Sicht eines -Rechtsanwenders – Der Weg vom begünstigungsfähigen zum begünstigten -Vermögen nach § 13b Abs. 2–10 ErbStG, DStR 2016, 2434; Korezkij, Schenkungen unter Beteiligung von Kapitalgesellschaften – Überlegungen und Anwendungsbeispiele zu § 7 Abs. 8 und § 15 Abs. 4 ErbStG, DStR 2012, 163; Kotzenberg/Jülicher, Erbschaftsteuerreform: Die gesetzlichen Neuregelungen für die Unternehmensnachfolge, GmbHR 2016, 1135; Kowanda, Die neue Investitionsklausel des § 13b Abs. 5 ErbStG: Regelungslücken und ertragsteuerliche Gestaltungsmöglichkeiten, DStR 2017, 469; Krieg, Zur Dogmatik des Zusammentreffens von Erbschaft- und Ertragsteuer, DStR 2017, 2705; Kubik, BFH: Vorbehaltsnießbrauch hindert steuerneutrale unentgeltliche Übertragung eines Gewerbebetriebs, BB-Kommentar, BB 2017, 1586; Küspert, Der Nießbrauch am Personengesellschaftsanteil, FR 2014, 397; Lederle/Wanner, Die vorweggenommene Erbfolge unter

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Kap. 6 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge Nießbrauchsvorbehalt im Lichte der neuen FG-Rechtsprechung, DStR 2015, 2270; Lehmann, Die Erbschaftsbesteuerung von Versicherungsverträgen, ZEV 2004, 398; Liekenbrock, § 50i EStG reloaded! Was ist nun zu tun?, DStR 2017, 177; Loose, Schenkungen unter Beteiligung von Kapitalgesellschaften (§ 7 Abs. 8 ErbStG), GmbHR 2013, 561; Maier, Die Verschonungsbedarfsprüfung gem. § 28a ErbStG bei Großerwerben: Tatbestand, Rechtsfolgen und Entscheidungskriterien für Gestaltungsmaßnahmen, ZEV 2017, 10; Meßbacher-Hönsch, Doppelbelastung mit Erbschaft-/Schenkungsteuer und Ertragsteuer: Eine Betrachtung anhand verschiedener Fallgruppen, ZEV 2018, 182; Messner, Vorbehaltsnießbrauch an Unternehmen, MittBayNot 2018, 1; Milatz/Bockhoff, Mögliche Gestaltungen zur Vermeidung der Schenkungsfiktion des § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG, ErbStB 2013, 15; Mohr, Der GmbHGeschäftsanteil im Erbfall, GmbH-StB 2016, 370; Moog, Die „Vererblichkeit“ von Verlusten im Rahmen der Zusammenveranlagung, DStR 2010, 1122; Musil, Die Realteilung von Personengesellschaften – Eine problematische Rechtsfigur, DB 2005, 1291; Mylich, Die disquotale Einlage des Gesellschafters einer Kapitalgesellschaft als erbrechtlich beachtliche Schenkung, ZEV 2012, 229; Neugebauer, Fallstricke bei der Übernahme von Mitunternehmeranteilen im Rahmen der zeitlich gestaffelten Unternehmensnachfolge, DB 2019, 1525; Oenings/Lienicke, Betriebliche Umstrukturierungen nach Einschränkung der Gesamtplan-Argumentation durch den BFH, DStR 2014, 1997; Oppel, Führen auch Übertragungen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge zum Verlustuntergang nach § 8c KStG?, ZEV 2016, 427; Oppel, Unterliegen unselbstständige Stiftungen der Ersatzerbschaftsteuer?, ZEV 2017, 22; Pauli, Schenkungsteuer bei Zahlung eines überhöhten Entgelts durch eine GmbH an eine dem Gesellschafter nahestehende Person, DStRK 2018, 89; Piltz, Maßnahmen gegen den Verlust des Verlustvortrags im Erbfall, ZEV 2008, 376; Regierer/Vosseler, Steuerbefreiung für Wohnimmobilien gem. § 13c ErbStG, DStR 2015, 1351; Reich, Gestaltungen im neuen Unternehmenserbschaftsteuerrecht, DStR 2016, 2447; Reich, ErbStR-E 2019: Verfassungswidrigkeit des Unternehmenserbschaftsteuerrechts bzw. verfassungskonforme Auslegung durch die Finanzverwaltung?, DStR 2019, 145; Richter/ Escher, Stimmrechtsvereinbarungen im Rahmen von Poolverträgen und § 8c KStG, FR 2011, 760; Rotter, Die Übertragung von Vermögen außerhalb der Erbschaft durch Vermächtnis, NWB 2016, 2595; Schönfeld/Riedel, Erbschaftsteuerliche Begünstigung von Wohnungsunternehmen, FR 2018, 341; Schulte/Petschulat, Die subjektive Seite der disquotalen Einlage im Schenkungsteuerrecht – § 7 Abs. 8 S. 1 ErbStG, BB 2013, 471; Schulze-Borges, Ausländische Familienstiftungen und Trusts: Verletzung von Anzeige- bzw. Erklärungspflichten und ihre Auswirkungen auf die Schenkung- und Erbschaftsteuer, ZEV 2017, 190; Seifried, Steuerermäßigung bei Zusammentreffen von Erbschaftsteuer und Einkommensteuer nach § 35b EStG, ZEV 2009, 285; Söffing, Das ErbStG 2016, ErbStG 2016, 339; Söffing, Das Erbschaftsteuerreformgesetz 2016, ErbStB 2016, 235; Spindler, Der „Gesamtplan“ in der Rechtsprechung des BFH, DStR 2005, 1; Stalleiken, Update Verwaltungsauffassung zum UnternehmensErbschaftsteuerrecht, DB 2019, 87; Stalleiken/Hennig, Der „weitergeleitete“ Nießbrauch an den überlebenden Ehegatten in der vorweggenommenen Erbfolge, FR 2015, 389; Stalleiken/Korezkij, Neue Erkenntnisse zum Verwaltungsvermögenstest aus Sicht der Finanzverwaltung: Rückschlüsse auf die Behandlung materiell-rechtlicher Fragen aus den Erklärungsvordrucken zum ErbStG 2016, DStR 2018, 1597; Stein, Aktuelle ertragsteuerliche Fragestellungen zum Nießbrauchsvorbehalt, ZEV 2019, 131; Stenert, Der „neue“ Realteilungserlass ist überholt!, DStR 2017, 1785; Stöbener/Gach, Zum Spannungsverhältnis zwischen Schenkungsteuer und Grunderwerbsteuer, ErbStB 2014, 18; Theuffel-Werhahn, Familienstiftungen als Königsinstrument für die Nachfolgeplanung aufgrund der Erbschaftsteuerreform, ZEV 2017, 17; Thiele/Beckmann, Das Konkurrenzverhältnis zwischen Erbschaft- und Schenkungsteuer und Einkommensteuer, FR 2016, 656; Thonemann-Micker, ErbSt-Reform: Das Ergebnis des Vermittlungsausschusses, DB 2016, 2312; Thonemann-Micker/Krogoll, Erbschaftsteuerreform 2016: Ausgewählte Fragestellungen für die Beratungspraxis, NWB-EV 2016, 379; Uhl-Ludäscher, Vorababschlag für qualifizierte Familienunternehmen nach dem neuen ErbStG, ErbStB 2017, 42; v. Proff, Die Erbfolge in Beteiligungen an Personengesellschaften – Funktionsweise und Gestaltungsmöglichkeiten, DStR 2017, 2555; Viskorf, Schenkungsteuer bei Leistungen zwischen einer Kapitalgesellschaft und ihren Gesellschaftern oder Dritten, ZEV 2012, 442; Viskorf/Haag, Keine freigebigen Zuwendungen im Verhältnis einer Kapitalgesellschaft zu ihren Gesellschaftern oder zu den Gesellschaftern einer an ihr beteiligten Kapitalgesellschaft, DStR 2013, 649; Viskorf/Haag, Schenkungsteuer bei Leistungen an Kapitalgesellschaften – Zum gleichlautenden Erlass der obersten Finanzbehörden der Länder vom 14.3.2012 unter besonderer Berücksichtigung von Sanierungsfällen, DStR

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A. Vorbemerkung | Rz. 6.1 Kap. 6 2012, 1166; Viskorf/Löcherbach/Jehle, Die Erbschaftsteuerreform 2016 – Ein erster Überblick, DStR 2016, 2425; von Oertzen/Cornelius, Güterstandsschaukeln, ErbStB 2005, 349; von Fragstein/Niemsdorff, Immobilien im Privat- und Betriebsvermögen in der steuerlichen Nachfolgeberatung, in Bäuml (Hrsg.), Rechtliche und steuerliche Aspekte der Nachfolgegestaltung (NWB Sonderheft 2019), 28; Wachter, Neues zum Wohnungsunternehmen im ErbStG, DB 2018, 784; Wachter, Stiftungen im neuen Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht (Teil 1), FR 2017, 69; Wachter, Stiftungen im neuen Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht (Teil 2), FR 2017, 130; Wachter, Ausgewählte Fallbeispiele zur Erbschaftsteuerreform 2016, DB 2017, 804; Wachter, Stimmrechtsvollmachten bei der Übertragung von KG-Anteilen unter -Vorbehaltsnießbrauch, DStR 2016, 2065; Wachter, Erste Konturen des neuen Erbschaftsteuerrechts, FR 2016, 690; Wachter, Neuer Vorab-Abschlag beim Erwerb von Anteilen an qualifizierten Familienunternehmen, NZG 2016, 1168; Wachter, Betriebsaufspaltung: Wegfall einer Betriebsaufspaltung durch Übertragung des Besitz- und Betriebsunternehmens unter Nießbrauchsvorbehalt, GmbHR 2015, 776; Wachter, Schenkungsteuerliche Verschonung des Erwerbs von Mitunternehmeranteilen unter Quotennießbrauch, DStR 2013, 1929; Wacker, Erbschaft als Betriebseinnahme bei Pflegeheim-GmbH, DStR 2017, 319; Wälzholz, Der Abschlag für Familienunternehmen nach § 13a Abs. 9 ErbStG, GmbH-StB 2017, 54; Wälzholz, Aktuelle steuerliche Gestaltungsprobleme des mitunternehmerischen Nießbrauchs am Anteil einer Personengesellschaft, DStR 2010, 1930; Wälzholz, Aktuelle Gestaltungsprobleme des Nießbrauchs am Anteil an einer Personengesellschaft, DStR 2010, 1786; Weber, Der Vorab-Abschlag für Familienunternehmen nach dem ErbStRefG 2016 – eine Regelung mit Tücken, DStZ 2017, 13; Weber/Schwind, Vorababschlag für Familienunternehmen gem. § 13a Abs. 9 ErbStG: Vorschläge für eine gesellschaftsvertragliche Umsetzung, ZEV 2016, 688; Weppner, Erbschaftsteuerlich begünstigtes Vermögen bei einer Wohnungsvermietungsgesellschaft, GWR 2018, 101; Werner, Fiktive Schenkungen im Rahmen der Unternehmensnachfolge, NWB-EV 2017, 173; Werner, Asset Protection: Die Familiengesellschaft, StBW 2015, 672; Werner, Schenkungsteuerbarkeit der Zuwendungen ausländischer Stiftungen an ihre inländischen Destinatäre, ZEV 2016, 133; Wiese/Lukas, Anmerkungen zum BFH-Urt. v. 17.9.2015 – III R 49/13, DStR 2016, 1078; Wölfert, Die KGaA als Rechtsform für Familienunternehmen im Kontext von Umstrukturierungen, in Bäuml (Hrsg.), Rechtliche und steuerliche Aspekte der Nachfolgegestaltung (NWB Sonderheft 2019), 44; Wrenger, Grunderwerbsteuerbefreiung aufgrund interpolierender Betrachtung, DStR 2017, 18; Zimmert, Das Ende der freigebigen GmbH, DStR 2013, 1654; Zipfel/Lahme, Steuerrechtliche Behandlung der gemischten Schenkung sowie der Schenkung unter Auflage, SteuK 2011, 401; Zipfel/Lahme, Erreichen der Begünstigungen für Unternehmensvermögen unter Berücksichtigung der Auffassung der FinVerw, DStZ 2009, 559; Zondler/Zöller, Vermögensübertragungen auf einen US-Trust unter Berücksichtigung des DBA-USA Erb, IStR 2015, 960.

A. Vorbemerkung Erbschaftsteuer. Die Steuerplanung der Unternehmensnachfolge wird landläufig zunächst als Erbschaftsteuerplanung verstanden: Wie kann die Übertragung von Unternehmensvermögen und Gesellschaftsanteilen möglichst erbschaft- und schenkungsteuerfrei erfolgen? Die jahrelange politische Diskussion um die verfassungskonforme Ausgestaltung der Verschonungsregeln für Unternehmensvermögen und Anteile an Kapitalgesellschaften, das Urteil des BVerfG vom 17.12.20141 und die Neufassung der §§ 13a ff., 28a ErbStG im Jahr 20162 haben dieses Thema in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt. Die Inanspruchnahme der Verschonungsregeln ist wichtig, um Unternehmen nicht mit Substanzsteuern zu belasten. Allerdings geht die Steuerplanung der Unternehmensnachfolge weit über den Bereich des ErbStG hinaus.

1 BVerfG v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BStBl. II 2015, 50. 2 Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des BVerfG v. 4.11.2016, BGBl. I 2016, 2464.

Wiese/Lukas | 359

6.1

Kap. 6 Rz. 6.2 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

6.2

Ertragsteuer. In der Praxis spielen ertragsteuerliche Fragen oftmals die wesentlich größere Rolle, insbesondere bei Personengesellschaften mit ihren zahlreichen steuerlichen Besonderheiten wie der Figur des Sonderbetriebsvermögens oder der Betriebsaufspaltung. Die Sicherstellung der Buchwertfortführung bei der Übertragung von Unternehmensvermögen mit stillen Reserven auf den oder die Nachfolger hat regelmäßig höchste Priorität. Dies gilt für Umstrukturierungen im Vorwege der Unternehmensnachfolge ebenso wie für die eigentliche Übergabe selbst. Die unentgeltliche Übertragung sollte grundsätzlich steuerneutral erfolgen, kann aber u.U. dort als einkünftebegründend gewertet werden, wo Vorbehaltsleistungen, Nießbrauchsgestaltungen, Gleichstellungsgelder, Abfindungen und ähnliche Leistungen gewährt werden. Ein besonderes Risiko stellt die Entnahme von Betriebsvermögen ins Privatvermögen dar. – Entsprechend der Bedeutung der Ertragsteuer für die Unternehmensnachfolge werden im Folgenden die Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer (Abschnitte B. bis D., Rz. 6.7 ff.) vor der Erbschaftsteuer sowie der Grunderwerb- und Umsatzsteuer (Abschnitte E. bis G., Rz. 6.156 ff.) behandelt. Anmerkungen zum Verfahrensrecht schließen die Darstellung ab (Abschnitt H., Rz. 6.345 ff.).

6.3

Zeithorizont. Für Inhaber/-innen von Unternehmensvermögen und Gesellschaftsbeteiligungen bedeutet die steuerliche Nachfolgeplanung regelmäßig ein langfristiges, oftmals mehrjähriges Projekt: Dies ergibt sich bei vorbereitenden Maßnahmen (Rechtsformwechsel, weitere Umstrukturierungen) schon aus der Anknüpfung an Jahresabschlüsse und aus Haltefristen, die zu beachten sind, ehe die Nachfolge ertragsteuerlich umgesetzt werden kann. Planende Nachfolge nimmt auch den Aufbau von steuerlichem Privatvermögen außerhalb der unternehmerischen Sphäre in den Blick, gerade bei mehreren Abkömmlingen. Auch bietet sich die Möglichkeit, erbschaftsteuerlich alle zehn Jahre die Freibeträge des § 16 Abs. 1 ErbStG auszuschöpfen. – Der Zeithorizont spielt auch im Hinblick auf die Testamentsgestaltung eine gewichtige Rolle: Die Planung für den Fall der Fälle muss fortlaufend daraufhin überprüft werden, ob sie steuerlich noch angemessen ist.

6.4

Liquiditätsplanung. Letztlich muss der Zeithorizont der Planung aber auch die Zeit nach der Unternehmensnachfolge einschließen und ebenso für die vormaligen Unternehmer und Altgesellschafter wie für die übernehmende nächste Generation die Frage beantworten, ob – nach Steuern – genügend Liquidität zurückbleibt bzw. übergeht: Die Übertragenden müssen künftig ggf. ohne die Einkunftsquelle zurechtkommen, und die Übernehmenden müssen das übernommene Vermögen langfristig erhalten können. So sind Versorgungsleistungen oftmals über viele Jahre erforderlich, und sie müssen oftmals über Jahre aus der übertragenen Einkunftsquelle erwirtschaftet werden. Die Liquiditätsplanung erfolgt dabei unter Berücksichtigung der Einkommensteuer.

6.5

Keine Übertragung nur aus steuerlichen Gründen. Natürlich sind die steuerliche Optimierung und die Liquiditätsplanung elementare Bausteine einer geglückten Unternehmensnachfolge. Ganz allgemein gilt aber der Grundsatz: Die Übertragung muss unter Berücksichtigung aller Interessen und aller Themen, die im konkreten Fall zu berücksichtigen sind, erfolgen. Eine Übertragung allein aus steuerlichen Gründen verbietet sich. Wie in diesem Handbuch praktisch durchgängig gezeigt – vom Drei-Kreise-Modell der Spannungsfelder in Familienunternehmen im Allgemeinen bis zu den zahlreichen Einzelthemen der Unternehmensnachfolge im Besonderen – gilt es, so viele unterschiedliche Fragestellungen zu berücksichtigen, dass eine bloße Fokussierung auf die steuerliche Optimierung nicht zielführend ist.

360 | Wiese/Lukas

B. Einkommensteuer | Rz. 6.9 Kap. 6

B. Einkommensteuer I. Einkommensteuer in der Unternehmensnachfolge Gegenstand der einkommensteuerlichen Nachfolgeplanung. Eine angemessene steuerliche Planung und Vorbereitung der Unternehmensnachfolge erschöpfen sich nicht in einer erbschaftsteuerlichen Betrachtung: Vielmehr kommen der ertragsteuerlichen Analyse und Planung der Nachfolge erhebliche und oftmals sogar die größere Bedeutung zu. Im Mittelpunkt der ertragsteuerlichen Analyse steht dabei regelmäßig die Frage, ob unternehmerisches Vermögen zu Buchwerten übergehen kann oder ob eine – teilweise oder vollständige – Hebung der stillen Reserven in dem zu übertragenden Vermögen erfolgt. U.U. sollen auch bewusst stille Reserven in dem unternehmerischen Vermögen gehoben werden (z.B. um diese mit vorhandenen Verlustvorträgen zu verrechnen). Notwendiger Bestandteil einer ertragsteuerlichen Nachfolgeplanung sind natürlich auch die Folgen des Übertragungsvorgangs für die laufende ertragsteuerliche Position des übertragenen Unternehmens und dessen Inhaber bzw. Gesellschafter.

6.6

Unterscheidung zwischen steuerlichem Betriebsvermögen und steuerlichem Privatvermögen. Wesentliche Weichenstellung für die einkommensteuerliche Analyse ist die Unterscheidung zwischen steuerlichem Betriebsvermögen und steuerlichem Privatvermögen.

6.7

Steuerliches Betriebsvermögen. Wirtschaftsgüter, die zum steuerlichen Betriebsvermögen zählen, sind einkommensteuerlich „verstrickt“: Das bedeutet, dass in Bezug auf diese Wirtschaftsgüter entgeltliche und unentgeltliche Übertragungen auf andere Personen, Überführungen in ein anderes Betriebsvermögen oder in das Privatvermögen sowie Wertveränderungen einkommensteuerlich relevant sind. Wird steuerverstricktes Vermögen übertragen, werden die in dem übertragenen Vermögen ruhenden stillen Reserven grundsätzlich steuerwirksam gehoben. Dies gilt nicht nur im Falle einer entgeltlichen oder teilentgeltlichen Übertragung, sondern auch bei einer unentgeltlichen Übertragung von Wirtschaftsgütern des Betriebsvermögens.1 Daraus ergibt sich: Die Übertragung oder Überführung steuerlichen Betriebsvermögens geht grundsätzlich mit einer steuerlichen Belastung einher, es sei denn, das Gesetz erlaubt eine Fortführung von Buchwerten. Eine Fortführung von Buchwerten sieht das Gesetz an verschiedenen Stellen vor, um betriebswirtschaftlich als sinnvoll angesehene Übertragungs- und Umstrukturierungsvorgänge zu erleichtern: So erfolgt eine unentgeltliche Übertragung betrieblicher Sachgesamtheiten (d.h. eine Übertragung von Betrieben, Teilbetrieben oder Mitunternehmeranteilen) unter den Voraussetzungen von § 6 Abs. 3 EStG zu Buchwerten (s. Rz. 6.12 ff.). Betriebliche Einzelwirtschaftsgüter werden zu Buchwerten auf eine andere Person übertragen oder in ein anderes Betriebsvermögen überführt, wenn die Voraussetzungen von § 6 Abs. 5 EStG vorliegen (s. Rz. 6.41 ff.). Auch andere Vorschriften (beispielsweise das UmwStG) sehen die Möglichkeit der Buchwertfortführung vor, insbesondere bei Umstrukturierungen ohne Liquiditätszufuhr von außen, wenn die Besteuerung der im Anteilsvermögen enthaltenen stillen Reserven sichergestellt bleibt.

6.8

Steuerliches Privatvermögen. Steuerliches Privatvermögen ist nur in den ausdrücklich gesetzlich normierten Fällen (§§ 17, 20, 23 EStG) steuerverstrickt, d.h. nur in diesen Fällen sind Übertragungsvorgänge in Bezug auf dieses Vermögen überhaupt steuerbar. Dies betrifft z.B. sog. wesentliche Beteiligungen an Kapitalgesellschaften (vgl. § 17 Abs. 1 EStG), der Abgeltungsteuer unterfallende Wirtschaftsgüter (vgl. § 20 Abs. 2 EStG) oder Grundstücke, bei de-

6.9

1 Vgl. Stöcker in Korn, § 4 EStG Rz. 194 (Stand: September 2011).

Wiese/Lukas | 361

Kap. 6 Rz. 6.9 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

nen die zehnjährige Spekulationsfrist noch nicht abgelaufen ist (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG). Eine Übertragung dieser Wirtschaftsgüter ist nur steuerbar, soweit die Übertragung gegen Entgelt erfolgt. Eine unentgeltliche Übertragung aus dem Privatvermögen löst bei dem Übertragenden auch in den Fällen des §§ 17, 20, 23 EStG keine ertragsteuerlichen Folgen aus.1 Werden private Wirtschaftsgüter, die nicht von §§ 17, 20 und 23 EStG erfasst sind, d.h. Wirtschaftsgüter aus dem nicht steuerbaren Bereich, übertragen, kann der Veräußerer einen Veräußerungsgewinn ohne steuerliche Belastung vereinnahmen. Der Erwerber kann die Anschaffungskosten für das erworbene Wirtschaftsgut steuerlich in Form von Abschreibungen geltend machen, wenn er das erworbene Wirtschaftsgut zur Erzielung von Einkünften nutzt.

II. Vorweggenommene Erbfolge 1. Unentgeltlicher Übergang von Unternehmensvermögen a) Fortführung der Buchwerte

6.10

Aufdeckung stiller Reserven durch Rechtsträgerwechsel. Der mit der rechtsgeschäftlichen Übertragung auf einen oder mehrere Erwerber einhergehende Rechtsträgerwechsel zöge nach den vorstehend erläuterten Grundsätzen eine steuerwirksame Aufdeckung der stillen Reserven in dem übertragenen Vermögen nach sich. Besonders unentgeltliche Übertragungsvorgänge würden dadurch erschwert. In ertragsteuerliche Hinsicht besteht daher die Zielsetzung regelmäßig darin, die Aufdeckung der stillen Reserven in dem zu übertragenden Vermögen zu vermeiden. Es empfiehlt sich, die Strukturierung des Übertragungsvorgangs frühzeitig mit dieser Zielsetzung in Einklang zu bringen. b) Unentgeltlicher Übergang betrieblicher Sachgesamtheiten nach § 6 Abs. 3 EStG aa) § 6 Abs. 3 in der Unternehmensnachfolge

6.11

Bedeutung von § 6 Abs. 3 EStG. Unter den in § 6 Abs. 3 EStG genannten Voraussetzungen erfolgt die unentgeltliche Übertragung eines Betriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils steuerlich zu Buchwerten. Wesentliche Folge daraus ist, dass kein zu versteuernder Veräußerungsgewinn entsteht. Zugleich ordnet die Vorschrift damit eine interpersonelle Übertragung stiller Reserven von dem Übertragenden auf den Erwerber an. Die Bedeutung dieser Buchwertfortführung für die vorweggenommene Erbfolge ist erheblich. § 6 Abs. 3 EStG ermöglicht Fortführung und Erhalt betrieblicher Einheiten und erleichtert die Generationennachfolge wesentlich.

6.12

Anwendung auch im Erbfall. Neben Vermögensübergängen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge erfasst § 6 Abs. 3 EStG auch den Übergang betrieblicher Sachgesamtheiten im Wege der Erbauseinandersetzung und des Erbfalls.2 Verstirbt z.B. der Gesellschafter einer Personengesellschaft und sieht die gesellschaftsvertragliche Nachfolgeregelung vor, dass sämtliche Erben im Verhältnis ihrer Erbquote in die Gesellschafterstellung des Erben einrücken (einfache Nachfolgeklausel) oder dass die Gesellschaft nach dem Tod des Erblassers nur mit einem oder einzelnen der Erben fortgesetzt wird (qualifizierte Nachfolgeklausel), liegt inso-

1 Vgl. Stahl in Korn, § 17 EStG Rz. 52 (Stand: Mai 2002); Vogt in Blümich, § 17 EStG Rz. 340 f. (Stand: Juli 2017); Ratschow in Blümich, § 20 EStG Rz. 4, 6 (Stand: November 2016); Ratschow in Blümich, § 23 EStG Rz. 25, 121 f. (Stand: Juni 2018). 2 Kulosa in Schmidt39, § 6 EStG Rz. 652.

362 | Wiese/Lukas

B. Einkommensteuer | Rz. 6.14 Kap. 6

weit eine Übertragung eines Mitunternehmeranteils (oder eines Teils davon) nach § 6 Abs. 3 EStG vor.1 bb) Voraussetzungen und Rechtsfolgen von § 6 Abs. 3 EStG Voraussetzungen von § 6 Abs. 3 EStG. Wesentliche Voraussetzung von § 6 Abs. 3 EStG ist die unentgeltliche Übertragung einer Sachgesamtheit in Form eines (Teil-)Betriebs oder Mitunternehmeranteils.2 Auch ein Teil eines Mitunternehmeranteils kann – soweit die Übertragung unentgeltlich erfolgt – zu Buchwerten übertragen werden (§ 6 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 EStG). Erforderlich ist in all diesen Fällen, dass (zumindest) das wirtschaftliche Eigentum an sämtlichen funktional wesentlichen Betriebsgrundlagen übergeht und der Übertragende seine bisherige unternehmerische Betätigung in dem Betrieb aufgibt.3 Funktional wesentlich sind sämtliche Wirtschaftsgüter, die für die Funktion des Betriebs von Bedeutung sind. Diese müssen in einem einheitlichen Vorgang auf den Erwerber übergehen4. Wirtschaftsgüter, die nicht zu den funktional wesentlichen Betriebsgrundlagen zählen, können (unter Aufdeckung stiller Reserven) veräußert oder entnommen werden, ohne dass dies der Buchwertfortführung für die übrigen Wirtschaftsgüter entgegensteht. Kein Anwendungsfall des § 6 Abs. 3 EStG liegt demnach vor, wenn der Übertragende lediglich einen Teil der wesentlichen Betriebsgrundlagen auf den Nachfolger überträgt und die verbleibenden Wirtschaftsgüter in das Privatvermögen entnimmt. In diesem Fall verbleibt lediglich die Möglichkeit, dass der Übertragende einen begünstigten Aufgabegewinn erzielt (§§ 16 Abs. 3, 34 EStG).

6.13

Aufdeckung stiller Reserven durch „Entstrickung“. Die steuerneutrale Übertragung betrieblichen Vermögens setzt nach § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG zudem voraus, dass die Besteuerung der stillen Reserven in Deutschland sichergestellt ist.5 Die Übertragung kann daher nicht zu Buchwerten erfolgen, wenn ein zuvor bestehendes deutsches Besteuerungsrecht an dem übertragenen Vermögen infolge des Übertragungsvorgangs untergeht. Dies ist z.B. der Fall, wenn Anteile an einer vermögensverwaltend tätigen, aber gewerblich geprägten Personengesellschaft auf einen Steuerausländer übertragen werden. Da die bloß vermögensverwaltend tätige Personengesellschaft dem Steuerausländer keine inländische Betriebsstätte vermittelt, könnte er seinen Mitunternehmeranteil zu einem späteren Zeitpunkt ohne deutschen Besteuerungszugriff übertragen. Daher verwehrt § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG in diesem Fall die steuerneutrale

6.14

1 Im Fall einer qualifizierten Nachfolgeklausel droht jedoch eine Aufdeckung stiller Reserven. Verfügt der Erblasser über Sonderbetriebsvermögen, wird dieses Gesamthandsvermögen der Erbengemeinschaft, während der Gesellschaftsanteil selbst von dem qualifizierten Nachfolger erworben wird, ohne dass insoweit eine Erbauseinandersetzung erfolgt. Das Sonderbetriebsvermögen des Erblassers bleibt daher nur in Höhe der Erbquote des qualifizierten Nachfolgers Sonderbetriebsvermögen, während es in Höhe der Erbquote der nicht qualifizierten Miterben notwendiges Privatvermögen wird, vgl. Esskandari, ZEV 2012, 249 (251). Insoweit entsteht ein (nicht begünstigter) Entnahmegewinn des Erblassers, BMF v. 14.3.2006 – IV B 2 - S 2242 – 7/06, BStBl. I 2006, 253. Um eine Realisierung stiller Reserven zu verhindern, muss das Sonderbetriebsvermögen mit dem Tod des Erblassers unmittelbar auf den qualifizierten Nachfolger-Miterben übergehen. 2 Dazu i.E. Gratz/Uhl-Ludäscher in HHR, § 6 EStG Rz. 1205 (Stand: September 2015); Schindler in Kirchhof19, § 6 EStG Rz. 193 ff. 3 Vgl. Korn/Strahl in Korn, § 6 EStG Rz. 474.0 (Stand: Februar 2017), die sich hierbei jedoch auch kritisch zu dem Einstellungserfordernis äußern. 4 Ehmcke in Blümich, § 6 EStG Rz. 1222a (Stand: Oktober 2018). 5 Der Entstrickungsvorbehalt ist durch das BEPS-UmsG v. 20.12.2016 in das Gesetz aufgenommen worden, s. Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen vom 20.12.2016, BGBl. I 2016, 3000.

Wiese/Lukas | 363

Kap. 6 Rz. 6.14 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

Übertragung des Mitunternehmeranteils auf den Steuerausländer. Die Vorschrift ist auch im Zusammenhang mit § 50i EStG zu lesen, der bis einschließlich 31.12.2016 „Entstrickungsschutz“ gewährt (s. Rz. 6.23 ff.).

6.15

Rechtsfolgen von § 6 Abs. 3 EStG. Liegen die Voraussetzungen von § 6 Abs. 3 EStG vor, realisiert der Übertragende durch den Übertragungsvorgang keinen Veräußerungsgewinn. Die in dem übertragenen Vermögen liegenden stillen Reserven werden nicht aufgedeckt, obwohl die betriebliche Sachgesamtheit aus dem Vermögen des Übertragenden ausscheidet. Spiegelbildlich entstehen für den Erwerber steuerlich auch keine Anschaffungskosten. Er führt zwingend die Buchwerte des Übertragenden fort (§ 6 Abs. 3 Satz 3 EStG).1 Es ist für den Erwerber daher nicht möglich, einen höheren Teilwert ansetzen und von diesem (höhere) Abschreibungen vornehmen. Sollten die Beteiligten diese Rechtsfolge vermeiden wollen, können sie dies z.B. tun, indem sie einen Kaufpreis und mithin eine entgeltliche Übertragung vereinbaren (s. Rz. 6.45 ff.). cc) Sonderthema: Sonderbetriebsvermögen (1) Mitübertragung von funktional wesentlichem Sonderbetriebsvermögen

6.16

Wesentliche Betriebsgrundlagen im Sonderbetriebsvermögen. Da § 6 Abs. 3 EStG für die Buchwertfortführung den Übergang (zumindest) des wirtschaftlichen Eigentums an sämtlichen wesentlichen Betriebsgrundlagen verlangt, ist bei der Übertragung eines Mitunternehmeranteils auch das gesamte funktional wesentliche Sonderbetriebsvermögen2 – z.B. ein von dem Mitunternehmer an die Gesellschaft vermietetes Betriebsgrundstück – auf den Erwerber zu übertragen.3 Denn der Mitunternehmeranteil umfasst neben der Mitberechtigung am Gesamthandsvermögen auch das Sonderbetriebsvermögen des Mitunternehmers.4 Daher setzt die Buchwertfortführung in diesem Fall voraus, dass die funktional wesentlichen Betriebsgrundlagen beider Vermögensgruppen übertragen werden. Anderenfalls läge eine gewinnrealisierende Betriebsaufgabe vor. Wenn nur ein Teil eines Mitunternehmeranteils übertragen werden soll (§ 6 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 EStG), kann auf die gleichzeitige Mitübertragung der funktional wesentlichen Betriebsgrundlagen des Sonderbetriebsvermögens verzichtet werden (§ 6 Abs. 3 Satz 2 EStG): Danach greift die Buchwertfortführung auch dann, wenn der bisherige Betriebsinhaber bzw. Mitunternehmer Wirtschaftsgüter, die weiterhin zum Betriebsvermögen derselben Mitunternehmerschaft gehören, nicht überträgt, wenn der Rechtsnachfolger den übernommenen Mitunternehmeranteil über einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren nicht veräußert oder aufgibt. Angesprochen sind hier die Fälle, in denen der Mitunternehmer lediglich einen Teil seines Mitunternehmeranteils überträgt und funktional wesentliches Sonderbetriebsvermögen zurückbehält. Die vorstehenden Ausführungen verdeutlichen, dass Sonderbetriebsvermögen auch „unterquotal“ oder „überquotal“ auf den Erwerber des Teil-Mitunternehmeranteils übertragen werden kann, ohne die Buchwertfortführung zu gefährden. 1 Dazu Gratz/Uhl-Ludäscher in HHR, § 6 EStG Rz. 1200 (Stand: Mai 2017); Korn/Strahl in Korn, § 6 EStG Rz. 469 (Stand: April 2019). Für steuerliches Privatvermögen ergibt sich diese Rechtsfolge aus § 11d EStDV. 2 Das Sonderbetriebsvermögen umfasst all jene Wirtschaftsgüter, die zivilrechtlich und wirtschaftlich oder nur wirtschaftlich im Eigentum eines Mitunternehmers stehen und dazu geeignet und bestimmt sind, dem Betrieb der Personengesellschaft zu dienen (Sonderbetriebsvermögen I), oder der Beteiligung des Gesellschafters an der Personengesellschaft zumindest förderlich sind (Sonderbetriebsvermögen II), vgl. Wacker in Schmidt39, § 15 EStG Rz. 506 m.w.N. 3 BFH v. 12.5.2016 – IV R 12/15, BFH/NV 2016, 1376. 4 Vgl. Korn/Strahl in Korn, § 6 EStG Rz. 471.2 (Stand: Februar 2017).

364 | Wiese/Lukas

B. Einkommensteuer | Rz. 6.19 Kap. 6

Unterquotale Übertragung von Sonderbetriebsvermögen. Die unterquotale Übertragung von Sonderbetriebsvermögen im Zuge der Übertragung des Teils eines Mitunternehmeranteils – d.h. der vollständige Zurückbehalt von Wirtschaftsgütern des Sonderbetriebsvermögens durch den Übertragenden oder der Zurückbehalt in geringerem Umfang als es dem übertragenen Anteil am Gesamthandsvermögen entspricht – lässt die Buchwertfortführung nicht entfallen, wenn der Erwerber den übernommenen Mitunternehmeranteil über einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren nicht veräußert oder aufgibt (§ 6 Abs. 3 Satz 2 EStG).

6.17

Vergangenheit: Voraussetzungen für Buchwertfortführung bei unterquotaler Übertragung von Sonderbetriebsvermögen i.E. umstritten. In seiner Entscheidung vom 12.5.20161 hat der BFH den Zurückbehalt von Sonderbetriebsvermögen und dessen spätere Übertragung in ein anderes Betriebsvermögen des Übertragenden gem. § 6 Abs. 5 EStG zugelassen. Im Urteilssachverhalt wurde ein Teil des Mitunternehmeranteils übertragen, ein zum Sonderbetriebsvermögen gehörendes Grundstück aber zunächst zurückbehalten. Dieses wurde später in das Gesamthandsvermögen einer KG übertragen, an der der Übertragende allein beteiligt war. Das Finanzamt vertrat den Standpunkt, dass das Wort „weiterhin“ in § 6 Abs. 3 Satz 2 EStG so zu verstehen sei, dass das zurückbehaltene Betriebsvermögen – im Urteilsfall: das Grundstück – für einen bestimmten Zeitraum in der Zukunft im Betriebsvermögen der Mitunternehmerschaft zu nutzen sei. Eine Buchwertfortführung sei daher im Urteilssachverhalt nicht möglich. Dieser Auffassung traten das FG2 und der BFH entgegen: § 6 Abs. 3 Satz 2 EStG sei dahingehend zu verstehen, dass das Wirtschaftsgut lediglich im Zeitpunkt der Übertragung des Teil-Mitunternehmeranteils zum Betriebsvermögen der Mitunternehmerschaft gehören müsse. Ein dauerhafter Verbleib des zurückbehaltenen Wirtschaftsguts in dem Betriebsvermögen sei nicht erforderlich. Nach Ansicht der Rechtsprechung sind daher nachlaufende Übertragungen von zunächst zurückbehaltenem Sonderbetriebsvermögen möglich. Die Finanzverwaltung hat sich jüngst dieser Auffassung angeschlossen.3

6.18

Überquotale Übertragung von Sonderbetriebsvermögen. Auch die überquotale Übertragung von Sonderbetriebsvermögen – d.h. die Übertragung von Sonderbetriebsvermögen in größerem Umfang als es dem übertragenen Teil des Anteils am Gesamthandsvermögen entspricht – hindert die Buchwertfortführung nicht. Während die Rechtsprechung bei der überquotalen Übertragung von Sonderbetriebsvermögen von einem einheitlich nach § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG zu beurteilenden Sachverhalt ausgeht4, beurteilte die Finanzverwaltung in der Vergangenheit die Teilanteilsübertragung einschließlich des quotenentsprechenden Sonderbetriebsvermögensanteils als Übertragung nach § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG und die Übertragung des überquotalen Teils des Sonderbetriebsvermögens nach § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 3 EStG.5 Nach Ansicht der Finanzverwaltung war für den überquotalen Teil daher die dreijährige Sperrfrist des § 6 Abs. 5 Satz 4 EStG zu beachten. Hiernach wird bei der Veräußerung (oder Entnahme) eines zuvor nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG zum Buchwert übertragenen Wirtschaftsguts innerhalb der Sperrfrist die Buchwertübertragung rückgängig gemacht.6 Mittlerweile hat sich die Finanzverwaltung der Ansicht der Rechtsprechung angeschlossen und geht von einem einheitlichen Vorgang nach § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG aus.7

6.19

1 2 3 4 5 6 7

BFH v. 12.5.2016 – IV R 12/15, BFH/NV 2016, 1376. FG Niedersachsen v. 27.11.2014 – 1 K 10294/13, BB 2015, 750. BMF v. 20.11.2019 – IV C 6 - S 2241/15/10003, BStBl. I 2019, 1231 Rz. 31. BFH v. 2.8.2012 – IV R 41/11, BFH/NV 2012, 2053. BMF v. 3.3.2005 – V B 2 - S 2241 – 14/05, BStBl. I 2005, 458 Rz. 16. S. Kulosa in Schmidt39, § 6 EStG Rz. 715. BMF v. 20.11.2019 – IV C 6 - S 2241/15/10003, BStBl. I 2019, 1231 Rz. 32.

Wiese/Lukas | 365

Kap. 6 Rz. 6.20 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

(2) Trennung von Gesamthandsvermögen und funktional wesentlichem Sonderbetriebsvermögen

6.20

Rechtsprechung: Vorherige Trennung von Gesamthands- und funktional wesentlichem Sonderbetriebsvermögen ist möglich. Nach Ansicht des BFH kommt es bei der Ermittlung des Umfangs der betrieblichen Einheit, die gem. § 6 Abs. 3 EStG übertragen wird, allein auf den Übertragungszeitpunkt an; die Figur des Gesamtplans soll an dieser Stelle nicht anwendbar sein.1 Maßgeblich sind danach allein die funktional wesentlichen Wirtschaftsgüter, über die die betriebliche Einheit im Übertragungszeitpunkt verfügt.2 In zwei jüngeren Entscheidungen3 hat der BFH daher eine vorab oder sogar gleichzeitig mit der Übertragung des Mitunternehmeranteils vorgenommene Ausgliederung von funktional wesentlichem Sonderbetriebsvermögen zugelassen. Danach sind Übertragungen zum Buchwert und Veräußerungen funktional wesentlicher Wirtschaftsgüter vor dem Übertragungstag zumindest dann unschädlich, wenn sie auf Dauer angelegt und nicht nur vorgeschoben sind.4 Auch taggleiche Übertragungen von funktional wesentlichem Betriebsvermögen auf einen Dritten oder die Überführung in ein anderes Betriebsvermögen des übertragenden Mitunternehmers sind unschädlich, wenn die Übertragungen gem. § 6 Abs. 5 EStG zum Buchwert erfolgen. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass die Privilegierungen der § 6 Abs. 3 EStG und § 6 Abs. 5 EStG gleichberechtigt nebeneinanderstehen und kombiniert werden können.5 Zu beachten ist jedoch, dass auch nach dieser Auffassung taggleiche Veräußerungen oder sonstige Übertragungen oberhalb des Buchwerts schädlich für die Buchwertfortführung sind.6 Die Rechtsprechung ermöglicht es dem Übertragenden, im Rahmen der Unternehmensnachfolge bestimmte Wirtschaftsgüter auch noch im engeren zeitlichen Zusammenhang mit der Übertragung aus dem betrieblichen Verbund zu lösen. Der Übertragende kann ein Wirtschaftsgut zu Buchwerten in ein anderes Betriebsvermögen, in sein Sonderbetriebsvermögen bei einer anderen Mitunternehmerschaft, in das Gesamthandsvermögen einer anderen Mitunternehmerschaft oder in das Sonderbetriebsvermögen eines anderen Mitunternehmers bei derselben Mitunternehmerschaft überführen (§ 6 Abs. 5 Satz 3 EStG) und anschließend die (verbleibende) betriebliche Sachgesamtheit nach § 6 Abs. 3 EStG zu Buchwerten auf den oder die Nachfolger übertragen.

6.21

Auffassung der Finanzverwaltung. Demgegenüber legte die Finanzverwaltung bislang eine funktional-gegenständliche Gesamtplanbetrachtung zugrunde: Danach konnte ein Mitunternehmeranteil nur dann gem. § 6 Abs. 3 EStG zu Buchwerten übertragen werden, wenn die jeweilige betriebliche Einheit in ihrer „gewachsenen“ funktionalen Zusammensetzung überging.7 Wurde daher im zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Übertragung funktional wesentliches Sonderbetriebsvermögen entnommen oder nach § 6 Abs. 5 EStG zum Buchwert in ein anderes Betriebsvermögen überführt, konnte der Mitunternehmeranteil nicht 1 BFH v. 9.12.2014 – IV R 29/14, BFH/NV 2015, 415 Rz. 19; BFH v. 2.8.2012 – IV R 41/11, BFH/ NV 2012, 2053 Rz. 18; Korn/Strahl in Korn, § 6 EStG Rz. 471.2 (Stand: Februar 2017); ebenso Graw, NWB 2017, 1498. 2 BFH v. 9.12.2014 – IV R 29/14, BFH/NV 2015, 415 Rz. 19; BFH v. 2.8.2012 – IV R 41/11, BFH/ NV 2012, 2053 Rz. 18. 3 BFH v. 9.12.2014 – IV R 29/14, BFH/NV 2015, 415; BFH v. 2.8.2012 – IV R 41/11, BFH/NV 2012, 2053. 4 BFH v. 9.12.2014 – IV R 29/14, BFH/NV 2015, 415 Rz. 25 unter Bezugnahme auf die Vergleichbarkeit zu einer Umwandlung nach § 24 UmwStG und BFH v. 9.11.2011 – X R 60/09, BStBl. II 2012, 638. 5 BFH v. 2.8.2012 – IV R 41/11, BFH/NV 2012, 2053. 6 S. auch Ehmcke in Blümich, § 6 EStG Rz. 1222a (Stand: Oktober 2018). 7 Vgl. BMF v. 3.3.2005 – IV B 2 - S 2241-14/05, BStBl. I 2005, 458 Rz. 7.

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B. Einkommensteuer | Rz. 6.22 Kap. 6

nach § 6 Abs. 3 EStG zum Buchwert übertragen werden. Auf die zuvor erläuterte BFH-Rechtsprechung hatte die Finanzverwaltung zunächst mit einem Nichtanwendungserlass1 reagiert. Die bisherige Ansicht der Finanzverwaltung zwang den Steuerpflichtigen dazu, zwischen der Überführung der wesentlichen Betriebsgrundlage und der Übertragung des Betriebs eine ausreichend lange Zeitspanne abzuwarten. Nunmehr hat sich die Finanzverwaltung der Ansicht der Rechtsprechung angeschlossen. Zeitgleiche oder taggleiche Überführungen bzw. Übertragungen nach § 6 Abs. 5 EStG stehen einer Anwendung von § 6 Abs. 3 EStG danach nicht mehr entgegen.2 c) § 50i EStG: Sonderregelung für grenzüberschreitende Übertragungsvorgänge aa) Entstrickungsschutz nach § 50i Abs. 1 EStG Funktion von § 50i Abs. 1 EStG bei grenzüberschreitenden Anteilsübertragungen. Der Besteuerungsvorbehalt des § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG, der eine Buchwertfortführung davon abhängig macht, dass die Besteuerung der stillen Reserven in Deutschland sichergestellt ist, wird bei bestimmten Anteilsübertragungen über die Grenze durch § 50i EStG erfüllt – wenn auch zeitlich beschränkt auf Übertragungen bis einschließlich 2016. Die Vorschrift setzt voraus, dass Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens oder Kapitalgesellschaftsanteile i.S.v. § 17 EStG vor dem 29.6.2013 in das Betriebsvermögen einer gewerblich geprägten oder gewerblich infizierten Personengesellschaft i.S.v. § 15 Abs. 3 EStG – d.h. einer fiktiv gewerblichen Personengesellschaft – steuerneutral übertragen wurden („§ 50i-Gesellschaft“) und das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder Entnahme dieser Wirtschaftsgüter vor dem 1.1.2017 ausgeschlossen oder beschränkt worden ist.3 Ein Ausschluss des Besteuerungsrechts würde in diesen Fällen (ohne Geltung des § 50i EStG) eintreten, wenn Anteile an der § 50i-Gesellschaft auf einen Erwerber übergehen, der in einem Staat ansässig ist, mit dem Deutschland ein dem OECD-Musterabkommen entsprechendes DBA abgeschlossen hat. In diesem Fall wäre der Gewinn aus der späteren Veräußerung der Wirtschaftsgüter mangels inländischer Betriebsstätte nicht in Deutschland, sondern ausschließlich im Ansässigkeitsstaat des (neuen) Gesellschafters zu versteuern (vgl. Art. 13 Abs. 5 OECD-MA).4 Den Erhalt dieses – eigentlich verlorengehenden – deutschen Besteuerungsrechts sichert § 50i EStG für Übertragungen vor dem 1.1.2017 ab. Ein Gewinn aus der späteren Veräußerung oder Entnahme dieser Wirtschaftsgüter ist nach § 50i Abs. 1 Satz 1 EStG auch dann in Deutschland zu versteuern, wenn das anwendbare DBA das Recht zur Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung oder Entnahme dem Ansässigkeitsstaat des (neuen) Gesellschafters zuweist (Treaty Override). Da § 50i EStG daher für bis zum 31.12.2016 übertragenes betriebliches Vermögen „Entstrickungsschutz“ bietet, ist der Besteuerungsvorbehalt des § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG für diese Übertragungen erfüllt: Eine bis zu diesem Tag vollzogene unent-

1 BMF v. 12.9.2013 – IV C 6 - S 2241/10/10002, BStBl. I 2013, 1164. Dahinter dürfte die Befürchtung stehen, dass unter § 6 Abs. 3 EStG wesentliche Betriebsgrundlagen schrittweise steuerneutral auf mehrere Rechtsträger übertragen werden könnten. 2 BMF v. 20.11.2019 – IV C 6 - S 2241/15/10003, BStBl. I 2019, 1231 Rz. 10. 3 Für die Frage, ob das deutsche Besteuerungsrecht ausgeschlossen oder beschränkt worden ist, wird eine mögliche Anwendung von § 50i Abs. 1 Satz 1 EStG ausgeblendet (sog. hypothetische Entstrickung). 4 Hintergrund ist, dass eine lediglich fiktiv gewerbliche Personengesellschaft nach Abkommensrecht keine Unternehmensgewinne und daher auch keine Betriebsstätte vermitteln kann, der die Wirtschaftsgüter oder Anteile zugeordnet werden können, vgl. BFH v. 28.4.2010 – I R 81/09, BStBl. II 2014, 754; BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003, BStBl. I 2014, 1258.

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6.22

Kap. 6 Rz. 6.22 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

geltliche Übertragung von Anteilen an einer § 50i-Gesellschaft von einem Steuerinländer an einen (in einem DBA-Staat ansässigen) Steuerausländer löst keine steuerwirksame Realisierung stiller Reserven aus.

6.23

Kein Entstrickungsschutz für Übertragungen nach dem 31.12.2016. Diese „Schutzfunktion“1 entfällt für Übertragungen ab dem 1.1.2017. Für diese Übertragungen gilt daher: Werden Anteile an einer § 50i-Gesellschaft von einem Steuerinländer an einen (in einem DBAStaat ansässigen) Steuerausländer unentgeltlich übertragen, steht eine Entstrickung stiller Reserven der Buchwertfortführung nach § 6 Abs. 3 EStG entgegen. Die Entstrickungsbesteuerung nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bzw. § 12 Abs. 1 KStG gelangt zur Anwendung, so dass eine steuerwirksame Aufdeckung stiller Reserven erfolgt.2 bb) Aufdeckung stiller Reserven nach § 50i Abs. 2 EStG

6.24

Überschießende Wirkung von § 50i Abs. 2 EStG a.F. Ein echtes Übertragungshindernis für unentgeltliche Übertragungen nach § 6 Abs. 3 EStG stellte § 50i Abs. 2 EStG a.F. dar, der jedoch rückwirkend entschärft wurde. Die Altfassung der Regelung entfaltete weit überschießende Wirkung und nahm insbesondere auch rein innerstaatliche Übertragungsvorgänge von dem Buchwertprivileg des § 6 Abs. 3 EStG aus, indem die Vorschrift in diesen Fällen eine Zwangsrealisation stiller Reserven anordnete. Wollte z.B. ein im Inland ansässiger Gesellschafter einer § 50i-Gesellschaft seine Anteile im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auf einen gleichermaßen im Inland ansässigen Erwerber übertragen, löste der in § 50i Abs. 2 EStG a.F. enthaltene Ausschluss von § 6 Abs. 3 EStG eine steuerwirksame Realisierung stiller Reserven aus. Eine befriedigende Lösung konnte die Finanzverwaltung auch nicht durch den in Gestalt eines BMF-Schreibens3 erfolgten Verzicht auf die Anwendung der Vorschrift im Billigkeitswege schaffen. Die notwendig gewordene rückwirkende Anpassung von § 50i Abs. 2 EStG4 durch den Gesetzgeber stellt daher eine echte Entlastung für Gesellschafter einer gewerblich geprägten oder infizierten Personengesellschaft dar.

6.25

Neufassung auf Fälle des § 20 UmwStG begrenzt. Infolge der rückwirkenden Anpassung der Vorschrift erfasst § 50i Abs. 2 EStG nunmehr nur noch Übertragungsvorgänge, bei denen das deutsche Besteuerungsrecht infolge einer Einbringung nach § 20 UmwStG ausgeschlossen oder beschränkt wird. Die gem. § 20 UmwStG eingebrachten Sachgesamtheiten sind nach § 50i Abs. 2 EStG mit dem gemeinen Wert anzusetzen, soweit das Besteuerungsrecht Deutschlands hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung der erhaltenen Anteile ausgeschlossen oder beschränkt ist. Darunter fallen Einbringungen von Betrieben, Teilbetrieben und Mitunternehmeranteilen in eine Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft, wenn der eingebrachte Betrieb, Teilbetrieb oder Mitunternehmeranteil Wirtschaftsgüter oder Anteile i.S.v. § 50i EStG enthält. Der für die Unternehmensnachfolge entscheidende Punkt ist 1 Ditz/Quilitzsch, DStR 2017, 281 (292). 2 Ein Entstrickungsschutz könnte aber möglicherweise auch über den 31.12.2016 hinaus bestehen, wenn in der Gesellschaftshistorie vor dem 1.1.2017 das deutsche Besteuerungsrecht einmal nach abkommensrechtlichen Grundsätzen eingeschränkt war, später aber wieder begründet wurde. S. dazu Liekenbrock, DStR 2017, 177; ausdrücklich gegen einen über den 31.12.2016 hinausgehenden Entstrickungsschutz BT-Drucks. 406/1/16, 9. 3 BMF v. 21.12.2015 – IV B 5 - S 1300/14/10007, BStBl. I 2016, 7. 4 Nach § 52 Abs. 48 Satz 4 EStG gilt die Neufassung für Einbringungen, denen ein nach dem 31.12.2013 geschlossener Einbringungsvertrag zugrunde liegt, vgl. Heuermann in Blümich, § 52 EStG Rz. 48 (Stand: Februar 2019).

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B. Einkommensteuer | Rz. 6.28 Kap. 6

aber: Für sonstige Übertragungen – insbesondere Übertragungen nach § 6 Abs. 3 EStG und § 6 Abs. 5 EStG – gilt § 50i Abs. 2 EStG nicht; in diesen Fällen gelten die allgemeinen Entstrickungsregeln (wobei bei diesen wiederum der bis zum 31.12.2016 gewährte Entstrickungsschutz durch § 50i Abs. 1 EStG zu beachten ist). cc) Gestaltungsüberlegungen zur Vermeidung einer Entstrickungsbesteuerung

Strukturelle Anpassungsmaßnahmen. Es ist zu prüfen, ob der ab dem 1.1.2017 entfallende Entstrickungsschutz gem. § 50i EStG auf andere Weise hergestellt werden kann. Dabei kommt insbesondere die gewerbliche Anreicherung der – lediglich fiktiv gewerblichen – Personengesellschaft, z.B. durch Ausbau zu einer geschäftsleitenden Holding, und die Übertragung der Anteile an der gewerblich geprägten oder infizierten Personengesellschaft auf eine originär gewerbliche Personengesellschaft in Frage.1 Gelingt in diesen Fällen die Zuordnung der betrieblichen Wirtschaftsgüter zu einer inländischen Betriebsstätte der Personengesellschaft, kann eine Entstrickung in Fällen der grenzüberschreitenden Anteilsübertragung vermieden werden.

6.26

d) Unentgeltliche Übertragung betrieblichen Vermögens im Wege der Realteilung aa) Bedeutung der Realteilung für die Nachfolgeplanung

Vorbereitungs- und Nachfolgefunktion. Die Realteilung (§ 16 Abs. 3 Satz 2 EStG) ist ein Gestaltungsinstrument mit erheblicher praktischer Bedeutung. Sie ermöglicht die steuerneutrale Umstrukturierung von Unternehmen und Trennung von Gesellschafterstämmen zur Vorbereitung oder Durchführung der Unternehmensnachfolge. Zugleich kann sie im Rahmen der Erbauseinandersetzung dazu genutzt werden, das Unternehmen steuerneutral unter den Nachfolgern aufzuteilen. Neben § 6 Abs. 3 EStG, § 6 Abs. 5 EStG und den Vorschriften des Umwandlungssteuergesetzes stellt sie eine weitere Möglichkeit dar, Umstrukturierungs- und Übertragungsvorgänge steuerneutral durchzuführen.2 Die jüngere BFH-Rechtsprechung und die Finanzverwaltung haben den Begriff der Realteilung in letzter Zeit fortentwickelt. Es ist daher zu erwarten, dass die praktische Bedeutung der Realteilung noch weiter zunehmen wird.

6.27

bb) Grundlagen der Realteilung Begriff der Realteilung. Der Begriff der Realteilung wird vom Gesetz vorausgesetzt, aber nicht definiert. Nach klassischem Verständnis setzt die Realteilung voraus, dass eine Mitunternehmerschaft aufgelöst wird, die (bisherigen) Mitunternehmer das Betriebsvermögen untereinander aufteilen und zumindest einer von ihnen die ihm bei der Aufteilung zugewiesenen Wirtschaftsgüter in ein anderes Betriebsvermögen überführt.3 Die Personengesellschaft wird nach diesem Begriffsverständnis im Wege der Naturalteilung auseinandergesetzt, so dass ihre Existenz als Rechtssubjekt endet.4 Die Aufteilung des betrieblichen Vermögens kann 1 Ausführlich Liekenbrock, DStR 2017, 177 (182). 2 Vgl. dazu Graw, NWB 2017, 1498 (1502). 3 Grundlegend etwa BFH v. 19.1.1982 – VIII R 21/77, BStBl. II 1982, 456; BFH v. 29.4.2004 – IV B 124/02, BFH/NV 2004, 1395; s. auch Kulosa in HHR, § 16 EStG Rz. 541 (Stand: Januar 2019); Seer in Kirchhof19, § 16 EStG Rz. 198 f.; die Realteilung war zunächst nur richterrechtlich ausgeformt und ist nun in § 16 Abs. 3 Satz 2 bis 4 EStG gesetzlich normiert; dennoch fehlt es an einer Legaldefinition. 4 Schallmoser in Blümich, § 16 EStG Rz. 390 (Stand: August 2017); Stahl in Korn, § 16 EStG Rz. 306 (Stand: August 2012).

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6.28

Kap. 6 Rz. 6.28 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

durch Übertragung von Teilbetrieben, Mitunternehmeranteilen oder Einzelwirtschaftsgütern erfolgen.1 Steuerlich stellt die Beendigung der Mitunternehmerschaft eine Betriebsaufgabe gem. § 16 Abs. 3 Satz 1 EStG dar, so dass eigentlich die stillen Reserven in dem Gesellschaftsvermögen aufzudecken wären.2

6.29

Weitere Konturierung des Realteilungsbegriffs durch die Rechtsprechung. Obwohl die Realteilung steuerlich ein Sonderfall der Betriebsaufgabe ist, liegt eine Realteilung auch vor, wenn einer der Realteiler die Tätigkeit der aufgelösten Gesellschaft branchenidentisch fortführt. Der BFH hat klargestellt, dass es den Gesellschaftern freisteht, wie sie das Betriebsvermögen untereinander aufteilen. Es ist daher möglich, dass ein Gesellschafter sämtliche wesentlichen und die übrigen Gesellschafter nur unwesentliche Betriebsgrundlagen erhalten.3 Derjenige, der die wesentlichen Betriebsgrundlagen erhält, kann diese dann als Einzelunternehmer für eine gewerbliche Tätigkeit nutzen, die derjenigen der Gesellschaft entspricht. Entscheidend ist, dass das Betriebsvermögen nunmehr seiner eigenen gewerblichen Tätigkeit als Einzelunternehmer und nicht mehr derjenigen der Gesellschaft dient.4 Darüber hinaus reicht es aus, wenn nur ein Realteiler die ihm zugewiesenen Wirtschaftsgüter in ein eigenes Betriebsvermögen übernimmt.5 Es ist dabei davon auszugehen, dass die Realteilung nicht mehr voraussetzt, dass mindestens eine wesentliche Betriebsgrundlage nach der Realteilung Betriebsvermögen eines Realteilers wird.6 Eine Fortführung der Buchwerte für die in ein Betriebsvermögen eines Realteilers übernommenen Wirtschaftsgüter ist daher auch möglich, wenn im Übrigen sämtliche wesentlichen Betriebsgrundlagen veräußert oder entnommen werden. Soweit Wirtschaftsgüter nicht in das Betriebsvermögen eines Realteilers übergehen, sind die stillen Reserven dieser Wirtschaftsgüter auf Ebene der Personengesellschaft steuerwirksam aufzudecken; insoweit entsteht steuerlich ein Aufgabegewinn.7

6.30

Ausscheiden aus einer im Übrigen fortbestehenden Mitunternehmerschaft unter Übernahme eines Teilbetriebs. Der Begriff der Realteilung ist durch Rechtsprechung und Finanzverwaltung in jüngerer Zeit fortentwickelt worden und hat sich dadurch von dem vorstehend erläuterten klassischen Verständnis gelöst. Zunächst erweiterte der BFH den Anwendungsbereich der Realteilung auf das Ausscheiden nur eines oder mehrerer Gesellschafter unter Übernahme eines Teilbetriebs, wenn die Mitunternehmerschaft von den verbleibenden Mitunternehmern fortgesetzt wird.8 Die Finanzverwaltung hat sich dieser Ansicht in ihrem 1 S. dazu Wiese/Lukas, DStR 2016, 1078. 2 Vgl. BMF v. 28.2.2006 – IV B 2 - S 2242-6/06, BStBl. I 2006, 228; Kulosa in HHR, § 16 EStG Rz. 544 (Stand: Januar 2019). 3 BFH v. 16.3.2017 – IV R 31/14, BFH/NV 2017, 1093 Rz. 37; BMF v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/ 07/10002, BStBl. I 2019, 6, unter III. 4 BFH v. 16.3.2017 – IV R 31/14, BFH/NV 2017, 1093 Rz. 37. 5 BFH v. 16.3.2017 – IV R 31/14, BFH/NV 2017, 1093 Rz. 42. Dahinter steht die Wertung, dass die steuerneutrale Buchwertfortführung dem einzelnen Realteiler personenbezogen zugutekommen soll, der das im Rahmen der Realteilung erhaltene Betriebsvermögen in einem anderen eigenen Betriebsvermögen weiternutzt und so sein unternehmerisches Engagement in anderer Form fortsetzt. 6 Im Realteilungserlass BMF v. 20.12.2016 – IV C 6 - S 2242/07/10002:004, BStBl. I 2017, 36, unter I. war dies als Voraussetzung genannt, im neuen Realteilungserlass BMF v. 19.12.2018 – IV C 6 S 2242/07/10002, BStBl. I 2019, 6 ist dieses Erfordernis nicht mehr erwähnt. Es ist daher davon auszugehen, dass die Finanzverwaltung ihre Auffassung aufgegeben hat; dazu Stenert, DStR 2019, 246, 252. 7 BFH v. 16.3.2017 – IV R 31/14, BFH/NV 2017, 1093 Rz. 42. 8 BFH v. 17.9.2015 – III R 49/13, BStBl. II 2017, 37; dazu Wiese/Lukas, DStR 2016, 1078.

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B. Einkommensteuer | Rz. 6.32 Kap. 6

Schreiben vom 20.12.20161 im Ergebnis angeschlossen: Danach soll zwar begrifflich keine Realteilung vorliegen, wenn ein Mitunternehmer aus einer mehrgliedrigen Mitunternehmerschaft ausscheidet und diese von den verbleibenden Mitunternehmern fortgeführt wird.2 Davon abweichend geht jedoch auch die Finanzverwaltung von einer Realteilung aus, wenn ein Mitunternehmer unter Mitnahme eines Teilbetriebs aus der Mitunternehmerschaft ausscheidet und die Mitunternehmerschaft von den verbleibenden Mitunternehmern fortgeführt wird.3 Ausscheiden aus einer im Übrigen fortbestehenden Mitunternehmerschaft unter Übernahme von Einzelwirtschaftsgütern. In einer späteren Entscheidung erweiterte der BFH4 den Realteilungsbegriff auf Fälle, in denen der aus der im Übrigen fortbestehenden Mitunternehmerschaft ausscheidende Gesellschafter nicht mit betrieblichen Sachgesamtheiten, sondern mit Einzelwirtschaftsgütern abgefunden wird, sofern der ausscheidende Gesellschafter die Wirtschaftsgüter in einem Betriebsvermögen weiter nutzt. Daraus folgt, dass nach Ansicht des BFH nicht nur bei Sachwertabfindungen mit Teilbetrieben, sondern in allen Fällen einer Sachwertabfindung das Ausscheiden des Mitunternehmers im Ergebnis den Realteilungsregeln unterfällt. Das BMF hat sich dieser Ansicht nunmehr angeschlossen und sieht den Anwendungsbereich der Realteilung im Falle des Ausscheidens eines Mitunternehmers aus einer fortbestehenden Gesellschaft sowohl dann als eröffnet an, wenn der Ausscheidende einen Teilbetrieb übernimmt, als auch dann, wenn er lediglich einen (Teil-)Mitunternehmeranteil oder Einzelwirtschaftsgüter erhält.5

6.31

Ergebnis: Unterscheidung zwischen „echter“ und „unechter“ Realteilung. Nach neuerem Verständnis sind die „echte“ und die „unechte“ Realteilung zu unterscheiden.6 Die echte Realteilung ist durch den Tatbestand der Betriebsaufgabe auf Ebene der Gesellschaft gekennzeichnet. Eine Betriebsaufgabe und damit ein Fall der echten Realteilung ist auch gegeben bei Ausscheiden eines Mitunternehmers aus einer zweigliedrigen Mitunternehmerschaft unter Übertragung eines Teilbetriebs, eines (Teil-)Mitunternehmeranteils an einer Tochter-Personengesellschaft oder von Einzelwirtschaftsgütern und Fortführung des Betriebs durch den verbleibenden Mitunternehmer in Form eines Einzelunternehmens.7 Es ist nicht erforderlich, dass der Betrieb der Mitunternehmerschaft vollständig aufgelöst wird.8 Bei der unechten Realteilung scheidet hingegen mindestens einer der Gesellschafter aus der im Übrigen fortbestehenden Gesellschaft aus. Eine Realteilung liegt in diesem Fall auch dann vor, wenn auf den ausscheidenden Gesellschafter ein Teilbetrieb oder – seit dem Realteilungserlass vom 19.12.2018 – ein (Teil-)Mitunternehmeranteil oder auch nur Einzelwirtschaftsgüter übertragen werden und die verbleibenden Gesellschafter die Gesellschaft fortführen. Neben der vollständigen Aufgabe der Mitunternehmerschaft wird daher auch die Aufgabe eines Mitunter-

6.32

1 BMF v. 20.12.2016 – IV C 6 - S 2242/07/10002:004, BStBl. I 2017, 36, unter II. 2 BMF v. 20.12.2016 – IV C 6 - S 2242/07/10002:004, BStBl. I 2017, 36, unter II.; BMF v. 28.2.2006 – IV B 2 - S 2242-6/06, BStBl. I 2006, 22. 3 BMF v. 20.12.2016 – IV C 6 - S 2242/07/10002:004, BStBl. I 2017, 36, unter II. 4 BFH v. 30.3.2017 – IV R 11/15, BFH/NV 2017, 1125; noch offen gelassen von BFH v. 17.9.2015 – III R 49/13, BStBl. II 2017, 37 Rz. 34. 5 BMF v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10002, BStBl. I 2019, 6, unter I. 6 BFH v. 16.3.2017 – IV R 31/14, BFH/NV 2017, 1093 Rz. 30; dazu auch Geck/Messner, ZEV 2017, 622 (623 f.). 7 BMF v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10002, BStBl. I 2019, 6, unter I. 8 A.A. noch BMF v. 20.12.2016 – IV C 6 - S 2242/07/10002:004, BStBl. I 2017, 36 Rz. II.

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Kap. 6 Rz. 6.32 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

nehmeranteils unter Mitnahme von Gesellschaftsvermögen in Gestalt eines Teilbetriebs, eines (Teil-)Mitunternehmeranteils oder von Einzelwirtschaftsgütern als Realteilung verstanden.1 Nach – freilich umstrittener2 – Auffassung der Finanzverwaltung soll dies jedoch nicht gelten, wenn der ausscheidende Mitunternehmer die übertragenen Einzelwirtschaftsgüter vollständig ins Privatvermögen überführt.3 cc) Steuerliche Beurteilung der Realteilung

6.33

Realteilung als Sonderfall der Betriebsaufgabe. Die Realteilung ist steuerlich ein Sonderfall der Betriebsaufgabe gem. § 16 Abs. 3 Satz 1 EStG.4 In der steuerlichen Gewinnermittlung der Mitunternehmerschaft sind die Buchwerte fortzuführen, sofern die Besteuerung der stillen Reserven sichergestellt ist (§ 16 Abs. 3 Satz 2 EStG). Der übernehmende Mitunternehmer ist an diese Werte gebunden. Als speziellere Vorschrift geht § 16 Abs. 3 EStG den Regelungen in § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG vor.5 Um eine rückwirkende Gewinnrealisierung auszuschließen, ist die Sperrfrist des § 16 Abs. 3 Satz 3 EStG zu beachten.

6.34

Verengter Anwendungsbereich der Gesamtplanbetrachtung. In seiner jüngeren Rechtsprechung hat der BFH darüber hinaus festgestellt, dass es keinen allgemeingültigen Rechtsgrundsatz gebe, nach dem eine aufgrund einheitlicher Planung in engem zeitlichem und sachlichem Zusammenhang stehende Mehrzahl von Rechtsgeschäften für die steuerliche Beurteilung zu einem einheitlichen wirtschaftlichen Vorgang zusammenzufassen ist.6 Das jeweils verwirklichte zivilrechtliche Rechtsgeschäft sei jeweils für sich nach den gesetzlichen Regeln zu beurteilen und unter die steuerrechtlichen Tatbestände zu subsumieren, sofern nicht ein Fall des § 42 AO vorliege. Im Urteilsfall übertrug der Steuerpflichtige seine Beteiligung an einer GmbH & Co. KG (Unterpersonengesellschaft) auf eine weitere GmbH & Co. KG (Oberpersonengesellschaft). Die Oberpersonengesellschaft trat sodann aus der im Übrigen fortbestehenden Unterpersonengesellschaft aus und erhielt alle Wirtschaftsgüter eines (nicht als Teilbetrieb organisierten) Geschäftsbereichs der Unterpersonengesellschaft. Die der Realteilung vorangehende Einbringung war nach Ansicht des BFH steuerneutral nach § 24 UmwStG durchzuführen, während die Realteilung – davon getrennt betrachtet – nach § 16 Abs. 3 EStG zu beurteilen war.7 Eine Zusammenfassung der verschiedenen Vorgänge zu einem einheitlichen Sachverhalt – Ausscheiden des Steuerpflichtigen aus der Untergesellschaft gegen Sachwertabfindung mit Spitzenausgleich mit der Folge, dass eine unmittelbare und nicht begünstigte Anteilsveräußerung vorliegt – sei nicht vorzunehmen. Mittlerweile erkennt die Finanzverwaltung an, dass die Einbringung der Anteile an einer Mitunternehmerschaft in andere Personengesellschaften einer Realteilung der Mitunternehmerschaft mit Buchwertfortführung nicht entgegensteht, wenn an den anderen Personengesellschaften vermögensmäßig nur die

1 BMF v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10002, BStBl. I 2019, 6, unter I.; dazu Stenert, DStR 2019, 246. 2 Dagegen Stenert, DStR 2019, 245, 247 f. 3 BMF v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10002, BStBl. I 2019, 6, unter I. 4 Schallmoser in Blümich, § 16 EStG Rz. 390 (Stand: August 2017). 5 BMF v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10002, BStBl. I 2019, 6. 6 BFH v. 30.3.2017 – IV R 11/15, BStBl. II 2019, 29. 7 Das Finanzamt war für das Streitjahr davon ausgegangen, dass die Umstrukturierungen wirtschaftlich als das Ausscheiden des Einbringenden aus der eingebrachten GmbH & Co. KG gegen Sachwertabfindung mit Spitzenausgleich im Wege eines Tauschs zu würdigen seien. Im Ergebnis habe der Einbringende einen Veräußerungsgewinn erzielt.

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B. Einkommensteuer | Rz. 6.38 Kap. 6

Personen beteiligt sind, die zuvor auch an der Mitunternehmerschaft vermögensmäßig beteiligt waren.1 Sie folgt damit der Linie der Rechtsprechung.2 Übernahme von Verbindlichkeiten unschädlich. Die Übernahme von Verbindlichkeiten durch einen Realteiler ist für die Buchwertfortführung unschädlich.3

6.35

Ausscheiden gegen Barabfindung. Erhält der Ausscheidende eine Barabfindung aus Gesellschaftsmitteln, liegt nach Auffassung der Finanzverwaltung kein Fall der Realteilung vor.4 Nach der hier vertretenen Auffassung sollte jedoch in konsequenter Fortführung der Rechtsprechungsgrundsätze eine Unterscheidung zwischen Bar- und Sachabfindung, soweit sie jeweils aus dem Gesellschaftsvermögen geleistet wird, hinfällig sein.5 Ein Anwendungsfall des § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, d.h. eine Veräußerung des gesamten Mitunternehmeranteils, liegt demgegenüber vor, wenn der ausscheidende Mitunternehmer von seinen bisherigen Mitgesellschaftern eine Gegenleistung aus deren Vermögen erhält. Vollständig gesichert ist diese differenzierte Auffassung jedoch nicht. Bei einem Ausscheiden gegen Barabfindung ist daher Vorsicht geboten. Es empfiehlt sich die vorherige Abstimmung mit der Finanzverwaltung.

6.36

dd) Sonderthema: Realteilung mit Spitzenausgleich Anteilige Gewinnrealisierung. Erhält ein Gesellschafter bei der Aufteilung des betrieblichen Vermögens Wirtschaftsgüter, deren Verkehrswerte den Wert seines Anteils am Gesamthandsvermögen übersteigen und leistet er dafür einen Wertausgleich in Geld- oder Sachwerten aus seinem Privatvermögen (sog. „Spitzenausgleich“), steht dies der Buchwertfortführung nach § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG grundsätzlich nicht entgegen. Der Wertausgleich führt jedoch zu einer teilweisen Gewinnrealisierung. Der Gewinn entsteht bei der Mitunternehmerschaft und ist bei ihr im Rahmen der mitunternehmerischen Aufgabebilanz zu ermitteln und in die gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung einzubeziehen.6

6.37

Ermittlung des realisierten Gewinns umstritten. Die Rechtsprechung nimmt bei dem Empfänger der Ausgleichszahlung einen Gewinn in voller Höhe der Ausgleichszahlung an; bei dem Ausgleichsverpflichteten (dem Übernehmer des Wirtschaftsguts) entstehen in dieser Höhe Anschaffungskosten.7 Nach Auffassung der Finanzverwaltung und der herrschenden

6.38

1 BMF v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10002, BStBl. I 2019, 6 unter II. 2 BFH v. 16.12.2015 – IV R 8/12, BStBl. II 2017, 766. 3 Außerhalb des § 16 Abs. 3 EStG ist ein steuerneutrales Ausscheiden eines Mitunternehmers unter Mitnahme von Einzelwirtschaftsgütern nur unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG möglich. Danach sind die Buchwerte fortzuführen, wenn ein Wirtschaftsgut unentgeltlich oder gegen Minderung von Gesellschaftsrechten aus dem Gesamthandsvermögen einer Mitunternehmerschaft in das Betriebsvermögen eines Mitunternehmers übertragen wird. Die Aufdeckung stiller Reserven lässt sich dabei nicht vermeiden, wenn der Ausscheidende nicht nur Wirtschaftsgüter, sondern auch Verbindlichkeiten übernimmt (s. Rz. 6.43). Es handelt sich in diesem Fall um einen teilweise entgeltlichen Vorgang, der die Anwendung von § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG sperrt. 4 BMF v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10002, BStBl. I 2019, 6 unter I. 5 Ebenso Stenert, DStR 2019, 248. 6 BFH v. 1.12.1992 – VIII R 57/90, BStBl. II 1994, 607; Kauffmann in Frotscher, § 16 EStG Rz. 177ae (Stand: November 2013). 7 BFH v. 17.2.1994 – VIII R 12/93, BFH/NV 1995, 98; BFH v. 1.12.1992 – VIII R 57/90, BStBl. II 1994, 607; zustimmend auch Seer in Kirchhof19, § 16 EStG Rz. 217 ff.; Reiß, DStR 1995, 1129.

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Kap. 6 Rz. 6.38 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

Meinung im Schrifttum1 ist die Realteilung mit Spitzenausgleich demgegenüber in ein entgeltliches und ein unentgeltliches Geschäft aufzuspalten (Trennungstheorie). Der Realteiler, der den Spitzenausgleich erhält, veräußert das von dem anderen Realteiler übernommene Wirtschaftsgut in dem Verhältnis, das dem Wert der Ausgleichszahlung zu dem Verkehrswert dieses Wirtschaftsguts entspricht. Von der Ausgleichszahlung ist daher bei dem die Zahlung erhaltenden Realteiler der diesem Verhältnis entsprechende Buchwert des Wirtschaftsguts in Abzug zu bringen. Demnach liegt im Verhältnis des Spitzenausgleichs zum Wert des übernommenen Betriebsvermögens ein entgeltliches Geschäft vor.2 Nach einer weiteren Auffassung entsteht ein Veräußerungsgewinn lediglich in Höhe der Differenz zwischen Ausgleichszahlung und Gesamtbuchwert des Wirtschaftsguts (Einheitstheorie).3

6.39

Gestaltungsüberlegungen zur Vermeidung des Spitzenausgleichs. Zunächst kann durch eine wertausgleichende Zuordnung von Aktiva oder Verbindlichkeiten zu Teilbetrieben ein Spitzenausgleich vermieden werden.4 Dies ist zulässig, soweit die zugeordneten liquiden Mittel aus dem Vermögen der Personengesellschaft stammen oder vorhandene Gesellschaftsschulden entsprechend zugeordnet werden.5 Ausgleichszahlungen können u.U. auch dadurch vermieden werden, dass die Beteiligten vor der Auseinandersetzung durch Einlagen den Wert der zu tauschenden Wirtschaftsgüter in Übereinstimmung mit den Beteiligungsquoten bringen.6 e) Übertragungen betrieblicher Wirtschaftsgüter nach § 6 Abs. 5 EStG

6.40

§ 6 Abs. 5 EStG in der Unternehmensnachfolge. Auf Überführungs- und Übertragungsvorgänge nach § 6 Abs. 5 EStG ist bereits im Zusammenhang mit den Ausführungen zu unentgeltlichen Übertragungen betrieblicher Sachgesamtheiten nach § 6 Abs. 3 EStG eingegangen worden (s. Rz. 6.21 ff.). Dabei ist deutlich geworden, dass § 6 Abs. 5 EStG gerade im Rahmen vorbereitender Umstrukturierungen des unternehmerischen Vermögens, ggf. aber auch bei der Übertragung auf den Erwerber selbst von Bedeutung ist. Denn die Vorschrift ermöglicht unter bestimmten weiteren Voraussetzungen die Umstrukturierung und Übertragung betrieblicher Wirtschaftsgüter ohne ertragsteuerliche Belastung.

6.41

Buchwertfortführung bei betrieblichen Übertragungen und Überführungen. Auch bei Übertragungen und Überführungen betrieblicher Einzelwirtschaftsgüter wird unter den Voraussetzungen von § 6 Abs. 5 EStG die Aufdeckung stiller Reserven vermieden. Die Vorschrift sieht eine Buchwertfortführung zum einen für die Überführung eines betrieblichen Einzelwirtschaftsguts von einem Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen in ein anderes Betriebsver-

1 BMF v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10002, BStBl. I 2019, 6, unter VI; ebenso schon BMF v. 20.12.2016 – IV C 6 - S 2242/07/10002:004, BStBl. I 2017, 36 Rz. VI; Kauffmann in Frotscher, § 16 EStG Rz. 177ac (Stand: November 2013); Kulosa in HHR, § 16 EStG Rz. 556 (Stand: Januar 2019); Musil, DB 2005, 1291 (1295); Wacker in Schmidt39, § 16 EStG Rz. 548. 2 BMF v. 20.12.2016 – IV C 6 - S 2242/07/10002:004, BStBl. I 2017, 36 Rz. VI. 3 Zur Veranschaulichung s. das Beispiel bei Wacker in Schmidt39, § 16 EStG Rz. 548. 4 Vgl. Kauffmann in Frotscher, § 16 EStG Rz. 177ae (Stand: November 2013). 5 BFH v. 17.9.2015 – III R 49/13, BStBl. II 2017 Rz. 37; FG Hamburg v. 18.4.2012 – 3 K 89/11, BB 2012, 2622; Kulosa in HHR, § 16 EStG Rz. 557 (Stand: Januar 2019). 6 So offenbar BFH v. 1.12.1992 – VIII R 57/90, BStBl. II 1994, 607; a.A. Schallmoser in Blümich, § 16 EStG Rz. 420 (Stand: August 2017) m.w.N.; Wacker in Schmidt39, § 16 EStG Rz. 550; zurückhaltend Graw, NWB 2017, 1498 (1506); Kauffmann in Frotscher, § 16 EStG Rz. 177ae (Stand: November 2013); Kulosa in HHR, § 16 EStG Rz. 556 (Stand: Januar 2019).

374 | Wiese/Lukas

B. Einkommensteuer | Rz. 6.43 Kap. 6

mögen desselben Steuerpflichtigen vor, sofern die Besteuerung der stillen Reserven sichergestellt ist (§ 6 Abs. 5 Satz 1 EStG). Gleiches gilt für die Überführung aus dem eigenen Betriebsvermögen in das Sonderbetriebsvermögen desselben Steuerpflichtigen bei einer Mitunternehmerschaft (und umgekehrt) sowie für die Überführung zwischen verschiedenen Sonderbetriebsvermögen desselben Steuerpflichtigen bei verschiedenen Mitunternehmerschaften (§ 6 Abs. 5 Satz 2 EStG). Zum anderen sind die Buchwerte anzusetzen, wenn mit dem Vorgang ein Rechtsträgerwechsel verbunden ist, z.B. bei der Übertragung eines Einzelwirtschaftsguts zwischen dem Betriebsvermögen eines Mitunternehmers und dem Gesamthandsvermögen der Mitunternehmerschaft (§ 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 EStG) oder aus dem Sonderbetriebsbereich eines Mitunternehmers in das Gesamthandsvermögen derselben Mitunternehmerschaft (§ 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 EStG). Die Buchwertfortführung setzt jeweils voraus, dass die Übertragung unentgeltlich oder gegen Gewährung oder Minderung von Gesellschaftsrechten erfolgt. Dass eine Buchwertfortführung in all diesen Fällen geboten ist, gilt als unumstritten. Die Buchwertfortführung ist zwingend, ein Wahlrecht besteht insoweit nicht.1 Im Einzelnen sehen § 6 Abs. 5 Satz 4 ff. EStG weitere Voraussetzungen (insbesondere Sperrfristen) vor, bei deren Nichtbeachtung rückwirkend auf den Zeitpunkt der Übertragung der Teilwert anzusetzen ist. Unentgeltliche Übertragung. Voraussetzung für die Buchwertfortführung bei diesen Übertragungsvorgängen ist stets, dass die Übertragungen unentgeltlich oder gegen Gewährung oder Minderung von Gesellschaftsrechten erfolgen. Entscheidend für das Vorliegen eines unentgeltlichen Geschäfts ist, dass derjenige, der das Wirtschaftsgut überträgt, hierfür keine Gegenleistung erhält. Eine Gegenleistung ist z.B. auch die Einräumung einer Darlehensforderung durch die Mitunternehmerschaft oder die Übernahme von Verbindlichkeiten.2 Wird im Gegenzug für die Übertragung ein Teilentgelt gezahlt, führt das Teilentgelt nach Ansicht der Finanzverwaltung im Umfang der Entgeltlichkeitsquote zur Realisierung stiller Reserven (sog. strenge Trennungstheorie).3 Die Rechtsprechung neigt verstärkt der Trennungstheorie mit vorrangiger Zuordnung des Buchwerts zum entgeltlichen Teil zu (sog. modifizierte Trennungstheorie), so dass kein Gewinn realisiert wird, wenn das Teilentgelt den gesamten Buchwert nicht übersteigt.4

6.42

Übertragung zwischen Schwester-Personengesellschaften. Umstritten ist, ob die Übertragung betrieblicher Einzelwirtschaftsgüter zwischen Schwester-Personengesellschaften ein Anwendungsfall von § 6 Abs. 5 EStG ist. Im Wortlaut der Vorschrift findet sich diese Konstellation nicht wieder. Nach Ansicht des I. Senats des BFH kann sie auch nicht über eine analoge Anwendung von § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG in die Buchwertfortführung einbezogen werden.5 Die-

6.43

1 Kulosa in Schmidt39, § 6 EStG Rz. 684, 687, 706; Niehus/Wilke in HHR, § 6 EStG Rz. 1540, 1547, 1575 (Stand: September 2015). 2 Kulosa in Schmidt39, § 6 EStG Rz. 696 m.w.N. 3 BMF v. 8.12.2011 – IV C 6 - S 2241/10/10002, BStBl. I 2011, 1279 Rz. 15. 4 So etwa in BFH v. 21.6.2012 – IV R 1/08, BFH/NV 2012, 1536; s. hierzu auch Kulosa in Schmidt39, § 6 EStG Rz. 697; dabei ist zu beachten, dass die bisherige Rechtsprechung des IV. Senats Sonderkonstellationen betrifft. Diese Rechtsprechung wendete die Finanzverwaltung unter Hinweis auf das Revisionsverfahren X R 28/12 nicht an, s. BMF v. 12.9.2013 – IV C 6 - S 2241/10/10002, BStBl. I 2013, 1164. Das Revisionsverfahren X R 28/12 und die in dieser Sache erfolgte Vorlage vor den Großen Senat des BFH (Az. GrS 1/16) sind zwischenzeitlich nach Entfallen des Rechtsgrundes beendet worden, s. BFH v. 30.10.2018 – X R 28/12, BFH/NV 2019, 39. BMF v. 12.9.2013 – IV C 6 - S 2241/10/10002, BStBl. I 2013, 1164 wurde daraufhin um den Hinweis ergänzt, dass an der strengen Trennungstheorie festgehalten wird. 5 BFH v. 25.11.2009 – I R 72/08, BStBl. II 2010, 471.

Wiese/Lukas | 375

Kap. 6 Rz. 6.43 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

se Ansicht teilt die Finanzverwaltung.1 Nach Ansicht des IV. Senats soll demgegenüber auch in diesen Fällen die Buchwertfortführung möglich sein.2 Der I. Senat hat in der Frage mittlerweile das BVerfG angerufen.3

2. Entgeltliche und teilentgeltliche Übertragung a) Übertragung im Austausch mit einer Gegenleistung aa) Abgrenzung entgeltlicher und unentgeltlicher Übertragungen

6.44

Bedeutung der Abgrenzung bei der Unternehmensnachfolge. Statt das unternehmerische Vermögen unentgeltlich zu übertragen, kann der Übertragende von dem Erwerber auch eine Gegenleistung verlangen. In diesem Fall stellt sich die Frage, wie die Gewährung der Gegenleistung steuerlich zu beurteilen ist. Im Rahmen der Unternehmensnachfolge stellt sich die Frage nach einer Gegenleistung nicht nur dann, wenn der Erwerber unmittelbar an den Übertragenden eine Gegenleistung für die Übertragung des unternehmerischen Vermögens erbringt (Abstandszahlung), sondern z.B. auch dann, wenn er Verbindlichkeiten des Übertragenden übernimmt oder sich zur Zahlung eines Gleichstellungsgeldes an andere Angehörige oder Dritte verpflichtet.4

6.45

Unentgeltliche Übertragung. Eine Übertragung erfolgt unentgeltlich, wenn der Erwerber für die Vermögensübertragung keinerlei Gegenleistung erbringt. Keine Gegenleistung stellt die Gewährung von Versorgungsleistungen i.S.v. § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG (s. Rz. 6.56) und von Unterhaltsleistungen i.S.v. § 12 Nr. 2 EStG dar. Bei der Übernahme von Verbindlichkeiten ist zu differenzieren: Auch wenn die Übernahme von Verbindlichkeiten des Übertragenden durch den Erwerber grundsätzlich eine Gegenleistung für die Übertragung des unternehmerischen Vermögens darstellt, liegt ein unentgeltliches Geschäft vor, soweit die Übertragung eines Gewerbebetriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils auch die Übertragung der betrieblichen Verbindlichkeiten einschließt. Dem liegt die Wertung zugrunde, dass die übernommenen betrieblichen Verbindlichkeiten Teil des übertragenen unternehmerischen Vermögens und als solches selbst Gegenstand der Übertragung sind.5 Daher erfolgt die Übertragung in diesen Fällen unentgeltlich und mithin nach § 6 Abs. 3 EStG zu Buchwerten, solange der Erwerber daneben nicht Abstandszahlungen oder Gleichstellungsgelder zahlt oder sonstige, private Verbindlichkeiten des Übertragenden übernimmt. Dies gilt auch dann, wenn die übertragene betriebliche Einheit über ein negatives Kapitalkonto verfügt.6

6.46

Entgeltliche Übertragung. Erfolgt die Vermögensübertragung im Austausch mit einer fremdüblichen – d.h. gleichwertigen – Gegenleistung, liegt eine (voll) entgeltliche Übertragung vor.7 Ausnahmsweise ist trotz objektiver Ungleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung eine entgeltliche Übertragung anzunehmen, wenn die Beteiligten subjektiv von der Gleichwertigkeit ausgegangen sind.8

1 2 3 4 5

BMF v. 8.12.2011 – IV C 6 - S 2241/10/10002, BStBl. I 2011, 1279 Rz. 18. BFH v. 15.4.2010 – IV B 105/09, BStBl. II 2010, 971. BVerfG – 2 BvL 8/13; Vorlagebeschluss des BFH v. 10.4.2013 – I R 80/12, BStBl. II 2013, 1004. Wacker in Schmidt39, § 16 EStG Rz. 48 m.w.N. BFH v. 5.7.1990 – GrS 4-6/89, BStBl. II 1990, 847 (854); BMF v. 13.1.1993 – IV B 3 - S 2190 – 37/ 92, BStBl. I 1993, 80 Rz. 29, 30. 6 Korn/Strahl in Korn, § 6 EStG Rz. 474.2 (Stand: Februar 2017). 7 BMF v. 13.1.1993 – IV B 3 - S 2190 – 37/92, BStBl. I 1993, 80 Rz. 2. 8 BMF v. 13.1.1993 – IV B 3 - S 2190 – 37/92, BStBl. I 1993, 80 Rz. 2.

376 | Wiese/Lukas

B. Einkommensteuer | Rz. 6.50 Kap. 6

Steuerliche Anerkennung eines entgeltlichen Geschäfts bei „symbolischen Kaufpreisen“. Vorsicht ist geboten bei „symbolischen Kaufpreisen“. Eine Veräußerung und damit eine entgeltliche Übertragung kann zwar – selbst unter nahen Angehörigen – auch bei einem nur symbolisch vereinbarten Entgelt (etwa i.H.v. 1 Euro) vorliegen. Das ist nach Ansicht der Rechtsprechung aber regelmäßig nur dann der Fall, wenn das übertragene Vermögen sowohl in den Augen der Vertragsparteien als auch objektiv wertlos ist.1 In dem Urteilssachverhalt in der Sache IX R 4/132 übertrugen zwei GmbH-Gesellschafter sämtliche Gesellschaftsanteile an zwei dauerhaft ertraglosen GmbH zu je 1 Euro auf ihre Kinder. Die Übertragenden begehrten die steuerliche Berücksichtigung eines sich daraus ergebenden Veräußerungsverlusts. Nach Ansicht des BFH ist bei Übertragungen unter nahen Angehörigen ohne Entgelt ein entgeltliches Geschäft – und mithin ein daraus resultierender steuerlicher Veräußerungsverlust – bei einer Gesamtwürdigung der Umstände nur anzunehmen, wenn die Wertlosigkeit des Anteils sowohl subjektiv als auch objektiv belegt ist.3 Das wiederum ist eine Tatsachenentscheidung, die dem FG obliegt.4 Somit ist die steuerliche Geltendmachung eines Veräußerungsverlusts im Falle eines symbolischen Kaufpreises unter nahen Angehörigen zwar nicht unmöglich, aber mit vergleichsweise hohen Hürden verbunden. In einer neueren Entscheidung hat der BFH nunmehr ausgeführt, dass nicht schon ein Freundschaftsverhältnis zwischen dem Zuwendenden und dem Empfänger ausreiche, um die Entgeltlichkeit des Geschäfts als widerlegt anzusehen, wenn der Übertragende hohe Anschaffungskosten für den übertragenen Kapitalgesellschaftsanteil getragen hat.5 Unter fremden Dritten bleibt also die Frage, ob eine freigebige Zuwendung gemacht werden wollte, weiterhin Tatfrage, auch wenn ein entsprechendes freundschaftliches Näheverhältnis besteht.

6.47

Teilentgeltliche Übertragung. Eine teilentgeltliche Übertragung liegt vor, wenn sich im Rahmen der Übertragung Leistung und Gegenleistung wertmäßig nicht kaufmännisch abgewogen gegenüberstehen und dieser Umstand den Beteiligten bewusst ist.6 Die teilentgeltliche Übertragung enthält daher sowohl Elemente der unentgeltlichen als auch der entgeltlichen Übertragung.

6.48

bb) Einkommensteuerliche Behandlung Unentgeltliche Übertragung. S. dazu die Ausführungen in Rz. 6.11 ff.

6.49

Entgeltliche Übertragung. Durch die entgeltliche Übertragung eines Betriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils entsteht bei dem Übertragenden ein Veräußerungsgewinn oder -verlust. Der Veräußerungsgewinn ist ggf. nach §§ 16 Abs. 1, Abs. 3, 34 EStG begünstigt. Auch die entgeltliche Übertragung einzelner Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens stellt für den Übertragenden ein Veräußerungsgeschäft und für den Erwerber ein Anschaffungsgeschäft dar. Zu beachten ist, dass – anders als bei der Übertragung betrieblicher Sachgesamtheiten – die Mitübertragung betrieblicher Verbindlichkeiten bei der Übertragung betrieblicher

6.50

1 2 3 4

BFH v. 8.4.2014 – IX R 4/13, BFH/NV 2014, 1201 Rz. 10. BFH v. 8.4.2014 – IX R 4/13, BFH/NV 2014, 1201. BFH v. 8.4.2014 – IX R 4/13, BFH/NV 2014, 1201 Rz. 11. BFH v. 8.4.2014 – IX R 4/13, BFH/NV 2014, 1201 Rz. 13. Der BFH hält ein unabhängiges Sachverständigengutachten als objektiven Beweis für möglich. 5 BFH v. 9.5.2017 – IX R 1/16, DStR 2017, 2426. 6 Vgl. Geissler in HHR, § 16 EStG Rz. 75 (Stand: Januar 2019); Schallmoser in Blümich, § 16 EStG Rz. 22 (Stand: August 2017).

Wiese/Lukas | 377

Kap. 6 Rz. 6.50 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

Einzelwirtschaftsgüter eine Gegenleistung darstellt und eine solche Übertragung daher entgeltlich bzw. teilentgeltlich erfolgt.

6.51

Teilentgeltliche Übertragung. Da sich bei einem teilentgeltlichen Vorgang Elemente der unentgeltlichen und der entgeltlichen Übertragung vereinen, folgt die steuerliche Behandlung entweder allein den Vorgaben für entgeltliche Übertragungen oder allein den Vorgaben für unentgeltliche Übertragungen, und zwar jeweils entweder für den Übertragungsvorgang insgesamt oder nur für einen Teil des Übertragungsvorgangs. Bei der teilentgeltlichen Übertragung ist danach zu unterscheiden, ob Privatvermögen oder Betriebsvermögen übertragen wird und – im Falle der Übertragung von Betriebsvermögen – ob einzelne Wirtschaftsgüter oder betriebliche Sachgesamtheiten (Betriebe, Teilbetriebe, Mitunternehmeranteile) übertragen werden.

6.52

Teilentgeltliche Übertragung betrieblicher Sachgesamtheiten. Die teilentgeltliche Übertragung betrieblicher Sachgesamtheiten ist nach Ansicht von Rechtsprechung und Finanzverwaltung als einheitlicher Vorgang zu behandeln (Einheitstheorie).1 Die Aufteilung in einen entgeltlichen und einen unentgeltlichen Teil unterbleibt. Werden betriebliche Sachgesamtheiten teilentgeltlich übertragen, liegt daher entweder eine in vollem Umfang entgeltliche oder eine in vollem Umfang unentgeltliche Übertragung vor. Für die Abgrenzung maßgeblich ist das steuerliche Kapitalkonto des Übertragenden – dem Verkehrswert des Unternehmens kommt demgegenüber keine Bedeutung zu.2 Übersteigt der Wert der Gegenleistung den buchmäßigen Bestand des steuerlichen Kapitalkontos des Übertragenden, liegt ein voll entgeltlicher Vorgang vor, und es entsteht ein Veräußerungsgewinn.3 Der Veräußerungsgewinn ist durch Gegenüberstellung der Gegenleistung und des steuerlichen Kapitalkontos des Übertragenden zu ermitteln. Unterschreitet der Wert der Gegenleistung das buchmäßige Kapital des Übertragenden, liegt ein voll unentgeltlicher Vorgang vor. Die Buchwerte sind fortzuführen (§ 6 Abs. 3 EStG), und es entsteht kein Verlust.4

6.53

Teilentgeltliche Übertragung betrieblicher Einzelwirtschaftsgüter. Soweit betriebliche Einzelwirtschaftsgüter in ein anderes Betriebsvermögen überführt werden, ist die Trennungstheorie anzuwenden, so dass der Vorgang in einen entgeltlichen und einen unentgeltlichen Teil aufzuteilen ist.5 Umstritten ist jedoch, wie der Veräußerungsgewinn in diesem Fall zu berechnen ist. Die Finanzverwaltung hält an der Trennungstheorie und der damit verbundenen Aufteilung des Buchwerts fest. Danach ist die Übertragung entsprechend dem Verhältnis der Gegenleistung zu dem Verkehrswert des übertragenen Wirtschaftsgutes in einen entgeltlichen Teil und einen unentgeltlichen Teil aufzuteilen (strenge Trennungstheorie).6 Der BFH folgt zwar im Ausgangspunkt ebenfalls der Trennungstheorie, ordnet jedoch den Buchwert vorrangig dem entgeltlichen Teil zu (modifizierte Trennungstheorie).7 Soweit die Gegenleistung den 1 BFH v. 22.9.1994 – IV R 61/93, BStBl. II 1995, 367; BMF v. 13.1.1993 – IV B 3 - S 2190 – 37/92, BStBl. I 1993, 80 Rz. 35 – 38; Geissler in HHR, § 16 EStG Rz. 76 (Stand: Januar 2019); Wacker in Schmidt39, § 16 EStG Rz. 58. 2 BFH v. 16.12.1992 – XI R 34/92, BStBl. II 1993, 436; BMF v. 13.1.1993 – IV B 3 - S 2190 – 37/92, BStBl. I 1993, 80 Rz. 35; Geissler in HHR, § 16 EStG Rz. 76 (Stand: Januar 2019); Wacker in Schmidt39, § 16 EStG Rz. 58. 3 BFH v. 16.12.1992 – XI R 34/92, BStBl. II 1993, 436. 4 Wacker in Schmidt39, § 16 EStG Rz. 58 m.w.N. Die Einheitstheorie gilt sowohl für den Übertragenden als auch für den Erwerber. 5 BMF v. 13.1.1993 – IV B 3 - S 2190 – 37/92, BStBl. I 1993, 80 Rz. 34. 6 BMF v. 8.12.2011 – IV C 6 - S 2241/10/10 002, BStBl. I 2011, 1279 Rz. 15; BMF v. 12.9.2013 – IV C 6 - S 2241/10/100 02, BStBl. I 2013, 1164. 7 BFH v. 19.9.2012 – IV R 11/12, BFH/NV 2012, 1880.

378 | Wiese/Lukas

B. Einkommensteuer | Rz. 6.56 Kap. 6

Buchwert des übertragenen Wirtschaftsguts nicht übersteigt, entsteht nach dieser Auffassung kein Veräußerungsgewinn (s. dazu im Rahmen von § 6 Abs. 5 EStG Rz. 6.43). Teilentgeltliche Übertragung von Privatvermögen. Wird Privatvermögen teilentgeltlich übertragen, ist der Vorgang in einen entgeltlichen und in einen unentgeltlichen Vorgang aufzuteilen (Trennungstheorie). Die Entgeltlichkeitsquote bemisst sich nach dem Verhältnis des Entgelts zu dem Verkehrswert des übertragenen Wirtschaftsguts.1

6.54

b) Übertragung gegen wiederkehrende Leistungen aa) Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen Bedeutung der Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen. Die Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen ermöglicht die Übertragung unternehmerischen Vermögens auf die nächste Generation, ohne dass steuerlich die stillen Reserven in dem übertragenen Vermögen aufgedeckt werden. Das Rechtsinstitut der Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen wurde ursprünglich durch die Rechtsprechung geschaffen und ist mittlerweile in § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG gesetzlich verankert. Da es sich um eine unentgeltliche Übertragung handelt2, besteht die wesentliche Rechtsfolge darin, dass der Übertragende keinen Veräußerungsgewinn realisiert. Durch die Übertragung des Unternehmens gegen Versorgungsleistungen wird daher zum einen der Fortbestand des Unternehmens und zum anderen die Versorgung des Übertragenden abgesichert.

6.55

Unentgeltlichkeit. Die Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen ist eine (wenigstens teilweise) unentgeltliche Übertragung. Erfolgt die Vermögensübertragung auf Abkömmlinge, besteht eine widerlegbare Vermutung dafür, dass die wiederkehrenden Leistungen unabhängig vom Wert des übertragenen Vermögens nach dem Versorgungsbedürfnis des Berechtigten und nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Verpflichteten bemessen sind.3 Bei der Übertragung auf Abkömmlinge wird daher vermutet, dass die Übertragung aus familiären Gründen, nicht aber im Wege eines Veräußerungsgeschäfts unter kaufmännischer Abwägung von Leistung und Gegenleistung erfolgt.4 Diese Vermutung ist widerlegt, wenn die Beteiligten Leistung und Gegenleistung nach kaufmännischen Gesichtspunkten gegeneinander abgewogen haben und subjektiv von der Gleichwertigkeit der beiderseitigen Leistungen ausgehen durften, auch wenn Leistung und Gegenleistung objektiv ungleichwertig sind.5 – Unter fremdem Dritten besteht demgegenüber eine nur in Ausnahmefällen zu widerlegende Vermutung, dass bei der Übertragung von Vermögen Leistung und Gegenleistung kaufmännisch gegeneinander abgewogen sind.6

6.56

1 BMF v. 13.1.1993 – IV B 3 - S 2190 – 37/92, BStBl. I 1993, 80 Rz. 14; BFH v. 17.7.1980 – IV R 15/ 76, BStBl. II 1981, 11; umstritten ist, ob die neueren Entscheidungen des IV. Senats hieran etwas geändert haben. Ablehnend etwa Kulosa in Schmidt39, § 6 EStG Rz. 697; Stahl, BeSt 2013, 3; a.A. etwa Demuth, EStB 2012, 457 (459). 2 BMF v. 11.3.2010 – IV C 3 - S 2221/08/10 004, BStBl. I 2010, 227 Rz. 5. 3 BMF v. 11.3.2010 – IV C 3 - S 2221/08/10 004, BStBl. I 2010, 227 Rz. 5. 4 BFH v. 5.7.1990 – GrS 4-6/89, BStBl. II 1990, 847 Rz. 53; BMF v. 13.1.1993 – IV B 3 - S 2190 – 37/92, BStBl. I 1993, 80 Rz. 5; BMF v. 11.3.2010 – IV C 3 - S 2221/08/10 004, BStBl. I 2010, 227 Rz. 5; El Mourabit, ZEV 2016, 14 (17). 5 BMF v. 11.3.2010 – IV C 3 - S 2221/08/10 004, BStBl. I 2010, 227 Rz. 5. 6 BMF v. 11.3.2010 – IV C 3 - S 2221/08/10 004, BStBl. I 2010, 227 Rz. 6.

Wiese/Lukas | 379

Kap. 6 Rz. 6.57 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

6.57

Versorgungsleistungen. Der Begriff der Versorgungsleistungen umfasst sowohl Renten als auch dauernde Lasten. Wesensmerkmal einer Rente ist eine der Höhe nach gleichbleibende und in gleichmäßigen Zeitabständen zu erbringende Leistung.1 Sind die wiederkehrenden Leistungen nicht gleichbleibend, sondern liegen abänderbare Bezüge vor, handelt es sich um eine dauernde Last.2 Auch muss der Leistungsinhalt einer dauernden Last nicht zwingend in Geld oder vertretbaren Sache bestehen.3 Für die ertragsteuerliche Beurteilung von Versorgungsleistungen, die aufgrund von Versorgungsverträgen gewährt werden, die nach dem 1.1.2008 abgeschlossen werden, ist die Abgrenzung zwischen einer Leibrente und einer dauernden Last daher nicht mehr erforderlich.4

6.58

Übertragungsgegenstand. Nach § 10 Abs. 1a Nr. 2 Satz 2 EStG beschränkt sich der Anwendungsbereich der Übergabe gegen Versorgungsleistungen auf die Übertragung von Anteilen an land- und forstwirtschaftlich, gewerblich oder freiberuflich tätigen Mitunternehmerschaften (§ 10 Abs. 1a Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG), von Betrieben und Teilbetrieben (§ 10 Abs. 1a Nr. 2 Satz 2 Buchst. b EStG) und eines GmbH-Anteils, wenn die Beteiligung mindestens 50 % beträgt, der Übergeber als Geschäftsführer tätig war und der Übernehmer diese Tätigkeit nach der Übertragung übernimmt (§ 10 Abs. 1a Nr. 2 Satz 2 Buchst. c EStG). Nicht erfasst ist daher insbesondere die Übertragung von Grundstücken, Wertpapieren und Geld gegen Versorgungsleistungen. Dem Charakter der Versorgungsleistung entsprechend – Versorgung des Übertragenden bis zu seinem Tode – muss die Versorgungsleistung grundsätzlich eine Leistung auf Lebenszeit sein (§ 10 Abs. 1a Nr. 2 Satz 1 EStG). Leibrenten und dauernde Lasten auf Lebenszeit erfüllen diese Voraussetzungen regelmäßig. Die dem Institut der Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen zugrunde liegende Wertung – der Vermögensübergeber behält sich als Beitrag zu seiner Existenzsicherung künftige Erträge seines Vermögens vor, die nunmehr vom Nachfolger erwirtschaftet werden müssen5 – rückt sie konzeptionell in die Nähe einer Übertragung unter Nießbrauchsvorbehalt (dazu Rz. 6.76 ff.). Bei dem übertragenen Vermögen muss es sich daher um ertragbringendes Vermögen handeln.6

6.59

Nachträgliche Veränderungen. Sämtliche Voraussetzungen für das Vorliegen von Versorgungsleistungen müssen im Übergabevertrag enthalten sein und im Zeitpunkt der Zahlung vorliegen7. Abweichungen von einer vertragsgemäßen Durchführung sind in der Regel schädlich. Die Umschichtung des übertragenen Vermögens kann im Einzelfall zum Entfallen der Abzugsvoraussetzungen führen, auch wenn die Fortführung des Unternehmens durch den Unternehmer nicht stets Abzugsvoraussetzung ist.8

6.60

Steuerliche Behandlung. Die Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen ist steuerlich ein unentgeltlicher Übertragungsvorgang. Die Versorgungsleistungen stellen weder Veräuße1 Nacke in Blümich, § 22 EStG Rz. 46 (Stand: Juni 2018). 2 Thürmer in Blümich, § 9 EStG Rz. 219 (Stand: Juni 2018); Bauschatz in Korn, § 10 EStG Rz. 230.3.2012 (Stand: September 2015). 3 Weber-Grellet in Schmidt39, § 22 EStG Rz. 47. 4 S. Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (AOZKAnpG), Gesetz v. 22.12.2014, BGBl. I 2014, 2417 (2422, 2425); zur bis dahin notwendigen Unterscheidung in steuerlicher Hinsicht s. etwa BFH v. 18.7.2013 – X B 75/12, BFH/NV 2013, 1574. 5 BMF v. 11.3.2010 – IV C 3 - S 2221/09/10004, BStBl. I 2010, 227 Rz. 3; Bauschatz in Korn, § 10 EStG Rz. 230.3.2024 (Stand: September 2015). 6 BMF v. 11.3.2010 – IV C 3 - S 2221/09/10004, BStBl. I 2010, 227 Rz. 26 ff. 7 Krüger in Schmidt39, § 10 EStG Rz. 144. 8 Zu Einzelheiten s. Krüger in Schmidt39, § 10 EStG Rz. 144.

380 | Wiese/Lukas

B. Einkommensteuer | Rz. 6.64 Kap. 6

rungsentgelt des Übergebers noch Anschaffungskosten des Übernehmers dar. Bei dem Leistenden sind die Versorgungsleistungen in vollem Umfang als Sonderausgaben abziehbar (§ 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG). Bei dem Empfänger der Versorgungsleistungen sind diese vollumfänglich als sonstige Einkünfte zu erfassen, soweit hierfür die Voraussetzungen für den Sonderausgabenabzug beim Leistenden vorliegen (§ 22 Nr. 1a EStG). bb) Abgrenzung von Kaufpreisraten und Unterhaltsleistungen

Abgrenzungskriterien. Wiederkehrende Leistungen, die im Zusammenhang mit einer Vermögensübertragung gewährt werden, können steuerlich als Versorgungsleistungen i.S.v. § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG, als Unterhaltsleistungen (vgl. § 12 EStG) oder als Entgelt im Rahmen eines Veräußerungsgeschäfts (Kaufpreisraten) einzuordnen sein.1 Die Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen ist ein unentgeltlicher Übertragungsvorgang. Das unterscheidet die Versorgungsleistungen von Kaufpreisraten, die ein Entgelt für die Vermögensübertragung sind. Die Versorgungsleistungen führen daher – im Gegensatz zu Kaufpreisraten – weder zu einem Veräußerungsgewinn noch zu Anschaffungskosten. Die Abgrenzung von Versorgungsleistungen zu Unterhaltsleistungen muss demgegenüber nach anderen Maßstäben erfolgen, da – anders als im Erbschaftsteuerrecht – sowohl die Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen als auch die Übertragung unter Vereinbarung von Unterhaltsleistungen unentgeltliche Übertragungen sind. Die Höhe von Unterhaltsleistungen orientiert sich in aller Regel an den persönlichen Bedürfnissen des Übertragenden. Da die Unterhaltsleistungen technisch nicht oder nicht vollständig aus dem übertragenen Vermögen bestritten werden, liegen insoweit auch keine vorbehaltenen Erträge des übertragenen Vermögens vor. In dieser Loslösung der Unterhaltsleistungen von den Erträgen des übertragenen Vermögens liegt der wesentliche Unterschied zu den Versorgungsleistungen. Im Gegensatz zu den Versorgungsleistungen können Unterhaltsleistungen steuerlich nicht als Sonderausgaben abgezogen werden (§ 12 Nr. 2 EStG). Korrespondierend hiermit sind sie bei dem Empfänger der Leistung auch nicht steuerbar (§ 22 Nr. 1 Satz 2 EStG).

6.61

Prüfungsreihenfolge. Soll unternehmerisches Vermögen im Austausch mit wiederkehrenden Leistungen an den Erwerber übergeben werden, ist zunächst zu prüfen, ob Versorgungsleistungen vorliegen. Ist dies nicht der Fall, ist sodann zu prüfen, ob die Leistungen des Erwerbers eine Gegenleistung für die Vermögensübergabe darstellen. Erst anschließend stellt sich die Frage, ob eine Unterhaltsleistung vorliegt.

6.62

1. Schritt: Abgrenzung von Versorgungsleistungen und Kaufpreisraten. Eine Vermögensübergabe gegen Kaufpreisraten liegt zum einen vor, wenn entweder die Beteiligten Leistung und Gegenleistung nach kaufmännischen Gesichtspunkten gegeneinander abgewogen haben oder subjektiv von der Gleichwertigkeit der beiderseitigen Leistungen ausgehen, auch wenn Leistung und Gegenleistung nicht gleichwertig sind. Zum anderen kann eine Vermögensübergabe gegen Kaufpreisraten gegeben sein, wenn die wiederkehrenden Leistungen die Voraussetzungen der Versorgungsleistungen i.S.v. § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG nicht erfüllen (z.B. wenn Leistungen auf fest bestimmte Zeit erbracht werden oder kein begünstigtes Vermögen übergegeben wird).

6.63

2. Schritt: Abgrenzung von Kaufpreisraten und Unterhaltsleistungen. Unterschreitet der Barwert der wiederkehrenden Leistungen den Wert des übertragenen Vermögens, handelt es sich um eine teilentgeltliche Übertragung. Ob diese steuerlich als entgeltliches oder als unentgeltliches Geschäft einzuordnen ist, bestimmt sich nach den Maßstäben der Trennungstheorie

6.64

1 Bauschatz in Korn, § 10 EStG Rz. 230.3.5 (Stand: September 2015); s. hier auch eine Übersicht der genannten Einordnungsfälle.

Wiese/Lukas | 381

Kap. 6 Rz. 6.64 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

und der Einheitstheorie (hierzu s. Rz. 6.39). Übersteigt der Barwert der wiederkehrenden Leistungen den Wert des übertragenen Vermögens, nimmt die Finanzverwaltung Entgeltlichkeit in Höhe des Verkehrswerts des übertragenen Vermögens an. Der übersteigende Betrag ist eine Unterhaltsleistung i.S.v. § 12 Nr. 2 EStG. Eine Unterhaltsleistung i.S.v. § 12 Nr. 2 EStG ist insgesamt gegeben, wenn der Barwert der wiederkehrenden Leistungen mehr als doppelt so hoch ist wie der Wert des übertragenen Vermögens.1 cc) Sonderthema: Besteuerungszeitpunkt bei Vereinbarung einer Kaufpreisrente

6.65

Steuerliches Wahlrecht bei Betriebsveräußerungsrente. Wird im Zusammenhang mit einer Betriebsveräußerung eine lebenslange Kaufpreisrente vereinbart, so kann der Steuerpflichtige den Veräußerungsgewinn wahlweise sofort versteuern. In diesem Fall ermittelt sich der Veräußerungsgewinn i.S.v. § 16 EStG als Unterschiedsbetrag zwischen dem nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes ermittelten Barwert der Rente (vermindert um etwaige Veräußerungskosten des Steuerpflichtigen) und dem Buchwert des steuerlichen Kapitalkontos im Zeitpunkt der Betriebsveräußerung. Die in den Rentenzahlungen enthaltenen Ertragsanteile sind sonstige Einkünfte nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG.2 Alternativ kann der Steuerpflichtige die Rentenzahlungen als nachträgliche – nicht tarifbegünstigte – Betriebseinnahmen i.S.v. § 15 i.V.m. § 24 Nr. 2 EStG behandeln. In diesem Fall entsteht ein Gewinn, wenn der Kapitalanteil der wiederkehrenden Leistungen das steuerliche Kapitalkonto des Veräußerers zzgl. etwaiger Veräußerungskosten übersteigt. Die Besteuerung setzt daher erst dann ein, wenn der Kapitalanteil der wiederkehrenden Leistungen in der Summe den Betrag des Kapitalkontos übersteigt. Der in den wiederkehrenden Leistungen enthaltene Zinsanteil stellt bereits im Zeitpunkt des Zuflusses nachträgliche Betriebseinnahmen dar.3 Wählt der Veräußerer die Behandlung der Zahlungen als laufende nachträgliche Einkünfte aus Gewerbebetrieb, sind der Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG und die Steuerbegünstigung nach § 34 EStG nach Ansicht der Finanzverwaltung nicht zu gewähren.4

6.66

Wahlrecht auch bei Übertragung einer wesentlichen Beteiligung. Dieses Wahlrecht steht dem Veräußerer auch bei der Übertragung einer wesentlichen Beteiligung i.S.v. § 17 EStG zu, wenn die Beteiligung gegen eine Leibrente oder gegen einen in Raten zu zahlenden Kaufpreis veräußert wird.5 Bei der Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft treten an die Stelle des Kapitalkontos des verkauften Betriebs die Anschaffungskosten der Anteile.6 Bei einem Verkauf von Kapitalgesellschaftsanteilen wird der Zinsanteil jedoch höher besteuert als der Kapitalanteil der Rente, der dem Teileinkünfteverfahren unterliegt; damit kommt der Aufteilung größere Bedeutung als beim Verkauf eines Betriebs zu. Nach Ansicht der Finanzverwaltung hat auch bei Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung die Aufteilung in einen Ertrags- und in einen Zinsanteil zu erfolgen7; der BFH hat die Frage, ob die Zahlungen in einen (dem Teileinkünfteverfahren unterliegenden) Tilgungsanteil und in einen Zinsanteil aufzuteilen sind, bislang offengelassen.8 1 2 3 4 5 6 7 8

BMF v. 11.3.2010 – IV C 3 - S 2221/09/10004, BStBl. I 2010, 227 Rz. 66. R 16(11) EStR 2012 Satz 1 bis 5. R 16(11) EStR 2012 Satz 6 ff. H 16(11) EStH 2012 „Freibetrag“. BFH v. 18.11.2014 – IX R 4/14, BStBl. II 2015, 526; R 17(7) EStR 2012 Satz 2. BMF v. 3.8.2004 – IV A 6 - S 2244 – 16/04, BStBl. I 2004, 1187. Vgl. R 17(7) EStR 2012 Satz 2. BFH v. 18.11.2014 – IX R 4/14, BStBl. II 2015, 526 Rz. 14–16; wohl aber für die Aufteilung, Broekelschen/Kohlmann, DStR 2009, 1161 (1168); Weber-Grellet in Schmidt39, § 17 EStG Rz. 206.

382 | Wiese/Lukas

B. Einkommensteuer | Rz. 6.70 Kap. 6

3. Sonderthemen a) Betriebsaufspaltung aa) Die Betriebsaufspaltung in der Unternehmensnachfolge Begriff der Betriebsaufspaltung. Eine Betriebsaufspaltung liegt vor, wenn eine einheitliche unternehmerische Betätigung von einem sog. Besitzunternehmen und einem sog. Betriebsunternehmen ausgeübt wird. Die Aufteilung in Besitz- und Betriebsunternehmen kann durch eine Aufteilung eines einheitlichen Unternehmens erfolgen (echte Betriebsaufspaltung), oder diese beiden Unternehmen bestehen von Anfang an (unechte Betriebsaufspaltung).1 Die für eine Betriebsaufspaltung erforderliche sachliche Verflechtung beider Unternehmen wird mittels Überlassung einer wesentlichen Betriebsgrundlage durch das Besitzunternehmen an das Betriebsunternehmen hergestellt. Die darüber hinaus erforderliche personelle Verflechtung ergibt sich aus dem beherrschenden Einfluss der Besitzunternehmen-Gesellschafter bei dem Betriebsunternehmen. Klassischerweise überlässt ein Besitzunternehmen in der Rechtsform der Personengesellschaft oder eines Einzelunternehmens Wirtschaftsgüter an ein Betriebsunternehmen in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft. Wesentliche Rechtsfolge der Betriebsaufspaltung ist, dass sowohl die überlassenen Wirtschaftsgüter als auch die Anteile an dem Betriebsunternehmen steuerliches Betriebsvermögen bei dem Besitzunternehmen werden. Die ihrer Art nach vermögensverwaltende Tätigkeit des Besitzunternehmens wird steuerlich zum Gewerbebetrieb, so dass das Besitzunternehmen gewerbliche Einkünfte i.S.v. § 15 EStG erzielt.

6.67

Bedeutung der Betriebsaufspaltung für die Unternehmensnachfolge. Die Betriebsaufspaltung kann einerseits gezielt als Instrument der Unternehmensnachfolge eingesetzt werden. Andererseits besteht in Nachfolgesituationen das Risiko, dass eine bestehende Betriebsaufspaltung zwangsweise beendet wird oder eine ungewollte Betriebsaufspaltung infolge der Nachfolge entsteht.

6.68

bb) Steuerliche Rahmenbedingungen der Betriebsaufspaltung Buchwertfortführung nach § 6 Abs. 3 EStG. Werden im Zuge der Unternehmensnachfolge Anteile am Besitz- und Betriebsunternehmen unentgeltlich übertragen, sind unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 EStG die Buchwerte fortzuführen. Um eine zwangsweise Betriebsaufgabe i.S.v. § 16 Abs. 3 EStG zu vermeiden, sind die personelle und sachliche Verflechtung als Voraussetzungen der Betriebsaufspaltung beizubehalten. Gesellschaftsvertragliche Regelungen und Verfügungen von Todes wegen müssen daher so aufeinander abgestimmt werden, dass die vor der Übertragung bestehende Betriebsaufspaltung erhalten bleibt.2

6.69

Gestaltungsoption: Begründung einer Betriebsaufspaltung zur Durchführung der Unternehmensnachfolge. Die Betriebsaufspaltung bietet sich als Nachfolgeinstrument an, wenn sich der Übertragende das wesentliche Unternehmensvermögen vorbehalten, die Geschäftsführung aber in die Hände des Nachfolgers geben möchte. Das Unternehmen wird zu diesem Zweck in zwei rechtlich selbständige Unternehmen aufgeteilt, und lediglich Anteile an dem Betriebsunternehmen werden an den Nachfolger übertragen.3 Über die Anteile an der Besitz-

6.70

1 Bode in Blümich, § 15 EStG Rz. 647 (Stand: Dezember 2018); Carlé in Korn, § 15 EStG Rz. 417 ff. (Stand: März 2006); Gluth in HHR, § 15 EStG Rz. 836 (Stand: August 2017). 2 Vgl. Gluth in HHR, § 15 EStG Rz. 836 (Stand: August 2017). 3 Zur Betriebsaufspaltung als Mittel zur Asset-Protection bei Familienunternehmen s. Werner, StBW 2015, 672.

Wiese/Lukas | 383

Kap. 6 Rz. 6.70 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

gesellschaft, die der gewerblich tätigen Betriebsgesellschaft das wesentliche Anlagevermögen überlässt, sichert sich der Übertragende das Anlagevermögen.

6.71

Begründung einer Betriebsaufspaltung durch Unternehmensnachfolge. Durch im Zuge der Nachfolge vorgenommene Übertragungsvorgänge kann eine – ggf. unerkannte – Betriebsaufspaltung entstehen. Gerade bei Familienunternehmen wird oftmals das Wiesbadener Modell gewählt, bei dem ein Ehegatte die Anteile an der Betriebsgesellschaft erhält und der andere Ehegatte Alleineigentümer einer wesentlichen Betriebsgrundlage ist.1 Dies verhindert zunächst das Entstehen einer Betriebsaufspaltung, weil die Gesellschafter nicht jeweils gleichzeitig am Besitz- und am Betriebsunternehmen beteiligt sind. Wird jedoch infolge der Übertragung von Gesellschaftsanteilen im Zuge der Nachfolge eine Person oder Personengruppe an beiden Unternehmen maßgeblich beteiligt, kann hierdurch eine Betriebsaufspaltung entstehen. Das ist z.B. auch der Fall, wenn der überlebende Ehegatte Alleinerbe wird. So führt im Falle eines Berliner Testaments (§ 2269 BGB), bei dem der überlebende Ehegatte mit dem Tod des Erstverstorbenen alleiniger Vorerbe wird2, der Tod eines Ehegatten zwangsläufig zum Entstehen einer Betriebsaufspaltung. Dem kann durch entsprechende testamentarische Regelungen begegnet werden, die sicherstellen, dass keine Person oder Personengruppe im Besitz- und im Betriebsunternehmen einen einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillen entfalten kann.

6.72

Risiko: Beendigung einer bestehenden Betriebsaufspaltung durch Unternehmensnachfolge. Andererseits kann durch Übertragungsvorgänge im Zuge der Nachfolge – ggf. ungewollt und unerkannt – eine bestehende Betriebsaufspaltung beendet werden. Steuerlich führt dies zu der in der Regel unerwünschten Rechtsfolge, dass die stillen Reserven im Besitzunternehmen aufzudecken sind: Die Beendigung der Betriebsaufspaltung ist eine Betriebsaufgabe des Besitzunternehmens i.S.v. § 16 Abs. 3 Satz 1 EStG.3 Die steuerwirksame Gewinnrealisierung umfasst neben den Wirtschaftsgütern, die an das Betriebsunternehmen überlassen werden, auch die Anteile am Betriebsunternehmen, da diese zum notwendigen Betriebsvermögen des Besitzunternehmens zählen; insoweit findet aber ggf. das Teileinkünfteverfahren Anwendung.4 Um die Aufdeckung stiller Reserven zu vermeiden, ist sicherzustellen, dass die Anteile am Betriebsunternehmen nicht auf einen anderen Rechtsträger übergehen als die Anteile an dem Besitzunternehmen. Dies gilt umso mehr, als eine Wiederherstellung der personellen Verflechtung im Anschluss an den Erbfall die Rechtsfolgen der Betriebsaufgabe nicht entfallen lässt.5 Davon zu unterscheiden sind die Fälle, in denen die Betriebsaufspaltung im Vorfeld der Unternehmensnachfolge bewusst beendet wird, indem Besitz- und Betriebsunternehmen steu-

1 Kesseler, DStR 2015, 1189. 2 Weidlich in Palandt79, § 2269 BGB Rz. 1. 3 Bode in Blümich, § 15 EStG Rz. 647 (Stand: Dezember 2018); Gluth in HHR, § 15 EStG Rz. 838 (Stand: August 2017); Wacker in Schmidt39, § 15 EStG Rz. 865. Dies soll jedoch nicht gelten, wenn das Besitzunternehmen noch aus anderen Gründen gewerbliche Einkünfte erzielt und damit vor der zwangsweisen Beendigung der Betriebsaufspaltung begonnen hat oder wenn die weitere Überlassung der Wirtschaftsgüter an die Betriebsgesellschaft die Voraussetzungen einer Betriebsverpachtung erfüllt, Esskandari, ZEV 2012, 249, 251; Gluth in HHR, § 15 EStG Rz. 839 (Stand: August 2017); Wacker in Schmidt39, § 15 EStG Rz. 865. 4 Bode in Blümich, § 15 EStG Rz. 647 (Stand: Dezember 2018); Gluth in HHR, § 15 EStG Rz. 838 (Stand: August 2017); Wacker in Schmidt39, § 15 EStG Rz. 865; zur Anwendbarkeit des Teileinkünfteverfahrens s. Erhard in Blümich, § 3 Nr. 40 EStG Rz. 20 (Stand: Oktober 2018) m.w.N.; Tormöhlen/Korn in Korn, § 3 Nr. 40 EStG Rz. 28 (Stand: Juli 2018). 5 Vgl. Esskandari, ZEV 2012, 249 (251).

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B. Einkommensteuer | Rz. 6.74 Kap. 6

erneutral zu einem einheitlichen Unternehmen zusammengeführt werden, z.B. durch Einbringung des Besitzunternehmens in die Betriebskapitalgesellschaft.1 Maßnahmen zur Risikovermeidung. Zu einer – ggf. ungewollten und unerkannten – Beendigung einer Betriebsaufspaltung kann es z.B. kommen, wenn die Nachfolgeregelungen eine derart veränderte Stimmrechtslage vorsehen, dass die beteiligten Personen nicht mehr in der Lage sind, in beiden Unternehmen einen einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillen durchzusetzen.2 Durch qualifizierte Nachfolgeklauseln (hierzu s. Rz. 6.117) kann hier vermieden werden, dass im Erbfall unterschiedliche Personengruppen in die Besitz- bzw. Betriebsgesellschaft eintreten und dadurch eine personelle Verflechtung entfällt.3 Weitere Lösungsansätze sind die Begründung einer Einheits-Betriebsaufspaltung – d.h. die Besitzgesellschaft ist alleinige Gesellschafterin der Betriebsgesellschaft – oder die Einbringung der Besitzgesellschaft in eine gewerblich geprägte Mitunternehmerschaft i.S.v. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG, die nach § 24 UmwStG zu Buchwerten erfolgen kann.4

6.73

Personelle Verflechtung und Nießbrauch. Komplexe Fragen ergeben sich, wenn eine Betriebsaufspaltung mit der Bestellung eines Nießbrauchs (hierzu s. Rz. 6.76 ff.) zusammenfällt. Auch hier kann es zur ungewollten Begründung oder Beendigung einer Betriebsaufspaltung kommen. Es lassen sich in diesem Zusammenhang folgende Grundsätze skizzieren: Eine personelle Verflechtung bleibt auch bei der Übertragung von Anteilen an der Betriebs-GmbH unter Vereinbarung eines Vorbehaltsnießbrauchs erhalten, wenn der bisherige Gesellschafter weiterhin seinen Geschäfts- und Betätigungswillen im Betriebsunternehmen durchzusetzen vermag.5 Die personelle Verflechtung als Voraussetzung der Betriebsaufspaltung entfällt nicht schon dadurch, dass der Gesellschafter des Besitzunternehmens, der zugleich Alleingesellschafter der Betriebskapitalgesellschaft ist, an den Anteilen der Betriebskapitalgesellschaft einen Nießbrauch bestellt und den Nießbraucher zur Ausübung der Stimmrechte bevollmächtigt.6 Ebenso verhält es sich bei der Bestellung eines Nießbrauchs an den Gesellschaftsanteilen

6.74

1 S. Honert, EStB 2003, 310. 2 Ein einheitlicher geschäftlicher Betätigungswille ist Voraussetzung für die geforderte personelle Verflechtung, die Grundlage für eine Betriebsaufspaltung ist. Ob ein einheitlicher geschäftlicher Betätigungswille vorliegt, richtet sich danach, ob eine sog. Beherrschungsidentität gegeben ist; diese bestimmt sich nicht nach der vermögensmäßigen Beteiligung, sondern nach den Stimmrechten, Carlé in Korn, § 15 EStG Rz. 454, 456 (Stand: März 2008); Gluth in HHR, § 15 EStG Rz. 796 (Stand: August 2017); Lüer in Lippross/Seibel, § 15 EStG Rz. 165 f. (Stand: Dezember 2014); s. dazu außerdem das Beispiel bei Gluth/Rund, ErbStB 2015, 3 (7). 3 Indes sind qualifizierte Nachfolgeklauseln nur dann sinnvoll, wenn damit auch tatsächlich die Beteiligungsverhältnisse nach dem Erbgang eine personelle Verflechtung weiter gewährleisten. Geht z.B. bei einer Mehrzahl von Erben die Beteiligung an der Betriebs-GmbH auf die Erbengemeinschaft über und tritt nur ein einzelner qualifizierter Erbe mittels qualifizierter Nachfolgeklausel in die Besitzpersonengesellschaft ein, ginge die personelle Verflechtung verloren. 4 Carlé in Korn, § 15 EStG Rz. 433 (Stand: März 2006); Gluth in HHR, § 15 EStG Rz. 839 (Stand: August 2017); Gluth/Rund, ErbStB 2015, 3 (8). 5 BFH v. 25.1.2017 – X R 45/14, BFH/NV 2017, 1039; s. hierzu auch Geck/Messner, ZEV 2017, 622 (625); Lüer in Lippross/Seibel, § 15 EStG Rz. 189 (Stand: Oktober 2018). 6 BFH v. 2.7.2009 – X B 230/08, BFH/NV 2009, 1647; Rieck in Prinz/Hoffmann, Beck’sches Handbuch der Personengesellschaften4, § 24 Rz. 163; zur Begründung wird angeführt, dass der Bevollmächtigte lediglich im Außenverhältnis in der Stimmrechtsausübung frei, im Innenverhältnis aber an die Weisungen des Vollmachtgebers gebunden sei. Somit könne der Bevollmächtigte nicht allein seine eigenen Interessen durchsetzen, sondern müsse die Interessen des Vollmachtgebers wahrnehmen, s. Wachter, DStR 2016, 2065 (2072).

Wiese/Lukas | 385

Kap. 6 Rz. 6.74 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

der Besitzpersonengesellschaft, sofern das Mitwirkungsrecht des Gesellschafters hinsichtlich der überlassenen wesentlichen Betriebsgrundlagen davon unberührt bleibt.1 Die personelle Verflechtung soll hingegen entfallen, wenn gleichzeitig das Besitzeinzelunternehmen und die Anteile an der Betriebs-GmbH im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge unter Nießbrauchsvorbehalt übertragen werden und das Stimmrecht aus den Anteilen an der BetriebsGmbH dem Gesellschafter zusteht.2 b) Nießbrauch aa) Der Nießbrauch in der Unternehmensnachfolge

6.75

Übertragung unter Nießbrauchsvorbehalt als klassische Nachfolgegestaltung. Die Bestellung eines Nießbrauchs am Vermögen eines Unternehmens oder an Gesellschaftsanteilen ist ein klassisches Mittel der Nachfolgeplanung, wenn es darum geht, Vermögen auf die nächste Generation zu übertragen und zugleich eine wirtschaftliche Existenzgrundlage des Übertragenden auch für die Zukunft zu erhalten. Der Übertragende bleibt aufgrund des zu seinen Gunsten eingeräumten Nießbrauchs wirtschaftlich abgesichert, da ihm Erträge aus dem übertragenen Vermögen auch weiterhin zustehen. Gerade in der Nachfolgeberatung von Familienunternehmen kommt dem Nießbrauch an Einzelunternehmen und Gesellschaftsanteilen erhebliche Bedeutung zu.

6.76

Zivilrechtliche Grundlagen des Nießbrauchs. Die zivilrechtlichen Regelungen über den Nießbrauch finden sich in den §§ 1030 ff. BGB. Der Nießbrauch gewährt ein beschränkt dingliches Recht mit Nutzungsbefugnis des subjektiv persönlich Berechtigten.3 Ein Nießbrauch kann sowohl an Sachen als auch an Rechten, wie etwa Anteilen an Kapital- oder Personengesellschaften, bestellt werden.4

6.77

Vorbehaltsnießbrauch und Zuwendungsnießbrauch. Für die Unternehmensnachfolge sind die Übertragung unter Nießbrauchsvorbehalt (Vorbehaltsnießbrauch) und die Zuwendung des Nießbrauchs (Zuwendungsnießbrauch) zu unterscheiden.5 Vereinbaren Übertragender und Erwerber einen Vorbehaltsnießbrauch, werden das Unternehmen oder die Unternehmensanteile auf den Erwerber übertragen, während sich der Übertragende das Recht zur Nutzenziehung in Gestalt des Nießbrauchs vorbehält.6 Im Falle des Zuwendungsnießbrauchs werden das Unternehmen oder die Unternehmensanteile selbst nicht dinglich übertragen; Gegenstand der Übertragung ist vielmehr das Nießbrauchsrecht selbst.7

1 BFH v. 1.10.1996 – VIII R 44/95, BStBl. II 1997, 530 in einem obiter dictum; Rieck in Prinz/Hoffmann, Beck’sches Handbuch der Personengesellschaften4, § 24 Rz. 163; kritisch hierzu Gluth in HHR, § 15 EStG Rz. 808 (Stand: August 2017). 2 BFH v. 21.1.2015 – X R 16/12, BFH/NV 2015, 815, GmbHR 2015, 776 Rz. 43; Gluth in HHR, § 15 EStG Rz. 808 (Stand: August 2017); kritisch hierzu Wachter, GmbHR 2015, 776 (778 ff.). 3 Bamberger/Roth/Hau/Posec4, § 1030 BGB Rz. 1. 4 Herrler in Palandt79, § 1068 BGB Rz. 1; zum Meinungsstand bzgl. der Bestellung eines Nießbrauchs an Personengesellschaftsanteilen s. die Übersicht bei Wälzholz, DStR 2010, 1930. 5 Messner, MittBayNot 2018, 1. 6 Vgl. BMF v. 30.9.2013 – IV C 1 - S 2253/07/10004, BStBl. I 2013, 1184 Rz. 39; Lederle/Wanner, DStR 2015, 2270 (2271). 7 Vgl. BMF v. 30.9.2013 – IV C 1 - S 2253/07/10004, BStBl. I. 2013, 1184 Rz. 10; Lederle/Wanner, DStR 2015, 2270 (2271).

386 | Wiese/Lukas

B. Einkommensteuer | Rz. 6.80 Kap. 6

Bruchteils- und Quotennießbrauch. In Nachfolgekonstellationen finden sich auch immer wieder Nießbrauchsgestaltungen, bei denen sich die Nutzenziehung auf einen Bruchteil der Erträge des Belastungsgegenstands (z.B. eines Mitunternehmeranteils) beschränkt, während der übrige Bruchteil dem Eigentümer (d.h. dem Gesellschafter) verbleibt. Hintergrund ist in vielen Fällen, dass der Schenker zum Bestreiten seines Lebensunterhalts nicht sämtliche auf die übertragene Beteiligung entfallenden Erträge benötigt. Darüber hinaus soll verhindert werden, dass der Übertragende zu Lebzeiten nach der Übertragung aus den Erträgen ein „zu großes“ Vermögen aufbaut, das seinerseits ggf. nicht steuerbegünstigt an die nächste Generation weitergegeben werden kann. Vielerorts wird der Nießbrauch daher nicht auf das gesamte übertragene Vermögen erstreckt, sondern auf einen Teil der Erträge beschränkt. Technisch kann diese Beschränkung auf zwei Wegen erreicht werden: Zum einen kann der Nießbrauch auf einen ideellen Teil des Vermögens (z.B. eines Unternehmensanteils) beschränkt werden (sog. Bruchteilsnießbrauch). In diesem Fall umfasst der Nießbrauch nicht den gesamten Anteil, sondern lediglich einen ideellen Anteil hieran, diesen jedoch vollständig. Zum anderen kann sich der Nießbrauch auf den gesamten übertragenen Anteil beziehen, dabei jedoch auf eine bestimmte Quote der Nutzungen beschränkt sein (sog. Quotennießbrauch).1 Auch ein Höchstbetragsnießbrauch ist denkbar.

6.78

bb) Nießbrauch an einem Einzelunternehmen Gewerbliche Einkünfte des Nießbrauchers. Ertragsteuerlich ist der Nießbraucher nur dann als Unternehmer anzusehen, wenn er auf Grund des Nießbrauchs im eigenen Namen Unternehmerinitiative entfaltet und Unternehmerrisiko trägt.2 Führt der (Vorbehalts-)Nießbraucher das Unternehmen selbst auf eigene Rechnung und Gefahr, erzielt er Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Durch die Nießbrauchsbestellung kommt es zu einer der Unternehmensverpachtung vergleichbaren Situation: Neben dem „aktiven“ wirtschaftenden Betrieb des Nießbrauchers wird der Betrieb in der Hand des neuen Betriebsinhabers zum „ruhenden“ Betrieb, so dass auch er gewerbliche Einkünfte erzielt, solange er nicht die Betriebsaufgabe erklärt.3 Wem allerdings – mittels eines Ertragsnießbrauchs – lediglich die Erträge eines Unternehmens zufließen, das von einem anderen betrieben wird, ist nicht selbst Unternehmer; der Ertragsnießbraucher ist daher nicht Zurechnungssubjekt gewerblicher Einkünfte.4

6.79

cc) Nießbrauch an Mitunternehmeranteilen Steuerliche Zielsetzung: Mitunternehmerstellung von Übertragendem und Erwerber. Steuerliche Zielsetzung bei der Übertragung von Mitunternehmeranteilen unter Nießbrauchsvorbehalt ist regelmäßig, dass sowohl der Übertragende als auch der Erwerber Mitunternehmer werden und jeweils gewerbliche Einkünfte (§ 15 EStG) erzielen. Neben dieser ertragsteuerlichen Folge hat die „Verdoppelung“ der Mitunternehmerstellung gerade erbschaftsteuerlich eine herausragende Bedeutung: Die Verschonungsregeln für Betriebsvermögen (§ 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG) setzen voraus, dass der Erwerber gerade durch den (unentgeltlich) übertrage-

1 Dazu Kleinert/Geuß, DStR 2013, 288 (290). 2 Bode in Blümich, § 15 EStG Rz. 206 (Stand: Dezember 2018); Wacker in Schmidt39, § 15 EStG Rz. 144. 3 Zu berücksichtigen ist jedoch, dass ein Vorbehaltsnießbrauch an der einzigen wesentlichen Betriebsgrundlage eine steuerneutrale Übertragung verhindern kann, vgl. BFH v. 25.1.2017 – X R 59/14, BFH/NV 2017, 1077. 4 Wacker in Schmidt39, § 15 EStG Rz. 144.

Wiese/Lukas | 387

6.80

Kap. 6 Rz. 6.80 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

nen Gesellschaftsanteil im Zeitpunkt der Übertragung eine Mitunternehmerstellung erlangt, d.h. Mitunternehmerinitiative entfaltet und Mitunternehmerrisiko trägt (s. Rz. 6.236 ff.).1 An der Mitunternehmerinitiative des Erwerbers fehlt es z.B., wenn sich der Übertragende als Nießbraucher auch in Grundlagen- und Kernbereichsangelegenheiten die Ausübung des Stimmrechts vorbehält.2

6.81

Mitunternehmerinitiative und Mitunternehmerrisiko beim Vorbehaltsnießbrauch. Behält der unter Vorbehaltsnießbrauch übertragende Mitunternehmer auf Grundlage der bei der Anteilsübertragung getroffenen Abreden eine rechtliche und tatsächliche Stellung, die dem typischen Begriff des Mitunternehmers entspricht, konnte die Beratungspraxis bislang davon ausgehen, dass der Übertragende Mitunternehmer bleibt: Wird der Nießbrauch in der Weise vereinbart, dass der Erwerber das mit dem übertragenen Anteil verbundene Stimmrecht erhält und dem Nießbraucher die Zustimmungsrechte nach § 1071 BGB zustehen, bleibt der Übertragende als Nießbraucher Mitunternehmer.3 Zugleich kann aber auch der Erwerber hinsichtlich des übertragenen Anteils Mitunternehmer der Gesellschaft werden, wenn ihm der auf den Gesellschaftsanteil entfallende Anteil an den offenen Rücklagen, der nicht entnahmefähige Teil des Bilanzgewinns und der Gewinnanteil aus der Realisierung stiller Reserven zusteht (hierzu ausführlich Rz. 6.237 ff.).4 Ertragsteuerlich galt bislang als gesichert, dass in diesem Fall die aus dem Gesellschaftsanteil fließenden mitunternehmerischen Einkünfte (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) dem Gesellschafter und dem Nießbraucher jeweils anteilig zugerechnet werden, wenn beide gleichermaßen Mitunternehmer sind, d.h. wenn die Mitunternehmerstellung „verdoppelt“ wird.5 Der BFH hat sich in jüngster Zeit in einer Reihe von Urteilen6 – wenn auch in anderem Zusammenhang – mit den Voraussetzungen der Mitunternehmerschaft auseinandergesetzt. Durch diese Urteile könnte Bewegung in die Frage nach der steuerlichen Behandlung des Vorbehaltsnießbrauchs an Mitunternehmeranteilen gekommen sein: Der BFH betont, dass derjenige, der den zivilrechtlichen Gesellschafter nicht so aus seiner Position verdrängen kann, dass er vollständig – anstelle des Gesellschafters – dessen gesellschaftsrechtliche Position einnimmt, nicht wirtschaftlicher Eigentümer des Gesellschaftsanteils sein könne.7 An einem Gesellschaftsanteil könne daher grundsätzlich nur eine einzige Mitunternehmerstellung begründet werden.8 Die Urteile befassen sich jedoch nicht unmittelbar mit der Mitunternehmerstellung bei Anteilsübertragungen unter Vorbehaltsnießbrauch.9 Nach unserer Auffassung lassen sich die Aussagen nicht ohne Weiteres auf die Verdoppelung bzw. Erweiterung der Mitunternehmerstellung im Falle des Vorbehaltsnießbrauchs übertragen, so dass Vorbehaltsnießbraucher und Gesellschafter auch weiterhin beide Mitunterneh-

1 Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 13b ErbStG Rz. 111 (Stand: Dezember 2018); Kirnberger in Wilms/Jochum, § 13b ErbStG Rz. 36 (Stand: Juni 2018); Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13b ErbStG Rz. 31 ff. 2 S. z.B. Kleinert/Bahnmüller, BB 2017, 1687 (1688). 3 BFH v. 16.12.2009 – II R 44/08, BFH/NV 2010, 690 Rz. 23; ebenso die Analyse von Kleinert/Bahnmüller, BB 2017, 1687 (1689). 4 Wacker in Schmidt39, § 15 EStG Rz. 309 ff. 5 S. zuletzt etwa Bisle, NWB 2017, 65 (66). 6 BFH v. 20.9.2018 – IV R 39/11, BStBl. II 2019, 131; BFH v. 1.3.2018 – IV R 15/15, BStBl. II 2018, 539; BFH v. 22.6.2017 – IV R 42/13, BFH/NV 2018, 265. 7 BFH v. 20.9.2018 – IV R 39/11, BStBl. II 2019, 131 Rz. 23; BFH v. 22.6.2017 – IV R 42/13, BFH/ NV 2018, 265 Rz. 34 f. 8 BFH v. 19.7.2018 – IV R 10/17, BFH/NV 2018, 1268 Rz. 36. 9 Zum Ganzen Hermes, DStR 2019, 1777 (1781 f.); s. auch Stein, ZEV 2019, 131.

388 | Wiese/Lukas

B. Einkommensteuer | Rz. 6.84 Kap. 6

mer sein können. Voraussetzung ist aber in jedem Fall, dass Nießbraucher und Gesellschafter beide in eigener Person die Mindestanforderungen an Mitunternehmerrisiko und -initiative erfüllen. Künftig gilt umso mehr, dass Übertragungen unter Nießbrauchsvorbehalt sorgfältig vorbereitet und im Vorwege mit der Finanzverwaltung abgestimmt werden sollten. Ggf. kommt alternativ eine Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen in Betracht (dazu Rz. 6.56 ff.).1 Ertragsnießbrauch. Der bloße Ertragsnießbrauch, bei dem der Nießbraucher keine Mitverwaltungsrechte erlangt, kann demgegenüber eine Mitunternehmerstellung des Übertragenden nicht begründen. Vielmehr gleicht er einer Vorausabtretung der von dem Erwerber als gewerbliche Einkünfte zu versteuernden Gewinnansprüche (s. Rz. 6.80).2

6.82

dd) Nießbrauch an Kapitalgesellschaftsanteilen Steuer- und zivilrechtliche Zurechnung. Werden Kapitalgesellschaftsanteile unter Vorbehalt des Nießbrauchs übertragen, können die steuer- und zivilrechtliche Zurechnung der Anteile auseinanderfallen. Nach Ansicht des BFH können die Anteile dem Nießbraucher gem. § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO zuzurechnen sein, wenn der Nießbraucher nach dem Inhalt der getroffenen Abrede alle mit der Beteiligung verbundenen wesentlichen Vermögens- und Verwaltungsrechte ausüben und im Konfliktfall effektiv durchsetzen kann.3 Der neue Gesellschafter wird in diesem Fall nicht wirtschaftlicher Eigentümer der Anteile.4 Abweichend vom Zivilrecht sind die Anteile steuerlich demjenigen zuzurechnen, der die tatsächliche Herrschaft über sie ausübt.5 Zivilrechtlich stehen die Gewinnausschüttungen aus den Anteilen dem Nießbraucher zu.6 Diese Zuordnung gilt nach Ansicht der Finanzverwaltung auch steuerlich.7 Allerdings scheidet eine Zurechnung von Einkünften aus, wenn die bezogenen Erträge an den Nießbraucher weitergeleitet werden müssen, ohne dass der empfangende Nießbraucher rechtlich in irgendeiner Weise auf die Verwaltung des Vermögens Einfluss nehmen kann.8

6.83

ee) Sonderfragen zur Buchwertfortführung bei Vorbehaltsnießbrauch (1) Einstellung der gewerblichen Tätigkeit durch den Übertragenden Buchwertfortführung verlangt Einstellung der bisherigen gewerblichen Tätigkeit. Nach verbreiteter Auffassung setzt die Buchwertfortführung nach § 6 Abs. 3 EStG voraus, dass der

1 Zur „nießbrauchrechtlichen Innengesellschaft“ als steuerrechtliche Mitunternehmerschaft s. Hermes, DStR 2019, 1777 (1782 ff.). 2 BFH v. 28.11.1974 – I R 232/72, BStBl. II 1975, 498; BFH v. 13.5.1976 – IV R 83/75, BStBl. II 1976, 592; BFH v. 24.9.1991 – VIII R 349/83, BStBl. II 1992, 330; Wacker in Schmidt39, § 15 EStG Rz. 314. 3 BFH v. 24.1.2012 – IX R 51/10, BStBl. II 2012, 308; a.A. wohl Ratschow in Klein15, § 39 AO Rz. 50; anschließende Zahlungen für die Ablösung eines solchen Vorbehaltsnießbrauchs können im Rahmen der Ermittlung der Einkünfte nach § 17 EStG nachträgliche Anschaffungskosten auf die Beteiligung darstellen, BFH v. 18.11.2014 – IX R 49/13, BStBl. II 2015, 224. 4 BFH v. 24.1.2012 – IX R 51/10, BStBl. II 2012, 308. 5 BFH v. 24.1.2012 – IX R 51/10, BStBl. II 2012, 308 Rz. 15. 6 Pohlmann in MüKo7, § 1068 BGB Rz. 62. 7 Insofern ist noch der 1. Nießbrauchserlass von 1983 maßgeblich, Pohlmann in MüKo7, § 1030 BGB Rz. 50; so auch OFD Erfurt v. 14.6.1995 – S 2253 A - 02 - St 324, DStR 1995, 1419 (1422). 8 BFH v. 24.8.2005 – VIII B 4/02, BFH/NV 2006, 273.

Wiese/Lukas | 389

6.84

Kap. 6 Rz. 6.84 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

Übertragende seine bisherige gewerbliche Tätigkeit einstellt.1 Dieses Tatbestandsmerkmal hat in der jüngeren Rechtsprechung an Bedeutung gewonnen.

6.85

Übertragung eines Einzelunternehmens unter Nießbrauchsvorbehalt. Für die Gestaltungspraxis von Bedeutung ist das Urteil des BFH v. 25.1.20172, in dem die unentgeltliche Übertragung eines Gewerbebetriebs unter Nießbrauchsvorbehalt an dem betrieblichen Vermögen nach Ansicht des BFH nicht zu Buchwerten gem. § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG erfolgen konnte. In dem Urteilssachverhalt übertrug die Klägerin ein Grundstück auf ihren Sohn. Auf dem Grundstück befand sich eine von ihr verpachtete Gaststätte. Die Klägerin behielt sich den Nießbrauch an dem Betrieb vor. Der BFH hatte – entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung3 – bereits für die Vorgängernorm des § 6 Abs. 3 EStG4 entschieden, dass eine Übertragung zu Buchwerten mangels Einstellung der gewerblichen Tätigkeit durch den Übertragenden nicht in Betracht kommt, wenn sich dieser ein Nutzungsrecht an dem übertragenen Vermögen vorbehält.5 Jedenfalls die Übertragung eines Einzelunternehmens kann daher nicht ohne Aufdeckung stiller Reserven erfolgen, wenn sich der Übertragende den Nießbrauch hieran vorbehält.6 Die Entscheidung des BFH kann durchaus kritisiert werden.7 Insbesondere enthält der Wortlaut von § 6 Abs. 3 EStG kein ausdrückliches Tatbestandsmerkmal dergestalt, dass der Übergebende seine bisherige Tätigkeit einstellen muss.

6.86

Folgerungen für die Übertragung von Mitunternehmeranteilen unter Nießbrauchsvorbehalt. Offen ist, ob die Anwendung der Urteilsgrundsätze die Buchwertfortführung auch bei der Übertragung von Mitunternehmeranteilen unter Nießbrauchsvorbehalt entfallen lässt. Die Entscheidung des X. Senats betraf die Übertragung eines Einzelunternehmens unter Nießbrauchsvorbehalt. Der Grundsatz der Gleichstellung von Einzelunternehmen und Mitunternehmerschaften legt es zwar auf den ersten Blick nahe, dass auch die Übertragung von Mitunternehmeranteilen unter Nießbrauchsvorbehalt nach den Urteilsgrundsätzen nicht mehr zu Buchwerten möglich ist.8 Andererseits lässt das Gesetz die Übertragung von Teilen von Mitunternehmeranteilen in § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 Var. 2 EStG zu Buchwerten ausdrücklich zu, so dass der Übertragende zu Buchwerten übertragen kann, obwohl er Mitunternehmer derselben Mitunternehmerschaft bleibt. Gleiches gilt für die unentgeltliche Aufnahme eines Gesellschafters in ein bestehendes Einzelunternehmen gem. § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 Var. 1 EStG.9 Hinzu kommt, dass die vom BFH geforderte Einstellung der bisherigen gewerblichen Tätigkeit nicht zwingend vom Gesetz vorgeschrieben ist. Selbst wenn man der formellen Auffassung des X. Senats folgt, führt dies noch nicht zwangsweise zu einer Anwendung des Urteils auch auf die Übertragung von Mitunternehmeranteilen.10 Nach unserer Auffas1 BFH v. 2.9.1992 – XI R 26/91, BFH/NV 1993, 161; BFH v. 12.6.1996 – XI R 56/95, BStBl. II 1996, 527; Gratz/Uhl-Ludäscher in HHR, § 6 EStG Rz. 1211 (Stand: Mai 2017); Korn/Strahl in Korn, § 6 EStG Rz. 474.0 (Stand: Februar 2017); Kulosa in Schmidt39, § 6 EStG Rz. 646. 2 BFH v. 25.1.2017 – X R 59/14, BFHE 257, 227. 3 So Korn/Strahl in Korn, § 6 EStG Rz. 474.3.2 (Stand: Februar 2017); wohl zumindest bis zu dem Urteil v. 25.1.2017 noch Geck/Messner, ZEV 2015, 91 (93 f.); anders und schon der Vorinstanz zustimmend Lederle/Wanner, DStR 2015, 2270 (2273). 4 Die Entscheidung erging zu § 7 Abs. 1 EStDV 1997. 5 BFH v. 2.9.1992 – XI R 26/91, BFH/NV 1993, 161. 6 Gräfe/Kraft, ZEV 2017, 471 (477). 7 Kritisch zu dem Urteil etwa Hübner/Friz, DStR 2017, 2353; Messner, MittBayNot 2018, 1; jeweils m.w.N.; wohl ebenso, wenngleich mehr darstellend als kritisierend Dräger, DB 2017, 2768. 8 So auch Messner, MittBayNot 2018, 1 (3); Dräger, DB 2017, 2768 (2769). 9 Dräger, DB 2017, 2768 (2769). 10 So auch die Analyse von Messner, MittBayNot 2018, 1 (3).

390 | Wiese/Lukas

B. Einkommensteuer | Rz. 6.90 Kap. 6

sung sind die Urteilsgrundsätze nicht ohne Weiteres auf die Übertragung von Mitunternehmeranteilen unter Nießbrauchsvorbehalt anzuwenden. Die Bedeutung der vorherigen Abstimmung von Nießbrauchsgestaltungen mit der Finanzverwaltung, insbesondere durch Einholung einer verbindlichen Auskunft, dürfte aber auch an dieser Stelle zunehmen. Aus Sicht der Beratungspraxis zu begrüßen ist, dass die Finanzverwaltung jüngst ausdrücklich klargestellt hat, dass ein Nießbrauchsvorbehalt der Buchwertfortführung bei Übertragung eines Mitunternehmeranteils nicht entgegensteht.1 (2) Nießbrauch und Sonderbetriebsvermögen Nießbrauch an Wirtschaftsgütern des Sonderbetriebsvermögens. Besondere Aufmerksamkeit ist geboten, wenn zu dem zu übertragenden Mitunternehmeranteil Sonderbetriebsvermögen gehört. Dann nämlich stellt sich die Frage, ob sich der Nießbrauch auch auf das Sonderbetriebsvermögen erstrecken muss oder kann. Um die Übertragung gem. § 6 Abs. 3 EStG zu Buchwerten vornehmen und eine Aufdeckung stiller Reserven im Zuge des Übertragungsvorgangs vermeiden zu können, ist auch das funktional wesentliche Sonderbetriebsvermögen mit auf den Erwerber zu übertragen (s. Rz. 6.17). Geht man davon aus, dass der Nießbrauch dergestalt am Gesellschaftsanteil bestellt worden ist, dass sowohl der Gesellschafter als auch der Nießbraucher Mitunternehmer sind und erfolgt eine Übertragung des gesamten Mitunternehmeranteils – unter Vorbehalt eines Nießbrauchs an dem Gesellschaftsanteil und am Sonderbetriebsvermögen –, liegt insgesamt eine unentgeltliche Übertragung nach § 6 Abs. 3 EStG vor. Die Bestellung eines Nießbrauchs am Sonderbetriebsvermögen verlangt in jedem Fall eine ausdrückliche Vereinbarung, da sich ein Nießbrauch am Gesellschaftsanteil nicht automatisch auf das Sonderbetriebsvermögen erstreckt. Eine gewinnrealisierende Entnahme liegt in diesem Fall nicht vor.2

6.87

Zurückbehalt von Sonderbetriebsvermögen. Sind sowohl der Übertragende als auch der Erwerber Mitunternehmer, kann der Übertragende Wirtschaftsgüter des Sonderbetriebsvermögens auch in seinem Sonderbetriebsvermögen zurückbehalten (s. Rz. 6.17).3 Das zurückbehaltene Wirtschaftsgut bleibt Sonderbetriebsvermögen des übertragenden Mitunternehmers. Die Haltefrist nach § 6 Abs. 3 Satz 2 EStG ist zu beachten.

6.88

ff) Gestaltungsalternativen

Mitwirkungsrechte. Kommt es dem Übertragenden vor allem darauf an, seinen unternehmerischen Einfluss weiter geltend machen zu können, kann die Vereinbarung von Zustimmungsvorbehalten im Übertragungsvertrag, Stimmrechtsvereinbarungen oder die Einrichtung eines Unternehmensbeirats erwogen werden.4 Um die Anwendung der erbschaftsteuerlichen Verschonungsregeln für Betriebsvermögen nicht auszuschließen, ist jedoch sicherzustellen, dass dadurch die Mitunternehmerstellung des Erwerbers nicht beeinträchtigt wird.

6.89

Wirtschaftliche Absicherung. Steht die wirtschaftliche Absicherung des Übertragenden im Mittelpunkt der Nachfolgeplanung, kann das Vermögen ggf. gegen Vereinbarung von Versor-

6.90

1 2 3 4

BMF v. 20.11.2019 – IV C 6 - S 2241/15/10003, BStBl. I 2019, 1231 Rz. 7. Vgl. Wälzholz, DStR 2010, 1930 (1931). Wälzholz, DStR 2010, 1930 (1932). Messner, MittBayNot 2018, 1 (3).

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Kap. 6 Rz. 6.90 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

gungsleistungen i.S.v. § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG übertragen werden (s. Rz. 6.56 ff.).1 Alternativ könnte dem Übertragenden ein reiner Ertragsnießbrauch eingeräumt werden. Hintergrund ist, dass im Falle des Ertragsnießbrauchs der Erwerber als Gewerbetreibender anzusehen ist, während der Übertragende gegen den Erwerber lediglich einen Anspruch auf Herausgabe des Gewinns hat.2 Denkbar ist auch, dass der Übertragende im Gegenzug für die Übertragung ein Entgelt bis zur Höhe seines steuerlichen Kapitalkontos erhält. Nach den Grundsätzen der Einheitstheorie berührt dies die Unentgeltlichkeit des Vorgangs nicht (s. Rz. 6.53).3

III. Erbfall 1. Steuerliche Folgen der Gesamtrechtsnachfolge 6.91

Übergang von Vermögen. Mit dem Erbfall geht das Vermögen des Erblassers als Ganzes auf den Erben über (§ 1922 BGB). An den Vermögensübergang knüpft das Steuerrecht sowohl erbschaftsteuerliche als auch einkommensteuerliche Folgen. Die durch den Vermögensübergang erfolgende Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Erben ist daher nicht nur erbschaftsteuerlich, sondern auch einkommensteuerlich zu würdigen. Es ist zu ermitteln, ob und inwieweit der Vermögensübergang selbst, aber auch die Vermögensgegenstände des Erblassers in der Hand des Erben der Besteuerung unterliegen. Verfügt der Erblasser beispielsweise über Forderungen, fließen dem Erben Einnahmen hieraus erst zu, wenn er über diese wirtschaftlich verfügen kann (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG). Das bloße Innehaben der Forderung erfüllt noch nicht den ertragsteuerlich maßgeblichen Tatbestand des Zuflusses.4 Somit können sich ertragsteuerliche Rechtsfolgen aus der Nachfolge in das Vermögen des Erblassers auch noch in der Zeit nach dem Erwerb des vererbten Vermögens ergeben.

6.92

Ende der persönlichen Steuerpflicht des Erblassers. Die Einkommensteuer knüpft in § 1 EStG an die persönliche Steuerpflicht einer natürlichen Person an. Mit dem Tod des Steuerpflichtigen endet dessen persönliche Steuerpflicht. Der Ermittlungszeitraum für die Einkommensteuer des Erblassers verkürzt sich entsprechend. Die Einkommensteuer gegen den Erblasser entsteht nach § 36 Abs. 1 EStG mit Ablauf des Veranlagungszeitraums, in den der Tod fällt.5 Diese Steuerschuld geht nach § 45 Abs. 1 Satz 1 AO auf den Erben über. Einkünfte des Erblassers, die nach dessen Tod entstehen, werden nicht mehr dem Erblasser, sondern dessen Erben zugerechnet.6 Zum Ende des Veranlagungszeitraums des Todes entstehen daher gegen den Erben zwei Steueransprüche: zum einen der auf den Erben nach § 45 Abs. 1 Satz 1 AO übergehende Steueranspruch gegen den Erblasser, zum anderen der Steueranspruch gegen den Erben, wenn und soweit dieser selbst den Tatbestand einer Einkunftsart verwirklicht.7

1 Korn/Strahl in Korn, § 6 EStG Rz. 474.3.2 (Stand: Februar 2017); Kubik, BB 2017, 1586; so auch bereits Lederle/Wanner, DStR 2015, 2270 (2273); s. zu den Versorgungsleistungen auch die ausführliche Darstellung bei Urbach, kösdi 2017, 20373. 2 Kubik, BB 2017, 1586. 3 Lederle/Wanner, DStR 2015, 2270 (2273). 4 Martini in Blümich, § 11 EStG Rz. 20 (Stand: Dezember 2018); Krüger in Schmidt39, § 11 EStG Rz. 16; Schiffers in Korn, § 11 EStG Rz. 17 (Stand: März 2019). 5 Weiland in Frotscher, § 36 EStG Rz. 11 (Stand: Oktober 2018); Ettlich in Blümich, § 36 EStG Rz. 74 (Stand: Mai 2016). 6 Drüen in Tipke/Kruse, § 45 AO Rz. 11 (Stand: Oktober 2013); Fischer in Blümich, § 24 EStG Rz. 75 (Stand: November 2017); Görke in Frotscher, § 24 EStG Rz. 101 (Stand: Juli 2006). 7 Heuermann in Blümich, § 25 EStG Rz. 59 (Stand: Oktober 2018).

392 | Wiese/Lukas

B. Einkommensteuer | Rz. 6.94 Kap. 6

Kein Übergang höchstpersönlicher steuerlicher Merkmale. Höchstpersönliche steuerliche Merkmale in der Person des Erblassers gehen trotz der Gesamtrechtsnachfolge mit dem Tod des Erblassers unter.1 Die Einkommensteuer ist als Personensteuer vom Grundsatz der Individualbesteuerung getragen. Daher können Merkmale, die untrennbar mit der Person des Erblassers verbunden sind, nicht auf den Erben übergehen.2 Zu diesen höchstpersönlichen steuerlichen Merkmalen zählen persönliche Eigenschaften und Verhältnisse des Erblassers: die Angehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe, eine körperliche Behinderung, die Ansässigkeit in einem bestimmten Gebiet oder die steuerliche Zuverlässigkeit.3

6.93

2. Keine Vererbbarkeit von Verlusten Verlustabzug durch den Erben regelmäßig nicht möglich. § 10d EStG sieht einen Verlustrücktrag und einen Verlustvortrag vor, der es dem Steuerpflichtigen ermöglicht, Verluste periodenübergreifend – in den Grenzen der Mindestbesteuerung (§ 10d Abs. 2 Satz 1 EStG) – steuerlich zu nutzen. Die Möglichkeit zum Verlustabzug ist an die Person des Steuerpflichtigen geknüpft, der den Verlust erlitten hat (Grundsatz der Individualbesteuerung). Dennoch konnte der Erbe nach früherer Ansicht von Rechtsprechung4 und Finanzverwaltung5 einen Verlust des Erblassers einkommensteuerlich geltend machen, soweit der Erblasser den Verlust noch nach § 10d EStG hätte nutzen können und der Erbe durch den Verlust wirtschaftlich belastet war.6 Danach trat der Erbe sowohl zivilrechtlich als auch steuerlich in vollem Umfang in die Rechtsstellung des Erblassers ein, so dass auch ein Übergang des Verlustabzugs geboten war.7 Der Große Senat des BFH hat die Vererblichkeit des Verlustabzugs schließlich abgelehnt und betont, dass „höchstpersönliche und unlösbar mit der Person des Rechtsvorgängers verknüpfte Umstände nicht auf den Gesamtrechtsnachfolger [übergehen]“.8 Der Erbe kann einen vom Erblasser nicht genutzten Verlustvortrag danach grundsätzlich nicht bei seiner eigenen Veranlagung zur Einkommensteuer geltend machen.9 Anderes könnte aber gelten, wenn der Erbe kraft Gesetzes für Verbindlichkeiten haften muss, die mit den Verlusten des Erblassers in Zusammenhang stehen. Die bloße Tatsache, dass der Erbe aufgrund des durch den Erblasser erlittenen Verlusts ein geringeres Vermögen erhält, reicht für eine Geltendmachung des Erblasser-Verlusts als eigener Verlust aber jedenfalls nicht aus10. Eine Verlustnutzung dürfte allenfalls für bestimmte einkunftsquellenbezogene Verluste anzunehmen sein (gemeint sind 1 2 3 4 5 6

7 8 9

10

Ratschow in Klein15, § 45 AO Rz. 8; Rauch in Blümich, § 1 EStG Rz. 90 (Stand: März 2016). BFH v. 17.12.2007 – GrS 2/04, BStBl. II 2008, 608. Vgl. Schindler in Gosch, § 45 AO Rz. 19 (Stand: August 2015). BFH v. 13.11.1979 – VIII R 193/77, BStBl. II 1980, 188; BFH v. 16.5.2001 – I R 76/99, BStBl. II 2002, 487; s. zur geänderten Rechtsprechung: BFH v. 17.12.2007 – GrS 2/04, BStBl. II 2008, 608. H 10d EStH 2006. Eine wirtschaftliche Belastung des Erben war nicht gegeben, wenn er für Nachlassverbindlichkeiten nicht oder nur beschränkt haftete. Zur Entwicklung der Norm im Hinblick auf die Gesamtrechtsnachfolge und die unter der früher geltenden Rechtsprechung geforderten Voraussetzungen s. Schlenker in Blümich, § 10d EStG Rz. 162 (Stand: August 2017). S. dazu die Hinweise auf die frühere Rechtsprechung in BFH v. 17.12.2007 – GrS 2/04, BStBl. II 2008, 608. BFH v. 17.12.2007 – GrS 2/04, BStBl. II 2008, 608. Aus Vertrauensschutzgründen sollte diese Rechtsprechung auf Todesfälle ab dem 13.3.2008 anzuwenden sein, BFH v. 17.12.2007 – GrS 2/04, BStBl. II 2008, 608; nach Ansicht des BMF soll die bisherige Praxis des Verlustabzugs bis zur Entscheidungsveröffentlichung im BStBl. am 18.8.2008 zur Anwendung kommen, BMF v. 24.7.2008 – IV C 4-S 2225/07/0006, BStBl. I 2008, 809. BFH v. 17.12.2007 – GrS 2/04, BStBl. II 2008, 608; s. auch BFH v. 22.5.2013 – IX B 185/12, BFH/ NV 2013, 1233.

Wiese/Lukas | 393

6.94

Kap. 6 Rz. 6.94 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

Verluste nach §§ 15a, 15b, § 15 Abs. 4 Sätze 1 und 2 EStG sowie nach § 2 AuslInvG), wenn die Einkunftsquelle übertragen wird.1

6.95

Verlustabzug bei zusammen veranlagten Ehegatten. Bei Ehegatten, die gem. §§ 26, 26b EStG zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden, kann ein vom Erblasser im Veranlagungszeitraum des Todes erlittener Verlust mit positiven Einkünften des anderen Ehegatten verrechnet werden. Somit können bei zusammen veranlagten Ehegatten die Verluste aus dem Todesjahr auch in jenem Jahr genutzt werden.2 Darüber hinaus kann der überlebende Ehegatte auch einen aus dem Vorjahr des Todes resultierenden Verlustvortrag des Verstorbenen im Jahr des Todes geltend machen; ein danach verbleibender Verlustvortrag entfällt mit Ablauf des Veranlagungszeitraums des Todes.3

6.96

Gestaltungsmaßnahmen. Trotz der vorstehend erläuterten Beschränkungen der Verlustnutzung kann es gelingen, einen Verlustvortrag im Erbfall steuerlich zu nutzen. Entsprechende Gestaltungsmaßnahmen können vor oder nach dem Tod des Erblassers ergriffen werden. Vor dem Tod ergriffene Maßnahmen zielen typischerweise darauf ab, das Bestehen eines Verlustvortrags im Todeszeitpunkt zu vermeiden, indem entweder das Entstehen von verlustbringendem Aufwand (z.B. Erhaltungsaufwand oder sonst sofort abzugsfähiger Aufwand vor dem Erbfall) vermieden oder ein gegenläufiger Ertrag generiert wird, mit dem der Verlust ausgeglichen werden kann. Nach dem Tod ergriffene Maßnahmen sollen einen im Todeszeitpunkt bestehenden Verlustvortrag nachträglich mit steuerlicher Wirkung beseitigen.4

6.97

Als mögliche Handlungen vor dem Tod des Erblassers kommen in Frage:5 – Unterlassen von Erhaltungsaufwand und weiterem sofort abzugsfähigem Aufwand vor dem Erbfall. Diese Aufwendungen werden nach dem Erbfall durch den Erben getragen. Lässt sich der Anfall von Erhaltungsaufwand nicht weiter hinausschieben, kann der Erblasser noch zu Lebzeiten Vermögen mit hohem Erhaltungsaufwand an den Erben im Wege der Schenkung übertragen. – Veräußerung des Unternehmens, betrieblicher Einzelwirtschaftsgüter oder steuerverstrickten Privatvermögens an den Erben (ggf. auch an eine von diesem beherrschte Personenoder Kapitalgesellschaft) gegen Entgelt. Infolge der entgeltlichen Übertragung werden stille Reserven mit steuerlicher Wirkung gehoben. Der entstehende Ertrag wird mit dem vorhandenen Verlustvortrag – in den Grenzen des § 10d EStG – verrechnet. Ein möglicher Untergang gewerbesteuerlicher (§ 10a GewStG) und körperschaftsteuerlicher (§ 8c KStG) Verlustvorträge ist dabei in den Blick zu nehmen (s. Rz. 6.139 ff.). Erbschaftsteuerlich nachteilig ist, dass der Erbe im Erbfall statt des ggf. (teilweise) verschonten Betriebs- oder Grundvermögens eine Kaufpreisforderung erbt, die er der Besteuerung mit Erbschaftsteuer unterwerfen muss. – Statt einer Veräußerung: Einbringung des Betriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils durch den Erblasser in eine Personen- oder Kapitalgesellschaft unter Ansatz von 1 S. Hallerbach in HHR, § 10d EStG Rz. 23 (Stand: September 2016); Heinicke in Schmidt39, § 10d EStG Rz. 14 2 Vgl. Hallerbach in HHR, § 10d EStG Rz. 23. 3 Moog, DStR 2010, 1122 (1123); Heinicke in Schmidt39, § 10d EStG Rz. 15 legt sich nicht fest, fordert aber jedenfalls, dass die Ehegatten im Vorjahr zusammen veranlagt wurden. 4 Vgl. Piltz, ZEV 2008, 376 (377). 5 Zum Nachfolgenden s. Kaminski in Korn, § 10d EStG Rz. 7.14 (Stand: Juni 2011); für eine weitere übersichtliche Darstellung s. Piltz, ZEV 2008, 376.

394 | Wiese/Lukas

B. Einkommensteuer | Rz. 6.98 Kap. 6

Teil- oder Zwischenwerten sowie Entnahme einzelner, besonders wertvoller Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens. – Übertragung unternehmerischen Vermögens unter bewusster Nichterfüllung der Voraussetzungen von § 6 Abs. 3 EStG (s. Rz. 6.12 ff.) oder § 6 Abs. 5 EStG (s. Rz. 6.41 ff.). – Ertragserhöhung durch entsprechende Ausübung von Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechten. Möglich ist hier etwa ein Wechsel von der degressiven1 zur linearen AfA. Ebenso möglich ist ein Wechsel von der Überschussrechnung zur Bilanzierung.2 Damit ist i.d.R. ein buchmäßiger (Übergangs-)Gewinn in Form von Korrekturposten auszuweisen.3 Der Übergangsgewinn ist Teil des laufenden Gewinns und als solcher zu versteuern.4 – Gezielte Beendigung einer Betriebsaufspaltung (s. Rz. 6.68 ff.). Der Erblasser überträgt entweder das Besitzunternehmen (i.d.R. eine Personengesellschaft) oder das Betriebsunternehmen (i.d.R. eine Kapitalgesellschaft) schenkweise an den zukünftigen Unternehmensnachfolger. Bei dem (zukünftigen) Erblasser und dem (jetzigen) Schenker entsteht ein Betriebsaufgabegewinn i.S.v. § 16 EStG. Im Zuge des nachfolgenden Erbfalls geht dann das noch verbliebene Unternehmen auf den Erben über. Dadurch wird die Betriebsaufspaltung in den Händen des Erben wiederhergestellt. Als mögliche Handlungen nach dem Tod des Erblassers kommen in Betracht: – Wechsel der Gewinnermittlungsart von der Überschussrechnung zur Bilanzierung. Ziel ist es auch hier, einen möglichst hohen Übergangsgewinn zu generieren. Der Erbe übt als Gesamtrechtsnachfolger die Wahlrechte des Erblassers aus.5 Er kann somit auch nach dem Tod des Erblassers einen Übergangsgewinn durch einen Wechsel der Gewinnermittlungsart erzeugen.6 – Gewinnrealisierung durch Ausübung von Bewertungswahlrechten des UmwStG (z.B. nach § 20 Abs. 2 UmwStG), die zuvor dem Erblasser zugestanden haben. Das Recht zur Ausübung dieser Wahlrechte geht im Erbfall auf den Erben über.7 – Gezielter Verstoß gegen die Behaltensfristen des § 6 Abs. 3 Satz 2 EStG, § 6 Abs. 5 Satz 4 EStG oder § 22 UmwStG (s. Rz. 6.17 ff., 6.42).

1 Die degressive AfA wurde mit dem UntStReformG 2008 für nach dem 31.12.2007 angeschaffte bzw. hergestellte Wirtschaftsgüter abgeschafft, s. Gesetz v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912; durch Gesetz v. 21.12.2008, BGBl. I 2008, 2896, wurde sie kurzzeitig wieder eingeführt. Dies gilt für bewegliche abnutzbare Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die nach dem 31.12.2008 und vor dem 1.1.2011 angeschafft bzw. hergestellt wurden; s. auch Brandis in Blümich, § 7 EStG Rz. 13 f. (Stand: August 2018); Kulosa in Schmidt39, § 7 EStG Rz. 197; Schnitter in Frotscher, § 7 EStG Rz. 347 (Stand: Dezember 2018); auch für Neubauten mit Bauantrag oder obligatorischem Vertrag ab 1.1.2006 wird sie nicht mehr gewährt, Kulosa in Schmidt39, § 7 EStG Rz. 211. 2 Kreft, GStB 2008, 262 (263). 3 Korn in Korn, § 4 EStG Rz. 572 (Stand: Mai 2016). 4 Loschelder in Schmidt39, § 4 EStG Rz. 661. 5 Koenig in Koenig3, § 45 AO Rz. 14; Ratschow in Klein15, § 45 AO Rz. 9; Schindler in Gosch, § 45 AO Rz. 21 (Stand: August 2015). 6 Vgl. Piltz, ZEV 2008, 376; s. zum Wechsel der Gewinnermittlungsart allgemein auch R 4.6 EStR 2012. 7 Koenig in Koenig3, § 45 AO Rz. 14; Ratschow in Klein15, § 45 AO Rz. 9; Schindler in Gosch, § 45 AO Rz. 21 (Stand: August 2015).

Wiese/Lukas | 395

6.98

Kap. 6 Rz. 6.99 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

3. Verhältnis von Einkommensteuer und Erbschaftsteuer a) Doppelbelastung mit Einkommensteuer und Erbschaftsteuer

6.99

Einkommensteuer und Erbschaftsteuer gleichermaßen zu beachten. Ein Übertragungsvorgang kann sowohl einkommen- als auch erbschaftsteuerliche Folgen auslösen, obwohl beiden Steuerarten unterschiedliche Systeme und Wertungen zugrunde liegen. Die Einkommensteuer unterwirft die Summe der Einkünfte (vgl. § 2 Abs. 3 EStG), d.h. das Markteinkommen eines Steuerpflichtigen, der Besteuerung.1 Im Gegensatz dazu erfasst die Erbschaftsteuer den aufgrund Todes oder durch Schenkung erfolgenden unentgeltlichen Erwerb.2 Dennoch kann das im übergehenden Vermögen vorhandene wirtschaftliche Potential sowohl der Erbschaft- als auch der Einkommensteuer unterliegen, wenn stille Reserven zunächst mit Erbschaftsteuer belastet werden und bei ihrer späteren Realisierung (z.B. durch Veräußerung) der Einkommensteuer unterliegen. Bei der Ermittlung der erbschaftsteuerlich maßgeblichen Bereicherung bleibt eine latente Einkommensteuerlast außer Betracht.3 Diese kann, da sie sich zeitlich versetzt nach dem erbschaftsteuerlich relevanten Zeitpunkt des Vermögensanfalls in einer Belastung mit Einkommensteuer realisiert, im Zeitpunkt des Vermögensanfalls nicht als Nachlassverbindlichkeit abgezogen werden. Es stellt sich darüber hinaus die Frage, ob sich ein solcher doppelter Steuerzugriff verfassungsrechtlich rechtfertigen lässt.4

6.100

Abgrenzung Einkommensteuer und Erbschaftsteuer. Eine sowohl einkommensteuerliche als auch erbschaftsteuerliche Erfassung desselben Lebenssachverhalts hatte der BFH in seiner ersten „Altenheim-Entscheidung“ bejaht.5 In dem Urteilssachverhalt hatte die Erblasserin die Altenheim-GbR, die das von ihr bewohnte Altenheim betrieb, zu ihrer Erbin eingesetzt. Die Erblasserin hatte testamentarisch verfügt, dass die GbR das Erbe für die Altenpflege einzusetzen hatte. Der BFH entschied, dass dieser Vorgang auch zu einkommensteuerlich zu erfassenden Betriebseinnahmen der GbR führe, da das auslösende Moment für die Erbeinsetzung der steuerbaren Erwerbssphäre der GbR zuzuordnen sei. So habe ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen der Erbschaft und der gewerblichen Tätigkeit der GbR – der Altenpflege – bestanden. In einem neueren Beschluss entschied der VIII. Senat demgegenüber, dass grundsätzlich ein Ausschließlichkeitsverhältnis zwischen EStG und ErbStG bestehe. Danach sei es tatbestandlich ausgeschlossen, mit derselben Handlung sowohl eine freigebige Zuwendung zu verwirklichen (vgl. § 7 ErbStG) als auch wirtschaftlich am Markt teilzunehmen (vgl. § 2 EStG).6 Lasse sich ein Lebenssachverhalt – wie im dortigen Sachverhalt – ausnahmsweise unter beide Steuerarten subsumieren, so habe eine von beiden hinter der anderen zurückzutreten. Gegenstand des Beschlusses war die zinslose Stundung einer Zugewinnausgleichsforderung unter Eheleuten, die die Frage aufwarf, ob der Zinsanteil der gestundeten Forderung zu Zinseinkünften gem. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG führen kann, obwohl gleichzeitig auch die Voraussetzungen einer freigebigen Zuwendung vorlagen. Der BFH entschied, dass in dem konkreten Fall die Einkommensteuer zurückzutreten habe, da es an einer – einkommensteuerlich 1 Vgl. Bodden in Korn, § 2 EStG Rz. 24.1 (Stand: Juni 2018); Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 8.40. 2 Vgl. Bodden in Korn, § 2 EStG Rz. 24.1 (Stand: Juni 2018); Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 15.1, 15.3. 3 BFH, Urt. v. 17.2.2010 – II R 23/09, BStBl. II 2010, 641. 4 Zu den verfassungsrechtlichen Fragen s. eingehend Crezelius, ZEV 2015, 392; hierzu auch, wenngleich im Ausgangspunkt an das Verhältnis von KStG und EStG anknüpfend, Krieg, DStR 2017, 2705; s. aber BVerfG, Beschl. v. 7.4.2015 – 1 BvR 1432/10, BFH/NV 2015, 1069 (Ls.). 5 BFH v. 14.3.2006 – VIII R 60/03, BFHE 212, 535 = BStBl. II 2006, 650. 6 BFH v. 12.9.2011 – VIII B 70/09, DStRE 2012, 154 (156) Rz. 19.

396 | Wiese/Lukas

B. Einkommensteuer | Rz. 6.103 Kap. 6

erforderlichen – Erwerbshandlung fehle.1 Ferner entschied der VI. Senat, dass sich eine doppelte Besteuerung des nämlichen Rechtsvorgangs einerseits als freigebige Zuwendung und andererseits als Arbeitslohn ausschließe, da die Zuwendung des Arbeitgebers (oder eines Dritten) an einen Arbeitnehmer entweder Gegenleistung für die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers oder eine Zuwendung sei.2 Die vorgenannten Entscheidungen zeigen, dass die Abgrenzung zwischen Einkommen- und Erbschaftsteuer stark einzelfallbezogen erfolgt und keiner klaren Vorgabe folgt. Im Einzelfall Kumulation von Ertragsteuer und Erbschaftsteuer. In seiner zweiten „Altenheim-Entscheidung“ (s. dazu auch Rz. 6.130 ff.) hat der BFH seine Auffassung bestätigt, dass eine Kumulation von Ertragsteuer und Erbschaftsteuer im Einzelfall denkbar ist.3 Der Fall lag ähnlich wie in der ersten Altenheim-Entscheidung, das Pflegeheim wurde allerdings von einem Unternehmensträger in der Rechtsform der GmbH betrieben. Die damit einhergehenden Unterschiede in der steuerlichen Behandlung (transparente vs. intransparente Besteuerung) führen aber nicht zu einer unterschiedlichen Wertung bzgl. des Nebeneinanders von Ertragsteuer und Erbschaftsteuer.

6.101

Fazit aus der Rechtsprechung. Zwar scheint der BFH vermehrt eine Doppelbelastung mit Ertrag- und Erbschaftsteuer abzulehnen. Die beiden Altenheim-Entscheidungen zeigen aber, dass eine Doppelbelastung in gesondert gelagerten Konstellationen möglich ist. Festhalten lässt sich: Testamentarisch verfügte Zuwendungen an Gesellschaften können gleichzeitig Ertrag- als auch Erbschaftsteuer auslösen, wenn die Zuwendung einen Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Betätigung des Unternehmens aufweist. Ist ein solcher Zusammenhang nicht gegeben, dürften sich Ertrag- und Erbschaftsteuer auf Gesellschaftsebene regelmäßig ausschließen.

6.102

b) Entlastung nach § 35b EStG

Entlastung bei Erwerben von Todes wegen. Da sich seit dem 1.1.2009 die erbschaftsteuerliche Bewertung an den gemeinen Werten orientiert, hat die Problematik der Doppelbelastung desselben Steuersubstrats mit Erbschaftsteuer und Einkommensteuer an Bedeutung gewonnen. Der Gesetzgeber hat mit § 35b EStG eine antragsabhängige Entlastungsmöglichkeit geschaffen4. Die Einkommensteuer wird danach um die wegen Nichtberücksichtigung der ehemals latenten Einkommensteuerbelastung zu viel gezahlte Erbschaftsteuer vermindert, und der Steuerpflichtige wird im Ergebnis so behandelt, als wäre eine später anfallende Einkommensteuerbelastung schon zuvor im Rahmen des steuerpflichtigen Erwerbs berücksichtigt worden.5 § 35b EStG ist zwar auf alle Einkunftsarten anwendbar, sofern tatsächlich eine Doppelbelastung vorliegt und die Einkünfte veranlagt werden. Die Entlastung greift jedoch nur in Fällen des Erwerbs von Todes wegen i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, nicht aber bei Schenkungen unter Lebenden, Zweckzuwendungen und der Erbersatzsteuer für Familienstiftungen gem. § 1 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 ErbStG.6 1 BFH v. 12.9.2011 – VIII B 70/09, DStRE 2012, 154 (156) Rz. 19. 2 BFH v. 6.12.2013 – VI B 89/13, BFH/NV 2014, 511 Rz. 5. 3 BFH v. 6.12.2016 – I R 50/16, BStBl. II 2017, 324 Rz. 11; so auch die Analyse von Crezelius, ZEV 2017, 169 (173), der sich aber auch kritisch äußert. Ebenso kritisierend Krieg, DStR 2017, 2705. 4 S. zur Historie der Norm die Ausführungen bei Schulz in HHR, § 35b EStG Rz. 2 (Stand: September 2016); ebenso Schallmoser in Blümich, § 35b EStG Rz. 2 f. (Stand: Oktober 2018). 5 Vgl. Schallmoser in Blümich, § 35b EStG Rz. 1 (Stand: Oktober 2018). 6 Dazu Schulz in HHR, § 35b EStG Rz. 8 (Stand: September 2016); gegen die Begrenzung auf Erwerbe von Todes wegen gibt es zu Recht Kritik in der Literatur, vgl. Stahl in Korn, § 35b EStG Rz. 10 (Stand: März 2011); Seifried, ZEV 2009, 285; Hechtner, BB 2009, 486 (487).

Wiese/Lukas | 397

6.103

Kap. 6 Rz. 6.104 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

6.104

Ermittlung der Steuerermäßigung. Zur Ermittlung der Steuerermäßigung werden dem erbschaftsteuerpflichtigen Erwerb i.S.v. § 10 Abs. 1 ErbStG zunächst die Freibeträge gem. §§ 16, 17 ErbStG und der steuerfreie Betrag gem. § 5 ErbStG wieder hinzugerechnet. Anschließend wird die festgesetzte Erbschaftsteuer zu diesem erbschaftsteuerlichen Erwerb ins Verhältnis gesetzt und somit ein erbschaftsteuerlicher Durchschnittssteuersatz ermittelt. Sodann wird die anteilige Einkommensteuer ermittelt, die auf diejenigen Einkünfte entfällt, die bereits der Erbschaftsteuer unterlegen haben. Diese anteilige Einkommensteuer ermäßigt sich dann um den erbschaftsteuerlichen Durchschnittssteuersatz.1

6.105

Anwendungsbereich. Der Entlastung nach § 35b EStG kommt besonders bei den Überschusseinkünften eine tragende Rolle zu.2 Denn für diese Einkünfte gilt das Zuflussprinzip (vgl. § 11 Abs. 1 EStG). In diesen Fällen besteht daher die Möglichkeit, dass die Einkünfte zwar noch zu Lebzeiten vom Erblasser erwirtschaftet, aber erst nach dessen Tod durch den Erben steuerlich vereinnahmt werden. Darüber hinaus hat die Vorschrift Bedeutung für Veräußerungsgewinne i.S.v. §§ 14 bis 18 EStG und § 20 Abs. 2 EStG3 sowie § 23 EStG.

6.106

Umfang der Entlastung. Einkünfte sind nur entlastungsfähig, soweit die später realisierten stillen Reserven (z.B. durch eine Veräußerung) tatsächlich der Erbschaftsteuer unterlegen haben. Eine erbschaftsteuerliche Belastung der Einkünfte liegt nicht vor, wenn der den Einkünften zugrunde liegende Vermögensgegenstand bei der Erbschaftsteuer mit einem niedrigeren Wert als dem (späteren) Veräußerungserlös angesetzt wurde. In diesem Fall wird die Steuerermäßigung lediglich für einen Teilbetrag des späteren Veräußerungsgewinns in Höhe des erbschaftsteuerpflichtigen Werts abzgl. des ertragsteuerlichen Buchwerts gewährt.4 Übersteigt beispielsweise der Kurswert (erbschaftsteuerlich relevanter Wert) einer Aktie am Todestag des Erblassers ihre Anschaffungskosten, nicht aber ihren späteren Veräußerungserlös, so ist die Ermäßigung lediglich auf den Teil des Veräußerungsgewinns zu beziehen, der der Differenz zwischen dem erbschaftsteuerpflichtigen Wert der Aktie im Todeszeitpunkt und den Anschaffungskosten entspricht.

6.107

§ 35b EStG und erbschaftsteuerliche Verschonungsregeln. Hinsichtlich eines Veräußerungsgewinns ist fraglich, wie es sich auswirkt, wenn das Vermögen erbschaftsteuerlich unter Inanspruchnahme der Verschonungsregelungen der §§ 13a, 13b ErbStG auf den Erben übergegangen ist (s. Rz. 6.214 ff.). Die erbschaftsteuerliche Verschonung unternehmerischen Vermögens entfällt gem. § 13a Abs. 6 Satz 2 ErbStG (früher § 13a Abs. 5 Satz 2 ErbStG) rückwirkend und zeitanteilig, wenn das Vermögen oder Teile hiervon innerhalb der Behaltensfrist veräußert wird. Die Ermäßigung gem. § 35b EStG wird dann wiederum anteilig auf einen Teil des Veräußerungsgewinns gewährt, der aufgrund der Nachversteuerung der Erbschaftsteuer unterlegen hat.5

1 Für ein detailliertes Berechnungsbeispiel s. Hechtner, BB 2009, 486 (487 ff.). 2 Vgl. Seifried, ZEV 2009, 285 (286). 3 Str. für Einkünfte, die der Abgeltungsteuer unterliegen. Die Anwendung von § 35b EStG bejahend Seifried, ZEV 2009, 285 (287); ablehnend Günther in Frotscher, § 35b EStG Rz. 4 (Stand: März 2010). 4 Vgl. noch zu § 35 EStG a.F. BFH v. 7.12.1990 – X R 72/89, BStBl. II 1991, 350; ebenso Seifried, ZEV 2009, 285 (286). 5 Seifried, ZEV 2009, 285 (287).

398 | Wiese/Lukas

B. Einkommensteuer | Rz. 6.110 Kap. 6

4. Erbengemeinschaft und Erbauseinandersetzung a) Einkommensteuer und Erbschaftsteuer im Erbfall Trennung von Erbfall und Erbauseinandersetzung. Erbfall und Erbauseinandersetzung sind getrennt zu betrachten.1 Das Vermögen des Erblassers geht mit dem Erbfall im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die Erben über. Der Nachlass wird gemeinschaftliches Vermögen der Erben (§ 2032 Abs. 1 BGB), die eine Erbengemeinschaft bilden. Die Erbengemeinschaft ist eine Gesamthandsgemeinschaft.2 Die Erbauseinandersetzung folgt dem Erbfall nicht nur zivilrechtlich, sondern auch einkommensteuerlich als selbständiger Rechtsvorgang nach und bildet mit diesem keine rechtliche Einheit. Der Erbfall unterliegt als unentgeltlicher Vorgang den Regelungen des ErbStG, während die Erbauseinandersetzung einkommensteuerliche Folgen auslöst.

6.108

b) Übergang eines Gewerbebetriebs Erbengemeinschaft als Mitunternehmerschaft. Bis zur Erbauseinandersetzung werden die Einkünfte aus dem Nachlassvermögen den Erben in ihrer gesamthänderischen Verbindung zugerechnet. Gehört zum Nachlass ein gewerbliches, freiberufliches oder land- und forstwirtschaftliches Unternehmen, geht dieses mit dem Erbfall auf die Erbengemeinschaft über. Steuerlich werden sämtliche Miterben bis zur Auflösung der Erbengemeinschaft Mitunternehmer i.S.v. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG.3 Die Einkünfte aus Gewerbebetrieb sind den Mitunternehmern grundsätzlich im Verhältnis ihrer Erbanteile zuzurechnen. Dies gilt auch, wenn die Erben das Unternehmen frühzeitig nach dem Erbfall abwickeln und einstellen oder es auf eine andere Person übertragen. In diesem Fall sind die Miterben bis zur Betriebsbeendigung oder Auseinandersetzung über den Betrieb einkommensteuerlich Mitunternehmer.4 Davon abweichend erfolgt eine auf den Zeitpunkt des Erbfalls zurückwirkende Zurechnung der laufenden Einkünfte nur zu dem Miterben, der den Gewerbebetrieb übernimmt, wenn die Erben die Erbauseinandersetzung über den Gewerbebetrieb innerhalb von sechs Monaten nach dem Erbfall klar und rechtsverbindlich vereinbaren und die Auseinandersetzungsvereinbarung auch tatsächlich durchführen.5 Dies ändert aber nichts daran, dass die Miterben mit dem Erbfall Mitunternehmer geworden sind und Ausgleichszahlungen deshalb einerseits zu Anschaffungskosten und andererseits zu Veräußerungserlösen führen.6

6.109

c) Übergang von Personengesellschaftsanteilen aa) Steuerliche Folgen gesellschaftsrechtlicher Regelungen Maßgeblichkeit gesellschaftsvertraglicher Regelungen. Werden Anteile an einer Personengesellschaft vererbt, hängt die Besteuerung des Anteilsübergangs und die nachfolgende laufen1 BFH v. 5.7.1990 – GrS 2/89, BStBl. II 1990, 837; BMF v. 14.3.2006 – IV B 2 - S 2242 – 7/06, BStBl. I 2006, 253 Rz. 2. 2 Lohmann in BeckOK, § 2032 BGB Rz. 2 (Stand: Mai 2019). 3 BMF v. 14.3.2006 – IV B 2 - S 2242 – 7/06, BStBl. I 2006, 253 Rz. 3; man spricht insoweit auch von einer „geborenen Mitunternehmerschaft“, da die Erbengemeinschaft im Zeitpunkt des Todes des Erblassers zu einer Mitunternehmerschaft wird, vgl. Wacker in Schmidt39, § 16 EStG Rz. 606. 4 BMF v. 14.3.2006 – IV B 2 - S 2242 – 7/06, BStBl. I 2006, 253 Rz. 3. 5 BMF v. 14.3.2006 – IV B 2 - S 2242 – 7/06, BStBl. I 2006, 253 Rz. 8, 9; soweit laufende Einkünfte rückwirkend zugerechnet werden, ist die Auseinandersetzung steuerlich so zu behandeln, als ob sich die Erbengemeinschaft unmittelbar nach dem Erbfall auseinandergesetzt hätte. 6 BFH v. 5.7.1990 – GrS 2/89, BStBl. II 1990, 837.

Wiese/Lukas | 399

6.110

Kap. 6 Rz. 6.110 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

de Besteuerung davon ab, ob die Gesellschaft infolge des Todes aufzulösen ist oder von den verbleibenden Gesellschaftern allein oder mit einem oder mehreren der Erben fortgeführt wird. Dies richtet sich in erster Linie nach den gesellschaftsvertraglichen Vereinbarungen. bb) Auflösungs- und Fortsetzungsklauseln

6.111

Auflösungsklausel. Enthält der Gesellschaftsvertrag eine Klausel, nach der sich die Gesellschaft im Falle des Todes eines Gesellschafters auflöst, liegt steuerlich insgesamt eine nach §§ 16, 34 EStG begünstigte Betriebsaufgabe vor, soweit weder nach Realteilungsgrundsätzen noch nach § 6 Abs. 5 EStG eine Buchwertfortführung möglich ist.1 Die Gesellschaft tritt mit dem Tod des Erblassers in die Liquidation ein und ist ab diesem Zeitpunkt auf Abwicklung gerichtet; die Erbengemeinschaft tritt in die Liquidationsgesellschaft ein.2 Der Veräußerungsbzw. Aufgabegewinn ist den verbliebenden Gesellschaftern und der Erbengemeinschaft anteilig zuzurechnen.

6.112

Fortsetzungsklausel. Der Gesellschaftsvertrag kann aber auch vorsehen, dass die verbleibenden Gesellschafter die Gesellschaft nach dem Tod eines Gesellschafters als werbende Gesellschaft fortführen.3 Setzen die verbleibenden Gesellschafter die Gesellschaft nach dem Tod des Erblassers auf Grundlage einer solchen Klausel (s. aber auch § 131 Abs. 3 Nr. 1, 161 Abs. 2 HGB) fort oder führt bei einer zweigliedrigen Gesellschaft der verbleibende Gesellschafter das Unternehmen alleine fort, geht der Gesellschaftsanteil des Erblassers nicht auf die Erben über. Den Erben erwächst daraus ein Abfindungsanspruch gegen die Gesellschaft, dessen Höhe sich in Ermangelung abweichender Vereinbarungen nach dem Wert des Gesellschaftsvermögens richtet. Steuerlich wird noch in der Person des Erblassers ein (tarifbegünstigter) Gewinn aus einer Veräußerung bzw. Aufgabe auf den Todesfall gem. § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG hinsichtlich seines Mitunternehmeranteils in Höhe des Unterschieds zwischen dem Abfindungsanspruch und dem Buchwert seines Kapitalkontos im Todeszeitpunkt realisiert.4 Die Vereinnahmung der Abfindungszahlung durch die Erben unterliegt nicht erneut der Besteuerung.5 Gehörte zum Mitunternehmeranteil des Erblassers Sonderbetriebsvermögen, wird dieses – soweit die Erben nicht ebenfalls Gesellschafter der Personengesellschaft sind – notwendigerweise Privatvermögen. Ein entstehender Entnahmegewinn wird noch in der Person des Erblassers realisiert.6 cc) Übernahme- und Eintrittsklauseln

6.113

Übernahmeklausel. Der Gesellschaftsvertrag kann den verbleibenden Gesellschaftern das Recht einräumen, innerhalb einer bestimmten Frist die Übernahme des Gesellschaftsanteils 1 BMF v. 14.3.2006 – IV B 2 - S 2242 – 7/06, BStBl. I 2006, 253 Rz. 69. 2 Esskandari, ZEV 2012, 249; die Mitglieder der Erbengemeinschaft werden mittelbare Mitunternehmer der Gesellschaft. 3 Zu weiteren Einzelheiten s. v. Proff, DStR 2017, 2555 (2557 f.). 4 BMF v. 14.3.2006 – IV B 2 - S 2242 – 7/06, BStBl. I 2006, 253 Rz. 69. S. auch Esskandari, ZEV 2012, 249 (250); die verbleibenden Gesellschafter haben steuerlich Anschaffungskosten i.H. der Abfindungsverbindlichkeit. Die Abfindungsverbindlichkeit ist – ebenso wie ein zu ihrer Tilgung aufgenommener Kredit – passivierungspflichtige Betriebsschuld der Gesellschaft. 5 Vgl. Wacker in Schmidt39, § 16 EStG Rz. 661. 6 Wacker in Schmidt39, § 16 EStG Rz. 662; Esskandari, ZEV 2012, 249 (250); in entsprechender Anwendung von § 16 Abs. 3 Satz 7 EStG ist der gemeine Wert des Sonderbetriebsvermögens dem Abfindungsanspruch hinzuzurechnen. Auch dieser erhöhte Betrag ist tarifbegünstigt.

400 | Wiese/Lukas

B. Einkommensteuer | Rz. 6.115 Kap. 6

des Erblassers zu erklären. Wird die Übernahme in diesem Fall nicht innerhalb der Frist erklärt, rücken die Erben oder einzelne von ihnen in die Gesellschafterstellung des Erblassers ein. Erklären die verbleibenden Gesellschafter demgegenüber die Übernahme des Gesellschaftsanteils des Erblassers, realisieren die Erben einen Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinn in Bezug auf den Mitunternehmeranteil des Erblassers.1 Es handelt sich daher – anders als bei der Fortsetzungsklausel – nicht um eine Veräußerung oder Aufgabe auf den Todesfall in der Person des Erblassers.2 Eintrittsklausel. Enthält der Gesellschaftsvertrag eine Klausel, nach der der ein oder mehrere Erben im Falle des Todes eines Gesellschafters das Recht haben, in die Gesellschaft einzutreten, wird die Gesellschaft zunächst mit den verbleibenden Gesellschaftern fortgesetzt. Die Eintrittsklausel bewirkt daher keinen unmittelbaren Übergang der Mitgliedschaft des Erblassers mit dessen Tod.3 Die eintrittsberechtigten Erben erhalten lediglich das Eintrittsrecht, so dass sich der Eintritt selbst außerhalb erbrechtlicher Regelungen vollzieht.4 Machen die Erben von ihrem Eintrittsrecht keinen Gebrauch, wächst der Gesellschaftsanteil den verbleibenden Gesellschaftern an, und die Erben erwerben einen Abfindungsanspruch gegen die Gesellschaft. Steuerlich wird in diesem Fall in der Person des Erblassers – parallel zum Fall der Fortsetzungsklausel – ein (tarifbegünstigter) Veräußerungsgewinn i.S.v. §§ 16, 34 EStG erzielt. Üben die Erben demgegenüber das Eintrittsrecht innerhalb von sechs Monaten nach dem Erbfall aus, gilt stattdessen eine differenzierende Betrachtung: Machen alle Erben von ihrem Eintrittsrecht Gebrauch, wird die Gesellschaft mit allen Erben fortgesetzt, und es gelten dieselben Folgen wie im Falle einer einfachen Nachfolgeklausel. Machen nur einer oder einige der Erben von ihrem Eintrittsrecht Gebrauch, sind nur diese Erben als Mitunternehmer anzusehen, und es gelten dieselben Folgen wie im Fall einer qualifizierten Nachfolgeklausel.5

6.114

dd) Nachfolgeklauseln Einfache Nachfolgeklausel. Geht der Mitunternehmeranteil des Erblassers mit dessen Tod auf sämtliche Erben über, wird jeder Miterbe mit dem Erbfall nach Maßgabe seiner Erbquote unmittelbar Gesellschafter und steuerlich Mitunternehmer.6 Der Gesellschaftsanteil des Erblassers geht anteilig auf die Miterben über – der Anteil wird also im Wege der Sonderzuordnung automatisch „gesplittet“7. Das Sonderbetriebsvermögen wird demgegenüber (ungeteilt) gesamthänderisches Vermögen der Erbengemeinschaft. Da der Übergang des Mitunternehmeranteils des Erblassers insgesamt gem. § 6 Abs. 3 EStG unentgeltlich erfolgt, entsteht in der Person des Erblassers kein Veräußerungsgewinn.8 Hinzuweisen ist noch auf Folgendes: Da sämtliche Erben unmittelbar mit dem Erbfall Mitunternehmer der Gesellschaft werden, kann 1 Wacker in Schmidt39, § 16 EStG Rz. 664. 2 Vgl. Esskandari, ZEV 2012, 249 (250); dem liegt der Gedanke zugrunde, dass die Erben vorübergehend in die Gesellschafterstellung des Erblassers einrücken. Ob und in welcher Höhe ein Freibetrag gem. § 16 Abs. 4 EStG in Anspruch genommen werde kann, bestimmt sich somit – abweichend von Sachverhalten mit Fortsetzungsklauseln – nach der Person des jeweiligen Erben. 3 Vgl. v. Proff, DStR 2017, 2555 (2561). 4 Esskandari, ZEV 2012, 249 (251). 5 BMF v. 14.3.2006 – IV B 2 - S 2242 – 7/06, BStBl. I 2006, 253 Rz. 70, 71, 72. 6 Wacker in Schmidt39, § 16 EStG Rz. 665. 7 Esskandari, ZEV 2012, 249 (250); einer gesonderten Erbauseinandersetzung über die Gesellschaftsbeteiligung bedarf es daher nicht. 8 Wacker in Schmidt39, § 16 EStG Rz. 665; der oder die Erben haben daher die Buchwerte des Betriebsvermögens (einschließlich des Sonderbetriebsvermögens) fortzuführen.

Wiese/Lukas | 401

6.115

Kap. 6 Rz. 6.115 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

eine gewinnneutrale Erbauseinandersetzung durch Realteilung unter Einbeziehung des Mitunternehmeranteils erreicht werden.1

6.116

Qualifizierte Nachfolgeklausel. Folgen aufgrund einer gesellschaftsvertraglichen Regelung nicht alle Miterben, sondern nur einer oder einzelne Miterben dem Erblasser in seiner Gesellschafterstellung nach, werden nur die solchermaßen qualifizierten Miterben Mitunternehmer. Es findet kein Durchgangserwerb statt.2 Die anderen (nicht qualifizierten) Miterben, die nicht Gesellschafter werden, erlangen keinen Abfindungsanspruch gegen die Gesellschaft, sondern einen schuldrechtlichen Ausgleichsanspruch gegen den (qualifizierten) Miterben.3 Weder beim Erblasser noch bei den nicht qualifizierten Erben entsteht dadurch aber ein Veräußerungsgewinn.4 Der qualifizierte Erbe erwirbt den Gesellschaftsanteil unentgeltlich gem. § 6 Abs. 3 EStG, so dass insoweit die Buchwerte fortzuführen sind.5 Dennoch ist bei Vorhandensein von Sonderbetriebsvermögen Vorsicht geboten: Mit dem Erbfall kommt es zu einer anteiligen Entnahme von Sonderbetriebsvermögen, soweit dieses auf nicht qualifizierte Miterben entfällt. Denn dieses geht, anders als der Gesellschaftsanteil, auf die Erbengemeinschaft als Ganzes über.6 Der insoweit entstehende (nichtbegünstigte) Entnahmegewinn ist dem Erblasser zuzurechnen.7 Dem sollte durch entsprechende vorbereitende Maßnahmen begegnet werden. Beispielhaft seien genannt8: Einbringung des Sonderbetriebsvermögens in eine gewerblich geprägte Schwester-Personengesellschaft zu Buchwerten, Einsetzung des qualifizierten Erben zum Alleinerben, lebzeitige Übertragung des Gesellschaftsanteils einschließlich Sonderbetriebsvermögens auf den qualifizierten Erben. d) Auflösung der Erbengemeinschaft durch Erbauseinandersetzung aa) Steuerliche Folgen der Erbauseinandersetzung

6.117

Anwendungsschreiben. Üblicherweise erfolgt die Erbenauseinandersetzung durch Teilung des zum Nachlass gehörenden Vermögens und Verteilung auf die Erben. Die Auseinandersetzung ist mit dem dinglichen Vollzug der beschlossenen Verteilung beendet.9 Die Finanzverwaltung hat in einem Anwendungsschreiben10 ausführlich dargelegt, wie die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft aus ihrer Sicht einkommensteuerlich zu behandeln ist. Einige Kernaussagen sollen im Folgenden skizziert werden.

6.118

Zurechnung laufender Einkünfte. Soweit sich die Miterben über das gemeinschaftliche Vermögen auseinandersetzen, endet die Einkünfteerzielung durch die Erbengemeinschaft und da-

1 S. dazu das Beispiel in BMF v. 14.3.2006 – IV B 2 - S 2242 – 7/06, BStBl. I 2006, 253 Rz. 71; dazu auch Wacker in Schmidt39, § 16 EStG Rz. 670. 2 BMF v. 14.3.2006 – IV B 2 - S 2242 – 7/06, BStBl. I 2006, 253 Rz. 72. 3 Vgl. Wacker in Schmidt39, § 16 EStG Rz. 672. 4 Esskandari, ZEV 2012, 249 (251); Wacker in Schmidt39, § 16 EStG Rz. 672; dementsprechend entstehen bei dem qualifizierten Erben auch keine Anschaffungskosten. 5 Dem steht nach hier vertretener Auffassung nicht entgegen, dass der Begriff des Mitunternehmeranteils auch das wesentliche Sonderbetriebsvermögen umfasst und dieses nur zu einem Bruchteil auf den qualifizierten Erben übergeht; gl.A. Wacker in Schmidt39, § 16 EStG Rz. 672. 6 BMF v. 14.3.2006 – IV B 2 - S 2242 – 7/06, BStBl. I 2006, 253 Rz. 73. 7 BFH v. 29.10.1991 – VIII R 51/84, BStBl. II 1992, 512; BMF v. 14.3.2006 – IV B 2 - S 2242 – 7/06, BStBl. I 2006, 253 Rz. 74; Wacker in Schmidt39, § 16 EStG Rz. 674. 8 Ausführlicher und m.w.N. Wacker in Schmidt39, § 16 EStG Rz. 675. 9 Weidlich in Palandt79, § 2042 BGB Rz. 1. 10 BMF v. 14.3.2006 – IV B 2 - S 2242 – 7/06, BStBl. I 2006, 253.

402 | Wiese/Lukas

B. Einkommensteuer | Rz. 6.121 Kap. 6

mit die Zurechnung der laufenden Einkünfte an die Miterben.1 Bei der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft kann eine steuerliche Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Erbfalls erfolgen. Bei der Auseinandersetzungsvereinbarung wird eine rückwirkende Zurechnung der laufenden Einkünfte für sechs Monate anerkannt. In diesen Fällen werden die laufenden Einkünfte ohne Zwischenzurechnung ab dem Erbfall dem die Einkunftsquelle übernehmenden Miterben zugerechnet.2 Gegenstand der Erbauseinandersetzung. Für die ertragsteuerliche Behandlung der Erbauseinandersetzung ist relevant, welches Vermögen Gegenstand der Erbauseinandersetzung ist. Gegenstand der Erbauseinandersetzung kann Privat- oder Betriebsvermögen oder beides (sog. Mischnachlass) sein. Es empfiehlt sich, zunächst anhand von Kontrollrechnungen zu prüfen, bei welchen Wirtschaftsgütern des Nachlasses eine entgeltliche oder unentgeltliche Übertragung sinnvoll ist.

6.119

Grundsätzliche steuerliche Überlegungen. Eine Teilung ohne Abfindungszahlungen führt nicht zur Entstehung von Anschaffungskosten oder Veräußerungserlösen.3 Sowohl bei dem Erwerb von Betriebsvermögen als auch bei dem Erwerb von Privatvermögen erwirbt jeder Miterbe die ihm zugeteilten Wirtschaftsgüter, die er im Gesamtwert seiner Erbquote zu Alleineigentum erhält, unentgeltlich. Es handelt sich daher nicht um einen Tausch von Anteilen an den einzelnen Wirtschaftsgütern des Nachlasses, sondern um die Erfüllung des durch die Vereinbarung konkretisierten gesetzlichen Auseinandersetzungsanspruchs.4 Ein Miterbe, der bei der Auseinandersetzung Teile des Nachlasses erhält, erwirbt diese nur insoweit entgeltlich, als der Wert der erlangten Gegenstände den Wert seines Erbanteils übersteigt und er dafür einen Ausgleich leistet; im Übrigen erwirbt er unentgeltlich.5

6.120

bb) Auseinandersetzung über Privatvermögen Teilung mit Abfindungszahlung. Geht Privatvermögen – z.B. Anteile an Kapitalgesellschaften i.S.v. § 17 EStG – im Erbfall auf die Erbengemeinschaft über und teilen die Miterben dieses unter sich auf, gilt Folgendes: Soweit einer der Miterben an die anderen Miterben aus seinem eigenen Vermögen eine Abfindung zahlt, weil der Wert der von ihm übernommenen Anteile i.S.v. § 17 EStG höher ist als seine Erbquote, erwirbt er die Anteile teilweise entgeltlich – und zwar im Verhältnis der Abfindung zum Verkehrswert der Anteile – und teilweise unentgeltlich.6 In Höhe der Abfindungszahlung entstehen Anschaffungskosten. In Höhe des unentgeltlichen Teils führt der die Anteile übernehmende Erwerber demgegenüber die Anschaffungskosten des Erblassers fort. Ein Veräußerungsgewinn ist bei dem Empfänger der Abfindungszahlung nur steuerpflichtig, wenn die Voraussetzungen der §§ 17, § 20 Abs. 2, 23 EStG oder § 21 UmwStG vorliegen.7 Enthält der Nachlass auch liquide Mittel, z.B. Bankguthaben,

1 2 3 4 5

BMF v. 14.3.2006 – IV B 2 - S 2242 – 7/06, BStBl. I 2006, 253 Rz. 7. BMF v. 14.3.2006 – IV B 2 - S 2242 – 7/06, BStBl. I 2006, 253 Rz. 8. BMF v. 14.3.2006 – IV B 2 - S 2242 – 7/06, BStBl. I 2006, 253 Rz. 10, 22, 32. Wacker in Schmidt39, § 16 EStG Rz. 614, 625. Wacker in Schmidt39, § 16 EStG Rz. 609 m.w.N.; dementsprechend erfolgt bei den weichenden Miterben auch nur insoweit eine entgeltliche Veräußerung und im Übrigen eine unentgeltliche Übertragung. 6 Dementsprechend übertragen die die Abfindung empfangenden Miterben in demselben Verhältnis teilweise entgeltlich und teilweise unentgeltlich. 7 BMF v. 14.3.2006 – IV B 2 - S 2242 – 7/06, BStBl. I 2006, 253 Rz. 27.

Wiese/Lukas | 403

6.121

Kap. 6 Rz. 6.121 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

liegt keine Abfindungszahlung vor, wenn ein Miterbe die Sachwerte und einer anderer die liquiden Mittel erhält.1 cc) Auseinandersetzung über Betriebsvermögen

6.122

Aufteilung des Betriebsvermögens. Wird zum Nachlass gehörendes Betriebsvermögen geteilt und der Betrieb nicht fortgeführt, liegt eine Betriebsaufgabe i.S.v. § 16 Abs. 3 EStG vor, so dass stille Reserven aufzudecken sind. Die Übernahme aller oder einzelner betrieblicher Wirtschaftsgüter in das Privatvermögen der Miterben stellt entweder eine Betriebsaufgabe, eine Aufgabe eines Mitunternehmeranteils oder einen Realisierungsvorgang hinsichtlich eines laufenden Gewinns dar.2 Der Aufgabegewinn ist nach § 16 Abs. 3 Satz 1, § 34 EStG begünstigt. Keine stillen Reserven sind aufzudecken, wenn das Betriebsvermögen gem. § 6 Abs. 5 EStG zu Buchwerten (dazu Rz. 6.41 ff.) oder im Wege der Realteilung gem. § 16 Abs. 3 Satz 2 bis 4 EStG (dazu Rz. 6.28 ff.) auf die einzelnen Miterben übertragen wird.3 Gehören zum Nachlass mehrere selbständige Betriebe und werden diese im Zuge der Erbauseinandersetzung von einzelnen Miterben übernommen, sind die Buchwerte fortzuführen (§§ 6 Abs. 3, 16 Abs. 3 Satz 2 EStG).4

6.123

Auseinandersetzung über Betriebsvermögen mit Spitzen- oder Wertausgleich. Wird im Zuge der Erbauseinandersetzung Betriebsvermögen unter den Erben aufgeteilt, erhält ein Miterbe dabei wertmäßig mehr, als ihm nach seiner Erbquote zusteht, und zahlt er dafür an seine Miterben einen Spitzen- oder Wertausgleich (Abfindung), liegt insoweit ein Anschaffungsund Veräußerungsgeschäft vor. In Höhe des „Mehr“ entstehen bei den anderen Erben Veräußerungserlöse, die zu einem ggf. begünstigten Veräußerungsgewinn führen, und bei dem zahlenden Erben Anschaffungskosten.5 Im Übrigen liegt ein unentgeltlicher Übergang vor, d.h. in Höhe seiner Erbquote erwirbt der Miterbe unentgeltlich.6 Überführt ein Miterbe anlässlich der Aufteilung die ihm übertragenen betrieblichen Wirtschaftsgüter in sein Privatvermögen, führt dieser Vorgang zu einer gem. §§ 16, 34 EStG steuerbegünstigten Betriebsaufgabe. Aufgabegewinn ist dann der Gewinn, der sich aus dem Entnahmegewinn und der Abfindungszahlung ergibt.7

6.124

Besonderheiten bei Betrieben und Teilbetrieben. Wird ein Nachlass, der aus einem oder mehreren Betrieben besteht, dergestalt auseinandergesetzt, dass die weichenden Miterben eine Abfindung in Geld erhalten, veräußern die weichenden Miterben entgeltlich ihre Mitunternehmeranteile. Die Abfindung ist Veräußerungserlös, der ggf. zu einem begünstigten Veräußerungsgewinn der weichenden Miterben und zu Anschaffungskosten des zahlenden

1 Wacker in Schmidt39, § 16 EStG Rz. 629; keine Anschaffungskosten liegen darüber hinaus vor, wenn eine Abfindungszahlung dem Wert übernommener liquider Mittel des Nachlasses entspricht, da dann lediglich ein Tausch „Geld gegen Geld“ vorliegt, vgl. das Beispiel in BMF v. 14.3.2006 – IV B 2 - S 2242 – 7/06, BStBl. I 2006, 253 Rz. 30. 2 Wacker in Schmidt39, § 16 EStG Rz. 615. 3 BMF v. 14.3.2006 – IV B 2 - S 2242 – 7/06, BStBl. I 2006, 253 Rz. 11. 4 Wacker in Schmidt39, § 16 EStG Rz. 617. 5 BMF v. 14.3.2006 – IV B 2 - S 2242 – 7/06, BStBl. I 2006, 253 Rz. 14. 6 Nicht einheitlich wird beantwortet, ob eine Auseinandersetzung ohne Abfindung oder die entgeltliche Übertragung eines Mitunternehmeranteils vorliegt, wenn ein Miterbe den Betrieb und die anderen Miterben nur die liquiden Mittel des Betriebs übernehmen, dazu BFH v. 16.5.2013 – IV R 15/10, BStBl. II 2013, 858. 7 BMF v. 14.3.2006 – IV B 2 - S 2242 – 7/06, BStBl. I 2006, 253 Rz. 14.

404 | Wiese/Lukas

B. Einkommensteuer | Rz. 6.127 Kap. 6

Miterben führt.1 Die Abfindungszahlung ist bei den veräußernden Mitunternehmern dem Teil des Kapitalkontos gegenüberzustellen, der dem Verhältnis von Abfindungszahlung zum Wert des übernommenen Betriebsvermögens entspricht.2 Abgesehen von der teilweisen Gewinnrealisierung aufgrund der Abfindung haben die Miterben gem. § 16 Abs. 3 Satz 2 bis 4 EStG, d.h. nach den Grundsätzen über die Realteilung, die Buchwerte der zugeteilten Wirtschaftsgüter fortzuführen, soweit die zugeteilten Wirtschaftsgüter Betriebsvermögen bleiben.3 Scheidet eine Buchwertfortführung nach § 16 Abs. 3 Satz 2 bis 4 EStG aus, kommt ggf. eine Buchwertfortführung nach § 6 Abs. 5 EStG in Betracht, soweit die Wirtschaftsgüter Betriebsvermögen bleiben. Übernahme von Schulden über Erbquote hinaus. Uneinigkeit besteht zwischen Verwaltung und Rechtsprechung über die Frage, ob die Übernahme von Schulden über die Erbquote hinaus zu Anschaffungskosten führt. Nach Ansicht der Rechtsprechung können die von einem Miterben im Rahmen der Erbauseinandersetzung übernommenen Schulden der Erbengemeinschaft insoweit Anschaffungskosten der durch ihn übernommenen Wirtschaftsgüter des Nachlasses darstellen, als sie seinen Anteil am Nachlass übersteigen.4 Nach Ansicht der Finanzverwaltung führt die Übernahme von Schulden über die Erbquote hinaus demgegenüber nicht zu Anschaffungskosten.5 Die abweichende Rechtsprechung des BFH hat sie mit einem Nichtanwendungserlass belegt.6

6.125

dd) Auseinandersetzung über Mischnachlass Mischnachlass. Ein Mischnachlass liegt vor, wenn der Nachlass sowohl aus Betriebs- als auch aus Privatvermögen besteht. Auf eine Auseinandersetzung sind die für Betriebsvermögen und die für Privatvermögen geltenden Grundsätze anzuwenden.7 Auch hier liegt nur insoweit eine Entgeltlichkeit vor, als Abfindungszahlungen geleistet werden. Eine Abfindungszahlung führt daher auch bei einem Mischnachlass zu Anschaffungskosten und einem ggf. einkommensteuerpflichtigen Veräußerungserlös.8 Die Teilung ohne Abfindungszahlung führt nicht zur Entstehung eines Veräußerungs- oder Aufgabegewinns einerseits sowie von Anschaffungskosten andererseits. Vorsicht ist jedoch geboten, wenn in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Auseinandersetzung liquide Mittel ins Privatvermögen übernommen werden, um insoweit eine gewinnneutrale Teilung zu ermöglichen. Nach Ansicht der Finanzverwaltung kann einer solchen Gestaltung nach § 42 AO steuerlich die Anerkennung zu versagen sein.9

6.126

ee) Möglichkeit einer Teilerbauseinandersetzung Grundsätze. Die Erbauseinandersetzung kann zunächst auch nur für einen Teil des Nachlasses erfolgen. Die Erbengemeinschaft wird dann im Übrigen fortgeführt. Für eine Teilerbaus1 Vgl. Wacker in Schmidt39, § 16 EStG Rz. 610. 2 BMF v. 14.3.2006 – IV B 2 - S 2242 – 7/06, BStBl. I 2006, 253 Rz. 17. 3 Der von dem Miterben, der die Abfindungszahlung erhält, zu versteuernde Gewinn ist nicht nach §§ 16, 34 begünstigt, BMF v. 14.3.2006 – IV B 2 - S 2242 – 7/06, BStBl. I 2006, 253 Rz. 19. 4 BFH v. 14.12.2004 – IX R 23/02, BStBl. II 2006, 296. 5 BMF v. 14.3.2006 – IV B 2 - S 2242 – 7/06, BStBl. I 2006, 253 Rz. 18. 6 BMF v. 30.3.2006 – IV B 2 - S 2242 – 15/06, BStBl. I 2006, 306. 7 Wacker in Schmidt39, § 16 EStG Rz. 636. 8 BMF v. 14.3.2006 – IV B 2 - S 2242 – 7/06, BStBl. I 2006, 253 Rz. 36. Zu Einzelheiten s. etwa Wacker in Schmidt39, § 16 EStG Rz. 636 ff. 9 BMF v. 14.3.2006 – IV B 2 - S 2242 – 7/06, BStBl. I 2006, 253 Rz. 33.

Wiese/Lukas | 405

6.127

Kap. 6 Rz. 6.127 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

einandersetzung sind steuerlich die gleichen Grundsätze wie für eine endgültige Erbauseinandersetzung anzuwenden.1 Auch hier liegt nur insoweit eine Entgeltlichkeit vor, als der einzelne Miterbe mehr erhält, als ihm nach seiner Erbquote zusteht. Die Leistung von Abfindungszahlungen führt wiederum zu Anschaffungskosten. Finden innerhalb von fünf Jahren weitere Teilerbauseinandersetzungen oder eine endgültige Erbauseinandersetzung statt, sind diese steuerlich zusammenzufassen und als Einheit zu betrachten.2 Innerhalb der fünf Jahre sind somit auch Änderungen der schon erfolgten Teilerbauseinandersetzungen möglich, soweit insgesamt eine quotengerechte Auseinandersetzung erfolgt.

C. Körperschaftsteuer I. Körperschaftsteuer in der Unternehmensnachfolge 1. Trennung zwischen Körperschaft und Gesellschafterebene 6.128

Trennungsprinzip. Auch bei der Unternehmensnachfolge kommt mit Blick auf Körperschaften der strikten Trennung zwischen der Besteuerung der Körperschaft einerseits und der Besteuerung der Gesellschafter andererseits (Trennungsprinzip) entscheidende Bedeutung zu.3 Körperschaft und Gesellschafter sind eigenständige Steuersubjekte. Werden Anteile an der Körperschaft übertragen, hat dies daher regelmäßig keine Auswirkungen auf die Besteuerung der Körperschaft. In Ausnahmefällen wird das Trennungsprinzip jedoch durchbrochen. Eine solche Ausnahme bildet der Untergang der körperschaftsteuerlichen Verluste und Verlustvorträge gem. § 8c KStG bei „schädlichen“ Beteiligungserwerben (s. Rz. 6.139 ff.).4

2. Zuwendung an Körperschaft durch Dritten als Betriebseinnahme 6.129

Unentgeltliche Vermögensmehrung als körperschaftsteuerpflichtige Betriebseinnahme. Sämtliche von einer unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtigen Kapitalgesellschaft erzielten Einkünfte sind Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 8 Abs. 2 KStG). Die Kapitalgesellschaft verfügt daher nicht über eine außerbetriebliche Sphäre, und die ihr zuzurechnenden Wirtschaftsgüter sind Betriebsvermögen.5 Die gewerblichen Einkünfte umfassen sämtliche Einkünfte und mithin auch Vermögensmehrungen aufgrund unentgeltlicher Zuwendungen und Erbfälle. Nach Ansicht des BFH unterliegt daher auch die für den Betrieb einer Pflegeheim-GmbH bestimmte Erbschaft ungeachtet ihrer erbschaftsteuerlichen Belastung der Körperschaftsteuer (s. Rz. 6.101 ff.).6

6.130

Abgrenzung zu Einlagen. Im Einzelfall ist jedoch zu prüfen, ob die durch die Vermögensmehrung entstehende Erhöhung des steuerbilanziellen Gewinns durch eine (außerbilanzielle) Korrektur als Einlage steuerlich zu neutralisieren ist (§§ 4 Abs. 1 Satz 1, 5 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG).7 Um als Einlage qualifiziert werden zu können, muss die Zuführung 1 BMF v. 14.3.2006 – IV B 2 - S 2242 – 7/06, BStBl. I 2006, 253 Rz. 56. 2 Vgl. BMF v. 14.3.2006 – IV B 2 - S 2242 – 7/06, BStBl. I 2006, 253 Rz. 58. 3 BVerfG v. 12.10.2010 – 1 BvL 12/07, BVerfGE 127, 224, BGBl. I 2010, 1766 Rz. 61; Hey in Tipke/ Lang, Steuerrecht24, Rz. 11.2. 4 BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106, BStBl. II 2017, 1082; Desens in HHR, Einf. KStG Rz. 90 (Stand: August 2014). 5 Grundlegend BFH v. 4.12.1996 – I R 54/95, BFH/NV 1997, R190. 6 BFH v. 6.12.2016 – I R 50/16, BStBl. II 2017, 324, sog. zweite „Altenheim-Entscheidung“. 7 BFH v. 6.12.2016 – I R 50/16, BStBl. II 2017, 324. Dazu auch oben (s. Rz. 6.102).

406 | Wiese/Lukas

C. Körperschaftsteuer | Rz. 6.133 Kap. 6

des Wirtschaftsguts ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis haben. Unentgeltliche Zuwendungen eines Gesellschafters an seine Gesellschaft sind daher regelmäßig Einlagen. Gleiches gilt, wenn der Gesellschafter seine Kapitalgesellschaft als Erbin einsetzt.1 Auch in diesem Fall lässt sich die bei der Kapitalgesellschaft erfolgende Vermögensmehrung nicht auf ihre unternehmerische Tätigkeit zurückführen.2 Mittelbare Dritteinlagen. Eine Einlage ist unter bestimmten Voraussetzungen auch dann denkbar, wenn der der Kapitalgesellschaft zugeführte Vermögensvorteil nicht aus dem Vermögen des Gesellschafters stammt. Wendet ein Dritter der Gesellschaft einen Vermögensvorteil zu und erfolgt diese Zuwendung, weil der Zuwendende seine geschäftlichen Beziehungen zu dem Gesellschafter erhalten möchte, ist die (an die Kapitalgesellschaft erfolgende) Zuwendung bei dem Gesellschafter steuerlich zu erfassen und stellt bei der Kapitalgesellschaft eine (steuerneutrale) Einlage dar.3 Hat die Gesellschaft die Vermögensmehrung aber ausschließlich aufgrund ihrer eigenen gewerblichen Betätigung erlangt, ist auch eine solche mittelbare Einlage ausgeschlossen.4

6.131

Kein Ausschlussverhältnis von Erbschaftsteuer und Körperschaftsteuer. Nach der Rechtsprechung des II. Senats des BFH5 handelt es sich bei nicht betrieblich veranlassten Zuwendungen im Verhältnis von Kapitalgesellschaft und Gesellschaftern um gesellschaftsrechtliche Vorgänge, die keine unentgeltlichen Zuwendungen darstellen, sondern als Gewinnausschüttungen, Kapitalrückzahlungen oder Einlagen anzusehen sind6. Diese Fälle haben daher grundsätzlich nur ertragsteuerlich Relevanz (zu erbschaftsteuerlichen Sonderthemen in diesem Zusammenhang s. Rz. 6.164 ff.). Davon zu trennen sind jedoch die Fälle, in denen die Kapitalgesellschaft Zuwendungen von einem Dritten erhält (dazu bereits Rz. 6.130): Nach Ansicht des I. Senats ist in diesen Fällen die Besteuerung des nämlichen Vorgangs mit Körperschaftsteuer und Erbschaftsteuer möglich.7 Wenn man diese Belastung des nämlichen Vorgangs mit Körperschaftsteuer und Erbschaftsteuer zulässt, stellt sich jedoch in systematischer Hinsicht die Frage, ob damit nicht ein und derselbe Vorgang zugleich als entgeltlich und als unentgeltlich behandelt wird.8 Auch wenn die zuletzt genannte Auffassung einiges für sich hat, ist für die Beratungspraxis davon auszugehen, dass eine Doppelbelastung möglich ist.

6.132

Auswirkungen der Gewerblichkeitsfiktion. Jedenfalls in Fällen, in denen Zuwendungsempfänger eine Kapitalgesellschaft ist, für die die Gewerblichkeitsfiktion gem. § 8 Abs. 2 KStG gilt, kann die Überlegung, dass sich der Tatbestand einer Schenkung und einer auf Einkünfteerzielung am Markt gerichteten Erwerbshandlung ausschließen, nicht durchgreifen. Aufgrund der

6.133

1 BFH v. 28.2.1956 – I 92/54 U, BStBl. III 1956, 154; BFH v. 24.3.1993 – I R 131/90, BStBl. II 1993, 799; Roser in Gosch3, § 8 KStG Rz. 111. 2 BFH v. 24.3.1993 – I R 131/90, BStBl. II 1993, 799. 3 Roser in Gosch3, § 8 KStG Rz. 110. 4 In dem Urteilssachverhalt der zweiten Altenheim-Entscheidung, Az. I R 50/16, hatte eine Pflegeheim-GmbH die Zuwendung ausschließlich erlangt, weil der Erblasser bis zu seinem Tode Bewohner des Pflegeheims war. Zudem hatte der Erblasser testamentarisch verfügt, dass das Erbvermögen ausschließlich für Zwecke des Heimbetriebs zu verwenden war. Die Ursache der Zuwendung lag daher ausschließlich in der gewerblichen Betätigung der Pflegeheim-GmbH. Mithin liegt in diesem Fall nicht eine Einlage, sondern eine steuerpflichtige Betriebseinnahme vor. 5 BFH v. 20.1.2016 – II R 40/14, BFH/NV 2016, 848; BFH v. 2.9.2015 – II B 146/14, BFH/NV 2015, 1586. 6 S. auch R E 7.5 Abs. 1 ff. ErbStR 2019 7 BFH v. 6.12.2016 – I R 50/16, BStBl. II 2017, 324. 8 So Crezelius, ZEV 2017, 169 (173).

Wiese/Lukas | 407

Kap. 6 Rz. 6.133 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

Gewerblichkeitsfiktion des § 8 Abs. 2 KStG hängt die Erfolgswirksamkeit der Vermögensmehrung einer unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtigen Kapitalgesellschaft nicht davon ab, dass die Vermögensmehrung den Einkunftstatbeständen des EStG zugeordnet werden kann.1

6.134

Sonstige Körperschaften. Für Körperschaften, für die die Gewerblichkeitsfiktion des § 8 Abs. 2 KStG nicht greift (insbesondere beschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaften) und die mithin lediglich mit bestimmten, durch ihre Marktteilnahme erzielten Einkünften der Besteuerung unterliegen, gelten die vorstehenden Erwägungen jedoch entsprechend. Allein die Unentgeltlichkeit der Zuwendung dürfte den Zurechnungszusammenhang zur Erwerbssphäre jedenfalls dann nicht entfallen lassen, wenn die Zuwendung erkennbar mit Rücksicht auf den Gewerbebetrieb erfolgt und nach der Zweckbestimmung des Zuwendenden für den Gewerbebetrieb zu verwenden ist.2 Auch in diesem Fall dürfte die Zuwendung als durch die Marktteilnahme der Gesellschaft veranlasst anzusehen sein.

6.135

Keine Anwendung von § 35b EStG. Eine Entlastung nach § 35b EStG wird im Rahmen der Körperschaftsteuer nicht gewährt.3 Der BFH sieht hierin keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung von natürlichen Personen und Körperschaften.4

3. Mittelbare Zuwendung an Mitgesellschafter 6.136

Abgrenzung zu § 7 Abs. 8 ErbStG. Leistungen gesellschaftsfremder Dritter an die Kapitalgesellschaft, die darauf abzielen, diese zu bereichern, fallen nicht unter § 7 Abs. 8 ErbStG, sondern sind als steuerbare Zuwendung an die Kapitalgesellschaft gem. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG zu erfassen. § 7 Abs. 8 ErbStG kommt in diesem Fall nicht zur Anwendung. Die Vorschrift soll Besteuerungslücken in Fällen schließen, in denen disquotale Einlagen der Gesellschafter oder Zuwendungen eines Dritten an die Gesellschaft nicht auf die originäre Bereicherung der Kapitalgesellschaft, sondern auf die – mittelbare – Bereicherung der Mitgesellschafter abzielen. Mehrungen des Betriebsvermögens in der ausschließlichen Absicht, das Gesellschaftsvermögen zu erhöhen, erfasst die Vorschrift nicht.

4. Zuwendung an Gesellschafter durch Körperschaft 6.137

Steuerliche Behandlung von verdeckten Gewinnausschüttungen. Nach der Rechtsprechung des BFH werden sämtliche Zahlungen einer Körperschaft an ihre Gesellschafter ausschließlich ertragsteuerlich erfasst.5 Verdeckte Gewinnausschüttungen führen beim Gesellschafter zu Einnahmen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG und werden bei der Körperschaft steuerlich abschließend von § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG erfasst. Eine erbschaftsteuerlich relevante freigebige Zuwendung der Kapitalgesellschaft an den Gesellschafter liegt in diesem Fall nicht vor. Die Finanzverwaltung hat ihre frühere Auffassung, nach der solche Zuwendungen auch erbschaftsteuerliche Bedeutung hatten, aufgegeben und folgt nun der Linie der Rechtsprechung.6

1 2 3 4 5

Vgl. BFH v. 6.12.2016 – I R 50/16, BStBl. II 2017, 324. Wacker, DStR 2017, 319 (322). Dazu BFH v. 14.9.1994 – I R 78/94, BStBl. II 1995, 207; Kulosa in Schmidt39, § 35b EStG Rz. 4. BFH v. 6.12.2016 – I R 50/16, BStBl. II 2017, 324. BFH v. 30.1.2013 – II R 6/12, BStBl. II 2013, 931; BFH v. 13.9.2017 – II R 42/16, BStBl. II 2018, 299. 6 R E 7.5 Abs. 7 Satz 1 ErbStR 2019. Im Falle einer verdeckten Gewinnausschüttung an eine dem Gesellschafter nahestehende Person kann danach aber im Verhältnis zwischen Gesellschafter und nahestehender Person eine freigebige Zuwendung i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG vorliegen.

408 | Wiese/Lukas

C. Körperschaftsteuer | Rz. 6.141 Kap. 6

II. Körperschaftsteuerliche Verlustvorträge 1. Verlustuntergang bei schädlichem Beteiligungserwerb Wirkungsweise von § 8c KStG. Die körperschaftsteuerlichen Verlustvorträge einer Körperschaft gehen nach § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG vollständig unter, wenn innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren durch einen schädlichen Beteiligungserwerb mehr als 50 % der Anteile an der Körperschaft auf einen Erwerber, eine dem Erwerber nahestehende Person oder eine Erwerbergemeinschaft übertragen werden. Die vorherige Fassung des § 8c Abs. 1 KStG sah – neben dem vollständigen Verlustuntergang bei einem Anteilserwerb von mehr als 50 % – vor, dass die körperschaftsteuerlichen Verlustvorträge quotal untergehen, wenn 25 % bis 50 % der Anteile an der Körperschaft übertragen werden. Der quotale Verlustuntergang wurde jedoch vom BVerfG für mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt.1

6.138

Einschränkungen. Die sog. „Fallbeil-Wirkung“ des § 8c Abs. 1 KStG, aufgrund derer die Verlustvorträge vollständig untergehen, wenn die Erwerbsschwelle überschritten wird, wurde im Laufe der Zeit entschärft. So sieht § 8c KStG eine sog. „Stille-Reserven-Klausel“ (Abs. 1 Satz 5 ff.) und ein „Sanierungsprivileg“ (Abs. 1a) vor. Abweichend von § 8c KStG können gem. § 8d KStG nunmehr Verluste auch nach einem „schädlichen“ Anteilserwerb genutzt werden, wenn das Unternehmen nach dem Beteiligungserwerb im Wesentlichen unverändert fortgeführt wird. § 8d KStG stellt insofern eine Ausnahme zu § 8c KStG dar. Neben der im Wesentlichen unveränderten Fortführung des Unternehmens dürfen keine nennenswerten Strukturänderungen (§ 8d Abs. 2 KStG) erfolgen. Für die Nutzung des Verlusts schädliche Ereignisse können z.B. das Ruhendstellen des Geschäftsbetriebs (§ 8d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 KStG) oder die Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft (§ 8d Abs. 2 Satz 1 Nr. 4) sein. Nicht genutzte Verlustvorträge wandeln sich in einen sog. fortführungsgebundenen Verlustvortrag um.

6.139

Verfassungswidrigkeit des Verlustuntergangs in seiner derzeitigen Ausgestaltung. Gegen den vollständigen Verlustuntergang des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG bestehen ähnliche Bedenken wie gegen den quotalen Verlustuntergang. Auch § 8c (Abs. 1) Satz 2 KStG a.F. (Erwerb von mehr als 50 % der Gesellschaftsanteile) liegt aktuell dem BVerfG vor.2

6.140

2. Erfassung unentgeltlicher Übertragungsvorgänge Einschränkende Auffassung der Finanzverwaltung. Nach dem Gesetzeswortlaut unterliegen der Vorschrift Beteiligungserwerbe unabhängig davon, ob sie entgeltlich oder unentgeltlich erfolgen. Auch Beteiligungserwerbe im Wege der Schenkung oder der vorweggenommenen Erbfolge sind vom Wortlaut der Vorschrift ohne Weiteres erfasst. Nach Auffassung der Finanzverwaltung soll jedoch der Erwerb seitens einer natürlichen Person durch Erbfall einschließlich der unentgeltlichen Erbauseinandersetzung und der unentgeltlichen vorweggenommenen Erbfolge zwischen Angehörigen i.S.v. § 15 AO vom Anwendungsbereich der Vorschrift ausgenommen sein.3 Dies wiederum soll nicht gelten, wenn der Erwerb in auch nur geringem Umfang entgeltlich erfolgt.4 Erwerbe, bei denen Abstandszahlungen, Gleichstellungsgelder, die Übernahme von Verbindlichkeiten oder Versorgungsleistungen, die nicht unter § 10 Abs. 1a Nr. 2 Buchst. c EStG fallen, vereinbart werden, führen daher in den Anwen1 2 3 4

BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106, BStBl. II 2017, 1082. FG Hamburg v. 29.8.2017 – 2 K 245/17, DStR 2017, 2377 (Az. BVerfG 2 BvL 19/17). BMF v. 28.11.2017 – IV C 2 - S 2745-a/09/10002:004, BStBl. I 2017, 1645 Rz. 4. BMF v. 28.11.2017 – IV C 2 - S 2745-a/09/10002:004, BStBl. I 2017, 1645 Rz. 4.

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6.141

Kap. 6 Rz. 6.141 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

dungsbereich von § 8c KStG. Welche Sachverhalte die Finanzverwaltung aber konkret unter den Begriff der vorweggenommenen Erbfolge fassen möchte, bleibt offen. Mangels anderweitiger Definition dürfte davon auszugehen sein, dass die Finanzverwaltung auf die Definition in ihrem Schreiben zur vorweggenommenen Erbfolge zurückgreift.1 Danach sind unter einer vorweggenommenen Erbfolge Vermögensübertragungen unter Lebenden mit Rücksicht auf die künftige Erbfolge zu verstehen.2 Im Ergebnis ist davon auszugehen, dass die Finanzverwaltung eine vorweggenommene Erbfolge nur annimmt, wenn das zugewendete Vermögen dem Wert des Erbteils entspricht und dem künftigen Erben auferlegt wird, den anderen gesetzlichen Erben bei Erbanfall einen entsprechenden Ausgleich aus dem eigenen Vermögen zu gewähren; die berechtigte Erberwartung des weiteren Erben darf durch die getroffene Verfügung nicht geschmälert werden.3 Danach dürfte ein Ausschluss der Anrechnungspflicht auf die spätere Erbschaft gem. §§ 2050, 2052 BGB die Annahme einer vorweggenommenen Erbfolge ausschließen; zwingend ist diese Ansicht, die nur die der gesetzlichen Erbfolge gleichkommende vorweggenommene Erbfolge vom Anwendungsbereich des § 8c KStG ausnimmt, aber nicht.4 Bei Zugrundelegung des engen Verständnisses der vorweggenommenen Erbfolge wäre jedenfalls zugleich die Abgrenzung zu „allgemeinen“ Schenkungsvorgängen hergestellt, die auch nach Auffassung der Finanzverwaltung einen schädlichen Beteiligungserwerb i.S.v. § 8c Abs. 1 KStG darstellen.5

6.142

Ansicht der Rechtsprechung. Nach Ansicht des FG Münster ist die einschränkende Auslegung durch die Finanzverwaltung nicht mit dem Gesetzeswortlaut in Einklang zu bringen.6 Auch im Falle einer vorweggenommenen Erbfolge ist § 8c KStG danach anwendbar. Eine Steuerfreiheit ist nach dieser engen Auffassung nur gegeben, wenn die Voraussetzungen der Stille-Reserven-Klausel (§ 8c Abs. 1 Satz 6 KStG) oder der Konzernklausel (§ 8c Abs. 1 Satz 5 KStG) erfüllt sind.

6.143

Verbindliche Auskunft. Im Rahmen der Nachfolgeplanung sollte die unklare Rechtslage mittels einer verbindlichen Auskunft geklärt werden. Sollte ein Erhalt der Verlustvorträge nicht möglich sein, ist zu klären, ob diese noch vor Anteilsübertragung steuerlich genutzt werden können.

D. Gewerbesteuer I. Gewerbesteuer in der Unternehmensnachfolge 6.144

Bedeutung der Gewerbesteuer in der Unternehmensnachfolge. Für die Nachfolgeplanung spielt die Gewerbesteuer im Vergleich zur Einkommensteuer und Erbschaft- und Schenkungsteuer regelmäßig nur eine untergeordnete Rolle. Im Fokus steht sowohl bei Personengesell-

1 So auch Dötsch/Leibner in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 8c KStG Rz. 55 (Stand: Juni 2018). 2 BMF v. 13.1.1993 – IV B 3 - S 2190 – 37/92, BStBl. I 1993, 80 Rz. 1. 3 So die Ansicht der Finanzverwaltung in dem Verfahren vor dem FG Münster v. 4.11.2015 – 9 K 3478/13 F, EFG 2016, 412 (rkr.); dazu Chuchra/Dorn/Schwarz, DStR 2016, 1404 (1406); Oppel, ZEV 2016, 427. 4 Neumann in Rödder/Herlinghaus/Neumann, § 8c KStG Rz. 69; nimmt daher auch ohne eine Anrechnung auf den späteren Erbteil eine vorweggenommene Erbfolge an, wenn die Übertragung an nahe Angehörige i.S.v. § 15 AO erfolgt. 5 BMF v. 28.11.2017 – IV C 2 - S 2745-a/09/10002:004, BStBl. I 2017, 1645 Rz. 4. 6 FG Münster v. 4.11.2015 – 9 K 3478/13 F, EFG 2016, 412 (rkr.).

410 | Wiese/Lukas

D. Gewerbesteuer | Rz. 6.147 Kap. 6

schaften als auch bei Körperschaften zumeist die Frage, ob gewerbesteuerliche Fehlbeträge auch nach der Übertragung steuerlich genutzt werden können. Objektsteuer. Gegenstand der Gewerbesteuer ist der im Inland betriebene stehende Gewerbebetrieb (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG). Die Gewerbesteuer ist daher eine Objektsteuer, die den durch einen Unternehmer betriebenen Gewerbebetrieb, nicht aber den dahinterstehenden Unternehmer in den Blick nimmt.

6.145

Ausnahmen. Dieses Prinzip gilt jedoch nicht ausnahmslos. So wird der Gewerbebetrieb, wenn er im Ganzen auf einen anderen Unternehmer übergeht, so behandelt, als wäre er durch den bisherigen Unternehmer eingestellt und durch den anderen Unternehmer neu gegründet worden (§ 2 Abs. 5 GewStG). Die Fiktion einer Neugründung gilt nicht, wenn der übergehende Betrieb mit einem bereits bestehenden Betrieb vereinigt wird (§ 2 Abs. 5 Satz 2 GewStG). Trotz der zivilrechtlichen und steuerlichen Gesamtrechtsnachfolge im Erbfall (s. Rz. 6.92 ff.) ist der übergegangene Betrieb bei dem Erwerber ein neuer, selbständiger Gewerbebetrieb.1 Die Steuerpflicht des eingestellten Betriebs erlischt, und der neu gegründete Betrieb wird steuerpflichtig. Veränderungen im Gesellschafterbestand einer Personengesellschaft führen nicht zu einem Unternehmerwechsel, solange mindestens ein Gesellschafter weiterhin Mitunternehmer der Gesellschaft bleibt.2 Dies gilt auch dann, wenn der einzige verbleibende Mitunternehmer weder am Vermögen noch am Gewinn der Mitunternehmerschaft beteiligt ist (z.B. die Komplementär-GmbH einer GmbH & Co. KG).3 Solange mindestens einer der Alt-Gesellschafter in der Mitunternehmerschaft verbleibt, hat die Übertragung von Mitunternehmeranteilen daher lediglich Bedeutung für den Untergang gewerbesteuerlicher Fehlbeträge gem. § 10a GewStG. Danach bleiben gewerbesteuerliche Fehlbeträge bei der Übertragung unternehmerischen Vermögens nur erhalten, soweit neben der Identität des Unternehmens auch die Identität der hinter dem Unternehmen stehenden Unternehmer erhalten bleibt; ein Gewerbeverlust ist nur insoweit im Rahmen des § 10a GewStG zu berücksichtigen, als er auf die verbleibenden Gesellschafter entfällt. Ob eine Anteilsübertragung eine (fiktive) Betriebseinstellung und Neugründung gem. § 2 Abs. 5 GewStG darstellt, hat z.B. Bedeutung für die Frage, ob nach einer unterjährigen Anteilsübertragung entstandene Fehlbeträge in einen vortragsfähigen Gewerbeverlust gem. § 10a GewStG münden – dies wäre der Fall, wenn der Betrieb infolge der Anteilsübertragung als neu gegründet gilt –, oder ob sie zunächst mit vor der Anteilsübertragung erzielten Gewinnen aus demselben Erhebungszeitraum zu verrechnen sind.4

6.146

II. Einzelunternehmen und Mitunternehmerschaften 1. Besteuerung des laufenden Betriebs Keine Erfassung von Veräußerungs- und Aufgabegewinnen. Für die Unternehmensnachfolge von erheblicher Bedeutung ist der aus dem Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer abgeleitete Grundsatz, dass lediglich Gewinne aus dem laufenden Betrieb, nicht jedoch Gewinne aus der Aufgabe oder Veräußerung des Unternehmens der Gewerbesteuer unterliegen.5 Der Gewerbeertrag, der Ausgangspunkt für die Ermittlung der gewerbesteuerlichen Bemes-

1 2 3 4 5

Esskandari, ZEV 2012, 249 (252). S. z.B. BFH v. 26.6.1996 – VIII R 41/95, BStBl. II 1997, 179. BFH v. 26.6.1996 – VIII R 41/95, BStBl. II 1997, 179. Zu dieser Konstellation BFH v. 26.6.1996 – VIII R 41/95, BStBl. II 1997, 179. Vgl. Sarrazin in Lenski/Steinberg, § 2 GewStG Rz. 7 (Stand: November 2017); Drüen in Blümich, § 2 GewStG Rz. 30 (Stand: August 2018).

Wiese/Lukas | 411

6.147

Kap. 6 Rz. 6.147 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

sungsgrundlage ist, wird zwar aus dem einkommensteuerlichen oder körperschaftsteuerlichen Gewinn abgeleitet (§ 7 Satz 1 GewStG). Dieser Gewinn ist jedoch für gewerbesteuerliche Zwecke um diejenigen Bestandteile zu bereinigen, die sich mit dem Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer als einer auf den tätigen Betrieb bezogenen Sachsteuer nicht vereinbaren lassen.1 Auszuscheiden sind danach bei Einzelunternehmen und Mitunternehmerschaften Veräußerungs- und Aufgabegewinne sowie Gewinnbestandteile, die in einem unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit der Betriebsveräußerung oder -aufgabe stehen und daher keine laufenden Gewinne sind.2 Für Mitunternehmerschaften gilt jedoch eine Sonderregelung: Veräußerungs- und Aufgabegewinne gehören, soweit sie nicht auf eine natürliche Person als unmittelbar beteiligten Mitunternehmer entfallen, zum Gewerbeertrag (§ 7 Satz 2 GewStG).

2. Gewerbesteuerliche Folgen der Nachfolge in den Mitunternehmeranteil 6.148

Personengesellschaft. Wird die Personengesellschaft im Falle des Todes durch die verbleibenden Gesellschafter fortgesetzt oder sieht der Gesellschaftsvertrag eine einfache oder qualifizierte Nachfolgeklausel vor, gilt der Betrieb nicht gem. § 2 Abs. 5 Satz 1 GewStG als eingestellt, da lediglich ein teilweiser Gesellschafterwechsel erfolgt.3 Auch in der Sphäre des versterbenden Gesellschafters hat der Übergang des Gesellschaftsanteils keine gewerbesteuerlichen Auswirkungen. Geht der Mitunternehmeranteil auf den oder die Erben über, erfolgt der Übergang zwingend zu Buchwerten (§ 6 Abs. 3 EStG).4 Wird der Mitunternehmeranteil infolge des Todes aufgegeben, weil die verbleibenden Gesellschafter die Gesellschaft ohne den Erblasser und ohne Übergang seines Anteils auf dessen Erben fortsetzen, bleibt ein dadurch entstehender Aufgabegewinn gewerbesteuerlich außer Ansatz. Zwar gehört gem. § 7 Satz 2 GewStG auch der Gewinn aus der Veräußerung oder Aufgabe des Betriebs oder Teilbetriebs einer Mitunternehmerschaft und eines Mitunternehmeranteils zum Gewerbeertrag. Dies gilt jedoch nur, soweit der Gewinn nicht auf eine natürliche Person als unmittelbar beteiligten Mitunternehmer entfällt.

6.149

Entnahme von Sonderbetriebsvermögen infolge Erbfalls. Rücken infolge einer qualifizierten Nachfolgeklausel nur einzelne Miterben in die Gesellschafterstellung des Erblassers ein, bleibt der Mitunternehmeranteil dem unternehmerischen Vermögen zugeordnet, und es entsteht insoweit kein Entnahmegewinn. Anderes gilt jedoch für das Sonderbetriebsvermögen des Erblassers, das zunächst in das Gesamthandsvermögen der Erbengemeinschaft fällt.5 Das Sonderbetriebsvermögen des Erblassers behält seine Eigenschaft als Sonderbetriebsvermögen lediglich i.H. der Erbquote des qualifizierten Erben. In der Person des Erblassers entsteht ein Entnahmegewinn, soweit das (vormals einheitliche) Sonderbetriebsvermögen Privatvermögen bei den Erben wird, die nicht in die Gesellschafterstellung des Erblassers einrücken.6 Nach Ansicht des BFH ist dieser Entnahmegewinn jedoch nicht gewerbesteuerpflichtig.7 Dem liegt der 1 S. z.B. BFH v. 14.12.2006 – IV R 3/05, BStBl. II 2007, 777. 2 BFH v. 26.6.2007 – IV R 49/04, BStBl. II 2009, 289; BFH v. 15.3.2000 – VIII R 51/98, BStBl. II 2000, 316; danach ist ein nach einkommensteuerlichen Maßstäben laufender Gewinn nicht zwingend auch zugleich Teil des Gewerbeertrags i.S.v. § 7 GewStG. Soweit einkommensteuerlich laufende Gewinne einem Veräußerungs- oder Aufgabevorgang zuzurechnen sind, können sie nicht Gegenstand der Gewerbesteuer sein. 3 S. auch Esskandari, ZEV 2012, 249 (253). 4 Vgl. noch zu § 7 Abs. 1 EStDV BFH v. 15.3.2000 – VIII R 51/98, BStBl. II 2000, 316. 5 Vgl. BFH v. 28.1.1998 – VIII B 9/97, BFH/NV 1998, 959. 6 BFH v. 28.1.1998 – VIII B 9/97, BFH/NV 1998, 959. 7 BFH v. 15.3.2000 – VIII R 51/98, BStBl. II 2000, 316.

412 | Wiese/Lukas

D. Gewerbesteuer | Rz. 6.153 Kap. 6

Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer zugrunde: Der Gewerbesteuer unterfallen nur Gewinne aus dem laufenden Geschäftsbetrieb, nicht jedoch Gewinne aus seiner Aufgabe oder Veräußerung.1 Eintrittsklauseln. Sieht der Gesellschaftsvertrag eine Eintrittsklausel vor, richtet sich die gewerbesteuerliche Behandlung nach der einkommensteuerlichen Handhabung. Tritt kein Erbe in die Gesellschaft ein, wächst den anderen Gesellschaftern der Gesellschaftsanteil an. Wird das Eintrittsrecht innerhalb von sechs Monaten nach dem Erbfall durch einen oder mehrere Erben ausgeübt, ist dieser Sachverhalt steuerlich nach den Grundsätzen zur qualifizierten bzw. einfachen Nachfolgeklausel zu behandeln. Der Eintritt der Erben ist daher in diesen Fällen einkommensteuerlich und gewerbesteuerlich grundsätzlich neutral zu behandeln. Die Steuerneutralität umfasst gewerbesteuerlich auch einen Gewinn aus der Entnahme des Sonderbetriebsvermögens, soweit lediglich einige Erben von ihrem Eintrittsrecht Gebrauch machen; einkommensteuerlich sind insoweit die stillen Reserven des Sonderbetriebsvermögens als nicht begünstigter Entnahmegewinn zu versteuern.

6.150

III. Körperschaften Trennungsprinzip. Das bei Körperschaften geltende Trennungsprinzip hat zur Folge, dass ein Wechsel eines Anteilseigners keine Auswirkungen auf die gewerbesteuerliche Behandlung der Körperschaft hat. Auch hier besteht eine Ausnahme hinsichtlich des Abzugs von steuerlich bisher ungenutzten Verlusten (s. Rz. 6.155).

6.151

Gewerbesteuerliches Schachtelprivileg. Ist der Erwerber selbst gewerbesteuerpflichtiges Steuersubjekt und erhöht sich der Anteil des Erwerbers an der übertragenen Körperschaft auf über 15 %, unterliegen die Gewinnausschüttungen der Körperschaft ab dem folgenden Erhebungszeitraum gem. §§ 9 Nr. 2, 8 Nr. 5 GewStG auf Ebene des Gesellschafters nicht erneut der Gewerbesteuer.

6.152

IV. Gewerbesteuerliche Fehlbeträge 1. Einzelunternehmen und Mitunternehmerschaften Unternehmensidentität und Unternehmeridentität. Die Grundregel lautet: Der Gewerbeertrag wird um die Fehlbeträge gekürzt, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume ergeben haben, soweit die Fehlbeträge nicht bei der Ermittlung des Gewerbeertrags für vorangegangene Erhebungszeiträume berücksichtigt worden sind (§ 10a Satz 1 GewStG). Der Gewerbetreibende kann einen Verlustabzug nach § 10a GewStG jedoch nur beanspruchen, wenn er den Gewerbeverlust in eigener Person erlitten hat. Die Inanspruchnahme des gewerbesteuerlichen Verlustabzugs setzt daher nicht nur voraus, dass der im Kürzungsjahr bestehende Gewerbebetrieb mit dem Gewerbebetrieb im Verlustentstehungsjahr identisch ist (Unternehmensidentität)2, sondern auch, dass der den Verlustabzug beanspruchende Steuerpflichtige den Gewerbeverlust zuvor in eigener Person erlitten hat (Unternehmeridentität).3 Der Steuerpflichtige muss sowohl zur Zeit der Verlustentstehung als auch

1 Anderes gilt jedoch, wenn es aufgrund letztwilliger Verfügung des Erblassers oder aus anderen Gründen zu Entnahmen von Wirtschaftsgütern aus dem unternehmerischen Vermögen kommt, vgl. Esskandari, ZEV 2012, 249 (253). 2 Dazu ausführlich Drüen in Blümich, § 10a GewStG Rz. 45 ff. (Stand: März 2018). 3 BFH v. 1.10.2012 – IV R 3/09, BStBl. II 2013, 176 Rz. 14.

Wiese/Lukas | 413

6.153

Kap. 6 Rz. 6.153 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

im Jahr der Entstehung des positiven Gewerbeertrags Unternehmensinhaber sein.1 Dieser Gedanke kommt in § 10a GewStG an zwei Stellen zum Ausdruck. Nach § 10a Satz 8 GewStG entfällt der Verlustvortrag, wenn der Gewerbebetrieb im Ganzen auf einen anderen Unternehmer übergeht. Und nach § 10a Satz 4 GewStG ist der Verlustvortrag einer Mitunternehmerschaft den Mitunternehmern nach dem allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel zuzurechnen. Das bedeutet: Geht ein Einzelunternehmen auf einen Nachfolger über, entfällt der Verlustabzug in voller Höhe. Ist Übertragungsgegenstand ein Mitunternehmeranteil, entfällt der Verlustabzug nur insoweit, als der Fehlbetrag anteilig auf den ausgeschiedenen Gesellschafter entfällt.2 Für die anteilige Kürzung des Fehlbetrags ist es ohne Bedeutung, ob der bisherige Gesellschafter auf Grundlage eines entgeltlichen Rechtsgeschäfts aus der der Gesellschaft ausscheidet oder ob der Anteil – wie im Falle der vorweggenommenen Erbfolge – unentgeltlich übergeht.3

2. Körperschaften 6.154

Unternehmeridentität bei Körperschaften. Für die Unternehmensnachfolge hat die Unternehmeridentität als Voraussetzung für den Verlustabzug keine Bedeutung. Da die Körperschaft als solche Unternehmerin ist, lässt ein Gesellschafterwechsel die Identität der Unternehmerin unberührt.4 Dennoch kann die Übertragung von Anteilen an einer Körperschaft zum Entfallen des Verlustabzugs bei der Körperschaft führen, da § 8c KStG gem. § 10a Satz 10 GewStG entsprechend anzuwenden ist (dazu s. Rz. 6.139 ff.). Auch die Rückausnahme des § 8d KStG (fortführungsgebundener Verlustvortrag) ist gem. § 10a Satz 10 GewStG entsprechend anzuwenden. Im Grundsatz entsprechen die Regelungen zum gewerbesteuerlichen Verlustabzug bei Körperschaften daher den körperschaftsteuerlichen Regelungen.5 Zu beachten ist, dass die entsprechende Anwendung auch für den Fehlbetrag einer Mitunternehmerschaft gilt, soweit dieser einer Körperschaft unmittelbar oder mittelbar über eine weitere Mitunternehmerschaft zuzurechnen ist (§ 10a Satz 10 Halbs. 2 GewStG). Diese Regelung soll Gestaltungen vorbeugen, bei denen der Verlustbetrieb vor dem Anteilseignerwechsel gem. § 24 UmwStG auf eine Personengesellschaft übertragen wird, so dass die Verlustvorträge von dem Anteilseignerwechsel bei der Körperschaft nicht berührt werden.6

E. Erbschaft- und Schenkungsteuer I. Erbschaftsteuer in der Unternehmensnachfolge 6.155

Bedeutung der Erbschaftsteuer. Neben der Einkommensteuer ist die Erbschaftsteuer7 die zweite Steuerart, der bei der Nachfolgeplanung besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden 1 BFH v. 1.10.2012 – IV R 3/09, BStBl. II 2013, 176 Rz. 14; BFH v. 3.5.1993 – GrS 3/92, BStBl. II 1993, 616 unter C.III.1. 2 BFH v. 7.12.1993 – VIII R 160/86, BStBl. II 1994, 331 im Anschluss an BFH vom 3.5.1993 – GrS 3/92, BStBl. II 1993, 616; s. auch BFH v. 17.1.2006 – VIII R 96/04, BFH/NV 2006, 885. 3 BFH v. 3.2.2010 – IV R 59/07, BFH/NV 2010, 1492. 4 Die Unternehmeridentität steht bei Körperschaften daher lediglich in Umwandlungsfällen in Frage, Drüen in Blümich, § 10a GewStG Rz. 61 (Stand: März 2018). 5 Unterschiede ergeben sich durch den körperschaftsteuerlichen Verlustrücktrag und aufgrund der abweichenden Regelungen zur Ermittlung des Gewerbeertrags, vgl. Drüen in Blümich, § 10a GewStG Rz. 87 (Stand: März 2018). 6 Dazu Drüen in Blümich, § 10a GewStG Rz. 88 m.w.N. (Stand: März 2018). 7 Im Folgenden umfasst der Begriff der Erbschaftsteuer auch die Schenkungsteuer, die gleichermaßen im ErbStG geregelt ist.

414 | Wiese/Lukas

E. Erbschaft- und Schenkungsteuer | Rz. 6.159 Kap. 6

sollte. Im Mittelpunkt der erbschaftsteuerlichen Nachfolgeplanung steht für Unternehmerinnen und Unternehmer zumeist die Frage, ob für die Vermögensübertragung die erbschaftsteuerlichen Verschonungsregeln für Unternehmensvermögen in Anspruch genommen werden können. Diese Frage ist von zentraler Bedeutung, da – in Abhängigkeit von der Größe und der Zusammensetzung des übertragenen Vermögens – eine Verschonung von 85 % oder sogar von 100 % des übertragenen Vermögens möglich ist. Erbschaftsteuerversicherung. Durch Anfall von Erbschaftsteuer entsteht ein erhöhter Liquiditätsbedarf. Um ausreichend liquide Mittel zur Begleichung dieser Forderungen zur Verfügung zu haben, empfiehlt sich u.U. der Abschluss einer sog. unechten Erbschaftsteuerversicherung. Dabei handelt es sich um eine Lebensversicherung, die der Erbe auf das Leben des Erblassers mit dessen Einwilligung abschließt, um zu erwartende hohe Erbschaftsteuerverbindlichkeiten abzudecken und die Zerschlagung von Vermögensteilen zu vermeiden. Aufgrund der Identität zwischen Versicherungsnehmer und Auszahlungsempfänger unterliegt die unechte Erbschaftsteuerversicherung selbst nicht der Erbschaftsteuer.1

6.156

II. Steuerpflichtiger Erwerb 1. Erwerb von Todes wegen Erwerb von Todes wegen und Schenkung. Der Gesetzgeber hat den Erwerb von Todes wegen und die Schenkung unter Lebenden als steuerpflichtige Erwerbsvorgänge gleichgestellt, § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ErbStG. Wann im Einzelnen ein steuerpflichtiger Erwerbsvorgang vorliegt, ist der Aufzählung der Steuertatbestände in den §§ 3 bis 8 ErbStG zu entnehmen. Im Folgenden werden die wichtigsten Erwerbstatbestände aufgelistet.

6.157

a) Erwerb durch Erbanfall und Vermächtnis Erbanfall. Gegenstand der Besteuerung ist nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 ErbStG der Erbanfall, also der Übergang des Vermögens auf den oder die Erben infolge des Todes des Erblassers. Auch vergleichbare Erwerbsvorgänge nach ausländischem Recht können Gegenstand der deutschen Erbschaftsteuer sein.2 Voraussetzung ist, dass der Erwerb nach seinen Rechtsfolgen und seinem wirtschaftlichen Ergebnis einem der Steuertatbestände des § 3 ErbStG entspricht.3 Entscheidendes Kriterium ist, ob der Tod einer Person nach dem ausländischen Recht unmittelbar kraft Gesetzes zu einer Gesamtrechtsnachfolge in ihr Vermögen führt.4

6.158

Vermächtnis. Der Erwerb durch Vermächtnis (§§ 1939, 2147 ff. BGB; § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, Nr. 3 ErbStG) oder der Erwerb dessen, was als Abfindung für den Verzicht auf ein Vermächtnis gezahlt wird (§ 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG), gilt ebenfalls als steuerbarer Erwerb von Todes wegen. Die Steuer entsteht mit dem Tod des Erblassers. Dies ist auch der maßgebliche Zeitpunkt für die Wertermittlung.5 Besteuerungs- und Bewertungsgegenstand ist das erworbene

6.159

1 Lehmann, ZEV 2004, 398 (402). 2 Weinmann in Moench/Weinmann, § 3 ErbStG Rz. 1a (Stand: November 2015); Loose in v. Oertzen/Loose2, § 3 ErbStG Rz. 18. 3 Zuletzt BFH v. 4.7.2012 – II R 38/10, BStBl. II 2012, 782 m.w.N. 4 Weinmann in Moench/Weinmann, § 3 ErbStG Rz. 9 (Stand: Juni 2017); Rotter, NWB 2016, 2595 (2596). 5 Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 3 ErbStG Rz. 170 (Stand: Oktober 2014).

Wiese/Lukas | 415

Kap. 6 Rz. 6.159 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

Forderungsrecht gegen den mit dem Vermächtnis Beschwerten.1 Für die Besteuerung maßgeblich ist daher der gemeine Wert des Vermächtnisanspruchs, nicht der Steuerwert des vermachten Gegenstands.2 Der Vermächtnisgegenstand ist nicht selbst Gegenstand der Besteuerung, sondern nur ein wertbestimmender Faktor des Vermächtnisanspruchs, dessen Wert u.a. auch vom Erfüllungsrisiko3 abhängt. Der Wert des Vermächtnisanspruchs ist von dem Erwerb des Erben als Nachlassverbindlichkeit abziehbar (§ 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG). Aufgrund des Stichtagsprinzips bleiben Wertänderungen eines vermachten Gegenstandes, die nach dem Anfall des Vermächtnisses eintreten, unberücksichtigt. b) Erwerb durch Pflichtteil

6.160

Gleichstellung mit Erwerb von Todes wegen. Nach § 2303 BGB steht den Abkömmlingen, den Eltern und dem Ehegatten des Erblassers ein Pflichtteil zu, wenn sie durch eine Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen sind.4 Lebenspartner sind Ehegatten gleichgestellt (§ 10 Abs. 5 Satz 2 LPartG). Der Pflichtteil ist ein auf Geld gerichteter schuldrechtlicher Anspruch in Höhe der Hälfte des Werts des gesetzlichen Erbteils. Der Anspruch entsteht mit dem Erbfall und gehört ab diesem Zeitpunkt zivilrechtlich zum Vermögen des Pflichtteilsberechtigten.5 Gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG stellt auch der Erwerb aufgrund eines geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs einen steuerbaren Erwerb von Todes wegen dar. Die Erbschaftsteuer entsteht mit der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG). Die Höhe der Steuer bemisst sich nach dem Nennwert des ganz oder zum Teil geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs.6 Der Wert des zugrunde liegenden Pflichtteils berechnet sich anhand des Verkehrswerts des Nachlasses zum Zeitpunkt des Erbfalls abzgl. der Summe aller Schulden sowie Erbfallkosten, Kosten der Testamentsvollstreckung und Zugewinnausgleichsforderungen.7 Nicht abgezogen werden Vermächtnisse und Auflagen.8 Der geltend gemachte Pflichtteilsanspruch ist beim Erben als Nachlassverbindlichkeit gem. § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG abziehbar.

2. Vorweggenommene Erbfolge a) Freigebige Zuwendungen unter Lebenden

6.161

Schenkung; Konkretisierung in § 7 ErbStG. Das ErbStG unterwirft neben den Erwerbsvorgängen von Todes wegen auch Schenkungen unter Lebenden der Besteuerung (§ 1 Abs. 1 1 Vgl. Bruschke, ErbStB 2013, 122 (125); Geck in Kapp/Ebeling, § 3 ErbStG Rz. 149.1 (Stand: Februar 2018); Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 3 ErbStG Rz. 170 (Stand: Oktober 2014). 2 Loose in v. Oertzen/Loose2, § 3 ErbStG Rz. 67; Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 3 ErbStG Rz. 171 (Stand: Juni 2017); für die speziellen Vermächtnisarten s. Loose in v. Oertzen/Loose2, § 3 ErbStG Rz. 68 ff. 3 Ein solches kann z.B. bei mit einer Vinkulierungsklausel versehenen Kapitalgesellschaftsanteilen bestehen. 4 Der Zusatzpflichtteil wird gewährt, wenn einem Pflichtteilsberechtigten ein Erbteil hinterlassen wird, der geringer ist als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils, s. auch § 2306 BGB. 5 Weinmann in Moench/Weinmann, § 3 ErbStG Rz. 111 (Stand: Juni 2017). 6 Weinmann in Moench/Weinmann, § 3 ErbStG Rz. 118 (Stand: Mai 2018); Gottschalk in Troll/ Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 3 ErbStG Rz. 233 (Stand: Mai 2018). 7 Weinmann in Moench/Weinmann, § 3 ErbStG Rz. 115 (Stand: Juni 2017); Gebel in Troll/Gebel/ Jülicher/Gottschalk, § 3 ErbStG Rz. 221 (Stand: September 2013). 8 Loose in v. Oertzen/Loose2, § 3 ErbStG Rz. 72.

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E. Erbschaft- und Schenkungsteuer | Rz. 6.163 Kap. 6

Nr. 2 ErbStG). Grundsätzlich umfasst der Begriff alle auf einem Rechtsgeschäft unter Lebenden beruhenden Zuwendungen, durch die der Bedachte schon zu Lebzeiten des Zuwendenden bereichert ist. Was im Einzelnen als Schenkung unter Lebenden gilt, konkretisiert § 7 ErbStG. Obgleich die Schenkung unter Lebenden das Grundmodell des § 7 ErbStG bildet, geht der Begriff der freigebigen Zuwendung unter Lebenden in § 7 Abs. 1, 6 und 7 ErbStG darüber hinaus. Für die freigebige Zuwendung von Unternehmensvermögen gelten die allgemeinen Vorschriften des ErbStG und der Bewertung des Betriebsvermögens gem. § 12 Abs. 5 ErbStG.1 Unternehmerisches Vermögen kann durch eine unmittelbare Zuwendung übertragen werden. Daneben ist eine mittelbare Zuwendung möglich, wenn dem Erwerber Geld- oder Sachmittel zur Verfügung gestellt werden, um diesen in die Lage zu versetzen, das Vermögen zu erwerben. b) Erwerb durch Schenkung auf den Todesfall Erwerb von Todes wegen. Eine Schenkung auf den Todesfall (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 ErbStG) ist ein Schenkungsversprechen unter der Bedingung, dass der Beschenkte den Schenker überlebt (sog. Überlebensbedingung).2 Bei einer Schenkung auf den Todesfall soll die Bereicherung des Beschenkten erst mit dem Ableben des Schenkers eintreten. Aufgrund dieser vertraglichen Verknüpfung der Zuwendung mit dem Tod des Zuwendenden hat der Gesetzgeber die Schenkung auf den Todesfall den Erwerben von Todes wegen zugeordnet.3 Über ihren Wortlaut hinaus setzt die Vorschrift voraus, dass der Beschenkte durch die Zuwendung bereichert ist und die Beteiligten sich über die Unentgeltlichkeit der Zuwendung einig sind.4 Als steuerpflichtige Bereicherung gilt der gemeine Wert des gesamten Vermögensanfalls abzgl. der nach § 10 Abs. 3 bis 9 ErbStG abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten (§ 10 Abs. 1 Satz 2 ErbStG).

6.162

3. Sonderthemen a) Zuwendungen durch Kapitalgesellschaften Zuwendungen durch Kapitalgesellschaften an ihre Gesellschafter. Verdeckte Gewinnausschüttungen von Kapitalgesellschaften stehen im Spannungsfeld zwischen Einkommen- und Erbschaftsteuer. Eine verdeckte Gewinnausschüttung i.S.v. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG ist jede Vermögensminderung oder verhinderte Vermögensmehrung, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, sich auf die Höhe des Unterschiedsbetrags i.S.v. § 4 Abs. 1 EStG auswirkt und in keinem Zusammenhang mit einer offenen Gewinnausschüttung steht.5 Im Verhältnis zwischen einer Kapitalgesellschaft und ihren Gesellschaftern könnte es zu einer steuerlichen 1 Weinmann in Moench/Weinmann, § 7 ErbStG Rz. 166 (Stand: Februar 2019). 2 Geck in Kapp/Ebeling, § 3 ErbStG Rz. 236 (Stand: Februar 2018); Weinmann in Moench/Weinmann, § 3 ErbStG Rz. 128 (Stand: Juli 2015); Loose in v. Oertzen/Loose2, § 3 ErbStG Rz. 80; Weidlich in Palandt79, § 2301 BGB Rz. 1. 3 Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 3 ErbStG Rz. 243 (Stand: Oktober 2014). 4 Grundlegend BFH v. 5.12.1990 – II R 109/86, BStBl. II 1991, 181; Geck in Kapp/Ebeling, § 3 ErbStG Rz. 237 (Stand: Februar 2018); Loose in v. Oertzen/Loose2, § 3 ErbStG Rz. 82. 5 S. etwa BFH v. 7.8.2002 – I R 2/02, BStBl. II 2004, 131; BFH v. 20.10.2004 – I R 4/04, BFH/NV 2005, 723; ein gesetzlich definierter Begriff der verdeckten Gewinnausschüttung fehlt indes; für eine detaillierte Übersicht über die Rechtsprechung und ihre Historie s. etwa Rengers in Blümich, § 8 KStG Rz. 230 ff. (Stand: August 2017). Während die verdeckte Gewinnausschüttung auf Gesellschaftsebene eine außerbilanzielle Einkommenskorrektur auslöst, werden auf Gesellschafterebene die steuerlichen Konsequenzen einer (offenen) Gewinnausschüttung gezogen.

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6.163

Kap. 6 Rz. 6.163 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

Doppelbelastung kommen, wenn ertragsteuerlich relevante verdeckte Gewinnausschüttungen infolge einer Erbschaftsteuerpflicht beiden Steuerarten unterworfen würden. Die Finanzverwaltung war zunächst der Auffassung, dass bei Zahlungen von überhöhten Vergütungen an einen Gesellschafter das über die Beteiligungsquote hinaus Verteilte als erbschaftsteuerpflichtige freigebige Zuwendung anzusehen ist.1 Dieser Ansicht hatte der BFH jedoch eine Absage erteilt. Der BFH geht in seiner Rechtsprechung bei der steuerlichen Würdigung von verdeckten Gewinnausschüttungen von einem Exklusivitätsverhältnis von Ertrag- und Erbschaftsteuer aus.2 Die Finanzverwaltung hatte auf diese Rechtsprechung zunächst mit einem Nichtanwendungserlass reagiert.3 Der BFH hat seine Auffassung jedoch in jüngeren Urteilen bestätigt.4 Danach ergeben sich die Rechtsfolgen einer verdeckten Gewinnausschüttung abschließend aus § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG für den Gesellschafter und aus § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG für die Gesellschaft.5 Dem hat sich nun auch die Finanzverwaltung angeschlossen.6

6.164

Zuwendungen durch Kapitalgesellschaften an eine dem Gesellschafter nahestehende Person. Anders können die Fälle zu beurteilen sein, in denen der Vermögensvorteil nicht unmittelbar dem Gesellschafter zufließt, sondern einer dem Gesellschafter nahestehenden Person. Nach der älteren Rechtsprechung konnte eine verdeckte Gewinnausschüttung in Gestalt einer unangemessen hohen Vergütung an eine dem Gesellschafter nahestehende Person auch als gemischte freigebige Zuwendung der Gesellschaft an die dem Gesellschafter nahestehende Person i.S.v. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG eingeordnet werden.7 Auch in dieser Hinsicht hat sich der BFH aber in zwei jüngeren Urteilen klar positioniert.8 Die Finanzverwaltung hat sich dieser neuen Rechtsprechung angeschlossen.9 Danach ist die Zahlung überhöhter Entgelte durch eine GmbH an eine dem Gesellschafter nahe stehende Person keine (gemischte) freigebige Zuwendung der GmbH an die nahestehende Person, wenn der Gesellschafter beim Abschluss der Vereinbarung zwischen der GmbH und der nahe stehenden Person mitgewirkt hat. Vielmehr beruht die Vorteilsgewährung auf dem Gesellschaftsverhältnis zwischen der GmbH und dem Gesellschafter. In Höhe des unangemessenen Teils des Entgelts ist danach eine (ohne förmlichen Ausschüttungsbeschluss erfolgte) Vorabausschüttung an den Gesellschafter gegeben, die im Wege der abgekürzten Zahlung an die nahestehende Person geleistet wird. Die Gesellschaft leistet die Zahlung an die nahe stehende Person im Hinblick auf die gesellschaftsvertraglichen Rechte des Gesellschafters.10 Im Verhältnis einer Kapitalgesellschaft zu ihren 1 Gleichlautende Ländererl. v. 14.3.2012, FinBeh HH – 53 - S 3806 - 002/12, BStBl. I 2012, 331 Rz. 2.6.2; Keß, ZEV 2015, 254 (256). 2 BFH v. 30.1.2013 – II R 6/12, BStBl. II 2013, 931; so auch die Analyse von Crezelius, ZEV 2015, 392 (397). 3 Gleichlautende Ländererl. v. 5.6.2013, FinBeh HH – 53 - S 3806 - 007/12, BStBl. I 2013, 1465. 4 So BFH v. 2.9.2015 – II B 146/14, BFH/NV 2015, 1586; BFH v. 27.8.2014 – II R 44/13, BStBl. II 2015, 249. 5 BFH v. 30.1.2013 – II R 6/12, BStBl. II 2013, 931; zustimmend Zimmert, DStR 2013, 1654; ebenso und mit einem Überblick über den aktuellen Diskussionsstand Meßbacher-Hönsch, ZEV 2018, 182 (185). 6 R E 7.5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 7 ErbStR 2019. 7 BFH v. 7.11.2007 – II R 28/06, BStBl. II 2008, 258; ebenso Ratschow in Blümich, § 20 EStG Rz. 110a (Stand: August 2015). 8 BFH v. 13.9.2017 – II R 32/16, DStRE 2018, 227 Rz. 27; BFH v. 13.9.2017 – II R 54/15, DStRE 2018, 224 Rz. 27. In der Literatur ging man bereits zuvor davon aus, dass das Urteil II R 6/12 auch auf Sachverhalte anwendbar sei, die sich auf dem Gesellschafter nahestehende Personen bezogen. So etwa Viskorf/Haag, DStR 2013, 649 (653). 9 R E 7.5 Abs. 7 Satz 6 ErbStR 2019. 10 BFH v. 13.9.2017 – II R 32/16, DStRE 2018, 227 Rz. 29.

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E. Erbschaft- und Schenkungsteuer | Rz. 6.167 Kap. 6

Gesellschaftern oder zu den Gesellschaftern einer an ihr beteiligten Kapitalgesellschaft gibt es danach neben betrieblich veranlassten Rechtsbeziehungen lediglich offene und verdeckte Gewinnausschüttungen sowie Kapitalrückzahlungen, jedoch keine freigebigen Zuwendungen i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG.1 Indes kann der Gesellschafter, der die überhöhte Zahlung der Gesellschaft an die nahestehende Person veranlasst, unter Umständen selbst als Schenker i.S.v. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG anzusehen sein, so dass zwischen dem Gesellschafter und der nahestehenden Person eine freigebige Zuwendung vorliegt.2 b) Fiktive Erwerbe bei Ausscheiden aus einer Gesellschaft Tod des Ausscheidenden. Gem. § 3 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 ErbStG gilt auch der auf dem Ausscheiden eines Gesellschafters beruhende Übergang des Anteils oder des Teils eines Anteils eines Gesellschafters einer Personen- oder Kapitalgesellschaft auf die anderen Gesellschafter oder auf die Gesellschaft bei seinem Tod als Schenkung auf den Todesfall, soweit der Wert, der sich für seinen Anteil im Todeszeitpunkt nach § 12 ErbStG ergibt, Abfindungsansprüche Dritter – d.h. der Erben des Gesellschafters – übersteigt. Das Bewusstsein der Unentgeltlichkeit des Erwerbs gehört nicht zu den Tatbestandsvoraussetzungen; eine objektiv gegebene Bereicherung ist ausreichend.3 Der Besteuerung unterliegt nicht nur der Anwachsungserwerb durch die übrigen Gesellschafter in einer mehrgliedrigen Personengesellschaft gem. § 738 Abs. 1 BGB, §§ 105 Abs. 2, 161 Abs. 2 HGB, sondern im Falle einer zweigliedrigen Personengesellschaft auch der Übergang des Gesamthandseigentums in das Alleineigentum des übernehmenden Gesellschafters.4 Eine entsprechende Besteuerung ergibt sich gem. § 3 Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 ErbStG für die Einziehung eines Geschäftsanteils an einer GmbH, wenn der Gesellschafter verstirbt.

6.165

Ausscheiden zu Lebzeiten. Nach § 7 Abs. 7 ErbStG gilt als Schenkung auch der Übergang eines Anteils an einer Personen- oder Kapitalgesellschaft auf die anderen Gesellschafter oder die Gesellschaft, wenn ein Mitgesellschafter zu Lebzeiten aus der Gesellschaft ausscheidet und eine Abfindung unterhalb des steuerlichen Werts seines Gesellschaftsanteils erhält. Parallelvorschrift der Norm ist der Erwerbstatbestand von Todes wegen nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 ErbStG (s. Rz. 6.166). § 7 Abs. 7 ErbStG soll nur Fälle erfassen, in denen der Anteilsübergang auf die anderen Gesellschafter oder die Gesellschaft auf dem Ausscheiden des Gesellschafters beruht. Rechtsgeschäftliche Anteilsübertragungen werden grundsätzlich nicht von § 7 Abs. 7 ErbStG erfasst.5

6.166

Rechtsgeschäftliche Übertragung nach Erbanfall. § 7 Abs. 7 Satz 3 ErbStG erweitert den Anwendungsbereich des § 7 Abs. 7 ErbStG auf rechtsgeschäftliche Anteilsübertragungen unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 10 ErbStG. Gemeint ist der Fall, dass ein Erbe, der ein Mitgliedschaftsrecht an einer Personengesellschaft durch Erbanfall erworben hat, seinen An-

6.167

1 BFH v. 30.1.2013 – II R 6/12, BStBl. II 2013, 931; R E 7.5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 7 ErbStR 2019. 2 BFH v. 13.9.2017 – II R 32/16, DStRE 2018, 227 Rz. 35 ff.; BFH v. 13.9.2017 – II R 54/15, DStRE 2018, 224 Rz. 35 ff.; R E 7.5 Abs. 7 Satz 6 ErbStR 2019. 3 So BFH v. 1.7.1992 – II R 20/90, BStBl. II 1992, 912; Geck in Kapp/Ebeling, § 3 ErbStG Rz. 237 (Stand: Februar 2018). 4 Geck in Kapp/Ebeling, § 3 ErbStG Rz. 237 (Stand: Mai 2012); Weinmann in Moench/Weinmann, § 3 ErbStG Rz. 137 (Stand: Februar 2018); R E 3.4 Abs. 2 Satz 1 ErbStR 2019. 5 BFH v. 20.1.2016 – II R 40/14, BFH/NV 2016, 848; FG München v. 5.4.2017 – 4 K 711/16, ErbStB 2017, 233 (n. rkr.); s. Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 404 (Stand: November 2017).

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Kap. 6 Rz. 6.167 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

teil aufgrund einer Regelung im Gesellschaftsvertrag unverzüglich nach dem Erwerb an die Mitgesellschafter abtritt und dafür eine unter dem Anteilswert liegende Abfindung erhält.1 In diesem Fall gelten § 7 Abs. 7 Satz 1 und 2 ErbStG sinngemäß. Obwohl der Abfindungsberechtigte nach Maßgabe von § 10 Abs. 10 ErbStG einen Gesellschaftsanteil erwirbt, wird ihm gleichwohl nur der niedrigere Abfindungsanspruch als steuerpflichtiger Erwerb zugerechnet.2 Die Wertdifferenz zwischen dem Steuerwert des Anteils und der Abfindung gilt dann als Bereicherung der verbleibenden Gesellschafter.3

6.168

Verringerung der Beteiligung. Nach Ansicht der Finanzverwaltung findet § 7 Abs. 7 ErbStG auch dann Anwendung, wenn ein Gesellschafter seine Beteiligung nicht vollständig aufgibt und aus der Gesellschaft ausscheidet, sondern sie gegen Zahlung von Abfindungen sukzessive verringert, so dass die Beteiligung den verbleibenden Gesellschaftern oder der Gesellschaft anwächst.4 Nicht unter § 7 Abs. 7 ErbStG fällt indes die Anteilsreduzierung zugunsten eines bestimmten verbleibenden Gesellschafters oder eines neu eintretenden Gesellschafters.5

6.169

Wert der steuerpflichtigen Bereicherung. Der Umfang der steuerpflichtigen Bereicherung ergibt sich aus der Differenz zwischen dem Abfindungsanspruch des Gesellschafters und dem steuerlichen Wert des Gesellschaftsanteils.6 Der Wert des Anteils ist zum Zeitpunkt des Ausscheidens zu ermitteln.7 Zudem sind bei der Wertermittlung die im Gesellschaftsvertrag vorgesehenen Abfindungsbeschränkungen und Zahlungsmodalitäten zu berücksichtigen.8 Dabei ist ggf. eine Abgrenzung zu § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ErbStG vorzunehmen, wenn eine freigebige Zuwendung der die Gesellschaft fortsetzenden Gesellschafter an den ausscheidenden Gesellschafter vorliegt, weil die Abfindung höher ist als der Steuerwert des Anteils.9 c) Disquotale Gesellschafterrechte aa) Steuerpflichtige Zuwendung

6.170

Werterhöhung von Anteilen. § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG fingiert eine steuerpflichtige Zuwendung für die Fälle, in denen die von einer natürlichen Person oder Stiftung gehaltenen Anteile an einer Kapitalgesellschaft eine Werterhöhung durch die Leistung einer anderen natürlichen oder juristischen Person erfahren. Die Vorschrift soll den Missbrauch von Gesellschaften als Vehikel zur Umgehung der Erbschaftsteuer unterbinden.10 Leistungen i.S.v. § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG sind nach Ansicht der Finanzverwaltung11 und der überwiegenden Ansicht in der Li-

1 Vgl. auch Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 404 (Stand: April 2016). 2 Werner, NWB-EV 2017, 173 (174). 3 Loose in v. Oertzen/Loose2, § 7 ErbStG Rz. 561; Weinmann in Moench/Weinmann, § 7 ErbStG Rz. 252 (Stand: Februar 2015). 4 Vgl. FinMin. Saarland. v. 27.1.1987 – B/V-775/87-S 3806 A, DStR 1987, 205. 5 FinMin. Saarland v. 27.1.1987 – B/V-775/87-S 3806 A, DStR 1987, 205; die Anteilsreduzierung als Anwendungsfall des § 7 Abs. 7 ErbStG ablehnend Meincke/Hannes/Holtz17, § 7 ErbStG Rz. 159; Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 405 (Stand: April 2016). 6 Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 398 (Stand: Januar 2017). 7 Esskandari, DStR 2016, 1251 (1254). 8 Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 398 (Stand: Januar 2017). 9 Vgl. im Einzelnen Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 398 (Stand: Januar 2017); s. auch BFH v. 1.7.1992 – II R 12/90, BStBl. II 1992, 925. 10 Loose in v. Oertzen/Loose2, § 7 ErbStG Rz. 563. 11 R E 7.5 Abs. 11 Satz 1 ErbStR 2019.

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E. Erbschaft- und Schenkungsteuer | Rz. 6.173 Kap. 6

teratur1 insbesondere Sach- und Nutzungseinlagen. Nicht steuerpflichtig sind gem. § 7 Abs. 8 Satz 2 ErbStG Zuwendungen zwischen Kapitalgesellschaften, soweit sie ohne Bereicherungsabsicht getätigt werden und an diesen Gesellschaften dieselben Gesellschafter mittel- oder unmittelbar zu gleichen Anteilen beteiligt sind. bb) Personengesellschaften Keine Anwendung auf Personengesellschaften. § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG gilt ausweislich seines Wortlauts nur für Kapitalgesellschaften. Personengesellschaften werden nicht nur ertragsteuerlich, sondern auch für Zwecke der Erbschaftsteuer transparent besteuert. Fällt demnach einer Gesamthandsgemeinschaft durch Erbanfall oder Schenkung Vermögen zu, sind für die Erbschaftsteuer die Gesamthänder als Erwerber anzusehen.2 Im umgekehrten Fall ist bei einem schenkweisen Erwerb von einer Gesamthandsgemeinschaft die Leistung den hinter der Gesamthandsgemeinschaft stehenden Gesellschaftern zuzurechnen.3

6.171

cc) Kapitalgesellschaften Keine Anwendung von § 7 Abs. 1 Satz 1 ErbStG. Erbringt ein Gesellschafter Leistungen an eine Kapitalgesellschaft, stellt sich aus erbschaftsteuerlicher Sicht zunächst die Frage, ob es sich bei dem Vorgang um eine freigebige Zuwendung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 ErbStG an die Gesellschaft und/oder die übrigen Gesellschafter handelt. Finanzverwaltung und BFH gehen davon aus, dass entsprechende Leistungen weder freigebige Zuwendungen an die Gesellschaft4 noch an die Mitgesellschafter5 sind. Gegenüber der Gesellschaft handelt es sich um eine Leistung causa societatis und bei der Werterhöhung der Anteile der Mitgesellschafter um einen wirtschaftlichen Reflex.6

6.172

Anwendung von § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG. Indes fingiert § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG im Falle einer Leistung an die Gesellschaft eine steuerpflichtige Schenkung an die mittelbar von der Leistung profitierenden Gesellschafter. Für die steuerpflichtige Bereicherung des Erwerbers maßgeblich ist die Erhöhung des gemeinen Werts der Anteile an der Kapitalgesellschaft, nicht der Wert der Leistung des Zuwendenden.7 Die Werterhöhung kann in einer Verbesserung der Ertragsaussichten oder in einer Erhöhung des Substanzwerts zum Ausdruck kommen.8 Weil die Werterhöhung durch die Leistung verursacht sein muss, kann sie nicht höher sein als der gemeine Wert der durch den Zuwendenden bewirkten Leistung.9 Sofern der Bedachte nur mittelbar über andere Gesellschaften an der bedachten Gesellschaft beteiligt ist, ist allein

6.173

1 Förster/Walla, FR 2015, 961 (968); Geck in Kapp/Ebeling, § 7 ErbStG Rz. 235 (Stand: August 2019); Weinmann in Moench/Weinmann, § 7 ErbStG Rz. 264 (Stand: Februar 2019); einschränkend Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 415 (Stand: Mai 2018); ablehnend für unentgeltliche Nutzungsüberlassungen Korezkij, DStR 2012, 163 (164). 2 BFH v. 14.9.1994 – II R 95/92, BStBl. II 1995, 81. 3 Vgl. R E 7.5 Abs. 10 Satz 3 ErbStR 2019; BFH v. 15.7.1998 – II R 82/96, BStBl. II 1998, 630. 4 BFH v. 17.10.2007 – II R 63/05, BStBl. II 2008, 381; Mylich, ZEV 2012, 229 (230) m.w.N. 5 BFH v. 9.12.2009 – II R 28/08, BStBl. II 2010, 566; BFH v. 25.10.1995 – II R 67/93, BStBl. II 1996, 160; Förster/Walla, FR 2015, 961 (964); R E 7.5 Abs. 2 Satz 1 ErbStR 2019. 6 Mylich, ZEV 2012, 229 (230) m.w.N. 7 Weinmann in Moench/Weinmann, § 7 ErbStG Rz. 270 (Stand: Februar 2019); s. zur Wertbestimmung R E 7.5 Abs. 12 Satz 1 ErbStR 2019. 8 Weinmann in Moench/Weinmann, § 7 ErbStG Rz. 270 (Stand: Februar 2019). 9 Weinmann in Moench/Weinmann, § 7 ErbStG Rz. 270 (Stand: Februar 2019).

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Kap. 6 Rz. 6.173 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

die Werterhöhung der Anteile an der Gesellschaft maßgeblich, an die die Leistung erbracht wird. Die auf den Bedachten mittelbar entfallende Werterhöhung ist anhand der jeweiligen Beteiligungsquoten über die Zwischengesellschaften durchzurechnen.1

6.174

Wertausgleich durch Leistungen der Mitgesellschafter. § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG erfordert nach herrschender Meinung in der Literatur keine Bereicherungsabsicht.2 Dem hat sich die Finanzverwaltung angeschlossen.3 Eine steuerbare Zuwendung scheidet zudem aus, wenn der Leistung des Gesellschafters andere Leistungen der Mitgesellschafter gegenüberstehen.4 Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aller Gesellschafterleistungen ist daher zu bestimmen, ob auch die anderen Gesellschafter in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang Leistungen an die Gesellschaft erbringen und es zu einer Werterhöhung der Anteile kommt, die den Beteiligungsverhältnissen an der Gesellschaft entspricht.5 Für die Beurteilung der Leistungen kommt es auf Erkenntnismöglichkeiten und Wertvorstellungen der Gesellschafter im Zeitpunkt der Leistungsbewirkung an.6 Eine Ausgewogenheit der Leistungen wird nach Ansicht der Finanzverwaltung dann nicht zu belegen sein, wenn zwischen ihnen eine Wertdifferenz von mindestens 20 % besteht.7

6.175

Leistungen durch Dritte. Erbringen gesellschaftsfremde Dritte Leistungen an die Gesellschaft, ist umstritten, ob es sich um einen Fall von § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG oder um eine freigebige Zuwendung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ErbStG handelt. Nach Ansicht der Finanzverwaltung soll in solchen Fällen die Zielsetzung des Leistenden darüber entscheiden, ob § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ErbStG oder § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG einschlägig ist; sofern die Leistung auf eine unmittelbare Bereicherung der Kapitalgesellschaft abzielt, liegt danach eine steuerbare Zuwendung i.S.v. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ErbStG an die Kapitalgesellschaft selbst vor.8 d) Besteuerung von Stiftungen aa) Steuerpflichtige Erwerbe

6.176

Bedeutung von Stiftungen in der Nachfolgeplanung. Stiftungen werden seit einigen Jahren insbesondere für den Bereich der Unternehmensnachfolge verstärkt als Bestandteil der Nachfolgeplanung in Betracht gezogen. Der Stifter kann ungewollte Liquiditätsabflüsse vermeiden, seine Familie wirtschaftlich absichern und das Unternehmen vor einem unerwünschten Zugriff der Erben schützen.

6.177

Vermögensübergang auf die Stiftung. Der Übergang von Vermögen auf eine vom Erblasser angeordnete Stiftung gilt gem. § 3 Abs. 2 Nr. 1 ErbStG als steuerpflichtiger Erwerb von Todes

1 Weinmann in Moench/Weinmann, § 7 ErbStG Rz. 270 (Stand: Februar 2019). 2 Crezelius, ZEV 2011, 393 (395); Holthusen, ZEV 2016, 311 (312); Korezkij, DStR 2012, 163 (165); Loose, GmbHR 2013, 561 (562); Milatz/Bockhoff, ErbStB 2013, 15; Viskorf, ZEV 2012, 442 (443); Viskorf/Haag, DStR 2012, 1166; a.A. Fischer, ZEV 2012, 77 (79 ff.); Fuhrmann/Potsch, NZG 2012, 681 (685); Schulte/Petschulat, BB 2013, 471. 3 R E 7.5 Abs. 14 Satz 1 ErbStR 2019. 4 R E 7.5 Abs. 11 Satz 2 ErbStR 2019. 5 R E 7.5 Abs. 11 Satz 4 ErbStR 2019; zustimmend Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 415 (Stand: Mai 2018). 6 R E 7.5 Abs. 12 Satz 8 ErbStR 2019. 7 R E 7.5 Abs. 12 Satz 11 f. ErbStR 2019. 8 Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 415 (Stand: Mai 2018); R E 7.5 Abs. 10 Satz 5 ErbStR 2019.

422 | Wiese/Lukas

E. Erbschaft- und Schenkungsteuer | Rz. 6.180 Kap. 6

wegen. Eine solche Stiftung muss aufgrund einer letztwilligen Verfügung errichtet worden sein.1 Wird die Stiftung durch Stiftungsgeschäft unter Lebenden errichtet, ist der Vermögensübergang auf die Stiftung nach § 7 Abs. 1 Nr. 8 Satz 1 ErbStG steuerbar.2 Vermögensübertragungen auf die Stiftung nach ihrer Errichtung (Zustiftung) sind nach § 3 bzw. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG steuerbar.3 Die Besteuerung erfolgt nach Steuerklasse III, und zwar auch dann, wenn der Zustiftende zugleich der einzige Begünstigte der Stiftung ist.4 Unselbständige Stiftung. Besonderheiten ergeben sich bei der unselbstständigen Stiftung. Sie ist anders als die rechtsfähige Stiftung gem. §§ 80 ff. BGB keine juristische Person, sondern wird durch schuldrechtliche Vereinbarungen konstruiert.5 Aufgrund eines Vertrags zwischen dem Stifter und einer natürlichen oder juristischen Person als Stiftungsträgerin wird Vermögen auf diese Person mit der Maßgabe übertragen, das Vermögen entsprechend dem Stiftungszweck einzusetzen.6 Ist der Stiftungszweck unpersönlich oder begünstigt er einen unbestimmten Personenkreis, handelt es sich bei der Zuwendung an die unselbstständige Stiftung um eine nach § 1 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 i.V.m. § 8 ErbStG steuerpflichtige Zweckzuwendung.7 Der Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 i.V.m. § 8 ErbStG kommt dabei eine Auffangfunktion zu. Ist der begünstigte Personenkreis hingegen eng bestimmt,8 liegt eine Zuwendung an die letztlich begünstigten Personen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1, 2 oder 4 ErbStG oder nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG vor. In diesen Fällen greift der Tatbestand der Zweckzuwendung (§ 8 ErbStG) nicht.

6.178

Ausschüttungen. Ausschüttungen von Stiftungen an ihre Destinatäre unterliegen neben der Einkommensteuer nicht auch der Erbschaftsteuer.9 Eine satzungsgemäße Ausschüttung verwirklicht den Willen des Stifters und ist mithin nicht freigebig i.S.d. § 7 Abs. 1 Satz 1 ErbStG.10 Die Ausschüttungen verwirklichen auch nicht den Erwerbstatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 ErbStG. Steuerpflichtig ist nur ein Erwerb bei vollständiger Auflösung der Stiftung. Auch bei größeren oder außerordentlichen Ausschüttungen besteht die Stiftung aber fort.11

6.179

Aufhebung der Stiftung. Wird eine Stiftung aufgehoben, gilt der Vermögenserwerb beim Anfallsberechtigten als eine Schenkung unter Lebenden, § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 ErbStG.12 Als Schenker gilt nicht die Stiftung selbst, sondern der Stifter (§ 15 Abs. 2 Satz 2 ErbStG). Für die

6.180

1 Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 3 ErbStG Rz. 320 (Stand: Mai 2018). 2 Feldner/Stoklassa, ErbStB 2014, 201 (205); Weinmann in Moench/Weinmann, § 7 ErbStG Rz. 221 (Stand: Februar 2015). 3 Weinmann in Moench/Weinmann, § 7 ErbStG Rz. 221 (Stand: Februar 2019); Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 332 (Stand: April 2016). 4 BFH v. 9.12.2009 – II R 22/08, BStBl. II 2010, 363. 5 Oppel, ZEV 2017, 22 (23). 6 Oppel, ZEV 2017, 22 (23). 7 Vgl. Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 8 ErbStG Rz. 50 (Stand: Juni 2017). 8 Das ist etwa der Fall, wenn die Begünstigten namentlich identifizierbar sind oder von dem Zuwendungsempfänger durch ein eigenes Bestimmungsrecht konkretisiert werden, Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 8 ErbStG Rz. 53 (Stand: Juni 2017). 9 Wachter, FR 2017, 130 (134); Werner, ZEV 2016, 133. 10 Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 334 (Stand: Mai 2018); Wachter, FR 2017, 130 (134); zu unentgeltlichen Leistungen, die ihren Rechtsgrund im Stiftungszweck haben, auch BFH v. 7.10.2009 – Xa ZR 8/08, ZEV 2010, 100. 11 Wachter, FR 2017, 130 (134). 12 Feldner/Stoklassa, ErbStB 2014, 227 (231).

Wiese/Lukas | 423

Kap. 6 Rz. 6.180 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

Steuerklasse und den persönlichen Freibetrag kommt es daher auf das Verhältnis zwischen Stifter und Anfallsberechtigtem an.1 Ist der Stifter selbst der Anfallsberechtigte, richtet sich seine Besteuerung nach der Steuerklasse III.2 bb) Entstehungszeitpunkt der Steuer

6.181

Errichtung zu Lebzeiten. Der Entstehungszeitpunkt der Erbschaftsteuer hat für die Besteuerung von Stiftungen besondere Relevanz: So richten sich der Zeitpunkt der Wertermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs (§ 11 ErbStG) und die Zusammenrechnung mehrerer Erwerbe innerhalb von 10 Jahren (§ 14 ErbStG) nach dem Stichtag der Steuerentstehung. Wird die Stiftung zu Lebzeiten errichtet, entsteht die Steuer gem. § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG mit der Ausführung der Zuwendung, das heißt dann, wenn das Vermögen auf die Stiftung nach ihrer staatlichen Anerkennung übertragen wird.3

6.182

Errichtung von Todes wegen. Bei der Gründung der Stiftung von Todes wegen entsteht die Steuer gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c ErbStG mit dem Zeitpunkt der Bekanntgabe der Anerkennung der Stiftung als rechtsfähig.4 Dies gilt auch dann, wenn auf die Stiftung zu diesem Zeitpunkt noch kein Vermögen übertragen wurde. U.U. hat die Stiftung daher Erbschaftsteuer hinsichtlich des zu übertragenen Vermögens zu entrichten, obwohl sie noch kein Vermögen hat.5 cc) Erbersatzsteuer

6.183

Fingierte Vermögensübertragung. Sobald das Vermögen des Stifters auf die Stiftung übergegangen ist, löst sein Tod oder der seiner Nachkommen keinen erbschaftsteuerpflichtigen Erwerbsvorgang mehr aus. Die Erbersatzsteuer6 fingiert daher eine Vermögensübertragung durch Erbfolge unter Zugrundelegung der Steuerklasse I im regelmäßigen Turnus von 30 Jahren (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG). Dabei sind die Regeln anzuwenden, die bei einer Übertragung auf eine nachfolgende, aus zwei Kindern bestehende Generation gelten (§ 15 Abs. 2 Satz 3 ErbStG). Anders als bei der „regulären“ Erbschaftsteuer besteuert die Erbersatzsteuer nicht den durch Tod oder Schenkung ausgelösten Erwerb, sondern das Vermögen der Stiftung. Ihrem Wesen nach handelt es sich daher um eine Vermögensteuer.7 Die Vorschrift greift nur ein, wenn die Stiftung im Besteuerungszeitpunkt Sitz oder Geschäftsleitung im Inland hat (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG). Nach neuerer Rechtsprechung gehört die nichtrechtsfähige Stiftung nicht zu den Familienstiftungen nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG.8 Daher unterliegt sie auch nicht der Ersatzerbschaftsteuer.9 1 2 3 4 5 6

Feldner/Stoklassa, ErbStB 2014, 227 (231). Vgl. BFH v. 25.11.1992 – II R 77/90, BStBl. II 1993, 238. Wachter, FR 2017, 69 (71). Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 9 ErbStG Rz. 55 (Stand: Juni 2017). Wachter, FR 2017, 69 (71). Dazu Weinmann in Moench/Weinmann, § 1 ErbStG Rz. 9 (Stand: Mai 2018); Jülicher in Troll/ Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 1 ErbStG Rz. 37 (Stand: Dezember 2018). 7 Wachter, FR 2017, 130 (134); für eine Besteuerung eigener Art v. Oertzen in v. Oertzen/Loose2, § 1 ErbStG Rz. 27; die Regelungen der Erbersatzsteuer begegnen indes keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, BVerfG v. 22.8.2011 – 1 BvR 2570/10, ZEV 2012, 51; BVerfG v. 8.3.1983 – 2 BvL 27/81, BStBl. II 1983, 525. 8 BFH v. 25.1.2017 – II R 26/16, BFH/NV 2017, 698. 9 BFH v. 25.1.2017 – II R 26/16, BFH/NV 2017, 698.

424 | Wiese/Lukas

E. Erbschaft- und Schenkungsteuer | Rz. 6.186 Kap. 6

Entstehung der Steuer. Die Steuer entsteht in Zeitabständen von jeweils 30 Jahren seit dem ersten Vermögensübergang auf die Familienstiftung (§ 9 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG). Bemessungsgrundlage ist das gesamte Nettovermögen der Stiftung zum Stichtag (§ 10 Abs. 1 Satz 7 ErbStG). Für die Ermittlung des steuerpflichtigen Vermögens gelten die allgemeinen Bewertungsvorschriften.1 Sämtliche Verschonungsregelungen für begünstigtes Unternehmensvermögen gelten auch für die Erbersatzsteuer.2 Bei der Ermittlung des Stiftungsvermögens sind die Leistungen der Stiftung an die Begünstigten ebenso wie die Erbersatzsteuer selbst nach § 10 Abs. 7 und 8 ErbStG nicht abziehbar. Auf Antrag kann die Steuer auch in 30 jährlichen Teilbeträgen entrichtet werden. In diesem Fall sind die Tilgungsraten zu verzinsen, § 24 Satz 2 Halbs. 2 ErbStG.

6.184

dd) Ausländische Familienstiftungen Begriff. Ausländische Familienstiftungen und Trusts3 erfreuen sich zunehmender Beliebtheit, wenn es darum geht, den Bestand von Vermögen generationenübergreifend zu sichern. Eine ausländische Familienstiftung liegt vor, wenn sich weder Sitz noch Geschäftsleitung der Stiftung im Inland befinden und der Stifter, seine Angehörigen und deren Abkömmlinge zu mehr als der Hälfte bezugs- oder anfallsberechtigt sind (§ 15 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AStG).

6.185

Vermögensübertragung. Bei der Vermögensübertragung auf eine ausländische Familienstiftung wird diese auf Kosten des Zuwendenden bereichert. Ob dieser Vorgang im Inland der Erbschaftsteuer unterliegt, hängt davon ab, ob es sich um eine intransparente oder transparente bzw. selbstständige oder unselbstständige Stiftung handelt. Intransparent bzw. selbstständig ist eine Stiftung dann, wenn der Stiftungsrat allein und aus freiem Ermessen handeln kann und die Begünstigten ihm gegenüber kein Weisungsrecht besitzen.4 Bei der Vermögensübertragung auf eine solche Stiftung kommt es demnach zu einer endgültigen Herauslösung des Vermögens aus dem Herrschaftsbereich des Stifters und zu einer uneingeschränkten Bereicherung der Stiftung als selbstständigem Rechtsträger. Ein solcher Vorgang ist in Deutschland nach § 7 Abs. 1 Nr. 8 Satz 1 ErbStG steuerbar. Eine transparente bzw. unselbstständige Stiftung liegt vor, wenn die Stiftung durch Weisungen an den Willen des Stifters oder der Begünstigten gebunden ist.5 Dieser Vorgang führt nicht zu einer endgültigen Entreicherung des Stifters; vielmehr bleibt er kraft seiner Mitwirkungsrechte Herr des Vermögens.6 Nach ausländischem Stiftungsrecht ist es möglich, dass der Stifter auch nach Gründung der Stiftung weiterhin uneingeschränkt über das Stiftungsvermögen verfügen kann.7 In diesen Fällen fehlt es an der Bereicherung der Stiftung; eine erbschaftsteuerpflichtige Vermögensübertragung liegt daher (noch) nicht vor.8

6.186

1 v. Oertzen in v. Oertzen/Loose2, § 1 ErbStG Rz. 36; Weinmann in Moench/Weinmann, § 1 ErbStG Rz. 21 (Stand: Mai 2018). 2 Feldner/Stoklassa, ErbStB 2014, 227 (229); Wachter, FR 2017, 130 (135). 3 Zur Übertragung auf einen US-Trust s. auch Zondler/Zöller, IStR 2015, 960. Bei Trusts ist die jeweilige Rechtsfigur des ausländischen Rechts nach Maßgabe deutscher steuerlicher Grundsätze zu beurteilen. 4 Schulze-Borges, ZEV 2017, 191. 5 Schulze-Borges, ZEV 2017, 191. 6 Schulze-Borges, ZEV 2017, 191. 7 Wachter, FR 2017, 69 (71). 8 Wachter, FR 2017, 69 (71).

Wiese/Lukas | 425

Kap. 6 Rz. 6.187 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

4. Teilentgeltlichkeit a) Gemischte Schenkung und Schenkung unter Auflage

6.187

Freigebige Zuwendung als unentgeltliches Rechtsgeschäft. Wenn der Übertragende die Übertragung des unternehmerischen Vermögens auf den Erwerber nicht vollständig unentgeltlich gestalten, sondern den Erwerber im Gegenzug zu bestimmten Leistungen verpflichten möchte, stellt sich die Frage, wie eine solche Übertragung erbschaftsteuerlich zu behandeln ist. Eine freigebige Zuwendung als Voraussetzung für eine erbschaftsteuerliche Erfassung des Vorgangs (§ 7 Nr. 1 ErbStG) setzt voraus, dass die Zuwendung unentgeltlich erfolgt. Dies ist nur der Fall, wenn die Zuwendung nicht in rechtlichem Zusammenhang mit einer Gegenleistung erfolgt. Eine solche Gegenleistung kann auch in dem Setzen einer Auflage oder Bedingung liegen.1 Die freigebige Zuwendung ist daher insbesondere von der gemischten Schenkung und von der Schenkung unter Auflage abzugrenzen.

6.188

Gemischte Schenkung. Eine gemischte Schenkung liegt vor, wenn einer Leistung eine Gegenleistung von geringerem Wert gegenübersteht und die Vereinbarung über die Übertragung der höherwertigen Leistung neben Elementen der Freigebigkeit auch Elemente eines Austauschvertrags enthält.2 Die gemischte Schenkung enthält daher regelmäßig Elemente eines Kaufs, und die Parteien sind sich darüber einig, dass die Wertdifferenz unentgeltlich zugewendet wird. Zu beachten ist, dass bei der Übertragung eines Betriebs oder eines Anteils daran eine gemischte Schenkung nur vorliegt, wenn neben den betrieblichen Passiva weitere Leistungen durch den Beschenkten übernommen werden.3

6.189

Schenkung unter Auflage. Auch bei einer Schenkung unter Auflage handelt es sich um eine Schenkung, die mit einer Leistungspflicht des Beschenkten verbunden ist. Dabei lässt sich weitergehend zwischen Leistungsauflagen einerseits und Nutzungs- und Duldungsauflagen andererseits differenzieren. Eine Leistungsauflage ist immer dann anzunehmen, wenn der Belastete zu Leistungen verpflichtet wird, die er auch aus seinem persönlichen Vermögen erbringen muss, z.B. zur Zahlung einer lebenslänglichen Rente an den Übertragenden.4 Mit einer Duldungs- oder Nutzungsauflage wird dem Beschenkten hingegen nur der zeitlich begrenzte Verzicht auf die Nutzungen des Zuwendungsgegenstands zugemutet, indem ihm der Schenker auferlegt, ein Nutzungsrecht zugunsten des Schenkers oder eines Dritten zu bestellen, das die Nutzungen zeitlich befristet dem Schenker oder dem Dritten zuweist.5 b) Erbschaftsteuerliche Behandlung

6.190

Frühere Ansicht der Rechtsprechung und der Finanzverwaltung. Für die steuerliche Beurteilung war nach Auffassung der Rechtsprechung zwischen gemischter Schenkung und Leistungsauflage auf der einen Seite und Nutzungs- und Duldungsauflage auf der anderen Seite zu differenzieren.6 Erbschaftsteuerlich wurde die Leistungsauflage nach dieser Auffassung wie eine Gegenleistung behandelt. Bei gemischten Schenkungen und Leistungsauflagen nahm der BFH eine Aufteilung des Steuerwerts des Zuwendungsgegenstandes im Wege einer Verhältnisrechnung vor, um die Übertragung in einen entgeltlichen und in einen unentgeltlichen – 1 2 3 4 5 6

R E 7.1 Abs. 2 Satz 3 ErbStR 2019. S. BFH v. 29.10.1997 – II R 60/94, BStBl. II 1997, 832. Esskandari in v. Oertzen/Loose2, § 7 ErbStG Rz. 64. Meincke/Hannes/Holtz17, § 7 ErbStG Rz. 42. Meincke/Hannes/Holtz17, § 7 ErbStG Rz. 42. BFH v. 12.4.1989 – II R 37/87, BStBl. II 1989, 524.

426 | Wiese/Lukas

E. Erbschaft- und Schenkungsteuer | Rz. 6.192 Kap. 6

der Erbschaftsteuer unterliegenden – Teil aufzuteilen. Die erbschaftsteuerlich relevante Bereicherung des Erwerbers umfasste daher nicht den entgeltlichen Teil der Übertragung. Wurde z.B. ein Grundstück gegen Zahlung eines Kaufpreises übertragen, der einem Viertel des Verkehrswerts des Grundstücks entsprach, und waren sich die Parteien darüber einig, dass das Grundstück teilweise unentgeltlich übergehen soll, so ging danach ein Viertel des Grundstücks im Wege des Kaufs und drei Viertel des Grundstücks durch freigebige Zuwendung auf den Erwerber über. Im Falle einer Duldungs- oder Nutzungsauflage sowie bei reinen Erwerbsschmälerungen (z.B. Erwerbsnebenkosten) lag demgegenüber ein einheitlicher Zuwendungsgegenstand vor.1 Nach dieser Auffassung, die auch die Finanzverwaltung lange Zeit teilte2, entsprach die steuerpflichtige Zuwendung dem Teil des Steuerwerts des Zuwendungsgegenstands, der aus einem Vergleich des Verkehrswerts des Zuwendungsgegenstands mit dem Wert der Gegenleistung zu ermitteln war. Die Ansicht der Rechtsprechung verhinderte, dass die Zuwendung mit dem Steuerwert, die Gegenleistung aber mit dem Verkehrswert berücksichtigt wird. Sie ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass nach altem Bewertungsrecht Steuerwerte und gemeine Werte häufig voneinander abwichen. Da die Steuerwerte nach altem Recht oftmals unter den Verkehrswerten lagen, wäre in vielen Fällen, in denen der Erwerber eine Gegenleistung erbringt, ein negativer Wert zu ermitteln gewesen. Dieses Ergebnis wollte der BFH durch seine Rechtsprechung vermeiden. Dem geltenden Erbschaftsteuer- und Bewertungsrecht liegt jedoch die Vorstellung zugrunde, dass die gesetzlich vorgesehenen Bewertungsverfahren den gemeinen Wert der Wirtschaftsgüter ergeben (vgl. § 9 BewG). Folgerichtig haben zuerst die Finanzverwaltung3 und später auch die Rechtsprechung4 diese Auffassung mittlerweile aufgegeben. Neue Berechnungsmethode. Aufbauend auf der Neuregelung der Bewertung durch das ErbStRG 2009 sind nunmehr Zuwendung und Gegenleistungen zu saldieren, ohne dass es auf das Verhältnis von Steuerwert und gemeinem Wert ankäme.5 Dies soll auch dann gelten, wenn im Einzelfall der Steuerwert hinter dem gemeinen Wert zurückbleibt.6 Treffen in sog. Mischfällen Gegenleistungen und Leistungsauflagen mit Nutzungs- und Duldungsauflagen zusammen, geht die Finanzverwaltung von einem kumulativen Abzug aus.7 Die Abgrenzung zwischen Leistungs- und Nutzungsauflage8 hat mit der Saldierungsmethode ihre Bedeutung verloren.9

6.191

Ermittlung der steuerpflichtigen Bereicherung nach Ansicht der Finanzverwaltung. Diese neue Berechnungsmethode legt auch die Finanzverwaltung zugrunde. Nach ihrer Ansicht gilt gem. § 10 Abs. 1 Satz 1 und 2 ErbStG sowohl bei der gemischten Schenkung als auch bei der Schenkung unter Auflage als steuerpflichtiger Erwerb die Bereicherung des Bedachten, soweit sie der Besteuerung nach dem ErbStG unterliegt.10 Die steuerpflichtige Bereicherung wird er-

6.192

1 BFH v. 12.4.1989 – II R 37/87, BStBl. II 1989, 524; zuletzt BFH v. 13.4.2011 – II R 27/09, BStBl. II 2011, 730. 2 Vgl. R 17 Abs. 2 Satz 2 ErbStR 2003. 3 Vgl. R E 7.4 ErbStR 2011. 4 BFH v. 5.7.2018 – II B 122/17, BStBl. II 2018, 660. 5 Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 204 (Stand: April 2019). 6 BFH v. 5.7.2018 – II B 122/17, BStBl. II 2018, 660. 7 R E 7.4 Abs. 1 Satz 2 ErbStR 2019; Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 210 (Stand: April 2019). 8 Vgl. BFH v. 12.4.1989 – II R 37/87, BStBl. II 1989, 524. 9 Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 212 (Stand: April 2019). 10 R E 7.4 Abs. 1 Satz 1 ErbStR 2019.

Wiese/Lukas | 427

Kap. 6 Rz. 6.192 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

mittelt, indem von dem nach § 12 ErbStG zu ermittelnden Steuerwert der Leistung des Schenkers die Gegenleistungen des Beschenkten und die von ihm übernommenen Leistungs-, Nutzungs- und Duldungsauflagen mit ihrem nach § 12 ErbStG ermittelten Wert abgezogen werden.1 Hat sich eine Nutzungs- oder Duldungslast bereits als Grundstücksbelastung bei der Grundstücksbewertung ausgewirkt, ist ein darüber hinausgehender Abzug dieser Last ausgeschlossen (§ 10 Abs. 6 Satz 6 ErbStG).2 Zudem ist der Abzug von Gegenleistungen, Leistungs-, Nutzungs- und Duldungsauflagen nach § 10 Abs. 6 ErbStG beschränkt, soweit der Gegenstand nach §§ 13, 13a oder 13d ErbStG steuerbefreit ist. Demnach sind z.B. Gegenleistungen oder übernommene Lasten im Zusammenhang mit der Schenkung einer fremdvermieteten Wohnimmobilie, die gem. § 13d ErbStG nur mit 90 % ihres Werts für erbschaftsteuerliche Zwecke berücksichtigt wird, ebenfalls nur i.H.v. 90 % abzugsfähig. Entsprechendes gilt für die Übertragung von Betriebsvermögen, für das die Begünstigungen nach §§ 13a, 13b ErbStG gewährt werden. Werden im Rahmen der Regel- oder Optionsverschonung Bewertungsabschläge von 85 % oder 100 % gewährt (s. Rz. 6.214 f.), sind die damit zusammenhängenden Lasten daher entsprechend zu kürzen. Kommt es später wegen eines Verstoßes gegen die Behaltensvoraussetzungen zu einer Kürzung des Bewertungsabschlags (s. Rz. 6.215), wird die ursprünglich gekürzte Last rückwirkend mit einem entsprechend höheren Anteil zum Abzug zugelassen.3 Die Abzugsfähigkeit der Gegenleistungen hängt dabei maßgeblich von der erbschaftsteuerlichen Einordnung des übertragenen Gegenstands ab.

6.193

Zuwendung mehrerer Vermögensgegenstände. Sind mehrere Vermögensgegenstände Gegenstand einer freigebigen Zuwendung, sind unabhängig davon, ob die Gegenstände zu einer oder zu mehreren Vermögensarten gehören, die steuerlichen Einzelwerte zu einem einheitlichen Steuerwert der Gesamtschenkung zusammenzufassen, soweit die einzelnen Zuwendungen nicht zu unterschiedlichen Zeitpunkten ausgeführt wurden.4 Steht eine Gegenleistung, Leistungs-, Nutzungs- oder Duldungsauflage in Zusammenhang mit allen Vermögensgegenständen, ohne dass sie wirtschaftlich einem einzelnen Vermögensgegenstand oder einzelnen Vermögensgegenständen zugeordnet werden kann, ist sie auf die einzelnen Vermögensgegenstände nach dem Verhältnis ihrer Steuerwerte aufzuteilen.5 Sind mehrere Vermögensgegenstände Gegenstand einer freigebigen Zuwendung und werden für einen Teil des zugewendeten Vermögens die Begünstigungen nach §§ 13, 13a, oder 13c ErbStG gewährt, so kommt es für die Kürzung der Gegenleistungen und Auflagen gem. § 10 Abs. 6 ErbStG darauf an, in welchem wirtschaftlichen Zusammenhang die Lasten und die einzelnen Vermögensgegenständen stehen.6 Ein wirtschaftlicher Zusammenhang von übernommenen Schulden mit einem Vermögensgegenstand setzt voraus, dass die Entstehung der Schuld ursächlich und unmittelbar auf Vorgängen beruht, die diesen Vermögensgegenstand betreffen und die Schuld den Vermögensgegenstand wirtschaftlich belastet.7 1 Eine anzuerkennende Gegenleistung setzt voraus, dass sie mit der Leistung des Schenkers in einem rechtlichen Zusammenhang steht. Nicht ausreichend ist ein rein faktisches Gegenüberstehen. Gefordert wird vielmehr eine synallagmatische, konditionale oder kausale Verknüpfung, vgl. BFH v. 2.3.1994 – II R 59/92, BStBl. II 1994, 366; Weinmann in Moench/Weinmann, § 7 ErbStG Rz. 69a (Stand: Februar 2019). 2 Zipfel/Lahme, SteuK 2011, 401 (403). Dies ist etwa der Fall, wenn eine Nutzungs- oder Duldungslast (z.B. ein Wohnrecht) im Rahmen eines nach § 198 BewG durch Gutachten nachgewiesenen gemeinen Werts bereits berücksichtigt wurde. 3 Zipfel/Lahme, SteuK 2011, 401 (403). 4 R E 7.4 Abs. 3 Satz 1 ErbStR 2019. 5 R E 7.4 Abs. 3 Satz 4 ErbStR 2019. 6 Vgl. Zipfel/Lahme, SteuK 2011, 401 (404). 7 Fumi in v. Oertzen/Loose2, § 10 ErbStG Rz. 81.

428 | Wiese/Lukas

E. Erbschaft- und Schenkungsteuer | Rz. 6.197 Kap. 6

Erwerbsnebenkosten und Beratungskosten. Allgemeine Erwerbsnebenkosten der Schenkung, z.B. für den Notar, das Grundbuch oder das Handelsregister, sind keine Gegenleistung, sondern Folgekosten der Schenkung und in vollem Umfang als Minderung der Bereicherung abzugsfähig.1 Ebenso sind Steuerberatungskosten für die Erbschaftsteuererklärung und die Feststellungserklärung in vollem Umfang bereicherungsmindernd zu berücksichtigen. Die bei einer gemischten Schenkung oder Schenkung unter Auflage anfallende Grunderwerbsteuer (dazu Rz. 6.319 ff.) ist allerdings vom Abzug ausgeschlossen.2

6.194

5. Persönliche Steuerpflicht a) Unbeschränkte und beschränkte Steuerpflicht Unbeschränkte Steuerpflicht. Das ErbStG geht von einer allgemeinen und unbeschränkten Steuerpflicht aus (§ 2 ErbStG). Sind die Voraussetzungen der unbeschränkten Steuerpflicht erfüllt, unterliegt der weltweite Vermögensanfall der Besteuerung. Ausnahmen können sich aus DBA ergeben, wobei die Bundesrepublik Deutschland wesentlich weniger DBA für Zwecke der Erbschaftsteuer abgeschlossen hat als für Zwecke der Ertragsteuer. Wesentliches Kriterium zur Bestimmung der unbeschränkten Steuerpflicht ist die Inländereigenschaft des Erblassers oder Schenkers, die an den Wohnsitz (§ 8 AO) oder gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) im Inland anknüpft (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. a ErbStG). Solange der Erblasser oder Schenker Inländer ist, ist es für die unbeschränkte Steuerpflicht ohne Bedeutung, dass der Erwerber kein Inländer ist.3

6.195

Beschränkte Steuerpflicht. Ist weder der Erblasser bzw. Schenker noch der Erbe, Vermächtnisnehmer oder sonst Bedachte oder Beschenkte Inländer, unterliegt nur der Übergang der Vermögensgegenstände, die einen qualifizierten Bezug zum Inland aufweisen, der beschränkten Steuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG). Was als Inlandsvermögen gilt, bestimmt § 121 BewG. Als Inlandsvermögen werden bei der beschränkten Steuerpflicht nur solche Wirtschaftsgüter erfasst, die auch bei unbeschränkter Steuerpflicht einem Erwerb zuzurechnen wären.4 Allgemeine Voraussetzung ist, dass ein Erwerb i.S.v. § 1 ErbStG nach inländischem Zivilrecht oder nach dem maßgebenden ausländischen Recht vorliegt.5 Gem. § 16 Abs. 2 ErbStG gilt bei beschränkter Steuerpflicht ein geminderter Freibetrag.

6.196

b) Erweiterte unbeschränkte und erweiterte beschränkte Erbschaftsteuerpflicht Erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht. Das ErbStG weitet in § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b und c ErbStG die unbeschränkte Steuerpflicht auf deutsche Staatsangehörige aus, wenn sie sich zur Zeit der Ausführung der Zuwendung noch nicht länger als fünf Jahre dauernd im Ausland aufgehalten haben, ohne im Inland einen Wohnsitz zu haben. Dadurch soll verhindert werden, dass sich Steuerpflichtige durch eine vorübergehende Verlagerung ihres Wohnsitzes ins Ausland der deutschen Erbschaftsteuer entziehen. Wird ein Wegzug aus Deutschland als Gestaltungsinstrument der erbschaftsteuerlichen Nachfolgeplanung in Erwägung gezogen, ist daher ein langer Planungshorizont zugrunde zu legen. Hier sind auch ertragsteuerliche Implikationen in den Blick zu nehmen (bspw. Wegzugsbesteuerung, § 6 AStG). 1 2 3 4 5

R E 7.4 Abs. 4 Satz 1 ErbStR 2019. Vgl. H E 7.4 Abs. 4 ErbStR 2019. Eisele in Kapp/Ebeling, § 2 ErbStG Rz. 3 (Stand: Februar 2018). So auch R E 2.2 Abs. 1 Satz 1 ErbStR 2019. Halaczinsky, ErbStB 2017, 142 (143).

Wiese/Lukas | 429

6.197

Kap. 6 Rz. 6.198 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

6.198

Erweiterte beschränkte Steuerpflicht. Des Weiteren kann auch die erweiterte beschränkte Erbschaftsteuerpflicht nach § 4 AStG i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 AStG eine persönliche Steuerpflicht begründen. Sie gilt für deutsche Staatsangehörige, die in den letzten zehn Jahren vor Ende ihrer unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG insgesamt mindestens fünf Jahre unbeschränkt einkommensteuerpflichtig waren und unter Aufrechterhaltung wesentlicher wirtschaftlicher Interessen im Inland ihren Wohnsitz in das niedrig besteuerte Ausland verlegt haben.1 Die Betroffenen unterliegen für das Jahr des Wohnsitzwechsels und in den folgenden zehn Jahren der erweiterten beschränkten Steuerpflicht. Für Zwecke der Erbschaftsteuer ist daher neben dem Inlandsvermögen (§ 121 BewG) auch das Vermögen erfasst, dessen Erträge einer erweiterten beschränkten Einkommensteuerpflicht unterfallen. Dazu gehören insbesondere Kapitalforderungen gegen Schuldner im Inland, Spar- und Bankguthaben bei inländischen Geldinstituten, Aktien und Anteile an inländischen Kapitalgesellschaften und Versicherungsansprüche gegen inländische Versicherungsunternehmen. Die Steuerpflicht entfällt gem. § 4 Abs. 2 AStG, wenn der Nachweis erbracht wird, dass im Ausland eine der deutschen Erbschaftsteuer entsprechende Steuer auf das von § 4 Abs. 1 AStG erfasste Vermögen zu entrichten ist, die mindestens 30 % der deutschen Erbschaftsteuer beträgt. Da der erweiterten beschränkten Steuerpflicht nur natürliche Personen unterliegen, werden nach § 5 Abs. 1 AStG auch erweitert beschränkt steuerpflichtige Einkünfte, die auf eine ausländische Zwischengesellschaft verlagert worden sind, dem abwandernden Steuerpflichtigen zugerechnet.

6. Freibeträge und Steuerbefreiungen 6.199

Freibeträge. Für Ehegatten, Kinder und andere Familienmitglieder bestehen – z.T. erhebliche – persönliche Freibeträge (§ 16 ErbStG). Danach bleiben steuerbare Übertragungen z.B. auf Ehegatten i.H.v. 500.000 Euro oder auf Kinder i.H.v. 400.000 Euro steuerfrei. Die Freibeträge können gezielt in die Erbschaftsteuerplanung der Nachfolge einbezogen werden.

6.200

Zehn-Jahres-Regel. Gem. § 14 ErbStG werden mehrere innerhalb von zehn Jahren von derselben Person anfallende Erwerbe zusammengerechnet und wie ein Erwerb behandelt. Die Vorschrift soll sicherstellen, dass die Freibeträge innerhalb des zehnjährigen Zusammenrechnungszeitraums nur einmal genutzt werden können und sich durch die mehreren Einzelerwerbe im Vergleich zu einer einheitlichen Zuwendung kein Progressionsvorteil ergibt.2 Losgelöst von der Verschonungsbedarfsprüfung kann versucht werden, den persönlichen Freibetrag nach § 16 Abs. 1 ErbStG im Zeitabstand von jeweils zehn Jahren durch gezielte Zuwendungen mehrmals voll auszuschöpfen. Erträge des zugewendeten Vermögens fließen dann bereits dem Erwerber zu und erhöhen nicht mehr das Vermögen des Schenkers.

6.201

Ehegatten. Ehegatten (und Kinder in jungen Jahren) erhalten über den Steuerfreibetrag nach § 16 ErbStG hinaus einen besonderen Versorgungsfreibetrag nach § 17 ErbStG. Hinzu kommt, dass der bei einem Erbfall anfallende Zugewinnausgleich bei Eheleuten, die im Güterstand der Zugewinngemeinschaft leben, gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 ErbStG keinen erbschaftsteuerlich relevanten Erwerb darstellt und somit steuerfrei ist. Steuerfrei bleibt der Anspruch auf Zugewinnausgleich auch dann, wenn die Zugewinngemeinschaft auf andere Weise als durch den Tod eines Ehegatten beendet wird (§ 5 Abs. 2 ErbStG). Dieser Umstand kann durch gezielte Planung genutzt werden. 1 Das BMF-Schreiben v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004, 3 enthält eine Liste niedrig besteuerter Gebiete. 2 Vgl. Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 14 ErbStG Rz. 2.

430 | Wiese/Lukas

E. Erbschaft- und Schenkungsteuer | Rz. 6.204 Kap. 6

Güterstandsschaukel. In einer traditionellen Ehe konzentriert sich das Vermögen oftmals bei einem der Ehepartner. Möchte dieser zu Lebzeiten Vermögen auf den anderen Ehegatten oder Lebenspartner übertragen, löst die Übertragung Erbschaftsteuer aus, soweit nicht die Privilegierungen für Betriebsvermögen, das Familienheim oder Hausrat greifen. Eine Möglichkeit, dem Ehepartner ohne Anfall von Erbschaftsteuer Vermögen zu übertragen, bietet die Beendigung des Zugewinnausgleichs und dessen darauffolgende Neubegründung (sog. Güterstandsschaukel). Kern dieser Gestaltungsüberlegung ist, dass der Anspruch auf Zugewinnausgleich nach § 5 Abs. 2 ErbStG keinen der Erbschaftsteuer unterliegenden Erwerb nach §§ 3 – 7 ErbStG darstellt und somit von der Erbschaftsteuer freigestellt ist. Das ist selbst dann der Fall, wenn die Ausgleichsforderung bis zum Tod des verpflichteten Ehegatten verzinslich gestundet wird.1 Um diesen Steuereffekt zu erzielen, müssen die Ehepartner die Zugewinngemeinschaft zunächst beenden und in den Güterstand der Gütertrennung wechseln. Die Beendigung erfolgt gem. § 1408 Abs. 1 BGB durch notariellen Vertrag. Anschließend kehren die Eheleute (ebenfalls durch notariellen Vertrag) in den Güterstand der Zugewinngemeinschaft zurück und beginnen hinsichtlich des Zugewinns von Neuem.2 Die Neubegründung des gesetzlichen Güterstands und seine vorherige Beendigung können in einer einzigen Urkunde geregelt werden; der Wechsel ist ohne Einhaltung einer Wartefrist möglich.3 Die Rückkehr in den gesetzlichen Güterstand ist für die steuerfreie Vermögensübertragung zwar nicht erforderlich. Sie bietet aber den Vorteil, dass sich die Erbquote des Ehepartners erhöht und so die Pflichtteilsansprüche der Kinder nur in geringerer Höhe entstehen.4 – Risiken birgt die Berechnung des Ausgleichsanspruchs: Wird zu viel Vermögen übertragen, stellt der überschießende Teil eine steuerpflichtige Schenkung dar; wird zu wenig übertragen, liegt eine Schenkung an den Übertragenden vor.5 Die korrekte Berechnung des Zugewinns ist somit essentiell. § 5 Abs. 2 ErbStG gibt jedoch keine eigene Berechnungsmethode vor, sondern verweist zur Berechnung des Zugewinns auf die zivilrechtlichen Vorschriften.

6.202

Steuerbefreiungen. Für bestimmte Übertragungsgegenstände sehen §§ 13 ff. ErbStG Steuerbefreiungen vor. So kann insbesondere das Familienheim steuerfrei erworben werden (§ 13 Abs. 1 Nr. 4a und 4b ErbStG). § 13 Abs. 1 Nr. 16 Buchst. b ErbStG sieht u.a. eine Steuerbefreiung für Zuwendungen an gemeinnützige Stiftungen vor. Zu 90 % steuerfrei ist auch der Erwerb von Grundstücken, die nicht gewerblich zu Wohnzwecken vermietet sind (§ 13d ErbStG). Für die Nachfolgepraxis besonders relevant sind die Steuerbefreiungen für Unternehmensvermögen gem. §§ 13a, 13b, 13c ErbStG (s. Rz. 6.214 f.).

6.203

III. Bewertung und Besteuerung 1. Bewertung Einzelbewertung. Die zum Erwerb zählenden Vermögensgegenstände werden einzeln bewertet. Die Bewertung richtet sich nach den Vorgaben des BewG (§ 12 ErbStG) und dem dort zum Bewertungsziel erklärten gemeinen Wert (§ 9 BewG). § 12 ErbStG kommt besondere Bedeutung zu: Von dem maßgebenden Wert der Bereicherung hängt letztlich die Höhe der Steuerbelastung ab. Für die Bewertung des Erwerbs ist der Zeitpunkt der Steuerentstehung

1 2 3 4 5

BFH v. 12.7.2005 – II R 29/02, BStBl. II 2005, 843. Friedrich-Büttner/Herbst, ErbStB 2011, 45 (46). Friedrich-Büttner/Herbst, ErbStB 2011, 45 (47). Vgl. Friedrich-Büttner/Herbst, ErbStB 2011, 45 (47); v. Oertzen/Cornelius, ErbStB 2005, 349. Friedrich-Büttner/Herbst, ErbStB 2011, 45 (46).

Wiese/Lukas | 431

6.204

Kap. 6 Rz. 6.204 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

gem. § 11 i.V.m. § 9 ErbStG als Stichtag maßgeblich.1 Für Einzelheiten zur Bewertung wird auf Kapitel 7 verwiesen.

2. Steuerklassen und Steuersatz 6.205

Bedeutung und Struktur. Zur Bestimmung des maßgebenden Steuersatzes knüpft das Gesetz zum einen an das persönliche Näheverhältnis zwischen Übertragendem und Erwerber und zum anderen an die Höhe des steuerpflichtigen Erwerbs an (§ 19 Abs. 1 ErbStG). In persönlicher Hinsicht hängt der Steuersatz von der zur Anwendung kommenden Steuerklasse (§ 15 ErbStG) ab: Während in der Steuerklasse I die Steuerbelastung je nach Höhe des Erwerbs mit 7 % bis 30 % am geringsten ist, gelten für Angehörige der Steuerklasse II Steuersätze von 15 % bis 43 % und für alle übrigen Erwerber (die dann der Steuerklasse III zuzuordnen sind) Steuersätze von 30 % bis 50 %. Die Steuersätze beziehen sich sowohl auf den Erwerb von Todes wegen als auch auf Schenkungen unter Lebenden. Erfasst wird jeweils der Nettoerwerb nach Abzug sachlicher und persönlicher Steuerbefreiungen. Die Steuersätze gelten gleichermaßen für beschränkt und unbeschränkt Steuerpflichtige.2 Die zweite Berechnungsgrundlage – die Höhe des steuerpflichtigen Erwerbs – lässt die Steuersätze in bestimmten Wertstufen des steuerpflichtigen Erwerbs ansteigen. Dabei handelt es sich jedoch nicht um einen progressiven Tarif, der nur den über einer bestimmten Grenze liegenden Erwerbsteil höher besteuert. Vielmehr wird der gesamte steuerpflichtige Erwerb vollumfänglich mit dem seiner Wertstufe entsprechenden Steuersatz erfasst.3 Innerhalb einer Wertstufe steigt die Steuerbelastung proportional zum Wert des Erwerbs. Progressionssprünge vollziehen sich an den Wertgrenzen, da sie den gesamten Erwerb auf ein höheres Besteuerungsniveau heben. Das bedeutet: Auch bei einem nur geringfügigen Anstieg der Erwerbshöhe kann die steuerliche Belastung überproportional ansteigen.

6.206

Progressionsvorbehalt. Der Progressionsvorbehalt gem. § 19 Abs. 2 ErbStG stellt sicher, dass Erwerber, deren Erwerb zu einem Teil wegen eines erbschaftsteuerlichen DBA der inländischen Besteuerung entzogen ist, nicht aus diesem Grund in einen niedrigeren Progressionsbereich gelangen. Die Vorschrift hat für die seltenen DBA Relevanz, in denen die Freistellungsmethode gilt. Für die Steuerfestsetzung ist der Steuersatz maßgebend, der für den gesamten Erwerb einschließlich der nicht erfassten Vermögensgegenstände gelten würde.

3. Härteausgleich 6.207

Abmilderung des Stufentarifs. Nach § 19 Abs. 3 ErbStG ist die Steuer, die sich aus einer regulären Anwendung des § 19 Abs. 1 ErbStG ergibt, mit dem Steuerbetrag zu vergleichen, der sich ergeben würde, wenn der Erwerb die letztvorhergehende Wertgrenze nicht überstiegen hätte. Die Differenz zwischen beiden Beträgen darf nur dann erhoben werden, wenn die Mehrsteuer gegenüber einem Erwerb in Höhe der Höchstgrenze der letztvorhergehenden Wertgrenze bei einem Steuersatz von bis zu 30 % die Hälfte, bei einem Steuersatz zwischen 30 % und 40 % Dreiviertel dieses Mehrerwerbs nicht übersteigt. Auf diese Weise sollen die 1 Immes in Wilms/Jochum, § 9 BewG Rz. 3 (Stand: Oktober 2013); Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/ Gottschalk, § 12 ErbStG Rz. 56 (Stand: Mai 2018); auch bei seinem Beschluss zur Verfassungswidrigkeit des ErbStG postuliert das BVerfG, dass es im System der Erbschaftsteuer des Rückgriffs auf den Verkehrswert bedürfe, BVerfG v. 7.11.2006 – 1 BvL 10/02, BStBl. II 2007, 192 Rz. 105. 2 Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 19 ErbStG Rz. 2 (Stand: Juni 2017). 3 Vgl. Weinmann in Moench/Weinmann, § 19 ErbStG Rz. 3 (Stand: April 2019); Jülicher in Troll/ Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 19 ErbStG Rz. 7 (Stand: Juni 2017).

432 | Wiese/Lukas

E. Erbschaft- und Schenkungsteuer | Rz. 6.210 Kap. 6

Wirkungen des Stufentarifs, wonach die Steuerbelastung an den Wertgrenzen sprunghaft ansteigt, abgemildert werden.1 Der Härteausgleich ist in allen Fällen der tatsächlichen oder fiktiven Steuerberechnung vorzunehmen.

4. Tarifbegrenzung Tarifbegrenzung bei Erwerb von Betriebsvermögen. Nach § 19a ErbStG ist von der tariflichen Erbschaftsteuer ein Entlastungsbetrag abzuziehen, wenn eine natürliche Person, die der Steuerklasse II oder III angehört, begünstigtes Vermögen i.S.v. § 13b Abs. 2 ErbStG (s. Rz. 6.214 ff.) erwirbt und soweit dieses Vermögen nicht bereits nach § 13a Abs. 1 oder § 13c ErbStG begünstigt ist.2 Zu dem von der Tarifbegrenzung erfassten begünstigten Vermögen gehören Betriebsvermögen, land- und forstwirtschaftliches Vermögen und Anteile an Kapitalgesellschaften im Inland, wenn der Erblasser an ihnen zu mehr als einem Viertel beteiligt war.

6.208

Ermittlung des Entlastungsbetrags. Zur Bestimmung des Entlastungsbetrags gibt das Gesetz folgende Berechnung vor (§ 19a Abs. 3 und Abs. 4 ErbStG):

6.209

– Zunächst ist der auf das entlastungsfähige Vermögen entfallende Anteil an der tariflichen Erbschaftsteuer zu ermitteln. Dazu ist der Wert dieses Vermögens nach Anwendung des § 13a ErbStG oder § 13c ErbStG und nach Abzug der mit diesem Vermögen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden abzugsfähigen Schulden und Lasten zu ermitteln. Dieser Wert ist ins Verhältnis zu setzen zu dem Wert des gesamten Vermögensanfalls i.S.v.§ 10 Abs. 1 Satz 1 und 2 ErbStG nach Abzug der mit diesem Vermögen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden abzugsfähigen Schulden und Lasten. Das so ermittelte Verhältnis ergibt den auf das entlastungsfähige Vermögen entfallenden Anteil an der tariflichen Erbschaftsteuer. – Sodann ist die tatsächliche Steuerlast des Erwerbers unter Zugrundelegung seiner Steuerklasse (II oder III) zu ermitteln und nach dem ermittelten Anteil an der tariflichen Erbschaftsteuer aufzuteilen. – In einem weiteren Schritt ist eine fiktive Berechnung der Steuerlast des Erwerbers nach der Steuerklasse I vorzunehmen, allerdings unter Berücksichtigung des tatsächlichen persönlichen Freibetrags des Erwerbers.3 Diese fiktive Steuerlast ist nach dem zuvor ermittelten Aufteilungsschlüssel auf das tarifbegünstigte und das nicht begünstigte Vermögen aufzuteilen. Die Realsteuerlast des Erwerbers ist dann um den Differenzbetrag zu vermindern, der auf das tarifbegünstigte Vermögen entfällt (§ 19a Abs. 4 Satz 3 ErbStG). Bei beiden Rechenschritten ist der Härteausgleich nach § 19 Abs. 3 ErbStG zu beachten.4 Verstoß gegen Behaltensfristen. Der Entlastungsbetrag entfällt mit Wirkung für die Vergangenheit, soweit der Erwerber innerhalb von fünf Jahren gegen die Behaltensregelungen des § 13a ErbStG (s. Rz. 6.309 ff.) verstößt (§ 19a Abs. 5 ErbStG).

1 Weinmann in Moench/Weinmann, § 19 ErbStG Rz. 13 (Stand: April 2019). 2 Die Tarifermäßigung geht zurück auf einen Beschluss des BVerfG, der eine Verpflichtung des Gesetzgebers herausgearbeitet hat, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erbschaftsteuerlich unabhängig von der verwandtschaftlichen Nähe zwischen Erblasser und Erben zu berücksichtigen, BVerfG v. 22.6.1995 – 2 BvR 552/91, BVerfGE 93, 165. 3 R E 19a.2 Abs. 2 Satz 3 ErbStR 2019. 4 Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 19a ErbStG Rz. 14.

Wiese/Lukas | 433

6.210

Kap. 6 Rz. 6.211 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

IV. Steuerbefreiungen für Unternehmensvermögen 1. Erbschaftsteuerreform 2016 6.211

Verfassungswidrigkeit des alten Verschonungssystems für Unternehmensvermögen. Das BVerfG hatte die bis zur Erbschaftsteuerreform 2016 geltenden Verschonungsregeln für Betriebsvermögen für verfassungswidrig erklärt.1 Nach langer politischer und rechtlicher Diskussion hat sich der Gesetzgeber mit der Reform der erbschaftsteuerlichen Verschonungsregeln2 für eine Beibehaltung des bisherigen Verschonungssystems entschieden, dieses aber im Hinblick auf die Vorgaben der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung angepasst.

6.212

Koordinierter Ländererlass. Die Finanzverwaltung hat zu den Vorschriften des neuen Erbschaftsteuerrechts zunächst in einem koordinierten Ländererlass3 Stellung genommen. Der Ländererlass ist koordiniert und nicht gleichlautend, da er ohne die Zustimmung der bayerischen Finanzverwaltung ergangen ist. Die bayerischen Finanzämter sind an den Inhalt des Ländererlasses grundsätzlich nicht gebunden. Das kann zur Folge haben, dass das Erbschaftsteuerrecht von den Finanzbehörden in Deutschland unterschiedlich ausgelegt wird. Nunmehr räumt die bayerische Finanzverwaltung den Steuerpflichtigen aber die Möglichkeit ein, sich auf den koordinierten Ländererlass – mit Abweichungen – zu berufen.4 Im Dezember 2018 wurde ein Entwurf für die ErbStR 2019 veröffentlicht. Dieser hat im Herbst 2019 erfolgreich das vorgesehene Verfahren durchlaufen (Stand Dezember 2019).

2. Systematik a) Überblick über die Verschonungsregeln

6.213

Vom begünstigungsfähigen Vermögen zum begünstigten Vermögen. § 13b Abs. 1 ErbStG zählt abschließend das erbschaftsteuerlich begünstigungsfähige Vermögen (d.h. das Vermögen, das grundsätzlich einer erbschaftsteuerlichen Begünstigung fähig ist) auf. Zum begünstigungsfähigen Vermögen gehören land- und forstwirtschaftliches Vermögen, inländisches Betriebsvermögen, Anteile an gewerblich tätigen oder gewerblich geprägten Personengesellschaften sowie Anteile an Kapitalgesellschaften, wenn die Beteiligung mindestens 25 %5 beträgt (§ 13b Abs. 1 ErbStG). Das begünstigungsfähige Vermögen ist insoweit begünstigt, als sein gemeiner Wert den Nettowert des Verwaltungsvermögens – d.h. des nicht produktiven betrieblichen Vermögens – übersteigt (§ 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG). Das begünstigte Vermögen ist daher eine Differenzgröße. Es bleibt im Rahmen der Regelverschonung zu 85 % (§ 13a Abs. 1 ErbStG) und im Rahmen der Optionsverschonung zu 100 % (§ 13a Abs. 10 Satz 1 Nr. 1 ErbStG) erbschaftsteuerfrei. Die Steuerfreiheit ist in beiden Fällen an eine Behaltens- und eine Lohnsummenfrist gebunden.

6.214

Regel- und Optionsverschonung. Das erbschaftsteuerliche Verschonungssystem für Unternehmensvermögen ist (auch weiterhin) ein zweigliedriges System aus Regel- und Optionsverschonung. Der Erwerber kann für das begünstigte Vermögen entweder die Regelverschonung mit einem Verschonungsabschlag i.H.v. 85 % und fünfjähriger Behaltens- und Lohnsummen1 BVerfG v. 17.12.1014 – 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136. 2 Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des BVerfG v. 29.9.2016, BT-Drucks. 555/16. 3 Koordinierter Ländererl. v. 22.6.2017, FinBeh HH – S 3715 - 2017/001 - 53, BStBl. I 2017, 902. 4 LfSt Bayern v. 14.11.2017 – S 3715.1.1-30/8 St34, DStR 2017, 2554. 5 Diese Mindestbeteiligungshöhe kann auch durch den Abschluss von Poolvereinbarungen erreicht werden (s. Rz. 6.232).

434 | Wiese/Lukas

E. Erbschaft- und Schenkungsteuer | Rz. 6.217 Kap. 6

frist in Anspruch nehmen (§ 13a Abs. 1 Satz 1 ErbStG), oder er kann unwiderruflich erklären, dass er die Optionsverschonung mit einem Verschonungsabschlag i.H.v. 100 % und siebenjähriger Behaltens- und Lohnsummenfrist wählt (§ 13a Abs. 10 ErbStG). Der Verschonungsabschlag von 85 % bzw. 100 % wird auf das begünstigte Vermögen gewährt, wenn der Erwerb zusammen mit den weiteren Erwerben von derselben Person, die innerhalb der letzten zehn Jahre vor dem Erwerb erfolgt sind, die Summe von insgesamt 26 Mio. Euro nicht übersteigt (§ 13a Abs. 1 Satz 1 ErbStG). Sind innerhalb der letzten zehn Jahre vor dem Erwerb weitere Erwerbe von derselben Person zu verzeichnen, sind diese mit ihrem früheren Wert dem letzten Erwerb hinzuzurechnen (§ 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG). In die Zusammenrechnung sind nicht nur die Vorerwerbe begünstigten Vermögens einzubeziehen, für die die Steuer nach dem 30.6.2016 entsteht, sondern auch solche, für die die Steuer nach der jeweils geltenden Gesetzeslage vor dem 1.7.2016 bzw. 1.1.2009 entstanden ist.1 Der bei der Besteuerung des jeweiligen Erwerbs angesetzte Wert des begünstigten Vermögens kann ohne zusätzliche Ermittlung übernommen werden.2 Diese Zusammenrechnung mehrerer Erwerbe ist gem. § 13c Abs. 2 Satz 2 ErbStG auch für das Abschmelzungsmodell (s. Rz. 6.220) vorgesehen. Verwaltungsvermögen. Das – vom Gesetzgeber als nicht operatives Vermögen eingestufte – Verwaltungsvermögen zählt nicht zum begünstigten Vermögen, sondern ist (oberhalb eines als „Schmutzgrenze“ bezeichneten Puffers) von der erbschaftsteuerlichen Verschonung ausgenommen. Die frühere Alles-oder-nichts-Betrachtung, nach der das Verwaltungsvermögen bei Unterschreiten der 50 %- bzw. 10 %-Grenze in die Verschonung des betrieblichen Vermögens einbezogen wurde, hat der Gesetzgeber aufgegeben.

6.215

b) Großerwerbe aa) Wahlrecht zwischen zwei Verschonungsmodellen Abschmelzungsmodell oder Verschonungsbedarfsprüfung. Das BVerfG hat dem Gesetzgeber in seiner Entscheidung vom 17.12.20143 aufgegeben, die Verschonung unternehmerischen Vermögens bei Überschreiten bestimmter Erwerbsgrenzen von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig zu machen. Regel- und Optionsverschonung sind daher nur bis zu einem Erwerbswert von 26 Mio. Euro uneingeschränkt anzuwenden. Ab einem Erwerbswert von 26 Mio. Euro (sog. Großerwerb) kann der Erwerber zwischen einem Abschmelzungsmodell ohne Verschonungsbedarfsprüfung (§ 13c ErbStG) und einem Erlassmodell mit Verschonungsbedarfsprüfung (§ 28a ErbStG) wählen. Für beides ist ein Antrag des Steuerpflichtigen erforderlich. Der Steuerpflichtige muss sich für eine Alternative entscheiden – eine Kombination von Abschmelzungs- und Erlassmodell ist ausgeschlossen. Möglich bleibt in Erbfällen aber eine Stundung nach § 28 ErbStG.4 Bezugsgröße des Erwerbswerts von 26 Mio. Euro ist das begünstigte Vermögen i.S.v. § 13b Abs. 2 ErbStG (§ 13c Abs. 1 Satz 1; § 28a Abs. 1 Satz 1 ErbStG). Dies ist konsequent, weil sich die Frage der Begünstigungsfähigkeit nur in Bezug auf diesen Vermögensteil bezieht.

6.216

Wahl der Bewertungsmethode. Die Grenze von 26 Mio. Euro wird bei größeren Unternehmen – gerade auch angesichts der Zusammenrechnung mehrerer Erwerbe, die in die 10-Jahres-Frist fallen – schnell erreicht. Daran ändert auch die Anpassung des im Rahmen des ver-

6.217

1 2 3 4

R E 13a.2 Abs. 3 Satz 1 ErbStR 2019. R E 13a.2 Abs. 3 Satz 8 ErbStR 2019. BVerfG v. 17.12.1014 – 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136. Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13c ErbStG Rz. 4; Holtz, NJW 2016, 3750 (3754).

Wiese/Lukas | 435

Kap. 6 Rz. 6.217 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

einfachten Ertragswertverfahrens (§§ 199 ff. BewG) zur Anwendung kommenden Kapitalisierungsfaktors für Erwerbe ab dem 1.1.2016 auf 13,75 (§ 203 Abs. 1 BewG) nichts. Die geeignete – und im Rahmen des § 11 BewG zulässige – Bewertungsmethode sollte daher stets sorgfältig gewählt werden. Eine Bewertung nach IDW S 1, DCF oder Multiplikatorverfahren kann in diesem Zusammenhang eine echte Alternative zum vereinfachten Ertragswertverfahren darstellen.

6.218

Ohne Antrag volle Besteuerung. Beantragt der Erwerber eines Vermögens, das die Erwerbsgröße von 26 Mio. Euro überschreitet, keines der Verschonungssysteme, greift keine sachliche Steuerbefreiung, und auch das begünstigte Vermögen wird unverschont versteuert. Der Antrag auf Inanspruchnahme des Abschmelzmodells ist unwiderruflich (§ 13c Abs. 2 Satz 6 ErbStG). Entsprechendes wird für das Erlassmodell (Verschonungsbedarfsprüfung) i.S.v. § 28a ErbStG nicht angeordnet. Der Erwerber kann also vom Erlass- in das Abschmelzungsmodell wechseln, jedoch nicht umgekehrt.1

6.219

Abschmelzung des Verschonungsabschlags. Beim Abschmelzungsmodell ohne Verschonungsbedarfsprüfung kommen die Regel- und die Optionsverschonung grundsätzlich zur Anwendung. Der Verschonungsabschlag von 85 % bei der Regelverschonung bzw. von 100 % bei der Optionsverschonung wird jedoch kontinuierlich abgeschmolzen. Der Verschonungsabschlag reduziert sich um einen Prozentpunkt für jede vollen 750000 Euro, um die der Wert des begünstigten Vermögens den Betrag von 26 Mio. Euro übersteigt. Bei der Optionsverschonung wird ab einem Erwerbswert von 90 Mio. Euro überhaupt keine Verschonung mehr gewährt (§ 13c Abs. 1 Satz 2 ErbStG). Bei der Regelverschonung ist der Verschonungsabschlag von 85 % bei einem Erwerbswert von 89,75 Mio. Euro vollständig abgeschmolzen.

bb) Abschmelzungsmodell

cc) Verschonungsbedarfsprüfung

6.220

Grundzüge. Entscheidet sich der Erwerber für die Verschonungsbedarfsprüfung gem. § 28a ErbStG, hat er nachzuweisen, dass er außerstande ist, die Steuer aus seinem sonstigen – verfügbaren – Vermögen zu begleichen. Soweit es dem Erwerber gelingt, diesen Nachweis zu führen, ist die auf das begünstigte Vermögen entfallende Steuer zu erlassen (§ 28a Abs. 1 Satz 1 ErbStG). Die Finanzverwaltung hat hinsichtlich des Steuererlasses kein Ermessen.2 Die Verschonungsbedarfsprüfung ist nicht an eine Obergrenze gebunden. Sie kann auch bei Erwerben von mehr als 90 Mio. Euro beantragt werden.3

6.221

Voraussetzungen für den Steuererlass im Rahmen der Verschonungsbedarfsprüfung. Voraussetzung für den Steuererlass ist der durch den Erwerber geführte Nachweis, dass er persönlich nicht in der Lage ist, die Steuer aus seinem verfügbaren Vermögen zu begleichen (§ 28a Abs. 1 Satz 1 ErbStG).4 Der Erwerber kann den Nachweis führen, indem er eine Vermögensaufstellung auf den steuerlichen Stichtag vorlegt und diese mit Urkunden (Grundbuchauszüge, Handelsregisterauszüge etc.) und Bestätigungen Dritter (Kreditinstitute, Wirt-

1 2 3 4

S. Holtz, NJW 2016, 3750 (3754). Vgl. Geck, ZEV 2017, 481 (488); Maier, ZEV 2017, 10. Vgl. Wachter, DB 2017, 804 (805). Dazu Crezelius, ZEV 2016, 541 (545); Holtz, NJW 2016, 3750 (3753); Maier, ZEV 2017, 10; Theuffel-Werhahn, ZEV 2017, 17.

436 | Wiese/Lukas

E. Erbschaft- und Schenkungsteuer | Rz. 6.225 Kap. 6

schaftsprüfer etc.) belegt.1 Die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung ist gesetzlich nicht vorgesehen und auch nicht erforderlich.2 Verfügbares Vermögen. Zum verfügbaren Vermögen gehören 50 % der Summe der gemeinen Werte des im Zuge der Übertragung miterworbenen und des im Zeitpunkt der Steuerentstehung dem Erwerber bereits gehörenden sonstigen Vermögens, wenn dieses jeweils nicht zum begünstigten Vermögen i.S.v. § 13b Abs. 2 ErbStG gehört oder gehören würde (§ 28a Abs. 2 ErbStG). In die Prüfung, ob der Erwerber der Verschonung bedarf, ist daher das erworbene und bereits vorhandene Privatvermögen des Erwerbers ebenso mit einzubeziehen wie das relevante Verwaltungsvermögen. Nach Auffassung der Finanzverwaltung mindert die auf den steuerpflichtigen Erwerb anfallende Steuer den Wert des verfügbaren Vermögens nicht.3 Die nach Einsatz des verfügbaren Vermögens verbleibende Steuer wird unter der Voraussetzung erlassen, dass der Erwerber die für die Optionsverschonung geltende Behaltens- und Lohnsummenfrist einhält (§ 28a Abs. 4 ErbStG).4 Sofern das verfügbare Vermögen ausreicht, um die auf das begünstigte Vermögen anfallende Steuer zu zahlen, bedarf es keiner Verschonung. In diesem Fall hat der Erwerber die festgesetzte Steuer zu entrichten.5

6.222

Schaffung begünstigten Vermögens. Auf Ebene des Unternehmens sollte dafür gesorgt werden, dass die Voraussetzungen für den Steuererlass möglichst vollumfänglich vorliegen. Das Verwaltungsvermögen sollte also maximal 10 % betragen, und das Entstehen von jungem Verwaltungsvermögen und jungen Finanzmitteln sollte vermieden werden.6 Bei Personengesellschaften sollte das begünstigte Vermögen vom nicht begünstigten Betriebsvermögen getrennt werden. Dazu kann das Verwaltungsvermögen etwa buchwertneutral nach § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 EStG in das Sonderbetriebsvermögen überführt werden. In der Folge kann der Mitunternehmeranteil mit dem begünstigten Vermögen im Gesamthandsvermögen unter Anwendung der Verschonungsbedarfsprüfung übertragen werden, während das Sonderbetriebsvermögen mit einem kleinen Rest-Mitunternehmeranteil zurückbehalten wird.7

6.223

Reduzierung des verfügbaren Vermögens. Kommt die Verschonungsbedarfsprüfung zur Anwendung, sollte der Erwerber das verfügbare Vermögen – das er hälftig zur Steuerzahlung einsetzen muss – so gering wie möglich halten. Insbesondere sollte mit der Übertragung weiteren verfügbaren Vermögens i.S.v. § 28a Abs. 2 ErbStG auf denselben Erwerber vorsichtig umgegangen werden. Denn der Erwerber muss das verfügbare Vermögen hälftig einsetzen, um die Erbschaftsteuer zu begleichen. Dieser Vorbehalt gilt umso mehr, als verfügbares Vermögen nicht zwingend auch liquidierbares Vermögen sein muss.8

6.224

Erwerber mit geringem oder keinem verfügbaren Vermögen. Das begünstigte Vermögen kann auch von vornherein auf Erwerber übertragen werden, die über wenig oder kein verfügbares Vermögen verfügen (z.B. Kinder oder Enkelkinder). Eine solche Übertragung sollte aber nicht ausschließlich aus steuerlichen Gründen erfolgen, sondern nur dann, wenn die Übertragung auf Kinder oder Enkelkinder auch außerhalb steuerlicher Erwägungen sinnvoll ist. Als

6.225

1 2 3 4 5

Maier, ZEV 2017, 10 (11). Maier, ZEV 2017, 10 (11). R E 28a.2 Abs. 2 Satz 6 ErbStR 2019. Dazu Holtz, NJW 2016, 3750 (3753). Vgl. Weinmann in Moench/Weinmann, Erstkommentierung ErbStG-Reform 2016, § 28a ErbStG Rz. 14; Wachter, FR 2017, 130. 6 Reich, DStR 2016, 2447 (2450). 7 Reich, DStR 2016, 2447 (2450). 8 Vgl. Crezelius, ZEV 2016, 541 (546); Hannes, ZEV 2016, 554 (560); Maier, ZEV 2017, 10 (12).

Wiese/Lukas | 437

Kap. 6 Rz. 6.225 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

Erwerber ohne verfügbares Vermögen kommt auch die Familienstiftung in Frage. Im besten Fall kann sie einen vollumfänglichen Steuererlass im Rahmen der Verschonungsbedarfsprüfung beantragen.1 c) Stundung

6.226

Stundung. Gem. § 28 Abs. 1 ErbStG kann der Erwerber in Erbfällen (nicht bei Schenkungen) eine bis zu siebenjährige Stundung der auf das begünstigte Vermögen entfallenden Erbschaftsteuer beantragen. Die Stundung wird indes nur im ersten Jahr zinslos gewährt. In den darauffolgenden sechs Jahren ist der gestundete Betrag zu verzinsen. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO sieht dafür einen (derzeit unattraktiven) jährlichen Zinssatz von 6 % vor.2

3. Begünstigungsfähiges Betriebsvermögen 6.227

Zunächst ist zu ermitteln, ob das übertragene Vermögen dem Grunde nach erbschaftsteuerlich begünstigungsfähig ist.3 a) Das begünstigungsfähige Betriebsvermögen im Einzelnen aa) Einzelunternehmen und Personengesellschaften

6.228

Ertragsteuerliche Qualifikation maßgeblich. Entscheidend für die Einordnung als begünstigungsfähiges Vermögen ist die ertragsteuerliche Qualifikation als Betriebsvermögen i.S.v. § 15 EstG.4 Zu dem begünstigungsfähigen Vermögen zählen daher Einzelunternehmen sowie Anteile an gewerblich tätigen und gewerblich geprägten oder gewerblich infizierten Personengesellschaften (einschließlich Sonderbetriebsvermögen). Das übertragene Vermögen muss sowohl in der Hand des Übertragenden als auch in der Hand des Empfängers ertragsteuerlich Betriebsvermögen sein.5 Werden einzelne Wirtschaftsgüter des Sonderbetriebsvermögens übertragen, so kann eine Begünstigung nach den §§ 13a, 13b ErbStG nur dann erfolgen, wenn die Wirtschaftsgüter zeitgleich mit dem Anteil an der Personengesellschaft übertragen werden.6 Die ertragsteuerliche Qualifikation als Betriebsvermögen ist insbesondere bei der Übertragung eines Mitunternehmeranteils fraglich, wenn sich der Übertragende gesellschafts- oder schenkungsvertraglich Widerrufs- oder Nießbrauchsrechte vorbehält. Der Erwerber wird in diesem Fall jedenfalls dann nicht Mitunternehmer, wenn die Übertragung unter freiem Wi-

1 Reich, DStR 2016, 2447 (2451). 2 Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des gesetzlichen Zinssatzes vgl. die z.Zt. beim BVerfG anhängigen Verfassungsbeschwerden (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17); schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel geäußert hat auch der BFH in BFH v. 25.4.2018 – IX B 21/18, BStBl. II 2018, 415; dazu BMF v. 14.6.2018 – IV A 3 - S 0465/18/10005-01, BStBl. I 2018, 722; vgl. auch Mohr, FR 2018, 669; Ortheil, BB 2015, 675. 3 Nicht eingegangen wird an dieser Stelle auf die Begünstigungsfähigkeit von land- und forstwirtschaftlichem Vermögen, § 13b Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. 4 Eine noch im Regierungsentwurf v. 6.7.2015, BT-Drucks. 18/5923, enthaltene Beschränkung für vermögensverwaltende Gesellschaften (insbesondere gewerblich geprägte Personengesellschaften) ist nicht Gesetz geworden. 5 Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13b ErbStG Rz. 32. 6 So zumindest das FG Köln in Anlehnung an die ständige Rechtsprechung des BFH, FG Köln v. 29.6.2017 – 7 K 1654/16, DStRE 2018, 741; gegen dieses Urteil wurde Revision beim BFH eingelegt, Az.: II R 38/17.

438 | Wiese/Lukas

E. Erbschaft- und Schenkungsteuer | Rz. 6.231 Kap. 6

derrufsvorbehalt erfolgt1 oder der Übertragende die Möglichkeit hat, die Voraussetzungen einer Rückfallklausel jederzeit selbst herbeizuführen.2 Belegenheit des Vermögens. Entscheidend für die Begünstigungsfähigkeit ist die Belegenheit des betrieblichen Vermögens im Inland, in der EU oder dem EWR. Anders als bei Kapitalgesellschaften kommt es nicht darauf an, wo Sitz oder Ort der Geschäftsleitung der Personengesellschaft oder des Einzelunternehmens belegen sind. Daraus folgt: Neben inländischem Betriebsvermögen ist auch entsprechendes Betriebsvermögen begünstigungsfähig, das einer Betriebsstätte in einem Mitgliedstaat der EU oder in einem EWR-Staat dient. Nicht begünstigungsfähig ist der Erwerb ausländischen Betriebsvermögens in Drittstaaten.3 Begünstigungsfähig ist ausländisches Betriebsvermögen in Drittstaaten nach Auffassung der Finanzverwaltung aber dann, wenn es als Beteiligung an einer Personengesellschaft oder Anteile an einer Kapitalgesellschaft Teil einer wirtschaftlichen Einheit des Betriebsvermögens im Inland, in einem EU-Mitgliedstaat oder in einem EWR-Staat ist.4 Die Ansicht der Finanzverwaltung lässt sich nicht aus dem Gesetzeswortlaut herleiten. Um Restzweifel auszuschließen, bietet es sich im Rahmen der Nachfolgeplanung an, eine im Inland, der EU oder dem EWR ansässige Kapitalgesellschaft zwischenzuschalten.

6.229

bb) Anteile an Kapitalgesellschaften Mindestbeteiligung. Anteile an Kapitalgesellschaften sind begünstigungsfähiges Vermögen, wenn der Übertragende am Nennkapital der Gesellschaft unmittelbar5 zu mehr als 25 % beteiligt war (sog. Mindestbeteiligung, § 13b Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 ErbStG). Maßgeblich ist allein die Beteiligung am Nennkapital. Die Ausstattung des Anteils mit Stimmrechten ist irrelevant. Die Mindestbeteiligung muss auf Seiten des Übertragenden vorliegen – nicht erforderlich ist, dass der Erwerber im Zuge der Übertragung eine Beteiligung von mehr als 25 % erhält.6

6.230

Poolvereinbarung. Erfüllt der Übertragende die Mindestbeteiligung nicht, kann die Lösung im Abschluss einer Poolvereinbarung zwischen dem Erblasser/Schenker und anderen Mitgesellschaftern liegen, sofern deren Anteile zusammengerechnet die Mindestbeteiligung erreichen. Voraussetzung ist, dass die Beteiligten untereinander verpflichtet sind, über die Anteile nur einheitlich zu verfügen und ihr Stimmrecht nur einheitlich auszuüben (§ 13b Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 ErbStG). Um eine (nicht begünstigungsfähige) mittelbare Anteilsübertragung auszuschließen, muss der Poolvertrag eine rein schuldrechtliche Abrede sein; das Eigentum an den Anteilen muss bei den Poolbeteiligten verbleiben und darf nicht auf eine durch die Poolvereinbarung ggf. begründete Gesamthand übergehen. Nach einer Mindermeinung kann die Stimmbindung einen schädlichen Beteiligungserwerb gem. § 8c KStG7 darstellen, so dass Ver-

6.231

1 Koordinierter Ländererl. v. 22.6.2017, FinBeh HH – S 3715 - 2017/001 - 53, BStBl. I 2017, 902, H 13b.5. 2 Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13b ErbStG Rz. 36 m.w.N. 3 R E 13b.5 Abs. 4 Satz 1 und 2 ErbStR 2019. 4 R E 13b.5 Abs. 4 Satz 4 ErbStR 2019. 5 Die mittelbare Anteilsübertragung über eine vermögensverwaltende GbR ist nach Ansicht von Rechtsprechung und Finanzverwaltung nicht begünstigungsfähig, BFH v. 11.6.2013 – II R 4/12, BStBl. II 2013, 742; R E 13b.6 Abs. 2 Satz 3 ErbStR 2019. 6 Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13b ErbStG Rz. 49 m.w.N. 7 Das BVerfG hat indes kürzlich § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG für verfassungswidrig erklärt, BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106, BStBl. II 2017, 1082; s. Rz. 6.139 ff.

Wiese/Lukas | 439

Kap. 6 Rz. 6.231 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

lustvorträge der Kapitalgesellschaft untergehen.1 Nach Ansicht der Finanzverwaltung kann jedenfalls ein vergleichbarer Sachverhalt nach § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG vorliegen.2 Die überwiegende Auffassung in der Literatur lehnt dies ab.3

6.232

Erbschaftsteuerliche Abschirmwirkung der Kapitalgesellschaft. Im Gegensatz zu der Übertragung von Einzelunternehmen und Personengesellschaften kommt es für die Begünstigungsfähigkeit der Kapitalgesellschaftsanteile nicht darauf an, wo das Vermögen der Kapitalgesellschaft belegen ist. Entscheidend ist allein, dass die Gesellschaft ihren Sitz oder Ort der Geschäftsleitung im Inland, der EU oder dem EWR hat. Erbschaftsteuerlich entfalten Kapitalgesellschaften daher Abschirmwirkung.

6.233

Zusammenfassend lässt sich der Umfang des begünstigungsfähigen Vermögens i.S.v. § 13b Abs. 1 ErbStG wie folgt darstellen:4

cc) Übersicht zum Umfang des begünstigungsfähigen Vermögens

Zum Vermögen der Ka- Einzelunternehmen/Personengesellpitalgesellschaft/des schaft Einzelunternehmens/ der Personengesellschaft gehören

Kapitalgesellschaft

Betriebsstätten... ... im Inland

begünstigungsfähiges Betriebsvermögen

begünstigungsfähiges Vermögen

... in der EU oder dem EWR

begünstigungsfähiges Betriebsvermögen

begünstigungsfähiges Vermögen

... in einem Drittstaat

nicht begünstigungsfähiges Betriebsvermögen

begünstigungsfähiges Vermögen

Beteiligungen an einer Personengesellschaft ... ... im Inland

begünstigungsfähiges Betriebsvermögen, auch soweit die Personengesellschaft eine Betriebsstätte in einem Drittstaat unterhält.

begünstigungsfähiges Vermögen

... in der EU oder dem EWR

begünstigungsfähiges Betriebsvermögen, auch soweit die Personengesellschaft eine Betriebsstätte in einem Drittstaat unterhält.

begünstigungsfähiges Vermögen

1 Mohr, GmbH-StB 2016, 370 (376); eine Übersicht der Literaturmeinungen bietet Dötsch/Leibner in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 8c KStG Rz. 68 (Stand: Juni 2018). 2 BMF v. 28.11.2017 – IV C 2 - S 2745-a/09/10002:004, BStBl. I 2017, 1645; davor bereits BMF v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2745 – a/08/10001, BStBl. I 2008, 736. 3 Eliker/Zillmer, BB 2009, 2620; Frotscher in Frotscher/Drüen, § 8c KStG Rz. 61 (Stand: Januar 2019); Felten, DStR 2010, 1261 (1266); Roser in Gosch3, § 8c KStG Rz. 41; Honert/Obser, BB 2009, 1161 (1162); Richter/Escher, FR 2011, 760 (763). 4 Der Übersicht liegen die Darstellungen im Koordinierten Ländererl. v. 22.6.2017, FinBeh HH – S 3715 - 2017/001 - 53, BStBl. I 2017, 902, H 13b.5 und H 13b.6 zugrunde.

440 | Wiese/Lukas

E. Erbschaft- und Schenkungsteuer | Rz. 6.235 Kap. 6 ... in einem Drittstaat

begünstigungsfähiges Betriebsvermögen, auch soweit die Personengesellschaft eine Betriebsstätte in einem Drittstaat unterhält.

begünstigungsfähiges Vermögen

Anteile an einer Kapitalgesellschaft ... ... im Inland

begünstigungsfähiges Betriebsvermögen

begünstigungsfähiges Vermögen

... in der EU oder dem EWR

begünstigungsfähiges Betriebsvermögen

begünstigungsfähiges Vermögen

... in einem Drittstaat

begünstigungsfähiges Betriebsvermögen

begünstigungsfähiges Vermögen

b) Nießbrauch aa) Übertragung unter Vorbehalt des Nießbrauchs Bedeutung. Der Vereinbarung eines Vorbehaltsnießbrauchs kommt im Rahmen der Nachfolgeplanung erhebliche praktische Bedeutung zu. Der Nießbraucher kann trotz des Vermögensübergangs auf den Erwerber an den Erträgen des Unternehmens und an unternehmerischen Entscheidungen teilhaben (dazu bereits Rz. 6.76 ff.). In erbschaftsteuerlicher Hinsicht besteht die Attraktivität des Vorbehaltsnießbrauchs u.a. darin, dass der Kapitalwert des Nießbrauchs steuermindernd von der erbschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage in Abzug gebracht werden kann (§ 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG).1

6.234

bb) Nießbrauch am Personengesellschaftsanteil (1) Erbschaftsteuerliche Erwägungen Erbschaftsteuerlich Übergang einer Mitunternehmerstellung erforderlich. Besonders häufig stellt sich in der Praxis die Frage, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen rechtlichen und steuerlichen Konsequenzen der Nießbrauch am Anteil an einer Personengesellschaft – nach wie vor die klassische Organisationsform des deutschen Mittelstands – bestellt werden kann. Dabei sind steuerliche und außersteuerliche Ziele miteinander in Einklang zu bringen. Auf der einen Seite wählt der Übertragende den Nießbrauch als Gestaltungsmittel, um sich trotz der Vermögensübertragung auf den Erwerber (teilweise weitreichende) Mitsprache- und Vermögensrechte an dem übertragenen unternehmerischen Vermögen zu sichern. Auf der anderen Seite liegt erbschaftsteuerlich begünstigungsfähiges Vermögen i.S.v. § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG nur vor, wenn der Übertragungsgegenstand durchgehend sowohl bei dem Übertragenden als auch bei dem Empfänger sämtliche Voraussetzungen des § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG erfüllt. Die übertragene Beteiligung muss daher nicht nur dem Übertragenden ertragsteuerlich eine Mitunternehmerstellung vermittelt haben, sondern sie muss auch dem Erwerber Mitsprache- und Vermögensrechte verleihen, die ihn zum ertragsteuerlichen Mitunternehmer machen.2 Es kann nicht genug betont werden, dass der Erwerber gerade durch den übertragenen Mitunternehmeranteil eine Rechtsposition erlangen muss, die ihn zum Mitunternehmer macht. Irrelevant ist daher, ob der Erwerber aus anderen Gründen, z.B. auf1 § 25 ErbStG a.F. sah demgegenüber ein Abzugsverbot vor. Danach war die auf den Kapitalwert des Nießbrauchs entfallende Steuer bis zum Erlöschen des Nießbrauchs zinslos zu stunden. 2 BFH v. 10.12.2008 – II R 34/07, BStBl. II 2009, 312.

Wiese/Lukas | 441

6.235

Kap. 6 Rz. 6.235 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

grund eines bereits zuvor erworbenen Gesellschaftsanteils, Mitunternehmer derselben Gesellschaft ist; eine bereits bestehende Position als Mitunternehmer hat daher keine „Abfärbewirkung“.1 (2) Mitunternehmerstellung der Beteiligten (a) Mitunternehmerinitiative

6.236

Verteilung der Stimmrechte. Mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen Nießbraucher und Gesellschafter Mitunternehmerinitiative entfalten können, hat sich die Rechtsprechung bereits verschiedentlich auseinandergesetzt. Auch wenn sich eine einheitliche Rechtsprechungslinie nur schwer ausmachen lässt, steht doch regelmäßig die Abgrenzung der Mitwirkungsrechte zwischen Gesellschafter und Nießbraucher im Mittelpunkt der Betrachtung. Hier gilt: Ein Nießbrauch, bei dem der Nießbraucher über ein das Mitwirkungsrecht des Gesellschafters ausschließendes eigenes Stimmrecht bei Gesellschafterbeschlüssen über laufende Angelegenheiten und über die zur Sicherung seines Fruchtziehungsrechts notwendigen Kontroll- und Informationsrechte verfügt, lässt die Stellung des Gesellschafters als Mitunternehmer grundsätzlich unberührt.2 Die Gesellschafterrechte des Gesellschafters müssen allerdings zumindest den Stimm-, Kontroll- und Widerspruchsrechten angenähert sein, die denen eines Kommanditisten entsprechen.3 Es ist also möglich, den Gesellschafter von der Mitwirkung an allgemeinen Geschäftsführungsmaßnahmen auszuschließen.4 Problematisch wird es jedoch dann, wenn dem Nießbraucher weitergehende Rechte eingeräumt sind. Dem Gesellschafter muss, um ertragsteuerlicher Mitunternehmer zu sein, jedenfalls das Stimmrecht in Grundlagen- und/oder Kernbereichsgeschäften zustehen.5 Behält sich der Nießbraucher Einflussmöglichkeiten auch bei Grundlagengeschäften vor und macht er von diesen tatsächlich Gebrauch, kann der Gesellschafter keine Mitunternehmerinitiative entfalten.6 Ein Zustimmungserfordernis des Nießbrauchers zu Maßnahmen, die sein Recht beeinträchtigen (vgl. § 1071 BGB), ist jedoch unschädlich.7

6.237

Stimmrechtsvollmacht. Nicht abschließend geklärt ist bislang, welche Konsequenzen sich aus der Erteilung einer Stimmrechtsvollmacht zugunsten des Nießbrauchers ergeben. Der BFH hat in einem Fall, in dem der Nießbraucher sämtliche Gesellschafterrechte wahrnahm und sich vorsorglich von dem Gesellschafter eine unwiderrufliche Stimmrechtsvollmacht erteilen ließ, die erforderliche Mitunternehmerinitiative des Gesellschafters verneint.8 Fehlende Mitunternehmerinitiative des Gesellschafters hat der BFH darüber hinaus in einem Fall ange1 Grundlegend BFH v. 23.2.2010 – II R 42/08, BStBl. II 2010, 555. 2 BFH v. 16.5.2013 – II R 5/12, BStBl. II 2013, 635; BFH v. 1.3.1994 – VIII R 35/92, BStBl. II 1995, 241. 3 BFH v. 10.12.2008 – II R 34/07, BStBl. II 2009, 312. 4 Vgl. Felten, ErbStB 2016, 117 (119); Fleischer, DStR 2013, 902 (903). 5 BFH v. 23.2.2010 – II R 42/08, BStBl. II 2010, 555. 6 Vgl. BFH v. 6.5.2015 – II R 34/13, BStBl. II 2015, 821; BFH v. 16.5.2013 – II R 5/12, BStBl. II 2013, 635; BFH v. 23.2.2010 – II R 42/08, BStBl. II 2010, 555; Felten, ErbStB 2016, 117 (119); Fleischer, DStR 2013, 902 (903); Hochheim/Wagenmann, ZEV 2010, 109 (111); kritisch hingegen Wachter, DStR 2016, 2065 (2069), der darauf hinweist, dass ein zivilrechtlich unwirksamer Totalvorbehalt aller Stimmrechte rechtlich und tatsächlich wertlos sei und daher die Mitunternehmerinitiative des Erwerbers nicht beeinträchtigen könne. 7 BFH v. 1.3.1994 – VIII R 35/92, BStBl. II 1995, 241; BFH v. 16.12.2009 – II R 44/08, BFH/NV 2010, 690. 8 BFH v. 10.12.2008 – II R 34/07, BStBl. II 2009, 312; Küspert, FR 2014, 397 (398).

442 | Wiese/Lukas

E. Erbschaft- und Schenkungsteuer | Rz. 6.239 Kap. 6

nommen, in dem sich der Nießbraucher die Stimm- und Mitverwaltungsrechte in der Gesellschaft umfassend vorbehielt, er von der Gesellschafterin zu deren Ausübung bevollmächtigt wurde und die Gesellschafterin sich verpflichtete, von ihrem eigenen Stimmrecht insoweit keinen Gebrauch zu machen, ersatzweise auf Wunsch des Gesellschafters nach dessen Weisung zu handeln.1 Das FG Düsseldorf2 hat demgegenüber in einem Fall, in dem die Stimmrechte des Gesellschafters nicht auf den Nießbraucher übertragen wurden, sondern dem Nießbraucher nur eine solchermaßen „isolierte“ und unwiderrufliche – sich auch auf Grundlagengeschäfte erstreckende – Stimmrechtsvollmacht erteilt worden war, eine Mitunternehmerstellung des Erwerbers angenommen. In dem Urteilsfall war der Gesellschafter nicht gehindert, die ihm als Kommanditisten zustehenden Stimm- und Verwaltungsrechte selbst wahrzunehmen. Insgesamt ist bei der Erteilung von Stimmrechtsvollmachten im Zusammenhang mit der Übertragung unter Nießbrauchsvorbehalt aber angesichts der restriktiven Rechtsprechung des BFH Vorsicht geboten. Mitunternehmerinitiative des Nießbrauchers. Die Mitunternehmerinitiative des Nießbrauchers kommt in dem ihm zustehenden Stimmrecht in laufenden Angelegenheiten der Personengesellschaft und in dem Innehaben der zur Sicherung seines Fruchtziehungsrechts erforderlichen Kontroll- und Informationsrechte zum Ausdruck3. Die Mitunternehmerinitiative des Nießbrauchers entfällt, wenn der Gesellschafter sämtliche Stimmrechte allein ausübt. Im Zusammenhang mit der Frage, ob der Nießbraucher Mitunternehmer ist, ist auf eine aktuellere Entscheidung des OLG München4 hinzuweisen. Danach stehen einem Nießbraucher keine gesellschaftsrechtlichen Mitwirkungsbefugnisse zu, wenn die Parteien keine schuldrechtliche Vereinbarung über den Umfang der Mitwirkungsbefugnis treffen. Fraglich ist daher in Ansehung dieses Urteils, ob sich aus den bloßen Informations- und Kontrollrechten zur Sicherung des Fruchtziehungsrechts des Nießbrauchers eine Mitunternehmerinitiative des Nießbrauchers herleiten lässt. Für die Vertragspraxis empfiehlt es sich, die Verteilung der Mitwirkungsrechte zwischen Gesellschafter und Nießbraucher ausdrücklich zu regeln. Der BFH hat kürzlich in einer Reihe von Urteilen5 noch einmal die Voraussetzungen der Mitunternehmerschaft klargestellt (hierzu ausführlich Rz. 6.82).

6.238

(b) Mitunternehmerrisiko Teilhabe am Erfolg und Misserfolg. Das Tragen von Mitunternehmerrisiko setzt eine gesellschaftsrechtliche oder eine dieser wirtschaftlich vergleichbare Teilhabe am Erfolg und Misserfolg eines Gewerbebetriebs voraus.6 Das Mitunternehmerrisiko des Gesellschafters einer Personengesellschaft gründet sich i.d.R. auf seine Beteiligung am Gewinn und Verlust und an den stillen Reserven des Unternehmens einschließlich eines Geschäftswerts. Ist der Gesellschaftsanteil mit einem (Vorbehalts-)Nießbrauch belastet, steht der Anspruch auf den ent1 BFH v. 16.5.2013 – II R 5/12, BStBl. II 2013, 635. Im Urteilssachverhalt war die Beachtung dieser Vereinbarungen durch das Recht des Nießbrauchers abgesichert, bei einem Verstoß die Schenkung zu widerrufen. Noch nicht vom BFH entschieden ist die Frage, ob es auf die Widerruflichkeit der Vollmacht ankommt. Nach Wachter, DStR 2013, 1929 (1932) ist auch bei Widerruflichkeit der Vollmacht eine Mitunternehmerstellung zu verneinen. 2 FG Düsseldorf v. 24.8.2016 – 4 K 3250/15 Erb, ZEV 2016, 663, Revision anhängig, Az. II R 34/16. 3 Vgl. Bisle, NWB 2017, 65 (68). 4 OLG München v. 8.8.2016 – 31 Wx 204/16, ZEV 2016, 713. 5 BFH v. 20.9.2018 – IV R 39/11, BStBl. II 2019, 131; BFH v. 1.3.2018 – IV R 15/15, BStBl. II 2018, 539; BFH v. 22.6.2017 – IV R 42/13, BFH/NV 2018, 265. 6 Vgl. nur BFH v. 13.7.2017 – IV R 41/14, BStBl. II 2017, 1133.

Wiese/Lukas | 443

6.239

Kap. 6 Rz. 6.239 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

nahmefähigen Gewinn dem Nießbraucher zu, soweit die Parteien nicht etwas Abweichendes vereinbart haben.1 Der Gesellschafter bleibt in diesem Fall am Geschäftswert und an einem Auseinandersetzungsguthaben beteiligt. Darüber hinaus haftet er im Außenverhältnis für Gesellschaftsverbindlichkeiten. Der Gesellschafter trägt daher Mitunternehmerrisiko. Teilweise wird angenommen, dass auch der Nießbraucher in diesem Fall – gewissermaßen mittelbar – am Verlust der Gesellschaft beteiligt ist und daher Mitunternehmerrisiko trägt: Da er einen Anspruch auf den (künftig) entnahmefähigen Gewinn hat, mindern Verluste seinen künftig entnahmefähigen Gewinn.2 Anders kann es sich verhalten, wenn der Nießbraucher unabhängig vom Entstehen eines entnahmefähigen Gewinns einen festen Sockelbetrag als Mindestertrag erhält; in diesem Fall kann es an dem Mitunternehmerrisiko des Nießbrauchers fehlen.3 (3) Gestaltungshinweise

6.240

Aufteilung der Mitwirkungsrechte. In der Gestaltungspraxis ist es empfehlenswert, die Stimmrechte zwischen Nießbraucher und Gesellschafter vertraglich aufzuteilen. Das Stimmrecht für grundlegende Beschlüsse, insbesondere solche, die den Kernbereich seiner Mitgliedschaft betreffen, ist dem Gesellschafter zuzuweisen. Grundlegende Beschlüsse betreffen Änderungen des Gesellschaftsvertrags, die Auflösung, Kündigung oder Umwandlung der Gesellschaft, die Veräußerung des Unternehmens im Ganzen oder wesentlicher Unternehmensteile, den Abschluss von Unternehmensverträgen, die Erhöhung oder Herabsetzung von Einlageverpflichtungen, die Änderung der Entnahmeregelungen sowie die Änderung der Beteiligung am Gewinn oder am Auseinandersetzungsguthaben, die Bildung oder Auflösung von Rücklagen und die Feststellung der Bilanz.4 Das Stimmrecht für Beschlüsse im Zusammenhang mit der laufenden Geschäftsführung kann demgegenüber dem Nießbraucher zugewiesen werden.5 Entscheidend ist, dass der Nießbraucher in Grundlagengeschäften nicht über den Kopf des Gesellschafters hinweg entscheiden kann.6 Ebenso denkbar sind daher auch Stimmrechtsabreden, nach denen Nießbraucher und Gesellschafter bei wesentlichen Entscheidungen das Stimmrecht nur einvernehmlich ausüben können.7 Allerdings können hier Pattsituationen entstehen, so dass das Risiko gesellschaftsrechtlicher Lähmung gegenüber dem steuerlichen Vorteil abzuwägen ist.8 Und: Die Parteien müssen die getroffenen Vereinbarungen im

1 Vgl. nur Felten, ErbStB 2016, 117 (120); Wacker in Schmidt39, § 15 EStG Rz. 306, 307, der den Gewinn aus der Realisierung stiller Reserven nicht zum Gewinnanteil des Nießbrauchers zählt; BFH v. 1.3.1994 – VIII R 35/92, BStBl. II 1995, 241; BFH v. 28.1.1992 – VIII R 207/85, BStBl. II 1992, 605 für den Nießbrauch an einem GmbH-Anteil. 2 Bisle, NWB 2017, 65 (69); Felten, ErbStB 2016, 117 (120); Wacker in Schmidt39, § 15 EStG Rz. 306, 311; anders aber BFH v. 3.12.2015 – IV R 43/13, BFH/NV 2016, 742 Rz. 42; Küspert, FR 2014, 397 (401), der eine Beteiligung des Nießbrauchers am Firmen- oder Geschäftswert, zumindest bei Auflösung der Gesellschaft, für unabdingbar hält. 3 Bisle, NWB 2017, 65 (69). 4 Vgl. Wachter, DStR 2013, 1929 (1933). 5 So auch Bisle, NWB 2017, 65 (69); Felten, ErbStB 2016, 117 (120); Götz, ZEV 2014, 241; Wachter, DStR 2016, 2065 (2069); Wachter, DStR 2013, 1929 (1933); ablehnend Küspert, FR 2014, 397 (405). 6 Vgl. Küspert, FR 2014, 397 (400). 7 Wälzholz, DStR 2010, 1786 (1790); zurückhaltend gegenüber dieser Lösung Küspert, FR 2014, 397 (400). 8 Wälzholz, DStR 2010, 1786 (1790).

444 | Wiese/Lukas

E. Erbschaft- und Schenkungsteuer | Rz. 6.243 Kap. 6

Unternehmensalltag „leben“. In vielen Fällen empfiehlt es sich angesichts der nicht klaren Abgrenzung, die steuerliche Einschätzung mittels einer verbindlichen Auskunft abzusichern. Quotennießbrauch. Im Falle eines Quoten- oder Bruchteilsnießbrauchs (s. Rz. 6.79) gilt: Der Erwerber muss gerade durch den übertragenen Gesellschaftsanteil Mitunternehmer werden. Vermittelt daher der übertragene Anteil, soweit dieser mit dem Nießbrauch belastet ist, dem Erwerber keine Mitunternehmerstellung (z.B. weil die insoweit vorbehaltenen Stimm- und Mitverwaltungsrechte des Übertragenden dem Erwerber keine ausreichende Mitunternehmerinitiative belassen), können die erbschaftsteuerlichen Verschonungsregeln insoweit, d.h. für diesen Teil der Beteiligung, nicht in Anspruch genommen werden. Dass der Bedachte bezüglich des nicht mit dem Nießbrauch belasteten Teils der übertragenen Gesellschaftsbeteiligung Mitunternehmer ist, genügt für eine Verschonung des gesamten Gesellschaftsanteils nicht.1

6.241

cc) Nießbrauch an Kapitalgesellschaftsanteilen Keine wirtschaftliche Betrachtungsweise. Der BFH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass im Erbschaftsteuerrecht die wirtschaftliche Betrachtungsweise regelmäßig ausgeschlossen ist.2 Dies lässt es grundsätzlich nicht zu, einem Schenker, der zivilrechtlich wirksam einen Gesellschaftsanteil übertragen hat, diesen Anteil als wirtschaftlichen Eigentümer weiter zuzurechnen mit der Folge, dass die Zuwendung nicht erbschaftsteuerbar wäre.3 Die Zuwendung des Kapitalgesellschaftsanteils gilt deshalb auch dann als ausgeführt, wenn der Schenker – etwa bei Bestellung eines Nießbrauchsrechts am Gesellschaftsanteil – wirtschaftlicher Eigentümer bleibt. Für die Frage, ob ein Kapitalgesellschaftsanteil nach § 7 Abs. 1 Satz 1 ErbStG als zugewendet gilt, kommt es somit nicht darauf an, ob der Beschenkte auch wirtschaftlicher Eigentümer wird. Entscheidend ist allein, dass er den Anteil zivil- und gesellschaftsrechtlich wirksam erwirbt.4 Da der Erwerber des Kapitalgesellschaftsanteils nicht über ein bestimmtes Maß an unternehmerischem Risiko und unternehmerischer Initiative verfügen muss, um steuerlich Gesellschafter der Kapitalgesellschaft zu sein (anders im Fall einer Personengesellschaft), können ggf. auch die Verschonungsregeln nach §§ 13a, 13b ErbStG bei einer Zuwendung unter Nießbrauchsvorbehalt einschlägig sein.5

6.242

c) Grundstücke Nur Grundbesitz im Betriebsvermögen begünstigungsfähig. Immobilien ist in der Nachfolgeberatung besondere Aufmerksamkeit zu widmen, handelt es sich doch um illiquides Vermögen mit begrenzten Begünstigungen, das im Übertragungsfall typischerweise eine hohe steuerliche Belastung mit sich bringt.6 Auch nach der Erbschaftsteuerreform gilt, dass Begünstigungen grundsätzlich nur gewährt werden, wenn Grundstücke direkt und im Privatver1 2 3 4 5

BFH v. 16.5.2013 – II R 5/12, BStBl. II 2013, 635; s. auch Felten, ErbStB 2016, 117 (119). Vgl. nur BFH v. 30.6.1960 – II 254/57 U, BStBl. III 1960, 348. Götz, DStR 2013, 448 (449). So auch Götz, DStR 2013, 448 (449). Vgl. Götz, DStR 2013, 448 (450); dabei soll etwa auch die Vereinbarung eines freien Widerrufsvorbehalts der Ausführung der Zuwendung nicht entgegenstehen. § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG knüpft nicht an ertragsteuerliche Grundsätze an. Allein entscheidend ist, ob es sich um einen Anteil an einer Kapitalgesellschaft handelt und ob die Mindestbeteiligungsquote beim Schenker bestanden hat. 6 Regierer/Vosseler, DStR 2015, 1351 (1355).

Wiese/Lukas | 445

6.243

Kap. 6 Rz. 6.243 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

mögen gehalten werden.1 Allerdings wurde die Begünstigungsfähigkeit von Wohnungsunternehmen aufrechterhalten.

6.244

Begünstigung von Wohnungsunternehmen. Dritten zur Nutzung überlassene Grundstücke gehören grundsätzlich zum Verwaltungsvermögen (§ 13b Abs. 4 Nr. 1 Satz 1 ErbStG). Kein Verwaltungsvermögen, sondern begünstigungsfähiges Vermögen liegt vor, wenn die überlassenen Grundstücke zum Betriebsvermögen gehören und der Hauptzweck des Betriebs in der Vermietung von Wohnungen besteht (§ 13b Abs. 4 Nr. 1 Satz 2 Buchst. d ErbStG); erforderlich ist des Weiteren, dass die Erfüllung des Betriebszwecks einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb (§ 14 AO) erfordert. Die Finanzverwaltung prüft anhand verschiedener Indizien, ob die Wohnungsverwaltung einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb erfordert, und sieht diese Voraussetzung bei einem Bestand von mehr als 300 eigenen Wohnungen regelmäßig als erfüllt an.2 Die Finanzverwaltung führt damit ihre schon für das alte Recht vorgenommene typisierende Betrachtungsweise fort.3 Für Aufsehen hat vor diesem Hintergrund die jüngere, noch zum alten Recht ergangene BFH-Rechtsprechung gesorgt, die sich mit den Verschonungsvoraussetzungen für Dritten zur Nutzung überlassene Immobilien befassen musste.4 Nach Ansicht des BFH zum alten Recht gilt eine weit restriktivere Auslegung, die den Anwendungsbereich der wortgleichen Vorgängervorschrift (§ 13b Abs. 2 Satz 2 Buchst. d ErbStG a.F.) massiv einschränkt. Die Abgrenzung einer privaten, vermögensverwaltenden von einer gewerblichen Vermietungstätigkeit soll danach anhand ertragsteuerlicher Abgrenzungskriterien erfolgen.5 Dafür zieht der BFH qualitative Merkmale heran: Von Bedeutung ist, ob der Vermieter ins Gewicht fallende, bei der Vermietung von Räumen nicht übliche Sonderleistungen, z.B. die Reinigung der Wohnungen oder die Bewachung des Gebäudes, übernimmt oder einen Hausmeister anstellt.6 Ob eine vom Vermieter erbrachte Leistung noch üblich, also gebräuchlich und verbreitet ist, ist streng einzelfallbezogen nach der Art des Vermietungsobjekts zu beurteilen.7 Die bloße Verwaltung und Bewirtschaftung der Wohnungen soll nicht ausreichend sein.8 Auf die Anzahl der Wohnungen kommt es nach Ansicht des BFH nicht an. Ein nach § 13b Abs. 4 Nr. 1 Satz 2 Buchst. d ErbStG begünstigtes Wohnungsunternehmen läge nach dem BFH mithin nur vor, wenn der Vermietungstätigkeit als Ganzes das Gepräge einer originär gewerblichen Tätigkeit zukommt, hinter der die bloße Nutzung der Immobilie als Vermögensanlage zurücktritt. Es wird deutlich: Die Möglichkeit, schädliches Verwaltungsvermögen bei Wohnungsunternehmen zu vermeiden, drohte durch die neue Judikatur merklich 1 In Anerkennung dieses Problems wurde § 13d ErbStG (vor der Erbschaftsteuerreform: § 13c ErbStG) eingeführt. Grundstücke, die zu Wohnzwecken vermietet werden, werden für Zwecke der Erbschaftsteuer mit 90 % ihres Werts angesetzt. § 13d ErbStG umfasst nur Immobilien im steuerlichen Privatvermögen. Immobilien im steuerlichen Betriebsvermögen sind nicht erfasst. Die Verschonung von Grundstücken im steuerlichen Betriebsvermögen richtet sich nach §§ 13a, 13b ErbStG, sofern es sich bei den Grundstücken nicht um Verwaltungsvermögen i.S.v. § 13b Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 ErbStG handelt. § 10 Abs. 6 Satz 5 ErbStG ordnet dementsprechend eine anteilige Kürzung der mit den steuerbefreiten Immobilien in Zusammenhang stehenden Schulden an. Der Anwendungsbereich von § 13d ErbStG wurde durch drei Urteile des BFH eingeschränkt und präzisiert: BFH v. 11.12.2014 – II R 24/14, BStBl. II 2015, 340; BFH v. 11.12.2014 – II R 25/14, BStBl. II 2015, 343; BFH v. 11.12.2014 – II R 30/14, BStBl. II 2015, 344. 2 R E 13b.17 ErbStR 2019. 3 Dazu R E 13b.13 Abs. 3 ErbStR 2011. 4 BFH v. 24.10.2017 – II R 44/15, BStBl. II 2018, 358; kritisch dazu Wachter, DB 2018, 784. 5 BFH v. 24.10.2017 – II R 44/15, BStBl. II 2018, 358 Rz. 21. 6 BFH v. 24.10.2017 – II R 44/15, BStBl. II 2018, 358 Rz. 27. 7 BFH v. 14.7.2016 – IV R 34/13, BStBl. II 2017, 175; Schönfeld/Riedel, FR 2018, 341 (342). 8 BFH v. 24.10.2017 – II R 44/15, BStBl. II 2018, 358 Rz. 24.

446 | Wiese/Lukas

E. Erbschaft- und Schenkungsteuer | Rz. 6.247 Kap. 6

eingeschränkt zu werden. Die nach Ansicht der Finanzverwaltung bei 300 Wohnungen eingreifende Vermutung führte in der Vergangenheit zu Planungssicherheit in der Praxis. Dass es nach Ansicht des BFH nicht auf die bloße Anzahl der vermieteten Wohnungen ankommen soll, ist zwar grundsätzlich mit Blick darauf zu begrüßen, dass auch Unternehmen mit weniger als den bisher von der Finanzverwaltung geforderten 300 Wohnungen die erbschaftsteuerliche Begünstigung in Anspruch nehmen können.1 Im Ergebnis ist die Finanzverwaltung dem BFH jedoch richtigerweise entgegengetreten und hat verfügt, dass das Urteil über den Einzelfall hinaus nicht anzuwenden ist.2 Die Finanzverwaltung hält daher an der bisherigen Praxis fest. Vor dem Hintergrund der Divergenz zwischen höchstrichterlicher Rechtsprechung und Finanzverwaltung sollte aber aus Vorsichtsgründen die vorherige Einholung einer verbindlichen Auskunft erwogen werden.3

4. Verwaltungsvermögenstest a) Grundzüge aa) Verwaltungsvermögen nicht begünstigt Ermittlung des begünstigten Vermögens. Erbschaftsteuerlich begünstigungsfähiges Vermögen ist begünstigt, soweit sein gemeiner Wert den um das unschädliche Verwaltungsvermögen gekürzten Nettowert des Verwaltungsvermögens übersteigt (§ 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG). Damit ist die Prüfungsreihenfolge zur Ermittlung des begünstigten Vermögens vorgegeben: Das zu verschonende Vermögen wird durch die Ermittlung und Bewertung des begünstigungsfähigen Vermögens und die Zuordnung und Bewertung des davon abzuziehenden Netto-Verwaltungsvermögens bestimmt. Dem Verwaltungsvermögenstest kommt daher die Funktion zu, das nicht von der Begünstigung erfasste Vermögen auszusondern.4

6.245

Unschädliches Verwaltungsvermögen („Schmutzgrenze“). Pauschalierend behandelt der Gesetzgeber einen Teil des Nettowerts des Verwaltungsvermögens wie einen Puffer als begünstigtes Vermögen. Dieser Teil darf bis zu 10 % des um den Nettowert des Verwaltungsvermögens gekürzten gemeinen Werts des Betriebsvermögens betragen (§ 13b Abs. 7 Satz 1 ErbStG). Die 10 %-Grenze bezieht sich daher auf das begünstigte Vermögen. Nicht zum unschädlichen Verwaltungsvermögen zählen Verwaltungsvermögen, das dem Betrieb im Steuerentstehungszeitpunkt weniger als zwei Jahre zuzurechnen war (junges Verwaltungsvermögen), und junge Finanzmittel i.S.v. § 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 2 ErbStG (§ 13b Abs. 7 Satz 2 ErbStG).

6.246

20 %-Grenze bei Optionsverschonung. Der Steuerpflichtige kann die Optionsverschonung nur in Anspruch nehmen, wenn das begünstigungsfähige Vermögen i.S.v. § 13b Abs. 1 ErbStG nicht zu mehr als 20 % aus Verwaltungsvermögen besteht (§ 13a Abs. 10 Satz 2 ErbStG). Der Anteil des Verwaltungsvermögens am gemeinen Wert des Betriebs bemisst sich an dieser Stelle nach dem Verhältnis der Summe der gemeinen Werte der Einzelwirtschafts-

6.247

1 So auch Schönfeld/Riedel, FR 2018, 341. 2 Gleichlautende Ländererl. v. 23.4.2018, FinBeh HH – S 3812b 2017/002 - 53 - 53, BStBl. I 2018, 692. 3 S. Escher, DB 2018, 1186 (1187); s. für eine Zusammenfassung des Meinungsstandes auch Klarner, ZEV 2018, 361 (362 ff.). 4 Nach alter Rechtslage diente der Verwaltungsvermögenstest demgegenüber dazu, das Überschreiten der Grenze von 10 % bzw. 50 % festzustellen und zu ermitteln, ob das Betriebsvermögen insgesamt verschonungsfähig war oder nicht („Alles-oder-Nichts-Prinzip“).

Wiese/Lukas | 447

Kap. 6 Rz. 6.247 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

güter des Verwaltungsvermögens gem. § 13b Abs. 3 und Abs. 4 ErbStG zum gemeinen Wert des Betriebs (§ 13a Abs. 10 Satz 3 ErbStG). Diese Berechnung der Verwaltungsvermögensquote weicht von den übrigen Berechnungen der Verwaltungsvermögensquote, nach denen ein Nettoverwaltungsvermögen zu ermitteln ist, ab. Für die Berechnung der 20 %-Grenze ist das Verwaltungsvermögen ohne Schuldenverrechnung (d.h. brutto) zu ermitteln. Dieser Vergleich einer Brutto- mit einer Nettogröße ist zwar in systematischer Hinsicht verfehlt, wird aber von der Finanzverwaltung der Besteuerung zugrunde gelegt.1 bb) Umfang des Verwaltungsvermögens

6.248

Abschließender Katalog des Verwaltungsvermögens. Die zum Verwaltungsvermögen zählenden Wirtschaftsgüter listet § 13b Abs. 4 ErbStG abschließend auf. Dabei ist insbesondere zwischen Finanzmitteln gem. § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG als besonderer Art des Verwaltungsvermögens und dem sonstigen Verwaltungsvermögen gem. § 13b Abs. 4 Nr. 1 bis 4 ErbStG zu unterscheiden.

6.249

Anteile an Kapitalgesellschaften. Anteile an Kapitalgesellschaften von 25 % oder weniger (§ 13b Abs. 4 Nr. 2 ErbStG) sowie Wertpapiere und vergleichbare Forderungen (§ 13b Abs. 4 Nr. 4 ErbStG) sind Verwaltungsvermögen, soweit sie nicht dem Hauptzweck des Gewerbebetriebs eines Kreditinstitutes oder eines Finanzdienstleistungsinstitutes i.S.d. § 1 KWG dienen. Zur Ermittlung der Beteiligungsgrenze werden nur unmittelbar gehaltene Beteiligungen am Nennkapital mitgezählt. Bei mehrstufigen Beteiligungen ist auf jeder Beteiligungsebene zu prüfen, ob die unmittelbare Beteiligung 25 % oder weniger beträgt.2 Die Beteiligungsgrenze von 25 % kann durch den Abschluss eines Poolvertrages und der so erfolgenden Zusammenrechnung der Anteile der Poolmitglieder erreicht werden.3 Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist eine Anteilspoolung entbehrlich, wenn die Poolmitglieder in einem Konzern unter einheitlicher Leitung stehen.4 Unklar ist aber, ob sich die Verwaltungsauffassung auf einen zivilrechtlichen5 oder einen steuerrechtlichen6 Konzernbegriff stützt. Von einem Konzern unter einheitlicher Leitung dürfte jedenfalls dann auszugehen sein, wenn eine Gesellschaft oder ein Gesellschafter, ggf. zusammen mit anderen Gesellschaften oder Gesellschaftern, in sämtlichen durch den Poolvertrag betroffenen Gesellschaften eine Beherrschung kraft Mehrheitsverhältnissen durchsetzen kann.7

6.250

Dritten zur Nutzung überlassene Grundstücke. Zum Verwaltungsvermögen zählen Grundstücke, Grundstücksteile, grundstücksgleiche Rechte und Bauten, die Dritten zur Nutzung überlassen werden (§ 13b Abs. 4 Nr. 1 Satz 1 ErbStG). Ausnahmen gelten z.B. bei der Überlassung innerhalb eines Konzerns, im Rahmen einer Betriebsaufspaltung oder Betriebsverpachtung und für Wohnungsunternehmen. Ob im Falle einer Vermietungstätigkeit ein Wohnungsunternehmen i.S.v. § 13b Abs. 4 Nr. 1 Satz 2 Buchst. d ErbStG vorliegt oder ob es sich 1 R E 13a.21 Abs. 4 Satz 1 ErbStR 2019 nimmt Bezug auf das „Verwaltungsvermögen nach § 13b Absatz 3 und Absatz 4 ErbStG“ und damit auf das Brutto-Verwaltungsvermögen. 2 R E 13b.20 Abs. 4 Satz 1 ErbStR 2019. 3 Geck in Kapp/Ebeling, § 13b ErbStG Rz. 127 (Stand: Mai 2020); Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13b ErbStG Rz. 148; Meincke/Hannes/Holtz17, § 13b ErbStG Rz. 63; R E 13b.20 Abs. 1 Satz 2 ErbStR 2019; s. auch Rz. 6.232. 4 R E 13b.20 Abs. 1 Satz 1 ErbStR 2019. 5 Geck in Kapp/Ebeling, § 13b ErbStG Rz. 127 (Stand: Mai 2020). 6 Zipfel/Lahme, DStZ 2009, 559 (568 f.). 7 Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13b ErbStG Rz. 152.

448 | Wiese/Lukas

E. Erbschaft- und Schenkungsteuer | Rz. 6.252 Kap. 6

um reine („schädliche“) Vermögensverwaltung handelt, ist nach Ansicht des BFH1 auf Grundlage qualitativer ertragsteuerlicher Abgrenzungskriterien zu entscheiden. Dieser Abgrenzung ist die Finanzverwaltung entgegengetreten und hat das Urteil für über den Einzelfall hinaus nicht anwendbar erklärt.2 Somit gilt nach Ansicht der Finanzverwaltung weiterhin die bisher von ihr zur Abgrenzung herangezogene Objektgrenze von 300 Wohnungen (zu Einzelheiten s. Rz. 6.245). Eine neue Ausnahmeregelung sieht § 13b Abs. 4 Nr. 1 Buchst. e ErbStG vor. Danach sind Grundstücke, Grundstücksteile, grundstücksgleiche Rechte und Bauten kein Verwaltungsvermögen, wenn sie vorrangig überlassen werden, um im Rahmen von Lieferungsverträgen dem Absatz von eigenen Erzeugnissen und Produkten zu dienen. Diese Regelung zielt insbesondere auf Tankstellen und Gaststätten von Brauereibetrieben ab, die ansonsten Verwaltungsvermögen darstellen würden.3 Von der Regelung nicht umfasst sind in der Logistikbranche überlassene Grundstücke, wie z.B. Lagerhallen, wenn es an dem Absatz von eigenen Erzeugnissen oder Produkten fehlt.4 Der privaten Lebensführung dienende Gegenstände. Erweitert wurde der Verwaltungsvermögenskatalog zudem in § 13b Abs. 4 Nr. 3 ErbStG um Briefmarkensammlungen, Oldtimer, Yachten, Segelflugzeuge und sonstige typischerweise der privaten Lebensführung dienende Gegenstände, wenn nicht der Handel mit diesen Gegenständen, deren Herstellung, Verarbeitung oder entgeltliche Nutzungsüberlassung an Dritte der Hauptzweck des Betriebs ist.5 Für den Fall, dass werthaltige Kunstgegenstände zum Betriebsvermögen gehören und als Verwaltungsvermögen zu qualifizieren sind, geht die überwiegende Auffassung davon aus, dass die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG in Anspruch genommen werden kann.6 Dies gilt allerdings nur, wenn der Kunstgegenstand unmittelbar gehalten wird. Wird er mittelbar über eine Personen- oder Kapitalgesellschaft gehalten, dürfte die Steuerbefreiung nicht eingreifen, da Gegenstand des Erwerbs nicht der Kunstgegenstand selbst, sondern die Gesellschaftsanteile sind.7

6.251

cc) Ausnahme: Deckungsvermögen für die betriebliche Altersversorgung Kein Verwaltungsvermögen. § 13b Abs. 3 ErbStG privilegiert Vermögen, das ausschließlich und dauerhaft der Erfüllung von Schulden aus Altersversorgungsverpflichtungen dient und dem Zugriff aller übrigen, nicht unmittelbar aus den Altersversorgungsverpflichtungen be1 BFH v. 24.10.2017 – II R 44/15, BStBl. II 2018, 358. 2 Gleichlautende Ländererl. v. 23.4.2018, FinBeh HH – S 3812b 2017/002 - 53 - 53, BStBl. I 2018, 692. 3 Erkis, DStR 2016, 1441 (1444); Holtz, NJW 2016, 3750 (3751); Korezkij, DStR 2016, 2434 (2437). 4 R E 13b.18 Satz 1ErbStR 2019. 5 In der Praxis wird sich allerdings zeigen müssen, ab wann ein Fahrzeug ein Oldtimer im Sinne des Gesetzes ist. Dazu könnte auf entsprechende Vorgaben in der Fahrzeug-Zulassungsverordnung zurückgegriffen werden oder ein Gutachten gem. § 23 StVZO eingeholt werden, vgl. Höreth/Stelzer, DStZ 2016, 901 (903); Korezkij, DStR 2016, 2434 (2437). Klärungsbedürftig ist auch die Frage, ob vom Auffangtatbestand der Norm beispielsweise auch motorisierte Flugzeuge oder Hubschrauber als Teil des Verwaltungsvermögens erfasst werden, s. dazu Stalleiken in v. Oertzen/ Loose2, § 13b ErbStG Rz. 160 f. (Stand: Oktober 2018); Höreth/Stelzer, DStZ 2016, 901 (903); Korezkij, DStR 2016, 2434 (2437). 6 Crezelius, ZEV 2014, 637 (640); Hannes, ZEV 2016, 554 (556); Hoheisel/Graf Nesselrode, DStR 2011, 441; Geck in Kapp/Ebeling, § 13 ErbStG Rz. 22, 30.1 (Stand: August 2018); Jülicher in Troll/ Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 13 ErbStG Rz. 24 (Stand: Januar 2017). 7 Crezelius, ZEV 2014, 637 (640); Hannes, ZEV 2016, 554 (556); Hoheisel/Graf Nesselrode, DStR 2011, 441 ff.

Wiese/Lukas | 449

6.252

Kap. 6 Rz. 6.252 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

rechtigten Gläubiger entzogen ist. Davon sind nicht nur Pensionsrückstellungen im engeren Sinne, sondern alle langfristigen Verpflichtungen mit Versorgungscharakter umfasst.1 Umfasst sind Ansprüche von Arbeitnehmern sowie Versorgungsansprüche von freien Mitarbeitern, Aufsichtsräten, Beiräten und Organmitgliedern der Gesellschaft.2 Ausweislich der Gesetzesbegründung3 sollen insbesondere CTA-Strukturen (Contractual Trust Agreements) vom Verwaltungsvermögen und damit von der Besteuerung ausgenommen werden. Bei CTAStrukturen gliedert ein Unternehmen Pensionszahlungen und -forderungen aus der eigenen Bilanz auf eine Treuhandgesellschaft aus.4 Grundsätzlich können auch Grundbesitz, Gesellschaftsanteile, Wertpapiere etc. privilegiertes Deckungsvermögen sein.5

6.253

Rechtsfolge. Das privilegierte Vermögen ist in Höhe des gemeinen Werts der Schulden aus Altersvorsorgeverpflichtungen von seiner Zugehörigkeit zum Verwaltungsvermögen ausgenommen.6 Das von der Vorschrift erfasste Deckungsvermögen ist begünstigtes Vermögen.7 Daraus folgt, dass die Wirtschaftsgüter des Deckungsvermögens kein junges Verwaltungsvermögen i.S.v. § 13b Abs. 7 ErbStG darstellen können, wenn sie im Zeitpunkt der Entstehung der Steuer dem Betrieb weniger als zwei Jahre zuzurechnen sind.8 Entsprechend führen Einlagen von Finanzmitteln zur Absicherung von Altersversorgungsverpflichtungen jedenfalls bis zur Höhe der Schulden aus Altersversorgung nicht zur Entstehung junger Finanzmittel nach § 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 2 ErbStG.9 Ferner bleiben die dem Deckungsvermögen gegenüberstehenden Schulden bei der Verrechnung mit Finanzmitteln nach § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG und bei der allgemeinen Schuldenverrechnung nach § 13b Abs. 6 ErbStG unberücksichtigt (§ 13b Abs. 3 Satz 2 ErbStG).10 Übersteigen die gemeinen Werte des Deckungsvermögens die Altersvorsorgeverpflichtungen, verbleibt ein Verwaltungsvermögens-Rest. Im Fall einer Unterdeckung verbleibt eine Restschuld, die für eine Verrechnung nach § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG oder § 13b Abs. 6 ErbStG zur Verfügung steht.11

1 Erkis, DStR 2016, 1441 (1443); Geck in Kapp/Ebeling, § 13b ErbStG Rz. 75 (Stand: Mai 2020); Korezkij, DStR 2016, 2434 (2441); Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 13b ErbStG Rz. 246 (Stand: Oktober 2018). 2 Erkis, DStR 2016, 1441 (1443); Korezkij, DStR 2016, 2434 (2441); Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13b ErbStG Rz. 95; Wachter, FR 2016, 690 (694). 3 BT-Drucks. 18/8911, 41. 4 Herbst, ErbStB 2016, 347 (348); Geck in Kapp/Ebeling, § 13b ErbStG Rz. 75 (Stand: Mai 2020); Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 13b ErbStG Rz. 246 (Stand: Dezember 2018); Viskorf/Löcherbach/Jehle, DStR 2016, 2425 (2429). 5 Erkis, DStR 2016, 1441 (1443); Geck, ZEV 2016, 546 (550); Korezkij, DStR 2016, 2434 (2441); Kotzenberg/Jülicher, GmbHR 2016, 1135 (1138); Geck in Kapp/Ebeling, § 13b ErbStG Rz. 75 (Stand: Mai 2020); Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13b ErbStG Rz. 94. 6 Damit trägt der Gesetzgeber den Bedenken des Finanzausschusses des Bundesrats Rechnung, der ansonsten eine Überdotierung von Altersvorsorgeverpflichtungen befürchtet hatte, Söffing, ErbStB 2016, 339 (341). 7 Geck in Kapp/Ebeling, § 13b ErbStG Rz. 75 (Stand: Mai 2020); Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13b ErbStG Rz. 97. 8 So auch Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13b ErbStG Rz. 97. 9 Viskorf/Löcherbach/Jehle, DStR 2016, 2425 (2428). 10 S. auch Holtz, NJW 2016, 3750 (3751); Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13b ErbStG Rz. 97; Viskorf/Löcherbach/Jehle, DStR 2016, 2425 (2428). 11 Holtz, NJW 2016, 3750 (3751); Geck in Kapp/Ebeling, § 13b ErbStG Rz. 76 (Stand: Mai 2020); Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13b ErbStG Rz. 98; Viskorf/Löcherbach/Jehle, DStR 2016, 2425 (2428).

450 | Wiese/Lukas

E. Erbschaft- und Schenkungsteuer | Rz. 6.254 Kap. 6

b) Ermittlung des begünstigten Vermögens Berechnungsschema der Finanzverwaltung. Das Schema zur Ermittlung und Berechnung des begünstigten Vermögens hat die Finanzverwaltung in den ErbStR 20191 wie folgt konkretisiert: I.

90 %-Test (Prüfung nach § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG) festgestellter Wert des Verwaltungsvermögens (einschließlich jungen Verwaltungsvermögens), § 13b Abs. 4 Nr. 1–4 ErbStG +

festgestellter Wert der Finanzmittel (einschließlich junger Finanzmittel) § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG

=

Verwaltungsvermögen für den 90 %-Test

=

Wenn Verwaltungsvermögensquote ≥ 90 %, dann insgesamt kein begünstigtes Vermögen

II.

Berechnung des begünstigten Vermögens 1.

Finanzmitteltest i.S.d. § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG festgestellter Wert der Finanzmittel ./.

festgestellter Wert der jungen Finanzmittel gem. § 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 2 ErbStG; höchstens festgestellter Wert der Finanzmittel

=

Saldo

./.

festgestellter Wert der Schulden

=

Saldo

./.

Sockelbetrag: 15 % des festgestellten Werts des (Anteils) Betriebsvermögens (vorbehaltlich Hauptzweck gem. § 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 4 ErbStG)

=

verbleibender Wert der Finanzmittel, mindestens 0 € (§ 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 1 ErbStG)

2.

Berechnung der verbleibenden Schulden Festgestellter Wert der Schulden ./.

Wert der Schulden, die im Rahmen des Finanzmitteltests verrechnet wurden

=

Verbleibende Schulden

3.

Nettowert des Verwaltungsvermögens

a.

Saldo Verwaltungsvermögen festgestellter Wert des Verwaltungsvermögens (§ 13b Abs. 4 Nr. 1–4 ErbStG) ./.

festgestellter Wert des jungen Verwaltungsvermögens

+

verbleibender Wert der Finanzmittel (§ 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 1 ErbStG)

=

Saldo Verwaltungsvermögen

b.

Berechnung der anteilig verbleibenden Schulden verbleibende Schulden × Saldo Verwaltungsvermögen ./.

festgestellter Wert des (Anteils) Betriebsvermögens + verbleibende Schulden

1 R E 13b.9 Abs. 2 ErbStR 2019.

Wiese/Lukas | 451

6.254

Kap. 6 Rz. 6.254 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge = c.

anteilig verbleibende Schulden Berechnung des Nettowerts des Verwaltungsvermögens Saldo Verwaltungsvermögen

./.

anteilig verbleibende Schulden

=

Nettowert des Verwaltungsvermögens

4.

Steuerpflichtiger Wert des Verwaltungsvermögens

a.

Berechnung der Bemessungsgrundlage des unschädlichen Verwaltungsvermögens (§ 13b Abs. 7 ErbStG) festgestellter Wert des (Anteils) Betriebsvermögens ./.

Nettowert des Verwaltungsvermögens

./.

festgestellter Wert des jungen Verwaltungsvermögens

./.

festgestellter Wert der jungen Finanzmittel

= b.

Bemessungsgrundlage für das unschädliche Verwaltungsvermögen gekürzter Nettowert des Verwaltungsvermögens Nettowert des Verwaltungsvermögens

./.

10 % × Bemessungsgrundlage für das unschädliche Verwaltungsvermögen

=

gekürzter Nettowert des Verwaltungsvermögens

c.

Berechnung des steuerpflichtigen Werts des Verwaltungsvermögens gekürzter Nettowert des Verwaltungsvermögens +

festgestellter Wert des jungen Verwaltungsvermögens

+

festgestellter Wert der jungen Finanzmittel

=

steuerpflichtiger Wert des Verwaltungsvermögens (nicht begünstigtes Vermögen)

5.

Begünstigtes Vermögen festgestellter Wert des (Anteils) Betriebsvermögens ./.

steuerpflichtiger Wert des Verwaltungsvermögens

=

begünstigtes Vermögen

c) Erläuterungen zum Berechnungsschema aa) 90 %-Test

6.255

Ausschluss der Begünstigung. Es ist zunächst zu prüfen, ob der Wert des Verwaltungsvermögens 90 % oder mehr des gemeinen Werts des begünstigungsfähigen Teils des Betriebsvermögens beträgt. In diesem Fall ist das begünstigungsfähige Vermögen – obwohl es sich eigentlich um begünstigungsfähige Vermögenswerte handelt – vollständig nicht begünstigt (§ 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG). Das Verwaltungsvermögen ist brutto, d.h. ohne Abzug der anteiligen Schulden in die Vergleichsrechnung einzustellen. Lediglich Deckungsvermögen, das der Erfüllung von Schulden aus durch Treuhandverhältnisse abgesicherten Altersversorgungsverpflichtungen dient und dem Zugriff aller übrigen Gläubiger entzogen ist, zählt dabei nicht zum Verwaltungsvermögen. Eine Schuldenverrechnung findet auch nicht im Hinblick

452 | Wiese/Lukas

E. Erbschaft- und Schenkungsteuer | Rz. 6.259 Kap. 6

auf Finanzmittel statt1. Damit sind grundsätzlich sämtliche Zahlungsmittel, Geschäftsguthaben, Geldforderungen und andere Forderungen Verwaltungsvermögen für Zwecke des 90 %Tests.2 Gerade umsatzstarke Handelsunternehmen, die über einen hohen Forderungsbestand verfügen, können daher leicht die 90 %-Grenze erreichen. Vor einer geplanten Übertragung sollten daher die vorhandenen Finanzmittel daraufhin überprüft werden, ob sie – z.B. durch eine vorzeitige Begleichung von Verbindlichkeiten – abgebaut werden können. bb) Berechnung des begünstigten Vermögens (1) Finanzmitteltest i.S.v. § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG Grundaussage. Finanzmittel stellen nach Abzug des gemeinen Werts der Schulden Verwaltungsvermögen dar, soweit sie einen Sockelbetrag von 15 % des gemeinen Werts des begünstigungsfähigen Vermögens übersteigen (§ 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG).

6.256

Begriff der Finanzmittel. Finanzmittel sind Zahlungsmittel, Geschäftsguthaben, Geldforderungen und andere auf Geld gerichtete Forderungen. Auch Kryptowährungen zählen nun dazu.3

6.257

Berechnung des Finanzmittel-Verwaltungsvermögens. Das schädliche Verwaltungsvermögen in Gestalt von Finanzmitteln berechnet sich wie folgt: Von dem gemeinen Wert der Finanzmittel (abzgl. der jungen Finanzmittel, s. Rz. 6.261) ist der gemeine Wert der Schulden abzuziehen. Überschreitet der verbleibende Bestand an Finanzmitteln 15 % des Werts des Betriebsvermögens, liegt in Höhe des überschießenden Betrages Verwaltungsvermögen vor. Der nach Abzug der Schulden verbleibende Bestand an Finanzmitteln ist daher bis zur Höhe von 15 % des gemeinen Werts des Betriebsvermögens kein Verwaltungsvermögen. Voraussetzung für die Anwendung des 15%igen Sockelbetrags ist nach § 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 4 ErbStG, dass das begünstigungsfähige Vermögen des Betriebs oder seiner nachgeordneten Gesellschaften nach seinem Hauptzweck einer land- und forstwirtschaftlichen, originär gewerblichen oder freiberuflichen Tätigkeit dient. Auf vermögensverwaltende Personengesellschaften, die lediglich aufgrund gewerblicher Prägung (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG) Mitunternehmerschaften sind, und auf Gesellschaften, die nicht überwiegend eine land- und forstwirtschaftliche, gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit ausüben (gewerblich infizierte Gesellschaften i.S.v. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG), findet der 15 %-Sockelbetrag daher keine Anwendung. Bei diesen Gesellschaften gehören sämtliche Finanzmittel zum Verwaltungsvermögen (§ 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 4 und 5 ErbStG).4

6.258

Ausnahme für Kreditinstitute, Finanzdienstleistungsinstitute und Versicherungsunternehmen. Nach alter Rechtslage war eine Bereichsausnahme für konzerninterne Finanzierungsgesellschaften vorgesehen (§ 13b Abs. 2 Nr. 4a Satz 3 ErbStG a.F.). Diese fehlt im neuen Recht. Nach neuem Recht sind Finanzmittel nur dann kein Verwaltungsvermögen, wenn die Finanzmittel dem Hauptzweck des Gewerbebetriebs eines Kreditinstitutes oder eines Finanzdienstleistungsinstitutes i.S.v. § 1 Abs. 1 und 1a KWG oder eines Versicherungsunternehmens zuzurechnen sind (§ 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 3 ErbStG).

6.259

1 Vgl. die Berechnungsbeispiele im Koordinierten Ländererl. v. 22.6.2017, FinBeh HH – S 3715 2017/001 - 53, BStBl. I 2017, 902, H 13b.9. 2 So auch Meincke/Hannes/Holtz17, § 13b ErbStG Rz. 44. 3 R E 13b.23 Abs. 2 ErbStR 2019. 4 S. auch R E 13b.23 Abs. 6 Satz 6 ErbStR 2019; Söffing, ErbStB 2016, 339 (341); a.A. Geck, ZEV 2016, 546 (549).

Wiese/Lukas | 453

Kap. 6 Rz. 6.260 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

6.260

Junge Finanzmittel. Stets zum Verwaltungsvermögen zählen sog. junge Finanzmittel (§ 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 2 ErbStG). Der Bestand an jungen Finanzmitteln entspricht dem positiven Saldo der eingelegten und entnommenen Finanzmittel, die dem Betrieb im Zeitpunkt der Entstehung der Steuer weniger als zwei Jahre zuzurechnen sind. Die Regelung soll verhindern, dass der Steuerpflichtige kurz vor Übertragung des Betriebs Zahlungsmittel in das unternehmerische Vermögen überträgt, um den für das Vorhandensein von Verwaltungsvermögen unschädlichen Bestand an Finanzmitteln voll auszuschöpfen und auf diese Weise Zahlungsmittel ohne Belastung mit Erbschaftsteuer übertragen zu können.1 Die jungen Finanzmittel sind daher zunächst aus dem festgestellten Wert der Finanzmittel auszuscheiden, da sie nicht an der Schuldenverrechnung teilnehmen. Junge Finanzmittel im Sonderbetriebsvermögen sind nur möglich, wenn tatsächlich Sonderbetriebsvermögen übertragen wird.2 (2) Berechnung der verbleibenden Schulden

6.261

Nach Durchführung des Finanzmitteltests verbleibende Schulden. Sodann ist zu prüfen, ob nach der Schuldenverrechnung im Rahmen des Finanzmitteltests gem. § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG Schulden verbleiben, die für eine Verrechnung mit dem sonstigen Verwaltungsvermögen zur Verfügung stehen. (3) Nettowert des Verwaltungsvermögens (a) Ermittlung des Verwaltungsvermögenssaldos

6.262

Abzug jungen Verwaltungsvermögens. Von dem Wert des festgestellten Verwaltungsvermögens i.S.v. § 13b Abs. 4 Nr. 1–4 ErbStG ist der festgestellte Wert des jungen Verwaltungsvermögens – d.h. des Verwaltungsvermögens, das dem Betrieb im Steuerentstehungszeitpunkt weniger als zwei Jahre zuzurechnen war (§ 13b Abs. 7 Satz 2 ErbStG) – abzuziehen. Fraglich ist, ob junges Verwaltungsvermögen auch durch einen Aktivtausch entstehen kann, etwa dann, wenn „altes“ Verwaltungsvermögen verkauft wird und aus dem Erlös anderes Verwaltungsvermögen erworben wird. Im Fall einer Depotumschichtung soll nach einem jüngeren finanzgerichtlichen Urteil3 junges Verwaltungsvermögen entstehen. Maßgeblich ist im Besteuerungszeitpunkt allein der Bestand jungen Verwaltungsvermögens, das innerhalb des Zweijahreszeitraums aus betrieblichen Mitteln angeschafft worden ist.4 Junges Verwaltungsvermögen nimmt an der Verrechnung des Verwaltungsvermögens mit Schulden nicht teil (§ 13b Abs. 8 Satz 1 ErbStG). Junges Verwaltungsvermögen ist daher – ebenso wie die jungen Finanzmittel – stets in vollem Umfang („brutto“) zu versteuern.

6.263

Hinzurechnung des verbleibenden Werts der Finanzmittel. Sollte nach Durchführung des Finanzmitteltests ein Überhang an Finanzmitteln verbleiben, sind diese dem festgestellten Wert des Verwaltungsvermögens hinzuzurechnen. (b) Berechnung der anteilig verbleibenden Schulden

6.264

Anteiliger Schuldenabzug. Gem. § 13b Abs. 6 Satz 1 ErbStG ist zur Bestimmung des Nettowerts des Verwaltungsvermögens von der so ermittelten Summe des gemeinen Werts des 1 2 3 4

Viskorf/Löcherbach/Jehle, DStR 2016, 2425 (2427). R E 13b.23 Abs. 10 ErbStR 2019. FG Münster v. 30.11.2017 – 3 K 2867/15, ErbStB 2018, 109 (Rev. BFH II R 8/18). FG Münster v. 30.11.2017 – 3 K 2867/15, ErbStB 2018, 109 (Rev. BFH II R 8/18).

454 | Wiese/Lukas

E. Erbschaft- und Schenkungsteuer | Rz. 6.267 Kap. 6

Verwaltungsvermögens der anteilige gemeine Wert der Schulden abzuziehen. Der anteilige Abzug bedeutet, dass die Schulden, die nicht bereits mit den Finanzmitteln oder dem für die Altersversorgung dienenden Vermögen verrechnet worden sind, auf die übrigen Wirtschaftsgüter aufzuteilen sind. Dies geschieht nach dem Verhältnis des gemeinen Werts des verbleibenden Verwaltungsvermögens zum gemeinen Wert des Betriebsvermögens.1 Dies kann unter Umständen zu dem Ergebnis führen, dass auch vollständig fremdfinanziertes Verwaltungsvermögen nicht vollständig verschont wird.2 Ermittlung. Sodann sind die anteilig verbleibenden Schulden zu ermitteln. Es handelt sich um die betrieblichen Schulden, die nicht mit Deckungsvermögen aus Altersvorsorgeverpflichtungen verrechnet und auch nicht bei der Berechnung des Finanzmittel-Verwaltungsvermögens abgezogen wurden. Die verbleibenden Schulden sind anteilig auf das Verwaltungsvermögen und das begünstigte Vermögen zu verteilen (§ 13b Abs. 6 Satz 1 ErbStG).

6.265

(c) Berechnung des Nettowerts des Verwaltungsvermögens Ermittlung. Der Saldo des Verwaltungsvermögens ist sodann um die anteilig verbleibenden Schulden zu kürzen.3

6.266

Ausnahmen von der Schuldenverrechnung. Eine Schuldenverrechnung mit Verwaltungsvermögen ist zum einen bei wirtschaftlich nicht belastenden Schulden ausgeschlossen und zum anderen, soweit die Summe der Schulden den durchschnittlichen Schuldenstand der letzten drei Jahre übersteigt (§ 13b Abs. 8 Satz 2 ErbStG). Letzteres gilt nicht, wenn die Erhöhung des Schuldenstandes durch die betriebliche Tätigkeit veranlasst ist. Aus Vereinfachungsgründen darf der durchschnittliche Schuldenstand aus den Schuldenständen am Ende der letzten drei vor dem Zeitpunkt der Steuerentstehung abgelaufenen Wirtschaftsjahre abgeleitet werden.4 Mit dieser Regelung soll verhindert werden, dass durch das bewusste Eingehen von Verbindlichkeiten ein Schuldenverrechnungspotential geschaffen wird.5 Bei Neugründungen kann der durchschnittliche Schuldenstand auf einen Jahresbetrag umgerechnet werden.6 Abzuwarten bleibt, wie der Steuerpflichtige nachweisen soll, dass die Erhöhung des Schuldenstandes durch die Betriebstätigkeit veranlasst ist. Die Finanzverwaltung gibt hier lediglich den (wenig aussagekräftigen) Hinweis, dass davon auszugehen sei, wenn die Schulden durch den laufenden Geschäftsbetrieb veranlasst sind.7 Unter die wirtschaftlich nicht belastenden Schulden fasst die Finanzverwaltung Fälle, in denen eine bilanziell überschuldete Gesellschaft nur deshalb nicht Insolvenz beantragen muss, weil der Gläubiger den Rangrücktritt erklärt hat oder die überschuldete Gesellschaft durch eine Unternehmensgruppe und die Forderung durch eine nahestehende Person erworben wird.8 Gem. § 13b Abs. 9 Satz 3 ErbStG sind gruppeninterne

6.267

1 Geck, ZEV 2016, 546 (550). 2 Geck, ZEV 2016, 546 (550). 3 Die Kürzung geht darauf zurück, dass die Rechtsprechung des BVerfG, die die starre 50 %-Grenze im Rahmen des Verwaltungsvermögenstests gekippt hatte, einen neuen Umgang mit betrieblichen Schulden erforderlich macht. Nach der Neukonzeption des Gesetzgebers gehört das Verwaltungsvermögen nicht mehr zum begünstigten Vermögen. Dies gebietet es, das Verwaltungsvermögen als Nettogröße zu ermitteln. 4 R E 13b.28 Abs. 2 Satz 4 ErbStR 2019. 5 Geck, ZEV 2016, 546 (551). 6 R E 13b.28 Abs. 2 Satz 5 ErbStR 2019. 7 R E 13b.28 Abs. 2 Satz 8 ErbStR 2019. 8 R E 13b.9 Abs. 1 Satz 1 ErbStR 2019.

Wiese/Lukas | 455

Kap. 6 Rz. 6.267 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

Forderungen und Verbindlichkeiten bereits vor Aufnahme in die Verbundvermögensaufstellung zu saldieren; wirtschaftlich nicht belastende Schulden liegen dann insoweit nicht vor.1 (4) Steuerpflichtiger Wert des Verwaltungsvermögens (a) Berechnung der Bemessungsgrundlage des unschädlichen Verwaltungsvermögens

6.268

Abzug von Nettowert des Verwaltungsvermögens, jungem Verwaltungsvermögen und jungen Finanzmitteln. Von dem festgestellten Wert des Betriebsvermögens ist sodann der Nettowert des Verwaltungsvermögens in Abzug zu bringen. Darüber hinaus sind der festgestellte Wert des jungen Verwaltungsvermögens und der jungen Finanzmittel abzuziehen. Der so ermittelte Wert ist die Bemessungsgrundlage für das unschädliche Verwaltungsvermögen. (b) Gekürzter Nettowert des Verwaltungsvermögens

6.269

Kürzung um unschädliches Verwaltungsvermögen. Der Nettowert des Verwaltungsvermögens ist um 10 % der Bemessungsgrundlage für das unschädliche Verwaltungsvermögen zu kürzen. (c) Berechnung des steuerpflichtigen Werts des Verwaltungsvermögens

6.270

Erhöhung um junges Verwaltungsvermögen und junge Finanzmittel. Der gekürzte Nettowert des Verwaltungsvermögens ist um den festgestellten Wert des jungen Verwaltungsvermögens und der jungen Finanzmittel zu erhöhen. Das Ergebnis ist der steuerpflichtige Wert des Verwaltungsvermögens. (5) Begünstigtes Vermögen

6.271

Abzug des Verwaltungsvermögens. Von dem festgestellten Wert des Betriebsvermögens ist der steuerpflichtige Wert des Verwaltungsvermögens in Abzug zu bringen. cc) Besonderheit: Verbundvermögensaufstellung (1) Konsolidierte Ermittlung des Verwaltungsvermögens

6.272

Grundaussagen. Unter dem alten Erbschaftsteuerrecht war es möglich, durch gezielte Steuerung der Verwaltungsvermögensquote in mehrstufigen Gesellschaftsstrukturen Verwaltungsvermögen erbschaftsteuerlich verschont zu übertragen (sog. „Kaskadeneffekt“2). Nach geltendem Erbschaftsteuerrecht sind das Verwaltungsvermögen und die Finanzmittel in mehrstufigen Strukturen nunmehr konsolidiert zu ermitteln, sog. Verbundvermögensaufstellung (§ 13b Abs. 9 ErbStG). Gehören zum begünstigungsfähigen Vermögen i.S.v. § 13b Abs. 1 Nr. 2 und 3 ErbStG mittelbar oder unmittelbar gehaltene Beteiligungen oder Anteile an Personen- oder Kapitalgesellschaften oder entsprechenden Gesellschaften mit Sitz oder Geschäftsleitung im Ausland, sind für die Ermittlung des Verwaltungsvermögens die gemeinen Werte der diesen 1 Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13b ErbStG Rz. 231, 242. 2 BVerfG v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BStBl. II 2015, 50, s. auch Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/ Gottschalk, § 13b ErbStG Rz. 411 (Stand: Dezember 2018).

456 | Wiese/Lukas

E. Erbschaft- und Schenkungsteuer | Rz. 6.274 Kap. 6

Gesellschaften zuzurechnenden Vermögensgegenstände des Verwaltungsvermögens, des jungen Verwaltungsvermögens, der Finanzmittel, jungen Finanzmittel und Schulden einzubeziehen.1 Die Einbeziehung erfolgt anteilig entsprechend der durchgerechneten Beteiligungsquote aus Sicht der Konzerngesellschaft.2 Bei Personengesellschaften ist für die Bestimmung der Beteiligungsquote das Kapitalkonto I, bei Kapitalgesellschaften das Nennkapital maßgeblich.3 Irrelevant ist in diesem Zusammenhang, ob Einlagen bereits geleistet wurden oder noch ausstehen, oder ob die Anteile stimmrechtslos ausgestaltet sind oder Sonderstimmrechte vermitteln.4 Zur Berechnung der Beteiligungsquote sind zudem eigene Anteile der Gesellschaft herauszurechnen.5 In die Verbundvermögensaufstellung sind nicht nur die handelsrechtlich konsolidierten Unternehmen einzubeziehen, sondern sämtliche nachgeordneten Gesellschaften im In- und Ausland. Die Konzernbilanz ist daher keine Grundlage für die Verbundvermögensaufstellung.6 Voraussetzungen im Einzelnen. Gem. § 13b Abs. 9 Satz 2 ErbStG sind die unmittelbar oder mittelbar gehaltenen Finanzmittel, die Vermögensgegenstände des Verwaltungsvermögens und die Schulden jeweils zusammenzufassen. Junge Finanzmittel und junges Verwaltungsvermögen sind gesondert aufzuführen. Nicht anzusetzen sind Forderungen und Verbindlichkeiten, die sich im Rahmen der Verbundvermögensaufstellung zwischen den Gesellschaften untereinander oder im Verhältnis zu dem übertragenen Betrieb oder der übertragenen Gesellschaft gegenüberstehen (§ 13b Abs. 9 Satz 3 ErbStG). Kapitalgesellschaftsanteile i.S.v. § 13b Abs. 4 Nr. 2 ErbStG – d.h. Anteile, bei denen die Beteiligung am Nennkapital 25 % oder weniger beträgt – und wirtschaftlich nicht belastende Schulden fließen nicht in die Verbundvermögensaufstellung ein; diese Anteile sind als Verwaltungsvermögen anzusehen (§ 13b Abs. 9 Satz 5 ErbStG). Für die Einbeziehung von Kapitalgesellschaftsanteilen i.S.v. § 13b Abs. 4 Nr. 2 ErbStG bedeutet dies, dass für die maßgebliche Anteilshöhe auf jeder Stufe eine isolierte Betrachtung vorzunehmen ist. Dies entspricht der Ansicht der Finanzverwaltung, nach der die Rechentechnik der Verbundvermögensaufstellung auf jeder Beteiligungsebene durchzuführen ist. Festgestellt werden jeweils die Werte, die sich auf den Anteil beziehen, zu dem die Beteiligung besteht.7 Anderenfalls würde im Falle von Beteiligungsketten vielfach die durchgerechnete Beteiligungsquote 25 % nicht übersteigen, mit der Folge, dass diese Anteile als Verwaltungsvermögen zu qualifizieren wären, obwohl isoliert auf der jeweiligen Beteiligungsebene die Begünstigungsvoraussetzungen des § 13b Abs. 4 Nr. 2 ErbStG vorliegen können.

6.273

Inländische und ausländische Gesellschaften erfasst. Inländische und ausländische Gesellschaften sind gleichermaßen einbezogen. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob es sich um EU/ EWR- oder Drittstaatengesellschaften handelt. Unter der Konzernobergesellschaft wird die Gesellschaft verstanden, die unmittelbar Gegenstand der Übertragung ist und begünstigtes Vermögen nach § 13b Abs. 1 Nr. 2 und 3 ErbStG darstellt.8

6.274

1 S. R E 13b.29 Abs. 2. Satz 2 ErbStR 2019; vgl. Stalleiken/Korezkij, DStR 2018, 1597 (1600). 2 R E 13b.29 Abs. 2 Satz 2 ErbStR 2019; Geck in Kapp/Ebeling, § 13b Rz. 190 (Stand: Mai 2020); Korezkij, DStR 2016, 2434 (2435). 3 Königer, ZEV 2017, 365 (368). 4 Königer, ZEV 2017, 365 (368). 5 Königer, ZEV 2017, 365 (368). 6 Vgl. R E 13b.9 Abs. 1 Satz 3 ErbStR 2019. 7 R E 13b.29 Abs. 2 Satz 4 f. ErbStR 2019. 8 Korezkij, DStR 2016, 2434 (2435).

Wiese/Lukas | 457

Kap. 6 Rz. 6.275 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

(2) Anwendungsfragen

6.275

Horizontaler Verbund. Fraglich ist, ob eine Verbundvermögensaufstellung auch im „horizontalen Verbund“ zu erstellen ist, etwa wenn der Erblasser mehrere GmbH-Beteiligungen unmittelbar hält. Der Wortlaut der Norm schließt dies nicht aus, da zum begünstigungsfähigen Vermögen nach § 13b Abs. 1 ErbStG unmittelbar mehrere Beteiligungen gehören. Systematische Argumente sprechen indes dafür, in den Verbund nur die jeweils unmittelbar und mittelbar nachgelagerten Gesellschaften (und ggf. Beteiligungen im Sonderbetriebsvermögen) einzubeziehen („vertikaler Verbund“).1 Eine natürliche Person kann demnach auch mehrere Verbünde i.S.v. § 13b Abs. 9 ErbStG halten, für die jeweils eigene Verbundvermögensaufstellungen zu erstellen sind.2

6.276

Vermögensumschichtungen innerhalb des Verbunds. Fraglich ist zudem, ob Umschichtungen von Verwaltungsvermögen innerhalb des Verbunds dazu führen, dass junges Verwaltungsvermögen entsteht. Nach dem Wortlaut von § 13b Abs. 7 Satz 2 ErbStG ist für die Zurechnung des Verwaltungsvermögens auf den Betrieb abzustellen. In systematischer Hinsicht spricht jedoch einiges dafür, dass sich die zweijährige Zugehörigkeit des Vermögens zum Betrieb auf den Verbund beziehen muss.3 Entsprechend stellt sich die Frage, ob junge Finanzmittel im Verbund entstehen können. Nach der Legaldefinition des § 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 2 ErbStG sind junge Finanzmittel der positive Saldo der eingelegten und entnommenen Finanzmittel eines Betriebs, die diesem im Zeitpunkt der Entstehung der Steuer weniger als zwei Jahre zuzurechnen waren. Auch hier sollte es jedoch darauf ankommen, wann die Finanzmittel dem Verbund zugeführt worden sind. Die Finanzverwaltung erfasst bei jungem Verwaltungsvermögen4 und bei jungen Finanzmitteln5 auch konzerninterne Einlagen. Letzteres benachteiligt vor allem Eigenkapitalisierungen im Konzernverbund. Das herrschende Schrifttum stellt sich dem sowohl hinsichtlich des jungen Verwaltungsvermögens6 als auch hinsichtlich der jungen Finanzmittel7 entgegen. Danach soll es jeweils darauf ankommen, wann das Verwaltungsvermögen bzw. die Finanzmittel in den Verbund eingelegt wurden. Junge Finanzmittel können nach Ansicht der Finanzverwaltung in mehrstufigen Strukturen mehrfach erfasst werden.8 Dies soll dann der Fall sein, wenn die Tochtergesellschaft die jungen Finanzmittel in eine Enkelgesellschaft einlegt, weil junge Finanzmittel auf jeder Beteiligungsstufe gesondert festzustellen seien.9 Die Verrechnung negativer junger Finanzmittel soll mit positiven jungen Finanzmitteln der nachfolgenden Beteiligungsstufen erfolgen,10 umgekehrt gilt dies jedoch nicht.11

6.277

Übertragung von Mitunternehmeranteilen. Weder dem Gesetzeswortlaut des § 13b Abs. 9 ErbStG noch den Gesetzesmaterialien ist zu entnehmen, ob eine VerbundvermögensaufstelSo auch Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13b ErbStG Rz. 238. Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13b ErbStG Rz. 238. Holtz, NJW 2016, 3750 (3751); Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13b ErbStG Rz. 243. R E 13b.29 Abs. 4 ErbStR 2019. R E 13b.29 Abs. 3 Satz 1 ErbStR 2019. Korezkij, DStR 2017, 1729 (1734) m.w.N. Stalleiken/Korezkij, DStR 2018, 1597 (1599 f.); Korezkij, DStR 2017, 1729 (1734) m.w.N. R E 13b.29 Abs. 3 Satz 3 ErbStR 2019. R E 13b.29 Abs. 3 Satz 4 ErbStR 2019. Die Begrenzung der jungen Finanzmittel auf den Wert der vorhandenen jungen Finanzmittel erfolgt danach nicht auf jeder Beteiligungsstufe, sondern erst auf der obersten Feststellungsebene, R E 13b.29 Abs. 3 Satz 4 ErbStR 2019. 10 R E 13b.29 Abs. 3 Satz 6 ErbStR 2019. 11 S. auch Stalleiken, DB 2019, 87 (92 f.). 1 2 3 4 5 6 7 8 9

458 | Wiese/Lukas

E. Erbschaft- und Schenkungsteuer | Rz. 6.280 Kap. 6

lung mitunternehmerbezogen zu erstellen ist. Relevant wird die Frage, wenn eine Beteiligung an einer Personengesellschaft übertragen wird und die Personengesellschaft selbst keine weiteren Beteiligungen hält, bei der Übertragung aber auch Sonderbetriebsvermögen mit übergeht.1 In einem solchen Fall erscheint es sachgemäß, eine Verbundvermögensaufstellung einschließlich der damit verbundenen Kürzung sich gegenüberstehender Forderungen und Verbindlichkeiten aus dem Gesamthands- und Sonderbetriebsbereich zu erstellen, auch wenn weder im Gesamthandsvermögen noch im Sonderbetriebsvermögen Anteile oder Beteiligungen gehalten werden.2 Dafür spricht der Wortlaut des § 13b Abs. 9 Satz 1 ErbStG, der auf das begünstigungsfähige Vermögen nach § 13b Abs. 1 ErbStG Bezug nimmt, wozu auch das Sonderbetriebsvermögen gehört. Der Vermögensempfänger sollte demnach als fiktive Konzernobergesellschaft behandelt werden.3 Der Mitunternehmeranteil sollte dann den Verbund des Mitunternehmers darstellen und in der Verbundvermögensaufstellung das übertragene Sonderbetriebsvermögen vollständig und das Gesamthandsvermögen entsprechend der übertragenen Beteiligung angesetzt werden.4 Nach Ansicht der Finanzverwaltung sind Forderungen und Verbindlichkeiten, die sich zwischen Gesamthandsvermögen und Sonderbetriebsvermögen einer Personengesellschaft gegenüberstehen, demgegenüber nicht zu kürzen; gleiches gilt für Forderungen und Verbindlichkeiten zwischen den Gesellschaften im Gesamthandsvermögen und im Sonderbetriebsvermögen.5 Form. Als Steuererklärung ist die Verbundvermögensaufstellung gem. § 150 Abs. 1 AO auf dem amtlich vorgeschriebenen Vordruck einzureichen.6 Mangels veröffentlichter Formulare ist bislang jedoch noch unklar, wie die Verbundvermögensaufstellung im Einzelnen auszusehen hat.

6.278

d) Steuerung der Verwaltungsvermögensquote Gezielte (Nicht-)Übertragung von Sonderbetriebsvermögen. Durch die Mitübertragung oder das Zurückbehalten von Sonderbetriebsvermögen kann die individuelle gesellschafterbezogene Verwaltungsvermögensquote maßgeblich beeinflusst werden.7 Zur Verringerung der gesellschafterbezogenen Verwaltungsvermögensquote kann beispielsweise unschädliches Sonderbetriebsvermögen mitgeschenkt werden und schädliches Sonderbetriebsvermögen zurückbehalten werden. In gleicher Weise kann durch die Mitschenkung von positivem Sonderbetriebsvermögen oder Zurückbehalt von negativem Sonderbetriebsvermögen auch der gemeine Wert der übertragenen betrieblichen Einheit beeinflusst werden.8 Die Übertragung ist so zu strukturieren, dass der Zurückbehalt von Sonderbetriebsvermögen die ertragsteuerliche Buchwertfortführung nicht gefährdet (s. Rz. 6.17 ff.).

6.279

e) Reinvestitionsklausel Reinvestition von Verwaltungsvermögen. Mit der Erbschaftsteuerreform 2016 wurde in § 13b Abs. 5 ErbStG eine Reinvestitionsklausel eingeführt, die eine Ausnahme von dem die 1 2 3 4 5 6 7 8

So auch Königer, ZEV 2017, 365 (366). So auch Korezkij, DStR 2016, 2434 (2435); Königer, ZEV 2017, 365 (366). Korezkij, DStR 2016, 2434 (2435). Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13b ErbStG Rz. 239; Korezkij, DStR 2016, 2434 (2435). R E 13b.29 Abs. 5 Satz 6 ff. ErbStR 2019. Königer, ZEV 2017, 365 (369). Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13b ErbStG Rz. 250; Reich, DStR 2016, 2447 (2450). Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13b ErbStG Rz. 250.

Wiese/Lukas | 459

6.280

Kap. 6 Rz. 6.280 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

Erbschaftsteuer bestimmenden Stichtagsprinzip darstellt. Die Zurechnung von Vermögensgegenständen zum Verwaltungsvermögen entfällt bei Erwerben von Todes wegen (nicht bei Schenkungen) rückwirkend, wenn der Erwerber innerhalb von zwei Jahren Verwaltungsvermögen in andere Vermögensgegenstände innerhalb des vom Erblasser erworbenen, begünstigungsfähigen Vermögens investiert, die einer gewerblichen, freiberuflichen oder landwirtschaftlichen Tätigkeit dienen und selbst kein Verwaltungsvermögen sind (§ 13b Abs. 5 Satz 1 ErbStG). Gleichzustellen sind Investitionen, die Erhaltungsaufwand darstellen.1 Die jeweilige Investition hat innerhalb eines originär land- und forstwirtschaftlichen, gewerblichen oder freiberuflichen Unternehmens zu erfolgen – die Investition in eine gewerblich geprägte Personengesellschaft ist somit nicht vom Anwendungsbereich der Vorschrift erfasst.2

6.281

Vorgefasster Plan des Erblassers. Voraussetzung ist, dass die Investition aufgrund eines bei Entstehung der Steuer vorgefassten Plans des Erblassers getätigt wird und keine anderweitige Ersatzbeschaffung von Verwaltungsvermögen vorgenommen wird (§ 13b Abs. 5 Satz 2 ErbStG). Was unter einem vorgefassten Plan zu verstehen ist, lässt das Gesetz offen. Der Koordinierte Ländererlass und jetzt auch die ErbStR 2019 haben die gesetzlichen Vorgaben teilweise konkretisiert. Danach muss der Plan jedenfalls so konkret sein, dass dieser und die entsprechend vom Erwerber umgesetzten Investitionen nachvollzogen werden können. Zudem muss der Plan die zu erwerbenden oder herzustellenden Gegenstände beinhalten.3 Teilweise wird vertreten, dass sich der Plan in irgendeiner Weise beweisen lassen muss, z.B. durch das Einholen von Informationsmaterial über eine anzuschaffende Maschine4. Teilweise wird ein mündlich geäußerter Plan5 oder ein konkludenter Wille des Erblassers für ausreichend gehalten.6 Die Schriftform oder die Form einer letztwilligen Verfügung wird nicht für erforderlich gehalten.7 Hier können freilich Nachweisprobleme gegenüber der Finanzverwaltung entstehen. In der Praxis wird man der Nachweispflicht anhand von Gremienprotokollen, Gesprächsnotizen oder Zeugenaussagen8 sowie mithilfe weiterer objektiv geeigneter Unterlagen9 nachkommen können. Hinzu kommt: Ist der Erblasser nur am Unternehmen beteiligt, ohne dort die Geschäfte zu führen, dürfte ein vorgefasster Investitionsplan nur in Ausnahmefällen vorliegen. Die Reinvestitionsklausel geht davon aus, dass der Erblasser Einfluss auf die Investitionsplanung des Betriebs nehmen kann.10 Der Anwendungsbereich ist daher in erster Linie für Einzelunternehmer und inhabergeführte Unternehmen eröffnet.11 Soll die Anwendung

1 Geck in Kapp/Ebeling, § 13b ErbStG Rz. 163 (Stand: Mai 2020). 2 Geck, ZEV 2016, 546 (552). 3 Koordinierter Ländererl. v. 22.6.2017, FinBeh HH – S 3715 - 2017/001 - 53, BStBl. I 2017, 902, A 13b.24 Abs. 3 Satz 1 u. 2; R E 13b.24 Abs. 3 Satz 1 u. 2 ErbStR 2019. 4 Söffing, ErbStB 2016, 235 (245). 5 Holtz, NJW 2016, 3750 (3752); Geck, ZEV 2016, 546 (553); Wachter, FR 2016, 690 (695). 6 Vgl. Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13b ErbStG Rz. 210, der darauf hinweist, dass der vorgefasste Plan als subjektives Tatbestandsmerkmal grundsätzlich keiner Vergegenständlichung bedarf; Wachter, FR 2016, 690 (695). 7 Geck in Kapp/Ebeling, § 13b ErbStG Rz. 166 (Stand: Mai 2020); Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13b ErbStG Rz. 210. 8 Stalleiken in v. Oertzen/Loose, 2 § 13b ErbStG Rz. 210; Viskorf/Löcherbach/Jehle, DStR 2016, 2425 (2428). 9 Kowanda, DStR 2017, 469 (470). 10 A.A. Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13b ErbStG Rz. 212, wonach auch Minderheitsgesellschafter ohne faktischen Einfluss einen vorgefassten Plan haben können; auf eine Kausalität des Erblassers für die Investition soll es nicht ankommen. 11 Vgl. Wachter, FR 2016, 690 (695).

460 | Wiese/Lukas

E. Erbschaft- und Schenkungsteuer | Rz. 6.283 Kap. 6

der Vorschrift im Zuge einer vorausschauenden Nachfolgeplanung auch bei Gesellschaften mit Fremdgeschäftsführung sichergestellt werden, ist es erforderlich, eine dokumentierte Investitionsplanung der Gesellschafter vorzuhalten und laufend aktuell zu halten. Eine Erleichterung sehen hier der Koordinierte Ländererlass und die ErbStR 2019 vor. Hatte der Erblasser keinen Einfluss auf die Geschäftsleitung, soll es danach ausreichen, wenn die Geschäftsleitung im Todeszeitpunkt des Erblassers einen konkreten Investitionsplan gefasst hatte und diesen innerhalb von zwei Jahren verwirklicht. Der Plan und seine Umsetzung werden dann dem Erblasser zugerechnet.1 Die Reinvestitionsklausel kann auch auf nachgelagerten Beteiligungsstufen zur Anwendung kommen. Voraussetzung ist, dass der Erblasser seinen Plan auf dieser Beteiligungsstufe tatsächlich durchsetzen konnte. Eine Zurechnung der Entscheidung der Geschäftsleitung erfolgt in diesen Fällen nicht.2 Reinvestitionsklausel für Finanzmittel. Auch die Reinvestitionsklausel für Finanzmittel in § 13b Abs. 5 Satz 3 und 4 ErbStG ist nur auf Erwerbe von Todes wegen anwendbar. Danach entfällt die Zuordnung von Finanzmitteln zum Verwaltungsvermögen i.S.v. § 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 1 ErbStG rückwirkend, soweit der Erwerber diese Finanzmittel innerhalb von zwei Jahren verwendet, um bei fehlenden Einnahmen aufgrund von wiederkehrenden saisonalen Schwankungen Löhne und Gehälter zu zahlen. Die saisonalen Schwankungen sind nicht auf das Unternehmen als solches, sondern auf die Branche zu beziehen.3 Auch hier muss ein vorgefasster Plan des Erblassers vorliegen, und es darf keine anderweitige Ersatzbeschaffung von Verwaltungsvermögen vorliegen.

6.282

5. Vorwegabschlag für Familienunternehmen a) Bedeutung und Anwendungsbereich Hintergrund der Regelung. Familienunternehmen sind oftmals auf einen Erhalt des Unternehmens und auf eine langfristige Beteiligung der Familiengesellschafter ausgerichtet. Diese Zielsetzung bringt typischerweise weitreichende gesellschaftsvertragliche Beschränkungen mit sich, die die Anteile am Familienunternehmen weniger fungibel bzw. nur mit Abschlägen veräußerbar machen.4 § 13a Abs. 9 ErbStG gewährt daher für begünstigtes Vermögen i.S.v. § 13b Abs. 2 ErbStG einen Bewertungsabschlag von bis zu 30 % auf den Wert des übertragenen Vermögens, um die für Familienunternehmen typischen gesellschaftsrechtlichen Beschränkungen hinsichtlich Verfügungen, Entnahmen bzw. Ausschüttungen und Abfindungen erbschaftsteuerlich zu berücksichtigen, wenn diese Beschränkungen in der Praxis tatsächlich beachtet werden. Der Bewertungsabschlag ist jedoch nicht auf die Bewertung von Familienunternehmen beschränkt, sondern gilt unter den in der Vorschrift näher genannten Voraussetzungen für alle Personen- und Kapitalgesellschaften, d.h. auch dann, wenn die Gesellschafter untereinander fremde Dritte sind.5 Die Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass Verfügungs-

1 Koordinierter Ländererl. v. 22.6.2017, FinBeh HH – S 3715 - 2017/001 - 53, BStBl. I 2017, 902, A 13b.24 Abs. 3 Satz 7 u. 8; R E 13b.24 Abs. 3 Satz 7 u. 8 ErbStR 2019. 2 R E 13b.24 Abs. 3 Satz 7 ff. ErbStR 2019. 3 Geck in Kapp/Ebeling, § 13b ErbStG Rz. 168 (Stand: Mai 2020). 4 Vgl. Holtz, NJW 2016, 3750 (3754); Geck in Kapp/Ebeling, § 13a ErbStG Rz. 187 (Stand: März 2020); Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13a ErbStG Rz. 220; Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 13a ErbStG Rz. 473 (Stand: November 2016); Viskorf/Löcherbach/Jehle, DStR 2016, 2425 (2429); Wachter, NZG 2016, 1168 (1169). 5 Vgl. Geck, ZEV 2016, 546 (551); Geck in Kapp/Ebeling, § 13a ErbStG Rz. 190.1 (Stand: März 2020); Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13a ErbStG Rz. 223; Wachter, NZG 2016, 1168 (1170).

Wiese/Lukas | 461

6.283

Kap. 6 Rz. 6.283 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

beschränkungen im Rahmen der Unternehmensbewertung nicht angemessen berücksichtigt werden.1 Die Vorschrift ist jedoch an enge Voraussetzungen gebunden.

6.284

Keine Anwendung auf Einzelunternehmen und Aktiengesellschaften. Mangels Gesellschaftsvertrags findet die Regelung auf die Übertragung eines Einzelunternehmens keine Anwendung.2 Dies gilt z.B. auch im Falle der unentgeltlichen Aufnahme eines Gesellschafters in ein Einzelunternehmen.3 Um den Vorwegabschlag nutzen zu können, sollten Einzelunternehmer daher einen Rechtsformwechsel in eine GmbH oder eine GmbH & Co. KG in Erwägung ziehen.4 Nach Ansicht der Finanzverwaltung soll der Vorwegabschlag auch nicht für Anteile an einer Aktiengesellschaft gewährt werden können, weil das AktG keine entsprechenden Einschränkungen in der Satzung zulässt.5 b) Voraussetzungen aa) Verfahren

6.285

Kein Antrag erforderlich. Ein Antrag auf Gewährung des Vorwegabschlags ist nicht erforderlich. Umgekehrt ist bei Vorliegen der Voraussetzungen ein Verzicht auf den Abschlag nicht möglich (z.B. um die lange Nachlauffrist zu vermeiden).6 Das Vorliegen der Voraussetzungen hat der Erwerber nachzuweisen.7

6.286

Vorrangige Anwendung des Vorwegabschlags. Der Vorwegabschlag ist vorrangig vor Anwendung der Voll- oder Optionsverschonung (§ 13a Abs. 1 bzw. Abs. 10 ErbStG) und vor der Verschonungsbedarfsprüfung (§ 28a ErbStG) anzuwenden. Der Wert des begünstigten Vermögens i.S.v. § 13b Abs. 2 ErbStG ist daher vor der Prüfung des Schwellenwerts für Großerwerbe i.H.v. 26 Mio. Euro um den Vorwegabschlag zu verringern.8 Sollte der Vorwegabschlag nachträglich entfallen und wird durch den Wegfall des Vorwegabschlags erstmals der Schwellenwert für Großerwerbe überschritten, entfällt die zunächst in Anspruch genommene Steuerbefreiung nach § 13a Abs. 1 oder Abs. 10 ErbStG rückwirkend. Für den Erwerb kann dann erstmals ein Antrag nach § 13c ErbStG (Abschmelzungsmodell) oder § 28a ErbStG (Verschonungsbedarfsprüfung) gestellt werden.9

1 Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 13a ErbStG Rz. 472 (Stand: November 2017); Wachter, NZG 2016, 1168 (1170). 2 R E 13a.20 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 ErbStR 2019; Geck in Kapp/Ebeling, § 13a ErbStG Rz. 195 (Stand: März 2020); Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13a ErbStG Rz. 223; Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 13a ErbStG Rz. 474 (Stand: November 2017); Wachter, NZG 2016, 1168 (1171). 3 Geck in Kapp/Ebeling, § 13a ErbStG Rz. 195 (Stand: März 2020). Daher ist die Vorschrift verfassungsrechtlich problematisch, Thonemann-Micker, DB 2016, 2312 (2316); Thonemann-Micker/ Krogoll, NWB-EV 2016, 378 (379); Weber/Schwind, ZEV 2016, 688 (689). 4 So auch Geck in Kapp/Ebeling, § 13a ErbStG Rz. 195 (Stand: März 2020); Thonemann-Micker/ Krogoll, NWB-EV 2016, 378 (380); Uhl-Ludäscher, ErbStB 2017, 42. 5 R E 13a.20 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 ErbStR 2019. 6 Weinmann in Moench/Weinmann, Erstkommentierung ErbStG Reform 2016, § 13a ErbStG Rz. 50. 7 R E 13a.20 Abs. 1 Satz 2 ErbStR 2019. 8 R E 13a.20 Abs. 1 Satz 6 ErbStR 2019. 9 R E 13a.20 Abs. 6 Satz 13 ErbStR 2019.

462 | Wiese/Lukas

E. Erbschaft- und Schenkungsteuer | Rz. 6.288 Kap. 6

bb) Gesellschaftsvertragliche Beschränkungen von Entnahmen und Ausschüttungen Entnahme- oder Ausschüttungsbeschränkung. Die Vorschrift setzt eine gesellschaftsvertraglich festgelegte Entnahme- oder Ausschüttungsbeschränkung voraus (§ 13a Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 ErbStG). Entnahmen und Ausschüttungen dürfen höchstens 37,5 % des um die auf den Gewinnanteil oder die Ausschüttungen aus der Gesellschaft entfallenden persönlichen Steuern gekürzten Betrags des steuerrechtlichen Gewinns betragen. Nach Ansicht der Finanzverwaltung kann aus Vereinfachungsgründen bei einer Kapitalgesellschaft für die auf die Ausschüttung entfallende Steuer und bei einer Personengesellschaft für die auf den Gewinnanteil entfallende Steuer jeweils ein Steuersatz von 30 % zugrunde gelegt werden, es sei denn, die auf den Gewinn des Jahres entfallende Steuer ist nachweislich höher.1 Entnahmen zur Begleichung der persönlichen Steuern vom Einkommen bleiben von der Entnahme- oder Ausschüttungsbeschränkung unberücksichtigt (§ 13a Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 2); die auf den Anteil des Gesellschafters entfallende Einkommensteuer (zzgl. Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag) sowie Gewerbesteuer ist daher entnahmefähig. Dies gilt jedoch nicht für die Erbschaftsteuer.2

6.287

Einzelfragen zur Entnahmebeschränkung. Nach Ansicht der Finanzverwaltung ist für die Ermittlung der Entnahmebeschränkung der steuerrechtliche Gewinn nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG maßgeblich.3 Daher ist nur der bilanzielle Gewinn ohne außerbilanzielle Korrekturen erfasst.4 Bei Kapitalgesellschaften bedeutet der Ausschluss außerbilanzieller Korrekturen, dass insbesondere verdeckte Gewinnausschüttungen, die Freistellung von Dividendenerträgen nach § 8b KStG und nicht abziehbare Aufwendungen nicht zu berücksichtigen sind.5 Im Falle einer gewerblichen Personengesellschaft ist der steuerrechtliche Gewinn der Gewinnanteil aus der Gesamthand. Die Ergebnisse aus Sonder- oder Ergänzungsbilanzen bleiben unberücksichtigt.6 Wenn nach Gesellschaftsvertrag oder Satzung der handelsrechtliche Gewinn maßgeblich ist, ist dies unschädlich, wenn die nach § 13a Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 ErbStG genannte Grenze bezogen auf den steuerrechtlichen Gewinn offensichtlich nicht überschritten wird.7 Maßgebend für die Prüfung der Entnahmebeschränkung ist der Gewinn des jeweiligen Wirtschaftsjahres, in dem die Entnahme erfolgt ist. Bei der Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage auf den Gewinnanteil sind die außerbilanziellen Hinzu- und Abrechnungen zu berücksichtigen.8

6.288

1 R E 13a.20 Abs. 3 Satz 3 ErbStR 2019. 2 Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13a ErbStG Rz. 226. 3 R E 13a.20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 ErbStR 2019, a.A. Geck in Kapp/Ebeling, § 13a ErbStG Rz. 198 (Stand: März 2020). 4 Weber, DStZ 2017, 13 (15); Weber/Schwind, ZEV 2016, 688 (690); a.A. Geck in Kapp/Ebeling, § 13a ErbStG Rz. 198 (Stand: März 2020). 5 Vgl. Geck in Kapp/Ebeling, § 13a ErbStG Rz. 197 (Stand: März 2020); Weber/Schwind, ZEV 2016, 688 (690). Die Verwaltungs-Auffassung in R E 13a.20 Abs. 3 Satz 2 ErbStR 2019, nach der auch außerbilanzielle Zu- und Abrechnungen auf den Gewinnanteil zu berücksichtigen sind, ist u.E nur für die Ermittlung der auf den Gewinnanteil entfallenden Steuern maßgeblich. 6 R E 13a.20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Satz 2 ErbStR 2019; vgl. auch Geck in Kapp/Ebeling, § 13a ErbStG Rz. 199 (Stand: März 2020); Uhl-Ludäscher, ErbStB 2017, 42 (43); Wachter, NZG 2016, 1168 (1174); Weber, DStZ 2017, 13 (15); Weber/Schwind, ZEV 2016, 688 (689); a.A. Hannes, ZEV 2016, 554 (558); Söffing, ErbStB 2016, 339 (342). 7 R E 13a.20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Satz 3 ErbStR 2019. 8 R E 13a.20 Abs. 3 Satz 1, 2 ErbStR 2019.

Wiese/Lukas | 463

Kap. 6 Rz. 6.289 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

6.289

Entnahme- und Ausschüttungsbeschränkung im Konzern. Nach dem Wortlaut der Norm ist allein der steuerliche Gewinn der Gesellschaft, deren Anteile Gegenstand des Erwerbs sind, maßgeblich für die Ermittlung der zulässigen Entnahme oder Ausschüttung. Demnach können Thesaurierungen oder periodenfremde Ausschüttungen von Tochtergesellschaften das Ergebnis beeinflussen.1 Dies eröffnet Gestaltungsmöglichkeiten. Die Positionierung der Finanzverwaltung zu dieser Frage bleibt abzuwarten. cc) Verfügungsbeschränkung

6.290

Erfasste Verfügungen. Weitere Voraussetzung für den Vorwegabschlag ist, dass die Verfügung über die Beteiligung oder den Gesellschaftsanteil beschränkt ist (§ 13a Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 ErbStG). Bei Personengesellschaften gilt dies nur für die zivilrechtliche Beteiligung, nicht auch für das Sonderbetriebsvermögen.2 Übertragungen auf Mitgesellschafter, Angehörige gem. § 15 AO und inländische sowie entsprechende ausländische Familienstiftungen sind unschädlich.3 Keine zulässigen Übertragungen sind jedoch solche auf nahe Angehörige i.S.v. § 15 AO von Mitgesellschaftern4, auf den Familienverein5 oder auf die die FamilienpoolGmbH6. Nicht ausreichend sind somit Beschränkungen zugunsten einer Familienholding, wenn diese nicht in der Rechtsform der Familienstiftung errichtet wird.7 Nicht umfasst ist auch die Übertragung auf Mitarbeiter, so dass die Regelung den in der Praxis üblichen Mitarbeiterbeteiligungsmodellen entgegenstehen kann.8 Ist beabsichtigt, dass eine nicht in § 13a Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 ErbStG vorgesehene Person Gesellschafter wird, muss diese mit einer Vorlaufzeit von zwei Jahren als Gesellschafter aufgenommen werden, wenn dennoch der Vorwegabschlag genutzt werden soll. Der Wortlaut der Norm liefert keine Anhaltspunkte dafür, dass die nicht genannten Empfänger nicht auch zugleich Mitgesellschafter sein können.9 dd) Abfindung unter gemeinem Wert der Beteiligung

6.291

Einzelheiten zur Abfindung. Weitere Voraussetzung für den Vorwegabschlag ist eine gesellschaftsvertraglich für den Fall des Ausscheidens aus der Gesellschaft vorgesehene Abfindung, die unter dem gemeinen Wert der Beteiligung oder des Anteils liegt (§ 13a Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 ErbStG). Der Prozentsatz, mit dem die Abfindung unter dem gemeinen Wert liegt, bestimmt die Höhe des Wertabschlags für den Anteil. Der gemeine Wert bestimmt sich nach den Vorschriften des BewG, so dass die dort vorgesehene Bewertungshierarchie des § 11 BewG (Börsenkurs, Ableitung aus Vergangenheitsverkäufen etc.) zu beachten ist.10 Hinzuweisen ist da-

1 Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13a ErbStG Rz. 229; Viskorf/Löcherbach/Jehle, DStR 2016, 2425 (2430); Wachter, NZG 2016, 1168 (1172). 2 Wachter, NZG 2016, 1168 (1171). 3 S. auch R E 13a.20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Satz 1 ErbStR 2019. 4 Söffing in Wilms/Jochum, § 13a ErbStG Rz. 289.16 (Stand: April 2017); a.A. aber Wälzholz, GmbH-StB 2017, 54 (57). 5 Söffing in Wilms/Jochum, § 13a ErbStG Rz. 289.16 (Stand: April 2017); Wachter, NZG 2016, 1168 (1172). 6 Söffing in Wilms/Jochum, § 13a ErbStG Rz. 289.16 (Stand: April 2017); Söffing, GmbH-StB 2016, 235 (237); Wälzholz, GmbH-StB 2017, 54 (57). 7 Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 13a ErbStG Rz. 486 (Stand: November 2017). 8 Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13a ErbStG Rz. 231; Wachter, NZG 2016, 1168 (1172). 9 So auch Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13a ErbStG Rz. 232. 10 Hannes, ZEV 2016, 554 (557); Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13a ErbStG Rz. 235.

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E. Erbschaft- und Schenkungsteuer | Rz. 6.293 Kap. 6

rauf, dass eine Abfindungsbeschränkung unter dem gemeinen Wert zugleich auch den Steuertatbestand der §§ 3 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2, 7 Abs. 7 Satz 1 ErbStG verwirklicht (s. Rz. 6.166 ff.). ee) Zeitliche Voraussetzungen Langfristige Planung erforderlich. Gemeinsam ist den vorgenannten Voraussetzungen, dass sie den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen müssen und sorgfältiger Planung bedürfen. Die Voraussetzungen müssen mindestens zwei Jahre vor Entstehung der Steuer vorliegen (§ 13a Abs. 9 Satz 4 ErbStG). Darüber hinaus entfällt die Steuerbefreiung rückwirkend, wenn gegen eine der Voraussetzungen in den auf den Steuerentstehungszeitpunkt folgenden 20 Jahren verstoßen wird (§ 13a Abs. 9 Satz 5 ErbStG). Damit gilt insgesamt eine mindestens 22jährige Veränderungssperre für die relevanten gesellschaftsvertraglichen Regelungen. Der Vorwegabschlag entfällt auch dann, wenn gesellschaftsvertragliche Änderungen vorgenommen werden, nachdem der Erwerber nicht mehr Gesellschafter ist, und zwar unabhängig von dem Grund seines Ausscheidens.1 Problematisch ist, dass das tatsächliche Verhalten der Mitgesellschafter dem Einfluss des Gesellschafters entzogen ist und Minderheitsgesellschafter i.d.R. nicht in der Lage sind, die gesellschaftsvertragliche und tatsächliche Einhaltung der Beschränkungen sicherzustellen.2 Ändern sich die für den Vorwegabschlag relevanten gesellschaftsvertraglichen Bestimmungen oder tatsächlichen Verhältnisse, hat der Erwerber dies innerhalb eines Monats dem zuständigen Finanzamt anzuzeigen (§ 13a Abs. 9 Satz 6 Nr. 1 ErbStG).

6.292

Folgerungen für die Gestaltungspraxis. Für die Gestaltungspraxis folgt aus alledem, dass die Entnahme-, Verfügungs- und Abfindungsbeschränkungen im Gesellschaftsvertrag vorzusehen sind. Eine schuldrechtliche Gesellschaftervereinbarung (Poolvertrag) oder ein einfacher Gesellschafterbeschluss reichen nicht aus.3 Adressat der Regelung ist die Personen- oder Kapitalgesellschaft. Inhaltlich müssen sich die Entnahme- und Ausschüttungsbeschränkungen daher auf alle Gesellschafter der betreffenden Gesellschaft und auf jegliche Art von Entnahmen und Ausschüttungen beziehen. Allerdings ist der Vorwegabschlag für jede übertragene betriebliche Einheit gesondert zu prüfen und nach § 13a Abs. 9 Satz 2 ErbStG nur für den Teil des übertragenen begünstigten Vermögens i.S.v. § 13b Abs. 2 ErbStG zu gewähren, der die Voraussetzungen für den Vorwegabschlag erfüllt. So können in der Satzung bzw. dem Gesellschaftsvertrag die entsprechenden Bestimmungen auch nur auf einen Teil des begünstigten Vermögens beschränkt werden.4 Zu beachten ist, dass Satzungen von Familienunternehmen mit bestimmten Verfügungs- und Entnahmebeschränkungen nicht mehr kapitalmarktfähig ausgestaltet werden

6.293

1 R E 13a.20 Abs. 7 Satz 4 ErbStR 2019; Geck in Kapp/Ebeling, § 13a ErbStG Rz. 207 (Stand: März 2020). 2 Vgl. Wachter, NZG 2016, 1168 (1174). Die Bindungsfrist von 22 Jahren ist zudem nicht mit den anderen Fristen des ErbStG abgestimmt. Dies wird z.B. bei einem Vergleich mit den Verfügungsbeschränkungen bei Poolvereinbarungen i.S.v. § 13a Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 ErbStG deutlich. Diese dürfen lediglich während der Behaltensfrist von fünf bzw. sieben Jahren nicht aufgehoben werden (§ 13a Abs. 6 Satz 1 Nr. 5 ErbStG). Es ist kein Grund ersichtlich, warum für Beschränkungen in Gesellschaftsverträgen eine längere Bindung als für Beschränkungen in Poolvereinbarungen verlangt wird. 3 R E 13a.20 Abs. 2 Satz 1 ErbStR 2019; Geck in Kapp/Ebeling, § 13a ErbStG Rz. 195 (Stand: März 2020); Wachter, NZG 2016, 1168 (1175), Weber, DStZ 2017, 13 (18), Weber/Schwind, ZEV 2016, 688 (689); anders Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 13a ErbStG Rz. 487 (Stand: November 2017); anders für als Innen-GbR ausgestaltete Poolvereinbarungen: Reich, BB 2016, 1879 (1882). 4 Wälzholz, GmbH-StB 2017, 54 (58).

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Kap. 6 Rz. 6.293 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

können.1 Allerdings sollte die Wirkung des Vorwegabschlags für Familienunternehmen nicht überschätzt werden, da sich der Abschlag lediglich auf das begünstigte Vermögen bezieht. Im Falle der Regelverschonung wird dieses nur mit 15 % angesetzt, so dass durch den Vorwegabschlag nur 30 % dieser verbleibenden 15 % begünstigt sind, mithin nur 4,5 % des begünstigten Vermögens. In Anbetracht der genannten gesellschaftsvertraglichen Einschränkungen ist abzuwägen, ob sich die Inanspruchnahme des Vorwegabschlags im Einzelfall lohnt.

6.294

Gesellschaftsrechtliche Umsetzung. Werden entsprechende Regelungen in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen, wird die zweijährige „Vorlauffrist“ in Gang gesetzt. Bei Kapitalgesellschaften ist zu beachten, dass Änderungen des Gesellschaftsvertrags erst mit der Eintragung ins Handelsregister wirksam werden. Bei Personengesellschaften ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Beschlussfassung maßgebend. Eine rückwirkende Änderung des Gesellschaftsvertrags ist nicht möglich. Oftmals wird ein Erwerber, dem der Vorwegabschlag gewährt worden ist, die Einhaltung der Beschränkungen nicht mehr überwachen können, beispielsweise wenn er nach Ablauf der siebenjährigen Behaltensfrist i.S.v. § 13a Abs. 10 Satz 1 Nr. 6 ErbStG seinen Anteil an einen Mitgesellschafter veräußert oder aus der Gesellschaft ausscheidet. Daher sollten außerhalb des Gesellschaftsvertrags entsprechende Vereinbarungen getroffen werden, die die Einhaltung der Voraussetzungen sicherstellen. Bei Familiengesellschaften werden typischerweise zu unterschiedlichen Zeitpunkten immer wieder Anteile im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertragen. Auf Grund der genannten Bindungsfrist beginnen daher immer wieder neue Fristen zu laufen, die sich wechselseitig überschneiden. Dies hat zur Folge, dass die gesellschaftsvertraglichen Verfügungsbeschränkungen nicht nur für 22 Jahre bestehen, sondern laufend eingehalten werden müssen.2 ff) Gegenstand des Vorwegabschlags

6.295

Gegenständliche Beschränkung des Vorwegabschlags. Der Vorwegabschlag ist nur für den Teil des begünstigten Vermögens zu gewähren, der die Anforderungen des § 13a Abs. 9 Satz 1 ErbStG erfüllt (§ 13a Abs. 9 Satz 2 ErbStG). Bei der Beteiligung an einer Personengesellschaft trifft dies nur für das Gesamthandsvermögen zu, nicht aber für das Sonderbetriebsvermögen.3 Des Weiteren sind folgende praxisrelevante Konstellationen denkbar: – Hält der Übertragende Anteile oder Beteiligungen an verschiedenen Gesellschaften, so ist der Vorwegabschlag nur für die Anteile oder Beteiligungen an den Gesellschaften zu gewähren, die die Voraussetzungen des § 13a Abs. 9 Satz 1 ErbStG erfüllen.4 – In mehrstufigen Gesellschaftsstrukturen ist es denkbar, dass die Holding-Gesellschaft den Anforderungen des § 13a Abs. 9 Satz 1 ErbStG genügt, die Tochtergesellschaften hingegen nicht. Werden Anteile an der Holding-Gesellschaft übertragen, bilden sie das begünstigte Vermögen. Die mittelbar mitübertragenen Anteile an den Tochtergesellschaften sind Gesellschaftsvermögen der Holding-Gesellschaft und nicht selbst Übertragungsgegenstand. Ob die Voraussetzungen des § 13a Abs. 9 Satz 1 ErbStG eingehalten werden, ist daher ausschließlich am Gesellschaftsvertrag der Holding-Gesellschaft zu messen.5

1 Weber, DStZ 2017, 13 (18). 2 Vgl. Wachter, NZG 2016, 1168 (1174). 3 R E 13a.20 Abs. 4 Satz 2 ErbStR 2019; Geck in Kapp/Ebeling, § 13a ErbStG Rz. 193 (Stand: März 2020); Wachter, NZG 2016, 1168 (1174). 4 Söffing, ErbStB 2016, 339 (344). 5 Vgl. Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13a ErbStG Rz. 223; Söffing, ErbStB 2016, 339 (344).

466 | Wiese/Lukas

E. Erbschaft- und Schenkungsteuer | Rz. 6.298 Kap. 6

– Bei einer GmbH mit zwei Geschäftsanteilen, bei denen nur ein Geschäftsanteil den Beschränkungen des § 13a Abs. 9 Satz 1 ErbStG unterliegt, kann der Vorwegabschlag auch nur auf diesen Geschäftsanteil angewendet werden.1 c) Rechtsfolgen Wertabschlag. Die Höhe des Vorwegabschlags entspricht der im Gesellschaftsvertrag vorgesehenen prozentualen Minderung der Abfindung gegenüber dem gemeinen Wert und darf 30 % nicht übersteigen (§ 13a Abs. 9 Satz 3 ErbStG). Während sich der Vorwegabschlag auf das begünstigte Vermögen i.S.v. § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG bezieht, knüpft die Bemessung seiner Höhe an den gemeinen Wert der Beteiligung bzw. des Anteils an. Maßgeblich ist der gemeine Wert im Steuerentstehungszeitpunkt.2 Ob die Grenze von 30 % überschritten wird, ist auf den ersten Blick nur in den Fällen vergleichsweise einfach zu ermitteln, in denen die Satzung oder der Gesellschaftsvertrag eine Abfindung zum Verkehrswert vorsieht und diesen mit einem prozentualen Abschlag belegt. Auch in diesen Fällen ist der Verkehrswert aber nach den Vorschriften des BewG zu ermitteln.3 Steht der Abfindungsbetrag in Zusammenhang mit dem steuerbilanziellen Gewinn, können durch Betriebsprüfungen bedingte Änderungen Einfluss auf den Abfindungsbetrag und damit auf die Höhe des Wertabschlags nehmen.4 Darüber hinaus sehen Gesellschaftsverträge in vielen Fällen für verschiedene Ausscheidensszenarien unterschiedliche Abfindungsbeschränkungen vor (sog. „Good-Leaver-“ oder „Bad-Leaver“-Klauseln). Hier stellt sich die Frage, welches Szenario bei der Bemessung des Wertabschlags maßgeblich ist. Nach Ansicht der Finanzverwaltung ist die höchste in Betracht kommende Abfindung zur Bemessung des Wertabschlages maßgeblich.5 Sieht die Satzung oder der Gesellschaftsvertrag für Gesellschafter unterschiedliche Abfindungshöhen vor, ist nach Ansicht der Finanzverwaltung die für den jeweiligen Erwerber geltende Abfindung für die Ermittlung des Vorwegabschlags maßgebend.6

6.296

Verhältnis zu anderen erbschaftsteuerlichen Regelungen. Die Regelung führt zu dem widersprüchlichen Ergebnis, dass die nach § 13a Abs. 9 Satz 3 ErbStG geforderte reduzierte Abfindung einerseits Voraussetzung für den Vorwegabschlag, andererseits aber Grundlage für eine Besteuerung der übrigen Gesellschafter nach § 7 Abs. 7 ErbStG ist (s. Rz. 6.166 ff.). Der Abschlag wird unabhängig davon gewährt, ob ein Verstoß gegen die Lohnsummenregelung (§ 13a Abs. 3 ErbStG) oder gegen die Behaltensregelung (§ 13a Abs. 6 ErbStG) vorliegt.7

6.297

Auswirkung von Verstößen gegen gesellschaftsvertragliche Beschränkungen. Fraglich ist zudem, welche Konsequenzen ein Verstoß gegen die Beschränkungen hat. Stimmen in der Literatur wollen zwischen regelmäßigen und einmaligen Verstößen unterscheiden. Wird demnach beispielsweise jährlich gegen die Restriktionen verstoßen, dürften die Vereinbarun-

6.298

1 2 3 4 5

Söffing, ErbStB 2016, 339 (344). Geck in Kapp/Ebeling, § 13a ErbStG Rz. 206 (Stand: März 2020). Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13a ErbStG Rz. 239. Vgl. Crezelius, ZEV 2016, 541 (544); Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13a ErbStG Rz. 239. R E 13a.20 Abs. 5 Satz 4 ErbStR 2019. Sachgerecht wäre es, den Fall der Kündigung durch den Gesellschafter für maßgeblich zu erklären, da der Vorwegabschlag auf die Fälle abzielt, in denen Familienunternehmer bei freiwilligem Ausscheiden aus der Gesellschaft nur einen verminderten Abfindungsbetrag zur Liquiditätsschonung der Gesellschaft realisieren können, so auch Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13a ErbStG Rz. 239. 6 R E 13a.20 Abs. 5 Satz 5 ErbStR 2019. 7 Thonemann-Micker/Krogoll, NWB-EV 2016, 378; R E 13a.20 Abs. 7 Satz 15 ErbStR 2019.

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Kap. 6 Rz. 6.298 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

gen den tatsächlichen Verhältnissen nicht mehr entsprechen. Liegt indes ein einmaliger Verstoß vor, beispielsweise durch eine hohe Abfindung eines lästigen Gesellschafters, erscheint der vollständige Wegfall des Vorwegabschlags nicht angemessen.1 Die Finanzverwaltung verfolgt an dieser Stelle einen strengeren Kurs. Danach soll der Vorwegabschlag rückwirkend entfallen, wenn innerhalb der 20 Jahre die Voraussetzungen nicht bestehen bleiben.2 Quantität oder Qualität der Verstöße finden danach keine Berücksichtigung.

6. Lohnsummentest a) Voraussetzungen

6.299

Bedeutung des Lohnsummentests. Nimmt der Erwerber den Verschonungsabschlag gem. § 13a Abs. 1, 10 ErbStG in Anspruch, ist die Lohnsummenregelung (§ 13a Abs. 3 ErbStG) zu beachten. Kern der Regelung ist ein Vergleich zwischen der Ausgangslohnsumme für vor dem Erwerb liegende Jahre und einer fünf bzw. sieben Jahre nach dem Erwerb einzuhaltenden Mindestlohnsumme. Ausgangslohnsumme ist die durchschnittliche Lohnsumme der letzten fünf vor dem Zeitpunkt der Steuerentstehung endenden Wirtschaftsjahre.

6.300

Mindestlohnsumme. Ausgehend von der Ausgangslohnsumme ergibt sich eine Mindestlohnsumme. Diese beträgt im Falle des 85 %-Abschlags nach § 13a Abs. 1 Satz 1 ErbStG – vorbehaltlich der Sonderregelung nach § 13a Abs. 3 Satz 4 ErbStG für Betriebe mit nicht mehr als zehn bzw. 15 Beschäftigten – 400 % (§ 13a Abs. 3 Satz 1 ErbStG). Innerhalb von fünf Jahren nach dem Erwerb muss die durchschnittliche jährliche Mindestlohnsumme daher 80 % der durchschnittlichen Lohnsumme der vergangenen fünf Wirtschaftsjahre betragen, wenn der Betrieb mehr als 15 Beschäftigte hat. Maßgeblich ist eine kumulierte Betrachtung nach Ablauf der fünfjährigen Frist. Somit können Unterschreitungen der Lohnsumme in einzelnen Jahren noch bis zum Ablauf der Frist ausgeglichen werden.3 Nimmt der Erwerber die Vollverschonung in Anspruch, beträgt die Mindestlohnsumme, für die eine Frist von sieben Jahren gilt, 700 % (§ 13a Abs. 10 Satz 1 Nr. 2 und 3 ErbStG).

6.301

Anzahl der Beschäftigten. Die Lohnsummenregelung findet keine Anwendung, wenn die Ausgangslohnsumme null beträgt oder es sich um einen Betrieb mit nicht mehr als fünf Beschäftigten handelt (§ 13a Abs. 3 Satz 3 ErbStG). Nach alter Rechtslage war die Lohnsummenregelung sowohl für die Regel- als auch für die Optionsverschonung nur anwendbar bei Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten.4 Für kleinere Betriebe mit mehr als fünf, aber nicht mehr als 15 Beschäftigten greift nach neuem Recht nunmehr eine gestufte Lohnsummenregelung. So müssen Betriebe mit mehr als fünf, aber nicht mehr als zehn Beschäftigten eine Lohnsumme von 250 % (Regelverschonung) bzw. 500 % (Optionsverschonung) einhalten. Bei 1 Viskorf/Löcherbach/Jehle, DStR 2016, 2425 (2431); ebenso Geck in Kapp/Ebeling, § 13a ErbStG Rz. 207 (Stand: März 2020); Weber, DStZ 2017, 13 (18). 2 R E 13a.20 Abs. 7 Satz 1 ErbStR 2019. 3 Geck in Kapp/Ebeling, § 13a ErbStG Rz. 59 (Stand: März 2020). 4 Während § 13a Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 i.V.m. § 13a Abs. 3 Satz 11 f. ErbStG in der aktuellen Fassung ausdrücklich vorschreibt, dass die Beschäftigten von Gesellschaften, an denen eine Beteiligung besteht, bei der Ermittlung der Zahl der Beschäftigten eines Betriebs einzubeziehen sind, sah § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG a.F. in der bis zum 6.6.2013 geltenden Fassung dies nicht ausdrücklich vor. Der BFH entschied bezüglich der alten Rechtslage im Einklang mit dem Wortlaut, dass die Beschäftigten einer Tochtergesellschaft nicht zu berücksichtigen sind, s. BFH v. 14.11.2018 – II R 34/ 15, BFH/NV 2019, 468. Das Urteil hat im Hinblick auf die langen Lohnsummen- und Behaltensfristen auch aktuelle Bedeutung (für Altfälle).

468 | Wiese/Lukas

E. Erbschaft- und Schenkungsteuer | Rz. 6.304 Kap. 6

mehr als zehn, aber nicht mehr als 15 Beschäftigten liegt die einzuhaltende Lohnsumme bei 300 % (Regelverschonung) bzw. 565 % (Optionsverschonung), § 13a Abs. 3 Satz 4 ErbStG. Nur Kleinstbetriebe mit maximal fünf Arbeitnehmern sind von der Lohnsummenregelung ausgenommen. Im Falle einer Betriebsaufspaltung sind Besitz- und Betriebsgesellschaft hinsichtlich ihrer Lohnsummen und Mitarbeiterzahlen zusammenzufassen (§ 13a Abs. 3 Satz 13 ErbStG). Stimmen in der Literatur gehen von einer weiten Fassung des Begriffs der Betriebsaufspaltung aus, der alle denkbaren Arten der Betriebsaufspaltung umfasst.1 Die Finanzverwaltung verweist auf den erbschaftsteuerlichen Begriff der Betriebsaufspaltung in § 13b Abs. 4 Nr. 1 Satz 2 Buchst. a ErbStG.2 Erfasste Beschäftigte. Teilzeitkräfte sind mit ihrer Kopfzahl in die Mitarbeiterzahl miteinzubeziehen, so dass die jeweils maßgeblichen Beschäftigungsuntergrenzen schneller erreicht werden.3 Eine Umrechnung der Teilzeitbeschäftigten auf der Grundlage der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit (wie z.B. bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs des KSchG) erfolgt nicht.4 Der Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH zählt zu den Beschäftigten des Betriebs; im Falle einer Personengesellschaft gilt dies jedoch nicht,5 da der Gesellschafter-Geschäftsführer einer Personengesellschaft Mitunternehmer ist und seine Einnahmen Sonderbetriebseinnahmen sind. Erfolgt ein Formwechsel von einer Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft, sind mit der Eintragung ins Handelsregister die ab diesem Zeitpunkt an die Geschäftsführung gezahlten Vergütungen in die Lohnsumme einzubeziehen.6

6.302

Leiharbeitnehmer. Nicht mitgezählt werden auch Leiharbeitnehmer; zudem bleiben die an sie gezahlten Vergütungen außer Ansatz.7 Daraus ergibt sich ein gestalterischer Spielraum, wenn Arbeitnehmer vor der Durchführung der Nachfolge auf eine betriebliche Einheit übertragen werden, die nicht Gegenstand der Schenkung oder des Erbfalls ist.8 Wenn diese Arbeitnehmer als Leiharbeitnehmer weiterhin ihre Tätigkeit in der verschenkten oder vererbten betrieblichen Einheit ausüben, führt dies zu keiner Berücksichtigung für Zwecke der Lohnsumme im übertragenden Betrieb.9

6.303

Erfasste Vergütungen. Von der Lohnsumme umfasst sind alle Vergütungen, die im maßgebenden Wirtschaftsjahr an die auf den Lohn- und Gehaltslisten erfassten Beschäftigten gezahlt worden sind (§ 13a Abs. 3 Satz 6 ErbStG). Dazu zählen sämtliche Geld- und Sachleistungen unabhängig von der Regelmäßigkeit ihrer Zahlung, Prämien, Abfindungen, Sondervergütungen etc. sowie alle von den Beschäftigten zu entrichtenden Sozialabgaben, auch wenn

6.304

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Erkis, DStR 2015, 1409 (1410); Söffing, ErbStB 2015, 235 (249). R E 13a.4 Abs. 2 Satz 15 ErbStR 2019. Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 13a ErbStG Rz. 85 (Stand: November 2016). R E 13a.20 Abs. 2 Satz 5 ErbStR 2019; Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13a ErbStG Rz. 71. Darin wird z.T. eine verfassungswidrige Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigung gesehen, Wachter, FR 2016, 690 (698). Koordinierter Ländererl. v. 22.6.2017, FinBeh HH – S 3715 - 2017/001 - 53, BStBl. I 2017, 902, H 13a.4; Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13a ErbStG Rz. 70; Geck in Kapp/Ebeling, § 13a ErbStG Rz. 32 (Stand: März 2020). Geck in Kapp/Ebeling, § 13a ErbStG Rz. 32 (Stand: März 2020). R E 13a.4 Abs. 2 Satz 8 ErbStR 2019; Geck in Kapp/Ebeling, § 13a ErbStG Rz. 37 (Stand: März 2020); Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13a ErbStG Rz. 69; Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 13a ErbStG Rz. 89 (Stand: November 2017). Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13a ErbStG Rz. 69. Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13a ErbStG Rz. 69. Der BFH hat diese Auffassung als zutreffend erachtet, BFH v. 27.9.2012 – II R 9/11, BStBl. II 2012, 899 Rz. 145.

Wiese/Lukas | 469

Kap. 6 Rz. 6.304 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

diese vom Arbeitgeber einbehalten und direkt abgeführt werden (§ 13a Abs. 3 Satz 8 ff. ErbStG). Umfasst ist bei Kapitalgesellschaften auch der tatsächlich gezahlte „Unternehmerlohn“ des Gesellschafter-Geschäftsführers.1 Soweit es sich bei diesen Zahlungen um verdeckte Gewinnausschüttungen handelt, sind diese als Kapitaleinkünfte zu behandeln und fließen nicht mit in die Ausgangslohnsumme ein.2

6.305

Ausgenommene Vergütungen. Das Gesetz zählt in § 13a Abs. 3 Satz 7 ErbStG eine Reihe von Personen auf, deren Vergütungen nicht in den Lohnsummentest einbezogen werden, weil ihre Einbeziehung die Lohnsummenberechnung verfälschen könnte. Erwähnenswert sind hier die Beschäftigten, die „nicht ausschließlich oder überwiegend“ im Betrieb tätig sind (§ 13a Abs. 1 Satz 7 Nr. 5 ErbStG). Die überwiegende Tätigkeit ist nach der durchschnittlichen Arbeitszeit der entsprechenden Branche zu beurteilen. Erreicht sie einen Anteil von mindestens 50 %, ist eine überwiegende Tätigkeit gegeben.3

6.306

Vergütungen an Beschäftigte in Konzerngesellschaften. Nach § 13a Abs. 3 Satz 11 f. ErbStG sind in die Lohnsumme auch die Vergütungen mit einzubeziehen, die Beschäftigte von Gesellschaften im Inland, im EU- und im EWR-Bereich erhalten, wenn die Gesellschaft, die Gegenstand der Übertragung ist, an diesen Gesellschaften mittel- oder unmittelbar beteiligt ist. Die Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft muss dabei mindestens 25 % betragen (§ 13a Abs. 3 Satz 12 ErbStG). Dies entspricht der bisherigen Verwaltungspraxis. Die in diesen Gesellschaften gezahlten Löhne und Gehälter sind – ebenso wie die Anzahl der dort beschäftigten Mitarbeiter – anteilig in die Lohnsumme des übertragenen Betriebs einzubeziehen. Die Finanzverwaltung hat sich in einem klarstellenden gleichlautenden Ländererlass4 zur Anwendung der (Vorgänger-)Vorschrift in mehrstufigen Beteiligungsstrukturen geäußert. Demnach sind unmittelbare Beteiligungen von mehr als 25 % auf jeder Stufe zu berücksichtigen.5 Eine „Durchrechnung“ der Beteiligungsquote von der obersten Einheit aus erfolgt danach gerade nicht. Bei Beteiligungen an Personengesellschaften ist keine Mindestbeteiligungsquote zu beachten.6 Aufgrund des Stichtagsprinzips sind nur solche Beteiligungen in die Berechnung der Ausgangslohnsumme mit einzubeziehen, die im Besteuerungszeitpunkt zum begünstigt übertragenen Betrieb gehören.7 Umstritten ist, ob hier entsprechend der ertragsteuerlichen Sichtweise der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums auf den Erwerber maßgeblich ist.8 Nach Ansicht der Finanzverwaltung sind Mitarbeiter von Tochtergesellschaften, deren Anteile bzw. Beteiligungen im Sonderbetriebsvermögen gehalten werden, bei Personengesellschaften ebenfalls hinzuzurechnen.9 1 Geck in Kapp/Ebeling, § 13a ErbStG Rz. 32 (Stand: März 2020); Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/ Gottschalk, § 13a ErbStG Rz. 82 (Stand: November 2017). 2 Geck in Kapp/Ebeling, § 13a ErbStG Rz. 32 (Stand: März 2020). 3 Geck in Kapp/Ebeling, § 13a ErbStG Rz. 37 (Stand: März 2020); vorsichtiger („indizielle Bedeutung“) Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 13a ErbStG Rz. 89 (Stand: November 2017). 4 Gleichlautende Ländererl. v. 5.12.2012, FinBeh HH – 53 - S 3812a - 005/12, BStBl. I 2012, 1250. 5 Kritisch Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13a ErbStG Rz. 89. 6 Geck in Kapp/Ebeling, § 13a ErbStG Rz. 43 (Stand: März 2020); Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13a ErbStG Rz. 88; Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 13a ErbStG Rz. 105 (Stand: November 2017). 7 Geck in Kapp/Ebeling, § 13a ErbStG Rz. 42 (Stand: März 2020). 8 Dafür Geck in Kapp/Ebeling, § 13a ErbStG Rz. 42 (Stand: März 2020); Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 13a ErbStG Rz. 107 (Stand: November 2017); zu § 17 EStG auch BFH v. 17.2.2004 – VIII R 26/01, BStBl. II 2004, 651, a.A. FG Düsseldorf v. 5.4.2006 – 4 K 3585/02, EFG 2006, 991 (rkr.). 9 R E 13a.4 Abs. 2 Satz 14 ErbStR 2019.

470 | Wiese/Lukas

E. Erbschaft- und Schenkungsteuer | Rz. 6.309 Kap. 6

b) Rechtsfolgen Unterschreiten der Lohnsumme. Bei der Lohnsummenkontrolle handelt es sich um die für den Erwerber am schwierigsten einzuschätzende Begünstigungsvoraussetzung, ist sie doch oftmals der persönlichen Einflussnahme und Gestaltungsfreiheit (z.B. durch konjunkturelle Unwägbarkeiten) entzogen. Dennoch sind die Auswirkungen eines Verstoßes nicht so gravierend, wie es vielfach angenommen wird. Unterschreitet die tatsächliche Lohnsumme die Mindestlohnsumme, so ist im prozentualen Umfang dieser Unterschreitung der Verschonungsabschlag von 85 % bzw. 100 % zu kürzen (§ 13a Abs. 1 Satz 5 ErbStG). Ob ein solcher Verstoß vorliegt, kann jedoch erst nach Ablauf des Kontrollzeitraums festgestellt werden. Im Falle eines Verstoßes liegt ein rückwirkendes Ereignis i.S.v. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vor. Der ursprüngliche Erbschaftsteuerbescheid ist rückwirkend zu ändern.1

6.307

7. Behaltensregelung Bedeutung und Allgemeines. Im Gegenzug für die Inanspruchnahme der Verschonungsregeln für unternehmerisches Vermögen muss der Erwerber das begünstigt erworbene Vermögen für eine bestimmte Zeit in eigener Hand und im Wesentlichen unverändert fortführen. Als Ausgleich und Rechtfertigung für die Verschonung sind diese Behaltensregelungen verfassungsrechtlich vorgegeben.2 § 13a Abs. 6 ErbStG enthält einen Katalog von Nachsteuertatbeständen. Bei einem Verstoß gegen die dort genannten Voraussetzungen innerhalb von fünf bzw. sieben Jahren kommt es zu einem rückwirkenden Wegfall des Verschonungsabschlags nach § 13a Abs. 2 ErbStG und des Abzugsbetrags nach § 13a Abs. 1 ErbStG und damit zu einer rückwirkenden Besteuerung des vormals verschonten Erwerbs. Dabei kommt das sog. Abschmelzungsmodell zur Anwendung (s. Rz. 6.317). Die Gewährung der Verschonungsabschläge ist somit auflösend bedingt durch einen Verstoß gegen die Behaltensregelung.3

6.308

Schädliche Verfügungen. Trifft der Erwerber eine schädliche Verfügung über das begünstigt erworbene Vermögen innerhalb der Behaltensfrist, z.B. indem er dieses veräußert, fallen der Verschonungsabschlag und der Abzugsbetrag mit Wirkung für die Vergangenheit weg. Unter einer Veräußerung gem. § 13a Abs. 6 ErbStG ist ein entgeltlicher oder zumindest teilentgeltlicher Vorgang zu verstehen.4 – Soweit der Vorgang teilentgeltlich ist, wird die Nachsteuer nur hinsichtlich des entgeltlichen Teils ausgelöst.5 Bei Veräußerungen ist der Nachsteuertatbestand nach restriktiver Auffassung bereits mit Abschluss des obligatorischen Rechtsgeschäfts verwirklicht.6 Die von der Behaltensfrist erfassten Veräußerungsvorgänge sind in § 13a Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 ErbStG abschließend geregelt.7 Daraus folgt, das kein Verstoß gegen die Behaltensregelungen vorliegt, wenn der Erwerber einem Dritten ein obligatorisches oder dingliches Nutzungsrecht einräumt.8 Im Wesentlichen sind die folgenden Vorgänge von der Behaltensregelung erfasst.

6.309

Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13a ErbStG Rz. 45. Vgl. BVerfG v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BStBl. II 2015, 50 Rz. 230. Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13a ErbStG Rz. 135. Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 13a ErbStG Rz. 216 (Stand: November 2017). Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 13a ErbStG Rz. 216 (Stand: November 2017). R E 13a.13 Abs. 1 Satz 2 ErbStR 2019; Weinmann in Moench/Weinmann, § 13a ErbStG Rz. 122 (Stand: Dezember 2017); a.A. Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13a ErbStG Rz. 139. 7 Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 13a ErbStG Rz. 194 (Stand: November 2017). 8 Koordinierter Ländererl. v. 22.6.2017, FinBeh HH – S 3715 - 2017/001 - 53, BStBl. I 2017, 902, H 13a.11; Weinmann in Moench/Weinmann, § 13a ErbStG Rz. 134 (Stand: Dezember 2017).

1 2 3 4 5 6

Wiese/Lukas | 471

Kap. 6 Rz. 6.310 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

6.310

Veräußerung des Unternehmens. Schädlich ist die Veräußerung eines Gewerbebetriebs, eines Teilbetriebs, eines Anteils an einer gewerblich oder freiberuflich tätigen Gesellschaft, eines Anteils eines persönlich haftenden Gesellschafters einer KGaA oder eines Anteils daran (§ 13a Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 ErbStG). Dem gleichgestellt ist die Aufgabe des Gewerbebetriebs, eines Teilbetriebs oder eines Mitunternehmeranteils. Besonderheiten ergeben sich bei der Veräußerung eines Anteils an einer gewerblichen oder freiberuflichen Personengesellschaft: Ist der Erwerber eines solchen Anteils bereits vor dessen begünstigtem Erwerb an der Gesellschaft beteiligt und veräußert er anschließend innerhalb der Behaltensfrist einen Teil seiner verstärkten gesamthänderischen Berechtigung, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, dass er zunächst die ihm bereits früher gehörenden Anteile veräußert.1 Bleibt der Erwerber nach der Teilveräußerung mindestens in dem Umfang der begünstigt hinzuerworbenen Beteiligung beteiligt, wird daher keine Nachsteuer ausgelöst.2

6.311

Veräußerung wesentlicher Betriebsgrundlagen. Schädlich ist es gem. § 13a Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 ErbStG auch, wenn wesentliche Betriebsgrundlagen eines Gewerbebetriebs veräußert oder in das Privatvermögen überführt oder anderen betriebsfremden Zwecken zugeführt werden. Ob es sich bei einem Wirtschaftsgut um eine wesentliche Betriebsgrundlage handelt, richtet sich nach den Grundsätzen des Ertragsteuerrechts. Demnach muss es sich um eine funktional wesentliche Betriebsgrundlage handeln.3 Dazu gehören die Wirtschaftsgüter, die zur Erreichung des Betriebszwecks erforderlich sind und denen ein besonderes wirtschaftliches Gewicht für die Betriebsführung zukommt, unabhängig davon, ob in ihnen stille Reserven ruhen.4

6.312

Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen. § 13a Abs. 6 Satz 1 Nr. 4 ErbStG enthält eine spezielle Behaltensregelung für Kapitalgesellschaftsanteile i.S.v. § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG. War der Erwerber bereits vor dem maßgeblichen Besteuerungszeitpunkt an der Gesellschaft beteiligt, kann bei einer teilweisen Veräußerung seiner Anteile davon ausgegangen werden, dass er zunächst die ihm bereits früher gehörenden Anteile veräußert.5 Der Veräußerung der Kapitalgesellschaftsanteile wird die verdeckte Einlage der Anteile in eine andere Kapitalgesellschaft gleichgestellt. Werden die Anteile in eine Kapitalgesellschaft gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten eingebracht (beispielsweise nach § 21 UmwStG), liegt darin noch kein Verstoß gegen die Behaltensregelung.6 Ebenso ist die Einbringung der Anteile in eine Personengesellschaft gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten, durch die der Einbringende Mitunternehmer wird, kein Verstoß gegen die Behaltensregelungen.7 Dies gilt jedoch nur, soweit es zu keinen Wertverschiebungen kommt. Ist in den Fällen einer Sacheinlage oder eines Anteilstauschs in diesem Zeitpunkt der gemeine Wert der Anteile, die der Einbringende erhält, geringer als der gemeine Wert des eingebrachten Vermögens oder der Anteile, liegt nach Verwaltungsauffassung eine anteilige schädliche Verfügung über das erworbene begünstigte Vermögen vor. Das gilt auch dann, wenn hinsichtlich der Gesellschafter an beiden Gesellschaften Personenidentität besteht.8 1 2 3 4 5 6

R E 13a.13 Abs. 1 Satz 4 ErbStR 2019. BFH v. 26.2.2014 – II R 36/12, BStBl. II 2014, 581. Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13a ErbStG Rz. 142. S. nur BFH v. 17.4.1997 – VIII R 2/95, BStBl. II 1998, 388 m.w.N. R E 13a.16 Abs. 1 Satz 3 ErbStR 2019. R E 13a.16 Abs. 3 Satz 1 ErbStR 2019; Geck in Kapp/Ebeling, § 13a ErbStG Rz. 142 (Stand: März 2020). 7 R E 13a.16 Abs. 3 Satz 2 ErbStR 2019. 8 R E 13a.16 Abs. 4 Satz 2 ErbStR 2019.

472 | Wiese/Lukas

E. Erbschaft- und Schenkungsteuer | Rz. 6.315 Kap. 6

Aufhebung einer Poolvereinbarung. Die Nachsteuer wird nach § 13a Abs. 6 Satz 1 Nr. 5 ErbStG auch dann ausgelöst, wenn Poolvereinbarungen oder Stimmrechtsbindungen, die zur Erreichung der Mindestbeteiligungsquote nach § 13b Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 ErbStG abgeschlossen wurden, aufgehoben werden. Fraglich ist, ob der Erwerber dem Poolvertrag, in dem ein begünstigt erworbener Anteil gebunden ist, beitreten muss. Im Schrifttum wird dies an einer Stelle bejaht, da ansonsten ein Verstoß gegen die Behaltensregelung vorliege; insofern stehe der Nichtbeitritt des Erwerbers zum Pool der sofortigen Aufhebung der Poolbindung gleich.1 Nach unserer Auffassung gilt dieses Erfordernis aber jedenfalls dann nicht, wenn der Übertragende nicht seine gesamte Beteiligung auf den Erwerber überträgt und mit seiner Rest-Beteiligung in der Poolvereinbarung gebunden bleibt, es sei denn, die Poolbindung sieht ausschließlich eine Übertragung auf derselben Verpflichtung unterliegende Erwerber vor.2 Sinkt infolge von Übertragungsvorgängen die gesamte Beteiligung der Poolmitglieder auf 25 % oder weniger, entfällt nach Auffassung der Finanzverwaltung die Begünstigung für sämtliche Poolmitglieder.3 Es ist daher empfehlenswert, entsprechende Schadensersatzklauseln in die Poolvereinbarungen aufzunehmen.4

6.313

Schädliche Entnahmen bzw. Ausschüttungen. Nach § 13a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 ErbStG wird die Nachsteuer auch dann ausgelöst, wenn der Erwerber Entnahmen tätigt oder Ausschüttungen vornimmt, die die Summe der ihm zuzurechnenden Gewinnanteile seit dem Erwerb um mehr als 150.000 Euro übersteigen. Der Nachsteuer unterliegt dann der Überentnahmebetrag bis zur Höchstgrenze des gemeinen Werts des ursprünglich begünstigten Vermögens.5 Der Freibetrag ist erwerberbezogen und wird für jede übertragene betriebliche Einheit des begünstigten Vermögens gesondert gewährt.6 Die Begriffe Entnahme, Einlage, Gewinn und Verlust sind nach den Grundsätzen des Ertragsteuerrechts zu beurteilen; maßgebend hierfür ist der Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG.7 Die Sachentnahme eines Vermögensgegenstandes, der im Besteuerungszeitpunkt zum begünstigten Vermögen gehört, ist mit dem ertragsteuerlichen Entnahmewert im Entnahmezeitpunkt anzusetzen.8 Bei Kapitalgesellschaften können schädliche Ausschüttungen nur vorliegen, wenn dafür vor dem Besteuerungszeitraum gebildete Rücklagen aufgelöst werden. Im Behaltenszeitraum erzielte Gewinne können ohne Verstoß gegen die Behaltensregelungen ausgeschüttet werden.9 Grundsätzlich unerheblich ist, wofür der Erwerber das entnommene Vermögen verwendet.10 Eine teleologische Reduktion der Norm soll selbst dann nicht erfolgen, wenn der Erwerber eine Entnahme zur Begleichung seiner Erbschaftsteuerschuld tätigt.11

6.314

Verfahren. Verfahrensrechtlich handelt es sich bei einem Verstoß gegen die Behaltensregelungen um ein rückwirkendes Ereignis nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO, das zu einer nach-

6.315

1 Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13a ErbStG Rz. 180. 2 So wohl auch Meincke/Hannes/Holtz17, § 13b ErbStG Rz. 27. 3 R E 13a.17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2, Nr. 3 ErbStR 2019, Nr. 3; a.A. Geck in Kapp/Ebeling, § 13a ErbStG Rz. 154 (Stand: März 2020). 4 So auch Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 13a ErbStG Rz. 407 (Stand: November 2017). 5 Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13a ErbStG Rz. 194. 6 Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13a ErbStG Rz. 156. 7 R E 13a.15 Abs. 1 Satz 4 ErbStR 2019. 8 R E 13a.15 Abs. 1 Satz 5 ErbStR 2019. 9 Weinmann in Moench/Weinmann, § 13a ErbStG Rz. 156 (Stand: Dezember 2017). 10 R E 13a.12 Abs. 1 Satz 1 ErbStR 2019; Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13a ErbStG Rz. 156. 11 Vgl. R E 13a.15 Abs. 1 Satz 2 ErbStR 2019; ausdrücklich BFH v. 11.11.2009 – II R 63/08, BStBl. II 2010, 305.

Wiese/Lukas | 473

Kap. 6 Rz. 6.315 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

träglichen Änderung des Steuerbescheids führt.1 Die Behaltensfrist ist für jeden Erwerber gesondert zu prüfen.2

6.316

Abschmelzungsmodell. Nach § 13a Abs. 6 Satz 2 ErbStG gilt für die Berechnung der Nachsteuer bei Behaltensfristverstößen – mit Ausnahme der Überentnahmen – ein Abschmelzungsmodell. Hierbei bleibt dem Erwerber für jedes volle Jahr, für das er das geschenkte oder ererbte Vermögen ohne einen Verstoß gegen die Behaltensregelungen hält, 1/5 (Regelverschonung) bzw. 1/7 (Vollverschonung) des ursprünglich gewährten Verschonungsabschlags erhalten.3 Für die Bestimmung der Nachsteuer sind die Wertverhältnisse zum Stichtag des begünstigten Erwerbs maßgeblich.4 Ein in der Zwischenzeit eingetretener Wertverlust ist daher irrelevant.

F. Grunderwerbsteuer I. Grunderwerbsteuer in der Unternehmensnachfolge 6.317

Bedeutung der Grunderwerbsteuer für die Nachfolgeplanung. Wenn inländische Grundstücke zum übertragenen unternehmerischen Vermögen gehören, sind auch mögliche grunderwerbsteuerliche Folgen des Übertragungsvorgangs in den Blick zu nehmen. Die Schenkung und der Erwerb von Grundstücken von Todes wegen sind zwar grundsätzlich von der Grunderwerbsteuer befreit (§ 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG), um eine Doppelbelastung mit Erbschaftsteuer und Grunderwerbsteuer zu vermeiden. Dies gilt ganz allgemein auch bei Übertragungen auf Ehegatten und Lebenspartner (§ 3 Nr. 4 GrEStG) und Verwandten in gerader Linie (§ 3 Nr. 6 GrEStG); diese sind steuerbefreit. Dennoch können im Rahmen der Nachfolgeplanung grunderwerbsteuerliche Fragen von Bedeutung sein, wenn Betriebsgrundstücke oder Anteile an grundbesitzenden Gesellschaften übertragen werden sollen.

II. Gegenstand der Grunderwerbsteuer 6.318

Steuerbare Vorgänge und Steuerbefreiungen. Grundsätzlich unterliegt jede entgeltliche Übertragung von inländischem Grundbesitz der Grunderwerbsteuer. Neben den in § 1 Abs. 1 GrEStG genannten Erwerbsvorgängen, die sich unmittelbar auf inländische Grundstücke beziehen, knüpft das Gesetz in § 1 Abs. 2a, Abs. 3 und Abs. 3a GrEStG grunderwerbsteuerliche Folgen auch an Rechtsgeschäfte, die auf die Übertragung von Anteilen an grundbesitzenden Personen- und Kapitalgesellschaften gerichtet sind. §§ 3 bis 7 GrEStG sehen Ausnahmen von der Besteuerung vor.

6.319

Gemischte Schenkung. Nach § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG sind der Grundstückserwerb von Todes wegen und Grundstücksschenkungen unter Lebenden i.S.d. ErbStG von der Besteuerung ausgenommen. Ob eine Grundstücksschenkung vorliegt, ist für grunderwerbsteuerliche Zwecke gesondert – und nicht zwingend in Übereinstimmung mit dem Ertragsteuerrecht – zu bestimmen. Liegt etwa ertragsteuerlich eine (unentgeltliche) Unternehmensübertragung gegen Ver1 R E 13a.12 Abs. 1 Satz 4 ErbStR 2019; Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13a ErbStG Rz. 135; Weinmann in Moench/Weinmann, § 13a ErbStG Rz. 125 (Stand: Dezember 2017); Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 13a ErbStG Rz. 199 (Stand: November 2017). 2 R E 13a.12 Abs. 1 Satz 3 ErbStR 2019. 3 Vgl. dazu Stalleiken in v. Oertzen/Loose2, § 13a ErbStG Rz. 188. 4 R E 13a.19 Abs. 1 Satz 2 ErbStR 2019.

474 | Wiese/Lukas

F. Grunderwerbsteuer | Rz. 6.322 Kap. 6

sorgungsleistungen vor, ist grunderwerbsteuerlich dennoch Teilentgeltlichkeit gegeben.1 Teilentgeltliche Grundstückserwerbe von Todes wegen oder teilentgeltliche Grundstücksschenkungen unter Lebenden sind nach § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG insoweit von der Grunderwerbsteuer befreit, als der Wert des Grundstücks den Wert der Gegenleistung oder den Wert der Auflage übersteigt. Der Nominalwert der vom Beschenkten erbrachten Gegenleistung ist hingegen grunderwerbsteuerpflichtig.2 Die in der Übertragung enthaltene (teil-)entgeltliche Grundstücksübertragung kann aber insoweit von der Grunderwerbsteuer befreit sein, als eine andere Steuerbefreiung eingreift (insb. bei Ehegatten und Verwandten in gerader Linie, s.o.). Schenkung unter Auflage. Für die Schenkung unter Auflage ordnet § 3 Nr. 2 Satz 2 GrEStG an, dass nur hinsichtlich des Werts solcher Auflagen Steuerpflicht besteht, die bei der Erbschaftsteuer abziehbar sind. Auch hier sind Leistungs- und Duldungsauflagen in den Blick zu nehmen (s. im Zusammenhang mit der Erbschaftsteuer bereits Rz. 6.188 ff.). Eine Leistungsauflage liegt vor, wenn der Beschenkte zu Geld- oder Sachleistungen verpflichtet ist, indem er z.B. Grundstücksbelastungen übernehmen muss oder zu Rentenzahlungen an den Schenker verpflichtet ist. In diesen Fällen ist er in dieser Höhe nicht auf Kosten des Schenkers bereichert, und es gelten die Grundsätze über die gemischte Schenkung entsprechend. Somit ist auch hier stets die vom Bedachten erbrachte Gegenleistung mit ihrem Nominalwert grunderwerbsteuerpflichtig.3 Eine Nutzungs- oder Duldungsauflage, z.B. in Gestalt eines Nießbrauchs oder Wohnrechts, mindert erbschaftsteuerlich die Bereicherung des Beschenkten (§ 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG). Der Grundstückserwerb unterliegt daher mit dem Wert der Auflage der Grunderwerbsteuer.4 Dabei ist unerheblich, ob der Wert der Auflage tatsächlich bei der Erbschaftsteuer abgezogen worden ist und ob die Grundstücksschenkung insgesamt von der Erbschaftsteuer befreit ist.5

6.320

Nießbrauch und Grunderwerbsteuer. Bei Nießbrauchsrechten an Gesellschaftsanteilen ist zwischen der Einräumung des Nießbrauchs und der Übertragung der Anteile unter Nießbrauchsvorbehalt zu unterscheiden: Die Einräumung des Nießbrauchs an einem Personenoder Kapitalgesellschaftsanteil einer grundbesitzenden Gesellschaft löst keine Grunderwerbsteuer aus.6 Wird ein mit dem Nießbrauch belasteter Gesellschaftsanteil einer mittel- oder unmittelbar grundbesitzenden Personengesellschaft übertragen, handelt es sich unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2a GrEStG um einen steuerbaren Vorgang. Wird ein Anteil an einer Kapitalgesellschaft, die mittel- oder unmittelbar Grundbesitz hält, unter Nießbrauchsvorbehalt übertragen, liegt unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 GrEStG ein grunderwerbsteuerbarer Vorgang vor. Diese Vorgänge sind aber jeweils, soweit sie unentgeltlich erfolgen, von der Grunderwerbsteuer befreit (§ 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG).

6.321

RETT-Blocker-Strukturen. § 1 Abs. 3a GrEStG enthält einen ergänzenden Steuertatbestand für sog. RETT-Blocker-Strukturen. Diese Strukturen zielen darauf ab, die grundstücksrechtliche Neuzuordnung eines inländischen Grundstücks bei einem Rechtsträgerwechsel durch die Zwischenschaltung einer Gesellschaft, an der ein Dritter wirtschaftlich nicht oder nur geringfügig beteiligt ist, zu verhindern. Nach § 1 Abs. 3a GrEStG unterliegen auch Rechtsvorgänge der Steuer, bei denen aufgrund einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise ein Rechtsträ-

6.322

1 2 3 4 5 6

Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 490 (Stand: April 2014/Dezember 2018). Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 491 (Stand: Dezember 2018). Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 491 (Stand: Dezember 2018). BFH v. 12.7.2016 – II R 57/14, BStBl. II 2016, 897. BFH v. 12.7.2016 – II R 57/14, BStBl. II 2016, 897. Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 494 (Stand: Dezember 2018).

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Kap. 6 Rz. 6.322 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

ger eine mittel- oder unmittelbare Beteiligung i.H.v. mindestens 95 % am Kapital oder Vermögen einer Gesellschaft1 innehat. Die Vorschrift ist rechtsformneutral. Um eine Grunderwerbsteuerbarkeit nach § 1 Abs. 3a GrEStG zu vermeiden, empfiehlt es sich, auf Rechtsformen zurückzugreifen, an denen selbst keine gesellschaftsrechtlichen Beteiligungen bestehen können. Wenn eine Stiftung einen Anteil von 5,1 % an einer grundbesitzenden Gesellschaft hält, kann die Grunderwerbsteuer so dauerhaft vermieden werden.2

III. Kapitalgesellschaften 6.323

Steuerbarkeit bei Anteilsvereinigung. Gem. § 1 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 GrEStG unterliegen die Vereinigung oder Übertragung von (mittel- oder unmittelbar) mindestens 95 % der Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft3 der Grunderwerbsteuer. Die Norm ist auf Kapitalund Personengesellschaften gleichermaßen anwendbar. Mit dem Anteilserwerb wird grunderwerbsteuerrechtlich derjenige, in dessen Hand sich die Anteile vereinigen, so behandelt, als habe er die Grundstücke von der Gesellschaft erworben, deren Anteile sich in seiner Hand vereinigen.4 § 1 Abs. 3 GrEStG trägt damit dem Umstand Rechnung, dass demjenigen, der mindestens 95 % der Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft in seiner Hand vereinigt, eine dem zivilrechtlichen Eigentum an einem Grundstück vergleichbare Rechtsstellung zukommt.5 Die Norm knüpft an unterschiedliche (fingierte) Übertragungsarten des Grundbesitzes an. Bei der Anteilsvereinigung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 GrEStG erfolgt der fingierte Erwerb des Grundstücks von der Gesellschaft, indem die der Gesellschaft gehörenden Grundstücke der Person zugeordnet werden, die mindestens 95 % der Gesellschaftsanteile bei sich vereint. Eine Vereinigung der Anteile ist z.B. dann gegeben, wenn ein verbleibender Gesellschafter beim Ausscheiden aller anderen Gesellschafter die Gesellschaftsanteile der anderen Gesellschafter übernimmt.6 Aufgrund der fingierten Zuordnung ist derjenige Steuerschuldner, der nach dem Erwerb mindestens 95 % der Anteile bei sich vereint (§ 13 Nr. 5 Buchst. a GrEStG).

6.324

Steuerbarkeit bei Anteilsübertragung. Bei einer Anteilsübertragung nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 und Nr. 4 GrEStG wird ein Grundstücksübergang durch die Übertragung von mindestens 95 % der Anteile7 vom Veräußerer auf den Erwerber fingiert.8 Durch die Anteilsübertragung nach §§ 1 Abs. 3 Nr. 3 und Nr. 4 GrEStG wird nicht der Erwerb der Anteile als solcher, sondern die dadurch begründete Zuordnung der der Gesellschaft gehörenden Grundstücke besteuert. Der Übergang von mindestens 95 % der Anteile wird dem Grundstückserwerb gleichgestellt. Es liegt somit ein fingierter Grundstückserwerb von dem die Anteile übertragenden Gesellschafter auf den die Anteile erhaltenden Gesellschafter vor. Steuerschuldner sind der bisherige Anteilseigner und der Anteilserwerber (§ 13 Nr. 1 GrEStG).9 Für die Besteuerung ist

1 Die Bundesregierung hat dem Bundesrat im Juli 2019 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des GrEStG zugeleitet. Dieser sieht vor, die Beteiligungsgrenze auf 90 % abzusenken. 2 So auch Egner/Geißler, DStZ 2015, 333 (336). 3 Die Bundesregierung hat dem Bundesrat im Juli 2019 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des GrEStG zugeleitet. Dieser sieht vor, die Beteiligungsgrenzen auf 90 % abzusenken. 4 Ständige Rechtsprechung, vgl. nur BFH v. 23.5.2012 – II R 21/10, BStBl. II 2012, 793. 5 So auch Meßbacher-Hönsch in Boruttau19, § 1 GrEStG Rz. 942; Pahlke in Pahlke6, § 1 GrEStG Rz. 317. 6 BFH v. 11.12.1974 – II R 30/69, BStBl. II 1975, 417. 7 Die Bundesregierung hat dem Bundesrat im Juli 2019 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des GrEStG zugeleitet. Dieser sieht vor, die Beteiligungsgrenze auf 90 % abzusenken. 8 So auch BFH v. 12.5.2016 – II R 26/14, BStBl. II 2016, 748. 9 BFH v. 31.3.2004 – II R 54/01, BStBl. II 2004, 658 Rz. 10.

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F. Grunderwerbsteuer | Rz. 6.326 Kap. 6

entscheidend, dass die Anteile in einer Hand verbleiben. Der getrennte Erwerb der Anteile durch mehrere Personen erfüllt daher nicht die Voraussetzungen von § 1 Abs. 3 Nr. 3 und Nr. 4 GrEStG.1 Die Bundesregierung hat dem Bundesrat im Juli 2019 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des GrEStG zugeleitet. Dieser sieht vor, auch für Kapitalgesellschaften einen dem § 1 Abs. 2a GrEStG (s. Rz. 6.328) entsprechenden Tatbestand einzuführen.

IV. Personengesellschaften 1. Grundstücksübertragungen unter Beteiligung der Gesellschafter Grunderwerbsteuer bei Gesamthandsgemeinschaften. Gesamthandsgemeinschaften werden im Grunderwerbsteuerrecht als selbständige Rechtsträger behandelt. Daher unterliegen auch Erwerbsvorgänge zwischen einer Gesamthandsgemeinschaft und den an ihr Beteiligten sowie Erwerbsvorgänge zwischen Gesamthandsgemeinschaften der Steuer.2 Die entgeltliche Veräußerung eines Grundstücks an die Gesamthand und umgekehrt ist somit zwar grunderwerbsteuerbar, allerdings wird nach Maßgabe der §§ 5 und 6 GrEStG die Grunderwerbsteuer nicht erhoben, soweit der übertragende oder erwerbende Gesamthänder am Vermögen der Gesamthand beteiligt ist.3 Gem. § 5 Abs. 3 GrEStG greift die Steuerbefreiung nicht ein, wenn sich der Anteil des Veräußerers am Vermögen der Gesamthand innerhalb von fünf Jahren4 nach dem Übergang des Grundstücks auf die Gesamthand vermindert. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist die Vorschrift telelogisch zu reduzieren, soweit eine Steuerumgehung ausgeschlossen ist.5 Die Vorschriften gelten allerdings nicht für die Übertragung von Grundstücken auf und von Kapitalgesellschaften.6

6.325

2. Übertragungen von Gesellschaftsanteilen Anteilserwerb bei Personengesellschaften nach § 1 Abs. 2a GrEStG. Durch § 1 Abs. 2a GrEStG soll die Übertragung von Anteilen an grundbesitzenden Personengesellschaften der Steuer unterworfen werden, wenn sie im wirtschaftlichen Ergebnis der Übertragung des Grundstücks gleichkommt.7 Zentrales Merkmal der Vorschrift ist die Änderung des Gesellschafterbestands. Ein Wechsel im Gesellschafterbestand i.S.d. Norm liegt vor, wenn sich bei einer grundbesitzenden Personengesellschaft innerhalb von fünf Jahren der Gesellschafterbestand mittel- oder unmittelbar so ändert, dass 95 % der Anteile auf neue Gesellschafter übergehen.8 Neue Gesellschafter i.S.d. Norm sind diejenigen Rechtsträger, die erst mit Erwerb der Gesellschafterstellung in die Mitberechtigung am Grundstück der Personengesellschaft eintreten; dies gilt auch dann, wenn die Berechtigung über weitere Personengesellschaften ge1 Pahlke in Pahlke6, § 1 GrEStG Rz. 390. 2 So auch Gleichlautende Ländererl. v. 12.11.2018, FinBeh HH – S 4514 - 2018/001 - 53, BStBl. I 2018, 1334 Rz. 1. 3 Gleichlautende Ländererl. v. 12.11.2018, FinBeh HH – S 4514 - 2018/001 - 53, BStBl. I 2018, 1334 Rz. 1. 4 Die Bundesregierung hat dem Bundesrat im Juli 2019 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des GrEStG zugeleitet. Dieser sieht vor, die Frist auf zehn Jahre zu erhöhen. 5 Gleichlautende Ländererl. v. 12.11.2018, FinBeh HH – S 4514 - 2018/001 – 53, BStBl. I 2018, 1334 Rz. 7.1. 6 Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 504 (Stand: Dezember 2018). 7 Meßbacher-Hönsch in Boruttau19, § 1 GrEStG Rz. 691. 8 Die Bundesregierung hat dem Bundesrat im Juli 2019 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des GrEStG zugeleitet. Dieser sieht vor, die Frist auf zehn Jahre zu erhöhen und die Beteiligungsgrenze auf 90 % abzusenken.

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6.326

Kap. 6 Rz. 6.326 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

mittelt wird.1 Eine Änderung der Anteilsverhältnisse im Kreis der Altgesellschafter ist nicht steuerbar.2 Von der Vorschrift umfasst sind nur Anteilsübertragungen unter Lebenden, der Erwerb von Anteilen von Todes wegen bleibt außer Betracht (§ 1 Abs. 2a Satz 6 GrEStG). Auch ausländische Personengesellschaften, deren rechtliche Struktur inländischen Personengesellschaften entspricht, werden von der Vorschrift erfasst.3 Grundstücke, die sich im Sonderbetriebsvermögen der Gesamthand befinden, stehen im Eigentum der jeweiligen Gesellschafter und fallen daher nicht in den Anwendungsbereich der § 1 Abs. 2a und Abs. 3 GrEStG.4

6.327

Anteilserwerb nach § 1 Abs. 3 GrEStG. Zu den Gesellschaften i.S.v. § 1 Abs. 3 GrEStG gehören auch Personengesellschaften,5 die Vorschrift ist rechtsformneutral. Hinsichtlich des § 1 Abs. 3 GrEStG kann daher allgemein auf das oben Gesagte verwiesen werden.6 Bei Personengesellschaften ergeben sich aber Besonderheiten. Der „Anteil der Gesellschaft“ ist bei unmittelbaren Beteiligungen an grundbesitzenden Personengesellschaften als gesamthänderische Mitberechtigung und bei Beteiligungen an zwischengeschalteten Personengesellschaften als die vermögensmäßige Beteiligung am Gesellschaftskapital zu verstehen.7 Da die gesamthänderische Mitberechtigung an einer Personengesellschaft einer Quotelung nicht zugänglich ist, scheidet eine den Tatbestand des § 1 Abs. 3 GrEStG erfüllende unmittelbare Vereinigung von mindestens 95 % der Anteile der Personengesellschaft aus.8 Allerdings ist eine teils mittelbare, teils unmittelbare Anteilsvereinigung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 GrEStG möglich.9 Für Personengesellschaften ist zudem zu beachten, dass die Beteiligungen nicht in der Weise auf einen Gesellschafter übertragen werden können, dass dieser alle Anteile in seiner Person vereinigt.10 Der Erwerb des letzten Anteils führt zur Anwachsung des Gesamthandsvermögens beim Erwerber und damit zum Erlöschen der Gesamthand.

V. Befreiungstatbestände 6.328

Anwendbarkeit der Steuerbefreiungen. Regelmäßig tritt die Grunderwerbsteuer hinter der Erbschaftsteuer zurück (s. Rz. 6.319 ff.). § 3 GrEStG enthält neben einer Befreiung für Bagatellfälle (Nr. 1) eine Reihe von personenbezogenen Befreiungsvorschriften (Nr. 2 – 7), insbesondere bei Ehegatten und Verwandten in gerader Linie (s. Rz. 6.331). Es kommt dabei auf die Beziehung des Erwerbers einer grundstücksrechtlichen Position zu demjenigen an, der diese aufgibt. Die personenbezogenen Befreiungen sind auf Erwerbe von und durch Gesamthandsgemeinschaften uneingeschränkt anwendbar, wenn und soweit ein Gesellschafter der 1 Gleichlautende Ländererl. v. 12.11.2018, FinBeh HH – S 4501 - 2018/003 - 53, BStBl. I 2018, 1314, Rz. 5.2.2. 2 Pahlke in Pahlke6, § 1 GrEStG Rz. 287. 3 Gleichlautende Ländererl. v. 12.11.2018, FinBeh HH – S 4501 - 2018/003 - 53, BStBl. I 2018, 1314, Rz. 2. 4 Halaczinsky, ErbStB 2012, 335 (338). 5 BFH v. 26.7.1995 – II R 68/92, BStBl. II 1995, 736; Gleichlautende Ländererl. v. 19.9.2018, FinBeh HH – S 4501 - 2018/009 - 53, BStBl. I 2018, 1069 Rz. 3. 6 Die Bundesregierung hat dem Bundesrat im Juli 2019 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des GrEStG zugeleitet. Dieser sieht vor, die Beteiligungsgrenzen auf 90 % abzusenken. 7 BFH v. 27.9.2017 – II R 41/15, BStBl. II 2018, 667; Gleichlautende Ländererl. v. 19.9.2018, FinBeh HH – S 4501 - 2018/009 - 53, BStBl. I 2018, 1069 Rz. 3 Abs. 1. 8 Meßbacher-Hönsch in Boruttau19, § 1 GrEStG Rz. 1014; Pahlke in Pahlke6, § 1 GrEStG Rz. 323. 9 Gleichlautende Ländererl. v. 19.9.2018, FinBeh HH – S 4501 - 2018/009 - 53, BStBl. I 2018, 1069 Rz. 3 Abs. 2; Meßbacher-Hönsch in Boruttau19, § 1 GrEStG Rz. 1034. 10 Pahlke in Pahlke6, § 1 GrEStG Rz. 323.

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F. Grunderwerbsteuer | Rz. 6.330 Kap. 6

Gesamthand die Merkmale erfüllt, die entweder in seiner Person oder in seinem Verhältnis zum Erwerber oder Veräußerer des Grundstücks erfüllt sein müssen.1 Bei Erwerben von oder durch Kapitalgesellschaften sind nur die personenbezogenen Befreiungen anwendbar, deren Merkmale von der Kapitalgesellschaft selbst erfüllt werden.2 So sind die Befreiungstatbestände der § 3 Nr. 4 bis Nr. 7 GrEStG (Grundstückserwerbe durch Ehegatten, Verwandte in gerader Linie sowie im Rahmen der Teilung eines Gesamtguts) auf Erwerbe von oder durch Kapitalgesellschaften nicht anwendbar. Auch ist die Befreiung nach § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG (Grundstückserwerb von Todes wegen und Grundstücksschenkungen unter Lebenden im Sinne des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes) bei der unentgeltlichen Übertragung eines Grundstücks von einem Gesellschafter auf eine Kapitalgesellschaft mangels Freigebigkeit nicht anwendbar, da dem Vermögensopfer des Gesellschafters eine Werterhöhung seiner Anteile gegenübersteht. Befreiung für Erwerbe von Todes wegen und Schenkungen unter Lebenden. Gem. § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG sind Grundstückserwerbe von Todes wegen und Grundstücksschenkungen unter Lebenden von der Besteuerung nach dem GrEStG ausgenommen. Davon sind alle steuerbaren Erwerbe nach dem ErbStG umfasst, d.h. neben Schenkungen und Erbanfällen auch Vermächtnisse oder Verzichte auf erbrechtliche Ansprüche. Eine Rückabwicklung der Schenkung nach § 812 BGB fällt nicht unter den Befreiungstatbestand des § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG: Zum einen erfolgt die Rückabwicklung nicht freigebig, zum anderen wird der Schenker nicht durch sie auf Kosten des Beschenkten bereichert.3 Maßgebend für die Anwendung der Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG ist indes, dass nur ein Lebenssachverhalt gegeben ist, der nach dem ErbStG steuerbar ist und auch der Grunderwerbsteuer unterliegt.4 Dabei kommt es jedoch nicht darauf an, ob nach dem ErbStG eine Steuerpflicht gegeben ist, das Finanzamt die Erbschaftsteuer festgesetzt hat und der Steuerpflichtige diese entrichtet hat.5 § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG greift auch dann ein, wenn wegen Befreiungen nach dem ErbStG oder wegen zu berücksichtigender Freibeträge keine Steuer entstanden ist.6 An der Einheitlichkeit des Lebenssachverhaltes fehlt es, wenn die schenkweise Zuwendung der Anteile für sich genommen noch keine Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder 2 GrEStG auslöst und dieser Tatbestand erst durch weitere Rechtsvorgänge verwirklicht wird.7 Davon ist etwa der Fall umfasst, dass zunächst Teilgeschäftsanteile einer grundbesitzenden Gesellschaft auf verschiedene Erwerber übertragen werden, die dann aufgrund einer gesellschaftsrechtlichen Veranlassung in eine KG eingebracht werden.8 Darüber hinaus stellt § 3 Nr. 3 GrEStG den Erwerb eines zum Nachlass gehörenden Grundstücks durch Miterben zur Teilung des Nachlasses von der Steuer frei. Der Erwerb eines Grundstücks durch den Ehegatten oder Lebenspartner des Veräußerers ist nach § 3 Nr. 4 GrEStG steuerfrei. Gleiches gilt nach § 3 Nr. 6 GrEStG für den Erwerb eines Grundstücks durch Personen, die mit dem Veräußerer in gerader Linie verwandt sind.

6.329

Steuerbefreiung bei Anteilsvereinigung. Beruht die Anteilsvereinigung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG auf einem schenkweisen Übergang der Gesellschaftsanteile, ist die Steuerbefreiung

6.330

1 2 3 4 5 6 7 8

Pahlke in Pahlke6, § 3 GrEStG Rz. 9. Pahlke in Pahlke6, § 3 GrEStG Rz. 10. S. nur Halaczinsky, ErbStB 2005, 100. BFH v. 22.2.2017 – II R 52/14, BStBl. II 2017, 653. Meßbacher-Hönsch in Boruttau19, § 3 GrEStG Rz. 103. Stöbener/Gach, ErbStB 2014, 18 (19). Vgl. BFH v. 22.2.2017 – II R 52/14, BStBl. II 2017, 653. So der Sachverhalt in BFH v. 22.2.2017 – II R 52/14, BStBl. II 2017, 653.

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Kap. 6 Rz. 6.330 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

nach § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG anzuwenden.1 Bei teilentgeltlichen Anteilsübertragungen ist § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG nur auf den unentgeltlichen Teil anwendbar.2 Für den entgeltlichen Teil können aber gesonderte Befreiungsvorschriften eingreifen (z.B. § 3 Nr. 4 oder Nr. 6 GrEStG). Anwendbar ist indes (auch bei Personengesellschaften) die Steuerbefreiung nach § 6a GrEStG bei Umstrukturierungen im Konzern.3 Sofern es sich um eine Anteilsvereinigung von Personengesellschaftsanteilen handelt, die den Tatbestand der § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 GrEStG erfüllt, sind die Steuerbefreiungen des § 3 Nr. 2 bis Nr. 7 GrEStG und § 6 Abs. 3 GrEStG grundsätzlich anwendbar.4 Es liegt zwar ein fingierter Grundstückserwerb von einer Personengesellschaft vor, hinsichtlich der personenbezogenen Befreiungen kommt es aber auf die Gesellschafter an.5

6.331

Steuerbefreiung bei Anteilsübertragung. Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 GrEStG ist § 1 Abs. 2a GrEStG vorrangig zu beachten. Sofern eine Besteuerung nach § 1 Abs. 2a GrEStG nicht in Betracht kommt, finden bei einer Übertragung nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 und Nr. 4 GrEStG die personenbezogenen Befreiungsvorschriften Anwendung.6 Ist die Erwerberin eine juristische Person, sind wiederum nur die persönlichen Befreiungsvorschriften anwendbar, deren Merkmale von der juristischen Person selbst erfüllt werden können. Es kommen daher nur die Begünstigungen für die Erwerbe von Todes wegen, durch Schenkung oder durch Nachlassteilung in Betracht.

6.332

Steuerbefreiung bei mittelbaren Grundstücksschenkungen. Die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG ist nur anwendbar, wenn das Grundstück selbst Gegenstand der Schenkung ist, nicht aber beim Kauf des Grundstücks durch den Bedachten mit den geschenkten Mitteln.7 Wird ein schenkweise hingegebenes Grundstück unmittelbar nach der Schenkung weiterveräußert und ist so der Verkaufserlös der eigentliche Zuwendungsgegenstand, wird erst durch die Weiterveräußerung des geschenkten Grundstücks durch den Beschenkten Grunderwerbsteuer ausgelöst.8

6.333

Steuerbefreiung bei Beteiligung einer Gesamthand. §§ 5 und 6 GrEStG enthalten Steuerbefreiungen für Grundstücksübergänge, an denen eine Gesamthand beteiligt ist. Sie begünstigen die Fälle, in denen ein Grundstück von einer Gesamthand auf eine andere übergeht, und Grundstücksübergänge zwischen einer Gesamthand und an ihr beteiligten Personen. Zur Gesamthand i.S.d. Vorschriften gehören die OHG, die KG, die GbR und die Erbengemeinschaft.9 Neben §§ 5 und 6 GrEStG sind auch die allgemeinen Steuerbefreiungen nach § 3 GrEStG an-

1 BFH v. 22.2.2017 – II R 52/14, BStBl. II 2017, 653; BFH v. 23.5.2012 – II R 21/10, BStBl. II 2012, 793. 2 BFH v. 13.9.2006 – II R 37/05, BStBl. II 2007, 59; Meßbacher-Hönsch in Boruttau19, § 3 GrEStG Rz. 116. 3 Der BFH hatte mit Beschluss vom 30.5.2017 die Frage aufgeworfen, ob es sich bei § 6a GrEStG um eine Beihilfe gem. Art. 107 Abs. 1 AEUV handelt, s. BFH v. 30.5.2017 – II R 62/14, BStBl. II 2017, 916. Dies hat der EuGH mit Urteil vom 19.12.2018 verneint, s. EuGH v. 19.12.2018 – C374/17, ECLI:EU:C:2018:1024 – A-Brauerei, DStR 2019, 49. 4 Vgl. Gleichlautende Ländererl. v. 6.3.2013, FinBeh HH – 53 - S 4505 - 001/12, BStBl. I 2013, 773. 5 Meßbacher-Hönsch in Boruttau19, § 3 GrEStG Rz. 52; Pahlke in Pahlke6, § 3 GrEStG Rz. 13. 6 Gleichlautende Ländererl. v. 6.3.2013, FinBeh HH – 53 - S 4505 - 001/12, BStBl. I 2013, 773 Rz. 1; Meßbacher-Hönsch in Boruttau19, § 3 GrEStG Rz. 54 ff.; Pahlke in Pahlke6, § 3 GrEStG Rz. 15. 7 Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 490 (Stand: April 2014/Dezember 2018). 8 Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 490 (Stand: April 2014/Dezember 2018). 9 Viskorf in Boruttau19, § 5 GrEStG Rz. 5.

480 | Wiese/Lukas

F. Grunderwerbsteuer | Rz. 6.336 Kap. 6

wendbar.1 §§ 5 und 6 GrEStG kommen somit nur zur Anwendung, wenn die allgemeinen Befreiungen nach § 3 GrEStG nicht einschlägig sind. Interpolation von Befreiungsvorschriften. Bei der Interpolation (Zusammenschau) handelt es sich um eine Auslegungsmethode des Grunderwerbsteuerrechts. Danach kann sich aus der Zusammenschau mehrerer Befreiungsvorschriften eine Steuerbefreiung ergeben, die sich aus dem Wortlaut der für sich betrachteten Einzelvorschriften nicht ergibt.2 Grenzen sind einer interpolierenden Auslegung aber insofern gesetzt, als sie sich auf real verwirklichte Sachverhalte beziehen muss und es sich nicht um einen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten nach § 42 AO handeln darf.3 Eine Steuerbefreiung aufgrund interpolierender Betrachtung kann sich insbesondere ergeben, wenn sich der tatsächlich verwirklichte Grundstückserwerb als abgekürzter Weg darstellt und die unterbliebenen Zwischenerwerbe, wenn sie durchgeführt worden wären, steuerfrei wären.4 Hat z.B. ein Elternteil schenkweise Miteigentumsanteile an einem Grundstück auf seine Kinder übertragen und verpflichten sich die Kinder dazu, anteilige Miteigentumsanteile auf später geborene Geschwister zu übertragen, ist eine spätere Grundstücksübertragung zwischen den Geschwistern nach dem Wortlaut der einzelnen Tatbestände des § 3 GrEStG nicht steuerbefreit. Eine Steuerbefreiung ergibt sich aber aus der Interpolation von § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG und § 3 Nr. 6 GrEStG.5

6.334

VI. Verfahren Anzeigepflichten. Wird es unterlassen, die zuständige Grunderwerbsteuerstelle über den Erwerb zu informieren, zieht dies eine Verlängerung der Festsetzungsfrist bei der Grunderwerbsteuer nach sich (§ 170 Abs. 2 Nr. 1 AO).6 Dem Beginn der Festsetzungsfrist steht nicht entgegen, dass die Anzeige nicht in vollem Umfang den inhaltlichen Anforderungen des § 20 GrEStG genügt.7 Vielmehr reicht es bei einer unvollständigen oder unrichtigen Anzeige für den Beginn der Festsetzungsfrist aus, dass die Angaben das Finanzamt in die Lage versetzen, das Veranlagungsverfahren einzuleiten.8 Für fiktive Grundstückserwerbe nach § 1 Abs. 2a und Abs. 3 GrEStG statuiert § 19 GrEStG eigene Anzeigepflichten.

6.335

Steuerbefreiungen. Für die Gewährung einer Steuerbefreiung ist kein Antrag erforderlich; das Finanzamt berücksichtigt diese von Amts wegen für jeden einzelnen Erwerbsvorgang.9 Beurteilungszeitpunkt für das Vorliegen einer Befreiung ist der Zeitpunkt der Steuerentstehung.10 Sollten nachträglich Befreiungsvoraussetzungen wegfallen, wird dadurch nicht eine Steuerpflicht nachträglich begründet. Unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gewährte Steuerbefreiungen können aufgehoben oder geändert werden, solange der Vorbehalt wirksam ist, § 164 Abs. 2 AO.

6.336

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Viskorf in Boruttau19, § 5 GrEStG Rz. 61. S. dazu auch Wrenger, DStR 2017, 18. Meßbacher-Hönsch in Boruttau19, § 3 GrEStG Rz. 35 f. Meßbacher-Hönsch in Boruttau19, § 3 GrEStG Rz. 33; Wrenger, DStR 2017, 18 (21). BFH v. 16.12.2015 – II R 49/14, BStBl. II 2016, 292. Halaczinsky, ErbStB 2012, 335 (341). BFH v. 23.5.2012 – II R 56/10, BFH/NV 2012, 1579; Halaczinsky, ErbStB 2012, 335 (342). Halaczinsky, ErbStB 2012, 335 (342). Pahlke in Pahlke6, Vorbemerkungen zu §§ 3 bis 7 GrEStG Rz. 15. BFH v. 25.4.2001 – II R 72/00, BStBl. II 2001, 610.

Wiese/Lukas | 481

Kap. 6 Rz. 6.337 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

G. Umsatzsteuer 6.337

Umsatzsteuer in der Unternehmensnachfolge. Auch umsatzsteuerliche Fragen können bei der Unternehmensnachfolge eine Rolle spielen. So kann entweder der Übertragungsvorgang selbst Umsatzsteuer auslösen, oder aber der (Rechts-)Nachfolger trägt die umsatzsteuerlichen Konsequenzen früherer Entscheidungen des übertragenden Unternehmers. – Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer ist gem. § 10 Abs. 1 Satz 1 UStG das Entgelt. Dies gilt auch dann, wenn die Höhe des Entgelts und der objektive Wert der Leistung auseinanderfallen.1 Dies gilt also grundsätzlich auch für Übertragungen, die nach ertragsteuerlichen Grundsätzen als teilentgeltlich einzuordnen sind.

I. Steuerbarkeit 6.338

Gesamtrechtsnachfolge. Der Tod des Unternehmers2 führt zur Beendigung des Unternehmens und somit auch zum Ende seiner Unternehmereigenschaft. Die Unternehmereigenschaft als solche ist nicht vererblich, das Unternehmensvermögen indes schon.3 Ein Übergang i.R.d. Gesamtrechtsnachfolge ist kein umsatzsteuerbarer Tatbestand, da kein Leistungsaustausch vorliegt.4

6.339

Geschäftsveräußerung im Ganzen. Gem. § 1 Abs. 1a Sätze 1 und 2 UStG unterliegen bestimmte Geschäftsveräußerungen nicht der Umsatzsteuer. Dies setzt voraus, dass der Unternehmer seinen Betrieb im Ganzen auf einen anderen Unternehmer überträgt. Erfasst ist auch die Veräußerung einzelner Gegenstände, solange diese dem Erwerber die Ausübung einer unternehmerischen Tätigkeit ermöglichen.5Als weitere Rechtsfolge ordnet § 1 Abs. 1a Satz 3 UStG an, dass der Erwerber an die Stelle des Veräußerers tritt. Dies führt dazu, dass der Erwerber in das vom Veräußerer begründete Steuerschuldverhältnis eintritt.6 Er übernimmt insbesondere die Vorsteuerkorrekturfristen für das Anlage- und Umlaufvermögen gem. § 15a UStG.7

II. Steuerbefreiung 6.340

Anteilsveräußerung (Share Deal). Die Veräußerung von Gesellschaftsanteilen ist grundsätzlich umsatzsteuerbar, wenn der Veräußerer Unternehmer i.S.d. UStG ist. Allerdings gewährt § 4 Nr. 8 Buchst. f UStG für die Übertragung von Anteilen an Gesellschaften eine Befreiung von der Umsatzsteuer.

6.341

Grundstücksübertragung. Auch die Lieferung von Grundstücken ist umsatzsteuerfrei, § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG.

1 Vgl. Treiber in Sölch/Ringleb, § 10 UStG Rz. 620 (Stand: März 2018). 2 Unternehmer ist gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nachhaltig zur Erzielung von Einnahmen selbstständig ausübt, vgl. Korn in Bunjes17, § 2 UStG Rz. 5. 3 Vgl. Müller in BeckOK, § 2 UStG Rz. 65 ff. (Stand: April 2018). 4 Vgl. etwa Esskandari, ZEV 2012, 308. 5 UStAE 1.5 Abs. 1 Satz 2. 6 Oelmeier in Sölch/Ringleb, § 1 UStG Rz. 198 (Stand: Juni 2017); a.A. wohl Nieskens in Rau/Dürrwächter, § 1 UStG Rz. 1352 (Stand: Januar 2019). 7 Jansen, UR 2017, 409 (410).

482 | Wiese/Lukas

H. Besteuerungsverfahren | Rz. 6.346 Kap. 6

Option bei Steuerbefreiungen. Die Regelung des § 9 UStG bietet die Möglichkeit, auf die Steuerfreiheit bestimmter Umsätze zu verzichten, um auf diese Weise den Vorsteuerabzug zu ermöglichen.1

6.342

H. Besteuerungsverfahren I. Anzeige- und Erklärungspflichten Allgemeine Anzeige- und Erklärungspflichten. Der Steuerpflichtige hat allgemein die für die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenzulegen (vgl. § 90 Abs. 1 Satz 2 AO). Für die Besteuerung sind dabei solche Tatsachen erheblich, die sich auf Folgerungen aus dem Besteuerungstatbestand auswirken.2 Weitere besondere Mitwirkungspflichten finden sich in den §§ 93 ff. AO.

6.343

Anzeigepflicht gem. § 138 AO. In der Fortführung des Unternehmens durch den Nachfolger ist zugleich die Eröffnung eines Betriebs zu sehen, die gem. § 138 Abs. 1 Satz 1 AO anzeigepflichtig ist.3 Die Nachfolge ist dem zuständigen Finanzamt innerhalb eines Monats anzuzeigen (§ 138 Abs. 4 AO).4

6.344

Anzeige- und Erklärungspflichten bei Auslandsbezug. Der Gesetzgeber hat mit dem StUmgBG v. 23.6.2017 die Anzeigepflichten bei Auslandsengagements erheblich verschärft. So haben im Inland unbeschränkt Steuerpflichtige den nach §§ 18–20 AO zuständigen Finanzämtern die Gründung und den Erwerb von Betrieben bzw. Betriebsstätten im Ausland, den Erwerb und die Veräußerung von Anteilen an ausländischen Personen- und Kapitalgesellschaften, die Begründung eines (ggf. zusammen mit nahestehenden Personen i.S.v. § 1 Abs. 2 AStG ausgeübten) beherrschenden Einflusses auf sog. Drittstaaten-Gesellschaften (s. § 138 Abs. 3 AO) sowie die Art der jeweiligen wirtschaftlichen Tätigkeit im Ausland mitzuteilen, § 138 Abs. 2 AO. Die Mitteilung hat auf dem amtlich vorgeschriebenen Vordruck BZSt 2 zu erfolgen.5

6.345

Erbschaftsteuerliche Anzeige- und Erklärungspflichten. Der Erwerber hat innerhalb von drei Monaten den Erwerb bei dem zuständigen Finanzamt anzuzeigen (§ 30 ErbStG).6 Gem. § 30 Abs. 2 ErbStG gilt die Anzeigepflicht bei Schenkungen unter Lebenden sowohl für den Erwerber als auch für den Schenker. Dabei ist zu beachten, dass nur solche Vorgänge nicht anzeigepflichtig sind, für die offensichtlich keine Steuerzahlungspflicht besteht. §§ 33, 34 ErbStG enthalten weitere Anzeigepflichten u.a. für Vermögensverwalter, Gerichte und Notare. So müssen Notare z.B. den Inhalt der Testamentseröffnung dem zuständigen Finanzamt anzeigen. Für einige Fälle, in denen das Finanzamt von dem Erwerb durch eine Anzeige nach §§ 33, 34 ErbStG Kenntnis erlangt, befreit § 30 Abs. 3 ErbStG den Erwerber von seiner Anzeigepflicht. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Befreiung von der Anzeigepflicht gem. § 30 Abs. 3 Halbs. 2 ErbStG nur dann gilt, wenn weder Grundbesitz, Betriebsvermögen, Anteile

6.346

1 2 3 4 5

Kraeusel in Reiß/Kraeusel/Langer, § 9 UStG Rz. 16 (Stand: Oktober 2011). S. Roser in Gosch, § 90 AO Rz. 28 (Stand: August 2017). AEAO zu § 138 Nr. 1 Abs. 1 Satz 3. AEAO zu § 138 Nr. 1 Abs. 2 Satz 1. BMF v. 5.2.2018 – IV B 5 - S 1300/07/10087; IV A 3 - S 0303/17/10001, BStBl. I 2018, 289 Rz. 1.5; näher hierzu s. etwa Roser in Gosch, § 90 AO Rz. 42 ff. (Stand: August 2017). 6 Vgl. Grootens in v. Oertzen/Loose2, § 30 ErbStG Rz. 9.

Wiese/Lukas | 483

Kap. 6 Rz. 6.346 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

von Kapitalgesellschaften (die nicht der Anzeigepflicht nach § 33 ErbStG unterliegen) noch Auslandsvermögen erworben wird. Damit soll das Finanzamt auch von Vermögen erfahren, welches sich dem Erben erst nach Anzeige der Erbschaft offenbart.1 Im Rahmen der Inanspruchnahme der Begünstigungen der §§ 13a, 13b, 13c ErbStG bestehen weitere Anzeigepflichten nach § 13a Abs. 7 ErbStG.

6.347

Anzeige- und Erklärungspflichten in Zusammenhang mit der Grunderwerbsteuer. Bei den meisten der Grunderwerbsteuer unterliegenden Erwerbsvorgängen sind öffentliche Stellen wie Gerichte und Notare gem. § 18 GrEStG zur Anzeige des Erwerbs verpflichtet. Soweit bei einem Erwerb weder ein Gericht noch ein Notar oder eine Behörde zur Anzeige verpflichtet ist, treffen den Steuerschuldner selbst Anzeigepflichten (§ 19 GrEStG).

II. Verbindliche Auskunft 6.348

Grundgedanke des § 89 Abs. 2 AO. Mit einer verbindlichen Auskunft der Finanzverwaltung können offene steuerliche Themen und Restrisiken zugunsten der Steuerpflichtigen geklärt werden. Das Rechtsinstitut der verbindlichen Auskunft gem. § 89 Abs. 2 AO fußt auf dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. Art. 20 GG) und dient der Planungs- und Entscheidungssicherheit des Steuerpflichtigen.2 Aus haftungsrechtlicher Sicht ist der Steuerberater nach Auffassung des BGH sogar verpflichtet, den Steuerpflichten auf die Möglichkeit und ggf. die Notwendigkeit einer verbindlichen Auskunft ausdrücklich hinzuweisen, wenn die Rechtslage nach Ausschöpfung der eigenen Erkenntnismöglichkeiten ungeklärt ist und die Beratung eine einschneidende, dauerhafte, später nicht mehr korrigierbare rechtliche Gestaltung betrifft.

6.349

Verbindliche Auskunft. Vielfach verbleiben auch bei bester steuerlicher Planung offene Themen und Restrisiken, die nur durch eine vorherige Abstimmung mit der Finanzverwaltung geklärt werden können. Dies ist gerade deshalb besonders wichtig, weil die Unternehmensnachfolge typischerweise ohne Marktberührung und somit ohne Liquiditätszufluss erfolgt, so dass eine Besteuerung der stillen Reserven oder der Vermögenssubstanz existenzgefährdende Konsequenzen haben könnte. Hier hilft regelmäßig nur eine verbindliche Auskunft nach § 89 Abs. 2 AO3: Dabei erteilt die Finanzverwaltung bereits im Vorfeld eine Auskunft mit Bindungswirkung, wie ein bestimmter Sachverhalt besteuert werden wird. Für die Bearbeitung eines Antrags auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft wird eine Gebühr erhoben, § 89 Abs. 3–7 AO.

6.350

Sachverhalt. Wichtig ist, dass der Sachverhalt, der dem Auskunftsersuchen zugrunde gelegt wird, so konkret feststeht, dass er hinterher auch in seinen wesentlichen Teilen so umgesetzt werden kann, wie er im Auskunftsantrag dargestellt worden ist. Der Sachverhalt darf bei Antragstellung noch nicht verwirklicht sein („Sachverhalt mit Zukunftsbezug“4). Erforderlich ist eine umfassende und in sich abgeschlossene Sachverhaltsdarstellung, die ohne Alternativszenarien auskommt: Dies ist in der Praxis oftmals unbefriedigend, wenn es für den Steuerpflichtigen unerheblich ist, auf welchem Weg das unternehmerisch gewünschte Ziel steuerlich er1 Vgl. Grootens in v. Oertzen/Loose2, § 30 ErbStG Rz. 20. 2 S. Roser in Gosch, § 89 AO Rz. 27 (Stand: August 2018). 3 Hierzu wurde die Steuer-Auskunftsverordnung (StAuskV) erlassen, die Form und Inhalt des Antrags ebenso regelt wie die Bindungswirkung der erteilen Auskunft. Allgemein von Sothen in Scherer5, § 36 Rz. 10 ff. 4 Seer in Tipke/Kruse, § 89 AO Rz. 33 (Stand: Februar 2018). S. auch Berg, ZEV 2012, 137, zu verbindlichen Auskünften im Hinblick auf zukünftige Erbfälle.

484 | Wiese/Lukas

H. Besteuerungsverfahren | Rz. 6.353 Kap. 6

reicht werden kann und denkbare Sachverhaltsvarianten jeweils unterschiedliche offene Fragen aufwerfen. Empfehlenswert ist ggf. eine Kontaktaufnahme mit dem zuständigen Finanzamt, um das Nachfolgeprojekt vorzubesprechen und das Auskunftsersuchen anzukündigen. Dies ist nicht nur vertrauensbildend, sondern dient auch der Sondierung, welche Sachverhaltsvariante dem Antrag zugrunde gelegt werden sollte. Offene Rechtsfragen, Auskunftsinteresse und Bindungswirkung. Nur Rechtsfragen können zum Gegenstand des Auskunftsersuchens gemacht werden. Voraussetzung ist dabei, dass an der Auskunft über die steuerrechtliche Beurteilung des Sachverhalts „im Hinblick auf die erheblichen steuerlichen Auswirkungen ein besonderes Interesse besteht“.1 Die Formulierung der Rechtsfragen im Auskunftsantrag ist eine gewisse Kunst, um die relevanten Steuerrisiken vollständig abzudecken. Dabei geht es auch um die Reichweite der Bindung der verbindlichen Auskunft: Der Antragsteller ist genau zu bezeichnen, und ggf. kann der Auskunftsantrag von mehreren Beteiligten nur einheitlich gestellt werden (vgl. § 1 Abs. 2 StAuskV).

6.351

Gebühren. Die Gebühren berechnen sich grundsätzlich nach dem Gegenstandswert, § 89 Abs. 4 Satz 1 AO.2 In der Praxis ist die Vervielfachung der Gebühren ein Problem, und zwar nicht nur bei Beteiligung mehrerer Antragsteller3, sondern auch mit Blick auf die Anzahl der gestellten Rechtsfragen und die Beteiligung mehrerer Finanzämter4. Wenn ein Sachverhalt Einkommensteuerfragen auf Gesellschafterebene, Feststellungsfragen auf Gesellschaftsebene und Schenkungsteuerfragen bei Schenkern und Beschenkten aufwirft und wenn mehrere Finanzämter eingebunden sind, können mehrere Gebührentatbestände verwirklicht sein. Hierüber muss mit den Finanzämtern gesprochen werden: Ggf. kommt nach § 89 Abs. 6 und 7 AO ein Gebührenverzicht oder eine Zeitgebühr in Betracht, wenn Rechtsfragen einmal (mit voller Gebührenwirkung) geklärt worden sind und die Antworten für verbindliche Auskünfte an weitere Verfahrensbeteiligte repliziert werden können.5 – Die Gebühr fällt grundsätzlich auch bei Ablehnung des Antrags an; sie kann jedoch ermäßigt werden, wenn der Antrag vor Bekanntgabe der Entscheidung der Finanzbehörde zurückgenommen wird (§ 89 Abs. 7 Satz 2 AO6).

6.352

Verfahrensdauer und Auskunftserteilung. Über den Antrag soll innerhalb von sechs Monaten ab Eingang des Antrags entschieden werden, § 89 Abs. 2 Satz 4 AO. Die Erteilung der verbindlichen Auskunft ist eine Ermessenentscheidung, wobei dieses Ermessen auf null reduziert sein kann, wenn der Steuerpflichtige sein Auskunftsinteresse durch einen ordnungsgemäßen Antrag dargetan hat und keine Anhaltspunkte bestehen, dass er die Gebühr nicht zahlen wird.7 Der Verfahrensbeschleunigung kann die vorherige Kontaktaufnahme mit der Finanzverwaltung zur Vorbereitung des Auskunftsantrags dienen, weil kritische Vorfragen dann bereits im Vorfeld adressiert worden sind.

6.353

1 „Auskunfts-“ oder „Dispositionsinteresse“, vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 89 AO Rz. 32 (Stand: Februar 2018). 2 Dazu Tz. 4.2 AEAO zu § 89. 3 S. aber § 89 Abs. 3 AO, wenn eine verbindliche Auskunft gegenüber mehreren Antragstellern einheitlich erteilt wird. 4 Sind mehrere Finanzämter zuständig, kann zwischen diesen für die Erteilung der verbindlichen Auskunft eine Zuständigkeitsvereinbarung analog § 27 AO getroffen werden, wenn der Betroffene zustimmt, vgl. ErbStVA, Gleichlautender Ländererl. v. 7.12.2017, BStBl. I 2018, 53 Rz. 1.3.2.6. 5 Dem sollte das anders gelagerte Beispiel in der Verfügung des LfSt Bayern v. 30.8.2017 – S 0224.1.1-5/24 St42 Rz. 2.12, nicht entgegenstehen. 6 Dazu auch Rz. 4.5 AEAO zu § 89. 7 S. Seer in Tipke/Kruse, § 89 AO Rz. 40 (Stand: Februar 2018).

Wiese/Lukas | 485

Kap. 6 Rz. 6.354 | Das Steuerrecht der Unternehmensnachfolge

III. Stundung und Erlass 6.354

Steuerstundungen im Überblick. Eine Stundungsmöglichkeit für die Steuerschuld ergibt sich aus § 222 AO. Es handelt sich hierbei um eine Billigkeitsmaßnahme der Finanzbehörde, bei der ihr Ermessen eingeräumt ist. Eine Stundung nach § 222 AO setzt kumulativ voraus, dass die Einziehung des Anspruchs bei Fälligkeit für den Schuldner eine besondere (unbillige) Härte bedeutet und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet erscheint.

6.355

Steuerstundung im Erbschaftsteuerrecht bei der Unternehmensnachfolge. Für die Unternehmensnachfolge von besonderer Bedeutung ist die Steuerstundung des § 28 ErbStG (s. Rz. 6.227).

6.356

Steuererlass. Beim Steuererlass ist § 227 AO von § 163 AO abzugrenzen. Bei § 227 AO stehen Gründe persönlicher Unbilligkeit im Vordergrund, während § 163 AO eine sachliche Unbilligkeit voraussetzt.1 Als mögliche Maßnahmen kommen nach § 227 AO der vollständige bzw. teilweise Erlass der Steuerschuld sowie eine vollständige oder teilweise Erstattung (bzw. Anrechnung) bereits entrichteter Beträge in Betracht.

1 Oellerich in Gosch, § 227 AO Rz. 8 (Stand: April 2015).

486 | Wiese/Lukas

Kapitel 7 Unternehmensbewertung A. Notwendigkeit von Bewertungsfragen im Rahmen der Unternehmensnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 B. Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.9 II. Bewertungsverfahren 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.18 2. Gesamtbewertungsverfahren a) Kapitalisierung . . . . . . . . . . . . . . 7.25 b) Ertragswertverfahren . . . . . . . . . 7.26 c) DCF-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 7.28 d) Multiplikator-Verfahren . . . . . . . 7.33 3. Einzelbewertungsverfahren a) Isolierte Bewertung . . . . . . . . . . . 7.44 b) Liquidationswert . . . . . . . . . . . . . 7.45 c) Substanzwert . . . . . . . . . . . . . . . . 7.49 III. Überblick wesentlicher Bewertungsstandards und Vorschriften . . . . . . . 7.53 C. IDW S 1 Grundsätze I. Der objektivierte Unternehmenswert als maßgebliches Wertkonzept . . . . 7.66 II. Vorgehen zur Ableitung objektivierter Unternehmenswerte 1. Ableitung finanzieller Überschüsse a) Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . 7.72 b) Vergangenheitsanalyse . . . . . . . . 7.78 c) Herleitung der zukünftigen finanziellen Überschüsse . . . . . . . . . . . 7.86 d) Besonderheiten bei der steuerlichen Behandlung der Anteilseigner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.102 e) Besonderheiten bei der Ableitung der ewigen Rente . . . . . . . . . . . . . 7.106 2. Bemessung des Kapitalisierungszinssatzes a) Barwert der zukünftigen Überschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.108 b) Basiszinssatz . . . . . . . . . . . . . . . . 7.113 c) Marktrisikoprämie . . . . . . . . . . . 7.117 d) Beta-Faktor . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.126 e) Wachstumsabschlag . . . . . . . . . . 7.134 D. Sonderthemen I. Steuerliche Bewertungsanlässe 1. Der gemeine Wert als primärer Wertmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.136

2. Der steuerliche Substanzwert als Mindestwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.151 3. Das vereinfachte Verfahren . . . . . . . . 7.157 II. Erb- und familienrechtliche Bewertungsanlässe 1. Grundsätzliche Vorgehensweise . . . . 7.166 2. Überleitung vom objektivierten Unternehmenswert zum Ausgleichs-/Abfindungsanspruch a) Merkmal des IDW S 13 . . . . . . . 7.180 b) Latente Steuern . . . . . . . . . . . . . . 7.181 c) Besonderheiten bei der Bewertung des Anfangsvermögens . . . . . . . . 7.188 d) Verfügungsbeschränkungen . . . . 7.198 III. Gesellschaftsvertragliche Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.204 IV. Besonderheiten bei der Bewertung von KMU 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.221 2. Abgrenzung des Bewertungsobjektes 7.225 3. Datenqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.228 4. Besonderheiten bei der Ermittlung der finanziellen Überschüsse a) Eliminierung KMU-spezifischer Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.231 b) Annahmen zum Verbleib des bisherigen Gesellschafters . . . . . . . . 7.233 c) Abgrenzung der übertragbaren Ertragskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.237 d) Ermittlung des Abschmelzungszeitraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.239 5. Bemessung des Kapitalisierungszinssatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.241 6. Zusammenfassendes Beispiel . . . . . . 7.245 E. Bewertung von Immobilien I. Grundlagen der Immobilienbewertung 1. Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.247 2. Wertbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.250 II. Wertermittlung und Bewertung von Immobilien 1. Verfahren im Sinne der Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) a) Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . 7.259 b) Vergleichswertverfahren . . . . . . . 7.265

Kohl | 487

Kap. 7 Rz. 7.1 | Unternehmensbewertung c) Ertragswertverfahren . . . . . . . . . d) Sachwertverfahren . . . . . . . . . . . e) Gesetzlich nicht normierte Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Steuerrechtliche Vorschriften . . . . . . F. Bewertung von Forderungen und Verbindlichkeiten I. Begriffliche Grundlagen . . . . . . . . .

7.271 7.282 7.287 7.289

7.297

II. Bewertungsverfahren 1. Marktpreisorientierte Bewertungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.309 2. Kapitalwertorientierte Bewertungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.314 3. Kostenorientierte Bewertungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.320 III. Steuerrechtliche Regelung . . . . . . . . 7.324

Literatur: Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, 5. Aufl. 2016; Drukarczyk/Ernst, Branchenorientierte Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2011; Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, 7. Aufl. 2016; Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2019; Ihlau/Duscha, Besonderheiten bei der Bewertung von KMU, 2. Aufl. 2019; Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 8. Aufl. 2017; Kuhner/Maltry, Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2017; Mannek, Handbuch steuerliche Unternehmensbewertung, 2012; Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, 4. Aufl. 2013; Metzger, Wertermittlung von Immobilien und Grundstücken, 6. Aufl. 2018; Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 1983; Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 7. Aufl. 2019; Schwetzler/Aders, Jahrbuch der Unternehmensbewertung 2015, 2015; Sommer/Kröll, Lehrbuch zur Immobilienbewertung, 5. Aufl. 2017.

A. Notwendigkeit von Bewertungsfragen im Rahmen der Unternehmensnachfolge 7.1

Der Begriff der Unternehmensnachfolge ist ein schillernder Begriff. Allgemein ist darunter die Überleitung der Eigentümerstellung von einer oder mehreren natürlichen Personen an einen oder mehrere Nachfolger zum Zwecke der Fortführung des Unternehmens gemeint. Vereinfacht kann die Unternehmensnachfolge auch als Weitergabe des eigenen Unternehmens an die nächste Generation verstanden werden.1 Mit der Unternehmensnachfolge ist regelmäßig eine Reihe von Risiken verbunden. Diese können sich durch persönliche Aspekte wie die Entfremdung vom eigenen Unternehmen innerhalb der Familie über wirtschaftliche Schwierigkeiten bis hin zu rechtlichen Fallstricken ergeben. Häufig macht das Unternehmensvermögen dabei einen wesentlichen Teil des Familienvermögens aus. Mögliche Schwierigkeiten bei der Unternehmensnachfolge können daher auch für die betroffenen Personen existenzbedrohend sein. Daher stellt die Unternehmensnachfolge regelmäßig sowohl gesamtwirtschaftlich als auch aus individuellen Gründen eine Gestaltungsaufgabe dar.

7.2

Zu beachten ist dabei, dass bei diesen Anlässen regelmäßig Bewertungsthemen einschlägig sind. Die unentgeltliche Übertragung vom Eigentümer auf seine Nachfolger löst regelmäßig Erbschaft- und Schenkungsteuer aus. Damit verbunden können sich mögliche Erbauseinandersetzungen innerhalb einer Erbengemeinschaft ergeben. Gegebenenfalls löst eine Unternehmensnachfolge auch Diskussionen über den weiteren Verbleib des Unternehmens aus, sodass mögliche Überlegungen zu Restrukturierung, Teilverkäufen oder Gesamtverkäufen einschlägig sind. Erfüllen bestimmte Erben dabei nicht die Qualifikation des Gesellschaftsvertrages,

1 Vgl. Riedel in Riedel, Praxishandbuch Unternehmensnachfolge2, § 1 Rz. 1–5.

488 | Kohl

A. Notwendigkeit von Bewertungsfragen | Rz. 7.5 Kap. 7

um als Nachfolger in das Unternehmen einzusteigen, ergeben sich gesellschaftsrechtliche Fragestellungen im Hinblick auf die Einziehung möglicher Gesellschaftsanteile oder die Bemessung möglicher Abfindungen. Eine zusätzliche Komplexität kann durch erb- oder familienrechtliche Regelungen entstehen, die zu Ansprüchen einzelner Beteiligter führen. In diesen Fällen ist es erforderlich, den Wert des Unternehmens oder einzelner Unternehmensteile entsprechend sachgerecht zu taxieren. Die betriebswirtschaftlichen Fragen der Unternehmensbewertung sind dabei eingebettet in einer Reihe unterschiedlicher Rechtsgebiete. So spielen nicht nur erbrechtliche Fragen bei der Strukturierung der Nachfolge eine Rolle, sondern auch gesellschafts-, familien- und steuerrechtliche Problemkreise geben entsprechende Maßgaben an die Bewertung vor. Bei einer Unternehmensnachfolge infolge des Todes des Unternehmenseigentümers ergeben sich zuallererst erbrechtliche Fragestellungen. Bei mehreren Erben können sich dabei Fragen der Aufteilung des Erbes ergeben. Dies betrifft z.B. die Auseinandersetzung einer Erbgemeinschaft. Dabei ist die gesetzliche Erbfolge in den §§ 1924–1936 BGB geregelt. Darüber hinaus ergeben sich Besonderheiten im Erbrecht von Ehegatten gem. §§ 1931–1934 BGB, in denen auch der Güterstand des Erblassers erheblichen Einfluss auf die Berechnung der Erbquote hat. Dabei stehen dem jeweiligen Erben bzw. den Ehegatten bestimmte Erbansprüche zu. Darüber hinaus ergeben sich Möglichkeiten im Rahmen der gewillkürten Erbfolge, letztwillige Verfügungen vorzunehmen. Diese sind regelmäßig verbunden mit entsprechenden Pflichtteilsansprüchen. Das ist z.B. dann der Fall, wenn Abkömmlinge des Erstversterbenden in der Erbfolge übergangen werden, weil der länger lebende Ehegatte Vollerbe wird. Darüber hinaus besteht neben dem ordentlichen Pflichtteil bei Schenkung in den Fällen der §§ 2325 ff. BGB die Möglichkeit der Geltendmachung von Pflichtteilsergänzungsansprüchen.

7.3

Bei einer unentgeltlichen Übertragung zu Lebzeiten sind Besonderheiten des Schenkungsrechts zu berücksichtigen. In beiden Fällen der unentgeltlichen Übertragung zu Lebzeiten oder von Todes wegen sind die entsprechenden steuerlichen Regelungen des § 12 ErbStG zu berücksichtigen, wonach der gemeine Wert als Maßstab für die erbschaftsteuerliche Bemessungsgrundlage bestimmt ist.

7.4

Darüber hinaus können sich gesellschaftsrechtliche Implikationen ergeben. Dies ist inbesondere bei der Nachfolge von Personengesellschaften der Fall. So regelt für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts § 727 Abs. 1 BGB, dass die Gesellschaft durch den Tod eines Gesellschafters aufgelöst wird, sofern sich aus dem Gesellschaftsvertrag nichts anderes ergibt. Die Auflösung einer GbR bewirkt, dass diese sich von einer werdenden Gesellschaft in eine Abwicklungsgesellschaft verwandelt, in der sowohl die überlebenden Gesellschafter als auch die Erben des Verstorbenen beteiligt sind. Tritt eine Erbengemeinschaft an die Stelle des Verstorbenen ist diese als solche also in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit an der Abwicklungsgesellschaft beteiligt. Bei Personenhandelsgesellschaften führt gem. § 131 Abs. 2 Nr. 1 HGB der Tod eines Gesellschafters nicht zur Auflösung der Gesellschaft, sondern nur zum Ausscheiden des Verstorbenen, sofern der Gesellschaftsvertrag nicht anderes vorsieht. Dasselbe gilt auch für die Kommanditgesellschaft, § 161 Abs. 2, § 131 Abs. 2 Nr. 1 HGB. Wie sich aus diesen Vorschriften ergibt, haben die Gesellschafter jedoch die Möglichkeit, von den gesetzlichen Vorgaben abweichende Vereinbarungen zu treffen. Als sogenannte Fortsetzungsklauseln finden sich dabei solche Regelungen, wonach die Gesellschaft beim Tod eines Gesellschafters mit den übrigen Gesellschaftern fortgeführt wird. Der verstorbene Gesellschafter scheidet daher im Zeitpunkt seines Todes aus der Gesellschaft aus. In den Nachlass fällt daher ein Abfindungsanspruch gem. § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB, der sich gegen die Gesellschaft als solches richtet. Für die Wertbemessung des Abfindungsanspruchs ist nach der Rechtsprechung des BGH

7.5

Kohl | 489

Kap. 7 Rz. 7.5 | Unternehmensbewertung

vom Ertragswert des Anteils auszugehen.1 Dabei wird die allgemeine Regel in der Praxis häufig durch Abfindungsklauseln flankiert. Derartige Klauseln unterliegen jedoch bestimmten Grenzen in der Gestaltungsfreiheit. Insbesondere kommen hierzu folgende typische Fallgruppen zur Anwendung. Einerseits können Abfindungsklauseln bereits zum Zeitpunkt ihrer Vereinbarung eine unangemessene Beteiligung des Gesellschafters bewirken. In diesem Fall wird als Maßstab für die Kontrolle der Wirksamkeit der Klausel vor allem auf § 138 BGB zurückgegriffen. Andererseits kann sich aber eine Diskrepanz zwischen dem vertraglichen Wertansatz und dem tatsächlichen Wert des Anteils auch erst im Laufe der Zeit ergeben, sodass eine Überprüfung der Klausel in erster Linie ihre Angemessenheit und nicht ihre Wirksamkeit an sich zum Gegenstand hat. Maßstab für die Inhaltskontrolle sind vor allem die Grundsätze von Treu und Glauben nach § 242 BGB.

7.6

Verbindendes Element dieser unterschiedlichen Regelungen ist, dass sich diese entsprechend auf den Wert des Unternehmens beziehen. Darüber hinaus ist zu beachten, dass Fragen der Unternehmensnachfolge häufig Familienunternehmen als solche betreffen. Familienunternehmen sind dadurch durch eine Reihe von Besonderheiten gekennzeichnet, die auch an die Bewertung besondere Herausforderungen stellt.

7.7

Vor diesem Hintergrund wird nachfolgend ein Überblick über die allgemeinen Bewertungsgrundsätze gegeben. Dabei wird insbesondere auf die entsprechenden Regelungen zur objektivierten Bewertung Bezug genommen. Insbesondere bei den rechtlichen Fragestellungen sind diese Grundsätze anzuwenden. Darüber hinaus ergibt sich neben den betriebswirtschaftlichen Themen eine Reihe von Besonderheiten, die aus den einzelnen Rechtsgebieten entstehen. Für steuerliche Bewertungsanlässe ergeben sich diese aus den §§ 9 und 11 BewG in denen der gemeine Wert als zentraler Wertmaßstab geregelt ist. Auch erb- und familienrechtlich sind entsprechende Besonderheiten bei der Bemessung von Abfindungen und Pflichtteilen zu beachten. Diese werden in eigenständigen Kapiteln dargestellt. Die besonderen Eigenschaften von Familienunternehmen werden darüber hinaus in dem Kapitel über kleine und mittlere Unternehmen aufgezeigt. Bei derartigen Unternehmen handelt es sich in erster Linie um inhabergeführte Unternehmen, die häufig Gegenstand von Unternehmensnachfolgen sind.

7.8

Dabei stellt der primäre Fokus der nachfolgenden Überlegung auf die Bewertung ganzer Unternehmen oder Unternehmensteile ab. Darüber hinaus können auch einzelne Vermögenswerte wie insbesondere Immobilien und Forderungen Gegenstand von Übertragungen sein. Daher wird abschließend auch auf diesbezügliche Besonderheiten eingegangen.

B. Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung I. Einleitung 7.9

Wertschätzung für ein Gut ist eine höchstpersönliche Eigenschaft. Dies gilt im Allgemeinen wie auch für die Unternehmensbewertung im Speziellen. Ob und inwieweit jemand einem Unternehmen einen Wert zubilligt, ist von vielen persönlichen Faktoren abhängig. Objektiv beobachtbar ist nur der vereinbarte Preis, der im Rahmen einer Transaktion von Unternehmensanteilen vereinbart wird. Jenseits einer solchen Transaktion geht es bei der Unternehmensbewertung darum, einen möglichst sachgerechten Wert zu finden.

1 Vgl. BGH v. 1.7.2002 – IX ZR, 34/81, NJW 1982, 2441.

490 | Kohl

B. Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung | Rz. 7.14 Kap. 7

Aufgrund der subjektiven Eigenschaft einer Bewertung ergibt sich für den Bewerter ohne Rahmenbedingungen die unlösbare Aufgabe, den objektiven einzigen Wert eines Unternehmens zu finden. Einen solchen objektiv richtigen Wert eines Unternehmens kann es aufgrund der persönlichen Eigenschaft nicht geben. Vielmehr sind im Rahmen der Unternehmensbewertung in Abhängigkeit der einzelnen Anlässe Verfahren und Vorgehensweisen zu implementieren, um einen anders bezogenen sachgerechten Wert zu ermitteln. Dabei geht es immer um das Zusammenspiel zwischen Bewertungssubjekt und Bewertungsobjekt. Das Bewertungssubjekt stellt dabei diejenige natürliche oder juristische Person dar, aus deren subjektiver Perspektive die Bewertung des Bewertungsobjektes angenommen wird. Als Bewertungsobjekt gilt hingegen das Unternehmen oder derjenige abgrenzbare Unternehmensteil, der einer Unternehmensbewertung unterzogen wird.1

7.10

Schaut man auf die Entwicklung der Bewertungsgrundsätze zurück, so hat sich die heute in Theorie und Praxis etablierte Auffassung im Zeitablauf herausgebildet. Bis zu Beginn der 60er Jahre dominierte die objektive Werttheorie. Diese ging von der Zielsetzung aus, den objektiven Nutzen eines Betriebes abzubilden. Danach wäre der Unternehmenswert eine intersubjektiv feststellbare Eigenschaft.2 Diesem Ziel konnte aber nur durch einen entsprechenden Rückgriff auf historische oder gegenwärtige Daten und Preise entsprochen werden. Eine Entscheidungsrelevanz ist wegen des fehlenden Subjektbezugs nicht gegeben. Insbesondere konnte in Verkaufssituationen nicht zwischen Käufer- und Verkäuferperspektive unterschieden werden.3

7.11

Demgegenüber stellte die subjektive Werttheorie darauf ab, den Wert eines Unternehmens maßgeblich aus den Absichten und Planungen des Bewertungssubjektes abzuleiten. Damit einher ging eine Fokussierung auf die Gesamtbewertung und einen Zukunftsbezug.4

7.12

In der funktionalen Werttheorie wurden beide Konzepte integriert. Diese Theorie basiert auf den Prinzipien der Subjektivität, der Gesamtbewertung und des Zukunftsbezugs sowie der Zweckabhängigkeit.5 Aufgrund der Zweckabhängigkeit können in Abhängigkeit des Anlasses sowohl subjektive als auch objektivierte Werte zu angemessenen Ergebnissen führen.6 In den Fällen, in denen eine subjektive Wertfindung nicht möglich oder erlaubt ist, ersetzt eine Typisierung die individuellen subjektiven Ausprägungen. Die Bewertung wird objektiviert.7

7.13

Wesentliche Anlässe für eine objektivierte Bewertung sind häufig bei rechtlichen Anlässen gegeben. Bei diesen Anlässen geht es um typisierte Schätzungen, die zu einer bestmöglichen Annäherung an einen idealisierten Verkehrswert führen. Dies erfordert, die wesentlichen wertbestimmenden Faktoren möglichst objektiv abzuleiten. In Deutschland ist ein solches Vorgehen durch den objektivierten Unternehmenswert nach den Grundsätzen des IDW Standard Nummer 1 (IDW S 1) definiert. Dieser nationale Standard liegt aktuell in der Fassung 2008

7.14

1 Vgl. Sieben/Löcherbach/Matschke in Grochla/Wittmann, Handwörterbuch der Betriebswirtschaft4, Sp. 840. 2 Vgl. Peemöller in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung7, S. 4. 3 Vgl. Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung4, S. 16. 4 Vgl. Böcking/Rauschenberg in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung2, § 2 Rz. 12. 5 Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung4, S. 23. 6 Vgl. Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 1976, S. 42. 7 Vgl. Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 1976, S. 26.

Kohl | 491

Kap. 7 Rz. 7.14 | Unternehmensbewertung

vor1. Er spiegelt die vorherrschende nationale Bewertungspraxis wider und ist zugleich mit internationalen Standards kompatibel.

7.15

Der Standard in seiner heutigen Ausprägung hat sich im Laufe der Zeit den aktuellen Besonderheiten immer wieder angepasst. So war die Bewertungspraxis bis 1983 an Mischverfahren orientiert. Hintergrund war die Skepsis gegenüber subjektiven Größen. Die Ableitung der betrieblichen Substanz war nach herrschender Auffassung dagegen mit einem hohen Maß an Genauigkeit zu ermitteln. Um dieser Skepsis Rechnung zu tragen, gab es in der Bewertungspraxis im Gegensatz zur damaligen Bewertungstheorie eine Orientierung an Mischverfahren, in die Ertragswert und Substanzwertüberlegungen eingehen.2 Ab 1983 erfolgte analog zur Bewertungstheorie eine Fokussierung auf Gesamtbewertungsverfahren. Prägend war in Deutschland die Veröffentlichung der Stellungnahme HFA 2/19833, die sich zur alleinigen Relevanz zukunftsorientierter Verfahren bekannte. Begleitet und gefördert wurde dies von Gerichtsentscheidungen in den USA, die auf Distanz zu den damaligen Mischverfahren gingen und Bewertungen nach allgemein akzeptierten Grundsätzen forderten.4

7.16

Ende des letzten Jahrhunderts kam es infolge einer fortschreitenden Internationalisierung deutscher Unternehmen (exemplarisch seien die Aufstellung von Konzernabschlüssen nach internationalen Grundsätzen, Notierungen deutscher Unternehmen an ausländischen Börsen oder grenzüberschreitende Fusionen genannt) und einer stärkeren Bedeutung der Kapitalmärke zu einer weiteren Entwicklung der IDW S 1 Grundsätze. Bedingt durch einen technischen Fortschritt standen Kapitalmarktdaten den Anwendern von Bewertungsmodellen in einem größeren Umfang zur Verfügung. Durch die Integration von Kapitalmarktmodellen wie dem CAPM in die IDW S 1 Grundsätze kam es zu einer Vereinheitlichung mit internationalen Bewertungspraktiken. Parallel dazu konnte gezeigt werden, dass unterschiedliche Bewertungsmethoden wie das Ertragswertverfahren und das DCF-Verfahren sowohl theoretisch als auch in der praktischen Anwendung ineinander überführbar waren und bei gleichen Prämissen zu identischen Ergebnissen führten.5 Durch die Überarbeitung der IDW Grundsätze zwischen 2004 und 2008 konnten auch deutsche Besonderheiten (insbesondere die Berücksichtigung persönlicher Steuern) kompatibel zur internationalen Praxis gestaltet werden.6

7.17

Heute stehen daher mit den IDW S 1 Grundsätzen allgemein anerkannte Bewertungsgrundsätze zur Verfügung, die sowohl im Einklang mit der nationalen Rechtsprechung als auch mit der internationalen Praxis stehen. Grundgedanke ist die Ableitung von Unternehmenswerten durch den Vergleich mit Verkehrswerten. „Bewerten heißt Vergleichen“ ist eine der gewonnenen Grunderkenntnisse, die besagt, dass Werte nur relativ im Vergleich zu anderen Gütern gewonnen werden.7 Prägend für diese Grundsätze ist eine Fokussierung auf Gesamtbewertungsverfahren sowie der Einsatz von Kapitalmarktdaten bei der Ableitung von Kapitalkosten, Plausibilisierungen durch Multiplikatormodelle und die Objektivierung rationaler Erwartungen an die zukünftige Entwicklung.

1 2 3 4 5 6 7

WPg Supplement 3/2008, S. 68 ff., FN-IDW 7/2008, S. 271 ff., IDW Life 8/2016, S. 731. Vgl. Jonas in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung2, § 3 Rz. 11–13. WPg 1983, 468. Vgl. Jonas in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung2, § 3 Rz. 14–16. Vgl. Kohl/Schulte, WPg 2000, 1147. Vgl. Jonas in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung2, § 3 Rz. 20–21. Vgl. Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung2, S. 123.

492 | Kohl

B. Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung | Rz. 7.20 Kap. 7

II. Bewertungsverfahren 1. Überblick Betrachtet man die Vielfältigkeit der unterschiedlichen Bewertungsanlässe und Bewertungsfunktionen wird deutlich, dass es den richtigen Unternehmenswert nicht geben kann. Gleichermaßen gibt es auch nicht die einzelne Bewertungsmethode, die den unterschiedlichen Interessen gerecht werden kann. So hat sich in Theorie und Praxis in den letzten Jahren eine hohe Methodenvielfalt herausgeprägt. Diese lässt sich überblicksartig wie folgt zusammenfassen:

7.18

Zentrale Bedeutung bei den Bewertungsverfahren haben die bereits oben zitierten Gesamtbewertungsverfahren. Diese basieren im Regelfall auf dem Kapitalwertkalkül und stellen auf eine Bewertung der vom Unternehmen als Einheit zukünftig zu erwirtschaftenden Überschüsse ab. Dann wird der Unternehmenswert durch den Gesamtertrag bestimmt, der sich aus dem Unternehmen künftig herausholen lässt. In der Praxis finden sich solche Gesamtbewertungsverfahren in den unterschiedlichen Ausprägungen eines Ertragswertverfahrens und eines DCF-Verfahrens. Neben den Gesamtbewertungsverfahren werden auch sog. Überschlagsverfahren diskutiert. Bei diesen Rechnungen wird der Unternehmenswert aus erzielten oder potentiellen Preisen für das Unternehmen oder für vergleichbare Unternehmen abgeleitet. Wenn diese Verfahren auch auf eine Bewertung des Unternehmens als Ganzes abzielen, werden diese bei den Gesamtbewertungsverfahren dargestellt. Demgegenüber stellen die Einzelbewertungsverfahren nicht auf das Unternehmen als Ganzes, sondern auf die Summe der Werte der einzelnen Bestandteile (Vermögensgegenstände und Schulden) ab. Dabei werden zunächst die Werte der einzelnen Vermögensgegenstände bestimmt. Durch das Aufaddieren der einzelnen Vermögensgegenstände und Schulden kommt es in Summe zu dem gesamten Unternehmenswert.1

7.19

Die Wahl eines angemessenen Bewertungsverfahrens ist dabei abhängig vom Bewertungsanlass und der dabei einzunehmenden unterschiedlichen Perspektive. Aus der Perspektive eines Erwerbers soll eine Investition dergestalt erfolgen, dass sie seine Rendite unter Risikound steuerlichen Gesichtspunkten optimiert. Unter Betrachtung ausschließlich finanzieller Ziele ist daher der Barwert der mit dem Eigentum an dem Unternehmen verbundenen Nettozuflüsse an die Unternehmenseigner als Saldo von Ausschüttung bzw. Entnahmen zu ermitteln. Dabei soll bei der Ermittlung des Barwertes ein Kapitalisierungszinssatz verwendet werden, der die Rendite einer zur Investition in das zu bewertende Unternehmen adäquaten Al-

7.20

1 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung5, S. 8 ff.

Kohl | 493

Kap. 7 Rz. 7.20 | Unternehmensbewertung

ternativanlage repräsentiert.1 Bei erwerbswirtschaftlichen Unternehmen, die unter dem Gesichtspunkt finanzieller Zielsetzung zu bewerten sind, spielen daher die Gesamtbewertungsverfahren eine herausgehobene Rolle.2

7.21

Nimmt man dagegen die Perspektive eines Unternehmenseigners ein, der ein Unternehmen mit dem Ziel betreibt, möglichst gut eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen, können sich andere Perspektiven ergeben. Dies trifft z.B. auf Unternehmen der Daseinsvorsorge oder caritative Unternehmen zu. Ein solcher Unternehmer wird versuchen, die ihm zugewiesenen Aufgaben möglichst preiswert erfüllen zu können. Stehen daher bei einem Unternehmen nicht finanzielle Zielsetzungen, sondern Gesichtspunkte der Leistungserstellung im Vordergrund (z.B. Non-Profit-Unternehmen), so ist als Wert des Unternehmens aus der Sicht des Leistungserstellers nicht der Zukunftserfolgswert, sondern ein Rekonstruktionswert maßgeblich.3 Auch einzelne Vorschriften, die den Bewertungsanlass prägen, können Einfluss auf die Bewertungsverfahren nehmen. Als Beispiel ist der steuerliche Mindestwert in Form des Substanzwertes i.S.d. § 11 BewG zu nennen.

7.22

Neben den direkt zurechenbaren Einzel- und Gesamtbewertungsverfahren gibt es in der Praxis sog. Mischverfahren, die aus einer Kombination beider Verfahren resultieren. Ein Beispiel ist das mittlerweile überholte Stuttgarter Verfahren, welches bis zur Erbschaftsteuerreform 2008 Gegenstand steuerlicher Bewertungen war. Für steuerliche Bewertungen ist dieses auch formal seit 2008 nicht mehr anwendbar.4

7.23

Daneben ergibt sich die Relevanz solcher Mischverfahren aus bestehenden Gesellschaftsverträgen, die noch eine Abfindung nach einem mehr oder weniger individuell definierten Mischverfahren vorsehen. Da es sich bei den noch relevanten Fällen häufig um sehr alte Gesellschaftsverträge handelt, basierten diese bei Abschluss des zugrunde liegenden Gesellschaftsvertrages auf der damals herrschenden Meinung. In den neueren Gesellschaftsverträgen sind solche Verfahren nur noch in Ausnahmefällen sinnvoll. Dies kann immer dann der Fall sein, wenn sich der Wert eines Unternehmens aus zwei Komponenten zusammensetzt. Dies kann z.B. bei freiberuflichen Praxen (Rechtsanwalt, Steuerberater oder Arztpraxen) der Fall sein, bei denen nach der Verkehrsanschauung sowohl das vorhandene Anlagevermögen oder auch ein darüber hinausgehender Übergewinn vergütet wird.

7.24

Liegen solche Besonderheiten nicht vor, stellt sich bei älteren Gesellschaftsverträgen die Frage nach der aktuellen Angemessenheit des Verfahrens. Führen Vertragsklauseln zu einem extremen Missverhältnis zwischen wahrem Wert und vertraglicher Abfindung, können diese gerichtlich angefochten werden.5

2. Gesamtbewertungsverfahren a) Kapitalisierung

7.25

Kennzeichnend für die Anwendung eines Gesamtbewertungsverfahrens ist die Ableitung des Unternehmenswertes durch Diskontierung der künftigen finanziellen Überschüsse auf den Bewertungsstichtag. Rechentechnisch ergibt sich daher der Unternehmenswert durch die Ka1 2 3 4 5

Vgl. IDW S 1, Rz. 4. Vgl. Jonas in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung2, § 3 Rz. 28. Vgl. IDW S 1, Rz. 152. Vgl. Kohl in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung2, § 26 Rz. 2 und 3. Vgl. Ihlau/Kohl, WPg 2017, 397 (401).

494 | Kohl

B. Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung | Rz. 7.28 Kap. 7

pitalisierung der dem Unternehmen zufließenden Zuschüsse. Dies kann durch eine Nettokapitalisierung erfolgen, indem direkt der Marktwert des Eigenkapitals ermittelt wird. Die häufigste Ausprägung erfolgt dabei durch das Ertragswertverfahren. Bei der indirekten Kapitalisierung werden in einem ersten Schritt die finanziellen Überschüsse, die Eigen- und Fremdkapitalgeber zustehen, ermittelt, und mit unterschiedlichen Zinssätzen diskontiert. Das Ergebnis dieser Rechentechnik ist der sog. Gesamtunternehmenswert, der in einem zweiten Schritt auf die Eigen- und Fremdkapitalgeber aufzuteilen ist. In der Praxis wird dazu von diesem Gesamtunternehmenswert der Wert des Fremdkapitals abgezogen, um so auf den Marktwert des Eigenkapitals zu gelangen. Zu den direkten Methoden werden dabei operative Überschüsse herangezogen, die noch nicht durch Fremdkapitalkosten gemindert wurden. Dies ist das Vorgehen bei Anwendung des DCF-Verfahrens bei Anwendung des sog. WACC-Ansatzes. b) Ertragswertverfahren Bei den Ertragswertverfahren wird der Unternehmenswert durch Diskontierung der den Unternehmenseignern in Zukunft als Unternehmen zufließenden finanziellen Überschüsse ermittelt. Die finanziellen Überschüsse sind dabei bereits um Fremdkapitalzinsen, die den anderen Kapitalgebern zur Verfügung stehen, gemindert. Diese sind dann mit einem risikoadäquaten Eigenkapitalkostensatz auf den Bewertungsstichtag abzuzinsen, um sie mit der dem Investor zur Verfügung stehenden Alternativanlage vergleichbar zu machen. Dabei muss der den Eigenkapitalkosten enthaltene Risikozuschlag sowohl das operative als auch das Kapitalstrukturrisiko des zu bewertenden Unternehmens erfassen.

7.26

Das Ertragswertverfahren basiert daher auf dem Kapitalwertprinzip, welches davon ausgeht, dass sich der Wert des Unternehmens aus seinem zukünftigen Nutzen ergibt. Das Ertragswertverfahren basiert damit auf dem Prinzip der Zukunftsbezogenheit. Es stellt einen sog. Zukunftserfolgswert dar, indem auf die zukünftigen Erträge des zu bewertenden Unternehmens abgestellt wird.1 Dabei nimmt der Diskontierungszinssatz sowohl eine finanzmathematische als auch eine ökonomische Funktion wahr. Ökonomisch bildet der Diskontierungszinssatz die beste verdrängte alternative Mittelanlage ab. Er stellt daher die Eigenkapitalkosten des Käufers oder Verkäufers dar. Grundsätzlich sollen die Diskontierungszinsen daher zukunftsorientiert ermittelt werden. Finanzmathematisch ermöglicht die Diskontierung eine Vergleichbarkeit von unterschiedlichen Zahlungszeitpunkten, d.h. von zukünftigen Cashflows, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten anfallen.2

7.27

c) DCF-Verfahren Auch das sog. Discounted-Cashflow-Verfahren stellt einen zukunftsorientierten Wert dar. Vergleichbar mit dem Ertragswertverfahren wird der Unternehmenswert durch Diskontierung zukünftiger Cashflows vermittelt. Dabei können je nach Definition der bewertungsrelevanten Cashflows und der anzuwendenden Diskontierungszinssätze unterschiedliche Verfahren beobachtet werden. Zu nennen sind hier insbesondere der Weighted Average Cost of Capital (WACC-Ansatz), der Flow to Equity (FTE-Ansatz) sowie der Adjusted-Present-ValueAnsatz. Unabhängig von der Vorgehensweise im Einzelnen führen alle Verfahren bei gleichen

1 Vgl. Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung2, S. 116 -118. 2 Vgl. Böcking/Nowak in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung2, § 4 Rz. 13-15.

Kohl | 495

7.28

Kap. 7 Rz. 7.28 | Unternehmensbewertung

Bewertungsannahmen und modellkonsistenten Vorgehensweisen zu identischen Ergebnissen.1

7.29

Üblicherweise werden im Rahmen von DCF-Verfahren sog. WACC-Ansätze verfolgt, in denen sämtliche allen Kapitalgebern zufließende Cashflows mit den gewichteten Kapitalkosten abgezinst werden. Ähnlich wie beim Ertragswertverfahren sind daher die zukünftig operativ zu erzielenden Überschüsse der Ausgangspunkt für die Wertableitung. Dabei werden im ersten Schritt die finanziellen Überschüsse, die insgesamt allen Kapitalgebern zur Verfügung stehen, ermittelt (sog. Free Cashflows). Durch Abzinsung mit einem gewogenen durchschnittlichen Kapitalkostensatz, der Eigen- und Fremdkapitalgeberaspekte berücksichtigt, gelangt man durch die Diskontierung zum Gesamtunternehmenswert. Wird von diesen der Marktwert des Fremdkapitals in Abzug gebracht, so ergibt sich der Marktwert des Eigenkapitals, der den Unternehmenswert repräsentiert.2

7.30

Bei den anderen Ansätzen der DCF-Verfahren werden vergleichbare Grundsätze (Zukunftsbezogenheit) aufrechterhalten. In der konkreten Ausgestaltung unterscheiden sie sich jedoch. So erfolgt beim Flow-to-Equity-Ansatz ebenso wie beim Ertragswertverfahren eine direkte Nettokapitalisierung. Dabei werden die direkt den Eigenkapitalgebern zurechenbaren Cashflows mit den Eigenkapitalkosten des verschuldeten Unternehmens ermittelt. In den zuzurechnenden Cashflows an die Eigenkapitalgeber sind dabei die Fremdkapitalkosten bereits in Abzug gebracht.

7.31

Bei dem Konzept des angepassten Barwertes (APV-Ansatz) wird der Unternehmenswert in seine einzelnen Komponenten zerlegt. Zunächst wird ein ausschließlich eigenfinanziertes Unternehmen angenommen und der Marktwert dieses unverschuldeten Unternehmens hergeleitet. Im zweiten Schritt wird sodann der Werteinfluss der anteiligen Fremdfinanzierung (sog. Tax Shield) separat ermittelt und hinzugerechnet. Durch Abzug des Fremdkapitals zum Marktwert erfolgt abschließend die Überleitung vom Gesamtunternehmenswert auf den Marktwert des Eigenkapitals.3 Wesentlicher Unterschied zwischen dem APV-Ansatz und dem WACC-Ansatz ist daher die konsequente Trennung der Fremdkapitaleffekte. Diese wird bei Anwendung des APV-Ansatzes explizit berechnet und als eigene Komponente dargestellt.4

7.32

Es ist seit vielen Jahren anerkannt, dass Ertragswert- und Discounted-Cashflow-Verfahren sich bei gleichen Prämissen ineinander überführen lassen. Beide Verfahren basieren auf dem gleichen investitionstheoretischen Fundament, bei dem die zukünftig zu erwartenden finanziellen Überschüsse kapitalisiert werden. Das Institut der Wirtschaftsprüfer hat die DCF-Verfahren bereits bei der Neufassung der IDW S 1 Grundsätze im Jahre 2000 als gleichwertige Verfahren anerkannt.5 Kommt es in der Praxis zu unterschiedlichen Verfahren, hat dies keine konzeptionellen Hintergründe. Vielmehr werden implizit oder direkt unterschiedliche Annahmen und Finanzierungsprämissen gesetzt Dies kann z.B. bei der Bemessung des Risikozuschlags oder der Kapitalstruktur der Fall sein.

1 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung5, S. 202. 2 Vgl. Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung7, S. 110 f. 3 Vgl. Jonas/Wieland-Blöse in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung2, § 9 Rz. 43 – 46. 4 Vgl. Kuhner/Maltry, Unternehmensbewertung2, S. 201. 5 Vgl. IDW S 1 i.d.F. 2000, Rz. 106.

496 | Kohl

B. Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung | Rz. 7.36 Kap. 7

d) Multiplikator-Verfahren Zu sonstigen Verfahren zählen insbesondere sog. Multiplikator-Verfahren. Nach diesen Methoden errechnet sich der Wert eines Unternehmens aus dem Produkt einer Bezugsgröße mit einem Multiplikator. Hierbei werden Bewertungsrelationen, die am Kapitalmarkt oder aus Transaktionen beobachtet werden können, auf das Bewertungsobjekt übertragen. Dazu werden Verhältnisse zwischen dem beobachtbaren Marktpreis und einzelnen bekannten Bezugsgrößen, z.B. Umsätze, EBITDA, EBIT, Gewinn, abgeleitet. Ein aus solchen beobachtbaren Preisen ermittelter Multiplikator wird anschließend auf dieselbe Bezugsgröße des zu bewertenden Unternehmens angewandt.

Mit

MPVO

=

Marktpreis Vergleichsobjekt

EGVO

=

Erfolgsgröße Vergleichsobjekt

UW

=

Unternehmenswert Bewertungsobjekt

EGBO

=

Erfolgsgröße Bewertungsobjekt

mEG

=

Multiplikator bezogen auf die relevante Erfolgsgröße

7.33

Ein solches Vorgehen setzt im Wesentlichen drei Schritte voraus. In einem ersten Schritt müssen vergleichbare Unternehmen identifiziert werden, aus denen Vergleichspreise abgeleitet werden. Darüber hinaus müssen die ermittelten Preise über eine Bezugsgröße standardisiert werden. Schließlich sind die standardisierten Preise der Vergleichsunternehmen zu einem einzelnen Multiplikator oder in einer Bandbreite von Multiplikatoren zu aggregieren. Dieser aggregierte Wert kann hinterher auf die vergleichbare Bezugsgröße des Bewertungsobjektes angewandt werden.1

7.34

Diese Verfahren lassen sich systematisieren anhand der unterschiedlichen Bezugsgröße, die durch die Ermittlung des Multiplikators herangezogen wird. Darüber hinaus lassen sich die Multiplikatoren dahin gehend unterscheiden, ob der ermittelte Marktpreis aus Sicht der Eigenkapitalgeber oder aus Sicht von Eigen- und Fremdkapitalgebern (Marktpreis des Gesamtkapitals) erhoben wird. Dabei ist zu beachten, dass sowohl Zähler als auch Nenner der Multiplikatorengleichung nach einheitlichen Kriterien abgeleitet werden.

7.35

Bei der Abgrenzung im Hinblick auf die Bezugsgröße kommen dabei insbesondere finanzielle Ergebnisgrößen wie der Umsatz, das EBITDA oder EBIT zur Anwendung. Da bei diesen Ergebnissen noch kein Abzugsposten für Fremdkapitalzinsen vorgenommen wurde, spiegeln

7.36

1 Vgl. Hachmeister/Ruthardt, DStR 2015, 1769 (1770) mit einer Würdigung unterschiedlicher Aggregationsmöglichkeiten.

Kohl | 497

Kap. 7 Rz. 7.36 | Unternehmensbewertung

diese Bezugsgrößen einen Gesamtunternehmenswert wider. Gleiches gilt, wenn nicht auf finanzielle Größen, sondern auf physische Größen (z.B. Anzahl Kundenverträge) abgestellt wird. Insbesondere bei dem Abstellen auf physische Kenngrößen erfordert aber die Überprüfung, dass der Vergleichswert ebenfalls einen Gesamtunternehmenswert widerspiegelt.

7.37

Als eine maßgebliche Größe, die direkt den Eigenkapitalwert errechnet, ist die Größe „KursGewinn-Verhältnis“ zu betrachten. Bei dieser Kennzahl wird der aktuelle Kurs mit dem Jahresüberschuss in Relation gesetzt. Bei dieser Größe handelt es sich daher um einen Wert, der direkt den Eigenkapitalwert ermittelt, weil in der maßgeblichen Bezugsgröße bereits Aufwendungen für die Fremdkapitalgeber in Abzug gebracht wurden.

7.38

Derartige Verfahren bestechen in ihrer Anwendung durch ihre mutmaßlich einfache Handhabung. Während bei Discounted-Cashflow-Verfahren oder Ertragswertverfahren hohe Anforderungen an die Ableitung künftiger finanzieller Überschüsse gestellt werden, ergibt sich ein Multiplikatorwert als einfaches Produkt einer Bezugsgröße mit einem Multiplikator.1 In der mutmaßlich einfachen Anwendung werden jedoch auch die Grenzen dieses Verfahrens deutlich.2 Um den komplexen Wirkungszusammenhängen bei der Ableitung zukünftiger finanzieller Überschüsse gerecht zu werden, ist die Identifikation geeigneter Vergleichsunternehmen die größte Herausforderung bei der Anwendung einer solchen Methode. Die theoretischen Anforderungen betonen dabei die Vergleichbarkeit hinsichtlich Breite, zeitlicher Struktur und Risiko. Diese Vorgaben werden in der Praxis häufig durch eine Analyse der Branchen, Märkte und Produkte umgesetzt.3 Dabei müssen jedoch alle wertrelevanten Eigenschaften des Bewertungsobjektes in der verwendeten eindimensionalen Multiplikatorengröße zum Ausdruck kommen. Ansonsten würden sich systematische Bewertungsfehler ergeben.4

7.39

Darüber hinaus ist zu beachten, dass Multiplikatorenverfahren häufig als Preisfindungsverfahren dargestellt werden. So leiten sich die Multiplikatoren aus beobachtbaren Preisen am Kapitalmarkt oder gezahlten Kaufpreisen bei sog. transaction multiples aus den gezahlten Preisen ab. Demgegenüber stellen Bewertungsverfahren auf einen subjektiven oder standardisierten Grenzpreis ab, der die Entscheidung über den Kauf oder Verkauf eines Unternehmens bildet. Ob und inwieweit sich diese subjektiven oder standardisierten Entscheidungskomponenten in den beobachtbaren Preisen wiederfinden, bleibt offen. So kann z.B. regelmäßig beobachtetet werden, dass Transaktionsmultiplikatoren regelmäßig eine höhere Ausprägung haben als sog. Kapitalmarktmultiplikatoren. Hintergrund ist die Tatsache, dass in tatsächlichen Transaktionen teilweise auch Synergien seitens des Käufers mitvergütet werden.5

7.40

In Abhängigkeit der verwendeten Bezugsgröße unterstellen Multiplikatoren daher auch in einem unterschiedlichen Umfang vergleichbare Aspekte. Kommt z.B. ein Umsatzmultiplikator zur Anwendung, so sollten das Bewertungsobjekt und das Vergleichsobjekt über eine vergleichbare Kostenstruktur verfügen. Bei Anwendung eines sog. EBITDA-Multiplikators bleibt die tatsächliche Abschreibung des Bewertungsobjektes außen vor. Dies setzt voraus, dass das Bewertungsobjekt und das Vergleichsobjekt über eine vergleichbare Ausstattung an ab-

1 Vgl. Franken/Schulte in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung2, § 11 Rz. 8. 2 Vgl. Hachmeister/Ruthhardt, DStR 2015, 1702 (1702). 3 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung5, S. 216. 4 Vgl. Hachmeister/Ruthardt, DStR 2015, 1769 (1769). 5 Vgl. Franken/Schulte in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung2, § 11 Rz. 9.

498 | Kohl

B. Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung | Rz. 7.44 Kap. 7

schreibbaren Vermögenswerten verfügen. Bei Branchen, in denen daher in einem unterschiedlichen Umfang immaterielle Vermögenswerte aufgedeckt werden, kann es sinnvoll sein, auf eine solche Größe abzustellen. Die Anwendung der Bezugsgröße EBIT berücksichtigt schon die individuelle Kostenstruktur des Bewertungsobjektes sowie die unterschiedliche Höhe möglicher Abschreibungen, stellt aber auf eine vergleichbare Finanzierung ab.1 Da die Qualität der Ergebnisse von der Auswahl der Vergleichsunternehmen abhängig ist, hat der Bewerter bei dieser Auswahl hohen Ansprüchen zu genügen. So wird in der Literatur empfohlen, auf Unternehmen der gleichen Branche abzustellen und diese dann weitergehend zu analysieren.2 Dem Rückgriff auf Vergleichsunternehmen der gleichen Branche liegt die Annahme zugrunde, dass die Unternehmen einer Branche ein ähnlich operatives Risiko aufweisen. Dies kann der Fall sein, wenn beide Unternehmen über ähnliche Produkte verfügen und in einem ähnlichen Zyklus ihrer Investitions- und Entwicklungstätigkeiten sind. Insbesondere bei zyklischen Branchen können sich dabei systematische Unterschiede ergeben. Als Beispiel kann die Pharmabranche genannt werden, bei der die Ertragskraft als Unternehmen primär von den entwickelten Produkten abhängt. Bei der Auswahl der Vergleichsunternehmen ist in einer solchen Branche daher auch zu beachten, dass das Bewertungsobjekt und das Vergleichsobjekt sich in einem vergleichbaren Entwicklungsstadium befinden.3

7.41

Bei den IDW S 1 Grundsätzen werden aufgrund dieser Schwierigkeiten Multiplikatoren daher auch nur als nachrangige Bewertungsverfahren herangezogen, mit denen der errechnete Wert plausibilisiert wird.4 Weiterhin wird vorgetragen, dass beim alleinigen Rückgriff auf abgeleitete Preise die Gefahr besteht, dass temporäre Fehlbewertungen am Kapitalmarkt auf das zu bewertende Unternehmen übertragen werden.5

7.42

Verbreitete Anwendung finden Multiplikatoren bei dem Erstellen einer sog. Fairness Opinion, in der der gesetzliche Vertreter eines Unternehmens seine Kauf- oder Verkaufsentscheidung in finanzieller Hinsicht überprüfen lässt.6 Auch das Steuerrecht sieht in seiner Bewertungshierarchie durch den Rückgriff auf sonstige branchenübliche Verfahren die Möglichkeit für Multiplikatoren vor.7

7.43

3. Einzelbewertungsverfahren a) Isolierte Bewertung Im Gegensatz zu den o.g. Gesamtbewertungsverfahren zeichnen sich die Einzelbewertungsverfahren durch eine isolierte Bewertung der einzelnen Vermögensgegenstände und Schulden zu einem bestimmten Stichtag aus. Dazu werden in einem ersten Schritt die einzelnen Vermögensgegenstände und Schulden einer gesonderten Bewertung unterzogen. Anschließend

1 Vgl. Peemöller/Meister/Beckmann, FB 2002, 197 (199–201); ferner Löhnert/Böckmann in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung7, S. 853; Coenenberg/Schultze, FB 2002, 697 (698). 2 Vgl. Hachmeister/Ruthardt, DStR 2015, 1702 (1706-1708). 3 Vgl. Peemöller/Meister/Beckmann, FB 2002, 197 (204). 4 Vgl. Franken/Schulte in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung2, § 11 Rz. 58. 5 Vgl. IDW S 1 i.d.F 2008, Rz. 143. 6 Vgl. Jonas, WPg 2011, 299 (301). 7 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung5, S. 220.

Kohl | 499

7.44

Kap. 7 Rz. 7.44 | Unternehmensbewertung

werden die Einzelwerte zu einem Gesamtunternehmenswert zusammengefügt.1 Je nach Bewertungskonzeption werden für diese Vermögensgegenstände einzelne Werte ermittelt. Dabei wird zwischen einem Liquidationswert und einem Substanzwert unterschieden.2 b) Liquidationswert

7.45

Der Liquidationswert ist grundsätzlich dann anzusetzen, wenn der Barwert der finanziellen Überschüsse, die sich bei Liquidation des gesamten Unternehmens ergeben, den Fortführungswert übersteigt. Ein solcher Wert wird auch als Zerschlagungswert bezeichnet, der nach herrschender Meinung in der Bewertungstheorie und -praxis die Wertuntergrenze eines Unternehmenswertes darstellt. Einschränkungen von diesem Grundsatz gelten dann, wenn eine Liquidation rechtlich nicht durchführbar oder faktisch ausgeschlossen ist.3

7.46

Inhaltlich unterscheidet sich der Liquidationswert vom Gesamtwert des Unternehmens als „lebende Einheit durch die unterstellte Zerschlagung und Veräußerung aller Vermögensgegenstände und Schulden.4 Technisch ergibt sich der Liquidationswert als Barwert der Nettoerlöse, die sich aus der Veräußerung der Vermögensgegenstände und Schulden abzüglich Liquidationskosten ergeben. Die einzelnen Vermögensgegenstände sind dabei mit ihren jeweiligen Veräußerungserlösen anzusetzen.5 Neben der Realisierung einzelner Wertbeiträge aus der Veräußerung von Vermögensgegenständen sind darüber hinaus entsprechende Liquidationskosten zu erfassen. Dazu zählen mögliche Steuern aus der Aufdeckung stiller Reserven sowie die Kosten der Liquidation oder des Abwicklungsvorgangs selbst. Auch Abbruch-, Sanierungs- und Sozialplanverpflichtungen sind als entsprechende Liquidationskosten zu erfassen.6

7.47

Bei der Ermittlung der einzelnen Werte ist dabei auf die bestmögliche Verwertungs- und Liquidationsmöglichkeit abzustellen. Aufgrund der Prämisse, Werte bei Veräußerung sämtlicher Vermögensgegenstände zu realisieren, ist auch eine mögliche eingeschränkte Verwertbarkeit gerechtfertigt. In der technischen Ausführung ergeben sich dabei insbesondere Anforderungen an die Liquidationsgeschwindigkeit und an die Abgrenzung der Liquidationseinheiten.

7.48

In der Betriebswirtschaftslehre ist anerkannt, dass ein Liquidationswert die Wertuntergrenze darstellt. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass ein rational handelnder Gesellschafter eine Gewinnmaximierung anstrebt. Sofern sich durch die Zerschlagung ein höherer Wertbeitrag realisieren lässt als bei der Fortführung, würde ein solcher Investor die Zerschlagung wählen. Ein Liquidationswert wird daher bei rechtlichen Bewertungsanlässen häufig als fiktiver Wert herangezogen, um eine Wertuntergrenze für chronisch ertragsschwache Unternehmen abzubilden.7

1 2 3 4 5 6 7

Vgl. Kohl in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung2, § 29 Rz. 61. Vgl. Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung4, S. 102. Vgl. Mandel/Rabel in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung7, S. 90. Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung5, S. 206. Vgl. Hüttemann in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung2, § 1 Rz. 38. Vgl. IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 61. Vgl. Fleischer in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung2, § 9 Rz. 6 m.w.N.

500 | Kohl

B. Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung | Rz. 7.53 Kap. 7

c) Substanzwert Im Gegensatz zum Liquidationswert handelt es sich bei dem Substanzwert um den Gebrauchswert der betrieblichen Substanz.1 Einheitlich anerkannte Abgrenzungen und Vorgehensweisen zur Ableitung des Substanzwertes haben sich nicht herausgebildet. Geht man von der Fiktion der Going-Concern-Prämisse aus, ist mit dem Substanzwert prinzipiell der Nachbau des gesamten Unternehmens auf der grünen Wiese gemeint.2 Grundüberlegung in diesem Kontext ist die Ermittlung eines Betrages, der für den fiktiven Nachbau des Bewertungsobjektes geleistet werden muss. Dazu werden die Vermögensgegenstände mit ihren jeweiligen Wiederbeschaffungskosten zum Bewertungsstichtag angesetzt. Unterschieden werden kann dabei zwischen dem Nachbau des identischen Unternehmens und einem effektiven vergleichbaren Unternehmen. Mögliche Unterschiede ergeben sich z.B. bei unterausgelasteten Unternehmen. Bei einer Abbildung des identischen Unternehmens würden auch die nicht genutzten Kapazitäten in den Substanzwert entsprechend eingepreist. Bei der Unterstellung eines effektiven Unternehmens wäre der Umfang der nachzubauenden Kapazitäten an dem tatsächlichen Bedarf auszurichten.

7.49

Zu beachten ist, dass die Ermittlung des Substanzwertes keinem eigenständigen Nutzungskonzept entspricht. Ein solches Nutzungskonzept kann sich einmal aus der Nutzung der betrieblichen Substanz in Form der dauerhaften Fortführung oder aus dem ganzen oder teilweisen Verkauf einzelner Vermögensgegenstände ergeben. Die dauerhafte Nutzung wird dabei durch die Gesamtbewertungsverfahren adäquat abgebildet. Ein ganzer oder teilweiser Verkauf einzelner Vermögensgegenstände findet seinen Niederschlag in einem entsprechenden Substanzwert. Daher hat der Substanzwert bei der Bewertung erwerbswirtschaftlicher Unternehmen keine eigenständige Bedeutung.3

7.50

Bedeutung kann der Substanzwert bei sogenannten Unternehmen haben, die keine finanzielle Zielsetzung verfolgen. Dies ist bei karitativen Einrichtungen oder sogenannten Non-ProfitGesellschaften der Fall. Hier wird zur Ermittlung eines Unternehmenswertes mehr auf die vorhandene Substanz abgestellt, die für die Erfüllung des übergeordneten Zwecks notwendig ist.4

7.51

Eine Bedeutung erlangt der Substanzwert darüber hinaus für steuerliche Bewertungsanlässe. Gem. § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG stellt der Substanzwert, definiert als die Summe der gemeinen Werte abzüglich der gemeinen Werte der Schulden, den Mindestwert bei steuerlichen Anlässen dar.5

7.52

III. Überblick wesentlicher Bewertungsstandards und Vorschriften Wie oben dargestellt erfolgen in Deutschland Unternehmensbewertungen regelmäßig nach den Grundsätzen des IDW Standards S 1. Diese Grundsätze stellen eine Verlautbarung des Instituts der Wirtschaftsprüfer dar und legen den Grundrahmen fest, nach denen Wirtschaftsprüfer unbeschadet ihrer Eigenverantwortlichkeit Unternehmen in Abhängigkeit des jeweiligen Einzelfalls bewerten sollen. Eine Bedeutung erlangt der IDW Standard S 1 nicht 1 Vgl. Fleischer in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung2, § 9 Rz. 15 ff. mit einer Übersicht über den juristischen Meinungsstand. 2 Vgl. IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 170. 3 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung5, S. 204. 4 Vgl. Hüttemann in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung2, § 1 Rz. 57. 5 Vgl. IDW S 1 i.d.F. 2008, Rz. 152.

Kohl | 501

7.53

Kap. 7 Rz. 7.53 | Unternehmensbewertung

durch eine gesetzliche Regelung. Vielmehr hat dieser Bewertungsstandard durch seine laufende Weiterentwicklung Akzeptanz auch über den Berufsstand der Wirtschaftsprüfer hinaus erlangt. Anhand der historischen Entwicklung dieses Standards wird deutlich, dass es sich hierbei nicht um eine statische Bewertungsvorschrift handelt. Vielmehr handelt es sich dabei um ein dynamisches Konzept, in dem laufend aktuelle Entwicklungen aufgegriffen werden. Technisch erfolgt dies durch den Fachausschuss des IDW für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft, der in regelmäßigen Sitzungen aktuelle Entwicklungen der Bewertungspraxis, der Bewertungstheorie sowie maßgebliche Vorschriften aufgreift und eine Empfehlung an die Berufsangehörigen weitergibt.

7.54

Bei diesem Standard handelt es sich um kein detailliertes Kochrezept, sondern um allgemein anerkannte Grundsätze der Unternehmensbewertung. Dieser Standard wird flankiert durch weitere IDW-Verlautbarungen, die auf einzelne Aspekte detaillierter eingehen.

7.55

Die Grundsätze basieren auf den allgemeinen anerkannten Prinzipien der Unternehmensbewertung und stellen für erwerbswirtschaftliche Unternehmen auf das Konzept des Zukunftserfolgswertes ab. In den Fällen der Unternehmen für reine Daseinsvorsorge wird alternativ auf den Substanzwert verwiesen. Wesentliche Grundlage ist dabei die Auseinandersetzung mit der Unternehmensplanung der Gesellschaft. So gehen die Grundsätze des IDW S 1 regelmäßig davon aus, dass eine vom Unternehmen aufgestellte und autorisierte Unternehmensplanung zur Verfügung gestellt wird. Die Auseinandersetzung mit einer solchen Planung stellt dabei die wesentliche Einflussgröße des späteren Unternehmenswertes dar.

7.56

In Abhängigkeit des Bewertungsanlasses wird dabei zwischen subjektiven und objektivierten Unternehmensbewertungen unterschieden. Die Bedeutung der IDW S 1 Grundsätze liegt dabei insbesondere in der Typisierung maßgeblicher Prämissen für die Ableitung eines objektivierten Wertes. Wesentlich für die Unternehmensbewertung ist das Zusammenspiel von Bewertungssubjekt und Bewertungsobjekt. Dabei stellt das Bewertungssubjekt diejenige natürliche oder juristische Person dar, aus deren Perspektive eine Bewertung zu erfolgen hat. In den Fällen, in denen eine subjektive Wertfindung weder möglich oder erlaubt ist, ersetzt eine Typisierung die individuellen subjektiven Ausprägungen. Die Bewertung wird dann objektiviert.1 Die Grundsätze des IDW S 1 geben dafür ein typisiertes Investorenkonzept vor. Dazu gehören Annahmen zur typisierten Steuerbelastung, zur Ableitung der Kapitalkosten und Empfehlung zur sog. Marktrisikoprämie. Darüber hinaus wird der Umgang mit Synergien und die Festlegung der Geschäftspolitik behandelt. Durch den Rückgriff auf die IDW S 1 Grundsätze wird daher ein potentieller Erwerber definiert, aus dessen Perspektive die Bewertung zu erfolgen hat.

7.57

Neben den IDW S 1 Grundsätzen haben sich in Deutschland sowie im deutschsprachigen Umfeld weitere Grundsätze herausgebildet, die teilweise einzelne Aspekte konkretisieren oder auch zu den IDW S 1 Grundsätzen in Konkurrenz stehen.

7.58

In Österreich wird die dortige Unternehmensbewertungspraxis von dem Fachgutachten KFS/ BW 1 der österreichischen Kammer der Wirtschaftstreuhänder geprägt. Diese Regelung stimmt inhaltlich und im Wortlaut größtenteils mit den Grundsätzen des IDW überein. Im Rahmen der Aktualisierung im Sommer 2014 haben sich dabei weitergehende Detaillierungen herausgebildet. Zu nennen sind dabei insbesondere die gesonderte Darstellung zur Überleitung in die ewige Rente sowie Empfehlungen zur Ableitung der Kapitalkosten.2 1 Vgl. zu Einzelheiten die Ausführungen unter Rz. 7.66 ff. 2 Vgl. Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 1976, S. 26.

502 | Kohl

B. Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung | Rz. 7.63 Kap. 7

Vergleichbare Standards haben sich dagegen in der Schweiz bislang noch nicht etabliert. Dabei finden sich in der Fachmitteilung der Unternehmensbewertung, Richtlinien und Grundsätze für die Bewertenden der schweizerischen Treuhandkammer vom April 2008 keine detaillierten Vorgaben an die Bewertung von Unternehmen.

7.59

In Deutschland steht die Best-Practice-Empfehlung der Unternehmensbewertung der DVFA (Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Assetmanagement) in Konkurrenz zu den IDW S 1 Grundsätzen. Die im Dezember 2012 veröffentlichte Verlautbarung propagiert insbesondere die Gleichstellung von Multiplikatorenverfahren zu den zukunftsorientierten Verfahren sowie eine stärkere Betonung des Börsenkurses.

7.60

Neben der DVFA gibt es eine Reihe von Verlautbarungen und Empfehlungen einzelner Berufsgruppen. Dazu gehören die Hinweise 6/2010 der Bundessteuerberaterkammer zur Ermittlung des Wertes einer Steuerberaterpraxis (https://www.bstbk.de/export/sites/standard/de/ressourcen/Dokumente/04_presse/publikationen/02_steuerrecht_rechnungslegung/32_Hinweise-Praxiswert-Maerz_2017.pdf), die BRAK-Mitteilung 6/2009 der Bundesrechtsanwaltskammer zur Bewertung von Anwaltskanzleien (BRAK Mitteilung, 1/2018, S. 6 ff., http://www. brak-mitteilungen.de/media/BRAKMitteilungen_2018_01.pdf), die Verlautbarung Deutsches Ärzteblatt 2008 der Bundesärztekammer mit Hinweisen zu Bewertungen von Arztpraxen v. 9.9.2008 (Deutsches Ärzteblatt 2008, S. 2778-2780, http://www.kbv.de/media/sp/Hinweise_zur_Bewertung_von_Arztpraxen_Dt__Aerzteblatt_51_52_2008.pdf) sowie Hinweise der Arbeitsgemeinschaft der wertermittelnden Betriebsberater im Handwerk (AWH-Standard) • AWH Standard, Version 5.0 vom 01.05.2016, https://awh.zdh.de/fileadmin/user_upload/ awh_2012_13/Handbuch_AWH-Unternehmensbewertung-Version_5.0_-_Stand_01.05.2016. pdf. Diese Empfehlungen stehen dabei nicht in Konkurrenz zu den IDW S 1 Grundsätzen. Vielmehr nehmen es die entsprechenden Verlautbarungen in Anspruch, für ihre jeweilige Berufsgruppe entsprechende Konkretisierung und Detaillierung vorgegeben zu haben. Teilweise werden auch Empfehlungen zur Vereinfachung ausgesprochen.

7.61

Neben den allgemeinen Vorgaben finden sich für steuerliche Zwecke auch konkrete gesetzliche Vorgaben im Bewertungsgesetz. Dieses wurde im Rahmen der Erbschaftsteuerreform 2008 grundsätzlich überarbeitet. Mit dieser Reform ist erstmalig auch für steuerliche Zwecke anerkannt, den gemeinen Wert von Vermögen von Unternehmen und Unternehmensanteilen unabhängig von der Rechtsform anhand von zukunftsorientierten Verfahren abzuleiten. Dabei macht der steuerliche Gesetzgeber eine Reihe von gesetzlichen Vorgaben, die bei steuerlichen Anlässen entsprechend zu beachten sind. Grundsätzlich handelt es sich dabei um die Definition eines Mindestwertes in Form des Substanzwertes, die Unbeachtlichkeit persönlicher Verhältnisse sowie die Besonderheiten bei der Anteilsbewertung. Darüber hinaus hat der steuerliche Gesetzgeber in den §§ 199 ff. BewG mit dem vereinfachten Ertragswertverfahren ein eigenständiges Bewertungsverfahren etabliert, in dem vereinfachte Typisierung hinsichtlich des Zukunftsertrags und bei der Ableitung des Kapitalisierungsgrundsatzes vorgegeben werden.

7.62

Abschließend finden sich in den Verlautbarungen des IDW weitere Standards und Hinweise, die teilweise unmittelbar auf den Grundsätzen des IDW S 1 aufbauen und diese weiter konkretisieren. Als Beispiel ist der Praxishinweis 1/2014 „Besonderheiten bei der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswertes kleiner und mittelgroßer Unternehmen“1 zu nennen. In diesem mit der Bundessteuerberaterkammer parallel erarbeiteten Praxishinweis werden die

7.63

1 WPg Supplement 2/2014, S. 28 ff., FN-IDW 4/2014, S. 282 ff.

Kohl | 503

Kap. 7 Rz. 7.63 | Unternehmensbewertung

Besonderheiten sog. KMU-Unternehmen entsprechend aufgegriffen. Mit dem IDW Standard S 81 liegt darüber hinaus ein methodisch konzeptioneller Rahmen vor, nach welchen Maßstäben ein gefundener Transaktionspreis auf Angemessenheit im Rahmen einer Fairness Opinion überprüft werden kann. Die in dem IDW S 132 hinterlegten Grundsätze greifen darüber hinaus die Besonderheiten bei erb- und familienrechtlichen Bewertungsansätzen auf.

7.64

An dieser Zusammenstellung der einzelnen Standards und Hinweise zeigt sich die prägende Rolle der IDW S 1 Grundsätze. Diese sind aktuell von zwei gegenläufigen Entwicklungen beeinflusst. Zum einen hat sich die Bewertungspraxis bei der Behandlung einzelner Bewertungsthemen in den letzten Jahren dynamisch fortentwickelt. Dies betrifft die Auswertung von Kapitalmarktdaten, die Ableitung angemessener Kapitalisierungsgrundsätze, die differenzierte Behandlung des Überschuldungsgrads oder Einzelheiten der Fremdwährungsumrechnung. Diese Beispiele zeigen, dass die in der Praxis verwendeten Bewertungsmodelle laufend verfeinert werden.

7.65

Dieser technischen Aufrüstung steht dagegen die Sehnsucht insbesondere kleinerer Unternehmen gegenüber, die im Rahmen einfacher typisierter Betrachtung eine erste Indikation des maßgeblichen Unternehmenswertes ermitteln wollen. Die steuerlichen Regelungen des Bewertungsgesetzes geben in dieser Hinsicht eine Reihe von typisierten Lösungen vor. Ein Beispiel ist das vereinfachte Ertragswertverfahren i.S.d. §§ 199 ff. BewG. In diesem Verfahren macht der Gesetzgeber einige direkte Vorgaben für die Bestimmung maßgeblicher Einflussfaktoren für die Unternehmensbewertung Für eine derartige Ableitung einfacher Lösungen und möglicher Typisierung mag es eine Reihe guter Gründe geben. Ein sachgerechter Unternehmenswert setzt jedoch immer die Analyse der maßgeblichen wirtschaftlichen Sachverhalte voraus. So sollte jedem Bewerter bewusst sein, dass ohne eine entsprechende wirtschaftliche Analyse des Sachverhalts kein wirtschaftlich angemessener Unternehmenswert ermittelt werden kann.3

C. IDW S 1 Grundsätze I. Der objektivierte Unternehmenswert als maßgebliches Wertkonzept 7.66

Bei den IDW S 1 Grundsätzen handelt es sich um die in Deutschland prägenden Grundsätze zur Ableitung von Unternehmenswerten. In der Funktion des neutralen Gutachters ermittelt der Anwender dieser Grundsätze dann einen objektivierten Unternehmenswert. Dabei handelt es sich um einen von den individuellen Wertvorstellungen unabhängigen Unternehmenswert.4 Sofern die individuellen Wertvorstellungen nicht bekannt sind, bedarf es einer Typisierung dieser Ausprägungen. Die Bedeutung der IDW S 1 Grundsätze besteht vor diesem Hintergrund darin, ein zusammenhängendes Investorenkonzept entwickelt zu haben, welches diese Objektivierung vornimmt.

7.67

Bei dem objektivierten Unternehmenswert handelt es sich dabei um einen intersubjektiv nachprüfbaren Zukunftserfolgswert aus Sicht eines typisierten Anteilseigners, der sich bei 1 2 3 4

FN-IDW 3/2011, S. 151 ff., WPg Supplement 1/2011, S. 85 ff. IDW Life 7/2016, S. 574 ff. Vgl. Rabel in Schwetzler/Aders, Jahrbuch der Unternehmensbewertung 2015, S. 33. Aktuelle Bespiele zur Vereinfachung finden sich in den Aufsätzen von Franken/Schulte/Rowoldt, WPg 2018, 38 (44); ferner Kohl, WPg 2018, 146.

504 | Kohl

C. IDW S 1 Grundsätze | Rz. 7.72 Kap. 7

Fortführung des Unternehmens auf Basis des bestehenden Unternehmenskonzepts und mit allen realistischen Zukunftserwartungen im Rahmen der Marktchancen und -risiken und finanziellen Möglichkeiten des Unternehmens und sonstiger Einflussfaktoren ergibt.1 Dabei bildet er die vorhandene Ertragskraft ab, die auf den am Bewertungsstichtag vorhandenen Erfolgsfaktoren basiert. Mögliche, aber noch nicht eingeleitete Maßnahmen oder andere, noch nicht im Unternehmenskonzept dokumentierte Maßnahmen sowie die daraus erwarteten finanziellen Überschüsse dürfen nicht erfasst werden. Dies grenzt die dokumentierte Ertragsmöglichkeit von „bloßen Ideen“ ab.2

7.68

Dabei ist nicht nur eine Begrenzung auf die vorhandene Ertragskraft, sondern auch auf die übertragbare Ertragskraft vorzunehmen. Die übertragbare Ertragskraft kann davon abhängig sein, ob das bisherige Management im Unternehmen verbleibt oder ausscheidet. Grundsätzlich wird typisierend unterstellt, dass das vorhandene Management im Unternehmen verbleibt. Eine Ausnahme besteht bei der Bewertung sog. kleiner und mittelgroßer Unternehmen, die häufig von personenbezogenen Faktoren geprägt sind. Solche Erfolgsbeiträge, die losgelöst vom bisherigen Eigentümer nicht realisiert werden können, sind außer Betracht zu lassen.3

7.69

Eine weitere Besonderheit besteht in der Behandlung von Synergien. Diesbezüglich trennt der Standard zwischen sog. echten und unechten Synergieeffekten. Im Sinne eines objektivierten Unternehmenswerts sind nur die sog. unechten Synergieeffekte zu betrachten. Dabei handelt es sich um solche, die mit einer Vielzahl möglicher Erwerber realisiert werden können. Sie grenzen sich von den echten Synergieeffekten ab, die ausschließlich durch Kooperation ganz bestimmter Unternehmen aufgrund spezifischer Eigenschaften realisiert werden können. Im objektivierten Unternehmenswert finden dann die unechten Synergieeffekte, die auch ohne Durchführung der dem Bewertungsanlass zugrunde liegenden Maßnahmen realisiert werden können und die synergiestiftenden Maßnahmen, die bereits eingeleitet oder im Unternehmenskonzept konkret und plausibel dokumentiert sind, ihren Niederschlag. Eine Erfassung derartiger Einflüsse wäre zudem auch mit der Wurzeltheorie nicht vereinbar.4

7.70

Abschließend ist für die Ableitung objektivierter Unternehmenswerte der Zugang zu unternehmensinternen Unterlagen prägend. Die vom Unternehmen aufgestellte und verabschiedete Planungsrechnung bildet dabei die Grundlage aus der die erwarteten finanziellen Überschüsse abgeleitet werden.

7.71

II. Vorgehen zur Ableitung objektivierter Unternehmenswerte 1. Ableitung finanzieller Überschüsse a) Ausgangssituation Wie oben beschrieben basieren die heute herrschenden Methoden der Unternehmensbewertung auf dem Grundgedanken des Zukunftserfolgswertes. Dabei werden die zukünftigen finanziellen Überschüsse herangezogen und mit angemessenen Kapitalkosten auf den Bewer-

1 Vgl. IDW S 1 (2008), Rz. 12. 2 Vgl. IDW S 1 (2008), Rz. 29. 3 Vgl. WP-Handbuch Band II 2014, Abschn. A, Rz. 87; Castedello, Bewertung und Transaktionsberatung, Abschnitt A, Rz. 266. 4 Vgl. IDW S 1 (2008), Rz. 38 ff.

Kohl | 505

7.72

Kap. 7 Rz. 7.72 | Unternehmensbewertung

tungsstichtag abgezinst. Der Unternehmenswert ergibt sich dann als Barwert der auf den Bewertungsstichtag abgezinsten finanziellen Überschüsse. Da die finanziellen Überschüsse zum Bewertungsstichtag nicht bekannt sind, müssen diese entsprechend prognostiziert werden und sind daher mit einer Unsicherheit behaftet. Im Rahmen der Unternehmenswertung muss dieser Unsicherheit Rechnung getragen werden. Dies geschieht in der Praxis in Form der sog. Risikozuschlagsmethode. Hierzu wird der maßgebliche Kapitalisierungszinssatz um einen Risikozuschlag ergänzt.

7.73

Voraussetzung für die Ableitung der finanziellen Überschüsse ist daher nicht die Annahme, dass diese hinreichend sicher sind. Entscheidend ist vielmehr, dass die anzusetzenden finanziellen Überschüsse erwartungswertneutral sind, d.h., dass die Erträge weder systematisch überschätzt noch unterschätzt werden.1

7.74

Nachfolgend wird daher im ersten Schritt auf die Ableitung zukünftiger finanzieller Überschüsse abgestellt. Anschließend wird auf die Herleitung eines angemessenen Kapitalisierungszinssatzes eingegangen.

7.75

Voraussetzung an eine adäquate Ableitung zukünftiger finanzieller Überschüsse ist eine integrierte Unternehmensplanung. Eine solche setzt daher neben der Planung der GuV auch auf der Planung einer Bilanz sowie einer Finanzbedarfsrechnung auf. Selbst wenn ausschließlich Größen der GuV im Rahmen der finanziellen Überschüsse kapitalisiert werden, darf dies nicht zu einer ausschließlichen Betrachtung von Ergebniszahlen führen. Vielmehr ist die GuV auch um eine Entwicklung der entsprechenden Bilanzpositionen zu ergänzen. Dies wird in der Praxis regelmäßig durch eine Finanzbedarfsrechnung abgebildet. Eine solche Finanzbedarfsrechnung ist Grundlage für die Herleitung des Zinsergebnisses und stellt sicher, dass die Entwicklung der Plan-GuV konsistent zur Entwicklung der Planbilanzen verläuft.2

7.76

Folgendes Beispiel soll die Notwendigkeit einer integrierten Planungsrechnung verdeutlichen. Im Rahmen ihres Leistungserstellungsprozesses produzieren Unternehmen Güter, die sie anschließend an ihre Kunden verkaufen. Für diesen Leistungserstellungsprozess sind Investitionen in materielle und immaterielle Vermögensgegenstände notwendig. Durch das Zusammenwirken dieser einzelnen Vermögensgegenstände verfügt ein Unternehmen damit über die Fähigkeit, zukünftige Überschüsse zu generieren. Dabei nutzen sich entsprechende Investitionen im Zeitablauf sukzessive ab. Eine integrierte Planungsrechnung muss daher sicherstellen, dass im regelmäßigen zeitlichen Intervall Investitionen in die betriebliche Substanz erfolgen, um ein geplantes Umsatzniveau dauerhaft aufrechterhalten zu können. Darüber hinaus geht eine Veränderung des Umsatzes auch im Regelfall mit einer Veränderung des Working Capital einher. Unter einem Working Capital versteht man das kurzfristig gebundene, nicht zinstragende Vermögen in Form von operativen Forderungen aus Lieferungen und Leistungen oder operativen Verbindlichkeiten. Dabei ist im Regelfall davon auszugehen, dass mit einer Erhöhung des Umsatzes auch ein Anstieg des gebundenen Vermögens einhergeht. Jeder Umsatzsteigerung folgt daher auch ein entsprechender Finanzbedarf, der entsprechend abzubilden ist und zukünftig zu einem veränderten Zinsergebnis führt.

1 Vgl. WP-Handbuch Band II 2014, Abschnitt A, Rz. 91; Castedello, Bewertung und Transaktionsberatung, Abschnitt A, Rz. 215. 2 Vgl. Franken/Schulte in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung2, § 5 Rz. 2 und 3.

506 | Kohl

C. IDW S 1 Grundsätze | Rz. 7.80 Kap. 7

Insbesondere bei der Bewertung kleiner und mittelgroßer Unternehmen wird dabei häufig vorgetragen, dass derartige Unternehmen nicht über das Instrument einer integrierten Planungsrechnung verfügen. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass auch wenn ein entsprechendes Instrumentarium seitens der Gesellschaft nicht verfügbar ist, so doch die einzelnen Teilpläne aufeinander abzustimmen sind. So findet sich in der Literatur auch der Vorschlag, weniger die Ertragsüberschüsse als vielmehr die entstehenden Zahlungsströme zu prognostizieren.1 Die konkrete Herleitung einer integrierten Planungsrechnung kann daher auch auf Basis vereinfachter Annahmen erfolgen. Ihre grundsätzliche Anwendung ist für die Herleitung sachgerechter finanzieller Überschüsse jedoch zwingend erforderlich.2

7.77

b) Vergangenheitsanalyse Zur Herleitung einer sachgerechten Planungsrechnung sind daher entsprechende Informationen zu beschaffen. Dafür sind auch vergangenheits-, stichtags- und zukunftsorientierte Unternehmensanalysen erforderlich.

7.78

Ausgangspunkt einer solchen Planungsrechnung ist eine Vergangenheitsanalyse des zu bewertenden Unternehmens. Diese dient als Grundlage für die Prognose künftiger Entwicklung und für die Durchführung weiterer Plausibilitätsüberlegungen.3 Im Rahmen dieser Untersuchung sollte ein grundsätzliches Verständnis des Geschäftsmodells des zu bewertenden Unternehmens sowie der zentralen Werttreiber gewonnen werden. Auch betriebswirtschaftliche Zusammenhänge und Auswirkungen auf das Geschäftsmodell sind hier entsprechend vorzunehmen. Dazu sind die entsprechenden leistungs- und finanzwirtschaftlichen Daten der Vergangenheit des Unternehmens entsprechend aufzubereiten.4 Hinsichtlich des Zeitraums einer Vergangenheitsanalyse gibt es keine konkreten Vorschriften. In der Praxis hat sich ein Zeitraum von drei bis fünf Jahren als sinnvoll etabliert. Insbesondere bei konjunkturabhängigen Unternehmen sollte dabei auch ein vollständiger Konjunkturzyklus betrachtet werden.5

7.79

Um die entsprechenden Kennziffern in der Vergangenheit transparent herauszustellen und mit den Ausprägungen der Planungsrechnung zu vergleichen, sind diese im ersten Schritt entsprechend zu bereinigen. Dabei sind die Erträge und Aufwendungen und Sondereffekte zu bereinigen, die nicht im normalen Geschäftsverlauf anfallen werden. Ziel ist die Ermittlung eines dem normalen Geschäftsverlauf entsprechenden Ergebnisses, welches dann als Grundlage für die Prognose oder Plausibilitätsüberlegung der künftigen Ergebnisse herangezogen werden kann. Daher sollte die Bereinigung folgende Punkte umfassen:6

7.80

– Bereinigung außerordentlicher oder aperiodischer Ergebniseffekte – Bereinigung von Sondersachverhalten, die auf Änderung der Bilanzierungsvorschriften zurückgehen

1 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung5, S. 22. 2 Vgl. Kohl, WPg 2018, 146 (148). 3 Vgl. auch Franken/Schulte in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung2, § 5 Rz. 14. 4 Vgl. IDW S 1, Rz. 72. 5 Vgl. WP-Handbuch Band II 2014, Abschnitt A, Rz. 230; Castedello, Bewertung und Transaktionsberatung, Abschnitt A, Rz. 250. 6 Vgl. Popp in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung7, S. 198.

Kohl | 507

Kap. 7 Rz. 7.80 | Unternehmensbewertung

– Bereinigung von Ergebnisbeiträgen, die im Zusammenhang mit dem nicht betriebsnotwendigen Vermögen bestehen – Bereinigung weiterer unternehmensspezifischer Punkte, z.B. personenbezogener Faktoren

7.81

Ein im Rahmen dieser Vergangenheitsanalyse aufbereitetes Ergebnis stellt dann einen normalisierten Geschäftsverlauf dar. Dieses ist jedoch für die Zukunft nicht zwingend fortzuschreiben. Vielmehr sind die Ergebnisse der Vergangenheitsanalyse noch mit den Erkenntnissen des wirtschaftlichen Umfelds abzugleichen.

7.82

Im Einzelnen bietet es sich an, bei der Vergangenheitsanalyse die wesentlichen Umsatz- und Kostenaspekte herauszuarbeiten. Primäres Ziel für den Erwerber eines Unternehmens ist die Erkenntnis über die Zusammensetzung der wichtigsten Produkte.1 Im Rahmen der Umsatzanalyse kann es dabei sinnvoll sein, diese entsprechend nach einzelnen Absatzsegmenten oder Kundengruppen aufzugliedern. Sofern Umbrüche in der Markt- oder Kundenstruktur vorliegen, können auch die Vergangenheitszahlen an die aktuelle Situation angepasst werden. Dies erleichtert einen Vergleich mit den zukünftig zu erwartenden Umsatzzahlen

7.83

Neben der GuV sind auch entsprechende Besonderheiten im Rahmen der Bilanzanalyse aufzubereiten. Dies kann z.B. Posten mit einer außergewöhnlichen Kapitalbindung betreffen. Außergewöhnlich hohe Außenstände, die auf einen separierbaren Anlass zurückzuführen sind, wären daher z.B. zu bereinigen. Gleiches gilt für Rückstellungen, die auf einmaligen Sachverhalten beruhen und sich zukünftig nicht wiederholen. Derartige Posten haben einen hohen Einfluss auf den zukünftigen Kapitalbedarf. Durch die Analyse der entsprechenden Erfolgsfaktoren der GuV und der Bilanz können daher die bisherigen leistungs- und finanzwirtschaftlichen Entwicklungen entsprechend aufbereitet werden.

7.84

Neben der Aufbereitung der Vergangenheitszahlen sollte eine Analyse des Unternehmensumfelds erfolgen. Dazu sind u.a. die übergeordneten externen Rahmenbedingungen insbesondere gesamtwirtschaftlicher, politischer, gesellschaftlicher oder technologischer Entwicklungen zu verstehen. Die politischen Rahmenbedingungen geben dabei z.B. wichtige Hinweise über mögliche Richtlinien, Gesetze oder Verordnungen, die unmittelbar auf die Fähigkeit einwirken, zukünftige finanzielle Überschüsse zu erzielen. Eine Analyse der technologischen Entwicklung gibt Anhaltspunkte über den technologischen Entwicklungsstand des Unternehmens und die Notwendigkeit, sich zukünftig an den Wandel des technischen Niveaus anzupassen. Daneben können sich durch eine Analyse der Branchen und Wettbewerber wichtige Anlasspunkte ergeben.2

7.85

Während diese Analyse wichtige Anhaltspunkte über das Umfeld des zu bewertenden Unternehmens bietet, ist abschließend die Stellung des betroffenen Unternehmens in diesem Umfeld zu analysieren. Dabei ist insbesondere zu erkunden, ob das Unternehmen strategische Wettbewerbsvorteile hat, die sich lang und zukunftsorientiert auswirken können. Auch mögliche Abhängigkeiten von Kunden oder Produkten sind hier entsprechend zu analysieren. c) Herleitung der zukünftigen finanziellen Überschüsse

7.86

Die oben genannten Analyseschritte helfen einem Bewerter, die wesentlichen Einflussfaktoren auf finanzielle Überschüsse eines Unternehmens zu erkennen. Sie stellen jedoch nur die Basis 1 Vgl. WP-Handbuch Band II 2014, Abschnitt A, Rz. 257 ff. 2 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung5, S. 21.

508 | Kohl

C. IDW S 1 Grundsätze | Rz. 7.89 Kap. 7

für weitergehende Überlegungen dar, weil im Rahmen einer Bewertung nach einem Zukunftserfolgsmodell auf die zukünftigen finanziellen Überschüsse abzustellen ist. Für die Planung dieser zukünftigen finanziellen Überschüsse wird dabei in der Praxis zweistufig vorgegangen. Hintergrund ist die Annahme, dass es sich bei einer Unternehmung um eine unendliche Lebensdauer handelt. Da eine Zukunftsentwicklung per se nur eingeschränkt vorhersagbar und planbar ist, wird dazu die voraussichtliche Entwicklung in unterschiedliche Phasen eingeteilt. Für einen überschaubaren Zeitraum lassen sich die voraussichtlichen Entwicklungen finanzieller Überschüsse beurteilen und sicher prognostizieren. In der Praxis werden daher in dieser ersten Detailplanungsphase oder Phase 1 die künftigen finanziellen Überschüsse konkret prognostiziert. Kennzeichnend ist die konkrete Planung einzelner GuV- und Bilanzpositionen auf Basis konkreter Erwartungen.1 Im Anschluss an die Detailplanungsphase schließt sich die sog. ewige Rente an. Mit zunehmender Länge des Planungszeitraums steigt dabei die Unsicherheit über die sachgerechte Planungsgröße an. Dieser Unsicherheit darf aber nicht dadurch begegnet werden, dass nach Ablauf eines planbaren Zeitraums jede weitere Planung abgeschnitten wird. Daher basiert die ewige Rente ausgehend von der Detailplanung auf langfristiger Fortschreibung von Trendentwicklungen unter Berücksichtigung der erwarteten markt- und unternehmensbezogenen Veränderungen der finanziellen Überschüsse. Idealerweise wird dazu auf das letzte Planjahr aufgesetzt. Dazu ist es jedoch erforderlich, dass sich ein Unternehmen zum Ende des Planungszeitraums in einem sog. eingeschwungenen Zustand befindet. Sofern ein solcher Zustand nach Ablauf der Detailplanungsphase noch nicht vorliegt, bietet es sich auch an, das ZweiPhasen-Modell in ein Drei-Phasen-Modell übergehen zu lassen. In der zusätzlichen Phase kann dabei eine Überleitung zwischen dem detaillierten Planjahr und einem eingeschwungenen Zustand in der ewigen Rente vorgenommen werden. Hinsichtlich der Länge des Detailplanungszeitraums gibt es keine allgemeine Vorgabe. Diese hängt vielmehr von einzelnen Faktoren im Einzelfall ab. Dazu zählen z.B. Faktoren wie Größe, Struktur und Branche des Unternehmens als auch die Planbarkeit finanzieller Überschüsse im Konkreten. Üblicherweise findet man in der Praxis Zeiträume zwischen drei und fünf Jahren.2

7.87

Da die erwarteten Größen nicht mit Sicherheit bestimmt werden können, steht und fällt die Qualität eines Unternehmenswertes mit der entsprechenden Prognose der künftigen finanziellen Überschüsse. Aus diesem Grund werden die Methoden zur Planungsplausibilisierung regelmäßig verbessert. Ein wichtiger Schritt in dieser Entwicklung ist der IDW Praxishinweis 2017 „Beurteilung einer Unternehmensplanung bei Bewertung, Restrukturierung, Due Diligence und Fairness Opinion“3. In diesem Praxishinweis hat das IDW erstmals Hilfestellung für die Plausibilisierung von Planungsrechnungen gegeben. Als Maßstab für die Plausibilität werden dabei die rechnerische und formale Plausibilität sowie die materielle interne und materielle externe Plausibilität genannt. Darüber hinaus findet sich in der Literatur eine Reihe von Hinweisen, wie die einzelnen GuV- und Bilanzposten plausibilisiert werden können.4

7.88

Ausgangspunkt für die Ableitung zukünftiger finanzieller Überschüsse im Detailplanungszeitraum stellen dabei regelmäßig die Umsatzerlöse dar. Diese sind auf Basis voraussichtlicher Preise und Mengen abzuleiten. Bei der Ableitung des Preis- und Mengengerüsts können die

7.89

1 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung5, S. 18–22. 2 Vgl. WP-Handbuch Band II 2014, Abschnitt A, Rz. 233–236; Castedello, Bewertung und Transaktionsberatung, Abschnitt A, Rz. 250-252. 3 IDW Life 3/2017, S. 343 ff. 4 Vgl. WP-Handbuch Band II 2014, Abschnitt A, Rz. 236–238.

Kohl | 509

Kap. 7 Rz. 7.89 | Unternehmensbewertung

konkreten Erkenntnisse aus der Vergangenheit sowie die daraus resultierenden Trends entsprechend berücksichtigt werden. Idealerweise sollten die einzelnen geplanten Mengen dabei nach Kunden, Produkten oder Sparten differenziert werden. Dies erleichtert die Analyse möglicher Veränderungen des unterstellten Produktmix. Liegt ein solcher veränderter Produktmix vor, sind auch die Auswirkungen auf andere Bereiche (Materialaufwandsquote, Werbung, Qualitätspolitik, Absatz- und Lieferverträge) zwingend zu beachten.

7.90

Ausgehend von dem geplanten Mengengerüst kann im zweiten Schritt die Prognose des Materialaufwands erfolgen. Dabei ist zu beachten, ob das Unternehmen über langfristige Beschaffungsverträge verfügt. Gegebenenfalls sind Preise über einen längeren Zeitraum im Vorfeld vertraglich fixiert. Darüber hinaus können die herausgearbeiteten Trends aus der Vergangenheitsanalyse in die Entwicklung des Materialaufwands einfließen. Auch Einflüsse der Lieferantenstruktur (z.B. die Abhängigkeit von Großlieferanten) sind hier zu beachten.1

7.91

Ausgangspunkt für die Planung des Personalaufwands ist der zum Bewertungsstichtag vorhandene Personalbestand. Darauf aufbauend können zukünftige Lohn- und Gehaltssteigerungen entsprechend prognostiziert werden. Gleiches gilt für mögliche strukturelle Anpassungen des Personalbestandes. Dabei ist zu beachten, dass mögliche Anpassungen des Personalbestands bei der Ableitung von objektivierten Unternehmenswerten auf hinreichend konkretisierten Maßnahmen basieren sollen. Darüber hinaus beinhaltet der Personalaufwand die voraussichtliche Entwicklung des Pensionsaufwands. Für eine Ableitung dieses Aufwandes ist regelmäßig eine Reihe von versicherungsmathematischen Überlegungen notwendig. Hierzu sollte auf vorliegende Pensionsgutachten zurückgegriffen werden.2

7.92

Die Planung der Abschreibung erfolgt auf Basis der zum Bewertungsstichtag vorhandenen Restbuchwerte unter Berücksichtigung zukünftiger Investitionen. Daher ist eine Abstimmung mit der Planung der Investitionen erforderlich.

7.93

Die sonstigen betrieblichen Aufwendungen und Erträge stellen häufig einen Sammelposten für unterschiedliche Komponenten dar. Ein einheitliches Vorgehen bei der Planung dieser Posten wird es daher regelmäßig nicht geben. Diese sind vielmehr stark vom jeweiligen Einzelfall abhängig. Zu beachten ist, dass diese Sammelposten sowohl fixe als auch variable Komponenten beinhalten können. Die variablen Komponenten (z.B. Fracht- und Transportkosten) sind dabei mit den Planungsprämissen der Umsatzplanung zu koordinieren. Unter den sonstigen betrieblichen Erträgen erfolgt dabei regelmäßig der Ausweis von Erträgen aus Anlagenverkäufen oder der Auflösung von Rückstellungen. Bei derartigen Posten ist sicherzustellen, ob und in welchem Umfang sie dauerhaft anfallen können. Für Bewertungszwecke werden dabei auch Elemente der sonstigen Steuern unter den sonstigen betrieblichen Aufwendungen ausgewiesen. Dies betrifft die nicht gewinnabhängigen Steuern wie z.B. die Kraftfahrzeugsteuer oder die Grundsteuer. Diese sonstigen Steuern stellen Kostenbestandteile dar und sind daher auch bei der Ableitung des operativen Ergebnisses entsprechend zu berücksichtigen. Dies hat zur Konsequenz, dass bei der Planung der Steuern nur die variablen Ertragsteuern zu berücksichtigen sind.3

7.94

Neben der Planung der einzelnen Größen der GuV-Rechnung sind auch die einzelnen Bilanzgrößen entsprechend fortzuschreiben. In diesem Zusammenhang muss man festhalten, dass

1 Vgl. Franken/Schulte in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung2, § 5 Rz. 67 ff. 2 Vgl. WP-Handbuch Band II 2014, Abschnitt A, Rz. 263. 3 Vgl. WP-Handbuch Band II 2014, Abschnitt A, Rz. 264–267.

510 | Kohl

C. IDW S 1 Grundsätze | Rz. 7.100 Kap. 7

insbesondere für kleine Unternehmen häufig eine eigene Bilanzplanung nicht vorliegt. Unabhängig davon ist für die Ableitung finanzieller Überschüsse eine integrierte Betrachtung der GuV-Rechnung, der Bilanz und der Kapitalflussrechnung erforderlich. Dazu sind zumindest die Trendentwicklungen in den wesentlichen Bilanzposten vorzunehmen. Es ist daher sinnvoller, eine vereinfachte Fortschreibung unter Beachtung bestimmter Trends vorzunehmen, als die Bilanzplanung als solches zu ignorieren. Ihre Bedeutung hat die Bilanzplanung insbesondere als Voraussetzung für die Herleitung des Kapitalbedarfs, aus dem sich die Finanzplanung und die Planung des Zinsergebnisses ergeben. Dazu wird üblicherweise auf den letzten verfügbaren Bilanzstichtag abgestellt. Der letzte Bilanzstichtag vor dem Bewertungsstichtag wird dabei auch als technischer Bewertungsstichtag bezeichnet. Die zu diesem Stichtag vorhandene Vermögenssubstanz stellt dabei die Ausgangsgröße für die Weiterentwicklung dar.

7.95

Für die Entwicklung des Anlagevermögens ist dabei insbesondere die zukünftige Investitionstätigkeit vorzunehmen. Die Planung der verfügbaren Kapazitäten ist dabei mit der zugrunde gelegten Mengenplanung bei den Umsatzerlösen abzustimmen. Darüber hinaus können sich aus dem bilanzierten Anlagevermögen auch Anhaltspunkte für einen Investitionsstau und entsprechend erforderliche Nachholeffekte ergeben. Dies ist dann der Fall, wenn das Anlagevermögen zum letzten Bilanzstichtag bereits überwiegend abgeschrieben ist.

7.96

Neben dem Anlagevermögen ist auch das unverzinsliche Umlaufvermögen entsprechend zu planen. Die üblichen Komponenten des Working Capitals (Vorräte, Forderungen aus Lieferungen und Leistungen sowie Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen) sind anhand ihrer Ausprägung in der Vergangenheit sowie ihrer Weiterentwicklung fortzuschreiben. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass mit einer Ausweitung des Umsatzes regelmäßig auch eine Vergrößerung des gebundenen Kapitals (Forderungen aus Lieferungen und Leistungen) einhergeht.

7.97

Ein häufiger Diskussionspunkt im Rahmen der Bilanzplanung ist die Frage, ob und in welchem Umfang eine betriebsnotwendige Kasse vorgehalten werden sollte. Dabei sind die individuellen Besonderheiten im Einzelfall zu beachten. Einflussfaktoren auf den Umfang einer betriebsnotwendigen Kasse können sich dabei aus dem zeitlichen Anfall der Umsatzerlöse im Jahresablauf, der Kostenverteilung sowie des allgemeinen Cash-Managements ergeben.

7.98

Neben diesen unverzinslichen Komponenten sind abschließend auch die zinstragenden Verbindlichkeiten fortzuschreiben. Diese ergeben sich dabei als Residualgröße der fortgeschriebenen sonstigen Bilanzposten. Die zinstragenden Verbindlichkeiten gehen dabei in die Finanzbedarfsrechnung ein und stellen die Grundlage für die Ermittlung des Finanzergebnisses dar.

7.99

Einfluss auf den Finanzbedarf haben auch Veränderungen des Eigenkapitals. Dieses verändert sich im Planungszeitraum im Wesentlichen durch Thesaurierungen. Hinsichtlich der Ausschüttung sieht der IDW S 1 dabei konkrete Regelungen vor. Diese unterscheiden zwischen der Ausschüttungsannahme im Detailplanungszeitraum sowie der ewigen Rente. In der Detailplanungsphase sind die Ausschüttungen auf Basis des individuellen Unternehmenskonzeptes unter Berücksichtigung der bisherigen geplanten Ausschüttungspolitik, der Eigenkapitalausstattung und der steuerlichen Rahmenbedingungen vorzunehmen.1 Sofern für die thesau-

7.100

1 Vgl. WP-Handbuch Band II 2014, Abschnitt A, Rz. 276–278; Castedello, Bewertung und Transaktionsberatung, Abschnitt A, Rz. 278–279.

Kohl | 511

Kap. 7 Rz. 7.100 | Unternehmensbewertung

rierten Mittel in der Planungsrechnung keine konkrete Verwendung hinterlegt ist, muss der Bewerter sachgerechte Annahmen für eine Mittelverwendung treffen. Kommt es dadurch zum Aufbau nicht betriebsnotwendiger liquider Mittel, ist die Thesaurierungsannahme kritisch zu hinterfragen. In einem solchen Fall bietet es sich dann an, anstelle der geplanten Thesaurierung eine Ausschüttung vorzunehmen. Alternativ kann eine kapitalwertneutrale Wiederanlage dieser liquiden Mittel erfolgen.1

7.101

Zur Ableitung der finanziellen Überschüsse sind abschließend die voraussichtlichen Ertragsteuern anzusetzen. Da sich der Unternehmenswert grundsätzlich durch Diskontierung der den Anteilseignern zufließenden finanziellen Überschüsse zusammensetzt, sind daher sowohl die Ertragsteuern des Unternehmens als auch grundsätzlich Ertragsteuern auf Ebene der Unternehmenseigner wertmindernd zu berücksichtigen. Bei der Kürzung um Ertragsteuern des Unternehmens sind dabei alle anfallenden in- und ausländischen Ertragsteuern anzusetzen. Unabhängig von der Rechtsform sind dabei für alle Gewerbebetriebe Gewerbesteuern in Abzug zu bringen. d) Besonderheiten bei der steuerlichen Behandlung der Anteilseigner

7.102

Hinsichtlich der Besteuerung auf Ebene der Anteilseigner ergibt sich dabei seit dem IDW 2008 eine differenzierte Vorgehensweise. Grundsätzlich ist anerkannt, dass persönliche Steuern wertrelevant sind. Daher sind Zuflüsse an die Anteilseigner grundsätzlich mit persönlichen Steuern zu belasten. Seit dem IDW 2008 ergibt sich jedoch die Möglichkeit, die steuerlichen Verhältnisse der Anteilseigner typisiert zu erfassen. Dies wird im IDW S 1 unter dem Begriff der sog. mittelbaren Typisierung erfasst. Im Rahmen dieser mittelbaren Typisierung werden persönliche Steuern nicht explizit erfasst. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass die im Zähler als auch im Nenner anfallenden persönlichen Steuern sich gegenseitig nivellieren. Ein solches Vorgehen ist jedoch nur bei der Bewertung von Kapitalgesellschaften möglich, da bei Kapitalgesellschaften bereits die Gewerbe- als auch die Körperschaftsteuer in Abzug gebracht worden ist. Bei der Bewertung von Personengesellschaften hingegen erfolgt eine Belastung mit Ertragsteuern nur in Form der Gewerbesteuer. Da Personengesellschaften und Einzelunternehmen für Zwecke der Einkommensteuer keine eigenständigen Steuersubjekte sind, erfolgt die Einkommensbesteuerung auf Ebene der Eigentümer. Daher ist bei diesen Rechtsformen auch eine persönliche Ertragsteuerbelastung der Unternehmenseigner zu erfassen. So schreibt der IDW S 1 explizit vor, dass eine mittelbare Typisierung nur bei der Bewertung von Kapitalgesellschaften vorzunehmen ist.

7.103

Kommt eine persönliche Steuerlast explizit zum Abzug, so stellt sich die Frage nach der Höhe des Steuersatzes. Während bei subjektiven Unternehmenswerten auf die individuelle Ausprägung abgestellt werden kann, ist dieser bei objektivierten Werten zu typisieren. In diesem Zusammenhang wird ein typisierter Steuersatz von 35 % als angemessen und vertretbar angesehen.2 In den Fällen mit wenigen bekannten Anteilseignern kann dagegen auch ein anderer Satz zur Anwendung kommen. Ist die Ertragskraft des Bewertungsobjekts hoch genug, kommt dann regelmäßig der geltende Spitzensteuersatz für gewerbliche Einkünfte zur Anwendung.3 Kommt es zur Besteuerung bei der Bewertung von Personengesellschaften, so ist

1 Vgl. IDW S 1 2008, Rz. 36. 2 Vgl. Franke/Schulte in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung2, § 5 Rz. 49. 3 Vgl. Ballwieser u.a., WPg 2014, 463 (469).

512 | Kohl

C. IDW S 1 Grundsätze | Rz. 7.107 Kap. 7

zu beachten, dass die gezahlte Gewerbesteuer auf die tatsächliche private Einkommensteuer angerechnet werden kann. Auch wenn der IDW S 1 die grundsätzliche Möglichkeit einer mittelbaren Typisierung vorsieht, so setzt er jedoch der Anwendung dieser Vereinfachung Grenzen. Bei bestimmten Anlässen sieht er dagegen nur eine unmittelbare Typisierung vor. Dies bedeutet, dass die persönlichen Steuern auf Ebene der Anteilseigner explizit erfasst werden müssen. Dies ist z.B. bei gesetzlichen oder vertraglichen Bewertungsanlässen (bspw. Squeeze-out) notwendig. Dazu sind die zufließenden Nettozahlungsströme auf Ebene der Anteilseigner mit dem effektiven persönlichen Steuersatz zu belasten.

7.104

Bei der Bewertung von Kapitalgesellschaften ist zudem eine Unterscheidung zwischen Dividenden und Veräußerungsgewinnen vorzunehmen. Während die Dividenden einer Sofortbesteuerung unterliegen, sind bei der Besteuerung zukünftiger Veräußerungsgewinne Steuerstundungseffekte zu berücksichtigen. Diese mindern den effektiven Steuersatz. Durch eine Ausschüttung werden daher persönliche Steuereffekte zeitlich vorgezogen. Auf die Art ergibt sich durch die Bemessung der Ausschüttungsquote eine effektive Wertrelevanz. Im Berufsstand wird dabei eine typisierte Annahme von 50 % des nominalen Steuersatzes für sachgerecht erachtet. Unterstellt man die Gültigkeit der Abgeltungssteuer kommt ein nominaler Steuersatz von 25 % (zzgl. 5,5 % Solidaritätszuschlag) zur Anwendung. In diesen Fällen wird dann eine effektive Veräußerungsgewinnbesteuerung von 12,5 % (bzw. zzgl. Solidaritätszuschlag 13,1875 %) für sachgerecht erachtet.1

7.105

e) Besonderheiten bei der Ableitung der ewigen Rente Nach der Planung der finanziellen Überschüsse im Detailplanungszeitraum ist anschließend eine ewige Rente anzusetzen. Dazu ist ein Ergebnis herzuleiten, welches das Unternehmen in einem eingeschwungenen Zustand erwirtschaften kann. Bei der Herleitung eines solchen Ergebnisniveaus sind z.B. unterschiedliche Konjunkturzyklen anzusetzen. Ist das Unternehmen daher von dem konjunkturellen Verlauf abhängig, so kann es u.U. geboten sein, eine ewige Rente im Rahmen eines langfristigen Durchschnittswertes zu ermitteln. Eine weitere Besonderheit besteht bei der sog. nachhaltigen Reinvestitionsrate. Darunter wird derjenige Betrag verstanden, der zur nachhaltigen Aufrechterhaltung des Anlagevermögens notwendig ist. Vereinfacht kann eine Reinvestitionsrate dabei als Quotient von Wiederbeschaffungskosten geteilt durch die wirtschaftliche Nutzungsdauer herangezogen werden. Weitere Abweichungen vom Detailplanungszeitraum ergeben sich durch die Ausschüttungsquote bzw. Thesaurierungsquote in der ewigen Rente. Während diese im Detailplanungszeitraum i.S.d. IDW S 1 Grundsätze noch an den tatsächlich geplanten Größen ausgerichtet war, sehen diese Grundsätze für die Phase der ewigen Rente die grundsätzlich objektivierte Annahme vor, das Ausschüttungsverhalten mit demjenigen der Alternativanlage zu synchronisieren. Dies bedeutet, dass die durchschnittlichen Ausschüttungsquoten von Vergleichsunternehmen herangezogen werden.

7.106

Im Rahmen der ewigen Rente wird zudem üblicherweise ein Wachstumsabschlag angesetzt, der die nachhaltige Entwicklung des unterstellten Ergebnisses widerspiegelt. Dieses beinhaltet üblicherweise ein nominales rein inflationsbedingtes Wachstum. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass jede Veränderung der zukünftigen Ergebnisse mit einer Veränderung möglicher Aktiv- und Passivposten einhergeht. Dies zeigt sich insbesondere an der Entwick-

7.107

1 Vgl. Franken/Dörschell/Schulte, WPg 2008, 444 (449).

Kohl | 513

Kap. 7 Rz. 7.107 | Unternehmensbewertung

lung der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen, die regelmäßig mit der Umsatzentwicklung einhergehen sollte. Wird daher in der ewigen Rente ein sog. Wachstumsabschlag angesetzt, so ist auch den entsprechenden Auswirkungen bei den Bilanzentwicklungen Rechnung zu tragen. Dies erfolgt regelmäßig durch eine wachstumsbedingte Thesaurierung. Dazu wird derjenige Betrag in der ewigen Rente thesauriert, der zur Aufrechterhaltung konstanter Bilanzstrukturen notwendig ist. Vereinfacht ergibt sich dieser Betrag durch das Produkt des nominalen Eigenkapitals mit der Wachstumsrate.

2. Bemessung des Kapitalisierungszinssatzes a) Barwert der zukünftigen Überschüsse

7.108

Die heute vorherrschenden Bewertungsverfahren in Form des Ertragswertverfahrens und des DCF-Verfahrens stellen sog. Zukunftserfolgswerte dar. Diese ermitteln den Unternehmenswert durch die Kapitalisierung zukünftiger finanzieller Überschüsse auf dem Bewertungsstichtag. Elementar für diese Verfahren ist daher die Ableitung eines angemessenen Kapitalisierungszinssatzes, mit dem die zukünftigen finanziellen Überschüsse auf den Bewertungsstichtag abgezinst werden. Technisch stellt daher der Unternehmenswert den Barwert der zukünftigen Überschüsse dar. Ökonomisch verbirgt sich dahinter folgendes Prinzip. Bei der Wertbemessung einer Investition vergleicht ein Investor mehrere alternative Anlagemöglichkeiten, die hinsichtlich der zeitlichen Struktur des Risikos miteinander vergleichbar sind. Die Rendite aus der besten alternativen Anlage hat dabei eine besondere Bedeutung. Diese gibt an, welche Mindestverzinsung aus einem Bewertungsobjekt erzielt werden muss, um erwartungsgemäß nicht schlechter zu stehen als bei der Anlage in besagte Alternativanlage. Dieses Vorgehen folgt dem Grundsatz „Bewerten heißt vergleichen“, indem ein Bewertungsobjekt mit den Preisen der Rendite einer vergleichbaren Alternativanlage verglichen wird. Ein Investor ist unter diesen Voraussetzungen nur dann bereit in ein Unternehmen zu investieren, wenn die Rendite aus diesem Bewertungsobjekt mindestens der Rendite des bekannten Vergleichsobjektes entspricht. Ein solcher Vergleich führt jedoch nur dann zu angemessenen Ergebnissen, wenn beide Alternativen gleichwertig sind. Daher sind diese hinsichtlich der zeitlichen Struktur des Risikos sowie der Besteuerung ihrer finanziellen Überschüsse äquivalent zum Bewertungsobjekt.1

7.109

Wie oben beschrieben werden bei einer Bewertung die zukünftigen finanziellen Überschüsse zugrunde gelegt. Diese sind hinsichtlich ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit unsicher und unterliegen einem bestimmten Risiko. Derartig erwartete finanzielle Überschüsse sind daher mit einem risikobehafteten Zinssatz zu diskontieren. Vor diesem Hintergrund beinhaltet ein Kapitalisierungssatz für die Unternehmensbewertung auch einen Risikozuschlag, der dieser Unsicherheit Rechnung trägt. Ein solcher Risikozuschlag repräsentiert dabei die Entschädigung, die ein risikoscheuer Investor dafür verlangt, die Unsicherheit der Zahlungsströme in Kauf zu nehmen. In der heute üblichen Praxis ist es anerkannt, den Kapitalisierungszinssatz anhand des Capital Asset Pricing Modells (CAPM) bzw. einer Spielart, dem Tax-CAPM, abzuleiten. Dieses Kapitalmarktpreisbildungsmodell beruht auf der Feststellung, dass unter der Annahme effizienter Kapitalmärkte am Markt ein Preis für die Übernahme des Risikos entsteht. Wesentliche Annahme dieses Modells ist der Umstand, dass der Investor nicht für das gesamte Risiko einer Anlage entschädigt wird, sondern nur für den Teil des Risikos, den er nicht durch ein Portfolio diversifizieren kann (systematisches Risiko).2 1 Vgl. Ballwieser u.a., WPg 2014, 463 (470). Vgl. ferner Hachmeister/Ruthardt in Schwetzler/Aders, Jahrbuch der Unternehmensbewertung 2015, S. 142. 2 Vgl. Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung5, S. 89.

514 | Kohl

C. IDW S 1 Grundsätze | Rz. 7.114 Kap. 7

Bei Anwendung des CAPM ergibt sich dann der Risikozuschlag eines Produktes, einer allgemeinen Marktrisikoprämie und eines unternehmensspezifischen Beta-Faktors. Dieses Produkt gibt das systematische Risiko eines Unternehmens an und wird von einem Investor als zusätzliche Renditevergütung verlangt dafür, dass dieser eine Investition in unsichere erwartete Zahlung aus dem Unternehmen akzeptiert.

7.110

Technisch wird der Beta-Faktor als Kovarianz der Renditen des Marktportfolios und der Aktienrenditen des entsprechenden Unternehmens im Verhältnis zur Varianz der Renditen des Marktportfolios bestimmt. Die Ableitung eines Beta-Faktors setzt daher immer einen Rückgriff auf kapitalmarktorientierte Unternehmen voraus, deren Aktienkurs verfügbar und aussagekräftig ist. Vereinfacht gesprochen stellt der Beta-Faktor einen Maßstab dar, wie synchron die Renditen des Marktportfolios und des Bewertungsobjektes schwanken. Ein Beta-Faktor von 1 symbolisiert dabei eine vergleichbare Schwankung wie ein Marktportfolio. Ein geringerer Beta-Faktor signalisiert eine geringere, ein höherer Beta-Faktor eine höhere Schwankung als das Marktportfolio.

7.111

Nachfolgend wird daher auf die einzelnen Komponenten Basiszinssatz, Marktrisikoprämie, Beta-Faktor zur Ableitung eines sachgerechten Kapitalisierungszinssatzes im Einzelnen eingegangen.

7.112

b) Basiszinssatz Ausgangspunkt für die Ableitung des Kapitalkostensatzes stellt der Basiszinssatz dar, der grundsätzlich eine quasi risikofreie und fristadäquate Alternativanlage zur Investition in das zu bewertende Unternehmen darstellt. Die Risikolosigkeit bzw. Äquivalenz bezieht sich dabei insbesondere auf die Währung, die Laufzeit, den Geldwert und die Verfügbarkeit. Daher verbleiben beim Ansatz des Basiszinssatzes zumindest ein Zinsänderungs- und ein Kaufkraftrisiko bei der sicheren Anlage. Hinsichtlich einer vergleichbaren Laufzeit ist dazu im ersten Schritt die Laufzeit des Unternehmens zu beachten. Unternehmenserträge werden regelmäßig für einen unendlich langen Zeitraum geschätzt. Deshalb ist ihnen auch ein unendlich lang geltender Zinssatz gegenüberzustellen. Da in Deutschland keine öffentliche Anleihen mit unendlicher Laufzeit bestehen, sind alternative Vorgehensweisen zu entwickeln. Bis 2005 wurde dabei der Basiszinssatz regelmäßig vergangenheitsorientiert abgeleitet. Dabei wurde vereinfacht unterstellt, dass für die ersten zehn Jahre auf Anleihen mit einer festen Restlaufzeit zurückgegriffen werden konnte. Für die darüber hinausgehende unbegrenzte Lebensdauer wurde anschließend die durchschnittliche Zinsentwicklung der Vergangenheit herangezogen. Beide Effekte wurden anschließend barwertneutral in einen einheitlichen Zinssatz überführt. Eine aus historischen Daten abgeleitete Basiszinssatzgröße war dabei regelmäßig Gegenstand der Kritik. Insbesondere zeigt die Zinsentwicklung der letzten Jahre das Problem auf, dass auf Basis von Vergangenheitsdaten abgeleitete Wiederanlagezinsen die aktuelle Situation nicht widerspiegeln. Aus diesem Grund hat sich seit 2005 die Orientierung an sog. Zinsstrukturkurven als führende Praxis etabliert.

7.113

Eine Möglichkeit dafür ist die auf die Zukunft gerichtete Extrapolation der Zinssätze anhand der sog. Svensson-Methode. Durch diese Berechnung ist es möglich, Zinssätze für Zeitpunkte zu schätzen, die auch über die Laufzeiten börslich gehandelter Staatsanleihen hinausgehen. Die Anwendung derartiger Zinsstrukturkurven wird auch vom IDW für die Ableitung objektivierter Unternehmenswerte empfohlen. Dabei wird jedoch herausgestellt, dass die Rechenergebnisse, die über den 30-jährigen Zeitraum hinausgehen, mit einer erhöhten Unsicherheit

7.114

Kohl | 515

Kap. 7 Rz. 7.114 | Unternehmensbewertung

belastet sind. Aus diesem Grund empfiehlt das IDW eine Fortschreibung des 30-jährigen Zinssatzes für die dann folgende Periode.1

7.115

Für die technische Ableitung eines so ermittelten zukunftsorientierten Basiszinssatzes kann auf die Datenbasis der Deutschen Bundesbank zurückgegriffen werden, die die für die Herleitung einer Zinsstrukturkurve notwendigen Informationen tagesaktuell auf ihrer Homepage veröffentlicht. Die für die Zinsstrukturkurve nach Svensson erforderlichen Schätzfaktoren werden dabei von der Bundesbank veröffentlicht und können so für die Ableitung eines Basiszinssatzes herangezogen werden. Diskutiert wird in diesem Zusammenhang häufig auch die Bedeutung des Stichtagsprinzips. Während das Stichtagsprinzip die Verwertung aller zum Stichtag verfügbaren Informationen verlangt, finden sich in der Praxis häufiger geglättete Werte für die Ableitung des Basiszinssatzes. Dabei werden die durchschnittlichen Werte der letzten drei Monate herangezogen.2

7.116

Das oben beschriebene Vorgehen hat sich seit 2005 in der Bewertungspraxis etabliert und wird mittlerweile auch von den Gerichten entsprechend anerkannt.3 c) Marktrisikoprämie

7.117

Nach dem CAPM ermittelt sich der Risikozuschlag aus dem Produkt einer allgemeinen Marktrisikoprämie sowie einem unternehmensindividuellen Beta-Faktor. Die Marktrisikoprämie stellt dabei den Zuschlag auf den sicheren Zins dar, den ein Investor für seine Investition in ein Marktportfolio verlangen würde. Kapitalmarktuntersuchungen langjähriger Betrachtungszeiträume haben dabei gezeigt, dass Investitionen in Aktien in der Vergangenheit höhere Renditen erzielt haben als Anlagen in risikoarme Gläubigerpapiere.4 Technisch ergibt sich die Marktrisikoprämie als Differenz zwischen der Rendite eines Marktportfolios und dem risikolosen Basiszinssatz.

7.118

In der Betriebswirtschaftslehre sowie in der Bewertungspraxis ist es seit Jahren umstritten, welche Kapitalmarktuntersuchung eine geeignete Grundlage zur Ableitung der Marktrisikoprämie darstellen kann. Anders als die Ableitung des risikolosen Basiszinssatzes gibt es für die Bestimmung der Marktrisikoprämie keinen direkt beobachtbaren Parameter. Diese ist vielmehr aus der Differenz zwischen einer beobachtbaren Gesamtrendite und einem risikolosen Zins herzuleiten. Auch die zur Ermittlung der Marktrisikoprämie notwendige Gesamtrendite lässt sich nicht aus einem isolierten Anlageinstrument herleiten. Daher besteht die Notwendigkeit, eine solche Abschätzung indirekt vorzunehmen. Eine Festlegung auf die eine oder andere Methode oder Herausbildung einer vorherrschenden Methode hat bislang noch nicht stattgefunden. Dabei stehen sich die historischen und zukunftsorientierten Verfahren gegenüber. Insbesondere in den letzten Jahren während eines Niederzinsumfeldes war diese Frage Gegenstand heftiger Diskussionen.5

1 Vgl. WP-Handbuch Band II, 2014 Abschnitt A, Rz. 327 ff.; Castedello, Bewertung und Transaktionsberatung, Abschnitt A, Rz. 377. 2 Vgl. WP-Handbuch, Band. II, 2014, Abschnitt A, Rz. 353; Castedello, Bewertung und Transaktionsberatung, Abschnitt A, Rz. 379. 3 Vgl. IDW Fachnachrichten 8/2016. 4 Vgl. Franken/Schulte in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung2, § 6 Rz. 69 ff. mit einem Überblick einzelner Urteile. 5 Vgl. Castedello/Jonas/Schieszl/Lenckner, WPg 2018, 806. Vgl. auch Stehle, WPg 2004, 906 (921).

516 | Kohl

C. IDW S 1 Grundsätze | Rz. 7.124 Kap. 7

Bei dem historischen Ansatz werden aus einer historischen Datenbasis durch Bildung geeigneter Mittelwerte entsprechende Gesamtrenditen hergeleitet. Derartige Analysen werden dabei üblicherweise nicht für den Bewertungsanlass entsprechend aufbereitet, sondern sind in entsprechenden Studien zusammengefasst. Dabei unterscheiden sich die einzelnen Studien hinsichtlich der Aufbereitung der historischen Daten. Diese bedingen insbesondere Festlegung über

7.119

– das zu untersuchende Marktportfolio, – die Länge des Ermittlungszeitraums – sowie die Bildung möglicher Durchschnittsrenditen. Diese Punkte werden in der Literatur differenziert diskutiert. Ein einheitlicher allgemein anerkannter Maßstab hat sich dabei noch nicht herausgebildet.1

7.120

Wesentlicher Kritikpunkt der historischen Ableitung einer Marktrisikoprämie ist insbesondere, dass derartige Ansätze die aktuelle Kapitalmarktentwicklung nicht vollumfänglich erklären können. Diese sprechen zwar für tendenziell steigende Marktrisikoprämien im aktuellen Zinsumfeld, können aber eine endgültige Quantifizierung nicht vornehmen.

7.121

Der historischen Aufbereitung und Ermittlung von Renditen stehen die sog. zukunftsorientierten Verfahren gegenüber. Diese Verfahren versuchen sog. implizite Kapitalkosten aus heutigen Marktbeobachtungen herzuleiten. Diese Modelle folgen der Logik, dass sich, ausgehend von bekannten und beobachtbaren Marktwerten sowie bekannten erwarteten Zahlungsströmen, die darin widerspiegelnden impliziten Kapitalkosten oder Gesamtrenditen bestimmen lassen. Mit anderen Worten wird unterstellt, dass sich aus beobachtbaren Preisen und den zugrunde gelegten Analystenschätzungen retrograd die darin enthaltenen Renditen herleiten lassen.2

7.122

Derartige Modelle spiegeln zwar die aktuellen Verhältnisse am Kapitalmarkt wider, weisen jedoch einige generelle Kritikpunkte auf. Primär dabei ist die Annahme, dass die so hergeleiteten Gesamtrenditen oder Marktrisikoprämien abhängig von der Qualität der zugrunde gelegten Analystenschätzungen sind. Derartige Analystenschätzungen erfolgen in der Praxis häufig auf Basis vereinfachter Annahmen, verändern sich teilweise sprungartig und können durch einen sog. Herdentrieb beeinflusst werden. Aufgrund dieser konzeptionellen Schwächen haben sich derartige Modelle daher bislang in der Unternehmensbewertungstheorie noch nicht durchgesetzt. Insbesondere konnte noch kein Nachweis erbracht werden, dass diese Modelle zu besseren Ergebnissen führen als die Ableitung aus historisch aufbereiteten Kapitalmarktdaten.3

7.123

In einer Abwägung der jeweiligen Vor- und Nachteile dieser einzelnen Methoden verfolgt der FAUB einen sog. pluralistischen Ansatz, in dem auf die Vielzahl der einzelnen Modelle abgestellt wird. Da sich kein Verfahren bislang als vorherrschend etabliert hat, erscheint es nicht sachgerecht, einzelne Verfahren bei diesem Vorgehen auszuschließen.

7.124

1 Vgl. Castedello/Jonas/Schieszl/Lenckner, WPg 2018, 806 (825). 2 Vergleich mit einer Übersicht der einzelnen Ausprägungen Franken/Schulte in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung2, § 6 Rz. 55–64. 3 Vgl. Berg/Heigermoser/Kaserer/Kittlauss/Willershausen, Corporate Finance 2017, 158.

Kohl | 517

Kap. 7 Rz. 7.125 | Unternehmensbewertung

7.125

Vor diesem Hintergrund veröffentlicht das IDW regelmäßig Bandbreiten mit einer Empfehlung für die anzusetzenden Marktrisikoprämien. Diese belaufen sich aktuell bei der Bewertung vor persönlichen Steuern auf eine Bandbreite von 5,5 % bis 7 %. Für Berechnungen nach persönlichen Steuern wird eine Bandbreite zwischen 5,0 % und 6,0 % angegeben.1 d) Beta-Faktor

7.126

Während die Marktrisikoprämie die allgemeine Differenz zwischen Marktrendite und risikolosem Zinssatz widerspiegelt, erfolgt durch den Beta-Faktor eine Konkretisierung des individuellen Risikos des Bewertungsobjektes. Technisch ermitteln sich die Beta-Faktoren durch eine Regressionsanalyse, in der Zeitreihen über die in der Vergangenheit realisierten Renditen für ein bestimmtes risikobehaftetes Wertpapier gegen einen für das Marktportfolio als repräsentativ angesehenen Aktienindex regressiert werden.

7.127

Ein solcher Regressionsquotient stellt den wertpapierspezifischen Beta-Faktor dar. Bei einem derartigen Vorgehen ist daher der Rückgriff auf vergangenheitsorientierte Kapitalmarktdaten notwendig. Dabei wird regelmäßig diskutiert, welche alternativen Methoden zur Ableitung eines Beta-Faktors bestehen. Neben der historischen Aufarbeitung finden sich auch Vorschläge zur zukunftsorientierten Ableitung eines Beta-Faktors. Dabei überwiegen bei einer Gesamtabwägung die Vorteile für die historische Ableitung des Beta-Faktors.2

7.128

Erfolgt die Ableitung von Beta-Faktoren auf Basis historischer Kapitalmarktdaten ergeben sich eine Reihe von Annahmen, die für die Ableitung anzusetzen sind.

7.129

Wesentliche Bestimmungsgröße für die Ableitung des Beta-Faktors ist die Auswahl einer geeigneten Peer Group. Unter einer Peer Group werden dabei diejenigen Unternehmen verstanden, die eine vergleichbare Risikostruktur wie das Bewertungsobjekt aufweisen. Insbesondere für kleinere nicht börsennotierte Unternehmen gestaltet es sich dabei häufig schwierig, geeignete Vergleichsunternehmen zu finden. Hierbei kann auch auf entsprechende Vereinfachungsmöglichkeiten zurückgegriffen werden.3 Nach der Festlegung einer geeigneten Peer Group sind anschließend geeignete Parameter für die Ermittlung des Beta-Faktors festzulegen. Diese beziehen sich dabei insbesondere auf den maßgeblichen Referenzindex, den zugrunde liegenden Beobachtungszeitraum sowie das maßgebliche Renditeintervall.4

7.130

Um die Angemessenheit der herangezogenen Beta-Faktoren sicherzustellen, sind diese abschließend auf ihre Belastbarkeit zu beurteilen. Dazu werden in der Praxis insbesondere statistische Filterkriterien insbesondere das Bestimmtheitsmaß, t-Tests oder Standardfehler herangezogen. Nicht signifikante Beta-Faktoren sollen daher nicht für die Ableitung der Kapitalkosten herangezogen werden.5

7.131

Ferner ist zu beachten, dass die am Kapitalmarkt beobachtbaren Beta-Faktoren Ausdruck von verschuldeten Unternehmen sind. Diese beinhalten daher regelmäßig nicht nur einen Zu1 Vgl. Reese, Schätzung von Eigenkapitalkosten für die Unternehmensbewertung, S. 132 f. 2 Vgl. Franken/Schulte in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung2, § 6 Rz. 87. 3 Vgl. Franken/Schulte in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung2, § 6 Rz. 81-87 mit einem entsprechenden Überblick. 4 Vgl. Kohl, WPg 2018, 146 (152). 5 Vgl. Franken/Schulte in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung2, § 6 Rz. 103-119 mit einem Überblick der jeweiligen Vor- und Nachteile.

518 | Kohl

C. IDW S 1 Grundsätze | Rz. 7.135 Kap. 7

schlag für das operative Risiko, sondern auch für das aus der Verschuldung des Unternehmens resultierende Finanzierungsrisiko oder Kapitalstrukturrisiko. Dieses ist häufig mit dem Kapitalstrukturrisiko des zu bewertenden Unternehmens nicht vollständig kompatibel. Um den unterschiedlichen Strukturen Rechnung zu tragen, sind daher Anpassungen an eine abweichende Kapitalstruktur erforderlich. Nach kapitalmarkttheoretischen Überlegungen lassen sich dabei aus den beobachtbaren verschuldeten Beta-Faktoren auch Beta-Faktoren fiktiv unverschuldeter Unternehmen herleiten (sog. Unlevern). Dazu werden die beobachtbaren Größen um die Einflüsse der Fremdfinanzierung entsprechend bereinigt. Anschließend wird der so ermittelte Beta-Faktor für das unverschuldete Unternehmen wieder an die Kapitalstruktur des zu bewertenden Bewertungsobjektes angepasst. In Einzelfällen kann es dabei sinnvoll sein, nicht auf die Kapitalstruktur des zu bewertenden Unternehmens, sondern auf die Kapitalstruktur der Peer-Unternehmen abzustellen. Dies ist insbesondere bei hochverschuldeten Unternehmen der Fall.1

7.132

In der Praxis werden darüber hinaus regelmäßig weitere Zuschläge diskutiert, die insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen gelten sollen. Dazu werden auch Zuschläge für eine geringe Unternehmensgröße, eine eingeschränkte Fungibilität oder mangelnde Diversifikation betrachtet. Einzelheiten zu diesen Zuschlägen werden im Kapitel „Besonderheiten bei KMU“ im Einzelnen dargestellt.

7.133

e) Wachstumsabschlag Wie bei der Ableitung der finanziellen Überschüsse dargestellt, wird dort zwischen unterschiedlichen Phasen differenziert. Für diese sog. zweite Phase wird dabei eine ewige Rente angesetzt und ein Ergebnisniveau definiert, welches dauerhaft in einem eingeschwungenen Zustand erzielt werden kann. Durch die Abzinsung eines so ermittelten Ergebnisniveaus mit dem Basiszinssatz aus der Zinsstrukturkurve werden dabei jedoch Geldentwertungsrisiken unterschiedlich berücksichtigt. Der Kapitalisierungszinssatz enthält dabei zumindest theoretisch einen Zuschlag für mögliche Geldentwertungsrisiken. Fraglich ist, ob sich auch die zugrunde gelegten Unternehmensergebnisse im Rahmen der ewigen Rente weiterhin inflationsbedingt anpassen werden. Diese ändern sich nicht zwangsläufig automatisch mit der zugrunde gelegten Geldentwertungsrate. Eine Anpassungsmöglichkeit hängt jeweils im Einzelfall von den technischen und unternehmerischen Fähigkeiten des Unternehmens ab.

7.134

In der Praxis geschieht dies durch den Ansatz eines sog. Wachstumsabschlags, in dem vom nominalen Kapitalisierungszinssatz ein Abschlag in Höhe der nachhaltigen Wachstumsrate vorgenommen wird. Technisch führt die Minderung des Kapitalisierungszinssatzes um einen Wachstumsabschlag zu einem gleichen Barwert einer unendlichen Reihe stetig wachsender Ergebnisse. Zu beachten sind bei dem Ansatz eines Wachstumsabschlags auch mögliche Auswirkungen auf die Bilanzplanung. Wie bei der Ableitung der finanziellen Überschüsse erläutert, ist im Rahmen der ewigen Rente auch zu überprüfen, ob sich das gebundene Kapital nachhaltig aufrechterhalten lässt. Unterstellt man einen Wachstumsabschlag, bedeutet dies eine unendliche Steigerungsrate aller jeweiligen GuV-Positionen. Bei steigenden Umsatzerlösen kommt es jedoch regelmäßig auch zu einer steigenden Bindung im Working Capital. Zur Aufrechterhaltung konstanter Bilanzstrukturen sind diese Änderungen daher auch durch ein steigendes Eigenkapital zu finanzieren. Aus diesem Grund sollte bei dem Ansatz eines Wachs-

7.135

1 Vgl. Franken/Schulte in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung2, § 6 Rz. 120-138 mit einer Darstellung der einzelnen statistischen Größen.

Kohl | 519

Kap. 7 Rz. 7.135 | Unternehmensbewertung

tumsabschlags regelmäßig auch eine entsprechende Wachstumsthesaurierung erfolgen. Diese ergibt sich vereinfachend als Produkt des bilanziellen Eigenkapitals zu Beginn der ewigen Rente mit der angesetzten Wachstumsrate. In der Praxis haben sich Wachstumsraten zwischen 0,5 und 2 % durchgesetzt. Ob und inwieweit das konkrete Bewertungsobjekt diesen Möglichkeiten entspricht, ist jedoch im Einzelfall zu entscheiden.

D. Sonderthemen I. Steuerliche Bewertungsanlässe 1. Der gemeine Wert als primärer Wertmaßstab 7.136

Neben den unternehmerischen und gesellschaftsrechtlichen Anlässen stellen die steuerlich geprägten Anlässe einen häufigen Anlass für Unternehmensbewertungen dar. Für die Bewertung bei derartigen Anlässen ist zu beachten, dass die steuerliche Rechtsprechung eine Reihe von Sondervorschriften erlassen hat, die für eine angemessene Bewertung zu berücksichtigen sind. Zum einen sind für steuerliche Bewertungsanlässe entsprechende Wertkonzepte im Bewertungsgesetz legal definiert. Primäre Bedeutung hat dabei der sog. gemeine Wert gem. § 9 Abs. 2 BewG. Dieser stellt den zentralen Wertmaßstab für die steuerliche Bewertung dar. Nach der Legaldefinition handelt es sich dabei um den Preis, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsguts unter Berücksichtigung aller den Preis beeinflussenden Umstände bei der Veräußerung zu erzielen wäre. Ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse sind dabei nach § 9 Abs. 2 Satz 3 BewG außer Acht zu lassen.1

7.137

Daneben wird in § 10 BewG der Teilwert als derjenige Betrag definiert, den ein Erwerber des ganzen Unternehmens für das einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde. Dabei ist davon auszugehen, dass der Erwerber das Unternehmen fortführt. Primärer Unterschied zwischen diesen beiden Wertkonzepten ist dabei die eingenommene Perspektive. Während es sich beim gemeinen Wert um einen allgemeinen marktbezogenen Erwerber handelt, erfolgt die Bewertung beim Teilwert aus Sicht des konkreten Betriebes.2 Darüber hinaus spielen Fremdvergleichspreise eine gewisse Bedeutung bei steuerlichen Bewertungsanlässen. Diese werden als derjenige Preis definiert, den voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder vergleichbaren Verhältnissen vereinbart hätten. Legal definiert sind Fremdvergleichspreise in § 1 Abs. 1 AStG.

7.138

Aus der Legaldefinition des Bewertungsgesetzes ergeben sich bereits mehrere Kriterien für die Bestimmung des gemeinen Wertes. Zum einen wird klargestellt, dass es sich um einen Wertansatz im Falle eines Verkaufes handelt. Daher erfolgt die Wertableitung nicht im Rahmen eines Nutzungswertes oder bei einer Weiterführung der bestehenden Anteilseignerstruktur. Vielmehr ist ein realisierbarer Betrag zu ermitteln, den ein potentieller Käufer für den Erwerb aufgrund der tatsächlichen Beschaffenheit einschließlich aller zur Verfügung stehenden Bewertungsmöglichkeiten zu zahlen bereit wäre.3 Einen solchen Preis ist ein potentieller Erwerber in der Regel bereit, im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zu bezahlen. Darunter ist nach

1 Vgl. Peemöller/Kunowski, Ertragswertverfahren nach IDW, S. 330. 2 Die jeweiligen Vorschriften für eine normzweckadäquate Bewertung sind dabei durch nationale Vorschriften geprägt. Ein Vergleich dieser nationalen Vorschriften mit internationalen Aspekten findet sich z.B. bei Ruthardt/Hachmeister, DStR 2016, 1048 ff. 3 Vgl. BFH v. 30.11.1988 – II R 237/83, BStBl. II 1989, 183 (185).

520 | Kohl

D. Sonderthemen | Rz. 7.142 Kap. 7

Rechtsprechung des BFH der Handel zu verstehen, der sich nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage vollzieht und bei dem jeder Vertragspartner ohne Zwang, in Wahrung seiner eigenen Interessen handelt.1 Durch den Hinweis auf die Beschaffenheit des Wirtschaftsguts ist auf die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die dem zu bewertenden Wirtschaftsgut anhaften, abzustellen. Diese gehen im Rahmen des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs bei dem unterstellten Verkauf auf einen möglichen Erwerber über.2 Aufgrund der unterstellten Veräußerung im gewöhnlichen Geschäftsverkehr wird ein potentieller Erwerber dabei nur für diejenigen Eigenschaften, die auf ihn übertragbar sind, einen Kaufpreis vergüten. Mögliche Einzelfaktoren, die bei einem Verkauf nicht auf den Erwerber übergehen, sondern beim Verkäufer verbleiben, werden daher nicht entsprechend vergütet. In diesem Zusammenhang macht die Beschaffenheit als Wirtschaftsgut alle wirtschaftlichen, rechtlichen und tatsächlichen Bedingungen aus. Unter wirtschaftlichen Verhältnissen wird dabei die Nachfragesituation nach einem Wirtschaftsgut verstanden. Unter dem Begriff rechtliche Verhältnisse werden regelmäßig dingliche Eigentumsbeschränkungen zusammengefasst, während die tatsächlichen Umstände zumeist Umwelteinflüsse darstellen.

7.139

Zur Ableitung des gemeinen Wertes hat der Gesetzgeber im Bewertungsgesetz eine Verfahrenshierarchie verankert. Das Bewertungsgesetz verfolgt damit einen Methodenpluralismus, wobei allerdings eine Durchschnittsbildung von Ergebnissen aus den einzelnen Methoden nicht vorgegeben ist.

7.140

– Sofern es sich um eine börsennotierte Kapitalgesellschaft handelt, ist die Wertableitung mit dem niedrigsten feststellbaren Kurswert vorzunehmen. In bestimmten Fällen sieht § 11 Abs. 3 BewG darüber hinaus werterhöhend einen Paketzuschlag vor. – Sofern ein Börsenkurs nicht verfügbar ist, ist im zweiten Schritt zu überprüfen, ob Verkäufe innerhalb eines Jahres vor dem Bewertungsstichtag vorlagen. In diesen Fällen ist der gemeine Wert aus diesen Verkäufen abzuleiten. – Sofern weder ein notierter Anteil an Kapitalgesellschaften vorliegt noch ein Verkauf innerhalb des letzten Jahres vor dem Bewertungsstichtag stattgefunden hat, ist der gemeine Wert unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten der Gesellschaft oder einer anderen anerkannten üblichen Methode zu ermitteln. Darüber hinaus sieht das Gesetz die Möglichkeit vor, den gemeinen Wert anhand eines sog. vereinfachten Ertragswertverfahrens nach §§ 199 ff. BewG zu ermitteln. Eingeschränkt wird dieses Angebot in den Fällen, sofern es zu unzutreffenden Ergebnissen führt.

7.141

Die Ermittlung des gemeinen Wertes nach § 11 BewG hat dabei übergreifende Bedeutung und ist nicht auf Bewertungen für Zwecke der Erbschaft- oder Schenkungsteuer beschränkt. Vielmehr finden diese Regelungen auch für ertragsteuerliche Zwecke Anwendung.3

7.142

1 Vgl. Meincke/Hannes/Holtz17, § 12 ErbStG Rz. 19. 2 Vgl. BFH v. 14.2.1969 – III 88/65, BStBl. II 1969, 394 (395); BFH v. 23.2.1979 – III R 44/77, BStBl. II 1979, 618 (619); BFH v. 28.11.1980 – III R 86/78, BStBl. II 1981, 353 (355); BFH v. 22.8.2002 – II B 170/01, BFH/NV 2003, 11 (11); BFH v. 25.6.1965 – III 384/60, HFR 1966, 1. 3 Vgl. Knittel in Stenger/Loose, § 9 BewG Rz. 77; Kreutziger in Kreutziger/Schaffner/Stephany4, § 9 BewG Rz. 13; Beumer/Duscha in Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung7, S. 1563.

Kohl | 521

Kap. 7 Rz. 7.143 | Unternehmensbewertung

7.143

Aus dieser gesetzlich verankerten Bewertungshierarchie lassen sich die unterschiedlichen Bewertungsmethoden ableiten.

7.144

So sind Wertpapiere, die zum Handel am regulierten Markt oder zum Freiverkehr zugelassen sind, nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und 3 BewG zwingend mit dem niedrigsten am Stichtag notierten Kurs anzusetzen.1 Dabei unterstellt der Gesetzgeber eine hohe Bedeutung des Börsenkurses und geht von der unwiderlegbaren Vermutung aus, dass der durch Angebot und Nachfrage am Kapitalmarkt gebildete Preis dem gemeinen Wert entspricht. Damit grenzt sich der steuerliche Gesetzgeber teilweise von der Zivilrechtsprechung ab, in der ein abweichender Ertragswert als Korrektiv zum Börsenkurs anerkannt ist. So sind für steuerliche Zwecke auch spekulativ bedingte Änderungen des Börsenkurses unbeachtlich. Eine Anwendung anderer Bewertungsmethoden ist bei vorliegenden Börsenkursen daher steuerlich nicht zulässig. Ausnahmen von dieser Vorgehensweise finden sich in der Rechtsprechung nur selten. Dies kann dann der Fall sein, wenn der festgestellte Kurswert nicht der wirklichen Geschäftslage des Verkehrs an der Börse entspricht.2

7.145

Im Einzelfall können sich zudem Besonderheiten bei unterschiedlicher Aktiengattung ergeben. Sofern unterschiedliche Aktengattungen separat am Kapitalmarkt notiert sind, ist der jeweilige Kurs der betroffenen Aktiengattung heranzuziehen. Ist nur eine Aktiengattung notiert, so kann auch die Wertableitung für die andere nicht notierte Aktiengattung über den Börsenkurs erfolgen. Dabei handelt es sich dann allerdings um einen Fall des § 11 Abs. 2 Satz 2 1. Alt. BewG, nämlich um eine Ableitung aus Verkäufen unter fremden Dritten innerhalb eines Jahres vor dem Bewertungsstichtag.3

7.146

Bei den Verkäufen unter fremden Dritten innerhalb eines Jahres vor dem Bewertungsstichtag handelt es sich um die zweite vorrangig zu prüfende Bewertungsmethode. Maßgebend ist dabei der Zeitpunkt der Einigung über den Kaufpreis.4 Dabei ist anerkannt, dass nur solche Verkäufe heranzuziehen sind, die im Rahmen des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs erzielt wurden.5 Durch die Beschränkung auf Verkäufe unter fremden Dritten macht der Gesetzgeber deutlich, dass Verkäufe zwischen nahestehenden Personen unerheblich sind. Problematisch wird diese Einschränkung bei Verkäufen innerhalb des Gesellschafterkreises. Bei einer breiten Gesellschafterstruktur kann im Regelfall davon ausgegangen werden, dass die Transaktionen unter marktüblichen Bedingungen wie unter fremden Dritten erfolgt sind. Liegen allerdings Besonderheiten in der Gesellschafterstruktur vor, soll der zwischen Gesellschaftern vereinbarte Kaufpreis als Maßstab ausgeschlossen sein.6

7.147

Verkäufe nach dem Bewertungsstichtag scheiden für die Wertfindung des gemeinen Wertes grundsätzlich aus. Eine Ausnahme lässt der BFH nur für den Fall zu, dass der formelle Ab-

1 Vgl. BMF v. 22.9.2011, BStBl. I 2011, 859. Ferner Mannek in v. Oertzen/Loose2, ErbStG, § 11 BewG Rz. 11–13 mit einer Würdigung der Frage, in welchem Umfang das vereinfachte Verfahren für ertragsteuerliche Zwecke angewendet werden sollte. 2 Vgl. Kreutziger/Jacobs in Kreutziger/Schaffner/Stephany4, § 11 BewG Rz. 12. 3 Vgl. BFH v. 26.9.2007 – I R 58/06, BStBl. 2009, 294 (295-296); BFH v. 23.2.1977 – II R 63/70, BStBl. II 1977, 427; kritisch dazu Meincke/Hannes/Holtz17, § 12 ErbStG Rz. 27. 4 Vgl. BFH v. 25.8.1972 – III R 33/71, BStBl. II 1973, 46 (48-49); BFH v. 9.3.1994 – II R 39/90, BStBl. II 1994, 394 (396-397). 5 Vgl. Meincke/Hannes/Holtz17, § 12 ErbStG Rz. 42. 6 Vgl. BFH v. 14.10.1967 – III 281/63, BStBl. III 1967, 82; BFH v. 14.2.1969 – III 88/65, BStBl. II 1969, 395; BFH v. 6.5.1977 – III R 17/75, BStBl. II 1977, 626.

522 | Kohl

D. Sonderthemen | Rz. 7.150 Kap. 7

schluss nach dem Stichtag, die inhaltliche Einigung aber bereits vor dem Stichtag stattgefunden hat.1 Die Formulierung „Ableiten“ macht deutlich, dass ein beobachteter Preis nicht unbesehen übernommen werden soll. Vielmehr können Umstände vorliegen, die eine Änderung notwendig machen, weil der beobachtete Preis nicht dem gemeinen Wert entspricht.2 Dies kann bei unterschiedlichen Aktiengattungen3, bei Minderheitsbeteiligungen4 oder eigenen Anteilen5 der Fall sein.

7.148

Sofern weder ein am Markt beobachtbarer Börsenkurs noch Verkäufe innerhalb des letzten Jahres vor dem Bewertungsstichtag vorliegen, soll die Bewertung gem. § 11 Abs. 2 Satz 2 2. Alt. BewG anhand der Ertragsaussichten oder einer im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nicht steuerliche Zwecke üblichen Methode erfolgen. Auch bei einer derartigen Ableitung ist eine Erwerberperspektive vorzunehmen6. Daher kommt der Definition des potentiellen Erwerbers eine zentrale Bedeutung zu. Trotz der hohen Dichte an Regelungen macht das Steuerrecht nur zurückhaltende Vorgaben hinsichtlich des potentiellen Erwerbers. Insbesondere sollen i.S.d. Steuerrechts persönliche und ungewöhnliche Verhältnisse unberücksichtigt bleiben. Auch auf mögliche Besonderheiten bei der Anteilsquote wird hingewiesen. Weitere Ausgestaltungen des potentiellen Erwerbers finden sich im Steuergesetz jedoch nicht. Daher ist es eine zentrale Aufgabe, auch bei steuerlichen Bewertungsanlässen eine angemessene Definition des gedachten Erwerbers vorzunehmen. An dieser Stelle zeigt sich die Verbindung steuerlicher Bewertungsanlässe zu den Grundsätzen des IDW S 1. Kennzeichnend für den im IDW S 1 definierten objektivierten Unternehmenswert sind einige typisierende Annahmen, z.B. Geschäftskonzept, Umfang der zu berücksichtigenden Synergieeffekte oder maßgebliche Managementfaktoren. Auch zum typisierten Anteilseigner nimmt der IDW S 1 eine Reihe von Typisierungen vor.7 Durch die Anwendung dieser Grundsätze kann daher das Ziel des Bundesverfassungsgerichts erreicht werden, eine Preisfindung unter objektivierten Verhältnissen vorzunehmen.8

7.149

Durch den Rückgriff auf die IDW S 1 Grundsätze wird bei steuerlichen Bewertungsanlässen auch die Rolle des potentiellen Erwerbers definiert.9 Darüber hinaus handelt es sich bei den Bewertungen i.S.d. IDW S 1 Grundsätze um allgemein anerkannte Grundsätze, die auch schon daher der allgemeinen Rahmendefinition des gemeinen Wertes entsprechen. Neben der Definition der Verfahrenshierarchie stellt kommt der Regelung der Unbeachtlichkeit ungewöhnlicher und persönlicher Verhältnisse eine zentrale Bedeutung zu. Diese wird zentral unter Rz. 7.62 diskutiert.

7.150

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Vgl. Kreutziger/Jacobs in Kreutziger/Schaffner/Stephany4, § 11 BewG Rz. 35. BFH v. 30.1.1976 – III R 74/74, BStBl. II 1976, 280. Vgl. BFH v. 23.2.1979 – III R 44/77, BStBl. II 1979, 618. Vgl. BFH v. 21.4.1999 – II R 87/97, BStBl. II 1999, 810. Vgl. BFH v. 23.2.1979 – III R 44/77, BStBl. II 1979, 618. Vgl. BFH v. 2.11.1988 – II R 52/85, BStBl. II 1989, 80. Vgl. Meincke/Hannes/Holtz17, § 12 ErbStG Rz. 45. Vgl. Kohl/König, WPg 2018, 1525 (1529) m.w.N. Vgl. Ruthardt/Hachmeister, WPg 2016, 411 (416–418) mit einer Darstellung unterschiedlicher Investorenkonzepte.

Kohl | 523

Kap. 7 Rz. 7.151 | Unternehmensbewertung

2. Der steuerliche Substanzwert als Mindestwert 7.151

Darüber hinaus ergeben sich bei steuerlichen Bewertungsanlässen Besonderheiten durch die Definition eines Mindestwertes in Form des Substanzwertes. Dieser kommt zur Anwendung, sofern der gemeine Wert nicht aus dem Börsenkurs oder aus tatsächlichen Verkäufen unter fremden Dritten abgeleitet wird.1

7.152

So hat der Gesetzgeber gem. § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG einen Mindestwert definiert, der durch den steuerlich definierten Substanzwert bestimmt wird. Bei diesem steuerlichen Substanzwert handelt es sich um die Summe der gemeinen Werte aller Wirtschaftsgüter und sonstigen aktiven Ansätze abzgl. aller Schulden und sonstiger Abzüge des Betriebsvermögens. Da der gemeine Wert eines Vermögensgegenstandes als Veräußerungswert konzipiert ist, stellt daher der Substanzwert auf die Veräußerung der einzelnen Wirtschaftsgüter ab. Auch von der Finanzverwaltung wird die inhaltliche Nähe des Substanzwertes zum Veräußerungswert anerkannt.2 Dabei wird i.S.d. Finanzverwaltung eine solche Liquidation nur als Fiktion aufgegriffen. Dies hat zur Konsequenz, dass auf den Ansatz von Liquidationskosten oder möglichen Steuereffekten verzichtet wird.

7.153

Dies kann im Einzelfall insbesondere bei hohen latenten Steuerlasten oder Unternehmen mit niedriger Rentabilität zu Wertansätzen führen, die sich mit der Wertkonzeption des gemeinen Wertes nicht vereinbaren lassen. Dies ist dann der Fall, wenn sich durch die Nutzung der Gesamtheit aller Vermögensgegenstände und Schulden lediglich ein niedriger Ertragswert rechtfertigen lässt. Hintergrund ist der Umstand, dass der steuerliche Substanzwert kein Nutzungskonzept unterstellt. Während die betriebswirtschaftlichen Bewertungsgrundsätze entweder in Form des Ertragswertes eine fortwährende Nutzung oder im Rahmen des Liquidationswertes eine Liquidation unterstellen, basiert der steuerliche Substanzwert nicht auf einem konkreten Nutzungskonzept. Da nur eine fiktive Veräußerung i.S.d. Finanzverwaltung zu unterstellen ist, bleiben wesentliche Effekte eines Liquidationswertes außen vor. Diese fehlende Berücksichtigung eines Nutzungskonzeptes (Fortführung im bestehenden Geschäftskonzept oder alternativ Liquidation) verdeutlicht die potentielle Gefahr einer Überbewertung.

7.154

Dies zeigt sich insbesondere in der Behandlung einer Rückstellung für latente Steuerlasten. Eine solche Steuerlast könnte sich bei einer Veräußerung eines Wirtschaftsgutes mit stillen Reserven ergeben. Bei einer gedachten Veräußerung wäre daher nicht der gemeine Wert aus Sicht des Unternehmens, sondern vielmehr der um die Veräußerungssteuer reduzierte Betrag zu realisieren.3 Dies wird nach aktueller Rechtsprechung vom BFH nicht anerkannt.4

7.155

Neben dem fehlenden Ansatz einer Veräußerungsgewinnsteuer zeigt sich dieses Thema auch bei Unternehmen mit einer geringen oder mangelnden Rentabilität. Solche Unternehmen sind dadurch gekennzeichnet, dass bei Fortführung des Unternehmens keine angemessene Verzinsung der zu gemeinen Werten angesetzten betrieblichen Substanz im Rahmen des aktuellen Unternehmenskonzeptes ermittelt werden kann.5 Daher können sich in der Praxis grundsätzlich Fälle ergeben, wonach eine Bewertung anhand der Ertragsaussichten zu einem 1 Vgl. Kohl in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung2, § 29 Rz. 59. 2 Vgl. R B 11.3 Abs. 1 Satz 2 ErbStR 2019. Ferner Riedel in Daragan/Halaczinsky/Riedel3, § 11 BewG Rz. 34. 3 Vgl. Mannek, Handbuch steuerliche Unternehmensbewertung, S. 113 f. 4 Vgl. Popp/Schwind, DStR 2015, 2565 (2567 f.). 5 Vgl. BFH v. 27.9.2017 – II R 15/15, BFHE 260, 75. Ferner auch FG Hamburg v. 2.1.2015 – 3 K 180/14, EFG 2015, 1000.

524 | Kohl

D. Sonderthemen | Rz. 7.157 Kap. 7

geringeren Wert führt. Ein Ansatz eines höheren steuerlichen Substanzwertes ließe sich dann nur mit einem pauschalen Ansatz von Synergien rechtfertigen. Bei dieser Überlegung wird gedanklich unterstellt, dass ein fiktiver potentieller Erwerber über Nutzungsmöglichkeiten verfügt, die über diejenigen des aktuellen Unternehmers hinausgehen.1 Zur konkreten Herleitung der gemeinen Werte der einzelnen Vermögensgegenstände und Schulden hat die Finanzverwaltung weitergehende Vorgehensweisen etabliert. So sind grundsätzlich die zum Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter mit ihrem gemeinen Wert anzusetzen. Mit der gesetzlichen Regelung „... und sonstigen aktiven Ansätze ... und sonstigen Abzüge“ in § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG macht der Gesetzgeber deutlich, dass er über den Umfang ertragsteuerlich bilanzierter Wirtschaftsgüter und Schulden hinaus Wertansätze ermöglichen möchte. Dies ermöglicht den Ansatz immaterieller Wirtschaftsgüter, die selbst geschaffen sind, und auch den Ansatz von Drohverlustrückstellungen. Daneben finden sich einzelne typisierte Angaben für die Bewertung anderer Vermögensgegenstände. Zum Beispiel wird es für sachgerecht erachtet, bei der Bewertung einzelner Wirtschaftsgüter des beweglichen Anlagevermögens vereinfacht 30 % der Anschaffungs- und Herstellungskosten anzusetzen. Für die Bewertung immaterieller Wirtschaftsgüter in Form von Lizenzen wird eine Diskontierung der vertraglich wiederkehrenden Zahlung vorgeschlagen. Dabei wird für die Laufzeit bei fehlender vertraglicher Fixierung der Zeitraum in acht Jahren und der Zinssatz durch Rückgriff auf das vereinfachte Verfahren typisiert.2 Darüber hinaus ergeben sich weitere Vorschriften aus dem Bewertungsgesetz. Dies betrifft insbesondere die Bewertung von Grundstücken (vgl. §§ 176– 198 BewG), Wertpapieren und Beteiligungen (vgl. § 11 BewG) sowie Pensionsrückstellungen (vgl. § 14 BewG).3

7.156

3. Das vereinfachte Verfahren Im Rahmen der Wertehierarchie hat der Gesetzgeber seit der Erbschaftsteuerreform 2008 darüber hinaus in Form des vereinfachten Ertragswertverfahrens ein eigenständiges Verfahren definiert. Dieses basiert auf den Grundsätzen des Ertragswertgedankens und basiert darüber hinaus auf einer Reihe von Typisierungen (vgl. dazu im Einzelnen §§ 199 ff. BewG). Im Ergebnis ergibt sich ein solcher Ertragswert aus dem Produkt eines nachhaltig erzielbaren Jahresergebnisses sowie eines vorgegebenen Kapitalisierungsfaktors (§ 200 Abs. 1 BewG). Zur konkreten Herleitung des nachhaltig erzielbaren Jahresergebnisses wird auf eine Reihe von Typisierungen zurückgegriffen. Danach sollen nach dem Willen des Gesetzgebers diese anhand der letzten drei vergangenen Wirtschaftsjahre ermittelt werden, die in einen ungewogenen Durchschnitt gesetzt werden. Darüber hinaus ist eine Reihe von Bereinigungen vorzunehmen, die zu einem normalisierten Ergebnis führen. In Anlehnung an § 202 BewG ist danach der nachhaltig anzusetzende Jahresüberschuss wie folgt herzuleiten: Unterschiedsbetrag nach § 4 Abs. 1 EStG +/-

Sonder-/Teilwertabschreibungen, erhöhte Absetzungen, Teilwertzuschreibungen

+

Absetzungen Geschäfts- oder Firmenwert sowie firmenwertähnlicher Wirtschaftsgüter

+/-

Einmalige Veräußerungsverluste/-gewinne + a.o. Aufwendungen/Erträge

+/-

Im Unterschiedsbetrag nach § 4 Abs. 1 EStG fehlende, aber wiederkehrende/enthaltene, nicht zu erwartende InvZul

1 Vgl. Horn in Fischer/Pahlke/Wachter6, § 12 ErbStG Rz. 307. 2 Vgl. Kohl in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung2, § 29 Rz. 104-105. 3 Vgl. R B 11.3 Abs. 3–6 ErbStR 2011.

Kohl | 525

7.157

Kap. 7 Rz. 7.157 | Unternehmensbewertung Unterschiedsbetrag nach § 4 Abs. 1 EStG +/-

Ertragsteueraufwand/Erträge aus Erstattung von Ertragsteuern

+/-

Aufwendungen/Erträge im Zusammenhang mit Vermögen i.S.d. § 2 Abs. 2, 4 EStG sowie übernommene Beteiligungsverluste

-

Angemessener Unternehmerlohn, soweit unberücksichtigt

+/-

Sonstige wirtschaftlich nicht begründete Vermögensänderungen

=

Betriebsergebnis vor pauschalierten Steuern

-

30 % pauschalierte Ertragsteuern

=

Betriebsergebnis

7.158

Ein so beschriebenes Ergebnis ist anschließend mit einem Kapitalisierungsfaktor als Kehrwert des Kapitalisierungszinssatzes zu multiplizieren. Auch hier gibt der Gesetzgeber typisierend enge Vorgaben vor. Seit der Erbschaftsteuerreform 2016 wird dieser Kapitalisierungsfaktor einheitlich auf 13,75 fixiert. Darüber hinaus wird das Bundesministerium der Finanzen ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates den Kapitalisierungszinssatz an die Entwicklung der Zinsstrukturdaten anzupassen (vgl. § 203 Abs. 1 und Abs. 2 BewG).

7.159

Der einheitliche Kapitalisierungszinssatz gibt dabei die aktuelle Entwicklung im Rahmen des Niedrigzinssatzes her. Damit erkennt der Gesetzgeber an, dass beobachtbare Marktrenditen sich nicht in dem gleichen Maße verändern wie Anleihezinssätze. Insbesondere in Zeiten durch Notenbankaktivitäten geprägter niedriger Zinsen führt diese Überlegung zu einer variablen Einschätzung der Marktrisikoprämie im Gegensatz zu der früher konstant gehaltenen Marktrisikoprämie von 4,5 %.1

7.160

Neben dem Ertragswert des Unternehmens definiert der Gesetzgeber eine Reihe von Sonderwerten, die in Ergänzung des Vertragswertes des betriebsnotwendigen Vermögens eingesetzt werden sollen. Gemäß Abschn. 20 Abs. 1 Bewertungserlass 2011 ergibt sich danach der Wert des vereinfachten Verfahrens wie folgt: Ertragswert des betriebsnotwendigen Vermögens nach § 200 Abs. 1 BewG +

Nettowert des nicht betriebsnotwendigen Vermögens nach § 200 Abs. 1 BewG

+

Wert der Beteiligungen an anderen Gesellschaften gem. § 200 Abs. 3 BewG

+

Nettowert des jungen Betriebsvermögens gem. § 200 Abs. 4 BewG

=

Unternehmenswert „vereinfachtes Verfahren“

7.161

Um den Vorgaben des § 200 Abs. 3 BewG gerecht zu werden, ist daher unabhängig von der Beteiligungsquote eine stufenweise Bewertung aller Beteiligungen notwendig.

7.162

Die Vorgehensweise, den Gesamtwert des Unternehmens im Rahmen des Tannenbaumverfahrens herzuleiten, kann dabei zu systematischen Überbewertungen führen. Dies ist dann der Fall, wenn im Konzern die Ertragslage einzelner Tochtergesellschaften durch innerkonzernliche Verrechnungspreise geprägt ist. Während bei einer ausschließlichen Betrachtung der Verrechnungspreise sich sowohl positive als auch negative Effekte bei der Bewertung der

1 Vgl. Mannek in v. Oertzen/Loose2, ErbStG, § 11 BewG Rz. 80–89.

526 | Kohl

D. Sonderthemen | Rz. 7.164 Kap. 7

einzelnen Konzernunternehmen niederschlagen, ergibt sich durch die Definition des Mindestwertes nach § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG folgende Problematik. Führt der Ansatz von konzerninternen Verrechnungspreisen dazu, dass bei Berücksichtigung marktüblicher Renditen diese Verrechnungspreise nicht zu einer angemessenen Amortisation der steuerlichen Substanz führen, würde für diese Unternehmen der Mindestwert i.S.d. § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG angewandt werden. Damit käme es einseitig zu einer Erhöhung des Wertes eines einzelnen Tochterunternehmens. Ein solches Ergebnis würde sich jedoch auf eine rein formale Anwendung des § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG begründen und würden den wirtschaftlichen Hintergrund ignorieren. Vielmehr kommt es durch die Verrechnungspreise zu einer Gewinnverteilung, die nicht im Einklang zu den entsprechenden Vermögensgegenständen und Schulden steht. Sie ist alleine Ausdruck durch eine Maßnahme des Gesellschafters. Da derartige Aspekte auch bei Anwendung der §§ 199 ff. BewG zu eliminieren sind, erscheint es geboten, in solchen Konstellationen den Mindestwertansatz kritisch zu hinterfragen. Weitere Besonderheiten ergeben sich bei der Bewertung ausländischen Vermögens. Bei derartigen Vermögen hat die Ermittlung der Bewertungsgrundlagen in der jeweiligen Landeswährung zu erfolgen. Der dann in der ausländischen Währung ermittelte vereinfachte Ertragswert ist anschließend zum Devisenkurs am Stichtag umzurechnen.1 Durch diese Vorgehensweise ergeben sich eine Reihe von Problemen (Angemessenheit ausländischer Bilanzen, Berücksichtigung von Länderrisiken, Ansatz des ausländischen Zinsniveaus sowie der typisierte Ansatz eines einheitlichen Kapitalisierungsfaktors). Derartige Komponenten können regelmäßig zu Schwierigkeiten führen.

7.163

Aufgrund der starken typisierenden Vorgaben schreibt das Bewertungsgesetz die Anwendung des vereinfachten Verfahrens nicht zwingend vor. Es handelt sich vielmehr um ein Angebot einer vereinfachten Wertermittlung an den Steuerpflichtigen bzw. an das Finanzamt (sog. Kann-Regelung)2. Es soll die grundsätzliche Möglichkeit bieten, den Unternehmenswert ohne hohen Ermittlungsaufwand zu schätzen.3 Eine entsprechende Ausweichregelung findet sich in § 199 Abs. 1 BewG. Danach kommt die Anwendung des vereinfachten Verfahrens bei offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen nicht zur Anwendung. Aus der kumulierten Betrachtung der Kriterien „unzutreffend“ und „offensichtlich“ lässt sich herleiten, dass es zu unzutreffenden Anwendungen beim Ansatz eines vereinfachten Verfahrens kommen kann. Diese sind jedoch in einem bestimmten Umfang zu akzeptieren. Im Sinne der angestrebten Vereinfachung sind diese i.S.d. Gesetzgebers jedoch in Kauf zu nehmen. Erst wenn die unzutreffenden Ergebnisse offensichtlich werden, soll eine Anwendung ausgeschlossen sein. Konkrete Schwellenwerte, ab wann unzutreffende Ergebnisse vorliegen, gibt der Gesetzgeber jedoch nicht. Vielmehr beschränkt er sich auf qualitative Merkmale in Form von

7.164

– zeitnahen Verkäufen nach dem Bewertungsstichtag, – Verkäufe, die mehr als ein Jahr vor dem Bewertungsstichtag liegen, – Erbauseinandersetzungen, bei denen die Verteilung der Erbmasse Rückschlüsse auf den gemeinen Wert zulässt.4

1 Vgl. BT-Drucks. 18/8911, 47. S. auch Blumenberg in Benz/Blumenberg/Crezelius, Erbschaftsteuerreform 2016, S. 143–146; Kohl/Schröder, Corporate Finance 2016, 456 (459–460). 2 Vgl. R B 199.2 Satz 2 ErbStR 2019. 3 Vgl. Kreutziger in Kreutziger/Schaffner/Stephany4, § 199 BewG Rz. 8. 4 Vgl. Berichte Finanzausschuss zum ErbStRG v. 26.11.2008, BT-Drucks. 16/1107 zu § 199 BewG.

Kohl | 527

Kap. 7 Rz. 7.165 | Unternehmensbewertung

7.165

Auch in der Literatur haben sich keine eindeutigen Schwellenwerte herausgebildet. Genannt werden dabei abweichend zwischen 20 und 25 % jeweils vom gemeinen Wert, auf einen höheren und niedrigeren Wert 50 % und sogar 60 %.1 Aufgrund der unsicheren Anwendungsvoraussetzungen hat die Finanzverwaltung für kritische Fälle ein Verfahren der Beweislastverteilung aufgestellt. Hat das Finanzamt daher Zweifel an der Anwendbarkeit des vereinfachten Verfahrens, sind diese substantiiert darzulegen, um dem Steuerpflichtigen die Gelegenheit zu geben, diese Bedenken auszuräumen.2 Können in einem ernsthaften Austausch zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Finanzamt Zweifel an der Anwendbarkeit nicht ausgeräumt werden, wird die Finanzverwaltung auf der Vorlage eines methodisch nicht zu beanstandenden Gutachtens bestehen.3 Im Ergebnis wird diese Auffassung zu einer De-facto-Verpflichtung des Steuerpflichtigen ein Privatgutachten einzuholen. Damit tritt das eigentliche Ziel, mit dem vereinfachten Ertragswertverfahren eine Kostenersparnis zu etablieren, in den Hintergrund.

II. Erb- und familienrechtliche Bewertungsanlässe 1. Grundsätzliche Vorgehensweise 7.166

Für erb- und familienrechtliche Bewertungsanlässe hat das IDW einen besonderen Standard veröffentlicht. Der IDW S 13 „Besonderheiten bei der Unternehmensbewertung zur Bestimmung von Ansprüchen im Familien- und Erbrecht“ wurde im Juli 2016 verabschiedet und ersetzt den bisherigen HFA 2/1995.

7.167

Inhaltlich greift der Standard auf anerkannte betriebswirtschaftliche Prinzipien zurück. Er basiert nicht auf aktuell geänderten Urteilen der Rechtsprechung. Seine Anwendung ist daher auch grundsätzlich rückwirkend sinnvoll bzw. geboten. Die grundsätzlich Akzeptanz dieser berufsrechtlichen Regelung zeigt sich auch in der nach seiner Veröffentlichung ergangenen Rechtsprechung, in der auf die oben genannten Standards IDW S 1, IDW S 13 sowie dem Praxishinweis 1/2014 hingewiesen wird.4

7.168

Der Standard sieht für die Ableitung des Ausgleichs-/Auseinandersetzungsanspruchs im Familien- und Erbrecht (weiterhin) eine zweistufige Ermittlung vor. Auf der ersten Stufe ist der objektivierte Unternehmenswert der Gesellschaft zu bestimmen. Grundsätzliche Besonderheiten bei der Ableitung eines objektivierten Unternehmenswertes ergeben sich aus diesem Standard nicht. Vielmehr wird auf die allgemein anerkannte Vorgehensweise des IDW S 1 verwiesen

7.169

Aufgrund rechtlicher Besonderheiten wird auf einer zweiten Stufe eine Überleitung vom objektivierten Unternehmenswert zum konkreten Ausgleichs-/Auseinandersetzungsanspruch vorgenommen.

7.170

Bei der Ableitung eines objektivierten Unternehmenswertes in der ersten Stufe ist zu beachten, dass zu zahlreichen Anwendungsfällen bereits eine entsprechende Rechtsprechung vor1 Vgl. R B 199.1 Abs. 5 ErbStR 2019. Ferner Abschn. 19 Abs. 5 Bewertungserlass 2011 (AEBewAntBV 2011, BStBl. I 2011, 606). 2 Vgl. Abschn. 19 Abs. 4 Satz 3 Bewertungserlass 2011 (AEBewAntBV 2011, BStBl. I 2011, 606). 3 Vgl. Rohde/Gemeinhardt, StuB 2009, 167 (168) für die Bandbreite 20–25 %; Mannek, DB 2008, 423 (428) für den Ansatz 50 % sowie Viskorf, ZEV 2009, 591 (596) für den Ansatz von 60 %. Ferner vgl. Horn in Fischer/Pahlke/Wachter6, § 12 ErbStG Rz. 323 m.w.N. 4 Vgl. Mannek, Handbuch Steuerliche Unternehmensbewertung, S. 178.

528 | Kohl

D. Sonderthemen | Rz. 7.174 Kap. 7

liegt. Diese Fälle betreffen häufig inhabergeführte Einheiten, freiberufliche Praxen oder Beteiligungen an Familienunternehmen. In diesen Fällen ist eine Prognose der zukünftigen Überschüsse nur schwer vom aktuellen Inhaber zu trennen. Die Inhaberbezogenheit von Unternehmen nimmt daher eine prägende Rolle in der Rechtsprechung des BGH ein. Gemäß dieser Rechtsprechung sind inhaberbezogenen Aspekte, die nur aufgrund der individuellen Verhältnisse des Eigentümers vorliegen, zu eliminieren, da diese nicht auf einen potentiellen Erwerber übertragbar sind. Daher solle die Bewertung nicht nach dem reinen Ertragswertverfahren erfolgen, da sich die Ertragsprognose kaum von der Person des Inhabers trennen lasse.1 So wird in den Entscheidungen des BGH zu den personenbezogenen Faktoren hervorgehoben, den individuellen Unternehmerlohn anzusetzen.2 Grundlage dafür sei eine Vergütung für eine entsprechende nicht selbstständige Arbeit. Diese ist zusätzlich um Zu- und Abschläge zu ergänzen, die die besondere Verantwortung des Inhabers unter Berücksichtigung regionaler Besonderheiten seines Arbeitseinsatzes oder seiner Spezialkenntnisse erfordern. In der Literatur sind dazu verschiedene Vorschläge diskutiert worden, die besonderen Fähigkeiten des Unternehmers zu berücksichtigen.3 Problematisch an diesem Vorgehen ist jedoch, dass diese Zu- und Abschläge nur subjektiv und pauschal vorgenommen werden können.4

7.171

Auch die Grundsätze des IDW S 13 greifen diese Zielsetzung der laufenden BGH-Rechtsprechung auf, die Wertableitung ausschließlich ohne inhaberbezogene Erfolgsbeiträge vorzunehmen. Dabei können sich im Einzelnen Unterschiede ergeben. Der IDW S 13 in Verbindung mit dem Praxishinweis 1/2014 hat dazu auf eine marktübliche Vergütung abgestellt. Gleichzeitig sollen diejenigen Komponenten der Ertragskraft, die nicht auf einen Erwerber übertragbar sind, eliminiert werden.

7.172

In Rz. 31 des IDW S 13 wird dazu hervorgehoben, dass es einen Zusammenhang zwischen dem kalkulatorischen Unternehmerlohn und der Ermittlung der übertragbaren Ertragskraft gibt. So soll insbesondere der Unternehmerlohn nach einer marktüblichen Vergütung bestimmt werden, die eine nicht beteiligte Unternehmensleitung alternativ erhalten würde. Um die Vergleichbarkeit mit möglichen beobachtbaren Referenzwerten sicherzustellen, ist bei der Ableitung einer marktüblichen Vergütung auch auf den zeitlichen Arbeitsansatz sowie die individuellen Kenntnisse des Unternehmensleiters einzugehen. Sofern bei der Ermittlung des Unternehmenswertes auf eine marktübliche Vergütung abgestellt wird, sind auch die Auswirkungen auf die finanziellen Überschüsse nur in einem marktüblichen Umfang anzusetzen.

7.173

Daneben ist im IDW S 13 auch klargestellt, dass die persönlichen Leistungen eines Eigentümers, die nicht auf einen Erwerber übertragbar sind, nicht im kalkulatorischen Unternehmerlohn zu berücksichtigen sind. Diese mindern vielmehr die zukünftigen finanziellen Überschüsse, weil sie Bestandteile einer nicht übertragbaren Ertragskraft beinhalten. Um diese Effekte zu eliminieren sieht der IDW S 13 für diese Fälle vor, Annahmen hinsichtlich des zukünftigen Ertragspotentials zu treffen. Insbesondere kann es sich anbieten, das aktuelle Ertragsniveau abzuschmelzen, um personenbezogene Faktoren zu eliminieren. Zur Abgrenzung personenbezogener Einflüsse wäre es daher sachgerecht zu unterstellen, dass die bisherigen

7.174

1 Vgl. BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, FamRZ 2018, 93 Rz. 18, 21 ff. sowie Rz. 27. 2 So aktuell BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, FamRZ 2018, 93 Rz. 18. Ferner BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, BGHZ 188, 249 Rz. 32. 3 Vgl. auch Ballhorn/König, ErbR 2015, 412 (412). 4 Vgl. Ballhorn/König, FamRZ 2018, 162–163.

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Kap. 7 Rz. 7.174 | Unternehmensbewertung

Eigentümer aus dem Unternehmen ausscheiden und sämtliche damit verbundenen Einflüsse auf die Ertragskraft korrigiert werden. Als Ergebnis bliebe nur die Ertragskraft, die das Unternehmen mit ihren verfügbaren Potentialen und einer marktüblich entlohnten Geschäftsführung künftig realisieren kann.

7.175

Dabei ist zu beachten, dass ein marktüblich entlohnter Geschäftsführer einen Beitrag zur künftigen Ertragskraft leisten kann. Für den Umfang (in zeitlicher und quantitativer Hinsicht) einer möglichen Abschmelzung der Erträge ist daher zu berücksichtigen, inwieweit durch den Ansatz und die Höhe der Vergütung eines angenommenen Fremdgeschäftsführers kompensatorische Effekte entstehen. In den Fällen einer Unersetzlichkeit der individuellen Fähigkeiten durch einen Fremdgeschäftsführer erscheint dagegen schnelles Abschmelzen der künftigen Ertragskraft nötig.1 Beispiele zur Vorgehensweise finden sich in den Ausführungen zur Behandlung sog. kleiner und mittlerer Unternehmen.

7.176

Der Vorteil dieser Vorgehensweise wird in einer erhöhten Transparenz gesehen, weil der Unternehmerlohn objektiviert abgeleitet werden kann und die Auswirkungen auf die zukünftigen finanziellen Überschüsse transparent dargestellt werden sollen. Pauschale Zu- und Abschläge sind bei dem Vorgehen des IDW S 13 daher nicht mehr notwendig.

7.177

Missverständlich in diesem Zusammenhang ist die aktuelle Entscheidung des BGH v. 8.11.2017 – XII ZR 108/16, FamRZ 2018, 93. In diesen Fällen wird weiterhin auf eine modifizierte Ertragswertmethode und auf einen an den individuellen Verhältnissen orienten Unternehmerlohn abgestellt. Problematisch an diesem Urteil ist insbesondere das gleichzeitige Abstellen auf die individuellen Verhältnisse beim Unternehmerlohn sowie der Verweis auf den IDW S 13 und den Praxishinweis 1/2014. Während die berufsrechtlichen Standards ausführlich darlegen, dass personenbezogene Faktoren gerade nicht durch pauschale Zuschläge auf den Unternehmerlohn erfasst werden sollen, besteht die Gefahr bei einer wörtlichen Auslegung des Urteils, dass derartige Faktoren doppelt eliminiert werden, d.h. sowohl durch den Ansatz eines erhöhten Unternehmerlohns als auch bei einer Eliminierung zukünftiger Erfolgsbeiträge im Rahmen der nicht übertragbaren Ertragskraft.

7.178

Zu beachten ist, dass ein solches Vorgehen zu einer unterschiedlichen Behandlung des Unternehmerlohns im Vergleich zum Unterhaltsanspruch führt. Gemäß laufender Rechtsprechung ist dazu auf die individuelle Vergütung abzustellen und nicht auf eine marktübliche Vergütung eines vergleichbaren Unternehmensleiters.2

7.179

Im Ergebnis bleibt aber festzuhalten, dass sowohl der IDW S 13 als auch die laufende BGHRechtsprechung personenbezogene Faktoren bei der Wertableitung eliminieren wollen.3

2. Überleitung vom objektivierten Unternehmenswert zum Ausgleichs-/ Abfindungsanspruch a) Merkmal des IDW S 13

7.180

Wesentliches Merkmal des IDW S 13 ist wie dort in Rz. 7 beschrieben die Unterteilung in zwei Schritte. Während im ersten Schritt auf die allgemeinen Grundsätze zur Ableitung objektivierter Unternehmenswerte verwiesen wird, sind in der zweiten Stufe die Besonderheiten bei 1 Vgl. Ihlau/Kohl, WPg 2018, 397 (399). 2 Vgl. BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08 Rz. 35 ff., FamRZ 2011, 622. 3 So auch Borth, FamRZ 2017, 1739 (1743).

530 | Kohl

D. Sonderthemen | Rz. 7.184 Kap. 7

der Abfindungsberechnung aufzugreifen. Dabei werden i.S.d. IDW S 13 insbesondere sog. latente Steuern und Abfindungsklauseln im Gesellschaftsvertrag genannt. Vgl. IDW S 13 Rz. 33 ff. b) Latente Steuern Wesentlicher Punkt ist dabei der Ansatz sog. latenter Ertragsteuern. Hintergrund dieser Regelung ist die höchstrichterliche Rechtsprechung zum Zugewinnausgleich, wonach der wertmindernde Abzug eines latenten Steuersatzes grundsätzlich zu erfassen sei. Dies gelte auch dann, wenn eine Veräußerung weder geplant noch mit dieser gerechnet werden kann. Unabhängig von einer konkreten Verwertungsabsicht soll vielmehr der Wert ermittelt werden, der sich bei einer Veräußerung durch den Verpflichtenden ergeben würde. Latente Steuern sind i.S.d. BGH daher als unvermeidbare Veräußerungskosten anzusetzen.1 Damit unterstellt der BGH, dass einem ausscheidenden Ehegatten nur der Betrag vergütet werden soll, der sich bei einem Verkauf des Vermögensgegenstandes am Stichtag realisieren lässt und der bereits um eine effektiv zu zahlende Steuer gemindert ist.

7.181

Hintergrund dieser Rechtsprechung ist eine Gleichbehandlung aller Vermögenswerte im Rahmen des Zugewinnausgleichs. Im Ergebnis stellt eine solche Konzeption auf eine heftige Aufteilung der Nettowertsteigerung im Zeitraum des Bestehens der Zugewinngemeinschaft ab.2

7.182

Eine vergleichbar eindeutige Rechtsprechung liegt dagegen zur Ermittlung von Pflichtteilsansprüchen bzgl. latenter Ertragsteuern nicht vor.3 Bislang hat der BGH den Abzug latenter Ertragsteuern erst dann vorgeschrieben, wenn abzusehen ist, dass es zur Aufdeckung stiller Reserven kommt.4 Ferner seien latente Ertragsteuern dann zu berücksichtigen, wenn nach dem der Unternehmensbewertung zugrunde liegenden Verwertungsszenario nicht von einer Fortführung des Unternehmens, sondern von dessen Veräußerung oder Liquidation ausgegangen wird.5 Eine eindeutige Rechtsprechung, dass grundsätzlich bei Fortführung des Unternehmens keine entsprechende Ertragsteuerbelastung anzusetzen wäre, liegt dagegen nicht vor. Ergangen sind vielmehr im Rahmen der letzten Jahre Urteile von OLG, in denen davon ausgegangen wird, dass zu dem in Geld zu gewährenden Pflichtteil zu unterstellen sei, dass der Nachlass in Geld umgesetzt worden wäre. Daher ist im Sinne dieser OLG-Urteile ebenfalls eine fiktive Veräußerung zu unterstellen und eine persönliche Ertragsteuerbelastung in Abzug zu bringen. Im Sinne der OLG gelte dies auch im Falle der Fortführung eines Unternehmens.6 Daher erscheint es geboten, auch bei der Ermittlung eines Pflichtteilsanspruchs latente Ertragsteuern in Abzug zu bringen. Bei der Pflichtteilsberechnung impliziert die Rechtsprechung, dass der Nachlass zum Zeitpunkt des Stichtages veräußert worden wäre.7

7.183

Darüber hinaus ergibt sich die Notwendigkeit einer einheitlichen Vorgehensweise aus § 1371 BGB, wonach der Ehegatte bei Wahl der sog. güterrechtlichen Lösung Zugewinnausgleich

7.184

1 2 3 4 5 6

Vgl. BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 158/09, BGHZ 188, 249 Rz. 47. Vgl. Ihlau/Kohl, WPg 2017, 397 (400). Vgl. für eine Übersicht die Darstellung bei Ballhorn/König, ErbR 2015, 412 (414). Vgl. BGH v. 24.10.1990 – IV ZR 101/89, NJW 1991, 1547. Vgl. BGH v. 26.4.1972 – IV ZR 144/70, NJW 1972, 1269. Vgl. OLG Hamm v. 10.4.2014 – 10 U 35/13, BeckRS 2014, 11567; OLG München v. 4.4.2012 – 3 U 4952/10, BeckRS 2012, 08586. 7 So ausdrücklich das OLG München v. 4.4.2012 – 3 U 4952/10, FamRZ 2013; 329; OLG Düsseldorf v. 27.5.1994 – U 136/93, ZEV 1994, 361.

Kohl | 531

Kap. 7 Rz. 7.184 | Unternehmensbewertung

und Pflichtteilsanspruch nebeneinander erhält. Ein Grund, warum in einem solchen Fall die zugrunde liegenden Werte unterschiedlich bestimmt werden sollten, ergibt sich nicht.1

7.185

Während der Abzug latenter Ertragsteuern beim Ansatz eines Verwertungskonzeptes betriebswirtschaftlich nachvollziehbar ist, wirft dieses Vorgehen bei einem Fortführungswert konzeptionelle Fragen auf. Der Ansatz eines Fortführungswertes impliziert, dass eine Fortführung den höheren Wertansatz im Gegensatz zum Liquidationswert erbringt. Latente Ertragsteuern fallen in diesem Fall nicht an. Dies hat in Konsequenz zur Folge, dass beide Ehegatten nicht mehr zu gleichen Teilen an dem bislang aufgebauten Unternehmenswert partizipieren.

7.186

Um den Abzug latenter Ertragsteuern von einem ermittelten Fortführungswert betriebswirtschaftlich zu rechtfertigen, ist daher die konsequente Ausrichtung einer Veräußerungsfiktion notwendig. Setzt man eine solche Veräußerungsfiktion konsequent um, ist darüber hinaus zu prüfen, wie in dem Abzug latenter Steuern andere wertsteigernde Faktoren bei der Veräußerung entstehen können. Möglichkeiten bestehen dabei insbesondere in der steuerlichen Abschreibungsfähigkeit des Kaufpreises auf Ebene eines Veräußerers. Hintergrund eines solchen Ansatzes ist die Überlegung, dass es in bestimmten Fällen dem Erwerber möglich sein wird, seine Anschaffungskosten ganz oder teilweise steuerlich geltend zu machen und damit zu einer erstaunlichen Ersparnis zu gelangen. Ein solcher abschreibungsbedingter Steuervorteil führt dazu, dass die Grenzpreise von Verkäufer und Käufer hinsichtlich der zukünftigen Zahlungsströme voneinander abweichen. Soll daher eine Veräußerungsfiktion konsequent umgesetzt werden, ist auch zu fragen, in welchem Umfang ein solcher abschreibungsbedingter Vorteil auf Ebene des Erwerbers sich in einem möglichen Veräußerungspreis niederschlagen kann.2

7.187

Eine mögliche Berechnungsvariante eines solchen abschreibungsbedingten Steuervorteils ergibt sich dabei wie folgt: Berechnung des steuerlichen Mehrwerts (TAB) Objektivierter Wert

100

Steuerbilanzielles Eigenkapital zum Bewertungsstichtag

60

Zusätzliches steuerliches Abschreibungsvolumen

40

Durchschnittliche Nutzungsdauer (Jahre) Jährliche Abschreibung

5 8

Steuersatz (%)

30

Jährliche Steuerersparnis

2,4

Step-up-Faktor (Kapitalisierungszinssatz: 10 %)

1,294

1 Vgl. Ballhorn/König in Riedel, Praxishandbuch Unternehmensnachfolge2, § 6 Rz. 145. 2 Vgl. IDW S 13, Rz. 38. Vgl. dazu zustimmend Ballhorn/König, FamRZ 2018, 161 (165). A.A. Borth, FamRZ 2017, 1739 (1744), der primär die Unsicherheit in der Bewertung eines solchen TAB anspricht.

532 | Kohl

D. Sonderthemen | Rz. 7.191 Kap. 7 Ermittlung des Anspruchs Objektivierter Wert

100,0

Steuerlicher Mehrwert (1,294 x 40 – 40)

11,8

Anteilswert vor Veräußerungssteuer

111,8

Latente Steuern (30 % x (111,8 – 60))

-15,5

Zugewinn

96,2

Davon 50 % für einen Ehepartner

48,1

c) Besonderheiten bei der Bewertung des Anfangsvermögens

Besonderheiten bestehen auch dann, wenn im Rahmen des Zugewinnausgleichs zwei Bewertungen zu unterschiedlichen Stichtagen zu erfolgen haben. Dabei hat im Sinne der Methodenstetigkeit die Bewertung zu beiden Stichtagen nach einheitlicher Methodik zu erfolgen. Daher hat der Bewerter zu beiden Stichtagen entsprechend zu würdigen, ob mögliche Veräußerungsbesteuerungen bzw. in welchem Umfang abschreibungsbedingte Steuervorteile anzusetzen sind. Nur so kann im Vergleich durch Erst- und Zweitbewertung ein entsprechender Zugewinn abgeleitet werden.

7.188

Folgt man dem Grundsatz der hälftigen Aufteilung der Nettowertsteigerung bei der Ermittlung von Zugewinnansprüchen, wäre dazu eine fiktive Besteuerung sowohl des Anfangsvermögens als auch des Endvermögens notwendig. Eine alleinige Besteuerung des Endvermögens würde dagegen auch die zu Beginn der Zugewinngemeinschaft bereits vorliegende latente Ertragsteuerlast in Abzug bringen.

7.189

Die Übersicht verdeutlicht die Zusammenhänge.1

7.190

Anfangsvermögen

Endvermögen

Wert vor Veräußerungssteuer

100

150

Buchwert Anteile/Eigenkapital

40

40

Steuerliche Bemessungsgrundlage

60

110

Latente Steuerlast (50 %)

-30

-55

Netto-Wertbeitrag

70

95

Zugewinn Differenz Nettowertbeitrag

25 (150–100) x 50 %

Wertzuwachs nach Steuern

25 (95–70)

In diesem Beispiel führt sowohl der Vergleich der Nettovermögenswerte als auch die Besteuerung des Wertzuwachses zu einem vergleichbaren Ergebnis. Voraussetzung ist allerdings, dass die maßgeblichen Steuersätze im Zeitablauf identisch wären und sich die Bemessungsgrundlagen nicht infolge von Thesaurierungen oder Einlagen verändert hätten.2 1 Das Beispiel ist übernommen von Ihlau/Kohl, WPg 2017, 397 (400). Vereinfachend wird ein pauschaler Steuersatz von 50 % unterstellt. 2 Vgl. dazu Borth, FamRZ 2017, 1739 (1742), der für die Frage des maßgeblichen Steuersystems nicht den Grundsatz der Methodenstetigkeit heranziehen möchte. Vielmehr seien für den Abzug latenter Steuern die zu dem jeweiligen Stichtag relevanten steuerlichen Regeln anzusetzen. Die Methodenstetigkeit würde sich dagegen nur auf die Bewertungsgrundsätze im ersten Bewertungsschritt beziehen.

Kohl | 533

7.191

Kap. 7 Rz. 7.192 | Unternehmensbewertung

7.192

Besonderheiten ergeben sich dann, wenn sich der Wert des Anfangsvermögens infolge einer Indexierung verändert. So soll nach der derzeitigen Rechtsprechung des BGH ein Zugewinn keine nominelle Wertsteigerung enthalten. Um dieses Ziel zu erreichen, ist das Anfangsvermögen mit dem Index der Lebenshaltungskosten auf die Preisbasis des Endvermögens umzurechnen.1

7.193

Betrachtet man zusätzlich eine Indexierung des Anfangsvermögens (nachfolgend mit dem Faktor 1,2 angesetzt) ergeben sich weitere Besonderheiten. Insbesondere ist zu hinterfragen, wie sich die Indexierung auf den Ansatz der latenten Steuern auswirkt. Dazu sollen folgende Varianten dargestellt werden. Anfangsvermögen

Endvermögen

Nominal

Real I

Real II

Wert vor Veräußerungssteuer

100

120

120

Buchwert Anteile/Eigenkapital

40

40

48

40

Steuerliche Bemessungsgrundlage

60

80

72

110

Latente Steuerlast

-30

-40

-36

-55

Netto-Wertbeitrag

70

80

84

95

150

Zugewinn Real I

15 (95–80)

Real II

11 (95–84)

7.194

In der Variante „Real I“ wird neben dem indexierten Anfangsvermögen (110 x 1,2) das nominale Eigenkapital herangezogen. Auf dieser Basis würde der Nettowertbeitrag 80 betragen. Im Vergleich zum Nettobeitrag i.H.v. 95 beim Endvermögen ergäbe sich ein Zugewinn von 15. Das gleiche Ergebnis würde sich ergeben, wenn der Wertzuwachs direkt einer Besteuerung unterworfen werden würde (150–120 = 30, davon 50 %= 15)

7.195

Bei diesem Vorgehen wird jedoch gedanklich die nominelle Wertsteigerung einer Besteuerung unterworfen. Diese Besteuerung führt zu einem geringeren Anfangsvermögen und damit rechnerisch zu einem höheren Zugewinn. Eine solche Besteuerung würde aber unter der Fiktion der sofortigen Veräußerung zum damaligen Zeitpunkt nicht entstehen. Vielmehr darf es bei dieser Fiktion nur zur Besteuerung der zum Stichtag vorhandenen stillen Reserven kommen. Um diesen Effekt zu berücksichtigen, ist der Nettowertbeitrag zu indexieren (70 x 1,2 = 84).

7.196

Rechnerisch lässt sich das gleiche Ergebnis erzielen, wenn neben dem Wert des Anfangsvermögens auch der Wert der Anteile bzw. des Eigenkapitals indexiert wird (Variante „Real II“).

7.197

Für die Ermittlung der jeweiligen Steuereffekte ist auf den konkreten Eigentümer abzustellen. Dies bedeutet, dass bei der zu unterstellenden Veräußerung hinsichtlich der zu unterstellenden Steuerlast auch mögliche einzelfallabhängige Tarifbegünstigungen oder Steuerbefreiungen zur Anwendung kommen können.

1 Vgl. BGH v. 14.11.1973 – IV ZR 147/72, WPg 1974, 521.

534 | Kohl

D. Sonderthemen | Rz. 7.201 Kap. 7

d) Verfügungsbeschränkungen Auch bei der Ermittlung familien- und erbrechtlicher Anspruchsgrundlagen gibt es Regelungen zur Behandlung möglicher Verfügungsbeschränkungen. Bei der Bewertung ganzer Unternehmen wird diese Thematik unter dem Gesichtspunkt einer mangelnden Fungibilität diskutiert und ist Bestandteil der originären Wertableitung. Bei Bemessung eines Unternehmensanteils können sich daher anteilsbezogene Besonderheiten ergeben, die gesondert zu analysieren sind.

7.198

Der IDW S 13 legt dar, in welchen Fällen abhängig vom Bewertungsanlass jenseits des objektivierten quotalen Anteilswertes ggf. gesetzliche, vertragliche oder faktische Verfügungsbeschränkungen zu berücksichtigen sind. Dabei kann es sich u.a. um folgende anteilsbezogene Verfügungsbeschränkungen handeln:

7.199

– unterwertige Abfindungsklauseln, – gesellschaftsrechtliche, vertragliche oder faktische Ausschüttungs- und Entnahmerestriktionen, – Vinkulierungsklauseln, Veräußerungssperren, Nießbrauchsbelastungen oder – die Existenz von Poolverträgen. Nach der Rechtsprechung des BGH ist in Fällen, in denen nach den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags bei Ausscheiden eines Gesellschafters nicht der volle quotale Unternehmenswert für den Anteil vergütet wird, sondern ein niedrigerer, im Vertrag bestimmter Abfindungswert zugrunde zu legen ist, für die Ermittlung des Ausgleichsanspruchs dennoch grundsätzlich der volle, sich nach dem Ertragswert bemessende Wert statt des Abfindungswertes anzusetzen.1 Ein Abschlag aufgrund der eingeschränkten Verwertbarkeit kommt aber in bestimmten Fällen in Betracht.2 Entscheidend ist dabei die Frage, ob und ggf. in welchem Ausmaß sich die eingeschränkte Verwertbarkeit des Anteils nach der Verkehrsanschauung auf deren Wert auswirkt.3 In Fällen von faktischen und gesellschaftsvertraglichen Verfügungsbeschränkungen ist im Einzelnen zu prüfen, ob diese Verfügungsbeschränkungen zu berücksichtigen und entsprechend wertmindernd anzusetzen wären. Die Zusammenhänge zwischen vertraglichen Verfügungsbeschränkungen werden ausführlich im nachfolgenden Kapitel C. III. behandelt.

7.200

Wesentlich dabei ist, dass grundsätzlich nur anwendbare Abfindungsklauseln zu berücksichtigen sind. Hierbei ist vor allem zu berücksichtigen, dass Abfindungsklauseln, die zu einem extremen Missverhältnis zwischen „wahrem Wert“ und tatsächlicher Abfindung führen, gerichtlich angegriffen werden können. Abfindungsklauseln sind nicht anwendbar, wenn sie unangemessen niedrig sind. Die BGH-Rechtsprechung unterscheidet zwischen originär sittenwidrigen und damit nichtigen Abfindungsregelungen sowie wirksamen, aber unangemessenen Klauseln. In den ersten Fällen wird ein ausscheidender Gesellschafter mit dem vollen Verkehrswert – in der Regel ermittelt auf der Basis des Ertragswertes – abgefunden. In den zweiten Fällen wird die Abfindungsklausel auf ihre Angemessenheit geprüft und ggf. angepasst. In

7.201

1 Vgl. BGH v. 10.10.1979 – IV ZR 79/78, DB 1979, 2477 ff.; BGH v. 25.11.1998 – XII ZR 84/97, DB 1999, 477 ff.; BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, NJW 1992, 892. 2 Vgl. IDW S 13 Rz. 48. 3 Vgl. BGH v. 10.10.1979 – IV ZR 79/78, DB 1979, 2477 ff.

Kohl | 535

Kap. 7 Rz. 7.201 | Unternehmensbewertung

diesen Fällen sind Abfindungsklauseln zwar wirksam aber unangemessen, wenn sie erheblich unter dem Verkehrswert liegen.

7.202

Eine eindeutige Rechtsprechung, ab welchem Schwellenwert Abfindungen unangemessen niedrig sind, findet sich bislang nicht. Der BGH hat sich hierzu nicht eindeutig geäußert. In der Fachliteratur wird z.B. ausgeführt, dass Abfindungen zwischen 70 % und 80 % des Ertragswertes unproblematisch seien.1

7.203

Abweichend von den dargestellten Grundsätzen ist der Wert der Anteile dann auf den im Gesellschaftsvertrag geregelten Betrag des Abfindungsanspruchs begrenzt, wenn die Kündigung des Gesellschaftsverhältnisses am Bewertungsstichtag bereits wirksam erfolgt war.2

III. Gesellschaftsvertragliche Regelungen 7.204

Eine Besonderheit bei der Bewertung von Unternehmen und Unternehmensanteilen stellen sog. vertragliche Verfügungsbeschränkungen dar. Dabei handelt es sich insbesondere um bei Familienunternehmen zu findende gesellschaftsvertragliche Regelungen, die eine Reihe von Ausschüttungs- und Verfügungsbeschränkungen vorsehen. Häufig sind damit auch Regelungen verbunden, die einen Verkauf nur innerhalb eines bestimmten Personenkreises oder zu einem vertraglich festgelegten Wert unter dem aktuellen Zeitwert ermöglichen. Derartige Regelungen sowie ihre steuerliche Behandlung sind seit vielen Jahren Gegenstand der steuerlichen Wertermittlung. Im Rahmen der Erbschaftsteuerreform 2016 wurde dabei über diesen Punkt intensiv diskutiert. Der damals aufgesetzte Abschlag von bis zu 30 % i.S.d. § 13 Abs. 9 ErbStG ist dieser Diskussion entsprungen.

7.205

Bei derartigen Regelungen stellt sich die Frage, ob und inwieweit sie einen Werteinfluss auf den Wert des Unternehmens bzw. des Unternehmensanteils haben können.

7.206

Verfügungsbeschränkungen im Allgemeinen stellen einen Sonderfall einer mangelnden Fungibilität dar. Dabei handelt es sich um Aspekte einer erschwerten Handelbarkeit von Unternehmen bzw. von Unternehmensanteilen und die damit verbundene Unsicherheit über Zeitpunkt, Preis und Transaktionskosten einer möglichen Veräußerung. Diese allgemeinen Aspekte einer mangelnden Fungibilität werden häufig als Argument genannt, um Wertabschläge bei sog. kleinen und mittleren Unternehmen zu rechtfertigen. So finden sich teilweise Gutachten, in denen die mangelnde Fungibilität durch einen pauschalen Zuschlag auf den Kapitalisierungszinssatz oder durch einen pauschalen Abschlag vom errechneten Zukunftserfolgswert angesetzt wird. Dieser Vorgehensweise wird entgegengehalten, dass theoretisch ein solcher pauschaler Abschlag nicht zu rechtfertigen sei. Insbesondere ergibt sich bei Anwendung des CAPM für solche Zuschläge methodisch kein Raum. Darüber hinaus würden empirische Nachweise, die in der Fachliteratur als Belege herangezogen werden, einer entsprechenden Prüfung nicht standhalten.3

7.207

Um die Zusammenhänge zwischen der Unternehmensermittlung und einer mangelnden Fungibilität zu verstehen, ist eine Abwägung zwischen der Nutzung eines Unternehmens und eines Verkaufs des Unternehmens vorzunehmen. Dazu wären Annahmen erforderlich, zu wel1 Vgl. Herff, GmbHR 2012, 621 (626); Strohn in MüKo3, § 32 GmbHG Rz. 227; Ulmer in FS Quack, 1991, S. 477; Geißler, GmbHR 2012, 370 (375). 2 Vgl. BGH v. 10.10.1979 – IV ZR 79/78, DB 1979, 2477 ff.; BGH v. 25.11.1998 – XII ZR 84/97, DB 1999, 477 ff. 3 Vgl. Ballwieser u.a., WPg 2014, 463 (471).

536 | Kohl

D. Sonderthemen | Rz. 7.213 Kap. 7

chem Zeitpunkt, zu welchem Preis und zu welchen damit verbundenen Kosten ein Unternehmen veräußert werden kann. Üblicherweise wird dabei davon ausgegangen, dass die Unsicherheit über den Beendigungszeitpunkt grundsätzlich mit den sonstigen Risiken in Bezug auf die Erzielung der finanziellen Überschüsse vergleichbar ist. Unterstellt man eine derartige Gleichwertigkeit der Risiken, ergeben sich bezogen auf die Beendigung bzw. den Verkauf des Unternehmens sowie dessen unendlicher Fortführung keine wesentlichen Unterschiede. Bei einer derartigen Gleichsetzung der Risiken ist daher für irgendeinen Abschlag infolge mangelnder Fungibilität kein Raum.1 Anders ist der Fall gelagert, wenn mit einer konkreten Veräußerung der Unternehmensbeteiligung zu rechnen ist. In diesem Fall sind die möglichen Veräußerungskosten konkret zu schätzen. Ist daher aufgrund des konkreten Sachverhalts von einer begrenzten Lebens- und Haltedauer des Unternehmens auszugehen, sind die zu erwartenden Kosten aus dem Verkauf zu ermitteln und bei der Prognose der künftigen finanziellen Überschüsse in Abzug zu bringen.

7.208

Vor diesem Hintergrund können Verfügungsbeschränkungen bei bestimmten Anlässen Wertrelevanz entwickeln. Dies ist dann der Fall, wenn die Risiken bei einem Verkauf höher eingeschätzt werden als bei der Erzielung nachhaltiger Umsatzerlöse und Ergebnisbeiträge. Weiterhin können sich Wertauswirkungen ergeben bei dem Ansatz von möglichen Transaktionskosten. Diese sind bei einem früheren Verkaufszeitpunkt entsprechend anzusetzen.

7.209

Insbesondere bei der Bewertung einzelner Unternehmensanteile können sich diese genannten Risiken entsprechend auswirken bzw. sprechen die Annahme einer Gleichwertigkeit der Risiken als auch der Ansatz möglicher Transaktionskosten gegen eine unreflektierte Übernahme dieser Annahmen bei der Bewertung einzelner Anteile.

7.210

Kriterien für die Bemessung von Abschlägen derartiger Verfügungsbeschränkungen können sich aus der Gesellschafterstruktur, der Existenz von Prüfverhältnissen, der erwarteten Haltedauer, der bisherigen Gültigkeit der vertraglichen Regelung sowie gesellschaftsvertraglichen Ausschüttungs- und Entnahmerestriktionen ergeben.2

7.211

Derartige Verfügungsbeschränkungen finden sich auch in den einzelnen gesetzlichen oder berufsrechtlichen Regelungen. Bei dem Rückgriff auf eine Wertermittlung i.S.d. IDW S 1Grundsätze ist zu beachten, dass es sich bei diesen Grundsätzen um einen objektivierten Unternehmenswert mit einigen typisierenden Annahmen handelt. Dabei wird insbesondere ein typisierter Anteilseigner unterstellt, aus dessen Perspektive eine Bewertung zu erfolgen hat. Mögliche Einschränkungen auf Ebene der Gesellschafter werden im Rahmen dieses typisierten Anteilseigners nicht angesetzt. Daher erfolgt eine Bewertung des gesamten Unternehmens i.S.d. IDW S 1-Grundsätze grundsätzlich ohne gesellschaftsvertragliche Regelungen, die ausschließlich die Gesellschafter betreffen. Darüber hinaus ist zu beachten, dass sich i.S.d. IDW S 1-Grundsätze der Wert des Unternehmensanteils als quotale Aufteilung des Unternehmensgesamtwertes ergibt. Zu- oder Abschläge aufgrund hoher oder geringer Anteilsquoten werden bei Anwendung dieser Grundsätze daher nicht vorgenommen.3

7.212

Unabhängig von diesen allgemeinen Grundsätzen wird die grundsätzliche Wertrelevanz jedoch auch in den Rahmengrundsätzen des IDW gesehen. So wird in dem IDW Praxishinweis

7.213

1 Vgl. Kohl, WPg 2015, 1130 (1133 f.). 2 Vgl. Kohl, WPg 2015, 1130 (1135). 3 Vgl. IDW S 1 Rz. 13.

Kohl | 537

Kap. 7 Rz. 7.213 | Unternehmensbewertung

1/20141 festgehalten, dass bei Vorliegen von gesetzlichen vertraglichen oder faktischen Verfügungsbeschränkungen jenseits des objektivierten Unternehmenswertes Besonderheiten berücksichtigt werden sollen. Damit wird klargestellt, dass im konkreten Einzelfall die allgemeine Typisierung des IDW S 1 nicht zu sachgerechten Unternehmenswerten bei der Ermittlung eines konkreten Unternehmensanteils führen kann.

7.214

Besonderheiten ergeben sich auch durch die steuerrechtliche Regelung. Diese ergibt sich aus § 9 Abs. 2 BewG, wonach ungewöhnliche und persönliche Verhältnisse für die Bewertung des gemeinen Wertes nicht relevant sind. Dazu zählen als ein Sonderfall auch vertragliche Verfügungsbeschränkungen. Die steuerrechtliche Rechtsprechung geht dabei auf eine Entscheidung des BFH im Jahre 1967 zurück. Danach wurden insbesondere gesellschaftsvertragliche Verfügungsbeschränkungen regelmäßig nicht zu den objektiven Merkmalen gezählt, sondern als persönliche Verhältnisse eingestuft, die keinen Wertabschlag rechtfertigen.2

7.215

Dabei ist zu beachten, dass die steuerrechtliche Rechtsprechung grundsätzlich zwischen Verfügungsbeschränkungen differenziert, die in der Person des Steuerpflichtigen begründet sind und denjenigen, die im Wirtschaftsgut selbst gegründet sind. Zum Beispiel hat der BFH einjährige Veräußerungssperren i.S.d. Rule 144 des Securities Exchange Act als wertbeeinflussend eingestuft und dies als eine im Wirtschaftsgut begründete Verfügungsbeschränkung dem Grunde nach angesehen. Diese Einstufung erfolgte dabei explizit in Abgrenzung zu rein vertraglichen Verfügungsbeschränkungen.3

7.216

In der Literatur werden derartige Verfügungsbeschränkungen kontrovers diskutiert, weil dabei die Bedenken von Rechtsprechung und Verwaltung, die in einer möglichen Berücksichtigung solcher Gegebenheiten die Gefahr eines gesteigerten Missbrauchs sehen, den Forderungen betroffener Erwerber von Unternehmensanteilen gegenüberstehen. Insbesondere den Erwerbern von einzelnen Unternehmensanteilen wird die Idealvorstellung, dass willentlich eingegangene Beschränkungen in der Verfügung von Unternehmensanteilen wieder beseitigt werden können, in der Praxis nicht gerecht. Daher wird in der Literatur auch differenziert zwischen persönlichen und sachlichen Verfügungsbeschränkungen. Während die persönlichen Verfügungsbeschränkungen auf die Person des Steuerpflichtigen Bezug nehmen, begründen sich die sachlichen Beschränkungen in dem Wirtschaftsgut und beziehen sich auf alle Verfügungsbeschränkungen. Sachliche Verfügungsbeschränkungen gelten daher für den Eigentümer des Wirtschaftsgutes und wirken gegenüber jedermann.4

7.217

Besonderheiten ergeben sich in diesem Zusammenhang auch durch den grundsätzlichen Aufbau bei der Herleitung des gemeinen Wertes. Im Sinne der Bewertungshierarchie der §§ 9 und 11 BewG ist der gemeine Wert von Unternehmen anhand der Ertragsaussichten nach einer anerkannten Methode zu schätzen. Diese Vorgehensweise ist dann anzusetzen, wenn weder ein Börsenkurs noch Verkäufe innerhalb des letzten Jahres vor dem Stichtag vorliegen. Erfolgt dabei die Ableitung des gemeinen Wertes durch Rückgriff auf die anerkannten Grund-

1 WPg Supplement 2/2014, S. 28 ff., FN-IDW 4/2014, S. 282 ff. 2 Vgl. BFH v. 11.7.1967 – III 21/64, BStBl. III 1967, 666 (667 – 668); BFH v. 23.7.1971 – III R 41/70, BStBl. II 1972, 4 (4–5); BFH v. 10.12.1971 – III R 43/70, BStBl. II 1972, 313 (313 – 314); BFH v. 30.3.1994 – II R 101/90, BStBl. II 1994, 503 (504). 3 Vgl. BFH v. 28.10.2008 – IX R 96/07, DStR 2008, 2413 (2414). 4 Vgl. Daragan in Daragan/Halaczinsky/Riedel3, § 9 BewG Rz. 36–42. Ferner Meincke/Hannes/ Holtz17, § 12 ErbStG Rz. 25; ferner Kohl in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung2, § 29 Rz. 123 m.w.N.

538 | Kohl

D. Sonderthemen | Rz. 7.220 Kap. 7

sätze des IDW S 1, kommt es dann zu der besprochenen Anwendung eines typisierten Anteilseigners, indem keine Besonderheiten auf Gesellschafterebene berücksichtigt werden. Die Behandlung derartiger Verfügungsbeschränkungen war auch Gegenstand im erbschaftsteuerlichen Gesetzgebungsverfahren 2016. Als Ergebnis dieser Diskussion hat der Gesetzgeber mit dem § 13 Abs. 9 EStG einen besonderen Abschlag von begünstigtem Vermögen für Familienunternehmen geschaffen. Dieser ist jedoch an restriktive Bedingungen geknüpft. So ist insbesondere eine Verfügung über die Beteiligung auf Mitgesellschafter, auf Angehörige i.S.d. § 15 AO oder eine Familienstiftung beschränkt.1 Darüber hinaus muss für den Fall des Ausscheidens aus der Gesellschaft eine Abfindung vorgesehen sein, die deutlich unter dem gemeinen Wert der Beteiligung liegt. Diese Voraussetzungen sind in dem Gesellschaftsvertrag oder in der Satzung entsprechend zu fixieren und müssen dabei den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen und zwei Jahre vor dem Entstehungszeitpunkt bereits vorgelegen haben sowie weitere 20 Jahre danach eingehalten werden. Im Hinblick auf die Entnahme- und Ausschüttungsbeschränkung ist eine gesetzliche Grenze bei 37,5 % des steuerrechtlichen Gewinns vorgesehen.2 In diesen Fällen erlaubt der Gesetzgeber den in Gesellschaftsvertrag oder Satzung vorgesehenen proportionalen Abschlag als Minderung auf den gemeinen Wert anzuwenden. Dieser ist jedoch auf den Maximalbetrag von 30 % gedeckelt.3

7.218

Dabei ist zu beachten, dass es sich formal nicht um einen Bewertungsabschlag handelt, sondern um eine entsprechende Steuerbefreiung. Die Gesetzesbegründung zu diesem Vorgehen mag dabei nicht zu überzeugen. Darin wird ausgeführt, dass langfristig bestehende gesellschaftsvertragliche Beschränkungen dazu führen, dass der objektive gemeine Wert der erworbenen Gesellschaftsanteile aus subjektiver Sicht des Erwerbers wirtschaftlich nicht verfügbar sei.4 Das Abstellen auf einen subjektiven individuellen Wert ist jedoch nicht Ausdruck des gemeinen Wertes, sondern vielmehr des betriebswirtschaftlichen Teilwertes. Unabhängig von der Argumentation akzeptiert der Gesetzgeber jedoch die Möglichkeit, Abschläge auf den gemeinen Wert vorzunehmen. Diese sind jedoch an das Vorliegen und Einhalten restriktiver Voraussetzungen geknüpft.5

7.219

Auch andere Rechtsgebiete greifen das Thema von vertraglichen Verfügungsbeschränkungen auf. Einzelheiten finden sich dazu in den erb- und familienrechtlichen Auseinandersetzungen. Im Sinne dieser Rechtsprechung können sich Verfügungsbeschränkungen auf die zu gewährende Abfindung ergeben, wenn die Verfügungsbeschränkung sich auf den Wert des Anteils durchschlägt. Sofern sich diese Verfügungsbeschränkung in der Gestaltung im Einzelfall auf die Beschaffenheit des Anteils auswirkt und nicht in der Person begründet ist, müssen daher bei der Wertfindung für familien- und erbrechtliche Zwecke entsprechende Abschlage berücksichtigt werden.6

7.220

1 Ein reiner Zustimmungsvorbehalt der übrigen Gesellschafter für Verfügungen auf Personen außerhalb des Kreises zulässiger Anteilserwerber soll dazu nicht ausreichen. Vgl. Abschnitt 13a.19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Satz 1 AEErbSt 2017. A.A Viskorf/Löcherbach/Jehle, DStR 2016, 2425 (2430). 2 Vgl. § 13a Abs. 9 Satz 1 ErbStG sowie § 13a Abs. 9 Satz 4 f. ErbStG. 3 Vgl. für Einzelheiten Crezelius in Benz/Blumenberg/Crezelius, Erbschaftsteuerreform 2016, S. 105–114. 4 BT-Drucks. 18/8911, 38. 5 Vgl. Meincke/Hannes/Holtz17, § 12 ErbStG Rz. 51. Ferner Kohl/Schröder, Corporate Finance 2016, 456 (458). 6 Vgl. Born in FleischerHüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung2, § 26 Rz. 43 ff. Ferner Lange in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung2, § 27 Rz. 61. Vgl. auch König/Ballhorn, Erbschaftsteuerrichtlinien 2015, 412 (416) m.w.N.

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Kap. 7 Rz. 7.221 | Unternehmensbewertung

IV. Besonderheiten bei der Bewertung von KMU 1. Überblick 7.221

Eine besondere Herausforderung für einen Unternehmensbewerter ergibt sich bei der Bewertung von sog. kleinen und mittelgroßen Unternehmen (KMU). Mögliche Besonderheiten bei der Bewertung derartiger Unternehmen werden seit Jahren in der Literatur diskutiert und haben durch den IDW Praxishinweis 1/2014 sowie den IDW S 13 eine weitergehende Konkretisierung und Anleitung erhalten.

7.222

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die allgemeinen Regeln und Vorgehensweisen der Unternehmensbewertung sowohl für börsennotierte Unternehmen als auch für Familienunternehmen als auch für kleine und mittlere Unternehmen zutreffend sind. Wie oben beschrieben handelt es sich bei den maßgeblichen Standards um ein Rahmenkonzept, welches auf betriebswirtschaftlich anerkannten Bewertungsprinzipien basiert. Weiterhin sind die aktuellen Tendenzen der Rechtsprechung in diesem Standard berücksichtigt. Eine grundsätzliche Beschränkung in der Anwendung dieser Standards liegt daher nicht vor. Gleichwohl ist im Rahmen dieser Grundsätze eine Reihe von Besonderheiten zu beachten, die nachfolgend dargestellt werden.

7.223

Daneben gibt es eine Reihe von Veröffentlichungen, die sich bei der Bewertung derartiger Unternehmen für die Anwendung möglicher Multiplikatoren oder möglicher pauschaler Wertabschläge stark machen. Derartige Praktikervorschläge zielen damit primär auf eine Pauschalierung wesentlicher Bewertungsparameter ab.1 Begründet werden diese Typisierungen mit dem häufig notwendigen angemessenen Mitteleinsatz bei der Bewertung kleinerer Unternehmen. Weiterhin finden sich in den erb- und schenkungsteuerlichen Bewertungsregeln der §§ 199 ff. BewG Vorschriften des vereinfachten Ertragswertverfahrens. Dieses vereinfachte Ertragswertverfahren ist als Masseverfahren konzipiert und stellt auf die Typisierung wesentlicher Einflussfaktoren der Bewertung ab. Dabei wird insbesondere eine Typisierung anhand der vergangenheitsbezogenen Ergebnisse sowie des Ansatzes eines typisierten Kapitalisierungszinssatzes vorgenommen.

7.224

Ähnlich wie bei den diskutierten pauschalen Abschlägen oder Multiplikator-Ansätzen erfolgt daher auch im vereinfachten Ertragswertverfahren keine adäquate Auseinandersetzung mit den wirtschaftlichen Verhältnissen des KMU. Wichtiger als eine Pauschalierung der wesentlichen Verhältnisse ist aber für eine sachgerechte Ableitung von Unternehmenswerten einzelner KMU vielmehr eine Identifizierung wesentlicher Besonderheiten und ihre angemessene Abbildung.

2. Abgrenzung des Bewertungsobjektes 7.225

Ein wesentlicher Aspekt bei der Bewertung derartiger Unternehmen ist die eindeutige Abgrenzung des Bewertungsobjektes. Da es sich bei KMU häufig um Einzelunternehmen oder Personengesellschaften handelt, ist eine Trennung zwischen privater und betrieblicher Sphäre häufig nicht gegeben. Durch das Vorliegen von Dienstleistungen des Gesellschafters oder von nahestehenden Personen, der unentgeltlichen Überlassung von Vermögensgegenständen oder dem Nutzen betrieblicher Vermögenswerte für private Zwecke ergeben sich regelmäßig Ansatzpunkte, dass eine erforderliche Abgrenzung des betrieblichen Vermögens besonderer Aufmerksamkeit bedarf. Essentiell für eine sachgerechte Bewertung des Unternehmens sind die 1 Vgl. Rohde, DStR 2016, 1566 ff.

540 | Kohl

D. Sonderthemen | Rz. 7.230 Kap. 7

Identifizierung des zu bewertenden betrieblichen Vermögens sowie die Identifizierung aller Erträge und Aufwendungen, die mit diesem betrieblichen Vermögen im Zusammenhang stehen. Etwaige Leistungen zwischen dem Gesellschafter und dem Unternehmen sind zu marktüblichen Konditionen anzusetzen. Eine Anpassung derartiger Verhältnisse kann dabei positive oder negative Auswirkungen auf die vorliegende Ertragslage haben. Beispiele für eine positive Auswirkung auf die Ertragslage können sich z.B. bei der unentgeltlichen Nutzung von betrieblichem Vermögen durch den Gesellschafter ergeben. Negative Auswirkungen auf die ausgewählte Ertragslage ergeben sich dagegen durch die unentgeltliche Nutzung von Dienstleistungen des Gesellschafters oder von nahestehenden Personen. Dies kann z.B. die unentgeltliche Mitarbeit von Familienangehörigen im Unternehmen sein. Auch die unentgeltliche Risikoabsicherung für aufgenommene Kredite (Bürgschaften, Avale) durch den Gesellschafter müsste hier zu entsprechenden Mehraufwendungen führen. Für Bewertungszwecke sind derartige Leistungen mit marktüblichen Entgelten anzusetzen, durch die sich das Bild der Ertragslage verändern kann.

7.226

Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch die eindeutige Abgrenzung des tatsächlichen Bewertungsobjektes von etwaigen steuerlichen Besonderheiten. Im Rahmen einer einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung werden z.B. für steuerliche Zwecke überlassene Vermögensgegenstände des Gesellschafters in diese Gewinnermittlung miteinbezogen. Unabhängig von der steuerlichen Behandlung derartiger Vermögensgegenstände ist für die Bewertung des Unternehmens ausschließlich auf das betrieblich notwendige Vermögen abzustellen. Stellt daher z.B. ein Gesellschafter der Gesellschaft ein Darlehen zur Verfügung, so handelt es sich aus Sicht der Gesellschaft um ein Darlehen, welches zu marktüblichen Konditionen zu verzinsen ist. Die gegenläufige Forderung stellt dagegen kein Vermögen des Unternehmens, sondern des Gesellschafters dar. Dies gilt unabhängig von der Zusammenfassung für die steuerliche Gewinnermittlung im Rahmen der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung.

7.227

3. Datenqualität Bei kleinen und mittleren Unternehmen wird häufig die schlechte Datenqualität aufgegriffen. Dies kann dadurch begründet sein, dass aufgrund der Größenkriterien für derartige Unternehmen keine explizite Prüfungspflicht vorliegt. Darüber hinaus verfügen kleine und mittelgroße Unternehmen auch nicht über ausgewiesene Abteilungen, die sich mit der Aufbereitung finanzieller Kennzahlen und der für Unternehmenszwecke notwendigen Planungsrechnung beschäftigen. Vielmehr ist häufig festzustellen, dass ein Unternehmer seine Planungsrechnung „im Kopf hat“. Jede vorgenommene Bewertung kann dabei nur so gut sein wie die in die Bewertung eingeflossenen Daten. Ist bereits in der Bemessung der Ausgangsgröße eine Abweichung festzustellen, so wird diese sich im Rahmen der weiteren Bewertung durchziehen.

7.228

Konsequenzen für die Bewertung hängen dabei stark von dem zugrunde liegenden Bewertungsanlass ab. Sofern es sich bei der Unternehmensbewertung um rein informatorische Zwecke handelt, erscheint es sachgerecht für den Bewerter, auf mögliche Mängel aufmerksam zu machen. Erfolgt dagegen die Bewertung vor einem gesellschaftsrechtlichen Anlass (z.B. der Ermittlung einer angemessenen Abfindung eines ausscheidenden Gesellschafters) hat der Bewerter entsprechend Sorge zu tragen, angemessene Daten in seinem Bewertungskalkül zu berücksichtigen.

7.229

Besondere Herausforderungen sind dabei an die Ableitung künftiger finanzieller Überschüsse eines KMU zu stellen. So verfügen derartige Unternehmen häufig nicht über ein ausgereiftes

7.230

Kohl | 541

Kap. 7 Rz. 7.230 | Unternehmensbewertung

System einer integrierten Planungsrechnung. Dabei kann es sachgerecht sein, auf Basis von Vergangenheitsergebnissen und festgestellten Entwicklungstrends sowie weiterer sonstiger verfügbarer Informationen eine Prognose der finanziellen Überschüsse zu erarbeiten. Wichtig in diesem Zusammenhang ist es, diese Ergebnisse in eine Analyse aufeinander abgestimmter Planbilanzen, Plan-Gewinn-und-Verlustrechnungen sowie Cashflow-Planungen zu integrieren. Nur durch eine integrierte Analyse kann ein notwendiger Kapitalbedarf ermittelt und erfasst werden.1

4. Besonderheiten bei der Ermittlung der finanziellen Überschüsse a) Eliminierung KMU-spezifischer Risiken

7.231

Der wesentliche Aspekt bei der Ableitung zukünftiger finanzieller Überschüsse ist jedoch die Eliminierung möglicher KMU-spezifischer Risiken. Im Sinne des IDW S 1 ist dabei nur auf die sog. übertragbare Ertragskraft abzustellen. Dieser Grundsatz folgt der Überlegung, dass ein möglicher Käufer eines Unternehmens nur für die Ertragskraft bereit ist, einen Kaufpreis zu entrichten, der im Rahmen des Kaufes auf ihn übergeht. Sofern die vorhandene Ertragskraft bei dem Verkäufer verbleibt, wird der Käufer dafür keinen Kaufpreis vergüten. Solche Fälle können z.B. beim Vorliegen spezifischer Kundenbeziehungen einschlägig werden. Gleiches gilt für möglicherweise spezifisches Know-how, welches ausschließlich in der Person des Gesellschafters vorhanden ist. Liegen derartige Sachverhalte vor, ist kritisch zu hinterfragen, ob die ausgewiesene Ertragslage sich auch zukünftig ergeben wird.

7.232

Folgt man diesem Grundgedanken, so ergeben sich bei der Bewertung von KMU insbesondere folgende Fragestellungen. Inwiefern ist die ausgewiesene Ertragslage im Rahmen eines Verkaufes wirklich auf den Käufer übertragbar. Sofern diese nicht oder nicht vollständig auf einen Käufer übertragbar ist, stellt sich die Frage, für welchen Zeitraum sich entsprechende Erfolgsfaktoren verbrauchen. Weiterhin ist zu fragen, ob für die Bewertung eines KMU-Unternehmens der Verbleib des aktuellen Gesellschafters im Unternehmen unterstellt werden darf. Neben diesen grundsätzlichen Aspekten ergibt sich technisch die Frage, wie konkret die Ertragskraft in übertragbare und nicht übertragbare Komponenten aufgeteilt werden kann. b) Annahmen zum Verbleib des bisherigen Gesellschafters

7.233

Wie oben dargestellt, könnten sich spezifische Auswirkungen des aktuellen Gesellschafters auf die finanziellen Überschüsse ergeben. Für die Ableitung zukünftiger finanzieller Überschüsse ist daher auch die Annahme notwendig, ob und inwieweit der Gesellschafter nach dem Bewertungsstichtag voraussichtlich im Unternehmen verbleiben wird. Sollen derartige Faktoren vollständig eliminiert werden, so ist es sachgerecht, ein Ausscheiden des bisherigen Eigentümers aus dem Unternehmen zu unterstellen und damit sämtliche mit ihm verbundene Einflüsse auf die Ertragskraft zu korrigieren. Als Ergebnis dieser Annahme bliebe diejenige Ertragskraft übrig, die das Unternehmen mit seinen verfügbaren Potentialen und einer marktüblich entlohnten Geschäftsführung zukünftig realisieren kann.

7.234

Zu beachten dabei ist auch, dass ein Zusammenhang zwischen einer marktüblichen Vergütung und der Eliminierung personenbezogener Faktoren besteht. So ist insbesondere zu prüfen, in welchem Umfang ein marktüblich entlohnter Geschäftsführer einen Beitrag zur zu1 Vgl. dazu auch die Ausführungen zur Ableitung der finanziellen Überschüsse im Rahmen eines objektivierten Unternehmenswertes.

542 | Kohl

D. Sonderthemen | Rz. 7.238 Kap. 7

künftigen Ertragskraft leisten kann und ob und inwieweit er mögliche gesellschafterbezogene Aspekte kompensieren kann. Ob ein sofortiges Ausscheiden des Gesellschafters aus dem Unternehmen unterstellt werden muss, hängt dabei maßgeblich vom Einzelfall ab. Beispielsweise kann sich im Rahmen eines Unternehmenskaufs die Käuferseite die Dienste des bestehenden Gesellschafters über einen gewissen Zeitraum im Rahmen des Kaufvertrages weiterhin sichern. Durch die Anwendung von Earn-Out-Klauseln und das Erreichen bestimmter Ziele, z.B. dem Verbleib wesentlicher Kunden beim Unternehmen, kann der aktuelle Gesellschafter motiviert werden, auch nach dem Verkauf für das Unternehmen tätig zu werden und einen Beitrag zum Erhalt wesentlicher Erfolgsfaktoren zu leisten.1

7.235

Eine ähnliche Situation kann im Falle einer Schenkung vorliegen. Sofern der Gesellschafter im Rahmen einer Schenkung auch seine bisherige Tätigkeit zur Verfügung stellt, wären die damit verbundenen positiven Aspekte zu berücksichtigen. Besteht allgemein eine Verpflichtung des Eigentümers, nach dem Bewertungsstichtag zu nicht marktüblichen Konditionen weiter für das Unternehmen tätig zu sein, ist dies für die Dauer der vertraglichen Verpflichtung zu beachten.2

7.236

c) Abgrenzung der übertragbaren Ertragskraft Eindeutige Bewertungsfälle, in denen die Ertragskraft vollständig oder nicht übertragbar ist, werden sich in der Praxis selten finden. Vielmehr werden regelmäßig Konstellationen vorliegen, in denen ein Teil der ausgewiesenen Ertragskraft mit dem Gesellschafter verbunden ist und sich nicht auf einen möglichen Käufer übertragen lassen wird. In diesen Fällen stellt sich dann die Frage, wie aus den ausgewiesenen Ergebnissen eine Aufteilung in übertragbare und nicht übertragbare Komponenten vorgenommen werden kann. Dazu wird nun in der Literatur vorgeschlagen, eine Aufteilung anhand des investierten Kapitals vorzunehmen. Bei diesem Ansatz wird im ersten Schritt der Teil der Ertragskraft genommen, der auf das investierte Kapital entfällt. Der darüber hinausgehende Teil der ausgewiesenen Ergebnisse wird als nicht übertragbar klassifiziert und über den sog. Abschmelzungszeitraum abgeschmolzen. Ein solches Vorgehen erscheint dann sachgerecht, wenn die ausgewiesenen Vermögensgegenstände des investierten Kapitals keine stillen Reserven beinhalten und die Ertragslage vor allem von einem wesentlichen immateriellen Vermögenswert, z.B. Kundenbeziehungen, geprägt ist.3 Eine exemplarische Darstellung dieses Sachverhalts erfolgt in dem Beispiel am Ende des Kapitels.

7.237

Daneben können sich vergleichbare Effekte auch in einer besseren Margensituation des zu bewertenden Unternehmens niederschlagen. In diesen Fällen kann es sinnvoll sein, auf eine marktübliche Rendite abzustellen. Der Teil der ausgewiesenen Ertragskraft, der mit der marktüblichen Rendite identisch ist, soll dabei als übertragbar angesehen werden. Der darüber hinausgehende Teil wird als nicht übertragbar angesehen und ausschließlich durch das Gesellschaftereinwirken begründet sein.

7.238

1 Vgl. Kohl, WPg 2018, 146 (149). 2 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2014, Rz. 34. 3 Vgl. Ballwieser u.a., WPg 2014, 463 (467).

Kohl | 543

Kap. 7 Rz. 7.239 | Unternehmensbewertung

d) Ermittlung des Abschmelzungszeitraums

7.239

Liegen die oben beschriebenen Besonderheiten vor, steht also ein bestimmter Teil der Ertragslage nicht dauerhaft zur Verfügung, so ist abschließend festzuhalten, über welchen Zeitraum sich diese Effekte verbrauchen. Auch für die Beantwortung dieser Frage ist auf die individuellen Verhältnisse des Unternehmens abzustellen. Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass sich, je höher die Wettbewerbsintensivität ist, auch die entsprechenden Vorteile umso schneller verbrauchen können. Grundsätzlich kann man sich an entsprechenden Kriterien orientieren:1 – Vertragslaufzeiten und erwartete Vertragsverlängerung – Produktlebenszyklen – Verhalten von Wettbewerbern – demographische und biometrische Aspekte – Abhängigkeit von einzelnen Kunden

7.240

Anhaltspunkte dabei können auch durch die Analyse der vorhandenen Kundenstruktur gewonnen werden. So kann anhand der aktuellen Kundenstruktur analysiert werden, wie hoch die Kundenbindung in der Vergangenheit war und in welchem Zyklus regelmäßig neue Kunden gewonnen werden mussten.2

5. Bemessung des Kapitalisierungszinssatzes 7.241

Neben der Anpassung der finanziellen Überschüsse ist die Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes bei KMU in den letzten Jahren intensiv diskutiert worden. Folgt man den einschlägigen Verlautbarungen des IDW, ist jedoch auch zur Ermittlung von objektivierten Unternehmenswerten von KMU typisiert auf die Renditen eines Bündels von am Kapitalmarkt notierten Unternehmensanteilen abzustellen. Dies erfolgt durch die Anwendung allgemein anerkannter Kapitalmarktmodelle wie dem CAPM oder dem Tax-CAPM. Unabhängig von der allgemeinen Kritik an diesen Verfahren sind sie anderen Verfahren zur Ermittlung von Risikozuschlägen insoweit überlegen, als für die Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes intersubjektiv nachprüfbare Kapitalmarktdaten herangezogen werden. Diskussionen über weitere Zuschläge für eine fehlende Fungibilität, ein erhöhtes Insolvenzrisiko bzw. eine fehlende Diversifikation sind mit diesen Modellen nicht vereinbar und sind daher auch nicht anzusetzen. Vielmehr sollen alle identifizierten Risiken bei der Ableitung der finanziellen Überschüsse berücksichtigt werden.3

7.242

Bei einer Erfassung aller KMU-spezifischen Besonderheiten in den finanziellen Überschüssen verbleiben keine Besonderheiten bei der Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes. Vielmehr ist auf die üblichen Modelle wie das CAPM abzustellen. Die Anwendung des CAPM verlangt jedoch den Rückgriff auf börsennotierte Daten von Vergleichsunternehmen. Dies bezieht sich insbesondere auf die Ableitung eines sog. Beta-Faktors, der aus einer Gruppe von Vergleichsunternehmen abgeleitet wird. Bei der Bewertung von KMU stellt sich dabei die Frage, ob das nicht börsennotierte KMU überhaupt aufgrund seiner Größe mit einem börsennotierten Unternehmen vergleichbar sein kann. In der Literatur wird dazu vorgeschlagen, vereinfacht auf 1 Vgl. Ballwieser u.a., WPg 2014, 463 (467). 2 Vgl. dazu Kohl, WPg 2018, 146 (151). 3 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2014, Rz. 48-50. Ferner Ballwieser u.a., WPg 2014, 463 (470–471).

544 | Kohl

D. Sonderthemen | Rz. 7.246 Kap. 7

sog. Branchenbetas abzustellen, die das Geschäftsrisiko einer großen Gruppe an Vergleichsunternehmen wiedergeben. Derartige Informationen sind dabei im Internet teilweise frei zugänglich.1 Eine weitere Besonderheit bei der Ableitung des Beta-Faktors ist dabei die Berücksichtigung des sog. Kapitalstrukturrisikos. Aufgrund des fehlenden Zugangs zum organisierten Kapitalmarkt ergibt sich dabei für kleine und mittlere Unternehmen die Schwierigkeit, eine externe Finanzierung vorzunehmen. Vielmehr erfolgt die Finanzierung häufig durch Rückgriffe auf den Gesellschafter. Dieser stellt dem Unternehmen entweder durch Gesellschafterdarlehen oder durch entsprechende Bürgschaften persönliche Vorteile zur Verfügung. Aus diesem Grund werden auch häufig Kennzahlen zum Verschuldungsgrad von KMU nicht vergleichbar sein. Hierzu wird in der Literatur vorgeschlagen, eine Bewertung nach der sog. Bruttomethode vorzunehmen, indem im ersten Schritt die operativen Überschüsse kapitalisiert werden und der Gesamtunternehmenswert ermittelt wird. Durch den Abzug der einzelnen Verbindlichkeiten lässt sich dann in einem zweiten Schritt der Eigenkapitalwert ermitteln.2

7.243

Für die Bruttokapitalisierung kann dabei auf den WACC aus einer Gruppe von Vergleichsunternehmen abgestellt werden. Dieser spiegelt eine marktübliche Kapitalstruktur und keine besonderen Ausfallrisiken wider. Sofern das Bewertungsobjekt über solche Ausfallrisiken verfügt, wären diese bei den finanziellen Überschüssen anzusetzen.3

7.244

6. Zusammenfassendes Beispiel Die oben genannten Probleme lassen sich an folgendem zusammenfassenden Beispiel charakterisieren.4 Ausgangspunkt ist ein operatives Ergebnis von 150 GE, welches annahmegemäß bei Beibehaltung der aktuellen Verhältnisse in den nächsten Jahren sukzessive ansteigen soll. Diesem operativen Ergebnis steht ein investiertes Kapital von 1.200 GE gegenüber. Von dem operativen Ergebnis wurde in einem ersten Schritt eine typisierte Ertragsteuerbelastung von 30 % in Abzug gebracht (sog. mittelbare Typisierung i.S.d. IDW S 1). Auf der Ebene der so ermittelten Nachsteuerergebnisse wurde anschließend eine Aufteilung der Ergebnisse vorgenommen. Für die Abgrenzung der übertragbaren Ertragskraft wurde dazu die Annahme getroffen, dass sich das investierte Kapital übertragen lässt. Daher ist von dem geplanten Ergebnis eine entsprechende Verzinsung in Abzug zu bringen (WACC * investiertes Kapital). Daraus ergibt sich im Beispiel ein sog. Bruttoübergewinn, der auf die nicht übertragbaren Komponenten entfällt. Durch Abschmelzung dieses Bruttogewinns ergibt sich anschließend der übertragene Gewinn.

7.245

Der zugrunde gelegte WACC wurde dazu aus einer Gruppe an Vergleichsunternehmen abgeleitet und über den Planungszeitraum als konstant unterstellt. Das verbleibende Ergebnis wird als nicht übertragbar angesehen bzw. es wird angenommen, dass diese Komponenten über

7.246

1 Vgl. dazu die Übersichten bei Dörschell/Franken/Schulte, Kapitalkosten für die Unternehmensbewertung2, mit Nachweisen für branchenspezifische Betafaktoren. Ferner Hammer/Lahmann/ Schwetzler in Schwetzler/Aders, Jahrbuch der Unternehmensbewertung 2015, S. 259. 2 Vgl. Jonas, WPg 2011, 299 (303); Kohl, WPg 2018, 145 (152). 3 Das Abstellen auf einen marktüblichen WACC aus einer Gruppe von Vergleichsunternehmen stellt dabei eine gewisse Vereinfachung dar, weil es zu einer ungenauen Abbildung des sog. Tax Shields kommt. Dabei handelt es sich um die grundsätzliche steuerliche Abziehbarkeit von Fremdkapitalkosten. Sofern das Fremdkapital kein erhöhtes Fremdkapital trägt, bleibt der WACC unter bestimmten Bedingungen auf einem konstanten Niveau. 4 Das Beispiel übernommen von Kohl, WPg 2018, 145 (154).

Kohl | 545

Kap. 7 Rz. 7.246 | Unternehmensbewertung

5 Jahre abschmelzen. Der Unternehmenswert setzt sich daher aus der kapitalisierten Verzinsung des investierten Kapitals von 1200 GE sowie den kapitalisierten Mehrergebnissen für die Dauer von 5 Jahren zusammen.

E. Bewertung von Immobilien I. Grundlagen der Immobilienbewertung 1. Entwicklung 7.247

Im Zuge steigender Mieten und in ihrer Höhe exorbitanter Kaufpreise für Immobilien in Deutschland rücken Verfahren und Regelungen zur Immobilienbewertung mehr und mehr in den Vordergrund.

7.248

Die extreme Entwicklung deutscher Immobilienpreise zeigt eine offizielle Auswertung der Organisation „Deutschland in Zahlen“. Als Ausgangsjahr wurde 1990 mit dem Preisindex 100 gewählt. Lag beispielsweise im Jahre 1975 der Preisindex für eine Eigentums-Neubauwohnung bei 64,0, so ist der Preisindex bis 2016 auf 179,4 gewachsen. Der Preisindex für eine gemietete Neubauwohnung wuchs zwischen 1975 bis 2016 von 60,5 auf 154,6.1 Eine ähnliche Tendenz zeigen die Preisindizes für Nicht-Neubauwohnungen (Eigentum sowie Miete). Als deckungsgleich zur Preisentwicklung von Wohnimmobilien erweist sich die Entwicklung von Gewerbeimmobilien. Auch hier war über die vergangenen Jahrzehnte ein massives Wachstum der Preisindizes zu beobachten. So stieg der Preisindex für Einzelhandelsmieten in sehr guter Lage von 49,2 in 1975 auf 140,7 in 2016, während Gewerbegrundstücke 1975 einen Preisindex von 55,8 aufwiesen und dieser in 2016 137,4 betrug.2

1 Vgl. Deutschlandinzahlen.de. 2 Vgl. Deutschlandinzahlen.de.

546 | Kohl

E. Bewertung von Immobilien | Rz. 7.253 Kap. 7

Im Zuge der beschriebenen Entwicklung ist auch die Bewertung von Immobilien nochmals in den Vordergrund gerückt, so dass auch die entsprechenden Bewertungsverfahren eine gesteigerte Bedeutung haben.

7.249

2. Wertbegriffe Wesentliche Grundlage für die Bewertung von Immobilien ist die Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV). Diese trat am 1.7.2010 in Kraft und ist Nachfolger der Wertermittlungsverordnung aus dem Jahre 1988. Die Verordnung legt die Grundsätze zur Ermittlung der Verkehrswerte von Grundstücken fest. Sie ist anzuwenden, wenn der Verkehrswert von Immobilien zu ermitteln ist. Vor allem Sachverständige und Gutachterausschüsse berufen sich im Rahmen ihrer Bewertung auf die Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV).1

7.250

Je nach Zweck und Anlass der Bewertung kann zwischen verschiedenen Wertbegriffen unterschieden werden. Der Verkehrswert, welcher im Wirtschaftsleben als allgemein gültig gilt,2 wird nach § 194 Baugesetzbuch (BauGB)

7.251

„durch den Preis bestimmt, der in dem Zeitpunkt, auf den sich die Ermittlung bezieht, im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach den rechtlichen Gegebenheiten und tatsächlichen Eigenschaften, der sonstigen Beschaffenheit und der Lage des Grundstücks oder des sonstigen Gegenstands der Wertermittlung ohne Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse zu erzielen wäre.“ Relevant ist gem. § 3 Abs. 1 ImmoWertV der Verkehrswert am Wertermittlungsstichtag. Das heißt konkret, dass sich die Wertermittlung jeweils auf den Wertermittlungsstichtag nach § 3 Abs. 1 ImmoWertV bezieht. In § 4 Abs. 1 ImmoWertV ist zusätzlich vom Qualitätsstichtag die Rede. Dies ist der Zeitpunkt, „auf den sich der Zustand des für die Wertermittlung maßgeblichen Grundstücks bezieht“3.

7.252

Er ist somit mit dem tatsächlichen „Wert“ des Grundstücks gleichzusetzen. Darüber hinaus entspricht der Verkehrswert auch dem Wert des Grundstücks nach bürgerlicher Rechtsauslegung, beispielsweise nach § 453 und § 2311 BGB bei Erbauseinandersetzungen.4 Nach Europaanpassungsgesetz5 gleicht der deutsche Verkehrswert dem international verwendeten „Marktwert“, welcher beispielsweise vom International Valuation Standards Committee (IVSC) definiert wurde, womit beide Begriffe synonym verwendet werden dürfen.6 Auch andere internationale Marktwertdefinitionen, wie diejenige der TEGoVA (The European Group of Valuers’ Association), zeigen sich kongruent zur Verkehrswertdefinition.7 Es handelt sich bei beiden Werten um denjenigen Wert, zu dem das Grundstück am Markt gehandelt wird. Die Definitionen des Baugesetzbuches (BauGB) und diejenigen internationaler Standardsetter führen inhaltlich zu einem identischen Ergebnis.8

7.253

1 Vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. 2 Vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken8, S. 456. 3 Vgl. Danesitz in Haase/Jachmann, Beck’sches Handbuch Immobiliensteuerrecht, Teil 2, § 2 C Rz. 32. 4 Vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken8, S. 456. 5 Vgl. Europarechtsanpassungsgesetz (EAG Bau) vom 24.6.2004, BGBl. I 2004, S. 1359. 6 Vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken8, S. 456. 7 Vgl. Sommer/Kröll, Lehrbuch zur Immobilienbewertung5, S. 6. 8 Vgl. Danesitz in Haase/Jachmann, Beck’sches Handbuch Immobiliensteuerrecht, Teil 2, § 2 B, Rz. 14; Drukarczyk/Ernst, Branchenorientierte Unternehmensbewertung3, S. 507.

Kohl | 547

Kap. 7 Rz. 7.254 | Unternehmensbewertung

7.254

Steuerlich ergeben sich die Regelungen für die Ermittlung der gemeinen Werte von Grundbesitz gem. § 177 BewG. Auch die Definition des gemeinen Werts im deutschen Steuerrecht, niedergeschrieben in § 9 Abs. 2 BewG stimmt nach allgemeinem Verständnis mit dem Verkehrswert (Marktwert) überein.1 Nach § 9 Abs. 2 BewG wird der gemeine Wert „durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Dabei sind alle Umstände, die den Preis beeinflussen, zu berücksichtigen. Ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse sind nicht zu berücksichtigen“2.

7.255

Unterschiede können aus speziellen steuerrechtlichen Vorschriften entstehen, die bestimmte Typisierungen und Vereinfachungen erlauben.3

7.256

Abweichend vom Verkehrswert ist beispielsweise der Beleihungswert, welcher bei Immobilien, die als Kreditsicherheiten dienen, verwendet wird. Zu diesem Zwecke wäre der Verkehrswert aufgrund von Schwankungen im Zeitablauf ungeeignet. Der Beleihungswert hingegen behält „über die Laufzeit der Sicherheit seine Gültigkeit“4.

7.257

Strikt vom Wert einer Immobilie zu unterscheiden ist der Preis der selbigen. Dieser ergibt sich „in einer konkreten Verhandlungssituation zwischen den beteiligten Parteien vor dem Hintergrund individueller Wertvorstellungen als Verhandlungsergebnis“5.

7.258

Im Rahmen der International Financial Reporting Standards (IFRS) sowie der International Accounting Standards (IAS) ist im Rahmen der Bilanzierung von Sachanlagegütern die Rede vom beizulegenden Zeitwert (fair value).6 So wird der beizulegende Zeitwert eines assets als derjenige Preis definiert, den man im Falle eines Verkaufs an einen anderen Marktteilnehmer erhalten würde.7

II. Wertermittlung und Bewertung von Immobilien 1. Verfahren im Sinne der Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) a) Anwendbarkeit

7.259

§ 8 Abs. 1 und 2 der Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) regeln die Ermittlung des Verkehrswertes von Immobilien und nennen mögliche Verfahren zur Wertermittlung. So benennt § 8 Abs. 1 ImmoWertV die allgemeinen Grundsätze der in Abschnitt 3 geregelten Wertermittlungsverfahren und § 8 Abs. 2 ImmoWertV die Anpassung der verschiedenen Verfahren an die Wertverhältnisse auf dem Markt.8 Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 ImmoWertV ist zwischen drei unterschiedlichen Verfahren zur Ermittlung des Verkehrswertes einer Immobilie zu unterscheiden: 1 2 3 4 5 6 7 8

Vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken8, S. 457. Vgl. § 9 Abs. 2 BewG. S. dazu die nachfolgenden Ausführungen zu den steuerrechtlichen Regelungen. Vgl. Danesitz in Haase/Jachmann, Beck’sches Handbuch Immobiliensteuerrecht, Teil 2, § 2 B, Rz. 17. Vgl. IDW S 10, Rz. 9. Vgl. IAS 16.6. Vgl. IAS 16.6. i.V.m. IFRS 13.57. Vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken8, S. 910.

548 | Kohl

E. Bewertung von Immobilien | Rz. 7.262 Kap. 7

– dem Vergleichswertverfahren, – dem Ertragswertverfahren und – dem Sachwertverfahren. Auch das IDW verweist auf die Bewertungsverfahren der ImmoWertV.1 Selbige Auswahl legt § 182 BewG für bebaute Grundstücke zugrunde. Darin heißt es:

7.260

„ Der Wert der bebauten Grundstücke ist nach dem Vergleichswertverfahren (Absatz 2 und § 183), dem Ertragswertverfahren (Absatz 3 und §§ 184 bis 188) oder dem Sachwertverfahren (Absatz 4 und §§ 189 bis 191) zu ermitteln.“2 § 8 Abs. 1 Satz 2 ImmoWertV nennt Grundsätze zur Wahl und Anwendung der einzelnen Verfahren.

7.261

So ist grundsätzlich das Vergleichswertverfahren anzuwenden, wenn sich der Markt für Grundstücke an Vergleichswerten orientiert, wie dies bei unbebauten Grundstücken oder Eigentumswohnungen der Fall ist.3 Das Ertragswertverfahren eignet sich bei Immobilien, die primär zur Ertragserzielung (Renditeobjekte) gedacht sind.4 Das Sachwertverfahren ist demnach anzuwenden, sofern „eine nicht auf Ertragserzielung gerichtete Eigennutzung (z.B. Einfamilienhaus) das Marktgeschehen bestimmt“5. Diese drei Verfahren zählen zu den in Deutschland gesetzlich normierten Verfahren im Rahmen der ImmoWertV. Darüber hinaus gibt es zahlreiche gesetzlich nicht normierte Verfahren, wie beispielsweise das DiscountedCashflow-Verfahren, das Residualverfahren oder die Investment Method.6 Jedoch lassen sich auch diese Verfahren den drei oben genannten Bewertungsverfahren zu- und unterordnen. Zu expliziten Anwendungsbereichen der einzelnen Verfahren folgen in den späteren Kapiteln detailliertere Ausführungen. Grob lassen sich die Verfahren wie folgt darstellen:

7.262

Bewertungsverfahren

Rechtliche Normierung

Anwendungsbereich

Ertragsorientierte Verfahren

§§ 17 bis 20 ImmoWertV

Immobilien zur ErRechnungslegungsbezogene zielung finanzieller Bewertungen oder im RahÜberschüsse oder men von e-Transaktionen solche, die einer höherwertigen Nutzung zugeführt werden sollen

Vergleichswertverfahren §§ 15 und 16 ImmoWertV

1 2 3 4 5 6

Grds. für alle Immobilien geeignet, in der Praxis meist bei Bodenwerten

Beispiele für Bewertungsanlässe

Rechnungslegungsbezogene Bewertungen oder im Rahmen von Unternehmensbewertungen sowie Transaktionen und der Verprobung anderer Werte

Vgl. IDW S 10 Rz. 17. Vgl. § 182 BewG. Vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken8, S. 920. Vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken8, S. 920. Vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken8, S. 920. Vgl. IDW S 10 Rz. 17; Sommer/Kröll, Lehrbuch zur Immobilienbewertung5, S. 9.

Kohl | 549

Kap. 7 Rz. 7.262 | Unternehmensbewertung Bewertungsverfahren

Rechtliche Normierung

Anwendungsbereich

Beispiele für Bewertungsanlässe

Sachwertverfahren

§§ 21 bis 23 ImmoWertV

Immobilien, die üblicherweise nicht zur Einnahmeerzielung gedacht sind (z.B. selbstgenutzte Häuser)

Rechnungslegungsbezogene Bewertung, Ermittlung der Ersatzbeschaffungskosten sowie Rentabilitätsprüfungen

Eigene Darstellung; Quellen1

7.263

Wie die obige Darstellung verdeutlicht, ist eine weitergehende Unterscheidung zwischen den drei Verfahren anhand zweier Dimensionen möglich: zum einen unterscheiden sich die Verfahren aufgrund der quantitativen Werte, an denen sie sich jeweils orientieren, und zum anderen aufgrund ihres Zeitbezugs.2 So orientiert sich das Ertragswertverfahren an Renditeerwartungen und ist somit zukunftsgerichtet. Das Vergleichswertverfahren orientiert sich an vollzogenen Preisen und somit an der Gegenwart. Zu guter Letzt orientiert sich das Sachwertverfahren an historischen Baukosten und ist demnach vergangenheitsorientiert.

7.264

Es wird vom IDW im Rahmen einer Immobilienbewertung empfohlen (selbst im Falle einer klaren Zuordnung des Anwendungsbereichs) bei Verwendung eines bestimmten Verfahrens mindestens ein weiteres Verfahren anzuwenden, um den ermittelten Wert zu verproben.3 b) Vergleichswertverfahren

7.265

Trotz der allgemeinen Gleichrangigkeit der drei Verfahren zur Wertermittlung nimmt das Vergleichswertverfahren eine besondere Stellung ein. So ist von einer Vorrangigkeit, speziell aufgrund der Überzeugungskraft und Plausibilität in gewissen Fällen, die Rede und der BGH4 hielt fest, dass das Vergleichswertverfahren die im Regelfall einfachste und zuverlässigste Methode darstellt.5 Diese Vorrangigkeit bezieht sich in erster Linie auf die Wertermittlung unbebauter Grundstücke und nicht auf bebaute Grundstücke, da diese aufgrund der Möglichkeit einer individuellen Bauweise eine geringere Vergleichbarkeit untereinander aufweisen.6 Die Anwendung des Vergleichswertverfahrens für Bodenwerte (unbebaute Grundstücke) ist gesetzlich in § 16 Abs. 1 ImmoWertV festgehalten. In Sonderfällen, die § 16 Abs. 2–4 ImmoWertV nennt, können in die Ermittlung des Bodenwertes auch bauliche Anlagen einbezogen werden. § 15 Abs. 1 ImmoWertV verlangt für die Anwendung des Vergleichswertverfahren eine „ausreichende Zahl von Vergleichspreisen“7 zur wirksamen Ermittlung des Verkehrswertes als Anwendungsvoraussetzung. Eine zulässige Wertermittlung erfolgt so beispielsweise anhand von Grundstücken, die über eine vergleichbare Lage, Nutzbarkeit und Beschaffenheit verfügen.8. Neben Vergleichspreisen können zusätzliche Marktindikatoren und Wertparame1 Vgl. IDW S 10 Rz. 17; Danesitz in Haase/Jachmann, Beck’sches Handbuch Immobiliensteuerrecht, Teil 2, § 2 C, Rz. 41. 2 Vgl. Sommer/Kröll, Lehrbuch zur Immobilienbewertung5, S. 7. 3 Vgl. IDW S 10 Rz. 18. 4 BGH Senatsurteil v. 18.12.2007 – XI ZR 324/06, ZIP 2008, 962. 5 Vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken8, S. 1278. 6 Vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken8, S. 1279. 7 Vgl. § 15 Abs. 1 ImmoWertV. 8 Vgl. Danesitz in Haase/Jachmann, Beck’sches Handbuch Immobiliensteuerrecht, Teil 2, § 2 C, Rz. 35.

550 | Kohl

E. Bewertung von Immobilien | Rz. 7.270 Kap. 7

ter (z.B. Höchstgebote bei zurückliegenden Versteigerungen) herangezogen werden, um den Verkehrswert mit Hilfe des Vergleichswertverfahrens zu ermitteln.1 Anzuwenden ist das Vergleichswertverfahren im Rahmen der steuerlichen Bewertung bei der Ermittlung des Einheitswertes von unbebauten Grundstücken sowie bei der Wertermittlung unbebauter Grundstücke für die Feststellung der Grunderwerbsteuer gem. § 145 Abs. 3 BewG.2 § 183 Abs. 1 BewG ist nahezu identisch zu § 15 ImmoWertV formuliert. So besagt § 183 Abs. 1 BewG bezüglich der steuerlichen Bewertung unbebauten Grundes:

7.266

„ Bei Anwendung des Vergleichswertverfahrens sind Kaufpreise von Grundstücken heranzuziehen, die hinsichtlich der ihren Wert beeinflussenden Merkmale mit dem zu bewertenden Grundstück hinreichend übereinstimmen (Vergleichsgrundstücke).“3 Auch bei der steuerlichen Bewertung wird dem Vergleichswertverfahren ein Vorrang gegenüber den anderen Verfahren eingeräumt.4

7.267

In der technischen Umsetzung gibt es zwei mögliche Anwendungen des Vergleichswertverfahrens: der unmittelbare (direkte) sowie der mittelbare (indirekte) Preisvergleich.5 Bei einem unmittelbaren Preisvergleich wird der Bodenwert des zu bewertenden Objekts aus Kaufpreisen vergleichbarer Objekte abgeleitet.6 Da es sich bei Grundstücken jedoch um Unikate mit individuellen Ausprägungen handelt, findet der Idealtyp des unmittelbaren Preisvergleichs in der Praxis quasi nie Anwendung.7 Stattdessen wird auf (Bodenricht-) Werte von Gutachterausschüssen zurückgegriffen und infolgedessen eine mittelbare Preisermittlung durchgeführt.8

7.268

Nachdem sich eine ausreichende Anzahl an geeigneten sowie gültigen Vergleichsobjekten gefunden hat, ist das originäre arithmetische Mittel aus den Kaufpreisen pro Quadratmeter der Vergleichsobjekte zu gewinnen.9 Dieses arithmetische Mittel ist anschließend mit den Quadratmetern des zu bewertenden Objektes zu multiplizieren, um den Objektwert (Verkehrswert) gemäß dem Vergleichswertverfahren zu ermitteln.

7.269

Jedoch kann vor der Berechnung des arithmetischen Mittels eines bebauten Grundstücks auch eine Anpassung des Verkehrswertes durch Faktoren, die wahlweise als Umrechnungskoeffizienten, Anpassungskoeffizienten oder Vergleichsfaktoren bezeichnet werden, erforderlich bzw. ratsam sein. Der Grund dafür ist, dass das Bewertungsobjekt zumeist nicht über dieselben Merkmale verfügt wie jedes spezifische Vergleichsobjekt.10 Deutsche Gutachterausschüsse veröffentlichen regelmäßig Umrechnungskoeffizienten bezogen auf Wohnfläche, Baujahr, Lage, Ausstattung sowie Grundstücksgröße.11

7.270

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken8, S. 1280. Vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken8, S. 1281. Vgl. § 183 Abs. 1 BewG. Vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken8, S. 1281. Vgl. Danesitz in Haase/Jachmann, Beck’sches Handbuch Immobiliensteuerrecht, Teil 2, § 2c, Rz. 36. Vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken8, S. 1283. Vgl. Danesitz in Haase/Jachmann, Beck’sches Handbuch Immobiliensteuerrecht, Teil 2, § 2 c, Rz. 36; Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken7, 2014, S. 1283. Vgl. Sommer/Kröll, Lehrbuch zur Immobilienbewertung5, S. 24. Vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken8, S. 1308 f. Vgl. Sommer/Kröll, Lehrbuch zur Immobilienbewertung5, S. 32; Vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken8, S. 1324. Vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken8, S. 1324.

Kohl | 551

Kap. 7 Rz. 7.271 | Unternehmensbewertung

c) Ertragswertverfahren

7.271

Ertragsorientierte Wertermittlungsverfahren werden in den §§ 17 bis 20 ImmoWertV geregelt. Diese Regelungen sind jedoch nicht abschließend zu verstehen, denn gem. § 8 Abs. 2 ImmoWertV sind darüber hinaus Faktoren wie die Lage auf dem Grundstücksmarkt und besondere Grundstücksmerkmale zu beachten. Wird der Ertragswert des Grundstücks ohne Beachtung dieser objektspezifischen Faktoren berechnet, so handelt es sich um einen „vorläufigen Ertragswert“1. Anzuwenden ist das Ertragswertverfahren als Wertermittlungsmethode bei Objekten, für die die Verzinsung des eingesetzten Kapitals ausschlaggebend ist, (beispielsweise Mietwohn- und Geschäftsgrundstücke, Handelsimmobilien, Büro-, Verwaltungs- und Sozialgebäude, Garagengrundstücke, Fabrikgrundstücke oder Sonderimmobilien wie Hotels und Kliniken).2

7.272

Um die Rendite auf das eingesetzte Kapital zu ermitteln, sind die zukünftigen Rückflüsse an den Investor ausschlaggebend. Das Ertragswertverfahren gibt somit im Grunde einen „auf den Wertermittlungsstichtag bezogenen Barwert aller künftigen Erträge“3 an. Die Erträge resultieren dabei sowohl aus den Bauteilen als auch aus den Bodenwerten des Grundstücks.

7.273

Die allgemeine Ertragswertformel, als originärer Barwert, setzt sich zusammen aus den jährlich anfallenden Reinerträgen, dem Diskontierungszinssatz und dem abgezinsten Restwert4:

Wobei:

7.274

RE i

Reinertrag des jeweiligen Jahres

p

Diskontierungszinssatz

RW n

verbleibender Restwert nach Ablauf der Restnutzungsdauer (= Bodenwert-Freilegungskosten)

Nach § 17 ImmoWertV gibt es drei mögliche Varianten des Ertragswertverfahrens, die sich hauptsächlich in Bezug auf die Aufteilung von Boden- und Gebäudewertanteil unterscheiden. Im Einzelnen sind dies – das zweigleisige Ertragswertverfahren (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 ImmoWertV), – das eingleisige Ertragswertverfahren (§ 17 Abs. 2 Nr. 2 ImmoWertV) sowie – das mehrperiodische Ertragswertverfahren (§ 17 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 ImmoWertV).

7.275

Beim eingleisigen Ertragswertverfahren gem. § 17 Abs. 2 Nr. 2 ImmoWertV erfolgt keine Aufteilung in Boden und Gebäudewertanteil. Die Berechnung erfolgt analog zur Berechnung des allgemeinen Ertragswertes und kann in Kurzschreibweise wie folgt dargestellt werden:5 1 2 3 4 5

Vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken8, S. 1647. Vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken8, S. 1603. Vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken8, S. 1604. Vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken8, S. 1605. Vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken8, S. 1615 f.

552 | Kohl

E. Bewertung von Immobilien | Rz. 7.278 Kap. 7

Wobei: BW

Bodenwert

V

Vervielfältigter Barwertfaktor für Kapitalisierung, abhängig von p = Diskontierungszinssatz

n

Restnutzungsdauer der baulichen Anlage

Bei langer Restnutzungsdauer geht der Restwert (Bodenwert) gegen null und der hintere Teil der Summe kann vernachlässigt werden.1

7.276

Beim zweigleisigen Ertragswertverfahren setzt sich nach einer mathematischen Umformung die Formel aus dem Boden- sowie Gebäudewertanteil zusammen. Das zweigleisige Verfahren führt bei korrekter Anwendung zum selben Ergebnis wie das eingleisige Verfahren. Jedoch gilt es als ausgereifter, universell anwendbar und bei spezifischen Bewertungen gar als unverzichtbar.2 Nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) ergibt sich folgende Formel:

7.277

Wobei: ðRE ! BW " pÞ

Gebäudewertanteil

BW

Bodenwertanteil

Die Notierungen der vorherigen Formeln gelten analog. Das dritte mögliche Ertragswertverfahren ist das mehrperiodische Ertragswertverfahren i.S.d. § 17 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 ImmoWertV. Anwendung findet das mehrperiodische Ertragswertverfahren, wenn die Ertragsverhältnisse in absehbarer Zeit wesentlichen Veränderungen unterliegen oder wesentlich von marktüblich erzielbaren Überschüssen abweichen.3 Bei dem mehrperiodischen Ertragswertverfahren handelt es sich um die obige, allgemeine Ertragswertformel, die zuvor in zusammengefasster Form dargestellt wurde. Ausgeschrieben ergibt sie sich als:4

1 2 3 4

Vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken8, S. 1617. Vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken8, S. 1617 f. Vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken8, S. 1619. Vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken8, S. 1619. Die Differenz aus Bodenwert und Freilegungskosten wurde im Rahmen der oben angegebenen allgemeinen Ertragswertformel mit dem Restwert nach Ablauf der Restnutzungsdauer abgekürzt. Ansonsten gelten die Notierungen der vorherigen Formeln analog.

Kohl | 553

7.278

Kap. 7 Rz. 7.278 | Unternehmensbewertung

Wobei:

7.279

BW

Bodenwert

F LK

Freilegungskosten

Eine besondere Stellung in allen drei genannten Varianten nimmt der Reinertrag als Ausgangsbasis für die Wertermittlung ein. § 19 Abs. 1 ImmoWertV stellt fest: „Der Reinertrag ergibt sich aus dem jährlichen Rohertrag abzüglich der Bewirtschaftungskosten (§ 19).“1

7.280

Der Rohertrag bestimmt sich nach allgemeingültiger Definition aus der ortsüblichen NettoKaltmiete pro Jahr.2 Unter Bewirtschaftungskosten fallen gem. § 19 ImmoWertV alle Aufwendungen, die für das Ermöglichen einer ordnungsgemäßen Nutzung notwendig sind (Verwaltungskosten, Betriebskosten, Instandhaltungskosten).

7.281

Der andere determinierende Teil der Ertragswertformeln ist der Kapitalisierungs- beziehungsweise Diskontierungszinssatz. Im Ertragswertverfahren wird zur Diskontierung gem. § 14 Abs. 3 ImmoWertV der Liegenschaftszins verwendet. Er ist per Definition der Zins, mit dem Verkehrswerte von Immobilien je nach Art der Immobilie marktüblich verzinst werden, und berechnet sich aus dem Verhältnis des Jahresreinertrages zum gezahlten Kaufpreis.3 Somit erweist sich der Liegenschaftszinssatz als abhängig zum einen von der zu bewertenden Immobilie selbst und zum anderen von aktuellen Entwicklungen auf dem Immobilienmarkt. d) Sachwertverfahren

7.282

§§ 21 bis 23 Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) regeln die Anwendung des Sachwertverfahrens. Allgemein gesprochen kommt es zur Anwendung sofern „die Ersatzbeschaffungskosten des Wertermittlungsobjekts nach den Gepflogenheiten des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs preisbestimmend sind“4. Praxisgebräuchliche Beispiele sind Ein- oder Zweifamilienhäuser, bei denen keine Renditeerzielungsabsicht im Vordergrund steht, sondern das tatsächliche Bewohnen. Jedoch kommt es nicht per se auf die eigene Nutzung des Objekts an. So darf das Sachwertverfahren beispielsweise nicht bei allen eigengenutzten Objekten zur Anwendung kommen. Das Sachwertverfahren darf beispielsweise nicht auf Gewerbe- oder Industrieimmobilien angewendet werden, die teils eigengenutzt werden.5

7.283

Als Ausgangspunkt für das Sachwertverfahren dienen die Herstellungskosten der baulichen Anlagen unter der Voraussetzung, dass am Wertermittlungsstichtag eine Neuerrichtung statt-

1 § 19 Abs. 1 ImmoWertV. 2 Vgl. Danesitz in Haase/Jachmann, Beck’sches Handbuch Immobiliensteuerrecht, Teil 2, § 2 c, Rz. 49. 3 Vgl. Danesitz in Haase/Jachmann, Beck’sches Handbuch Immobiliensteuerrecht, Teil 2, § 2c, Rz. 57. 4 Vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken8, S. 1871. 5 Vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken8, S. 1871 f.

554 | Kohl

E. Bewertung von Immobilien | Rz. 7.286 Kap. 7

finden würde.1 Es wird bei der Ermittlung der Herstellungskosten der Gebäude grundsätzlich auf Normalherstellungskosten zurückgegriffen, die auf bestimmte Normjahre bezogen sind. In der Sachwertermittlung angewendet werden beispielsweise die Jahre 1913, 1958, 1995 und 2000.2 So sind Normal-HK gem. § 22 Abs. 2 ImmoWertV: „[...] Kosten, die marktüblich für die Neuerrichtung einer entsprechenden baulichen Anlage aufzuwenden wären. Mit diesen Kosten nicht erfasste einzelne Bauteile, Einrichtungen oder sonstige Vorrichtungen sind durch Zu- oder Abschläge zu berücksichtigen, soweit dies dem gewöhnlichen Geschäftsverkehr entspricht. Zu den Normalherstellungskosten gehören auch die üblicherweise entstehenden Baunebenkosten, insbesondere Kosten für Planung, Baudurchführung, behördliche Prüfungen und Genehmigungen“3. Bei den Normalherstellungskosten handelt es sich daher um typisierte Größen pro Flächeneinheit. Die Wertableitung erfolgt dabei durch das Produkt der konkreten Flächenmaße des Bewertungsobjekts mit den standardisierten Größen.

7.284

Aufgrund dieser Typsierungen ist bei der Anwendung solcher Werte eine Reihe von Anpassungen notwendig. Im ersten Schritt ist dafür die Berechnung eines vorläufigen Sachwertes nötig:4

7.285

Wobei: HK BA

Herstellungskosten der baulichen Anlagen (ohne Außenanlagen)

HK BAA

Herstellungskosten der baulichen Außenanlagen und sonstigen Anlagen

BW

Bodenwert

Zur Berechnung des endgültigen Verkehrswertes der Immobilie nach dem Sachwertverfahren müssen noch schrittweise Anpassungen durchgeführt werden:5 1. Der vorläufige Sachwert muss an den Markt angepasst werden und dafür mit einem Sachwertfaktor gem. § 8 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 14 Abs. 2 Nr. 1 ImmoWertV multipliziert werden, um anschließend einen marktangepassten vorläufigen Sachwert zu erhalten. 2. Dieser marktangepasste vorläufige Sachwert wird um sog. „besondere objektspezifische Grundstücksmerkmale“ i.S.d. § 8 Abs. 3 ImmoWertV bereinigt. Dabei handelt es sich zum einen um bauwerksbezogene Wertminderungen (Baumängel oder Bauschäden) oder bauwerksbezogene Werterhöhungen (beispielsweise ein überdurchschnittlicher Erhaltungszustand). Zum anderen werden bodenbezogene Besonderheiten berücksichtigt, sofern die

1 Vgl. Sommer/Kröll, Lehrbuch zur Immobilienbewertung5, S. 53; Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken8, S. 1873. 2 Vgl. Metzger, Wertermittlung von Immobilien und Grundstücken6, S. 114. 3 Vgl. § 22 Abs. 2 ImmoWertV. 4 Vgl. Sommer/Kröll, Lehrbuch zur Immobilienbewertung5, 54; Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken8, S. 1883. 5 Vgl. Sommer/Kröll, Lehrbuch zur Immobilienbewertung5, 54; Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken8, S. 1883.

Kohl | 555

7.286

Kap. 7 Rz. 7.286 | Unternehmensbewertung

Eigenschaften von Grund und Boden des Bewertungsgrundstücks von denen des dem Sachwertfaktor zugrunde liegenden Objekts signifikant abweichen. 3. Etwaige Einflüsse oder Änderungen, die durch die Verprobung mittels Vergleichswertoder Ertragswertverfahren herbeigeführt wurden, sind zu berücksichtigen. Anschließend erhält man den Verkehrswert gemäß dem Sachwertverfahren. e) Gesetzlich nicht normierte Verfahren

7.287

Das wohl wichtigste gesetzlich nicht normierte Immobilienbewertungsverfahren ist das Discounted-Cashflow-Verfahren. Es findet international weitgehend Anwendung, vor allem bei rechnungslegungsbezogenen Immobilienbewertungen.1 Es ist auch eines der präferierten Verfahren des International Value Standards Committee (IVSC).2 Jedoch gibt es, speziell in Deutschland, auch kritische Stimmen in Bezug auf die Anwendung des DiscountedCashflow-Verfahrens in der Immobilienbewertung. So sei dieses investitions- und prognoseorientierte Verfahren grundsätzlich marktorientierten Bewertungsverfahren unterlegen, da es sich beim Verkehrswert um einen Marktwert im herkömmlichen Sinne handelt und nicht um einen Investitionswert, den man bei Anwendung des Discounted-Cashflow-Verfahrens erhält.3 Genau wie das herkömmliche Ertragswertverfahren ist auch die Discounted-CashflowMethode ein Barwertkalkül. Jedoch erfolgt im Rahmen dieses Verfahrens eine Aufteilung der Bewertung in zwei Phasen: die Detailplanungsphase, in der für jedes zukünftige Jahr Cashflows einzeln prognostiziert werden, und die Rentenphase, in der eine ewige Rente (Terminal Value) abgezinst wird.4 Grob setzt sich die Formel also aus den Cashflows (Zähler) und dem Diskontierungszinssatz (Nenner) zusammen. Wie bei den gesetzlich normierten Ertragswertverfahren ergeben sich die Cashflows prinzipiell als Differenz aus Einnahmen (Mieten) und Ausgaben (Bewirtschaftungskosten). Der Diskontierungszins wiederum ist abhängig vom risikofreien Basiszins, immobilienspezifischen Risikozuschlägen oder -abschlägen sowie objektspezifischen Risikozuschlägen oder -abschlägen.5

7.288

Andere teilweise angewandte Verfahren, die sich jedoch allesamt am allgemeinen Ertragswertverfahren orientieren, sind beispielsweise das Residualwertverfahren, die Investment-Method oder das Pachtwertverfahren.6 International finden darüber hinaus Monte-Carlo-Simulationen oder der Appraisal Approach Anwendung.7

2. Steuerrechtliche Vorschriften 7.289

Die steuerrechtlichen Vorschriften zur Ermittlung des gemeinen Wertes von Immobilien finden sich in den § 176 bis 198 BewG. Formal stehen diese bei den erbschaftsteuerlichen Bewertungsregeln. Da sie aber den gemeinen Wert als Bewertungsziel haben, wird ihre Gültigkeit 1 Vgl. Danesitz in Haase/Jachmann, Beck’sches Handbuch Immobiliensteuerrecht, Teil 2, § 2 c, Rz. 76. 2 Vgl. International Valuation Standards Committee, International Valuations Standards, 8. Aufl. 2007. 3 Vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken8, S. 1611. 4 Vgl. Danesitz in Haase/Jachmann, Beck’sches Handbuch Immobiliensteuerrecht, Teil 2, § 2 c, Rz. 77. 5 Vgl. Danesitz in Haase/Jachmann, Beck’sches Handbuch Immobiliensteuerrecht, Teil 2, § 2 c, Rz. 91. 6 Vgl. IDW S 10 Rz. 17. 7 Vgl. Danesitz in Haase/Jachmann, Beck’sches Handbuch Immobiliensteuerrecht, Teil 1, Rz. 10.

556 | Kohl

E. Bewertung von Immobilien | Rz. 7.293 Kap. 7

auch bei ertragsteuerlichen Anlässen diskutiert.1 Neben den Vorschriften zur Ermittlung des gemeinen Wertes finden sich darüber hinaus im Bewertungsgesetz Vorgaben zur Ermittlung des Einheitswertes (§ 74 bis 94 BewG) sowie Besonderheiten für Zwecke der Grunderwerbsteuer (§§ 145 bis 156 BewG). Diese früheren Einheitswerte wurden zwar auch als gemeine Werte bezeichnet. Diese waren aber häufig weit von den tatsächlichen Wertverhältnissen entfernt.2 Die steuerrechtlichen Regelungen greifen dabei auf die allgemein anerkannten Verfahren zur Immobilienbewertung zurück. Jedoch werden für einzelnen Grundstückarten bestimme Verfahren und bestimmte Prämissen typisiert und pauschaliert. Der Gesetzgeber ist sich dabei bewusst, dass die tatsächlichen Wertverhältnisse nur einer Bandbreite ermittelt werden können.3

7.290

In diesem Zusammenhang ist die Escape-Klausel des § 198 Abs. 1 BewG von Bedeutung. Diese räumt Steuerpflichtigen die Möglichkeit ein, zu beweisen, dass der gemeine Wert der zu bewertenden wirtschaftlichen Einheit niedrigerer ist als der jeweilige Vergleichswert, Ertragswert oder Sachwert nach den spezifischen Vorgaben des Bewertungsgesetzes. Der Grund für das Einräumen der Klausel ist, dass es sich in typisierenden Bewertungsverfahren nicht vermeiden lässt, dass die ermittelten Werte höher sind als der tatsächliche gemeine Wert der wirtschaftlichen Einheit.4

7.291

Zu unterscheiden ist zwischen unbebauten sowie bebauten Grundstücken. Unbebaute Grundstücke sind gem. § 178 BewG solche, auf denen keine benutzbaren Gebäude stehen. Die Benutzbarkeit von Gebäuden wird gem. § 178 Abs. 1 Satz 2 BewG von der Bezugsfertigkeit determiniert. Von einer Bezugsfertigkeit ist auszugehen, sobald ein Gebäude im Wesentlichen für den vorgesehenen Betrieb nutzbar ist.5 Bewertet werden unbebaute Grundstücke nach den Regeln des § 179 BewG. Maßgeblich ist neben der Fläche des Grundes der spezifische Bodenrichtwert (§ 196 BauG), welcher von Gutachterausschüssen ermittelt und den Finanzämtern mitgeteilt werden muss. Regelmäßig findet die Ermittlung des Wertes eines unbebauten Grundstücks statt, indem der ermittelte Bodenrichtwert mit der Grundstücksfläche multipliziert wird.6

7.292

Bebaute Grundstücke beherbergen im Gegensatz zu unbebauten Grundstücken benutzbare, sprich bezugsfertige, Gebäude. Zur wirtschaftlichen Einheit des zu bewertenden bebauten Grundstücks „gehören der Grund und Boden, die Gebäude, die Außenanlagen, sonstige wesentliche Bestandteile und das Zubehör“7. Im Einklang mit der ImmoWertV erlaubt § 182 BewG das Vergleichs-, Ertrags- und Sachwertverfahren, die jedoch anders als in der Immobilienwertermittlungsverordnung für einzelne Grundstücksarten zwingend vorgeschrieben sind (je nach Art des Grundstücks oder dem Vorhandensein bestimmter Bewertungsparameter

7.293

1 Vgl. Mannek in v. Oertzen/Loose2, ErbStG, § 177 BewG Rz. 3. 2 Vgl. Schaffner in Kreutziger/Schaffner/Stephany4, § 177 BewG Rz. 1. 3 Vgl. Schaffner in Kreutziger/Schaffner/Stephany4, § 177 BewG Rz. 3. Ferner Mannek in v. Oertzen/Loose2, ErbStG, § 177 BewG Rz. 4–5. 4 Vgl. Bock in Viskorf/Schuck/Wälzholz5, § 198 BewG Rz. 1. Ferner vgl. Schaffner in Kreutziger/ Schaffner/Stephany4, § 180 BewG Rz. 1. 5 Vgl. Mannek in v. Oertzen/Loose2, ErbStG, § 178 BewG Rz. 8–9. Ferner Bock in Viskorf/Schuck/ Wälzholz5, § 178 BewG Rz. 6. 6 Vgl. Bock in Viskorf/Schuck/Wälzholz5, § 179 BewG Rz. 5. 7 Mannek in v. Oertzen/Loose2, ErbStG, § 180 BewG Rz. 3–4. Ferner Bock in Viskorf/Schuck/Wälzholz5, § 180 BewG Rz. 4.

Kohl | 557

Kap. 7 Rz. 7.293 | Unternehmensbewertung

wie Vergleichspreise oder -faktoren).1 Die Grundstücksarten, nach denen für die Zuordnung zu einem Verfahren differenziert wird, gibt § 181 BewG an. Gemäß § 181 Abs. 1 BewG ist im Rahmen der Bewertung zu unterscheiden zwischen Ein- und Zweifamilienhäusern, Mietwohngrundstücken, Wohnungs- und Teileigentum, Geschäftsgrundstücken, gemischt genutzten Grundstücken und sonstigen bebauten Grundstücken. Spezifische Abgrenzungen und Definitionen der genannten Grundstücksarten liefert der Gesetzgeber in § 181 Abs. 2 bis 9 BewG.2

7.294

Mit dem Vergleichswertverfahren ist gem. § 182 Abs. 2 BewG vorrangig und ausschließlich der Wert von Wohnungseigentum, Teileigentum und Ein- und Zweifamilienhäusern zu ermitteln. Hierbei sind Vergleichswerte geeignet, da sie den am Markt erzielbaren Wert am genauesten abbilden.3 Gemäß § 183 Abs. 1 BewG sind Kaufpreise als Vergleichswerte heranzuziehen, die über übereinstimmende wertbeeinflussende Merkmale verfügen. Dazu gehören in erster Linie u.a. Lage, Größe, Art und Alter des bebauten Grundstücks.4

7.295

Das Ertragswertverfahren ist gem. § 182 Abs. 3 BewG anzuwenden auf Mietwohngrundstücke, Geschäftsgrundstücke und ausgewählte gemischt genutzte Grundstücke. Nach § 184 Abs. 1 BewG ist der Gebäudewert getrennt vom Bodenwert zu ermitteln. § 185 BewG gibt vor, wie der Ertragswert eines bebauten Grundstücks ermittelt werden muss, was grundsätzlich analog zum Vorgehen der Immobilienwertermittlungsverordnung ist. Nach § 185 Abs. 1 BewG entspricht der Ertragswert somit dem Reinertrag des Grundstücks (Rohertrag des Grundstücks abzgl. der Bewirtschaftungskosten). Gemäß § 188 Abs. 1 BewG ist der Liegenschaftszinssatz von örtlichen Gutachterausschüssen zu ermitteln und zum Abzinsen zu verwenden.5

7.296

Gemäß § 182 Abs. 4 BewG ist das Sachwertverfahren zur Wertermittlung von Grundstücken, für die keinerlei Vergleichswerte, -preise oder -faktoren vorliegen, von Geschäftsgrundstücken und allen gemischt genutzten Grundstücken, die nicht unter § 182 Abs. 3 Nr. 2 BewG fallen, sowie sonstigen bebauten Grundstücken, die nicht unter § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BewG fallen, heranzuziehen. Auch im Rahmen des Sachwertverfahrens sind der Gebäudewert und der Bodenwert separat voneinander zu ermitteln. Damit setzt sich der vorläufige Sachwert des Gebäudes aus Gebäudesachwert und Bodenwert zusammen. Der Bodenwert (§ 189 Abs. 2 BewG) ist das Produkt aus dem vom Finanzamt abgeleiteten Bodenrichtwert und der Grundstücksfläche.6 Der Gebäudesachwert ergibt sich als Differenz aus Gebäudeherstellungswert (Produkt aus Bruttogrundfläche und Regelherstellungskosten) und Alterswertminderungen (abhängig von Gesamtnutzungsdauer und Alter des Gebäudes).7 Um im letzten Schritt den finalen Wert des bebauten Grundstücks zu erhalten, ist der vorläufige Sachwert mit der Wertzahl nach § 191 BewG zu multiplizieren.

1 Vgl. Bock in Viskorf/Schuck/Wälzholz5, § 182 BewG Rz. 3. 2 Eine Übersicht der Zuordnung einzelner Verfahren auf die verschiedenen Methoden findet sich bei Schaffner in Kreutziger/Schaffner/Stephany4, § 182 BewG Rz. 2 sowie Mannek in v. Oertzen/ Loose2, ErbStG, § 182 BewG Rz. 16. 3 Vgl. Bock in Viskorf/Schuck/Wälzholz5, § 183 BewG Rz. 1. 4 Vgl. Schaffner in Kreutziger/Schaffner/Stephany4, § 183 BewG Rz. 33. Ferner Bock in Viskorf/ Schuck/Wälzholz5, § 183 BewG Rz. 9. 5 Vgl. Bock in Viskorf/Schuck/Wälzholz5, § 188 BewG Rz. 3. 6 Vgl. Bock in Viskorf/Schuck/Wälzholz5, § 189 BewG Rz. 8. 7 Vgl. Bock in Viskorf/Schuck/Wälzholz5, § 190 BewG Rz. 1.

558 | Kohl

F. Bewertung von Forderungen und Verbindlichkeiten | Rz. 7.304 Kap. 7

F. Bewertung von Forderungen und Verbindlichkeiten I. Begriffliche Grundlagen Es gibt einige Anlässe, die eine Bewertung von Forderungen und Verbindlichkeiten erfordern. Meist handelt es sich um Bewertungen im Rahmen von unternehmerischen Initiativen, der externen Rechnungslegung sowie aufgrund regulatorischer Vorgaben.

7.297

Diverse unternehmerische Initiativen sind denkbar, bei denen die Bewertung von Forderungen oder Verbindlichkeiten vonnöten ist. Am verbreitetsten ist wohl der Erwerb/Verkauf einzelner Unternehmensteile oder -sparten, die maßgeblich durch Forderungen oder Verbindlichkeiten geprägt sind, zu Zwecken der Kaufpreisfindung. Bezogen auf Forderungen denkbar sind beispielsweise der Debt-to-Equity Swap im Rahmen von Unternehmenssanierungen oder die Praktiken des Factorings.

7.298

Die externe Rechnungslegung erfordert die Bewertung von Forderungen und Verbindlichkeiten im Hinblick auf die Buchführung und Jahresabschlusserstellung sowie als Steuerbemessungsgrundlage. Forderungen sind gem. § 253 Abs. 1 Satz 1 HGB zu Anschaffungs-/Herstellungskosten zu bewerten und bilanzieren. Gemäß § 253 Abs. 4 HGB sind Vermögensgegenstände des Umlaufvermögens, zu dem die Forderungen zählen, im Rahmen der Folgebewertung pflichtgemäß mit einem niedrigeren Wert, der sich aus einem Börsen- oder Marktwert am Abschlussstichtag ergibt, anzusetzen und auf diesen abzuschreiben. Jedoch werden explizite Vorschriften aus Handelsrecht, Steuerrecht sowie den internationalen Rechnungslegungsstandards (IFRS) im folgenden Text nicht weitergehend behandelt. Regulatorische Vorgaben können ebenfalls zur Bewertung von Forderungen und Verbindlichkeiten führen.

7.299

Grundsätzlich werden Schulden als gegenwärtige (faktische) Verpflichtungen definiert, die auf einem Ereignis der Vergangenheit beruhen und aus denen ein Abfluss wirtschaftlicher Ressourcen erwartet wird. Derjenige, der sie zu erbringen hat, ist Schuldner.

7.300

Entsprechend wird unter einer Forderung ein Anspruch verstanden, nach dem die Zahlung eines Geldbetrags, die Übergabe einer Sache oder die Erbringung einer Dienstleistung gegenüber einem Dritten (faktisch) verlangt werden kann. Derjenige, der die Erfüllung einfordern kann, ist Gläubiger.

7.301

Die einer Schuld zugrunde liegende Verpflichtung kann bedingt oder unbedingt sein. Während bedingte Verpflichtungen erst mit Eintritt eines künftigen ungewissen Ereignisses entstehen oder erlöschen, ist das Entstehen bzw. das Erlöschen (vorbehaltlich der Erfüllung durch den Schuldner) bei unbedingten Verpflichtungen von künftigen Ereignissen unabhängig. Bedingte Verpflichtungen sind daher dem Grunde nach ungewiss.

7.302

Darüber hinaus lassen sich Forderungen und Schulden nach deren Verpflichtungsgrad klassifizieren. Bestimmte Forderungen/Verbindlichkeiten sind eindeutig quantifizierbar. Solche, die anhand von Grund und/oder Höhe und/oder Zeit unbestimmt sind, lassen jedoch keine sicheren Rückschlüsse auf den Zu- beziehungsweise Abfluss wirtschaftlicher Ressourcen zu. So ist nicht eindeutig bestimmt, ob und/oder wie viel und/oder wann eine monetäre, sachliche oder dienstleistungsbezogene Leistung seitens des Unternehmens erhalten wird oder zu erbringen ist.

7.303

Einer Schuld steht grundsätzlich eine korrespondierende Forderung gegenüber. Andersherum korrespondieren selbstverständlich auch alle Forderungen mit den jeweiligen Schulden. Bei

7.304

Kohl | 559

Kap. 7 Rz. 7.304 | Unternehmensbewertung

Zahlungen, die dem Grunde, der spezifischen Höhe sowie ihrem zeitlichen Anfallen nach exakt bestimmt sind, ergibt sich der Wert einer Forderung oder Verbindlichkeit aus dem Wert des korrespondierenden Gegenpostens (Korrespondenzprinzip).

7.305

Für die speziellen Zwecke der Bewertung von Forderungen und Verbindlichkeiten muss, wie bereits angesprochen, unterschieden werden, welche Art von Leistung zu erbringen ist. Hier kann unterschieden werden zwischen Geld und Sach- oder Dienstleistungen

7.306

Zu unterscheiden sind der Preis und der Wert einer Forderung/Verbindlichkeit. Der Wert bestimmt sich aus dem Zu-/Abfluss wirtschaftlicher Ressourcen in der Zukunft an den beziehungsweise vom Eigentümer. Dieser Wert kann sich zum einen als Resultat aus einer subjektiven (individuellen) Einschätzung ergeben oder als objektivierte (typisierte) Berechnung nach einem bestimmten Verfahren. So spiegelt der Entscheidungswert die subjektiven Erwartungen des Unternehmens bezüglich der zukünftigen Zu- oder Abflüsse wirtschaftlicher Ressourcen wider.

7.307

Der Preis hingegen entwickelt sich aus Angebot und Nachfrage an einem öffentlichen Markt und gibt die allgemeine Zahlungsbereitschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt an. Regelmäßig werden sich sowohl der typisierte als auch der individuelle Wert und der Preis einer jeden Sache voneinander unterscheiden1, was an sich bereits den Grund für jegliche Markttransaktionen darstellt.

7.308

Der Bewertungsanlass bestimmt maßgeblich, welches Bewertungsverfahren zur Bewertung von Forderungen und Verbindlichkeiten herangezogen werden sollte. So unterscheidet sich bereits, aus wessen Perspektive bewertet wird: der des Gläubigers oder der des Schuldners. Während bei einer Bewertung aus Sicht des Gläubigers am Bewertungsstichtag vor allem der einzufordernde Betrag, der zur Begleichung der Schuld vonnöten ist, und das Ausfallrisiko des Schuldners im Mittelpunkt stehen, legt die Bewertung aus Sicht des Schuldners ihren Fokus am Bewertungsstichtag auf die Ressourcen, die aus wirtschaftlicher Sicht abfließen werden sowie das Ausfallrisiko des Schuldners selbst.

II. Bewertungsverfahren 1. Marktpreisorientierte Bewertungsverfahren 7.309

Bei der Bewertung von Forderungen und Schulden kommen drei anerkannte Herangehensweisen zur Wertermittlung zur Anwendung: kostenorientierte, marktpreisorientierte und kapitalwertorientierte Bewertungsverfahren.

7.310

Als wichtiges Bewertungsverfahren von Forderungen und Schulden steht das marktpreisorientierte Verfahren zur Verfügung.

7.311

Sofern ein Bewertungsobjekt an einem aktiven Markt gehandelt werden kann und daraus ohne weiteres Preise abgeleitet werden können, werden marktpreisorientierte Ansätze als geeignet angesehen. Die Hauptaufgabe der Bewertung ist es, verlässliche Marktdaten und Vergleichsobjekte ausfindig zu machen und diese entsprechend zu würdigen. Es ist jedoch kein fundamentales Bewertungsverfahren im originären Sinne, da es keinen Wert an sich berechnet, sondern stattdessen von beobachteten Preisen Rückschlüsse auf den Wert eines Objekts beziehungsweise Vermögensgegenstandes zulässt. Um diesen Wert jedoch überhaupt ermit1 Vgl. BGH v. 25.10.1967 – VIII ZR 215/66, BGHZ 48, 344.

560 | Kohl

F. Bewertung von Forderungen und Verbindlichkeiten | Rz. 7.316 Kap. 7

teln zu können, muss ein aktiver Markt vorliegen, an denen das spezifische Objekt gehandelt wird. Ein aktiver Markt setzt gemäß allgemeiner Definition voraus, dass die gehandelten Forderungen homogen sind, Käufer und Verkäufer mit Vertragsabsichten jederzeit gefunden werden können und die Preise für jedermann zugänglich und dementsprechend öffentlich bekannt sind. Da Forderungen und Verbindlichkeiten jedoch das Ergebnis individueller Geschäfte sind und zumeist nicht aktiv gehandelt werden, besteht aus Sicht der Bewertung zumeist kein aktiver Markt. Allgemein sind zwei Anwendungsmuster denkbar. Die erste Methode ist, dass die exakten Preise schlicht direkt am Markt abgelesen werden, was jedoch auf Forderungen und Verbindlichkeiten nur in Bezug auf bestimmte Anleihen anwendbar ist. Im Rahmen der Analogiemethode hingegen, welche weitaus häufiger Anwendung findet, da für Schulden meist kein aktiver Markt vorliegt, werden Preise hinreichend vergleichbarer Forderungen und Verbindlichkeiten auf die zu bewertenden Forderungen und Verbindlichkeiten übertragen. Der Bezug zwischen den Preisen von Vergleichsobjekten und dem Objektwert selbst wird im Rahmen der Analogiemethode häufig über Multiplikatoren hergestellt. Jedoch bestehen gewisse Anforderungen an Analogien. So müssen vergleichbare Forderungen und Verbindlichkeiten in bewertungsrelevanten Attributen (Bonität, Liquidität, Laufzeit etc.) weitestgehend identisch mit dem Bewertungsobjekt und die erhobenen Marktdaten verlässlich sein.

7.312

Gegebenenfalls muss der Wirtschaftsprüfer die Vergleichspreise im Rahmen der Bewertung anpassen und um Faktoren wie rechtliche Ausgestaltungen und unternehmerische Motive bereinigen. Dies ist im Gutachten stets festzuhalten und etwaige Abweichungen sind detailliert zu begründen (analog wie in IDW S 1 geschildert).

7.313

2. Kapitalwertorientierte Bewertungsverfahren Einen weiteren Bewertungsansatz stellen die verschiedenen Ausgestaltungen der kapitalwertorientierten Verfahren dar. Hierbei ergibt sich der Wert, bezogen auf den Wertermittlungsstichtag, einer Forderung/Verbindlichkeit als die Summe der Barwerte künftiger Zahlungen vom Schuldner an den Gläubiger. Aufgabe der Bewertung ist es somit, zum einen die Zahlungsströme/Cashflows vom Schuldner an den Gläubiger und zum anderen einen angemessenen Zinssatz zur Kapitalisierung zu ermitteln.

7.314

Wie bei jeder Kapitalwertberechnung gibt es im Grunde zwei Herangehensweisen um etwaige Risiken zu berücksichtigen. Dabei kann auf den Zähler oder Nenner der Kapitalwertkalkulation abgestellt werden. Wird der Zähler, sprich die Zahlungsströme, durch Abschläge adjustiert, so erhält man in der Bewertung fiktiv risikofreie Zahlungen und diskontiert diese mit einem risikolosen Zins. Wird hingegen der Nenner angepasst, so werden die Zahlungsüberschüsse mit einem risikoangepassten Zins diskontiert.

7.315

Bei Anpassung des Zinssatzes (Risikozuschlagsmethode) werden die Kapitalkosten um Risikoprämien adjustiert. Bei der Bewertung von Forderungen und Verbindlichkeiten ist zu beachten, dass in der Praxis auf die vertraglichen Zahlungsströme abgestellt wird. Diese bilden jedoch nicht die erwarteten Zahlungsströme ab. Ein mögliches Ausfallrisiko des Schuldners bleibt daher unberücksichtigt, da die vertraglich vereinbarten Zahlungsströme und nicht die Erwartungswerte der zu- beziehungsweise abfließenden Cashflows herangezogen werden. Bei der Bewertung von Schulden muss daher der Kapitalisierungszinssatz zur Berücksichtigung des Ausfallrisikos adjustiert werden. Insoweit weicht die Risikozuschlagsmethode bei der Bewertung von Forderungen und Schulden von der Risikozuschlagsmethode im Rahmen der

7.316

Kohl | 561

Kap. 7 Rz. 7.316 | Unternehmensbewertung

Unternehmensbewertung ab. Dort werden die tatsächlich erwarteten finanziellen Überschüsse mit um Risikoprämien adjustierten Kapitalkosten abgezinst

7.317

Das Festsetzen der Höhe zukünftiger Zahlungsströme nimmt bei der Bewertung von Forderungen und Verbindlichkeiten eine zentrale Rolle ein. Künftige Cashflows hängen von Bestimmtheitsgrad und Ausfallrisiko (Erfüllungsrisiko) ab. Wie bereits erläutert kann eine Forderung/Verbindlichkeit der Höhe, der Zeit oder dem Grunde nach unbestimmt sein, womit diese drei Faktoren den Bestimmungsgrad definieren. Eindeutig bestimmte Forderungen und Verbindlichkeiten können ohne große Adjustierung in das Bewertungskalkül übertragen werden. Ist die zukünftige Zahlung aufgrund eines der drei Kriterien jedoch unbestimmt, so hat der Bewerter anhand nachvollziehbarer Methoden Prognosen zu treffen. Marktdaten, z.B. aus Zinsstrukturkurven, oder konkrete Indikationen zur Wahrscheinlichkeitsverteilung der Höhe (einschließlich Währung) und des Zeitpunktes der künftigen Zahlungsströme können zur Ableitung unbestimmter zukünftiger Zahlungen dienen. Der andere Punkt, der die Höhe der zukünftigen Zahlungen signifikant beeinflusst, ist das Ausfallrisiko des Schuldners. Komplett risikolose Zählergrößen findet man beispielsweise nur bei Cashflows von Staatsanleihen vor. Einen Spezialfall stellt die Sach- oder Dienstleistung dar, deren zukünftige Überschüsse teils nur schwer monetär messbar sind. Meist geschieht dies über Szenarioanalysen, welche die Erwartungswerte einzelner Jahre prognostizieren, teils auch über einfache Schätzungen des Bewerters.

7.318

Signifikanten Einfluss auf die Höhe des Wertes einer Forderung/Verbindlichkeit hat darüber hinaus der Kapitalisierungszins. Der Zins wird zur Diskontierung der, durch die Forderung/ Verbindlichkeit verursachten, zukünftigen Zahlungen verwendet. Auch hier ist zwischen einer objektiven (typisierten) und einer subjektiven Herangehensweise zu unterscheiden. Fließen bei subjektiven errechneten Werten von Forderungen und Verbindlichkeiten vornehmlich individuell festgelegte Parameter in die Kalkulation des Zinses mit ein, wird dagegen bei objektivierten Berechnungen auf Vergleichswerte des Kapitalmarktes zurückgegriffen. Bei diesen aus Kapitalmarktdaten gewonnenen Zinssätzen ist jedoch zu beachten, dass diese bereits das Ausfallrisiko eines Schuldners beinhalten, weshalb eine zusätzliche Berücksichtigung des Ausfallrisikos bei den Zahlungsüberschüssen im Zähler zu einer Doppelberücksichtigung führen würde und dementsprechend zu vermeiden ist.

7.319

Im Falle, dass für den Schuldner selbst keine Kapitalmarktdaten vorliegen, sollten aus Kapitalmarktdaten von Vergleichsunternehmen (Peer Group) mit vergleichbarer Bonität sowie Laufzeit des Schuldtitels plausible Vergleichsdaten gewonnen werden.

3. Kostenorientierte Bewertungsverfahren 7.320

Ein Ansatz sind abschließend kostenorientierte Bewertungsverfahren. Hinter diesen Verfahren steht die Frage, welche Kosten zur Reproduktion beziehungsweise Wiederherstellung des Bewertungsobjekts aufzubringen wären. Es gilt die Überlegung, dass kein Teilnehmer am wirtschaftlichen Geschäftsverkehr bereit ist, mehr für einen Vermögensgegenstand auszugeben als ihn eine Reproduktion/neue Herstellung kosten würde. Zu unterscheiden ist damit zwischen der Reproduktionsmethode, die sich auf die Kosten der Herstellung exakt dieses einen Objektes fokussiert, und der Wiederbeschaffungsmethode, welche die Kosten eines nutzenäquivalenten Gegenstandes in die Bewertung mit einbezieht.

7.321

Da eine Reproduktion oder Wiederherstellung nicht ohne weiteres auf Forderungen und Verbindlichkeiten übertragbar ist, eignet sich das kostenorientierte Bewertungsverfahren vor al562 | Kohl

F. Bewertung von Forderungen und Verbindlichkeiten | Rz. 7.326 Kap. 7

lem für die Einbringung beziehungsweise den Erhalt von Sach- oder Dienstleistungen. Dabei ist vor allem zu unterscheiden, ob die zu erbringende Sache sich bereits im Besitz des Schuldners befindet oder nicht. Ist dies nicht der Fall, können als Wert der Forderung/Verbindlichkeit die dann anfallenden Kosten der Beschaffung herangezogen werden. Dies ist ebenso übertragbar auf Dienstleistungen. Ist der Schuldner hingegen bereits im Besitz der Sache, so können die vergangenen Anschaffungskosten als Wert herangezogen werden, wobei etwaige vergangene Inflationsentwicklungen zu berücksichtigen sind. Kostenorientierte Bewertungsverfahren bezogen auf Forderungen und Verbindlichkeiten bieten jedoch zwei besondere Fragen. Zum einen ist die Abgrenzung der Kosten zu diskutieren, welche Ausgaben/Kosten zur Erbringung/Erlangung tatsächlich notwendig gewesen sind oder sein werden. Diesbezüglich wird insbesondere die Relevanz fixer und variabler Kosten sowie die Relevanz von Leerkosten diskutiert. Zum anderen geht das kostenorientierte Verfahren davon aus, dass eine Reproduktion beziehungsweise Wiederbeschaffung stets möglich oder realistisch ist, was bezogen auf Forderungen und Verbindlichkeiten nicht immer der Fall ist.

7.322

Geeignet ist das kostenorientierte Verfahren somit vor allem für kurzfristige Forderungen und Verbindlichkeiten, bei denen der Erfüllungszeitpunkt in naher Zukunft liegt. Handelt es sich hingegen um langfristige Tatbestände, ist eine Diskontierung notwendig, was rein theoretisch einem klassisch kapitalwertorientierten Verfahren gleicht.

7.323

III. Steuerrechtliche Regelung Für die Bewertung von Kapitalforderungen und Kapitalschulden sieht das Bewertungsgesetz mit § 12 eine eigenständige Regelung vor. Diese ist dann anzuwenden, wenn entsprechende Vermögensgegenstände oder Schulden nicht bereits nach § 11 BewG zu bewerten sind. Dabei definiert Absatz 1 den Standardfall, dass Kapitalforderungen und -schulden grundsätzlich mit dem Nennwert anzusetzen sind. Im Fall besonderer Umstände ist ein abweichender Wert maßgebend. Als Beispiel für besondere Umstände nennt der Gesetzgeber eine hohe, niedrige oder fehlende Verzinsung, um eine Abweichung vom Nennwert zu begründen. Nach Absatz 2 sind uneinbringliche Kapitalforderungen und -schulden nicht anzusetzen. Unverzinsliche Kapitalforderungen sind nach Absatz 3 mit dem abgezinsten Wert anzusetzen. Dabei legt die Vorschrift auch fest, dass bei der Kapitalisierung von einem Zinssatz von 5,5 % auszugehen sei. Absatz 4 der Vorschrift regelt den Ansatz von noch nicht fälligen Ansprüchen aus Lebenskapital und Rentenversicherung. Diese sind mit dem Rückkaufswert zu bewerten.

7.324

Zur Bedeutung dieser Regelung ist zu beachten, dass insbesondere eine Normalverzinslichkeit i.H.v. 5,5 % definiert wird. Darüber hinaus wird der Umfang der Normalverzinslichkeit vorgegeben, der in der Bandbreite zwischen 3 % und 9 % liegen soll.

7.325

Dieser Zinssatz kommt auch bei der Bewertung unverzinslicher Forderungen i.S.d. Absatzes 3 zur Anwendung. Dabei sind die einzelnen Zahlungsströme mit dem typisierten Zinssatz von 5,5 % auf den Bewertungsstichtag abzuzinsen. Dies erfolgt nur, wenn die Kapitalforderungen und -schulden zu einem bestimmten Zeitpunkt fällig sind und die Laufzeit mehr als ein Jahr beträgt (§ 12 Abs. 3 Satz 1 BewG).1

7.326

1 Vgl. Mannek in v. Oertzen/Loose2, ErbStG, § 12 BewG Rz. 37 ff. mit weiteren Beispielen zur Berechnung der Laufzeit und Abzinsung unverzinslicher Forderungen.

Kohl | 563

Kap. 7 Rz. 7.327 | Unternehmensbewertung

7.327

Ob die Spezialvorschrift § 12 BewG dabei bei den aktuellen Kapitalmarktverhältnissen überhaupt zu einem sachgerechten gemeinen Wert führt, muss angesichts der unterstellten 5,5% igen Verzinsung bezweifelt werden1. Aktuelle Entwicklungen des Gesetzgebers, eine Anpassung des Kapitalisierungszinssatzes unter Berücksichtigung der aktuellen Verhältnisse auf dem Kapitalmarkt vorzunehmen, sind derzeit jedoch nicht absehbar.

1 Vgl. Mannek in v. Oertzen/Loose2, ErbStG, § 12 BewG Rz. 21.

564 | Kohl

Kapitel 8 Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Personale Auslandsbezüge bei der Unternehmensnachfolge über Inlandsvermögen I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Inhaber als Inländer/Nachfolger als Ausländer 1. Erbschaftsteuer a) Steuerpflicht in Deutschland . . . b) Steuerpflicht im Ausland . . . . . . c) Vermeidung einer Doppelbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sonderfall I: Verwendung besonderer Gestaltungsinstrumente . . e) Sonderfall II: Nachfolge durch ausländische gemeinnützige Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einkommensteuer a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entstrickung stiller Reserven in Kapitalgesellschaftsanteilen aa) Kategorien von Kapitalgesellschaftsanteilen . . . . . . . . . . . bb) Besteuerung des Vermögenszuwachses gem. § 6 AStG (1) Tatbestand und Rechtsfolge des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Stundung der Steuerschuld und Widerruf (§ 6 Abs. 4 und 5 AStG) . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Herausforderungen für die Beratungs- und Gestaltungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Sperrfristbehaftete Anteile gem. § 22 Abs. 1 UmwStG . dd) Einbringungsgeborene Anteile gem. § 21 UmwStG i.d.F. vor SEStEG . . . . . . . . . . . . . c) Entstrickung stiller Reserven im Betriebsvermögen aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . bb) Ertragsteuerneutralität als Regelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Entstrickung mangels Buchwertfortführung . . . . . . . . . .

8.1

8.4 III. 8.6 8.7

1. 2.

8.8 8.9 8.11 8.14 IV. 8.15

1.

8.16 8.21

2.

8.27 8.38 8.39 C. 8.43 8.48 8.49

I. II. III.

dd) Entstrickung trotz Buchwertfortführung nach § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG . . . . . . . . . . . . . 8.67 ee) Rechtsfolgen der Entstrickung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.77 d) Inländischer Steuerstatus des Nachfolgers . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.81 Inhaber als Ausländer/Nachfolger als Inländer Erbschaftsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.85 Einkommensteuer a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.91 b) Fortsetzung der Buchwerte im Betriebsvermögen . . . . . . . . . . . . . . 8.92 c) Anschaffungskosten des Nachfolgers in Anteile an Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.94 d) Schicksal einer früheren deutschen Steuer auf den Vermögenszuwachs (§ 6 AStG) . . . . . . . . . . 8.97 Inhaber und Nachfolger als Ausländer Erbschaftsteuer a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.101 b) (Erweitert) beschränkte Steuerpflicht des Erwerbs . . . . . . . . . . . 8.102 c) Erweitert unbeschränkte Steuerpflicht des Inhabers und/oder des Nachfolgers . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.108 Einkommensteuer a) Anteile an Kapitalgesellschaft aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 8.110 bb) Anschaffungskosten des Nachfolgers . . . . . . . . . . . . . 8.111 cc) Entstrickung . . . . . . . . . . . . 8.112 dd) Wirkungen auf gestundete Steuer auf den Vermögenszuwachs (§ 6 AStG) . . . . . . . 8.115 b) Betriebsvermögen . . . . . . . . . . . . 8.116 Unternehmensnachfolge über Auslandsvermögen Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.122 Inhaber als Inländer/Nachfolger als Ausländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.123 Inhaber als Ausländer/Nachfolger als Inländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.125

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Kap. 8 Rz. 8.1 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug Literatur: Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, 2013; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. 2017; Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl. 2020.

A. Einführung 8.1

Die Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug stellt die Berater des Inhabers und des Nachfolgers vor besondere Herausforderungen. Schon bei einem rein nationalen Sachverhalt ist für eine geglückte Nachfolge eine mehrschichtige Parametermatrix aus rechtlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten zu bewältigen (vgl. Rz. 1.38 ff.). Durch den Auslandsbezug treten zwei weitere Dimensionen hinzu. Die eine besteht darin, dass mit dem Internationalen Privatrecht (vgl. Rz. 5.1–5.68) und dem Außensteuerrecht bzw. dem Internationalen Steuerrecht Teile der deutschen Rechtsordnung berührt werden, welche in einem rein nationalen Sachverhalt ohne Bedeutung sind. Die andere liegt in den Bedingungen und Restriktionen des ausländischen Zivil-, Gesellschafts- und Steuerrechts.

8.2

Die Auslandsbezüge eines Nachfolgesachverhalts können unterschiedlicher Natur sein (vgl. auch Rz. 5.2). Sie lassen sich allerdings in zwei Kategorien unterteilen: Eine Verknüpfung des Vermögens mit einem ausländischen Staatsgebiet schafft einen sachlichen Auslandsbezug. Daneben kann eine Auslandsbeziehung durch die an der Nachfolge beteiligten Personen begründet werden (personaler Auslandsbezug). Damit ist noch nicht beantwortet, welcher Natur die Verknüpfungen mit dem Ausland sein müssen, um einen sachlichen oder personalen Auslandsbezug zu begründen. Die Antwort ergibt sich in Abhängigkeit von der Teilrechtsordnung (der in Rz. 8.1 erwähnten „zusätzlichen Dimension“), deren Rechtsfolgen betrachtet werden sollen. Das Zivilrecht – mit seinen einschlägigen Disziplinen Schuldrecht, Sachenrecht, Familienrecht, Erbrecht und Gesellschaftsrecht – definiert eigene Auslandsbezüge (vgl. Rz. 5.1–5.93), die sich von denen des Steuerrechts, namentlich des Einkommensteuerrechts und des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts, unterscheiden. Bei einer Nachfolge zwischen zwei ausschließlich im Inland ansässigen Personen über ein im Inland belegenes kaufmännisches Unternehmen kann der steuerrechtliche Auslandsbezug fehlen, während zivilrechtlich ein Auslandsbezug darin bestehen mag, dass der Inhaber in einem ausländischen Güterstand verheiratet ist. Für die Praxis tritt verschärfend hinzu, dass die Relevanz eines Auslandsbezugs nicht allein nach deutschen Maßstäben beurteilt werden darf. Soll eine Nachfolgegestaltung gelingen, müssen mögliche Rechtsfolgen der mitbetroffenen ausländischen Rechtsordnung antizipiert werden. Eine eher sporadisch genutzte Wohnung des Nachfolgers im ausländischen Staat stellt eben keinen relevanten persönlichen Auslandsbezug dar, falls das dortige Steuerrecht die persönliche Steuerpflicht ausschließlich an den gewöhnlichen Aufenthalt knüpft. Umgekehrt kann das ausländische Recht möglicherweisen in einem Element einen Auslandsbezug erkennen, der nach deutschen Maßstäben überraschend erscheint.

8.3

Angesichts der Vielgestaltigkeit der Sachverhalte ist eine Reduktion der Komplexität erforderlich. Der vorliegende Beitrag beschränkt sich daher auf Rechtsfolgen einer Nachfolge mit Auslandsbezug nach Maßgabe des deutschen Einkommensteuerrechts und des deutschen Erbschaft- und Schenkungssteuerrechts. Aspekte ausländischer Rechtsordnung werden nur kursorisch berücksichtigt. Ein sachlicher Auslandsbezug besteht somit, wenn der Betrieb (i.S. einer organisatorisch verselbständigten und lebensfähigen Einheit, die eine gewerbliche Tätigkeit verfolgt) im Ausland belegen ist (Auslandsvermögen). Handelt es sich bei dem der 566 | Baßler

B. Personale Auslandsbezüge | Rz. 8.5 Kap. 8

Nachfolge unterliegenden Vermögen um Gesellschaftsanteile, besteht ein sachlicher Auslandsbezug, wenn die Gesellschaft ihren Verwaltungssitz, den Ort ihrer Geschäftsleitung oder ihren statutarischen Sitz im Ausland hat (vgl. dazu unter Rz. 8.122). Spiegelbildlich dazu sind Fälle mit sachlichem Inlandsbezug (Inlandsvermögen) definiert (nachfolgend unter Rz. 8.4). In personaler Hinsicht besteht ein Inlandsbezug bei jenen Personen (ob Inhaber oder Nachfolger), die aufgrund eines persönlichen Merkmals in Deutschland steuerpflichtig sind. „Inländer“ in diesem Sinne ist also jeder, der einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat (§ 1 Abs. 1 EStG, § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. a ErbStG); im erbschaftsteuerlichen Kontext zählt dazu auch jeder Deutsche, ob Erblasser/Schenker oder Erwerber, der sich nicht länger als fünf Jahre dauernd im Ausland aufgehalten hat, ohne im Inland einen Wohnsitz zu haben (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b) ErbStG). Zum Kreis dieser Inländer zählen auch Bedienstete einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts, die für ihre Tätigkeit aus einer inländischen öffentlichen Kasse besoldet werden und im Inland keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben (§ 1 Abs. 2 EStG, § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. c ErbStG). Eine Person i.S.v. § 1 Abs. 3 EStG ist nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig, sondern wird nur auf Antrag und unter bestimmten Voraussetzungen als solche behandelt; diese zuletzt genannten Kategorien sind aus der nachfolgenden Betrachtung ausgeklammert. Eine Person ist „Ausländer“, wenn sie kein Inländer.

B. Personale Auslandsbezüge bei der Unternehmensnachfolge über Inlandsvermögen I. Überblick Dieser Abschnitt II. betrachtet Nachfolgemaßnahmen in inländisches unternehmerisches Vermögen. Dazu zählt der Gewerbebetrieb, der Anteil an einer gewerblichen Personengesellschaft sowie der Anteil an einer Kapitalgesellschaft. Der relevante Inlandsbezug ist für jede dieser drei Kategorien unterschiedlich: Der inländische Gewerbebetrieb verfügt über (genau eine) inländische Betriebsstätte (§ 1 Abs. 4, § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG, § 12 AO). Die Kapitalgesellschaft ist inländisch aufgrund ihres inländischen Registersitzes oder ihres inländischen Orts der Geschäftsleitung (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG). Bei der gewerblichen Personengesellschaft schließlich ist die Belegenheit der Betriebsstätte maßgeblich (§ 1 Abs. 4, § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG, § 12 AO). Vereinfachend wird davon ausgegangen, dass die Inlandsanknüpfung jeweils ausschließlich ist, also daneben ein relevanter territorialer Bezug in das Ausland, insb. durch weitere Niederlassungen, nicht besteht. Soweit nicht explizit angesprochen, werden doppelansässigen Unternehmensstrukturen nicht betrachtet.

8.4

Der personale Bezug einer Nachfolgemaßnahme (zu Inland oder Ausland) kann vielfältige Formen annehmen. Die nachfolgende Darstellung greift drei Sachverhaltstypen exemplarisch heraus. Zunächst wird die Konstellation betrachtet, in der allein der Nachfolger Ausländer (zur Begrifflichkeit vgl. Rz. 8.3) ist, der Vermögensinhaber aber Inländer ist (unter II.). Es folgt der spiegelverkehrte Fall, in dem also allein der Vermögensinhaber Ausländer ist (unter III.). Zuletzt wird von der Annahme ausgegangen, dass beide Beteiligte Ausländer sind (unter IV.).

8.5

Baßler | 567

Kap. 8 Rz. 8.6 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug

II. Inhaber als Inländer/Nachfolger als Ausländer 1. Erbschaftsteuer a) Steuerpflicht in Deutschland

8.6

Der Erwerb von Todes wegen oder unter Lebenden von einem Inländer (i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. a ErbStG) unterliegt in Deutschland der Erbschaft- oder Schenkungsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 ErbStG, § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 7 Abs. 1 ErbStG; vgl. näher Rz. 6.156 ff.). Die Steuer bemisst sich nach der Bereicherung, soweit diese nicht steuerfrei ist (§ 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG), wobei aufgrund des Erwerbsgegenstands vor allem die Befreiungen nach §§ 13a–c, 28a ErbStG in Betracht kommen (vgl. dazu näher Rz. 6.212 ff.). Dies gilt für den inländischen Gewerbebetrieb (§ 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG) ebenso wie für den Anteil an einer gewerblichen Personengesellschaft (§ 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG) oder Kapitalgesellschaft (§ 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG). Das Abkommensrecht begrenzt die Erhebung dieser Steuer nicht (vgl. die Artt. 6 und 7 OECD-MA entsprechenden Vorschriften in den deutschen ErbschaftsteuerDBA sowie in Rz. 8.8). b) Steuerpflicht im Ausland

8.7

Der Erwerb durch den im Ausland ansässigen Nachfolger kann auch in jenem Staat steuerpflichtig sein, wobei eine Reihe von Staaten keine Erbschaft- und Schenkungsteuer erheben, z.B. China, Norwegen, Österreich oder Schweden; teilweise werden allerdings unentgeltliche Erwerbe in der Einkommensteuer erfasst, z.B. in Kanada (als Schlussbesteuerung beim Inhaber), in Indien oder in Mexiko (beim Erwerber) sowie in Tschechien (nur Zuwendung unter Lebenden). Dabei knüpft die persönliche Steuerpflicht teilweise an die Inlandseigenschaft des Erblassers oder Schenkers an, so dass in der hier betrachteten Konstellation eine ausländische Steuer nicht anfällt. Es gibt aber auch Jurisdiktionen wie Finnland, Polen oder Spanien, die ausschließlich an die Ansässigkeit des Erwerbers anknüpfen. Seltener wird, wie in Deutschland, Irland oder Frankreich1 der unentgeltliche Erwerb der Steuerpflicht unterworfen, wenn Erblasser/Schenker oder Erwerber im fraglichen Staat ansässig sind. c) Vermeidung einer Doppelbesteuerung

8.8

In dem Fall, dass ein Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und dem Staat besteht, der Erbschaft- oder Schenkungsteuer aufgrund der Ansässigkeit des Nachfolgers erhebt, schließt dieses den Steuerzugriff durch diesen anderen Staat regelmäßig aus. Denn da Inhaber und Gesellschaft bzw. Unternehmen in Deutschland ansässig sind, handelt es sich bei Anteilen bzw. dem anteiligen Betriebsvermögen um sonstiges Vermögen, welches allein der Besteuerung durch die Bundesrepublik unterliegt (vgl. Art. 7 OECD-MA (Erb), Art. 25 Abs. 3 DBA-DK, Art. 9 DBA-F (Erb), Art. 24 Abs. 3 DBA-S, Art. 8 Abs. 1 DBA-CH (Erb), Art. 9 DBA-USA (Erb)). In den sehr viel häufigeren Fällen, in denen ein Abkommen nicht besteht, droht eine Doppelbesteuerung! Denn eine Anrechnung der ausländischen Steuer auf die deutsche Erbschaftsteuer oder Schenkungsteuer gem. § 21 ErbStG scheidet aus, weil das erworbene Vermögen kein Auslandsvermögen i.S.v. § 21 Abs. 2 ErbStG i.V.m. § 121 BewG ist. Entlastung von der 1 Dabei hängt – im Unterschied zur deutschen Rechtslage – der Umfang des steuerpflichtigen Vermögens davon ab, ob der Erwerber während sechs der letzten zehn Jahre in Frankreich ansässig war.

568 | Baßler

B. Personale Auslandsbezüge | Rz. 8.10 Kap. 8

Doppelbesteuerung muss der Erwerber daher primär in seinem Ansässigkeitsstaat (durch Anrechnung der deutschen auf die ausländische Steuer) suchen. Gelingt ihm das nicht, ist die deutsche Finanzverwaltung im Rahmen ihres – fehlerfrei auszuübenden – Ermessens verpflichtet, die ausländischen Steuer als Maßnahme der Billigkeit anzurechnen, ggf. auch diese zum Abzug von der Bemessungsgrundlage zuzulassen (§§ 163, 227 AO).1 d) Sonderfall I: Verwendung besonderer Gestaltungsinstrumente Besonderer Planung bedarf es, wenn die Nachfolge in den Anteil sich nicht in einer Schenkung unter Lebenden oder einem schlichten Erb- oder Vermächtnisanfall erschöpfen soll. Hier ist stets mit ins Kalkül zu ziehen, dass bestimmte alltägliche Instrumente im ausländischen Steuerrecht völlig anders gewürdigt werden als nach deutschen ErbStG, so dass besondere Effekte zu gewärtigen sind.

8.9

Behält sich der Inhaber bei einer vorweggenommenen Erbfolge einen lebenslangen Nießbrauch vor, gilt dies nach deutschem Erbschaftsteuergesetz als Schenkung unter Duldungsauflage (vgl. zu diesem Instrument allg. Rz. 3.30, zur inhaltlichen Ausgestaltung und zur steuerlichen Behandlung ausführlich Kapitel 22). Der Wert der Bereicherung des Erwerbers ergibt sich durch Abzug des Werts der Auflage von dem nach § 12 ErbStG zu bewertenden Gegenstand.2 Der Wert der Auflage richtet sich über § 12 Abs. 1 ErbStG nach den in § 14 BewG niedergelegten Grundsätzen. Befinden sich im unternehmerischen Vermögen inländische Grundstücke und verwirklicht die Nachfolge einen Grunderwerbsteuertatbestand (§ 1 Abs. 1– 3a GrEStG) ist der Erwerb insoweit nicht von der Grunderwerbsteuer befreit (§ 3 Nr. 2 Satz 2 GrEStG), falls nicht ein anderer Befreiungstatbestand, z.B. § 3 Nr. 4, 6 GrEStG, erfüllt ist (vgl. zur Grunderwerbsteuer in der Nachfolge Rz. 6.317 ff.). Das Ende des lebenslangen Nießbrauchs bei Tod des Nießbrauchers ist nicht erbschaftsteuerbar.3 Es dürfte offensichtlich sein, dass die Bewertung im Ausland anderen Grundsätzen folgen kann. Überraschen mag aber auch, dass nach einigen Rechtsordnungen eine Zuwendung unter dem Vorbehalt des Nießbrauchs nicht als ausgeführt gilt, sondern ein steuerpflichtiger Vorgang erst im Tod des Zuwendenden (und Erlöschen des Nießbrauchs) erkannt wird. Teilweise wird nicht nur die Zuwendung unter Nießbrauchsvorbehalt, sondern ebenso der Anfall des Fruchtziehungsrechts durch den Tod des Nießbrauchsberechtigten besteuert. Kein internationaler Konsens besteht ferner bei der Würdigung von Widerrufsvorbehalten (vgl. näher zur Vereinbarung von Rückabwicklungsvorbehalten und zur Rückabwicklung Kapitel 24). Auch diese können dazu führen, dass eine Schenkung nicht ausgeführt gilt. Umgekehrt kann nicht unterstellt werden, dass auch im Ausland eine dem § 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG entsprechende Regelung besteht. Letzteres hat auch Bedeutung, wenn die Parteien Weiterleitungsklauseln vereinbaren. Die deutsche Betrachtungsweise, darin einen Rückfall an den ursprünglichen Schenker und eine Zuwendung von ihm an den Weiterleitungsberechtigten zu sehen,4 wird ebenfalls im Ausland nicht unbedingt geteilt. Schließlich findet sich nicht überall eine § 10 Abs. 2 ErbStG vergleichbare Regel zur Übernahme der Steuer. Besondere Schwierigkeiten bestehen schließlich bei der Anordnung von Vor- und Nacherbschaft (näher Rz. 5.222 ff., Rz. 10.414 ff.). Da dieses erbrechtliche Institut vielen Erbrechtsord-

1 2 3 4

BFH v. 19.6.2013 – II R 10/12, BStBl. II 2013, 746 Rz. 37 m.w.Nachw. aus der Literatur. R E 7.4 Abs. 1 Satz 2 ErbStR 2019. Eisele in Rössler/Troll, § 14 BewG Rz. 19 (Stand: 10.2018). Reich in v. Oertzen/Loose2, § 29 ErbStG Rz. 24.

Baßler | 569

8.10

Kap. 8 Rz. 8.10 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug

nungen unbekannt ist, enthalten die entsprechenden ausländischen Steuerrechte keine einschlägigen Regeln. Rechtsunsicherheit, aber auch Gestaltungschancen, sind die Folge. e) Sonderfall II: Nachfolge durch ausländische gemeinnützige Organisation

8.11

Besonderheiten gegenüber dem rein nationalen Kontext bestehen, wenn eine ausländische steuerbefreite Organisation als Nachfolger auserkoren ist (zur Nachfolge durch Stiftungen vgl. Kapitel 13, speziell zur Nachfolge durch eine ausländische Familienstiftung näher Rz. 13.196 ff.). Die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 16 Buchst. b ErbStG ist nach dem Wortsinn auf inländische Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen beschränkt. Das sind solche, die Sitz oder Geschäftsleitung im Inland haben (vgl. § 1 Abs. 1 KStG), Erwerber mit Sitz und Geschäftsleitung im Ausland sind dagegen ausgeschlossen. Für solche ausländischen Körperschaften, die nach Statut und tatsächlicher Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar kirchliche, gemeinnützige oder mildtätige Zwecke i.S.v. §§ 52 bis 54 AO verfolgen, eröffnet § 13 Abs. 1 Nr. 16 Buchst. c ErbStG einen steuerfreien Erwerb, falls – der betreffende Ansässigkeitsstaat Amtshilfe und Unterstützung bei der Beitreibung aufgrund oder entsprechend der Amtshilferichtlinie1 und der Beitreibungsrichtlinie2 leistet (§ 13 Abs. 1 Nr. 16 Buchst. c Satz 2 und 3 ErbStG), und – die Körperschaft, die ihre Zwecke ausschließlich im Ausland verwirklicht, zumindest auch Inländer fördert oder die Tätigkeit der Körperschaft auch zur Förderung des Ansehens der Bundesrepublik Deutschland beitragen kann (§ 13 Abs. 1 Nr. 16 Buchst. c Satz 4 ErbStG).

8.12

Das erste Kriterium ist erfüllt, wenn die gemeinnützige Organisation in einem EU-Staat ansässig ist. Denn diese Staaten sind aufgrund der zitierten EU-Richtlinien verpflichtet, einander Amts- und Beitreibungshilfe zu leisten. Im Verhältnis zu den Staaten des EWR gelten diese Richtlinien nicht, so dass es insoweit auf die zwischenstaatlichen Doppelbesteuerungsabkommen ankommt. Denn Amtshilfe und Unterstützung bei der Beitreibung wird nur dann „entsprechend“ den Unionsrichtlinien geleistet, wenn hierzu eine wechselseitige Verpflichtung besteht. Dies gilt ungeachtet des Umstandes, dass man aus dem BMF, Schr. v. 5.1.2010 betr. nicht kooperierende Staaten und Gebiete i.S.d. Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz3 wird ableiten können, dass derzeit alle Staaten zumindest tatsächlich der Bundesrepublik Amtshilfe nach dem in Art. 26 OECD-MA niedergelegten Standard leisten. Das DBA mit Island enthält in Art. 26 zwar eine große Auskunftsklausel. Aufgrund der Entstehungsgeschichte des Abkommens ist diese aber noch nach dem Vorbild des OECD-MA 1963 gestaltet, so dass der sachliche Anwendungsbereich auf die durch das Abkommen erfassten Steuern beschränkt ist, wozu die Erbschaft- und Schenkungsteuer nicht zählt. Außerdem fehlt es in diesem bilateralen Verhältnis an einer Grundlage für die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung. Demgegenüber enthalten die DBA mit Norwegen (Art. 26 und 27) und mit Liechtenstein (Art. 26 und 28) Regeln zur Amts- und Beitreibungshilfe nach dem aktuellem OECD-Standard und auch für Erbschaft- und Schenkungsteuer gilt.4 Unzutreffend ist es, wenn das FG

1 Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom 15.2.2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG, ABl. EU 2011, L 64, 1. 2 Richtlinie 2010/24/EU des Rates vom 16.3.2010 über die Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Steuern, Abgaben und sonstige Maßnahmen, ABl. EU 2010, L 84, 1. 3 BStBl. I 2010, 19. 4 Martini, ISR 2015, 97 (102).

570 | Baßler

B. Personale Auslandsbezüge | Rz. 8.13 Kap. 8

Düsseldorf1 – ohne nähere Begründung und nicht entscheidungstragend – behauptet, das DBA-Liechtenstein enthalte keine der Amtshilferichtlinie gleichwertigen Informationspflichten.2 Auch im Verhältnis zu Drittstaaten kommt es darauf an, ob ein Doppelbesteuerungsabkommen besteht und in welchem Umfang darin eine Verpflichtung zur bilateralen Amtshilfe und Unterstützung bei der Beitreibung von Steueransprüchen vereinbart wurde. Diese gegenüber Nr. 16 Buchst. b verengten Voraussetzungen für eine steuerbefreite Zuwendung an eine ausländische Organisation sind unter dem Blickwinkel der unionsrechtlichen Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) problematisch. Dies betrifft weniger die Bedingung, dass der Ansässigkeitsstaat der Organisation Amts- und Beitreibungshilfe gewähren muss. Denn der EuGH erkennt in ständiger Rechtsprechung an, dass eine Beschränkung der Grundfreiheiten durch die Notwendigkeit wirksamer steuerlicher Kontrollen gerechtfertigt sein kann. Dazu ist der Informationsaustausch mittels Amtshilferichtlinie das geeignete, erforderliche und auch verhältnismäßige Mittel.3 Problematischer erweist sich dagegen der in dem zweiten Kriterium niedergelegte strukturelle Inlandsbezug. Formal ist dieses Merkmal zwar unterschiedslos anwendbar. Da es sich in § 51 Abs. 2 AO wiederfindet, müssen es nämlich alle gemeinnützigen Einrichtungen erfüllen, auch die durch § 13 Abs. 1 Nr. 16 Buchst. b ErbStG begünstigten. Faktisch wirkt diese Einschränkung sich allerdings vor allem zu Lasten von im Ausland ansässigen und tätigen gemeinnützigen Einrichtungen aus, was nach h.M. eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs begründet.4 Denn während der strukturelle Inlandsbezug bei inländischen Einrichtungen vermutet wird,5 ist sein Nachweis bei einer ausländischen Einrichtung nur „nicht grundsätzlich ausgeschlossen“6. Allerdings hat der EuGH wiederholt betont, dass jeder Mitgliedstaat Steuervergünstigungen von einer hinreichend engen Verbindung zwischen der von ihm als gemeinwohlorientiert anerkannten Organisation und ihren Aktivitäten abhängig machen darf.7 Seiner Entscheidung Kommission/Österreich ist allerdings zu entnehmen, dass die Ausrichtung des Förderziels nicht zu einer verdeckten Diskriminierung ausländischer Einrichtungen mutieren dürfe.8 Dem genügt § 13 Abs. 1 Nr. 16 Buchst. c ErbStG nicht.

1 FG Düsseldorf v. 22.1.2015 – 16 K 2858/13 F, EFG 2015, 629 (unter 1 b) zu § 15 Abs. 6 AStG. 2 Wie hier FG Münster v. 23.2.2016 – 12 K 2144/13 E, F, juris Rz. 24. Zur Kritik am FG Düsseldorf Kirchhain, IStR 2015, 246; Lüdicke/Oppel, ISR 2015, 265 (267 f.). 3 Vgl. Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.289 f. mit umfangreichen Nachweisen zur EuGH-Rspr. 4 Musil in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 51 AO Rz. 55 (Stand: 10.2017); Seer in Tipke/Kruse, § 51 AO Rz. 8 (Stand: 8.2017); Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht4, Rz. 3.12; Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.221; Schienke-Ohletz, BB 2018, 221 (223); Fischer, FR 2009, 249 (257); Droege, StuW 2012, 256 (261 f.). 5 Bericht des Finanzausschuss zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Jahressteuergesetzes 2009, BT-Drucks. 16/11108, 46. 6 AEAO zu § 51 Nr. 7. 7 EuGH v. 14.9.2006 – C-386/04 (Centro di Musicologia Walter Stauffer), BFH/NV Beil. 2007, 55 Tz. 37; v. 10.2.2011 – C-25/10 (Missionswerk Werner Heukelbach e.V.), BFH/NV 2011, 735; EuGH v. 4.5.2017 – C-98/16 – Kommission/Griechenland, Rz. 43 (abrufbar unter www.curia.europa.eu). 8 EuGH v. 16.6.2011 – C-10/10 – Kommission/Österreich, BFH/NV 2011, 1467 Rz. 34 f.; vgl. dazu Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.221; Droege, StuW 2012, 259 (260).

Baßler | 571

8.13

Kap. 8 Rz. 8.14 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug

2. Einkommensteuer a) Überblick

8.14

Die Nachfolge in unternehmerisches Vermögen kann auf mehreren Ebenen einkommensteuerrechtliche Relevanz erlangen. Eine unentgeltliche Rechtsnachfolge1 ist zwar grundsätzlich einkommensteuerneutral: Der Inhaber erzielt keine Einkünfte (i.S.v. § 2 Abs. 1 EStG), der Nachfolger setzt dessen Buchwerte (§ 6 Abs. 3 EStG) bzw. dessen Anschaffungskosten (§ 17 Abs. 2 Satz 5 EStG) fort (vgl. näher Rz. 6.10 ff.). Bei der Nachfolge durch einen ausländischen Rechtsnachfolger (zur Verwendung des Begriffspaars „Inländer“/„Ausländer“ vgl. Rz. 8.3) sind aber die nationalen Regeln zur Aufdeckung jener stillen Reserven zu beachten, die andernfalls aus der deutschen Steuerhoheit ausscheiden würden (sog. Entstrickung). Dabei ist nach der Rechtsform zu unterscheiden zwischen der Nachfolge in Anteile an einer Kapitalgesellschaft (vgl. unter Rz. 8.15 ff.) und der Nachfolge in einen Betrieb oder Mitunternehmeranteil (vgl. Rz. 8.43 ff.). Außerdem wirkt sich der grenzüberschreitende Charakter der Nachfolge auch auf die einkommensteuerlichen Verhältnisse des Nachfolgers nach der Übernahme des Vermögens aus (vgl. Rz. 8.81 ff.). b) Entstrickung stiller Reserven in Kapitalgesellschaftsanteilen aa) Kategorien von Kapitalgesellschaftsanteilen

8.15

Die Vorschriften zur Entstrickung von Kapitalgesellschaftsanteilen, die im Rahmen der Nachfolge durch einen Ausländer zu beachten sind, unterscheiden nach der Art des Anteils. Für Anteile i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG, wozu nach wohl herrschender Meinung auch Anteile nach § 17 Abs. 6 EStG zählen,2 gilt § 6 AStG (dazu unter Rz. 8.16 ff.) während für einbringungsgeborene Anteile i.S.d. UmwStG i.d.F. vor Inkrafttreten des SEStEG nach der Rechtsprechung des BFH in § 21 UmwStG a.F. ein abschließendes Sonderregime besteht (vgl. unter Rz. 8.39 ff.). Besonderheiten sind bei sperrfristbehafteten Anteilen (§ 22 Abs. 1 UmwStG) zu beachten (vgl. unter Rz. 8.38). Für sonstige Anteile an Kapitalgesellschaften (insbesondere solche nach § 20 Abs. 2 Nr. 1 EStG) kommt es bei der Nachfolge durch einen im Ausland ansässigen Nachfolger zu keiner Einkommensteuerfolge; angesichts des Vorrangs des § 17 EStG (§ 20 Abs. 9 EStG) handelt es sich bei diesen Sachverhalten ohnehin nicht mehr um Unternehmensnachfolgen im eigentlichen Sinn. bb) Besteuerung des Vermögenszuwachses gem. § 6 AStG (1) Tatbestand und Rechtsfolge des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG

8.16

Der Tatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG hat drei Merkmale. Zunächst setzt er voraus, dass der Inhaber die persönlichen Anforderungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG erfüllt, er also zur Zeit der Nachfolge insgesamt mindestens zehn Jahre nach § 1 Abs. 1 EStG unbeschränkt

1 Eine Rechtsnachfolge, welche nach ertragsteuerlichen Grundsätzen als teilentgeltliches Geschäft gilt, ist im internationalen Umfeld wie im nationalen Kontext nach der Trennungstheorie (vgl. Rz. 6.54) zu beurteilen. 2 Schmidt in HHR, § 17 EStG Rz. 362 (Stand: 8.2018); Häck, IStR 2015, 267 (268 f.); Ostertun/Reimer, Wegzugsbesteuerung, 2007, 140; zweifelnd Baßler, FR 2008, 218 (220); a.A. Müller-Gosoge in Haase3, § 6 AStG Rz. 49; Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 6 AStG Rz. 251 (Stand: 6.2018); widersprüchlich Strunk/Kaminski in Strunk/Kaminski/Köhler, § 6 AStG Rz. 70 (Stand: 3.2015) einerseits, Rz. 149 (Stand: 3.2015) andererseits.

572 | Baßler

B. Personale Auslandsbezüge | Rz. 8.18 Kap. 8

einkommensteuerpflichtig gewesen ist.1 Hat der Inhaber die Beteiligung seinerseits bereits unentgeltlich von seinem Rechtsvorgänger erhalten, werden bei der Errechnung der Frist jene Zeiträume miteinberechnet, in denen der Rechtsvorgänger (und ggf. weitere Vorvorgänger) bis zur Übertragung der Anteile seinerseits der unbeschränkten Steuerpflicht unterlag (§ 6 Abs. 2 AStG). Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift dürfen allerdings nur jene Zeiträume berücksichtigt werden, in denen dem Rechtsvorgänger bei unbeschränkter Steuerpflicht auch die Anteile bereits gehörten.2 Beispiel: Der Rechtsvorgänger war seit seiner Geburt in Deutschland ansässig und erwarb im Jahr 01 im Alter von 55 Jahren entgeltlich eine Beteiligung. Diese verschenkte er im Jahr 05 an seinen Neffen (38 Jahre), der in jenem Jahr, kurz vor der Schenkung, erstmals in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig geworden war. Im Jahre 09 stirbt der Neffe. Erben sind seine Kinder, welche beim Zuzug des Neffen aus schulischen Gründen bei der Mutter im Ausland geblieben sind und daher im Inland weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt haben. § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG findet nach der hier vertretenen Auffassung auf den Erbgang vom Neffen auf seine Kinder keine Anwendung, weil zu dem Zeitraum, während dessen der Erblasser in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig war (von Jahr 05 bis Jahr 09), nur der Zeitraum hinzugerechnet wird, während dessen der in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Rechtsvorgänger auch Inhaber der Anteile war (seit Jahr 01).

Weitere Voraussetzung ist eine Übertragung der Anteile durch (ganz oder teilweises) unentgeltliches Rechtsgeschäft unter Lebenden oder ein Erwerb der Anteile von Todes wegen (zu den grundlegenden Unterschieden zwischen beiden Arten der Nachfolge vgl. Kapitel 9 und 10). Wie diese Begriffe auszulegen sind, ist weithin unklar. Nur vereinzelte Stimmen in Literatur haben bislang versucht, dem Tatbestandsmerkmale eine gewisse Kontur zu geben.3 Nach Sinn und Zweck von § 6 Abs. 1 AStG könnte man darunter alle Vorgänge verstehen, welche einkommensteuerlich keine Veräußerungsvorgänge sind. Für die Praxis darf man davon ausgehen, dass alle relevanten Nachfolgemaßnahmen unter einen der beiden Tatbestandsalternativen fallen.

8.17

Zum Dritten darf der Nachfolger nicht unbeschränkt steuerpflichtig sein, seine unbeschränkte Steuerpflicht schließt die Anwendung von § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG aus. Dies gilt auch bei einer unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 2 EStG;4 für Fälle der unbeschränkten Steuerpflicht auf Antrag nach § 1 Abs. 3 EStG ist die Rechtslage umstritten.5 Die Vorschrift trifft eine überschießende Regelung insofern, als Deutschland das Besteuerungsrecht trotz Fehlen jeglicher unbeschränkter Steuerpflicht des Nachfolgers behält. Dies gilt namentlich im abkommenslosen Zustand, darüber hinaus aber auch, falls das Abkommen Deutschland das Besteuerungsrecht zuweist, z.B. generell als Ansässigkeitsstaat der Gesell-

8.18

1 Zur Berechnung der Frist und zur Abgrenzung von anderen Formen der unbeschränkten Steuerpflicht, z.B. nach § 1 Abs. 2 und 3 EStG, vgl. Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 6 AStG Rz. 238 – 241 (Stand: 6.2018). 2 A.A. Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 6 AStG Rz. 424 (Stand: 3.2019). 3 Ansätze bei Baßler, FR 2008, 851 (854). In jüngerer Zeit ausführlich Häck in Flick/Wassermeyer/ Baumhoff/Schönfeld, § 6 AStG Rz. 276 ff. (Stand: 6.2018). 4 Baßler, FR 2008, 851 (856). 5 Gegen eine Verwirklichung des Tatbestands bei einer nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt steuerpflichtig behandelten Person Baßler, FR 2008, 851 (856); Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 6 AStG Rz. 278 (06.2018). A.A. Pohl in Blümich, EStG, § 6 AStG Rz. 47 (Stand: 8.2017).

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Kap. 8 Rz. 8.18 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug

schaft (z.B. Art. 13 Abs. 3 DBA-Tschechoslowakei, Art. 13 Abs. 2 DBA-Bulgarien sowie eine Reihe von Abkommen mit lateinamerikanischen Staaten) oder aufgrund einer Immobiliengesellschaftsklausel (z.B. Art. 7 Abs. 4 DBA-Frankreich, Art. 13 Abs. 2 DBA-Großbritannien, Art. 13 Abs. 2 DBA-Niederlande, Art. 13 Abs. 2 DBA-Spanien). Zu Recht fordern Stimmen in der Literatur eine teleologisch reduzierte Anwendung dieser Vorschrift.1

8.19

Umgekehrt erfasst § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG nicht alle Fälle, in denen Deutschland durch Nachfolgemaßnahmen über die Grenze die Möglichkeit zur Besteuerung stiller Reserven in den Händen des Nachfolgers verliert.2 Bei einem doppelansässigen Nachfolger findet die Vorschrift keine Anwendung, weil dieser eben unbeschränkt steuerpflichtig ist. Dies gilt selbst dann, wenn er abkommensrechtlich als im anderen Vertragsstaat ansässig gilt (Art. 4 Abs. 2 OECD-MA), so dass bei einer dem Art. 13 Abs. 5 OECD-MA nachgebildeten Vorschrift Deutschland fortan an der Besteuerung des Veräußerungsgewinns gehindert ist. Die steuerfreie Entstrickung wird auch nicht durch § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG verhindert, da dieser nur Entstrickungen „auf Grund anderer als der in Satz 1 oder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Ereignissen“3 erfasst. Die grenzüberschreitende unentgeltliche Nachfolge ist aber gerade kein anderes Ereignis als der in § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG normierte Tatbestand.4 Selbst wenn man dies anders sehen wollte, ist zu beachten, dass sich Nr. 1 und Nr. 4 des § 6 Abs. 1 Satz 2 AStG in den Voraussetzungen unterscheiden, unter denen eine Stundung gem. § 6 Abs. 5 AStG erreicht werden kann. Denn § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 4 AStG stellt – neben der Amts- und Vollstreckungshilfe (§ 6 Abs. 5 Satz 2 AStG) – lediglich Anforderungen an die Gesellschaft, deren Anteile betroffen sind, während § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AStG Bedingungen für den Rechtsnachfolger enthält (vgl. näher unter Rz. 8.15 ff.).

8.20

Rechtsfolge des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG ist die Anwendung des § 17 EStG ohne Veräußerung, d.h. die Realisierung von gewerblichen Einkünften in Höhe des Unterschieds zwischen dem Verkehrswert der Anteil, abzgl. der Nachfolgekosten (insb. Beratungskosten), und den Anschaffungskosten (§ 17 Abs. 2 EStG, § 6 Abs. 1 Satz 4 AStG). Ein negativer Saldo ist nicht steuerbar.5 Steuerpflichtiger ist nach richtiger Auffassung der (bisherige) Inhaber; bei einer Nachfolge von Todes wegen gehört diese Steuerschuld als Erblasserschuld zu den Nachlassverbindlichkeiten (§ 1967 Abs. 2 BGB, § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG).6 Eine in der Literatur prominent vertretene, gleichwohl nicht überzeugende, Literaturauffassung will demgegenüber aufgrund des semantisch verunglückten Gesetzestexts nach der Art der Nachfolge differenzieren: Während beim Erwerb unter Lebenden die Steuer noch den bisherigen Inhaber trifft, soll beim Erwerb von Todes wegen der Erbe Steuerpflichtiger sein.7

1 2 3 4 5

Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 6 AStG Rz. 272 (Stand: 6.2018). Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 6 AStG Rz. 272 (Stand: 6.2018). Hervorhebung nicht im Original. Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 6 AStG Rz. 213 (Stand: 6.2018). BFH v. 28.2.1990 – I R 43/86, BStBl. II 1990, 615; BFH v. 26.4.2017 – I R 27/15, DStR 2017, 1913; BMF-Schr. v. 14.5.2004 betr. Grundsätze zur Anwendung des AStG, BStBl. I 2004, Sondernr. 1/ 2004, 3, Tz. 6.1.3.3. 6 Baßler, FR 2008, 851 (853); Baßler, IStR 2013, 22; Schaumburg, Int. Steuerrecht4, Rz. 6.419; Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 6 AStG Rz. 270 (Stand: 6.2018); Pohl in Blümich, EStG, § 6 AStG Rz. 46 (Stand: 8.2017); Müller-Gosoge in Haase3, § 6 AStG Rz. 82; Krawitz/Kalbitzer in FS Schaumburg, 835 (850); Krumm, FR 2012, 509 (514). 7 Wassermeyer, IStR 2007, 833; Wassermeyer, IStR 2013, 1 (3 f.); Kraft in Kraft2, § 6 AStG Rz. 349; Kraft/Schmidt, RIW 2011, 758; Hecht/Gallert, BB 2009, 2396 (2397); Lausterer, BB 2006, BB-Special 8 zu Heft 44, 80 (81).

574 | Baßler

B. Personale Auslandsbezüge | Rz. 8.23 Kap. 8

(2) Stundung der Steuerschuld und Widerruf (§ 6 Abs. 4 und 5 AStG)

Eine Steuer auf den Vermögenszuwachs, welche durch die unentgeltliche Unternehmensnachfolge ausgelöst wird, verursacht das bedeutende Problem, dass dem Steuerpflichtigen regelmäßig die Liquidität zur Begleichung der Steuerschuld fehlt. Daher eröffnet das Gesetz die Möglichkeit, die Steuer zu stunden, und zwar in zwei Alternativen: die für alle Fälle geltende Antragstundung (§ 6 Abs. 4 Satz 1, 2 AStG) und die Stundung von Amts wegen für Nachfolgen mit EU- bzw. EWR-Bezug (§ 6 Abs. 5 AStG). Unberührt bleibt, dass das zuständige Finanzamt die Steuerverbindlichkeit auf Antrag bereits nach den allgemeinen Regeln der AO stunden kann (§ 222 AO), wenn also die Einziehung der Steuer eine erhebliche Härte bedeutete und der Steueranspruch durch die Stundung nicht gefährdet erscheint (§ 222 Satz 1 AO). Diese Stundung nach allgemeinen Regeln soll nur gegen Sicherheitsleistung gewährt werden (§ 222 Satz 2 AO), die gestundete Steuerschuld ist zu verzinsen (§ 234 AO).

8.21

Die darüber hinaus nach § 6 Abs. 4 AStG in allen Fällen eröffnete Stundung der Steuer auf den Vermögenszuwachs setzt neben einem Antrag voraus, dass die Einziehung der Einkommensteuer auf den Vermögenszuwachs nach § 6 AStG mit einer erheblichen Härte verbunden wäre. Die Stundung erfolgt „in regelmäßigen Teilbeträgen für einen Zeitraum von fünf Jahren“, hat also im praktischen Ergebnis eine Ratenzahlung zur Folge. Auf die ausstehenden Raten ist Sicherheit gem. §§ 241 ff. AO zu leisten und es fallen gem. § 234 Abs. 1 AO Zinsen1 an. Ein Absehen von der Sicherheit ist unter Rückgriff auf § 222 Satz 2 AO nicht generell ausgeschlossen. Ein Verzicht auf Zinsen aus Gründen der Unbilligkeit (§ 234 Abs. 2 AO) liegt demgegenüber nahe.2 Ausstehende Raten können vor Ablauf des Zahlungszeitraums in einem Betrag fällig werden, z.B. dann, wenn der Anteil verdeckt in eine Kapitalgesellschaft eingelegt wird (§ 6 Abs. 4 Satz 2 AStG), obwohl sich dadurch die Liquiditätslage (des Steuerpflichtigen!) nicht verbessert. In bestimmten Fällen von lediglich temporärer Entstrickung eröffnet das Gesetz eine erweiterte Stundungsmöglichkeit (§ 6 Abs. 4 Satz 3 AStG). Dies betrifft allerdings nur Fälle der Entstrickung durch Abwesenheit des Steuerpflichtigen selbst, also wenn er die Steuer durch Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts (Wegzug) ausgelöst hat.3 Die Ausdehnung auf Fälle einer temporären Abwesenheit des Nachfolgers erscheint fraglich.

8.22

Findet die Nachfolge innerhalb des Gebiets der EU oder des EWR statt, ist die Finanzverwaltung von Amts wegen verpflichtet, die Einkommensteuer auf den realisierten Vermögenszuwachs zinslos4 und ohne Sicherheitsleistung zu stunden (§ 6 Abs. 5 Satz 1 AStG). Die exakte Definition des dazu notwendigen EU- bzw. EWR-Kontexts bereitet Schwierigkeiten aufgrund der vom Gesetz verwendeten Verweisungstechnik. Für den Standardfall des § 6 AStG, dass nämlich der Gesellschafter seinen inländischen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt aufgibt (§ 6 Abs. 1 Satz 1 AStG), definiert das Gesetz den erforderlichen Bezug zur EU oder zum EWR mittels drei kumulativer Kriterien:

8.23

(i) der Steuerpflichtige ist Staatsangehöriger eines EU- oder EWR-Mitgliedstaates (§ 6 Abs. 5 Satz 1 AStG),

1 BFH v. 16.10.1991 – I R 145/90, BStBl. II 1992, 321. 2 Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 6 AStG Rz. 512 (Stand: 6.2018); Schaumburg, Int. Steuerrecht4, Rz. 6.433. 3 Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 6 AStG Rz. 432 (Stand: 6.2018). 4 Zum Verhältnis zu § 233a AO vgl. FG Düsseldorf v. 27.9.2013 – 1 K 3233/11 AO, EFG 2013, 108.

Baßler | 575

Kap. 8 Rz. 8.23 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug

(ii) der Steuerpflichtige unterliegt in einem dieser Staaten einer der deutschen unbeschränkten Steuerpflicht vergleichbaren Steuerpflicht unterliegt (§ 6 Abs. 5 Satz 1 AStG), und (iii) die Amts- und Beitreibungshilfe zwischen diesem Staat und der Bundesrepublik Deutschland ist gewährleistet (§ 6 Abs. 5 Satz 2 AStG). Für den Fall der Nachfolge durch unentgeltliches Rechtsgeschäft unter Lebenden oder durch Erwerb von Todes wegen ordnet § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AStG eine entsprechende Geltung der „Sätze 1 und 2“ (des § 6 Abs. 5 AStG) unter der Voraussetzung an, dass der Nachfolger in einem EU- oder EWR-Staat einer der deutschen Einkommensteuerpflicht vergleichbaren Steuerpflicht unterliegt. Der genaue Bedeutungsgehalt dieser Verweisung ist dunkel. In den Worten von Karl Larenz bedeutet eine entsprechende Anwendung, dass „die einzelnen Elemente des durch die Verweisung geregelten und desjenigen Tatbestandes, auf dessen Rechtsfolgen verwiesen wird ... miteinander so in Beziehung zu setzen sind, daß den jeweils nach ihrer Funktion, ihrer Stellung im Sinnzusammenhang des Tatbestands gleich zu erachtenden Elementen die gleiche Rechtsfolge zugeordnet wird“1. Konkret auf § 6 Abs. 5 AStG gewendet ist mithin das in § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AStG geregelte Kriterium (der Nachfolger unterliegt in einem EU- oder einem EWR-Staat einer der deutschen unbeschränkten Steuerpflicht vergleichbaren Steuerpflicht) darauf hin zu untersuchen, inwieweit es nach seiner Funktion und Stellung im Sinnzusammenhang den drei oben genannten Kriterien für den Standardfall entspricht. Soweit diese Entsprechung reicht, ersetzt es diese. Als richtig erscheint, dass die Einkommensteuerpflicht des Nachfolgers, die unter (i) und (ii) genannten Kriterien verdrängt, während das Kriterium (iii), also die Gewährleistung von Amts- und Beitreibungshilfe, auch bei einer Nachfolge nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG vorliegen muss, damit ein Anspruch auf Stundung nach § 6 Abs. 5 Satz 1 AStG besteht.2 Zentrales Argument für diese Ansicht ist der Vergleich mit den anderen in § 6 Abs. 5 Satz 3 AStG geregelten Varianten. Dieser zeigt einerseits, dass die Funktion, welche Kriterium (iii) im Tatbestand hat, in keiner dieser Varianten von einem anderen Kriterium übernommen wird, was dafür spricht, dieses Kriterium (iii) als von der Verweisung erfasst aufzufassen. Andererseits wird deutlich, dass diese Varianten die Kriterien (i) und (ii) teilweise enthalten. So enthält Variante Nr. 1 des § 6 Abs. 5 Satz 3 AStG das Kriterium (i), wenn auch bezogen auf den Rechtsnachfolger statt auf den Steuerpflichtigen. Die Variante Nr. 2 enthält beide Kriterien und die Varianten Nr. 3 und Nr. 4 keines der beiden Kriterien. Diese differenzierende Verwendung der für den Grundtatbestand geltenden Kriterien kann nur dahin gedeutet werden, dass insoweit § 6 Abs. 5 Satz 3 AStG eine eigenständige Regelung treffen will und die Kriterien (i) und (ii) durch die Verweisung nicht erfasst sind. Anders gewendet: Die Verweisung des § 6 Abs. 5 Satz 3 AStG enthält in Bezug auf Satz 1 eine Rechtsfolgen, in Bezug auf Satz 2 aber eine Rechtsgrundverweisung.3 Die Stundung der Steuer auf den Vermögenszuwachs bei einer unentgeltlichen Nachfolgemaßnahme hängt nicht davon ab, dass auch die Tatbestandsmerkmale des Satz 1 verwirklicht sind. Neben den Voraussetzungen des Satzes 2 genügt die Erfüllung der in § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AStG genannten.

8.24

Für die Nachfolgeplanung mit Auslandsbezug folgt aus dem vorstehend beschriebenen Verständnis, dass die Stundung vom Steuerstatus des Nachfolgers abhängt. Seine Staatsangehö1 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft6, S. 261. 2 Vgl. Müller-Gosoge in Haase3, § 6 AStG Rz. 197. 3 Widersprüchlich Strunk/Kaminski in Strunk/Kaminski/Köhler, § 6 AStG Rz. 256 (Stand: 3.2015), wonach zwar die Tatbestandsvoraussetzungen des Satz 1 von § 6 Abs. 5 auch für die Ersatztatbestände des § 6 Abs. 1 Satz 2 AStG gelten sollen (Rz. 256), es gleichzeitig aber im Fall des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG auf die Staatsangehörigkeit nicht ankommt (Rz. 257).

576 | Baßler

B. Personale Auslandsbezüge | Rz. 8.26 Kap. 8

rigkeit ist demgegenüber genauso unerheblich, wie die des (ehemaligen) Inhabers.1 Unsicherheit besteht darüber, was genau unter einer „der deutschen unbeschränkten Einkommensteuerpflicht vergleichbaren Steuerpflicht“ zu verstehen ist. Weitgehend Einigkeit besteht darin, dass wegen der Bezugnahme auf die „unbeschränkte“ Steuerpflicht eine Besteuerung des Welteinkommens erforderlich ist und eine territorial orientierte Besteuerung gem. § 1 Abs. 4, § 49 EStG nicht ausreicht.2 Weniger eindeutig ist, ob eine der deutschen Körperschaftsteuer vergleichbare Steuer vom Einkommen das Merkmal erfüllt oder somit grundsätzlich auch eine ausländische Körperschaft, insb. Stiftungen, als Rechtsnachfolger von der Stundung profitieren könnten. Da weder die Steuerfreiheit einzelner Einkünfte noch der progressive Tarifverlauf maßgeblich für die Vergleichbarkeit sind, und überdies die deutsche Körperschaftsteuer auf das zu versteuernde Einkommen erhoben wird (vgl. § 7 Abs. 1 KStG) ist die Vergleichbarkeit zu bejahen.3 Unschädlich für die Stundung ist, in welchem Umfang der EU- oder EWR-Staat an der Besteuerung des Nachfolgers angesichts eines einschlägigen DBA gehindert ist. Unterliegt er zusätzlich in einem Drittstaat einer unbeschränkten Steuerpflicht, ist die Stundung selbst dann zu gewähren, wenn er nach dem Abkommen zwischen dem EU-/EWRStaat und dem Drittstaat in dem zweitgenannten abkommensrechtlich ansässig ist. Die in Rz. 8.23 dargelegte Auslegung, wonach bei Verwirklichung der Ersatztatbestände (§ 6 Abs. 1 Satz 2 AStG) die Bedingungen des § 6 Abs. 5 Satz 1 AStG für eine Steuerstundung nicht erfüllt zu sein brauchen, eröffnet Optimierungspotential bei dem im Ausland ansässigen Nachfolger, falls dieser in der Lage ist, einen Zweiwohnsitz in Deutschland zu unterhalten. Selbst wenn man – entgegen der unter Rz. 8.23 vertretenen Auffassung – diesen Vorgang unter den Tatbestand des Nr. 4 des § 6 Abs. 1 Satz 2 AStG subsumierbar hält, kommt es für die Stundung der Steuer weder auf den Steuerstatus des Nachfolgers im Ausland an noch drohte der Widerruf der Stundung, wenn dieser sich im Zeitablauf ändern sollte (vgl. dazu noch näher unter Rz. 8.26). Von besonderer Bedeutung erscheint aber, dass der Ansässigkeitsstaat des Nachfolgers insgesamt irrelevant wäre. Die Nachfolge durch einen im Drittstaat Ansässigen in eine inländische Kapitalgesellschaftsbeteiligung ist also von der Stundung nach § 6 Abs. 5 AStG geschützt, wenn dieser einen Zweitwohnsitz im Inland errichtet und unterhält, sofern dieser Drittstaat auf der Basis einer großen Auskunftsklausel Amts- und Beitreibungshilfe leistet (§ 6 Abs. 5 Satz 2 AStG).

8.25

Die Stundung der Steuer gem. § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AStG ist vom Finanzamt unter den in § 6 Abs. 5 Satz 4 AStG genannten Gründen zu widerrufen. Ein Ermessen des Finanzamts besteht insoweit nicht. Eine Ermessensentscheidung des Finanzamts ist demgegenüber erforderlich, falls der Steuerpflichtige (das ist der ehemalige Vermögensinhaber, vgl. unter Rz. 8.20) seine Mitteilungspflicht verletzt (§ 6 Abs. 7 Satz 5 AStG). Andere Gründe für einen Widerruf der Stundung bestehen nicht.

8.26

Die so gesetzlich umschriebenen Widerrufsgründe lassen sich in vier Gruppen einteilen, in Abhängigkeit davon, wer den Widerrufsgrund verwirklicht: Eine erste kleine Gruppe betrifft die Verletzungen der bereits erwähnten Mitteilungspflichten des (ehemaligen) Inhabers (§ 6

1 Baßler, FR 2008, 851 (853 f.). Sinngemäß auch Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 6 AStG Rz. 555 ff. (Stand: 6.2018). 2 Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 6 AStG Rz. 545 (Stand: 6.2018) m.w.N.; außerdem wohl sinngemäß Kraft in Kraft2, § 6 AStG Rz. 491. 3 Wassermeyer, IStR 2007, 833 (835); Baßler, FR 2008, 851 (853); Häck in Flick/Wassermeyer/ Baumhoff/Schönfeld, § 6 AStG Rz. 557 (Stand: 6.2018).

Baßler | 577

Kap. 8 Rz. 8.26 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug

Abs. 7 Satz 4 AStG). Eine größere zweite Gruppe umfasst Umstände der Gesellschaft, die gem. § 17 Abs. 4 EStG einer Veräußerung der Anteile gleichgestellt sind (§ 6 Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 3. Var. AStG). Sofern nach den Mehrheitsverhältnissen bei der Gesellschaft diese Maßnahmen, namentlich die Auflösung oder die Kapitalherabsetzung, nicht gegen den Willen des Nachfolgers beschlossen werden können, lassen sie sich auch der dritten und größten Gruppe zurechnen, welche das Verhalten des Nachfolgers betrifft: Dazu zählt die Veräußerung der Anteile (mit Ausnahme der Umwandlungen zum Buchwert gem. § 6 Abs. 5 Satz 5 AStG), ihre verdeckte Einlage in eine Kapitalgesellschaft1 (§ 6 Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 AStG) sowie ihre unentgeltliche Weitergabe an eine Person, die nicht in einem EU- oder EWR-Mitgliedstaat einer der deutschen Einkommensteuerpflicht unterliegt (§ 6 Abs. 5 Satz 4 Nr. 2 AStG). Eingeschlossen ist ferner der Fall, dass der Nachfolger seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt aufgibt und dadurch den qualifizierten Steuerstatus, nämlich in einem EU- oder EWRStaat einer der deutschen unbeschränkten Einkommensteuerpflicht vergleichbaren Steuerpflicht zu unterliegen, nicht mehr erfüllt (§ 6 Abs. 5 Satz 4 Nr. 4 AStG). Seit dem Brexit-StBG und der dadurch erfolgten Änderung des einleitenden Satzteils von § 6 Abs. 5 Satz 4 AStG löst allerdings auch jedes andere Verhalten des Nachfolgers, das seinen qualifizierten Steuerstatus im EU-/EWR-Mitgliedstaat beseitigt, den Widerruf aus. In Betracht kommt bspw. ein Antrag in seinem Wohnsitzstaat auf ein präferenzielles Steuerregime, welches der deutschen unbeschränkten Einkommensteuerpflicht nicht vergleichbar ist.2 Die letzte, vierte Gruppe von Widerrufsgründen versammelt Fälle staatlichen Handelns. Sie ist durch die Änderung des § 6 Abs. 5 Satz 3 AStG durch das Brexit-StBG möglich geworden, weil die Voraussetzungen der Stundung auch ohne jegliches Zutun des steuerpflichtigen (ehemaligen) Inhabers und des Nachfolgers wegfallen können. Zu denken ist hier daran, dass der Ansässigkeitsstaat die Amts- oder Beitreibungshilfe gegenüber der Bundesrepublik Deutschland einstellt oder sein Einkommensteuerrecht in einer Weise ändert, dass die Vergleichbarkeit mit der deutschen unbeschränkten Einkommensteuerpflicht nicht mehr gegeben ist. Zweifel, dass die deutsche Finanzverwaltung diese Konsequenzen aus dem Handeln eines anderen EU- oder EWR-Staats ziehen würde, sind angesichts ihrer Haltung zur passiven Entstrickung3 bedauerlicherweise nicht angezeigt. Ob solche Fälle tatsächlich eintreten werden, bleibt allerdings abzuwarten. Für den bereits praktisch gewordenen Fall, nämlich den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU, hat der Gesetzgeber durch § 6 Abs. 8 AStG i.d.F. des Brexit-StBG eine Übergangsregelung4 geschaffen.

1 Das Gesetz spricht von „Gesellschaft im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes“. Dazu zählt gem. § 17 Abs. 7 EStG auch die Genossenschaft sowie die Europäische Genossenschaft. 2 Vgl. zum Problem der Präferenzregime Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 6 AStG Rz. 545 (Stand: 6.2018). 3 BMF-Schr. v. 26.10.2018 betr. Passive Entstrickung aufgrund erstmaliger Anwendung eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA), BStBl. I 2018, 1104. 4 Der Austritt des Vereinigen Königreichs „allein“ führt bei einem dort ansässigen Nachfolger nicht zum Widerruf der Stundung (§ 6 Abs. 8 Satz 1 AStG). Ein späterer Übergang der Anteile auf einen ebenfalls im Vereinigten Königreich ansässigen Rechtsnachfolger, sei es ein Erbe, sei es ein Erwerber unter Lebenden, erfüllt aber seinerseits die Bedingung für einen Fortbestand der Stundung nicht (vgl. dazu auch die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes über steuerliche und weitere Begleitregelungen zum Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union, BT-Drucks. 19/7377, 23).

578 | Baßler

B. Personale Auslandsbezüge | Rz. 8.29 Kap. 8

(3) Herausforderungen für die Beratungs- und Gestaltungspraxis Die vorstehend beschriebene Rechtslage zeichnet sich dadurch aus, dass eine Akzessorietät zwischen der Steuerschuld und der Inhaberschaft des Anteils, dessen stille Reserven aufgedeckt und der Steuer unterworfen wurden, nicht besteht. Die unentgeltliche Nachfolge durch einen ausländischen Nachfolger eröffnet dadurch großen Raum für fremdbestimmte Steuerwirkungen, die durch gestalterische Maßnahmen aufgefangen und beherrscht werden müssen. Dies ist bei Rechtsgeschäften unter Lebenden besonders sinnfällig (vgl. unter Rz. 8.28; vgl. allg. zur Nachfolge unter Lebenden, sog. vorweggenommene Erbfolge, Kapitel 9). Sie gilt allerdings auch bei Nachfolgen von Todes wegen, jedenfalls insoweit, als mehrere Rechtsnachfolger involviert sind. Dies betrifft zunächst Fälle, dass der Inhaber mehrere Erben einsetzt und zwar entweder gleichzeitig (Miterben, vgl. unter Rz. 8.29 ff.) oder nacheinander (Nacherben, vgl. unter Rz. 8.34 f.). Schließlich sind mehrere Personen auch dann betroffen, wenn der Inhaber vermächtnisweise über seine Beteiligung verfügt (vgl. unter Rz. 8.36 f.).

8.27

Bei Nachfolgemaßnahme unter Lebenden ist unmittelbar das Verhältnis zwischen dem ehemaligen Inhaber und dem Nachfolger betroffen. Nach richtiger Auffassung entsteht die Steuerschuld in der Person es ehemaligen Inhabers (vgl. Rz. 8.20) und verbleibt dort auch, weil es insb. für eine Schuldübernahme an einer gesetzlichen Grundlage fehlt. Die Stundung hängt aber ganz überwiegend am Verhalten des Nachfolgers als dem Eigentümer der Anteile, nicht des früheren Inhabers, den der Widerruf treffen würde. Dem lässt sich gestalterisch dadurch begegnen, dass der Nachfolger sich bereits in der vorweggenommenen Erbfolge verpflichtet, dem Inhaber von der Steuer freizustellen hat, falls diese aufgrund eines Verhaltens des Nachfolgers fällig wird, zu dem der Inhaber seine Zustimmung nicht erteilt hat. Dass dies als (Teil-) Entgelt des Nachfolgers an den Inhaber qualifiziert wird, ist unschädlich, solange der Vorgang bis zur Fälligkeit der Steuer und dem Entstehen des Freistellungsanspruchs als unentgeltlich angesehen und das Entstehen des Freistellungsanspruchs als rückwirkendes Ereignis angesehen wird. Denn dem Inhaber ist es gleichgültig, ob die Steuer vollständig auf § 6 AStG oder teilweise auf § 6 AStG und teilweise auf § 17 EStG beruht. Die Klausel muss nur sicherstellen, dass der Nachfolger den Inhaber von dessen gesamter Einkommensteuer freizustellen hat, einschließlich jener, die sich ggf. aus der Freistellung selbst (nach § 17 EStG) ergibt. Alternativ kann der Inhaber sich die Rückabwicklung der Nachfolge vorbehalten, sofern sichergestellt ist, dass durch den Rückfall der Anteile der ursprüngliche Tatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG entfällt (vgl. Rz. 24.139).

8.28

Zivilrechtlich wird die Erbengemeinschaft mit dem Tod des Erblassers Inhaberin des Kapitalgesellschaftsanteils (§ 2032 Abs. 1, § 2033 BGB), der einzelne Miterbe allenfalls bei und durch deren Auseinandersetzung (§ 2042 BGB) (vgl. näher Rz. 10.164 ff.). Einkommensteuerrechtlich bilden Erbanfall und Erbauseinandersetzung zwei getrennte Vorgänge.1 Zunächst wird jedem Erben auf den Tod des Erblassers ein Teilanteil entsprechend seiner Erbquote zugerechnet (§ 39 Abs. 2 Nr. 2 AO). Bereits dadurch kann eine Übertragung i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG verwirklicht werden, die eine Steuer entstehen lässt. Die Auseinandersetzung kann in einem zweiten Schritt den Umfang dieser Zurechnung noch einmal ändern. Beide Schritte werfen Fragen auf, wenn von mehreren Erben manche unbeschränkt und manche beschränkt steuerpflichtig sind, sowie dann, wenn nicht alle in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union bzw. einem Vertragsstaat des EWR einem der deutschen unbeschränkten Einkommensteuerpflicht vergleichbaren Steuerpflicht unterliegen.2

8.29

1 Zur Trennung des Erbanfalls von der Erbauseinandersetzung für Zwecke der Einkommensteuer BFH v. 5.7.1990 – GrS 2/89, BStBI. II 1990, 837 (841 ff.). 2 Vgl. dazu näher bereits Baßler, FR 2008, 851 (856 ff.).

Baßler | 579

Kap. 8 Rz. 8.30 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug

8.30

Ist von drei zu gleichen Teilen berufenen Erben nur einer im Ausland ansässig, verwirklicht der Anfall der Beteiligung in Höhe seiner Erbquote den Tatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG. Die Steuer entsteht noch in der Person des Erblassers im Moment seines Todes (vgl. Rz. 8.20). Die Steuerschuld fällt als Erblasserschuld (§ 1967 Abs. 2 Alt. 1 BGB) in den Nachlass und belastet zunächst alle Erben gleichermaßen. Soll nach dem Willen des Erblassers der Auslands-Erbe diese Schuld im Verhältnis zu seinen Miterben alleine tragen, muss er ihn mit einem Vorausvermächtnis zugunsten der Miterben belasten. Inhalt kann die Übernahme der Schuld im Innenverhältnis sein, ggf. auch eine wertmäßige Kompensation aus dem übrigen Nachlass. Namentlich in den Fällen, in denen kein Anspruch auf Stundung nach § 6 Abs. 5 AStG besteht, sollte die Anordnung eine Zuweisung des möglichen Erstattungsanspruchs nach § 6 Abs. 3 Satz 3 AStG zugunsten des Auslands-Erben einschließen. Die schenkungsteuerlichen Folgen der Anordnungen sind jeweils zu bedenken. Ist die Steuer nach § 6 Abs. 5 Satz 2, 3 Nr. 1 AStG dauerhaft zu stunden, ergeben sich zusätzliche Herausforderungen. Die Kompensation mit sonstigem Nachlassvermögen steht vor dem Problem, dass die Steuerverbindlichkeit, die wertmäßig ausgeglichen werden soll, seriös nicht bewertbar ist, weil der Zeitpunkt ihrer Fälligkeit ungewiss ist. Das Vorausvermächtnis zur Übernahme der Steuerschuld vermeidet dieses Problem. Es wirkt allerdings nur schuldrechtlich im Innenverhältnis zwischen den Miterben. Im Außenverhältnis bleiben die Inlands-Erben mitverpflichtete Gesamtschuldner. Man wird dem Finanzamt auch keinen Ermessensfehler vorwerfen können, wenn es sie bei Fälligkeit der Steuerschuld in Anspruch nimmt, sollte es bei der Inanspruchnahme des Auslands-Erben zu Schwierigkeiten oder gar Widerständen kommen. Die Miterben haften für diese Steuer auch persönlich, haben sie doch durch die zu diesem Zeitpunkt ggf. lange zurückliegende Teilung des Nachlasses das Recht verloren, durch Antrag auf Nachlassverwaltung ihre Haftung auf den Nachlass zu beschränken (§ 2062 Halbs. 2 BGB). Für die InlandsErben wäre es daher wünschenswert, im Zuge der Auseinandersetzung aus der gesamtschuldnerischen Haftung für die Steuer entlassen zu werden. Ein Weg könnte die Aufteilung der Gesamtschuldnerschaft gem. § 274 AO sein, die allerdings gem. § 268 AO nicht für alle Gesamtschuldner gem. § 44 Abs. 1 AO, sondern nur für Gesamtschuldner kraft gemeinsamer Veranlagung gilt. Insofern ist es am Erblasser, im Rahmen der Verfügung von Todes wegen nach einer praktikablen Regelung zur Sicherstellung der Inlands-Miterben zu suchen.

8.31

Die Auseinandersetzung der in der vorherigen Randziffer erwähnten Erbengemeinschaft aus drei Erben, von denen einer Ausländer ist, wirft weitere Fragen auf, wenn die Erben die Beteiligung abweichend von den Erbquoten unter sich aufteilen. Übernimmt der Auslands-Erbe die gesamte Beteiligung werden auch die zunächst den Inlands-Erben angefallenen zwei Drittel der Beteiligung (§ 39 Abs. 2 Nr. 2 AO) gem. § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG entstrickt.1 Die Auseinandersetzungsvereinbarung sollte eine Regelung dazu treffen, dass die Steuerschuld aus der Entstrickung der Beteiligung (ganz oder teilweise) andere Erben belastet als diejenigen, denen die Beteiligung schließlich zufällt.

8.32

Setzen die drei Erben demgegenüber ihre Erbengemeinschaft in der Weise auseinander, dass ein Inlands-Erbe die gesamte Beteiligung übernimmt, entfällt die Steuer, die auf den dem Auslands-Erben angefallene Teilanteil entstanden ist. Insoweit, als der Erblasser eine entsprechende Auseinandersetzungsanordnung getroffen hat, folgt dies aus § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO. Der betreffende Auslands-Erbe hat den Teilanteil nämlich belastet mit der schuldrechtlichen Verpflichtung erworben, ihn im Rahmen der Auseinandersetzung an den vom Erblasser bezeichneten Miterben herauszugeben (vgl. §§ 2042, 2048 BGB). Bei punktuell ausgerichteten Steuer-

1 Vgl. näher Baßler, FR 2008, 851 (858).

580 | Baßler

B. Personale Auslandsbezüge | Rz. 8.35 Kap. 8

tatbeständen (insb. Veräußerungstatbestände nach §§ 16, 17 EStG) wirkt die Änderung der Verhältnisse aufgrund von Umständen, die bereits im ursprünglichen Rechtsgeschäft angelegt sind, unter Durchbrechung des § 38 AO auf den verwirklichten Steuertatbestand zurück.1 Rückwirkung sollte daher auch der Auseinandersetzung durch den Teilungsplan des Testamentsvollstreckers zukommen. Denn die Beschwerung des Erben mit einer Abwicklungsvollstreckung trägt den Keim einer späteren Pflicht zur Übertragung der Beteiligung auf einen anderen Miterben bei Auseinandersetzung – ähnlich einem bedingten Rücktrittsrecht im Rahmen der Veräußerung einer Beteiligung – bereits in sich.2 Dass die Wiederverstrickungsregeln nach § 6 Abs. 3 AStG eine Sperrwirkung gegenüber diesen allgemeinen Grundsätzen zu § 175 AO sein sollen, ist nicht erkennbar. Beruht die Übernahme durch den Inlands-Erben auf einer im Konsens der Miterben durchgeführten Auseinandersetzung, ist die Steuer jedenfalls in EU-/EWR-Fällen ebenfalls, nämlich nach Maßgabe des § 6 Abs. 3 Satz 4 AStG, aufzuheben. Im unsicheren Bereich bewegt sich die Erbengemeinschaft in Fällen außerhalb des § 6 Abs. 5 AStG. Auch insoweit sollte ein Wegfall der Steuer in Betracht kommen. § 6 Abs. 3 Satz 3 AStG ist zwar seinem Wortsinn nach nicht erfüllt3, da er voraussetzt, dass der Rechtsnachfolger unbeschränkt steuerpflichtig wird, während der Inlands-Erbe vor und zu jedem Zeitpunkt nach dem Erbfall unbeschränkt steuerpflichtig ist. Die entsprechende Anwendung von § 6 Abs. 3 Satz 3 AStG ist aber aufgrund eines Erst-Recht-Schluss (a maiore ad minus) gerechtfertigt.4 Da der Steueranspruch rückwirkend entfällt, wenn der Rechtsnachfolger unter den Voraussetzungen der Vorschrift unbeschränkt steuerpflichtig wird, muss dies erst recht gelten, wenn er schon immer unbeschränkt steuerpflichtig ist. Auch wenn es im Rahmen dieser entsprechenden Anwendung richtigerweise nicht auf die Einhaltung der Fünf-Jahres-Frist ankommen sollte, so ist jeder Erbengemeinschaft zu empfehlen, die Auseinandersetzung in diesen Konstellationen unter Einhaltung dieser Frist vorzunehmen.

8.33

Ein Erblasser kann mehrere Personen nicht nur zeitgleich (zu Miterben), sondern auch nacheinander (zu Vor- und Nacherben) berufen (§ 2100 BGB, vgl. allgemein zur Vorerbschaft als Instrument der Nachfolge näher Rz. 5.222 ff. sowie Rz. 10.414 ff.). Ist der Vorerbe Steuerausländer, treten die oben unter (a) und (b) beschriebenen Rechtsfolgen auf den Vorerbfall ein: Es entsteht die Steuer auf den Vermögenszuwachs gem. § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Alt. 1 AStG, die in Abhängigkeit von den Verhältnissen des Vorerben nach § 6 Abs. 5 AStG von Amts wegen oder gem. § 6 Abs. 4 AStG auf Antrag zu stunden ist. Die Situation beim Nacherben bleibt zunächst außer Betracht (zu dem Spezialfall, dass der Nacherbe beim Nacherbfall Inländer ist, vgl. Rz. 8.98).

8.34

Ist demgegenüber nur der Nacherbe Steuerausländer, nicht aber der Vorerbe, verwirklicht der Vorerbfall keinen Tatbestand im Rahmen des § 6 AStG: Der Nacherbfall ist dann allerdings

8.35

1 Vgl. BFH v. 19.7.1993 – GrS 2/92, BStBl. II 1993, 897 Rz. 60, juris. Beispiele: BFH v. 21.12.1993 – VIII R 69/88, BStBl. II 1994, 648 (bei Rücktritt); BFH v. 19.8.2003 – VIII R 67/02, BStBl. II 2004, 107 (bei gerichtlichem Vergleich über den Eintritt einer auflösenden Bedingung). Vgl. zusammenfassend auch BFH v. 6.12.2016 – IX R 49/15, BStBl. II 2017, 673 Rz. 25 f. 2 Vgl. ausführlicher zu Herausgabeansprüchen als rückwirkende Ereignisse Rz. 24.137 ff. 3 Zur Kritik an den Unzulänglichkeiten dieser Regelung Wassermeyer, IStR 2007, 833 (836); Hoyer, Unternehmensnachfolge und Wegzugsbesteuerung, 2013, 221 ff. 4 Vgl. Wassermeyer, IStR 2007, 833 (836); Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 6 AStG Rz. 478 (Stand: 3.2019) zu der Situation, dass der Erbe eines in eigener Person weggezogenen und im Ausland verstorbenen Steuerpflichtigen in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig ist.

Baßler | 581

Kap. 8 Rz. 8.35 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug

ein Erwerb von Todes wegen, so dass § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Alt. 1 AStG verwirklicht wird, und zwar in der Person des Vorerben.1 Diese persönliche Steuerschuld des Vorerben geht nicht kraft Gesetzes auf den Nacherben über, es sei denn selbstverständlich, dass der Tod des Vorerben den Nacherbfall auslöst und der Nacherbe (auch) Erbe des Vorerben ist. Außerhalb dieses Spezialfalls ist weder der Nacherbe Gesamtrechtsnachfolger des Vorerben noch gehört die Schuld, auch nicht als Surrogat (§ 2111 BGB), zu den Gegenständen des Nachlasses, die gem. § 2139 BGB auf ihn übergehen. Sie zählt aber zu den außerordentlichen öffentlichen Lasten auf den Vermögensstamm, die der Nacherbe bereits nach dem Gesetz (§ 2126 BGB) zu tragen hat und die der Vorerbe aus Nachlassvermögen bestreiten darf (§ 2124 Abs. 2 Satz 1 BGB). Allerdings wird diese Schuld erst mit Ergehen eines Einkommensteuerbescheides für das Jahr zahlbar, in dem der Vorerbfall eintritt, und damit zu einem Zeitpunkt, zu dem der Vorerbe den Nachlass bereits an den Nacherben herausgegeben hat. Inwieweit hier ein Zurückbehaltungsrecht des Vorerben besteht, ist unsicher,2 so dass der Erblasser entsprechende Anordnungen treffen sollte.

8.36

Die einkommensteuerlichen Fragen bei einer sukzessiven Inhaberschaft zweier Erben, von denen einer Steuerausländer ist, stellen sich auch dann, wenn der Erblasser über seine Beteiligung ein Vermächtnis aussetzt und entweder der Erbe oder der Vermächtnisnehmer Steuerausländer ist. Die einkommensteuerrechtliche Wertung folgt grundsätzlich dem Zivilrecht, so dass bis zur Erfüllung des Vermächtnisses der Erbe und erst danach der Vermächtnisnehmer als Gesellschafter anzusehen ist (§ 39 Abs. 1 AO).3 Nur insoweit, als aufgrund besonderer Umstände der Vermächtnisnehmer mit dem Erbfall bereits das wirtschaftliche Eigentum an der vermachten Beteiligung erlangt (§ 20 Abs. 5 Satz 1 und 2 EStG i.V.m. § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO), kommt ausnahmsweise eine unmittelbare Zurechnung der Einkünfte zum Vermächtnisnehmer mit dem Tod des Erblassers in Betracht.4

8.37

Dem ist insoweit zu folgen, als der Erbanfall bei einem im Ausland ansässigen Erben für sich bereits den Tatbestand von § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG verwirklicht. Wird das Vermächtnis im Zuge der Nachlassabwicklung erfüllt, kommt § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO zur Anwendung. Insofern ist diese Situation der Auseinandersetzung zwischen Miterben vergleichbar (vgl. Rz. 8.31). Der im Ausland ansässige Vermächtnisnehmer erwirbt (bei inländischem wie ausländischen Erben) von Todes wegen i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG, und zwar vom Erblasser.5 Sein Erwerb beruht unmittelbar auf dem (letzten) Willen des Erblassers, der vom Erben gegenüber dem Vermächtnisnehmer lediglich dinglich vollzogen wird. Nur dem Vermächtnisnehmer, nicht aber dem Erben, steht in Form der Verfügung von Todes wegen eine causa zur Seite, die ein Behaltendürfen des Vermächtnisgegenstands legitimiert. Es bleibt das Problem, dass der Erbe mit einer Steuer auf einen Vermögenszuwachs einer Beteiligung belastet wird, die er nicht behalten darf, sondern die dem Vermächtnisnehmer zugewiesen ist. Ein gesetzlicher Anspruch gegenüber dem Vermächtnisnehmer auf Erstattung der Steuer oder Freistellung steht ihm nicht zu. Hierfür hat der Erblasser testamentarisch zu sorgen.

1 Baßler, IStR 2013, 22 (25) (unter Aufgabe der in FR 2008, 851 [860] geäußerten Ansicht). 2 Näher Baßler, IStR 2013, 22 (25). 3 BFH v. 24.9.1992 – VIII R 349/83, BStBl. II 1992, 330; BFH v. 16.5.1995 – VIII R 18/93, BStBl. II 1995, 714; FG v. 29.1.1999 – 10 K 1998/98, EFG 1999, 606. 4 BFH v. 24.9.1992 – VIII R 349/83, BStBl. II 1992, 330 (332 f.). 5 A.A. Strunk/Kaminski in Strunk/Kaminski/Köhler, § 6 AStG Rz. 88, 197 (Stand: 11.2007).

582 | Baßler

B. Personale Auslandsbezüge | Rz. 8.39 Kap. 8

cc) Sperrfristbehaftete Anteile gem. § 22 Abs. 1 UmwStG Bei Anteilen, welche durch eine Einbringung gem. § 20 UmwStG unter dem Buchwert entstanden sind (zu den nachfolgebezogenen Motiven einer solchen Umwandlung vgl. Kapitel 4), sind während der gem. § 22 Abs. 1 UmwStG gültigen Sperrfrist von sieben Jahren Besonderheiten zu beachten. Denn obschon es sich dabei grundsätzlich um Anteile i.S.v. § 17 EStG handelt, bleiben dennoch die Vorschriften des Umwandlungssteuergesetzes unberührt (§ 6 Abs. 1 Satz 3 AStG) und gehen als leges speciales dem Regime des § 6 AStG vor. Dies wird relevant, wenn der Nachfolger seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem Drittstaat hat, also außerhalb des Geltungsbereichs des EU-Vertrages und des Vertrags über den Europäischen Wirtschaftsraum. Denn die Übertragung der Anteile auf einen solchen Nachfolger innerhalb der Sperrfrist ist ein der Veräußerung gleichgestellter steuerschädlicher Vorgang (§ 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 UmwStG), weil dieser, der gem. § 22 Abs. 6 UmwStG als Einbringender gilt, die Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 UmwStG (insb. § 1 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a Doppelbuchst. bb UmwStG) nicht (mehr) erfüllt. Es entsteht ein steuerpflichtiger Einbringungsgewinn I, der aufgrund der Rückwirkung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 UmwStG („... rückwirkend im Wirtschaftsjahr der Einbringung ...“) noch gegenüber dem (ehemaligen) Inhaber festzusetzen ist. Der Einbringungsgewinn I gilt als nachträgliche Anschaffungskosten des ehemaligen Inhabers (§ 22 Abs. 1 Satz 4 UmwStG); auf stille Reserven in Höhe des Unterschiedsbetrags zum Verkehrswert zur Zeit der Nachfolge findet das Regime des § 6 AStG Anwendung, d.h. insb. das Stundungsregime des § 6 Abs. 4 AStG und die Wiederzuzugsregeln des § 6 Abs. 3 AStG.

8.38

dd) Einbringungsgeborene Anteile gem. § 21 UmwStG i.d.F. vor SEStEG Gegenstand von Nachfolgen in Kapitalgesellschaftsanteile können auch sog. einbringungsgeborene Anteile i.S.v. § 21 UmwStG i.d.F. vor SEStEG (nachfolgend „a.F.“ genannt) sein. Solche Anteile sind vor Geltung des SEStEG durch Einbringungen von Betrieben, Teilbetrieben oder Mitunternehmeranteilen unter dem Teilwert entstanden (zur zeitlichen Anwendung vgl. § 27 Abs. 2 UmwStG). Seit dem Inkrafttreten des SEStEG entstehen solche Anteile ggf. noch derivativ, nämlich als Gegenleistung für originär einbringungsgeborene Anteile bei Einbringung (§ 20 Abs. 3 Satz 4 UmwStG), qualifiziertem Anteilstausch (§ 21 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. § 20 Abs. 3 Satz 4 UmwStG) und Verschmelzung oder Spaltung (§ 13 Abs. 2 Satz 2 UmwStG)1, sofern die Wirtschaftsgüter im Rahmen des Umwandlungsvorgang jeweils unter dem gemeinen Wert angesetzt werden. Auf alle diese einbringungsgeborenen Anteile ist § 21 UmwStG a.F. weiterhin anzuwenden (§ 27 Abs. 3 Nr. 3 Satz 1 UmwStG), insbesondere auch die Regeln über die Ersatztatbestände des § 21 Abs. 2 UmwStG a.F. Die Rechtsprechung des I. Senats des BFH interpretiert § 21 UmwStG a.F. als umfassende und abschließende Regelung für einbringungsgeborene Anteile, auf die folglich § 17 EStG und § 6 AStG nicht anzuwenden sind.2 Dieser Gedanke einer abschließenden Sonderregelung wird durch die Rechtsprechung zur steuerneutralen Entnahme von einbringungsgeborenen Anteilen aus einem Betriebsvermögen bestätigt.3 Die Rechtsprechung anderer Senate des BFH spricht indessen von einem Konkurrenzverhältnis, in dem § 17 EStG subsidiär sei.4 Dies setzt 1 2 3 4

Fußstapfentheorie, vgl. Tz. 13.11 UmwStE. BFH v. 28.2.1990 – I R 43/86, BStBl. II 1990, 615. BFH v. 12.10.2011 – I R 33/10, BStBl. II 2011, 445. BFH v. 10.11.1992 – VIII R 40/89, BStBl. II 1994, 222; BFH v. 24.6.2008 – IX R 58/05, BStBl. II 2008, 872.

Baßler | 583

8.39

Kap. 8 Rz. 8.39 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug

voraus, dass, anders als nach der Rechtsprechung des I. Senats, die allgemeinen Regeln über die Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen grundsätzlich auch auf einbringungsgeborene Anteile anwendbar sind. Diese Senate mussten allerdings keine Aussagen zur Rechtslage treffen, falls nur die Merkmale des § 17 EStG verwirklicht waren, nicht aber die des § 21 UmwStG a.F. Die Auffassung der Finanzverwaltung ist nicht eindeutig. Zwar wird die zitierte Entscheidung des I. Senats, die überdies im Bundessteuerblatt veröffentlicht ist, in Tz. 6.0.1 des Anwendungsschreibens zum AStG1 zustimmend erwähnt. Die Aussage dieser Textstelle selbst legt aber die Annahme nahe, dass für die Finanzverwaltung eher von einem Konkurrenzverhältnis zwischen § 21 UmwStG a.F. und den allgemeinen Regeln für Anteile an Kapitalgesellschaftsanteilen ausgeht, was eine subsidiäre Anwendung des § 6 AStG nicht ausschließt. Auf dieser Linie liegt auch die Aussage, dass zu den in § 50i EStG erwähnten „Anteile[n] im Sinne des § 17 [EStG]“ auch einbringungsgeborene Anteile gehören sollen.2

8.40

Die Sichtweise des I. Senats führt dazu, dass eine unentgeltliche Unternehmensnachfolge in einbringungsgeborene Anteile durch einen im Ausland steueransässigen Nachfolger nicht per se zur Aufdeckung der stillen Reserven führt. Voraussetzung ist, dass dadurch das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus den Anteilen ausgeschlossen wird (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 UmwStG a.F.). Nach herrschender, wenngleich nicht einhelliger Meinung in der Literatur3 zählt der Gewinn aus der Veräußerung einbringungsgeborener Anteile an einer inländischen Kapitalgesellschaft zu den inländischen Einkünften i.S.v. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. aa EStG, so dass ein Anteilseigner ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland damit der beschränkten deutschen Einkommensteuerpflicht unterliegt (§ 1 Abs. 4 EStG). Zu einem nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 UmwStG a.F. erforderlichen Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts kommt es dann, wenn das mit dem Ansässigkeitsstaat des Nachfolgers geschlossene DBA Deutschland an der Erhebung dieser Steuer effektiv hindert. Daran kann es allerdings fehlen, weil das Abkommen dem im anderen Staat ansässigen Nachfolger im Hinblick auf die Anteile an der inländischen Gesellschaft keinen Abkommensschutz gewährt. Dies kann zunächst allgemein für Gewinne aus Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen gelten, ggf. ab einer gewissen Beteiligungshöhe (Abweichung von Art. 13 Abs. 5 OECD-MA) oder speziell für Immobiliengesellschaften.4 Der Abkommensschutz kann auch aus in der Person des Nachfolgers liegenden Gründen fehlen (z.B. wg. Art. 4 Abs. 6 DBASchweiz). Denkbar ist schließlich, dass der Abkommensschutz des ausländischen Nachfolgers durch eine der zahlreich werdenden deutschen treaty overrides durchbrochen wird. In all den genannten Fällen kommt es auf der Grundlage der Rechtsprechung des I. Senats und im Unterschied zu § 6 AStG (vgl. Rz. 8.18) durch die Nachfolge nicht zu einer Entstrickung, weil ein Rückgriff auf § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG ausgeschlossen ist. Umgekehrt darf nicht übersehen werden, dass bei Doppelansässigkeit des Nachfolgers der Tatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG u.U. nicht erfüllt sein kann, während das deutsche Besteuerungsrecht gem. § 21 Abs. 2 Nr. 2 UmwStG a.F. ausgeschlossen wird. 1 BMF-Schr. v. 14.5.2004 betr. Grundsätze zur Anwendung des AStG, BStBl. I 2004, Sondernr. 1/ 2004, 3. 2 BMF-Schr. v. 26.9.2014 betr. Anwendung der Doppelbesteuerungsabkommen auf Personengesellschaften, BStBl. I 2014, 1258, Tz. 2.3.3. 3 Rabback in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut3, § 27 UmwStG Rz. 190; Patt in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KSt, § 21 UmwStG a.F. Rz. 159 (Stand: 6.2018); Werneburg in Haritz/Menner/Bilitewski5, § 21 UmwStG a.F. Rz. 106; Widmann in FS Wassermeyer, 2005, 581 (591 f.); Ettinger/ Eberl, GmbHR 2005, 152 (154); Häck, IStR 2015, 267 (272); Klein/Rippert, IStR 2018, 26 (28). A.A. Gosch in Kirchhof19, § 49 EStG Rz. 35a. 4 Vgl. dazu exemplarisch für Fälle des Wegzugs Klein/Rippert, IStR 2018, 26 (29 f.).

584 | Baßler

B. Personale Auslandsbezüge | Rz. 8.44 Kap. 8

Die durch § 21 Abs. 2 Nr. 2 UmwStG a.F. ausgelöste Steuer trifft noch den Inhaber, und zwar unabhängig davon, ob die Nachfolge unter Lebenden oder von Todes wegen erfolgt (zur insoweit umstrittenen Rechtslage bei § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG bei einer Nachfolge von Todes wegen vgl. Rz. 8.20). Im Unterschied zu § 6 AStG1 ist auch ein Verlust, d.h. ein negativer Unterschiedsbetrag zwischen dem gemeinen Wert und den Anschaffungskosten, steuerwirksam.

8.41

Die Steuer ist nach § 6 Abs. 5 AStG „unter den dort genannten Voraussetzungen“ zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden (§ 27 Abs. 3 Nr. 3 Satz 2 UmwStG). Da § 6 Abs. 5 AStG an insg. fünf Entstrickungstatbestände in § 6 Abs. 1 Satz 1 und 2 AStG anknüpft, ist nicht eindeutig, was „unter den dort genannten Voraussetzungen“ gemeint ist. Richtig erscheint es zu verlangen, dass die Merkmale jenes Wegzugsteuertatbestands erfüllt sind, die erfüllt sein müssten, wenn der verwirklichte Sachverhalt mit regulären Anteilen nach § 17 EStG erfüllt worden wäre. Im Kontext der Nachfolge bedeutet dies, dass die Stundung von der Erfüllung der Bedingungen in § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 und Satz 2 AStG abhängig ist. Auch bei der unentgeltlichen Nachfolge unter Lebenden oder von Todes wegen in einbringungsgeborene Anteile kommt es, neben der Amts- und Beitreibungshilfe durch den Ansässigkeitsstaat des Nachfolgers, darauf an, dass der Nachfolger in einem EU-/EWR-Mitgliedstaates einer der deutschen unbeschränkten Einkommensteuer vergleichbaren Steuerpflicht unterliegt (§ 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AStG i.V.m. § 27 Abs. 3 Nr. 3 Satz 2 UmwStG); seine Staatsangehörigkeit ist dagegen unerheblich (vgl. Rz. 8.23 f.). Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, kommt eine Tilgung der Steuerschuld in fünf gleichen Jahresraten in Betracht (§ 21 Abs. 2 Satz 3 UmwStG a.F. i.V.m. § 27 Abs. 3 Nr. 3 Satz 1 UmwStG); anders als nach § 6 Abs. 4 AStG (vgl. dazu Rz. 8.22) verlangt diese Ratenzahlung das Stellen von Sicherheiten, ist dafür aber zinsfrei (§ 21 Abs. 2 Satz 4 UmwStG a.F.). Veräußert der Nachfolger die Anteile innerhalb dieser Frist, führt dies sowohl nach § 21 Abs. 2 Satz 4, 5 UmwStG a.F. als auch nach § 6 Abs. 4 AStG zur vorzeitigen Fälligkeit des Restbetrags; gleiches gilt für Ereignisse nach § 17 Abs. 4 EStG.

8.42

c) Entstrickung stiller Reserven im Betriebsvermögen aa) Allgemeines Die unentgeltliche Rechtsnachfolge in ein Betriebsvermögen oder einen Mitunternehmeranteil ist grundsätzlich einkommensteuerneutral: Der bisherige Inhaber setzt bei der Ermittlung seines Schlussgewinns die Wirtschaftsgüter mit den sich aus den Regeln der Gewinnermittlung ergebenden Werten (Buchwerte) an (§ 6 Abs. 3 Satz 1 EStG), wodurch ein Unterschiedsbetrag i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG vermieden wird (vgl. Rz. 6.11 ff.). Der Rechtsnachfolger setzt diese Wertansätze fort (§ 6 Abs. 3 Satz 3 EStG). Dies gilt bei Nachfolgen unter Lebenden wie von Todes wegen gleichermaßen.

8.43

Von diesem Grundsatz gibt es Ausnahmen, z.B. die Übertragung eines Teilmitunternehmeranteils auf eine Körperschaft (arg. econtr. § 6 Abs. 3 Satz 1 2. Halbs. Alt. 2 EStG)2 oder, jedenfalls nach umstrittener Auffassung des X. Senats des BFH, die Übertragung eines Gewerbebetriebs unter Nießbrauchsvorbehalt.3 Eine Buchwertfortführung ist auch dann ausgeschlos-

8.44

1 BFH v. 28.2.1990 – I R 43/86, BStBl. II 1990, 615; BFH v. 26.4.2017 – I R 27/15, DStR 2017, 1913; BMF-Schr. v. 14.5.2004 betr. Grundsätze zur Anwendung des AStG, BStBl. I 2004, Sondernr. 1/ 2004, 3, Tz. 6.1.3.3. Vgl. zu diesem Unterschied Klein/Rippert, IStR 2018, 26 (27). 2 Kulosa in Schmidt39, § 6 EStG Rz. 733, 735. 3 BFH v. 25.1.2017 – X R 59/14, BFH/NV 2017, 1077. Zur Kritik vgl. Wendt, FR 2017, 1061 f.; Gräfe/Kraft, ZEV 2017, 476, 477; Hübner/Friz, DStR 2017, 2353 passim; Götz, DStZ 2018, 540, 542; Stein, ZEV 2019, 131, 132. Skeptisch auch BFH v. 8.5.2019 – VI R 26/17, BStBl. II 2019, 660 Rz. 19.

Baßler | 585

Kap. 8 Rz. 8.44 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug

sen, wenn die Besteuerung der stillen Reserven nicht sichergestellt ist (§ 6 Abs. 3 Satz 1 1. Halbs. a.E. EStG). Dies betrifft die Übertragung des Mitunternehmeranteils an einer gewerblich geprägten Gesellschaft auf eine gemeinnützige Stiftung1 und erlangt auch im hiesigen Kontext der Nachfolge in inländisches Betriebsvermögen durch einen Ausländer (zur Verwendung des Begriffspaars „Inländer“/„Ausländer“ vgl. Rz. 8.3) besondere Bedeutung. Sind die Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 EStG nicht erfüllt, verwirklicht der (ehemalige) Inhaber eine Betriebs- oder Anteilsaufgabe (§ 16 Abs. 3 Satz 1 EStG) (dazu noch näher unter Rz. 8.77).

8.45

Aus dem Gesetzestext ergibt sich nicht eindeutig, auf welche stillen Reserven es für die Anwendung der Vorschrift ankommt. Prima vista könnten alle stillen Reserven in sämtlichen Wirtschaftsgütern des Betriebs oder Mitunternehmeranteils entscheidend sein. Aus dem Sinn und Zweck der Norm folgt jedoch eine Begrenzung in zweierlei Richtungen: In sachlicher Hinsicht sind ausschließlich stille Reserven in den (materiellen oder immateriellen) wesentlichen Betriebsgrundlagen betroffen, wohingegen die Anwendung von § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG nicht dadurch gehindert wird, dass die Besteuerung stiller Reserven anderer Wirtschaftsgüter nicht sichergestellt ist. Für diese anderen Wirtschaftsgüter kommt allerdings eine fiktive Entnahme nach § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG in Betracht (vgl. näher Rz. 8.75 ff.). Nur diese einengende Sichtweise entspricht der Dogmatik des § 6 Abs. 3 EStG, der sich gegen die Entnahme einzelner Wirtschaftsgüter gerade dadurch abgrenzt, dass sämtliche für die betriebliche Einheit konstitutiven wesentlichen Betriebsgrundlagen auf den Erwerber übergehen.2 Nach der jüngeren Rechtsprechung des BFH ist der Anwendungsbereich von § 6 Abs. 3 EStG selbst dann noch eröffnet, wenn einzelne wesentliche Betriebsgrundlagen zeitgleich mit der Nachfolge gem. § 6 Abs. 5 EStG aus der betrieblichen Einheit herausgelöst werden, sofern nur der Betrieb bzw. der Mitunternehmeranteil als funktionsfähige betriebliche Einheit erhalten bleibt.3 Sofern man eine Entnahme einzelner wesentlicher Betriebsgrundlagen ihrer Übertragung nach § 6 Abs. 5 EStG gleichstellt,4 hat dies auch für die Reichweite derjenigen stillen 1 BMF v. 20.11.2019 betr. Zweifelsfragen zu § 6 Abs. 3 EStG im Zusammenhang mit der unentgeltlichen Übertragung von Mitunternehmeranteilen mit Sonderbetriebsvermögen und von Anteilen an Mitunternehmeranteilen mit Sonderbetriebsvermögen sowie mit der unentgeltlichen Aufnahme in ein Einzelunternehmen, BStBl. II 2019, 1291 Rz. 5. 2 Kulosa in Schmidt39, § 6 EStG Rz. 694, 697. 3 BFH v. 2.8.2012 – IV R 41/11, BStBl. II 2019, 715; v. 14.7.2016 – IV R 19/13, BFH/NV 2016, 1702 (unter 2.b)aa)(1)). Vgl. dazu Danz, Ubg 2018, 287 ff. Zustimmend BMF v. 20.11.2019 betr. Zweifelsfragen zu § 6 Absatz 3 EStG im Zusammenhang mit der unentgeltlichen Übertragung von Mitunternehmeranteilen mit Sonderbetriebsvermögen und von Anteilen an Mitunternehmeranteilen mit Sonderbetriebsvermögen sowie mit der unentgeltlichen Aufnahme in ein Einzelunternehmen, BStBl. II 2019, 1291 Rz. 11 f. 4 Der X. Senat hat dies für § 24 UmwStG ausdrücklich bejaht (BFH v. 9.11.2011 – X R 60/09, BStBl. II 2012, 638 bei einer auf Dauer angelegten Veräußerung), der I. Senat für § 20 UmwStG ausdrücklich verneint (BFH v. 29.11.2017 – I R 7/16, BStBl. II 2019, 738 Rz. 32-36 bei einer Entnahme) und der IV. Senat für § 6 Abs. 3 EStG offen gelassen (BFH v. 2.8.2012 – IV R 41/11, BStBl. II 2019, 715 Rz. 47). Finanzverwaltung, finanzgerichtliche Rechtsprechung und Literatur beantworten die Frage uneinheitlich: Bejahend FG Niedersachsen v. 16.8.2013 – 2 K 172/12 (rkr.), EFG 2013, 1825 (zur Entnahme); FG Düsseldorf v. 19.4.2018 – 15 K 1187/15 F (n.rkr.), EFG 2018, 1092 (zur Veräußerung); Schindler in Kirchhof19, § 6 EStG Rz. 193; Riedel, L., Ubg 2018, 457 (459). Verneinend FG Schleswig-Holstein v. 26.3.2019 – 4 K 83/16, EFG 2019, 1508 (rkr.), BMF v. 20.11.2019 betr. Zweifelsfragen zu § 6 Abs. 3 EStG im Zusammenhang mit der unentgeltlichen Übertragung von Mitunternehmeranteilen mit Sonderbetriebsvermögen und von Anteilen an Mitunternehmeranteilen mit Sonderbetriebsvermögen sowie mit der unentgeltlichen Aufnahme in ein Einzelunternehmen, BStBl. II 2019, 1291 Rz. 9.

586 | Baßler

B. Personale Auslandsbezüge | Rz. 8.47 Kap. 8

Reserven Bedeutung, deren Besteuerung zur Anwendung des § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG sichergestellt sein muss. Es wäre unverständlich, weshalb eine zeitgleich mit der Übertragung stattfindende Entnahme einzelner wesentlicher Betriebsgrundlagen die Geltung von § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG im Inlandsfall unberührt ließe, während ihre bloße Entstrickung, die ja den tatsächlichen betrieblichen Zusammenhang unberührt lässt, zu einer Betriebsaufgabe führen soll.

Eine weitere Begrenzung der für die Anwendung des § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG relevanten stillen Reserven besteht in zeitlicher Hinsicht: Maßgeblich für die Frage, ob die Besteuerung stiller Reserven sichergestellt ist, können nur die zur Zeit der Nachfolgemaßnahme bestehenden stillen Reserven (der vorgenannten Wirtschaftsgütern des Betriebs bzw. der Mitunternehmerschaft) sein. Stille Reserven, die sich in diesen Wirtschaftsgütern erst in der Zeit nach der Nachfolgemaßnahme bis zur Veräußerung bilden werden, sind demgegenüber unbeachtlich. Diese Interpretation entspricht Sinn und Zweck des § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG, wonach die stillen Reserven beim Rechtsvorgänger deshalb unaufgedeckt belassen werden, weil sie beim Rechtsnachfolger steuerverstrickt sind.1 Für diese Auslegung spricht neben diesem teleologischen Argument auch die Gesetzeshistorie. Die textliche Ergänzung2 von § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG durch das BEPS-UmsG3 um das Erfordernis, dass die Besteuerung der stillen Reserven sichergestellt sein muss, steht in Zusammenhang mit der „Bereinigung überschießender Wirkungen des § 50i EStG“4, namentlich des § 50i Abs. 2 EStG i.d.F. des Kroatien-AnpG5. Diese Vorschrift sicherte durch den zwingenden Ansatz von gemeinen Werten in der Schlussbilanz (des ehemaligen Inhabers) die Besteuerung von stillen Reserven, jedoch lediglich jener stillen Reserven, die bis zum Zeitpunkt der unentgeltlichen Rechtsnachfolge bereits entstanden waren. Dass auch später ggf. noch entstehende stille Reserven in Deutschland verhaftete sein müssten, strebte diese Vorschrift nicht an. Es ist nicht erkennbar, dass § 6 Abs. 3 EStG in dieser Hinsicht über den Anwendungsbereich von § 50i Abs. 2 EStG hinausreichen sollte.

8.46

Dieses einengende Verständnis vom Tatbestand des § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 EStG wird durch § 16 Abs. 3a EStG nicht wiederlegt. Das dort verwendete Merkmal „Ausschluss oder ... Beschränkung des Besteuerungsrechts“ kann nicht als Gegenstück zu dem in § 6 Abs. 3 EStG verwendeten Merkmal „Sicherstellung der Besteuerung stiller Reserven“ betrachtet und somit auch nicht zu dessen Auslegung herangezogen werden. Nach dem Zweck jener Norm, die

8.47

1 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des FzA zum Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnverkürzung und -verlagerungen, BT-Drucks. 18/10506, 72. 2 Es soll sich lediglich um eine Klarstellung gehandelt haben, vgl. zur Rechtslage unter dem § 7 EStDV a.F. BFH v. 19.2.1998 – IV R 38/97, BStBl. II 1998, 509 (zum Übergang eines luf. Betriebs von Todes wegen auf eine Körperschaft des öffentlichen Rechts). 3 Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnverkürzungen und -verlagerungen – BEPS-Umsetzungsgesetz v. 20.12.2016, BGBl. I 2016, 3000. 4 Bericht des FzA zum Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnverkürzung und -verlagerungen, BT-Drucks. 18/10506, 72. 5 Gesetz zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften v. 25.7.2014, BGBl. I 2014, 1266.

Baßler | 587

Kap. 8 Rz. 8.47 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug

Theorie der finalen Betriebsaufgabe gesetzlich festschreiben1, welche der BFH in zwei Entscheidungen vom 28.10.2008 aufgegeben hat,2 führt die Verlegung eines ganzen Betriebs in das Ausland zur Aufdeckung der stillen Reserven, und das selbst dann, wenn die zum Zeitpunkt der Verlegung bestehenden stillen Reserven bei einer späteren Realisierung nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG in Deutschland besteuert werden könnten und somit die Besteuerung dieser stillen Reserven durch die Verlegung gar nicht gefährdet erscheint.3 Der Finanzausschuss begründete diese Verschärfung der Entstrickungsregeln mit Schwierigkeiten im Gesetzesvollzug. Es sei für die deutsche Finanzverwaltung „schwierig bis unmöglich, das weitere Schicksal des in das Ausland verlegte Betriebsvermögen zu überwachen und den tatsächlichen Realisationsakt im Ausland und erkennen und zu erfassen.“4 Diese Feststellung gilt sicherlich in vergleichbarer Weise in Situationen der Unternehmensnachfolge. Dies rechtfertigt jedoch angesichts der Rechtsprechung des BFH, des abweichenden textlichen Befunds und der Gesetzeshistorie keine einschränkende Auslegung von § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG de lege lata.5 Allerdings erscheint es nicht ausgeschlossen zu sein, dass die Nachfolge in den Betrieb dessen Verlegung in das Ausland bewirkt, so dass die Fortführung der Buchwerte nach § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG mit einer fiktiven Betriebsaufgabe nach § 16 Abs. 3a EStG zusammentrifft (vgl. näher Rz. 8.67 ff.). bb) Ertragsteuerneutralität als Regelfall

8.48

In vielen Fällen, in denen ein Ausländer einem Inländer in Inlandsvermögen nachfolgt, ist die Besteuerung stiller Reserven gesichert, so dass der Buchwert des Inhabers durch den Nachfolger gem. § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 EStG fortgesetzt werden kann und eine Aufdeckung der stillen Reserven unterbleibt (zur Verwendung des Begriffspaars „Inländer“/„Ausländer“ vgl. Rz. 8.3). Häufig genug wird nämlich der Nachfolger mit seinen Einkünften aus gewerblicher Unternehmung (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) bzw. mit seinem Gewinnanteil aus der Mitunternehmerschaft (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) der deutschen beschränkten Steuerpflicht (§ 1 Abs. 4 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG)6 unterliegen, weil die betriebliche Einheit eine inländische Betriebsstätte (§ 12 AO) unterhält. Als Orte der dauerhaften und physischen

1 Bericht des FzA zum Entwurf der Bundesregierung eines Jahressteuergesetzes 2010, BT-Drucks. 17/3549, 17. 2 Vgl. BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, BFH/NV 2010, 432; v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019; sinngem. bereits v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 (Aufgabe der Theorie der finalen Entnahme). Zu der in der Literatur kontrovers diskutierten Frage, inwieweit es dem Gesetzgeber gelungen ist, seine Intention auch in Gesetzesform zu gießen, vgl. die Nachweise bei Gosch in Kirchhof19, § 49 EStG Rz. 16. 3 BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, BFH/NV 2010, 432 Rz. 57 (zum Umzug eines Handelsvertreters unter Mitnahme seines Betriebs nach Luxemburg); v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019 (zum Umzug eines Erfinders unter Mitnahme seines Betriebs nach Belgien). Vgl. dazu aus der Literatur Meretzki in Flick/Wassermeyer/Kempermann, Art. 13 DBA-CH Rz. 99 (Stand: 11.2018). 4 Bericht des FzA zum Entwurf der Bundesregierung eines Jahressteuergesetzes 2010, BT-Drucks. 17/3549, 17. 5 So auch BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, BFH/NV 2010, 432 Rz. 62; v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019 Rz. 31 zur Rechtslage vor JStG 2010, der die Probleme des Gesetzesvollzugs als nicht ausreichend dafür erkannt, die Theorie der finalen Betriebsaufgabe aufrechtzuerhalten. 6 Eine mögliche erweiterte beschränkte Einkommensteuerpflicht des Nachfolgers gem. § 2 AStG i.V.m. § 34d Nr. 2 Buchst. a EStG ist insoweit ohne Bedeutung, da sie in Bezug auf das hier betrachtete inländische Vermögen keine sachliche Ausdehnung der deutschen Steuerhoheit bewirkt, vgl. Baßler in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 2 AStG Rz. 103 f. (Stand: 5.2014).

588 | Baßler

B. Personale Auslandsbezüge | Rz. 8.49 Kap. 8

Entfaltung von Unternehmenstätigkeit sind Betriebsstätten grundsätzlich vom Wechsel des Betriebsinhabers unabhängig. Die Besteuerung im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht, anstatt der bis dahin bestehenden unbeschränkten Steuerpflicht, führt im Grundsatz, zu keiner Veränderung im deutschen Besteuerungsrechts, insb. nicht in Bezug auf Gewinne aus der Veräußerung des Betriebs bzw. des Mitunternehmeranteils. Folglich ist die Besteuerung stiller Reserven sichergestellt, wie von § 6 Abs. 3 EStG gefordert. Dies gilt in aller Regel auch dann, wenn zwischen Deutschland und dem Staat, in dem der Nachfolger steuerlich ansässig ist, ein DBA besteht. Denn alle deutschen Abkommen folgen dem sog. Betriebsstättenprinzip (Art. 7 OECD-MA), wonach Unternehmensgewinne, einschließlich Gewinne aus der Veräußerung beweglichen Betriebsvermögens (Art. 13 Abs. 2 OECD-MA) im Nichtansässigkeitsstaat des Unternehmers besteuert werden dürfen, wenn und soweit dieser dort eine Betriebsstätte unterhält. Für den inländischen Grundbesitz folgt entsprechendes aus der Art. 13 Abs. 1 OECDMA nachgebildeten Abkommensnorm. Ausnahmen, d.h. Fälle von Unternehmensnachfolgen, in denen stille Reserven aufgedeckt und versteuert werden müssen, treten auf, wenn – die Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 a.E. EStG nicht erfüllt ist, weil die Besteuerung der stillen Reserven in den wesentlichen Betriebsgrundlagen (zu diesem Verständnis der stillen Reserven vgl. Rz. 9.45) nicht sichergestellt ist (näher unter Rz. 8.49 ff.), oder – die Besteuerung der maßgeblichen stillen Reserven i.S.v. § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 a.E. EStG zwar sichergestellt ist, die Nachfolgemaßnahme aber die Voraussetzungen einer anderen Entstrickungsnorm, insb. § 16 Abs. 3a EStG oder § 4 Abs. 1 Satz 3, 4 EStG, verwirklicht (näher unter Rz. 8.67 ff.). In diesen Fällen entsteht in der Person des Inhabers ein einkommen- und ggf. gewerbesteuerpflichtiger Gewinn entsteht (vgl. dazu näher unter Rz. 8.77 ff.). cc) Entstrickung mangels Buchwertfortführung Einkünfte aus Gewerbebetrieb unterliegen der beschränkten Steuerpflicht, wenn für diesen Gewerbebetrieb im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG). Deswegen scheint die Besteuerung der stillen Reserven in einer für § 6 Abs. 3 EStG relevanter Weise nicht mehr sichergestellt zu sein, falls die Betriebsstätte unmittelbar durch die Nachfolge selbst1 aufgegeben wird. Dies trifft man vor allem dort an, wo der Gewerbebetrieb in besonderem Maße personenbezogen und auf den Inhaber zugeschnitten ist, so dass er einer verstetigten, von der Person des Unternehmers losgelösten Unternehmensorganisation, insb. in Gestalt von Mitarbeitern nicht (mehr) verlangt. Die nach der Rechtsprechung für jede gewerbliche Tätigkeit unabdingbare Betriebsstätte2 befindet sich dann in der Wohnung

1 Dass der Nachfolger erst im Nachgang auf die betriebliche Organisation einwirkt, in dem er z.B. das Unternehmen von seinem ggf. viele km entfernt im Ausland liegenden Wohnort aus führt und daher dort eine Geschäftsleitungsbetriebsstätte begründet, ist nicht Gegenstand der Betrachtung zur Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug. Die Unterscheidung, wann eine Veränderung im Tatsächlichen und wann in der durch die Nachfolge bewirkte Rechtsänderung liegt, ist allerdings nicht immer einfach. 2 BFH v. 28.7.1993 – I R 15/93, BStBl. II 1994, 148; BFH v. 19.12.2007 – I R 19/06, BStBl. II 2010, 398.

Baßler | 589

8.49

Kap. 8 Rz. 8.49 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug

des Gewerbetreibenden. Diese Betriebsstätte nimmt er bei jedem Umzug mit, auch bei einem Umzug aus Deutschland in das Ausland. Konsequenterweise wird die Betriebsstätte durch den Tod des Inhabers unmittelbar auf seinen im Ausland lebenden Erben verlagert, falls dieser den Betrieb unmittelbar vom Ausland aus weiterführen kann und ihn auch tatsächlich weiterführt.1 (vgl. Rz. 8.51–8.54). Außer bei solchen personenbezogenen Gewerbebetrieben stellen sich diese Fragen einer Entstrickung durch die Nachfolge auch bei Besitzunternehmen im Rahmen einer Betriebsaufspaltung (vgl. Rz. 8.55–8.59) sowie bei gewerblich geprägten Personengesellschaften (vgl. Rz. 8.60–8.61), wobei im letztgenannten Fall die Sondervorschrift des § 50i EStG besondere Folgen hervorrufen kann (Rz. 8.62–8.63).

8.50

Zweifel an der Sicherstellung der Besteuerung der maßgeblichen stillen Reserven im inländischen Gewerbebetrieb oder Mitunternehmeranteil bestehen auch dort, wo die Nachfolge des Ausländers (zur Verwendung des Begriffspaares „Inländer“/„Ausländer“ vgl. Rz. 8.3) zwar die Existenz des inländischen Betriebs und seiner Betriebsstätte unangetastet lassen, aber die Zuordnung der wesentlichen Betriebsgrundlagen verändern. Ist aufgrund der Nachfolgemaßnahme ein Wirtschaftsgut, das bislang einer inländischen Betriebsstätte zuzurechnen war, nunmehr einer ausländischen Betriebsstätte zuzurechnen, könnte die Besteuerung der stillen Reserven in einer für § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG bedeutsamen Weise gefährdet sein (vgl. Rz. 8.64 ff.).

8.51

Unter den personenbezogenen Gewerbebetrieben finden sich solche, die derart untrennbar mit der Person des (ehemaligen) Inhabers verbunden sind, dass der Erbe diese nicht fortsetzen kann, selbst wenn er es wollte. Dies betrifft etwa Models, Unterhaltungskünstlern und bestimmte Berufssportler (z.B. Berufsradfahrer oder Motorsportler2). Es kommt regelmäßig zu einer Betriebsaufgabe (§ 16 Abs. 3 EStG), ggf. einer Betriebsveräußerung (§ 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG), allerdings erst durch den Erben!3

8.52

Vom Nachfolger fortsetzbar erscheinen demgegenüber solche personenbezogenen Gewerbebetriebe, die immaterielle Vermögensgegenstände enthalten, wie das eingetragene Designrecht (§ 7 DesignG) bei einem Produktdesigner oder das Urheberrecht eines Softwareentwicklers am Quellcode der von ihm im Kundenauftrag programmierten Anwendungssoftware für mobile Endgeräte wie Smartphones oder Tabletts (sog. „Apps“).4 Von den eher traditionellen Erscheinungsformen der Wirtschaft ist hier der Handelsvertreter und sein Kundenstamm zu nennen. In diesen Fällen dürfte die Besteuerung der für die Anwendung des § 6 Abs. 3 EStG maßgeblichen stillen Reserven (vgl. Rz. 8.45) – vorbehaltlich der Regeln eines Doppelbesteuerungsabkommens (vgl. Rz. 8.48) – sichergestellt sein.5 Dies gilt unabhängig davon, ob der Nachfolger mit seinen zukünftigen Einkünften aus dem fortgeführten Betrieb der beschränkten Steuerpflicht in Deutschland unterliegt. Es kommt nämlich nicht darauf an, dass der Erbe des Produktdesigners mit dem Gewinn aus der Veräußerung des Rechts (am eingetragenen

1 Außer Betracht bleibt, ob der Nachfolger in zeitlicher Folge der Maßnahme auf die betriebliche Organisation einwirkt, in dem er z.B. das Unternehmen von seinem ggf. viele km entfernt im Ausland liegenden Wohnort aus führt und daher dort eine Geschäftsleitungsbetriebsstätte begründet. 2 Vgl. BFH v. 19.12.2007 – I R 19/06, BStBl. II 2010, 398. 3 BFH v. 30.08.2007 – IV R 5/06, BStBl. II 2008, 113. 4 Zum Ausschluss von Computerprogrammen aus dem Anwendungsbereich des DesignG vgl. § 1 Nr. 2 Halbs. 2 DesignG. Zur Schutzfähigkeit von Software nach UrhG vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG. 5 Ein Ansatz der selbstgeschaffenen immateriellen Wirtschaftsgüter in der Schlussbilanz des Erblassers unterbleibt (§ 5 Abs. 2 EStG).

590 | Baßler

B. Personale Auslandsbezüge | Rz. 8.55 Kap. 8

Design) der beschränkten deutschen Steuerpflicht (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG)1 unterliegt, nicht aber der Erbe des App-Programmierers, da Urheberrechte nach dem UrhG nicht in ein inländisches öffentliches Buch oder Register eingetragen werden, so dass § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG nicht anwendbar ist, und § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG allenfalls laufende Einkünfte erfasst.2 Entscheidend ist vielmehr, dass der Nachfolger mit einem Gewinn aus der Veräußerung der wesentlichen Betriebsgrundlagen3 zumindest insoweit der beschränkten Steuerpflicht unterliegt, als die realisierten stillen Reserven vor dem Erbfall gebildet wurden. Die hierauf beruhenden Einkünfte sind nämlich durch die bis zu diesem Zeitpunkt bestehende inländische Betriebsstätte erwirtschaftet worden und folglich von § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG erfasst. Dass die Betriebsstätte zum Zeitpunkt der Veräußerung nicht mehr besteht, durchtrennt nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung4 die Inlandsradizierung dieser Einkünfte nicht. Gleiches gilt für den ausländischen Nachfolger des Handelsvertreters. Zur Frage einer Entstrickung nach § 16 Abs. 3a EStG vgl. Rz. 8.67 ff.

8.53

Besteht bei personenbezogenen Gewerbebetrieben zwischen Deutschland und dem Staat, in dem der Nachfolger steuerlich ansässig ist, ein Doppelbesteuerungsabkommen, sind dessen Schrankenwirkungen daraufhin zu untersuchen, ob sie die Besteuerung der stillen Reserven in einer für § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 a.E. EStG relevanten Weise gefährden. So kann ein Gewinn aus der Veräußerung der wesentlichen Betriebsgrundlagen zwar abkommensrechtlich von Deutschland nur nach Maßgabe der Art. 13 Abs. 2 OECD-MA nachgebildeten Abkommensnorm besteuert werden. Allerdings hat der BFH die seiner Auslegung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG zugrunde liegende These, die Betriebsstätte müsse zur Zeit der Erwirtschaftung der realisierten stillen Reserven vorliegen, nicht aber zur Zeit der Realisierung, auf die Auslegung dieser Abkommensvorschrift übertragen.5 Ob der Nachfolger darüber hinaus aufgrund anderer Abkommensnormen mit einem Veräußerungsgewinn in Deutschland steuerpflichtig sind, ist nicht erheblich.

8.54

Ähnliches wie für den personenbezogenen Gewerbebetrieb (vgl. unter Rz. 8.51) gilt auch bei der Nachfolge in Besitzunternehmen im Rahmen einer Betriebsaufspaltung. Dies gilt jedenfalls in jenen Fällen, in denen kein DBA einschlägig ist (vgl. zur Situation in DBA-Fällen Rz. 8.57). Überträgt der inländische Inhaber des Besitzeinzelunternehmens und Alleingesellschafter der inländischen Betriebskapitalgesellschaft seine Beteiligung einschließlich der überlassenen wesentlichen Betriebsgrundlagen auf einen ausländischen Nachfolger, unter Lebenden oder von Todes wegen, bleibt die Betriebsaufspaltung (und die damit verbundene Qualifi-

8.55

1 Vgl. näher BMF v. 16.5.2011 betr. Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Doppelbuchst. aa und § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG, BStBl. I 2011, 530. 2 Unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 AStG könnten allenfalls die laufenden Einkünfte aus deutschen Urheberrechten in Deutschland der erweiterten beschränkten Steuerpflicht unterliegen. Zum Zweck der Vorschrift und ihren Anwendungsfragen vgl. ausführlich Baßler in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 2 AStG Rz. 141 ff. (Stand: 5.2014). 3 Zur Möglichkeit der „Veräußerung“ eines nach der Zivilrechtslage unveräußerlichen Urheberrechts vgl. BFH v. 24.10.2018 – I R 69/16, BStBl. II 2019, 401 Rz. 19 ff. m.w.Nachw. 4 BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, BFH/NV 2010, 432 Rz. 57; v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019 Tz. 23; vgl. aus der Literatur Meretzki in Flick/Wassermeyer/Kempermann, Art. 13 DBA-CH Rz. 99 (Stand: 11.2018). 5 BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, BFH/NV 2010, 432 Rz. 59, juris; BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019 Tz. 27; vgl. auch Meretzki in Flick/Wassermeyer/Kempermann, Art. 13 DBACH Rz. 99 (Stand: 11.2018) m.w.Nachweisen aus der Literatur.

Baßler | 591

Kap. 8 Rz. 8.55 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug

kation der Einkünfte aus der Nutzungsüberlassung im Besitzunternehmen) bestehen.1 In aller Regel hält der Inhaber für das Besitzunternehmen keine eigene betriebliche Organisation vor und nach feststehender Rechtsprechung bildet die Betriebsstätte des Betriebsunternehmens auch keine Betriebsstätte des Besitzunternehmens.2

8.56

Für die Fortsetzung der Buchwerte nach § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG ist Voraussetzung, dass die Besteuerung der zur Zeit der Nachfolge bestehenden stillen Reserven sichergestellt ist. Die Besteuerung eines Gewinns aus der Veräußerung der wesentlichen Betriebsgrundlagen des Besitzunternehmens (das sind regelmäßig die die sachliche Verflechtung begründenden Wirtschaftsgüter sowie die Beteiligung an der Betriebsgesellschaft3) kann sich aus einzelnen Tatbeständen des § 49 Abs. 1 EStG ergeben: Für in Deutschland belegene Grundstücke, den praktisch wichtigsten Fall, ist wiederum § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG einschlägig; Gleiches gilt, auf der Grundlage der nämlichen Vorschrift, für Markenrechte und Patente, soweit diese im Inland registriert sind, sowie aufgrund von § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG auch für die Beteiligung an der Betriebskapitalgesellschaft selbst. Allerdings gilt auch insoweit, dass der Gewinn aus der Veräußerung all dieser Wirtschaftsgüter, soweit er auf zur Zeit der Nachfolge bereits bestehende stillen Reserven beruht, gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) EStG der deutschen beschränkten Steuerpflicht unterliegt, weil er durch eine bis zur Nachfolge bestehende inländische Betriebsstätte erwirtschaftet wurde und die Besteuerung nicht voraussetzt, dass diese Betriebsstätte zur Zeit der Veräußerung noch besteht (vgl. Rz. 8.53).

8.57

Wer als Steuerpflichtiger einen Gewerbebetrieb i.S.v. § 15 Abs. 2 EStG unterhält, übt in aller Regel auch eine „Geschäftstätigkeit i.S.v. Art. 3 Abs. 1 Buchst. c OECD-MA aus und betreibt folglich ein „Unternehmen“ nach Abkommensrecht. In Grenzbereichen sind beide Begriffe jedoch nicht deckungsgleich. Dies gilt namentlich für das Besitzunternehmen im Rahmen einer Betriebsaufspaltung. Durch den einheitlichen Betätigungswillen entfaltet sich eine ihrer Art nach vermögensverwaltende Tätigkeit als gewerbliche Aktivität.4 Abkommensrechtlich wird dies nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht nachvollzogen.5 Das Besitzunternehmen bildet kein „Unternehmen“ im Sinne der Doppelbesteuerungsabkommen, so dass ein Gewinn des ausländischen Nachfolgers aus der Veräußerung der wesentlichen Betriebsgrundlagen des Besitzunternehmens nicht entsprechend Art. 13 Abs. 2 OECD-MA dem deutschen Steuerzugriff unterliegt. Dies betrifft auch die bis zum Zeitpunkt der Nachfolge im inländischen Besitzunternehmen gebildeten stillen Reserven. Denn nach der Rechtsprechung des BFH hängt zwar die Besteuerung der in einer Betriebsstätte erwirtschafteten stillen Reserven nicht davon ab, dass diese zur Zeit der Realisierung noch besteht (vgl. Rz. 8.53). Dies be1 Zur grundsätzlichen Möglichkeit einer Betriebsaufspaltung in der Weise, dass der Besitz- (einzel-) Unternehmer im Ausland, die Betriebs- (kapital-) Gesellschaft aber im Inland ansässig ist, vgl. BFH v. 28.7.1982 – I R 196/79, BStBl. II 1983, 77; FG Düsseldorf v. 22.5.1979 – IX 694/77, EFG 1980, 34; FG Baden-Württemberg v. 21.4.2004, IStR 2005, 172; BMF v. 24.12.1999 betr. Grundsätze der Verwaltung für die Prüfung der Aufteilung der Einkünfte bei Betriebsstätten international tätiger Unternehmen (Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze), BStBl. I 1999, 1076 Tz. 1.2.1.1; aus der Literatur statt aller Wacker in Schmidt39, § 15 EStG Rz. 862; Haverkamp, IStR 2008, 165. 2 BFH v. 28.7.1982 – I R 196/79, BStBl. II 1983, 77; BFH v. 17.7.1991 – I R 98/88, BStBl. II 1992, 246. Eine Ausnahme soll freilich gelten, wenn die Betriebsgesellschaft aufgrund des Pachtvertrags im Pflichtenkreis des Besitzunternehmens für dieses tätig wird und somit zu ihrer unselbständigen Vertreterin wird, vgl. FG Baden-Württemberg v. 21.4.2004 – 12 K 252/00, EFG 2004, 1384. 3 BFH v. 14.11.1969 – III R 218/65, BStBl. II 1970, 302; BFH v. 4.7.2007 – X R 49/06, BStBl. II 2007, 772. Aus der Literatur statt aller Wacker in Schmidt39, § 15 EStG Rz. 873. 4 Vgl. BFH v. 8.11.1972 – GrS 2/71, BStBl. II 1972, 63. 5 BFH v. 25.5.2011 – I R 95/10, BStBl. II 2014, 760 Rz. 22.

592 | Baßler

B. Personale Auslandsbezüge | Rz. 8.60 Kap. 8

deutet aber nicht, dass Art. 13 Abs. 2 OECD-MA stets anwendbar wäre, ohne Rücksicht darauf, dass der Veräußerungsgewinn in einem Unternehmen anfällt und überhaupt jemals eine Betriebsstätte bestand.1 Da der ehemalige Inhaber des Besitzunternehmens bis zur Nachfolge weder ein Unternehmen noch eine Betriebsstätte im Sinne des Abkommens unterhalten hat, ist Art. 13 Abs. 2 OECD-MA nicht anwendbar. Da die Besteuerung der stillen Reserven nicht sichergestellt erscheint, ist § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG nicht anwendbar. Etwas Anderes kommt nur in Betracht, wenn der deutsche Steuerzugriff aufgrund einer anderen Abkommensvorschrift eröffnet ist. Für den praktisch so wichtigen Fall, dass das Besitzunternehmen dem Betriebsunternehmen ein im Inland belegene Grundstück zu Nutzung überlasst, ist dies aufgrund von Art. 13 Abs. 1 OECD-MA gewährleistet. Einen Gewinn aus der Veräußerung von Immaterialgüterrechten weist Art. 13 Abs. 5 OECD-MA jedoch ausschließlich dem Ansässigkeitsstaat (des Nachfolgers) zu.

8.58

Allerdings wird § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG selbst dann nicht anwendbar sein, wenn die sachliche Verflechtung zwischen Besitzunternehmen und Betriebsgesellschaft allein durch die Überlassung inländischer Grundstücke hergestellt ist. Denn die Beteiligung an der Betriebsgesellschaft zählt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen des Besitzunternehmens2 und der Gewinn aus der Veräußerung solcher Beteiligungen wird ausschließlich3 dem Ansässigkeitsstaat des Nachfolgers zugewiesen (Art. 13 Abs. 5 OECDMA). Mithin ist auch in solchen Fällen die Besteuerung der stillen Reserven in einer wesentlichen Betriebsgrundlage nicht sichergestellt. Ohne diese Beteiligung und der hierauf fußenden Entfaltung des einheitlichen geschäftliche Betätigungswillen verbleibt aber kein lebensfähiger Betrieb, sondern ein oder mehrere verpachtete Grundstücke, so dass § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG insg. nicht anwendbar ist. Eine andere Rechtsfolge kommt in Betracht, wenn die Betriebsgesellschaft die Voraussetzungen einer Immobiliengesellschaft erfüllt und somit ein deutscher Steuerzugriff in einer Art. 13 Abs. 4 OECD-MA entsprechenden Abkommensvorschrift (i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG) seine Grundlage findet oder aber das DBA dem Ansässigkeitsstaat der Gesellschaft das Besteuerungsrecht zuweist (vgl. bspw. Art. 13 Abs. 3 DBA-Tschechoslowakei).

8.59

Eine für § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG relevante Gefährdung der Besteuerung stiller Reserven kann auch bei der Nachfolge eines Ausländers in einen Anteil einer gewerblich geprägten Personengesellschaften i.S.v. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG eintreten (zur Verwendung des Begriffspaars „Inländer“/„Ausländer“ vgl. Rz. 8.3). Ist ein DBA nicht einschlägig, wirkt sich allerdings die Rechtsprechung des BFH zur Aufgabe der Theorie der finalen Betriebsaufgabe aus, insoweit vergleichbar der Situation bei personenbezogenen Gewerbebetrieben (vgl. Rz. 8.51 ff.): Gewinne aus der Veräußerung wesentlicher Betriebsgrundlagen (zum maßgeblichen Umfang der für § 6 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 a.E. relevanten stillen Reserven vgl. Rz. 8.45) unterliegen trotz zwischenzeitlicher Beendigung der inländischen Betriebsstätte bei einer späteren Veräußerung der deutschen beschränkten Steuerpflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG (vgl. Rz. 8.53).4 Dies gilt selbst bei jenen Ein-Mann-GmbH & Co. KGs, die über keinerlei betriebliche Organisation verfügen und ihre (Geschäftsleitungs-) Betriebsstätte am Wohnsitz des Ge-

8.60

1 Keine Betriebsstätte ohne Unternehmen, vgl. Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECDMA Rz. 26 (Stand: 5.2017). 2 BFH v. 4.7.2007 – X R 49/06, BStBl. II 2007, 772. 3 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 13 OECD-MA, Rz. 125 (05.2011); Meretzki in Flick/Wassermeyer/Kempermann, Art. 13 DBA-CH Rz. 176 (Stand: 11.2018). 4 BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, BFH/NV 2010, 432; v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019.

Baßler | 593

Kap. 8 Rz. 8.60 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug

schäftsführers der Komplementärin haben, welcher sowohl Alleingesellschafter der Komplementärin als auch einziger Kommanditist ist (zur Entstrickung auf anderer Rechtsgrundlage vgl. Rz. 8.67 ff.). Selbst dort, wo Wirtschaftsgüter im Eigentum der gewerblich geprägten Personengesellschaft nach Maßgabe des Veranlassungszusammenhangs nicht dem Betriebsvermögen der Mitunternehmerschaft, sondern einem eigenen Gewerbebetrieb des Inhabers zuzurechnen sind1 und diese Betriebsstätte – wiederum wie bei den personenbezogenen Gewerbebetrieben oder den Besitzunternehmen erläutert (vgl. Rz. 8.51 ff., 8.55 ff.) – unmittelbar durch die Nachfolge in den ausländischen Ansässigkeitsstaat des Nachfolgers verlegt wird, ist die Besteuerung der stillen Reserven i.S.v. § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 a.E. EStG sichergestellt. Denn auch in dieser Konstellation wäre der Gewinn aus der Aufdeckung von stillen Reserven der fraglichen Wirtschaftsgüter von der eigenen Betriebsstätte des ehemaligen Inhabers erwirtschaftet worden und nach Maßgabe des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG in Deutschland beschränkt steuerpflichtig.

8.61

Eine veränderte Würdigung hinsichtlich der Besteuerung stiller Reserven ergibt sich indessen, wenn ein Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und dem Staat besteht, in dem der Nachfolger für Zwecke der Einkommensteuer ansässig ist. Nach der Rechtsprechung des BFH übt eine gewerblich geprägte Personengesellschaft keine Geschäftstätigkeit i.S.v. Art. 3 Abs. 1 Buchst c OECD-MA aus und betreiben die Mitunternehmer kein Unternehmen i.S.v. Art. 7 Abs. 2, Art. 13 Abs. 2 OECD-MA.2 Daraus ergibt sich die gleiche Konsequenz wie bei den Besitzunternehmen (vgl. Rz. 8.57– 8.59): Falls nicht sämtliche die wesentlichen Betriebsgrundlagen der in Rede stehenden gewerblich geprägten Personengesellschaft aufgrund anderer Abkommensnormen in Deutschland besteuert werden dürfen, z.B. auf Basis der Art. 13 Abs. 1 OECD-MA entsprechenden Abkommensvorschrift, ist die Besteuerung der stillen Reserven nicht i.S.v. § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 a.E. EStG sichergestellt, so dass die Nachfolge nicht zu Buchwerten, sondern nur realisierend erfolgen kann.

8.62

Eine vom Vorstehenden abweichende Rechtslage kann dort bestehen, wo Vorschriften des EStG die Abkommenswirkung beschränken oder außer Kraft setzen (treaty override). Zu nennen ist hier vor allem der für bestimmte gewerblich geprägte Personengesellschaften bedeutsame § 50i EStG. Allerdings zielt diese Vorschrift darauf ab, das deutsche Besteuerungsrecht bei Veräußerung oder Entnahme bestimmter Wirtschaftsgüter wiederherzustellen, wenn es in der Vergangenheit, d.h. konkret vor dem 1.1.2017, ausgeschlossen wurde. Insofern erscheint der Anwendungsbereich der Vorschrift auf Nachfolgen beschränkt zu sein, die in der Vergangenheit liegen. Beispiel: I hat im Jahre 2012 seine Beteiligung an der inländischen V GmbH (100 % des Stammkapitals) in eine zu diesem Zweck neu errichtete Q GmbH & Co. KG eingelegt (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG). Im Jahre 2014 verschenkt I seinen Mitunternehmeranteil an seine im DBA-Ausland lebende Tochter T. Soweit T die Buchwerte ihres Vaters fortgeführt hat, ist dies zu Recht erfolgt. Die Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 EStG sind erfüllt. Allerdings galt zur Zeit der Nachfolge § 6 Abs. 3 Satz 1 1 Vgl. dazu BFH v. 29.11.2017 – I R 58/15, BFH/NV 2018, 684 Rz. 27. 2 BFH v. 28.4.2010 – I R 81/09, BStBl. II 2014, 754 Rz. 22 f.; v. 9.12.2010 – I R 49/09, BStBl. II 2011, 482 Rz. 18; BMF-Schr. v. 26.9.2014 betr. Anwendung von DBA auf Personengesellschaften, BStBl. I 2014, 1258 Rz. 2.2.1. A.A. noch BFH v. 13.2.2008 – I R 63/06, BStBl. II 2009, 414 (unter 5. d): „Danach ist, da das DBA-Schweiz den Begriff ‚Betriebsvermögen‘ nicht besonders definiert, für Zwecke der deutschen Besteuerung die Begriffsbestimmung des deutschen Rechts maßgeblich.“

594 | Baßler

B. Personale Auslandsbezüge | Rz. 8.62 Kap. 8 Halbs. 1 EStG noch in der Fassung vor BEPS-UmsG1 (vgl. zum Inkrafttreten Art. 19 Abs. 1 BEPSUmsG). Es ist aber davon auszugehen, dass die Ergänzung des § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 EStG um das Erfordernis, dass die Besteuerung der stillen Reserven gesichert sein müsse, lediglich klarstellender Natur ist.2 Grundsätzlich wäre somit eine Fortsetzung der Buchwerte ausgeschlossen gewesen, weil aufgrund des DBA mit dem Ansässigkeitsstaat der T die Besteuerung der stillen Reserven nicht sichergestellt gewesen wäre. Unter den Voraussetzungen des § 50i EStG ändert sich diese Beurteilung jedoch, weil die Rechtsfolge dieser Norm ein Besteuerungsrecht Deutschlands „ungeachtet entgegenstehender Bestimmung des Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung“ anordnet.3 Die ersten beiden der drei Voraussetzungen des § 50i Abs. 1 Satz 1 EStG sind erfüllt, weil vor dem 29.6.2013 Beteiligungen i.S. des § 17 EStG4 in eine gewerblich geprägte Personengesellschaft (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG) eingelegt wurden, ohne dass es dabei zu einer Aufdeckung von stillen Reserven kam (§ 50i Abs. 1 Nr. 1, 2 EStG). Fraglich ist allein die dritte Bedingung. Denn durch die – vor dem 1.1.2017 stattfindende – Zuwendung würden ja – ungeachtet des § 50i EStG – die stillen Reserven im Mitunternehmeranteil des A gerade aufgedeckt und der Besteuerung unterworfen. Nach Sinn und Zweck von § 50i EStG, dem Steuerpflichtigen in Altfällen einen Schutz vor Entstrickung zu gewähren5, wird man allerdings § 50i EStG für anwendbar halten. Denn ein Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts, wie er den zentralen Entstrickungsnormen des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 16 Abs. 3a EStG zugrunde liegt, ist bereits dann verwirklicht, wenn zukünftig entstehende stille Reserven nicht mehr der deutschen Steuerhoheit unterliegen (vgl. Rz. 8.47, 8.68). Vom Wortsinn des § 50i Abs. 1 Nr. 3 EStG ist eine solche Auslegung erfasst.

Äußerst umstritten ist die Rechtslage, wenn T im vorigen Beispiel ihrem Vater bereits vor dem 29.6.2013 nachgefolgt wäre. Teile der Literatur wollen hier nicht differenzieren, sondern halten § 6 Abs. 3 EStG in gleicher Weise anwendbar wie im Beispiel.6 Dagegen spricht der unzweideutig angeordnete zeitliche Anwendungsbereich (§ 52 Abs. 48 EStG), wonach § 50i EStG erst ab dem 29.6.2013 anzuwenden ist. Danach könnte es 2012 zu einer steuerpflichtigen Entstrickung und am 29.6.2013 zu einer Verstrickung (§ 4 Abs. 1 Satz 8 EStG) mit dem gemeinen Wert gekommen sein.7

1 Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnverkürzungen und -verlagerungen – BEPS-Umsetzungsgesetz v. 20.12.2016, BGBl. I 2016, 3000. 2 Bericht des FzA zum Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnverkürzung und -verlagerungen, BT-Drucks. 18/10506, 72; ebenso Liekenbrock, DStR 2016, 2609 (2615); Rehfeld in Herrmann/Heuer/Raupach, Jahresband 2017, § 6 EStG Rz. J 16-4. 3 Zu Recht bezeichnet Liekenbrock (in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 50i EStG Rz. 99 (Stand: 10.2007) diese Wirkung des § 50i EStG auf den Tatbestand von Entstrickungsnormen als „implizite Rechtsfolge" des § 50i EStG. 4 Zu der im Beispiel unbedeutenden, in der Praxis aber relevanten Frage, nach welchem Zeitpunkt (d.h. welcher Gesetzesfassung) zu beurteilen ist, ob die eingelegten Anteile solche „i.S.v. § 17 EStG“ sind, vgl. Liekenbrock in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 50i Rz. 62 (Stand: 10.2017). 5 Näher Liekenbrock in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 50i EStG Rz. 7 ff., 49 (Stand:10.2017) m.w.Nachw. 6 Liekenbrock in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 50i EStG Rz. 49 (Stand:10.2017); Neumann-Tomm, IStR 2015, 60 (61) 7 Vgl. BMF-Schr. v. 26.9.2014 betr. Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) auf Personengesellschaften, BStBl. I 2014, 1258 Rz. 2.3.3.7; Lüdicke, FR 2015, 128 (132); Schnittker/ Haselmann in Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 14.19; tendenziell auch Böhmer/Wegener, Ubg 2015, 69 (74).

Baßler | 595

Kap. 8 Rz. 8.63 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug

8.63

Ob sich die Bedeutung des § 50i EStG tatsächlich auf die vorstehend behandelten „Altfälle“1 beschränkt oder auch für „Neufälle“ Relevanz hat, ist umstritten. Zu betrachten sind vor allem zwei Szenarien: Das erste Szenario betrifft den Fall des Inhabers, der seine unbeschränkte Steuerpflicht vor dem 1.1. 2017 aufgegeben und dadurch die § 50i-Struktur verwirklicht hatte, sie jedoch zwischenzeitlich wieder begründet hat (Fall des Wiederzuzugs). Beispiel: A und B haben im Jahre 1988 ihre Beteiligungen von jeweils 30 % des Stammkapitals der inländischen M GmbH in eine zu diesem Zweck neu errichtete X GmbH & Co. KG übertragen. Dies wurde als Einlage gem. § 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG behandelt, eine Aufdeckung der stillen Reserven in den jeweiligen Beteiligungen hat nicht stattgefunden. Die Tätigkeit der X GmbH & Co. KG beschränkt sich seither auf die Verwaltung dieser Beteiligung an der M GmbH. A ist im Jahre 1993 ins DBA-Ausland verzogen, ohne dass die anteiligen stillen Reserven aufgedeckt wurden. Im Jahre 2016 gibt er seinen Wohnsitz auf und zieht nach Deutschland zurück. Im Jahre 2020 stirbt er und wird von seiner im DBA-Ausland lebenden Tochter T beerbt. Aufgrund des Wegzugs des A vor dem 1.1.2017 handelt es sich bei der X GmbH & Co. KG um eine § 50i-Struktur: Die M-Beteiligungen (Anteile im Sinne des § 17 EStG2) wurden ohne Aufdeckung der stillen Reserven vor dem 29.6.2013 in das Betriebsvermögen der X GmbH & Co. KG, einer gewerblich geprägten Personengesellschaft (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG) eingelegt; der Wegzug des A in den DBAStaat vor dem 1.1.2017 beschränkte das Recht der Bundesrepublik zur Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung oder Entnahme der M-Beteiligungen beschränkt auf den auf B entfallenden hälftigen Anteil. Teilweise wird erwogen, dass der Wiederzuzug des A nach Deutschland die Charakteristik der X GmbH & Co. KG als § 50i-Struktur nicht beenden würde.3 In diesem Fall wäre der Erbanfall der Beteiligung bei T zu Buchwerten möglich, weil die Besteuerung der stillen Reserven im Betriebsvermögen über § 50i Abs. 1 Satz 1 EStG ungeachtet des Abkommens gesichert wäre. Dem wird die mit dem BEPS-UmsG bezweckte Beschränkung der Vorschrift auf Altfälle gegenübergestellt,4 die eine teleologische Einschränkung rechtfertige. Hinzu kommt, dass die explizite Rechtsfolge des § 50i Abs. 1 Satz 1 EStG5 den A nach seinem Wiederzuzug nicht trifft: Verkauft er als unbeschränkt Steuerpflichtiger seinen Mitunternehmeranteil, unterliegt er mit dem Gewinn der deutschen Einkommensteuer, aber nicht aufgrund von § 50i EStG, da diese Norm nur für in einem DBA-Staat ansässigen Steuerpflichtigen gilt. Weshalb dann für ihn die implizite Rechtsfolge gelten soll, so dass in seiner Schlussbilanz die Buchwerte anzusetzen sind (§ 6 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 EStG), ist nicht recht einzusehen – auch wenn das Merkmal des § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 a.E. EStG, dass die Besteuerung der stillen Reserven sichergestellt sein muss, strukturell auf die Verhältnisse bei der Nachfolgerin T abstellt, die im DBA-Ausland ansässig ist.

Das zweite Szenario, in dem Nachfolgen auch nach dem 31.12.2016 mit den Rechtsfolgen des § 50i EStG konfrontiert sein könnten, betrifft die Nachfolge in einen Anteil einer gewerblich geprägten Personengesellschaft, die durch das Verhalten eines anderen zur § 50i-Struktur

1 Liekenbrock in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 50i EStG Rz. 90.1 (Stand:10.2017). 2 Zu der im Beispiel unbedeutenden, in der Praxis aber relevanten Frage, nach welchem Zeitpunkt (d.h. welcher Gesetzesfassung) zu beurteilen ist, ob die eingelegten Anteile solche „i.S.v. § 17 EStG“ sind, vgl. Liekenbrock in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 50i Rz. 62 (Stand: 10.2017). 3 Liekenbrock in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 50i EStG Rz. 90.4 (Stand: 10.2017). 4 Loschelder in Schmidt39, § 50i EStG Rz. 8; vgl. auch Bericht des FzA zum Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Umsetzung der Änderung der EU-Amthilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen, BT-Drucks. 18/10506, S. 73. 5 Zur Unterscheidung der expliziten von der impliziten Rechtsfolge des § 50i EStG Liekenbrock in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 50i EStG Rz. 99 (Stand: 10.2017).

596 | Baßler

B. Personale Auslandsbezüge | Rz. 8.64 Kap. 8

wurde. Nach dem Normtext besteht nämlich keine Personenidentität zwischen demjenigen, der die Wirtschaftsgüter veräußert oder entnimmt, und demjenigen, der die Tatbestandsmerkmale in § 50i Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 EStG verwirklicht hat.1 Denkbar ist sogar, dass die steuerneutrale Übertragung durch die Person 1, der (teilweise) Ausschluss des Besteuerungsrechts durch Person 2 und die spätere Veräußerung durch Person 3 verwirklicht wird. Abwandlung des vorstehenden Beispiels: Abweichend vom vorstehenden Beispiel lebt A im Jahr 2020 immer noch in dem DBA-Staat, in den er 1993 verzogen ist. B, der seinen inländischen Wohnsitz nie aufgegeben hat, schenkt seinen Anteil an der X GmbH & Co. KG seinem in UK domizilierten Neffen N. Bei der X GmbH & Co. KG handelt es sich um eine § 50i-Struktur, weil Beteiligungen im Sinne des § 17 EStG ohne Aufdeckung der stillen Reserven vor dem 29.6.2013 übertragen wurden und das Recht der Bundesrepublik zur Besteuerung eines Gewinns aus der Veräußerung oder Entnahme dieser MBeteiligungen durch den Wegzug des B vor dem 1.1.2017 beschränkt wurde, nämlich auf die auf B entfallenden 50 %. Folglich wäre für die Schenkung des A an N die Bedingung des § 6 Abs. 3 Satz 1 1. Hs. a.E. EStG erfüllt ist: Die Besteuerung der im übertragenen Anteil gebundenen stillen Reserven ist trotz Abkommen sichergestellt, weil es wg. § 50i Abs. 1 Satz 1 EStG nicht zu beachten ist.2 Zweifel an dieser Lösung rühren aber auch hier daher, dass die explizite Rechtsfolge des § 50i EStG B nicht trifft, weil er nicht im DBA-Ausland ansässig ist eniehe oben beim Ausgangsbeispiel.

Fragen zu einer Gewinnrealisierung mangels Buchwertfortführung gem. § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG stellen sich schließlich, wenn die Nachfolge zu einer Veränderung der Zurechnung von materiellen und immateriellen Wirtschaftsgütern (einschließlich Beteiligungen) zu den Betriebsstätten eines inländischen Betriebs mit zumindest einer Betriebsstätte im Ausland führt. Diese Zurechnung richtet sich vor allem nach ihren jeweiligen Personalfunktionen (§ 1 Abs. 5 Satz 5 Nr. 2 AStG).3 Dieses Prinzip gehört zwar originär zu den Regeln der zwischenstaatlichen Gewinnabgrenzung, welche den AOA der OECD in nationales Recht umsetzen (§ 1 Abs. 5 AStG i.V.m. BsGaV); es gilt jedoch auch im Rahmen der nationalen Entstrickungsvorschriften.4 Ändert sich durch eine Maßnahme der Unternehmensnachfolge die Personalfunktion der Betriebsstätte, kann dies folglich eine veränderte Zurechnung von Wirtschaftsgütern nach sich ziehen.

1 Liekenbrock in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 50i EStG Rz. 58.1 (Stand: 10.2017); Töben, IStR 2013, 682 (684). 2 Gosch in Kirchhof19, § 50i EStG Rz. 3; Hruschka, StbJb. 2013/2014, 237 (260); in der Tendenz (“Es erscheint nicht ausgeschlossen ...“) Liekenbrock in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 50i EStG Rz. 90.3 Fn. 2 (Stand: 10.2017). 3 Die sog. Zentralfunktion des Stammhauses (vgl. BMF-Schr. v. 24.12.1999 betr. Grundsätze der Verwaltung für die Prüfung der Aufteilung der Einkünfte bei Betriebsstätten international tätiger Unternehmen (Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze), BStBl. I 1999, 1076 Tz. 2.4 sowie die dagegen gerichtete Kritik der Literatur, Nachw. bei Stadler/Bindl/Korff in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 13.13) hat durch die Übernahme des AOA der OECD (§ 1 Abs. 5 AStG sowie BsGaV) keine Bedeutung mehr, vgl. Stadler/Bindl/Korff in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 13.39; Baldamus, IStR 2012, 317 (319); Wassermeyer, IStR 2012, 277 (280); Kahle/Eichholz, StuB 2014, 867. 4 BMF-Schr. v. 26.9.2014 betr. Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) auf Personengesellschaften, BStBl. I 2014, 1258 Tz. 2.2.4.1. Zustimmend Leonhardt/Tcherveniachki in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 1 AStG Rz. 2816 (Stand: 3.2019); Neumann-Tomm, IStR 2015, 911; skeptisch Ditz, ISR 2013, 264; Ditz/Luckhaupt, ISR 2015, 8.

Baßler | 597

8.64

Kap. 8 Rz. 8.64 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug Beispiel: I ist unbeschränkt steuerpflichtig und Inhaber eines Gewerbebetriebs zur Herstellung von Möbeln mit Betriebsstätten in Deutschland und im Staat A. Innerhalb der Betriebsorganisation ist I insb. für die Produktion der Möbel zuständig, während sich der leitende Angestellte X um den Vertrieb kümmert. Die Produktion der Möbel erfolgt überwiegend selbst, teilweise aber auch durch einen in Staat B ansässigen Lohnfertiger. An dieser Lohnfertiger-Gesellschaft hält I in seinem Betriebsvermögen eine Beteiligung von 30 %. I stirbt und wird durch seinen im Staat A ansässigen und dort tätigen Nachfolger N beerbt. Während die Besteuerung der stillen Reserven in den wesentlichen Betriebsgrundlagen der inländischen Betriebsstätte (vorbehaltlich der Beteiligung am Lohnfertiger, dazu sogleich) auch beim Nachfolger N sichergestellt erscheint (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG), ist dies beim Betriebsvermögen der Betriebsstätte in Staat A nicht unbedingt der Fall. Vorbehaltlich eines Abkommens unterlag ein Gewinn aus der Veräußerung dieser Wirtschaftsgüter bis zum Erbfall der unbeschränkten Steuerpflicht (unter Anrechnung einer ausländischen Steuer gem. §§ 34c, 34d EStG). Nach dem Erbgang ist dieser Gewinn in Deutschland nicht steuerpflichtig, denn er ist – auch in der Zeit vor dem Erbfall – außerhalb einer inländischen Betriebsstätte erwirtschaftet worden und daher beim nur beschränkt steuerpflichtigen N nicht steuerbar.1 Die Folge in Bezug auf die Anwendung von § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG hängt maßgeblich davon ab, ob der inländische Betriebsteil einen funktional selbständigen Betrieb bildet. Ist dies nicht der Fall, findet § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG insgesamt keine Anwendung und die Nachfolge führt zur Aufdeckung sämtlicher stiller Reserven des Betriebs. Andernfalls, wenn also die deutsche Betriebsstätte einen eigenständigen Betrieb bildet, auf den nach der hier vertretenen Auffassung § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG isoliert anwendbar sein kann (vgl. Rz. 8.45), bedeutet dies noch nicht, dass die Nachfolge insoweit anteilig ertragsteuerneutral erfolgen kann. Dies entscheidet sich erst nach Würdigung der Folgefrage nach dem steuerlichen Effekt der durch den Erbfall bewirkten Änderung in der Arbeitsorganisation. Da Wirtschaftsgüter nach Maßgabe der Personalfunktion zugeordnet werden (§ 7 Abs. 1 BsGaV) und die für die Beteiligung am Lohnfertiger maßgebliche Personalfunktion „Herstellung“ (§ 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BsGaV) durch den Erbfall in die Betriebsstätte im Staat A wechselte, verändert sich auch die Zuordnung der Beteiligung, es sei denn, es besteht eine engere Verbindung zu einer anderen Personalfunktion des Unternehmens (§ 7 Abs. 2 BsGaV).2 Diese geänderte Zuordnung hindert jedoch nicht die Fortführung der Buchwerte gem. § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG, selbst wenn diese Beteiligung eine wesentliche Betriebsgrundlage bildet. Trotz der Zurechnung der Beteiligung zur Betriebsstätte in Staat A unterliegen die bei einer zukünftigen Veräußerung realisierten und bis zum Erbfall entstandenen stillen Reserven in der Beteiligung nämlich der beschränkten Steuerpflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG (vgl. Rz. 8.53); dies genügt den Voraussetzungen des i.S.v. § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob in Bezug auf die Beteiligung selbst daneben § 16 Abs. 3a EStG, § 4 Abs. 1 Satz 3, 4 EStG anwendbar ist (vgl. Rz. 8.67 f.).

8.65

Falls zwischen Deutschland und dem Ansässigkeitsstaat des Nachfolgers N ein Doppelbesteuerungsabkommen besteht, zeigt das vorstehende Beispiel noch eine weitere Facette der internationalen Nachfolgen. Wie im abkommenslosen Zustand kann Deutschland auch in dieser Situation zwar nach dem Erbfall die stillen Reserven in den wesentlichen Betriebsgrundlagen der ausländischen Betriebsstätte nicht besteuern (vgl. Rz. 8.64). Dennoch ist fraglich, ob deshalb die Nachfolge insgesamt, also in Bezug auf das Betriebsvermögen der inländi-

1 BFH v. 24.2.1988 – I R 95/84, BStBl. II 1988, 663. 2 Vgl. BMF-Schr. v. 22.12.2016 betr. Grundsätze für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf die Aufteilung der Einkünfte zwischen einem inländischen Unternehmen und seiner ausländischen Betriebsstätte und auf die Ermittlung der Einkünfte der inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens nach § 1 Abs. 5 AStG i.V.m. BsGaV, BStBl. I 2017, 182 Rz. 103 f.

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B. Personale Auslandsbezüge | Rz. 8.66 Kap. 8

schen Betriebsstätte, nicht zu Buchwerten stattfinden kann (abgesehen von einer fiktiven Entnahme der Beteiligung am Lohnfertiger, vgl. das Beispiel in Rz. 8.64). Denn im Unterschied zum abkommenslosen Zustand wird diese Begrenztheit des deutschen Steuerzugriffs nicht durch die Nachfolge bewirkt. Aufgrund der abkommensrechtlichen Freistellung ausländischer Betriebsstätteneinkünfte (Art. 23A OECD-MA) bestand sie bereits vor dem Erbfall – vorbehaltlich einer abkommensrechtlichen Aktivitätsklausel oder eines nationalen treaty-overrides (§ 50d Abs. 9 EStG, § 20 Abs. 2 AStG). Von solchen Sonderfällen abgesehen verändert die Nachfolge lediglich die normative Grundlage dafür, dass Deutschland die stillen Reserven im ausländischen Betriebsvermögen eben nicht besteuern darf: Während vor dem Erbfall ein Veräußerungsgewinn zwar einkommensteuerbar aber durch das Abkommen steuerfrei gestellt war, ist ein Gewinn nach dem Erbfall nicht einmal mehr einkommensteuerbar. Unter teleologischen Gesichtspunkten kann § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG die Buchwertfortsetzung nur von der Sicherstellung der Besteuerung jener stillen Reserven abhängig machen, die zuvor dem deutschen Steuerzugriff unterlagen. Wo dies vor und nach der Rechtsnachfolge nicht der Fall ist, muss das Merkmal der „Sicherstellung der Besteuerung stiller Reserven“ teleologisch reduziert werden. Diese Betrachtung, dass die Nachfolgemaßnahme aufgrund der schon bestehenden abkommensrechtlichen Freistellung zu keiner maßgeblichen Änderung des Steuerzugriffs führt, wird durch den Progressionsvorbehalt (Art. 23A Abs. 3 OECD-MA) nicht in Frage gestellt. Diese in deutschen Abkommen durchgängig als Teil des Methodenartikels vereinbarte Regelung führt zwar dazu, dass Nachfolger und ehemaliger Inhaber bei der Veräußerung des Betriebs c. p. nicht der gleichen deutschen Steuer unterliegen würden. Denn beim (ehemaligen) Inhaber, nicht aber beim Nachfolger, würde der Gewinn aus der Veräußerung des ausländischen Betriebsvermögens zur Bestimmung des Steuersatzes herangezogen werden, der auf den Gewinn anzuwenden ist, der aus der Veräußerung des Vermögens der inländischen Betriebsstätte realisiert wird. Dies führt auch dazu, dass die fraglichen stillen Reserven im freigestellten Auslandsvermögen in Deutschland (i.S.v. § 174 Abs. 1 AO) „berücksichtigt werden“.1 Aber eine „Besteuerung“ dieser stillen Reserven, wie dies § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 a.E. EStG nach Sinn und Zweck voraussetzt, erfolgt hier nicht. Besondere Effekte können sich durch den Wechsel in der Personalfunktion bei Unternehmen zeigen, die den internationalen Verkehr mit Seeschiffen oder Luftfahrzeugen betreiben (vgl. Art. 8 OECD-MA). Beispiel: I betreibt eine Reederei mit Betriebsstätten im Inland und im Staat A, mit dem ein DBA nach dem OECD-MA besteht. In beiden Betriebsstätten sind Mitarbeiter beschäftigt, wobei die Betriebsstätte in A von dem dort ansässigen N geleitet wird, der auch Stellvertreter des I in der Gesamtleitung der Reederei ist. I stirbt und wird N beerbt, der fortan die Reederei aus der Betriebsstätte in A heraus leitet.

In diesem Beispiel droht eine Realisation sämtlicher stiller Reserven im Betriebsvermögen. Die Verlagerung der Geschäftsleitungsbetriebsstätte, welche durch die Nachfolge bewirkt wird, führt zwar nicht unmittelbar dazu, dass die Besteuerung von stillen Reserven als nicht i.S.v. § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG sichergestellt erscheint. Dies gilt jedenfalls insoweit, als mit der Verlagerung der Personalfunktion kein Zuordnungswechsel von Wirtschaftsgütern einhergeht (vgl. dazu Rz. 8.64). Die Verlegung der Geschäftsleitungsbetriebsstätte bewirkt jedoch, dass ein Gewinn aus der Veräußerung der Schiffe nicht mehr – wie zuvor – in Deutschland, son1 BFH v. 20.3.2019 – II R 61/15, BFH/NV 2019, 725; BFH v. 20.3.2019 – II R 62/15, BFH/NV 2019, 674 mit Anm. Baßler, ISR 2019, 424; Carlé, DStZ 2019, 489.

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8.66

Kap. 8 Rz. 8.66 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug

dern nunmehr ausschließlich im Staat A besteuert werden darf (Art. 13 Abs. 3 OECD-MA). Dies gilt – im Unterschied zur Rechtsprechung des BFH zu Art. 13 Abs. 2 OECD-MA1 – zeitpunktbezogen2; mit dem Wechsel der Geschäftsleitung ist die Besteuerung eines Gewinns aus der Veräußerung von Schiffen in Deutschland ausgeschlossen, ohne Rücksicht darauf, unter welchen Bedingungen die zugrunde liegenden stillen Reserven erwirtschaftet wurden. dd) Entstrickung trotz Buchwertfortführung nach § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG

8.67

Ist bei der Nachfolge durch den Ausländer (zur Verwendung des Begriffspaars „Inländer“/ „Ausländer“ vgl. Rz. 8.3) die Besteuerung der stillen Reserven sichergestellt (vgl. Rz. 8.48, 8.49–8.66), kann der ehemalige Inhaber in seiner Schlussbilanz die Buchwerte ansetzen (§ 6 Abs. 1 Satz 1 EStG), die der Nachfolger fortsetzt (§ 6 Abs. 3 Satz 3 EStG). Die Nachfolge kann ertragsteuerneutral stattfinden. Dies schließt es aber nicht aus, dass die Nachfolgemaßnahme im konkreten Fall den Tatbestand einer anderen Entstrickungsnorm, insb. § 16 Abs. 3a EStG und § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG erfüllt, so dass sich die Frage nach dem Verhältnis beider Vorschriften stellt (vgl. dazu Rz. 8.68). Die Frage nach dem Konkurrenzverhältnis stellt sich allerdings nur in Bezug auf die Wirtschaftsgüter, die dem Vermögen des übertragenen Betriebs oder dem Betriebsvermögen der Mitunternehmerschaft, deren Anteil übertragen wurden zuzurechnen sind (vgl. Rz. 8.69–8.74), einschließlich des übertragenen SoBV (Rz. 8.75). Maßnahmen der Unternehmensnachfolge können darüber hinaus Entstrickungen in anderen Betriebsvermögen bewirken (vgl. Rz. 8.76).

8.68

Ausgangspunkt zur Bestimmung des Verhältnisses der allgemeinen Entstrickungsnormen zu § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG ist die Feststellung, dass es Maßnahmen der Unternehmensnachfolge gibt, in denen die fortgesetzte Besteuerung der stillen Reserven i.S.v. § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 a.E. EStG sichergestellt ist und zugleich das Recht der Bundesrepublik zur Besteuerung eines Gewinns aus der Veräußerung sämtlicher Wirtschaftsgüter (§ 16 Abs. 3a EStG) oder einzelner Wirtschaftsgüter (§ 4 Abs. 1 Satz 3 EStG) ausgeschlossen oder beschränkt sein kann. Die Auflösung dieses scheinbaren Widerspruchs liegt in § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG, auf den § 16 Abs. 3a Halbs. 2 EStG verweist.3 Das Gesetz fingiert4 die Betriebsverlegung, d.h. den Wechsel der Zuordnung aller Wirtschaftsgüter von einer inländischen zu einer ausländischen Betriebsstätte, als einen Ausschluss des Besteuerungsrechts, obschon das deutsche Besteuerungsrecht, jedenfalls in Bezug auf stille Reserven, die zur Zeit der Betriebsverlegung gebildet sind, nach der Rechtsprechung gar nicht ausgeschlossen oder beschränkt ist (vgl. dazu näher Rz. 8.45). Dies entsprach auch dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, der durch § 16 Abs. 3a EStG die von der Rechtsprechung verworfene Theorie der finalen Betriebsaufgabe aus Gründen der Praktikabilität festschreiben wollte. Andernfalls ergebe sich auf der Grundlage der geänderten 1 BFH v. 28.4.2010 – I R 81/09, BStBl. II 2014, 754 Rz. 22 f.; BFH v. 9.12.2010 – I R 49/09, BStBl. II 2011, 482 Rz. 18. 2 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 13 OECD-MA Rz. 14 a.E. (05.2011); Meretzki in Flick/Wassermeyer/Kempermann, Art. 13 DBA-CH Rz. 164 (Stand: 11.2018). 3 Zur Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht vgl. FG Düsseldorf v. 19.11.2015 – 8 K 3664/11 F, EFG 2016, 209 (mit Anm. Mitschke, IStR 2016, 118; das unter I R 99/15 beim BFH anhängige Revisionsverfahren wurde bis zur Entscheidung des BVerfG über das Normenkontrollverfahren 2 BvL 8/13 ausgesetzt); FG Köln v. 16.2.2016 – 10 K 2335/11, EFG 2016, 793 (rkr., mit Anm. NeitzHackstein); EuGH v. 21.5.2015 – C-657/13 (Verder LabTec), IStR 2015, 440. Aus der Literatur vgl. die Nachweise bei Musil in Herrmann/Heuer/Raupach, § 6 EStG Rz. 226 (Stand: 12.2019). 4 Zur Regelungstechnik des § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG nebst Kritik vgl. Kessler/Philipp, DStR 2012, 267 (212); Musil in Herrmann/Heuer/Raupach, § 6 EStG Rz. 229, 240 (Stand: 12.2019).

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B. Personale Auslandsbezüge | Rz. 8.70 Kap. 8

Rechtsprechung die Notwendigkeit, das Schicksal der in ausländische Betriebsstätten verlagerten Wirtschaftsgüter nachzuverfolgen, was für die deutsche Finanzverwaltung „oftmals schwierig bis unmöglich“ sei.1 Auch wenn der Gesetzgeber des BEPS-UmsG2 sich zum Verhältnis des neugefassten § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 a.E. EStG zu § 16 Abs. 3a EStG nicht geäußert hat, spricht daher die Gesetzgebungshistorie dafür, dass § 16 Abs. 3a EStG und § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 EStG unabhängig nebeneinander stehe. Mit anderen Worten kann Entstrickung nach § 16 Abs. 3a EStG eintreten, selbst wenn die Voraussetzungen der Buchwertfortführung nach § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG erfüllt sind. Für § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG gilt nichts anderes. Das Nebeneinander von § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG und § 16 Abs. 3a EStG wird beispielhaft bei der Nachfolge in personenbezogene Gewerbebetriebe (vgl. Rz. 8.51 ff.) deutlich. Wo der Nachfolger den Betrieb des (ehemaligen) Inhabers (als Handelsvertreter, Produktdesigner oder App-Programmierer, vgl. die Beispiele in Rz. 8.51) nach dessen Tod unmittelbar von seinem Wohnsitz im Ausland heraus fortführt, bewirkt der Erbfall, ggf. auch erst die Fortsetzung der Tätigkeit durch den Nachfolger nach einer todesbedingten Betriebsunterbrechung, die Verlegung des Betriebs in das Ausland. Der Nachfolger kann zwar die Buchwerte im Betriebsvermögen, namentlich in den wesentlichen Betriebsgrundlagen des Anlagevermögens, fortsetzen, weil die Besteuerung der bis zur Nachfolge entstandenen stillen Reserven gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG i.V.m. Art. 13 Abs. 2 OECD-MA in Deutschland nach der Rechtsprechung des BFH sichergestellt ist.3 Gleichzeitig wechselt jedoch in sämtlichen genannten Beispielsfällen die Zuordnung sämtlicher Gegenstände des Betriebsvermögen hin zur neuen ausländischen Betriebsstätte (§ 4 Abs. 1 Satz 4 EStG) so dass zu einer fiktiven Betriebsaufgabe (§ 16 Abs. 3a EStG) kommt. Insoweit, als bestimmte Wirtschaftsgüter in Deutschland zurückbleiben, aber die wesentlichen Betriebsgrundlagen (der Kundenstamm des Handelsvertreters, das Designrecht nach dem DesignG) des Produktdesigners oder das Urheberrecht des Softwareprogrammierers) in das Ausland überführt werden, kommt es insoweit zumindest zu einer Entnahme (§ 4 Abs. 1 Satz 3 EStG). Daran ändert auch nichts, dass der Produktdesigner mit einem Gewinn aus der Veräußerung des Designrechts gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG der deutschen beschränkten Steuerpflicht unterliegen würde – vorbehaltlich eines Abkommens, welches diesen Gewinn insoweit, als er von der deutschen Betriebsstätte erwirtschaftet wurde, die Besteuerung durch Deutschland eröffnet.4

8.69

Eine für § 16 Abs. 3a EStG relevante Verlegung einer Betriebsstätte aufgrund Vermögensübergang auf einen im Ausland ansässigen Nachfolger kommt auch bei Besitzunternehmen in Betracht (vgl. auch Rz. 8.55 ff.). Da Besitzunternehmen keine Unternehmen im abkommensrechtlichen Sinne darstellen (vgl. Rz. 8.57), stellt sich diese Frage allerdings nur dann, wenn zwischen Deutschland und dem Ansässigkeitsstaat des Nachfolgers kein DBA besteht oder aber die Bundesrepublik einen Gewinn aus der Veräußerung der wesentlichen Betriebsgrund-

8.70

1 Finanzausschuss des Bundestages, Bericht zum Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2010, BTDrucks. 17/3549, 21. 2 Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnverkürzungen und -verlagerungen – BEPS-Umsetzungsgesetz v. 20.12.2016, BGBl. I 2016, 3000. 3 BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, BFH/NV 2010, 432; BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019; vgl. näher Rz. 8.41. 4 BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, BFH/NV 2010, 432 Rz. 59, juris; BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019 Rz. 27; vgl. auch Meretzki in Flick/Wassermeyer/Kempermann, Art. 13 DBACH Rz. 99 (Stand: 11.2018) m.w.Nachw. aus der Literatur.

Baßler | 601

Kap. 8 Rz. 8.70 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug

lagen, d.h. die zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter und die Beteiligung am Betriebsunternehmen, trotz des Abkommens besteuern darf; Letzteres ist gerade in Bezug auf die Beteiligung in den eher ausnahmsweise auftretenden Fällen gegeben, wenn die Betriebsgesellschaft die Voraussetzung einer Immobiliengesellschaft nach Art. 13 Abs. 4 OECD-MA erfüllt oder das DBA das Recht zur Besteuerung von Gewinnen aus der Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen abweichend von Art. 13 Abs. 5 OECD-MA dem Ansässigkeitsstaat zuweist (vgl. Rz. 8.59).

8.71

Liegen in einem solchen Fall die Voraussetzungen für eine Fortführung der Buchwerte nach § 6 Abs. 3 EStG vor, wird der Betrieb im Zuge der Nachfolge u.U. in gleicher Weise wie beim Wegzug des Inhabers in das Ausland verlegt, da dieser in aller Regel für das Besitzunternehmen keine eigene betriebliche Organisation vorhält und nach feststehender Rechtsprechung die Betriebsstätte des Betriebsunternehmens auch keine Betriebsstätte des Besitzunternehmens bildet.1 Aufgrund entsprechender Anwendung von § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG auf § 16 Abs. 3a EStG käme es deswegen zu einer fiktiven Betriebsaufgabe. Zu erwägen ist, ob in jenen Fällen, in denen sämtliche von der Verlegung des Betriebs betroffenen Wirtschaftsgüter auch nach der Nachfolge weiterhin der deutschen beschränkten Steuerpflicht unterliegen, eine teleologische Reduktion der Vorschrift angezeigt erscheint. Der BFH hatte die Theorie der finalen Betriebsaufgabe aufgegeben, weil es hierfür eine gesetzliche Grundlage nicht gab und angesichts der weiten Auslegung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG und Art. 13 Abs. 2 OECD-MA auch ein Bedarf nicht bestand.2 Der Gesetzgeber hat hier einen Bedarf aus Gründen des praktischen Verwaltungsvollzugs gesehen und eine Rechtsgrundlage geschaffen. Dem ist zuzustimmen, denn in der Tat erscheint es „schwierig bis unmöglich ..., das weitere Schicksal des in das Ausland verlegte Betriebsvermögen zu überwachen und den tatsächlichen Realisationsakt im Ausland zu erkennen und zu erfassen.“3 Diese Sichtweise macht sich auch der EuGH zu eigen, wenn er in Fällen wie National Grid Indus und Verder LabTec auf das Risiko der Nichteinziehung einer entstandenen Steuer verweist.4 Dieser vom Gesetzgeber identifizierte Bedarf endet aber dort, wo das in das Ausland verlegte Betriebsvermögen ausschließlich aus solchen Wirtschaftsgütern zusammengesetzt ist, deren Veräußerung durch einen gewerblich tätigen Ausländer zu inländischen Einkünften i.S.v. § 49 Abs. 1 EStG führt. Denn wieso könnte sonst die Bundesrepublik ein Besteuerungsrecht bei der Veräußerung dieser Wirtschaftsgüter beanspruchen, wenn doch der Gesetzesvollzug „schwierig bis unmöglich“ wäre, also im Ausgangspunkt bereits an einem strukturellen Vollzugsdefizit litte.5 Es ist nicht zu erkennen, dass der historische Gesetzgeber tatsächlich eine über den von ihm zu Recht erkannten Bedarf hinausgehende Norm schaffen wollte. Zumindest im EU-Fall wäre er damit auch über das hinaus gegangen, was zur Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse erforderlich ist, so dass die Norm mit den Grundfreiheiten des Unionsrecht in Konflikt geriete. 1 BFH v. 28.7.1982 – I R 196/79, BStBl. II 1983, 77; BFH v. 17.7.1991 – I R 98/88, BStBl. II 1992, 246. Eine Ausnahme soll freilich gelten, wenn die Betriebsgesellschaft aufgrund des Pachtvertrags im Pflichtenkreis des Besitzunternehmens für dieses tätig wird und somit zu ihrer unselbständigen Vertreterin wird, vgl. FG Baden-Württemberg v. 21.4.2004 – 12 K 252/00, EFG 2004, 1384. 2 BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, BFH/NV 2010, 432; BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019; vgl. näher Rz. 8.41. 3 Finanzausschuss des Bundestages, Bericht zum Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2010, BTDrucks. 17/3549, 21 f. 4 EuGH v. 29.11.2011 – C-379/10 (National Grid Indus), BFH/NV 2012, 364, Tz. 74; v. 21.5.2015 – C-657/13 (Verder LabTec), IStR 2015, 440 Rz. 50 5 Zum strukturellen Vollzugsdefizit als Verfassungsverstoß vgl. BVerfG v. 9.3.2004 – 2 BvL 17/02, BStBl. II 2005, 56.

602 | Baßler

B. Personale Auslandsbezüge | Rz. 8.73 Kap. 8

Von diesem Standpunkt einer teleologisch reduzierten Auslegung von § 16 Abs. 3a EStG aus sind die unter Rz. 8.55 skizzierten Besitzunternehmen durchaus unterschiedlich zu beurteilen, nämlich je nach der Art der zu Nutzung überlassenen wesentlichen Betriebsgrundlage. Für den praktisch wichtigsten Fall, dass die sachliche Verflechtung zwischen Besitz- und Betriebsunternehmen auf in Deutschland belegenen Grundbesitz beruht, käme § 16 Abs. 3a EStG (wg. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG) ebenso wenig zur Anwendung wie für den Fall, dass es sich bei der überlassenen wesentlichen Betriebsgrundlage um im Inland registrierte Immaterialgüterrechte (Marken, Patente) handelt. Aber auch für ein Besitzunternehmen, welches im Ausland registrierte oder nicht registrierte immaterielle Wirtschaftsgüter (Urheberrechte) zur Nutzung überlässt, käme § 16 Abs. 3a EStG aufgrund der teleologisch reduzierten Auslegung nicht zur Anwendung, weil auch eine Veräußerung dieser Wirtschaftsgüter über § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG (in der Variante der Verwertung in inländischer Betriebsstätte [der Betriebsgesellschaft]) der beschränkten Steuerpflicht unterliegt. Ob und in welchem Umfang diese hypothetischen Einkünfte aus der Veräußerung nach Maßgabe des ggf. einschlägigen DBA Deutschland zur Besteuerung zugewiesen sind, ist unerheblich, ungeachtet dessen, dass bei einem Ausschluss der Besteuerung durch das Abkommen die Voraussetzung des § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 a.E. EStG nicht erfüllen (vgl. Rz. 8.70). Maßgeblich ist für die hier vertretene teleologische Reduzierung des § 16 Abs. 3a EStG lediglich der Katalog des § 49 Abs. 1 EStG, weil der Gesetzgeber damit selbst zu Ausdruck bringt, dass die Erhebung einer Steuer auf Veräußerungsgewinne auch gegenüber Personen ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland der Finanzverwaltung keine ungewöhnlichen Schwierigkeiten bereiten wird. Folglich ist es auch für die Beteiligung am Besitzunternehmen, die ja ebenfalls zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen des Besitzunternehmens zählt1allein entscheidend, dass der Gewinn aus der Veräußerung dieser Beteiligung in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG der beschränkten Steuerpflicht unterliegt.

8.72

Für gewerblich geprägte Personengesellschaften (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG) hat sich gezeigt, dass die Fortführung der Buchwerte nach § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG durch den im Ausland ansässigen Nachfolger im abkommenslosen Zustand aufgrund der weiten Auslegung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG, welche der BFH in seinen Entscheidungen zur Aufgabe der Theorie der funktionalen Betriebsaufgabe gefunden hat (vgl. Rz. 8.45)2, in aller Regel möglich ist; unter der Geltung eines DBA ist dies indessen nur eingeschränkt der Fall (vgl. Rz. 8.61). Insofern, als die Geschäftsleitungsbetriebsstätte der gewerblich geprägten Personengesellschaft in vergleichbarer Form wie bei einem Besitzunternehmen zusammen mit der Nachfolgemaßnahme oder in unmittelbarer Folge der Nachfolge in das Ausland verlegt wird, kommt auch hier eine fiktive Betriebsaufgabe (§ 16 Abs. 3a EStG) in Betracht. Die Ausführungen unter Rz. 8.71 gelten entsprechend.

8.73

Beispiel: I (Steuerinländer) und N (Steuerausländer) sind zu 80 % bzw. 20 % Gesellschafter einer gewerblich geprägten GmbH & Co. KG; alleiniger Gesellschafter der Komplementär GmbH ist I. Geschäftsführer sind I und N, wobei im Innenverhältnis I allein entscheidet. Die Unterlagen der KomplementärGmbH wie der KG sind ausschließlich in einer cloud abgelegt; Zugriff darauf haben sowohl N wie auch I.

1 BFH v. 14.11.1969 – III R 218/65, BStBl. II 1970, 302; BFH v. 4.7.2007 – X R 49/06, BStBl. II 2007, 772. Aus der Literatur statt aller Wacker in Schmidt39, § 15 EStG Rz. 873. 2 BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, BFH/NV 2010, 432; BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019.

Baßler | 603

Kap. 8 Rz. 8.73 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug Im Vermögen der KG befinden sich 100%-Anteile an drei inländischen Kapitalgesellschaften sowie eine Beteiligung von 75 % an einer ausländischen Kapitalgesellschaft. N unentgeltlich seinen Anteil an der GmbH & Co. KG zu und scheidet aus. N führt die Geschäfte nahtlos weiter. Mangels Abkommen ist die Besteuerung der stillen Reserven in den Beteiligungen der KG gesichert (vgl. Rz. 8.61). Da mit der Übertragung der Anteile an GmbH und KG der N die Geschäftsführung übernimmt, wurde damit die Geschäftsleitungsbetriebsstätte der Komplementärin wie auch der KG an den Wohnsitz des N verlagert. Dadurch kommt eine fiktive Betriebsaufgabe gem. § 16 Abs. 3a EStG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG in Betracht. Nach der hier vertretenen Auffassung ist diese Vorschrift nach dem historischen Willen des Gesetzgebers, eine Entstrickung bei Betriebsverlegung nur aus Gründen der Vereinfachung des Steuerverfahrens anzuordnen, reduziert auszulegen, sofern der Gewinn aus der Veräußerung aller Wirtschaftsgüter in Deutschland zu inländischen Einkünften führte (vgl. Rz. 8.71). Dies ist hier allerdings nur für die Beteiligung an inländischen Kapitalgesellschaften der Fall (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG), nicht aber für die Anteile an der ausländischen Gesellschaft. Insofern kommt § 16 Abs. 3a EStG auf die Nachfolge des N zur Anwendung.

8.74

Selbst wenn im Beispiel unter Rz. 8.73 die KG keine Anteile an der ausländischen Kapitalgesellschaft hielte und somit § 16 Abs. 3a EStG hielte, müsste die Nachfolge durch I noch unter einem anderen Gesichtspunkt auf ihre Ertragsteuerneutralität hin kritisch überprüft werden. Die Nachfolge des N wirkt nicht nur auf die Belegenheit der Geschäftsleitungsbetriebsstätten der GmbH (und somit auch der KG) ein, sie führt auch gesellschaftsrechtlich dazu, dass der Verwaltungssitz beider Gesellschaften in das Ausland verlagert wird. Es ist sicherzustellen, dass dies nicht die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG tangiert, um nicht auf diese Weise eine Betriebsaufgabe (nach § 16 Abs. 3 EStG) auszulösen. Dies betrifft weniger das Merkmal, dass ausschließlich Kapitalgesellschaften als persönlich haftende Gesellschafter beteiligt sein dürfen. Denn wegen des kollisionsrechtlichen Gehalts von § 4a GmbHG führt die Verlegung des Verwaltungssitzes bei der Komplementärin nicht zu einem Statutenwechsel; sie ist nach h.M. aus deutscher Sicht weiterhin eine Kapitalgesellschaft.1 Von größerer Bedeutung ist demgegenüber, ob die Personengesellschaft nach ihrer rechtlichen Struktur weiterhin als Kommanditgesellschaft gilt, so dass N als Kommanditist nur nach Maßgabe der §§ 171, 172 HGB persönlich für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftet. Diese Bedingung ist aber erfüllt, weil die Kommanditgesellschaft nach wohl immer noch h.M. durch die Verlegung ihres Verwaltungssitzes in das Ausland zwar aufgelöst wird,2 aber nicht ipso iure zur BGBGesellschaft „abschmilzt“.3 Da auch die Kommanditisten einer aufgelösten KG nicht persönlich haften, sind die Voraussetzungen von § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG auch noch nach der Nachfolge in der Person des Nachfolgers erfüllt. Fraglich ist somit allenfalls, ob durch die gesetzlich angeordnete Zwangsauflösung der KG eine Betriebsaufgabe nach § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG droht. Mangels Zerschlagung der betrieblichen Einheit verwirklicht die gesellschaftsrechtliche Auflösung einer Gesellschaft aber noch keine Betriebsaufgabe;4 allenfalls ist eine Betriebsunterbrechung eingetreten (§ 15 Abs. 3b EStG). Der Nachfolger kann den Betrieb in ausländischer Rechtsform wiederaufnehmen, wobei es vom ausländischem Gesellschaftsrecht abhängt, ob dies steuerrechtlich als identitäts-

1 Vgl. Cziupka in Scholz12, § 4a GmbHG Rz. 24; Bayer in Lutter/Hommelhoff20, § 4a GmbHG Rz. 14 m.w.Nachw. 2 Vgl. Langhein in MüKo4, § 106 HGB Rz. 30; Wertenbruch in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn3, § 105 HGB Rz. 299, jew. m.w.Nachw. 3 Vgl. Haase/Steierberg, IStR 2014, 888 (889). 4 Zum mehrgliedrigen Aufgabetatbestand vgl. BFH v. 16.3.2017 – IV R 31/14, BStBl. II 2019, 24 Rz. 33 ff.

604 | Baßler

B. Personale Auslandsbezüge | Rz. 8.76 Kap. 8

wahrende Fortsetzung der alten KG in neuem Rechtskleid oder als Einbringung des Betriebs in eine neue ausländische Kommanditgesellschaft (§ 24 UmwStG) zu qualifizieren ist. Eine Entstrickung trotz Buchwertfortführung nach § 6 Abs. 3 EStG ist auch bei Wirtschaftsgütern im Sonderbetriebsvermögen vorstellbar. Im Unterschied zu den vorgenannten Fällen ist hier § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG einschlägig.

8.75

Beispiel: I, N und S sind Kommanditisten der ausschließlich im Inland gewerblich tätigen A GmbH & Co. KG. Die Beteiligungsquote von I, N und S beträgt je 25 %, zu weiteren 25 % ist die A GmbH (Komplementärin) beteiligt, deren Anteil I, N und S zu gleichen Teilen halten. I und S sind in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig, N ist in Deutschland nur beschränkt steuerpflichtig. Er ist außerdem zusammen mit der A GmbH alleiniger Gesellschafter einer gewerblichen PersGes in seinem Ansässigkeitsstaat X, mit dem Deutschland ein DBA nach OECD-Muster geschlossen hat. I überträgt im Wege der vorweggenommenen Nachfolge seine Beteiligung an der A GmbH & Co. KG und an der A GmbH.

Die Voraussetzungen für eine Fortführung der Buchwerte des I durch N sind erfüllt, weil die Besteuerung der stillen Reserven in den wesentlichen Betriebsgrundlagen im Gesamthandsvermögen gesichert ist (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG i.V.m. Art. 13 Abs. 2 OECD-MA). Ob dies auch für die Beteiligung an der A GmbH gilt, ist insoweit ohne Bedeutung. Für die Buchwertfortführung nach § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG kommt es nach hier vertretener Auffassung (vgl. Rz. 8.45) nur auf die Sicherstellung der stillen Reserven in den wesentlichen Betriebsgrundlagen des Mitunternehmeranteils an. Die Beteiligung des I an der A GmbH zählt zwar zu seinem notwendigen SoBV II, bildet dort aber keine wesentliche Betriebsgrundlage.1 In den Händen des N zählt die Beteiligung an der A GmbH jedoch zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen seines Mitunternehmeranteils an der ausländischen PersGes, weil es sich dabei um eine Zwei-Personen-Gesellschaft handelt, die ohne die GmbH nicht existieren könnte2; dass es mit S einen weiteren Gesellschafter der A GmbH gibt, ist ohne Bedeutung. Als wesentliche Betriebsgrundlage seines Mitunternehmeranteils an der ausländischen PersGes ist die Beteiligung (aus dt. Perspektive) der ausländischen Betriebsstätte dieser Gesellschaft zuzuordnen, so dass die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Satz 4 EStG erfüllt erscheinen.

Besonderheiten in Bezug auf die Entstrickung von Wirtschaftsgütern im (Sonder-) Betriebsvermögen sind dort zu beachten, wo nationale treaty-override-Bestimmungen unilateral Abkommensregeln in Bezug auf die Besteuerung von Mitunternehmerschaften außer Kraft setzen. Betroffen ist vor allem § 50d Abs. 10 EStG. Indessen erscheint abkommensüberschreibende Wirkung dieser Norm in Bezug auf Gewinne aus Veräußerung von Wirtschaftsgütern des Sonderbetriebsvermögens3 überschaubar zu sein.4 Denn die Rechtsprechung des BFH nimmt die Zuordnung von Wirtschaftsgütern zum Betriebsvermögen einer Betriebsstätte für Zwecke des Art. 13 Abs. 2 OECD-MA nach den Kriterien des deutschen Steuerrechts vor.5 Jenseits der vorstehend genannten Situationen, in denen trotz Buchwertfortführung (§ 6 Abs. 3 EStG) Betriebsvermögen des übertragenen Gewerbebetriebs bzw. der Mitunternehmer1 OFD Frankfurt v. 3.12.2015 – S 2134 A – 14 – St 213, betr. Mitunternehmern gehörende Anteile an Kapitalgesellschaften, juris, unter Ziff. 1.2 i.V.m. Ziff. 1.1.1. Zur fehlenden Bedeutung der vermögensmäßigen Beteiligung bei einer funktionalen Betrachtungsweise vgl. auch FG Münster v. 14.8.2013 – 2 K 4721/10 G, F, EFG 2014, 81 juris Rz. 34 ff. 2 OFD Frankfurt v. 3.12.2015 – S 2134 A – 14 – St 213, betr. Mitunternehmern gehörende Anteile an Kapitalgesellschaften, juris, unter Ziff. 1.2 i.V.m. Ziff. 1.1.3. 3 Weider, IStR 2019, 16 (20). 4 Zur Durchbrechung des Abkommensverständnisses des BFH bei laufenden Erträgen vgl. dagegen Brandenberg, DStZ 2015, 393; Schmidt, DStR 2010, 2436 sowie die einschlägigen Kommentierungen. 5 BFH v. 13.2.2008 – I R 63/06, BStBl. II 2009, 414 (unter 5.d); sinngemäß auch BFH v. 12.6.2013 – I R 47/12, BStBl. II 2014, 770 Rz. 15 für die Zuordnung von Zinseinkünften.

Baßler | 605

8.76

Kap. 8 Rz. 8.76 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug

schaft, deren Anteil übertragen wird, aufgrund anderer Vorschriften entstrickt wird, kann die Nachfolge auch zu einer Entstrickung von Betriebsvermögen führen, das nicht zum übertragenen Betriebs- oder Sonderbetriebsvermögen gehört, sondern dem Nachfolger zuvor bereits gehört. Beispiel: A (Steuerausländer) und B (Steuerinländer) sind zu 60 % bzw. 40 % Gesellschafter einer vermögensverwaltenden ausländischen PersGes, die einer gewerblich tätigen GmbH & Co. KG mit Betriebsstätte im Inland ein im Ausland registriertes Immaterialgüterrecht zur Nutzung überlässt. Gesellschafter der GmbH & Co. KG sind A zu 30 % und der Steuerinländer E zu 70 %. E wendet A unentgeltlich seinen Anteil an der GmbH & Co. KG zu und scheidet aus. Vor der Nachfolge des A in die Beteiligung des E bei der GmbH & Co KG zählte sein Anteil an dem in der ausländischen PersGes verwalteten Immaterialgüterrecht nach allgemeinen Grundsätzen zu seinem Sonderbetriebsvermögen bei der GmbH & Co. KG. Entsteht mit der Nachfolge des A eine mitunternehmerische Betriebsaufspaltung zwischen der GmbH & Co. KG (als Betriebsunternehmen) und der ausländischen PersGes (als Besitzgesellschaft)1, tritt diese Zurechnung des (anteileigen) Immaterialgüterrechts zum Sonderbetriebsvermögen in Konkurrenz mit einer Zuordnung zum Betriebsvermögen der (nunmehr aus deutscher Sicht gewerblich tätigen) ausländischen PersGes. Nach allgemeinen Grundsätzen wird dieses Konkurrenzverhältnis2 zugunsten des eigenen Betriebsvermögens der Besitzgesellschaft aufgelöst;3 mit der Nachfolge des A in den Anteil des E geht demnach eine Übertragung des (anteiligen) Immaterialgüterrechts aus dem Sonderbetriebsvermögen des A in das Gesamthandsvermögen des Besitzunternehmens einher. Dieser Vorgang ist in einem reinen Inlandsfall, da zu Buchwerten erfolgend, nicht weiter problematisch (§ 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 EStG iVm § 6 Abs. 5 Satz 1 EStG). In der hier zu beurteilenden Konstellation einer grenzüberschreitenden Betriebsaufspaltung (vgl. auch Rz. 8.55 f.) droht indessen eine Entstrickung der stillen Reserven im Wirtschaftsgut: Weil die Besteuerung der stillen Reserven im Gesamthandsvermögen der ausl. PersGes, die über keine Inlandsbetriebsstätte verfügt, nicht sichergestellt ist, scheidet die Fortführung des Buchwerts nach § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 EStG i.V.m. § 6 Abs. 5 Satz 1 EStG aus und sind die Bedingungen für eine fiktive Entnahme gem. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG erfüllt.

Diese Rechtsfolge soll über § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG nicht nur für den Fall eintreten, dass ein DBA den deutschen Steuerzugriff (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG in der Variante der Verwertung in inländischer Betriebsstätte) auf den Veräußerungsgewinn (Art. 13 Abs. 5 OECDMA) und das Nutzungsentgelt (Art. 12 OECD-MA) versagt, sondern auch im abkommenslosen Zustand. Dennoch erscheint fraglich, dass eine derart gewichtige Steuerfolge allein aufgrund der Grundsätze zur Auflösung von Bilanzierungskonkurrenzen eintreten soll. ee) Rechtsfolgen der Entstrickung

8.77

Ist nach der unentgeltlichen Übertragung die Besteuerung der stillen Reserven nicht sichergestellt (vgl. dazu vorstehend unter Rz. 8.49–8.66), scheidet ein Ansatz der Buchwerte im Betriebsvermögen des Inhabers nach § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG aus. Es kommt zu einer Aufgabe 1 Teilweise wird vertreten, dass die personelle Verflechtung zwischen Besitz- und Betriebsunternehmen kein im Ausland „gegebenes“ Besteuerungsmerkmal i.S.v. § 49 Abs. 2 EStG sei und infolge dessen § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a EStG keine Anwendung finde, vgl. vgl. Mroz, IStR 2017, 742 (745) m.w.Nachw. Zur allerdings wohl herrschenden Gegenmeinung vgl. Piltz, DB 1981, 2045; Ruf, IStR 2006, 232; Gosch in Kirchhof19, § 49 EStG Rz. 103; Kaligin, Betriebsaufspaltung11, Abschn. II, 2.4.4. 2 Vgl. Wacker in Schmidt39, § 15 EStG Rz. 534. 3 Vgl. BFH v. 23.4.1996 – VIII R 13/95, BStBl. II 1998, 325; v. 24.11.1998 – VIII R 61/97, BStBl. II 1999, 483; BMF v. 18.6.1998, BStBl. I 1998, 583.

606 | Baßler

B. Personale Auslandsbezüge | Rz. 8.79 Kap. 8

des Betriebs bzw. des Mitunternehmeranteils (§ 16 Abs. 3 EStG).1. Die Wirtschaftsgüter gelten als mit dem gemeinen Wert veräußert (§ 16 Abs. 3 Satz 1, 7 EStG). Der Aufgabegewinn (§ 16 Abs. 2 EStG) wird dem (ehemaligen) Inhaber zugerechnet. Gleiches gilt bei einer fiktiven Betriebsaufgabe gem. § 16 Abs. 3a EStG (vgl. dazu vorstehend unter Rz. 8.67–8.76) Auf Antrag des ehemaligen Inhabers kann er die Steuer unter den weiteren Voraussetzungen des § 36 Abs. 5 EStG in fünf gleichen Jahresraten versteuern. Die Regelung gilt zwar unmittelbar nur für Betriebsaufgaben nach § 16 Abs. 3a EStG. Insoweit scheint allerdings eine verdeckte Regelungslücke zu bestehen, die eine analoge Anwendung rechtfertigt. Der Aufgabegewinn unterliegt (bei einer natürlichen Person) nicht der Gewerbesteuer (§ 7 Satz 2 GewStG). Ist die Aufgabe des Betriebs oder des Mitunternehmeranteils erfolgt, entsteht die Steuer und kann auch nicht mehr rückwirkend entfallen. Es fehlt insoweit für Entstrickungen im Betriebsvermögen an einer § 6 Abs. 3 AStG vergleichbaren Vorschrift. Allenfalls kann eine Widerverstrickung (§ 4 Abs. 1 Satz 8 EStG) erfolgen. Wird der im Inland ansässige Inhaber eines Anteils an einer gewerblich geprägten Personengesellschaft durch zwei Miterben beerbt, von denen einer Steuerausländer ist, in dessen Person die Besteuerung der stillen Reserven nicht nach Maßgabe des § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG sichergestellt ist, dann droht die Entstrickung der auf den Steuerausländer entfallenden anteiligen Wirtschaftsgütern der Mitunternehmerschaft (nach Maßgabe der Ausführungen unter Rz. 8.49 ff., 8.67 ff.). Dies gilt unabhängig davon, in welcher Weise sich die Miterben über den Nachlass auseinandersetzen. Selbst wenn sie beschließen, dass der im Ausland ansässige Miterbe dem Steuerinländer den im Wege der Sondererbfolge angefallenen Teilanteil überträgt, setzt dieser die Buchwerte des Erblassers nur zu 50 % fort. Falls er dem ausländischen Miterben keine Abfindung schuldet, erwirbt er dessen Teilanteil unentgeltlich2 und setzt daher dessen durch die Entstrickung aufgestockten Buchwerte fort.

8.78

Bei einer fiktiven Entnahme (§ 4 Abs. 1 Satz 3, 4 EStG) ist das entnommene Wirtschaftsgut innerhalb der Steuerbilanz3 mit dem gemeinen Wert anzusetzen (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG). Es entsteht eine steuerpflichtige Betriebsvermögensmehrung in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen diesem gemeinen Wert und dem Buchwert des Wirtschaftsguts. Handelt es sich um eine Mitunternehmerschaft und verwirklicht nur ein Mitunternehmer die Entnahme (durch Erbanfall bei oder Zuwendung an einen im Ausland ansässigen Nachfolger), ist dieser Gewinn – wie Gewinn aus einer berechtigten Entnahme – grundsätzlich allen Mitunternehmern im Rahmen ihrer Gewinnverteilungsquote zuzurechnen,4 wobei noch der ehemalige Inhaber5, nicht bereits der Nachfolger, zum Kreis der Mitunternehmer zu zählen ist. Eine abweichende Zurechnung kann sich aus einer im Vorhinein, ggf. konkludent, getroffenen Abrede zwischen den Gesellschaftern zur Modifikation des Gewinnverteilungsschlüssels ergeben. Diese ist einkommensteuerrechtlich anzuerkennen, da sie eine verursachungsgerech-

8.79

1 Vgl. Kulosa in Schmidt39, § 6 EStG Rz. 724. 2 BMF-Schr. v. 14.3.2006 betr. ertragsteuerliche Behandlung der Erbengemeinschaft und ihrer Auseinandersetzung, BStBl. I 2006, 253 Rz. 10 ff., 71. 3 Tz. 20 VWG BsGA (zu § 12 Abs. 1 KStG); Wassermeyer, DB 2008, 430 f.; Atilgan, NWB 2016, 937 (942). 4 Vgl. Wacker in Schmidt39, § 15 EStG Rz. 446. 5 Zur Entnahme von Sonderbetriebsvermögen im Todesfall vgl. BFH v. 24.4.1975 – IV R 115/73, BStBl. II 1975, 580 (bei Fortsetzungsklausel); BFH v. 28.1.1998 – VIII B 9/97, BFH/NV 1998, 959 (bei qualifizierter Nachfolgeklausel).

Baßler | 607

Kap. 8 Rz. 8.79 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug

te – und daher fremdübliche – Verteilung von Steuerlasten zum Ziel hat, so dass eine ggf. schädliche private Veranlassung fernliegt.1 Fraglich ist, ob eine solche Abrede Teil des allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssels (i.S.v. § 35 Abs. 2 EStG) ist oder einen Vorabgewinnanteil konstituiert. Ein Entnahmegewinn unterliegt der Gewerbesteuer (§ 7 Satz 2 GewStG).

8.80

Ungeklärt ist, ob ein Ausgleichsposten gem. § 4g EStG gebildet werden darf. Diese Streckung der Steuerlast ist unbeschränkt Steuerpflichtigen vorbehalten2, wenn ein Wirtschaftsgut infolge eines Vorgangs nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG seiner ausländischen Betriebsstätten im EUoder EWR-Staat zuzurechnen ist. Im Zuge der Nachfolge wechselt indessen die Zurechnung des Wirtschaftsguts von der Betriebsstätte des ehemaligen Inhabers zu der des (beschränkt steuerpflichtigen) Nachfolgers.3 Besondere Fragen stellen sich, falls von der fiktiven Entnahme Beteiligungen an Kapitalgesellschaften betroffen sind. Entfällt dieser Gewinn auf eine Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft findet das Teileinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40, § 3c Abs. 2 EStG) Anwendung. Eine interessante – und bisher von der Literatur offenbar nicht aufgegriffene – Frage stellt sich, wenn es sich bei der Beteiligung um einbringungsgeborene Anteile i.S.v. § 21 UmwStG i.d.F. vor SEStEG handelt. Denn nach der Rechtsprechung des BFH finden die Regeln der Entnahme auf diese Beteiligungen keine Anwendung.4 d) Inländischer Steuerstatus des Nachfolgers

8.81

Die Gestaltungspraxis muss bei grenzüberschreitenden Nachfolgen zunächst die Einkommensteuerwirkungen im Ausland beachten. Dies betrifft Fragen der Verstrickung, die sich im Ausland spiegelbildlich, aber nicht kongruent zur deutschen Entstrickung stellen können. Hinzu kommt, dass unentgeltliche Vermögensmehrungen im Ausland teilweise als steuerpflichtige Einkünfte behandelt werden, wobei wiederum Ausnahmen zu beachten sind, etwa bei der Zuwendung von Nichtansässigen über ausländisches Vermögen (Mexiko) oder bei Zuwendungen innerhalb des engsten Familienkreises (Indien). Daneben gilt es, die Konsequenzen für den Nachfolger in Kapitalgesellschaftsanteile (unter Rz. 8.82) und in Betriebsvermögen (unter Rz. 8.83 f.) nach Maßgabe des deutschen Steuerrechts im Blick zu behalten.

8.82

Der Nachfolger, der in Deutschland nicht unbeschränkt steuerpflichtig ist, unterliegt mit dem erworbenen Kapitalgesellschaftsanteil unter den Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG der beschränkten Steuerpflicht in Deutschland. Der Gewinn aus einer solcherart steuerpflichtigen Veräußerung ermittelt sich unter Berücksichtigung der Anschaffungskosten seines Rechtsvorgängers (§ 17 Abs. 2 Satz 5 EStG). Hat die Nachfolge zum Ansatz eines 1 Zur abweichenden Zurechnung von Entnahmen aufgrund privater Veranlassung unter nahen Angehörigen vgl. BFH v. 19.1.1993 – VIII R 128/84, BStBl. II 1993, 594. 2 Vgl. aber Anwendung bei beschränkt Steuerpflichtigen aus Billigkeitsgründen gem. BMF v. 22.12.2016 betr. betr. Grundsätze für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf die Aufteilung der Einkünfte zwischen einem inländischen Unternehmen und seiner ausländischen Betriebsstätte und auf die Ermittlung der Einkünfte der inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens nach § 1 Abs. 5 AStG i.V.m. BsGaV, BStBl. I 2017, 182 Rz. 457. 3 Ablehnend zur Anwendung bei „Wegzug“ des Unternehmers Dötsch/Pung, DB 2006, 2648 (2650 f.); Crezelius in Kirchhof18, § 4g EStG Rz. 7. 4 BFH v. 12.10.2011 – I R 33/10, BStBl. II 2012, 445.

608 | Baßler

B. Personale Auslandsbezüge | Rz. 8.84 Kap. 8

Einbringungsgewinns I beim (ehemaligen) Inhaber geführt (vgl. unter Rz. 8.38), erhöhen sich diese Anschaffungskosten entsprechend (§ 22 Abs. 1 Satz 4 UmwStG)). Die Fortsetzung der Anschaffungskosten durch den unentgeltlichen Rechtsnachfolger gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Nachfolge durch den im Ausland ansässigen Nachfolger zu einer Steuer auf den Vermögenszuwachs (§ 6 AStG) geführt hat. Das Gesetz trifft dazu zwar unmittelbar keine Aussage. § 6 Abs. 1 Satz 5 AStG ordnet allerdings an, dass der im Rahmen des § 6 AStG besteuerte Vermögenszuwachs auf einen späteren Veräußerungsgewinn anzurechnen ist. Im Umkehrschluss ergibt sich daraus, dass eine Aufstockung der Anschaffungskosten auf den gemeinen Wert, wie dies durch § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG für den Zuzugsfall oder eben durch § 22 Abs. 1 Satz 4 UmwStG für den Einbringungsgewinn I vorgesehen ist, gerade nicht stattfindet. Eine solche Anrechnung des besteuerten Vermögenszuwachses auf den späteren Veräußerungsgewinn ist für die Mehrzahl der in § 6 Abs. 1 Satz 1 und 2 AStG normierten Sachverhalte ein nachvollziehbares Konzept. Denn derjenige, der die Steuer auf den Vermögenszuwachs trägt und dem folglich das Anrechnungsguthaben zusteht, ist auch derjenige, der zu einem späteren Zeitpunkt einen Veräußerungsgewinn realisiert. In Fällen der grenzüberschreitenden Nachfolge besteht indessen die vom Gesetz offenbar vorausgesetzte Personenidentität nicht. Man wird hier von einer verdeckten Regelungslücke auszugehen haben, die in der Weise zu schließen ist, dass die Anrechnung auch dem Rechtsnachfolger, ob Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolger, bei einer späteren, in Deutschland steuerpflichtigen Veräußerung der Anteile zugute kommt.1 Dies wird man auch allen weiteren unentgeltlichen Rechtsnachfolger nicht verwehren können. Der Nachfolger in einen inländischen Betrieb oder einen Anteil einer inländischen Mitunternehmerschaft unterliegt mit diesem Vermögen der beschränkten Einkommensteuerpflicht (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG). Er führt die Buchwerte seines Rechtsvorgängers fort (§ 6 Abs. 3 Satz 3 EStG). Dabei kann es im Einzelfall zur Verstrickung von bisher unverstrickten Wirtschaftsgütern kommen.

8.83

Beispiel: Der Steuerausländer N ist Inhaber eines im Ausland registrierten Patents, über das er der inländischen gewerblich tätigen GmbH & Co. KG eine exklusive Lizenz erteilt hat. Einziger Kommanditist (und alleiniger Inhaber der Komplementär-GmbH) ist der Inländer I. Dieser schenkt N seine gesamte Beteiligung. Mit dem Erwerb des Mitunternehmeranteils an der GmbH & Co. KG gilt das Immaterialgüterrecht des N in sein Sonderbetriebsvermögen I bei dieser Mitunternehmerschaft eingelegt (§ 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG); es ist dort mit dem gemeinen Wert (§ 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG) anzusetzen.2

Liegen bei der Nachfolge in einen inländischen Betrieb oder in den Anteil an einer inländischen Mitunternehmerschaft die Voraussetzungen für den Ansatz des Buchwerts in der Schlussbilanz des (ehemaligen) Inhabers nicht vor, weil die Besteuerung der stillen Reserven im Betriebsvermögen nicht gesichert ist (vgl. unter Rz. 8.49 ff.), gilt die Nachfolgemaßnahme als Aufgabe des Betriebs bzw. des Mitunternehmeranteils durch den (ehemaligen) Inhaber

1 Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 6 AStG Rz. 410 (Stand: 6.2018); Pohl in Blümich, EStG, § 6 AStG Rz. 70 (Stand: 8.2017), jew. für eine unentgeltliche Rechtsnachfolge nach dem Wegzug des Inhabers. 2 Weider, IStR 2019, 16.

Baßler | 609

8.84

Kap. 8 Rz. 8.84 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug

(vgl. unter Rz. 8.77); der Nachfolger erwirbt diese (anteiligen) Wirtschaftsgüter unentgeltlich im steuerlichen Privatvermögen. Soweit er weiterhin in Deutschland mit gewerblichen Einkünften der beschränkten Steuerpflicht unterliegt (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG), weil bspw. die Entstrickung nur aufgrund der Wirkung eines DBA erfolgte (vgl. unter Rz. 8.54, 8.57 ff., 8.61, 8.67 ff.), findet eine Betriebseröffnung durch den Nachfolger statt. Er hat das Betriebsvermögen mit dem Teilwert anzusetzen (§ 6 Abs. 1 Satz 6 EStG); ist Gegenstand der Nachfolge ein Anteil an einer Mitunternehmerschaft, erwirbt der Nachfolger den Mitunternehmeranteil durch ein tauschähnliches Geschäft (Erwerb des Gesellschaftsanteils gegen anteilige Wirtschaftsgüter).1 Kommt es nicht zu einer Aufgabe des Betriebs oder des Mitunternehmeranteils insg., sondern nur zu einer Entnahme einzelner Wirtschaftsgüter nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG (vgl. Rz. 8.69 ff.), ist die vorstehend beschriebene Unterscheidung anzuwenden. Scheidet das Wirtschaftsgut aus dem inländisch verstrickten Betriebsvermögen (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG) aus, wird es aus deutscher Perspektive zu steuerlichen Privatvermögen. Insoweit kann es der beschränkten Steuerpflicht nach § 49 EStG unterliegen; der Nachfolger führt die beim ehemaligen Inhaber angesetzten gemeinen Wert fort (analog § 11d EStDV). Gehört das Wirtschaftsgut weiterhin zum inländischen Betriebsvermögen, wenngleich innerhalb einer durch DBA steuerfrei gestellte Sphäre, führt der Nachfolger die aufgestockten Buchwerte fort, bei einer Mitunternehmerschaft im Rahmen einer Ergänzungsbilanz.

III. Inhaber als Ausländer/Nachfolger als Inländer 1. Erbschaftsteuer 8.85

Auch in den spiegelbildlich zu Rz. 8.5 liegenden Sachverhalten, in denen nämlich der Inhaber „Ausländer“ und der Nachfolger „Inländer“ ist (zu den Begriffen vgl. Rz. 8.3), ist zwischen den erbschaftsteuerrechtlichen Effekten (Rz. 8.86 ff.) und den einkommensteuerrechtlichen Folgen (Rz. 8.91 ff.) zu unterscheiden.

8.86

Der Vermögensanfall beim Inländer (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 ErbStG) durch Erwerb von Todes wegen oder Schenkung unter Lebenden unterliegt in Deutschland der Erbschaftsteuer oder der Schenkungsteuer. Die nachfolgende Betrachtung beschränkt sich dabei auf jene Inländer, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben. Erwerber, die als deutsche Staatsangehörige ihren inländischen Wohnsitz (nicht: gewöhnlicher Aufenthalt!) noch nicht länger als fünf Jahre aufgegeben haben, sind zwar ebenfalls Inländer i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst b ErbStG. Die sich in solchen Fällen ergebenden Besonderheiten sind unten unter C. behandelt.

8.87

Für die Planung der Nachfolge ist zunächst die zu erwartende Steuerbelastung im Wohnsitzstaat des Inhabers ins Kalkül zu ziehen. Dies setzt natürlich voraus, dass dieser Staat eine 1 BMF v. 11.7.2011 betr. Einbringung zum Privatvermögen gehörender Wirtschaftsgüter in das betriebliche Gesamthandsvermögen eine Personengesellschaft, BStBl. I 2011, 713. Ein zusätzliche Steuerfolge in Deutschland ergibt sich daraus nicht. Zum einen dürfte Deutschland unter dem einschlägigen DBA kein Besteuerungsrecht für den Veräußerungsgewinn haben (andernfalls käme es durch die Nachfolge nicht zur Entstrickung). Zum anderen entsprechen die Anschaffungskosten des Nachfolgers für die anteiligen Wirtschaftsgüter den gemeinen Werten, denn zu diesem Wert hat der ehemalige Inhaber die Wirtschaftsgüter im Zuge der Betriebsaufgabe in sein steuerliches Privatvermögen übernommen und unentgeltlich an den Inhaber übertragen (§ 11d EStDV).

610 | Baßler

B. Personale Auslandsbezüge | Rz. 8.89 Kap. 8

Erbschaft- oder Schenkungsteuer erhebt und dass, wenn dies der Fall ist, er die Steuerpflicht an die Inländereigenschaft des Inhabers (und nicht etwa des Erwerbers, Beispiele dazu unter Rz. 8.7) knüpft. Selten sind Fälle, in denen der ausländische Staat an die Staatsangehörigkeit des Erblassers anknüpft (USA, Griechenland (für bewegliches Vermögen)). Wie stark Elemente der ausländischen Steuerrechtsordnung Einfluss auf die Planung der Nachfolgemaßnahme gewinnen können, zeigt das Beispiel des Kanton Luzern und des Vereinigten Königreichs. Beide Gebiete erheben eine Erbschaftsteuer, stellen aber Zuwendungen unter Lebenden insoweit steuerfrei, als sie außerhalb einer bestimmten Frist vor dem Tod des Zuwendenden vorgenommen wurden (fünf Jahre im Kanton Luzern, sieben Jahre in UK). Es ist offensichtlich, dass dies großen Einfluss auf die Entscheidung des Inhabers haben wird, eine Nachfolge „mit warmer Hand“ der mit „kalter Hand“ vorzuziehen. Besteuert der Staat des Inhabers, bildet die Kumulation der Steuerlasten die zentrale Gestaltungsherausforderung. Besteht ein Doppelbesteuerungsabkommen, sollte die Herausforderung dadurch bewältigt sein (vgl. nachfolgend Rz. 8.90). Fehlt ein solches, ist Abhilfe im ausländischen Recht zu suchen. Immerhin ist das Vermögen in Deutschland belegen, so dass man erwarten darf, dass die Anrechnung der deutschen Steuer in gewissen Grenzen und zu gewissen Bedingungen im Ausland zugelassen wird. Überwiegend wird dabei im Ausland eine Steuer nur aufgrund der Belegenheit des Vermögens zur Anrechnung zugelassen.1 Inwieweit daraus ein Anreiz für eine isolierte lebzeitige Nachfolge allein über das Unternehmensvermögen resultiert, ist vor dem Hintergrund der konkreten ausländischen Rechtsordnung zu prüfen. Die Höhe der resultierenden Gesamtbelastung hängt vom ausländischen Steuersatz und vom Umfang der deutschen Begünstigung (§ 13a bis § 13c, § 28a ErbStG) ab. Praktische Probleme entstehen bei einer nachträglichen Änderung der deutschen Steuer aufgrund von Ereignissen in der Lohnsummenfrist (§ 13a Abs. 3 Satz 1, 5 ErbStG) oder der Behaltefrist (§ 13a Abs. 6 ErbStG), wenn diese deutsche Mehrsteuer aus verfahrensrechtlichen oder materiell-rechtlichen Gründen im Ausland nicht (mehr) angerechnet werden kann.

8.88

Scheitert eine Anrechnung der deutschen Steuer im Ausland, z.B. in Bezug auf Sonderbetriebsvermögen, welches die ausländische Steuerrechtsordnung (aus ihrer Sicht) nicht als Auslands- sondern als Inlandsvermögen qualifiziert, ist von deutscher Seite keine Abhilfe zu erwarten: Eine Anrechnung der vom Ansässigkeitsstaat des Inhabers erhobenen Steuer kommt nicht in Betracht. § 21 ErbStG setzt nämlich voraus, dass die ausländische Steuer auf Auslandsvermögen erhoben wird. Bei dem in dieser Kategorie betrachteten Vermögen handelt es sich jedoch um Inlandsvermögen i.S.v. § 121 Nr. 3 und 4 BewG (vgl. Rz. 8.4) und daher niemals, unabhängig von der Inländereigenschaft des Inhabers, um Auslandsvermögen i.S.v. § 21 Abs. 2 ErbStG. Eine Ausnahme gilt lediglich für Anteile an Kapitalgesellschaften, wenn die Beteiligungsquote des Inhabers (allein oder zusammen mit nahestehenden Personen i.S.v. § 1 Abs. 2 AStG) 10 % nicht erreicht). Eine solche Beteiligung ist kein Inlandsvermögen i.S.v. § 121 Nr. 4 BewG (vgl. dazu näher unter Rz. 8.104) und daher bei einem Inhaber, der kein Inländer ist, Auslandsvermögen (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 ErbStG).2 Für alle anderen Konstellationen ist eine Milderung der Doppelbesteuerung vor allem darin zu suchen, dass der Inhaber eine ausländische Gesellschaft zwischenschaltet. Offen ist, wo in solchen Fällen die Grenze zu einem Missbrauch rechtlicher Gestaltungen (§ 42 AO) verläuft.

8.89

1 Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 21 ErbStG Rz. 72 (Stand: 7.2015). 2 Meincke/Hannes/Holtz17, § 21 ErbStG Rz. 33.

Baßler | 611

Kap. 8 Rz. 8.90 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug

8.90

Ist der Inhaber in der Schweiz1, den USA, Schweden, Dänemark oder Frankreich ansässig, wird eine doppelte Besteuerung der Nachfolge in beiden Staaten durch das jeweilige Doppelbesteuerungsabkommen vermieden. Dazu unterscheidet das OECD-MA (Erb) nach dem Gegenstand des Erwerbs: Bilden Anteile an Kapitalgesellschaften den Gegenstand der Nachfolge, so besteuert ausschließlich der Ansässigkeitsstaat des Erblassers oder Schenkers; der andere Vertragsstaat ist durch das Abkommen an der Besteuerung gehindert (Art. 8 OECD-MA (Erb)). Bei der Nachfolge in einen im anderen Staat belegenen Gewerbebetrieb sowie in einen Anteil an einer im anderen Staat belegenen gewerblich tätigen Mitunternehmerschaft besteuert demgegenüber (auch) dieser andere Staat; der Ansässigkeitsstaat des Erblassers/Schenkers stellt von der Steuer frei oder rechnet die im anderen Staat erhobene Steuer an (Art. 10A/B OECD-MA (Erb)). Würden diese Regeln in deutschen Abkommen umgesetzt, wäre eine deutsche Besteuerung von Nachfolgen durch Inländer in Anteile an inländischen Kapitalgesellschaften ausgeschlossen. Im Verhältnis zu Schweden würde etwa eine Nachfolge überhaupt keiner Erbschaft- oder Schenkungsteuer unterliegen, weil Schweden eine solche nicht erhebt. Die deutschen Abkommen enthalten jedoch Modifikationen zu diesem Prinzip, wonach die deutsche Erwerberbesteuerung aufrechterhalten bleibt, allerdings um den Preis, die ausländische Steuer auf den Erwerb der Beteiligung anrechnen zu müssen (Art. 26 Abs. 1 Buchst. b DBA-Dänemark, Art. 11 Abs. 2 Buchst. b DBA-Frankreich (Erb); Art. 26 Abs. 1 Buchst. b DBA-Schweden; Art. 11 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 Buchst. b DBA-USA (Erb)). Gleiches gilt grundsätzlich auch im Verhältnis zur Schweiz; es besteht jedoch die Besonderheit, dass die deutsche Erwerberbesteuerung ausgeschlossen ist, falls der Inhaber und der Nachfolger schweizerische Staatsangehörige sind (Art. 8 Abs. 2 Satz 4 DBA-Schweiz (Erb)).

2. Einkommensteuer a) Überblick

8.91

Die Nachfolge durch einen unbeschränkt steuerpflichtigen Nachfolger in inländisches Unternehmensvermögen (oder Anteile daran) bzw. in Anteile an einer inländischen Kapitalgesellschaft löst in aller Regel im Inland keine unmittelbaren Einkommensteuerfolgen aus. Fragen stellen sich allerdings in Bezug auf die Buchwerte der Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens (Rz. 8.92 f.) bzw. die Anschaffungskosten der Kapitalgesellschaftsanteile beim Nachfolger (Rz. 8.94–8.96). Im Kontext von Steuern auf den Vermögenszuwachs ist außerdem das Schicksal einer zu einem früheren Zeitpunkt bereits festgesetzten Steuer nach § 6 AStG zu beleuchten (unter Rz. 8.97 ff.). b) Fortsetzung der Buchwerte im Betriebsvermögen

8.92

Erfolgt die Nachfolge in bereits verstricktes inländisches Betriebsvermögen, setzt der Nachfolger die Buchwerte des ehemaligen Inhabers fort (§ 6 Abs. 3 Satz 3 EStG). Tritt eine Verstrickung erst durch die Nachfolge ein, wird das Betriebsvermögen (auch selbstgeschaffene immaterielle Wirtschaftsgüter2) mit dem gemeinen Wert angesetzt (§ 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2, § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG)3. Dies kommt namentlich in Betracht, wenn das Inlandsvermögen zwar auf Basis des EStG als Gewerbebetrieb gilt, nicht aber als Unternehmensvermögen nach 1 Das DBA-Schweiz (Erb) gilt grundsätzlich nur für Erwerbe von Todes wegen, vgl. Art. 1 DBASchweiz (Erb). Zur Ausnahme vgl. § 3 Deutsch-Schweizerische Konsultationsverordnungsvereinbarung sowie Baßler in v. Oertzen/Loose2, ErbStG, Art. 1 DBA-CH Rz. 8 ff. 2 Kulosa in Schmidt39, § 6 EStG Rz. 631. 3 Vgl. Weider, IStR 2019, 16 (in Bezug auf Einzelwirtschaftsgüter).

612 | Baßler

B. Personale Auslandsbezüge | Rz. 8.93 Kap. 8

Abkommensrecht (z.B. Besitzunternehmen oder gewerblich geprägte Personengesellschaft, vgl. Rz. 8.54, 8.61). Ein weiterer Anwendungsfall sind Konstellationen, in denen die Nachfolge eine erstmalige Zuordnung von Wirtschaftsgütern des Betriebs- oder Sonderbetriebsvermögens zum inländischen Betriebsvermögen bewirkt (vgl. eine „spiegelverkehrte“ Betrachtung der in Rz. 8.69, 9.71 und 8.73 f. geschilderten Fallgestaltungen). Eine Verstärkung des Besteuerungsrechts (z.B. von beschränkter zu unbeschränkter Steuerpflicht) ist keine Verstrickung.1 Die Unterscheidung der Fälle, die zu einer Verstrickung führen, von jenen Konstellationen, die dies nicht bewirken, ist im Anwendungsbereich des § 50i EStG mit Unsicherheiten behaftet. Wendet der Inhaber einen Anteil an einer § 50i-Struktur (vgl. Rz. 8.62 f.) seinem im Inland ansässigen Nachfolger zu, kommt es zu keiner Verstrickung. Da Deutschland aufgrund von § 50i Abs. 1 Satz 1 EStG einen Gewinn aus der Veräußerung beim Inhaber ungeachtet der Regeln eines DBA hätte besteuern können, wird durch die Nachfolgemaßnahme kein deutsches Besteuerungsrecht begründet. Mit Unsicherheit behaftet sind aber Nachfolgen in Anteil an § 50i-Strukturen, die einen Mitgesellschafter betreffen. Beispiel (vgl. auch Rz. 8.62): A (Steuerinländer) und B (Steuerausländer, DBA-Staat X) betrieben bis zum Jahre 1995 einen Gewerbebetrieb im Inland in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG. In jenem Jahr gliederten sie aus operativen Gründen den Gewerbebetrieb zu Buchwerten in zwei zu diesem Zweck errichtete TochterGmbHs aus.2 Die Tätigkeit der GmbH & Co. KG beschränkt sich seither auf die Verwaltung dieser Beteiligungen. Im Jahre 2003 verzog A in das DBA-Ausland Y, ohne dass die anteiligen stillen Reserven aufgedeckt werden. Im Jahre 2020 verschenkt B seinen Anteil an seine Nichte N, die Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. Aufgrund des Wegzugs des A vor dem 1.1.2017 handelt es sich bei der GmbH & Co. KG um eine § 50i-Struktur: Die Ausgliederung des Betriebs vor dem 29.6.2013 zu Buchwerten gilt als Übertragung von Anteilen im Sinne des § 17 EStG (vgl. § 50i Abs. 1 Satz 2 EStG), weil die GmbH & Co. KG als gewerblich geprägte Personengesellschaft fortbesteht und durch den Wegzug des A in den DBAStaat Y vor dem 1.1.2017 das Recht der Bundesrepublik zur Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung oder Entnahme der neuen Anteile beschränkt wurde, zumindest nämlich in Bezug auf den auf A entfallenden Anteil. Fraglich ist indes, ob die Rechtsfolgen daraus auf den Anteil des A beschränkt sind oder den des B ebenfalls umfassen. Wäre dies der Fall3 – dem Normtext ist eine Personenidentität zwischen demjenigen, der die Tatbestandsmerkmale in § 50i Abs. 1 Satz 1, 2 EStG verwirklicht, und demjenigen, dessen Einkünfte aus der späteren Veräußerung oder Entnahme ungeachtet des DBA der deutschen Steuerhoheit unterliegen, nicht zu entnehmen –, dann käme es bei N zu keiner Verstrickung, so dass sie die Buchwerte ihres Onkels fortsetzt. Zwingt dagegen der Telos der Norm dazu, B aus ihrem Anwendungsbereich auszuschließen4, führt die Zuwendung des B an seine Nichte zu einer Verstrickung und somit zu einem Ansatz der Wirtschaftsgüter im Betriebsvermögen mit dem gemeinen Wert (§ 4 Abs. 1 Satz 8 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG).

1 Loschelder in Schmidt39, § 4 EStG Rz. 255; Musil in Herrmann/Heuer/Raupach, § 6 EStG Rz. 322 (Stand: 6.2016). 2 Zum Buchwertansatz in Bezug auf den Steuerausländer B vgl. BMF-Schr. v. 25.3.1998 betr. Zweifels- und Auslegungsfragen zum UmwStG, BStBl. I 1998, 268Rz. 20.24 sowie BMF-Schr. v. 2.8.1984 betr. Besteuerung von stillen Reserven bei Beteiligung von beschränkt Steuerpflichtigen an Einbringungsvorgängen, BStBl. I 1984, 461. 3 Liekenbrock in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 50i EStG Rz. 58.1 (Stand: 10.2017); Gosch in Kirchhof19, § 50i EStG Rz. 3. 4 In diesem Sinne Töben, IStR 2013, 682 (684); Jo. Lüdicke, StbJb. 2013/2014, 237 (261).

Baßler | 613

8.93

Kap. 8 Rz. 8.94 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug

c) Anschaffungskosten des Nachfolgers in Anteile an Kapitalgesellschaften

8.94

In Bezug auf die Nachfolge in Kapitalgesellschaftsanteile setzt der Nachfolger die historischen Anschaffungskosten des ehemaligen Inhabers fort (§ 17 Abs. 2 Satz 5 EStG). Hat auch er den Anteil unentgeltlich erlangt, sind die Anschaffungskosten desjenigen Rechtsvorgängers maßgeblich, der den Anteil zuletzt entgeltlich erworben hat. Die Anschaffungskosten bestimmen sich nach deutschen Grundsätzen; es zählt alles, was der Rechtsvorgänger aufgewendet hat, um die Beteiligung zu erlangen und zu behalten (vgl. § 255 Abs. 1 HGB). Folglich werden auch solche stille Reserven der Anteile in Deutschland steuerverstrickt, die vor dem Zeitpunkt der Verstrickung entstanden sind. Dies kann zu einem steuerlichen Nachteil führen, wenn die Steuer auf den Veräußerungsgewinn im Staat des Inhabers geringer wäre als in Deutschland.

8.95

Zu gravierenden Problemen führt § 17 Abs. 2 Satz 5 EStG indessen, wenn der Ansässigkeitsstaat des ehemaligen Inhabers aufgrund der Nachfolge eine dem § 6 AStG vergleichbare Steuer (vgl. unter Rz. 8.16 ff.) erhebt. Hier droht eine doppelte Besteuerung der bis zur Nachfolge entstandenen stillen Reserven, nämlich durch den früheren Ansässigkeitsstaat (im Rahmen der Nachfolge)) und durch Deutschland bei einer späteren Veräußerungsgewinn. Dem versucht § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG durch eine Wertverknüpfung mit der im ausländischen Staat erhobenen Steuer auf den Vermögenszuwachs zu begegnen. Der Nachfolger kann bei der späteren Veräußerung der Anteile denjenigen Wert als Anschaffungskosten der deutschen Gewinnermittlung zugrunde legen, der im Staat des früheren Inhabers bei einer dem § 6 AStG vergleichbaren Steuer angesetzt wurde, höchstens jedoch der gemeine Wert zur Zeit der Verstrickung. Voraussetzung ist allerdings der Nachweis durch den Veräußerer, dass „ihm die Anteile bereits im Zeitpunkt der Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Absatz 1 [EStG] zuzurechnen waren“. Dieses Kriterium passt seinem Wortsinn nach nur für den Zuzug des Steuerpflichtigen selbst, nicht aber für die Verstrickung der Anteile durch Rechtsnachfolge. Falls diese Verengung auf bestimmte Fälle der Verstrickung und unter Ausschluss vergleichbarer Konstellationen auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers beruht, wäre eine analoge Anwendung methodisch ausgeschlossen.1

8.96

Einige DBA enthaltenen im Rahmen der Vorschriften über die Besteuerung von Gewinnen aus Veräußerungen auch Vorschriften zu den Anschaffungskosten. Hier sind zwei Regelungstypen zu unterscheiden. Einige wenige DBA ordnen eine Wertverknüpfung an, die an § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG erinnert (z.B. Art. 7 Abs. 6 Satz 2 DBA-Frankreich, Art. 13 Abs. 6 Satz 2 DBA-Liechtenstein, Art. 13 Abs. 6 Satz 2 DBA-Österreich). Art. 13 Abs. 5 DBA-USA erzielt das gleiche Ergebnis aufgrund einer fiktiven Veräußerung des Vermögens. Eine größere Zahl von Abkommen sucht die Lösung des durch die Verstrickung zu Anschaffungskosten entstehende Doppelbesteuerungsproblems entlang traditioneller Regelungstechnik: Entweder wird der im Wegzugstaat bereits besteuerten Vermögenszuwachs bei der späteren Besteuerung eines Veräußerungsgewinns steuerfrei gestellt (z.B. Art. 13 Abs. 6 Satz 2 DBA-Irland, Art. 13 Abs. 6 Satz 2 DBA-Finnland, Art. 13 Abs. 6 Satz 2 DBA-Luxemburg, Art. 13 Abs. 6 Satz 2 DBA-Niederlande) oder es ist die Anrechnung eines Betrags in Höhe der Steuer des Wegzugstaats angeordnet (Art. 13 Abs. 6 Satz 2 DBA-Dänemark). Alle genannten Klauseln gelten, ungeachtet ihrer Konzeption, nach dem jeweiligen Regelungskontext ausschließlich für das Verstrickungsproblem aufgrund eines Umzugs des Steuerpflichtigen. Für den hier interessierenden Problemkreis der unentgeltlichen Unternehmensnachfolge sind sie allenfalls im Wege einer analogen Anwendung fruchtbar zu machen. 1 In diesem Sinne wohl Gosch in Kirchhof19, § 17 EStG Rz. 81a; Schmidt in Herrmann/Heuer/Raupach, § 17 EStG Rz. 231 (Stand: 8.2018) jew. mit kritischer Tendenz.

614 | Baßler

B. Personale Auslandsbezüge | Rz. 8.98 Kap. 8

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Verstrickung von Anteilen zu Anschaffungskosten im Rahmen der Unternehmensnachfolge ein erhebliches Risiko einer Doppelbesteuerung im Fall einer späteren Veräußerung enthält. Dieses Risiko realisiert sich im Übrigen auch, sobald der Nachfolger seinerseits einen Tatbestand des § 6 AStG verwirklicht. Dieses Problem bedarf dringend einer legislativen Lösung. d) Schicksal einer früheren deutschen Steuer auf den Vermögenszuwachs (§ 6 AStG) In allen Fällen, in denen zu einem früheren Zeitpunkt (beim Inhaber oder dessen Rechtsvorgänger) eine deutsche Steuer auf den Vermögenszuwachs in den fraglichen Anteilen nach § 6 AStG festgesetzt wurde, stellt sich die Frage, welche Rückwirkungen die Wiederverstrickung dieser Anteile hat. Dies gilt unabhängig davon, ob die Steuer nach § 6 Abs. 5 AStG gestundet ist oder bereits entrichtet wurde.

8.97

Die Voraussetzungen, unter denen eine einmal entstandene Steuer nach § 6 AStG außerhalb eines EU-/EWR-Bezugs nachträglich wieder erlöschen kann, sind vom Gesetzgeber engherzig gefasst worden. § 6 Abs. 3 Satz 1 AStG setzt den Wiederzuzug derjenigen Person voraus, die durch Aufgabe ihres Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts den Steuertatbestand verwirklicht hat („Steuerpflichtige“ i.S.v. § 6 Abs. 3 Satz 1 AStG). Dies wird durch § 6 Abs. 3 Satz 3 AStG auf Fälle erweitert, in denen die Steuer durch Erbgang in das Ausland (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Alt. 2 AStG) ausgelöst wurde und der Rechtsnachfolger erneut unbeschränkt steuerpflichtig wird. Dies blendet unverständlicherweise eine Vielzahl an alltäglichen Nachfolgesituationen in deutschen Familienunternehmen aus, namentlich den hier im Mittelpunkt der Betrachtung stehenden Fall der unentgeltlichen Unternehmensnachfolge durch eine unbeschränkt steuerpflichtige Person. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Steuer nun durch den im Ausland ansässigen Inhaber (§ 6 Abs. 1 Satz 1 AStG) oder bereits dessen Rechtsvorgänger (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG) ausgelöst wurde. Nach dem reinen Textbefund von § 6 Abs. 3 AStG kommt ein Erlöschen des Steueranspruchs nicht in Betracht, selbst wenn die Frist von fünf Jahren eingehalten würde (§ 6 Abs. 3 Satz 1 AStG). Es ist daher von großem Interesse, inwieweit es methodisch zulässig ist, § 6 Abs. 3 Satz 3 AStG über den zu engen Wortsinn hinaus entsprechend anzuwenden. Besonderes Gewicht kommt dabei sicherlich dem Umstand zu, dass § 6 Abs. 3 AStG eine Ausnahme gegenüber dem allgemeinen Grundsatz des § 38 AO bildet, wonach eine Steuer entsteht, sobald der Tatbestand verwirklicht ist. Dies schließt aber eine entsprechende Anwendung der Norm nicht aus, sofern dies zur Vermeidung eines Verstoßes gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) notwendig ist. Es fällt schwer, die Differenzierung des Gesetzes nachzuvollziehen, wonach die Steuer auf den Vermögenszuwachs erlischt, wenn der beim Tod des Erblassers im Ausland lebende Erben innerhalb von fünf Jahren seinen Wohnsitz nach Deutschland verlegt, während dies nicht der Fall sein soll, falls er die Beteiligung im Wege der unentgeltlichen Unternehmensnachfolge dem im Inland wohnhaften Nachfolger überträgt. Besonders deutlich wird die Ungleichbehandlung, wenn der (inländische) Erblasser die im Ausland ansässige Person zum Vorerben und einen Inländer zum Nacherben (für einen innerhalb von vier Jahren nach dem ursprünglichen Erbfall eintretenden Nacherbfall) eingesetzt hat. Es ist schwer einsehbar, dass der Erblasser (zur Steuerschuldnerschaft des Erblassers in Fällen des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG vgl. Rz. 8.20) weniger leistungsfähig ist, weil der Vorerbe vor Eintritt des Vorerbfalls in das Inland zuzieht. Ähnlich ist die Situation zu beurteilen, in der die im Ausland ansässige Person selbst durch Aufgabe ihres Wohnsitzes die Steuer nach § 6 AStG ausgelöst hat. Auch hier ist ein Unterschied in der Leistungsfähigkeit nicht zu erkennen, ob nun der Betreffende selbst zuzieht oder er die Anteile seinem Nachfolger in das Inland zuwendet.

8.98

Baßler | 615

Kap. 8 Rz. 8.98 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug

Kann die Steuer im Einzelfall nicht nach § 6 Abs. 3 AStG aufgehoben werden, droht eine Doppelbesteuerung, wenn der Nachfolger zu einem späteren Zeitpunkt die Beteiligung veräußert. Dem ist dadurch zu begegnen, dass die in § 6 Abs. 1 Satz 5 AStG angeordnete Anrechnung des nach § 6 AStG realisierten Vermögenzuwachs auf einen späteren Veräußerungsgewinn nach § 17 Abs. 2 EStG bei jedem unentgeltlichen Rechtsnachfolger in die Anteile möglich ist (vgl. Rz. 8.82).

8.99

Für jene Fälle, in denen der Steueranspruch aufgrund eines EU-/EWR-Bezugs nach § 6 Abs. 5 AStG gestundet ist, wird die Möglichkeit des Erlöschens des entstandenen Steueranspruchs in § 6 Abs. 3 Satz 4 AStG erweitert. Dies betrifft alle Tatbestände nach § 6 Abs. 1 Satz 1 und 2 AStG, also sowohl den Wegzug des derzeitigen Inhabers als auch seinen Erwerb nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG. Die Nachfolge durch einen unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Nachfolger begründet das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung des Anteils wieder oder beseitigt dessen Beschränkung (§ 6 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 AStG). Nicht eindeutig ist allerdings, welche Merkmale des § 6 Abs. 3 Satz 1 AStG „entsprechend“ gelten sollen. Neben der Rechtsfolge enthält diese Norm nicht weniger als fünf Tatbestandsmerkmale, zwei positive (Beendigung der Steuerpflicht aufgrund vorübergehende Abwesenheit, erneute Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht innerhalb von fünf Jahren) und drei negative (keine zwischenzeitliche Veräußerung der Anteile, keine Verwirklichung der in § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3 AStG genannten Tatbeständen, keine abkommensrechtliche Ansässigkeit in einem ausländischen Staat). Es ist somit zu entscheiden, ob und ggf. welche davon bei der entsprechenden Anwendung der Vorschrift aufgrund der Verweisung aus Satz 4 weiterhin relevant sind (vgl. dazu auch die methodischen Ausführungen in Rz. 8.23). Richtigerweise wird man dies für die beiden positiven Kriterien nicht annehmen können. Diese haben nur im Fall bei tatsächlichem Wegzug des Gesellschafters eine Funktion, passen aber nicht zu Entstrickungen in anderen Konstellationen. An deren Stelle treten die in Satz 4 des § 6 Abs. 3 AStG normierten Merkmale. In Bezug auf die negativen Merkmale erscheint es mit Blick auf Sinn und Zweck der Regelung richtig zu sein zu verlangen, dass die Anteile weder verkauft noch unentgeltlich übertragen noch in einen ausländischen Betrieb eingelegt worden sein dürfen, um den gestundeten Steueranspruch zum Erlöschen zu bringen.1 Für das dritte und letzte Kriterium, dass die abkommensrechtliche Ansässigkeit des Nachfolgers sich nicht im Ausland befindet, ist die Sachlage nicht eindeutig.2 Für den Anfall der Beteiligung an den im Inland ansässigen Nachfolger kann dies allerdings dahin stehen, da bereits § 6 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 AStG nicht verwirklicht wäre, wenn der Nachfolger zwar in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig, aber abkommensrechtlich in einem anderen Staat ansässig wäre.

8.100

Eine Besonderheit besteht schließlich bei ehemals einbringungsgeborenen Anteilen nach § 21 UmwStG a.F., bei welchen nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 UmwStG a.F. (i.V.m. § 27 Abs. 3 Nr. 3 Satz 2 UmwStG) eine fiktive Veräußerung eingetreten ist, z.B. durch Wegzug des heutigen 1 Müller-Gosoge in Haase3, § 6 AStG Rz. 163. 2 Im Ergebnis erscheint es vorzugswürdig, die Erfüllung dieses Kriteriums auch im Rahmen der Anwendung des § 6 Abs. 3 Satz 4 AStG zu verlangen. Dafür spricht vor allem ein Umkehrschluss aus Nr. 2 des § 6 Abs. 3 Satz 4 AStG: Wenn diese Regelung verlangt, dass das deutsche Besteuerungsrecht aufgrund eines „anderen Ereignisses“ wieder begründet wird (oder nicht mehr beschränkt ist), lässt sich daraus schließen, dass der Eintritt des Rechtsnachfolgers in die unbeschränkte Steuerpflicht nach Nr. 1 für sich nicht genügt, sondern damit auch die Wiederbegründung des Besteuerungsrechts verbunden sein muss. Dies wäre durch eine abkommensrechtliche Ansässigkeit im Ausland ausgeschlossen.

616 | Baßler

B. Personale Auslandsbezüge | Rz. 8.100 Kap. 8

Inhabers, aber auch durch einen Erwerb durch grenzüberschreitende Unternehmensnachfolge. Auf den ersten Blick fehlt insoweit eine gesetzliche Regelung zur Wiederverstrickung der Anteile, da § 27 Abs. 3 Nr. 3 UmwStG in seiner Verweisung den § 6 Abs. 3 AStG ausspart. die Angehörige der Finanzverwaltung vertreten als Autoren die Auffassung, dass der Verweis in § 27 Abs. 3 Nr. 3 Satz 2 UmwStG auf § 6 Abs. 5 AStG abschließend sei und daher die Regeln des § 6 Abs. 3 AStG nicht, auch nicht entsprechend, herangezogen werden können.1 Die wohl herrschende Literaturmeinung befürwortet demgegenüber eine analoge Anwendung.2 Dem ist vor allem aus Gründen der Vereinbarkeit von § 21 Abs. 2 Nr. 2 UmwStG a.F. mit höherrangigem Recht zuzustimmen. Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Dies gilt auch für das Steuerrecht.3 Im Bereich der Einkommensteuer wird der allgemeine Gleichheitssatz u.a. durch das Gebot konkretisiert, jeden Steuerpflichtigen nach Maßgabe seiner finanziellen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu besteuern.4 Dies verpflichtet den Gesetzgeber, an die gleiche objektive wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zweier Steuerpflichtiger die gleichen steuerlichen Folgen zu knüpfen. Hiergegen würde verstoßen, wenn § 6 Abs. 3 Satz 1 bis 3 AStG auf einbringungsgeborene Anteile nach § 21 UmwStG a.F. nicht anwendbar wäre.5 Denn der aus dem Drittstaat zurückkehrende Nachfolger ist als Inhaber einbringungsgeborener Anteile in einer vergleichbaren Situation wie als Eigentümer von Anteilen i.S.v. § 17 EStG. Es ist nicht ersichtlich, weshalb der Zweitgenannte weniger leistungsfähiger sein könnte als Ersterer, so dass nur ihm die Steuer zu erstatten wäre. Mithin wäre eine Gesetzeslage verfassungswidrig, welche die Anwendung des § 6 Abs. 3 AStG auf einen Entstrickungsgewinn nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 UmwStG a.F. verbieten würde. Tatsächlich aber liegt eine verfassungskonforme Auslegung6 der Vorschrift schon deshalb nahe, weil einbringungsgeborene Anteile mit der Festsetzung der Steuer nach § 21 Abs. 2 UmwStG a.F. diesen Status als Anteile i.S.v. § 21 UmwStG a.F. verlieren.7 In der Folge handelt sich um reguläre Anteile nach § 17 EStG, für welche § 6 AStG und somit auch die Regelungen seines Abs. 3 anzuwenden ist! Die verfassungskonforme Auslegung des § 6 Abs. 3 AStG auf ehemals einbringungsgeborene Anteile betrifft somit nur die Rechtsfolge, welche sich im originären Anwendungsbereich auf den „Steueranspruch nach [§ 6] Absatz 1 [AStG]“ bezieht. Offen ist, ob die verfassungskonforme Auslegung zu einer „Rekonversion“ der Anteile in den Status der Anteile nach § 21 UmwStG a.F. führt. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang eine Besonderheit für Inhaber einbringungsgeborener Anteile, welche zur Zeit des Brexits im Vereinigten Königreich ansässig sind. Losgelöst von einer Nachfolgemaßnahme8 wäre allein aufgrund des Brexits selbst die Stundung § 6 1 Raback in Rödder/Herlinghaus/v. Lishaut3, § 27 UmwStG Rz. 191; Patt in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KSt, § 21 UmwStG a.F. Rz. 160 (Stand: 6.2018). 2 Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 6 AStG Rz. 48 (Stand: 6.2018); Häck, IStR 2015, 267 (272). A.A. Klein/Rippert, IStR 2018, 26 (28). 3 Statt aller G. Kirchhof in Herrmann/Heuer/Raupach, Einf. EStG Rz. 260 ff.; Weber-Grellet in Schmidt39, § 2 EStG Rz. 8; Weber-Grellet, FR 2011, 1028 (1029); Kempny, StuW 2014, 185 (196 f.). 4 BVerfG v. 3.11.1982 – 1 BvR 620/78 ua, BStBl. II 1982, 717 (unter C.I.2.); BVerfG v. 22.2.1984 – 1 BvL 10/80, BStBl. II 1984, 357 (unter C.I.2.). 5 Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 6 AStG Rz. 48 (Stand: 6.2018). 6 Zur verfassungskonformen Auslegung als vorrangiges Korrekturinstrument der richterlichen Rechtsfortbildung, BVerfG v. 7.5.1953 – 1 BvL 104/52, BVerfGE 2, 266 Rz. 40, juris. 7 BFH v. 24.6.2008 – IX R 58/05, BStBl. II 2008, 872; Rabback in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut3, § 27 UmwStG Rz. 182, jew. zu § 21 Abs. 1 Nr. 1 UmwStG a.F. (Versteuerung kraft Antrags). 8 Zu den Rechtsfolgen einer Nachfolge durch einen im Vereinigten Königreich ansässigen Nachfolger nach dem Brexit vgl. die Ausführungen zu den Anteilen nach § 17 EStG unter Rz. 8.115.

Baßler | 617

Kap. 8 Rz. 8.100 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug

Abs. 5 Satz 4 AStG i.d.F. des Brexit-StBG i.V.m. § 27 Abs. 3 Nr. 3 Satz 2 UmwStG zu widerrufen, falls § 6 Abs. 8 AStG mangels Verweises aus § 27 Abs. 3 UmwStG keine Anwendung findet. Ob die unterlassene Anpassung des § 27 Abs. 3 Nr. 3 UmwStG an das Brexit-StBG allerdings von einem gesetzgeberischen Willen getragen ist, erscheint zweifelhaft. Insofern besteht wohl eine verdeckte Gesetzeslücke, die durch entsprechende Anwendung des § 6 Abs. 8 AStG zu schließen ist.

IV. Inhaber und Nachfolger als Ausländer 1. Erbschaftsteuer a) Allgemeines

8.101

Die erbschaftsteuerlichen Wirkungen einer Unternehmensnachfolge über Inlandsvermögen zwischen Ausländen (zur Verwendung des Begriffspaares „Inländer“/„Ausländer“ vgl. Rz. 8.5) bewegen sich im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG), ggf. der erweitert beschränkten Steuerpflicht (§ 4 AStG), wenn weder Inhaber noch Nachfolger Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben (unter Rz. 8.102 ff.). Eine Ausnahme gilt, wenn einer von ihnen der erweitert unbeschränkten Steuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG) unterliegt (unter Rz. 8.108 ff.). b) (Erweitert) beschränkte Steuerpflicht des Erwerbs

8.102

Die unentgeltliche Nachfolge über inländisches unternehmerisches Vermögen unterliegt im Regelfall der beschränkten Erbschaftsteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG), denn bei dem im Rahmen dieses Beitrags betrachteten Vermögens handelt es sich typischerweise um Inlandsvermögen i.S.v. § 121 BewG.

8.103

Das betrifft zum einen das in einer inländischen Betriebsstätte betriebene einzelkaufmännische Unternehmen. Denn insoweit besteht der Vermögensanfall aus Betriebsvermögen, das einem Gewerbebetrieb dient, für den im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird (§ 121 Nr. 3 Satz 1, 2 BewG). Was als Betriebsvermögen in diesem Sinne gilt, richtet sich nach § 95 Abs. 1 BewG und somit nach den einkommensteuerrechtlichen Grundsätzen des § 15 Abs. 1 und 2 EStG. Entsprechend sind auch Anteile an gewerblichen Mitunternehmerschaften erfasst, und zwar über § 97 Abs. 1 Nr. 5 BewG auch gewerblich geprägte Personengesellschaften. Nicht mehr zum inländischen Betriebsvermögen gehört Betriebsvermögen (des Betriebs oder der Mitunternehmerschaft), welches einer ausländischen Betriebsstätte zuzurechnen ist.1

8.104

Zum Inlandsvermögen gehören auch Anteile an einer Kapitalgesellschaft mit Sitz oder Geschäftsleitung im Inland, allerdings nur insoweit, als der Gesellschafter (allein oder zusammen mit nahestehenden Personen i.S.v. § 1 Abs. 2 AStG) zu mindestens 10 % unmittelbar oder mittelbar am Nennkapital beteiligt ist (§ 121 Nr. 4 BewG). Maßgeblich ist der Umfang der Beteiligung des Inhabers; in welchem Umfang diese Beteiligung auch der Nachfolge unterliegt, ist unerheblich (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 ErbStG). Zur Vermeidung gestückelter Übertragungen durch den Inhaber werden Teilübertragungen unter den Voraussetzungen des § 14 ErbStG zusammengerechnet (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 ErbStG). Außerhalb des so beschriebenen Tatbestands der beschränkten Erbschaft- und Schenkungsteuerpflicht kann allenfalls im Rahmen der erweitert beschränkten Erbschaftsteuersteuerpflicht in Deutschland besteuert werden (§ 4 AStG, vgl. unter Rz. 8.105). 1 Statt aller Eisele in Rössler/Troll, § 121 BewG Rz. 16 (Stand: 10.2018).

618 | Baßler

B. Personale Auslandsbezüge | Rz. 8.104 Kap. 8

Für die Gestaltung der Nachfolge in diesem Kontext1 ist von großer Bedeutung, den Gegenstand des Vermögensanfalls (nach Maßgabe der allgemeinen Grundsätze in §§ 3, 7, 10 ErbStG) von der im Rahmen der Beteiligungsschwelle maßgeblichen „Zählbeteiligung“ zu unterscheiden. Deutlich wird dies im Bereich der Treuhand. Überträgt der Treugeber seine Rechtsposition aus einem Treuhandvertrag über einen Anteil an einer inländischen Kapitalgesellschaft, ist auch eben jene Rechtsposition, insb. der Herausgabeanspruch des Treugebers gegen den Treuhänder, Gegenstand des Vermögensanfalls beim Nachfolger, nicht etwa der Anteil selbst;2 § 39 Abs. 2 AO ist insoweit unanwendbar.3 Aus der Entscheidung des FG München4 zur Inlandsvermögeneigenschaft von vermächtnisweise zugewendeten Grundbesitz folgt nichts Gegenteiliges. Denn das Gericht hat lediglich erkannt, dass durch § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG der Anfall von Vermögen durch Vermächtnis dem Erbanfall in § 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG gleichstellt wird und die zivilrechtliche Unterscheidung im Erwerbsmodus unbeachtlich ist.5 Dies besagt aber nichts darüber, ob der Rechtsnachfolger eines Treugebers aus erbschaftsteuerrechtlicher Sicht den Anspruch aus dem Treuhandvertrag oder das Treugut selbst erwirbt. Ist aber Gegenstand der Nachfolge bereits kein Anteil an einer inländischen Kapitalgesellschaft, spielt der Umfang der Beteiligung folgerichtig keine Rolle.6 Davon scharf zu unterscheiden ist die Frage, ob bei einer „echten“ Nachfolge in den Anteil (z.B.: Mutter schenkt Tochter Aktien an einer AG mit Sitz und Geschäftsleitung im Inland) die Beteiligung des Gesellschafters die Beteiligungsschwelle überschreitet. Hier zählt eine Beteiligung, welche ein Treuhänder für den Inhaber zu treuen Händen verwaltet, als mittelbare Beteiligung mit. Gleiches muss für andere Rechtsbeziehungen gelten, aufgrund derer der Inhaber gem. § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2, Nr. 2 AO wirtschaftlicher Eigentümer der Anteile ist.7 Zu diesen sog. Zählbeteiligungen gehören auch Beteiligungen, die unmittelbar oder mittelbar (i.o. genannten Sinn) von einer dem Inhaber nahestehenden Person i.S.v. § 1 Abs. 2 AStG gehalten werden. Auch hier gilt allerdings, ob ein Vermögensanfall in Gestalt eines Anteils an einer inländischen Kapitalgesellschaft überhaupt steuerpflichtig sein kann. Die Nachfolge in eine Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft ohne Sitz oder Geschäftsleitung im Inland unterliegt daher der beschränkten Steuerpflicht selbst dann nicht, wenn diese ausländische Gesellschaft eine nahestehende Person des Inhabers (i.S.v. § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG) ist und zu mehr als 10 % am Stammkapital der Kapitalgesellschaft mit Sitz oder Geschäftsleitung im Inland beteiligt ist. Dies gilt jedenfalls insoweit, als sich die Zwischenschaltung der ausländischen Gesellschaft nicht als Missbrauch rechtlicher Gestaltungen (§ 42 AO) erweist.8

1 Vgl. näher Baßler, ZEV 2014, 469. 2 Vgl. Jülicher, DStR 2001, 2177; Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, Anh. AO Rz. 11. Die Finanzverwaltung vertritt hier eine widersprüchliche Auffassung. So soll Gegenstand der Zuwendung – in Übereinstimmung mit der Literatur – der Herausgabe gegen den Treuhänder sein (BayLfSt v. 14.1.2013 – S 3811.1.1-4/St 34 (juris)), während der auf eine Beteiligung an einer inländischen Kommanditgesellschaft gerichtete Herausgabeanspruch des Erwerbers gegen den Treuhänder stets zum inländischen Vermögen gehören soll (BayLfSt v. 7.3.2013 – S 3811.1.1-9/3 St 34, Ziff. 2, juris). 3 BFH v. 25.1.2001 – II R 39/98, BFH/NV 2001, 908; BFH v. 29.11.2006 – II R 42/05, BStBl. II 2007, 319; BFH v. 7.11.2007 – II R 28/06, BStBl. II 2008, 258. 4 FG München v. 10.7.2019 – 4 K 174/16, EFG 2019, 1545. 5 FG München v. 10.7.2019 – 4 K 174/16, EFG 2019, 1545 juris Rz. 18. 6 So auch R E 2.2 Abs. 3 Satz 5 ErbStR. 7 Baßler, ZEV 2014, 469 (470). 8 R E 2.2 Abs. 3 Satz 6 f. ErbStR.

Baßler | 619

Kap. 8 Rz. 8.104 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug

Der Kreis der nahestehenden Personen wird sich in der Praxis vielfach auf abhängige Gesellschaften beschränken (§ 1 Abs. 2 Nr. 1, 2 AStG). Eine andere natürliche Person kommt zwar prinzipiell in Betracht.1 Sie zählt aber nur unter der Voraussetzung zum definierten Personenkreis, dass sie durch den Inhaber beherrscht würde oder diesen beherrschte (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG), der Inhaber und diese Person von einem Dritten beherrscht würden (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 AStG) oder der Inhaber oder diese andere Person ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Erzielung von Einkünften des jeweils anderen hat (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG).2 Eine Beherrschung im vorstehenden Sinne3 setzt nach den Worten des BFH voraus, dass aufgrund „eines absoluten Abhängigkeitsverhältnisses im Wesentlichen kein eigener Entscheidungsspielraum verbleibt“4, was in Bezug auf eine natürliche Personen sittenwidrig wäre, sofern es deren gesamten Lebensverhältnisse umfasste. Rechtlich zulässig sind aber punktuelle Abhängigkeitsverhältnisse, z.B. aufgrund eines erbschaftsteuerlichen Poolvertrages über die fragliche Beteiligung. Im Dunkeln bleiben mögliche Anwendungsbereiche des § 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG, also wann der Inhaber ein im Sinne der Norm relevantes Interesse an der Einkünfteerzielung der anderen Person haben könnte (oder umgekehrt).5

8.105

Unterliegt der Vermögensinhaber zu der Zeit, zu der die Steuerschuld nach § 9 ErbStG entsteht, der erweitert beschränkten Einkommensteuerpflicht nach § 2 AStG, wird der Kreis des unternehmerischen Vermögens, welches der inländischen Erbschaftsteuer- oder Schenkungsteuerpflicht unterliegt, durch § 4 AStG über den in § 121 BewG definierten Kreis von Vermögensgegenständen hinaus erweitert (sog. erweitert beschränkten Erbschaft- und Schenkungsteuerpflicht). In persönlicher Hinsicht muss der Inhaber früher als Deutscher aufgrund seines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts unbeschränkt einkommensteuerpflichtig gewesen sein (und zwar während fünf Jahren innerhalb des Zeitraums von zehn Jahren vor seinem Wegzug) und zur Zeit der Nachfolge in einem Gebiet ansässig sein, in dem er mit seinem Einkommen einer niedrigen Besteuerung unterliegt (§ 2 Abs. 2 AStG), sowie wesentliche wirtschaftliche Interessen im Inland haben (§ 2 Abs. 3 AStG). Ferner darf das Ende des Kalenderjahres, in dem er weggezogen ist, noch nicht mehr als zehn Jahre zurückliegen. In sachlicher Hinsicht wird die deutsche Steuerpflicht namentlich um Beteiligungen an Gesellschaften mit Sitz und Geschäftsleitung im Inland erweitert, welche die Beteiligungsschwelle des § 121 Nr. 4 BewG nicht erreichen.6 Gleiches gilt – wenngleich dies wenig praktisch werden dürfte – für Betriebsvermögen in hoheitsfreien Gebieten (z.B. Explorationsplattformen auf Hoher See).7 Nicht in den Anwendungsbereich des § 4 AStG fällt allerdings richtiger Auf-

1 Vgl. BFH v. 19.1.1994 – I R 93/93, BStBl. II 1994, 725; i.E. ebenso BFH v. 29.4.2014 – VIII R 9/13, BStBl. II 2014, 986; BFH v. 29.4.2014 – VIII R 35/13, BStBl. II 2014, 990; BFH v. 29.4.2014 – VIII R 44/13, BStBl. II 2014, 992; BFH v. 14.5.2014 – VIII R 31/11, BStBl. II 2014, 995. 2 Die Variante 1 in § 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG dürfte, das die im Tatbestand vorausgesetzte „Geschäftsbeziehung“ nicht feststeht, keine eigenständige Bedeutung neben einer Beherrschung nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG haben. 3 Kritisch zu einer „Beherrschung“ natürlicher Personen i.S.v. § 1 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AStG Kaminski in Strunk/Kaminski/Köhler, § 1 AStG Rz. 368 (Stand: 9.2007); Brezing in Brezing/Krabbe/ Lempenau/Mössner/Runge, 1991, § 1 AStG Rz. 238. 4 BFH v. 29.4.2014 – VIII R 9/13, BStBl. II 2014, 986 Rz. 22; BFH v. 29.4.2014 – VIII R 44/13, BStBl. II 2014, 992 Rz. 22; BFH v. 14.5.2014 – VIII R 31/11, BStBl. II 2014, 995 Rz. 15. 5 Vgl. näher Baßler, ZEV 2014, 469 (474). 6 Zu doppelansässigen Gesellschaften vgl. Baßler in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 4 AStG Rz. 64, 79 (Stand: 10.2011). 7 Baßler in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 4 AStG Rz. 68 (Stand: 10.2011).

620 | Baßler

B. Personale Auslandsbezüge | Rz. 8.106 Kap. 8

fassung zu Folge solches Betriebsvermögen, für welches nach § 2 Abs. 1 Satz 2 AStG eine inländische Betriebsstätte fingiert wird.1 Zentraler Gestaltungspunkt für die Nachfolge eines erweitert beschränkt steuerpflichtigen Inhabers ist die Entscheidung für eine Zuwendung unter Lebenden. Nach Maßgabe der wohl herrschenden Literaturmeinung setzt nämlich die Anwendung von § 4 AStG voraus, dass zu dem Erwerb auch Inlandsvermögen i.S.v. § 121 BewG gehört.2 Für den Inhaber einer Beteiligung von z.B. 5 % an einem inländischen Familienunternehmen in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft, der zusätzlich noch über inländisches Grundvermögen verfügt, kann es daher sinnvoll sein, den Anteil unter Lebenden zu übertragen und nicht alles in den Nachlass fallen zu lassen. Dagegen spräche allerdings die Aussicht, die Frist von zehn Jahresfrist, während der er der erweitert beschränkten Steuerpflicht nach § 2 AStG unterliegt, zu überleben. Die Finanzverwaltung ist allerdings anderer Auffassung und hält einen Erwerb für möglich, der allein der Erbschaftsteuerpflicht nach § 4 AStG unterliegt.3 Eine gerichtliche Entscheidung dieser Frage ist – soweit ersichtlich – noch nicht ergangen. In den seltenen Fällen, dass der Inhaber in einem Staat ansässig ist, mit dem Deutschland ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auch auf dem Gebiet der Erbschaftund Schenkungsteuer geschlossen hat, kann die deutsche Besteuerung mit Erbschaft- und Schenkungsteuer durch das Abkommen eingeschränkt sein. Auf die Ansässigkeit des Nachfolgers kommt es nicht an; dieser kann im gleichen Staat wie der Inhaber oder in einem dritten Staat ansässig sein. Betroffen durch eine abkommensrechtliche Beschränkung der Besteuerung sind namentlich Fälle der Nachfolge in Kapitalgesellschaftsanteile. Abkommensrechtlich gehören diese Beteiligungen in die Kategorie des anderen Vermögens (vgl. Art. 7 OECD-MA (Erb)), welches ausschließlich im Ansässigkeitsstaat des Erblassers/Schenkers besteuert wird (vgl. Art. 25 Abs. 3 DBA-DK; Art. 9 DBA-F (Erb); Art. 24 Abs. 3 DBA-S; Art. 8 Abs. 1 DBA-CH (Erb); Art. 9 DBA-US (Erb)). Dies gilt unabhängig davon, ob die Nachfolgemaßnahme der beschränkten oder der erweiterten beschränkten Steuerpflicht unterfällt. Eine andere Rechtslage besteht bei der Nachfolge in einen Betrieb oder eine Mitunternehmerschaft mit ausschließlich inländischer Betriebsstätte. Hier lassen die Abkommen die Besteuerung durch den Belegenheitsstaat unberührt. Das gilt für das bewegliche Unternehmensvermögen (Art. 6 OECD-MA (Erb), Art. 25 Abs. 1 DBA-DK, Art. 6 DAB-F (Erb), Art. 24 Abs. 1 DBA-S, Art. 6 DBA-CH (Erb), Art. 6, 8 DBA-US (Erb)) ebenso wie für das unbewegliche Unternehmensvermögen (Art. 5 OECD-MA (Erb), Art. 25 Abs. 2 Buchst. a) DBA-DK, Art. 5 DBA-F (Erb), Art. 24 Abs. 2 Buchst. a) DBA-S, Art. 5 DBA-CH (Erb), Art. 5 DBA-US (Erb)). Eine Einschränkung besteht nur insoweit, als außerhalb Deutschlands belegener Grundbesitz zum inländischen Betriebsvermögen gehört, selbst wenn er keine eigene Betriebsstätte bildet. Diesbezüglich wird die nach § 121 Nr. 3 i.V.m. § 95 Abs. 1 BewG, § 15 Abs. 2 EStG bestehende deutsche beschränkte Steuerpflicht eingeschränkt. Gehört der ausländische Grundbesitz zu einer eigenständigen Betriebsstätte im Belegenheitsstaat, unterliegt er nicht einmal der deutschen (erweiterten) beschränkten Steuerpflicht (§ 121 Nr. 2 BewG, § 4 AStG i.V.m. § 2 AStG, § 34d Nr. 4 Buchst. a EStG). 1 Baßler in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 4 AStG Rz. 70 (Stand: 10.2011). 2 Vgl. Nachweise bei Baßler in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 4 AStG Rz. 42 (Stand: 10.2011). 3 BMF-Schr. v. 14.5.2004 betr. Grundsätze zur Anwendung des Außensteuergesetzes, BStBl. I 2004, Sondernr. 1/2004, 3, Tz. 4.1.3.

Baßler | 621

8.106

Kap. 8 Rz. 8.107 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug

8.107

Eine noch wenig diskutierte Frage ist, ob der abkommensrechtliche Unternehmensbegriff, den der BFH für Einkommensteuer-DBA gefunden hat (vgl. unter Rz. 8.54, 8.61), für die Erbschaftsteuer-DBA entsprechend gilt.1 Wäre dies der Fall, so würde die Nachfolge in eine inländische gewerblich geprägte Personengesellschaft oder eine Besitzgesellschaft nicht im bisher unterstellten Umfang der deutschen Erbschaftsteuer- oder Schenkungsteuer unterliegen, wenn an der Nachfolgemaßnahme ausschließich Ausländer beteiligt sind (zur Verwendung des Begriffspaares „Inländer“/„Ausländer“ vgl. Rz. 8.5). Die Frage entscheidet sich systematisch anhand von Art. 3 Abs. 2 OECD-MA (Erb), ob nämlich der Zusammenhang des Abkommens eine andere Auslegung des Unternehmensbegriffs als die im nationalen Recht vorgefundene Bedeutung erfordert, wobei hier traditionell der Begriff „Gewerbebetrieb“ und „Unternehmen“ als Synonyme verstanden werden. Der BFH hat in seiner bahnbrechenden Entscheidung2 drei Argumente für eine Auslegung aus dem Abkommenszusammenhang gegeben. Eines davon, nämlich die im Abkommen zum Ausdruck kommende Subsidiarität der Verteilungsnormen über die Unternehmenseinkünfte gegenüber anderen Einkunftsarten, findet im Erbschaftsteuer-DBA keine Entsprechung. Das zweite Argument lautet, die Aufteilung der Einkünfte durch das Abkommen erfolge selbständig nach der Art der Einkünfteerzielung, so dass der systematischen Einordnung der Einkünfte im nationalen Recht nur eine Hilfsfunktion zukomme. Dem lässt sich insoweit etwas für den Kontext der Erbschaftsteuer-DBA abgewinnen, dass die Unterteilung der Vermögensarten im Abkommen tatsächlich losgelöst von den bewertungsrechtlich überwölbten Unterschieden des nationalen Rechts erfolgt. Allerdings ist einzuräumen, dass das OECD-MA (Erb) für die Umschreibung des praktisch so wichtigen unbeweglichen Vermögens explizit auf das Recht des Belegenheitsstaats verweist (Art. 5 Abs. 2 OECD-MA (Erb). Dafür, den Unternehmensbegriff auch im Kontext der Erbschaftssteuer-DBA abkommensautonom zu verstehen, spricht jedoch das dritte Argument des BFH, nämlich die internationale Entscheidungsharmonie zu fördern. Speziell aus den Erbschaftsteuer-DBA folgt ggf. noch ein weiteres Argument. Wo die Abkommen dem OECDMA (Erb) folgen, enthalten sie – neben dem als Auffangtatbestand konzipierten „anderen Vermögen“ – nur zwei unterscheidbare Vermögensarten, das unbewegliche Vermögen und das Unternehmensvermögen. Wenn nun Art. 5 Abs. 2 OECD-MA (Erb) für die Begriffsbestimmung des unbeweglichen Vermögens auf das nationale (Belegenheits-) Recht verweist, in Art. 6 OECD-MA (Erb) eine solche Verweisung aber fehlt, lässt dies Raum für einen Umkehrschluss. Diese Argumentation hat besonderes Gewicht für die Auslegung der Abkommen mit Dänemark und Schweden, die als „große“ Abkommen Regeln zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Einkommensteuer und der Erbschaft- und Schenkungsteuer enthalten. Dort erscheint es besonders fraglich, den Begriff des Unternehmens in unterschiedlichen Teilen des Abkommenstextes unterschiedlich auszulegen. c) Erweitert unbeschränkte Steuerpflicht des Inhabers und/oder des Nachfolgers

8.108

Besonderheiten gelten bei einer Nachfolge über inländisches Vermögen, wenn einer der Beteiligten (oder beide) deutscher Staatsangehöriger ist und sich zur Zeit der Nachfolge für nicht länger als fünf Jahre im Ausland aufgehalten hat, ohne in Deutschland einen Wohnsitz zu haben. Diese Person gilt ebenfalls als Inländer (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG) und unterliegt der sog. erweiterte unbeschränkte Erbschaft- und Schenkungsteuerpflicht.

1 Vgl. Baßler in v. Oertzen/Loose2, ErbStG, Art. 6 DBA-Schweiz Rz. 7. 2 BFH v. 28.4.2010 – I R 81/09, BStBl. II 2014, 754 Rz. 23.

622 | Baßler

B. Personale Auslandsbezüge | Rz. 8.109 Kap. 8

Ist der Inhaber ein solcher Inländer, gelten die Ausführungen unter Rz. 8.6 ff. entsprechend. Das dort beschriebene Risiko einer Kumulation von Steuerlasten verschärft sich, da mit einer Besteuerung der Nachfolge durch den Ansässigkeitsstaat des Inhabers gerechnet werden muss, ohne dass sich die Möglichkeit der Anrechnung ausländischer Steuer – jedenfalls in Deutschland – verbessert. Unterliegt der Nachfolger der erweiterten unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht, gelten die Ausführungen oben unter Rz. 8.85 ff. entsprechend. Auch hier tritt ein weiterer Steuergläubiger hinzu, was das Risiko einer ungemilderten Doppelbesteuerung erhöht. In diesen Situationen, wie den vorstehend beschriebenen, kommt die Anwendung von Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Erbschaft- und Schenkungsteuer besondere Bedeutung zu. In der Gesamtzahl der Nachfolgemaßnahmen mit Auslandsbezug ist ihr Anwendungsbereich allerdings schmal, abgesehen von dem Umstand, dass es wenige gibt. Ihr Anwendungsbereich ist auf den Fall begrenzt, dass der Inhaber tatsächlich im anderen Vertragsstaat ansässig (i.S.v. Art. 4 OECD-MA (Erb)) ist (vgl. Art. 1 OECD-MA (Erb)). Fälle von Doppelansässigkeit des Nachfolgers behandeln und lösen sie nicht. Exemplarisch zeigt sich dies im DBA-Schweiz (Erb). Während Art. 4 Abs. 4 DBA-CH (Erb) eine (mit einigen Einschränkungen versehene) überdachende Besteuerung für den (u.a.) erweitert unbeschränkt erbschaftsteuerpflichtigen Erblasser1 enthält, ist die an den Erwerber anknüpfende überdachende Besteuerung (Art. 8 Abs. 2 DBA-CH (Erb)) ausgeschlossen, wenn dieser in Deutschland weder eine ständige Wohnstätte noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, also alleine erweitert unbeschränkt erbschaftsteuerpflichtig i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG ist.2 Eine Ausnahme gilt möglicherweise im Anwendungsbereich des DBA-USA (Erb). Gemäß Art. 3 des Gesetzes, wodurch das Änderungsprotokoll vom 14.12.1998 ratifiziert wurde3, wird für „alle von dem Protokoll erfassten Personen“ die Frist des § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG von fünf auf zehn Jahre verlängert. Entsprechend unterliegt der Inhaber mit deutscher Staatsangehörigkeit für zehn Jahre nach Aufgabe des Wohnsitzes der deutschen erweiterten unbeschränkten Steuerpflicht. In Bezug auf den Nachfolger hat dies das FG Baden-Württemberg – zum DBA in der Fassung vor dem Änderungsprotokoll 1998 – abgelehnt.4 Die Argumentation des FG Baden-Württemberg spricht allerdings dafür, in der aktuellen Fassung die Verlängerung der Frist auch für den Erwerber anzunehmen.5 Voraussetzung ist allerdings, dass der Inhaber zur Zeit der Nachfolge einen Wohnsitz in den Vereinigten Staaten hat, da andernfalls das DBA-US (Erb) nach seinem Art. 1 überhaupt nicht auf den Sachverhalt anwendbar ist. 1 Das DBA-Schweiz (Erb) gilt grundsätzlich nur für Erbfälle. 2 So jetzt ausdrücklich BFH v. 20.3.2019 – II R 61/15, BFH/NV 2019, 725; BFH v. 20.3.2019 – II R 62/15, BFH/NV 2019, 674 mit Anm. Baßler, ISR 2019, 424. Irrtümlich offenbar a.A. Denkschrift der Bundesregierung zu Art. 8 (abgedruckt in Flick/Wassermeyer/Kempermann, Vor Art. 8 DBASchweiz (Erb)). 3 Gesetz zu dem Protokoll vom 14.12.1998 zur Änderung des am 3.12.1980 in Bonn unterzeichneten Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Nachlass-, Erbschaft- und Schenkungsteuern vom 15.9.2000, BGBl. II 2000, 1170. 4 FG BW v. 26.6.2001 – 13 K 173/99, EFG 2001, 152. 5 Ablehnend Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 2 ErbStG Rz. 250 (Stand: 5.2018); Jülicher in Wassermeyer, Art. 4 DBA-USA (Erb) Rz. 32 f. (Stand: 12.2018). Befürwortend v. Oertzen in v. Oertzen/Loose2, ErbStG, Art. 4 DBA-USA Rz. 21; Frank/Wainwright IV, ZEV 2015, 568.

Baßler | 623

8.109

Kap. 8 Rz. 8.109 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug

Soweit ein DBA Anwendung findet, also insb. bei einem erweitert unbeschränkt steuerpflichtigen Inhaber, wird das Risiko der Doppelbesteuerung im Großen und Ganzen gelöst. Dies erfolgt allerdings nicht dadurch, dass das Abkommen Deutschland eine Besteuerung nur als Belegenheitsstaat (Art. 5, 6 OECD-MA (Erb)) zuweisen würde. Vielmehr halten die Abkommen durch sog. überdachende Besteuerung die deutsche Steueranknüpfung an alternativ den Inhaber oder den Nachfolger explizit aufrecht, wenn diese als deutsche Staatsangehörige ihren früheren inländischen Wohnsitz noch nicht länger als fünf Jahre aufgegeben haben (vgl. mit Unterschieden im Detail Art. 26 Abs. 1 Buchst. b i.V.m. Art. 27 Abs. 2 DBA-DK, Art. 11 Abs. 2 Buchst. b Halbs. 1 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 DBA-F (Erb) sowie Ziff. 2 des Protokolls, Art. 26 Abs. 1 Buchst. b i.V.m. Art. 27 Abs. 2 DBA-S, Art. 11 Abs. 3 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Buchst. b DBA-US (Erb)1). Kehrseite dieser umfassenden Vorbehalte zugunsten der deutschen Besteuerung ist, dass die Bundesrepublik Deutschland zur Anrechnung ausländischer Steuer in weiterem Umfang verpflichtet ist, als sie es allein aufgrund von § 21 ErbStG wäre. Ist beispielsweise der in einem DBA-Staat ansässige Inhaber eines Anteils an einer deutschen Kapitalgesellschaft erweitert unbeschränkt erbschaftsteuerpflichtig, steht das Abkommen der deutschen Erbschaftsteuer auf die unentgeltliche Unternehmensnachfolge nicht entgegen, muss aber im Gegenzug die durch den Ansässigkeitsstaat des Inhabers erhobene Erbschaft- oder Schenkungsteuer anrechnen (vgl. Art. 26 Abs. 1 Buchst. b, Art. 11 Abs. 2 Buchst. b Halbs. 2 DBA-F (Erb), Art. 26 Abs. 1 Buchst. b Satz 2 DBA-S, Art. 4 Abs. 4 Satz 4 i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Buchst. b DBA-CH (Erb), Art. 11 Abs. 3 Buchst. b DBA-US (Erb)). Aufgrund § 21 ErbStG allein wäre dies nicht der Fall, weil der Anteil an der inländischen Kapitalgesellschaft – unabhängig vom Umfang der Beteiligung kein Auslandsvermögen (i.S.v. § 21 Abs. 2 Nr. 1 ErbStG) ist.

2. Einkommensteuer a) Anteile an Kapitalgesellschaft aa) Allgemeines

8.110

Folgt ein beschränkt steuerpflichtiger Nachfolger einem ebenfalls beschränkt steuerpflichtigen Inhaber in einen Anteil i.S.d. § 17 EStG einer inländischen Kapitalgesellschaft nach, setzt der Nachfolger die Anschaffungskosten des Inhabers fort (§ 17 Abs. 2 Satz 5 EStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG). Es kann allerdings darüber hinaus zu steuerrechtlichen Wirkungen kommen. Diese können auf Ebene der Anschaffungskosten des Nachfolgers liegen, z.B. in Gestalt von deren Aufstockung auf den gemeinen Wert (unter Rz. 8.111), oder in der Entstehung einer zusätzlichen Steuerlast beim Inhaber durch Entstrickung bislang verstrickter Anteile (unter Rz. 8.112 f.). Ferner sind Wirkungen auf eine ggf. gestundete Steuer auf den Vermögenszuwachs nach § 6 AStG zu beachten (unter Rz. 8.114). bb) Anschaffungskosten des Nachfolgers

8.111

Eine Vorschrift, die es dem Nachfolger erlaubt, bei einer Veräußerung einer Beteiligung abweichend von § 17 Abs. 2 Satz 5 EStG andere (= höhere) Anschaffungskosten anzusetzen als der frühere Inhaber, von dem die Anteile unentgeltlich erworben wurden, besteht nur in § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG unter der Voraussetzung, dass der (ehemalige) Inhaber in seinem Ansässigkeitsstaat einer der deutschen Steuer auf den Vermögenszuwachs (§ 6 AStG, vgl. Rz. 8.16 ff.)

1 Es ist umstritten, ob Art. 4 DBA-US (Erb) für die Bestimmung des Wohnsitzes des Erwerbers anwendbar ist, ist.

624 | Baßler

B. Personale Auslandsbezüge | Rz. 8.112 Kap. 8

vergleichbaren Steuer unterliegt. Nach überwiegender Literaturmeinung findet diese Vorschrift indessen nur Anwendung, wenn der Veräußerer unbeschränkt steuerpflichtig wird.1 Auf andere Formen der Verstrickung der Anteile ist die Vorschrift nicht anwendbar. Dadurch droht ein erhebliches Risiko der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung, wenn einerseits der ehemalige Inhaber aufgrund der Nachfolge in seinem Ansässigkeitsstaat einer Wegzugsteuer unterliegt und andererseits der beschränkt steuerpflichtige Nachfolger bei einer späteren Veräußerung mit seinem auf Basis der historischen Anschaffungskosten ermittelten Gewinn nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG der deutschen Einkommensteuer unterliegt (vgl. auch Rz 8.69). Dieses Risiko besteht im Übrigen selbst dann, wenn der Anteil beim Nachfolger gar nicht verstrickt wird. Zieht dieser aber zu einem späteren Zeitpunkt mit den Anteilen nach Deutschland zu, bleibt die vom Staat des ehemaligen Inhabers auf die Nachfolge erhobene Steuer auf den Vermögenszuwachs unberücksichtigt, falls der Wegzugstaat des Nachfolgers eine Wegzugsteuer nicht erhebt und somit bei Zuzug des Nachfolgers die Voraussetzung des § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG nicht erfüllt ist. Nur wenn der Wegzugstaat des Nachfolgers eine Wegzugsteuer erhebt und dabei die Steuer auf den Vermögenszuwachs im Staat des ehemaligen Inhabers mindernd berücksichtigt, kann sich eine sachgerechte Steuerlast einstellen. Wie der Staat des Nachfolgers die Steuer auf den Vermögenszuwachs im Staat des ehemaligen Inhabers berücksichtigt, ist grundsätzlich unerheblich. Dieses höchst insg. unbefriedigende Gesamtergebnis, das dringend einer gesetzgeberischen Korrektur bedarf, wird durch die Wegzugsteuerklauseln in den DBA nicht gemildert. Soweit darin Vorschriften zur Wertverknüpfung enthalten sind, betreffen diese persönliche Wegzüge, keine unentgeltliche Anteilstransfer, und auch nur Wegzüge von einem Vertragsstaat in den anderen (vgl. Rz. 8.96). cc) Entstrickung

Eine Einkommensteuer kann bei der Nachfolge zwischen Steuerausländern über einen inländischen Anteil i.S.v. § 17 EStG nicht entstehen. Dazu fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage. § 6 AStG findet auf beschränkt steuerpflichtige Personen keine Anwendung.2 Dies folgt aus der Regelungssystematik des § 6 Abs. 1 AStG. Im Grundfall (§ 6 Abs. 1 Satz 1 AStG) ist das Beendigen der unbeschränkten Steuerpflicht (durch Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts) Tatbestandsmerkmal. Vorausgesetzt wird damit, dass der Steuerpflichtige unbeschränkt steuerpflichtig ist; ohne dies kann er die Norm nicht verwirklichen. Die textliche Grundlage der Ersatztatbestände ist weniger eindeutig. Sie lassen eine Interpretation zu, wonach die Tatbestände des Nr. 1 bis Nr. 4 in § 6 Abs. 1 Satz 2 AStG an die Stelle einer Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht treten, ohne Rücksicht darauf, ob dies bei einem unbeschränkt Steuerpflichtigen oder einem lediglich beschränkt Steuerpflichtigen geschieht. Diese Sichtweise entspräche allerdings nicht der mit § 6 AStG verbundenen Intention des Gesetzgebers. Dieser schuf die Ersatztatbestände3 in der unzweideutigen Absicht, die Möglichkeiten des Steuerpflich-

1 Weber-Grellet in Schmidt39, § 17 EStG Rz. 179; Schmidt in Herrmann/Heuer/Raupach, § 17 EStG Rz. 231 (Stand: 8.2018); Gosch in Kirchhof19, § 17 EStG Rz. 81a. 2 Schönfeld/Häck, IStR 2012, 582 (583); Hecht in Fuhrmann, AStG online, § 6 AStG Rz. 5 (Stand: 1.2017); Pohl in Blümich, EStG, § 6 AStG Rz. 51 (Stand: 2.2019); Häck in Flick/Wassermeyer/ Baumhoff/Schönfeld, § 6 AStG Rz. 242 (Stand: 6.2018); Kraft in Kraft2, § 6 AStG Rz. 350. 3 § 6 Abs. 3 AStG i.d.F. von Art. I des Gesetzes zur Wahrung der steuerlichen Gleichmäßigkeit bei Auslandsbeziehungen und zur Verbesserung der steuerlichen Wettbewerbslage bei Auslandsinvestitionen vom 8.9.1972, BGBl. I 1972, 1713.

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8.112

Kap. 8 Rz. 8.112 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug

tigen zur Umgehung der Steuer nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG zu beseitigen.1 Wenn aber nur eine unbeschränkt steuerpflichtige Person den Steuertatbestand nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG verwirklichen kann, dann ist auch der Anwendungsbereich der Ersatztatbestände auf den Kreis unbeschränkt steuerpflichtiger Personen beschränkt. Folgerichtig erläutert die Begründung zum Regierungsentwurf des AStG die Ersatztatbestände ausschließlich unter Bezugnahme auf den „unbeschränkt Steuerpflichtigen“.2 Auf diesem gesetzgeberischen Willen beruht auch das SEStEG. Zwar zielte der Regierungsentwurf auf eine Umformung des § 6 AStG in einen allgemeinen Entstrickungstatbestand ab.3 Es ist aber zweifelhaft, ob die Bundesregierung damit eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf beschränkt Steuerpflichtige beabsichtigte.4 Jedenfalls ist der Gesetzgeber dem nicht gefolgt, sondern hat die ursprüngliche Gesetzeskonzeption, nämlich die Kombination von Grundtatnorm und Ergänzungstatbeständen, beibehalten und lediglich den Kreis der Ergänzungen um den einen allgemeinen Entstrickungstatbestand als Auffangtatbestand erweitert. Ein Wille zur Erstreckung des Tatbestands auf beschränkt steuerpflichtige Personen lässt sich in den Motiven nicht finden.5 Dieses auf unbeschränkt Steuerpflichtige beschränkte Motiv des Gesetzgebers findet seinen Ausdruck in der Überschrift des Dritten Teils des AStG („Wohnsitzwechsel“); vor allem aber bezieht sich der auf alle Varianten des § 6 Abs. 1 AStG anwendbare § 6 Abs. 2 AStG allein auf „unbeschränkt Steuerpflichtige“.

8.113

Eine andere Rechtslage als bei „normalen“ Anteilen i.S.v. § 17 EStG besteht bei sperrfristbehafteten Anteilen nach § 22 UmwStG. Diese können auch in den Händen einer beschränkt steuerpflichtigen Person entstehen, etwa wenn der Steuerpflichtige als Mitunternehmer am Formwechsel einer inländischen gewerblichen Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft zu Buchwerten teilgenommen hat (§ 20 Abs. 1 Satz 2 UmwStG). Voraussetzung ist allerdings, dass zur Zeit des Formwechsels entweder der Steuerpflichtige innerhalb der EU oder des EWR seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat und seine steuerliche Ansässigkeit sich nicht aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens außerhalb der EU oder des EWR befindet (§ 1 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 UmwStG) oder das deutsche Besteuerungsrecht an den gewährten Kapitalgesellschaftsanteilen nicht ausgeschlossen oder beschränkt ist (§ 1 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b UmwStG). Führen Veränderungen innerhalb der sieben jährigen Sperrfrist des § 22 Abs. 1 Satz 1 UmwStG dazu, dass der ehemalige Mitunternehmer („Einbringender“) bzw. sein Rechtsnachfolger (§ 22 Abs. 6 UmwStG) diese persönliche Voraussetzung nicht mehr erfüllen, gilt der Anteil als veräußert, so dass rückwirkend auf den Zeitpunkt des Formwechsels ein Einbringungsgewinn I entsteht (§ 22 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 UmwStG).

1 Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des Gesetzes zur Wahrung der steuerlichen Gleichmäßigkeit bei Auslandsbeziehungen und zur Verbesserung der steuerlichen Wettbewerbslage bei Auslandsinvestitionen, BT-Drucks. VI/2883, 26 Rz. 80. 2 Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des Gesetzes zur Wahrung der steuerlichen Gleichmäßigkeit bei Auslandsbeziehungen und zur Verbesserung der steuerlichen Wettbewerbslage bei Auslandsinvestitionen, BT-Drucks. VI/2883, 26 Tz. 80. 3 Vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG i.d.F. des Entwurfs eines Gesetzes über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Aktiengesellschaft und der Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG) vom 25.9.2006, BT-Drucks. 16/2710. 4 Vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG i.d.F. des Entwurfs eines Gesetzes über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Aktiengesellschaft und der Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG) vom 25.9.2006, BT-Drucks. 16/2710, 52 (r. Sp. zu § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG). 5 Bericht des Finanzausschusses zum Entwurf eines Gesetzes über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Aktiengesellschaft und der Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG) vom 16.11.2006, BT-Drucks. 16/3369, 14.

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B. Personale Auslandsbezüge | Rz. 8.114 Kap. 8 Beispiel: I, mit ausschließlichem Wohnsitz in Chile, war über Jahrzehnte zunächst an der G GmbH & Co. KG beteiligt. Im Jahre 01 beschließen die Gesellschafter einen Formwechsel der KG in eine AG (§ 25 UmwStG i.V.m. § 20 UmwStG). Dabei konnte in Bezug auf den Mitunternehmeranteil des I die Buchwerte angesetzt werden. Zwar erfüllte I nicht die personalen Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a UmwStG, aber die sachlichen Bedingungen des § 1 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b UmwStG, da I mit einem Gewinn aus der Veräußerung der G Aktien – mangels DBA zwischen Deutschland und Chile – der uneingeschränkten beschränkten Steuerpflicht unterliegt (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e i.V.m. § 17 EStG). Im Jahre 04 wendet I seine G-Aktien je zur Hälfte seiner Tochter T und seinem Sohn S zu; T lebt in Uruguay, S in Argentinien.

Die Schenkung verletzt die Sperrfrist des § 22 UmwStG, falls dadurch § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 UmwStG verwirklicht wird, weil der Einbringende bzw. seine ebenfalls als Einbringende geltenden unentgeltlichen Rechtsnachfolger (§ 22 Abs. 6 UmwStG) die Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 UmwStG nicht (mehr) erfüllen. Die personalen Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a UmwStG erfüllen T und S beide nicht. Dennoch ist die Schenkung an S einkommensteuerneutral. Zwar besteht zwischen Deutschland und Argentinien ein DBA, welches aber in Bezug auf Veräußerungsgewinne aus Beteiligungen nicht dem OECD-MA sondern dem UN-MA nachgebildet ist: Gem. Art. 13 Abs. 3 DBA-Argentinien kann der Sitzstaat der Gesellschaft einen Gewinn aus der Veräußerung von Gesellschaftsanteilen besteuern, so dass in Bezug auf S die sachlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b UmwStG erfüllt sind. Anders liegt die Situation bei T. Denn Art. 13 Abs. 5 DBA-Uruguay weist nach Vorbild des OECD-MA das Recht zur Besteuerung von Gewinnen aus der Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen ausschließlich dem Ansässigkeitsstaat des Veräußerers zu. Somit wird die Besteuerung eines Gewinns aus der Veräußerung der T zugewendeten G Aktien auf der Grundlage von § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e i.V.m. § 17 EStG ausgeschlossen, so dass auch die sachliche Voraussetzung (§ 1 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b UmwStG) nicht erfüllt wird. Die Nachfolge durch T verletzt die Sperrfrist des § 22 UmwStG; insoweit muss I rückwirkend einen Einbringungsgewinn der deutschen Einkommensteuer unterwerfen. Eine andere Rechtslage besteht bei ausländischen Inhabern mit einbringungsgeborenen Anteilen i.S.v. § 21 UmwStG a.F., die nicht entstrickt sind. Beispiel: I ist vor Jahren mit einbringungsgeborenen Anteilen i.S.v. § 21 UmwStG a.F. an einer inländischen Kapitalgesellschaft nach Prag verzogen. Sie schenkt ihre Anteile ihrem in Österreich ansässigen Neffen.

Durch den Umzug der I nach Tschechien wurde § 21 Abs. 2 Nr. 2 UmwStG a.F. (fiktive Veräußerung) nicht verwirklicht, weil das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile aufgrund des von Art. 13 OECD-MA abweichenden DBA nicht ausgeschlossen ist. Die unentgeltliche Nachfolge durch den in Österreich ansässigen Neffen führt jedoch zu einem solchen Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts (vgl. Art. 13 Abs. 5 DBA-Österreich), so dass die stillen Reserven aufzudecken und der Einkommensteuer zu unterwerfen sind. Der Steueranspruch ist nach § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AStG (i.V.m. § 27 Abs. 3 Nr. 3 Satz 2 UmwStG) unter den dort genannten Voraussetzungen zu stunden (vgl. dazu näher oben unter Rz. 8.42). Es liegt ein Fall des „Abs. 1 Satz 2 Nr. 1“ i.S.d. Norm vor, auch wenn dieser Ersatztatbestand in § 6 Abs. 1 AStG auf den Übergang von beschränkt Steuerpflichtigen auf beschränkt Steuerpflichtigen nach hier vertretener Auffassung nicht anwendbar ist (vgl. unter Rz. 8.112).

Vergleichbare Fälle treten im Kontext von abkommensrechtlichen Immobiliengesellschaftsklauseln auf. Baßler | 627

8.114

Kap. 8 Rz. 8.115 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug

dd) Wirkungen auf gestundete Steuer auf den Vermögenszuwachs (§ 6 AStG)

8.115

Die Nachfolge in einen Kapitalgesellschaftsanteil kann Auswirkungen in Bezug auf eine nach § 6 Abs. 5 AStG gestundete Steuer auf den Vermögenszuwachs haben. In Betracht kommt sowohl ein Wegfall der Stundung als auch ein Wegfall des Steueranspruchs. Die Stundung ist gem. § 6 Abs. 5 Satz 4 1. Var. AStG zu widerrufen, wenn in der Person des Nachfolgers die Voraussetzungen der Stundung nicht mehr erfüllt sind, z.B. weil der Nachfolger des selbst weggezogenen Inhabers nicht in einem Mitgliedstaat der EU oder des EWR ansässig ist oder über eine entsprechende Staatsangehörigkeit nicht verfügt. Eine Besonderheit gilt nach dem Brexit für in UK ansässige Inhaber. Die Nachfolge durch eine ebenfalls im Vereinigten Königreich ansässige Person verwirklicht den Tatbestand des § 6 Abs. 5 Satz 4 Nr. 2 AStG, weil der Nachfolger eben in einem Gebiet ansässig ist, das nicht (mehr) zur EU gehört. § 6 Abs. 8 Satz 1 AStG, der nach Wortsinn und Intention des Gesetzgebers lediglich einen Widerruf unmittelbar aufgrund des Brexits selbst verhindern soll, steht dem nicht entgegen.1 Deutlich positiver wirkt sich die Nachfolge aus, wenn aufgrund dieses Vorgangs der nach § 6 Abs. 5 AStG gestundete Steueranspruch nach Maßgabe des § 6 Abs. 3 Satz 4 AStG entfällt. Insb. Fälle nach Nr. 2 des § 6 Abs. 3 Satz 4 AStG sind denkbar, wenn der Nachfolger in einem Staat ohne DBA ansässig ist oder das DBA zwischen Deutschland und dem Ansässigkeitsstaat des Nachfolgers Deutschland das Besteuerungsrecht über die Anteile zuweist. Wünschenswert wäre es überdies, wenn das Gesetz eine Milderung der Wegzugsteuerbelastung für jene Fälle vorsehen würde, in denen der Inhaber im Drittstaat, der Nachfolger aber im EU-/EWR-Staat ansässig ist. De lege lata ist dies für eine bereits bezahlte Steuer nicht der Fall. Fraglich ist allerdings, ob für einen zur Zeit der Nachfolge nach § 6 Abs. 4 AStG noch offenen Teilbetrag eine dauerhafte Stundung nach § 6 Abs. 5 AStG gewährt werden kann. Dadurch könnten die steuerlichen Nachteile ungeplanter Erbfälle zugunsten von Erbengemeinschaften gemildert werden, bei denen einzelne Miterben im Drittstaat, andere aber in der EU ansässig sind. Ähnliches gilt dort, wo der Nachfolger auf der gleichen Rechtsgrundlage erwirbt, aufgrund derer zuvor bereits der Inhaber den Anteil erworben hat. Beispiel: U ist in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig und Gesellschafter (40 %) der A GmbH (mit Sitz und Geschäftsleitung ebenfalls in Deutschland). Er setzt testamentarisch seinen Bruder (ansässig in Brasilien) als Vorerben und dessen in Österreich wohnhafte Tochter T zur Nacherbin ein. Fraglich ist, ob die durch den Vorerbfall entstandene und einer Stundung nach § 6 Abs. 5 AStG nicht zugänglichen Steuer auf den Vermögenszuwachs (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Alt. 2 AStG) durch den Nacherbfall beeinflusst wird. Gilt hier – durchaus in Übereinstimmung mit einkommensteuerrechtlichen Erwägungen2 und dem Erbschaftsteuerrecht (§ 6 Abs. 2 Satz 1 ErbStG) – T als Rechtsnachfolger ihres Vaters B, ergeben sich Wertungswidersprüche. Zum einen bliebe ihr trotz Ansässigkeit in einem EU-Staat die zinsfreie Stundung ohne Sicherheitsleistung versagt.3 Zum anderen würde ihr, da sie nicht als Rechtsnachfolgerin des Steuerpflichtigen (U) gilt, die Möglichkeit verwehrt, die Wegzugsteuer durch Wiederzuzug nach § 6 Abs. 3 Satz 3 AStG zum Erlöschen zu bringen. Legt man dagegen 1 Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes über steuerliche und weitere Begleitregelungen zum Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union (Brexit-StBG), BT-Drucks. 19/7377, 23. 2 BFH v. 11.5.1995 – IV R 44/93, BFH/NV 1995, 68 (= FR 1995, 614) (zum Mitunternehmeranteil). 3 Wassermeyer, IStR 2007, 833 (836); Strunk/Kaminski in Strunk/Kaminski/Köhler, § 6 AStG Rz. 241 (Stand: 11.2007) für den parallel gelagerten Fall, dass der Steuerpflichtige zunächst in einen Drittstaat und sodann in einen EU-/EWR-Staat umzieht.

628 | Baßler

B. Personale Auslandsbezüge | Rz. 8.117 Kap. 8 das Zivilrecht (§ 2139 BGB) zugrunde, erwürbe T von U. Darin lässt sich ein Rückfall der Beteiligung nach Deutschland erkennen, wodurch unter der Maßgabe einer extensiven Anwendung von § 6 Abs. 3 Satz 3 AStG und bei Einhaltung der Fünf-Jahresfrist der ursprüngliche Steueranspruch entfiele. Zeitgleich würde im Nachlass des U erneut ein Wegzugsteuertatbestand verwirklicht (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Alt. 2 AStG), wobei die Voraussetzungen einer Stundung nach § 6 Abs. 5 AStG erfüllt wären.

b) Betriebsvermögen Die Nachfolge in einen inländischen Gewerbebetrieb oder in einen Anteil an einer Mitunternehmerschaft mit inländischem Gewerbebetrieb durch eine lediglich beschränkt steuerpflichtige Person als Rechtsnachfolger eines ausländischen Inhabers (zur Verwendung des Begriffspaares „Inländer“/„Ausländer“ vgl. Rz. 8.3) ist unter den allgemeinen Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG ertragsteuerneutral: Wenn die Besteuerung der stillen Reserven in den wesentlichen Betriebsgrundlagen (vgl. dazu Rz. 8.45) beim Nachfolger sichergestellt ist, setzt der (ehemalige) Inhaber in seiner Schlussbilanz die Buchwerte an (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 a.E. EStG), die der Nachfolger fortführt (§ 6 Abs. 3 Satz 3 EStG). Unterliegen Inhaber und Nachfolger dem gleichen ausländischen Steuerregime, ist nicht erkennbar, weshalb stille Reserven, die beim ehemaligen Inhaber der deutschen Steuerhoheit unterlegen haben (zur Beschränkung der Betrachtung auf solche stillen Reserven im Rahmen der Auslegung des § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 a.E. EStG vgl. Rz. 8.65), in der Person des Nachfolgers plötzlich nicht mehr besteuert werden könnten. Dies gilt ebenfalls, wenn Inhaber und Nachfolger in unterschiedlichen Staaten ansässig sind: Solange durch die Nachfolge die inländische Betriebsstätte des Betriebs oder der Mitunternehmerschaft weder als Ganzes noch als Zurechnungspunkt von einzelnen Wirtschaftsgüter des (Sonder-) Betriebsvermögens berührt, kann Deutschland die stillen Reserven gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG besteuern. Über Art. 13 Abs. 2 OECD-MA, der in alle deutschen DBA übernommen ist, gilt dies auch, falls im Verhältnis zwischen Deutschland und dem Ansässigkeitsstaat des Nachfolgers ein DBA besteht.

8.116

Abweichendes kann dort gelten, wo der Gewerbebetrieb in besonderem Maße auf die Person zugeschnitten ist (sog. personenbezogene Gewerbebetriebe, vgl. Rz. 8.51), so dass sich mit der Nachfolge die betriebliche Organisation in einem steuerlich maßgeblichen Umfang ändert (vgl. Rz. 8.117). Vergleichbares gilt bei Besitzunternehmern (vgl. Rz. 8.118 f.) und gewerblich geprägten Personengesellschaften (vgl. Rz. 8.120 ff.). Zu den Rechtsfolgen vgl. im Einzelnen Rz. 8.77 ff. für den Inhaber und Rz. 8.83 f. für den Nachfolger. Bei personenbezogenen Gewerbebetrieben ist die Nachfolge insb. dann steuerwirksam, wenn der Nachfolger die inländische Betriebsstätte nicht fortführt, welche der ehemalige Inhaber für seine Tätigkeit im Inland unterhalten hat. Man stelle sich vor, der Produktdesigner aus Rz. 8.51 f. unterhielte für seine Tätigkeit ein Büro, während der Nachfolger diese Designtätigkeit ausschließlich von seinem Wohnsitz aus ausübe. In einem solchen Fall ist die Fortführung des Buchwerts gem. § 6 Abs. 3 Satz 1, 3 EStG nach der hier vertretenen Auffassung zwar möglich, weil die maßgeblichen stillen Reserven (in den registrierten Produktdesigns), soweit sie zur Zeit der Nachfolge bereits bestanden, auch bei einer späteren Veräußerung der deutschen Besteuerung unterliegen. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG verlangt in der Auslegung des BFH1 nämlich nur, dass der realisierte Veräußerungsgewinn auf der Tätigkeit einer inländischen Betriebsstätte beruht, nicht aber, dass die Betriebsstätte zur Zeit der Veräußerung noch besteht (vgl. ausführlich Rz. 8.45); für Art. 13 Abs. 2 OECD-MA gilt Entspre1 Zur Auslegung von § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG vgl. BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, BFH/NV 2010, 432; BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019.

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8.117

Kap. 8 Rz. 8.117 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug

chendes. Ungeachtet dessen kommt es wegen der Verlagerung des Betriebs zu einer fiktiven Aufgabe der inländischen Betriebsstätte (§ 16 Abs. 3a i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG) und damit zu einer Entstrickung (vgl. auch Rz. 8.67 ff.), möglicherweise allerdings zeitlich nicht bereits mit der Wirksamkeit der Nachfolgemaßnahme sondern erst durch die Fortsetzung der Tätigkeit durch den Nachfolger von seinem Wohnsitz aus. Vorstehendes Beispiel ist nur ein Spezialfall der allgemeineren Gruppe von Fällen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass der ausländische Nachfolger vom ausländischen Inhaber zeitglich mit der Nachfolge eine Personalfunktion (i.S.v. BsGaV, zur Bedeutung vgl. Rz. 8.64, 8.66) übernimmt, diese jedoch im Unterschied zum ehemaligen Inhaber im Ausland ausübt. Beispiel (vgl. auch Rz. 8.64): I hat seinen Wohnsitz im Ausland A. Er ist Inhaber eines Gewerbebetriebs zur Herstellung von Möbeln mit Betriebsstätten in Deutschland, wo sich die Geschäftsleitung befindet, und im Staat A. Innerhalb der Betriebsorganisation ist I insb. für die Produktion der Möbel zuständig, während sich der leitende Angestellte X um den Vertrieb kümmert. Die Produktion der Möbel erfolgt ausschließlich in der im Staat B ansässigen 100%-Tochtergesellschaft TG. I stirbt und wird durch seinen im Staat A ansässigen und in der dortigen Betriebsstätte tätigen Nachfolger N beerbt. Dieser hat schon vor dem Tod I bei der Leitung der Produktion unterstützt und übernimmt nun diese Aufgabe im Rahmen seiner Tätigkeit in A.

Die Voraussetzungen für den Ansatz und die Fortführung der Buchwerte (§ 6 Abs. 3 Satz 1, 3 EStG) sind grundsätzlich erfüllt, weil die stillen Reserven in allen Wirtschaftsgütern, die zur Zeit des Erbfalles bestanden, auch bei einer späteren Veräußerung nach Maßgabe des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG, ggf. i.V.m. mit der Art. 13 Abs. 2 OECD-MA nachempfundenen Abkommensnormen in Deutschland besteuert werden dürfen (vgl. Rz. 8.116). Dies gilt insb. auch für die TG-Beteiligung. Diese ist allerdings durch den Wechsel der Personalfunktion „Produktion“ nach A nunmehr der dortigen Betriebsstätte zuzuordnen. Da für die anderen wesentlichen Betriebsgrundlagen das Besteuerungsrecht unangetastet bleibt, liegt insoweit eine Entnahme (§ 4 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Satz 4 EStG) vor.

8.118

Bei der Nachfolge in ein Besitzunternehmen sind unterschiedliche Sachverhaltsvarianten in Abhängigkeit vom Anwendungsbereich eines DBA sowie vom Regelungsinhalt eines einschlägigen DBA zu unterscheiden. Beispiel: I (steuerliche Ansässigkeit in Staat A) ist Eigentümer eines in Deutschland belegenen Grundstücks, welches er entgeltlich einer GmbH mit Sitz und Geschäftsleitung im Inland zur Nutzung überlässt. Die GmbH unterhält auf diesem Grundstück ihren Gewerbebetrieb, so dass das Grundstück bei ihr eine wesentliche Betriebsgrundlage darstellt. Inhaber aller Anteile dieser GmbH ist I; die Voraussetzungen für eine Betriebsaufspaltung sind erfüllt.1 I überträgt das Besitzunternehmen (Grundstück samt aller Geschäftsanteile) an seine Tochter N, die in Staat B steuerlich ansässig ist.

Die Nachfolge kann ertragsteuerneutral zu Buchwerten erfolgen, wenn im Verhältnis zu keinem der involvierten Staaten ein DBA besteht. In dieser Situation unterliegt N als beschränkt steuerpflichtiger Mitunternehmer mit einem Gewinn aus der Veräußerung von Betriebsvermögen (oder aus der Veräußerung seines Mitunternehmeranteils) in gleicher Weise und Umfang der deutschen Einkommensteuer, wie dies I gewesen wäre. Die Besteuerung der stillen Reserven erscheint jedenfalls insoweit sichergestellt, als sie bisher bei I der deutschen Steuerhoheit unterlagen. Dies genügt für die Erfüllung der Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG (vgl. dazu Rz. 8.45), so dass N die Buchwerte ihres Vaters I fortsetzen kann.

1 Zu einer solchen Betriebsaufspaltung über die Grenze vgl. näher die Nachw. in Fn. 1 zu Rz. 8.55.

630 | Baßler

B. Personale Auslandsbezüge | Rz. 8.120 Kap. 8

Das gleiche gilt, wenn es zwar im Verhältnis zum Ansässigkeitsstaat des I ein DBA gibt, nicht aber zu dem der N. Insoweit als durch die Nachfolge das deutsche Besteuerungsrecht in Bezug auf die Beteiligung an der Kapitalgesellschaft begründet wird (das Besteuerungsrecht in Bezug auf das Grundstück liegt auch unter Geltung eines Abkommens gem. Art. 13 Abs. 1 OECDMA bei Deutschland als dem Belegenheitsstaat), kommt es zu einer Verstrickung gem. § 4 Abs. 1 Nr. 8 EStG und zum Ansatz des gemeinen Werts (§ 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG). Handelt es sich bei B um einen DBA-Staat, nicht aber bei A, droht eine Aufdeckung stiller Reserven nach § 16 Abs. 3 EStG, weil die Voraussetzungen der Buchwertfortführung (§ 6 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 a.E. EStG) nicht erfüllt sind. Die Besteuerung der stillen Reserven in der Beteiligung ist nicht gesichert. In der abkommenslosen Situation des I ist, obschon eine inländische Betriebsstätte für das Besitzunternehmen nicht besteht, die Besteuerung der stillen Reserven sowohl im Grundstück (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG) als auch in der Beteiligung (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG) möglich. Dies ändert sich in der Person der N, weil das Abkommen Deutschland verbietet, eine Steuer auf den Gewinn aus der Veräußerung der Beteiligung zu erheben. Art. 13 Abs. 2 OECD-MA ist nicht anwendbar, weil das Besitzunternehmen im abkommensrechtlichen Sinne kein Unternehmen ist (vgl. Rz. 8.57) und Art. 13 Abs. 5 OECD-MA eine Besteuerung der Veräußerungsgewinne in Bezug auf sonstige Wirtschaftsgüter für Deutschland als Quellenstaat ausschließt. Eine abweichende Rechtslage ergibt sich, wenn das konkrete Abkommen die Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen generell dem Ansässigkeitsstaat der Gesellschaft zuweist oder die Betriebsgesellschaft die Voraussetzungen der im Abkommen konkret enthaltenen Immobiliengesellschaftsklausel (vgl. Art. 13 Abs. 4 OECD-MA) erfüllt. Da die Beteiligung an der Betriebsgesellschaft eine wesentliche Betriebsgrundlage im Vermögen des Besitzunternehmens bildet und das Grundstück allein keine organisatorisch verselbständigte Einheit bildet, ändert die fortdauernde Verstrickung des Grundstücks nichts daran, dass sämtliche stille Reserven im Besitzunternehmen nach § 16 Abs. 3 EStG aufzudecken sind.

8.119

Eine vergleichbare Rechtsfolge ergibt sich dem in Rz. 8.118 gebildeten Beispiel, wenn zwar beide Ansässigkeitsstaaten (der von I und der von N) ein DBA mit Deutschland geschlossen haben, jedoch im Regelungsgehalt an entscheidenden Stellen voneinander abweichen. Unterstellt, das Abkommen mit Staat A (der Ansässigkeitsstaat von I) weist den Gewinn aus der Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen dem Ansässigkeitsstaat der Gesellschaft (statt dem des Gesellschafters) zu, während das DBA mit B (Ansässigkeitsstaat der N) dem OECDMA folgt, ist wiederum die Besteuerung der stillen Reserven in der Beteiligung durch die Nachfolge gefährdet, so dass § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 a.E. EStG nicht erfüllt ist. Die Nachfolge führt wiederum zu einer Betriebsaufgabe gem. § 16 Abs. 3 Satz 2 ff. EStG, so dass die stillen Reserven in allen Wirtschaftsgütern des Besitzunternehmens aufgedeckt werden. Vergleichbare Rechtsfolgen ergeben sich bei der Nachfolge in einen Anteil an einer inländischen gewerblich geprägten Personengesellschaft (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG). Beispiel: I (steuerliche Ansässigkeit in Staat A) ist Gesellschafter einer GmbH & Co. KG mit Sitz und Geschäftsleitung im Inland. I überträgt seinen Mitunternehmeranteil an seinen Sohn N, der in Staat B steuerlich ansässig ist.

Die ertragsteuerliche Neutralität dieser Nachfolge hängt vornehmlich davon ab, inwieweit im Verhältnis zu den Staaten A und B Doppelbesteuerungsabkommen bestehen und welche Art Wirtschaftsgüter die GmbH & Co. KG in ihrem Betriebsvermögen verwaltet.

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8.120

Kap. 8 Rz. 8.120 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug

Ist das bilaterale Verhältnis von Deutschland zu A und zu B abkommenslos, dann beeinflusst der Umstand, dass der Mitunternehmer im Staat B statt in Staat A ansässig ist, das deutsche Besteuerungsrecht in Bezug auf die stillen Reserven in den Wirtschaftsgütern des Betriebsvermögens nicht. Die Nachfolge kann gem. § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG zu Buchwerten erfolgen. Gleiches gilt, wenn nur das Verhältnis zu B abkommenslos ist, nicht aber das zu A. Hier kann es zusätzlich zur Fortführung der Buchwerte von Wirtschaftsgütern des Betriebsvermögens, die bisher schon verstrickt waren (z.B. inländische Grundstücke) zu einer Verstrickung gem. § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG kommen. Hält die GmbH & Co. KG im Beispiel Anteile an inländischen Kapitalgesellschaften oder inländische Materialgüterrechte oder auch Vermögen im Ausland, und war bei N die Besteuerung eines Gewinns aus der Veräußerung dieser Wirtschaftsgüter aufgrund des DBA ausgeschlossen, wird durch die Nachfolge insoweit ein deutsches Besteuerungsrecht begründet, weil die Besteuerung eines Veräußerungsgewinns im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht des N (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst a EStG) nicht mehr durch ein DBA begrenzt ist. Die betreffenden Wirtschaftsgüter sind mit dem gemeinen Wert anzusetzen (§ 4 Abs. 1 Satz 8 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG); ggf. ist eine positive Ergänzungsbilanz für den Mitunternehmer zu bilden. Besteht demgegenüber ein Abkommen allein im Verhältnis zwischen Deutschland und Staat B, kann es, je nach Art des Betriebsvermögens der Gesellschaft und je nach Zuschnitt der Verteilungsnorm im Abkommen, zum Ansatz des gemeinen Werts in der Schlussbilanz des I kommen. Wie unter Rz. 8.61 näher ausgeführt, gilt eine gewerblich geprägte Gesellschaft nicht als Unternehmen im Sinne des Abkommens, so dass noch nicht einmal die bis zur Nachfolge entstandenen stillen Reserven bei einer späteren Veräußerung in Deutschland besteuert werden könnten. Eine Ausnahme gilt für inländische Grundstücke, da der Gewinn aus deren Veräußerung entsprechend Art. 13 Abs. 1 OECD-MA Deutschland als Belegenheitsstaat zugewiesen ist. Für Anteile an inländischen Beteiligungen kann entsprechendes gelten, wenn das einschlägige DBA, wie das DBA-Tschechoslowakei oder das DBA-Bulgarien (unter bestimmten Umständen), dem Ansässigkeitsstaat der Gesellschaft den Gewinn aus der Veräußerung zur Besteuerung zuweist. Gleiches gilt etwa für Immobilienkapitalgesellschaft, wenn das DBA entsprechende Klauseln enthält. Demgegenüber weisen die Abkommen Gewinne aus der Veräußerung von Immaterialgüterrechten im Betriebsvermögen einer gewerblich geprägten Personengesellschaft wohl stets dem Ansässigkeitsstaat des Gesellschafters zur Besteuerung zu.

8.121

Eine wichtige Abweichung von den Ausführungen in Rz. 8.120 gilt, wenn es sich bei der gewerblich geprägten Personengesellschaft um eine § 50i-Struktur handelt (vgl. dazu Rz. 8.62 f.). Dabei ist zu unterscheiden, ob I (im Beispiel in Rz. 8.120) in eigener Person den Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts (§ 50i Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG) bewirkt hat oder nicht (vgl. dazu bereits Rz. 8.63 und 8.93). Hat I (oder ggf. sein Rechtsvorgänger im Anteil) insb. durch Wegzug die Ursache dafür gesetzt, dass das deutsche Besteuerungsrecht in Bezug auf die zur früheren Zeit zu Buchwerten übertragenen oder überführten Wirtschaftsgüter ausgeschlossen oder beschränkt wurde, so unterfällt sein Anteil dem Regime des § 50i EStG. Eine Veräußerung dieser Wirtschaftsgüter (oder eine Veräußerung des Anteils) wäre in Deutschland ungeachtet der Regelung des Abkommens der Besteuerung zu unterwerfen. § 50i EStG gibt keinen Hinweis darauf, dass dies in der Person des Rechtsnachfolgers nicht der Fall wäre, so dass die Frage, ob die Besteuerung der stillen Reserven (in den Händen des Nachfolger N) sichergestellt ist, zu bejahen ist und folglich dieser die Buchwerte des I fortführen kann.1 Umstritten 1 Vgl. Liekenbrock in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 50i EStG Rz. 90.3 (Stand: 10.2017).

632 | Baßler

C. Unternehmensnachfolge über Auslandsvermögen | Rz. 8.122 Kap. 8

und nicht geklärt ist, ob dies auch gilt, wenn ein Mitgesellschafter des I dafür verantwortlich ist, dass die GmbH & Co. KG eine § 50i-Struktur ist (vgl. näher Rz. 8.63). Mit Blick auf die Anrechnung ausländischer Steuer gilt dies unabhängig davon, ob man lediglich eine durch DBA vorgeschriebene Anrechnung ausländischer Steuer (vgl. Art. 23B OECDMA) für eine Beschränkung i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG hält oder die in nationalem Recht begründete unilaterale Anrechnung (vgl. § 34c EStG) ausreichen lässt.1 Denn § 50 Abs. 3 EStG lässt in jedem Fall nur die Anrechnung von Steuern aus einem Nicht-Ansässigkeitsstaat zu, also gerade nicht die Steuer des Ansässigkeitsstaats. Dass aber durch den Inhaberwechsel eine Steuer eines Drittstaats nunmehr über § 50 Abs. 3 EStG in Deutschland zur Anrechnung zuzulassen ist, die früher nicht angerechnet wurde ist wohl eher ein theoretischer Fall: Denkbar ist dies allenfalls dann, wenn Betriebsvermögen in diesem Drittstaat zwar nicht die Bedingungen der Betriebsstätte nach § 12 Abs. relevante grundsätzlich zwei zukünftig entstehende ausländische Steuer (nach Maßgabe der aktuellen Rechtslage) auf die deutsche Steuer angerechnet werden muss. Dass eine Nachfolgemaßnahme solch eine Beschränkung bewirkt, ist kaum denkbar. Die im Ansässigkeitsstaat des Nachfolgers ggf. entstehende Steuer ist von einer Anrechnung in Deutschland ausgeschlossen. Die Doppelbesteuerungsabkommen enthalten regelmäßig keine Verpflichtungen des Quellenstaats, Steuer des Ansässigkeitsstaats oder eines Drittstaats anzurechnen. Soweit ausländische Einkommensteuern aus Drittstaaten bisher bereits nach Maßgabe des § 34c Abs. 1 EStG anzurechnen waren, bleibt diese Verpflichtung über § 50 Abs. 3 EStG erhalten, ohne dass dadurch der Kreis der anzurechnenden Steuern erweitert würde. Vom Ansässigkeitsstaat des Nachfolgers erhobene Steuern unterliegen § 50 Abs. 3 EStG nicht.

C. Unternehmensnachfolge über Auslandsvermögen I. Überblick Dieser Abschnitt C. handelt von Nachfolgen in ausländisches unternehmerisches Vermögen. Damit ist – spiegelbildlich zu dem in Abschnitt B. betrachteten Inlandsvermögen – ein Gewerbebetrieb oder eine gewerbliche Personengesellschaft mit ausschließlich ausländischer Betriebsstätte gemeint sowie eine Kapitalgesellschaft mit Registersitz und Ort der Geschäftsleitung im Ausland. Doppelansässigen Unternehmensstrukturen werden nicht betrachtet. Für den personalen Bezug der an der Nachfolgemaßnahme Beteiligten wird entsprechend der Darstellung unter II. wie folgt unterschieden: Inhaber im Inland und Nachfolger im Ausland (unter Rz. 8.123) einerseits, dem Vermögensinhaber im Ausland und Nachfolger im Inland (unter Rz. 8.124) andererseits. Die Situation, in der beide Beteiligte einen Auslandsbezug aufweisen, wird nachfolgend nicht behandelt. Solche Vorgänge stehen außerhalb 1 Für die weitergehende Auffassung Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG), BT-Drucks. 16/2710, 28; Wied in Blümich, § 4 EStG Rz. 486c (Stand: 11.2017); Bode in Kirchhof19, § 4 EStG Rz. 108; Musil in HHR, § 4 EStG Rz. 228 (Stand: 2.2018); Lampert in Gosch, KStG, 3. Aufl. 2015, § 12 Rz. 100 (zu § 12 Abs. 1 KStG); Hruschka, StuB 2006, 584; Werra/Teiche, DB 2006, 1455; Stadler/Elser, BB-Special 2006 Nr. 8, 18 (19); Förster, DB 2007, 72 (73); enger (nur bei Anrechnungsverpflichtung kraft Abkommensrechts): Bilitewski, FR 2007, 57 (58 f.); Schönfeld, IStR 2010, 133 (135); dieser engen Auffassung zuneigend offenbar auch Loschelder in Schmidt39, § 4 EStG Rz. 251 a.E.

Baßler | 633

8.122

Kap. 8 Rz. 8.122 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug

der deutschen Einkommensteuersphäre und auch (mit Ausnahme ggf. von § 5 Abs. 1 Satz 2 AStG) der Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuersphäre. Soweit allerdings durch eine erweitert unbeschränkte Erbschaftsteuer- oder Schenkungsteuerpflicht eines der Beteiligten eine Anknüpfung an die deutsche Steuerhoheit fortbesteht, wird auf die Ausführungen unter Rz. 8.108 verwiesen.

II. Inhaber als Inländer/Nachfolger als Ausländer 8.123

Eine Nachfolge in ausländisches Vermögen eines Inländers unterliegt im Inland der Erbschaft- oder Schenkungsteuer (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. a) ErbStG), selbst wenn der Nachfolger im Ausland ansässig ist. Auf die Ausführungen unter Rz. 8.6 ff. wird verwiesen. Das Betriebsvermögensprivileg (§§ 13a bis 13c, § 28a ErbStG) setzt nach dem Gesetzestext voraus, dass das Betriebsvermögen einer Betriebsstätte innerhalb der EU/des EWR dient (§ 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG) bzw. die Kapitalgesellschaft, deren Anteile übertragen werden, Sitz oder Geschäftsleitung innerhalb dieses Territoriums hat (§ 13b Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 ErbStG). Eine Anrechnung der ausländischen Steuer aus dem Staat, in dem die Betriebsstätte belegen ist, kann nach § 21 ErbStG angerechnet werden, weil es sich bei Unternehmensvermögen um Auslandsvermögen i.S.v. § 21 Abs. 2 Nr. 1 ErbStG handelt. Dies gilt auch bei einer Nachfolge in Anteil an Kapitalgesellschaften, die Sitz oder Geschäftsleitung im Ausland haben und die Beteiligungsschwelle des § 121 Nr. 4 ErbStG überschreiten. Wird allerdings dieses Beteiligungskriterium nicht erfüllt, dann zählt der Anteil nicht zum Auslandsvermögen, so dass eine Anrechnung der Steuer im Ansässigkeitsstaat der Gesellschaft – jedenfalls nach dem Gesetzestext – ausscheidet (zur Anrechnung als Billigkeitsmaßnahme vgl. unter Rz. 8.8). Ebenfalls anrechenbar ist eine ausländische Steuer, die aufgrund der Ansässigkeit des Nachfolgers in einem ausländischen Staat erhoben wird. Anders als § 34c EStG ist § 21 ErbStG nicht auf Steuern des Staats beschränkt, in dem das Vermögen liegt.1 Soweit der Staat des Nachfolgers seinerseits die Steuer des Belegenheitsstaat anrechnet, kommt im Rahmen nur die um diese Anrechnung geminderte Steuer in Deutschland zur Anrechnung. Die Anrechnung der Belegenheitsstaatsteuer und der Nachfolgerstaatsteuer ist in jedem Fall auf den Höchstbetrag (§ 21 Abs. 1 Satz 2 ErbStG) beschränkt, der im Falle einer umfänglichen Befreiung nach §§ 13a bis 13c, § 28a ErbStG vergleichsweise gering ausfallen kann.

Auch im Anwendungsbereich von Erbschaftsteuer-DBA wird eine Doppelbesteuerung ganz überwiegend durch Anrechnung der ausländischen Steuer nach Maßgabe des § 21 ErbStG beseitigt (Art. 26 Buchst. a DBA-DK, Art. 11 Abs. 2 Buchst. a DBA-Frankreich (Erb), Art. 26 Abs. 1 Buchst. a DBA-Schweden, Art. 10 Abs. 1 Buchst. b DBA-Schweiz (Erb), Art. 11 Abs. 3 Buchst. a DBA-USA (Erb)). Die einzige Ausnahme bildet die Freistellung von in der Schweiz belegenen Grundbesitz (Art. 10 Abs. 1 Buchst. a DBA-Schweiz), die auch bei der Nachfolge in Betriebsvermögen Anwendung findet (vgl. Art. 5 Abs. 3 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 DBA-Schweiz). Voraussetzung ist allerdings, dass der in Deutschland steuerlich ansässige Erblasser Schweizer Bürger war.

8.124

Unter der Perspektive der Einkommensteuer führt die Nachfolge durch einen Steuerausländer zu einer Entstrickung, es sei denn, das Vermögen war zuvor schon entstrickt.

Die unentgeltliche Übertragung eines Anteils an einer Kapitalgesellschaft mit ausländischem Sitz und Geschäftsleitung auf einen Steuerausländer (unter Lebenden oder von Todes wegen)

1 Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 21 ErbStG Rz. 72 (Stand: 7.2015).

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C. Unternehmensnachfolge über Auslandsvermögen | Rz. 8.124 Kap. 8

verwirklicht § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG; die Möglichkeit der Besteuerung eines späteren Veräußerungsgewinns durch die Bundesrepublik endet, so dass eine einengende Auslegung der Vorschrift (vgl. Rz. 8.19) hier nicht angezeigt ist. In Einzelfällen kann ein deutsches Besteuerungsrecht fortbestehen, z.B. wenn die ausländische Kapitalgesellschaft überwiegend deutsches Immobilienvermögen hält und das einschlägige DBA eine Immobiliengesellschaftsklausel aufweist (z.B. Art. 7 Abs. 4 DBA-Frankreich, Art. 13 Abs. 2 DBA-Großbritannien, Art. 13 Abs. 2 DBA-Niederlande, Art. 13 Abs. 2 DBA-Spanien). Offen ist, ob dies eine teleologische Reduktion von § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG rechtfertigt (vgl. dazu Rz. 8.19). Teilweise kann die Erhebung der deutschen Steuer nach § 6 AStG aufgrund des DBA mit dem Sitzstaat der Gesellschaft eingeschränkt sein, etwa aufgrund einer vom OECD-MA abweichenden Verteilungsnorm (z.B. Art. 13 Abs. 3 DBA-Tschechoslowakei, Art. 13 Abs. 2 DBA-Bulgarien) oder aufgrund einer Immobiliengesellschaftsklausel, wenn die fragliche Kapitalgesellschaft überwiegend ausländischen Immobilienbesitz hält. Diese von Art. 13 Abs. 5 OECD-MA abweichenden Zuweisungen der Besteuerung sind allerdings regelmäßig nicht als Verteilungsnormen mit abschließender Rechtsfolge formuliert, welche eine Besteuerung durch den Ansässigkeitsstaat ausschlössen.1 Vielmehr ist Deutschland als Ansässigkeitsstaat zu einer Besteuerung weiterhin berechtigt, vorbehaltlich einer im Methodenartikel verankerten Pflicht, die ausländische Steuer anzurechnen. Bei der unentgeltlichen Nachfolge zugunsten des Steuerausländers wird allerding im Ausland keine Einkommensteuer entstehen, die in Deutschland anzurechnen wäre. Die Nachfolge in einen ausländischen Gewerbebetrieb oder einen Anteil an einer ausländischen Mitunternehmerschaft, d.h. konkret: in das Vermögen einer im Ausland belegenen Betriebsstätte, ist ertragsteuerneutral nur möglich, wenn entweder § 6 Abs. 3 Satz 1, 3 EStG anzuwenden sind oder die Entstrickung (aufgrund Betriebsaufgabe oder Entnahme) außerhalb der deutschen Steuersphäre stattfinden, weil die stillen Reserven schon entstrickt sind. Ein Beispiel für die erstgenannte Alternative mag eine gewerblich geprägte Personengesellschaft (mit ausländischer Geschäftsleitungsbetriebsstätte) im Nicht-DBA-Staat sein, ausschließlich inländischen Grundbesitz (außerhalb einer inländischen Betriebsstätte hält). Wenn sämtliche (bilanzierten und nicht bilanzierten) Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens Inlandsvermögen (i.S.v. § 49 Abs. 1 EStG) sind, ist die Besteuerung der stillen Reserven trotz des mit der Nachfolge verbundenen Wechsels von der unbeschränkten in die beschränkte Steuerpflicht (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f oder Nr. 6 EStG) sichergestellt. Ein Beispiel für die zweite Alternative bietet die Nachfolge in ein im DBA-Ausland gelegenes Unternehmen (Gewerbebetrieb oder Mitunternehmeranteil). Denn auch wenn man § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG in einem solchen Fall für nicht anwendbar hält – formal ist die Besteuerung der stillen Reserven nicht sichergestellt –, entsteht keine Steuer, wenn der Methodenartikel, wie praktisch durchgehend in den deutschen Abkommen – den Ansässigkeitsstaat zur Freistellung der Gewinne aus den stillen Reserven der Wirtschaftsgüter verpflichtet. Voraussetzung ist allerdings, dass der konkrete Fall nicht in den Anwendungsbereich einer switch-over-Klausel fällt, sei sie im Abkommen vereinbart (sog. Aktivitätsvorbehalt, z.B. Art. Art. 23 Abs. 1 Buchst. c DBA-UK, Art. 23 Abs. 2 Buchst. c DBA-Kanada, Art. 22 Abs. 1 Buchst. c DBA-Niederlande, Art. 22 Abs. 3 Buchst. c DBA-Spanien) oder unilateral normiert (§ 50d Abs. 9, § 20 Abs. 2 AStG). Denn dann wird man davon auszugehen haben, dass der völlige Ausschluss des Betriebsvermögens aus der deutschen Steuerhoheit – gegenüber der bisher bestehenden Pflicht, eine ausländische Steuer auf den Veräußerungsgewinne auf die deutsche anzurechnen – die Bedingung in § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 a.E. EStG nicht erfüllt, die Besteuerung der stillen Reserven eben nicht sichergestellt ist und somit eine Fortführung der Buchwerte ausscheidet.

1 Zum Begriff Lehner in Vogel/Lehner, DBA6, Grundlagen Rz. 82.

Baßler | 635

Kap. 8 Rz. 8.124 | Unternehmensnachfolge mit Auslandsbezug

Auch in weiteren Fällen kommt es durch die Nachfolge zu einer Entstrickung. Dabei ist zunächst daran zu denken, dass die ausländische Betriebsstätte des Betriebs oder der Mitunternehmerschaft in einem Staat belegen ist, mit dem kein DBA besteht, so dass mit dem Wechsel des Inhabers die stillen Reserven im Betriebsvermögen vollständig aus der deutschen Steuerhoheit ausscheiden. Betroffen sind außerdem Situationen, in denen die ausländische Einheit nicht als Unternehmen im Sinne des einschlägigen DBA qualifiziert (insb. gewerblich geprägte Personengesellschaft), so dass Deutschland als Ansässigkeitsstaat des Inhabers berechtigt ist, Gewinne aus der Veräußerung von Wirtschaftsgütern zu besteuern (Art. 13 Abs. 5 OECD). Mit dem Übergang des Vermögens auf den ausländischen Nachfolger geht dieser Steuerzugriff auf das Auslandsvermögen verloren, so dass die Besteuerung der stillen Reserven insg. nicht sichergestellt; § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG ist nicht anwendbar, so dass es wegen der privat veranlassten Übertragung des Vermögens zu einer Aufgabe des Betriebs oder Mitunternehmeranteils kommt (§ 16 Abs. 3 EStG).

III. Inhaber als Ausländer/Nachfolger als Inländer 8.125

Die Nachfolge (unter Lebenden oder von Todes wegen) in im Ausland radiziertes Unternehmensvermögen unterliegt in Deutschland der Erbschaft- und Schenkungsteuer, solange und soweit es von einem Inländer erworben wird (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Die Ausführungen unter Rz. 8.85 ff. gelten entsprechend. Die Anwendung des Betriebsvermögensprivilegs (§§ 13a bis 13c, § 28a ErbStG) setzt auch insoweit allerdings voraus, dass das Betriebsvermögen einer Betriebsstätte innerhalb der EU/des EWR dient (§ 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG) bzw. die Kapitalgesellschaft, deren Anteile übertragen werden, Sitz oder Geschäftsleitung innerhalb dieses Territoriums hat (§ 13b Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 ErbStG). Außerdem sind Anteile an ausländischen Kapitalgesellschaften unabhängig vom Beteiligungsumfang Auslandsvermögen i.S.v. § 21 Abs. 2 Nr. 2 ErbStG, so dass eine Anrechnung ausländischer Steuer auch bei Anteilen von weniger als 10 % des Stammkapitals möglich ist.

8.126

In Bezug auf die Einkommensteuer stellt sich in Bezug auf Kapitalgesellschaftsanteile primär die Frage, ob es gem. § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG zu einer Aufstockung der Anschaffungskosten auf den gemeinen Wert kommen kann (vgl. Rz. 8.94 ff.). Wenn nicht, setzt der Nachfolger die Anschaffungskosten des Inhabers fort (§ 17 Abs. 2 Satz 5 EStG). Ist Betriebsvermögen (ob in Form eines Gewerbebetriebs oder eines Mitunternehmeranteils) Gegenstand der Unternehmensnachfolge, kommt es häufig zu einer Verstrickung des bisher außerhalb der deutschen Steuerhoheit befindlichen Betriebsvermögen (§ 4 Abs. 1 Satz 8 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG, vgl. unter Rz. 8.92). In Ausnahmefällen kann es zu einer „Entstrickung“ kommen, wenn ein vom Nachfolger in seinem eigenen Betriebsvermögen gehaltenes Wirtschaftsgut, das der Mitunternehmerschaft zur Nutzung in der (alleinigen) ausländischen Betriebsstätte überlässt, durch den Erwerb des Mitunternehmeranteils als in das (ausländische) Sonderbetriebsvermögen eingelegt gilt. Beispiel: Der unbeschränkt steuerpflichtige N überlässt ein in seinem gewillkürten Betriebsvermögen bilanziertes Wirtschaftsgut einer ausländischen Mitunternehmerschaft, an der u.a. der in Deutschland nicht unbeschränkt steuerpflichtige I beteiligt ist. I verschenkt seinen Mitunternehmeranteil an N. In Bezug auf das Wirtschaftsgut sind die Voraussetzungen der Entnahme i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG erfüllt. Im reinen Inlandsfall würde die Entnahme im Betriebsvermögen des N mit dem Buchwert bewertet (§ 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 EStG), im grenzüberschreitenden Kontext scheint die Bewertung mit dem gemeinen Wert (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG) vorrangig zu sein.

636 | Baßler

2. Teil Unternehmensnachfolge in der Familie Kapitel 9 Vorweggenommene Erbfolge A. Vorbereitende Maßnahmen I. Rechtliche und steuerliche Aspekte 1. Ziele der vorweggenommenen Erbfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsgrundlagen der vorweggenommenen Erbfolge a) Typusbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unentgeltlichkeit der Übertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Versorgung des Übergebers oder Angehöriger aa) Schenkung unter Auflage und gemischte Schenkung . . . . . bb) Nießbrauch und Versorgungsleistungen (1) Nießbrauch (a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . (b) Bestellung . . . . . . . . . . . . . . (c) Beendigung . . . . . . . . . . . . . (d) Auswirkungen auf Pflichtteilsergänzungsansprüche . . (e) Bestellung des Nießbrauchs an Gesellschaftsanteilen . . . (2) Versorgungsleistungen . . . . cc) Stille Gesellschaft und Unterbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . d) Auflage, Vorbehalte und Widerruf aa) Sicherungsbedürfnis des Schenkers . . . . . . . . . . . . . . . bb) Schenkung unter Auflage . . cc) Widerrufsvorbehalt und vertragliches Rücktrittsrecht . . dd) Dingliche Absicherung . . . . 3. Erbrecht und vorweggenommene Erbfolge a) Pflichtteilsrecht aa) Sicherung Unternehmensfortführung durch Pflichtteilsverzicht . . . . . . . . . . . . . bb) Pflichtteilsberechtigte . . . . . cc) Zusatzpflichtteil, Beschränkungen und Beschwerungen

9.1 9.9 9.11

9.13

9.18 9.20 9.21 9.25 9.26 9.28 9.31 9.41 9.44 9.52 9.60

9.63 9.64

dd) Pflichtteilsergänzunganspruch . . . . . . . . . . . . . . . 9.71 ee) Pflichtteilsverzicht . . . . . . . . 9.75 b) Koordinierung der vorweggenommenen Erbfolge mit Gesellschaftsrecht und letztwilligen Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.76 4. Steuerrechtliche Grundlagen a) Ertragsteuern aa) Aufdeckung stiller Reserven bei der vorweggenommenen Erbfolge . . . . . . . . . . . . . . . . 9.81 bb) Übertragung einzelner Wirtschaftsgüter . . . . . . . . . . . . . 9.84 cc) Besteuerung von Gesellschaftsbeteiligungen im Privatvermögen (1) Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . 9.93 (2) Beteiligung an einer gewerblichen Personengesellschaft 9.98 dd) Steuerliche Fallstricke bei der Übertragung von Unternehmen und Gesellschaftsanteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.111 b) Schenkungsteuer . . . . . . . . . . . . . 9.117 c) Umsatz- und Grunderwerbsteuer 9.123 d) Grundsätze der Unternehmensbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.124 5. Zusammenführung von Unternehmensvermögen a) Anforderungen an die neue Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.127 b) Bündelung des Vermögens durch Einbringung in Obergesellschaft 9.134 c) Geeignete Rechtsformen . . . . . . . 9.144 d) Vorteile und Nachteile der Bündelung von Unternehmensvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.156 6. Familienholding a) Grundzüge . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.160

9.70

Rundshagen | 637

Kap. 9 | Vorweggenommene Erbfolge

II. 1. 2. 3. 4. 5. III. 1.

2. 3. 4. IV. 1.

2.

b) Gesellschaftsrechtliche Ausgestaltung aa) Laufzeit . . . . . . . . . . . . . . . . 9.161 bb) Abfindung . . . . . . . . . . . . . . 9.163 cc) Gewinnbezugs- und Stimmrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.172 dd) Nachfolgeklausel . . . . . . . . . 9.180 c) Steuerliche Besonderheiten aa) Schenkungsteuerliche Folgen 9.185 bb) Anforderungen in Hinblick auf erbschaftsteuerliche Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.186 cc) Ertragsteuerliche Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.187 Separierung von nicht betriebsnotwendigem Vermögen Wirtschaftliche Aspekte . . . . . . . . . . 9.188 Ertragsteuerliche Vorgaben . . . . . . . . 9.193 Erbschaft- und schenkungsteuerliche Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.200 Zivilrechtliche Rahmenbedingungen 9.204 Behandlung von Sonderbetriebsvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.208 Umwandlung und andere Strukturänderungen des Unternehmens Änderung des Gesellschaftsvertrages (Vertragliche Anpassungen zur Vorbereitung der Unternehmensnachfolge) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.209 Wechselwirkungen zu Ehe- und Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.210 Gesellschafter- und Poolvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.215 Unternehmensnachfolge und Umwandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.220 Familie als Unternehmensträger Unternehmen und eheliches Güterrecht a) Ehelicher Güterstand und Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.230 b) Wahl des Güterstandes aa) Zugewinngemeinschaft . . . . 9.231 bb) Gütergemeinschaft . . . . . . . 9.238 cc) Gütertrennung . . . . . . . . . . 9.243 c) Schutz des Unternehmens vor Ansprüchen des Ehegatten . . . . . . . 9.246 Unternehmensnachfolge mit Minderjährigen a) Problemstellung . . . . . . . . . . . . . 9.250 b) Bestellung eines Ergänzungspflegers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.252

638 | Rundshagen

3.

B. I. 1. 2. II. III. 1. 2.

IV.

c) Familiengerichtliche Genehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.255 d) Der Minderjährige als Gesellschafter aa) Gründung einer Gesellschaft (1) Zuziehung eines Ergänzungspflegers . . . . . . . . . . . . . . . . 9.258 (2) Familiengerichtliche Genehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . 9.261 bb) Schenkung eines Anteils an einer bestehenden Gesellschaft (1) Zuziehung eines Ergänzungspflegers . . . . . . . . . . . . . . . . 9.264 (2) Genehmigung des Familiengerichts . . . . . . . . . . . . . . . . 9.268 cc) Änderungen des Gesellschaftsvertrages und laufende Geschäftsführung . . . . . . . . 9.271 dd) Haftungsbeschränkung . . . 9.275 e) Bestimmungen über die Vermögenssorge und Absicherung durch letztwillige Verfügungen . 9.281 Unternehmensnachfolge mit Stiftungen a) Mögliche Ziele einer Unternehmensnachfolge mit Stiftungen . . 9.284 b) Unternehmensverbundene Stiftung in der Nachfolgeplanung . . 9.291 Überlegungen zur Rechtsformwahl und -struktur von Familienunternehmen Typische Rechtsform Begriff der Familiengesellschaft . . . . 9.298 Typische Rechtsformen . . . . . . . . . . 9.308 Wirtschaftliche Beteiligung der Nachfolger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.312 Gestaltung der Leitungsstruktur Mögliche Konflikte in der Familiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.327 Absicherung der künftigen Leitungsstruktur durch den Gesellschaftsvertrag a) Stammesprinzip . . . . . . . . . . . . . 9.330 b) Stimmbündelung/Stammesklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.332 c) Nachfolgeregelungen . . . . . . . . . 9.338 Mitwirkung bei der Nachfolgegestaltung durch Beiräte im Familienunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.339

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 9.2 Kap. 9 C. Betriebsübergabe I. Gewerbebetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.346 II. Land- und forstwirtschaftlicher Betriebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.348 III. Freiberufliche Praxis . . . . . . . . . . . . 9.350 D. Gegenstand der Unternehmensnachfolge I. Allgemeine zivilrechtliche Aspekte . 9.352 II. Allgemeine steuerliche Aspekte (unentgeltliche/entgeltliche/teilentgeltliche Übertragung) . . . . . . . . . . . . . . . 9.356 III. Übertragung eines Einzelunternehmens und Aufnahme in ein Einzelunternehmen 1. Zivilrechtliche Grundlagen a) Zweckbündelung von Einzelgegenständen . . . . . . . . . . . . . . . . 9.360 b) Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.362 c) Übergang von anderen Schuldverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.374 d) Eintragungs- und Formerfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.377 2. Besteuerung der Übertragung . . . . . . 9.380 3. Steuerneutrale Übertragungsvorgänge a) Buchwertfortführung gem. § 24 UmwStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.386 b) Buchwertfortführung gem. § 6 Abs. 3 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.387 c) Sonderbetriebsvermögen . . . . . . 9.390 4. Schenkungsteuerliche Aspekte . . . . . 9.393 5. Aspekte des Nießbrauchsvorbehalts . 9.395

IV. Übertragung von Anteilen an Personengesellschaften 1. Zivilrechtliche Aspekte a) Übertragbare Gesellschafterposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.409 b) Übertragung Anteile persönlich haftender Gesellschafter . . . . . . . 9.410 c) Übertragung eines Kommanditanteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.411 2. Steuerliche Aspekte a) Unentgeltliche Übertragung . . . . 9.415 b) (Teil-)Entgeltliche Übertragung . 9.418 c) Realteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.420 d) Sonderbetriebsvermögen . . . . . . 9.422 e) Nießbrauchsvorbehalt . . . . . . . . 9.425 V. Übertragung von Anteilen an Kapitalgesellschaften 1. Zivilrechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . 9.433 2. Steuerliche Aspekte a) Unentgeltliche Übertragung . . . . 9.440 b) (Teil-)Entgeltliche Übertragung . 9.444 c) Nießbrauchsgestaltungen . . . . . . 9.447 VI. Übertragung von Einzelwirtschaftsgütern und Übertragung von Privatvermögen 1. Zivilrechtliche Aspekte a) Übertragung ohne Rechtsträgerwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.452 b) Übertragung mit Rechtsträgerwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.454 2. Steuerliche Aspekte a) Unentgeltliche Übertragung . . . . 9.455 b) Entgeltliche Übertragung . . . . . . 9.461

A. Vorbereitende Maßnahmen I. Rechtliche und steuerliche Aspekte 1. Ziele der vorweggenommenen Erbfolge Unabhängig von der Rechtsform, in der ein Unternehmen geführt wird, empfiehlt sich für eine vorausschauende Nachfolgeplanung schon aus wirtschaftlichen Gründen, das Unternehmen bzw. die Gesellschaftsanteile nicht erst von Todes wegen zu übertragen, sondern zu Lebzeiten vorbereitende Maßnahmen zu treffen oder sogar bereits eine Übertragung auf die jüngere Generation oder einen Nachfolger unter Lebenden vorzunehmen.

9.1

Der BGH1 versteht unter einer „vorweggenommenen Erbfolge“ die „Übertragung des Vermögens (oder eines wesentlichen Teils davon) durch den (künftigen) Erblasser auf einen oder

9.2

1 BGH v. 30.1.1991 – IV ZR 299/89, NJW 1991, 1345.

Rundshagen | 639

Kap. 9 Rz. 9.2 | Vorweggenommene Erbfolge

mehrere als (künftige) Erben in Aussicht genommene Empfänger“. Schwerpunktmäßig geht es bei der vorweggenommenen Erbfolge um einen vorweggenommenen Generationenwechsel in Hinblick auf die künftige Erbfolge.

9.3

Motiviert ist die vorweggenommene Erbfolge durch die Einleitung der zukünftigen Erbfolge bereits zu Lebzeiten, die sowohl aus betrieblichen, wirtschaftlichen als auch steuerlichen Gründen empfehlenswert sein kann.

9.4

Ziel der vorweggenommenen Erbfolge ist die Übertragung des Unternehmens auf einen Nachfolger, um den Fortbestand des Unternehmens am besten zu gewährleisten. Diese Übertragung erfolgt in Hinblick auf die zukünftige Erbfolge. Das bedeutet, dass auch die Versorgung und Absicherung der nicht das Unternehmen fortführenden Abkömmlinge und des Ehegatten gerade auch in Hinblick auf etwaige Pflichtteilsansprüche berücksichtigen muss. Aus diesem Grund geht eine vorweggenommene Erbfolgeplanung immer einher mit einer umfassenden Analyse der vorhandenen Vermögenswerte sowie der Festlegung des Kreises der Begünstigten und Bestimmung des Versorgungsbedarfs der übertragenden Generation.

9.5

Eine Unternehmensnachfolge zu Lebzeiten kann auch aus praktischen Erwägungen sinnvoll sein. Es können Maßnahmen bereits zur operativen Übergabe der Geschäftsleitung auf den Nachfolger getroffen werden. Die vorweggenommene Erbfolge kann aber auch eine Möglichkeit zur gleitenden Übernahme des Unternehmens durch die nachfolgende Generation darstellen, z.B. indem nur eine teilweise Übertragung von Gesellschaftsanteilen stattfindet und der Senior mit der jungen Generation gemeinsam als Gesellschafter Grundlagengeschäfte begleiten und bestimmen kann.

9.6

Neben wirtschaftlichen und praktischen Erwägungen ist die vorweggenommene Erbfolge aber auch oft ein probates Mittel zur steueroptimierten Übertragung von Vermögenswerten. So können z.B. die persönlichen Erbschaftsteuerfreibeträge, die alle zehn Jahre zur Verfügung stehen, mehrfach genutzt werden. Zu einer steueroptimierten Übertragung unter Ausnutzung der Freibeträge kann es auch kommen, wenn bei einer Vermögenskonzentration z.B. auf nur einen Ehegatten, Vermögen entweder steuerfrei (z.B. bei einer sog. „Güterschaukel“ oder schenkweiser Übertragung es Familienheims) oder unter Nutzung des Ehegattenfreibetrages auf den nicht vermögenden Ehegatten übertragen wird, um entweder dessen Versorgung sicherzustellen oder einer weitere Übertragung der Vermögenswerte auf die gemeinsamen Abkömmlinge unter Nutzung der Freibeträge zu übertragen (s. Rz. 2.25). Durch die Ausnutzung mehrerer Zehn-Jahres-Zeiträume können die erbschaftsteuerlichen Freibeträge mehrfach genutzt werden und die bestehende Steuerprogression deutlich gemildert werden.

9.7

Vermögensübertragungen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge sind aus steuerlicher Sicht auch durch die Änderungen der Erbschaftsteuerreform 2016 eingeführten Großerwerb i.H.v. 26 Mio. Euro besonders relevant geworden. Durch (Teil-)Übertragungen zu Lebzeiten des Unternehmers können u.U. Großerwerbe von über 26 Mio. Euro, die zu einer Abschmelzung des Freibetrages führen, vermieden werden.

9.8

Im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolge ist es zudem möglich, eine gezielte (Um-) Strukturierung sowohl des privaten als auch des betrieblichen Vermögens vorzunehmen. Dies kann für ausländisches Vermögen, das nach internationalem Kollisionsrecht nur nach einer ausländischen Rechtsordnung vererbt werden kann, relevant werden, insbesondere um komplizierte erbrechtliche Abwicklungsfragen zu vermeiden (s. Rz. 5.1). Auf diese Weise kann bei Kapitalgesellschaften auch Drittlandsvermögen im Rahmen von § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG

640 | Rundshagen

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 9.12 Kap. 9

begünstigungsfähiges Vermögen sein1. Zudem ist auch in Hinblick auf die Erlassregelung nach dem neuen Erbschaftsteuergesetz eine Umstrukturierung des Vermögens insoweit interessant, als bei Überführung sämtlichen Vermögens (z.B. auf eine Stiftung) die Voraussetzungen eines Erlasses vorliegen2. Aus erbschaftsteuerlicher Sicht ist eine Umstrukturierung des Vermögens häufig auch vor dem Hintergrund des Verwaltungsvermögenstest und der Vermeidung schädlichen Verwaltungsvermögens notwendig.

2. Rechtsgrundlagen der vorweggenommenen Erbfolge a) Typusbild Der vorweggenommenen Erbfolge wesentlich ist im Grundsatz das wirtschaftliche Element der Übertragung von Vermögen oder Teilen hiervon auf potentielle Erben (s. Rz. 6.162). Es besteht weder zivil- noch steuerrechtlich ein Rechtsinstitut der vorweggenommenen Erbfolge, das kodifiziert oder anderweitig verbindlich geregelt wäre. Die Übertragung des Vermögens kann unterschiedlich ausgestaltet sein. Sehr oft erfolgt die Übertragung unentgeltlich im Wege der Schenkung. Da der Vermögensübergeber sich bei der Übergabe häufig in einer sehr komplexen Situation befindet und unterschiedliche Interessen einschließlich des eigenen Versorgungsintereses berücksichtigen muss, werden solche Schenkungen in vielen Fällen auch mit entsprechenden Auflagen verbunden. Die Übertragung kann auch teilentgeltlich im Wege der gemischten Schenkung erfolgen. In diesem Fall erbringt der Beschenkte aus seinem Vermögen eine Gegenleistung.

9.9

Die lebzeitige Übergabe von Betriebsvermögen ist naturgemäß für die Übergeber nicht ohne Risiko, da sie sich in wirtschaftliche und rechtliche Abhängigkeiten zu der übernehmenden jüngeren Generation begeben. Dies betrifft insbesondere den Fall ihrer eigenen Versorgung, wenn diese durch Entnahmen und Gewinnausschüttungen oder Bestellung eines Nießbrauchs finanziert werden soll. Aus diesem Grund kann das Bedürfnis bestehen, für die Schenkung mit Widerrufsvorbehalten und Rücktrittsmöglichkeiten vorzusehen.

9.10

b) Unentgeltlichkeit der Übertragung Erfolgt die Übertragung unentgeltlich, so liegt eine Schenkung (§ 516 Abs. 1 BGB) vor, wobei es dem unentgeltlichen Charakter der Zuwendung nicht entgegensteht, dass der Bedachte auf seinen Erb- oder Pflichtteil verzichtet. Häufig wird eine besondere Ausgestaltung gewählt, etwa als Schenkung unter Auflage oder als gemischte Schenkung. Au zivilrechtlicher Sicht erfolgt eine Schenkung unter Auflage stets unentgeltlich und eine gemischte Schenkung teilentgeltlich, wobei die Abgrenzung im Einzelnen schwierig sein kann.

9.11

Selbst der ausdrückliche Hinweis in einem Vertrag, bei der Übertragung solle es sich um die Vorwegnahme der Erbfolge handeln, lässt ohne weitere Anhaltspunkte nicht auf die Unentgeltlichkeit der Übertragung schließen (s. Rz. 3.3). Damit ist die Entgeltlichkeit bzw. Unentgeltlichkeit einer Vereinbarung stets anhand der konkreten Vereinbarung und des Willens der Parteien zu bestimmen3.

9.12

1 R E 13b.6 Abs. 1 Satz 1 ErbStR 2019. 2 R E 13c.5 ErbStR 2019. 3 Koch in MüKo8, § 516 BGB Rz. 85–86.2.

Rundshagen | 641

Kap. 9 Rz. 9.13 | Vorweggenommene Erbfolge

c) Versorgung des Übergebers oder Angehöriger aa) Schenkung unter Auflage und gemischte Schenkung

9.13

Durch die Ergänzung einer Auflage kann insbesondere die weitere Lebensführung und Altersversorgung des künftigen Erblassers wirtschaftlich gesichert werden. Im Rahmen der gemischten Schenkung kann neben der Versorgung des Übergebers auch Abkömmlinge finanziell entschädigt werden, die das Unternehmen nicht übernehmen (s. Rz. 3.55). In diesem Fall verspricht der Zuwendungsempfänger, Leistungen an andere, dem künftigen Erblasser nahe stehende Personen zu erbringen (sog. Gleichstellungsgelder).

9.14

Auflagen können als Leistungsauflage (dem Schenker werden bestimmte Verhaltens- oder Leistungspflichten aufgegeben) oder Duldungsauflage (z.B. Nießbrauch) ausgestaltet sein. Die Annahme einer Schenkung unter Auflage setzt zum einen die Begründung einer Leistungspflicht eines Zuwendungsempfängers, zum anderen deren besondere Verknüpfung mit der Zuwendung des anderen Teils voraus. Durch das erste Merkmal unterscheidet sich die Schenkung unter Auflage von einer reinen Schenkung, durch das zweite von Austauschvertrag und gemischter Schenkung1.

9.15

Die zivilrechtliche Differenzierung zwischen unentgeltlicher Schenkung unter Auflage und teilentgeltlicher gemischten Schenkung wird im Erbschaftsteuerrecht nicht nachvollzogen. Die neuere Rechtsprechung des BFH hatte zwar die Unterscheidung von gemischten Schenkungen und Schenkungen unter Leistungsauflage im Rahmen des § 7 Abs. 1 ErbStG überflüssig gemacht, dafür jedoch zu einer Unterscheidung zwischen einer Schenkung unter Duldungs- und Leistungsauflage geführt2.

9.16

Die Neukonzeption der Behandlung der gemischten Schenkung durch die Finanzverwaltung3, die einen einheitlichen Abzug der Gegenleistung von dem Steuerwert der Schenkung vorsieht, wirkt sich auch auf die Schenkung unter Auflage aus. Denn der Rechtsprechung ging es darum, die Schenkung unter Leistungsauflage der gemischten Schenkung in ihren steuerlichen Wirkungen anzugleichen. Diesen Gedanken hatte die Finanzverwaltung übernommen. Die Aufteilung des Zuwendungsgegenstandes in einen unentgeltlich und einen entgeltlich zugewandten Teil würde danach unterbleiben. Leistungsauflagen sind (wie bisher schon die Duldungsauflagen) mit ihrem vollen Steuerwert vom Steuerwert des Zuwendungsgegenstandes abzuziehen. Damit ist zugleich die Grenzziehung zwischen Leistungs- und Duldungsauflagen obsolet geworden. Eine Reaktion des BFH auf die Änderung der Haltung der Finanzverwaltung in dieser Frage steht jedoch noch aus4.

9.17

Die ertragsteuerliche Abgrenzung zwischen unentgeltlichem (s. Rz. 3.9 ff.) oder teilentgeltlichem Erwerb (s. Rz. 3.15 ff.) knüpft dagegen an die zivilrechtlichen Grundsätze an5. Die Schenkung unter Auflage führt folglich zu keiner Anschaffung, während die gemischte Schenkung als teilentgeltliches Geschäft behandelt wird. Gemischte Schenkungen liegen insbesondere Übertragungen bei vorweggenommener Erbfolge gegen Abstandszahlungen und Gleichstellungsgeldern zugrunde6. Diese Gegenleistungen sind einem bestimmten, wertmäßig ab-

1 2 3 4 5 6

Harke in BeckOGK, § 525 BGB Rz. 4. BFH v. 5.7.2018 – II B 122/17, DStR 2018, 1709. R E 7.4 I ErbStR 2011 Anm. 37 f. Meincke/Hannes/Holtz17, § 7 ErbStG Rz. 40–43. St.Rspr., z.B. BFH v. 26.11.1985 – IX R 64/82, BStBl. II 1986, 161 m.w.N. BFH v. 23.10.2002 – II R 71/00, BStBl. II 2003, 162.

642 | Rundshagen

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 9.21 Kap. 9

grenzbaren Teil der Zuwendung zuzuordnen. Zwischen fremden Dritten ist auch die Anschaffung zu einem den üblichen Marktpreis unterschreitenden Kaufpreis grundsätzlich ein vollentgeltlicher Erwerb. Eine gemischte Schenkung liegt nur vor, wenn sich die Beteiligten hinsichtlich des Mehrwerts über die Unentgeltlichkeit der Zuwendung ausnahmsweise einig waren1. bb) Nießbrauch und Versorgungsleistungen (1) Nießbrauch (a) Allgemeines Der Nießbrauch ist ein umfassendes dingliches Nutzungsrecht, der sowohl an beweglichen Sachen als auch an unbeweglichen Sachen (Grundstücken) bestellt werden kann (§§ 1030 – 1089 BGB). Der Nießbrauch gestattet dem Berechtigten die umfassende Nutzung, ohne dass er über dessen Substanz verfügen kann. Diese grundsätzliche Regelung der Trennung von Vermögenssubstanz und Ertrag des Vermögensgegenstandes führt zu der Frage, wer die Kosten im Zusammenhang mit dem übertragenen Gegenstand trägt (s. Rz. 3.25 und Rz. 6.76). Hierzu sollte eine klare Regelung im Übergabevertrag getroffen werden.

9.18

Nach der gesetzlichen Regelung ist der Nießbraucher zur Versicherung der Sache (§ 1045 BGB) und zur Erhaltung der Sache in ihrem rechtlichen Bestand (§ 1041 BGB) jeweils auf eigene Kosten, zur Tragung der öffentlichen Lasten (z.B. Grundsteuern, § 1047 BGB) mit Ausnahme von außergewöhnlichen, nicht laufend wiederkehrenden Lasten (z.B. Erschließungsbeiträge) verpflichtet. Bei der Übertragung von belasteten Grundstücken trägt nach § 1047 BGB der Nießbraucher die Zinsen der Hypotheken- und Grundschuldforderungen und der Eigentümer die Tilgungsbeiträge.

9.19

(b) Bestellung Ein Nießbrauch wird rechtsgeschäftlich wirksam durch Übergabevertrag je nach Gegenstand des Nießbrauchs wie folgt wirksam bestellt:

9.20

– Grundstücke: Einigung und Eintragung des Nießbrauchs in das Grundbuch (§§ 873, 874, 892 BGB) – Bewegliche Sachen: Einigung und Übergabe (bzw. Übergabesurrogation) (§ 1032 BGB) – Rechte: Unterschiedliche Übertragungsformen nach Art des Rechts (z.B. notarielle Beurkundung bei Bestellung eines Nießbrauchs an GmbH-Anteilen). (c) Beendigung Der Nießbrauch erlischt grundsätzlich mit dem Tod des Nießbrauchers (§ 1061 BGB). Das Nießbrauchsrecht ist nicht vererblich oder übertragbar. Der Nießbrauch kann in anderer Weise als durch die Lebenszeit des Berechtigten befristet sein, solange die Frist nicht über § 1061 BGB hinausgeht. Der Nießbrauch endet auch mit dem Eintritt einer vereinbarten auflösenden Bedingung.

1 Ratschow in Blümich, § 23 EStG Rz. 103–104.

Rundshagen | 643

9.21

Kap. 9 Rz. 9.22 | Vorweggenommene Erbfolge

9.22

Der Nießbrauch an Grundstücken wird gem. § 875 Abs. 1 BGB durch einseitige Aufgabeerklärung des Berechtigten und Löschung aufgehoben, auch wenn damit Nachteile für den Eigentümer verbunden sein können. Ein Nießbrauch an beweglichen Sachen wird gem. § 1064 BGB durch einseitige Aufgabeerklärung, der Nießbrauch an Rechten nach § 1072 BGB aufgegeben.

9.23

Während ein Nießbrauchsrecht an Immobilien gem. § 889 BGB nicht durch den Erwerb des Eigentums durch den Nießbraucher erlischt, erlischt der Nießbrauch an beweglichen Sachen wie Betriebsmittel, PKW, etc. automatisch nach § 1063 Abs. 1 BGB. Etwas anderes gilt nur, wenn der Eigentümer ein besonderes Interesse an dem Fortbestand des Nießbrauchs nach § 1063 Abs. 2 BGB hat.1.

9.24

Bei beweglichen Sachen führt der Untergang der Sache zum Erlöschen des Nießbrauchs, wenn nicht ausnahmsweise der Nießbrauch nach § 1046 Abs. 1 BGB am Surrogat fortgeführt wird. Die mögliche Fortführung des Nießbrauchs am Surrogat sollte in der Vereinbarung des Nießbrauchs berücksichtigt werden2. (d) Auswirkungen auf Pflichtteilsergänzungsansprüche

9.25

Ein zu Lebzeiten unter Nießbrauchsvorbehalt zu übertragender Vermögensgegenstand sollte im Zusammenhang mit den Auswirkungen auf einen Pflichtteilsergänzungsanspruch gesehen werden und im Zweifel eine Regelung zur Anrechnung auf den Pflichtteil bzw. ein Pflichtteilsverzicht getroffen werden. (e) Bestellung des Nießbrauchs an Gesellschaftsanteilen

9.26

Sowohl die Bestellung eines Nießbrauchs am Anteil einer Kapitalgesellschaft als auch am Anteil einer Personengesellschaft ist zivilrechtlich zulässig. Teilweise ist noch die Ausgestaltung und Teilhabe des Nießbrauchers an Verwaltungsrechten in der Gesellschaft umstritten (s. Rz. 6.81 und Rz. 6.84).

9.27

Daneben muss bei einer Nießbrauchsbestellung an Gesellschaftsanteilen auch die Regelungen im aktuellen Gesellschaftsvertrag beachtet und berücksichtigt werden. Die Nießbrauchsbestellung nach § 1069 BGB an Personengesellschaftsanteilen ist nur möglich, wenn die Verfügung über den Anteil auch gesellschaftsvertraglich zugelassen ist. Auch in Gesellschaftsverträgen von GmbHs können sich Vinkulierungsklauseln befinden, die die Verfügungsmöglichkeit über GmbH Anteile und deren Belastung (z.B. mit einem Nießbrauch) einschränken. (2) Versorgungsleistungen

9.28

Bei Vermögensübertragungen gegen Versorgungsleistungen verpflichtet sich der Übernehmer in einer schuldrechtlichen Vereinbarung als Gegenleistung für die Übergabe von Vermögensgegenständen, an den Übergeber regelmäßig Zahlungen bis zu dessen Tod zu leisten. Während bei einer Schenkung unter Nießbrauchsvorbehalt der Übergeber nur die tatsächlich erwirtschafteten Erträge aus dem Vermögensgegenstand erhält, ist der Übernehmer bei einer Vereinbarung über Versorgungsleistungen zur Leistung auch dann verpflichtet, wenn die Erträge aus dem übergebenden Vermögen zur Erbringung der versprochenen Leistung nicht 1 Pohlmann in MüKo8, § 1030 BGB Rz. 168–174. 2 Pohlmann in MüKo8, § 1030 BGB Rz. 168–174.

644 | Rundshagen

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 9.35 Kap. 9

ausreichen. Daher kann aus bei der Vertragsgestaltung sinnvoll sein, die Versorgungsleistungen abänderbar zu gestalten (§ 323 ZPO). Zur steuerlichen Berücksichtigung müssen diese Änderungen aber auch schriftlich festgehalten werden1. Der Sache nach ist bei Vermögensübertragungen gegen wiederkehrende Leistungen danach zu unterscheiden, ob eine Versorgungsleistung, eine Unterhaltsleistung oder eine wiederkehrende Leistung in einem Austausch zu einer Gegenleistung (Ratenkauf) vorliegt. Liegt eine vollwertige Gegenleistung vor, handelt es sich um ein Veräußerungsgeschäft, bei dem der Übergeber ein Veräußerungsentgelt mit Ratenzahlung erhält und der Übernehmende Anschaffungskosten hat.

9.29

Die wiederkehrenden Bezüge stellen nach Ansicht der Finanzverwaltung aus steuerlicher Sicht bei der Übertragung auf Angehörige nach einer widerlegbaren Vermutung einen unentgeltlichen Vorgang dar, da die wiederkehrenden Leistungen unabhängig vom Wert des übertragenen Vermögens nach dem Versorgungsbedürfnis des Berechtigten und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Verpflichteten bemessen worden sind2.

9.30

cc) Stille Gesellschaft und Unterbeteiligung Die Beteiligung der nächsten Generation ist ebenfalls möglich durch Einräumung einer stillen Beteiligung oder einer Unterbeteiligung.

9.31

Von der stillen Gesellschaft unterscheidet sich die Unterbeteiligung durch den Gegenstand der Beteiligung. Bei der stillen Gesellschaft ist Gegenstand der Beteiligung das Unternehmen selbst, bei der Unterbeteiligung die Beteiligung an einer Gesellschaft, die Unternehmensträger ist. Stille Beteiligung und Unterbeteiligung sind grundsätzlich sowohl bei Kapital- als auch bei Personengesellschaften möglich.

9.32

Der rechtliche Unterschied wird bei der Ein-Personen-GmbH (nur ein Geschäftsanteil) deutlich: Die GmbH selbst kann ein stilles Gesellschaftsverhältnis eingehen, der Gesellschafter dagegen nur ein Unterbeteiligungsverhältnis auf seine individuelle Beteiligung zugunsten eines Dritten3. Die GmbH selbst ist davon nicht betroffen und insbesondere nicht Partei der Vereinbarung.

9.33

Die stille Gesellschaft i.S.v. §§ 230 ff. HGB ist eine Innen-GbR4, so dass die Vorschriften der GbR §§ 705 ff. BGB daher nur subsidiär gelten. Im Außenverhältnis handelt gem. § 230 Abs. 2 HGB der Geschäftsinhaber im eigenen Namen. Im Innenverhältnis unterliegt er wie der Stille den gesellschaftsvertraglichen Rechten und Pflichten. Ein Gesellschaftsvermögen wird regelmäßig nicht gebildet5.

9.34

Da die Unterbeteiligung eine „Beteiligung an einer Beteiligung“ darstellt, ist erforderlich, dass der Inhaber eines Gesellschaftsanteils mit dem Unterbeteiligten einen Gesellschaftsvertrag schließt, wodurch dem Unterbeteiligten ein Anteil an der Hauptbeteiligung in Form einer verpflichtenden Mitberechtigung eingeräumt wird. Je nach vertraglicher Ausgestaltung wird der Beteiligte zur Wahrnehmung von bestimmten Rechten berechtigt.

9.35

1 2 3 4 5

BFH v. 15.9.2010 – X R 13/09, DStR 2010, 2502. BMF v. 11.3.2010 – IV C 3 - S 2221/09/10004, DStR 2010, 545 Rz. 65 ff. Karsten Schmidt in MüKo4, § 230 HGB Rz. 199. BGH v. 22.6.1981, NJW 1982, 99; Karsten Schmidt in MüKo4, § 230 HGB Rz. 6. Servatius in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht4, § 705 BGB Rz. 11.

Rundshagen | 645

Kap. 9 Rz. 9.36 | Vorweggenommene Erbfolge

9.36

So ist es möglich, dass der Hauptbeteiligte die Verwaltungsrechte aus der Hauptbeteiligung ausübt, während der Unterbeteiligte die wirtschaftlichen Ergebnisse empfängt. Eine Beteiligung des Unterbeteiligten am Gewinn, der auf die Hauptbeteiligung fällt, ist dabei immer zwingend, diejenige am Verlust die Regel. Der Unterbeteiligte ist somit an der Hauptbeteiligung nur schuldrechtlich mitberechtigt, der Hauptbeteiligte bleibt also alleiniger Inhaber der Hauptbeteiligung. Eine Unterbeteiligung kann aus steuerrechtlicher Sicht typisch und atypisch ausgestaltet werden. Bei der typischen Unterbeteiligung hat der Unterbeteiligte nur einen schuldrechtlichen Anspruch auf einen Anteil am Jahresgewinn des Hauptbeteiligten und im Fall der Beendigung der Unterbeteiligungsgesellschaft einen Anspruch auf Rückzahlung der Einlage. Eine atypische Unterbeteiligung liegt vor, wenn der Unterbeteiligte ein Mitspracherecht bei der Verwaltung der Hauptbeteiligung hat oder an den Wertveränderungen des Gesellschaftsanteils sowie an offenen und stillen Reserven der Gesellschaft teilhaben soll. Steuerlich gesehen ist der Unterbeteiligte bei der atypischen Unterbeteiligung Mitunternehmer. Zivilrechtlich gibt es diese Differenzierung nicht.

9.37

Hauptbeteiligung kann jede Art von Geschäftsbeteiligung sein, also Aktien, GmbH-Anteile, Mitgliedschaften an Personenhandelsgesellschaften oder einer GbR. Die herrschende Meinung sieht in der Unterbeteiligung eine BGB-Innengesellschaft. Teilweise soll es sich auch um eine stille Gesellschaft oder eine Mischform handeln. Da jedoch die gesetzlichen Vorschriften keine Lösung der wesentlichen Probleme beinhalten, ist der Streit akademischer Natur. Vielmehr empfiehlt es sich, im Unterbeteiligungsvertrag selbst diese Probleme für die konkrete Rechtsbeziehung zu lösen.

9.38

Mindestinhalt eines Unterbeteiligungsvertrags ist die Bezeichnung der Vertragspartner und der Hauptbeteiligung sowie die Vereinbarung über Art und Umfang der Unterbeteiligung an der Hauptbeteiligung. Darüber hinaus sollten Regelungen zur Geschäftsführung in der Hauptbeteiligung, über die Änderung zukünftiger Kapitalverhältnisse in der Hauptgesellschaft sowie über Mitsprache- und Kontrollrechte, Kündigungsrechte, Wettbewerbsverbote sowie Auseinandersetzungs- und Beendigungsregeln der Unterbeteiligung vorgesehen werden.

9.39

Grundsätzlich ist zwar der Unterbeteiligungsvertrag nicht formbedürftig. Dies gilt auch dann nicht, wenn die Hauptbeteiligung ein GmbH-Anteil ist, da durch die Beteiligung keine Verpflichtung zur Abtretung des Geschäftsanteils entsteht. Hiervon bestehen jedoch zwei Ausnahmen: – Einhaltung der notariellen Beurkundung (§ 518 Abs. 1 BGB), wenn die Unterbeteiligung schenkweise dem Unterbeteiligten gegenüber eingeräumt wird (Regelfall der vorweggenommenen Erbfolge). Die Einräumung selbst ist dabei kein heilender Schenkungsvollzug der Unterbeteiligung ist. – Übernahme einer Verpflichtung im Unterbeteiligungsvertrag, für welche eine besondere Form vorgeschrieben ist, das Formerfordernis für den gesamten Vertrag zur Folge (z.B. Hauptbeteiligte verpflichtet sich gegenüber dem Unterbeteiligten, bei Beendigung der Unterbeteiligung einen Teil seines Geschäftsanteils abzutreten (§ 15 Abs. 4 GmbHG).

9.40

Der Unterbeteiligungsvertrag bedarf jedoch keiner Einwilligung der Hauptgesellschaft oder ihrer Gesellschafter. Dies gilt selbst dann, wenn im Gesellschaftsvertrag für die Übertragung von Gesellschaftsanteilen ein Zustimmungsvorbehalt vereinbart wurde1.

1 Boger/Theiss in Saenger ua., Handels- und Gesellschaftsrecht2, § 13 Rz. 97–99.

646 | Rundshagen

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 9.48 Kap. 9

d) Auflage, Vorbehalte und Widerruf aa) Sicherungsbedürfnis des Schenkers Werden im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge Vermögensgegenstände teilweise bereits Jahre vor dem Tod des Übergebers auf seine Nachkommen übertragen, verliert dieser den Einfluss auf die Vermögensgegenstände und kann auf unvorhergesehene Ereignisse nicht mehr reagieren.

9.41

Aus diesem Grund werden neben den gesetzlichen Widerrufsgründen einer Schenkung (Verarmung des Schenkers oder grober Undank, §§ 528–530 BGB) auch im Schenkungsvertrag bestimmte Rückabwicklungsmöglichkeiten vorgesehen.

9.42

Es sind auch andere Fälle denkbar, die eine Rückabwicklung der Schenkung nötig machen könnten: Versterben des Beschenkten vor dem Schenker, Geschäftsunfähigkeit oder Insolvenz des Beschenkten.

9.43

bb) Schenkung unter Auflage Bei der Unternehmensnachfolge werden schuldrechtlich oft Auflagen vereinbart (§§ 525–527 BB). Bei einer Schenkung unter Auflage handelt es sich zivilrechtlich um eine Schenkung (§§ 516 ff. BGB), mit der vertraglichen Nebenabrede, dass auch der Beschenkte zu einer Leistung verpflichtet ist, wenn er in den Genuss des Schenkungsgegenstandes kommt. Die Erfüllung der Auflage kann jedoch auch das Hauptmotiv für die Schenkung sein, sofern ansonsten die Tatbestandsmerkmale einer Schenkung vorliegen.

9.44

Mit der Vereinbarung der Auflage übernimmt der Beschenkte eine eigene obligatorische Leistungspflicht, die nur schuldrechtliche und keine dingliche Wirkung hat. Gegenstand der dem Beschenkten auferlegten Leistungspflicht kann jedes Tun oder Unterlassen sein, wobei es nicht darauf ankommt, ob die Leistung materieller oder immaterieller Art ist. Ebenso ist es nicht erforderlich, dass die Mittel zur Vollziehung der Auflage dem Gegenstand selbst entnommen werden können (s. zu Abstands- und Ausgleichszahlungen Rz. 3.28). Allerdings soll aufgrund des Schenkungscharakters die Auflage in der Regel auf der Grundlage und aus dem Wert der Zuwendung erfolgen.

9.45

Keine Auflage liegt vor, wenn der Beschenkte lediglich bereits bestehende gesetzliche oder rechtsgeschäftliche Einschränkungen des Schenkungsgegenstandes weiterhin dulden oder übernehmen muss (z.B. bei der schenkweisen Übertragung eines mit einem beschränkt dinglichen Recht belasteten Grundstücks ist eine reine Schenkung). Dagegen liegt eine Auflagenschenkung vor, wenn sich erst der Beschenkte verpflichtet, dem Schenker oder einem Dritten ein Nießbrauchsrecht zu bestellen oder ein lebenslängliches unentgeltliches Wohnrecht zu gewähren1.

9.46

Dem Schenker wird ein durchsetzbarer Anspruch auf Vollziehung der vereinbarten Auflage eingeräumt (§ 525 Abs. 1 BGB).

9.47

Ist eine Auflage wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB), wegen Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) oder aus anderen Gründen nichtig, so bestimmt sich die Wirksamkeit des Vertrages nach § 139 BGB, so dass die Nichtigkeit der Auflage im Regelfall auch zur Unwirksamkeit der Schenkung führen wird. Bei Vollzug der Schenkung ist an eine bereiche-

9.48

1 Koch in MüKo8, § 525 BGB Rz. 1.

Rundshagen | 647

Kap. 9 Rz. 9.48 | Vorweggenommene Erbfolge

rungsrechtliche Rückabwicklung zu denken. Unwirksam ist auch eine nur an den Erben des Erstbeschenkten gerichtete Auflage, den Schenkungsgegenstand nach dem Tod des Erstbeschenkten an einen Dritten herauszugeben, weil darin ein formbedürftiges Vermächtnis (§§ 1940, 2174 BGB) liegt, zu dessen Errichtung sich der Erstbeschenkte vertraglich nicht verpflichten kann (§ 2302 BGB).

9.49

Der Anspruch auf Vollziehung der Auflage ist nach § 525 Abs. 1 BGB grundsätzlich durch den Schenkungsvollzug aufschiebend bedingt. Der Schenker muss danach grundsätzlich in Vorleistung gehen; ihm steht kein Zurückbehaltungsrecht oder die Einrede des nicht erfüllten Vertrages zu. Diese Regelung ist jedoch abdingbar, so dass die Parteien vertraglich auch eine Zug-um-Zug-Leistung vereinbaren können. Überdies kann der Anspruch auf Vollziehung der Auflage auch vor Bedingungseintritt ggf. durch eine einstweilige Verfügung gem. §§ 935 ff. ZPO gesichert werden.

9.50

Die Rechtsfolgen bei Nichterfüllung richten sich nach § 527 BGB. Danach kann der Schenker die Herausgabe des Geschenkes unter den für das Rücktrittsrecht bei gegenseitigen Verträgen bestimmten Voraussetzungen nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung fordern, als das Geschenk zur Vollziehung der Auflage hätte verwendet werden müssen. Mit der anfänglichen oder nachträglichen Unmöglichkeit des Auflagenvollzugs wird der Beschenkte nach §§ 275, 311a Abs. 1 BGB von seiner Verpflichtung frei. Von der Auflagenschenkung ist aber der Fall abzugrenzen, dass bereits die Schenkung selbst aufschiebend oder auflösend bedingt ist1.

9.51

Die Auflagenschenkung unterliegt grundsätzlich dem allgemeinen Schenkungsrecht, so dass der Formzwang des § 518 Abs. 1 sich auch auf die Auflage erstreckt. Dabei findet die Annahmefiktion des § 516 Abs. 2 Satz 2 findet keine Anwendung. cc) Widerrufsvorbehalt und vertragliches Rücktrittsrecht

9.52

Der Schenker kann bei der Übertragung bestimmte Erwartungen an diese knüpfen, die in Folge nicht erfüllt werden müssen. Zwar sieht auch das Schenkungsrecht gesetzliche Rückforderungsrechte nach §§ 528, 530 BGB vor (Verarmung des Schenkers, grober Undank). Für den Schenker mag es aber noch andere Gründe geben, sich eine Rückforderung vorzubehalten. Als Absicherung sollte der Unternehmer im Schenkungs- bzw. Übertragungsvertrag Vorkehrungen gegen unerwartete und unerwünschte künftige Entwicklungen nach der Übertragung an den Beschenkten treffen. Dies kann in Form von vertraglich vereinbarten Widerrufsvorbehalten und Rücktrittsrechten erfolgen.

9.53

Der Übergabevertrag kann einen Widerrufsvorbehalt bzw. Rücktrittsrecht des Übergebers für den Eintritt bestimmter Situationen vorsehen, die typischerweise zu einer Gefährdung des Unternehmens führen. Nach vorherrschender Auffassung ist zwar auch die Vereinbarung eines freien, uneingeschränkten Widerrufsvorbehalts zulässig2. Ob ein solcher – aus zivilrechtlicher Sicht – grundsätzlich zulässiger, freier Rückabwicklungsvorbehalt auch für die Übertragung von Gesellschaftsanteilen gelten sollte, ist fraglich. Für den beschenkten Neugesellschafter käme ein solcher einer Hinauskündigung gleich. Hinauskündigungsklauseln sind jedoch nur in sehr engen Grenzen zulässig und regelmäßig wegen Verstoßes gegen § 138 BGB sitten-

1 Koch in MüKo8, § 525 BGB Rz. 13. 2 Koch in MüKo8, § 516 BGB Rz. 13.

648 | Rundshagen

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 9.58 Kap. 9

widrig1. Darüber hinaus verhindert aus ertragsteuerlicher Sicht ein vollkommen freier Widerrufsvorbehalt auch die Begründung einer Mitunternehmerstellung und damit die Anwendbarkeit der erbschaftsteuerlichen Begünstigungen nach §§ 13a, 13b ErbStG2. Bei Schenkungsverträgen im Zusammenhang mit der Übertragung von Unternehmensanteilen sollen regelmäßig für folgende Themen Sicherungsmechanismen durch vertragliche Widerrufsvorbehalte bzw. Rücktrittsrechte in Betracht:

9.54

– Versterben des Beschenkten vor dem Schenker, – Eheschließung/Ehescheidung des Beschenkten (s. Rz. 2.68), – Geschäftsunfähigkeit des Beschenkten, – Rechtsverletzungen aus dem Schenkungsvertrag, – Insolvenz des Beschenkten – Verarmung des Schenkers/Grober Undank (§§ 528, 530 BGB). Etwaige vertragliche Rückforderungsrechte können dabei als Widerrufsvorbehalt oder als vertragliches Rücktrittsrecht ausgestaltet werden.

9.55

Der Widerruf der Schenkung führt zur Abwicklung der Schenkung nach Bereicherungsrecht (§ 531 Abs. 2 BGB, §§ 812 ff. BGB), so dass der Beschenkte nur die verbleibende Bereicherung einschließlich der gezogenen Nutzungen herausgeben muss. Nachteilig für den Schenker ist daher, dass sich der Beschenkte u.U. auf Entreicherung berufen kann. Zudem unterliegt der Widerrufsvorbehalt der Pfändung.

9.56

Daher erscheint es oft vorzugswürdig, die Rückforderungsrechte als vertragliches Rücktrittsrecht auszugestalten. Das Rücktrittsrecht ist grds. als höchstpersönliches Gestaltungsrecht nicht pfändbar. Die Ausübung des Rücktrittsrechts verpflichtet zur Rückabwicklung des gesamten Vertrags ex tunc (§§ 346 ff. BGB). Daher müssen auch die zwischenzeitlich gezogenen Nutzungen bei gleichzeitiger Erstattung von Aufwendungen herausgegeben werden.

9.57

Die Rückforderungsklausel in einem Schenkungs- und Übertragungsvertrag sollte auch eine Regelung über die Modalitäten der Ausübung des Widerrufsrechts bzw. Rücktrittsrechts wie Frist und Form enthalten. Daneben empfiehlt sich auch die Aufnahme einer ausdrücklichen Regelung zur Vererblichkeit des Widerrufsrechts und eines vor Erbfall entstandenen Rückforderungsrechts. Enthält der Vertrag keine Regelungen zu den Rechtsfolgen eines wirksam erklärten Widerrufs, erfolgt die Rückabwicklung nach den bereicherungsrechtlichen Vorschriften. Um spätere Streitigkeiten hinsichtlich der gezogenen Nutzungen zu vermeiden, sollte im Rahmen der Rückforderungsklausel auch deren Rechtsfolge eindeutig geklärt werden. Wesentlich ist dabei auch die steuerliche Sichtweise. Diese kann bei stark ausgeprägten Rückforderungs- und anderen Rechten zugunsten des Schenkers dazu führen, dass diese als wirtschaftlich nicht ausgeführt gilt, mit der Konsequenz, dass der Schenker wirtschaftlicher Eigentümer nach § 39 AO bleibt. Selbst wenn das wirtschaftliche Eigentum auf die oder den Beschenkten übergeht, kann es vorkommen, dass die steuerlichen Ziele nicht erreicht werden, weil der wirtschaftliche Gehalt des Gegenstandes durch Absprachen aus steuerlicher Sicht verändert wird. Dies gilt vor allem für die Übertragung von Anteilen an Personengesellschaf-

9.58

1 BGH v. 20.1.1977 – II ZR 217/75, BGHZ 68, 212 ff. = NJW 1977, 1292 ff. 2 BFH v. 16.5.1989 – VIII R 196/84, NJW 1990, 1751.

Rundshagen | 649

Kap. 9 Rz. 9.58 | Vorweggenommene Erbfolge

ten, die steuerlich als Mitunternehmerschaften nach § 15 EStG zu qualifizieren sind. Sollte der Beschenkte nicht über ausreichend Mitwirkungsrechte verfügen, ist die Übertragung nicht nach §§ 13a, 13b ErbStG begünstigt. Die zivilrechtliche Gestaltung muss deshalb das Spannungsverhältnis zwischen den Vorbehalten des Schenkers und dem Schutz seiner Interessen mit den beabsichtigten steuerlichen Zielen stabil in Übereinstimmung bringen.

9.59

Da die Übertragung eines Einzelunternehmens nach Ansicht des BGH keine Schenkung darstellt (s. Rz. 9.395), finden die im Schenkungsrecht geltenden Widerrufsregelungen der §§ 528 und 530 BGB in diesem Fall keine Anwendung. dd) Dingliche Absicherung

9.60

Da der Widerruf und der Rücktritt lediglich schuldrechtliche Wirkung haben, müsste sich der Schenker im Falle der Insolvenz des Beschenkten mit einer Quote zufrieden geben. Auch bei der Durchführung wäre der Schenker allein auf die Mitwirkung des Beschenkten angewiesen, da eine dingliche Wirkung der Rückforderung gerade nicht besteht.

9.61

Der Schenker hat jedoch die Möglichkeit, sich im Schenkungsvertrag dinglich abzusichern. Dies kann dadurch erreicht werden, dass die Übereignung des Vermögensgegenstandes unter der auflösenden Bedingung der Ausübung des Rücktritts- oder Widerrufsrechts stattfindet. Das ansonsten nur rein schuldrechtliche Rücktrittsrecht erhält dadurch dingliche Wirkung. Daneben kommt auch eine aufschiebend bedingte Rückübereignung des Schenkungsgegenstandes für den Fall des Eintritts der eine Rückforderung rechtfertigenden Umstandes in Betracht. Die Rücktrittserklärung könnte auch als solche als (auflösende) Bedingung definiert werden.

9.62

Eine Rückforderung von Grundstücken kann auf diese Art nicht abgesichert werden (§ 925 Abs. 2 BGB). Eine dingliche Absicherung bei einer Grundstücksübertragung kommt jedoch durch die Eintragung einer Rückauflassungsvormerkung im Grundbuch in Betracht.

3. Erbrecht und vorweggenommene Erbfolge a) Pflichtteilsrecht aa) Sicherung Unternehmensfortführung durch Pflichtteilsverzicht

9.63

Die Übergabe von Unternehmensvermögen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge ist unweigerlich mit Fragestellungen des Pflichtteilsrechts verbunden, wenn nicht alle Pflichtteilsberechtigten das Unternehmen übernehmen sollen oder können (s. Rz. 5.366 und Rz. 5.433). Wenn nicht weiteres (Privat-)Vermögen vorhanden ist, das auf die anderen Abkömmlinge oder den Ehegatten zu Lebzeiten oder von Todes wegen übertragen werden kann, ist zur Sicherung des Bestands des Betriebsvermögens an den Abschluss von flankierenden Pflichtteilsverzichtsvereinbarungen oder einer Vereinbarung über den Erbverzicht zu denken. Diese sollten im Grundsatz fair und angemessen sein und führen unter diesen Voraussetzungen zu einer interessengerechten Nachfolgeplanung und gewähren dem übergebenden Unternehmer größere Handlungsfreiheiten. bb) Pflichtteilsberechtigte

9.64

Pflichtteilsberechtigt sind die Abkömmlinge des Erblassers, die Ehegatten, eingetragenen Lebenspartner sowie die Eltern (§ 2303 Abs. 1, 2 BGB, § 10 Abs. 6 LPartG). Stiefkinder haben 650 | Rundshagen

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 9.69 Kap. 9

nur dann ein Pflichtteilsrecht, wenn sie adoptiert wurden. Abkömmlinge sind alle Personen, die mit dem Erblasser in gerader Linie verwandt sind (§ 1589 Satz 1 BGB). Zu den pflichtteilsberechtigten Eltern zählen auch die Adoptiveltern (§§ 1925, 1754, 1767 Abs. 2 BGB; für die Volljährigenadoption vgl. §§ 1925, 1767 Abs. 2, 1770 Abs. 1 BGB). Bei der Minderjährigenadoption verlieren die Herkunftseltern dagegen ihre Verwandtschaftsbindung zum Kind und damit ihr Erb- und Pflichtteilsrecht. Zu den pflichtteilsberechtigten Eltern gehört außer der Mutter des nichtehelichen Kindes auch der Vater des nichtehelichen Kindes, wenn die Vaterschaft anerkannt ist oder feststeht1 (§ 1592 Nr. 2, 3 BGB).

9.65

Voraussetzung des Pflichtteilsrechts der Eltern des Erblassers ist, dass kein Abkömmling des Erblassers vorhanden ist, der Erbe oder Pflichtteilsberechtigter ist (§ 1930, § 2309 BGB). Sind daher Abkömmlinge des Erblassers (Kinder oder Enkel) vorhanden, scheidet ein Pflichtteilsrecht der Eltern aus.

9.66

Von der Pflichtteilsberechtigung ist der Pflichtteilsanspruch zu unterscheiden. Ein Anspruch auf Zahlung des Pflichtteils ist gem. §§ 2303, 2317 nur gegeben, wenn beim Erbfall ein Pflichtteilsberechtigter durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen wurde (s. Rz. 5.371). Dem Berechtigten muss grundsätzlich ein Erbrecht zugestanden haben und darf nicht schon aus anderen Gründen von der Erbfolge ausgeschlossen sein. Der Berechtigte ist z.B. dann von der Erbfolge ausgeschlossen, wenn er vor oder zugleich mit dem Erblasser verstirbt (§ 1923 Abs. 1 BGB). Er muss den Erblasser wenigstens um den Bruchteil einer Sekunde überlebt haben, um selbst Erbe zu werden. Nicht erb- und damit nicht pflichtteilsberechtigt ist derjenige, der für erbunwürdig erklärt ist (§§ 2344, 2345 Abs. 2), dem der Erblasser zu Recht den Pflichtteil entzogen hat (§§ 2333, 2336) oder der auf sein Erbrecht verzichtet hat (§ 2346 Abs. 1 Satz 2). Auch die Einsetzung als bloßer Ersatzerbe (§ 2096 BGB) stellt eine Enterbung dar, wenn dieser nicht zur Erbfolge gelangt. Ist der Berechtigte in einem Ehegattentestament (§ 2269 BGB) oder in einem Ehegattenerbvertrag (§ 2280 BGB) als Schlusserbe eingesetzt, ist er beim Tod des erstversterbenden Ehegatten nach der sog. „Einheitslösung“ von der Erbfolge ausgeschlossen. Für den Pflichtteilsanspruch kommt es dann nur auf die Erbfolge nach dem erstversterbenden Ehegatten an. Der Pflichtteil beträgt die Hälfte des Werts des gesetzlichen Erbteils (§ 2303 Abs. 1 Satz 2 BGB).

9.67

Ist der Pflichtteilsberechtigte unbeschränkter Erbe und schlägt er die Erbschaft aus, ist er nicht mehr pflichtteilsberechtigt. Dies gilt nicht für Ehegatten, die im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft leben. In diesem Fall kann der überlebende Ehegatte neben dem Ausgleich des tatsächlich erzielten Zugewinns auch den sog. kleinen Pflichtteil verlangen.

9.68

Der Pflichtteilsanspruch ist auf Geld gerichtet und sofort fällig. Daher kann die Nichtberücksichtigung oder die zu geringe Berücksichtigung eines Pflichtteilsberechtigten zu einer Belastung des Nachlasses und der Erben führen, da der Pflichtteilsanspruch in Geld bedient und zur Erfüllung desselben ggf. der Nachlass veräußert werden muss (s. Rz. 5.379). Das Pflichtteilsrecht kann auch als Einrede wirken. So kann es dem pflichtteilsberechtigten Erben das Recht geben, Vermächtnisse, Auflagen oder fremde Pflichtteilsansprüche zur Wahrung des eigenen Pflichtteilsrechts zu kürzen2 (§§ 2318–2319).

9.69

1 Lange in MüKo8, § 2303 BGB Rz. 31. 2 Lange in MüKo8, § 2303 BGB Rz. 15–16.

Rundshagen | 651

Kap. 9 Rz. 9.70 | Vorweggenommene Erbfolge

cc) Zusatzpflichtteil, Beschränkungen und Beschwerungen

9.70

Wird ein Pflichtteilsberechtiger als Erbe oder Vermächtnisnehmer wertmäßig unterhalb der Pflichtteilsquote (Hälfte des gesetzlichen Erbteils) eingesetzt, ergibt sich unter Umständen ein Anspruch auf einen Restpflichtteil (§ 2305 BGB und § 2307 BGB, sog. „Zusatzpflichtteil“). Seit der Neufassung des § 2306 BGB steht dem pflichtteilsberechtigten Erben, der mit einer Belastung oder Beschwerung bedachten ist, unabhängig von der Höhe des hinterlassenen Erbteils ein generelles Wahlrecht zu: Er kann entweder sein Erbe ausschlagen und dennoch den Pflichtteil verlangen oder sein Erbe mit sämtlichen Belastungen und Beschwerungen antreten. Ein automatischer Wegfall der Belastungen ist nach der neuen Rechtslage nicht mehr vorgesehen. Die Einsetzung des Pflichtteilsberechtigten als Nacherben gilt nach wie vor als Beschränkung der Erbeinsetzung (§ 2306 Abs. 2 BGB). Allein die Bestimmung des § 2306 BGB kann – bei Nichtbeachtung – das gesamte Nachfolgekonzept zu Fall bringen1. dd) Pflichtteilsergänzunganspruch

9.71

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch (§ 2325 BGB) schützt den Pflichtteilsberechtigten vor Aushöhlung des ordentlichen Pflichtteils durch lebzeitige Schenkungen des Erblassers (s. Rz. 5.412 ff.). Die verfassungsrechtlich garantierte Mindestteilhabe am Vermögen des Erblassers liefe praktisch leer, wenn dieser sich kurz vor seinem Tod vermögenslos stellen könnte. Der Erblasser ist verpflichtet, „den Pflichtteil so zu hinterlassen, wie wenn die Schenkung nicht erfolgt wäre“. §§ 2325 ff. schützen den Pflichtteilsberechtigten einerseits nicht gegen unentgeltliche oder teilunentgeltliche Geschäfte schlechthin, sondern nur gegen Schenkungen.

9.72

Erfasst werden andererseits alle Schenkungen mit Ausnahme der sog. Anstandsschenkungen (§ 2330 BGB). Auf eine Benachteiligungsabsicht kommt es (anders als bei §§ 2287, 2288 BGB) nicht an2.

9.73

Der Schutz des Pflichtteilsberechtigten enthält jedoch nach der gesetzlichen Neuregelung eine zeitliche Schranke: Eine Schenkung bleibt dann unberücksichtigt, wenn zurzeit des Erbfalls zehn Jahre seit der Leistung des verschenkten Gegenstandes verstrichen sind.

9.74

Durch die rechtzeitige Übertragung von Betriebsvermögen auf die oder den Unternehmensnachfolger können auf Grund der Zehn-Jahres-Frist des § 2325 Abs. 3 BGB die Pflichtteile von nicht mit Betriebsvermögen bedachten Abkömmlingen damit reduziert werden. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass diese Zehn-Jahres-Frist nicht für alle Schenkungen gilt. Bei lebzeitiger Übertragung von Vermögen auf Ehepartner (§ 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB) und in denjenigen Fällen, in denen der Schenker den verschenkten Gegenstand wirtschaftlich noch nicht aus seinem Vermögen ausgegliedert hat (Schenkung unter freiem Wiederrufsvorbehalt oder Nießbrauchsvorbehalt), gilt die Abschmelzung nicht. Bei Zuwendungen an den Ehepartner beginnt der Zehn-Jahres-Zeitraum erst mit Auflösung der Ehe (§ 2325 Abs. 3 Halbs. 2 BGB). ee) Pflichtteilsverzicht

9.75

Nach § 2346 Abs. 2 BGB kann sich der Verzicht nur auf das Pflichtteilsrecht beschränken, was sich insbesondere bei Nachfolgevereinbarungen mit mehreren Beteiligten empfiehlt, um 1 Boger/Theiss in Saenger ua., Handels- und Gesellschaftsrecht, § 13 Rz. 47–48. 2 Lange in MüKo8, § 2325 BGB Rz. 1–5.

652 | Rundshagen

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 9.80 Kap. 9

nicht die Pflichtteilsansprüche der anderen Pflichtteilsberechtigten unnötig zu vergrößern (s. Rz. 5.445). Ein Verzicht erstreckt sich grundsätzlich auch auf die pflichtteilsberechtigten Abkömmlinge, sofern nichts anderes bestimmt wird1 (§§ 2349, 2350 Abs. 2 BGB). Der Pflichtteilsverzicht bedarf der notariellen Beurkundung und begründet seinerseits keine Schenkung des Pflichtteilsberechtigten an den Vermögensinhaber, denn es wird keine aktuell bestehende Rechtsposition übertragen oder ein anderer Gegenstand übertragen. Dem folgt auch die steuerrechtliche Beurteilung, mit der Konsequenz, dass der Pflichtteilsverzicht vor Versterben des zukünftigen Erblassers keine Schenkungssteuerpflicht auslöst2. b) Koordinierung der vorweggenommenen Erbfolge mit Gesellschaftsrecht und letztwilligen Verfügungen Eine vorweggenommene Erbfolge kann und darf in den meisten Fällen nicht für sich allein stehen, sondern sollte stets mit der Nachfolge von Todes wegen abgestimmt werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn zu Lebzeiten gerade nicht das gesamte Unternehmen bzw. sämtliche Beteiligungen auf den designierten Erben übertragen werden sollen.

9.76

Die Nachfolge von Todes wegen erfolgt durch letztwillige Verfügung (Testament oder Erbvertrag). Sie muss dabei sämtliche Aspekte der Familien- und Vermögensverhältnisse berücksichtigen. So kann z.B. Abkömmlingen, denen keine Beteiligung am Unternehmen zugedacht wird, z.B. ein entsprechender Ausgleich durch die Zuwendung von Privatvermögen gemacht werden. Eine umfassende Nachfolgeplanung beinhaltet daher eine ganzheitliche Konzeption der Übertragung von sämtlichen Vermögenswerten, verbunden mit einer umfassenden Steuerplanung.

9.77

Ein Unternehmertestament in Ergänzung zur Gestaltung der vorweggenommenen Erbfolge ist auch vor dem Hintergrund unerlässlich, dass der Fortbestand des Unternehmens auch bei Eintritt eines unerwarteten Ereignisses gesichert werden muss. Lebzeitige Verfügungen, die im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge vorgenommen wurden, sollten allerdings bei der Errichtung letztwilliger Verfügungen berücksichtigt werden, damit es nicht zu ungewollten Ergebnissen kommt. In Hinblick auf etwaige Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche müssen unter Umständen auch flankierende Pflichtteilsverzichte vereinbart werden, um den Fortbestand des Unternehmens nicht zu gefährden.

9.78

Sowohl eine Unternehmensnachfolge zu Lebzeiten als auch von Todes wegen muss zwingend mit gesellschaftsrechtlichen Vorgaben abgestimmt werden. So spielt die Rechtsform des zu übertragenden Unternehmens eine große Rolle. Bei einer Schenkung unter Lebenden muss zunächst geklärt werden, ob die Anteile an einer Personen- oder Kapitalgesellschaft überhaupt lebzeitig übertragen werden können und ob ggf. Zustimmungserfordernisse zu beachten sind.

9.79

Bei der Unternehmensnachfolge von Todes wegen ist eine Abstimmung zwischen letztwilliger Verfügung und Gesellschaftsvertrag allein deshalb unerlässlich, da die Regelungen des Gesellschaftsrechts dem Erbrecht vorgehen3.

9.80

1 Lange in MüKo8, § 2303 BGB Rz. 17. 2 FG Berlin-Brandenburg v. 22.11.2017 – 3 K 3189/17, ZEV 2018, 167; FG Köln v. 28.11.2000 – 9 K 4299/98, DStRE 2001, 813, rkr. 3 Klein/Lindemeier in Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht5, Bd.1, § 79 Rz. 2.

Rundshagen | 653

Kap. 9 Rz. 9.81 | Vorweggenommene Erbfolge

4. Steuerrechtliche Grundlagen a) Ertragsteuern aa) Aufdeckung stiller Reserven bei der vorweggenommenen Erbfolge

9.81

Jede Schenkung birgt das Risiko auch einer ertragsteuerlichen Realisation. Denn es handelt sich grundsätzlich um eine steuerlich gesehen privat veranlasste Übertragung von Vermögen auf eine andere Person. Für die Planung der Übertragung kommt es deshalb darauf an, sorgfältig die Vorschriften zu beachten, die durch eine steuerliche Buchwertverknüpfung die Ertragsteuerneutralität einer Übertragung sicherstellen. Zu unterscheiden sind dabei die steuerlich maßgeblichen Rechtsformen, nämlich betriebliche und transparent besteuerte Einheiten wie Einzelunternehmen und Mitunternehmerschaften und deren Entsprechung in anderen Ländern einerseits und Kapitalgesellschaftsbeteiligungen – also Anteile an GmbH, AG, SE oder analog zu beurteilender ausländischer Rechtsträger – andererseits.

9.82

Während sich die Voraussetzungen für die Verschenkung betrieblicher Einheiten, deren Ergebnisse beim Inhaber nach §§ 5 und 15 EStG als gewerbliche Einkünfte versteuert werden, nach § 6 Abs. 3 EStG richtet, wird bei der Übertragung von Kapitalgesellschaftsanteilen nach § 17 Abs. 1 und Abs. 2 EStG angewendet. In beiden Fällen ist von entscheidender Bedeutung, ob die Übertragung steuerlich unentgeltlich oder (teil-)entgeltlich erfolgt. Nur bei Unentgeltlichkeit kann die Buchwertfortführung erzielt werden.

9.83

Die Rechtsfolgen des teilentgeltlichen Erwerbs im Rahmen von gemischten Schenkungen werden im Ertragsteuerrecht nicht einheitlich, sondern nach Sinn und Zweck der jeweiligen Vorschrift im Einkommensteuergesetz bestimmt1. bb) Übertragung einzelner Wirtschaftsgüter

9.84

Werden einzelne Wirtschaftsgüter des Privatvermögens im Wege der gemischten Schenkung oder einer Schenkung unter Auflage teilentgeltlich erworben, ist nach bisher h.M. die sog. Trennungstheorie anzuwenden2. Nach dieser Theorie ist der Erwerbsvorgang teilweise als entgeltlicher Anschaffungsvorgang und teilweise als unentgeltlicher Erwerb zu behandeln. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH wird für die Übertragung einzelner Wirtschaftsgüter des Privatvermögens bei einem teilentgeltlichen Erwerb die strenge Trennungstheorie zugrunde gelegt. Diese vergleicht die Verkehrswerte der Leistung des Schenkers und der des Beschenkten und stellt dadurch fest, zu welchem Prozentsatz das Rechtsgeschäft unentgeltlich oder entgeltlich ist. Dabei sind Anschaffungsnebenkosten (z.B. Notar- oder Gerichtskosten) vollständig den Anschaffungskosten zuzuordnen. Liegen ausschließlich Anschaffungsnebenkosten und keine weiteren Anschaffungskosten vor, ist das Rechtsgeschäft in vollem Umfang als unentgeltlicher Vorgang zu beurteilen.

9.85

Wird dagegen ein Betrieb, Teilbetrieb oder Mitunternehmeranteil teilentgeltlich im Rahmen einer gemischten Schenkung erworben, ist der Vorgang im Rahmen des § 6 Abs. 3 EStG nach der Einheitstheorie nicht in einen entgeltlichen und unentgeltlichen Vorgang aufzuteilen3. Übersteigt das Teilentgelt die Buchwerte, sind die Wirtschaftsgüter mit dem auf sie entfallen1 Ehmcke in Blümich, § 6 EStG Rz. 1222–1235 (Stand: 10.2018). 2 Ehmcke in Blümich, § 6 EStG Rz. 1222–1235 (Stand: 10.2018). 3 BFH v. 4.4.2006 – IV B 12/05, BFH/NV 2006, 1460 m.w.N.; BFH v. 18.9.2013 – X R 42/10, BStBl. II 2016, 639; BFH v. 6.4.2016 – X R 52/13, BStBl. II 2016, 710; BFH v. 9.5.2017 – VIII R 1/ 14, BFH/NV 2017, 1418.

654 | Rundshagen

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 9.91 Kap. 9

den Entgelt zu bewerten1. Übersteigt das anteilige Entgelt die Buchwerte nicht, ist die Buchwertfortführung nach § 6 Abs. 3 in vollem Umfang anwendbar. Im Rahmen der Einheitstheorie ist es unerheblich, ob der entgeltliche oder der unentgeltliche Teil des Rechtsgeschäfts überwiegt. Die un- oder teilentgeltliche Übertragung nur eines Teils der Wirtschaftsgüter kann dann als Teilbetriebsübertragung zu qualifizieren sein, die zur Anwendung der Einheitstheorie und damit zu einer unentgeltlichen Teilbetriebsübertragung führt (s. Rz. 6.45 f.), wenn sämtliche Wirtschaftsgüter übertragen werden, die zu den Betriebsgrundlagen dieses Teilbetriebs gehören2.

9.86

Wird dagegen ein einzelnes Wirtschaftsgut des Betriebsvermögens (außerhalb von § 6 Abs. 4 EStG) teilentgeltlich erworben, ist für den Erwerber strittig, ob dieser Veräußerungsvorgang nach der strengen Trennungstheorie erfolgen kann oder nach einer modifizierten Trennungstheorie3.

9.87

Dies gilt ebenso, wenn die Übertragung des einzelnen Wirtschaftsguts zwischen dem eigenen Betriebsvermögen und dem Gesamthandsvermögen einer Mitunternehmerschaft stattfindet (§ 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 EStG).

9.88

Die modifizierte Trennungstheorie (mit einseitiger Zuordnung des Buchwerts) zur Ermittlung des Veräußerungsgewinns vertritt in jüngerer Rechtsprechung der IV. Senat des BFH4 und teilweise auch der I. Senat5. Nach dieser Theorie ist in einem ersten Schritt die teilentgeltliche Übertragung eines Einzel-Wirtschaftsguts des Betriebsvermögens wie nach der reinen Trennungstheorie in einen entgeltlichen und unentgeltlichen Übertragungsvorgang aufzuteilen.

9.89

Die Übertragung erfolgt unentgeltlich, soweit das Entgelt hinter dem Verkehrswert/Teilwert zurückbleibt. Dagegen erfolgt die Übertragung entgeltlich, soweit das Entgelt dem Verkehrswert/Teilwert entspricht. Nach Auffassung des IV. Senats führt die entgeltliche Übertragung aus dem Gedanken der Einheitstheorie nur dann zu einer Gewinnrealisierung, wenn das Entgelt den gesamten Buchwert des Wirtschaftsguts übersteigt. Diese Auffassung führt daher dazu, dass der gesamte Buchwert des teilentgeltlich übertragenen Wirtschaftsguts vollständig dem entgeltlichen Teil des Rechtsgeschäfts zuzuordnen ist6.

9.90

Im Ergebnis kann die Gegenleistung ohne steuerliche Ertragsrealisation damit so hoch sein wie der Buchwert. Dies klingt zunächst attraktiv, bedeutet jedoch für den Erwerber eine stille Last, die bei einer späteren Realisation z.B. durch Verkauf eintritt. Dann ist nämlich für die Gewinnermittlung der gegenzurechnende Buchwert 0. In welchen Fällen im Einzelnen welche Methode zur Anwendung kommt, ist noch nicht abschließend zu erkennen. Der X. Senat des BFH hat mit Beschluss vom 27.10.2015 hierzu den Großen Senat angerufen und dabei Fallgruppen zu einer grundsätzlichen Klärung zur Entscheidung gestellt7. Nach Erledigung der Hauptsache (Abhilfe des Klägerbegehrens durch die Finanzverwaltung) hat der X. Senat BFH

9.91

1 BFH v. 7.11.2000 – VIII R 27/98, BFHE 193, 549. 2 BFH v. 22.10.2013 – X R 14/11, BStBl. II 2014, 158. 3 BFH v. 19.3.2014 – X R 28/12, BStBl. II 2014, 629 (Beitrittsaufforderung an BMF); BFH v. 27.10.2015 – X R 28/12, BStBl. II 2016, 81 (Vorlage an den GrS). 4 BFH v. 4.9.2014 – IV R 44/13, BFH/NV 2015, 209; BFH v. 13.9.2012 – IV R 11/12, BFHE 239, 76. 5 BFH v. 10.4.2013 – I R 80/12, BStBl. 13, 1004. 6 BFH v. 19.9.2012 – IV R 11/12, BFHE 239, 76; BFH v. 4.9.2014 – IV R 44/13, BFH/NV 2015, 209. 7 BFH v. 27.10.2015 – X R 28/12, BStBl. II 2016, 81.

Rundshagen | 655

Kap. 9 Rz. 9.91 | Vorweggenommene Erbfolge

mit Beschluss vom 10.10.2018 den Vorlagebeschluss an den Großen Senat des BFH vom 27.10.2015 aufgehoben. Damit ist der Rechtsgrund für eine Entscheidung des Großen Senats des BFH entfallen.

9.92

Übersteigt die Gegenleistung den Buchwert, ist dieser Wert beim Übertragenden steuerpflichtig. Nach der modifizierten Trennungstheorie liegen insoweit zugleich Anschaffungskosten des Erwerbers vor1. cc) Besteuerung von Gesellschaftsbeteiligungen im Privatvermögen (1) Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft

9.93

Dividenden, die ein Unternehmer aus einer Kapitalgesellschaft bezieht, werden grundsätzlich als Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG) versteuert. Diese unterliegen der Abgeltungssteuer (25 %) zzgl. Solidaritätszuschlag und ggf. Kirchensteuer. Ein Werbungskostenabzug über den Sparerfreibetrag hinaus ist nach § 20 Abs. 6 und 9 EStG ausgeschlossen. Der Unternehmer kann allerdings auf Antrag die Gewinnausschüttungen der Kapitalgesellschaft mit seinem individuellen progressiven Einkommensteuersatz unter Anwendung des Teileinkünfteverfahrens und mit einem entsprechenden Werbungskostenabzug (§ 3 Nr. 40 Buchst. d) versteuern (§ 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG). Wird das Optionsrecht erfolgreich ausgeübt, sind daher auch Kosten für die Fremdfinanzierung der Beteiligung als Werbungskosten abziehbar2 – bei Anwendung des Teileinkünfteverfahrens jedoch ggf. nur i.H.v. 60 % (§ 3c Abs. 2 EStG). Der Unternehmer kann das Optionsrecht ausüben, wenn er mindestens zu 25 % unmittelbar oder mittelbar an der Kapitalgesellschaft beteiligt ist oder die Beteiligung mindestens 1 % beträgt und er durch seine berufliche Tätigkeit für die Kapitalgesellschaft auf diese maßgeblichen wirtschaftlichen Einfluss nehmen kann. Der Antrag ist spätestens zusammen mit der Einkommensteuererklärung zu stellen und kann widerrufen werden. Nach Widerruf ist ein erneuter Antrag allerdings für diese Beteiligung nicht mehr zulässig (§ 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 6 EStG).

9.94

Veräußert der Unternehmer seine Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft, führt dies zu Einkünften aus Gewerbebetrieb nach § 17 EStG, wenn er innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 % beteiligt war. Erreicht die Beteiligung die Mindestbeteiligungsgrenze nicht, unterliegt der Veräußerungsgewinn der Abgeltungssteuer (§ 20 Abs. 2 EStG). Die verdeckte Einlage von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft in eine Kapitalgesellschaft steht einer Veräußerung gleich (§ 17 Abs. 1 Satz 2 EStG). In diesem Fall gilt als Veräußerungserlös der gemeine Wert der Anteile im Zeitpunkt der Einlage, § 17 Abs. 2 Satz 2 EStG.

9.95

Bei einem unentgeltlichen Erwerb der Beteiligung durch den Unternehmer durch den Rechtsvorgänger bestimmen sich die Voraussetzungen des § 17 EStG (Fünf-Jahres-Zeitraum und Anschaffungskosten der Beteiligung) nach seinem Rechtsvorgänger (§ 17 Abs. 2 Satz 5 EStG). Veräußerungsverluste sind bei der Berechnung des Veräußerungsgewinns (= Veräußerungspreis ./. Anschaffungskosten und Veräußerungskosten) nicht zu berücksichtigen, soweit sie auf von einem innerhalb der letzten fünf Jahre unentgeltlich von einem Rechtsvorgänger erworbene Anteile entfallen und der Rechtsvorgänger den Veräußerungsverlust ebenfalls nicht hätte geltend machen können oder wenn entgeltlich erworbene Anteile nicht innerhalb der

1 BFH v. 27.10.2015 – X R 28/12, BStBl. II 2016, 81. 2 Werth in Blümich, § 32d EStG Rz. 140–145.

656 | Rundshagen

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 9.100 Kap. 9

letzten fünf Jahre zu einer wesentlichen Beteiligung i.S.d. § 17 EStG gehört haben (§ 17 Abs. 2 Satz 6 EStG). Auf Ebene der Körperschaft sieht § 8c KStG in der gesetzlichen Neuregelung einen Verlustuntergang bei der Übertragung von mehr als 50 % der Anteile an einer Kapitalgesellschaft innerhalb von fünf Jahren für nicht ausgeglichene oder abgezogene negative Einkünfte vor1. Dieses ersetzt die Altregelung, die insoweit auf nicht genutzte Verluste abstellte und als verfassungswidrig beurteilt wurde. Mit § 8d KStG wurde ab dem Veranlagungszeitraum 2016 vom Gesetzgeber eine Regelung geschaffen, die den Verlustvortrag auch bei einem schädlichen Anteilserwerb vorsieht, wenn die Gesellschaft spätestens seit Beginn des dritten Veranlagungszeitraums vor der schädlichen Anteilsübertragung denselben Geschäftsbetrieb unterhält und der Geschäftszweck unverändert geblieben ist und keine neuer Geschäftsbetrieb aufgenommen wurde.

9.96

Befindet sich die Beteiligung im Privatvermögen des Unternehmers findet auf die Veräußerung nach § 17 EStG das Teileinkünfteverfahren Anwendung (§ 3 Nr. 40 Buchst. c EStG). Wird die Beteiligung im Betriebsvermögen gehalten (Einzelunternehmen oder Mitunternehmerschaft), gilt das Teileinkünfteverfahren für den Veräußerungserlös und daneben auch für laufende Gewinnausschüttungen. Hält der Unternehmer die Beteiligung über eine andere Kapitalgesellschaft (z.B. vermögensverwaltende Holding), werden die Veräußerungsgewinne und laufende Dividendenzahlungen bei einer Mindestbeteiligung von 10 % zu 95 % von der Besteuerung freigestellt (§§ 8b Abs. 1, 2, 4 KStG). Finanzierungskosten und Schuldzinsen, die im Zusammenhang mit der Beteiligung entstehen, sind in vollem Umfang abzugsfähig.

9.97

(2) Beteiligung an einer gewerblichen Personengesellschaft Bei Personengesellschaften (s. zu den möglichen Formen Rz. 4.57 ff.) findet nach dem Transparenzprinzip zwar die Einkunftsermittlung bei dieser statt, die Besteuerung der Einkünfte aber erst auf Ebene der Gesellschafter, die in Höhe ihrer Beteiligung auch an den Vermögensgegenständen der Personengesellschaft beteiligt sind.

9.98

Bei einer gewerblichen Personengesellschaft sind die Gesellschafter als Mitunternehmer am Betriebsvermögen der Gesellschaft beteiligt. Eine Personengesellschaft ist gewerblich, wenn sie eine originäre gewerbliche Tätigkeit ausübt (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG) oder die gewerblich geprägt ist, weil bei ihr ausschließlich eine oder mehrere Kapitalgesellschaften persönlich haftende Gesellschafter sind und nur diese oder Nicht-Gesellschafter zur Geschäftsführung befugt sind (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG). Ein Gesellschafter ist Mitunternehmer, wenn er Mitunternehmerinitiative entfaltet, d.h. an gesellschaftlichen Entscheidungen teilhat, und Mitunternehmerrisiko trägt, d.h. auf wirtschaftlicher oder gesellschaftsrechtlicher Ebene am Erfolg oder Misserfolg der Gesellschaft teilnimmt.

9.99

Erfüllt eine Personengesellschaft nicht die Voraussetzungen des § 15 EStG, handelt es sich um eine rein vermögensverwaltende Gesellschaft, die steuerlich kein Betriebsvermögen besitzt, sondern an der die Gesellschafter zu Bruchteilen an den Vermögenswerten beteiligt sind. Die Einkünfte werden auf Gesellschafterebene als Privatvermögen angesehen und auch so versteuert. Da eine vermögensverwaltende Personengesellschaft kein Betriebsvermögen hat, können

9.100

1 Art. 6 Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften v. 12.12.2019, BGBl. I 2019, 2451.

Rundshagen | 657

Kap. 9 Rz. 9.100 | Vorweggenommene Erbfolge

die erbschaftsteuerlichen Privilegien für Betriebsvermögen keine Anwendung finden, da es nach § 13b Abs. 1 ErbStG an begünstigungsfähigem Vermögen fehlt.

9.101

Der Mitunternehmeranteil eines Gesellschafters bezieht sich auf seinen Anteil am Gesamthandsvermögen der Gesellschaft (s. Rz. 6.17). Daneben können Gesellschafter Sonderbetriebsvermögen I und II besitzen. Zum Sonderbetriebsvermögen gehören alle Wirtschaftsgüter, die nicht zum Gesamthandsvermögen der Personengesellschaft gehören, sondern rechtlich oder wirtschaftlich im rechtlichen oder wirtschaftlichen (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO) Eigentum eines oder mehrerer Gesellschafter stehen1. Zum Sonderbetriebsvermögen I gehören Wirtschaftsgüter, die der Personengesellschaft vom Gesellschafter zur unmittelbaren Nutzung für den Betrieb der Gesellschaft entgeltlich oder unentgeltlich überlassen werden. Zum Sonderbetriebsvermögen II gehören Wirtschaftsgüter, die unmittelbar zur Begründung oder Stärkung der Beteiligung des Gesellschafters zu dienen bestimmt sind2.

9.102

Zum Sonderbetriebsvermögen gehören z.B. Grundstücke, die der Gesellschafter an die Gesellschaft vermietet oder Darlehensforderungen bzw. Darlehensverbindlichkeiten (negatives Sonderbetriebsvermögen). Zum Sonderbetriebsvermögen II gehört z.B. die Beteiligung eines Gesellschafters an der Komplementärgesellschaft einer GmbH & Co. KG.

9.103

Die Einkünfte der Gesellschaft werden unmittelbar den Gesellschaftern zugerechnet und gelten als zugeflossen. Das Gesetz sieht eine Thesaurierungsmöglichkeit für nicht entnommene Gewinne einer Gesellschaf vor, die ihre Gewinne nach § 4 Abs. 1 Satz 1, § 5 EStG ermittelt (§ 34a EStG). Die nicht entnommenen Gewinne werden dabei zunächst mit einem Steuersatz von 28,25 % belastet. Bei einer späteren Entnahme oder Überführung eines Wirtschaftsguts nach § 6 Abs. 5 Satz 1 bis 3 (§ 34a Abs. 6 EStG) sind die nicht entnommenen Gewinne mit 25 % nachzuversteuern.

9.104

Die Gewerbesteuer ist nicht als Betriebsausgabe bei der Einkommensteuer abziehbar. Bei den einzelnen Gesellschaftern kann aber nach § 35 EStG eine Ermäßigung der tariflichen Einkommensteuer vorgenommen werden, soweit diese auf die im zu versteuernden Einkommen enthaltenen gewerblichen Einkünfte entfällt. Dieser Ermäßigungshöchstbetrag ist auf das 3,8-fache des im Erhebungszeitraum festgesetzten anteiligen Gewerbesteuer-Messbetrag beschränkt, der sich nach dem allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel (ohne Berücksichtigung von Vorabgewinnen) bestimmt.

9.105

Wird ein Mitunternehmeranteil oder ein Gewerbebetrieb oder Teilbetrieb (Einzelunternehmen) veräußert, wird der Veräußerungsgewinn als gewerbliche Einkünfte nach § 16 EStG versteuert. Eine Versteuerung nach § 16 EStG ermöglicht eine privilegierte Versteuerung als außerordentliche Einkünfte i.S.d. § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG. Auf den Veräußerungsgewinn findet dann ein begünstigter Einkommensteuersatz Anwendung, der sich aus dem Fünffachen des Unterschiedsbetrags zwischen der Einkommensteuer für das um diese Einkünfte verminderte zu verteuernde Einkommen und der Einkommensteuer für dieses Einkommen zzgl. eines Fünftels dieser Einkünfte ergibt (sog. Fünftelregelung, § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG). § 16 EStG setzt allerdings voraus, dass der Mitunternehmer seinen gesamten Anteil an der Personengesellschaft veräußert (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG). Bei der Veräußerung nur eines Teils eines Mit-

1 Bode in Blümich, § 15 EStG Rz. 458–463. 2 BFH v. 23.7.1975 – I R 201/73, BStBl. II 76, 180; BFH v. 7.7.1992 – VIII R 2/87, BStBl. II 1993, 328; BFH v. 10.11.1994 – IV R 15/93, BStBl. II 1995, 452; BFH v. 1.2.2001 – IV R 3/00, BStBl. II 2001, 520; BFH v. 18.12.2001 – VIII R 27/00, BStBl. II 2002, 733.

658 | Rundshagen

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 9.109 Kap. 9

unternehmeranteils unterliegen die Veräußerungsgewinne dagegen der laufenden Besteuerung nach § 15 EStG. Zur Inanspruchnahme der Begünstigung genügt daneben, dass neben dem anteiligen Gesamthandsvermögen das Sonderbetriebsvermögen übertragen wird, das eine funktional wesentliche Betriebsgrundlage für die Personengesellschaft darstellt1. Werden daher wesentliche Wirtschaftsgüter des Sonderbetriebsvermögens zurückbehalten und in das Privatvermögen des Gesellschafters überführt, scheidet eine begünstigte Übertragung des Mitunternehmeranteils grundsätzlich aus. Allerdings könnte eine begünstigte Betriebsaufgabe in Betracht kommen. Nach der Rechtsprechung des BFH setzt eine begünstigte Anteilsübertragung nach § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG nur die Übertragung des gesamten Betriebsvermögens voraus, das im Zeitpunkt der Übertragung auch existiert2. Dem hat sich nun auch das BMF angeschlossen3. Wirtschaftsgüter des Sonderbetriebsvermögens, die zuvor entnommen oder veräußert worden sind, sind nicht mehr Bestandteil des Mitunternehmeranteils. Danach steht es der Buchwertübertragung des verbliebenen Mitunternehmeranteils nicht entgegen, wenn eine im Sonderbetriebsvermögen gehaltene wesentliche Betriebsgrundlage vor der Anteilsübertragung unter Aufdeckung der stillen Reserven aus dem Sonderbetriebsvermögen ausgeschieden ist. Die vorherige Entnahme oder Veräußerung wesentlicher Betriebsgrundlagen ist demnach unschädlich4. Das FG Düsseldorf hat in einem aktuellen Urteil entschieden, dass sogar die zeitgleiche Veräußerung von Sonderbetriebsvermögen unschädlich sei5.

9.106

Bei der Veräußerung eines Mitunternehmeranteils wird auf Antrag ein Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG gewährt, wenn der Veräußerungsgewinn 45.000 Euro übersteigt und der Steuerpflichtige das 55. Lebensjahr vollendet hat oder dauernd berufsunfähig im sozialversicherungsrechtlichen Sinn ist. Dabei ermäßigt sich der Freibetrag um den Betrag, um den der Veräußerungsgewinn 136.000 Euro übersteigt. Faktisch kann der Freibetrag nur bei einem Veräußerungsgewinn bis zu 181.000 Euro in Anspruch genommen werden. Der Freibetrag kann nur einmal im Leben eines Steuerpflichtigen in Anspruch genommen werden.

9.107

Im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge wird die Übertragung eines Mitunternehmeranteils bzw. eines Mitunternehmerteilanteils i.S.d. § 15 EStG häufig unentgeltlich erfolgen. Der Unentgeltlichkeit steht dabei der anteilige Übergang von Verbindlichkeiten bei der Übertragung des Mitunternehmeranteils grundsätzlich nicht entgegen. Bei der Übertragung eines Mitunternehmeranteils tritt der Erwerber an die Stelle des Übertragenden und wird Mitunternehmer (s. Rz. 6.12).

9.108

Nach § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG kann eine Übertragung zu Buchwerten, d.h. ohne Aufdeckung stiller Reserven erfolgen, wenn die wesentlichen Wirtschaftsgüter übertragen werden. Allerdings steht es der Buchwertfortführung nicht entgegen, wenn der übertragende Mitunternehmer Wirtschaftsgüter, die weiterhin zum Betriebsvermögen derselben Mitunternehmerschaft gehören, nicht mit überträgt (§ 6 Abs. 3 Satz 2 EStG). In diesem Fall wird allerdings eine fünfjährige Behaltensfrist ausgelöst. Der Rechtsnachfolger darf daher den übernommenen Mit-

9.109

1 2 3 4

BFH v. 19.3.1991 – VIII R 76/87, BStBl. II 1991, 635 m.w.N. BFH v. 9.12.2014 – IV R 29/14, DStR 2015, 211. BMF v. 20.11.2019 – IV C 6 - S 2241/15/10003, BStBl. I 2019, 1291. BFH v. 2.8.2012 – IV R 41/11, BFH/NV 2012, 2053 = BFHE 238, 135; BFH v. 9.12.2014 – IV R 29/14BFH/NV 2015, 415 = BFHE 247, 449. 5 FG Düsseldorf v. 19.4.2018 – 15 K 1187/17 F, NZG 2018, 874, n.rkr. (Revision anhängig Az.: IV R 14/18).

Rundshagen | 659

Kap. 9 Rz. 9.109 | Vorweggenommene Erbfolge

unternehmeranteil für mindestens fünf Jahre nicht aufgeben oder veräußern. Ansonsten kommt es nachträglich beim Übergeber zur Aufdeckung und Versteuerung stiller Reserven als laufender Gewinn, der auch der Gewerbesteuer unterliegt1. Beim Erwerber entstehen dagegen Anschaffungskosten. Schädliche Veräußerungen in diesem Zusammenhang stellen auch die offene und verdeckte Einlage in eine Kapitalgesellschaft und Umwandlungen (nicht zum Buchwert) dar. Eine unentgeltliche Weiterübertragung durch den Beschenkten ist unschädlich. Die Behaltensfrist geht in diesem Fall jedoch auf den Rechtsnachfolger über. Dem Rechtsnachfolger ist die Behaltedauer des Übertragenden anzurechnen2.

9.110

Im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolge soll der Übertragende (Schenker) möglichst nicht dem Risiko einer solchen Nachversteuerung und Eingreifen der Fünfjahresfrist ausgesetzt werden. Daher muss bei der Übertragung darauf geachtet werden, dass möglichst der gesamte Mitunternehmeranteil übertragen wird. Daneben sollte im Schenkungs- und Übertragungsvertrag flankierend eine Regelung aufgenommen werden, dass eine Übertragung des Anteils durch den Erwerber nur mit seiner Zustimmung erfolgen kann und dass sich der Erwerber zur Übernahme einer etwaigen Ertragsteuerbelastung verpflichtet. dd) Steuerliche Fallstricke bei der Übertragung von Unternehmen und Gesellschaftsanteilen

9.111

Im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge kann es zudem zu nicht gewollten einkommensteuerlichen Belastungen kommen. Geht z.B. Sonderbetriebsvermögen durch die vorweggenommene Erbfolge auf Nichtmitunternehmer über, findet eine Gewinnrealisierung statt (s. Rz. 6.17). Dies kann im Rahmen einer disquotalen Übertragung von Mitunternehmeranteilen oder Betrieben und Sonderbetriebsvermögen erfolgen oder auch bei Verstoß des Empfängers gegen die fünfjährige Haltefrist (§ 6 Abs. 3 Satz 2 EStG) oder Entnahmetatbeständen. Aus diesem Grund sollte in dem Schenkungs- und Übertragungsvertrag stets aus Vorsichtsgründen eine Steuerklausel aufgenommen werden, die die Folgen bei Nichteinhaltung der Haltefrist oder einer Belastung mit Ertragsteuern regelt und ggf. für diesen Fall eine Widerrufsoder Rücktrittsmöglichkeit des Schenkers vorsieht.

9.112

Bei einer unentgeltlichen Übertragung von Personengesellschaftsanteilen an Abkömmlinge im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge muss daher stets beachtet werden, dass die Erwerber auch Mitunternehmer im ertragsteuerlichen Sinne sind. Dies ist zudem für die erbschaftsteuerlichen Privilegierungstatbestände (§§ 13a, 13b ErbStG) von Bedeutung. Im Einzelfall kann es daher in Hinblick auf die Mitunternehmerstellung der Erwerber problematisch sein, wenn sich der Übertragende, der z.B. noch einen sehr geringen Anteil der Beteiligung zurückbehält, sich wesentliche Verwaltungs- und Stimmrechte im Gesellschaftsvertrag vorbehält.

9.113

Zu ungewünschten ertragsteuerlichen Folgen kann es auch kommen, wenn bei einer bestehenden Betriebsaufspaltung im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge die erforderliche personelle und sachliche Verflechtung getrennt wird. Dann werden die stillen Reserven in

1 BFH v. 14.12.2006 – IV R 3/05, BStBl. II 2007, 777; Nichtanwendungserlass der Finanzverwaltung, vgl. BMF v. 12.9.2013, BStBl. I 2013, 1164; BFH v. 10.4.2013 – I R 80/12, Vorlagebeschluss an das BVerfG (Az.: 2 BvL 8/13). 2 BMF v. 3.3.2005 – IV B 2 - S 2241-14/05, BStBl. I 2005, 458 Rz. 14.

660 | Rundshagen

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 9.120 Kap. 9

den überlassenen Betriebsmitteln und dem Anteil an der operativen, gewerblich tätigen Kapitalgesellschaft steuerpflichtig realisiert. So muss im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge sichergestellt werden, dass durch die Änderung der Stimmverteilung infolge der Übertragung nicht die personelle Verflechtung entfällt. Bei einer personenidentischen Betriebsaufspaltung ist es unproblematisch, wenn die Nachfolger in gleichem Umfang an dem Besitz- wie an dem Betriebsunternehmen beteiligt werden.

9.114

Überträgt der Inhaber einen Anteil an dem Betriebs- oder Besitzunternehmen, ist daher zwingend darauf zu achten, dass der Inhaber bzw. sein Nachfolger selbst oder gemeinsam mit einer Personengruppe beide Gesellschaften beherrschen kann. Die Betriebsaufspaltung ist beendet, wenn der Inhaber seine Stimmenmehrheit auch nur in einer Einheit, nämlich des Unternehmens oder der Besitzgesellschaft verliert.

9.115

Daneben wird die Gewährung von Versorgungsleistungen und sonstigen Gegenleistungen bei der Übertragung von Betriebsvermögen auf Nachfolger von der Finanzverwaltung als steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn behandelt.

9.116

b) Schenkungsteuer Die vorweggenommene Erbfolge kann ein geeignetes Instrument für eine gelungene Erbfolgeplanung auch aus steuerlicher Sicht darstellen. Die anfallende Erbschaftsteuer stellt eine Nettobelastung aus bereits versteuertem Einkommen dar. Bei Familienunternehmen wird sich die Frage stellen, ob ggf. genügend liquide Mittel vorhanden sind, um die Belastung mit Erbschaftsteuer zu finanzieren. In diesem Zusammenhang kann es sinnvoll sein, im Wege der vorweggenommenen Erbfolge durch Ausnutzung der erbschaftsteuerlichen Freibeträge bereits zu Lebzeiten Vermögen auf die Nachfolgegeneration zu übertragen. Im Rahmen der gesetzlichen Freibeträge kann Vermögen alle 10 Jahre steuerbefreit übertragen und Wertsteigerungen bereits bei der Nachfolgegeneration realisiert werden. Allerdings sind Schenkungen und erbrechtliche Zuwendungen innerhalb von 10 Jahren zusammenzurechnen.

9.117

Soweit die Übertragung von Vermögen nicht entgeltlich erfolgt, wird Unternehmensvermögen der Erbschaftsteuer als Erwerb von Todes wegen oder freigiebige Zuwendung besteuert (s. Rz. 6.188). Für begünstigungsfähiges Betriebsvermögen i.S.v. § 13b Abs. 1 ErbStG ist insoweit wie darin begünstigtes Vermögen vorhanden, unter weiteren Voraussetzungen ein Bewertungsabschlag von 85 % nach § 13a Abs. 1 Satz 1 ErbStG bzw. 100 % nach § 13a Abs. 10 ErbStG möglich, wenn der Wert des begünstigten Vermögens pro Erwerber einen Betrag von 26 Mio. Euro nicht überschreitet. Nicht begünstigtes Vermögen unterliegt indes auch in diesen Fällen der Regelbesteuerung, soweit es einen Bagatellbetrag von 5 % des begünstigten Vermögens übersteigt.

9.118

Bei der zum 1.7.2016 in Kraft getretenen Erbschaftsteuerreform ist zu beachten, dass es für Betriebsvermögen keine Befreiung geben kann, wenn der sog. 90 %-Test nicht eingehalten wird (§ 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG). Dadurch soll solches begünstigungsfähige Betriebsvermögen aus der Verschonung vollständig ausgenommen werden, das nahezu ausschließlich aus Verwaltungsvermögen besteht. Danach ist der gesamte Betrieb nicht begünstigungsfähig.

9.119

Nach der gesetzlichen Neuregelung gibt es zusätzliche Hürden für sog. Großerwerbe (> 26 Mio. Euro). Für darüber hinaus gehende Erwerbe stehen reduzierte Abschläge (Abschmelzungsmodell) sowie die individuelle Verschonungsbedarfsprüfung beim Begünstigten (§ 28a

9.120

Rundshagen | 661

Kap. 9 Rz. 9.120 | Vorweggenommene Erbfolge

ErbStG) offen. Für Großerwerbe kann es deshalb sinnvoll sein, Privatvermögen und Betriebsvermögen zu trennen und ggf. nicht begünstigtes Betriebsvermögen in Privatvermögen zu überführen.

9.121

In Hinblick auf eine vorweggenommene Erbfolge ist zudem zu beachten, dass eine Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft grundsätzlich nur dann begünstigungsfähig ist, wenn die Beteiligungsquote über 25 % beträgt (§ 13b Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 ErbStG). Gegebenenfalls muss daher vor der Übertragung an den Abschluss eines langfristigen Poolvertrages gedacht werden. Zudem ist mit ausreichendem zeitlichen Vorlauf vor einer Schenkung die Struktur des Verwaltungsvermögens im Unternehmen zu planen. Die Einlage von Wirtschaftsgütern in Unternehmen und Weitereinlage in Tochtergesellschaften in Unternehmensgruppe kann die Quote von steuerlich schädlichem jungem Verwaltungsvermögen nach § 13b Abs. 7 Satz 2 ErbStG erhöhen, das, soweit es sich um Finanzmittel handelt, nach § 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 2 ErbStG nicht mit Verbindlichkeiten zu verrechnen ist und im Übrigen grundsätzlich der vollen Besteuerung unterliegt. Da für die Betrachtung ein Zwei-Jahres-Zeitraum maßgeblich ist, kann es zur Doppelerfassung von Verwaltungsvermögen in der Verbundvermögensaufstellung kommen.

9.122

Nach Erwerb ist für die dauerhafte Absicherung der erbschaftsteuerlichen Begünstigung die besonderen zeitlich nachlaufenden Voraussetzungen der Begünstigung zu beachten. Die Lohnsummenerfordernisse und das Verbot der Veräußerung des erworbenen Vermögens im Behaltenszeitraum erfordern insoweit besondere Nachweispflichten auch für das Unternehmen selbst. Besondere Probleme in der Praxis bereiten dabei häufig die Ersatztatbestände der schädlichen Veräußerung der Beteiligung, nämlich zum einen die Überentnahme und das Verbot des übertragenen Unternehmens wesentliche Betriebsgrundlagen zu veräußern. Diese Frage führt bei Unternehmen und Gesellschaftern in der Praxis mangels klarer Position der Finanzverwaltung zu erheblicher Verunsicherung. c) Umsatz- und Grunderwerbsteuer

9.123

Während bei der Übertragung von Anteilen an Personen- und Kapitalgesellschaften wegen der Steuerbefreiung von § 4 Nr. 8 f. UStG eine Belastung von Übertragungsvorgängen mit Umsatzsteuer weitgehend ausgeschlossen ist (s. Rz. 6.342), hat die Grunderwerbsteuer eine erhebliche wirtschaftliche Relevanz (s. Rz. 6.319). Allerdings ist für Übertragungen im Familienkreis eine recht weit gehende Steuerbefreiungsregelung in § 3 Nr. 2–7 GrEStG enthalten, von denen einige sowohl entgeltliche als auch unentgeltliche Vorgänge an Immobilien und bestimmten Anteilen an Immobiliengesellschaften betrifft. d) Grundsätze der Unternehmensbewertung

9.124

Für steuerliche Zwecke ist die maßgebliche Bewertung von Unternehmen nun einheitlich in § 11 BewG geregelt. Die Vorschrift bestimmt, wie der gemeine Wert eines Anteils an einem Unternehmen zu ermitteln ist, gleich welche Rechtsform dieses hat (s. Rz. 7.53). Die Verweiskette aus § 12 Abs. 5 ErbStG für Einzelunternehmen und Personengesellschaften auf § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BewG und § 11 BewG. Aus § 12 Abs. 2 ErbStG erfolgt der Verweis für Kapitalgesellschaften auf § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BewG und § 11 BewG.

9.125

Nach § 11 Abs. 2 BewG ist vorrangig zu ermitteln, ob ein Verkauf zu Drittvergleichsbedingungen innerhalb des letzten Jahres vor dem Schenkungsstichtag oder dem Erbfall stattgefunden hat. Für diesen Fall ist der Wert zwingend anzusetzen. Diese Norm kann von den Betei662 | Rundshagen

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 9.130 Kap. 9

ligten durch Anteilsübertragung auch aktiv genutzt werden, um eine entsprechende Wertsicherheit zu bekommen. Die Finanzverwaltung kann und darf dann nur noch prüfen, ob tatsächlich eine Dritttransaktion vorliegt, die eine entsprechende Relevanz hat. Nur wenn ein Drittvergleichswert nicht vorhanden ist, stellt sich die Frage der eigenständigen Bewertung der zu übertragenden Einheit. Das Gesetz lässt dazu eine am Ertragswert orientierte Methode oder auch alternative branchenübliche Bewertungen zu (s. Rz. 7.136). Die sich danach ergebenden Werte sind jedenfalls mit dem steuerlichen Substanzwert zu vergleichen, wobei der höhere Wert für die Bewertung zählt. Die kaufmännischen Bewertungsmethoden orientieren sich sämtlich an den Ertragserwartungen, also der Zukunftsperspektive. Alternativ steht es dem Steuerpflichtigen auch frei, das vereinfachte Ertragswertverfahren nach §§ 199 ff. BewG anzuwenden. Dieses baut auf den steuerlichen Ergebnissen der letzten drei Veranlagungszeiträume auf. Diese werden um Sondereffekte und Steuerzahlungen neutralisiert und erhalten einen Pauschalsteuerabzug von 30 %. Sodann wird ein starrer, gesetzlicher Faktor von 13,75 angewendet. Die Vorteilhaftigkeit bei der Wahl der Bewertungsmethode hängt damit ganz wesentlich von der zu erwartenden Ertragslage des Unternehmens ab. Steigt diese vermutlich spürbar an, so ist die Bewertung mit Vergangenheitsdaten nach dem vereinfachten Bewertungsverfahren gem. § 199 BewG vorzugswürdig. Bei Unternehmen in einer Umbruchsituation mit historisch guten Ergebnissen und einem aktuellen Rückgang der Ertragskraft sind besser mit einer Unternehmensbewertung z.B. nach dem Standard IdW S-1 bedient, der regelmäßig als Grundlage für die ertragswertorientierte Wertermittlung heranzuziehen ist.

9.126

5. Zusammenführung von Unternehmensvermögen a) Anforderungen an die neue Struktur Vor der Übertragung stellt sich für den Vermögensinhaber die Frage, wie sein in der Art und Struktur historisch gewachsenes Unternehmensvermögen in Form von Anteilen an Kapitalund Personengesellschaften sowie sonstiges betrieblich genutztes Vermögen rechtlich und steuerlich so (neu) geordnet werden kann, dass seine individuellen Ziele der Übertragung erreicht werden können. Nicht selten erfordert das eine Bündelung von bestehenden, komplexen Rechtsbeziehungen, auch mit dem Ziel einer organisatorischen und rechtlichen Vereinfachung.

9.127

Die Neuordnung der bestehenden rechtlichen Einheiten hat dabei eine Vielzahl möglicher Anforderungen zu erfüllen. Für die Ziele im Zusammenhang der Unternehmensübertragung lassen sich regelmäßig vier Themenkreise identifizieren, denen die allermeisten Fragestellungen zugeordnet werden können:

9.128

(i) Erhalt des Unternehmens

9.129

Zunächst geht es in den meisten Fällen natürlich darum, das Unternehmen in einer stabilen Form auch in der Folgegeneration zu erhalten und die strukturellen Voraussetzungen für einen zukünftigen Erfolg am Markt zu schaffen;

9.130

(ii) Rolle der Familie bei der Unternehmensführung Bei der Herstellung einer neuen rechtlichen Struktur ist zu entscheiden, welche Rollen und Aufgaben die jeweils die einzelnen Familienangehörige wahrnehmen sollen und können, einschließlich einer Entscheidung darüber in welcher Form wirtschaftliche Angelegenheiten gemeinsam entschieden werden;

Rundshagen | 663

Kap. 9 Rz. 9.131 | Vorweggenommene Erbfolge

9.131

(iii) Angemessene Beteiligung von Angehörigen Viele Unternehmensinhaber streben – nicht nur aus Gründen bestehender Pflichtteilsverpflichtungen – sondern insbesondere auch zum Zwecke der Sicherung oder Herstellung eines Bedürfnisses gerechter Berücksichtigung innerhalb der Familie eine Vermögensübertragung an eine Mehrzahl von Angehörigen und nahe stehenden Personen an. Häufig stellt sich dabei eine einseitige, auf das Unternehmen ausgerichtete Vermögensstruktur als Hindernis dar. In diese Themengruppe gehört auch die Frage der langfristigen und angemessenen Absicherung der Schenker-Generation und ggf. weiterer Personen;

9.132

(iv) Übertragung und Zielstruktur Nachdem die Optionen zu den drei vorstehenden Themenkreisen wirtschaftlich und unter Berücksichtigung von Familienaspekten identifiziert worden sind, kann ermittelt werden, welche rechtlichen Schritte zur Zielerreichung geeignet wären und welche Maßnahmen erforderlich sind, um eine umfassende ertrag- und schenkungssteuerlich optimierte Gestaltung der Unternehmensnachfolge zu ermöglichen. Nicht selten erfordert das auch eine Abwägung zwischen rechtlichen und steuerlichen Vorgaben einerseits und den angestrebten wirtschaftlichen Zielen.

9.133

In vielen Fällen dürfte es sich nach einer solchen ersten Analyse als notwendig herausstellen, betriebliche Einheiten und Vermögensgegenstände unter funktionalen Aspekten zusammen zu fassen. Dazu lassen sich in der Praxis typische und bewährte Lösungsansätze erkennen. b) Bündelung des Vermögens durch Einbringung in Obergesellschaft

9.134

Obergesellschaften können dazu dienen, um entweder Teile der betrieblichen Aktivitäten gegenständlich zu separieren und zu strukturieren oder sämtliche vorhandenen Aktivitäten unter einer rechtlichen Einheit zusammen zu führen. Das kann vor allem für begünstigungsfähige betriebliche Einheiten vorzugswürdig sein, da für schenkungs- und Erbschaftsteuerzwecke alle einheitlich übertragenen Betriebseinheiten zusammen betrachtet werden1.

9.135

(i) Mehrere Obergesellschaften Bei Unternehmern mit mehreren unterschiedlichen Aktivitäten besteht die Möglichkeit, alle Aktivitäten einer bestimmten Art oder Gruppe zusammen zu fassen und diese dann jeweils anderen Personen zu übertragen, die weitgehend alleine oder mit Mehrheit entscheiden können. Auf diese Weise werden die wirtschaftlichen Interessen der Vermögensübernehmer weitgehend getrennt gehalten bzw. entflochten, was geeignet sein kann, um Konflikte über die Führung der jeweiligen unternehmerischen Einheit zu vermeiden. Es setzt jedoch voraus, dass alle Erwerber des Vermögens auch über ausreichende Kompetenz verfügen, jeweils Unternehmenseinheiten wirtschaftlich erfolgreich zu führen bzw. als Gesellschafter zu begleiten und kontrollieren. Beispiel:

9.136

U hat ist an mehreren Unternehmen im Bereich Technische Dienstleistungen und Produktion beteiligt. Er hält jeweils drei separaten Beteiligungen in unterschiedlicher Höhe. Er möchte den Bereich Produktion seiner Tochter sukzessive übertragen und die technischen Dienstleistungen entsprechend auf seinen Sohn.

1 R E 13a.1 Abs. 2 Satz 5, 13a.6 Satz 1, 13a.21 Abs. 4 Satz 1 ErbStR 2019.

664 | Rundshagen

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 9.141 Kap. 9 Hier bietet es sich an, dass U zunächst für beide Bereiche jeweils eine Holding schafft und die Beteiligungen dort steuerneutral in Abhängigkeit von der Rechtsform nach § 20 mit einer Kapitalgesellschaft als Holding oder § 24 UmwStG für eine Holding als Mitunternehmerschaft einbringt. Sodann kann er seine Kinder mit gestufter Beteiligungshöhe mit Schenkungen innerhalb von jeweils 10 Jahren unter Anwendung der Wertabschläge nach §§ 13a, 13b ErbStG optimaler Ausnutzung von Schenkungssteuerfreibeträgen von jeweils 400.000 Euro nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG beteiligen, ohne die Kontrolle über den jeweiligen Unternehmensbereich sofort aus der Hand zu geben. Bei erheblichen Wertunterschieden kann auch über Minderheitsbeteiligung eines Kindes an der anderen Holdinggesellschaft ein Spitzenausgleich geschaffen werden.

9.137

(ii) Einheitliche Obergesellschaft Andererseits besteht die Möglichkeit, sämtliche im Alleinbesitz befindliche unternehmerische Aktivitäten in einer rechtlichen Einheit zu bündeln und sodann zu übertrage Das bietet sich an, wenn nur eine nachfolgeberechtigte Person für die Übertragung vorhanden ist. Beispiel: U hat ein Handelsunternehmen in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG, das in einer dem U gehörenden Immobilie tätig ist. Außerdem hat er einen Anteil an einer Produktions-GmbH i.H.v. 60 %. Er beabsichtigt, alles im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolge in mehreren Schritten auf seine Tochter T zu übertragen. Weitere Kinder sind nicht vorhanden.

9.138

U etabliert zunächst eine Familienholding in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG. Auf diese überträgt er zunächst das Betriebsgrundstück und sodann die Mitunternehmeranteile an dem Handelsunternehmen. Außerdem legt er die Anteile an der GmbH in die neue Familien-Holding KG ein, ohne im Gegenzug hierfür seine Beteiligung an der Holding zu erhöhen. Sodann kann er in den von ihm gewünschten Abschnitten die Anteile an der Holding auf seine Tochter übertragen. Ohne eine solche Holding wäre er gezwungen, einzeln einen Miteigentumsanteil an der Immobile zu übertragen, den GmbH-Anteil aufzuspalten sowie zusätzlich einen Anteil an dem Handelsunternehmen zu verschenken. Zudem lässt die Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrages umfassende Abstimmungsregelungen zu, die die individuellen Ziele und Bedürfnisse der Familienmitglieder austarieren.

Die Zusammenführung des Betriebsvermögens unter einer Holding ist allerdings auch eine geeignete Option, wenn mehrere Erwerber für das betriebliche Vermögen vorgesehen sind. In Abhängigkeit von den Zielen der Übertragung kann die Struktur so gewählt werden, dass die Begünstigten mit grundsätzlich gleichen Rechten an der Einheit beteiligt werden und eine ggf. gewünschte Differenzierung sich nur ihn der Höhe der Beteiligung ausdrückt. Das kann sich insbesondere dann anbieten, wenn in Hinblick auf die 26 Mio. Euro-Schwelle für Einzelübertragungen nach § 13a Abs. 1 ErbStG eine frühe Beteiligung von Kindern gewünscht und erforderlich ist. Auch hilft es, nicht begünstigtes Vermögen nach § 13b Abs. 4 ErbStG und Privatvermögen zu separieren und an andere Angehörige zu übertragen, die nicht an dem Unternehmen beteiligt werden.

9.139

Beispiel: Der U hat die Kinder T und S. Er hat sein betriebliches Vermögen in einer GmbH & Co. KG gebündelt, deren Verkehrswert 5 Mio. Euro beträgt. Daneben hat er nennenswertes Privatvermögen u.a. drei Zinshäuser mit einem Wert von jeweils 1 Mio. Euro. Im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge schenkt er T einen Anteil von 40 % an der Personengesellschaft während S nur 20 % erhält. U beabsichtigt, T nach einer Übergangszeit die Führung des Unternehmens zu überlassen. Zum wirtschaftlichen Ausgleich wird S jedoch mit einem Zinshaus bedacht.

9.140

Eine solche Lösung setzt jedoch neben der Schaffung einer geeigneten rechtlichen Struktur ein klares, in der Familie abgestimmtes Verständnis voraus, wer welche Aufgaben überneh-

9.141

Rundshagen | 665

Kap. 9 Rz. 9.141 | Vorweggenommene Erbfolge

men und Rollen einnehmen soll. Gelingt das nicht, können auch geringe Beteiligungen an Unternehmen für Begünstigte, denen keine besondere Verantwortung in der Kontrolle oder Führung des Unternehmens zugewiesen wird, für erhebliche Konflikte sorgen. Die Stärkung des Nachfolgers, der die Geschäfte führen soll, kann etwa durch einen höheren Anteil aber auch mittels eines Mehrstimmrechts zu Lasten anderer Nachfolger erreicht werden. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass im Fall von Mitunternehmeranteilen jeder Nachfolger in ausreichendem Umfang Mitunternehmerinitiative haben muss1. Andernfalls sind die erbschaftssteuerlichen Wertabschläge für begünstigungsfähiges Betriebsvermögen nicht nutzbar, wenn die ertragsteuerlichen Anforderungen nicht erfüllt werden.

9.142

Bei großen Vermögen wird zunehmend häufiger auch die Übertragung von betrieblichen Einheiten auf eine Familienstiftung erwogen, mit dem Ziel über die Verschonungsbedarfsprüfung nach § 28a ErbStG die aktuellen Erbschaftsteuerrisiken zu reduzieren2. Dem steht natürlich die steuerliche Problematik der Erbersatzsteuer nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG alle 30 Jahre gegenüber sowie die Herausforderung einer durch Ablösung von natürlichen Personen als Gesellschaftern eine grundlegende Veränderung der Führungsstruktur des Unternehmens.

9.143

Aus steuerlicher Sicht kann die Bündelung von Vermögen in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft auch deshalb angestrebt werden, weil so indirekt auch betriebliches Vermögen außerhalb Deutschlands und der EU in Drittländern begünstigt übertragen werden kann. Denn das betriebliche Vermögen von Kapitalgesellschaften mit Sitz oder Geschäftsleitung im Inland nach § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG ist nämlich unabhängig von der Belegenheit vollständig begünstigt, soweit es nicht Verwaltungsvermögen nach der allgemeinen Regelung des § 13b Abs. 2 ErbStG darstellt. In der Konsequenz ist damit auch das so gebündelte Drittlandsvermögen Bestandteil der Verbundvermögensaufstellung und beeinflusst die Verwaltungsvermögensquote sowohl für die Zugangshürde der Regelverschonung von 85 % des 90 % Tests nach § 13b Abs. 2 ErbStG als auch die Möglichkeit der Optionsverschonung von bis zu 100 % mit einem 20 %-Test des § 13a Abs. 10 ErbStG. Die Wirkung kann dadurch im Einzelfall positiv wie auch negativ ausfallen. Wer dagegen mit in- und ausländischen Personengesellschaften, die im Rechtstypenvergleich aus deutscher steuerlicher Sicht als Mitunternehmerschaften nach § 15 EStG zu qualifizieren sind, unternehmerische Aktivitäten bündelt, scheidet das Drittlandsvermögen aus der Begünstigung von Betriebsvermögen nach § 13b Abs. 1 Nr. 1 und 2 ErbStG vollständig aus. Denn außerhalb der EU liegende Vermögen sollen in dieser Struktur als nicht begünstigungsfähiges Vermögen vom Begünstigungskonzept vollständig ausgeschlossen werden. Dieses unterliegt damit immer der Besteuerung zum vollen Verkehrswert. Das darin enthaltene Verwaltungsvermögen i.S.v. § 13b Abs. 2 ErbStG wirkt sich allerdings in der Verbundvermögensaufstellung des § 13b Abs. 6 ErbStG auch nicht nachteilig aus. c) Geeignete Rechtsformen

9.144

Als Grundtypen für eine Bündelung von unternehmerischen Aktivitäten in einer privaten Holding kommen aus steuerlichen aber auch aus rechtlichen und allgemeinen Überlegungen zur Governance je nach Ausgangslage und Gestaltungsziel Personengesellschaften als steuerliche Mitunternehmerschaft i.S.v. § 15 EStG oder Kapitalgesellschaften, insbesondere die GmbH, in Betracht (s. Rz. 4.1). Allgemein gültige Aussagen sind über die Vorteilhaft sind für

1 R E 13b.5 Abs. 3 ErbStR 2019. 2 Teuffel-Wehrhan, ZEV 2017, 17.

666 | Rundshagen

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 9.147 Kap. 9

diese Abwägung nicht möglich. In der Praxis kommen deshalb beide Gestaltungsformen vor. In einigen Fällen werden auch AG’s und SE’s gewählt. Jedenfalls die AG eignet sich jedoch nicht als Familienunternehmen nach § 13a Abs. 9 ErbStG1. Auch eine Kombination aus beiden Rechtsformen mit einer Oberpersonengesellschaft und Tochterkapitalgesellschaften ist eine recht häufig gewählte Variante. Im Einzelfall, bei größeren Familienvermögen, kann auch die Rechtsform der KGaA sinnvoll, die zivil- und steuerrechtlich Elemente aus beiden Grundtypen verbindet, jedoch in der Ausgestaltung und Steuerung anspruchsvoll ist. Die Wahl der konkreten Rechtsform bzw. Struktur orientiert sich in der Steuerplanung an rechtlichen, steuerlichen und anderen wirtschaftlichen Anforderungen:

9.145

(i) Rechtliche Aspekte:

9.146

Während bei der GbR und der offenen Handelsgesellschaft eine unbeschränkte Haftung der Gesellschafter besondere Vorkehrungen gegen Risiken aus einer Inanspruchnahme durch Dritte erfordern, bietet die GmbH & Co. KG bei entsprechender Ausgestaltung und Beachtung der Entnahmeregeln einen guten Schutz vor über das Investment hinaus gehende Verantwortlichkeit (s. Rz. 4.181). Dies ist jedoch dann nicht erforderlich, wenn es darum geht in der Familie Investments und Vermögen zu bündeln, das keine oder nur sehr geringe Haftungsrisiken mit sich bringt, wie z.B. Beteiligungen an Kapitalgesellschaften, Kommanditbeteiligungen, Wertpapiere und liquide Mittel. Ein Vorzug aller Personengesellschaften ist, dass die Anteile an ihnen ohne notarielle Beurkundung übertragen werden können, was administrativ und auch kostenmäßig ein erheblicher Vorzug sein kann, auch wenn die Änderung der Beteiligungsverhältnisse an Personenhandelsgesellschaften notariell beglaubigt zum Handelsregister anzumelden ist. Aus steuerlicher Sicht sind für den Bereich der Übertragung von Unternehmen wegen der abschließenden Definition von begünstigungsfähigem Vermögen nach § 13b Abs. 1 ErbStG und der Rechtsprechung des BFH nach der eine Begünstigung nur dann gewährt wird, wenn unmittelbar begünstigungsfähiges betriebliches Vermögen übertragen wird, eignet sich eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts nur dann als Familienholding, wenn diese wegen gewerblicher Einkünfte nach § 15 EStG sich als eine Mitunternehmerschaft qualifiziert.

9.147

(ii) Steuerliche Wirkungsweise Zunächst kommen für die Bündelung unternehmerischer Aktivitäten nur Rechtsträger in Betracht, die nach § 13b Abs. 1 ErbStG eine begünstigte schenkweise Übertragung zulassen (s. Rz. 6.228). Damit eignen sich nur inländische bzw. in der EU befindliche Personengesellschaften, die sich nach § 15 EStG als Mitunternehmerschaft qualifizieren und Kapitalgesellschaften mit Sitz oder Geschäftsleitung im Inland bzw. der EU. Zudem sollte im Hinblick auf den Begünstigungsumfang des § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG das eigene Betriebsvermögen einer Mitunternehmerschaft in der EU belegen sein. Nicht begünstigt sind ebenfalls qualifizierte Beteiligungen von über 25 % an Kapitalgesellschaften, deren Ort und Geschäftsleitung sich in Drittstaaten befinden selbst dann, wenn die Anteile an diesen einer an sich begünstigungsfähigen Mitunternehmerschaft gehören. Hier wäre es erforderlich, eine in der EU befindliche Holding-Kapitalgesellschaft vorzuschalten, mit der Konsequenz, dass dann diese und sämtliche – auch in Drittstaaten befindliche – Beteiligungen nach § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG grundsätzlich erbschaft- und schenkungssteuerlich begünstigungsfähig sind. Nicht begünstigt ist nach § 13b Abs. 1 ErbStG Gesamthandsvermögen von vermögensverwaltenden Gesellschaf-

1 R E 13a.20 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 ErbStR 2019.

Rundshagen | 667

Kap. 9 Rz. 9.147 | Vorweggenommene Erbfolge

ten bürgerlichen Rechts oder auch vermögensverwaltenden KGs, die sich steuerlich nicht als Mitunternehmerschaft i.S.v. § 15 EStG qualifizieren.

9.148

Sofern Kapitalgesellschaften als Holding eingesetzt werden, ist die Mindestbeteiligungshöhe von mehr als 25 % zu beachten, um überhaupt begünstigungsfähiges Vermögen zu schaffen, das sodann in dem nach den Regeln der §§ 13a, 13b ErbStG ergebendem Begünstigungsumfang mit Wertabschlägen übertragen werden kann. Ebenso ist sicher zu stellen, dass die zu übertragenden Einheit möglichst ohne ertragsteuerliche Aufdeckung stiller Reserven erfolgt. Während dies bei nicht zu einem Betriebsvermögen gehörenden Kapitalgesellschaften nach § 17 EStG dadurch sicher gestellt werden kann, dass die Anteile daran ohne Übernahme von Verbindlichkeiten oder ein Entgelt übertragen werden, stellt die Übertragung von Mitunternehmerschaften insbesondere mit Sonderbetriebsvermögen nach § 6 Abs. 3 Sätze 1 bis 3 EStG ggf. ein etwas höheres persönliches Steuerrisiko für den Übergeber dar, da dessen Voraussetzungen für einer Übergabe zum Buchwert etwas komplexer sind. Besondere Anforderungen ergeben sich aus der aktuellen BFH-Rechtsprechung1 dabei für die Gestaltung von Übertragungen mit Nießbrauchsvorbehalt2. Jedoch ist eine klarere und damit sicherere Beurteilung für Neißbrauchsgestaltungen nun mit dem dazu ergangenen BMF-Schreiben gegeben, das die Rechtsprechung des BFH bestätigt3.

9.149

Die Beteiligung an Kapitalgesellschaften also insbesondere inländische GmbH’s, AG’s und SE’s sowie Kommanditaktien von KGaA’s dagegen schottet aus ertragsteuerlicher Sicht eine Besteuerung des laufenden Ergebnisses der Gesellschaft ab, da nur sie selbst für Ertragsteuerzwecke steuerpflichtig sind. Nur was tatsächlich als Dividende oder Zinsertrag an den Gesellschafter fließt, wird bei ihm im Regelfall auch besteuert. Das ermöglicht für die thesaurierten Gewinne eine relativ gesehen moderate Steuerbelastung aus Gewerbesteuer und der vergleichsweise niedrigen Körpersteuer mit 15 % von kombiniert ca. 28 % bis 33 %. Dem steht zum einen eine etwas höhere Gesamtsteuerlast bei Ausschüttung an die Gesellschafter gegenüber sowie die fehlende Möglichkeit, Verluste aus dem Unternehmen mit positiven Einkünften auf Ebene der Gesellschafter außerhalb einer steuerlichen Organschaft nach § 14 KStG zu verrechnen. Erbschaftsteuerlich sind Anteile an Kapitalgesellschaften mit Sitz oder Geschäftsleitung im Inland nach § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG die Übertragung von Anteilen an Kapitalgesellschaften grundsätzlich begünstigungsfähig. Allerdings gilt dies nur dann, wenn der Anteil des Übertragenden mehr als 25 % beträgt oder er durch eine Poolung der Stimmrechte verbunden mit Veräußerungsbeschränkungen zusammen mit anderen Gesellschaftern diese Schwelle überschreitet. Als Vorzug ist dagegen zu sehen, dass die Übertragung von Kapitalgesellschaftsanteilen auch die Begünstigung von betrieblichem Drittlandsvermögen ermöglicht.

9.150

Anders als bei Kapitalgesellschaften kann der Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft, die sich als Mitunternehmerschaft qualifiziert, dagegen einkommensteuerlich Verluste des Unternehmens in den Grenzen von § 15a EStG mit anderen Einkünften verrechnen. Dafür sind jedoch die Einkünfte der Gesellschaft in jedem Veranlagungszeitraum und ohne dass es auf echte Zuflüsse beim Gesellschafter ankommt in voller Höhe bei ihm steuerpflichtig und werden unter der (Teil-)Anrechnung von Gewerbesteuer nach § 35 EStG dem Regeltarif der Einkommensteuer unterworfen. Bei Personengesellschaften sieht § 34a Abs. 1 EStG zum Zwecke der Angleichung der Besteuerung von Kapitalgesellschaften zwar auch eine steuerbegünstigte Möglichkeit der Thesaurierung vor. Vor deren Nutzung muss wie viele Praxisbeispiele 1 BFH v. 25.1.2017 – X R 59/14, BStBl. II 2019, 730. 2 Vgl. Gräfe/Kraft, ZEV 2017, 471; Dräger, DB 2017, 2768 und Geck, ZEV-Jahrestagung 2019, S. 39. 3 BMF v. 20.11.2019 – IV C 6 - S 2241/15/10003, BStBl. I 2019, 1291.

668 | Rundshagen

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 9.153 Kap. 9

zeigen jedoch gewarnt werden, weil sie über die Zeit zu einer erheblichen Inflexibilität und einem riskanten „Lock-In-Effekt“ führt, der aus den Beschränkungen in § 34a Abs. 6 EStG verursacht wird. Beispiel: U und E halten die Anteile an der hoch profitablen X-Handels GmbH & Co. KG. Über einen Zeitraum von 10 Jahren haben Sie Gewinne von anteilig jeweils 2,5 Mio. Euro steuerbegünstigt thesauriert. Sie beabsichtigen nun, ihre Beteiligung in die Y-GmbH einzubringen, an der vor der Bildung des Gemeinschaftsunternehmens der X alleine beteiligt ist.

9.151

Wegen § 34a Abs. 6 Nr. 3 EStG führt die Einbringung zur Versteuerung von insgesamt 50 Mio. Euro. Für die daraus resultierende Steuerlast fehlen U und E privat aber auch im Unternehmen die liquiden Mittel; die in § 34a Abs. 6 Satz 2 EStG vorgesehene Stundungsmöglichkeit über 10 Jahre kann im Einzelfall helfen, wenn es gelingt, einen Härtefall glaubhaft zu machen. Damit bleibt hier wohl nur die Möglichkeit, dass die X-Handels GmbH & Co. KG ihr Geschäft auf die Y-GmbH überträgt.

Den zunächst erfreulichen Entlastungen bei der Einkommensbesteuerung stehen daher in vielen Praxisfällen gravierende Umstrukturierungsbeschränkungen gegenüber. Deshalb sollte regelmäßig auf diese Möglichkeit verzichtet werden. Die Etablierung einer Familienholding kann sowohl bei Kapital- als auch Personengesellschaften durch die Vorschriften des Grunderwerbsteuerrechts erheblich erschwert werden, wenn in den einzubringenden Unternehmen und Beteiligungen substantieller Grundbesitz vorhanden ist. Ggf. ist das Holdingmodell so auszugestalten, dass kein Erwerbstatbestand ausgelöst wird. Gleichzeitig sollte die Holdingstruktur sicherstellen, dass Grundbesitz, der eigenbetrieblich genutzt wird entweder nach § 13b Abs. 4 Nr. 1 a ErbStG (Betriebsaufspaltung) oder aber nach § 13b Abs. 4 Nr. 1 c ErbStG (Konzernklausel) begünstigtes Betriebsvermögen für Erbschaft- und Schenkungssteuerzwecke ist.

9.152

Besondere Bedeutung hat die Rechtsformwahl aus steuerlicher Sicht in vielen Fällen in Hinblick auf die zunehmende Internationalität der Gesellschafter. Wer 1 % oder mehr Anteilsbesitz an Kapitalgesellschaften hat und seinen inländischen Wohnsitz aufgibt, unterliegt der sog. Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG. Dies gilt bei direkt gehaltenen Anteilen an in- und ausländischen Kapitalgesellschaften aller Rechtsformen. Die Folgen sind bei Wegzug in EUStaaten jedoch durch § 6 Abs. 5 AStG jedoch gemildert, weil die Versteuerung zinslos und unbegrenzt gestundet wird. Diese Grundsätze finden nach einer Entscheidung des EuGH auch auf den Wegzug in die Schweiz Anwendung, weil über das zwischen der Schweiz und der EU geschlossene Freizügigkeitsabkommen im Verhältnis zur Schweiz auch die Niederlassungsfreiheit unmittelbar anwendbar ist1. Im Hinblick auf diesen Beschluss erwägt die der Bundesfinanzminister mit dem aktuell vorliegenden Gesetzentwurf ATAD II die Anwendung auch auf EU-Sachverhalte auszudehnen2. § 6 AStG findet nach Rechtsprechung des BFH3 auch schon jetzt Anwendung, wenn der inländische Steuerpflichtige vor Wegzug seine Anteile an Kapitalgesellschaften in eine GmbH & Co. KG eingebracht hat, deren wirtschaftliche Tätigkeit keine steuerliche Betriebsstätte im Sinne der von Deutschland geschlossenen Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung begründet, der die Beteiligung an der Kapitalgesellschaft zuzurechnen wäre. Für diese Fälle ist die Übergangsvorschrift des § 50i EStG geschaffen worden, die steuerpflichtige Realisationen für diese Fallkonstellationen regeln soll4.

9.153

1 2 3 4

EuGH v. 26.2.2019 – C-581/17 – Wächtler, ECLI:EU:C:2019:138, IStR 2019, 260. Gesetzesentwurf des BMF v. 10.12.2019. BFH v. 28.4.2010 – I R 81/09, BFHE 229, 252. Pohl in Blümich, § 50i EStG Rz. 4 (Stand: 1.2018).

Rundshagen | 669

Kap. 9 Rz. 9.153 | Vorweggenommene Erbfolge

Bei Unternehmen in der Form von Mitunternehmerschaften i.S.v. § 15 EStG wird dagegen regelmäßig auch eine inländische Betriebsstätte begründet, die aufrechterhalten bleibt, wenn die Anteile an dem Unternehmen in eine Holdingpersonengesellschaft eingebracht werden. Wegen der mit der Wegzugsbesteuerung des § 6 AStG und bei Übertragung auf Mitunternehmerschaften nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bei Wohnsitzverlagerung in Drittlandsgebiete eintretenden Steuernachteilen werden einige Mitunternehmerschaften als Obergesellschaft etabliert, die für die Unternehmensgruppe als geschäftsleitende Holding tätig sind, idealerweise auch eigene geschäftliche Aktivitäten entfalten und denen so auch für Abkommenszwecke die Tochterkapitalgesellschaften als Betriebsstättenvermögen zuzurechnen sind. Damit kann nach den von Deutschland geschlossenen DBA zumeist ein Verlust des Besteuerungsrecht durch Anwendung von Art. 13 Abs. 2 OECD MA vermieden werden. Damit ist der dann in Betracht kommende Entstrickungstatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG nicht anwendbar. Die Abstimmung sollte regelmäßig mit dem zuständigen Finanzamt abgestimmt werden, wobei im Einzelfall neben einer verbindlichen Auskunft auch eine tatsächliche Verständigung in Betracht kommen kann.

9.154

(iii) Andere wirtschaftliche Gesichtspunkte Von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung für die Ausgestaltung von Familiengesellschaften ist deren externe Finanzierung. Dabei sind grundsätzlich die Besonderheiten der jeweiligen Finanzierungsinstrumente zu berücksichtigen. Bei der Bankenfinanzierung ist zu beobachten, dass viele Familienunternehmen mit langfristigen Finanzierungspartnern zusammen arbeiten. Getrieben durch immer höhere regulatorische Anforderungen zur Bestimmung der Kosten von Darlehen, insbesondere natürlich der Zinshöhe, anhand der konkreten Risikofaktoren des Unternehmens gewinnt das wirtschaftliche Eigenkapital von Darlehensnehmern eine immer größere Bedeutung. Dabei lässt sich feststellen, dass in der Vergangenheit einige Banken Kapitalgesellschaften als Rechtsform bevorzugten, weil das Eigenkapital erhöhten Erhaltungsvorschriften unterliegt. Des Weiteren ist die Steuerbelastung auf thesaurierte Gewinne bei Kapitalgesellschaften niedriger. Vielen in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft organisierten Familienunternehmen gelingt es, die privat benötigten Mittel durch Ausschüttung von Dividenden aus dem laufenden operativen Ergebnis abzudecken. Zudem vereinbaren die Banken mit den Unternehmen als Darlehensnehmern zudem Höchstbeträge für die Ausschüttung aus der Kapitalrücklage oder auch aus länger bestehenden Gewinnrücklagen, denen dann die Gesellschafter zustimmen sollen. Da die Besteuerung der Anteilseigner mit der Kapitalertragsteuer als Pauschalbesteuerung nach § 32d EStG abgegolten ist, besteht für Fremdkapitalgeber bei einer solchen Struktur eine sehr hohe Transparenz, was die Aufnahme von Fremdkapital erleichtert und verbilligt. Andererseits erreichen Familienpersonenunternehmen ähnliche Darlehensvereinbarungen mit ihren Banken, wenn sie unter Einbeziehung der Gesellschafter klare und verbindliche Entnahmeregeln treffen und die Gesellschafter insoweit in ihrer Stimmrechtsausübung in der Gesellschafterversammlung gebunden sind.

9.155

Ein anderer Grund für die Rechtsformwahl ist erfahrungsgemäß ein den externen Finanzierungsanforderungen und den Absprachen mit den Geldgebern hierzu entgegenstehender Wunsch von Gesellschaftern, nämlich möglichst flexibel Mittel zwischen dem Unternehmen und dem Privatbereich hin und her bewegen zu können, ohne eine Besteuerung auszulösen. Hier zeigen sich Personengesellschaften insgesamt viel flexibler als Kapitalgesellschaften bei denen dieses im Ergebnis nur über hohe Gesellschafterdarlehen möglich ist, die jedoch selbst kein begünstigtes Vermögen nach § 13b Abs 1 ErbStG darstellen.

670 | Rundshagen

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 9.160 Kap. 9

d) Vorteile und Nachteile der Bündelung von Unternehmensvermögen Die größte Herausforderung besteht bei langjährigen Familienunternehmen darin, einen gewachsenen Organismus übertragungsfähig zu gestalten. Dazu ist es erforderlich, wirtschaftlich funktionsfähige Organisationseinheiten neu zu ordnen und sie klar und transparent zu strukturieren. Das kann erfordern, Einheiten zusammen zu fassen, jedoch auch bedeuten, dass einzelne Unternehmensteile ausgegliedert werden, um sie ggf. zu verkaufen. Ein solcher Prozess ermöglicht es den Beteiligten, unabhängig von einer optimierten Nachfolge zusätzlich, die unternehmerische Betätigung an die aktuellen Bedingungen und die zu erwartenden zukünftigen Anforderungen anzupassen. Es liegt auf der Hand, dass diese Maßnahme auch unabhängig von steuerlichen Haltefristen erheblichen zeitlichen Vorlauf benötigen. Eine Reihe von Umstrukturierungsvorgängen sind etwa nach § 24 UmwStG und §§ 20, 21 UmwStG für Ertragsteuern neutral und ohne Verstoß gegen schenkungs- und erbschaftsteuerliche Haltefristen möglich1.

9.156

Wesentliche weitere Aspekte sind aus einer durch Zusammenfassung von Unternehmen entstehenden neuen Größe resultierende Nachteile. Zu nennen sind hier allgemeine Transparenzaspekte, wenn sich die neue Einheit etwa als großes Unternehmen nach § 267 Abs. 3 HGB qualifiziert und so nach § 316 Abs. 1 Nr. 1 HGB und § 1 Abs. 1 PublG prüfungspflichtig wird. In diesem Zusammenhang kann es ein wesentlicher Faktor sein, möglichst wenig Ergebnisse über das eigene Unternehmen beim Handelsregister hinterlegen zu müssen, um die eigene Verhandlungsposition mit starken Kunden nicht zu erschweren. Dieses ist ein Problem, das z.B. Unternehmen in der Automobilzulieferindustrie mit einer mittleren Größe bisher beklagen. Mit dem Wissen um eine gute Marge des Vertragspartners versuchen, die Pkw-Hersteller, ihre Zulieferer zu Preiszugeständnissen zu bewegen.

9.157

Werden durch den Zusammenschluss unternehmerische Einheiten mit mehr als 2.000 Arbeitnehmern neu geschaffen, so findet nach § 1 Abs. 1 und Abs. 3 Mitbestimmungsgesetz auf dieses Unternehmen die kapitalmäßige Beteiligung von Arbeitnehmervertretern Anwendung. Vereinzelt finden sich deshalb Unternehmerfamilien, die ihre Aktivitäten so strukturieren, dass sie jeweils mit den Aktivitäten in einem Segment diese Schwelle unterschreiten. Als Nachteil ist in diesen Fall der erhöhte strukturelle Aufwand aus einer anderen Governance zu nennen bei der tunlichst darauf zu achten ist, dass in der Familie keine konzernleitende Führungsgruppe entsteht mit der Konsequenz, dass die Bemühungen um die Vermeidung der Mitbestimmung umsonst gewesen wären.

9.158

Der Wunsch mittelständischer Unternehmerfamilien, von der Öffentlichkeit unbemerkt, ihre Betätigung weiter erfolgreich auszuüben und auszubauen wird seit 1.10.2017 auch durch das neue Transparenzregister in Deutschland erschwert. Hier hilft es jedoch (Teil-)Konzerne als börsennotierte Gesellschaft zu führen. Denn in diesem Fall ist die Benennung wirtschaftlicher Eigentümer dahinter entbehrlich (Umkehrschluss aus § 3 Abs. 2 Satz 1 GWG).

9.159

6. Familienholding a) Grundzüge Wenn der oder die Schenker nicht alleine über das bzw. die Unternehmen verfügen und auf Dauer ihren Einfluss gebündelt sichern möchten, bietet sich die Schaffung einer Familienholding als Obergesellschaft an (s. Rz. 4.4). Ein wichtiges steuerliches Motiv bei sehr großen und 1 R E 13a.13 Abs. 3 und 13a.16 Abs. 3 ErbStR 2019.

Rundshagen | 671

9.160

Kap. 9 Rz. 9.160 | Vorweggenommene Erbfolge

großen mittelständischen Unternehmen kann auch die Inanspruchnahme des Abschlags für Familienunternehmen nach § 13a Abs. 9 ErbStG mit einer Höhe von 30 % sein. Dieser wird nämlich ohne die Beschränkung des § 13a Abs. 1 ErbStG auf 26 Mio. Euro pro Übertragungsvorgang gewährt. Die dazu erforderlichen Bedingungen lassen sich in den allermeisten Fällen im Gesellschaftsvertrag von operativ tätigen Unternehmen sinnvoll nicht realisieren, weil sie die Flexibilität z.B. durch komplexe Entnahmebeschränkungen und die Veräußerungssperre sehr stark beschränken würden. Ebenfalls führt die fehlende Möglichkeit der Aufnahme von neuen Gesellschaftern zu erheblichen unternehmerischen Nachteilen, da die Bindung von 20 Jahren die Beteiligungsstruktur fixiert1. Dem kann ggf. durch Vorschalten einer Familienholding sinnvoll begegnet werden, die ihrerseits die Merkmale des § 13a Abs. 9 ErbStG erfüllt. Das bedeutete, dass der Gesellschaftsvertrag dieser vorgeschalteten Personengesellschaft die in dieser Norm formulierten Anforderungen berücksichtigen muss. In diesem Fall ist die entsprechende Qualifikation auf der unteren Ebene in der Gesellschaft, die das Unternehmen trägt, entbehrlich. b) Gesellschaftsrechtliche Ausgestaltung aa) Laufzeit

9.161

In den meisten Fällen bietet es sich an, die Laufzeit der Gesellschaft zeitlich nicht zu begrenzen, sondern vielmehr im Vorwege klare und umfassende Regeln für das Ausscheiden einzelner Gesellschafter zu treffen. Das betrifft sowohl den Verkauf an Dritte als auch die Kündigung der Gesellschaft. Meistens ist ein sachlicher Konsens leichter zu erzielen, wenn bei vertraglicher Regelung die Situation des Ausscheidens einzelner sich noch nicht konkret abzeichnet. Solche Regelungen sind unabhängig von der Rechtsform notwendig, auch wenn die Ausgestaltung im Einzelnen natürlich den Besonderheiten der gewählten Unternehmensform entsprechen muss (s. Rz. 4.20). In Ausnahmefällen, insbesondere wenn eine Auseinandersetzung von Gesellschaftern nach einer gewissen Zeit ermöglicht werden soll, kann dagegen die Befristung mit klaren Regeln, einschließlich von Verlängerungsoptionen sinnvoll sein. Dies wird bei Gesellschaften in Betracht kommen, die vereinbarungsgemäß zeitlich begrenzte Investments tätigen, nach deren Verkauf die Gesellschafter die Rückflüsse unterschiedlich verwenden möchten.

9.162

Unabhängig von der angestrebten Existenzdauer der Gesellschaft kann kein Gesellschafter auf Dauer dazu gezwungen zu werden, in einer Gesellschaft zu verbleiben. Er muss vielmehr die Möglichkeit haben, durch Anteilsübertragung oder Kündigung die Gesellschaft zu verlassen. Zu bedenken sind auch Grenzen, die aus der Rechtsform selbst folgen. So ist etwa bei einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts der Ausschluss der ordentlichen Kündigung nach § 723 Abs. 3 BGB grundsätzlich nicht möglich. Es muss deshalb in Fällen, in denen eine erhöhte Bindung gewünscht ist, zunächst eine feste Laufzeit mit Verlängerungsmöglichkeit gewählt werden. Dies wird jedoch die Eignung einer GbR als Trägerin unternehmerischen Vermögens meistens auch dann ausschließen, wenn sie sich z.B. durch eigene gewerbliche Betätigung nach § 5 und § 15 EStG als Mitunternehmerschaft qualifiziert. bb) Abfindung

9.163

Zentrale Bedeutung für den tatsächlichen Bestand von Familiengesellschaften hat unabhängig davon, ob sie als Personen- (s. Rz. 4.205) oder als Kapitalgesellschaft (s. Rz. 4.217) ausgestaltet 1 Vgl. Reich, DStR 2016, 2447 f.

672 | Rundshagen

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 9.168 Kap. 9

sind, die sachgerechte Höhe und die Zahlungsmodalitäten von Abfindungen zum Ausstieg einzelner Gesellschafter aus dem Verbund. Dabei müssen eine Reihe von Anforderungen mit regelmäßig widerstreitenden Interessen ausgeglichen und fair gestaltet werden:

9.164

(i) Beteiligung an den stillen Reserven Der ausscheidende Gesellschafter soll häufig in Hinblick auf den Wert seines Anteils wirtschaftlich angemessen beteiligt werden. Pauschale Buchwertklauseln bei Unternehmen mit erheblichen stillen Reserven dürften dem Gesellschafter wirtschaftlich die Freiheit nehmen, das Unternehmen zu verlassen und sind daher regelmäßig zivilrechtlich unwirksam.

9.165

(ii) Bindung der Gesellschafter Andererseits soll regelmäßig durch die Abfindungsregelung insbesondere bei Familiengesellschaften keine Motivation erzeugt werden, den zunächst illiquiden Geschäftsanteil aufzugeben und die Abfindung in Geld von der Gesellschaft zu beanspruchen (s. Rz. 4.110). Hinzu kommt die Notwendigkeit, die Abfindungen aus der Liquidität des Unternehmens tatsächlich leisten zu können. Insbesondere bei Holdinggesellschaften kann das Problem auftreten, dass hierzu Ausschüttungen oder Entnahmen aus Tochter- und Beteiligungsunternehmen benötigt werden. Die Realisierbarkeit hängt dann wesentlich davon ab, dass in diesen Beteiligungen diese Anforderung auch gesellschaftsrechtlich durch- und umgesetzt werden kann. Diese Problematik trägt ebenso dazu, dass die Gründer von Familienholdinggesellschaften bestrebt sein werden, die Höhe der Abfindung niedrig zu bemessen und die sich daraus ergebende Liquidität zeitlich durch Auszahlungs- und Stundungsregelungen zeitlich zu verteilen. Regelmäßig sehen daher Gesellschaftsverträge – nicht nur bei Familienunternehmen – eine Ratenzahlung für die Abfindung vor, wie beispielsweise die Auszahlung in fünf gleichen Jahresraten.

9.166

(iii) Besteuerung von Abfindungsguthaben Aus steuerlicher Sicht ist zu bedenken, dass jedes Ausscheiden unter dem steuerlich maßgeblichen Wert nach § 7 Abs. 7 i.V.m. § 12 ErbStG i.V.m. § 11 BewG dazu führt, dass die verbleibenden Gesellschafter schenkungssteuerpflichtig bereichert gelten. Unter den weiteren Voraussetzungen der §§ 13a, 13b und 13c ErbStG handelt es sich dabei regelmäßig um (teilweise) begünstigungsfähiges Vermögen. Dagegen verlangt § 13b Abs. 9 ErbStG für die Gewährung eines Wertabschlages bei der Übertragung von Familiengesellschaften gerade eine solche Schenkungsteuer auslösende reduzierte Abfindung. Denn der von der Höhe des Übertragungswertes unabhängig Wertabschlag setzt gerade voraus, dass das Abfindungsguthaben in entsprechender Höhe max. jedoch auf 70 % beschränkt ist; eine weiter gehende Beschränkung des potentiellen Abfindungsanspruchs führt zwar ebenfalls zur Schenkung an die Mitgesellschafter, wird jedoch nicht mit einem höheren Wertabschlag honoriert. Damit sind solche Regelungen nicht nur aus zivilrechtlicher, sondern auch aus steuerlicher Sicht problematisch.

9.167

Das in der Verbundvermögensaufstellung nach § 13b Abs. 9 Satz 2 ErbStG ermittelte verbleibende Verwaltungsvermögen ist auch bei dem Wertabschlag der Regelbesteuerung zu unterwerfen, verbunden mit dem dazu erforderlichen Liquiditätsabfluss, der in Hinblick auf die Entnahmebeschränkungen nach § 13a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 ErbStG problematisch wird, wenn die Steuerzahlungen mit Mitteln des Unternehmens im Entnahmewege finanziert werden muss und so das Risiko einer schädlichen Überentnahme entsteht – mit der Folge einer erhöhten Erbschaftsteuerzahlung.

9.168

Rundshagen | 673

Kap. 9 Rz. 9.169 | Vorweggenommene Erbfolge

9.169

(iv) Ertragsteuerliche Konsequenzen Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die ertragsteuerliche Behandlung. Die Besteuerung des ausscheidenden Gesellschafters aus der Gesellschaft tritt in voller Höhe mit dem maßgeblichen Zeitpunkt ein, unabhängig davon, welche Zahlungsweise der Gesellschaftsvertrag dafür vorsieht. Dies folgt aus § 17 EStG und aus § 24 i.V.m. § 15 EStG. Daher kann es erwägenswert sein, die Stundungsklausel im Gesellschaftsvertrag so auszugestalten, dass der ausscheidende Gesellschafter die voraussichtliche Steuerlast aus der ersten bzw. der ersten und der zweiten Tranche bedienen kann. Hier kommt es darauf an, den zu erwartenden Zeitpunkt der Steuerbelastung durch das Ausscheiden mit den angestrebten möglichst gleichmäßigen Raten für das Abfindungsguthaben zu synchronisieren. Beispiel:

9.170

Der Gesellschaftsvertrag einer GmbH & Co. KG sieht vor, dass ein Gesellschafter, der aus der Personengesellschaft ausscheiden möchte und seinen Anteil nicht an einen Mitgesellschafter oder Dritten verkaufen kann, als Abfindung 70 % des anteiligen Verkehrswertes der Gesellschaft erhält. Die Auszahlung soll in 5 gleichen Jahresraten, also zu 20 %, erfolgen, beginnend mit dem 31.12. des auf das Ausscheiden folgenden Kalenderjahres. Der Gewinn i.H.v. 80 % des Abfindungsguthabens unterliegt einem persönlichen Steuersatz von 40 %, also 32 % des Abfindungsanspruchs. Diese Regelung führt dazu, dass der Gesellschafter seine Steuer auf den hieraus entstehenden Gewinn zu 12 % (20 % abzgl. 32 % Steuer) aus anderen liquiden Mitteln begleichen muss, was aus den vereinbarten Raten oft nicht möglich sein wird. Dies kann die Gesellschafter im Einzelfall davon abhalten, die Gesellschaft zu verlassen, und dürfte, unabhängig von der Frage der zivilrechtlichen Zulässigkeit, das Verhältnis der Gesellschafter insgesamt negativ beeinträchtigen. In Betracht kommt stattdessen eine Regelung, die dem ausscheidenden Gesellschafter eine erste, höhere Rate gewährt, mit der Möglichkeit, seine Steuern auf den Veräußerungsgewinn aus dem Abfindungsguthaben selbst bezahlen zu können. So kann etwa die erste Rate pauschal 34 % des Anspruchs des Gesellschafters betragen, wobei unterstellt wird, dass nennenswerte Beträge auf den Kapitalkonten vorhanden sind und damit das Abfindungsguthaben nicht in voller Höhe einen steuerpflichtigen Ausscheidensgewinn darstellt. Damit sollte die individuelle Steuerlast bei dem Verlassen der Gesellschaft abgedeckt sein. Die verbleibenden 66 % können dann z.B. auf weitere 5 Jahre mit jeweils 16,5 %-Raten verteilt werden.

9.171

Eine ähnliche Problematik besteht für die Erbschaftsteuer bei Ausscheiden aus der Gesellschaft, wenn dadurch die Behaltensfrist nach § 13b Abs. 6 ErbStG verletzt wird. Auch ohne Ausscheiden aus der Gesellschaft ist die Schenkungs- und Erbschaftsteuer eine zunehmend schwerwiegende Liquiditätsbelastung für die Gesellschafter, die häufig nicht aus sonstigen liquiden Mitteln abgedeckt werden kann. Grund hierfür ist, dass nach der aktuellen gesetzlichen Regelung bis auf den Bagatellabzug von 10 % nach § 13b Abs. 7 ErbStG Verwaltungsvermögen in voller Höhe der Besteuerung unterliegt. Hier kann es sich anbieten, Entnahmen mit Negativverzinsung zu vereinbaren. Alternativ kommen die darlehensweise gewährten Mittel in begrenzter Höhe zur Steuerzahlung frei machen, ohne die Ergebnisberechtigung an der Gesellschaft zu verändern. cc) Gewinnbezugs- und Stimmrechte

9.172

Häufig wird bei Familiengesellschaften, die Gewinnbeteiligung von der Höhe der Stimmrechte entkoppelt sein (vgl. zur GbR Rz. 4.65), wobei aus Gründen der praktischen Relevanz die Darstellung für die Rechtsform der GmbH & Co. KG im Vordergrund stehen soll. Die Instrumente zur Ausgestaltung der individuellen Anforderungen sind vielfältig, um die erforderliche Ausdifferenzierung zu erreichen: 674 | Rundshagen

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 9.178 Kap. 9

(i) Variable, personalisierte Stimmrechte

9.173

Höhere Stimmrechte als Anteile am Festkapital der Gesellschaft, so dass z.B. die Schenkergeneration zwar Substanz- und Ertragskraft abgibt, jedoch wesentliche Mitwirkungsrechte behält. So kann z.B. vereinbart werden, dass eine bestimmte Person doppelt so viele Stimmrechte wie Kapitalanteile hat. Möglich ist dabei auch ein „Wandern“ von Mehrstimmrechten, etwa wenn der Schenker nach seinem Ausscheiden einen bestimmten anderen Gesellschafter, etwa den Ehepartner oder ein bestimmtes Kind damit ausstatten möchte und so ein das Geschäft prägender Gesellschafter durchgängig vorhanden ist.

9.174

(ii) Feste Stimmrechte

9.175

In die gleiche Richtung geht ein fest gelegter Stimmenanteil, der von dem Festkapital weitgehend unabhängig ausgestaltet ist. So kann z.B. einem Gesellschafter ein Anteil von grundsätzlich 50,1 % oder 25,1 % zugewiesen werden, sofern der Gesellschafter z.B. mit mindestens 10 % oder 5 % an der Gesellschaft beteiligt ist.

9.176

(iii) Vetorechte Alternativ kann neben einer Positivfestlegung von Stimmrechten auch eine Vetoregelung getroffen werden. Auch hier sind vielfältige Anpassungen möglich. Ein Vetorecht kann sich auf Beschlüsse mit qualifizierter Mehrheit erstrecken oder aber auf alle Beschlüsse (s. Rz. 4.65). Es kann einer Person oder zusammen mit einer weiteren Person ausgesprochen werden, um hier auf Dauer dem Risiko von Blockaden entgegen zu wirken.

9.177

(iv) Stimmenpoolung bei Gesellschafterstämmen Bei Familiengesellschaften mit mehreren Stämmen kann es gewollt sein, dass Stimmrechte von einem Stamm zuzurechnenden Mitgesellschaftern nur einheitlich ausgeübt werden können. Dies führt zu einer im Gesellschaftsvertrag angelegten Stimmrechtsbindung. Unabhängig davon, ob dies in Hinblick auf die Führung des Unternehmens und eine wirkungsvolle, gute Zusammenarbeit der Gesellschafter förderlich ist, haben die Angehörigen eines Stammes kein reduziertes, sondern ein gestuftes Stimmrecht, nämlich zunächst innerhalb ihres Stammes. Sodann übt der Stamm mit dem gefundenen Votum seine gesamten Stimmrechte einheitlich aus. Die abweichende Verteilung von Stimmrechten hat bei Mitunternehmerschaften eine ganz wesentliche Grenze. Es muss nämlich gewährleistet sein, dass durch die Verschiebung von Stimmrechten bei keinem Gesellschafter die Mitwirkungsmöglichkeiten i.S.d. § 15 EStG so reduziert sind, dass er insoweit nicht über eine ausreichende Mitunternehmerinitiative verfügt, sondern ähnlich eines nur kapitalmäßig beteiligten Gesellschafters zu behandeln wäre. Dies kann auch gegeben sein, wenn das Verhältnis von Anteil am Gesellschaftskapital und am Ergebnis deutlich höher ist als der Stimmanteil. So dürfte etwa bei einem Gewinnanteil von 60 % eine Stimmberechtigung von 2 % kaum ausreichen. Die Frage stellt sich jedoch hier welche Konsequenz dies hätte. Es wäre im Hinblick auf die Rechtsprechung des BFH zu Nießbrauchsgestaltungen an Mitunternehmeranteilen1 ggf. wohl eine fiktive Aufteilung vorzunehmen. Dabei wäre zu ermitteln, welcher Teil des Kapitals noch in ausreichendem Maß durch die Mitunternehmerinitiative getragen wäre. Dies dürfte hier für die 2 % Stimmrechte voraus1 BFH v. 1.3.1994 – VIII R 35/92, BStBl. II 1995, 241; sowie zur eingeschränkten Möglichkeit des Nießbrauchs bei Einzelunternehmen BFH v. 25.1.2017 – X R 59/14, DB 2017, 1813, dessen Anwendung auf KG-Anteile sehr eingeschränkt sein sollte.

Rundshagen | 675

9.178

Kap. 9 Rz. 9.178 | Vorweggenommene Erbfolge

sichtlich noch für 20 % des Gesellschaftskapitals und Gewinnanteils erfüllt sein; die verbleibenden 40 % dagegen wären als Fremdkapital und damit wie ein Gesellschafterdarlehen anzusehen, das zu Sonderbetriebseinnahmen führt. Das hat zunächst ertragsteuerlich zur Konsequenz, dass insoweit die Gewerbesteueranrechnung nach § 35 EStG auf diesen Teil entfällt, weil sich die steuerliche Gewinnberechtigung in Abweichung zum zivilrechtlichen Gewinnanspruch verschiebt. Zu erheblichen Problemen führt dies auch bei der Anwendung von §§ 13a ff. ErbStG, da es sich insoweit um eine als Verwaltungsvermögen zu qualifizierende Forderung handelt.

9.179

Andererseits kann die Beteiligung eines Schenkers mit nur einer unmaßgeblichen Beteiligung am laufenden Ergebnis und/oder den stillen Reserven bei im Vergleich dazu überschießenden Mitwirkungsmöglichkeiten dazu führen, dass er ebenfalls nicht mehr Mitunternehmer ist, weil es insoweit an einem ausreichenden Mitunternehmerrisiko fehlt. Dies wird dann ertragsteuerlich problematisch, wenn hierdurch bestehenden Sonderbetriebsvermögen durch Entnahme für Ertragssteuerzwecke unbeabsichtigt entstrickt wird. Hinzu kommt, dass die verbliebende zivilrechtliche Restbeteiligung, die jedoch keine Mitunternehmerschaft mehr darstellt, nicht mehr nach § 13b Abs. 1 ErbStG begünstigt auf die Nachfolger übertragen werden kann. Auf Seiten, der anderen Gesellschafter ist korrespondierend zu prüfen, ob und ggf. in welchem Umfang die besonderen Stimmrechte des wirtschaftlich geringfügig beteiligten Gesellschafters die Mitunternehmerposition nach den oben genannten Grundsätzen beschränken können. dd) Nachfolgeklausel

9.180

Die Frage der Mitgliedschaft ist insbesondere bei Familienpoolgesellschaften von besonderer Bedeutung. Denn diese Regelung beschränkt, wer nach Ausscheiden des Gesellschafters seine Position in der Familiengesellschaft einnehmen darf (s. Rz. 4.41). Naturgemäß sind dabei die Regelungen bei Personengesellschaften häufig strenger als bei Kapitalgesellschaften, die schon nach dem gesetzlichen Grundtypus weniger personalistisch sind. Das schließt jedoch nicht aus, durch entsprechende Satzungsregeln zu einer ähnlichen Bindung wie bei einer Personengesellschaft zu kommen. Zivilrechtich geht die Regelung des Gesellschaftsvertrages testamentarischen Regeln vor, was bedeutet, dass die Dispositionsfreiheit des Schenkers bzw. des Erblassers seine Grenze an den für ihn geltenden gesellschaftsvertraglichem Rahmen findet.

9.181

In der Praxis lässt sich eine erhebliche Breite an Regelungen erkennen. Selten zu finden sind Regelungen, bei denen Erben ohne Beschränkung in die Gesellschafterposition des Erblassers eingetreten (s. Rz. 19.66 ff.). Folgende Grundmodelle sind demgegenüber häufig anzutreffen:

9.182

(i) Mitgesellschafter Die engste Form der Nachfolgeklausel ist wohl die Beschränkung der Übertragung auf bereits bestehende Mitgesellschafter. Diese Regelung ist eine extrem personalistische Lösung, die zu einem automatischen Ende der Gesellschaft führt, wenn ausschließlich natürliche Personen beteiligt sind und in der Folgezeit nicht mit der von dem Gesellschaftsvertrag bzw. der Satzung vorgesehenen Mehrheit eine Öffnung für bestimmte neue Gesellschafter oder gar die Aufhebung dieser Beschränkung beschlossen wird. Ist auch nur ein Gesellschafter eine Kapitalgesellschaft wie z.B. bei einer GmbH & Co. KG, so kommt es im Zielszenario zu einer Anwachsung der KG auf diesen Gesellschafter. Die Aufnahme einer GmbH als eine weitere Kommanditistin kann deshalb hier die notwendige Öffnung bei einer sonst strengen Nachfolgeregelung sein. Diese Lösung bietet sich insbesondere an, wenn der Wertabschlag für Familienunternehmen nach § 13a Abs. ErbStG angestrebt wird. 676 | Rundshagen

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 9.188 Kap. 9

9.183

(ii) Benannte Neugesellschafter Eine nicht seltene Form ist die Festlegung auf eine oder mehrere konkret bezeichnete Personen als nachfolgeberechtigte mögliche Gesellschafter nach Schenkung oder Vererbung von Anteilen, ggf. unter Benennung von zum Eintritt von möglichen Ersatzgesellschaftern (s. Rz. 4.96, Rz. 4.144 und Rz. 4.213).

9.184

(iii) Öffnung für Abkömmlinge Stark verbreitete ist die abstrakte Berechtigung des Gesellschafters den Anteil schenkweise oder im Erbgang auf Abkömmlinge zu übertragen, wobei in sehr unterschiedlicher Weise Beschränkungen gewählt werden, die sich entweder auf die individuelle Eignung wie z.B. der Abschluss eines bestimmten Ausbildungsweges oder gar eines konkreten Berufes beziehen. Andere nehmen Beschränkungen mit Bezug auf die familiäre Abstammung auf, wie z.B. die Eingrenzung auf Kinder, einschließlich adoptierter Kinder, sofern die Adoption vor Vollendung des 18. Lebensjahres erfolgt. c) Steuerliche Besonderheiten aa) Schenkungsteuerliche Folgen

Der Übergang von grundsätzlich begünstigungsfähigem Betriebsvermögen kann nach den §§ 13a und 13b ErbStG nach den allgemeinen Grundsätzen für das begünstigte Vermögen mit Wertabschlägen von 85 % oder gar 100 % in Anspruch genommen werden. Dagegen ist der Erwerb eines Abfindungsguthabens für Erben, die nicht in eine Gesellschaft eintreten dürfen, ungeschmälert und in voller Höhe schenkungs- bzw. erbschaftsteuerpflichtig, weil insoweit schon zivilrechtlich kein nach § 13b Abs. 1 ErbStG begünstigungsfähiges Vermögen auf die nicht qualifizierten Erben oder Beschenkten übergehen kann (s. Rz. 6.214). Eine ggf. eintretende Doppelbelastung mit Ertrag- und Erbschaftsteuer wird versucht durch § 35b EStG nur für Erbfälle in gewissem Umfang durch Minderung der Einkommensteuer zu kompensieren.

9.185

bb) Anforderungen in Hinblick auf erbschaftsteuerliche Folgen Um im Rahmen des Eintritts in die Gesellschaft die §§ 13a, 13b und 13c ErbStG nebst den weiteren Bestimmungen in Anspruch nehmen zu können, bedarf es eines direkten unentgeltlichen Erwerbs der Mitunternehmerstellung von dem Schenker oder Erblasser.

9.186

cc) Ertragsteuerliche Ausgestaltung Schließlich führt der Nichteintritt eines Beschenkten oder Erben ggf. dazu, dass die in der Beteiligung vorhandenen ertragsteuerlichen stillen Reserven aufzudecken sind, weil sie für Zwecke der privaten Verwendung, nämlich der Übertragung an Erben entnommen werden. Wird dagegen der Anteil an einer Personengesellschaft unentgeltlich übertragen, kann unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 EStG die Realisierung stiller Reserven vermieden werden (s. Rz. 6.12). Entsprechendes folgt aus § 17 EStG für Anteile an Kapitalgesellschaften.

9.187

II. Separierung von nicht betriebsnotwendigem Vermögen 1. Wirtschaftliche Aspekte Vor der Übertragung von Betriebsvermögen in die nächste Generation kann und sollte der Schenker mit seinem Wissen versuchen zu klären, ob die in dem Unternehmen vorhandenen Rundshagen | 677

9.188

Kap. 9 Rz. 9.188 | Vorweggenommene Erbfolge

Vermögensgegenstände tatsächlich betriebsnotwendig sind und deshalb auch mit in die nächste Generation übertragen werden sollen. Insofern ist es ratsam, den Übertragungsvorgang mit einer wirtschaftlichen Überprüfung der jeweiligen unternehmerischen Einheiten zu verbinden, die in der Familie fortgeführt werden sollen. Sofern Vermögen identifiziert wird, das in der betreffenden betrieblichen Einheit nicht wesentlicher Bestandteil der betrieblichen Tätigkeit ist, bieten sich mehrere Handlungsoptionen an:

9.189

(i) Fremdverkauf Der Vermögensgegenstand wird an fremde Dritte verkauft; der Erlös kann im Unternehmen reinvestiert oder aber auch entnommen werden, wenn andernfalls das schädliche Verwaltungsvermögen nach § 13b Abs. 4 ErbStG erhöht wurde, mit ggf. nachteiligen Folgen für die Begünstigung, wenn dadurch die Optionsverschonung entfällt oder gar der 90 %-Test nicht mehr eingehalten werden kann.

9.190

(ii) Separierung in anderer betrieblicher Einheit Alternativ kommt auch in Betracht, Teile des Betriebes zu separieren und als eigenes Unternehmen fortzuführen oder aber dem Privatvermögen zuzuordnen. Es kann sinnvoll sein, fremdvermietete Immobilien aus dem Betrieb herauszulösen und auf eine eigene rechtliche Einheit zu übertragen. Im Hinblick auf die Nachfolge besteht sodann die Möglichkeit gegebenenfalls bestehende andere Personen mit potentiellen Pflichtteilsberechtigungen mit diesem Vermögen zu bedienen, ohne sie am Unternehmen direkt beteiligen zu müssen. Bei Mitunternehmerschaften kann sich hierzu das Instrument der unechten (Teil-)Realteilung anbieten.

9.191

(iii) Entnahme in das Privatvermögen Schließlich kann das Vermögen in die Privatvermögensebene des derzeitigen Unternehmers übertragen werden und verbleibt dort dauerhaft z.B. zu Versorgungszwecken. Das hat notwendigerweise zur Folge, dass eine Entstrickungsbesteuerung nach den allgemeinen Regeln zur Anwendung kommt, da das Wirtschaftsgut bei der Entnahme für private Zwecke nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG mit dem Teilwert zu bewerten ist.

9.192

Bei einer solchen Neuordnung im Zuge einer Umsetzung der Unternehmensnachfolge sind insbesondere auch Finanzierungs- und Liquiditätsaspekte aus wirtschaftlicher Sicht zu bedenken. So stellt sich die Frage, wie mit Verbindlichkeiten umzugehen ist, die diesen nicht betriebsnotwendigen Wirtschaftsgütern zuzurechnen sind, weil sie entweder einer direkten Zuordnung durch einen Bankkredit unterliegen oder aber anteilig wirtschaftlich z.B. durch Gesellschafterfinanzierung mit abgedeckt sind. Die einfache Verwertung oder Überführung erfordert nicht nur der Abstimmung mit den Gläubigern (s. dazu auch nachfolgend Rz. 9.235), sie schließt insbesondere auch die Frage ein, ob die Gegenstände unter Berücksichtigung der laufenden Einnahmen und Kosten sowie des Zins- und Tilgungsaufwandes für sich genommen eine positive Liquidität aufweisen oder aber strukturell defizitär sind. Diese Fragen sind in Ergänzung zu ertragsteuerlichen und schenkungsteuerlichen Aspekten mit zu beachten. Die besondere Herausforderung besteht nämlich darin, dass neben diesen Liquiditätsfragen vor allem auch ertragsteuerliche Realisationen und schenkungsteuerliche Vorgänge ausgelöst werden, wenn Betriebsvermögen separiert wird und so zusätzliche Liquiditätslasten entstehen.

2. Ertragsteuerliche Vorgaben 9.193

Die Abtrennung von Betriebsvermögen im Vorfeld einer Übertragung birgt grundsätzlich das Risiko der Besteuerung von stillen Reserven für Ertragsteuerzwecke, sei es weil das Betriebsver678 | Rundshagen

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 9.197 Kap. 9

mögen im Rahmen einer Gewinnausschüttung aus einer Kapitalgesellschaft auf die Gesellschafterebene übertragen wird oder sei es weil ein entsprechender Entnahmevorgang einer Mitunternehmerschaft i.S.v. § 15 EStG vorliegt. Darüber hinaus kann auch die Übertragung auf eine andere rechtliche Einheit durch das Unternehmen, in dessen Besitz sich das Wirtschaftsgut befindet, zu einer solchen Ertragsbesteuerung führen. Deshalb ist es zunächst erforderlich, festzustellen, welchen Verkehrswert die maßgeblichen Vermögensgegenstände voraussichtlich aktuell haben und dies mit dem steuerlichen Buchwert zu vergleichen. Für den Fall, dass die Differenz substantiell ist, ist zu prüfen, auf welchem Weg eine ertragsteuerliche Realisation vermieden werden kann. In Betracht kommen hierzu typischerweise folgende Gestaltungsansätze:

9.194

(i) Entnahme von Einzelwirtschaftsgütern in ein Betriebsvermögen Wirtschaftsgüter werden aus dem Unternehmen durch Entnahme auf eine darüber angeordnete Mitunternehmerschaft unter Anwendung von § 6 Abs. 5 EStG zwingend zum Buchwert übertragen. In diesem Fall sind Haltefristen bei Veräußerung innerhalb von 3 Jahren sowie das Verbot des Wanderns stiller Reserven auf Kapitalgesellschaften zu beachten. Deren Verletzung führt rückwirkend zum Ansatz des steuerlich maßgeblichen Wertes, häufig des Teilwertes, für die Überführung des Wirtschaftsgutes.

9.195

(ii) Unechte Realteilung Alternativ kommt in Betracht, im Rahmen eines Teilausscheidens aus einer Mitunternehmerschaft nach § 16 Abs. 1 und Abs. 3 EStG steuerneutral Vermögen auf die Gesellschafterebene zu übertragen, vorausgesetzt, dass tatsächlich die Beteiligung an der abgebenden Gesellschaft reduziert wird1. Für Einzelwirtschaftsgüter sind jedoch die Beschränkungen in § 16 Abs. 3 Satz 4 EStG durchaus ähnlich den Einschränkungen, die § 6 Abs. 5 Satz 4 ff. vorsieht. Die Verwaltung hat die aktuelle Rechtsprechung des BFH zur Realteilung im Wesentlichen übernommen und Fallgruppen für die Praxis konkretisiert2.

9.196

(iii) Sachdividende Die Übertragung von Vermögen aus einer Kapitalgesellschaft auf die Gesellschafter im Wege einer Sachauskehrung ist grundsätzlich mit der Aufdeckung stiller Reserven im Vermögen der abgebenden Kapitalgesellschaft verbunden. Darüber hinaus unterliegt die Zuwendung an die Gesellschafter grundsätzlich der Kapitalertragsteuer zzgl. Solidaritätszuschlag vorausgesetzt, dass nicht ausnahmsweise die Reduktion des steuerlichen Einlagekontos i.S.v. § 27 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 KStG vorliegt. Vorteilhaft erscheint im Regelfall dieser Weg der Überführung von Vermögen nur dann, wenn in der Gesellschaft selbst ausreichend steuerliche Verlustvorträge vorhanden sind und idealerweise die Überführung im Rahmen der Ausschüttung aus dem steuerlichen Einlagekonto bewirkt werden kann.

9.197

(iv) Etablierung von Schwesterpersonengesellschaft Interessant, aber steuerrechtlich umstritten ist auch die Gestaltung einer Überführung von Betriebsvermögen auf eine Schwesterpersonengesellschaft. Nach Rechtsprechung des BFH ist insoweit ein direkter Weg nicht gegeben3. Umstritten ist jedoch, ob eine Überführung von Betriebsvermögen in drei Schritten steuerneutral möglich ist: 1 BFH v. 17.9.2015 – III R 49/13, NJW 2016, 1611. 2 BMF-Schreiben v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10002, Realteilung: Anwendung von § 16 Abs. 3 Satz 2 bis 4 und Abs. 5 EStG. 3 BFH v. 10.4.2013 – I R 80/12, BStBl. II 2013, 1004.

Rundshagen | 679

Kap. 9 Rz. 9.197 | Vorweggenommene Erbfolge

– Zunächst wird das Wirtschaftsgut in das Sonderbetriebsvermögen des Gesellschafters übertragen, – der Gesellschafter ordnet das Wirtschaftsgut sodann dem anderen Sonderbetriebsvermögen der Schwesterpersonengesellschaft zu, – schließlich wird dort der Gegenstand in das Gesamthandsvermögen der Schwesterpersonengesellschaft eingebracht, mit dem Ziel der Behandlung nach § 6 Abs. 5 EStG zum steuerlichen Buchwert.

Die Finanzverwaltung vertritt bisher die Auffassung, es handele sich um eine schädliche Umgehung von Besteuerungsnormen i.S.v. § 42 AO1. Nach einem Vorlagebeschluss des BFH2 ist diese Angelegenheit überraschenderweise nun beim BVerfG anhängig; es ist derzeit nicht absehbar, ob zukünftig diese Übertragung ohne gravierende Ertragsteuernachteile möglich sein wird.

9.198

(v) Ausgliederung mit Teilrealteilung Als Alternative kommt die Übertragung von Wirtschaftsgütern auf Tochter-Mitunternehmerschaften in Betracht, deren Anteile zu einem späteren Zeitpunkt z.B. gem. § 16 Abs. 3 EStG im Rahmen einer Teilrealteilung entnommen und so als Schwesterpersonengesellschaft etabliert werden können.

9.199

(vi) Spaltung nach UmwG Für Kapitalgesellschaften schließlich ist die Möglichkeit der Spaltung in Betracht zu ziehen, bei der qualifiziertes Betriebsvermögen nach § 15 i.V.m. § 11 UmwStG auf eine Schwesterkapitalgesellschaft abgespalten werden kann (s. Rz. 4.50). Betriebsvermögen, das im Rahmen einer solchen Abspaltung bei der abgebenden Gesellschaft verbleibt, muss keinen qualifizierten Teilbetrieb oder sonst eine wirtschaftliche Einheit darstellen. Im Einzelfall kann dieser Weg geeignet sein, eine Abtrennung nicht notwendigen Betriebsvermögens zu erreichen; zu bedenken sind jedoch Verfügungsbeschränkungen hinsichtlich der Anteile an den beteiligten Kapitalgesellschaften. Hier ist im einzelnen Fall zu prüfen, ob die sich hieraus ergebenden regelmäßig fünf Jahre dauernden Haltefristen nach § 15 Abs. 2 Satz 4 UmwStG für die beteiligten Gesellschafter darstellbar sind.

3. Erbschaft- und schenkungsteuerliche Ziele 9.200

Mit der Separierung nicht betriebsnotwendigen Vermögens für Ertragsteuerzwecke kann erreicht werden, dass der verbleibende Betrieb schenkungssteuerlich optimiert übertragen wird3. Der wirtschaftliche Begriff des nicht betriebsnotwendigen Vermögens nach EStG ist jedoch nicht deckungsgleich mit der Definition von Verwaltungsvermögens nach § 13b Abs. 4 ErbStG, das begrifflich zu einem Ausschluss der Begünstigungsregelungen für diese Art des Betriebsvermögens führt4. Dazu ist jeweils zu überprüfen, ob das als nicht betriebsnotwendig identifizierte Vermögen ein solches ist, das grundsätzlich einer erbschaftsteuerlichen Begünstigung als Betriebsvermögen zugänglich ist oder ob es sich insoweit schädliches Verwaltungsvermögen handelt, das nur ohne die Wertabschläge nach § 13a ErbStG übertragen werden kann.

1 2 3 4

BMF v. 8.12.2011 – IV C 6 - S 2241/10/10002, BStBl. I 2011, 1279. BFH v. 10.4.2013 – I R 80/12, BStBl. II 2013, 1004. Watim/Linnemann, DStR 2017, 569 (573 ff.). R E 13b.12 Abs. 1 ErbStR 2019.

680 | Rundshagen

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 9.203 Kap. 9

Grundsätzlich wird es im Rahmen einer erbschaftsteuerlichen Planung das Ziel sein, solches nicht benötigtes Betriebsvermögen aus der jeweiligen betrieblichen Einheit heraus zu lösen, das sich im Rahmen des Begünstigungskonzeptes für Betriebsvermögen nach § 13b Abs. 1 ErbStG als nicht begünstigtes Verwaltungsvermögen qualifizieren würde. Sodann ist die Frage zu stellen, ob nach Separierung dieses Vermögens aus der betrieblichen Einheit dieses durch eine geeignete Gestaltung seinerseits Begünstigungsnormen im Rahmen der Erbschaft- und Schenkungsteuer erfüllen kann (s. Rz. 6.255). Dies ist insbesondere bei Wohnimmobilien denkbar:

9.201

Beispiel: Eine Immobilienprojektentwicklungsgesellschaft kauft in nennenswertem Umfang Grundstücke mit Altbestand, saniert bzw. ersetzt die bestehenden Gebäude und verkauft sodann Wohnungen und Gewerbeeinheiten dieses Objektes. Im Regelfall verbleiben aus dem Verkauf dieser Projekte nur wenige Einheiten. Im Laufe der Zeit hat sich jedoch ein erheblicher Wohnungsbestand aufgebaut, der langfristig vermietet wird.

9.202

Im Rahmen einer erbschaftsteuerlichen Prüfung der Übertragung von Anteilen an dieser Projektgesellschaft würde man zu dem Ergebnis kommen, dass das Kerngeschäft der Projektentwicklung eine begünstigte gewerbliche Tätigkeit ist und mithin die Anteile an dieser Gesellschaft mit Abschlag übertragen werden könnten, wären da nicht die fremdvermieteten Immobilien, die nach § 13b Abs. 4 Nr. 1 ErbStG schädliches Verwaltungsvermögen sind. Vermutlich würde eine solche Gesellschaft nämlich wegen des sog. 90 %-Tests aus § 13b Abs. 9 EStG vollständig aus einer Begünstigung fallen, weil das (Brutto-) Verwaltungsvermögen im Verhältnis zum (Netto-)Wert des Betriebsvermögens im Zweifel einen zu hohen Wert hätte1. Deshalb ist es hier sinnvoll, die vermieteten Objekte aus der Gesellschaft auf eine eigene Gesellschaft z.B. in der Rechtsform einer gewerblichen GmbH & Co. KG oder einer GmbH zu übertragen. In diesem Fall könnte versucht werden, durch Bündelung mit weiteren Immobilien die Merkmale eines Wohnungsunternehmens nach § 13b Abs. 4 EStG zu erzielen mit der Konsequenz, dass diese gesonderte Einheit ebenfalls begünstigt übertragen werden könnte. In dem aufgezeigten Beispiel würde deshalb die Umstrukturierung dazu führen, dass von einer Ausgangssituation ohne jede Begünstigung nach §§ 13a, 13b ErbStG für das Betriebsvermögen eine Zielstruktur erreicht würde, bei der das gesamte Vermögen der Regelverschonung mit 85 % Wertabschlag nach § 13a Abs. 1 Satz 1 ErbStG unterliegen würde.

Ein weiterer wesentlicher Vorteil der Aufteilung des Gesamtunternehmens ist bei hohen Werten nach § 12 ErbStG i.V.m. 11 BewG die Höhe von Einzelübertragungen unter der Schwelle von 26 Mio. Euro nach § 13a Abs. 1 ErbStG zu halten (s. Rz. 6.217). Bei Übertragungswerten deutlich über dieser Schwelle nimmt die Vorteilhaftigkeit der Wertabschläge für Betriebsvermögen auch im Rahmen des Abschmelzungsmodells erheblich ab. Jedenfalls für Schenkwerte oberhalb von 50 Mio. Euro ist der dann noch auf besonderen Antrag verfügbare Wertabschlag von nur noch 53 % im Rahmen des Abschmelzungsmodells regelmäßig nicht mehr attraktiv2, zumal das nicht begünstigte Vermögen ohnehin der vollen Besteuerung unterliegt. Hier kommt dann alternativ nur die wertmäßig nicht beschränkte Begünstigung nach der Leistungsfähigkeit des Empfängers gem. § 28a ErbStG in Betracht3. Ebenfalls wesentliche Entlastung kann die Begünstigung für Familienunternehmen nach § 13a Abs. 9 ErbStG ermöglichen.

1 R E 13b.10 Satz 2 ErbStR 2019. 2 Korezkij, DStR 2017, 189 ff. 3 R E 13c1 Abs. 2 ErbStR 2019.

Rundshagen | 681

9.203

Kap. 9 Rz. 9.204 | Vorweggenommene Erbfolge

4. Zivilrechtliche Rahmenbedingungen 9.204

Wenn im Rahmen der Übertragung die wirtschaftlichen und steuerlichen Eckpunkte identifiziert worden sind und ein bevorzugter Übertragungsweg identifiziert wurde, so ist zunächst zu prüfen, ob dieser auch zivilrechtlich realisierbar ist. Häufige Hindernisse für wirtschaftlich und steuerlich vorzugswürdige Lösungen sind Beschränkungen aus Gesellschaftsverträgen (s. Rz. 4.17), insbesondere auch eine damit im Zusammenhang stehende uneinheitliche Meinungsbildung im Gesellschafterkreis, schuldrechtliche Beschränkungen aus bestehenden Finanzierungsverträgen bzw. Change-of-Control-Klauseln in für das Unternehmen wichtigen vertraglichen Vereinbarungen. Aber auch familienrechtliche Aspekte wie etwa der Schutz Minderjähriger können zivilrechtliche Beschränkungen des wirtschaftlich Gewollten zur Konsequenz haben (s. Rz. 2.133).

9.205

Bei der Durchführung der Übertragung von Wirtschaftsgütern aus einem Betriebsvermögen auf entweder die Gesellschafterebene oder eine andere betriebliche Einheit stellt sich zudem die zivilrechtliche Frage, ob Übertragungsvorgänge im Wege einer meistens eher komplexen Einzelrechtsnachfolge durchgeführt werden sollen oder im Wege einer (partiellen) Gesamtrechtsnachfolge nach § 123 Abs. 3 UmwG. Die Einzelrechtsnachfolge hat aus Sicht der umstrukturierenden Unternehmen und ihrer Gesellschafter häufig zwei wesentliche Nachteile: – Zum einen resultiert bei einer Gesamtheit von Wirtschaftsgütern eine erhöhte Komplexität daraus, dass tatsächlich jeder Gegenstand, der übertragen werden soll, auch genau bezeichnet werden muss. Andernfalls, wenn nicht zweifelsfrei identifizierbar ist, dass ein Gegenstand übertragen werden soll, so verbleibt er bei der abgebenden rechtlichen Einheit. – Darüber hinaus ist in vielen Fällen die Übertragung im Wege der Einzelrechtsnachfolge an die Bedingung einer Zustimmung durch Gläubiger geknüpft. So ist es z.B. nicht möglich, einfach eine Immobilie zu übertragen, wenn diese fremdfinanziert ist, ohne, dass die finanzierende Bank dem zustimmt. Gleiches gilt für Vorratsvermögen, das Gegenstand von Sicherungsvereinbarungen ist.

9.206

Aus den genannten Gründen ist in der Praxis zu beobachten, dass Umstrukturierungen bevorzugt entweder als Verschmelzung, als Spaltung im Wege einer (Teil-)Gesamtrechtsnachfolge (s. Rz. 4.50) oder in der besonderen Form der Anwachsung von Personengesellschaften durchgeführt werden (s. Rz. 4.48). Alle drei Formen der Gesamtrechtsnachfolge zeichnen sich dadurch aus, dass eine unbegrenzte Haftung der übernehmenden Einheit für Verbindlichkeiten des übergehenden Vermögens eingegangen wird. Aus diesem Grund kann regelmäßig auf die Zustimmung von Gläubigern verzichtet werden; diese werden lediglich über den automatisch vollzogenen Übergang des Eigentums informiert. Die Grenze solcher Gestaltungen liegt jedenfalls vor, wenn dieser Weg darauf abzielt, Gläubiger i.S.v. § 826 BGB sittenwidrig zu schädigen. Dabei dürfte eine solche Handlung jedoch primär zu einer unbegrenzten persönlichen Haftung der Akteure führen, jedoch nicht die sachenrechtliche Zuordnung als Konsequenz von einer im Übrigen umgesetzten Gesamtrechtsnachfolge in Frage stellen.

9.207

Des Weiteren ist bei der zivilrechtlichen Ausgestaltung zu bedenken, dass die Übertragung von Wirtschaftsgütern für steuerliche Zwecke nicht primär eine Änderung in der zivilrechtlichen Eigentumsposition erfordert, sondern den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums für steuerliche Zwecke, vgl. § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO. In praktischer Hinsicht und auch unter Kostenaspekten ist zudem zu berücksichtigen, dass Vorgänge mit Gesamtrechtsnachfolge meistens einer notariellen Beurkundung bedürfen und von daher mit einem Zeit- und Kostenaufwand verbunden sind. 682 | Rundshagen

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 9.212 Kap. 9

5. Behandlung von Sonderbetriebsvermögen Bei der Zuordnung von Wirtschaftsgütern für steuerliche Zwecke zu einem anderen Betriebsvermögen ist bei Mitunternehmerschaften besonders der Status von gegebenenfalls bestehendem Sonderbetriebsvermögen i.S.v. § 15 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Halbs. 2 EStG zu berücksichtigen. Denn dieses hat ebenso, wie die abweichende Zurechnung im Rahmen von § 39 AO zur Konsequenz, dass die steuerliche Erfassung bei einer Personengesellschaft von der zivilrechtlichen dinglichen Zuordnung gem. § 15 EStG abweicht. Hierdurch werden sämtliche Wirtschaftsgüter erfasst, die von einer Mitunternehmerschaft genutzt werden bzw. die dem Anteil eines Gesellschafters an einer Mitunternehmerschaft dienen, obwohl sie nicht selbst deren zivilrechtlicher Eigentümer ist. Sowohl für die Einkommen- als auch die Erbschaftsteuer können sich aus dem Übertragen aber auch dem Zurückbehalten von Sonderbetriebsvermögen Steuernachteile ergeben. Entweder weil eine einkommensteuerliche Realisation erfolgt, oder Sonderbetriebsvermögen nicht begünstigt auf den Erwerber übertragen wird.

9.208

III. Umwandlung und andere Strukturänderungen des Unternehmens 1. Änderung des Gesellschaftsvertrages (Vertragliche Anpassungen zur Vorbereitung der Unternehmensnachfolge) Die Übertragung von Unternehmen in die nächste Generation ist fast immer damit verbunden, dass für Gesellschaften, die im Einflussbereich des Übertragenden sind, zunächst deren Gesellschaftsverträge angepasst werden. Dies sollte das nicht auf die aktuellen Themen aus der geplanten Übertragung beschränkt sein, sondern zum Anlass genommen werden, die gesellschaftsvertraglichen Regelungen einer umfassenden Aktualisierung unterzogen werden.

9.209

2. Wechselwirkungen zu Ehe- und Erbrecht Die Nachfolgeklauseln insbesondere in Gesellschaftsverträgen von Personengesellschaften, also Gesellschaften bürgerlichen Rechts, offene Handels- und Kommanditgesellschaften, haben enge Wechselwirkungen zum Erbrecht. Das Zusammenspiel ist insoweit recht komplex als einerseits das Gesellschaftsrecht die Testierfreiheit nicht beschränkt. Andererseits kann der Wille eines Erblassers, der an einer Gesellschaft beteiligt war, nicht die vereinbarten gesellschaftsvertraglichen Bindungen aushebeln; ein Testament kann nicht die im Gesellschaftsvertrag vereinbarten Eintrittsregeln für Rechtsnachfolger ohne Zustimmung der Mitgesellschafter verändern (s. Rz. 10.124). Es stellt sich deshalb die Frage, was gelten soll bzw. was gilt, wenn die Regelungen nicht aufeinander abgestimmt sind.

9.210

Dagegen sind die rechtlichen Möglichkeiten von Vermögensübergebern Unternehmensanteile zu übertragen bei GmbH und AG häufig einfacher, da regelmäßig in Kapitalgesellschaftsverträgen geringere Anforderungen an die Beteiligung gestellt werden. Dennoch sind auch hier in der Satzung Regelungen möglich, die dazu führen, dass Gesellschafter nur eingeschränkt und ohne die Mitwirkung der anderen wirksam an neue Gesellschafter übertragen können.

9.211

Die wechselseitige Anpassung der Regelungskreise Gesellschaftsvertragsrecht und Erbrecht in der individuellen Planungssituation hängt für den Vermögensübergeber vor allem auch von seinen gesellschaftsrechtlichen Einflussmöglichkeiten ab:

9.212

– Sofern er über die notwendige Mehrheit in der Gesellschafterversammlung eines Unternehmens verfügt, kann er individuelle Anpassungen vor der Übertragung vornehmen.

Rundshagen | 683

Kap. 9 Rz. 9.212 | Vorweggenommene Erbfolge

– Wenn dagegen keine Mehrheit besteht oder über ein bestimmtes Stimmrechtsquorum die Durchsetzbarkeit von Änderungsvorstellungen nicht gegeben ist, sollte diese Ausgangslage in den testamentarischen Regelungen berücksichtigt werden.

9.213

Unabhängig von der Rechtsform der Gesellschaft, deren Anteile zur Übertragung anstehen, sehen Gesellschaftsverträge oft eine Verpflichtung für Gesellschafter vor, mit Ihrem Ehepartner eine zivilrechtlich wirksame Vereinbarung dahingehend zu treffen, dass im Falle der Beendigung des Güterstandes der Zugewinngemeinschaft bei der Bemessung des Zugewinns insbesondere eingetretene Wertsteigerungen aus der Beteiligung ausgeklammert werden. Damit soll verhindert werden, dass ein Gesellschafter gezwungen sein könnte, im Falle einer Trennung seinen Gesellschaftsanteil zu verkaufen oder die Kündigung der Beteiligung auszusprechen (s. Rz. 2.68). Diese Regelung dient damit vor allem dem Schutz der Gesellschaft und der anderen Gesellschafter. Nicht erforderlich ist dazu, dass die Gütertrennung zwischen dem Gesellschafter und seinem Ehepartner vereinbart wird (s. Rz. 21.20 und Rz. 21.29). Eine solche weitgehende Forderung würde über das Schutzinteresse der Gesellschaft hinaus gehen, da mit der Vereinbarung einer modifizierten Zugewinngemeinschaft ein geeignetes Instrument zur Verfügung steht. Zu beachten ist jedoch, dass der Ausschluss des Zugewinns insoweit alle Arten der Beendigung des Güterstandes betreffen sollte und nicht etwa nur den eher offenkundigen Fall der Ehescheidung (s. Rz. 2.75). Beispiel:

9.214

U und E leben im Güterstand der Zugewinngemeinschaft. U ist mit 40 % an einer Handelsgesellschaft in der Rechtsform der X-GmbH & Co. KG beteiligt. Der Gesellschaftsvertrag sieht vor, dass alle Gesellschafter, die natürliche Personen sind und eine Ehe schließen den Zugewinnausgleich hinsichtlich von Wertsteigerungen in der Beteiligung an der Gesellschaft zivilrechtlich wirksam auszuschließen haben. Durch notarielle Vereinbarung haben daraufhin U und E den gesetzlichen Güterstand so modifiziert, dass bei Ehescheidung und vertraglicher Beendigung des Güterstandes ein Zugewinn in Hinblick auf die Beteiligung des U an der X-GmbH & Co. KG unberücksichtigt bleibt. Die Vereinbarung der Eheleute U und E entspricht nicht den gesellschaftsvertraglichen Verpflichtungen des U, denn ein Zugewinnausgleich kann hier auch im Fall des Todes des U ausgelöst werden.

3. Gesellschafter- und Poolvereinbarungen 9.215

Eine Ebene oberhalb von Gesellschaftsverträgen und Satzungen angesiedelt sind Vereinbarungen der Gesellschafter untereinander. Aus steuerlicher Sicht haben diese regelmäßig die Funktion Stimmrechte zu bündeln und so für Anteile an Kapitalgesellschaften von nicht mehr als 25 % nach § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG grundsätzlich begünstigungsfähiges Vermögen zu schaffen. Dabei ist darauf zu achten, dass tatsächlich nur die Stimmbindung und Verfügungsbeschränkung vereinbart wird, die Anteile an der Kapitalgesellschaft selbst jedoch im zivilrechtlichen Eigentum der Mitglieder des Stimmenpools bleiben1. Denn andernfalls besteht keine unmittelbare, begünstigungsfähige Beteiligung mit der Folge dass nach Rechtsprechung des BFH kein Wertabschlag nach § 13a ErbStG verfügbar ist2.

9.216

Die unmittelbare rechtliche Gesellschafterstellung in der Kapitalgesellschaft sowie die im Innenverhältnis der Poolmitglieder bestehenden Bindungen nach steuerlichen Vorgaben führen zu komplexen Regelungen: Zum einen müssen die Stimmbindungs- und Haltevorschriften 1 R E 13b.6 Abs. 4 und 5 ErbStR 2019. 2 BFH v. 11.6.2013 – II R 4/12, DStR 2013, 1536.

684 | Rundshagen

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 9.219 Kap. 9

zur Sicherung eines grundsätzlich begünstigungsfähigen Anteils gesichert werden, zum anderen sind die zivilrechtlichen Schranken zu beachten, die sicherstellen sollen, dass niemand auf Dauer gegen seinen Willen in einer Gesellschaft gebunden wird. So regelt etwa § 738 Abs. 2 BGB dass die ordentliche Kündigung einer GbR durch den Gesellschaftsvertrag nicht ausgeschlossen werden kann. Nach § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG ist jedoch gefordert, dass für eine Mindestzeit die Kündigung der GbR ausgeschlossen und die Verfügung über die Anteile beschränkt ist. Hier wird es deshalb erforderlich sein, über eine vereinbarte Mindestlaufzeit der Poolvereinbarung z.B. von 10 Jahren diese beiden sich potentielle widersprechenden gesetzlichen Anforderungen in Einklang zu bringen. Zusätzliche Komplexität bringen dabei Treuhandverhältnisse an Kapitalgesellschaftsanteilen mit sich1. Sollte sich jedoch herausstellen, dass der Stimmrechtspool zivilrechtlich unwirksam ist, entfällt damit automatisch auch dann die Qualifikation der in dem Pool gebündelten Anteile als begünstigungsfähiges Betriebsvermögen nach § 13b Abs. 1 Nr. 34 ErbStG. Etwas anderes gilt nur dann, wenn nachgewiesen werden kann, dass der schriftlich abgefasste, unwirksame Stimmenpool i.S.v. § 41 Abs. 1 AO über längere Zeit wirksam durchgeführt wurde. Häufig ist dies der Situation eines unwirksamen Testaments nicht unähnlich, an dem sich die Beteiligten verbindlich halten, dessen Wirkungen eintreten lassen und demgemäß auch danach besteuert werden2.

9.217

Im Ergebnis kann damit durch den Abschluss von solchen Poolvereinbarungen zwar recht schnell und unkompliziert zunächst die schenkungs- und erbschaftsteuerliche Begünstigung für die Übertragung von Anteilen an Kapitalgesellschaften hergestellt werden. Auf Dauer gesehen birgt diese rechtlich relativ fragile Struktur jedoch erhebliches Konfliktpotential, da sich die wirtschaftlichen Interessen der Beteiligten unterschiedlich entwickeln können. Auch wenn dies in Poolverträgen üblicherweise sanktioniert wird, besteht die große Gefahr, dass durch Fehlverhalten einzelner Poolmitglieder in Bezug auf z.B. Verfügungen über ihren Anteil an Nicht-Familienmitglieder und Nicht-Gesellschafter die Begünstigung für alle anderen gefährdet wird. Auch kann durch regelmäßige Übertragungsvorgänge faktisch das Bedürfnis eintreten, den Pool fast unendlich weiter zu führen.

9.218

Wo immer es sich realisieren lässt, dürfte daher eine gewerblich geprägte GmbH & Co. KG, die Anteile an einer Kapitalgesellschaft hält, die bessere Wahl sein. Denn bei ihr sind nicht nur die Stimmrechte des Einzelnen beschränkt sondern auch parallel die Verfügungsmöglichkeiten über den Anteil an der Kapitalgesellschaft, weil dieser Gesamthandsvermögen wird. Es besteht durch die Registeröffentlichkeit regelmäßig auch Klarheit über die tatsächlichen Beteiligungsverhältnisse. Zudem lässt sich eine solche Gesellschaft so ausgestalten, dass sie die Merkmale eines Familienunternehmens nach § 13a Abs. 9 ErbStG erfüllt und so einen der Höhe nach unbegrenzten Bewertungsabschlag von bis zu 30 % auf das begünstigte Vermögen ermöglicht. In den Fallkonstellationen, in denen bereits ein Pool besteht und die Mitglieder den einheitlich und gemeinsam zu vollziehenden Schritt der Überführung in eine GmbH & Co. KG beabsichtigen, sollte dies steuerunschädlich möglich sein3. Dazu sind zunächst die in der Pool-GbR geregelte Stimmrechtsbindung sowie die Verfügungsbeschränkung auf diese neue Gesellschaft zu übertragen. Sodann werden die Anteile in das Gesamthandsvermögen im Wege einer unentgeltlichen Einlage übertragen.

9.219

1 Milatz/Schultz, ZEV 2018, 366. 2 BFH v. 7.10.1981 – II R 16/80, BStBl. II 1982, 28. 3 R E 13b.6 Abs. 4 ErbStR 2019.

Rundshagen | 685

Kap. 9 Rz. 9.220 | Vorweggenommene Erbfolge

4. Unternehmensnachfolge und Umwandlung 9.220

Die Veränderung der Struktur des Unternehmens im Zuge der Planung und Umsetzung einer Unternehmens- und Vermögensnachfolge ist häufig ratsam, aus sehr unterschiedlichen Gründen. Naheliegend sind dabei zunächst Umwandlungsvorgänge, die darauf abzielen, die erbschaftsteuerlichen Anforderungen für eine optimierte Übertragung zu schaffen. Typische Fallkonstellationen hierzu sind:

9.221

(i) 25 %-Schwelle bei Kapitalgesellschaften Eine Kapitalgesellschaft wird in eine Mitunternehmerschaft umgewandelt, weil einzelne Gesellschafter nicht mehr als 25 % beteiligt sind und eine Poolvereinbarung vermieden werden soll. Mit Wirksamwerden der Umwandlung ist der Zugang zur Übertragung nach § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG eröffnet, der keine Mindestbeteiligungshöhe für die begünstigte Schenkung von Mitunternehmeranteilen vorsieht und sich so grundlegend von den Begünstigungsmerkmalen für Kapitalgesellschaften unterscheidet.

9.222

(ii) Drittlandsvermögen einbeziehen

Im Rahmen von § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG wird bei Einzelunternehmen und Mitunternehmerschaften Betriebsvermögen nur dann als begünstigungsfähig qualifiziert, wenn es im Inland oder anderen EU-Mitgliedsstaaten belegen ist. Dagegen führt § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG zu einer Einbeziehung auch von Drittlandsvermögen in das begünstigungsfähige Vermögen, selbstverständlich auch nur insoweit wie darin begünstigtes Vermögen i.S.v. § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG enthalten ist. Auslandsbetriebsstätten und Mitunternehmerschaften im Nicht-EU-Ausland werden durch die ihre gehörende GmbH & Co. KG in eine inländische Kapitalgesellschaft steuerneutral nach § 20 Abs. 1 UmwStG eingebracht. So wird indirekt auch das Drittlandsvermögen bei der Übertragung begünstigtes Vermögen, soweit es sich nicht nach § 13b Abs. 4 ErbStG als schädliches Verwaltungsvermögen qualifiziert. Selbstverständlich wird dieses Vermögen dann auch Bestandteil der Verbundvermögensaufstellung nach § 13b Abs. ErbStG und beeinflusst so den allgemeinen Zugang zum Begünstigungssystem indem dieses Vermögen sowohl für den 90 %-Test als auch den 20 %-Test für die Möglichkeit der Optionsverschonung nach § 13a Abs. 10 ErbStG eröffnet. Dagegen bleibt dieses Vermögen für die Ermittlung der Ausgangslohnsumme ebenso wie für das Lohnsumme-Monitoring außer Ansatz.

9.223

(iii) Vermeidung von Immobilien als Verwaltungsvermögen In einigen Familienunternehmen werden historisch gewachsen die von dem Betrieb genutzten Immobilien in einer eigenständigen Immobiliengesellschaft gehalten. Insbesondere wenn dieses die Rechtsform einer GmbH hat und von den Familienmitgliedern parallel zum ebenfalls als Kapitalgesellschaft organisierten Unternehmen gehalten wird, besteht die erhebliche Gefahr, dass die Anteile an der Immobiliengesellschaft nicht nach §§ 13a, 13b ErbStG begünstigt übertragen werden könne. Denn nach § 13b Abs. 4 Nr. 1 ErbStG führt nur in bestimmten Fallgruppen die Nutzung von Immobilien zu insoweit begünstigtem Vermögen: Zum einen ist nach Buchst. a eine Betriebsaufspaltung besteht oder nach Buchst. c die Immobiliengesellschaft zum gleichen Konzern gehört.

9.224

In der hier beschriebenen Ausgangslage gibt es zumindest zwei denkbare Gestaltungsrichtungen: – Zunächst können die Anteile an der Immobilien GmbH ohne weitere Umwandlung zu 74 % in die Unternehmenskapitalgesellschaft nach § 20 Abs. 1 UmwStG steuerneutral eingebracht werden. Auf diese Weise wird der § 13b Abs. 4 Nr. 1 c ErbStG erfüllt, da die Immobiliengesellschaft über die Mehrheitsbeteiligung und eine entsprechende Einflussmöglich686 | Rundshagen

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 9.225 Kap. 9

keit zum Konzern gehört. Andererseits ist der verbleibende Anteil von 26 % hoch genug, um selbst als grundsätzlich begünstigungsfähiges Vermögen nach § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG zu gelten. Da für eine betriebliche Einheit deren Vermögen nur einheitlich als begünstigt oder nicht begünstigtes Verwaltungsvermögen qualifiziert werden kann, gilt auch für die Gesellschafter der Immobilien-GmbH, die die 26 % halten, als begünstigtes Betriebsvermögen. Zu beachten ist natürlich auch die Vermeidung von Grunderwerbsteuertatbeständen, was bei dem hier beschriebenen Modell regelmäßig möglich sein dürfte. Denkbar ist es auch die Anteilsverhältnisse so zu gestalten, dass nur 51 % auf die das Unternehmen tragende Kapitalgesellschaft übergehen und 49 % zur Übertragung an Angehörige bereit stehen, die einen möglichst geringen Einfluss auf das Unternehmen haben sollen. Unterstützt kann werden kann ein solches Ziel durch die Vorschaltung einer GmbH & Co. KG, die die Anteile von 49 % hält. Neben der Bündelung von Mitwirkungsrechten ist zudem eine breit gestreute Beteiligung möglich, ohne den Status als begünstigungsfähiges Vermögen zu verlieren, da nach § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG es anders als bei Kapitalgesellschaftsanteilen nach § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG auf eine Mindestbeteiligung nicht ankommt. – Zum anderen könnte die Immobilien-GmbH grundsätzlich steuerneutral nach §§ 3 ff. UmwStG in eine Mitunternehmerschaft z.B. als GmbH & Co. KG umgewandelt werden. Sodann legen die Gesellschafter die Anteile an der Kapitalgesellschaft, die das Unternehmen betreibt, unentgeltlich in die neue Mitunternehmerschaft ein. Nunmehr ist die Rückausnahme von § 13b Abs. 4 Nr. 1 c durch Bildung einer Konzernstruktur erfüllt. Die Nachteile dieser Umwandlungsoption sind eine mögliche Gefährdung von Verlustvorträgen im Unternehmen und das Herstellen der Ausschüttungsbelastung bei Umwandlung der Immobilien-GmbH in eine Mitunternehmerschaft. Dafür treten keine Grunderwerbsteuerrisiken ein und es gibt lediglich Anteile für die Familie an einer Gesellschaft und nicht an zwei rechtlichen Einheiten.

9.225

(iv) Abschlag für Familienunternehmen erzielen Bei größeren Familienunternehmen mit einer hohen erbschaftsteuerlichen Bewertung droht häufig die Überschreitung der Übertragungsschwelle von Euro 26 Millionen nach § 13a Abs. 1 ErbStG. Dies hat zur Konsequenz, dass eine Begünstigung lediglich nach entweder dem Verschmelzungsmodell oder aber nach der Verschonung Bedarfsprüfung des § 28a ErbStG möglich ist. Beide Optionen weisen erhebliche Nachteile auf. Die Abschmelzungsvariante ist wirtschaftlich im Zweifel nur bis zu einem Wert des begünstigten Vermögens von 50 Mio. Euro sinnvoll (s. Rz. 9.203). Dagegen wird in vielen Fällen die Verschonung Bedarfsprüfung zu wenig attraktiven Ergebnissen führen, wenn bereits Schenkungen erfolgt sind. Deshalb ist es für viele Familien interessant, die in § 13a Abs. 9 ErbStG vorgesehene Begünstigung für inhabergeführte Unternehmen mit konstanten Gesellschafterbestand in Anspruch zu nehmen (s. Rz. 6.284). Diese ermöglicht es, unabhängig von der Schenk- oder Übertragungshöhe einen Wertabschlag von 30 % auf das begünstigte Vermögen vorzunehmen. Selbstverständlich ist auch bei dieser Option eine Begünstigung von Verwaltungsvermögen nicht gegeben. Die Nachteile für diese Begünstigung sind, dass zum einen Entnahmebeschränkungen für Gewinne bestehen und zum anderen sich der Gesellschafterbestand im Wesentlichen über einen in der Zeit von 20 Jahren nur insoweit verändern darf, als Anteile an andere Familienangehörige übertragen werden. Diese Beschränkungen sind für Rechtsträger, die unternehmensleitende tätig sind, nicht sinnvoll. Von daher bietet es sich an, eine Option auf Begünstigung als Familienunternehmen nur in Stammes- und Familienholding-Gesellschaften zu etablieren. So kann die unternehmerische Flexibilität mit der Begünstigung von Schenkvorgängen im Einzelfall sinnvoll kombiniert werden. Rundshagen | 687

Kap. 9 Rz. 9.226 | Vorweggenommene Erbfolge

9.226

Die unternehmensleitende Obergesellschaft wird, wenn es sich um eine Personengesellschaft handelt, steuerneutral nach § 20 Abs. 1 i.V.m. § 22 UmwStG in eine GmbH umgewandelt und die neu ausgegebenen Anteile an dieser in einer neu geschaffenen gewerblich geprägten GmbH & Co. KG gebündelt. Diese Mitunternehmerschaft soll die Merkmale einer Familiengesellschaft i.S.v. § 13a Abs. 9 ErbStG erfüllen. Hier werden die Gesellschafter nicht mehr Mitunternehmer des gesamten Betriebs, sondern nur in Hinblick auf den Anteil an der Obergesellschaft in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft. Damit treten steuerliche Folgen nur bei Gewinnausschüttungen oder Verkaufsvorgängen ein. Zudem wird – anders als bei Mitunternehmerschaften – eine Parallelität von Zufluss und Steuerpflicht hergestellt, die bei umfangreichem Gesellschafterbestand besser zu betreuen ist. Gleichzeitig kann auf Ebene der das Unternehmen führenden Kapitalgesellschaft frei über die Aufnahme weiterer Gesellschafter entschieden werden, ohne dass dies den Status der darüber angeordneten Familienholding GmbH & Co. KG i.S.v. § 13a Abs. 9 ErbStG gefährdet.

9.227

(v) Ertragsteuerliche Optimierung Viele Familienunternehmer haben eine sehr geringe Risikostreuung in ihrem Vermögen. Nicht selten besteht dieses zu ganz überwiegendem Teil aus der Beteiligung an einem in einer Branche tätigen Betrieb. Zudem ist der Wert dieses Unternehmens häufig sehr viel höher als der des sonstigen Vermögens, insbesondere auch des Privatvermögens. Wenn vom Unternehmer angestrebt wird, zu diversifizieren sollte dies möglichst auf der Grundlage der Thesaurierungsbesteuerung einer Kapitalgesellschaft erfolgen, ohne dass zunächst eine Besteuerung auf Ebene des Unternehmers stattfindet, sei es durch die Ausschüttung von Gewinnen aus Kapitalgesellschaften oder aber der transparenten Besteuerung einer Mitunternehmerschaft nach § 15 EStG. Gleiches gilt, wenn Unternehmer bereits über zwei oder mehr selbständige Unternehmen verfügen und Investitionen steuereffizient zwischen den betrieblichen Einheiten zu ermöglichen, ohne dabei die Besteuerung auf Anteilseignerebene auszulösen.

9.228

Zu übertragende Anteile an mehreren Kapitalgesellschaften werden vor Schenkung in eine Holding GmbH nach § 21 Abs. 1 UmwStG zum Buchwert eingebracht. Ausschüttungen aus den Gesellschaften können sodann von der Familie in der Holdingkapitalgesellschaft nach § 8b Abs. 1 KStG steuerfrei vereinnahmt werden, ggf. belastet nur mit der Steuer auf 5 % der Dividende als fiktiv nicht abzugsfähige Betriebsausgabe und steht so nur gering durch Steuerlasten geschmälert für Reinvestitionen zur Verfügung. Mit dem Ablauf der Sperrfrist von 7 Jahren nach § 22 Abs. 1 UmwStG ist auch eine voll steuerpflichtige Veräußerung der Beteiligungen durch die Holding möglich, verbunden mit der Option der Reinvestition. Aus schenkungsteuerlicher Sicht hat die Holding in der Rechtsform der Kapitalgesellschaft zudem den Vorzug, dass eine solche Umschichtung von Unternehmensbeteiligungen, die nicht mit einer Ausschüttung von Substanz an die Gesellschafter verbunden ist, zudem wohl den Vorteil, dass nicht gegen die Behaltensregeln nach § 13a Abs. 4 ErbStG verstoßen wird, weil insofern die Rechtsform der Kapitalgesellschaft für die Betrachtung des Veräußerns wesentlicher Betriebsgrundlagen abschirmt.

9.229

In Betracht kommen für Umstrukturierungen natürlich auch viele nicht-steuerliche Aspekte und Überlegungen zur Familien-Governance, insbesondere dann, wenn sich der Gesellschafterkreis durch Übertragungsvorgänge in recht kurzer Zeit erweitert und verjüngt. Dennoch empfiehlt es sich, dabei ich jedenfalls die oben dargestellten Aspekte typischer Umstrukturierungsmodelle zu beachten, um die wirtschaftlich gewollte Struktur nicht unnötig mit Steuernachteilen zu belasten.

688 | Rundshagen

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 9.235 Kap. 9

IV. Familie als Unternehmensträger 1. Unternehmen und eheliches Güterrecht a) Ehelicher Güterstand und Unternehmen Da der Ehegatte durch das eheliche Güterrecht ohne besondere Regelungen (z.B. keine Vereinbarung von Gütertrennung) wirtschaftlich bei Beendigung des Güterstandes grundsätzlich auch am Betriebsvermögen beteiligt ist, muss der Unternehmer Vorkehrungen treffen, dass das Unternehmen im Falle eines Scheiterns der Ehe nicht gefährdet und die geplante Nachfolge (z.B. mit den Abkömmlingen) gesichert ist. Die gesetzlichen Güterstände gelten gleichermaßen für Lebenspartner1 (vgl. § 10 LPartG).

9.230

b) Wahl des Güterstandes aa) Zugewinngemeinschaft Neben familienrechtlichen und finanziellen Überlegungen zur Wahl des Güterstandes sind auch steuerliche Aspekte der Nachfolgeplanung zu berücksichtigen.

9.231

Leben die Ehegatten im gesetzlichen Regelfall im Güterstand sind für die Nachlassplanung zwei Grundprinzipien zu unterscheiden, je nachdem, ob bei Beendigung der Zugewinngemeinschaft durch Tod eines Ehegatten der überlebende Ehegatte weder Erbe noch Vermächtnisnehmer wird oder sogar selber die Erbschaft ausschlägt („güterrechtliche Lösung“) oder ob der überlebende Ehegatte in diesem Fall Erbe, Vorerbe oder Vermächtnisnehmer wird („erbrechtliche Lösung“). Bei der erbrechtlichen Lösung beträgt der gesetzliche Erbteil des Ehegatten neben Abkömmlingen ¼ (neben Eltern und ihren Abkömmlingen sowie Großeltern ½, § 1931 Abs. 1 BGB) und erhöht sich nach § 1371 Abs. 1 BGB pauschal um ¼.

9.232

Bei der güterrechtlichen Lösung erhält der überlebende Ehegatte nicht den um ¼ erhöhten Erbteil, sondern den „tatsächlichen“ Zugewinn und den Pflichtteil nach dem nicht erhöhten Erbteil (sog. „kleiner Pflichtteil“). Das bedeutet, dass der überlebende Ehegatte neben Abkömmlingen 1/8 des nach Abzug des Zugewinns verbleibenden Nachlasses und den tatsächlichen Zugewinn erhält (§ 1371 Abs. 2, 3 BGB).

9.233

Erbschaftsteuerlich ist der Ausgleich des Zugewinns privilegiert. Wird bei Tod eines Ehegatten der Zugewinn tatsächlich nicht gem. § 1371 Abs. 2 BGB ausgeglichen, fingiert § 5 Abs. 1 Satz 1 ErbStG die Zugewinnausgleichsforderung und nimmt diese in Höhe des Steuerwertes von der Besteuerung aus.

9.234

Auch der lebzeitige Zugewinnausgleich (z.B. durch Scheidung oder Beendigung des Güterstandes durch Ehevertrag) ist schenkungsteuerlich nach § 5 Abs. 2 ErbStG privilegiert und wird von der Besteuerung ausgenommen. Im Gegensatz zur erbrechtlichen Lösung ist die Steuerbefreiung dabei aber nicht auf den Steuerwert begrenzt (§ 5 Abs. 1 Satz 5 ErbStG). So kann zu Lebzeiten der Ehegatten durch eine sog. „Güterstandsschaukel“ (Beendigung des Güterstandes der Zugewinngemeinschaft und anschließende Rückkehr in diesen Güterstand) steuerfrei Vermögen eines vermögenden Ehegatten auf den nicht vermögenden Ehegatten übertragen werden.

9.235

1 Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts ist am 1.10.2017 in Kraft getreten (Umwandlung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft in Ehe möglich, § 20a LPartG).

Rundshagen | 689

Kap. 9 Rz. 9.236 | Vorweggenommene Erbfolge

9.236

Wenn unternehmerisches Vermögen vorhanden ist, dürfte eine Modifikation der Zugewinngemeinschaft dergestalt zu empfehlen sein, dass der Zugewinnausgleich außer bei Beendigung des Güterstandes durch Tod ausgeschlossen ist oder dass das Betriebsvermögen aus der Berechnung des Zugewinnausgleichs im Anfangs- und Endvermögen ausgenommen wird, oder dass bestimmte Wertermittlungs- und Bewertungsmethoden festgelegt oder ein Höchstbetrags des Zugewinns vereinbart wird. Die Modifikation kann nur durch notariell beurkundeten Ehevertrag erfolgen.

9.237

Erbrechtliche und erbschaft- und schenkungsteuerliche Vorteile des gesetzlichen Güterstandes können auch bei sog. „modifizierter Zugewinngemeinschaft“ nutzbar gemacht werden, indem durch Ehevertrag der Güterstand der Zugewinngemeinschaft für den Fall der Beendigung der Ehe durch Scheidung ausgeschlossen, für den Fall der Beendigung durch Tod jedoch beibehalten wird. Das geht jedoch nur wenn dies nicht durch gesellschaftsvertragliche Regelungen insbesondere bei Personengesellschaften ausgeschlossen ist.

9.238

Die in der Praxis nicht mehr häufige Gütergemeinschaft sieht eine Vergemeinschaftung auch des vorehelichen Vermögens, jedoch mit zwingender Ausnahme der Vermögensgegenstände, die nicht durch Rechtsgeschäft übertragen werden können (Sondergut, § 1417), und möglicher Ausnahme anderer Gegenstände (Vorbehaltsgut, § 1418) vor. Aus den güterrechtlichen Bestimmungen (§§ 1415 ff. BGB) ergeben sich komplizierte Beschränkungen der Verpflichtungsbefugnis1. Daneben sind die Besonderheiten der dinglichen Beteiligung des Gesamtguts (§ 1416 BGB) zu beachten. Hinsichtlich der Verpflichtungsbefugnis gilt güterrechtlich, dass jeder Ehegatte das ihm zustehende Vorbehalts- und Sondergut (§§ 1417, 1418 BGB) wirksam allein verpflichten und sein Vorbehaltsgut auch in eine Gesellschaft einbringen kann. Hinsichtlich des Gesamtguts ist danach zu differenzieren, ob die Ehegatten vereinbart haben, dass das Gesamtgut von einem allein verwaltet wird (Gesamtgutsverwalter, § 1421 BGB), der dann das Gesamtgut grundsätzlich allein verpflichten kann, es sei denn es wird über das Gesamtgut im Ganzen oder über Grundstücke verfügt (§§ 1422, 1423 f., 1437 BGB). Der nicht verwaltungsberechtigte Ehegatte kann das Gesamtgut nur dann wirksam verpflichten, wenn der Gesamtgutsverwalter hierzu seine ausdrückliche Zustimmung erteilt oder zumindest dem Geschäftsbetrieb, der nunmehr von der GmbH ausgeübt wird, zugestimmt hat (§ 1431 BGB). Bei Gütergemeinschaften, bei denen entsprechend dem Regelfall dieses Güterstandes beide Ehegatten das Gesamtgut gemeinsam verwalten (§§ 1451 ff. BGB) bedarf die wirksame Verpflichtung des Gesamtguts oder die Verfügung über Gegenstände des Gesamtguts ebenfalls der Zustimmung des anderen Ehegatten, wenn nicht eine Einwilligung in den Geschäftsbetrieb vorliegt2 (§§ 1456 ff. BGB).

9.239

Für Unternehmerehen ist der Güterstand der Gütergemeinschaft regelmäßig nicht geeignet. Insbesondere Güterstandsklauseln in Gesellschaftsverträgen von Personengesellschaften schließen die Wahl oder Beibehaltung dieses Güterstandes direkt oder indirekt aus.

9.240

Bei einer in Gütergemeinschaft geführten Ehe verändert sich die Erbquote nicht. Der überlebende Ehegatte zunächst die Hälfte des Gesamtgutes im Wege der Auseinandersetzung der Gütergemeinschaft (§§ 1471–1481 BGB), wenn die Gütergemeinschaft nicht von dem Überlebenden und den Abkömmlingen fortgesetzt werden soll (§ 1483 BGB). Der hälftige Anteil

bb) Gütergemeinschaft

1 Vgl. zur Einlage von Vermögen in eine GmbH Heinze in MüKo3, § 2 GmbHG Rz. 84–85. 2 Schulz/Hauß, Familienrecht3, § 1415 BGB Rz. 1-2.

690 | Rundshagen

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 9.246 Kap. 9

des Verstorbenen am Gesamtgut der Gütergemeinschaft (§ 1482 BGB) sowie dessen Sonderund Vorbehaltsgut (§§ 1417, 1418 BGB) gehören zum Nachlass, an dem der überlebende Ehegatte dann in Höhe seiner Erbquote beteiligt ist. Während der Durchführung der Auseinandersetzung nach Beendigung der Gütergemeinschaft durch Tod eines Ehegatten besteht die Gesamthandgemeinschaft aus dem überlebenden Ehegatten und den sonstigen Erben. Der überlebende Ehegatte ist während dieser Zeit sowohl mit seinem eigenen hälftigen Anteil als auch mit seinem von der Hälfte des Erblassers ererbten Anteil am Gesamtgut beteiligt. Ist der Ehegatte Alleinerbe, gehen alle Gesamtgutsgegenstände kraft Gesetzes auf ihn allein über, ohne dass es einzelner Übertragungshandlungen bedarf. Bei der fortgesetzten Gütergemeinschaft führt der überlebende Ehegatte die Gütergemeinschaft nach dem Tod des Ehegatten aufgrund ehevertraglicher Vereinbarung mit den gemeinsamen Abkömmlingen fort (§ 1483 BGB). Dadurch wird bewirkt, dass der Anteil des Erblassers am Gesamtgut nicht zum Nachlass gehört und ein Erbfall insoweit nicht eintritt. Der Nachlass besteht dann nur aus dem Vorbehalts- und dem Sondergut. Wenn der überlebende Ehegatte die Fortsetzung der Gütergemeinschaft ablehnt (§ 1484 Abs. 1 BGB), fällt auch der Anteil am Gesamtgut in den Nachlass.

9.241

Der gesetzliche Erbteil des Ehegatten wird bei der Gütergemeinschaft nicht erhöht. Eine erbschaft- und schenkungsteuerliche Privilegierung nach § 5 ErbStG entfällt.

9.242

cc) Gütertrennung Der Güterstand der Gütertrennung tritt im Regelfall ein, wenn die Ehegatten dies durch Ehevertrag ausdrücklich vereinbaren. Daneben tritt die Gütertrennung als hilfsweiser gesetzlicher Güterstand ein, wenn ein anderer Güterstand beendet oder ausgeschlossen wird und keine abweichende Vereinbarung im Ehevertrag getroffen wird (§ 1414 BGB). Die Gütertrennung ist durch das Fehlen jeglicher güterrechtlichen Beziehung der Ehegatten gekennzeichnet (s. Rz. 2.68). Die Gütertrennung kennt weder eine dingliche Beteiligung (wie bei der Gütergemeinschaft [§ 1416 BGB]) noch eine schuldrechtliche (wie bei der Beendigung der Zugewinngemeinschaft1[§§ 1372, 1378 BGB]). So gibt es auch keine Verfügungsverbote (§§ 1365, 1369 BGB); die Ehegatten sind deshalb in ihren rechtsgeschäftlichen Maßnahmen frei und unabhängig.

9.243

Bei Gütertrennung ist ein erhöhter Erbteil des Ehegatten ausgeschlossen. Seine gesetzliche Erbquote beträgt neben einem Kind ½, neben zwei Kindern 1/3 (§ 1931 Abs. 4 BGB). Im Übrigen gilt die rein erbrechtliche Betrachtung.

9.244

Da auch bei der Gütertrennung kein erb- und schenkungsteuerlich privilegierter Vermögensausgleich wie bei der Zugewinngemeinschaft möglich ist, kann er im Einzelfall für eine Nachfolgeplanung nachteilhaft sein.

9.245

c) Schutz des Unternehmens vor Ansprüchen des Ehegatten Wird die Zugewinngemeinschaft nicht modifiziert oder ist keine Gütertrennung vereinbart, kann der Ehegatte im Falle der Scheidung güterrechtliche Ausgleichsansprüche gegenüber dem anderen Ehegatten in Geld haben, die sich auch wirtschaftlich auf das unternehmerische Vermögen beziehen. Kann die Ausgleichsforderung nicht durch Privatvermögen abgedeckt 1 Schulz/Hauß, Familienrecht3, § 1415 BGB Rz. 1-2.

Rundshagen | 691

9.246

Kap. 9 Rz. 9.246 | Vorweggenommene Erbfolge

werden, muss im Zweifel eine Belastung oder gar Veräußerung von unternehmerischen Vermögen erfolgen.

9.247

Dies wird im Einzelfall nicht gewünscht sein. Aus diesem Grund sollten Vorkehrungen getroffen werden, um ein solches Szenario auszuschließen. Im besten Fall trifft jeder Gesellschafter aus seiner Verantwortung heraus, durch ehevertragliche Vereinbarungen den Vermögenszugriff auf das Unternehmen. Da der Abschluss eines Ehevertrages eine Privatangelegenheit des Gesellschafters und seines Ehegatten ist, kann dieser grundsätzlich auch nicht erzwungen werden. Üblich sind jedoch Regelungen im Gesellschaftsvertrag, die u.a. einen Ausschluss (bzw. die Einziehung von Gesellschaftsanteilen) vorsehen, sollte der neu eintretende Gesellschafter nicht innerhalb eines bestimmten Zeitraums durch Ehevertrag die Modifizierung der Zugewinngemeinschaft oder Gütertrennung vereinbart haben (s. Rz. 2.79). Hinsichtlich solcher güterrechtlichen Ausschlussklauseln muss besondere Sorgfalt an den Tag gelegt werden. Da diese einen nicht unerheblichen Eingriff in die Privatautonomie des Gesellschaftes und eines Dritten, d.h. seines Ehepartners, bedeuten, muss darauf geachtet werden, dass diese nicht sittenwidrig sind (§ 138 BGB).

9.248

Ein weiterer Schutz kann zudem bei der vorweggenommenen Erbfolge durch den Schenker erfolgen, indem er sich im Schenkungsvertrag einen Widerrufsvorbehalt bzw. ein Rückforderungsrecht einräumt. Sollte im Fall der Scheidung ein Zugewinnausgleichsanspruch bestehen, der auch das betriebliche Vermögen umfasst oder der Beschenkte die Ehe eingeht, ohne eine Vereinbarung zu treffen, das übertragene Betriebsvermögen von einem güterrechtlichen Ausgleichsanspruch des zukünftigen Ehegatten auszunehmen, kann der Schenker das Gestaltungsrecht ausüben.

9.249

Sicherungsmechanismen, die aus Sicht des Schenkers nicht gewollte vermögensrechtliche Folgen einer Eheschließung des Beschenkten ausschließen sollen, sind nicht sittenwidrig. Bei deren Ausgestaltung muss aber darauf geachtet werden, dass der Beschenkte nicht zur Wahl eines bestimmten Güterstandes gezwungen wird. Auch muss darauf geachtet werden, dass entsprechende Vereinbarungen im Ehevertrag nicht sittenwidrig sind (§§ 138, 242 BGB) und einer Inhaltskontrolle standhalten.

2. Unternehmensnachfolge mit Minderjährigen a) Problemstellung

9.250

Die Übertragung von Vermögensgegenständen auf minderjährige Kinder im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge unterliegt aus Schutz des Minderjährigen bestimmten Restriktionen bzw. besonderen Erfordernissen. Da die lebzeitige Übertragung von Gesellschaftsvermögen an Minderjährige zu vielfältigen Problemstellungen führen kann, sollte vor einer Übertragung eine genaue Prüfung und eingehende Beratung erfolgen.

9.251

Die Übertragung von Gesellschaftsvermögen an minderjährige Kinder kann durch die möglichst steueroptimierte Ausnutzung von erbschaftsteuerlichen Freibeträgen motiviert sein. Einer Übertragung kann auch der Wunsch nach einer finanziellen Versorgung des Kindes Pate stehen, das dann eigene Einkünfte erzielen kann. Allerdings ist die persönliche Entwicklung des minderjährigen Kindes noch völlig offen. Daher birgt eine Übertragung von Betriebsvermögen auf Minderjährige auch ein nicht kalkulierbares Risiko, das einer besonderen Absicherung bedarf. Im Schenkungs- und Übertragungsvertrag können beispielsweise bestimmte Rückfallbestimmungen (Widerrufsrechte (s. Rz. 9.216), vorgesehen werden. Daneben müssen aber auch weitere Gestaltungsmaßnahmen zur Absicherung dieses Risikos berücksichtigt wer692 | Rundshagen

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 9.256 Kap. 9

den. Eine von dem Willen der Eltern abweichende Verwendung des Betriebsvermögens durch das später volljährige Kind kann jedoch durch schuldrechtlich oder gesellschaftsvertragliche Sicherungen nicht gänzlich ausgeschlossen werden. b) Bestellung eines Ergänzungspflegers Grundsätzlich erfolgt die Vermögenssorge und Vertretungsberechtigung (Personensorge) für ein minderjähriges Kind durch beide Elternteile gemeinschaftlich (§§ 1629 Abs. 2 Satz 1, 1638 BGB). In einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft ist dies der Fall, wenn beide Elternteile erklärt haben, die Sorge gemeinsam auszuüben (§ 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB), sonst ist nur die Mutter vertretungsberechtigt (§ 1626a Abs. 2 BGB). Eine Vertretung der Eltern ist insoweit ausgeschlossen, als nach § 1795 ein Vormund von der Vertretung des Kindes ausgeschlossen ist (z.B. beim Abschluss von Rechtsgeschäften mit dem anderen Elternteil, §§ 1629 Abs. 2 Satz 1 BGB, 1795 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Liegt der Ausschlussgrund nur bei einem Ehegatten vor, ist jedoch auch der andere Elternteil von einer Vertretung ausgeschlossen. Damit scheidet eine Vertretung der Eltern insgesamt aus1. Daneben fallen auch alle Schenkungen von einem Elternteil oder von den Großeltern an das minderjährige Kind unter diese Beschränkungen.

9.252

Bei der Vertretung von Kindern, die bereits 7 Jahre alt sind, gilt dies jedoch dann nicht, wenn das Rechtsgeschäft für das Kind lediglich rechtlich vorteilhaft ist (§ 107 BGB). In diesen Fällen können nach Auffassung der Rechtsprechung und des Schrifttums die Eltern ihr Kind grundsätzlich vertreten2.

9.253

Entscheidend ist also, ob im Einzelfall ein lediglich rechtlich vorteilhaftes Geschäft für den Minderjährigen im Rechtssinne vorliegt. Nach ständiger Rechtsprechung ist dies zumindest bei Barschenkungen und reinen Grundstücksschenkungen der Fall, nicht jedoch bei der Übertragung von vermieteten Grundstücken oder von Wohnungseigentum, da damit die Pflichten aus dem Mietverhältnis bzw. die Pflichten als Mitglied einer Wohnungseigentümergemeinschaft mit übergehen3.

9.254

c) Familiengerichtliche Genehmigung Es kann erforderlich sein, neben der Bestellung eines Ergänzungspflegers für Rechtsgeschäfte, die Eltern oder Ergänzungspfleger für minderjährige Kinder vornehmen, auch die Zustimmung des Familiengerichts einzuholen (§§ 1643 Abs. 1 i.V.m. 1821 f. BGB). Zum Beispiel bedürfen Verträge, die auf den entgeltlichen Erwerb eines Grundstücks gerichtet sind, der familiengerichtlichen Genehmigung (§ 1643 Abs. 1 i.V.m. § 1821 Abs. 1 Nr. 5 BGB). Zu beachten ist, dass bei Übernahme einer auf der Immobilie lastenden Verbindlichkeit durch den minderjährigen Beschenkten eine gemischte Schenkung und damit ebenfalls ein (teil-)entgeltlicher Erwerb vorliegt, der ebenfalls der familiengerichtlichen Genehmigung bedarf4.

9.255

An dem Erfordernis der familiengerichtlichen Genehmigung ändert auch die Bestellung eines Ergänzungspflegers nichts (§ 1915 BGB). Rechtsgeschäfte, die ohne die notwendige Zustimmung des Familiengerichts abgeschlossen werden, sind nichtig. Gesellschaftsgründungen, die

9.256

1 Huber in MüKo8, § 1629 BGB Rz. 42 m.w.N. 2 Ellenberger in Palandt79, § 181 BGB Rz. 9; BGH v. 30.9.2010 – 5 ZB 206/10, ZEV 2011, 40. 3 BGH v. 25.11.2004 – V ZB 13/04, ZEV 2005, 66; BGH v. 30.9.2010 – V ZB 206/10, NJW 2010, 3643. 4 Götz in Palandt79, § 1821 BGB Rz. 15.

Rundshagen | 693

Kap. 9 Rz. 9.256 | Vorweggenommene Erbfolge

gleichwohl vollzogen werden, behandelt die Rechtsprechung für gewöhnlich nach den Grundsätzen der faktischen Gesellschaft. Da hierdurch jedoch für die Gesellschafter dieselben Verpflichtungen begründet werden können wie bei einer wirksamen Gesellschaftsgründung, finden die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft auf minderjährige Gesellschafter keine Anwendung. Für die steuerliche Behandlung ist zu beachten, dass der Beteiligung Minderjähriger bei fehlender zivilrechtlicher Wirksamkeit auch die steuerliche Anerkennung versagt werden kann. Nach Auffassung des BFH wird die zivilrechtliche Rückwirkung der Genehmigung nur dann anerkannt, wenn diese unverzüglich nach Abschluss des Gesellschaftsvertrages beantragt und innerhalb angemessener Frist erteilt wurde.

9.257

Die Genehmigung der Familiengerichte muss am Maßstab des § 1697a BGB ausgerichtet werden. Maßstab ist hiernach vorrangig das Kindeswohl. Die Interessen der Eltern, z.B. an der Fortführung und dem Bestand eines Familienunternehmens müssen jedoch in der Gesamtabwägung ebenfalls berücksichtigt werden. Im Ergebnis wird es in den meisten Fällen auf eine Abwägung der Vor- und Nachteile im Einzelfall ankommen, wobei das Haftungsrisiko allein eine Versagung der Genehmigung nicht rechtfertigen kann1. d) Der Minderjährige als Gesellschafter aa) Gründung einer Gesellschaft (1) Zuziehung eines Ergänzungspflegers

9.258

Wird eine Familiengesellschaft neu gegründet, sind die Eltern an der Gründung der Gesellschaft in den meisten selbst beteiligt. Ist eines der Elternteile Mitgesellschafter und damit Vertragspartner des Minderjährigen, sind beide Eltern von der Vertretung ausgeschlossen (§§ 181 Var. 1, 1629 Abs. 2, 1795 Abs. 1 Nr. 1 BGB). In diesem Falle bedarf es der Bestellung eines Ergänzungspflegers durch das zuständige Familiengericht (§ 1909 Abs. 1 BGB). Dies gilt unabhängig davon, ob es sich hierbei um eine Personen- oder Kapitalgesellschaft handelt2.

9.259

Weder der Abschluss eines Gesellschaftsvertrages noch die Aufnahme in eine bestehende Gesellschaft durch Aufnahmevertrag sind für sich genommen für den Minderjährigen lediglich rechtlich vorteilhaft. Denn sie beinhalten für den Minderjährigen ein Bündel unterschiedlicher Rechte, Pflichten und Bindungen3. Wird ein Gesellschaftsvertrag ohne Pfleger geschlossen, ist der Vertrag daher unwirksam. Eine Heilung kann auch nicht durch nachträgliche gerichtliche Genehmigung erfolgen, da das Gericht nicht befugt ist, durch eine nachträgliche Genehmigung von den Beschränkungen des § 181 BGB zu befreien4.

9.260

Sollen mehrere minderjährige Kinder in eine Familiengesellschaft eintreten, ist fraglich, ob es hierfür der Bestellung eines eigenen Ergänzungspflegers für jedes Kind bedarf. Dies wäre dann notwendig, wenn der Ergänzungspfleger in der Vertretung mehrerer Minderjähriger durch § 181 BGB gehindert wäre. Da für die Neugründung einer Gesellschaft und den Beitritt mehrerer Kinder zu einer Personengesellschaft durch Aufnahmevertrag die Kinder nicht nur mit ihren Eltern, sondern auch untereinander die Förderung des gemeinsamen Gesellschaftszwecks vereinbaren, ist die Bestellung eines eigenen Ergänzungspflegers für jedes Kind erforderlich5.

1 2 3 4 5

Kögel in Münchener Anwaltshandbuch Erbrecht5, § 40 Rz. 1–278. Spickhoff in MüKo8, § 1795 BGB Rz. 7. Kögel in Münchener Anwaltshandbuch Erbrecht5, § 40 Rz. 1-278. BGH v. 9.7.1956 – V BLw 11/56, BGHZ 21, 229 (234) = DNotZ 1956, 559. BGH v. 9.7.1956 – V BLw 11/56, BGHZ 21, 229 ff. = DNotZ 1956, 559; Reimann, DNotZ 1999, 179 f.

694 | Rundshagen

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 9.264 Kap. 9

(2) Familiengerichtliche Genehmigung Im Rahmen der Gründung einer Familiengesellschaft wird regelmäßig neben der Bestellung eines Ergänzungspflegers auch das Erfordernis einer familiengerichtlichen Genehmigung treten. Die familiengerichtliche Genehmigung für einen Vertrag erforderlich, „der auf den entgeltlichen Erwerb oder die Veräußerung eines Erwerbsgeschäfts gerichtet ist, sowie zu einem Gesellschaftsvertrag, der zum Betrieb eines Erwerbsgeschäfts eingegangen wird“ (§ 1915 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 1821, 1822 Nr. 3 BGB). Wird die Familiengesellschaft in der Rechtsform der Kommanditgesellschaft gegründet, ist die Genehmigung des Familiengerichts auch dann erforderlich, wenn der Minderjährige als Kommanditist nur mit einer bestimmten Einlage an der Gesellschaft beteiligt wird1. Fraglich ist, ob die Genehmigung auch erforderlich ist, wenn es sich um eine rein nach handelsrechtlichen Grundsätzen vermögensverwaltende Kommanditgesellschaft handelt, da diese gerade kein Erwerbsgeschäft betreibt. Die Rechtsprechung hat sich dazu bisher noch nicht explizit geäußert. Bisher hat sie nur eine Entscheidung zur Genehmigungspflicht der Beteiligung Minderjähriger an der Gründung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts getroffen. Bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist darauf abzustellen, ob der Gesellschaftszweck auf den Betrieb eines Einzelgeschäfts gerichtet ist, d.h. dass der Minderjährige ein gewisses Risiko mit seiner Beteiligung übernimmt und für fremde Verbindlichkeiten haftet oder wenn der Gesellschaftszweck der Gesellschaft auf den Erwerb, die Verwaltung und die Verwertung von Immobilien gerichtet ist und die Gesellschaft auf lange Dauer errichtet wird. Dann ist eine familiengerichtliche Genehmigung erforderlich2.

9.261

Im Einzelnen ist in der Praxis hierzu noch vieles streitig. Theoretisch müsste eine wirksame Gründung einer ausschließlich vermögensverwaltenden Familiengesellschaft mit einem Minderjährigen auch ohne familiengerichtliche Genehmigung üblicherweise möglich sein. Gleichwohl ist ein solches Vorgehen in der Praxis nicht zu empfehlen, sondern es ist unumgänglich, auch eine solche Gesellschaftsgründung dem Familiengericht zur Genehmigung vorzulegen.

9.262

Die vorstehenden Grundsätze gelten auch für die Gründung einer GmbH. Dies ist unter Mitwirkung eines Minderjährigen ebenfalls genehmigungsbedürftig. Dies gilt ebenso bei einer atypisch stillen Gesellschaft und einer Unterbeteiligung. Wenn allerdings die Eingehung einer typischen stillen Gesellschaft (oder Unterbeteiligung), einer reinen Darlehensgewährung gleichsteht, ohne dass der stille Gesellschafter am Verlust der Hauptgesellschaft beteiligt ist oder Einfluss auf die Geschäftsführung hat, dürfte eine Genehmigung grundsätzlich entbehrlich sein3.

9.263

bb) Schenkung eines Anteils an einer bestehenden Gesellschaft (1) Zuziehung eines Ergänzungspflegers Bei der Übertragung von Gesellschaftsanteilen auf einen Minderjährigen im Wege eines Schenkungs- und Übertragungsvertrages ist die Frage nach der Notwendigkeit der Bestellung eines Ergänzungspflegers dagegen nicht so eindeutig zu beantworten. Es gelten auch hier die vorgenannten Grundsätze. So hat die Rechtsprechung bislang die Schenkung eines Kommanditanteils (unabhängig davon, ob die Einlagen vollständig erbracht sind oder nicht) oder eines 1 BGH v. 30.4.1955 – II ZR 202/53, BGHZ 17, 160 ff.; BGH v. 20.9.1962 – II ZR 209/61, BGHZ 38, 26 ff. 2 BGH v. 15.11.1984 – IV D ZR 95/88, FamRZ 1990, 280; BayObLG v. 5.3.1997 – 1 Z BR 210/96, FamRZ 1997, 842 (844), DNotZ 1998, 495. 3 Kroll-Ludwigs in MüKo8, § 1822 BGB Rz. 67.

Rundshagen | 695

9.264

Kap. 9 Rz. 9.264 | Vorweggenommene Erbfolge

GbR-Anteils nicht als lediglich rechtlich vorteilhaft bewertet1. Allerdings ist ein Schenkungsund Übertragungsvertrag stets dann nicht lediglich rechtlich vorteilhaft, wenn eine Anrechnung auf den Pflichtteil des beschenkten Minderjährigen vereinbart wurde.

9.265

Einigkeit dürfte nur insoweit bestehen, als die Anteilsübertragung voll eingezahlter Inhaberaktien lediglich rechtlich vorteilhaft ist, da diese mit keiner weiteren Verpflichtung einhergeht, und damit ohne Bestellung eines Ergänzungspflegers zulässig ist.

9.266

Die Schenkung von GmbH-Anteilen bedarf jedoch eines Ergänzungspflegers, da hiermit bestimmte Haftungsgefahren verbunden sind2 (Ausfallhaftung, subsidiäre Haftung bei Kapitalrückzahlung an Mitgesellschafter, §§ 24, 31 Abs. 3 GmbHG).

9.267

In der Beratungspraxis sollte daher ein konservativer Weg eingeschlagen werden und hier stets eine entsprechende Bestellung eines Ergänzungspflegers erfolgen, um die Anteilsübertragung nicht zu gefährden. Wenn mit mehreren minderjährigen Kindern Schenkungs- und Anteilsübertragungsverträge abgeschlossen werden, handelt es sich um jeweils eigenständige, zweiseitige Vereinbarungen zwischen dem Schenker und dem jeweiligen Beschenkten, so dass das Mehrfachvertretungsverbot des § 181 BGB hier nicht gelten dürfte. Allerdings herrscht in der familiengerichtlichen Praxis der weiterhin die Auffassung vor, dass auch in diesen Fällen die Bestellung eines eigenen Ergänzungspfleger für jedes Kind notwendig sei. Auch hier empfiehlt sich die Wahl des sichersten Weges. (2) Genehmigung des Familiengerichts

9.268

Für die unentgeltliche Übertragung von Personengesellschaftsanteilen an Minderjährige gelten die eben dargestellten Grundsätze entsprechend, so dass bei einer Beteiligung eines Elternteils an der Gesellschaft eine familiengerichtliche Genehmigung erforderlich ist. Ob das Erfordernis der Genehmigung auch für die Übertragung von GmbH-Geschäftsanteilen oder Aktien gilt, ist umstritten. Nach vorherrschender Auffassung soll die Übertragung von Aktien und GmbH-Anteilen auf Minderjährige genehmigungsfrei möglich sein. Für rein vermögensverwaltende Gesellschaften dürfte dies sogar unstreitig der Fall sein3.

9.269

Etwas anderes kann dann gelten, wenn der Erwerb wirtschaftlich der Beteiligung an einem Erwerbsgeschäft gleichsteht, weil damit konkrete Haftungsgefahren bestehen (z.B. Einstandspflicht für nicht geleistete Einlagen eines Mitgesellschafters gem. §§ 24, 31 Abs. 3 GmbHG) oder eine Einmann-GmbH vorliegt, z.B. Fall der Einmann-GmbH, Übernahme sämtlicher Aktien, wohl auch bereits die Übernahme von mehr als 50 % der Geschäftsanteile) oder wenn die Gesellschaftsgründung noch nicht im Handelsregister eingetragen ist. Einzelheiten sind auch hier umstritten, z.B. auch die Frage, ob ausnahmsweise die Übernahme einer Sperrminorität oder der Mehrheit der Anteile bei Kapitalgesellschaften ein Genehmigungserfordernis begründen kann4.

9.270

Auch wenn die hierzu vorgebrachten Argumente für eine Genehmigung nicht vollständig zu überzeugen vermögen, sollte auch hier in der Praxis im Zweifel der sicherste Weg gewählt werden.

1 OLG Zweibrücken v. 2.3.2000 – 4 UF 4/00, ZEV 2001, 77 (78); OLG Braunschweig v. 30.10.2000 – 22/237/00, ZEV 2001, 75. 2 BGH v. 24.3.1980 – II ZB 8/79, MDR 1980, 737. 3 Pluskat, FamRZ 2004, 677 (680), m.w.N. 4 Spickhoff in MüKo8, § 1795 BGB Rz. 7.

696 | Rundshagen

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 9.277 Kap. 9

cc) Änderungen des Gesellschaftsvertrages und laufende Geschäftsführung Nach den allgemeinen Grundsätzen bei der Gesellschaftsgründung muss bei Änderung des Gesellschaftsvertrages grundsätzlich ein Ergänzungspfleger bestellt werden, wenn neben dem Minderjährigen zumindest ein Elternteil an dieser Gesellschaft beteiligt ist. Dies gilt für alle Gesellschaftsformen. Zur Vertretung mehrerer minderjähriger Gesellschafter ist der Pfleger nicht berechtigt, so dass bei mehreren minderjährigen Gesellschaftern auch jeweils ein Pfleger bestellt werden muss. Änderungen des Gesellschaftsvertrages, die Kernebereiche des Gesellschaftsanteils betreffen (z.B. Änderung der Stimm-, Gewinn-, Informations- und Liquidationsrechte, der freien Abtretbarkeit der Gesellschaftsanteile etc.). Auch die Mitwirkung eines Testamentsvollstreckers kann rechtlich begrenzt sein (s. Rz. 11.115).

9.271

Ob Satzungsänderungen auch der familiengerichtlichen Genehmigung bedürfen, ist äußerst umstritten. Nach Auffassung des BGH führen aber weder das Ausscheiden eines Gesellschafters aus der OHG, an der der Minderjährige beteiligt ist, noch der Eintritt eines neuen Gesellschafters in die Gesellschaft zur familiengerichtlichen Genehmigung1.

9.272

In der laufenden Geschäftsführung der Familiengesellschaft wird der Minderjährige von seinen gesetzlichen Vertretern vertreten. Die vorherrschende Auffassung im Schrifttum und die Rechtsprechung wenden die Grundsätze der §§ 181, 1795 BGB in laufenden Angelegenheiten nicht an, solange sich die Beschlüsse und Maßnahmen im Rahmen und den Grenzen des bestehenden Gesellschaftsvertrags bewegen. Für diese Maßnahmen ist weder die Bestellung eines Ergänzungspflegers noch eine familiengerichtliche Genehmigung notwendig2.

9.273

Etwas anderes soll jedoch gelten, wenn der minderjährige Kommanditist einer GmbH & Co. KG und sein gesetzlicher Vertreter geschäftsführender Alleingesellschafter der GmbH ist. Das Vertretungsverbot nach § 181 BGB soll in diesem Fall aufgrund des § 35 Abs. 3 GmbHG bestehen bleiben3.

9.274

dd) Haftungsbeschränkung Neben den oben beschriebenen Erfordernissen der Bestellung eines Ergänzungspflegers und der familiengerichtlichen Genehmigung wird der Minderjährige auch durch eine besondere Haftungsbeschränkung geschützt. Nach § 1629a BGB haben minderjährige Gesellschafter bei Eintritt der Volljährigkeit das Recht, ihre Haftung für Verbindlichkeiten, die ihre gesetzlichen Vertreter für sie begründet haben, auf dasjenige Vermögen zu beschränken, das bei Eintritt der Volljährigkeit vorhanden war.

9.275

In der Haftungsbeschränkung sind auch Verbindlichkeiten enthalten, für deren Eingehung die familienrechtliche Genehmigung eingeholt wurde.

9.276

Zugunsten der Minderjährigen wird vermutet, dass eine Verbindlichkeit aus dem Gesellschaftsverhältnis erst nach Volljährigkeitseintritt begründet wurde, sofern der nun volljährig Gewordene nicht innerhalb von drei Monaten nach Eintritt der Volljährigkeit seine Beteiligung an der Gesamthandsgemeinschaft aufgibt (§ 1629a BGB). Um das Risiko eines Fortbestehens der Haftung zu vermeiden, haben volljährig gewordene Gesellschafter einer GbR,

9.277

1 Spickhoff in MüKo8, § 1822 BGB Rz. 23; Reimann, DNotZ 1999, 179 f. 2 Ellenberger in Palandt79, § 181 BGB Rz. 11 f.; BGH v. 18.9.1975 – II ZB 6/74, BGHZ 65, 93 (96). 3 Reimann, DNotZ 1999, 179 f.; Hohaus/Eickmann, BB 2004, 1707 (1710).

Rundshagen | 697

Kap. 9 Rz. 9.277 | Vorweggenommene Erbfolge

OHG sowie Komplementäre einer KG das Recht, ihre Gesellschaftsbeteiligung mit Eintritt der Volljährigkeit zu kündigen (§ 723 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 BGB).

9.278

Nach vorherrschender Auffassung soll dieses Kündigungsrecht auch Kommanditisten zustehen, wenn ihre Hafteinlage nicht vollständig geleistet ist. Ausgeschlossen ist das Kündigungsrecht allerdings bei vollständig erbrachter Hafteinlage oder bei Beteiligung an einer GmbH oder AG.

9.279

Da dieses Kündigungsrecht im Gesellschaftsvertrag nicht abdingbar ist, können sich daraus Gefahren für die Liquidität der Gesellschaft oder auch den Bestand einer Nachfolgeregelung ergeben.

9.280

Dem könnte durch eine Regelung im Schenkungsvertrag begegnet werden. Ob der Minderjährige im Schenkungsvertrag mit einem vertraglichen Rückforderungsanspruch des Schenkers für den Fall der Kündigung beschwert werden darf und ob im Gesellschaftsvertrag der Abfindungsanspruch des volljährig Gewordenen beschränkt werden kann, ist jedoch umstritten. Da § 1629a BGB den Schutz des Minderjährigen vor Haftungsansprüchen bezweckt und nicht Bestandsschutz für dessen Vermögen, dürfte eine entsprechende Regelung im Schenkungsvertrag zulässig sein1. e) Bestimmungen über die Vermögenssorge und Absicherung durch letztwillige Verfügungen

9.281

In Hinblick auf die Beteiligung von Minderjährigen bei der Unternehmensnachfolge sind in der Planung verschiedene Aspekte zu berücksichtigen (s. Rz. 10.200). Da eine Beteiligung des Ehepartners eines Gesellschafters an unternehmerischen Entscheidungen in vielen Unternehmerfamilien gerade nicht gewollt ist, kann vom Schenker im Schenkungsvertrag ausdrücklich bestimmt werden, dass der Ehepartner von der Vermögenssorge in Bezug auf das geschenkte Betriebsvermögen oder den Gesellschaftsanteil ausgeschlossen wird. Verstirbt der Schenker jedoch, solange der Beschenkte noch minderjährig ist, bedarf es in diesem Falle der Bestellung eines Pflegers. Die Benennung der Person des Pflegers im Schenkungsvertrag ist nicht zwingend notwendig. Eine Benennung im Testament ist ausreichend.

9.282

Bei der Beteiligung Minderjähriger an Handelsgesellschaften ist stets zu beachten, dass damit Beschlüsse auf Gesellschafterebene, insbesondere aber Gesellschaftsgründungen, Anteilsübertragungen, Umwandlungen und Änderungen des Gesellschaftsvertrages erheblich durch die eingeschränkte Vertretungsberechtigung der Eltern und diverse gerichtliche Genehmigungen erschwert und die Flexibilität der notwendigen Gesellschafterentscheidungen beeinträchtigt werden.

9.283

Daneben ist unerlässlich, dass die Eltern neben der besonderen Ausgestaltung der Schenkungs- und Übertragungsverträge auch im testamentarischen Bereich Vorsorge treffen. Hier sollte insbesondere an eine Testamentsvollstreckung bis zur Vollendung der Volljährigkeit (oder bis zur Vollendung eines anderen Lebensjahrs) angeordnet werden, um eine Verwaltung des Nachlasses durch das Familiengericht und einen von diesem eingesetzten Pfleger zu verhindern, und eine Ersatzerbenregelung bei gleichzeitigem Versterben der Eltern mit dem Kind vorgesehen werden.

1 Kögel in Münchener Anwaltshandbuch Erbrecht5, § 40 Rz. 1–278.

698 | Rundshagen

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 9.290 Kap. 9

3. Unternehmensnachfolge mit Stiftungen a) Mögliche Ziele einer Unternehmensnachfolge mit Stiftungen Eine Unternehmensnachfolge mit Stiftungen ist ein wichtiges Gestaltungsinstrument, wenn der der Unternehmer das Unternehmen nicht an einen oder mehrere bestimmte Nachfolger übergeben will oder dies mangels eigener Nachkommen auch nicht kann. Damit kann eine Trennung von der Familie und der Verantwortung für Unternehmen und andere substantielle Wirtschaftsgüter wie Immobilien und Kapitalanlagen erreicht werden (s. Rz. 13.27). Die Führung der unternehmerischen Entscheidungen liegt dann ggf. unentziehbar bei Dritten. Die Familie wird mit diesem Vermögen auch nicht mehr unmittelbar selbst besteuert. Zudem erlauben Stiftungen das Vermögen gänzlich der Erbschaftsteuer zu entziehen, wenn sie gemeinnützig sind (s. Rz. 13.63).

9.284

Die Unternehmensnachfolge mit einer Stiftung gibt dem Unternehmer zumindest die Möglichkeit, eine Zersplitterung bei Erbgängen oder durch Veräußerung der Beteiligungen zu vermeiden. Bei dieser Zweckverfolgung wird vor allem zum Schutz des Unternehmens ein Kapitalabfluss wegen des Ausscheidens von Gesellschaftern verhindert. Bei rechtzeitiger Übertragung der Geschäftsanteile in die Stiftung bzw. bei Erbverzichts- bzw. Pflichtteilsverzichtsverträgen können Liquiditätsprobleme für das Unternehmen durch die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen vermieden werden1.

9.285

Die Stiftung kann zudem als Einkommensquelle für nicht unternehmensbezogene Zwecke eingesetzt werden. Hier kann der Unternehmer für die Sicherheit des Unterhalts seiner Familie sorgen (Familienstiftung) oder mit den Erträgen gemeinnütziger Zwecke fördern.

9.286

In einer mehr unternehmerischen Rolle kann die Stiftung den Zweck haben, das Führungspersonal für Beteiligungen auszuwählen und zu kontrollieren. Dies ist von besonderer Bedeutung, wenn der Vermögensinhaber keine oder keine geeigneten Erben hat. Ebenfalls geeignet ist eine solche Struktur für nur für gemeinnützige Zwecke gehaltene Unternehmen.

9.287

Zudem ist darauf hinzuweisen, dass durch die Errichtung einer Stiftung zwar eine juristische Person als Erbin erschaffen werden kann, die weitere Verwaltung des Nachlasses aber davon abhängt, wie die als Vorstand eingesetzten natürlichen Personen agieren. Der Erblasser kommt also nicht umhin, eine bestimmte Person für die weitere Verwaltung seines Vermögens auszuwählen, will er sichergehen, dass dieses auch weiterhin „in guten Händen“ ist. Besondere Sorgfalt ist auf die Regeln zu verwenden, die auf Dauer die Nachbesetzung der Organe der Stiftung zum Gegenstand haben.

9.288

Da die meisten Formen der Übertragung von Vermögen auf die Stiftung nicht mehr veränderbar sind, ist eine generationenübergreifende Planung und Gestaltung unter Berücksichtigung aller Interessen zu empfehlen.

9.289

Daneben kann eine Übertragung des Unternehmens auf eine Stiftung auch vor einer möglichen Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG bzw. nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG schützen, wenn absehbar ist, dass die potentiellen Erben bzw. Unternehmensnachfolger einen Wegzug ins Ausland, insbesondere in einen Drittstaat, planen.

9.290

1 Biermann/Koslowski in Scherer, Unternehmensnachfolge5, § 9 Rz. 7–10.

Rundshagen | 699

Kap. 9 Rz. 9.291 | Vorweggenommene Erbfolge

b) Unternehmensverbundene Stiftung in der Nachfolgeplanung

9.291

Die Nachfolge des Unternehmens durch eine auf Ewigkeit angelegte Stiftung ist auch geeignet, den Bestand des Unternehmens theoretisch ebenfalls auf Ewigkeit zu bewahren. Gegenüber erbrechtlichen Lösungen hat die Stiftungslösung den Vorteil, dass sie nicht auf eine Testamentsvollstreckung auf Dauer angewiesen ist, die maximal auf dreißig Jahre angeordnet werden kann. Zudem ist die Erbfolge des Unternehmers bei einer Stiftung insofern gesichert, als grundsätzlich keine Ausschlagung der erbrechtlichen Anordnungen erfolgen kann (s. Rz. 13.3). Hierzu müssen aber Stiftungssatzung und Geschäftsordnungen der Organe sehr genau überlegt und ausgestaltet werden.

9.292

Die Übertragung von Unternehmensvermögen auf Stiftungen wird den allgemeinen Regeln der Erbschaft- und Schenkungsteuer unterworfen. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG ist der schenkweise Übergang von Vermögen eine steuerpflichtige Schenkung. Für den Erbfall gilt die Steuerpflicht nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ErbStG. Die Stiftung kann die Vorteile nach §§ 13a, 13b, 13c und 28a ErbStG ebenso in Anspruch nehmen wie natürliche Personen1. Es bleibt jedoch bei der Problematik der Steuerpflicht des Gesamtvermögens alle 30 Jahre nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG.

9.293

Der Vorteil einer Unternehmensstiftung ist in Hinblick auf die Verwendung von Erträgen im Unterschied zu gesellschaftsrechtlichen Beteiligungen von Nachkommen und Erben sehr viel freierer und offenerer Rahmen der Zwecke und begünstigten Personen eröffnet. Es findet eben keine endgültige Beteiligung von Personen am Unternehmen statt.

9.294

Schließlich kann die Stiftung auch Führungsinstrument zur Perpetuierung des Unternehmerwillens im Unternehmen eingesetzt werden. Durch ein Stiftungsmodell kann der Unternehmer die Herrschaftsmacht im Unternehmen von der Gesellschafterstellung trennen und das Unternehmen durch eine fremde Person weiterführen lassen und trotzdem für eine gerechte Beteiligung der Nachfolger am wirtschaftlichen Ergebnis sorgen. Zu empfehlen ist dann eine Stiftung rechtzeitig zu Lebzeiten zu errichten, um so geeignetes Führungspersonal zu identifizieren und in die Funktion zu bringen sowie Geschäftsprozesse i.S. einer klaren Governance zu etablieren.

9.295

Von erheblicher Bedeutung bei der Führung des unternehmenstragenden Stiftungsvermögens ist die Festlegung von Entscheidungsebenen in den jeweiligen rechtlichen Einheiten und deren Interaktion, um eine langfristig erfolgreiche und unabhängige Leitung des Unternehmens nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip zu gewährleisten.

9.296

Ob die Stiftung Unternehmensnachfolgefragen zweckdienlich lösen kann, bedarf einer genauen Prüfung, da die Errichtung der Stiftung weitreichende Folgen hat, die unter Umständen auch nicht reversibel sind. Daher ist es von besonderer Bedeutung, diesen Aspekt bei der Governance-Definition ebenso wie bei der damit verbundenen Neuordnung des restlichen Familienvermögens zu beachten.

9.297

Bei einer Nachfolgeplanung mit Stiftungen werden häufig unternehmensverbundene Stiftungen oder privatrechtliche (auch gemeinnützige) Stiftung oder auch Kombinationen von beiden (sog. Kombinationsmodelle) eingesetzt. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen selbständigen, rechtsfähigen und unselbständigen Stiftungen, sog. Treuhandstiftungen. Letztere unterliegen nicht der Rechtsaufsicht durch die Stiftungsaufsichtsbehörden des jeweiligen Lan1 R E 13a.22, 13c.5 und 28a.6 ErbStR 2019.

700 | Rundshagen

B. Rechtsformwahl und -struktur | Rz. 9.300 Kap. 9

des. Allerdings sind sie selbst nicht rechtsfähig und müssen von einem Treuhänder verwaltet werden. Die Ewigkeitsfunktion der selbständigen Stiftung, die wegen des generellen Grundsatzes der stiftungsrechtlichen Vermögenserhaltung des Grundstockkapitals (grundsätzlich lebenslanger Schutz des Vermögens), kann durch eine rechtlich unselbständige Stiftung nicht in derselben Form erreicht werden.

B. Überlegungen zur Rechtsformwahl und -struktur von Familienunternehmen I. Typische Rechtsform 1. Begriff der Familiengesellschaft Dem Gesellschaftsrecht ist der Begriff der „Familiengesellschaft“ als Typusbegriff grundsätzlich fremd. Allgemein wird unter einem „Familienunternehmen“ eine Gesellschaft verstanden, an der ausschließlich oder mehrheitlich Angehörige (Verwandte oder Ehegatten) einer (sog. „Einfamiliengesellschaft“) oder mehrerer Familien (sog. „Mehrfamiliengesellschaft“) beteiligt sind. Diese der Familie zugehörigen Personen können bei der Gestaltung der vertraglichen Rahmenbedingungen als auch der Besetzung der Leitungsfunktionen, der Gewinnverwendung, bestimmenden Einfluss ausüben1. Die Beherrschung der Unternehmensführung der Familiengesellschaft durch die Familie wird als ein maßgebliches, jedoch nicht konstitutives Kriterium angesehen. Von einer Familiengesellschaften kann auch gesprochen werden, wenn eine starke familienverbundene Minderheit beteiligt ist oder wenn mehrere Familien gemeinsam die Mehrheit der Gesellschaftsanteile halten oder aber jeweils nur 50 % der Gesellschaftsanteile, ohne dass eine der Familien allein beherrschenden Einfluss auf die Familiengesellschaft hätte. Ansonsten wäre die Beteiligung Dritter, z.B. eines Private-Equity-Investors von vorneherein ausgeschlossen. Maßgeblich für das Vorliegen eines Familienunternehmens ist daher, dass der tatsächliche oder gesellschaftsrechtlich vermittelte Einfluss der Familie noch wesentlich und nicht nur marginal oder gar verschwindend gering ist2.

9.298

Die Abgrenzung einer Familiengesellschaft von gesetzestypischen Gesellschaftsformen sollte vielmehr anhand ihrer besonderen Merkmale vorgenommen werden, wie sie in der gesellschaftsrechtlichen Literatur herausgearbeitet wurden.

9.299

Besondere Herausforderung der Gestaltungspraxis hinsichtlich des Gesellschaftsvertrages einer Familiengesellschaft ist, dass ihre besonderen Merkmale von der Grundgestaltung der im Einzelfall gewählten Rechtsform abweichen. Zu diesen typischen Merkmalen zählen die Beschränkung des Gesellschafterkreises (oder zumindest der Stimmrechtsmehrheit) auf die Familienmitglieder, die durch Generationswechsel wachsende Zahl der Familiengesellschafter und die Beschränkung der Anteilsübertragung oder -vererbung auf Abkömmlinge des Gründers, ihre besondere Organstruktur, die in Geschäftsführung, Gesellschafterbeirat und Mitgliederversammlung unterteilt und hinsichtlich der Gesellschafter nach Familienstämmen eingeteilt ist, sowie die Beschränkung von Entnahmerechten, Kündigungsmöglichkeiten und Abfindungsansprüchen der Gesellschafter unter dem Aspekt der Selbstfinanzierung des gemeinsamen Unternehmens3. Bei Familiengesellschaften haben daher Gesellschaftsverträge ne-

9.300

1 Holler in Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht5, Band 7, § 75 Rz. 7. 2 Holler in Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht5, Band 7, § 75 Rz. 7. 3 Ulmer, ZIP 2010, 549 (550) m.w.N.

Rundshagen | 701

Kap. 9 Rz. 9.300 | Vorweggenommene Erbfolge

ben den sonstigen typischen Nebenvereinbarungen (Schutzgemeinschaftsverträge, Pool- bzw. Konsortialvereinbarungen, Familienverfassungen) in aller Regel eine weit größere Bedeutung als bei anderen Gesellschaften.

9.301

Weiteres Charakteristikum der Familiengesellschaft ist darüber hinaus, dass die Gesellschaft regelmäßig dem Zweck der Erhaltung der Vermögens- und Einkommensgrundlage der Gesellschafterfamilie(n) dient, oft einige oder alle Gesellschafter im Unternehmen selbst tätig sind und Sonderrechte einzelner Familiengesellschafter, insbesondere der Gründer oder des Seniors der Unternehmerfamilie, bestehen. Gerade in Hinblick auf den Generationenwechsel wird es der übertragenden Person darauf ankommen, dass das Familienunternehmen die Vermögens- und Einkommensquelle aller Gesellschafter-Erben der nachfolgenden Generationen bilden soll. Dies hat entscheidenden Einfluss nicht nur auf den Gesellschaftszweck der Familiengesellschaft, sondern auch auf die Bestimmung der Reichweite des Schutzes des Kernbereichs der Mitgliedschaftsrechte der Familiengesellschafter. Die relativ große Gestaltungsfreiheit bei Personengesellschaften ermöglicht es dem Übergeber zudem, sukzessive im Wege der vorweggenommenen Erbfolge Verantwortung auf seine(n) Nachfolger zu übertragen, sich aber dennoch bestimmte Entscheidungs- und Kontrollrechte vorzubehalten1.

9.302

Familiengesellschaften sind in fast allen Rechtsformen anzutreffen. Daher sind die möglichen gesellschaftsrechtlichen Fragenstellungen im Rahmen einer möglichen Auseinandersetzung zwischen den Beteiligten ebenfalls nahezu unbegrenzt.

9.303

Neben emotionalen und persönlichen Konfliktsituationen bilden in rechtlicher Hinsicht insbesondere eine falsche Rechtsform, Liquiditätsgefährdung durch unangemessene Entnahmen und Abfindungsgestaltungen, mangelhafte Nachfolgeregelungen, fehlendes Instrumentarium zum Ausgleich divergierender Interessen durch die Organstruktur (Family Governance) sowie mangelnde Abstimmung von Gesellschaftsvertrag und erbrechtlichen Regelungen und nicht zuletzt auch die Nichtberücksichtigung einer steueroptimalen Gestaltung Gefahrenpotentiale.

9.304

Derartige Konflikte gefährden den Fortbestand von Familienunternehmen. So ist häufiger Grund für die Auflösung einer Personenhandelsgesellschaft (§§ 131, 161 HGB) oder den Ausschluss eines Gesellschafters (§ 140 BGB) das tiefgreifende Zerwürfnis wie das zerstörte Vertrauen zwischen den Gesellschaftern. Daher wird immer häufiger ein Beratungsansatz gewählt, der auf eine Konfliktvermeidung möglichst auf der tatsächlichen Ebene abzielt, z.B. durch Aufnahme von Regelungen zum Management der Familie (sog. „Family Governance) im Governance Kodex für Familienunternehmen.

9.305

Fehler bei der vertraglichen Gestaltung von Rahmenbedingungen der Familiengesellschaft, im Gesellschaftsvertrag oder aber in den typischen Nebenvereinbarungen und Verfügungen der Familiengesellschafter in für das Unternehmen und die Familie entscheidenden Punkten verschärfen dagegen in erheblicher Weise vorhandenes Konfliktpotential.

9.306

Die sorgfältige Planung und Sicherung der Nachfolge im Familienunternehmen (Unternehmensnachfolge) gehört zu den wichtigsten Herausforderungen für den Familienunternehmer. Dies dient insbesondere auch zur Vermeidung von gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten unter den Beteiligten. Das gilt insbesondere auch für die Frage, welche Familienmitglieder Rollen im Unternehmen ausüben sollen. Daneben sollen oft bestimmte Personen vom Gesellschafterkreis ausgeschlossen werden. Nicht selten sollen nur Familienmitglieder Gesellschafter sein,

1 Hannes, Formularbuch Vermögens- und Unternehmensnachfolge2, Rz. 5.

702 | Rundshagen

B. Rechtsformwahl und -struktur | Rz. 9.311 Kap. 9

d.h. Abkömmlinge des Gründers, und Ehepartner der Abkömmlinge von der Nachfolge in den Gesellschaftsanteil von Todes wegen oder unter Lebenden ausgeschlossen werden. Dies kann durch besondere Festlegung des Gesellschafterkreises im Gesellschaftsvertrag erreicht werden, die durch Verpflichtung der Gesellschafter zum Abschluss ehevertraglicher Vereinbarung (z.B. einer modifizierten Zugewinngemeinschaft) flankiert werden kann. Auf welchem Weg und mit welcher Vereinbarung und welchen Gestaltungssicherheitsrisiken das Ziel der Unternehmensnachfolge nur mit einem Bestimmten Gesellschafterkries und unter Ausschluss bestimmter Personen zu erreichen ist, hängt jedoch maßgeblich von der jeweiligen Rechtsform der Familiengesellschaft ab. Das Schenkungs- und Erbschaftsteuerrecht honoriert die langfristige Bindung von Vermögen im Familienkreis durch einen der Höhe nach unbegrenzten Vermögensabschlag für begünstigtes Vermögen von 30 %. Dies entspricht wirtschaftlich einer Senkung des Spitzensteuersatzes von 30 % auf 21 %. Gesellschaftsverträge zwischen nahen Angehörigen werden von der Finanzverwaltung kritisch betrachtet, da es bei Familienangehörigen an den Interessengegensätzen fehlen kann, die einem Rechtsverhältnis zwischen fremden Dritten immanent sind. Als Grundvoraussetzung für die steuerliche Anerkennung von Verträgen zwischen nahen Angehörigen müssen diese ernsthaft gewollt worden sein und zivilrechtlich wirksam zustande gekommen sein. Dabei müssen die Regelungen klar und eindeutig sein. Zwischen nahen Angehörigen müssen Verträge daher aus steuerlicher Sicht grundsätzlich schriftlich abgefasst werden1.

9.307

2. Typische Rechtsformen Eine Familiengesellschaft kann in fast jeder Rechtsform ausgestaltet werden. Ideale Rechtsform einer Familiengesellschaft ist grundsätzlich die (GmbH & Co.) KG, die als Personengesellschaft ihren Gesellschaftern hohe Flexibilität durch die Möglichkeit der Selbstgestaltung gewährt (s. Rz. 19.18). Im Gegensatz hierzu steht die Satzungsstrenge der Familien-AG (§ 23 Abs. 5 AktG), die damit nicht für jede Familienkonstellation eine ideale Rechtsform darstellt. Häufig sind jedoch Familiengesellschaften in der Rechtsform der AG und der KGaA anzutreffen, wenn ein Börsengang der Familiengesellschaft erwogen wird.

9.308

SE und KGaA sind typische Gesellschaftsformen zur Organisation großer Familiengesellschaften. Die SE eröffnet nicht nach MitbestG mitbestimmten Familien-KGs, die vielfach bislang aus mitbestimmungsrechtlichen Gründen nicht Kapitalgesellschaft sein wollten, eine neue Option der Rechtsformwahl, welche gegenwärtig in zahlreichen Familien-KGs auch aus steuerlichen Gründen intensiv diskutiert wird. Daneben kann auch die Corporate Governance ein Beweggrund für die Wahl der Rechtsform der SE sein2.

9.309

Daneben finden sich Familiengesellschaften (Familien-Pools) auch in der vergleichsweise einfachen Struktur der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die zu dem Zweck gegründet werden, das Vermögen der Familie zu bündeln und die Abkömmlinge noch zu Lebzeiten der Eltern an den gesamthänderisch gehaltenen Vermögenswerten, insbesondere an Grundstücken, aber auch an Unternehmen oder Wertpapierbesitz zu beteiligen.

9.310

Dies erleichtert die generationsübergreifende Erhaltung des Grundstücks oder der sonstigen Gegenstände des Gesamthandvermögens im Familienverband.

9.311

1 BFH v. 4.6.1991 – IX R 150/85, BStBl. II 1991, 838. 2 Holler in Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht5, Band 7, § 75 Rz. 15–18.

Rundshagen | 703

Kap. 9 Rz. 9.312 | Vorweggenommene Erbfolge

II. Wirtschaftliche Beteiligung der Nachfolger 9.312

Der Nachfolger wird wirtschaftlich an der Familiengesellschaft im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge beteiligt, indem er zu Lebzeiten eine Beteiligung an der Gesellschaft übertragen bekommt (z.B. durch Schenkung). Behält sich der übertragende den Nießbrauch an dem Gesellschaftsanteil vor, tritt die tatsächliche wirtschaftliche Beteiligung erst mit dem Tod der übertragenden Person ein.

9.313

Voraussetzung für eine wirtschaftliche Beteiligung ist, dass der Nachfolger im Sinne des Gesellschaftsvertrages als nachfolgeberechtigt qualifiziert (Abkömmling mit oder ohne eine bestimmte weitere Qualifikation, wie z.B. ein bestimmter Berufsabschluss).

9.314

Bei einer Übertragung von Anteilen der Familiengesellschaften zu Lebzeiten kann der übertragende Senior für seine Altersversorgung weiterhin auf Zahlungen aus dem Familienunternehmen angewiesen sein. Gesellschaftsvertraglich kann z.B. geregelt werden, dass dem Übertragenden ein laufender Vorschuss auf seinen Gewinnanteil gezahlt wird. Zudem können die Höhe einer Mindestausschüttung bzw. die Höhe der Thesaurierung (Höchstmaß) im Gesellschaftsvertrag festgelegt werden.

9.315

Wird der Nachfolger unmittelbar durch Übertragung des Gesellschaftsanteils an der Gesellschaft beteiligt, richtet sich seine wirtschaftliche Beteiligung grundsätzlich nach der Höhe seiner gesellschaftsrechtlichen Kapitalbeteiligung bzw. Festkapitalanteilen. Die steuerliche Anerkennung der Gewinnverteilung richtet sich ebenfalls nach den Grundsätzen der steuerlichen Anerkennung von Gesellschaftsverträgen zwischen nahen Angehörigen. Die Höhe der von der Finanzverwaltung und der Rechtsprechung als angemessen anerkannten Gewinnbeteiligung ist einerseits von der gewählten Gesellschafterstellung (Kommanditist, GmbH-Gesellschafter, stiller Gesellschafter) abhängig und andererseits davon, ob die Beteiligung schenkweise eingeräumt oder mit eigenen Mitteln erworben wurde.

9.316

Eine inkongruente Gewinnverteilungsabrede wird daher i.d.R. anzuerkennen sein, wenn auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung hinreichende Beiträge durch den Gesellschafter erbracht werden, die eine erhöhte Gewinnzuteilung nach fremdüblichen Maßstäben rechtfertigen, oder wenn die Gewinnverteilung aus sonstigen wirtschaftlichen Gesichtspunkten angemessen erscheint.

9.317

Bei Personengesellschaften wird der Gewinnverteilungsschlüssel im Gesellschaftsvertrag zwischen Fremden so vereinbart, dass zunächst die besonderen Gesellschafterbeiträge angemessen aus dem erwirtschafteten Gesamtertrag vergütet werden (z.B. Vergütungen für Tätigkeit, für Übernahme der vollen persönlichen Haftung als Komplementär, für Kapitaleinlagen, für besondere Leistungen eines Gesellschafters wie Beratung, Vermittlung, Grundstücksüberlassung). Danach ist der Restgewinn angemessen zu verteilen (z.B. nach Köpfen oder nach dem Verhältnis der festen Kapitalkonten; vgl. auch § 121 HGB und § 168 HGB).

9.318

Bei einer Familienpersonengesellschaft erfolgt daher auch eine Überprüfung der Angemessenheit der Gewinnverteilung. Die Mitarbeit aller Gesellschafter im Betrieb der Personengesellschaft führt in der Regel zu einer angemessenen Gewinnverteilung. Dagegen können nach der Rechtsprechung des BFH1 nicht mitarbeitende voll- und minderjährige Gesellschafter steuerlich nur Gewinnanteile zugerechnet werden, die auf längere Sicht zu einer auch unter Berücksichtigung der gesellschaftsrechtlichen Beteiligung der Mitunternehmer angemessenen Ver1 BFH v. 29.5.1972 – GrS 4/71, BStBl. II 1973, 5.

704 | Rundshagen

B. Rechtsformwahl und -struktur | Rz. 9.321 Kap. 9

zinsung des tatsächlichen (gemeinen) Werts des Gesellschaftsanteils führen, da sein Leistungseinsatz grundsätzlich nur im Kapitaleinsatz besteht. Dabei sind die Leistungen der mitarbeitenden Gesellschafter vorweg angemessen zu vergüten. Daher kommt es hinsichtlich der Gewinnverteilung entscheidend auf die Feststellung bei der einzelnen Personengesellschaft darauf an, welche Gesellschafterbeiträge zur Gewinnerzielung in welchem Umfang beigetragen haben1. Angemessen ist eine Gewinnverteilungsabrede nach Ansicht des BFH und der Finanzverwaltung, die im Zeitpunkt der Vereinbarung bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung eine durchschnittliche Rendite bis zu maximal 15 % des wahren Wertes der Beteiligung erwarten lässt. Dieser Grundsatz soll auch auf die schenkweise Übertragung einer atypischen stillen Beteiligung, einer atypischen Unterbeteiligung, einer typisch stillen Beteiligung mit Verlustbeteiligung und bei einem schenkweise erworbenen Kommanditgesellschaftsanteil, bei dem der neue Kommanditist nur in nachgeordneter Funktion mitarbeitet, anzuwenden sein. Bei einer typischen stillen Beteiligung, bei der der stille Gesellschafter nur am Gewinn beteiligt ist, reduziert sich der Renditewert auf maximal 12 %. Der BFH hat diese Gestaltung in seiner Rechtsprechung2 bei minderjährigen Kindern steuerlich jedoch nicht mehr anerkannt. Bei Erwachsenen gelten die 12 % weiter3. Da der echt still Beteiligte nicht an den stillen Reserven beteiligt ist, geht die BFH- Rechtsprechung nicht vom Realkapital, sondern vom Nominalkapital des Stillen aus4.

9.319

Bei atypisch stillen Beteiligungen sollen Maximalrenditen von 25 % (ohne Verlustbeteiligung) und von 35 % (mit Verlustbeteiligung) vereinbart werden können, jeweils bezogen auf das eingesetzte Kapital bzw. den wahren Wert der Beteiligung. Bei entgeltlich erworbenen Kommanditanteilen und bei Anteilen von im Betrieb mitarbeitenden Familienangehörigen soll ein Fremdvergleich nach allgemeinen Grundsätzen erfolgen. In diesen Fällen ist die 15 %-Grenze nicht anzuwenden. Grundsätzlich wird auch eine quotale Gewinnbeteiligung anzuerkennen sein, wenn diese für die Überlassung des Haftkapital gezahlt wird oder wenn damit zusätzlich nur Gesellschafterbeiträge abgegolten werden.

9.320

Zur Bestimmung des tatsächlichen Werts des Gesellschaftsanteils ist zunächst der Wert des gesamten Unternehmens einschließlich stiller Reserven und Geschäftswert bei Vertragsschluss zu ermitteln und dieser sodann auf die einzelnen Gesellschafter nach einem einheitlichen Maßstab zu verteilen, sofern keine Sonderrechte bestehen. Sämtliche Wirtschaftsgüter sind hierzu mit dem Teilwert anzusetzen. Als einheitlicher Maßstab ist die Beteiligung am Liquidationsergebnis gemäß den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages heranzuziehen, da letztlich dieses den tatsächlichen Wert des Gesellschaftsanteils wiedergibt. Gelten Beschränkungen hinsichtlich der Gewinnentnahme oder der Abfindungsansprüche bei Ausscheiden Beschränkungen nur für einzelne Gesellschafter, ist bei diesen vom Anteilswert ein Abschlag zu machen. Umgekehrt erfolgt ein Zuschlag zum Anteilswert bei Sonderrechten, die nur für einzelne Gesellschafter gelten, bei diesen5.Nach der Ermittlung des realen Werts wird unter Anwendung eines Prozentsatzes von 15 % auf diesen Wert die Rendite in einem Festbetrag ermittelt. Setzt man diesen Festbetrag ins Verhältnis zum Durchschnittsgewinn, so erhält

9.321

1 H 15.9 Abs. 3 EStH 2012. 2 BFH v. 21.10.1992 – X R 99/88, BStBl. II 1993, 289. 3 H 15.9 Abs. 4 „Verlustbeteiligung“ EStH 2012 und H 15.9 Abs. 5 „Schenkweise eingeräumte stille Beteiligung“ EStH 2012. 4 Beck’sches Steuer- und Bilanzrechtslexikon, Mitunternehmerschaft, Rz. 1–28. 5 von Sothen in Münchener Anwaltshandbuch Erbrecht5, § 36 Rz. 126–131.

Rundshagen | 705

Kap. 9 Rz. 9.321 | Vorweggenommene Erbfolge

man den maßgebenden Gewinnanteil in Prozenten ausgedrückt. Bei dem Durchschnittsgewinn ist auf den fiktiven Gewinn abzustellen, der im Durchschnitt der folgenden fünf Jahre nach den zum Zeitpunkt der Gewinnverteilungsabrede bekannten Umständen erzielbar ist, wobei Gesellschaftsbeiträge der tätigen Gesellschafter vorher abgezogen werden müssen.

9.322

Eine zunächst angemessene Rendite muss bei Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse (z.B. nicht erwarteter Gewinnsprung) nach dem Maßstab des Fremdvergleichs korrigiert werden1.

9.323

Bei der Beteiligung von Familienangehörigen an einer Kapitalgesellschaft ist die Gewinnverteilung ebenfalls auf ihre Angemessenheit hin zu überprüfen. Der Verteilungsmaßstab muss auf gesellschaftsrechtlichen Gründen beruhen und darf nicht von persönlichen Beziehungen beeinflusst werden. Bei Kapitalgesellschaften erfolgt die Gewinnverteilung an die Gesellschafter regelmäßig im Verhältnis ihrer Kapitalanteile (§ 29 Abs. 3 Satz 1 GmbHG). Sonderleistungen von Gesellschaftern – etwa als Geschäftsführer – werden üblicherweise gesondert vergütet. Sieht der Gesellschaftsvertrag eine solche Gewinnverteilung vor, besteht kein Anlass zur Korrektur der Gewinnverteilungsabrede. Allerdings ist es zulässig, einen anderen Aufteilungsmaßstab festzulegen, § 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG, wenn der Gesellschaftsvertrag eine entsprechende Öffnungsklausel enthält.

9.324

Inkongruente Gewinnausschüttungen bei Kapitalgesellschaften sind nach Ansicht der Finanzverwaltung2 im Grundsatz anzuerkennen, wenn sie zivilrechtlich wirksam sind und soweit nicht im Ausnahmefall ein steuerlicher Gestaltungsmissbrauch (§ 42 AO) vorliegt. Von einem Gestaltungsmissbrauch sei auch dann nicht auszugehen, wenn andere als steuerliche Gründe für solche Maßnahmen nicht erkennbar sind3.

9.325

Ein Indiz für eine unangemessene Gestaltung sieht die Finanzverwaltung jedoch im Fall einer nur kurzfristig geltenden oder wiederholt geänderten Gewinnverteilungsabrede. Es wird daher im Schrifttum die Meinung vertreten, dass vor diesem Hintergrund die Finanzverwaltung insbesondere im Schenkungsfall die disquotale Gewinnverteilung ertragsteuerlich unter Hinweis auf § 42 AO nicht nachvollziehen wird4.

9.326

Wird das Gesellschaftsverhältnis trotz seiner zivilrechtlichen Wirksamkeit steuerlich nicht anerkannt, ist der betreffende Angehörige im Falle einer Personengesellschaft nicht Mitunternehmer i.S.v. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG geworden. Ist eine Gewinnverteilungsabrede nach den vorstehenden Grundsätzen unangemessen, werden den Familienmitgliedern steuerlich nur die Gewinnanteile zugerechnet, die innerhalb der Angemessenheitsgrenze liegen5. Die übersteigenden Gewinnanteile sind bei den Übertragenden bzw. übrigen Gesellschaftern einkommensteuerpflichtig. Wird der als unangemessen angesehene Gewinnanteil bei den Familienmitgliedern belassen, unterliegt er als selbständige Schenkung an den Übertragenden der Erbschaftsteuer6 (§ 7 Abs. 6 ErbStG).

1 2 3 4 5 6

BFH v. 19.2.2009 – IV R 83/06, BStBl. II 2009, 798. BMF v. 17.12.2013 – IV C 2 - S 2750-a/11/10001, DStR 2014, 36. BFH v. 19.8.1999 – I R 77/96, BStBl. II 2001, 43 ff. Birnbaum/Escher, DStR 2014, 1413 (1417). von Sothen in Münchener Anwaltshandbuch Erbrecht5, § 36 Rz. 126–131. Hannes, Formularbuch Vermögens- und Unternehmensnachfolge2, Rz. 10.

706 | Rundshagen

B. Rechtsformwahl und -struktur | Rz. 9.331 Kap. 9

III. Gestaltung der Leitungsstruktur 1. Mögliche Konflikte in der Familiengesellschaft Die künftige Leitungsstruktur eines Familienunternehmens ist von mehreren tatsächlichen Gegebenheiten und Vorstellungen der Familienmitglieder oder Familienstämme geprägt. So muss in der jeweiligen Rechtsform des Familienunternehmens durch Ausgestaltung einer entsprechenden (Corporate) Governance eine qualifizierte Unternehmensleitung und ihre Kontrolle sichergestellt werden (s. Rz. 4.35). Bedeutsam ist auch, ob die Familie das Unternehmen selbst leiten kann und will oder ob Vorkehrungen für ein Fremdmanagement und dessen Kontrolle bzw. Beteiligung getroffen werden müssen. Potentielle Konflikte können z.B. durch die Patt-Situation verfeindeter Gesellschafterstämme, Uneinigkeit über Abfindungsregelunge oder den Ausschluss von Gesellschaftern aber auch über Fragen der Höhe der Gewinnentnahme entstehen. Daneben könne Konflikte auch zwischen aktiv in das operative Geschäft eingebundene Nachfolger und nur vermögensmäßig beteiligte Nachfolger erwachsen.

9.327

Entsprechende Vorkehrungen und Regelungen können teilweise über den Gesellschaftsvertrag und eine entsprechende (Corporate) Governance abgebildet werden. Flankierend hierzu können aber auch Familienverfassungen (Family Governance) errichtet werden. Es bleibt jedoch die Notwendigkeit, dass alle Beteiligten solche Absprachen für sich persönlich als Handlungsmaßstab anerkennen.

9.328

Hinsichtlich der tatsächlichen Leitung sollte überlegt werden, wie auf Dauer sichergestellt werden kann, dass nur die persönlich qualifiziertesten Kandidaten in die Geschäftsführung berufen werden und dass persönliche Befindlichkeiten der übrigen Gesellschafter bei der Auswahl möglichst keine Rolle spielen. Bei der Aktiengesellschaft wird dies gesetzlich dadurch geregelt, dass die Auswahl der Unternehmensleitung einem unabhängigen Gesellschaftsorgan (Aufsichtsrat) übertragen wird (§ 84 AktG). Entsprechende Regelungen sind für GmbHs oder Personengesellschaften nicht vorgesehen. In der GmbH und der GmbH & Co. KG entscheiden die Gesellschafter der GmbH über die Geschäftsführung und bei Personengesellschaften ist regelmäßig der persönlich haftende Gesellschafter auch geschäftsführend. Bei wachsendem Gesellschafterkreis, kann es aber empfehlenswert sein, einen fakultativen Aufsichtsrat (Beirat, Verwaltungsrat oder Familienrat) im Familienunternehmen zu implementieren. In bestimmten Fällen kann dies bereits durch die Wahl der Rechtsform des Unternehmens erreicht werden (z.B. SE & Co. KGaA).

9.329

2. Absicherung der künftigen Leitungsstruktur durch den Gesellschaftsvertrag a) Stammesprinzip Bei großen Familiengesellschaften, die über mehrere Generationen Bestand haben und sich eines wachsenden Gesellschafterkreises erfreuen, können die Gesellschafter zu Gruppen (Stämmen) zusammengefasst werden. Die Abkömmlinge von zwei Senioren bilden z.B. jeweils einen Stamm.

9.330

Bei einem eingerichteten Stammesprinzip ist wichtig, dass auch die Stimmausübung kontrolliert erfolgt und Patt-Situationen vermieden werden. Dies kann durch eine Stimmrechtsbündelung (Pool-Vereinbarung) oder Stammesklauseln erreicht werden.

9.331

Rundshagen | 707

Kap. 9 Rz. 9.332 | Vorweggenommene Erbfolge

b) Stimmbündelung/Stammesklauseln

9.332

Durch eine Stimmbündelung können Streitigkeiten innerhalb einer Familie aus der Unternehmensführung und der Gesellschafterversammlung herausgehalten werden. Dem Vertreter des jeweiligen Familienstammes kommt in diesem Fall auch eine Kontrollfunktion über den jeweiligen Familienstamm zu. Eine Stimmbündelung kann bei einer Kapitalgesellschaft auch durch einen Poolvertrag erreicht werden (s. Rz. 9.216).

9.333

Die Vermeidung von Machtkonflikten innerhalb von Familienstämmen ist auch durch die Aufnahme von sog. Stammesklauseln in den Gesellschaftsvertrag möglich. Stammesklauseln diktieren nicht die einheitliche, konkrete Ausübung des Stimmrechts der einzelnen Gesellschafter. Sie räumen dagegen jedem der an der Gesellschaft beteiligten Familienstämme das Recht ein, jeweils einen eigenen Geschäftsführer vorzuschlagen, um dadurch den verschiedenen Familienstämmen ein gleichbleibendes Maß an Einfluss und Kontrolle auf die Geschäftsführung zu gewährleisten. Werden jedoch sämtlichen Stämmen diese Einflussmöglichkeit gewährt, birgt dies die Gefahr, dass Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Familienstämmen sich unmittelbar auf die Geschäftsführung auswirken.

9.334

Je nach Zusammensetzung des Familienstamms oder die perspektivische Entwicklung des Familienstammes sollte die Aufnahme einer Stammesklausel mit der Einrichtung eines Beirats verknüpft werden. Ein Beirat kann dabei entweder die Entscheidung über die personelle Besetzung der Geschäftsführung begleiten oder streitschlichtend in Patt-Situationen entscheiden oder über ein eigenes Vorschlagsrecht für die Geschäftsführung verfügen.

9.335

Durch ein Stammesprinzip kann aber auch eine Sicherung bei der Übertragung der Anteile erreicht werden. Der Gesellschaftsvertrag oder der Poolvertrag können Vorkaufs- bzw. Vorerwerbsrechte oder Veräußerungsverbote regeln. So kann vorgesehen werden, dass bei Ausscheiden eines Gesellschafters dessen Geschäftsanteil zunächst Mitgliedern seines Familienstamms anzubieten ist bzw. von diesen durch Ausübung eines Vorkaufsrechts erworben werden kann, bevor er auf Mitglieder anderer Familienstämme übertragen werden darf.

9.336

Damit können die Einflussmöglichkeiten der beteiligten Familienstämme auch trotz Veränderungen der Gesellschafterstruktur gefestigt werden.

9.337

Daneben sind Regelungen zur Stimmbindung und entsprechende Verfügungsbeschränkungen auch entscheidend, um die Voraussetzungen des steuerlichen Wertabschlags nach § 13b Abs. 9 ErbStG (Wertabschlag für Familienunternehmen) zu erreichen (s. Rz. 9.226). c) Nachfolgeregelungen

9.338

Bei Personengesellschaften müssen Nachfolgeklauseln aufgenommen werden, damit die Gesellschaft auch bei Tod eines Gesellschafters fortgeführt werden kann (s. Rz. 4.81). Durch eine qualifizierte Nachfolgeklausel, kann der Wunsch der Familie, sich vor Überfremdung in der Gesellschaft zu schützen, entsprochen werden. Abhängig von den individuellen Wünschen und Gegebenheiten kann der Kreis der Familie definiert und eine Nachfolge nur für Familienmitglieder im Sinne dieser Definition zugelassen werden.

708 | Rundshagen

B. Rechtsformwahl und -struktur | Rz. 9.345 Kap. 9

IV. Mitwirkung bei der Nachfolgegestaltung durch Beiräte im Familienunternehmen Das (freiwillige) Organ des Beirats hat wie oben ausgeführt Bedeutung für erfolgreiche Familienunternehmen mit komplexer Inhaberstruktur (s. Rz. 12.24). In diesem Fall kann der Beirat dazu dienen, Konflikte zu vermeiden. Die Besetzung des Beirats richtet sich nach den individuellen Bedürfnissen der Familie. Ist die Besetzung nur mit Familienmitgliedern gewünscht, können sich Familienkonflikte im Beirat fortsetzen. Daher kann es sinnvoll sein, den Beirat auch mit externer Fachkompetenz zu besetzen.

9.339

Auch in Nachfolgefragen kann der Beirat ein wichtiges Instrument sein. So kann er dem aus Altersgründen ausscheidenden Gesellschafter-Geschäftsführer den Ausstieg aus der operativen Geschäftsführung erleichtern. Es kann auch Aufgabe des Beirats sein, die Eignung des potenziellen Nachfolgers möglichst neutral zu beurteilen. Dies geht einfacher, wenn auch Familienfremde Mitglieder des Beirats sind.

9.340

Bei einem plötzlichen Versterben des Unternehmers kann der Beirat der Unternehmerfamilie wichtige Hilfestellung bei der Unternehmensfortführung und der Suche nach qualifiziertem Management leisten.

9.341

Bei der Ausgestaltung des Beirats ist vor der Besetzung desselben zu überlegen, welche Funktion diesem Organ zukommen soll. Entscheidend ist die Frage, ob dem Beirat lediglich beratende Funktion zukommen soll oder ob er neben der beratenden Funktion auch Überwachungs- und Kontrollfunktion übernehmen soll.

9.342

Übernimmt der Beirat eine nur beratende Funktion ist eine Verankerung des Beirats im Gesellschaftsvertrag nicht erforderlich. Eine schuldrechtliche Vereinbarung in Form eines Geschäftsbesorgungsvertrages zwischen den Mitgliedern des Beirats und den Gesellschaftern ist in diesem Fall ausreichend. Es kann auch ein künftiger Beirat installiert werden, der erst nach dem Versterben des Seniors seine Tätigkeit aufnimmt. Ein solcher künftiger („schlafender Beirat“) kann entweder bereits im Gesellschaftsvertrag oder durch Auflage im Unternehmertestament vorgesehen werden. Einrichtung des Beirats und Auswahl der Mitglieder kann durch einen Testamentsvollstrecker vorgenommen werden. Allerdings ist empfehlenswert, die Ausgestaltung und Besetzung des Beirats möglichst bereits zu Lebzeiten zu regeln.

9.343

Die Organisation des Beirats wird durch eine Geschäftsordnung (Beiratsordnung) geregelt (s. Rz. 12.68). Diese kann durch den Beirat selbst oder die Gesellschafter beschlossen werden. Im Einzelfall dürfte bei besonderer Fachkompetenz der Beiratsmitglieder diesen die Aufstellung überlassen werden.

9.344

Funktionen des Beirats

9.345

Reine beratende Funktion

Volle organschaftliche Funktion (Beratungs-, Überwachungs- und Kontrollfunktion)

Funktion nach Leitbild des Aufsichtsrates einer AktG (§§ 95 ff. AktG)

Keine Aufnahme in den GeRegelung im Gesellschaftsver- Regelung im Gesellschaftsvertrag des Familienunternehsellschaftsvertrag erforderlich; trag des Familienunternehschuldrechtliche Vereinmens mens barung zwischen Gesellschaftern und Beiratsmitgliedern genügt

Rundshagen | 709

Kap. 9 Rz. 9.346 | Vorweggenommene Erbfolge

C. Betriebsübergabe I. Gewerbebetrieb 9.346

Die Übergabe eines Einzelunternehmens, das sich handelsrechtlich als Gewerbetrieb darstellt und beim Inhaber nach § 5 EStG zu Einkünften aus Gewerbebetrieb führt, kann in einem Zug durch Schenkung oder Kaufvertrag und Übertragung auf den Übernehmer erfolgen.

9.347

Alternativ kommt eine zweistufige Übertragung in Betracht: Zunächst gründet der Übergeber eine GmbH & Co. KG und überträgt sodann steuerneutral nach § 24 UmwStG oder sein Einzelunternehmen insgesamt auf diese neue Gesellschaft. Dabei kann er z.B. betriebliche Immobilien (nur) in das Sonderbetriebsvermögen einbringen und so zivilrechtlich deren Eigentümer bleiben. Hilfsweise kann auch die Übertragung nach § 6 EStG zu Buchwerten in Betracht kommen. In einem nächsten Schritt wird der Anteil verkauft oder verschenkt.

II. Land- und forstwirtschaftlicher Betriebe 9.348

Die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft ähneln hinsichtlich der ertragsteuerlichen Behandlung stiller Reserven bei gewerblichen Betrieben.

9.349

Wesentliche Unterschiede gibt es nach Bewertungsrecht das im steuerlichen Bewertungsrecht in den §§ BewG gesondert geregelt ist. Bei schenkweiser Übertragung sind hier die im Bewertungsrecht getroffenen Sondervorschriften für landwirtschaftliche Flächen und Betriebe zu beachten. Diese führen regelmäßig zu vergleichsweise niedrigen Wertansätzen.

III. Freiberufliche Praxis 9.350

Auch hier ist aus ertragssteuerlicher Sicht eine Parallelität zu der Übertragung von betrieblichen Einheiten gegeben. Gleiches gilt grundsätzlich für die Erbschaft- und Schenkungsteuer, für die keine besonderen Bewertungsvorschriften gelten.

9.351

Die Herausforderung hier ist häufig vor allem die Anforderung das freiberufliche Unternehmen an beruflich ausreichend qualifizierte Personen übertragen zu können. Sofern dies im persönlichen Umfeld des Praxisinhabers nicht möglich ist, bleibt nur der Verkauf an Dritte, die diese beruflichen Anforderungen erfüllen. Gegenstand der Vermögensnachfolge ist dann ein steuerlich nicht begünstigtes Barvermögen, das ggf. vor Übertragung in begünstigtes betriebliches Vermögen (re-)investiert werden kann, um so doch noch in den Genuss des Wertabschlags nach § 13a Abs. 1 ErbStG zu gelangen.

D. Gegenstand der Unternehmensnachfolge I. Allgemeine zivilrechtliche Aspekte 9.352

Aus zivilrechtlicher Sicht kann die Unternehmensübertragung voll unentgeltlich, d.h. als Schenkung oder vollentgeltlich im Rahmen eines Unternehmenskaufs erfolgen. Vor der Übertragung der Unternehmens bzw. des Unternehmensvermögens sollte zuerst eine Analyse erfolgen, welche Vermögensgegenstände tatsächlich zum Vermögen des zu übertragenden Unternehmens gehören und welche Vermögensgegenstände Privatvermögen darstellen. Unter Umständen kann es aus Sicht einer erbschaftsteuerlich begünstigten Übertragung sinnvoll sein, einzelne Wirtschaftsgüter des Privatvermögens vor einer Übertragung des Unterneh710 | Rundshagen

D. Gegenstand der Unternehmensnachfolge | Rz. 9.357 Kap. 9

mens in das betriebliche Vermögen zu überführen bzw. einzelne betriebliche Vermögensgegenstände vor einer solchen Übertragung zu separieren und umgekehrt in das Privatvermögen zu überführen. Für die zivilrechtliche Übertragungsregelung ist eine genaue Definition der des Unternehmens und seiner Vermögensgegenstände vor dem Hintergrund wichtig, als dass eine wirksame dingliche Übertragung des Eigentums beim Einzelunternehmen eine genaue Bezeichnung der im Wege der Einzelrechtsübertragung übergehenden Vermögensgegenstände ist.

9.353

Bei der Übertragung von Anteilen an Personen- und Kapitalgesellschaften im Wege der Unternehmensnachfolge ist zu prüfen, ob die jeweiligen Gesellschaftsverträge einer solchen Übertragung konkret entgegenstehen und ob eine wirksame Übertragung der Zustimmung anderer Gesellschafter bedarf.

9.354

Das deutsche Gesellschaftsrecht lässt Abweichungen von den gesetzlichen Bestimmungen zur schenkungsweisen Übertragung und Vererbung von Unternehmen und Gesellschaftsanteilen weitgehend zu. Die konkreten vertraglichen Vereinbarungen gehen deshalb den gesetzlichen Vorschriften vor, soweit nicht ausnahmsweise zwingende Vorschriften entgegenstehen. In der Praxis spielen die gesetzlichen Bestimmungen zur Übertragung von Gesellschaftsanteilen daher – jedenfalls im Bereich der Personengesellschaften – meist nur eine subsidiäre Rolle. Gleichwohl ist es wichtig, die gesetzlichen Grundlagen zu berücksichtigen, um die geplante Nachfolgeregelung durch individuelle gesellschaftsrechtliche Vereinbarungen abzusichern bzw. unter Umständen erst zu ermöglichen. Enthalten Gesellschaftsverträge keine Vorschriften zur Nachfolge, so gelten nämlich die gesetzlichen Bestimmungen als Regelstatut.

9.355

II. Allgemeine steuerliche Aspekte (unentgeltliche/entgeltliche/teilentgeltliche Übertragung) Das Steuerrecht geht im Grundsatz davon aus, dass die Übertragung von betrieblichen Einheiten mit einer Aufdeckung von stillen Reserven beim bisherigen Vermögensinhaber verbunden ist. Entweder weil ein Verkauf gegen Geld bzw. Übernahme von Verbindlichkeiten oder ein diesem gleich gestelltes Tauschgeschäft abgeschlossen wurde, vgl. § 6 Abs. 6 EStG. Sofern dabei fremde Dritte nach kaufmännischen Grundsätzen handeln, ist insoweit zu den so gefundenen Bedingungen auch im Steuerrecht die Besteuerungskonsequenz zu ziehen. Dabei gilt die Vermutungsregelung, dass fremde Dritte, wenn nicht ausnahmsweise eine andere Rechtsbeziehung oder eine besondere Situation die natürlichen Interessengegensätze in der Verhandlung überlagert1. Das kann beispielsweise eine langjährige arbeitsrechtliche Beziehung der Parteien sein2 oder auch eine Geschäftsfreundschaft in der beide Seiten in besondere Weise die Interessen des anderen berücksichtigen. Die Ausgewogenheit einer Preisfindung kann im konkreten Fall auch dann eingeschränkt sein, wenn andere Geschäfte kompensiert werden und bei beiden Transaktionen damit jeweils nicht der „richtige“ Preis zugrunde gelegt wird. Hier werden für steuerrechtliche Zwecke bei beiden Rechtsgeschäften die fremdüblichen Werte angesetzt.

9.356

In der Praxis ist recht häufig zu beobachten, dass die Finanzverwaltung im Rahmen von steuerlichen Außenprüfungen, die Frage nach das Geschäft beeinflussenden, überlagernden Sach-

9.357

1 Umkehrschluss aus § 1 AStG, der an eine Beziehung zwischen nahe stehenden Personen anknüpft. 2 Vgl. § 19 EStG und § 11 Abs. 2 BewG.

Rundshagen | 711

Kap. 9 Rz. 9.357 | Vorweggenommene Erbfolge

verhalten stellt. Ein solcher Fall kann bei einer Nachfolge ohne Abkömmlinge eintreten, wenn das Unternehmen an leitende Angestellte oder neu eintretende Geschäftsführer im Rahmen eines „Management-buy-out“ übertragen wird. In diesem Fall ist abzugrenzen, ob ein vermeintlich niedriger Preis für die Übertragung von Unternehmensanteilen als eine verdeckte Lohnzahlung i.S.v. § 19 EStG zu beurteilen sein könnte. Dann wäre die Übertragung in Höhe des so korrigierten Verkehrswertes bei dem Veräußerer auf korrigierter Basis steuerpflichtig. Der Käufer müsste in Höhe der Differenz von tatsächlichem Verkehrswert und geleistetem Kaufpreis Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit versteuern. Dies ist meistens deshalb problematisch, weil die betreffenden Erwerber zu diesem Zeitpunkt regelmäßig noch nicht über ausreichende Liquidität für eine solche Steuerzahlung verfügen.

9.358

Hiervon abzugrenzen sind echte unentgeltliche Übertragungen nach § 6 Abs. 3 EStG bei Mitunternehmerschaften und Einzelunternehmen oder § 17 Abs. EStG bei Kapitalgesellschaften. Diesen korrespondiert die Erfüllung des Grundtatbestandes einer Schenkung nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Das bedeutet, der Schenker wendet dem Begünstigten freigiebig einen Vorteil zu, der von seinem in das Vermögen des Begünstigten wandert.

9.359

Besondere Herausforderungen bringt eine gemischte Schenkung von Betriebsvermögen mit sich, bei der ein Teil des erworbenen Gegenstandes entgeltlich nach Marktgesichtspunkten erworben und bezahlt wird und nur der verbleibende Teil freigiebig zugewendet, also geschenkt wird. Hier ist in den vergangenen Jahrzehnten von der Finanzverwaltung1 und der Rechtsprechung2 die sog. (strenge) Trennungsmethode angewendet worden, mit der die einheitliche Übertragung gedanklich separat in ein voll entgeltliches und in ein unentgeltliches Geschäft aufgeteilt und so besteuert wurde. Hierdurch ist der bestehende steuerliche Buchwert proportional den beiden virtuellen Transaktionen zugeordnet worden. Durch aktuelle Entscheidungen des BFH3, einschließlich eines Vorlagebeschlusses an den Großen Senat4, ist diese Position für das Betriebsvermögen im Rahmen von § 6 Abs. 5 und § 16 EStG in Frage gestellt worden. Diese neuere Auffassung des BFH wird jedoch von der Finanzverwaltung derzeit nicht angewendet5. Der BFH wirft die Frage auf, ob zumindest in bestimmten Fallkonstellationen eine sog. Modifizierte Trennungstheorie bzw. Einheitstheorie zur Anwendung kommen soll. Danach würde die Unterscheidung in unentgeltlich und entgeltlich für Ertragssteuerzwecke entfallen. Die Grenze zur steuerpflichtigen Veräußerung würde immer (erst) dann überschritten, soweit die Gegenleistung den Buchwert des Kapitalkontos an einer Mitunternehmerschaft oder der Anschaffungskosten bzw. den Buchwert von Anteilen an Kapitalgesellschaften übersteigt. Hier wird der Buchwert vollständig dem entgeltlichen Teil der Übertragung zugeordnet6. Auch dann tritt eine partielle Steuerpflicht ein, die praktisch sehr viel leichter zu ermitteln und damit zu planen ist, weil eine mühsame und unsichere Schätzung von Wertverhältnissen entfallen würde. Dagegen bleibt es im Bereich des Privatvermögens bei der Behandlung gemischter Schenkungen bei der Anwendung der strengen Trennungstheorie7.

1 BMF v. 8.12.2011 – IV C 6 - S 2241/10/10002, BStBI. I 2012, 1279. 2 BFH v. 16.12.1992 – X I R 34/92, BStBl. II 1993, 436. 3 Vgl. BFH v. 19.3.2014 – X R 28/12, BStBl. II 2014, 629 sowie BFH v. 19.9.2012 – IV R 11/12, BFHE 239, 76. 4 BFH v. 27.10.2015 – X R 28/12, DStR 2015, 2834. 5 BMF v. 12.9.2013, BStBl. I 2013, 1164, Abschn. II.1.a. 6 BFH v. 19.9.2012 – I V R 11/12, BFHE 239, 76. 7 Schallmoser in Blümich, § 16 EStG Rz. 16.

712 | Rundshagen

D. Gegenstand der Unternehmensnachfolge | Rz. 9.364 Kap. 9

III. Übertragung eines Einzelunternehmens und Aufnahme in ein Einzelunternehmen 1. Zivilrechtliche Grundlagen a) Zweckbündelung von Einzelgegenständen Das Einzelunternehmen als solches besitzt keine eigene Form im Rechtssinne, sondern setzt sich aus einer Vielzahl von Wirtschaftsgütern zusammen. Aus diesem Grund ist für die Übertragung eines Einzelunternehmens die genaue Definition der zum Unternehmen gehörenden Wirtschaftsgüter besonders wichtig. Zum Einzelunternehmen gehörende Wirtschaftsgüter können z.B. Immobilien, Betriebs- und Geschäftsausstattung (oder andere Gegenstände des Anlagevermögens), Vorräte, Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe (oder andere Gegenstände des Umlaufvermögens) oder Verbindlichkeiten oder immaterielle Vermögenswerte (Firmenwert oder Kundenstamm) sein. Der Einzelunternehmer kann daneben zahlreiche Vertragsverhältnisse unterhalten, die bei einer Übertragung des Unternehmens ebenfalls berücksichtigt werden müssen.

9.360

Für die Übertragung eines Einzelunternehmens im Wege der vorweggenommenen Erbfolge gibt es keine speziellen gesetzlichen Vorschriften. Im Ergebnis gehen sämtliche Vermögensgegenstände im Wege der Einzelrechtsübertragung über. Bestehenden Vertragsverhältnissen müssen ebenfalls einzeln übertragen werden. Soll der Nachfolger nur teilweise am Unternehmen beteiligt werden (neben dem übergebenden Senior) wird das Einzelunternehmen zur offenen Handelsgesellschaft (OHG). Ebenso bei Übertragung des Unternehmens auf mehrere Nachfolger. Soll bei der Aufnahme des Nachfolgers (unter Verbleiben des Inhabers oder bei einer Übertragung auf mehrere Nachfolger) eine Haftungsbeschränkung erreicht werden, so führt die Übertragung unter Beibehaltung eines persönlich haftenden Gesellschafters zu einer Kommanditgesellschaft (KG).

9.361

b) Haftung Eine vollständige unentgeltliche Überlassung des einzelkaufmännischen Unternehmens an einen Nachfolger führt zur persönlichen Haftung des Nachfolgers für alle im Betrieb begründeten Verbindlichkeiten des vorherigen Inhabers (sog. Altverbindlichkeiten), wenn er die Firma (Name des Unternehmens) fortführt (§ 25 HGB) oder die Schuldübernahme handelsüblich bekannt macht1.

9.362

In der Praxis werden im Rahmen der Übertragung des Unternehmens oft auch alle Aktiva und Passiva übertragen. Will der Übernehmer keine Verbindlichkeiten übernehmen oder sich vor einer Haftung der Altverbindlichkeiten schützen, sieht § 25 Abs. 2 HGB die Möglichkeit eines Haftungsausschlusses vor. Zudem ist auch eine abweichende Vereinbarung hinsichtlich des Forderungsüberganges nach § 25 Abs. 1 Satz 2 HGB zulässig.

9.363

Voraussetzung für einen Haftungsausschluss nach § 25 Abs. 2 HGB ist der Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung zwischen Erwerber und Veräußerer, die spätestens im Augenblick des Geschäftsübergangs vorliegen muss. In der Vereinbarung muss deutlich werden, ob Schulden überhaupt nicht, nur zu einem bestimmten Prozentsatz oder nur bestimmte in einer Gläubigerliste genannte Schulden übernommen werden.

9.364

1 Hopt in Baumbach/Hopt39, § 25 HGB Rz. 1; BGH v. 4.11.1991 – II ZR 85/91, NJW 1992, 911; BGH v. 28.11.2005 – II ZR 355/03, NJW 2006, 1001.

Rundshagen | 713

Kap. 9 Rz. 9.365 | Vorweggenommene Erbfolge

9.365

Zur Wirksamkeit gegenüber Dritten verlangt das Gesetz zwingend eine Kundgabe der Haftungsausschlussvereinbarung, die durch Eintragung und Bekanntmachung im Handelsregister erfolgen muss. Es kann auch eine besondere Mitteilung an Gläubiger erfolgen, die dann aber auch nur gegenüber diesen Gläubigern wirkt. Die Eintragung im Handelsregister hat den Vorteil, dass sie gegenüber allen Altgläubigern gilt1.

9.366

Eine Anmeldung des Haftungsausschlusses ohne schuldhaftes Zögern nach der Geschäftsübernahme unter Nachfolge der Eintragung als auch die Bekanntmachung in angemessenem Zeitabstand sind ausreichend. Nicht mehr alsbald ist jedoch eine Eintragung nach sechs oder zehn Wochen (für eine durch Beschwerde erzwungene Eintragung 5 Monate)2.

9.367

Neben dem Übernehmer haftet auch der Übergeber für die durch ihn begründeten Altverbindlichkeiten, die vor Ablauf von fünf Jahren gelten gemacht worden3 (§ 26 Abs. 1 HGB). Für den Übernehmer besteht auch eine Haftung für betriebliche Steuern nach § 75 Abs. 1 AO.

9.368

Bei der Unternehmensübergabe wird oft gewünscht sein, den Übernehmer vor der Haftung für Altverbindlichkeiten zu bewahren und Gläubigern keinen zusätzlichen Haftungsschuldner zu bieten.

9.369

Zur Vermeidung einer Haftung für Altverbindlichkeiten kann überlegt werden, anstelle der Eintragung und Bekanntmachung der entsprechenden Vereinbarung ins Handelsregister das Einzelunternehmen vor der Übertragung z.B. in eine GmbH & Co. KG umgewandelt wird4 (z.B. durch Ausgliederung, § 123 UmwG).

9.370

Die rechtliche Einordnung der Übertragung eines Einzelunternehmens ist nicht ohne weiteres möglich. Für die unentgeltliche Übertragung eines werthaltigen Unternehmens kann die Annahme einer Schenkung gem. § 516 BGB rechtfertigen. Da jedoch bei der Übertragung eines Einzelunternehmens auch regelmäßig Verbindlichkeiten mit übernommen werden, wird in den meisten Fällen von einer gemischten Schenkung auszugehen sein. Wenn sich bei der Übertragung Leistung und Gegenleistung wertmäßig entsprechen, könnte dies auch für eine entgeltliche Übertragung, d.h. einen Kauf sprechen5 (§§ 433, 453 BGB). Im Einzelfall wird die Abgrenzung zwischen einer Schenkung, einer gemischten Schenkung oder einem Unternehmenskauf fließend und nicht immer einfach zu treffen sein. Entscheidend kommt es dabei auf den Willen der Parteien an, der im Einzelfall festgestellt werden müsste.

9.371

Bei der Aufnahme eines Gesellschafters in ein Einzelunternehmen oder bei seiner Übertragung geht der BGH in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass eine reine Schenkung ausscheide6. Argument des BGH ist, dass mit der unentgeltlichen Übertragung der Gesellschafterstellung bzw. mit Aufnahme in ein Handelsgeschäft als persönlich haftender Gesellschafter, jeweils ohne Erbringung einer Kapitaleinlage, die aus der Gesellschafterstellung fließenden 1 Ploß in Scherer, Unternehmensnachfolge5, § 19 Rz. 28. 2 RG 75, 140, HRR 32, 256; OLG Hamm v. 17.9.1998 – 15 W 297-98, DB 1998, 2590; OLG Düsseldorf v. 6.6.2003 – 3 Wx 108/03, NJW-RR 2003, 1120; Hopt in Baumbach/Hopt39, § 25 HGB Rz. 13–16. 3 Hopt in Baumbach/Hopt39, § 25 HGB Rz. 12. 4 Riedel in Praxishandbuch Unternehmensnachfolge, § 7 Rz. 13 f. 5 Hannes, Formularbuch Vermögens- und Unternehmensnachfolge2, A. 2.00 Rz. 1–148. 6 BGH v. 26.3.1981 – IVa ZR 154/80, NJW 1981, 1956; Stenger in Sudhoff, Unternehmensnachfolge5, § 20 Rz. 14.

714 | Rundshagen

D. Gegenstand der Unternehmensnachfolge | Rz. 9.378 Kap. 9

Pflichten des Empfängers (seine persönliche Haftung, die Beteiligung an einem etwaigen Verlust und seine Pflicht zur Geschäftsführung unter Einsatz der vollen Arbeitskraft) einhergehen und damit eine Kompensation des Wertes des Kapitalanteils darstellen. Eine gemischte Schenkung wird vom BGH jedoch in Ausnahmefällen angenommen. Bei einer reinen Schenkung wären Pflichtteilsergänzungsansprüche (§ 2325 BGB) der nicht berücksichtigten Pflichtteilsberechtigten im Todesfall des Schenkers zu beachten. Bei einer gemischten Schenkung können sich diese (soweit die Voraussetzungen des Anspruchs erfüllt sind) allenfalls auf den unentgeltlichen Teil der gemischten Schenkung beziehen, wenn nach dem Willen der Parteien nicht von einer vollentgeltlichen Übertragung ausgegangen werden kann1.

9.372

Liegt nach dem Willen der Parteien und nach den Umständen bei der Übertragung eine reine oder gemischte Schenkung vor, sollte der Übertragende in Hinblick auf den Bestand seiner Nachfolgeplanung getroffenen Maßnahme haben und den Erwerber vor Pflichtteilsergänzungsansprüchen z.B. anderer Abkömmlinge schützen, die als Barzahlungsansprüche das Unternehmen gefährden können. Dies kann durch die Vereinbarung eines Verzichts auf Pflichtteilsergänzungsansprüche erfolgen (s. Rz. 9.63) Daneben kann auch an den Abschluss eines Pflichtteilsverzichtsvertrages gedacht werden, wenn z.B. das Unternehmen einen wesentlichen Teil des Vermögens des ausscheidenden Unternehmers ausmacht.

9.373

c) Übergang von anderen Schuldverhältnissen Übernimmt der Erwerber schuldrechtlich Dauerschuldverhältnisse und stellt er den Übertragenden von der Inanspruchnahme, kann letzterer geschützt werden. Allerdings wirkt ohne die Zustimmung der Gläubiger eine Schuldübernahme durch Freistellung nur im (§§ 415 ff. BGB).

9.374

Zum Schutze des Übertragenden kann daneben auch eine befreiende Schuldübernahme für alle betrieblichen Verbindlichkeiten vereinbart werden, die nur mit Zustimmung der Gläubiger auch im Außenverhältnis wirkt.

9.375

Bei bestehenden Arbeitsverhältnissen müssen die Voraussetzungen eines Betriebsübergangs geprüft werden. Liegen diese vor, gehen die Arbeitsverhältnisse gem. § 613a BGB kraft Gesetzes auf den Übernehmer über.

9.376

d) Eintragungs- und Formerfordernisse Ist das Unternehmen im Handelsregister eingetragen und handelt es sich nicht um ein Kleingewerbe i.S.d. §§ 1 Abs. 2, 2 HGB, besteht für den neuen Inhaber aufgrund einer Betriebsübergabe die Pflicht zur Anmeldung beim zuständigen Registergericht. Es empfiehlt sich, als Übertragungszeitpunkt einen Bilanzstichtag zu wählen, um Kosten einer Zwischenbilanz zu sparen.

9.377

Liegt zivilrechtlich eine reine oder gemischte Schenkung vor, bedarf ein Schenkungsversprechen zu seiner Wirksamkeit gem. 518 Abs. 1 BGB der notariellen Beurkundung. Erfolgt keine Beurkundung, wird der Formfehler jedoch durch die Erfüllung des formunwirksamen Schenkungsversprechens geheilt (§ 518 Abs. 2 BGB). Wird zusammen mit dem Unternehmen

9.378

1 Lange in MüKo8, § 2325 BGB Rz. 19-21.

Rundshagen | 715

Kap. 9 Rz. 9.378 | Vorweggenommene Erbfolge

Grundbesitz übergeben, ist der Vertrag nach § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB beurkundungspflichtig (ebenso bei sonstigen Grundbucheintragungen, z.B. Hypothek, Reallast, Wohnrecht etc. [§ 29 GBO]). Eine Aufspaltung in eine beurkundete Grundstücksübertragung und eine formlose Betriebsübertragung ist zivilrechtlich nicht zulässig und birgt zudem steuerliche Risiken.

9.379

Beurkundungspflicht besteht auch, wenn mit der Übertragung des Unternehmens eine GmbH-Beteiligung übertragen werden soll (§ 15 Abs. 3, 4 GmbHG). Macht das Unternehmen das (nahezu) gesamte Vermögen des Übergebers aus, kommt zudem eine Beurkundungspflicht nach § 311b Abs. 3 BGB in Betracht. Diese Vorschrift dürfte aber nicht einschlägig sein, soweit nennenswertes Privatvermögen beim Übergeber verbleibt.

2. Besteuerung der Übertragung 9.380

Einzelunternehmen können entweder in einem Zug als solche, vollständig auf den Nachfolger übertragen werden oder aber zweistufig (s. Rz. 18.160). In diesem Fall begründen Übergeber und Übernehmer zunächst eine Gesellschaft, in die das Einzelunternehmen eingebracht wird. Sodann räumt der Übergeber dem Nachfolger einen Anteil in bestimmter Höhe ein. Die Gesellschaft qualifiziert sich – unabhängig von der zivilrechtlichen Ausgestaltung – als Mitunternehmerschaft nach § 15 EStG. Zu einem späteren Zeitpunkt können weitere Anteilsübertragungen folgen bis der Übergeber vollständig ausgeschieden ist. Je nach den Zielen des Übernehmers, kann dann die Gesellschaft nach § 738 BGB und § 142 HGB auf ihn anwachsen, so dass er dann seinerseits ein Einzelunternehmen führt. Oder er sorgt durch die notwendigen gesellschaftsrechtlichen Schritte dafür, dass die Gesellschaft übergangsweise einen dritten Gesellschafter bekommt, und damit das Ausscheiden des Übergebers nicht die gesetzliche Folge der Anwachsung zur Konsequenz hat.

9.381

Im Ergebnis wird schon aus Praktikabilitätsgründen in vielen Fällen der gestuften Übertragung mit dem Übergang auf eine Gesellschaft der Vorzug gegeben werden, die dann auch langfristig erhalten wird. Dies erlaubt es dem Übernehmer steuerlich optimiert Anteile an den oder die Übernehmer zu übertragen. Für den Fall, dass sich der Übergeber einen Nießbrauch vorbehalten möchte, ist dies an den neu geschaffenen Anteilen mit vertretbarem Aufwand zu gestalten und steuerlich recht sicher gestaltbar.

9.382

Das Gesetz bestätigt in § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 EStG ausdrücklich, dass die Begründung einer Mitunternehmerschaft durch Aufnahme eines Nachfolgers in das bestehende Einzelunternehmen ebenfalls von der Buchwertfortführung erfasst ist. Der Schenker muss also nicht erst eine Mitunternehmerschaft etablieren, die sein Unternehmen übernimmt und deren Anteile sodann zum Teil oder ganz an den Nachfolger verschenkt werden. Es ist auch möglich, durch unentgeltliche Aufnahme des Nachfolgers in das Unternehmen direkt die Gründung der Mitunternehmerschaft und die Schenkung von Anteilen in einem Zug vorzunehmen.

9.383

Die steuerlichen Konsequenzen dieser zwei Grundmodelle sind in ertrag- und erbschaft- bzw. schenkungssteuerlicher Sicht insbesondere für Vermögensbestandteile, die zurückbehalten werden sollen, in einigen Aspekten unterschiedlich. Während § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG für die Übergabe von Einzelunternehmen verlangt, dass sämtliche wesentliche Betriebsgrundlagen übergehen, können bei Begründung einer Mitunternehmerschaft nach § 6 Abs. 3 Satz 3 EStG auch einzelne wesentliche Betriebsgrundlagen zurückbehalten werden, wenn diese sodann von dem Übergeber als weiter beteiligtem Mitunternehmer im Sonderbetriebsvermögen dieser Mitunternehmerschaft steuerlich geführt werden. Auch ist die Schenkung von Anteilen an einer solchen Gesellschaft möglich, ohne dem Begünstigten Miteigentum an dem Sonder716 | Rundshagen

D. Gegenstand der Unternehmensnachfolge | Rz. 9.388 Kap. 9

betriebsvermögen einzuräumen. Auf diese Weise lässt sich wirtschaftlich und steuerlich die Nachfolge sehr viel differenzierter gestalten. Bei der unmittelbaren Übertragung des Einzelunternehmens folgt die Einordnung des Erwerbs als dem Grunde nach begünstigungsfähiges Betriebsvermögen nach § 13b Abs. 1 Nr. 1 ErbStG in weitgehender Übereinstimmung mit dem Ertragssteuerrecht. Wenn der Begünstigte den gesamten Betrieb mit allen wesentlichen Betriebsgrundlagen erhalten hat, dann ist insoweit der Zugang zum Begünstigungssystem für Betriebsvermögen nach dem ErbStG eröffnet. Der Übergeber darf dann nichts zurückbehalten; Betriebsverpachtungen, Nießbrauchslösungen, etc. an Einzelunternehmen haben sich in der Praxis als extrem anfällig erwiesen, so dass hiervon abzuraten ist, was aktuelle BFH-Rechtsprechung bestätigt1.

9.384

Der Zugang zur begünstigten Übertagung nach § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG stellt sich in dem zweistufigen Modell mit der Schaffung einer Mitunternehmerschaft insgesamt flexibler dar. Wesentlich ist, dass der Erwerber i.S.v. § 15 EStG Mitunternehmer wird. Gleichzeitig ist es regelmäßig steuerlich vorteilhaft, wenn der Übergeber auch noch seine Mitunternehmerstellung behält, was vor allem bei noch nicht übergehenden Sonderbetriebsvermögen sicherstellt, dass keine stillen Reserven im Rahmen von § 6 Abs. 3 EStG realisiert werden.

9.385

3. Steuerneutrale Übertragungsvorgänge a) Buchwertfortführung gem. § 24 UmwStG Die Aufnahme eines Nachfolgers kann im zweistufigen Modell in der Weise erfolgen, dass beide eine neue Personengesellschaft gründen und der bisherige Einzelunternehmer seinen Betrieb mit allen wesentlichen Betriebsgrundlagen in die Personengesellschaft bzw. deren Sonderbetriebsvermögen gegen Beteiligung einlegt. Die Aufnahme eines Nachfolgers ohne Eigenleistung ist insofern eine Schenkung nach § 7 Abs. 6 ErbStG als auch alternativ eine Schenkung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ErbStG. Die Rechtsfolgen sind jedoch in beiden Varianten gleich: Nach den allgemeinen Grundsätzen steht dem Neugesellschafter die Besteuerung nach dem in den §§ 13a und 13b ErbStG begründeten Begünstigungssystem für Wertabschläge auf begünstigtes Betriebsvermögen offen.

9.386

b) Buchwertfortführung gem. § 6 Abs. 3 EStG Sofern, aus welchen Gründen auch immer, nicht das gesamte Einzelunternehmen auf eine Personengesellschaft übertragen wird, weil wesentliches Betriebsvermögen beim Vermögensinhaber verbleibt und ggf. in einer anderen Mitunternehmerschaft des Übergebers gebündelt wird, kann dieses nicht als Sonderbetriebsvermögen in der zu übertragenden Einheit berücksichtigt werden. Dennoch kann der Übergang auf die neue Mitunternehmerschaft nach § 6 Abs. 5 EStG zum Buchwert für Steuerzwecke erfolgen.

9.387

Beispiel: Unternehmer U betreibt ein Einzelhandelsunternehmen als eingetragener Kaufmann in einer ihm gehörenden betrieblichen Immobilie. Des Weiteren hat U ein Produktionsunternehmen, das er in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG betreibt, wobei ihm sämtliche Kommanditanteile gehören. U möchte nun sein Einzelunternehmen auf seine Tochter T übertragen, jedoch die Immobilie zukünftig auch für sein Produktionsunternehmen verwenden. Hierzu entnimmt er zunächst die Immobilie

1 BFH v. 25.1.2017 – X R 59/14, DStR 2017, 1308.

Rundshagen | 717

9.388

Kap. 9 Rz. 9.388 | Vorweggenommene Erbfolge aus dem Einzelunternehmen und legt diese in die Produktions-GmbH und Co. KG ein. Sodann schließt er einen Mietvertrag zwischen der Produktions-GmbH & Co. KG und sich selbst hinsichtlich der weiterhin von dem Einzelunternehmen genutzten Räume ab. Im Anschluss überträgt er das Einzelunternehmen einschließlich des neu abgeschlossenen Mietvertrages schenkweise auf seine Tochter T. Die Entnahme der Immobilie aus dem Einzelunternehmen und deren anschließende Übertragung auf die Mitunternehmerschaft ist nach § 6 Abs. 5 EStG zwingend zum steuerlichen Buchwert vorzunehmen. Die später nachfolgende Schenkung des um die Immobilie reduzierten Einzelunternehmens ist nach § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG an die Tochter ohne Aufdeckung stiller Reserven möglich.

9.389

Zu beachten sind jedoch die allgemeinen sich aus dieser Norm ergebenden Sperrfristen, wobei insbesondere auf das Verbot des Wanderns von stillen Reserven auf andere Kapitalgesellschaften hinzuweisen ist. c) Sonderbetriebsvermögen

9.390

Das Bedürfnis von Übergebern Substanzvermögen, das dem Unternehmen auf Nutzungsbasis zur Verfügung gestellt wird oder werden kann, noch zu behalten und erst später zu übertragen kann insbesondere auch aus Versorgungsgesichtspunkten motiviert sein. Beispiel:

9.391

U hat ein Teehandelshaus in Hamburg, das er als Einzelunternehmen führt. Für das Unternehmen nutzt er das ihm gehörende Lagerhaus in der Hamburger Speicherstadt. Er möchte das Unternehmen an seine Nichte N verschenken, die bereits viele Jahre erfolgreich in dem Handelshaus tätig ist. Allerdings soll sie zunächst nicht die Betriebsimmobilie bekommen, da diese seiner Altersabsicherung dienen soll. U und N vereinbaren daher die Gründung einer neuen GmbH & Co. KG. In diese bringt U das gesamte Teehandelshaus ein, nicht jedoch die betrieblich genutzte Immobilie. Vielmehr wird diese an die neue Gesellschaft vermietet. Auf diese Weise erzielt U weiterhin, allerdings reduzierte, liquide Mittel aus dem Unternehmen, selbst wenn er große Teile daran z.B. 75 % auf N schenkweise übertragen hat und er nur noch über 25 % verfügt. Außerdem erhält U konstant die Mieterlöse aus der Betriebsimmobilie zu Lasten der GmbH & Co. KG. Dies ist eine besonders geeignete Struktur um sehr komplexe und oftmals wenig vorteilhafte Nießbrauchslösungen zu vermeiden. Die ertragsteuerliche Realisation der stillen Reserven in der Immobilie bei Anteilsübertragung auf N wird durch § 6 Abs. 3 Satz 3 EStG verhindert.

9.392

Das Beispiel führt auch zu einem wichtigen Aspekt der Abgrenzung von begünstigtem Vermögen und schädlichem Verwaltungsvermögen i.S.v. § 13b Abs. 2 ErbStG. Wenn nämlich Gesellschafter von Mitunternehmerschaften Immobilien vermieten, sind diese bei späterer Übertragung im Schenkfall oder Erbwege zunächst grundsätzlich schädliches Verwaltungsvermögen, soweit diese nicht nach den in § 13b Abs. 2 Nr. 1 definierten Rückausnahmen als begünstigungsfähiges Betriebsvermögen anzusehen sind. So stellt etwa § 13b Abs. 2 Nr. 1 a ErbStG fest, dass bei Sonderbetriebsvermögen die an das Unternehmen zur Nutzung überlassene Immobilie insoweit begünstigtes Betriebsvermögen ist. Sind Teile der Immobilie dagegen an Andere zur entgeltlichen Nutzung überlassen, ist diese Rückausnahme nicht gegeben. Das führt dazu, dass der Wert des Gebäudes in Abhängigkeit von der Nutzung aufzuteilen, zu bewerten und sodann dem Verwaltungs- bzw. dem begünstigten Betriebsvermögen zuzuordnen ist.

718 | Rundshagen

D. Gegenstand der Unternehmensnachfolge | Rz. 9.397 Kap. 9

4. Schenkungsteuerliche Aspekte Die Übertragung eines Einzelunternehmens auf einen Übernehmer ist nur dann Gegenstand der Schenkungsteuer, wenn der Erwerber dieses ganz oder teilweise unentgeltlich erwirbt. Sofern dagegen eine voll entgeltliche Transaktion zum Verkehrswert wie unter fremden Dritten vorliegt, entfällt die Anwendung von § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ebenso wie eine buchwertneutrale Übertragung nach § 6 Abs. 3 oder Abs. 5 EStG oder § 24 UmwStG.

9.393

Besondere Schwierigkeiten machen Fälle einer teilentgeltlichen Übertragung, da derzeit nicht sicher ist wie sich die Rechtsprechung des BFH zu der Methode der Ermittlung des entgeltlichen Anteils entwickeln wird1. Für Planungszwecke kann es aus Vorsichtsgründen ratsam sein, davon auszugehen, dass wie bisher von der Finanzverwaltung praktiziert, der Grad der Entgeltlichkeit, aus dem Verhältnis zum Verkehrswert abzuleiten ist, unabhängig davon, welcher steuerliche Buchwert vorliegt. In der Konsequenz hat diese Abgrenzung natürlich auch Bedeutung für die Schenkungsteuer, die nur auf dem unentgeltlichen Teil entsteht.

9.394

5. Aspekte des Nießbrauchsvorbehalts Der Nießbrauch an einem Einzelunternehmen ist zivilrechtlich komplex und steuerlich riskant wie aktuelle BFH-Rechtsprechung zu einem Einzelunternehmen zeigt2. Ein Bedürfnis hierzu besteht eigentlich nur, wenn einerseits das Unternehmen vollumfänglich und kurzfristig übergehen soll und sich der bisherige Unternehmer vollständig zurückzieht (s. Rz. 22.55).

9.395

Eine leider immer noch anzutreffende Fehlerquelle in der Gestaltungspraxis ist die vertragliche Begründung des Nießbrauchs zugunsten des Übertragenden: Vereinbarungen, bei denen der Übertragende zunächst dem Übernehmer schenkweise das vollständige Einzelunternehmen einräumt und sodann dieser dem Schenker eine Belastung mit einem Nießbrauch zugesteht, könnten als Zuwendungsnießbrauch missverstanden werden. Dieser könnte eine entgeltliche Gegenleistung darstellen und so die steuerneutrale Übertragung anteilig gefährden. Wenn dagegen richtigerweise der Schenker bei Übertragung des Einzelunternehmens oder eines Anteils an der Personengesellschaft, in die das Einzelunternehmen eingebracht wurde, sich bei der Übertragung vorbehält, begründet dies zweifelsfrei einen Vorbehaltsnießbrauch mit der Konsequenz, dass keine wechselseitigen Leistungen vorliegen, sondern der Übertragende den Gegenstand von vornherein mit einer Belastung überträgt. Der Beschenkte leistet damit an den Übertragenden nichts, sondern akzeptiert die Entgegennahme des schenkweise erhaltenen Unternehmens bzw. Anteils daran belastet mit der Verpflichtung bestimmte Erträge mit dem Übergeber zu teilen.

9.396

Der reine Ertragsnießbrauch ist aus ertragsteuerlicher Sicht unbeachtlich, so dass Gewinne weiterhin vom Eigentümer versteuert werden müssen, auch wenn er die Gewinne dem Nießbraucher weiterleitet. Anders verhält es sich beim Vorbehaltsnießbrauch (Vollrechtsnießbrauch), der im Ergebnis zu den steuerlichen Folgen einer Betriebsverpachtung im Ganzen führt, so dass zwei Betriebe (ein ruhender Gewerbebetrieb des Eigentümers und ein operativer Betrieb des Nießbrauchers) bestehen3.

9.397

1 BFH v. 10.4.2013 – I R 80/12, BStBl. II 2013, 1004. 2 BFH v. 25.1.2017 – X R 59/14, DStR 2017, 1308. 3 BFH v. 26.6.1975 – IV R 59/73, BStBl. II 1975, 700; BFH v. 28.9.1995 – IV R 325/84, BStBl. II 1996, 440.

Rundshagen | 719

Kap. 9 Rz. 9.398 | Vorweggenommene Erbfolge

9.398

Aus ertragsteuerlicher Sicht geht neben dem zivilrechtlichen Eigentum grundsätzlich auch das wirtschaftliche Eigentum an den wesentlichen Betriebsgrundlagen auf den Betriebsübernehmer über. Der Vorbehaltene Nießbrauch stellt auch kein Entgelt für die Übertragung dar, so dass es sich grundsätzlich nicht um einen (teil-)entgeltlichen Erwerb handelt1.

9.399

Grundsätzlich ist in Fällen der unentgeltlichen Übertragung von Betriebsvermögen eine steuerneutrale Übertragung nach Buchwerten möglich. Der BFH hat dies jedoch in einem jüngeren Urteil abgelehnt. Nach Auffassung des BFH erfordert die Buchwertfortführung nach § 6 Abs. 3 EStG die Einstellung der bisherigen gewerblichen Tätigkeit durch den Betriebsübergeber, an der es fehle, wenn er das Unternehmen als Nießbraucher auf eigene Rechnung fortführe, da diese auch Voraussetzung für die Beanspruchung der Veräußerungsprivilegien nach §§ 16, 34 EStG im Fall der Betriebsveräußerung ist .

9.400

Dagegen hat der IV. Senat des BFH die Buchwertfortführung in Fällen der Übertragung landund forstwirtschaftlicher Betriebe unter Nießbrauchvorbehalt ausdrücklich anerkannt. Der Nießbrauch wird danach wie eine Betriebsverpachtung beurteilt, bei der der Nießbraucher den aktiven und der Eigentümer den ruhenden Betrieb unterhält2. Nach Ansicht des X. Senats steht dies seiner Auffassung nicht entgegen. Im Unterschied zu land- und forstwirtschaftlichen Betrieben definiere § 15 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 EStG den steuerlichen Gewerbebegriff tätigkeitsbezogen.

9.401

Die Entscheidung des BFH wird im Schrifttum kritisiert. Insbesondere wird angeführt, dass die Buchwertfortführung in § 6 Abs. 3 EStG nicht ausdrücklich die Betriebseinstellung fordere und dass der Gesetzeszweck, Unternehmensnachfolgen nicht durch Besteuerung stiller Reserven zu erschweren, verfehlt werde3.

9.402

Nach der Rechtsprechung des BFH muss befürchtet werde, dass im Fall der Übertragung von gewerblichen Betrieben unter Vorbehaltsnießbrauch die Erbschaftsteuerverschonungen nach §§ 13a, 13b, 13c ErbStG und die Tarifbegrenzung nach § 19a ErbStG versagt werden, da sich die erbschaftsteuerliche Definition nach § 13b ErbStG für den Betriebsbegriff auf das Ertragsteuerrecht (§ 15 EStG) verweist4. Anders als im Ertragsteuerrecht ist der Nießbrauchvorbehalt nach Abschaffung des § 25 ErbStG a.F. im Erbschaftsteuerrecht jedoch eine Gegenleistung, so dass der Barwert des Nießbrauchs die steuerliche Bemessungsgrundlage des Erwerbs mindert.

9.403

Aufgrund der vorliegenden Rechtsprechung des BFH können gegenwärtig Übertragungen von Einzelunternehmen unter Nießbrauchsvorbehalt nicht empfohlen werden, da zu befürchten steht, dass die Übertragung nicht ertragsteuerneutral erfolgen kann und die Erbschaftsteuerprivilegien gefährdet sind. Die Finanzverwaltung hat das Urteil bisher noch nicht im BStBl. veröffentlicht. Es ist allerdings mit einer baldigen Veröffentlichung und Stellungnahme in einem geänderten BMF-Schreiben zu § 6 Abs. 3 EStG zu rechnen.

9.404

Optional könnte für eine Übertragung eines Einzelunternehmens an andere Gestaltungen gedacht werden5: 1 BFH v. 25.1.2017 – X R 59/14, DStR 2017, 1308 Rz. 36, 37 m.w.N. 2 Vgl. BFH v. 2.2.1987 – IV R 325/84, BStBl. II 1987, 772; BFH v. 7.4.2016 – IV R 38/13, BStBl. II 2016, 765. 3 Wendt, FR 2017, 1061; Hübner/Friz, DStR 2017, 2353; Gluth, EStB 2017, 403. 4 Abschn. 13b.5 Abs. 3 des Ländererlasses v. 22.6.2017, BStBl. I 2017, 902. 5 S. eingehend hierzu Korn, kösdi 2018, 20597.

720 | Rundshagen

D. Gegenstand der Unternehmensnachfolge | Rz. 9.409 Kap. 9

– Die Betriebsübertragung erfolgt gegen Versorgungsleistungen (§ 10 Abs. 1a Nr. 2 Satz 2 Buchst. b EStG). – Der Übergeber bringt das Einzelunternehmen zunächst gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten unter Buchwertfortführung in eine Personengesellschaft ein. Zwar ermöglicht die erste Option die Buchwertfortführung und die Anwendung der Erbschaftsteuerprivilegien nach §§ 13a, 13b, 13c und 19a ErbStG. Jedoch kann diese Option nicht das Ziel des Übergebers erreichen, den Betrieb noch für eigene Rechnung weiterzuführen. Er könnte sich nur noch mittelbar als selbständiger oder nichtselbständiger Mitarbeiter des Übernehmers im übergebenen Betrieb einbringen.

9.405

In der zweiten Variante ist noch nicht abschließend geklärt, ob die Übertragung des Mitunternehmer(teil)-anteils auch dann unter die Buchwertfortführung nach § 6 Abs. 3 EStG fällt, wenn sich der Übergeber den Nießbrauch am Gesellschaftsanteil vorbehält. Nach der hier vertretenen Auffassung ist nicht von einer Gewinnrealisation auszugehen (s. Rz. 9.427). Allerdings hat sich die Finanzverwaltung zu dieser Frage nicht geäußert, so dass das Risiko einer abweichenden Beurteilung durch die Finanzverwaltung besteht. Die Übertragung eines Einzelunternehmens unter Nießbrauchsvorbehalt dürfte in der Praxis jedoch die Ausnahme bilden, da der Vermögensübernehmer als zivilrechtlicher Betriebsinhaber das volle wirtschaftliche Risiko und die Haftung trägt und bei vorbehaltenem Nießbrauch keinen wirtschaftlichen Nutzen davon hat.

9.406

Bei der unentgeltlichen Aufnahme eines Unternehmensnachfolgers in das Einzelunternehmen entsteht eine Personenhandelsgesellschaft. Bei der unentgeltlichen Aufnahme einer natürlichen Person ist aus ertragsteuerlich ein steuerneutraler Buchwertansatz zwingend (§ 6 Abs. 3 Halbs. 2 1. Alt. EStG). Muss der Aufgenommene eine Einlage leisten, ist der Vorgang nicht unentgeltlich. Allerdings kann unter den Voraussetzungen des § 24 UmwStG eine steuerneutrale Ausgestaltung erfolgen1.

9.407

Grundsätzlich mindert der steuerpflichtige Wert von Nießbrauchsleistungen den Schenkwert der Übertragung von Einzelunternehmen. Der Wert bemisst sich dabei nach § 14 BewG. Andererseits führt die Gewährung der Begünstigung von Wertabschlägen nach § 13a ErbStG dazu, dass der Wert des Nießbrauchs nur zum Teil, nämlich insoweit wie er auf nicht begünstigtes Vermögen entfällt, auch steuerlich zum Abzug gebracht werden kann. Dies folgt aus § 10 Abs. 6 Satz 4 ErbStG und erfordert eine Verhältnisbildung zur Ermittlung des aus dem Nießbrauch resultierenden Abzugsbetrages. Häufig führt der Ansatz des anteiligen Nießbrauchswertes zwar zu einer Senkung der steuerlichen Bemessungsgrundlage, liegt aber in der Praxis doch häufig unter den Erwartungen der Beteiligten, auch weil der Übergeber bereits fortgeschrittenen Alters ist.

9.408

IV. Übertragung von Anteilen an Personengesellschaften 1. Zivilrechtliche Aspekte a) Übertragbare Gesellschafterposition Bei der Nachfolge in Personengesellschaften muss ein Gesellschafterwechsel nach dem Gesellschaftsvertrag zulässig sein (s. Rz. 4.81 und Rz. 4.96). Gegebenenfalls ist in dem Gesellschaftsvertrag zwar eine Möglichkeit der Anteilsübertragung vorgesehen, so dass keine Änderung desselben mehr notwendig ist, aber für die Anteilsübertragung eine Zustimmung der übrigen Gesellschafter durch Gesellschafterbeschluss vorgesehen ist. Bei den Anteilen an Personen1 Kulosa in Schmidt39, § 6 EStG Rz. 727.

Rundshagen | 721

9.409

Kap. 9 Rz. 9.409 | Vorweggenommene Erbfolge

handelsgesellschaften ist zwischen den Anteilen eines persönlich haftenden Gesellschafters und Kommanditanteilen zu unterscheiden. Aus Haftungsgründen ist die Vererbung von Kommanditanteilen vorherrschend, so dass die offene Handelsgesellschaft und auch die Kommanditgesellschaft mit einer natürlichen Person als persönlich haftendem Gesellschafter immer seltener anzutreffen sind. b) Übertragung Anteile persönlich haftender Gesellschafter

9.410

Bei wirksamer Vertretung haftet die OHG mit ihrem Vermögen für die Erfüllung ihrer vertraglichen Verbindlichkeiten. Daneben haftet sie für Verbindlichkeiten aus gesetzlichen Schuldverhältnissen. Das Verhalten ihrer Gesellschafter wird ihr gem. § 31 BGB analog zugerechnet. Für alle Verbindlichkeiten der OHG haften neben der Gesellschaft die einzelnen Gesellschafter persönlich, unbeschränkt und unmittelbar als Gesamtschuldner (§ 128 HGB). Eine Beschränkung der Haftung auf das Gesellschaftsvermögen ist dagegen nur durch Individualvereinbarung mit dem jeweiligen Vertragspartner im Einzelfall möglich. Bei der Übertragung der Anteile persönlich haftender Gesellschafter kommt es wie bei der Übertragung eines Einzelunternehmens zu einer Haftung des Beitretenden für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft, auch wenn diese dem Beitretenden nicht bekannt waren. Die Haftung richtet sich nach § 130 HGB für den Beitretenden und nach § 160 Abs. 1 HGB für den Ausscheidenden, dessen persönliche Haftung für fünf Jahre nach Ausscheiden fortbesteht. c) Übertragung eines Kommanditanteils

9.411

Bei Gesellschaftsbeteiligungen muss der Übertragungsgegenstand klar und eindeutig definiert werden (s. Rz. 19.23). Dies gilt insbesondere, wenn nicht der gesamte Kommanditanteil übertragen wird, sondern nur ein Teilkommanditanteil. Der Gesellschafter einer Personengesellschaft verfügt regelmäßig nicht nur über seinen Gesellschaftsanteil. Bei der Gesellschaft werden verschiedene Gesellschafterkonten geführt. Insoweit muss in dem Schenkungsvertrag geregelt werden, ob diese Konten ebenfalls entsprechend der Quote des Teilkommanditanteils auf den Beschenkten übergehen oder aber bei dem Schenker verbleiben sollen.

9.412

Die Haftung eines Kommanditisten ist auf die Hafteinlage, die sich aus dem Handelsregister ergibt, beschränkt (§ 171 Abs. 1 HGB). Der Kommanditist haftet dann nicht unbeschränkt, soweit seine Hafteinlage in voller Höhe erbracht wird.

9.413

Wird ein Kommanditanteil auf einen neuen Kommanditisten übertragen, so trifft ihn die unbeschränkte Haftung für die Verbindlichkeiten, die in der Zeit zwischen seinem Eintritt und seiner Eintragung in das Handelsregister begründet worden sind (§ 176 Abs. 2 HGB). Diese Haftung soll im Regelfall vermieden werden. Um dies zu erreichen, muss vermieden werden, dass der Gesellschafter vor der konstitutiven Eintragung als Kommanditist im Handelsregister bereits Gesellschafter wird. Deshalb erfolgt in der Praxis die Abtretung des Teilkommanditanteils unter der aufschiebenden Bedingung der Eintragung in das Handelsregister. Als aufschiebende Bedingung wird dabei die Eintragung des Erwerbers als Sonderrechtsnachfolger in das Handelsregister vereinbart1. Soll mit dem Kommanditanteil auch steuerliches Sonderbetriebsvermögen übertragen werden, sollte bei der Formulierung der aufschiebenden Bedingung im Schenkungsvertrag vorsorglich auch auf dieses mit zu übertragende Betriebsvermögen erstreckt werden (s. Rz. 9.424).

1 Roth in Baumbach/Hopt39, § 162 HGB Rz. 8.

722 | Rundshagen

D. Gegenstand der Unternehmensnachfolge | Rz. 9.418 Kap. 9

Die Schenkung eines Kommanditanteils bedarf grundsätzlich der notariellen Beurkundung (§ 518 Abs. 1 BGB). Allerdings wird der Mangel der Form durch die Abtretung des Kommanditanteils geheilt (§ 518 Abs. 2 BGB). Notarielle Beurkundung ist jedoch dann erforderlich, wenn Grundstücke oder GmbH-Anteile übertragen werden oder die Schenkung mit einem Pflichtteilsverzicht verbunden (§ 2348 BGB).

9.414

2. Steuerliche Aspekte a) Unentgeltliche Übertragung Die steuerliche Behandlung ähnelt sehr stark der einkommensteuerlichen Behandlung bei der Verschenkung eines Einzelunternehmens. Besonderheiten ergeben sich aus der Besteuerung von Sonderbetriebsvermögen und dessen Nutzung in der Hand des Übergebers.

9.415

In der Vergangenheit war strittig, wie lange vor der Schenkung eines Anteils an einer Mitunternehmerschaft dieser bestanden haben musste, wenn die Mitunternehmerschaft aus der Einbringung eines Einzelunternehmens entstanden ist und hierbei (Sonder-)Betriebsvermögen in der Hand des Übergebers zurückbehalten wurde. Der BFH hat in mehreren Entscheidungen festgestellt, dass die in der Vergangenheit von der Finanzverwaltung vertretene Auffassung, es komme darauf an, dass die Mitunternehmerschaft eine gewisse Zeit bestanden habe, bevor die Buchwertregelung in § 6 Abs. 3 Satz 1 und 3 EStG in Anspruch genommen werden können, vom Wortlaut der Regelung erfasst sei1. Vielmehr komme es nur darauf an, ob im Zeitpunkt der Schenkung ein qualifizierter Mitunternehmeranteil gegeben ist, der Gegenstand der Übertragung ist. Die zu § 34 EStG entwickelte Gesamtplanrechtsprechung des BFH sei hier nicht anwendbar2. Die Begünstigung greift auch ein, wenn der Übergeber nicht seinen gesamten, sondern nur einen Teil-Mitunternehmeranteil verschenkt, § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 EStG.

9.416

Des Weiteren ist zu beachten, dass § 6 Abs. 3 EStG nur dann zur Anwendung kommt, wenn der Begünstigte i.S.v. § 15 EStG Mitunternehmer wird. In der Praxis werden von Schenkern gelegentlich gewünschte Beschränkungen zu Lasten des Begünstigten gewünscht, die dazu führen, dass abweichend von der zivilrechtlichen Gestaltung kein Unternehmen übergehen wird, sondern nur bestimmte Forderungen. Im Ergebnis können damit die Vorbehalte zugunsten des Schenkers steuerlich außerordentlich nachteilig wirken. Gleiches gilt für die Erbschaft- bzw. schenkungsteuerlichen Entlastungen nach § 13a ErbStG, die einem Erwerber nur offen stehen, wenn er nach § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG in seiner Person einen Mitunternehmeranteil erwirbt, also im steuerlichen Sinne über Mitunternehmerrisiko und -initiative verfügt. Das wird gefährdet, wenn der Schenker sich weitgehende Widerrufsvorbehalte einräumen lässt, den Abschluss einer Stimmrechtsbindung mit ihm fordert oder sich einen Nießbrauch vorbehält, der auch eine Beteiligung an den stillen Reserven vorsieht.

9.417

b) (Teil-)Entgeltliche Übertragung Die teilentgeltliche Übertragung von Anteilen an Personengesellschafen ist ebenfalls nur insoweit beim Übergeber steuerpflichtig, wie dieser entgeltlich überträgt. Im Übrigen kommt die Regelung des § 6 Abs. 3 EStG zur Anwendung.

1 BFH v. 2.8.2012 – IV R 41/11, BFHE 238, 135; BFH v. 9.12.2014 – IV R 29/14, BFHE 247, 449 und v. 30.3.2017 – IV R 11/15, BFHE 257, 324. 2 BFH v. 30.3.2017 – IV R 11/15, BFHE 257, 324.

Rundshagen | 723

9.418

Kap. 9 Rz. 9.419 | Vorweggenommene Erbfolge

9.419

Wie bereits dargestellt, ist derzeit unklar nach welcher Methode die Aufteilung in einen entgeltlichen und einen unentgeltlichen Teil erfolgt. In Betracht kommt zunächst die von der Finanzverwaltung bisher praktizierte strenge Trennungstheorie mit der proportionalen, am gemeinen Wert von Gegenleistung und Personengesellschaftsanteil orientierten Aufteilung (s. Rz. 3.19). Alternativ wird vom BFH erwogen, die Veräußerungskomponente aus der Differenz von gemeinem Wert der Gegenleistung zu steuerlichem Buchwert des Mitunternehmeranteils zu bilden1. Damit wäre die Übertragung erst und soweit steuerpflichtig wie der Begünstigte Leistungen als Gegenwert erbringt, deren gemeiner Wert höher als der Buchwert sind. c) Realteilung

9.420

Nachdem nun der BFH die unechte Realteilung als von § 16 Abs. 3 EStG umfasst ansieht2, kann diese dazu dienen im Vorfeld von Schenkungen mitunternehmerische Beteiligungen neu zu ordnen und sodann in geeigneter Weise der nächsten Generation zu übertragen (s. Rz. 4.45). Die Herausnahme von Betriebsvermögen gegen Minderung der Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft bei deren zivilrechtlichem Fortbestand, kann maßgeblich erleichtern, die Übergabe von betrieblichem Vermögen vorzubereiten. Beispiel:

9.421

U ist Alleingesellschafter der X-GmbH & Co KG. Diese hat ein Handelsunternehmen und ist zudem mit 40 % an der Y- GmbH & Co. KG beteiligt. U beabsichtigt, seine Kinder S und T an seinen unternehmerischen Aktivitäten zu beteiligen. T soll das Handelsgeschäft übernehmen und führen, S soll dagegen die KG-Anteile an dem Produktionsunternehmen bekommen. Auf diese Weise erhalten beide höhere Werte als ihnen im Rahmen des Pflichtteils zustehen würde. Zur Vorbereitung der Schenkung kann U zunächst im Wege der Realteilung einen Gesellschafterbeschluss in der X-GmbH & Co. KG fassen, mit dem Inhalt die Anteile an der Y-GmbH & Co. KG sämtlich an U gegen Minderung seines Kommanditanteils zu übertragen. Sodann kann kann U den entnommenen Anteil an der Y-GmbH & Co. KG an S verschenken; die Anteile an der X-GmbH & Co. KG kann er sodann ganz oder teilweise im Schenkwege an T übergeben. Die der Schenkung vorgelagerte Realteilung nach § 16 Abs. 3 EStG beeinflusst die Anwendung von der Buchwertfortführung bei Übertragung der Mitunternehmeranteile nach § 6 Abs. 3 EStG nicht nachteilig.

d) Sonderbetriebsvermögen

9.422

Das FG Köln3 hatte mit Urteil vom 29.6.2017 entschieden, dass die erbschaftsteuerliche Begünstigung nach §§ 13a, 13b ErbStG bei Auseinanderfallen der Übertragungszeitpunkte für das ebenfalls übertragene Sonderbetriebsvermögen nicht zu gewähren sei. Im konkreten Fall wurde der Kommanditanteil aus Haftungsgründen unter aufschiebender Bedingung übertragen und die aufschiebende Bedingung nicht auch auf die Übertragung des Sonderbetriebsvermögens (Grundstück) erstreckt. Im Schenkungsvertrag wurde zudem geregelt, dass vom Übertragungsstichtag bis zur Eintragung der Sonderrechtsnachfolge im Handelsregister die übertragene Gesellschaftsbeteiligung an der KG vom Schenker nur treuhänderisch gehalten und dem Beschenkten ab dem Übertragungsstichtag die Gesellschaftsrechte zustehen.

9.423

Die Entscheidung des FG Köln kann nicht überzeugen und ist bereits beim BFH anhängig4. Zwar sind für die isolierte Übertragung von Grundbesitz des Sonderbetriebsvermögens ohne 1 2 3 4

Vgl. BFH v. 27.10.2015 – X R 28/12, DStR 2015, 2834. BFH v. 17.9.2015 – III R 49/13, NJW 2016, 1611. FG Köln v. 29.6.2017 – 7 K 1654/16, ZEV 2017, 535 (Revision anhängig unter Az. II R 38/17). Revision anhängig unter Az. II R 38/17.

724 | Rundshagen

D. Gegenstand der Unternehmensnachfolge | Rz. 9.427 Kap. 9

einen Mitunternehmeranteil keine Befreiung nach §§ 13a, 13b ErbStG zu gewähren1. Nach Rechtsprechung des BFH2 ist die Zuwendung eines Kommanditanteils, der unter einer aufschiebenden Bedingung abgetreten wird, grundsätzlich erst mit Bedingungseintritt ausgeführt. Allerdings war im Fall des FG Kölns eine Gestaltung gewählt worden, wonach bereits vor Handelsregistervollzug der Kommanditanteilsabtretung ein separater ertragsteuerlicher Mitunternehmeranteil dem Beschenkten als Treugeber zugewandt wurde, so dass die Begünstigungsvorschriften für Betriebsvermögen hätten Anwendung finden müssen3. Unabhängig von der Revisionsentscheidung des BFH im vorliegenden Fall sollte darauf geachtet werden, dass im Schenkungs- und Übertragungsvertrag sämtliche Wirtschaftsgüter einer Wirtschaftseinheit, d.h. Sonderbetriebsvermögen und Kommanditbeteiligung, zeitgleich übertragen werden. Die Übertragung von Grundstücken ist zwar bedingungsfeindlich und kann daher nicht unter einer aufschiebenden Bedingung übertragen werden. Es wäre aber möglich, dass der Notar angewiesen wird, die Auflassung erst dann dem Grundbuchamt unverzüglich zum Vollzug vorzulegen, wenn der Kommanditistenwechsel im Handelsregister eingetragen wurde4. Im Ergebnis müssen die erbschaftsteuerlichen Ausführungszeitpunkte vereinheitlicht werden.

9.424

e) Nießbrauchsvorbehalt Nach Ansicht der herrschenden Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum ist die Bestellung des Nießbrauchs an dem Anteil an einer Personengesellschaft möglich (s. Rz. 22.13). Die Rechtsfolgen hängen allerdings von der konkreten vertraglichen Ausgestaltung ab5. Die ertragsteuerliche Beurteilung des Nießbrauchs an Anteilen an betrieblichen Personengesellschaften (Mitunternehmerschaften) ist entscheidend, wer Mitunternehmer ist, d.h. Mitunternehmerinitiative und Mitunternehmerrisiko trägt. Einkünfte einer Mitunternehmerschaft können steuerlich nur den Mitunternehmern zugerechnet werden.

9.425

Wird der Nießbraucher nicht Mitunternehmer, kann der Gewinnteil steuerlich nur dem Gesellschafter zugerechnet werden, der den Nießbrauch aus seinen versteuerten Einkünften finanzieren muss. Ob dann die fortlaufenden Auszahlungen an den Nießbraucher als Versorgungsleistungen nach § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG einkommensmindernd abgesetzt werden können, ist strittig6.

9.426

In den meisten Fällen wird beabsichtigt sein, dass beide, Nießbraucher und Gesellschafter, Mitunternehmer sind. In diesem Fall besteuern beide die auf sie gesetzlich oder vertraglich entfallenden steuerlichen Ergebnisanteile. Eine Mitunternehmerstellung des Erwerbers bewirkt, dass die Erbschaftsteuerprivilegien Anwendung finden können. Soll der Nießbraucher selbst auch Mitunternehmer bleiben, müssen ihm bestimmte Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte bezüglich der Beteiligung zustehen (z.B. Stimm- und Verwaltungsrechte hinsichtlich der laufenden Geschäfte). Allerdings muss dabei sichergestellt werden, dass der Gesellschafter

9.427

1 A 13b.5 Abs. 3 Satz 9 AEErbSt 2017; Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 13b ErbStG Rz. 126 ff.; Wortlaut des § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG. 2 BFH v. 30.11.2009 – II R 70/06, BFH/NV 2010, 900. 3 S. Kommentierung des Urteils von Wälzholz mit weiteren Argumenten, ZEV 2017, 535. 4 Vgl. Wälzholz, ZEV 2017, 535. 5 Wachter, DStR 2016, 2066 m.w.N.; Felten, ErbStB 2016, 117. 6 Bisle, NWB 2017, 67.

Rundshagen | 725

Kap. 9 Rz. 9.427 | Vorweggenommene Erbfolge

(Nießbrauchbesteller) nicht faktisch von der Stimmrechtsausübung ausgeschlossen wird und dadurch seine Mitunternehmerstellung verliert.

9.428

Dies hätte die Besteuerung der stillen Reserven sowie Versagung der Erbschaftsteuerprivilegien zur Folge. Eine Mitunternehmerinitiative des Nießbrauchbestellers ist immer dann ausgeschlossen, wenn sich Vorbehaltsnießbraucher die Ausübung der Stimmrechte auch für Grundlagengeschäfte vorbehält1. In diesem Zusammenhang gelten auch uneingeschränkte und unwiderrufliche Stimmrechtsvollmachten zugunsten des Nießbrauchers als problematisch.2 Aus Vorsichtsgründen sollte daher allenfalls mit widerruflichen Stimmrechtsvollmachten gearbeitet werden.

9.429

Hinsichtlich der Übertragung ist aus ertragsteuerlicher Sicht von entscheidender Bedeutung, ob der Erwerber des Mitunternehmeranteils Mitunternehmer wird. Denn wenn er keine Stellung als Mitunternehmer erlangt, wird die in sein wirtschaftliches Eigentum übergehende Vermögenssubstanz aus dem steuerlichen Betriebsvermögen der Personengesellschaft gewinnrealisierend entnommen. Es liegt dann eine nicht begünstigte Betriebsaufgabe vor. Die Buchwertfortführung nach § 6 Abs. 3 EStG ist dann nicht anwendbar. Als Folgewirkung sind dann auch die erbschaftsteuerlichen Privilegien nicht mehr anwendbar. Die Schenkung wäre dann nicht nach §§ 13a, 13b, 13c, 19a ErbStG steuerbegünstigt3.Wenn der Erwerbende als Gesellschafter Mitunternehmer wurde, stand bisher die Buchwertfortführung nach § 6 Abs. 3 ErbStG nicht zur Diskussion.

9.430

Fraglich ist, ob die jüngste Rechtsprechung des BFH4 hieran etwas ändert. Nach der hier vertretenen Auffassung kann dies nicht schädlich sein. Das folgt aus der gesetzlichen Anwendbarkeit des § 6 Abs. 3 EStG für die Übertragung von Mitunternehmerteilanteilen und die Aufnahme von Mitunternehmern in Einzelunternehmen. Daneben ist auch die steuerliche Systematik auch nicht mit der Übertragung eines Einzelunternehmens vergleichbar. Bei einer Mitunternehmerschaft erzielt diese die Einkünfte und gerade nicht der einzelne Mitunternehmer. Die Personengesellschaft als Mitunternehmerschaft betreibt selbst ein gewerbliches Unternehmen i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 EStG, nicht jedoch der jeweilige Mitunternehmer. Daher müssen bei der Personengesellschaft alle einen Gewerbebetrieb kennzeichnenden Merkmale erfüllt sein5. Der Gewerbebetrieb der Personengesellschaft besteht unabhängig vom Gesellschafterbestand fort. Die natürliche Person als Mitunternehmer hat somit im Gegensatz zum Einzelunternehmer keinen „eigenen Betrieb“.

9.431

Die Mitunternehmerstellung i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG von Nießbraucher und Nießbrauchbesteller kann sich daher ausschließlich nach den Kriterien „Mitunternehmerrisiko“ und „Mitunternehmerinitiative“ bestimmen. Es kann bei einer Mitunternehmerschaft gerade eine Vielzahl von Mitunternehmern geben, obgleich nur ein einziger Gewerbebetrieb (der Mitunternehmerschaft) vorliegt. Im Falle des Einzelunternehmens liegt hingegen stets ein Gewerbebetrieb einer natürlichen Person vor. Der Betriebsübertragung eines Einzelunterneh1 BFH v. 6.5.2015 – II R 34/13, BStBl. II 2015, 821; BFH v. 6.5.2015 – II R 35/13, BFH/NV 2015, 1412; BFH v. 16.5.2013 – II R 5/12, BStBl. II 2013, 635. 2 Vgl. dazu (kritisch) Wachter, DStR 2016, 2070; BFH v. 10.12.2008 – II R 34/07, BStBl. II 2009, 312; a.A. FG Düsseldorf v. 24.8.2016 – 4 K 3250/15 Erb, EFG 2016, 1727 (Revision anhängig unter Az. II R 34/16). 3 BFH v. 6.5.2015 – II R 34/13, BStBl. II 2015, 821. 4 BFH v. 25.1.2017 – X R 59/14, DStR 2017, 1308. 5 BFH v. 25.6.1984 – GrS 4/82, BStBl. II 1984, 751; BFH v. 26.10.2011 – IV B 139/10, BFH/NV 2012, 263.

726 | Rundshagen

D. Gegenstand der Unternehmensnachfolge | Rz. 9.436 Kap. 9

mens folgt daher grundsätzlich auch die Einstellung der gewerblichen Tätigkeit des Betriebsübergebers. Der Gewerbebetrieb einer Mitunternehmerschaft besteht hingegen unabhängig vom Wechsel des Gesellschafterbestands fort. Damit kann der Nießbraucher am Mitunternehmeranteil weder eine gewerbliche Tätigkeit zurückbehalten noch diese einstellen1. Die Entscheidung des BFH zur Übertragung von Einzelunternehmen hat aber in der Praxis zu einer Verunsicherung geführt. Trotz der hier vertretenen Auffassung kann mangels Verlautbarung der Finanzverwaltung endgültige Sicherheit auch bei der Übertragung von Mitunternehmeranteilen unter Nießbrauchsvorbehalt daher nur durch Abstimmung mit der Finanzverwaltung im Rahmen eines Antrags auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft erreicht werden. Je nach Ausgestaltung des Nießbrauchs und des Gesellschaftsvertrages (z.B. vorbehaltene Mindeststimmrechte des übertragenden Gesellschafters) kann ohnehin eine Abstimmung mit der Finanzverwaltung vor Übertragung empfehlenswert sein.

9.432

V. Übertragung von Anteilen an Kapitalgesellschaften 1. Zivilrechtliche Aspekte Anteile an Kapitalgesellschaften sind nach den gesetzlichen Regelungen im GmbH-Gesetz und Aktiengesetz grundsätzlich frei übertragbar2 (§ 15 Abs. 1 GmbHG). Die Übertragung von GmbH-Anteilen unter Lebenden bedarf allerdings der notariellen Beurkundung (§ 15 Abs. 3, 4 GmbHG). Daher trifft Pflicht zur Einreichung der geänderten Gesellschafterliste zum Handelsregister den Notar (§ 40 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 GmbHG).

9.433

Sollen nur Teile eines Geschäftsanteils im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge übertragen werden, ist eine solche Teilung zulässig (s. Rz. 20.87). Sie bedarf grundsätzlich nach § 46 Nr. 4 GmbHG eines entsprechenden Gesellschafterbeschlusses. Allerdings kann nach Streichung des § 17 GmbHG, der für die Teilung des Anteils die Zustimmung der Gesellschaft voraussetzte, durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) der Gesellschaftsvertrag die Übertragbarkeit der Anteile umfassend modifizieren, die Teilung von Gesellschaftsanteilen ausschließen oder beschränken3.

9.434

Daneben kann die Anteilsübertragung im Gesellschaftsvertrag beschränkt werden, z.B. an die Zustimmung der Mitgesellschafter gebunden oder die Übertragung an nicht verwandte Dritte ausgeschlossen werden. Solche Vinkulierungsklauseln sind bei Familienunternehmen häufig anzutreffen. Satzungsregelungen haben in der Praxis gerade bei Familienunternehmen eine sehr hohe Verbreitung. Diese können mit Einzugsrechten der Mitgesellschafter verbunden werden. Daneben sind auch Vorkaufs-, Vorerwerbs- und Optionsrechte bei Verkauf oder Übertragung der Anteile für die verbleibenden Mitgesellschafter möglich. Vor einer Übertragung der Anteile ist daher der Gesellschaftsvertrag auf etwaige Regelungen hin durchzusehen, die im Einzelfall (z.B. bei Vorkaufsrechten) auch eine Gefährdung der geplanten vorweggenommenen Erbfolge darstellen können.

9.435

Bei einer unentgeltlichen Übertragung der GmbH-Beteiligung gilt für den Beschenkten die frühere Haftungsprivilegierung des Schenkers. Regelmäßig treffen weder den Übertragenden noch den Erwerber Haftungsverpflichtungen hinsichtlich der Verbindlichkeiten der Gesellschaft, zumindest wenn die geschuldeten Stammeinlagen vollständig eingezahlt sind.

9.436

1 Zum Meinungsstand Korn, kösdi 2018, 20597, m.w.N. 2 Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe3, § 15 GmbHG Rz. 3. 3 Servatius in Baumbach/Hueck22, § 15 GmbHG Rz. 20a.

Rundshagen | 727

Kap. 9 Rz. 9.437 | Vorweggenommene Erbfolge

9.437

Die Übertragung von Geschäftsanteilen ist unabhängig von der Eintragung des Erwerbers in die Gesellschafterliste wirksam. Gesellschafter, die Rechte gegenüber der Gesellschaft geltend machen wollen, müssen dies durch ihre Eintragung in die Gesellschafterliste legitimieren (§ 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG). Bei einer richtigen Gesellschafterlist besteht auch das Risiko eines gutgläubigen Erwerbs ausgeschlossen (§ 16 Abs. 3 GmbHG).

9.438

Der Grundsatz der freien Übertragbarkeit von Anteilen gilt auch im Aktienrecht. Allerdings lässt das Gesetz nur bei Namensaktien zu, dass die Übertragung an die Zustimmung der Gesellschaft gebunden werden kann (§ 68 Abs. 2 AktG). Bei Inhaberaktien sind Beschränkungen der Übertragbarkeit nur auf schuldrechtlicher Ebene zulässig, so dass im Einzelfall Pool- und Konsortialverträge geschlossen werden müssen.

9.439

Eine Einschränkung der Übertragbarkeit von Anteilen durch Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages ist bei der AG ebenfalls nicht möglich. Ein Vorkaufsrecht bezüglich Aktien kann nur schuldrechtlich zwischen Aktionären vereinbart werden, so dass der dingliche Vollzug einer Anteilsübertragung auf Dritte nicht verhindert werden kann und bei Anteilserwerb im Wege der Zwangsvollstreckung oder durch Erbgang nicht gelten1.

2. Steuerliche Aspekte a) Unentgeltliche Übertragung

9.440

Der Übergang von Aktien oder Anteilen an GmbH’s auf einen Begünstigten ohne Entgelt ist ertragsteuerlich ohne Aufdeckung stille Reserven möglich. Die Anschaffungskosten beim Übertragenden stellen dann fiktiv das Veräußerungsentgelt dar, so dass rechnerisch kein steuerpflichtiger Gewinn nach § 17 EStG entsteht. Anders zu beurteilen sind Fälle, bei denen der Übertragende seinen Anteil an der Kapitalgesellschaft im Betriebsvermögen gehalten hat. Hier ist zunächst zu prüfen, welche einkommensteuerlichen Konsequenzen bei der Entnahme entstehen, die regelmäßig nach § 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG nur zum Teilwert möglich ist, also mit einer Gewinnrealisation verbunden ist. Die Schenkung im Anschluss an die Realisation ist dann in jedem Fall ohne zusätzliche ertragsteuerliche Konsequenz für den Übergeber.

9.441

Neben der ertragsteuerlichen Sicht wird im Regelfall das Ziel bestehen, in den Anwendungsbereich der erbschaftsteuerliche Begünstigung nach §§ 13a und 13b ErbStG zu kommen. Anteile an Kapitalgesellschaften sind dann begünstigungsfähiges Vermögen, wenn die Gesellschaft nach § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG Sitz oder Geschäftsleitung in der EU hat. Das gilt auch dann, wenn die Gesellschaft über Drittlandsvermögen verfügt. Dieses wird anders als bei Einzelunternehmen oder Mitunternehmerschaften mit von der Begünstigung nach § 13a ErbStG erfasst. Allerdings handelt es sich bei Anteilen an Kapitalgesellschaften nur dann um begünstigungsfähiges Vermögen, wenn der Aktionär bzw. Gesellschafter über mehr als 25 % der Anteile verfügt. Sofern diese Voraussetzung nicht erfüllt ist, kann er alternativ mit anderen Gesellschaftern eine Stimmrechtsbindung und Veräußerungsbeschränkungen vereinbaren, um so allen Teilnehmern der Pool-Vereinbarung die schenkungs- und erbschaftsteuerlichen Begünstigungen zu ermöglichen. Auch ist es denkbar, mit dem Erwerber bei Übertragung einen Poolvertrag zu vereinbaren, um für beide die begünstigte Übertragungsmöglichkeit zu erhalten.

1 Kögel in Münchener Anwaltshandbuch Erbrecht5, § 40 Rz. 29–32.

728 | Rundshagen

D. Gegenstand der Unternehmensnachfolge | Rz. 9.445 Kap. 9 Beispiel: U hat 40 % der Anteile an der X-GmbH, einem Handelsunternehmen, das begünstigtes Betriebsvermögen hat und dessen Verwaltungsvermögen sowohl die 90 %-Hürde als auch den 20 %-Test erfüllt. U möchte die Hälfte seiner Anteile an seine Tochter T übertragen.

9.442

Ohne weitere Vereinbarungen hätte dies zur Konsequenz, dass zwar die erste Schenkung an T begünstigt ist, nicht jedoch die Übertragung der restlichen Anteile, da dann zu einem späteren Zeitpunkt das Merkmal der Beteiligung von über 25 % nicht mehr gegeben ist. Auch wäre im Fall eines vorzeitigen Versterbens von T keine Begünstigung mehr verfügbar. Daher bietet es sich an, gleich bei Schenkung eine Poolvereinbarung zwischen U und T abzuschließen. Dadurch haben beide grundsätzlich begünstigungsfähiges Betriebsvermögen i.S.v. § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG. Regelmäßig noch vorteilhafter wäre jedoch die Gründung einer GmbH & Co. KG als Stammesholding, in die die Anteile an der X-GmbH eingebracht werden könnten. Bei entsprechender Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrages wäre dann zudem der Vorwegabschlag für Familienunternehmen nach § 13a ErbStG verfügbar.

Die Möglichkeit ohne Aufdeckung von stillen Reserven beim Schenker Anteile zu unentgeltlich auf einen Begünstigten zu übertragen, bedeutet jedoch nicht, dass dieser nur bei einem echten Verkauf mit der Besteuerung der stillen Reserven durch ihn selbst rechnen muss. Von besonderer Bedeutung ist hier insbesondere der Tatbestand der Wegzugsbesteuerung nach § 6 Abs. 1 AStG sowie die in § 6 Abs. 2 AStG vorgesehenen Ersatztatbestände. Gibt der Begünstigte seinen Wohnsitz im Inland auf und zieht in einen Drittstaat, so hat er grundsätzlich die in den Anteilen enthaltenen stillen Reserven der Einkommensteuer zu unterwerfen, so als wenn er an fremde Dritte verkauft hätte. Gleiches gilt, wenn der Begünstigte selbst die Anteile an Personen verschenkt oder vererbt, die nicht im Inland ansässig sind. In all diesen Fällen kommt der regelmäßig durch den unentgeltlichen Erwerb niedrige Anschaffungswert negativ zum Tragen, da dieser zu einem vergleichsweise hohen fiktiven Veräußerungsgewinn führt. Nach Rechtsprechung des EuGH gilt jedoch eine Ausnahme für den Wegzug in die Schweiz auf den die Grundsätze des § 6 AStG so anzuwenden sind wie für den Umzug in andere EUStaaten1.

9.443

b) (Teil-)Entgeltliche Übertragung Insoweit wie die Übertragung entgeltlich ist, entsteht nach § 17 EStG ein Gewinn, der beim Übergeber der Einkommensteuer i.H.v. 60 % unterliegt. 40 % des Gewinns ist nach § 3 Nr. 40 a EStG von der Steuer befreit. Dieser Teil der Übertragung ist i.S.v. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG nicht schenkungsteuerpflichtig, sondern nur der Teil des übertragenen Wertes an der Kapitalgesellschaft (s. Rz. 3.16).

9.444

Entscheidend ist also, wie in den entgeltlichen und den unentgeltlichen Teil aufzuteilen ist. Auch hier kommen grundsätzlich zwei Methoden zur Anwendung: In der Vergangenheit haben Finanzverwaltung und Rechtsprechung2hierzu proportional den gemeinen Wert der entgeltlichen Leistung in das Verhältnis zum gemeinen Wert der zu übertragenden Anteile gesetzt und so den Prozentsatz ermittelt, der der Ertragsbesteuerung unterliegt. Dies führte dazu, dass jedes Entgelt, egal wie geringfügig es ist, eine Aufdeckung stiller Reserven zur Konsequenz hat. Alternativ wäre denkbar, dass eine Gegenleistung erst dann eine Besteuerung auslöst, wenn sie die steuerlich maßgeblichen Anschaffungskosten für den Anteil überschrei-

9.445

1 EuGH v. 26.2.2019 – C-581/17 – Wächtler, ECLI:EU:C:2019:138, IStR 2019, 260. 2 Vgl. Vorlagebeschluss BFH v. 27.10.2015 – X R 28/12, DStR 2015, 2834.

Rundshagen | 729

Kap. 9 Rz. 9.445 | Vorweggenommene Erbfolge

tet. Regelmäßig ist dies leichter zu ermitteln und damit die Durchführung der Besteuerung einfacher. Bei niedrigen entgeltlichen Anteilen würde sich der Zeitpunkt der Besteuerung damit in die Zukunft verschieben. Eine Steuerersparnis wäre damit jedoch auf Dauer nicht verbunden, denn die Gegenleistung reduziert in Höhe ihres gemeinen Wertes die steuerlich relevanten Anschaffungskosten, so dass in Zukunft die vom Verkaufserlös abzuziehenden steuerlichen Anschaffungskosten entsprechend niedriger sind. Es bleibt abzuwarten, welche Entscheidung der große Senat des BFH hierzu treffen wird. Daher ist derzeit aus Vorsichtsgründen für Steuerplanungszwecke davon auszugehen, dass wie bisher die proportionale Realisation stiller Reserven bei teilentgeltlichen Übertragungen erfolgt.

9.446

Auch bei der teilweisen Realisation stiller Reserven kommt der Steuerpflichtige in den Anwendungsbereich der Steuerbefreiung des § 3 Nr. 41c EStG. Im Ergebnis tritt keine Benachteiligung gegenüber dem vollständigen Verkauf der Beteiligung ein. c) Nießbrauchsgestaltungen

9.447

Im Unterschied zu den Schwierigkeiten bei Einzelunternehmen, aber – auch wenn auch im reduzierten Umfang – bei Personengesellschaften ist die Vereinbarung eines Nießbrauchs an Anteilen an Kapitalgesellschaften steuerlich mit weniger Hürden und Risiken verbunden. Auch hier ist natürlich darauf zu achten, dass die Begründung des Nießbrauchs wenn möglich als Vorbehalt eines Nutzungsrechtes ausgestattet wird und so der Begünstigte keine Leistung an den Schenker erbringt (s. Rz. 22.47).

9.448

Aus zivilrechtlicher Sicht bestehen hinsichtlich der Nießbrauchsbestellung an GmbH-Anteilen keine Besonderheiten. Ein GmbH-Geschäftsanteil ist frei abtretbar und belastbar (§ 15 GmbHG). Der Gesellschaftsvertrag kann jedoch Beschränkungen, insbesondere Zustimmungsvorbehalte vorsehen. Für die dingliche Bestellung des Nießbrauchs ist die notarielle Form zwingend vorgeschrieben (§ 1069 BGB i.V.m. § 15 Abs. 3 GmbHG).

9.449

Aus ertragsteuerlicher Sicht wird oft gewünscht sein, dass der Nießbraucher die ihm aus einem GmbH-Anteil zufließenden Ausschüttungen auch als seine Kapitaleinkünfte zugerechnet werden. Beim Vorbehaltsnießbrauch ist das regelmäßig der Fall. Es kann überlegt werden, dass die Rechtsstellung des Nießbrauchers in diesem Fall durch spezielle Vereinbarungen weiter gestärkt werden (z.B. Ausübung der Stimm- und Verwaltungsrechte im Einvernehmen mit den anderen Gesellschaftern im Innenverhältnis).

9.450

Der Nießbraucher hat die Kapitaleinkünfte grds. mit dem Abgeltungssteuersatz zu versteuern (§ 20 EStG i.V.m. § 32d, so dass er auch dem Abzugsverbot für Werbungskosten unterliegt (§ 43 Abs. 5 EStG). Nicht geklärt ist, ob der Nießbraucher an einem Anteil an einer Kapitalgesellschaft auch für die Regelbesteuerung optieren könnte (§ 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG). Er ist nicht an der Kapitalgesellschaft beteiligt, so dass die Vorgaben des Gesetzes für eine Optierung nicht vorliegen. Allerdings könnten dem Nießbraucher die Anteile zuzurechnen sein, da er nach § 20 Abs. 5 Satz 3 EStG als Anteilseigner gilt, wenn ihm die Einnahmen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2 EStG zuzurechnen sind.

9.451

Der Vorbehaltsnießbrauch steht bei gleichzeitiger Übertragung der GmbH-Anteile auf einen Dritten der erbschaftsteuerlichen Begünstigung der Anteilsübertragung gem. §§ 13a, 13b, 13c, 19 a ErbStG nicht entgegen, da bei der Übertragung von Kapitalgesellschaftsanteilen allein die zivilrechtliche Anteilsübertragung maßgeblicher Anknüpfungspunkt ist und insoweit die Frage nach der Miteigentümerstellung des Erwerbers anders als im Rahmen der Übertragung von Mitunternehmeranteilen nicht relevant ist. 730 | Rundshagen

D. Gegenstand der Unternehmensnachfolge | Rz. 9.458 Kap. 9

VI. Übertragung von Einzelwirtschaftsgütern und Übertragung von Privatvermögen 1. Zivilrechtliche Aspekte a) Übertragung ohne Rechtsträgerwechsel Eine Übertragung von Einzelwirtschaftsgütern kann dann ohne Rechtsträgerwechsel erfolgen, wenn diese Betriebsvermögen darstellen und auf andere Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen übertragen werden:

9.452

– Überführung zwischen zwei (Einzel-)Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen, – Überführung zwischen einem (Einzel-)Betriebsvermögen und einem Sonderbetriebsvermögen des Steuerpflichtigen und umgekehrt, – Überführung zwischen den Sonderbetriebsvermögen verschiedener Mitunternehmerschaften eines Steuerpflichtigen. Für Übertragungen ohne Rechtsträgerwechsel bestehen aus zivilrechtlicher Sicht keine Besonderheiten. Insbesondere sind keine gesonderten vertraglichen Vereinbarungen erforderlich.

9.453

b) Übertragung mit Rechtsträgerwechsel Bei einer Übertragung mit Rechtsträgerwechsel sind aus zivilrechtlicher Sicht Übertragungsverträge erforderlich. Eine Übertragung kann als Schenkung unentgeltlich oder entgeltlich erfolgen. Je nach Übertragungsgegenstand ist eine notarielle Beurkundung erforderlich (z.B. Übertragung von Immobilien oder GmbH-Anteilen).

9.454

2. Steuerliche Aspekte a) Unentgeltliche Übertragung Sofern Wirtschaftsgüter weder notwendiges noch gewillkürtes Betriebsvermögen des Eigentümers im Rahmen von § 5 EStG sind, können diese regelmäßig ertragsteuerlich ohne steuerpflichtige Realisation übertragen werden.

9.455

Davon unabhängig stellt sich die Frage nach erbschaft- und schenkungssteuerlichen Begünstigungen. Diese sind für Privatvermögen nur in sehr eingeschränktem Maße nutzbar, insbesondere für kulturell bedeutsame Bauwerke und Sammlungen, vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG. Erleichterungen bestehen sonst nur bei selbst genutzten Immobilien.

9.456

Damit besteht die Hauptproblematik in der Nachfolgeplanung in dem Aufbringen von Steuerliquidität für sehr großes zu übertragendes Privatvermögen.

9.457

Beispiel: Unternehmer U hat sich eine stattliche Sammlung von Oldtimern als Privatvermögen zugelegt und für diese in 2010 ein Grundstück mit Halle erworben. U beabsichtigt in 2018 seiner Tochter die Anteile am Unternehmen zu übertragen. Sein Sohn S soll dagegen neben Zinshäusern auch die inzwischen im Wert erheblich gestiegene und sehr wertvolle Oldtimer-Sammlung einschließlich der Halle erhalten. Die unentgeltliche Übertragung der Oldtimer ist grundsätzlich ebenso ohne Einkommensteuerbelastung möglich wie die Übertragung des Eigentums an der Halle auf S.

Rundshagen | 731

9.458

Kap. 9 Rz. 9.458 | Vorweggenommene Erbfolge Allerdings ist zu bedenken, dass die Oldtimer und die Halle für Schenkungsteuerzwecke zum gemeinen Wert zu bewerten sind. Wertabschläge sind zusätzlich zu den allgemeinen Freibeträgen nicht verfügbar. Etwas anderes gilt nur, wenn die Qualität einer Sammlung von Kunstgegenständen und wissenschaftlichen Exponaten so hoch ist, dass diese nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG von allgemeinem Interesse ist. Dann kann der Wertansatz um 60 % reduziert werden; für Oldtimer wird nur in extrem seltenen Ausnahmefällen diese Steuerbefreiung in Betracht kommen.

9.459

Vergünstigungen ergeben sich bei der Übertragung sowohl in der Einkommen- als auch der Erbschaftsteuer aus selbst genutzten Immobilien. Im Einkommensteuerrecht können Steuerpflichtige ihre selbst genutzten Immobilien auch dann steuerfrei verkaufen, wenn es sich nicht um Hauptwohnsitze handelt. Das Erbschaftsteuerrecht lässt die Schenkung der selbst genutzten Wohnung oder des Hauses an den Ehepartner nur als Familienwohnheim i.S. eines Hauptwohnsitzes steuerfrei nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG. Beispiel:

9.460

Unternehmer U aus Dortmund beabsichtigt, im Rahmen einer langfristigen Nachlass- und Versorgungsplanung seiner Ehefrau E Vermögen möglichst steuerfrei zukommen zu lassen. Beide bewohnen eine in 2010 erworbene Villa, die einen Wert von 3,5 Mio. Euro hat und alleine U gehört. Seine Idee ist es, seiner Ehefrau zur wirtschaftlichen Absicherung ein Ferienhaus auf Sylt zu kaufen, das beide auch selbst als Zweitwohnsitz nutzen werden. Der direkte Erwerb einer (Ferien-)Immobilie, die nicht den Hauptwohnsitz darstellt, kann nicht schenkungsteuerfrei nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG für den Miterwerb des Ehegatten gestaltet werden. Denn die Norm verlangt, dass es sich bei der von beiden Eheleuten genutzten Immobilie um das sog. Familienheim handelt. Daher schenkt U der E zunächst die gemeinsam bewohnte Villa im Jahre 2016. Dieser Vorgang ist nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG vollständig steuerfrei, ohne dass es dazu auf Wert- oder Flächengrenzen ankommt. In 2018 haben U und E bei einem Makler in Kampen eine für sie passende kleine Doppelhaushälfte gefunden, die sie gerne erwerben würden. Der Kaufpreis von 3,0 Mio. Euro kann wirtschaftlich nur durch U erbracht werden. Daher verkauft E an U steuerfrei nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG die Villa in Dortmund zum Verkehrswert von 3,5 Mio. Euro. Den Erlös verwendet E um das Ferienhaus nebst Nebenkosten finanzieren zu können und übernimmt das Haus zum 1.10.2018. Danach ist U (wieder) alleiniger Eigentümer der Villa in Dortmund, seine Ehefrau hat das Alleineigentum an dem Ferienhaus auf Sylt. Im Einzelfall ist bei der „Familienheimschaukel“ jedoch ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten nach § 42 AO in Betracht zu ziehen.

b) Entgeltliche Übertragung

9.461

Der Übertragende löst nur dann eine Einkommensteuer aus, wenn ein entsprechender Steuertatbestand besteht. Maßgeblich dafür sind insbesondere die §§ 22, 23 EStG. Andererseits besteht für den Erwerber die Möglichkeit bei teilentgeltlichem Erwerb im Rahmen seiner mit dem Wirtschaftsgut erzielten Einkünfte Abschreibungen auf der aktuellen Wertbasis vorzunehmen, die durch die Teilentgeltlichkeit aufgedeckt wurde. Beispiel:

9.462

F hat im Jahr 2005 aus ererbtem Barvermögen von 5 Mio. Euro Immobilien im Wert von 20 Mio. Euro gekauft, die an Dritte zu Wohnzwecken fremdvermietet sind. Die fehlende Investitionssumme von 15 Mio. Euro hat F durch Bankdarlehen abgedeckt. Sie möchte in 2018 mit Erreichung des 60ten Lebensjahres die Immobilien an ihren Sohn S übertragen. S soll dabei auch alle Verbindlichkeiten übernehmen und F insoweit frei halten. Der Verkehrswert des Immobilienpaketes beträgt heute 30 Mio. Euro; die Verbindlichkeiten sind nicht getilgt worden.

732 | Rundshagen

D. Gegenstand der Unternehmensnachfolge | Rz. 9.464 Kap. 9 Der Vorgang ist durch die Übernahme von Verbindlichkeiten durch S i.H.v. 50 % teilentgeltlich. Daher würde F, wenn, ein Steuertatbestand erfüllt wäre, insoweit einkommensteuerpflichtig stille Reserven realisieren. In Betracht kommt hier zunächst die Besteuerung nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG. i.V.m. § 22 Nr. 2 EStG. Da jedoch sämtliche Immobilien länger als 10 Jahre im Besitz von F waren, ist eine Veräußerung grundsätzlich steuerfrei. Etwas anderes würde nur gelten, wenn der Verkauf als gewerblicher Grundstückshandel zu Einkünften nach § 5 EStG führen würde. Dabei ist jedoch die Veräußerung von Immobilien, die länger als 10 Jahre gehalten wurden auszuklammern. Unabhängig von der Frage, ob eine teilentgeltliche Übertragung im Familienkreis dem Typusbild einer Händlertätigkeit entspricht, ist hier schon deshalb keine gewerbliche Tätigkeit gegeben; die Übertragung bleibt einkommensteuerfrei. Dennoch hat S als Erwerber die Möglichkeit, im Rahmen seiner Einkünfteermittlung die anteilig zum Verkehrswert erworbenen Immobilien auf dieser Basis anteilig zum aufgedeckten gemeinen Wert abzuschreiben. Die schenkungsteuerliche Behandlung hinsichtlich des unentgeltlichen Teils ist für S weniger positiv: Die Immobilien sind insoweit mit dem Verkehrswert bei der Bemessung der Schenkungsteuer anzusetzen, wobei nach § 13d ErbStG 10 % Abschlage gewährt wird.

Weitere Bereiche von typischem, substantiellen Privatvermögen, die Gegenstand von teilentgeltlichen Übertagungen sein können, sind neben Immobilien alle Sachen, die hauptsächlich für private Zwecke genutzt werden wie Boote, Flugzeuge, Pferde und vor allem auch Kunstwerke.

9.463

Im Zusammenhang mit Wertpapierdepots ist eine teilentgeltliche Übertragung denkbar, wenn der Schenker dieses zum Teil mit Verbindlichkeiten aufgebaut hat, die auf den Begünstigten mit übergehen sollen. Wie bereits dargestellt ist, dagegen die Übertragung eines Wertpapierdepots gegen einen Nießbrauchsvorbehalt kein entgeltlicher Vorgang sondern ein vollständig unentgeltliches Geschäft, weil insofern lediglich ein belastetes Wirtschaftsgut auf den Erwerber übergeht, der seinerseits jedoch keine Leistung erbringt.

9.464

Rundshagen | 733

Kapitel 10 Unternehmensnachfolge von Todes wegen A. Vorbereitende Maßnahmen vor Eintritt des Erbfalls I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vermeidung von Liquiditätsabflüssen im Erbfall 1. Liquiditätsabflüsse durch Pflichtteilsansprüche a) Liquiditätsrisiken . . . . . . . . . . . b) Risikovermeidungsstrategien . . 2. Liquiditätsabflüsse durch Pflichtteilsergänzungsansprüche a) Liquiditätsrisiken . . . . . . . . . . . b) Risikovermeidungsstrategien . . 3. Liquiditätsabflüsse durch Abfindungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Liquiditätsabflüsse durch Zugewinnausgleichsansprüche . . . . . . . . . . . . III. Abstimmung mit dem Stand etwaiger vorweggenommener Erbfolge 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Berücksichtigung von Vorausempfängen gem. §§ 2050 ff. BGB . . . . . . 3. Gestaltungsstrategien . . . . . . . . . . . IV. Kontinuitätssicherung in Geschäftsführung und Gesellschafterversammlung 1. Risiko der Führungslosigkeit . . . . . 2. Erhaltung der Handlungsfähigkeit durch vorsorgende Maßnahmen a) Erteilung post- bzw. transmortaler Vollmachten . . . . . . . . . . . b) Zusammenstellung von Unterlagen für den Erbfall . . . . . . . . . . B. Der Betrieb im Nachlass des Unternehmers I. Gewerbebetrieb 1. Übergang im Rahmen der Gesamtrechtsnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besonderheiten im Erbfall a) Notwendigkeit einer Erlaubnis b) Haftung des Erben für betriebliche Verbindlichkeiten aa) Haftung gem. §§ 25, 27 HGB . . . . . . . . . . . . . . . . .

10.1

10.3 10.9 10.10 10.12 10.13 10.14

II. 1. 2. 3.

10.18 10.19 10.27

10.28

10.29 10.33

4. III. 1.

10.36

2. 3.

10.37 C. 10.43

I. II. 1.

734 | Wenzel/Falkowski

bb) Möglichkeiten der Haftungsbeschränkung (1) Haftungsausschluss durch Einstellung des Gewerbebetriebs, § 27 Abs. 2 HGB (2) Haftungsausschluss durch Änderung der Firma . . . . . (3) Haftungsausschluss durch einseitige Erklärung . . . . . c) Übergang im Betrieb erworbener Verbindlichkeiten . . . . . . . . . . . d) Unternehmensfortführung durch eine Erbengemeinschaft . . . . . . Land- und forstwirtschaftlicher Betrieb Landguterbrecht des BGB . . . . . . . . Modifikation der Erbfolge durch Spezialgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Modifikation durch die HöfeO a) Die Hofeigenschaft . . . . . . . . . . b) Die gesetzliche Erbfolge nach der HöfeO aa) Erbfolge nach Erbordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) „Wirtschaftsfähigkeit“ als Voraussetzung . . . . . . . . . cc) Versorgung des überlebenden Ehegatten . . . . . . . . . . c) Die Abfindung verdrängter Erben nach der HöfeO . . . . . . . . . d) Einschränkung der Testierfreiheit des Erblassers durch die HöfeO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Modifikation durch landesrechtliche Anerbengesetze . . . . . . . . . . . . . . . . Freiberufliche Praxis Grundsatz: Übergang im Wege der Universalsukzession . . . . . . . . . . . . Einschränkungen der Vererblichkeit Erfordernis der Bestellung eines Abwicklers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anteile an Personengesellschaften im Nachlass des Unternehmers Übersicht: Rechtsfolgen des Todes eines Gesellschafters . . . . . . . . . . . Rechtsfolgen im Einzelnen Beendigung der Gesellschaft . . . . . .

10.46 10.48 10.51 10.53 10.54 10.55 10.57 10.61

10.63 10.67 10.69 10.73 10.77 10.83 10.84 10.86 10.88

10.91 10.93

Unternehmensnachfolge von Todes wegen | Kap. 10 2. Fortsetzung der Gesellschaft unter Ausscheiden des verstorbenen Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.100 3. Fortsetzung der Gesellschaft mit den Erben des verstorbenen Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.103 4. Fortsetzung der Gesellschaft mit bestimmten Personen . . . . . . . . . . . . . 10.112 a) Qualifizierte Nachfolgeklausel . 10.113 b) Sog. rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.116 c) Eintrittsklausel . . . . . . . . . . . . . 10.119 III. Abstimmung von Gesellschaftsvertrag und letztwilliger Verfügung 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.123 2. Abstimmung von Nachfolgeklausel und Erbeinsetzung . . . . . . . . . . . . . . 10.124 3. Abstimmung von Übertragungsklauseln, Vermächtnis und Teilungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.126 4. Verhinderung von Liquiditätsabflüssen durch Abfindungsausschluss . . . 10.129 5. Schaffung gesellschaftsvertraglicher Voraussetzungen für Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.131 6. Schaffung gesellschaftsvertraglicher Voraussetzungen für Nießbrauchsvermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.134 D. Anteile an Kapitalgesellschaften im Nachlass des Unternehmers I. Vererblichkeit von Kapitalgesellschaftsanteilen 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.136 2. Ausgestaltung durch Nachfolgeregelungen in der Satzung a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.137 b) Abtretungsklauseln aa) GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . 10.139 bb) Aktiengesellschaft . . . . . . . 10.144 c) Einziehungsklauseln aa) GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . 10.145 bb) Aktiengesellschaft . . . . . . . 10.152 d) Kaduzierungsklauseln aa) GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . 10.156 bb) Aktiengesellschaft . . . . . . . 10.159 3. Anpassung von Gesellschafterliste und Aktienregister a) GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.160 b) Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . 10.162 II. Besonderheiten bei Erbengemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.164

1. Die Willensbildung innerhalb der Erbengemeinschaft a) Ordnungsgemäße Verwaltung . 10.165 b) Außerordentliche Verwaltung . 10.170 c) Notgeschäftsführung . . . . . . . . 10.172 2. Gemeinsamer Vertreter der Erben a) GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.174 b) Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . 10.178 3. Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.179 4. Nur teilweise Nachfolgeberechtigung im Sinne einer Nachfolgeklausel . . . 10.185 III. Abstimmung von letztwilliger Verfügung und Gesellschaftsvertrag 1. Übertragbarkeit der Gesellschaftsanteile a) GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.187 b) Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . 10.191 2. Teilbarkeit der Gesellschaftsanteile a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . 10.192 b) GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.193 c) Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . 10.195 E. Der minderjährige Unternehmensnachfolger I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.197 II. Vermögensübergang auf den Minderjährigen 1. Vermögensübergang auf den minderjährigen Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.200 2. Vermögensübergang auf den minderjährigen Vermächtnisnehmer . . . . . 10.205 III. Erbauseinandersetzung unter Beteiligung eines Minderjährigen . . . . . 10.211 IV. Der minderjährige Gesellschafter 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.213 2. Einzelunternehmen . . . . . . . . . . . . . 10.214 3. Personengesellschaften . . . . . . . . . . 10.217 4. Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . 10.222 V. Gestaltungsmöglichkeiten des Erblassers 1. Anordnung der Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.224 2. Beschränkung der Vermögenssorge 10.228 3. Die Befreiung von der Vermögensverzeichnispflicht . . . . . . . . . . . . . . . 10.232 4. Vormundbenennung . . . . . . . . . . . . 10.233 F. Die letztwillige Verfügung des Unternehmers I. Vorbereitende Überlegungen des Unternehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.240

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Kap. 10 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen II. Art und Form der letztwilligen Verfügung 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.242 2. (Einzel-)Testament a) Errichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.246 b) Verwahrung . . . . . . . . . . . . . . . 10.247 c) Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.251 3. Gemeinschaftliches Testament a) Errichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.254 b) Verwahrung . . . . . . . . . . . . . . . 10.257 c) (Bindungs-)Wirkung . . . . . . . . 10.261 d) Beseitigung der Bindungswirkung aa) Zu Lebzeiten beider Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.267 bb) Nach dem Tod eines Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.269 cc) Wirkung bei Auflösung der Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.275 e) Einheitslösung . . . . . . . . . . . . . 10.282 f) Trennungslösung . . . . . . . . . . . 10.289 g) (Herausgabe-)Vermächtnislösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.292 h) Typische Klauseln gemeinschaftlicher Testamente aa) Pflichtteilsstrafklausel . . . . 10.296 bb) Wiederverheiratungsklausel 10.307 (1) Trennungslösung . . . . . . . 10.309 (2) Einheitslösung . . . . . . . . . . 10.313 (3) Vermächtnislösung . . . . . . 10.318 cc) Anfechtungsverzicht . . . . . 10.319 dd) „Katastrophenklausel“ . . . 10.320 4. Erbvertrag a) Errichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.323 b) Verwahrung . . . . . . . . . . . . . . . 10.326 c) (Bindungs-)Wirkung . . . . . . . . 10.330 d) Beseitigung der Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.338 III. Inhalt der letztwilligen Verfügung des Unternehmers 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.352 2. Bestimmung des Unternehmensnachfolgers durch den Erblasser a) Einzelner Unternehmensnachfolger aa) Möglichkeiten . . . . . . . . . . 10.353 bb) Alleinerbenlösung . . . . . . . 10.354 cc) Sog. „Frankfurter Testament“ . . . . . . . . . . . . . . . . 10.359 dd) Vermächtnislösung . . . . . . 10.361 b) Mehrere Unternehmensnachfolger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.364

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3. Bestimmung des Unternehmensnachfolgers durch Dritte a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . 10.367 b) Nachfolgerbestimmung mittels Kriterienkatalogs . . . . . . . . . . . 10.368 c) Nachfolgerbestimmung mittels Vor- und Nacherbfolge . . . . . . 10.370 d) Vermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . 10.375 4. Absicherung durch Nießbrauchsvermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.378 5. Anordnung von Testamentsvollstreckung a) Motive für eine Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.383 b) Zulässigkeit der Testamentsvollstreckung aa) Kapitalgesellschaftsanteile 10.385 bb) Personengesellschaftsanteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.388 cc) Beaufsichtigende Testamentsvollstreckung . . . . . 10.393 c) Ersatzlösungen aa) Einleitung . . . . . . . . . . . . 10.396 bb) Treuhandlösung . . . . . . . . 10.397 cc) Vollmachtlösung . . . . . . . 10.403 dd) Weisungsgeberlösung . . . . 10.407 d) Gesellschaftsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten zur Problemvermeidung aa) Zustimmung der Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.408 bb) Umwandlung in eine Kommanditbeteiligung . . . . . . . 10.409 cc) Umwandlung in GmbH, AG oder GmbH & Co. KG 10.411 6. Anordnung von Vor- und Nacherbschaft a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . 10.414 b) Die Stellung des nicht befreiten Vorerben . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.423 c) Die Stellung des befreiten Vorerben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.430 d) Stellung des Nacherben . . . . . . 10.436 e) Vor- und Nachvermächtnis . . . 10.440 7. Teilungsanordnung . . . . . . . . . . . . . 10.441 8. Umgang mit § 2306 BGB . . . . . . . . 10.450 9. Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.452

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 10.5 Kap. 10

A. Vorbereitende Maßnahmen vor Eintritt des Erbfalls I. Einführung Seinen Erben erleichtert das Leben, wer geregelte Verhältnisse hinterlässt. Im Idealfall findet bereits zu Lebzeiten des Unternehmers eine geregelte (Teil-)Übergabe an den von ihm erwählten Nachfolger statt. Doch ist dies selbstverständlich nicht immer möglich oder gewünscht, so dass auch für die Unternehmensnachfolge von Todes wegen Vorsorge zu treffen ist. Die optimale Vorbereitung auf den Übergang des Unternehmens auf einen Nachfolger bietet eine konkrete und detaillierte letztwillige Verfügung. In Vorbereitung auf die Errichtung der letztwilligen Verfügung und zu deren Flankierung stehen dem Unternehmer zu Lebzeiten eine Reihe von Maßnahmen zur Verfügung, um den Wechsel an der Unternehmensspitze möglichst reibungslos zu gestalten.

10.1

Derartige vorbereitende Maßnahmen dienen vor allem der Vermeidung folgender wesentlicher Risiken für den Erben und damit für das Unternehmen:

10.2

– Liquiditätsabflüsse im Erbfall; – Unwägbarkeiten durch Verschiebungen bei der Erbauseinandersetzung; – Handlungsunfähigkeit und Führungslosigkeit des Unternehmens; – Verzögerung der Abwicklung durch Unübersichtlichkeit des Nachlasses.

II. Vermeidung von Liquiditätsabflüssen im Erbfall 1. Liquiditätsabflüsse durch Pflichtteilsansprüche a) Liquiditätsrisiken Geht ein Unternehmen im Wege des Erbfalls auf einen oder mehrere Nachfolger über und bleiben dabei Kinder, Eltern oder Ehegatte des Erblassers außen vor, besteht das Risiko von Pflichtteilsansprüchen und Pflichtteilsergänzungsansprüchen. Da das Pflichtteilsrecht grundsätzlich zwingend ist, lassen sich entsprechende Ansprüche nur in sehr begrenztem Maße vermeiden. Wer sich jedoch früh damit auseinandersetzt und angemessene Vorsorge trifft, kann das Risiko zumindest verringern.

10.3

Gemäß § 2303 Abs. 1 BGB kann ein durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossener Abkömmling des Erblassers den Pflichtteil in Höhe der Hälfte seines gesetzlichen Erbteils verlangen. Gleiches gilt gem. § 2303 Abs. 2 Satz 1 BGB für den Ehegatten und die Eltern des Erblassers. Wird einer der genannten Personengruppe entstammenden Person ein Erbteil zugewendet, der geringer ist als der Pflichtteil, kann diese gem. § 2305 Satz 1 BGB von den Miterben die Differenz zwischen dem Zugewandten und dem Pflichtteil verlangen (sog. Zusatzpflichtteil). Maßgeblich ist der Bestand des Nachlasses am Bewertungsstichtag, also bei Eintritt des Erbfalls, § 2311 Abs. 1 Satz 1 BGB. Wertschwankungen, die nach dem Erbfall eintreten, sind dabei grundsätzlich nicht mehr zu berücksichtigen (ausführlich zum Pflichtteilsrecht unter Rz. 5.362).

10.4

Wird demnach ein Abkömmling, Elternteil oder Ehegatte von der Erbfolge ausgeschlossen oder mit weniger bedacht, als wertmäßig dem Pflichtteil entspräche, bestehen mit dem Eintritt des Erbfalles Geldansprüche gegen den oder die Erben. Für diese Ansprüche haftet der Erbe – vorbehaltlich der gesetzlichen Haftungsbeschränkungen – sowohl mit dem Nachlass-, als auch mit seinem eigenen Vermögen. Stehen ihm nicht ausreichend liquide Mittel zur Ver-

10.5

Wenzel/Falkowski | 737

Kap. 10 Rz. 10.5 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

fügung, kann sich dies belastend auf das vererbte Unternehmen auswirken. So kann es dazu kommen, dass Mittel aus dem Unternehmen entnommen werden oder das Unternehmen gar veräußert werden muss. Nur in geringem Umfang schafft hier die Einrede des Erben gem. § 2331a BGB Abhilfe: Der Erbe kann dann Stundung des Pflichtteilsanspruchs verlangen, wenn die sofortige Erfüllung des gesamten Anspruchs für den Erben wegen der Art der Nachlassgegenstände eine unbillige Härte darstellen würde. Der Erhalt des Familienunternehmens als Wirtschaftsgut, das für den Erben und seine Familie die wirtschaftliche Lebensgrundlage bietet, ist hier besonders geschützt. Bei der gerichtlichen Abwägung, ob eine Stundung in Frage kommt und in welcher Form sie zu gewähren ist, sind allerdings auch die Interessen des Pflichtteilsberechtigten angemessen zu berücksichtigen, so dass § 2331a BGB im Ergebnis oft nicht weiterhilft. Zudem führt die Stundung nicht zu einer Anspruchskürzung, sondern lediglich zu einem Zahlungsaufschub für den Pflichtteilsschuldner.

10.6

Ist ein als Erbe berufener Pflichtteilsberechtigter durch die Einsetzung eines Nacherben, die Ernennung eines Testamentsvollstreckers oder eine Teilungsanordnung beschränkt oder ist er mit einem Vermächtnis oder einer Auflage beschwert, so kann er gem. § 2306 Abs. 1 BGB den Pflichtteil verlangen, wenn er den Erbteil ausschlägt. Die Ausschlagungsfrist beginnt erst, wenn der Pflichtteilsberechtigte von der Beschränkung oder der Beschwerung Kenntnis erlangt. Einer Beschränkung der Erbeinsetzung steht es gem. § 2306 Abs. 2 BGB gleich, wenn der Pflichtteilsberechtigte als Nacherbe eingesetzt ist. Beratungshinweis:

10.7

Einem Pflichtteilsverlangen eines so beschränkten Erben, nach dessen Ausschlagung, kann dadurch begegnet werden, dass er für den Fall der Ausschlagung auf einen Erbteil eingesetzt wird, der der Hälfte seines gesetzlichen Erbteils entspricht und frei von jeglichen Beschränkungen i.S.d. § 2306 BGB zugewandt wird (zu einer solchen sog. socinischen Klausel s. unter Rz. 10.450).

10.8

Besteht der Nachlass demnach bspw. aus einer GmbH, deren Anteile sich sämtlich in den Händen des Erblassers befanden und hat der (Allein-)Erbe kein eigenes Vermögen, kann die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen dazu führen, dass der Erbe entweder eine größere Ausschüttung an sich beschließen oder, sollte die Gesellschaft keine nennenswerten Rücklagen aufweisen, über die Veräußerung von Anteilen nachdenken muss. Hielt der Erblasser Anteile an einer Gesellschaft, an der weitere Mitgesellschafter beteiligt sind, kann die Notwendigkeit, liquide Mittel zur Erfüllung von Pflichtteilsansprüchen zu beschaffen, dazu führen, dass die Beteiligung veräußert oder der Erbe gegen entsprechende Abfindung aus der Gesellschaft ausscheiden muss. Der an einer langfristigen Weiterführung des Unternehmens interessierte Erblasser sollte sich daher frühzeitig damit auseinandersetzen, wie eine solche Liquiditätsbelastung möglichst geringgehalten werden kann (ausführlich zu den Risikovermeidungsstrategien auch unter Rz. 5.443). b) Risikovermeidungsstrategien

10.9

– Eine Beseitigung des Pflichtteilsanspruchs kommt grundsätzlich nur im Einverständnis mit dem Pflichtteilsberechtigten in Frage. Zwar hat der Erblasser die Möglichkeit, dem Pflichtteilsberechtigten den Pflichtteil gem. § 2333 BGB einseitig zu entziehen. Diese Möglichkeit beschränkt sich jedoch auf Extremfälle, die in der Praxis selten anzutreffen sind. Ein solcher Entzug kommt so etwa dann infrage, wenn der Pflichtteilsberechtigte dem Erblasser oder einem nahen Verwandten desselben nach dem Leben trachtet.

738 | Wenzel/Falkowski

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 10.9 Kap. 10

– Größtmögliche Planungssicherheit für den Erblasser bietet der Pflichtteilsverzicht gem. § 2346 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB. Bei der Gestaltung ist darauf zu achten, dass nur ein isolierter Pflichtteilsverzicht (§ 2346 Abs. 2 BGB), nicht aber ein Erbverzicht (§ 2346 Abs. 1 BGB) erklärt wird, da der den Erbverzicht Erklärende so behandelt wird, als sei er vorverstorben, was ggf. die Pflichtteilsquote anderer Pflichtteilsberechtigter erhöht, §§ 2346 Abs. 1 Satz 2, 2310 Satz 2 BGB. In den meisten Fällen wird sich der Pflichtteilsberechtigte nur dann zu einem Verzicht bereit erklären, wenn ein entsprechender Anreiz (etwa in Form einer Abfindung) geschaffen wird. Der Pflichtteilsverzicht bedarf der notariellen Beurkundung, § 2348 BGB. – Seit Inkrafttreten der EU-Erbrechtsverordnung1 bestimmt sich das auf die Nachfolge anwendbare Recht nicht mehr, wie noch nach Art. 25 Abs. 1 EGBGB a.F., nach der Staatsangehörigkeit, sondern nach dem letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers. Der Erblasser könnte demnach seinen gewöhnlichen Aufenthalt in ein Land verlegen, dessen Recht kein Pflichtteilsrecht kennt und so, durch die Beeinflussung des anwendbaren Erbrechts Pflichtteilsansprüche nach deutschem Recht ausschließen. Eine solche Vorgehensweise ist freilich mit einem großen persönlichen Aufwand und mit so erheblichen Auswirkungen auf die Lebensführung des Unternehmers verbunden, dass sie in der Praxis eine eher theoretische Möglichkeit darstellen dürfte. Die früher bestehende Möglichkeit, in Immobilien im Ausland zu investieren und diese dadurch der Anwendbarkeit des deutschen Erbrechts und somit des Pflichtteilsrechts zu entziehen, existiert seit Inkrafttreten der EU-Erbrechtsverordnung nicht mehr. Beratungshinweis: Aufgrund sonst möglicherweise anfallender Wegzugssteuer bietet sich hier in der Regel nur ein Land innerhalb der Europäischen Union an. Das Recht des Vereinigten Königsreichs, das keinen Pflichtteil kennt, ist mit Wirksamwerden des Brexit letztlich keine Option mehr. Andere europäische Länder – etwa Dänemark mit einem Pflichtteil von ¼ des gesetzlichen Erbteiles2 – können nach wie vor in Erwägung gezogen werden.3

– Ist der Erblasser verheiratet, kann er dadurch eine Verringerung der Pflichtteilsquoten seiner Abkömmlinge erreichen, indem er mit seinem Ehegatten im Güterstand der Zugewinngemeinschaft verbleibt. Auf diese Weise erhöht sich der gesetzliche Erbteil des Ehegatten neben Abkömmlingen des Erblassers von einem Viertel bzw. einem Drittel gem. § 1931 Abs. 1 Satz 1 BGB bzw. Abs. 4 durch das pauschalierte Viertel gem. § 1371 Abs. 1 BGB. Die gesetzlichen Erbquoten und damit die Pflichtteilsquoten der Abkömmlinge verringern sich demgemäß entsprechend. Die Zugewinngemeinschaft ist der gesetzlicher Güterstand und gilt damit immer dann, wenn die Parteien keine abweichenden Vereinbarungen getroffen haben. Möchte sich der Unternehmer gegen Zugewinnausgleichsansprüche absichern und zugleich die o.g. Vorteile der Zugewinngemeinschaft erhalten, sollte er unter Ausschluss des Zugewinns eine sog. modifizierte Zugewinngemeinschaft wählen, statt schlicht Gütertrennung zu vereinbaren (s. dazu unter Rz. 10.14).

1 Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.7.2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, ABl. EU L 201/107 vom 27.7.2012. 2 Sog. „twangsarv“, vgl. Schwab in Beck’sches Formularbuch ErbR4, K. XIX. 4. 3 Die geplanten Änderungen bei der Wegzugsbesteuerung durch die Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie müssen hierbei im Auge behalten werden.

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Kap. 10 Rz. 10.9 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

– Gemäß § 2315 Abs. 1 BGB hat sich der Pflichtteilsberechtigte auf den Pflichtteil anrechnen zu lassen, was ihm von dem Erblasser durch Rechtsgeschäft unter Lebenden mit der Bestimmung zugewendet worden ist, dass es auf den Pflichtteil angerechnet werden soll. Im Erbfall wird der Wert der Zuwendung gem. § 2315 Abs. 2 BGB bei der Bestimmung des Pflichtteils dem Nachlass hinzugerechnet. Aus diesem (fiktiven) Nachlass wird entsprechend seiner Pflichtteilsquote der Pflichtteilsanspruch berechnet, von dem der Wert des Vorausempfangs wiederum abzuziehen ist.1 Eine solche Zuwendung unter Anrechnungsbestimmung kann dazu genutzt werden, dem Pflichtteilsberechtigten bereits zu Lebzeiten Vermögen zukommen zu lassen und so die Belastung des Erben und des Unternehmens gering zu halten. Die Anrechnungsbestimmung muss vor oder spätestens bei der Zuwendung vorliegen und kann nicht nachträglich erfolgen. – Sofern dies möglich ist, sollte der Erblasser schon zu Lebzeiten Liquiditätsreserven schaffen, die der Erbe zur Begleichung von Pflichtteilsansprüchen nutzen kann. Dies kann insbesondere auch durch Abschluss einer Risikolebensversicherung auf den Tod des Unternehmers geschehen. – Auch lebzeitige Vereinbarungen mit den Pflichtteilsberechtigten wie Stundungsabreden oder die Einigung über Ersatzleistungen, wie eine stille Beteiligung oder Unterbeteiligung am Unternehmen, können dem künftigen Erben Entlastung verschaffen.

2. Liquiditätsabflüsse durch Pflichtteilsergänzungsansprüche a) Liquiditätsrisiken

10.10

Werden zu Lebzeiten des Unternehmers Vermögenswerte schenkweise übertragen, wird der Wert des späteren Nachlasses geschmälert. Da der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs das Nachlassvermögen wertmäßig stets so zugrunde zu legen ist, wie es sich zum Zeitpunkt des Erbfalls darstellt, werden derartige Vorausempfänge von den Pflichtteilsansprüchen gemäß der §§ 2303 ff. BGB nicht erfasst. Hinsichtlich vor dem Erbfall verschenkter Vermögensgegenstände können jedoch Pflichtteilsergänzungsansprüche gem. §§ 2325 ff. BGB entstehen. Diese richten sich grundsätzlich gegen den Erben, obwohl sich die maßgeblichen Vermögenswerte gar nicht mehr im Nachlass befinden (ausführlich zum Pflichtteilsergänzungsanspruch unter Rz. 5.412).

10.11

Gemäß § 2325 Abs. 1 BGB kann der Pflichtteilsberechtigte, hat der Erblasser einem Dritten eine Schenkung gemacht, als Ergänzung des Pflichtteils den Betrag verlangen, um den sich der Pflichtteil erhöht, wenn der verschenkte Gegenstand dem Nachlass hinzugerechnet wird. Gemäß § 2325 Abs. 2 BGB kommt eine verbrauchbare Sache mit dem Wert in Ansatz, den sie zur Zeit der Schenkung hatte. Ein anderer Gegenstand kommt mit dem Wert in Ansatz, den er zur Zeit des Erbfalls hat. Hatte er zur Zeit der Schenkung einen geringeren Wert, so wird nur dieser in Ansatz gebracht. Eine in der Praxis wichtige zeitliche Einschränkung ergibt sich aus § 2325 Abs. 3 BGB: Demnach wird die Schenkung innerhalb des ersten Jahres vor dem Erbfall in vollem Umfang, innerhalb jedes weiteren Jahres vor dem Erbfall um jeweils ein Zehntel weniger berücksichtigt. Sind zehn Jahre seit der Leistung des verschenkten Gegenstandes verstrichen, bleibt die Schenkung gar in voller Höhe unberücksichtigt. Eine Ausnahme gilt, wenn die Schenkung an den Ehegatten erfolgt ist. In diesem Falle beginnt die Frist nicht vor der Auflösung der Ehe. 1 Lange in MüKo8, § 2315 BGB Rz. 21; Reisnecker in BeckOGK, § 2315 BGB Rz. 67 ff. (Stand: 1.2.2020).

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A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 10.12 Kap. 10

b) Risikovermeidungsstrategien – Für Pflichtteilsergänzungsansprüche gelten im Wesentlichen die unter Rz. 10.8 dargestellten Grundsätze. Auch diesbezüglich bietet einzig ein umfassender Pflichtteilsverzicht völlige Sicherheit. Ein solcher Pflichtteilsverzicht kann auch der Sache nach auf Pflichtteilsergänzungsansprüche beschränkt werden.1 Eine derartige Beschränkung kann ein Entgegenkommen gegenüber einem nur eingeschränkt verzichtswilligen Pflichtteilsberechtigten darstellen. – Je länger die Schenkung innerhalb der Zehn-Jahres-Frist des § 2325 Abs. 3 BGB zurückliegt, desto geringer wird die finanzielle Belastung für den Erben. Zur Reduzierung von Pflichtteilsergänzungs- und Pflichtteilsansprüchen bietet sich demnach eine möglichst frühzeitige Übertragung des Vermögens in die nachfolgende Generation an. Beratungshinweis: Es ist darauf zu achten, dass eine Schenkung im Rahmen des § 2325 Abs. 3 BGB erst dann als geleistet gilt und somit den Fristlauf in Gang setzt, wenn der Erblasser den verschenkten Gegenstand nach der Schenkung auch tatsächlich entbehren muss. Es muss daher ein spürbarer Vermögensverlust in Form einer „wirtschaftlichen Ausgliederung“ aus dem Vermögen des Schenkenden festzustellen sein (Aufgabe des sog. wirtschaftlichen Eigentums). Der Fristbeginn ist daher gehindert, wenn der Erblasser den verschenkten Gegenstand, sei es aufgrund vorbehaltener dinglicher Rechte oder durch Vereinbarung schuldrechtlicher Ansprüche, „im Wesentlichen“ weiterhin nutzt.2 Eine Schenkung unter Nießbrauchsvorbehalt ist nicht geeignet, um Pflichtteilsergänzungsansprüche zu vermeiden, da der Schenker den verschenkten Gegenstand trotz Aufgabe des rechtlichen Eigentums im Wesentlichen weiter nutzt.3

Durch die Regelung des § 2325 Abs. 3 BGB besteht für den Pflichtteilsberechtigten ein echtes Risiko, vollständig leer auszugehen, was als Argumentationsgrundlage dafür dienen kann, ihn zu einem Pflichtteilsverzicht gegen Abfindung zu bewegen. Insoweit könnte er dann sicherstellen, dass er „den Spatz in der Hand, statt der Taube auf dem Dach“ erhält. – Die Ausstattung gem. § 1624 Abs. 1 BGB ist keine Schenkung und löst somit auch keine Pflichtteilsergänzungsansprüche aus.4 Ausstattung in diesem Sinne können alle Zuwendungen sein, die die Eltern anlässlich der Heirat des Kindes als Mitgift oder Aussteuer oder sonst zur Begründung oder Erhaltung einer selbstständigen Lebensstellung überlassen. Beratungshinweis: Die Zweckbestimmung sollte aus Gründen der Rechtssicherheit unbedingt in die Übertragungsvereinbarung aufgenommen werden. Die Zuwendung wird nur insoweit nicht als Schenkung angesehen, wie sie das den Umständen nach, insbesondere den Vermögensverhältnissen der Eltern, angemessene Maß nicht überschreitet, was mitunter nur schwer festzustellen sein wird. Soweit möglich, sollten auch hierzu Angaben aufgenommen werden. Die Ausstattung kann aber zum Eingreifen der §§ 2050 ff. BGB führen s. dazu unter Rz. 10.19).

1 2 3 4

Litzenburger in BeckOK, § 2346 BGB Rz. 24 (Stand: 1.8.2019). Müller-Engels in BeckOK, § 2325 BGB Rz. 49 (Stand: 1.8.2019). BGH v. 27.4.1997 – IV ZR 132/93, NJW 1994, 1791. Von Sachsen Gessaphe in MüKo8, § 1624 BGB Rz. 11; Pöcker in BeckOK, § 1624 BGB Rz. 1 (Stand: 1.8.2019).

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10.12

Kap. 10 Rz. 10.13 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

3. Liquiditätsabflüsse durch Abfindungsansprüche 10.13

Haben die Gesellschafter eine Nachfolgeklausel vereinbart, die nur bestimmte Erben eines Gesellschafters zur Nachfolge in seinen Gesellschaftsanteil qualifiziert, haben die dadurch ausgeschlossenen Erben grundsätzlich einen Abfindungsanspruch gegen die Gesellschaft, der jedoch gesellschaftsvertraglich wirksam ausgeschlossen werden kann (s. dazu im Einzelnen Rz. 10.129 und Rz. 10.145).

4. Liquiditätsabflüsse durch Zugewinnausgleichsansprüche 10.14

Ist der Unternehmer verheiratet, ohne einen Ehevertrag abgeschlossen zu haben, leben er und sein Ehegatte im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft gem. §§ 1363 ff. BGB. Während des Bestehens des Güterstandes bleiben die Vermögensmassen der Ehegatten getrennt, so dass der Ehegatte des Unternehmers keine Rechte an dem Unternehmen erwirbt, wenn sie ihm nicht kraft entsprechender Vereinbarung übertragen werden. Von der reinen Gütertrennung unterscheidet sich die Zugewinngemeinschaft dadurch, dass bei ihrer Beendigung ein Ausgleich in Geld zu zahlen ist, §§ 1372 ff. BGB. Dabei wird das jeweilige Vermögen der Ehegatten bei Eintritt in den Güterstand und bei Beendigung des Güterstandes miteinander verglichen. Die positive Differenz ist der Zugewinn eines jeden Ehegatten. Hat ein Ehegatte einen höheren Zugewinn erzielt als der andere, ist die Differenz hälftig in Geld auszugleichen (ausführlich zum gesetzlichen Ehe- und Scheidungsfolgenrecht unter Rz. 2.2).

10.15

Ist der Unternehmer im gesetzlichen Güterstand verheiratet, sollte in der Regel erwogen werden, den Zugewinnausgleich bei Scheidung auszuschließen. Ein solcher Ausschluss kann aber auch dann sinnvoll sein, wenn es um den Tod des Unternehmers geht: Ist der überlebende Ehegatte testamentarisch nicht bedacht oder schlägt er die Erbschaft aus, hat er die Möglichkeit gem. § 1371 Abs. 2 bzw. Abs. 3 BGB seinen sog. „kleinen Pflichtteil“, berechnet auf Grundlage des nicht durch das pauschale Viertel des § 1371 Abs. 1 BGB erhöhten gesetzlichen Erbteils, sowie zusätzlich den realen Zugewinnausgleich zu verlangen. Dieser wird so berechnet, als wäre die Ehe geschieden worden. Stichtag ist der Todestag des Erblassers, da durch den Tod der Güterstand beendet wird.

10.16

Tritt diese Situation ein, kann es zu ganz erheblichen Liquiditätsabflüssen kommen, da auch der Zugewinnausgleichsanspruch ein Geldanspruch ist. Es kann sich daher empfehlen, auch den Zugewinnausgleich im Todesfall zum Schutze des Unternehmens auszuschließen. Dies muss allerdings gegen die damit verbundenen, etwaigen erbschaftsteuerlichen Nachteile für den Ehegatten abgewogen werden.1

10.17

Alternativ besteht die Möglichkeit, die Zugewinngemeinschaft in der Form zu modifizieren, dass unternehmerisches Vermögen aus dem Zugewinnausgleich ausgeschlossen wird, also bei dessen Berechnung außer Acht bleibt.2 Modifikationen sind auch im Hinblick auf Bewertungsweise und Stichtage möglich (zu den ehevertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten insgesamt, s. Rz. 2.37).3

1 S. dazu: Kuhn in BeckOGK, § 1371 BGB Rz. 83, 108 ff. (Stand: 1.5.2020); Koch in MüKo8, § 1371 BGB Rz. 21 ff. 2 Langenfeld/Milzer, Hdb. der Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen8, § 12 Rz. 283 ff. 3 Langenfeld/Milzer, Hdb. der Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen8, § 12 Rz. 255.

742 | Wenzel/Falkowski

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 10.21 Kap. 10

III. Abstimmung mit dem Stand etwaiger vorweggenommener Erbfolge 1. Einführung Im Zuge der Erwägung, wem der Unternehmer welche Nachlassgegenstände zuwenden möchte, ist zunächst der Bestand des Vermögens zu erfassen, wie er sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt darstellt und, soweit voraussehbar, entwickeln wird. Vor dem Entwurf einer letztwilligen Verfügung durch den Berater sollte das Vermögen in seiner Gänze erfasst und mögliche unerwünschte Nebenwirkungen identifiziert werden, die sich aus der von dem Testierenden gewünschten Nachfolgegestaltung ergeben. In diesem Zusammenhang spielen bereits zu Lebzeiten vorgenommene Übertragungen im Zusammenhang mit der vorweggenommenen Erbfolge eine bedeutende Rolle. Neben Pflichtteilsergänzungsansprüchen bestehen hier auch etwaige Ausgleichspflichten der Erben untereinander, die bei der Gestaltung berücksichtigt werden müssen. Hier ist es an dem Berater, die Auswirkungen bereits erfolgter Vermögensübertragungen festzustellen sowie zu prüfen, inwieweit lebzeitige Übertragungen dem erstrebten Gestaltungsziel dienen können.

10.18

2. Berücksichtigung von Vorausempfängen gem. §§ 2050 ff. BGB Hat der Unternehmer mehrere Kinder und wendet er diesen zu Lebzeiten Vermögen zu, handelt es sich dabei um sog. Vorausempfänge gem. den §§ 2050 ff. BGB, die unter bestimmten Voraussetzungen ausgleichspflichtig sind. Entsprechende Ausgleichspflichten können entstehen zwischen (i) Abkömmlingen, die nach gesetzlicher Erbfolge erben, (ii) Abkömmlingen, die auf dasjenige eingesetzt wurden, was sie als gesetzliche Erben erhalten hätten oder (iii) deren Erbteile der Erblasser so bestimmt hat, dass sie zueinander im selben Verhältnis stehen wie die gesetzlichen Erbteile (§§ 2050 Abs. 1, 2051 Abs. 1 BGB). Fällt ein Abkömmling vor oder nach dem Erbfall weg, so ist der an seine Stelle tretende Abkömmling ausgleichspflichtig, § 2051 Abs. 1 BGB.

10.19

Gemäß § 2050 BGB bestehen Ausgleichspflichten im Hinblick auf

10.20

– Ausstattungen i.S.d. § 1624 BGB, – über das den Vermögensverhältnissen des Erblassers entsprechende Maß hinausgehende Zuschüsse oder Berufsausbildungskosten sowie – andere Zuwendungen, bei denen die Ausgleichspflicht ausdrücklich angeordnet wurde. Die zwischen den Abkömmlingen erfolgende Ausgleichung begründet keine monetären Ausgleichsansprüche, sondern bewirkt lediglich eine Verschiebung bei der Erbauseinandersetzung (zur Erbauseinandersetzung im Allgemeinen s. Rz. 5.557). Dabei wird jedem Miterben der Wert der auszugleichenden Zuwendung auf seinen Erbteil angerechnet. Der Gesamtwert aller ausgleichspflichtigen Zuwendungen wird dem Nachlasswert hinzuaddiert, soweit dieser den Miterben zukommt, unter denen die Ausgleichung stattfindet. Maßgeblich ist dabei der Wert der Zuwendung zu dem Zeitpunkt, zu dem sie erfolgt ist, § 2055 Abs. 2 BGB, wobei auch der Kaufpreisschwund zwischen Zuwendung und Erbfall entsprechend dem Lebenshaltungsindex eingestellt wird.1 Die Zuwendungen sind, unabhängig davon wann sie erfolgt sind, stets mit ihrem vollen Wert zu berücksichtigen. Ausschlussfristen existieren nicht. Wurden Ausgleichsansprüche gem. den §§ 2050 ff. BGB bei der Auseinandersetzung nicht berücksichtigt, steht

1 Fröhler, BWNotZ 2010, 94 (98); Ann in MüKo8, § 2055 BGB Rz. 3.

Wenzel/Falkowski | 743

10.21

Kap. 10 Rz. 10.21 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

dem ausgleichungsberechtigten Miterben ein Zahlungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung zu.1 Beispiel:

10.22

Der Erblasser hinterlässt seine Ehefrau, mit der er im gesetzlichen Güterstand gelebt hat, sowie seine beiden Kinder A und B. Kraft letztwilliger Verfügung hat er die Ehefrau zur Hälfte und die Kinder zu je einem Viertel als Erben eingesetzt. Der Nachlasswert beträgt 100.000 €. Zu Lebzeiten hat der Erblasser A einmalig eine Summe von 20.000 € unter der Bestimmung zugewendet, dass die Zuwendung zwischen ihm und B auszugleichen sei. Da die Ausgleichung nur unter den Abkömmlingen stattzufinden hat, erhält die Ehefrau 50.000 €. Den verbleibenden 50.000 € wird der Vorausempfang i.H.v. 20.000 € hinzuaddiert. Die so berechnete Summe von 70.000 € wird im Verhältnis der Erbquoten – hier also hälftig – zwischen den beiden Abkömmlingen aufgeteilt, so dass auf jeden von ihnen 35.000 € entfielen. Von der A zufallenden Summe werden die zugewandten 20.000 € abgezogen. Bei der Auseinandersetzung enthält demnach A 15.000 € und B 35.000 €.

10.23

Hat ein Abkömmling zu Lebzeiten mehr erhalten, als ihm nach Eintritt des Erbfalls bei der Auseinandersetzung kraft seiner Erbquote zugestanden hätte, ist er nicht verpflichtet, eine Ausgleichszahlung zu leisten. Vielmehr wird der Nachlass in einem solchen Fall gem. § 2056 Satz 2 BGB unter den übrigen Erben in der Weise geteilt, dass der Wert der Zuwendung und der Erbteil des Miterben außer Ansatz bleiben. Der Zuwendungsempfänger erhält dann im Ergebnis nichts. Beispiel:

10.24

Der Erblasser hinterlässt seine Ehefrau, mit der er im gesetzlichen Güterstand gelebt hat, sowie seine beiden Kinder A und B. Kraft letztwilliger Verfügung hat er die Ehefrau zur Hälfte und die Kinder zu je einem Viertel als Erben eingesetzt. Der Nachlasswert beträgt 100.000 €. Zu Lebzeiten hat der Erblasser A einmalig eine Summe von 60.000 € unter der Bestimmung zugewendet, dass die Zuwendung zwischen ihm und B auszugleichen sei. Die Ehefrau erhält auch hier vorab 50.000. Den übrigen 50.000 € würde der von A erhaltene Vorausempfang hinzugerechnet, so dass rechnerisch 110.000 € unter A und B aufzuteilen wären. Davon erhielte B 55.000 € und A 55.000 € abzgl. dem Vorausempfang von 60.000 €. B erhielte damit den gesamten verbleibenden Nachlass. A erhält nichts, muss aber keine Ausgleichszahlung leisten.

10.25

Eine solche faktische Verschiebung der Erbquote durch auszugleichende Vorausempfänge entspricht häufig nicht dem von dem Erblasser Gewollten. Bei lebzeitigen Zuwendungen handelt es sich oft um Ausstattungen bzw. Zuschüsse und Berufsausbildungskosten, die die Eltern ihrem Kind zukommen lassen möchten, ohne dass es – in der Regel viele Jahre später – gegenüber seinen Geschwistern beim Erbfall weniger erhalten soll. Beratungshinweis:

10.26

Besteht der Nachlass im Wesentlichen aus Gesellschaftsanteilen und gehen die von dem Erblasser gehaltenen Anteile auf die Erbengemeinschaft über, können Vorausempfänge dazu führen, dass die Beteiligungsquote des einzelnen Erben nach Auseinandersetzung von den Erbquoten abweicht. Hat sich der Erblasser vorgestellt, dass seine beiden Kinder das Unternehmen gleichberechtigt fortführen sollen, aber an eines der beiden Kinder Vorempfänge geleistet, kann dies zu einem unerwünschten Ergebnis führen.

1 BGH v. 4.3.1992 – IV ZR 309/90, NJW-RR 1992, 771.

744 | Wenzel/Falkowski

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 10.27 Kap. 10

3. Gestaltungsstrategien Die Regelungen der §§ 2050 ff. BGB beruhen auf der Annahme, dass der Erblasser seine Abkömmlinge stets gleich behandeln möchte, sind jedoch dispositiv.1 Bei der lebzeitigen Vermögensübertragung muss sich der Erblasser daher die Frage stellen, ob dies tatsächlich sein Wille ist, bzw. ob und wenn ja, in welchem Umfang eine Ausgleichung erfolgen soll. Bei jeder Zuwendung sollte eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnet werden, in der genau festgehalten wird, ob eine Anrechnung auf den Erbteil erfolgen soll oder nicht. Für deren Gestaltung geltende folgende Grundsätze: – Als Faustregel ist festzuhalten, dass Schenkungen nur ausgleichspflichtig sind, wenn der Schenker dies ausdrücklich angeordnet hat. Ausstattungen, Zuschüsse und Berufsausbildungskosten sind stets ausgleichspflichtig, wenn der Zuwendende dies nicht ausdrücklich anders bestimmt hat. – Maßgeblicher Zeitpunkt für die Anordnung ist die Zuwendung selbst. Der Zuwendende kann sich die nachträgliche Anordnung oder Aufhebung allerdings auch vorbehalten.2 – Die Ausgleichspflicht kann durch Vereinbarung mit dem Zuwendungsempfänger auf vielfältige Weise modifiziert werden. So steht etwa die Bewertung der Zuwendung gem. § 2055 Abs. 2 BGB im Ermessen des Zuwendenden.3 Die Möglichkeit einer Anordnung, dass im Falle eines den Anteil am Auseinandersetzungsguthaben übersteigenden Anteils des Ausgleichspflichtigen dieser Zahlungen an den Nachlass zu leisten hat, wird jedoch überwiegend abgelehnt.4 – Soll eine kraft Gesetzes oder durch frühere Anordnung bestehende Ausgleichspflicht hinsichtlich einer bereits erfolgten Zuwendung aufgehoben werden, so kann der Erblasser die Ausgleichspflicht in Fällen der gewillkürten Erbfolge nach § 2052 BGB durch eine ausdrückliche letztwillige Verfügung schlicht ausschließen, da es sich bei § 2052 BGB um eine bloße Auslegungsregel handelt.5 – In Fällen der gesetzlichen Erbfolge gem. § 2050 BGB besteht die Möglichkeit der Anordnung eines kompensierenden (Voraus-)Vermächtnisses zugunsten des Ausgleichspflichtigen und zu Lasten jedes nicht ausgleichspflichtigen Abkömmlings in Höhe eines Betrages, der dem des vom Ausgleichspflichtigen aus einer oder mehrerer genau zu bezeichnender Zuwendungen geschuldeten Ausgleichsbetrags entspricht. Soll hingegen eine Ausgleichspflicht nachträglich angeordnet werden, so kann dies ebenso nur über ein Vorausvermächtnis erreicht werden: Zulasten des Zuwendungsempfängers und zugunsten der übrigen Abkömmlinge wird in diesem Fall ein Vorausvermächtnis in Höhe des Ausgleich-

1 Rißmann in BeckOGK, § 2050 BGB Rz. 85 (Stand: 1.4.2020); Ann in MüKo8, § 2050 BGB Rz. 20; Löhnig in Staudinger, § 2050 BGB Rz. 2 (Stand: 2016). 2 Bei dem Vorbehalt handelt es sich um eine zulässige, um die spätere (letztwillige) Umsetzung aufschiebend (Ausgleichsanordnung) oder auflösend (Ausgleichsaufhebung) bedingte Erklärung; Fröhler, BWNotZ 2010, 94 (99). 3 Ann in MüKo8, § 2055 BGB Rz. 16, § 2050 BGB Rz. 21; Fröhler, BWNotZ 2010, 94 (98). 4 Eberl-Borges in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2056 BGB Rz. 8; Flechtner in Burandt/Rojahn3, § 2056 BGB Rz. 6; Lohmann in BeckOK, § 2056 BGB Rz. 1 (Stand: 1.8.2019); Löhnig in Staudinger, § 2056 BGB Rz. 1 (Stand: 2016). 5 Lohmann in BeckOK, § 2052 BGB Rz. 2 (Stand: 1.8.2019); Ann in MüKo8, § 2052 BGB Rz. 3; Mayer, ZEV 1996, 441 (444).

Wenzel/Falkowski | 745

10.27

Kap. 10 Rz. 10.27 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

betrags angeordnet, der im Falle der Ausgleichspflichtigkeit bestimmter Zuwendungen anzusetzen wäre.1 – Eine Modifikation der Ausgleichspflicht durch die Abkömmlinge untereinander kann ebenfalls erfolgen. Nach Eintritt des Erbfalles erfolgt eine solche im Rahmen der Einigung über die Erbauseinandersetzung. Vor Eintritt des Erbfalles besteht die Möglichkeit, einen notariell zu beurkundenden sog. Erbschaftsvertrag nach § 311b Abs. 5 BGB zwischen den künftigen Erben über die Ausgleichspflichten bzw. deren Erlass abzuschließen.2

IV. Kontinuitätssicherung in Geschäftsführung und Gesellschafterversammlung 1. Risiko der Führungslosigkeit 10.28

Verstirbt ein Unternehmer unerwartet, kann dies erhebliche, unerwünschte Auswirkungen auf das Unternehmen haben, die je nach Rechtsform und Beteiligungsstruktur variieren. Gemein ist allen Konstellationen jedoch, die Notwendigkeit, sowohl die Handlungsfähigkeit des Unternehmens durch seine gesetzlichen Vertreter als auch die Handlungsfähigkeit der Erben als Gesellschafter sicherzustellen. Den Extremfall bildet die Konstellation, in der der Erblasser einziger Gesellschafter und alleiniger Geschäftsführer einer GmbH war. Die Erben können einen neuen Geschäftsführer in der Gesellschafterversammlung erst dann wählen, wenn sie als Gesellschafter in das Handelsregister eingetragen sind, wofür aber der (verstorbene) Geschäftsführer zuständig ist. Es droht Handlungsunfähigkeit (zur Lösung dieser Problematik s. unter Rz. 10.160). Aber auch sonst kann die reibungslose Fortführung des Unternehmens in der Übergangsphase nach dem Erbfall schon allein dadurch gefährdet sein, dass bei dem oder den mit dem täglichen Geschäftsbetrieb möglicherweise nur wenig oder gar nicht vertrauten Nachfolgern zunächst Unsicherheit darüber herrscht, welche Maßnahmen überhaupt zu treffen sind, um das Unternehmen zu erhalten.

2. Erhaltung der Handlungsfähigkeit durch vorsorgende Maßnahmen a) Erteilung post- bzw. transmortaler Vollmachten

10.29

Generell ist es jedem zu empfehlen, für den Ernstfall eine Vorsorgevollmacht zu erteilen. Diese wird in der Regel für den Fall erteilt, dass der Vollmachtgeber entweder seine Geschäftsfähigkeit verliert oder gar völlig handlungsunfähig wird. Das Lehrbeispiel in diesem Falle ist ein Unfall mit aus schweren Verletzungen resultierendem anschließendem Koma. Für den Fall, dass die betreffende Person sodann verstirbt, sind viele Vorsorgevollmachten so ausgestaltet, dass sie auch über den Tod des Vollmachtgebers hinausreichen (sog. transmortale Vollmacht).

10.30

Für den Unternehmer ist diese Vollmachterteilung besonders wesentlich, empfiehlt es sich doch, eine zuverlässige und mit den Geschäften des Unternehmens hinreichend vertraute Person bereits vorab zu bevollmächtigen, so dass diese im Ernstfall handeln kann. Auf diese Wei-

1 BGH v. 28.10.2009 – IV ZR 82/08, ZEV 2010, 33 (34) Rz. 16; RG v. 1.10.1917 – IV 182/17; Lohmann in BeckOK, § 2050 BGB Rz. 11 (Stand: 1.8.2019); Ann in MüKo8, § 2050 BGB Rz. 32. Formulierungsvorschläge bei: Fröhler, BWNotZ 2010, 94 (98, 100) und Mayer, ZEV 1996, 441 (443; nur Beseitigung bestehender Ausgleichsverpflichtung). 2 Schumacher in Staudinger, § 311b BGB Rz. 36 (Stand: 2018); Mayer, ZEV 1996, 441 (444); Kues, ZEV 2001, 13; Limmer, DNotZ 1998, 927 (929).

746 | Wenzel/Falkowski

A. Vorbereitende Maßnahmen | Rz. 10.35 Kap. 10

se können auch Zeiträume nach dem Eintritt des Erbfalls überbrückt werden, in denen anderenfalls eine Handlungsunfähigkeit bestünde. Beispiel: Hat der Erblasser Testamentsvollstreckung angeordnet, kann sich der Testamentsvollstrecker in der Regel erst dann gegenüber Dritten legitimieren, wenn er über ein Testamentsvollstreckerzeugnis verfügt. Wird er rechtzeitig bevollmächtigt, kann er bereits in dieser Übergangsphase für die Erben tätig werden und deren Gesellschafterrechte ausüben.

10.31

Beratungshinweis: Sowohl für die Vorsorgevollmacht als solche, als auch für einzelne Vollmachten im Unternehmensbereich, empfiehlt sich die notarielle Beglaubigung bzw. Beurkundung. Die Erfahrung in der Praxis hat gezeigt, dass derartige Vollmachten im Rechtsverkehr eher akzeptiert werden.

10.32

b) Zusammenstellung von Unterlagen für den Erbfall Ein wichtiger Aspekt für den Erhalt der Handlungsfähigkeit des Unternehmens ist die Sicherstellung einer reibungslosen Übergabe. Im Idealfall handelt es sich bei der von dem Unternehmer bevollmächtigten Person um jemanden, der mit den Geschicken des betreffenden Unternehmens bereits vertraut ist. Schon dann, vor allem aber, wenn dies nicht der Fall ist, weil der Unternehmer etwa keine Angestellten oder Mitarbeiter beschäftigt hat, ist es wichtig, alle wesentlichen Dokumente zusammenzustellen. Dazu gehören neben den auf das Unternehmen bezogenen Dokumenten auch solche, die für die Nachlassabwicklung von Relevanz sind. Der Unternehmer sollte diese stets geordnet an einem Ort aufbewahren bzw. seinem Berater frühzeitig Kopien zur Verfügung stellen.

10.33

Um einen reibungslosen Übergang der Unternehmensführung auf einen Dritten (Erbe, Bevollmächtigter, Testamentsvollstrecker, ggf. Erwerber) zu ermöglichen, sollten also frühzeitig die zugehörigen Geschäftsunterlagen gesammelt werden. Dies dient auch der Vorbereitung einer Erbschaftsteuererklärung bzw. der Zusammenstellung der dafür notwendigen Unterlagen, für den Steuerberater. Ist der Unternehmer Kaufmann geben die gesetzlichen Aufbewahrungspflichten des § 257 HGB schon einige dieser Unterlagen vor:

10.34

– Handelsbücher und Buchungsbelege zu den Handelsbüchern; – Eröffnungsbilanzen, Jahresabschlüsse, Einzelabschlüsse nach § 325 Abs. 2a HGB, Konzernabschlüsse; – Lageberichte und Konzernlageberichte sowie die zu ihrem Verständnis erforderlichen Arbeitsanweisungen und sonstigen Organisationsunterlagen; – Inventare und Handelsbriefe.

10.35

Darüber hinaus ist an folgende Unterlagen zu denken: – Gesellschaftsvertrag, Gesellschafterliste, Handelsregisterauszüge; – Sparbücher, Kontoverträge, Aktien, Wertpapiere, Versicherungspolicen; – Kontoauszüge; – Verträge und Änderungsverträge, z.B. auch Mietverträge, Leasingverträge, Kreditverträge etc.; – Vollmachten; Wenzel/Falkowski | 747

Kap. 10 Rz. 10.35 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

– Mitglieds- oder Beitragsbücher von Verbänden, Vereinen oder sonstigen Organisationen; – ggf. Eigentumsnachweise, wie Fahrzeugpapiere und Grundbuchauszüge; – Übersicht von erforderlichen Zugangscodes und anderen Schlüsseln; – Übersicht über vom Tod zu benachrichtigende Personen – etwa Vermögensberater, Banken, Rechtsanwälte, Steuerberater, wichtige Geschäftspartner, bei Bedarf aber auch Familiengehörige und Freunde; – Die familienbezogenen Unterlagen des Erblassers, insbesondere Geburts-, Heirats-, Scheidungs- und Sterbeurkunden, Familienbuch.

B. Der Betrieb im Nachlass des Unternehmers I. Gewerbebetrieb 1. Übergang im Rahmen der Gesamtrechtsnachfolge 10.36

Der Übergang eines (gewerblichen) Einzelunternehmens (ausführlich zum Einzelunternehmen unter Kap. 18) erfolgt gem. § 1922 BGB als wirtschaftliche Einheit: Sämtliche Vermögensbestandteile des Unternehmens sowie alle seine Verbindlichkeiten gehen im Wege der Universalsukzession auf den oder die Erben über. Dies gilt auch für sämtliche immaterielle Vermögensposten (Goodwill), wie etwa Marken- oder sonstige gewerbliche Schutzrechte, Knowhow, Kunden- und Lieferantenbeziehungen.1 Der Erbe kann gem. § 22 Abs. 1 HGB mit Zustimmung des Erblassers oder seiner Erben die Firma des Erblassers übernehmen, auch wenn sie den Namen des bisherigen Geschäftsinhabers enthält. Dessen Zustimmung wird angenommen, wenn der Erblasser nicht ausdrücklich etwas anderes angeordnet hat.2 Etwas anderes gilt, wenn die berufliche Tätigkeit ausnahmsweise mit der Person des Inhabers derart eng verknüpft ist, dass eine Fortsetzung unter Wahrung der wirtschaftlichen Identität nicht möglich erscheint (z.B. bei Künstlern; zu den freien Berufen s. B.III.2. Rz. 10.86).3 Nicht vererblich ist die Kaufmannseigenschaft des Erblassers. Freilich begründet der ein Unternehmen fortführende Erbe meist in eigener Person eine (neue) Kaufmannseigenschaft.4

2. Besonderheiten im Erbfall a) Notwendigkeit einer Erlaubnis

10.37

Ist die gewerblich ausgeübte Tätigkeit erlaubnispflichtig, ist festzustellen, inwiefern die einmal erteilte Erlaubnis für den Erben gilt bzw. ob diese neu beantragt und erteilt werden muss. Dabei ist maßgeblich, um welche Art von Betrieb es sich bei dem geerbten Gewerbe handelt.

1 Riedel in BeckOGK, § 1922 BGB Rz. 402 (Stand: 1.5.2020). 2 Bömeke in BeckOK, § 22 HGB Rz. 28 (Stand: 15.7.2019; Heidinger in MüKo4, § 22 HGB Rz. 36; zur Firma in der Erbfolge eingehend Kuchinke, ZIP 1987, 681; zu den registerrechtlichen Verpflichtungen des Erben einschl. eines Musters zur Firmenanmeldung: Stein in Groll/Steiner, Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung5, XI, Rz. 15_6 3 Dann gehen nur die vererblichen Einzelpositionen auf die Erben über, das Unternehmen als solches erlischt. Leipold in MüKo8, § 1922 BGB Rz. 101; Kunz in Staudinger, § 1922 BGB Rz. 227 (Stand: 2017); Riedel in BeckOGK, § 1922 BGB Rz. 449 (Stand: 1.5.2020). 4 Riedel in BeckOGK, § 1922 BGB Rz. 404 (Stand: 1.5.2020).

748 | Wenzel/Falkowski

B. Der Betrieb im Nachlass des Unternehmers | Rz. 10.44 Kap. 10

Die Gewerbeerlaubnis ist personengebunden und daher nicht vererblich. Ein erlaubnispflichtiges stehendes Gewerbe kann allerdings nach § 46 Abs. 1, 2 GewO für Rechnung einer der dort bezeichneten privilegierten Personen1 durch einen Stellvertreter weitergeführt werden. In den Fällen des § 46 Abs. 1, 2 GewO kann die zuständige Behörde auch gestatten, dass das Gewerbe für einen Übergangszeitraum von bis zu einem Jahr ohne Stellvertreter fortgeführt wird, § 46 Abs. 3 GewO.

10.38

Handwerksbetriebe dürfen nach § 4 Abs. 1 HwO durch die Erben des Inhabers weitergeführt werden, auch wenn diese die Voraussetzung für die Eintragung in die Handwerksrolle (§ 7 HwO) nicht erfüllen. Es ist unverzüglich ein Betriebsleiter zu bestellen.

10.39

Eine Apotheke darf ohne die zur Führung erforderliche berufliche Qualifikation nicht fortgeführt werden. Nach § 13 Abs. 1 ApoG darf der Erbe die Apotheke aber für die Dauer von maximal zwölf Monaten durch einen anderen Apotheker im Namen und für Rechnung des Erben verwalten lassen. Handelt es sich bei den Erben um Kinder oder den Ehegatten bzw. den eingetragenen Lebenspartner des Erblassers, darf die Apotheke nach § 9 Abs. 1 Nr. 2, 3 ApoG auf Dauer verpachtet werden. Die Verpachtung ist allerdings nur bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres des jüngsten Kindes2 bzw. der Wiederheirat des überlebenden Ehegatten zulässig. Bei einer Erbengemeinschaft müssen die Voraussetzungen des § 9 ApoG bei jedem Miterben vorliegen.

10.40

Eine Gaststätte kann nach § 10 GastG auf Grund der bestehenden Erlaubnis durch den oder die Erben fortgeführt werden, da die Erlaubnis nicht personengebunden ist.

10.41

Ein Betrieb zur Personenbeförderung kann nach § 19 Abs. 1 PBefG durch den Erben fortgeführt werden oder von diesem auf einen Dritten übertragen werden. Die Erlaubnis erlischt gem. § 19 Abs. 2 PBefG, wenn der Erbe bzw. Dritte nicht binnen drei Monaten nach Ablauf der Ausschlagungsfrist eine reguläre Genehmigung beantragt hat. Der Erbengemeinschaft darf die Genehmigung wegen § 13 Abs. 1 Nr. 3 PBefG nicht erteilt werden, so dass bei mehreren Erben bis zur Auseinandersetzung an ihrer Stelle ein geeigneter „Geschäftsführer“ zu bestellen ist.3 Entsprechendes gilt für den Erben eines Güterkraftverkehrsgeschäfts i.S.d. § 8 Abs. 1, 2 GüKG.

10.42

b) Haftung des Erben für betriebliche Verbindlichkeiten aa) Haftung gem. §§ 25, 27 HGB Wie jeder Erbe haftet auch der Unternehmenserbe zivilrechtlich gem. § 1967 BGB für Nachlassverbindlichkeiten und hat damit verschiedene Möglichkeiten, die Berichtigung der Nachlassverbindlichkeiten vorübergehend zu verweigern (§§ 1958, 2014, 2015 BGB) oder seine Haftung dauerhaft auf den Nachlass zu beschränken (§ 1975 BGB).

10.43

Wird ein zum Nachlass gehörendes Handelsgeschäft von dem oder den Erben weitergeführt, tritt daneben gem. § 27 Abs. 1 i.V.m. § 25 Abs. 1 HGB die Haftung für alle im Betriebe des Geschäfts begründeten Verbindlichkeiten (vgl. §§ 343, 344 HGB), unabhängig von ihrem

10.44

1 Dies sind der überlebende Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner, minderjährige Erben für die Dauer ihrer Minderjährigkeit sowie für die Dauer von 10 Jahren nach dem Erbfall Nachlassverwalter, Nachlasspfleger oder Testamentsvollstrecker. 2 Auf Antrag gilt dies auch darüber hinaus, wenn das Kind selbst den Apothekerberuf ergreift. 3 Heinze in Heinze/Fehling/Fiedler, Personenbeförderungsgesetz2, § 19 Rz. 3.

Wenzel/Falkowski | 749

Kap. 10 Rz. 10.44 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

Rechtsgrund (z.B.: Ansprüche aus Vertrag, insbesondere Gewährleistungsansprüche von Kunden, Ansprüche aus laufenden Arbeits- oder Mietverhältnissen, Verpflichtungen aus Kartellverträgen oder Vertriebsbindungen, Verbindlichkeiten aus der Errichtung oder Übernahme des Handelsgeschäfts, Ansprüche aus Delikt und Bereicherungsrecht, Wechselverbindlichkeiten, Abfindungsansprüche des ausgeschiedenen Gesellschafters und Steuerschulden, § 75 AO).1

10.45

Die Fortführung muss nach außen erkennbar sein, da nur dann eine schützenswerte Verkehrserwartung hinsichtlich der Haftung besteht. Anknüpfungspunkte sind insbesondere die Vornahme von Handlungen, die in der Regel dem Geschäftsinhaber obliegen, eine im wesentlichen gleiche Geschäftstätigkeit und die Übernahme von Personal, Räumlichkeiten, Betriebsgegenständen sowie von Telefon, E-Mail oder Internetpräsenz.2 Bei Teilfortführung kommt es auf den Schwerpunkt des Unternehmens bildenden Kern an.3 Nicht erforderlich ist, dass der Erbe das Geschäft persönlich führt. Vielmehr ist ihm das Handeln eines gesetzlichen oder rechtsgeschäftlichen Vertreters zurechenbar.4 Im Fall der Vor- und Nacherbschaft ist § 27 HGB auf jeden der beiden separaten Erbfälle isoliert anwendbar. Der Vorerbe haftet mit der Unternehmensfortführung für die bestehenden Geschäftsverbindlichkeiten unabhängig von § 2145 BGB. Genauso haftet, ab Beginn der Fortführung durch den Nacherben, auch dieser für die vorhandenen Geschäftsverbindlichkeiten, zu denen auch solche gehören, die der Vorerbe begründet hat.5 bb) Möglichkeiten der Haftungsbeschränkung (1) Haftungsausschluss durch Einstellung des Gewerbebetriebs, § 27 Abs. 2 HGB

10.46

Die handelsrechtliche Erbenhaftung besteht unabhängig von den erbrechtlichen Möglichkeiten der Haftungsbegrenzung, so dass im Unternehmenserbfall eine erhebliche Haftungsgefahr und damit verbundener Handlungsdruck für den Erben entsteht. Das HGB selbst sieht allerdings einige Möglichkeiten vor, die Haftung zu begrenzen.

10.47

Die Haftung entfällt gem. § 27 Abs. 2 HGB nur dann, wenn der Erbe die Fortführung vor Ablauf von drei Monaten, nachdem er Kenntnis vom Erbfall erlangt hat, einstellt. Was genau unter „Einstellung“ zu verstehen ist, ist im Einzelnen umstritten. Der Meinungsstand lässt sich wie folgt zusammenfassen:

1 Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 25 HGB Rz. 65 f.; Hopt in Baumbach/Hopt39, § 25 HGB Rz. 11; Vossler in Oetker6, § 25 HGB Rz. 30. 2 Bömeke in BeckOK, § 25 HGB Rz. 33 (Stand: 15.7.2019); Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn4, § 25 HGB Rz. 46; Vossler in Oetker6, § 25 HGB Rz. 24. 3 BGH v. 7.12.2009 – II ZR 229/08, NZG 2010, 112; BGH v. 16.9.2009 – VIII ZR 321/08, NJW 2010, 236; OLG Düsseldorf v. 28.10.2008 – 18 U 36/08, NZG 2009, 314; Hopt in Baumbach/Hopt39, § 25 HGB Rz. 6; Bömeke in BeckOK, § 25 HGB Rz. 33 (Stand: 15.7.2019). 4 Insolvenzverwalter, Nachlassverwalter und Nachlasspfleger handeln kraft Amtes und nicht als Vertreter des Erben. Die (echte) Testamentsvollstreckung über ein Einzelunternehmen ist unzulässig. Es bleiben die von Rechtsprechung und Literatur entwickelten Ersatzlösungen, die zu einer persönlichen Haftung des Testamentsvollstreckers nach §§ 27, 25 HGB (Treuhandlösung) oder des vertretenen Erben (Vollmachtlösung) führen können, Bömeke in BeckOK, § 27 HGB Rz. 12 f. (Stand: 15.7.2019). 5 Hopt in Baumbach/Hopt39, § 27 HGB Rz. 2; Vossler in Oetker6, § 27 HGB Rz. 29; Thiessen in MüKo4, § 27 HGB Rz. 13.

750 | Wenzel/Falkowski

B. Der Betrieb im Nachlass des Unternehmers | Rz. 10.49 Kap. 10

– Einigkeit herrscht lediglich darüber, dass die Liquidation Einstellung ist1, wobei für die Frist des § 27 Abs. 2 HGB das Einstellen der werbenden Tätigkeit maßgeblich ist. Eine Beendigung der Abwicklung vor Ablauf der 3-Monats-Frist ist dagegen nicht erforderlich.2 – Weitestgehende Einigkeit herrscht inzwischen darüber, dass die Veräußerung des Unternehmens Einstellung i.S.d. § 27 Abs. 2 HGB ist.3 – Umstritten ist nach wie vor, ob die Verpachtung des Unternehmens die Haftung gem. § 27 Abs. 2 HGB entfallen lässt.4 – Umwandlungsmaßnahmen, wie die Einbringung oder Ausgliederung des Unternehmens in eine Gesellschaft werden zum Teil ebenfalls als taugliche Einstellung angesehen.5 (Die Eingliederung in ein unselbstständiges eigenes Unternehmen des Erben soll hingegen nicht ausreichen.6) (2) Haftungsausschluss durch Änderung der Firma Für den Erwerber eines Handelsgeschäfts besteht die Möglichkeit der Haftung für die betrieblichen Verbindlichkeiten durch Firmenänderung zu entgehen. Denn wird die Firma gem. § 25 Abs. 3 HGB nicht fortgeführt, so haftet der Erwerber eines Handelsgeschäfts für die früheren Geschäftsverbindlichkeiten nur, wenn ein besonderer Verpflichtungsgrund vorliegt, insbesondere wenn die Übernahme der Verbindlichkeiten in handelsüblicher Weise von dem Erwerber bekannt gemacht worden ist.

10.48

Es ist umstritten, ob § 25 Abs. 3 HGB über die Verweisung in § 27 Abs. 1 HGB auch für den Erben eines Handelsgewerbes gilt. Dies hängt davon ab, wie man die streitige und höchstrichterlich noch nicht geklärte Frage beantwortet, ob § 27 Abs. 1 HGB als Rechtsgrund- oder Rechtsfolgenverweisung zu verstehen ist.

10.49

1 Thiessen in MüKo4, § 27 HGB Rz. 53; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 27 HGB Rz. 27; Bömeke in BeckOK, § 27 HGB Rz. 23 (Stand: 15.7.2019); Roth in Koller/Kindler/Roth/Drüen9, § 27 HGB Rz. 9; Vossler in Oetker6, § 27 HGB Rz. 20. 2 Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 27 HGB Rz. 27; Bömeke in BeckOK, § 27 HGB Rz. 27 (Stand: 15.7.2019); Roth in Koller/Kindler/Roth/Drüen9, § 27 HGB Rz. 9; Vossler in Oetker6, § 27 HGB Rz. 20; Burgard in Staub5, § 27 HGB Rz. 62; Grote, BB 2001, 2595 (2598 f.). 3 Thiessen in MüKo4, § 27 HGB Rz. 50; Hopt in Baumbach/Hopt39, § 27 HGB Rz. 5; Bömeke in BeckOK, § 27 HGB Rz. 25 (Stand: 15.7.2019); Roth in Koller/Kindler/Roth/Drüen9, § 27 HGB Rz. 9; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 27 HGB Rz. 29; Vossler in Oetker6, § 27 HGB Rz. 21; Canaris, Handelsrecht24, § 7 Rz. 108; a.A.: RG v. 2.12.1903 – I 293/03, RGZ 56, 196 (199) und mit dem RG die frühere h.M; Wamser in Henssler/Strohn4, § 27 HGB Rz. 4. 4 Die Einstellung bejahend: Thiessen in MüKo4, § 27 HGB Rz. 50; Bömeke in BeckOK, § 27 HGB Rz. 26 (Stand: 15.7.2019); Burgard in Staub5, § 27 HGB Rz. 66; gegen Einstellgrund: Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 27 HGB Rz. 31; Vossler in Oetker6, § 27 HGB Rz. 22; Hopt in Baumbach/Hopt39, § 27 HGB Rz. 5; unabhängig hiervon haftet der Pächter selbst regelmäßig nach § 25 Abs. 1 HGB: BGH v. 29.3.1982 – II ZR 166/81, NJW 1982, 1647; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 27 HGB Rz. 26 f. 5 Thiessen in MüKo4, § 27 HGB Rz. 52; Bömeke in BeckOK, § 27 HGB Rz. 27 (Stand: 15.7.2019); Roth in Koller/Kindler/Roth/Drüen9, § 27 HGB Rz. 9; Burgard in Staub5, § 27 HGB Rz. 67 f.; a.A. Vossler in Oetker6, § 27 HGB Rz. 22; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 27 HGB Rz. 28; RG v. 2.12.1903 – I 293/03, RGZ 56, 196 (199); Hopt in Baumbach/Hopt39, § 27 HGB Rz. 5. 6 Thiessen in MüKo4, § 27 HGB Rz. 50; Roth in Koller/Kindler/Roth/Drüen9, § 27 HGB Rz. 9.

Wenzel/Falkowski | 751

Kap. 10 Rz. 10.50 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

10.50

Die h.M. geht von ersterem und damit davon aus, dass auch der Erbe die Möglichkeit hat, sich durch eine Firmenänderung seiner handelsrechtlichen Haftung zu entziehen.1 Die über die Verweisung auf § 25 Abs. 1 HGB auch für § 27 HGB zu fordernde Tatbestandsvoraussetzung der Firmenfortführung entfällt nämlich, wenn der Erbe die Firma so ändert, dass sie sich von der bisherigen deutlich erkennbar unterscheidet.2 Mit der h.M. ist ausreichend, dass die Änderung der Firma innerhalb der 3-Monats-Frist des § 27 Abs. 2 HGB erfolgt.3 Es bleibt dann die (selten einschlägige) Haftung aus besonderen Verpflichtungsgründen i.S.d. §§ 27 Abs. 1, 25 Abs. 3 HGB.4 (3) Haftungsausschluss durch einseitige Erklärung

10.51

Richtigerweise folgt aus der Rechtsgrundverweisung auf § 25 Abs. 2 HGB auch die Möglichkeit des Erben, innerhalb der 3-Monats-Frist des § 27 Abs. 2 HGB seine Haftung durch Eintragung eines Haftungsausschlusses in das Handelsregister zu beseitigen.5 Diese einseitige Erklärung ersetzt bei entsprechender Anwendung des § 25 Abs. 2 HGB die Vereinbarung zwischen Veräußerer und Erwerber. Die Kundgabe der Erklärung erfolgt durch Eintragung in das Handelsregister und Bekanntmachung oder durch Mitteilung direkt an die Altgläubiger.6 Streitig ist die Frist, innerhalb derer die Erklärung vollzogen werden muss.7

1 So Bömeke in BeckOK, § 27 HGB Rz. 15 (Stand: 15.7.2019); Vossler in Oetker6, § 27 HGB Rz. 14; Burgard in Staub5, § 27 HGB Rz. 37; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 27 HGB Rz. 13; Thiessen in MüKo4, § 27 HGB Rz. 25; Canaris, HandelsR24, § 7 Rz. 109 f.; Hopt in Baumbach/Hopt39, § 27 HGB Rz. 3; tendenziell wohl auch BGH v. 10.12.1990 – II ZR 256/89, BGHZ 113, 132 (135 f.) = NJW 1991, 844; a.A.: Karsten Schmidt, ZHR 157 (1993), 600 (611 f.); Karsten Schmidt, Handelsrecht6, § 8 Rz. 135 ff.; a.A. Schall/Ammon in Heidel/Schall2, § 27 HGB Rz. 12. 2 Vossler in Oetker6, § 27 HGB Rz. 15; Bömeke in BeckOK, § 27 HGB Rz. 14 (Stand: 15.72019). 3 Bömeke in BeckOK, § 27 HGB Rz. 16 (Stand: 15.7.2019); Vossler in Oetker6, § 27 HGB Rz. 16; Burgard in Staub5, § 27 HGB Rz. 38; Thiessen in MüKo4, § 27 HGB Rz. 28; Reuschle in Ebenroth/ Boujong/Joost/Strohn4, § 27 HGB Rz. 15; Canaris, Handelsrecht24, § 7 Rz. 110; für die unverzügliche Firmenänderung: Emmerich in Heymann3, § 27 HGB Rz. 17; Hopt in Baumbach/Hopt39, § 27 HGB Rz. 5; Burgard in Staub5, § 27 HGB Rz. 69. 4 Vossler in Oetker6, § 27 HGB Rz. 17; Bömeke in BeckOK, § 27 HGB Rz. 17 (Stand: 15.7.2019). 5 H.M.: Hopt in Baumbach/Hopt39, § 27 HGB Rz. 8; Bömeke in BeckOK, § 27 HGB Rz. 30 (Stand: 15.7.2019); Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 27 HGB Rz. 35; Vossler in Oetker6, § 27 HGB Rz. 25 f.; Frhr. v. Hoyenberg, RNotZ 2007, 377 (380); Emmerich in Heymann3, § 27 HGB Rz. 17 f.; Burgard in Staub5, § 27 HGB Rz. 53; Thiessen in MüKo4, § 27 HGB Rz. 47; Canaris, Handelsrecht24, § 7 Rz. 111; Krafka/Kühn, Registerrecht10, Rz. 561; a.A. Ries in Röhricht/Graf v. Westphalen/Haas4, § 27 HGB Rz. 41 f.; Karsten Schmidt, Handelsrecht6, § 8 Rz. 146; Karsten Schmidt, ZHR 157 (1993), 600 (615). 6 Antragsmuster für die Handelsregistereintragung bei Stein in Groll/Steiner, Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung5, Rz. 25–35. 7 Nach einer Ansicht soll die 3-Monats-Frist des § 27 Abs. 2 Satz 1 HGB für Anmeldung und Mitteilung gelten. Ist die Anmeldung zum Handelsregister fristgerecht i.d.S., schadet es dem Erben nicht, wenn Eintragung und Bekanntmachung in angemessener Zeit außerhalb der 3-MonatsFrist nachfolgen: Bömeke in BeckOK, § 27 HGB Rz. 30 (Stand: 15.7.2019); Roth in Koller/Kindler/ Roth/Drüen9, § 27 HGB Rz. 8; Burgard in Staub5, § 27 HGB Rz. 58; Thiessen in MüKo4, § 27 HGB Rz. 46 – 48. Da bei isolierter Anwendung des § 25 Abs. 2 HGB anerkannt ist, dass der Erwerber unverzüglich handeln muss, soll nach anderer Ansicht auch der Erbe die Anmeldung bzw. Mitteilung unverzüglich veranlassen müssen: Vossler in Oetker6, § 27 HGB Rz. 26; Hoyenberg, RNotZ 2007, 377 (380); Canaris, HandelsR24, § 7 Rz. 112.

752 | Wenzel/Falkowski

B. Der Betrieb im Nachlass des Unternehmers | Rz. 10.54 Kap. 10 Beratungshinweis: Ein sicherer Ausschluss der Haftungsrisiken lässt sich letztlich nur durch die schnelle Einstellung des werbenden Geschäfts nach § 27 Abs. 2 HGB erreichen oder, gerade da die Einstellung innerhalb der geforderten 3-Monats-Frist oftmals faktisch nicht möglich sein wird, durch Ausschlagung der Erbschaft, worauf bei der Beratung jedenfalls hinzuweisen ist (zu den weiteren Problemen bei Vorhandensein minderjähriger Erben, s. unter E. Rz. 10.197).

10.52

Auf den Lauf der 3-Monats-Frist finden die für die Verjährung geltenden Vorschriften des § 210 BGB entsprechende Anwendung. Hat der Erbe zum Zeitpunkt des Ablaufs der drei Monate noch die Möglichkeit die Erbschaft auszuschlagen, endet die Frist nicht vor dem Ablauf der Ausschlagungsfrist. Der Erbe eines verschuldeten Unternehmens ist gut beraten, wenn er nach Eintritt des Erbfalles rasch eine Entscheidung hinsichtlich der Frage trifft, ob er das Unternehmen fortführen möchte oder nicht. Der Erblasser kann ihm diese Entscheidung erleichtern, indem er alle Unterlagen, die dafür notwendig sind, sich schnell und umfassend ein Bild von der wirtschaftlichen Situation zu machen, bereitlegt oder den Erben idealerweise bereits zu seinen Lebzeiten in die Unternehmensführung einbezieht. Der gewerblich tätige Einzelunternehmer, der seine Nachfolgeplanung in den Blick nimmt, sollte zudem rechtzeitig prüfen, ob im Hinblick auf den Erbfall der Wechsel in eine haftungsbeschränkte Gesellschaftsform tunlich und durchführbar wäre. Aufgrund der problematischen Haftungsfragen im Zusammenhang mit dem Übergang eines Einzelunternehmens, sollte eine solche Umwandlung unbedingt bereits zu Lebzeiten des Unternehmers erwogen werden.

c) Übergang im Betrieb erworbener Verbindlichkeiten Gemäß § 27 Abs. 1 i.V.m. § 25 Abs. 1 HGB gelten die in dem Betrieb begründeten Forderungen den Schuldnern gegenüber als auf den Erben übergegangen, wenn der Erblasser in die Fortführung der Firma eingewilligt hat. Eine solche Einwilligung wird in der Regel angenommen, wenn der Erblasser sich nicht ausdrücklich gegenteilig geäußert hat.

10.53

d) Unternehmensfortführung durch eine Erbengemeinschaft Sind mehrere Erben vorhanden, können diese das Unternehmen ohne zeitliche Begrenzung in ungeteilter Erbengemeinschaft fortführen.1 Eine Geschäftsfortführung durch die Miterben liegt jedenfalls dann vor, wenn das Handelsgeschäft gemeinschaftlich fortgeführt wird. Werden nicht alle Miterben bei der Fortführung involviert, soll es zur Haftung ausreichen, wenn die passiven Miterben der Fortführung zumindest stillschweigend zugestimmt haben (insbesondere durch Duldung der Geschäftsführung).2 Alternativ steht es den Erben frei, das Unternehmen im Wege der (Teil-)Auseinandersetzung in eine gemeinsame Handelsgesellschaft zu überführen.3

1 BGH v. 21.5.1955 – IV ZR 7/55, NJW 1955, 1227; BGH v. 8.10.1984 – II ZR 223/83, NJW 1985, 136; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 27 HGB Rz. 39; Bömeke in BeckOK, § 27 HGB Rz. 32 (Stand: 15.7.2019); Burgard in Staub5, § 27 HGB Rz. 91. 2 BGH v. 21.5.1955 – IV ZR 7/55, NJW 1955, 1227; BGH v. 10.2.1960 – V ZR 39/58, NJW 1960, 959; Wamser in Henssler/Strohn4, § 27 HGB Rz. 6; Hopt in Baumbach/Hopt39, § 27 HGB Rz. 3; nach a.A. soll die Fortsetzung willensunabhängig automatisch eintreten, vgl. etwa Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 27 HGB Rz. 40; Thiessen in MüKo4, § 27 HGB Rz. 61 ff. In Hinblick auf die geringen Anforderungen an die (konkludente) Zustimmung der h.M. wird eine Streitentscheidung in der Praxis meist überflüssig sein. 3 BGH v. 8.10.1984 – II ZR 223/83, NJW 1985, 136 (137); Bömeke in BeckOK, § 27 HGB Rz. 33 (Stand: 15.7.2019).

Wenzel/Falkowski | 753

10.54

Kap. 10 Rz. 10.55 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

II. Land- und forstwirtschaftlicher Betrieb 1. Landguterbrecht des BGB 10.55

Das BGB enthält mit dem sog. BGB-Landguterbrecht selbst einige Regeln zur Vererbung und Übertragung landwirtschaftlicher Betriebe, die immer dann Anwendung finden, wenn keine speziellen Erbordnungen (HöfeO oder Anerbengesetze) vorrangig sind. Die Regeln des BGBLandguterbrechts sind im Gesetz verstreut und umfassen § 2049 BGB (Bewertung des Landguts bei der Erbauseinandersetzung), § 2312 BGB (Bewertung des Landguts im Rahmen der Pflichtteilsberechnung) sowie die §§ 97 und 98 BGB (gewerbliches und landwirtschaftliches Zubehör). Nur geringe praktische Relevanz kommt § 1515 BGB (Übernahmerecht eines Abkömmlings oder des überlebenden Ehegatten aus der fortgesetzten Gütergemeinschaft) zu.

10.56

Landgut i.S.d. BGB ist „eine Besitzung, die eine zum selbstständigen und dauernden Betrieb der Landwirtschaft, einschließlich der Viehzucht oder der Forstwirtschaft geeignete und bestimmte Wirtschaftseinheit und mit den nötigen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden versehen ist“.1

2. Modifikation der Erbfolge durch Spezialgesetze 10.57

Ist ein Land- oder forstwirtschaftlicher Betrieb Teil des Nachlasses, ist zu prüfen, ob landesoder bundesrechtliche Spezialgesetze einschlägig sind, die die Erbfolge hinsichtlich dieser Höfe modifizieren.

10.58

Besondere Relevanz kommt dabei der Höfeordnung (HöfeO) zu. Bei dieser handelt es sich um ein Bundesgesetz, welches als partielles Bundesrecht gem. Art. 125 GG nicht in allen Bundesländern, sondern lediglich in Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein gilt. Ziel der HöfeO ist es, die Aufspaltung von Höfen zu verhindern und dauerhaft ihre wirtschaftliche Überlebensfähigkeit zu fördern. Hierzu vollzieht die HöfeO in ihrem Anwendungsbereich eine Abweichung vom erbrechtlichen Grundsatz der Universalsukzession. Im Wege der Sondererbfolge geht der Hof im Sinne der HöfeO nur auf einen Hoferben über – verdrängten Erben verbleibt nur eine Minimalabfindung. Es bilden sich zwei getrennte Erbmassen: Für das Hofvermögen gilt das Erbrecht der HöfeO sowie die Zuständigkeit der Landwirtschaftsgerichte, § 18 Abs. 2 HöfeO, für das hoffreie Vermögen das allgemeine Erbrecht und die Zuständigkeit der Nachlassgerichte.2

10.59

In Rheinland-Pfalz, Bremen, Baden-Württemberg und Hessen gelten landesrechtlich sog. Anerbengesetze, denen allerdings in der Praxis heute kaum noch Bedeutung zukommt. Diese gehen den erbrechtlichen Regelungen des BGB gem. Art. 52 EGBGB in bestimmtem Umfang vor.

10.60

In den übrigen Bundesländern gelten weder die HöfeO noch landesrechtliche Anerbengesetze.3

1 St. Rspr.: BGH v. 22.10.1986 – IVa ZR 76/85, NJW 1987, 951 (951); BGH v. 11.3.1992 – IV ZR 62/91, NJW-RR 1992, 770. 2 Von Garmissen in Dombert/Witt, Münch. Anwhdb. Agrarrecht2, § 11 Rz. 6; Meyer-Pritzl in Staudinger, Eckpfeiler des Zivilrechts, Kap. Y Rz. 109 (Stand: 2014). 3 Leipold in MüKo8, BGB, Einleitung zum Erbrecht, Rz. 134.

754 | Wenzel/Falkowski

B. Der Betrieb im Nachlass des Unternehmers | Rz. 10.65 Kap. 10

3. Modifikation durch die HöfeO a) Die Hofeigenschaft Gemäß § 1 Abs. 1 HöfeO ist Hof jede in einem Hofordnungsland belegene land- oder forstwirtschaftliche Besitzung, mit einer zu ihrer Bewirtschaftung geeigneten Hofstelle. Der Begriff der „landwirtschaftlichen Nutzung“ wird nach h.A. in § 1 Abs. 2 Grundstücksverkehrsgesetz (GrdstVG) legaldefiniert.1 Der Hof muss im Alleineigentum einer natürlichen Person oder im gemeinschaftlichen Eigentum von Ehegatten (Ehegattenhof) stehen und einen Wirtschaftswert von mindestens 10.000 € ausweisen. Liegen diese Voraussetzungen vor, so gilt die HöfeO unmittelbar und unabhängig von der Eintragung des (fakultativen) Hofvermerks im Grundbuch, § 1 Abs. 1 Satz 1 HöfeO. Bei einem Hofwirtschaftswert von mindestens 5.000 € ist ein Hof dagegen erst mit der Eintragung anzunehmen, § 1 Abs. 1 Satz 3 HöfeO.

10.61

Die Hofeigenschaft entfällt bei Wegfall der landwirtschaftlichen Nutzung, § 1 Abs. 3 Satz 1 HöfeO. Das Absinken des Wirtschaftswerts lässt die Hofeigenschaft solange unberührt, wie ein Hofvermerk eingetragen ist, § 1 Abs. 3 Satz 2 HöfeO (Zur Beendigung der Hofeigenschaft durch Löschung s. unter B.II.3.d Rz. 10.82).

10.62

b) Die gesetzliche Erbfolge nach der HöfeO aa) Erbfolge nach Erbordnungen Der gesetzliche Hoferbe folgt aus §§ 5, 6 HöfeO. Gemäß § 5 HöfeO bestehen vier Hoferbenordnungen, die jeweils niedere Ordnungen von der (Hof-)Nachfolge ausschließen:

10.63

1. die Kinder des Erblassers und deren Abkömmlinge, 2. der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner des Erblassers, 3. die Eltern des Erblassers, wenn der Hof von ihnen oder aus ihren Familien stammt oder mit ihren Mitteln erworben worden ist, 4. die Geschwister des Erblassers und deren Abkömmlinge. Gemäß § 6 Abs. 1 und 5 HöfeO wird in der ersten und vierten Hoferbenordnung ergänzend eine Reduzierung auf nur einen Hoferben durch eine Rangfolge der Erbberechtigen vorgenommen. Erbberechtigt ist:

10.64

1. der Miterbe, dem vom Erblasser die Bewirtschaftung des Hofes im Zeitpunkt auf Dauer übertragen ist (Ausnahme: Vorbehalt der anderweitigen Hoferbenbestimmung); 2. der Miterbe, durch dessen Ausbildung oder Beschäftigung auf dem Hof der Erblasser hat erkennen lassen, dass dieser den Hof übernehmen soll. Liegen die Voraussetzungen von Nr. 1 und 2 nicht vor oder finden sich mehrere taugliche Nachfolger im Fall von Nr. 2, so erbt 3. der Älteste (sofern nicht Jüngstenrecht Brauch ist). 1 „Landwirtschaft [...] ist die Bodenbewirtschaftung und die mit der Bodennutzung verbundene Tierhaltung, um pflanzliche oder tierische Erzeugnisse zu gewinnen, besonders der Ackerbau, die Wiesen- und Weidewirtschaft, der Erwerbsgartenbau, der Erwerbsobstbau und der Weinbau sowie die Fischerei in Binnengewässern.“; von Garmissen in Dombert/Witt, Münch. Anwhdb. Agrarrecht2, § 11 Rz. 12.

Wenzel/Falkowski | 755

10.65

Kap. 10 Rz. 10.66 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

10.66

In der zweiten Hoferbenordnung scheidet der Ehegatte aus, wenn sein Vorrang vor den Erben der 3. und 4. Ordnung grob unbillig wäre, § 6 Abs. 2 Nr. 1 HöfeO, oder sein Erbrecht aufgrund des Vorliegens der Voraussetzungen des § 1933 BGB ausgeschlossen ist, § 6 Abs. 2 Nr. 2 HöfeO. In der 3. Hoferbenordnung fällt der Hof zurück an den Elternteil oder die lebenden Elternteile (dann als Ehegattenhof), aus dem er ursprünglich stammte oder aus dessen Mitteln er erworben wurde, § 6 Abs. 3, 4 HöfeO. In der vierten Hoferbenordnung gilt § 6 Abs. 1 HöfeO entsprechend. Im Falle des Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 gehen die Geschwister vor, die mit dem Erblasser den Elternteil gemeinsam haben, von dem oder aus dessen Familie der Hof stammt. bb) „Wirtschaftsfähigkeit“ als Voraussetzung

10.67

Wer nicht wirtschaftsfähig ist, scheidet als Hoferbe grundsätzlich aus, § 6 Abs. 6 HöfeO. Hoferbe wird dann derjenige, der bei Vorversterben des nicht wirtschaftsfähigen Erben berufen wäre. Wirtschaftsfähig ist, „wer nach seinen körperlichen und geistigen Fähigkeiten, nach seinen Kenntnissen und seiner Persönlichkeit in der Lage ist, den von ihm zu übernehmenden Hof selbständig ordnungsmäßig zu bewirtschaften“, § 6 Abs. 7 HöfeO.

10.68

Die Wirtschaftsfähigkeit muss im Zeitpunkt des Erbfalles vorliegen und kann nicht später erworben werden – etwa durch Beginn einer landwirtschaftlichen Ausbildung. Ausnahmen gelten für die Vererbung an den Ehegatten, der nicht wirtschaftsfähig zu sein braucht, sowie bei Minderjährigen, bei denen die mangelnde Altersreife der Wirtschaftsfähigkeit nicht entgegensteht.1 Ob der Erbe wirtschaftsfähig ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach Art und Umfang des vererbten Hofes. Der Hoferbe muss den Betrieb in eigener Person bewirtschaften können, wobei dies je nach Umfang des Betriebs auch die Zuhilfenahme von Hofhelfern umfassen kann. Je größer der Betrieb, desto mehr gewinnen betriebswirtschaftliche Kenntnisse gegenüber den rein landwirtschaftstechnischen Fähigkeiten an Bedeutung. Strengere Anforderungen an die Feststellung der Wirtschaftsfähigkeit sind dann zu stellen, wenn mehrere potentielle Erben um den Hof konkurrieren.2 cc) Versorgung des überlebenden Ehegatten

10.69

Eine besondere Stellung in der HöfeO nimmt der Ehegatte bzw. Lebenspartner3 des Hofeigentümers ein. Soweit der Hoferbe Abkömmling des Erblassers ist und noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat, steht dem Ehegatten gem. § 14 Abs. 1 HöfeO grundsätzlich das Verwaltungsund Nutznießrecht an dem Hof zu. Es handelt sich hierbei um ein nicht eintragungsfähiges absolutes Recht sui generis (und nicht etwa um eine Form des BGB-Nießbrauchs).4 Der Ehegatte darf kraft eigenen Rechts und für eigene Rechnung den Hof in Besitz halten, bewirtschaften und dessen Früchte ziehen. Er darf (ohne Zustimmung des insoweit berechtigten Hoferben) allerdings nicht über den Hof oder sein Zubehör verfügen.5 Der Ehegatte ist zu einer ordnungsgemäßen Wirtschaftsführung verpflichtet, muss aber selbst nicht wirtschaftsfähig sein.6 1 Dies jedenfalls, solange in Aussicht steht, dass der Minderjährige die reguläre Wirtschaftsfähigkeit später erlangt, von Garmissen in Dombert/Witt, Münch. Anwhdb. Agrarrecht2, § 11 Rz. 32. 2 Graß in Kroiß/Horn/Solomon2, § 6 HöfeO Rz. 33 ff. 3 Alle Normen der HöfeO betreffend den Ehegatten gelten nach 19 Abs. 1 Satz 1 HöfeO entsprechend auch für Lebenspartner. 4 Graß in Kroiß/Horn/Solomon2, § 14 HöfeO Rz. 1, 4. 5 Graß in Kroiß/Horn/Solomon2, § 14 HöfeO Rz. 3, 5. 6 Zum Nutznießrecht insgesamt: von Garmissen in Dombert/Witt, Münch. Anwhdb. Agrarrecht2, § 11 Rz. 72–74.

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B. Der Betrieb im Nachlass des Unternehmers | Rz. 10.73 Kap. 10 Beratungshinweis: Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a HöfeO kann das Recht des überlebenden Ehegatten durch Ehevertrag oder durch Verfügung von Todes wegen verlängert, beschränkt oder aufgehoben werden. Der Erblasser hat also die Möglichkeit, gestaltend Einfluss zu nehmen. Hat er dies nicht getan, kann das Gericht eine solche Verlängerung, Beschränkung oder Aufhebung auf Antrag eines Beteiligten aus wichtigem Grunde vornehmen.

10.70

Scheidet das Verwaltungs- und Nutznießrecht aus (egal, ob von Anfang an oder nachträglich), so kann der überlebende Ehegatte gegen Verzicht auf eine ihm gem. § 12 Abs. 1, Abs. 10 HöfeO tatsächlich zustehende Abfindung sowie alle Ansprüche aus der Verwendung eigenen Vermögens für den Hof den „üblichen“ Altenteil gem. § 14 Abs. 2 HöfeO fordern, wenn er Miterbe oder pflichtteilsberechtigt ist. In der Regel umfasst der Altenteil Kosten für die Wohnung, den sog. Baraltenteil (früher: Taschengeld), Naturalleistungen (Verpflegung, Wäsche etc.), zumutbare Pflegeleistungen, Beerdigungskosten und Abzugsrechte. Welcher Altenteil der Höhe nach „üblich“ ist, muss an den Umständen des Einzelfalles, im Zweifel an der üblichen Höhe vergleichbarer vertraglicher Altenteilregelungen gemessen werden. Hierbei sind auch die individuelle Leistungsfähigkeit und Bedürftigkeit der Beteiligten zu berücksichtigen .1 Der Altenteil erlischt bei Tod und Wiederheirat des überlebenden Ehegatten, bei Wiederheirat allerdings zugunsten einer einmaligen Ausgleichszahlung, § 14 Abs. 2 Satz 3 HöfeO. Ergänzungen zum Altenteil liefern die Ausführungsgesetze der einzelnen Hofordnungsländer.2

10.71

Beratungshinweis: Von der Möglichkeit des § 14 Abs. 3 HöfeO, dem überlebenden Ehegatten die Befugnis zu geben, den sich nach der HöfeO ergebenden Hoferben, der noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat, durch Erklärung durch einen anderen Abkömmling zu ersetzen, sollte nur zurückhaltend Gebrauch gemacht werden, da die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 GG zweifelhaft ist. Eher sollte auf die aus der BGB-Erbfolge bekannten Instrumente der Voll- oder Vorerbschaft des überlebenden Ehegatten, verbunden mit einem mehr oder weniger freien Auswahlrecht hinsichtlich des Schluss- bzw. Nacherben zurückgegriffen werden.3

10.72

c) Die Abfindung verdrängter Erben nach der HöfeO Die Miterben, die nicht Hoferben werden, sind gem. § 12 Abs. 1 HöfeO in Geld abzufinden. Die Höhe des Abfindungsanspruchs richtet sich gem. § 12 Abs. 2 Satz 2 HöfeO grundsätzlich nach dem eineinhalbfachen steuerlichen Einheitswert des Hofes i.S.d. § 48 BewG in der Fassung der Bekanntmachung vom 26.9.1974. Liegen im Einzelfall besondere Umstände (z.B. Bauland) vor, so können Zu- oder Abschläge nach billigem Ermessen festgesetzt werden, § 12 Abs. 2 Satz 3 HöfeO. Zusätzlich hat der BGH im Hinblick auf die überholten Einheitswerte eine Wertanpassung analog § 12 Abs. 2 Satz 3 HöfeO entwickelt, die Anwendung findet, soweit sich das Wertverhältnis zwischen Einheitswert und Ertragswert erheblich verschoben hat (ab 20-25 % höherem tatsächlichem Ertragswert gegenüber dem Einheitswert gem. § 12 Abs. 2 HöfeO).4 1 Von Garmissen in Dombert/Witt, Münch. Anwhdb. Agrarrecht2 § 11 Rz. 75–78. 2 §§ 5–17 des Niedersächsischen Ausführungsgesetzes zum BGB; Art. 15 des Ausführungsgesetzes zum BGB für das Land NRW; §§ 1-12 des Ausführungsgesetzes zum BGB für das Land Schleswig-Holstein. Keine den Altenteil betreffende Regelung beinhaltet das hamburgische Ausführungsgesetz zum BGB. 3 Von Garmissen in Dombert/Witt, Münch. Anwhdb. Agrarrecht2, § 11 Rz. 79. 4 BGH v. 17.11.2000 – V ZR 334/99, NJW 2001, 1726; von Garmissen in Dombert/Witt, Münch. Anwhdb. Agrarrecht2, § 11 Rz. 45 f.

Wenzel/Falkowski | 757

10.73

Kap. 10 Rz. 10.74 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

10.74

Gemäß § 12 Abs. 3 Satz 1 HöfeO werden von dem so ermittelten Hofeswert diejenigen Nachlassverbindlichkeiten abgezogen, die auf den Hof entfallen und die der Hoferbe daher im Verhältnis der Erben alleine zu tragen hat. Der danach verbleibende Teil, mindestens aber ein Drittel des Hofeswertes wird entsprechend den Regeln des BGB-Erbrechts auf die Erben (einschließlich des Hoferben selbst, falls er zu diesen gehört) verteilt, § 12 Abs. 3 Satz 2 HöfeO. Vorerwerbe sind gem. § 12 Abs. 4 HöfeO anzurechnen. Beispiel:

10.75

Der Erblasser ist im gesetzlichen Güterstand verheiratet und hinterlässt neben seiner Ehefrau zwei Kinder, von denen eines Hoferbe wird. Der Hof hat im Zeitpunkt des Erbfalles einen Verkehrswert von 1 Mio. € und einen Einheitswert von 80.000 €. Die Nachlassverbindlichkeiten belaufen sich auf 100.000 €. Der Hofeswert beträgt das eineinhalbfache des Einheitswertes, hier also 120.000 € (unbeschadet der Möglichkeit einer Anpassung gem. § 12 Abs. 2 Satz 3 HöfeO). Nach Abzug der Nachlassverbindlichkeiten verbleiben nur 20.000 €, so dass der höhere Mindesthofeswert von einem Drittel des Hofeswertes, hier 40.000 €, anzusetzen ist. Dieser Hofeswert wird nun nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge verteilt. Gemäß § 1931 Abs. 1 i.V.m. § 1371 Abs. 1 BGB steht der überlebenden Ehefrau ein Anteil von 50 %, also € 20.000, zu. Alternativ kann sie nach § 14 Abs. 2 HöfeO auf ihre Abfindung verzichten und den angemessenen Altenteil verlangen (Achtung: der Verzicht erhöht nicht die Abfindung der übrigen Erben!). Den Kindern verbleibt ein Anteil von je 25 %, also 10.000 €, an dem Hofeswert. Diesen Betrag kann das Kind, das nicht Hoferbe wird, gegen sein Geschwister geltend machen.

10.76

Bis zu 20 Jahre nach dem Erbfall können den Hoferben zudem Nachabfindungsansprüche nach Maßgabe des § 13 HöfeO treffen. Wird der übergegangene Hof innerhalb dieses Zeitraums ganz oder in wesentlichen Teilen veräußert oder einer anderweitigen Nutzung zugeführt, so können die nach § 12 HöfeO Berechtigten, unter Anrechnung ihrer bisherigen Abfindung, die Herausgabe des Teils des Erlöses verlangen, der ihrem Anteil am Nachlass oder dessen Wert entspricht.1 d) Einschränkung der Testierfreiheit des Erblassers durch die HöfeO

10.77

Gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 HöfeO kann der Erblasser die Erbfolge kraft Höferecht (§ 4 HöfeO) durch Verfügung von Todes wegen nicht ausschließen. Dies bedeutet, dass zwingend nur eine einzige natürliche Person zum Hoferben bestimmt werden kann, in deren Wahl der Erblasser im Übrigen aber frei ist, § 7 Abs. 1 Satz 1 HöfeO. Fehlt es der Familie an einem geeigneten Nachfolger, kann also ohne weiteres auch eine außerfamiliäre Lösung angestrebt werden.2

10.78

Zum Hoferben darf niemand bestimmt werden, der gem. § 6 Abs. 6 HöfeO als Hoferbe wegen Wirtschaftsunfähigkeit ausscheidet (Ausnahmen daher bei Ehegatten und Minderjährigen, s. Rz. 10.68). Ein wirtschaftsunfähiger Abkömmling darf aber ausnahmsweise zum Hoferben bestimmt werden, wenn auch alle übrigen Abkömmlinge des Erblassers wegen Wirtschaftsunfähigkeit ausscheiden, § 7 Abs. 1 Satz 2 HöfeO.

1 Zum Nachabfindungsanspruch im Einzelnen: von Garmissen in Dombert/Witt, Münch. Anwhdb. Agrarrecht2, § 11 Rz. 57–64. 2 Nieder/W. Kössinger in Nieder/Kössinger, Handbuch der Testamentsgestaltung6, § 3 Rz. 102 ff.; Graß in Kroiß/Horn/Solomon2, § 7 HöfeO Rz. 5.

758 | Wenzel/Falkowski

B. Der Betrieb im Nachlass des Unternehmers | Rz. 10.83 Kap. 10 Beratungshinweis: Vorsicht ist bei Vorhandensein von Hoferben i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 HöfeO geboten. Hat nämlich der Erblasser durch Überlassung der Bewirtschaftung des Hofes an einen hoferbenberechtigten Abkömmling (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HöfeO) oder durch dessen Ausbildung und Beschäftigung auf dem Hof (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HöfeO) (schlüssig) zu erkennen gegeben, dass dieser nachfolgen soll, so sind letztwillige Verfügungen unwirksam, die diesen Abkömmling von der Hoferbfolge ausschließen, § 7 Abs. 2 Satz 1 HöfeO.

10.79

Auch weitere wesentliche Grundsätze der HöfeO dürfen nicht abbedungen werden. So darf die Abfindungsregelung des § 12 HöfeO nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Der Hofeigentümer ist berechtigt, andere oder höhere als die gesetzlich vorgesehenen Abfindungen anzuordnen, solange durch diese nicht die Hoffortführung wirtschaftlich untragbar wird und somit Sinn und Zweck der HöfeO konterkariert werden.1 Nach unten hin verbleibt den ausgeschlossenen Miterben stets die Hälfte des gesetzlichen Abfindungsanspruchs als Pflichtteil.2 Auch Nachabfindungsansprüche gem. § 13 HöfeO und das Altenteilrecht des überlebenden Ehegatten gem. § 14 Abs. 2 HöfeO lassen sich nicht ausschließen.3

10.80

In der Form seiner Verfügung unterliegt der Erblasser keinen Einschränkungen, er kann also zwischen Einzeltestament, gemeinschaftlichem Testament oder Erbvertrag wählen.

10.81

Beratungshinweis: Da mit der Anwendbarkeit der Höfeordnung für den Erblasser eine erhebliche Einschränkung seiner Gestaltungsfreiheit einhergeht, wird es in den meisten Fällen gewünscht sein, sie auszuschließen. Ein solcher Ausschluss der Anwendung der HöfeO kann durch entsprechende Eintragungen im Grundbuch bewirkt werden. – Handelt es sich um einen Hof, der einen Wirtschaftswert von weniger als 10.000 € hat und der seine Hofeigenschaft daher nur kraft des in das Grundbuch eingetragenen Hofvermerks besitzt, so kann der Erblasser durch öffentlich beglaubigte Erklärung gegenüber dem Landwirtschaftsgericht dessen Löschung erreichen, § 4 Abs. 1, Abs. 2 HöfeVfO. – Gleichzeitig oder bei einem Hof mit einem Wirtschaftswert von mehr als 10.000 € kann eine sog. negative Hoferklärung eingetragen werden, die die sonst kraft Gesetzes eintretende Hofeigenschaft verhindert.4

10.82

Die Eintragung bezieht sich ausschließlich auf die HöfeO, nicht etwa jedoch auf das Hofrecht im weiteren Sinne einschließlich des BGB Landguterbenrechts.

4. Modifikation durch landesrechtliche Anerbengesetze Außerhalb der bundesrechtlichen HöfeO existieren eine Reihe von Landes-Anerbenordnungen5, die – in der Nachkriegszeit entstanden – entweder dem Vorbild der HöfeO folgten oder ältere Erbenordnungen aus der Zeit vor 1933 wiederzubeleben versuchten. Die praktische Bedeutung der Anerbengesetze ist äußerst gering. Gemäß Art. 64 Abs. 1 EGBGB gehen sie zwar grundsätzlich dem BGB-Erbrecht vor. Gemäß Art. 64 Abs. 2 EGBGB können diese Gesetze das Recht, von Todes wegen über das Grundstück zu verfügen, jedoch nicht beschränken, was dem Hofeigentümer neben der grundbuchlichen Negativerklärung auch die häufig gebrauchte Möglichkeit einräumt, das geltende Anerbenrecht schlicht durch Verfügung von Todes wegen 1 2 3 4 5

Von Garmissen in Dombert/Witt, Münch. Anwhdb. Agrarrecht2, § 11 Rz. 51. Von Garmissen in Dombert/Witt, Münch. Anwhdb. Agrarrecht2, § 11 Rz. 51. Von Garmissen in Dombert/Witt, Münch. Anwhdb. Agrarrecht2, § 11 Rz. 37. Leipold in MüKo8, BGB, Einleitung zum Erbrecht, Rz. 140. Länderübersicht bei Ruby in BeckOGK, Art. 64 EGBGB Rz. 32 ff. (Stand: 1.9.2018).

Wenzel/Falkowski | 759

10.83

Kap. 10 Rz. 10.83 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

ausdrücklich oder schlüssig abzubedingen, wenn nicht der Hof ohnehin schon zu Lebzeiten übertragen wurde.1.

III. Freiberufliche Praxis 1. Grundsatz: Übergang im Wege der Universalsukzession 10.84

Freiberufliche (Einzel-)Unternehmen gehen mitsamt aller ihrer wirtschaftlichen Bestandteile, einschließlich der immateriellen, wie Kunden-, Patienten- oder Mandantenstamm, als wirtschaftliche Einheit nach den allgemeinen Regeln im Wege der Universalsukzession auf den oder die Erben über.2 Zu diesen gehören insbesondere: – Ärzte; Zahnärzte, Tierärzte; – Rechtsanwälte; – Notare; – Steuerberater und Wirtschaftsprüfer; – Ingenieure; – Architekten; – Dolmetscher, Übersetzer; vgl. § 18 EStG.

10.85

Der Erbe hat für alle mit dem freiberuflichen Unternehmen verbundenen Verbindlichkeiten aufzukommen. Die Haftung gem. § 27 HGB trifft den Nachfolger mangels Vorliegens eines Handelsgeschäfts nicht. Ihm stehen die üblichen erbrechtlichen Möglichkeiten der Haftungsbeschränkung zu (s. hierzu Rz. 10.43; Rz. 18.151). Umgekehrt kann der Erbe alle lebzeitig begründeten Forderungen des Erblassers, insbesondere auf Honorar, geltend machen. Uneingeschränkt gilt dies allerdings nur, soweit die Fortführung nicht von einer speziellen berufsrechtlichen Qualifikation des Erblassers abhängt.

2. Einschränkungen der Vererblichkeit 10.86

Die höchstpersönliche berufliche Qualifikation des Freiberuflers ist unvererblich und geht demnach nicht auf den Erben über. Dies hat zur Folge, dass die wirtschaftliche Einheit der freiberuflichen Praxis beim unqualifizierten Erben nicht gewahrt werden kann. In diesem Fall gehen lediglich die einzelnen vererbbaren Rechtspositionen auf ihn über.3 Etwa bei einer durch Tod ausgelösten Neuausschreibung einer Kassenarztzulassung hat die kassenärztliche Vereinigung gem. § 103 Abs. 4 SGB V aber neben anderen Faktoren auch einzustellen, ob ein Ehegatte, Lebenspartner oder Kind des bisherigen Vertragsarztes Bewerber ist.

1 Ruby in BeckOGK, Art. 64 EGBGB Rz. 18 f. (Stand: 1.9.2018); Ridder in Scherer, Münch. Anwhdb. Erbrecht5, § 43 Rz. 5. 2 Müller-Christmann in BeckOK, § 1922 BGB Rz. 72 (Stand: 1.8.2019); Leipold in MüKo8, § 1922 BGB Rz. 99 f.; Stürner in Jauernig17, § 1922 BGB Rz. 6; Stein in Soergel13, § 1922 BGB Rz. 80; Riedell in BeckOGK, § 1922 BGB Rz. 450 (Stand: 1.5.2020); Filtzinger in Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 29 D Rz. 63. 3 Riedel in BeckOGK, § 1922 BGB Rz. 449 ff. (Stand: 1.5.2020); Leipold in MüKo8, § 1922 BGB Rz. 101.

760 | Wenzel/Falkowski

B. Der Betrieb im Nachlass des Unternehmers | Rz. 10.90 Kap. 10

Unabhängig davon, ob das Unternehmen rein im Hinblick auf die Berufsqualifikation fortgesetzt werden könnte oder nicht, gehen bestehende Auftragsverhältnisse jedenfalls nicht über, § 673 Satz 1 i.V.m. § 675 Abs. 1 BGB. Das Auftragsverhältnis erlischt ex nunc. Bereits begründete Vertragspflichten des Erben (z.B. §§ 666, 667 BGB) bleiben erhalten. Dies gilt insbesondere auch für die beruflichen Verschwiegenheitspflichten des Erblassers, die nach dessen Tod auch seine Erben binden, vgl. auch § 203 Abs. 3 Satz 3 StGB. Dem Erben steht es frei, mit den Vertragspartnern des Erblassers schuldrechtlich die Fortsetzung einzelner Vertragsverhältnisse zu vereinbaren.1

10.87

3. Erfordernis der Bestellung eines Abwicklers Einige Berufsordnungen sehen vor, dass ein Abwickler durch die zuständige Berufsvereinigung bestellt werden kann, der für eine den berufsrechtlichen Anforderungen gerecht werdende Abwicklung der freiberuflichen Tätigkeit Sorge trägt (s. etwa § 55 Abs. 1 BRAO, § 56 Abs. 2 BNotO, § 70 Abs. 1 StBerG, § 55c Abs. 1 WPO). Der Abwickler ist in der Regel nicht länger als für ein Jahr zu bestellen. Er tritt (nur) in Bezug auf die beruflichen Rechte und Pflichten des Erblassers gegenüber Mandanten, Gerichten und Behörden, wie ein verwaltender Treuhänder zugunsten der Erben auf.2 Ihm obliegt es eigenverantwortlich, die schwebenden Angelegenheiten des Erblassers abzuwickeln. Neue Aufträge darf er nach der Bestellung nur kurzzeitig annehmen.3 An der vermögensrechtlichen Zuordnung des Nachlasses an die Erben ändert sich durch die Abwicklung nichts.4

10.88

Die Berufsvereinigung entscheidet über Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der Bestellung nach pflichtgemäßem Ermessen.5 Die Bestellung eines Abwicklers ist ein Verwaltungsakt, so dass nach den allgemeinen Bestimmungen des VwVfG regelmäßig eine Anhörung der Erben erforderlich sein wird.6

10.89

Beratungshinweis: Die weitreichenden Kompetenzen eines Fremdabwicklers können eine geplante reibungslose Nachfolge in die freiberufliche Praxis zumindest für die Dauer der Abwicklung vereiteln. Aus diesem Grund sollte der Übergang der Praxis auf den qualifizierten Nachfolger durch Verfügung von Todes wegen ausdrücklich festgeschrieben werden. Die Alleinerbenlösung ist hierbei gegenüber der Vermächtnis- oder Auseinandersetzungslösung vorzugswürdig, da sie die Praxisnachfolge nicht von der Erfüllung des Vermächtnisses bzw. der Erbauseinandersetzung abhängig macht. Im Erbfall kann bei der zuständigen Berufsvereinigung unter Verweis auf die Stellung als Erbe bzw. Vermächtnisnehmer darauf hingewirkt werden, einen Verwalter nicht zu bestellen bzw. (hilfsweise) den Praxisnachfolger auch zum Abwickler zu bestellen.7

1 Zum Ganzen: Riedel in BeckOGK, § 1922 BGB Rz. 451 ff. (Stand: 1.5.2020); zur erbrechtlichen Behandlung von Handakten Knodel, ZRP 2006, 263. 2 Vgl. Schwärzer in Feuerich/Weyland10, § 55 BRAO Rz. 22; Dahns, NJW-Spezial 2013, 190; Ueberfeldt, DStR 2008, 2386 (2386 f.). 3 6 Monate: § 55 Abs. 2 Satz 3 BRAO, § 70 Abs. 3 Satz 2 StBerG, § 55c Abs. 3 Satz 2 WPO; 3 Monate: § 56 Abs. 2 Satz 3 BNotO. 4 Zum Verhältnis der Erben zum (Kanzlei-)Abwickler im Einzelnen, s. Schwärzer in Feuerich/Weyland10, § 55 BRAO Rz. 20 ff. 5 Vgl. zu den Ermessensparametern Schwärzer in Feuerich/Weyland10, § 55 BRAO Rz. 7 ff. 6 Schwärzer in Feuerich/Weyland10, § 55 BRAO Rz. 9; Ueberfeldt, DStR 2008, 2386. 7 Zu § 55 Abs. 1 BRAO: Filtzinger in Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 29 D Rz. 63.

Wenzel/Falkowski | 761

10.90

Kap. 10 Rz. 10.91 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

C. Anteile an Personengesellschaften im Nachlass des Unternehmers I. Übersicht: Rechtsfolgen des Todes eines Gesellschafters 10.91

War der Erblasser an einer Personengesellschaft beteiligt, fällt seine Beteiligung grundsätzlich in den Nachlass (ausführlich zur Personengesellschaft unter Kap. 19). Die Rechtsfolgen des Todes eines Gesellschafters sind zum einen davon abhängig, um welche Gesellschaftsform es sich handelt und zum anderen davon, welche Regelungen in der letztwilligen Verfügung und daneben in dem Gesellschaftsvertrag der betroffenen Gesellschaft getroffen wurden (s. zu den Regelungsmöglichkeiten für den Todesfall auch Rz. 19.22 (OHG), Rz. 19.66 (KG) und Rz. 19.83 (GbR)).

10.92

Grundsätzlich lassen sich dabei folgende Szenarien unterscheiden: – Beendigung der Gesellschaft, – Fortsetzung der Gesellschaft unter Ausscheiden des verstorbenen Gesellschafters sowie – Fortsetzung der Gesellschaft mit dem oder den Erben des verstorbenen Gesellschafters. GbR

OHG

KG

Beendigung der Gesellschaft

kraft Gesetzes (§ 727 Abs. 1 BGB) oder bei Reduzierung auf „Einmann-Personengesellschaft“

bei Auflösungsklausel im Gesellschaftsvertrag oder bei Reduzierung auf „Einmann-Personengesellschaft“

bei Auflösungsklausel im Gesellschaftsvertrag oder bei Tod des einzigen Komplementärs oder bei Reduzierung auf „Einmann-Personengesellschaft“

Fortsetzung ohne Erben unter Ausscheiden des verstorbenen Gesellschafters

bei Fortsetzungsklausel kraft Gesetzes im Gesellschaftsvertrag (§ 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 HGB)

bei Tod eines von mehreren Komplementären kraft Gesetzes (§ 161 Abs. 2 i.V.m. § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 HGB) bei Tod eines Kommanditisten nur dann, wenn das Ausscheiden gesellschaftsvertraglich vorgesehen ist

Fortsetzung mit Erben

bei einfacher Nachfolgeklausel im Gesellschaftsvertrag

bei einfacher Nachfolgeklausel im Gesellschaftsvertrag

bei Tod eines von mehreren Komplementären nur bei einfacher Nachfolgeklausel im Gesellschaftsvertrag bei Tod eines Kommanditisten kraft Gesetzes (§ 177 HGB)

Fortsetzung mit bestimmten Personen

bei qualifizierter Nachfolgeklausel oder rechtsgeschäftlicher Nachfolge- oder Eintrittsklausel im Gesellschaftsvertrag

bei qualifizierter Nachfolgeklausel oder rechtsgeschäftlicher Nachfolge- oder Eintrittsklausel im Gesellschaftsvertrag

bei qualifizierter Nachfolgeklausel oder rechtsgeschäftlicher Nachfolge- oder Eintrittsklausel im Gesellschaftsvertrag

762 | Wenzel/Falkowski

C. Anteile an Personengesellschaften im Nachlass | Rz. 10.97 Kap. 10

II. Rechtsfolgen im Einzelnen 1. Beendigung der Gesellschaft Die Auflösung der Gesellschaft aufgrund des Todes eines Gesellschafters ist kraft Gesetzes nur für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts vorgesehen, § 727 Abs. 1 BGB. Dies gilt jedoch nicht, wenn im Gesellschaftsvertrag eine abweichende Regelung getroffen wurde oder die verbleibenden Gesellschafter die Fortsetzung beschließen.1

10.93

Im Recht der Offenen Handelsgesellschaft und der Kommanditgesellschaft führt der Tod eines Gesellschafters gem. § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 (i.V.m. § 161 Abs. 2) HGB grundsätzlich nicht zur Auflösung der Gesellschaft. Auch die OHG und die KG werden jedoch durch den Tod eines Gesellschafters aufgelöst, wenn dies im Gesellschaftsvertrag so vorgesehen ist (sog. Auflösungsklausel).2 Die KG wird zudem dann aufgelöst, wenn der letzte persönlich haftende Gesellschafter ausscheidet3 und die Gesellschaft nicht kraft Fortsetzungsbeschlusses mit mindestens einem neuen persönlich haftenden Gesellschafter als KG oder ohne einen solchen als OHG weitergeführt wird.4

10.94

Wird die Gesellschaft durch den Tod eines Gesellschafters aufgelöst, bleibt sie zunächst als Liquidationsgesellschaft bestehen. Die Erben des verstorbenen Gesellschafters sind verpflichtet, den übrigen Gesellschaftern unverzüglich dessen Tod anzuzeigen und dessen Geschäfte weiter zu besorgen, soweit mit deren Aufschub Gefahr für die Gesellschaft verbunden wäre (Pflicht zur Notgeschäftsführung). Die gleiche Pflicht trifft die übrigen Gesellschafter hinsichtlich der ihnen übertragenen Geschäfte, § 727 Abs. 2 BGB.

10.95

Die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis steht ab der Auflösung grundsätzlich allen (Liquidations-)Gesellschaftern gemeinschaftlich zu. Gesellschaftsvertragliche Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse erlöschen.5 Eine Ausnahme gilt für den gutgläubigen GbRGesellschafter hinsichtlich der ihm in Abweichung von § 709 BGB übertragenen Geschäftsführung, § 729 BGB.6 Die Gesellschafter können im Gesellschaftsvertrag allerdings für den Fall der Auflösung abweichende Vereinbarungen treffen.

10.96

Im Fall einer Erbengemeinschaft tritt diese als solche kraft Universalsukzession in die ungeteilte Beteiligung an der Liquidationsgesellschaft ein.7 Die Miterben haben ihre Rechte, ins-

10.97

1 BGH v. 20.5.1981 – V ZB 25/79, NJW 1982, 170 (171); BGH v. 12.7.1982 – II ZR 157/81, NJW 1982, 2821; v. Proff, DStR 2017, 2555 (2255 f.); v. Proff zu Irnich in BeckOGK, § 727 BGB Rz. 24 (Stand: 1.4.2020). 2 Vgl. Kunz in Staudinger, § 1922 BGB Rz. 184 (Stand: 2017). 3 Riedel in BeckOGK, § 1922 BGB Rz. 484 (Stand: 1.5.2020); Lehmann-Richter in BeckOK, § 131 HGB Rz. 24 (Stand: 15.7.2019). Streitig ist, ob die Komplementärerben dann in die Liquidationsgesellschaft eintreten, vgl. Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 131 HGB Rz. 29 f. Verbliebe nach dem Ausscheiden nur ein Gesellschafter, kommt es stattdessen zum Erlöschen der Gesellschaft. 4 Roth in Baumbach/Hopt39, § 177 HGB Rz. 1; Riedel in BeckOGK, § 1922 BGB Rz. 467 (Stand: 1.5.2020); BGH v. 23.11.1978 – II ZR 20/78, NJW 1979, 1705 (1706). 5 Hanke in Dauner-Lieb/Langen³, § 727 BGB Rz. 4, 7. 6 Schäfer in MüKo8, § 727 BGB Rz. 9. 7 BGH v. 20.5.1981 – V ZB 25/79, NJW 1982, 170; Riedel in BeckOGK, § 1922 BGB Rz. 494 (Stand: 1.5.2020); Müller-Christmann in BeckOK, § 1922 BGB Rz. 78 (Stand: 1.8.2019); Widersprüche zwischen Erb- und Gesellschaftsrecht, die in der werbenden Gesellschaft die Erbengemeinschaft ausschließen, vgl. Rz. 10.104, können hier nicht entstehen, da die Liquidationsgesellschaft von vornherein auf Auflösung gerichtet ist.

Wenzel/Falkowski | 763

Kap. 10 Rz. 10.97 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

besondere das Stimmrecht, dann gemeinschaftlich i.S.d. § 2038 Abs. 1 BGB auszuüben. Über Maßnahmen der ordentlichen Verwaltung ist durch Mehrheitsbeschluss zu entscheiden, § 2038 Abs. 2 i.V.m. § 745 Abs. 1 BGB. Außerordentliche Entscheidungen müssen einstimmig getroffen werden.1

10.98

Statt zur Auflösung kommt es zum Erlöschen der Gesellschaft, wenn durch den Tod des vorletzten Gesellschafters nur noch ein Gesellschafter verbliebe. Eine „Einmann-Personengesellschaft“ kann nicht bestehen.2 Verbleibt in Folge eines Todesfalles nur ein Gesellschafter, geht daher das gesamte Gesellschaftsvermögen mit allen Aktiva und Passiva im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf diesen über. Eine Liquidation findet nicht statt.3 Den Erben steht auch hier der Abfindungsanspruch gem. § 738 BGB zu.4 Die Abfindung wird in der Regel durch sog. Abfindungsklauseln gesellschaftsvertraglich modifiziert (vgl. unter C.III.4. Rz. 10.129).

10.99

Ist für den Fall des Todes des Gesellschafters die Auflösung der Gesellschaft vorgesehen (kraft Gesetzes oder kraft einer Auflösungsklausel), kann das Erlöschen von Todes wegen nur dann eintreten, wenn der letzte Gesellschafter den vorletzten Gesellschafter beerbt, da anderenfalls dessen Erben Teil einer (Mehrpersonen-)Liquidationsgesellschaft werden.5 Ist dagegen die Fortsetzung der Gesellschaft vorgesehen (kraft Gesetzes oder durch Fortsetzungsklausel), kann auch das Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters (vgl. Rz. 10.100 und Rz. 10.103) zu einer unzulässigen „Einmann-Personengesellschaft“ und Gesamtrechtsnachfolge in diesem Sinne führen.6

2. Fortsetzung der Gesellschaft unter Ausscheiden des verstorbenen Gesellschafters 10.100

Eine Fortsetzung der Gesellschaft unter Ausscheiden des verstorbenen Gesellschafters – jedoch ohne Eintritt der Erben – ist kraft Gesetzes gem. § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 HGB vorgesehen, wenn ein Gesellschafter einer OHG stirbt. Über § 161 Abs. 2 HGB gilt dies auch dann, wenn einer von mehreren Komplementären einer KG verstirbt. Verstirbt hingegen ein Kommanditist, wird die Gesellschaft mit seinen Erben fortgesetzt (s. dazu unter Rz. 10.103), wenn dies nicht im Gesellschaftsvertrag anders geregelt ist.

10.101

Soll die GbR unter Ausscheiden des verstorbenen Gesellschafters mit den verbliebenen Gesellschaftern fortgeführt werden, bedarf es einer sog. Fortsetzungsklausel. Die einfache Fortsetzungsklausel setzt schlicht fest, dass eine GbR auch bei Tod eines Gesellschafters fortgeführt

1 Leipold in MüKo8, § 2038 BGB Rz. 31; Schöne in BeckOK, § 727 BGB Rz. 5 (Stand: 1.8.2019); Riedel in BeckOGK, § 1922 BGB Rz. 462 (Stand: 1.5.2020). 2 Ganz h.M., vgl. Schöne in BeckOK, § 705 BGB Rz. 51 (Stand: 1.8.2019). 3 Müller-Christmann in BeckOK, § 1922 BGB Rz. 78 (Stand: 1.8.2019); Schöne in BeckOK, § 705 BGB Rz. 51 (Stand: 1.8.2019); Leipold in MüKo8, § 1922 BGB Rz. 112. 4 BGH v. 12.7.1999 – II ZR 4/98, NJW 1999, 3557; BGH v. 6.12.1993 – II ZR 242/92, NJW 1994, 796. 5 Müller-Christmann in BeckOK, § 1922 BGB Rz. 78 (Stand: 1.8.2019); Schöne in BeckOK, § 705 BGB Rz. 51 (Stand: 1.8.2019); Leipold in MüKo8, § 1922 BGB Rz. 111. 6 Lehmann-Richter in BeckOK, § 131 HGB Rz. 28 (Stand: 15.7.2019); Karsten Schmidt in MüKo4, § 131 HGB Rz. 105; vgl. auch BGH v. 10.12.1990 – II ZR 256/89, NJW 1991, 844 (844 f.); BGH v. 15.3.2004 – II ZR 247/01, DStR 2004, 1137; BGH v. 7.7.2008 – II ZR 37/07, NJW 2008, 2992 (GbR); OLG Stuttgart v. 5.5.2004 – 14 U 54/03, NZG 2004, 766 (768), jeweils m.w.N.

764 | Wenzel/Falkowski

C. Anteile an Personengesellschaften im Nachlass | Rz. 10.106 Kap. 10

wird, schließt also die Rechtsfolge des § 727 Abs. 1 BGB aus, ohne die Anteile vererblich zu stellen. Das Ausscheiden eines Gesellschafters führt zur Anwachsung seines Anteils bei den übrigen Gesellschaftern nach Maßgabe des § 738 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die Erben erhalten eine Abfindung gem. § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB in Höhe des Verkehrswertes des Gesellschaftsanteils.1 Der Abfindungsanspruch richtet sich gegen die Gesellschaft.2 Ob daneben auch die Gesellschafter haften, ist streitig.3 Die Abfindung wird in der Regel durch sog. Abfindungsklauseln gesellschaftsvertraglich modifiziert (vgl. unter Rz. 10.129).

10.102

3. Fortsetzung der Gesellschaft mit den Erben des verstorbenen Gesellschafters Eine Fortsetzung der Gesellschaft mit den Erben des verstorbenen Gesellschafters ist gesetzlich nur für den Fall vorgesehen, dass der Kommanditist einer Kommanditgesellschaft verstirbt, § 177 HGB. Ist nur ein Erbe vorhanden, tritt dieser ohne weiteres in die Gesellschafterstellung ein, die im Wege der Gesamtrechtsnachfolge automatisch mit dem Todesfall übergeht, § 1922 BGB.

10.103

Die Erbengemeinschaft kann als solche nicht Mitglied einer werbenden Personengesellschaft sein.4 Diesen Konflikt zwischen Erb- und Gesellschaftsrecht lösen Rechtsprechung und herrschende Lehre dahingehend, dass der Gesellschaftsanteil entsprechend der jeweiligen Erbquote anteilig im Wege der Sonderrechtsnachfolge unmittelbar auf die einzelnen Erben übergeht.5

10.104

Gestaltungshinweis: Die Vervielfältigung der Mitgliedschaftsrechte wird häufig nicht im Interesse der übrigen Gesellschafter liegen. In einem solchen Fall ist über eine gesellschaftsvertragliche Vertreterklausel nachzudenken, die es den Erben auferlegt, ihre Rechte nur über einen gemeinsamen Vertreter geltend zu machen.6

10.105

Beratungshinweis: Eintritt wie Ausscheiden eines Gesellschafters sind eintragungspflichtige Tatsachen gem. §§ 107, 143 Abs. 1, 2 HGB. Die Eintragungspflicht trifft sämtliche Gesellschafter sowie sämtliche Erben des Ge1 Ausführlich zu Entstehung, Fälligkeit, Abfindungsbilanz und Berechnungsmethode: Habermeier in Staudinger, § 738 BGB Rz. 7-20 (Stand: 2003) m.w.N. 2 Schöne in BeckOK, § 738 BGB Rz. 17 (Stand: 1.8.2019); Schäfer in MüKo8, § 738 BGB Rz. 16. 3 Dagegen: Habermeier in Staudinger, § 738 BGB Rz. 12 (Stand: 2003); Koch in BeckOGK, § 738 BGB Rz. 27 (Stand: 1.4.2020); Hadding/Kießling in Soergel13, § 738 BGB Rz. 40; OLG Köln v. 17.1.2001 – 13 U 82/00, NZG 2001, 467 (468 f.); OLG Frankfurt v. 6.4.2005 – 23 U 151/00, BeckRS 2005, 6533; a.A.: Schöne in BeckOK, § 738 BGB Rz. 18 (Stand: 1.8.2019); Schäfer in MüKo8, § 738 BGB Rz. 17; Saenger in Schulze/Dörner/Ebert10, § 738 BGB Rz. 5; Sprau in Palandt79, § 738 BGB Rz. 2 f.; OLG Oldenburg v. 3.1.2000 – 15 U 63/99, NZG 2000, 542 (543). 4 RGZ 16, 40 (56); BGH v. 22.11.1956 – II ZR 222/55, BGHZ 22, 186; BGH v. 12.12.1956 – II ZR 41/65, BGHZ 46, 291; BGH v. 21.12.1970 – II ZR 258/67, BGHZ 55, 267; BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225; Schäfer in MüKo8, § 705 BGB Rz. 81; Karsten Schmidt in MüKo4, § 105 HGB Rz. 104; Roth in Baumbach/Hopt39, § 105 HGB Rz. 30; Wertenbruch in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 105 HGB Rz. 181. 5 St. Rspr.: BGH v. 14.2.2012 – II ZB 15/11, NJW-RR 2012, 730 (731); Kunz in Staudinger, § 1922 BGB Rz. 230 (Stand: 2017), jeweils m.w.N. 6 Ivo, ZEV 2006, 302 (302); Zu Umfang und Grenzen der Vertreterklausel i.E. Roth in Baumbach/ Hopt39, § 163 HGB Rz. 10 f.

Wenzel/Falkowski | 765

10.106

Kap. 10 Rz. 10.106 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen sellschafter-Erblassers, unabhängig davon, ob sie selbst in die Gesellschafterstellung einrücken oder nicht.1 Die Anmeldepflicht ist gem. § 14 HGB erzwingbar. Die Frist des § 160 Abs. 1 HGB knüpft an die Eintragung an. Im Außenverhältnis kann außerdem die Rechtsscheinhaftung des § 15 Abs. 1 HGB eingreifen.

10.107

Außerhalb von § 177 HGB bedarf es zur Fortsetzung der Gesellschaft mit den Erben eines verstorbenen Gesellschafters einer sog. einfachen Nachfolgeklausel im Gesellschaftsvertrag. Durch sie wird der Gesellschaftsanteil schlicht vererblich gestellt. Die Gesellschaft soll also mit sämtlichen Erben des verstorbenen Gesellschafters fortgesetzt werden, unabhängig davon, um wen es sich dabei handelt.2

10.108

Ist im Gesellschaftsvertrag einer OHG bestimmt, dass die Gesellschaft im Falle des Todes eines Gesellschafters mit dessen Erben fortgesetzt werden soll, so kann gem. § 139 HGB jeder Erbe sein Verbleiben in der Gesellschaft davon abhängig machen, dass ihm unter Belassung des bisherigen Gewinnanteils die Stellung eines Kommanditisten eingeräumt und der auf ihn fallende Teil der Einlage des Erblassers als seine Kommanditeinlage anerkannt wird. Nehmen die übrigen Gesellschafter nicht an, so kann der Erbe sein Ausscheiden aus der Gesellschaft erklären, § 139 Abs. 2 HGB. Die vorstehenden Rechte des Erben sind innerhalb der ersten drei Monate nach Kenntniserlangung von dem Erbanfall auszuüben, § 139 Abs. 3 HGB, und sind nicht abdingbar, § 139 Abs. 5 HGB. Für die GbR gilt § 139 HGB nicht.3

10.109

Für die KG gilt in diesem Zusammenhang folgendes: – Erbt der Komplementär einen Kommanditanteil, so ist er ungeteilter Komplementär. Das Wahlrecht gem. § 139 HGB besteht für ihn nicht.4 – Erbt ein Kommanditist einen Komplementäranteil, vereinigen sich die Anteile bei ihm in einen einheitlichen Komplementäranteil.5 Ihm steht das Wahlrecht gem. § 139 HGB hinsichtlich der gesamten einheitlichen Komplementärbeteiligung zu.6 Gestaltungshinweis:

10.110

Die Gesellschafter können im Gesellschaftsvertrag abweichend von § 139 HGB den automatischen Wechsel eines persönlich haftenden Gesellschafters in die Stellung eines Kommanditisten vorsehen (sog. Umwandlungsklausel).7

1 Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 143 HGB Rz. 11. 2 Kunz in Staudinger, § 1922 BGB Rz. 195 (Stand: 2017). 3 Roth in Baumbach/Hopt39, § 139 HGB Rz. 8; Hadding/Kießling in Soergel13, § 727 BGB Rz. 34 ff.; Schröder, ZGR 1978, 578 (599); Haas in Röhricht/v. Westphalen/Haas5, § 139 HGB Rz. 23; Hoppe, ZEV 2004, 226 (231); a.A. Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 60; Mock, NZG 2004, 118 (120); Schäfer, NJW 2005, 3665 (3367 f.). 4 Lehmann-Richter in BeckOK, § 139 HGB Rz. 23 (Stand: 15.7.2019); Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 65. 5 BayObLG v. 29.1.2003 – 3Z BR 5/03, DNotZ 2003, 456; Kindler in Koller/Kindler/Roth/Drüen9, § 139 HGB Rz. 4 u. § 177 HGB Rz. 3; Karsten Schmidt in MüKo4, § 177 HGB Rz. 20. 6 BayObLG v. 29.1.2003 – 3Z BR 5/03, DNotZ 2003, 456; Kindler in Koller/Kindler/Roth/Drüen9, § 139 HGB Rz. 4; Karsten Schmidt in MüKo4, § 177 HGB Rz. 65 m.w.N. 7 BGH v. 4.3.1976 – II ZR 145/75, NJW 1976, 848; BGH v. 1.6.1987 – II ZR 259/86, NJW 1987, 3184; Roth in Baumbach/Hopt39, § 139 HGB Rz. 63.

766 | Wenzel/Falkowski

C. Anteile an Personengesellschaften im Nachlass | Rz. 10.114 Kap. 10

Erben Mitgesellschafter, so vereinigen sich grundsätzlich1 die ererbten mit den ursprünglich gehaltenen Gesellschaftsanteilen.2

10.111

4. Fortsetzung der Gesellschaft mit bestimmten Personen Die Fortsetzung der Gesellschaft mit bestimmten Personen ist gesetzlich für keine der zur Verfügung stehenden Gesellschaftsformen vorgesehen und kann nur durch eine entsprechende gesellschaftsvertragliche Regelung herbeigeführt werden. Diese kann auf verschiedene Weise ausgestaltet werden.

10.112

a) Qualifizierte Nachfolgeklausel Durch eine sog. qualifizierte Nachfolgeklausel wird im Gesellschaftsvertrag festgelegt, welche Erben in die Gesellschafterstellung eines verstorbenen Gesellschafters eintreten dürfen. Dies kann etwa durch die Benennung bestimmter Personen im Gesellschaftsvertrag oder durch die Beschränkung auf bestimmte Personengruppen (z.B. Abkömmlinge des Gesellschafters) geschehen. In die qualifizierte Nachfolgeklausel können sowohl Erben, als auch Vermächtnisnehmer einbezogen werden.3 Erben des Gesellschafters, die den Anforderungen der qualifizierten Nachfolgeklausel nicht entsprechen, werden nicht Gesellschafter. Ihnen steht allerdings grundsätzlich ein Abfindungsanspruch zu,4 der allerdings in der Praxis häufig begrenzt oder sogar vollständig ausgeschlossen wird – was hier ausnahmsweise zulässig ist (s. dazu Rz. 10.129). Wird der Erblasser ausschließlich von Personen beerbt, die die Qualifikation nicht erfüllen, so läuft die Nachfolgeklausel mit u.U. überraschenden und katastrophalen Folgen ins Leere. Insbesondere kann der Stamm des Erblassers in einem solchen Fall vollkommen leer ausgehen, wenn ein zulässiger Abfindungsausschluss vereinbart war.

10.113

Gestaltungshinweis: Ob und inwieweit die Nachfolgeklausel zu qualifizieren ist, hängt von den Interessen der Beteiligten ab. Soll dem Erblasser ein größtmöglicher Gestaltungsspielraum bei der Wahl seines Nachfolgers zur Verfügung stehen, kann auf die einfache Nachfolgeklausel zurückgegriffen werden, um spätere Anpassungen des Gesellschaftsvertrages zu vermeiden. Oftmals haben die Gesellschafter ein Interesse daran, bestimmte Rahmenbedingungen im Hinblick darauf vorzugeben, wer Nachfolger ihrer selbst bzw. ihrer Mitgesellschafter werden darf. Die Einschränkungen hängen oft auch maßgeblich von der Beschaffenheit der Gesellschaft ab. In der Familiengesellschaft sollen etwa meist Familienfremde, in der Berufsträgergesellschaft beruflich nicht Qualifizierte ferngehalten werden. Bei der Familiengesellschaft stellen sich in diesem Zusammenhang insbesondere Fragen im Hinblick darauf, ob die Nach1 Für eine Reihe von im Einzelnen äußerst umstrittenen Einzelfällen werden Ausnahmen von diesem Grundsatz diskutiert – der Gesellschaftsanteil soll separiert beim Erben verbleiben, die Gesellschaft auch dann nicht untergehen, wenn neben diesem keine weiteren Gesellschafter vorhanden sind. Vertreten wird dies für die Vorerbschaft eines Gesellschaftsanteils, die Testamentsvollstreckung über einen Gesellschaftsanteil, Nachlassinsolvenzverfahren und die Nachlassverwaltung, die Verpflichtung, den Gesellschaftsanteil auf Grund eines Vermächtnisses herauszugeben sowie bei dinglichen Belastungen des Gesellschaftsanteils. Übersicht bei Henssler in Henssler/Strohn4, § 105 HGB Rz. 39; Karsten Schmidt in MüKo4, § 105 HGB Rz. 78; jeweils m.w.N. 2 Vgl. zur Unteilbarkeit der Mitgliedschaft: BGH v. 11.4.1957 – II ZR 182/55, BGHZ 24, 106, NJW 1957, 1026; BGH v. 20.4.1972 – II ZR 143/69, BGHZ 58, 316, NJW 1972, 1755; BGH v. 4.3.1976 – II ZR 145/75, BGHZ 66, 98, NJW 1976, 848; BGH v. 1.6.1987 – II ZR 259/86, NJW 1987, 3184 (3186). 3 Gergen in MüKo8, § 2032 BGB Rz. 69; Pückelmann in Kroiß/Horn/Solomon2, § 727 BGB Rz. 15. 4 Pückelmann in Kroiß/Horn/Solomon2, § 727 BGB Rz. 16.

Wenzel/Falkowski | 767

10.114

Kap. 10 Rz. 10.114 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen folge auf leibliche oder eheliche Abkömmlinge eingeschränkt werden soll. Weiter muss dann überlegt werden, ob nur bis zu einem bestimmten Lebensjahr adoptierte Abkömmlinge oder nichteheliche Kinder unter bestimmten Voraussetzungen (z.B. Anerkennung) nachfolgeberechtigt sein sollen. Im Einzelnen besteht hier ein sehr weiter Gestaltungsspielraum. Gestaltungshinweis:

10.115

Viele Nachfolgeklauseln regeln den häufigen Fall nicht, dass ein Vermächtnis über die Gesellschaftsbeteiligung an den qualifizierten Vermächtnisnehmer durch einen nicht qualifizierten Erben zu erfüllen wäre. Oft wird man eine solche Klausel zwar dahingehend auslegen können, dass der vorübergehende Übergang auch an den nicht qualifizierten Erben zwecks Vermächtniserfüllung möglich sein soll, da die Nachfolgeklausel sonst ins Leere liefe. Dies haben die Gesellschafter bei Zulassen der Vermächtnisoption in der Regel ersichtlich nicht gewollt.1 Leicht verhindern lassen sich entsprechende Unklarheiten allerdings durch eine klar formulierte Nachfolgeklausel, die auch diesen Fall ausdrücklich einbezieht.2

b) Sog. rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel

10.116

Soll beim Tod eines Gesellschafters nicht ein Erbe oder Vermächtnisnehmer, sondern eine andere Person Gesellschafter werden, kann dies unter bestimmten Voraussetzungen durch eine sog. rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel angeordnet werden. Hierbei handelt es sich um eine auf den Tod des Gesellschafters aufschiebend bedingte Anteilsübertragung unter Lebenden. Mit Bedingungseintritt fällt der Gesellschaftsanteil dem Nachfolger und nicht dem Nachlass zu.3 Ob den Erben stattdessen ein Abfindungsanspruch gegen die Gesellschaft oder den Eintretenden zustehen soll, richtet sich nach der Ausgestaltung der Klausel. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass kein Abfindungsanspruch besteht.4

10.117

Nachfolgeberechtigt sind nur Personen, die selbst an dem die Nachfolge begründenden Rechtsgeschäft mitgewirkt haben, da anderenfalls ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter anzunehmen wäre, dem die Gesellschafterstellung aufgezwungen würde.5 Ohne weiteres möglich ist daher eine rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel zugunsten eines Mitgesellschafters, in der dann auch die für die Übertragung notwendige Zustimmung der übrigen Gesellschafter zu sehen ist. Bei einem Nichtgesellschafter muss dagegen ein (Aufnahme-)Vertrag mit den Gesellschaftern geschlossen werden.6 Fehlt es an diesen Voraussetzungen, kann die unwirksame rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel in eine Eintrittsklausel umgedeutet werden.7 Beratungshinweis:

10.118

Die rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel eignet sich hauptsächlich für die Nachfolge durch Mitgesellschafter, die nicht auch Erben werden sollen. Durch den unmittelbaren Übergang im Todesfall und die im Regelfall ausgeschlossene Abfindung, kann so die Unternehmenskontinuität gewährleistet werden.

1 Im Regelfall wohl gegen eine solche Auslegung aber Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 8 A Rz. 42. 2 S. dazu das Muster bei Riedel in BeckOGK, § 1922 BGB Rz. 543.1 (Stand: 1.5.2020). 3 Riedel in BeckOGK, § 1922 BGB Rz. 572 f. (Stand: 1.5.2020); Leipold in MüKo8, § 1922 BGB Rz. 130. 4 Riedel in BeckOGK, § 1922 BGB Rz. 573 (Stand: 1.5.2020); Leipold in MüKo8, § 1922 BGB Rz. 130. 5 BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, NJW 1977, 1339 (1341); Leipold in MüKo8, § 1922 BGB Rz. 129; Müller-Christmann in BeckOK, § 1922 BGB Rz. 89 (Stand: 1.8.2019). 6 Schöne in BeckOK, § 727 BGB Rz. 20 (Stand: 1.5.2019); Kilian in Henssler/Strohn4, § 727 BGB Rz. 17; Schäfer in MüKo8, § 727 BGB Rz. 51. 7 BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, NJW 1977, 1339; Leipold in MüKo8, § 1922 BGB Rz. 129.

768 | Wenzel/Falkowski

C. Anteile an Personengesellschaften im Nachlass | Rz. 10.120 Kap. 10 Nachteilig ist, dass die einmal feststehende Übertragung als Rechtsgeschäft grundsätzlich nicht mehr einseitig durch den Erblasser widerrufen werden kann.1 Eine erbrechtliche Nachfolgeklausel mit Testament ist hier flexibler. Die Anpassung des Gesellschaftsvertrages zugunsten eines Minderjährigen kann zudem durch die Vorschriften des Minderjährigenschutzes (vgl. Rz. 10.213) erschwert oder vereitelt werden. Stellt sich die Übertragung als lebzeitige Schenkung dar, kann diese zudem Pflichtteilsergänzungsansprüche gem. § 2325 BGB nach sich ziehen. Der Anspruch berechnet sich aus dem vollen Wert des Gesellschaftsanteils im Zeitpunkt des Erbfalls.2 Da die Nachfolge sich nicht erbrechtlich vollzieht, steht schließlich das Instrument der Testamentsvollstreckung grundsätzlich nicht bzw. nur eingeschränkt zur Verfügung.

c) Eintrittsklausel Die Eintrittsklausel begründet anders als die rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel keinen automatischen Eintritt des Dritten in die Gesellschaft. Diesem steht vielmehr aus dem Gesellschaftsvertrag ein rein schuldrechtlicher Eintrittsanspruch zu.3 Hinsichtlich der Person des Eintrittsberechtigten besteht ein weiter Gestaltungsspielraum. Denkbar ist es auch, die Festlegung dem Erblasser, dem Testamentsvollstrecker oder einem Dritten zu überlassen. Der Kreis der Nachfolgeberechtigten kann sowohl quantitativ als auch qualitativ eingeschränkt werden, bis hin zur genauen Festlegung der einzelnen nachfolgeberechtigten Person(en). Erfüllt wird der Eintrittsanspruch durch Abschluss eines Aufnahmevertrags, der eine neue Mitgliedschaft des Eintretenden begründet, die inhaltlich grundsätzlich der des ausgeschiedenen Gesellschafters entspricht.4Alternativ kann bereits in die Eintrittsklausel ein bindendes Angebot der Gesellschafter bzw. Optionsrecht vorgesehen werden, das der Eintrittsberechtigte dann kraft einseitiger Erklärung annimmt.5

10.119

Da der Vollzug der Eintrittsklausel nicht zu einem Übergang des Erblasseranteils auf den Eintrittsberechtigten führt, sondern vielmehr eine neue Mitgliedschaft begründet, scheidet der Erblasser mit dem Tod grundsätzlich aus der Gesellschaft aus, § 131 Abs. 3 Nr. 1 (i.V.m. § 161 Abs. 2) HGB. Im Falle der GbR gilt dies freilich nur, wenn der Gesellschaftsvertrag eine Fortführungsklausel enthält (vgl. unter Rz. 10.101). Der ggf. resultierende Abfindungsanspruch fällt in den Nachlass, während der Eintrittsberechtigte eine neue Einlage zu leisten hat. Abweichend hiervon, wird es allerdings regelmäßig sinnvoll sein, dem Eintrittsberechtigten in der Eintrittsklausel unter Ausschluss des Abfindungsanspruches auch die Übernahme des Kapitalanteils des Erblassers zu gestatten. Sieht eine bisherige Eintrittsklausel dies nicht vor, kann dem Eintretenden alternativ auch erbrechtlich der Abfindungsanspruch vermacht werden.6

10.120

1 Krause in Scherer, Unternehmensnachfolge6, § 14 Rz. 43; Klein/Lindemeier in Münch. Hdb. des GesR5, § 44 Rz. 31. 2 Lange in MüKo8, § 2325 BGB Rz. 54. 3 Der Gesellschaftsvertrag fungiert als zulässiger Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall, Müller-Christmann in BeckOK, § 1922 BGB Rz. 83 (Stand: 1.8.2019); Kunz in Staudinger, § 1922 BGB Rz. 197b (Stand: 2017). 4 Riedel in BeckOGK, § 1922 BGB Rz. 583 (Stand: 1.5.2020); Leipold in MüKo8, § 1922 BGB Rz. 130; Lehmann-Richter in BeckOK, § 139 HGB Rz. 48 (Stand: 15.4.2019). Alternativ kann die Eintrittsklausel auch so ausgestaltet werden, dass mit der Eintrittserklärung gleich das entsprechende Angebot der Gesellschafter auf Abschluss des Aufnahmevertrages angenommen wird, vgl. Riedel in BeckOGK, § 1922 BGB Rz. 582 (Stand: 1.5.2020). 5 Riedel in BeckOGK, § 1922 BGB Rz. 582 (Stand: 1.5.2020). 6 Riedel in BeckOGK, § 1922 BGB Rz. 587 (Stand: 1.5.2020).

Wenzel/Falkowski | 769

Kap. 10 Rz. 10.121 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen Beratungshinweis:

10.121

Der Vorteil der Eintrittsklausel liegt zunächst in der mit ihr einhergehenden Flexibilität. Der Nachfolger kann – entweder völlig unabhängig von den erbrechtlichen Anordnungen des Erblassers oder aber gerade an sie anknüpfend – frei und zunächst ohne seine eigene Mitwirkung bestimmt werden. Da es sich beim Eintritt um die Neubegründung einer Mitgliedschaft handelt, kann diese auch abweichend von der Altmitgliedschaft ausgestaltet werden (z.B. Stellung als Kommanditist statt als Komplementär). Da der Übergang nicht automatisch erfolgt, wird dem Eintrittsberechtigten eine echte Wahlmöglichkeit eröffnet. Nicht geeignet ist die Eintrittsklausel, um eine sichere Nachfolge und Fortführung der Gesellschaft mit dem Eintrittsberechtigen zu gewährleisten, da die Gesellschaft nicht darauf vertrauen kann, dass die Option auch tatsächlich ausgeübt wird. Durch die Kombination aus Ausscheiden und Neueintritt kann es zudem zur Auflösung oder zum Erlöschen der Gesellschaft kommen, obgleich einschließlich des Eintrittsberechtigten zwei Personen zur Fortführung der Gesellschaft bereit wären (vgl. Rz. 10.93). Da die Eintrittsklausel eines rechtsgeschäftlichen Vollzuges bedarf, kann zudem auch hier das Minderjährigenrecht Probleme bereiten (vgl. Rz. 10.220). Im Ergebnis sollte die Eintrittsklausel nach allem nur dann gewählt werden, wenn der tatsächliche Eintritt des durch die Klausel Berechtigten nicht als zwingend angesehen wird, diesem also eine echte Option eingeräumt werden soll.

10.122

Die Ausführungen zu § 139 HGB (s. unter Rz. 10.129) gelten entsprechend.

III. Abstimmung von Gesellschaftsvertrag und letztwilliger Verfügung 1. Einführung 10.123

Die Testierfreiheit wird durch gesellschaftsrechtliche Regelungen zunächst einmal nicht unmittelbar berührt. Der Erblasser ist daher in der Lage – im Rahmen des erbrechtlich Zulässigen – beliebige Anordnungen auch über seine Gesellschaftsanteile zu treffen. Die Erfüllbarkeit derartiger erbrechtlicher Anordnungen hängt allerdings ganz maßgeblich von der Ausgestaltung der betroffenen Gesellschaftsverträge ab, denn ist die Erfüllung gesellschaftsrechtlich unmöglich, läuft die erbrechtlich zulässige Anordnung ins Leere. Aus diesem Grund sind letztwillige Verfügungen und Gesellschaftsverträge zwingend eng aufeinander abzustimmen.

2. Abstimmung von Nachfolgeklausel und Erbeinsetzung 10.124

Soll der Gesellschaftsanteil auf einen oder mehrere Erben übergehen, muss er gesellschaftsrechtlich durch eine (qualifizierte) Nachfolgeklausel vererblich gestellt werden. Fehlt es an einer solchen, wird die Gesellschaft mit dem Todesfall aufgelöst (GbR oder Auflösungsklausel, vgl. Rz. 10.94) oder der Gesellschafter scheidet aus, so dass nur der Abfindungsanspruch in den Nachlass fällt (OHG, KG mit Ausnahme von § 177 HGB, GbR mit Fortsetzungsklausel, vgl. Rz. 10.94). Existiert eine Nachfolgeregelung im Gesellschaftsvertrag, so kann diese vorsehen, dass alle Erben in den Gesellschaftsanteil nachfolgen (einfache Nachfolgeklausel, vgl. Rz. 10.107). oder dass nur ein genau festgelegter Personenkreis oder eine einzelne Person nachfolgeberechtigt ist (qualifizierte Nachfolgeklausel vgl. Rz. 10.113). Erfüllt ein Erbe die Qualifikation nicht, tritt er nicht in die Gesellschafterstellung ein. Stehen gar keine nachfolgeberechtigten Erben bereit, läuft die Nachfolgebestimmung des Erblassers daher gänzlich ins Leere. Gestaltungshinweis:

10.125

Eine der wichtigsten Aufgaben des Beraters ist es, auf einen Gleichlauf von Nachfolgeklausel und letztwilliger Verfügung hinzuwirken. Eine (Nach-)Prüfung ist auch dann unerlässlich, wenn gesell-

770 | Wenzel/Falkowski

C. Anteile an Personengesellschaften im Nachlass | Rz. 10.130 Kap. 10 schaftsrechtliche und erbrechtliche Nachfolgeregelungen bereits getroffen wurden, da diese erfahrungsgemäß keinesfalls korrekt sein oder noch dem Willen der Beteiligten entsprechen müssen. Oft ist den Beteiligten schlicht nicht klar, welche negativen Auswirkungen die vorhandenen Nachfolgeregelungen haben können. Haben die Ehegatten bspw. ein Berliner Testament errichtet, nach dem zunächst der überlebende Ehegatte den gesamten Nachlass erhalten soll, sieht die qualifizierte Nachfolgeklausel jedoch unter Ausschluss jeglicher Abfindung nur Abkömmlinge des Erblassers als nachfolgeberechtigt vor, droht der ungewollte Totalverlust der Beteiligung, der der überlebende Ehegatte allenfalls durch Ausschlagung (zugunsten der nachfolgeberechtigen Abkömmlinge) begegnen kann.

3. Abstimmung von Übertragungsklauseln, Vermächtnis und Teilungsanordnung Die Nachfolge durch Vermächtnis oder Teilungsanordnung wird erst durch Übertragung des Gesellschaftsanteiles von dem oder den Erben auf den Nachfolger realisiert. Der Übergang der Beteiligung auf mehrere Erben, entsprechend ihren Erbquoten im Wege der Einzelrechtsnachfolge, steht der Möglichkeit und Erfüllbarkeit eines Vermächtnisses oder einer Teilungsanordnung nicht entgegen (zur Nachfolge durch Vermächtnis oder Teilungsanordnung in Abgrenzung zur Erbeinsetzung, vgl. Rz. 10.441).1

10.126

Die Übertragung des Anteils bedarf der Zustimmung aller Gesellschafter, die aber bereits im Gesellschaftsvertrag vorweggenommen werden kann.2 Eine allgemeine Nachfolgeklausel kann unter Umständen als Zustimmung ausgelegt werden.3

10.127

Gestaltungshinweis: Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte eine ausdrückliche Klarstellung der (zustimmungsfreien) Übertragbarkeit für diese Fälle erfolgen, sofern nicht die (völlig) freie Übertragbarkeit der Gesellschaftsanteile ohnehin bereits vorgesehen ist.

10.128

4. Verhinderung von Liquiditätsabflüssen durch Abfindungsausschluss Um den Bestand der Gesellschaft nicht durch den plötzlichen Abfluss von Kapital und Liquidität zu gefährden, werden in der Praxis häufig gesellschaftsvertragliche Abfindungsausschlüsse vorgesehen. Entsprechend kann die Berechnung und Abwicklung der Abfindungsansprüche erleichtert und die Lähmung der Gesellschaft durch Auseinandersetzungsstreitigkeiten verhindert werden.

10.129

Für die Gestaltung von Abfindungsklauseln (hierzu auch unter Rz. 19.140 und Rz. 20.42) gelten folgende Grundsätze:

10.130

– Grundsätzlich möglich ist eine Modifikation des Abfindungsanspruchs der Höhe nach. In diesem Zusammenhang sind aufgrund der mit ihnen verbundenen Vereinfachung der Berechnung des Abfindungsanspruchs sog. Buchwertklauseln verbreitet: Der Abfindungsanspruch wird beschränkt auf die Rückzahlung noch nicht verbrauchter Einlagen, einbehaltener Gewinne und sonstiger anteiliger Rücklagen und Rückstellungen mit Eigen1 Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 15. 2 Roth in Baumbach/Hopt39, § 139 HGB Rz. 21; Karsten Schmidt in MüKo4, § 105 HGB Rz. 218; Klöhn in Henssler/Strohn4, § 139 HGB Rz. 10. 3 Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 139 HGB Rz. 16; Karsten Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 15.

Wenzel/Falkowski | 771

Kap. 10 Rz. 10.130 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

kapitalcharakter, entsprechend der letzten auf den Stichtag der Abfindung fortzuschreibenden Handelsbilanz.1 Ein nicht aufgelöster Verlustvortrag ist anteilig zu berücksichtigen.2 Steuerrechtlich bedingte Sonderabschreibungen sind nicht aufzulösen, außer es wurde ausdrücklich oder konkludent etwas anderes vereinbart. Keinen Eingang finden danach stille Reserven oder der Firmenwert.3 – Der Abfindungsanspruch kann auch durch eine sog. Nennwertklausel beschränkt werden. Durch sie wird die Abfindung auf den Nominalbetrag der Kapitaleinlage zzgl. der nicht entnommenen Gewinne beschränkt, was daher letztlich auf eine Rückzahlung der Einlage hinausläuft. Auch Nennwertklauseln sind grundsätzlich zulässig.4 Gestaltungshinweis: Die Vereinbarung von Buchwert- und Nennwertklauseln birgt stets die Gefahr der Sittenwidrigkeit. Für die Beurteilung, ob eine Abfindungsklausel gegen § 138 BGB oder § 723 Abs. 3 BGB verstößt, ist das Verhältnis von Klauselwert zu tatsächlichem Wert im Zeitpunkt des Zustandekommens der Klausel zu bewerten. Bei einer Buchwertklausel wird zu diesem Zeitpunkt in aller Regel noch keine größere Diskrepanz vorliegen oder auch nur vorhersehbar sein, so dass die Folge der Unwirksamkeit der Klausel (und der Anwendbarkeit der gesetzlichen Abfindungsregeln) aus diesem Grund regelmäßig ausscheidet.5 Die Fälle einer nachträglich eingetretenen Diskrepanz löst die Rechtsprechung im Wege ergänzender Vertragsauslegung, innerhalb derer eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen ist.6 Bei einer die Abfindung gegenüber der Buchwertklausel weiter einschränkenden Nennwertklausel, besteht eine noch größere Gefahr auch anfänglicher Nichtigkeit, §§ 138, 723 BGB.7 Sie sollte daher nur mit Vorsicht gebraucht werden. In der Praxis werden daher in der Regel Klauseln vereinbart, die eine Abfindung in Höhe des Verkehrswerts vorsehen, den im Streitfall ein Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer zu ermitteln hat, der als Schiedsgutachter festgelegt wird.

– Die Zulässigkeit von Abfindungsausschlüssen kann – wie vorstehend ausgeführt – bei einem anfänglichen Missverhältnis von Klauselwert und tatsächlichem Wert im Einzelfall an Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB, einer unzulässigen Kündigungsbeschränkung nach § 723 Abs. 3 BGB oder einer unzulässigen Gläubigerbenachteiligung scheitern.8 Tritt das Missverhältnis – wie meist – erst nachträglich ein, so passt die Rechtsprechung die Abfindung im Wege ergänzender Vertragsauslegung an, wenn es dem Ausscheidenden im Einzelfall nicht zugemutet werden kann, sich an die (gesellschafts-)vertragliche Regel zu halten.9 Als Rechtsfolge der Nichtigkeit einer Abfindungsklausel gem. § 138 BGB wird der ohne eine 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Habermeier in Staudinger, § 738 BGB Rz. 32 (Stand: 2003); Schäfer in MüKo8, § 738 BGB Rz. 63. BGH v. 12.6.1978 – II ZR 141/77, WM 1978, 1152. Roth in Baumbach/Hopt39, § 131 HGB Rz. 71. BGH v. 13.6.1994 – II ZR 38/93, NJW 1994, 2536; Koch in BeckOGK, § 738 BGB Rz. 75 (Stand: 1.4.2020); Schöne in BeckOK, § 738 BGB Rz. 28 (Stand: 1.8.2019). Schäfer in MüKo8, § 738 BGB Rz. 46. Schäfer in MüKo8, § 738 BGB Rz. 55. Sosnitza in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt3, § 34 GmbHG Rz. 73; Kersting in Baumbach/ Hueck22, § 34 GmbHG Rz. 35a; Leitzen, RNotZ 2009, 315 (320). Zu den Grenzen der Abfindungsklauseln im Einzelnen, s. etwa Schäfer in MüKo8, § 723 BGB Rz. 64 ff.; Koch in BeckOGK, § 738 BGB Rz. 56 ff. (Stand: 1.4.2020). Schäfer in MüKo8, § 738 BGB Rz. 55–57. Feste Quoten, ab denen eine Anpassung geboten sein soll, wurden in der Rechtsprechung nicht entwickelt, in der Literatur wird allerdings eine Orientierungsgröße von 1/2 bis 2/3 des wirklichen Wertes genannt, vgl. Lorz in Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn4, § 131 HGB Rz. 135; Schäfer in MüKo8, § 738 BGB Rz. 52.

772 | Wenzel/Falkowski

C. Anteile an Personengesellschaften im Nachlass | Rz. 10.130 Kap. 10

solche Regelung zu zahlende Abfindungsbetrag geschuldet. Es erfolgt demnach eine Abfindung zum Verkehrswert des Geschäftsanteils. – Sofern es sich um eine nachträgliche Unwirksamkeit handelt, da ein Festhalten an der zunächst wirksam getroffenen Vereinbarung aufgrund veränderter Umstände unzumutbar wäre, kommt primär eine ergänzende Vertragsauslegung in Betracht. – Ein völliger Abfindungsausschluss ist zwar im Lichte des Vorgesagten grundsätzlich unzulässig. Eine Ausnahme besteht (neben wenigen anderen) allerdings für den Abfindungsausschluss für den Todesfall, der zulässig ist, sofern die Gesellschaft von den übrigen Gesellschaftern fortgesetzt wird.1 Gestaltungshinweis: Der Abfindungsausschluss ist nur dann zulässig, wenn er auf den Todesfall beschränkt ist und nicht etwa weitere Ausscheidensgründe umfasst, für die der Ausschluss unzulässig bleibt.

Ist der Ausschluss für jeden Gesellschafter vorgesehen, soll es sich um ein entgeltliches Rechtsgeschäft handeln, bei dem jeder Gesellschafter seinen eigenen Anteil für die Chance einsetzt, im Anwachsungsfall von den Anteilen seiner Mitgesellschafter zu profitieren. Hieraus folgt auch, dass ein Pflichtteilsergänzungsanspruch hinsichtlich des Anteilwerts ausscheidet.2 – Um die Liquidität der Gesellschaft zwischen den Gesellschaftern zu schonen, sind auch gesellschaftsvertragliche Ratenzahlungsvereinbarungen üblich. Diese können jedoch dann unzulässig sein, wenn es an einer sachlichen Rechtfertigung für zeitliche Streckung der Abfindungszahlung mangelt. Zudem sind Ratenzahlungen jedenfalls über einen Zeitraum von 15 Jahren (unabhängig von der Frage der Verzinsung) unwirksam.3 Ratenvereinbarungen auf 10 Jahre werden in der Literatur hingegen überwiegend noch als zulässig angesehen.4 Besteht keine solche Regelung, ist die Abfindung sofort fällig.5 – Die Gewährung einer lebenslangen Rente anstelle der Abfindung ist möglich.6

1 Koch in BeckOGK, § 738 BGB Rz. 71 (Stand: 1.4.2020); BGH v. 22.11.1956 – II ZR 222/55, NJW 1957, 180; BGH v. 14.7.1971 – III ZR 91/70, BeckRS 1971, 31081173; BGH v. 26.3.1981 – IVa ZR 154/80, NJW 1981, 1956. 2 BGH v. 26.3.1981 – IVa ZR 154/80, NJW 1981, 1956; hierzu sowie zu Kritik am Ausschluss des Pflichtteilsergänzungsanspruchs Hölscher, ZEV 2010, 609 m.w.N; Weidlich in Palandt79, § 2325 BGB Rz. 15; Lange in MüKo8, § 2325 BGB Rz. 40; a.A. Kohl, MDR 1995, 865; Dieckmann in Soergel13, § 2325 BGB Rz. 27; Worm, RNotZ 2003, 535 (543). 3 BGH v. 9.1.1989 – II ZR 83/88, NJW 1989, 2685. 4 Schäfer in MüKo8, § 738 BGB Rz. 65; Habermeier in Staudinger, § 738 BGB Rz. 34 (Stand: 2003); Koch in BeckOGK, § 738 BGB Rz. 76 (Stand: 1.4.2020); Hadding/Kießling in Soergel13, § 738 BGB Rz. 55; Ulmer, NJW 1979, 81 (85); zweifelnd RGZ 162, 388 (393); a.A. Schöne in BeckOK, § 738 BGB Rz. 33 (Stand: 1.8.2019): Mit der ratio der Vorschriften zur Nachhaftungsbegrenzung (§ 736 Abs. 2, § 160 Abs. 1 HGB) dürfte eine Ratenzahlungsvereinbarung mit einer längeren Laufzeit als fünf Jahre aber (nicht mehr) nicht vereinbar sein; ebenso Hanke in Dauner-Lieb/Langen, Schuldrecht Band 2/23, § 738 BGB Rz. 28. 5 BGH v. 9.1.1989 – II ZR 83/88, NJW 1989, 2685; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 131 HGB Rz. 143; Wangler/Dierkes, DS 2007, 94 (100 ff.). 6 BGH v. 17.5.2004 – II ZR 261/01, NJW 2004, 2449; Koch in BeckOGK § 738 BGB Rz. 76 (Stand: 1.4.2020); Schäfer in MüKo8, § 738 BGB Rz. 65; Schöne in BeckOK, § 738 BGB Rz. 28 (Stand: 1.8.2019).

Wenzel/Falkowski | 773

Kap. 10 Rz. 10.130 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen Gestaltungshinweis: Hinsichtlich der Abfindung im Erbfall besteht für die Gesellschafter ein weiter Gestaltungsspielraum. Zwar wird bei entsprechenden Überlegungen häufig der Schutz der Gesellschaft vor Liquiditätsabflüssen im Vordergrund stehen. Es kann jedoch auch gerade gewollt sein, dass die Erben eine Abfindung erhalten. Möchten die Gesellschafter die Gesellschaft nicht mit den Erben fortführen, stellt diese jedoch das wesentliche Vermögen oder die wesentliche Einnahmequelle des Erblassers dar, kann ihm daran gelegen sein, dass seine Erben im Gegenzug dazu, dass ihnen diese genommen wird, eine Geldzahlung erhalten. Hier ist eine grundlegende Abstimmung zwischen den Gesellschaftern erforderlich.

5. Schaffung gesellschaftsvertraglicher Voraussetzungen für Testamentsvollstreckung 10.131

Die Abwicklungsvollstreckung ist für die Beteiligung an Personengesellschaften stets zulässig. Die Verwaltungsvollstreckung ist uneingeschränkt nur über die Beteiligung des Kommanditisten zulässig, wenn der Gesellschaftsvertrag dies zulässt oder die Gesellschafter sonst einverstanden sind. Darüber hinaus ist für die Zulässigkeit der Testamentsvollstreckung bei Personengesellschaften mit der Rechtsprechung zwischen „Innen-“ und „Außenseite“ der Beteiligung zu differenzieren. Eine beaufsichtigende Testamentsvollstreckung an der nur vermögensrechtlichen Außenseite ist uneingeschränkt möglich. An der mitgliedschaftlichen Innenseite muss hierzu dagegen auf die sog. Ersatzlösungen (Treuhand-, Vollmacht- und Weisungsgeberlösung) zurückgegriffen werden (dazu im Einzelnen unter Rz. 10.396 sowie unter Rz. 19.212).

10.132

Eine Zustimmung der übrigen Gesellschaft zu der Testamentsvollstreckung im Außenbereich der Beteiligung ist nicht erforderlich. Soll die Testamentsvollstreckung dagegen den Innenbereich betreffen, bedarf es der Zustimmung aller Gesellschafter, die antizipiert auch in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen werden kann.1 Fehlt die Zustimmung, beschränkt sich auch eine von dem Erblasser eigentlich umfassend vorgesehene Testamentsvollstreckung auf den Außenbereich.2 Klauseln, die die Nachfolge in die Beteiligung bzw. deren Übertragung zulassen, können mitunter als Zustimmung auch zur Testamentsvollstreckung ausgelegt werden.3 Gestaltungshinweis:

10.133

Um Rechtssicherheit zu schaffen und damit der Testamentsvollstrecker seine Arbeit ohne unnötige Zeitverluste auch in Hinblick auf die Gesellschaftsbeteiligung rasch aufnehmen kann, sollte die Testamentsvollstreckung in einer eindeutigen Regelung vorab zugelassen werden.4 Relevant kann die Testamentsvollstreckung insbesondere bei Minderjährigkeit oder mangelnder Reife des Erben werden (zu den Motiven für die Testamentsvollstreckung insgesamt unter Rz. 10.383). Auch wenn die Erforderlichkeit einer entsprechenden Klausel im Einzelfall fraglich sein mag, sollte diese im Zweifel im Sinne größtmöglicher Flexibilität zugelassen werden, sofern die Beteiligten der Vorstellung eines Testamentsvollstreckers in ihrer Gesellschaft nicht von vornherein ablehnend gegenüberstehen. 1 Lange in BeckOK, § 2205 BGB Rz. 44 (Stand: 1.8.2019); Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 159. 2 Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 159; Kämper, RNotZ 2016, 625 (632 f.); Freiherr v. Proff, DStR 2018, 415 (416 ff.); Lorz in Scherer, Münch. Anwhdb. ErbR5, § 19 Rz. 268 ff. 3 Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 159; Zimmermann in MüKo8, § 2205 BGB Rz. 34; Lange in BeckOK, § 2205 BGB Rz. 44 (Stand: 1.8.2019). 4 Formulierungsvorschlag bei Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 175.

774 | Wenzel/Falkowski

D. Anteile an Kapitalgesellschaften im Nachlass | Rz. 10.138 Kap. 10 Da sich sowohl bei der rechtsgeschäftlichen Nachfolgeklausel, als auch bei der Eintrittsklausel die Nachfolge außerhalb des Erbrechts vollzieht (hierzu unter Rz. 10.112), kann hier die Fremdverwaltung nur dadurch erreicht werden, dass der Nachfolger auch als Erbe eingesetzt wird und die Verwaltung durch Auflage oder Bedingung angeordnet wird.1

6. Schaffung gesellschaftsvertraglicher Voraussetzungen für Nießbrauchsvermächtnis Auch an den Anteilen einer Personengesellschaft ist ein Nießbrauch möglich. Voraussetzung ist aber auch hier die Zustimmung aller Gesellschafter, die antizipiert im Gesellschaftsvertrag erfolgen kann.2

10.134

Gestaltungshinweis: Kommt ein Nießbrauch (künftig) in Betracht, sollte aus Gründen der Rechtssicherheit eine ausdrückliche Zulassung bereits vorab in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen werden.

10.135

D. Anteile an Kapitalgesellschaften im Nachlass des Unternehmers I. Vererblichkeit von Kapitalgesellschaftsanteilen 1. Grundsatz Aktien einer Aktiengesellschaft und Geschäftsanteile an einer GmbH sind frei vererblich, wobei die Vererblichkeit nicht gesellschaftsvertraglich abbedungen werden kann.3 Keine Ausnahme hiervon gilt für vinkulierte Geschäftsanteile an einer GmbH oder vinkulierte Namensaktien einer AG, da die Vinkulierungsklauseln stets nur rechtsgeschäftliche Übertragungen erfassen.4 Anders als bei den Personengesellschaften bedarf es daher keiner Regelungen im Gesellschaftsvertrag, um die Beteiligung vererblich zu stellen. Bei mehreren Erben fällt der Anteil zunächst ungeteilt in die Erbengemeinschaft.

10.136

2. Ausgestaltung durch Nachfolgeregelungen in der Satzung a) Grundsatz Der Grundsatz der freien Vererblichkeit von Anteilen an Kapitalgesellschaften steht häufig in Widerspruch zu dem Bedürfnis der Gesellschafter, bestimmen zu können, wer Mitgesellschafter werden kann. Dies stellt einen Unterschied zu Anteilsübertragungen unter Lebenden dar, die in der Regel aufgrund gesellschaftsvertraglicher Vinkulierungsklauseln zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung der Gesellschafter oder der Gesellschaft bedürfen (zu den Auswirkungen satzungsmäßiger Übertragungsbeschränkungen im Erbfall, s. unter D.III.1. Rz. 10.187).

10.137

Eine Eingrenzung des Gesellschafterkreises kann ohne Verstoß gegen den Grundsatz der freien Vererblichkeit aber durch verschiedene Nachfolgeklauseln herbeigeführt werden, die auch in Kombination in die Satzung aufgenommen werden können. In einer solchen Nachfolgeklausel wird zunächst festgelegt, welche Personen (z.B. Abkömmlinge des Erblassers und Mit-

10.138

1 Von Proff, DStR 2018, 415 (416). 2 Von Sothen in Scherer, Unternehmensnachfolge6, § 27 Rz. 317; Wolfram/Theiss/Noerr LLP in BeckOF Vertrag, 5.2.3. Anm. 4 (Stand: 1.3.2019). 3 D. Jasper/Wollbrink in Priester, Münch. Hdb. GesR5, Band 3, § 25 Rz. 1. 4 Kunz in Staudinger, § 1922 BGB Rz. 185, 264 (Stand: 2017).

Wenzel/Falkowski | 775

Kap. 10 Rz. 10.138 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

gesellschafter) als Nachfolger in die Gesellschaft eintreten dürfen (sog. Nachfolgeberechtigung). Fehlt die Nachfolgeberechtigung, kann die Satzung den Erben zur Abtretung der Beteiligung verpflichten bzw. der Gesellschaft die Einziehung oder Kaduzierung ermöglichen. b) Abtretungsklauseln aa) GmbH

10.139

Die Satzung einer GmbH kann vorsehen, dass die Erben eines verstorbenen Gesellschafters den gem. § 1922 BGB übergegangenen Gesellschaftsanteil bei fehlender Nachfolgeberechtigung abzutreten haben (s. hierzu auch (mit Muster) Rz. 20.37).

10.140

Abtretungsempfänger kann die Gesellschaft, ein anderer Gesellschafter oder ein in der Satzung festgelegter oder durch Beschluss der Gesellschafter zu bestimmender Dritter sein.1 Berechtigt, die Abtretung zu verlangen, ist im Zweifel die Gesellschaft selbst. Je nach Ausgestaltung kommt aber auch der Begünstigte selbst als Anspruchsinhaber in Frage (Eintrittsklausel). Handelt es sich bei dem Begünstigten um einen Mitgesellschafter, ist Anspruchsgrundlage der Gesellschaftsvertrag selbst, ansonsten soll ein gesonderter schuldrechtlicher Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall anzunehmen sein (Eintrittsrecht).2

10.141

Zur Erleichterung der Abwicklung kann die Satzung die Gesellschaft gem. § 185 BGB ermächtigen, selbst die Abtretung an einen bestimmten oder zu bestimmenden Erwerber vorzunehmen. Sieht die Satzung nichts anderes vor, bedarf es zur Ausübung dieses Abtretungsrechts eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung gem. § 46 Nr. 4 GmbHG analog.3

10.142

Grundsätzlich ist dem Abtretenden ein Abtretungsentgelt zu zahlen, für dessen Berechnung mangels satzungsmäßiger Regelung der Verkehrswert – also der volle wirtschaftliche Wert des Geschäftsteils – anzusetzen ist. Zum Schutz der Gesellschaft ist eine Beschränkung des Entgelts bis hin zu seinem völligen Ausschluss aber zulässig.4

10.143

Der Nachteil derartiger Abtretungsverpflichtungen liegt darin, dass sie – anders als die Einziehung – die Mitwirkung des nicht qualifizierten Erben erfordern. Zudem bedarf die Verfügung über GmbH-Geschäftsanteile gem. § 15 Abs. 3 GmbHG stets der notariellen Beurkundung, mit den damit verbundenen Kosten. bb) Aktiengesellschaft

10.144

Aus dem in §§ 54, 55 AktG niedergelegten aktienrechtlichen Verbot der Begründung von Nebenpflichten folgt, dass Abtretungsklauseln in der Aktiengesellschaft generell unzulässig sind.5

1 D. Jasper/Wollbrink in Priester, Münch. Hdb. GesR5, Band 3, § 25 Rz. 22. 2 D. Jasper/Wollbrink in Priester, Münch. Hdb. GesR5, Band 3, § 25 Rz. 23; Seibt in Scholz12, § 15 GmbHG Rz. 32. 3 D. Jasper/Wollbrink in Priester, Münch. Hdb. GesR5, Band 3, § 25 Rz. 24; Seibt in Scholz12, § 15 GmbHG Rz. 32. 4 Seibt in Scholz12, § 15 GmbHG Rz. 33; D. Jasper/Wollbrink in Priester, Münch. Hdb. GesR5, Band 3, § 15 Rz. 33. 5 Perzborn, RNotZ 2017, 405 (424); Kirchdörfer/Lorz in Lorz/Kirchdörfer, Unternehmensnachfolge2, Kap. 7 Rz. 66; Krause in Scherer, Unternehmensnachfolge6, § 14 Rz. 69; Crezelius, Unternehmenserbrecht2, § 10 Rz. 384.

776 | Wenzel/Falkowski

D. Anteile an Kapitalgesellschaften im Nachlass | Rz. 10.148 Kap. 10

c) Einziehungsklauseln aa) GmbH Möchten die Gesellschafter sich die Möglichkeit vorbehalten, den nicht nachfolgeberechtigten Erben ohne dessen Mitwirkung auszuschließen, kann in der Satzung geregelt werden, dass der Anteil bei fehlender Nachfolgeberechtigung eingezogen werden kann (s. hierzu auch (mit Muster) Rz. 20.40). Eine solche Einziehungsklausel kann auch mit einer Abtretungsklausel kombiniert werden, so dass die Gesellschafter alternativ die Einziehung oder die Abtretung verfolgen können („kombinierte Einziehungs- und Abtretungsklausel“). Der Nachteil von Einziehungsklauseln besteht darin, dass der Anteil durch Einziehung untergeht und damit steuerlich nicht verschonbar ist.

10.145

Für die Einziehung gelten die allgemeinen Regeln1: Gemäß § 34 Abs. 1 GmbHG ist die Einziehung (selbst mit Einwilligung des betroffenen Gesellschafters) nur dann möglich, wenn sie im Gesellschaftsvertrag zugelassen ist. Die Zwangseinziehung gem. § 34 Abs. 2 GmbHG setzt zudem voraus, dass die Voraussetzungen der Einziehung bereits vor dem Zeitpunkt, zu dem der Berechtigte seinen Geschäftsanteil erworben hat, festlegt waren. Die nachträgliche Schaffung der Einziehungsmöglichkeit durch Satzungsänderung bedarf der Zustimmung aller Gesellschafter.2 Weitere Voraussetzung ist die Volleinzahlung des Geschäftsanteils.3 Die Gesellschaft muss zudem in der Lage sein, das Einziehungsentgelt ohne Inanspruchnahme des Stammkapitals zu zahlen, § 34 Abs. 3 i.V.m. § 30 Abs. 1 GmbHG. Die Einziehung wird wirksam mit der Mitteilung des Einziehungsbeschlusses an den betroffenen Gesellschafter und nicht etwa erst mit Leistung der Abfindung.4 Mit der Einziehung erlöschen alle aus dem Geschäftsanteil abgeleiteten Rechte und Pflichten.

10.146

Beratungshinweis: Der Nominalwert von Stammkapital und Stammeinlagen bleibt durch die Einziehung unberührt, vielmehr wachsen die gesellschaftsrechtlichen Rechte und Pflichten des ausscheidenden Gesellschafters den übrigen Gesellschaftern im Verhältnis ihrer Beteiligung am Stammkapital an. Die resultierende Diskrepanz zwischen Stammkapital und Stammeinlagen kann (und sollte) durch Kapitalherabsetzung, Aufstockung der Geschäftsanteile oder durch Bildung eines neuen Geschäftsanteils der GmbH aufgelöst werden.5

10.147

Sieht die Satzung nichts Anderes vor, so hat der Gesellschafter Anspruch auf ein Einziehungsentgelt in Höhe des Verkehrswertes des eingezogenen Geschäftsteils. Für Erbfälle darf

10.148

1 Krause in Scherer, Unternehmensnachfolge6, § 14 Rz. 10.55 2 BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, NJW 1953, 780; BGH v. 15.12.1975 – II ZR 17/74, BeckRS 1975, 31003311; BGH v. 19.9.1977 – II ZR 11/76, NJW 1977, 2316; BayObLG v. 25.7.1978 – BReg. 1 Z 69/78, BayObLGZ 1978, GmbHR 1978, 269; LG Bonn v. 20.12.1978 – 12 O 155/78, GmbHR 1979, 142; Fleischer in Henssler/Strohn4, § 34 GmbHG Rz. 7; Sosnitza in Michalski/Heidinger/Leible/ J. Schmidt3, § 34 GmbHG Rz. 11; Perzborn, RNotZ 2017, 405 (414); nach anderer Ansicht soll in den Fällen des § 34 Abs. 1 GmbHG eine Dreiviertelmehrheit ausreichen: Schindler in BeckOK, § 34 GmbHG Rz. 12, 27 (Stand: 1.2.2018); Kersting in Baumbach/Hueck22, § 34 GmbHG Rz. 5, 8; Altmeppen in Roth/Altmeppen9, § 34 GmbHG Rz. 9; in diesem Sinne auch Strohn in MüKo3, § 34 GmbHG Rz. 13 f., der mitunter aber sogar die Schaffung zwangsweiser Einziehungsmöglichkeiten mit Dreiviertelmehrheit für möglich hält. 3 Fleischer in Henssler/Strohn4, § 34 GmbHG Rz. 12 f. 4 BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, DNotZ 2012, 464. 5 Perzborn, RNotZ 2017, 405 (415); Mayer/Weiler in Beck’sches Notar-Hdb.6, D.I., Rz. 143 ff.; Schwab, DStR 2012, 707 (713) die resultierende Diskrepanz führt nicht zur Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit des Einziehungsbeschlusses, BGH v. 2.12.2014 – II ZR 322/13, NJW 2015, 1385.

Wenzel/Falkowski | 777

Kap. 10 Rz. 10.148 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

der Entgeltanspruch reduziert oder gänzlich ausgeschlossen werden.1 Die die Einziehung beschließenden Gesellschafter haften dem ausscheidenden Gesellschafter, wenn sie nicht sicherstellen, dass die Abfindung aus dem ungebundenen Gesellschaftsvermögen geleistet werden kann und die Gesellschaft auch nicht auflösen.2 Die Haftung der Gesellschafter entsteht mit dem Zeitpunkt, in dem die Fortsetzung der Gesellschaft ohne Maßnahmen zur Befriedigung des Abfindungsanspruches als treuwidrig anzusehen ist. Die Haftung tritt auch für Gesellschafter ein, die der Einziehung widersprochen haben. Inwieweit die ersatzpflichtigen Gesellschafter sich wiederum bei der Gesellschaft schadlos halten können, sobald diese wieder über ausschüttbares Vermögen verfügt, ist nicht geklärt. Ebenso wenig steht fest, inwieweit dieses Haftungsregime Parteiabreden zugänglich ist.3 Gestaltungshinweis:

10.149

Aufgrund der Vielzahl an ungeklärten Fragen zu dieser anteiligen Ausfallhaftung, sollte von satzungsmäßigen Modifikationen oder dem Ausschluss der Haftung allenfalls zurückhaltend Gebrauch gemacht werden.

10.150

Eine Regelung, die die automatische Einziehung des Geschäftsanteils eines Gesellschafters vorsieht, ist unzulässig.4 Davon abgesehen sind Automatismen auch deswegen nicht tunlich, weil die Möglichkeit besteht, dass die Mitgesellschafter den Erben trotz fehlender Qualifikation als Mitgesellschafter akzeptieren und kein Interesse daran haben, dass er automatisch ausgeschlossen wird. Dieser Entscheidungsspielraum sollte erhalten bleiben. Beratungshinweis:

10.151

Nachfolgeklauseln sollten hinsichtlich ihrer Rechtsfolge stets eindeutig formuliert werden. Eine allgemein gehaltene Klausel, nach der nur ein bestimmter Personenkreis nachfolgeberechtigt sein soll, die aber die Rechtsfolgen einer fehlenden Qualifikation nicht bezeichnet, wird man im Einzelfall wohl als Abtretungsklausel verstehen können. Die Einziehung beim nicht nachfolgeberechtigten und abtretungsunwilligen Erben erscheint demgegenüber im Hinblick auf § 34 Abs. 2 GmbHG ohne eindeutige Satzungsregelung mehr als fraglich.5

bb) Aktiengesellschaft

10.152

Auch in der Aktiengesellschaft sind Einziehungsklauseln zulässig.6

10.153

Anders als bei der GmbH ist die Einziehung nach den allgemeinen Regeln des § 237 AktG allerdings eine Form der Kapitalherabsetzung und daher an strengere Anforderungen geknüpft, die bei der Durchführung zu beachten sind: Die Zwangseinziehung muss in der ursprünglichen Satzung oder durch Satzungsänderung vor Übernahme oder Zeichnung der Aktien angeordnet oder gestattet sein, § 237 Abs. 1 Satz 2 AktG. Von einer Anordnung spricht

1 Kersting in Baumbach/Hueck22, § 34 GmbHG Rz. 22, 34a. 2 BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, NZG 2012, 259; Fleischer in Henssler/Strohn4, § 34 GmbHG Rz. 13. 3 Zum Ganzen: Perzborn, RNotZ 2017, 405 (415 m.w.N.); BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, DNotZ 2012, 464; BGH v. 10.5.2016 – II ZR 342/14, DStR 2016, 1558; vgl. auch Strohn in MüKo3, § 34 GmbHG Rz. 72 ff. mit einer Übersicht zur streitigen Beurteilung der Einziehung in Rechtsprechung und Literatur. 4 Reichert/Weller in MüKo3, § 15 GmbHG Rz. 441. 5 Stein in Groll/Steiner, Praxis-Hdb. Erbrechtsberatung5, Rz. 15_240a; D. Jasper/Wollbrink in Priester, Münch. Hdb. GesR5, Band 3, § 25 Rz. 20. 6 Perzborn, RNotZ 2017, 405 (425).

778 | Wenzel/Falkowski

D. Anteile an Kapitalgesellschaften im Nachlass | Rz. 10.156 Kap. 10

man, wenn die Satzung die Einziehung und ihre Durchführung schon derart klar umrissen hat, dass der Vorstand als zuständiges Organ, aber ohne echten Entscheidungsspielraum über die Einziehung entscheiden kann, vgl. § 237 Abs. 6 AktG.1 Bei der Gestattung fehlt eine entsprechende vorgelagerte satzungsmäßige Entscheidung über die Einziehung, so dass ein Beschluss der Hauptversammlung erforderlich ist.2 Nach den Vorschriften über die ordentliche Kapitalherabsetzung, §§ 222 ff. AktG (i.V.m. § 237 Abs. 2 Satz 1 AktG), bedarf es einer Anmeldung des Herabsetzungsbeschlusses sowie seiner Durchführung zum Handelsregister, §§ 223, 239 AktG, der Bekanntmachung der Eintragung durch das Registergericht gem. § 225 Abs. 1 Satz 2 AktG sowie schließlich der Erklärung gegenüber dem betroffenen Aktionär gem. § 238 Satz 3 AktG. Der Hauptversammlungsbeschluss wird gem. § 237 Abs. 6 AktG im Fall der Gestattung durch den Vorstandsentscheid ersetzt. Einer Eintragung ins Handelsregister bedarf es dann nicht.3 Der Erbe erhält ein Einziehungsentgelt, hinsichtlich dessen im Falle der Anordnung eine Satzungsregelung bestehen muss. Ob und in welchen Fällen der Verkehrswert als Entgelt unterschritten werden darf, ist im Einzelnen streitig. Jedenfalls der völlige Ausschluss des Einziehungsentgelts wird – anders als bei der GmbH – aber von der wohl h.M. abgelehnt.4 Im Falle der Gestattung darf die Höhe des Entgelts nicht in das freie Ermessen der Hauptversammlung gestellt werden. Fehlt in diesem Fall eine Satzungsbestimmung, ist ein angemessenes Entgelt zu zahlen.5

10.154

Beratungshinweis: Aufgrund der verschiedenen Voraussetzungen und Rechtsfolgen von Abtretungs- und Einziehungsklauseln empfiehlt sich in der Regel eine Kombination beider, in der Weise, dass die Gesellschaft die Wahl hat, von nachfolgeberechtigten Personen die Abtretung an die Gesellschaft oder an einen von der Gesellschaft bestimmten Dritten zu verlangen oder die Einziehung zu betreiben („kombinierte Einziehungs- und Abtretungsklausel“).6

10.155

d) Kaduzierungsklauseln aa) GmbH

Die Gesellschafter können für den Fall des Todes eines Gesellschafters bzw. des Todes und der fehlenden Nachfolgeberechtigung seiner Erben gesellschaftsvertraglich auch das Kaduzierungsverfahren gemäß der §§ 21 bis 25 GmbHG vorsehen.7 Die Gesellschaft, handelnd durch ihren Geschäftsführer, kann den Geschäftsanteil für verlustig erklären und den (nicht nachfolgeberechtigten) Erben so zwangsweise aus der Gesellschaft ausschließen. Die Gesellschaft ist zur Kaduzierung nicht verpflichtet, ihr Geschäftsführer handelt nach pflichtgemäßem Ermessen.8

Oechsler in MüKo4, § 237 AktG Rz. 12 f. Oechsler in MüKo4, § 237 AktG Rz. 14. Haberstock/Greitemann in Hölters3, § 237 AktG Rz. 83, 85; Perzborn, RNotZ 2017, 405 (425). Ausführlich Oechsler in MüKo4, § 237 AktG Rz. 65 ff. Oechsler in MüKo4, § 237 AktG Rz. 64. S. etwa das Muster bei Haasen im Beck’schen Formularbuch GmbH-Recht, C.I.3. Der Anwendungsbereich der §§ 21 ff. GmbHG kann satzungsmäßig um weitere Tatbestände als die verzögerte Einzahlung erweitert werden, Kersting in Baumbach/Hueck22, § 21 GmbHG Rz. 2; Schütz in MüKo3, § 21 GmbHG Rz. 147; Müller in Ulmer/Habersack/Löbbe3, § 21 GmbHG Rz. 50. 8 Kersting in Baumbach/Hueck22, § 21 GmbHG Rz. 6; Altmeppen in Roth/Altmeppen9, § 21 GmbHG Rz. 1, 16; Verse in Henssler/Strohn4, § 21 GmbHG Rz. 12 f.; H. Jaeger in BeckOK, § 21 GmbHG Rz. 32 (Stand: 1.5.2019).

1 2 3 4 5 6 7

Wenzel/Falkowski | 779

10.156

Kap. 10 Rz. 10.157 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

10.157

Die Erklärung muss durch eingeschriebenen Brief abgegeben werden, § 21 Abs. 2 Satz 2 GmbHG. Mit ihrem Zugang verliert der Erbe mit Wirkung ex nunc seine vom Erblasser erworbene Gesellschafterstellung und alle mit dieser verbundenen Rechte und Pflichten. Bereits erworbene Rechte – etwa ein Anspruch auf den Gewinnanteil – bleiben ihm hingegen erhalten.1 Der Geschäftsanteil fällt an die Gesellschaft, die ihn treuhänderisch hält, bis er auf einen Erwerber übergeht.2 Es entsteht hier demnach ein ähnlicher Zustand wie bei der Abtretungsklausel.

10.158

Eine Abfindung steht dem Erben nicht zu.3 Die automatische Kaduzierung beim Tod eines Gesellschafters ist unzulässig.4 bb) Aktiengesellschaft

10.159

Anders als bei der GmbH sind die aktienrechtlichen Kaduzierungsregeln zwingendes Recht.5 Es ist daher nicht möglich, den Tatbestand der §§ 64, 65 AktG auf die Fälle fehlender Nachfolgeberechtigung zu erweitern.

3. Anpassung von Gesellschafterliste und Aktienregister a) GmbH

10.160

Mit dem Übergang eines Geschäftsanteils im Erbwege wird die Gesellschafterliste unrichtig und die Einreichung einer aktualisierten Liste erforderlich, denn gem. § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG gilt als Inhaber eines Geschäftsanteils nur, wer als solcher in die Gesellschafterliste eingetragen ist. Die Änderung ist der Geschäftsführung mitzuteilen und nachzuweisen, die sodann die neue Gesellschafterliste zum Handelsregister einzureichen hat, § 40 Abs. 1 Satz 1, 4 GmbHG. An Form und Inhalt des Nachweises sind hohe Anforderungen zu stellen, die beim Erwerb von Todes wegen regelmäßig nur durch Vorlage eines Erbscheines erfüllt werden können, wenn nicht eine notarielle Verfügung von Todes wegen nebst Eröffnungsniederschrift vorliegt.6 Beratungshinweis:

10.161

War der Erblasser Alleingesellschafter und einziger Gesellschafter einer GmbH, führt sein Tod dazu, dass die Gesellschaft führungslos wird. Die Erben können ihre Gesellschafterrechte, also insbesondere ihre Stimmrechte in der Gesellschafterversammlung, erst dann ausüben, wenn sie in der beim Han1 D. Jasper/Wollbrink in Priester, Münch. Hdb. GesR5, Band 3, § 25 Rz. 42. 2 Streitig, s. hierzu im Einzelnen: Schütz in MüKo3, § 21 GmbHG Rz. 100 ff.; für die h.M.: H. Jaeger in BeckOK, § 21 GmbHG Rz. 46 ff. (Stand: 1.5.2019); Kersting in Baumbach/Hueck22, § 21 GmbHG Rz. 12; Verse in Henssler/Strohn4, § 21 GmbHG Rz. 30; Bartels in Bork/Schäfer4, § 21 GmbHG Rz. 14; Emmerich in Scholz12, § 21 GmbHG Rz. 29 f.; a.A.: Müller in Ulmer/Habersack/ Löbbe3, § 21 GmbHG Rz. 64; Saenger in Saenger/Inhester3, § 21 GmbHG Rz. 24; Altmeppen in Roth/Altmeppen9, § 21 GmbHG Rz. 19. 3 Verse in Henssler/Strohn4, § 21 GmbHG Rz. 2, 27; Kersting in Baumbach/Hueck22, § 21 GmbHG Rz. 11; Emmerich in Scholz12, § 21 GmbHG Rz. 26a. 4 Reichert/Weller in MüKo3, § 15 GmbHG Rz. 441; Ebbing in Michalski/Heidinger/Leible/ J. Schmidt3, § 15 GmbHG Rz. 7 mit Nachweisen für a.A.; Verse in Henssler/Strohn4, § 15 GmbHG Rz. 26; Michalski, NGZ 1998, 301; Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe3, § 15 GmbHG Rz. 12. 5 Reichert/Weller in MüKo3, § 15 GmbHG Rz. 441; Koch in Hüffer/Koch14, § 64 AktG Rz. 1; Drygala in Kölner Komm.3, § 64 AktG Rz. 56; Bayer in MüKo5, § 64 AktG Rz. 6. 6 Heilmeier in BeckOK, § 40 GmbHG Rz. 138 (Stand: 1.2.2019); Wicke3, § 40 GmbHG Rz. 10 f.; vgl. auch BGH v. 7.6.2005 – XI ZR 311/04, NJW 2005, 2779.

780 | Wenzel/Falkowski

D. Anteile an Kapitalgesellschaften im Nachlass | Rz. 10.165 Kap. 10 delsregister eingereichten Gesellschafterliste eingetragen sind. Die Einreichung der Gesellschafterliste kann jedoch nur durch den Geschäftsführer erfolgen, der allerdings verstorben ist. Dieses „Henneund-Ei“-Problem lässt sich dadurch lösen, dass die Gesellschafter (also ggf. die Erbengemeinschaft, die sich darauf mehrheitlich einigen muss) einen neuen Geschäftsführer bestellen, der dann umgehend die neue Gesellschafterliste beim Handelsregister einreicht, so dass der bei der Bestellung noch bestehende Mangel kraft Gesetzes rückwirkend geheilt wird (§ 16 Abs. 1 Satz 2 GmbHG). Möglich ist auch eine Notgeschäftsführerbestellung durch das Gericht, die allerdings aufwendig ist und Zeit in Anspruch nimmt. Um diese Situation von vornherein zu vermeiden, sollte der Alleingesellschafter und Geschäftsführer zu Lebzeiten eine postmortale Vollmacht erteilen, durch die ein Bevollmächtigter ermächtigt wird, einen neuen Geschäftsführer zu bestellen. Eine solche Vollmacht lässt sich auch in eine über den Tod hinauswirkende, sog. transmortale Vorsorgevollmacht integrieren. Daneben wäre es denkbar, schon zu Lebzeiten einen zweiten Geschäftsführer zu bestellen, um den Eintritt der Führungslosigkeit von vornherein zu vermeiden.

b) Aktiengesellschaft Gehen Namensaktien im Erbwege über, sind die neuen Aktionäre in das Aktienregister aufzunehmen, § 67 AktG. Gegenüber der Gesellschaft gilt nur als Aktionär, wer als solcher eingetragen ist, § 67 Abs. 2 AktG. Die Eintragung erfolgt durch den Vorstand auf Mitteilung und Nachweis, § 67 Abs. 3 AktG, an die im Falle der Gesamtrechtsnachfolge ähnliche Anforderungen wie im Rahmen des § 40 Abs. 1 GmbHG zu stellen sind (Nachweis durch Erbschein oder notarielle Verfügung von Todes wegen nebst Eröffnungsniederschrift).1 Der Erwerber ist gem. § 67 Abs. 1 Satz 2 AktG verpflichtet, der Gesellschaft die für die Eintragung erforderlichen Angaben mitzuteilen.

10.162

Befinden sich Inhaberaktien im Nachlass, besteht kein Handlungsbedarf.2

10.163

II. Besonderheiten bei Erbengemeinschaften Da Anteile an Kapitalgesellschaften, anders bei Personengesellschaften, ungeteilt in den Nachlass fallen, treten mehrere Erben als Erbengemeinschaft in die Gesellschaft ein.3 Für die Erbengemeinschaft gelten die allgemeinen Regelungen des BGB. Bei der GmbH ist zusätzlich die Vorschrift des § 18 GmbHG, bei der AG die Vorschrift des § 69 AktG4 zu beachten. Bei beiden Kapitalgesellschaften ist zu prüfen, ob sich aus dem Gesellschaftsvertrag bzw. der Satzung Besonderheiten ergeben, wenn Geschäftsanteile bzw. Aktien einer Mehrheit von Erben zustehen (allgemein zur Erbengemeinschaft Rz. 5.540).

10.164

1. Die Willensbildung innerhalb der Erbengemeinschaft a) Ordnungsgemäße Verwaltung Gemäß § 2038 Abs. 1 BGB ist jeder Miterbe zur gemeinschaftlichen, ordnungsgemäßen Verwaltung berechtigt und verpflichtet. 1 Vgl. Sailer-Coceani in Hoffmann-Becking, Münch. Hdb. GesR4, Band 4, § 140 Rz. 47; Koch in Hüffer/Koch14, § 67 AktG Rz. 17 f. 2 Bayer/Sarakinis, NZG 2018, 561 (562). 3 Bayer/Sarakinis, NZW 2018, 561 (561); Crezelius, Unternehmenserbrecht2, § 5 Rz. 222. 4 Eingehend zum gemeinschaftlichen Vertreter der Erbengemeinschaft im Aktienrecht Bayer/Sarakinis, NZG 2018, 561.

Wenzel/Falkowski | 781

10.165

Kap. 10 Rz. 10.166 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

10.166

Maßnahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung können gem. § 2038 Abs. 2 BGB mit einfacher Stimmmehrheit beschlossen werden. Ordnungsgemäße Verwaltung ist die Verwaltung, die der Beschaffenheit des gemeinschaftlichen Gegenstands – d.h. des Nachlasses – und dem Interesse aller Miterben nach billigem Ermessen entspricht, §§ 2038 Abs. 2 i.V.m. 745 Abs. 2 BGB. Ob eine Maßnahme als solche der ordnungsgemäßen Verwaltung anzusehen ist, ist einzelfallbezogen aus der Sicht eines vernünftig und wirtschaftlich denkenden Beurteilers zu entscheiden.1 Zur ordnungsgemäßen Verwaltung gehören Maßnahmen zur Inbesitznahme, Sicherung, Erhaltung und Vermehrung des Nachlasses sowie zur Nutzungsziehung und Bestreitung der laufenden Verbindlichkeiten.2

10.167

Maßnahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung in einer Kapitalgesellschaft können sein: – die Übertragung der Verwaltung und Vertretung auf Miterben oder Dritte einschließlich der Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern;3 – die Mitwirkung an einer Sitzverlegung;4 – die Ausübung des Stimmrechts bzgl. regelmäßig wiederkehrender Angelegenheiten aus dem Katalog des § 46 GmbhG;5 – die Wahrnehmung des vorbereitenden Informationsrechts gem. § 51a GmbHG.6

10.168

Wenn die Mehrheit der Miterben eine ordnungsgemäße Maßnahme zur Verwaltung des Nachlasses beschließt, erhält sie hiermit die Rechtsmacht, den Beschluss auch ohne Mitwirkung der überstimmten Erben durchzuführen. Die Mehrheit der Erben bzw. ihr Beauftragter hat Vertretungsmacht, auch für den überstimmten Miterben zu handeln.7 Für Verfügungsgeschäfte gilt ergänzend § 2040 Abs. 1 BGB, nach dem die Erben nur gemeinschaftlich über Nachlassgegenstände verfügen dürfen. Die lange umstrittene Frage, ob diese Norm Verfügungen der Erbenmehrheit ausschließt, hat der BGH zwischenzeitlich im Sinne eines Vorrangs von § 2038 BGB vor § 2040 BGB beantwortet.8 Stellt die Verfügung eine Maßnahme ord1 Lohmann in BeckOK, § 2038 BGB Rz. 4 (Stand: 1.8.2019); Gergen in MüKo8, § 2038 BGB Rz. 31, 32. 2 BGH v. 28.9.2005 – IV ZR 82/04, BGHZ 164, 181 (184) = NJW 2006, 439; OLG Brandenburg v. 24.8.2011 – 13 U 56/10, ZEV 2012, 261 (263); OLG Karlsruhe v. 16.12.2013 – 7 W 76/13, ZEV 2014, 208 (209). 3 BGH v. 29.3.1971 – III ZR 255/68, BGHZ 56, 47 (51); OLG Stuttgart v. 9.9.2014 – 14 U 9/14, ZEV 2015, 288 (289); OLG Jena v. 25.4.2012 – 2 U 520/11, GmbHR 2013, 149; Gergen in MüKo8, § 2038 BGB Rz. 33. 4 Kaya, ZEV 2013, 593 (596). 5 Schürnbrand, NZG 2016, 241 (244) m.w.N. 6 Schürnbrand, NZG 2016, 241 (244) m.w.N. 7 Lohmann in BeckOK, § 2038 BGB Rz. 7 (Stand: 1.8.2019); Wolf in Soergel13, § 2038 BGB Rz. 11; Gergen in MüKo8, § 2038 BGB Rz. 39. 8 BGH v. 28.9.2005 – IV ZR 82/04, BGHZ 164, 181 (184 f.) = NJW 2006, 439 (440); BGH v. 28.4.2006 – LwZR 10/05, NJW 2007, 150 (152 f.); BGH v. 11.11.2009 – XII ZR 210/05, BGHZ 183, 12 (Rz. 26 ff.) = NJW 2010, 765 (767); BGH v. 19.9.2012 – XII ZR 151/10, NJW 2013, 166 (167); BGH v. 3.12.2014 – IV ZA 22/14, ZEV 2015, 339 (339); BGH v. 8.4.2015 – IV ZR 161/14, NJW 2015, 1881 (1882); nach Lohmann in BeckOK, § 2040 BGB Rz. 2 (Stand: 1.8.2019) kann diese Rechtsprechung inzwischen als gefestigt angesehen werden in Bezug auf Gestaltungsrechte; zustimmend Perzborn, RNotZ 2017, 405 (407); ebenso Weidlich in Palandt79, § 2038 BGB Rz. 5 f.; Löhnig in Staudinger, § 2038 BGB Rz. 33a m.w.N. (Stand: 2016); a.A. Gergen in MüKo8, § 2038 BGB Rz. 53.

782 | Wenzel/Falkowski

D. Anteile an Kapitalgesellschaften im Nachlass | Rz. 10.172 Kap. 10

nungsgemäßer Verwaltung dar, kann sie daher gem. §§ 2038 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1, 745 Abs. 1 BGB beschlossen und durchgeführt werden. Die Literatur ist dem überwiegend gefolgt.1 Beratungshinweis: Aufgrund der Unbestimmtheit des Begriffs der „ordnungsgemäßen Verwaltung“ und der hiermit verbundenen Rechtsunsicherheit, wird es sich freilich anbieten, gerade bei bedeutsameren Verfügungen dennoch auf einen einstimmigen Beschluss hinzuwirken.

10.169

b) Außerordentliche Verwaltung Außerordentlich ist dagegen jede Maßnahme der Verwaltung, die über die ordnungsgemäße Verwaltung hinausgeht. Derartige Maßnahmen außerhalb der ordentlichen Verwaltung bedürfen grundsätzlich der Einstimmigkeit der Miterben.2 Dies gilt insbesondere, wenn an dem Nachlass eine wesentliche Veränderung vorgenommen wird, §§ 2038 Abs. 2 i.V.m. 745 Abs. 3 BGB. „Wesentlich“ sind hierbei Veränderungen, durch die Zweckbestimmung oder Gestalt des Nachlasses in einschneidender Weise geändert werden würden. Da Bezugspunkt der Nachlass als Ganzes ist, bleiben den Gesellschaftsanteil betreffende Umgestaltungen (etwa Änderungen des Gesellschaftsvertrages, Belastung, Veräußerung) dann außer Betracht, wenn hierdurch der Nachlass als Ganzes nicht wesentlich beeinträchtigt ist.3 Für die Frage, ob dies im Einzelnen der Fall ist, ist neben Art und Wirkung der Maßnahme daher auch entscheidend, welche Bedeutung der Gesellschaftsanteil im Gesamtnachlass hat. Besteht dieser (fast) ausschließlich aus dem Gesellschaftsanteil wird jede wesentliche Veränderung an diesem auch auf den Nachlass durchschlagen.4

10.170

Die Durchführung von Maßnahmen der außerordentlichen Verwaltung bedarf nicht des gemeinsamen Tätigwerdens aller Miterben: Es reicht aus, wenn der handelnde Erbe mit Zustimmung aller Miterben auftritt, § 182 BGB. Auch die (konkludente) Bevollmächtigung eines Erben oder eines Dritten durch die Erbengemeinschaft ist möglich.5

10.171

c) Notgeschäftsführung Jeder Miterbe kann notwendige Erhaltungsmaßnahmen allein treffen, § 2038 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BGB (Notverwaltungsrecht). „Notwendig“ ist eng zu verstehen und umfasst nur solche Maßnahmen, die der Erhaltung des Nachlass dienen.6 Die Maßnahmen müssen so dringlich sein, dass die Zustimmung der übrigen Miterben nicht mehr eingeholt werden kann.7 1 Lohmann in BeckOK, § 2038 BGB Rz. 2 (Stand: 1.8.2019); Rißmann/Szalai in BeckOGK, § 2038 BGB Rz. 36 ff. (Stand: 1.4.2020) m.w.N. und einer umfassenden Übersicht über die Entwicklung der BGH-Rechtsprechung; a.A. z.B. noch Gergen in MüKo8, § 2038 BGB Rz. 53. 2 Rißmann/Szalai in BeckOGK, § 2038 BGB Rz. 24 (Stand: 1.4.2020); Lohmann in BeckOK, § 2038 BGB Rz. 15 (Stand: 1.8.2019). 3 BGH v. 4.5.1987 – II ZR 211/86, BGHZ 101, 24 (28) = NJW 1987, 3177; BGH v. 8.3.2004 – II ZR 5/02, NJW-RR 2004, 809 (810); BGH v. 28.9.2005 – IV ZR 82/04, BGHZ 164, 181 = NJW 2006, 439 (440 f.); Gergen in MüKo8, § 2038 BGB Rz. 31. 4 Schürnbrand, NZG 2016, 241 (245). 5 Weidlich in Palandt79, § 2038 BGB Rz. 10; Lohmann in BeckOK, § 2038 BGB Rz. 15 (Stand:1.8.2019); Gergen in MüKo8, § 2038 BGB Rz. 24. 6 Ausführlich zur hier nicht weiter erläuterten Notgeschäftsführung bei Rißmann/Szalai in BeckOGK, § 2038 BGB Rz. 15 (Stand: 1.4.2020). 7 Anders allenfalls bei unbedeutenden Geschäften, die den Nachlasswert nicht wesentlich tangieren, Gergen in MüKo8, § 2038 BGB Rz. 57.

Wenzel/Falkowski | 783

10.172

Kap. 10 Rz. 10.173 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen Beratungshinweis:

10.173

Ob ein Fall der Notgeschäftsführung vorliegt, kann nur im Einzelfall entschieden werden. Zu beachten ist in jedem Fall, dass der einzelne Erbe nur befugt ist im Hinblick auf den gemeinsamen Nachlass zu handeln. Er vertritt auch bei Vorliegen der Notgeschäftsführung nicht die Gesellschaft selbst nach außen. Anerkannt ist die Notgeschäftsführung in diesem Zusammenhang etwa für gesellschaftsrechtliche Anfechtungsklagen der Erbenbeteiligung.1

2. Gemeinsamer Vertreter der Erben a) GmbH

10.174

Gemäß § 18 Abs. 1 GmbHG können die Miterben ihre Rechte aus einem ihnen ungeteilt zustehenden Geschäftsanteil nur gemeinschaftlich ausüben. Für die Beschlussfassung gelten dabei die allgemeinen Regeln der §§ 2038 ff. BGB, so dass je nach Gegenstand der Entscheidung entweder die einstimmige Ausübung durch alle Miterben, durch ihre Mehrheit oder gar durch den einzelnen Erben ausreichen kann.2 Jedem der Erben steht allerdings ein eigenes Recht zur Teilnahme an Gesellschafterversammlungen zu.3 Die Erbengemeinschaft hat daher auch die Möglichkeit, ihre (einheitliche) Stimmabgabe erst in der Gesellschafterversammlung zu beschließen.

10.175

Die Erben können auch durch einen gemeinschaftlichen Vertreter handeln, vgl. § 18 Abs. 3 GmbHG. Die Bestellung bedarf zwar keiner besonderen Form, die Einhaltung der Schriftform ist jedoch zweckmäßig. Einer allgemeinen Anzeige der gemeinsamen Vertretung an die GmbH bedarf es grundsätzlich nicht, allerdings wird die Gesellschaft Rechtshandlungen des Vertreters, die ohne Nachweis der Vollmacht durch Vollmachtsurkunde erfolgen, meist gem. § 174 BGB zurückweisen können, da diese regelmäßig einseitige Rechtsgeschäfte darstellen werden.4 Soll der Vertreter das Stimmrecht ausüben, so ist Textform erforderlich, § 47 Abs. 3 GmbHG. Die Gesellschaft darf die zwingende Vertretung durch einen gemeinsamen Vertreter nur verlangen, soweit die Satzung dies vorsieht (sog. Vertreterklausel).5 Gestaltungshinweis:

10.176

In Fällen einer auch nur entfernt absehbaren Erbengemeinschaft (bzw. anderen Fällen der Mitberechtigung i.S.d. § 18 Abs. 1 GmbHG) empfiehlt sich grundsätzlich eine Vertreterklausel. Durch sie wird zum einen verhindert, dass Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Erbengemeinschaft in

1 BGH v. 12.6.1989 – II ZR 246/88, NJW 1989, 2694; Schürnbrand, NZG 2016, 241 (243). 2 BGH v. 12.6.1989 – II ZR 246/88, NJW 1989, 2694 (2696) = MittBayNot 1990, 48 (50); BGH v. 14.12.1967 – II ZR 30/67, NJW 1968, 743 (745); BGH v. 29.3.1971 – III ZR 255/68, NJW 1971, 1265 (1266); OLG Stuttgart v. 9.9.2014 – 14 U 9/14, ZEV 2015, 288 (288 f.); OLG Nürnberg v. 16.7.2014 – 12 U 2267/12, ZIP 2014, 2081 (2083); OLG Karlsruhe v. 16.12.2013 – 7 W 76/13, ZEV 2014, 208 (208 f.); s. auch Servatius in Baumbach/Hueck22, § 18 GmbHG Rz. 4 m.w.N. 3 Servatius in Baumbach/Hueck22, § 18 GmbHG Rz. 4; Drescher in MüKo3, § 47 GmbHG Rz. 87; Liebscher in MüKo3, § 48 GmbHG Rz. 37; Kaya, ZEV 2013, 593 (595); a.A. Seibt in Scholz12, § 48 GmbHG Rz. 15. 4 Servatius in Baumbach/Hueck22, § 18 GmbHG Rz. 5; Verse in Henssler/Strohn4, § 18 GmbHG Rz. 10; Schmidt, NZG 2015, 1049; Reichert/Weller in MüKo3, § 18 GmbHG Rz. 78; a.A. Ebbing in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt3, § 18 GmbHG Rz. 50. 5 Römermann in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt3, § 48 GmbHG Rz. 79; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck22, § 48 GmbHG Rz. 6; Servatius in Baumbach/Hueck22, § 18 GmbHG Rz. 5; Ebbing in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt3, § 18 GmbHG Rz. 49 – 58.

784 | Wenzel/Falkowski

D. Anteile an Kapitalgesellschaften im Nachlass | Rz. 10.180 Kap. 10 die Gesellschafterversammlung hineingetragen werden. Zum anderen kann auch der für die Vertretung in Frage kommende Personenkreis entsprechend den Bedürfnissen der Gesellschaft eingeschränkt werden. So ist z.B. gerade in Familiengesellschaften eine Beschränkung auf einen der Miterben oder (sonstige) Familienangehörige denkbar. Auch kann die Vertretung auf bestimmte Berufsgruppen beschränkt werden, insbesondere solche, die von Berufs wegen zur Verschwiegenheit verpflichtet sind.1

Sofern kein gemeinsamer Vertreter existiert, sind Rechtshandlungen in Bezug auf die vererbte Beteiligung auch dann wirksam, wenn sie nur gegenüber einem der Erben vorgenommen werden, § 18 Abs. 3 Satz 1 GmbH. Dies gilt dies jedoch nur für Rechtshandlungen, welche nach Ablauf eines Monats seit dem Anfall der Erbschaft vorgenommen werden, § 18 Abs. 3 Satz 2 GmbHG.

10.177

b) Aktiengesellschaft Miterben müssen sich zur Wahrnehmung ihrer Rechte zwingend eines gemeinsamen Vertreters bedienen, § 69 Abs. 1 AktG. Die Bestellung bedarf keiner besonderen Form, sollte aber zweckmäßigerweise (zumindest) die Schriftform einhalten. Soll der Vertreter das Stimmrecht ausüben, gilt Textform, § 134 Abs. 3 Satz 3 AktG. Bei der Bestellung handelt es sich um eine Obliegenheit. Solange ein Vertreter nicht bestellt ist, kann die Erbengemeinschaft nicht nur ihre Rechte nicht ausüben, die Gesellschaft kann nach Ablauf eines Monates seit dem Anfall der Erbschaft auch Willenserklärungen gegenüber jedem der Berechtigten mit Wirkung für alle abgeben, § 69 Abs. 3 AktG.

10.178

3. Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft Die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft ist in den §§ 2042 ff. BGB geregelt. Nach Berichtigung der Nachlassverbindlichkeiten, § 2046 Abs. 1 BGB, wird der verbleibende Überschuss entsprechend der (ggf. nach §§ 2050 f. BGB verschobenen) Erbquoten und unter Berücksichtigung etwaiger Teilungsanordnungen, § 2048 BGB, auf die Miterben gem. § 2047 Abs. 1 BGB verteilt. Da § 2042 Abs. 2 BGB auf die Vorschriften über die Gemeinschaftsteilung gemäß der §§ 752 ff. BGB verweist, hat vorrangig eine Teilung in Natur zu erfolgen, soweit sich die Nachlassgegenstände ohne Wertminderung in gleichartige, den Erbquoten entsprechende Teile zerlegen lassen. Nur, insoweit keine Teilbarkeit gegeben ist, wird für bewegliche Sachen der Pfandverkauf, §§ 2042 Abs. 2, 753 Abs. 1 Satz 1, 754 i.V.m. §§ 1233 ff. BGB und für Immobilien die Teilungsversteigerung, §§ 2042 Abs. 2, 753 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. § 180 ZVG, durchgeführt.2

10.179

Für die Beteiligung an Kapitalgesellschaften gilt Folgendes:

10.180

– Ein GmbH-Anteil ist nur mit Zustimmung der Gesellschafter teilbar, § 46 Nr. 4 GmbHG, sofern der Gesellschaftsvertrag nicht etwas anderes vorsieht.3

1 Göz, NZG 2004, 345 (346); Ivo, ZEV 2006, 252 (253). 2 Ann in MüKo8, § 2042 BGB Rz. 26; Eberl-Borges in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2042 BGB Rz. 14. 3 Karsten Schmidt in MüKo8, § 752 BGB Rz. 20; Fehrenbacher in BeckOGK, § 752 BGB Rz. 8 (Stand: 15.2.2020); Löhnig in Staudinger, § 2042 BGB Rz. 23 (Stand: 2016); Flechtner in Burandt/ Rojahn3, § 2042 BGB Rz. 20.

Wenzel/Falkowski | 785

Kap. 10 Rz. 10.180 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

– Die einzelne Aktie ist nicht teilbar, § 8 Abs. 5 AktG.1 Eine Mehrzahl an Aktien ist soweit teilbar, wie sie ihrer Zahl nach auf die Erbquoten aufgeteilt werden kann. Die hiernach verbleibenden Aktien sind dann zu veräußern.2

10.181

Die Auseinandersetzungsregeln der §§ 2042 ff. BGB sind nur insoweit maßgeblich, als nicht Erblasseranordnungen (hierzu unter Rz. 10.446) oder eine Vereinbarung der Erben Abweichendes vorsehen.3 Den Erben steht es grundsätzlich frei, sich nach ihren eigenen Vorstellungen auseinanderzusetzen. Für einen solchen einvernehmlichen Auseinandersetzungsvertrag besteht daher weitgehende Gestaltungsfreiheit. Dies geht so weit, dass die Erben auch die Möglichkeit haben, Auseinandersetzungsanordnungen des Erblassers einvernehmlich aufzuheben.4

10.182

Scheitert die einvernehmliche Auseinandersetzung, kann jeder Erbe gem. § 2042 Abs. 1 BGB im Wege der Auseinandersetzungsklage den Abschluss eines Auseinandersetzungsvertrages erreichen. Die Klage ist dann auf Zustimmung zu einem vom Kläger vorzulegenden Teilungsplan gerichtet. Sie ist begründet, wenn dieser den anzuwendenden Teilungsvorschriften (§§ 2042 ff. BGB sowie etwaigen Erblasseranordnungen) entspricht und Teilungsreife5 vorliegt.6 Eine Teilauseinandersetzung kann nur ausnahmsweise gefordert werden.7

10.183

Unabhängig davon, ob die Auseinandersetzungsvereinbarung einvernehmlich erreicht wurde oder nicht, hat diese nur schuldrechtliche Wirkung und muss erst noch durch dingliche Übertragung der einzelnen Nachlassgegenstände von der Erbengemeinschaft auf den einzelnen Erben vollzogen werden, wobei die entsprechenden Erklärungen freilich auch bereits mit dem Auseinandersetzungsvertrag bzw. der Klage auf diesen verbunden werden können.8 Beratungshinweis:

10.184

Da die Auseinandersetzung durch Einzelübertragungen erfolgt, muss darauf geachtet werden, dass der Gesellschaftsvertrag einer solchen nicht in Gestalt einer Vinkulierungsklausel entgegensteht (hierzu unter Rz. 10.187). Probleme können sich auch hier bei Minderjährigkeit eines der Erben ergeben (s. Rz. 10.211).

1 Nicht von § 8 Abs. 5 AktG umfasst ist allerdings die Neustückelung des Grundkapitals im Wege der Satzungsänderung, auch wenn in ihrem Rahmen einzelne Aktien geteilt werden. Heider in MüKo5, § 8 AktG Rz. 87. 2 Rißmann/Szalai in BeckOGK, § 2042 BGB Rz. 54.1 (Stand: 1.4.2020); Flechtner in Burandt/Rojahn3, § 2042 BGB Rz. 19; Karsten Schmidt in MüKo8, § 752 BGB Rz. 14; Fehrenbacher in BeckOGK, § 752 BGB Rz. 8 (Stand: 15.2.2020). 3 Ann in MüKo8, § 2042 BGB Rz. 23; Keim, RNotZ 2003, 375 (376). 4 Ann in MüKo8, § 2042 BGB Rz. 22; Rißmann/Szalai in BeckOGK, § 2042 BGB Rz. 26 (Stand: 1.4.2020). 5 Vgl. hierzu OLG Karlsruhe v. 29.11.1973 – 4 U 209/72, NJW 1974, 956; KG v. 20.10.1961 – 12 U 255/60, NJW 1961, 733; Koslowski in Münch. Anwhdb. ErbR5, § 62 Rz. 6 ff.; Flechtner in Burandt/ Rojahn3, § 2042 BGB Rz. 54; Löhnig in Staudinger, § 2042 BGB Rz. 47 m.w.N (Stand: 2016). 6 Die ganz h.M. verlangt Teilungsreife des Nachlasses, vgl. z.B. Weidlich in Palandt79, § 2042 BGB Rz. 20 und Ann in MüKo8, § 2042 BGB Rz. 58, jeweils m.w.N. 7 Eine Teilauseinandersetzung ist nur möglich, wenn besondere Gründe dies rechtfertigen und die Belange der Erbengemeinschaft sowie der anderen Miterben nicht beeinträchtigt werden: BGH v. 9.1.2013 – 3 W 672/12, NJW-RR 2013, 584; BGH v. 14.3.1984 – IVa ZR 87/82, NJW 1985, 51 (52); Lohmann in BeckOK, § 2042 BGB Rz. 9 (Stand: 1.8.2019); Ann in MüKo8, § 2042 BGB Rz. 20. 8 Weidlich in Palandt79, § 2042 BGB Rz. 21; Ann in MüKo8, § 2042 BGB Rz. 43, 68; Rißmann/Szalai in BeckOGK, § 2042 BGB Rz. 39 (Stand: 1.4.2020).

786 | Wenzel/Falkowski

D. Anteile an Kapitalgesellschaften im Nachlass | Rz. 10.189 Kap. 10

4. Nur teilweise Nachfolgeberechtigung im Sinne einer Nachfolgeklausel Wird ein Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft durch eine Erbengemeinschaft beerbt, kann es dazu kommen, dass nur ein Teil der Erben nachfolgeberechtigt ist (vgl. zur Nachfolgeberechtigung im Allgemeinen unter Rz. 10.137). Ob in diesem Fall eine Nachfolgeklausel uneingeschränkt gilt, so dass eine Abtretung, Einziehung oder Kaduzierung betrieben werden könnte, hängt ohne ausdrückliche Regelung für diesen Fall von der Auslegung des Gesellschaftsvertrags ab. Diese wird regelmäßig ergeben, dass dies nicht der Fall sein soll, soweit die Erben den Geschäftsanteil im Wege der Erbauseinandersetzung dem nachfolgeberechtigten Erben zuweisen – zumindest solange dies in angemessener Zeit geschieht.1

10.185

Gestaltungshinweis: Die aus einer unklaren Nachfolgeregelung folgenden Unsicherheiten bei der Auslegung lassen sich durch eine eindeutige Klausel vermeiden. So empfiehlt es sich, die Möglichkeit der Einziehung oder den Eintritt der Abtretungsverpflichtung daran zu knüpfen, dass nicht innerhalb eines bestimmten Zeitraums eine Erbauseinandersetzung hinsichtlich des Anteils erfolgt ist, im Rahmen derer dieser nur an nachfolgeberechtigte Personen übertragen wurde.2

10.186

III. Abstimmung von letztwilliger Verfügung und Gesellschaftsvertrag 1. Übertragbarkeit der Gesellschaftsanteile a) GmbH Gemäß § 15 Abs. 1 GmbHG sind Geschäftsanteile an einer GmbH grundsätzlich frei übertragbar. In der Regel besteht seitens der Gesellschafter jedoch das Bedürfnis, Einfluss auf den Gesellschafterkreis nehmen zu können. Zu diesem Zwecke werden sog. Vinkulierungsklauseln vereinbart, die die Wirksamkeit der rechtsgeschäftlichen Übertragung eines Geschäftsanteils unter Lebenden an die Zustimmung der Gesellschaft oder der Mitgesellschafter binden, vgl. § 15 Abs. 5 GmbHG.

10.187

Der Erwerb eines Geschäftsanteils im Wege der Universalsukzession gem. § 1922 BGB kann durch den Gesellschaftsvertrag hingegen nicht ausgeschlossen werden. Hier können die Gesellschafter lediglich durch die Aufnahme von Abtretungs-, Einziehungs- oder Kaduzierungsklauseln (hierzu unter Rz. 10.137) Einfluss nehmen. Im Rahmen der Vereinbarung derartiger Klauseln treffen die Gesellschafter untereinander eine bindende Entscheidung hinsichtlich der Frage, wer nachfolgeberechtigt ist, also als Nachfolger in Frage kommt (in der Regel Mitgesellschafter und/oder Abkömmlinge bzw. Ehegatte des Erblassers). Der einzelne Gesellschafter lässt sich darauf ein, dass seine Mitgesellschafter die Möglichkeit haben, einen nicht qualifizierten Nachfolger aus der Gesellschaft auszuschließen.

10.188

Geht ein Geschäftsanteil nicht kraft Gesetzes, sondern erst im Wege der Vermächtniserfüllung oder im Rahmen der dinglichen Erbauseinandersetzung auf den Nachfolgeberechtigten über, bedarf es noch eines Vollzugsaktes, durch den der Nachfolger in die Gesellschafterstellung eintritt. Ob die Vinkulierungsklausel auch diese Formen des Übergangs erfasst, ist bei diesbezüglichen Unklarheiten im Wege der Auslegung zu ermitteln.3

10.189

1 Perzborn, RNotZ 2017, 405 (417); Seibt in Scholz12, § 15 GmbHG Rz. 32; Reichert/Weller in MüKo3, § 15 GmbHG Rz. 458; Pfisterer in Saenger/Inhester3, § 15 GmbHG Rz. 17. 2 S. dazu den Formulierungsvorschlag bei Perzborn, RNotZ 2017, 405 (418). 3 In Bezug auf das Vermächtnis: Blasche, RNotZ 2013, 515 (520); Verse in Henssler/Strohn4, § 15 GmbHG Rz. 34; Ebbing in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt3, § 15 GmbHG Rz. 18, 38; in Bezug auf die Erbauseinandersetzung: Blasche, RNotZ 2013, 515 (519).

Wenzel/Falkowski | 787

Kap. 10 Rz. 10.189 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

– Allgemein gehaltene Vinkulierungsklauseln, die meist nur von „Verfügung“ oder „Veräußerung“ sprechen, schließen ihrem Wortlaut nach oft auch Übertragungen auf Grund von Vermächtnis oder Erbauseinandersetzung mit ein. Hat der Gesellschaftsvertrag die Nachfolge aber nicht durch eine Nachfolgeklausel eingeschränkt, soll sich nach h.M. die Vinkulierungsklausel nicht auf die Übertragung im Wege der Erbauseinandersetzung oder Vermächtniserfüllung an einen Miterben beziehen (teleologische Reduktion).1 – Wenn neben einer allgemein gehaltenen Übertragungsbeschränkung auch eine Nachfolgeregelung existiert und der Übertragungsempfänger nach dieser nachfolgeberechtigt ist, haben die Gesellschafter hingegen zu erkennen gegeben, dass sie den unbeschränkten Übergang auf den jeweils Nachfolgeberechtigten annehmen. Davon auszugehen, dass die Gesellschafter zwischen der Nachfolge im Wege der Erbeinsetzung und der durch Vermächtnis bzw. Erbteilung haben differenzieren wollen, wäre dagegen lebensfremd.2 Gestaltungshinweis:

10.190

Um Auslegungsprobleme von vornherein zu vermeiden, sollte auf eine eindeutig formulierte und an die Nachfolgeklauseln angepasste bzw. in diese integrierte Vinkulierungsklausel hingewirkt werden. Soweit die Nachfolge überhaupt zugelassen werden soll, sollte unbedingt auch die Übertragung an einen Nachfolgeberechtigten durch Vermächtniserfüllung und Erbauseinandersetzung zugelassen werden.3

b) Aktiengesellschaft

10.191

Für Namensaktien (nur) der AG ergibt sich die Möglichkeit einer Vinkulierung aus § 68 Abs. 2 AktG. Geht eine vinkulierte Namensaktie nicht kraft Gesetzes, sondern erst im Wege der Vermächtniserfüllung oder im Rahmen der dinglichen Erbauseinandersetzung auf den Nachfolgeberechtigten über, bedarf es noch eines Vollzugsaktes, durch den der Nachfolger in die Gesellschafterstellung eintritt. Ob die Vinkulierungsklausel auch diese Formen des Übergangs erfasst, ist bei diesbezüglichen Unklarheiten im Wege der Auslegung zu ermitteln.4

2. Teilbarkeit der Gesellschaftsanteile a) Einführung

10.192

Wendet der Erblasser seine Gesellschaftsanteile mehreren Personen zu – sei es im Wege der Erbeinsetzung oder durch Vermächtnis – so ist darauf zu achten, dass die gesellschaftsvertraglichen Regelungen einer notwendigen Teilung des Anteils oder der Anteile nicht entgegenstehen. b) GmbH

10.193

Die Teilbarkeit eines GmbH-Geschäftsanteils hängt davon ab, ob diese durch die Gesellschafter zugelassen wurde, § 46 Nr. 4 GmbHG, wobei die generelle Zulassung genau wie ein generelles Teilungsverbot auch bereits in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen werden kann.5 Unabhän1 Seibt in Scholz12, § 15 GmbHG Rz. 36; Binz/Mayer, NZG 2012, 201 (211), jeweils m.w.N. 2 So im Ergebnis auch Binz/Mayer, NZG 2012, 201 (211) und Perzborn, RNotZ 2017, 405 (410). 3 Ein entsprechendes Muster findet sich etwa bei Haasen im Beck’schen Formularbuch GmbHRecht, C.I.3. 4 Binz/Mayer, NZG 2012, 201 (211). 5 Perzborn, RNotZ 2017, 405 (411). Bis zum Inkrafttreten des MoMiG richtete sich die Teilung von Geschäftsanteilen nach § 17 GmbHG a.F. und war nur zum Zwecke der Veräußerung oder Vererbung zulässig. Nach Aufhebung des § 17 GmbHG a.F. liegen Teilung und Zusammenlegung nun vollständig in den Händen der Gesellschafterversammlung.

788 | Wenzel/Falkowski

E. Der minderjährige Unternehmensnachfolger | Rz. 10.197 Kap. 10

gig von der konkreten Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrages wird die Teilung erst durch den Teilungsbeschluss als Außenakt der Gesellschaft wirksam. Übertragungen von Teilen eines Geschäftsanteils sind bis zum Vorliegen eines Teilungsbeschlusses schwebend unwirksam.1 Gestaltungshinweis: Sollen die Nachfolger nach dem Erbfall nicht vom Wohlwollen ihrer Mitgesellschafter abhängen, sollte rechtzeitig die Teilbarkeit der Geschäftsanteile zumindest für den Todesfall eines Gesellschafters zugelassen werden.

10.194

Gänzlich vermeiden lässt sich die Notwendigkeit eines Teilungsbeschlusses nach dem Erbfall, wenn bereits im Vorfeld die bestehenden Geschäftsanteile in solche mit einem Nennbetrag von je 1 € eingeteilt werden – eine spätere (weitere) Teilung ist dann nicht mehr erforderlich.

c) Aktiengesellschaft Die einzelne Aktie ist nicht teilbar, § 8 Abs. 5 AktG. Möglich bleibt allerdings eine Teilung der Aktien im Rahmen einer Neustückelung des Grundkapitals durch satzungsändernden Gesellschaftsbeschluss.2

10.195

Gestaltungshinweis: Auch bei der AG kann es sich anbieten, die gleichmäßige Teilbarkeit der Aktien – durch einen Nennbetrag von 1 € für Nennbetragsaktien bzw. Auswahl einer entsprechenden Stückzahl bei Stückaktien – bereits vor dem Erbfall sicherzustellen.

10.196

E. Der minderjährige Unternehmensnachfolger I. Einführung Ist der auserkorene Unternehmensnachfolger zum Zeitpunkt des Eintritts des Erbfalles noch minderjährig, sind einige Besonderheiten zu beachten, da dieser durch seine Eltern als gesetzliche Vertreter vertreten werden muss. Diese können bei der Vertretung je nach den Voraussetzungen des Einzelfalls ihrerseits bestimmten Beschränkungen unterliegen (ausführlich zur Beteiligung von Minderjährigen unter Rz. 2.105): – Die Vertretungsmacht der Eltern kann gem. § 1629 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 1795 BGB wegen des Vorliegens einer potentiellen Interessenkollision ausgeschlossen sein, so dass es der gerichtlichen Bestellung eines Ergänzungspflegers bedarf, der das Kind anstelle der Eltern vertritt. Im Grundsatz gilt, dass ein Elternteil nicht mit sich selbst im eigenen Namen und gleichzeitig als Vertreter eines minderjährigen Kindes einen Vertrag schließen darf, da er sich dann in einem potentiellen Interessenkonflikt befindet. Damit ein entsprechender Vertrag trotzdem abgeschlossen werden kann, ist ein Ergänzungspfleger durch das Familiengericht zu bestellen. Dabei handelt es sich um einen Dritten, der das minderjährige Kind anstelle des ausgeschlossenen Elternteils vertritt, um zu verhindern, dass es durch den Vertragsschluss Nachteile erleidet. Die Frage der Bestellung eines Ergänzungspflegers stellt sich gerade, wenn Eltern und Kind oder das Kind und seine ebenfalls minderjährigen Ge1 Liebscher in MüKo3, § 46 GmbHG Rz. 86; Schindler in BeckOK, § 46 GmbHG Rz. 36 (Stand: 1.2.2018). 2 Nicht von § 8 Abs. 5 AktG umfasst ist allerdings die Neustückelung des Grundkapitals im Wege der Satzungsänderung, auch wenn in ihrem Rahmen einzelne Aktien geteilt werden. Heider in MüKo5, § 8 AktG Rz. 87.

Wenzel/Falkowski | 789

10.197

Kap. 10 Rz. 10.197 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

schwister in einer Erbengemeinschaft verbunden sind, spätestens im Rahmen der Erbauseinandersetzung. Aber auch nach erfolgter Auseinandersetzung, wenn die Eltern und das minderjährige Kind oder das minderjährige Kind und ein minderjähriges Geschwisterkind gemeinsam Gesellschafter einer Gesellschaft geworden sind. Wird ein Geschäft ohne Bestellung eines Ergänzungspflegers abgeschlossen, ist es schwebend unwirksam.1 Beratungshinweis:

10.198

Steht die elterliche Sorge beiden Elternteilen gemeinsam zu, können sie das Kind grundsätzlich nur gemeinsam vertreten. Ist ein Elternteil gem. § 1629 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 1795 BGB von der Vertretung ausgeschlossen, schlägt dies nach ganz h.M. auf den anderen Elternteil durch, so dass keiner der Eltern das Kind vertreten kann.2

– Daneben bedürfen einzelne Geschäfte gem. § 1643 BGB i.V.m. § 1821 BGB der Genehmigung des Familiengerichts. Unabhängig von einer möglichen Interessenkollision sieht die Rechtsordnung bestimmte Geschäfte als so wirtschaftlich bedeutsam an, dass die Eltern das Kind bei diesen nur mit der Zustimmung des Familiengerichts wirksam vertreten können. Fehlt die Genehmigung, ist das betreffende Geschäft schwebend unwirksam (§§ 1643 Abs. 3, 1829 Abs. 1 BGB).3

10.199

Wie sich diese Einschränkungen im Falle eines minderjährigen Unternehmenserben auswirken, wird im Folgenden im Einzelnen dargestellt.

II. Vermögensübergang auf den Minderjährigen 1. Vermögensübergang auf den minderjährigen Erben 10.200

Der Eintritt der Gesamtrechtsnachfolge gem. § 1922 BGB erfolgt unabhängig vom Alter des Bedachten, so dass auch der Minderjährige (einschließlich des ungeboren Erben nach § 1923 Abs. 2 BGB) ohne weiteres Erbe sein kann (zur Übertragung von Geschäftsanteilen an einen Minderjährigen zu Lebzeiten Rz. 20.232). Die Annahme der Erbschaft – die für die Rechtsnachfolge selbstverständlich nicht zwingend ist („Vonselbsterwerb“) – kann ohne weiteres durch die Eltern als gesetzliche Vertreter des Minderjährigen erklärt werden und bedarf keiner familiengerichtlichen Genehmigung.4 Der beschränkt geschäftsfähige Minderjährige kann – jedenfalls mit Zustimmung der Eltern5 – auch selbst die Annahme erklären.6 Huber in MüKo8, § 1629 BGB Rz. 45. Vgl. nur BGH v. 14.6.1972 – IV ZR 53/71, NJW 1972, 1708. Huber in MüKo8, § 1643 BGB Rz. 1, 2, 39; BGH v. 21.10.1954 – IV ZR 93/54, BGHZ 15, 97. Umkehrschluss aus §§ 1643 Abs. 2 Satz 1, 1822 Nr. 2 BGB; Siegmann/Höger in BeckOK, § 1943 BGB Rz. 4 (Stand: 1.8.2019); Huber in MüKo8, § 1643 BGB Rz. 14; BayObLG v. 15.5.1996 – 1Z BR 103/96, FamRZ 1997, 126. 5 In jedem Fall bedarf er der Zustimmung bei Annahme der Erbschaft. Umstritten ist dagegen, ob die Annahme eines unbelasteten Vermächtnisses ein lediglich rechtlich vorteilhaftes Geschäft i.S.d. § 107 Alt. 1 BGB darstellt. Im Hinblick auf den mit der Annahme verbundenen Verlust des Ausschlagungsrechts wird man dies bezweifeln müssen, vgl. Müller-Christmann in BeckOK, § 2180 BGB Rz. 8 (Stand: 1.8.2019); Keim, ZEV 2011, 563 (565); Reymann in jurisPK9, § 2180 BGB Rz. 35 ff.; Horn/J. Mayer in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2180 BGB Rz. 18 ff.; a.A. (kein Zustimmungserfordernis): OLG München v. 23.9.2011 – 34 Wx 311/11, ZEV 2011, 658 (659); Otte in Staudinger, § 2180 BGB Rz. 3 (Stand: 2013); Hefermehl in Soergel13, § 107 BGB Rz. 2. 6 Es handelt sich hierbei um ein einseitiges Rechtsgeschäft i.S.d. § 111 BGB, so dass die nachträgliche Genehmigung grds. ausscheidet, Tschernoster, RNotZ 2017, 125 (134); vgl. auch Ellenberger in Palandt79, § 111 BGB Rz. 3. 1 2 3 4

790 | Wenzel/Falkowski

E. Der minderjährige Unternehmensnachfolger | Rz. 10.206 Kap. 10

Besonderheiten gelten hingegen bei der Ausschlagung der Erbschaft, bei der der Minderjährige ebenfalls durch seine Eltern vertreten wird. Haben die Eltern die gemeinsame Sorge inne, muss die Ausschlagungserklärung durch beide Elternteile abgegeben werden.1 Für den Beginn der Ausschlagungsfrist kommt es auf die Kenntnis der Eltern an, bei gemeinschaftlicher Vertretungsmacht auf die Kenntniserlangung durch beide Elternteile.2

10.201

Die Ausschlagung erfordert in der Regel eine Genehmigung des Familiengerichts, § 1643 Abs. 2 Satz 1 BGB. Dieses Erfordernis entfällt allerdings dann, wenn dem Kind eine Erbschaft erst durch Ausschlagung eines vertretungsberechtigten Elternteils angefallen ist, es sei denn, dass dieser neben dem Kind berufen war, § 1643 Abs. 2 Satz 2 BGB.3

10.202

Selbst wenn die Eltern von der Ausschlagung des Kindes selbst profitieren, soll dagegen nach der h.M. für einen Ausschluss der Eltern von der Vertretungsmacht gem. §§ 1629 Abs. 2, 1795, 181 BGB kein Raum bestehen, da der Minderjährige durch die Einbeziehung des Familiengerichtes ausreichend geschützt ist. Vielmehr kann das Familiengericht in Fällen eines konkreten Interessengegensatzes einzelfallbezogen entscheiden, den Eltern die gesetzliche Vertretungsmacht zu entziehen und einen Ergänzungspfleger zu bestellen, §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 BGB.4

10.203

Die Anfechtung der Annahme steht der Ausschlagung gleich, vgl. § 1957 Abs. 1 BGB, so dass das zu Vertretung und Genehmigung Gesagte hier entsprechend gilt.5

10.204

2. Vermögensübergang auf den minderjährigen Vermächtnisnehmer Für die Annahme und Ausschlagung eines Vermächtnisses gilt das oben Gesagte entsprechend.

10.205

Kinder unter 7 Jahren bedürfen stets der Vertretung durch ihre Eltern, auch im Rahmen der Erfüllung eines Vermächtnisses. Die Vermächtniserfüllung an einen beschränkt geschäftsfähig Minderjährigen kann dagegen grundsätzlich ein rechtlich vorteilhaftes Geschäft i.S.d. § 107 BGB darstellen und daher prinzipiell auch ohne Mitwirkung der Eltern als gesetzliche Vertreter erfolgen. Nach Aufgabe der Gesamtbetrachtungslehre durch den BGH, ist ein Verfügungsgeschäft isoliert von dem zugrunde liegenden Verpflichtungsgeschäft auf seine rechtliche Nachteiligkeit hin zu untersuchen.6 Ein Erwerbsgeschäft begründet dann (auch) Nachteile für den Minderjährigen, wenn dieser in Folge des Geschäfts mit Pflichten belastet wird, für die er nicht nur dinglich mit der erworbenen Sache, sondern persönlich mit seinem gesamten Vermögen einzustehen hat.7

10.206

1 Die formlose Zustimmung eines Elternteils reicht nicht aus, Weidlich in Palandt79, § 1945 BGB Rz. 5. 2 OLG Frankfurt v. 3.7.2012 – 21 W 22/12, FamRZ 2013, 403; LG Freiburg v. 15.8.1991 – 4 T 61/ 91, BWNotZ 1993, 44; Weidlich in Palandt79, § 1944 BGB Rz. 6; Leipold in MüKo8, § 1944 BGB Rz. 15. 3 Ausführlich: Tschernoster, RNotZ 2017, 125 (136 ff.) auch mit weiteren Rückausnahmen gem. § 242 BGB. 4 BGH v. 12.2.2014 – XII ZB 592/12, ZEV 2014, 199; KG v. 4.3.2010 – 17 UF 5/10, NJW-RR 2010, 1087; BayObLG v. 5.8.1983 – BReg. 1 Z 25/83, FamRZ 1984, 200; Weidlich in Palandt79, § 1945 BGB Rz. 5; Siegmann/Höger in BeckOK, § 1945 BGB Rz. 10 (Stand: 1.8.2019); Coing, NJW 1985, 6 (11); a.A. Buchholz, NJW 1993, 1161 (1166). 5 Heilmann in Staudinger, § 1643 BGB Rz. 34 (Stand: 2016); Huber in MüKo8, § 1643 BGB Rz. 13. 6 BGH v. 25.11.2004 – V ZV 13/04, NJW 2005, 415. 7 BGH v. 25.11.2004 – V ZV 13/04, NJW 2005, 415 (417).

Wenzel/Falkowski | 791

Kap. 10 Rz. 10.207 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

10.207

Hieraus folgt, dass der Erwerb von Wohnungseigentum1, vermietetem Grundeigentum2 oder eines Erbbaurechts3 rechtlich stets nachteilig ist. Auch der Erwerb eines mit einem Nießbrauch belasteten Grundstücks kann rechtlich nachteilig sein.4

10.208

Für den Erwerb von Gesellschaftsanteilen gilt Folgendes: – Stets nachteilig ist der Erwerb eines Anteils an einer GbR oder OHG als „Bündel von Rechten und Pflichten“.5 – Gleiches gilt für eine Komplementärbeteiligung. – Für den Kommanditanteil ist danach zu differenzieren, ob er bereits voll eingezahlt wurde. Ist dies nicht der Fall, ist sein Erwerb nicht lediglich rechtlich vorteilhaft.6 Die mittlerweile wohl h.M. behandelt demgegenüber den Erwerb eines KG-Anteils bei voll eingezahlter Einlage als lediglich rechtlich vorteilhaft.7 – Entsprechendes gilt für den Erwerb voll eingezahlter Aktien.8 – Der Erwerb von GmbH Anteilen ist dagegen nach zutreffender Ansicht aufgrund der Haftungsrisiken aus §§ 24, 31 Abs. 3 GmbHG selbst dann nachteilig, wenn sie voll eingezahlt sind.9

1 2 3 4

5

6 7

8 9

BGH v. 30.9.2010 – V ZB 206/10, NJW 2010, 3643. BGH v. 3.2.2005 – V ZB 44/04, NJW 2005, 1430. BGH v. 20.9.1978 – VIII ZR 142/77, NJW 1979, 102. Die rechtliche Nachteiligkeit des dinglichen Geschäfts folgt daraus, dass der Eigentümer eines mit einem Nießbrauch belasteten Grundstück dem Nießbraucher gem. §§ 1049, 677 ff. BGB verwendungsersatzpflichtig ist. Demgegenüber ist der Erwerb eines mit einem Nießbrauch belasteten Grundstückseigentums lediglich rechtlich vorteilhaft, wenn der Nießbraucher über §§ 1042 Satz 2, 1047 BGB hinaus auch die Kosten außergewöhnlicher Ausbesserungen und Erneuerungen sowie die außergewöhnlichen Grundstückslasten zu tragen hat; der Eigentümer insoweit also nicht zum Aufwendungs- oder Verwendungsersatz gem. §§ 1049, 677 ff. BGB verpflichtet ist; BGH v. 25.11.2004 – V ZB 13/04, NJW 2005, 415, 417 m.w.N. BFH v. 27.4.2005 – II R 52/02, NJW-RR 2006, 78; LG Aachen v. 21.6.1993 – 3 T 128/93, NJW-RR 1994, 1319; Ellenberger in Palandt79, § 107 BGB Rz. 4; Wendtland in BeckOK, § 107 BGB Rz. 10 (Stand: 1.8.2019); die Formulierung „Bündel von Rechten und Pflichten“ wurde in BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, NJW 1977, 1339 verwendet, um zu begründen, dass eine gesellschaftsrechtliche Nachfolgeklausel über eine (KG-)Beteiligung einen unzulässigen Vertrag zu Lasten Dritter bedeutete. OLG Dresden v. 25.4.2018 – 17 W 160, 18, FGPrax 2018, 214; OLG Bremen v. 16.6.2008 – 2 W 38/08, NZG 2008, 750. OLG Schleswig v. 27.1.2020 – 15 WF 70/19, NZG 2020, 593 Rn. 35; Ellenberger in Palandt79, § 107 Rz. 4; Klumpp in Staudinger, § 107 BGB Rz. 60 (Stand: 2017); Müller in Erman15, § 107 BGB Rz. 8; OLG Bremen v. 16.6.2008 – 2 W 38/08, ZEV 2008, 608; Führ/Nikoleyczik, BB 2009, 2105 (2106 f.); Friedrich-Büttner/Wiese, ZEV 2014, 513 (516); Maier-Reimer/Marx, NJW 2005, 3025 (3026); Rust, DStR 2005, 1942 (1946); a.A.: OLG Frankfurt v. 27.5.2008 – 20 W 123/08, NJW-RR 2008, 1568; LG Köln v. 17.9.1969 – 24 T 6/69, Rpfleger 1970, 245; Ivo, ZEV 2005, 193 (194); Hohaus/Eickmann, BB 2004, 1707 (1708); a.A. OLG Oldenburg v. 17.7.2019 – 12 W 53/19, ZEV 2019, 726 Rn. 12. Maier-Reimer/Marx, NJW 2005, 3025 (3026); Veit in Staudinger, § 1822 BGB Rz. 26 (Stand: 2014); Ellenberger in Palandt79, § 107 BGB Rz. 4. Maier-Reimer/Marx, NJW 2005, 3025; Schäfer in Henssler/Strohn4, § 2 GmbHG Rz. 33; Klumpp in Staudinger, § 107 BGB Rz. 59 (Stand: 2017); Müller in Erman15, § 107 BGB Rz. 8; Peschel-Gutzeit in Staudinger, § 1629 BGB Rz. 248 (Stand: 2015).

792 | Wenzel/Falkowski

E. Der minderjährige Unternehmensnachfolger | Rz. 10.213 Kap. 10

– Der Erwerb einer Beteiligung an einer GmbH & Co. KG ist dann nachteilig, wenn dabei auch Anteile an der GmbH erworben werden.1 Wurde die Beteiligung dem Minderjährigen im Wege eines Vermächtnisses zugewandt und sind die Eltern als Erben vermächtnisbelastet, so schließt sie dies nicht gem. § 1629 Abs. 2 Satz 1, § 1795 Abs. 2, § 181 BGB von der Vertretung bei der Vermächtniserfüllung aus, da diese nach herrschender Meinung lediglich die Erfüllung einer Verbindlichkeit darstellt.2

10.209

Ob eine Genehmigung gem. § 1821 BGB erforderlich ist, hängt von der Art des jeweiligen Vermächtnisgegenstandes ab.

10.210

III. Erbauseinandersetzung unter Beteiligung eines Minderjährigen Auch im Rahmen der Erbauseinandersetzung gem. § 2042 BGB bedarf der Minderjährige der Vertretung durch seine Eltern als gesetzliche Vertreter. Ein familiengerichtliches Genehmigungserfordernis kann sich bereits aus der Art der zu übertragenden Vermögensgegenstände ergeben. Gemäß § 1643 Abs. 1 i.V.m. § 1822 Nr. 2 BGB sind Geschäfte im Rahmen einer Erbauseinandersetzung als solche jedoch ohnehin stets genehmigungsbedürftig.

10.211

Ein Ausschluss der Eltern von der Vertretungsbefugnis, mit der Folge der Notwendigkeit einer Ergänzungspflegerbestellung gem. § 1629 Abs. 2, § 1795, § 181 BGB, besteht dann, wenn auch sie selbst oder nahe Verwandte i.S.d. § 1795 Abs. 1 Nr. 1 BGB Mitglieder der auseinanderzusetzenden Erbengemeinschaft sind. Das Vorgesagte gilt nach vorzugswürdiger Ansicht auch dann, wenn die Erbteilung ausschließlich den gesetzlichen Teilungsregeln der § 2042 Abs. 2, § 752 BGB bzw. Anordnungen des Erblassers folgt.3

10.212

IV. Der minderjährige Gesellschafter 1. Einführung Ist der minderjährige Bedachte durch den Erbanfall oder die Vermächtniserfüllung in die Gesellschafterstellung des Erblassers eingerückt, wird er bei der Ausübung der Gesellschafterrechte grundsätzlich durch seine Eltern vertreten. Welche Besonderheiten und Einschränkungen bestehen, richtet sich nach der Rechtsform der betroffenen Gesellschaft und wird im Folgenden im Einzelnen dargestellt.

1 Maier-Reimer/Marx, NJW 2005, 3025 (3026); Friedrich-Büttner/Wiese, ZEV 2014, 513 (516). 2 Für die Ausnahme von § 181 BGB muss das Vermächtnis vollwirksam, fällig und nicht einredebehaftet sein. OLG München v. 23.9.2011 – 34 Wx 311/11, ZEV 2011, 658; OLG München v. 22.8.2012 – 34 Wx 200/12, ZEV 2013, 202; BayObLG v. 26.5.1982 – BReg. 2 Z 30/82, DNotZ 1983, 176; Ellenberger in Palandt79, § 181 BGB Rz. 22; Tschernoster, RNotZ 2017, 125 (144); Keim, ZEV 2011, 563 (563); nach a.A. soll § 181 BGB auch beim Vermächtnis dahingehend einschränkend auszulegen sein, dass die Ausnahme nur dann gegeben ist, wenn aus der Erfüllung der Verbindlichkeit kein rechtlicher Nachteil für den Minderjährigen entsteht; i.d.S. OLG München v. 8.2.2011 – 34 Wx 18/11, ZEV 2011, 263; Keim, ZEV 2011, 563 (564); Keim, ZEV 2011, 658 (661); Jänicke/Braun, NJW 2013, 2474 (2477 f.); Lamberz, ZEV 2014, 187 (190); zweifelnd auch Friedrich-Büttner/Wiese, ZEV 2014, 513 (518). 3 Streitig; ebenso wie hier: Veit in Staudinger, § 1822 BGB Rz. 26 (Stand: 2014); Götz in Palandt79, § 1822 BGB Rz. 4; Kroll-Ludwigs in MüKo8, § 1822 BGB Rz. 10; Schulte-Bunert in Erman15, § 1822 BGB Rz. 4; a.A. Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 12 B. Rz. 8; Brüggemann, FamRZ 1990, 124 (128); Damrau, Der Minderjährige im Erbrecht, Rz. 221.

Wenzel/Falkowski | 793

10.213

Kap. 10 Rz. 10.214 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

2. Einzelunternehmen 10.214

Die Entscheidung über Fortführung oder Einstellung eines Einzelunternehmens trifft der gesetzliche Vertreter des Minderjährigen. Bei der Veräußerung ist die Genehmigungspflicht gem. § 1822 Nr. 3 BGB zu beachten. Gleiches gilt für den Fall, dass das Unternehmen in eine neu zu gründende GmbH eingebracht wird.1

10.215

Problematisch gestaltet sich die tatsächliche Führung des Unternehmens durch den gesetzlichen Vertreter. Um den täglichen Geschäftsverkehr aufrechterhalten zu können, wird die Einholung einer allgemeinen Ermächtigung gem. § 1825 Abs. 1, 2 BGB durch das Familiengericht nicht vermieden werden können. Ob diese gewährt wird, wird von den – im Voraus mitunter nur schwer absehbaren – Umständen des Einzelfalles zum Erbfall abhängen. Beratungshinweis:

10.216

Im Hinblick auf diese familienrechtlichen Unwägbarkeiten sollte eine Einzelunternehmerstellung des Minderjährigen unbedingt vermieden werden. An seine Stelle kann zum einen ein Vorerbe oder Testamentsvollstrecker gesetzt werden. Alternativ kann eine gesellschaftsrechtliche Lösung gewählt werden, in der das Einzelunternehmen noch zu Lebzeiten des Erblassers in eine Gesellschaft überführt wird.

3. Personengesellschaften 10.217

Bei Maßnahmen der Geschäftsführung und bei sonstigen laufenden Gesellschaftsangelegenheiten wird der Minderjährige durch seine(n) gesetzlichen Vertreter vertreten, auch wenn diese selbst an der Gesellschaft beteiligt sind. § 181 BGB steht dem nicht entgegen.2

10.218

Gleiches gilt grundsätzlich für die Fassung von Gesellschafterbeschlüssen.3

10.219

Eine Ausnahme gilt dann, wenn der Gesellschafterbeschluss die Änderung des Gesellschaftsvertrages zum Gegenstand hat. In diesem Fall kann der Minderjährige nicht durch einen gesetzlichen Vertreter vertreten werden, der ebenfalls an der Gesellschaft beteiligt ist, sondern bedarf eines Ergänzungspflegers, § 1629 Abs. 2, § 1795 Abs. 2 i.V.m. § 181 BGB. Eine familiengerichtliche Genehmigung ist nach Ansicht des BGH demgegenüber nicht erforderlich, da der für Gesellschaftsgründung bzw. Aufnahme des Erwerbsgeschäfts geltende § 1822 Nr. 3 BGB nach formaler Betrachtungsweise nicht auf den Fall der nachträglichen Vertragsänderung auszuweiten ist.4

10.220

Bislang nicht höchstrichterlich geklärt ist, ob mit dieser Begründung auch die Genehmigungsfreiheit des Eintritts des Minderjährigen in eine bestehende, ein Erwerbsgeschäft betreibende Personengesellschaft, etwa im Wege einer Eintrittsklausel bejaht werden müsste.5 Die überwiegende Literatur nimmt hier richtigerweise an, dass vor dem Hintergrund eines umfas1 Veit in Staudinger, § 1822 BGB Rz. 67 (Stand: 2014); KG OLGE 13, 315. 2 Maßnahmen der Geschäftsführung und sonstige gemeinsame Gesellschaftsangelegenheiten sind vom Normzweck des § 181 BGB nicht erfasst: BGH v. 18.9.1975 – II ZB 6/74, NJW 1976, 49; BGH v. 24.9.1990 – II ZR 167/89, NJW 1991, 691; Schubert in MüKo8, § 181 BGB Rz. 33 f. 3 Schubert in MüKo8, § 181 BGB Rz. 37-39. 4 BGH v. 20.9.1962 – II ZR 209/61, NJW 1962, 2344; BGH v. 25.9.1972 – II ZR 5/71, BB 1972, 1475; LG Stuttgart v. 18.1.2001 – 4 KfH T 20/00, BWNotZ 2001, 91; Budzikiewicz in Jauernig17, § 1822 BGB Rz. 8; Veit in Staudinger, § 1822 BGB Rz. 94 (Stand: 2014); a.A. Kroll-Ludwigs in MüKo8, § 1822 BGB Rz. 28. 5 So Veit in Staudinger, § 1822 Rz. 94 (Stand: 2014).

794 | Wenzel/Falkowski

E. Der minderjährige Unternehmensnachfolger | Rz. 10.227 Kap. 10

senden Minderjährigenschutzes und im Hinblick auf die rechtlich, wie wirtschaftlich mit der Erstgründung vergleichbare Ausgangslage, auch der spätere Eintritt der Genehmigung bedarf.1 Für den minderjährigen Personengesellschafter besteht mit Eintritt der Volljährigkeit das Sonderkündigungsrecht des § 723 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 BGB. Das Wahlrecht gem. § 139 Abs. 1 BGB kann für den Minderjährigen sein gesetzlicher Vertreter ausüben, ohne dass dazu eine familiengerichtliche Genehmigung erforderlich wäre.2

10.221

4. Kapitalgesellschaften Für Kapitalgesellschaften gilt das oben Gesagte entsprechend (s. dort unter Rz. 10.222). Auch hier wird der Minderjährige grundsätzlich umfassend durch seine(n) gesetzlichen Vertreter vertreten, der ohne Verstoß gegen § 181 BGB auch selbst an der Gesellschaft beteiligt sein darf. Ebenso wenig wie bei den Personengesellschaften ermächtigt dies allerdings zu Änderungen des Gesellschaftsvertrages, für die ein Ergänzungspfleger zu bestellen ist.

10.222

Für die Vertretung in der Gesellschafterversammlung gelten zudem die Stimmverbote aus § 47 Abs. 4 GmbHG bzw. § 136 Abs. 1 AktG.

10.223

V. Gestaltungsmöglichkeiten des Erblassers 1. Anordnung der Testamentsvollstreckung Wie gezeigt, ergeben sich aus der Minderjährigkeit eines Gesellschafters eine Reihe von Problemen und Unwägbarkeiten, die zum Teil durch vorbeugende Maßnahmen des Erblassers vermieden werden können.

10.224

Um eine aufwendige (und meist langwierige) Ergänzungspflegerbestellung zu vermeiden, kann es sich empfehlen, Testamentsvollstreckung anzuordnen.

10.225

In der Auswahl der Person des Testamentsvollstreckers ist der Erblasser frei: So kann auch ein Elternteil bestellt werden, der dann nicht in seiner Eigenschaft als gesetzlicher Vertreter des Kindes, sondern in der Eigenschaft als Testamentsvollstrecker handelt und daher von § 181 BGB befreit werden kann.3 Zur Vermeidung von innerfamiliären Streitigkeiten oder Interessenkonflikten kann es sich jedoch auch gerade anbieten, einen (neutralen) Dritten zu bestellen. Neben dem Erblasser oder der Familie nahestehenden Personen kann es sich dabei bspw. auch um einen Rechtsanwalt oder Steuerberater handeln.

10.226

Je nach Art der Testamentsvollstreckung kann es sich um eine Auseinandersetzungs- oder um eine Dauer- bzw. Verwaltungsvollstreckung handeln. Im ersteren Fall handelt der Testamentsvollstrecker für die Erben bei der Erbauseinandersetzung, so dass es nicht zu der oben geschilderten Problematik eines In-Sich-Geschäfts kommt.4 Im Rahmen der Dauertestamentsvollstreckung verwaltet der Testamentsvollstrecker die Anteile des Minderjährigen und übt seine Gesellschafterrechte aus, ohne dabei den gleichen Beschränkungen zu unterliegen

10.227

1 Bettin in BeckOK, § 1822 BGB Rz. 12 (Stand: 1.8.2019); Kroll-Ludwigs in MüKo8, § 1822 BGB Rz. 22; Budzikiewicz in Jauernig17, § 1822 BGB Rz. 7. 2 Kamanabrou in Oetker6, § 139 HGB Rz. 69. 3 Tschernoster, RNotZ 2017, 125 (139); er darf insbesondere nicht unentgeltlich verfügen, § 2205 Satz 3 BGB. 4 Zimmermann in MüKo8, § 2203 BGB Rz. 5, 13 ff.

Wenzel/Falkowski | 795

Kap. 10 Rz. 10.227 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

wie ein Elternteil. Soweit die Testamentsvollstreckung reicht, wird der Minderjährige bzw. das vertretende Elternteil aus Verwaltung und Verfügung hinsichtlich des Nachlasses vollständig verdrängt (zur Testamentsvollstreckung am Unternehmen im Einzelnen, s. Rz. 10.383).

2. Beschränkung der Vermögenssorge 10.228

Gemäß § 1638 Abs. 1 BGB kann der Erblasser durch Verfügung von Todes wegen die Vermögenssorge der Eltern des Minderjährigen, über das von Todes wegen erworbene Vermögen, ausschließen. Wird nur ein Elternteil von der Vermögenssorge ausgeschlossen, so verwaltet der andere Elternteil das angefallene Vermögen allein, § 1638 Abs. 3 BGB. Wird die Vermögenssorge beiden oder dem einzigen vorhandenen Elternteil entzogen, ist für die Verwaltung des Vermögens ein Ergänzungspfleger zu bestellen, § 1909 Abs. 1 Satz 2 BGB („Vermögenspflegschaft“). Die Bestimmung des Ergänzungspflegers kann der Erblasser durch letztwillige Verfügung selbst vornehmen, § 1917 Abs. 1 BGB. Beratungshinweis:

10.229

Als Alternative ist an die Testamentsvollstreckung zu denken (hierzu unter F.III.5. Rz. 10.383). Für die Vermögenspflegschaft bleibt insbesondere Raum, soweit die Testamentsvollstreckung nicht zulässig oder nicht praktikabel ist. Dies kann bspw. bei einem Erblasser der Fall sein, der durch ein gemeinschaftliches Testament oder einen Erbvertrag gebunden ist.

10.230

Zu bedenken ist auch, dass ohne Festlegung der Vergütungshöhe durch den Erblasser die Vermögenpflegschaft in der Regel kostengünstiger ist als eine Testamentsvollstreckung. Allerdings steht der Vermögenspfleger unter der Aufsicht des Vormundschaftsgerichts und ist zudem durch § 1915 BGB i.V.m. §§ 1812 ff. BGG deutlich beschränkt. Der Testamentsvollstrecker hingegen hat gem. § 2205 BGB ein umfassendes Verwaltungsrecht.

10.231

Alternativ zu der Beschränkung der Vermögenssorge gem. § 1638 Abs. 1 BGB kann der Erblasser den Eltern gem. § 1639 Abs. 1 BGB auch Anordnungen machen, die diese bei der Verwaltung des dem Minderjährigen angefallenen Vermögens zu berücksichtigen haben.1 Denkbare Anordnungen können insbesondere Veräußerungsverbote oder das Verbot der Investition in bestimmte Anlageformen umfassen. Darüber hinaus kann der Erblasser ausschließen, dass die Eltern die Einkünfte aus dem Vermögen für ihren eigenen Unterhalt bzw. den Unterhalt von Geschwisterkindern verwenden, vgl. § 1649 Abs. 2 Satz 1 BGB.

3. Die Befreiung von der Vermögensverzeichnispflicht 10.232

Die Eltern haben gem. § 1640 Abs. 1 BGB über das Vermögen, das ihr Kind von Todes wegen erhält, ein Vermögensverzeichnis anzufertigen und dem Familiengericht vorzulegen. Das Familiengericht, das nach § 356 Abs. 1 FamFG vom Nachlassgericht über den Erbfall informiert wird, kann bei Ausbleiben eines genügenden Verzeichnisses ein öffentliches Inventar anordnen, § 1640 Abs. 3 BGB. Auch Zwangsmaßnahmen gem. § 1666 Abs. 1, 2 BGB sind denkbar.2 Auch wenn Pflichtverletzungen gem. § 1640 Abs. 1 BGB von den Familiengerichten in der Pra1 Derartige Verwaltungsanordnungen berühren die Vertretungsmacht der Eltern nicht. Handeln die Eltern den Anordnungen zuwider, können sie sich allerdings gem. § 1664 BGB schadensersatzpflichtig machen oder ein Eingreifen des Familiengerichts nach §§ 1666 ff. BGB auslösen, jedenfalls, sobald das Kindesvermögen durch Missachtung der Anordnungen gefährdet ist, vgl. Huber in MüKo8, § 1639 BGB Rz. 8. 2 Zum Ganzen: Veit in BeckOK, § 1640 BGB Rz. 9–11 (Stand: 1.5.2019).

796 | Wenzel/Falkowski

E. Der minderjährige Unternehmensnachfolger | Rz. 10.238 Kap. 10

xis nur selten nachgegangen wird, kann der Erblasser dieses Risiko von vornherein ausschließen, indem er die Eltern bzw. den überlebenden Elternteil durch Verfügung von Todes wegen von dieser Pflicht befreit, § 1640 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Von Gesetzes wegen entfällt die Verzeichnispflicht nur bei einem Vermögenserwerb von bis zu 15.000 €, § 1640 Abs. 2 Nr. 1 BGB.

4. Vormundbenennung Verstirbt ein sorgeberechtigter Elternteil, sind verschiedene Szenarien möglich:

10.233

– Verstirbt einer der gemeinsam sorgeberechtigten Elternteile, wird die elterliche Sorge von dem überlebenden Elternteil allein ausgeübt, §§ 1680 Abs. 1, § 1773 Abs. 1 Alt. 1 BGB. – Verstirbt der allein Sorgeberechtigte, so hat das Familiengericht dem überlebenden Elternteil das Sorgerecht zu übertragen, wenn dies dem Wohl des Kindes nicht widerspricht, § 1680 Abs. 2 BGB.1 Andernfalls bestellt das Familiengericht einen Vormund, § 1773 Abs. 1 Alt. 2 BGB. – Versterben beide Eltern und hat der Minderjährige daher keinen gesetzlichen Vertreter mehr, wird durch das Familiengericht ein Vormund bestellt, § 1773 Abs. 1 Alt. 1 BGB. Die Eltern können Einfluss auf die Person des Vormunds nehmen, indem sie diesen in ihrer letztwilligen Verfügung benennen, § 1776, § 1777 Abs. 3 BGB. Voraussetzung ist, dass den Eltern im Zeitpunkt des Todes die Personen- und Vermögenssorge hinsichtlich des Kindes zusteht, § 1777 Abs. 1 BGB. Ist nur ein Elternteil sorgeberechtigt, so ist seine Benennung maßgeblich. Bestimmen gemeinsam sorgeberechtigte Elternteile abweichend voneinander, so ist nach § 1776 Abs. 2 BGB die Benennung des zuletzt Versterbenden maßgeblich. Das Familiengericht ist an die wirksame Vormundsbenennung gebunden, sofern nicht ein Übergehungsgrund nach § 1778 Abs. 1 BGB gegeben ist.

10.234

Die Eltern können den Vormund gemeinsam oder einzeln durch einseitige Verfügung(en) in einem Einzeltestament, gemeinschaftlichem Testament oder in einem Erbvertrag bestimmen.2 Denkbar ist auch die isolierte Verfügung nur der Vormundsbestimmung, insbesondere in Ergänzung oder Abänderung einer schon vorhandenen letztwilligen Verfügung.3

10.235

Unbenommen bleibt es dem Erblasser, seine Wünsche hinsichtlich des Sorgerechts in eine letztwillige Verfügung aufzunehmen, um das Familiengericht hierdurch auf die Gründe hinzuweisen, die einer Sorgerechtserteilung an den überlebenden Elternteil widersprechen.4

10.236

Unter den Voraussetzungen der Vormundsbenennung können die Eltern zudem nach § 1782 Abs. 1 BGB Personen von der Vormundschaft ausschließen. Die ausgeschlossenen Personen sind bestimmt zu bezeichnen.5 Diese negative Vormundsbenennung kann auch mit einer positiven Benennung kombiniert werden, so dass die negative Benennung nur dann greift, wenn die positive gescheitert ist.

10.237

Trennung und Scheidung haben keinen Einfluss auf das Benennungsrecht.

10.238

1 Müller, ZEV 2012, 298 (299). 2 Spickhoff in MüKo8, § 1777 BGB Rz. 9. 3 Der Erbvertrag scheidet dann freilich aus, da die Vormundsbestimmung keine vertragsmäßige Verfügung darstellt; Müller, ZEV 2012, 298 (300). 4 Ott, NZFam 2016, 930 (931). 5 Der Ausschluss nach ganzen „Personenklassen“ wird teilweise für unzulässig gehalten, Veit in Staudinger, § 1782 BGB Rz. 10 m.w.N (Stand: 2014).

Wenzel/Falkowski | 797

Kap. 10 Rz. 10.239 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen Beratungshinweis:

10.239

Ist ein Vormund eingesetzt, obliegt ihm grundsätzlich sowohl die Personen- als auch die Vermögenssorge sowie die Vertretung des Kindes im Rechtsverkehr. Es kann sich gerade dann, wenn sich ein Unternehmen oder Gesellschaftsanteile im Nachlass befinden, jedoch anbieten, für die Personensorge eine den Eltern bzw. dem Kind nahestehende Person und hinsichtlich des ererbten Vermögens einen (entsprechend qualifizierten) Testamentsvollstrecker einzusetzen. Soweit Testamentsvollstreckung angeordnet ist, trifft dann der Testamentsvollstrecker Entscheidungen über das Unternehmen, während der Vormund die Personensorge ausübt.

F. Die letztwillige Verfügung des Unternehmers I. Vorbereitende Überlegungen des Unternehmers 10.240

Die Regelung der Unternehmensnachfolge ist häufig komplexer als die Verteilung des Privatvermögens des Unternehmers. Der Unternehmer verfolgt dabei meist mehrere Gestaltungsziele, die nicht selten zueinander in Widerspruch stehen. So sollen in der Regel die Familienangehörigen des Erblassers finanziell versorgt bzw. abgesichert werden. Allerdings hat der Erblasser daneben ein Interesse daran, das von ihm aufgebaute oder geführte Unternehmen als Ganzes weiterzugeben und auch nach seinem Tode zu erhalten. Hier können die Vorstellungen des Unternehmers und seiner Erben im Hinblick darauf, wer die Unternehmensführung übernehmen soll, deutlich auseinandergehen.

10.241

Art, Form und Inhalt einer letztwilligen Verfügung sollten wohl durchdacht sein. Der Unternehmer sollte sich daher im Vorfeld einige grundlegende Fragen stellen: – Soll die letztwillige Verfügung eigenhändig abgefasst oder notariell beurkundet werden? – Möchte sich der Unternehmer gegenüber seinem Ehegatten oder Dritten bereits zu Lebzeiten binden? Wenn ja, wie viel Gestaltungsspielraum möchte er sich vorbehalten? – Wer soll das Unternehmen weiterführen? Sollen mehrere Personen dabei gleichberechtigt sein oder sollen Entscheidungen im Wesentlichen von einer Person getroffen werden können? Was soll geschehen, wenn der gewählte Nachfolger die Unternehmensnachfolge nicht antreten kann (z.B. durch Vorversterben) oder möchte (z.B. Ausschlagung)? – Besteht der Wunsch die Nachfolge auch weiter als bis in die nächste Generation zu regeln? – Was soll geschehen, wenn der Unternehmensnachfolger im Zeitpunkt des Erbfalls noch minderjährig oder bereits volljährig, aber noch sehr jung und/oder geschäftlich unerfahren ist? – Wieviel Spielraum soll der Unternehmensnachfolger bei der Unternehmensführung haben? – Auf welche Weise sollen die übrigen Familienangehörigen abgesichert bzw. versorgt werden? Wer soll das Privatvermögen erhalten? – Besteht die Möglichkeit, Pflichtteilsberechtigte davon zu überzeugen, einen Pflichtteilsverzicht zu erklären? – Besteht Anpassungsbedarf der Gesellschaftsverträge an die gewünschte Gestaltung bzw. hinsichtlich der Person des gewählten Unternehmensnachfolgers?

798 | Wenzel/Falkowski

F. Die letztwillige Verfügung des Unternehmers | Rz. 10.246 Kap. 10

II. Art und Form der letztwilligen Verfügung 1. Grundsatz Der Unternehmer hat zunächst die grundsätzliche Entscheidung zu treffen, welcher Art der letztwilligen Verfügung er sich zur Regelung seiner Nachfolge bedienen möchte (zu den Formen der Verfügungen von Todes wegen s. auch Rz. 5.138 ff.). Dabei stehen ihm die folgenden Formen zur Verfügung:

10.242

– Einzeltestament (s. dazu unter Rz. 10.246), – Gemeinschaftliches Testament mit dem Ehegatten (s. dazu unter Rz. 10.254) oder – Erbvertrag (s. dazu unter Rz. 10.323). Ausschlaggebend für diese Entscheidung wird sein, ob der Unternehmer bereits zu Lebzeiten bindende Verfügungen treffen möchte, die er ggf. nicht oder nicht mehr vollständig abändern kann (gemeinschaftliches Testament oder Erbvertrag) oder ob er sich die jederzeitige völlige Änderung seiner Entscheidung vorbehalten möchte (Einzeltestament). Daneben kann es von Bedeutung sein, ob der Unternehmer gerade ein Interesse daran hat, dass eine andere Person in einer bestimmten Weise über ihren Nachlass verfügt, etwa, wenn beide an dem gleichen Unternehmen beteiligt sind.

10.243

Während der Erbvertrag zwingend der notariellen Beurkundung bedarf, können sowohl das Einzel- als auch das gemeinschaftliche Testament auch eigenhändig abgefasst werden. In diesem Zusammenhang müssen die Vor- und Nachteile beider Alternativen abgewogen werden: Während das öffentliche Testament aufgrund seiner notariellen Beurkundung im Rechtsverkehr größere Beweiskraft besitzt und in vielen Fällen sogar die Beantragung eines Erbscheins durch die Erben entbehrlich macht sowie gewährleistet, dass eine Beratung durch einen Notar erfolgt, sprechen dagegen häufig die damit verbundenen Kosten. Ein eigenhändiges Testament ist völlig kostenfrei, aber wegen der geringeren Beweiskraft nachteilig. Gerade bei sehr langen Testamenten darf außerdem der mit der eigenhändigen Abschrift verbundene Aufwand nicht unterschätzt werden.

10.244

Die verschiedenen Formen der letztwilligen Verfügung werden, nebst Hinweisen auf die damit verbundenen Formvorschriften, im Folgenden dargestellt.

10.245

2. (Einzel-)Testament a) Errichtung

Das Einzeltestament kann entweder als eigenhändiges Testament gem. § 2247 Abs. 1 BGB oder als öffentliches Testament zur Niederschrift eines Notars errichtet bzw. erklärt werden, § 2232 BGB. Dabei gelten für das Testament des Unternehmers die allgemeinen Grundsätze: – Wird die letztwillige Verfügung in Form eines eigenhändigen Testaments errichtet, ist der gesamte Testamentstext handschriftlich zu verfassen1 und zu unterzeichnen. Die Unter-

1 Zu den Anforderungen an die Eigenhändigkeit im Einzelnen, s. Litzenburger in BeckOK, § 2247 BGB Rz. 9 ff. (Stand: 1.5.2019).

Wenzel/Falkowski | 799

10.246

Kap. 10 Rz. 10.246 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

schrift muss grundsätzlich am Ende des Testaments stehen.1 Verteilt sich dessen Inhalt auf mehreren Seiten bzw. Anlagen, so müssen diese nicht einzeln unterschrieben werden, soweit auf Grund eines fortlaufenden Textes, Verweisungen oder durch feste mechanische Verbindung der Seiten ihr Zusammengehören feststeht.2 Von der Unterschrift räumlich nicht umfasste spätere Zusätze sind grundsätzlich auch gesondert zu unterzeichnen.3 Die Unterschrift soll den vollen Namen des Erblassers wiedergeben. Ein Unterzeichnen in anderer Weise etwa mit einem Pseudonym oder der Familienstellung (z.B. mit „Euer Opa“) genügt aber dann, wenn die Urheberschaft des Erblassers wie auch die Ernstlichkeit seiner Erklärung feststehen, § 2247 Abs. 3 BGB. Datum und Ort sollen nach § 2247 BGB angegeben werden, was bereits im Hinblick auf den Geltungsvorrang späterer Testamente gem. § 2258 BGB auch dringend anzuraten ist. – Wird ein öffentliches Testament errichtet, ist entweder der von dem Erblasser erklärte Wille vom Notar zur Niederschrift aufzunehmen oder der Erblasser hat dem Notar ein (offenes oder verschlossenes) Schriftstück mit der Erklärung zu übergeben, es handele sich um seinen letzten Willen, § 2232 BGB. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Erblasser das Schriftstück selbst oder handschriftlich verfasst hat.4 Den Notar trifft eine umfassende Pflicht zur Prüfung der Rechtslage sowie zur Belehrung des Erblassers über die rechtliche Tragweite seines Handelns. Bei der Übergabe einer verschlossenen Schrift ist die Belehrungspflicht darauf beschränkt, den Erblasser auf die Bedeutung des Testaments sowie darauf hinzuweisen, dass er durch die Übergabe wirksam testiert.5 Die Niederschrift über die Testamentserrichtung ist vorzulesen und durch die Beteiligten und den Notar zu unterschreiben.6 b) Verwahrung

10.247

Das eigenhändige Testament ist gem. § 2248 BGB (i.V.m. § 344 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 346 FamFG) auf Verlangen in besondere amtliche Verwahrung zu nehmen. Hierbei darf sich der Erblasser auch eines Vertreters oder Boten bedienen.7 Das Nachlassgericht übermittelt die Verwahrangaben elektronisch an die das zentrale Testamentsregister führende Bundesnotarkammer, § 347 Abs. 1 FamFG, die bei Kenntniserlangung vom Tod des Verfügenden diese Angaben wiederum dem verwahrenden Gericht mitteilt, § 347 Abs. 4 FamFG. 1 Litzenburger in BeckOK, § 2247 BGB Rz. 24 (Stand:1.8.2019); ausnahmsweise reicht auch die Unterschrift neben oder über dem Text, OLG Karlsruhe v. 18.8.2011 – 11 Wx 46/10, BeckRS 2011, 22186; OLG Köln v. 5.11.1999 – 2 Wx 37/99, FGPrax 2000, 116; OLG Celle, v. 24.6.1996 – 22 W 18/96, NJW 1996, 2938; BayObLG v. 20.12.1985 – BReg. 1 Z 81/85, BeckRS 2009, 27972; BayObLG v. 12.3.1981 – BReg. 1 Z 3/81, BayObLGZ 1981, 79; vgl. auch OLG Hamm v. 14.3.1986 – 15 W 423/85, NJW-RR 1986, 873, oder auf einem Briefumschlag, BayObLG v. 1.7.1988 1a ZR 1/ 88, FamRZ 1988, 1211; BayObLG v. 2.3.1982 – BReg. 1 Z 129/81, BayObLGZ 1982, 131. 2 Litzenburger in BeckOK, § 2247 BGB Rz. 25 (Stand: 1.8.2019). 3 Litzenburger in BeckOK, § 2247 BGB Rz. 28 (Stand: 1.8.2019); Hagena in MüKo8, § 2247 BGB Rz. 38; BayObLG v. 10.12.2003 – 1Z BR 71/03, NJW-RR 2004, 939; OLG Köln v. 3.9.1993 – 2 Wx 23/93, NJW-RR 1994, 74; anders, wenn eine Auslegung des Testaments ergibt, dass auch die Ergänzung von der ursprünglichen Unterschrift umfasst sein sollte, BGH v. 20.3.1974 – IV ZR 133/ 73, NJW 1974, 1083; OLG Frankfurt v. 13.2.1995 – 20 W 394/94, NJW-RR 1995, 711. 4 Hagena in MüKo8, § 2232 BGB Rz. 20. 5 Grziwotz in BeckOGK, § 2232 BGB Rz. 40 (Stand: 1.4.2020). 6 Ausführlich zum Beurkundungsverfahren: Grziwotz in BeckOGK, § 2232 BGB Rz. 43 f. (Stand: 1.4.2020). 7 Grziwotz in BeckOGK § 2248 BGB Rz. 4 (Stand: 1.4.2020).

800 | Wenzel/Falkowski

F. Die letztwillige Verfügung des Unternehmers | Rz. 10.251 Kap. 10

Das verwahrte Testament kann vom Erblasser jederzeit zurückverlangt werden, § 2256 Abs. 3, 2 BGB, wobei die fehlende Vorlage des ausgegebenen Hinterlegungsscheins – gerade bei Verlust – kein Rückgabehindernis darstellt.1 Die Rückgabe darf nur an den Erblasser persönlich erfolgen, § 2256 Abs. 3, 2 BGB. Teilweise wird hieraus gefolgert, dass eine Stellvertretung ebenso wie der Postempfang ausgeschlossen sind.2 Die Rücknahme ist auf die Wirksamkeit des Testaments ohne Einfluss. Zu seiner Aufhebung bedarf es vielmehr des Widerrufs etwa durch Vernichtung, vgl. § 2248, § 2256 Abs. 3 BGB. Der Erblasser ist aufgrund der Verwahrung nicht gehindert, durch ein nachfolgendes Testament anderweitig zu verfügen, vgl. §§ 2254, 2258 Abs. 1 BGB (vgl. hierzu aber den Beratungshinweise unter Rz. 10.252).

10.248

Die Niederschrift eines öffentlichen Testaments wird von dem Notar an das örtlich zuständige Nachlassgericht zur Verwahrung übermittelt, das dem Erblasser einen Verwahrschein ausstellt. Die Rücknahme eines öffentlichen Testaments gilt als Widerruf, wobei die Rücknahme wie auch beim eigenhändigen Testament nur an den Erblasser persönlich erfolgen darf, § 2256 Abs. 2 BGB. Bei einem Verstoß tritt die Rücknahmewirkung gem. § 2256 Abs. 1 BGB nicht ein.3 Trotz amtlicher Verwahrung ist der Erblasser nicht gehindert, anderweitig zu verfügen, vgl. §§ 2254, 2258 Abs. 1 BGB (vgl. auch hierzu den Beratungshinweis unter Rz. 10.252).

10.249

Beratungshinweis: Auch wenn die Rücknahme überholter letztwilliger Verfügungen zur Neutestierung nicht zwingend ist, ist sie allein deswegen anzuraten, damit Unklarheiten über das Verhältnis mehrerer letztwilliger Verfügungen zueinander gar nicht erst entstehen. Durch die Vernichtung von Alttestamenten kann der Erblasser nach Rücknahme Klarheit schaffen.

10.250

Zudem lässt sich bei entsprechendem Interesse auch nur so der Inhalt der überholten letztwilligen Verfügungen für den Erbfall geheim halten. Nach Kenntnis vom Erbfall hat das zuständige Nachlassgericht alle aus besonderer amtlicher Verwahrung oder durch Ablieferung in seine Obhut gelangten Urkunden ohne Rücksicht auf die Wirksamkeit der getroffenen Verfügungen zu eröffnen. Entgegenstehende Erblasseranordnungen sind gem. § 2263 BGB unbeachtlich.

c) Wirkung Wurde das Testament wirksam errichtet, gelten im Todesfall die darin enthaltenen Anordnungen. Das Testament entfaltet zu Lebzeiten keinerlei Bindungswirkung und kann durch Widerruf des Erblassers entsprechend der §§ 2253 ff. BGB jederzeit beseitigt werden durch – (Widerrufs-)Testament, § 2254 (§ 2257) BGB; – Vernichtung oder Veränderung (etwa Ungültigkeitsvermerk), § 2255 BGB; – Rücknahme aus amtlicher Verwahrung, § 2256 BGB; – späteres Testament, § 2258 Abs. 1 BGB. 1 Hagena in MüKo8, § 2256 BGB Rz. 8. 2 In Bezug auf das Rückgabeverlangen str., nach e.A. ist Stellvertretung usw. möglich, Hagena in MüKo8, § 2256 BGB Rz. 8; Litzenburger in BeckOK, § 2256 BGB Rz. 2 (Stand: 1.8.2019); a.A.: LG Augsburg v. 21.4.1998 – 5 T 629/98, Rpfleger 1998, 344 (345); Mayer in Soergel13, § 2256 BGB Rz. 5; offen gelassen bei Grziwotz in BeckOGK, § 2256 BGB Rz. 6 (Stand: 1.4.2020); jedenfalls die Rückgabe selbst muss laut Gesetz an den Erblasser persönlich erfolgen. Baumann in Staudinger, § 2256 BGB Rz. 11 (Stand: 2018); Siegmann/Scheuing in Scherer, Münch. Anwhdb. ErbR5, § 9 Rz. 25; v. Dickhuth-Harrach, RNotZ 2002, 384 (391) halten den Streit daher für praktisch irrelevant. 3 OLG Saarbrücken v. 16.10.1991 – 5 W 96/91, NJW-RR 1992, 586; Weidlich in Palandt79, § 2256 BGB Rz. 4; Stürner in Jauernig17, § 2256 BGB Rz. 2.

Wenzel/Falkowski | 801

10.251

Kap. 10 Rz. 10.252 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen Beratungshinweis:

10.252

Bei Vorhandensein mehrerer Testamente muss ihr Verhältnis zueinander geklärt sein. Jedes Testament sollte im Eingang eine Klausel beinhalten, durch die ältere Testamente ausdrücklich widerrufen werden. Sollte der vollständige Widerruf einmal nicht gewollt sein, muss sich aus dem neuen Testament eindeutig ergeben, dass und inwieweit Verfügungen aus einem älteren Testament aufrechterhalten bleiben sollen. Fehlen entsprechende Klarstellungen, ist im Erbfall durch Anwendung der §§ 2254, 2258 Abs. 1 BGB und Auslegung des Erblasserwillens zu ermitteln, welche Verfügungen Vorrang beanspruchen.1 Zur Vermeidung der hiermit verbundenen Unsicherheiten, ist gegenüber einem Ergänzungs- bzw. Änderungstestament, das frühere Verfügungen bestehen lässt, regelmäßig der bessere Weg einer völligen Neufassung zu wählen. Zusätzlich kann der Erblasser jederzeit durch die Vernichtung von Alttestamenten – bereits ausdrücklich widerrufen oder nicht – Klarheit schaffen.

10.253

Soll der überlebende Ehegatte bedacht werden, ist die Auslegungsregel des § 2077 Abs. 1 BGB zu beachten, die nicht nur für das gemeinschaftliche Testament (dort über § 2268 Abs. 1 BGB) gilt und bei Auflösung der Ehe bzw. bei Vorliegen der Voraussetzungen hierzu die Unwirksamkeit letztwilliger Verfügungen an den Ehegatten nach sich ziehen kann (vgl. hierzu unter Rz. 10.275). Für Verlobte gilt § 2077 Abs. 2 BGB.

3. Gemeinschaftliches Testament a) Errichtung

10.254

Statt ein Einzeltestament zu verfassen, kann sich der Erblasser entscheiden, gemeinsam mit seinem Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartner2 in Form eines gemeinschaftlichen Testamentes zu verfügen. Beim gemeinschaftlichen Testament handelt es sich um eine Sonderform des Testaments, die es Ehegatten ermöglicht, ihre beiden Testamente so miteinander zu verbinden, dass diese in ihrem Bestand voneinander abhängig sind, § 2270 Abs. 1 BGB. Die allgemeinen Vorschriften über die Testamentserrichtung finden demnach Anwendung,3 so dass an dieser Stelle weitestgehend auf die Ausführungen zur Errichtung des Einzeltestaments (unter Rz. 10.246) verwiesen werden kann.

10.255

Gemeinschaftlich bedeutet, dass beide Ehegatten mit dem Willen zur gemeinschaftlichen Testamentserrichtung gehandelt haben. Ob sich dieser Wille in einer einheitlichen Urkunde oder getrennten Urkunden ausdrückt, spielt keine Rolle, solange der tatsächliche Wille zumindest andeutungsweise aus dem gemeinschaftlichen Testament insgesamt erkennbar ist.4 Erforderlich ist weiter, dass beide Ehegatten Verfügungen treffen, wobei ein gemeinschaftliches Testament auch nur aus einseitigen Verfügungen bestehen darf.5

1 Grziwotz in BeckOGK, § 2258 BGB Rz. 11-13 (Stand: 1.4.2020); Lauck in Burandt/Rojahn3, § 2258 BGB Rz. 5. 2 Vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 LPartG. 3 Braun in BeckOGK, § 2265 BGB Rz. 5 (Stand: 15.4.2020); Braun in Burandt/Rojahn3, § 2265 BGB Rz. 32. 4 BGH v. 12.3.1953 – IV ZR 131/52, BGHZ 9, 116; Braun in BeckOGK, § 2265 BGB Rz. 19 (Stand: 15.4.2020); Hoeren in Schulze/Dörner/Ebert10, § 2265 BGB Rz. 4. 5 Braun in BeckOGK, § 2265 BGB Rz. 6 (Stand: 15.4.2020); Braun in Burandt/Rojahn3, § 2265 BGB Rz. 5; Gierl in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2265 BGB Rz. 12.

802 | Wenzel/Falkowski

F. Die letztwillige Verfügung des Unternehmers | Rz. 10.262 Kap. 10

Auch das gemeinschaftliche Testament kann sowohl als eigenhändiges Testament gem. § 2247 Abs. 1 BGB, als auch als öffentliches Testament zur Niederschrift eines Notars errichtet bzw. erklärt werden, § 2232 BGB. Wird das eigenhändige Testament gewählt, reicht es nach § 2267 Satz 1 BGB aus, wenn einer der Ehegatten i.S.d. § 2247 Abs. 1 BGB das Testament eigenhändig schreibt und unterzeichnet und der andere mitunterzeichnet. Gemäß § 2267 Satz 2 BGB soll auch der Mitunterzeichner Ort und Datum seiner Unterzeichnung angeben.

10.256

b) Verwahrung Auch die Verwahrung gemeinschaftlicher Testamente richtet sich weitestgehend nach den allgemeinen Vorschriften über die Testamentserrichtung,1 so dass hier ebenfalls auf die Ausführungen zum Einzeltestament (unter Rz. 10.247) verwiesen werden kann.

10.257

Das eigenhändige Testament ist auf Verlangen jedes der Ehegatten in amtliche Verwahrung zu nehmen, § 2248 BGB. Die Mitwirkung des anderen Ehegatten muss nicht nachgewiesen werden. Widerspricht ein Ehegatte allerdings der Verwahrung, so hat diese zu unterbleiben.2

10.258

Die Rücknahme des gemeinschaftlichen Testaments aus der Verwahrung können nur beide Ehegatten gemeinschaftlich verlangen, §§ 2272, 2256 BGB. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um ein eigenhändiges oder ein öffentliches Testament handelt. Die Herausgabe darf nur an beide persönlich, d.h. unter gleichzeitiger Anwesenheit bei dem verwahrenden Nachlassgericht, erfolgen.3 Bei einem Verstoß tritt für das öffentliche Testament die Rücknahmewirkung nach § 2256 Abs. 1 BGB nicht ein.4

10.259

Beratungshinweis: Eine Rücknahme gegen den Willen des anderen Ehegatten scheidet hiernach aus. Kommt eine Einigung nicht zustande, ist der rücknahmewillige Ehegatte daher auf die allgemeinen Regeln zum Widerruf des Testaments angewiesen (zu diesen unter Rz. 10.251). Zu beachten ist aber die mögliche Bindungswirkung nach § 2270 Abs. 1 BGB (hierzu nachstehend unter Rz. 10.261).

10.260

c) (Bindungs-)Wirkung Für einseitige Verfügungen gilt das zum Einzeltestament Gesagte entsprechend (s. unter F. II.2.c. Rz. 10.246). Der Verfügende unterliegt insoweit keinerlei Bindungen und kann seine Verfügungen nach Maßgabe der §§ 2253 ff. BGB jederzeit frei widerrufen.5

10.261

Die Besonderheit des gemeinschaftlichen Testaments liegt in der Möglichkeit der Ehegatten, wechselbezügliche Verfügungen zu treffen. Wechselbezüglich können nur Erbeinsetzungen, Vermächtnisse und Auflagen sein, § 2270 Abs. 3 BGB. Eine solche wechselbezügliche Verfügung liegt dann vor, wenn die einzelne Verfügung eines Ehegatten nur im Hinblick auf eine Verfügung des anderen getroffen wurde, § 2270 Abs. 1 BGB, wenn also „ein Gegenseitigkeitsverhältnis derart besteht, dass die eine Verfügung nicht ohne die andere getroffen worden wäre, sie also mit-

10.262

1 Weidlich in Palandt79, § 2267 BGB Rz. 6. 2 Grziwotz in BeckOGK, § 2248 BGB Rz. 4 (Stand: 1.4.2020); a.A. Hagena in MüKo8, § 2248 BGB Rz. 5, wonach beide Ehegatten das Verlangen nach Verwahrung äußern müssen. 3 Weidlich in Palandt79, § 2272 BGB Rz. 1; Musielak in MüKo8, § 2272 BGB Rz. 4. 4 Braun in BeckOGK, § 2272 BGB Rz. 21 (Stand: 1.8.2019); Braun in Burandt/Rojahn3, § 2272 BGB Rz. 7; Litzenburger in BeckOK, § 2272 BGB Rz. 5 (Stand: 15.4.2020). 5 Siegmann/Scheuing in Scherer, Münch. Anwhdb. ErbR 5, § 9 Rz. 39; Litzenburger in BeckOK, § 2253 BGB Rz. 1 (Stand: 1.8.2019).

Wenzel/Falkowski | 803

Kap. 10 Rz. 10.262 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

einander stehen oder fallen sollen“.1 Maßgeblich ist der übereinstimmende Ehegattenwille im Zeitpunkt der Testamentserrichtung, der in Zweifelsfällen durch Auslegung zu ermitteln ist.2

10.263

Für den Fall des gegenseitigen Bedenkens der Ehegatten sowie für den Fall, dass der eine Ehegatte dem anderen etwas zuwendet und bei Überleben des Bedachten eine Verfügung zugunsten eines Verwandten oder einer sonst nahestehenden Person des anderen Ehegatten trifft, sieht die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB die Wechselbezüglichkeit der Zuwendungen vor. Die Auslegungsregel greift nur, insoweit die individuelle Erforschung der Erblasserwillen unergiebig blieb.3 Gestaltungshinweis:

10.264

Zu einer solchen Auslegung mit unsicherem Ausgang sollte es nach Möglichkeit nicht kommen. Innerhalb eines gemeinschaftlichen Testaments sollte unbedingt ausdrücklich festgeschrieben werden, welche einzelnen Verfügungen wechselbezüglich sind.

10.265

Aus der nur eingeschränkten Widerruflichkeit ergibt sich bereits zu Lebzeiten eine sog. Bindungswirkung der wechselbezüglichen Verfügungen.4 Gestaltungshinweis:

10.266

Wie beim Erbvertrag auch, ist eine Absicherung gegen dem gemeinschaftlichen Testament zuwiderlaufende lebzeitige Verfügungen in Form eines Verfügungsunterlassungsvertrags möglich. Weiter kann auch hier darüber nachgedacht werden, Verfügungen an den Ehegatten auflösend darauf zu bedingen, dass dieser über bestimmte Nachlassgegenstände nicht verfügt (s. hierzu Rz. 10.330).

d) Beseitigung der Bindungswirkung aa) Zu Lebzeiten beider Ehegatten

10.267

Stets möglich bleibt zu Lebzeiten beider Ehegatten der gemeinsame Widerruf des gemeinschaftlichen Testaments, wobei den Ehegatten alle Formen des Widerrufs nach den §§ 2253 ff. BGB zur Verfügung stehen (vgl. hierzu unter Rz. 10.251).5

10.268

Auch einseitig kann jeder der Ehegatten seine wechselbezüglichen Verfügungen jederzeit widerrufen. Gemäß § 2271 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 2296 BGB bedarf der Widerruf zu seiner Wirksamkeit aber der für den Rücktritt vom Erbvertrag vorgesehenen Form. Der Widerruf ist demnach gegenüber dem anderen Ehegatten durch notariell beurkundete Erklärung auszusprechen, § 2296 Abs. 2 BGB. Wie die Testamentserrichtung stellt auch der Widerruf ein höchstpersönliches Geschäft dar, mit der Folge, dass Vertretung – insbesondere durch einen Betreuer bei Geschäftsunfähigkeit – ausscheidet.6 1 St. Rspr., etwa BGH v. 16.1.2002 – IV ZB 20/01, DNotZ 2002, 661 (664 f.); BayObLG v. 16.5.2001 – 1Z BR 2/01, NJWE-FER 2001, 213 (214); OLG München v. 13.9.2010 – 31 Wx 119/10, MittBayNot 2011,156. 2 Litzenburger in BeckOK, § 2270 BGB Rz. 12 (Stand: 1.8.2019); Weidlich in Palandt79, § 2270 BGB Rz. 2; zu den Parametern der Auslegung i.E.: Braun in BeckOGK, § 2270 BGB Rz. 15, 21 f (Stand: 15.4.2020) und Braun in Burandt/Rojahn3, § 2270 BGB Rz. 23. 3 Braun in BeckOGK, § 2270 BGB Rz. 51 (Stand: 15.4.2020). 4 Braun in Burandt/Rojahn3, § 2271 BGB Rz. 37; Müßig in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2271 BGB Rz. 24. 5 Zu den Anforderungen an den gemeinsamen Widerruf im Einzelnen, vgl. Siegmann/Scheuing in Scherer, Münch. Anwhdb. ErbR5, § 9 Rz. 40 ff. 6 Zur Frage der Möglichkeit der Zugangsvermittlung durch einen gesetzlichen oder rechtsgeschäftlichen Vertreter s. Keim, ZEV 2010, 358 ff.

804 | Wenzel/Falkowski

F. Die letztwillige Verfügung des Unternehmers | Rz. 10.272 Kap. 10

bb) Nach dem Tod eines Ehegatten Mit dem Tod eines Ehegatten erlischt das Widerrufsrecht des überlebenden Ehegatten gem. § 2271 Abs. 2 BGB, so dass dieser grundsätzlich an seine wechselbezüglichen Verfügungen gebunden ist.

10.269

Eine Aufhebung kommt dann nur noch in den folgenden Fällen in Betracht:

10.270

– Ausschlagung des ihm von dem Erstversterbenden Zugewandten durch den überlebenden Ehegatten, § 2271 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 BGB; – Bei Verfehlungen des durch die wechselseitige Verfügung Bedachten, die eine Pflichtteilsentziehung rechtfertigen, § 2271 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. §§ 2294, 2336 BGB; – Nach Anfechtung der wechselbezüglichen Verfügung durch den überlebenden Ehegatten analog nach §§ 2281 ff. i.V.m. §§ 2078, 2079 BGB;1 Gestaltungshinweis: Anders als auf die Möglichkeit der Ausschlagung, lässt sich auf das Anfechtungsrecht im Vorhinein verzichten, was im Sinne größerer Rechtssicherheit in der Regel sinnvoll ist.2

10.271

– bei Widerrufs- bzw. Änderungsvorbehalt zugunsten des Überlebenden. Die Wirkungen der §§ 2270, 2271 BGB sind disponibel.3 Durch Aufnahme eines Widerrufsbzw. Änderungsvorbehalts kann daher den Bedürfnissen der Ehegatten flexibel Rechnung getragen werden. Aus den zahlreichen Gestaltungsmöglichkeiten seien hier nur einige beispielhaft erwähnt: – Dem überlebenden Ehegatten kann gestattet werden, nach dem Tod des Vorversterbenden völlig frei neu zu testieren, indem die Wechselbezüglichkeit auf die Verfügungen im Ehegattenverhältnis beschränkt wird.4 – Ein ähnliches Ergebnis lässt sich durch einen umfassenden Widerrufs- bzw. Änderungsvorbehalt erreichen.5 – Dem überlebenden Ehegatten kann gestattet werden, die Erben innerhalb eines festgelegten Personenkreises ganz allgemein oder nur bei Eintritt bestimmter Bedingungen neu zu bestimmen – etwa bei Wiederheirat, Geburt weiterer Abkömmlinge, um diesen Personenkreis bedenken zu dürfen.6 – Dem überlebenden Ehegatten kann als Alternative zu einer starren Pflichtteilsstrafklausel (hierzu unter Rz. 10.294) ein Änderungsrecht in Bezug auf ein Kind eingeräumt werden, das nach dem Erstversterbenden den Pflichtteil verlangt.7

1 BGH v. 4.7.1962 – V ZR 206/60, BGHZ 37, 331; Stürner in Jauernig17, § 2271 BGB Rz. 11; Weidlich in Palandt79, § 2271 BGB Rz. 28. 2 Litzenburger in BeckOK, § 2271 BGB Rz. 43 ff. (Stand: 1.8.2019). 3 Braun in BeckOGK, § 2270 BGB Rz. 66 (Stand: 15.4.2020). 4 Muster bei Brambring in Beck´sches Formularbuch ErbR3, D. 3. 5 Muster bei Otto in Münch. Vertragshdb., Band 6 Bürgerl. R. II, 7. Aufl.7, XII – 25, Anm. 3; vgl. auch Braun in BeckOGK, § 2270 BGB Rz. 29 (Stand: 15.4.2020). 6 Litzenburger in BeckOK, § 2271 BGB Rz. 28 (Stand: 1.8.2019). 7 Muster bei Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung5, 5. Kap. Rz. 147 – M 174.

Wenzel/Falkowski | 805

10.272

Kap. 10 Rz. 10.272 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

– Dem überlebenden Ehegatten kann gestattet werden, die Erbquoten der feststehenden Erben anzupassen.1 Ob dies auch zu einer völligen Enterbung führen kann oder eine Mindesterbquote gilt, sollte klargestellt werden. Alternativ kann es ihm durch (Voraus-)Vermächtnisse erlaubt werden, den Nachlass abweichend von den bestehenden Erbquoten unter den feststehenden Erben zu verteilen.2 – Dem überlebenden Ehegatten kann es gestattet werden, gegenständlich beschränkt – etwa auf seinen Zuerwerb nach dem ersten Todesfall oder auf sein Privatvermögen in Abgrenzung zum unternehmerischen Vermögen – neu zu verfügen.3 Beratungshinweis:

10.273

Gerade im Bereich der Unternehmensnachfolge ist es möglich, dass ein ursprünglich von beiden Ehegatten ausgewählter Unternehmensnachfolger sich im Laufe der Zeit als ungeeignet oder nicht willens herausstellt, das Unternehmen weiterzuführen. Wird daher das gemeinschaftliche Testament gewählt, sollte gut überlegt werden, inwieweit dem überlebenden Ehegatten hier Flexibilität hinsichtlich der Person des Unternehmensnachfolgers zukommen soll, damit es nicht zu unerwünschten Ergebnissen kommt.

10.274

Jeder Ehegatte darf zu Lebzeiten rechtsgeschäftlich über sein Vermögen frei verfügen. Für die nach dem Tod des Erstversterbenden bindend gewordenen Verfügungen gelten allerdings die §§ 2287, 2288 BGB mit der entsprechenden Folge, dass zu Lasten des Vertragserben oder Vermächtnisnehmers in Beeinträchtigungsabsicht getätigte Schenkungen nach Eintritt des Erbfalls zurückgefordert werden können. Entsprechend kommt ein Verstoß gegen die §§ 2287, 2288 BGB insoweit von vornherein nicht in Betracht, wie dem überlebenden Ehegatten durch einen Widerrufs- bzw. Änderungsvorbehalt freie Hand über das Erbe gegeben wurde.4 cc) Wirkung bei Auflösung der Ehe

10.275

Der Auslegungsregel des § 2268 Abs. 1 i.V.m. § 2077 Abs. 1 BGB zufolge, ist ein gemeinschaftliches Testament seinem ganzen Inhalt nach unwirksam, wenn die Ehe vor dem Tod des Erblassers aufgelöst wurde. Das Gleiche gilt, wenn die Voraussetzungen für die Ehescheidung (oder Aufhebung der Ehe) im Zeitpunkt des Todes vorlagen und der Erblasser5 die Scheidung (oder Aufhebung der Ehe) beantragt hatte oder der Ehescheidung zugestimmt hatte. Gestaltungshinweis:

10.276

In der Praxis oft zu findende Formulierungen, nach denen der Inhalt eines Testaments bei „bei Scheidung“ oder „mit Rechtskraft der Scheidung“ seine Wirkung verlieren soll, verschieben also tatsächlich den Zeitpunkt der Unwirksamkeit im Vergleich zu § 2268 Abs. 1 i.V.m. § 2077 Abs. 1 BGB, was in der Regel nicht gewollt sein dürfte.

1 Brambring in Becksches Formularbuch ErbR3, D 4; D 7 zum Erbvertrag. 2 Braun in BeckOGK, § 2271 BGB Rz. 156 (Stand: 15.4.2020). 3 Muster zum Zuerwerbsvorbehalt bei Otto in Münch. Vertragshdb., Band 6 Bürgerl. R. II7 XII – 25, Anm. 3. 4 Weidlich in Palandt79, § 2271 BGB Rz. 10. 5 Ob auch der vom Wortlaut der Norm eigentlich nicht erfasste Fall des Versterbens des anderen Ehegatten, der nicht auf die Auflösung hingewirkt hatte, die Rechtsfolgen der § 2268 Abs. 1 i.V.m. § 2077 Abs. 1 BGB auslöst, ist streitig. S. hierzu Musielak in MüKo8, § 2268 BGB Rz. 10.

806 | Wenzel/Falkowski

F. Die letztwillige Verfügung des Unternehmers | Rz. 10.281 Kap. 10

Die spätere Aussöhnung oder Wiederheirat lässt das einmal unwirksame gemeinschaftliche Testament nach h.M. nicht wieder aufleben.1 In einem solchen Fall haben die Ehegatten daher ein neues gemeinschaftliches Testament zu verfassen.

10.277

Die Auslegungsregel erfasst alle in das gemeinschaftliche Testament aufgenommenen Verfügungen, unabhängig davon, ob diese einseitig oder wechselbezüglich sind, den anderen Ehegatten oder Dritte betreffen.2 Unwirksamkeit tritt allerdings ausnahmsweise nicht ein, soweit ein gem. § 2268 Abs. 2, § 2077 Abs. 3 BGB vorrangiger Aufrechterhaltungswille (des Erblassers bei einseitigen, beider Ehegatten bei wechselbezüglichen Verfügungen3) festgestellt werden kann. Maßgeblich ist der tatsächliche, hilfsweise der hypothetische Wille, im Zeitpunkt der Testamentserrichtung.4 Fehlt es an einer ausdrücklichen Regelung, ist dieser durch Auslegung des Testaments zu ermitteln. Der Aufrechterhaltungswille scheidet bereits dann aus, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine Verfügung durch die Erwartung des Fortbestandes der Ehe mitbestimmt worden ist.5

10.278

Bezüglich Verfügungen zugunsten des anderen Ehegatten liegt nach allgemeiner Lebenserfahrung, die in § 2077 Abs. 1 BGB zum Ausdruck kommt, regelmäßig kein Aufrechterhaltungswille vor.6 Im Übrigen gilt, dass bei einseitigen Anordnungen des Erblassers regelmäßig von einem Aufrechterhaltungswillen ausgegangen werden kann.7 Bei wechselbezüglichen Verfügungen spricht dagegen die (fort-)bestehende Bindungswirkung im Ansatz gegen den Aufrechterhaltungswillen.8 Etwas anderes kann aber gerade dann anzunehmen sein, wenn durch die wechselbezügliche Verfügung bestimmte Personen, insbesondere gemeinsame Kinder, unbedingt abgesichert werden sollten.9 Fehlt der Aufrechterhaltungswille für eine wechselbezügliche Verfügung nur bei einem der Ehegatten, kann eine Verfügung des anderen unter Umständen in ein Einzeltestament umgedeutet werden, soweit dessen Formvorschriften gewahrt sind.10

10.279

Bleibt eine wechselbezügliche Verfügung über die Auflösung der Ehe hinaus bestehen, so bleibt auch die Bindungswirkung nach § 2270 Abs. 1, § 2271 Abs. 1, 2 BGB erhalten.11

10.280

Gestaltungshinweis: Um Zweifel an der Wirksamkeit des Testaments gar nicht erst entstehen zu lassen, sollte in dem gemeinschaftlichen Testament ausdrücklich festgelegt werden, inwieweit es in Fällen des § 2077 Abs. 1 (i.V.m. § 2268 Abs. 1) BGB aufrecht zu erhalten ist oder nicht. Dies ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn das gemeinschaftliche Testament nicht nur aus Gründen der ehelichen Verbundenheit, sondern auch deswegen gewählt wird, weil die Ehegatten Mitunternehmer sind.

1 BayObLG v. 23.5.1995 – 1Z BR 128/94, NJW 1996, 133; Litzenburger in BeckOK, § 2268 BGB Rz. 10 (Stand: 1.8.2019); Braun in Burandt/Rojahn3, § 2268 BGB Rz. 9; Weidlich in Palandt79, § 2268 BGB Rz. 5; Musielak in MüKo8, § 2268 BGB Rz. 13. 2 Litzenburger BeckOK, § 2268 BGB Rz. 11 (Stand: 1.8.2019); Weidlich in Palandt79, § 2268 BGB Rz. 1. 3 Weidlich in Palandt79, § 2268 BGB Rz. 3 f.; Musielak in MüKo8, § 2268 BGB Rz. 7; Gierl in Kroiß/ Ann/Mayer5, § 2268 BGB Rz. 8. 4 Weidlich in Palandt79, § 2268 BGB Rz. 2; Gierl in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2268 BGB Rz. 8. 5 Weidlich in Palandt79, § 2268 BGB Rz. 3; Braun in BeckOGK, § 2268 Rz. 25.1 (Stand: 15.4.2020). 6 OLG Hamm v. 22.10.1991 – 15 W 261/91, OLGZ 1992, 272; vgl. Musielak in MüKo8, § 2268 BGB Rz. 7; Gierl in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2268 BGB Rz. 8. 7 Litzenburger in BeckOK, § 2268 BGB Rz. 7 (Stand: 1.8.2019). 8 OLG Hamm v. 22.10.1991 – 15 W 261/91, OLGZ 1992, 272; Weidlich in Palandt79, § 2268 BGB Rz. 4; Kanzleiter in Staudinger, § 2268 BGB Rz. 10 (Stand: 2014). 9 Weidlich in Palandt79, § 2268 BGB Rz. 3; Musielak in MüKo8, § 2268 BGB Rz. 7. 10 Musielak in MüKo8 § 2268 BGB Rz. 7; Muscheler, DNotZ 1994, 733 (740 f.). 11 BGH v. 7.7.2004 – IV ZR 187/03, NJW 2004, 3113 (3114).

Wenzel/Falkowski | 807

10.281

Kap. 10 Rz. 10.282 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

e) Einheitslösung

10.282

Bei der Einheitslösung vereinigt sich beim Tod des erstversterbenden Ehegatten dessen Nachlass mit dem Vermögen des überlebenden Ehegatten als Erben. Der überlebende Ehegatte unterliegt hinsichtlich der Verfügung über das Vermögen keinerlei Beschränkungen und kann zu Lebzeiten sogar Vermögen verschenken. Die Schlusserben sind nicht Rechtsnachfolger des ursprünglichen Erblassers, sondern des überlebenden Ehegatten.

10.283

Der typische Fall der Einheitslösung ist das sog. „Berliner Testament“, bei dem beide Ehegatten sich gegenseitig zu (Voll-)Erben, nach dem Letztversterbenden die gemeinsamen Kinder1 zu Schlusserben bestimmen. Die Zweifelsregel des § 2269 Abs. 1 BGB geht von der Einheitslösung aus.2 Beratungshinweis:

10.284

Der Vorteil der Einheitslösung liegt in der unbeschränkten Verfügungsfreiheit und Absicherung des überlebenden Ehegatten und entspricht damit oftmals am ehesten den Vorstellungen der Ehegatten. Die gegenüber der Trennungslösung fehlenden Schutzmechanismen zum Erhalt des Nachlasses fallen demgegenüber für die Ehegatten oft weniger ins Gewicht, da diese – meist zu Recht – darauf vertrauen, dass der überlebende Ehegatte ohnehin darauf bedacht sein wird, den (gemeinsamen) Kindern „ihren“ Erbteil zukommen zu lassen. Anders kann sich dies freilich darstellen, wenn es dem Erblasser gerade darauf ankommt, den Nachlass möglichst ungeschmälert für die nächste Generation zu erhalten.

10.285

Nachteilig wirkt sich bei der Einheitslösung aus, dass die Schlusserben für den ersten Erbfall enterbt sind. Hieraus folgt die Gefahr einer Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen. Da bei der Einheitslösung der Nachlass des erstversterbenden mit dem Vermögen des überlebenden Ehegatten zusammenfällt, errechnet sich dieser nach dem zweiten Erbfall zudem aus dem so erhöhten Gesamtnachlass. Gestaltungshinweis:

10.286

Die Gefahr von Pflichtteilsansprüchen kann oft durch eine Pflichtteilsstrafklausel (hierzu unter Rz. 10.294) und/oder einen Pflichtteilsverzicht abgewendet werden. Zusätzlich kann darüber nachgedacht werden, den Pflichtteilsberechtigten Vermächtnisse einzuräumen, was sich aus steuerlichen Gesichtspunkten ohnehin anbietet.

10.287

Der Zugriff von Gläubigern auf das bei dem überlebenden Ehegatten vereinigte Vermögen lässt sich bei der Einheitslösung – außer durch Ausschlagung der Erbschaft – kaum verhindern, was der Unternehmer in der Regel vermeiden wollen dürfte. Bei einer solchen Gefahr sollte daher eher auf die Trennungs- oder Nießbrauchslösung zurückgegriffen werden.3 Besteht dagegen die Gefahr des Zugriffs von Gläubigern für den Letztbedachten, bietet sich – unbeschadet sonstiger Erwägungen – die Einheitslösung an, da nur bei dieser der Letztbedachte nach dem ersten Erbfall nichts (auch kein Anwartschaftsrecht und auch keine mit einem Nießbrauch belasteten Vermögensgegenstände) erhält. Für den Fall, dass sich die Gefahr des Gläubigerzugriffs konkretisiert, sollte ein umfassender Änderungsvorbehalt für den überlebenden Ehegatten vorgesehen werden.4 1 Hiermit ist der Regelfall angesprochen. Die hier und im Folgenden beschriebenen Konstruktionen können im Grundsatz natürlich auch für andere Erben nach dem Letztversterbenden Anwendung finden. 2 Musielak in MüKo8, § 2269 BGB Rz. 5. 3 Braun in BeckOGK, § 2269 BGB Rz. 70 (Stand: 15.4.2020); zur Gefahr eines Insolvenzverfahrens vgl. Reymann in Herberger/Martinek/Rüßmann u.a. jurisPK-BGB9, § 2269 Rz. 123, 132 ff. 4 Braun in BeckOGK, § 2269 BGB Rz. 73 (Stand: 15.4.2020); Kanzleiter, ZEV 2014, 225 (231); J. Mayer in Reimann/Bengel/J. Maier, Testament und Erbvertrag6, § 2269 Rz. 52; Muscheler, Erbrecht, Band I, § 32 Rz. 2161 zur Möglichkeit einer Änderungsbefugnis im Allgemeinen.

808 | Wenzel/Falkowski

F. Die letztwillige Verfügung des Unternehmers | Rz. 10.291 Kap. 10

Steuerlich ist die Einheitslösung insoweit nachteilig, als es hinsichtlich des Nachlasses des Erstversterbenden zu zwei Erbfällen kommt. Durch die steuerliche Belastung kann es zu erheblichen Liquiditätsabflüssen kommen. Insbesondere im Rahmen der Unternehmensnachfolge stellt das Berliner Testament daher oft keine ernsthafte Option dar, insbesondere wenn der überlebende Ehegatte meist aus eigenem Vermögen ohnehin ausreichend abgesichert ist.1 Darüber hinaus werden die Freibeträge der enterbten Kinder nicht genutzt, was aber durch Aussetzung von Vermächtnissen in entsprechender Höhe ausgeglichen werden kann.2

10.288

f) Trennungslösung Bei der Trennungslösung bestimmen die Ehegatten den überlebenden Ehegatten zum Vorerben. Mit dem Eintritt der Nacherbfolge, d.h. in der Regel mit dem Tod des überlebenden Ehegatten, fällt der Nachlass dann dem von den Ehegatten bestimmten Nacherben an. Dieser erbt den Nachlass des Erstverstorbenen unmittelbar von diesem als Nacherbe, den Nachlass des Zweitverstorbenen unmittelbar von diesem als dessen (Voll-)Erbe (ausführlich zur Vorund Nacherbschaft unten unter F.III.6. Rz. 10.414).

10.289

Für die Dauer der Vorerbschaft bleibt der Nachlass vom Vermögen des Vorerben getrennt. Dem Vorerben steht zwar die Nutzung des Nachlasses zu, er ist aber zum Schutz des Nacherben in der lebzeitigen Verfügung über die Nachlassgegenstände beschränkt und unterliegt bestimmten Informations- und Verwaltungspflichten sowie Einschränkungen von denen er gem. § 2136 BGB weitgehend, aber nicht gänzlich befreit werden kann. Tritt die Nacherbfolge (wie meist) mit dem Tod des Vorerben ein, so haben dessen Verfügungen von Todes wegen hinsichtlich des Vorerbes keine Wirkung.3

10.290

Beratungshinweis: Wollen die Ehegatten das zu vererbende Vermögen möglichst ungeschmälert auf die Nacherben übergehen lassen und hierzu Verfügungen des Ersterwerbers ausschließen, kommt grundsätzlich die Trennungslösung in Frage. Da im unternehmerischen Bereich die freie Verfügung über den Nachlass zur Unternehmensfortführung erforderlich ist, kann hier von der Trennungslösung jedoch regelmäßig nur abgeraten werden. Jedenfalls vom Verbot der – auch nur teilweisen – unentgeltlichen Verfügungen kann der Vorerbe nicht befreit werden, mit der Folge, dass im Rechtsverkehr größere Geschäfte mitunter nur mit Zustimmung der Nacherben akzeptiert werden würden und der Geschäftsbetrieb gelähmt würde (vgl. hierzu auch unten unter Rz. 10.430). Auch über die (ebenfalls nur teilweise abdingbaren) Vorschriften zur Verwaltung des Vorerbes kann Unsicherheit eintreten und der Geschäftsbetrieb beeinträchtigt werden. Zuletzt treten gegenüber anderen Gestaltungsvarianten auch keine steuerlichen Vorteile ein. Steuerlich wird der Vorerbe wie ein Vollerbe behandelt, § 6 Abs. 1 ErbStG. Der Vermögensübergang, sowohl vom Erstverstorbenen, als auch vom Zweitverstorbenen auf den Nacherben, wird steuerlich als ein Erwerbsvorgang behandelt, so dass auch hier nur ein persönlicher Freibetrag des Nacherben geltend gemacht werden kann. Der Nachteil der doppelten erbschaftsteuerlichen Belastung und fehlender Ausreizung steuerlicher Freibeträge besteht also auch hier, wie bei der Einheitslösung (s. unter Rz. 10.282).

1 Braun in BeckOGK, § 2269 BGB Rz. 77 (Stand: 15.4.2020). 2 Braun in BeckOGK, § 2269 BGB Rz. 77 (Stand: 15.4.2020). 3 Insoweit Bindungswirkung besteht, ist die Verfügung sogar gem. § 2271 Abs. 1 BGB unwirksam. Im Übrigen ist sie wirksam, kommt aber nur zum Tragen, sollte der Nacherbe wegfallen. MüllerChristmann in BeckOGK, § 2112 BGB Rz. 16 (Stand: 15.1.2020); Grunsky in MüKo8, § 2100 BGB Rz. 24 f.

Wenzel/Falkowski | 809

10.291

Kap. 10 Rz. 10.292 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

g) (Herausgabe-)Vermächtnislösung

10.292

Bei der Vermächtnislösung setzen die Ehegatten sich, wie bei der Einheitslösung, gegenseitig zu Vollerben und ihre Kinder zu Schlusserben ein. Gleichzeitig wird den Schlusserben ein auf den zweiten Todesfall aufschiebend bedingtes Vermächtnis, auf den im Bedingungseintritt noch vorhandenen Nachlass-Überrest, oder sonst im Einzelnen bestimmte Nachlassgegenstände – wie etwa das Unternehmen – eingeräumt. Die mit dem ersten Erbfall entstehende Vermächtnisanwartschaft der Schlusserben ist grundsätzlich vererblich und veräußerlich. Das Vermächtnis kann zusätzlich auf den Fall aufschiebend bedingt werden, dass die Bedachten den beschwerten Ehegatten überleben.1 Mit dem zweiten Erbfall erwerben die Letztbedachten zum einen als Vermächtnisnehmer den Vermächtnisgegenstand bzw. den Übertragungsanspruch von dem erstversterbenden Ehegatten, zum anderen den Nachlass des letztversterbenden Ehegatten als Schlusserben. Durch die hierdurch entstehende (schuldrechtliche) Unterscheidung der verschiedenen Vermögensmassen kann man auch von einer „unechten Trennungslösung“ sprechen.2

10.293

Als Vollerbe unterliegt der überlebende Ehegatte keinerlei Beschränkungen hinsichtlich des ererbten Nachlasses. Da lediglich der vom überlebenden Ehegatten unverbrauchte Rest vermacht wird, scheiden ein Schutz des bedingten Vermächtnisnehmers gem. § 2179 BGB oder prozessuale Sicherungsmittel aus.3 Um den Pflichtteil nach dem Erstversterbenden geltend machen zu können, müssen die vermächtnisbedachten Abkömmlinge die Vermächtnisse nach § 2307 Abs. 1 Satz 1 BGB ausschlagen. Der überlebende Ehegatte ist nach Ausschlagung gem. § 2306 Abs. 1 BGB pflichtteilsberechtigt.4 Beratungshinweis:

10.294

Auf die Vermächtnislösung kann insbesondere dann zurückgegriffen werden, wenn der Erblasser den Verbleib seines Unternehmens auch über den Tod seines Ehegatten hinaus festlegen will, dieser aber nicht den Beschränkungen der Vor- und Nacherbfolge unterworfen werden soll. Durch den Inhalt des Vermächtnisses wird der Nachlass auch für die Zeit nach dem Tod des Letztversterbenden zugewiesen, wenn auch nur in Form eines schuldrechtlichen Anspruches gegen die Erben des Letztversterbenden.

10.295

Bei der Nießbrauchslösung handelt es sich um eine weitere Form der Vermächtnislösung in dem Sinne, dass die Ehegatten ihre Kinder zu Vollerben einsetzen und den überlebenden Ehegatten durch Einräumung eines Nießbrauchsvermächtnisses absichern (s. dazu unter Rz. 10.378). Zur weiteren Absicherung des überlebenden Ehegatten und zur Erlangung steuerlicher Vorteile kann es sich anbieten, weitere Vermächtnisse anzuordnen (vgl. etwa § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und b ErbStG für Hausrat und sonstige bewegliche körperliche Gegenstände; § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG für das Familienheim). Durch Auflagen oder die Anordnung der Testamentsvollstreckung zugunsten des überlebenden Ehegatten, kann seine Rechtsposition weiter gestärkt werden.

1 Braun in BeckOGK, § 2269 BGB Rz. 88 (Stand: 15.4.2020); Muster bei: § 14 Gestaltungsmöglichkeiten von Ehegattenverfügungen von Todes wegen Kössinger in Nieder/Kössinger, Handbuch der Testamentsgestaltung6, § 21 Rz. 43; Scherer in Scherer, Unternehmensnachfolge6, § 16 Rz. 31. 2 Braun in BeckOGK, § 2269 BGB Rz. 10 (Stand: 15.4.2020). 3 Hölscher, ZEV 2009, 213 (214, 216). 4 Lange in MüKo, § 2306 BGB Rz. 25.

810 | Wenzel/Falkowski

F. Die letztwillige Verfügung des Unternehmers | Rz. 10.301 Kap. 10

h) Typische Klauseln gemeinschaftlicher Testamente aa) Pflichtteilsstrafklausel Konsequenz der Einheitslösung ist, dass die gemeinsamen Kinder für den ersten Erbfall von der Erbfolge ausgeschlossen und damit pflichtteilsberechtigt sind (s. unter Rz. 10.282). Die Geltendmachung des Pflichtteils beeinträchtigt nicht nur die zwischen den Ehegatten abgestimmte Erbfolge, sondern kann auch eine erhebliche finanzielle wie emotionale Belastung für den überlebenden Ehegatten und das vererbte Unternehmen bedeuten. Dies gilt auch für die Trennungslösung. Hier ist der Nacherbe zwar nach dem Erstversterbenden nicht enterbt, er kann aber nach § 2306 Abs. 2 BGB die Nacherbschaft ausschlagen und dennoch seinen Pflichtteil verlangen. In beiden Fällen bliebe der Pflichtteilsberechtigte ohne Vorkehrungen der Ehegatten auch für den zweiten Erbfall gewillkürter oder gesetzlicher Erbe. Um den überlebenden Ehegatten und das Unternehmen zu schützen und den Pflichtteilsverlangenden nicht gegenüber solchen Letztbedachten zu begünstigen, die ihre Schluss- bzw. Nacherbenstellung abwarten, sind in der Praxis testamentarische Strafklauseln weit verbreitet, deren Ziel es ist, dem Pflichtteilsberechtigten die Ausübung des Pflichtteilsrechts so unattraktiv zu machen, dass er es freiwillig nicht ausüben wird.

10.296

Beratungshinweis: Ausschließen lässt sich der Pflichtteilsanspruch durch solche Klauseln nicht. Ob zusätzlich ein Pflichtteilsverzicht notwendig ist (zu diesem und weiteren Möglichkeiten der Pflichtteilsminimierung s. unter Rz. 10.9), muss im Einzelfall entschieden werden, wobei die Höhe des Pflichtteilsanspruches, die Wahrscheinlichkeit seiner Geltendmachung und seine Folgen für den überlebenden Ehegatten bzw. ein von ihm fortgeführtes Unternehmen genauso eingestellt werden müssen, wie die Willigkeit bzw. der Preis des Pflichtteilsberechtigten, um überhaupt an einem solchen Verzicht mitzuwirken.

10.297

In ihrer häufigsten Variante sieht die Pflichtteilsstrafklausel vor, dass der Pflichtteilsberechtigte, sollte er den Pflichtteil nach dem Erstversterbenden geltend machen, auch für den zweiten Erbfall enterbt ist (automatische Pflichtteilsstrafklausel).1 Ihm verbleiben aber seine Pflichtteilsansprüche – einer nach dem ersten Erbfall und einer nach dem zweiten – die sich im Falle der Einheitslösung zudem nach dem vereinigten Gesamtnachlass berechnen.

10.298

Beratungshinweis: Im Zusammenhang mit Pflichtteilsstrafklauseln ist unbedingt daran zu denken, was geschehen soll, wenn der auserkorene Unternehmenserbe den Pflichtteil geltend macht. Hier bietet sich eine detaillierte Ersatzerbenregelung an.

10.299

Zudem ist es möglich, es dem überlebenden Ehegatten durch einen entsprechenden Abänderungsvorbehalt zu ermöglichen, den Pflichtteilsfordernden zu enterben bzw. einen neuen Erben zu bestimmen (fakultative Pflichtteilsstrafklausel).2

10.300

Auch ein eingeschränkter Automatismus in dem Sinne, dass die Pflichtteilsstrafklausel nur greift, wenn der Pflichtteilsberechtigte den Pflichtteil gegen den Willen des überlebenden Ehegatten fordert, ist möglich.3

10.301

1 Vgl. etwa das Muster bei Zimmer in Schulze/Grziwotz/Lauda, BGB: Kommentiertes Vertragsund Prozessformularbuch3, § 2278 BGB Rz. 8–11. 2 Vgl. etwa das Muster bei Zimmer in Schulze/Grziwotz/Lauda, BGB: Kommentiertes Vertragsund Prozessformularbuch3, § 2278 BGB Rz. 16 f. 3 Im Allgemeinen Weidlich in Palandt79, § 2075 BGB Rz. 9.

Wenzel/Falkowski | 811

Kap. 10 Rz. 10.302 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen Gestaltungshinweis:

10.302

Die Wahl der richtigen Strafklausel hängt letztlich davon ab, wieviel Freiraum dem überlebenden Ehegatten bei der Handhabung des Pflichtteilverlangens eingeräumt werden soll. Am weitreichendsten ist der überlebende Ehegatte hier freilich mit einem flexiblen Abänderungsvorbehalt bei der fakultativen Pflichtteilsklausel ausgestattet. Soll dem überlebenden Ehegatten die mitunter auch emotional schwierige Frage der Enterbung und letztlich auch die Auswahl des Unternehmensnachfolgers nicht allein überlassen werden, sollte allerdings eher auf eine Lösung mit Automatismus zurückgegriffen werden. Ist der überlebende Ehegatte an die betreffenden Verfügungen ohnehin nicht gebunden – sei es, da diese einseitig sind oder ohnehin ein umfassender Änderungsvorbehalt besteht – dürfte eine zusätzliche Strafklausel entbehrlich sein.

10.303

Eine stark abgemilderte Variante der Pflichtteilsstrafklausel besteht darin, den Pflichtteilsberechtigten nicht völlig zu enterben, sondern nur festzusetzen, dass er bei Geltendmachung des Pflichtteiles diesen auf einen späteren Erwerb von Todes wegen anzurechnen hat (Pflichtteilsanrechnungsklausel).1 Gestaltungshinweis:

10.304

Gegen eine solche Lösung spricht freilich, dass für den Pflichtteilsberechtigten kein Anreiz besteht, den Pflichtteil nicht zu verlangen – finanziell steht er sich nicht schlechter. Im Gegenteil stellt die Möglichkeit, früher am Nachlass partizipieren zu können, sogar einen handfesten (auch Zins-)Vorteil für ihn dar. Ein Schutz vor Liquiditätsabflüssen ist nicht gewährleistet. Der mit dieser Klausel verbundene Vorteil dürfte allenfalls psychologisch sein.

10.305

Bei der Einheitslösung kann die Strafklausel auf Wunsch aber auch weiter verschärft werden. Bei einer sog. erweiterten Pflichtteilsstrafklausel (oder „Jastrow’schen Klausel“) werden, wie bei der einfachen Pflichtteilsstrafklausel, die Pflichtteilsberechtigen enterbt, wenn sie nach dem ersten Erbfall den Pflichtteil verlangen. Zusätzlich ordnet der Erblasser allerdings Vermächtnisse zugunsten aller Abkömmlinge mit Ausnahme derer an, die nach dem ersten Erbfall den Pflichtteil verlangen. Die Höhe der Vermächtnisse entspricht der gesetzlichen Erbquote des Abkömmlings nach dem ersten Erbfall, berechnet aus dem Nachlass, der dem überlebenden Ehegatten im Zeitpunkt seines Todes verlieben ist. Die Vermächtnisse dienen dazu, die Pflichtteilsansprüche nach dem zweiten Erbfall zu minimieren und werden, um den überlebenden Ehegatten zu Lebzeiten nicht zu beeinträchtigen, auf dessen Tod aufschiebend bedingt.2

10.306

Die Jastrow’sche Klausel kann sich für die letztwillige Verfügung des Unternehmers anbieten, um die Wahrscheinlichkeit und Höhe etwaiger Pflichtteilsansprüche (weiter) zu reduzieren. Allerdings lässt sich auch mit der Jastrow’schen Klausel das Pflichtteilsrecht nicht ausschließen. Hinzu kommt nachteilig die Komplexität der Klausel in Gestaltung und Ausführung. Zur Bestimmung der Vermächtnishöhe müssten trotz Einheitslösung die Vermögen beider Ehegatten doch wieder separiert werden – und das mitunter Jahre nach dem ersten Erbfall. Um die hieraus erwachsenden Schwierigkeiten zu vermeiden, sollte in den Fällen, in denen eine einfache Pflichtteilsstrafklausel nicht reicht, nach Möglichkeit besser auf den Pflichtteilsverzicht zurückgegriffen werden.

Gestaltungshinweis:

1 Vgl. etwa das Muster bei Zimmer in Schulze/Grziwotz/Lauda, BGB: Kommentiertes Vertragsund Prozessformularbuch3, § 2278 BGB Rz. 14; vgl. auch Braun in BeckOGK, § 2269 BGB Rz. 59 (Stand: 15.4.2020). 2 Zur Jastrow’schen Klausel im Überblick: Mayer, ZEV 1995, 136; vgl. ferner das Muster bei Zimmer in Schulze/Grziwotz/Lauda, BGB: Kommentiertes Vertrags- und Prozessformularbuch3, § 2278 BGB Rz. 12.

812 | Wenzel/Falkowski

F. Die letztwillige Verfügung des Unternehmers | Rz. 10.311 Kap. 10 Unabhängig davon, welche Strafklausel letztlich gewählt wird, sollte sie in jedem Fall bestimmt genug ein, um den Bedingungseintritt sicher feststellen zu können. So sollte insbesondere eindeutig sein, welche konkreten Verhaltensweisen welcher Person genau ein Pflichtteilsverlangen konstituieren (z.B.: schon formlose Geltendmachung des Pflichtteils statt schriftlicher oder klageweiser; persönliche Geltendmachung oder auch durch Dritte [Sozialhilfeträger]).

bb) Wiederverheiratungsklausel Zweck von Wiederverheiratungsklauseln ist es, dem überlebenden Ehegatten im Falle von dessen Wiederheirat, den vom erstverstorbenen Ehegatten erlangten Nachlass wieder (teilweise) zu entziehen, damit dieser den gemeinsamen Abkömmlingen und nicht einem neuen Ehegatten und anderen neuen Pflichtteilsberechtigten zugute kommt. Befindet sich ein Unternehmen im Nachlass, kann es auch gerade gewünscht sein, den neuen Ehegatten aus dem Unternehmen herauszuhalten oder seine Einwirkung auf unternehmerische Entscheidungsprozesse zu verhindern.

10.307

Gestaltungshinweis: Für alle Wiederverheiratungsklauseln gilt, dass durch sie nicht in unzulässiger Weise Einfluss auf die Eheschließungsfreiheit (Art. 6 GG) des Bedachten genommen werden darf, was nach § 138 BGB zu ihrer Sittenwidrigkeit führen kann.1 Es sollte daher von Gestaltungen Abstand genommen werden, die den überlebenden Ehegatten für den Fall der Wiederheirat völlig rechtlos stellen und in ihrer Schärfe von den Ehegatten meist auch gar nicht gewollt sein werden.

10.308

(1) Trennungslösung Bei der Trennungslösung wird die Wiederverheiratungsklausel dadurch realisiert, dass der Nacherbfall nicht nur mit dem Tod des überlebenden Ehegatten, sondern auch mit dessen Wiederheirat eintritt, so dass mit diesem Zeitpunkt der Nachlass unmittelbar auf die Nacherben übergeht.2

10.309

Gestaltungshinweis: Da der überlebende Ehegatte ohne weitere kompensatorische Regelungen völlig leer ausginge, sollten solche unbedingt vorgesehen werden, um dem Verdacht der Sittenwidrigkeit zu entgehen.3 So kann etwa bestimmt werden, dass der vorzeitige Nacherbfall auf einen Teil des Nachlasses – etwa das Unternehmen – beschränkt wird, so dass dem überlebenden Ehegatten ein Rest – etwa i.H.v. dessen gesetzlicher Erbquote – verbleibt.4 Denkbar ist ein auf die Wiederverheiratung aufschiebend bedingtes Vermächtnis in Höhe des Pflichtteils, der gesetzlichen Erbquote oder eines anderen angemessenen Betrages. Auch Wohn- oder Nießbrauchsrechte sind denkbar.5

10.310

Ist der überlebende Ehegatte befreiter Vorerbe, kann die Wiederheiratsbedingung in ihrer Wirkung zudem darauf beschränkt werden, nur die eingeräumten Befreiungen ganz oder teilweise aufzuheben.6

10.311

1 BVerfG FamRZ 2004, 765; OLG Saarbrücken v. 15.10.2014 – 5 U 19/13, DNotZ 2015, 691; Mansel in Jauernig17, § 138 BGB Rz. 9. 2 Muster mit Vermächtniskompensation bei Uricher in Uricher, Erbrecht4, § 7 Rz. 323; vgl. auch Musielak in MüKo8, § 2269 BGB Rz. 49. 3 Musielak in MüKo8, § 2269 BGB Rz. 60; Tanck, ZErb 2015, 297 ff. 4 BGH v. 24.10.1979 IV ZR 31/78, Rpfleger 1980, 95; BayObLG v. 10.9.1993 – 1Z BR 12/9, FamRZ 1994, 1206; Gierl in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2269 BGB Rz. 136. 5 Völzmann, RNotZ 2012, 1 (7). 6 Muster bei Uricher in Uricher, Erbrecht4, § 7 Rz. 354; vgl. auch Völzmann, RNotZ 2012, 1 (12).

Wenzel/Falkowski | 813

Kap. 10 Rz. 10.312 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

10.312

Um die Nacherben umfassend abzusichern kann sich – gerade bei noch minderjährigen Nacherben – die Bestimmung eines Nacherbentestamentsvollstrecker anbieten, dessen Tätigkeit durch entsprechende Bedingung auch auf den Fall der Wiederheirat beschränkt werden kann und die Kontrollrechte der Nacherben gegenüber dem überlebenden Ehegatten ausübt.1 (2) Einheitslösung

10.313

Die klassische Form der Wiederverheiratungsklausel bei der Einheitslösung sieht die Einsetzung des überlebenden Ehegatten zum auf die erneute Eheschließung auflösend bedingten Vollerben und gleichzeitig aufschiebend bedingten Vorerben vor, so dass mit der Wiederheirat eine Umwandlung in die Trennungslösung erfolgt. Die als aufschiebend bedingte Nacherben eingesetzten Kinder werden durch die Vorschriften der Vor- und Nacherbfolge geschützt.2 Im Zweifel wird von einer umfassend befreiten Vorerbenstellung ausgegangen,3 besser sollte – wenn auf die Umwandlungslösung überhaupt zugegriffen wird – der Umfang der Befreiung ausdrücklich festgeschrieben werden.

10.314

Möglich ist es auch, die (Voll-)Erbenstellung des überlebenden Ehegatten ersatzlos entfallen zu lassen, indem diese auf die Wiederheirat auflösend bedingt wird. Auch hierdurch ist der überlebende Ehegatte konstruktiv auf die Wiederheirat aufschiebend bedingter Vorerbe, er verbleibt aber nie in dieser Stellung, da die Wiederheirat gleichzeitig sofort den Nacherbfall auslöst.4 Wird dieser Weg gegangen, muss nach den vorstehenden Ausführungen zur Sittenwidrigkeit (s. oben unter Rz. 10.310) auch hier eine Kompensation, etwa in Form eines Vermächtnisses, geschaffen werden.

10.315

Alternativ kann eine Anordnung vorgesehen werden, der zufolge bei einer Wiederheirat eine Auseinandersetzung nach Regeln der gesetzlichen Erbfolge mit den gemeinsamen Kindern zu erfolgen hat. Dieses Ergebnis kann dadurch erreicht werden, dass die Kinder bedingt auf die Wiederheirat zu Nacherben hinsichtlich ihrer gesetzlichen Erbteile eingesetzt werden.5

10.316

Zuletzt kann ein auf die Wiederheirat aufschiebend bedingtes Vermächtnis angeordnet werden, das sich auf einen bestimmten Geldbetrag oder einen Geldbetrag in Höhe eines Teils des Nachlasswertes (etwa einen den gesetzlichen Erbquoten der Kinder entsprechenden Teil am aktuellen (Rest-)Nachlass) bezieht.6 Gestaltungshinweis:

10.317

Das Problem aller Gestaltungsvarianten, die in die Vor- und Nacherbschaft führen, besteht darin, dass die Beschränkungen der Vorerbschaft auch schon vor Bedingungseintritt eintreten und solange bestehen, wie nicht mit Tod des überlebenden Ehegatten der Bedingungsausfall feststeht. Erst mit diesem Bedingungsausfall tritt auch die Wirksamkeit der entgegen den §§ 2113 ff. BGB erfolgten Ver-

1 Muster bei Uricher in Uricher, Erbrecht4, § 7 Rz. 356. 2 Musielak in MüKo8, § 2269 BGB Rz. 54; Weidlich in Palandt79, § 2269 BGB Rz. 18; Dippel, AcP 177 (1977), 349 (361); Jünemann, ZEV 2000, 81 (82). 3 Musielak in MüKo8, § 2269 BGB Rz. 54; Weidlich in Palandt79, § 2269 BGB Rz. 18. 4 Musielak in MüKo8, § 2269 BGB Rz. 49; Litzenburger in BeckOK, § 2269 BGB Rz. 36 ff. (Stand: 1.8.2019). 5 Völzmann, RNotZ 2012, 1 (7); Kanzleiter in Staudinger, § 2269 BGB Rz. 40 (Stand: 2014). 6 Gierl in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2269 BGB Rz. 116; Weidlich in Palandt79, § 2269 BGB Rz. 23; Musielak in MüKo8, § 2269 BGB Rz. 53.

814 | Wenzel/Falkowski

F. Die letztwillige Verfügung des Unternehmers | Rz. 10.321 Kap. 10 fügungen ein.1 Auch wenn eine umfassende Befreiung besteht, ist damit der eigentliche Vorteil der Einheitslösung, den überlebenden Ehegatten zum unbeschränkten Erben zu machen, aufgehoben. Von dieser Gestaltungsmöglichkeit sollte daher im Zweifel zugunsten einer Vermächtnislösung abgesehen werden.2

(3) Vermächtnislösung Bei der Vermächtnislösung kann eine Wiederverheiratungsklausel so aussehen, dass das Vermächtnis bzw. der Nießbrauch mit Wiederheirat entfällt. Auch hier ist auf die Grenzen der Sittenwidrigkeit Rücksicht zu nehmen.3

10.318

cc) Anfechtungsverzicht Die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments kann auch durch Anfechtung gemäß den §§ 2078 ff. BGB beseitigt werden. Insbesondere kann ein Anfechtungsgrund durch Entstehung neuer Pflichtteilsberechtigter bei Wiederheirat sowie Geburt oder Adoption eines weiteren Kindes geschaffen werden, § 2079 BGB. Aus diesem Grund sollte das gemeinschaftliche Testament auch einen zulässigen Anfechtungsverzicht beinhalten.4

10.319

dd) „Katastrophenklausel“

In gemeinschaftlichen Testamenten sind zuletzt Klauseln für das „gleichzeitige“ Versterben üblich, wobei unter gleichzeitig auch das zeitlich versetzte Versterben auf Grund des gleichen Ereignisses gemeint ist (Versterben aufgrund gemeinsamer Gefahr). Hintergrund solcher Regelungen ist, dass wenn die Ehegatten kurz hintereinander versterben, ein zweiter Erbfall mit allen hieraus resultierenden rechtlichen Konsequenzen, insbesondere auch einer weiteren erbschaftsteuerlichen Belastung nicht erfolgen und der Nachlass von jedem Ehegatten vielmehr direkt an den oder die Letztbedachten übergehen soll. Rechtlich lässt sich dieses Ergebnis so konstruieren, dass der überlebende Ehegatte nur unter der aufschiebenden Bedingung seines Weiterlebens, um einen bestimmten Zeitraum über den Tod des Erstverstorbenen hinaus, Erbe sein soll.

10.320

Gestaltungshinweis: Auslegungsbedürftige Formulierungen, die die Schlusserbenfolge sofort für den Fall des – wie auch immer zu ermittelnden – Falls „gleichzeitigen Versterbens“ auf Grund desselben Ereignisses eintreten lassen wollen,5 sollten bei der Formulierung von Überlebensklauseln vermieden werden. Erforderlich 1 BGH v. 6.11.1985 – IVa ZB 5/85, BGHZ 96, 198; Weidlich in Palandt79, § 2269 BGB Rz. 18; Johannsen in RGRK-BGB, § 2269 BGB Rz. 19; Schlüter, Erbrecht17, Rz. 349; Avenarius in Staudinger, § 2100 BGB Rz. 33 i.V.m. § 2136 BGB Rz. 22 (Stand: 2012); Mayer, ZEV 2001, 1; Hartmann, DNotZ 2016, 899 (906); Zawar, NJW 2007, 2352 (2354); diff. Kanzleiter in Staudinger, § 2269 BGB Rz. 44 (Stand: 2014); gegen die zwingende Geltung der §§ 2113 ff. vor Bedingungseintritt OLG Celle v. 4.10.2012 – 6 W 180/12, ZEV 2013, 40 m. Anm. Weidlich = MittBayNot 2013, 252 m.Anm. Braun; Musielak in MüKo8, § 2269 BGB Rz. 58; dazu abl. KG v. 3.6.2016 – 6 W 127/15, FamRZ 2017, 66 = ErbR 2017, 30; vgl. auch OLG Köln v.10.11.2016 – 2 Wx 534/16, ZEV 2017, 96; OLG Düsseldorf v. 9.2.2017 – 3 Wx 279/16, FamRZ 2017, 1428 = ErbR 2017, 289 = ZEV 2017, 236 (Ls.) = BeckRS 2017, 103037 Rz. 26. 2 So dann auch die Empfehlung von Fröhler in Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung5, Kap. 5 Rz. 154. 3 Völzmann, RNotZ 2012, 1 (12). 4 Otto in Münch. Vertragshdb., Band 6 Bürgerl. R. II7, XII Nr. 11. 5 Eckert/Kroiß in FormularBibliothek Vertragsgestaltung Erbrecht, Rz. 26.

Wenzel/Falkowski | 815

10.321

Kap. 10 Rz. 10.321 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen ist vielmehr die Benennung einer konkreten Überlebensfrist, innerhalb derer das Versterben des (zunächst) überlebenden Ehegatten keinen Erbanfall bei ihm auslöst.

10.322

Gerade im Bereich der Unternehmensnachfolge kann es zudem sinnvoll sein, die Klausel auch auf Fälle der Geschäftsunfähigkeit zu erweitern. Der überlebende Ehegatte wird dann auch erst dann Erbe, wenn er die Geschäftsfähigkeit zurückerlangt.1

4. Erbvertrag a) Errichtung

10.323

Der Erbvertrag, geregelt in den §§ 2274 ff. BGB, kann zwischen zwei oder mehreren beliebigen Personen geschlossen werden.2 Derjenige, der selbst vertragsmäßige Verfügungen trifft, wird vom Gesetz als Erblasser bezeichnet, vgl. §§ 2274, 2275 BGB. Bei Vorliegen nur eines Erblassers spricht man von einem einseitigen, bei Beteiligung mehrerer Erblasser von einem zwei- oder mehrseitigen Erbvertrag.3

10.324

Der Erbvertrag bedarf zu seiner Formwirksamkeit der notariellen Beurkundung bei gleichzeitiger Anwesenheit der Vertragspartner, § 2276 Abs. 1 Satz 1 BGB, wodurch eine zeitliche Trennung von Angebot und Annahme ausscheidet. Für denjenigen, der als Erblasser im Vertrag verfügt, gilt zudem gem. § 2274 BGB das Erfordernis persönlicher Anwesenheit, das Stellvertretung ausschließt.4 Formverstöße führen zur Nichtigkeit gem. § 125 Satz 1 BGB.5 Wie auch beim öffentlichen Testament, können die Beteiligten ihre Erklärungen entweder zur Niederschrift des Notars aufnehmen lassen oder durch Schriftübergabe ersetzen, § 2276 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. §§ 2231 Nr. 1, 2232 BGB.

10.325

Der Notar hat die Urkunde unverzüglich dem Zentralen Testamentsregister zu melden, § 34a Abs. 1 BeurkG. b) Verwahrung

10.326

Der Erbvertrag ist grundsätzlich in die besondere amtliche Verwahrung des örtlich zuständigen Nachlassgerichtes zu verbringen, § 34 Abs. 2 Halbs. 1 BeurkG, sofern nicht alle Vertragsschließenden die amtliche Verwahrung ausschließen.6 Der Ausschluss wird vermutet, wenn der Erbvertrag mit einem anderen Vertrag in einer Urkunde verbunden ist, § 34 Abs. 2 Halbs. 2 BeurkG. In der Urkundensammlung des Notars verbleibt bei amtlicher Verwahrung lediglich ein Vermerk, der insbesondere die Urkundennummer und Daten der Beteiligten erfasst. Auf Wunsch der Beteiligten ist eine beglaubigte Abschrift der Urkunde zurückzubehalten, die den Beteiligten auf Anfordern aber auszuhändigen ist.7

10.327

Scheidet die amtliche Verwahrung aus, verbleibt der Erbvertrag gem. § 34 Abs. 3 BeurkG in der Verwahrung des Notars und wird erst nach dem Erbfall dem zuständigen Amtsgericht zur Eröffnung abgeliefert.

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Vgl. Braun in BeckOGK, § 2269 BGB Rz. 27 (Stand: 15.4.2020). Weidlich in Palandt79, § 2274 BGB Rz. 3; Reithmann, DNotZ 1957, 527. Röhl in BeckOGK, § 2274 BGB Rz. 18 f. (Stand: 1.6.2020). Musielak in MüKo8, § 2276 BGB Rz. 5. Röhl in BeckOGK, § 2276 BGB Rz. 28 (Stand: 1.6.2020). Weidlich in Palandt79, § 2276 BGB Rz. 11. Zum Ganzen: Otto in Münch. Vertragshdb., Band 6 Bürgerl. R. II7, XI Nr. 15 Anm. 12.

816 | Wenzel/Falkowski

F. Die letztwillige Verfügung des Unternehmers | Rz. 10.332 Kap. 10

Gemäß § 2300 Abs. 2 BGB kann ein Erbvertrag aus der amtlichen oder notariellen Verwahrung zurückgenommen werden, wodurch seine vertragsmäßigen Verfügungen gem. § 2300 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 2256 Abs. 1 BGB entsprechend aufgehoben und seine einseitigen Verfügungen widerrufen werden. Die Rückgabe darf nur an alle Vertragsbeteiligten gemeinschaftlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit vor der verwahrenden Stelle erfolgen.1 Eine Vertretung des Erblassers ist ausgeschlossen, für sonstige Vertragsbeteilige aber nach wohl h.M. zulässig.2 Nach dem Tod eines der ursprünglichen Vertragsbeteiligten ist die Rückgabe ausgeschlossen, § 2300 Abs. 2 Satz 2, § 2290 Abs. 1 Satz 2 BGB.

10.328

Beratungshinweis: Wie auch beim Testament bietet sich aus Gründen der Rechtsklarheit bzw. Geheimhaltung mit Aufhebung oder Abänderung eines Erbvertrages auch dessen Rücknahme aus der Verwahrung an (s. hierzu die Beratungshinweise unter Rz. 10.250 und Rz. 10.252).

10.329

c) (Bindungs-)Wirkung Die Besonderheit des Erbvertrages liegt darin, dass er im Gegensatz zum Testament nicht nur einseitiges Rechtsgeschäft, sondern Vertrag und als solcher grundsätzlich auch lebzeitig nicht mehr einseitig widerruflich ist.3 Hinsichtlich des Inhalts des Erbvertrages ist zu unterscheiden zwischen vertragsmäßigen und einseitigen Verfügungen. Daneben kann der Erbvertrag auch mit Rechtsgeschäften unter Lebenden (etwa Ehevertrag, Erb- oder Pflichtteilsverzicht) verbunden werden, vgl. etwa § 2276 Abs. 2 BGB.4

10.330

Beratungshinweis: Für den Unternehmer, der nicht alle seiner Pflichtteilsberechtigten ausreichend berücksichtigt, kann es sich anbieten, den Erbvertrag mit einem Pflichtteilsverzicht zu verbinden. Psychologisch ist es häufig günstiger, wenn der Verzicht nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit im Erbvertrag versprochenen Zuwendungen erfolgt.

10.331

Vertragsmäßige Verfügungen können gem. § 2278 Abs. 1, 2 BGB nur Erbeinsetzung, Vermächtnis, Auflage und die Wahl des anzuwendenden Rechts sein. Ist eine Verfügung nicht ausdrücklich als vertragsmäßige bezeichnet, so ist durch Auslegung nach Maßgabe der §§ 133, 157 BGB der Wille der Vertragsparteien zu ermitteln. Die Wahl der Form des Erbvertrages an sich kann indiziell für die Vertragsmäßigkeit gem. § 2278 Abs. 2 BGB getroffener Verfügungen sprechen, da der Erblasser anderenfalls auch das Testament hätte wählen können. Hierfür spricht auch, wenn der Vertrag Formulierungen enthält, die ausdrücklich von „vertragsmäßigen Verfügungen“ sprechen, die der Vertragspartner „annimmt“. Probleme ergeben sich insbesondere dann, wenn Verfügungen nicht oder nicht korrekt als vertragmäßig bezeichnet werden – so etwa wenn eine Auflistung „vertragsmäßiger Verfügungen“ auch solche enthält, die gem. § 2278 Abs. 2 BGB nur einseitig sein können.5 Auf vertragsmäßige Zuwendungen finden nach § 2279 Abs. 1 BGB die allgemeinen Vorschriften für letztwillige Zuwendungen und Auflagen entsprechend Anwendung, soweit nicht die Natur des Erbvertrages oder die §§ 2274 ff. BGB dem im Einzelnen entgegenstehen.6

10.332

Musielak in MüKo8, § 2300 BGB Rz. 5. Musielak in MüKo8, § 2300 BGB Rz. 5 mit Verweis auf den actus-contrarius-Gedanken. Weidlich in Palandt79, § 2289 BGB Rz. 1. Weidlich in Palandt79, § 2276 BGB Rz. 6, 8. Zur Auslegung im Einzelnen, vgl. Röhl in BeckOGK, § 2278 BGB Rz. 11–13 (Stand: 1.6.2020); Musielak in MüKo8, § 2278 BGB Rz. 3. 6 Zum Umfang der Verweisung im Einzelnen: Röhl in BeckOGK, § 2279 BGB Rz. 2 ff. (Stand: 1.6.2020).

1 2 3 4 5

Wenzel/Falkowski | 817

Kap. 10 Rz. 10.333 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

10.333

Der Erbvertrag muss wenigstens eine vertragsmäßige Verfügung beinhalten, um als solcher Wirksamkeit zu entfalten.1

10.334

Als einseitige Verfügungen des Erblassers kommen grundsätzlich alle Verfügungen von Todes wegen in Frage, auch die in § 2278 Abs. 2 BGB genannten.2 Gemäß § 2299 Abs. 1, 2 BGB ist für einseitige Verfügungen das allgemeine Testamentsrecht uneingeschränkt anwendbar. Gestaltungshinweis:

10.335

Unklarheiten darüber, ob Verfügungen vertragsmäßige sind oder nicht, können im Erbvertrag durch eine unbedingt empfehlenswerte eindeutige Kennzeichnung vermieden werden.

10.336

Aus der Natur des Erbvertrages als Vertrag folgt die erbrechtliche Bindung des Erblassers. Die Folgen dieser Bindungswirkung ergeben sich aus § 2289 Abs. 1 BGB3: – Vergangene Verfügungen von Todes wegen werden gem. § 2289 Abs. 1 Satz 1 BGB insoweit aufgehoben, als sie das Recht vertragsmäßig Bedachter beeinträchtigen; – Zukünftige Verfügungen von Todes wegen sind gem. § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam, soweit sie das Recht vertragsmäßig Bedachter beeinträchtigen. – Der Erbvertrag entfaltet nur hinsichtlich seiner vertragsmäßigen Verfügungen Bindungswirkung i.S.d. § 2289 Abs. 1 BGB.4 Eine Beeinträchtigung ist anzunehmen, wenn die abweichende Verfügung von Todes wegen eine vertragsmäßige Zuwendung mindern, beschränken, belasten oder gegenstandslos machen würde.5 – Die Auslegungsregel des § 2298 Abs. 1 BGB unterstellt für den zwei- oder mehrseitigen Erbvertrag die Wechselbezüglichkeit der gegenseitigen vertragsmäßigen Verfügungen. Ist daher eine vertragsmäßige Verfügung nichtig, ist unbeschadet eines abweichenden Willens der Vertragsschließenden, § 2298 Abs. 3 BGB, der gesamte Erbvertrag nichtig. Für einseitige Verfügungen gilt die Auslegungsregel des § 2299 Abs. 3 BGB. Beratungshinweis:

10.337

Erwägt der Unternehmer, seine Nachfolge durch Abschluss eines Erbvertrages zu regeln, muss er sich im Einzelnen mit der daraus entstehenden Bindungswirkung auseinandersetzen und deren Für und Wider für seine persönliche Nachfolgegestaltung und das zu vererbende Unternehmen abwägen. Die sehr weitgehende Bindungswirkung kann oft durch sinnvolle Vorbehalte zugunsten des Erblassers abgemildert werden.

d) Beseitigung der Bindungswirkung

10.338

Einvernehmlich mit seinem Vertragsgegenüber kann sich der Erblasser stets vom gesamten Erbvertrag oder einzelnen vertragsmäßigen Verfügungen lösen. Dies geschieht durch:

Weidlich in Palandt79, § 2278 BGB Rz. 1; Musielak in MüKo8, § 2278 BGB Rz. 2. Weidlich in Palandt79, § 2278 BGB Rz. 5; Musielak in MüKo8, § 2278 BGB Rz. 2. Die Bindung selbst folgt schon aus der Vertragsnatur: Weidlich in Palandt79, § 2289 BGB Rz. 1. Insoweit der Erbvertrag mit einem Rechtsgeschäft unter Lebenden verbunden wurde, kann natürlich auch dieses eine entsprechende (einfach-)vertragliche Bindungswirkung eintreten lassen. 5 BGH v. 6.4.2011 IV ZR 232/09, NJW 2011, 1733 (1735) Rz. 28 f.; Weidlich in Palandt79, § 2289 BGB Rz. 2.

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818 | Wenzel/Falkowski

F. Die letztwillige Verfügung des Unternehmers | Rz. 10.342 Kap. 10

– Aufhebungs- oder Änderungsvertrag1, § 2290 BGB; – Rücknahme aus der amtlichen oder notariellen Verwahrung, § 2300 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 2256 Abs. 1 BGB; – bei vertragsmäßigem Vermächtnis oder Auflage auch durch Testament, mit notariell beurkundeter Zustimmung aller Vertragspartner, § 2291 BGB2; – bei einem (nur) zwischen Ehegatten oder Lebenspartnern geschlossenen Erbvertrag auch durch gemeinschaftliches Testament, § 2292 BGB.

Der Aufhebungs- bzw. Änderungsvertrag bedarf der gleichen Form wie das Ursprungsgeschäft und damit der notariellen Beurkundung bei gleichzeitiger Anwesenheit aller ursprünglich am Vertrag Beteiligten, § 2290 Abs. 1, 4 i.V.m. § 2276 Abs. 1 BGB. Der Erblasser kann sich auch hierbei nicht vertreten lassen.3 Die Mitwirkung der Vertragsbeteiligten kann nicht durch eine Beteiligung von deren Erben oder der durch die vertragsmäßige Verfügung begünstigten Personen ersetzt werden.4 Bei Geschäftsunfähigkeit des Erblassers ist eine Aufhebung oder Abänderung daher ausgeschlossen. Ist einer der ursprünglich am Vertrag Beteiligten zwischenzeitlich verstorben, ist eine Aufhebung gar nicht mehr möglich, § 2290 Abs. 1 Satz 2 BGB.5

10.339

Gestaltungshinweis: Die Tatsache, dass die Bindungswirkung nach dem Tod oder dem Eintritt der Geschäftsunfähigkeit eines der Vertragsbeteiligten nicht mehr ohne Weiteres beseitigt werden kann, ist den Vertragsparteien oftmals nicht bewusst (nach wohl h.M. bleibt nur die Möglichkeit eines Zuwendungsverzichtsvertrages, § 2352 BGB6). Bei der Gestaltung des Erbvertrags bietet es sich daher an, insbesondere durch die Entscheidung für vertragsmäßige oder einseitige Verfügungen, Änderungsvorbehalte und Rücktrittsrechte, auch für künftige Entwicklungen Sorge zu tragen.

10.340

Eine einseitige Lösung von den vertragsmäßigen Verfügungen des Erbvertrages kommt dagegen nur eingeschränkt in Frage, bei:

10.341

– entsprechendem Änderungsvorbehalt; – Rücktritt, §§ 2293 ff. BGB; – Anfechtung, §§ 2281 ff. BGB; – Pflichtteilsbeschränkung, § 2289 Abs. 2 i.V.m. § 2338 BGB. Beratungshinweis: Gerade der Unternehmer, der sich erbvertraglich hinsichtlich seines Unternehmens bindet, hat oft das Bedürfnis, so getroffene Entscheidungen rückgängig machen zu können. Stellt sich etwa der ursprünglich zum Unternehmensnachfolger erkorene Abkömmling im Nachhinein als ungeeignet heraus, so ist oft es gewünscht, einseitig nachträgliche Änderungen vorzunehmen. 1 Das Gesetz sieht einen Änderungsvertrag, der vertragsmäßige Verfügungen nicht (nur) aufhebt, sondern durch neue Verfügungen anpasst, nicht ausdrücklich vor. Soweit durch die Änderung das Recht eines vertragsmäßig Bedachten beeinträchtigt wird, finden auf den Änderungsvertrag die Formvorschriften der §§ 2290 – 2292 BGB (analoge) Anwendung, vgl. Müller-Engels in BeckOGK, § 2290 BGB Rz. 13 (Stand: 1.4.2020); Weidlich in Palandt79, § 2290 BGB Rz. 1. 2 Müller-Engels in BeckOGK, § 2290 BGB Rz. 8 (Stand: 1.4.2020); Weidlich in Palandt79, § 2291 BGB Rz. 1. 3 Müller-Engels in BeckOGK, § 2290 BGB Rz. 25 (Stand: 1.4.2020). 4 Weidlich in Palandt79, § 2290 BGB Rz. 2. 5 Müller-Engels in BeckOGK, § 2290 BGB Rz. 17 (Stand: 1.4.2020). 6 Müller-Engels in BeckOGK § 2290 BGB Rz. 18 (Stand: 1.4.2020).

Wenzel/Falkowski | 819

10.342

Kap. 10 Rz. 10.343 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

10.343

Praktisch relevant sind hier vor allem die verbreiteten Änderungs- und Rücktrittsvorbehalte, die zu ähnlichen Ergebnissen führen können, zwischen denen im Einzelnen jedoch klar zu differenzieren ist:

10.344

Mit dem Änderungsvorbehalt behält sich der Erblasser vor, in einem bestimmt bezeichneten Umfang, von vertragsmäßigen Verfügungen abweichend verfügen zu dürfen. Die Ausübung des Änderungsvorbehalts erfolgt somit durch einseitige und nicht empfangsbedürftige Verfügung von Todes wegen.1 Seine Wirkung entfaltet der Änderungsvorbehalt dadurch, dass in seinem Umfang keine Bindung des Erblassers besteht, so dass eine Beeinträchtigung des vertragsmäßig Bedachten i.S.d. § 2289 Abs. 1 BGB von vornherein ausscheidet.2 Mit dem Wesen des Erbvertrages nicht vereinbar ist allerdings ein Totalvorbehalt hinsichtlich aller vertragsmäßigen Verfügungen.3 Gestaltungshinweis:

10.345

Obwohl es sich bei der Anordnung der Testamentsvollstreckung selbst um eine einseitige Verfügung handelt, bedarf ihre zulässige Anordnung bzw. Abänderung nach Abschluss des Erbvertrages eines ausdrücklichen Testamentsvollstreckungsvorbehalts, da der betroffene Erbe anderenfalls gem. § 2289 Abs. 1 BGB in seinem (Erb-)Recht beeinträchtigt würde. Der Testamentsvollstreckungsvorbehalt kann hierbei auch beschränkt werden auf einen bestimmten Personenkreis an Testamentsvollstreckern (etwa Angehörige) oder bestimmte Formen der Testamentsvollstreckung (etwa Entscheidung für Abwicklungs- oder Dauertestamentsvollstreckung; Festlegung auf eine bestimmte Dauer, etwa das Erreichen eines bestimmten Alters des Erben).

10.346

Der Rücktrittsvorbehalt lässt demgegenüber die Bindungswirkung des Erbvertrages zunächst unangetastet. Erst mit der Ausübung des Rücktrittes entfällt diese ex nunc.4 Nach der Auslegungsregel des § 2298 Abs. 2 Satz 1 BGB bewirkt der Rücktritt vom Erbvertrag die Aufhebung des gesamten Erbvertrages, also sämtlicher vertragsmäßigen Verfügungen, auch eines anderen Erblassers. Ob dies auch gilt, wenn das Rücktrittsrecht nur im Hinblick auf einen Teil des Erbvertrages bestand bzw. ausgeübt wird, ist streitig. Für einseitige Verfügungen gilt die Auslegungsregel des § 2299 Abs. 3 BGB. Gestaltungshinweis:

10.347

Wie auch für die Gesamtnichtigkeit gem. § 2298 Abs. 1, § 2299 Abs. 3 BGB (s. unter Rz. 10.336), sollten der Umfang des Rücktrittsrechts und die Folgen seiner Ausübung eindeutig festlegt werden.

10.348

Lebzeitige Verfügungen des Erblassers sind gem. § 2286 BGB grundsätzlich unbeschränkt möglich. Gemäß § 2287 Abs. 1 BGB kann der Vertragserbe ihn beeinträchtigende Schenkungen, die der Erblasser auch in Beeinträchtigungsabsicht getätigt hat, allerdings beim Schenkungsempfänger kondizieren. Gestaltungshinweis:

10.349

Der Schutz des erbvertraglich Bedachten kann durch Abschluss eines Verfügungsunterlassungsvertrages verstärkt werden. Durch diesen verpflichtet sich der Erblasser durch eine zusätzliche schuldrechtliche Vereinbarung, zu Lebzeiten keine Verfügungen über bestimmte Gegenstände des künftigen Nachlasses zu treffen, diese also insbesondere nicht zu veräußern oder zu belasten. Die Beteiligten 1 Litzenburger in BeckOK, § 2289 BGB Rz. 15 (Stand: 1.8.2019); Keim, NJW 2009, 818 zu Änderungsvorbehalten in Ehegattenerbverträgen. 2 Müller-Engels in BeckOGK, § 2289 BGB Rz. 86 (Stand: 1.4.2020). 3 Müller-Engels in BeckOGK, § 2289 BGB Rz. 83 (Stand: 1.4.2020). 4 Müller-Engels in BeckOGK, § 2296 BGB Rz. 26 (Stand: 1.4.2020); Weidlich in Palandt79, § 2296 BGB Rz. 4.

820 | Wenzel/Falkowski

F. Die letztwillige Verfügung des Unternehmers | Rz. 10.353 Kap. 10 können den Vertrag im Hinblick auf die betroffenen Gegenstände und Verfügungsarten flexibel ausgestalten und auch Ausnahmen vorsehen, etwa für Verfügungen an bestimmte Personen oder in Notlagen. Der Verfügungsunterlassungsvertrag kann mit dem Erbvertrag in einer Urkunde verbunden werden. Ein noch weitergehender Schutz des vertragsmäßig Bedachten kann dadurch erreicht werden, dass der Erblasser sich verpflichtet, bei Verstoß gegen das Verfügungsverbot den betroffenen Gegenstand sofort unentgeltlich auf den Bedachten zu übertragen. Denkbar wäre auch eine Ausweitung auf Gegenstände, über die nicht verbotswidrig verfügt wurde. Eine solche Übereignungsverpflichtung kann (im Gegensatz zur allgemeinen Verfügungsunterlassungspflicht) durch eine Vormerkung abgesichert werden. Wurde durch Ehegatten im Stil des Berliner Testaments verfügt (hierzu Rz. 10.283), können die Verfügungen zugunsten des anderen Ehegatten auch unter die auflösende Bedingung gestellt werden, dass durch diesen über bestimmte Vermögensgegenstände, die (meist) den Abkömmlingen zukommen sollen, nicht abweichend verfügt wird.

Für einseitige Verfügungen gilt gem. § 2299 Abs. 2 BGB Testamentsrecht, mit der Folge, dass diese nicht nur durch Aufhebungs- bzw. Änderungsvertrag, sondern auch durch einseitigen Widerruf i.S.d. §§ 2255 ff. BGB beseitigt werden können (s. hierzu unter Rz. 10.251).1

10.350

Wird ein Erbvertrag zwischen Ehegatten, Lebenspartnern oder Verlobten geschlossen, so gilt die Auslegungsregel des § 2077 BGB gem. § 2279 Abs. 2 BGB entsprechend. Der Erbvertrag hängt damit in seiner Wirksamkeit vom Bestand des entsprechenden Rechtsverhältnisses ab, sofern ein abweichender Erblasserwille nicht festgestellt werden kann (s. hierzu ausführlich unter Rz. 10.330).

10.351

III. Inhalt der letztwilligen Verfügung des Unternehmers 1. Einführung Im Vordergrund der Gestaltung der letztwilligen Verfügung des Unternehmers wird stets die Auswahl des oder der Unternehmensnachfolger stehen. Je nachdem, ob eine oder mehrere Personen das Unternehmen weiterführen sollen, sind hier unterschiedliche Regelungen notwendig. Zudem muss der Unternehmer entscheiden, ab wann und in welchem Umfang die Erben Zugriff auf das Unternehmen nehmen können sollen. Schließlich kann, gerade im Falle von Familienunternehmen, gewollt sein, dass dieses auch in folgenden Generationen in Familienhand verbleibt.

10.352

2. Bestimmung des Unternehmensnachfolgers durch den Erblasser a) Einzelner Unternehmensnachfolger aa) Möglichkeiten Hat der Unternehmer sich entschieden, sein Unternehmen einer einzelnen Person zuzuwenden, hat er mehrere Möglichkeiten, den erbrechtlichen Übergang zu gestalten: – Einsetzung des Nachfolgers als Alleinerben; – Einsetzung des Nachfolgers als Miterbe, nebst Teilungsanordnung; – Zuwendung des Unternehmens an den Nachfolger im Wege eines Vermächtnisses. 1 Weidlich in Palandt79, § 2299 BGB Rz. 2.

Wenzel/Falkowski | 821

10.353

Kap. 10 Rz. 10.354 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

bb) Alleinerbenlösung

10.354

Soll nur eine Person das Unternehmen übernehmen, bietet es sich in der Regel an, ihn als Alleinerben einzusetzen und sonstige Hinterbliebene mit Vermächtnissen abzusichern. Gestaltungshinweis:

10.355

Gerade wenn der Nachlass fast ausschließlich aus Unternehmensvermögen besteht, sollte es unter Liquiditätsgesichtspunkten vermieden werden, den Unternehmensnachfolger mit schwer zu erfüllenden Vermächtnisforderungen zu konfrontieren. In einem solchen Fall kann über eine Absicherung naher Angehöriger insbesondere durch Renten-, Nießbrauchs- oder Wohnungsrechtsvermächtnisse, ratenweise zu zahlende Geldvermächtnisse oder die vermächtnisweise Zuwendung einer stillen Beteiligung nachgedacht werden.

10.356

Der Vorteil der Alleinerbenlösung besteht darin, dass durch die Erbenstellung ein Übergang aller Rechte und Pflichten aus dem Unternehmen im Wege der Universalsukzession unmittelbar auf den Nachfolger erreicht wird. Weder ist hinsichtlich des Unternehmens eine Erbauseinandersetzung noch eine Vermächtniserfüllung oder gar eine Abstimmung mit Kunden über die Fortführung von Vertragsbeziehungen bzw. Übernahme von Schulden notwendig. Die Alleinerbenlösung sichert daher bestmöglich die Unternehmenskontinuität. Beratungshinweis:

10.357

Durch die Alleinerbenlösung können steuerrechtlich unliebsame Folgen am einfachsten vermieden werden: Setzen von mehreren Erben nicht alle ein Unternehmen fort, führt das Sonderbetriebsvermögen des Erblassers in Höhe der Erbquoten der Nicht-Nachfolger zu einer steuerpflichtigen Entnahme und (meist) zur Aufdeckung stiller Reserven. Dieses Ergebnis lässt sich durch Beschränkung der Erbfolge auf den Unternehmensnachfolger und der Vermächtnisse auf das steuerliche Privatvermögen verhindern.1

10.358

Ein deutlicher Nachteil der Alleinerbenlösung liegt freilich darin, dass bei Vorhandensein von (weiteren) Abkömmlingen oder einem Ehegatten Pflichtteilsansprüche entstehen, die im schlimmsten Falle dazu führen können, dass dem Unternehmen Liquidität entzogen wird. Zugewandte Vermächtnisse sollten deswegen, wenn möglich, deutlich über dem jeweiligen Pflichtteil liegen. Besteht der Nachlass im Wesentlichen aus dem vererbten Unternehmen, kann allerdings nur ein Pflichtteilsverzicht Abhilfe schaffen. cc) Sog. „Frankfurter Testament“

10.359

Ein weiteres Modell zur Sicherung der Unternehmensnachfolge ist das sog. „Frankfurter Testament“, bei dem Privat- und Unternehmensvermögen durch Teilungsanordnung innerhalb der Erbengemeinschaft zugewiesen werden. Die Erbquote entspricht hierbei der Summe der dem einzelnen Erben zugewiesenen Nachlassgegenstände.2 Praxishinweis:

10.360

Gegen dieses Modell werden oft schon die vorhersehbar umständliche Verwaltung des Unternehmens durch die Erbengemeinschaft sowie die oft langwierige und komplexe Erbauseinandersetzung sprechen, wodurch die Fortführung des Unternehmens gefährdet werden kann.

1 Vgl. Dinstühler, RNotZ 2001, 479 (513); Najdecki in Hoffmann-Becking/Gebele, Beck’sches Formularbuch Bürgerliches, Handels- und Wirtschaftsrecht13, Band VI Nr. 6 Anm. 2. 2 Vorschlag von Felix, KÖSDI 1990, 8265.

822 | Wenzel/Falkowski

F. Die letztwillige Verfügung des Unternehmers | Rz. 10.367 Kap. 10

dd) Vermächtnislösung Bei der Vermächtnislösung wird das Unternehmen bzw. die Unternehmensbeteiligung dem Nachfolger im Vermächtniswege zugewandt. Es muss ihm daher von den Erben nach dem Erbfall übertragen werden.

10.361

Bei der Vermächtniserfüllung ist folgendes zu beachten:

10.362

– Bestandteile eines Einzelunternehmens müssen im Rahmen der Übertragung genau bezeichnet werden. Die Bezugnahme auf eine Bilanz wird hierfür in aller Regel nicht ausreichen.1 Vertragsverhältnisse und Schulden gehen nicht automatisch auf den Vermächtnisnehmer über. Der Erblasser kann allerdings durch Auflage bestimmen, dass der Vermächtnisnehmer anstelle des Erben in Vertragsbeziehungen oder Verbindlichkeiten eintreten soll bzw. den Erben bei fehlender Zustimmung des Vertragspartners von den Verbindlichkeiten freizustellen hat.2 – Werden Gesellschaftsanteile im Vermächtniswege zugewandt, ist darauf zu achten, dass der Gesellschaftsvertrag die Zuwendung durch Vermächtnis vorsieht und dass diese nicht durch Vinkulierungsklauseln erschwert wird (s. dazu unter Rz. 10.187). – Die Übertragung eines Unternehmens oder Gesellschaftsanteils von den Erben auf den Vermächtnisnehmer führt zu keiner Entnahme und löst keinen Veräußerungs- oder Entnahmegewinn aus.3 Praxishinweis: Wird die Vermächtnislösung gewählt, sollte in jedem Fall auch über die Anordnung einer (Abwicklungs-)Testamentsvollstreckung nachgedacht werden, durch die die Übertragung des Unternehmens auf den Vermächtnisnehmer erleichtert wird.

10.363

b) Mehrere Unternehmensnachfolger

Hat sich der Unternehmer entschieden, sein Unternehmen oder seine Gesellschaftsanteile mehreren Personen zuzuwenden, gilt grundsätzlich das unter Rz. 10.164 ff. Gesagte. So kann er diese zu Miterben einsetzen oder das Unternehmen bzw. die Anteile per Vermächtnis zuweisen.

10.364

Ist der Erblasser an einer Personengesellschaft beteiligt, gehen die Anteile kraft Gesetzes in Höhe der Erbquoten auf die Erben über, die im Zeitpunkt des Erbfalls in die Gesellschafterstellung einrücken (dazu näher unter Rz. 10.103).

10.365

Ist der Erblasser an einer Kapitalgesellschaft beteiligt, gehen die Anteile zunächst ungeteilt auf die Erbengemeinschaft über. Die einzelnen Erben sind dann Miteigentümer des Anteils, bis sie sich darüber auseinandersetzen (dazu näher unter Rz. 10.164).

10.366

3. Bestimmung des Unternehmensnachfolgers durch Dritte a) Einführung

Idealerweise ist die Unternehmensnachfolge schon zu Lebzeiten des Unternehmensinhabers geregelt. Häufig kann der Unternehmer allerdings im Zeitpunkt der Verfügung noch nicht absehen, wer von mehreren in Frage kommenden Personen als Nachfolger geeignet sein wird. Das 1 Ivens, ZEV 2010, 462. 2 Riedel in Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 8 B Rz. 72. 3 Crezelius, Unternehmenserbrecht2, § 5 Rz. 226.

Wenzel/Falkowski | 823

10.367

Kap. 10 Rz. 10.367 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

ist bspw. der Fall, wenn die Kinder des Unternehmensinhabers ihre Ausbildung noch nicht abgeschlossen oder noch keine hinreichende Geschäftserfahrung gesammelt haben. Dies gilt auch, wenn der Unternehmer selbst noch sehr jung ist und die Regelung seiner Erbfolge nur im Hinblick auf einen möglichen plötzlichen Tod in jungen Jahren regelt (zum sog. frühzeitigen Unternehmertestament s. unter Rz. 10.375). In diesen Fällen kann der Unternehmensinhaber ein Interesse daran haben, die Auswahl des geeignetsten Kandidaten in die Hände eines sachverständigen Dritten oder Vertrauten zu legen, dem zum Zeitpunkt der Entscheidung eine bessere Entscheidungsgrundlage zur Verfügung steht. Diese Zielsetzung des Erblassers kann allerdings in Konflikt mit der Regelung des § 2065 Abs. 2 BGB treten, nach der der Erblasser die Bestimmung einer Person, die eine Zuwendung erhalten soll, nicht einem Dritten überlassen darf. b) Nachfolgerbestimmung mittels Kriterienkatalogs

10.368

Keine unzulässige Drittbestimmung i.S.d. § 2065 BGB liegt vor, wenn der Dritte durch Vorgaben des Erblassers soweit in seiner Auswahl eingeschränkt ist, dass er tatsächlich gar keine eigene Auswahl vornimmt, sondern nur den Willen des Erblassers vollzieht. Dies ist der Fall, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen: – Definition eines eng begrenzten Personenkreises, der bspw. die Kinder des Erblassers, aber nicht mehr die Verwandtschaft als solche umfassen kann;1 – Benennung des entscheidungsbefugten Dritten, wobei diese Aufgabe nicht dem Nachlassgericht übertragen werden darf2, und – Formulierung eines hinreichend konkreten Kriterienkatalogs, auf dessen Grundlage die Entscheidung zu erfolgen hat.3 Gestaltungshinweis:

10.369

Darüber, was genau einen ausreichend konkreten Kriterienkatalog darstellt, um die Unwirksamkeit der Verfügung nach § 2065 BGB zu vermeiden, besteht keine völlige Klarheit.4 Die Auswahl des Unternehmensnachfolgers durch einen Dritten anhand eines Kriterienkataloges ist daher wegen der hiermit verbundenen Rechtsunsicherheit in der Gestaltungspraxis nur eingeschränkt zu empfehlen.

c) Nachfolgerbestimmung mittels Vor- und Nacherbfolge

10.370

Der Erblasser kann auch Vor- und Nacherbschaft anordnen und die Bedingung für den Nacherbfall mit der Willensentscheidung eines Dritten verknüpfen (Potestativbedingung). Durch die sog. Dieterle-Klausel soll der Erblasser wirksam diejenigen Personen zu Nacherben bestimmen können, die die Erben des Vorerben sind.5 Hier kann der Vorerbe (etwa der überlebende Ehegatte) also den Nachfolger durch Anpassung seiner eigenen letztwilligen Verfügungen (mittelbar) bestimmen.

1 2 3 4 5

Leipold in MüKo8, § 2065 BGB Rz. 37. Gomille in BeckOGK, § 2065 BGB Rz. 52-52.1 (Stand: 1.7.2018). Gomille in BeckOGK, § 2065 BGB Rz. 30 f. (Stand: 1.7.2018). Gomille in BeckOGK, § 2065 BGB Rz. 52 f. (Stand: 1.6.2020). Ivo, DNotZ 2002, 260; Otte, ZEV 2001, 318; Leipold in MüKo8, § 2065 BGB Rz. 24; Litzenburger in BeckOK, § 2065 BGB Rz. 19 (Stand: 1.8.2019); Otto in Münch. Vertragshdb., Band 6 Bürgerl. R. II7, XII. Nr. 16 Anm. 3; Czubayko in Burandt/Rojahn3, Nr. 10 § 2065 BGB Rz. 18; a.A. OLG Frankfurt v. 10.12.1999 – 20 W 224/97, DNotZ 2001, 143 m. Anm. Kanzleiter; Loritz in Soergel13, § 2065 BGB Rz. 14; Hölscher in BeckOGK, § 2151 BGB Rz. 65 (Stand: 1.7.2019).

824 | Wenzel/Falkowski

F. Die letztwillige Verfügung des Unternehmers | Rz. 10.376 Kap. 10 Gestaltungshinweis: Auch wenn die Dieterle-Klausel von der wohl überwiegenden Literatur für zulässig befunden wird, ist ihre Zulässigkeit noch nicht abschließend geklärt, so dass von ihr mit Vorsicht Gebrauch zu machen ist.

10.371

Bedingung für den Eintritt des Nacherbfalls kann es sein, dass der Vorerbe über seinen eigenen Nachlass keine anderweitige Verfügung trifft (d.h. der vom Erblasser eingesetzte Nacherbe wird nur dann Erbe, wenn der Dritte ebenfalls zu seinen Gunsten verfügt). In diesem Fall ist regelmäßig davon auszugehen, dass der Vorerbe Vollerbe wird und das Unternehmen entweder durch Verträge unter Lebenden übertragen oder im Rahmen seiner Erbfolge an geeignete Nachfolger vererben kann.1

10.372

Auch kann dem (befreiten) Vorerben gestattet werden, durch Übertragung zu Lebzeiten über den Nachlass zu verfügen und damit die auflösende Bedingung der Nacherbschaft herbeizuführen.2

10.373

Gestaltungshinweis: Der Nachteil aller Gestaltungsvarianten unter Einsetzung der Vor- und Nacherbschaft sind die Beschränkungen des Vorerben, die gerade im unternehmerischen Bereich zu erheblichen Komplikationen führen können (s. hierzu unter Rz. 10.430).

10.374

d) Vermächtnis Anders als für die Erbeinsetzung sieht das Gesetz ausdrücklich Möglichkeiten zur Drittbestimmung von Vermächtnisnehmern vor. Das Bestimmungsvermächtnis gem. § 2151 Abs. 1 BGB erlaubt dem Erblasser, mehrere potentielle Zuwendungsempfänger (z.B. seine Abkömmlinge) in der Weise zu bedenken, dass der mit dem Vermächtnis Beschwerte (d.h. der oder die Erben) oder ein anderer Dritter (z.B. ein Testamentsvollstrecker) bestimmen darf und muss, wer von ihnen das Vermächtnis erhalten soll.3

10.375

Bei dieser Lösung wird insoweit zunächst ein Erbe (oder mehrere Erben) bestimmt, der mit einem Vermächtnis zugunsten des noch nicht bestimmten Unternehmensnachfolgers belastet wird. Der Erbe oder ein Dritter werden ermächtigt, unter vom Erblasser festgelegten Bedingungen (er kann bspw. einen zeitlichen Rahmen wählen, in dem die Auswahl zu treffen ist) den Nachfolger aus einem konkret festgelegten Personenkreis zu bestimmen (z.B. Abkömmlinge des Erblassers). Ist das Bestimmungsvermächtnis gleichzeitig ein Zweckvermächtnis (§ 2156 BGB), kann der Dritte auch den genauen Gegenstand des Vermächtnisses bestimmen, was bei Einzelunternehmen auch zwingend erforderlich ist, da eine abschließende Aufzählung der zum Unternehmen gehörenden Vermächtnisgegenstände im Testament nicht möglich ist.4 Die Vermächtnislösung erlaubt es insbesondere, Auswahlkriterien festzulegen, die dem entscheidungsbefugten Dritten eine eigene normative Wertung erlauben (so kann bestimmt werden, dass der für die Unternehmensnachfolge geeignetste Kandidat Vermächtnisnehmer werden soll).5

10.376

1 Leipold in MüKo8, § 2065 BGB Rz. 19. 2 Litzenburger in BeckOK, § 2065 BGB Rz. 15 (Stand: 1.8.2019). 3 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung5, Kap. 7 Rz. 116 f.; Schlitt in Scherer, Münch. Anwhdb. ErbR5, § 13 Rz. 297 ff. 4 Kollmeyer, NJW 2017, 3271 (3272). 5 Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung5, Kap. 7 Rz. 116 f.

Wenzel/Falkowski | 825

Kap. 10 Rz. 10.377 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen Beratungshinweis:

10.377

In der Praxis ist das sog. „frühzeitige (auch „vorzeitige“) Unternehmertestament“ verbreitet. Dieses verlagert die Auswahl des Nachfolgers über den Tod des Unternehmers hinaus in die Zukunft und delegiert die Auswahlentscheidung auf einen Dritten. Auf diesem Weg soll eine sichere Beurteilung unternehmerischer Fähigkeiten und persönlicher Eigenschaften mehrerer potentieller Nachfolger ermöglicht werden. Relevant wird dies etwa bei Familienunternehmen, bei denen sich der Unternehmer mit der Frage konfrontiert sieht, welches von mehreren Kindern sich als Unternehmensnachfolger am besten eignet. Das kann schwer vorausgesehen werden, insbesondere wenn die Kinder minderjährig oder noch in der Berufsausbildung sind, so dass eine sachgerechte testamentarische Bestimmung des geeignetsten Nachfolgers meist kaum möglich ist. Dem soll das frühzeitige Unternehmertestament abhelfen, das häufig von noch jungen Unternehmern errichtet wird, die Vorsorge für ihren unerwarteten Tod treffen möchten.1

4. Absicherung durch Nießbrauchsvermächtnis 10.378

Da der überlebende Ehegatte im Rahmen des Unternehmertestaments oftmals zugunsten des Unternehmensnachfolgers (Alleinerbenlösung, s. Rz. 10.354) nicht Erbe wird, stellt sich hier in besonderem Maße die Frage, wie der Ehegatte abgesichert werden kann. Hierzu kann insbesondere an das Nießbrauchvermächtnis am Unternehmen (einzelkaufmännisches Unternehmen, Personengesellschaftsanteil oder Kapitalgesellschaftsanteil2) gedacht werden, welches dem überlebenden Ehegatten einen angemessenen Lebensunterhalt aus dessen laufenden Erträgen sichert. In gleicher Weise können aber auch andere nahestehende Personen abgesichert werden.

10.379

Der Nießbrauch an einer Gesellschaftsbeteiligung ist jedenfalls mit Zustimmung der Gesellschafter oder der Zulassung im Gesellschaftsvertrag möglich. Beratungshinweis:

10.380

Ob und in welcher Form eine Zustimmung der Gesellschaft erforderlich ist, ist im Einzelnen umstritten.3 Schon aus Gründen der Rechtsklarheit sollte eine ausdrückliche Regelung im Gesellschaftsvertrag erfolgen.

10.381

Durch den Nießbrauch wird die Mitgliedschaft im Ganzen belastet. Der Nießbrauch kann die aus der Beteiligung folgenden Rechte flexibel zwischen Gesellschafter und Nießbraucher aufteilen. Ohne anderweitige Regelung gilt allerdings der Grundsatz, dass der Nießbraucher nach § 1068 Abs. 2, § 1030 Abs. 1 i.V.m. § 99 Abs. 2 und 3, § 100 BGB insbesondere berechtigt ist, alle Nutzungen der Mitgliedschaft, also insbesondere den auf die Mitgliedschaft entfallenden Gewinn zu ziehen. Die Substanz verbleibt dabei stets beim Gesellschafter.4

10.382

Inwieweit der Gesellschafter auf Grund des Nießbrauches Mitgliedschaftsrechte ausüben darf, insbesondere das Stimmrecht, ist in vielerlei Hinsicht umstritten und bedarf daher unbedingt einer ausdrücklichen Regelung in der Nießbrauchanordnung.5

1 2 3 4 5

Zum frühzeitigen Unternehmertestament (mit Gestaltungshinweisen): Hölscher, ZEV 2015, 676. Hierzu im Einzelnen v. Sothen in Scherer, Unternehmensnachfolge6, § 27 Rz. 310 ff. Im Einzelnen streitig, vgl. Pohlmann in MüKo8, § 1068 BGB Rz. 32, 35, 37. Pohlmann in MüKo8, § 1068 BGB Rz. 51. Pohlmann in MüKo8, § 1068 BGB Rz. 70 ff.

826 | Wenzel/Falkowski

F. Die letztwillige Verfügung des Unternehmers | Rz. 10.386 Kap. 10

5. Anordnung von Testamentsvollstreckung a) Motive für eine Testamentsvollstreckung

Befindet sich ein Unternehmen im Nachlass, wird dessen Leitung oft nicht unmittelbar von dem gewünschten Unternehmensnachfolger übernommen werden können. Dies ist bspw. dann der Fall, wenn dieser noch minderjährig ist oder in den Augen des Erblassers noch nicht die nötige Reife und/oder unternehmerische Erfahrung besitzt, um das Unternehmen zu führen. In diesem Fall kann die Leitung des Unternehmens vorübergehend in die Hände eines Testamentsvollstreckers gelegt werden, der es bis zum Eintritt einer vom Erblasser bestimmten Bedingung (etwa Erreichung eines bestimmten Lebensalters, Abschluss Ausbildung/Studium, mehrjährige Tätigkeit im Unternehmen) für den Nachfolger sichert und verwaltet. Häufig ist dem Erblasser auch daran gelegen, die Erben auf Dauer von der Verwaltung des Unternehmens auszuschließen, ohne ihnen die als wichtig empfundene Stellung als Erben zu nehmen, sei es zum Schutz des Lebenswerks des Unternehmers vor dem Einfluss unbedarfter Erben oder zum Schutz der Erben vor den mit der Unternehmensfortführung verbundenen persönlichen Belastungen. Auch wenn das Unternehmen veräußert oder in eine andere Rechtsform überführt werden soll, wird häufig auf die Testamentsvollstreckung zurückgegriffen (ausführlich zur Testamentsvollstreckung im Rahmen der Unternehmensnachfolge unter Kap. 11).

10.383

Noch größere Relevanz als es ohnehin stets der Fall ist hat bei der Unternehmenstestamentsvollstreckung die Auswahl der Person des Testamentsvollstreckers, muss dieser doch willens und vor allem geeignet sein, die besondere Vertrauensstellung des Amtes für den Erblasser zu übernehmen. Häufig wird ein Familienangehöriger oder eine sonst besonders nahestehende Person – insbesondere der überlebende Ehegatte – zum Testamentsvollstrecker bestimmt, wodurch Konflikte mit Erben sowie Liquiditätsabflüsse durch eine hohe Testamentsvollstreckervergütung ggf. vermieden werden können. Nicht außer Acht zu lassen ist allerdings, dass der Testamentsvollstrecker auch fachlich in der Lage sein sollte, das Unternehmen zu führen, was bei dem überlebenden Ehegatten nicht zwangsläufig der Fall sein muss. Ein Familienfremder, etwa in Gestalt eines bereits mit dem Unternehmen vertrauten Steuerberaters, Rechtsanwalts oder eines langjährigen Angestellten oder Prokuristen, kann dann die bessere Wahl sein.

10.384

b) Zulässigkeit der Testamentsvollstreckung aa) Kapitalgesellschaftsanteile Die Testamentsvollstreckung an Beteiligungen an Kapitalgesellschaften ist uneingeschränkt zulässig.

10.385

Die Testamentsvollstreckung an einem GmbH-Anteil ist ohne Zustimmung der Mitgesellschafter vollumfänglich wirksam. Dies gilt auch bei Vorhandensein einer Vinkulierungsklausel.1 Der Testamentsvollstrecker ist grundsätzlich zur Ausübung aller Verwaltungs- und Vermögensrechte für den Erben (auch im „Kernbereich2 der Mitgliedschaft“) berechtigt. Erbrecht-

10.386

1 BGH v. 10.6.1959 – V ZR 25/58, NJW 1959, 1820; BGH v. 9.12.1968 – II ZR 57/67, NJW 1969, 841; BGH v. 13.5.2014 – II ZR 250/12, ZEV 2014, 662; Weidlich in Palandt79, § 2205 BGB Rz. 19. 2 Zimmermann in MüKo8, § 2205 BGB Rz. 52; die Kernbereichslehre wurde ursprünglich zum Schutz der Minderheitsgesellschafter vor der Beeinträchtigung eines gewissen unentziehbaren Kernbestands der Mitgliedschaft durch die Mehrheitsgesellschafter entwickelt. Trotz ihres gesellschaftsrechtlichen Ursprungs im Minderheitenschutz soll sie auch im Verhältnis zwischen Erben und Testamentsvollstrecker Anwendung finden, um den Erben vor tiefgreifenden Veränderungen seines Mitgliedschaftsrechts durch den Testamentsvollstrecker zu schützen. Es ist nicht abschlie-

Wenzel/Falkowski | 827

Kap. 10 Rz. 10.386 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

lich ist er in seinen Kompetenzen lediglich durch das Verbot der unentgeltlichen Verfügung, § 2205 Satz 3 BGB, das Verbot zur Begründung einer persönlichen Haftung der Erben, § 2206 BGB, sowie durch seine generelle Pflichtenstellung gegenüber dem Erben beschränkt. Gesellschaftsrechtlich kann die Satzung die Ausübung von Verwaltungsrechten durch Außenstehende, wie den Testamentsvollstrecker, wirksam beschränken bzw. ausschließen.1

10.387

Auch bei der Aktiengesellschaft ist die Testamentsvollstreckung unbeschränkt zulässig.2 bb) Personengesellschaftsanteile

10.388

Die Abwicklungsvollstreckung ist für Personengesellschaften allgemein zulässig.3 Auch die Verwaltungsvollstreckung für Kommanditbeteiligungen ist höchstrichterlich anerkannt.4 Der Testamentsvollstrecker darf die von ihm ausgeübten Gesellschafterrechte allerdings nicht dazu nutzen, ohne Zustimmung des Erben dessen persönliche Haftung zu begründen.5

10.389

Problematisch ist hingegen die Verwaltungsvollstreckung am Einzelunternehmen bzw. am Anteil eines persönlich haftenden Personengesellschafters, die nur eingeschränkt möglich ist, denn hier gerät das Erbrecht in Konflikt mit den Grundsätzen des Handels- bzw. Gesellschaftsrechts.

10.390

Über die Testamentsvollstreckung könnte der Grundsatz der unbeschränkten Haftung des Einzelkaufmannes, vgl. §§ 22, 25, 27 HGB, bzw. des persönlich haftenden Personengesellschafters, vgl. §§ 128, 130 HGB, ausgehebelt werden. So geht der Testamentsvollstrecker Verbindlichkeiten nur für den Nachlass und nicht für den Erben ein, § 2206 BGB, wobei der Erbe seine Haftung auf eben diesen Nachlass beschränken kann, §§ 1967 ff. BGB. So käme es zur Entstehung eines Unternehmens mit beschränkter Haftung außerhalb der hierfür vorgesehenen Rechtsformen.6 Mit der derzeitigen Rechtsprechung ist die uneingeschränkte echte Dauertestamentsvollstreckung am Einzelunternehmen bzw. am Anteil des persönlich haftenden Personengesellschafters daher unzulässig.7

1 2 3 4 5 6 7

ßend geklärt, welche Rechte zum Kernbestand der Mitgliedschaft gehören. Es soll im Einzelfall nach der Struktur der Gesellschaft differenziert werden. Zu den gesicherten Bestandteilen des Kernbereichs gehören jedenfalls das Stimm- und Informationsrecht sowie das Recht auf Beteiligung am Gewinn und Liquidationserlös. Aufgrund ihres gesellschaftsrechtlichen Ursprungs, ihres unbestimmten Inhalts und der zunehmenden Abkehr des BGH von der Kernbereichslehre im Gesellschaftsrecht, sollte davon abgesehen werden, sie auf das erbrechtlich speziell geregelte Verhältnis von Testamentsvollstrecker und Erben zu übertragen; vgl. zum Ganzen Werner, ZEV 2018, 252 (253). Vgl. BGH v. 13.5.2014 – II ZR 250/12, ZEV 2014, 662; zu den Beschränkungen im Einzelnen: Zimmermann in MüKo8, § 2205 BGB Rz. 46; Lange in BeckOK, § 2205 BGB Rz. 58 (Stand: 1.8.2019). BGH v. 11.4.1957 – II ZR 182/55, NJW 1957, 1026; Weidlich in Palandt79, § 2205 BGB Rz. 20. Kämper, RNotZ 2016, 625 (628 f.); Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 156; Winkler, Testamentsvollstrecker22, Rz. 334; Flume, NJW 1988, 161 (163). BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, NJW 1989, 3152; BGH v. 13.6.1995 – IX ZR 121/94, NJW 1995, 2551; BGH v. 14.2.2012 – II ZB 15/11, ZEV 2012, 335. BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, NJW 1989, 3152 (3155). Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 111 f.; Kämper, RNotZ 2016, 625 (630). Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 113; Kämper, RNotZ 2016, 625 (631); Reimann in Staudinger, § 2205 Rz. 147 m.w.N (Stand: 2016).

828 | Wenzel/Falkowski

F. Die letztwillige Verfügung des Unternehmers | Rz. 10.394 Kap. 10

Nachdem die Testamentsvollstreckung von der Rechtsprechung lange Zeit für generell unzulässig gehalten wurde,1 hat der BGH in einer Reihe von neueren Entscheidungen die Testamentsvollstreckung an der nur vermögensrechtlichen „Außenseite“ der Beteiligung zugelassen.2 Nach wie vor unzulässig ist die echte Testamentsvollstreckung an der mitgliedschaftlichen „Innenseite“ der Beteiligung. Der Testamentsvollstrecker kann für die Erben in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter nur dann handeln, wenn auf eine der im Folgenden dargestellten Ersatzlösungen – Treuhand-, Vollmachts- und Weisungsgeberlösung – ausgewichen wird (s. dazu im Folgenden unter Rz. 10.396).3 Diese, der echten Testamentsvollstreckung nicht unterfallende „Innenseite“ der Beteiligung, umfasst alle höchstpersönlichen Mitgliedschaftsrechte, insbesondere das Recht auf Geschäftsführung und Vertretung einschließlich der Prozessführung, das Recht auf Teilnahme an den Gesellschafterversammlungen und Stimmabgabe sowie das Wahlrecht gem. § 139 HGB.4

10.391

Beratungshinweis: Wegen der bei Einzelunternehmen sowie der Beteiligung des persönlich haftenden Personengesellschafters nur eingeschränkt zulässigen Testamentsvollstreckung bzw. der Unzulänglichkeiten der Ersatzlösungen, kann es sich empfehlen, das Unternehmen bzw. die Unternehmensbeteiligung in Vorbereitung auf den Erbfall in eine vollstreckungsfreundlichere Form zu überführen.

10.392

cc) Beaufsichtigende Testamentsvollstreckung Mit der neueren BGH-Rechtsprechung zur Testamentsvollstreckung bei der Personengesellschaft kann zudem auch für das Einzelunternehmen die beaufsichtigende Testamentsvollstreckung angeordnet werden.

10.393

Die grundsätzliche Unvereinbarkeit der Testamentsvollstreckung mit den Grundprinzipien der Personengesellschaft greift nicht, soweit nur die „Außenseite“ der Mitgliedschaft betroffen ist. Hierunter versteht man alle mit der Mitgliedschaft verbundenen Vermögensrechte, insbesondere den Anspruch auf ein Auseinandersetzungsguthaben5 und Gewinnansprüche6. Die

10.394

1 Einen Überblick über die Entwicklung der Rechtsprechung bietet Kämper, RNotZ 2016, 625 (630 f.). 2 BGH v. 14.5.1986 – IV A ZR 155/84, NJW 1986, 2431 (2433); BGH v. 10.1.1996 – IV ZB 21/94, NJW 1996, 1284 (1285 f.); BGH v. 12.1.1998 – II ZR 23/97, NJW 1998, 1313 (1314); s. auch: OLG Düsseldorf v. 24.9.2007 – 9 U 26/07, RNotZ 2008, 303 (304); LG Leipzig v. 13.5.2008 – 6 T 212/ 08, ZEV 2009, 96 (98). 3 BGH v. 14.5.1986 – IVA ZR 155/84, NJW 1986, 2431 (2433); BGH v. 10.1.1996 – IV ZB 21/94, NJW 19996, 1284 (1285 f.); BGH v. 12.1.1998 – II ZR 23/97, NJW 1998, 1313 (1314); OLG Düsseldorf v. 24.9.2007 – 9 U 26/07, RNotZ 2008, 303 (304); LG Leipzig v. 13.5.2008 – 6 T 212/08, ZEV 2009, 96 (98); Weidlich in Palandt79, § 2205 BGB Rz. 11, 13. 4 Roth in Baumbach/Hopt39, § 139 HGB Rz. 21; Lange in BeckOK, § 2205 BGB Rz. 46 (Stand: 1.8.2019); Grigas, BWNotZ 2002, 25 (30); OLG Düsseldorf v. 24.9.2007 – 9 U 26/07, RNotZ 2008, 303 (304; Stimmrecht). 5 BGH v. 12.1.1998 – II ZR 23/97, NJW 1998, 1313 (1314); OLG Düsseldorf v. 24.9.2007 – 9 U 26/ 07, RNotZ 2008, 303 (304); Roth in Baumbach/Hopt39, § 139 HGB Rz. 21; Weidlich in Palandt79, § 2205 BGB Rz. 11; Grigas, BWNotZ 2002, 25 (30). 6 Der Gewinnanspruch soll allerdings insoweit nicht dem Nachlass bzw. Testamentsvollstrecker, sondern dem Gesellschaftererben an der „Innenseite“ zuzurechnen sein, insoweit er auf dessen Mitwirkung beruht, was kaum lösbare Abgrenzungsschwierigkeiten mit sich bringt. So aber BGH v. 14.5.1986 – IV A ZR 155/84, NJW 1986, 2431 (2433); vgl. hierzu auch Weidlich in Palandt79, § 2205 BGB Rz. 11; Grigas, BWNotZ 2002, 25 (30).

Wenzel/Falkowski | 829

Kap. 10 Rz. 10.394 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

beaufsichtigende Testamentsvollstreckung sorgt dafür, dass der Erbe über den Gesellschaftsanteil und die hieraus erwachsenden Vermögensrechte nicht bzw. nur mit Zustimmung des Testamentsvollstreckers verfügen darf, § 2211 BGB. Eigengläubiger des Erben können in den Gesellschaftsanteil zudem nicht vollstrecken, § 2214 BGB.1 Die Testamentsvollstreckung an der Außenseite der Beteiligung ist unabhängig von der Zustimmung der Gesellschafter und kann im Gesellschaftsvertrag nicht wirksam ausgeschlossen werden.2

10.395

Aufgrund der beschränkten Reichweite der beaufsichtigenden Testamentsvollstreckung sowie der potentiell konfliktträchtigen Teilung der Beteiligung zwischen Testamentsvollstrecker und Erben, wird die Gestaltungspraxis auf unabsehbare Zeit weiterhin auf Ersatzlösungen angewiesen sein. c) Ersatzlösungen aa) Einleitung

10.396

Um dem praktischen Bedürfnis nach einer weitergehenden Testamentsvollstreckung zu entsprechen, wurden in Literatur und Rechtsprechung eine Reihe von Ersatzlösungen entwickelt, um ein Ergebnis zu erzielen, das einer Verwaltungsvollstreckung im Ergebnis nahekommt: bb) Treuhandlösung

10.397

Bei der sog. Treuhandlösung führt der Testamentsvollstrecker das Unternehmen im eigenen Namen als dessen Inhaber – nicht als Testamentsvollstrecker – treuhänderisch fort. Als Inhaber des Handelsgeschäfts ist der Testamentsvollstrecker in das Handelsregister, ohne einen seine Treuhänderstellung kennzeichnenden Zusatz, einzutragen. Nach außen haftet der Testamentsvollstrecker grundsätzlich unbeschränkt persönlich für alle Geschäftsschulden, § 25 Abs. 1 HGB,3 (nur) im Innenverhältnis zum Erben gilt das Recht der Testamentsvollstreckung, so dass er unter den Voraussetzungen der §§ 2216, 2218, 670 BGB Freistellung und Aufwendungsersatz verlangen kann.4 Der Erbe kann seine Haftung auch gegenüber dem Testamentsvollstrecker auf den Nachlass beschränken.5 Der notwendige Abschluss der Treuhandabrede kann dem Erben durch Bedingung oder Auflage auferlegt werden.6

1 BGH v. 14.5.1986 – IV A ZR 155/84, NJW 1986, 2431 (2433); OLG Düsseldorf v. 24.9.2007 – 9 U 26/07, RNotZ 2008, 303 (304); LG Leipzig v. 13.5.2008 – 6 T 212/08, ZEV 2009, 96 (98); Weidlich in Palandt79, § 2205 BGB Rz. 11. 2 Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 164; Grigas, BWNotZ 2002, 25 (30). 3 Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 27 HGB Rz. 12; Bömeke in BeckOK, § 25 HGB Rz. 48 (Stand: 15.7.2019). 4 Zimmermann in MüKo8, § 2205 BGB Rz. 38; Reimann in Staudinger, § 2205 BGB Rz. 151 (Stand: 2016). 5 Reimann in Staudinger, § 2205 BGB Rz. 151 (Stand: 2016); Damrau in Soergel13, § 2205 BGB Rz. 34; Zimmermann in MüKo8, § 2205 BGB Rz. 28; Weidlich, NJW 2011, 641 (642); John, BB 1980, 757 (761); a.A. Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 127; Holch, DNotZ 1958, 282 (283 f.). 6 Otto in Münch. Vertragshdb., Band 6 Bürgerl. R. II7, XII 8, Anm. 8.

830 | Wenzel/Falkowski

F. Die letztwillige Verfügung des Unternehmers | Rz. 10.402 Kap. 10 Beratungshinweis: Da der Testamentsvollstrecker das Unternehmen für den Erben führt, bedarf die Treuhandabrede bei einem minderjährigen Erben der familiengerichtlichen Genehmigung gem. § 1822 Nr. 3, § 1643 Abs. 1 BGB.1

10.398

Die Treuhandlösung kann sowohl in Form der Vollrechtstreuhand als auch in Form der Verwaltungstreuhand angeordnet werden:

10.399

– Bei der Vollrechtstreuhand werden dem Testamentsvollstrecker die Unternehmensgegenstände übertragen: Er wird Eigentümer von Sachen, Inhaber von Rechten und Forderungen usw. Aufgrund ungeklärter steuerlicher Fragen dieser Konstruktion, insbesondere im Hinblick auf die Erbschaftsteuer sowie wegen des Aufwands der notwendigen Einzelübertragungen, kommt der Vollrechtstreuhand in der Praxis kaum Bedeutung zu.2 – Bei der Verwaltungstreuhand wird dem Testamentsvollstrecker nicht das Eigentum, sondern nur die Verfügungsbefugnis an dem Unternehmen übertragen. Innerhalb der Grenzen der Testamentsvollstreckung ist er in der Lage über Unternehmensgegenstände zu verfügen, den Nachlass zu verpflichten und für ihn zu erwerben.3 Die Überlassung des Unternehmens an den Testamentsvollstrecker stellt sowohl bei der Vollrechts- als auch bei der Verwaltungstreuhand für den Erben eine haftungsbeschränkende Geschäftseinstellung i.S.d. § 27 Abs. 2 HGB dar. Eine dem Erben zurechenbare Geschäftsfortführung durch den Testamentsvollstrecker erfolgt nicht. 4

10.400

Beratungshinweis: Die Anordnung der Testamentsvollstreckung über ein Unternehmen durch den Erblasser, ohne Ausführungen über die Art und Weise der Durchführung, wird regelmäßig als Anordnung der Treuhandlösung zu verstehen sein.5 Die gewählte Form der Testamentsvollstreckung sollte dennoch ausdrücklich klargestellt werden, um Unklarheiten zu vermeiden.

10.401

Die Treuhandlösung birgt erhebliche Haftungsrisiken für den Testamentsvollstrecker. Diese realisieren sich dann, wenn er nach Außen in beträchtlichem Ausmaß haftet, aber im Innenverhältnis keinen Regress nehmen kann, da der Erbe seine Haftung auf den Nachlass beschränkt hat.6 Dieser Haftungslage sollte im Zweifel durch eine erhöhte Testamentsvollstreckervergütung Rechnung getragen werden, um die als Testamentsvollstrecker auserkorene Person überhaupt zur Annahme des Amtes bewegen zu können.

10.402

1 Otto in Münch. Vertragshdb., Band 6 Bürgerl. R. II7, XII 8, Anm. 8; Roglmeier in Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 10 C Rz. 12; a.A. Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 128; Lange in BeckOK, § 2205 BGB Rz. 31 (Stand: 1.8.2019). 2 Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 120; zu weiteren Problemen der Treuhandlösung, Weidlich, NJW 2011, 641 (642). 3 Lange in BeckOK, § 2205 BGB Rz. 32 (Stand: 1.8.2019); Zimmermann in MüKo8, § 2205 BGB Rz. 27. 4 Hopt in Baumbach/Hopt39, § 27 HGB Rz. 3; Bömeke in BeckOK, § 27 HGB Rz. 13 (Stand: 15.7.2019); Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 27 HGB Rz. 12; Wamser in Henssler/ Strohn4, § 27 HGB Rz. 11; a.A. (jede Testamentsvollstreckung ist Fortführung durch den Erben): Karsten Schmidt, Handelsrecht6, § 4 IV Rz. 76, § 8 III Rz. 139; zustimmend Thiessen in MüKo4, § 27 HGB Rz. 19 f. 5 BGH v. 11.4.1957 – II ZR 182/55, NJW 1957, 1026; Reimann in Staudinger, § 2205 BGB Rz. 149 (Stand: 2016); Damrau in Soergel13, § 2205 BGB Rz. 23. 6 Reimann in Staudinger, § 2205 BGB Rz. 151 (Stand: 2016); Damrau in Soergel13, § 2205 BGB Rz. 20, 34; John, BB 1980, 757 (761); a.A. Lange in BeckOK, § 2205 BGB Rz. 30 (Stand: 1.8.2019).

Wenzel/Falkowski | 831

Kap. 10 Rz. 10.403 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

cc) Vollmachtlösung

10.403

Bei der Vollmachtlösung führt der Testamentsvollstrecker das Unternehmen im Namen des Erben als dessen Bevollmächtigter weiter. Der Erblasser kann die Vollmacht selbst zu Lebzeiten erteilen oder ihre Erteilung dem Erben zur Auflage oder Bedingung machen. Um zu erreichen, dass die Bevollmächtigung einer Testamentsvollstreckung vergleichbar ist, ist erforderlich, dass der Erbe verpflichtet wird, die Vollmacht nicht später zu widerrufen bzw. selbst hinsichtlich des Nachlasses tätig zu werden.1

10.404

Der Erbe ist als Inhaber des Handelsgeschäfts in das Handelsregister einzutragen, die Eintragung eines Testamentsvollstreckervermerks ist unzulässig.2 Der Erbe haftet grundsätzlich persönlich und unbeschränkt. Die Geschäftsfortführung durch den Testamentsvollstrecker wird dem Erben zugerechnet, dessen Haftung für Altverbindlichkeiten aber auch hier nach den §§ 27, 25 HGB ausgeschlossen werden kann.3

10.405

Die Reichweite der Vollmacht liegt im Ermessen des Erblassers. So kann er den Erben insbesondere auch verpflichten, Prokura zu erteilen.4 Eine dem Testamentsvollstrecker im Testament erteilte, unwiderrufliche (transmortale) Generalvollmacht verstößt allerdings gegen die guten Sitten, § 138 BGB, auch wenn sie sachlich auf den Nachlass beschränkt ist und Selbstkontrahieren nicht gestattet ist.5 Beratungshinweis:

10.406

Gegen die Vollmachtlösung spricht maßgeblich die unbeschränkte, auch persönliche Haftung des Erben als Betreiber des Unternehmens nach außen – eine Stellung, die der Erbe nur durch Ausschlagung abwenden kann –, obgleich die Geschäfte tatsächlich durch einen von ihm nicht ausgewählten Dritten geführt werden. Teilweise wird im Hinblick darauf die Zulässigkeit der Vollmachtlösung überhaupt bezweifelt.6 Eine weitere Schwäche der Vollmachtlösung besteht darin, dass ihr Gelingen trotz aller erbrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten von der Duldung durch den Erben abhängt, der grundsätzlich jederzeit selbst neben dem Testamentsvollstrecker tätig werden bzw. dessen Vollmacht widerrufen kann.

dd) Weisungsgeberlösung

10.407

Bei der Weisungsgeberlösung führt der Erbe nach außen das Unternehmen als Inhaber, ist in das Handelsregister einzutragen und haftet nach außen persönlich. Einwirkungsmöglichkeiten des Testamentsvollstreckers ergeben sich lediglich im Innenverhältnis gem. § 2208 Abs. 2 BGB, wonach der Testamentsvollstrecker zu Weisungen an den Erben berechtigt werden kann. 1 Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 131 f.; BGH v. 18.1.1954 – IV ZR 130/53, NJW 1954, 636 (637); Reimann in Staudinger, § 2205 BGB Rz. 153 (Stand: 2016). 2 Lange in BeckOK, § 2205 BGB Rz. 29 (Stand: 1.8.2019); Kämper, RNotZ 2016, 625 (641); Reimann in Staudinger, § 2205 BGB Rz. 155 (Stand: 2016). 3 Hopt in Baumbach/Hopt39, § 27 HGB Rz. 3; Bömeke in BeckOK, § 27 HGB Rz. 13 (Stand: 15.7.2019); Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 27 HGB Rz. 12. 4 Bei Minderjährigen ist § 1822 Abs. 1 BGB zu beachten. 5 Reimann in Staudinger, § 2205 BGB Rz. 154 (Stand: 2016); Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 133; Weinland in Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK9, § 168 BGB Rz. 12; Kössinger in Nieder/Kössinger, Handbuch der Testamentsgestaltung6, § 15 Rz. 97. 6 Z.B. Zimmermann in MüKo8, § 2205 BGB Rz. 26, lehnt eine für den Erben unfreiwillige testamentarische Verpflichtung zur Einräumung von Vertretungsmacht auch über das Privatvermögen ab.

832 | Wenzel/Falkowski

F. Die letztwillige Verfügung des Unternehmers | Rz. 10.412 Kap. 10

d) Gesellschaftsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten zur Problemvermeidung aa) Zustimmung der Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag Voraussetzung für die Testamentsvollstreckung an Personengesellschaftsanteilen ist es, dass die Gesellschafter der Testamentsvollstreckung (nachträglich) zustimmen. Die Einholung dieser Zustimmung ist entbehrlich, wenn die Zustimmung bereits im Gesellschaftsvertrag selbst enthalten ist (hierzu bereits unter Rz. 10.131).1

10.408

bb) Umwandlung in eine Kommanditbeteiligung Die Beteiligung des Erblassers als persönlich haftender Personengesellschafter bereits zu Lebzeiten in eine vollstreckungsfreundlichere Kommanditbeteiligung umzuwandeln wird meist nicht gewollt sein. Allerdings kann in Form einer gesellschaftsvertraglichen Umwandlungsklausel die automatische Umwandlung der Beteiligung mit dem Erbfall vorgesehen werden. Das Wahlrecht gem. § 139 Abs. 1 HGB greift dann nicht. Alternativ können die Mitgesellschafter verpflichtet werden, der Umwandlung zuzustimmen.2

10.409

Außerhalb des Gesellschaftsvertrages kann dem Erben im Wege einer Auflage oder Bedingung auferlegt werden, von dem Wahlrecht nach § 139 Abs. 1 HGB Gebrauch zu machen.3 § 139 Abs. 5 HGB steht dem nicht entgegen.4 Eine Ausübung des höchstpersönlichen Wahlrechts durch den Testamentsvollstrecker ist hingegen nicht möglich.5

10.410

cc) Umwandlung in GmbH, AG oder GmbH & Co. KG Bereits zu Lebzeiten kann das Unternehmen in eine GmbH, AG oder GmbH & Co. KG überführt werden, um die Testamentsvollstreckung zu erleichtern. Allerdings spielen bei der Rechtsformwahl eine Vielzahl von Entscheidungsfaktoren eine Rolle, unter denen der Testamentsvollstreckung meist keine übergeordnete Rolle zukommt und an denen die lebzeitige Umwandlung oftmals scheitern dürfte (hierzu unter Rz. 4.54).6

10.411

Denkbar ist auch, eine solche Überführung erbrechtlich in Form einer Umwandlungsanordnung festzuschreiben oder in das Ermessen des Testamentsvollstreckers zu stellen. Der Testamentsvollstrecker darf dann ohne Mitwirkung des Erben auf die Umstrukturierung hinwirken. Entgegen § 2206 Abs. 1 Satz 1 BGB darf er allerdings nur eine persönliche Haftung des Erben begründen, soweit ihm dies durch eine der Ersatzlösungen gestattet wurde, anderenfalls

10.412

1 Lange in BeckOK, § 2205 BGB Rz. 46 (Stand: 1.8.2019); Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 159. 2 Klein/Lindemeier in Gummert/Weipert, Münch. Hdb. GesR, Bd. 15, § 79 Rz. 55; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 139 HGB Rz. 137 f.; Roth in Baumbach/Hopt39, § 139 HGB Rz. 61. 3 Sofern die Mitgesellschafter nicht ihrerseits testamentarisch oder gesellschaftsvertraglich gehalten sind, einem solchen Antrag nach § 139 Abs. 2 HGB stattzugeben, steht die Umwandlung in eine Kommanditbeteiligung freilich nicht sicher fest. 4 § 139 Abs. 5 HGB lässt die Testierfreiheit unangetastet, Roth in Baumbach/Hopt39, § 139 HGB Rz. 64; Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 139 HGB Rz. 135; Klöhn in Henssler/Strohn4, § 139 HGB Rz. 74. 5 Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 139 HGB Rz. 103; Klöhn in Henssler/Strohn4, § 139 HGB Rz. 36; Klein/Lindemeier in Gummert/Weipert, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 15, § 79 Rz. 40. 6 Weidlich, NJW 2011, 641 (642): Weidlich, ZEV 1998, 339 (341); s. auch Kämper, RNotZ 2016, 625 (646 f.).

Wenzel/Falkowski | 833

Kap. 10 Rz. 10.412 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

bedarf er der Zustimmung des Erben.1 Nach anderer Ansicht wird ein Zusammenwirken von Testamentsvollstrecker und Erben stets verlangt, da die Umstrukturierung den Kernbereich der Mitgliedschaft berührt.2 Da die Kompetenzen des Testamentsvollstreckers für den Bereich der Umwandlung höchstrichterlich noch nicht geklärt sind, sollte sicherheitshalber auf eine Zustimmung des Erben hingewirkt werden. Die Duldung bzw. Mitwirkung des Erben sollte zudem durch Auflage oder Bedingung abgesichert werden.3 Der Erblasser kann sich zur Erleichterung der Überführung auch einer Vorratsgesellschaft bedienen.4

10.413

Die Testamentsvollstreckung besteht auch nach Verschmelzung, Spaltung oder Formwechsel an der neuen Beteiligung fort.5 Streitig ist allerdings, ob der Umfang der Rechte des Testamentsvollstreckers sich an der ursprünglichen oder der neuen Gesellschaftsform orientiert. Ist bei einer Personengesellschaft die echte Testamentsvollstreckung (nur) an der Außenseite der Beteiligung zur Testamentsvollstreckung möglich, stellt sich die Frage, ob der Testamentsvollstrecker auch nach Umwandlung in eine Kapitalgesellschaft auf die Verwaltung der Vermögensrechte beschränkt sein soll.6 Klarstellend sollte daher der Umfang der Testamentsvollstreckung auch für die neue Gesellschaftsform ausdrücklich festgelegt werden.7

6. Anordnung von Vor- und Nacherbschaft a) Allgemeines

10.414

Gerade wenn es sich bei dem im Nachlass befindlichen Unternehmen um ein Familienunternehmen handelt, haben die Gesellschafter häufig ein Interesse daran, sicherzustellen, dass das Unternehmen auch in nachfolgenden Generationen in Familienhand verbleibt. Dies lässt sich in gewissem Umfang durch das Instrument der Vor- und Nacherbschaft realisieren (ausführlich zur Vor- und Nacherbfolge unter Rz. 5.222).

10.415

Die Vor- und Nacherbschaft, §§ 2100 ff. BGB, erlaubt es dem Erblasser, mehrere Erben hintereinandergeschaltet zu Erben zu bestimmen und so sein Vermögen auch über mehrere Generationen hinweg zu erhalten und zuzuweisen. Hierzu wird der Nachlass im Todesfall zunächst dem Vorerben zugewiesen. Mit Eintritt eines vom Erblasser bestimmten Ereignisses, im Zweifel dem Tod des Vorerben, § 2106 Abs. 1 BGB, geht der Nachlass auf den Nacherben über, der diesen vom Erblasser – nicht vom Vorerben – erwirbt.

1 LG Mannheim v. 10.11.1998 – 2 O 193/98, MittBayNot 2000, 570; Lange in BeckOK, § 2205 BGB Rz. 37 (Stand: 1.8.2019); Reimann in Staudinger, § 2205 BGB Rz. 215 (Stand: 2016); Mayer, ZEV 2002, 209 (214). 2 Weidlich, MittBayNot 1996, 1 (2 f.); Werner, ZEV 2018, 252 (253); vgl. auch Lorz in Scherer, Münch. Anwhdb. ErbR5, § 19 Rz. 282 ff.; zur Kritik an der Übertragbarkeit der Kernbereichslehre auf das Verhältnis von Testamentsvollstrecker und Erben, vgl. Fn. 2 zu Rz. 10.386. 3 Kämper, RNotZ 625 (647); v. Proff, DStR 2018, 415 (420); Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 289. 4 Lange in BeckOK, § 2205 BGB Rz. 37 (Stand: 1.8.2019); Kämper, RNotZ 2016, 625 (647). 5 Lange in BeckOK, § 2205 BGB Rz. 37 (Stand: 1.8.2019); Kämper, RNotZ 2016, 625 (647). 6 Richtigerweise sollte der Umfang der Testamentsvollstreckung durch Auslegung von Testament und Testamentsvollstreckungsanordnung ermittelt werden. Meist werden weitestreichende Befugnisse auch in der neuen Unternehmensform gewollt sein. Reimann in Staudinger, § 2205 BGB Rz. 215 (Stand: 2016); Lange in BeckOK, § 2205 BGB Rz. 37 (Stand: 1.8.2019); vgl. auch Everts, ZEV 2002, 209 (215); a.A. Weidlich, MittBayNot 1996, 1 (2). 7 Kämper, RNotZ 2016, 625 (647); v. Proff, DStR 2018, 415 (420).

834 | Wenzel/Falkowski

F. Die letztwillige Verfügung des Unternehmers | Rz. 10.422 Kap. 10 Beratungshinweis: Dies bedeutet, dass der Vorerbe keinen Einfluss darauf hat, wem der Nachlass nach ihm zufällt, vgl. § 2065 BGB. Möglich bleibt, dem Vorerben eine Auswahlmöglichkeit dadurch zu belassen, dass er aufhört Vorerbe zu sein und Vollerbe wird, sobald er für den Nachlass einen eigenen Erben bestimmt (zu dieser Behelfskonstruktion wie auch zur weitergehenden aber rechtlich umstrittenen „DieterleKlausel“ s. unter Rz. 10.370).

10.416

Um dem Nacherben den Nachlass bis zum Eintritt des Nacherbfalles zu erhalten, wird der Nacherbe durch das Entstehen eines Anwartschaftsrechts an der Erbschaft sowie die Mitverwaltungs-, Kontroll- und Sicherungsrechte nach §§ 2116, 2121 f., 2127 bis 2129 BGB abgesichert. Der Vorerbe ist zudem in seiner Verfügungsmacht beschränkt, §§ 2112 bis 2114 BGB. Es gilt der Grundsatz dinglicher Surrogation, § 2111 BGB. Beim Vorerben entsteht so ein rechtlich abgrenzbares Sondervermögen. Nach Maßgabe des § 2136 BGB kann der Erblasser von den Beschränkungen der Vorerbschaft teilweise, aber nie vollumfänglich befreit werden, weshalb gerade im Bereich der Unternehmensnachfolge auf das Instrument der Vor- und Nacherbfolge nur mit besonderer Vorsicht zugegriffen werden sollte. Die Anordnung der Vor- und Nacherbschaft erzeugt sowohl beim Vorerben als auch beim Nacherben das Recht auszuschlagen und dennoch den Pflichtteil zu verlangen gem. § 2306 Abs. 1 BGB bzw. § 2306 Abs. 2 BGB.

10.417

Beratungshinweis: Der Gefahr, dass einer der Beteiligten die vom Erblasser mit viel Bedacht entworfene Nachfolge durch Ausschlagung zerstört, kann am effektivsten durch einen Pflichtteilsverzicht begegnet werden. Soweit der Erblasser seine Erben noch mit Zuwendungen außerhalb der Erbschaft bedenken will, lassen sich diese zudem an die Nichtausübung des Ausschlagungsrechtes knüpfen. S. zur sog. socinischen Klausel auch Rz. 10.451.

10.418

Vor dem Zugriff von Vorerbengläubigern auf den Nachlass ist der Nacherbe über § 2115 BGB geschützt. Zwangsvollstreckungsverfügungen über Erbschaftsgegenstände sind mit Eintritt des Nacherbfalles absolut unwirksam, wenn sie die Rechtsstellung des Nacherben beeinträchtigen und nicht die Ausnahme des § 2115 Satz 2 BGB greift. Der Nacherbe kann im Einzelfall Drittwiderspruchsklage erheben, § 773 ZPO.1 Mehrere Nacherben sind einfache und nicht notwendige Streitgenossen.2

10.419

Beratungshinweis: Wenn der Schutz des Unternehmens vor Eigengläubigern eines Erben Anliegen des Erblassers ist, kann sich die Vor- und Nacherbschaft anbieten.

10.420

Für das Insolvenzverfahren des Vorerben gilt § 2115 BGB gem. § 83 Abs. 2 InsO entsprechend.

10.421

Zu den typischen Anwendungsbereichen der Vor- und Nacherbfolge gehören:

10.422

– Die Vor- und Nacherbschaft kann bei der Wahl des Unternehmensnachfolgers zur Anwendung kommen, wenn ein Nachfolger noch nicht existiert oder die Rolle als Unterneh-

1 Zu den Voraussetzungen im Einzelnen Müller-Christmann in BeckOGK, § 2115 BGB Rz. 57 ff. (Stand: 15.1.2020); zu weiteren Rechten des Nacherben insb. auf Schadensersatz Müller-Christmann in BeckOGK, § 2115 BGB Rz. 51 ff. (Stand: 15.1.2020); Herget in Zöller33, § 773 ZPO Rz. 1; Lackmann in Musielak/Voit17, § 773 ZPO Rz. 1; Weidlich in Palandt79, § 2115 BGB Rz. 2. 2 BGH v. 10.2.1993 – IV ZR 274/91, NJW 1993, 1582 (1583); Herget in Zöller33, § 773 ZPO Rz. 2.

Wenzel/Falkowski | 835

Kap. 10 Rz. 10.422 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

menslenker noch nicht ausfüllen kann. Hier kann ein Dritter (Ehegatte, Mitgesellschafter) als Vorerbe auf Zeit die Rolle des Unternehmers einnehmen, bis der eigentliche Unternehmensnachfolger in diese Position eintritt. Die Auswahl des Nachfolgers kann hierbei auch dem Vorerben überlassen werden (s. unter Rz. 10.370). – Beim sog. Behindertentestament (in Gestalt der klassischen Erblösung) wird ein behinderter Abkömmling nur als Vorerbe mit einer Quote, die mindestens seinem Pflichtteil entspricht, eingesetzt. Gleichzeitig wird insoweit (Dauer-)Testamentsvollstreckung angeordnet und der Testamentsvollstrecker angewiesen, Erträge und Substanz in im Einzelnen vorgegebener Weise zur Versorgung des behinderten Vorerben aufzuwenden. Durch das Behindertentestament wird verhindert, dass der Sozialhilfeträger auf die Erbschaft zugreifen kann. Sittenwidrig ist dies nicht.1 – Wenn die Ehegatten nicht nur gemeinsame Kinder haben (Patchworkfamilie), kann durch Einsetzung des überlebenden Ehegatten zum Vorerben und (nur) der eigenen Kinder zu Nacherben verhindert werden, dass die einseitigen Kinder des überlebenden Ehegatten vom Vermögen des erstversterbenden Ehegatten profitieren. Wäre der überlebende Ehegatte Vollerbe, würden dessen einseitigen Abkömmlinge als Erben oder Pflichtteilsberechtigte davon profitieren, dass der Nachlass sich durch das Vermögen des erstversterbenden Ehegatten erhöht hat. – Eine im Zeitpunkt des Erbfalles noch nicht gezeugte Person kann nicht Erbe sein, § 1923 BGB. Sie kann aber zum Nacherben bestimmt werden, § 2101 Abs. 1 BGB. – Beim gemeinschaftlichen Testament mit Trennungslösung wird von der Vor- und Nacherbschaft Gebrauch gemacht. Auch bei der Einheitslösung können Vor- und Nacherbschaft im Rahmen einer Wiederverheiratungsklausel eine Rolle spielen (zu allem unter Rz. 10.307). b) Die Stellung des nicht befreiten Vorerben

10.423

Bis zum Eintritt des Nacherbfalls ist der Vorerbe mit allen hieraus resultierenden Rechtsfolgen Erbe des Erblassers, vgl. § 2100 BGB.2 Der gesamte Nachlass einschließlich aller Verbindlichkeiten geht mit Eintritt des Erbfalles im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf ihn über, §§ 1922, 1967 BGB. Er kann über den Nachlass grundsätzlich frei verfügen, § 2112 BGB. Sieht der Erblasser nichts anderes vor, ist er als nicht befreiter Vorerbe bei der Verwaltung des Nachlasses aber kraft Gesetzes durch eine Vielzahl von Pflichten und Beschränkungen gebunden.

10.424

Insbesondere unterliegt er den Verfügungsbeschränkungen des §§ 2113 ff. BGB. Der Vorerbe kann ohne Zustimmung des Nacherben nicht über Grundbesitz, § 2113 Abs. 1 BGB, Hypothekenforderungen, Grund- und Rentenschulden, § 2114 BGB, verfügen.3 Ferner sind Wertpapiere auf Verlangen des Nacherben zu hinterlegen. Über die hinterlegten Papiere kann nur mit Zustimmung des Nacherben verfügt werden, § 2116 BGB. Die Zustimmung 1 Ausführlich zu den Grundlagen des Behindertentestament Schindler in Ruby/Schindler, Das Behindertentestament3, § 3 Rz. 13 ff. 2 Konstruktiv ist der Vorerbe auf den Eintritt des Nacherbfalles auflösend bedingt oder befristeter Erbe, der Nacherbe auf den Eintritt des Nacherbfalles aufschiebend bedingt oder befristeter Erbe; Küpper in BeckOGK, § 2100 BGB Rz. 2 (Stand: 1.4.2020). 3 Bei der Grundbuchberichtigung auf den Vorerben trägt das Grundbuchamt von Amts wegen zugleich auch das Recht des Nacherben sowie etwaige Befreiungen des Vorerben ein, § 51 GBO.

836 | Wenzel/Falkowski

F. Die letztwillige Verfügung des Unternehmers | Rz. 10.428 Kap. 10

kann vor oder nach der Verfügung erteilt werden. Nicht gestattete Verfügungen sind mit Eintritt des Nacherbfalls ex nunc absolut unwirksam.1 Sie können aber auch dann noch nachträglich genehmigt werden.2Die Zustimmung des Ersatznacherben ist nicht erforderlich.3 Gemäß § 2130 Abs. 1 Satz 1 BGB ist der Nachlass dem Nacherben in dem Zustand herauszugeben, der sich bei fortgesetzter ordnungsgemäßer Verwaltung ergibt. Der Nachlass ist danach grundsätzlich in seiner Wertsubstanz, nicht gegenständlich zu erhalten.4 Dem nicht befreiten Vorerben verbleiben die Nutzungen aus dem Nachlass, § 2111 Abs. 1 Satz 1 a.E. BGB; er trägt im Rahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung aber auch dessen Kosten und Lasten, §§ 2124 ff. Bei Geldanlagen ist der Vorerbe an § 2119 i.V.m. den §§ 1806 f. BGB (Anlage von Mündelgeld) gebunden. Werden zur ordnungsgemäßen Verwaltung Verfügungen des Vorerben erforderlich, ist der Nacherbe zur Einwilligung verpflichtet, § 2120 BGB. Bei Verletzung der Pflicht zur ordnungsgemäßen Verwaltung entsteht mit dem Nacherbfall ein Schadensersatzanspruch des Nacherben aus § 280 Abs. 1 BGB.5 Dem Vorerben kommt die Haftungsbeschränkung des § 2131 BGB zugute (diligentia quam in suis).

10.425

Beratungshinweis: Soll ein Familienunternehmen langfristig in der Familie verbleiben und von folgenden Generationen weitergeführt werden, kann sich eine entsprechend beschränkte Vor- und Nacherbschaft anbieten, um die Erben zu versorgen und dennoch sicherzustellen, dass das Unternehmen in seinem Bestand erhalten bleibt. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass der Vorerbe zwar rechtlicher Eigentümer ist, in der Vorstellung des Erblassers aber gewissermaßen als „Treuhänder“ auftritt, der das Unternehmen zu seinen eigenen Lebzeiten verwaltet und die Nutzungen zieht und dann an die nächste Generation weitergibt.

10.426

Der Vorerbe hat auf Verlangen des Nacherben (im Falle mehrerer Nacherben: eines jeden Nacherben6) ein Bestandsverzeichnis über die zur Erbschaft gehörenden Gegenstände anzufertigen, § 2121 BGB. Das Bestandsverzeichnis hat den Aktivnachlass gegenständlich wiederzugeben und soll der Beweiserleichterung des Nacherben dienen.7 Wertangaben sind nicht erforderlich.8 Maßgeblich ist der Bestand im Aufnahmezeitpunkt, nicht etwa im Zeitpunkt des Erbanfalles.9 Der Anspruch ist nur einmal zu erfüllen, so dass spätere Ergänzungen und Anpassungen nicht verlangt werden können.10

10.427

Das Bestandsverzeichnis bedarf der Schriftform und ist mit dem Aufnahmedatum zu versehen, § 2121 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BGB. Der Nacherbe kann öffentliche Beglaubigung der Unterschrift verlangen, § 2121 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BGB, außerdem kann er verlangen, bei der Aufnahme persönlich hinzugezogen zu werden, § 2121 Abs. 2 BGB oder dass die Aufnah-

10.428

1 Weidlich in Palandt79, § 2113 BGB Rz. 8. 2 Grunsky in MüKo8, § 2113 BGB Rz. 17. 3 BGH v. 25.9.1963 – V ZR 130/61, NJW 63, 2320; BayObLG v. 1.3.2005 – 2Z BR 231/04, NJW-RR 2005, 956. 4 Weidlich in Palandt79, § 2130 BGB Rz. 3; s. auch dingliche Surrogation gem. § 2111 BGB. 5 Litzenburger in BeckOK, § 2130 BGB Rz. 5 (Stand: 1.8.2019). 6 Weidlich in Palandt79, § 2121 BGB Rz. 2. 7 Es handelt sich (nur) um eine frei zu würdigende Beweisurkunde. Insbesondere folgt aus der Errichtung – anders als beim Inventar gem. § 2009 BGB – keine Vollständigkeitsvermutung. Theilig in BeckOGK, § 2121 BGB Rz. 27 (Stand: 1.4.2020). 8 BGH v. 9.11.1994 – IV ZR 319/93, BGHZ 127, 360; Grunsky in MüKo8, § 2121 BGB Rz. 8. 9 Grunsky in MüKo8, § 2121 BGB Rz. 7. 10 Weidlich in Palandt79, § 2121 BGB Rz. 2.

Wenzel/Falkowski | 837

Kap. 10 Rz. 10.428 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

me durch einen Notar (bzw. die sonst zuständige Behörde) durchgeführt wird, § 2121 Abs. 3 BGB. Anspruch auf eidesstattliche Versicherung besteht (anders als beim Inventar, § 2006 BGB) nicht.1 Die entstehenden Kosten sind Nachlassverbindlichkeiten.2 Auf eigene Kosten kann der Nacherbe einzelne Nachlassgegenstände durch Sachverständige prüfen lassen, § 2122 Satz 2, 1 BGB.

10.429

Gegen erhebliche Verletzungen seiner Rechte ist der Nacherbe zusätzlich durch das Auskunftsrecht über den gegenwärtigen Nachlassbestand, § 2127 BGB sowie Sicherheitsleistung, § 2128 BGB und Entziehung der Vorerbenverwaltung, § 2129 BGB, geschützt. c) Die Stellung des befreiten Vorerben

10.430

Der Erblasser kann den Vorerben durch letztwillige Verfügung von den meisten, aber nicht allen Beschränkungen und Pflichten befreien, § 2136 BGB. Wird der Nacherbe abweichend von § 2130 BGB auf den Überrest nach § 2137 Abs. 1 BGB eingesetzt, hat er nur das herauszugeben, was ihm im Nacherbfall (einschließlich dinglicher Surrogation) verbleibt.

10.431

Keine Befreiung ist möglich: – vom Verbot unentgeltlicher Verfügungen i.S.d. § 2113 BGB Abs. 2 BGB; – von der Schadensersatzpflicht des Vorerben nach § 2138 Abs. 2 BGB wegen unentgeltlicher Verfügungen oder Nachlassverminderung in Benachteiligungsabsicht; – vom Grundsatz dinglicher Surrogation, § 2111 BGB; – von der Bestandsverzeichnispflicht, § 2121 BGB; – von der Verpflichtung, den Nachlass durch Sachverständige prüfen zu lassen, § 2122 Satz 2 BGB; – nach der h.M. von der Pflicht des Vorerben, die gewöhnlichen Erhaltungskosten i.S.d. § 2124 Abs. 1 BGB zu tragen3; – vom Schutz vor Zwangsvollstreckungsverfügungen, § 2115 BGB.4

10.432

Die Befreiung erfolgt durch letztwillige Verfügung, muss aber nicht zwangsläufig in der gleichen erfolgen, die die Vor- und Nacherbfolge überhaupt anordnet.5 Sie bezieht sich stets auf den einzelnen Vorerben, so dass zwischen mehreren Vorerben differenziert werden kann.6 Ob und in welchem Umfang eine Befreiung gewollt ist, bestimmt sich im Zweifel durch Auslegung. Hat der Erblasser angeordnet, dass der Nacherbe auf dasjenige eingesetzt wird, das bei Eintritt der Nacherbfolge übrig ist, § 2137 Abs. 1 BGB, oder dass der Vorerbe zur freien Verfügung über die Erbschaft berechtigt sein soll, § 2137 Abs. 2 BGB, ist im Zweifel von einer Gesamtbefreiung auszugehen. Fehlt eine Befreiungsanordnung und lässt sich die Befreiung auch nicht durch Auslegung ermitteln, ist der Vorerbe i.S.d. gesetzlichen Regel nicht befreit. Weidlich in Palandt79, § 2121 BGB Rz. 4. Weidlich in Palandt79, § 2121 BGB Rz. 4. Kössinger in Nieder/Kössinger, Handbuch der Testamentsgestaltung6, § 10 Rz. 36. Weidlich in Palandt79, § 2136 BGB Rz. 4; Deppenkemper in BeckOGK, § 2136 BGB Rz. 45 (Stand: 1.3.2020); Wachter in Scherer, Münch. Anwhdb. ErbR5, § 17 Rz. 160; Gesamtübersicht bei Mayer, ZEV 2000, 1 (10); Grunsky in MüKo8, § 2136 BGB Rz. 15. 5 Vgl. Hoeren in Schulze/Dörner/Ebert10, § 2136 BGB Rz. 4. 6 Deppenkemper in BeckOGK, § 2136 BGB Rz. 36 f. (Stand: 1.3.2020).

1 2 3 4

838 | Wenzel/Falkowski

F. Die letztwillige Verfügung des Unternehmers | Rz. 10.434 Kap. 10

Den Umfang der Befreiung kann der Erblasser durch folgende Arten von Klauseln – die auch miteinander kombiniert werden können – festlegen1:

10.433

– Er kann den Vorerben so weit wie rechtlich zulässig befreien (die in der Praxis häufigste „Gesamtbefreiung“).2 – Er kann den Vorerben von einzelnen Beschränkungen oder Pflichten gem. § 2136 BGB gänzlich befreien (Befreiung von einzelnen Beschränkungen). Möglich ist demgegenüber auch die teilweise Befreiung von einer Beschränkung oder Pflicht in einem vom Erblasser festzulegendem Umfang.3 – Der Vorerbe kann hinsichtlich bestimmter Nachlassgegenstände, z.B. eines genau bestimmten Grundstücks, ganz oder teilweise befreit werden („gegenständliche Befreiung“).4 Beratungshinweis: Zu denken ist in diesem Zusammenhang insbesondere auch an eine Differenzierung zwischen unternehmerischem und Privatvermögen.

– Zulässig ist auch die Erteilung einer Befreiung unter einer Bedingung oder Befristung („Bedingte/befristete Befreiung“). Der Bedingungseintritt kann hierbei auch in der Zustimmung eines Dritten liegen.5 – Nicht abschließend geklärt ist die Zulässigkeit von Befreiungen, die von der Verfolgung eines bestimmten Zweckes durch den Vorerben abhängig gemacht werden (etwa zur „Fortführung des Familienunternehmens“; „Zweckbefreiung“)6 oder davon, dass die Befreiung im Rahmen einer ordnungsgemäßen Nachlassverwaltung in Anspruch genommen wird („kausale Befreiung“)7. Unabhängig von der rechtlichen Beurteilung solcher Klauseln, sollte der Praktiker sie im Hinblick auf ihre Unbestimmtheit und die hieraus folgenden Probleme (Unsicherheit und Streitanfälligkeit bei Vor- und Nacherben, fehlende Akzeptanz bei Außenstehenden) jedenfalls besser nicht nutzen.8

1 Zum Ganzen: Deppenkemper in BeckOGK, § 2136 BGB Rz. 26 ff. (Stand: 1.3.2020). 2 Kössinger in Nieder/Kössinger, Handbuch der Testamentsgestaltung6, § 10 Rz. 39. 3 So kann etwa das Verfügungsverbot des § 2113 Abs. 1 BGB auf bestimmte Verfügungstypen beschränkt werden. Kössinger in Nieder/Kössinger, Handbuch der Testamentsgestaltung6, § 10 Rz. 39; Deppenkemper in BeckOGK, § 2136 BGB Rz. 30 ff. (Stand: 1.3.2020). 4 Dafür (ganz h.M.): Grunsky in MüKo8, § 2136 BGB Rz. 13; Litzenburger in BeckOK, § 2136 BGB Rz. 10 (Stand: 1.8.2019); Deppenkemper in BeckOGK, § 2136 BGB Rz. 34 (Stand: 1.3.2020); Mayer, ZEV 2000, 1 (3); a.A.: Avenarius in Staudinger, § 2136 BGB Rz. 3 (Stand: 2013). 5 Deppenkemper in BeckOGK, § 2136 BGB Rz. 38 (Stand: 1.3.2020); Avenarius in Staudinger, § 2136 BGB Rz. 4 (Stand: 2013). 6 Deppenkemper in BeckOGK, § 2136 BGB Rz. 43 f. (Stand: 1.3.2020); Muscheler in Hereditare 3 (2013), 159 (175). 7 Deppenkemper in BeckOGK, § 2136 BGB Rz. 40 f. (Stand: 1.3.2020) hält dies für grds. zulässig angesichts der gesetzgeberischen Wertung in § 2206 BGB, Einwendungen bestehen jedoch in Bezug auf die praktische Tauglichkeit; a.A. Hothorn, Die Rechtsstellung des befreiten Vorerben nach dem BGB, S. 74 ff., 76 ff. 8 Vgl. Wachter in Scherer, Münch. Anwhdb. ErbR5, § 17 Rz. 175; Deppenkemper in BeckOGK, § 2136 BGB Rz. 42 (Stand: 1.6.2019); Müller, Möglichkeiten der Befreiung des Vorerben über § 2136 BGB hinaus, ZEV 1996, 179.

Wenzel/Falkowski | 839

10.434

Kap. 10 Rz. 10.435 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen Beratungshinweis:

10.435

Im Bereich der Unternehmensnachfolge sollte die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft trotz der dargestellten Vorteile wohlüberlegt sein. Die zahlreichen Beschränkungen, denen der Vorerbe unterliegt und die auch nicht vollumfänglich abbedungen werden können, können diesem ein flexibles unternehmerisches Tätigsein leicht unmöglich machen. So führt das Verbot unentgeltlicher Verfügungen dazu, dass auch Geschäfte mit einem nur geringfügigen unentgeltlichen Teil dem Nacherben gegenüber unwirksam sind.1 Im Geschäftsverkehr kann daher für alle größeren Rechtsgeschäfte die Zustimmung des Nacherben gefordert werden. Hieraus können sich ganz handfeste Finanzierungsprobleme ergeben, wenn Banken sich weigern, ohne Zustimmung aller Nacherben Kredit zu gewähren, da die entgeltliche Verwendung der Kreditvaluta im Einklang mit § 2113 Abs. 2 BGB letztlich nie wird nachgewiesen werden können. Die Anordnung der Vor- und Nacherbschaft kann so faktisch eine „Kreditsperre“ für den Vorerben bedeuten.2 Die hierdurch entstehenden Probleme können auch durch Anordnung eines Zustimmungsgebotes für den Nacherben im Wege der Auflage oder des Vermächtnisses nicht völlig beseitigt werden. Weitere Unsicherheit kann durch das Ausschlagungsrecht des Vor- und Nacherben erzeugt werden.

d) Stellung des Nacherben

10.436

Für die Dauer der Vorerbschaft ist der Nacherbe auf die dargestellten Sicherungs- und Kontrollrechte beschränkt. Ihm fällt aber mit dem Erbfall ein Anwartschaftsrecht an der Erbschaft zu.3 Das Anwartschaftsrecht ist grundsätzlich frei lebzeitig übertragbar.4 Mit der Übertragung geht die gesamte vermögensrechtliche Position des Nacherben auf den Erwerber über, der an seiner statt dann auch die dargestellten Sicherungs- und Kontrollrechte wahrnimmt.5 Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft bedürfen, in entsprechender Anwendung der §§ 2033, 2371 BGB, der notariellen Beurkundung.

10.437

Den Mitnacherben steht ein Vorkaufsrecht entsprechend § 2034 BGB zu.6 Das Anwartschaftsrecht ist auch vererblich. Stirbt der Nacherbe vor Eintritt des Nacherbfalles, geht das Anwartschaftsrecht regelmäßig auf dessen Erben über, vgl. § 2108 Abs. 2 Satz 1 BGB7. Gestaltungshinweis:

10.438

Der Erblasser darf abweichende Anordnungen treffen. Die Vererblichkeit wird durch die ausdrückliche Bestimmung eines Ersatznacherben meist (stillschweigend) ausgeschlossen.8 Auch die lebzeitige 1 Weidlich in Palandt79, § 2113 BGB Rz. 13. 2 So Spiegelberger, Unternehmensnachfolge2, § 2 Rz. 31; genauso Spanke in Riedel, Praxishdb. Unternehmensnachfolge2, § 9 A Rz. 5; vgl. auch Hölscher, ZEV 2009, 213. 3 Grunsky in MüKo8, § 2108 BGB Rz. 4. 4 Wachter in Scherer, Münch. Anwhdb. ErbR5, § 17 Rz. 190. 5 Küpper in BeckOGK, § 2100 BGB Rz. 133 (Stand: 1.4.2020). 6 Für eine direkte Anwendung aber Avenarius in Staudinger, § 2100 BGB Rz. 75 (Stand: 2013). 7 Nach h.M. ist § 2108 Abs. 2 Satz 1 BGB Auslegungsregel, BGH v. 23.1.1963 – V ZR 82/61, NJW 1963, 1150 (1151); Haegele, Rpfleger 1967, 162; Johannsen in RGRK, § 2108 BGB Rz. 8; Harder/ Wegmann in Soergel13, § 2108 BGB Rz. 5; Kummer in Fachanwaltskommentar Erbrecht4, § 2108 BGB Rz. 7; Weidlich in Palandt79, § 2108 BGB Rz. 2; Muscheler, Erbrecht, Bd. II, § 37 Rz. 2527; Grunsky in MüKo8, § 2108 BGB Rz. 4. 8 Zwingend ist dies allerdings nicht, da der Ersatzerbe auch für andere Fälle als den Tod des Vorerben (z.B. Ausschlagung) angeordnet sein könnte. Entscheidend ist der individuelle Erblasserwille, der bei Vorhandensein von Ersatzerben aber meist gegen die Vererblichkeit sprechen wird. OLG Braunschweig v. 11.11.1993 – 4 W 13/93, FamRZ 1995, 443; vgl. auch BayObLG v. 19.1.2001 – 1Z BR 176/99, ZEV 2001, 440, 441 m.Anm. Wegmann; Lieder in MüKo8, § 2102 BGB Rz. 11; vgl. Leipold in MüKo8, § 2069 BGB Rz. 26; einschränkend OLG Braunschweig v. 21.4.2005 – 2 W

840 | Wenzel/Falkowski

F. Die letztwillige Verfügung des Unternehmers | Rz. 10.440 Kap. 10 Übertragung des Anwartschaftsrechts kann ausgeschlossen werden.1 Von diesen Möglichkeiten sollte unbedingt dann Gebrauch gemacht werden, wenn für den Erblasser bei der Gestaltung der Verbleib des Unternehmens in der Familie im Vordergrund steht.

Gemäß § 2222 BGB kann der Erblasser die Nacherbentestamentsvollstreckung anordnen. Der Testamentsvollstrecker übt dann bis zum Eintritt des Nacherbfalls (oder bis zum Ablauf einer vom Erblasser abweichend bestimmten Frist, etwa Volljährigkeit des Nacherben) alle Rechte des Nacherben gegenüber dem Vorerben aus.

10.439

– Dies bietet sich gerade dann an, wenn der Nacherbe im Erbfall absehbar noch minderjährig ist. Gleiches gilt, wenn der Nacherbe noch nicht gezeugt sein wird oder seine Person erst durch ein künftiges Ereignis bestimmt ist („unbekannter Nacherbe“). Der Testamentsvollstrecker kann dann zum einen die Handlungsfähigkeit des Nacherben sicherstellen, dessen Mitwirkung gerade gegenüber dem nicht befreiten Vorerben auch vor dem Nacherbfall erforderlich sein kann (vgl. § 2120 BGB, Zustimmung zu Vorerbenverfügungen).2 Zum anderen kann er bis zum Nacherbfall eine wirksame Kontrolle des Vorerben sicherstellen. – Auch in Fällen des § 2338 BGB (verschwenderischer oder überschuldeter Vorerbe) sollte die Nacherbentestamentsvollstreckung zum Schutz des Nacherben in Betracht gezogen werden. Zuletzt kann der Vorerbe durch die Nacherbentestamentsvollstreckung vor ihm feindlich gesonnenen oder zerstrittenen Nacherben geschützt werden. – Besteht Konfliktpotential zwischen dem Vorerben und dem Nacherben, kann eine Nacherbentestamentsvollstreckung auch sinnvoll sein, um zu gewährleisten, dass die Zustimmung zu unternehmensbezogenen Maßnahmen wohlüberlegt und von wirtschaftlichen, statt von persönlichen Erwägungen geleitet wird. e) Vor- und Nachvermächtnis Je nach Einzelfall, sollte als Alternative zur Vor- und Nacherbschaft die Möglichkeit eines Vor- und Nachvermächtnisses, § 2191 BGB, nicht übersehen werden, im Rahmen dessen zwar kein automatischer Rechtsübergang im Erbfall erfolgt, das dafür aber auch keine vergleichbaren Beschränkungen des Vorvermächtnisnehmers kennt. 225/04, NJW-RR 2005, 1027. Nach a.A. soll bei Vorliegen von Ersatzerben sogar eine tatsächliche Vermutung für die Unvererblichkeit sprechen. BGH v. 14.2.1973 – IV ZR 125/71; OLG Hamm v. 18.2.2003 – 15 W 356/02, Rpfleger 2003, 436; Avenarius in Staudinger, § 2108 BGB Rz. 14 (Stand: 2013); Schmitz in Baumgärtel/Laumen/Prütting, Handbuch der Beweislast4, Rz. 2; Keim, NJWSpezial 2009, 399; Horn in Horn/Kroiß, Testamentsauslegung2, § 8 Rz. 188; OLG Schleswig v. 1.4.2010 – 3 Wx 80/09, ZEV 2010, 574 (576) m.Anm. C. Hartmann; Kummer in Prütting/Wegen/ Weinreich13, § 2108 BGB Rz. 6; Harder/Wegmann in Soergel13, § 2108 BGB Rz. 5. Vgl. zum Ganzen Müller-Christmann in BeckOGK, § 2108 BGB Rz. 13 (Stand: 15.1.2020). 1 Der Ausschluss der Vererblichkeit allein reicht nicht. Ist das unvererbliche Anwartschaftsrecht übertragen worden und stirbt der Vorerbe vor Eintritt des Nacherbfalls, realisiert sich das Anwartschaftsrecht aber nicht und der Erwerber geht leer aus. Müller-Christmann in BeckOGK, § 2108 BGB Rz. 38 (Stand: 15.1.2020); Lieder in MüKo8, § 2100 BGB Rz. 53. 2 Im Falle der Minderjährigkeit wird die (oft nicht zu erlangende, da für den Minderjährigen nachteilige) Genehmigung des Familiengerichtes (§§ 1821, 1822 BGB) bzw. Bestellung eines Ergänzungspflegers (insb. für Elternteil als Vorerbe, §§ 1629 Abs. 2 Satz 1, 1795 Abs. 2, 181 BGB) vermieden. Im Falle des unbekannten Nacherben wird die Unbekanntenpflegschaft nach § 1913 Satz 2 BGB verhindert.

Wenzel/Falkowski | 841

10.440

Kap. 10 Rz. 10.441 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

7. Teilungsanordnung 10.441

Der Erblasser kann Anordnungen dazu treffen, wie der Nachlass auseinanderzusetzen ist. Hierbei kann er insbesondere einzelnen Erben bestimmte Nachlassgegenstände durch Teilungsanordnung zuweisen. Gestaltungshinweis:

10.442

Im Unternehmensbereich ist der Eintritt einer Erbengemeinschaft in die Gesellschaft selten wünschenswert. Die Unternehmensführung kann durch die nicht für den Unternehmensbereich konzipierten und mit vielen Wertungsspielräumen versehenen Regeln der §§ 2038 ff. BGB erheblich beeinträchtigt werden. Auch eine komplizierte und langwierige Auseinandersetzung gem. §§ 2042 ff. BGB kann die Unternehmenskontinuität gefährden. Es sollte in solchen Fällen daher die Alleinerbenlösung in Erwägung gezogen werden.

10.443

Sollte der Erbe durch die Teilungsanordnung gegenüber seiner Erbquote wertmäßig bessergestellt werden, findet anders als beim (Voraus-)Vermächtnis ein Wertausgleich statt. Etwas Anderes gilt bei der sog. überquotalen Teilungsanordnung, die sich von der echten Teilungsanordnung dadurch unterscheidet, dass – insoweit die Erbquote überschritten wird – der Wertausgleich ausgeschlossen wird. Es handelt sich hierbei um eine Kombination aus Teilungsanordnung und Vorausvermächtnis.1

10.444

Probleme können spätere Wertverschiebungen der zugedachten Gegenstände bereiten, die vom Erblasser ungewollt zum Wegfall oder (bedeutsamer) zum Entstehen von Ausgleichsforderungen führen können. Besteht der Anteil des übervorteilten Miterben am Nachlass ausschließlich oder im Wesentlichen aus einem Unternehmen, so kann dies dessen Liquidität und damit Fortführung gefährden. Gestaltungshinweis:

10.445

Es versteht sich eigentlich von selbst, dass sich aus der letztwilligen Verfügung des Erblassers zunächst eindeutig ergeben sollte, ob eine Anrechnung auf die Erbquote gewollt ist oder nicht, d.h. ob eine Teilungsanordnung oder ein (Voraus-)Vermächtnis vorliegt. Zukünftigen Wertentwicklungen kann schon dadurch Rechnung getragen werden, dass bei der Zuteilung wertmäßig ein ausreichender Puffer zur voraussichtlichen Erbquote gelassen wird. Sicherer ist, die Ausgleichpflicht von vornherein auszuschließen ((Voraus-)Vermächtnis bzw. überquotale Teilungsanordnung). Auch kann der Erblasser den Wert der zugedachten Gegenstände durch Teilungsanordnung auch mit Wirkung für die Zukunft festsetzen bzw. deckeln.2

10.446

Stets zu beachten ist, dass die (echte) Teilungsanordnung nur schuldrechtliche Wirkung entfaltet und die Erben sich daher über diese grundsätzlich einvernehmlich hinwegsetzen können, auch wenn dies dem Erblasserwillen zuwiderläuft.3 Sollen die Erblasseranordnungen verbindlich gelten, muss auf Vermächtnis und Auflage zurückgegriffen4 oder die Einhaltung der Teilungsanordnung durch Testamentsvollstreckung gesichert werden.

10.447

Im Wege der (negativen) Teilungsanordnung kann auch vorgesehen werden, dass der Nachlass nicht bzw. auf bestimmte Zeit nicht auseinandergesetzt werden soll (Auseinandersetzungsverbot). Das Auseinandersetzungsverbot kann auch auf Teile des Nachlasses beschränkt werden. Auch das Auseinandersetzungsverbot kann durch Ausgestaltung als Vermächtnis 1 2 3 4

Uricher in Uricher, Erbrecht4, § 7 Rz. 147 ff. Bock in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2311 BGB Rz. 32. Ann in MüKo8, § 2048 BGB Rz. 9; Weidlich in Palandt79, § 2048 BGB Rz. 4. Beispiel bei Steinhauer in Scherer, Münch. Anwhdb. ErbR5, § 16 Rz. 34 f.

842 | Wenzel/Falkowski

F. Die letztwillige Verfügung des Unternehmers | Rz. 10.451 Kap. 10

(Recht, die Unterlassung der Auseinandersetzung von den Miterben zu verlangen) oder Auflage verbindlich ausgestaltet werden.1 Ist zweifelhaft, was der Erblasser wollte, ist sein Wille durch Auslegung zu ermitteln. Die Dauer des Auseinandersetzungsverbots ist auf maximal 30 Jahre beschränkt, § 2044 Abs. 2 Satz 1 BGB. Gestaltungshinweis: Auch das Auseinandersetzungsverbot sollte so ausgestaltet sein, dass sich eindeutig ergibt, ob es als bloße (negative) Teilungsanordnung, als Vermächtnis oder als Auflage gewollt ist.

10.448

Der Erblasser ist auch im Übrigen frei, die Verwaltung und Auseinandersetzung seines Nachlasses festzulegen. So kann er Erben das Recht einräumen Nachlassgegenstände unter Anrechnung eines bestimmten oder eines zu bestimmenden Wertes zu übernehmen (Übernahmerecht).2 Er kann auch die Art der Verwertung bestimmter Nachlassgegenstände abweichend von §§ 2042 ff. BGB festlegen oder welcher Erbe für bestimmte Nachlassverbindlichkeiten aufzukommen hat. Nach § 2048 Satz 2 BGB kann die Auseinandersetzung auch einem Dritten übertragen werden.

10.449

8. Umgang mit § 2306 BGB Die Anordnungen der Unternehmensnachfolge werden in aller Regel Bestimmungen enthalten, die einzelne Erben nach § 2306 BGB berechtigen, das Erbe auszuschlagen und ausnahmsweise dennoch den vollen Pflichtteil geltend zu machen. Dies gilt für die Nacherbeneinsetzung, Anordnung der Testamentsvollstreckung, Vermächtnisse und Auflagen sowie die Einsetzung als Nacherbe. Die Ausschlagung selbst kann dem Erben nicht verwehrt werden, so dass durch die Ausschlagung sorgsam austarierte Nachfolgekonzepte hinfällig werden können.

10.450

Gestaltungshinweis: Die Nachfolgekonzeption sollte durch Bereitstellen von Ersatz- bzw. Nacherben auch der Möglichkeit einer Ausschlagung Rechnung tragen. Die Ausschlagungsmöglichkeit selbst kann nicht abbedungen werden. Es können aber Vorkehrungen getroffen werden, die die Ausschlagung so unattraktiv wie möglich machen. Am sichersten ist hier der Pflichtteilsverzicht. Auch durch diverse Strafklauseln, die den Ausschlagenden für den Fall der Ausschlagung weiteren Nachteilen aussetzen, etwa ihn für den weiteren Erbfall des überlebenden Ehegatten auch von dieser Erbfolge ausschließen, können Ausschlagungen vermieden werden (s. hierzu Rz. 10.296). Zuletzt ist auf die socinische Klausel hinzuweisen. Durch diese wird der belastete Ausschlagende für den Fall seiner Ausschlagung (aufschiebend bedingt) erneut zum Erben eingesetzt und zwar mit einer Erbquote, die seinem Pflichtteil entspricht. Die Rechtsprechung hielt die Klausel unter § 2306 a.F. BGB für unzulässig.3 Da noch ungeklärt ist, inwieweit dies auch für § 2306 n.F. BGB gilt, sollte von dieser Gestaltung nur zurückhaltend Gebrauch gemacht werden.

1 Rißmann/Szalai in BeckOGK, § 2044 BGB Rz. 24 ff. (Stand: 1.4.2020). 2 S. zu diesem Steinhauer in Scherer, Münch. Anwhdb. ErbR5, § 16 Rz. 16 f. mit Muster. 3 Keim, NJW 2008, 2072 (2075); Otte in Staudinger, § 2306 BGB Rz. 36 f. (Stand: 2015); vgl. auch offenlassend Weidlich in Palandt79, § 2306 BGB Rz. 8.

Wenzel/Falkowski | 843

10.451

Kap. 10 Rz. 10.452 | Unternehmensnachfolge von Todes wegen

9. Rechtswahl 10.452

Ist der Unternehmer kein deutscher Staatsangehöriger oder hält er sich regelmäßig im Ausland auf, können sich Unklarheiten bezüglich des auf seine Nachfolge anwendbaren Rechts ergeben (ausführlich zur Reichweite des deutschen Erbrechts unter Rz. 5.1). Auch Widersprüche zwischen dem anwendbaren Gesellschafts- und dem anwendbaren Erbrecht sollten vermieden werden. Im Zuge seiner Nachfolgeplanung ist es daher für den Unternehmer unerlässlich, sich Klarheit darüber zu verschaffen, welches das auf seine Nachfolge anwendbare Erbrecht ist. In Europa bestimmt sich dies gem. Art. 21 Abs. 1 der EU-Erbrechtsverordnung1 (ErbRVO), laut dem sich die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen nach dem Recht des Staates richtet, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts sollte die mit der Erbsache befasste Behörde eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod und im Zeitpunkt seines Todes vornehmen und dabei alle relevanten Tatsachen berücksichtigen, insbesondere die Dauer und die Regelmäßigkeit des Aufenthalts des Erblassers in dem betreffenden Staat sowie die damit zusammenhängenden Umstände und Gründe. Der so bestimmte gewöhnliche Aufenthalt sollte unter Berücksichtigung der spezifischen Ziele dieser Verordnung eine besonders enge und feste Bindung zu dem betreffenden Staat erkennen lassen (vgl. Erwägungsgrund Nr. 23 der ErbRVO). Gemäß Art. 22 Abs. 1 ErbRVO kann eine Person allerdings für die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht des Staates wählen, dem sie im Zeitpunkt der Rechtswahl oder im Zeitpunkt ihres Todes angehört. Verbringt der Unternehmer daher viel Zeit im Ausland, bietet es sich an, eine Rechtswahl zugunsten des deutschen Erbrechts zu treffen.

1 Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.7.2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, ABl. EU L 201/107 vom 27.7.2012.

844 | Wenzel/Falkowski

3. Teil Unternehmensnachfolge unter Einbeziehung von Dritten Kapitel 11 Die Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge A. Rahmenbedingungen I. Motive für die Testamentsvollstreckung bei Unternehmensnachfolge 1. Unterteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schutz des Unternehmens . . . . . . . . 3. Schutz des Erben . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundlagen 1. Gesellschaftsrecht vs. Erbrecht . . . . 2. Arten der Testamentsvollstreckung a) Abwicklungsvollstreckung . . . . b) Auseinandersetzungsvollstreckung bei Miterben . . . . . . . . . . c) Verwaltungs- und Dauervollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsverhältnis zwischen Testamentsvollstrecker und Erbe . . . . . . . 4. Machtstellung des Testamentsvollstreckers a) Keine öffentliche Aufsicht . . . . b) Mittelbare Kontrolle durch Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Befugnisse bei Dauervollstreckung über Unternehmensbeteiligung . 5. Rolle des Nachlassgerichts . . . . . . . . III. Person des Testamentsvollstreckers 1. Auswahlkriterien . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anordnung und Ernennung . . . . . . 3. Mehrere Testamentsvollstrecker . . . 4. Ersatz und Nachfolge des Testamentsvollstreckers . . . . . . . . . . . . . . IV. Dauer der Testamentsvollstreckung 1. Beginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Maßnahmen für die Zeit zwischen Erbfall und Amtsbeginn . . . . . . . . . 3. Maximaldauer der Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Beendigung der Testamentsvollstreckung a) Gesetzliche Beendigungsgründe

11.1 11.2 11.5 11.7 11.10 11.14 11.18 11.22

V. 1. 2. B. I. 1.

11.25 11.26 11.27 11.28

2.

11.31 11.35 11.39 11.43 11.45 11.47 11.50 11.53

3.

b) Durch Vereinbarung zwischen Erbe und Testamentsvollstrecker? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.56 c) Entscheidung durch Dritte/Gremium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.57 d) Thesaurierung von Gewinnen/ Herauswachsen aus dem Nachlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.60 Kosten Gesetzliche Regelung . . . . . . . . . . . . 11.66 Gestaltung in der letztwilligen Verfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.70 Rechtsformübergreifende Gestaltungsfragen Grenzen der Befugnisse des Testamentsvollstreckers Erbrechtliche Schranken a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.72 b) Ordnungsgemäße Verwaltung . 11.74 c) Unentgeltliche Verfügungen . . 11.80 d) Begründung einer persönlichen Haftung der Erben . . . . . . . . . . 11.84 Gesellschaftsrechtliche Schranken a) Höchstpersönliche Rechte . . . . 11.88 b) Sonderrechte . . . . . . . . . . . . . . . 11.91 c) Kernbereichslehre aa) Ursprung: Gesellschaftsrechtlicher Minderheitenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.95 bb) Übertragung auf die Testamentsvollstreckung? . . . . . 11.98 cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.102 Erweiterung und Kontrolle der Macht des Testamentsvollstreckers a) Druckmittel auf den Erben durch den Erblasser aa) Überblick . . . . . . . . . . . . . . 11.103 bb) Auflage, Bedingung und Sanktion . . . . . . . . . . . . . . 11.104 cc) Sittenwidrigkeit? . . . . . . . . 11.108

Braeuer/Todorow | 845

Kap. 11 | Die Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge

II. 1. 2.

3. 4.

5.

6. 7. III. 1.

b) Einführung von Kontrollmechanismen durch den Erblasser aa) Beispiele . . . . . . . . . . . . . . 11.112 bb) Schuldrechtlich vs. dinglich wirkende Kontrolle . . . . . . 11.114 Umstrukturierung durch den Testamentsvollstrecker Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.115 Änderungen des Kapitals a) Rückzahlung der Kommanditeinlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.117 b) Erhöhung der Kommanditeinlage 11.118 c) Auszahlung des Stammkapitals der GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.121 d) Kapitalerhöhung bei der GmbH aa) Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln . . . . . . . . . . 11.123 bb) Erhöhung der Einlage des Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.124 cc) Ausfallhaftung nach § 24 GmbHG . . . . . . . . . . . . . . 11.128 dd) Zulässige Wege zur Kapitalerhöhung ohne Zustimmung des Erben . . . . . . . . 11.130 Begründung neuer Gesellschafterpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.133 Gründung einer neuen Gesellschaft a) Eingeschränkte Befugnis des Testamentsvollstreckers . . . . . . . . . 11.134 b) Personengesellschaft . . . . . . . . . 11.135 c) Gründung einer GmbH . . . . . . 11.138 d) Gründung einer AG . . . . . . . . . 11.143 Umwandlungen a) Von der Personengesellschaft zur Kapitalgesellschaft aa) Einlagenhaftung . . . . . . . . 11.144 bb) Kernbereich? . . . . . . . . . . . 11.149 b) Von der Kapitalgesellschaft zur Personengesellschaft . . . . . . . . . 11.152 c) Von einer Kapitalgesellschaft in eine andere Kapitalgesellschaft 11.154 d) Fortbestand der Testamentsvollstreckung nach Umwandlung . 11.158 Erwerb von Anteilen . . . . . . . . . . . . 11.161 Veräußerung von Anteilen . . . . . . . 11.163 Register- und grundbuchrechtliche Fragen Testamentsvollstreckervermerk im Handelsregister a) Abwicklungsvollstreckung . . . . 11.164 b) Dauervollstreckung über Kommanditanteil aa) Zulässigkeit der Eintragung 11.166

846 | Braeuer/Todorow

2.

3. IV. 1. 2. V. 1. 2. 3.

VI. 1. 2.

3. C. I. 1.

bb) Anmeldepflicht des Testamentsvollstreckers? . . . . . 11.167 c) Einzelkaufmann, persönlich haftende Anteile . . . . . . . . . . . . . . 11.170 d) Vollmacht und Treuhand aa) Vollmacht . . . . . . . . . . . . . 11.174 bb) Treuhand . . . . . . . . . . . . . 11.176 cc) Wer ist anmeldepflichtig? 11.177 e) Gesellschafterliste der GmbH . 11.179 f) Aktienregister . . . . . . . . . . . . . . 11.180 Wahrnehmung von Anmeldungen gegenüber dem Registergericht a) Abwicklungsvollstreckung . . . . 11.181 b) Dauervollstreckung . . . . . . . . . 11.183 Grundbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.185 Internationale Nachlässe Sonderstellung im internationalen Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.189 Folgerungen für die Gestaltung . . . 11.190 Interessenkollisionen in der Person des Testamentsvollstreckers § 181 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.192 Stimmverbot aus § 47 Abs. 4 GmbHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.194 Personenidentität mit gesetzlichem Vertreter oder Pfleger a) Gesetzlicher Vertreter als Testamentsvollstrecker . . . . . . . . . . . 11.197 b) Pfleger als Testamentsvollstrecker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.201 Testamentsvollstreckung und Betriebsaufspaltung Steuerlicher Hintergrund . . . . . . . . 11.206 Beendigung der Betriebsaufspaltung durch Testamentsvollstreckung? a) Synchrone Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.208 b) Asynchrone Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.210 Begründung einer Betriebsaufspaltung durch Testamentsvollstreckung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.214 Rechtsformabhängige Besonderheiten Einzelunternehmen Zulässige Arten der Testamentsvollstreckung a) Überblick aa) 3-Monats-Frist des § 27 Abs. 2 HGB bei Abwicklungsvollstreckung: Handelsrecht vs. Erbrecht . . . . 11.216

Die Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge | Kap. 11

2. 3.

4. II. 1. 2. 3. 4.

5. 6. 7.

bb) Persönliche Haftung des Testamentsvollstreckers nach Ablauf von drei Monaten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.220 cc) Empfehlung . . . . . . . . . . . . 11.225 b) Beaufsichtigende Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.227 c) Testamentsvollstreckung über einzelne Gegenstände des Betriebsvermögens . . . . . . . . . . . . 11.231 Unzulässigkeit der Dauervollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.233 Ersatzlösungen a) Treuhand aa) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.236 bb) Testamentsvollstrecker als Inhaber des Unternehmens 11.238 cc) Schwächen der Treuhandlösung . . . . . . . . . . . . . . . . 11.240 b) Vollmacht aa) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.245 bb) Wirksamkeit einer Auflage? 11.247 cc) Umfang der Vollmacht . . . 11.249 dd) Keine verdrängende Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.250 ee) Minderjährige Erben . . . . . 11.251 ff) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.254 c) Sonstige Ersatzlösungen aa) Verpachtung . . . . . . . . . . . 11.255 bb) Testamentsvollstrecker als Prokurist . . . . . . . . . . . . . . 11.258 Nichtkaufmännische Einzelunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.260 Personengesellschaft Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.263 Abwicklungsvollstreckung . . . . . . . . 11.264 Liquidationsgesellschaft . . . . . . . . . . 11.265 Dauervollstreckung . . . . . . . . . . . . . 11.269 a) Außenseite der Beteiligung . . . . 11.270 b) Innenseite der Beteiligung . . . . 11.273 c) Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.276 d) Ersatzlösungen . . . . . . . . . . . . . 11.277 e) Wahlrecht des Erben gem. § 139 HGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.278 Sonderbetriebsvermögen . . . . . . . . . 11.284 Zulässigkeit der Dauervollstreckung auf der Innenseite einer GbR? . . . . . 11.285 Kommanditanteil a) Dauervollstreckung zulässig . . . 11.287 b) Zustimmung der Mitgesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.289

III. 1. 2. 3. IV. V. 1. 2.

3. 4. 5. 6. D. I. II. 1. 2. 3. 4.

III. 1. 2. 3. 4.

c) Vererbung an einen Mitgesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.291 Kapitalgesellschaft Kein Haftungskonflikt . . . . . . . . . . . 11.296 GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.297 Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . 11.298 GmbH & Co. KG . . . . . . . . . . . . . . 11.299 Sonstige Gesellschaftstypen Stille Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . 11.300 Partnerschaft a) Partnerschaft ohne Haftungsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . 11.302 b) Partnerschaft mit beschränkter Berufshaftung . . . . . . . . . . . . . . 11.306 Genossenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 11.309 Verein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.312 Poolbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . 11.314 Stiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.317 Strukturelle Gestaltungsüberlegungen Umstrukturierung und Gesellschaftsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.321 Umwandlung des Unternehmens Bei Einzelunternehmen und persönlich haftenden Beteiligungen . . . . . . 11.322 Motive des Erblassers . . . . . . . . . . . 11.323 Umstrukturierung zu Lebzeiten oder auf den Erbfall? . . . . . . . . . . . . . . . . 11.327 Umstrukturierung auf den Erbfall a) Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.330 b) Besonderheiten aa) Obligatorisch vs. automatisch wirkende Umwandlungsklauseln . . . . . . . . . . . 11.333 bb) Auflage . . . . . . . . . . . . . . . 11.335 cc) Komplementär bei Umwandlung in einen Kommanditanteil . . . . . . . . . . . 11.336 Abstimmung mit dem Gesellschaftsvertrag Eintritts- oder Nachfolgeklausel bei Personengesellschaften . . . . . . . . . . 11.338 Zustimmung der übrigen Gesellschafter bei der Kommanditgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.341 Kapitalgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . 11.343 Bereinigung des Gesellschaftsvertrages um sonstige Hindernisse . . . . . . 11.344

Braeuer/Todorow | 847

Kap. 11 Rz. 11.1 | Die Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge

A. Rahmenbedingungen I. Motive für die Testamentsvollstreckung bei Unternehmensnachfolge 1. Unterteilung 11.1

Die Motive für die Testamentsvollstreckung bei Unternehmensnachfolge kann man unterteilen in solche zum Schutz des Unternehmens und solche zum Schutz des Erben.

2. Schutz des Unternehmens 11.2

Der Erbfall kann aus Sicht des Erblassers eine Gefahr für das Unternehmen darstellen. Das gilt zumal bei Miterben: Sind sie uneins, lähmt der Streit das Geschäft; sind sie einig, können sie sich über jede Anordnung des Erblassers hinwegsetzen. Den Erben mag auch unternehmerische Erfahrung und Sachkunde fehlen. Die Testamentsvollstreckung ermöglicht dagegen eine sachkundige, geordnete und dem Willen des Erblassers verpflichtete Fortführung des Unternehmens.

11.3

Das gilt natürlich in besonderem Maße bei minderjährigen Erben. Dort mag der Erblasser außerdem den Wunsch haben, das Unternehmen von Einflüssen des Familiengerichts freizuhalten. Anstelle des minderjährigen Erben üben die gesetzlichen Vertreter die Gesellschafterrechte aus. Dabei unterliegen sie der Kontrolle des Familiengerichts (§ 1643 BGB). Der Testamentsvollstrecker hingegen unterliegt einer solchen Kontrolle nicht. Die Testamentsvollstreckung verdrängt mithin familiengerichtliche Genehmigungsvorbehalte.1

11.4

Die Testamentsvollstreckung schützt das Unternehmen schließlich vor den Eigengläubigern des Erben. Ihnen ist der Vollstreckungszugriff auf das Unternehmen verwehrt. Gemäß § 2214 BGB können die Eigengläubiger des Erben nicht auf die der Verwaltung des Testamentsvollstreckers unterliegenden Nachlassgegenstände zugreifen.

3. Schutz des Erben 11.5

Ein Unternehmen fordert Verantwortung und birgt Haftungsrisiken. Der Erbe mag zu unreif oder aus Sicht des Erblassers überhaupt ungeeignet sein, sich dem zu stellen. Das gilt zumal bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften. Bei diesen haftet wie der Erblasser so der Erbe persönlich für die Verbindlichkeiten aus dem Unternehmen. Zum Schutz des Erben kann der Erblasser eine Testamentsvollstreckung in Erwägung ziehen und flankierend dazu die Umwandlung des Unternehmens in eine Rechtsform ohne persönliche Gesellschafterhaftung.

11.6

Die Testamentsvollstreckung ist schließlich erbschaftsteuerlich neutral. Damit ist sie für den Nachlass – also für die Erben – steuerlich vorteilhaft etwa gegenüber der Vor- und Nacherbschaft, die gerade bei langfristigen Testamentsvollstreckungen als mögliche Gestaltungsalternative in Frage kommen.

1 Reimann in Staudinger, vor §§ 2197 ff. BGB Rz. 41 f. (Stand: 2016); Reimann, ZEV 2014, 521 (523).

848 | Braeuer/Todorow

A. Rahmenbedingungen | Rz. 11.11 Kap. 11

II. Grundlagen 1. Gesellschaftsrecht vs. Erbrecht Die Testamentsvollstreckung über Unternehmensanteile liegt im „juristisch verminten“1 Grenzgebiet zwischen Gesellschaftsrecht und Erbrecht. Inhaberschaft und Ausübung der Gesellschafterrechte fallen auseinander. Der Testamentsvollstrecker einerseits ist Träger eines privaten Amtes, das ihm vom Erblasser übertragen ist (herrschende Amtstheorie). Dieses übt er kraft eigenen Rechtes und im eigenen Namen im Rahmen der letztwilligen Anordnung des Erblassers aus, also unabhängig vom Willen des Erben2. Der Erbe unterdessen ist Eigentümer der zum Nachlass gehörenden Gegenstände und Träger der in den Nachlass fallenden Rechte. Die Verfügungsbefugnis ist dem Erben durch diejenige des Testamentsvollstreckers entzogen (§ 2211 BGB).

11.7

Der Erbe wird mithin Inhaber des Unternehmens bzw. Gesellschafter, der Testamentsvollstrecker übt die daraus fließenden Rechte aus. Man spürt bei dieser Aussage sofort die rechtliche Spannung, die sich aus dem Aufeinandertreffen von Gesellschaftsrecht und Erbrecht ergibt:

11.8

– Der Gesellschafter haftet je nach Art der Gesellschaft persönlich unbeschränkt, während der Testamentsvollstrecker den Erben zwar persönlich verpflichten (§ 2206 BGB), dieser aber die Haftung auf den Nachlass beschränken kann (§§ 1975 ff. BGB). – Gesellschaften sind je nach Art des Zusammenschlusses stark personalistisch geprägt. Mitgesellschaftern mag es unzumutbar sein, wenn ohne ihre Zustimmung ein Fremder (Testamentsvollstrecker) an den Gesellschafterversammlungen teilnimmt und die Gesellschafterrechte ausübt. – Es gibt höchstpersönliche Gesellschafterrechte, die ein Gesellschafter nur selbst ausüben kann. Dieser Konflikt zwischen Gesellschafts- und Erbrecht beschäftigt nicht nur Rechtsprechung und wissenschaftliche Diskussion, sondern prägt unweigerlich auch die Gestaltungspraxis der Testamentsvollstreckung bei Unternehmensnachfolge. Er wird auf den nächsten Seiten immer wieder auftauchen.

11.9

2. Arten der Testamentsvollstreckung a) Abwicklungsvollstreckung Das Gesetz kennt drei Arten der Testamentsvollstreckung: Die Abwicklungsvollstreckung (§ 2203 BGB), die Auseinandersetzungsvollstreckung (§ 2204 BGB) und die Verwaltungsvollstreckung (§ 2209 BGB).

11.10

Bei der Abwicklungsvollstreckung besteht die Aufgabe des Testamentsvollstreckers darin, durch die Abwicklung des Nachlasses den vom Erblasser gewünschten Endzustand des Vermögens herbeizuführen. Der Testamentsvollstrecker hat die Anordnungen des Erblassers auszuführen, die Nachlassverbindlichkeiten zu begleichen und den überschießenden Teil des Nachlassmögens an die Erben auszukehren.3 Das Gesetz kennt keine Höchstdauer für die Ab-

11.11

1 Reimann, Testamentsvollstreckung in der Wirtschaftsrechtspraxis3, Rz. 35. 2 Weidlich in Palandt79, Einf. v. § 2197 BGB Rz. 2. 3 Zimmermann in MüKo8, § 2203 BGB Rz. 5.

Braeuer/Todorow | 849

Kap. 11 Rz. 11.11 | Die Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge

wicklungsvollstreckung. Der Testamentsvollstrecker darf die Nachlassabwicklung aber nicht unnötig verzögern. Sonst kommt ein Entlassungsantrag nach § 2227 in Betracht.1

11.12

Der Erblasser kann Einzelheiten der Abwicklung gestalten. Nur zwei Beispiele: Der Erblasser kann in der letztwilligen Verfügung anordnen, dass der Testamentsvollstrecker einen bestimmten Teil des Jahresgewinns zur Erfüllung von Vermächtnissen zu verwenden hat. Der Erblasser kann den Testamentsvollstrecker auch mit der Aufgabe betrauen, zu einem bestimmten Zeitpunkt zu entscheiden, welche Person (z.B. aus dem Familienkreis) die Leitung des Unternehmens fortan übernehmen soll.2

11.13

Ist der Wille des Erblassers hingegen auf Fortführung des Unternehmens durch den Testamentsvollstrecker gerichtet, genügt die reine Abwicklungsvollstreckung nicht. Der Erblasser muss Verwaltungsvollstreckung anordnen. b) Auseinandersetzungsvollstreckung bei Miterben

11.14

Dem Testamentsvollstrecker obliegt die Auseinandersetzung des Nachlasses unter Miterben. Das gilt auch für Unternehmen und Gesellschaftsbeteiligungen im Nachlass. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Kapital- und Personengesellschaften.

11.15

Bei Kapitalgesellschaften gelten keine Besonderheiten gegenüber anderen Nachlassgegenständen. Die Gesamtrechtsnachfolge nach § 1922 BGB umfasst auch die Anteile an einer Kapitalgesellschaft. Miterben halten die vererbten Gesellschaftsanteile in Erbengemeinschaft. Diese hat der Testamentsvollstrecker auseinanderzusetzen.

11.16

Miterben eines Einzelunternehmens führen das Unternehmen als ungeteilte Erbengemeinschaft weiter. Die Erbengemeinschaft bleibt solange Unternehmensträger, bis sie auseinandergesetzt oder das Unternehmen in eine Handelsgesellschaft überführt ist.3 Bei Testamentsvollstreckungen obliegt diese Auseinandersetzung dem Testamentsvollstrecker. Es liegt nahe, dass der Erblasser Anordnungen dazu trifft, ob der Testamentsvollstrecker die Erbengemeinschaft auseinandersetzen oder das Unternehmen in eine Personengesellschaft überführen soll.

11.17

Bei Personengesellschaften spielt die Auseinandersetzungsvollstreckung dagegen keine Rolle. Dort tritt für jeden Erben Sonder- und Nebenerbfolge nach der jeweiligen Erbquote ein.4 Einer Auseinandersetzung unter den Miterben bedarf es nicht. c) Verwaltungs- und Dauervollstreckung

11.18

Soll der Testamentsvollstrecker nach dem Willen des Erblassers das Unternehmen auf längere Zeit anstelle der Erben fortführen, ist Verwaltungsvollstreckung gewollt. § 2209 BGB unterscheidet zwei Arten der Verwaltungsvollstreckung:

11.19

Die Verwaltungsvollstreckung im engeren Sinne: Bei ihr weist der Erblasser dem Testamentsvollstrecker überhaupt keine anderen Aufgaben zu als die Verwaltung des Nachlasses.

1 2 3 4

Zimmermann in MüKo8, § 2203 BGB Rz. 5. Reimann, Testamentsvollstreckung in der Wirtschaftsrechtspraxis3, Rz. 50. Häublein/Hoffmann-Theinert in BeckOK, § 22 HGB Rz. 17 (Stand: 15.4.2020). BGH v. 22.11.1956 – II ZR 222/55, BGHZ 22, 186; BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225.

850 | Braeuer/Todorow

A. Rahmenbedingungen | Rz. 11.25 Kap. 11

Die Dauervollstreckung: Sie durchbricht den Grundsatz, dass die Testamentsvollstreckung mit der Erledigung der Abwicklungsaufgaben endigt. Stattdessen dauert die Testamentsvollstreckung in der Gestalt der Verwaltung fort.

11.20

Die Dauervollstreckung ist die typische Einsatzform der Testamentsvollstreckung bei Unternehmensnachfolge. Sie unterscheidet sich deutlich von der Verwaltung im Rahmen der Abwicklungsvollstreckung. Bei letzterer sind lediglich die laufenden Geschäfte abzuwickeln und der Nachlass dann an den Erben herauszugeben oder unter mehreren Erben zu verteilen. Dagegen zielt die Dauervollstreckung auf die Nutzbarmachung des verwalteten Vermögens und auf die Erzielung von Erträgen1.

11.21

3. Rechtsverhältnis zwischen Testamentsvollstrecker und Erbe Zwischen Testamentsvollstrecker und Erbe besteht ein gesetzliches Schuldverhältnis.2 Es richtet sich nach denjenigen Vorschriften des Auftragsrechts, auf die § 2218 BGB verweist. Der Testamentsvollstrecker hat gegenüber den Erben folgende Rechte: Die Herausgabe des Nachlasses (§ 2205 Satz 1 BGB), Ersatz seiner notwendigen Aufwendungen (§§ 2218, 670 BGB) und die Zahlung einer angemessenen Vergütung (§ 2221 BGB). Die Pflichten des Testamentsvollstreckers gegenüber dem Erben ergeben sich aus den §§ 2215–2219 BGB. Sie sind gem. § 2220 BGB zwingend. Der Erblasser kann den Testamentsvollstrecker davon nicht in der letztwilligen Verfügung befreien.

11.22

Das Gesetz steckt das Verhältnis von Testamentsvollstrecker und Erben damit nur in groben Zügen ab. Gerade bei Unternehmensnachfolge wird empfohlen, dieses Verhältnis in der letztwilligen Verfügung mit vertrauensbildenden Maßnahmen zu verbessern. In Betracht kommen die Konkretisierung der regelmäßigen Informationspflichten des Testamentsvollstreckers – ohne ihn andererseits damit zu lähmen – und die Anordnung, jährlich Gewinne des Unternehmens nach bestimmten Parametern an die Erben abzuführen.3

11.23

Wohlgemerkt findet auch eine solche Anweisung des Erblassers ihre Grenze in dem Grundsatz ordnungsgemäßer Verwaltung (§ 2216 Abs. 1 BGB). Widerspricht die Auskehr von Gewinnen der ordnungsgemäßen Verwaltung des Unternehmens – etwa wegen notwendiger Investitionen oder Rücklagenbildung –, darf der Testamentsvollstrecker die Gewinne nicht an die Erben herausgeben.4

11.24

4. Machtstellung des Testamentsvollstreckers a) Keine öffentliche Aufsicht

Der Testamentsvollstrecker hat eine einzigartige Machtstellung. Er unterliegt keiner öffentlichen Aufsicht. Damit unterscheidet er sich deutlich von den anderen „Verwaltern“, also dem Insolvenzverwalter, Zwangsverwalter und Nachlassverwalter. Diese bestellt das Gericht und stehen unter dessen Aufsicht. Gleiches gilt für Vormund und Betreuer. Sogar die Eltern eines minderjährigen Kindes unterliegen einer gerichtlichen Kontrolle (§ 1643 BGB). Diese Kontrollinstanz fehlt beim Testamentsvollstrecker selbst dann, wenn der Erbe minderjährig ist.5 1 2 3 4 5

Reimann, Testamentsvollstreckung in der Wirtschaftsrechtspraxis3, Rz. 74. Zimmermann in MüKo8, vor § 2197 BGB Rz. 6. Reimann, Testamentsvollstreckung in der Wirtschaftsrechtspraxis3, Rz. 113 ff. Reimann, Testamentsvollstreckung in der Wirtschaftsrechtspraxis3, Rz. 115. Reimann, Testamentsvollstreckung in der Wirtschaftsrechtspraxis3, Rz. 118.

Braeuer/Todorow | 851

11.25

Kap. 11 Rz. 11.26 | Die Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge

b) Mittelbare Kontrolle durch Haftung

11.26

Der Testamentsvollstrecker unterliegt nach dem Gesetz lediglich mittelbar einer Kontrolle durch das Haftungsrisiko, wenn er seine gesetzlichen Pflichten missachtet. Die wichtigsten Vorgaben sind das Verbot unentgeltlicher Verfügung (§ 2207 BGB) und die Pflicht zur ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses (§ 2216 BGB). Innerhalb dieses weiten Rahmens kann der Testamentsvollstrecker schalten und walten.

11.27

Die Machtfülle des Testamentsvollstreckers zeigt sich gerade bei Unternehmensbeteiligungen. Hat der Erblasser Dauervollstreckung angeordnet und ist sie zulässig – also vor allem bei Kommanditanteilen (dazu Rz. 11.287 ff.) und Kapitalgesellschaften (dazu Rz. 11.296 ff.) –, ist der Gesellschafter-Erbe von der Wahrnehmung seiner Mitgliedschaftsrechte ausgeschlossen. Der Testamentsvollstrecker nimmt sämtliche Gesellschafterrechte wahr.1 Ihm stehen damit das Stimmrecht sowie die mit dem Stimmrecht verbundenen Verfahrensrechte zu, also auch das Recht zur Einberufung von Gesellschafterversammlungen, das Teilnahmerecht und das Antragsrecht, außerdem das Gewinnrecht, das Kündigungsrecht und die Informationsrechte.2

c) Befugnisse bei Dauervollstreckung über Unternehmensbeteiligung

5. Rolle des Nachlassgerichts 11.28

Das Nachlassgericht spielt bei der Testamentsvollstreckung nur eine Nebenrolle. Der Testamentsvollstrecker unterliegt nicht der Aufsicht des Nachlassgerichts. Nur auf Bitte des Erblassers ernennt das Nachlassgericht den Testamentsvollstrecker (§ 2200 BGB). Es darf Anordnungen des Erblassers gem. § 2216 Abs. 2 BGB nur außer Kraft setzen, wenn ihre Befolgung den Nachlass erheblich gefährden würde. Schließlich kann es den Testamentsvollstrecker gem. § 2227 BGB auf Antrag eines Beteiligten entlassen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Im Übrigen kann das Nachlassgericht nicht in die Amtsführung des Testamentsvollstreckers eingreifen.3 Es ist auch nicht befugt, Amtshandlungen des Testamentsvollstreckers etwa durch einstweilige Anordnung zu unterbinden.4

11.29

Das gilt selbst dann, wenn der Erblasser in der letztwilligen Verfügung gerichtliche Eingriffsrechte vorgesehen hätte. Der Aufgabenkreis des Nachlassgerichts beruht auf Gesetz. Der Erblasser kann ihn in der letztwilligen Verfügung nicht erweitern. Eine solche Anordnung wäre unwirksam.5

11.30

Die untergeordnete Rolle des Nachlassgerichts ist ein Aspekt, der gerade bei der Unternehmensnachfolge von Bedeutung sein mag. Der scheue Familienunternehmer etwa wird sich sorgen, das Nachlassgericht könne während der Testamentsvollstreckung in die Belange des Unternehmens hineinreden. Die Sorge ist unbegründet. Das Nachlassgericht hat keine Überwachungs- und Kontrollfunktion gegenüber dem Testamentsvollstrecker.

1 2 3 4 5

Nieder/Kössinger, Handbuch der Testamentsgestaltung5, § 15 Rz. 141. Kämper, RNotZ 2016, 625 (636). Reimann, Testamentsvollstreckung in der Wirtschaftsrechtspraxis3, Rz. 129 f. Reimann, Testamentsvollstreckung in der Wirtschaftsrechtspraxis3, Rz. 129 f. Reimann in Staudinger, § 2208 BGB Rz. 25 f. (Stand: 2016).

852 | Braeuer/Todorow

A. Rahmenbedingungen | Rz. 11.36 Kap. 11

III. Person des Testamentsvollstreckers 1. Auswahlkriterien Der Testamentsvollstrecker sollte über unternehmerische Erfahrung sowie Akzeptanz bei den Nachlassbeteiligten verfügen. Schon aus diesem Grund ist es in der Regel nicht ratsam, die Bestimmung des Testamentsvollstreckers gem. § 2200 BGB dem Nachlassgericht zu überlassen. Der Erblasser sollte die Bestimmung der Person im Testament selbst vornehmen.

11.31

Eine Testamentsvollstreckung an einer Unternehmensbeteiligung stellt die folgenden persönlichen und fachlichen Anforderungen:

11.32

In persönlicher Hinsicht sollte der Testamentsvollstrecker das volle Vertrauen des Erblassers genießen. Eine gewisse Nähe zur Familie des Erblassers, jedenfalls die Kenntnis familiärer Zusammenhänge und Spannungen sind von Vorteil. Erben handeln nicht immer rational, zumal wenn sie sich vom Erblasser zurückgesetzt fühlen und ihnen ein Testamentsvollstrecker „vorgesetzt“ worden ist, der Aufgaben übernimmt, die sie eigentlich lieber selbst wahrnähmen. Der Testamentsvollstrecker benötigt Souveränität und Persönlichkeit, um sein mitunter konfliktbeladenes Amt mit kühlem Kopf und ruhiger Hand zu führen. Schließlich sollte der Testamentsvollstrecker ein Alter haben, das die Aufgabenerfüllung während der gesamten Dauer der Testamentsvollstreckung erwarten lässt.1

11.33

In fachlicher Hinsicht benötigt der Testamentsvollstrecker unternehmerische Qualitäten. Er muss das Unternehmen und den Markt, auf dem es tätig ist, verstehen. Die Anforderungen unterscheiden sich von herkömmlichen Nachlässen. Während im privaten Bereich eher konservatives, „mündelsicheres“ Handeln des Testamentsvollstreckers erwartet wird, ist im unternehmerischen Bereich der „dynamische“ Testamentsvollstrecker gefragt.2 Er muss die Entscheidungen im Unternehmen entweder selbst treffen oder als Gesellschafter an ihnen mitwirken, seien es Entscheidungen über Investitionen, Kreditaufbau oder Schuldentilgung, Geschäftsentwicklung etc.

11.34

2. Anordnung und Ernennung Zu unterscheiden sind die Anordnung der Testamentsvollstreckung und die Ernennung des Testamentsvollstreckers. Meist fallen sie in einem Akt zusammen; aber das ist nicht zwingend:3 Die Anordnung der Testamentsvollstreckung muss gem. § 2065 BGB durch den Erblasser selbst erfolgen. Die Ernennung der Person des Testamentsvollstreckers kann der Erblasser hingegen einem Dritten überlassen (§§ 2198–2200 BGB).

11.35

Anordnung und Ernennung geschehen durch letztwillige Verfügung (§ 2197 BGB). Darin liegt eine praktische Falle: Bei der Gestaltung der Unternehmensnachfolge kommt neben der letztwilligen Verfügung dem Gesellschaftsvertrag eine wichtige Rolle zu (dazu Rz. 11.338 ff.). Der Gesellschaftsvertrag mag sich zur Testamentsvollstreckung verhalten, etwa zu erforderlichen Zustimmungen der Mitgesellschafter. Aber Anordnung der Testamentsvollstreckung und Ernennung des Testamentsvollstreckers müssen in der letztwilligen Verfügung erfolgen. Eine Bestimmung im Gesellschaftsvertrag genügt nicht; sie wäre unwirksam.

11.36

1 Reimann, Testamentsvollstreckung in der Wirtschaftsrechtspraxis3, Rz. 145. 2 Reimann, Testamentsvollstreckung in der Wirtschaftsrechtspraxis3, Rz. 28. 3 Reimann, Testamentsvollstreckung in der Wirtschaftsrechtspraxis3, Rz. 148.

Braeuer/Todorow | 853

Kap. 11 Rz. 11.37 | Die Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge

11.37

Meist wird der Erblasser in der letztwilligen Verfügung bereits selbst die Person des Testamentsvollstreckers bestimmen. Nahe liegt auch, dass sich der Erblasser bereits zu Lebzeiten mit dem Testamentsvollstrecker über dessen künftige Aufgabe abstimmt.

11.38

Der Erblasser kann die Bestimmung der Person des Testamentsvollstreckers Dritten, ja sogar den Erben überlassen, oder ihnen eine Liste von Personen vorgeben, aus denen die Erben die Person des Testamentsvollstreckers nach einem vom Erblasser bestimmten Mehrheitsprinzip wählen. Ultima ratio ist die Bestimmung des Testamentsvollstreckers durch das Nachlassgericht (§ 2200 BGB).

3. Mehrere Testamentsvollstrecker 11.39

In Betracht kommt die Ernennung mehrerer Testamentsvollstrecker. Im unternehmerischen Bereich kann dies geboten sein, um Fachleute unterschiedlicher Provenienz in verschiedenen Sachgebieten des Unternehmens und auch zur gegenseitigen Kontrolle einzusetzen.1 Dabei kann der Erblasser den „Haupt“-Testamentsvollstrecker ermächtigen, einen oder mehrere Mitvollstrecker zu ernennen (§ 2199 BGB).

11.40

Mehrere Testamentsvollstrecker führen das Amt grundsätzlich gemeinschaftlich (§ 2224 BGB, zu einer Ausnahme Rz. 11.42). Sie haften dem Erben als Gesamtschuldner, wobei das Verschulden des einen den anderen nicht zugerechnet wird, sondern jeden ein eigenes Verschulden treffen muss (§ 2219 Abs. 2 BGB). Dabei genügt Überwachungsverschulden.2

11.41

Der Erblasser sollte bei mehreren gemeinschaftlichen Testamentsvollstreckern nicht vergessen, Regelungen zur Entscheidungsfindung zu treffen, etwa zu Stimmenmehrheiten oder zur Einsetzung eines Schiedsrichters für Meinungsverschiedenheiten. Abzuwägen ist bei alldem freilich die Gefahr, unternehmerisch notwendige Entscheidungen durch Einsetzung zu vieler Entscheidungsträger zu blockieren.

11.42

Der Erblasser kann statt einer gemeinschaftlichen Amtsführung je eigene Wirkungskreise bestimmen, innerhalb derer der jeweilige Testamentsvollstrecker selbständig ohne Mitwirkung der anderen handelt. Dann spricht man von Nebenvollstreckern.3 Die Ernennung eines Nebentestamentsvollstreckers bietet sich auch an, um bestimmte Interessenkollisionen in der Person des eigentlichen Testamentsvollstreckers aufzufangen (dazu Rz. 11.200).

4. Ersatz und Nachfolge des Testamentsvollstreckers 11.43

In Ausnahmefällen mag die Anordnung der Testamentsvollstreckung als solche mit der Person des Testamentsvollstreckers stehen und fallen. Rechtstechnisch steht die Anordnung der Testamentsvollstreckung dann unter der Bedingung, dass die Person des ernannten Testamentsvollstreckers das Amt annimmt.

11.44

Außerhalb dieses Falles sollte die letztwillige Verfügung Bestimmungen über Ersatz und Nachfolge der Testamentsvollstrecker vorsehen.4 Sonst herrscht bei Wegfall des Testamentsvollstreckers Unklarheit. Fehlt es in der letztwilligen Verfügung an einer Regelung, ist nicht ohne weiteres von einem Nachfolge-Bestimmungsrecht des Nachlassgerichts auszugehen. 1 2 3 4

Reimann, Testamentsvollstreckung in der Wirtschaftsrechtspraxis3, Rz. 215. Zimmermann in MüKo8, § 2219 BGB Rz. 5. Zimmermann, Testamentsvollstreckung4, Rz. 203. Reimann, Testamentsvollstreckung in der Wirtschaftsrechtspraxis3, Rz. 159.

854 | Braeuer/Todorow

A. Rahmenbedingungen | Rz. 11.49 Kap. 11

Vielmehr ist anhand der Gesamtheit der testamentarischen Verfügungen zu ermitteln, ob es dem Erblasser gerade auf die ernannte Person ankam, oder ob die Testamentsvollstreckung von einer anderen Person (fort-)geführt werden soll.1Gerade bei der Unternehmensnachfolge, in deren Zuge jederzeit wichtige unternehmerische Entscheidungen anstehen können, ist eine solche „Hängepartie“ möglichst zu vermeiden.

IV. Dauer der Testamentsvollstreckung 1. Beginn Gemäß § 2202 BGB beginnt das Amt des Testamentsvollstreckers mit dem Zeitpunkt, in welchem der Ernannte das Amt annimmt. Die Testamentsvollstreckung beginnt also nicht etwa schon mit dem Erbfall. Die Annahmeerklärung erfolgt gegenüber dem Nachlassgericht nach dem Eintritt des Erbfalls (§ 2202 Abs. 2 BGB). Eine Annahmeerklärung zu Lebzeiten des Erblassers bedingt durch den Erbfall ist gem. § 2202 Abs. 2 Satz 2 BGB unwirksam. Es liegt also zwangsläufig eine mehr oder weniger lange Schwebezeit zwischen Erbfall und Beginn der Testamentsvollstreckung.

11.45

Dagegen haben die Annahme der Erbschaft durch die Erben und eine Testamentseröffnung keine Bedeutung für den Beginn der Testamentsvollstreckung. Der Testamentsvollstrecker kann das Amt vorher annehmen.2

11.46

2. Maßnahmen für die Zeit zwischen Erbfall und Amtsbeginn Rechtsgeschäfte des Testamentsvollstreckers vor Amtsbeginn sind gem. §§ 177, 180 BGB schwebend unwirksam. Der Testamentsvollstrecker kann sie nach Annahme des Amtes genehmigen.3 Dagegen ist die Genehmigung des Erben zu einem vor Amtsbeginn vorgenommenem Rechtsgeschäft ohne Wirkung.4 Denn gem. § 2211 BGB fehlt dem Erben die Verfügungsbefugnis über den der Testamentsvollstreckung unterliegenden Nachlassgegenstand; dies gilt auch schon vor Beginn der Testamentsvollstreckung.5

11.47

Vor diesem Hintergrund sollte die letztwillige Verfügung Vorsorge treffen für die Schwebezeit zwischen Erbfall und Amtsbeginn. Der Beginn der Testamentsvollstreckung kann sich hinauszögern. Unterdessen können wichtige unternehmerische Entscheidungen anstehen oder Verträge mit Geschäftspartnern zu schließen sein, um Geschäftschancen zu wahren. Die Schwebezeit kann also Fortgang und Wohl des Unternehmens gefährden.

11.48

In Betracht kommt eine post- oder transmortale Vollmacht. Diese wirkt über den Tod hinaus, jene entfaltet mit dem Tod Wirkung.6 Bevollmächtigte können der künftige Testamentsvollstrecker oder eine andere Vertrauensperson des Erblassers sein.7 Den Widerruf der Vollmacht durch die Erben kann der Erblasser durch eine entsprechende Auflage in der letztwilligen Verfügung abwehren.8

11.49

1 2 3 4 5 6 7 8

Weidlich in Palandt79, § 2200 BGB Rz. 2. Weidlich in Palandt79, § 2202 BGB Rz. 1. Weidlich in Palandt79, § 2202 BGB Rz. 1. Reimann, Testamentsvollstreckung in der Wirtschaftsrechtspraxis3, Rz. 272. Weidlich in Palandt79, § 2211 BGB Rz. 2. Schubert in MüKo8, § 168 BGB Rz. 39; Werner, ZErb 2019, 137. Reimann, Testamentsvollstreckung in der Wirtschaftsrechtspraxis3, Rz. 274. Reimann, Testamentsvollstreckung in der Wirtschaftsrechtspraxis3, Rz. 274.

Braeuer/Todorow | 855

Kap. 11 Rz. 11.50 | Die Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge

3. Maximaldauer der Testamentsvollstreckung 11.50

§ 2210 Satz 1 BGB befristet die Verwaltungsvollstreckung auf maximal 30 Jahre. § 2210 Satz 2 BGB gibt dem Erblasser indes – vergleichbar mit § 2109 BGB bei der Vor- und Nacherbschaft – die Möglichkeit, die 30-Jahres-Frist noch zu verlängern.1 Die Testamentsvollstreckung kann dann lebenslang bis zum Tode des Erben andauern, oder sogar noch darüber hinaus, indem der Erblasser eine sog. „gestaffelte“ Testamentsvollstreckung anordnet, die erst mit dem Tod desjenigen Testamentsvollstreckers endet, der noch vor Ablauf der 30-Jahres Frist ernannt wurde.2

11.51

Eine sehr lange Dauer der Testamentsvollstreckung wird in den seltensten Fällen sinnvoll sein. Es ist für den Berater in der Praxis wichtig, dem Erblasser deutlich das Pflichtteilsrisiko vor Augen zu führen. Die Anordnung der Testamentsvollstreckung berechtigt den gesetzlichen Erben gem. § 2306 BGB dazu, das Erbe auszuschlagen und den Pflichtteil zu verlangen. Je länger der Erblasser die Dauer der Testamentsvollstreckung bestimmt, desto größer ist dieses Risiko.

11.52

Schwebt dem Erblasser eine sehr langfristige Bindung vor, sollte der Berater ohnehin ausloten, ob nicht andere Gestaltungen besser passen. Alternativen zur langdauernden Testamentsvollstreckung über eine Unternehmensbeteiligung sind die Vor- und Nacherbschaft oder auch eine Stiftung.3

4. Beendigung der Testamentsvollstreckung a) Gesetzliche Beendigungsgründe

11.53

Zu unterscheiden ist zwischen dem Ende der Testamentsvollstreckung insgesamt und dem Ende nur des konkreten Testamentsvollstreckeramts.4

11.54

Die Dauervollstreckung insgesamt endet kraft Gesetzes mit Ablauf der Maximalfrist des § 2210 BGB. Daneben regelt das Gesetz in den §§ 2225 bis 2227 BGB, wann das konkrete Amt des Testamentsvollstreckers vorzeitig endet: Versterben des Testamentsvollstreckers, Unwirksamkeit der Ernennung, Kündigung durch den Testamentsvollstrecker und Entlassung des Testamentsvollstreckers durch das Nachlassgericht. Die Testamentsvollstreckung insgesamt dauert in diesen Fällen indes fort. Anders ist es nur, wenn sich aus der letztwilligen Verfügung ausdrücklich oder konkludent ergibt, dass die Testamentsvollstreckung mit dem Ausscheiden des konkreten Testamentsvollstreckers enden soll.5

11.55

Für den Fall, dass der vom Erblasser ernannte Testamentsvollstrecker aus dem Amt ausscheidet, sollte der Erblasser in der letztwilligen Verfügung eine klare Ersatzlösung vorsehen. Andernfalls droht dem Unternehmen eine streitbehaftete Hängepartie. b) Durch Vereinbarung zwischen Erbe und Testamentsvollstrecker?

11.56

Eine Vereinbarung zwischen Erben und Testamentsvollstrecker kann die Testamentsvollstreckung insgesamt nicht wirksam beenden.6 Der Wille des Erblassers setzt sich durch, wenn 1 2 3 4 5 6

Edenhofer, DNotZ 2003, 4. Weidlich in Palandt79, § 2210 BGB Rz. 4. Reimann, GmbHR 2011, 1297 (1305). Reimann, NJW 2005, 789. Reimann, NJW 2005, 789 (790). Weidlich in Palandt79, § 2225 BGB Rz. 4.

856 | Braeuer/Todorow

A. Rahmenbedingungen | Rz. 11.62 Kap. 11

sich aus der letztwilligen Verfügung ausdrücklich oder konkludent ergibt, dass bei Ausscheiden des konkreten Testamentsvollstreckers ein Nachfolger zu ernennen ist.1 c) Entscheidung durch Dritte/Gremium Bei langfristiger Dauertestamentsvollstreckung wird der Erblasser möglicherweise das Anliegen haben, das Ende der Testamentsvollstreckung durch einen Dritten bestimmen zu lassen, etwa den Testamentsvollstrecker selbst oder ein Gremium.

11.57

Bei der Umsetzung eines solchen Anliegens ist Vorsicht geboten. Es ist unklar, ob der Erblasser eine solche Anordnung wirksam treffen kann. Sie steht im Konflikt mit § 2065 Abs. 1 BGB. Demnach kann der Erblasser eine letztwillige Verfügung nicht in der Weise treffen, dass ein anderer zu bestimmen hat, ob sie gelten soll oder nicht. Der Erblasser darf die Geltungsdauer seiner letztwilligen Verfügung nicht in das freie Ermessen eines Dritten stellen.2 Andererseits soll eine solche Bestimmung unter der Voraussetzung wirksam sein, dass die Erhaltung des Nachlassvermögens gesichert und der Erblasser die Entscheidungskriterien selbst hinreichend bestimmt hat.3

11.58

Bei der Gestaltung der letztwilligen Verfügung ist daher darauf zu achten, dass die Entscheidungskriterien so präzise wie möglich formuliert sind.4 Mit Blick auf § 2065 BGB bleibt indes ein Restrisiko, dass die Anordnung unwirksam ist. Deshalb sollte vorsorglich eine passende Ersatzlösung für den Fall der Unwirksamkeit geregelt werden.

11.59

d) Thesaurierung von Gewinnen/Herauswachsen aus dem Nachlass Zu einer partiellen Beendigung der Testamentsvollstreckung kann es bei thesaurierten Gewinnen kommen, wenn diese aus dem Nachlass „herauswachsen“, mithin nicht mehr der Testamentsvollstreckung unterliegen.

11.60

Der Testamentsvollstrecker ist grundsätzlich nicht verpflichtet, die Erträgnisse des Nachlasses alljährlich an den Erben auszuliefern; er kann sie vielmehr auch thesaurieren.5 Ein Anspruch des Erben gegen den Testamentsvollstrecker auf Aushändigung von Nutzungen wird sich aber, wenn es an ausdrücklichen Anordnungen des Erblassers fehlt, häufig entweder aus dem konkludent geäußerten Willen des Erblassers oder aus dem Grundsatz der ordnungsmäßigen Verwaltung des Nachlasses ergeben, zumal die Erbenstellung nicht völlig ihres wirtschaftlichen Inhalts beraubt werden darf.6

11.61

Gerade bei der längerfristigen Dauervollstreckung wachsen die Erträge des Nachlasses, wenn sie – wie bei Unternehmen immer wieder notwendig und üblich – thesauriert werden, aus dem Nachlass „heraus“. Das gilt insbesondere, wenn sie im Verhältnis zum ursprünglichen Nachlass erheblich sind.7 Dies hat zweierlei missliche Folgen: Die herausgewachsenen Gewin-

11.62

1 Reimann, NJW 2005, 789 (790). 2 BGH v. 18.11.1954 – IV ZR 152/54, BGHZ 15, 199; Reimann, GmbHR 2011, 1297 (1303); Wendt, ErbR 2018, 241 (245). 3 BayObLG v. 29.3.1976 – BReg. 1 Z 9/76, NJW 1976, 1693; Reimann, GmbHR 2011, 1297 (1304). 4 Reimann, GmbHR 2011, 1297 (1304). 5 BGH v. 4.11.1987 – IVa ZR 118/86, FamRZ 1988, 279; Reimann, Testamentsvollstreckung in der Wirtschaftsrechtspraxis3, Rz. 79; a.A. jüngst Mylich, ZEV 2019, 246, hiergegen wiederum Schmidl, ZEV 2019, 387. 6 Reimann, Testamentsvollstreckung in der Wirtschaftsrechtspraxis3, Rz. 80. 7 Reimann, Testamentsvollstreckung in der Wirtschaftsrechtspraxis3, Rz. 310.

Braeuer/Todorow | 857

Kap. 11 Rz. 11.62 | Die Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge

ne unterliegen nicht mehr dem Schutz des § 2214 BGB, sondern dem Zugriff von Eigengläubigern des Erben. Zudem führt das „Herauswachsen“ zu einer partiellen Beendigung der Testamentsvollstreckung.1

11.63

Dadurch entsteht eine „Doppelzuständigkeit“.2 Der Testamentsvollstrecker ist zuständig für den ursprünglichen Nachlass zzgl. der „normalen“ Erträge, der Erbe für die „herausgewachsenen“ – wenn auch thesauriert im Unternehmen liegenden – Erträge. Das ist eine für ein Unternehmen zweifellos chaotische Situation.3

11.64

Der Erblasser kann dieses Problem in der letztwilligen Verfügung nur eingeschränkt gestalten. Die „Doppelzuständigkeit“ für normale und herausgewachsene Erträge tritt kraft Gesetzes ein.4 Der Erblasser kann nicht anordnen, dass die Testamentsvollstreckung sich auch auf die herausgewachsenen Erträge beziehe. Diese gehören zum Eigenvermögen des Erben. Darauf kann der Erblasser die Testamentsvollstreckung nicht erstrecken.

11.65

Denkbar ist immerhin eine Gestaltung, wonach der Erbe selbst dem Testamentsvollstecker Aufsichtsbefugnisse über die freigegebenen Gewinne einräumt. Dies kann der Erblasser in der letztwilligen Verfügung durch eine entsprechende Auflage steuern.5

V. Kosten 1. Gesetzliche Regelung 11.66

Das Gesetz regelt die Vergütung des Testamentsvollstreckers in § 2221 BGB nur kursorisch. Zur Streitvermeidung ist daher eine Regelung in der letztwilligen Verfügung zu empfehlen. Gibt es weder eine Regelung in der letztwilligen Verfügung noch eine Einigung zwischen Testamentsvollstrecker und Erben, muss das Prozessgericht (nicht das Nachlassgericht) entscheiden, was die „angemessene Vergütung“ ist.

11.67

Zur Auswahl stehen verschiedene Tabellen.6 Ein Beispiel ist die Neue Rheinische Tabelle. Sie beruht auf den Vergütungsempfehlungen des Deutschen Notarvereins, der die weit verbreitete Rheinische Tabelle aus dem Jahr 1925 weiterentwickelt hat. Sie bestimmt mehrere Vergütungs-Parameter wie Brutto-Nachlasswert, Grundgebühr, Zuschläge, Höchstbeträge, jährliche Zusatzbeträge bei Dauervollstreckung. Die Grundvergütung liegt demnach zwischen 10.000 Euro (= 4 % bei einem Nachlass bis 250.000 Euro) und 75.000 € (= 1,5 % bei einem Nachlass von über 5 Mio. Euro). Diese Grundgebühr soll einfache Abwicklungsvollstreckung abdecken.

11.68

Die potentiellen Zuschläge hängen von den konkreten Anforderungen an die Testamentsvollstreckung ab, etwa: geordneter oder ungeordneter Nachlass, Vielgestalt der Vermögenswerte, besondere Rechtsprobleme etc.

1 2 3 4 5 6

Reimann, Testamentsvollstreckung in der Wirtschaftsrechtspraxis3, Rz. 310 m.w.N. Reimann, Testamentsvollstreckung in der Wirtschaftsrechtspraxis3, Rz. 311. Reimann, Testamentsvollstreckung in der Wirtschaftsrechtspraxis3, Rz. 311. Reimann/J. Klinger in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 7 Rz. 127. Reimann/J. Klinger in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 7 Rz. 128 f. Im Einzelnen zu den Tabellen Eckelskemper in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 10 Rz. 37 ff.

858 | Braeuer/Todorow

B. Rechtsformübergreifende Gestaltungsfragen | Rz. 11.73 Kap. 11

Die Ermittlung der „angemessenen Vergütung“ ist also alles andere als eine mathematische Formel. Die Einzelheiten sind heillos kompliziert. Das Standardwerk von Bengel/Reimann kommentiert die Testamentsvollstreckervergütung auf rund 100 Seiten.1 Allein ein Blick in das Inhaltsverzeichnis dort genügt, um klarzumachen: Ein im Erbrecht nicht vorgebildeter Erbe wird eine nach Gebührentabellen aufgestellte Testamentsvollstrecker-Rechnung bei einem komplizierteren Nachlass – und das ist bei Unternehmensnachfolge regelmäßig der Fall – kaum nachvollziehen können. Allein diese Intransparenz birgt naturgemäß Misstrauen und Streitpotential.

11.69

2. Gestaltung in der letztwilligen Verfügung Aus Praktikersicht ist deshalb zu empfehlen, die Vergütung in der letztwilligen Verfügung möglichst klar zu regeln. Dazu zählen folgende Punkte:

11.70

– Stundenabrechnung oder Gegenstandswert? – Bei Aufwandsvergütung: Anforderung an den Stundennachweis – Umsatzsteuer – Fälligkeit – Abgrenzung zu sonstigen beruflichen Tätigkeiten des Testamentsvollstreckers für den Nachlass (z.B. Prozessführung, etc.) – Hinzuziehung von Hilfspersonen In Betracht kommt auch, die Vergütung des Testamentsvollstreckers durch eine lebzeitige Vereinbarung mit diesem selbst zu regeln, also nicht in der letztwilligen Verfügung. Dies wird speziell für den Fall der Testamentsvollstreckung an einer Unternehmensbeteiligung empfohlen.2 Denn zum einen kann eine solche Testamentsvollstreckung sehr viel mehr Arbeit machen, als es sich der Erblasser beim Abfassen der letztwilligen Verfügung vorstellt. Zudem ist gerade bei der Testamentsvollstreckung über Unternehmensbeteiligungen die fachliche Eignung des Testamentsvollstreckers besonders wichtig. Eine fachlich qualifizierte Person wird das Amt des Testamentsvollstreckers indes nur annehmen, wenn die Leistung entsprechend honoriert wird.

11.71

B. Rechtsformübergreifende Gestaltungsfragen I. Grenzen der Befugnisse des Testamentsvollstreckers 1. Erbrechtliche Schranken a) Überblick Der Testamentsvollstrecker hat die Anordnungen des Erblassers zu befolgen (§ 2216 Abs. 2 BGB). Daneben ziehen Erbrecht und Gesellschaftsrecht folgende Grenzen:

11.72

Aus dem Gesetz ergeben sich drei erbrechtliche Grenzen der Verwaltungsbefugnis des Testamentsvollstreckers: Die Pflicht zu ordnungsgemäßer Verwaltung, das Verbot unentgeltlicher

11.73

1 Eckelskemper in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 10 Rz. 1 ff. 2 Werner, ZEV 2018, 252; Bengel/Reimann in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 2 Rz. 130.

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Kap. 11 Rz. 11.73 | Die Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge

Verfügungen und das Verbot, eine nicht auf den Nachlass beschränkbare persönliche Haftung des Erben zu begründen. Diese Grenzen wirken teils schuldrechtlich, teils dinglich. Sie haben gerade auch bei der Testamentsvollstreckung über Unternehmensbeteiligungen erhebliche Bedeutung. b) Ordnungsgemäße Verwaltung

11.74

Der Testamentsvollstrecker ist verpflichtet, den Nachlass ordnungsgemäß zu verwalten (§ 2216 Abs. 1 BGB). Davon kann der Erblasser den Testamentsvollstrecker nicht befreien (§ 2220 BGB). Bei Dauervollstreckung über Unternehmensbeteiligungen zieht die „ordnungsgemäße Verwaltung“ eine weitläufige Grenze um das Handeln des Testamentsvollstreckers. Den Freiraum hat der Testamentsvollstrecker nach unternehmerischem Ermessen zu füllen. Das bedeutet Freiheit und Verantwortung zugleich:

11.75

Allgemein bei der Vermögensverwaltung und zumal bei unternehmerischen Beteiligungen gelten Kriterien wie „Mündelsicherheit“ oder „sicherster Weg“ nicht. Wo das Gesetz Mündelsicherheit fordert, schreibt es das ausdrücklich vor (§§ 1079, 1807, 1808, 2119 BGB). Davon sieht das Gesetz im Recht der Testamentsvollstreckung bewusst ab.1 Der Testamentsvollstrecker darf sich gerade nicht mit einem mäßigen Erfolg seiner Tätigkeit begnügen, sondern muss Möglichkeiten zum Erreichen eines besseren Ergebnisses wahrnehmen.2 Gefragt ist wirtschaftlich sinnvolle Eigeninitiative, die auch ein kalkuliertes geschäftliches Risiko einschließt.3 Der BGH stellt in den Vordergrund „das Bild eines zwar umsichtigen und soliden, aber ‚dynamischen‘ Geschäftsführers, der die Risiken und Chancen kalkuliert und dann eingeht/nutzt oder nicht.“4 In diesem Rahmen darf der Testamentsvollstrecker die Unternehmensbeteiligung umgestalten oder gar veräußern, Gewinne thesaurieren, Geschäftsfelder abstoßen oder hinzuerwerben.

11.76

Der Streit darüber, ob der Testamentsvollstrecker gegen die Pflicht zur ordnungsgemäßen Verwaltung verstoßen hat, kann sich entweder im Rahmen eines Verfahrens beim Nachlassgericht nach § 2227 Abs. 1 BGB über die Entlassung des Testamentsvollstreckers abspielen oder im Rahmen einer Schadensersatzhaftung nach § 2219 Abs. 1 BGB. Ungeklärt ist die Frage, ob dabei jeweils der gleiche Maßstab gilt.

11.77

Im Entlassungsverfahren nach § 2227 Abs. 1 BGB sind unternehmerische Entscheidungen des Testamentsvollstreckers nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar. Eine Entlassung kommt nur bei besonders schwerwiegenden Verstößen in Betracht, wenn der Testamentsvollstrecker schon einfachste und ganz naheliegende Überlegungen bei seinem unternehmerischen Handeln nicht angestellt hat, die ansonsten jedem hätten einleuchten müssen.5

11.78

In der Literatur finden sich Stimmen dafür, diesen Maßstab auch auf die Schadensersatzhaftung nach § 2219 Abs. 1 BGB zu übertragen. Ein Verschulden sei demnach erst dann anzunehmen, wenn unternehmerische Entscheidungen des Testamentsvollstreckers unvertretbar erscheinen.6

1 Schaub in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 4 Rz. 26 m.w.N. 2 BGH v. 14.12.1994 – IV ZR 184/93, ZEV 1995, 110. 3 BayObLG v. 18.12.1997 – I Z BR 97/97, ZEV 1998, 348 (350); Schaub in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 4 Rz. 26. 4 BGH v. 3.12.1986 – IV a ZR 90/85, NJW 1987, 1070. 5 BayObLG v. 20.6.1990 – 1a Z 19/89, NJW-RR 1990, 1420. 6 Niemöller in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 12 Rz. 88.

860 | Braeuer/Todorow

B. Rechtsformübergreifende Gestaltungsfragen | Rz. 11.83 Kap. 11

Diese Ansicht überzeugt allerdings aus systematischen Gründen nicht. § 2227 BGB verlangt eine „grobe“ Pflichtverletzung. Dagegen spricht § 2219 Abs. 1 Satz 1 BGB von einer einfachen Pflichtverletzung („Verletzt der Testamentsvollstrecker die ihm obliegenden Verpflichtungen, ...“). Bei der Schadensersatzhaftung gilt also ein schärferer Maßstab als im Entlassungsverfahren.

11.79

c) Unentgeltliche Verfügungen Zu unentgeltlichen Verfügungen ist der Testamentsvollstrecker nicht berechtigt (§ 2205 Satz 3 BGB). Dieses Schenkungsverbot wirkt dinglich. Eine unentgeltliche Verfügung des Testamentsvollstreckers ist mithin schwebend unwirksam, und zwar sowohl das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft als auch das dingliche Erfüllungsgeschäft.1 Die Wirksamkeit hängt dann ab von der Zustimmung derjenigen Personen, zu deren Schutz das Verfügungsverbot besteht. Das sind die Erben – auch Vor- und Nacherben, nicht aber Ersatznacherben – und Vermächtnisnehmer noch nicht erfüllter Vermächtnisse.2 Die Verfügung wird endgültig nichtig, wenn nur eine einzige zustimmungspflichtige Person die Genehmigung verweigert.3

11.80

Bei Unternehmen greift das Schenkungsverbot – natürlich – bei der unentgeltlichen Übertragung der Anteile durch den Testamentsvollstrecker. Daneben kommt das Verbot – nicht so auf der Hand liegend – in anderen Beendigungsfällen zum Zuge. Beendet der Testamentsvollstrecker die Mitgliedschaft durch Austritt oder Kündigung, unterfällt diese Maßnahme dann dem Schenkungsverbot, wenn die Gesellschaft keine vollwertige Abfindung oder Gegenleistung zahlt. Die Wirksamkeit des Austritts bzw. der Kündigung hängt in diesen Fällen davon ab, ob der Gesellschaftsvertrag bereits zum Zeitpunkt des Erbfalls eine nicht vollwertige Abfindung vorsah. Dann ist die Kündigung der Beteiligung durch den Testamentsvollstrecker trotz der nicht vollwertigen Abfindung wirksam. Der Testamentsvollstrecker findet den Gesellschaftsvertrag vor, wie er ist, und wirkt in diesen Fällen nicht mindernd auf die Beteiligung ein. Die Kündigung ist daher beim „vorgefundenen“ Gesellschaftsvertrag nur dann ein Verstoß gegen das Schenkungsverbot, wenn der Nachlass ohne Kündigung offensichtlich besser gefahren wäre.4

11.81

Ein Verstoß gegen das Schenkungsverbot liegt außerdem dann vor, wenn der Testamentsvollstrecker an einer Änderung des Gesellschaftsvertrags mitwirkt, die den Abfindungsanspruch des Erben herabsetzt. Dadurch wirkt der Testamentsvollstrecker ohne entsprechende Gegenleistung mindernd auf die Beteiligung ein.5

11.82

Der Erblasser kann den Testamentsvollstrecker zwar nicht vom Schenkungsverbot befreien (§ 2207 Satz 2 BGB). Aber auch hier kann eine post- oder transmortale Vollmacht praktische Wirkung entfalten: Als Bevollmächtigter des Erblassers – nicht des Erben – über den Tod hinaus kann der Testamentsvollstrecker im Rahmen der Vollmacht auch unentgeltliche Verfügungen ohne Mitwirkung des Erben treffen.6

11.83

1 2 3 4 5 6

Weidlich in Palandt79, § 2205 BGB Rz. 30. Weidlich in Palandt79, § 2205 BGB Rz. 30. Weidlich in Palandt79, § 2205 BGB Rz. 30. Reimann in Staudinger, § 2205 BGB Rz. 186 (Stand: 2016); Lutter, ZGR 1982, 108 (116). Lorz/Kirchdörfer, Unternehmensnachfolge2, Kap. 5 Rz. 108. Lorz/Kirchdörfer, Unternehmensnachfolge2, Kap. 5 Rz. 108.

Braeuer/Todorow | 861

Kap. 11 Rz. 11.84 | Die Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge

d) Begründung einer persönlichen Haftung der Erben

11.84

Eine weitere erbrechtliche Grenze der Befugnisse des Testamentsvollstreckers zieht das Verbot, Maßnahmen zu ergreifen, die zu einer unbeschränkbaren persönlichen Haftung des Erben führen.

11.85

Der Testamentsvollstrecker darf gem. § 2206 BGB nur den Nachlass verpflichten. Für diese Nachlassverbindlichkeit (§ 1967 BGB) haftet der Erbe persönlich, aber mit der Möglichkeit der Haftungsbeschränkung auf den Nachlass (§§ 1975–1992 BGB). Diese Haftungsbeschränkung darf der Testamentsvollstrecker dem Erben nicht ohne dessen Zustimmung aus der Hand nehmen. Die Vertretungsmacht des Testamentsvollstreckers findet daher ihre Grenze in solchen Maßnahmen, bei denen sich der Erbe der persönlichen Haftung nicht durch Beschränkung der Haftung auf den Nachlass entziehen kann.

11.86

Das Verbot wirkt nur schuldrechtlich, nicht dinglich. Lässt sich z.B. der Testamentsvollstrecker die Kommanditisten-Einlage zurückzahlen, begründet dies – wirksam – die Haftung des Kommanditisten-Erben gem. § 172 Abs. 4 BGB. Dem Erben stehen schuldrechtlich Schadensersatzansprüche gegen den Testamentsvollstrecker zu wegen Verstoßes gegen die Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses (§ 2216 Abs. 1 BGB) sowie ein Anspruch auf Rückgängigmachung der zur persönlichen Haftung führenden Maßnahme.1

11.87

Im unternehmerischen Bereich spielt dieses Verbot vor allem bei gesellschaftsrechtlichen Umgestaltungen durch den Testamentsvollstrecker eine Rolle. Dazu gehören die Neugründung von Gesellschaften, Einlagenrückzahlung und -erhöhung sowie Umwandlungen. Dort begründet das Gesetz in bestimmten Fällen eine persönliche Gesellschafterhaftung, die aus Gründen des Gläubigerschutzes nicht auf den Nachlass beschränkbar ist (zu diesen Umstrukturierungen im Einzelnen Rz. 11.116 ff.).

2. Gesellschaftsrechtliche Schranken a) Höchstpersönliche Rechte

11.88

Rechte, die den Gesellschaftern höchstpersönlich zustehen, kann der Testamentsvollstrecker nicht ausüben. In diesem Falle liegen die Rechte bei den Erben.2 Die Satzung kann freilich auch dies ausschließen. Der Gesellschaftsvertrag bestimmt, ob ein Recht höchstpersönlichen Charakter hat.

11.89

Bei höchstpersönlichen Verwaltungsrechten kommt es zu einem Kompetenzgerangel zwischen Testamentsvollstrecker und Erben. Die Befugnisse des Testamentsvollstreckers beschränken sich auf die Vermögensrechte, während die Erben die Verwaltungsrechte ausüben. Diese Aufspaltung wird häufig den Absichten des Erblassers zuwiderlaufen. Motiv der Testamentsvollstreckung ist ja oft gerade, die unternehmerischen Entscheidungen in die Hand eines fachlich kompetenten Testamentsvollstreckers zu legen. Dafür muss der Testamentsvollstrecker die Verwaltungsrechte ausüben können. Obendrein erscheint die Aufspaltung wenig praktikabel. Die Trennlinie zwischen Vermögens- und Verwaltungsrechten verläuft nicht messerscharf. Es gibt einen streitanfälligen Graubereich.3 1 S. z.B. BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, NJW 1989, 3152 (3155) zur Rückzahlung der Einlage durch den Testamentsvollstrecker. 2 OLG Frankfurt v. 16.9.2008 – 5 U 187/07, ZEV 2008, 606; Servatius in Baumbach/Hueck22, § 15 GmbHG Rz. 17. 3 Weidlich in Palandt79, § 2205 BGB Rz. 12; Kämper, RNotZ 2016, 625 (632).

862 | Braeuer/Todorow

B. Rechtsformübergreifende Gestaltungsfragen | Rz. 11.96 Kap. 11

Vor diesem Hintergrund ist der Gesellschaftsvertrag zu überprüfen und ggf. dahingehend zu ändern, dass er die Mitwirkung des Testamentsvollstreckers im Unternehmen, sprich die Ausübung der Verwaltungsrechte durch den Testamentsvollstrecker, erlaubt (s. dazu auch Rz. 11.344 f.).1

11.90

b) Sonderrechte Die gleichen Probleme können bei gesellschaftsvertraglichen Sonderrechten auftreten. Sonderrechte sind Vorrechte, die der Gesellschaftsvertrag einzelnen Gesellschaftern oder einer Gruppe von Gesellschaftern einräumt.2 Beispiele sind das Recht auf Vorzugsdividende, Zustimmungs- oder Vetorechte gegenüber Gesellschafterbeschlüssen und das Recht auf Geschäftsführung.3

11.91

Sonderrechte unterliegen wie höchstpersönliche Gesellschafterrechte grundsätzlich nicht der Testamentsvollstreckung. Teile der Literatur machen eine Ausnahme dann, wenn das Sonderrecht mit dem Geschäftsanteil verbunden ist. In solchen Fällen könne es durch den Testamentsvollstrecker ausgeübt werden.4 Unklar bleibt dabei aber, was genau ein „mit dem Geschäftsanteil verbundenes“ Sonderrecht ist.5

11.92

Denkbar wäre, danach zu differenzieren, ob das Sonderrecht in den Bereich der Vermögensrechte oder den der Verwaltungsrechte fällt. So wird man das Vorrecht auf Geschäftsführung den Verwaltungsrechten zuordnen können, das Vorrecht auf Vorzugsdividende dagegen den Vermögensrechten. Dieses unterliegt der Testamentsvollstreckung, jenes nicht. Zuzugeben ist freilich, dass auch diese Differenzierung nicht ohne Graubereich auskommt. Die Abgrenzung der Außenseite (Vermögensrechte) von der Innenseite (Verwaltungsrechte) der Gesellschaftsbeteiligung ist nicht restlos aufgeklärt.6

11.93

Aus Praktikersicht sollten solche Zweifelsfragen vermieden werden. Der Gesellschaftsvertrag sollte explizit regeln, ob das Sonderrecht nachfolgefähig ist und damit der Testamentsvollstreckung unterliegt.7

11.94

c) Kernbereichslehre aa) Ursprung: Gesellschaftsrechtlicher Minderheitenschutz Eine umfangreiche Diskussion dreht sich um die Frage, ob es einen Kernbereich von Gesellschaftsrechten des Erben gibt, in den der Testamentsvollstrecker nicht eingreifen darf.8

11.95

Die Kernbereichslehre stammt nicht aus dem Recht der Testamentsvollstreckung. Ihr originärer Anwendungsbereich ist der Schutz von Minderheitsgesellschaftern vor der Mehrheit.

11.96

1 2 3 4 5

Reimann, GmbHR 2011, 1297. Fastrich in Baumbach/Hueck22, § 14 GmbHG Rz. 18. Fastrich in Baumbach/Hueck22, § 14 GmbHG Rz. 18. Werner, ZEV 2018, 252 (253); Todtenhöfer, RNotZ 2017, 557 (563). Die Vertreter dieser Auffassung erläutern diesen Begriff nicht, s. Mayer, ZEV 2002, 209; Todtenhöfer, RNotZ 2017, 557 (563); Weidlich in Mayer/Bonefeld, Testamentsvollstreckung4, Rz. 395. 6 Weidlich in Palandt79, § 2205 BGB Rz. 12; Kämper, RNotZ 2016, 625 (632). 7 Lorz/Kirchdörfer, Unternehmensnachfolge2, Kap. 7 Rz. 64; Werner, ZEV 2018, 252 (253). 8 Dazu umfassend Altmeppen, NJW 2015, 2065; bei der KG: Kämper, RNotZ 2016, 625 (638 ff.); bei der GmbH Todtenhöfer, RNotZ 2017, 557 (564 f.).

Braeuer/Todorow | 863

Kap. 11 Rz. 11.96 | Die Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge

Die Kernbereichslehre reicht zurück zu einer Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1956,1 vielleicht sogar noch weiter.2 In Fragen, die den Kernbereich der Mitgliedschaft berühren, soll demnach die Minderheit nicht einfach überstimmt werden können.

11.97

Was genau zum Kernbereich zählt, ist unklar und keiner allgemeinen Formel zugänglich. Genannt werden meist das Stimmrecht, das Gewinnbezugsrecht, der Schutz vor Erhöhungen des Kapitalanteils sowie strukturelle Veränderungen wie die Änderung des Gesellschaftszwecks oder des Gesellschafterbestandes.3 Abstrakt besteht der Kernbereich aus den Befugnissen, die dazu dienen, die Rechtstellung des Gesellschafters selbst in ihrem Bestand zu erhalten.4 Im Übrigen kann man nur versuchen, den Kernbereich von Fall zu Fall konkret abzustecken, also je nach Gesellschaftsstruktur, Gesellschaftsvertrag etc.5 bb) Übertragung auf die Testamentsvollstreckung?

11.98

Mit Testamentsvollstreckung hat die Kernbereichslehre erst einmal nichts zu tun.6 Es ist streitig, ob die Kernbereichslehre auch im Recht der Testamentsvollstreckung Anwendung findet. Der Streit beruht darauf, dass das Verhältnis Testamentsvollstrecker/Erbe teils ähnlich, teils anders ist als das Verhältnis zwischen Mehrheits- und Minderheitsgesellschafter.

11.99

Ähnlich ist der Moment der Fremdbestimmung. Aber es bestehen doch große Unterschiede. Die Kernbereichslehre ist ein innergesellschaftliches Schutzinstrument.7 Sie dient dazu, dem Recht des Stärkeren in der Gesellschaft wenigstens in besonderen Fällen eine Grenze zu setzen. Testamentsvollstrecker und Erbe hingegen stehen nicht in einem gesellschaftsrechtlichen Verhältnis zueinander. Ihr Verhältnis zueinander bestimmt das Erbrecht. Dort sind die Grenzen der Testamentsvollstrecker-Macht im Gesetz geregelt: Der Testamentsvollstrecker darf den Anteil weder verschenken, noch Gewinn- und Abfindungsansprüche des Erben ohne angemessene Kompensation mindern (§ 2205 Satz 3 BGB), und der Testamentsvollstrecker muss sein Handeln am Maßstab ordnungsgemäßer Verwaltung messen lassen (§ 2216 Abs. 1 BGB). Der Testamentsvollstrecker hat zwar große Macht, aber der Erbe ist ihm nicht schutzlos ausgeliefert. Zudem gerät die Kernbereichslehre in einen Wertungswiderspruch zur gesetzlichen Regelung der Testamentsvollstreckung. Der Testamentsvollstrecker kann gegen den Willen des Erben über den ganzen Gesellschaftsanteil verfügen (§ 2205 BGB). Es leuchtet nicht recht ein, weshalb er bei weniger gravierenden Entscheidungen – z.B. einer Umwandlung – die Zustimmung des Erben brauchen sollte.8

11.100

Aus diesen Gründen befindet sich die Kernbereichslehre in der Literatur zur Testamentsvollstreckung auf dem Rückzug.9

1 2 3 4 5 6 7 8 9

BGH v. 14.5.1956 – II ZR 229/54, NJW 1956, 1198 (1199 f.). Zur Entwicklung Altmeppen, NJW 2015, 2065 (2067). Todtenhöfer, RNotZ 2017, 557 (564) m.w.N. H.P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, 1970, S. 351. Kämper, RNotZ 2016, 625 (637 f.). Zimmermann, Testamentsvollstreckung4, Rz. 521. Todtenhöfer, RNotZ 2017, 557 (564). Zimmermann, Testamentsvollstreckung4, Rz. 521; Schäfer in MüKo8, § 705 BGB Rz. 119. Reimann, GmbHR 2011, 1297 (1300); Lange in FS 25 Jahre Deutsches Notarinstitut, S. 665 (672).

864 | Braeuer/Todorow

B. Rechtsformübergreifende Gestaltungsfragen | Rz. 11.105 Kap. 11

In der Rechtsprechung zur Testamentsvollstreckung hat die Kernbereichslehre ohnehin nie Fuß gefasst. Die Instanzgerichte haben sich ausdrücklich gegen sie ausgesprochen.1 Der BGH hat die Kernbereichslehre auch dort, wo es sich angeboten hätte, nicht diskutiert. So hat der BGH die Kernbereichslehre nicht erwähnt, als er die Testamentsvollstreckung über eine Kommanditbeteiligung zugelassen hat.2 Auch in der Entscheidung aus dem Jahr 2014 zur Wahrnehmung der Gesellschafterrechte durch den Testamentsvollstrecker in einer GmbH & Co KG hat der BGH die Kernbereichslehre nicht erörtert.3

11.101

cc) Fazit Es ist unwahrscheinlich, dass ein Gericht dem Testamentsvollstrecker einen angeblich unzulässigen Kernbereichseingriff vorwirft, wenn sich das Handeln des Testamentsvollstreckers im Rahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses (§ 2216 Abs. 1 BGB) und im Rahmen der sonstigen erbrechtlichen Schranken (§§ 2205, 2206 BGB) hält. Solange indes eine höchstrichterliche Klärung aussteht, bleibt eine Unsicherheit. Daher ist dem Testamentsvollstrecker zu empfehlen, bei „kernbereichsverdächtigen“ Maßnahmen, die deutlich über die laufende Verwaltung hinausgehen, vorsorglich auf die Mitwirkung des Erben zu dringen.4

11.102

3. Erweiterung und Kontrolle der Macht des Testamentsvollstreckers a) Druckmittel auf den Erben durch den Erblasser aa) Überblick Der Erblasser mag bestrebt sein, die Macht des Testamentsvollstreckers in der letztwilligen Verfügung noch zu erweitern. Denn jenseits der erb- und gesellschaftsrechtlichen Grenzen seiner Befugnisse (dazu Rz. 11.72 ff.) kann der Testamentsvollstrecker nur mit Zustimmung des Erben handeln. Will der Erblasser den Erben zur Kooperation veranlassen, wird er erbrechtliche Druckmittel in Betracht ziehen.

11.103

bb) Auflage, Bedingung und Sanktion Das Instrumentarium erbrechtlicher Druckmittel besteht aus Auflagen, Bedingungen und Sanktionen.

11.104

Die Auflage verpflichtet den Erben zu einem bestimmten Handeln. Der Testamentsvollstrecker kann die Auflage notfalls gerichtlich durchsetzen. Die bedingte Erbeinsetzung hingegen übt mittelbar Druck aus: Erfüllt der Erbe die Bedingung nicht – weil er nicht wie angeordnet mitwirkt –, fällt die Erbschaft weg. Der Erblasser sollte dabei nicht vergessen, einen Nacherben oder Nachvermächtnisnehmer einzusetzen; sonst tritt die gesetzliche Nacherbfolge gem. § 2104 BGB ein.5 Sonstige bestrafende Sanktionen schließlich können z.B. darin bestehen, dass der Erbe einen ihm als Vermächtnis zugewandten Geldbetrag wieder herausgeben muss, wenn er nicht mit dem Testamentsvollstrecker kooperiert.

11.105

1 LG Berlin v. 1.10.2002 – 102 T 85/02 (rkr.), ZEV 2004, 29 (30); LG Mannheim v. 10.11.1998 – 2 O 193/98, ZEV 1999, 443. 2 BGH v. 3.7.1998 – II ZB 1/89, NJW 1989, 3152. 3 BGH v. 13.5.2014 – II ZR 250/12, DStR 2014, 1984. 4 Kämper, RNotZ 2016, 625 (639); Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 182; Todtenhöfer, RNotZ 2017, 557 (564 f.). 5 Grigas, BWNotZ 2002, 25 (29).

Braeuer/Todorow | 865

Kap. 11 Rz. 11.106 | Die Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge

11.106

Solche erbrechtlichen Druckmittel kommen vor allem dort zum Einsatz, wo das erbrechtliche Verbot, den Erben ohne dessen Zustimmung über den Nachlass hinaus einer persönlichen Haftung auszusetzen (dazu Rz. 11.84 ff.), dem Tun des Testamentsvollstreckers Grenzen setzt. Prominentestes Beispiel ist wohl die sog. Vollmachtslösung bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften. Dort verlangen Handels- und Gesellschaftsrecht nach einer unbeschränkbaren persönlichen Haftung. Deshalb ist die Testamentsvollstreckung bei Einzelunternehmen und persönlich haftenden Gesellschaftsanteilen nur eingeschränkt zulässig (dazu Rz. 11.216 ff., Rz. 11.263 ff.). Die sog. „Innenseite“ des Unternehmens unterliegt nicht der Testamentsvollstreckung, also gerade die eigentlichen unternehmerischen Entscheidungen. Dort kann der Testamentsvollstrecker also nicht hineinregieren. Die Kautelarpraxis versucht, dies auf folgendem Umweg zu erreichen: Die letztwillige Verfügung verpflichtet den Erben per Auflage, dem Testamentsvollstrecker eine (unwiderrufliche) Vollmacht zu erteilen, das Geschäft bzw. die Beteiligung im Namen des Erben zu führen (dazu Rz. 11.247 f.).

11.107

Ein weiteres Einsatzgebiet erbrechtlicher Druckmittel sind z.B. Gesellschaftsgründungen und Umwandlungen durch den Testamentsvollstrecker, bei denen unter Umständen die Mitwirkung des Erben erforderlich ist (dazu Rz. 11.151).1 cc) Sittenwidrigkeit?

11.108

Unklar ist, ob solche Druckmittel der gerichtlichen Kontrolle standhalten. Sie stehen im Verdacht gegen § 138 BGB zu verstoßen. Immerhin zielen sie darauf ab, den Erben zu zwingen, dem Testamentsvollstrecker eine Befugnis einzuräumen, die dieser nach dem Gesetz aus gutem Grunde nicht hat, nämlich den Erben gegen dessen Willen einer unbeschränkbaren persönlichen Haftung auszusetzen.

11.109

In der Literatur hat sich ein breites Meinungsspektrum gebildet.2 Gegen die Zulässigkeit solcher Druckmittel wird eingewendet, die Erblasser-Macht reiche nicht dahin, die Befugnisse des Testamentsvollstreckers auf das Privatvermögen des Erben zu erstrecken.3 Gerade ein auf Unwiderruflichkeit der Vollmacht ausgerichtetes Druckmittel verstoße wegen Knebelung des Erben gegen § 138 BGB,4 zumal dem Erben nicht einmal ein Mitspracherecht hinsichtlich der Person des Bevollmächtigten zustehe, für dessen Maßnahmen er aber unbeschränkt mit seinem Privatvermögen hafte.5 Andere haben weniger Bedenken, denn der Erbe könne das Erbe ausschlagen.6 Dagegen spricht indes die sehr kurze Überlegungszeit (6 Wochen Ausschlagungsfrist), die oft in keiner Relation zur langen Dauer der Vollmacht und der Unübersehbarkeit des persönlichen Haftungsrisikos steht.7 Wieder andere stellen auf die Unzumutbarkeit im Einzelfall ab.8

11.110

Rechtsprechung dazu existiert kaum. Der BGH hat sich lediglich im Jahr 1969 in einem obiter dictum geäußert. Demnach sei eine den Erben bindende Auflage zur Erteilung einer Vollmacht an den Testamentsvollstrecker wohl unwirksam.9 1 Werner, ZEV 2018, 252 (254) m.w.N. in Fn. 31; Lorz/Kirchdörfer, Unternehmensnachfolge2, Kap. 5 Rz. 114; Kämper, RNotZ 2016, 625 (627). 2 Winkler, Der Testamentsvollstrecker22, 3. Abschnitt Rz. 357 ff. m.w.N. 3 Zimmermann in MüKo8, § 2205 BGB Rz. 26. 4 Zimmermann, Testamentsvollstreckung4, Rz. 500. 5 Damrau, NJW 1984, 2785 (2789). 6 Winkler, Der Testamentsvollstrecker22, 3. Abschnitt Rz. 360; Grigas, BWNotZ 2002, 25 (29). 7 Zimmermann, Testamentsvollstreckung4, Rz. 500. 8 Johannsen, WM 1970, 570. 9 BGH v. 20.1.1969 – II ZR 75/67, BB 1969, 773.

866 | Braeuer/Todorow

B. Rechtsformübergreifende Gestaltungsfragen | Rz. 11.114 Kap. 11

Aufgrund der Rechtsunsicherheit ist Vorsicht mit solchen Druckmitteln geboten.1 Zudem erhöhen knebelnde Druckmittel das Risiko, dass der Erbe das Erbe ausschlägt und den Pflichtteil wählt. Eine Nachfolge-Konstruktion, die mit dem Erfolg des Druckmittels steht und fällt, ist daher nicht zu empfehlen.

11.111

b) Einführung von Kontrollmechanismen durch den Erblasser aa) Beispiele In Anbetracht der Machtfülle des Testamentsvollstreckers mag der Erblasser andererseits darüber nachdenken, Kontrollmechanismen in der letztwilligen Verfügung vorzusehen.

11.112

In der Gestaltungspraxis findet man vor allem folgende Kontrollinstrumente:2 Die Ernennung mehrerer Testamentsvollstrecker mit unterschiedlichen Aufgabenbereichen („balance of power“), Mitspracherechte der Erben, Zustimmungsvorbehalte Dritter, die Einsetzung eines Aufsichtsgremiums oder eines Schiedsgerichts.

11.113

bb) Schuldrechtlich vs. dinglich wirkende Kontrolle Bei der Gestaltung ist folgendes zu beachten. Regelungstechnisch gibt es zwei Arten der Machtbegrenzung, nämlich die nur schuldrechtlich wirkende Verwaltungsanordnung nach § 2216 Abs. 2 BGB und die dinglich wirkende Beschränkung der Befugnisse gem. § 2208 Abs. 1 BGB. Die mit dinglicher Wirkung versehene Einschränkung ist einerseits effektiver. Jegliche dagegen verstoßende Verfügung des Testamentsvollstreckers ist im Außenverhältnis unwirksam. Indes birgt die dingliche Wirkung Risiken und hat Grenzen: – Abstimmungsvorbehalte Dritter haben nur dann dingliche Wirkung, wenn der Dritte Erbe oder Mitvollstrecker ist.3 Ordnet der Erblasser mithin die dingliche Wirkung des Zustimmungsvorbehalts an, macht er den Dritten unversehens – und möglicherweise unbedacht – zum Mitvollstrecker nach § 2224 BGB.4 Darauf ist z.B. auch bei der Installation eines Schiedsgerichts zu achten. Möglich ist zwar, ein Schiedsgericht mit dinglich wirkender Zustimmungsmacht auszustatten. Die Schiedsrichter wären dadurch aber Mitvollstrecker und im Testamentsvollstreckerzeugnis anzugeben. Jedenfalls dann, wenn das Schiedsgericht ad hoc mit erst noch zu bestimmenden Schiedsrichtern tätig werden soll, wäre eine solche Anordnung wohl wegen Verstoßes gegen § 2208 BGB unwirksam.5 – Die Gestaltung sollte schließlich keine Auslegungszweifel über die schuldrechtliche oder dingliche Wirkung des Zustimmungsvorbehalts lassen. Die dinglich wirkende Variante sollte nur dort gewählt werden, wo die damit verbundene Installation eines Mitvollstreckers wirklich gewollt ist. Andernfalls ist die schuldrechtlich wirkende Verwaltungsanordnung nach § 2216 Abs. 2 BGB vorzuziehen.

1 2 3 4 5

Kämper, notar 2018, 125 (133) rät ausdrücklich ab. Reimann, Testamentsvollstreckung in der Wirtschaftsrechtspraxis3, Rz. 137. Kroiß in Kroiß/Ann/Mayer5, § 2208 BGB Rz. 9; Reimann, FamRZ 1995, 588 (592). Reimann, Testamentsvollstreckung in der Wirtschaftsrechtspraxis3, Rz. 138. Reimann, FamRZ 1995, 588; Reimann, Testamentsvollstreckung in der Wirtschaftsrechtspraxis3, Rz. 143.

Braeuer/Todorow | 867

11.114

Kap. 11 Rz. 11.115 | Die Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge

II. Umstrukturierung durch den Testamentsvollstrecker 1. Überblick 11.115

Der Testamentsvollstrecker darf solche Maßnahmen nicht vornehmen, die eine nicht auf den Nachlass beschränkbare persönliche Haftung des Erben begründen (dazu Rz. 11.84 ff.). Dieses Verbot ist bei gesellschaftsrechtlichen Umgestaltungen durch den Testamentsvollstrecker zu beachten. Dort wo der Testamentsvollstrecker im Zuge solcher Maßnahmen ein persönliches Haftungsrisiko des Erben auslöst, benötigt er dessen Zustimmung.

11.116

Praktisch relevant wird dieses Verbot bei Änderungen der Kapitaleinlage, bei der Gründung neuer Gesellschaften und bei Umwandlungen. Hier gerät das Erbrecht in Konflikt mit dem Gesellschaftsrecht. Erbrechtlich hat der Erbe an sich immer die Möglichkeit, eine durch den Testamentsvollstrecker begründete Verbindlichkeit auf den Nachlass zu beschränken (§ 2206 Abs. 2 BGB). Indes verlangt das Gesellschaftsrecht aus Gründen des Gläubigerschutzes bei bestimmten gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen eine unbeschränkbare persönliche Haftung der Gesellschafter. Das Gesellschaftsrecht setzt sich durch: Wo das Gesetz aus Gründen des Gläubigerschutzes eine persönliche Gesellschafterhaftung fordert, bleibt sie bestehen, auch wenn der Nachlass dafür nicht ausreicht. Daher ist der Testamentsvollstrecker zu solchen Maßnahmen ohne Zustimmung des Erben nicht befugt.

2. Änderungen des Kapitals a) Rückzahlung der Kommanditeinlage

11.117

Bei der KG kommt es zu einer persönlichen Haftung des Kommanditisten-Erben gem. § 172 Abs. 4 HGB, wenn der Testamentsvollstrecker sich die Einlage ganz oder teilweise zurückzahlen lässt.1 Dafür benötigt er mithin die Zustimmung des Erben.2 b) Erhöhung der Kommanditeinlage

11.118

Auch zu einer Erhöhung der Einlage ist der Testamentsvollstrecker ohne Zustimmung der Erben nicht befugt. Verstößt der Testamentsvollstrecker dagegen, ist der Erhöhungsbeschluss unwirksam.3 Zum einen ist der Erbe seinen Mitgesellschaftern gegenüber persönlich zur Einzahlung der erhöhten Einlage verpflichtet. Zum anderen besteht jedenfalls nach Eintragung im Handelsregister die persönliche Außenhaftung des Erben mit der höheren Hafteinlage (§ 172 Abs. 2 HGB).

11.119

Praktisch relevant wird die erweiterte Außenhaftung des Erben kaum je werden. Darauf hat der BGH in seiner Entscheidung zur Zulässigkeit der Testamentsvollstreckung über Kommanditbeteiligungen hingewiesen.4 Solange die Erhöhung nicht im Handelsregister eingetragen ist, können sich die Gläubiger hierauf nur bei besonderer Kundmachung berufen. Diese setzt – ausdrücklich oder qua Rechtsschein – Zustimmung des Kommanditisten voraus.5 Meldet der Testamentsvollstrecker eine ohne Zustimmung des Erben beschlossene Erhöhung der

1 2 3 4 5

S. dazu Kämper, RNotZ 2016, 625 (637); Damrau in Soergel13, § 2205 BGB Rz. 44. Damrau in Soergel13, § 2205 BGB Rz. 44. Damrau in Soergel13, § 2205 BGB Rz. 44. BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, NJW 1989, 3152 (3155). Karsten Schmidt in MüKo4, § 172 HGB Rz. 36.

868 | Braeuer/Todorow

B. Rechtsformübergreifende Gestaltungsfragen | Rz. 11.125 Kap. 11

Einlage zum Handelsregister an, muss das Registergericht den Antrag mangels Wirksamkeit des Erhöhungsbeschlusses zurückweisen und jedenfalls im Eintragungsverfahren den Erben hören.1 Der Erbe ist also praktisch meist geschützt. Dennoch: Ohne Zustimmung des Erben darf der Testamentsvollstrecker die Einlage grundsätzlich nicht erhöhen. Ausnahmsweise freilich wird die Einlagenerhöhung auch ohne Zustimmung des Erben wirksam sein, wenn gesichert ist, dass der Erbe nicht persönlich einstehen muss. Das gilt dann, wenn der Testamentsvollstrecker die höhere Einlage noch vor Eintragung im Handelsregister aus dem Nachlass bezahlt und damit eine persönliche Haftung des Erben gem. § 171 Abs. 1 HGB vermeidet.2

11.120

c) Auszahlung des Stammkapitals der GmbH Ähnlich ist die Situation bei der Kapitalerhaltung der GmbH. Gemäß § 30 Abs. 1 GmbHG darf das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen der Gesellschaft nicht an die Gesellschafter ausgezahlt werden. Verbotene Rückzahlungen begründen gem. § 31 Abs. 1 GmbH die persönliche Erstattungspflicht der Gesellschafter.

11.121

Der Testamentsvollstrecker darf auch nicht an Beschlüssen mitwirken, die zu verbotenen Rückzahlungen an Mitgesellschafter führen. Denn gem. § 31 Abs. 3 GmbHG begründet dies die persönliche Ausfallhaftung des Gesellschafter-Erben, wenn die Rückzahlung vom Mitgesellschafter nicht zu erlangen ist. Die Rückzahlungen dürften obendrein mit dem Gebot der ordnungsgemäßen Nachlassverwaltung (§ 2216 Abs. 1 BGB) nicht vereinbar sein.

11.122

d) Kapitalerhöhung bei der GmbH aa) Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln Kapitalerhöhungen bei der GmbH können aus Gesellschaftsmitteln oder gegen Einlagen erfolgen. Keine Bedenken bestehen gegen eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln (§ 57c GmbHG) durch den Testamentsvollstrecker.3 Diese begründet weder Einzahlungsverpflichtungen noch Haftungsgefahren für den Erben.4

11.123

bb) Erhöhung der Einlage des Erben Dagegen ist der Testamentsvollstrecker grundsätzlich nicht zur Mitwirkung an einer Kapitalerhöhung gegen Einlagen berechtigt. Denn sie setzt den Erben der unbeschränkbaren persönlichen Einlagenhaftung aus.5

11.124

Ausnahmsweise ist die Mitwirkung durch den Testamentsvollstrecker zulässig, wenn das Stammkapital voll eingezahlt, die Einlage sofort fällig ist, aus Mitteln des Nachlasses erbracht werden kann oder Sicherheit hierfür geleistet ist und schließlich auch das Risiko der Ausfall-

11.125

1 BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, NJW 1989, 3152 (3155). 2 Kämper, RNotZ 2016, 625 (637). 3 Weidlich in Mayer/Bonefeld, Testamentsvollstreckung4, § 19 Rz. 56; Winkler, Der Testamentsvollstrecker22, 3. Abschnitt Rz. 402; Todtenhöfer, RNotZ 2017, 557 (575). 4 Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 245. 5 Fastrich in Baumbach/Hueck22, § 1 GmbHG Rz. 47 f.

Braeuer/Todorow | 869

Kap. 11 Rz. 11.125 | Die Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge

haftung nach § 24 GmbHG (dazu sogleich Rz. 11.128) ausgeschlossen ist.1 Dann besteht keine Gefahr für den Erben.

11.126

Noch nicht abschließend geklärt ist die Rechtsfolge, wenn der Testamentsvollstrecker an einer unzulässigen Kapitalerhöhung gegen Einlagen mitwirkt. Hier kollidieren Erbenschutz und Gläubigerschutz. Eine Ansicht beschränkt die Verpflichtungswirkung zum Schutz des Erben auf den Nachlass.2 Andere betonen den zwingenden Charakter der Kapitalaufbringungsgrundsätze im GmbH-Recht; diese verlangten abweichend von § 2206 BGB aufgrund einer teleologischen Reduktion im Gläubigerinteresse eine unbeschränkte Haftung.3

11.127

Richtig erscheint eine dritte Ansicht, die beide Interessen wahrt. Demnach ist die Handlung des Testamentsvollstreckers unwirksam, der Testamentsvollstrecker selbst indes haftet analog § 179 BGB persönlich auf die Einzahlung der Einlage.4 cc) Ausfallhaftung nach § 24 GmbHG

11.128

Bei Kapitalerhöhungen gegen Einlagen besteht noch ein weiteres Problem. Sind auch Mitgesellschafter verpflichtet, höhere Einlagen zu erbringen, trifft den Erben die Ausfallhaftung nach § 24 GmbHG, wenn die Mitgesellschafter ihrer Pflicht nicht nachkommen. Der Testamentsvollstrecker darf daher nur dann an Kapitalerhöhungen gegen Einlagen von Mitgesellschaftern mitwirken, wenn auch die Ausfallhaftung der Erben nach § 24 GmbHG ausgeschlossen ist.

11.129

Der Testamentsvollstrecker muss mithin darauf achten, dass sämtliche verpflichteten Mitgesellschafter die höhere Einlage vor der Anmeldung zum Handelsregister voll eingezahlt haben.5 Ist dies nicht sichergestellt, muss der Testamentsvollstrecker gegen den Kapitalerhöhungsbeschluss stimmen.6 Das ergibt sich aus seiner Pflicht zur ordnungsgemäßen Nachlassverwaltung (§ 2216 Abs. 1 BGB).7 Wird er überstimmt, muss der Testamentsvollstrecker unverzüglich den Austritt aus der Gesellschaft erklären, um die Ausfallhaftung des Erben zu vermeiden.8 dd) Zulässige Wege zur Kapitalerhöhung ohne Zustimmung des Erben

11.130

Möchte der Testamentsvollstrecker dennoch eine Kapitalerhöhung ohne Zustimmung des Erben erreichen, stehen ihm dafür durchaus Wege offen.

11.131

Denkbar ist zum einen, der Gesellschaft durch schlichte Einzahlung aus Nachlassmitteln zunächst Kapital zuzuführen, diese Mittel in die offenen Rücklagen einzustellen und dann im

1 Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 245; Todtenhöfer, RNotZ 2017, 557 (575). 2 Zimmermann in MüKo8, § 2205 BGB Rz. 53; Klumpp, ZEV 2006, 257 (258). 3 Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 245; J. Mayer, ZEV 2002, 209 (211). 4 Weidlich in Mayer/Bonefeld, Testamentsvollstreckung4, § 19 Rz. 56; Dörrie, ZEV 1996, 370 (373). 5 Todtenhöfer, RNotZ 2017, 557 (576) m.w.N. 6 Weidlich in Mayer/Bonefeld, Testamentsvollstreckung4, § 19 Rz. 57; Werner, ZErb 2008, 195 (198). 7 Todtenhöfer, RNotZ 2017, 557 (576). 8 Zimmermann, Testamentsvollstreckung4, Rz. 532a; Todtenhöfer, RNotZ 2017, 557 (576).

870 | Braeuer/Todorow

B. Rechtsformübergreifende Gestaltungsfragen | Rz. 11.137 Kap. 11

Rahmen einer – ja immer zulässigen – Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln in Stammkapital umzuwandeln.1 Alternativ kann der Testamentsvollstrecker seine Zustimmung zum Kapitalerhöhungsbeschluss und zur Abgabe der Übernahmeerklärung unter die aufschiebende Bedingung stellen, dass alle neu zu leistenden Stammeinlagen voll erbracht sind.2 In beiden Fällen droht eine persönliche Haftung des Erben nicht; sie sind daher zulässig.

11.132

3. Begründung neuer Gesellschafterpflichten Der Gesellschaftsvertrag kann dem Erben weitere persönliche Verpflichtungen auferlegen (§ 3 Abs. 2 GmbHG). Beispiele sind die Zahlung eines einmaligen Zuschusses oder die Wiedereinlageverpflichtung hinsichtlich ausgeschütteter Gewinne im Wege des Ausschüttungsrückholverfahrens.3 Auch an solchen Maßnahmen darf der Testamentsvollstrecker nur mitwirken, wenn die Erfüllung der Verpflichtung aus dem Nachlass gesichert ist.4

11.133

4. Gründung einer neuen Gesellschaft a) Eingeschränkte Befugnis des Testamentsvollstreckers Bei der Gründung einer neuen Gesellschaft ist ebenfalls zu beachten, dass der Testamentsvollstrecker den Erben nicht über den Nachlass hinaus persönlich verpflichten darf. Der Testamentsvollstrecker ist daher nur dann befugt, für den Erben eine neue Gesellschaft zu gründen, wenn dabei ein persönliches, nicht auf den Nachlass beschränkbares Haftungsrisiko des Erben ausgeschlossen ist.

11.134

b) Personengesellschaft Der Testamentsvollstrecker darf grundsätzlich einen Vertrag über die Errichtung einer Personengesellschaft nicht schließen.5 Denn als Gesellschafter einer Personengesellschaft haftet der Erbe persönlich für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft. In folgenden Fällen indes ist die Gründung einer Personengesellschaft ausnahmsweise zulässig:

11.135

Zum einen kann der Testamentsvollstrecker als Treuhänder im eigenen Namen – aber auf Rechnung der Erben – handeln und damit selbst Gesellschafter werden. Dann haftet er allerdings selbst persönlich unbeschränkt.6

11.136

Der Testamentsvollstrecker darf den Erben zudem als Kommanditisten an einer KG beteiligen, wenn sichergestellt ist, dass dem Erben durch die Gründung oder den Gesellschaftsvertrag keine persönlichen Verpflichtungen (§§ 171 Abs. 1, 172, 176 HGB) auferlegt sind.7 Der Testamentsvollstrecker muss also darauf achten, dass die Kommanditeinlage bereits vor dem

11.137

1 Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 245; Todtenhöfer, RNotZ 2017, 557 (576). 2 Weidlich in Mayer/Bonefeld, Testamentsvollstreckung4, § 19 Rz. 58; J. Mayer, ZEV 2002, 209 (211), jeweils mit Gestaltungsvorschlägen. 3 Winkler, Der Testamentsvollstrecker22, 3. Abschnitt Rz. 403; Todtenhöfer, RNotZ 2017, 557 (576). 4 J. Mayer, ZEV 2002, 209 (211); Winkler, Der Testamentsvollstrecker22, 3. Abschnitt Rz. 403; Todtenhöfer, RNotZ 2017, 557 (576). 5 Winkler, Der Testamentsvollstrecker22, 3. Abschnitt Rz. 376. 6 Winkler, Der Testamentsvollstrecker22, 3. Abschnitt Rz. 376, 378. 7 Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 218.

Braeuer/Todorow | 871

Kap. 11 Rz. 11.137 | Die Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge

Erwerb durch den Testamentsvollstrecker voll einbezahlt ist und auch keine Haftung wegen früherer Einlagenrückgewähr (§ 172 Abs. 4 HGB) droht. Dann darf der Testamentsvollstrecker eine derartige Beteiligung für den Erben eingehen.1 c) Gründung einer GmbH

11.138

Bei Gründung einer GmbH gelten die gesellschaftsrechtlichen Kapitalaufbringungsgrundsätze, nach denen die Gründer persönlich haften (§§ 9, 9 a, 24 GmbH). Diese persönliche Haftung ist aus Gründen des Gläubigerschutzes unabdingbar. Der Erbe kann sich ihr also nicht durch Haftungsbeschränkung auf den Nachlass entziehen. Der Testamentsvollstrecker darf deshalb keine GmbH mit Wirkung für die Erben ohne deren Zustimmung gründen.2

11.139

Hingegen darf der Testamentsvollstrecker eine GmbH gründen als Treuhänder im eigenen Namen. Das ist keine Ausnahme, sondern Bestätigung des vorgenannten Grundsatzes. In diesem Fall gründet der Testamentsvollstecker die GmbH nicht mit Wirkung für die Erben – wenn auch auf deren Rechnung –, sondern im eigenen Namen. Der Testamentsvollstrecker müsste sich mithin auch bereitfinden, die persönliche Kapitalaufbringungshaftung selbst zu übernehmen.3

11.140

Daneben ist streitig, ob eine Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot der GmbH-Gründung zuzulassen ist, wenn der Testamentsvollstrecker das persönliche Haftungsrisiko des Erben de facto ausschließt. Das ist der Fall, wenn der Testamentsvollstrecker sicherstellt, dass alle Leistungspflichten des Erben aus dem Nachlass erfüllbar sind und auch alle Mitgesellschafter ihre Pflichten erfüllt haben. Dann bestehen persönliche Haftungsrisiken des Erben „nur auf dem Papier“.

11.141

Gleichwohl plädiert ein Teil der Literatur auch in diesen Fällen dagegen, dem Testamentsvollstrecker die Gründung zu erlauben. Es sei nie sicher auszuschließen, ob es nicht doch im Zuge einer GmbH-Gründung zu einer persönlichen Haftung des Erben komme.4 Die Gegenansicht stellt darauf ab, ob eine über den Nachlass hinausgehende persönliche Haftung des Erben praktisch in Betracht kommt. Ist dies nicht der Fall, insbesondere weil alle Stammeinlagen bei der Anmeldung der Gesellschaft voll eingezahlt sind und die Erfüllung von Nebenleistungspflichten aus dem Nachlass sichergestellt ist, sei der Testamentsvollstrecker zur Gründung einer GmbH mit Wirkung für den Erben berechtigt.5

11.142

Diese Frage ist höchstrichterlich nicht geklärt.6 In Anbetracht der damit einhergehenden Unsicherheit wird der Praktiker über alternative Gestaltungen nachdenken. Dafür bietet sich eine Vorratsgesellschaft an. Eine solche kann entweder der Erblasser bereits zu Lebzeiten gründen oder der Testamentsvollstrecker erwerben. Mit dieser Vorratsgesellschaft kann sich der Testamentsvollstrecker dann ohne persönliche Haftungsrisiken des Erben an der Gründung der neuen GmbH beteiligen.7 1 OLG Hamburg v. 12.10.1981 – 2 W 16/80, DNotZ 1983, 381; Damrau, DNotZ 1984, 664. 2 Todtenhöfer, RNotZ 2017, 557 (572); Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 244. 3 Todtenhöfer, RNotZ 2017, 557 (572); Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 244. 4 Roth in Roth/Altmeppen9, § 1 GmbHG Rz. 31; Fastrich in Baumbach/Hueck22, § 1 GmbHG Rz. 46. 5 Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 244 m.w.N. 6 Todtenhöfer, RNotZ 2017, 557 (573). 7 Todtenhöfer, RNotZ 2017, 557 (573).

872 | Braeuer/Todorow

B. Rechtsformübergreifende Gestaltungsfragen | Rz. 11.149 Kap. 11

d) Gründung einer AG Auch die Gründer einer AG trifft eine unbeschränkbare persönliche Haftung (§ 46 AktG). Daher ist der Testamentsvollstrecker nicht befugt, sich mit Wirkung für die Erben an der Gründung einer AG zu beteiligen. In Betracht kommt aber wie bei der GmbH (Rz. 11.142) die Gründung einer Vorrats-AG zu Lebzeiten.1

11.143

5. Umwandlungen a) Von der Personengesellschaft zur Kapitalgesellschaft aa) Einlagenhaftung

Das Umwandlungsgesetz sieht persönliche Haftungstatbestände der Gesellschafter sowohl des übernehmenden als auch des übertragenden Rechtsträgers vor. Daraus ergeben sich Grenzen für die Befugnisse des Testamentsvollstreckers, an einem Umwandlungsbeschluss mitzuwirken.

11.144

Auf den ersten Blick könnte man meinen, die Umwandlung einer Personen- in eine Kapitalgesellschaft durch den Testamentsvollstrecker müsse unter Haftungsgesichtspunkten unproblematisch möglich sein. Der Erbe haftet nach außen fortan ja gerade nicht mehr persönlich, sondern wird vom Testamentsvollstrecker unter den Schutzmantel der Kapitalgesellschaft geführt.

11.145

Indes besteht bei der Umwandlung eine persönliche Einlagenhaftung der Gesellschafter. § 197 UmwG verweist auf die Gründungsvorschriften des GmbHG und AktG. Wie bei Neugründung haften die Gesellschafter mithin bei Umwandlung für die Richtigkeit und Vollständigkeit der zum Zweck der Umwandlung gemachten Angaben (§ 9a GmbHG, § 46 AktG). Zudem greift die Differenzhaftung gem. § 9 GmbHG und die Gesamthaftung für Mitgesellschafter nach § 24 GmbHG. Bei einem Formwechsel in eine Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien besteht nach der Rechtsprechung ebenfalls eine Differenzhaftung, für die alle Gesellschafter haften, gleich ob sie für oder gegen die Umwandlung gestimmt haben.2

11.146

Diese persönliche Einlagenhaftung kann der Erbe nicht auf den Nachlass beschränken. Deshalb ist der Testamentsvollstrecker nicht befugt, ohne Zustimmung des Erben an einer Umwandlung in eine Kapitalgesellschaft mitzuwirken.3

11.147

Allerdings stellt sich wie bei Gründung einer Kapitalgesellschaft (Rz. 11.140 ff.) auch bei der Umwandlung die Frage, ob eine Ausnahme gilt, wenn nachgewiesen ist, dass der Nachlass jedes persönliche Haftungsrisiko abdeckt bzw. wenn der Testamentsvollstrecker analog § 2128 Abs. 2 BGB aus dem Nachlass Sicherheit leistet, um etwaige Haftungsrisiken des Erben auszuschalten. Das wird überwiegend bejaht.4

11.148

bb) Kernbereich? Neben der persönlichen Einlagenhaftung gibt die Kernbereichslehre Anlass zu Bedenken gegen die Umwandlung durch den Testamentsvollstrecker. 1 2 3 4

Winkler, Der Testamentsvollstrecker22, 3. Abschnitt Rz. 410. Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 275 m.w.N. Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 275. Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 275; Dörrie, GmbHR 1996, 246.

Braeuer/Todorow | 873

11.149

Kap. 11 Rz. 11.150 | Die Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge

11.150

Teile der Literatur halten die Zustimmung des Erben zur Umwandlung stets für erforderlich, selbst dann, wenn die persönliche Einlagenhaftung des Erben durch Zahlung oder Sicherheit aus dem Nachlass ausgeschlossen sei. Die Umwandlung greife in den Kernbereich der Mitgliedschaft ein.1 Nach anderer Ansicht sei die Kernbereichslehre hingegen im Verhältnis zwischen Testamentsvollstrecker und Erbe ohnehin nicht anwendbar (s. dazu Rz. 11.95 ff.) Nach einer Entscheidung des LG Mannheim ist die Umwandlung durch den Testamentsvollstrecker zulässig, mag sie sich auch auf den Kernbereich der Mitgliedschaft auswirken, wenn damit keine persönliche Haftung der Erben verbunden ist.2

11.151

Die Frage ist höchstrichterlich nicht geklärt. Dem Testamentsvollstrecker ist daher zu empfehlen, wenn irgend möglich die Zustimmung des Erben einzuholen.3 Will der Erblasser die Umwandlung notfalls auch gegen den Willen der Erben durchgesetzt sehen, kann er dem Testamentsvollstrecker eine entsprechende Vollmacht erteilen in Verbindung mit einem erbrechtlichen Druckmittel – Auflage oder Bedingung – auf die Erben (dazu Rz. 11.103 ff.). b) Von der Kapitalgesellschaft zur Personengesellschaft

11.152

Eine Umwandlung durch den Testamentsvollstrecker in die umgekehrte Richtung – von der Kapital- zur Personengesellschaft – löst Störgefühle aus. Die Umwandlung etwa zu einer oHG führt zu einer persönlichen – und eben nicht auf den Nachlass beschränkbaren – Haftung des Erben. Die Unzulässigkeit dieser Umwandlung wird teils mit der Kernbereichslehre begründet.4 Sie ergibt sich indes bereits daraus, dass der Testamentsvollstrecker keine unbeschränkbare Haftung des Erben begründen darf. Eben dazu führt die Umwandlung hier, weil der Erbe für Verbindlichkeiten der Gesellschaft fortan persönlich haftet.

11.153

Besonderheiten gelten auch hier bei der Kommanditbeteiligung. Ist sichergestellt, dass der Erbe durch Erbringung der Einlage von seiner Kommanditistenhaftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern befreit ist, dann ist die Umwandlung durch den Testamentsvollstrecker auch ohne Zustimmung des Erben zulässig.5 c) Von einer Kapitalgesellschaft in eine andere Kapitalgesellschaft

11.154

Hierzu ist der Testamentsvollstrecker berechtigt.6 Bei dieser Art der Umwandlung begründet der Testamentsvollstrecker in der Regel keine weitergehenden Verpflichtungen für den Erben als bisher. Anders ist dies nur bei einem inkongruenten Formwechsel (§§ 241, 242 UmwG), der die kapitalmäßige Beteiligung ändert oder Sonderrechte beeinträchtigt.7

11.155

Der Zulässigkeit der Umwandlung steht nach verbreiteter Ansicht die über §§ 197, 245 UmwG angeordnete Gründerhaftung (§ 9a GmbHG, § 46 Abs. 3, 4 AktG) nicht entgegen.8

Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 276. LG Mannheim v. 10.11.1998 – 2 O 193/98 (rkr.). Todtenhöfer, RNotZ 2017, 557 (574). Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 277. Winkler, Der Testamentsvollstrecker22, 3. Abschnitt Rz. 410a; Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 277. 6 BayObLG v. 29.3.1976 – 1 Z 9/76, NJW 1976, 1692; Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 279. 7 Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 279. 8 Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 280. 1 2 3 4 5

874 | Braeuer/Todorow

B. Rechtsformübergreifende Gestaltungsfragen | Rz. 11.160 Kap. 11

§ 9a Abs. 3 GmbHG, § 46 Abs. 3, 4 AktG knüpfen an die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen der die Ersatzpflicht begründenden Tatsachen an, hier also von falschen Angaben bei Errichtung der Gesellschaft oder grob schuldhaftem schädigendem Verhalten anderer Gesellschafter. Dem Gesellschafter-Erben bleiben die fraglichen Tatsachen bei Testamentsvollstreckung indes regelmäßig verborgen, und eine Wissenszurechnung der Kenntnis des Testamentsvollstreckers scheidet aus.1 Diese Ansicht überzeugt allerdings nicht. Das Verschulden des Gesellschafters – hier also des Erben – wird nach § 9a Abs. 3 GmbHG, § 46 Abs. 3 AktG vermutet.2 Der Erbe müsste also nachweisen, dass er die Fehlerhaftigkeit der Angaben oder das schädigende Verhalten von Mitgesellschaftern weder kannte noch kennen musste. Dabei kann er durchaus in Beweisnot geraten. Der Testamentsvollstrecker setzt den Erben also doch einem persönlichen Haftungsrisiko aus. Obendrein mag der Erbe tatsächlich über falsche Angaben oder das schädigende Verhalten von Mitgesellschaftern Bescheid wissen. Allein aufgrund der Testamentsvollstreckung fehlt ihm die Rechtsmacht, etwas dagegen zu unternehmen und sich vor der persönlichen Haftung zu schützen.

11.156

Deshalb spricht mehr dafür, dem Testamentsvollstrecker die Befugnis abzusprechen, die Umwandlung ohne Zustimmung des Erben vorzunehmen, wenn er nicht sicherstellt, dass eine Gründerhaftung des Erben ausscheidet.

11.157

d) Fortbestand der Testamentsvollstreckung nach Umwandlung Die Umwandlung berührt die Testamentsvollstreckung als solche nicht. Sie setzt sich am neuen Gesellschaftsanteil fort.3

11.158

Diskutiert wird, ob der Testamentsvollstrecker bei Umwandlung einer Personen- in eine Kapitalgesellschaft seine bisherigen – bei persönlich haftenden Beteiligungen eingeschränkten – Befugnisse erweitern kann. Die herrschende Meinung lehnt das ab.4 Bestand die Testamentsvollstreckung an einer vollhaftenden Beteiligung (Komplementär-Anteil, oHG), erfasste sie bislang ja nur die Außenseite der Beteiligung, also die Vermögensrechte (dazu Rz. 11.269 ff.). Daher könne der Testamentsvollstrecker nach Umwandlung auch hinsichtlich des GmbHAnteils nur die Vermögensrechte verwalten, nicht aber die auf der Innenseite der Beteiligung liegenden Mitgliedschaftsrechte.

11.159

Eine pauschale Antwort überzeugt indes nicht. Maßgeblich ist der Wille des Erblassers. Hat der Erblasser angeordnet – oder ergibt die Auslegung der letztwilligen Verfügung –, dass der Testamentsvollstrecker die persönlich haftende Beteiligung in einen GmbH-Anteil umwandeln und diesen dann in vollem Umfange verwalten soll, dann erstreckt sich die Testamentsvollstreckung nach der Umwandlung auch auf die Innenseite der GmbH-Beteiligung.5

11.160

1 Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 280; Dörrie, GmbHR 1996, 245 (248). 2 Servatius in Baumbach/Hueck22, § 9a GmbHG Rz. 17. 3 Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 270 ff. 4 Winkler, Der Testamentsvollstrecker22, 3. Abschnitt Rz. 379; Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 271 m.w.N. 5 Reimann, Testamentsvollstreckung in der Wirtschaftsrechtspraxis3, Rz. 472.

Braeuer/Todorow | 875

Kap. 11 Rz. 11.161 | Die Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge

6. Erwerb von Anteilen 11.161

Der Testamentsvollstrecker ist nicht zum Erwerb von persönlich haftenden Anteilen an einer Personengesellschaft befugt. Dadurch würde der Testamentsvollstrecker den Erben der unbeschränkbaren persönlichen Haftung gegenüber Gesellschaftsgläubigern aussetzen. Zulässig ist lediglich der Erwerb einer Kommanditbeteiligung, wenn sichergestellt ist, dass den Erben keine persönlichen Verpflichtungen treffen, vor allem also die Kommanditeinlage vor dem Erwerb voll einbezahlt ist (s. Rz. 11.287).

11.162

Auch der Erwerb von GmbH-Anteilen durch den Testamentsvollstrecker ist nur möglich, wenn eine persönliche und unbeschränkbare Haftung des Erben ausgeschlossen ist.1 Der Testamentsvollstrecker darf die Anteile daher nicht erwerben, wenn Nebenleistungspflichten gem. § 3 Abs. 2 GmbHG oder persönliche Rückstände aus Einlagen-, Verlustdeckungs- oder Vorbelastungshaftung bestehen.2 Ebenso wenig dürfen eine Ausfallhaftung nach § 24 GmbHG noch Rückerstattungspflichten nach § 31 GmbHG in Frage kommen.3

7. Veräußerung von Anteilen 11.163

Gemäß § 2205 Satz 2 BGB ist der Testamentsvollstrecker berechtigt, über den Nachlass zu verfügen. Er kann deshalb auch ohne Zustimmung des Erben den Geschäftsanteil veräußern, das vererbte Einzelunternehmen oder die vererbte Geschäftsbeteiligung veräußern, solange er sich damit im Rahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung und der sonstigen Schranken (keine unentgeltliche Verfügung, keine Belastung des Erben mit über den Nachlass hinausgehenden persönlichen Pflichten) bewegt.4

III. Register- und grundbuchrechtliche Fragen 1. Testamentsvollstreckervermerk im Handelsregister a) Abwicklungsvollstreckung

11.164

Die Eintragung eines Testamentsvollstreckervermerks im Handelsregister richtet sich nach der Art der Testamentsvollstreckung, der Gesellschaftsform und dem Schutzzweck des Handelsregisters.

11.165

Bei der reinen Abwicklungsvollstreckung wird unabhängig von der Rechtsform des Unternehmens kein Testamentsvollstreckervermerk im Handelsregister eingetragen. Dafür besteht kein Bedürfnis.5 b) Dauervollstreckung über Kommanditanteil aa) Zulässigkeit der Eintragung

11.166

Die Eintragung eines Testamentsvollstreckervermerks im Handelsregister bei Dauervollstreckung an einer Kommanditbeteiligung ist zulässig. Die unmittelbare Außenwirkung der

1 2 3 4 5

Todtenhöfer, RNotZ 2017, 557 (574). Todtenhöfer, RNotZ 2017, 557 (574). Todtenhöfer, RNotZ 2017, 557 (574). Todtenhöfer, RNotZ 2017, 557 (574). Schaub in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn4, § 8 HGB Rz. 125.

876 | Braeuer/Todorow

B. Rechtsformübergreifende Gestaltungsfragen | Rz. 11.172 Kap. 11

Dauervollstreckung begründet ein schutzwürdiges Informationsbedürfnis des Rechtsverkehrs. Das hat der BGH im Jahr 2012 entschieden.1 bb) Anmeldepflicht des Testamentsvollstreckers? Der BGH hat dabei aber nur die Zulässigkeit der Eintragung behandelt. Offen ist bislang die Frage, ob nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht des Testamentsvollstreckers besteht, die Eintragung im Handelsregister zu beantragen.

11.167

Das wird überwiegend bejaht aufgrund der unmittelbaren Außenwirkung der Dauervollstreckung.2 Die Dauervollstreckung ändert die Befugnisse zur Wahrnehmung der Gesellschafterrechte und -pflichten. Obendrein schließt die Testamentsvollstreckung gem. § 2214 BGB den Zugriff der Eigengläubiger des Gesellschaftererben auf die Beteiligung aus. Dazu kommen die Beschränkung der Verfügungsbefugnis des Erben gem. § 2211 BGB und die fehlende Befugnis des Testamentsvollstreckers, die Einlage ohne Zustimmung des Erben zu erhöhen. All diese Wirkungen der Testamentsvollstreckung rechtfertigen ein erhebliches Interesse des Rechtsverkehrs an der Offenlegung und damit eine Eintragungspflicht.3

11.168

Dem Testamentsvollstrecker ist daher zu empfehlen, in jedem Falle den Vermerk eintragen zu lassen, um eine Pflichtverletzung zu vermeiden.

11.169

c) Einzelkaufmann, persönlich haftende Anteile Die Dauervollstreckung über ein einzelkaufmännisches Unternehmen und über persönlich haftendende Anteile (oHG- und Komplementärbeteiligung) ist – jedenfalls weitgehend – unzulässig (dazu Rz. 11.216 ff., Rz. 11.264 ff.). Daraus könnte man folgern, die Testamentsvollstreckung sei in diesen Fällen nicht eintragungsfähig.4 Indes ist die Frage offen.

11.170

Die Eintragung eines Testamentsvollstreckervermerks wird in jüngster Zeit zunehmend auch für Einzelkaufmann und persönlich haftende Beteiligungen bejaht.5 Diese Stimmen verweisen auf die Entscheidung des BGH, wonach der Testamentsvollstreckervermerk bei der Kommanditbeteiligung eintragungsfähig ist.6 Auf den ersten Blick trägt der Verweis nicht. Anders als bei Einzelkaufmann und persönlich haftender Beteiligung ist die Dauervollstreckung bei der Kommanditbeteiligung in vollem Umfange zulässig (dazu Rz. 11.287 f.).

11.171

Dieser Umstand ist aber bei näherem Hinsehen nicht die tragende Begründung des BGH. Vielmehr argumentiert der BGH mit dem schutzwürdigen Bedürfnis des Rechtsverkehrs, durch das Handelsregister über die angeordnete Dauertestamentsvollstreckung informiert zu werden. Dieses Bedürfnis des Rechtsverkehrs mag bei der Kommanditbeteiligung noch stärker sein, da dort die Dauervollstreckung in vollem Umfang auch hinsichtlich der „Innenseite“ der Beteiligung zulässig ist (Rz. 11.287). Aber etwa § 2214 BGB entfaltet Schutzwirkung auch bei der Dauervollstreckung über Einzelunternehmen und persönlich haftende Anteile: Dem-

11.172

1 2 3 4 5

BGH v. 14.2.2012 – II ZB 15/11, DStR 2012, 866. Dazu Kämper, RNotZ 2016, 625 (639) mit Nachweisen in Fn. 260. K. Schmidt in MüKo4, § 177 HGB Rz. 37; Heckschen/Strnad, NZG 2014, 1201 (1207). So wohl Müther in BeckOK, § 8 HGB Rz. 14 (Stand 15.4.2020). Lange, Erbrecht2, Kap. 19 Rz. 142; Zimmermann in MüKo8, § 2205 BGB Rz. 23 und 37; v. Proff, DStR 2018, 415 (418). 6 BGH v. 14.2.2012 – II ZB 15/11, DStR 2012, 866.

Braeuer/Todorow | 877

Kap. 11 Rz. 11.172 | Die Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge

nach können Eigengläubiger des Erben nicht auf das Unternehmen zugreifen. Diese Information ist durchaus von Belang für den Rechtsverkehr. Das spricht für die Eintragung des Testamentsvollstreckervermerks auch bei Einzelunternehmen und persönlich haftenden Beteiligungen.1

11.173

Es bleibt abzuwarten, wie die Registergerichte diese Frage in Zukunft beantworten. d) Vollmacht und Treuhand aa) Vollmacht

11.174

Die Probleme der Dauervollstreckung bei Einzelunternehmen und persönlich haftenden Anteilen haben die Praxis zu Ersatzkonstruktionen veranlasst. Dabei werden entweder Erbe (Vollmachtlösung) oder Testamentsvollstrecker (Treuhandlösung) Inhaber des Handelsgeschäfts bzw. des Gesellschaftsanteils (dazu im Einzelnen Rz. 11.236 ff., Rz. 11.277). Für die Eintragung im Handelsregister gilt dann Folgendes:

11.175

Bei der Vollmachtlösung werden die Erben als Inhaber des Handelsgeschäfts ins Handelsregister eingetragen.2 Die Testamentsvollstreckung taucht im Handelsregister nicht auf. Ein Testamentsvollstreckervermerk wird nicht eingetragen. bb) Treuhand

11.176

Bei der Treuhandlösung ist der Testamentsvollstrecker Inhaber des Unternehmens. Er wird ins Handelsregister eingetragen, und zwar als Privatperson, nicht „als Testamentsvollstrecker“3. cc) Wer ist anmeldepflichtig?

11.177

Noch nicht restlos geklärt ist, wer bei Vollmacht und Treuhand anmeldepflichtig ist.4 In Betracht kommen Erbe, Testamentsvollstrecker oder beide gemeinsam. Richtig erscheint folgendes: Anmeldepflichtig ist, wer ins Handelsregister eingetragen wird. Bei der Vollmacht ist also der Erbe, bei der Treuhand der Testamentsvollstrecker anmeldepflichtig.5

11.178

Mit Blick auf die rechtliche Ungewissheit ist in der Praxis dennoch sowohl dem Testamentsvollstrecker als auch dem Erben zu empfehlen, die Anmeldung zu veranlassen. e) Gesellschafterliste der GmbH

11.179

Lange war umstritten, ob ein Testamentsvollstreckervermerk in die nach § 40 GmbHG zum Handelsregister einzureichende Gesellschafterliste eingetragen werden kann.6 Der BGH hat diese Frage im Jahr 2015 beantwortet und verneint.7 Lange, Erbrecht2, Kapitel 19, Rz. 142; Zimmermann in MüKo8, § 2205 BGB Rz. 23 und 37. Zimmermann, Testamentsvollstreckung4, Rz. 502. Zimmermann, Testamentsvollstreckung4, Rz. 506. Zimmermann, Testamentsvollstreckung4, Rz. 502 (Vollmacht) und Rz. 506 (Treuhand), jeweils m.w.N. 5 Lange in BeckOK, § 2197 BGB Rz. 16 (Stand 1.5.2020). 6 Todtenhöfer, RNotZ 2017, 557 (570 f.) m.w.N. 7 BGH v. 24.2.2015 – II ZB 17/15, NJW 2015, 1303.

1 2 3 4

878 | Braeuer/Todorow

B. Rechtsformübergreifende Gestaltungsfragen | Rz. 11.186 Kap. 11

f) Aktienregister Dagegen ist die Eintragung des Testamentsvollstreckers im Aktienregister nach überwiegender Ansicht zulässig.1 Anders als das Handelsregister ist das Aktienregister kein öffentliches Register, sondern unterliegt dem Privatrecht, und ist anders als die Gesellschafterliste (§ 9 Abs. 1 HGB) nicht von jedermann einzusehen und nicht jederzeit elektronisch abrufbar. Das Aktienregister unterliegt daher nicht den gleichen Anforderungen an Registerklarheit. Darauf hat auch der BGH in der Entscheidung zur Unzulässigkeit des Testamentsvollstreckervermerks in der GmbH-Gesellschafterliste hingewiesen.2

11.180

2. Wahrnehmung von Anmeldungen gegenüber dem Registergericht a) Abwicklungsvollstreckung Anmeldepflichtige Tatsachen sind z.B. Änderungen von Personalien, Umwandlungen, etc.3 Für die Wahrnehmung der Anmeldungen gegenüber dem Registergericht gilt Folgendes:

11.181

Bei bloßer Abwicklungsvollstreckung, gleich in welcher Rechtsform, sind die Erben zusammen mit den weiteren Gesellschaftern anmeldepflichtig.4 Die Anmeldung gehört nicht zur Abwicklung, sondern zur Verwaltung des Nachlasses. Dafür bleiben bei reiner Abwicklungsvollstreckung die Erben zuständig.

11.182

b) Dauervollstreckung Bei Dauervollstreckung ist der Testamentsvollstrecker für die Anmeldung zum Handelsregister zuständig. Die Anmeldung zum Handelsregister ist keine höchstpersönliche Pflicht des Gesellschafter-Erben.5 Die Anmeldung gehört daher zu der dem Testamentsvollstecker obliegenden Verwaltung.

11.183

Streitig ist, ob den Erben neben dem Dauertestamentsvollstrecker ein eigenes Anmelderecht bleibt. Das wird überwiegend abgelehnt. Ein eigenes Anmelderecht der Erben widerspreche dem Zweck der Testamentsvollstreckung, den Erblasserwillen zu verwirklichen.6

11.184

3. Grundbuch Gemäß § 52 GBO ist die Testamentsvollstreckung im Grundbuch des Eigentümers einzutragen. Für die Testamentsvollstreckung an Unternehmensbeteiligungen ergibt sich daraus Folgendes:

11.185

Ist Eigentümer eine Kapitalgesellschaft, wird kein Testamentsvollstreckervermerk im Grundbuch eingetragen. Eigentümer ist nicht der Erbe, sondern die Gesellschaft.

11.186

Bayer in MüKo5, § 67 AktG Rz. 35; Koch in Hüffer/Koch14, § 67 AktG Rz. 9. BGH v. 24.2.2015 – II ZB 17/14, NJW 2015, 1303 (1304) Rz. 9. Beispiele bei Hopt in Baumbach/Hopt39, § 8 HGB Rz. 5. Lange in BeckOK, § 2197 BGB Rz. 16 (Stand 1.5.2020); OLG München v. 7.7.2009 – 31 Wx 115/ 08, ZEV 2009, 475; OLG Hamm v. 10.12.2010 – 15 W 636/10, ZEV 2011, 200. 5 Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 211; Winkler, Der Testamentsvollstrecker22, 3. Abschnitt VIII Rz. 373. 6 Heckschen/Strnad, NZG 2014, 1201 (1206) m.w.N. 1 2 3 4

Braeuer/Todorow | 879

Kap. 11 Rz. 11.187 | Die Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge

11.187

Nicht ganz eindeutig ist, ob dieser Grundsatz auch bei Personengesellschaften gilt. Nach § 52 GBO kommt es darauf an, ob das Grundstück „der Verwaltung des Testamentsvollstreckers unterliegt“. Nach der Lehre des BGH von der „Außenseite“ und „Innenseite“ des Gesellschaftsanteils ist die Dauervollstreckung an Personengesellschaften nicht (mehr) vollen Umfangs unzulässig, sondern erfasst die Außenseite des Gesellschaftsanteils.1 Mit Blick auf diese Entscheidung hielt das LG Hamburg die Eintragung eines Testamentsvollstreckervermerks hinsichtlich eines GbR-Anteils im Grundbuch für denkbar2.

11.188

Das überzeugt nicht. Die Geschäftsführung in Personengesellschaften gehört zur Innenseite der Beteiligung.3 An Verfügungen über das Grundstück nimmt der Testamentsvollstrecker also nicht teil, sondern allein der Gesellschafter-Erbe.4 Damit nicht zu verwechseln ist die Befugnis, über den Gesellschaftsanteil als solchen zu verfügen (§ 2211 BGB). Dieses Recht gehört zur Außenseite und unterliegt der Testamentsvollstreckung.5 Die Verfügung über einen einzelnen Vermögensgegenstand hingegen – hier: Grundstück – ist eine Maßnahme der Geschäftsführung, die in der Personengesellschaft der alleinigen Verwaltung des Erben unterliegt. Daher bedarf es keiner Eintragung eines Testamentsvollstreckervermerks.

IV. Internationale Nachlässe 1. Sonderstellung im internationalen Vergleich 11.189

Der Testamentsvollstrecker deutscher Prägung ist im internationalen Vergleich ein Unikum. Nur in der Schweiz, den Niederlanden, Griechenland und der Türkei hat ein Testamentsvollstrecker ähnlich weitreichende Befugnisse.6 Aber selbst dort bestehen erhebliche Unterschiede. So hat z.B. der Schweizer „Willensvollstrecker“ keine Abschirmfunktion gegen Eigengläubiger7 und unterliegt behördlicher Aufsicht8. Andere Rechtsordnungen kennen entweder gar keine Testamentsvollstreckung oder nur eine solche mit sehr eingeschränkten Befugnissen des Testamentsvollstreckers.9

2. Folgerungen für die Gestaltung 11.190

Für die Testamentsvollstreckung bei Unternehmensnachfolge mit internationalem Bezug sind daraus folgende praktische Konsequenzen zu ziehen: – Dem Erblasser ist zu empfehlen, in der letztwilligen Verfügung vorsorglich eine ausdrückliche Rechtswahl hin zum deutschen Recht zu treffen. Dies wendet die Gefahr ab, dass der Erblasser später durch einen Wechsel seines gewöhnlichen Aufenthalts unversehens auch das Erbstatut ändert. Dadurch würde das Konzept der Testamentsvollstreckung in den meisten Fällen scheitern.

1 2 3 4 5 6 7 8 9

BGH v. 10.1.1996 – IV ZB 21/94, ZEV 1996, 110. LG Hamburg v. 15.09.2008 – 321 T 55/08, ZEV 2009, 96. Weidlich in Palandt79, § 2205 BGB Rz. 12. v. Proff, DStR 2018, 415 (418). Lorz/Kirchdörfer, Unternehmensnachfolge2, Kap. 5 Rz. 105. Reimann, ZEV 2015, 510 (511). Haas in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 9 Rz. 432. Haas in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 9 Rz. 438. Reimann, ZEV 2015, 510 (511 f.); ausführliche Länderberichte bei Becker/Süß/Haas in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 9 Rz. 174 ff.

880 | Braeuer/Todorow

B. Rechtsformübergreifende Gestaltungsfragen | Rz. 11.196 Kap. 11

– Bei Auslandsberührung ist zu prüfen, ob im jeweiligen Land, zu dem ein Bezug besteht, die Testamentsvollstreckung anerkannt wird, und unter welchen Voraussetzungen der Testamentsvollstrecker dort handeln kann.1 – Hält der Erblasser persönlich Unternehmensbeteiligungen im Ausland, ist ihm zu raten, zu Lebzeiten eine in Deutschland ansässige Holding-Gesellschaft zu gründen. Abzuraten ist dagegen von einer post- oder transmortalen Vollmacht an den Testamentsvollstrecker. Viele Rechtsordnungen kennen das Konzept einer post- oder transmortalen Vollmacht nicht; dort erlischt eine Vollmacht immer mit dem Tod.2

11.191

V. Interessenkollisionen in der Person des Testamentsvollstreckers 1. § 181 BGB § 181 BGB ist nicht unmittelbar auf den Testamentsvollstrecker anwendbar. Der Testamentsvollstrecker handelt weder im eigenen Namen noch als Vertreter, sondern kraft Amtes.3 Aufgrund der ähnlichen Interessenlage wird eine analoge Anwendung weithin befürwortet.4

11.192

Der Erblasser sollte in Betracht ziehen, den Testamentsvollstrecker in der letztwilligen Verfügung von § 181 BGB zu befreien. Das gilt insbesondere, wenn der Testamentsvollstrecker geschäftsführend tätig werden soll.5 So darf der Testamentsvollstrecker sein Stimmrecht bei der Wahl seiner selbst zum Geschäftsführer nur dann – ohne Zustimmung der Erben – ausüben, wenn der Erblasser ihm dies durch Befreiung von § 181 BGB gestattet hat.6

11.193

2. Stimmverbot aus § 47 Abs. 4 GmbHG Die gleiche Frage stellt sich mit Blick auf die Entlastung des Testamentsvollstreckers als Geschäftsführer oder Organmitglied gem. § 47 Abs. 4 Satz 1 GmbHG.7 Die Vorschrift beruht auf dem allgemeinen Verbot des Richtens in eigener Sache, das auch in der Personengesellschaft und in der Aktiengesellschaft gilt.8

11.194

Rechtlich zweifelhaft ist, ob die Befreiung des Testamentsvollstreckers durch den Erblasser wie bei § 181 BGB rechtlich möglich ist. Es handelt sich um einen Interessenkonflikt zwischen Gesellschaft und Testamentsvollstrecker.9 Das spricht dagegen, dass der Erblasser den Testamentsvollstrecker davon befreien kann. Folglich üben die Erben das Stimmrecht aus.

11.195

An dieser Stelle wäre den Erben ein Druckmittel an die Hand gegeben, weil sie dem Testamentsvollstrecker ihre Stimme für die Entlastung verweigern können. st dies nicht erwünscht, sollte der Erblasser in Betracht ziehen, im Falle eines in der Person Ides Testaments-

11.196

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Mayer/Bonefeld, Testamentsvollstreckung4, § 43 Rz. 1 ff. Reimann, ZEV 2015, 510 (514). Lorz in Scherer, MAH Erbrecht5, § 19 Rz. 139. BGH v. 29.4.1959 – V ZR 11/58, NJW 1959, 1429; Weidlich in Palandt79, § 2205 BGB Rz. 25; Reimann, GmbHR 2011, 1297 (1300) m.w.N. Reimann, GmbHR 2011, 1297 (1300). BGH v. 9.12.1968 – II ZR 57/67, NJW 1969, 841. Lorz/Kirchdörfer, Unternehmensnachfolge2, Kap. 5 Rz. 112. Enzinger in MüKo4, § 119 HGB Rz. 30. Wolff in Münchener Hdb. Gesellschaftsrecht5, Bd. 3, § 38 Rz. 22.

Braeuer/Todorow | 881

Kap. 11 Rz. 11.196 | Die Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge

vollstreckers begründeten Stimmverbotes zugleich das Stimmrecht des Gesellschafter-Erben ruhen zu lassen.1 Dies ist durch entsprechende Regelungen im Gesellschaftsvertrag möglich.

3. Personenidentität mit gesetzlichem Vertreter oder Pfleger a) Gesetzlicher Vertreter als Testamentsvollstrecker

11.197

Gerade in Familienunternehmen bestimmt der Erblasser zuweilen ein mit den Unternehmensbelangen besonders gut vertrautes Familienmitglied zum Testamentsvollstrecker. Dann kann es zu Situationen kommen, in denen das Familiengericht für bestimmte Entscheidungen einen Ergänzungspfleger bestellen müsste. Der Einfluss von außen durch einen familienfremden Pfleger wird aber in der Regel nicht dem Willen des Erblassers entsprechen.

11.198

Zu dieser Doppelstellung kann es etwa kommen, wenn der Erblasser sein Geschwister als Testamentsvollstrecker einsetzt und dessen Abkömmlinge als Erben oder Ersatzerben.

11.199

Die Doppelstellung begründet einen latenten Interessenkonflikt. Dieser beschränkt indessen nicht die Rechte als Testamentsvollstrecker, sondern die Vertretungsmacht als gesetzlicher Vertreter.2 Es droht die Entziehung der Vertretungsmacht des gesetzlichen Vertreters wegen erheblichen Interessengegensatzes gem. § 1796 BGB.3 Das Familiengericht setzt dann einen Ergänzungspfleger ein, der im Umfange seiner Bestellung die gesetzliche Vertretung des Erben wahrnimmt.

11.200

Um solchen Fremdeinfluss durch Familiengericht und Ergänzungspfleger zu vermeiden, bietet sich die Ernennung eines Nebentestamentsvollstreckers an.4 Die letztwillige Verfügung kann den Aufgabenkreis des Nebentestamentsvollstreckers auf diejenigen Fälle begrenzen, in denen sonst wegen der Personenidentität von gesetzlichem Vertreter und Testamentsvollstrecker ein Ergänzungspfleger bestellt werden müsste. b) Pfleger als Testamentsvollstrecker

11.201

In manchen Gestaltungen kann dennoch die Bestellung eines Pflegers unausweichlich sein und sich dann die Frage stellen, ob der Erblasser gerade den Testamentsvollstrecker als Pfleger benennen kann. Diese Frage taucht auf, wenn der Erblasser verhindern will, dass z.B. der überlebende Ehegatte als gesetzlicher Vertreter des minderjährigen Erben das Erbe ausschlägt und den Pflichtteil wählt:

11.202

Die Anordnung der Testamentsvollstreckung begründet ein Wahlrecht des Erben; er kann das Erbe ausschlagen und den Pflichtteil wählen (§ 2306 Abs. 1 BGB). Durch die Wahl des Pflichtteils kann der Erbe das Nachfolgekonzept ins Wanken, wenn nicht zum Einsturz bringen. Ist der Erbe minderjährig, übt der gesetzliche Vertreter dieses Wahlrecht im Rahmen der Vermögenssorge aus.

1 Lorz/Kirchdörfer, Unternehmensnachfolge2, Kap. 5 Rz. 112. 2 Grotheer in BeckOGK, § 2197 BGB Rz. 81 (Stand 1.10.2019). 3 BGH v. 5.3.2008 – XII ZB 2/07, NJW-RR 2008, 963 (je nach Lage des Falles); Grotheer in BeckOGK, § 2197 BGB Rz. 82 (Stand 1.10.2019). 4 Reimann, MittBayNot 1994, 55 (56); Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 417.

882 | Braeuer/Todorow

B. Rechtsformübergreifende Gestaltungsfragen | Rz. 11.207 Kap. 11

Traut der Erblasser dem gesetzlichen Vertreter nicht über den Weg, kann er diesem die Vermögenssorge über das vererbte Vermögen in der letztwilligen Verfügung entziehen (§ 1638 BGB). Der BGH hat im Jahr 2016 entschieden, dass sich dies auch auf die Befugnis zur Ausschlagung des Erbes und Wahl des Pflichtteils erstreckt.1 Das Familiengericht bestellt dann einen Ergänzungspfleger für die Entscheidung über den Pflichtteil.2 Der Erblasser darf in der letztwilligen Verfügung die Person des Pflegers benennen (§ 1917 Abs. 1 BGB).

11.203

Umstritten ist nun, ob der Erblasser ausgerechnet den Testamentsvollstrecker als Pfleger einsetzen darf. Das OLG Schleswig hat dies wegen der latenten Interessenkollision mit den Vermögensinteressen des Erben abgelehnt.3 Das OLG Hamm hingegen hält in einer jüngeren Entscheidung die Personenidentität von Pfleger und Testamentsvollstrecker für zulässig, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für eine Interessenkollision zu besorgen sind.4

11.204

Mit Blick auf diese Rechtsunsicherheit sollte der Erblasser in Erwägung ziehen, eine andere Vertrauensperson als Pfleger für die Entscheidung über die Wahl des Pflichtteils zu ernennen. Diese Gestaltung vermeidet die Bestellung eines dem Erblasser unbekannten Ergänzungspflegers durch das Familiengericht.

11.205

VI. Testamentsvollstreckung und Betriebsaufspaltung 1. Steuerlicher Hintergrund Die Vermietung und Verpachtung ist aus steuerlichen Gründen häufig in Form einer sog. Betriebsaufspaltung organisiert. Vermieten und Verpachten von Wirtschaftsgütern ist an sich keine gewerbliche Betätigung. Es wird zum Gewerbebetrieb (i.S.v. § 15 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 EStG, § 2 Abs. 1 GewStG) durch die sog. Betriebsaufspaltung, also die sachliche und personelle Verflechtung zwischen Vermieter/Verpächter (= Besitzunternehmen) einerseits und Betriebsgesellschaft (Betriebsunternehmen) andererseits.5 Die steuerliche Figur der Betriebsaufspaltung ist gerechtfertigt durch den einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillen der Personen, die hinter beiden Unternehmen stehen.6

11.206

Für die Testamentsvollstreckung stellen sich dabei zwei Fragen:

11.207

– Führt die Anordnung der Dauervollstreckung zur Beendigung der Betriebsaufspaltung (mit den steuerlich unerwünschten Folgen der Aufdeckung stiller Reserven)? – Könnte umgekehrt die Testamentsvollstreckung dazu genutzt werden, eine Betriebsaufspaltung herbeizuführen, wenn der Erblasser bislang an der operativen Gesellschaft nicht beherrschend beteiligt ist?

1 2 3 4

BGH v. 29.6.2016 – XII ZB 300/15, NJW 2016, 3032. Götz in Palandt79, § 1638 BGB Rz. 6 (§ 1909 Abs. 1 BGB). OLG Schleswig v. 23.3.2007 – 8 WF 191/06 u. 195/06 (rkr.). OLG Hamm v. 15.5.2017 – 7 WF 240/16, NZFam 2017, 678; so auch OLG Brandenburg v. 28.11.2018 – 15 WF 196/18, ZEV 2019, 151. 5 Scherer/Lorz in Scherer, MAH Erbrecht5, § 19 Rz. 334. 6 Scherer/Lorz in Scherer, MAH Erbrecht5, § 19 Rz. 334.

Braeuer/Todorow | 883

Kap. 11 Rz. 11.208 | Die Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge

2. Beendigung der Betriebsaufspaltung durch Testamentsvollstreckung? a) Synchrone Testamentsvollstreckung

11.208

Die Anordnung einer Testamentsvollstreckung führt nicht zur Beendigung der Betriebsaufspaltung.

11.209

Das ist unproblematisch, wenn der Erblasser für beide Gesellschaftsbeteiligungen identische Testamentsvollstreckung anordnet. In diesem Fall bestehen von vornherein keine Zweifel daran, dass ein einheitlicher geschäftlicher Betätigungswille auch bei Testamentsvollstreckung nach dem Erbfall weiter besteht. b) Asynchrone Testamentsvollstreckung

11.210

Zweifelhaft könnte sein, ob das auch bei „asynchroner“ Testamentsvollstreckung gilt, also wenn die Testamentsvollstreckung z.B. nur die Anteile an der operativen Gesellschaft erfasst, nicht aber die Anteile an dem dahinter stehenden Betriebsunternehmen. Besteht dann trotzdem noch ein einheitlicher geschäftlicher Betätigungswille?

11.211

Der BFH hat diese Frage bejaht. Für den einheitlichen Betätigungswillen der hinter Besitzund Betriebsunternehmen stehenden Personen komme es nicht auf die Person des Testamentsvollstreckers, sondern nur auf die an den Unternehmen beteiligten Personen, also den Willen der Erben an.1 Der Erblasser kann demnach nur für einen Teil des Betriebes eine Testamentsvollstreckung anordnen, ohne befürchten zu müssen, dadurch versehentlich die Betriebsaufspaltung mit steuerlich unerwünschten Folgen zu beenden. Die BFH-Rechtsprechung bedeutet mithin Rechts- und Planungssicherheit beim Aufeinandertreffen von Betriebsaufspaltung und Testamentsvollstreckung.2

11.212

Dennoch besteht ein gewisses Restrisiko bei der Anordnung „asynchroner“ Testamentsvollstreckung (also über nur einen Teil der Anteile). Die Begründung des BFH hat in der Literatur Kritik hervorgerufen.3 In der Tat überzeugt die tragende Erwägung des BFH nicht recht. Der BFH meint, der Testamentsvollstrecker verfolge keine eigenen Interessen und dürfe deshalb auch keinen vom Erben unabhängigen geschäftlichen Betätigungswillen entfalten.4 Das trifft aus erbrechtlicher Sicht nicht zu. Der Testamentsvollstrecker übt sein Amt unabhängig vom Willen der Erben aus. Der vom BFH unterstellte einheitliche Betätigungswille ist also eine Fiktion, die aus erbrechtlicher Sicht nicht zu halten ist.5

11.213

Die BFH-Rechtsprechung gibt vordergründig Sicherheit. In Anbetracht der wackeligen Argumente kann man indes nicht sicher sein, ob diese Rechtsprechung wieder kippt. Deshalb wird empfohlen, bei personeller Verflechtung von Betriebsgesellschaft und Betriebsunternehmen stets für beide Gesellschaftsbeteiligungen Testamentsvollstreckung anzuordnen.6 Damit vermeidet man das Restrisiko, dass mit dem Erbfall die Betriebsaufspaltung zwangsweise beendet und stille Reserven aufgedeckt werden müssen. 1 BFH v. 13.12.1984 – VIII R 237/81, BStBl. II 1985, 657; BFH v. 5.6.2008 – IV R 76/05, ZEV 2008, 495. 2 Scherer/Lorz in Scherer, MAH Erbrecht5, § 19 Rz. 335. 3 Lorz, ZEV 2008, 498; Knatz, DStR 2009, 27; Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 237. 4 BFH v. 13.12.1984 – VIII R 237/81, BStBl. II 1985, 657; BFH v. 5.6.2008 – IV R 76/05, ZEV 2008, 495. 5 Lorz, ZEV 2008, 498; Knatz, DStR 2009, 27; Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 237. 6 Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 238.

884 | Braeuer/Todorow

C. Rechtsformabhängige Besonderheiten | Rz. 11.219 Kap. 11

3. Begründung einer Betriebsaufspaltung durch Testamentsvollstreckung? Sind Erblasser und damit Erbe bislang nicht beherrschend an der operativen Gesellschaft beteiligt, besteht keine Betriebsaufspaltung.

11.214

Der findige Erblasser wird sich die Frage stellen, ob er nicht möglicherweise durch die Anordnung einer Testamentsvollstreckung eine Betriebsaufspaltung herbeiführen könnte, indem er einen Mitgesellschafter als Testamentsvollstrecker einsetzt und damit eine beherrschende Willensbildung in der Person des Testamentsvollstreckers schafft. Das funktioniert jedoch auf dem Boden der eben besprochenen BFH-Rechtsprechung nicht. Denn maßgeblich für die einheitliche Willensbildung bleibt die Person des Erben. Mit anderen Worten: Der Testamentsvollstrecker kann weder im Positiven noch im Negativen als vermittelndes Bindeglied zwischen Besitz- und Betriebsunternehmen dienen, wenn der Erbe in der operativen Gesellschaft nicht beherrschend beteiligt ist.1

11.215

C. Rechtsformabhängige Besonderheiten I. Einzelunternehmen 1. Zulässige Arten der Testamentsvollstreckung a) Überblick aa) 3-Monats-Frist des § 27 Abs. 2 HGB bei Abwicklungsvollstreckung: Handelsrecht vs. Erbrecht Die Testamentsvollstreckung über ein Einzelunternehmen ist mit erheblichen theoretischen und praktischen Problemen behaftet. Nur in bestimmten Hinsichten ist sie überhaupt zulässig. Die echte Dauervollstreckung ist unzulässig.

11.216

Die reine Abwicklungsvollstreckung ist auch beim kaufmännischen Einzelunternehmen im Grundsatz zulässig.2 Rechtsunsicherheit besteht indes bei der Frage, ob dies auch über die 3Monats-Frist des § 27 Abs. 2 HGB hinaus gilt.

11.217

Bei kaufmännischen Einzelunternehmen schützt § 27 Abs. 2 HGB den Erben davor, gegen seinen Willen das Unternehmen und die persönliche Haftung übernehmen zu müssen. Binnen drei Monaten kann sich der Erbe entschließen, die werbende Tätigkeit einzustellen. Dies „beißt“ sich andererseits mit dem Umstand, dass die 3-Monats-Frist des § 27 Abs. 2 HGB häufig für die Abwicklung eines Unternehmens nicht ausreicht, zumal die 3-Monats-Frist bereits ab Kenntnis vom Anfall der Erbschaft läuft.3

11.218

Wie an vielen anderen Stellen im Recht der Testamentsvollstreckung tritt auch hier der Konflikt zwischen Handels- und Gesellschaftsrecht und Erbrecht zutage. Nach der erbrechtlichen Konzeption haftet der Testamentsvollstrecker nicht persönlich, während der Erbe seine persönliche Haftung auf den Nachlass beschränken kann. Das Handelsrecht des einzelkaufmännischen Unternehmens hingegen verlangt nach einer unbeschränkbaren persönlichen

11.219

1 Scherer/Lorz in Scherer, MAH Erbrecht5, § 19 Rz. 334. 2 Weidlich in Palandt79, § 2205 BGB Rz. 7 m.w.N. 3 Hopt in Baumbach/Hopt39 § 27 HGB Rz. 5.

Braeuer/Todorow | 885

Kap. 11 Rz. 11.219 | Die Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge

Haftung. § 27 Abs. 2 HGB duldet den Zustand ohne persönliches Haftungsobjekt nur für die Abwicklung und nur für drei Monate. bb) Persönliche Haftung des Testamentsvollstreckers nach Ablauf von drei Monaten?

11.220

Die 3-Monats-Frist des § 27 Abs. 2 HGB begrenzt die Abwicklungsvollstreckung nicht, sondern gibt dem Erben die Chance, sich der persönlichen Haftung zu entziehen. Dies wirft die Frage auf, wer nach Ablauf der 3-Monats-Frist persönlich haftet, wenn der Testamentsvollstrecker im Rahmen der Abwicklungsvollstreckung weiterhin Verbindlichkeiten eingeht.

11.221

Der Erbe scheidet als persönliches Haftungsobjekt aus, wenn er sich binnen der 3-MonatsFrist für die Einstellung der werbenden Tätigkeit entschlossen hat. Gleiches gilt, wenn der Erblasser durch die Anordnung der reinen Abwicklungsvollstreckung diesen Entschluss bereits vorgefasst und in die Hände des Testamentsvollstreckers gelegt hat.

11.222

Also bliebe nach Ablauf der drei Monate nur die persönliche Haftung des Testamentsvollstreckers. Die Meinungen dazu gehen auseinander:

11.223

Nach einer Ansicht erlischt die Testamentsvollstreckung automatisch mit Ablauf der 3-Monats-Frist mit der praktischen Folge, dass der Testamentsvollstrecker das Unternehmen innerhalb der drei Monate abwickeln müsse, andernfalls er analog § 179 BGB hafte.1 Nach anderer Ansicht haftet der Testamentsvollstrecker nur dann persönlich (analog § 179 BGB), wenn er über die 3-Monats-Frist hinaus werbende Tätigkeit entfaltet. Hält sich die eingegangene Verbindlichkeit im Rahmen der bloßen Abwicklung, soll die Haftungsbeschränkung des Testamentsvollstreckers über die 3-Monats-Frist hinaus gelten; denn die Abwicklung gehört nicht mehr zur Firmenfortführung.2 Der Testamentsvollstrecker wird nicht unternehmerisch, sondern lediglich als Abwickler tätig, mag dies auch länger als drei Monate dauern.3

11.224

Auch diese Ansicht bringt dem Testamentsvollstrecker aber wenig Sicherheit. Die Abgrenzung zwischen rein abwickelnden und (auch) werbenden Tätigkeiten kann sich in einem praktisch unangenehmen Graubereich abspielen. Beispiel: Zum Unternehmen gehört eine Immobilie; der Testamentsvollstrecker beauftragt Sanierungsmaßnahmen, um die Immobilie besser verkaufen zu können. Ist diese Verbindlichkeit noch reine Abwicklung oder vielleicht doch schon unternehmerische Tätigkeit? cc) Empfehlung

11.225

Solange keine gesicherte Grundlage existiert, ist von der Anordnung einer Abwicklungsvollstreckung über ein Einzelunternehmen in der Regel abzuraten. Die für die Verwaltungsvollstreckung zur Verfügung stehenden Ersatzlösungen sind ebenfalls wenig befriedigend (dazu Rz. 11.236 ff.). Als Fazit bleibt daher: Es gibt keine rechtssichere und praktisch problemfreie Gestaltung, eine geordnete Abwicklung des Einzelunternehmens über die 3-Monats-Frist hinaus zu ermöglichen.

1 Bonefeld in Damrau/Tanck3, § 2205 BGB Rz. 27; Weidlich in Mayer/Bonefeld, Testamentsvollstreckung4, § 19 Rz. 7. 2 Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 116. 3 Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 117.

886 | Braeuer/Todorow

C. Rechtsformabhängige Besonderheiten | Rz. 11.231 Kap. 11

Ist gleichwohl Abwicklungsvollstreckung angeordnet, kann man dem Testamentsvollstrecker nur empfehlen, das Unternehmen schnellstmöglich – binnen drei Monaten – entweder vollständig zu liquidieren, zu verpachten1 oder dem Erben nach § 2217 BGB zu überlassen.2

11.226

b) Beaufsichtigende Testamentsvollstreckung

Die sog. beaufsichtigende Testamentsvollstreckung gibt dem Erblasser die Möglichkeit, gewisse Vorzüge der Testamentsvollstreckung auch bei einem Einzelunternehmen zu nutzen. Der Erblasser kann die Testamentsvollstreckung dergestalt anordnen, dass der Erbe ohne Mitwirkung des Testamentsvollstreckers nicht über das Unternehmen verfügen, es also insbesondere nicht einfach veräußern darf. Diese beaufsichtigende Testamentsvollstreckung hat zudem den Vorzug, das Unternehmen dem Zugriff der Eigengläubiger des Erben zu entziehen (§ 2214 BGB).3

11.227

Diese Gestaltungsform kann neben die – sogleich Rz. 11.236 ff. – darzustellenden Ersatzlösungen für die Dauervollstreckung treten oder auch ohne sie angeordnet werden.

11.228

Wohlgemerkt gibt es bislang keine Rechtsprechung, welche die Gestaltungsmöglichkeit der beaufsichtigenden Testamentsvollstreckung beim Einzelunternehmen anerkennt. Die in der Literatur für deren Zulässigkeit vorgebrachten Erwägungen überzeugen aber. Grundlage ist die Rechtsprechung des BGH zu persönlich haftenden Anteilen einer Personengesellschaft. Dort hat der BGH die Testamentsvollstreckung an der „Außenseite“ der Beteiligung an einer Personengesellschaft zugelassen.4 Die Literatur überträgt dies auf das Einzelunternehmen.5 Es sei wertungswidersprüchlich, wenn dem Erblasser als persönlich haftendem Einzelunternehmer untersagt wäre, was ihm als persönlich haftendem Gesellschafter erlaubt ist. Der Schutz des Rechtsverkehrs wird durch die beaufsichtigende Testamentsvollstreckung nicht berührt. Der Erbe haftet ja unbeschränkt persönlich. Auch das Interesse der Eigengläubiger des Erben am Vollstreckungszugriff auf das Unternehmen (gesperrt durch § 2214 BGB) spricht nicht gegen die beaufsichtigende Testamentsvollstreckung. Der gute Glaube des Rechtsverkehrs an einen bestimmten Umfang der Haftungsmasse ist nicht geschützt.6

11.229

In der Gestaltungspraxis ist die beaufsichtigende Testamentsvollstreckung dann ins Auge zu fassen, wenn es dem Erblasser vorranging um Erhalt des Unternehmens und Schutz vor Eigengläubigern des Erben geht, der Erblasser indes die „große“ Lösung – Übertragung des Einzelunternehmens auf eine KG oder GmbH – nicht wünscht.

11.230

c) Testamentsvollstreckung über einzelne Gegenstände des Betriebsvermögens Diese Form der Testamentsvollstreckung bietet sich bei einem Einzelunternehmen an, wenn wertvolle Einzelgegenstände (z.B. Grundstücke) zum Unternehmen gehören und der Erblasser diese der Verfügungsmacht des Erben und dem Vollstreckungszugriff von dessen Eigengläubigern entziehen möchte (§§ 2211, 2214 BGB). 1 Winkler, Der Testamentsvollstrecker22, 3. Abschnitt, Rz. 320. 2 Zimmermann, Testamentsvollstreckung4, Rz. 494. 3 Lange in BeckOK, § 2205 BGB Rz. 36 (Stand 1.5.2020); Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 147. 4 BGH v. 14.5.1986 – IVa ZR 155/84, NJW 1986, 2431. 5 Damrau in Soergel13, § 2205 BGB Rz. 22a; Reimann in Staudinger, § 2205 BGB Rz. 160 (Stand: 2016); Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 147. 6 Lange in BeckOK, § 2205 BGB Rz. 36 (Stand 1.5.2020).

Braeuer/Todorow | 887

11.231

Kap. 11 Rz. 11.232 | Die Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge

11.232

Die Konstruktion ist rechtlich zulässig. Der Erbe wird Eigentümer der einzelnen Gegenstände des Betriebsvermögens. Hier wie auch sonst ist es möglich, die Testamentsvollstreckung für einzelne Gegenstände des Nachlassvermögens anzuordnen.1

2. Unzulässigkeit der Dauervollstreckung 11.233

Die echte Dauervollstreckung über ein einzelkaufmännisches Unternehmen ist unzulässig. Hier kollidieren die handelsrechtlichen und erbrechtlichen Haftungsgrundsätze mit voller Wucht.

11.234

Führte ein Testamentsvollstrecker ein zum Nachlass gehörendes Einzelunternehmen fort, könnte er nur den Nachlass verpflichten, nicht auch das Eigenvermögen des Erben (§§ 2206, 2207 BGB). Der Erbe hätte die Möglichkeit, seine Haftung für die Verbindlichkeiten des Unternehmens auf den Nachlass zu beschränken. Dadurch entstünde eine Art Einzelunternehmen mit beschränkter persönlicher Haftung. Das verträgt sich nicht mit dem handelsrechtlichen Haftungssystem, das nach einer unbeschränkten und unbeschränkbaren persönlichen Haftung verlangt (§§ 25, 27 Abs. 2, 28 HGB). Aus diesem Grund lehnt die Rechtsprechung eine Dauervollstreckung an einem einzelkaufmännischen Unternehmen ab.2

11.235

In der Literatur hat sich dazu ein weit verzweigter Meinungsstand entwickelt.3 Für die Gestaltungs- und Beratungspraxis bleibt allerdings die Rechtsprechung der entscheidende Maßstab. Die Dauervollstreckung an einem Einzelunternehmen ist demnach nicht möglich. Der Erblasser muss stattdessen entweder zu einer Ersatzlösung greifen (dazu Rz. 11.236 ff.) oder das Einzelunternehmen auf eine „testamentsvollstreckerfreundliche“ Rechtsform übertragen (dazu Rz. 11.322 ff.).

3. Ersatzlösungen a) Treuhand aa) Inhalt

11.236

Die Kautelarpraxis hat verschiedene Ersatzlösungen entwickelt, um die Unzulässigkeit der Verwaltungsvollstreckung wenigstens einigermaßen zu kompensieren. Das gelingt indes allen Lösungen nur unvollkommen.

11.237

Bei der der Treuhand-Lösung ordnet der Erblasser in der letztwilligen Verfügung an, dass der Testamentsvollstrecker das Geschäft als Treuhänder fortführen soll; zugleich veranlasst der Erblasser die Erben durch Auflage oder bedingte Erbeinsetzung, das Unternehmen treuhänderisch an den Testamentsvollstrecker zu übertragen.4 bb) Testamentsvollstrecker als Inhaber des Unternehmens

11.238

Bei der Treuhandlösung wird der Testamentsvollstrecker Eigentümer des Einzelunternehmens, der nach außen mit unbeschränkter Rechtsmacht auftritt. Der Testamentsvollstrecker 1 Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, Kap. 5 Rz. 148; Lange in BeckOK, § 2205 BGB Rz. 36 (Stand 1.11.2019). 2 BGH v. 18.1.1954 – IV ZR 130/53, NJW 1954, 636; BGH v. 11.4.1957 – II ZR 182/55, NJW 1957, 1026. 3 Weidlich in Palandt79, § 2205 BGB Rz. 7; Weidlich, NJW 2011, 641; Zimmermann in MüKo8, § 2205 BGB Rz. 19 ff.; jeweils m.w.N. 4 Zimmermann, Testamentsvollstreckung4, Rz. 505.

888 | Braeuer/Todorow

C. Rechtsformabhängige Besonderheiten | Rz. 11.245 Kap. 11

betreibt das Unternehmen im eigenen Namen und haftet persönlich für die sich daraus ergebenden Verbindlichkeiten. Die Treuhandstellung zeigt sich erst im Innenverhältnis zum Erben. Dort kann der Testamentsvollstrecker gem. §§ 2218, 670 BGB Befreiung von den Verbindlichkeiten und Ersatz seiner Aufwendungen verlangen.

11.239

cc) Schwächen der Treuhandlösung Die Treuhandlösung ist für den Testamentsvollstrecker gefährlich. Er haftet nach außen persönlich in voller Höhe für die Verbindlichkeiten aus dem Geschäft. Im Innenverhältnis hat er zwar einen Freistellungsanspruch, der indes zu kurz greifen kann:

11.240

Nach verbreiteter Meinung kann der Erbe seine Haftung dem Testamentsvollstrecker gegenüber auf den Nachlass beschränken.1 Der Testamentsvollstrecker dürfe den Erben nicht ohne dessen Zustimmung über den Nachlass hinaus persönlich verpflichten. Klärende Rechtsprechung dazu gibt es bislang nicht.2

11.241

Hinsichtlich seiner Regressansprüche im Innenverhältnis trägt der Testamentsvollstrecker nach dieser Ansicht das Insolvenzrisiko des Nachlasses.

11.242

Wünscht der Erblasser trotz alledem gerade die Treuhandlösung, sollte er den Nachlass zu Lebzeiten so strukturieren, dass dem Testamentsvollstrecker hinreichende Sicherheit im Nachlass zur Verfügung steht.3 Zu denken ist etwa an die Verpfändung oder Sicherheitsübereignung von Betriebsvermögen. Die Bestellung solcher Sicherheiten kann der Erblasser durch Auflagen in der letztwilligen Verfügung sichern. Zwar schmälert der Erblasser auf diese Weise andererseits die Kreditfähigkeit und die Fungibilität des Nachlassvermögens. Aber ohne solche Sicherheiten besteht das Risiko, dass die Treuhandlösung scheitert, weil sich der Testamentsvollstrecker nicht bereitfindet, das damit verbundene Risikos einzugehen.

11.243

Dem Testamentsvollstrecker als Treuhänder sind Maßnahmen zu empfehlen, wenigstens sein privates Vermögen von der Haftung abzuschirmen. In Betracht kommen der Abschluss einer Haftpflichtversicherung und die Bestellung einer GmbH als Testamentsvollstrecker statt der natürlichen Person.4 Die Bestellung einer GmbH muss natürlich bereits in der letztwilligen Verfügung angeordnet sein.

11.244

b) Vollmacht aa) Inhalt Bei dieser Lösung verpflichtet der Erblasser den Erben im Wege der Auflage, dem Testamentsvollstrecker Vollmacht zu erteilen, das Geschäft als Vertreter des Erben fortzuführen. Der Testamentsvollstrecker tritt dann nach außen als Vertreter des Erben auf. Dieser wird Inhaber des Unternehmens. Der Testamentsvollstrecker handelt im Namen des Erben und 1 Weidlich in Palandt79, § 2205 BGB Rz. 8; Zimmermann in MüKo8, § 2205 BGB Rz. 28. A.A. Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 127. 2 BGH v. 18.1.1954 – IV ZR 130/53, NJW 1954, 636 spricht sich gegen die Beschränkbarkeit des Innenregresses aus, aber lediglich als obiter dictum. 3 Reimann, Testamentsvollstreckung in der Wirtschaftsrechtspraxis3, Rz. 351. 4 Kämper, RNotZ 2016, 625 (641).

Braeuer/Todorow | 889

11.245

Kap. 11 Rz. 11.245 | Die Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge

verpflichtet den Erben mit dessen Privatvermögen.1 Der Erbe kann seine Haftung nicht auf den Nachlass beschränken.

11.246

Auch die Vollmachtlösung begegnet erheblichen Schwierigkeiten. Diese sind rechtlicher und praktischer Natur: bb) Wirksamkeit einer Auflage?

11.247

Die Vollmachtlösung funktioniert reibungslos, solange der Erbe damit einverstanden ist. Der Erbe kann indes die Vollmacht – wie jede Vollmacht – jederzeit widerrufen. Dann fällt die Konstruktion in sich zusammen. Deshalb geht die Vollmachtlösung in der Praxis häufig einher mit einer Auflage an den Erben in der letztwilligen Verfügung, die Vollmacht nicht zu widerrufen.

11.248

Streitig ist, ob eine solche Auflage wirksam ist.2 Immerhin verpflichtet sie den Erben gegen seinen Willen dazu, auch das eigene, nicht im Erbgang erworbene Vermögen unwiderruflich in das Feuer der persönlichen Haftung für Handlungen des Testamentsvollstreckers zu geben. Nach verbreiteter Ansicht verstößt eine solche Auflage daher gegen § 138 BGB (dazu Rz. 11.108). cc) Umfang der Vollmacht

11.249

Die Vollmacht darf innerhalb der einzelunternehmerischen Tätigkeit keine gegenständliche Beschränkung aufweisen, sondern muss alle Geschäfte erfassen, die im Betrieb des Einzelunternehmens anfallen. Andernfalls erzielte sie nicht die für die Zulässigkeit der Konstruktion erforderliche Haftung des Erben entsprechend einem Einzelunternehmer.3 dd) Keine verdrängende Wirkung

11.250

Die Vollmachtlösung ist praktisch untauglich, wenn der Erblasser sicherstellen will, dass die Erben nicht selbst unternehmerisch tätig werden. Die Vollmacht verdrängt nicht die Rechtsmacht des Erben. Eine verdrängende Vollmacht kennt das deutsche Recht nicht.4 Der Erbe kann also in Konkurrenz zum bevollmächtigten Testamentsvollstrecker nach außen handeln.5 ee) Minderjährige Erben

11.251

Außerdem ist die Vollmachtlösung praktisch untauglich bei noch minderjährigen Erben. Gemäß § 1629a BGB ist die Haftung des Minderjährigen auf das bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandene Vermögen beschränkt. Der Minderjährige haftet also gerade nicht unbeschränkt persönlich. Dies steht einer Teilnahme am Geschäftsverkehr in der Form des kaufmännischen Einzelunternehmens im Weg.

1 2 3 4 5

Weidlich in Palandt79, § 2205 BGB Rz. 9. S. Lorz/Kirchdörfer, Unternehmensnachfolge2, Kap. 5 Rz. 102 m.w.N. Nieder/Kössinger, Handbuch der Testamentsgestaltung5, § 15 Rz. 115. Arg. ex. § 137 BGB, Grigas, BWNotZ 2002, 25 (28); Ellenberger in Palandt79, § 137 BGB Rz. 1. Lange in BeckOK, § 2205 BGB Rz. 28 (Stand 1.5.2020); Weidlich, NJW 2011, 641 (642).

890 | Braeuer/Todorow

C. Rechtsformabhängige Besonderheiten | Rz. 11.259 Kap. 11

Anders ist es nur in den Fällen des § 1629a Abs. 2 Alt. 1 BGB: Demnach gilt die Haftungsbeschränkung nicht für Verbindlichkeiten aus dem selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts, soweit der Minderjährige hierzu nach § 112 BGB ermächtigt war. Indes macht gerade diese unbeschränkte Haftung des Minderjährigen die erforderliche Genehmigung des Familiengerichts gem. § 112 Abs. 1 Satz 1 BGB praktisch unmöglich.1

11.252

Daraus folgt: Bei minderjährigen Erben scheidet die Vollmachtlösung von vornherein als Gestaltungsvariante aus.

11.253

ff) Fazit Die Vollmachtlösung setzt Kooperationsbereitschaft des Erben voraus. Sie funktioniert in der Praxis nur dann, wenn sich der Erbe mit der Bevollmächtigung des Testamentsvollstreckers einverstanden erklärt und für die Dauer der Testamentsvollstreckung seine Gesellschafterrechte nicht ausübt.2

11.254

c) Sonstige Ersatzlösungen aa) Verpachtung Weitere Ersatzlösungen für die unzulässige Dauervollstreckung sind die Verpachtung des Unternehmens und die Bestellung des Testamentsvollstreckers zum Prokuristen.

11.255

Der Testamentsvollstrecker kann das Geschäft an einen Dritten befristet verpachten. Seine Befugnis dazu folgt aus § 2205 BGB. Mit einer solchen Anordnung erreicht der Erblasser zumindest, dass nicht der Erbe das Unternehmen führt und persönlich dafür haftet. Geht das Interesse des Erblassers aber darüber hinaus dahin, dass gerade der Testamentsvollstrecker die Geschicke des Unternehmens lenken soll, hilft die Verpachtung an einen Dritten nicht. Das Unternehmen führt der Pächter.

11.256

Denkbar wäre, das Unternehmen an den Testamentsvollstrecker zu verpachten. Allerdings muss sich der Testamentsvollstrecker dann wie bei der Treuhandlösung (Rz. 11.238) bereitfinden, das persönliche Haftungsrisiko einzugehen.

11.257

bb) Testamentsvollstrecker als Prokurist Bei dieser Lösung gibt der Testamentsvollstrecker das Unternehmen an die Erben frei (§ 2217 BGB), die ihn anschließend als Prokuristen bestellen (§ 48 HGB). Der Testamentsvollstrecker hat dann zwei voneinander unabhängige Ämter: Er ist Testamentsvollstrecker des restlichen Nachlasses und Prokurist des nicht mehr von der Testamentsvollstreckung erfassten Unternehmens.3

11.258

Diese Lösung erfordert ein hohes Maß an Kooperation zwischen Testamentsvollstrecker und Erben. Zudem setzt sie den Erben der persönlichen, nicht auf den Nachlass beschränkbaren Haftung aus.

11.259

1 Nieder/Kössinger, Handbuch der Testamentsgestaltung5, § 15 Rz. 118. 2 Kämper, RNotZ 2016, 642. 3 Zimmermann, Testamentsvollstreckung4, Rz. 509.

Braeuer/Todorow | 891

Kap. 11 Rz. 11.260 | Die Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge

4. Nichtkaufmännische Einzelunternehmen 11.260

Bei Einzelunternehmen außerhalb des Handelsrechts kann man sich die Frage stellen, ob auch dort die Dauervollstreckung wie beim einzelkaufmännischen Unternehmen unzulässig ist.

11.261

Das Handelsrecht verlangt für das einzelkaufmännische Unternehmen eine unbeschränkbare persönliche Haftung; dies setzen die §§ 25, 27, 28 HGB voraus. Für Einzelunternehmer außerhalb des HGB versteht sich das nicht von selbst. Dafür müsste man einen allgemeinen Rechtssatz begründen, wonach jedermann im Rechtsverkehr notwendig unbeschränkbar (außer durch Individualvereinbarung) persönlich haftet, der sich nicht unter den Schutz einer haftungsbeschränkten Rechtsform (z.B. GmbH) begibt. Ein solcher Rechtssatz ist keineswegs zwingend. Auch für Vertragspartner des unter Testamentsvollstreckung stehenden Einzelunternehmer-Erben erscheint es nicht unzumutbar, wenn der Erbe seine Haftung auf den Nachlass beschränken kann. Der Testamentsvollstrecker muss ja bei Abschluss des Rechtsgeschäfts sein Handeln als Testamentsvollstrecker zum Ausdruck bringen, um die Haftung des Erben überhaupt zu begründen.1 Der Geschäftsgegner mag dann entscheiden, ob er den Vertrag schließt und sich auf das Risiko einlässt, dass der Erbe die Haftung auf den Nachlass beschränken könnte.

11.262

Die Frage ist wenig behandelt und eher von theoretischem Interesse. Nicht-kaufmännische Einzelunternehmen von wirtschaftlicher Bedeutung sind meist Freiberufler, deren Berufszulassung ohnehin mit dem Tod endet (Ärzte, Rechtsanwälte, Steuerberater) und deren Geschäft oft so stark von der Person des Erblassers abhängt, dass es nicht ohne weiteres fortzuführen ist (z.B. Architekturbüro).

II. Personengesellschaft 1. Überblick 11.263

Wie beim einzelkaufmännischen Unternehmen kollidieren auch bei der persönlich haftenden Beteiligung an einer Personengesellschaft erbrechtliche und gesellschaftsrechtliche Haftungsgrundsätze. Aus erbrechtlicher Sicht hat der Erbe die Möglichkeit, vom Testamentsvollstrecker begründete Verbindlichkeiten auf den Nachlass zu beschränken. Das verträgt sich nicht mit seiner persönlichen Haftung als Gesellschafter einer Personengesellschaft. Noch weiter erschwert wird die Testamentsvollstreckung bei Personengesellschaften durch deren personalistischen Einschlag und die Interessen der Mitgesellschafter.

2. Abwicklungsvollstreckung 11.264

Die Abwicklungsvollstreckung ist nach allgemeiner Ansicht auch an einer persönlich haftenden Beteiligung zulässig.2 Zeitprobleme für den Testamentsvollstrecker wie die 3-MonatsFrist des § 27 Abs. 2 HGB beim Einzelunternehmen gibt es nicht. Die Abwicklungsvollstreckung bedarf nicht der Zustimmung der Mitgesellschafter.3

1 Weidlich in Palandt79, § 2206 BGB Rz. 4. 2 Winkler, Der Testamentsvollstrecker22, 3. Abschnitt, Rz. 334 m.w.N. 3 Winkler, Der Testamentsvollstrecker22, 3. Abschnitt, Rz. 334.

892 | Braeuer/Todorow

C. Rechtsformabhängige Besonderheiten | Rz. 11.271 Kap. 11

3. Liquidationsgesellschaft Von der Abwicklung der Beteiligung zu unterscheiden ist die Abwicklung der Gesellschaft. Auch an einer Liquidationsgesellschaft ist die Testamentsvollstreckung zulässig.

11.265

Der Tod eines Gesellschafters kann zur Auflösung einer Personengesellschaft führen. Dies geschieht bei der GbR gem. § 727 Abs. 1 BGB kraft Gesetzes, wenn der Gesellschaftsvertrag keine abweichende Regelung trifft. Bei den übrigen Personengesellschaften führt der Tod eines Gesellschafters zur Fortsetzung der Gesellschaft unter den übrigen Gesellschaftern (§ 131 Abs. 3 Nr. 1 BGB), nicht zur Auflösung. Letztere kann aber im Gesellschaftsvertrag vereinbart sein.

11.266

In diesen Fällen entsteht bis zur endgültigen Auseinandersetzung unter den Gesellschaftern eine Liquidationsgesellschaft. An der Beteiligung an der Liquidationsgesellschaft ist Testamentsvollstreckung zulässig.1

11.267

Das gilt auch für die Verwaltung durch den Testamentsvollstrecker, die sonst auf der „Innenseite“ der Beteiligung an Personengesellschaften nicht zulässig ist (s. Rz. 11.273). Denn die Liquidationsgesellschaft ist nur noch auf Abwicklung gerichtet und entfaltet keine unternehmerische Tätigkeit. Gesellschaftsrecht und Erbrecht geraten hier nicht in einen Haftungskonflikt.2 Die Testamentsvollstreckung bedarf nicht der Zustimmung der überlebenden Gesellschafter. Ein Schutzinteresse vor dem Eindringen gesellschaftsfremder Personen besteht bei der Liquidationsgesellschaft nicht.3

11.268

4. Dauervollstreckung Die Gesellschafterrechte in Personengesellschaften sind plakativ in eine „Außenseite“ und eine „Innenseite“ unterteilt.4 Dabei handelt es sich zwar lediglich um ein veranschaulichendes Bild.5 Als solches ist es gleichwohl einprägsam. An der Außenseite ist Testamentsvollstreckung zulässig, an der Innenseite nach der Rechtsprechung unzulässig.

11.269

a) Außenseite der Beteiligung Die „Außenseite“ besteht aus den vermögensrechtlichen Ansprüchen des Gesellschafters. Das sind der Gewinnanspruch und der Anspruch auf ein künftiges Auseinandersetzungsguthaben.6 Diese Ansprüche unterliegen der Testamentsvollstreckung.7 Die Zustimmung der Mitgesellschafter ist dazu nicht erforderlich.8

11.270

Praktisch bedeutet die Testamentsvollstreckung über die Außenseite vor allem: Der Erbe ist durch § 2211 BGB gehindert, den Anteil zu veräußern, und die Eigengläubiger des Erben haben gem. § 2214 BGB keinen Zugriff auf das Unternehmen.9

11.271

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Kroiß in Kroiß/Ann/Maier5, § 2205 BGB Rz. 67 Lange in BeckOK, § 2205 BGB Rz. 40 (Stand 1.5.2020). Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 239. Seit BGH v. 14.5.1986 – IVa ZR 155/84, BGHZ 98, 48; BGH v. 10.1.1996 – IV ZB 21/94, ZEV 1996, 110. Zimmermann, Testamentsvollstreckung4, Rz. 521. BGH v. 12.1.1998 – II ZR 23/97, NJW 1998, 1313 (1314). BGH v. 14.5.1986 – IVa ZR 155/84, NJW 1986, 2431. Zimmermann, Testamentsvollstreckung4, Rz. 519. Zimmermann, Testamentsvollstreckung4, Rz. 520.

Braeuer/Todorow | 893

Kap. 11 Rz. 11.272 | Die Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge

11.272

Die Literatur ordnet daran anknüpfend diejenigen Maßnahmen der Außenseite zu, die den Anspruch auf das künftige Auseinandersetzungsguthaben berühren. Das betrifft die Veräußerung der Beteiligung, die Änderung der gesellschaftsvertraglichen Regelungen über die Bewertung der Beteiligung oder über die Bewertung des Auseinandersetzungsanspruchs selbst.1 Die konkreten Konturen und Grenzen von Außen- und Innenseite sind unscharf.2 b) Innenseite der Beteiligung

11.273

Die Testamentsvollstreckung über die „Innenseite“ der Gesellschaftsbeteiligung ist unzulässig.3 Der BGH begründet dies mit dem speziellen Charakter der Personengesellschaft als höchstpersönliche Haftungs- und Arbeitsgemeinschaft.4

11.274

Bei näherem Hinsehen trägt nur das Haftungsargument als Begründung. Die erbrechtliche Beschränkbarkeit der Haftung auf den Nachlass widerspricht der vom Gesellschafsrecht (§ 128 Abs. 2 HGB) vorausgesetzten unbeschränkten persönlichen Haftung der Gesellschafter. Der personalistische Charakter der Personengesellschaft taugt dagegen nicht als Begründung. Denn die Dauervollstreckung erstreckt sich, jedenfalls nach herrschender Meinung, auch dann nicht auf die Innenseite der Beteiligung, wenn die Mitgesellschafter einverstanden sind.5

11.275

Zur Innenseite der Beteiligung gehören die Verwaltungsrechte, also die Ausübung des Stimmrechts,6 die Geschäftsführung7 sowie die Prozessführungsbefugnis bei GesellschafterStreitigkeiten8. In diese inneren Angelegenheiten der Personengesellschaft kann der Testamentsvollstrecker nicht hineinregieren. c) Kündigung

11.276

Kündigungsfälle gehören teils zur Innenseite, teils zur Außenseite. Das Kündigungsrecht selbst liegt auf der Innenseite. Der Gesellschafter-Erbe ist berechtigt, die Beteiligung ohne Zustimmung des Testamentsvollstreckers zu kündigen.9 Andernfalls könnte ihn der Testamentsvollstrecker zwingen, eine über den Nachlass hinausgehende persönliche Haftung aufrecht zu erhalten. Der aus der Kündigung entstehende Anspruch auf das Abfindungsguthaben hingegen zählt zur Außenseite und unterliegt der Testamentsvollstreckung.10 d) Ersatzlösungen

11.277

Ist der Wille des Erblassers darauf gerichtet, dass der Testamentsvollstrecker auch die inneren Angelegenheiten der Gesellschaft bestimmen soll, sucht die Gestaltungspraxis Umwege. Die 1 Kämper, RNotZ 2016, 625 (632) m.w.N. in Fn. 113 und 114. 2 Zimmermann, Testamentsvollstreckung4, Rz. 521; Weidlich in Palandt79, § 2205 BGB Rz. 12. 3 BGH v. 10.1.1996 – IV ZB 21/94, NJW 1996, 1284 (GBR); BGH v. 12.1.1998 – II ZR 23/97, NJW 1998, 1313 (OHG). 4 BGH v. 10.1.1996 – IV ZB 21/94, NJW 1996, 1284 (GBR); BGH v. 12.1.1998 – II ZR 23/97, NJW 1998, 1313 (OHG). 5 Zimmermann, Testamentsvollstreckung4, Rz. 520. 6 OLG Düsseldorf, ZEV 2008, 142 (143). 7 Weidlich in Palandt79, § 2205 BGB Rz. 12. 8 BGH v. 12.1.1998 – II ZR 23/97, NJW 1998, 1313 (1314). 9 Dörrie, ZEV 1996, 370 (375); Lange in BeckOK, § 2205 BGB Rz. 47 (Stand 1.5.2020). 10 Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 165.

894 | Braeuer/Todorow

C. Rechtsformabhängige Besonderheiten | Rz. 11.284 Kap. 11

Ersatzlösungen sind im Wesentlichen die gleichen wie beim Einzelunternehmen (dazu Rz. 11.236 ff.). Auch hier kommen die Treuhand- und die Vollmachtlösung in Betracht, und es sprechen die gleichen Bedenken gegen sie. Praktisch noch erschwert sind die Ersatzlösungen beim persönlich haftenden Gesellschafter dadurch, dass sie die Zustimmung der Mitgesellschafter voraussetzen.1 Die Ersatzlösungen sind daher nur dann praktikabel, wenn und solange sowohl der Erbe als auch die Mitgesellschafter damit einverstanden sind. e) Wahlrecht des Erben gem. § 139 HGB Gemäß § 139 HGB ist der Erbe berechtigt, die geerbte persönlich haftende Beteiligung in eine Kommanditbeteiligung umzuwandeln; die Frist hierfür beträgt gem. § 139 Abs. 3 HGB drei Monate ab Kenntnis vom Anfall der Erbschaft. Hintergrund ist die Erwägung des Gesetzgebers, dass der Erbe nicht zwangsweise zur Übernahme einer Beteiligung mit unbeschränkter persönlicher Haftung verpflichtet werden darf.2 Zumal für denjenigen Erben, der das Unternehmen möglicherweise gar nicht kennt, ist das Haftungsrisiko kaum einzuschätzen.

11.278

§ 139 HGB gibt dem Erben allerdings auf, binnen der 3-Monats-Frist selbst tätig zu werden.3 Nach Ablauf der Frist ohne Ausübung des Wahlrechts bleibt es bei der persönlichen Haftung des Erben.

11.279

Das Wahlrecht ist ein höchstpersönliches Recht und steht allein dem Erben zu.4 Gemäß § 139 Abs. 5 Abs. 1 HGB ist es unabdingbar und kann nicht durch gesellschaftsvertragliche Regelungen ausgeschlossen werden. Ebenso wenig kann der Testamentsvollstrecker die Ausübung des Wahlrechts verhindern.5

11.280

Für die Testamentsvollstreckung ist die Umwandlung an sich wünschenswert. Denn die Kommanditbeteiligung wirft weit weniger Probleme für die Testamentsvollstreckung auf als die persönlich haftende Beteiligung (Rz. 11.296).

11.281

Dennoch mag die Umwandlung in eine Kommanditgesellschaft im Einzelfall aus Sicht des Erblassers unerwünscht sein, etwa mit Blick auf die Interessen von Mitgesellschaftern. In solchen Fällen stellt sich die Gestaltungsfrage, ob der Erblasser die Ausübung des Wahlrechts erschweren oder praktisch verhindern kann. Empfohlen werden die Erbeinsetzung unter der aufschiebenden Bedingung der Nicht-Ausübung des Wahlrechts oder eine entsprechende Auflage.6

11.282

Allerdings nötigen solche Druckmittel den Erben dazu, sich gegen seinen Willen weiterhin der persönlichen Haftung auszusetzen. Man kann daher streiten, ob ein solches Druckmittel gegen § 138 BGB verstößt (dazu Rz. 11.108).

11.283

5. Sonderbetriebsvermögen Der Unternehmer-Erblasser kann zivilrechtlich Eigentümer von Betriebsvermögensgegenständen sein (sog. steuerliches Sonderbetriebsvermögen). Beispiel ist ein Grundstück, das der 1 2 3 4 5 6

Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 159 und 169. Schmidt in MüKo4, § 139 HGB Rz. 5; Kämper, RNotZ 2016, 625 (627). Faust, DB 2002, 189 (192). Weidlich in Palandt79, § 2205 BGB Rz. 12. Kämper, RNotZ 2016, 625 (627) m.w.N. in Fn. 25. Kämper, RNotZ 2016, 625 (627) m.w.N. in Fn. 26.

Braeuer/Todorow | 895

11.284

Kap. 11 Rz. 11.284 | Die Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge

Erblasser an das Unternehmen vermietet. Dieses Vermögen ist Gegenstand der Universalsukzession gem. § 1922 BGB. Es ist also – wie beim einzelkaufmännischem Unternehmen (Rz. 11.231) – Gegenstand der Testamentsvollstreckung.1

6. Zulässigkeit der Dauervollstreckung auf der Innenseite einer GbR? 11.285

Wie beim nicht-kaufmännischen Einzelunternehmen (Rz. 11.260) ist auch bei der GbR nicht ganz eindeutig, ob die Rechtslage die gleiche ist wie bei den handelsrechtlichen Personengesellschaften (oHG und Komplementär-Beteiligung). Anders als dort (§ 128 Satz 2 HGB) gibt es keinen gesetzlichen Ansatzpunkt für eine notwendigerweise nicht auf den Nachlass beschränkbare Haftung des GbR-Gesellschafters.

11.286

Der BGH behandelt die GbR dennoch gleich. Die Dauervollstreckung an der Innenseite der Beteiligung sei, auch mit Zustimmung der Mitgesellschafter, unzulässig.2 Daran wird sich der Praktiker bei Gestaltungsüberlegungen halten.

7. Kommanditanteil a) Dauervollstreckung zulässig

11.287

Die Dauervollstreckung an Kommanditanteilen ist seit der Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1989 zulässig.3 Die Haftung des Kommanditisten ist auf die geleistete Einlage beschränkt. Damit ist eine persönliche Verpflichtung des Gesellschafter-Erben durch den Testamentsvollstrecker ausgeschlossen. Die systematischen Bedenken gegen die Testamentsvollstreckung bei persönlich haftenden Anteilen (oHG- und Komplementär-Anteile) bestehen daher bei Kommanditanteilen nicht.

11.288

Die Dauervollstreckung über den Kommanditanteil ist auch dann zulässig, wenn der Erbe gem. § 171 Abs. 1 HGB persönlich haftet, weil der Erblasser seine Einlage entweder nicht vollständig erbracht oder die Gesellschaft ihm einen Teil der Erbeinlage zurückgewährt hat.4 Diese Haftung des Erben beruht nicht auf der Testamentsvollstreckung, sondern geht noch auf den Erblasser zurück. b) Zustimmung der Mitgesellschafter

11.289

Die Zulässigkeit der Dauervollstreckung setzt aber – das ist ein wichtiger Unterschied etwa zur GmbH (dazu unten Rz. 11.297) – die Zustimmung der Mitgesellschafter voraus.5 Andernfalls bleibt es bei der Testamentsvollstreckung nur hinsichtlich der Außenseite der Kommanditbeteiligung.6 Die Rechtslage entspricht dann derjenigen bei persönlich haftender Beteiligung (dazu Rz. 11.269 ff.).

11.290

Der Kommanditanteil ist gem. § 177 HGB frei vererblich. Es bedarf dazu anders als bei der OHG (§ 131 Abs. 3 HGB) keiner gesellschaftsvertraglichen Nachfolgeklausel. Bei der Gestal1 Reimann, Testamentsvollstreckung in der Wirtschaftsrechtspraxis3, Rz. 402. 2 BGH v. 10.1.1996 – VI ZB 21/94, NJW 1996, 1284; Zimmermann, Testamentsvollstreckung4, Rz. 526. 3 BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, NJW 1989, 3152. 4 Lorz/Kirchdörfer, Unternehmensnachfolge2, Kap. 5 Rz. 106. 5 BGH v. 14.2.2012 – II ZB 15/11, MDR 2012, 476; BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, NJW 1989, 3152. 6 Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 193.

896 | Braeuer/Todorow

C. Rechtsformabhängige Besonderheiten | Rz. 11.295 Kap. 11

tung ist aber darauf zu achten, dass der Gesellschaftsvertrag die Testamentsvollstreckung nicht verbietet (dazu Rz. 11.245 f.). c) Vererbung an einen Mitgesellschafter Gerade bei Familiengesellschaften ist der Erbe zuweilen bereits Mitgesellschafter des Erblassers. Will der Erblasser gleichwohl die Dauervollstreckung über den vererbten Anteil anordnen, entstehen Probleme.1 Die Testamentsvollstreckung gerät in Konflikt mit dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Beteiligung. Nach diesem Grundsatz können sämtliche Rechte aus der Mitgliedschaft eines Gesellschafters in einer Personengesellschaft nur einheitlich ausgeübt werden.2

11.291

Es ist nicht geklärt, ob dieser Grundsatz einer Testamentsvollstreckung über Anteile eines Mitgesellschafters entgegensteht. Einerseits hat der für das Erbrecht zuständige IV. Zivilsenat des BGH die Zulässigkeit einer Testamentsvollstreckung am ererbten Anteil bejaht.3 Nach dieser Ansicht vereinen sich die ererbte und die bestehende Beteiligung nicht in der Hand des Gesellschafters, sondern bleiben nebeneinander bestehen.4 Eine ähnliche Einschränkung des Einheitlichkeits-Grundsatzes gibt es bei Nießbrauch und Pfandrecht. Die Belastung einer Beteiligung mit einem Nießbrauch oder einem Pfandrecht bleibt – soweit ersichtlich unstreitig – weiter bestehen, wenn dieser Anteil von einem Mitgesellschafter zusätzlich zu seiner bisherigen Beteiligung hinzuerworben wird.5 Das gleiche Phänomen tritt nach dieser Ansicht bei der Testamentsvollstreckung auf: Der bereits gehaltene und der vererbte Anteil vereinigen sich, letzterer indes ist mit Testamentsvollstreckung belastet. Etwaige operative Probleme ließen sich über die Fiktion einer Innengesellschaft lösen.6

11.292

Andererseits hielt der für das Gesellschaftsrecht zuständige II. Zivilsenat die Testamentsvollstreckung mit Blick auf die zwingende Einheitlichkeit der Beteiligung zunächst ausdrücklich für unzulässig7 und hat dies in einer späteren Entscheidung offen gelassen.8

11.293

Eine BGH-Entscheidung, die diese Divergenz zweifelsfrei klärt, fehlt bislang.

11.294

Der umsichtige Praktiker wird das mit dieser Unklarheit einhergehende Restrisiko bei der Gestaltung bedenken. In Betracht kommt die treuhänderische Übertragung des vererbten Anteils durch den Erben auf den Testamentsvollstrecker.9 Das kann der Erblasser durch eine entsprechende Auflage an den Gesellschafter-Erben in der letztwilligen Verfügung steuern.

11.295

1 Dazu Kämper, RNotZ 2016, 625 (640). 2 BGH v. 10.6.1963 – II ZR 88/61, BeckRS 1963, 31180210; OLG Jena v. 31.8.2011 – 6 W 188/11, NZG 2011, 1301; Lieder in Oetker6, § 105 HGB Rz. 40. 3 BGH v. 10.1.1996 – IV ZB 21/94, NJW 1996, 1284 (1285 f.); BGH v. 14.5.1986 – IVa ZR 155/84, NJW 1986, 2431 (2433 f.). 4 Winkler, Der Testamentsvollstrecker22, 3. Abschnitt Teil VIII Rz. 373a; Reimann in Staudinger, § 2205 BGB Rz. 194 (Stand: 2016). 5 Reimann in Staudinger, § 2205 BGB Rz. 194 (Stand: 2016). 6 Reimann in Staudinger, § 2205 BGB Rz. 194 (Stand: 2016); Ulmer, NJW 1984, 1501; Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 189. 7 BGH v. 11.4.1957 – II ZR 182/55, NJW 1957, 1026; BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, NJW 1977, 1339. 8 BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, DNotZ 1990, 183. 9 Mayer, ZIP 1990, 976 (977).

Braeuer/Todorow | 897

Kap. 11 Rz. 11.296 | Die Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge

III. Kapitalgesellschaft 1. Kein Haftungskonflikt 11.296

Bei Kapitalgesellschaften geraten erbrechtliche und gesellschaftsrechtliche Haftungsgrundsätze nicht in Konflikt. Die Haftung ist ohnehin auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt. Deshalb bereitet die Testamentsvollstreckung hier weit weniger Probleme als bei Personengesellschaften.

2. GmbH 11.297

Die Dauervollstreckung an einem GmbH-Anteil ist nach allgemeiner Ansicht zulässig.1 Eine Aufteilung in Außenseite und Innenseite gibt es nicht. Der Testamentsvollstrecker nimmt sämtliche Mitgliedschaftsrechte wahr, sofern die Satzung nichts anderes bestimmt. Die GmbH-Anteile sind gem. § 15 Abs. 1 GmbHG frei vererblich. Die Testamentsvollstreckung benötigt daher keine Grundlage im Gesellschaftsvertrag, ebenso wenig eine Zustimmung der Mitgesellschafter.

3. Aktiengesellschaft 11.298

Die Verwaltungsvollstreckung ist mit allen Rechten und Pflichten wie bei der GmbH zulässig. Der Testamentsvollstrecker übt das Stimmrecht gem. § 134 AktG und das Bezugsrecht gem. § 186 AktG aus.2 Wie der Erblasser kann der Testamentsvollstrecker Vorstand oder Aufsichtsrat der AG sein.3

IV. GmbH & Co. KG 11.299

Bei der GmbH & Co. KG ist die Testamentsvollstreckung unproblematisch zulässig. Es gilt das Recht der jeweiligen Gesellschaftsform.4 Die Kommanditbeteiligung ist nach § 177 HGB ohne gesellschaftsvertragliche Nachfolgeklausel frei vererblich. Sie kann der Dauervollstreckung unterworfen werden, wenn die Mitgesellschafter zustimmen (Rz. 11.287 ff.). Die GmbH-Anteile sind gem. § 15 Abs. 1 GmbHG frei vererblich und können Gegenstand einer Testamentsvollstreckung sein, ohne dass es der Zustimmung der Mitgesellschafter bedarf (Rz. 11.297).

V. Sonstige Gesellschaftstypen 1. Stille Gesellschaft 11.300

Die Testamentsvollstreckung an einer stillen Gesellschaftsbeteiligung ist zulässig. Haftungskonflikte wie bei einem Einzelunternehmen oder persönlich haftendem Gesellschaftsanteil bestehen nicht. Die stille Gesellschaft tritt nicht im Rechtsverkehr auf.

11.301

Streitig ist allerdings, ob die Zustimmung des Geschäftsinhabers zur Testamentsvollstreckung erforderlich ist.5 Rechtsprechung zu dieser Frage existiert nicht. Aus Sicht des Prakti1 2 3 4 5

Zimmermann, Testamentsvollstreckung4, Rz. 531 m.w.N. Nieder/Kössinger, Handbuch der Testamentsgestaltung5, § 15 Rz. 145. Zimmermann, Testamentsvollstreckung4, Rz. 533. Reimann in Staudinger, § 2205 BGB Rz. 212 (Stand: 2016). Dafür: Zimmermann in MüKo8, § 2205 BGB Rz. 50, der für die Ausübung der Rechte des stillen Gesellschafters durch den Testamentsvollstrecker die Zustimmung des Geschäftsinhabers für erforderlich hält. Dagegen: Reimann in Staudinger, § 2205 BGB Rz. 197 (Stand: 2016); Nieder/Kössinger, Handbuch der Testamentsgestaltung5, § 15 Rz. 146.

898 | Braeuer/Todorow

C. Rechtsformabhängige Besonderheiten | Rz. 11.308 Kap. 11

kers ist dem Erblasser der stillen Beteiligung daher zu empfehlen, bereits zu Lebzeiten die Zustimmung des Geschäftsinhabers einzuholen oder die Zulässigkeit der Testamentsvollstreckung im stillen Beteiligungsvertrag zu regeln.

2. Partnerschaft a) Partnerschaft ohne Haftungsbeschränkung Will der Erblasser seine Beteiligung an einer Partnerschaft unter Testamentsvollstreckung stellen, ist zu unterscheiden danach, ob die Beteiligung durch den Partnerschaftsvertrag vererblich gestellt ist.

11.302

Gemäß § 9 Abs. 4 PartGG ist die Beteiligung an einer Partnerschaft vorbehaltlich abweichender Vereinbarung nicht vererblich. Der Auseinandersetzungsanspruch des Erben fällt in den Nachlass. Er ist Gegenstand der Testamentsvollstreckung.1

11.303

Der Partnerschaftsvertrag kann die Beteiligung vererblich stellen. Indes kommt als Partner im Sinne des PartGG nur eine berufsrechtlich qualifizierte Person in Betracht (§ 9 Abs. 4 Satz 2 PartGG). Maßgeblich ist die Qualifikation des Erben, nicht des Testamentsvollstreckers. Fehlt dem Erben die Qualifikation, scheitert die Vererbung des Anteils. Es gilt dann das im vorherigen Absatz Gesagte: Es entsteht ein Auseinandersetzungsanspruch, der Gegenstand der Testamentsvollstreckung ist.

11.304

Stellt der Partnerschaftsvertrag die Beteiligung vererblich und ist der Erbe als Partner qualifiziert, rückt der Erbe in die Gesellschafterstellung ein. Als solcher haftet er persönlich für die Verbindlichkeiten der Partnerschaft. Deshalb gelten die Grundsätze der Testamentsvollstreckung bei persönlich haftendender Beteiligung: Die Verwaltungsvollstreckung an der „Innenseite“ ist unzulässig (dazu Rz. 11.273). Zulässig sind die Abwicklungsvollstreckung und die Verwaltungsvollstreckung an der „Außenseite“.2

11.305

b) Partnerschaft mit beschränkter Berufshaftung Unklar ist, ob die Testamentsvollstreckung bei Partnerschaft mit beschränkter Berufshaftung weiter in die Innenseite hineinreicht als bei der herkömmlichen Partnerschaft.

11.306

Freiberufler können eine Partnerschaft mit beschränkter Berufshaftung (PartmbB) wählen. Die Haftungsbeschränkung ist nicht durch ein Mindestkapital, sondern durch das Bestehen einer Berufshaftpflichtversicherung gerechtfertigt. Die Haftungsbeschränkung greift deshalb eben auch nur für Berufsfehler. Ansonsten bleibt es bei der persönlichen Haftung der Partner, etwa für die Verbindlichkeiten aus Miet- oder Arbeitsverträgen.

11.307

Die persönliche Haftung des Erben ist also – wenn auch nicht vollständig – abgeschirmt. Insoweit besteht nicht die Gefahr, dass der Testamentsvollstrecker den Erben über den Nachlass hinaus persönlich verpflichtet. Denkbar wäre daher, die Testamentsvollstreckung auch an der „Innenseite“ der Partnerschaft – Vererblichkeit vorausgesetzt – weiträumiger zuzulassen. Ausgenommen wären nur Entscheidungen über die Eingehung von solchen Verbindlichkeiten, für die der Partner-Erbe persönlich unbeschränkt haftet (also z.B. Abschluss von Mietoder Arbeitsverträgen). Praktikabel erscheint eine solche Aufspaltung der Innenseite freilich

11.308

1 Reimann in Staudinger, § 2205 BGB Rz. 139 (Stand: 2016). 2 Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 231.

Braeuer/Todorow | 899

Kap. 11 Rz. 11.308 | Die Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge

nicht. Hinzu kommt: Sämtliche unternehmerischen Entscheidungen der Partnerschaft können letztlich zur persönlichen Haftung des Erben im unbeschränkten Bereich führen. Beispiel: Die Partner eines Architekturbüros entscheiden sich mit der Stimme des Testamentsvollstreckers für einen wirtschaftlich riskanten Großauftrag, bei dem die Vergütung sehr knapp und möglicherweise unauskömmlich kalkuliert ist. Das Projekt gerät später in die wirtschaftliche Schieflage, die Partnerschaft in die Insolvenz. Dann haftet der Erbe persönlich für die aus der Insolvenzmasse nicht befriedigten Mietschulden und Arbeitslöhne.

3. Genossenschaft 11.309

Die Mitgliedschaft einer Genossenschaft geht mit dem Tod eines Genossen auf dessen Erben über. Die Mitgliedschaft endet, wenn der Erbe sie nicht fortsetzt, mit dem Schluss des Geschäftsjahres, in dem der Erbfall eingetreten ist (§ 77 Abs. 1 GenG). Bis dahin unterliegt die Mitgliedschaft der Testamentsvollstreckung. Der Testamentsvollstrecker kann also bis zum Ende des Geschäftsjahres die Rechte und Pflichten an der Mitgliedschaft wahrnehmen.1

11.310

Gemäß § 77 Abs. 2 GenG kann der Erbe die Mitgliedschaft des Erblassers fortsetzen. Streitig ist, ob die dafür erforderlichen Erklärungen Gegenstand der Testamentsvollstreckung sind. Nach einer Ansicht kann der Testamentsvollstrecker die Erklärungen abgeben, wenn dadurch keine weitergehenden Verpflichtungen als bislang begründet werden.2 Nach anderer Ansicht obliegen diese Erklärungen allein dem Erben.3

11.311

Richtig erscheint, dem Testamentsvollstrecker auch die Erklärungen zur Fortsetzung der Mitgliedschaft zuzuordnen. Bei Genossenschaftsanteilen handelt es sich typischerweise um Anteile an Volksbanken, Raiffeisenbanken, gewerblichen Einkaufsgenossenschaften etc. Dort gibt es faktisch keine nennenswerten „Mitgliedschaftsrechte“.4 Es bleibt daher allein bei den erbrechtlichen Schranken: Solange der Testamentsvollstrecker keine weitergehenden persönlichen Verpflichtungen des Erben begründet, kann der Testamentsvollstrecker die Fortsetzung der Mitgliedschaft gem. § 77 Abs. 2 GenG erklären.

4. Verein 11.312

Im gesetzlichen Normalfall scheidet die Testamentsvollstreckung an der Vereinsmitgliedschaft aus. Die Mitgliedschaft – sei der Verein rechtsfähig oder nicht rechtsfähig – ist nach § 38 BGB weder übertragbar noch vererblich. Sie endet mit dem Tod des Vereinsmitglieds.

11.313

Gemäß § 40 BGB kann die Satzung eines Vereins die Vererblichkeit der Mitgliedschaft bestimmen. Das kommt vor bei Vereinen, die zwar als ideelle Vereine gelten, aber wirtschaftliche Interessen verfolgen.5 In diesem Falle unterliegen die Mitgliedschaftsrechte insoweit der Testamentsvollstreckung, als die Rechte nicht höchstpersönlich auszuüben sind.6 Die Rechts-

1 Winkler, Der Testamentsvollstrecker22, 3. Abschnitt Rz. 429; Weidlich in Palandt79, § 2205 BGB Rz. 21. 2 Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 268; Weidlich in Palandt79, § 2205 BGB Rz. 21; Zimmermann in MüKo8, § 2205 BGB Rz. 55. 3 Winkler, Der Testamentsvollstrecker22, 3. Abschnitt Rz. 430. 4 Zimmermann, Testamentsvollstreckung4, Rz. 535. 5 Zimmermann, Testamentsvollstreckung4, Rz. 433. 6 Weidlich in Palandt79, § 2205 BGB Rz. 21; Winkler, Der Testamentsvollstrecker22, 3. Abschnitt Rz. 431.

900 | Braeuer/Todorow

C. Rechtsformabhängige Besonderheiten | Rz. 11.319 Kap. 11

lage ist dann ähnlich wie bei Personengesellschaften: Die „Außenseite“ der Vereinsmitgliedschaft unterliegt der Testamentsvollstreckung, also etwa fällige Vermögensansprüche.1

5. Poolbeteiligung Gesellschaftsanteile können gepoolt sein. Von einem Pool spricht man, wenn sich mehrere Gesellschafter untereinander verpflichtet haben, über die Anteile nur einheitlich zu verfügen oder sie ausschließlich auf andere, derselben Verpflichtung unterliegende Anteilseigner zu übertragen und das Stimmrecht gegenüber nicht gebundenen Gesellschaftern einheitlich auszuüben.2 Der Pool ist eine GbR, also eine Personengesellschaft. Die Gesellschaft, deren Anteile der Pool hält, wird häufig eine GmbH oder eine andere Kapitalgesellschaft sein.

11.314

Dies führt zu einem seltsam anmutenden Problem: Während die Testamentsvollstreckung über den GmbH-Anteil unproblematisch auch mit Blick auf die Ausübung der Mitgliedschaftsrechte zulässig ist, sind gerade diese beim Pool in der Form einer Personengesellschaft (GbR) gebunden. Übertrüge man nun das Dogma der Unzulässigkeit einer Dauervollstreckung an persönlich haftenden Anteilen – hier des Pools als GbR – unbesehen auf die PoolSituation, liefe die Testamentsvollstreckung ins Leere. Der Testamentsvollstrecker wäre an der Ausübung seiner Gesellschaftsrechte im Pool gehindert.

11.315

Diese Konsequenz wird im Allgemeinen zu Recht abgelehnt.3 Der Pool ist eine rein innergesellschaftliche Verbindung. Interessen des Handelsverkehrs an einer nicht auf den Nachlass beschränkbaren Haftung sind nicht berührt.

11.316

6. Stiftung Der Erblasser kann eine von Todes wegen zu errichtende Stiftung als Erbin einsetzen. Daneben kommt die Anordnung von Testamentsvollstreckung in Betracht. Dabei ist zu unterscheiden:

11.317

Jemand muss das Verfahren zur Anerkennung der Stiftung durchführen und den Nachlass auf die Stiftung überführen. Hierfür ist Testamentsvollstreckung zulässig und sinnvoll.4

11.318

Die Dauervollstreckung über das Stiftungsvermögen hingegen ist nach Ansicht des OLG Frankfurt unzulässig.5 Die Dauertestamentsvollstreckung entziehe das Stiftungsvermögen dem Zugriff des Stiftungsvorstands und der Aufsicht der Stiftungsbehörde. Teile der Literatur kritisieren die Entscheidung.6 Der Praktiker wird sich aber bis auf weiteres an der Entscheidung des OLG Frankfurt zu orientieren haben.

11.319

1 Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung22, § 5 Rz. 269; Damrau in Soergel13, § 2205 BGB Rz. 48. 2 Reimann, ZEV 2014, 521 (525) (dort auch zu den erbschaftssteuerlichen Folgen gem. § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG). 3 Reimann, ZEV 2014, 521 (525); Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 253 ff. 4 Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung22, § 5 Rz. 295 ff.; Feitsch/Linder, ZStV 2018, 67 (71). 5 OLG Frankfurt v. 15.10.2010 – 4U 134/10, ZEV 2011, 605; der BGH hat die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen, BGH, Beschl. v. 6.7.2011 – IV ZR 11/11, BeckRS 2013, 19690. 6 Schebe, ZEV 2012, 236 mit weiteren Nachweisen.

Braeuer/Todorow | 901

Kap. 11 Rz. 11.320 | Die Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge

11.320

Demnach ist dem Erblasser von einem Nebeneinander von Stiftung und Dauertestamentsvollstreckung abzuraten. Als Alternative kommt in Betracht, dass der Erblasser den Testamentsvollstrecker als Stiftungsvorstand installiert und ihn mit der gewünschten Machtfülle ausstattet bzw. dies in der letztwilligen Verfügung vorgibt.

D. Strukturelle Gestaltungsüberlegungen I. Umstrukturierung und Gesellschaftsvertrag 11.321

Einzelne Gestaltungsfragen sind im vorstehenden Text bei den jeweiligen Problemfeldern behandelt. Aus der „Vogelperspektive“ stellen sich dem Erblasser und seinem Berater zwei strukturelle Fragen, wenn es darum geht, einer Testamentsvollstreckung am Unternehmen den Boden zu bereiten: Ist das Unternehmen für die Testamentsvollstreckung umzustrukturieren, und erfordert die Testamentsvollstreckung Änderungen des Gesellschaftsvertrages?

II. Umwandlung des Unternehmens 1. Bei Einzelunternehmen und persönlich haftenden Beteiligungen 11.322

Die Testamentsvollstreckung bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften ist holprig (s. Rz. 11.233 ff., Rz. 11.273 ff.). Pauli etwa rät sogar ganz von ihr ab: „Bei dieser Rechtslage sollte die Praxis möglichst davon Abstand nehmen, eine vollhaftende Beteiligung einer Dauertestamentsvollstreckung unterstellen zu wollen.“1 Deshalb wird zu Lebzeiten die Umwandlung in eine Kommanditbeteiligung oder in eine Kapitalgesellschaft empfohlen. Die Testamentsvollstreckung bereitet dort ungleich weniger Probleme.

2. Motive des Erblassers 11.323

Dennoch ist dieser Empfehlung nicht vorschnell zu folgen. Der Unternehmer betreibt das Unternehmen ja meist nicht ohne Grund in der Form eines Einzelunternehmens oder einer Personengesellschaft. Abzuwägen ist daher, ob es mit Blick auf die Testamentsvollstreckung wirklich lohnt, operative und steuerliche Vorteile der persönlich haftenden Unternehmensform aufzugeben.2

11.324

Maßgeblich sind die Motive des Erblassers. Möglicherweise geht es dem Erblasser lediglich darum, mit dem Instrument der Testamentsvollstreckung den Erben davon abzuhalten, das Unternehmen zu veräußern (§ 2211 BGB) und das Unternehmen vor Eigengläubigern des Erben zu schützen (§ 2214). Diese Ziele erreichen auch die – zulässige – Testamentsvollstreckung über die „Außenseite“ der persönlich haftenden Beteiligung (dazu Rz. 11.270) und die beaufsichtigende Testamentsvollstreckung über das Einzelunternehmen (dazu Rz. 11.227). Eine Umwandlung ist dafür nicht erforderlich.

11.325

Geht der Wille des Erblassers hingegen dahin, dass der Testamentsvollstrecker auch die Geschicke des Unternehmens bestimmen soll, taugen Einzelunternehmen und die persönlich haftende Beteiligung in der Tat nicht. In diesem Fall ist die Umwandlung in eine Kommandit-

1 Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 173. 2 Everts, MittBayNot 2003, 427 (432).

902 | Braeuer/Todorow

D. Strukturelle Gestaltungsüberlegungen | Rz. 11.332 Kap. 11

beteiligung oder in eine Kapitalgesellschaft – bzw. die Übertragung des Einzelunternehmens auf eine solche – ernsthaft zu erwägen. Die Kapitalgesellschaft – GmbH & Co. KG oder GmbH – bietet dabei zudem den Vorteil der Fremdorganschaft. Die Umwandlung ist also auch dann sinnvoll, wenn der Erblasser noch keinen geeigneten Nachfolger als Unternehmenslenker im Auge hat.1

11.326

3. Umstrukturierung zu Lebzeiten oder auf den Erbfall? Fasst der Erblasser die Umstrukturierung ins Auge, stellt sich die Frage, ob er diese noch zu Lebzeiten angeht oder auf den Erbfall anordnet.

11.327

Aus rein rechtlicher Sicht ist die Umstrukturierung zu Lebzeiten zu empfehlen. Bei letztwilligen Umstrukturierungsanordnungen ist nicht mit vollständiger Sicherheit vorauszusehen, ob diese gegen den Willen des Erben durchsetzbar sein werden. Wenn die Kernbereichslehre im Recht der Testamentsvollstreckung einen Anwendungsbereich hat – was zweifelhaft ist, aber eben nicht höchstrichterlich geklärt (Rz. 11.95 ff.) – dann könnte der widerspenstige Erbe sie gegen Umstrukturierungen ins Feld führen.

11.328

Außerdem ist die Gestaltung einer letztwilligen Umstrukturierung nicht ganz trivial. Der Erblasser muss sich Gedanken darüber machen, ob der Gesellschaftsvertrag des umgewandelten Unternehmens anzupassen ist, und dies ggf. in der letztwilligen Verfügung umsetzen. Das gilt erst recht, wenn die letztwillige Umstrukturierung die Neugründung einer Gesellschaft vorsieht. Dann sollte der Erblasser die einzelnen Bestimmungen des späteren Gesellschaftsvertrages möglichst umfassend in der letztwilligen Verfügung festlegen, mindestens so, dass nach seinem Tod etwaige Lücken durch Vertragsauslegung ausgefüllt werden können.2

11.329

4. Umstrukturierung auf den Erbfall a) Beispiele Scheut der Erblasser gleichwohl die Umstrukturierung zu Lebzeiten, kommt eine solche auf den Erbfall in Betracht.

11.330

Beim Einzelunternehmen ist eine letztwillige Gesellschaftsgründung verbreitet. Damit verpflichtet der Erblasser die Erben im Wege der Auflage, einen Gesellschaftsvertrag z.B. einer GmbH abzuschließen und die Vermögenswerte des Einzelunternehmens auf diese GmbH zu übertragen. Der Testamentsvollstrecker vollzieht die Auflage und verwaltet dann die GmbH.

11.331

Bei persönlich haftenden Gesellschaftsanteilen bietet sich eine letztwillige Umwandlung an. Dabei ordnet der Erblasser auf gesellschaftsvertraglicher Ebene z.B. die Umwandlung der persönlich haftenden Beteiligung in eine Kommanditbeteiligung mit Wirkung auf den Erbfall an und unterstellt diese umgewandelte Kommanditbeteiligung in der letztwilligen Verfügung der Testamentsvollstreckung. Hier ist also parallele Gestaltung sowohl im Gesellschaftsvertrag (Umwandlung mit Wirkung auf den Erbfall) wie auch in der letztwilligen Verfügung (Anordnung der Testamentsvollstreckung über die umgewandelte Kommanditbeteiligung) erforderlich.

11.332

1 v. Proff, DStR 2018, 415 (420). 2 Winkler, Der Testamentsvollstrecker22, 3. Abschnitt Rz. 377.

Braeuer/Todorow | 903

Kap. 11 Rz. 11.333 | Die Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge

b) Besonderheiten aa) Obligatorisch vs. automatisch wirkende Umwandlungsklauseln

11.333

Die eben angesprochenen (Rz. 11.332) gesellschaftsvertraglichen Umwandlungsklauseln können obligatorisch oder mit automatischer Wirkung ausgestaltet sein.1 Lediglich obligatorisch wirkende Klauseln haben den Nachteil, dass sie den Erben freie Hand lassen, die Stellung als persönlich haftender Gesellschafter zu behalten und damit die Testamentsvollstreckung zu erschweren. Empfohlen werden deshalb Klauseln mit Umwandlungsautomatik.2

11.334

Der Erblasser kann die Entscheidung darüber, ob und in welche Gesellschaftsform eine Umwandlung erfolgen soll, auch in das freie Ermessen des Testamentsvollstreckers stellen.3 bb) Auflage

11.335

Höchstrichterlich ist bisher nicht entschieden, ob die Umwandlung der Mitwirkung der Erben bedarf. Die letztwillige Verfügung sollte daher eine Auflage vorsehen, dass die Erben die Umwandlung zu dulden bzw. sämtliche Umwandlungsmaßnahmen zu genehmigen haben.4 Wenn Erblasser und Testamentsvollstrecker dabei sicherstellen, dass sämtliche Einlagen- oder Kapitalaufbringungspflichten aus dem Nachlass erfüllt werden, bestehen gegen eine solche Auflage keine durchgreifenden Bedenken (dazu Rz. 11.108 ff.).

11.336

Die Kommanditgesellschaft benötigt einen Komplementär. Bei Umwandlung des persönlich haftenden Anteils in eine Kommanditgesellschaft ist hierfür Sorge zu tragen. Vorbeugend wird empfohlen, eine Reserve-GmbH als Komplementärin in die Gesellschaft aufzunehmen oder jedenfalls noch vor dem Erbfall zu gründen.5

11.337

In Betracht kommt auch eine Auflage an die Erben in der letztwilligen Verfügung, der Gründung einer Komplementär-GmbH durch den Testamentsvollstrecker zuzustimmen. Bedenken dagegen bestehen, wenn nicht sichergestellt ist, dass die Kapitalaufbringungspflichten aus dem Nachlass erfüllt werden (Rz. 11.140 ff.).

cc) Komplementär bei Umwandlung in einen Kommanditanteil

III. Abstimmung mit dem Gesellschaftsvertrag 1. Eintritts- oder Nachfolgeklausel bei Personengesellschaften 11.338

Bei persönlich haftenden Anteilen läuft die Anordnung einer Testamentsvollstreckung von vornherein ins Leere, wenn im Gesellschaftsvertrag dafür nicht die Grundlagen geschaffen sind. Nach der gesetzlichen Konzeption geht die Gesellschafterstellung nicht ohne weiteres auf den Erben über. Gemäß § 727 Abs. 1 BGB, § 131 Abs. 3 Nr. 1 HGB wird die Personengesellschaft aufgelöst (GbR) oder ohne den Erben fortgesetzt (OHG), sofern nicht aus dem Gesellschaftsvertrag sich ein anderes ergibt. Daher muss im Gesellschaftsvertrag die Fortsetzung

1 2 3 4 5

BGH v. 1.6.1987 – II ZR 259/86, NJW 1987, 3184. Lorz/Kirchdörfer, Unternehmensnachfolge2, Kap. 5 Rz. 110. Frank, ZEV 2003, 5 (7); Todtenhöfer, RNotZ 2017, 557 (566); Werner, ZEV 2018, 252 (254). Werner, ZEV 2018, 252 (254) m.w.N. in Fn. 31. Lorz/Kirchdörfer, Unternehmensnachfolge2, Kap. 5 Rz. 110.

904 | Braeuer/Todorow

D. Strukturelle Gestaltungsüberlegungen | Rz. 11.343 Kap. 11

der Gesellschaft für den Fall des Todes eines Gesellschafters vereinbart werden, um die Testamentsvollstreckung zu ermöglichen. Deshalb ist entweder eine Eintritts- oder eine Nachfolgeklausel im Gesellschaftsvertrag notwendig. Die Eintrittsklausel räumt dem Erben das Recht auf Eintritt ein; er hat also die Wahl. Bei der Nachfolgeklausel wird der Gesellschaftsanteil des Erblassers als solcher dem Erben zugewendet. Erst auf Grundlage einer solchen Eintritts- oder Nachfolgeklausel greift die Testamentsvollstreckung an dem Gesellschaftsanteil.

11.339

Eine praktische Falle liegt in Folgendem: Die Testamentsvollstreckung geht ins Leere, wenn der Erblasser die Mitgliedschaft am Nachlass vorbei im Wege der rechtsgeschäftlichen Nachfolgeklausel auf den Erben überträgt oder wenn die Mitgliedschaft durch Vertrag mit dem Erben neu begründet wird. In diesen Fällen geht der Anteil nicht erbrechtlich auf den Erben über, ist mithin nicht Gegenstand der Testamentsvollstreckung. Das kann der Erblasser bei rechtsgeschäftlicher Übertragung nur vermeiden, wenn er dem Erben in der letztwilligen Verfügung zur Auflage macht, den Gesellschaftsanteil der Verwaltungsbefugnis des Testamentsvollstreckers zu unterwerfen.1

11.340

2. Zustimmung der übrigen Gesellschafter bei der Kommanditgesellschaft Die Testamentsvollstreckung über den Anteil eines Kommanditisten setzt die Zustimmung aller Gesellschafter voraus. Den übrigen Gesellschaftern ist nicht ohne ihre Zustimmung zumutbar, dass ein Testamentsvollstrecker, also ein Gesellschaftsfremder, die Rechte und Pflichten eines Gesellschafters wahrnimmt. Verweigert ein Gesellschafter die Zustimmung, beschränkt sich die Testamentsvollstreckung auf die Außenseite der Kommanditbeteiligung.2 Deshalb ist möglichst bereits im Gesellschaftsvertrag die Testamentsvollstreckung an dem Gesellschaftsanteil vorzusehen. Dies genügt für die Einverständniserklärung aller Gesellschafter.3

11.341

Bei Kommanditgesellschaften, deren Anteile nach dem Gesellschaftsvertrag frei veräußerlich sind, insbesondere bei einer Publikums-KG, wird regelmäßig eine konkludente Zustimmung zur Testamentsvollstreckung vorliegen.4 Dennoch empfiehlt sich eine ausdrückliche Regelung zur Testamentsvollstreckung im Gesellschaftsvertrag, um Unklarheiten im Erbfall zu vermeiden.5

11.342

3. Kapitalgesellschaft Bei Kapitalgesellschaften stellen sich diese Probleme nicht. Die Anteile sind frei vererblich kraft Gesetzes (§ 15 GmbHG). Die Testamentsvollstreckung setzt eine Zustimmung der Mitgesellschafter nicht voraus.6 Der Erblasser muss also – anders als bei der Personengesellschaft – nicht dafür Sorge tragen, dass der Gesellschaftsvertrag „aktiv“ die Grundlagen für die Testamentsvollstreckung schafft.

1 Lorz/Kirchdörfer, Unternehmensnachfolge2, Kap. 5 Rz. 104. 2 Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 193; Heckschen in Burandt/Rojahn3, § 2205 BGB Rz. 41. 3 Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 159. 4 Reimann in Staudinger, § 2205 BGB Rz. 181 (Stand: 2016); Lange in BeckOK, § 2205 BGB Rz. 56 (Stand 1.5.2020); Kämper, RNotZ 2016, 625 (636). 5 Kämper, RNotZ 2016, 625 (636). 6 Pauli in Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung6, § 5 Rz. 240.

Braeuer/Todorow | 905

11.343

Kap. 11 Rz. 11.344 | Die Testamentsvollstreckung als Instrument der Unternehmensnachfolge

4. Bereinigung des Gesellschaftsvertrages um sonstige Hindernisse 11.344

Der Gesellschaftsvertrag kann die Wahrnehmung der Gesellschafterrechte durch Nichtgesellschafter – also auch durch einen Testamentsvollstrecker – ausschließen oder beschränken.1 Die Konsequenz wäre, dass sich die Testamentsvollstreckung auf die „Außenseite“ der Beteiligung beschränkt bzw. auf diejenigen Beschlussgegenstände, für welche sie zugelassen ist.

11.345

Der umsichtige Erblasser sollte den Gesellschaftsvertrag auf derlei Hindernisse für die Testamentsvollstreckung untersuchen und sie beseitigen.2

1 Reimann, ZEV 2014, 521 (522). 2 Reimann, ZEV 2014, 521 (522).

906 | Braeuer/Todorow

Kapitel 12 Beirat als Instrument der Unternehmensnachfolge A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Grundlagen I. Klassische Aufgaben eines Beirates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anforderungen an Mitglieder eines Beirates . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anforderungen an Unternehmensnachfolger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Begriff der Unternehmensnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Auswahl der Nachfolger nach Abstammung statt Eignung . . . . . . . VI. Absichten des Inhabers bestimmen die Nachfolgefrage . . . . . . . . . . . . VII. Begriff des Beirates 1. Fakultativer Beirat . . . . . . . . . . . . . 2. Obligatorischer Aufsichtsrat . . . . . VIII. Der Beirat in der GmbH & Co. KG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Zusammenfassung zur Errichtung von Aufsichtsrat und Beirat . . . . C. Beirat I. Errichtung des Beirates . . . . . . . . II. Persönliche Voraussetzungen und Inkompatibilitäten . . . . . . . . . . . . III. Größe und Zusammensetzung des Beiratsgremiums 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zahl der Mitglieder des Beiratsgremiums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bestellung, Amtszeit, Beendigung der Amtszeit von Mitgliedern des Beirates a) Bestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Amtszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beendigung der Amtszeit . . . . . 4. Auskunfts- und Herausgabeansprüche (-pflicht) . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Innere Ordnung 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sitzungen und Inhalt der Einberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beschlüsse außerhalb von Präsenzsitzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

12.1

12.5 12.6 12.7 12.13 12.18 12.23 12.24 12.27 12.31 12.32 12.40 12.47 12.54 12.55

12.57 12.62 12.65 12.67 12.68 12.69 12.70

4. Beschlüsse unter Verzicht auf Einhaltung vorgeschriebener Formen und Fristen der Einladung, Ankündigung und Beschlussfassung . . . . 12.73 5. Sitzungsfrequenz und Zuständigkeit für Einberufung . . . . . . . . . . . . . . . 12.76 6. Teilnahmepflicht und Teilnahmerecht an Sitzungen . . . . . . . . . . . . . 12.81 7. Beschlussfähigkeit . . . . . . . . . . . . . 12.83 8. Beschlussmängel a) Keine Anwendung aktienrechtlicher Grundsätze . . . . . . . . . . . 12.85 b) Rechtsfolgen rechtswidriger oder rechtswidrig zustande gekommener Beiratsbeschlüsse . . . . . . 12.87 c) Geltendmachung der Nichtigkeit von Beschlüssen des Beirates d) Feststellungsinteresse und Aktivlegitimation zur Geltendmachung der Nichtigkeit von Beschlussmängeln eines Beirates . 12.89 V. Aufgaben, Pflichten und Befugnisse 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.94 2. Überwachen der Geschäftsführung 12.98 3. Beraten der Geschäftsführung . . . . 12.99 4. Geltendmachen von Schadensersatzansprüchen . . . . . . . . . . . . . . 12.101 5. Beirat einer Konzernobergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.103 6. Informationsrechte . . . . . . . . . . . . 12.105 7. Prüfung des Jahresabschlusses . . . 12.112 8. Einberufung der Gesellschafterversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.114 9. Weisungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 12.115 10. Vertretung der Gesellschaft durch den Beirat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.116 VI. Rechtsstellung der Beiratsmitglieder 1. Rechtsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . 12.117 2. Weisungsunterworfenheit der Beiratsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.118 3. Vergütung der Beiratsmitglieder . . 12.120 4. D&O-Versicherung . . . . . . . . . . . . 12.121 5. Haftungsbeschränkungen für Mitglieder des Beirates . . . . . . . . . . . . 12.122 6. Beraterverträge . . . . . . . . . . . . . . . . 12.124

Burger | 907

Kap. 12 Rz. 12.1 | Beirat als Instrument der Unternehmensnachfolge VII. 1. 2. 3.

Sorgfaltspflichten und Haftung Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maßstab für Sorgfaltspflichten . . . Schadensersatz als Rechtsfolge von schuldhaften Pflichtverletzungen . 4. Verjährung von Schadensersatzansprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

12.129 12.130 12.132

5. Entlastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.135 VIII. Transparenz gem. § 52 Abs. 3 GmbHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.136 D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . 12.137

12.134

A. Einführung 12.1

Dass ein Beirat abhängig von den jeweils obwaltenden Umständen geeignetes Instrument sein kann, das Gelingen einer Unternehmensnachfolge zu unterstützen, liegt mit Blick auf klassische Aufgaben (vgl. Rz. 12.5) eines Unternehmensbeirates auf der Hand. Dennoch wird dieses Instrument häufig gar nicht in Betracht gezogen oder als Möglichkeit, eine Unternehmensnachfolge zu unterstützen, gleich wieder verworfen. In aller Regel mit der Überlegung, den Einfluss der auserkorenen Unternehmensnachfolger auf die Verwaltung des unternehmerischen Vermögens nicht schwächen zu wollen.

12.2

Dieses Kapitel soll zeigen, dass diese Sorge beherrschbar ist, wenn der Beirat gemessen an den Bedürfnissen der Gesellschafter, ihrer Nachfolger und des Unternehmens richtig implementiert und genutzt wird.

12.3

Beispielhaft sei auf die nicht seltene Konstellation hingewiesen, der zufolge sich die bisherigen Unternehmensinhaber bei Übergabe der Aufgabe, die Geschäfte zu führen, in ein Beiratsgremium zurückziehen, das mit Überwachungsaufgaben betraut ist mit dem Ziel, das Tagesgeschäft zwar den Unternehmensnachfolgern zu überlassen, aber die „Richtlinien-Kompetenz“ noch nicht völlig aus der Hand zu geben.1 Um dadurch nicht zugleich einen Generationenkonflikt zu befeuern, ist es in diesem Fall mindestens ratsam, neben den bisherigen Gesellschafter-Geschäftsführern auch Fremde in das Gremium aufzunehmen, die Konfliktvermeidendes beitragen, außerdem verhindern können, dass ein etwa schwelender Generationenkonflikt durch eine solche Unternehmensverfassung nicht institutionalisiert wird.2

12.4

Ein weiterer Beispielsfall, wie das Instrument eines Unternehmensbeirates eingesetzt werden kann, um etwaige Unternehmensnachfolgeprobleme zu lösen, besteht darin, einem Beirat im Fall unerwarteten Ablebens des bisherigen Unternehmensinhabers die Aufgabe zu übertragen, den jeweils für die Unternehmensführung am besten geeigneten Abkömmling aus mehreren Abkömmlingen auszusuchen; insbesondere dann, wenn die potentiellen Unternehmensnachfolger, häufig die Abkömmlinge des Inhabers, noch zu jung sind, um abschätzen zu können, ob sie sich für die Führung des Unternehmens und die Ausübung der Gesellschafterrechte eignen.3

1 Binz/Sorg, Die GmbH & Co. KG12, § 10 Rz. 8. 2 Binz/Sorg, Die GmbH & Co. KG12, § 10 Rz. 8. 3 Binz/Sorg, Die GmbH & Co. KG12, § 10 Rz. 9; Ruter in Ruter/Thümmel, Beiräte in mittelständigen Familienunternehmen2, Rz. 82.

908 | Burger

B. Grundlagen | Rz. 12.9 Kap. 12

B. Grundlagen I. Klassische Aufgaben eines Beirates Klassische Aufgaben eines Unternehmensbeirates (nachfolgend „Beirat“) können Beraten der Unternehmensführung und der Gesellschafter, Überwachen der Geschäftsführung, Bestellen und Abberufen der Mitglieder der Geschäftsführung, Abschluss von Dienstverträgen mit Mitgliedern der Geschäftsführung, Repräsentieren des Unternehmens, Pflege von Netzwerken sowie das Vermeiden und Schlichten von Konflikten unter den Mitgliedern der Geschäftsführung und im Kreis der Gesellschafter sowie zwischen der Geschäftsführung und den oder einzelnen Gesellschaftern oder Gesellschaftergruppen sein.1 Dabei handelt es sich zugleich um Aufgaben, die, vorbehaltlich des Vorliegens der Voraussetzungen einer Pflicht, einen obligatorischen Aufsichtsrats zu bilden, ohne Beirat ausschließlich von den Gesellschaftern zu erfüllen wären, um ihr unternehmerisch gebundenes Vermögen zu schützen und zu mehren.

12.5

II. Anforderungen an Mitglieder eines Beirates Die Forderung, dass diejenigen, die die bezeichneten Aufgaben zu erfüllen haben, idealerweise über herausragende persönliche Eigenschaften, Kenntnisse, Fähigkeiten und berufliche Qualifikationen verfügen sollten, ist zwar eine Plattitüde, allerdings eine, die in der Unternehmenswirklichkeit allem Anschein nach nicht durchweg beachtet wird, wenn es um die Auswahl geeigneter Kandidaten für die Tätigkeit als Mitglieder eines Beirates geht.

12.6

III. Anforderungen an Unternehmensnachfolger Die Voraussetzungen einer gelungenen Unternehmensnachfolge ergeben sich im Sinne eines kleinsten gemeinsamen Nenners aus ihrem Ziel, dem zufolge eine Unternehmensnachfolge jedenfalls nicht zu einer Unternehmensverfassung und -leitung führen sollte, die den Untergang des Unternehmens begünstigt statt Fortbestand und gedeihliches Wachstum.

12.7

Die Antwort auf die Frage, ob eine Unternehmensnachfolge in diesem Sinne gelingt, hat auf der Seite der Unternehmensnachfolger ganz wesentlich mit deren persönlichen Eigenschaften, Kenntnissen, Fähigkeiten und beruflichen Qualifikationen zu tun.

12.8

Um Inhaber eines Gesellschaftsanteils an einem Familienunternehmen, auch an einem solchen mit bedeutender Größe und Relevanz für ganze Regionen zu sein, bedarf es nicht des Bestehens eines Eignungstests. Auch Geschäftsfähigkeit ist nicht erforderlich. Rechtsfähigkeit genügt, mithin Träger von Rechten und Pflichten sein zu können. Denjenigen, die Inhaber von Beteiligungen an Unternehmen sind, bleibt bei gegebener Testier- und Vertragsfreiheit demzufolge grundsätzlich überlassen, wer diese Beteiligungen als Nachfolger übernehmen und insbesondere unter welchen Voraussetzungen dies geschehen soll. „Grundsätzlich“ in vorstehendem Sinne bedeutet, dass in jedem Einzelfall selbstverständlich zu prüfen ist, ob Beteiligungen frei übertragbar oder vinkuliert sind, ob der Kreis möglicher Nachfolger durch Gesellschaftsvertrag oder Satzung limitiert ist, ob Übernahme und/oder Vorkaufsrechte oder andere Vereinbarungen unter den Gesellschaftern bestehen, die etwaige Übertragbarkeit von Beteiligungen beschränken.

12.9

1 Vgl. statt vieler: Binz/Sorg, Die GmbH & Co. KG12, § 10 Rz. 3 ff.; Mutter in Münch. Hdb. GesR5, Band 2, § 8 Rz. 1.

Burger | 909

Kap. 12 Rz. 12.10 | Beirat als Instrument der Unternehmensnachfolge

12.10

Setzt der bisherige Inhaber einer Beteiligung bei seinem Nachfolger voraus, dass dieser über persönliche Eigenschaften, Kenntnisse, Fähigkeiten, berufliche Qualifikationen und den Willen verfügt, das unternehmerisch gebundene Vermögen zu sichern, zu mehren, mithin zu verwalten, treffen sich die Themen Beirat und Unternehmensnachfolge genau an diesem Punkt. Denn mit Blick auf die klassischen Aufgaben eines Beirates, Beraten der Unternehmensführung und der Gesellschafter, Überwachen der Geschäftsführung, Nutzung externen Wissens, Schaffen und Erhalt von Geschäftsbeziehungen und Kontakten, Bestellen und Abberufen von Mitgliedern der Geschäftsführung sowie Zustimmung zu bestimmten unternehmerischen Entscheidungen1, ist ein Beirat umso mehr empfehlenswert, je weniger die auserkorenen Unternehmensnachfolger persönliche Eigenschaften, Kenntnisse, Fähigkeiten, berufliche Qualifikationen und/oder Willen aufweisen, die erforderlich sind, den unternehmerisch gebundenen Teil des eigenen Vermögens zu sichern und zu mehren. Die Antwort auf die Frage, ob die in Aussicht genommenen Unternehmensnachfolger, über die persönlichen Eigenschaften, Kenntnisse, Fähigkeiten, beruflichen Qualifikationen und den Willen verfügen, den unternehmerischen Teil des eigenen Vermögens sichernd und mehrend zu verwalten, auf der einen Seite, sowie Pflichten und Befugnisse des Beirates, auf die Geschicke des Unternehmens Einfluss zu nehmen, sind demzufolge und idealerweise kommunizierende Röhren.

12.11

Je größer der Mangel an Eignung der auserkorenen Unternehmensnachfolger ist, desto empfehlenswerter ist es, deren Defizite mit einem qualifiziert besetzten Beirat mit weitreichenden Befugnissen und Pflichten auszugleichen, dies aber zugleich mit Restriktionen für die Mitglieder des Beirates zu verbinden, um Missbrauch der eingeräumten Befugnisse zu verhindern, mindestens zu erschweren (vgl. Rz. 12.23).

12.12

Umgekehrt sollte genau überlegt werden, Unternehmensnachfolger, die geeignet und willens sind, die Unternehmensnachfolge anzutreten, insbesondere für den Fall, dass sie geeignet und willens sind, die Geschäfte zu führen, ob und mit welchen Befugnissen ein Beirat solchen Unternehmensnachfolgern überhaupt nützlich sein kann. Denn etwa erforderliche Beratung kann von Fall zu Fall in Auftrag gegeben werden, ohne einen Beirat durch Gesellschaftsvertrag institutionalisiert und mit weitreichenden, geeignete und wollende Unternehmensnachfolger hemmenden Befugnissen ausgestattet zu haben.

IV. Begriff der Unternehmensnachfolge 12.13

Die wichtigste Frage der Unternehmensnachfolge ist die, wer Nachfolger sein soll. Diese Frage wird häufig damit beantwortet, dass dies der dafür Geeignetste sein soll. Dabei stellt sich zugleich die Frage, mit Blick auf welche Anforderungen die Frage der Eignung zu beantworten ist.

12.14

Soll der Nachfolger in der Inhaberschaft des Gesellschaftsanteils oder der Gesellschafterstellung nach den Überlegungen des bisherigen Inhabers nicht lediglich qua Abstammung als Nachfolger, sondern darüber hinaus geeignet sein, diesen zu verwalten oder die operativen Geschäfte des Unternehmens, an dem er allein oder mit anderen beteiligt ist, vielleicht sogar als Vorsitzender der Geschäftsführung zu führen?

12.15

Das zeigt zugleich, wie der Begriff der Unternehmensnachfolge zum Zweck der nachfolgenden Darstellung zu verstehen ist: Darunter soll nicht nur die Nachfolge in der Inhaberschaft an einem Gesellschaftsanteil (Kapitalgesellschaften)2 oder einer Gesellschafterstellung (Per1 Vgl. Mutter in Münch. Hdb. GesR5, Band 2, § 8 Rz. 1. 2 Geschäftsanteil an einer GmbH oder Aktie einer AG.

910 | Burger

B. Grundlagen | Rz. 12.21 Kap. 12

sonenhandelsgesellschaft) zu verstehen sein, sondern als weiterer Teil dieses Begriffs auch die Nachfolge in der Führung des Unternehmens. Weil Unternehmen häufig nicht nur einen Alleingesellschafter, sondern mehrere oder eine Vielzahl von Gesellschaftern haben, die häufig genug auch familiär verbunden sind, woraus sich weitere rechtliche und persönliche Beziehungen ergeben, die Implikationen für das Unternehmen haben, soll unter dem Begriff der Unternehmensnachfolge auch die Nachfolge in dieses, schon für sich genommen sehr komplexe Beziehungsgeflecht verstanden werden. In diesem Sinne verstanden, muss die Unternehmensnachfolge also auch die Stellung eines Nachfolgers im Kreis der Gesellschafter, etwaiger Familienmitglieder und/oder Mitglieder zu verschiedenen Familienstämmen gehörender Gesellschafter in den Blick nehmen.

12.16

Die Frage der Eignung stellt sich bei der Unternehmensnachfolge also nicht nur für die Aufgabe, das unternehmerisch gebundene Vermögen als Gesellschafter zu sichern und zu mehren, sondern auch für die mögliche Aufgabe, die operativen Geschäfte der Gesellschaft zu führen, aber auch für die Aufgabe, die Verhältnisse der Gesellschafter untereinander, die häufig zugleich Familienmitglieder der eigenen oder weiterer Gesellschafterstämme sind, im Interesse des Erhalts und gedeihlichen Wachstums des Unternehmens geordnet und befriedet zu halten. Bei all diesen Aufgaben kann ein mit den richtigen Befugnissen ausgestatteter Beirat Nachfolgeprozess und Nachfolger unterstützen.

12.17

V. Auswahl der Nachfolger nach Abstammung statt Eignung Erst recht kann ein Beirat hilfreiches Instrument der Unternehmensnachfolge und der Nachfolger sein, wenn der Unternehmensinhaber, wie nicht selten, gar nicht die Eignung zum maßgeblichen Kriterium der Antwort auf die Frage der Unternehmensnachfolge macht, sondern allein die Abstammung.

12.18

Dies soll an einem Beispiel verdeutlicht werden: Hat der Unternehmensinhaber vier Abkömmlinge, die er für die Unternehmensnachfolge in Betracht zieht, bilden grundsätzlich zwei Möglichkeiten die beiden Enden der Handlungsoptionen des Unternehmensinhabers.

12.19

Die erste Möglichkeit besteht darin, die unternehmerischen Beteiligungen zu jeweils gleichen Teilen auf die vier Abkömmlinge zu übertragen. Die zweite Möglichkeit besteht darin, die unternehmerischen Beteiligungen nur auf einen Abkömmling zu übertragen. In entsprechender Weise könnte der Unternehmensinhaber mit der Gelegenheit verfahren, die operativen Geschäfte des Unternehmens zu führen: er könnte alle vier Abkömmlinge in die Geschäftsführung berufen oder aber nur einen der vier Abkömmlinge. Zwischen diesen Positionen liegt eine Vielzahl unterschiedlicher Möglichkeiten mit der Unternehmensnachfolge umzugehen. Die beiden Pole dieser Möglichkeiten zeigen aber anschaulich die Frage, die bei jeder Unternehmensnachfolge zu beantworten ist: Soll nur der bestqualifizierteste Abkömmling Gelegenheit erhalten, Unternehmensnachfolger zu werden, um damit das Unternehmen vor dem Einfluss von Mängeln an Eignung und vor Konflikten unter Gesellschaftern nachhaltig zu schützen? Oder gibt der Unternehmensinhaber bei der Unternehmensnachfolge dem Interesse der Familie am Erhalt des Familienfriedens durch strikte Gleichbehandlung allein nach dem Kriterium der Abstammung den Vorzug, indem er alle Abkömmlinge zu gleichen Teilen zu Gesellschaftern macht und diesen Gelegenheit gibt, ihre unternehmerischen Ideen auch als Geschäftsführer zu verwirklichen?

12.20

Gibt der Unternehmensinhaber der Gleichbehandlung seiner Abkömmlinge ungeachtet ihrer Eignung als Kriterium der Unternehmensnachfolge, typischerweise mit Blick auf die Gesell-

12.21

Burger | 911

Kap. 12 Rz. 12.21 | Beirat als Instrument der Unternehmensnachfolge

schafterstellung, den Vorrang, ist ein qualifiziert besetzter und mit den erforderlichen Befugnissen ausgestatteter Beirat empfehlenswert bis unverzichtbar.

12.22

Dass es zwischen den beiden Polen liegende Möglichkeiten gibt, mit dem Thema Unternehmensnachfolge umzugehen, soll an dieser Stelle ebenfalls beispielshaft gezeigt werden: Der Unternehmensinhaber der für Familienunternehmen häufigsten Rechtsform, nämlich der GmbH & Co. KG, könnte bei vier Abkömmlingen entscheiden, den Geeignetsten seiner Abkömmlinge zum alleinigen Gesellschafter der Komplementär-GmbH, die ihrerseits keinen Anteil am Kommanditkapital hat, zu machen und zugleich alle vier Abkömmlinge zu gleichen Teilen zu Kommanditisten der KG. In diesem Fall würde ein Unterschied bei der Antwort auf die Frage gemacht, wer Nachfolger in der Unternehmensführung sein soll, nicht aber bei der Frage, wem die Entnahmen und zu welchem Anteil zustehen. Um die Gesellschafter vor einem „Austrocknen“ zu schützen, kann der Gesellschaftsvertrag der KG zugleich vorsehen, dass positive Jahresergebnisse in jedem Fall zu bestimmtem Prozentsatz entnommen werden dürfen und zu verbleibendem Prozentsatz thesauriert werden, um Investitionsfähigkeit und Innovationskraft des Unternehmens zu erhalten. Zugleich sollte durch Gesellschaftsvertrag oder Satzung bestimmt sein, dass von diesen Regelungen nur mit einer Mehrheit von mindestens 75 % der den Kommanditisten zu gleichen Teilen zustehenden Stimmen abgewichen werden darf. Zusätzlich und zugleich können die Interessen der in unternehmerischen Angelegenheiten weniger versierten Gesellschafter dadurch geschützt werden, dass bei der KG ein qualifiziert besetzter Beirat gebildet wird, der die Geschäftsführung der Komplementärin überwacht und dessen Einwilligung für durch den Gesellschaftsvertrag bestimmte, wichtige Geschäftsvorfälle erforderlich ist.

VI. Absichten des Inhabers bestimmen die Nachfolgefrage 12.23

Die Frage nach den Absichten des Inhabers mit Blick auf das Unternehmen kulminiert häufig in der Frage, ob das Unternehmen den Inhabern zu dienen habe oder diese dem Unternehmen. Mit dieser Frage häufig befasste Praktiker erfahren, dass die gegebene Antwort meistens der zweiten Variante entspricht, die Wahrheit dagegen der ersten; selbstverständlich mit Verästelungen und Schattierungen, die dazwischen liegen. Eine Armada von Beratern zu Familientherapie, Familiencharta, Familienverfassung, Kodex für Familienunternehmen und Inhaberstrategie ist seit einigen Jahren dabei, Fragen dieser Art aus der klassischen Rechts- und Steuerberatung auszugliedern und daraus davon getrennte Disziplinen zu machen. Rechtliche Nachteile und Gefahren werden dabei häufig vernachlässigt oder übersehen.1 Gerade dann, wenn der Unternehmensinhaber weniger Wert darauf legt, dass seine Nachfolger dem Unternehmen dienen, sondern den Zweck verfolgt, dass das Unternehmen den Abkömmlingen und Unternehmensnachfolgern ermöglichen soll, wirtschaftlich möglichst komfortable Lebensbedingungen zu erhalten oder zu schaffen, ist es sinnvoll und nützlich, einen qualifiziert besetzten und mit ausreichend Befugnissen versehenen Beirat unternehmerische Aufgaben erfüllen zu lassen. Zugleich muss die Architektur dieses Instruments in Gesellschaftsvertrag oder Satzung mit solcher Präzision verankert sein, dass die Mitglieder des Beirates und der Geschäftsführung nicht dazu eingeladen werden, die ihnen eingeräumte Machtfülle zum Nachteil an operativen Aufgaben und Tätigkeit des Verwaltens ihrer Beteiligungen desinteressierter Gesellschafter zu missbrauchen (vgl. insbesondere Rz. 12.47 a. E. und Rz. 12.52).

1 Zum Ganzen: Hueck, Die Familienverfassung – Rechtliche Konturen eines Instruments der Governance in Familienunternehmen, 2017.

912 | Burger

B. Grundlagen | Rz. 12.26 Kap. 12

VII. Begriff des Beirates 1. Fakultativer Beirat Wenn in diesem Kapitel der Begriff „Beirat“ gebraucht wird, ist ein fakultativer Beirat gemeint. Also ein Beiratsgremium, das auf der Grundlage dahingehender Bestimmungen in Gesellschaftsvertrag oder Satzung der Gesellschaft errichtet und in die Unternehmensverfassung der Gesellschaft implementiert worden ist. Seltener wird ein Beirat auf rein schuldrechtlicher Grundlage durch Vereinbarung zwischen der Gesellschaft und den Mitgliedern des Beirates oder auf der Grundlage einer Finanzierungsvereinbarung ohne Verankerung in Satzung oder Gesellschaftsvertrag errichtet.1 Ein solcher Beirat ist mit den Ausführungen in diesem Kapitel nur dann angesprochen, wenn darauf ausdrücklich hingewiesen ist.

12.24

Ein fakultativer Beirat wird nicht selten auch als „Aufsichtsrat“, „Verwaltungsrat“ oder „Gesellschafterausschuss“ bezeichnet. Denkbar sind selbstverständlich auch weitere Bezeichnungen. Aufgrund bei Errichtung eines fakultativen Beirates bestehender Freiheit der Gesellschafter, diesen durch Gesellschaftsvertrag oder Satzung zu vereinbaren und zu errichten, steht diesen grundsätzlich frei, die für passend erachtete Bezeichnung für dieses Gremium zu wählen.2 Etikettenschwindel sollte aber vermieden werden; ein Gremium, das als „Aufsichtsrat“ bezeichnet ist, sollte demzufolge auch tatsächlich mit Überwachungsaufgaben bedacht sein, außerdem mit einem Mindestmaß an Befugnissen, unmittelbar oder mittelbar auf das Verhalten der Personen einzuwirken, die die Geschäfte der Gesellschaft führen.3 Gelegentlich wird dies auch als „typisierte Funktion eines Aufsichtsrates“ bezeichnet, mit der der Rechtsverkehr rechne, wenn ein so bezeichnetes Organ installiert sei.4

12.25

Höchstrichterlich nicht geklärt sind die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen diese angebliche Erwartung des Rechtsverkehrs.5 Die Frage lautet, ob außenstehende Gläubiger der Gesellschaft bei Verstoß gegen diese Erwartung des Rechtsverkehrs, beispielsweise im Falle einer Insolvenz der Gesellschaft, von den Gesellschaftern Schadensersatz dafür verlangen dürfen, wenn diese einem von ihnen als Aufsichtsrat bezeichneten Gremium nicht die typisierte Funktion eines solchen Gremiums durch Gesellschaftsvertrag übertragen haben und ein zur Überwachung und zum Eingriff in die Geschäftsführung befugtes Gremium Fehlverhalten der Geschäftsführer und damit Schaden eines außenstehenden Gläubigers verhindert hätte. Eine solche Haftung der Gesellschafter gegenüber Gläubigern einer mangels Überwachung insolvent gegangenen Gesellschaft dürfte die Grenzen überschreiten, innerhalb derer Argumente für einen Vertrauenstatbestand gefunden werden können, bei dessen schuldhafter Verletzung Schadensersatzansprüche i.S.d. §§ 280, 241 BGB drohen. Ein fakultativer Aufsichtsrat ist Binnenrecht der Unternehmensverfassung der Gesellschaft. Außerhalb gesetzlichen Zwanges, einen Aufsichtsrat zu bilden, muss der Verkehr damit rechnen, dass trotz der Bezeichnung des Gremiums als Auf-

12.26

1 Lutter/Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff20, § 52 GmbHG Rz. 4; Giedinghagen in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt3, § 52 GmbHG Rz. 398; Uffmann, NZG 2015, 169 ff.; Werner, GmbHR 2015, 577 ff. 2 Lutter/Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff20, § 52 GmbHG Rz. 4; Giedinghagen in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt3, § 52 GmbHG Rz. 6. 3 Spindler in MüKo, GmbHG3, § 52 GmbHG Rz. 13 m.w.N., der allerdings zu weit geht, indem er die Ansicht vertritt, Kernfunktionen könnten nicht „derogiert“ werden (entgegen letztem Halbsatz von § 52 Abs. 1 „soweit nicht im Gesellschaftsvertrag ein anderes bestimmt ist“). 4 Statt vieler: Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck22, § 52 GmbHG Rz. 27; Banspach/Nowak, Der Konzern 2008, 195 (198); a.A.: Rieble in Bork/Schäfer4, § 52 GmbHG Rz. 5. 5 Soweit bekannt, ist diese Frage auch nicht Gegenstand von Entscheidungen der OLG gewesen.

Burger | 913

Kap. 12 Rz. 12.26 | Beirat als Instrument der Unternehmensnachfolge

sichtsrat es mit einer Pflicht zur Aufsicht nicht weit her ist. Dies gilt umso mehr, als Gläubiger, die sich tatsächlich über diese Frage Gedanken machen, geschäftserfahren genug sind, um zu wissen, dass Gremien dieser Art gelegentlich nur deshalb Aufsichtsrat genannt werden, weil dieser Begriff für die Mitglieder des Gremiums mit höherem Ansehen verbunden ist; geeignete Kandidaten für dieses Amt demzufolge auch leichter rekrutiert werden können. Und schließlich dürfte die Hürde eines Schadensersatzanspruches, der zufolge die Pflichtverletzung ursächlich für einen eingetretenen Schaden gewesen sein muss, nur schwer zu nehmen sein. Denn es spricht jedenfalls nicht der erste Anschein dafür, dass ein außenstehender Gläubiger ursächlich Geschäfte mit einem Unternehmen macht, weil dieses in seiner Unternehmensverfassung einen fakultativen Aufsichtsrat verankert hat, über dessen Aufgaben und Befugnisse er sich ja dann vor Geschäftsabschluss konkrete und unzutreffende Gedanken gemacht haben müsste. Zurecht weist der BGH in einer Entscheidung darauf hin, dass der fakultative Aufsichtsrat, anders als der obligatorische Aufsichtsrat, nicht „im Interesse der Allgemeinheit in die Pflicht genommen“ werde, mithin keine „öffentlichen Belange“ zu wahren habe.1 Daraus sollte dann aber auch geschlossen werden, dass sich der Verkehr im Falle eines fakultativen Aufsichtsrates gerade nicht darauf verlassen darf, dass der fakultative Aufsichtsrat seiner Bezeichnung entsprechende Aufgabe und Pflicht hat, die Geschäftsführung zu überwachen.

2. Obligatorischer Aufsichtsrat 12.27

Daneben gibt es unter gesetzlich bestimmten Voraussetzungen die Verpflichtung, einen Aufsichtsrat zu errichten. AG und KGaA haben qua Rechtsform einen obligatorischen Aufsichtsrat zu bilden. Daneben gibt es 5 mitbestimmungsrechtliche Gesetze, auf deren Grundlage jeweils die Verpflichtung besteht, einen obligatorischen Aufsichtsrat zu errichten. Diese regeln die Mitbestimmung durch Arbeitnehmer auf Unternehmensebene durch die Berechtigung zur Mitgliedschaft in einem Aufsichtsrat. Bei diesen fünf mitbestimmungsrechtlichen Gesetzen handelt es sich um das DrittelbG, das MitbestG, das MontanMitbestG, das MontanMitbestGErgG und das MgVG. Außerdem haben sog. externe Kapitalverwaltungsgesellschaften in der Rechtsform einer GmbH gem. § 18 Abs. 2 Satz 1 KAGB zwingend einen Aufsichtsrat zu errichten.2

12.28

Weil die Anleger nicht zugleich Gesellschafter der Gesellschaft sind, die das angelegte Kapital verwaltet, daher die Bezeichnung externe Kapitalverwaltungsgesellschaft, hat der Gesetzgeber zur Kontrolle der Geschäftsführung solcher externen Kapitalverwaltungsgesellschaften neben anderem zwingend vorgeschrieben, dass ein Aufsichtsrat als Kontrollinstanz zum Schutz der Anleger und der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes zu bilden sei.3

12.29

Unterschiede bei der Errichtung von Aufsichtsräten nach den verschiedenen Systemen ergeben sich insbesondere aus der Rechtsform, der Größe des Gremiums, der Zusammensetzung, bei der Bestellung der Mitglieder des Gremiums, bei der Zuständigkeit des Gremiums und der inneren Ordnung.4 1 BGH v. 20.9.2010 – II ZR 78/09, NJW 2011, 221 (223 f. Rz. 26); Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck22, § 52 GmbHG Rz. 1. 2 Diese Vorschrift entspricht dem bis 2013 gültigen § 6 Abs. 2 InvG. Nach dem Vorbild des § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG erklärt diese Vorschrift eine ganze Reihe aktienrechtlicher Vorschriften für zwingend anwendbar. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck22, § 52 GmbHG Rz. 317; Winterhalde in Weitnauer/Boxberger/Anders2, § 18 KAGB Rz. 10. 3 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck22, § 52 GmbHG Rz. 318 m.w.N. 4 Statt vieler Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck22, § 52 GmbHG Rz. 3.

914 | Burger

B. Grundlagen | Rz. 12.33 Kap. 12

Unterschiede ergeben sich auch daraus, dass die AG grundlegende Unterschied zur Unternehmensverfassung einer GmbH aufweist. Insbesondere die dominierende Stellung der Gesellschafterversammlung einer GmbH gebietet im Einzelfall genau zu prüfen, ob sinngemäße Anwendung aktienrechtlicher Normen möglich und geboten ist oder ob rechtsformspezifische grundlegende Unterschiede die Anwendung aktienrechtlicher Bestimmungen verbieten.1

12.30

VIII. Der Beirat in der GmbH & Co. KG Ein fakultativer Beirat kann in der GmbH & Co. KG bei der GmbH, der Komplementärin oder der Personenhandelsgesellschaft (KG) errichtet werden; oder sowohl bei der GmbH als auch bei der KG.2 Empfehlenswert ist jedenfalls eine widerspruchsfreie Architektur der Unternehmensverfassung in Gesellschaftsvertrag und Satzung zu implementieren. Es kann auch ein abgestuftes Verhältnis geschaffen werden, dem zufolge ein Beirat ausschließlich bei der GmbH gebildet wird, für bestimmte Maßnahmen aber die Einwilligung eines Gesellschafterausschusses oder der Gesellschafterversammlung der KG erforderlich ist.

12.31

IX. Zusammenfassung zur Errichtung von Aufsichtsrat und Beirat 1. Beirat, fakultativer Aufsichtsrat, Verwaltungsrat oder Gesellschafterausschuss: Ein solches Gremium kann außerhalb der Verpflichtung zur Errichtung eines obligatorischen Aufsichtsrates insbesondere durch Gesellschaftsvertrag oder Satzung errichtet werden. Selten ist die Errichtung auf der Grundlage schuldrechtlicher Vereinbarung allein zwischen der Gesellschaft und den Mitgliedern des Beirats. Ohne abweichende Bestimmung in der Satzung einer GmbH richten sich Aufgaben und Befugnisse eines fakultativen Aufsichtsrates nach § 52 Abs. 1 GmbHG i.V.m. mit den dort genannten Vorschriften des AktG; jeweils in entsprechender Anwendung. Dies gilt nach h.M.3 in entsprechender Anwendung des § 52 Abs. 1 GmbHG auch für Gremien, die zwar Beirat, Verwaltungsrat, Gesellschafterausschuss oder anders bezeichnet werden mit der Folge, dass § 52 Abs. 1 GmbHG nicht unmittelbar anzuwenden ist, vorausgesetzt, Pflichten und Befugnisse dieses Gremiums sind mit denen eines fakultativen Aufsichtsrates i.S.d. § 52 Abs. 1 GmbHG vergleichbar.4 Im Übrigen besteht auf der Grundlage der Vertragsfreiheit weitgehende Möglichkeit der Gesellschafter, Aufgaben, Pflichten und Befugnisse des Beirates ebenso zu regeln, wie Fragen der Wahl der Beiratsmitglieder, der Entsendung von Beiratsmitgliedern durch Gesellschafter oder Gesellschaftergruppen, der inneren Ordnung, der Vergütung der Tätigkeit der Beiratsmitglieder sowie des Auftretens etwaiger Konflikte unter den Mitgliedern des Beirates, der Mitglieder des Beirates mit der Geschäftsführung und/oder des Beirates und seiner Mitglieder mit Gesellschaftern oder Gesellschaftergruppen.

12.32

2. Eine GmbH hat nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG einen obligatorischen Aufsichtsrat zu bilden, wenn die GmbH mehr als 500 Arbeitnehmer hat. Bildet die GmbH die Spitze eines Konzerns, gleichgültig, ob auf der Grundlage eines Beherrschungsvertrages oder auf Grundlage einer Eingliederung verbundener Unternehmen, werden die Arbeitnehmer der Konzernunternehmen der GmbH gem. § 2 Abs. 2 DrittelbG zugerechnet.

12.33

1 2 3 4

Statt vieler Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck22, § 52 GmbHG Rz. 5. Binz/Sorg, Die GmbH & Co. KG12, § 10 Rz. 15. Statt vieler Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 8a m.w.N. Statt vieler Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck22, § 52 GmbHG Rz. 22 m.w.N.

Burger | 915

Kap. 12 Rz. 12.34 | Beirat als Instrument der Unternehmensnachfolge

12.34

3. Beschäftigen Gesellschaften mehr als 2000 Arbeitnehmer und gehört das Unternehmen nicht dem Montanbereich an, ist ein Aufsichtsrat nach dem MitbestG zu errichten, wenn die Gesellschaft eine der dort bezeichneten Rechtsformen aufweist.

12.35

4. Gehört ein solches Unternehmen dem Montanbereich an, ist die Schwelle ab der ein Aufsichtsrat zwingend zu errichten ist, bereits bei Beschäftigung von mehr als 1000 Arbeitnehmer erreicht. Handelt es sich bei einem solchen Unternehmen um eine GmbH gilt das Mitbestimmungsergänzungsgesetz.

12.36

5. Im Falle einer grenzüberschreitenden Verschmelzung, die eine GmbH hervorbringt, ist unter den im MgVG genannten Voraussetzungen ein Aufsichtsrat zu bilden.

12.37

6. Externe Kapitalverwaltungsgesellschaften haben zum Schutz der Anleger und der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes einen Aufsichtsrat zu errichten, um die Geschäftsführung der externen Kapitalverwaltungsgesellschaft bei ihrer Tätigkeit zu überwachen, das angelegte Vermögen zu verwalten.

12.38

7. Und schließlich haben die AG und die KGaA aufgrund Rechtsform die Pflicht, einen Aufsichtsrat zu errichten.

12.39

8. Wenn im Folgenden davon die Rede ist, im Zuge der Unternehmensnachfolge einen Beirat zu errichten, ist damit ein (fakultativer) Beirat gemeint, der häufig auch Aufsichtsrat, Gesellschafterausschuss oder Verwaltungsrat genannt wird.

C. Beirat I. Errichtung des Beirates 12.40

Die Errichtung eines Beirates setzt typischerweise voraus, dass Gesellschaftsvertrag (Personenhandelsgesellschaft) oder Satzung (GmbH) dies vorschreiben oder durch Öffnungsklausel zulassen.1 Für den Fall, dass der Gesellschaftsvertrag dies zulässt, können die Gesellschafter grundsätzlich mittels einfachen Beschlusses über die Errichtung und konkrete Ausgestaltung des Aufsichtsrates entscheiden.2 Die dagegen vom 23. Senat des KG erhobenen Einwendungen3 werden in der Literatur als wenig überzeugend bezeichnet.4 Dies gilt umso mehr nach Aufgabe des Bestimmtheitsgrundsatzes bei der Frage nach der formellen Legitimation eines auf den Gesellschaftsvertrag gestützten Mehrheitsbeschlusses auch für Grundlagengeschäfte oder ungewöhnliche Geschäfte der Gesellschaft betreffende Entscheidungen.5 Eine höchstrichterliche Klärung dieser Frage steht allerdings noch aus. Empfehlenswert ist deshalb, Einrichtung und konkrete Ausgestaltung eines Beirates im Gesellschaftsvertrag zu vereinbaren und dies nicht einem Beschluss der Gesellschafter zu überlassen.

12.41

In Betracht kommt überdies, die Einrichtung eines Beirates davon abhängig zu machen, dass ein Gesellschafter oder eine Gesellschaftergruppe einen dahingehenden Wunsch gegenüber den anderen Gesellschaftern oder gegenüber der Gesellschaft äußert. Auch dies sollte aber

1 Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 8; RGZ 146, 145 (150); Spindler in MüKo3, § 52 GmbHG Rz. 13. 2 Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 8 m.w.N. 3 KG v. 23.7.2015 – 23 U 18/15, GmbHR 2016, 29 (31). 4 Zum Ganzen m.w.N. Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 8. 5 BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, NJW 2015, 859 ff.

916 | Burger

C. Beirat | Rz. 12.45 Kap. 12

ausdrücklich und präzise im Gesellschaftsvertrag geregelt sein; dies gilt insbesondere für die konkrete Ausgestaltung des Beirates, die in Gesellschaftsvertrag oder Satzung bereits in den Einzelheiten für den Fall festgelegt sein sollte, dass berechtigter Gesellschafter oder berechtigte Gesellschaftergruppe die Errichtung des Beirates fordert. Dies geschieht auf Grundlage dahingehender durch Gesellschaftsvertrag oder Satzung eingeräumter Befugnisse, von denen dann typischerweise Gebrauch gemacht wird, wenn Konflikte zwischen den Gesellschaftern drohen oder bereits eingetreten sind. Seltener und nicht eigentlicher Gegenstand dieses Kapitels sind Beiratsgremien, die nicht aufgrund Gesellschaftsvertrag oder Satzung eingerichtet sind, sondern allein durch Vereinbarung zwischen der Gesellschaft und Mitgliedern eines externen Beirates. Solche Gremien sind nicht Teil der Unternehmensverfassung der Gesellschaft. Ihre Aufgabe beschränkt sich deshalb typischerweise auch allein darauf, zu beraten, wie dies auch jeder andere externe Berater, wie beispielsweise Rechtsanwälte, Unternehmensberater, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer tun. Solche Gremien werden gelegentlich mit dem Zweck errichtet, Gesellschaftern, die nicht an der operativen Geschäftsführung beteiligt sind, den Eindruck ausreichender Überwachung der Geschäftsführung zu vermitteln, die durch ein solches externes, auf vertraglicher Grundlage zwischen der Gesellschaft und den Mitgliedern des Beirates errichtetes Gremium aber typischerweise gar nicht geleistet werden kann. Die Abhängigkeit der Mitglieder des Beirates vom Abschluss der vertraglichen Grundlagen schließt dies aus. Denn als Vertreterin der Gesellschaft schließt die Geschäftsführung, die durch den externen Beirat überwacht werden soll, die Verträge mit den Mitgliedern dieses Beirates ab. Persönlichkeiten, die für eine qualifizierte Tätigkeit als Beiratsmitglieder geeignet sind, geben sich typischerweise nicht für das potemkinsche Dorf eines solchen Beirates oder Aufsichtsrates auf externer vertraglicher Grundlage her.

12.42

Die Gesellschafter sind grundsätzlich frei darin, zu vereinbaren, welche Pflichten und Befugnisse das von ihnen durch oder aufgrund des Gesellschaftsvertrages eingerichtete Beiratsgremium haben soll. Entscheiden sich die Gesellschafter dafür, einen Beirat mit der Aufgabe zu betrauen, die Geschäftsführung zu überwachen und diesen mit den Befugnissen zu flankieren, auf die Tätigkeit der Geschäftsführung Einfluss zu nehmen, bis hin dazu, die Geschäftsführung zu bestellen und abzuberufen und/oder dieser Weisungen zu erteilen, ist in der Rechtsform einer GmbH § 52 Abs. 1 GmbHG jedenfalls entsprechend anwendbar mit der Folge, dass aktienrechtliche Vorschriften durch diese Vorschrift für entsprechend anwendbar erklärt werden, soweit Gesellschaftsvertrag oder Satzung nichts Abweichendes vorsehen.

12.43

Auf einen Beirat, der für eine Personenhandelsgesellschaft gebildet ist, findet § 52 GmbHG keine unmittelbare Anwendung; dennoch wird immer wieder auch in diesem Fall die Frage zu stellen sein, ob und in welchem konkreten Umfang Bestimmungen des Aktienrechtes entsprechend anwendbar sein sollen; wenn nicht, welche aus dem Aktienrecht abgeleiteten Grundsätze eine ergänzende Vertragsauslegung beeinflussen.

12.44

In der Rechtsform einer GmbH & Co. KG kann der Beirat entweder als Beirat der GmbH oder als Beirat der KG oder als Doppelgremium, sowohl bei der GmbH, als auch bei der KG errichtet werden. Ist der Beirat bei der GmbH errichtet, sind die Geschäftsführer der GmbH unmittelbare Ansprechpartner für den dort errichteten Beirat. Anderenfalls, nämlich dann, wenn der Beirat bei der KG, nicht zugleich bei der GmbH, errichtet ist, erfüllt der Beirat seine Aufgaben gegenüber der GmbH, vertreten durch die Geschäftsführer.1

12.45

1 Zu diesem Absatz Binz/Sorg, Die GmbH & Co. KG12, § 10 Rz. 15 f.

Burger | 917

Kap. 12 Rz. 12.46 | Beirat als Instrument der Unternehmensnachfolge

12.46

Gleichgültig, ob in der Rechtsform einer GmbH oder einer Personenhandelsgesellschaft, sollten die Gesellschafter durch Satzung oder Gesellschaftsvertrag im Einzelnen vereinbaren, welche Aufgaben, Pflichten und Befugnisse der Beirat haben soll, wie er errichtet werden soll, wie Beschlussfassungen vorbereitet und vollzogen werden sollen, welche persönlichen Eigenschaften, Kenntnisse, Fähigkeiten und Qualifikationen Beiratsmitglieder haben sollen, wie mit Patt-Situationen im Beirat umzugehen ist, wie Konflikte im Beirat, unter den Gesellschaftern, zwischen dem Beirat und den Gesellschaftern und/oder zwischen den Gesellschaftern und der Geschäftsführung vermieden oder gelöst werden sollen, welche Ansprüche und Rechte den Mitgliedern des Beirates gegebenenfalls einklagbar gegenüber der Gesellschaft oder den Gesellschaftern eingeräumt werden sollen. Gesellschaftsvertrag und Satzung sind in den Grenzen unabdingbarer gesetzlicher Bestimmungen das Grundgesetz der Gesellschafter und damit zugleich des Beirates.

II. Persönliche Voraussetzungen und Inkompatibilitäten 12.47

Zweifellos können Mitglieder eines Beirates natürliche und unbeschränkt geschäftsfähige Personen sein. Meinungsverschiedenheiten bestehen darüber, ob davon durch Gesellschaftsvertrag oder Satzung der Gesellschaft abgewichen werden kann.1 Diese Frage ist höchstrichterlich noch nicht entschieden. Ungeachtet dessen gibt die Praxis bei der Besetzung von Aufsichts- und Beiratsgremien natürlichen und geschäftsfähigen Personen aus guten Gründen den Vorzug: Eine juristische Person kann sich von unterschiedlichen Personen, gelegentlich von einer Vielzahl von Personen, vertreten lassen. Wesen und Wert eines Aufsichts- und/ oder Beiratsgremiums im Vergleich zu punktueller Beratung oder Überwachung werden auch und gerade dadurch bestimmt, dass Kontinuität in der Besetzung des Beirates zugleich Verbesserung der Ergebnisse bei der Erfüllung der Aufgaben des Beirates bedeutet. Die handelnden Akteure können die Entwicklung der Geschäfte und die Tätigkeit der Geschäftsführung sowie der dort zu behandelnden Themen über einen längeren Zeitraum hinweg und auf der Grundlage einer Gesamtschau der Leistungen der Geschäftsführung überwachen und bewerten. Das ist im Falle einer juristischen Person, bei der die in den Aufsichtsrat für die jeweilige Sitzung entsandten Vertreter wechseln können, nicht annähernd in gleicher Weise gewährleistet. Ein persönliches Haftungsrisiko der Beiratsmitglieder fördert typischerweise die Bereitschaft, die Pflichten eines Beiratsmitgliedes sorgfältig zu erfüllen. Demzufolge gibt es gute Gründe dafür, sich als Gesellschafter gegen anders lautende Bestimmungen in Satzung oder Gesellschaftsvertrag, die ohnehin ungewöhnlich wären, zu opponieren.

12.48

Gleichgültig, an welcher Stelle der Beirat gebildet ist, bietet er ein flexibel einsetzbares Gremium in einer „schillernden Palette von Ausgestaltungsformen“.2 Dies gilt auch für einen Beirat, der die Aufgabe hat, die Geschäftsführung zu überwachen, und hinreichende Befugnisse hat, auf die Tätigkeit der Geschäftsführung einzuwirken, mit der Folge, dass § 52 Abs. 1 1 Gemäß § 100 Abs. 1 AktG können Mitglieder eines Aufsichtsrates nur natürliche und unbeschränkt geschäftsfähige Personen sein. Im Anwendungsbereich des § 52 Abs. 1 GmbHG gilt diese Regelung entsprechend, so dass mangels abweichender Regelung in der Satzung es bei der gesetzgeberischen Wertung des § 100 Abs. 1 AktG bleibt. Für Dispositivität in der Satzung einer GmbH: insbesondere Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck22, § 52 GmbHG Rz. 34 m.w.N., dagegen Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 12; Kort, AG 2008, 137 (141); Lutter/Hommelhoff in Lutter/ Hommelhoff20, § 52 GmbHG Rz. 11; Marsch-Barner/Diekmann in Münch. Hdb. GesR5, Band 3, § 48 Rz. 21 f. 2 Hölters, Der Beirat der GmbH und GmbH & Co. KG, S. 3; vgl. Becker/Reker/Ulrich, AR 2010, 154; Binz/Sorg, Die GmbH & Co. KG12, § 10 Rz. 2.

918 | Burger

C. Beirat | Rz. 12.51 Kap. 12

GmbHG und dort genannte aktienrechtliche Vorschriften entsprechend anzuwenden sind. Denn § 52 Abs. 1 GmbHG und die dadurch in Bezug genommenen Vorschriften des Aktienrechtes sind grundsätzlich dispositiv. Nicht selten findet sich in durchkomponierten Gesellschaftsverträgen aber auch der Hinweis, dass aktienrechtliche Vorschriften nicht anzuwenden seien. In diesem Kapitel wird im Folgenden vom Grundsatz ausgegangen, dass es sich um einen Beirat handelt, der Aufgaben wahrnimmt, die typischerweise von einem fakultativen Aufsichtsrat einer GmbH wahrgenommen werden. Denn anderenfalls würde ein solcher Beirat im Zuge einer Unternehmensnachfolge nicht die wichtige Aufgabe wahrnehmen können, Defizite bei den Nachfolgern an Eignung zur Überwachung der Geschäftsführung oder zur Geschäftsführung selbst auszugleichen. Überdies ist zu beobachten, dass für Aufgaben eines Beirates oder Aufsichtsrates nur dann geeignete Persönlichkeiten gefunden werden können, wenn das Gremium, dem sie angehören sollen, nicht bloßes Lametta einer Unternehmensverfassung ist, bei der die Aufgabe der Überwachung der Geschäftsführung nicht oder an ganz anderer Stelle erfüllt wird.

12.49

In direktem oder entsprechendem Anwendungsbereich des § 52 Abs. 1 GmbHG ist ausgeschlossen, dass gesetzliche Vertreter abhängiger Unternehmen Mitglieder eines Aufsichtsrates oder Beirates sind. Dabei bestehen Meinungsverschiedenheiten darüber, ob davon durch Satzung einer GmbH abgewichen werden kann.1 Nach dem Grundsatz, der in weitem Sinne Beachtung finden sollte, dass niemand in der Lage ist, sich selbst zu kontrollieren, sollte diese Regelung in einer Satzung einer GmbH nicht abbedungen werden; auch in einer Personenhandelsgesellschaft sollte bei unterschiedlichen Ansichten der Gesellschafter über diese Frage diesem Grundsatz Rechnung getragen werden. Nicht ausgeschlossen, im Gegenteil weithin üblich, sind gesetzliche Vertreter des herrschenden Unternehmens in einem Beirat oder Aufsichtsrat eines abhängigen Unternehmens. In diesem Fall ist der bezeichnete Rechtsgrundsatz ersichtlich nicht verletzt. § 105 Abs. 1 AktG verbietet in direkter oder entsprechender Anwendung oder aber schlicht aufgrund des Rechtsgrundsatzes, dem zufolge niemand sich selbst kontrollieren könne, die gleichzeitige Zugehörigkeit zu Aufsichtsrat und Geschäftsführung einer Gesellschaft und schließt darüber hinaus Prokuristen und Handlungsbevollmächtigte von der Eignung aus, Mitglieder eines solchen Gremiums zu sein. Auch wenn diese Regelungen dispositiv sind, sollte es besonderer Begründung bedürfen, dass die Mehrheit der Gesellschafter in einer GmbH oder in einer Personenhandelsgesellschaft eine dagegen opponierende Minderheit in der Weise überstimmt, dass eine solche Besetzung eines Beirates oder Aufsichtsrates ermöglicht wird.2 Anderenfalls droht, dass die leitenden Angestellten, die im operativen Tagesgeschäft der Geschäftsführung unterstellt sind, diese zugleich als Mitglieder eines Beirates oder Aufsichtsrates kontrollieren.

12.50

Im Übrigen kann die Mitgliedschaft im Beirat von beliebigen Bedingungen und Voraussetzungen abhängig gemacht werden.3 In aller Regel und nahezu selbstverständlich, auch ohne einschlägige Regelung in Satzung oder Gesellschaftsvertrag, wird davon abgesehen, Personen

12.51

1 Nachweise bei Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck22, § 52 GmbHG Rz. 36 m.w.N. zu den jeweils unterschiedlichen Positionen. 2 Besonderheiten ergeben sich für Prokuristen, soweit Wählbarkeit auch nach § 6 Abs. 2 Satz 1 MitbestG gegeben wäre, ebenso für stellvertretende Geschäftsführer und für die Abordnung von Aufsichtsratsmitgliedern in die Geschäftsführung, die vorübergehender Natur sein muss (§ 105 Abs. 2 AktG). 3 Statt vieler Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck22, § 52 GmbHG Rz. 40 m.w.N.

Burger | 919

Kap. 12 Rz. 12.51 | Beirat als Instrument der Unternehmensnachfolge

in den Beirat oder Aufsichtsrat zu wählen, die in leitender Funktion in konkurrierenden Unternehmen tätig sind. Als sinnvoll hat sich insbesondere bei einem für Familienunternehmen in den Rechtsformen GmbH und/oder GmbH & Co. KG geführten Unternehmen mittlerer Größe erwiesen, den Beirat mit einem Experten für das Gebiet zu besetzen, auf dem das Unternehmen tätig ist, außerdem mit einem Kaufmann sowie einem Juristen. In der Praxis bestehen Meinungsverschiedenheiten am häufigsten darüber, ob Juristen in einen Beirat oder Aufsichtsrat eines (Familien-)Unternehmens gewählt werden sollen, oder ob es genügt, sich von Fall zu Fall Rechtsrat einzuholen, der vom Aufsichtsgremium nicht selten von der eigenen Rechtsabteilung bezogen wird.1 Aufgrund zunehmender Regulierung durch steten Strom neuer Gesetze, teils drakonischer Strafen bei Missachtung2 derselben, ist es empfehlenswert, einen Juristen ins Gremium zu wählen. Häufig werden gerade die Rechtsverstöße ganz besonders teuer, bei denen der Beratungsbedarf von juristischen Laien gar nicht erkannt wird.3

12.52

Nicht erforderlich ist es, die Regelung des § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AktG, der zufolge die Zahl von Aufsichtsratsmandaten auf 10 Sitze beschränkt sei, als Dogma anzusehen.4 Für den Beirat oder Aufsichtsrat einer GmbH ohne anders lautende Satzungsbestimmung gilt dies schon deshalb, weil § 52 Abs. 1 GmbHG gerade nicht auf § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AktG verweist. Im Falle von Interessenkonflikten greifen die allgemeinen Regeln, denen zufolge darauf mit Enthaltung, Stimmverbot, Nichtteilnahme an Sitzung und im äußersten Fall mit dem Ruhen oder im Falle eines dauerhaften Interessenkonflikts mit der Niederlegung des Amtes zu reagieren ist.5

12.53

Bei Verstößen gegen die gesetzlichen Anforderungen an die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat ist der Bestellungsbeschluss in direktem oder entsprechendem Anwendungsbereich des § 52 Abs. 1 GmbHG im Falle einer GmbH ohne Abweichung in der Satzung nach Maßgabe entsprechender Anwendung des § 100 Abs. 2 Nr. 1, 3 und 4 AktG nichtig, anderenfalls anfechtbar.6

III. Größe und Zusammensetzung des Beiratsgremiums 1. Grundlagen 12.54

Ist auf den Beirat einer Gesellschaft in der Rechtsform einer GmbH § 52 Abs. 1 GmbHG entsprechend anwendbar, sind bei Größe und Zusammensetzung des fakultativen Aufsichtsrates die Bestimmungen der §§ 95 Satz 1, 100 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 5, § 103 Abs. 1

1 Bei Letzterem handelt es sich um einen Governance Fauxpas mindestens zweiter Ordnung. 2 Beispielsweise können Verstöße gegen die DSGVO mit Bußgeldern i.H.v. 2-4 % des Umsatzes geahndet werden. 3 Beispiele sind Verstöße gegen die DSGVO und das Kartellrecht sowie Verstöße gegen sozialversicherungsrechtliche und steuerrechtliche Bestimmungen. 4 Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 15 m.w.N.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck22, § 52 GmbHG Rz. 35 m.w.N.; Kordt, AG 2008, 137 (141); Lange, GmbHR 2006, 897 (902). 5 Statt vieler Hoffmann-Becking in Münch. Hdb. GesR5, Band 4, § 33 Rz. 241 ff.; Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 15. Zu Recht und differenzierend unterscheiden Lutter/Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff20, § 52 GmbHG Rz. 97a zwischen Pflichten- und Interessenkollisionen sowie zwischen Konflikten im Einzelfall und Dauerkonflikten. Die differenzierende Betrachtung legt zugleich die passende Lösung nahe. Ein Dauerkonflikt sollte durch Amtsniederlegung und dahingehender Pflicht des Beiratsmitgliedes vermieden werden. 6 Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz12, § 52 GmbHG Rz. 214; Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 16; auch hier sind bei abbedungenem § 52 oder im Einzelfall Abweichungen mit Blick auf den Rechtsschutz möglich.

920 | Burger

C. Beirat | Rz. 12.56 Kap. 12

Satz 1 und Satz 2 sowie § 105 AktG zu beachten, wenn nicht anders lautende Bestimmungen in der Satzung diese Bestimmungen ganz oder teilweise abbedingen. Auch wenn diese Vorschriften nicht gelten, beispielsweise weil die Anwendung aktienrechtlicher Vorschriften oder des § 52 Abs. 1 GmbHG ausdrücklich abbedungen ist oder weil die Gesellschaft, bei der der Beirat gebildet ist, nicht in der Rechtsform einer GmbH errichtet ist, sondern in der Rechtsform einer KG oder GmbH & Co. KG, liegt es nahe, sich bei der Ausgestaltung der Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages oder der Satzung an gesetzgeberischen Wertungen zu orientieren, die in den genannten Vorschriften niedergelegt sind.

2. Zahl der Mitglieder des Beiratsgremiums Damit der Beirat im Fall von Meinungsverschiedenheiten im Gremium bei angenommener vollständiger Anwesenheit aller Mitglieder des Beirates entscheidungsfähig ist, also keine Patt-Situationen entstehen können, sollte der Beirat aus einer ungeraden Zahl von Mitgliedern bestehen oder für ein Mitglied doppeltes Stimmrecht vorsehen. Bei direkter oder entsprechender Anwendung von § 52 Abs. 1 GmbHG bestimmt § 95 Satz 1 AktG, dass der Beirat aus mindestens 3 Mitgliedern zu bestehen habe. Bei Vorhandensein einer geringeren Anzahl von Mitgliedern führt dies zwar nicht zur Auflösung des Aufsichtsrates1, allerdings fallen die ihm zugewiesenen Aufgaben in diesem Fall in die Kompetenz der Gesellschafterversammlung.2 Aufgrund Dispositivität eines fakultativen Beirates, auch im Anwendungsbereich des § 52 GmbHG kann der Gesellschaftsvertrag (Personenhandelsgesellschaft) oder die Satzung (GmbH) der Gesellschaft auch eine geringere oder höhere Mitgliederzahl festsetzen oder die Gesellschafterversammlung für den Fall des Eintritts bestimmter Bedingungen, beispielsweise bei Unterschreiten einer bestimmten Mitgliederzahl des Beirates, für die dem Beirat übertragenen Aufgaben für zuständig erklären.3 Meinungsverschiedenheiten über die Frage, wie viele Personen in das Beiratsgremium zu wählen seien, oder über die Frage, ob ein gewähltes Mitglied des Beirates die für die Wahl nach Gesellschaftsvertrag oder Satzung vorgeschriebenen Voraussetzungen erfüllt, können dazu führen, dass die Wahl angefochten wird.4

12.55

Meinungsunterschiede bestehen außerdem darüber, ob es auch denkbar und möglich ist, einen Beirat oder Aufsichtsrat mit starker Funktion aus einer Person bestehen zu lassen.5 In

12.56

1 BGH v. 13.6.1983 – II ZR 67/82, ZIP 1983, 1063 (1064); Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 11. 2 OLG Frankfurt v. 21.10.1993 – 16 U 87/92, NJW-RR 1995, 36 (38); Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 11. 3 Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz12, § 52 GmbHG Rz. 121 f.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck22, § 52 GmbHG Rz. 32; Altmeppen in Roth/Altmeppen9, § 52 GmbHG Rz. 8; RG v. 13.6.1913 – Rep. II. 197/13, RGZ 82, 386 (388); Lutter/Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff20, § 52 GmbHG Rz. 5 bezeichnen die h.M., der zufolge ein fakultativer Aufsichtsrat/Beirat auch aus einer Person bestehen kann, als „problematisch“, da das Bild vom Aufsichtsrat, auf das § 52 ersichtlich Bezug nehme, vom kollektiven Organ mit mehreren Mitgliedern geprägt sei. 4 Uhl/Heermann, § 52 GmbHG Rz. 28; Marsch-Barner/Diekmann in Münch. Hdb. GesR5, Band 3, § 48 Rz. 19; Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 11. 5 Noack/Zöllner in Baumbach/Hueck22, § 52 GmbHG Rz. 32, dort Fn. 33 mit einer Vielzahl weiterer Nachweise: dafür beispielsweise Wiedemann/Kögel, Beirat und Aufsichtsrat im Familienunternehmen, 2008, § 9 Rz. 4; Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz12, § 52 GmbHG Rz. 121; RG v. 13.6.1913 – Rep. II. 197/13, RGZ 82, 386 (388); dagegen Lutter in Lutter/Hommelhoff20, § 52 GmbHG Rz. 5 mit der Begründung, dass ein Gremium, das die Bezeichnung Aufsichtsrat trage, dem Rechtsverkehr die Vorstellung nahelege, dass dieses Gremium aus mehreren Personen bestehe, wie dies auch durch § 95 Satz 1 AktG vorgesehen sei.

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Kap. 12 Rz. 12.56 | Beirat als Instrument der Unternehmensnachfolge

der Praxis treten Diskussionen dieser Art selten bis nie auf. Gesellschafter, denen ein Beirat wichtig ist, insbesondere weil er die Geschäftsführung überwachen soll, werden typischerweise darauf bestehen, dass der Beirat aus mindestens 3 Personen besteht, um eine Vielzahl persönlicher Eigenschaften, Kenntnisse, Fähigkeiten und Qualifikationen unterschiedlicher Personen im Gremium zu bündeln. Diskussion und Meinungsaustausch sowie Beratung ist nur in einem aus mehreren Personen bestehenden Gremium möglich. Höhere Gewähr für zutreffende und sinnvolle Entscheidungen hat demzufolge ein Beiratsgremium, das aus mehreren Personen und nicht lediglich aus einer Person besteht.

3. Bestellung, Amtszeit, Beendigung der Amtszeit von Mitgliedern des Beirates a) Bestellung

12.57

Typischerweise wählen oder bestellen die Gesellschafter auf der Grundlage des Gesellschaftsvertrages (Personenhandelsgesellschaft) oder der Satzung (GmbH) die Mitglieder des Beirates. Im Anwendungsbereich von § 52 Abs. 1 GmbHG, direkt oder entsprechend, gilt über die dortige Verweisung § 101 Abs. 1 Satz 1 AktG entsprechend. Aus dieser Vorschrift ist abzuleiten, dass grundsätzlich die Gesellschafter die Mitglieder des Beirates bestellen oder wählen. Auch können Gesellschaftern oder Gesellschaftergruppen Entsenderechte eingeräumt werden; im Anwendungsbereich des § 52 Abs. 1 GmbHG ergibt sich dies ebenfalls aus der entsprechenden Anwendung von § 101 Abs. 1 Satz 1 AktG. Dort ist ausdrücklich von Entsenderechten die Rede.1 Außerhalb des Anwendungsbereiches des § 52 Abs. 1 GmbHG ergibt sich dies aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit; die Gesellschafter können sich durch Gesellschaftsvertrag darauf verständigen, dass jeder Gesellschafter oder Gesellschaftergruppen das Recht haben, Mitglieder in einen aufgrund Gesellschaftsvertrag errichteten Beirat zu entsenden.

12.58

Umstritten ist dagegen, ob auch Dritten, die nicht zum Kreis der Gesellschafter gehören, Entsenderechte für Mitglieder in den Beirat eingeräumt werden können. Die ganz überwiegende Ansicht hält eine Entsendung in den Aufsichtsrat auch durch Dritte für möglich; selbstverständlich unter der Voraussetzung, dass dies im Gesellschaftsvertrag oder in der Satzung vorgesehen und dadurch zwischen den Gesellschaftern vereinbart ist.2

12.59

Die Gegenansicht ist zwar wenig zahlreich, aber prominent vertreten.3 Zur Begründung führt die Gegenansicht an, dass § 101 Abs. 2 Satz 1 AktG, dem zufolge lediglich Aktionären Entsenderechte in den Aufsichtsrat eingeräumt werden können, ein allgemeines körperschaftliches Strukturprinzip zum Ausdruck bringe, das auch für die GmbH gelte.4 Daher sei eine Bestellung, beispielsweise durch eine Behörde nicht zulässig.5

12.60

Mit Blick auf die Vertragsfreiheit der Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft ist die Ansicht jedenfalls für das Personenhandelsgesellschaftsrecht abzulehnen, der zufolge sich 1 Zu diesem Absatz: statt vieler Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 17; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck22, § 52 GmbHG Rz. 42. 2 Statt vieler: Spindler in MüKo3, § 52 GmbHG Rz. 140; Altmeppen in Roth/Altmeppen9, § 52 GmbHG Rz. 12; Giedinghagen in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt3, § 52 GmbHG Rz. 92 und Rz. 93, der zurecht darauf hinweist, dass ein einem Dritten eingeräumtes Entsenderecht diesem von der Gesellschafterversammlung gegebenenfalls auch durch Beschluss mit einfacher Mehrheit wieder entzogen werden kann. 3 Ulmer in FS Werner, 1984, S. 920 ff.; Ulmer in FS Wiedemann, 2002, S. 1297; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck22, § 52 GmbHG Rz. 43. 4 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck22, § 52 GmbHG Rz. 43. 5 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck22, § 52 GmbHG Rz. 43.

922 | Burger

C. Beirat | Rz. 12.62 Kap. 12

Gesellschafter nicht darauf verständigen können, einem Dritten die Möglichkeit einzuräumen, ein Mitglied in den Beirat zu entsenden. Dies gilt auch für die Rechtsform der GmbH. Denn auch für diese Rechtsform ist auf der Grundlage ihrer grundsätzlichen Andersartigkeit im Vergleich zur AG, insbesondere mit Blick auf die Möglichkeit unmittelbaren Durchgriffs der Gesellschafter auf die Geschäftsführung durch Ausübung der Weisungsbefugnis, nicht plausibel, aus welchen Gründen die Gesellschafter sich nicht einvernehmlich darauf verständigen können sollten, auch einem Dritten zu überlassen, ein Beiratsmitglied zu bestellen. Ein allgemeines „körperschaftliches Strukturprinzip“, das von der Gegenansicht angeführt wird, das in einer Weise ausgeformt ist, die es den Gesellschaftern verbietet und zwar auch dann, wenn sie es einstimmig anders wollen, Dritten zu gestatten, ein Beiratsmitglied zu entsenden, besteht mangels plausibler Begründung dafür nicht. Der bloße Hinweis auf den recht sperrigen Begriff eines „körperschaftlichen Strukturprinzips“, ohne diesen eingehend nach Herkunft, Grund und Aussage zu erläutern, ist nicht geeignet, eine solche Begründung abzugeben oder zu ersetzen. Dies gilt erst recht, wenn mitbedacht wird, dass Beiratsgremien sich häufig selbst durch Kooptation1 ergänzen, der Vorsitzende typischerweise durch die beiden anderen, eventuell von Gesellschafterstämmen entsandten und bestimmten Beiratsmitgliedern, gewählt und bestimmt wird, also von Dritten. Und schließlich wäre die vielfach geübte Praxis, den Präsidenten der IHK des Sitzes der Gesellschaft den Vorsitzenden bestimmen zu lassen, wenn sich die beiden gegebenenfalls entsandten Mitglieder nicht auf einen Vorsitzenden verständigen können, flächendeckend unwirksam. Denn auch hier entscheidet ein Dritter, der IHKPräsident, über die Besetzung des Beirates. Zulässig sind auch Stimmbindungsvereinbarungen über die satzungsmäßige Begründung von Entsenderechten. Begünstigte Gesellschafter unterliegen bei der Beschlussfassung über die Ausübung und Bestellung von Mitgliedern des Beirates auch dann keinem Stimmverbot, wenn sie durch diese Bestellung begünstigt sind; beispielsweise, weil sie selbst in einen Gesellschafterausschuss, Beirat oder Aufsichtsrat hineingewählt werden.2

12.61

b) Amtszeit Nach ganz h.M. gibt es keine gesetzliche Vorgabe, auch nicht bei direkter oder entsprechender Anwendung von § 52 Abs. 1 GmbHG mit Verweis auf aktienrechtliche Bestimmungen, die zu einer zeitlichen Beschränkung der Bestellung eines Beiratsmitgliedes zwingt.3 Ohne zeitliche Beschränkung gilt die Bestellung auf unbestimmte Zeit, demgemäß bis zu dem Zeitpunkt, zu dem ein Beiratsmitglied abgewählt oder die Bestellung widerrufen wird oder das Beiratsmitglied sein Amt niederlegt oder verstirbt. Bei einer Abwahl ist aufgrund des Verweises durch § 52 Abs. 1 GmbHG auf § 103 Abs. 1 Satz 2 AktG allerdings zu berücksichtigen, dass dafür ein Beschluss der Gesellschafter erforderlich ist, der nur mit einer qualifizierten Mehrheit von drei Vierteln der Gesellschafter gefasst werden kann.4 Auch Verlängerungen zeitlich befriste-

1 Eine solche Möglichkeit der Kooptation nehmen auch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck22, § 52 GmbHG Rz. 41, an. 2 Zu diesem Absatz Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 17; Bausch, NZG 2007, 574 ff.; OLG Hamm v. 31.3.2008 – 8 U 222/07, AG 2008, 552 (553 f.) – ThyssenKrupp. 3 Statt vieler Lutter/Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff20, § 52 GmbHG Rz. 8 mit Verweis darauf, dass § 102 AktG nicht gelte; Spindler in MüKo3, § 52 GmbHG Rz. 175. 4 Spindler in MüKo3, § 52 GmbHG Rz. 175; Giedinghagen in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt3 § 52 GmbHG Rz. 143; Lutter/Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff20, § 52 GmbHG Rz. 8; Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck22, § 52 GmbHG Rz. 46.

Burger | 923

12.62

Kap. 12 Rz. 12.62 | Beirat als Instrument der Unternehmensnachfolge

ter Amtszeiten von Beiratsmitgliedern sind beliebig durch Gesellschafterbeschluss möglich. Ist in der Satzung oder dem Gesellschaftsvertrag eine bestimmte Amtszeit für Beiratsmitglieder vorgesehen, ist es grundsätzlich, das heißt, ohne Grundlage in Satzung oder Gesellschaftsvertrag, nicht möglich, dies in der Rechtsform einer GmbH durch satzungsdurchbrechenden Beschluss mit einfacher Mehrheit nach § 47 Abs. GmbHG zu unterlaufen.1

12.63

Außerdem wird die Ansicht vertreten, dass bei durch Satzung oder Bestellung oder Wahl befristeter Amtszeit im Falle unterbliebener Neuwahl oder unterbliebener Verlängerung der Bestellung das betreffende Beirats- oder Aufsichtsratsmitglied solange im Amt bleibt, bis die Nachfolge bestimmt ist.2

12.64

Dagegen ist einzuwenden, dass die Gesellschafter die Möglichkeit haben, genau für diesen Fall Vorsorge zu treffen. Nicht selten geschieht dies in umsichtig formulierten Gesellschaftsverträgen. Ist dies nicht geschehen, sollte daraus nicht der Schluss gezogen werden, dass das Beiratsund/oder Aufsichtsratsmitglied bis zu einer Regelung seiner Nachfolge als im Amt bleibend zu betrachten sei. Dies würde ermöglichen, Bestimmungen aus Gesellschaftsvertrag oder Satzung durch Nichtstun zu unterlaufen. Das sollte nicht belohnt werden; dies gilt umso mehr, als in Gesellschaftsverträgen oder Satzungen üblicherweise Regelungen getroffen sind, die Fragen der Beschlussfähigkeit des Gremiums regeln; und zwar auch und gerade für den Fall, dass die Amtszeit von Mitgliedern abgelaufen ist oder Mitglieder zu einer anberaumten Sitzung des Gremiums nicht erscheinen. Gibt es zur Frage der Rechtsfolgen des Ablaufes der Amtszeit keine Regelung in Satzung oder Gesellschaftsvertrag, ergibt sich aus der zeitlichen Beschränkung der Amtszeit zugleich die Rechtsfolge: nach Ablauf der Amtszeit endet das Beiratsamt,wenn in Gesellschaftsvertrag oder Satzung nichts anderes bestimmt ist. c) Beendigung der Amtszeit

12.65

Die Abberufung, auch als Widerruf der Bestellung oder Abwahl bezeichnet, und ihre Voraussetzungen sollten und werden typischerweise durch Gesellschaftsvertrag und Satzung geregelt. Bei einer GmbH und im Anwendungsbereich des § 52 Abs. 1 GmbHG (direkt oder entsprechend) gilt überdies § 103 Abs. 1 Satz 1 und 2 AktG lückenausfüllend mit der Folge, dass insbesondere bei Vorliegen eines wichtigen Grundes abberufen werden kann. Ohne wichtigen Grund ist für eine Abberufung im Zweifel ein Beschluss mit einer Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen erforderlich3. Dies gilt auch dann, wenn die Amtszeit durch Satzung zeitlich befristet ist. Entsandte Mitglieder können durch den Entsendeberechtigten jederzeit abberufen werden. Bei Vorliegen eines wichtigen Grundes wird man eine dahingehende Verpflichtung des Entsendenden annehmen dürfen.4

1 Für GmbH: BGH v. 7.6.1993 – II ZR 81/92, GmbHR 1993, 497 (498 f.); Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 18. 2 Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 18; OLG Düsseldorf v. 8.1.1982 – 6 W 61/81, BB 1982, 1574. 3 § 103 Abs. 1 Satz 2 AktG. 4 Zu diesem Absatz statt vieler Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck22, § 52 GmbHG Rz. 49; vgl. auch Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz12, § 52 GmbHG Rz. 255, demzufolge der Gesellschafterversammlung das Recht verbleiben muss, ein Mitglied des Aufsichtsrates aus wichtigem Grund abzuberufen; Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 19.

924 | Burger

C. Beirat | Rz. 12.69 Kap. 12

Grundsätzlich können Mitglieder eines Beirates ihr Amt jederzeit niederlegen. Etwas anderes gilt, wenn dies zur Unzeit geschieht. Bei dauernder Interessen- und Pflichtenkollision, die nicht nur für einzelne Themen gilt, beispielsweise, weil ein Beiratsmitglied in die Geschäftsführung eines unmittelbar konkurrierenden Unternehmens berufen worden ist, besteht nach in den Einzelheiten vielfach diskutierter Ansicht die Pflicht des Beiratsmitgliedes, sein Amt von sich aus niederzulegen.1

12.66

4. Auskunfts- und Herausgabeansprüche (-pflicht) Mit der Beendigung der Amtszeit besteht gem. §§ 666, 667 BGB die Pflicht jedes Beiratsmitgliedes, über in Besitz genommene Unterlagen und Gegenstände Auskunft zu erteilen und diese herauszugeben.2

12.67

IV. Innere Ordnung 1. Grundlagen Ungeachtet dessen, ob § 52 Abs. 1 GmbHG direkt oder entsprechend eingreift, ungeachtet dessen, ob der Beirat bei einer GmbH oder einer Personenhandelsgesellschaft gebildet ist, ist es sinnvoll, innere Ordnung, Ablauf von Sitzungen und Beschlussfassung im Gesellschaftsvertrag (Personenhandelsgesellschaften) oder in der Satzung (GmbH) im Einzelnen zu regeln. Dabei ist es empfehlenswert, sich an allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Prinzipien und Leitbildern zu orientieren, soweit Unternehmensverfassung, Aufgaben, Pflichten und Befugnisse des Gremiums nichts anderes erfordern. Dafür werden die Bestimmungen der § 107 Abs. 1, 2 und 3 sowie § 108 und § 109 AktG für geeignet erachtet, soweit es um die innere Ordnung sowie die Teilnahme an Sitzungen geht.3

12.68

2. Sitzungen und Inhalt der Einberufung Sitzungen des Beirates werden in Präsenzsitzungen abgehalten, außerdem durch Einladung mit Tagesordnungspunkten vorbereitet. Mit Blick auf das Erfordernis, sich pflichtgemäß zu verhalten, um Haftung zu vermeiden, sollte die Einladung zugleich eine hinreichend präzise Darstellung der Gegenstände ausweisen, wenn dies zu Vorbereitung und sachgemäßer Beschlussfassung des Beirates erforderlich ist. Bittet die Geschäftsführung den Beirat um Einwilligung zu einer zustimmungspflichtigen Maßnahme der Geschäftsführung, sollte die Geschäftsführung zugleich die erforderlichen Informationen zur Einberufung beisteuern, um den Beiratsmitgliedern zu ermöglichen, sich sachgerecht auf die Sitzung und etwa zu treffende Beschlüsse vorzubereiten. Soweit die Bestimmung des Sitzungsortes nicht durch Gesellschaftsvertrag oder Satzung bestimmt ist (regelmäßig Sitz der Gesellschaft), kann es dem Beiratsvorsitzenden überlassen sein, diesen Ort zu bestimmen. Entsprechendes gilt für Tag und Uhrzeit. Wünschenswert ist außerdem anzugeben, mit welcher Dauer der Beiratssitzung zu rechnen sei. 1 OLG Schleswig v. 26.4.2004 – 2 W 46/04 – MobilCom, NZG 2004, 669 (670); LG Hannover v. 13.3.2009 – 21 T 2/09 – Continental/Schaeffler, ZIP 2009, 761 (762 ff.); Dreher, JZ 1990, 896 (902); Singhof, AG 1998, 318 (325); Langenbucher, ZGR 2007, 571 ff.; Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 20. 2 BGH v. 7.7.2008 – II ZR 71/07, NZG 2008, 834; Spindler in MüKo3, § 52 GmbHG Rz. 174; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck22, § 52 GmbHG Rz. 58. 3 Statt vieler: Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 21.

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12.69

Kap. 12 Rz. 12.70 | Beirat als Instrument der Unternehmensnachfolge

3. Beschlüsse außerhalb von Präsenzsitzungen 12.70

Moderne Kommunikationsmittel, wie E-Mail, Telefax, Telefon gebieten, durch Gesellschaftsvertrag oder Satzung vom Leitbild des § 32 BGB abzurücken, dem zufolge Beschlüsse in Präsenzsitzungen zu fassen seien oder nur Gültigkeit haben können, wenn der Beschlussfassung schriftlich zugestimmt wird. Gesellschaftsvertrag und Satzung sollten vorsehen, dass Beschlüsse des Beirates auch durch fernmündliche (Telefon), schriftliche, per Telefax oder EMail Stimmabgabe gefasst werden können. Aus Gründen der Rechtssicherheit sollten Gesellschaftsvertrag oder Satzung dann aber auch vorsehen, dass diese Beschlüsse im Nachgang, beispielsweise nach fernmündlichem Umlaufverfahren, durch den Vorsitzenden oder alle Mitglieder des Beirates dokumentiert und in den Unterlagen der Gesellschaft abgelegt werden. Gelegentlich entscheiden sich die Gesellschafter in Satzung oder Gesellschaftsvertrag vorzusehen, dass solche alternativen Verfahren zur Beschlussfassung nur dann möglich sind, wenn kein Mitglied des Gremiums widerspricht. Dies gebiete eine entsprechende Anwendung des § 108 Abs. 4 AktG, jedenfalls der daraus abgeleitete allgemeine Rechtsgedanke.1

12.71

Um Diskussionen dieser Art erst gar nicht aufkommen zu lassen, sollten Satzung oder Gesellschaftsvertrag entsprechende Regelungen vorsehen, die gerade nicht davon abhängig sind, dass kein Mitglied des Beirates widerspricht. Umgekehrt sollte dann aber auch derjenige, der Einberufung verlangt, beispielsweise aus konkretem dringendem Anlass, wie z.B. aus Anlass einer dringend erforderlichen Einwilligung zu einer zustimmungspflichtigen Maßnahme der Geschäftsführung, dafür Sorge zu tragen, dass sämtliche Informationen und Unterlagen sowie Überlegungen zur Vorbereitung einer solchen Entscheidung der Einberufung beigefügt sind. Weil Beratung und Diskussion außerhalb von Präsenzsitzungen nicht die gleiche Intensität und tiefe Durchdringung der Beschlussgegenstände erwarten lassen, sollte mit Blick auf die Business Judgement Rule und drohende Haftung der Beiratsmitglieder allerdings davon Abstand genommen werden, schwierige und komplexe Beschlussgegenstände in einer viertelstündigen Telefonkonferenz zu beschließen. Dies gilt beispielsweise für etwa erforderliche Einwilligung des Beirates zu einem beabsichtigten Erwerb eines Unternehmens. In der Praxis ist davor zu warnen, dass die Beiratsmitglieder die Behauptung der Geschäftsführung, für ein Rechtsgeschäft, das dem Einwilligungsvorbehalt des Beirates unterliege, herrsche Zeitnot, ungeprüft zu lassen.

12.72

Nach ganz h.M. sind konkludente oder stillschweigende Beschlüsse eines Beiratsgremiums nicht möglich.2

4. Beschlüsse unter Verzicht auf Einhaltung vorgeschriebener Formen und Fristen der Einladung, Ankündigung und Beschlussfassung 12.73

Ohne Bestimmung in Gesellschaftsvertrag oder Satzung kann Unterschiedliches dazu vertreten werden, ob Beschlüsse in sämtlichen Kommunikationsformen ad hoc gefasst werden können, vorausgesetzt die Mitglieder des Gremiums verzichten einstimmig auf Ladungsfristen

1 Zu diesem Absatz statt vieler Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck22, § 52 GmbHG Rz. 83; MarschBarner/Diekmann in Münch. Hdb. GesR5, Band 3, § 48 Rz. 74; Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz12, § 52 GmbHG Rz. 456; Giedinghagen in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt3, § 52 GmbHG Rz. 364; Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 22. 2 BGH v. 23.10.1975 – II ZR 90/73, BGHZ 65, 190 (195); BGH v. 19.12.1998 – II ZR 74/88, NJW 1989, 1928 (1929) m.w.N.; BGH v. 21.6.2010 – II ZR 24/09, NZG 2010, 943 (944); LG Frankfurt/ M. v. 9.3.2004 – 3/5 O 107/03, NZG 2004, 672 (673).

926 | Burger

C. Beirat | Rz. 12.76 Kap. 12

und in Gesellschaftsvertrag oder Satzung vorgesehene Formen der Einladung, Ankündigung und Beschlussfassung.1 Sind nicht sämtliche Gesellschafter zugleich Mitglieder des Beirates, sollte daran gedacht werden, dass Personen, die nicht berechtigt sind, die gesellschaftsrechtlichen Grundlagen ihrer Tätigkeit, nämlich den Gesellschaftsvertrag zu ändern, nicht ohne ausdrücklich eingeräumte Möglichkeit auf dort vorgesehene Ladungsfristen und Formen der Einladung, Ankündigung und Beschlussfassung verzichten können.2 Anders liegen die Dinge, wenn es gilt, Schaden von der Gesellschaft abzuwenden – beispielsweise Schaden, der dadurch eintreten könnte, dass sich die Geschäftsführung weigert, eine für die Gesellschaft günstige und dringliche Maßnahme durchzuführen, ohne dass der Beirat nach Satzung oder Gesellschaftsvertrag vor Durchführung der Maßnahme darin eingewilligt hätte. Auch ist es nicht möglich anzunehmen, dass ohne dahingehende Bestimmung in Satzung oder Gesellschaftsvertrag Stimmbotschaften, wie sie durch § 108 Abs. 3 AktG gestattet sind, im Beirat einer GmbH oder Personenhandelsgesellschaft als akzeptabel angesehen werden können.3

12.74

Denn § 108 Abs. 3 AktG findet keine Anwendung auf andere Gesellschaftsformen; auch § 52 Abs. 1 GmbHG verweist für die Rechtsform der GmbH nicht auf diese Vorschrift.4 Aus dem unterbliebenen Verweis auf diese Vorschrift sollte geschlossen werden, dass § 108 Abs. 3 AktG keinen verallgemeinerungsfähigen Rechtsgedanken ausdrückt, der ohne Verweis durch § 52 Abs. 1 GmbHG für Beirats- und Aufsichtsratsgremien in der GmbH Anwendung findet.5 Erst recht gilt dies für einen Beirat in einer Personenhandelsgesellschaft, auf den § 52 Abs. 1 GmbHG grundsätzlich weder direkt, noch entsprechend Anwendung findet. Grundsätze und Vorschriften des Aktienrechts könnten allenfalls im Wege einer ergänzenden Auslegung von Gesellschaftsvertrag oder Satzung Eingang in die Rechtspraxis von Gesellschaften finden, wenn diese Fragen dieser Art nicht ausdrücklich geregelt haben. Mit dieser Art der Fortbildung von Verträgen und Rechtssätzen sollte allerdings auch in diesem Fall zurückhaltend umgegangen werden. Denn es kann gute Gründe geben, einen Beirat heterogen zu besetzen und zu verlangen, dass eine Stimmabgabe nach Teilnahme, sei es fernmündlich, sei es schriftlich oder in einer Präsenzsitzung und Abwägung aller dabei geäußerten Überlegungen persönlich stattfindet; statt durch Abgabe einer Stimmbotschaft beispielsweise in einer Präsenzsitzung, an der das Beiratsmitglied, das die Botschaft überbringen lässt, gar nicht teilgenommen hat mit der Folge, dass auch die dort geäußerten Überlegungen anderer Mitglieder des Gremiums oder dabei zusätzlich erhaltene Informationen bei Abgabe der Stimme nicht berücksichtigt sind.

12.75

5. Sitzungsfrequenz und Zuständigkeit für Einberufung Im Anwendungsbereich des § 52 Abs. 1 GmbHG, gleichgültig, ob direkt oder entsprechend, muss aufgrund der Verweisung auf § 110 AktG eine bestimmte Sitzungsfrequenz eingehalten werden. Der Beirat muss demgemäß mindestens 2 Sitzungen im Kalenderhalbjahr abhalten. Ausnahmsweise kann er beschließen, dass eine Sitzung im Kalenderhalbjahr ausreicht. Gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 AktG kann außerdem jedes Mitglied des Beirates sowie die Geschäftsführung unter Angabe des Zweckes und der Gründe jederzeit Einberufung einer Sit1 Vgl. Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 22. 2 A.A. Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 22. 3 Giedinghagen in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt3, § 52 GmbHG Rz. 366; Spindler in MüKo3, § 52 GmbHG Rz. 566 f.; a.A. Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 22. 4 Giedinghagen in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt3, § 52 GmbHG Rz. 366. 5 So aber Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 22.

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12.76

Kap. 12 Rz. 12.76 | Beirat als Instrument der Unternehmensnachfolge

zung des Beirates verlangen. In diesem Fall muss die Sitzung innerhalb von 2 Wochen nach Einberufung stattfinden, wie § 110 Abs. 1 Satz 2 AktG anordnet.

12.77

Außerhalb des Anwendungsbereichs des § 52 Abs. 1 GmbHG bestehen solche Vorgaben nicht. Allerdings wird der Beirat sich daran zu orientieren haben, welche Aufgaben und Pflichten ihm übertragen sind und welche Befugnisse er hat, um diese zu erfüllen. Die Praxis lehrt, dass die aktienrechtlichen Vorgaben, das Amt eines Aufsichtsratsmitgliedes oder Beiratsmitgliedes ernst genommen und nicht lediglich als Lametta für Unternehmensverfassung und Unternehmen selbst betrachtet, die unerlässliche Untergrenze der Sitzungsfrequenz bilden. Wirksame Überwachung und sorgfältiges Ausüben eingeräumter Befugnisse setzen typischerweise höhere Sitzungsfrequenz und höheren Zeitaufwand voraus. Dies gilt auch außerhalb von Krisen des Unternehmens.

12.78

Eine auf Wunsch eines Beiratsmitgliedes einberufene Sitzung muss innerhalb von 2 Wochen stattfinden, wenn § 110 Abs. 1 Satz 2 AktG über § 52 GmbHG direkt oder entsprechend Anwendung findet. Wenn nicht, sollte die Dringlichkeit des Gegenstandes, zu dem ein einzelnes Mitglied des Beirates eine Sitzung verlangt, den zeitlichen Takt vorgeben. Typischerweise wird ein einzelnes Mitglied eines Beirats nur dann von diesem Instrument Gebrauch machen, wenn es die Angelegenheit für dringlich hält. In diesem Fall kann auch eine erst in 2 Wochen einberufene Sitzung des Beirates zu spät und demgemäß pflichtwidrig sein.

12.79

Die Einberufungszuständigkeit liegt typischerweise beim Vorsitzenden des Beirates. Auch hier ist wünschenswert, diese in Satzung oder Gesellschaftsvertrag zu regeln. Wird dem Verlangen nicht entsprochen, sind nach § 110 Abs. 2 AktG auch einzelne Aufsichtsrats- oder Beiratsmitglieder oder Geschäftsführer zur Einberufung befugt. Zwischen Einberufung und Aufsichtsratssitzung muss eine Frist liegen, die der Angelegenheit angemessen ist und Dispositionsmöglichkeiten der Mitglieder berücksichtigt.1

12.80

Bei zeitgemäßer Gestaltung von Gesellschaftsvertrag und Satzung dürfte die Frage der Dispositionsmöglichkeiten der einzelnen Mitglieder mit Blick auf die Angemessenheit der Einberufungsfrist kaum noch Berücksichtigung finden. Denn Beratung und Beschlussfassung telefonisch oder per E-Mail sollten jeweils binnen sehr kurzer Frist möglich sein. Ausdrücklich sollten Satzung und Gesellschaftsvertrag auch die Möglichkeit gemischter Beschlussfassungen vorsehen; beispielsweise Zuschalten eines ortsabwesenden Beiratsmitgliedes durch Telefon in eine Präsenzsitzung des Beirates. Auch das kann und sollte die Satzung vorsehen. Anderenfalls droht Rechtsunsicherheit, weil der BGH entschieden hat, dass gemischte Beschlussfassungen mangels Gestattung in Gesellschaftsvertrag oder Satzung nicht möglich seien.2

6. Teilnahmepflicht und Teilnahmerecht an Sitzungen 12.81

Die Mitglieder des Beirates haben nicht nur das Recht, an Sitzungen teilzunehmen, sondern auch die Pflicht. Weitere Personen können typischerweise durch Mehrheitsbeschluss des Beirates zu Sitzungen zugelassen werden. Dabei muss gewährleistet sein, dass auch diese verpflichtet werden, Kenntnisse aus der Beiratssitzung geheim zu halten.3

1 Vgl. OLG Stuttgart, WM 1985, 600 (601); statt vieler Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 23. 2 BGH v. 16.1.2006 – II ZR 135/04, GmbHR 2006, 706 Rz. 10; außerdem OLG München v. 19.1.1978 – 1 U 1292/77, BB 1978, 471 (442); Bayer in Lutter/Hommelhoff20, § 48 GmbHG Rz. 30. 3 Zu diesem Absatz statt vieler Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 24.

928 | Burger

C. Beirat | Rz. 12.84 Kap. 12

Der Beirat entscheidet durch Beschluss. Einzelheiten der Beschlussfähigkeit, des Beschlussverfahrens, der Umgang mit fehlerhaften Beschlüssen sollten in Gesellschaftsvertrag oder Satzung geregelt sein. Denn weder § 52 Abs. 1 GmbHG (für die GmbH), noch das Aktienrecht enthalten diese Gegenstände vollständig erfassende Vorschriften. Ohne Regelung bleibt nur der Rückgriff auf allgemeine Grundsätze, die „Rechtsnatur“ des Gesellschafterbeschlusses sowie allgemeine Grundsätze der Stimmabgabe von Gesellschaftern in der Gesellschafterversammlung. Auch das Rechtsinstitut der ergänzenden Vertragsauslegung zur Lückenfüllung hat im Einzelfall sorgfältig zu prüfende Voraussetzungen. Verbleibende Lücken können nach Prüfung der Verhältnisse im Einzelfall mit Hilfe der Vorschriften des Vereinsrechtes sowie des GmbHG ausgefüllt werden und schließlich auch durch Wertungen des § 108 AktG.1

12.82

7. Beschlussfähigkeit Nach ordnungsgemäßer Ladung ist der Beirat grundsätzlich beschlussfähig mit den erschienenen Mitgliedern, sofern Gesellschaftsvertrag oder Satzung nichts anderes bestimmen. Beschlüsse werden typischerweise mit der Mehrheit der erschienenen Mitglieder gefasst, wie mangels Regelung in Satzung oder Gesellschaftsvertrag durch ergänzende Auslegung auf der Grundlage von § 32 Abs. 1 Satz 3 BGB gefolgert werden kann. Stimmenthaltungen seien dabei nach Ansicht des BGH im Falle eines eingetragenen Vereins nicht zu berücksichtigen.2 Ob diese Grundsätze im Einzelfall für den Beirat einer GmbH oder Personenhandelsgesellschaft entsprechend anzuwenden sind, sollte anhand der diesbezüglichen Architektur der Unternehmensverfassung, wie sie in Gesellschaftsvertrag oder Satzung vorgegeben sind, geprüft werden. Eine pauschale Aussage dazu ist nicht möglich. Dabei sollte auch daran gedacht werden, dass die Beschlussfähigkeit nicht durch Stimmenthaltung anwesender Mitglieder des Gremiums blockiert werden können sollte. Das Ziel, Obstruktion der Beschlussfähigkeit des Gremiums zu verhindern, spricht dafür, sich der Stimme enthaltende Mitglieder als an der Beschlussfassung teilnehmend zu werten. In diesem Sinne verstanden, würde die Teilnahme an einer Beschlussfassung in einer Präsenzsitzung bedeuten, dass Teilnahme schon dann gegeben ist, wenn das anwesende Mitglied des Beirates Möglichkeit und Gelegenheit hat, abzustimmen oder sich der Stimme zu enthalten. Für diese Sicht spricht außerdem, durch Gesellschaftsvertrag oder Satzung Fragen der Beschlussfähigkeit zu regeln, so dass Rückgriff auf § 32 Abs. 1 Satz 3 BGB oder auf einen daraus etwa abgeleiteten allgemeinen Rechtsgedanken nicht erforderlich sind. Auch hier sollten Meinungsverschiedenheiten und Konflikte dadurch vermieden werden, dass Fragen der Beschlussfähigkeit eindeutig durch Gesellschaftsvertrag oder Satzung beantwortet sind.

12.83

Ohne dahingehende Regelung kann nicht angenommen werden, dass der Beschlussinhalt durch den Vorsitzenden mit konstitutiver Wirkung festgestellt werden kann. Stimmrechtsausschlüsse richten sich nach allgemeinen Grundsätzen, die aus den §§ 28, 34 BGB sowie § 47 Abs. 4 GmbHG abzuleiten sind: typischerweise sind die Stimmrechte betroffenerBeiratsmitglieder ausgeschlossen, wenn es um die Entlastung geht, um die Vornahme eines Rechtsgeschäftes oder die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreites.3

12.84

1 Zu diesem Absatz statt vieler Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 25. 2 BGH v. 25.1.1982 – II ZR 164/81, NJW 1982, 1585 zum eingetragenen Verein. 3 Statt vieler Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck22, § 52 GmbHG Rz. 89; Henssler in Henssler/ Strohn, GesR4, § 52 GmbHG Rz. 9; Giedinghagen in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt3, § 52 Rz. 363.

Burger | 929

Kap. 12 Rz. 12.85 | Beirat als Instrument der Unternehmensnachfolge

8. Beschlussmängel a) Keine Anwendung aktienrechtlicher Grundsätze

12.85

Die Rechtsfolgen rechtswidrigen Verfahrens beim Zustandekommen von Beschlüssen sind gesetzlich nicht geregelt. Zurecht hat der BGH abgelehnt, die aktienrechtlichen Grundsätze, die sich aus den §§ 241 ff. AktG ergeben, auf fakultative Beiräte und Aufsichtsräte von Personenhandelsgesellschaften und Gesellschaften in der Rechtsform einer GmbH zu übertragen.1

12.86

Der dem System des Aktienrechts innewohnende Drittschutz der Unternehmensverfassung und der Funktionsfähigkeit dieser Unternehmensverfassung gilt nicht in gleicher, auch nicht in entsprechender Weise für Gesellschaften in Rechtsformen des Personenhandelsgesellschaftsrechts und in der Rechtsform der GmbH. Diese unterliegen in erheblich weiterem Umfang der Disposition ihrer Inhaber, der Gesellschafter. Die Formenstrenge des Aktienrechts findet keine Anwendung. Dies gilt auch, wenn einem fakultativen Aufsichtsrat oder Beirat einer GmbH in weitem Umfang Aufgaben übertragen und Befugnisse eingeräumt sind, die denen des Aktienrechts entsprechen.2 b) Rechtsfolgen rechtswidriger oder rechtswidrig zustande gekommener Beiratsbeschlüsse

12.87

Beiratsbeschlüsse, die auf der Grundlage schwerwiegender Verstöße gegen Gesetz, Satzung oder Gesellschaftsvertrag bis oder bei Beschlussfassung zustande gekommen sind, sind entsprechend den Grundsätzen der Rechtsprechung zur Fehlerhaftigkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen nichtig.3 Dies gilt jedenfalls dann, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Verfahrensmängel auf das Ergebnis der Beschlussfassung Auswirkungen gehabt haben.4 Nicht gravierende Verstöße gegen Verfahrensvorschriften, die auf das Beschlussergebnis keine Auswirkungen haben konnten, führen dagegen nicht zur Nichtigkeit der Beschlüsse.5 So können beispielsweise ein fehlerhaftes oder fehlendes Protokoll nicht zur Nichtigkeit führen6; erst recht nicht, wenn Satzung oder Gesellschaftsvertrag vorsehen, beispielsweise im Falle telefonischer Beratung und Abstimmung im Umlaufverfahren, ein Protokoll erst im Nachgang zu erstellen. Entsprechendes gilt bei Teilnahme Dritter, die ebenfalls grundsätzlich unschädlich ist.7 Etwas anderes könnte dabei gelten, wenn der Dritte erheblichen Einfluss auf Beratung und Willensbildung im Gremium genommen hat. Nicht selten sind Berater mit domi1 Statt vieler und m.w.N. Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 27. 2 Strittig: Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 27; BGH v. 17.5.1993 – II ZR 89/92, BGHZ 122, 342 (351). 3 BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244 (247); BGH v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111 (116 f.); BGH v. 17.5.1993 – II ZR 89/92, BGHZ 122, 342 (351); Koch in Hüffer/ Koch13, § 108 AktG Rz. 26 m.w.N.; Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 28 m.w.N.; Giedinghagen in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt3, § 52 GmbHG Rz. 373 m.w.N. 4 Statt vieler: Giedinghagen in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt3, § 52 GmbHG Rz. 373; Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 27 f.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck22, § 52 GmbHG Rz. 95. 5 Statt vieler Giedinghagen in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt3, § 52 GmbHG Rz. 375 ff. 6 Statt vieler: Giedinghagen in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt3, § 52 GmbHG Rz. 375 ff.; Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 28. 7 BGH v. 17.4.1967 – II ZR 157/64, BGHZ 47, 341 (349 f.); Baums, ZGR 1983, 300 (324); statt vieler Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck22, § 52 GmbHG Rz. 93; Spindler in MüKo3, § 52 GmbHG Rz. 578; Giedinghagen in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt3, § 52 GmbHG Rz. 378.

930 | Burger

C. Beirat | Rz. 12.89 Kap. 12

nantem Auftreten bei Beratung und Beschlussfassung von Beiratsgremien anwesend, deren Beiträge dann durchaus von erheblicher Bedeutung für Beratung und Beschlussfassung sein können. Dies gilt beispielsweise, wenn sich Konflikte im Gesellschafterkreis auf den Beirat erstrecken und dort Rechtsanwälte als juristische Berater der Gesellschafter angehört werden und an Sitzungen teilnehmen. Auch deshalb empfiehlt es sich, Beiratsgremien heterogen und jeweils auch mit einem Juristen zu besetzen, der unabhängig von Gesellschaftern und Konflikten solche Rechtsansichten bewerten kann. Ohne Mehrheitsbeschluss über die Teilnahme von Beratern droht Nichtigkeit in solchen Sitzungen gefasster Beschlüsse. Auch der Beschlussinhalt als solcher kann ausnahmsweise zur Nichtigkeit des Beschlusses führen. Beispielsweise wenn dem Beirat zugleich die Befugnis übertragen worden ist, Geschäftsführern einer GmbH Weisungen zu erteilen. Ist eine solche Weisung auf gesetzwidriges Verhalten der Geschäftsführung gerichtet, sollte ein solcher Beschluss ohne weiteres als nichtig behandelt und angesehen werden müssen. Umgekehrt ist der Geschäftsführer nicht verpflichtet, mehr noch, nicht berechtigt, einen solchen auf ein rechtswidriges Verhalten abzielenden Weisungsbeschluss zu befolgen und umzusetzen. Im Übrigen ist ein lediglich pflichtwidriger Beschlussinhalt, beispielsweise ein Beschlussinhalt, der die Regeln der sog. Business Judgement Rule verletzt, zwar wirksam zustande gekommen, damit nicht nichtig, kann aber die dafür votiert habenden Mitglieder des Gremiums (Beirat) im Nachgang zum Ersatz der Gesellschaft dadurch entstandenen Schadens verpflichten.

12.88

c) Geltendmachung der Nichtigkeit von Beschlüssen des Beirates Die Nichtigkeit von Beschlüssen des Beirates setzt ungeachtet der Frage, ob ein Beiratsmitglied überhaupt aktivlegitimiert ist, diese Nichtigkeit geltend zu machen, nach zutreffender Ansicht nicht voraus, dass ein Beiratsmitglied den Rechtsverstoß rügt.1 d) Feststellungsinteresse und Aktivlegitimation zur Geltendmachung der Nichtigkeit von Beschlussmängeln eines Beirates Mangels anderweitiger Bestimmungen in Gesellschaftsvertrag oder Satzung eines fakultativen Beirates einer GmbH oder Personenhandelsgesellschaft mit dem üblichen Aufgabenspektrum, insbesondere Überwachung der Geschäftsführung, hat ein einzelnes Mitglied des Gremiums, wenn es nicht zugleich Gesellschafter ist, grundsätzlich kein rechtliches Interesse an alsbaldiger Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Beiratsbeschlusses i.S.v. § 256 Abs. 1 ZPO2. Ein solches Interesse gewährt grundsätzlich weder der Gesellschaftsvertrag, auch nicht im Sinne eines Vertrages zugunsten Dritter, noch eine entsprechende Anwendung der Überlegungen des BGH zur Anfechtbarkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen durch Mitglieder des Aufsichtsrates3. 1 Giedinghagen in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt3, § 52 GmbHG Rz. 380; Spindler in MüKo3, § 52 GmbHG Rz. 583; a.A. Lutter/Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff20, § 52 GmbHG Rz. 96, denen zufolge Anfechtungserklärung zur sofortigen Nichtigkeit führe. 2 Burger in FS Mark K. Binz, S. 129 ff. (136 ff.), andere Ansicht unter Bezugnahme auf Entscheidungen des BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244 sowie BGH v. 25.2.1982 – II ZR 102/81, BGHZ 83, 144 (146) und BGH v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111 zum (zwingenden) Aufsichtsrat einer AG: Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 29; Giedinghagen in Michalski/ Heidinger/Leible/J. Schmidt3, § 52 GmbHG Rz. 380; Spindler in MüKo3, § 52 GmbHG Rz. 581; Lutter/Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff20, § 52 GmbHG Rz. 97. 3 Burger in FS Mark K. Binz, 2014, S. 129 ff. (136 ff.).

Burger | 931

12.89

Kap. 12 Rz. 12.90 | Beirat als Instrument der Unternehmensnachfolge

12.90

Die Verhältnisse in einem (fakultativen) Beirat sowie die Stellung eines Beiratsmitgliedes sind nicht mit Verhältnissen einer AG und nicht mit der Stellung eines Aufsichtsrates einer AG und seiner Mitglieder vergleichbar. Die Entscheidung des BGH, die zur Begründung des Rechts der Aufsichtsratsmitglieder herangezogen wird, die Nichtigkeit von Beschlüssen des Aufsichtsrates gerichtlich geltend zu machen, wird häufig fehlinterpretiert und ist – ungeachtet dessen – nicht auf die Verhältnisse eines fakultativen Beirates einer GmbH oder Personenhandelsgesellschaft übertragbar.1 Das Feststellungsinteresse eines Aufsichtsratsmitgliedes einer AG an der Feststellung der Nichtigkeit eines Aufsichtsratsbeschlusses folge, so der BGH in der zitierten Entscheidung, „aus der Organstellung der Aufsichtsratsmitglieder und ihrer sich daraus ergebenden gemeinsamen Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der von ihnen gefassten Beschlüsse“.2 Die vorstehend wörtlich zitierte Begründung des BGH ist für die Begründung eines Feststellungsinteresses der Mitglieder eines Aufsichtsrates nicht tragfähig.3 Nach der Rechtsprechung des BGH gibt es gerade keine gemeinsame Verantwortung für die Rechtmäßigkeit eines Aufsichtsratsbeschlusses. Nur diejenigen Mitglieder des Aufsichtsrates können gem. §§ 93, 116 AktG zur Verantwortung gezogen und in Haftung genommen werden, die den Beschluss rechtswidrig herbeigeführt oder rechtswidrig unterlassen haben, einen Beschluss herbeizuführen. Diejenigen, die gegen einen rechtswidrigen Beschluss gestimmt haben, oder Antrag gestellt haben, den rechtmäßigen und erforderlichen Beschluss zu fassen, sind dagegen nicht dafür verantwortlich und haftbar, dass die Mehrheit schuldhaft rechtswidrig abgestimmt und sich deshalb, Eintritt eines Schadens vorausgesetzt, schadensersatzpflichtig gemacht hat. Eine Garantiehaftung im Sinne kollektiver Haftung für Aufsichtsratsbeschlüsse, die zu Schaden der AG führen, ungeachtet des Abstimmungsverhaltens und ungeachtet der persönlichen Verantwortung des einzelnen Aufsichtsratsmitgliedes, existiert gerade nicht. Dieser Widerspruch in der Entscheidung des BGH ist nicht auflösbar und hätte dazu führen müssen, dass das einzelne Aufsichtsratsmitglied gerade nicht befugt ist, ohne persönliches Eigeninteresse, nur abstrakt, um der Feststellung der Rechtswidrigkeit willen, Feststellungsklagen für oder gegen Aufsichtsratsbeschlüsse geltend zu machen. Tragende, nicht ausdrücklich erklärte Überlegung des BGH dürfte mit Blick auf die AG gewesen sein, eine effektive Klagemöglichkeit zu gewähren.4

12.91

Diese Überlegungen greifen aber ohnehin nicht in gleicher Weise für einen fakultativen Beirat einer GmbH oder einer Personenhandelsgesellschaft. Denn in beiden Fällen sind die Gesellschafter im Gegensatz zu den Aktionären einer AG ausreichend in der Lage, die Nichtigkeit von Beiratsbeschlüssen geltend zu machen oder eine positive Feststellung des Zustandekommens eines Beiratsbeschlusses zu beantragen.5

12.92

Ausnahmsweise kann ein solches Interesse eines Beiratsmitgliedes bestehen, wenn der Beirat auf der Grundlage des Gesellschaftsvertrages berechtigt ist, in den Grenzen des § 315 BGB selbst über die Höhe der ihm zustehenden Vergütung zu entscheiden oder wenn der Beirat ausweislich des Gesellschaftsvertrages über die Frage zu entscheiden hat, ob die Geschäftsführung mit Wirkung für die Gesellschaft berechtigt ist, mit einem Beiratsmitglied Verträge abzuschließen, die das Beiratsmitglied zu Leistungen verpflichtet, die nicht bereits zu seinen

1 Burger in FS Mark K. Binz, 2014, S. 129 ff. (136 ff.). 2 BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244 (248); BGH v. 17.5.1993 – II ZR 89/92, BGHZ 122, 342 (350). 3 Burger in FS Mark K. Binz, 2014, S. 129 ff. (136 ff.). 4 Zum Ganzen: Burger in FS Mark K. Binz, 2014, S. 129 ff. (136 ff.) m.w.N. 5 Zum Ganzen: Burger in FS Mark K. Binz, 2014, S. 129 ff. (142 ff.).

932 | Burger

C. Beirat | Rz. 12.96 Kap. 12

Aufgaben als Mitglied des Beirates gehören1. Besteht aufgrund Gesellschaftsvertrag oder Satzung ein dahingehendes rechtliches Interesse an alsbaldiger Feststellung eines Beiratsmitglieds am Bestehen oder Nichtbestehen eines Beiratsbeschlusses, ist eine solche Klage, ohne davon abweichender gesellschaftsvertraglicher Regelungen im Falle einer Personenhandelsgesellschaft, gegen die Gesellschafter zu richten und nicht gegen die Gesellschaft als solche2. Anders im Falle des Beirates einer GmbH auf der Grundlage der Satzung: Hier dürfte in Anlehnung an das Beschlussmängelrecht der GmbH die Gesellschaft als solche die richtige Beklagte für eine dahingehende Feststellungsklage sein. Ungeachtet dessen sind die Gesellschafter berechtigt, Beschlüsse des Beirates im Wege von Beschlussmängelfeststellungsklagen gegen die GmbH als solche geltend zu machen.3

12.93

V. Aufgaben, Pflichten und Befugnisse 1. Grundlagen Findet auf den Beirat einer GmbH § 52 Abs. 1 GmbHG entsprechend Anwendung, gelten durch den dortigen Verweis auf entsprechende Anwendung von Vorschriften des Aktienrechts für Aufgaben, Pflichten und Befugnisse die dort niedergelegten Grundsätze. Anwendbar sind insbesondere die §§ 111 und 112 AktG; außerdem § 90 Abs. 3, 4, 5 Satz 1 und Satz 2 AktG. Dies gilt, soweit Satzung oder Gesellschaftsvertrag keine anderen Dispositionen treffen. Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem starken Beirat einer GmbH, auf den § 52 Abs. 1 GmbHG entsprechend anzuwenden ist, zum Aufsichtsrat einer AG besteht darin, dass mangels Bestimmung in Satzung oder Gesellschaftsvertrag der Gesellschaft der Beirat nicht die Befugnis hat, Geschäftsführer zu bestellen, die Bestellung von Geschäftsführern zu widerrufen, Anstellungsverträge abzuschließen und solche zu kündigen. Die vornehmste Aufgabe des Aufsichtsrates einer AG, nämlich für ordnungsgemäße Besetzung des Vorstandes zu sorgen, ist jenem durch § 84 AktG als Pflicht übertragen. Auf diese Bestimmung verweist § 52 Abs. 1 GmbHG für den fakultativen Aufsichtsrat, damit auch für den fakultativen Beirat mit der Aufgabe, die Geschäftsführung zu überwachen, gerade nicht.

12.94

Können die Gesellschafter einer GmbH bei der Bestimmung von Aufgaben, Pflichten und Befugnissen eines Beirates oder Aufsichtsrates sich noch die eine oder andere Nachlässigkeit leisten, die der Gesetzgeber durch § 52 Abs. 1 GmbHG ausgleicht, ist bei einem Beirat einer Personenhandelsgesellschaft dringend zu empfehlen, dessen Aufgaben, Pflichten und Befugnisse bis in die Details zu regeln. Anderenfalls gibt es bei Meinungsverschiedenheiten über diese Fragen Wildwuchs vertretbarer Ansichten. Der schnelle und in der Praxis verlockende Griff zur AG ist aber aus den bereits genannten Gründen weder sinnvoll, noch rechtssicher möglich (s. Rz. 12.82).

12.95

Dient ein Beirat im Nachfolgeprozess dem Zweck, Defizite an Eignung der Unternehmensnachfolger, sowohl bei Ausübung ihrer Gesellschafterrechte, als auch – da noch dringender – beim Führen der Geschäfte der Gesellschaft auszugleichen, ist es sinnvoll, einem Beirat bei der GmbH (entsprechend bei der Personenhandelsgesellschaft) die Aufgaben, Pflichten und Befugnisse zuzuweisen, die ohne ausdrücklich anders lautende Regelung durch § 52 Abs. 1 GmbH in entsprechender Anwendung der aktienrechtlichen Bestimmungen dem fakultativen

12.96

1 Burger in FS Mark K. Binz, 2014, S. 129 ff. (142 ff.). 2 Burger in FS Mark K. Binz, 2014, S. 148 ff. 3 Burger in FS Mark K. Binz, 2014, S. 148 ff.

Burger | 933

Kap. 12 Rz. 12.96 | Beirat als Instrument der Unternehmensnachfolge

Aufsichtsrat einer GmbH zugewiesen sind. Darüber hinaus sollte aber auch daran gedacht werden, die Pflicht zur Bestellung, des Widerrufes der Bestellung, des Abschlusses von Anstellungsverträgen, der Beendigung von Anstellungsverträgen, auch durch Kündigung (einschließlich außerordentlicher Kündigung aus wichtigem Grund gem. § 626 BGB), in Anlehnung an die Bestimmungen des § 84 AktG dem dadurch über die Vorstellung des Gesetzgebers bei § 52 Abs. 1 GmbHG hinaus starken Beirates zu übertragen. Denn diese Befugnisse ermöglichen dem Beirat einzugreifen, um das Unternehmen davor zu schützen, schlecht geführt zu werden und dadurch Schaden zu nehmen.

12.97

Auf der anderen Seite sollte an die Möglichkeit gedacht werden, dass Beiratsmitglieder versuchen, die Unternehmensverfassung zu eigenem Vorteil zu kapern, den Einfluss der Gesellschafter zurückzudrängen und diese ahnungslos und unwissend zu halten. Ein starker Beirat sollte deshalb zusätzlich mindestens in der Weise reglementiert sein, wie es das AktG durch die §§ 113, 114 und 115 AktG vorsieht. Anderenfalls droht, dass anwaltliche, steuerliche oder kaufmännische Berater nicht nur Mitglied im Beirat mit den dort vorgesehenen Aufgaben, Pflichten und Befugnissen sind, sondern als „Haus- und Hofberater“ zugleich jeweils alle Gesellschafter beraten und häufig genug auch das durch eine Fremdgeschäftsführung vertretene Unternehmen selbst. Die Fremdgeschäftsführung lässt sich darauf typischerweise nolens volens ein, um ihr Amt und gute Kontakte zum Beirat zu erhalten. Überwachung einer Fremdgeschäftsführung im Sinne der Unternehmensnachfolger oder ganz allgemein der Gesellschafter findet unter solchen Umständen und Verhältnissen typischerweise nur noch selten statt.

2. Überwachen der Geschäftsführung 12.98

Ein Beirat, der im Sinne eines Instruments, die Unternehmensnachfolge zu erleichtern, der Rede wert sein soll, hat typischerweise Aufgabe und Pflicht, die Geschäftsführung der Gesellschaft zu überwachen. Dies ergibt sich für den starken fakultativen Aufsichtsrat oder Beirat einer GmbH aus § 52 Abs. 1 GmbHG i.V.m. dem dort für entsprechend anwendbar erklärten § 111 Abs. 1 AktG. Dort heißt es wörtlich: „Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung zu überwachen“.

3. Beraten der Geschäftsführung 12.99

Nach h.M. gehöre zur Pflicht, die Geschäftsführung zu überwachen, zugleich die Beratung der Geschäftsführung durch die Aufsichtsrats- und Beiratsmitglieder.1 Dies sei Teil einer vorausschauenden Überwachung.2 Dabei sollte bedacht werden, dass Überwachen und Beraten als zeitgleich zu erfüllende Aufgaben nur dann harmonisch nebeneinander ausgeführt werden können, wenn das Beraten nicht Pflicht des Beirates ist: Die Begriffe „Aufgabe“ und „Pflicht“ sollten auseinandergehalten werden. Aufgaben können freiwillig und aus Gefälligkeit oder bei Gelegenheit des Erfüllens von Pflichten übernommen werden. Pflichten sind Pflichten und müssen erfüllt werden, um Haftung zu vermeiden. In diesem Kontext könnte die Aufgabe eingebettet sein, Geschäftsführer zu beraten. Denn die Pflicht, Geschäftsführer zu überwachen, würde mit angenommener Pflicht kollidieren, die Geschäftsführung zu beraten. Diese könnte sich von der Erfüllung ihrer Pflicht, die Geschäfte zu führen, in wesentlichen Teilen dadurch entlasten, dass sie von den Mitgliedern des Beirates einfordert, beraten zu werden. 1 BGH v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127 (129 f.); Semler in Hueck/Lutter/Zöllner, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rz. 85; Hoffmann/Bröcker, Der Aufsichtsrat5, Rz. 100 f.; kritisch Burger, Diss. Tübingen, 1997, S. 182 ff. 2 Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 31.

934 | Burger

C. Beirat | Rz. 12.102 Kap. 12

Dadurch würde zwangsläufig und stets eine Haftungsgemeinschaft begründet, die der dualistischen Struktur des Aktienrechts, die dem Beirat auch als Instrument der Unternehmensnachfolge gut ansteht, nicht entspricht. Deshalb sollte mit der Annahme zurückhaltend umgegangen werden, Pflicht eines starken Beirates im Sinne eines Instrumentes der Unternehmensnachfolge sei zugleich die Beratung der Geschäftsführung. Dies sollte nur insoweit angenommen werden, als das Beraten eine Aufgabe oder Funktion ist, aber keine Aufgabe, zu deren Erfüllung die Mitglieder des Beirates verpflichtet sind, um Haftung zu vermeiden. Bei der AG sollte der Aufsichtsrat daran denken, Vorstand oder Vorstandsmitglieder auszutauschen, die laufender Beratung und Unterweisung in Geschäftsführungsangelegenheiten durch den Aufsichtsrat und seine Mitglieder benötigen. Ein solcher Vorstand ist der Aufgabe, die Geschäfte zu führen, und das auch noch in eigener Verantwortung, wie dies durch § 76 Abs. 1 AktG vorgesehen ist, nicht gewachsen. Dies gilt ungeachtet dessen, ob der Beirat zugleich Aufgabe und Pflicht hat, für die ordnungsgemäße Besetzung der Geschäftsführung zu sorgen, sowie die Befugnis, dies selbst durch Bestellung und Widerruf der Bestellung sowie Abschluss von Anstellungsverträgen mit Geschäftsführern auch zu bewerkstelligen. In diesem Fall muss er eine laufend beratungsbedürftige Geschäftsführung abberufen; in jenem, also ohne die Befugnis, Geschäftsführer zu bestellen und abzuberufen, sollte der Beirat rechtszeitig daran denken, die Gesellschafter davon zu unterrichten, dies zu tun.

12.100

4. Geltendmachen von Schadensersatzansprüchen Auch das Geltendmachen von Schadensersatzansprüchen gegen Mitglieder der Geschäftsführung kann zu Aufgaben und Pflichten des Beirates gehören. Gelegentlich wird dazu vertreten, dass dies die Gesellschafter gem. § 46 Nr. 8 GmbHG jeweils ausdrücklich beschlossen haben müssten.1 Dem ist zu widersprechen: Handelt es sich um einen Beirat oder Aufsichtsrat, auf den § 52 Abs. 1 GmbHG direkt oder entsprechend Anwendung findet, verweist diese Vorschrift zugleich auf § 112 AktG. Nach dieser Vorschrift vertritt der Aufsichtsrat die AG gegenüber Mitgliedern des Vorstandes. Dann sollte es aber bei Beirats- und Aufsichtsratsgremien, für die § 52 GmbH mit Blick auf die GmbH auf diese Bestimmung des AktG verweist, keines gesonderten Beschlusses der Gesellschafter bedürfen, wenn sie einen starken Beirat oder Aufsichtsrat eingerichtet haben. Um Meinungsverschiedenheiten und Rechtsunsicherheit darüber zu vermeiden, sollten die Gesellschafter klarstellend eine dahingehende, Befugnis des Beirates in Gesellschaftsvertrag oder Satzung aufnehmen; anderenfalls sollten die Mitglieder des Beirates darauf drängen, dass die Gesellschafter vorsorglich und zusätzlich einen Beschluss nach § 46 Nr. 8 GmbHG fassen, wenn sie Beirat einer Gesellschaft in der Rechtsform einer GmbH sind.

12.101

Anders liegen die Dinge bei einer Personenhandelsgesellschaft. Hier gelten aktienrechtliche Bestimmung grundsätzlich weder direkt, noch gibt es über eine Verweisung Ansatzpunkte, aktienrechtliche Bestimmungen anzuwenden. Hier bleibt lediglich im Wege ergänzender Vertragsauslegung oder Analogie, demzufolge auf unsicherem Grund, entsprechende Grundsätze anzuwenden. Bei einer Personenhandelsgesellschaft sollte ohne ausdrückliche Vereinbarung oder Beschlussfassung der Gesellschafter nicht angenommen werden, dass der Beirat Aufgabe und Pflicht habe, Mitglieder der Geschäftsführung auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen oder die Gesellschaft gegenüber der Geschäftsführung zu vertreten.

12.102

1 Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 31.

Burger | 935

Kap. 12 Rz. 12.103 | Beirat als Instrument der Unternehmensnachfolge

5. Beirat einer Konzernobergesellschaft 12.103

Sind die Geschäftsführer auch Geschäftsführer einer Konzernobergesellschaft, haben die Mitglieder des Beirates auch zu überwachen, ob die Geschäftsführer Aufgabe und Pflicht ordnungsgemäß erfüllen, die Beteiligungen an Konzerngesellschaften und anderen verbundenen Unternehmen ordnungsgemäß zu verwalten. Für die GmbH ergibt sich dies aus § 90 Abs. 3 Satz 1 AktG, auf den § 52 Abs. 1 GmbHG verweist. Nach dieser Vorschrift kann der Aufsichtsrat vom Vorstand jederzeit einen Bericht über Angelegenheiten der Gesellschaft sowie „über ihre rechtlichen und geschäftlichen Beziehungen zu verbundenen Unternehmen sowie über geschäftliche Vorgänge bei diesen Unternehmen, die auf die Lage der Gesellschaft von erheblichem Einfluss sein können“ verlangen.1 Entsprechendes sollte bei einem Beirat einer Personenhandelsgesellschaft ausdrücklich durch Gesellschaftsvertrag vereinbart sein. Ist dies nicht der Fall, sollte aus einer allgemein durch den Gesellschaftsvertrag bestimmten Pflicht des Beirates, zu überwachen, ob die Mitglieder der Geschäftsführung ihre Aufgaben ordnungsgemäß erfüllen, geschlossen werden, dass Entsprechendes gilt, wenn die Geschäftsführung Aufgabe und Pflicht hat, als Konzernobergesellschaft, dazugehörige Konzerngesellschaften durch Ausübung von Beteiligungsrechten zu verwalten.

12.104

Schließlich sei darauf hingewiesen, dass die Gesellschafterversammlung einstimmig oder durch Mehrheitsbeschluss, je nachdem, ob und welches Quorum in Gesellschaftsvertrag oder Satzung vereinbart ist, ein Beirats- oder Aufsichtsratsgremium bei GmbH oder Personenhandelsgesellschaft überstimmen kann.2

6. Informationsrechte 12.105

Der Pflicht, die Mitglieder der Geschäftsführung sorgfältig zu überwachen, kann der Beirat nur dann nachkommen, wenn ihm zugleich die dafür erforderlichen Informationen zur Verfügung stehen, die er benötigt, um diese Pflicht zu erfüllen. Die Gesellschafter sollten durch Gesellschaftsvertrag oder Satzung bestimmen, dass der Beirat durch die Mitglieder der Geschäftsführung unaufgefordert über alles zu unterrichten ist, was erforderlich ist, um die Geschäftsführer zu überwachen. Eine dahingehende Verpflichtung der Geschäftsführung ergibt sich auch im Falle eines Beirates einer GmbH nicht aus direkter oder entsprechender Anwendung des § 52 Abs. 1 GmbHG. Denn diese Vorschrift verweist gerade nicht auf § 90 Abs. 1 AktG, aus dem die Pflicht abzuleiten ist, dass die Mitglieder der Geschäftsführung unaufgefordert über dort bezeichnete Gegenstände und in dort gesetzlich bestimmter Regelmäßigkeit zu berichten haben.

12.106

Sollten es die Gesellschafter versäumt haben, eine dahingehende Pflicht in Gesellschaftsvertrag oder Satzung aufzunehmen, können die Mitglieder des Beirates dieses Manko dadurch ausgleichen, dass sie von sich aus dahingehende Berichte fordern. Und zwar im direkten oder entsprechenden Anwendungsbereich des § 52 Abs. 1 GmbHG auf der Grundlage von § 90 Abs. 3, Abs. 4 und Abs. 5 Satz 1 und Satz 2 AktG. Außerhalb dieses Anwendungsbereiches, insbesondere im Falle einer Personenhandelsgesellschaft, sollte die Befugnis, dahingehende Berichte zu fordern, im Falle eines Beirates, der die Geschäftsführung zu überwachen hat, auch ohne dahingehende Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag als Annex zur Pflicht zur

1 § 90 Abs. 3 Satz 1 AktG. 2 Statt vieler Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 31; Henssler in Henssler/Strohn, GesR4, § 52 GmbHG Rz. 12.

936 | Burger

C. Beirat | Rz. 12.111 Kap. 12

Überwachung angesehen werden; erforderlichenfalls durch Anwendung des Rechtsinstituts ergänzender Vertragsauslegung. Ohne Berichte und Informationen können Pflicht und Aufgabe, die Mitglieder der Geschäftsführung zu überwachen, nicht erfüllt werden. Ein Beirat ist gut beraten, daraus eine Bringschuld der Mitglieder der Geschäftsführung zu machen, statt von Fall zu Fall Berichte und Informationen anzufordern.

12.107

Auch weil die Mitglieder des Beirates nicht immer wissen können, ob eine Angelegenheit der Geschäftsführung von solcher Bedeutung ist, dass sie der Überwachung des Beirates unterliegen sollte, wird gefordert, dass die Geschäftsführung ungeachtet der direkten oder entsprechenden Anwendbarkeit von § 90 Abs. 1 und Abs. 2 AktG und der sich daraus ergebenden Grundsätze Beirat oder Aufsichtsorgan laufend über wesentliche Geschäftsvorfälle zu unterrichten habe.1

12.108

Nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG i.V.m. § 52 Abs. 1 GmbHG hat ein Aufsichtsrat, scil.: Beirat, einer GmbH zu bestimmen, dass bestimmte Arten von Geschäften nur mit seiner Zustimmung vorgenommen werden dürfen. Um dem Vorwurf zu entgehen, die Pflicht zur Überwachung der Mitglieder der Geschäftsführung nicht ordnungsgemäß wahrgenommen zu haben, sollte jedes Gremium, das mit dieser Aufgabe betraut ist, gleichgültig, ob es Aufsichtsrat oder Beirat genannt wird, einen Katalog typischer Geschäftsvorfälle erstellen, für die es verlangt, dass die Mitglieder der Geschäftsführung diese dem Beirat rechtzeitig, bevor darauf abzielende Maßnahmen umgesetzt werden, zur Einwilligung (vorherige Zustimmung) vorlegen. Ohne dahingehende Katalogtatbestände droht den Mitgliedern des Beirates der Vorwurf, der Gesellschaft Schaden dadurch zugefügt zu haben, dass sie solche Katalogtatbestände nicht erstellt haben und demzufolge ihrer Aufgabe, die Mitglieder der Geschäftsführung zu überwachen, nicht ordnungsgemäß nachgekommen sind.2 Zustimmungspflichtige Verträge, die ohne Beschluss vereinbart worden sind, sind genehmigungsfähig.3

12.109

Zusätzlich sollte dem Beirat ausdrücklich durch Gesellschaftsvertrag oder Satzung die Befugnis eingeräumt werden, Einsicht in Unterlagen der Gesellschaft zu nehmen und Prüfungen vorzunehmen, eventuell auch durch Sachverständige, wie dies aufgrund des Verweises durch § 52 Abs. 1 GmbHG auf § 111 Abs. 2 AktG bei einem fakultativen Aufsichtsrat einer GmbH vorgesehen ist.

12.110

Im Übrigen sollte der Beirat die Berichtslinie einhalten. Dies bedeutet, dass er nicht Angestellte befragen oder mit Kunden Kontakt aufnehmen sollte.4 Der Grund dafür liegt auf der Hand: Ein in dieser Weise agierender Beirat untergräbt die Autorität der Geschäftsführung und verstößt damit gegen Grundsätze guter Unternehmensführung, begeht also eine Pflichtverletzung. Davon kann es Ausnahmen geben: Besteht der Verdacht schwerwiegender Pflichtverletzungen durch Mitglieder der Geschäftsführung, kann es erforderlich und angezeigt sein, auch mit Mitarbeitern unterhalb der Ebene der Geschäftsführung zu sprechen, um Verdacht

12.111

1 Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 32 und dort Fn. 112. 2 Wortlaut sowie Sinn und Zweck des § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG sind eindeutig: „Der Aufsichtsrat (...) hat zu bestimmen.“ 3 OLG Karlsruhe v. 13.10.1995 – 10 U 51/95, AG 1996, 224 (225 f.); OLG Frankfurt v. 8.11.1994 – 5 U 269/93, BB 1995, 2440 (2441); Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck22, § 52 GmbHG Rz. 120; Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 38. 4 Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 32 m.w.N.

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Kap. 12 Rz. 12.111 | Beirat als Instrument der Unternehmensnachfolge

und diesem zugrunde liegenden Sachverhalt sorgfältig aufzuklären.1 Dies gilt erst recht, wenn die Gesellschafter vereinbart haben, dem Beirat die Pflicht zuzuweisen, für die ordnungsgemäße Besetzung der Geschäftsführung zu sorgen; entsprechend den Grundsätzen, die sich für eine AG aus § 84 AktG ergeben. Denn in diesem Fall sind es die Mitglieder des Beirates, die beispielsweise innerhalb der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB pflichtgemäß darüber zu entscheiden haben, ob ein Geschäftsführerdienstvertrag außerordentlich und aus wichtigem Grund gekündigt werden soll.

7. Prüfung des Jahresabschlusses 12.112

Ein fakultativer Aufsichtsrat einer GmbH hat ebenso wie es ein fakultativer Beirat einer GmbH oder ein fakultativer Beirat oder Aufsichtsrat einer Personenhandelsgesellschaft haben sollte, die Pflicht, den von den Mitgliedern der Geschäftsführung aufgestellten Jahresabschluss zu prüfen. Dies gilt auch für den Lagebericht und bei der GmbH für den Gewinnverwendungsvorschlag. Bei Konzernobergesellschaften kommen Konzernabschluss und Konzernlagebericht gem. 171 Abs. 1 AktG hinzu. Diese Unterlagen sollten dem Aufsichtsgremium unverzüglich nach Aufstellung gem. § 264 HGB, eventuell auch erst nach Eingang des Prüfungsberichtes, vorgelegt werden, wie dies durch § 170 Abs. 1 AktG vorgesehen ist. Über das Ergebnis der Prüfung sollte das Aufsichtsgremium an die Gesellschafterversammlung schriftlich berichten (§ 42a Abs. 1 Satz 3 AktG, § 171 Abs. 2 AktG). Auch wenn es sich dabei nicht um unabdingbares Recht handelt, ist eine einem Aufsichtsgremium sinnvollerweise als Pflicht zugewiesene Überwachungsaufgabe nur dann vollständig, wenn auch die Prüfung der vorstehend genannten Dokumente und Unterlagen zu den Pflichten des Aufsichtsgremiums gehört. Dies gilt umso mehr, wenn dieses Aufsichtsgremium als Beirat Defizite der Unternehmensnachfolger bei Kenntnissen, Fähigkeiten und Qualifikationen auf diesen Gebieten ausgleichen soll.2

12.113

Dem Aufsichtsgremium, Beirat oder Aufsichtsrat, sollte außerdem die Pflicht zugewiesen sein, dem Abschlussprüfer den Prüfungsauftrag zu erteilen, wie dies durch § 111 Abs. 2 Satz 3 AktG für die AG vorgeschrieben ist, über § 52 Abs. 1 GmbHG auch dem fakultativen Aufsichtsrat einer GmbH. Entsprechendes sollten die Gesellschafter auch dem fakultativen Aufsichtsgremium, Beirat oder Aufsichtsrat, der Personenhandelsgesellschaft vorschreiben.3

8. Einberufung der Gesellschafterversammlung 12.114

Der Aufsichtsrat oder Beirat muss eine Gesellschafterversammlung einberufen, wenn das „Wohl der Gesellschaft“ dies fordert, wenn ihm die Aufgabe zugewiesen ist, die Mitglieder der Geschäftsführung zu überwachen. Für den Aufsichtsrat oder Beirat einer GmbH ergibt sich dies in entsprechender Anwendung des § 52 Abs. 1 GmbHG i.V.m. § 111 Abs. 3 Satz 1 AktG. Der Beirat sollte demgemäß auf der Grundlage eines Beschlusses den Vorsitzenden ermächtigen, eine Gesellschafterversammlung einzuberufen; Satzung oder Gesellschaftsvertrag sollten diesen Weg vorschreiben.

1 Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 32 m.w.N. 2 Zum Ganzen statt vieler Lutter/Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff20, § 52 GmbHG Rz. 17 und Rz. 21. 3 Zum Ganzen statt vieler Lutter/Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff20, § 52 GmbHG Rz. 17 und Rz. 21.

938 | Burger

C. Beirat | Rz. 12.117 Kap. 12

9. Weisungsrecht Grundsätzlich steht einem Beirat oder Aufsichtsrat einer GmbH oder Personenhandelsgesellschaft nur dann ein Weisungsrecht gegenüber den Mitgliedern der Geschäftsführung zu, wenn dies durch Gesellschaftsvertrag oder Satzung ausdrücklich bestimmt ist. Liegt die typische Notlage der Nachfolgesituation vor, in den Reihen der Nachfolger keinen zur Geschäftsführung und zur Überwachung einer Geschäftsführung geeigneten Kandidaten zu haben, sollte das Beiratsgremium, das Defizite dieser Art ausgleichen soll, auch berechtigt und erforderlichenfalls verpflichtet sein, der Fremdgeschäftsführung Weisungen zu erteilen. Das Letztentscheidungsrecht steht ohnehin den Gesellschaftern zu, die auch Weisungen eines starken Aufsichtsgremiums in GmbH und Personenhandelsgesellschaft übergehen können.1

12.115

10. Vertretung der Gesellschaft durch den Beirat Ein starker Beirat sollte grundsätzlich durch Gesellschaftsvertrag oder Satzung ermächtigt und verpflichtet sein, die Gesellschaft gegenüber Geschäftsführern, aktuellen oder bereits ausgeschiedenen, zu vertreten. Damit sollte zugleich die Pflicht bestimmt sein, auch über die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegenüber Geschäftsführern zu entscheiden, bei Personalhoheit auch über den Inhalt von Geschäftsführerdienstverträgen sowie über die Frage, ob Geschäftsführer bestellt oder abberufen werden sollen. Weil es in Fragen dieser Art auch im Anwendungsbereich des § 52 Abs. 1 GmbHG und Verweis auf § 112 AktG nach wie vor Rechtsunsicherheit gibt, ist auch hier dringend zu empfehlen, ausdrücklich in der Satzung zu regeln, ob das Aufsichtsgremium, Beirat oder Aufsichtsrat, dahingehende Aufgaben, Pflichten und Befugnisse haben soll.2 Für die Personenhandelsgesellschaft gilt dies erst recht. Vertretungsbefugt ist grundsätzlich das gesamte Gremium als Kollegialorgan, das durch Beschluss seinen Willen bildet. Vertretungshandlungen ohne Beschluss sind unwirksam.3 Ermächtigungen einzelner Mitglieder des Aufsichtsgremiums, insbesondere des Vorsitzenden, seien in engen Grenzen möglich, wie gelegentlich vertreten wird.4 Aufgrund der damit einhergehenden Rechtsunsicherheit sollte davon Abstand genommen werden, den Vorsitzenden eines solchen Gremiums zu mehr zu ermächtigen, als zum Vollzug eines gefassten Beschlusses, beispielsweise zur Unterschrift unter einen Geschäftsführerdienstvertrag, der unter Vorlage des wortlautidentischen Entwurfs durch das Gremium beschlossen worden sein sollte. Jede andere Vorgehensweise führt zu Rechtsunsicherheit und Haftungsrisiken für alle Mitglieder des Beirates.

12.116

VI. Rechtsstellung der Beiratsmitglieder 1. Rechtsverhältnis Die Mitglieder des Beirates begründen durch Bestellung und Annahme des Amtes typischerweise ein Schuldverhältnis zur Gesellschaft.5 Für dieses Schuldverhältnis gelten die einschlägigen Regelungen des Gesetzes, des Gesellschaftsvertrages, etwaige, von den Gesellschaftern erlassene Geschäftsordnungen sowie Beschlüsse der Gesellschafter, die Vorrang vor Entscheidungen des Beirates haben. Auch hier kommen Gesellschaftsvertrag und Satzung wesentliche 1 2 3 4 5

Statt vieler Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 35–37. Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 37, dort Fn. 131. OLG Karlsruhe v. 28.4.2004 – 7 U 62/03, ZIP 2004, 2377 (2378 f.). Mertens/Cahn in Köln.Komm.3, § 112 AktG Rz. 37 ff. Burger in FS Mark K. Binz, 2014, S. 129 (139 f.); BGH v. 4.7.1977 – II ZR 150/75, BGHZ 69, 207; Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 39, der von einem „kooperationsrechtlichen Verhältnis“ schreibt.

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12.117

Kap. 12 Rz. 12.117 | Beirat als Instrument der Unternehmensnachfolge

Bedeutung für den Inhalt des Schuldverhältnisses zu. Bei zweckentsprechender Ausgestaltung des fakultativen Beirates in der Weise, dass der Beirat auf Grundlage von Gesellschaftsvertrag oder Satzung die Geschäftsführung zu überwachen hat, der Gesellschaftsvertrag außerdem eine Vergütung der Tätigkeit der Beiratsmitglieder vorsieht, die die Gesellschaft ausweislich des Gesellschaftsvertrages zu bezahlen hat, ist anzunehmen, dass durch Bestellung und Annahme des Amtes zwischen der Gesellschaft und dem Beiratsmitglied ein Schuldverhältnis i.S.v. § 241 BGB entsteht. Dabei wird es sich entweder um einen Dienstvertrag, eine entgeltliche Geschäftsbesorgung, einen Auftrag oder ein Schuldverhältnis „sui generis“ oder eben auch ein kooperationsrechtliches Verhältnis handeln. Schriftform ist für ein solches Schuldverhältnis nicht erforderlich; bei Familienunternehmen ohnehin unüblich.1 Welche Rechte und Pflichten auf der Grundlage eines solchen Schuldverhältnisses bestehen, richtet sich in allererster Linie nach Satzung oder Gesellschaftsvertrag. Handelt es sich um eine GmbH und findet § 52 Abs. 1 GmbHG direkt oder entsprechend Anwendung, sind die aktienrechtlichen Bestimmungen entsprechend anzuwenden. Diese geben Anhaltspunkte zur Bestimmung der Rechte, Ansprüche, Pflichten und Befugnisse der einzelnen Mitglieder des Beirates oder Aufsichtsrates. Außerhalb des Anwendungsbereichs des § 52 Abs. 1 GmbHG sollte Wert darauf gelegt werden, die Einzelheiten der Ansprüche, Rechte, Pflichten und Befugnisse der Mitglieder eines solchen Gremiums im Gesellschaftsvertrag präzise zu regeln.

2. Weisungsunterworfenheit der Beiratsmitglieder 12.118

Ist in Gesellschaftsvertrag oder Satzung nichts anderes bestimmt, unterliegen die Mitglieder des Beirates bei der Ausübung ihrer Tätigkeit keiner Pflicht, Weisungen Folge zu leisten.2 Dem steht auch nicht entgegen, dass die Gesellschafter einen Beirat bei Einhaltung der dafür vorgesehenen, für die konkrete Gesellschaft geltenden rechtlichen Grundlagen absetzen oder dessen Entscheidungen durch andere, eigene ersetzen können. Dies gilt nach h.M. auch für den Fall, dass die Beiratsmitglieder von einzelnen Gesellschaftern oder Gesellschaftergruppen entsandt sind; auch dann besteht kein Weisungsrecht des entsendenden Gesellschafters gegenüber dem entsandten Beiratsmitglied.3 Im Falle eines Beirates oder fakultativen Aufsichtsrates können Satzung oder Gesellschaftsvertrag der Gesellschaft aber ein Weisungsrecht vorsehen, häufig ein Weisungsrecht des das jeweilige Beiratsmitglied entsandt habenden Gesellschafters. Bei umfassender Weisungsabhängigkeit der Beiratsmitglieder ist im Falle einer GmbH § 52 Abs. 1 GmbHG und sind die Vorschriften des AktG, auf die jener verweist, nicht ohne erheblichen Begründungsaufwand anzuwenden. Denn diese Vorschriften legen nach dem Leitbild der Unternehmensverfassung einer AG der Tätigkeit des Beirates die Annahme zugrunde, dass Mitglieder des Aufsichtsgremiums gerade nicht den Weisungen eines Aktionärs oder der Hauptversammlung unterliegen.

12.119

Auch als Instrument für eine gelungene Nachfolge ist der Beirat nach dabei zu erfüllenden Aufgaben nur dann wirksam, wenn die Mitglieder des Beirates nicht den Weisungen einzelner Gesellschafter oder Gesellschaftergruppen (Familiengesellschafterstämme) unterworfen sind. Ihre Aufgabe, die Geschäftsführung zu überwachen, Defizite an Eignung der Nachfolger aus1 Burger in FS Mark K. Binz, 2014, S. 129 (140). 2 Hoffmann-Becking in Münch. Hdb. GesR5, Band 4, § 33 Rz. 7; Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 39; OVG Sachsen v. 3.7.2012 – 4 B 211/12, GmbHR 2013, 35; Spindler, ZIP 2011, 689 (694 ff.). 3 Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 39; BGH v. 29.1.1962 – II ZR 1/61, BGHZ 36, 296 (306); Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats2, Rz. 822; Koch in Hüffer/ Koch14, § 394 AktG Rz. 27 ff. m.w.N. zum Meinungsstand.

940 | Burger

C. Beirat | Rz. 12.122 Kap. 12

zugleichen, Konflikte unter den Unternehmensnachfolgern und Familiengesellschaftern zu vermeiden und gegebenenfalls zu schlichten, können die Beiratsmitglieder nur dann erfüllen, wenn sie gegenüber den Gesellschaftern eine gewisse Unabhängigkeit in Anspruch nehmen dürfen. Für diese Ausgestaltung eines Beirates im Nachfolgeprozess spricht außerdem, dass sich für das Amt eines Beirates besonders qualifizierte Persönlichkeiten nicht vor den Karren der Partikularinteressen einzelner Gesellschafter oder Gesellschaftergruppen spannen lassen. Solche Persönlichkeiten nehmen ein solches Amt typischerweise nur dann an, wenn sie gegenüber den Gesellschaftern nach Ausgestaltung ihres Amtes durch die Unternehmensverfassung gewisse Unabhängigkeit in Anspruch nehmen dürfen.

3. Vergütung der Beiratsmitglieder Die Mitglieder eines qualifiziert besetzten Beirates mit für das Wohlergehen der Gesellschaft wesentlichen Pflichten und Befugnissen werden für ihre Tätigkeit typischerweise vergütet. Für einen Beirat oder Aufsichtsrat einer GmbH gilt dies mit Blick auf § 113 Abs. 1 AktG, auf den § 52 Abs. 1 GmbHG verweist, i.V.m. § 612 BGB, der daneben für anwendbar erachtet wird, auch dann, wenn die Gesellschafter keine dahingehende ausdrückliche Regelung im Gesellschaftsvertrag oder auf anderer Grundlage, beispielsweise Gesellschafterbeschluss, treffen. Die Praxis sieht allerdings so aus, dass die Frage der Vergütung in der Satzung oder im Gesellschaftsvertrag typischerweise geregelt ist, typischerweise mindestens dahingehend, dass die Gesellschaft den Mitgliedern des Beirates eine angemessene Vergütung bezahlt, die von der Gesellschafterversammlung festgesetzt wird oder aber einem im Gesellschaftsvertrag oder der Satzung in Bezug genommenen Referenzwert entspricht, beispielsweise einer Besoldungsgruppe eines Beamten oder einer Vergütungsgruppe eines Tarifvertrages. Mit Blick auf die Unabhängigkeit der Beiratsmitglieder, erst recht mit Blick darauf, dass die pflichtgemäße Erfüllung der anspruchsvollen Aufgaben eines Beiratsmitgliedes voraussetzt, dass die Mitglieder des Gremiums dafür in besonderer Weise geeignet sind, spricht alles dafür, das Amt eines Beiratsmitgliedes, das des Vorsitzenden des Beirates erst recht, angemessen zu honorieren.

12.120

4. D&O-Versicherung Schließlich sollte mit Blick auf die Haftungsrisiken der Mitglieder des Beirates eine D&O-Versicherung abgeschlossen werden. Diese dient zugleich der Absicherung etwaiger Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegen Mitglieder des Beirates. Weil es sich bei der D&OVersicherung aber nicht um ein standardisiertes Produkt handelt, ist zu empfehlen, besonderes Augenmerk auf die angebotenen Vertragsbedingungen zu richten. Ein Selbstbehalt muss nicht zwingend vereinbart werden. Dies gilt auch für die Mitglieder eines Beirates oder Aufsichtsrates einer GmbH. Denn der Verweis durch § 52 Abs. 1 GmbHG beschränkt sich auf § 93 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 AktG; Satz 3 dieser Vorschrift gilt nur für Vorstandsmitglieder, nicht dagegen für Mitglieder eines Aufsichtsrates oder Beirates.

12.121

5. Haftungsbeschränkungen für Mitglieder des Beirates Häufig wird Mitgliedern eines Beirates eingeräumt, deren Haftung zu beschränken. Dies kann typischerweise dadurch geschehen, dass die Haftung von Beiratsmitgliedern auf vorsätzliche oder grob fahrlässige Verstöße gegen Sorgfaltspflichten beschränkt wird, eventuell kombiniert mit einer Begrenzung der Haftung der Höhe nach oder einer Begrenzung der Haftung auf bestimmte Arten von Schäden.

Burger | 941

12.122

Kap. 12 Rz. 12.123 | Beirat als Instrument der Unternehmensnachfolge

12.123

Von Haftungsbeschränkungen ist abzuraten. Drohende Haftung erhöht die Aufmerksamkeit und Leistungsbereitschaft von Beiratsmitgliedern, die verantwortungsvolle Aufgaben im Nachfolgeprozess übernehmen und dafür gut bezahlt werden sollen. Weil D&O-Versicherungen bis heute nicht einheitlich standardisierte Vertragsbedingungen haben, demgemäß nicht oder nur schwer miteinander vergleichbar sind, ist überdies darauf zu achten, dass Versicherungsschutz nicht dadurch verloren geht, dass mit Mitgliedern des Beirates Haftungsbeschränkungen vereinbart werden.

6. Beraterverträge 12.124

Für die GmbH bestimmt § 52 Abs. 1 GmbHG i.V.m. § 113 AktG und § 134 BGB, dass Beraterverträge zwischen Mitgliedern des Aufsichtsrates oder Beirates (bei entsprechender Anwendung von § 52 Abs. 1 GmbHG) nichtig sind, wenn diese Tätigkeiten zum Gegenstand haben, die der Berater bereits als Mitglied des Beirates oder Aufsichtsgremiums der Gesellschaft ausübt.1

12.125

Verträge zwischen Aufsichts- oder Beiratsmitgliedern einer GmbH und der Gesellschaft außerhalb der Tätigkeit in Aufsichtsrat oder Beirat dürfen gem. § 114 AktG nur mit Zustimmung des Aufsichtsrates abgeschlossen und vergütet werden.2 Aus den §§ 183, 184 BGB folgt, dass die Zustimmung sowohl als Einwilligung, mithin vorherige Zustimmung, als auch als Genehmigung, mithin nachträgliche Zustimmung, erteilt werden kann. Darüber, ob die Bestimmung des § 114 AktG, mittelbar aber auch die des § 113 AktG auf Verträge mit Tochtergesellschaften, Muttergesellschaften oder sonstigen Leistungsverkehr im Konzern anzuwenden ist, gibt es unterschiedliche Ansichten.3 Im Ergebnis ist der Zweck der Bestimmungen der §§ 113, 114 AktG maßgeblich, dem zufolge ungerechtfertigte Sonderleistungen der Gesellschaft an einzelne Aufsichtsrats- oder Beiratsmitglieder nicht gewährt werden sollen, um damit eine unsachliche Beeinflussung dieser Mitglieder durch die Geschäftsführung zu verhindern.4 Auch sollte berücksichtigt werden, dass nach Rechtsprechung die §§ 113, 114 AktG auch dann anzuwenden seien, wenn ein Beratungsvertrag beispielsweise mit einer Anwaltsgesellschaft (GbR) abgeschlossen wird und das Mitglied des Aufsichtsrates Gesellschafter dieser Anwaltsgesellschaft ist.5

12.126

Die entsprechenden Grundsätze sollten auch dann gelten, wenn der Beirat oder Aufsichtsrat nicht in den Anwendungsbereich des § 52 Abs. 1 GmbHG fällt, sei es, weil er bei einer Personenhandelsgesellschaft gebildet ist, sei es, weil Pflichten und Befugnisse eines Beirates die entsprechende Anwendung des § 52 Abs. 1 GmbHG nicht angezeigt erscheinen lassen. In die-

1 BGH v. 26.9.1995 – III ZR 266/95 (Vorinstanz: KG v. 25.9.1995 – 2 U 6753/94), AG 1997, 42; BGH v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127 (133); BGH v. 4.7.1994 – II ZR 197/93, BGHZ 126, 340; BGH v. 3.7.2006 – II ZR 151/04, BGHZ 168, 188; BGH v. 27.4.2009 – II ZR 160/08, GmbHR 2009, 1103; Koch in Hüffer/Koch13, § 113 AktG Rz. 4 f.; Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 40. 2 Statt vieler: Lutter/Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff20, § 52 GmbHG Rz. 74. 3 Statt vieler Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 40 m.w.N. 4 BGH v. 3.7.2006 – II ZR 151/04, ZIP 2006, 1530 (1531); Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 40. 5 BGH v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, ZIP 2007, 1056 (1058); Hanseatisches OLG Hamburg v. 17.1.2007 – 11 U 48/06, ZIP 2007, 814 (816); Hoffmann-Becking in FS K. Schmidt, 2009, S. 657 (662 ff.).

942 | Burger

C. Beirat | Rz. 12.129 Kap. 12

sem Fall ist der Inhalt dieser Vorschriften sinnvollerweise in Gesellschaftsvertrag oder Satzung aufzunehmen; erst recht, wenn das Beiratsgremium im Nachfolgeprozess eingesetzt werden soll. Allerdings sollte dennoch nicht angenommen werden, dass Beirats- oder Aufsichtsratsmitglieder, die die Pflicht haben, die Mitglieder der Geschäftsführung zu überwachen, zugleich die Pflicht haben, diese zu beraten. Überwachung bei vorangegangener oder gleichzeitiger Pflicht zur Beratung ist nicht möglich. Niemand kann in eigener Angelegenheit objektiv richten. Jedes Versagen oder Fehlverhalten der Mitglieder der Geschäftsführung würde bei angenommener Pflicht zur Beratung die Frage aufwerfen, aus welchen Gründen die Mitglieder des Beirates oder Aufsichtsrates ihre Pflicht, die Mitglieder der Geschäftsführung zu beraten, nicht in einer Weise ausgeübt haben, die den Schadenseintritt verhindert hätte. Eine Pflicht zur Beratung der Geschäftsführung durch die Mitglieder des Aufsichtsrates sollte demzufolge – der h.M. zuwider – nicht angenommen werden.

12.127

Dies hindert Mitglieder des Beirates oder Aufsichtsrates freilich nicht daran, bei der Geschäftsführung erkannten Bedarf an Beratung im Rahmen dieser Tätigkeit als freiwillige Aufgabe wahrzunehmen und zu erfüllen. Mit Blick auf die §§ 113, 114 AktG folgt daraus nichts anderes als nach h.M., der zufolge die Aufsichtsratsmitglieder und Beiratsmitglieder eines starken Aufsichtsrates einer GmbH dazu verpflichtet seien, die Geschäftsführung zu beraten. Denn die §§ 113 und 114 AktG verwenden den Begriff der „Tätigkeit“, nicht den der „Pflicht“. Und selbstverständlich entspricht es geübter Praxis, dass Aufsichtsratsmitglieder die Geschäftsführung beraten, nicht als Pflicht, sondern als wahrgenommene freiwillige Aufgabe und Teil ihrer Tätigkeit im Aufsichtsrat. Wollte man noch konsequenter argumentieren, würden sich die Anwendungsbereiche der §§ 113 und 114 AktG zugunsten von § 114 AktG und zu Lasten von § 113 AktG verschieben: Nimmt man an, dass unter dem Begriff der „Tätigkeit“ i.S. dieser Vorschriften nur Pflichten zu verstehen seien (wie nicht), außerdem, dass nicht zu den Pflichten eines Mitgliedes des Aufsichtsrates gehört, die Geschäftsführung zu beraten (wie zutreffend), müsste angenommen werden, dass Beratungsverträge zwischen Mitgliedern des Aufsichtsrates nicht an § 113 AktG scheitern, aber eben der Verpflichtung zur Zustimmung durch den Aufsichtsrat gem. § 114 AktG unterliegen. Eine solche Zustimmung wird in aller Regel nicht erteilt werden können, pflichtgemäßes Verhalten vorausgesetzt, wenn – wie hier – angenommen wird, dass sich Überwachen und Beraten nicht in einer Weise vertragen, dass sie als Pflichten eines Mitgliedes des Aufsichtsrates kombiniert, zugleich und zu den gleichen Gegenständen erfüllt werden können.

12.128

VII. Sorgfaltspflichten und Haftung 1. Grundlagen Hat der Beirat die Pflicht, die Mitglieder der Geschäftsführung zu überwachen, hat der Beirat zugleich die für einen Aufsichtsrat einer AG typische, aus § 111 Abs. 1 AktG folgende Pflicht übernommen. Demzufolge ist es nur folgerichtig, dass § 52 Abs. 1 GmbHG zur Beantwortung der Fragen nach Sorgfaltspflichten und Haftung auch für den fakultativen Aufsichtsrat und seine Mitglieder auf die §§ 116 Satz 1, 93 Abs. 1 AktG verweist; entsprechend für einen mit den Pflichten eines Aufsichtsgremiums ausgestatteten Beirat. Weil es an einer solchen Verweisung für die Personenhandelsgesellschaft fehlt, sollten die Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft besondere Aufmerksamkeit darauf verwenden, die Themen Sorgfaltspflichten und Haftung der Beiratsmitglieder für schuldhaftes Fehlverhalten präzise durch Gesellschaftsvertrag und gegebenenfalls Vereinbarung zwischen der Gesellschaft und den MitBurger | 943

12.129

Kap. 12 Rz. 12.129 | Beirat als Instrument der Unternehmensnachfolge

gliedern des Beirates zu vereinbaren. Auch für die Personenhandelsgesellschaft sollten sich die Gesellschafter am Sorgfalts- und Haftungsregime der §§ 116, 93 AktG orientieren. Auch für die GmbH und einen dort eingerichteten Beirat sollte der Gesellschaftsvertrag diese Vorschriften in Bezug nehmen, wenn Beirat oder Aufsichtsrat wirksame Überwachung der Geschäftsführung gewährleisten sollen. Dies ist die wichtigste Aufgabe eines Beirates als Instrument der Unternehmensnachfolge. Ohne Übertragung dieser Aufgabe und Pflicht ist der Beirat Lametta einer dann allem Anschein nach verfehlten Unternehmensverfassung.

2. Maßstab für Sorgfaltspflichten 12.130

Die Mitglieder eines Beirates oder Aufsichtsrates schulden ordentliche und gewissenhafte Erfüllung ihrer Pflichten. Grundsätzlich ist anerkannt, dass für alle Mitglieder des Aufsichtsrates ein gleicher Pflichtenmaßstab gilt, und zwar im Sinne einer Mindestbefähigung, die dem Beirat als Pflichten zugewiesene Aufgaben zu erfüllen. Zugleich kann für die Antwort auf die Frage, ob ein Mitglied die erforderliche Sorgfalt bei Erfüllung der Aufgaben beachtet hat, in Betracht gezogen werden, welche Funktionen den einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern im Zuge einer arbeitsteiligen Organisation, gegebenenfalls institutionalisiert durch eine Geschäftsordnung, zugewiesen sind. Die wünschenswerte Bündelung von unterschiedlichen Kenntnissen, Qualifikationen und Fähigkeiten im Beirat sollte zugleich dazu führen, dass diese bei der Beantwortung der Fragen nach Pflicht, Pflichtverletzung, Sorgfaltsmaßstab und Verschulden bezogen auf jedes einzelne Beiratsmitglied mitzuberücksichtigen sind. Ist ein Rechtsanwalt Mitglied des Gremiums, wird man bei Beurteilung etwaigen Fehlverhaltens dessen Sorgfaltsmaßstab bei Beurteilung von Rechtsfragen anders setzen dürfen und müssen, als bei einem anderen Mitglied des Beirates, das diese berufliche Qualifikation nicht aufweist. Entsprechendes gilt für Wirtschaftsprüfer und Steuerberater sowie Bankenvertreter im Beiratsgremium. Mitglieder des Beirates können nicht pflichtwidrig gehandelt haben, wenn sich ihr Handeln innerhalb unternehmerischen Ermessens bewegt hat („Business Judgment Rule“).

12.131

Zu den Sorgfaltspflichten eines Mitgliedes eines Beirates, dem die Überwachung der Geschäftsführung obliegt, gehört bei Übernahme des Mandats, sich durch Einsicht in Protokolle, Prüfung der Grundlagen der Gesellschaft, einschließlich der Tätigkeit des Beirates (Geschäftsordnung) über die bisherige Tätigkeit der Geschäftsführung und des Beirates zu informieren. Mit Blick darauf, dass Mitglieder eines Beirates, der die Geschäftsführung überwacht und darüber zu entscheiden hat, ob und in welchem Umfang etwaige Ersatzansprüche gegen die Mitglieder der Geschäftsführung geltend gemacht werden, erstreckt sich der Zeitraum, den es zu prüfen gilt, genau genommen mindestens auf den, der es noch ermöglichen würde, Schadensersatzansprüche geltend zu machen, ohne den Einwand der Verjährung befürchten zu müssen. Die Sorgfaltspflicht eines Beiratsmitgliedes verlangt außerdem genaue Vorbereitung von Sitzungen des Beirates, aktive Teilnahme daran, sowie loyale und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Bei Verdacht von Pflichtverletzungen durch die Geschäftsführung haben die Mitglieder des Beirates unverzüglich aufzuklären und etwa erforderliche Maßnahmen einzuleiten. Über den Verdacht von Pflichtverletzungen durch die zu überwachende Geschäftsführung muss ein Beiratsmitglied das Gremium unverzüglich unterrichten. Mitglieder eines Beirates mit Aufsichtspflichten gegenüber der Geschäftsführung können sich nicht darauf verlassen, dass ihnen im Schadensfall zugutegehalten würde, dieses Amt nur nebenberuflich ausgeübt zu haben. Dies gilt erst recht in einer Krise des Unternehmens. In Krisensituationen muss der Aufsichtsrat alle ihm zur Verfügung stehenden Informationsquellen nutzen und ausschöpfen, ungeachtet des damit verbundenen zeitlichen Aufwandes. Im Falle des Eingreifens eines Insolvenztatbestandes sollte und muss der Beirat darauf hinwirken, dass die Mitglieder der Ge944 | Burger

C. Beirat | Rz. 12.133 Kap. 12

schäftsführung Insolvenzantrag stellen und keine pflichtwidrigen Zahlungen leisten.1 Das Aufstellen eines Zustimmungskatalogs für bedeutsame Geschäfte, die die Geschäftsführung nur nach vorheriger Zustimmung des Beirates abschließen und durchführen darf, gehört ebenfalls zu den Sorgfaltspflichten der Beiratsmitglieder (vgl. bereits Rz. 12.109).

3. Schadensersatz als Rechtsfolge von schuldhaften Pflichtverletzungen Für Mitglieder eines fakultativen Aufsichtsrates oder Beirates, auf den gem. § 52 Abs. 1 GmbHG die Bestimmungen der §§ 116, 93 Abs. 1 und 2 Satz 1 und Satz 2 des AktG entsprechend Anwendung finden, gelten im Falle schuldhafter Pflichtverletzungen, die zu einem Schaden der Gesellschaft geführt haben, die sich aus diesen Vorschriften ergebenden Grundsätze für die Haftung auf Schadensersatz. Auch bei einem Beirat einer Personenhandelsgesellschaft, der die Aufgabe hat, die Mitglieder der Geschäftsführung bei ihrer Tätigkeit zu überwachen, sollten die Beiratsmitglieder in entsprechender Anwendung der genannten Bestimmungen bei schuldhafter Pflichtverletzung, die zum Schaden der Gesellschaft geführt hat, auf Ersatz des eingetretenen Schadens in Anspruch genommen werden können. Dabei sollten die weitreichenden Konsequenzen mitbedacht werden, die sich aus diesen Bestimmungen zur Darlegungs- und Beweislast gem. § 93 Abs. 1 Satz 2 und § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG ergeben: Gemäß § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG liegt keine Pflichtverletzung vor, wenn das Vorstandsmitglied – scil.: Beiratsmitglied – bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Danach hat sich das Beiratsmitglied zu entlasten, wenn durch sein Verhalten Schaden entstanden ist. Es muss darlegen und nachweisen, dass eine Pflichtverletzung nicht vorliege, weil es „vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln“. Dies betrifft die Frage, ob eine Pflichtverletzung vorgelegen hat, die ihrerseits Voraussetzung dafür ist, dass ein Beiratsmitglied auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden kann. Gemäß § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG hat das Beiratsmitglied außerdem Darlegungs- und Beweislast dafür, „die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters (scil.: Beiratsmitgliedes) angewandt“ zu haben. Dies betrifft die Frage des anzuwendenden Sorgfaltsmaßstabes ebenso wie die Frage des „Vertretenmüssens“. Auch dafür gilt bei Annahme von Pflichtverletzung und Schaden mit Blick auf die allgemeine Regel des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast, die das Beiratsmitglied zu tragen hat. Diese Regel würde auch im Falle eines Beirates bei einer Personenhandelsgesellschaft gelten, bei der nicht durch § 52 Abs. 1 GmbHG auf die Vorschriften der §§ 116, 93 AktG verwiesen ist.

12.132

Im Gegensatz zu den Mitgliedern eines Aufsichtsrates einer AG haben die Mitglieder eines fakultativen Aufsichtsrates oder fakultativen starken Beirates nicht für Schäden gesellschaftsfremder Dritter einzustehen.2 Demgemäß haben sie nur für solche Schäden i.S.d. §§ 249 ff. BGB einzustehen, die bei der Gesellschaft selbst entstanden sind.3 Anders als der obligatorische Aufsichtsrat ist der fakultative Aufsichtsrat deswegen nicht im Interesse der Allgemeinheit in die Pflicht genommen und hat keine über seine ihm von der Gesellschafterversammlung übertragenen Aufgaben hinausgehenden öffentlichen Belange zu wahren.4

12.133

1 BGH v. 20.9.2010 – II ZR 78/09, NJW 2011, 221 ff.; Schnorbus in Rowedder6, § 52 GmbHG Rz. 42 bei dortiger Fn. 186. 2 BGH v. 20.9.2010 – II ZR 78/09, NJW 2011, 221 (224). 3 BGH v. 20.9.2010 – II ZR 78/09, NJW 2011, 221 (224); RG v. 19.4.1910 – Rep. II. 400/09, RGZ 73, 392 (393). 4 RG v. 7.6.1939 – II 199/38, RGZ 161, 129 (138 f.).

Burger | 945

Kap. 12 Rz. 12.134 | Beirat als Instrument der Unternehmensnachfolge

4. Verjährung von Schadensersatzansprüchen 12.134

Nicht anzuwenden ist mangels anderweitigen, ausdrücklichen Hinweises dagegen die Erweiterung der Haftung aus § 93 Abs. 3 AktG. Ebenso nicht anzuwenden sind § 93 Abs. 4 und 5 AktG, die die Möglichkeit einschränken, Verzicht und Vergleich abzuschließen. Der Schadensersatzanspruch gegen Beiratsmitglieder verjährt im Anwendungsbereich des § 52 Abs. 1 GmbHG in direkter oder entsprechender Anwendung in 5 Jahren (§ 52 Abs. 4 GmbHG). Der Ersatzanspruch gegen Mitglieder des Beirates einer Personenhandelsgesellschaft dagegen sollte vorsorglich innerhalb der Regelverjährung geltend gemacht werden; nämlich innerhalb von 3 Jahren gerechnet ab Beginn des Endes des Jahres, in dem die zum Schadensersatz verpflichtende Handlung begangen worden ist.1 Auf eine entsprechende Anwendung der längeren Verjährungsfristen des § 52 Abs. 4 GmbHG oder der §§ 93, 116 AktG sollte sich die Gesellschaft bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber Beiratsmitgliedern einer Personenhandelsgesellschaft nicht verlassen.

5. Entlastung 12.135

Gesellschaftsvertrag oder Satzung sollten überdies vorsehen, dass den Mitgliedern des Beirates nach Abschluss der Rechnungslegungsperiode und nach Tätigkeitsbericht des Beirates Entlastung durch Beschluss der Gesellschafter zu gewähren ist. Eine solche Vereinbarung der Gesellschafter untereinander zwingt, für eine Überwachung des Beirates und seiner Mitglieder zu sorgen; auch die Überwacher sollten überwacht werden. Weil § 52 Abs. 1 GmbHG gerade nicht auf § 93 Abs. 4 AktG verweist, hat eine Entlastung gegenüber den Beiratsmitgliedern zudem weitrechende Wirkung; sie hat insbesondere die Wirkung, dass die Tätigkeit der Beiratsmitglieder als ordnungsgemäß anerkannt und auf etwaige Schadensersatzansprüche insoweit verzichtet wird, als die Tatsachen, auf denen Pflichtverletzungen der Beiratsmitglieder beruhen könnten, bekannt waren oder zumindest ohne Fahrlässigkeit hätten bekannt sein müssen. Deshalb ist dieser Beschluss von den Gesellschaftern sorgfältig vorzubereiten; insbesondere, indem sie einen ausführlichen und eingehenden Tätigkeitsbericht des Beirates verlangen. Das sollten die Gesellschafter gerade deshalb fordern, weil sie die Überwachung ihres unternehmerisch gebundenen Vermögens in die Hände eines Beirates legen, den sie typischerweise mit gesellschaftsfremden Personen besetzen.

VIII. Transparenz gem. § 52 Abs. 3 GmbHG 12.136

Die Besetzung eines Aufsichtsrates oder Beirates einer GmbH, der die Funktionen eines Aufsichtsrates ausübt, ist nach § 52 Abs. 3 GmbHG i.V.m. § 37 Abs. 4 Nr. 3 und Nr. 3a AktG publizitätspflichtig. Dies gilt auch für etwaige Änderungen. Die Geschäftsführer müssen die Urkunden über die Bestellung des Aufsichtsrates oder Beirates, einschließlich Abschriften der entsprechenden Gesellschafterbeschlüsse sowie einer Liste der Mitglieder des Beirates oder Aufsichtsrates, aus welcher Name, Vorname, ausgeübter Beruf und Wohnort der Mitglieder ersichtlich sind, dem Handelsregister mitteilen.

1 §§ 195, 199 BGB.

946 | Burger

D. Zusammenfassung | Rz. 12.137 Kap. 12

D. Zusammenfassung Sind die in Aussicht genommenen Unternehmensnachfolger nach Ansicht des Unternehmensinhabers nicht mit sämtlichen persönlichen Eigenschaften, Kenntnissen, Fähigkeiten und beruflichen Qualifikationen gesegnet, die erforderlich sind, unternehmerisch gebundenes Vermögen zu sichern und zu vermehren, Ausüben der Gesellschafterrechte und eventuell zusätzlich durch das Führen der Geschäfte, darf ein Beirat getrost als eines der wirksamsten Mittel und Instrumente einer gelungenen Unternehmensnachfolge angesehen werden. Dies gilt aber nur dann, wenn Aufgaben, Pflichten, Befugnisse, Ansprüche und Beschränkungen des Beirates und seiner Mitglieder sorgfältig geregelt und bestimmt sind. Anderenfalls droht, dass der Unternehmensinhaber seine Nachfolger zugunsten Dritter, nämlich zugunsten des Fremdmanagements und des fremd besetzten Beirates entmachtet. Ein schlecht inszenierter Beirat ist dann Nährboden für Streitigkeiten aller Art.

Burger | 947

12.137

Kapitel 13 Stiftungen als Instrument der Unternehmensnachfolge A. B. I. II. 1. 2. 3. III. 1. 2. 3. IV. V. 1. 2. 3. 4. 5. VI. C. I. II. 1. 2. 3. 4. III. IV. D. I. II.

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Motive für eine Stiftungslösung Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erhalt des Unternehmens Schutz vor Zersplitterung und Zugriff auf das Unternehmensvermögen . . Vermeidung von Liquiditätsentzug Perpetuierung des Unternehmerwillens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absicherung der Familie Familienfrieden . . . . . . . . . . . . . . . . Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unternehmerischer Einfluss . . . . . . Verwirklichung wohltätiger Zwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuerliche Gründe und Gestaltungen Erbschaft- und Schenkungsteuer . . Erwerb gefährdet nicht Vorwegabschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vollverschonung durch Vermeidung von Großerwerben . . . . . . . . . . . . . Steuererlass aufgrund Verschonungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachträgliche Vermögensumschichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formen unternehmensverbundener Stiftungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stiftungszweck Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gemeinnützige Zwecke Steuerlicher Gemeinnützigkeitsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gemeinnützige Zwecke im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kombinationsstiftung (§ 58 Nr. 6 AO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ertragsvorbehalte . . . . . . . . . . . . . . Privatnützige Zwecke, insbesondere Familienstiftungen . . . . . . . . . . . . . Satzungsänderungen . . . . . . . . . . . Errichtung Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitpunkt

948 | Meyer-Sandberg

13.1 13.6 13.8 13.11 13.17 13.19 13.22 13.27 13.30 13.32

1. 2. III. 1. 2. 3. 4. IV. 1. 2. 3. 4. 5. V. 1. 2.

13.34 13.40 13.44 13.51

3.

13.56 13.59 13.63 13.64 13.65 13.68 13.70 13.73 13.75

4. VI. E. I. II. III. IV. 1.

Stiftungsgeschäft von Todes wegen 13.76 Stiftungsgeschäft zu Lebzeiten . . . . 13.79 Organisation Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.82 Kontroll- und/oder Beratungsgremien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.86 Berufung und Abberufung . . . . . . . 13.89 Rechtsstellung Stifter und Destinatäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.92 Vermögen Grundstockvermögen . . . . . . . . . . . 13.96 Unternehmensträgerstiftung . . . . . 13.99 Beteiligungsträgerstiftung . . . . . . . . 13.100 Verbrauchsstiftung . . . . . . . . . . . . . 13.103 Mindestkapital . . . . . . . . . . . . . . . . 13.106 Besteuerung Vermögenübertragungen auf die Stiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.108 Erbschaft- und Schenkungsteuer a) Unentgeltliche Erwerbe . . . . . . 13.109 b) Gemeinnützige Stiftung . . . . . . 13.111 c) Privatnützige Stiftung aa) Steuerbefreiungen und Verschonungsregelungen . . . . 13.114 bb) Steuerklassenprivileg . . . . 13.116 cc) Steuerentstehungszeitpunkt 13.120 Ertragsteuern a) Besteuerung stiller Reserven . . 13.123 b) Betriebe, Teilbetriebe und Mitunternehmeranteile . . . . . . . . . 13.124 c) Anteile an Kapitalgesellschaften 13.127 d) Einzelwirtschaftsgüter . . . . . . . 13.129 e) Sonderausgaben-/Spendenabzug 13.131 Sonstige Steuern . . . . . . . . . . . . . . . 13.134 Anerkennungsverfahren . . . . . . . . 13.136 Laufende Verwaltung Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.139 Vermögenserhalt . . . . . . . . . . . . . . 13.140 Mittelverwendung . . . . . . . . . . . . . 13.143 Besteuerung Stiftung a) Unbeschränkte Steuerpflicht . . 13.149 b) Gemeinnützige Stiftung . . . . . . 13.150 c) Körperschaftsteuer . . . . . . . . . . 13.154 d) Gewerbesteuer . . . . . . . . . . . . . 13.156

A. Einleitung | Rz. 13.1 Kap. 13

2. 3. V. F. I. II. III. IV. G.

e) Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . f) Ersatzerbschaftsteuer . . . . . . . . Stifter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Destinatäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stiftungsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . Auflösung Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ertragsteuern . . . . . . . . . . . . . . . . . Schenkungsteuer . . . . . . . . . . . . . . . Besondere Formen und Gestaltungen

13.157 13.160 13.166 13.167 13.170 13.174 13.176 13.179 13.182

I. II. III. IV. 1. 2.

Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Doppelstiftung . . . . . . . . . . . . . . . . Stiftung & Co. KG . . . . . . . . . . . . . Ausländische Stiftung Vor- und Nachteile . . . . . . . . . . . . . Voraussetzung der steuerlichen Abschirmwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Errichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Laufende Verwaltung . . . . . . . . . . . 5. Auflösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13.185 13.186 13.192 13.196 13.197 13.202 13.204 13.206

Literatur: Beck’sches Steuer- und Bilanzrechtslexikon, online; Buchna/Leichinger/Seeger/Brox, Gemeinnützigkeit im Steuerrecht, 11. Auf. 2015; Bumke/Röthel, Autonomie im Recht, 2017; Berndt/Götz, Stiftung und Unternehmen, 8. Aufl. 2009; von Campenhausen/Richter, Stiftungsrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2014; Feick (Hrsg.), Stiftung als Nachfolgeinstrument, 2015; Götz/Pach-Hanssenheimb, Handbuch der Stiftung, 3. Aufl. 2018; Hof/Bianchini-Hartmann/Richter, Stiftungen, 2. Aufl. 2010; von Holt/ Koch, Stiftungssatzung, 2. Aufl. 2011; Hüttemann/Richter/Weitemeyer, Landesstiftungsrecht, 2011; Kirchhain, Gemeinnützige Familienstiftung, 2006; Meinecke, Stiftungen als Instrument der Unternehmensnachfolge, 2019; Meyn/Richter/Koss/Gollan, Die Stiftung, 3. Aufl. 2013; Otto, Handbuch der Stiftungspraxis, 2. Aufl. 2015; Richter, Stiftungsrecht Handbuch, 2019; Richter/Wachter, Handbuch des internationalen Stiftungsrechts, 2007; Saenger, Das modernisierte Stiftungsrecht und seine Auswirkungen auf unternehmensverbundene Stiftungen und Familienstiftungen, in FS Kollhosser, Bd. II, 2004, S. 591; Schauhoff, Handbuch der Gemeinnützigkeit, 3. Aufl. 2010; Schiffer, Die Stiftung in der Beraterpraxis, 4. Aufl. 2015; Schlüter/Stolte, Stiftungsrecht, 3. Aufl. 2016; Schuck, Die Doppelstiftung, 2009; Stumpf/Suerbaum/Schulte/Pauli, Stiftungsrecht, 3. Aufl. 2018; Werner/Saenger, Die Stiftung, 2008; Wigand/Haase-Theobald/Heuel/Stolte, Stiftungen in der Praxis, 4. Aufl. 2015.

A. Einleitung Fehlen wie häufig geeignete Nachfolger in ein Familienunternehmen und soll das Unternehmen in seinem Bestand erhalten, insbesondere nicht veräußert werden, kommt typischerweise die Übertragung auf eine Stiftung als Unternehmensnachfolgerin in Betracht. Auch wenn die Zahl solcher unternehmensverbundenen Stiftungen mit schätzungsweise ca. 650 Stiftungen überschaubar ist,1 und nur einen Bruchteil der aktuell knapp 23.000 Stiftungen in Deutschland darstellen, regeln immer mehr deutsche Familienunternehmer ihre Unternehmensnachfolge indem sie eine Stiftung errichten. Neben prominenten unternehmensverbundenen Stiftungen wie die Thyssen-Krupp AG, Carl Zeiss AG, Robert Bosch GmbH, Bertelsmann SE und Co. KGaA, Fresenius SE und Co. KGaA und ZF Friedrichshafen AG ist eine zunehmende Zahl mittelständischer Unternehmen als Stiftungsunternehmen organisiert.2 Als Familienstif1 Hans-Böckler-Stiftung Geleitwort zur Untersuchung von Marc Eulerich: Stiftungsverbundene Unternehmen in Deutschland. Grundlagen – Ziele – Ausgestaltung. Erich Schmidt Verlag, Berlin 2016; nach ca. 300 unternehmensverbundenen Stiftungen noch in 2004, Saenger in FS Kollhosser, Bd. II, 2004, S. 591 (595); zum Begriff der unternehmensverbundenen Stiftung vgl. Rz. 13.53. 2 Hüttemann, DB 2017, 591.

Meyer-Sandberg | 949

13.1

Kap. 13 Rz. 13.1 | Stiftungen als Instrument der Unternehmensnachfolge

tung stellt die Stiftung durch satzungsmäßige Zuwendungen an die Familienangehörigen zugleich deren Versorgung auf Dauer sicher.1

13.2

Für Zwecke der Unternehmensnachfolge werden regelmäßig Stiftungen in der Rechtsform selbständiger bzw. rechtsfähiger Stiftungen i.S.v. §§ 80 ff. BGB eingesetzt. Unselbständige bzw. nichtrechtsfähige Stiftungen (sog. Treuhandstiftungen) sind als Instrument der Unternehmensnachfolge weniger geeignet, da ihre dauerhafte Existenz wesentlich von der Person des Treuhänders und dessen ordnungsgemäßer Vermögensverwaltung abhängt. Vor allem aber ist das Vermögen der Stiftung und damit das Unternehmen nicht wie bei der rechtsfähigen selbständigen Stiftung dem Zugriff der Rechtsnachfolger des Stifters geschützt, da die unselbständige Stiftung lediglich auf der schuldrechtlichen Grundlage des Treuhandvertrags beruht, welchen die Beteiligten gemeinschaftlich aufheben können.2 Aus diesem Grund wird nachfolgend, soweit nicht ausdrücklich anders erwähnt, ausschließlich die rechtsfähige selbständige Stiftung i.S.v. §§ 80 ff. BGB als Instrument der Unternehmensnachfolge behandelt.

13.3

Die Errichtung einer Stiftung löst für sich genommen kein bestehendes Nachfolgeproblem im Unternehmen. Ob es sich bei der Stiftung um einen guten Unternehmensnachfolger handelt, hängt letztlich von der Qualifikation ihrer handelnden Organe ab. Sie stellt jedoch durch ihre dauerhafte Bindung an den Stifterwillen zum Zeitpunkt der Errichtung, das Fehlen von Eigentümern, Mitgliedern bzw. Gesellschaftern ein einzigartiges Gestaltungsmittel der Unternehmensnachfolge dar. Die Stiftung ist auch kein Steuersparmodell, kann jedoch im Einzelfall gleichwohl steuerlich attraktiv sein, insbesondere als Gestaltungsmittel vor dem Hintergrund der durch das Steuerreformgesetz 2016 verschärften Voraussetzungen für die erbschaft- und steuerlichen Verschonungsregelungen nach den §§ 13a, b, c und § 28a ErbStG.

13.4

Schließlich ist Voraussetzung für den Einsatz einer Stiftung als Unternehmensnachfolgeinstrument, dass der Unternehmer die sog. Stiftungsreife hat. D.h. er muss den Gedanken akzeptieren, dass er das Eigentum am übertragenen unternehmerischen Vermögen durch die Übergabe an die Stiftung verliert und darüber nicht mehr frei verfügen kann. Die Übertragung ist in der Regel endgültig.

13.5

Nachfolgend soll beleuchtet werden, was den Unternehmer motiviert sein Unternehmen in eine Stiftung einzubringen, welche gesetzlichen Rahmenbedingungen bestehen und welche Rolle dabei das Steuerrecht spielt. Des Weiteren werden die Herausforderungen bei der Gestaltung der Stiftungsverfassung und besondere Formen der Stiftung zur Gestaltung der Unternehmensnachfolge dargestellt.

B. Motive für eine Stiftungslösung I. Allgemeines 13.6

Eine Stiftung wird aus unterschiedlichsten Motiven gegründet. Regelmäßig handelt es sich um ein Motivbündel. Das Motiv der Regelung der Unternehmensnachfolge ist mit ca. 8 % der von den Stiftern angegebenen Motive für die Errichtung einer Stiftung nur eines von vie-

1 Beispiele für bekannte Familienstiftungen Bianchini-Hartmann/Richter in FS P+P Pöllath+Partners, 2008, S. 337. 2 Ihle, RNotZ 2009, 557 (559); Wachter in Richter/Wachter, Handbuch des internationalen Stiftungsrechts, § 22 Rz. 84.

950 | Meyer-Sandberg

B. Motive für eine Stiftungslösung | Rz. 13.10 Kap. 13

len Motiven für die Errichtung einer Stiftung und von diesen ein verhältnismäßig geringer Anteil im Vergleich z.B. zu den vorherrschenden Motiven etwas bewegen, der Gesellschaft etwas zurückgeben und anderen Menschen helfen zu wollen etc.1 Gleichwohl ist die Stiftungserrichtung zur Regelung der Unternehmensnachfolge aufgrund der oft hohen Werte und der mit den Unternehmen verbundenen Arbeitsplätze für den Stiftungssektor von großer Bedeutung2. Ausgangssituation für die Errichtung einer Stiftung zur Regelung der Unternehmensnachfolge ist oftmals, dass es in der Familie des Unternehmers keinen potentiellen Nachfolger in das Unternehmen gibt3. Dies kann daran liegen, dass der Unternehmer kinderlos ist, die Kinder nicht willens sind in das Unternehmen nachzufolgen, weil sie z.B. andere Lebenspläne haben, den hohen Arbeitseinsatz nicht leisten oder die damit verbundene Verantwortung nicht übernehmen wollen, oder Ihnen die nötige Befähigung fehlt. Gleichzeitig will der Unternehmer sein Unternehmen als Lebenswerk und im Interesse seiner Mitarbeiter, die entscheidend zum Erfolg des Unternehmens beitragen, nicht an Dritte verkaufen, sondern erhalten und, bestenfalls nach seiner Vorstellung, fortgeführt wissen4. Andernfalls wäre eine Unternehmensveräußerung die näherliegende Option. Der dauerhafte Erhalt des Unternehmens als Ganzes steht bei den Motiven für die Errichtung einer Stiftung als Unternehmensnachfolgerin regelmäßig im Vordergrund.

13.7

II. Erhalt des Unternehmens 1. Schutz vor Zersplitterung und Zugriff auf das Unternehmensvermögen Die Stiftung ist aufgrund ihrer Eigentümerlosigkeit und zeitlichen Unbegrenztheit ein einzigartiges Vehikel um ein Unternehmen vor einer Zersplitterung und dem Zugriff Dritter zu bewahren.

13.8

Durch die Stiftung als mitgliederlose Eigentümerin des Unternehmens kann eine Erbfolge auf Dauer ausgeschlossen und das Nachfolgeproblem nachhaltig gelöst werden.5 Der Unternehmer kann – ggf. unter dem Zeitdruck die Unternehmensnachfolge regeln zu müssen – mit der Stiftung selbst einen Unternehmensnachfolger kreieren wie er ihn, zumindest aktuell, im Familienkreis nicht sieht.6 Mit einer Stiftung als Gesellschafter wird zudem eine Zersplitterung in Gesellschaftsanteile über Generationen, die zu komplexen Gesellschaftsstrukturen und Erbstreitigkeiten führen kann, vermieden.7

13.9

Zugleich ist das Unternehmen vor feindlichen Übernahmen und Gläubigern der Destinatäre geschützt.8

13.10

1 Bundesverband Deutscher Stiftungen, Stiftungsstudie „Stifterinnen und Stifter in Deutschland: Engagement – Motive – Ansichten, 42 ff. zu den Stiftungsmotiven. 2 Werkmüller, ZEV 2018, 446; Illing in Beck’sches Steuer- und Bilanzrechtslexikon, Stiftung Rz. 1; Lüdicke/Oppel in Lüdicke/Sistermann, Unternehmensteuerrecht2, § 16 Rz. 179; Schiffer/Pruns in Heidel/Hüßtege/Mansel/Noack3, Vorb. zu §§ 80 ff. BGB Rz. 8. 3 Lüdicke/Oppel in Lüdicke/Sistermann, Unternehmensteuerrecht2, § 16 Rz. 180. 4 Lüdicke/Oppel in Lüdicke/Sistermann, Unternehmensteuerrecht2, § 16 Rz. 180. 5 Hüttemann in Gedächtnisschrift Schindhelm, 2010, S. 377; Schwarz, BB 2001, 2381 (2388). 6 Blumers, DStR 2012, 1. 7 Blumers, DStR 2012, 1 (2). 8 Feick/Thon, ZEV 2011, 404, (405); vollstreckt werden kann nur in durchsetzbare Leistungsansprüche der Destinatäre, vgl. Rz. 13.24).

Meyer-Sandberg | 951

Kap. 13 Rz. 13.11 | Stiftungen als Instrument der Unternehmensnachfolge

2. Vermeidung von Liquiditätsentzug 13.11

Der Erhalt des Unternehmens wird auch nicht durch zu zahlende Abfindungen an weichende Erben belastet, die aus wirtschaftlichen Gründen oder weil eine konstruktive Fortführung des Unternehmens mit den Miterben nicht möglich erscheint, ihre Mitgliedschaft kündigen.1 Ein Grund hierfür ist bei Familienunternehmen oft, dass zu den sachlichen Differenzen persönliche hinzutreten und dadurch Lösungen schwieriger und komplexer werden. Die Bindung zum Unternehmen wird in der Generationenfolge und mit fortschreitender Anteilszersplitterung geringer und der Wunsch „Kasse zu machen“ stärker.

13.12

Zu beachten sind jedoch Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche. Die gesetzlichen Erben haben nach § 2303 BGB Anspruch auf einen Pflichtteil in Höhe der Hälfte ihres gesetzlichen Erbteils. Zuwendungen2 aus dem relevanten Vermögen an eine Stiftung in den letzten zehn Jahren vor dem Erbfall führen zu einem Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2324 BGB.3 Da die Ausstattung einer Stiftung eine pflichtteilsergänzungspflichtige Schenkung i.S.v. § 2325 BGB darstellt,4 werden durch die Übertragung des Unternehmens auf eine Stiftung nicht ohne weiteres Pflichtteils- bzw. Pflichtteilsergänzungsansprüche vermieden.

13.13

Allerdings lässt sich der Umfang der Pflichtteilsansprüche bei einer frühzeitigen Übertragung des Unternehmens auf eine Stiftung bereits zu Lebzeiten reduzieren, da Pflichtteilsergänzungsansprüche nach § 2325 Abs. 3 BGB über einen Zeitraum von zehn Jahren, beginnend mit der Vermögensübertragung, ratierlich um 10 % jährlich abgeschmolzen werden.5 Durch die Errichtung der Stiftung und Übertragung des Unternehmens noch zu Lebzeiten auf diese kann durch die Abschmelzungsregelung somit eine Minderung bzw. nach Ablauf von zehn Jahren ein vollständiger Ausschluss von Pflichtteilsansprüchen nach dem Tod des Unternehmers erreicht werden. Dies gilt auch, wenn Destinatär der Stiftung der Ehegatte ist. Eine den Fristanlauf hindernde analoge Anwendung von § 2325 Abs. 3 Halbs. 2 BGB ist abzulehnen.6 Die 10-Jahres-Frist wird nicht ausgelöst, wenn der übertragenen Gegenstand bei wirtschaftlicher Betrachtung das Vermögen des Stifters nicht verlässt.7 Der Stifter muss nicht nur das Eigentum aufgeben, sondern auch, zumindest im Wesentlichen, auf die Nutzung verzichten.8 An dem übertragenen Vermögensgegenstand vorbehaltene Nutzungsrechte können daher dem Anlauf der Frist entgegenstehen.9

1 Demuth, kösdi 2018, 20909. 2 Röthel, ZEV 2008, 112 (113) es kann sich hierbei auch um Zustiftungen oder Spenden oder Zuwendungen, die an bestimmte Auflagen oder Bedingungen geknüpft sind, handeln. 3 BGH v. 10.12.2003 – IV ZR 249/02, ZEV 2004, 115 mit Anm. Kollhosser. 4 BGH v. 14.7.2004 – VIII ZR 164/03, NJW 2004, 1382 ff. = DStR 2003, 14 mit Anm. Kollhosser/ Schiffer S. 16; v. Oertzen/Hosser, ZEV 2010, 168 (171); Richter, ZErb 2005, 134 (137); a.A. Teile der Literatur u.a. Ihle, RNotZ 2009, 557 (569); Werner, ZEV 2007, 560 (561) m.w.N., die allerdings § 2325 BGB analog anwenden. 5 Bis 2009, vor der Geltung von § 2325 Abs. 3 BGB n.F. galt nicht das „Abschmelzungsmodell“, sondern noch ein „Alles-oder-nichts-Prinzip“. 6 Lehmann/Hahn in Feick, Stiftung als Nachfolgeinstrument, § 15 Rz. 12; a.A. Cornelius, ZErb 2006, 230. 7 Vgl. BGH v. 17.9.1986 – IVa ZR 13/85, NJW 1987, 122. 8 BGH v. 27.4.1994 – IV ZR 132/93, NJW 1994, 1791; beim Quotennießbrauch wird eine 50 %Grenze diskutiert, vgl. DNotI-Report 15/2013, 121 (122 f.), eine Quote von „deutlich unter 50 %“ wird empfohlen von Lehmann/Hahn in Feick, Stiftung als Nachfolgeinstrument, § 15 Rz. 18. 9 DNotI-Report 15/2013, 121 (122 f.) insbesondere zu vorbehaltenen Wohnrechten.

952 | Meyer-Sandberg

B. Motive für eine Stiftungslösung | Rz. 13.17 Kap. 13

Erhalten pflichtteilsberechtigte Destinatäre einklagbare Leistungen aus der Stiftung und damit mittelbar aus dem Vermögen des Erblassers, müssen sie sich diese analog § 2327 BGB auf ihren Pflichtteilergänzungsanspruch anrechnen lassen.1 Dies gilt nach § 2307 BGB auch, wenn der Erblasser die Stiftung mit einem Vermächtnis zu Gunsten eines Pflichtteilsberechtigten belastet. Sterben nach dem Tod des Stifters dessen Abkömmlinge, findet das auf die Stiftung übertragene Vermögen keine Berücksichtigung bei der Ermittlung von Pflichtteilsansprüchen der Berechtigten nach dem verstorbenen Abkömmling, da das Vermögen der Stiftung zu keinem Zeitpunkt Bestandteil des Nachlasses des Abkömmlings ist.2

13.14

Insbesondere wenn das Unternehmen, wie häufig bei mittelständischen (Familien-)Unternehmen der Fall, den größten Teil des Vermögens und potentiellen Nachlasses ausmacht, können geltend gemachte Pflichtteilsrechte einen erheblichen Liquiditätsabzug aus dem übertragenen Unternehmensvermögen erforderlich machen und eine starke wirtschaftliche Belastung für das Unternehmen darstellen. Im besten Fall werden daher mit den Erben Pflichtteilsverzichte, gegebenenfalls beschränkt auf das unternehmensgebundene Vermögen, vereinbart.3 Dies ist umso wichtiger als Leistungen der Stiftung an den pflichtteilsberechtigten Destinatär, wenn auf sie kein einklagbarer Anspruch besteht, nicht auf den Pflichtteil angerechnet werden. Anreize für den Erben einen solchen Pflichtteilsverzicht zu erklären können statt oder neben einer Abfindung auch sein, dass der Erbe als Destinatär der Familienstiftung, möglicherweise mit einklagbaren Ansprüchen, eingesetzt wird, ihm ein prestigeträchtiges oder gut dotiertes Amt in der Stiftung übertragen wird oder der Erblasser die Stiftung mit einem Vermächtnis zugunsten des Pflichtteilsberechtigten belastet.

13.15

Ferner ist das eheliche Güterrecht nach § 1375 Abs. 3, § 1378 Abs. 2 BGB und ein möglicher Zugewinnausgleichsanspruch des Ehegatten zu beachten, wenn die Zugewinngemeinschaft nicht entsprechend, z.B. durch Herausnahme des unternehmerischen Vermögens aus dem Zugewinnausgleich, modifiziert worden ist. Nur wenn die Übertragung auf die Stiftung mindestens zehn Jahre vor Beendigung des Güterstandes erfolgt ist oder der Ehegatte mit ihr einverstanden war, wird die Vermögensminderung nach § 1375 Abs. 3 BGB nicht hinzugerechnet und ist das Endvermögen für Zwecke der Berechnung des Zugewinnausgleichsanspruchs reduziert.

13.16

3. Perpetuierung des Unternehmerwillens Der Unternehmer hat mit der Übertragung seiner Unternehmen und unternehmerischen Tätigkeiten auf eine Stiftung die Möglichkeit die Prinzipien der Unternehmensführung im Sinne einer Unternehmensverfassung in der Stiftungssatzung festzulegen. Die Stiftung als Unternehmensnachfolger und ihre Organe sind in ihrem Handeln damit auf die vom Stifter niedergelegten Grundsätze, die im Zweifel sein Lebenswerk geprägt und Pfeiler seines unternehmerischen Erfolgs waren, festgelegt. Soweit die Stiftung als Führungsinstrument des Unternehmens eingesetzt ist, bestimmt der ausscheidende Unternehmer dadurch nachhaltig die künftige Führung des Unternehmens. Übt die Stiftung beherrschenden Einfluss auf mehrere Unter1 BGH v. 10.12.2003 – IV ZR 249/02, ZEV 2004, 115 (117); Rawert/Katschinski, ZEV 1996, 161 (233); Ihle, RNotZ 2009, 557 (569); jegliche Leistungen, auch solche ohne einklagbaren Anspruch, wohl Fischer in Feick, Stiftung als Nachfolgeinstrument, § 6 Rz 44; a.A. O. Werner, ZSt 2005, 83 (84) deutet die Leistungen in Vermächtnisansprüche um und geht entsprechend von einer Anrechnung nach § 2307 BGB aus. 2 Demuth, kösdi 2018, 20909. 3 Ihle, RNotZ 2009, 557 (569).

Meyer-Sandberg | 953

13.17

Kap. 13 Rz. 13.17 | Stiftungen als Instrument der Unternehmensnachfolge

nehmen aus, kann sie auch Konzernspitze i.S.v. §§ 17, 18 AktG sein.1 Eine Änderung der Satzung ist nur in sehr begrenzten Ausnahmefällen möglich (vgl. Rz. 13.73).

13.18

Anders als eine Dauertestamentsvollstreckung zur Unternehmensfortführung, die nach § 2210 BGB auf 30 Jahre begrenzt ist und allenfalls bis zum Tod des Testamentsvollstreckers verlängert werden kann, existiert mit der Stiftung ein „ewiger“ Dauertestamentsvollstrecker. Auch kann eine angeordnete Dauertestamentsvollstreckung durch die Erben im Einvernehmen mit dem Testamentsvollstrecker vorzeitig beendet werden und die Erben damit die Verfügungsmacht über das Unternehmen erhalten. Eine Auflösung der rechtsfähigen Stiftung ist hingegen grundsätzlich nicht möglich. Zudem ist eine Kontrolle der Stiftung durch entsprechende Mechanismen und Organe, wie z.B. einen Beirat möglich, während ein Testamentsvollstrecker grundsätzlich keiner behördlichen oder gerichtlichen Kontrolle unterworfen werden kann. Schließlich stellt auch eine Auflage kein vergleichbar wirksames Mittel dar um den Erblasserwillen in Bezug auf die Fortführung seines Unternehmens zu perpetuieren. Die Erben und Vermächtnisnehmer können sich der Auflage entziehen, indem sie ausschlagen und ggf. den Pflichtteil verlangen.2

III. Absicherung der Familie 1. Familienfrieden 13.19

Als Institution, die keine Gesellschafter hat und quasi sich selbst gehört, ist die Stiftung in besonderer Weise geeignet Streitigkeiten über die Verteilung des Erbes zu vermeiden. Das Vermögen wird durch die Übertragung auf die Stiftung in einem ersten Schritt sämtlichen Familienmitgliedern dauerhaft entzogen um gegebenenfalls in einem zweiten Schritt die Erträge daraus nach der Vorstellung des Stifters gleich bzw. fair auf die Familienmitglieder zu verteilen (s. zur Verteilung Rz. 13.22). Der sukzessive zeitlich gestreckte Vermögenszufluss vermeidet die mit einem großen Vermögensanfall „auf einen Schlag“ oftmals verbundenen negativen Aspekte. Die Substanz bleibt dem Zugriff der Familienmitglieder und Dritter entzogen, dadurch einheitlich und regelmäßig in seiner Ertragskraft erhalten. Streitanfällige Regelungen von Rechtsverhältnissen im Familienverbund, wie Eheverträge, Testamente und Pflichtteilsansprüche sind nicht mehr erforderlich oder werden entschärft.

13.20

Die nachfolgende Generation muss nicht zwingend dem Stifter in das Unternehmen nachfolgen um von der Ertragskraft der Stiftung partizipieren zu können. Sie bleiben frei in ihrer Wahl abhängig von ihren Fähigkeiten und Neigungen Positionen auf Stiftungsebene oder in der Stiftung verbundenen Unternehmen zu übernehmen, wofür sie gegebenenfalls leistungsabhängig vergütet werden. Über Ihre Eignung kann ein von den Familienmitgliedern unabhängiges, kompetent besetztes Gremium der Stiftung (Kuratorium, Beirat etc.) entscheiden, um auch insofern Familienstreit zu vermeiden.

13.21

Die Stiftung fungiert aber auch als Bindeglied der Familienmitglieder und Generationen, insbesondere wenn sie gemeinnützige Zwecke verfolgt. Sie verkörpert dann ein gemeinsames Wertideal das von den Eigeninteressen der Familienmitglieder unabhängig ist. Mit ihr wird eine gemeinsame Identifikation ermöglicht und durch ihre Aktivitäten der Familienzusammenhalt gestärkt.

1 Muscheler, ErbR 2008, 134; Schwintowski, NJW 1991, 2736 mit Beispielen. 2 Ausführlich dazu Reimann, NJW 2005, 789 ff.

954 | Meyer-Sandberg

B. Motive für eine Stiftungslösung | Rz. 13.26 Kap. 13

2. Versorgung Oftmals beabsichtigt der Unternehmer durch den Einsatz einer Stiftung als Unternehmensnachfolgerin Familienmitglieder nachhaltig wirtschaftlich abzusichern. Das Unternehmen als Ertragsquelle bietet diese Möglichkeit. Die Versorgung erfolgt, indem den Familienmitgliedern aus der Stiftung Zuwendungen gewährt, insbesondere Erträge der Stiftung an die Familienmitglieder ausgeschüttet, werden.

13.22

Bei der Ausgestaltung der Leistungsansprüche hat der Stifter einen weiten Handlungsspielraum. Er kann den Kreis der Destinatäre grundsätzlich frei bestimmen und auch sich selbst begünstigen, solange der Zweck der Stiftung nicht ausschließlich die Begünstigung des Stifters ist.1 Der Stifter kann die Art und Weise der Leistungserbringung wie z.B. periodische Fälligkeitstermine festlegen, eine Zweckbindung, z.B. für die schulische, universitäre oder berufliche Ausbildung anordnen und den Umfang der Leistung, z.B. in Abhängigkeit vom Verwandtschaftsgrad, regeln. Erforderlich ist, dass die Satzung oder Stiftungsurkunde objektive Merkmale hinsichtlich des Kreises der infrage kommenden Destinatäre aufstellt und das konkrete Familienmitglied diese sowie die sonstigen Voraussetzungen an denen die Zuwendung geknüpft ist erfüllt. Auch ohne ausdrückliche Satzungsbestimmung kann der Destinatär so genau bestimmt sein, dass den Stiftungsorganen kein Entscheidungsspielraum verbleibt.2

13.23

Die Gewährung der Zuwendungen kann in das Ermessen der Stiftungsorgane gestellt sein. Das Ermessen kann sich darauf beziehen ob überhaupt, ggf. wem und in welcher Höhe eine Zuwendung gewährt wird.3 Mangels eines Anspruchs oder Rechts des Destinatärs besteht damit kein von Gläubigern des Destinatärs pfändbarer Leistungsanspruch gegen die Stiftung. Dadurch werden im Sinne eines umfassenden Vermögensschutzes (asset protection) die Zugriffsmöglichkeiten von Gläubigern der begünstigten Familienmitglieder auch in Bezug auf Versorgungsleistungen aus dem Vermögen bzw. den Erträgen der Stiftung und somit mittelbar des Unternehmens ausgeschlossen.4 Erst wenn der Bestimmungsberechtigte dem Destinatär ein solches Recht zuerkannt hat, besteht insoweit eine pfändbare Rechtsposition.5 Den Familienmitgliedern können aber auch durchsetzbare Leistungsansprüche gegen die Familienstiftung eingeräumt werden.6

13.24

Sofern die Versorgung oder sonstige Begünstigung einer oder mehrerer Familien der einzige oder zumindest der wesentliche Zweck der Stiftung ist, wird von ihr auch als Familienstiftung gesprochen.7

13.25

Eine Versorgung von Familienmitgliedern kann ferner erfolgen, indem der Stifter für bestimmte Positionen in den Stiftungsorganen einen, im Rahmen des angemessenen, Anspruch auf Aufwandsentschädigung regelt und diese Positionen dann Familienmitgliedern zuweist. Ob dies im Einzelfall sinnvoll ist, hängt insbesondere auch davon ab, ob die Stiftung nach

13.26

1 Gordon in Feick, Stiftung als Nachfolgeinstrument, § 29 Rz. 70; Burgard, NZG 2002, 697 (698); vgl. Rz. 13.61. 2 Reuter in MüKo8, § 85 BGB Rz. 30; Rücker, ZEV 2018, 451 (452). 3 Feick/Thon, ZEV 2011, 404 (406). 4 Vgl. zum Motiv der asset protection R. Werner, ZEV 2014, 66; Bisle, DStR 2012, 525; v. Oertzen/ Hosser, ZEV 2010, 168. 5 BGH v. 16.1.1957 – IV ZR 221/56, NJW 1957, 708. 6 Feick/Thon, ZEV 2011, 404 m.w.N. 7 Zur genauen Definition bzw. Abgrenzung vgl. Meincke/Hannes/Holtz17, § 1 ErbStG Rz. 17.

Meyer-Sandberg | 955

Kap. 13 Rz. 13.26 | Stiftungen als Instrument der Unternehmensnachfolge

dem Willen des Stifters nicht gerade dazu dienen soll, das übertragene Unternehmen vor dem Einfluss der Familienmitglieder zu schützen. Es stellt sich daher grundsätzlich die Frage ob der Unternehmer die Stiftung der Familien- oder einer Drittkontrolle unterwerfen will.1

3. Unternehmerischer Einfluss 13.27

Gleichzeitig sieht der Unternehmer in einer Gesellschafterstellung von Familienmitgliedern und der damit verbundenen Möglichkeit zur Einflussnahme auf das Unternehmen jedoch eine Gefahr für das Unternehmen und seine Ertragskraft. Durch die Implementierung der Stiftung als Unternehmensnachfolgerin kann der Familieneinfluss und -zugriff auf das Unternehmen gesteuert bzw. ganz ausgeschlossen und insoweit das Unternehmen unbeeinflusst als Ertragsquelle erhalten werden.

13.28

Die Übertragung des Unternehmens auf die Stiftung muss jedoch nicht zwingend mit dem Entzug der Einflussmöglichkeit der Familienmitglieder einhergehen. Zwar hat die Stiftung keine Mitglieder, so dass Familienangehörige, anders als z.B. bei einer Familiengesellschaft, die Stiftung nicht kündigen, Anteile auf Dritte übertragen und Stimm-, Kontroll- oder auch nur Informationsrechte ausüben können.

13.29

Als Einflussmöglichkeit der Familienmitglieder bietet sich die Besetzung der handelnden Stiftungsorgane ausschließlich mit Familienmitgliedern oder gemischt mit außenstehenden Dritten an.2 Bei einer Stiftung als Unternehmensnachfolgerin kann sich dabei auch die Frage stellen, ob es grundsätzlich besser für das Unternehmen ist, wenn die Unternehmensleitung und -kontrolle, wie bei Familiengesellschaften mit familienfremden Organen, gegenüber persönlichen Gesellschafterinteressen verantwortlich sind oder ausschließlich dem Zweck der Stiftung und dem Willen des Stifters verpflichtet sind.3 Häufiges Motiv des Unternehmers für die Errichtung einer unternehmensverbundenen Stiftung ist es gerade den Familieneinfluss auf das Unternehmen zu vermeiden oder zumindest zu limitieren. Eine Besetzung ausschließlich mit Familienmitgliedern entspricht in dem Fall nicht dem Willen des Stifters. Andererseits kann eine ausschließliche Besetzung mit Familienfremden die Identifikation der Familienmitglieder mit dem Unternehmen, dem Lebenswerk des Stifters, und einen dadurch vermittelten familiären Zusammenhalt und Engagement, insbesondere wenn die Stiftung auch gemeinnützige Zwecke verfolgt, zerstören. Das Interesse der einzelnen Familienmitglieder beschränkt sich dann schnell allein darauf möglichst viele Leistungen aus der Stiftung zu erhalten.4

IV. Verwirklichung wohltätiger Zwecke 13.30

Insbesondere bei Kinderlosigkeit oder fehlender Versorgungsbedürftigkeit von Familienmitgliedern, tritt häufig zu dem Wunsch das Unternehmen zu erhalten, der Wille hinzu, die Erträge des Unternehmens für wohltätige Zwecke zu verwenden.5 In der Stiftungsrealität dominieren altruistische Motive. Entsprechend sind 95 % der aktuell bestehenden rd. 22.800 Stif-

1 Gordon in Feick, Stiftung als Nachfolgeinstrument, § 29 Rz. 122 ff. 2 Zur Besetzung der Stiftungsorgane vgl. v. Oertzen/Reich, DStR 2017, 1118; Werner, ZStV 2019, 7 (12); Schlüter in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht4, § 80 BGB Rz. 57. 3 Richter in Richter, Stiftungsrecht, § 13 Rz. 11. 4 Meinecke, Stiftungen als Instrument zur Unternehmensnachfolge, S. 103, vergleicht die Situation mit dem Verhältnis zur Stiftung mit dem rein professionellen Verhältnis zu einem Bankberater. 5 Ihle, RNotZ 2009, 557.

956 | Meyer-Sandberg

B. Motive für eine Stiftungslösung | Rz. 13.34 Kap. 13

tungen gemeinnützige Stiftungen.1 Motive für Ihre Errichtungen waren insbesondere „Verantwortungsbewusstsein“ und der Wille „der Gesellschaft etwas zurückzugeben“ aber auch das Bedürfnis „etwas zu bewegen“. Regelmäßig handelt es sich um ein Motivbündel bestehend aus den genannten aber auch anderer Motive wie „Mitgefühl für Menschen, denen es nicht so gut geht“, eine „moralische Verpflichtung“ und „ein konkretes Problem lösen zu wollen“.2 Es ist gibt jedoch auch Stifter, die mit der Stiftung zwar vornehmlich gemeinnützige Zwecke verfolgen aber auch die Versorgung ihrer Familienangehörigen sicherstellen wollen. Da die gemeinnützige Stiftung umfangreiche steuerliche Privilegien genießt, welche ihre Rechtfertigung in der gemeinnützigen Tätigkeit findet, ist eine solche Kombination nur eingeschränkt möglich (vgl. Rz. 13.65).

13.31

V. Steuerliche Gründe und Gestaltungen 1. Erbschaft- und Schenkungsteuer Die Stiftung ist grundsätzlich kein „Steuersparmodell“. Die gemeinnützige Stiftung erhält steuerliche Privilegierungen nur, weil und soweit sie die Allgemeinheit, hilfsbedürftigen Personen und Religionsgemeinschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, selbstlos fördert. Eine Begünstigung von z.B. Angehörigen ist ihr nur in sehr beschränktem Umfang möglich.3 Die privatnützige Stiftung, insbesondere die Familienstiftung, unterliegt den allgemeinen Besteuerungsgrundsätzen von Körperschaften, d.h. sie unterliegen mit ihren Erträgen der Körperschaftsteuer und, soweit sie gewerblich tätig ist, der Gewerbesteuer (vgl. Rz. 13.153). Seit der Einführung der Ersatzerbschaftsteuer 1974 wird das Familienvermögen der Familienstiftung alle 30 Jahre, erstmals 1984, zudem der Erbschaftsteuer unterworfen (vgl. Rz. 13.164).

13.32

Im Zusammenhang mit der Unternehmensnachfolge und insbesondere seit der Erbschaftsteuerreform 2016 kann die Stiftung als gemeinnützige Stiftung, Familienstiftung oder in Kombination, besondere erbschaft- und schenkungsteuerliche Vorteile bieten. Dennoch sollten bei der Entscheidung für eine Stiftungslösung weiterhin die, zum Teil vorgenannten, außersteuerlichen Gründe ausschlaggebend sein.4

13.33

2. Erwerb gefährdet nicht Vorwegabschlag Angesichts der seit der Erbschaftsteuerreform 2016 vor allem für mittlere und größere Familienunternehmen spürbaren Verschärfung der Voraussetzungen für eine erbschaft- und schenkungsteuerliche Verschonung gewinnt die Bewertung des unternehmerischen Vermögens weiter an Bedeutung. Problematisch dabei ist, dass bei Familienunternehmen übliche satzungsmäßige Entnahme-, Verfügungs- und Abfindungsbeschränkungen, welche regelmäßig dazu führen, dass der betreffende Gesellschafter den vollen Wert seines Anteils nicht realisieren kann, als bei der Wertermittlung unbeachtliche „persönliche Verhältnisse“ nach § 9 Abs. 2 Satz 3 BewG unberücksichtigt bleiben. Diese allgemeine steuerliche Bewertungsregel blieb 1 Bundesverband Deutscher Stiftungen, Stiftungsstudie: Stifterinnen und Stifter in Deutschland, Engagement – Motive – Ansichten, S. 106. 2 Bundesverband Deutscher Stiftungen, Stiftungsstudie: Stifterinnen und Stifter in Deutschland, Engagement – Motive – Ansichten, S. 45. 3 Zensus/Schmitz, NJW 2012, 1323; Wigand/Haase-Theobald/Heuel/Stolte, Stiftungen in der Praxis4, S. 99. 4 Schimpfky, ZEV 2015, 456 (462).

Meyer-Sandberg | 957

13.34

Kap. 13 Rz. 13.34 | Stiftungen als Instrument der Unternehmensnachfolge

trotz ihrer Problematik im Rahmen der Erbschaftsteuerreform 2016 unverändert. Der Gesetzgeber hat jedoch mit § 13a Abs. 9 ErbStG für solche Fälle erstmals einen „Vorababschlag für Familienunternehmen“ eingeführt, wonach solche Beschränkungen mit einem Wertabschlag von bis zu 30 % auf das erbschaftsteuerlich begünstigte Verwaltungsvermögen kompensiert bzw. Familienunternehmen in besonderer Weise begünstigt werden sollen.

13.35

Voraussetzung für den Vorababschlag ist nach § 13a Abs. 9 Nr. 1–3 ErbStG eine Beschränkung der Entnahme oder Ausschüttung auf höchstens 37,5 % des um die auf den Gewinnanteil oder die Ausschüttung aus der Gesellschaft entfallenden Steuern vom Einkommen gekürzten Betrages des steuerlichen Gewinns sowie eine Reduzierung der Abfindung bei Ausscheiden aus der Gesellschaft auf einen Wert, der unter dem gemeinen Wert der Beteiligung an der Gesellschaft liegt. Als dritte, ebenfalls kumulative Voraussetzung für die Gewährung des Vorwegabschlags ist eine Beschränkung der Verfügung über die Beteiligung auf Mitgesellschafter, Angehörige i.S.d. § 15 AO oder eine Familienstiftung i.S.d. §§ 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG erforderlich. Die tatbestandlichen Voraussetzungen müssen zwei Jahre vor dem Übertragungsstichtag vorgelegen haben und im Zeitraum von 20 Jahren danach eingehalten werden.

13.36

Nicht vom Personenkreis i.S.v. § 13a Abs. 9 Satz. 1 Nr. 2 ErbStG erfasst sind damit Angehörige, die nicht unter § 15 AO fallen, sowie Familiengesellschaften und gemeinnützige Stiftungen. Zwar fallen unter § 19 AO neben Ehegatten und Verwandten gerader Linie auch Geschwister, Kinder der Geschwister und Geschwister der Eltern, jedoch nicht Kinder der Geschwister der Eltern und somit Cousins und Cousinen aller Grade, so dass es bei älteren Familienunternehmen mit einem breiten Gesellschafterkreis bereits in der dritten Generation nicht mehr möglich ist frei an die leiblichen (ehelichen) Abkömmlinge des Unternehmensgründers zu übertragen. Es ist den Gesellschaftern auch nicht möglich ihre Anteile in eine zwischengeschaltete Beteiligungsgesellschaft einzubringen, was jedoch für eine sinnvolle Nachfolgelösung häufig sinnvoll sein könnte. Da eine Übertragung auf eine gemeinnützige Stiftung nicht möglich ist, scheiden auch Doppelstiftungsmodelle für eine Nachfolgeregelung aus, wenn der Vorwegabzug erhalten bleiben soll.1

13.37

Eine Übertragung auf Familienstiftungen führt hingegen nicht zu einer Verletzung der Voraussetzungen für den Vorwegabschlag. Dies gilt nach Auffassung der Finanzverwaltung auch für die Übertragung auf eine ausländische Familienstiftung.2 Nach anderer Auffassung ist eine ausländische Stiftung nicht erfasst.3 Dies ergebe sich aus der Bezugnahme auf § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG wonach eine Stiftung, sofern sie wesentlich im Interesse einer Familie oder bestimmter Familien errichtet ist, der Ersatzerbschaftsteuer unterliegt. Da die Ersatzerbschaftsteuer nur auf inländische Familienstiftungen Anwendung findet, seien folglich ausländische Stiftungen nicht erfasst. Dagegen spricht jedoch, dass sich diese Beschränkung auf inländische Familienstiftungen erst aus § 2 Abs. 1 Nr. 2 Erbschaftsteuer ergibt.4 Es handelt dabei nicht

1 Meincke/Hannes/Holtz17, § 13a ErbStG Rz. 109; Wachter, NZG 2016, 1168 (1172). 2 Oberste Finanzbehörden der Länder v. 22.6.2017 – S 3900-60-V A 6, BStBl. I 2017, 902, A 13a 19 Abs. 2; E 13a.20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Satz 1; Meincke/Hannes/Holtz17, § 13a ErbStG Rz. 109. 3 So noch Hannes, ZEV 2016, 554; Claussen/Thonemann-Micker in Erkis/Thonemann-Micker, BeckOK, § 13a ErbStG Rz. 502; Wachter, NZG 2016, 1168 (1172); ebenso wohl Jülicher in Troll/ Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 13a ErbStG Rz. 484, der eine solche Begrenzung jedoch für EUrechtswidrig hält. 4 Meincke/Hannes/Holtz17, § 13a ErbStG Rz. 107.

958 | Meyer-Sandberg

B. Motive für eine Stiftungslösung | Rz. 13.42 Kap. 13

um eine Rechtsfolge, sondern lediglich um einen Verweis auf die Definition der Familienstiftung aus § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG. Nach dem Gesetzeswortlaut kommt es nicht darauf an wer Begünstigter der Familienstiftung ist. Es wird kein verwandtschaftliches Verhältnis zwischen den Gesellschaftern und dem Begünstigten der Familienstiftungen gefordert. Dadurch ist es möglich, trotz des satzungsmäßig eingeschränkten Erwerberkreises ein bereits auf die nächste Generation übertragenes Familienunternehmen für das der Vorwegabzug in Anspruch genommen worden ist, auch innerhalb der langen Satzungsbindungsperiode von zwei Jahren vor und 20 Jahren nach dem Erbfall mittels einer Familienstiftung als Erwerbsvehikel auf Dritte zu übertragen, ohne dass der Vorwegabzug dadurch entfällt.

13.38

Beispiel: Unternehmer U hat 2016 nach Einführung des Vorwegabschlags die Satzung entsprechend angepasst und nach Ablauf von zwei Jahren in 2018 die Unternehmensanteile auf seinen Sohn und seine Tochter unter Inanspruchnahme des Vorwegabzugs und der Regelverschonung übertragen. Nach Ablauf der fünfjährigen Nachbehaltensfrist beabsichtigt die Tochter ihre Anteile u.a. wegen erheblicher Differenzen mit ihrem Bruder zu veräußern. Der einzige Interessent gehört nicht zum Erwerberkreis des § 13 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 ErbStG. In Betracht kommen kann jedoch der Erwerb durch eine vorhandene oder zu errichtende Familienstiftung, die den potentiellen Erwerber und/oder seine Familie begünstigt.

13.39

3. Vollverschonung durch Vermeidung von Großerwerben Nachdem das BVerfG in seiner Entscheidung vom 17.12.2014 u.a. beanstandet hatte, dass die Verschonungsregelungen eine nicht gerechtfertigte Privilegierung darstellen, insoweit als sie über den Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen hinausgehen ohne eine Bedürfnisprüfung vorzunehmen, hat der Gesetzgeber im Rahmen des Erbschaftssteuerreformgesetzes 2016 reagiert und gewährt nach § 13a Abs. 1 Satz 1 ErbStG grundsätzlich keinen Verschonungsabschlag, wenn das erworbene begünstigte Vermögen die Grenze von 26 Mio. Euro überschreitet (sog. Großerwerbe).

13.40

Übersteigt der Wert des erworbenen begünstigten Vermögens nicht den Betrag von 90 Mio. Euro, und kommt alternativ nicht die Verschonungsbedarfsprüfung nach § 28a ErbStG in Betracht,1 kann der Erwerber auf Antrag lediglich das Abschmelzungsmodell nach § 13c Abs. 1 ErbStG wählen. Beim Abschmelzungsmodell verringert sich der Verschonungsabschlag von 85 % bzw. 100 % um jeweils 1 %-Punkt für jede vollen 750.000 Euro. Bei einem Erwerb von 90 Mio. Euro ist der Verschonungsabschlag auf 0 % abgeschmolzen.2

13.41

Zur Berechnung der 26 Mio. Euro Grenze werden nach § 13c Abs. 2 Satz 2 ErbStG Erwerbe begünstigten Vermögens von derselben Person innerhalb von zehn Jahren zusammengerechnet.3 Nach herrschender Ansicht gilt dies auch für Erwerbe vor dem 1.7.2016.4 Da es sich

13.42

1 Watrin/Linnemann, DStR 2017, 569 ff. 2 Rechnerisch bei der Regelverschonung bereits ab 89,75 Mio. €, vgl. Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 13c ErbStG Rz. 7. 3 Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 28a ErbStG Rz. 68; Zipfel/Lahme, DStZ 2016, 565 (570 ff.); Wachter, FR 2017, 130 (136). 4 A 13a.2 II 3 ff. AEErbSt 2017; Oppel, SteuK 2016, 469 (477); Meincke/Hannes/Holtz17, § 13a ErbStG Rz. 27; a.A. Reich, DStR 2016, 2447 (2449); Viskorf/Löcherbach/Jehle, DStR 2016, 2425 (2431).

Meyer-Sandberg | 959

Kap. 13 Rz. 13.42 | Stiftungen als Instrument der Unternehmensnachfolge

um eine erwerber- und zeitraumbezogene Grenze handelt, lässt sich das Überschreiten der Schwelle bei der Übertragung von großem Unternehmensvermögen durch eine sukzessive Übertragung alle zehn Jahre jeweils innerhalb der 26 Mio. Euro Grenze vermeiden. Auch lässt sich die 26 Mio. Euro Grenze vervielfältigen indem auf mehrere Erwerber übertragen wird. Nicht immer reicht der Zeithorizont dafür aus oder sind ausreichend potentielle Erwerber vorhanden. In einem solchen Fall kann eine selbstständige Stiftung als ein vom Unternehmer selbst geschaffener weiterer Erwerber geeignet sein um weitere 26 Mio. Euro unternehmerisches Vermögen unter Inanspruchnahme der ungeschmälerten Verschonung zu übertragen. Beispiel:

13.43

Der Unternehmer U hat ein Kind und hält 100 % Prozent der Anteile an einer Kapitalgesellschaft mit begünstigtem Vermögen im Wert von 50 Mio. Euro. U überträgt 50 % der Anteile mit einem Wert von 25 Mio. Euro auf sein Kind und die anderen 50 % auf eine Familienstiftung. Beide können die Verschonung vollumfänglich in Anspruch nehmen, da die Grenze von 26 Mio. Euro pro Erwerber nicht überschritten ist.

4. Steuererlass aufgrund Verschonungsbedarf 13.44

Alternativ zum Abschmelzungsmodell kann der Erwerber bei einem Großerwerb, also einem Erwerb von begünstigtem Vermögen von mehr als 26 Mio. Euro, statt dem Abschmelzungsmodell den Erlass der Erbschaft- bzw. Schenkungssteuer beantragen. Gegebenenfalls ist dem Antragsteller die Steuer nach § 28a Abs. 1 Satz 1 ErbStG zu erlassen soweit er nachweist, dass er persönlich nicht in der Lage ist, die Steuer aus seinem verfügbaren Vermögen zu begleichen (sog. Verschonungsbedarfsprüfung). Verfügbares Vermögen ist nach § 28 Abs. 2 ErbStG die Hälfte sowohl des mit der Erbschaft erworbene als auch bereits ihm gehörenden nicht begünstigten Vermögens. Anders als das Abschmelzungsmodell findet das Erlassmodell unabhängig von der Höhe des begünstigten Vermögens Anwendung. Die Verschonungsbedarfsprüfung ist somit für begünstigtes Vermögen über einem Wert von 90 Mio. Euro grundsätzlich der einzige Weg, eine Erbschaftsteuerbelastung zu vermeiden und auch beim Erwerb von begünstigtem Vermögen von weniger als 90 Mio. Euro in vielen Fällen attraktiver als das Abschmelzungsmodell.1 Beispiel:

13.45

Der Unternehmer U überträgt sein Unternehmen mit ausschließlich begünstigtem Vermögen von 50 Mio. Euro im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auf sein Kind K. K besitzt eigenes nicht begünstigtes Vermögen von 4 Mio. Euro. Wählt K das Abschmelzungsmodell, reduziert sich im Fall der Optionsverschonung der Verschonungsabschlag i.H.v. 100 % um 32 %. Es entsteht auf eine Bemessungsgrundlage von 16 Mio. Euro und bei einem Steuersatz nach § 19 ErbStG von 27 % eine Schenkungsteuerbelastung von 4,32 Mio. Euro. Wählt K das Erlassmodell, entsteht auf eine Bemessungsgrundlage von 50 Mio. Euro und bei einem Steuersatz nach § 19 ErbStG von 30 % zwar eine Schenkungsteuer von 15 Mio. Euro, da das verfügbare Vermögen von K jedoch lediglich 2 Mio. Euro beträgt werden 13 Mio. Euro aufschiebend bedingt auf den weiteren Erwerb nichtbegünstigten Vermögens erlassen.

13.46

Allerdings hat der Erwerber beim Erlassmodell anders als beim Abschmelzungsmodell seine Vermögensverhältnisse umfassend gegenüber dem Finanzamt offenzulegen um nachzuweisen, dass kein hinreichendes verfügbares Vermögen vorhanden ist. Nicht angegebenes verfügbares Vermögen kann eine Steuerhinterziehung oder zumindest leichtfertige Steuerverkür-

1 Erkis, DStR 2016, 1441 (1445).

960 | Meyer-Sandberg

B. Motive für eine Stiftungslösung | Rz. 13.50 Kap. 13

zung begründen. Der gewährte Erlass steht zudem u.a. unter der auflösenden Bedingung, dass der Erwerber innerhalb von zehn Jahren nach der Erbschaft bzw. Schenkung nicht begünstigtes Vermögen durch Erbfolge oder Schenkung, unabhängig von wem und in welcher Höhe,1 erwirbt. Der Erwerber kann jedoch erneut einen Erlassantrag stellen bei dem dann das neu hinzuerworbene nicht begünstigte Vermögen zur Hälfte ebenfalls als verfügbares Vermögen berücksichtigt wird. Im Ergebnis führt dies dazu, dass auch innerhalb von zehn Jahren nach der Erbschaft bzw. Schenkung des begünstigten Vermögens erworbenes nicht begünstigtes Vermögen zur Hälfte noch für die aufschiebend bedingt erlassene Steuerzahlung eingesetzt werden muss. Beispiel: Innerhalb von zehn Jahren nachdem der Unternehmer U sein Unternehmen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auf sein Kind K übertragen hat, verstirbt U und vererbt K sein nicht begünstigtes Privatvermögen von 10 Mio. Euro. K muss 5 Mio. Euro Schenkungsteuer auf den Erwerb des Unternehmens nachzahlen und weitere 2,3 Mio. Euro Erbschaftsteuer auf den Erwerb des Privatvermögens, so dass ihm lediglich 3,7 Mio. Euro verbleiben.

13.47

Um in den vollen Genuss des Erlassmodells zu kommen, sollte das begünstigte von dem nichtbegünstigten Vermögen separiert werden. Um dies zu erreichen, bietet es sich an das Unternehmen auf eine Stiftung ohne oder mit nur geringem nicht begünstigtem Vermögen, zu übertragen, die für ihren Erwerb einen Schenkungssteuererlass beantragt. Auch selbständige Stiftungen, insbesondere Familienstiftungen sind erlassberechtigt nach § 28a ErbStG.2 Dies hat auch den Vorteil, dass bei einer Stiftung regelmäßig ein Erwerb von Privatvermögen im Erb- oder Vermächtniswege, das dann zur Hälfte für einen früheren Erwerb zur Erbschaftoder Schenkungssteuerzahlung herangezogen würde, regelmäßig ausgeschlossen werden kann.

13.48

Beispiel: Unternehmer U überträgt sein Unternehmen mit begünstigtem Vermögen von 50 Mio. Euro auf eine von ihm errichtete Familienstiftung und sein nicht begünstigtes Privatvermögen von 10 Mio. Euro auf sein Kind K. Hat die Stiftung nicht begünstigten Vermögen von z.B. lediglich 100.000 Euro, kann sie einen Erlass beantragen und muss lediglich 50.000 Euro Schenkungsteuer zahlen.

13.49

Umgekehrt ist eine Separierung auch dergestalt denkbar, dass auf die Stiftung ausschließlich das nicht begünstigte Privatvermögen übertragen wird und auf den gewünschten Nachfolger das Unternehmen. In dem Fall sollte gewährleistet sein, dass der Nachfolger im Zeitpunkt des Unternehmenserwerbs kein signifikantes nicht begünstigtes Vermögen besitzt oder innerhalb der nachfolgenden zehn Jahre erwirbt. Gegebenenfalls könnte der Nachfolger sich von vorhandenem nicht begünstigtem Vermögen trennen, indem er es zuvor, z.B. ebenfalls auf die Familienstiftung oder im Rahmen einer Güterstandsschaukel auf seine Ehefrau, überträgt. Der Unternehmer könnte sein Privatvermögen testamentarisch für den Fall, dass er innerhalb von zehn Jahren nach der Unternehmensübertragung verstirbt, z.B. der Familienstiftung vermachen um zu vermeiden, dass eine Nachbelastung des Nachfolgers als Erbe des Privatvermögens erfolgt.3

13.50

1 Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 28 ErbStG Rz. 28; Maier, ZEV 2017, 10 (17). 2 FM NRW v. 22.6.2017 – S 3900-60-V A 6, BStBl. I 2017, 902, Abschn. 28.a.6 Satz 3. 3 Blusz, DStR 2017, 1016 (1017).

Meyer-Sandberg | 961

Kap. 13 Rz. 13.51 | Stiftungen als Instrument der Unternehmensnachfolge

5. Nachträgliche Vermögensumschichtungen 13.51

Der Tod des Erblassers tritt oftmals unvermittelt ein. Mit dem Tod des Erblassers entsteht nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG die Erbschaftsteuer. Eine erbschaftssteuerliche Gestaltung ist dann rückwirkend nicht mehr möglich. Der Erwerb von Todes wegen lässt insofern wenig Raum um durch gezielte, kurzfristige Gestaltungsmaßnahmen im Vorfeld die Erbschaftsteuerbelastung zu reduzieren oder gar zu vermeiden. Auch unter steuerlichen Gesichtspunkten ist daher eine vorausschauende Erbschaftsteuerplanung mit Vermögensübertragungen bereits zu Lebzeiten im Wege der vorweggenommenen Erbfolge vorzuziehen.

13.52

Abweichend von dem Grundsatz, dass die Erbschaftsteuer mit dem Todeszeitpunkt des Erblassers entsteht, entsteht die Erbschaftsteuer bei einem Erwerb durch eine von Todes wegen zu errichtende Stiftung nach § 9 Abs. 1 Nr. 1c ErbStG i.V.m. § 11 ErbStG erst im Zeitpunkt der zivilrechtlichen Anerkennung der Stiftung. Entsprechend sind Wertveränderungen zwischen Todesfall des Erblassers und Anerkennung der Stiftung in die Besteuerung der Stiftung einzubeziehen.1

13.53

Fraglich ist inwieweit dieser Interimszeitraum genutzt werden kann um das Vermögen des Erblassers nach dessen Tod unter erbschaftsteuerlichen Gesichtspunkten noch zu optimieren. Insofern ist zu differenzieren hinsichtlich der grundsätzlichen Begünstigungsfähigkeit und der Qualifikation als begünstigtes Vermögen in Abgrenzung zum nichtbegünstigten Verwaltungsvermögen des Nachlasses.

13.54

Die Begünstigungsfähigkeit setzt voraus, dass der Erblasser bereits begünstigungsfähiges Vermögen hinterlässt und dieses auch beim Erwerber begünstigungsfähiges Vermögen darstellt.2 Es ist daher nicht möglich, dass z.B. der Testamentsvollstrecker durch Hinzuerwerb von Anteilen die Beteiligung des Erblassers von 20 % durch den zwischenzeitlichen Hinzuerwerb weiterer 6 % Anteile in eine steuerlich begünstigte Beteiligung umwandelt. Eine Ausnahme stellt die Umwandlung einer Drittstaaten-Kapitalgesellschaftsbeteiligung dar, welche nach § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG nicht begünstigungsfähig ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob es sich um eine Drittstaaten-Kapitalgesellschaft handelt, ist nach § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG explizit der Zeitpunkt der Steuerentstehung nach § 9 ErbStG, so dass durch Verlegung von Sitz und Ort der Geschäftsleitung nach Deutschland oder in einen EU-Staat die Begünstigungsfähigkeit noch im Interimszeitraum hergestellt werden kann.

13.55

Im Übrigen ist für die erbschaft- und schenkungsteuerrechtliche Beurteilung der Steuerentstehungszeitpunkt nach § 9 ErbStG und im Speziellen § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c ErbStG beim Erwerb durch eine von Todes wegen zu errichtende Stiftung der Zeitpunkt der Anerkennung der Stiftung maßgeblich. Dies gilt u.a. für den Stichtag für die Wertermittlung nach § 11 ErbStG, des normalen Verwaltungsvermögenstests nach § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG und des besonderen Verwaltungsvermögenstests nach § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG. Es besteht somit die Möglichkeit zwischen dem Todesfall unter Anerkennung der Stiftung nicht begünstigtes Verwaltungsvermögen aus dem Unternehmen zu entnehmen bzw. auszuschütten oder zu verkaufen und gegebenenfalls in begünstigtes Vermögen umzuwandeln. Wenn sich im erworbenen begünstigungsfähigem Vermögen z.B. die Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft von nicht mehr als 25 % befindet, lässt sich durch Abschluss eines Poolvertrages mit den Mitgesellschaftern der Kapitalgesellschaft die Beteiligung in begünstigtes Vermögen umstruktu1 BFH v. 25.10.1995 – II R 20/92, BStBl. II 1996, 99; H E 9.3. ErbStR. 2 BFH v. 14.2.2007 – II R 69/05, BStBl. II 2007, 443; FM NRW v. 22.6.2017 – S 3900-60-V A 6, BStBl. I, 902, Abschnitt 13b.12 Abs. 2 Satz 4.

962 | Meyer-Sandberg

C. Stiftungszweck | Rz. 13.59 Kap. 13

rieren.1 Da auch die Nachbehaltensfrist nach § 13a Abs. 6 ErbStG erst mit der Anerkennung der Stiftung beginnt, führen solche Umstrukturierungen im Interimszeitraum auch nicht zu einer Verletzung der Nachweisfrist. Darüber hinaus ist der Zeitpunkt der Anerkennung der Stiftung auch maßgeblich für den Beginn des zweijährigen Investitionszeitraums nach § 13b Abs. 5 ErbStG, die Ermittlung des Zehn-Jahres-Zeitraum bei der Zusammenrechnung mehrerer Erwerbe nach § 14 ErbStG etc.2

VI. Formen unternehmensverbundener Stiftungen Hinsichtlich der Verbindung von Unternehmen und Stiftung kann unterschieden werden zwischen Stiftungen, die selbst ein Unternehmen betreiben (Unternehmensträgerstiftung) und Stiftungen die Beteiligungen an Personen- oder Kapitalgesellschaften halten (Beteiligungsträgerstiftung) oder als oberstes Organ für die Verwaltung eines Konzerns fungieren (Holdingstiftung). Die Unternehmensträgerstiftung ist praktisch nicht relevant, da sich die Stiftung zum Betrieb eines Unternehmens zu starr und unflexibel herausgestellt hat, weshalb auch die Carl-Zeiss-Stiftung als bekanntestes Beispiel in 2004 in eine Beteiligungsträger umgewandelt wurde.3

13.56

Von diesen unternehmensverbundenen Stiftungen zu unterscheiden sind die mitunter ebenfalls unter dem Oberbegriff der Unternehmensstiftung genannten Stiftungen, die von Unternehmen errichtet und ausgestattet sind und gemeinnützige Aufgaben wahrnehmen im Sinne einer Corporate Social Responsibility, die selbst aber kein Unternehmen betreiben und auch keine Beteiligungen an dem Unternehmen halten.4

13.57

Die Begriffe der Unternehmensträgerstiftung, Beteiligungsträgerstiftung und Holdingstiftung sind indes ohne normative Relevanz, da es keine gesetzliche Regelung gibt, die an sie anknüpft.5

13.58

C. Stiftungszweck I. Allgemeines Die Stiftung unterscheidet sich von anderen juristischen Personen durch ihren Stiftungszweck als konstitutives Merkmal.6 Dieser muss bereits im Stiftungsgeschäft enthalten sein und stellt gleichsam das „Herzstück“ der Stiftung dar.7 Die Stiftung existiert nur um der Zweckerfüllung willen. Die Existenz und der Zweck der Stiftung stehen nicht zur freien Disposition der Stiftungsorgane.8 Der Stiftungszweck ist damit ein statisches Element und Ausdruck des stiftungsrechtlichen Erstarrungsprinzips.9 Auch der Stifter selbst ist an seinen im Stiftungs-

1 v. Oertzen/Reich, BB 2018, 1367 (1368). 2 Fumi in v. Oertzen/Loose, § 9 ErbStG Rz. 9; Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 9 ErbStG Rz. 3. 3 Weitemeyer in MüKo8, § 80 BGB Rz. 147. 4 Hoffmann-Becking, ZHR 2014, 491 (492). 5 Hüttemann/Harvard in Staudinger, Vorbem. zu §§ 80 ff. BGB Rz. 132. 6 Neuhoff in Soergel13, vor § 80 BGB Rz. 10. 7 Hof in Seifart/v. Campenhausen, Stiftungsrechts-Handbuch3, § 8 Rz. 42. 8 Fischer in Feick, Stiftung als Nachfolgeinstrument, § 7 Rz. 9. 9 Weitemeyer in Bumke/Röthel, Autonomie im Recht, S. 201.

Meyer-Sandberg | 963

13.59

Kap. 13 Rz. 13.59 | Stiftungen als Instrument der Unternehmensnachfolge

geschäft mit dem Stiftungszweck manifestierten historischen Willen gebunden. Eine Änderung des Stiftungszwecks ist nur unter sehr engen Voraussetzungen möglich (vgl. zur Satzungsänderung Rz. 13.73).

13.60

Eine Stiftung kann zu jedem Zweck errichten werden, der nach § 80 Abs. 2 BGB das Gemeinwohl nicht gefährdet. Leitbild ist die gemeinwohlkonforme Allzweckstiftung, so dass sämtliche Stiftungstypen, wie z.B. auch familien- und unternehmensverbundene Stiftungen gesetzlich erlaubt sind, solange sie im Einklang mit dem Gemeinwohl stehen.1 Der Stiftungszweck muss dabei auf (gewisse) Dauer angelegt sein, was aber nicht mit Ewigkeit gleichzusetzen ist.2 Die Stiftung kann mehrere Zwecke haben, die auch nicht in einem inhaltlichen Zusammenhang stehen müssen. Die Aufnahme mehrere Zwecke erweitert den Handlungsspielraum der Stiftungsorgane. Der Stifter kann dabei festlegen, unter welchen Voraussetzungen oder in welcher Reihenfolge die Stiftungszwecke verwirklicht werden sollen, z.B. nach Maßgabe der zur Verfügung stehenden Mittel.3 Bei steuerbegünstigten gemeinnützigen Stiftungen folgt aus § 63 AO, dass sämtliche satzungsmäßige Zwecke auch tatsächliche verfolgt werden müssen, weshalb grundsätzlich keine „Vorratszwecke“ aufgenommen werden dürfen.4

13.61

Nicht zulässig ist die sog. Selbstzweckstiftung, also eine Stiftung, deren einziger Zweck in der Verwaltung und Perpetuierung eigenen Vermögens besteht.5 Das Vermögen darf lediglich Dotationsquelle zur Erfüllung des Stiftungszwecks sein. Als Unterfall der Selbstzweckstiftung nicht zulässig ist daher eine Unternehmensselbstzweckstiftung, deren Stiftungszweck ausschließlich auf die Erhaltung und Förderung eines Unternehmens gerichtet ist.6 Die Stiftung muss zudem auch einen uneigennützigen Charakter haben, so dass auch eine Stiftung mit dem ausschließlichen Zweck einer Begünstigung des Stifters („Stiftung für den Stifter“) unzulässig ist.7

13.62

In der Stiftungssatzung wird typischerweise zwischen dem eigentlichen Stiftungszweck und den Zweckverwirklichungsmaßnahmen differenziert. Auch die für gemeinnützige Stiftungen vorgeschriebene Mustersatzung in der Anl. 1 zu § 60 AO differenziert entsprechend indem es darin heißt: „Zweck der Körperschaft ist ... (z.B. die Förderung von Wissenschaft und Forschung ...). Der Satzungszweck wird verwirklicht insbesondere durch ... (z.B. Durchführung wissenschaftlicher Veranstaltungen und Forschungsvorhaben, Vergabe von Forschungsaufträgen ...).“ Ähnlich wie bei den Satzungszwecken sollte der Handlungsspielraum der Stiftungsorgane auch bzgl. der Zweckverwirklichung nicht unnötig einschränkt werden, was hinsichtlich der Zweckverwirklichung durch eine nicht abschließende Aufzählung der Zweckverwirklichungsmaßnahmen erreicht werden kann.

1 Dies gilt jedenfalls seit der Reform des Stiftung Privatrechts im Jahre 2002, vgl. Gesetz zur Modernisierung des Stiftungsrechts v. 11.4.2002, BT-Drucks. 14/8765, 9 f.; ausführlich zur Anerkennungsfähigkeit s. Rz. 13.70. 2 Zulässig ist auch eine Verbrauchsstiftung, s. Rz. 13.104. 3 Meyn in Meyn/Richter/Koss/Gollan, Die Stiftung3, Rz. 146. 4 Fischer in Feick, Stiftung als Nachfolgeinstrument, § 7 Rz. 13 f. (zur Unzulässigkeit im Fall, dass diese an bestimmte Bedingungen geknüpft werden mit Formulierungsbeispiel). 5 Rawert in Staudinger, § 80 BGB Rz. 9; Hüttemann, ZHR 2003, 35 (58); Schiffer/Pruns, ZStV 2012, 1; Bundesministerium der Justiz, Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Stiftungsrecht v. 19.10.2001, S. 38. 6 Schiffer/Pruns, ZStV 2012, 1; Hüttemann/Rawert in Staudinger, Vorbem. zu §§ 80 ff. BGB Rz. 273. 7 Str., ausführlich: Werner in Erman15, § 80 BGB Rz. 25 m.w.N.

964 | Meyer-Sandberg

C. Stiftungszweck | Rz. 13.66 Kap. 13

II. Gemeinnützige Zwecke 1. Steuerlicher Gemeinnützigkeitsbegriff Die Gemeinnützigkeit ist ein Tatbestand des Steuerrechts, dessen Voraussetzungen in den §§ 51–68 der Abgabenordnung geregelt sind und an den weitreichende Steuerbegünstigungen geknüpft sind. Der Begriff der Gemeinnützigkeit umfasst neben den gemeinnützigen Zwecken im engeren Sinne nach § 52 AO auch die ebenfalls zur Steuerbefreiung führenden mildtätigen und kirchlichen Zwecke i.S.v. §§ 53, 54 AO. Gemeinnützige Zwecke im engeren Sinne sind darauf gerichtet, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet zu fördern, mildtätige Zwecke hingegen darauf hilfsbedürftige Personen zu unterstützen und kirchliche Zwecke darauf eine Religionsgemeinschaft, die Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, zu fördern. In allen Fällen müssen die Zwecke grundsätzlich selbstlos nach § 55 AO, ausschließlich nach § 56 AO und unmittelbar nach § 57 AO verfolgt werden.

13.63

2. Gemeinnützige Zwecke im engeren Sinne Der Gesetzgeber hat die gemeinnützigen Zwecke im engeren Sinne in einen abschließenden Katalog in § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 25 AO aufgenommen.1 Zu den Katalogzwecken zählen u.a. die Förderung von Wissenschaft und Forschung, die Förderung der Jugend- und Altenhilfe, die Förderung von Kunst und Kultur, die Förderung des Naturschutzes und der Landschaftspflege, die Förderung der Rettung aus Lebensgefahr, die Förderung des Tierschutzes, die Förderung des Sports etc.

13.64

3. Kombinationsstiftung (§ 58 Nr. 6 AO) Nach den Grundsätzen der Selbstlosigkeit nach § 55 AO und Ausschließlichkeit nach § 56 AO ist es einer gemeinnützigen Stiftung nicht erlaubt, Zuwendungen an den Stifter oder dessen Angehörige zu leisten. Eine Ausnahme hiervon bildet das Drittelprivileg nach § 58 Nr. 6 AO, das es der Stiftung erlaubt, max. 1/3 ihres Einkommens dazu zu verwenden, in angemessener Weise den Stifter und seine nächsten Angehörigen zu unterhalten. Eine solche „gemeinnützige Familienstiftung“ bzw. „Kombinationsstiftung“,2 die einerseits gemeinnützige Zwecke verfolgt darüber hinaus aber auch den Stifter und seine nächsten Angehörigen unterhält, ist in der Praxis wegen der Auslegungsbedürftigkeit des Drittelprivilegs streitanfällig und nur in seltenen Fällen geeignet eine Versorgung der Angehörigen nach der Vorstellung des Stifters sicherzustellen.

13.65

Der Begriff der nächsten Angehörigen ist enger auszulegen als der Angehörigenbegriff des § 15 AO. Die Finanzverwaltung erfasst darunter Ehegatten, Eltern, Großeltern, Kinder, Enkel (auch durch Adoption verbundene), Geschwister, Pflegeeltern und -kinder.3 Insbesondere sind damit Angehörige nur bis zur ersten Enkelgeneration erfasst, wodurch eine generations-

13.66

1 Aufgrund einer Öffnungsklausel in § 52 Abs. 2 Satz 2 und 3 AO können durch eine durch die Länder einzurichtende Stelle nicht enthaltene Zwecke für gemeinnützig erklärt werden. 2 Schimpfky, ZEV 2015, 456; Kirchhain, Gemeinnützige Familienstiftung, S. 79 ff.; Richter/Gollan in Hüttemann/Richter/Weitemeyer, Landesstiftungsrecht, Rz. 30.18; Kirchhain, ZEV 2006, 53 ff.; Kirchhain, ZSt 2006, 159 ff. 3 BMF v. 31.1.2014 – IV A 4 - S 0062/14/10002, BStBl. I 2014, 290, zu AEAO zu § 58 Nr. 7.

Meyer-Sandberg | 965

Kap. 13 Rz. 13.66 | Stiftungen als Instrument der Unternehmensnachfolge

übergreifende Versorgung der Familie nicht möglich ist.1 Auch wenn diese Einschränkung teilweise kritisiert wird,2 ist sie doch sachgerecht und vom Wortlaut der Norm gedeckt.

13.67

Eine in der Praxis stärkere Einschränkung stellt die Beschränkung der Leistungen in der Höhe auf das was für die Sicherstellung eines angemessenen Unterhalts erforderlich ist, dar. Dazu, was unter angemessen i.S.v. § 58 Nr. 6 AO zu verstehen ist, werden unterschiedliche Auffassungen vertreten. Maßgebend für die Beurteilung der Angemessenheit ist nach Auffassung der Finanzverwaltung der Lebensstandard des Zuwendungsempfängers und nicht des Stifters.3 Von Teilen der Finanzverwaltung aber wohl auch der herrschenden Auffassung in der Literatur wird deren Bedürftigkeit i.S.v. § 1602 BGB gefordert.4 Ausschüttungen an nicht bedürftige Destinatäre können demnach gegen das Gebot der Selbstlosigkeit verstoßen und die Gemeinnützigkeit gefährden.5 Zu beachten ist auch, dass § 29 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 ErbStG ein rückwirkendes Entfallen der Erbschaft- und Schenkungsteuerpflicht ausschließt, wenn die Stiftung Leistungen i.S.v. § 58 Nr. 5 AO (entspricht § 58 Nr. 6 AO n.F.) zu erbringen hat.6

4. Ertragsvorbehalte 13.68

Um die Versorgung des Stifters und seiner Angehörigen sicherzustellen und dabei insbesondere die Frage der Angemessenheit der Unterstützungsleistungen zu vermeiden, kann das zu übertragende Vermögen mit einer Auflage, einem Vorbehaltsnießbrauch oder einer Verbindlichkeit zugunsten des Stifters und der Angehörigen belastet werden.

13.69

Da das Vermögen bereits um den Wert der Auflage geschmälert ist, handelt es sich bei den künftigen Leistungen der Stiftung insoweit weder um für satzungsmäßige Zwecke zur Verfügung stehende Mittel noch um freiwillige Leistungen. Die Leistungen stellen daher keinen Verstoß gegen das Selbstlosigkeits- und Ausschließlichkeitsgebot nach §§ 55, 56 AO dar, so

1 Schimpfky, ZEV 2015, 456 (459); Ihle, RNotZ 2009, 621 (628). 2 Schauhoff in Schauhoff, Handbuch der Gemeinnützigkeit3, § 9 Rz. 109; Unger in Gosch, § 58 AO Rz. 29; Seer in Tipke/Kruse, § 58 AO Rz. 13 fordern (daher) die Einbeziehung aller in gerader Linie mit dem Stifter verwandten Personen, mithin auch Urenkel etc.; jedenfalls zu weitgehend, da über den Begriff der Angehörigen i.S.v. § 15 AO hinausgehend Gersch in Klein15, § 58 AO Rz. 8, und Richter in von Campenhausen/Richter, Stiftungsrechtshandbuch4 § 43 Rz. 79 mit der Auffassung, dass auch andere nahestehende Personen, wie z.B. eine Lebensgefährtin, die den Stifter gepflegt hat, einbezogen werden sollen. 3 BMF v. 31.1.2014 – IV A 4 - S 0062/14/10002, BStBl. I 2014, 290, zu AEAO zu § 58 Nr. 8 Satz 3; Koenig in Koenig3, § 58 AO Rz. 14; a.A. wonach es auf den Lebensstandard des Stifters im Zeitpunkt der Stiftungserrichtung ankommt Schauhoff in Schauhoff, Handbuch der Gemeinnützigkeit3, § 9 Rz. 109; Seer in Tipke/Kruse, § 58 AO Rz. 12; Ihle, RNotZ 2009, 621 (628); Erdbrügger in Pfirrmann/Rosenke/Wagner, BeckOK AO, § 58 AO Rz. 96. 4 OFD Magdeburg v. 18.5.2004 – S 1900 – 22 – St 217 S0171 – 155 – St 217; Buchna/Leichinger/ Seeger/Brox, Gemeinnützigkeit11, S. 229; Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht4, § 4 Rz 24; Meyn/Richter/Koss/Gollan, Die Stiftung, Rz. 403, sprechen von wirtschaftlicher Bedürftigkeit; Kirchhain, ZEV 2006, 534 (536) spricht von wirtschaftlicher Hilfsbedürftigkeit vergleichbar der von Personen iSv § 53 S. 1 Nr. 2 AO; a.A. Söffing/Thoma, ErbStB 2005, 212 (213); solange kein Rechtsanspruch gegen die Stiftung besteht Schauhoff, DB 1996, 1693 (1694) und wohl auch Ihle, RNotZ 2009, 621 (628). 5 Ihle, RNotZ 2009, 621 (628). 6 Meyn/Richter/Koss/Gollan, Die Stiftung, Rz. 403; Schimpfky, ZEV 2015, 456 (457), der die Rückwirkung nur „insoweit“ ausschließt; vgl. zum rückwirkenden Entfallen der Erbschaft-/Schenkungsteuerpflicht nach § 29 ErbStG Rz. 13.113.

966 | Meyer-Sandberg

C. Stiftungszweck | Rz. 13.72 Kap. 13

dass auch § 58 Nr. 6 AO nicht zur Anwendung gelangt.1 Es gilt damit weder der eingeschränkte Empfängerkreis noch die Angemessenheitsgrenze. Nach Auffassung der Finanzverwaltung soll die Drittel-Grenze jedoch insoweit Anwendung finden, als die Nießbrauchs- und Rentenzahlungen nicht ausschließlich aus der Substanz des belasteten Vermögens geleistet werden.2 Hierfür findet sich im Gesetz keine Stütze und dem steht auch die eindeutige BFHRechtsprechung entgegen. Sichergestellt sein muss nur, dass die Stiftung über ausreichend Mittel verfügt um ihre satzungsmäßigen Zwecke zu erfüllen.

III. Privatnützige Zwecke, insbesondere Familienstiftungen Die Zulässigkeit und Anerkennungsfähigkeit setzt nicht voraus, dass der Stiftungszweck das Gemeinwohl fördert. Einzige Voraussetzung ist lediglich, dass der Stiftungszweck das Gemeinwohl nicht gefährdet (vgl. Rz. 13.60). Damit sind auch privatnützige Stiftungen und insbesondere Familienstiftungen zulässig.3

13.70

Familienstiftungen zählen zu den privatnützigen Stiftungen. Definiert sind die Begriffe der privatnützigen und Familienstiftung in den Landungsstiftungsgesetzen, sofern für diese Sonderregelungen gelten. In den Landesstiftungsgesetzen, die eine Definition der Familienstiftung enthalten, sind diese einheitlich definiert als Stiftungen, die nach ihrem Stiftungszweck ausschließlich4 oder überwiegend5 dem Wohl der Mitglieder einer, nicht notwendigerweise die des Stifters, oder mehrerer Familien dienen.6 Familie sind alle durch Ehe oder Verwandtschaft im Sinne des BGB miteinander verbundenen Personen.7 Abhängig von dem Umfang der Begünstigung und den Anforderungen des jeweiligen Landesstiftungsgesetzes ist es möglich daneben auch nicht zur Familie gehörende Personen als Destinatäre zu bestimmen, ohne dass die Stiftung ihren Status als Familienstiftung verliert. Nicht zu den Familienstiftungen zählt die gemeinnützige Familienstiftung (vgl. Rz. 13.25).

13.71

Sonstige private Stiftungen, mithin solche die außerfamiliäre private Zwecke verfolgen, werden in einigen Landesstiftungsgesetzen ausdrücklich erfasst, jedoch ohne die Zwecke konkret zu benennen.8 Solche sonstige private Stiftungen sind selten und können z.B. Unternehmensträgerstiftungen9 sein oder Stiftungen, die die Versorgung der Belegschaft eines Unternehmens sichern sollen etc.10

13.72

1 BFH v. 21.1.1998 – II R 16/95, BStBl. II 1998, 758. 2 BMF v. 31.1.2014 – IV A 4 - S 0062/14/10002, BStBl. I 2014, 290, zu AEAO zu § 55 Nr. 12, 13; ebenso Schauhoff in Schauhoff, Handbuch der Gemeinnützigkeit3, § 9 Rz. 110. 3 Ellenberger in Palandt79, § 80 BGB Rz. 8; Hüttemann/Rawert in Staudinger, Vorbem. zu §§ 80 ff. BGB Rz. 186. 4 Vgl. NdsStiftG, BayStiftG. 5 § 10 Abs. 1 Satz 1 BerlStiftG, § 6 Abs. 3 NRWStiftG, § 3 Abs. 2 RhPfStiftG, § 2 Abs. 1 HambStiftG; eine privatnützige Zweckverfolgung überwiegt, wenn ihre Förderung mehr als 50 % beträgt, vgl. Fritsche, BrbgStiftG, § 2 Erl. 2. 6 § 10 Abs. 1 BerlStiftG; § 2 Abs. 2 BrbgStiftG; § 17 BremStiftG; § 21 HessStiftG; § 19 SchlHolStiftG. 7 Hüttemann/Rawert in Staudinger, Vorbem. zu §§ 80 ff. BGB Rz. 179. 8 HambStiftG, NdsStiftG, NRWStiftG, SaarlStiftG, RhPfStifG. 9 Vgl. Rz. 15.96. 10 Richter/Golan in Hüttemann/Richter/Weitemeyer, Landesstiftungsrecht, Rz. 30.19 f.

Meyer-Sandberg | 967

Kap. 13 Rz. 13.73 | Stiftungen als Instrument der Unternehmensnachfolge

IV. Satzungsänderungen 13.73

Es kann sein, dass sich im Laufe der Zeit der Wunsch nach einer Satzungsänderung einstellt. Eine Anpassung des Stiftungszwecks ist jedoch nach § 87 BGB ausdrücklich nur bei Unmöglichkeit der Zweckerfüllung erlaubt. Aber auch schlichte Satzungsänderungen, d.h. ohne dass der Stiftungszweck berührt wird (z.B. bezüglich der Organisation der Stiftung), sind nur bei einer wesentlichen nachträglichen Änderung der Verhältnisse und dies auch nur im Einklang mit dem erklärten oder mutmaßlichen historischen Stifterwillen zulässig. Die Änderung bedarf zudem der Zustimmung durch die Stiftungsaufsicht.

13.74

Die Finanzverwaltung geht bei einer wesentlichen Änderung des Stiftungscharakters einer Familienstiftung durch Satzungsänderung davon aus, dass die bisherige Familienstiftung aufgelöst und eine neue Stiftung gegründet wird und zieht daraus die entsprechenden steuerlichen Konsequenzen.1

D. Errichtung I. Allgemeines 13.75

Die Errichtung der rechtsfähigen Stiftung bürgerlichen Rechts erfolgt in zwei Akten, zunächst durch Stiftungsgeschäft des Stifters und anschließend die Anerkennung der Stiftung durch die Stiftungsaufsichtsbehörde. Das Stiftungsgeschäft ist grundsätzlich formgebundenen und muss den in § 81 BGB genannten Mindestinhalt haben als Voraussetzung für die Anerkennungsfähigkeit der Stiftung nach § 80 Abs. 1 BGB. Der Mindestinhalt des Stiftungsgeschäfts umfasst den Willen des Stifters zur Errichtung eines selbstständigen Rechtsträgers mit der verbindlichen Erklärung, ein Vermögen zur Erfüllung eines von ihm vorgegebenen Zweckes zu widmen. Es enthält somit als konstitutive Elemente zum einen die Wahl der Rechtsform der Stiftung (vgl. Rz. 13.2) und deren Organisation (vgl. Rz. 13.82) und zum anderen die Dotation des Vermögens (vgl. Rz. 13.97).

II. Zeitpunkt 1. Stiftungsgeschäft von Todes wegen 13.76

Hinsichtlich des Zeitpunkts der Errichtung sind zu unterscheiden das Stiftungsgeschäft unter Lebenden, welches vom Stifter zu seinen Lebzeiten vorgenommen wird, und das Stiftungsgeschäft von Todes wegen im Rahmen einer letztwilligen Verfügung in Form eines Testaments oder Erbvertrages2.

13.77

Das Stiftungsgeschäft von Todes wegen ist zugleich letztwillige Verfügung im Sinne des Erbrechts. Sie kann daher – in der Praxis regelmäßig als Teil umfassender letztwilliger Verfügungen – im Wege der Erbeinsetzung vorgenommen werden. Die Stiftung durch ihre Organe hat nicht das Recht, die Erbschaft auszuschlagen.3 Die Möglichkeit zur Errichtung einer Stiftung durch Verfügung von Todes wegen ergibt sich aus §§ 83, 84 BGB. Das Stiftungsgeschäft von

1 ErbStR 2011, BStBl. I 2011, Sondernummer 1, 2, E R 1.4 Abs. 4; Olbing, DB 2018, 2897 (2901); vgl. Rz. 15.167. 2 Olbing, DB 2018, 2897. 3 Hof in Seifart/von Campenhausen, Stiftungsrechts-Handbuch3, § 6 Rz. 102.

968 | Meyer-Sandberg

D. Errichtung | Rz. 13.81 Kap. 13

Todes wegen als letztwillige Verfügung unterliegt den allgemeinen Erbrechtsvorschriften, insbesondere den erbrechtlichen Formvorschriften für Testamente und Erbverträge. Kein Stiftungsgeschäft von Todes wegen sondern ein Stiftungsgeschäft unter Lebenden liegt vor, wenn der Stifter im Zeitraum zwischen der Vornahme des Stiftungsgeschäfts und der Anerkennung der Stiftung verstirbt, die Wirksamkeit des Stiftungsgeschäfts aufschiebend durch den Tod des Stifters bedingt ist oder die Stiftungserrichtung Gegenstand einer Auflage ist, so dass die belastete Person in eigener Person das Stiftungsgeschäft vornimmt.1

13.78

2. Stiftungsgeschäft zu Lebzeiten Sinnvoller als die Errichtung von Todes wegen ist regelmäßig die Stiftungserrichtung zu Lebzeiten nach §§ 80, 81 BGB. Der Stifter hat dann z.B. als Vorstandsmitglied die Möglichkeit Einfluss auf die Tätigkeit der Stiftungen zu nehmen. Ist der Stifter bei Stiftung Errichtung hingegen bereits verstorben kann es Schwierigkeiten bereiten den Stifterwillen zu ermitteln und ihm gerecht zu werden. Ein mangelndes Stiftungsgeschäft kann der Stifter nicht mehr ergänzen und die Stiftungsaufsichtsbehörde muss gegebenenfalls nach § 83 Satz 2 BGB den Mangel beheben.

13.79

Es handelt sich beim Stiftungsgeschäft unter Lebenden um eine nicht empfangsbedürftige einseitige Willenserklärung, welche nach § 81 Abs. 1 Satz 1 BGB der Schriftform bedarf. Eine notarielle Beurkundung ist auch dann nicht erforderlich, wenn das Stiftungsgeschäft Verpflichtungen zu Vermögensübertragungen beinhaltet, für die (wie z.B. bei der Übertragung von Grundstücken und GmbH-Anteilen) ansonsten strengere Formerfordernisse gelten.2 Davon unabhängig finden auf die Erfüllung der aus dem Stiftungsgeschäft resultierenden Rechtsgeschäfte (wie z.B. die Auflassung bei Grundstücken und Abtretung bei GmbH-Geschäftsanteilen) gegebenenfalls strengeren Formvorschriften Anwendung.3

13.80

Als Willenserklärung ist das Stiftungsgeschäft nach § 133 BGB vor dem Hintergrund des objektiven Stifterwillens auszulegen.4 Willensmängel berechtigen vor der Anerkennung der Stiftung zur Anfechtung nach den §§ 116 ff. BGB. Nach der Anerkennung durch die Stiftungsaufsicht ist eine Anfechtung nur noch bezüglich des Zuwendungsversprechens nicht jedoch hinsichtlich des organisationsrechtlichen Teils möglich.5 Dies kann dazu führen, dass die wirksam errichtete Stiftung ihr Vermögen verliert mit der Folge, dass die Stiftung von der Stiftungsaufsicht aufzulösen ist, wenn sie deshalb ihren Zweck nicht mehr verfolgen kann.6

13.81

1 Stumpf in Richter, Stiftungsrecht, § 4 Rz. 35 ff. 2 Stumpf in Richter, Stiftungsrecht, § 4 Rz. 35 ff.; Steffen in RGRK, § 81 BGB Rz. 4; OLG Schleswig v. 1.8.1995 – 9 W 50/95, DNotZ 1996, 770 mit Anm. Wochner, wonach der erforderliche und ausreichende Schutz beim Stiftungsgeschäft durch das Erfordernis der behördlichen Anerkennung gegeben ist; a.A. Hüttemann/Rawert in Staudinger, § 81 BGB Rz. 15. 3 Stumpf in Richter, Stiftungsrecht, § 4 Rz. 15; Hüttemann/Rawert in Staudinger, § 81 BGB Rz. 15; Ihle, RNotZ 2009, 557 der daher, obwohl nicht erforderlich, aus Kostengründen bereits eine Beurkundung des Stiftungsgeschäfts empfiehlt wodurch sich die Kosten für die Auflassung stärker reduzieren als die Kosten für die Beurkundung des Stiftungsgeschäfts. 4 OLG Hamm v. 22.12.2011 – 15 W 712/10, LSK 2012, 280226. 5 Hüttemann/Rawert in Staudinger, § 81 BGB Rz. 29. 6 Vgl. Stumpf in Stumpf/Suerbaum//Schulte/Pauli, Stiftungsrecht3, § 8 Rz. 36, 79, der auch darauf hinweist, dass möglicherweise infolge des Mangels des Stiftungsgeschäfts die behördliche Anerkennung selbst unwirksam oder zumindest anfechtbar ist.

Meyer-Sandberg | 969

Kap. 13 Rz. 13.82 | Stiftungen als Instrument der Unternehmensnachfolge

III. Organisation 1. Vorstand 13.82

Die Stiftungssatzung muss als konstitutives Element neben dem Stiftungszweck nach § 81 Abs. 1 Satz 3 BGB auch die Stiftungsorganisation enthalten.1 Um die Handlungsfähigkeit der Stiftung sicherzustellen, sind zwingend Regelungen in der Satzung über die Bildung des Vorstands als gesetzlichen Vertreter nach § 86 Satz 1 i.V.m. § 26 Abs. 1 BGB aufzunehmen. Ein Einzelvorstand reicht aus.2 Bei mehrgliedrigen Vorständen gilt nach §§ 86, 26 Abs. 2 Satz 1, 28 Abs. 1 BGB Mehrheitsvertretung, sofern in der Satzung nichts Abweichendes geregelt ist.

13.83

Der Vorstand ist ferner zur Geschäftsführung befugt und entscheidet bei Mehrgliedrigkeit nach §§ 86, 28 i.V.m. § 32 BGB vorbehaltlich anderer Regelungen in der Satzung durch Mehrheitsbeschluss.

13.84

Der Stifter hat die Möglichkeit sich selbst, z.B. auf Lebenszeit, zum Vorsitzenden zu bestellen.3 Dies verschafft dem Stifter auch nach der Anerkennung der Stiftung Einfluss auf die Stiftung, welcher durch Sonderbefugnisse (wie z.B. Vetorechte, Stichentscheide etc.) noch verstärkt werden kann.4 Dies verschafft dem Stifter nach der Anerkennung der Stiftung indes keinen Einfluss mehr auf deren Zwecksetzung. Der Stifter als Vorstandsmitglied ist wie sämtliche Organmitglieder dann an seinen ursprünglichen Stifterwillen gebunden.

13.85

Bei der Regelung der Anzahl der Mitglieder des Stiftungsvorstands sollte darauf geachtet werden, dass diese in angemessenem Verhältnis zum Umfang der Geschäftstätigkeit und der Vermögensausstattung der Stiftung steht.

2. Kontroll- und/oder Beratungsgremien 13.86

Es steht dem Stifter frei neben dem Stiftungsvorstand weitere Organe oder Gremien zu implementieren.5 Das Gesetz enthält hierzu keine Vorgaben. Deren Entscheidungs-, Beratungsund Kontrollfunktionen können weitgehend frei ausgestaltet werden. Bezeichnet werden solche mit Beratungs- und Kontrollfunktionen ausgestatten Organe vielfach als Kuratorium, Beirat, Verwaltungs- oder Aufsichtsrat. Gelegentlich wird bei umfangreicher operativer Tätigkeit der Stiftung auch eine vom Vorstand getrennte Geschäftsführung geregelt.6

13.87

Insbesondere bei der Implementierung fakultativer Organe über den gesetzlich vorgeschriebenen Vorstand hinaus ist darauf zu achten, dass die Zahl und Größe der Organe zur Stiftungsgröße und der Komplexität der Aufgaben im Verhältnis steht.7 Dabei gilt es auch zu bedenken, dass gerade bei einer ehrenamtlichen Organtätigkeit es sich, vor allem nach dem Tod des persönlich gut vernetzen Stifters, als schwer darstellen kann geeignete Persönlichkeiten zu finden und für die Tätigkeit zu gewinnen.

1 2 3 4 5 6 7

Stein in Groll/Steiner, Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung5, Kap. B XII. Rz. 14. Hof in v. Campenhausen/Richter, Stiftungsrechts-Handbuch4, § 8 Rz. 113 ff. Rawert in Staudinger, § 86 BGB Rz. 5. Fischer in Feick, Stiftung als Nachfolgeinstrument, § 9 Rz. 26. Hüttemann/Rawert in Staudinger, Vorbem. zu §§ 80 ff. BGB Rz. 12. Werner in Werner/Saenger, Die Stiftung, Kap. VIII Rz. 416. Meyn/Richter/Koss/Gollan, Die Stiftung3, Rz. 167; v. Holt/Koch, Stiftungssatzung, § 6 Rz. 3.

970 | Meyer-Sandberg

D. Errichtung | Rz. 13.93 Kap. 13

Gegebenenfalls sollten Aufgaben, Rechte und Pflichten der jeweiligen Organe exakt definiert und gegeneinander abgegrenzt sein. Regelmäßig werden dem Vorstand die Exekutivfunktionen übertragen und einem weiteren Organ wie dem Kuratorium etc. Kontroll-, Beratungs- und Repräsentationsfunktionen. Gerade bei größeren Stiftungen und Stiftungen als Instrument zur Unternehmensnachfolge kann sich ein Kontrollorgan neben dem Vorstand sehr empfehlen.1

13.88

3. Berufung und Abberufung Die Stiftungssatzung muss nach § 81 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 BGB Regelungen über die Bildung des Vorstandes enthalten. Die erstmalige Berufung der Mitglieder der Organe erfolgt regelmäßig durch den Stifter im Stiftungsgeschäft. Nachfolgende Mitglieder des Vorstandes werden, wenn ein weiteres Organ wie z.B. ein Kuratorium oder Stiftungsrat vorhanden ist, oftmals durch dieses bestellt.2 Es ist auch möglich, dass die übrigen Vorstandsmitglieder den Nachfolger im Wege der Selbstergänzung (Kooptation) wählen. Es kann aber auch geregelt werden, dass stiftungsexterne Dritte (wie z.B. der Stifter, Verbände, Organe anderer Institutionen etc.) den Nachfolger berufen.3

13.89

Obwohl keine gesetzlichen Vorgaben bestehen, sollte zudem die Amtszeit der Vorstandsmitglieder und – gegebenenfalls auch deren vorzeitige – Abberufung geregelt werden. Empfehlenswert ist es, wenn die Amtszeiten der Vorstandsmitglieder nicht gleichlaufend sind, um eine größere Kontinuität der Vorstandstätigkeit zu erreichen und eine Zäsur durch den vollständigen Austausch des Stiftungsvorstands zu vermeiden. Die Amtszeit sollte ferner erst mit der Neubestellung des Nachfolgers enden um Zeiträume zu vermeiden in denen der Vorstand nicht die satzungsmäßige (Mindest-)Anzahl der Mitglieder aufweist.4

13.90

Vorstehendes gilt grundsätzlich auch für die Bestellung und Abberufung von Mitgliedern anderer Organe als dem Vorstand. Handelt es sich bei dem Organ um ein Kontrollorgan, ist hinsichtlich der Berufung und Abberufung das Kooptationsverfahren üblich.5

13.91

4. Rechtsstellung Stifter und Destinatäre Der Stifter und die Destinatäre sind für sich genommen keine Organe der Stiftung.6

13.92

Nach der Errichtung der Stiftung hat der Stifter keine Funktion innerhalb der Stiftung. Um sich Einflussnahmemöglichkeiten zu sichern, kann er sich in der Satzung indes als Mitglied eines Organs oder als Organ selbst vorsehen7 und darüber hinaus Sonderrechte wie Abberufungs- und Benennungsrechte, Mehrfachstimmrechte, Vetorechte oder Zustimmungsvorbehalte zuschreiben.8 Alles dies kann aber nicht dazu führen, dass der Stifter sich über den im Stiftungsgeschäft manifestierten historischen Stifterwillen hinwegsetzen kann.9

13.93

1 Godron in Richter, Stiftungsrecht, § 6 Rz. 85 f. 2 Godron in Richter, Stiftungsrecht, § 6 Rz. 51. 3 Fischer in Feick, Stiftung als Nachfolgeinstrument, § 9 Rz. 27; Godron in Richter, Stiftungsrecht, § 6 Rz. 53; krit. Weitemeyer in MüKo8, § 86 BGB Rz. 5. 4 Fischer in Feick, Stiftung als Nachfolgeinstrument, § 9 Rz. 23. 5 Stein in Groll/Steiner, Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung5, Kap. XII. Rz. 21. 6 Nissel in Werner/Saenger, Die Stiftung, Kap. VI. Rz. 233; Otto, Handbuch der Stiftungspraxis2, S. 39; Hof in von Campenhausen/Richter, Stiftungsrechts-Handbuch4, § 6 Rz. 170. 7 Sieger/Bank, NZG 2010, 641 (642). 8 Otto, Handbuch der Stiftungspraxis, S. 39; Meyn/Richter/Koss/Gollan, Die Stiftung3, Rz. 172. 9 Weitemeyer in MüKo8, § 85 BGB Rz. 35.

Meyer-Sandberg | 971

Kap. 13 Rz. 13.94 | Stiftungen als Instrument der Unternehmensnachfolge

13.94

Der Stifter ist bzgl. der Bestimmung der Destinatäre frei und allenfalls durch den Grundsatz der Unzulässigkeit der Stiftung für den Stifter begrenzt.1 Die Destinatäre als Stiftungsbegünstigte bzw. Nutznießer der Stiftung haben, wie auch der Stifter, nur dann Einfluss auf die Stiftung, wenn ihnen entsprechende Rechte durch den Stifter in der Satzung eingeräumt worden sind. So kann der Stifter beispielsweise Organe ganz oder teilweise mit Destinatären besetzen und ihnen dadurch Mitwirkungs- und Kontrollrechte einräumen.2 Dabei kann das Eigeninteresse von Organmitgliedern als Destinatäre für Zwecke der Stiftung durchaus vorteilhaft sein.3 Allerdings gilt es bei der Ausgestaltung der Rechte der Destinatäre auch zu berücksichtigen, dass das Eigeninteresse der Destinatäre (z.B. Bezug von Zuwendungen) nicht immer gleichgerichtet ist zum Stiftungszweck.4 Die Gestaltungsfreiheit des Stifters findet ihre Grenze dort, wo den Destinatären eine vom ursprünglichen Stifterwillen losgelöste autonome Willensbildung ermöglicht wird.5

13.95

Inwiefern die den Destinatären eingeräumten Rechte im Klagewege durchsetzbar sind, ist durch Auslegung des in der Satzung niedergelegten Stifterwillens zu ermitteln.6 Während dies hinsichtlich eingeräumter Kontroll- und Beanstandungsrechte und dem Benennungsrecht für die Mitglieder eines Organs regelmäßig der Fall sein dürfte,7 wird man einen Anspruch auf Stiftungsleistungen im Zweifel, d.h. mangels eines in der Satzung zum Ausdruck gebrachten ausdrücklichen Rechts, wohl verneinen müssen.8

IV. Vermögen 1. Grundstockvermögen 13.96

Das Stiftungsgeschäft muss als weiteres konstitutives Element nach § 81 Abs. 1 Satz 2 BGB die verbindliche Erklärung des Stifters enthalten, der Stiftung zur Erfüllung ihrer Zwecke mit einem Vermögen auszustatten. Der Stifter haftet in der Folge für den Anspruch der Stiftung auf die versprochene Vermögensausstattung. Die Stiftung muss bereits bei der Errichtung derart mit Vermögenswerten ausgestattet sein, dass nach § 80 Abs. 2 BGB die dauernde und nachhaltige Erfüllung der Stiftungszwecke gesichert erscheint.9 Der Wert, die Art oder Zusammensetzung des gewidmeten Vermögens sind nicht vorgeschrieben. Es muss jedoch grundsätzlich ertragbringend sein, da die Stiftung ihr Grundstockvermögen erhalten muss und ihre Zwecke nur aus den Erträgen zu erfüllen hat.10 Dieser Grundsatz der Vermögenserhaltung trägt dem Umstand Rechnung, dass eine Stiftung grundsätzlich auf eine unendliche Dauer angelegt ist (zur Auflösung vgl. Rz. 15.60).

13.97

Begrifflich wird das Stiftungsvermögen unterschiedlich definiert. Im engeren Sinne ist ausschließlich das Grundstockvermögen bestehend aus dem ursprünglichen Dotationskapital 1 Schlüter/Stolte, Stiftungsrecht, Kap. 2 Rz. 50; Weitemeyer in MüKo8, § 80 BGB Rz. 98 m.w.N.; vgl. Rz. 15.21. 2 Weitemeyer in MüKo8, § 85 BGB Rz. 38. 3 Weitemeyer in MüKo8, § 85 BGB Rz. 38. 4 Wernicke, ZEV 2003, 301 (303). 5 Hüttemann/Rawert in Staudinger, § 85 BGB Rz. 38. 6 Neuhoff in Soergel13, § 85 BGB Rz. 13. 7 Wernicke, ZEV 2003, 301 (305); Godron in Richter, Stiftungsrecht, § 6 Rz. 113. 8 Hof in von Campenhausen/Richter, Stiftungsrechts-Handbuch4, § 6 Rz. 170 ff. 9 Ausnahmsweise, wenn bereits Zustiftungen, Spenden etc verbindlich zugesagt sind, vgl. Weitemeyer in MüKo8, § 81 BGB Rz. 15. 10 Zur Verbrauchsstiftung Weitemeyer in MüKo8, § 80 BGB Rz. 130 ff.

972 | Meyer-Sandberg

D. Errichtung | Rz. 13.102 Kap. 13

und etwaiger Zustiftungen in das Grundstockvermögen gemeint.1 Darüber hinaus umfasst das Stiftungsvermögen im weiteren Sinne noch die aus dem Grundstock erwirtschafteten Erträge, Spenden, Rücklagen und sonstige für die Stiftung verfügbaren Vermögenswerte.2 Der Grundsatz der Vermögenserhaltung bezieht sich nur auf das Grundstockvermögen. Als Grundstockvermögen geeignet sind z.B. Barvermögen, Wertpapiere, Immobilien etc. Bei dem Einsatz von Stiftungen als Instrument der Unternehmensnachfolge besteht das zu übertragende Vermögen ganz oder im Wesentlichen aus dem Unternehmen, welches ebenfalls Erträge generiert und somit als Vermögensausstattung geeignet ist. Eine solche Stiftung wird als unternehmensverbundene Stiftung bezeichnet.3 Dabei kann es sich um eine Stiftung handeln, die entweder selbst Träger des Unternehmens ist oder zu deren Vermögen die Beteiligung an einem Unternehmen gehört.

13.98

2. Unternehmensträgerstiftung Stiftungen, die ein Unternehmen selbst betreiben, werden als Unternehmensträgerstiftungen bezeichnet.4 Die Organisationsform einer Stiftung ist indes für die Führung eines Unternehmens aufgrund der Bindung an die starre Satzung und damit einhergehend fehlender Flexibilität wenig geeignet.5 Entsprechend haben sich Unternehmensträgerstiftungen in der Praxis nicht durchgesetzt.6

13.99

3. Beteiligungsträgerstiftung Bei den in der Unternehmensnachfolge eingesetzten Stiftungen handelt es sich regelmäßig um Beteiligungsträgerstiftungen, mithin um Stiftungen die das Unternehmen nicht selber betreiben, sondern als Gesellschafter Beteiligungen an einer Personen- oder Kapitalgesellschaft halten.7

13.100

Die Tätigkeit der Beteiligungsträgerstiftung kann sich auf eine reine Holdingfunktion beschränken oder die Stiftung kann als Organ geschäftsleitende Funktionen übernehmen.8 Welche Einflussmöglichkeiten die Stiftung auf die Gesellschaft hat, bestimmt sich letztlich nach den, ggf. unter Mitwirkung des Stifters ausgestalteten, Mitgliedschaftsrechten, die mit den Anteilen verbunden sind.

13.101

Sollte sich die Stiftung an einer GbR, OHG oder als Komplementärin einer KG beteiligen, bedarf es aufgrund der damit einhergehenden persönlichen Haftungsübernahme durch die Stiftung ausnahmsweise einer expliziten satzungsmäßigen Genehmigung durch den Stifter.9

13.102

1 Helios/Friedrich in Münch. Hdb. GesR, Band V, § 95 Rz. 3; Backert in BeckOK, § 80 BGB Rz. 7. 2 Schiffer/Pruns in Schiffer, Die Stiftung in der Beraterpraxis, § 5 Rz. 59; Hüttemann/Rawert in Staudinger, Vorbem. zu §§ 80 ff. BGB Rz. 11. 3 Werner in Erman15, Vor § 80 BGB Rz. 20; Saenger in Werner/Sänger, Die Stiftung, Rz. 868. 4 Krafka in MüKo8, § 33 BGB Rz. 2; Weitemeyer in MüKo8, § 80 BGB Rz. 198. 5 Richter in Richter, Stiftungsrecht, § 10 Rz. 68. 6 Ihle, RNotZ 2005, 557 (564); auch die bis dahin als Unternehmensträgerstiftung organisierte CarlZeiss-Stiftung gliederte in 2004 ihr Unternehmen auf eine selbständige Aktiengesellschaft – deren alleinige Aktionärin die Stiftung wurde – aus, vgl. Saenger in Werner/Saenger, Die Stiftung, Rz. 903; Berndt, Stiftung und Unternehmen, Rz. 1411 ff.; Ihle, RNotZ 2005, 557 (565). 7 Richter in Richter, Stiftungsrecht, § 10 Rz. 70. 8 Meinecke, Stiftungen als Instrument zur Unternehmensnachfolge, S. 72. 9 Ihle, RNotZ 2009, 557 (564); Otto in Handbuch der Stiftungspraxis, S. 13.

Meyer-Sandberg | 973

Kap. 13 Rz. 13.103 | Stiftungen als Instrument der Unternehmensnachfolge

4. Verbrauchsstiftung 13.103

In Abweichung von dem Ewigkeitsgedanken und dem Grundsatz der Vermögenserhaltung handelt es sich bei der mittlerweile in § 80 Abs. 2 Satz 2 BGB definierten Verbrauchsstiftung um eine Stiftung, die für eine bestimmte Zeit errichtet und deren Vermögen für die Zweckverfolgung verbraucht werden soll.1 Der Vorbehalt in § 80 Abs. 2 Satz 2 BGB, wonach die dauernde und nachhaltige Erfüllung des Stiftungszwecks gesichert erscheinen muss, wird hierfür dahingehend eingeschränkt, dass dies im Fall einer Verbrauchsstiftung bereits dann als gesichert erscheint, wenn die Stiftung für einen Zeitraum bestehen soll, der mindestens zehn Jahre umfasst. Wird der Zweck außerplanmäßig vorher erreicht ist dies unschädlich. Streitig ist, ob dies auch gilt, wenn die Verbrauchsstiftung von vornherein auf einen kürzeren Zeitraum angelegt ist.2 Eine Stiftung auf Zeit, die keinen Vermögensverzehr vorsieht, also keine Verbrauchsstiftung darstellt, fällt nicht unter die Ausnahmevorschrift des § 80 Abs. 2 Satz 2 BGB.3

13.104

Eine Verbrauchsstiftung kann in Betracht kommen, wenn der Stifter Zweifel hat, dass sich nach seinem Ableben Personen finden, die die Stiftung fortführen.4 Sie kann sich aber auch anbieten um eine gleichmäßige und unabhängige Verteilung des Vermögens und dessen Erträge an Familienmitglieder zu erreichen und zugleich die Ersatzerbschaftsteuer zu vermeiden, indem sie auf weniger als 30 Jahre befristet wird. Aber auch wenn ein gemeinnütziger Zweck nur vorübergehend gefördert werden soll, kommt eine Verbrauchsstiftung in Betracht. Bei einem relativ geringen Vermögen oder niedrigen Erträgen, z.B. aufgrund niedriger Zinsen, erlaubt oftmals erst der Verbrauch des Grundstockvermögens eine sinnvolle Förderung der Stiftungszwecke.

13.105

Bei der Unternehmensnachfolge allerdings dürfte die Verbrauchsstiftung regelmäßig keine Rolle spielen, da das Ziel der Stiftung der Erhalt des Unternehmens ist und gerade nicht dessen Auszehrung oder sukzessive Veräußerung (vgl. Rz. 15.8).

5. Mindestkapital 13.106

Es existieren keine gesetzlichen Vorgaben für eine Mindestvermögensausstattung. Das Vermögen muss jedoch zur nachhaltigen Erfüllung des Stiftungszwecks geeignet sein. Es kommt insofern auf ein angemessenes Verhältnis des vorhandenen bzw. sicher zu erwartenden Stiftungsvermögens zur Zweckverwirklichung an.5

13.107

Von den Stiftungsaufsichtsbehörden wird regelmäßig ein Mindestkapital von 50.000 Euro – 80.000 Euro genannt, wobei dieses nur in den seltensten Fällen ausreichend sein dürfte, um daraus Erträge zu generieren, die eine Zweckverwirklichung ermöglichen. Bei unternehmens-

1 Eingeführt durch das Ehrenamtstärkungsgesetz, v. 21.3.2013, BGBl. I 2013, 556; allerdings gingen bereits zuvor weite Teile der Literatur von der Zulässigkeit einer Verbrauchsstiftung aus, vgl. Reuter, npoR 2010, 69 ff. m.w.N. 2 Stumpf in Richter, Stiftungsrecht, § 4 Rz. 87, hält dies zumindest für möglich; a.A. Backert in BeckOK, § 80 BGB Rz. 4. 3 Backert in BeckOK, § 80 BGB Rz. 4, a.A. Stumpf in Richter, Stiftungsrecht, § 4 Rz. 87; Rawert, npoR 2014, 1. 4 Fischer in Feick, Stiftung als Nachfolgeinstrument, § 8 Rz. 26. 5 Feldner/Stoklassa, ErbStB 2014, 201 (204); Hüttemann/Rawert in Staudinger, § 81 BGB Rz. 18 ff.; Ihle, RNotZ 2009, 621 m.w.N.

974 | Meyer-Sandberg

D. Errichtung | Rz. 13.112 Kap. 13

verbundenen Stiftungen ist die Werthaltigkeit bzw. die Ertragskraft des Unternehmens entscheidend.1

V. Besteuerung 1. Vermögenübertragungen auf die Stiftung Besteuerungsfragen stellen sich im Zusammenhang mit der Stiftungserrichtung bezüglich der Vermögensübertragung auf die Stiftung als Erstausstattung, zu der sich der Stifter im Stiftungsgeschäft verpflichtet hat, und spätere Zustiftungen.

13.108

2. Erbschaft- und Schenkungsteuer a) Unentgeltliche Erwerbe Der Erwerb der Vermögensausstattung vom Stifter auf der Grundlage des Stiftungsgeschäftes unterliegt als Erwerb von Todes wegen nach §§ 1, 3 Abs. 2 Nr. 1 ErbStG oder als Schenkung zu Lebzeiten nach §§ 1, 7 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG der Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer. Die Erbschaftsteuerpflicht besteht nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Nr. 2 ErbStG auch dann, wenn der Erbe aufgrund einer ihn beschwerenden Auflage des Erblassers die Stiftung erst noch durch eigenes Stiftungsgeschäft unter Lebenden errichten muss.

13.109

An der Freigebigkeit der Zuwendung und somit einer Schenkung zu Lebzeiten fehlt es erst dann, wenn eine objektive oder subjektive Entgeltlichkeit vorliegt, d.h. wenn der Vermögenshingabe objektiv oder subjektiv eine adäquate Gegenleistung gegenübersteht. Dies ist bei der Vermögensausstattung durch den Stifter regelmäßig nicht der Fall. Der Stifter erhält für die Übertragung keine Gegenleistung wie z.B. gesellschafts- oder andere mitgliedschaftsähnliche Rechte an der Stiftung und auch etwaige an dem übertragenen Vermögen vorbehaltene Nießbrauchsrechte begründen keine Entgeltlichkeit (vgl. Rz. 13.173).

13.110

b) Gemeinnützige Stiftung Erfolgt die Vermögensübertragung auf eine gemeinnützige Stiftung, so bleibt die Vermögensübertragung nach § 13 Abs. 1 Nr. 16 Buchst. b Satz 1 ErbStG steuerfrei. Dies gilt für Vermögensübertragungen von Todes wegen wie auch zu Lebzeiten.2 Es ist auch unschädlich, wenn die Übertragung zu einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb der Stiftung führt, weil es sich bei dem übertragenen Vermögen um ein gewerbliches Einzelunternehmen oder eine Beteiligung an einer gewerblich tätigen Personengesellschaft handelt.3 Entscheidend ist allein, dass die empfangende Stiftung im Zeitpunkt des Erwerbs gemeinnützig ist.4

13.111

Die Steuerbefreiung entfällt nach § 13 Abs. 1 Nr. 16 Buchst. b Satz 2 ErbStG rückwirkend, wenn die Stiftung innerhalb von 10 Jahren nach dem Vermögenserwerb ihren Gemeinnützigkeitsstaus verliert unabhängig davon, ob der Entzug der Gemeinnützigkeit rückwirkend oder

13.112

1 Fischer in Feick, Stiftung als Nachfolgeinstrument, § 8 Rz. 4. 2 Schimpfky, ZEV 2015, 456. 3 ErbStR 2011, BStBl. I 2011, Sondernummer 1, 2, R E 13.8. Abs. 2 Satz 5; Schauhoff, ZEV 1995, 439; Buchna/Leichinger/Seeger/Brox, Gemeinnützigkeit11, S. 711; a.A. Schiffer/Fries in Schiffer, Die Stiftung in der Beraterpraxis4, § 8 Rz. 20. 4 Ponath/Raddatz in Feick, Stiftung als Nachfolgeinstrument, § 19 Rz. 3; insofern fraglich als die Stiftung bereits einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb unterhält, vgl. Rz. 13.155.

Meyer-Sandberg | 975

Kap. 13 Rz. 13.112 | Stiftungen als Instrument der Unternehmensnachfolge

nur für die Zukunft erfolgt. Andere mögliche Steuerbefreiungen wie die nach §§ 13a, b ErbStG bleiben hiervon unberührt. Gleichwohl sollte, um eine möglicherweise gravierende nachträgliche Erbschaft- und Schenkungsteuerbelastung zu vermeiden, für den Fall der Aberkennung der Gemeinnützigkeit in der Übertragungsvereinbarung ein Widerrufsvorbehalt aufgenommen werden. Durch dessen Ausübung und die Rückübertragung des Vermögens auf den Stifter erlischt die Schenkungsteuer nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG rückwirkend.

13.113

Wird durch Erbschaft oder Schenkung erworbenes steuerpflichtiges Vermögen innerhalb von 24 Monaten nach dem Erwerb auf eine gemeinnützige Stiftung übertragen, entfällt die auf den vorausgegangenen Erwerb erhobene Erbschaft- und Schenkungsteuer nach § 29 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 ErbStG rückwirkend. Dies gilt nach § 29 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 ErbStG nicht, wenn die Stiftung Leistungen nach § 58 Nr. 6 AO Leistungen an den Stifter oder seine nächsten Angehörigen zu erbringen hat, es sich also um eine „gemeinnützige Familienstiftung“ handelt, oder soweit der Erwerber für die Übertragung auf die Stiftung den Sonderausgabenabzug wählt. c) Privatnützige Stiftung aa) Steuerbefreiungen und Verschonungsregelungen

13.114

Die für gemeinnützige Stiftungen geltenden Steuerbefreiungen nach § 13 Abs. 1 Nr. 16 Buchst. b ErbStG oder § 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG finden keine Anwendung auf privatnützige Stiftungen.

13.115

Bei einer Stiftung als Instrument der Unternehmensnachfolge ist die Vermögensübertragung im Rahmen der Erstausstattung der Stiftung jedoch regelmäßig durch die Verschonungsregelungen der §§ 13a, b ErbStG privilegiert.1 Voraussetzung ist, dass es sich bei dem übertragenen Vermögen um solches i.S.v. § 13b Abs. 1 Nr. 1–3 ErbStG handelt, also um einen inländischen Betrieb, Teilbetrieb oder Mitunternehmeranteil (bzw. entsprechendes EU/EWRBetriebsvermögen) oder Anteile an einer inländischen (bzw. EU/EWR-) Kapitalgesellschaft, an der der Stifter mehr als 25 % der Anteile hält. Soweit es sich hierbei nicht um Verwaltungsvermögen i.S.v. § 13b Abs. 4 ErbStG handelt, werden weitreichende Verschonungsabschläge von 85 % im Rahmen der Regelverschonung nach § 13a Abs. 1 ErbStG und 100 % im Rahmen der Optionsverschonung nach § 13a Abs. 10 ErbStG auf den Wert des übertragenen Vermögens gewährt. Voraussetzung ist u.a., dass anschließend von der Stiftung als Erwerberin die Behaltensfrist nach § 13a Abs. 6 ErbStG, die Lohnsummenfrist nach § 13a Abs. 3 ErbStG und die Entnahmebeschränkung nach § 13a Abs. 2 ErbStG eingehalten werden.2 bb) Steuerklassenprivileg

13.116

Mangels bestehendem Verwandtschaftsverhältnis zum Stifter wäre auf den Vermögenserwerb der Stiftung nach § 15 ErbStG die ungünstige Steuerklasse III mit einem geringen Freibetrag nach § 16 ErbStG von nur 20.000 Euro und einem Steuersatz nach § 19 ErbStG von 30 % bzw. 50 % anzuwenden. Bei einer Familienstiftung wird jedoch nach § 15 Abs. 2 ErbStG eine Privilegierung bezüglich der anwendbaren Steuerklasse gewährt. Es wird bei einer Familienstiftung durch die Stiftung hindurchgeschaut und der Steuersatz nach dem Verwandtschaftsverhältnis des nach der Stiftungsurkunde entferntest Berechtigten zu dem Stifter bestimmt. Es 1 Lüdicke/Oppel in Lüdicke/Sistermann, Unternehmensteuerrecht2, § 16 Rz. 206. 2 Ausführlich Kapitel 9.

976 | Meyer-Sandberg

D. Errichtung | Rz. 13.119 Kap. 13

kann damit in Abhängigkeit vom Verwandtschaftsverhältnis zum entferntest Berechtigten auch zur Anwendung einer günstigeren Steuerklasse als die Steuerklasse III kommen. Dies gilt jedoch nur bezüglich der Erstausstattung und somit nicht für Zustiftungen, für die stets die Steuerklasse III gilt. Möglicherweise kann dies vermeiden werden, indem eine neue Stiftung errichtet wird, welche die eigentlich als Zustiftung vorgesehene Vermögensausstattung als Erstattung erhält; anschließend könnte, vorausgesetzt die stiftungsbehördliche Genehmigung wird hierzu erteilt, mit der älteren Stiftung verschmolzen werden.1 Eine Familienstiftung liegt nach § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG vor, wenn die Stiftung wesentlich im Interesse einer Familie oder bestimmter Familien errichtet ist. Der Begriff der Familie umfasst den Stifter, seine Angehörigen und deren Abkömmlinge i.S.v. § 15 AO.2 Wesentlich im Familieninteresse errichtet ist eine Stiftung nach Auffassung des BFH, wenn nach der Satzung das Wesen der Stiftung darin besteht, den berechtigten Familien es zu ermöglichen, das Stiftungsvermögen, soweit es einer privaten Nutzung zugänglich ist, zu nutzen und die Stiftungserträge an sich zu ziehen. Inwieweit davon Gebrauch gemacht wird ist nicht entscheidend.3 Die Finanzverwaltung geht entsprechend § 15 Abs. 2 AStG von einem wesentlichen Familieninteresse aus, wenn nach der Satzung der Stifter und seine Familie zur Hälfte bezugs- und anfallsberechtigt sind.4 Treten weitere besondere Merkmale hinzu (wie z.B. ein wesentlicher Einfluss der Familie auf die Geschäftsführung der Stiftung), kann eine Familienstiftung bereits bei einem Bezugs- und Anfallsrecht von nur 25 % zu bejahen sein.5

13.117

Zur Ermittlung des entferntest Berechtigten stellt die Finanzverwaltung nicht nur auf die aktuell Berechtigen sondern auf alle nach der Satzung potentiell Berechtigten auch künftiger Generationen ab.6 Es sollte daher bei der Gestaltung der Satzung grundsätzlich darauf geachtet werden, dass die Steuerklasse I Anwendung findet, d.h. nur der überlebende Ehegatte, die Kinder und die Abkömmlinge der Kinder des Stifters bezugsberechtigt sind.7 Sollen darüber hinaus weiter entfernte (z.B. Schwiegerkinder, Nichten und Neffen etc.) oder überhaupt nicht verwandte (z.B. eine gemeinnützige Organisation etc.) Personen begünstigt werden, sollte die Errichtung einer weiteren separaten Stiftung für diese Personengruppe in Erwägung gezogen werden.8 Statt einer weiteren Stiftung ist auch eine Vermögensübertragung auf die Stiftung unter der Auflage der Begünstigung dieser Personen denkbar, so dass sich die Begünstigung nicht aus der Satzung der Stiftung ergibt.9

13.118

Das Steuerklassenprivileg wirkt sich auf den anzuwendenden Steuersatz nach § 19 ErbStG aber auch auf die persönlichen Freibeträge § 16 ErbStG und alle Regelungen im Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz aus, die auf das persönliche Verhältnis abstellen.10 Es

13.119

1 Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 15 ErbStG Rz. 112; Richter/Gollan in Bonefeld/ Wachter, Der Fachanwalt für Erbrecht, S. 1287 Rz. 151 m.w.N. 2 ErbStR 2011, BStBl. I 2011, Sondernummer 1, 2, R E 1.2 Abs. 2 Satz 1; Weinmann in Weinmann/ Moench, § 1 ErbStG Rz. 12. 3 BFH v. 18.11.2009 – II R 46/07, BFH/NV 2010, 898; BFH v. 10.12.1997 – II R 25–94, BStBl. II 1998, 114. 4 ErbStR 2011, BStBl. I 2011, Sondernummer 1, 2, R E 1.2 Abs. 2 Satz 1. 5 ErbStR 2011, BStBl. I 2011, Sondernummer 1, 2, R E 1.2 Abs. 2 Satz 2, 3. 6 ErbStR 2011, BStBl. I 2011, Sondernummer 1, 2, R E 15.2. Abs. 1 Satz 1–3; so auch bereits RFH v. 23.1.1930, I e A 890/28, RStBl. 1930, 115. 7 Meyn/Richter/Gollan, Die Stiftung3, Rz. 579. 8 Bianchini-Hartmann/Richter in FS P+P Pöllath+Partners, S. 337. 9 Von Löwe in Feick, Stiftung als Nachfolgeinstrument, § 24 Rz. 113. 10 Pöllath/Richter in Seifart/v. Campenhausen, Stiftungsrechts-Handbuch4, § 13 Rz. 107.

Meyer-Sandberg | 977

Kap. 13 Rz. 13.119 | Stiftungen als Instrument der Unternehmensnachfolge

kommt jedoch nur ein Freibetrag zur Anwendung, auch wenn mehrere Personen dieser Steuerklasse begünstigt sind und mehrere Erwerbe innerhalb von 10 Jahren werden nach § 14 ErbStG zusammengerechnet.1 Regelmäßig werden alle direkten Abkömmliche des Stifters durch die Stiftung begünstigt, so dass die Steuerklasse I mit Steuersätzen nach § 19 Abs. 1 ErbStG von 7 %-30 % und einem Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG i.H.v. 200.000 Euro zur Anwendung kommen. Werden allgemein die Familie des Stifters und ihre Angehörigen begünstigt, ist die Steuerklasse III maßgeblich mit Steuersätzen nach § 19 Abs. 1 ErbStG von 30 % – 50 % und einem Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG i.H.v. lediglich 20.000 Euro.2 cc) Steuerentstehungszeitpunkt

13.120

Wird eine Stiftung von Todes wegen errichtet und ist die Stiftung als Erbe oder Vermächtnisnehmer eingesetzt, entsteht die Erbschaftsteuer nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c ErbStG auf den Erwerb der Erstausstattung erst im Zeitpunkt der Anerkennung der Stiftung.3 Anders als das Zivilrecht in § 84 BGB sieht das Erbschaftsteuergesetz somit keine steuerliche Rückwirkung der Anerkennung seitens der Stiftungsaufsicht vor (vgl. darauf basierende Gestaltungsüberlegungen Rz. 13.116). Zivilrechtlich ist die Stiftung aufgrund der Rückwirkungsfiktion bereits erbfähig auch wenn sie erst später durch Anerkennung der Stiftungsbehörde ihre Rechtsfähigkeit erlangt.4 Im Fall der Erstausstattung der Stiftung durch eine Auflage entsteht die Steuer nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d ErbStG erst im Zeitpunkt der Übertragung des gewidmeten Vermögens durch den auflagenbeschwerten Erben oder Vermächtnisnehmer.5

13.121

Die Erbschaftsteuer nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG auf den Erwerb durch Zustiftung von Todes wegen im Fall der Erbeinsetzung oder Vermächtnisanordnung einer bereits bestehenden Stiftung entsteht nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG mit dem Todestag des Erblassers. Bei einer Zustiftung aufgrund einer Auflage entsteht die Erbschaftsteuer nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 ErbStG zum Zeitpunkt der Vollziehung der Auflage, § 9 Abs. 1 Nr. 1d ErbStG.6

13.122

Erstausstattungen sowie Zustiftungen zu Lebzeiten des (Zu-)Stifters unterliegen nach § 7 Abs. 1 Nr. 8 Satz 1 ErbStG bzw. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG der Schenkungsteuer nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG im Zeitpunkt der Ausführung der Zuwendung mithin Übertragung des Vermögens.

3. Ertragsteuern a) Besteuerung stiller Reserven

13.123

Unter ertragsteuerlichen Gesichtspunkten stellt sich insbesondere die Frage, ob es zu einer Realisierung etwaiger stiller Reserven im übertragenen Vermögen kommt. Diese können gerade bei der Übertragung von Unternehmensbeteiligungen und unternehmerischem Vermögen erheblich sein.

1 2 3 4 5 6

Olbing, DB 2018, 2897; von Löwe in Feick, Stiftung als Nachfolgeinstrument, § 24 Rz. 120. Weinmann in Moench/Weinmann, § 15 ErbStG Rz. 41 f. Meyn/Richter/Koss/Gollan, Die Stiftung3, Rz. 460; a.A. Orth, ZEV 1997,327. Gebel, BB 2001, 2554. Gebel, Betriebsvermögensnachfolge2, Rz. 1257 ff. Meyn/Richter/Koss/Gollan, Die Stiftung3, Rz. 551.

978 | Meyer-Sandberg

D. Errichtung | Rz. 13.127 Kap. 13

b) Betriebe, Teilbetriebe und Mitunternehmeranteile Wird eine betriebliche Sachgesamtheit in Form eines Betriebes, Teilbetriebes oder Mitunternehmeranteilen unentgeltlich auf eine Familienstiftung übertragen, erfolgt dies zu Buchwerten nach § 6 Abs. 3 EStG und somit steuerneutral ohne Aufdeckung stiller Reserven. Voraussetzung ist, dass sämtliche funktional wesentlichen Betriebsgrundlagen übertragen werden. Zu beachten ist, dass nach § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 EStG nur die Übertragung des gesamten Mitunternehmeranteils auf die Familienstiftung zu Buchwerten erfolgt; die Übertragung eines Teils eines Mitunternehmeranteils ist nur bei der Übertragung auf eine natürliche Person steuerlich zu Buchwerten möglich.1

13.124

In seiner Neufassung durch das Anti-BEPS-Gesetz2 wurde § 6 Abs. 3 EStG dahingehend eingeschränkt, dass eine Buchwertübertragung nur noch dann zulässig ist, sofern die Besteuerung der stillen Reserven sichergestellt ist.3 Damit ist die unentgeltliche Übertragung eines Mitunternehmeranteils an einer gewerblich geprägten Personengesellschaft auf eine steuerbefreite gemeinnützige Stiftung nicht möglich. Die Beteiligung an einer gewerblich geprägten Personengesellschaft stellt bei der gemeinnützigen Stiftung keinen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb dar und ist somit ebenfalls steuerbefreit.4 Ob eine steuerneutrale Übertragung zu Buchwerten nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 4 EStG oder eine unentgeltliche, insbesondere ohne Mitübertragung von Verbindlichkeiten, Übertragung der Einzelwirtschaftsgüter möglich ist, sollte im Rahmen einer verbindlichen Auskunft geklärt werden.5

13.125

Die unentgeltliche Übertragung eines Betriebs der Mitunternehmeranteils auf eine Stiftung löst keine Nachversteuerung der in der Vergangenheit nach § 34a EStG begünstigt besteuerten thesaurierten Gewinne aus. Dies wurde durch den Gesetzgeber zwischenzeitlich durch Neufassung des §§ 34a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 52 Abs. 34 Satz 2 EStG für Übertragungen ab dem 5.7.2017 ausdrücklich geregelt. Zuvor wurde dies durch eine analoge Anwendung mit der Begründung der Vergleichbarkeit der unentgeltlichen Übertragung auf eine Stiftung mit der auf eine Kapitalgesellschaft bejaht.6

13.126

c) Anteile an Kapitalgesellschaften Die unentgeltliche Übertragung einer im Privatvermögen gehaltenen Kapitalgesellschaftsbeteiligung auf eine Familienstiftung oder gemeinnützige Stiftung unterliegt nicht der Einkommensteuer. Es handelt sich bei der unentgeltlichen Übertragung nicht um eine Veräußerung. Sie stellt auch keine verdeckte Einlage i.S.d. § 17 Abs. 1 Satz 2 EStG bzw. § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG dar. Beide Normen setzen die verdeckte Einlage in eine Kapitalgesellschaft voraus.

1 Als Gestaltungsmöglichkeit kommt in Betracht, den Teil des Mitunternehmeranteils nach § 24 UmwStG in eine gewerblich geprägte GmbH & Co. KG einzubringen und anschließend den gesamten Mitunternehmeranteil an der GmbH & Co. KG nach § 6 Abs. 3 EStG in die Familienstiftung, vgl. Wachter, FR 2017, 69 (71). 2 Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnverkürzungen und -verlagerungen; BGBl. I 2016, 3000. 3 Kulosa in Schmidt39, § 6 EStG Rz. 657. 4 BFH v. 25.5.2011 – I R 60/10, BStBl. II 2011, 858; BMF v. 31.1.2014 – IV A 4 - S 0062/14/10002, BStBl. I 290, Brandl in Baum/Buse/Brandl/Szymczak, § 64 AO Rz. 23. 5 Schienke-Ohletz, BB 2018, 2012 (2013); Alber, WPg 2018, 668. 6 OFD Frankfurt/M. v. 19.11.2013 – S 0181 A – 2 – St 53, DStR 2014, 803; a.A. BFH v. 19.1.2019 – III R 49/17, BFH/NV 2019, 861.

Meyer-Sandberg | 979

13.127

Kap. 13 Rz. 13.127 | Stiftungen als Instrument der Unternehmensnachfolge

Die Familienstiftung ist zwar juristische Person aber keine Kapitalgesellschaft, da sie über kein Stammkapital verfügt und damit auch keine Beteiligung an ihr bestehen kann.1

13.128

Befinden sich die Kapitalgesellschaftsanteile im Betriebsvermögen, stellt die unentgeltliche Übertragung auf eine Familienstiftung eine nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG mit dem Teilwert, mithin unter Aufdeckung etwaiger stiller Reserven, zu bewertende vorausgehende Entnahme dar. Da die Teilbetriebsfiktion des § 16 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG im Rahmen von § 6 Abs. 3 EStG keine Anwendung findet, gilt dies auch für eine 100 % -Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft.2 Im Fall der Übertragung auf eine gemeinnützige Stiftung besteht dagegen nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 4 EStG ein Wahlrecht die Entnahme mit dem Buchwert oder mit dem Teilwert anzusetzen.3 d) Einzelwirtschaftsgüter

13.129

Die vorstehenden Ausführungen zur steuerlichen Beurteilung der Übertragung von Anteilen an Kapitalgesellschaften gelten entsprechend für sonstige Einzelwirtschaftsgüter. Die unentgeltliche Übertragung von Einzelwirtschaftsgütern des Privatvermögens auf eine Familienstiftung wie auch gemeinnützige Stiftung führt grundsätzlich zu keiner Besteuerung. § 6 Abs. 6 Satz 2 EStG, wonach die verdeckte Einlage von Einzelwirtschaftsgütern in eine Kapitalgesellschaft zum Teilwert und somit unter Aufdeckung stiller Reserven zu erfolgen hat, findet keine Anwendung, da es sich bei der Familienstiftung nicht um eine Kapitalgesellschaft handelt.4

13.130

Bei der Übertragung von Einzelwirtschaftsgütern des Betriebsvermögens kann eine Besteuerung der stillen Reserven dagegen nur im Fall der Übertragung auf eine gemeinnützige Stiftung nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 4 EStG vermieden werden. e) Sonderausgaben-/Spendenabzug

13.131

Handelt es sich bei der Stiftung um eine gemeinnützige Stiftung, können die Zuwendungen nach § 10b Abs. 1 EStG, § 9 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 KStG, § 9 Nr. 5 Satz 1 GewStG jährlich bis zu 20 % des Gesamtbetrags der Einkünfte oder bis zu einer Höhe von 4 Promille der gesamten Umsätze und der im Kalenderjahr aufgewendeten Löhne und Gehälter als Sonderausgaben abgezogen werden (Spendenhöchstbetrag). Soweit die Zuwendungen diese Grenzen überschreiten oder zu einem negativen Einkommen führen würden, kann der Spender nach § 10b Abs. 1 Satz 9 EStG, § 9 Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 KStG, § 9 Nr. 5 Satz 2 GewStG diese in die folgenden Veranlagungsjahre unbegrenzt vortragen und dort im Rahmen der Höchstbeträge abziehen.

13.132

Spenden, die in den Vermögensstock der Stiftung geleistet werden (Vermögensstockspenden), können auf Antrag zusätzlich zu den vorgenannten Höchstbeträgen nach § 10b Abs. 1a Satz 1 EStG, § 9 Nr. 5 Satz 9 GewStG bis zu einem Gesamtbetrag von 1 Mio. Euro, bei zusammenveranlagten Ehegatten bis zu einem Gesamtbetrag von 2 Mio. Euro, als Sonderausgaben abgezogen werden. Der Abzugsbetrag kann im Jahr der Zuwendung und in den folgenden

1 Schienke-Ohletz, BB 2018, 2012; Brandmüller/Lindner, Gewerbliche Stiftungen, S. 53. 2 BFH v. 20.7.2005 – X R 22/02, BStBl. II 2006, 457. 3 Seer, GmbHR 2008, 785; ein möglicher Spendenabzug richtet sich nach § 10b Abs. 3 Satz 2 EStG nach dem angesetzten Wert der Entnahmen zzgl. Umsatzsteuer. 4 BMF v. 3.3.2005 – IV B 2 - S 2241 – 14/05, BStBl. I 2005, 458 Rz. 2 Beispiel 1.

980 | Meyer-Sandberg

D. Errichtung | Rz. 13.136 Kap. 13

neun Jahren, jedoch der Höhe nach insgesamt nur einmal und lediglich verteilt aufmehrere Jahre, in Anspruch genommen werden. Ein nicht genutzter Spendenvortrag geht im Erbfall des Stifters unter und kann nicht von den Erben genutzt werden.1 Die Höhe der Spende bestimmt sich bei Betriebsvermögen nach § 10b Abs. 3 Satz 2 EStG nach dem Wert mit dem dessen Entnahme, gegebenenfalls einschließlich Umsatzsteuer, angesetzt wurde. Spenden aus dem Privatvermögen werden nach § 10b Abs. 3 Satz 3 EStG mit dem gemeinen Wert bewertet und im Fall, dass es sich um steuerverstrickte Vermögengegenstände des Privatvermögens handelt, dürfen nach § 10b Abs. 3 Satz 4 EStG die fortgeführten Anschaffung- und Herstellungskosten nur insoweit überschritten werden, als eine Gewinnrealisierung stattgefunden hat. Der erweiterte Abzug für Vermögensstockspenden gilt nicht für Spenden, die von Körperschaften getätigt werden.

13.133

4. Sonstige Steuern Wird auf die Stiftung ein inländisches Grundstück übertragen, unterliegt dies der Grunderwerbsteuer. Allerdings ist der Grundstückserwerb von Todes wegen wie auch die Grundstücksschenkung unter Lebenden nach § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG steuerfrei. Dies gilt jedoch nur insoweit als die Grundstücksübertragung voll unentgeltlich ist.2 Gegenleistungen, die zur Qualifikation als gemischte Schenkung oder Schenkung unter Leistungsauflage führen,3 begründen eine Teilentgeltlichkeit. Gegebenenfalls ist der Vorgang in einen entgeltlichen und einen unentgeltlichen Teil aufzuteilen, wobei der entgeltliche Teil der Grunderwerbsteuer unterliegt.4

13.134

Umsatzsteuer wird im Rahmen der Errichtung der Stiftung nicht ausgelöst.5

13.135

VI. Anerkennungsverfahren Die Stiftung erlangt ihre Rechtsfähigkeit nach § 80 Abs. 1 BGB erst mit der Anerkennung durch die zuständige Landesstiftungsbehörde.6 Zuständig ist die Landesstiftungsbehörde in deren Bundesland die Stiftung ihren Sitz haben soll. Da der Stiftungssitz nicht zwingend mit dem Verwaltungssitz identisch sein muss, besteht die Möglichkeit den Sitz gezielt in ein Bundesland mit einem Landesstiftungsrecht, das viele Freiheiten (bspw. für Familienstiftungen keine Stiftungsaufsicht etc.)7 vorsieht und in den Zuständigkeitsbezirk einer Stiftungsbehörde und eines Finanzamtes, die möglicherweise besonders kompetent und serviceorientiert sind, zu legen (sog. forum shopping). Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 81 Abs. 1 BGB besteht nach § 80 Abs. 2 BGB ein Rechtsanspruch auf Anerkennung der Stiftung. Die Anerken-

1 Schimpfky, ZEV 2015, 456 (458). 2 Schimpfky, ZEV 2015, 456 (457). 3 Götz in Götz/Pach-Hanssenheimb, Handbuch der Stiftung, Rz. 666; v. Oertzen/Müller, Die Roten Seiten, Stiftung und Sponsoring 6/2003, S. 7; der Nießbrauch stellt im Grunderwerbsteuerrecht anders als im Ertragsteuerrecht eine Gegenleistung dar. 4 Geck, ZEV 1997, 284. 5 Brandmüller/Lindner, Gewerbliche Stiftungen, S. 57. 6 Streitig ob eine Vor-Stiftung entstehen kann was von Werner in Erman15, § 80 BGB Rz. 22 bejaht wird; a.A. Rawert in Staudinger, § 80 BGB Rz. 42 f. 7 Vgl. Rz. 15.144.

Meyer-Sandberg | 981

13.136

Kap. 13 Rz. 13.136 | Stiftungen als Instrument der Unternehmensnachfolge

nung stellt einen privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt dar.1 Nur solange die Anerkennung noch nicht erfolgt ist, kann der Stifter sein Stiftungsgeschäft nach § 81 Abs. 2 Satz 1, 2 BGB widerrufen.

13.137

Im Rahmen des Anerkennungsverfahrens prüft die Landesstiftungsbehörde, ob die Stiftungssatzung den gesetzlichen Vorgaben entspricht und ein wirksames Stiftungsgeschäft vorliegt. Genügt die Satzung den gesetzlichen Anforderungen nicht, ist die Stiftungsbehörde verpflichtet den Stifter davon zu unterrichten und Hinweise zu geben.2 Der Stifter kann dann die Satzung anpassen um die Anerkennung der Stiftung zu erreichen. Ist der Stifter schon verstorben und kein Testamentsvollstrecker bestellt, der die Anpassungen vornehmen kann, ist die Stiftungsbehörde nach §§ 81 Abs. 1 Satz 4, 83 Satz 2 BGB befugt, die Satzung des Stifters anzupassen oder der Stiftung eine Satzung zu geben. Dies soll gegebenenfalls in einer dem Stifterwillen konformen Art und Weise geschehen.3

13.138

Empfehlenswert ist es bereits den ausgearbeiteten Entwurf des Stiftungsgeschäfts und der Satzung vorab mit der zuständigen Stiftungsbehörde abzustimmen.

E. Laufende Verwaltung I. Allgemeines 13.139

Maßgeblich für das Handeln der Organe ist der Stifterwille, wie er sich aus dem Stiftungsgeschäft und der Stiftungssatzung gibt. Vor diesem Hintergrund ist es einzige Aufgabe der Stiftung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BGB den Stiftungszweck dauernd und nachhaltig zu erfüllen. Neben der Zweckerfüllungspflicht des Stiftungsvorstands umfasst dies als zentrale Aufgabe die Vermögensverwaltung.4 Die Vermögensverwaltung umfasst zum einen die Vermögenserhaltung mithin des Grundstocksvermögens und des Weiteren die Erwirtschaftung von Erträgen, um aus diesen die satzungsmäßigen Zwecke verwirklichen zu können.5

II. Vermögenserhalt 13.140

Umstritten ist was unter Vermögenserhaltung zu verstehen ist. Die Landesstiftungsgesetze schreiben regelmäßig nur vor, dass das Stiftungsvermögen „in seinem Bestand erhalten“ werden muss. Ob das Stiftungsvermögen in seinem Wert lediglich nominal oder unter Berücksichtigung von Inflation real zu erhalten ist, schreiben die Landesstiftungsgesetzen nicht vor.6 Entscheidend ist insofern der Stifterwille, der gegebenenfalls durch Auslegung des Stiftungsgeschäfts, der Stiftungssatzung und sonstiger Umstände bei Errichtung der Stiftung zu ermitteln ist. Sinn und Zweck des Kapitalerhaltungsgrundsatzes ist es, die Leistungsfähigkeit der Stiftung sicherzustellen, sodass dauerhaft ausreichend Kapital vorhanden ist um den Stiftungszweck zu verwirklichen. Dies erfordert grundsätzlich einen realen Werterhalt. Zu beachten ist jedoch, dass ein realer Werterhalt in einem Marktumfeld niedriger Zinsen bei gleich1 2 3 4 5 6

Backert in BeckOK, § 80 BGB Rz. 52. Hüttemann/Rawert in Staudinger, § 80 BGB Rz. 12. Weitemeyer in MüKo8, § 80 BGB Rz. 19. Hüttemann/Rawert in Staudinger, § 86 BGB Rz. 29. Reuter, NPLY 2002,157. Ausnahme § 4 Abs. 3 StiftungsG Sachsen; § 6 Abs. 2 StiftG Bayer grds. realer Erhalt jedoch dispositiv.

982 | Meyer-Sandberg

E. Laufende Verwaltung | Rz. 13.144 Kap. 13

zeitiger Inflation die Stiftung praktisch vor eine kaum lösbare Aufgabe stellen kann, wenn daneben noch die satzungsmäßigen Zwecke verwirklicht werden sollen. Streitig ist, was gilt, wenn der Stifter die Vermögenserhaltung nicht geregelt hat und sein Wille diesbezüglich nicht ermittelt werden kann. Im Zweifel dürfte lediglich von einer nominalen Werterhaltung auszugehen sein.1 Auch das Stiftungssteuerrecht geht grundsätzlich davon aus, dass lediglich der Nennwert erhalten werden muss, indem der realen Kapitalerhaltung mithilfe freier Rücklagen nach § 58 Nr. 7a AO Grenzen gesetzt werden.2 Im Fall unternehmensverbundener Stiftungen, bei denen charakteristisch das Grundstockvermögen im Wesentlichen aus einer Unternehmensbeteiligung besteht, stellt sich diese Frage allerdings nicht wie bei andere Stiftungen deren Grundstocksvermögen aus Geldvermögen und Wertpapieren besteht. Bei unternehmensverbundenen Stiftungen stellt sich im Zusammenhang mit dem Vermögenserhaltungsgrundsatz vielmehr die Frage inwiefern das Vermögen gegenständlich zu erhalten ist, mithin Vermögensumschichtungen möglich sind. Vermögensumschichtungen sind grundsätzlich zulässig und stehen dem Grundsatz der Vermögenserhaltung nicht entgegen bzw. sind dazu unter bestimmten Umständen sinnvoll oder sogar notwendig.3 Das aus der Umschichtung von Vermögensgegenständen entstandene Vermögen unterliegt nicht dem Gebot der zeitnahen Mittelverwendung.4 Maßgeblich für die Zulässigkeit von Vermögensumschichtungen ist aber auch hier allein der Stifterwille wie er in der Stiftungssatzung seinen Ausdruck findet. Auch wenn das wesentliche Motiv des Stifters für die Errichtung einer unternehmensverbundenen Stiftung der Erhalt des Unternehmens und der Schutz vor Zersplitterung ist, erscheint es ratsam in der Satzung zu regeln, wann eine Veräußerung der Unternehmensbeteiligung ausnahmsweise zulässig sein soll.5

13.141

Der Stifter sollte in jedem Fall das Vermögenserhaltungskonzept an der Art des Stiftungsvermögens und der Zwecksetzung ausrichten und dieses ausdrücklich in der Satzung niederlegen. Insbesondere sollte geregelt sein, ob lediglich ein nominaler oder realer Werterhalt erfolgen soll und inwieweit Vermögensumschichtungen möglich sein sollen.

13.142

III. Mittelverwendung Die Mittelverwendung ist geprägt durch das Admassierungsverbot und die Pflicht zur sparsamen Wirtschaftsführung.

13.143

Das Admassierungsverbot findet bei gemeinnützigen Stiftungen seinen Ausdruck im Gebot der Selbstlosigkeit nach § 55 AO und dort insbesondere im Grundsatz der zeitnahen Mittelverwendung nach § 55 Abs. 1 Nr. 5 AO. Eine Förderung oder Unterstützung erfolgt selbstlos,

13.144

1 Wigand/Heuel/Stolte/Haase-Theobald, Stiftungen in der Praxis, Kap. 7 Rn. 17; a.A. Theuffel-Werhahn, SB 2012, 228; HFA Verlautbarung zur Rechnungslegung von Stiftungen FN-IDW 2000, 129. 2 Schlüter/Stolte, Stiftungsrecht, Kap. 5 Rz. 13. 3 Carstensen, Vermögensverwaltung, Vermögenserhaltung und Rechnungslegung gemeinnütziger Stiftungen, 1996, S. 75 m.w.N.; vgl. Müller, ErbStB 2004, 2013 (2014). 4 BMF v. 31.1.2014 – IV A 4 - S 0062/14/10002, BStBl. I 2014, 290, zu AEAO zu § 55 Ziff. 27; es sei jedoch dann eine Pflicht zur zeitnahen Mittelverwendung bestehen, wenn die Veräußerung im Rahmen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs erfolgt, vgl. Buchna/Leichinger/Seeger/Brox, Gemeinnützigkeit11, S. 191 ablehnend, wenn die Wirtschaftsgüter zum Ausstattungskapital gehört haben. 5 Vgl. Falk, Stiftungsratgeber Vermögensanlage, S. 24; Fischer in Stiftung als Nachfolgerinstrument, S. 31 mit Formulierungsbeispiel.

Meyer-Sandberg | 983

Kap. 13 Rz. 13.144 | Stiftungen als Instrument der Unternehmensnachfolge

wenn dadurch nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgt werden. Der Zweck einer Körperschaft ist eigenwirtschaftlich, wenn die Tätigkeit in erster Linie darauf gerichtet ist, Vermögen und Einkünfte zu mehren. Vielmehr müssen grundsätzlich sämtliche Mittel zeitnah für die satzungsmäßigen Zwecke verwendet werden.

13.145

Zeitnah zu verwendende Mittel in diesem Sinne sind sämtliche Vermögenswerte, die im Eigentum und in der Verfügungsmacht der Körperschaft stehen und zur Erfüllung des Satzungszwecks geeignet sind. Dazu zählen neben z.B. Spenden und Erträgen des Stiftungsvermögens auch Gewinne aus Zweckbetrieben und steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben, nicht jedoch das Grundstockvermögen. Eine zeitnahe Verwendung bedeutet nach § 55 Abs. 1 Nr. 5 Satz 3 AO eine Verwendung der Mittel für die steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke spätestens in den auf den Zufluss folgenden zwei Kalender- oder Wirtschaftsjahren.

13.146

Ausnahmen vom Gebot der zeitnahen Mittelverwendung sind nur in engen Grenzen möglich und seit dem 1.1.2014 in § 62 AO geregelt. Zulässig sind freie Rücklagen nach § 62 Abs. 1 Nr. 3 AO i.H.v. maximal einem Drittel des Überschusses der Vermögensverwaltung sowie i.H.v. 10 % der sonst noch zeitnah zu verwendenden Mittel, Rücklagen nach § 62 Abs. 1 Nr. 4 AO um die Beteiligungsquote bei einer Kapitalerhöhung des Beteiligungsunternehmens aufrechtzuerhalten, Projektrücklagen nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 AO für zukünftige konkrete zweckverwirklichende Projekte sowie Betriebsmittelrücklagen für periodisch wiederkehrende Ausgaben und Verpflichtungen gegenüber Dritten (wie z.B. Löhne, Gehälter und Mieten), Wiederbeschaffungsrücklagen nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 AO entsprechend dem jährlichen Wertverzehr des später zu ersetzenden Wirtschaftsgut und schließlich können Stiftung nach § 62 Abs. 4 AO im Jahr der Errichtung und in den drei folgenden Kalenderjahren Überschüsse aus der Vermögensverwaltung und Gewinne aus wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben ganz oder teilweise ihrem Vermögen zuführen.

13.147

Ausgenommen vom Gebot der zeitnahen Mittelverwendung ist auch das in § 62 Abs. 3 Nr. 14 AO genannte Vermögen, welches nicht den Rücklagen zuzuordnen ist („Ausstattungsvermögen“).1 Nicht vom Gebot der zeitnahen Mittelverwendung ausgenommen sind die aus dem Ausstattungsvermögen erzielten Erträge, soweit sie nicht in zulässiger Weise den Rücklagen zugeführt werden. Nach Auffassung der Finanzverwaltung handelt es sich bei § 62 Abs. 3 AO um einen abschließenden Katalog.2 Den dort genannten Mittelzuführungen ist gemeinsam, dass die freigebige Zuwendung nach dem Willen des Spenders in das Vermögen der Körperschaft überführt werden soll.3 § 62 Abs. 3 Nr. 2 AO umfasst bei einer rechtsfähigen Stiftung insbesondere das Grundstockvermögen.4 Als Sachzuwendungen, die ihrer Natur nach zum Vermögen gehören, sind von § 62 Abs. 3 Nr. 4 AO z.B. Immobilien erfasst. § 62 Abs. 3 AO schließt nicht aus, dass die Mittel zur Erfüllung der satzungsmäßigen Zwecke eingesetzt werden, mithin nicht „dauerhaft zu erhaltendes Vermögen“, vergleichbar dem Grundstockvermögen einer Stiftung, darstellen, es sei denn dies ist der ausdrückliche Wille des Zuwendenden.

1 Buchna/Leichinger/Seeger/Brox, Gemeinnützigkeit11, S. 249. 2 BMF v. 31.1.2014 – IV A 4 - S 0062/14/10002, BStBl. I 2014, 290, zu AEAO zu § 62 Ziff. 16 S. 2; a.A. Koenig, in Koenig3, § 62 AO Rz. 17. 3 Koenig in Koenig3, § 62 AO Rz. 17; Hüttemann, DB 2000, 1584. 4 Werner/Saenger/Fischer in Die Stiftung, § 3 Rz. 64.

984 | Meyer-Sandberg

E. Laufende Verwaltung | Rz. 13.151 Kap. 13

Zwar schreiben einige Landesstiftungsgesetze eine sparsame und wirtschaftliche Geschäftsführung vor, jedoch sind diese eher als Sollvorschriften zu verstehen.1 Bei gemeinnützigen Stiftungen kommt hinzu, dass diese nach § 50 Abs. 1 Nr. 3 AO keine Person durch Ausgaben, die dem Zweck der Körperschaft fremd sind oder durch unverhältnismäßig hohe Vergütungen begünstigen darf.

13.148

IV. Besteuerung 1. Stiftung a) Unbeschränkte Steuerpflicht Die inländische rechtsfähige Stiftung ist als juristische Person unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig und gegebenenfalls auch gewerbesteuer- und umsatzsteuerpflichtig. Während in der laufenden Verwaltung der Stiftung Besteuerungsfolgen vornehmlich bei der Familienstiftung auf der Ebene der Stiftung und ihrer Destinatäre eintreten, ist dies bei der der gemeinnützigen Stiftung nur eingeschränkt auf der Ebene der Stiftung der Fall.

13.149

b) Gemeinnützige Stiftung

Rechtsfähige, inländische Stiftungen, welche gemeinnützig i.S.v. §§ 51 ff. AO sind, insbesondere ausschließlich und unmittelbar steuerbegünstigte Zwecke verfolgen, sind mit ihren Einkünften grundsätzlich von der Körperschaftsteuer nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG und von der Gewerbesteuer nach § 3 Nr. 6 GewStG befreit. Von der Körperschaftsteuerbefreiung ausgenommen sind nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 3 Satz 1, 2 KStG inländische Einkünfte, die dem Steuerabzug unterliegen. Dies gilt insbesondere für Kapitalerträge, die der Abgeltungssteuer nach § 43 Abs. 1 EStG unterliegen und für die die Stiftung keine Nichtveranlagungsbescheinigung bzw. Bescheinigung über ihrer Gemeinnützigkeit nach § 44 Abs. 4, 7 EStG vorgelegt hat. Es ist jedoch ein Antrag auf Kapitalertragsteuererstattung nach § 44b Abs. 1 Satz 1 EStG möglich.

13.150

Voraussetzung der Steuerbegünstigung ist, dass die Einkünfte im steuerbegünstigten gemeinnützigen bzw. ideellen Bereich, im steuerbefreiten Bereich der Vermögensverwaltung oder im Bereich der ausnahmsweise steuerbefreiten Zweckbetriebe erzielt wurden. Soweit die Einkünfte aus einem von der Stiftung unterhaltenen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb i.S.v. § 64 Abs. 1 AO erzielt wurden, besteht dagegen eine – partielle – Steuerpflicht der gemeinnützigen Stiftung nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 KStG.2 Der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb ist dadurch charakterisiert, dass die Stiftung hier zu anderen steuerpflichtigen Unternehmen in einem für die Verfolgung steuerbegünstigter Zwecke nicht erforderlichen Maß in Wettbewerb tritt.3 Die Einkünfte unterliegen damit der Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer. Die Steuerbefreiung von Einkünften aus den anderen Bereichen bleibt hiervon unberührt.4

13.151

1 Vgl. Art. 11 Abs. 1 Satz 1, 14 BayStiftG; § 6 Abs. 2 Satz 1 BremStiftG; § 7 Abs. 1 Satz 1 BWStiftG; § 6 Abs. 4 Satz 3 NdsStiftG; § 8 Abs. 1 ThürStiftG; § 8 Abs. 3 Satz 1 MVStiftG; Reuter, NPLY 2002, 157. 2 BFH v. 27.7.1988 – I R 113/84, BStBl. II 1989, 134; Buchna/Leichinger/Seeger/Brox, Gemeinnützigkeit11, Rz. 2.15.3.3. 3 Schauhoff, Handbuch der Gemeinnützigkeit3, § 7 Rz. 5. 4 Riedel in Praxishandbuch Unternehmensnachfolge, S. 449 Rz. 71 weist unter Hinweis auf die Geprägetheorie des BFH v. 15.7.1998 – I R 156–94, BStBl. II 2002, 162 auf das Risiko hin, dass bei entsprechendem Umfang der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb der Stiftung insgesamt der das Gepräge geben kann, dass hierdurch ihr Charakter als gemeinnützige Stiftung verloren geht unter Hinweis auf die Geprägetheorie des BFH v. 15.7.1998 – I R 156-94, BStBl. II 2002, 162.

Meyer-Sandberg | 985

Kap. 13 Rz. 13.152 | Stiftungen als Instrument der Unternehmensnachfolge

13.152

Die Beteiligung einer gemeinnützigen Stiftung an einer gewerblich tätigen Personengesellschaft gilt grundsätzlich als wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb.1 Als Mitunternehmerin einer gewerblich tätigen Personengesellschaft ist die Stiftung in der Regel gewerblich tätig und beteiligt sich damit als Mitunternehmerin am allgemeinen Markt. Dies gilt unabhängig davon, ob die Stiftung Einfluss auf die Geschäftsleitung der Personengesellschaft hat.2 Einkünfte aus Beteiligungen an rein vermögensverwaltend tätigen Personengesellschaften ebenso wie an gewerblich geprägten Personengesellschaften nach § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG bleiben hingegen steuerfrei, da es sich um Einkünfte aus Vermögensverwaltung handelt.3 Dagegen gehört die Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft grundsätzlich zum Bereich der steuerbefreiten Vermögensverwaltung, es sei denn, die Stiftung übt tatsächlich entscheidenden Einfluss auf die laufende Geschäftsführung der Kapitalgesellschaft aus oder es liegt ein Fall der Betriebsaufspaltung vor.4 Besteht die Beteiligung an einer vermögensverwaltenden Kapitalgesellschaft, liegt auch bei Einflussnahme kein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb vor.5

13.153

Die Steuervergünstigungen für die Körperschaft- und Gewerbesteuer entfallen für den ganzen Veranlagungs- bzw. Bemessungszeitraum, wenn die Satzung oder tatsächliche Geschäftsführung die Anforderungen an die Steuerbefreiung zu einem Zeitpunkt während dieses Zeitraums verletzen.

13.154

Die Stiftung unterliegt nach § 1 Abs. 1 Nr. 4, § 23 Abs. 1 KStG und § 2 Nr. 3, § 3 Nr. 1, 4 SolZG der Körperschaftsteuer einschließlich Solidaritätszuschlag i.H.v. insgesamt 15,825 %. Da die Fiktion aller Einkünfte als gewerbliche Einkünfte nach § 8 Abs. 2 KStG für die Stiftung nicht gilt, kann sie steuerbare Einkünfte in allen sieben Einkunftsarten des § 2 Abs. 1 EStG erzielen.6 Die satzungsmäßige Verwendung des Einkommens für Zuwendungen an die Begünstigten mindert nach § 10 Nr. 1 KSG nicht das steuerpflichtige Einkommen der Stiftung.

13.155

Werden von der Stiftung Anteile an einer Kapitalgesellschaft gehalten, stellt dies regelmäßig nur Vermögensverwaltung dar aus der die Stiftung Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG bezieht und gegebenenfalls Veräußerungsgewinne nach § 17 EStG bzw. § 20 Abs. 2 Nr. 1 EStG erzielt. Darauf finden die Steuerbefreiungsvorschriften des §§ 8b Abs. 1 und 2 KStG Anwendung, wonach im Ergebnis 95 % der Beteiligungseinkünfte – 5 % gelten als nicht abzugsfähige Betriebsausgaben – steuerfrei sind. Im Fall von Dividenden nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG setzt dies nach § 20 Abs. 4 Satz 1 KStG jedoch voraus, dass die Stiftung zu Beginn des Kalenderjahrs unmittelbar zu mindestens 10 % an der Kapitalgesellschaft beteiligt ist. Die effektive Steuerbelastung beträgt dann lediglich rd. 0,8 %. Die Einkünfte der Stiftung aus Kapitalvermögen sind nach § 8 Abs. 10 Satz 1 KStG zwingend in die Veranlagung einzubeziehen und somit nicht mit einem Kapitalertragsteuerabzug abgegolten. Gleichwohl gelten die Verlustausgleichsbeschränkungen nach § 20 Abs. 6 und das Abzugsverbot tatsächlich angefallener Werbungskosten nach § 20 Abs. 9 EStG7, es sei denn es liegen nach § 8 Abs. 10

c) Körperschaftsteuer

1 2 3 4 5 6 7

BMF v. 31.1.2014 – IV A 4 - S 0062/14/10002, BStBl. I 2014, 290, zu AEAO zu § 64 Abs. 1 Nr. 3. BFH v. 27.3.2001 – I R 78/99, BStBl. II 2001,449. BFH v. 25.5.2011 – I R 60/10, BStBl. II 2011, 858; BFH v. 18.2.2016 – V R 60/13, BStBl. II 2017, 251. BMF v. 31.1.2014 – IV A 4 - S 0062/14/10002, BStBl. I 2014, 290, zu AEAO zu § 64 Abs. 1 Nr. 3. BMF v. 31.1.2014 – IV A 4 - S 0062/14/10002, BStBl. I 2014, 290, zu AEAO zu § 64 Nr. 3. v. Oertzen/Müller, Die Roten Seiten, Stiftung und Sponsoring 6/2003, S. 7. Vgl. BT-Drucks. 16/11.108, S. 34; Richter in von Campenhausen/Richter, Stiftungsrechts-Handbuch4, § 13 Rz. 81, im Umkehrschluss aus § 8 Abs. 10 Satz 2 Halbs. 2 KStG.

986 | Meyer-Sandberg

E. Laufende Verwaltung | Rz. 13.159 Kap. 13

Satz 2 KStG die entsprechenden Voraussetzungen des § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 und Nr. 3 Satz 1 und Satz 3-6 EStG vor. d) Gewerbesteuer Soweit die Stiftung einen inländischen Gewerbebetrieb nach § 2 Abs. 1 GewStG oder wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb nach § 2 Abs. 3 GewStG unterhält, unterliegt der Gewerbeertrag der Gewerbesteuer. Für die Familienstiftung gilt dies uneingeschränkt, so dass auch die Beteiligung an einer gewerblich geprägten Personengesellschaft i.S.v. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG der Familienstiftung der Gewerbesteuer unterliegende Gewerbeerträge vermittelt. Die Gewerbesteuer auf gewerbesteuerpflichtige Einkünfte beträgt 14 % bei einem durchschnittlichen Hebesatz von 400 % zusätzlich zu Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag.

13.156

e) Umsatzsteuer Anders als für den Bereich der Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer besteht für gemeinnützige Stiftungen keine grundsätzliche Steuerbefreiung von der Umsatzsteuer. Ihre Umsätze sind unter den allgemeinen Voraussetzungen umsatzsteuerbar.

13.157

Jedoch sind Leistungen der Stiftung im ideellen Bereich der nichtunternehmerischen Sphäre zuzuordnen, da diese nicht auf die Leistungserbringung im Rahmen eines Leistungsaustauschs abzielen und somit auch nicht der Erzielung von Einnahmen dienen. Im Bereich der Vermögensverwaltung ist danach zu differenzieren, ob es sich um eine nachhaltige gewerbliche oder berufliche Betätigung i.S.v. § 2 Abs. 1 UStG (wie z.B. regelmäßig bei der Vermietung und Verpachtung von Vermögensgegenständen nicht jedoch hinsichtlich Erträge aus Kapitalvermögen) handelt. Eindeutig dem unternehmerischen Bereich der Stiftung zuzuordnen und damit der Umsatzsteuer unterliegen Leistungen im Rahmen von wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben oder Zweckbetrieben.1 Allerdings erfolgt eine Privilegierung insofern als für Leistungen, die nicht im Rahmen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs ausgeführt werden nach § 12 Abs. 2 Nr. 8a UStG ein ermäßigter Steuersatz i.H.v. 7 % gilt,2 zugleich aber der volle Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 UStG gewährt wird. Dies gilt derzeit nach Auffassung der Finanzverwaltung auch für Umsätze in der Vermögensverwaltung.3 Der BFH wendet den ermäßigten Steuersatz in der Vermögensverwaltung ausschließlich insoweit an, als es sich um eine nichtunternehmerische Tätigkeit im umsatzsteuerlichen Sinne handelt.4

13.158

Für Familienstiftungen finden die allgemeinen Regelungen des Umsatzsteuerrechts uneingeschränkt Anwendung.5 Die satzungsmäßigen Zuwendungen der Stiftung an die Destinatär löst mangels einer Gegenleistung jedoch grundsätzlich keine Umsatzsteuer aus.6

13.159

1 Ponath/Arnsperger in Feick, Stiftung als Nachfolgeinstrument, § 20 Rz. 42 ff. 2 BMF-Schr. v. 9.2.2007 – IV A 5 - S 7242-a/07/0001, BeckVerw 088380 bezüglich der Einschränkung für Zweckbetriebe nach § 12 Abs. 2 Nr. 8a Satz 3. 3 Abschn. 12.9. Abs. 3 Satz 6 UStAE. 4 BFH v. 20.3.2014 – V R 4/13, BFH/NV 2014, 1470, wonach die Vermietung und Verpachtung i.S.v. § 4 Nr. 12 UStG ebenfalls eine unternehmerische Tätigkeit darstellt und mit dem Regelsteuersatz besteuert wird; die Finanzverwaltung wendet dieses Urteil (bisher) nicht an. 5 Götz in Berndt/Götz, Stiftung und Unternehmen, Rz. 861. 6 Götz in Berndt/Götz, Stiftung und Unternehmen, Rz. 862.

Meyer-Sandberg | 987

Kap. 13 Rz. 13.160 | Stiftungen als Instrument der Unternehmensnachfolge

f) Ersatzerbschaftsteuer

13.160

Familienstiftungen, mithin solche die wesentlich im Interesse einer Familie oder bestimmter Familien errichtet sind und ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz im Inland haben, unterliegen nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 ErbStG in Zeitabständen von je 30 Jahren vom Zeitpunkt des ersten Übergangs von Vermögen auf die Familienstiftung an der Erbschaftsteuer.1 Dadurch soll verhindert werden, dass in Familienstiftungen gebundenes Vermögen auf Generationen der Erbschaftsteuer entzogen wird.2

13.161

Dazu wird in Abständen von je 30 Jahren ein Generationswechsel fingiert, bei dem der Erblasser zwei Kinder hinterlässt.3 Entsprechend wird nach § 15 Abs. 2 Satz 3 ErbStG ein doppelter Kinderfreibetrag gewährt und die Steuer nach dem Tarif der Steuerklasse I berechnet, der für die Hälfte des Vermögens gelten würde. Die Ersatzerbschaftsteuer kann damit trotz ihrer Belastung von bis zu annähernd 30 % des Stiftungsvermögens vorteilhafter sein als die Erbschaftsteuer im normalen Erbgang, z.B. im Fall einer kürzeren Erbfolge als 30 Jahre, bei Eingreifen einer ungünstigeren Steuerklasse als die Steuerklasse I oder bei nur einem oder gar keinem Kind als Erben.4 Zudem ist die Erbschaftsteuer wegen ihres konkreten Entstehungszeitpunkts besser plan- und gestaltbar. Zur optimalen Ausnutzung der Freibeträge und von Progressionseffekten empfiehlt sich bei mehreren Kindern als Destinatäre oftmals auch die Errichtung jeweils einer eigenen Stiftung für jedes Kind.5

13.162

Bemessungsgrundlage der Ersatzerbschaftsteuer ist das gesamte Vermögen der Stiftung zum Zeitpunkt des Entstehens der Erbschaftsteuer, so dass auch Vermögenszuwächse kurz vor dem Stichtag vollumfänglich erfasst werden.6 Dies gilt auch bezüglich Zustiftungen nach Errichtung der Stiftung.

13.163

Diesen Aspekt gilt es insbesondere auch bei der Errichtung von sog. Stufenstiftungen zu berücksichtigen. Bei der Stufenstiftung gründete der Stifter die Familienstiftung noch zu Lebzeiten und überträgt ihr zunächst nur geringe Vermögenswerte. Vorteil der Errichtung einer Stiftung in Stufen beginnend zu Lebzeiten ist, dass der Stifter das stiftungsaufsichtliche Anerkennungsverfahren selbst aktiv begleiten und etwaige Anpassungen des Stiftungsgeschäfts und der Satzung selbst vornehmen kann. Insbesondere wenn die Stiftung als Instrument der Unternehmensnachfolge eingesetzt werden soll, ist es wichtig, dass im Todeszeitpunkt bereits eine nach den Vorstellungen des Erblassers funktionierende Stiftung existiert.7 Mit dem Zeitpunkt der erstmaligen Vermögensübertragung beginnt jedoch bereits der Lauf der 30-JahresFrist der Ersatzerbschaftsteuer. Liegt zwischen der erstmaligen Zuwendung und der späteren, innerhalb der 30-Jahres-Frist geleisteten erheblich wertvolleren Zuwendung (z.B. von Todes

1 Das BVerfG hat mit Urteilen v. 8.3.1983 – 2 BvL 27/81, BVerfGE 63, 312 und v. 22.8.2011 – 1 BvR 2570/10, ZEV 2012, 51 die Erbersatzsteuer ausdrücklich für verfassungsgemäß erklärt. Für Alt-Stiftungen, deren erstmaliger Vermögensübergang am oder vor dem 1.1.1954 stattgefunden hat, war die 1974 eingeführte Erbersatzsteuer nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 ErbStG erstmalig am 1.1.1984 (das zweite Mal am 1.1.2014) fällig. 2 Zweiter Bericht des BT-Finanzausschusses v. 3.12.1973 zum Regierungsentwurf eines Zweiten StReformG, BT-Drucks. 7/1333, 3; BFH v. 25.1.2017 – II R 26/16, BStBl. II 2018, 199. 3 BVerfG v. 8.3.1983 – 2 BvL 27/81, BVerfGE 63, 312; BFH v. 18.11.2009 – II R 46/07, BFH/NV 2010, 898. 4 Pöllath/Richter in Seifart/von Campenhausen, Stiftungsrechts-Handbuch4, § 13 Rz. 112. 5 v. Oertzen/Müller, Die Roten Seiten, Stiftung und Sponsoring 6/2003, S. 8. 6 Feldner/Stoklassa, ErbStB 2014, 227 (229). 7 Vgl. Ihle, RNotZ 2009, 557 (562).

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E. Laufende Verwaltung | Rz. 13.167 Kap. 13

wegen) ein längerer Zeitraum, wird die Ersatzerbschaftsteuer auf die spätere Zuwendung deutlich früher als nach Ablauf von 30 Jahren ausgelöst. Insofern gilt es die Vor-und Nachteile einer Stufenstiftung sorgfältig abzuwägen. Im Rahmen der Ersatzerbschaftsteuer gelten grundsätzlich die allgemeinen Steuerbefreiungsvorschriften (z.B. § 13 ErbStG) und sonstigen Begünstigungsregelungen des Erbschaftsteuergesetzes. Dies umfasst auch die Verschonung von Betriebsvermögen und Anteilen an Kapitalgesellschaften nach §§ 13a, b ErbStG.1 Bei unternehmensverbundenen Familienstiftungen lässt sich dadurch bestenfalls eine weitgehende bzw. vollständige Steuerbefreiung erreichen (vgl. Rz. 13.119).

13.164

Es kann sich vor dem Hintergrund möglicherweise, sofern dies nicht dem Stifterwillen widerspricht oder sonst wirtschaftlich nicht sinnvoll ist, auch anbieten, die Bemessungsgrundlage zu reduzieren indem z.B. nicht privilegiertes Privat- oder Verwaltungsvermögen in begünstigtes Betriebsvermögen umgeschichtet wird. Sofern die – nach § 13 Abs. 1 Nr. 16b ErbStG steuerfreie – Umwandlung der Familienstiftung in eine gemeinnützige Stiftung in Erwägung gezogen wird, kann die Ersatzerbschaftsteuer verhindert werden, wenn die Umwandlung noch vor Ablauf der 30-Jahres-Frist erfolgt.2 Zur Reduzierung der Bemessungsgrundlage könnte die Stiftung aber auch die satzungsmäßigen Ausschüttungen an die Destinatäre vor dem Ersatzerbschaftsteuertermin intensivieren oder turnusmäßige Ausschüttungen vorziehen.3 Nach § 10 Abs. 7 ErbStG nicht abgezogen werden kann der Kapitalwert künftiger Leistungen an die Destinatäre. Dies gilt ebenso für Versorgungsleistungen an den Stifter oder seine Angehörigen aufgrund von Ertragsvorbehalten im Rahmen der Erstausstattung.4 Auch die Ersatzerbschaftsteuer selbst ist nach § 10 Abs. 8 ErbStG nicht von ihrer eigenen Bemessungsgrundlage abzugsfähig.5

13.165

2. Stifter Das Vermögen der Stiftung als selbstständige juristische Person ist dem Zugriff des Stifters entzogen. Nur insoweit als der Stifter (z.B. als Organmitglied, Begünstigter etc.) Leistungen von der Stiftung erhält, unterliegen diese bei ihm der Besteuerung.6

13.166

3. Destinatäre Zuwendungen, welche die Destinatäre von der Familienstiftung erhalten, erfolgen zwar unentgeltlich, unterliegen jedoch nicht der Schenkungssteuer. Die Zuwendungen werden in Erfüllung des Stiftungszwecks geleistet und erfolgen somit nicht freigebig.7 Lediglich bei nicht

1 Weinmann in Moench/Weinmann, § 1 ErbStG Rz. 21. 2 Pöllath/Richter in Seifart/von Campenhausen, Stiftungsrechts-Handbuch3, § 13 Rz. 137. 3 Richter in v. Campenhausen/Richter, Stiftungsrecht4, § 13 Rz. 92; Hof/Bianchini-Hartmann/Richter, Stiftungen2, S. 204. 4 Gebel, Betriebsvermögensnachfolge2, Rz. 1214; vgl. Rz. 13.68. 5 Berndt, Stiftung und Sponsoring 4/2004,15; Orth, DB 2018, 2588 (2592), durch die Bildung einer zweckgebundenen Gewinnrücklage, welcher über 30 Jahre jährlich Teilbeträge der zu erwartenden Erbersatzsteuer zugeführt werden, kann bilanzielle Vorsorge getroffen werden. 6 Zur Ausnahme nach § 15 AStG bei ausländischen Familienstiftungen s. Rz. 13.199; bzgl. Vermögensübertragungen in Form von Zustiftungen, Spenden etc. s. Rz. 13.98. 7 Meilicke, DStR 2017, 227 (229); von Löwe in Feick, Stiftung als Nachfolgeinstrument, § 26 Rz. 23 ff. m.w.N.

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13.167

Kap. 13 Rz. 13.167 | Stiftungen als Instrument der Unternehmensnachfolge

von der Satzung gedeckten Zuwendungen der Stiftung handelt es sich um schenkungsteuerpflichtige freigebige Zuwendungen unter Lebenden i.S.v. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG.1

13.168

Satzungsmäßigen Zuwendungen unterliegen bei den Destinatären als Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG der Einkommensteuer.2 Voraussetzung nach § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG ist, dass die Leistungen an die Destinatäre Gewinnausschüttungen wirtschaftlich vergleichbar sind.3 Dies ist nach Auffassung des BFH der Fall, wenn die Destinatäre unmittelbar oder mittelbar Einfluss auf das Ausschüttungsverhalten der Stiftung nehmen können.4 Die notwendige Einflussnahme kann insbesondere durch die Besetzung der Stiftungsorgane möglich sein.5 Als Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG unterliegen die Destinatärleistungen der Abgeltungssteuer nach § 32d Abs. 1EStG i.H.v. 26,375 % einschließlich Solidaritätszuschlag und wird im Wege des Kapitalertragsteuerabzugs nach § 43 Abs. 1 Nr. 7a, Abs. 5, § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG erhoben. Besteht keine Einflussnahmemöglichkeit der Destinatäre auf die Ausschüttungen ist fraglich, ob bzw. wann § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG Anwendung findet.6 Falls § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG nicht einschlägig ist, greift der Auffangtatbestand des § 22 Nr. 1 Satz 1 EStG für sonstige Einkünfte mit einer Besteuerung im Teileinkünfteverfahren und im Ergebnis einer regelmäßig ähnlichen Steuerbelastung. Allerdings ist hierfür Voraussetzung, dass es sich um wiederkehrende Bezüge handelt. Die Finanzverwaltung dagegen geht grundsätzlich von einer Vergleichbarkeit bei Leistungen aus, die von den Beschluss fassenden Stiftungsgremien aus den Erträgen der Stiftung an den Stifter, seine Angehörigen oder deren Abkömmlinge ausgekehrt werden.7 Dies sollte im Vorwege mit dem Finanzamt abgestimmt werden insbesondere ob auf die Zuwendung Kapitalertragsteuer einzubehalten ist.

13.169

Insoweit als es sich bei den Ausschüttungen nicht um Erträge, sondern um ausgekehrtes Stiftungskapital handelt, unterliegen diese nicht der Besteuerung.8 Zu diesem Zweck ist ein steuerliches Einlagenkonto nach § 20 Abs. 1, 7 KStG zu führen.9

V. Stiftungsaufsicht 13.170

Rechtsfähige Stiftungen unterliegen im Anschluss an die Anerkennung der Stiftung bis zu ihrem Erlöschen einer laufenden Stiftungsaufsicht durch die Landesstiftungsbehörden. Hintergrund ist die besondere Schutzbedürftigkeit der Stiftung als verselbständigte Vermögensmasse

1 BGH v. 7.10.2009 – Xa ZR 8/08, NJW 2010, 234. 2 BMF v. 27.6.2006 – IV C 2 - S 2236-10/06, BStBl. I 2006, 417; zum Streit ob es sich stattdessen um sonstige Einkünfte i.S.v. § 22 Nr. 1 Satz 2 Halbs. 2 EStG handelt vgl. Richter/Gollan in Mayer/ Richter/Koss/Gollan, Die Stiftung3, Rz. 937 ff.; dies auch für Leistungen, die nicht Verwirklichung des Stiftungszwecks dienen gilt stellt Demut, KÖSDI 2018, 20909 infrage und ob damit eine Doppelbesteuerung mit Schenkungsteuer und Einkommensteuer einhergeht. 3 Vgl. Theuffel-Werhahn, SB 2019, 19 inkl. einer Checkliste wann eine gesellschafterähnliche Stellung der Destinatäre gegeben sein soll. 4 BFH v. 3.11.2010 – I R 98/09, BStBl. II 2011, 417. 5 Feldner/Stoklassa, ErbStB 2014, 227 (231). 6 Diese hat der BFH in seinem Urt. v. 3.11.2010 – I R 98/09, BStBl. II 2011, 417 ausdrücklich offengelassen. 7 BMF v. 29.6.2006 – IV C 2 - S 2236-10/06, BStBl. I 2006, 417. 8 Dies gilt insbesondere für Verbrauchsstiftungen, vgl. Rz. 13.106. 9 Vgl. ausführlich Kraft/Kraft, DStR 2011, 1837.

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E. Laufende Verwaltung | Rz. 13.173 Kap. 13

und die Tatsache, dass keine an ihr korporations- oder vermögensrechtlich beteiligten Personen vorhanden sind, die eine Kontrolle vornehmen.1 Die Stiftungsaufsicht hat die Aufgabe dafür Sorge zu tragen, dass der historische Wille des Stifters durch die Stiftung und ihre Organe verwirklicht wird. Auch wenn bisweilen damit eine staatliche Einmischung in die Tätigkeit der Stiftung, insbesondere bei unternehmensverbundenen Stiftungen, befürchtet wird, so handelt es sich doch lediglich um eine reine Rechtsaufsicht. Sie beschränkt sich darauf sicherzustellen, dass die Stiftung im Einklang mit den stiftungsrechtlichen Vorschriften des Landes- oder Bundesrechts und der Stiftungssatzung verwaltet wird.2 Die Stiftungsaufsicht darf nicht überprüfen, ob die Entscheidungen des Stiftungsvorstands zweckmäßig sind und in keinem Fall ihr Ermessen an die Stelle des Ermessens der Stiftungsorgane setzen. In der Stiftungspraxis wirkt sich die Stiftungsaufsicht insofern erfahrungsgemäß nicht negativ auf die Unternehmenstätigkeit aus.

13.171

Entsprechend nimmt die Stiftungsaufsichtsbehörde vornehmlich Informations- und Kontrollfunktionen wahr.3 Insbesondere prüft die Stiftungsaufsicht periodisch den Jahresbericht, die Vermögensübersicht und den Bericht über die Erfüllung des Stiftungszwecks.4 Genehmigungsvorbehalte seitens der Stiftungsaufsicht bestehen bei wesentlichen Veränderungen der wirtschaftlichen oder rechtlichen Verhältnisse, die eine Satzungsänderung oder Aufhebung der Stiftung erforderlich machen. Die Genehmigungsvorbehalte sollen verhindern, dass dadurch der Wille des Stifters verletzt wird. Bei Verstößen der Organmitglieder gegen die Stiftungssatzung oder stiftungsrechtliche Gesetze kann die Stiftungsaufsicht durch repressive Aufsichtsmaßnahmen wie die Beanstandung von Vorstandsbeschlüssen, die Anordnung von Maßnahmen und die Abberufung des Vorstandes aus wichtigem Grund, diese zu rechtskonformem Handeln anhalten oder rechtswidriges Verhalten ahnden.

13.172

Für Familienstiftungen gilt nach den meisten Landesstiftungsgesetzen nur eine reduzierte staatliche Stiftungsaufsicht wobei die Qualifikation einer Stiftung als Familienstiftung in den Landesstiftungsgesetzen unterschiedlich geregelt ist.5 Auch die Intensität der reduzierten Stif-

13.173

1 Andrick/Suerbaum, Stiftung und Aufsicht, S. 50 ff.; Backer in Werner/Saenger, Die Stiftung, Rz. 1258 ff. 2 So explizit z.B. § 10 Abs. 1 Satz 1 NdsStiftG v. 24.7.1968, Nds. GVBl. 1968, 119 und ähnlich ausdrücklich in § 8 Abs. 1 BWStiftG v. 4.10.1977, GBl. 1977, 99, 100, § 7 Abs. 2 Satz 1 BerlStiftG v. 22.7.2003, GVBl. 2003,293. 3 Mecking in Münch. Hdb. GesR4, Bd. V, § 103 Rz. 16 ff.; Hüttemann/Rawert in Staudinger, Vorbem. zu §§ 80 ff. BGB Rz. 146 ff.; vgl. Art. 12 Abs. 3 Satz 1 BayStiftG v. 26.9.2008, GVBl. 2008, 834; § 9 Abs. 1 BerlStiftG; § 9 Abs. 1 Satz 1 BWStiftG; § 7 Abs. 3 NRWStiftG v. 26.2.2005, GV. NRW. 2005, 52; § 7 Abs. 2 BrbgStiftG v. 20.4.2004, GVBl.I/04, [Nr. 07], 2004, 150; § 12 Abs. 1 Satz 1 BremStiftG v. 7.3.1989, Brem.GBl. 1989, 163; § 6 Abs. 1 HambStiftG v. 14.12.2005, HmbGVBl. 2005, 521; § 7 Abs. 1 Satz 1 SaarlStiftG v. 11.7.1984, ABl. 1984, 1825; § 12 Abs. 1 Satz 1 HessStiftG v. 12.4.1966, GVBl. I 1966, 77; § 5 MVStiftGv. 15.11.2012, GVOBl. M-V 2006, 366; § 11 Abs. 1 Satz 1 NdsStiftG; § 9 Abs. 3 RhPfStiftG v. 19.7.2004, GVBl. 2004, 385; § 8 Abs. 2 Satz 1 SchlHolStiftG v. 2.3.2000, GVOBl. 2000, 208; § 19 Abs. 1 Satz 1 SachsAnhStiftG v. 20.1.2011, GVBl. LSA 2011, 14; § 12 Abs. 3 Satz 1 ThürStiftGv. 16.12.2008, GVBl. 2008, 561. 4 Art. 16 BayStiftG; § 9 Abs. 2 Nr. 3 BWStiftG, § 6 Abs. 2 BrbgStiftG§ 8 Abs. 1 Nr. 2 BerlStiftG § 10 SchlHolStiftG; § 12 Abs. 2 Nr. 2 BremStiftG; § 4 Abs. 4 HambStiftG; § 7 Nr. 2 HessStiftG; § 4 Abs. 2 Nr. 2 MVStiftG; § 7 Abs. 1 NRWStiftG; § 9 Abs. 2 RhPfStiftG; § 8 Abs. 4 ThürStiftG; § 11 Abs. 2 Nr. 2 SaarlStiftG; § 6 Abs. 2 SachsAnhStiftG. 5 Vgl. zu den einzelnen landesgesetzlichen Regelungen auch Hüttemann/Richter/Weitemeyer, Landesstiftungsrecht.

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Kap. 13 Rz. 13.173 | Stiftungen als Instrument der Unternehmensnachfolge

tungsaufsicht ist für Familienstiftungen nach den einzelnen Landesstiftung sehr unterschiedlich. Diese reicht von einer unterschiedslosen Beaufsichtigung entsprechend der von gemeinnützigen und anderen Stiftungen über Zwischenlösungen bis hin zur vollständigen Befreiung von der Stiftungsaufsicht.1 Bundesrechtlich vorgegeben ist nur die behördliche Mitwirkung bei der Anerkennung der Stiftung nach § 80 Abs. 1 BGB. Gemeinsam ist den Landesstiftungsgesetzen, dass für Familienstiftungen keine Anzeige- und Genehmigungsvorbehalte bestehen; sofern sie für Stiftungen in einzelnen Landesstiftungsgesetzen vorgesehen sind, werden hiervon Familienstiftungen ausgenommen.2

F. Auflösung I. Allgemeines 13.174

Korrespondierend zu der Erlangung der Rechtsfähigkeit durch Anerkennung durch die Stiftungsaufsicht erlischt die Stiftung erst mit Genehmigung der Stiftungsaufsicht. Dabei hat die Stiftungsaufsicht zu prüfen, ob die satzungsmäßigen Voraussetzungen für die Auflösung vorliegen.3 Dem muss ein stiftungsinterner Beschluss, wenn in der Satzung nichts anderes bestimmt ist des Vorstands,4 über die Auflösung der Stiftung vorausgehen.

13.175

Mit der Auflösung der Stiftung fällt deren Vermögen nach § 88 Satz 1 BGB dem im Stiftungsgeschäft oder in der Satzung bestimmten Anfallsberechtigten zu. Fehlt es an einer solchen Bestimmung, fällt das Vermögen nach § 88 Satz 2 BGB an den Fiskus. Fällt das Vermögen an den Fiskus erfolgt der Vermögensübergang nach § 46 BGB im Wege der Gesamtrechtsnachfolge ohne Liquidation und die Stiftung verliert ihre Rechtsfähigkeit.5 Andernfalls erfolgt die Vermögensverteilung nach § 88 Satz 3 BGB im Rahmen einer Liquidation. Während der Liquidation bleibt die Stiftung rechtsfähig.6 Lediglich im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Stiftung findet kein Liquidationsverfahren statt.7

II. Gründe 13.176

Auflösungsgründe können sich aus der Satzung ergeben, indem dort bestimmte Gründe für die Auflösung genannt werden wie z.B. die vollständige Erfüllung des Stiftungszwecks, der Ablauf einer vorgesehenen Frist oder der Einritt einer auflösenden Bedingung etc.8

1 Vgl. § 13 Abs. 2 BWStiftG, § 4 Abs. 3 Satz 2 BrbgStiftG, § 17 Satz 2 BremStiftG, § 10 Abs. 2 NdsStiftG, § 10 Abs. 3 Satz 2 SaarlStiftG, § 5 Abs. 1 Satz 2 HambStiftG, § 21 Abs. 2 HessStiftG, § 6 Abs. 3 Satz 3 NRWStiftG, § 9 Abs. 1 Satz 3 RhPfStiftG, § 10 Abs. 2 Satz 1 BerlStiftG, § 19 Satz 2 SchlHolStiftG; keine Stiftungsaufsicht im BayStiftG; Richter/Gollan in Hüttemann/Richter/Weitemeyer, Landesstiftungsrecht, S. 845, Rz. 30.35 ff. 2 Richter/Gollan in Hüttemann/Richter/Weitemeyer, Landesstiftungsrecht, S. 844, Rz. 30.34. 3 Meyn in Meyn/Richter/Koss/Gollan, Die Stiftung3, Rz. 973. 4 Vgl. § 14 Abs. 2 Satz 1 BWStiftG, § 7 Abs. 3 Satz 1 SaarlStiftG, § 5 Abs. 1 Satz 1 BerlStiftG, § 10 Abs. 1 Satz 1 StiftGBbg, § 8 Abs. 2 RhPfStiftG, § 9 Abs. 1 HessStiftG, § 5 Abs. 2 Nr. 1 NRWStiftG, § 5 Abs. 1 Satz 1 SchlHolStiftG. 5 Hüttemann/Rawert in Staudinger, § 88 BGB Rz. 6. 6 Vgl. zum Umfang der Rechtsfähigkeit Richter in Richter, Stiftungsrecht, § 9 Rz. 53 ff. 7 Weitemeyer in MüKo8, § 88 BGB Rz. 3. 8 Richter in Richter, Stiftungsrecht, § 9 Rz. 15 ff.

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F. Auflösung | Rz. 13.182 Kap. 13

Mitunter enthalten die Landesstiftungsgesetze Ermächtigungstatbestände für eine Auflösung der Stiftung durch ihre Organe.1 Danach kann das zuständige Stiftungsorgan die Auflösung der Stiftung beschließen, wenn diese einen völligen und dauerhaften Vermögensverlust erlitten hat. Denkbar ist auch eine Zulegung durch Vermögensübertragung auf eine andere bestehende Stiftung oder Zusammenlegung mit einer anderen Stiftung zur Errichtung einer neuen Stiftung. Im Fall, dass die Stiftung zahlungsunfähig oder überschuldet ist, hat der Vorstand der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen. Voraussetzung ist stets, dass der Stifter nicht erklärt hat, dass Organbeschlüsse über die Auflösung der Stiftung nicht zulässig sein sollen.2

13.177

Schließlich ist als ultima ratio eine Auflösung durch die Stiftungsaufsicht nach § 87 BGB möglich, wenn ein Vermögensverfall eingetreten ist, der die Erfüllung des Stiftungszwecks unmöglich erscheinen lässt oder die Erfüllung des Stiftungszwecks das Gemeinwohl gefährdet. Möglicherweise kann als milderes Mittel auch eine Zulegung oder Zusammenlegung in Betracht kommen.3

13.178

III. Ertragsteuern Die Besteuerung etwaiger stiller Reserven in den Vermögensgegenständen der Stiftung bestimmt sich über § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG nach den einkommensteuerrechtlichen Vorschriften. § 11 Abs. 1 KStG findet auf Stiftungen keine Anwendung, da diese nicht unter § 1 Abs. 1 Nr. 1–3 KStG fallen.4

13.179

Die unentgeltliche Vermögensübertragung aus dem Privatvermögen der Stiftung unterliegt grundsätzlich nicht der Besteuerung. Die unentgeltliche Übertragung von Betriebsvermögen in Form eines Betriebs, Teilbetriebs oder gesamten Mitunternehmeranteilen erfolgt unter Buchwertfortführung nach § 6 Abs. 3 EStG und damit ohne Aufdeckung stiller Reserven. Die unentgeltliche Übertragung eines Teils eines Mitunternehmeranteils und von Einzelwirtschaftsgütern aus dem Betriebsvermögen erfolgt indes unter steuerpflichtiger Aufdeckung der stillen Reserven nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG.

13.180

Zu einer Besteuerung der stillen Reserven mit Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag kommt es jedoch, wenn die Vermögensgegenstände im Rahmen der Auflösung an Dritte veräußert oder entgeltlich auf die Anfallsberechtigten übertragen werden. Eine Ausnahme gilt für Privatvermögen nach § 23 EStG außerhalb der Haltefristen. Der Gewerbesteuer unterliegt nur der Gewinn, der durch die Übertragung einzelner Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens außerhalb einer Betriebsveräußerung im Ganzen oder Betriebsaufgabe nach § 16 EStG entsteht.5

13.181

IV. Schenkungsteuer Obgleich die Anfallsberechtigten einen Anspruch auf den Vermögensanfall haben, gilt der Vermögensanfall nach § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 ErbStG als Schenkung unter Lebenden und 1 Vgl. § 14 Abs. 2 Satz 1 BWStiftG, § 7 Abs. 3 Satz 1 SaarlStiftG, § 5 Abs. 1 Satz 1 BerlStiftG, § 10 Abs. 1 Satz 1 StiftGBbg, § 8 Abs. 2 RhPfStiftG, § 9 Abs. 1 HessStiftG, § 5 Abs. 2 Nr. 1 NRWStiftG, § 5 Abs. 1 Satz 1 SchlHolStiftG. 2 Rawert/Hüttemann in Staudinger, § 87 BGB Rz. 24. 3 Richter in Richter, Stiftungsrecht, § 9 Rz. 34 ff. 4 von Löwe in Feick, Stiftung als Nachfolgeinstrument, § 27 Rz. 4. 5 BMF v. 28.4.2010, GewStR, BStBl. I 2010 Sondernummer 1 Satz 2, H 7.1 Abs. 3 GewStR; Drüen in Blümich, EStG, § 7 GewStG Rz. 148; Pöllath/Richter in Seifart/von Campenhausen, Stiftungsrechts-Handbuch4, § 42 Rz. 17.

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13.182

Kap. 13 Rz. 13.182 | Stiftungen als Instrument der Unternehmensnachfolge

unterliegt somit der Schenkungssteuer.1 Als Schenker des Stiftungsvermögens gilt nach § 15 Abs. 2 Satz 2 ErbStG nicht die Stiftung, sondern der Stifter. Entsprechend richten sich die Steuerklasse und der persönliche Freibetrag nach dem Verhältnis des Anfallsberechtigten zum Stifter, so dass nicht zwangsläufig die ungünstige Steuerklasse III und der geringe persönliche Freibetrag von 20.000 Euro zur Anwendung gelangen. Ist der Stifter selbst Anfallsberechtigter, so ist sein Erwerb nicht privilegiert und unterliegt stets der Besteuerung nach der Steuerklasse III.2 Auch für den Vermögenserwerb im Rahmen der Auflösung der Stiftung gelten die allgemeinen Steuerbefreiungs- und Verschonungsregelungen, insbesondere die für den Erwerb von Betriebsvermögen und Anteilen an Kapitalgesellschaften nach §§ 13a, 13b ErbStG.

13.183

Erfolgt die Aufhebung der Familienstiftung zeitnah nach dem Stichtag der Ersatzerbschaftsteuer, kann die Steuer nach § 26 ErbStG ermäßigt werden. Wenn zwischen der Stiftungsaufhebung und dem Stichtag für die Ersatzerbschaftsteuer nicht mehr als zwei Jahre liegen, wird die Ersatzerbschaftsteuer nach § 26 Buchst. a ErbStG auf die Schenkungssteuer zu 50 % angerechnet; beim Zeitraum von bis zu vier Jahren erfolgt nach § 26 Buchst. b ErbStG eine Anrechnung i.H.v. 25 %.

13.184

Neben der Besteuerung mit Schenkungsteuer unterliegt der Vermögenserwerb der Anfallsberechtigten, soweit es sich dabei um thesaurierte Erträge der Stiftung handelt, nach § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG der Einkommensteuer.3 Vermögensauskehrungen aus dem Stiftungskapital, mithin unter Verwendung des Einlagekontos i.S.v. § 27 Abs. 7 KStG, sind nicht erfasst.4 Um eine Doppelbelastung mit Schenkungsteuer und Einkommensteuer zu vermeiden, sollte in Erwägung gezogen werden, die thesaurierten Erträge vor der Auflösung der Stiftung an die Destinatäre, im Rahmen des satzungsmäßig Zulässigen, auszuschütten und damit deren Schenkungsteuerbelastung zu vermeiden.5

G. Besondere Formen und Gestaltungen I. Allgemeines 13.185

Mit einer selbstständigen Stiftung bürgerlichen Rechts als Instrument der Unternehmensnachfolge lassen sich naturgemäß nicht sämtliche der teils gegenläufigen Aspekte wie die Versorgung der Angehörigen, Nutzung von Steuerbegünstigungen, Verfolgung gemeinnütziger 1 Der Erwerb anderer Personen als den Anteilsberechtigten unterliegt der Schenkungsteuer nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. 2 BFH v. 25.11.1992 – II R 77/90, BStBl. II 1993, 238; Richter in Richter, Stiftungsrecht, § 13 Rz. 113; kritisch Meincke/Hannes/Holtz17, § 7 ErbStG Rz. 113; ablehnend Binz/Sorg, DStR 1994, 229. 3 § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG gilt nach § 20 Abs. 1 Nr. 9 Halbs. 2 entsprechend; ohne nähere Begründung Richter, in von Campenhausen/Richter, Stiftungsrecht4, § 13 Rz. 122; a.A. Desens/Hummel, DStZ 2011, 708 (710), der Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG sehen und vor diesem Hintergrund § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG; verfassungskonform dahingehend auslegen wollen, dass dieser mangels wirtschaftlicher Vergleichbarkeit mit einer Gewinnausschüttung bei Auskehrungen an Destinatäre im Zuge der Stiftungsauflösung nicht erfasst sei; ebenso von Löwe in Feick, Stiftung als Nachfolgeinstrument, § 27 Rz. 29; dahingehend auch Oppel, ZEV 2018, 540 Anm. zu BFH v. 28.2.2018 – VIII R 30/15; offen gelassen von Demuth, kösdi 2018, 20909 (20919). 4 BMF v. 27.6.2006 – IV C 2 - S 2236-10/06, BStBl. I 2006, 417. 5 Richter in Richter, Stiftungsrecht, § 13 Rz. 122; von Löwe in Feick, Stiftung als Nachfolgeinstrument, § 27 Rz. 30; Meilicke, DStR 2017, 227, (228); v. Oertzen/Friz, BB 2014, 87.

994 | Meyer-Sandberg

G. Besondere Formen und Gestaltungen | Rz. 13.187 Kap. 13

Zwecke, Unternehmensführung und -kontrolle, Sicherung des Fortbestands des Unternehmens und Regelung der Unternehmensnachfolge verwirklichen. Um die Wunsch- und Zielvorstellungen des Unternehmers als potentieller Stifter bestmöglich zu erreichen, können daher Kombinationslösungen wie z.B. die sog. Doppelstiftung, die Stiftung und Co. KG oder eine ausländische Stiftung in Betracht kommen.

II. Doppelstiftung Wenn mit der Stiftung vornehmlich privatnützige Zwecke verfolgt werden, sollen zugleich aber auch vor allem die erbschaft- und steuerlichen Privilegierungen der gemeinnützigen Stiftung genutzt werden, kommt die Kombination der Familienstiftung mit einer gemeinnützigen Stiftung als sog. Doppelstiftung in Betracht.1 Ähnliche Ziele verfolgt die gemeinnützige Familienstiftung als Kombinationsstiftung i.S.v. § 58 Nr. 6 AO, welche sich jedoch mit ihr nur eingeschränkt verwirklichen lassen (s. Rz. 13.65). Bei der Doppelstiftung handelt es sich um zwei rechtsfähige Stiftungen des bürgerlichen Rechts von der eine als Familienstiftung und die andere als gemeinnützige Stiftung ausgestaltet ist.2 Beide Stiftungen sind Gesellschafter desselben Unternehmens. Handelt es sich bei diesem um eine gewerbliche Personengesellschaft sollte zur Vermeidung eines steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs bei der gemeinnützigen Stiftung, welcher dem mit der Konstruktion einer Doppelstiftung verfolgte Ziel der Inanspruchnahme steuerlicher Begünstigungen entgegensteht, eine GmbH zwischengeschaltet werden. Aus dem gleichen Grund sollte bei der Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft vermieden werden, dass die Vorstände der gemeinnützigen Stiftung als Geschäftsführer auch die Kapitalgesellschaft leiten (vgl. Rz. 13.156).3 Durch die Konstruktion der Doppelstiftung können und werden abhängig von den Zielsetzungen des Stifters regelmäßig Vermögen, Ertrag und unternehmerischer Einfluss den beiden Stiftungen unterschiedlich zugeschrieben.

13.186

Typischerweise hält die gemeinnützige Stiftung deutlich mehr Anteile (z.B. 90 %) als die Familienstiftung (z.B. 10 %). Dadurch wird erreicht, dass die Übertragung des Unternehmens erbschaftund schenkungsteuerfrei nach § 13 Abs. 1 Nr. 16 Buchst. b ErbStG erfolgen kann (vgl. Rz. 13.168). Dies gilt insbesondere für den Fall, dass über §§ 13a, 13b ErbStG keine oder keine vollumfängliche Verschonung der Unternehmensübertragung (z.B. bei Großerwerben, umfangreichem Verwaltungsvermögen, Risiken in Bezug auf die Einhaltung der Nachbehaltens- und Lohnsummenfrist etc.) erreicht werden kann. Ferner unterliegt die gemeinnützige Stiftung mit ihrem Vermögen nicht der Ersatzerbschaftsteuer nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG, während bei der Familienstiftung aufgrund der geringen vermögensmäßigen Beteiligung, die Bemessungsgrundlage für die Ersatzerbschaftsteuer, insbesondere wenn keine Befreiungsvorschriften wie die Verschonung nach §§ 13a, 13b ErbStG Anwendung finden, relativ gering ist (vgl. Rz. 13.164). Daran zeigt sich, dass

13.187

1 Bayer/Koch, Unternehmens- und Vermögensnachfolge, S. 154 ff.; Otto, Handbuch der Stiftungspraxis2, S. 117 ff.; Schiffer, Die Stiftung in der Beratungspraxis4, § 11 Rz. 28; Richter in v. Campenhausen/Richter, Stiftungsrechts-Handbuch4, § 12 Rz. 191 ff.; Sänger in Werner/Sänger, Die Stiftung, Rz. 933; R. Werner, ZEV 2012, 244; Ihle, RNotZ 2009, 621 (634). 2 Beispiele waren die Hertie GmbH und die Klöckner & Co, vgl. ausführlich: Schuck, Die Doppelstiftung: Instrument zur Gestaltung der Unternehmensnachfolge, 2009, S. 57 ff.; Ihle, RNotZ 2009, 621 (635); keine Doppelstiftung in dem Sinne ist das „Bosch-Modell“ bei dem neben der steuerbegünstigten Stiftung ein anderer steuerpflichtigen Rechtsträger, bei dem es sich jedoch nicht um eine Familiengesellschaft handelt, beteiligt ist, vgl. Meinecke, Stiftungen als Instrument zur Unternehmensnachfolge, S. 138. 3 Vor diesem Hintergrund sollte auch die Mehrheit der Stimmrechte bei der Familienstiftung liegen, vgl. Freundl, DStR 2004, 1509 (1514).

Meyer-Sandberg | 995

Kap. 13 Rz. 13.187 | Stiftungen als Instrument der Unternehmensnachfolge

auch die Doppelstiftung durch die Verschärfung der Voraussetzungen für die Verschonung nach §§ 13a, 13b ErbStG durch das Erbschaftssteuerreformgesetz 2016 an Attraktivität gewonnen hat.

13.188

In Abhängigkeit davon, wieviel Einfluss der Familie auf das Unternehmen eingeräumt werden soll, können der Familienstiftung vom Umfang ihrer vermögensmäßigen Beteiligung abweichend Stimmrechte zugewiesen werden (i.H.v. z.B. 90 %, wenn ein Einfluss der Familie auf die Unternehmensführung gesichert werden soll). Dies gilt ebenso für die Erträge aus der Unternehmensbeteiligung. Steht die Versorgung der Familienangehörigen im Vordergrund, können der Familienstiftung Erträge abweichend von ihrer vermögensmäßigen Beteiligung zugewiesen werden (z.B. abweichend von der vermögensmäßigen Beteiligung i.H.v. 10 % Zuweisung 50 % der Beteiligungserträge).1 Beispiel: (Vgl. auch Godron in Feick, Stiftung als Nachfolgeinstrument, § 30 Rz. 5.)

1 Die Ausstattung mit einer überhöhten Gewinnbeteiligung stellt keine selbständige Schenkung nach § 7 Abs. 6 ErbStG dar, da diese Vorschrift nur auf Personengesellschaften Anwendung findet, vgl. Götz, NWB Fach 2, S. 7533.

996 | Meyer-Sandberg

G. Besondere Formen und Gestaltungen | Rz. 13.192 Kap. 13

Aus Gründen der gesellschaftsrechtlichen Flexibilität hinsichtlich der Ausgestaltung der Stimm- und Gewinnbezugsrechte im Verhältnis zu den Gesellschaftsanteilen bietet sich wegen der größeren Gestaltungsfreiheit des GmbH-Rechts eine GmbH als Beteiligungsunternehmen bzw. Holding an und keine Aktiengesellschaft.1

13.189

Im Hinblick auf die gemeinnützige Stiftung und den Grundsatz der Mittelbindung nach § 50 Abs. 1 Nr. 1 AO kann es problematisch sein, wenn Gewinne der Beteiligungsgesellschaft thesauriert werden. Der Grundsatz der Mittelbindung nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AO verlangt eine rentierliche Vermögensanlage und zeitnahe Verwendung der daraus generierten Mittel nach § 55 Abs. 1 Nr. 5 AO (vgl. Rz. 13.144). Hat die gemeinnützige Stiftung jedoch mangels bestehender bzw. nicht hinreichender Stimmrechte keinen Einfluss auf die Gewinnverwendung auf Ebene der Beteiligungsgesellschaft (insbesondere auch keine Sperrminorität) verstößt die Gewinnthesaurierung nicht die gegen die vorstehenden Grundsätze.2 Die gemeinnützige Stiftung sollte jedoch keinesfalls nachträglich auf ihr Stimmrecht, jedenfalls insoweit als es ihr eine Einflussnahme ermöglicht, verzichten.3

13.190

Problematisch bei der Ausgestaltung der Doppelstiftung kann eine Vermögensrückfallklausel in der Satzung der gemeinnützigen Stiftung sein, wonach im Fall der Auflösung oder Aufhebung der Stifter oder seine Erben das eingebrachte Kapital erhalten. Eine solche Klausel kann gegen den Grundsatz der Vermögensbindung nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AO verstoßen. Grundsätzlich ist eine solche Vermögensrückfallklausel nach §§ 55 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 AO zulässig.4 Ist das Gewinnbezugsrecht jedoch wie bei einer Doppelstiftung üblich stark zu Lasten der gemeinnützigen Stiftung ausgestaltet (z.B. nur 10 % Gewinnbeteiligung) wird nur wenig Vermögen dauerhaft auf die gemeinnützige Stiftung übertragen. Um einen möglichen Vorwurf der Finanzverwaltung, dass die Einschaltung der gemeinnützigen Stiftung nur deshalb erfolgt sei, um steuerliche Privilegien wie § 13 Abs. 1 Nr. 16b ErbStG auszunutzen, und daher missbräuchlich i.S.v. § 42 AO sei, zu vermeiden, empfiehlt es sich, keine solche Vermögensrückfallklausel in die Satzung aufzunehmen oder eine ausgewogenere Gewinnverteilung (z.B. 50 % zugunsten der gemeinnützigen Stiftung) vorzusehen.5

13.191

III. Stiftung & Co. KG Bei der Stiftung und Co. KG handelt es sich um eine Kommanditgesellschaft bei der die Besonderheit ist, dass persönlich haftende Gesellschafterin nicht wie üblich eine GmbH, sondern eine Stiftung ist. Es handelt sich somit bei der Stiftung auch in dieser Konstellation um eine Beteiligungsträgerstiftung mit der KG als Beteiligungsunternehmen.6 Im Fall einer gewerblich tätigen Kommanditgesellschaft scheidet eine gemeinnützige Familienstiftung als Komplementärin aus, da durch die Beteiligung ein steuerpflichtiger wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb entstünde.7

1 2 3 4 5 6

Vgl. R. Werner, ZEV 2012, 244 (245). Binz/Sorg, ZEV 2005, 520 (523); Godron in Feick, Stiftung als Nachfolgeinstrument, § 30 Rz. 32. Vgl. Ihle, RNotZ 2009, 621 (637); Binz/Sorg, ZEV 2005, 520 (523). Schnitger, ZEV 2001,104 (106). Schnitger, ZEV 2001,104 (106); Godron in Feick, Stiftung als Nachfolgeinstrument, § 30 Rz. 35 ff. Beispiele sind die Lidl-Stiftung & Co. KG, die Kaufland-Stiftung & Co KG, die Vorwerk Deutschland Stiftung & Co. KG etc., vgl. Pawlytta/Pfeiffer in Feick, Stiftung als Nachfolgeinstrument, § 31 Rz. 4. 7 Schiffer, Die Stiftung in der anwaltlichen Praxis4, § 10 Rz. 14; Ihle, RNotZ 2009, 621 (639); vgl. Rz. 13.156.

Meyer-Sandberg | 997

13.192

Kap. 13 Rz. 13.193 | Stiftungen als Instrument der Unternehmensnachfolge

13.193

Die Rechtsform der Stiftung und Co. KG ermöglicht insbesondere eine Trennung einerseits von Vermögen und Ertrag, sowie andererseits Kontrolle und Einflussnahmemöglichkeit auf das Beteiligungsunternehmen. Bei der Stiftung & Co. KG werden regelmäßig die Familienmitglieder des Stifters am Vermögen der KG als Kommanditisten beteiligt. Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis liegen nach §§ 164,170 HGB hingegen bei der Stiftung als Komplementärin. Damit obliegt die Leitung des Unternehmens der Kommanditgesellschaft der Stiftung. Dadurch kann gezielt der als Kommanditisten vermögensmäßig beteiligten Familie die Unternehmensleitung entzogen werden, dies noch weitgehender bzw. rechtssicherer als bei einer GmbH als Komplementärin, da die Stiftung mangels Gesellschafter und Mitglieder in einem höheren Maß unabhängig ist. Sie kann aber auch einen besonderen Einfluss und Kontrolle von, ggf. nur bestimmten, Familienmitgliedern begründen. Eine Beteiligung der Stiftung am Kapital der Kommanditgesellschaft ist nicht erforderlich und bei einer Familienstiftung typischerweise nicht gegeben. Um die Stellung der Stiftung als Gesellschafterin zu stärken, kann der Stifter im Gesellschaftsvertrag der Kommanditgesellschaft z.B. vorsehen, dass Änderungen des Gesellschaftsvertrags der Zustimmung der Stiftung bedürfen. Auch darüber hinaus ist eine enge Abstimmung von Satzung der Stiftung und dem Gesellschaftsvertrag der Kommanditgesellschaft erforderlich, um den Unternehmensführungsauftrag der Stiftung im Sinne eines fortdauernden unternehmerischen Erfolgs und der Institutionalisierung des Stifterwillens zu gewährleisten.1

13.194

Da die Stiftung erst mit Anerkennung durch die Stiftungsaufsicht entsteht und es anders als mit der Vor-GmbH es keine Vorstiftung ergibt, die sich an der Gründung beteiligen könnte, kann die Stiftung & Co. KG erst nach ihrer Errichtung gegründet werden.2 Damit es sich bei der Stiftung nicht um eine verbotene Selbstzweckstiftung handelt (vgl. Rz. 13.168), muss in der Stiftungssatzung neben der Übernahme der Vertretung und Geschäftsführung der Kommanditgesellschaft noch ein weiterer Zweck aufgenommen werden. Ausreichend und dem Charakter als Familienstiftung entsprechend sind z.B. die Förderung und Unterstützung der Familie des Stifters und seiner Angehörigen, insbesondere die Führung des familieneigenen Unternehmens und die Haftungsübernahme.3

13.195

Vorzug der Stiftung & Co. KG ist auch die gegenüber einer GmbH & Co. KG verbesserte Haftungssituation. Während die Kommanditisten nur mit ihrer Einlage haften, haftet die Komplementärin unbeschränkt mit ihrem Vermögen, gleichwohl ist jedoch bei einer Stiftung mangels hinter ihr stehender Gesellschafter oder Mitglieder grundsätzlich keine Durchgriffshaftung möglich. Des Weiteren unterliegt die Stiftung & Co. KG nicht dem Mitbestimmungsgesetz (MitbestG), denn darunter fallen nur solche Kommanditgesellschaften bei denen die in § 1 Abs. 1 MitbestG abschließend aufgezählten Kapitalgesellschaften, zu denen die Stiftung nicht zählt, Komplementär sind.4 Ein weiterer Vorteil des Einsatzes einer Stiftung als Komplementärin einer Kommanditgesellschaft ist, dass durch sie keine gewerbliche Prägung nach § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG einer ansonsten ausschließlich vermögensverwaltend tätigen Kommanditgesellschaft eintritt. Der Begriff der Kapitalgesellschaft in § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG entspricht dem des § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG und umfasst somit nicht die Stiftung. Die Stiftung als

1 Martens in Schlegelberger5, § 164 HGB Rz. 17; ausführlich zu den gesellschaftsrechtlichen Aspekten: Meinecke, Stiftungen als Instrument zur Unternehmensnachfolge, S. 106 ff. 2 A.A. Wachter, ZEV 2003, 442; Ellenberger in Palandt79, § 80 BGB Rz. 2; Schauhoff/Schauhoff, Handbuch der Gemeinnützigkeit, § 3 Rz. 39, 44. 3 Ihle, RNotZ 2009, 621 (639) m.w.N. 4 Ihle, RNotZ 2009, 621 (639); Froning in Sudhoff, Unternehmensnachfolge5, § 50 Rz. 35.

998 | Meyer-Sandberg

G. Besondere Formen und Gestaltungen | Rz. 13.198 Kap. 13

Komplementärin ermöglicht damit eine gewerbesteuerfreie Vermögensverwaltung unter Ausschluss der unbeschränkten Haftung.1

IV. Ausländische Stiftung 1. Vor- und Nachteile Als Alternative zu einer deutschen Familienstiftung kann eine ausländische Stiftung, mithin eine nach ausländischem Privatrecht rechtsfähige Stiftung mit Sitz und Ort der Geschäftsleitung im Ausland, in Betracht kommen. Ausländische Familienstiftungen unterliegen nicht der deutschen Ersatzerbschaftsteuer,2 mitunter ist die laufende Ertragsbesteuerung erheblich niedriger als die einer deutschen Familienstiftung und das ausländische Stiftungsregime deutlich flexibler.3 Ob diese Vorteile tatsächlich zur Vorzugswürdigkeit der ausländischen gegenüber einer inländischen Stiftung führen, kann regelmäßig infrage gestellt werden und ist stets anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu prüfen.4

13.196

2. Voraussetzung der steuerlichen Abschirmwirkung Damit die steuerlichen Vorteile, die die Stiftung im Ausland genießt, zum Tragen gelangen, muss die Stiftung, was die Zurechnung von Vermögen und Einkünften angeht Abschirmwirkung entfalten, d.h. sie dürfen weder dem Stifter noch den Destinatären unmittelbar zugerechnet werden. Es handelt sich in dem Fall um eine selbstständige bzw. intransparente Stiftung.

13.197

Entscheidend hierfür ist, dass die ausländische Stiftung nach den getroffenen Vereinbarungen über ihr Vermögen im Verhältnis zum Stifter tatsächlich und rechtlich frei verfügen kann.5 Dies bestimmt sich nach der Zivilrechtslage, insbesondere im Innenverhältnis der Stiftung zum Leistenden.6 An der notwendigen Verfügungsmacht fehlt es, wenn das Vermögen vom Stifter unter Vereinbarung eines Treuhandverhältnisses auf die ausländische Stiftung übertragen wird. Das Vorliegen einer Treuhand hängt von den einzelnen konkreten Vereinbarungen und deren tatsächliche Umsetzung ab. Kriterien für das Vorliegen eines Treuhandverhältnisses sind, wenn sich der Stifter einen Widerrufsvorbehalt eingeräumt hat und das Vermögen jederzeit zurückverlangen kann, der Verwalter an die Weisungen des Stifters gebunden ist, dieser den Verwalter der Stiftung jederzeit abrufen kann oder selbst Organ bzw. Verwalter der Stiftung ist etc.7 Gegebenenfalls fehlt es steuerlich an einem Vermögenstransfer vom Stifter auf die Stiftung. Vielmehr werden das Vermögen und die Einkünfte daraus weiterhin dem

13.198

1 Ihle, RNotZ 2009, 621 (642). 2 Küster, DStR 2018, 2613 (2619); Oppel, ZEV 2017, 22; ausländische Jurisdiktion erheben keine (der Deutschen Erbersatzsteuer vergleichbare) Ersatzerbschaftsteuer, Olbing, DB 2018, 2897 (2898). 3 Vgl. z.B. die Liechtensteiner Familienstiftung und Österreichische Privatstiftung, Lüdicke/Oppel in Lüdicke/Sistermann, Unternehmenssteuerrecht2, § 16 Rz. 213. 4 Vgl. insofern auch die niedrige Anzahl ausländischer Familienstiftungen von deutlich unter 100. 5 BFH v. 28.6.2007 – II R 21/05, BStBl. II 2007, 669; BFH v. 25.1.2001 – II R 39/98, BFH/NV 2001, 908. 6 BFH v. 28.6.2007 – II R 21/05, BStBl. II 2007, 669. 7 Weitere Kriterien, welche die Finanzverwaltung zugrunde legt finden sich im BMF-Schreiben v. 16.9.2014 zum Strafbefreiungsgesetz, IV A 4 - S 1928-120/04, BStBl. I 2004, 225 und BMF-Schreiben v. 20.7.2004 – IV A 4 - S 1928-94/04, DStR 2004, 1387 und des BFH im Urteil v. 28.6.2007 – II R 21/05, BStBl. II 2007, 669 (betreffend die Verwaltungsausstattung einer liechtensteinischen Stiftung).

Meyer-Sandberg | 999

Kap. 13 Rz. 13.198 | Stiftungen als Instrument der Unternehmensnachfolge

Stifter nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO zugerechnet. Mangels Vermögenstransfer löst der Vorgang auch keine Erbschaft- oder Schenkungssteuer aus.1

13.199

Wenn es sich nach den vorstehenden Kriterien um eine selbstständige Stiftung bzw. Vermögensmasse, Zweckvermögen oder Personenvereinigung i.S.v. § 15 Abs. 4 i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 5 KStG handelt,2 wird das Vermögen und die daraus erzielten Einkünfte unter den Voraussetzungen des § 15 AStG gleichwohl dem Stifter – wenn dieser unbeschränkt steuerpflichtig ist, ansonsten den unbeschränkt steuerpflichtigen bezugs- oder anfallsberechtigten Personen entsprechend ihren Anteilen – für ertragsteuerliche3 Zwecke zugerechnet.4 Die Erbschaft- und Schenkungssteuer fällt nach Abs. 1 Satz 2 nicht in den Anwendungsbereich der Hinzurechnungsbesteuerung nach § 15 AStG. Entsprechend bleibt die Besteuerung der Leistungen an inländische Destinatäre mit Schenkungsteuer nach § 7 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG davon unberührt. Für die Schenkungsteuer nach § 7 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG kommt es nicht darauf an, wem die Erträge zugerechnet werden. Dem steht auch nicht § 15 Abs. 11 AStG entgegen.5

13.200

Voraussetzung ist, dass die ausländische Stiftung als Familienstiftung i.S.v. § 15 AStG qualifiziert wird. Ausländische Familienstiftungen sind nach § 15 Abs. 2 Stiftungen, bei denen der Stifter6, seine Angehörigen und deren Abkömmlinge zu mehr als der Hälfte bezugs- oder anfallsberechtigt sind. Anders als hinsichtlich der Rechtsfolge der Zurechnung, setzt dies nicht voraus, dass die bezugs- oder anfallsberechtigten Angehörigen und deren Abkömmlinge unbeschränkt steuerpflichtig sind. Streitig ist indes wie stark deren rechtliche Position sein muss, um als Bezugsberechtigter bzw. Anfallsberechtigter i.S.v. § 15 AStG angesehen zu werden.7 In der Praxis dürfte bei jeder Erwähnung einer Person in der Satzung zumindest das Risiko bestehen, dass diese als bezugs- bzw. anfallsberechtigte Person angesehen wird. Nicht als bezugsoder anfallsberechtigte Personen qualifizieren Zufallsdestinatäre, die nur in unvorhersehbaren Fällen (wie z.B. Krankheit, Notbedarf etc.) Zuwendungen erhalten.8

13.201

§ 15 AStG findet nach Abs. 6 keine Anwendung auf ausländische Familienstiftungen mit Geschäftsleitung oder Sitz in einem EU-/EWR-Staat,9 wenn nach § 15 Abs. 6 Nr. 1 AStG nachgewie-

1 Etwas Anderes kann im Zeitpunktes Todes des Stifters gelten, wenn die Vermögensübertragung widerruflich erfolgt ist, da mit dem Tod des Stifters häufig die Unwiderruflichkeit der Vermögensmasse eintritt und damit ein erbschaft- bzw. schenkungssteuerlicher Vorgang nach § 7 Abs. 1 Nr. 8 Satz 1, 2 ErbStG vorliegen kann. 2 Die ausländische Familienstiftung muss nicht notwendigerweise rechtsfähig sein, es genügt ein Zweckvermögen worunter auch ein Trust fällt, vgl. BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388; BFH v. 2.2.1994 – I R 66/92, BStBl. II 1994, 727. 3 Streitig bezüglich Gewerbesteuer, vgl. Kirchhain, IStR 2012, 602 (604); ablehnend Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld5, § 15a AStG a.F. Rz. 38. 4 BMF, Schr. v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340-11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Tz. 15.1.4. 5 Götz, DStR 2014, 1047; a.A Voigt in Blümich, EStG, § 15 AStG Rz 142. 6 Zum im Ergebnis wirtschaftlichen Begriff des Stifters vgl. BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388; Anwendungserlass zum AStG, Tz. 15.2.1. 7 Nur bei durchsetzbarem Rechtsanspruch, Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld5, § 15 AStG Rz. 106; ausreichend erwartbare Vermögensvorteile, BMF, Schr. v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1140-11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Tz. 15.2.1; vermittelnd im Sinne einer rechtlich gesicherten Anwartschaft Blümich in Blümich, EStG, § 15 AStG Rz. 14; BFH v. 25.4.2001 – II R 14/98, BFH/NV 2001, 1457 (1461). 8 BMF, Schr. v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1140-11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Tz. 15.2.1; Blümich in Blümich, EStG, § 15 AStG Rz. 42. 9 Ausgenommen sind UK-Trust ab Austrittszeitpunkt, vgl. Art. 4 des Brexit-Steuerbegleitgesetzes.

1000 | Meyer-Sandberg

G. Besondere Formen und Gestaltungen | Rz. 13.205 Kap. 13

sen wird, dass das Stiftungsvermögen der Verfügungsmacht des Stifters und der Bezugs- und Anfallsberechtigten rechtlich und tatsächlich ist. Des Weiteren muss mit dem ausländischen Staat nach § 15 Abs. 6 Nr. 2 AStG ein DBA mit großer Auskunftsklausel, ein Auskunftsabkommen nach der Amtshilferichtlinie der EU/EWR oder ein ähnliches Auskunftsabkommen bestehen.1

3. Errichtung Die Vermögensübertragung bei der Errichtung als Erstausstattung der ausländischen Familienstiftung unterliegt der unbeschränkten Erbschaft- und Schenkungsteuerpflicht nach § 3 Abs. 2 Nr. 1, § 7 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG, sofern der Stifter als Inländer i.S.v. § 2 Abs. 1 ErbStG unbeschränkt steuerpflichtig ist.2 Dabei findet anders als bei inländischen Stiftungen das Steuerklassenprivileg nach dem eindeutigen Wortlaut des § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG auf die Ausstattung von ausländischen Stiftungen keine Anwendung, so dass stets die Steuerklasse III gilt.3

13.202

Überträgt der Stifter unentgeltlich Anteile i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG auf die ausländische Familienstiftung, fingiert § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG eine steuerpflichtige Veräußerung, wenn der Stifter mindestens die letzten zehn Jahre vor der Vermögensübertragung in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig war. Die Doppelbelastung mit Einkommensteuer und Erbschaftsteuer ist damit möglich.4 Ferner kann es bei der Übertragung von Betriebsvermögen zu einer Entstrickungsbesteuerung nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG kommen.

13.203

4. Laufende Verwaltung Die ausländische Familienstiftung ohne Sitz oder Geschäftsleitung im Inland ist nach § 2 Nr. 1, § 8 KStG i.V.m. § 49 EStG allenfalls beschränkt körperschaftsteuerpflichtig mit ihren inländischen Einkünften. Die Ersatzerbschaftsteuer ist auf ausländische Familienstiftungen nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG nicht anwendbar (vgl. Rz. 13.196).

13.204

Wie auch bei inländischen Familienstiftungen (vgl. Rz. 13.113) unterliegen satzungsmäßige Ausschüttungen aus der ausländischen Familienstiftung bei den Destinatären der Einkommensteuer nach § 20 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 EStG5 während nicht satzungsmäßige Ausschüttungen der Schenkungsteuer nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG unterliegen. Letzteres ist jedoch nur

13.205

1 Abgelehnt im Fall von Liechtenstein v. FG Düsseldorf v. 22.12 2015 – 16 K 2858/13 F, EFG 2015, 629. Zwar trat das am 2.9.2009 unterzeichnete Abkommen über die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch in Steuersachen am 28.10.2010 in Kraft (BStBl. I 2010, 951), jedoch seien die daraus folgenden Informationsrechte nicht mit denen der EU-Richtlinie bzw. des EU-AmtsHiG vergleichbar. Das Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) v. 17.11.2011 (zur Unbeachtlichkeit von DBA i.Ü. § 20 Abs. 1 AStG) war noch nicht in Kraft gesetzt und enthalte überdies ebenfalls keine hinreichenden Informationsrechte; a.A. Voigt in Blümich, § 15 EStG Rz. 85; Lademann, EStG, § 15 AStG Rz. 66; krit. Hannes, Formularbuchvermögens- und Unternehmensnachfolge2, Rz. C.3.10 Familienstiftung Rz. 61. 2 Dies gilt nicht im Fall einer unselbstständigen Stiftung nach § 39 Abs. 1 Nr. 2 EStG, vgl. Rz. 13.2 bzw. BFH v. 28.6.2007 – II R 21/05, BStBl. II 2007, 669 (betreffend Vermögensübertragung auf eine liechtensteinische Stiftung). 3 Nach FG Hessen v. 7.3.2019 – 10 K 541/17, EFG 2019, 930 verstößt die Versagung der Privilegien Steuerklasse gegen das EWR-Abkommen (Kapitalverkehrsfreiheit), Revision wurde zugelassen. 4 Richter in Richter, Stiftungsrecht, § 13 Rz. 130. 5 BFH v. 21.7.2014 – II B 40/14, BFH/NV 2014, 1554.

Meyer-Sandberg | 1001

Kap. 13 Rz. 13.205 | Stiftungen als Instrument der Unternehmensnachfolge

dann der Fall, wenn der Satzungszweck eindeutig überschritten wird. Insofern wird den handelnden Stiftungsorganen eine weitgehende Einschätzungsprärogative zugestanden.1 Fraglich ist, ob im Fall einer ausländischen Stiftung satzungsmäßige Ausschüttungen neben der Einkommensteuer ebenfalls der Schenkungsteuer nach § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 ErbStG und damit einer Doppelbesteuerung durch Einkommensteuer und Schenkungsteuer unterliegen.2 Nach § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 ErbStG unterliegt als Schenkung unter Lebenden auch der Erwerb durch Zwischenberechtigte während des Bestehens der Vermögensmasse ausländischen Rechts der Schenkungsteuer. Vieles spricht dafür, dass eine rechtsfähige Stiftung keine ausländische Vermögensmasse i.S.v. § 7 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG sein kann. Dafür spricht bereits die Entstehungsgeschichte der Norm, die eingeführt wurde, um insbesondere Besteuerungslücken in Bezug auf angloamerikanische Trusts zu schließen, so dass mit dem Begriff der Vermögensmasse ausländischen Rechts gerade typische und in den angloamerikanischen Staaten gebräuchliche Formen des Common Law Trust erfasst werden sollten.3 Darüber hinaus sprechen gegen eine Ausdehnung auf deutschen Stiftungen vergleichbare ausländische Stiftungen Wortlaut und Systematik von § 7 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG.4 Zudem ist Zwischenberechtigter i.S.v. § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 ErbStG nur, wem unabhängig von einem konkreten Ausschüttungsbeschluss Rechte an der Vermögenssubstanz oder den Erträgen der Vermögensmasse zustehen.5 Regelmäßig ist der Destinatär nicht Zwischenberechtigter, da in der Satzung kein Rechtsanspruch auf Zuwendung im Sinne eines abstraktengenerellen Rechts auf Ausschüttung geregelt, sondern diese in das Ermessen der Stiftungsorgane gestellt ist. Jedenfalls sollte darauf in der Praxis geachtet werden, um eine potentielle (zusätzliche) Schenkungsteuerbelastung von Zuwendungen an die Destinatäre zu vermeiden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der BFH offengelassen hat, ob eine rechtsfähige Stiftung eine Vermögensmasse i.S.v. § 7 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG sein kann.6

5. Auflösung 13.206

Der Rückfall des Stiftungsvermögens im Rahmen der Aufhebung einer ausländischen Familienstiftung an den in Deutschland ansässigen Stifter unterliegt nach § 7 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG der Schenkungsteuer in der Steuerklasse III.7

1 BFH v. 3.7.2019 – II R 6/16, BStBl. II 2020, 61, der Beurteilungsspielraum findet erst dort seine Grenze, wo die Ausschüttung auf einer „schlechterdings unvertretbaren Auslegung“ der Stiftungssatzung beruht; LfSt Bayern v. 5.3.2020 – S 3806.2.1 – 104/42 St 34, ZEV 2020, 248. 2 FG München v. 15.5.2019 – 4 K 2033/16, Rev. anhängig BFH II R 31/19, bejahend im Fall eines US-Trust; grds. kritisch BFH v. 21.7.2014 – II B 40/14, BFH/NV 2014, 1554; Meßbacher-Hönsch, ZEV 2018, 182 ff. geht grds. von der Möglichkeit einer Doppelbelastung mit Erbschaft- und Schenkungsteuer sowie Einkommensteuer aus. 3 Vgl. BT-Drucks. 14/23 v. 9.11.1998, 200; Jülicher, ZErb 2015, 357; Werner, ZEV 2016, 133. 4 Werner, ZEV 2016, 133; Hannes/Lorenz, ZEV 2019, 624; ausführlich Küster, DStR 2018, 2613. 5 BFH v. 3.7.2019 – II R 6/16, BStBl. II 2020, 61, verweist insofern insbesondere auf den Wortlaut und misst dem Begriffsteil „berechtigt“ eine selbstständige Bedeutung bei. 6 BFH v. 3.7.2019 – II R 6/16, BStBl. II 2020, 61, hat diese Frage ausdrücklich offengelassen. 7 BFH v. 25.11.1992 – II R 77/90, BStBl. II 1993, 238 (242); BFH v. 30.11.2009 – II R 6/07, BStBl. II 2010, 237; vgl. Bayerisches Landesamt für Steuern v. 10.4.2019 – S 3806.2.1,110/7 St 34, ZEV 2019, 375.

1002 | Meyer-Sandberg

G. Besondere Formen und Gestaltungen | Rz. 13.207 Kap. 13

Der Vermögensübergang im Rahmen der Aufhebung der ausländischen Stiftung auf einen Dritten unterliegt der Schenkungsteuer nach § 7 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG. Dabei findet nach § 15 Abs. 2 Satz 2 ErbStG das Steuerklassenprivileg Anwendung, so dass sich die Steuerklasse nach den persönlichen Verhältnissen zwischen dem Stifter und dem Begünstigten bestimmt vgl. Rz. 13.116, Rz. 13.119).

Meyer-Sandberg | 1003

13.207

Kapitel 14 Fremdgeschäftsführung in Familienunternehmen A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Einbindung von Fremdmanagement im Familienunternehmen I. Herausforderungen und Chancen 1. Emotionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nachfolgeprobleme a) Beweggründe . . . . . . . . . . . . . . . b) Kein (zeitweise) geeigneter Nachfolger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fehlendes Interesse der Nachfolgegeneration . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zu viele Nachfolger . . . . . . . . . . 3. Neue Impulse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sonstige Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . a) Externe Vorgaben . . . . . . . . . . . . b) Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vergrößerung . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Prozess 1. Formen des Managements . . . . . . . . 2. Einfluss der Rechtform a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . b) Personengesellschaften . . . . . . . . c) Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . 3. Auswahl des Fremdgeschäftsführers a) Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . b) Incentivierung aa) Anreizsysteme . . . . . . . . . . . bb) Direktbeteiligung . . . . . . . .

14.1 4. 14.2 14.5

5.

14.6

C.

14.9 14.10 14.11 14.14 14.15 14.16 14.17 14.18

I.

14.19 14.24 14.25 14.30 14.31 14.37 14.40

1. 2. 3. II. 1. 2. 3. 4. 5. III. IV.

cc) Indirekte Beteiligung . . . . . dd) Virtuelle Beteiligung . . . . . . Interim Management a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtliche Ausgestaltung . . . . . . c) Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . Steuerungs- und Kontrollmöglichkeiten von Fremdgeschäftsführern . . . . Arbeitsrechtliche Behandlung von Fremdgeschäftsführern Anwendung arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften Arbeitnehmerstellung . . . . . . . . . . . . Der Fremdgeschäftsführer als Arbeitnehmer nach deutschem Recht . . . . Der Fremdgeschäftsführer als Arbeitnehmer nach Unionsrecht . . . . . . . . Anwendbarkeit arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kündigungsschutzgesetz . . . . . . . . . . Mutterschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Massenentlassungen . . . . . . . . . . . . . Gleichbehandlungsgrundsätze . . . . . Nachvertragliche Wettbewerbsverbote bei Fremdgeschäftsführern . . . Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . .

14.42 14.43 14.45 14.47 14.49 14.50

14.53 14.54 14.60 14.64 14.65 14.67 14.69 14.71 14.72 14.77

Literatur: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 5. Aufl., München 2017; Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, 8. Aufl., München 2019; Becker, Fremdmanagement in Familienunternehmen: Annäherung an eine vielschichtige Thematik, in Management kleiner und mittlerer Unternehmen: Stand und Perspektiven der KMU-Forschung, hrsg. v. Letmathe P. u.a., Wiesbaden 2007, S. 205–224; Binz, Fremdgeschäftsführer in Familienunternehmen, Unternehmermagazin 2012, 34; Brink/Schlepphorst, Wirtschaften in einer globalisierten Welt – Familienunternehmen in Deutschland, WPg 2016, 296; Commandeur/Kleinebrink, Der Status des Geschäftsführers als Arbeitnehmer – Geschäftsführer als Subjekt unionsrechtlicher Schutzvorschriften, NZA-RR 2017, 449; Cravotta, Die gemischte Geschäftsführung als Managementstruktur langlebiger Familienunternehmen, Diss. Witten/Herdecke, 2013; Scherer, Unternehmensnachfolge, 6. Aufl., München 2020; Geiß, Generationswechsel in Familienunternehmen: Fremdmanagement als Alternative?, 2004; Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online.Großkommentar, Online, München; Hannes/Kuhn/Brückmann, Familienunternehmen: Recht, Steuern, Beratung, Berlin 2007; Hennerkes/May, Der Gesellschaftsvertrag des Familienunternehmens – Ein Überblick über Gestaltungsschwerpunkte, NJW 1988, 2761; Hennerkes/Kirchdörfer, Unternehmenshandbuch Familiengesellschaften, 2. Aufl., Köln/Berlin/Bonn/München 1998; Hierl/Huber, Rechtsfor-

1004 | Krause/Bodenstedt

B. Einbindung von Fremdmanagement im Familienunternehmen | Rz. 14.2 Kap. 14 men und Rechtsformwahl: Recht, Steuern, Beratung, Berlin 2008; Holler, Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, 5. Aufl., München 2016; Holler, Zur Familien-KG – Bedarf es eines Sonderrechts für Familienpersonengesellschaften?, BB 2012, 719; Koeberle-Schmid/Groß/Lehmann-Tolkmitt, Der Beirat als Garant guter Governance im Familienunternehmen, BB 2011, 899; Krause, Corporate und Family Governance in Familienunternehmen als Teil des Risikomanagements, BB 2012, 714; Lange, Der Beirat als Element der Corporate Governance in Familienunternehmen, GmbHR 2006, 897; Lunk, Der EuGH und die deutschen GmbH-Fremdgeschäftsführer – Auf dem Weg zum Arbeitnehmerstatus?, NZA 2015, 917; Lunk/Hildebrand, GmbH-Geschäftsführer und Massenentlassungen, NZA 2016, 129; Koeberle-Schmid/Witt/Fahrion, Family Business Governance, 3. Aufl., Berlin 2018; Maier, Gedanken zum Familienunternehmen, in Hommelhoff/Schmidt-Diemitz/Sigle (Hrsg.), Familiengesellschaften, FS Sigle, Köln 2000, S. 51; May, Familienunternehmen erfolgreich führen – Von Inhaber-Strategie zur Unternehmens-Strategie, ZfB-Special Issue 2009, 113; Müller-Glöge/Preis/I. Schmidt, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 20. Aufl., München 2020; Nitze, Der minderjährige Gesellschafter im Familienunternehmen, Diss. Bayreuth, 2016; Prütting/Schirrmacher, Die Auslegung von familiengesellschaftsbezogenen Rechtsgeschäften, ZGR 2017, 864; Rechenberg/Thies/Wiechers, Handbuch Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, 1. Aufl., Stuttgart 2016; Reinfelder, Arbeitnehmer – Gesellschafter – Geschäftsführer, RdA 2016, 87; Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl., München 2018; Sanders, Der Beirat als Instrument der Family Business Governance in der Entwicklung des Familienunternehmens, NZG 2017, 961; Schultzendorff, Fremdmanager in Familienunternehmen – Eine empirische Analyse, Diss. Hochschule St. Gallen, St. Gallen 1984; Seeliger, Kölner Handbuch Handels- und Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., Köln 2017; Stengel, Beck’sches Handbuch Personengesellschaften, 5. Aufl., München 2020; Uffmann, Interim Management in Zeiten nachhaltiger Unternehmensführung?, ZGR 2013, 273; Ulmer, Die große, generationsübergreifende Familien-KG als besonderer Gesellschaftstyp, ZIP 2010, 549; Vielmeier, GmbH-Geschäftsführer als Arbeitnehmer im Rahmen der Massenentlassungsrichtlinie?, NJW 2014, 2678; Wank, Neues zum Arbeitnehmerbegriff des EuGH, EuZW 2018, 21; Ziemons/Jaeger/Pöschke, BeckOK GmbHG, 43. Aufl., München 2020.

A. Einleitung Die grundsätzliche Ausrichtung eines Familienunternehmens auf Seiten der Gesellschafter beinhaltet eine langfristige, beständige Unternehmensführung. Darüber hinaus ist für den Fortbestand des Unternehmens auch ein erfolgreicher Generationswechsel im Hinblick auf die Gesellschafter bzw. Geschäftsführung maßgeblich. Familienunternehmen sind mit möglichen Problemen, wie beispielweise Nachfolge oder die zunehmende Komplexität der Unternehmensabläufe, konfrontiert, weshalb es ratsam sein kann, einen Dritten, also familienfremden, in die Geschäftsführung des Unternehmens einzubeziehen. Hierbei handelt es sich um ein sog. „Fremdmanagement“ oder auch eine „Fremdgeschäftsführung“.

14.1

B. Einbindung von Fremdmanagement im Familienunternehmen I. Herausforderungen und Chancen 1. Emotionen Die Entscheidung, einen Fremdgeschäftsführer im eigenen Familienunternehmen zu implementieren, kann aus der Sichtweise der Familiengeschäftsführung mit starken Emotionen behaftet sein.1 1 Vgl. Kenyon-Rouvinez in Koeberle-Schmid/Witt/Fahrion, Family Business Governance2, S. 91 (97).

Krause/Bodenstedt | 1005

14.2

Kap. 14 Rz. 14.3 | Fremdgeschäftsführung in Familienunternehmen

14.3

Hierbei können insbesondere Angst, Verlust und Ungewissheit die Gedanken der Eigentümerfamilie prägen. Insbesondere besteht vorrangig die Befürchtung, dass das eigene Unternehmen durch die Übertragung an eine fremde Geschäftsleitung ihrer Kontrolle entzogen wird und nicht mehr die Möglichkeit besteht, ausreichend Einfluss auszuüben. Auch die Ungewissheit, überhaupt einen geeigneten Kandidaten für das Unternehmen gewinnen zu können, der sich in die Unternehmenskultur einfügen kann und in der Lage ist die Werte und Ziele fortzusetzen, beeinflussen die Emotionen der Unternehmerfamilien.1 Die Diskrepanzen in den Interessenlagen zwischen Familiengesellschaftern und Fremdgeschäftsführern stellen daher eine der größten Herausforderungen dar.

14.4

Weiterhin steht die Beibehaltung der Unabhängigkeit im Vordergrund: Das Familienunternehmen soll sich zwar unter Wahrung der selbst gesetzten Werte und Ziele weiterentwickeln. Dabei soll jedoch allgemein eine (wirtschaftliche) Abhängigkeit von weiteren Dritten vermieden werden. Damit ergibt sich ein komplexes Gebilde, welches gemeistert werden muss: Aufgabenbereich, Entscheidungsspielraum und Vergütungsmodelle sind so aufeinander abzustimmen, dass es zu möglichst wenig Konflikten im eigenen Unternehmen kommt.

2. Nachfolgeprobleme a) Beweggründe

14.5

Der Einsatz eines Fremdgeschäftsführers kann auf der Grundlage von Nachfolgeproblemen in der Eigentümerfamilie basieren. Die Beweggründe für den Einsatz eines Fremdgeschäftsführers können gerade im Bereich einer Nachfolgethematik vielfältig sein. b) Kein (zeitweise) geeigneter Nachfolger

14.6

Familieneigentümer sind oft mit dem Problem konfrontiert, dass in der eigenen Familie kein (geeigneter) Nachfolger vorhanden ist. Dies kann beispielsweise daraus resultieren, dass zwar potentielle Nachfolger vorhanden sind, diese aber nicht über die fachliche Kompetenz für die Stellung der Geschäftsführung und Erfüllung der Aufgaben verfügen.

14.7

Des Weiteren kann auch der Tod des Eigentümers dazu führen, dass kein geeigneter Nachfolger zur Verfügung steht. Hierbei hat der Eigentümer sich im Vorwege eventuell keine Gedanken über einen Nachfolger gemacht.

14.8

Auch in zeitlicher Hinsicht kann ein Nachfolgeproblem entstehen, wenn z.B. die Kinder der Eigentümerfamilie(n) in einem noch nicht übernahmefähigen Alter sind.2 c) Fehlendes Interesse der Nachfolgegeneration

14.9

Ebenfalls ist es denkbar, dass es familiären Nachfolger an Motivation und Interesse mangelt, das familieneigene Unternehmen zu übernehmen. Nachfolgende Generationen haben, z.B. den Wunsch nach einem anderen Beruf und wollen daher ihren Lebensweg anders ausrichten.

1 Rechenberg/Thies/Wiechers, Handbuch Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 99. 2 Vgl. Geiß, Generationswechsel in Familienunternehmen: Fremdmanagement als Alternative?, S. 23.

1006 | Krause/Bodenstedt

B. Einbindung von Fremdmanagement im Familienunternehmen | Rz. 14.17 Kap. 14

d) Zu viele Nachfolger Besteht das Unternehmen bereits seit Generationen, gibt es üblicherweise eine Vielzahl von Gesellschaftern.1 Daraus kann das Problem resultieren, dass sich zu viele Nachfolger zur Übernahme bereit erklären wollen.

14.10

3. Neue Impulse Gerade in wirtschaftlich anspruchsvollen Zeiten bietet die Beschäftigung eines Fremdgeschäftsführers zuvorderst die Möglichkeit, sich externen Sachverstand auf Managementebene nutzbarzumachen.2

14.11

Insofern eröffnet sich die Chance, eventuell eingefahrene Strukturen in der Geschäftsführung durch neue Impulse aufzubrechen. Ferner kann so auch die bisweilen langjährige Erfahrung des familienfremden Geschäftsführers zugunsten des Familienunternehmens genutzt werden.

14.12

Fremdgeschäftsführer bringen zusätzlich neue Anreize für die Unternehmensführung mit sich. Oft ist zudem die bisherige Art und Weise der Unternehmensführung ein Grund, sich extern bei der Wahl eines Geschäftsführers zu orientieren. Nicht zuletzt aufgrund des eigenen, kaufmännisch geprägten Interesses, wird ein Fremdgeschäftsführer die ökonomische Faktenlage im Zweifel nüchterner analysieren können als ein emotional gebundenes Familienmitglied.3 Gleichzeitig kann aufgrund neuer Managementansätze auch die langfristige Wertsteigerung des Unternehmens erreicht werden.4

14.13

4. Sonstige Gründe Es besteht weiterhin eine Vielzahl von anderen Gründen, die den Einsatz eines Fremdgeschäftsführers im Familienunternehmen erfordern können.5

14.14

a) Externe Vorgaben Externe Parteien wie Stakeholder oder Banken von Familienunternehmen erwarten, dass ein Fremdgeschäftsführer im Unternehmen eingesetzt wird.

14.15

b) Aufgaben Auch können unangenehme Aufgaben, wie z.B. Personalentlassungen, an eine familienfremde Führungskraft abgegeben werden.

14.16

c) Ausfall Denkbar ist ebenso der plötzliche Ausfall eines Managers. Hier kann ein externer Manager neu die kurzfristig vakante Position besetzen. 1 Vgl. Geiß, Generationswechsel in Familienunternehmen: Fremdmanagement als Alternative?, S. 24. 2 Vgl. Prütting/Schirrmacher, ZGR 2017, 829 (934). 3 Riedel in Riedel, Praxishandbuch Unternehmensnachfolge2, 2018, § 24 Rz. 9, 10. 4 S. eingehend Binz, Unternehmermagazin 2012, 34 (34). 5 Nachfolgende Gründe nach Cravotta, Die gemischte Geschäftsführung als Managementstruktur langlebiger Familienunternehmen, S. 58.

Krause/Bodenstedt | 1007

14.17

Kap. 14 Rz. 14.18 | Fremdgeschäftsführung in Familienunternehmen

d) Vergrößerung

14.18

Infolge des Wachstums eines Familienunternehmens kann es zu quantitativen Engpässen bei der familiären Besetzung kommen, wenn schlicht nicht genug eigene (und fachlich geeignete) Familienmitglieder vorhanden sind, so dass auch hier der Einsatz eines Fremdmanagers denkbar ist.

II. Der Prozess 1. Formen des Managements 14.19

Die Entscheidung wie die Fremdgeschäftsführung im Familienunternehmen ausgestaltet werden soll, hängt maßgeblich davon ab, inwieweit sich die Eigentümerfamilie ihren Einfluss im Unternehmen bewahren möchte und ob der Fremdgeschäftsführers dauerhaft oder nur übergangsweise bestellt werden soll.

14.20

Hinsichtlich der Besetzung des Managements eines Familienunternehmens lassen sich verschiedene Arten differenzieren:1 – (reine) Inhaberführung, bei der die Geschäftsführung ausschließlich einem (oder mehreren) Familienmitglied(ern) obliegt. – Mischgeschäftsführung, bei welcher sowohl Familienmitglieder, als auch externe Manager als Geschäftsführer bestellt werden. – (reine) Fremdgeschäftsführung, bei der ausschließlich nicht aus der Eigentümerfamilie stammende Manager mit der Geschäftsführung beraut werden.

14.21

Weiterhin muss entschieden werden, ob die Fremdgeschäftsführung dauerhaft oder nur zweitweise im Familienunternehmen eingesetzt werden soll. Bei einer dauerhaften Besetzung für die Zukunft ist die reine oder die Mischgeschäftsführung denkbar. Soll der Einsatz jedoch nur temporär sein, ist ein Interim-Management die sinnvollere Lösung für das Unternehmen.

14.22

Soll ein Fremdgeschäftsführer dauerhaft im Unternehmen angestellt werden, es gleichzeitig jedoch nicht vorstellbar ist, dass die Geschäftsführung ausschließlich mit externen Managern besetzt wird (reine Fremdgeschäftsführung), aber auf den Einsatz zumindest eines Fremdgeschäftsführers nicht verzichtet werden soll, dann stellt eine gemischte Geschäftsführung (Mischgeschäftsführung oder auch hybride Geschäftsführung) die bestmögliche Lösung für das Familienunternehmen dar. Der größte Vorteil dieser Form der Geschäftsführung besteht darin, dass die Eigentümerfamilie weitestgehend die Kontrolle der Geschäftsführung inne behält. Zudem bietet sich die Möglichkeit, durch das Implementieren von fremdem Know-how, etwaigen Herausforderungen (z.B. Nachfolgeproblemen, Internationalisierung des Familienunternehmens) entgegenzuwirken. In der Praxis hat sich bislang gezeigt, dass viele Familienunternehmen dauerhaft eine Mischform im Management institutionalisiert haben.2

1 Vgl. Cravotta, Die gemischte Geschäftsführung als Managementstruktur langlebiger Familienunternehmen, S. 18 (19); Becker in Fremdmanagement in Familienunternehmen: Annäherung an eine vielschichtige Thematik, in Management kleiner und mittlerer Unternehmen: Stand und Perspektiven der KMU-Forschung, S. 205 ff. 2 Vgl. Cravotta, Die gemischte Geschäftsführung als Managementstruktur langlebiger Familienunternehmen, S. 60 – als bekanntes Beispiel sind die Familienunternehmen Miele, Veltins und die Oetker-Gruppe zu nennen.

1008 | Krause/Bodenstedt

B. Einbindung von Fremdmanagement im Familienunternehmen | Rz. 14.25 Kap. 14

Bei einem dauerhaften oder temporären Einsatz kann zwischen verschiedenen Ausgestaltungen des Managements entschieden werden.1

14.23

2. Einfluss der Rechtform a) Allgemeines Ein Familienunternehmen ist in allen zivilrechtlichen Rechtsformen denkbar, doch ist eine Fremdgeschäftsführung nicht in jeder Rechtform leicht umzusetzen. Hierbei ist zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften zu differenzieren.

14.24

b) Personengesellschaften Bei Personengesellschaften (GbR, OHG, KG) ist eine Fremdgeschäftsführung durch gesellschaftsfremde Dritte nicht vorgesehen. Es sind nach dem Gesetz die Gesellschafter zu Geschäftsführung verpflichtet.2 Es herrscht insoweit der Grundsatz der „Selbstorganschaft“.

1 In enger Anlehnung an Schultzendorff, Fremdmanager in Familienunternehmen – Eine empirische Analyse, S. 149. 2 Vgl. hierzu die einschlägigen Vorschriften im BGB und HGB.

Krause/Bodenstedt | 1009

14.25

Kap. 14 Rz. 14.26 | Fremdgeschäftsführung in Familienunternehmen Beispiel:

14.26

Ein Familienunternehmen hat die Rechtsform der GbR gewählt. Hierbei haben die GbR-Gesellschafter nach § 709 Abs. 1 BGB die Geschäftsführung und nach § 714 BGB auch die Vertretungsmacht gemeinsam inne (Gesamtvertretung). Deshalb haben die Gesellschafter nicht nur ein Recht zur Geschäftsführung sondern auch die Pflicht zur Geschäftsführung. Würden alle Gesellschafter die Geschäftsführung verweigern, dann wäre die GbR handlungsunfähig. Die Gesellschafter der GbR fragen sich nach einer möglichen rechtlichen Ausgestaltung eines Fremdgeschäftsführers.

14.27

Das Beispiel verdeutlicht, dass bei Selbstorganschaften das Mitwirken der Gesellschafter an der Unternehmensführung im Vordergrund steht und eine vollständige Übertragung der Geschäftsführung auf einen Fremdgeschäftsführer nicht vorgesehen ist.1 Lösung:

14.28

Der Einsatz eines Fremdgeschäftsführers zur Übertragung einzelner Geschäftsführungsmaßnahmen ist aber möglich. Hier könnte das Familienunternehmen einem gesellschaftsfremden Dritten im Rahmen eines Anstellungs- oder Auftragsverhältnisses Geschäftsführungsaufgaben übertragen.2 Dies kann durch eine „Generalvollmacht“ auch in sehr weitgehendem Umfang mit der Folge geschehen, dass sämtliche in der GbR anfallenden Aufgaben erfasst werden.3 Gesellschaftsrechtlich obliegen die Geschäftsführungsbefugnisse und damit einhergehend auch die rechtliche Verantwortung weiterhin bei den Gesellschaftern. Praxistipp:

14.29

Familienunternehmen, die sich für die Gründung einer Personengesellschaft entscheiden, sollten hierbei auch ein Augenmerk auf die Zukunft richten und die Kommanditgesellschaften mit einer kapitalistische Form berücksichtigen, da diese den Einsatz eines Fremdgeschäftsführers ermöglichen. Insbesondere die für ein Familienunternehmen vorteilhafte Rechtsform der GmbH & Co. KG ermöglicht es, trotz der Form einer Personengesellschaft, einen Dritten als Geschäftsführer zu bestellen.4

c) Kapitalgesellschaften

14.30

Bei Kapitalgesellschaften (GmbH, AG sowie KGaA) ist dies unproblematisch. Hier können Gesellschafter oder – abweichend von Personengesellschaften – auch andere, gesellschaftsfremde Personen zur Geschäftsführung bestellt werden.5 In der gesellschaftsrechtlichen Praxis ist die Bestellung eines „fremden“ Geschäftsführers insbesondere bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) weit verbreitet.

3. Auswahl des Fremdgeschäftsführers a) Anforderungen

14.31

Um die Ziele und Werte des Unternehmens zu sichern, bedarf es der sorgfältigen Auswahl eines Fremdgeschäftsführers. Je penibler im Vorfeld darauf geachtet wird, das mögliche Spannungsfelder minimiert werden, desto größer ist die Chance, dass die Fremdgeschäftsführung mehr Nutzen und Vorteile als Schäden und Nachteile mit sich bringt. 1 Cravotta, Die gemischte Geschäftsführung als Managementstruktur langlebiger Familienunternehmen, S. 60. 2 Schäfer in MüKo8, § 709 BGB Rz. 5. 3 Schäfer in MüKo8, § 709 BGB Rz. 5. 4 Cravotta, Die gemischte Geschäftsführung als Managementstruktur langlebiger Familienunternehmen, S. 60. 5 Hierl/Huber, Rechtsformen und Rechtsformwahl: Recht, Steuern, Beratung, Rz. 76.

1010 | Krause/Bodenstedt

B. Einbindung von Fremdmanagement im Familienunternehmen | Rz. 14.36 Kap. 14

Eine nachhaltige und erfolgreiche Zusammenarbeit setzt voraus, dass sich das familienfremde Management mit den Vorstellungen und Visionen der Eigentümerfamilie identifizieren kann.1 Der Einsatz eines Fremdgeschäftsführers muss dazu rechtliche, betriebswirtschaftliche und psychologische sowie emotionale Rahmenbedingungen berücksichtigen.2 Schließlich ist es gerade die Aufgabe eines Fremdgeschäftsführers, die von der Eigentümerfamilie vorgegebenen Ziele in die Praxis umzusetzen.

14.32

Zunächst ist zu entscheiden, ob der Fremdgeschäftsführer aus dem Mitarbeiterkreis des Unternehmens selbst oder von außen rekrutiert werden soll. Demzufolge sollte bei der Auswahl eines familienfremden Geschäftsführers u.a. darauf geachtet werden, dass es keine persönlichen Zerwürfnisse zwischen den Parteien gibt. Der Fremdgeschäftsführer soll die Interessen der Familie weiter fortführen und sich dem Einfluss der Gesellschafter zu großen Teilen unterwerfen. Der Entscheidungsspielraum der Geschäftsführung in einem Familienunternehmen kann mitunter stark eingeschränkt sein. Umso wichtiger ist es, einen Geschäftsführer zu finden, der die Werte und Vorstellungen der Familie im besten Falle teilt, jedenfalls aber keine Schwierigkeiten damit hat, diese in der Praxis umzusetzen.

14.33

Sinnvoll ist es, die zukünftige Aufgabe der Geschäftsleitung bereits vor der Anstellung klar und eindeutig zu regeln. Das betrifft die Aufgabenstellung einerseits, aber auch die abstrakte Zielsetzung andererseits. Ferner sollte der Fremdgeschäftsführer deutlich davon in Kenntnis gesetzt werden, dass seine Entscheidungen nicht immer nur rein wirtschaftlicher Art sein können.

14.34

Auf Unternehmensseite gilt: Will das Familienunternehmen erweiterten Einfluss auf das Tagesgeschäft haben, ist das mit der möglichen neuen Geschäftsführung explizit abzustimmen. Einen Fremdgeschäftsführer zu finden, der seine Handlungsfreiheit in erheblichem Maße zugunsten der Familie aufgibt, ist zwar kein einfaches Unterfangen. Einen Fremdgeschäftsführer aber erst später mit Einschränkungen und Auflagen zu konfrontieren, kann zu starken Spannungen im Unternehmen führen. Ratsamer ist es daher, etwaige geplante Regelungen offen und transparent zu kommunizieren.

14.35

Praxistipp: Um die Position der Fremdgeschäftsführung langfristig und erfolgreich zu besetzen, sollten Familienunternehmen auf einen professionellen Auswahlprozess setzen. Dabei sollten sich zuerst Gedanken über die Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeit der Position gemacht werden. Hierbei hilft auch oft der Vergleich mit den bisherigen Geschäftsführern im Unternehmen, um diese Punkte weiter zu definieren. Des Weiteren sollten Qualifikation und Fachkompetenz des Fremdgeschäftsführers auf das Unternehmen abgestimmt werden, wobei diesbezüglich der Blick auf die zukünftige Unternehmensausrichtung und -strategie zu richten ist. Häufig kann es Familienunternehmen daher helfen ein Stellenprofil zu definieren und im Detail herauszuarbeiten, welche Erwartungen an den Fremdgeschäftsführer gestellt werden und welche Eigenschaften er mitbringen soll.

1 Riedel in Riedel, Praxishandbuch Unternehmensnachfolge2, 2018, § 24 Rz. 12. 2 Uffmann, ZGR 2013, 273 (275).

Krause/Bodenstedt | 1011

14.36

Kap. 14 Rz. 14.37 | Fremdgeschäftsführung in Familienunternehmen

b) Incentivierung aa) Anreizsysteme

14.37

Um ein Gleichauf der Interessen zwischen Eigentümerfamilie und Fremdgeschäftsführer herzustellen, ist es empfehlenswert, Anreizsysteme zu schaffen. Der Fremdgeschäftsführer sollte aufgrund der Umsetzung der familiengesteuerten Ziele belohnt werden – auch und gerade dann, wenn es sich bei diesen Zielen nicht um wirtschaftlich messbare Kennzahlen im Familieninteresse handelt.1 Neben einer ordnungsgemäßen Vergütung kann es zudem ratsam sein, den Fremdgeschäftsführer an der künftigen Wertsteigerung des Unternehmens zu beteiligen, um so seine Motivation zu fördern. Hierfür können Tantieme- bzw. Bonusregelungen an die Zielsetzungen angeknüpft werden oder auch alternativ (oder ergänzend) eine Managementbeteiligung erwogen werden.2

14.38

Erfolgsgarant für Familienunternehmen ist, dass die Principal-Agent-Problematik minimiert wird, da dann die Interessen der Gesellschafter im Unternehmen stärker gleichgerichtet sind. Ziehen Familieneigentümer in Erwähnung einen Fremdgeschäftsführer in das Unternehmen zu integrieren, kann daher eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung sinnvoll erscheinen. Dadurch eröffnet sich die Möglichkeit, den Principal-Agent-Konflikt zu minimieren und die Interessen des Fremdgeschäftsführers mit denen der Eigentümerfamilie zusammenzuführen.

14.39

Im Vorwege einer solchen Beteiligung sollte sich die Eigentümerfamilie mit entscheidenden Folgefragen auseinandersetzen: – Welche Art von Beteiligung kommt in Frage? – Zu welchen Bedingungen soll die Beteiligung übertragen werden? – Wie soll eine (mögliche) Finanzierung der Beteiligung aussehen? – Ob und wann soll der Ausstieg aus der Gesellschafterstellung erfolgen? bb) Direktbeteiligung

14.40

Bei einer direkten Beteiligung wird der Fremdgeschäftsführer gemeinsam mit der Eigentümerfamilie Gesellschafter, wobei die Einräumung der Gesellschafterstellung in der operativen Gesellschaft empfehlenswert ist.3 Der Erwerb der Beteiligung kann hierbei durch eine Kapitalerhöhung oder einen Anteilskauf erfolgen. Praxistipp:

14.41

Dabei sollte die Beteiligung und ihre Konditionen konkret ausgestaltet werden. Dies erfolgt seltener durch Regelungen im Gesellschaftsvertrag, aber häufiger in begleitenden schuldrechtlichen Gesellschaftervereinbarungen: (1) Vergünstigte Einräumung der Gesellschaftsbeteiligung Üblicherweise wird für den Erhalt der Beteiligung ein Entgelt gezahlt, welches unter dem tatsächlichen Verkehrswert der Geschäftsbeteiligung liegt. Dies resultiert zum einen daraus, dass schlichtweg

1 Vgl. zu alledem statt vieler Riedel in Riedel, Praxishandbuch Unternehmensnachfolge2, 2018, § 24 Rz. 1 ff. 2 Riedel in Riedel, Praxishandbuch Unternehmensnachfolge2, 2018, § 24 Rz. 12 f. 3 Riedel in Riedel, Praxishandbuch Unternehmensnachfolge2, 2018, § 24 Rz. 25.

1012 | Krause/Bodenstedt

B. Einbindung von Fremdmanagement im Familienunternehmen | Rz. 14.43 Kap. 14 meist die nötige Kapitalbasis fehlt und zum anderen beim Einstieg Vergünstigen gewährt werden, was in der Regel Ausfluss der Incentivierung ist.1 (2) Finanzierung In den meisten Fällen ist es für den Fremdgeschäftsführer nicht möglich, die Beteiligung aus eigener Kraft zu finanzieren. Es besteht die Möglichkeit eine Finanzierung durch eine Bank zu erhalten oder auch die Unterstützung der Eigentümerfamilie – in Form eines Darlehens – in Anspruch zu nehmen. Hierbei ist es wichtig, dass insbesondere Regelungen über die Rückzahlung, die Verzinsung, die Laufzeit und auch Kündigungsmöglichkeiten getroffen werden.2 (3) Verfügungsbeschränkungen Ferner möchte die Eigentümerfamilie grundsätzlich verhindern, dass die erworbene Beteiligung weiter veräußert wird. Dabei kann vorgesehen werden, dass:3 – Anteile nur mit Zustimmung anderer Gesellschafter oder der Gesellschaft veräußert werden können (bei Personengesellschaften ist dies ohnehin so geregelt; bei Kapitalgesellschaften wie der GmbH und AG sollte dies im Gesellschaftervertrag vereinbart werden). – die Eigentümerfamilie sich ein entsprechendes Vorerwerbsrecht einräumt. (4) Ausscheiden Im Falle des Ausscheidens wird zugunsten der verbleibenden Gesellschafter meist ein Vorerwerbsrecht (Call-Option) vereinbart, damit die Beteiligung nicht an Dritte veräußert wird. Hier sollte zudem eine Regelung über den Rückkauf der Beteiligung vorgesehen werden, z.B. bei Beendigung des Anstellungsvertrages.

cc) Indirekte Beteiligung Eine weitere Beteiligungsform stellt die indirekte Beteiligung dar. Diese kann insbesondere dann in Erwägung gezogen werden, wenn eine direkte Beteiligung an dem Familienunternehmen nicht erwünscht ist. Diese kann in der Form einer Begründung eines Treuhandverhältnisses erfolgen. Die Ausgestaltung erfolgt hierbei in der Art, dass die Eigentümerfamilie einen Teil der ihr zustehenden Gesellschaftsanteile treuhänderisch für den Manager/Fremdgeschäftsführer hält.4 Dabei stehen dem Fremdgeschäftsführer Entnahmerechte bzw. Gewinnausschüttungen zu, wobei die Eigentümerfamilie im Außenverhältnis alleinige Eigentümer bzw. Gesellschafter bleiben.5

14.42

dd) Virtuelle Beteiligung Bei einer virtuellen Beteiligung erfolgt keine gesellschaftsrechtliche Beteiligung. Hierbei handelt es sich um eine schuldrechtliche Vereinbarung zwischen der Gesellschaft und dem Manager/Fremdgeschäftsführer, wobei dieser so gestellt wird, als ob eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung bestünde.6 Auch mit dieser Beteiligung besteht die Möglichkeit dieselben wirtschaftlichen Anreize zu setzen. Vorteilhaft für den Manager/Fremdgeschäftsführer ist, dass kein Ei-

1 2 3 4 5 6

Riedel in Riedel, Praxishandbuch Unternehmensnachfolge2, 2018, § 24 Rz. 29. Riedel in Riedel, Praxishandbuch Unternehmensnachfolge2, 2018, § 24 Rz. 34. Hannes/Kuhn/Brückmann, Familienunternehmen: Recht, Steuern, Beratung, § 5 Rz. 5. Riedel in Riedel, Praxishandbuch Unternehmensnachfolge2, 2018, § 24 Rz. 49. Riedel in Riedel, Praxishandbuch Unternehmensnachfolge2, 2018, § 24 Rz. 49. Riedel in Riedel, Praxishandbuch Unternehmensnachfolge2, 2018, § 24 Rz. 57.

Krause/Bodenstedt | 1013

14.43

Kap. 14 Rz. 14.43 | Fremdgeschäftsführung in Familienunternehmen

genkapitaleinsatz erforderlich ist und daher auch kein echtes Verlustrisiko besteht.1 Darüber hinaus muss die Eigentümerfamilie auch nicht einen familienfremden Gesellschafter in ihrem Unternehmen fürchten. Praxistipp:

14.44

Auch bei einer virtuellen Beteiligung sollten klare Reglungen, wie im Fall einer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung, festgesetzt werden. Empfehlenswert ist es, klar und eindeutig zu regeln, ob eine virtuelle Beteiligung in einen Zahlungsanspruch abgeändert werden kann – hierbei sollte beachtet werden, dass die Anteile tatsächlich nie übertragen worden sind und folglich auch kein Entgelt gezahlt worden ist.2 Darüber hinaus sollte die Fälligkeit des Anspruchs klar definiert werden.

4. Interim Management a) Allgemeines

14.45

Im Rahmen der Nachfolge kann es für ein Familienunternehmen sinnvoll sein, die Fremdgeschäftsführung durch ein Interim Management zu besetzen. Darunter ist die befristete Übertragung einer Managementaufgabe auf eine unternehmensexterne selbstständige Führungskraft zu verstehen.3 Die Implementierung eines Interim Managers ist insbesondere dann sinnvoll, wenn eine zeitliche Differenz zwischen dem Ausscheiden des bisherigen Familiengesellschafters und dem Nachfolger entsteht.

14.46

Interim Manager zeichnen sich durch besonderes Knowhow und umfassende Erfahrungen aus, welche es ihm ermöglichen, sich nach kurzer Zeit im operativen Geschäft des Familienunternehmens zurechtzufinden. Entsprechend der konkreten Aufgaben und Anforderungen in einem Familienunternehmen muss eine sachgerechte Umsetzung im Rahmen der jeweiligen Gesellschaftsstruktur erfolgen.4

14.47

Zum einen besteht die Möglichkeit einen Fremdgeschäftsführer als sog. Interimsgeschäftsführer im Familienunternehmen zu bestellen. Im Rahmen einer GmbH ergeben sich insoweit Vorteile, dass sowohl der zeitliche Einsatz auch die vertragliche Grundlage flexibel ausgestaltet werden können. Der Widerruf der Bestellung in § 38 Abs. 1 GmbHG gebietet, dass die Übertragung der Geschäftsführung auf den potentiellen Nachfolger jederzeit möglich ist.

14.48

Neben der Organstellung kann ein Interim Manager auch auf Grundlage einer schuldrechtlichen Verankerung tätig werden und agiert als organfremder Dritter.5 Hierbei erfolgt entweder eine Generalbevollmächtigung oder die Erteilung einer Prokura bzw. Handlungsvollmacht.6

b) Rechtliche Ausgestaltung

1 2 3 4 5 6

Riedel in Riedel, Praxishandbuch Unternehmensnachfolge2, 2018, § 24 Rz. 57. Riedel in Riedel, Praxishandbuch Unternehmensnachfolge2, 2018, § 24 Rz. 58. Uffmann, ZGR 2013, 273 (278). Uffmann, ZGR 2013, 273 (290). Uffmann, ZGR 2013, 273 (295). Vgl. zu alledem statt vieler Uffmann, ZGR 2013, 295 f.

1014 | Krause/Bodenstedt

B. Einbindung von Fremdmanagement im Familienunternehmen | Rz. 14.52 Kap. 14

c) Anforderungen Um eine erfolgreiche Zusammenarbeit zu gewährleisten, sollten bei der Auswahl eines Interim Managers bestimmte Kriterien berücksichtigt werden. Er sollte idealerweise bereits Erfahrungen in der Fremdgeschäftsführung bei Familienunternehmen vorweisen, bevorzugt im Bereich des Interim-Managements. Weiterhin ist hier wichtig, dass der Interim Manager sich mit den Werten und Zielvorstellen des Unternehmens identifizieren kann, um so Aufgaben und Kompetenzen auf den gewünschten Nachfolger übertragen zu können.

14.49

5. Steuerungs- und Kontrollmöglichkeiten von Fremdgeschäftsführern Es müssen Regeln gefunden werden, wie das Verhältnis zwischen dem Geschäftsführer und der Inhaberfamilie ausgestaltet werden soll, da zwischen beiden unterschiedliche Zielvorstellungen und Erwartungshaltungen, gerade hinsichtlich der Ausgestaltung der Geschäftsführung, bestehen können. Werden diese vorgenannten Themen nicht geregelt, besteht schnell die Gefahr, dass sich entstehende Konflikte negativ auf das Unternehmen auswirken. Einer der zentralsten Herausforderungen der Corporate Governance im Familienunternehmen ist die Einflussnahme der Inhaberfamilie auf die Führungs- und Kontrollstrukturen des Unternehmens.1 Insbesondere durch die Kontrolle der Unternehmensleistung sollen die Gesellschafterinteressen, als auch die Erhaltung des Unternehmens, sichergestellt werden.2 Wichtig ist hierbei, dass die Kontrolle sachlich und qualifiziert erfolgt, um eine gute Zusammenarbeit zwischen dem Fremdgeschäftsführer und dem Kontrollorgan zu ermöglichen.3

14.50

Die Steuerung und Kontrolle eines Fremdmanagers im Familienunternehmen wird meist durch die Aufsichtsgremien oder von der Inhaberfamilie selbst übernommen. Dabei ist die Errichtung eines Aufsichtsrats oder Beirats sinnvoll. Bei der GmbH sind die Aufgaben und Rechte des Beirats weitgehend frei regelbar.4 Wichtig ist hierbei, dass die Aufgaben des Aufsichtsgremiums gegenüber der operativen (Fremd-)Geschäftsführung klar definiert und abgegrenzt werden. Die zentralen Aufgaben umfassen dabei regelmäßige Kontrolle und Beratung der Unternehmensführung und die Entscheidung in Personalfragen.5 In der Praxis empfiehlt es sich, den Beirat einer regelmäßigen Evaluation zu unterwerfen, um seine Effizienz und Effektivität sicherzustellen.6

14.51

Zusätzlich können gezielte Steuerungsmaßnahmen und Regelungen der Unternehmerfamilie dabei helfen, trotz Einsatz eines Fremdgeschäftsführers, ihre Kontrollmöglichkeiten weiterhin auszuüben.7

14.52

1 May, ZfB-Special Issue 2009, 113 (122). 2 Vgl. Hennerkes/May, NJW 1988, 2761 (2762). 3 Vgl. Rechenberg/Thies/Wiechers, Handbuch Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 75; Hennerkes/May, NJW 1988, 2761 (2763). 4 Rechenberg/Thies/Wiechers, Handbuch Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 75. 5 Vgl. Krause, BB 2012, 714 (715). 6 Vgl. Krause, BB 2012, 714 (715); Koeberle-Schmid/Groß/Lehmann-Tolkmitt, BB 2011, 899 (906). 7 Abbildung in enger Anlehnung an Cravotta, Die gemischte Geschäftsführung als Managementstruktur langlebiger Familienunternehmen, S. 63.

Krause/Bodenstedt | 1015

Kap. 14 Rz. 14.52 | Fremdgeschäftsführung in Familienunternehmen

C. Arbeitsrechtliche Behandlung von Fremdgeschäftsführern I. Anwendung arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften 1. Arbeitnehmerstellung 14.53

Ob arbeitsrechtliche Schutzvorschriften auf den Fremdgeschäftsführer anzuwenden sind, wird kontrovers diskutiert. Ausgangspunkt der Diskussion ist hierbei die Frage, ob der Fremdgeschäftsführer als Arbeitnehmer oder als Dienstnehmer zu behandeln ist. Ist der Fremdgeschäftsführer Arbeitnehmer, fällt er in den Schutzbereich der jeweiligen arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften. Ist er hingegen kein Arbeitnehmer, greift der entsprechende Schutzmechanismus im Zweifel nicht. Relevanz fällt dabei insbesondere dem Kündigungsschutz zu. Welche Schutzvorschriften auf den Fremdgeschäftsführer anzuwenden sind, ist im Einzelfall umstritten. Ausgangspunkt der Diskussion ist jedoch stets der Arbeitnehmerbegriff.

2. Der Fremdgeschäftsführer als Arbeitnehmer nach deutschem Recht 14.54

Eine allgemeine gesetzliche Definition des Begriffs „Arbeitnehmer“ gab es lange nicht. Durch das Gesetz zur Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes ist mit Wirkung zum 1.4.2017 der neue § 611a BGB eingeführt worden, der eine Definition enthält. Arbeitnehmer ist danach, wer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Ar-

1016 | Krause/Bodenstedt

C. Arbeitsrechtliche Behandlung von Fremdgeschäftsführern | Rz. 14.58 Kap. 14

beit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist.1 Das entspricht im Wesentlichen der bisherigen Rechtsprechung des BAG, die damit kodifiziert worden ist: Danach ist Arbeitnehmer, „wer auf Grund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist“2. Wesentliches Unterscheidungsmerkmal ist demnach die persönliche Abhängigkeit. Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Im Einzelfall kommt es auf eine Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände an.3 Ob ein Arbeitsverhältnis besteht, ergibt sich aus dem tatsächlichen Geschäftsinhalt, nicht daraus, wie die Parteien den Vertrag bezeichnen.4

14.55

Ob ein Fremdgeschäftsführer als Arbeitnehmer zu behandeln ist, beurteilen die deutschen Gerichte anhand einer Gesamtwürdigung der Umstände im Einzelfall.5 Unterschiede in der Rechtsprechung des BAG und des BGH bestehen vor allem bei der Frage, ob der Organstellung als Fremdgeschäftsführer ausschließlich ein freier Dienstvertrag (so der BGH) oder auch ein Arbeitsvertrag (so das BAG) zugrunde liegen kann.6

14.56

Der BGH, wegen § 5 ArbGG häufig zuständig, geht bei Organmitgliedern juristischer Personen davon aus, dass es an der persönlichen Abhängigkeit fehle, da sie Arbeitgeberfunktionen wahrnähmen und den Arbeitgeber repräsentierten.7

14.57

Das BAG nimmt hingegen an, dass der Bestellung zum Fremdgeschäftsführer durchaus ein Arbeitsvertrag zugrunde liegen könne.8 Materiell rechtlich stelle sich dieses zwar in der Regel als freies Dienstverhältnis dar, im Einzelfall könne es sich aber um ein Arbeitsverhältnis handeln. Ob ein Fremdgeschäftsführer in einem Arbeitsverhältnis zur Gesellschaft als Arbeitgeber steht, hänge davon ab, ob diese eine besondere Weisungsbefugnis bezüglich der Umstände hat, unter denen der Fremdgeschäftsführer seine Leistung zu erbringen hat. Ein Arbeitsverhältnis liege also nur in Extremfällen vor, wenn die Gesellschaft mehr als nur rein unternehmerische Weisungen erteilen und so die konkreten Inhalte der Leistungserbringung bestimmen kann.9 Häufig werden Fremdgeschäftsführer im Konfliktfall versuchen, ihre vermeintlichen Rechte vor den ArbG durchzusetzen. Hier besteht zum einen nur ein geringes Kostenrisiko, da die Parteien unabhängig vom Ausgang des Verfahrens in der ersten Instanz nur ihre eigenen Kosten (ggf. zzgl. überschaubarer Gerichtskosten) tragen. Zum anderen ist die Rechtsprechung gerade in der ersten Instanz im Grundsatz eher auf Seiten des Arbeitnehmers. Die Beweislast für das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses liegt beim Geschäftsführer/Arbeitnehmer und die Hürden sind hier regelmäßig hoch.

14.58

1 Vgl. BT-Drucks. 18/9232 v. 20.7.2016. 2 BAG v. 31.7.2014 – 2 AZR 422/13, NZA 2015, 101 Rz. 24 m.w.N.; vgl. Commandeur/Kleinebrink, NZA-RR 2017, 449 (449). 3 Preis in Müller-Glöge/Preis/I. Schmidt20, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 611a BGB Rz. 12. 4 BAG v. 20.5.2009 – 5 AZR 31/08, NZA-RR 2010, 172 Rz. 19. 5 Vgl. Reinfelder, RdA 2016, 87 (88). 6 Müller-Glöge in MüKo8, § 611 BGB Rz. 146 ff.; Reinfelder, RdA 2016, 87 (91). 7 BGH v. 10.5.2010 – II ZR 70/09, NZA 2010, 889 Rz. 7 f.; Maties in BeckOGK, § 611 BGB Rz. 176. 8 BAG v. 31.7.2014 – 2 AZR 422/13, NZA 2015, 101 Rz. 24. 9 BAG v. 24.11.2005 – 2 AZR 614/04, NZA 2006, 366 Rz. 18.

Krause/Bodenstedt | 1017

Kap. 14 Rz. 14.59 | Fremdgeschäftsführung in Familienunternehmen

14.59

Nach deutschem Recht wird der Fremdgeschäftsführer nur in seltenen Fällen als Arbeitnehmer anzusehen sein. Der häufigste Fall ist der, in dem die Organstellung nicht separat und explizit durch einen eigenen schriftlichen Dienstvertrag geregelt wird.1 Denkbar ist eine Bewertung als Arbeitsverhältnis in solchen Fällen allerdings nur dann, wenn der Grad der Weisungsgebundenheit einem Arbeitsverhältnis ähnlich stark ausgeprägt ist.2

3. Der Fremdgeschäftsführer als Arbeitnehmer nach Unionsrecht 14.60

Der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff ist hingegen autonom zu bestimmen. Nationale Begriffsbestimmungen sind hiervon unabhängig.3 Nach ständiger Rechtsprechung definiert der Europäische Gerichtshof Arbeitnehmer als „Person, die während einer bestimmten Zeit für eine andere nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die diese als Gegenleistung eine Vergütung erhält“4.

14.61

Der Europäische Gerichtshof hat mehrfach die unionsrechtliche Arbeitnehmereigenschaft eines Organs einer Kapitalgesellschaft, das in diese eingegliedert ist, bejaht.5 Das gilt zumindest dann, wenn die Tätigkeit für eine bestimmte Zeit nach der Weisung oder unter der Aufsicht eines anderen Organs dieser Gesellschaft ausgeübt wird und der Betroffene jederzeit und ohne Einschränkung durch die Unternehmensleitung von seinem Amt abberufen werden kann.6

14.62

Bei einem nach deutschem Recht bestellten Fremdgeschäftsführer handelt es sich demzufolge um einen Arbeitnehmer in diesem unionsrechtlichen Sinne, weil dieser von der Gesellschafterversammlung ernannt und jederzeit abberufen werden kann und deren Weisungen unterliegt.7

14.63

Die Arbeitnehmereigenschaft eines Fremdgeschäftsführers ist jedenfalls dann nach dem unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff zu beurteilen, wenn es um primäres Unionsrecht geht.8 Gleiches gilt aber auch für Sekundärrecht, etwa einschlägige Richtlinien oder Verordnungen mit Bezug zum Arbeitsrecht.9

II. Anwendbarkeit arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften 1. Allgemeines 14.64

Die unterschiedlichen Ansätze des Europäischen Gerichtshofs im Verhältnis zu den obersten deutschen Gerichten haben zur Folge, dass die Anwendbarkeit von arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften auf die Anstellungsverhältnisse von Fremdgeschäftsführern von Fall zu Fall un1 2 3 4 5 6

Vgl. BAG v. 24.10.2013 – 2 AZR 1078/12, NZA 2014, 540 Rz. 25. Reinfelder, RdA 2016, 87 (92). EuGH v. 9.7.2015 – C-229/14, ECLI:EU:C:2015:455 Rz. 34 f. – Balkaya, NZA 2015, 861. EuGH v. 9.7.2015 – C-229/14, ECLI:EU:C:2015:455 Rz. 32 f. – Balkaya, NZA 2015, 861. Vgl. EuGH v. 11.11.2010 – C-232/09, ECLI:EU:C:2010:674 Rz. 39 ff. – Danosa, NZA 2011, 143. Vgl. EuGH v. 11.11.2015 – C-422/14, ECLI:EU:C:2015:743 Rz. 29 – Pujante Rivera, NZA 2015, 1441; EuGH v. 9.7.2015 – C-229/14, ECLI:EU:C:2015:455 Rz. 14, 34 – Balkaya, NZA 2015, 861; Commandeur/Kleinebrink, NZA-RR 2017, 449 (449, 450). 7 EuGH v. 9.7.2015 – C-229/14, ECLI:EU:C:2015:455 Rz. 41 – Balkaya, NZA 2015, 861; vgl. Commandeur/Kleinebrink, NZA-RR 2017, 449 (452); Preis in Müller-Glöge/Preis/I. Schmidt20, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 611a BGB Rz. 89. 8 EuGH v. 4.12.2014 – C-413/13, ECLI:EU:C:2014:2411 Rz. 38 – FNV Kunsten Informatie en Media/Staat der Nederlanden, NZA 2015, 55. 9 EuGH v. 9.7.2015 – C-229/14, ECLI:EU:C:2015:455 Rz. 32 f. – Balkaya, NZA 2015, 861; EuGH v. 11.11.2010 – C-232/09, ECLI:EU:C:2010:674 Rz. 39 ff. – Danosa, NZA 2011, 143.

1018 | Krause/Bodenstedt

C. Arbeitsrechtliche Behandlung von Fremdgeschäftsführern | Rz. 14.65 Kap. 14

terschiedlich gelagert sein können.1 Es besteht hier eine erhebliche Rechtsunsicherheit, zumal auch die nationale Rechtsprechung im Fluss ist. Ausgangspunkt der individuellen Bewertung ist stets, ob die jeweilige Schutzvorschrift eine Rechtsgrundlage im Unionsrecht hat. Ist das der Fall, findet der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff Eingang in die Bewertung. Handelt es sich hingegen um rein nationale Schutzvorschriften, ist der deutsche Arbeitnehmerbegriff anzuwenden. Das führt zu teils konfusen Ergebnissen, die eine einheitliche Bewertung nicht immer zulassen. Von diesen beiden Situationen zu unterscheiden sind schließlich noch die Fälle, in denen das Unionsrecht eine eigene Legaldefinition des Arbeitnehmerbegriffs bereitstellt. In einem solchen Fall ist diese für das deutsche Recht maßgeblich.2

2. Kündigungsschutzgesetz Grundsätzlich kann nach der Rechtsprechung des BAG auch ein Arbeitsverhältnis die Rechtsgrundlage für die Tätigkeit eines Fremdgeschäftsführers darstellen.3 Das Kündigungsschutzgesetz hat keine Grundlage im Unionsrecht, es handelt sich um originär deutsches Arbeitnehmerschutzrecht. Es ist somit zulässig, dass § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG Mitglieder von Vertretungsorganen der Gesellschaft weitestgehend vom Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes ausschließt. Alles andere wäre auch mit der Organisationsfreiheit der Gesellschaft nicht zu vereinbaren.4 Grundsätzlich gilt: Hat der Fremdgeschäftsführer seine Organstellung im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch inne, sind die Vorschriften des ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes nicht anzuwenden.5 Die Fiktion greift hingegen nicht, wenn die Kündigung erst nach Beendigung der Organstellung ausgesprochen wurde.6 Bei der Formulierung von Gesellschafterbeschlüssen, die sowohl die Abberufung als auch die Kündigung des Anstellungsverhältnisses des Fremdgeschäftsführers betreffen, ist zu beachten, dass die Abberufung bereits mit dem Gesellschafterbeschluss wirksam wird, die Kündigung dem Fremdgeschäftsführer jedoch regelmäßig erst nach der Fassung des Gesellschafterbeschlusses zugeht. Um zu verhindern, dass der Fremdgeschäftsführer bei Zugang der Kündigung bereits abberufen ist und damit die Diskussion über eine etwaige Arbeitnehmereigenschaft ausgelöst wird, bietet es sich jedenfalls aus arbeitsrechtlicher Sicht an, im Gesellschafterbeschluss aufzunehmen, dass die Abberufung zu einem (geringfügig) späteren Zeitpunkt erfolgt, bei dem davon auszugehen ist, dass der Fremdgeschäftsführer die Kündigung inzwischen erhalten hat. Hinsichtlich des Rechtswegs zum ArbG gilt enthält § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG eine Fiktion, nach der eine Person, die „kraft Gesetzes, Satzung oder Gesellschaftsvertrag (...) zur Vertretung der juristischen Person berufen [ist]“, nicht als Arbeitnehmer gilt, so dass die ArbG grundsätzlich für Streitigkeiten zwischen Gesellschaft und Geschäftsführer nicht zuständig ist. Diese Sperrwirkung entfällt jedoch, wenn die Abberufung des Geschäftsführers vor einer rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtswegzuständigkeit im arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzverfahren erfolgt.7 In diesem Fall ist das ArbG dann zuständig. 1 Vgl. Preis in Müller-Glöge/Preis/I. Schmidt20, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 611a BGB Rz. 18 ff. 2 Wank, EuZW 2018, 21 (30). 3 BAG v. 25.10.2007 – 6 AZR 1045/06, NZA 2008, 168 (169). 4 Kiel in Müller-Glöge/Preis/I. Schmidt20, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 14 KSchG Rz. 3. 5 Biebl in Ascheid/Preis/I. Schmidt, Kündigungsrecht5, § 14 KSchG Rz. 5; Kiel in Müller-Glöge/ Preis/I. Schmidt20, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 14 KSchG Rz. 5. 6 Kiel in Müller-Glöge/Preis/I. Schmidt20, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 14 KSchG Rz. 5. 7 BAG v. 22.10.2014 – 10 AZB 46/14, NZA 2015, 60.

Krause/Bodenstedt | 1019

14.65

Kap. 14 Rz. 14.66 | Fremdgeschäftsführung in Familienunternehmen

14.66

Unabhängig davon kann jedoch im Anstellungsvertrag des Fremdgeschäftsführers die Anwendung der materiellen Regeln des arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzes vereinbart werden.1 Die Vertragsautonomie ist nur insofern eingeschränkt, als die Funktionstüchtigkeit des Unternehmens auf der Organebene gewährleistet sein muss. Ferner muss die Abberufungsfreiheit aus der Organstellung uneingeschränkt gewährleistet bleiben. Wendet man das Kündigungsschutzgesetz entsprechend auf einen Anstellungsvertrag eines Fremdgeschäftsführers an, wird diese Grenze nicht überschritten.

3. Mutterschutz 14.67

Das Mutterschutzgesetz bietet in § 17 MuSchG einen besonderen Kündigungsschutz für Schwangere und Mütter. Die Kündigung gegenüber einer Frau ist demnach während der Schwangerschaft, bis zum Ablauf von vier Monaten nach einer Fehlgeburt nach der zwölften Schwangerschaftswoche und bis zum Ende ihrer Schutzfrist nach der Entbindung, mindestens jedoch bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung unzulässig, wenn dem Arbeitgeber diese Umstände zum Zeitpunkt der Kündigung bekannt sind oder sie ihm innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt werden.

14.68

Das Mutterschutzgesetz basiert auf der Mutterschutzrichtlinie.2 Entsprechend ist der Geltungsbereich des Kündigungsverbots umfassend. In richtlinienkonformer Auslegung ist § 17 MuSchG der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff zugrunde zu legen. Darunter fallen insbesondere auch Fremdgeschäftsführerinnen.3

4. Massenentlassungen 14.69

Nach der jüngeren Judikatur des Europäischen Gerichtshofs ist der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff auch im Rahmen der Massenentlassungsanzeige relevant. Im entschiedenen Fall hätte es einer Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG nur dann bedurft, wenn der alleinige Fremdgeschäftsführer als Arbeitnehmer mitzuzählen gewesen wäre. Das widerspricht jedoch ausdrücklich dem Wortlaut des § 17 Abs. 5 Nr. 1 KSchG.4

14.70

Der Europäische Gerichtshof entschied, dass der Arbeitnehmerbegriff der Massenentlassungsrichtlinie5 unionsrechtlich auszulegen sei. Das Ziel der Richtlinie, die unionsweite Angleichung des Arbeitnehmerschutzes und der damit verbundenen Belastungen für Unternehmen, erfordere einen einheitlichen Anwendungsbereich.6 Als Schlussfolgerung stufte der Europäische Gerichtshof den Fremdgeschäftsführer als Arbeitnehmer im Sinne der Massenentlassungsrichtlinie ein. Zwar ist diese Entscheidung auf erhebliche Kritik gestoßen, da der Zweck

1 Biebl in Ascheid/Preis/I. Schmidt, Kündigungsrecht5, § 14 KSchG Rz. 5; Kiel in Müller-Glöge/ Preis/I. Schmidt20, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 14 KSchG Rz. 5. 2 RL 92/85/EWG. 3 EuGH v. 11.11.2010 – C-232/09, ECLI:EU:C:2010:674 Rz. 39 ff. – Danosa, NZA 2011, 143. 4 § 17 Abs. 5 Nr. 1 KSchG statuiert: Als Arbeitnehmer im Sinne dieser Vorschrift gelten nicht: 1. in Betrieben einer juristischen Person die Mitglieder des Organs, das zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufen ist. 5 RL 98/59/EG. 6 EuGH v. 9.7.2015 – C-229/14, ECLI:EU:C:2015:455 Rz. 32 f. – Balkaya, NZA 2015, 861; Lunk/ Hildebrand, NZA 2016, 129 (131).

1020 | Krause/Bodenstedt

C. Arbeitsrechtliche Behandlung von Fremdgeschäftsführern | Rz. 14.72 Kap. 14

der Richtlinie diese Auslegung nicht zwangsläufig gebietet.1 Allerdings sind die Folgen nunmehr im Rahmen von § 17 KSchG zu berücksichtigen. Es gilt mithin: Für die Berechnung der Schwellenwerte nach § 17 Abs. 1 KSchG sind Fremdgeschäftsführer nicht nur als in der Regel beschäftigte, sondern – sofern das Vertragsverhältnis mit ihnen beendet wird – auch als zu entlassende Arbeitnehmer mitzuzählen. Werden die Geschäftsführer nicht berücksichtigt und Schwellenwerte nicht richtig berechnet und unterbleiben deswegen die Konsultation des Betriebsrats oder die Massenentlassungsanzeige, führt dies zur Unwirksamkeit der gegenüber den Arbeitnehmern ausgesprochenen Kündigungen. Gleichzeitig würde auch eine gegenüber dem Geschäftsführer ausgesprochene Kündigung unwirksam sein, wenn die Massenentlassungsanzeige unvollständig erfolgt ist.2

5. Gleichbehandlungsgrundsätze Arbeitnehmer genießen im deutschen Recht ferner den Schutz vor verschiedenen Benachteiligungen. Relevanz hat diesbezüglich vor allem das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Zwar nimmt § 6 Abs. 3 AGG Organmitglieder vom Geltungsbereich des AGG aus, solange es nicht um den Zugang zur Erwerbstätigkeit oder den beruflichen Aufstieg geht. Damit wären Fremdgeschäftsführer nach der Konzeption des AGG in allen anderen Fällen (Benachteiligungen hinsichtlich ihrer Arbeits- und Entlassungsbedingungen) vom Schutz des Gesetzes ausgenommen. Da das AGG aber die Diskriminierungsrichtlinien3 umsetzt, ist auch diese Einschränkung mit Unionsrecht nicht vereinbar.4 Fremdgeschäftsführer als Arbeitnehmer im Sinne des unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs sind also von der Ausnahme des § 6 Abs. 3 AGG wiederum auszunehmen. Sie müssen, auf Basis des Unionsrechts, auch im nationalen Recht bezüglich ihrer Arbeits- und Entlassungsbedingungen vor Benachteiligungen geschützt werden.5

14.71

III. Nachvertragliche Wettbewerbsverbote bei Fremdgeschäftsführern Nachvertragliche Wettbewerbsverbote können einen Arbeitgeber davor schützen, dass ehemalige Arbeitnehmer unmittelbar zu Wettbewerbern wechseln und ihr Know-how oder ihre unternehmensinternen Kenntnisse zum Nachteil des Arbeitgebers einsetzen. Gerade Familienunternehmen können in besonderem Maße darauf angewiesen sein, dass ihre (leitenden) Mitarbeiter nicht zu einem unmittelbaren Wettbewerber wechseln und dort mit ihren Kenntnissen der internen Abläufe und Gegebenheiten des Familienunternehmens einen Angriff auf dessen Marktposition unterstützen. Auf der anderen Seite ist ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot mit erheblichen Kosten verbunden, da dem Arbeitnehmer für die Dauer des

1 Preis in Müller-Glöge/Preis/I. Schmidt20, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 611a BGB Rz. 20 m.w.N.; Vielmeier, NJW 2014, 2678 (2680); Lunk, NZA 2015, 917 (919 f.); Lunk/Hildebrand, NZA 2016, 129 (131). 2 Lunk/Hildebrand, NZA 2016, 129 (135). 3 2000/43/EG v. 29.6.2000, 2000/78/EG v. 27.11.2000, 2002/73/EG v. 23.9.2002 und 2004/113/EG v. 13.12.2004. 4 EuGH v. 11.11.2010 – C-232/09, ECLI:EU:C:2010:674 Rz. 39 ff. – Danosa, NZA 2011, 143; Schlachter in Müller-Glöge/Preis/I. Schmidt20, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 6 AGG Rz. 6. 5 EuGH v. 9.7.2015 – C-229/14, ECLI:EU:C:2015:455 Rz. 32 f. – Balkaya, NZA 2015, 861; Schlachter in Müller-Glöge/Preis/I. Schmidt20, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 6 AGG Rz. 6; Reinfelder, RdA 2016, 87 (94).

Krause/Bodenstedt | 1021

14.72

Kap. 14 Rz. 14.72 | Fremdgeschäftsführung in Familienunternehmen

nachvertraglichen Wettbewerbsverbots eine Karenzentschädigung i.H.v. mindestens 50 % der zuletzt erzielten Vergütung zu zahlen ist.

14.73

Gesetzlich normiert ist das nachvertragliche Wettbewerbsverbot für Arbeitnehmer in §§ 74 ff. HGB. Eine direkte Anwendung der §§ 74 HBG ff. auf nachvertragliche Wettbewerbsverbote von Geschäftsführern scheidet grundsätzlich aus.1 Fraglich war, ob für Fremdgeschäftsführer eine analoge Anwendung der Vorschrift möglich ist. Zunächst hatte der BGH diese Frage ausdrücklich offen gelassen, schließlich aber auch verneint.2 Die wirksame Vereinbarung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbotes mit einem Fremdgeschäftsführer wird vom BGH vor allem am Maßstab der Sittenwidrigkeit geprüft und diese Prüfung wird im Schwerpunkt an den §§ 74 ff. HGB ausgerichtet. Die Berufsausübung und wirtschaftliche Betätigung des Fremdgeschäftsführers darf unter Berücksichtigung von Ort, Zeit und Gegenstand „nicht unbillig erschwert werden“.3 Was dies freilich im Einzelnen bedeutet, ist unklar. Die Rechtsprechung des BGH zu dieser Frage ist unübersichtlich und nicht einheitlich.4

14.74

Im Ergebnis bedeutet dies, dass in der vertraglichen Vereinbarung zum nachvertraglichen Wettbewerbsverbot klare Regelungen aufzunehmen sind, die sich im Zweifel und (zur Vermeidung von Risiken: eng) an den Wertungen der §§ 74 ff. HGB orientieren sollten.

14.75

Allerdings sollte das Familienunternehmen die verbleibenden Spielräume nutzen. So hat der BGH mehrfach entschieden, dass ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot mit einem Geschäftsführer auch ohne Karenzentschädigung wirksam vereinbart werden kann.5 Dies betraf jedoch, soweit ersichtlich, in keinem Fall ein umfassendes nachvertragliches Wettbewerbsverbot, sondern immer nur einen Teilbereich. Hieraus sollte daher nicht gefolgert werden, dass ein umfassendes nachvertragliches Wettbewerbsverbot entschädigungslos vereinbart werden kann.

14.76

Spielraum besteht beim Verzicht auf das nachvertragliche Wettbewerbsverbot. Das Unternehmen bleibt nach § 75a HGB gegenüber einem Arbeitnehmer für einen Zeitraum von einem Jahr nach Verzicht auf das nachvertragliche Wettbewerbsverbot zur Zahlung einer Karenzentschädigung verpflichtet. Es ist anerkannt, dass dieser Zeitraum bei Organmitgliedern jedenfalls auf sechs Monate verkürzt werden kann.6 Das ist in der Praxis eine erhebliche Erleichterung, da in Anstellungsverträgen von Fremdgeschäftsführern eine Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Ende eines Kalendermonats nicht unüblich ist. Wenn das Familienunternehmen somit bei dem Kündigungsentschluss keine Gefährdung durch eine etwaige Wettbewerbstätigkeit des Fremdgeschäftsführers mehr sieht, ist ein Verzicht auf das nachvertragliche Wettbewerbsverbot ohne größere Kostenbelastung durch die Zahlung der Karenzentschädigung möglich.

1 BGH v. 26.3.1984 – II ZR 229/83, NJW 1984, 2366 (2367). 2 BGH v. 26.3.1984 – II ZR 229/83, NJW 1984, 2366 (2367); Wisskirchen/Kuhn in Ziemons/Jaeger/ Pöschke, BeckOK GmbHG, § 6 GmbHG Rz. 95. 3 BGH v. 26.3.1984 – I ZR 229/83, BGHZ 91, 5. 4 Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote8, Rz. 1035 ff., die zu Recht darauf hinweisen, dass es einem Vabanquespiel gleicht, mit dem Wettbewerbsverbot eines Organmitglieds zu Gericht zu gehen. 5 BGH v. 4.3.2002 – II ZR 77/00, GmbHR 2002, 431. 6 OLG München v. 14.11.2011 – 7 U 288/11, BeckRS 2011, 29808.

1022 | Krause/Bodenstedt

C. Arbeitsrechtliche Behandlung von Fremdgeschäftsführern | Rz. 14.77 Kap. 14

IV. Stellungnahme Es ist festzuhalten, dass die rechtliche Behandlung von Fremdgeschäftsführern im Fluss ist. Gerade unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH zum unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff ist damit zu rechnen, dass sich hier noch weitere Änderungen ergeben. Insbesondere für Familienunternehmen bedeutet dies zweierlei: Bei der vertraglichen Gestaltung des Anstellungsverhältnisses sollte großen Wert darauf gelegt werden, dass der Anstellungsvertrag in den für Familienunternehmen besonders sensiblen Bereichen (Wettbewerbsverbot, Vertraulichkeitsregelung, Geistiges Eigentum) den aktuellen Anforderungen der Rechtsprechung entspricht. Darüber hinaus empfiehlt es sich, bei allen das Dienstverhältnisses des Fremdgeschäftsführers betreffenden Angelegenheiten zu prüfen, ob in dem konkreten Fall arbeitsrechtliche Schutzvorschriften unter Berücksichtigung aktueller Rechtsprechung oder des unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffes anwendbar sind.

Krause/Bodenstedt | 1023

14.77

Kapitel 15 Finanzinvestoren und Familienunternehmen A. Einleitung I. Derzeitige Herausforderungen für Familienunternehmen . . . . . . . . . . . 15.1 II. Bedeutung/Entwicklung Private Equity Markt für Familienunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.5 B. Private Equity als Finanzierungsinstrument in Familienunternehmen I. Grundlagen Private Equity 1. Begriff und Besonderheiten . . . . . . . 15.8 2. Arten a) Beteiligungsstrukturen . . . . . . . . 15.12 b) Motivation für eine Minderheitsbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.16 c) Motivation für eine Mehrheitsbeteiligung aa) Begriff des Buy-Out . . . . . . 15.19 bb) Management-Buy-Out (MBO) und ManagementBuy-In (MBI) (1) Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.21 (2) Management-Buy-Out (MBO) . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.22 (3) Management-Buy-In (MBI) 15.27 cc) Leveraged Buy-Out (LBO) . 15.28 II. Die Beteiligungsauswahl 1. Aspekte bei der Auswahl . . . . . . . . . . 15.29 2. Aktuelle Situation des Familienunternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.31 3. Auswahlkriterien a) Familienunternehmerseite . . . . . 15.33 b) Investorenseite . . . . . . . . . . . . . . 15.34 III. Beteiligungsprozess 1. Ablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.36 2. Dealflow . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.37

3. Due Diligence a) Zweck und Ziele . . . . . . . . . . . . . 15.39 b) Struktur aa) Grobanalyse . . . . . . . . . . . . 15.42 bb) Detailanalyse . . . . . . . . . . . . 15.44 c) Rechtliche Besonderheiten aa) Anspruch auf eine Due Diligence . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.49 bb) Pflicht zur Durchführung einer Due Diligence . . . . . . . . 15.51 4. Deal Structuring a) Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.54 b) Informationsrechte und Zustimmungsvorbehalte . . . . . . . . . . . . 15.59 c) Garantievereinbarungen . . . . . . 15.61 d) Verfügungsbeschränkungen . . . 15.64 5. Monitoring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.68 6. Exit a) Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.69 b) Exit-Möglichkeiten aa) Going Public/Initial Public Offering (IPO) . . . . . . . . . . 15.70 bb) Trade Sale . . . . . . . . . . . . . . 15.71 cc) Buy-Back . . . . . . . . . . . . . . . 15.72 dd) Secondary Buy-Out . . . . . . 15.73 c) Ausgestaltung in der Beteiligungsvereinbarung aa) Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.75 bb) Mitveräußerungspflicht (Drag Along) . . . . . . . . . . . 15.76 cc) Mitveräußerungsrecht (Tag Along) . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.77 dd) Call Option . . . . . . . . . . . . . 15.78 C. Schlussbetrachtung/Handlungsempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.80

Literatur: Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 22. Aufl., München 2019; Bork/Hölzle, Handbuch Insolvenzrecht, 2014; Breithaupt/Otterbach, Kompendium Gesellschaftsrecht, Formwahl, Gestaltung, Muster für die Praxis, München 2010; Breuninger/Ernst, Private Equity und Mittelstand – Flexible Beteiligungsformen an inhabergeführten Unternehmen, FR 2008, 659; Bundesverband Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften, Beteiligungskapital für Mittelständler, Berlin 2016; Eilers/Koffka/Mackensen, Private Equity, Unternehmenskauf, Finanzierung, Restrukturierung, Exitstrategien, 3. Aufl., München 2018; Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, 2. Aufl., München 2014; Ettinger/Jaques, Beck’sches Handbuch Unternehmenskauf im Mittelstand, 2. Aufl., München 2017;

1024 | Krause

A. Einleitung | Rz. 15.4 Kap. 15 Fleischer/Goette, Münchener Kommentar zum GmbHG, 3. Aufl., München 2019; Hettler/Stratz/Hörtnagl, Beck’sches Mandatshandbuch Unternehmenskauf, 2. Aufl., München 2013; Holzner/Mantke/ Stenzel, Handbuch Management-Beteiligungen, Rechtliche und steuerliche Gestaltungen sowie regulatorische Rahmenbedingungen, München 2017; Initiative Finanzstandort Deutschland, Private Equity – ein Leitfaden für die erfolgreiche Nutzung von Beteiligungskapital im Mittelstand, München 2007; Jesch/Striegel/Boxberger, Rechtshandbuch Private Equity, 2. Aufl., München 2020; KPMG, Private Equity – Ein Leitfaden für Familienunternehmen und Mittelstand, Berlin 2012; Meyer-Sparenberg/ Jäckle, Beck’sches M&A-Handbuch, München 2017; Münchow/Striegel/Jesch, Management Buy-Out (MBO), München 2008; Rechenberg/Thies/Wiechers, Handbuch Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, 1. Aufl., Stuttgart 2016; Risse/Kästle, M&A und Corporate Finance von A-Z, 3. Aufl., München 2018; Röthel/Schmidt/Mettenheimer/von Schmeling/Zimmermann/Hüttemann, Familienunternehmen im Wandel, 2015; Sörgel, Unternehmensnachfolge durch MBO und MBI – wie Manager zu Unternehmern werden, M&A Review 6/2016; Waschbusch/Staub/Knoll, Mittelstandsfinanzierung: Private Equity – Möglichkeiten der Eigenkapitalbeschaffung nicht kapitalmarktorientierter mittelständischer Unternehmen (Teil I), StB 2010, 74; Wittener Institut für Familienunternehmen, Familienunternehmen und Private Equity, Voraussetzungen, Prozesse und Ergebnisse beim Einsatz von familienexternem Eigenkapital, Witten/Herdecke 2012.

A. Einleitung I. Derzeitige Herausforderungen für Familienunternehmen Familienunternehmen begegnen derzeit mehreren zentralen Herausforderungen. Der bekanntlich starke deutsche Mittelstand sieht sich einer Verringerung der Fachkräfte ausgesetzt. Hierfür spielen nicht nur der demografische Wandel, sondern auch die Ausweitung neuer Wirtschaftsbereiche eine Rolle, die immer stärker insbesondere junge Menschen beschäftigen. Im Wettlauf um qualifiziertes Personal treten die Familienunternehmen dabei gegen traditionelle Großkonzerne und junge Start-Ups an. Während die eher größeren Konzerne bestimmte finanzielle und ausbildungsbezogene Anreize bieten, locken junge Unternehmen mit ihrer Unternehmenskultur. Hinzu kommt die regelmäßige Automatisierung von Prozessen bei gleichzeitiger Qualitätssicherung. Familienunternehmen müssen dabei häufig ihre innerbetrieblichen Strukturen überdenken und überarbeiten, wollen sie in diesem Wettbewerb bestehen.

15.1

Mit in diesen Bereich fällt auch die Herausforderung, kontinuierlich die eigenen Produkte weiterzuentwickeln, Innovationen voranzutreiben und sich gegen die erstarkende Konkurrenz auch im Hochtechnologiebereich aus Asien zu verteidigen. Des Weiteren führen die Internationalisierung der Märkte und der Siegeszug des Onlinehandels zu einem starken Preiswettbewerb. Dieser zwingt Familienunternehmen dazu, ihre Strukturen zu überdenken, angefangen von Produktionsstandorten, Unternehmensniederlassungen und der Fokussierung auf bestimmte Geschäftszweige.

15.2

Die Lösung dieser internen wie externen Herausforderungen kann mit erheblichen Strukturänderungen und Restrukturierungen einhergehen, die viel Einsatz und Veränderungswillen vom jeweiligen Familienunternehmen verlangen. Verschärft werden diese Probleme auch noch durch unzureichende Nachfolgelösungen in der eigenen Unternehmerfamilie oder einem fehlenden Erfahrungsschatz, wie mit bestimmten Sondersituationen in der Krise des Unternehmens umzugehen ist.

15.3

Nicht selten versuchen sich Finanzinvestoren als Teil der Lösung anzubieten, in dem sie sich als Mitgesellschafter bei der Internationalisierung oder einem Turnaround engagieren wollen.

15.4

Krause | 1025

Kap. 15 Rz. 15.5 | Finanzinvestoren und Familienunternehmen

II. Bedeutung/Entwicklung Private Equity Markt für Familienunternehmen 15.5

Noch vor etwas mehr als 10 Jahren litt die Private Equity Branche unter einem fragwürdigen Ruf. Franz Müntefering, zu diesem Zeitpunkt Arbeits- und Sozialminister – bezeichnete diese 2005 öffentlichkeitswirksam als „Heuschrecken“. Die Belastung der Zielunternehmen mit den Kosten der Transaktion (sog. Debt Push Down) oder die zum Teil recht robuste Restrukturierung oder gar Filetierung mit anschließendem Verkauf haben das Ansehen von Finanzinvestoren in der breiten Öffentlichkeit nicht gefördert. Entsprechend waren die Begriffe Private Equity und Familienunternehmen lange Zeit echte Gegenpole, die nur schwer miteinander vereinbar schienen.

15.6

Dies hat sich in den vergangenen Jahren erheblich geändert. Das liegt zum einen daran, dass sich die Herangehensweise von Finanzinvestoren geändert hat. Heutzutage gibt es Investoren, die sich sehr erfolgreich gerade auf den Bereich von Mittelstandsunternehmen spezialisiert haben. Diese Investoren treten deutlich weniger aggressiv auf, investieren eher für einen langfristigen Erfolg als mit Blick auf eine kurzfristige Rendite und verstehen sich als Partner. Damit einhergehend haben sich die Investitionsstrukturen gewandelt. Immer häufiger findet man Minderheitsbeteiligungen von Finanzinvestoren, die stärker von einer Partnerschaft mit der Eigentümerfamilie geprägt sind. Insofern bieten sich Finanzinvestoren auch zunehmen als eine Finanzierungsalternative zur klassischen Hausbank an. Ferner hat sich die Wahrnehmung der Familienunternehmer hinsichtlich Finanzinvestoren erheblich verbessert. So haben eine Vielzahl erfolgreicher Private Equity Investments gezeigt, dass diese den Zugang zu Kapital und einem professionellen Netzwerk mit erheblichem Branchen Knowhow ermöglichen können. Ferner geht mit einem Private Equity Investment regelmäßig eine Professionalisierung der Unternehmensführung einher. All das kann dem Unternehmen einen Wachstumsschub geben zum Vorteil des Investors, aber insbesondere auch der Eigentümerfamilie.

15.7

Die Bedeutung von Finanzinvestoren in Familienunternehmen dürfte damit in Zukunft erheblich an Bedeutung gewinnen, da die einst bestandenen Vorbehalte langsam zurückgehen und im Markt nunmehr eine Vielzahl von erfolgreichen Kooperationen zwischen Familienunternehmen und Finanzinvestoren bestehen.

B. Private Equity als Finanzierungsinstrument in Familienunternehmen I. Grundlagen Private Equity 1. Begriff und Besonderheiten 15.8

Für den Begriff Private Equity existiert keine allgemeingültige Definition, allerdings sind bestimmte Ausprägungen vorhanden, aus denen sich die wesentlichen Unterschiede zu einem strategischen M&A Deal ableiten lassen. Regelmäßig geht es um eine Beteiligung am Eigenkapital einer nicht börsennotierten unternehmenstragenden Gesellschaft durch eine formelle Kapitalerhöhung gegen Bareinlage oder den Erwerb bestehender Gesellschaftsanteil, wobei dieses Investment auf Zeit erfolgt, sprich bereits der Exit sowie entsprechende Informationsund Kontrollrechte für die Zeit des Investments miteingeplant werden.1

15.9

Anhand der dargestellten Merkmale sind wichtige Faktoren zu erkennen, die im Rahmen einer Private Equity-Transaktion bedeutsam sind. Zum einen spielt zunächst der Zeitfaktor in 1 Gabrysch in Breithaupt/Otterbach, Kompendium Gesellschaftsrecht, § 2 Rz. 61.

1026 | Krause

B. Private Equity als Finanzierungsinstrument | Rz. 15.12 Kap. 15

Verbindung des sog. Exits, sprich der Beendigung des Investments, eine tragende Rolle. Die erworbenen Beteiligungen werden meist in einem Zeitraum von durchschnittlich fünf bis acht Jahren gewinnbringend veräußert, weshalb der Exit des Private Equity-Investors schon bei der Planung des Erwerbs des Unternehmens berücksichtigt werden muss.1 Die Form des Exits kann unterschiedlich sein, wie etwa ein Börsengang oder die Weiterveräußerung der Anteile (Trade Sale).2 Die unterschiedlichen Exit-Strategien sollten bereits am Anfang einer möglichen Private Equity-Beteiligung im Fokus stehen, damit eine schnelle und unkomplizierte Veräußerung des Zielunternehmens möglich ist. Weiterhin ist der Fremdkapitaleinsatz im Rahmen von Private Equity-Beteiligungen ein ausschlaggebender Faktor, denn dieser bietet eine Erweiterung der unternehmerischen Möglichkeiten für die Finanzinvestoren Investoren.3 Hierbei spielt die sog. Internal Rate of Return (IRR) und der Leverage-Effekt eine tragende Rolle. Die Höhe des IRR bestimmt sich durch eine zeitliche Komponente, d.h. durch die Rückzahlungen und Renditezahlungen, welche zusätzlich durch den Leverage-Effekt erhöht werden kann.4 Leverage meint vorliegend eine Hebelwirkung des Fremdkapitals auf die mögliche Eigenkapitalrentabilität, so dass die Eigenkapitalrendite des Unternehmens durch den Einsatz von Fremdkapital gesteigert werden kann.5 Zu beachten ist allerdings auch, dass der Einsatz von Fremdkapital für das Unternehmen zusätzliche Belastungen, wie z.B. die Zahlung von Zinsen, bedeuten. Sofern sich der Cash Flow reduziert, können die Zinsen auch nicht mehr entsprechend in gleicher Höhe bedient werden, mit der Folge, dass das Unternehmen Gefahr läuft, ein Restrukturierungsfall zu werden.6

15.10

Des Weiteren lassen sich Finanzinvestoren umfangreiche Informations-, Kontroll- und Mitspracherechte am Zielunternehmen einräumen. Ferner sind Finanzinvestoren regelmäßig bestrebt, dem bestehenden Management eine Beteiligung am Zielunternehmen einzuräumen, um so ein Interessengleichlauf zwischen Investor und Management zu schaffen, da der Finanzinvestor häufig mangels eigenem Management auf das bestehende Management im Zielunternehmen angewiesen ist.7

15.11

2. Arten a) Beteiligungsstrukturen Das Investitionsfeld von Finanzinvestoren umfasst verschiedene Beteiligungsstrukturen, bei denen allgemein zwischen Venture Capital und Private Equity in Form einer Minderheitsoder Mehrheitsbeteiligung differenziert wird.8

1 Eilers/Teufel in Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung2, Rz. 105; Eilers/Koffka in Eilers/Koffka/Mackensen, Private Equity3, S. 8. 2 Zu den Exit-Strategien s. Rz. 15.70. 3 Eilers/Koffka in Eilers/Koffka/Mackensen, Private Equity3, S. 8. 4 Eilers/Koffka in Eilers/Koffka/Mackensen, Private Equity3, S. 8. 5 Vgl. Knepper in Beck’sches M&A-Handbuch, § 14 Rz. 6; Gabrysch in Breithaupt/Otterbach, Kompendium Gesellschaftsrecht, § 2 Rz. 65. 6 Eilers/Koffka in Eilers/Koffka/Mackensen, Private Equity3, S. 8. 7 Eilers/Koffka in Eilers/Koffka/Mackensen, Private Equity3, S. 9. 8 In enger Anlehnung an BVK, Beteiligungskapital für Mittelständler, S. 9.

Krause | 1027

15.12

Kap. 15 Rz. 15.12 | Finanzinvestoren und Familienunternehmen

15.13

Hierbei stellt die bedeutendste Form für Familienunternehmen eine Minderheits- oder Mehrheitsbeteiligung eines Private Equity-Investors im Wege der Unternehmensnachfolge dar.1 Private Equity in Form einer Minderheits- oder Mehrheitsbeteiligung erfolgt meist in kleinen und mittelständischen Unternehmen, die bereits am Markt etabliert sind. Dabei steht grundsätzlich das finanzielle Interesse den Investoren bei der Beteiligung im Vordergrund. Ziel ist es dabei eine Rendite zu erzielen, die meist durch die Erwirtschaftung von Überschüssen während der Beteiligungsphase und der Weiterveräußerung der Beteiligung nach Ablauf der Investitionsphase (Exit) angestrebt wird.

15.14

Eine Mehrheitsbeteiligung ist insbesondere für Familienunternehmen dann in Betracht zu ziehen, wenn der teilweise oder vollständige Rückzug aus dem eigenen Unternehmen angestrebt wird. Bei einer Minderheitsbeteiligung hingegen sind der Investor und die Familienunternehmer nach dem Erwerb beide Gesellschafter desselben Unternehmens.2

15.15

Einen Investor an dem eigenen Unternehmen zu beteiligen kann aus unterschiedlichen Motivationen erfolgen. b) Motivation für eine Minderheitsbeteiligung

15.16

Eine Minderheitsbeteiligung kann für Familienunternehmen aus nachfolgenden Gründen empfehlenswert sein und zudem eine gute Alternative zur klassischen Fremdfinanzierung darstellen:

15.17

Im Rahmen einer geplanten Expansion kann eine Minderheitsbeteiligung zunächst als Finanzierungsmittel hilfreich sein, da die Möglichkeit besteht, Wachstumskapital durch eine Eigen-

1 Es erfolgt vorliegend keine Darstellung von Venture Capital – dies ist im Rahmen der Unternehmensnachfolge von Familienunternehmen vorliegend nicht relevant, da diese Form der Finanzierung auf die Früh- und Wachstumsphase von Unternehmen abzielt. 2 Rechenberg/Thies/Wiechers, Handbuch Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 276.

1028 | Krause

B. Private Equity als Finanzierungsinstrument | Rz. 15.21 Kap. 15

kapitalerhöhung zu finanzieren.1 Dies ist insbesondere dann von Vorteil, wenn eine Bankenfinanzierung nicht verfügbar oder erwünscht ist.2 Eine Minderheitsbeteiligung kann allerdings auch zur Bewältigung von familieninternen Problemen im Hinblick auf die Gesellschafterstruktur dienen. Im Rahmen einer möglichen familieninternen Nachfolgeproblematik kann eine Minderheitsbeteiligung vorteilhaft sein, um einen Verkauf des gesamten Unternehmens vorerst zu vermeiden und eine optimale Lösung für das Unternehmen zu entwickeln. Scheidet hingegen ein Gesellschafter aus dem Familienunternehmen aus, so besteht die Möglichkeit, dass der Investor dessen Anteile erwirbt oder den Abfindungsanspruch des ausscheidenden Gesellschafters finanziert.3

15.18

c) Motivation für eine Mehrheitsbeteiligung aa) Begriff des Buy-Out Lässt sich im eigenen Familienkreis kein geeigneter Nachfolger für das Unternehmen finden, oder wird, wie bereits eingangs erwähnt, ein teilweiser oder vollständiger Rückzug aus dem Unternehmen angestrebt, so können im Rahmen einer Mehrheitsbeteiligung die sog. BuyOuts für Familienunternehmer sinnvolle Nachfolgeoptionen darstellen. Der Begriff Buy-Out bezeichnet „den Erwerb eines kontrollierenden Anteils am Unternehmen“, in der Regel in der Form einer Mehrheitsbeteiligung.4 So ist jeder Buy-Out zunächst vereinfacht als Unternehmensverkauf zu verstehen.

15.19

Buy-Out-Finanzierungen werden hinsichtlich des Unternehmenskäufers in verschiedene Untergruppen unterteilt.

15.20

bb) Management-Buy-Out (MBO) und Management-Buy-In (MBI) (1) Ziel Bei einer Buy-Out- oder Buy-In-Finanzierung hat der Investor üblicherweise die Übernahme eines größeren Anteils oder einer Mehrheitsbeteiligung an einem Unternehmen unter Einbeziehung des bisherigen oder eines externen Managements als neuem Anteilseigner zum Ziel.5 Dabei wird in aller Regel in bereits eingeführte Unternehmen investiert, wobei die Beteiligung des Managements essentiell ist, da dieses über das notwendige Knowhow, wie z.B. Branchenkenntnisse, die Konkurrenz am Markt und natürlich über das eigene Unternehmen verfügt.6

1 Vgl. Rechenberg/Thies/Wiechers, Handbuch Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 276. 2 Vgl. Rechenberg/Thies/Wiechers, Handbuch Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 276. 3 Rechenberg/Thies/Wiechers, Handbuch Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 277. 4 Risse/Kästle/Engelstädter/Gebler/Lorenz in Risse/Kästle, M&A und Corporate Finance von A- Z3, Buy-out. 5 Gabrysch in Breithaupt/Otterbach, Kompendium Gesellschaftsrecht, § 2 Rz. 64. 6 Gabrysch in Breithaupt/Otterbach, Kompendium Gesellschaftsrecht, § 2 Rz. 64.

Krause | 1029

15.21

Kap. 15 Rz. 15.22 | Finanzinvestoren und Familienunternehmen

(2) Management-Buy-Out (MBO)

15.22

Wird ein maßgeblicher Anteil des Unternehmens durch das derzeitige Management, wie z.B. ein Mitgeschäftsführer oder Prokurist, erworben, so spricht man von einem ManagementBuy-Out (MBO).1

15.23

Diese Form des Buy-Outs ist insbesondere für Familienunternehmen relevant und bietet ihnen eine Möglichkeit die Nachfolgeproblematik zu lösen. Der MBO ist zudem grundsätzlich für jede Rechtsform geeignet. Ein weiterer Vorteil ist, dass das bestehende Management Abläufe und Strukturen des Familienunternehmens kennt, was insbesondere die Verkaufsverhandlungen erleichtert, da die Eigentümer eine Bindung zu den Personen aufgebaut haben. Problematisch ist jedoch, dass das Management meist nicht über ausreichend Eigenkapital für den Erwerb der Anteile verfügt und so ein Fremdkapitalfinanzierungsbedarf besteht. Hier kann die Beteiligung eines Private Equity-Investors in Erwägung gezogen werden. Für den Unternehmenskauf wird häufig eine eigene Erwerbsgesellschaft gegründet, welche dann entsprechend mit Eigen- und Fremdkapital ausgestattet wird.2

15.24

Folgende Schritte bestimmen hierbei die Umsetzung eines MBO:3 – Erwerb oder Gründung der Erwerbsgesellschaft durch den Finanzinvestor; – Abschluss des Beteiligungsvertrages der Gesellschafter der Erwerbsgesellschaft zwischen Finanzinvestor und Management; – Umsetzung des Management-Beteiligungsvertrags durch Herstellung der Kapitalstruktur; – Erwerb des Familienunternehmens durch Abschuss des Unternehmenskaufvertrages.

15.25

Grafisch lässt sich die Durchführung eines MBOs wie folgt darstellen:4 Ausgangssituation

Zielstruktur MBO

1 2 3 4

Gabrysch in Breithaupt/Otterbach, Kompendium Gesellschaftsrecht, § 2 Rz. 64. Sörgel, M&A Review 6/2016, 198 (201). Vgl. Münchow/Striegel/Jesch in Münchow/Striegel/Jesch, Management Buy-Out (MBO), S. 12. In enger Anlehnung an Münchow/Striegel/Jesch in Münchow/Striegel/Jesch, Management BuyOut (MBO), S. 11.

1030 | Krause

B. Private Equity als Finanzierungsinstrument | Rz. 15.29 Kap. 15 Praxistipp: Insbesondere bei einem MBO kann die Finanzierungsmöglichkeit mit Mezzanine-Kapital vorteilhaft sein. Diese kann als Eigenkapitalsurrogat komplementär zu Eigen- und Fremdkapitalausstattung der Erwerbsgesellschaft dienen, ohne dabei Stimmrechtsverhältnisse zu verändern und kann so zur Schließung von Finanzierungslücken beitragen.1

15.26

(3) Management-Buy-In (MBI) Die Verfahrensweise bei einem Management-Buy-In (MBI) stellt üblicherweise dieselbe wie bei einem MBO dar. Der einzige Unterschied besteht darin, dass ein externes Management, welche bislang noch nicht für das Unternehmen tätig war, Unternehmensanteile des zu verkaufenden Unternehmens übernimmt und anschließend selbst fortführt. Dies wird vor allem dann für Familienunternehmen relevant, wenn kein Management vorhanden ist, dieses nicht qualifiziert oder motiviert ist, weitere unternehmerische Verantwortung zu übernehmen. Für das Familienunternehmen kann hier von Vorteil sein, dass durch das externe Management neue Ideen und Know-how in das Unternehmen eingebracht und so eine Innovationsbereitschaft erzielt werden kann. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Nachfolge durch ein externes Management auch eine große Herausforderung darstellen kann. Häufig verfügt das Familienunternehmen über eine enge Bindung zu ihren Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten. All diese Bindungen müssen mit dem neuen Management in Einklang gebracht werden, um so eine effektive Zusammenarbeit und den langfristigen Bestand des Unternehmens sichern zu können.

15.27

cc) Leveraged Buy-Out (LBO) Bei einem Leveraged Buy-Out (LBO) wird das Unternehmen durch einen überwiegend fremdfinanzierten, vollständigen Aufkauf des Unternehmens durch einen Investor übernommen, wobei das benötigte kreditfinanzierte Fremdkapital durch das zu erwerbende Unternehmen finanziert wird.2 Da meist bei einem MBO, wie oben dargestellt, auf die Beteiligung eines Private Equity-Investors zurückgegriffen wird, stellt grundsätzlich fast jeder LBO auch einen MBO dar.3 Die Einbindung des Managements kann hierbei durch ein Management-Beteiligungsmodell erfolgen, wie den Erwerb von tatsächlichen oder „virtuellen“ Gesellschaftsanteilen.4

15.28

II. Die Beteiligungsauswahl 1. Aspekte bei der Auswahl Die Auswahl eines Finanzinvestors kann für Familienunternehmen eine schwere Entscheidung darstellen, da unternehmerische Fragen bislang immer familienintern gelöst wurden. Dabei besteht vorrangig die Angst des Kontrollverlusts in Bezug auf das eigene Unternehmen, wenn ein familienfremder Investor sich an der Gesellschaft beteiligen soll. 1 Statt vieler vgl. Mantke in Holzner/Mantke/Stenzel, Handbuch Management-Beteiligungen, Rz. 1135. 2 Jaques in Beck’sches Handbuch Unternehmenskauf im Mittelstand2, A. Rz. 10; Gabrysch in Breithaupt/Otterbach, Kompendium Gesellschaftsrecht, § 2 Rz. 65. 3 Teilweise wird hierfür der Begriff Leveraged Management Buy-Out („LMBO“) verwandt, vgl. Münchow/Striegel/Jesch in Münchow/Striegel/Jesch, Management Buy-Out (MBO), 3. 4 Jaques in Beck’sches Handbuch Unternehmenskauf im Mittelstand2, A. Rz. 10.

Krause | 1031

15.29

Kap. 15 Rz. 15.30 | Finanzinvestoren und Familienunternehmen

15.30

Vor diesem Hintergrund ist eine genaue Vorgehensweise des Familienunternehmens erforderlich, wobei maßgeblich zwei Aspekte berücksichtigt werden sollten: – Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation des eigenen Unternehmens; – mögliche Auswahlkriterien in Bezug auf die Private Equity-Gesellschaft/Investor.

2. Aktuelle Situation des Familienunternehmens 15.31

Im ersten Schritt sollte das Familienunternehmen seine eigenen Ziele und Erwartungen definieren, sowie überlegen, welche Strategie mit der Beteiligung verfolgt werden soll.

15.32

Hierbei sollten folgende Fragen in den Entscheidungsprozess eingebunden werden: – Aus welchem Grund soll der Investor an dem Familienunternehmen beteiligt werden? Nachfolgeregelung, Wachstumsfinanzierung oder reiner Verkauf der eigenen Anteile? – Wie sieht die eigene Ertragsstruktur des Unternehmens aus? Wie viel Cash Flow wird generiert? – Welche Art von Beteiligung des Investors kommt in Frage (eine Mehrheits- oder Minderheitsbeteiligung)? – Welcher Zeitraum ist für die Beteiligung vorgesehen? – Welche aktuellen Besonderheiten des eigenen Unternehmens müssen ggf. bei der Auswahl des Investors berücksichtigt werden? Gesellschafter-, Management- oder Familienstruktur?

3. Auswahlkriterien a) Familienunternehmerseite

15.33

Hat sich das Familienunternehmen mit den vorstehenden Fragen eingehend auseinandergesetzt, sollte es sich im nächsten Schritt fragen, welche Anforderungen an den Finanzinvestor zu stellen sind und welche Rechte diesem eingeräumt werden sollen, da die wichtigsten Entscheidungen bereits vor Vertragsschluss getroffen werden: – Muss der Investor fundierte Kenntnisse aufweisen, wie z.B. branchenspezifisches Knowhow? – Welche Mitspracherechte sollen dem Investor eingeräumt werden? – Welche gemeinsame Zielsetzung besteht im Hinblick auf die Weiterentwicklung des Unternehmens? – Welche Referenzen und welche Erfahrung hat der Investor im Umgang mit Familienunternehmen vorzuweisen? – Harmoniert die Eigentümerfamilie auch auf persönlicher Ebene mit dem Investor? – Teilt der Investor Werte und Ziele des eigenen Unternehmens? Kann er sich mit diesem definieren?

1032 | Krause

B. Private Equity als Finanzierungsinstrument | Rz. 15.36 Kap. 15

b) Investorenseite Darüber hinaus sollten Familienunternehmen beachten, dass eine angestrebte Beteiligung auch für den Investor interessant sein muss, weshalb auch dieser bei der Auswahl der Beteiligung beispielsweise nachfolgende Kriterien zugrunde legen wird:1

15.34

– Unternehmenszustand Familienunternehmen sollten über ein nachhaltiges Geschäftsmodell (z.B. Alleinstellungsmerkmal/Strategie) verfügen, welches durch den Investor weiter ausbau- und optimierungsfähig ist. – Mindestgröße Im Hinblick auf die Prüfung und Investitionsprozesse, welche mit Fixkosten verbunden sind, sowie durch die Fondgröße vorgegeben Mindestinvestments erfolgen Investitionen meist in Unternehmen, die eine bestimmte Umsatzgröße aufweisen. – Organisation Weiterhin sollte das Unternehmen über detaillierte Informations- und Steuerungssysteme verfügen und ein kompetentes Management-Team muss vorhanden sein. – Branche Investoren können ihren Fokus auf bestimmte Branchen gelegt haben, weshalb nicht jedes Unternehmen für den Investor von Interesse sein kann. Praxistipp: Für Familienunternehmen ist es daher wichtig, bereits von Anfang an eine gründliche Vorbereitung der Beteiligung anzustreben, da nicht jeder Investor für das eigene Unternehmen geeignet und die Auswahl letztendlich beschränkt sein kann. Hierbei bietet es sich an, professionelle Unterstützung z.B. durch Rechtsanwälte, M&A-Berater oder Berater von Banken in Anspruch zu nehmen, da diese bereits über die nötige Erfahrung und Kenntnis im Umgang mit Private Equity-Beteiligungen verfügen.

15.35

III. Beteiligungsprozess 1. Ablauf Der Private Equity-Beteiligungsprozess untergliedert sich in verschiedene Phasen, beginnend mit der Akquisition von Projekten (Dealflow) bis hin zur Beteiligungsveräußerung (Exit).2

1 Vgl. IFD, Private Equity – ein Leitfaden für die erfolgreiche Nutzung von Beteiligungskapital im Mittelstand, S. 38. 2 Nachfolgende Darstellung in Anlehnung an IFD, Private Equity – ein Leitfaden für die erfolgreiche Nutzung von Beteiligungskapital im Mittelstand, S. 32.

Krause | 1033

15.36

Kap. 15 Rz. 15.36 | Finanzinvestoren und Familienunternehmen

2. Dealflow 15.37

Die erste Phase einer Private Equity-Beteiligung beginnt mit der Akquisition von Projekten, dem sog. „Dealflow“, bei welchem Beteiligungsgesellschaften auf unterschiedlichen Wegen mögliche Investitionsprojekte angeboten werden.1 Entweder kann die Initiative hierbei in Form einer direkten Kontaktaufnahme von dem Familienunternehmen ausgehen, oder die Beteiligungsgesellschaften erlangen über ihre eigenen Netzwerke, wie z.B. Unternehmensberater, Finanzinstitute oder Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, Kenntnis über eine Beteiligungsmöglichkeit.2 Praxistipp:

15.38

Familienunternehmen können im Vorfeld durch Erstellung eines Business Plans bereits wesentliche Merkmale und Informationen des eigenen Unternehmens für die Beteiligungsgesellschaften zusammentragen. Der Business Plan kann hierbei bereits als Grundlage für die Bewertung des Unternehmens dienen und zugleich den Beteiligungsgesellschaften einen ersten Überblick bieten, was eine Erleichterung späterer Vertragsverhandlungen ermöglichen kann. Folgende Inhalte sollten Familienunternehmen im Business Plan bereitstellen:3 – Zusammenfassung der Unternehmensstruktur und Prozesse; – Darstellung des aktuellen Zustands des Unternehmens mit relevanten Eckdaten, wie z.B. Rechtform, Standort, Gegenstand des Unternehmens und Produkte und verwendete Technologien; – Relevante Finanzdaten, wie Bilanzen, Gewinn- und Verlustrechnungen, Cash-Flow-Übersichten für mindestens der letzten drei abgeschlossenen Wirtschaftsjahre; – Unternehmensentwicklung, die auf neusten Geschäftsaussichten und -annahmen basiert und eine Prognose über die weitere Entwicklung des Unternehmens bietet. 1 Niemann/Warneboldt in Bork/Hölzle, Handbuch Insolvenzrecht, Rz. 49. 2 BVK, Beteiligungskapital für Mittelständler, S. 19; Waschbusch/Staub/Knoll, StB 2010, 74 (78). 3 Vgl. BVK, Beteiligungskapital für Mittelständler, S. 19; IFD, Private Equity – ein Leitfaden für die erfolgreiche Nutzung von Beteiligungskapital im Mittelstand, S. 34.

1034 | Krause

B. Private Equity als Finanzierungsinstrument | Rz. 15.43 Kap. 15

3. Due Diligence a) Zweck und Ziele Informationen über das Familienunternehmen sind im Rahmen einer Private Equity-Beteiligung von enormer Wichtigkeit. Die Bereitstellung und Bewertung der Informationen kann bereits im Vorwege über den Erfolg oder den Misserfolg einer Beteiligung entscheiden.

15.39

Dies erfolgt anhand einer Projektprüfung, der sog. „Due Diligence“, welche als Basis für die spätere Vertragsgestaltung dient.1 Die Due Diligence im Rahmen einer Private Equity-Beteiligung unterscheidet sich hierbei kaum von einer klassischen Due Diligence im normalen Transaktionsgeschäft. Nur ist die Schwerpunktsetzung bei der Prüfung und der Bewertung der Informationen über das Zielunternehmen eine andere, da Private Equity-Investoren das Familienunternehmen nicht in ihre Unternehmen integrieren, sondern häufig eigenständig weiterentwickeln, um eine Wertsteigerung zu erreichen (meist in Form von Zukäufen oder Abverkäufen).2

15.40

Die Analyse des Familienunternehmens vermittelt sowohl dem Private Equity-Investor, als auch den Eigentümern die erforderliche Sachkenntnis, um die Beteiligung zu strukturieren, Risiken für die Transaktionssicherheit aufzudecken und letztendlich zu erkennen, welcher vertraglicher Regelungsbedarf besteht.3 Außerdem geht es insbesondere für den Private Equity-Investor darum, generell das Geschäftsmodell zu verstehen, Entwicklungspotentiale und den Nutzen des Erwerbs zu erkennen.4

15.41

b) Struktur aa) Grobanalyse Die Due Diligence Prüfung lässt sich generell in eine Grob- und Detailanalyse unterteilen.5

15.42

Die vornehmliche Aufgabe der Grobanalyse besteht darin, dem Investor zu ermöglichen, das Familienunternehmen besser zu verstehen.6 Hierbei wird anhand bestimmter nachfolgender Kriterien generell analysiert, ob das Unternehmen in das Portfolio des Investors passt.

15.43

– Branche; – Region/Land; – Unternehmensgröße; – Beteiligungsvolumen; – Minder- oder Mehrheitsbeteiligung; – Renditeerwartung; – Eignung des Fonds (z.B. Spezialisierung auf Familienunternehmen).

1 2 3 4 5

Meurer in Beck’sches M&A-Handbuch, § 5 Rz. 9. Jäckle/Strehle/Clauss in Beck’sches M&A-Handbuch, § 51 Rz. 22. Meurer in Beck’sches M&A-Handbuch, § 5 Rz. 9. Meurer in Beck’sches M&A-Handbuch, § 5 Rz. 5. Vgl. IFD, Private Equity – ein Leitfaden für die erfolgreiche Nutzung von Beteiligungskapital im Mittelstand, S. 33; BVK, Beteiligungskapital für Mittelständler, S. 19. 6 Vgl. Koffka in Eilers/Koffka/Mackensen, Private Equity3, S. 38.

Krause | 1035

Kap. 15 Rz. 15.44 | Finanzinvestoren und Familienunternehmen

bb) Detailanalyse

15.44

Im Rahmen der Detailanalyse wird das Unternehmen sodann durch externe Berater in verschiedenen Bereichen überprüft. Sofern dem Finanzinvestor spezielles Branchen-Knowhow fehlen sollte, bedienen sie sich im Rahmen der Due Diligence Industrieexperten, die teilweise auch ehemalige Mitarbeiter der Zielgesellschaft oder Experten von Wettbewerbern sein können.1

15.45

Die Detailanalyse umfasst regelmäßig die folgenden Segmente:2 – Finanzwesen (Financial Due Diligence) – Jahresabschlüsse und Geschäftsplanzahlen; – Recht (Legal Due Diligence) – Unternehmensverträge, Patente, Haftungs- und Gewährleistungsansprüche, Compliance; – Wirtschaft/Markt/Strategie (Commercial Due Diligence) Wettbewerbschancen, Marktumfeld; – Steuern (Tax Due Diligence) – steuerliche Strukturierung und Risiken. Je nach Unternehmensgegenstand können zusätzliche Prüfungen bestimmter Bereiche erforderlich sein, wie z.B.: – Umwelt (Environmental Due Diligence) und – Technik (Technical Due Diligence).

15.46

Hinsichtlich des Erwerbs einer Minder- oder Mehrheitsbeteiligung liegt der Fokus des Private Equity-Investors auf der Untersuchung renditereduzierender Risiken.3

15.47

Nach Durchführung der Due Diligence bestehen für den Private Equity-Investor verschiedene Möglichkeiten. Dieser kann grundsätzlich von der geplanten Beteiligung Abstand nehmen, da ein sog. „Deal-Breaker“ erkannt wurde, für aufgedeckte Risiken den Kaufpreis reduzieren, Garantien für bestimmte Bewertungsannahmen fordern oder die Planung der Post-Closing-Phase anpassen.4 Praxistipp:

15.48

Vor Beginn der Due Diligence ist darauf zu achten, inwieweit mögliche Wettbewerber im Rahmen des Informationsaustausches in Berührung kommen. Dabei darf die Stellung als Finanzinvestor nicht darüber hinwegtäuschen, dass häufig auch konkurrierende Unternehmen zum Bestandsportfolio eines Finanzinvestors gehören. Um hier nicht gegen zwingende kartellrechtliche Vorschriften zu verstoßen, ist neben umfangreichen Vertraulichkeitsvereinbarungen auch an eine gestaffelte Informationsweitergabe oder die Einschaltung von sog. Clean Teams, die Informationen abstrakt für den Finanzinvestor aufbereiten, ohne konkrete Informationen (wie etwa Margen und Preiskalkulationen) weitergeben, zu decken.

1 Dies sollte allerdings umfassend in einer Vertraulichkeitsvereinbarung geregelt werden – vgl. Jäckle/Strehle/Clauss in Beck’sches M&A-Handbuch, § 51 Rz. 23. 2 Vgl. WIFU, Familienunternehmen und Private Equity, S. 13; IFD, Private Equity – ein Leitfaden für die erfolgreiche Nutzung von Beteiligungskapital im Mittelstand, S. 33. 3 Rechenberg/Thies/Wiechers, Handbuch Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 278. 4 Meurer in Beck’sches M&A-Handbuch, § 5 Rz. 8.

1036 | Krause

B. Private Equity als Finanzierungsinstrument | Rz. 15.54 Kap. 15

c) Rechtliche Besonderheiten aa) Anspruch auf eine Due Diligence Die Rechtsform des Familienunternehmens kann es erfordern, dass im Rahmen der Due Diligence einige Besonderheiten zu beachten sind.

15.49

Bei der Rechtform der GmbH unterliegen Mitgesellschafter z.B. Treuepflichten. Entstehen im Fall Offenlegung von Informationen bei Durchführung einer Due Diligence keine wesentlichen Nachteile für die Gesellschaft, so sind die übrigen Gesellschafter zur Mitwirkung verpflichtet, auch wenn die Veräußerung nicht in ihrem Interesse ist.1

15.50

bb) Pflicht zur Durchführung einer Due Diligence Relevant ist zudem die Frage, ob eine rechtliche Verpflichtung des Käufers im Rahmen einer Private Equity-Transaktion zur Durchführung einer Due Diligence besteht. Das deutsche Recht sieht vorliegend keine ausdrückliche gesetzliche Verpflichtung vor.

15.51

Allerdings hat das OLG Oldenburg im Jahre 2006 in einer Entscheidung die Pflicht der Durchführung einer Due Diligence bejaht.2 Dabei handelte es sich um einen Erwerb eines Unternehmens aus der Insolvenz, wobei die Wirtschaftlichkeitsberechnungen deutlichen Zweifeln unterlagen. Grundsätzlich kann eine Haftung der Unternehmensorgane des Erwerbers gegenüber der Anteilseigner begründet werden, wenn die Durchführung einer Due Diligence unterlassen wird – dies folge aus ihrer Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung gem. §§ 93 Abs. 1 AktG, 43 Abs. 1 GmbHG.3 Zwar steht z.B. dem Geschäftsführer einer GmbH bei seinen unternehmerischen Entscheidungen ein erhebliches Handlungsermessen zu, dieses ist jedoch überschritten, wenn die Grundlagen, Chancen und Risiken der Investitionsentscheidung nicht ausreichend aufgeklärt worden sind.4

15.52

Praxistipp: Auch wenn keine gesetzliche Verpflichtung zur Durchführung einer Due Diligence besteht, ist es generell ratsam, auch im Rahmen einer Private Equity-Beteiligung, eine umfassende Analyse der Bereiche des Unternehmens durchzuführen, um so mögliche Haftungsrisiken ausschließen zu können. Regelmäßig wird auch das Investmentkommittee des Finanzinvestors eine solche Prüfung verlangen.

15.53

4. Deal Structuring a) Ziel Nachdem die Due Diligence durchgeführt worden ist, kommt es zu konkreten Vertragsverhandlungen und der Ausgestaltung des Beteiligungsvertrages, der sog. „Deal Structuring“. Ziel ist es, die in der Regel verschiedenen Sichtweisen des Private Equity-Investors und des Familienunternehmens bezüglich des Unternehmenswertes und der Ausgestaltung von Investorenrechten in Einklang zu bringen.5

1 Dies gilt jedoch nur in dem gesetzlichen Grundfall, in dem die Geschäftsanteile nicht vinkuliert sind – vgl. Stephan/Tieves in MüKo3, § 37 GmbHG Rz. 139; Meurer in Beck’sches M&A-Handbuch, § 6 Rz. 38. 2 OLG Oldenburg v. 22.6.2006, NZI 2007, 305 ff. 3 OLG Oldenburg v. 22.6.2006, NZI 2007, 305 ff. 4 Vgl. OLG Oldenburg v. 22.6.2006, NZI 2007, 305 (306). 5 Waschbusch/Staub/Knoll, StB, 2010, 74 (79).

Krause | 1037

15.54

Kap. 15 Rz. 15.55 | Finanzinvestoren und Familienunternehmen

15.55

Den Kern bildet hierbei die Beteiligungsvereinbarung (oder auch Gesellschaftervereinbarung). Diese trifft Regelungen über die Zusammenarbeit der Beteiligungsgesellschaft mit den übrigen Gesellschaftern, sowie die Ausgestaltung der jeweiligen Rechte und Pflichten.1 Die Vereinbarung kann beliebige Bestimmungen enthalten, sofern nicht ein zwingendes Recht entgegensteht bzw. verlangt das diese auch in dem Gesellschaftsvertrag zu regeln sind.2 Beispiel:

15.56

Zwingende Satzungsinhalte einer GmbH können nicht alleine in einer solchen Vereinbarung geregelt werden – wie z.B. die Anwendungsbereiche der §§ 3 Abs. 1 und 5 Abs. 4 GmbHG betreffend der Grundsätze der Kapitalaufbringung und der Kapitalerhaltung oder die Voraussetzungen einer Einziehung von Geschäftsanteilen.3

15.57

Beteiligungsverträge zielen in der Regel zunächst auf die Bestimmungen des Einstiegs eines Investors ab, welche Vorschriften über die Höhe der Beteiligung, die Bewertungsgrundlagen und den geplanten Investitionsbetrag enthalten.

15.58

Allgemein zählen zu den wichtigsten Bestandteilen einer solchen Vereinbarung beispielsweise:4

15.59

Regelmäßig ist für den Private Equity-Investor eine umfassende und gleichberechtigte Informationsweitergabe betreffend der Angelegenheiten des Unternehmens von großer Bedeutung. Informationsrechte sind meist gesetzlich schon umfänglich gewährleistet, wobei diese abhängig von der Rechtsform des Familienunternehmens sind. Im Falle einer GmbH sieht etwa § 51a Abs. 1 GmbHG weitreichende Informationsrechte für die Gesellschafter vor, wobei solche Rechte gem. § 51a Abs. 2 GmbHG den allgemeinen Schranken, wie Verhältnismäßigkeit oder Rechtsmissbrauch, unterliegen.5

15.60

Zustimmungsvorbehalte des Private Equity-Investors werden insbesondere im Rahmen von Minderheitsbeteiligungen relevant, um die Schutzbedürftigkeit des Investors zu bewahren. Fehlt eine derartige Regelung hinsichtlich der Struktur- und Geschäftsführungsmaßnahmen, besteht die Gefahr, dass der Investor übergangen wird.6 Dabei umfassen Strukturmaßnahmen meist Satzungsänderungen, Kapitalmaßnahmen oder auch die Liquidation.7 Geschäftsführungsmaßnahmen betreffen dort Zustimmungsvorbehalte, wie z.B. die Vergabe von Krediten oder die Aufstellung eines Jahresplans.8

b) Informationsrechte und Zustimmungsvorbehalte

1 Rechenberg/Thies/Wiechers, Handbuch Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 274. 2 Rechenberg/Thies/Wiechers, Handbuch Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 274. 3 Vgl. Fastrich in Baumbach/Hueck22, § 3 GmbHG Rz. 57; Schmiegelt/Schmidt in Beck’sches Handbuch GmbH5, § 3 Rz. 169. 4 Vgl. WIFU, Familienunternehmen und Private Equity, S. 15; Rechenberg/Thies/Wiechers, Handbuch Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 274. 5 Vgl. Inhester in Jesch/Striegel/Boxberger, Rechtshandbuch Private Equity, S. 247. 6 Vgl. Inhester in Jesch/Striegel/Boxberger, Rechtshandbuch Private Equity, S. 248. 7 Vgl. Inhester in Jesch/Striegel/Boxberger, Rechtshandbuch Private Equity, S. 248. 8 Vgl. Inhester in Jesch/Striegel/Boxberger, Rechtshandbuch Private Equity, S. 248.

1038 | Krause

B. Private Equity als Finanzierungsinstrument | Rz. 15.66 Kap. 15

c) Garantievereinbarungen In der Praxis verlangt der Finanzinvestor regelmäßig die Abgabe von selbstständigen verschuldensunabhängigen Garantien (§ 311 BGB) seitens der Altgesellschafter (hier der Eigentümerfamilie) in der Beteiligungsvereinbarung, um so sein Investment abzusichern.1 Der genaue Umfang der Garantien resultiert meist aus der durchgeführten Due Diligence, aus welcher dem Private Equity-Investor mögliche Risiken oder unklare Sachverhalte bekannt geworden sind. Der Garantiekatalog umfasst einen umfangreichen Katalog, welcher die rechtliche, finanzielle und wirtschaftliche Situation des Unternehmens und dessen Betrieb abdeckt.2

15.61

Der Haftungsumfang bei einer Garantieverletzung richtet sich nach dem Rechtsgedanken des § 249 Abs. 1 BGB. Der Verkäufer schuldet im Wege der Naturalrestitution den Schadensausgleich, d.h. dieser muss den Zustand herstellen, der bestehen würde, wäre die Garantie nicht verletzt worden. Sollte die Naturalrestitution innerhalb einer gewissen Frist oder generell unmöglich sein, so hat der Käufer einen Anspruch auf Schadensersatz.3

15.62

Praxistipp: Familienunternehmen können vom Private Equity-Investor zudem die Abgabe einer Garantie verlangen. In der Praxis ist es üblich, dass der Käufer garantiert, vor und während des Erwerbs der Beteiligung, keine Absprachen mit den Mitarbeitern des Unternehmens, sowie des Verkäufers, getroffen zu haben. Zweck der Abgabe einer solchen Garantie ist der Schutz des Familienunternehmens bei den Vertragsverhandlungen, da der Private Equity-Investor im Vorwege schon an Informationen über das Unternehmen gelangt sein könnte und dieser Vorteil ihm bei den Verhandlungen, wie z.B. beim Kaufpreis, zugutekommen konnte. Darüber hinaus können Familienunternehmer auch Garantien zum Schutz der Belegschaft oder Standortsicherung in die Beteiligungsvereinbarung versuchen reinzuverhandeln.

15.63

d) Verfügungsbeschränkungen Beteiligungsvereinbarungen enthalten darüber hinaus in der Regel weitreichende Regelungen über Verfügungsbeschränkungen betreffend der gehaltenen Anteile an der Familiengesellschaft.4

15.64

Ziel von solchen Beschränkungen ist, dass eine Anteilsübertragung an Dritte nur unter Einbezug des Investors oder der Eigentümerfamilie vollzogen werden kann.5 Allerdings behalten sich Finanzinvestoren meist das Recht vor, ihre Beteiligung an mit ihnen verbundene Unternehmen oder auch an parallel verwaltete Fonds zu übertragen.6

15.65

Darüber hinaus begründen die verschiedenen Beteiligungsarten differenzierte Regelungen und Inhalte der Beteiligungsvereinbarung.

15.66

1 Vgl. Inhester in Jesch/Striegel/Boxberger, Rechtshandbuch Private Equity, S. 242. 2 Vgl. Inhester in Jesch/Striegel/Boxberger, Rechtshandbuch Private Equity, S. 248. Beispiel für einen Garantiekatalog s. Ettinger in Beck’sches Handbuch Unternehmenskauf im Mittelstand2, G. Mustertexte, X. Private Equity Garantien. 3 Geldersatz gem. § 249 Abs. 2, § 251 BGB vgl. auch Lips in Beck’sches Mandatshandbuch Unternehmenskauf2, § 3 Rz. 219. 4 Vgl. Inhester in Jesch/Striegel/Boxberger, Rechtshandbuch Private Equity, § 14 Rz. 54. 5 Vgl. Inhester in Jesch/Striegel/Boxberger, Rechtshandbuch Private Equity, § 14 Rz. 53. 6 Inhester in Jesch/Striegel/Boxberger, Rechtshandbuch Private Equity, § 14 Rz. 53.

Krause | 1039

Kap. 15 Rz. 15.67 | Finanzinvestoren und Familienunternehmen

15.67

Im Rahmen eines MBO und MBI dient die Vereinbarung vorrangig dazu, einen Gleichlauf der Interessen der Beteiligungsgesellschaft und dem Management herzustellen.1 Dabei enthalten Vereinbarungen bei MBO und MBI beispielsweise meist Regelungen zur Strukturierung und Finanzierung des Erwerbs, Vorerwerbsrechte, Mitverkaufsrechte (Tag Along) und Mitverkaufspflichten (Drag Along), sowie Exit-Regelungen2 und Leaver Regeln, bei vorzeitigem Ausscheiden von Managern (in der Regel bei einem MBO vorhanden).3

5. Monitoring 15.68

Im Anschluss der Beteiligungsvereinbarungen, sowie Closing und Signing des Beteiligungserwerbs, bieten Beteiligungsgesellschaften in der Regel ein „Monitoring“, d.h. eine aktive Betreuung und Kontrolle des Unternehmens an.4 Grund hierfür ist, dass Beteiligungsgesellschaften vorrangig den Wert ihrer Beteiligung steigern, sowie Kontrollfunktionen ausüben möchten. Diese Betreuung hat für das Familienunternehmen wesentliche Vorteile. Das Familienunternehmen kann im Rahmen der Betreuung auf Erfahrungswerte, Netzwerke und Knowhow der Beteiligungsgesellschaften zurückgreifen, was z.B. bei rein bankenfinanzierten Unternehmen, regelmäßig nicht möglich ist.5

6. Exit a) Grund

15.69

Am Ende jeder Private Equity-Beteiligung erfolgt nach durchschnittlich fünf bis acht Jahren der „Exit“ (Beteiligungsveräußerung), denn im Fokus der Beteiligungsgesellschaften steht eine nachhaltige Wertsteigerung des Unternehmens und die damit verbundene Renditerealisierung. b) Exit-Möglichkeiten aa) Going Public/Initial Public Offering (IPO)

15.70

Hierbei sind verschiedene Exit-Möglichkeiten denkbar:6 Bei dieser Form des Exits, dem Börsengang, besteht die Möglichkeit, die Beteiligung am institutionellen Kapitalmarkt zu platzieren und diese schrittweise oder komplett zu veräußern.7 Für das Initial Public Offering (IPO) muss eine notwendige Unternehmensgröße, sowie eine sog. „Equity Story“ vorhanden sein, die dazu dient die Kurserwartung darzulegen.8

1 2 3 4 5 6

Rechenberg/Thies/Wiechers, Handbuch Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 290. Zu den Exit-Regelungen im Beteiligungsvertrag s. Rz. 15.71. Rechenberg/Thies/Wiechers, Handbuch Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 290. Waschbusch/Staub/Knoll, StB, 2010, 74 (79). Vgl. BVK, Beteiligungskapital für Mittelständler, S. 24. Vgl. IFD, Private Equity – ein Leitfaden für die erfolgreiche Nutzung von Beteiligungskapital im Mittelstand, S. 35. 7 IFD, Private Equity – ein Leitfaden für die erfolgreiche Nutzung von Beteiligungskapital im Mittelstand, S. 35. 8 KPMG, Private-Equity, Ein Leitfaden für Familienunternehmen im Mittelstand, S. 16.

1040 | Krause

B. Private Equity als Finanzierungsinstrument | Rz. 15.76 Kap. 15

bb) Trade Sale Bei der Wahl eines „Trade Sale“ veräußert die Beteiligungsgesellschaft und in der Regel mit ihr die Gründungsgesellschafter, ihren Anteil an einen Wettbewerber oder ein anderes Unternehmen im Rahmen eines regulären Anteilsverkaufs.1

15.71

cc) Buy-Back Bei einem Buy-Back erwirbt der Unternehmer (in der Regel der Altgesellschafter oder der Gründer des Unternehmens) seinen Unternehmensanteil zurück, welchen er vorher an die Beteiligungsgesellschaft veräußert hatte.2

15.72

dd) Secondary Buy-Out Im Wege eines „Secondary Buy-Out“ veräußert die Beteiligungsgesellschaft ihre Beteiligung an einen anderen Finanzinvestor.3 Hierbei plant der neue Käufer meist, neues Wachstum des Unternehmens zu generieren oder voranzutreiben.

15.73

Für Familienunternehmer, die eine fortlaufende Beteiligung am Unternehmen anstreben, kann der Exit in Form des Secondary Buy-Out vorteilhaft sein. Hierbei kann das Familienunternehmen weiterhin von der Expertise und dem Knowhow profitieren, welches die neue Beteiligungsgesellschaft einbringen wird. Die Familienunternehmer profitieren so von unterschiedlichen Investoren für den Zeitraum, solange die Familienunternehmer noch an ihrem Unternehmen beteiligt sind.

15.74

c) Ausgestaltung in der Beteiligungsvereinbarung aa) Grund Die geplante gewinnbringende Veräußerung des Private Equity-Investors sollte bereits im Rahmen der Beteiligungsvereinbarung von den Parteien Berücksichtigung finden. Während sich ein Private Equity-Investor bei einer Mehrheitsbeteiligung selten im Rahmen einer ExitRegelung von seinem Anteil trennen muss, kann dies bei einer Minderheitsbeteiligung durch (Mit-)Verkaufspflichten oder Call Optionen gegen seinen Willen passieren.4 Exit-Regelungen tragen dazu bei, sowohl die Interessen des Investors an einem ertragsreichen und unkomplizierten Ausstieg, als auch die Teilhabe der anderen Gesellschafter des Familienunternehmens am Exit des Investors, zu berücksichtigen.5

15.75

bb) Mitveräußerungspflicht (Drag Along) Bei Private Equity-Beteiligungen wird sich der Investor im Fall eines Trade Sale ein Mitveräußerungsrecht (Drag Along-Right) gegenüber dem Familienunternehmen einräumen lassen. 1 Weitnauer in Weitnauer, Handbuch Venture Capital5, Rz. 48. 2 Risse/Kästle/Engelstädter/Gebler/Lorenz in Risse/Kästle, M&A und Corporate Finance von A-Z3, Company Buy-Back. 3 Risse/Kästle/Engelstädter/Gebler/Lorenz in Risse/Kästle, M&A und Corporate Finance von A-Z3, Secondary Buy-Out. 4 Ellrott in Eilers/Koffka/Mackensen, Private Equity3, S. 592. 5 Vgl. von Beauvais/Hellich in Jesch/Striegel/Boxberger, Rechtshandbuch Private Equity, § 14 Rz. 57.

Krause | 1041

15.76

Kap. 15 Rz. 15.76 | Finanzinvestoren und Familienunternehmen

Dieses dient dazu, sämtliche Gesellschafter bei einem Trade Sale dazu zu verpflichten, ihre Anteile an den neuen Erwerber zu veräußern.1 In Praxis wird das Mitveräußerungsrecht meist so umgesetzt, dass die übrigen Gesellschafter an die Aufforderung des Private Equity-Investors oder an eine Beschlussfassung einer qualifizierten Mehrheit der Gesellschafter des Unternehmens gebunden sind.2 Bei einer GmbH ist es zudem möglich ein Mitveräußerungsrecht schon im Gesellschaftsvertrag festzusetzen, welches dann Wirkung für unmittelbare Rechtsnachfolger entfaltet.3 cc) Mitveräußerungsrecht (Tag Along)

15.77

Familienunternehmen, die einem Private Equity-Investor eine Mehrheitsbeteiligung einräumen, können durch ein Mitveräußerungsrecht (Tag-Along-Right) sicherstellen, dass im Falle des Exits auf Wunsch ihre Anteile zu identischen Konditionen angeboten werden.4 Für den Fall, dass der Erwerber nicht an denen ihm sämtlich angebotenen Teilen interessiert ist, bedarf es einer besonderen Regelung, wobei vereinbart werden sollte, dass die veräußerungswilligen Gesellschafter ihre Anteile anteilig an den potentiellen Erwerber veräußern dürfen.5 dd) Call Option

15.78

Soll wiederum ein Verkauf an Dritte verhindert werden, besteht die Möglichkeit, in der Beteiligungsvereinbarung eine sognannte Call Option zu vereinbaren. Hierbei handelt es sich regelmäßig um ein unwiderrufliches Angebot der betroffenen Gesellschafter betreffend der Veräußerung ihrer Anteile an die übrigen oder Gesellschafter unter bestimmten Voraussetzungen (wie z.B. unter Bestimmung des Kaufpreises).6 Praxistipp:

15.79

Familienunternehmen sollten insbesondere bei der Ausgestaltung der Exit-Regelungen darauf achten, dass die Veräußerung nicht vollends in der Entscheidungsmacht des Private Equity-Investors liegt, da sonst z.B. ein ungewollter Einstieg eines strategischen Investors drohen kann.

C. Schlussbetrachtung/Handlungsempfehlungen 15.80

Während sich über viele Jahre Finanzinvestoren und Familienunternehmen eher skeptisch bis ablehnend gegenüberstanden, zeigen seit einiger Zeit Familienunternehmen eine neue Offenheit gegenüber Private Equity Fonds und anderen Finanzinvestoren. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Häufig resultiert die Offenheit aber aus einer bestehenden Nachfolgeproblematik oder der Notwendigkeit, für das weitere Wachstum den Erfahrungsschatz eines familienfremden Dritten einzubinden.

1 Vgl. von Beauvais/Hellich in Jesch/Striegel/Boxberger, Rechtshandbuch Private Equity, § 19 Rz. 28; Risse/Kästle/Engelstädter/Gebler/Lorenz in Risse/Kästle, M&A und Corporate Finance von AZ3, Drag-Along-Recht. 2 Vgl. von Beauvais/Hellich in Jesch/Striegel/Boxberger, Rechtshandbuch Private Equity, § 19 Rz. 28. 3 Vgl. von Beauvais/Hellich in Jesch/Striegel/Boxberger, Rechtshandbuch Private Equity, S. § 19 Rz. 29. 4 Vgl. Risse/Kästle/Engelstädter/Gebler/Lorenz in Risse/Kästle, M&A und Corporate Finance von AZ3, tag-along-Recht. 5 Vgl. von Beauvais/Hellich in Jesch/Striegel/Boxberger, Rechtshandbuch Private Equity, § 19 Rz. 31. 6 Vgl. von Beauvais/Hellich in Jesch/Striegel/Boxberger, Rechtshandbuch Private Equity, § 19 Rz. 36.

1042 | Krause

C. Schlussbetrachtung/Handlungsempfehlungen | Rz. 15.81 Kap. 15

Für Finanzinvestoren sind dies erfreuliche Entwicklungen in einem verkäuferfreundlichen Marktumfeld mit eher zu geringen Investmentmöglichkeiten. Um ihre Investoren wiederum von ihren Fonds zu überzeugen, brauchen sie hinreichend gute Zielunternehmen, in die sie investieren können. Damit seitens der Familienunternehmen diese Offenheit bestehen bleibt, sollten Fonds in ihren Beteiligungsvereinbarungen darauf achten, den Familienunternehmen weitgehende Freiheiten zu gewähren. Auf der anderen Seite müssen Familienunternehmer verstehen, dass Finanzinvestoren umfassende Informationsrechte sowie eine bevorzugte Behandlung im Verkaufsfall (Liquidation Preference) benötigen. Letztlich ist ihr Engagement in einem Familienunternehmen auf Zeit geschlossen. Dies macht es aber zugleich erforderlich, nicht nur die Zeit des Zusammenlebens in einer Beteiligungsvereinbarung zu strukturieren, sondern auch den Fall der Beteiligungsauflösung, den Exit mit zu reflektieren.

Krause | 1043

15.81

Kapitel 16 Verkauf und Verpachtung des Familienunternehmens Die Autoren danken ihren Mitarbeitern Finn Hoffmann und Sophie v. Holleben für die wertvolle Zuarbeit. A. I. 1. 2. 3. 4. 5. 6. II. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. III. 1. 2. 3. 4. IV. 1. 2.

Unternehmensverkauf Interessenlage Abwägung der Alternativen . . . . . Alternative Interimslösung . . . . . . Einbeziehung externer Ressourcen Differenzen im Gesellschafterkreis Interne Lösungen . . . . . . . . . . . . . Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beteiligte Transaktionsberater . . . . . . . . . . . M&A-Berater/Investmentbanker . Finanzberater . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuerberater . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsberater . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirtschaftsprüfer . . . . . . . . . . . . . Weitere Berater . . . . . . . . . . . . . . . Strukturierung im Gesellschafterkreis Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhandlungsführer . . . . . . . . . . . Wesentliche Parameter der Transaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Projekt- und Kommunikationsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konkrete Vorbereitung der Veräußerung Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Trennung zwischen Verkäufersphäre und Zielunternehmen a) Unternehmenstrennung durch Spaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unternehmenstrennung durch vorheriges Herauslösen des verbleibenden Unternehmensteils durch Asset Deal . . . . . . . . . . . c) Unternehmenstrennung durch Behalten des verbleibenden Unternehmensteils beim Asset Deal d) Zeitlich gestreckte Trennung durch Transitional Services Agreements . . . . . . . . . . . . . . . .

1044 | Schmidt-Jortzig/Rollin

16.1 16.2 16.5 16.8 16.11 16.15 16.16 16.18 16.19 16.20 16.21 16.22 16.23 16.24 16.27 16.32 16.35 16.36

3. V. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

7. 8. 9. 10. 11. 12. VI. 1.

16.37

16.38 2. 16.41 16.42

e) Beendigung von Beherrschungsund Gewinnabführungsverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Beendigung von Patronatserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dokumentationslage . . . . . . . . . . . Ablauf eines M&A-Prozesses Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teaser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertraulichkeitsvereinbarung/Term Sheet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Information Memorandum . . . . . Indikative Angebote . . . . . . . . . . . Due Diligence a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sachlicher Umfang . . . . . . . . . . c) Praktische Gestaltung der Due Diligence . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Motivation für Käufer und Verkäufer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbindliche Angebote . . . . . . . . . Auswahl zwischen verschiedenen Bietern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertraulichkeit . . . . . . . . . . . . . . . Exklusivität? . . . . . . . . . . . . . . . . . Kaufvertragsverhandlungen . . . . . Signing und Closing . . . . . . . . . . . Kaufpreis und Bewertung Wert und Preis a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unternehmensbewertung . . . . aa) Bewertung künftiger Zahlungen aus dem Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Multiplikatormethode . . . cc) Liquidationswert . . . . . . . . Kaufpreisformeln im Unternehmenskaufvertrag a) Festkaufpreis . . . . . . . . . . . . . . b) Variabler Kaufpreis zum Closing – Completion Accounts . . . . . . c) Earn Out . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vendor Loan . . . . . . . . . . . . . .

16.43 16.44 16.45 16.47 16.48 16.49 16.52 16.53 16.54 16.55 16.56 16.59 16.62 16.63 16.67 16.68 16.70 16.72 16.74 16.75 16.76 16.77 16.79 16.80 16.83 16.89 16.93

Verkauf und Verpachtung des Familienunternehmens | Kap. 16

VII. VIII. 1. 2. 3. 4. 5.

6. 7. 8. IX. B. I.

e) Verbleibende Beteiligung des Verkäufers/Rückbeteiligung . . . 16.94 f) Verbleiben von Anlagevermögen beim Verkäufer mit anschließender Vermietung an das Zielunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . 16.96 Transaktionsstruktur – Share Deal oder Asset Deal . . . . . . . . . . . . . . . 16.98 Der Unternehmenskaufvertrag Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.100 Vertragssprache und anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.101 Vollzugsbedingungen und Vollzug 16.104 Kaufpreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.107 Gewährleistung, Garantien und Freistellungen a) Gewährleistung . . . . . . . . . . . . . 16.110 b) Garantien: Inhalt . . . . . . . . . . . . 16.111 c) Garantien: Rechtsfolgen . . . . . . 16.115 d) Freistellungen . . . . . . . . . . . . . . 16.117 e) Verbleibende Haftung des Verkäufers bei Vorsatz . . . . . . . . . . 16.118 f) Versicherbarkeit der Garantien 16.121 Sicherheiten für Käufer und Verkäufer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.123 Verhaltenspflichten zwischen Signing und Closing . . . . . . . . . . . . . . 16.125 Streitbeilegung . . . . . . . . . . . . . . . . 16.126 Tätigkeit des Verkäufers nach dem Closing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.128 Unternehmensverpachtung Die Unternehmenspacht als Instrument der Unternehmensnachfolge

1. Zulässigkeit und Vertragstypus . . . 2. Motiv- und Interessenlage . . . . . . . 3. Alternative Gestaltungsinstrumente a) Optionen des Unternehmers . . b) Unternehmensnießbrauch . . . . c) Fremdmanagement . . . . . . . . . . d) Franchising . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtstechnische Grundzüge 1. Überblick: Gesetzliche Ausgangslage und vertraglicher Regelungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Unternehmen als Pachtgegenstand und seine Überlassung . . . . . 3. Besondere Wirksamkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Übersicht über regelungsbedürftige Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ausgewählte Probleme 1. Entscheidungsautonomie des Pächters und Mitwirkungsrechte des Verpächters . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufwendungen auf den Erhalt und die Erweiterung des Unternehmens 3. Vertragsbeendigung und Rückgewähr des Unternehmens . . . . . . C. Betriebsaufgabe I. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ablauf der Liquidation 1. Anwendbare Vorschriften . . . . . . . 2. Auflösung der Gesellschaft . . . . . . 3. Liquidationsphase . . . . . . . . . . . . . 4. Vollbeendigung der Gesellschaft . .

16.130 16.134 16.136 16.137 16.138 16.139

16.140 16.143 16.147 16.149

16.157 16.163 16.171 16.174 16.177 16.180 16.184 16.186

Literatur: Bruns, Verpachtung eines Gewerbebetriebs, 10. Aufl., Heidelberg 2013 Dörmer, Die Unternehmenspacht, Frankfurt am Main 2010; Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 9. Aufl., München 2019; Frenzl, Betriebspacht-, Betriebsüberlassungs- und Betriebsführungsverträge in der Konzernpraxis, Köln u.a. 2007; Hemel/Link, Zukunftssicherung für Familienunternehmen, Stuttgart 2018; Kern, Pachtrecht, Berlin 2012; Hölters (Hrsg.), Handbuch Unternehmenskauf, 9. Aufl., Köln 2019; Klein-Blenkers, Das Recht der Unternehmenspacht, Baden-Baden 2008; Krause, Zivilrechtliche Probleme der Verpachtung von Unternehmen, MittRhNotK 1990, 237; Meyer-Sparenberg/Jäckle u.a., Beck’sches M&A-Handbuch, München 2017; Müller-Stevens/Kunisch/Binder (Hrsg.), Mergers & Acquisitions, 2. Aufl., Stuttgart 2016; Niggemann/Simmert, Generationslücke durch Betriebsverpachtung überbrücken, NWB-BB 07/2010, 215; Seibt u.a., Formularbuch M&A, 3. Aufl., München 2018; Picot (Hrsg.), Handbuch Mergers & Acquisitions, 2 Aufl., Stuttgart 2002; Schubert/Küting, Pacht- und Überlassungsverträge, DB Beilage 7/1976; Stummel, Standardvertragsmuster zum Handels- und Gesellschaftsrecht, 5. Aufl., München 2015; Weitnauer, Handbuch Venture Capital, 6. Aufl., München 2019; Wolf/Eckert/Ball, Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts, 10. Aufl., Köln 2009

Schmidt-Jortzig/Rollin | 1045

Kap. 16 Rz. 16.1 | Verkauf und Verpachtung des Familienunternehmens

A. Unternehmensverkauf I. Interessenlage 1. Abwägung der Alternativen 16.1

Kommt eine Übertragung des Unternehmens im Familienkreis nicht in Betracht1 und erscheinen auch Interimslösungen nicht durchführbar, rückt die Veräußerung des Unternehmens an Dritte in den Fokus. Wegen der Endgültigkeit dieses Schrittes – das Unternehmen kann im Regelfall nicht zurückerworben werden – sollte die Entscheidung für einen solchen Unternehmensverkauf am Ende eines umfassenden Abwägungsprozesses stehen, der sämtlichen internen und übergangsweisen Alternativen Rechnung trägt.

2. Alternative Interimslösung Steht zum Zeitpunkt des beabsichtigten Ausscheidens des derzeitigen Anteilseigners kein geeigneter Nachfolger im Familienkreis zur Verfügung aber ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass sich dieser Zustand in absehbarer Zeit ändert, so können Interimslösungen wie z.B. die Einstellung eines Fremdmanagers als Geschäftsführer (Kapitel 14) oder die Verpachtung des Unternehmens (dazu Rz. 16.134 ff.) in Betracht gezogen werden. Beispiel:

16.2

Der 65-jährige Unternehmensgründer möchte sein Unternehmen auf seinen 25-jährigen Sohn übertragen. Dieser hat jedoch sein Studium noch nicht abgeschlossen und soll zudem vor Übernahme des Unternehmens Managementerfahrung in anderen Unternehmen sammeln. Die Übernahme des Unternehmens durch den Sohn soll daher erst in zehn Jahren erfolgen.

16.3

Eine Interimslösung kommt jedoch nicht in Betracht, wenn sich herausstellt, dass eine Unternehmensnachfolge dauerhaft ausscheidet weil die Erbengeneration das Unternehmen nicht weiterführen kann oder will. In diesen Fällen ist die Veräußerung des Unternehmens, sei es durch Übertragung der Anteile (Share Deal) oder der Unternehmenswerte (Asset Deal) (dazu Rz. 16.101) zu erwägen. Insbesondere bei größeren Unternehmen kann statt einer solchen Unternehmensveräußerung (sog Trade Sale2) auch ein Gang an die Börse (sog. Initial Public Offering – IPO) erwogen werden3. IPOs weisen aber regelmäßig eine wesentlich höhere Komplexität auf als Unternehmensveräußerungen und bringen üblicherweise auch erheblich höhere Transaktionskosten mit sich. Sind weder der Gang an die Börse noch die Veräußerung des Unternehmens realisierbar, kommt im Ausnahmefall auch eine Liquidation des Unternehmens (dazu Rz. 16.177) in Frage. Beispiel:

16.4

Der 25-jährige Sohn teilt seinem Vater mit, dass er für eine Übernahme des Unternehmens nicht zur Verfügung steht, weil er sich voll und ganz seinen künstlerischen Neigungen widmen will. Da andere Familienmitglieder für eine Weiterführung des Unternehmens ebenfalls nicht zur Verfügung stehen, betreibt der Unternehmensgründer zunächst die Veräußerung seines Unternehmens. Der Veräußerungsprozess scheitert, weil keiner der Bieter den vom Gründer vorausgesetzten Mindestpreis zahlen will. Schweren Herzens entschließt sich der Unternehmensgründer zur Liquidation seines Unternehmens. 1 Zu den Gründen Lust in Wegmann/Wiesehahn, Unternehmensnachfolge, S. 67 f. 2 Zur Begrifflichkeit Weitnauer in Weitnauer, Handbuch Venture Capital5, S. 527 ff. 3 Picot, Handbuch M&A2, S. 440 ff.; Hemel/Link, Zukunftssicherung für Familienunternehmen, S. 47 ff.; Weitnauer in Weitnauer, Handbuch Venture Capital5, S. 553 f.

1046 | Schmidt-Jortzig/Rollin

A. Unternehmensverkauf | Rz. 16.11 Kap. 16

3. Einbeziehung externer Ressourcen Des Öfteren wird die mit der Unternehmensnachfolge eintretende Zäsur auch zur Einbeziehung externer Ressourcen, insbesondere externen Knowhows oder Eigenkapitals genutzt.

16.5

Beispiel: Die anstehende Unternehmensnachfolge soll dazu genutzt werden, das Unternehmen an geänderte Marktverhältnisse anzupassen und zukunftsfest zu machen. Hierfür sollen neue Geschäftsbereiche erschlossen werden. Zur Umsetzung beschließen die Gesellschafter im Rahmen einer Buy and BuildStrategie, zwei kleinere Unternehmen zu erwerben und benötigen dafür zusätzliches Kapital. Zur Straffung der bestehenden Unternehmensstrukturen, insbesondere der Finanzstrukturen, soll außerdem ein externer Partner gewonnen werden.

16.6

Sofern Fremdkapital nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung steht oder eine Fremdfinanzierung nicht gewünscht wird, kann die Übertragung einer Beteiligung, z.B. an einen Finanz-Investor, sinnvoll sein. Dieser kann dem Unternehmen neben speziellem Strukturierungs-Knowhow auch das für die Zukäufe erforderliche Eigenkapital zur Verfügung stellen (dazu Kapitel 15). Die Beteiligung des Investors wird regelmäßig über eine Kapitalerhöhung (vgl. z.B. §§ 55 ff. GmbHG) erfolgen. Sollen daneben (auch) die derzeitigen Gesellschafter finanziell profitieren, wird zusätzlich eine (Teil-)Veräußerung des Unternehmens in Erwägung zu ziehen sein. Spielen finanzielle Ressourcen nur eine untergeordnete Rolle, kommt für die Gewinnung externer Kenntnisse auch die Einstellung eines Fremdmanagers (dazu Kapitel 14) in Betracht.

16.7

4. Differenzen im Gesellschafterkreis Nicht selten lässt die bevorstehende Unternehmensnachfolge auch Differenzen im Gesellschafterkreis zu Tage treten, die in persönlichen Dissonanzen einzelner Gesellschafter(-Stämme) oder in unterschiedlichen finanziellen Interessen begründet liegen können.

16.8

Beispiel: Zwischen den verschiedenen geschäftsführenden Gesellschaftern der Holzspielzeuge Hamburg GmbH (H-GmbH) herrschen schon seit längerem Differenzen über die zukünftige Ausrichtung des Unternehmens und den Geschäftsverteilungsplan. Zudem möchte die Gesellschafterin G, die der Geschäftsführung des Unternehmens nicht angehört, ihre Beteiligung veräußern, um ein luxuriöses privates Eigenheim zu erwerben. Ihre Mitgesellschafter H und I sind sich in herzlicher persönlicher Abneigung verbunden und erklären bei dieser Gelegenheit, dass sie der Gesellschaft nur noch bei Ausscheiden des jeweils anderen Gesellschafters weiterhin als Gesellschafter angehören wollen.

16.9

Lassen sich solche Differenzen erkennbar nicht beilegen, sollte über die Veräußerung des Unternehmens nachgedacht werden. Denn insbesondere bei langanhaltenden tiefen Zerwürfnissen im Gesellschafterkreis können wichtige Entscheidungen für das Unternehmen verzögert oder bei Vorliegen von Sperrminoritäten im Gesellschafterkreis sogar blockiert werden. Streitigkeiten dieser Art beeinträchtigen nicht selten die Motivation der Mitarbeiter und den gesamten Wert des Unternehmens.

16.10

5. Interne Lösungen Die vorstehenden Veräußerungsszenarien (dazu Rz. 16.9) lassen sich grundsätzlich auch durch interne Maßnahmen im Gesellschafterkreis verwirklichen.

Schmidt-Jortzig/Rollin | 1047

16.11

Kap. 16 Rz. 16.12 | Verkauf und Verpachtung des Familienunternehmens Beispiel:

16.12

Die Gesellschafterin G der H-GmbH wird nach einer Einziehung ihrer Geschäftsanteile abgefunden; der ertrags- und vermögensstarken Gesellschaft steht hierfür ausreichend freies Vermögen zur Verfügung (vgl. § 34 GmbHG). Die Gesellschafter H und I einigen sich schließlich darauf, ihre persönlichen Differenzen dadurch zu lösen, dass H die von I gehaltenen Geschäftsanteile erwirbt. Bei dieser Gelegenheit möchte nun auch der nur unwesentlich beteiligte Minderheitsgesellschafter J seine Beteiligungen abgeben. Da sich im Gesellschafterkreis der H-GmbH kein Käufer findet und das Unternehmen noch über weiteres freies Kapital verfügt, erwirbt die H-GmbH die von J gehaltenen Minderheitsanteile selbst (vgl. § 33 GmbHG).

16.13

Als interne Lösung im weiteren Sinne kann auch die (teilweise) Veräußerung des Unternehmens an die Geschäftsleitung (Management) angesehen werden. In diesem Fall spricht man von einem Management-Buy-Out oder kurz MBO.1 Dabei ist auch vorstellbar, dass die Gesellschafter zunächst einen externen Geschäftsführer einstellen, um ihm das Unternehmen – ggf. auch in mehreren Schritten oder nach Erfüllung bestimmter Bedingungen – zu verkaufen. Die Besonderheiten eines MBO liegen in der Sonderstellung des Geschäftsführers gegenüber dem zu verkaufenden Unternehmen. Da der Geschäftsführer sowohl auf Seiten des zu verkaufenden Unternehmens als auch auf Seiten des Käufers auftritt, können sich Interessenkonflikte ergeben.2 Wird der Erwerb zumindest zu einem Teil fremdfinanziert, findet der MBO in der Form eines Leveraged Buy-Outs (LBO)3 statt (dazu Rz. 15.28).

16.14

Interne Lösungen lassen sich oft mit wesentlich weniger Aufwand umsetzen. So entfallen Marktansprache und oftmals auch Due Diligence Prozesse (dazu Rz. 16.56 ff.). Außerdem lässt sich der Garantiekatalog im Unternehmenskaufvertrag (dazu Rz. 16.111) erheblich kürzen, weil die beteiligten Gesellschafter bzw. das betroffene Management meistens eine vergleichbare Kenntnis vom Unternehmen haben wie der Veräußerer.

6. Zeitpunkt 16.15

Vornehmlich von steuerlichen Erwägungen sollte es abhängen, ob die Unternehmensveräußerung vor oder nach einer Unternehmensnachfolge durchgeführt wird, diese also beispielsweise von dem aus Altersgründen ausscheidenden Unternehmer oder seinen Erben durchgeführt wird (dazu Kapitel 6).

II. Beteiligte 1. Transaktionsberater 16.16

Ist die Entscheidung über die Veräußerung des Unternehmens an Dritte gefallen, bedarf die Vorbereitung und Durchführung der Transaktion besonderer Expertise, die sich neben umfangreichen fachlichen Fertigkeiten auch auf die umfassende Kenntnis von Marktstandards bei Unternehmenstransaktionen bezieht. Diese Fähigkeiten sind regelmäßig weder im Unternehmen selbst noch im Gesellschafterkreis in ausreichender Form vorhanden. Zudem können externe Berater gerade bei Spannungen oder Interessengegensätzen zwischen den Gesellschaftern die nötige Unvoreingenommenheit vermitteln und so ausreichend Akzeptanz und Vertrauen von allen Gesellschaftern erhalten. 1 Zur Begrifflichkeit und zur Differenzierung zum sog. Management Buy-In Schmidt-Hern in Beck’sches M&A-Handbuch, § 54 Rz. 1 f. 2 Schmidt-Hern in Beck’sches M&A-Handbuch, § 54 Rz. 10 f. 3 Dazu Jäckle/Strehle/Clauss in Beck’sches M&A-Handbuch, § 51 Rz. 29 f.

1048 | Schmidt-Jortzig/Rollin

A. Unternehmensverkauf | Rz. 16.19 Kap. 16

Die Beauftragung spezialisierter und in Unternehmensverkäufen erfahrener Transaktionsberater kann für den Erfolg – und zwar nicht nur für die Durchführung des Verkaufsprozesses, sondern vor allem für die Erzielung eines optimalen Verkaufserlöses – als essentiell angesehen werden; die sorgfältige Auswahl und frühzeitige Einbeziehung von erfahrenen Transaktionsberatern ist daher von besonderer Wichtigkeit. Dabei kommt es nicht selten zu Konflikten mit den angestammten Beratern des Unternehmens. Da auch diese Berater im Veräußerungsprozess aufgrund ihrer Kenntnis des Unternehmens, insbesondere im rechtlichen und steuerlichen Bereich, eine wichtige Rolle einnehmen, wird es neben Fingerspitzengefühl der Beteiligten auf einen gut strukturierten Verkaufsprozess ankommen, der die angestammten Berater in angemessener Weise, z.B. bei der Vorbereitung der Due Diligence, einbezieht.

16.17

2. M&A-Berater/Investmentbanker Von herausragender Bedeutung ist die Hinzuziehung eines geeigneten M&A-Beraters bzw. Investmentbankers, der den Veräußerungsprozess strukturiert und koordiniert, die Kommunikation zwischen den Projektbeteiligten wesentlich steuert und für die Erstellung wichtiger wirtschaftlicher Transaktionsdokumente, wie des Teasers und des Information Memorandums (dazu Rz. 16.51 u. 16.55) zuständig ist. Außerdem verantworten die M&A-Berater die Ansprache potentieller Investoren und steuern damit den Bieterprozess, in dem sich eine möglichst große Konkurrenzsituation regelmäßig positiv auf den Kaufpreis auswirkt. Der Bieterprozess besteht daher zunächst aus der Ansprache eines geeigneten Investorenkreises (Long List) und anschießend der Reduzierung der Long List auf einen kleinen Kreis möglichst vielversprechender Bieter, die dann zum eigentlichen Erwerbsprozess zugelassen werden (Short List)1. Daneben beinhaltet ein Bieterprozess auch die Anbahnung der Vertragsverhandlungen durch Firmenbesuche und sog. Management-Präsentationen, in denen den Bietern das Unternehmen durch die Geschäftsleitung vorgestellt wird. Schließlich verhandeln die M&A-Berater die Unternehmenskaufverträge in wirtschaftlicher Hinsicht – bei strukturierten Bieterverfahren nicht selten parallel mit mehreren Bietern. Eine besondere Herausforderung besteht dabei darin, die Preisvorstellungen des Veräußerers und der potentiellen Erwerber soweit anzugleichen, dass auf dieser Grundlage ein erfolgreicher Verhandlungsprozess gestartet werden kann. Als Grundlage hierfür ist eine realistische Unternehmensbewertung unerlässlich (dazu unter Rz. 16.78.2

16.18

3. Finanzberater M&A-Berater übernehmen oftmals auch die Funktion von Finanzberatern, die den Beteiligten in finanziellen Fragestellungen zur Seite stehen. Insbesondere die anfängliche Unternehmensbewertung, die Verhandlung von Kaufpreisformeln und Finanzierungsbestandteilen – beispielsweise Verkäuferdarlehen (Vendor Loans, s. dazu Rz. 16.93) sog. Earn-Out-Klauseln (s. dazu Rz. 16.89) oder Besserungsscheine, bei denen Teile des Kaufpreises von der zukünftigen Unternehmensentwicklung abhängig gemacht werden – sowie die Verhandlung von Rückbeteiligungen (sog. Roll-Over, s. dazu Rz. 16.94) der Veräußerer oder die Strukturierung von Fremdkapitalfinanzierungen nebst deren Besicherung kann von M&A Beratern übernommen werden. Letztere spielen vor allem beim Erwerb des Unternehmens von Finanz-, insbesondere Private Equity-Investoren3 s. Kapitel 15, eine Rolle. M&A-Berater oder Finanz-

1 Hemel/Link, Zukunftssicherung für Familienunternehmen, S. 111. 2 Hemel/Link, Zukunftssicherung für Familienunternehmen, S. 82 ff. 3 Instruktiv hierzu Raddatz/Nawroth in Eilers/Koffka/Mackensen, Private Equity, 2. Aufl. München 2012, S. 14 ff.

Schmidt-Jortzig/Rollin | 1049

16.19

Kap. 16 Rz. 16.19 | Verkauf und Verpachtung des Familienunternehmens

berater arbeiten eng mit den Rechts- und Steuerberatern zusammen. In der Vorbereitungsphase der Transaktion verantworten sie die Financial Due Diligence (s. dazu Rz. 16.54).

4. Steuerberater 16.20

Transaktionserfahrene Steuerberater weisen eine besondere Expertise bei Steuergarantien und sonstigen Steuerklauseln, die in einem Unternehmenskaufvertrag üblich sind, auf. Sie können daher den Unternehmenskaufvertrag im Hinblick auf steuerliche Fragestellungen optimieren und verhandeln. Während der Vorbereitung des eigentlichen Veräußerungsprozesses sind sie mit der steuerlichen (Tax) Due Diligence und der steuerlichen Optimierung der Transaktionsstrukturen betraut (s. dazu auch Kapitel 6). So werden sie beispielsweise in steuerlicher Hinsicht auch die Frage zu prüfen haben, ob ein Unternehmensverkauf sinnvollerweise vor oder nach der Umsetzung einer Nachfolgeregelung durchzuführen ist.

5. Rechtsberater 16.21

Auch den Rechtsberatern kommt bei der Vorbereitung und Durchführung der Transaktion eine herausragende Rolle zu. Sie sind wichtige Ansprechpartner der M&A-Berater/Finanzberater sowie der Steuerberater und koordinieren die Verhandlungsstränge während des Verkaufsprozesses. Die Rechtsberater führen die rechtliche (Legal) Due Diligence durch und erstellen und/oder verhandeln den Unternehmenskaufvertrages samt Nebenverträgen – wie z.B. Miet- oder Immobilienkaufverträge oder sog. Transitional Service Agreements (dazu Rz. 16.42) für die übergangsweise Weitererbringung zentraler Dienstleistungen nach der Veräußerung von Konzerngesellschaften. Bei der Erstellung des Garantiekataloges im Unternehmenskaufvertrag (dazu Rz. 16.111 ff.) achten sie in Abstimmung mit den Veräußerern auf die Richtigkeit der abgegebenen Garantien, weisen ggf. auf mit der Abgabe verbundene Risiken hin und wirken auf eine weitreichende Risikoreduzierung hin, indem sie auf der Rechtsfolgenseite das Haftungsregime gestalten. Rechtsberater wirken an der Schnittstelle zu den Steuerund Finanzberatern und koordinieren die Einbeziehung steuerlicher Regelungen und finanziell relevanter Vertragsklauseln. Sie arbeiten dabei auch stets eng mit internen Unternehmensjuristen1 zusammen und koordinieren bei internationalen Transaktionen die Abstimmung mit den ausländischen Anwälten.

6. Wirtschaftsprüfer 16.22

Übernehmen Wirtschaftsprüfer nicht die steuerliche Betreuung oder die Rolle der Finanzberater – was vor allem bei großvolumigeren Transaktionen der Fall sein dürfte2 –, fällt ihnen im Übrigen nur eine eher nachgeordnete Funktion im Transaktionsprozess zu. Diese beschränkt sich im Wesentlichen auf die der eigentlichen Transaktion nachgelagerte Unternehmensbewertung oder die Bewertung kaufpreisrelevanter Bilanzen oder Finanzkennzahlen, wenn kein Festpreis (sog. Locked-box-Modell) (dazu Rz. 16.80) vereinbart wurde. Sollen diese Bewertungen nicht durch von den Parteien benannte Personen vorgenommen werden, kommt alternativ die oft kostengünstigere Benennung eines neutralen Wirtschaftsprüfers durch eine unabhängige Instanz wie den Präsidenten einer Wirtschaftsprüferkammer oder einer Industrie- und Handelskammer in Betracht.

1 Zu deren Rolle Lamberts in Müller-Stevens/Kunisch/Binder, Mergers & Acquisitions2, S. 193 ff. 2 Schiessl in Beck’sches M&A-Handbuch, § 1 Rz. 31.

1050 | Schmidt-Jortzig/Rollin

A. Unternehmensverkauf | Rz. 16.27 Kap. 16

7. Weitere Berater Je nach Art des zu veräußernden Unternehmens werden vor allem in jüngerer Zeit vermehrt weitere Spezialisten an Bord geholt, die die Parteien in besonderen Fragen beraten. Wird z.B. ein Hersteller von Windkraftkraftanlagen veräußert, wird man einen Technical Advisor hinzuziehen, bei Industrieunternehmen werden insbesondere auch Umweltberater oder Berater für Compliance-Fragen und Cyber Security einbezogen. Die Rolle dieser Berater, deren Tätigkeit sich vor allem auf die Due Diligence (dazu Rz. 16.54) beschränkt1, erfolgt eher auf Käuferseite. In größeren Transaktionen mit Öffentlichkeitsbezug werden teilweise auch Kommunikationsberater2 eingeschaltet.3

16.23

III. Strukturierung im Gesellschafterkreis 1. Zweck Von erheblicher Bedeutung für eine erfolgreiche und effiziente Transaktionsgestaltung ist die effektive und verbindliche Vereinbarung von Veräußerungsszenarien zwischen den veräußernden Gesellschaftern. Umgekehrt entfällt eine solche Gesellschaftervereinbarung, wenn die Veräußerung des Unternehmens nur durch den Alleingesellschafter (oftmals der Gründer selbst) erfolgt.

16.24

Einerseits können nicht aufgelöste Interessenunterschiede zwischen den Gesellschaftern zu internen Streitigkeiten führen, die den Veräußerungsprozess verzögern und im Extremfall das Scheitern der Transaktion bewirken. Andererseits können einige Gesellschafter zur Durchsetzung von Sondervorteilen ihre Möglichkeiten zur Gefährdung der Transaktion ausspielen, was die Komplexität des Veräußerungsvorganges vergrößert und das Risiko des Scheiterns erhöht.

16.25

Solche Gefahren sind dadurch zu beseitigen, dass rechtzeitig (d.h. vor Aufnahme der Verhandlungen mit der Käuferseite) interne Vereinbarungen zwischen allen Gesellschaftern geschlossen werden, mit denen etwaige Interessenunterschiede zwischen den Gesellschaftern zum Ausgleich gebracht werden. Die Notwendigkeit solcher Regelungen ergibt sich oftmals auch daraus, dass gerade bei einem größeren Gesellschafterkreis nicht alle Gesellschafter direkt an den Verhandlungen beteiligt werden können und diese insoweit auf das Verhandlungsgeschick ihrer verhandelnden Mitgesellschafter und der Transaktionsberater vertrauen müssen. Die verhandelnden Mitgesellschafter oder Transaktionsberater erhalten umgekehrt durch eine Gesellschaftervereinbarung die nötige Sicherheit und das erforderliche Selbstbewusstsein, um die Verhandlungen mit der Gegenseite mit der gebotenen Stringenz führen zu können, ohne sich zusätzlich laufend „nach hinten“ bei ihren Mitgesellschaftern bzw. der eigenen Mandantschaft rückversichern zu müssen.

16.26

2. Verhandlungsführer Gerade bei einer größeren Anzahl von Gesellschaftern ist es wichtig, diejenigen Verhandlungsführer zu bestimmen, die gemeinsam mit den Beratern die Verkaufsgespräche mit der Käuferseite führen. Da für Sach- und Bewertungsfragen regelmäßig Managementerfahrungen hilfreich sind, wird sich der Kreis der Verhandlungsführer4, der erfahrungsgemäß zwei bis 1 2 3 4

Hemel/Link, Zukunftssicherung für Familienunternehmen, S. 127 f. Sadowski/Morlock/Weyand in Müller-Stevens/Kunisch/Binder, Mergers & Acquisitions2, S. 236 ff. Schiessl in Beck’sches M&A-Handbuch, § 1 Rz. 34. Dazu Hölters in Hölters, Handbuch Unternehmenskauf8, Rz. 1.105 u.1.107 f.

Schmidt-Jortzig/Rollin | 1051

16.27

Kap. 16 Rz. 16.27 | Verkauf und Verpachtung des Familienunternehmens

drei Personen nicht übersteigen sollte, vornehmlich auf geschäftsführende und Mehrheitsgesellschafter fokussieren.

16.28

Um den Verhandlungsführern und den Transaktionsberatern die nötige Freiheit und Sicherheit für verlässliche Abreden mit der Gegenseite und letztlich auch den Abschluss des Kaufvertrages zu geben, sollten entsprechende Absicherungen in die Gesellschaftervereinbarung aufgenommen werden. Auch kann der Gegenseite mit einer bestehenden Gesellschaftervereinbarung – die allerdings nie an diese herausgegeben werden sollte – Sicherheit im Hinblick auf die Erfolgschancen der Transaktion vermittelt werden.

16.29

Zunächst sollte die Gesellschaftervereinbarung interne Verkaufspflichten enthalten. Dabei können einzelne Veräußerungsparameter auch über aufschiebende (§ 158 Abs. 1 BGB) oder auflösende Bedingungen (§ 158 Abs. 2 BGB) in das Vertragswerk einbezogen werden. Solche Verpflichtungen, die bei der GmbH nach § 15 Abs. 4 Satz 1 GmbHG der notariellen Beurkundung bedürfen1, wirken indes nur inter partes und haben deswegen den Nachteil, im Zweifelsfall gerichtlich durchgesetzt werden zu müssen, wenn ein Verpflichteter die Erfüllung verweigert.

16.30

Sofern entsprechende Regelungen vorhanden sind und sich genügend Geschäftsanteile in der Hand dominierender Gesellschafter befinden, lassen sich auch herkömmliche Mitverkaufsverpflichtungen (sog. Drag-along-Klauseln) nutzen. Diese finden sich bisweilen in Gesellschaftsverträgen, häufiger jedoch in Gesellschaftervereinbarungen, da diese anders als Gesellschaftsverträge nicht zum Handelsregister eingereicht werden müssen. Diese Klauseln, die oft mit korrespondierenden Mitverkaufsrechten (sog. Tag-along-Klauseln) kombiniert werden, können auch in die genannte Gesellschaftervereinbarung aufgenommen werden.

16.31

Um Unsicherheiten bei der Durchsetzung interner Verkaufsverpflichtungen zu vermeiden, bietet sich die Absicherung durch unwiderrufliche Veräußerungsvollmachten an. Diese können zwar in die Gesellschaftervereinbarung aufgenommen werden, sollten jedenfalls aber auch in separaten Dokumenten vorliegen. Veräußerungsvollmachten haben unmittelbare Wirkung nach außen. Eine (zusätzliche) notarielle Beurkundung ist hierfür nach § 167 Abs. 2 BGB zwar nicht erforderlich,2 jedoch sollte nach Möglichkeit das übliche Formerfordernis einer notariellen Unterschriftsbeglaubigung beachtet werden.

3. Wesentliche Parameter der Transaktion 16.32

Der Inhalt der angesprochenen Gesellschaftervereinbarung variiert je nach Art des Veräußerungsvorganges, sollte aber in jedem Fall wesentliche Parameter enthalten, bei deren Erreichung die Verhandlungsführer zur Aufnahme von Vertragsverhandlungen und später auch zum Abschluss eines Unternehmenskaufvertrages berechtigt sind. Hierzu zählt sicherlich zunächst die Definition des Kaufgegenstandes selbst, m.a.W. ob das Unternehmen im Ganzen veräußert oder gewisse Teile (z.B. eine Immobilie zur späteren Vermietung an den Erwerber) zurückbehalten werden sollen (dazu Rz. 16.96). Ebenfalls essentiell ist die Definition eines – auf einer Unternehmensbewertung beruhenden – Mindestkaufpreises für das Unternehmen, des Weiteren möglicherweise auch wesentlicher Kaufpreisbestandteile und -modalitäten sowie damit in Zusammenhang stehender Finanzierungsfragen, wie etwa der Möglichkeit eines Verkäuferdarlehens oder die eines sog. Earn-Outs. 1 Fastrich in Baumbach/Hueck22, § 15 GmbHG Rz. 30. 2 Vgl. Fastrich in Baumbach/Hueck22, § 15 GmbHG Rz. 23 u. 30.

1052 | Schmidt-Jortzig/Rollin

A. Unternehmensverkauf | Rz. 16.36 Kap. 16 Beispiel: Der Gründungsgesellschafter G, der aus steuerlichen Gründen schon eine Minderheitsbeteiligung an seinem Unternehmen auf seine Kinder E und F übertragen hat, die aber an einer Weiterführung des Unternehmens nicht interessiert sind, möchte sein Unternehmen an Dritte veräußern. Dazu sind auch E und E bereit, aber nur, wenn für das Unternehmen ein Gesamtkaufpreis von mindestens 15 Mio. € erzielt wird, und der Kaufpreis in voller Höhe sofort gezahlt wird. Da ein vorheriger Veräußerungsversuch schon einmal an der Wankelmütigkeit von E gescheitert ist und um bei den Verhandlungen freie Hand zu haben, schließt G eine entsprechende Gesellschaftervereinbarung mit E und F.

16.33

Dabei erscheint es jedoch wichtig, die Regelungstiefe nicht so zu erweitern, dass den Verhandlungsführern kein Raum mehr gelassen wird, auf unvorhergesehene Verhandlungssituationen zu reagieren und im eigenen Ermessen Entscheidungen zu treffen. Die betrifft beispielsweise die Verhandlungen von Garantien sowie Einzelheiten des Haftungsregimes wie sog. caps (dazu Rz. 16.115) und de minimis-Grenzen (dazu Rz. 16.115). Sollte in Einzelfällen ein Interessenwiderstreit bestehen – z.B. weil der verhandelnde geschäftsführende Gesellschafter eine Beteiligung am Erwerbsvehikel des Käufers erhalten soll – können damit in Zusammenhang stehende Fragen unter Zustimmungsvorbehalt gestellt werden.

16.34

4. Projekt- und Kommunikationsstruktur Die vertraglichen Vereinbarungen können um adäquate Projekt- und Kommunikationsstrukturen ergänzt werden. Solche Strukturen können die Transparenz und Legitimität von Veräußerungsprozessen gegenüber Gesellschaftern, die an Verhandlungen nicht beteiligt sind, erheblich erhöhen. Derartige Gespräche unter den Gesellschaftern sind im Zeitpunkt der Planung der Veräußerung unabdingbar, um den Veräußerungsprozess überhaupt beginnen zu können. Jedoch ist die regelmäßige Korrespondenz mit den Mitgesellschaftern auch während des Veräußerungsprozesses sehr sinnvoll, um die Akzeptanz von Verhandlungsergebnissen zu erhöhen, oder Zweifel im Gesellschafterkreis zu klären. Die frühzeitige Einbeziehung aller Gesellschafter erhöht dabei die Möglichkeit, rechtzeitig „in die richtige Richtung“ verhandeln zu können. In der Gesellschaftervereinbarung können deswegen regelmäßige Berichts- und Besprechungsrunden mit den Mitgesellschaftern vereinbart werden, in über den Stand der Verhandlungen informiert und Zweifelsfragen im Gesellschafterkreis diskutiert werden.

16.35

IV. Konkrete Vorbereitung der Veräußerung 1. Überblick Ebenso wichtig wie in der Praxis gelegentlich vernachlässigt ist die konkrete Vorbereitung des Unternehmens auf die Veräußerung. Häufig werden diese Themen erst kurz vor oder gar im Laufe des Verkaufsprozesses angegangen. Dies wird nur in sehr seltenen Fällen den Verkauf an sich verhindern. Der damit einhergehende (Zeit-)Druck kann aber das Abarbeiten erschweren und/oder den Verkäufer zwingen, dem Käufer beim Kaufpreis oder sonst entgegen zu kommen. Hierbei eine Rolle spielen die rechtliche Trennung zwischen Verkäufersphäre und Zielunternehmen (dazu unter Rz. 16.37 ff.) und die Schaffung einer angemessenen Dokumentationslage (dazu unter Rz. 16.45 f.).

Schmidt-Jortzig/Rollin | 1053

16.36

Kap. 16 Rz. 16.37 | Verkauf und Verpachtung des Familienunternehmens

2. Trennung zwischen Verkäufersphäre und Zielunternehmen a) Unternehmenstrennung durch Spaltung

16.37

Gelegentlich soll nicht das Ganze, sondern nur ein Unternehmensteil verkauft werden. Die umwandlungsrechtliche Spaltung (§§ 123 ff. UmwG) erlaubt es dazu, einen Rechtsträger in Teile zu trennen, die dann ein anderer, schon bestehender oder neuer Rechtsträger erhält. Insbesondere die partielle Gesamtrechtsnachfolge, die die Übertragung von Vertragsverhältnissen ohne Zustimmung der Vertragspartner ermöglicht,1 macht die Spaltung attraktiv. Zu beachten ist allerdings die zwingende gesamtschuldnerische Nachhaftung aller beteiligten Rechtsträger fünf Jahre im Anschluss an die Spaltung (§ 133 UmwG). b) Unternehmenstrennung durch vorheriges Herauslösen des verbleibenden Unternehmensteils durch Asset Deal

16.38

Der Verkäufer kann den Unternehmensteil, der bei ihm verbleiben soll, im Wege eines Asset Deals (s. Rz. 16.98) von dem Zielunternehmen kaufen. Durch diesen vorgelagerten Kaufvertrag erwirbt z.B. eine neu gegründete Gesellschaft die Vermögensgegenstände dieses Unternehmensteils. Anschließend kann der Verkäufer die Zielgesellschaft verkaufen und den von ihm gekauften, verbleibenden Unternehmensteil behalten.

16.39

Den Kaufpreis sollte der Käufer aus steuerlichen Gründen (verdeckte Gewinnausschüttung) in der Regel marktüblich gestalten. Das Gleiche gebietet auch die Vorsorge für den Fall, dass die Zielgesellschaft später insolvent wird und ein Insolvenzverwalter versucht, den vor Verkauf durchgeführten Asset Deal anzufechten – kann der Verkäufer beweisen, dass der von ihm gezahlte Kaufpreis marktüblich war, kommt ihm das Bargeschäftsprivileg (§ 142 InsO) zugute.

16.40

Der Käufer wird darauf achten, dass das Zielunternehmen aus dem Asset Deal keine Erfüllungs- und Sekundäransprüche wie z.B. Garantieansprüche treffen und dass beim Zielunternehmen insgesamt keine Verbindlichkeiten aus dem vorher verkauften Unternehmensteil verbleiben. Neben dem Nachweis, dass die Vertragspartner dieses Unternehmensteiles der Übertragung ihrer Verträge zugestimmt haben (s. Rz. 16.99), wird der Käufer in der Regel insoweit eine Freistellung (s. Rz. 16.117) verlangen. c) Unternehmenstrennung durch Behalten des verbleibenden Unternehmensteils beim Asset Deal

16.41

Ist der Unternehmensverkauf als Asset Deal strukturiert (s. Rz. 16.98), kann der Unternehmensteil, der nicht verkauft werden soll, bei dem Rechtsträger bleiben, der als Verkäufer auftritt. Das hat den Charme der Einfachheit. Allerdings haftet der verkaufende Rechtsträger mit seinem ganzen Vermögen, und damit auch mit dem verbleibenden Unternehmensteil, für Garantie- und sonstige Ansprüche des Verkäufers. Will der Verkäufer dies vermeiden, kann er z.B. den Unternehmensteil, den er behalten möchte, abspalten (s. Rz. 16.37) oder diesen in einem konzerninternen Asset Deal (s. Rz. 16.38) verkaufen. Diese Strukturmaßnahmen gegen eine potentielle Insolvenz der Verkäuferin und damit einhergehende Anfechtungsansprüche des Insolvenzverwalters (§§ 129 ff. InsO) abzusichern, bedarf sorgfältiger Planung.

1 Schröer in Semler/Stengel4, § 131 UmwG Rz. 35 ff.

1054 | Schmidt-Jortzig/Rollin

A. Unternehmensverkauf | Rz. 16.45 Kap. 16

d) Zeitlich gestreckte Trennung durch Transitional Services Agreements Trotz aller Trennungsbemühungen bis zum Closing kann das Zielunternehmen auch absehbar noch danach auf Unterstützung aus der Verkäufergruppe angewiesen sein. Die Art dieser Unterstützung ist vielfältig und kann von Buchhaltung über Kundenbetreuung bis hin zu gemeinsamen Bauarbeiten reichen. Deren vertragliche Regelung erfolgt über sog. Transitional Services Agreements, bei denen folgende Punkte besonders wichtig sind:

16.42

(1) Klare Definitionen und Grenzen von Tätigkeiten und Zuständigkeiten. (2) Vergütung. (3) Haftung. Der Verkäufer, der in der Regel kein professioneller Unternehmensdienstleister ist, wird höchstens für Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten (§ 277 BGB) haften wollen, am liebsten aber nur für Vorsatz oder vielleicht noch grobe Fahrlässigkeit. (4) Laufzeit. Der Verkäufer wird darauf drängen, dass seine Tätigkeitspflicht zeitlich begrenzt ist. e) Beendigung von Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen Ist der Verkäufer mit dem Zielunternehmen durch einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag (§§ 292 ff. AktG) verbunden, muss dieser anlässlich des Verkaufs beendet werden. Rechtlich ist der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag nämlich nicht an die Stellung als Gesellschafter gekoppelt. Der Käufer möchte nicht, dass das Unternehmen, für das er bezahlt hat, seine Gewinne weiter an den Verkäufer abführt, und der Verkäufer möchte nicht künftige Verluste des Zielunternehmens ausgleichen (§ 302 Abs. 1 AktG). Wegen der damit verbundenen steuerlichen Folgen wird eine solche Beendigung typischerweise erst spät im Verlauf der Transaktion, z.B. zum Closing, durchgeführt.

16.43

f) Beendigung von Patronatserklärungen Eine ähnliche Verlustausgleichspflicht wie beim Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag trifft den Verkäufer, wenn er gegenüber dem Zielunternehmen eine Patronatserklärung abgegeben hat, sich also schuldrechtlich verpflichtet hat, dieses mit bestimmten Finanzmitteln auszustatten.1 Wenn eine solche Patronatserklärung nicht kündbar oder zeitlich befristet ist oder kraft ausdrücklicher Regelung im Fall eines Unternehmensverkaufs automatisch endet, kann sie erhebliche Probleme bereiten. Über jeder Aufhebung, an der das Zielunternehmen mitwirkt, schwebt nämlich das Damoklesschwert einer künftigen Insolvenzanfechtung (§§ 129 ff. InsO), gerade dann, wenn das Zielunternehmen im zeitlichen Umfeld der Transaktion in Schwierigkeiten steckt. Dies gilt es zu beachten, und die damit verbundenen Schwierigkeiten können die Parteien dazu bringen, statt eines Share Deals einen Asset Deal durchzuführen, weil bei Letzterem eine Beendigung der Patronatserklärung nicht zwingend ist.

16.44

3. Dokumentationslage Professionelle Käufer werden in der Regel vor dem Kauf eine sorgfältige Due-Diligence-Prüfung des Zielunternehmens durchführen (s. Rz. 16.54 ff.). Wesentliche Lücken in der Dokumentation, die ein solcher Käufer entdeckt, führen unweigerlich zu Zeitverzögerungen für die

1 Sprau in Palandt79, Einf. v. § 765 BGB Rz. 21.

Schmidt-Jortzig/Rollin | 1055

16.45

Kap. 16 Rz. 16.45 | Verkauf und Verpachtung des Familienunternehmens

Beantwortung von Fragen, zu zusätzlichen Verkäufergarantien oder gar zu Kaufpreisabschlägen. Es lohnt sich daher, die Due-Diligence-Prüfung zu antizipieren und die Verkäuferberater die bestehende Dokumentation zumindest oberflächlich auf Vollständigkeit durchsehen zu lassen. Will und kann der Verkäufer mehr Ressourcen aufwenden, kann er eine eigene Due Diligence (Vendor’s Due Diligence) durchführen (lassen). Die schriftlichen Ergebnisse einer solchen Prüfung (Vendor’s Due Diligence Report/Legal oder Financial Fact Book) können auch dem Kaufinteressenten zur Verfügung gestellt werden.

16.46

Die folgenden sind häufig aufkommende Themen: (1) Title chain: Insbesondere bei einem Share Deal (s. Rz. 16.981) wird der Käufer darauf Wert legen, eine lückenlose Dokumentation über die Historie der Inhaberschaft sämtlicher Anteile an der Zielgesellschaft haben. Gerade bei sehr alten Unternehmen bereitet bereits das Sammeln der Dokumentation Schwierigkeiten. Fehler bei vergangenen Anteilsabtretungen sind häufiger als man denkt, z.B. Missachtung der Voraussetzungen von Anteilsabtretungen oder fehlende Ergänzungspfleger/familiengerichtliche Genehmigungen (§§ 106 ff., 181, 1629, 1643, 1795, 1822 Nr. 3, 1909 BGB) bei der Aufnahme Minderjähriger in den Gesellschafterkreis. Heilungsmaßnahmen sind häufig komplex. Ein gutgläubiger Erwerb von Geschäftsanteilen ist nur im GmbH-Recht (§ 16 Abs. 3 GmbHG) und im Aktienrecht (§§ 932 ff., 925 Abs. 2 BGB, § 68 Abs. 1 Satz 2 AktG, Art. 16 Abs. 2 WG) möglich, und dort jeweils nur eingeschränkt.1 (2) Dokumentation über konzern-/familieninterne Rechtsbeziehungen: Solange das Unternehmen in Konzern-/Familienhand bleibt, können diese Rechtsbeziehungen häufig sehr einfach geregelt werden. Ein Käufer wird hierzu häufig Fragen stellen und eine genauere Dokumentation erwarten.

V. Ablauf eines M&A-Prozesses 1. Einleitung 16.47

Diese Darstellung zeigt einen typischen Ablauf der aufwendigeren Variante eines M&A-Prozesses, nämlich eines strukturierten Bieterverfahrens mit einem anfangs großen und später immer kleiner werdenden Bieterkreis. Wenn der Bieterkreis kleiner ist oder, was gelegentlich vorkommt, es nur einen Bieter gibt, kann der Verkäufer verschiedene der folgenden Schritte abkürzen oder streichen. Das spart Verkäufer- und Beraterressourcen, macht den Verkaufsprozess aber für die oder den einen Kaufinteressenten weniger wettbewerbsintensiv. Wenn dann der einzige (verbleibende) Kaufinteressent abspringt, muss der Verkäufer den Verkaufsprozess wieder neu beginnen. Der Verkauf wird dadurch nicht einfacher.

2. Teaser 16.48

M&A-Berater und Käufer erstellen zunächst eine knappe, häufig noch anonyme Beschreibung des Zielunternehmens (Teaser), der an einen weiteren Kreis (long list, die später zur short list wird) möglicher Interessenten verschickt wird. Der Teaser soll Interesse am Zielunternehmen wecken, ohne Vertrauliches preiszugeben und evtl. ohne einen allzu eindeutigen Rückschluss auf das Zielunternehmen zu erlauben.

1 Zu Geschäftsanteilen an einer GmbH Seibt in Scholz12, § 16 GmbHG Rz. 57 ff.; zu Aktien Eder, NZG 2004, 107 (108 f.).

1056 | Schmidt-Jortzig/Rollin

A. Unternehmensverkauf | Rz. 16.53 Kap. 16

3. Vertraulichkeitsvereinbarung/Term Sheet Äußert ein Bieter Interesse, wird er als nächstes eine Vertraulichkeitsvereinbarung (auch Non Disclosure Agreement oder NDA) abschließen müssen. Neben der Verpflichtung zur Vertraulichkeit muss ein Bieter häufig zusagen, dass er keine Mitarbeiter des Zielunternehmens abwirbt, die im Prozess erhaltenen Informationen nur für Zwecke des möglichen Unternehmenskaufs verwendet und anschließend zurückgibt/vernichtet. Ob sich der Bieter daran hält, ist allerdings schwer zu kontrollieren, insbesondere bei Wettbewerbern.

16.49

Gelegentlich diskutieren Verkäuferseite und Bieter daher darüber, ob diese Verpflichtungen des Bieters mit einer Vertragsstrafe (§§ 339 ff. BGB) abgesichert sein sollen. Dafür spricht aus Verkäufersicht, dass der Nachweis eines rechtlich ersatzfähigen Schadens (§§ 249 ff. BGB) oft schwierig ist. Bieter empfinden eine Vertragsstrafe dagegen häufig als Ausdruck unnötigen Misstrauens.

16.50

Vor allem dann, wenn es nur einen Bieter gibt, also kein strukturiertes Bieterverfahren stattfindet, werden die vorgenannten Verpflichtungen gelegentlich Teil einer größeren Vereinbarung, in der die Parteien bereits jetzt Eckpunkte der Transaktion festlegen. Hierzu können z.B. die folgenden gehören: fester Kaufpreis oder Kaufpreisformel, Transaktionsstruktur, Garantien, Freistellungen, Exklusivität oder Zeitplan für das weitere Vorgehen bis zum Closing. Solche Vereinbarungen werden auch Term Sheet, Letter of Intent oder Memorandum of Understanding genannt. Bis auf die oben genannten Vertraulichkeitspflichten sind sie typischerweise ausdrücklich nicht rechtlich bindend, weil die Parteien in diesem frühen Stadium meist noch keine solche Bindung eingehen möchten. Wichtige Eckpunkte für die Verhandlungen setzen sie dennoch.

16.51

4. Information Memorandum Anschließend erhalten Bieter eine sehr ausführliche Darstellung des Zielunternehmens (Information Memorandum). Diese beschreibt alle wesentlichen Aspekte wie Tätigkeit, Kunden, Zulieferer, Organisation, Mitarbeiterstruktur, Immobilien, Entwicklung von Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung der Vergangenheit, Ausblick in die Zukunft, (gesellschafts-)rechtliche Organisation und Vertragswesen. Viel mehr als der oberflächliche Teaser kann das Information Memorandum im Hinblick auf eine spätere Haftung des Verkäufers (s. Rz. 18.119) bedeutsam werden. Auch unter diesem Gesichtspunkt, insbesondere zur Vermeidung von Angaben „ins Blaue hinein“, muss es sehr sorgfältig erstellt werden. Dies gilt entsprechend für etwaige Legal oder Financial Fact Books (s. Rz. 18.45), die in diesem Stadium ebenfalls zur Verfügung gestellt werden können.

16.52

5. Indikative Angebote Bieter werden anschließend aufgefordert, ihre Preisvorstellungen in einem schriftlichen indikativen Angebot (Indicative Offer) mitzuteilen. Die Bieter können auch gebeten werden, darin weitere Informationen mitzuteilen, die für die Bieterauswahl von Interesse sind. Beispiele sind die Herleitung des gebotenen Kaufpreises, Einzelheiten der Kaufpreisfestlegung, Details zum Bieter und seinem Konzern, die Herkunft der Mittel für den Kaufpreis, Finanzierungsvorbehalte/Sicherheit der Finanzierung (Beispiel: Einigung mit den kaufpreisfinanzierenden Banken), Gremienvorbehalte oder kartellrechtliche Bedenken. Trotz seiner Bezeichnung als „Angebot“ ist das indikative Angebot kein bindendes i.S.d. § 145 BGB, weil sich in diesem Stadium der Bieter noch nicht festlegen möchte und der Verkäufer dies auch nicht erwarten wird. Schmidt-Jortzig/Rollin | 1057

16.53

Kap. 16 Rz. 16.54 | Verkauf und Verpachtung des Familienunternehmens

6. Due Diligence a) Einleitung

16.54

Der Vergleich der indikativen Angebote erlaubt es dem Verkäufer, den Bieterkreis weiter einzugrenzen. Die Verbliebenen können anschließend zur Due Diligence eingeladen werden. Dies ist eine Prüfung des Zielunternehmens unter verschiedenen, wesentlichen Gesichtspunkten wie finanzielle, rechtliche und steuerliche. b) Sachlicher Umfang

16.55

(1) Die Financial Due Diligence bezieht sich auf die Jahresabschlüsse und die laufende Buchhaltung des Unternehmens. Der Käufer möchte einerseits den Ist-Zustand verstehen. Vor allem aber möchte er die Prognosen des Verkäufers, denen er mit gesunder Skepsis begegnen wird, plausibilisieren. (2) Die Tax Due Diligence gibt dem Käufer ein Verständnis der steuerlichen Gestaltung und Risiken des Zielunternehmens. (3) Durch die Legal Due Diligence soll der Käufer die rechtliche Gestaltung des Zielunternehmens mit seiner Umwelt, wie Gesellschaftern, Arbeitnehmern, Kunden und Zulieferern, verstehen und in diesem Zusammenhang rechtliche Risiken identifizieren. (4) Je nach den Einzelheiten des Unternehmens können andere Aspekte dazu kommen, z.B. eine Environmental Due Diligence mit dem Ziel, Altlasten in Grundstücken zu identifizieren, oder eine Human Resources Due Diligence, um die Mitarbeiterstruktur und -motivation zu erforschen. c) Praktische Gestaltung der Due Diligence

16.56

In der ersten Phase der Due Diligence gewährt der Käufer den Bietern Einsicht in verschiedene Dokumente. Dies geschieht typischerweise in einem sog. elektronischen Datenraum, der genau aufzeichnet, wann welches Mitglied welches Bieterteams welche Dokumente ansieht. Ob Bieter Dokumente aus dem elektronischen Datenraum nicht nur online ansehen, sondern auch ausdrucken dürfen, ist häufig Gegenstand von Diskussionen. Fragen des Bieters werden idealerweise ebenfalls mittels des Q&A-Tools über den elektronischen Datenraum gestellt und beantwortet. Dies kanalisiert den Fragenfluss der verschiedenen Bieter und dokumentiert Fragen und Antworten. Hieran können sich Betriebsbesichtigungen und Fragenrunden mit dem Management der Zielgesellschaft anschließen. Das Engagement von Bietern in der Due Diligence, auch im Vergleich untereinander, erlaubt manchmal Rückschlüsse darauf, ob es einzelnen Bietern wirklich um den Kauf des Zielunternehmens oder eher darum geht, leicht an Informationen zu kommen.

16.57

Der Verkäufer muss insgesamt laufend abwägen, ob und inwieweit ein Zugang zur Zielgesellschaft für einen Bieter, der vielleicht am Ende gar nicht zum Zuge kommt, sinnvoll ist. Rechtlich spielen Geheimhaltungsverpflichtungen unter verschiedenen Gesichtspunkten eine Rolle: (1) Das Zielunternehmen selbst kann gegenüber seinen Vertragspartnern schuldrechtlich zur Verschwiegenheit verpflichtet sein, z.B. gegenüber Arbeitnehmern, Lieferanten, Kunden oder Forschungs- und Entwicklungspartnern. Datenschutzthemen spielen hier eine immer größer werdende Rolle. 1058 | Schmidt-Jortzig/Rollin

A. Unternehmensverkauf | Rz. 16.62 Kap. 16

(2) Gesellschafter eines Unternehmens können aufgrund ihrer Gesellschafterstellung gegenüber der Gesellschaft und/oder gegenüber ihren Mitgesellschaftern zur Verschwiegenheit verpflichtet sein. (3) Organe oder Arbeitnehmer eines Unternehmens sind in der Regel ihrem Arbeitgeber zur Verschwiegenheit verpflichtet. Diesen Vertraulichkeitspflichten gegenüber steht das Interesse von Verkäufern, Bietern und (häufig) der Zielgesellschaft an einem Verkauf, und all dies ist miteinander abzuwägen.1 Nicht zu unterschätzen ist dabei auch die Unruhe, die in der Belegschaft des Zielunternehmens durch wiederholte Betriebsbesichtigungen von Kaufinteressenten entsteht, und die durch solche Besichtigungen faktische Gefährdung der Vertraulichkeit. Diese Abwägung kann dazu führen, den Zugang zu bestimmten Unterlagen und Informationen oder zu den Geschäftsräumen der Zielgesellschaft erst sehr spät zu gewähren.

16.58

d) Motivation für Käufer und Verkäufer Due Diligence kostet viel Zeit und Geld – sowohl für den Bieter, der noch gar nicht sicher ist, ob er am Ende zum Zuge kommt, und für Verkäufer und Zielunternehmen, die „nebenher“ noch das Tagesgeschäft führen müssen.

16.59

Für den Käufer rechtfertigt sich dieser Aufwand dadurch, dass er ein tiefergehendes Verständnis des Zielunternehmens erwirbt und sich nochmals befragen kann, ob Zielunternehmen und indikativer Kaufpreis wirklich zu ihm passen. Dieses Verständnis ermöglicht es den Bietern, möglichst angemessene und attraktive Angebote abzugeben, was den Verkäufer freuen wird.

16.60

Für den Verkäufer ist eine Due Diligence aber auch aus rechtlichen Gründen sinnvoll: Die Rechtsprechung verpflichtet den Verkäufer, dem Käufer Umstände offen zu legen, die für dessen Kaufentscheidung wesentlich sind, und zwar unaufgefordert und richtig und vollständig. Einen Verstoß gegen diese Pflicht sanktioniert die Rechtsprechung mit einer umfassenden Schadensersatzpflicht, die zu weiten Teilen nicht im Unternehmenskaufvertrag abbedungen werden kann (dazu Rz. 16.119). Der Verkäufer sollte dies als Aufforderung verstehen, sich bei der Due Diligence ständig an den Grundsatz „melden macht frei“ zu halten.

16.61

7. Verbindliche Angebote Anschließend sind Bieter aufgefordert, ihre sog. verbindlichen Angebote (confirmatory oder binding offer) abzugehen. Trotz ihrer Bezeichnung sind auch diese kein Angebot i.S.d. § 145 BGB, weil sich ein Bieter auch in diesem Stadium noch nicht rechtlich binden möchte. Dennoch ist das verbindliche Angebot kaufmännisch verbindlicher als das indikative, und vom Bieter wird erwartet, dass er noch konkreter darlegt, welche Schritte bis zum Signing und danach bis zum Closing (s. Rz. 16.73) notwendig sind.

1 Meurer in Beck’sches M&A-Handbuch, § 6.

Schmidt-Jortzig/Rollin | 1059

16.62

Kap. 16 Rz. 16.63 | Verkauf und Verpachtung des Familienunternehmens

8. Auswahl zwischen verschiedenen Bietern 16.63

Idealerweise hat der Verkäufer auch in diesem Stadium noch die Auswahl zwischen verschiedenen Bietern, die alle am Zielunternehmen interessiert sind – dann haben sich Aufwand und Kosten für den bisher betriebenen M&A-Prozess gelohnt. Beispiel:

16.64

Im Laufe eines Bieterverfahrens erhält der Verkäufer V des Unternehmens U drei verbindliche Angebote von verschiedenen Bietern. A ist ein Wettbewerber, den der Verkäufer gut kennt, und der glaubhaft versichert, U und dessen Betriebsstätte am Geburtsort von V dauerhaft zu erhalten. A erklärt, den – im Vergleich zu anderen Bietern mäßigen – Kaufpreis aus sofort verfügbarem Eigenkapital seines Unternehmens aufzubringen. B ist ein Finanzinvestor, der den höchsten Kaufpreis bietet, diesen allerdings zum Teil erst in fernerer Zukunft zahlen möchte (Vendor Loan, s. Rz. 16.93). Das Angebot von B steht außerdem unter dem Vorbehalt, dass ein Konsortium aus drei Banken eine Akquisitionsfinanzierung zur Verfügung stellt; wie sicher das passieren wird, kann V letztlich nicht sicher beurteilen. Es ist absehbar, dass U wirtschaftlich betrachtet im Ergebnis für diese Akquisitionsfinanzierung haften wird, was für U eine nicht unerhebliche Belastung sein wird. C ist schließlich ein ausländisches Großunternehmen, das schlüssig und nachvollziehbar erklärt, dass U unter ihm eine glänzende Zukunft als Konzernteil bevorsteht, was V aber trotz des vertrauenswürdigen Auftretens der Vertreter von C letztlich nicht überprüfen (geschweige denn rechtlich absichern) kann. C erklärt V, dass sein Erwerb von U in vier Ländern bei dem zuständigen Kartellamt anzumelden sei. Dies werde gut zwei Monate dauern, im Ergebnis aber „kein Problem“ sein. Eine Überprüfung dieser Aussage durch die Kartellrechtsanwälte, die V mandatiert hat, scheitert daran, dass sich C nachvollziehbar weigert, V Umsatzzahlen zu C zur Verfügung zu stellen, die diese Kartellrechtler bräuchten, um die Erfolgsaussichten der Kartellanmeldungen beurteilen zu können.

16.65

Bei der notwendigen Auswahl werden sich Verkäufer in diesem und auch in vorherigen Stadien von folgenden Kriterien leiten lassen: (1) Kaufpreis: Kaufpreisgebote, die jeweils aus einer absoluten Zahl bestehen, sind leicht zu vergleichen. Schwieriger wird es, wenn Kaufpreise über einen gewissen Zeitraum, z.B. als Earn Out, gezahlt werden sollen oder sich der Verkäufer rückbeteiligten soll (zu Kaufpreismethoden s. Rz. 16.80 ff.). (2) Finanzierungssicherheit: Ist sichergestellt, dass der Käufer zahlen kann? Falls der Käufer, wie häufig bei Finanzinvestoren, noch eine Fremdfinanzierung aufnehmen muss: Wie wahrscheinlich ist es, dass dies dem Käufer gelingen wird? (3) Due Diligence- und andere Vorbehalte: Gibt es auch in diesem Stadium in der Due-Diligence-Prüfung eines Bieters noch offene Punkte? Hat der Bieter noch andere Vorbehalte? Welche Folgen hätte dies? (4) Transaktionssicherheit: Ist auch unter anderen Gesichtspunkten hinreichend wahrscheinlich, dass die Transaktion mit eben diesem Bieter letztlich und bis einschließlich zum Closing (s. Rz. 16.73) zustande kommt? Muss der Bieter z.B. noch die Zustimmung bestimmter Organe einholen (sog. Gremienvorbehalt) oder ist bei einzelnen Bietern mit Schwierigkeiten oder Verzögerungen bei kartellrechtlichen Genehmigungen zu rechnen? (5) Ziele des Bieters: Was möchte der Bieter mit dem Zielunternehmen anfangen und wie wichtig ist dies dem Verkäufer? Eine schematische oder vorurteilsbehaftete Aufteilung zwischen strategischen Investoren, z.B. Wettbewerbern, oder Finanzinvestoren, wie z.B. Private-Equity-Fonds, verbietet sich. So kann einem Wettbewerber daran gelegen sein, das Unternehmen in das seine zu integrieren und fortzuführen, aber ebenso daran, sich

1060 | Schmidt-Jortzig/Rollin

A. Unternehmensverkauf | Rz. 16.69 Kap. 16

hauptsächlich den Kundenstamm zu sichern und das Unternehmen im Übrigen zu liquidieren. (6) Unternehmenskaufvertrag. Manchmal hat der Verkäufer den Bietern schon frühzeitig, z.B. mit Beginn der Due Diligence, den Entwurf eines Kaufvertrages zur Verfügung gestellt. Dann kann der Käufer Bieter auffordern, zusammen mit ihrem verbindlichen Angebot eine geänderte Fassung (Markup) dieses Entwurfs einzureichen. Der Verkäufer wird darauf drängen, dass darin möglichst wenige präzise und noch weniger allgemeine Vorbehalte enthalten sind (Beispiel: Vorbehalte für durch weitere Due-Diligence-Prüfungen zu erhellende Risiken), damit er die verschiedenen Gebote genau miteinander vergleichen kann. Üblich ist daher die Aufforderung an die Bieter, ihren Markup so zu gestalten, dass er in dieser Form unterschrieben werden könnte – das macht die verschiedenen Angebote auch insoweit vergleichbar. Der Verkäufer wird darauf drängen, dass Bieter spätestens in ihren verbindlichen Angeboten zu all diesen Themen verbindliche Aussagen treffen.

16.66

9. Vertraulichkeit Für alle Beteiligten ist es während des gesamten Prozesses besonders wichtig, Vertraulichkeit zu wahren. Dem Verkäufer ist es wichtig, dass die verschiedenen Bieter zunächst nicht einmal von ihrer gegenseitigen Existenz wissen. Ebenso wichtig ist es für ihn, zu vermeiden, dass Bieter ihre Verhandlungspositionen, insbesondere ihre Kaufpreisangebote, austauschen oder sich gar zu einem Konsortium zusammentun. Auch die Bieter möchten häufig vermeiden, dass ihr Interesse am Zielunternehmen bekannt wird (gerade dann, wenn sie später nicht zum Zuge kommen). Ebenso möchten sie, dass andere Bieter nicht von ihrer Verhandlungsposition erfahren.

16.67

10. Exklusivität? In verschiedenen Stadien eines M&A-Prozesses drängen Bieter gelegentlich darauf, dass der Verkäufer ihnen „Exklusivität“ gewährt. Exklusivität bedeutet, dass der Verkäufer sich verpflichtet, für einen bestimmten Zeitraum nur mit einem Bieter zu verhandeln. Was „verhandeln“ ist, muss dabei sorgfältig definiert werden – die bloße Entgegennahme von Angeboten wird noch nicht darunter fallen, schon schwieriger sind kurze Telefonate oder Gespräche zwischen Tür und Angel. Die Absicherung der Exklusivität mit einer Vertragsstrafe zugunsten des begünstigten Bieters ist möglich, aber selten. Rechtliche Konsequenz eines Verstoßes ist dann nur ein Anspruch des dann enttäuschten Bieters, der nicht zum Zuge gekommen ist, auf Ersatz der (Berater-)Kosten, die er im Vertrauen auf die Exklusivität aufgewendet hat (entsprechend § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB1). Mindestens ebenso schwer wiegt der Vertrauens- und Reputationsverlust, den der Verkäufer im Markt erleiden wird.

16.68

Ob der Verkäufer sich auf den Wunsch des Käufers nach Exklusivität einlässt, ist eine Frage von Verhandlungsposition und -geschick beider Seiten. Ist das Zielunternehmen bis zuletzt heiß umkämpft, wird dies eher nicht in Frage kommen.

16.69

1 Zur Haftung für Abbruch von Vertragsverhandlungen z.B. Grüneberg in Palandt79, § 311 BGB Rz. 30 ff.

Schmidt-Jortzig/Rollin | 1061

Kap. 16 Rz. 16.70 | Verkauf und Verpachtung des Familienunternehmens

11. Kaufvertragsverhandlungen 16.70

Anschließend verhandeln die Parteien über den Unternehmenskaufvertrag (dazu Rz. 16.100 ff.). In einem strukturierten Bieterverfahren wird in der Regel der Verkäufer den ersten Vertragsentwurf vorbereiten, und zwar schon, um sich den späteren Vergleich von Anmerkungen der Bieter zu erleichtern. Ansonsten ist die Frage, wer den ersten Entwurf vorlegt, häufig Gegenstand von Diskussionen, weil jede Seite damit frühe Eckpfeiler in Verhandlungen setzen kann.

16.71

An den Kaufvertragsverhandlungen nehmen immer die Anwälte und typischerweise M&ABerater/Investmentbanker teil. Ob und wann die Parteien selbst mit am Tisch sitzen, ist eine Frage des Einzelfalls. Häufig ist es nicht schlecht, sich wenigstens eine Zeitlang im Hintergrund zu halten. Sind ausreichend Bieter vorhanden und wurde das Bieterverfahren bis hierhin konsequent und erfolgreich durchgeführt, können die Kaufvertragsverhandlungen auch mit mehreren Bietern parallel verlaufen. Dies kann es dem Verkäufer ermöglichen, Bieter bis zuletzt zu Zugeständnissen zu bringen, was den erheblichen Aufwand oft rechtfertigen dürfte.

12. Signing und Closing 16.72

Anschließend folgt die Unterzeichnung oder Beurkundung des Unternehmenskaufvertrages (Signing). In seltenen Fällen wird ein Verkäufer mehrere Unternehmenskaufverträge mit mehreren Bietern abschließen und, z.B. durch einen Gremienvorbehalt, offen lassen, welchen der Verträge er anschließend endgültig vollzieht.

16.73

An das Signing schließt sich das Closing, der dingliche Vollzug des Unternehmenskaufvertrages mit der Zahlung des Kaufpreises, an. Signing und Closing können unmittelbar aufeinander folgen oder mehrere Wochen oder Monate auseinanderliegen, je nachdem, ob und wie viele Vollzugsvoraussetzungen (s. Rz. 16.104) eintreten müssen.

VI. Kaufpreis und Bewertung 1. Wert und Preis a) Grundlagen

16.74

Hauptkriterium für die Auswahl zwischen verschiedenen Bietern sind die angebotenen Kaufpreise. Für das Hintergrundverständnis grundlegend ist zunächst der Unterschied zwischen Wert und Preis. Preis ist dasjenige, was eine Partei der anderen bezahlt. Wert hingegen ist der innere Wert des Unternehmens, der für beide Parteien durchaus unterschiedlich ausfallen kann – aus Käufersicht price is what you pay, value is what you get. Der Verkäufer möchte, dass der Kaufpreis seinen Wert mindestens erreicht – der Käufer möchte, dass der Kaufpreis seinen Wert gerade nicht übersteigt.

16.75

Der Preis ist das Ergebnis der Verhandlungen und bestimmt sich nach Angebot, Nachfrage und dem Verhandlungsgeschick der Beteiligten. Der Wert ist naturgemäß schwieriger zu bestimmen, wobei es nicht an Versuchen mangelt, diesen zu objektivieren. Schwierig bleibt die Unternehmensbewertung dabei immer.

b) Unternehmensbewertung

1062 | Schmidt-Jortzig/Rollin

A. Unternehmensverkauf | Rz. 16.79 Kap. 16

aa) Bewertung künftiger Zahlungen aus dem Unternehmen Weit verbreitet ist eine Schätzung und daraus folgende Bewertung der künftigen Zahlungen, die die Inhaber des Unternehmens aus diesem erhalten. Ihr liegt die Annahme zugrunde, dass der Wert eines Unternehmens in erster Linie von seiner Fähigkeit abhängt, künftig Erträge zu erwirtschaften – daher auch die Bezeichnungen „Ertragswertverfahren“ und „DiscountedCash-Flow-Verfahren“. Dies ist auch die Bewertungsmethode, die dem Standard IDW S 1 des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. (IDW) zugrunde liegt. Auch die Rechtsprechung wendet diese Methode in der Regel an.1 Einzelheiten finden sich in Kapitel 7.

16.76

bb) Multiplikatormethode Auch wegen der Komplexität dieser Art der Bewertung finden sich in der M&A-Praxis häufig sog. Multiplikatoren- oder Multiple-Bewertungen. Dabei wird ein Unternehmen mit einem Vielfachen, dem Multiplikator, einer bestimmten Kennzahl des Unternehmens bewertet. Beispiele für Kennzahlen sind

16.77

– Finanzkennzahlen wie Umsatz, EBIT (häufig), EBITDA, Cash Flow, handelsrechtlicher Jahresüberschuss, oder – andere unternehmensbezogene Kennzahlen wie Kunden, Nutzer oder Klicks auf Internetseiten. Die Vereinfachung gegenüber der komplexen Bewertung künftiger finanzieller Überschüsse eines Unternehmens ist nur vermeintlich – die Musik der Multiplikatormethode spielt in der Festlegung und Begründung von Kennzahl und Multiplikator und in der Berücksichtigung der Besonderheiten des individuellen Unternehmens. Wertvoll und insoweit verbreitet sind Multiplikator-Bewertungen allerdings zum Vergleich mit anderen Transaktionen der jüngeren Vergangenheit, wenn es dabei um vergleichbare Unternehmen ging. Dabei werden sie insbesondere im Rahmen von Preisverhandlungen herangezogen. Daneben eignen sie sich zur Plausibilisierung einer Unternehmensbewertung.2

16.78

cc) Liquidationswert Schließlich kann man ein Unternehmen auch danach bewerten, was ein Verkauf der einzelnen Vermögensgegenstände des Unternehmens, wie in einer klassischen Liquidation (s. Rz. 16.177 ff.), erzielen würde. Zumindest bei lebendigen und wenigstens halbwegs profitablen Unternehmen ist jedoch das Ganze mehr wert als die Summe seiner Teile. Das ist schon deswegen der Fall, weil manche dieser Teile, wie z.B. Mitarbeiter, Kundenstamm oder sonstiger sog. good will, gar keinen eigenen, isolierten Verkaufspreis haben. In den meisten Fällen eignet sich der Liquidationswert daher nur als Kontrollüberlegung – anders kann dies z.B. dauerhaft ertragsschwachen Unternehmen sein.3 Sinnvoll kann die Heranziehung des Liquidationswertes weiterhin dann sein, wenn es um Vermögensgegenstände geht, die das Unternehmen

1 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613-94, NJW 1999, 3769 (3771); BGH v. 8.5.1998 – BLw 18/97, ZIP 1998, 1161 (1165); BGH v. 29.9.1984 – II ZR 256/83, NJW 1985, 192; Karsten Schmidt in MüKo4, § 131 HGB Rz. 140 ff., 143 ff. 2 IDW Standard 1 i.d.F. 2008, Rz. 143. 3 IDW Standard 1 i.d.F. 2008, Rz. 140 f.

Schmidt-Jortzig/Rollin | 1063

16.79

Kap. 16 Rz. 16.79 | Verkauf und Verpachtung des Familienunternehmens

für die Fortführung seines Betriebes nicht braucht. Für die Zwecke der Bewertung kann aus eben diesem Grund häufig unterstellt werden, dass sie zeitnah verkauft werden.1

2. Kaufpreisformeln im Unternehmenskaufvertrag a) Festkaufpreis

16.80

Die einfachste Kaufpreisregelung ist der Festkaufpreis, der sich – vorbehaltlich einer späteren Reduzierung durch Garantien oder Freistellungen – zwischen Signing und Closing, und auch später, nicht mehr ändert.

16.81

Die Bewertung des Käufers basiert dabei häufig auf einen in der Vergangenheit liegenden Stichtag, z.B. den letzten Bilanzstichtag. Dem Käufer wird bei einem festen Kaufpreis besonders daran gelegen sein, dass der Verkäufer dem Zielunternehmen zwischen diesem Stichtag und dem Closing keine Werte entzieht. Das Potential hierfür ist vielfältig und reicht von wenig subtilen offenen Gewinnausschüttungen bis hin zu Boni oder der Zahlung von (zu hohen) Einkaufs- oder Dienstleistungspreisen an Unternehmen, die dem Verkäufer nahestehen, ohne Teil des Zielunternehmens zu sein. Solche Maßnahmen können, müssen aber nicht böswillig sein. Um sich davor zu schützen, wird der Käufer in der Regel darauf bestehen, dass der Verkäufer insoweit sehr harte Locked Box-Garantien abgibt, die darauf zielen, dass der Verkäufer dem Zielunternehmen bis zum Closing keine Werte entziehen (no leakage). Ökonomische Konsequenz des Locked Box-Konzepts ist, dass der Käufer die Gewinne, die das Unternehmen zwischen Bewertungsstichtag und Closing erzielt, erhält, weil der Verkäufer diese nicht an sich ausschütten darf. Insbesondere bei einem langen Zeitraum zwischen Bewertungsstichtag und Closing kann es daher angemessen sein, den Kaufpreis in diesem Zeitraum zu verzinsen.

16.82

Neben dem einfachen Festkaufpreis kennt die M&A-Praxis eine Reihe weiterer Arten, die Gegenleistung, die der Käufer zahlt und der Verkäufer erhält, festzulegen. Die Motivation für solche Regelungen reichen von der Absicherung des Käufers vor jüngeren Veränderungen im Unternehmen bis hin zu dem Überbrücken unterschiedlicher Kaufpreisvorstellungen. b) Variabler Kaufpreis zum Closing – Completion Accounts

16.83

Wenn, wie häufig, sich die Kaufpreisfindung des Käufers auf einen Stichtag bezieht, der vor dem Closing liegt, befürchten Käufer häufig, dass sich die Lage des Zielunternehmens bis zum Closing verschlechtert und der Käufer dann zu viel bezahlt. Eine solche Verschlechterung kann z.B. durch allgemeine Marktschwankungen oder Vorgänge im Zielunternehmen verursacht werden oder dadurch, dass der unternehmerische Elan des Verkäufers durch die bevorstehende Transaktion ermüdet oder zumindest abgelenkt wird. Zwar kann sich das Unternehmen umgekehrt auch besser entwickeln als gedacht, wovon der Käufer dann profitiert. Typischerweise wird ein risikobewusster Käufer aber mehr eine Verschlechterung fürchten als auf eine Verbesserung hoffen; daher sein Wunsch nach einem variablen Kaufpreis.

16.84

Ausgangspunkt einer Formel für einen variablen Kaufpreis sind typischerweise Schwankungen im Geldbestand (Cash) und in der Verschuldung (Debt) des Unternehmens. Dies zur Grundlage einer Formel zu machen, wird dadurch erleichtert, dass Käufer ihrer Bewertung häufig einen Unternehmenswert (Enterprise Value) zugrunde legen, der von der Fiktion aus-

1 IDW Standard 1 i.d.F. 2008, Rz. 59 ff.

1064 | Schmidt-Jortzig/Rollin

A. Unternehmensverkauf | Rz. 16.88 Kap. 16

geht, dass das Zielunternehmen weder über Geldbestand (Cash) noch über Finanzverbindlichkeiten ([Financial] Debt) verfügt (Cash-Free/Debt-Free-Bewertung). Müssen die Parteien dann, um zum endgültigen Kaufpreis zu kommen, diese beiden Größen berücksichtigen, können sie dies auch gleich mit Wirkung zum Closing statt zu einem Stichtag in der Vergangenheit (Beispiel: letzter Bilanzstichtag) tun. Diese Art der variablen Kaufpreisformel funktioniert wie folgt. Ausgangspunkt ist der Enterprise Value, ein fester Geldbetrag.

16.85

(1) Zu diesem wird zunächst der Cash-Bestand des Unternehmens zum Closing addiert. Zum Cash gehören zunächst Kassenbestand und Guthaben bei Kreditinstituten. Weitere Positionen, die dazu gehören können, sind z.B. Steuererstattungsansprüche gegen den Fiskus. (2) Anschließend wird der Debt-Bestand des Zielunternehmens zum Closing abgezogen. Zum Debt gehören klassische, zinstragende Finanzverbindlichkeiten. Weiter dazu gehören können z.B. Verbindlichkeiten aus Finanzierungsleasing oder Steuerrückstellungen. Eine Kaufpreisformel, die nur Cash und Debt zum Closing berücksichtigt, schafft für den Verkäufer Anreize, das Umlaufvermögen des Zielunternehmens und dessen Gegenstücke auf der Passivseite der Bilanz – böswillig oder nicht – zu verändern, um den Kaufpreis künstlich zu erhöhen. So könnte der Verkäufer die Vorräte des Zielunternehmens oder dessen fertige Erzeugnisse abbauen und nicht wieder auf das übliche Normalniveau bringen, um seinen Cash-Bestand zu erhöhen oder mit diesem erhöhten Cash-Bestand sein Debt zu reduzieren. Daneben könnte der Verkäufer dafür sorgen, dass das Zielunternehmen die Rechnungen seiner Lieferanten nicht oder zu spät bezahlt, um auch dadurch den Cash-Bestand zu erhöhen (die damit verbundene Erhöhung der Verbindlichkeiten gegenüber Lieferanten wirkt sich auf das Debt nicht aus, weil diese keine Finanzverbindlichkeiten sind).

16.86

Das bringt die Folgekomplikation einer weiteren Komponente in der Kaufpreisformel mit sich, und zwar einer Anpassung, die an das Umlaufvermögen (Working Capital) ansetzt. Das Umlaufvermögen auf der Aktivseite der Bilanz, insbesondere Vorräte und Forderungen aus Lieferungen und Leistungen, und deren Gegenstück auf der Passivseite, insbesondere Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen, werden zu einem Nettoumlaufvermögen (Net Working Capital) saldiert und mit einer Zielgröße abgeglichen. Ist das Net Working Capital höher als die Zielgröße, erhöht sich der Kaufpreis entsprechend; ist es niedriger, reduziert sich der Kaufpreis entsprechend. Statt einer Zielgröße wird gelegentlich ein Zielkorridor vereinbart, damit sich natürliche Schwankungen des Net Working Capital nicht sofort auf den Kaufpreis auswirken.

16.87

Ergebnis dieser Formel ist der Equity Value, also der Geldbetrag, den der Käufer für das Unternehmen erhält. Trotz ihrer Komplikation und des damit einhergehenden Streitpotentials haben solche variablen Kaufpreisformeln den Anspruch der Gerechtigkeit. Gerade der einfachen Kernformel „mehr oder weniger Cash führt zu mehr oder weniger Kaufpreis“ kann man kaum widersprechen, und das macht es dem Verkäufer schwer, in Verhandlungen dagegen zu argumentieren. Typischerweise wird ein Verkäufer daher auf die Forderung des Käufers nach einer variablen Kaufpreisformel eingehen. Umso mehr muss er darauf achten, im Unternehmenskaufvertrag (s. Rz. 16.100 ff.) ausreichend Kontrolle über die endgültige Kaufpreisfestlegung, die erst nach dem Closing erfolgen kann, zu erhalten. Der Käufer wiederum muss im Kopf behalten, dass auch eine noch so ausgefeilte Kaufpreisformel genauso wenig alle möglichen jüngsten Verschlechterungen des Zielunternehmens abbilden kann wie eine noch so sorgfältig erstellte Bilanz.

16.88

Schmidt-Jortzig/Rollin | 1065

Kap. 16 Rz. 16.89 | Verkauf und Verpachtung des Familienunternehmens

c) Earn Out

16.89

In Kaufpreisverhandlungen zeigt sich häufig, dass Verkäufer und Käufer unterschiedliche Vorstellungen über die künftige Ertragslage des Unternehmens haben. Der Verkäufer wird, gerade wenn er auch für das Zielunternehmen tätig war, diese meist positiv darstellen, während der vorsichtige Käufer eher konservativ rechnen und an (vermeintliche) Risiken denken wird. Die natürliche Informationsasymetrie zwischen beiden Parteien begünstigt dieses Verhalten. Da die künftigen Erträge der wesentliche Bewertungsfaktor sind (s. Rz. 16.76), führt dies in der Regel zu unterschiedlichen Kaufpreisvorstellungen.

16.90

Diesen Dissens an der Wurzel zu packen versucht der Earn Out, bei dem der Käufer einen wesentlichen Teil des Kaufpreises nicht schon bei Closing, sondern erst (deutlich) später zahlt, und zwar dem Grunde und der Höhe nach abhängig davon, wie sich bestimmte Kennzahl(en) im Zielunternehmen nach Closing entwickeln. Grundlage des Earn Outs können z.B. Umsatz, EBIT, EBITDA, Gewinn vor Steuern, Aufrechterhaltung oder Ausbau bestimmter Kundenbeziehungen oder die Einführung erfolgreicher Produkte sein. Der Earn Out kann linear aufgebaut (Beispiel: 20 % des Jahresüberschusses) sein, stufenweise (Beispiel: Erhöhung des Kaufpreises um einen bestimmten Betrag für jede Million Euro Jahresüberschuss) oder ganz digital (Beispiel: Der Kaufpreis erhöht sich um einen bestimmten festen Betrag, wenn der Jahresüberschuss mindestens eine bestimmte Summe erreicht). Einigen müssen sich die Parteien insbesondere über die Laufzeit des Earn Outs. Diese darf einerseits nicht zu kurz sein, damit Ergebnisse nicht zu leicht in spätere Phasen verschoben werden können, andererseits auch nicht zu lang, u.a. weil der Verkäufer die Aussicht haben will, irgendwann an sein Geld zu kommen.

16.91

Auch hier bringt der höhere Gerechtigkeitsanspruch des Earn Outs im Vergleich zum Festkaufpreis Komplikationen und Regelungsbedarf mit sich. Mit oder ohne bösem Willen des Käufers ist der Earn Out inhärent missbrauchsanfällig, weil es der Käufer letztlich in der Hand hat, wie die Kennzahl(en), die Grundlage des Earn Outs sind, ausfallen. Der Verkäufer muss sich daher umfangreich absichern, wozu folgendes gehört: (1) Einsichts- und Kontrollrechte, damit der Verkäufer überprüfen kann, ob die vom Käufer übermittelte Earn Out-Berechnung stimmt. (2) Präzise Definition der Earn-Out-Kennzahlen, die umso weniger manipulierbar sind, umso höher die betreffende Kennzahl in der Gewinn- und Verlustrechnung auftaucht. (3) Verpflichtung des Käufers, das Zielunternehmen als eigenständige Einheit fortzuführen und, insbesondere, kein Geschäft des Zielunternehmens in andere Einheiten, die für den Earn Out irrelevant sind, zu verlagern. (4) Regelung für den Fall, dass der Käufer das Zielunternehmen während der Laufzeit des Earn Out weiter verkauft. Beispiel: Fiktion der vollständigen Zielerreichung für den Earn Out und sofortige Fälligkeit der entsprechenden Kaufpreiskomponente.

16.92

Diese beispielhaften und hier nur angerissenen Punkte zeigen, dass ein Earn Out trotz seines Gerechtigkeitsanspruchs in der Summe viele Nachteile oder zumindest Risiken und Gestaltungsbedarf für den Verkäufer mit sich bringt. Entgegen dem gesetzlichen Leitbild von Leistung und Gegenleistung (§ 320 BGB) gibt dieser das Zielunternehmen ab und erhält dafür einen rein schuldrechtlichen Anspruch auf einen Betrag, der wesentlich von der künftigen unternehmerischen Leistung des Käufers abhängt. Sicherheiten für den Earn-Out-Anspruch des Verkäufers (z.B. Pfandrecht an Anteilen des Zielunternehmens oder Konzern- oder Bank1066 | Schmidt-Jortzig/Rollin

A. Unternehmensverkauf | Rz. 16.96 Kap. 16

garantien) sind wünschenswert, häufig aber nicht durchsetzbar. Der Käufer hingegen erlangt die sofortige unternehmerische Kontrolle, übernimmt aber nur einen Teil des unternehmerischen Risikos. Die Erfahrung zeigt, dass die Hoffnungen, die der Verkäufer in einen Earn Out setzt, häufig enttäuscht werden. Die Höhe des möglichen Earn Outs oder des Gesamtkaufpreises mag den Verkäufer dazu bringen, diese Nachteile in Kauf zu nehmen. d) Vendor Loan Mit dem Earn Out verwandt ist der Vendor Loan, bei dem der Verkäufer einen Teil des Kaufpreises mit oder ohne Verzinsung für einen bestimmten Zeitraum stundet. Gegenüber dem Earn Out fehlt dem Vendor Loan aus Verkäufersicht allerdings die Perspektive, einen Anteil an einer besonders guten Entwicklung der Zielgesellschaft zu haben. Wie bei jedem Darlehen sind beim Vendor Loan Bonität des Schuldners und Werthaltigkeit etwaiger Sicherheiten zu beachten. Ist der Käufer und Vendor-Loan-Schuldner eine reine Akquisitionsgesellschaft, die außer den Anteilen an der Zielgesellschaft keine Vermögenswerte besitzt, dafür aber noch mit einer hohen Akquisitionsfinanzierung belastet ist, ist der Vendor Loan bei Lichte betrachtet für den Verkäufer nichts anderes als ein Earn Out ohne die Vorteile desselben. Auch hier kann ein entsprechend hoher (Gesamt-)Kaufpreis oder ein hoher Zinssatz für den Vendor Loan diese Nachteile rechtfertigen.

16.93

e) Verbleibende Beteiligung des Verkäufers/Rückbeteiligung Unterschiedliche Kaufpreiserwartungen können weiterhin dadurch zueinander finden, dass der Verkäufer eine gewisse, in der Regel Minderheitsbeteiligung, am Zielunternehmen behält. Das gleiche wirtschaftliche Ergebnis wird erreicht, wenn sich der Verkäufer in Zusammenhang mit dem Verkauf am Käufer rückbeteiligt. In Höhe des Anteils, den er behält, wird der Verkäufer auf seinen Kaufpreis verzichten müssen, dafür erhält er aber die Aussicht auf künftige Gewinnausschüttungen und/oder einen Kaufpreisanteil bei einer zukünftigen (Weiter-)Veräußerung des Zielunternehmens durch den Käufer.

16.94

Neben den üblichen Aspekten eines Unternehmenskaufvertrages müssen Käufer und Verkäufer beachten, dass sie hierdurch noch langfristig gesellschaftsrechtlich verbunden sind und bleiben. Im Gesellschaftsvertrag der gemeinsamen Gesellschaft und evtl. einer zusätzlichen Gesellschaftervereinbarung muss diese gemeinsame Verbundenheit rechtlich ausgestaltet werden. Dabei sind insbesondere Minderheitenrechte des Verkäufers und der Fall eines künftigen Weiterverkaufs zu regeln.

16.95

f) Verbleiben von Anlagevermögen beim Verkäufer mit anschließender Vermietung an das Zielunternehmen Ein weiterer Weg, unterschiedliche Kaufpreiserwartungen zu überbrücken, liegt darin, dass der Verkäufer einen Gegenstand des Anlagevermögens von erheblichem Wert behält, um diesen anschließend gegen Entgelt der Zielgesellschaft zu überlassen. Hierfür in Frage kommt insbesondere ein Grundstück, wovon die folgende Darstellung ausgeht. Beim Asset Deal kann die verkaufende Gesellschaft das Grundstück schlicht behalten, muss dabei allerdings beachten, dass es mittelbar für Garantie- oder Freistellungsansprüche des Käufers aus dem Unternehmenskaufvertrag (s. Rz. 16.100) haftet. Beim Share Deal muss das Grundstück vor der Transaktion aus dem Rechtsträger herausgelöst werden, es sei denn, diese Trennung ist

Schmidt-Jortzig/Rollin | 1067

16.96

Kap. 16 Rz. 16.96 | Verkauf und Verpachtung des Familienunternehmens

bereits vorher vollzogen, wenn z.B. Besitz- und Betriebsgesellschaft schon nebeneinander existieren (zu Trennungsmaßnahmen s. Rz. 16.37 ff.).

16.97

Besonders wichtig ist hierbei die Gestaltung des Überlassungsvertrages, der meist ein Mietvertrag ist. Während das Mietverhältnis, wenn es bisher überhaupt existierte, vor dem Unternehmensverkauf vielleicht konzern-/familienintern abgeschlossen und abgewickelt wurde, werden die Interessen von Vermieter und Mieter nach dem Closing gegensätzlich sein. Die üblichen gewerbemietrechtlichen (§§ 535 ff. BGB) Themen wie Mietsicherheit, Instandhaltungs- und Reparaturverpflichtungen, Nebenkosten, Kündigungsfristen, Verlängerungsoptionen u.a. sind zu beachten.

VII. Transaktionsstruktur – Share Deal oder Asset Deal 16.98

In rechtlicher Hinsicht ist beim Unternehmensverkauf zwischen den zwei grundlegend verschiedenen Transaktionsstrukturen Share Deal und Asset Deal zu unterscheiden. (1) Beim Share Deal verkauft und überträgt der Verkäufer (nur) sämtliche Anteile an dem Rechtsträger, dem das Unternehmen gehört. Der Rechtsträger geht als Ganzes vom Verkäufer auf den Käufer über. Das Unternehmen bleibt, rechtlich betrachtet, von der Transaktion grundsätzlich unberührt. (2) Beim Asset Deal verkauft und überträgt der Rechtsträger, der das Unternehmen betreibt (dies kann eine juristische Personen, eine Personengesellschaft oder auch ein Einzelunternehmer sein), diejenigen einzelnen Gegenstände, die zum Unternehmen gehören, insbesondere Sachen, andere Gegenstände, Vertragsverhältnisse und Verbindlichkeiten. Der verkaufende Rechtsträger verbleibt mit unverändertem Gesellschafterkreis beim Verkäufer, der ihn anschließend z.B. liquidieren kann (s. Rz. 16.177 ff.). Die Technik der Übertragung der einzelnen Gegenstände ist unterschiedlich. Das Eigentum an Sachen wird nach den allgemeinen Regeln des Sachenrechts übertragen (§§ 929 ff., 873 ff. BGB). Forderungen und andere Rechte werden abgetreten (§§ 398, 413 BGB). Verbindlichkeiten und Vertragsverhältnisse als Ganzes werden durch Schuld- und Vertragsübernahmen übertragen. Diese Übernahmen setzen nach allgemeinem Schuldrecht die Zustimmung des jeweiligen Vertragspartners voraus, die bei besonders wichtigen Verträgen zur Vollzugsbedingung werden kann (s. Rz. 16.104). Werden Zustimmungen nicht erteilt, vereinbaren Käufer und Verkäufer, dass sie sich schuldrechtlich und im Innenverhältnis untereinander so stellen, als ob die Zustimmung erteilt worden wäre. Kombinationen der beiden Transaktionsstrukturen sind möglich und häufig. So kann etwa ein Unternehmen mit Tochtergesellschaften im Rahmen eines Asset Deals verkauft werden; diese Tochtergesellschaften sind dann einerseits Teil der verkauften Assets, die ihrerseits in einzelnen Share Deals verkauft werden.

16.99

Welche Transaktionsstruktur zu wählen ist, ist eine grundlegende Frage, die frühzeitig geklärt werden sollte. Beide Alternativen haben Vor- und Nachteile, so dass man nicht pauschal von einer besseren oder schlechteren sprechen kann, und zwar sowohl aus Käufer- als auch aus Verkäufersicht. Folgende Aspekte spielen bei der Strukturentscheidung häufig eine Rolle – nicht selten dominieren bei einer Transaktion einer oder wenige von ihnen, die entscheidend sind.

1068 | Schmidt-Jortzig/Rollin

A. Unternehmensverkauf | Rz. 16.99 Kap. 16 Thema

Asset Deal

Share Deal

1.

Übertragung von Vertragsverhältnissen des Zielunternehmens mit Dritten (z.B. Kunden, Lieferanten).

Vertragsübertragung, die nach allgemeinem Zivilrecht der Zustimmung des Dritten bedarf.1 Zustimmungen besonderes wichtiger Vertragspartner können Closing Condition werden.

Vertragsverhältnisse des Zielunternehmens mit Dritten bleiben unberührt. Ausnahme: Change of ControlKlauseln in Verträgen; Umgang damit Frage des Einzelfalls.

2.

Vertragstechnik im SPA.

Alle Vermögensgegenstände, die verkauft werden, müssen deutlich bezeichnet werden (sachenrechtlicher Bestimmtheitsgrundsatz).2

(Nur) die Anteile am Zielunternehmen müssen übertragen und im Unternehmenskaufvertrag bezeichnet werden.

3.

Auswahl der zu übertragen- Käufer kann aussuchen, den Vermögensgegenstän- welche Vermögensgegende. stände er übernimmt („Rosinen rauspicken“); der Rest verbleibt bei dem Verkäufer.

Käufer muss grundsätzlich alle Aktiva und Passiva des Zielunternehmens übernehmen, auch unbekannte Verbindlichkeiten.

4.

Arbeitnehmer.

Bei Betriebsübergang3 gehen sämtliche Arbeitsverhältnisse auf den Käufer über. Ausführliche Unterrichtung der Arbeitnehmer notwendig und bedeutsam.4 Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer.

Arbeitsverhältnisse verbleiben bei dem Zielunternehmen und gegen mit diesem über.

5.

Pensionsverpflichtungen.

Pensionsverpflichtungen gegenüber derzeitigen Arbeitnehmern gehen auf den Käufer über; Pensionsverpflichtungen gegenüber ausgeschiedenen Arbeitnehmern verbleiben bei dem Verkäufer.5

Pensionsverpflichtungen verbleiben bei dem Zielunternehmen und gegen mit diesem über.

6.

Organe (z.B. Vorstände, Geschäftsführer, Aufsichtsräte oder Beiräte).

Organe und ihre Dienstverhältnisse bleiben bei dem Verkäufer; abweichende Vereinbarung mit Organen möglich.

Organe und ihre Dienstverhältnisse gehen mit dem Zielunternehmen über; etwaige Change of ControlKlauseln in Dienstverträgen zu beachten.

1 Grüneberg in Palandt79, § 398 BGB Rz. 42. 2 Herrler in Palandt79, § 930 BGB Rz. 2 ff. 3 Zum Begriff des Betriebes BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 375/96, NZA 1998, 249; Müller-Glöge in MüKo8, § 613a BGB Rz. 15 ff. 4 Weidenkaff in Palandt79, § 613a BGB Rz. 38 ff.; Müller-Glöge in MüKo8, § 613a BGB Rz. 106 ff. 5 Weidenkaff in Palandt79, § 613a BGB Rz. 18 ff.

Schmidt-Jortzig/Rollin | 1069

Kap. 16 Rz. 16.99 | Verkauf und Verpachtung des Familienunternehmens 7.

Öffentlich-rechtliche Geneh- Anlagenbezogene Genehmigungen. migungen, z.B. Baugenehmigungen, gehen typischerweise auf den Käufer über. Bei Genehmigungen, die an eine bestimmte Person, insbesondere deren Zuverlässigkeit, geknüpft sind (z.B. Gaststättengenehmigung, § 2 Abs. 1 Satz 1 GastG, s. § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG) kann dagegen eine Neubeantragung notwendig werden.1

Öffentlich-rechtliche Genehmigungen bleiben grundsätzlich unberührt; nur in Ausnahmefällen ist Wechsel im Gesellschafterkreis relevant (z.B. § 2c KWG).

8.

Subventionen, die das Zielunternehmen erhalten hat.

Einzelfallprüfung, ob Rückforderungsrisiko aufgrund des Verkaufs besteht, notwendig. Asset Deal kann insoweit riskanter sein.

Einzelfallprüfung, ob Rückforderungsrisiko aufgrund des Verkaufs besteht, notwendig. Share Deal kann insoweit weniger riskant sein.

9.

Steuern2

Sowohl aus Käufer- (Abschreibungspotential) als auch Verkäufersicht (Versteuerung des Kaufpreises) zu prüfen.

Sowohl aus Käufer- (Abschreibungspotential) als auch Verkäufersicht (Versteuerung des Kaufpreises) zu prüfen.

10.

Beteiligungen des Zielunter- Beteiligungen müssen wie nehmen an weiteren Unter- andere Vermögensgegennehmen. stände einzeln übertragen werden; Einhaltung gesellschaftsrechtlicher Übertragungsvoraussetzungen notwendig

Beteiligungen gehen mit Zielunternehmen über; Einhaltung gesellschaftsrechtlicher Übertragungsvoraussetzungen nicht notwendig.

11.

Datenschutz.

Dateninhaber bleibt unverändert das Unternehmen; Verkauf kann weniger kritisch sein.

Verkauf kann Unterrichtung oder Zustimmung von Vertragspartnern (z.B. Kunden) erfordern.

VIII. Der Unternehmenskaufvertrag 1. Einleitung 16.100

Rechtliches Herzstück des Unternehmensverkaufs ist der Unternehmenskaufvertrag, je nach Transaktionsstruktur auch SPA (Share Purchase Agreement) oder APA (Asset Purchase Agreement) genannt. Wenn nicht sogar notariell beurkundet (§ 15 Abs. 4, 3 GmbHG oder beim Asset Deal z.B. § 311b Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 BGB), wird ein solcher Vertrag typischerweise schriftlich abgeschlossen und erreicht mit seinen Anlagen leicht einen Umfang von deutlich über hundert Seiten.

1 Schmidt-Kötters in Beck’sches M&A-Handbuch, § 76 Rz. 26 (Share Deal), 27 ff. (Asset Deal). 2 Scheifele in Beck’sches M&A-Handbuch, § 25 (Share Deal), § 26 (Asset Deal).

1070 | Schmidt-Jortzig/Rollin

A. Unternehmensverkauf | Rz. 16.104 Kap. 16

2. Vertragssprache und anwendbares Recht In der Wahl der Vertragssprache sind die Parteien frei. Auch dann, wenn es um deutsche Unternehmen geht, werden Verträge häufig auf Englisch gestaltet, wenn z.B. auch nur ein Bieter oder eine der finanzierenden Banken aus dem englischsprachigen Raum kommt. Deutsches Rechts und Rechtsfiguren in englischer Sprache zu formulieren und zu verhandeln, ist für den Berater Herausforderung und Ansporn zugleich.

16.101

Das anwendbare Recht ist bei dem Verkauf eines deutschen Unternehmens typischerweise das deutsche. Das liegt dran, dass sich die dingliche Übertragung von Anteilen (Share Deal) an deutschen Gesellschaften nach deutschem internationalen Privatrecht zwingend nach deutschem Recht richtet.1 Das Gleiche gilt nach Art. 43 Abs. 1 EGBGB für in Deutschland bewegliche oder unbewegliche Sachen, die sich in Deutschland befinden (Asset Deal). Das hindert – nicht nur nach dem deutschen Abstraktionsprinzip – die Parteien nicht daran, das schuldrechtliche Grundgeschäft, also den Kaufvertrag im engeren Sinne, einem anderen Recht zu unterstellen. Die Rechtswahlfreiheit im internationalen Schuldrecht (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Rom-I-VO2) lässt dies zu. Dies schafft allerdings wiederum Folgeprobleme der genauen Abgrenzung zwischen Verkauf und Übertragung des Zielunternehmens. Insgesamt ist daher die Vereinbarung ausländischen Rechts eher nicht die Regel.

16.102

(Gegen-)Beispiel: Ein US-amerikanisches Unternehmen soll im Wege eines Asset Deals verkauft werden. Neben Vermögensgegenständen in den USA, die den Großteil seines Wertes ausmachen, hält es wesentliche Beteiligungen an deutschen und französischen Tochtergesellschaften. Um nicht drei verschiedene Kaufverträge zu erstellen und wegen der hier dominierenden Bedeutung des amerikanischen Rechts würde man hier einen „großen“, schuldrechtlichen Unternehmenskaufvertrag abschließen, für den das Recht eines US-Bundesstaates gilt. Die deutschen und französischen Beteiligungen würden dann gesellschaftsrechtlich nach ihrem jeweiligen Recht übertragen, und zwar je nach Struktur des „großen“ Unternehmenskaufvertrages und den beteiligten Rechtsordnungen im Unternehmenskaufvertrag selbst oder in einem getrennten, „kleinen“ Übertragungsvertrag (s. auch Rz. 16.106).

16.103

3. Vollzugsbedingungen und Vollzug Mit dem Abschluss des Unternehmenskaufvertrages bringen beide Parteien ihren Willen zum Ausdruck, das Zielunternehmen vom Verkäufer auf den Käufer zu übertragen. Häufig stehen dem endgültigen dinglichen Vollzug des Verkaufs, bei dem das Zielunternehmen übertragen wird und der Käufer den Kaufpreis zahlt (Closing), noch Hindernisse im Weg. Diese finden sich im Kaufvertrag als Vollzugsbedingungen oder Closing Conditions wieder. Häufig sind Folgende: (1) Zustimmungen der Kartellämter in einer oder mehreren Jurisdiktionen, in denen eine Anmeldung erforderlich ist. Ob das der Fall ist, richtet sich nach dem Umfang der Tätigkeit der beteiligten Unternehmen in der jeweiligen Jurisdiktion, und zwar nach Umsatz oder anderen Kriterien (für Deutschland: § 35 GWB). Häufig übernimmt es die Käuferseite, die Anmeldungen zu den verschiedenen Kartellämtern vorzubereiten, einzureichen und die Gebühren dafür zu zahlen. Regelungsbedürftig ist, ob die Parteien, vor allem der 1 Z.B. BGH v. 29.1.2003 – VIII ZR 155/02, NJW 2003, 1607; zu den genauen Anforderungen und den europarechtlichen Details s. z.B. Kindler in MüKo7, BGB, Bd. 12, Teil 10 Rz. 420. 2 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht.

Schmidt-Jortzig/Rollin | 1071

16.104

Kap. 16 Rz. 16.104 | Verkauf und Verpachtung des Familienunternehmens

Käufer, verpflichtet sein soll, etwaige Bedingungen oder Auflagen eines Kartellamtes zur Freigabe umzusetzen. (2) Gremienvorbehalte, z.B. die Zustimmung des Aufsichtsrates oder der Hauptversammlung/Gesellschafterversammlung einer Partei. Solche Vorbehalte sind bei der jeweils anderen Partei unbeliebt, weil sie oft schwer überprüfen kann, ob oder zumindest warum eine solche Zustimmung erteilt oder verweigert wird. (3) Zustimmungen oder sonstige Erklärungen Dritter. Beispiele: Erklärung eines Subventionsgebers, gewährte Subventionen nicht zurückzufordern; Zustimmung eines wichtigen Kunden oder Zulieferers zur Vertragsübertragung beim Asset Deal; Erklärung eines wichtigen Vertragspartners, nicht von einem Kündigungsrecht aufgrund eines Change of Control-Rechtes Gebrauch zu machen. (4) Abschluss von Änderungs- oder neuen Arbeits- oder Dienstverträgen mit bestimmten Managern oder Mitarbeitern, durch die der Käufer sicherstellt, dass diese zumindest mittelfristig im Zielunternehmen tätig sind. (5) Heilung von Problemen, die in der Due Diligence identifiziert wurden, z.B. die Einholung noch fehlender gesellschaftsrechtlicher Zustimmungen für vergangene Anteilsübertragungen oder die Behebung bestimmter Baumängel. (6) Wirksamwerden bestimmter Carve-out-Maßnahmen, z.B. eine Aufteilung des Zielunternehmens oder die Beendigung bestehender Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge (s. Rz. 16.430). (7) Nichteintritt eines Material Adverse Change (MAC). Damit sichert sich der Käufer gegen eine wesentliche Verschlechterung des Zielunternehmens im Zeitraum zwischen Signing und Closing ab, in dem er in diesem Fall ein Rücktrittsrecht hat. Beispiele für ein MAC können das Abbrennen der Betriebsstätte des Zielunternehmens oder ein Black Friday an den weltweiten Aktienmärkten sein. Der Verkäufer wird sich gegen eine MAC-Klausel häufig wehren, weil sie seinem Ziel, mit Abschluss des Kaufvertrages größtmögliche Sicherheit über den Verkauf zu haben, zuwiderläuft. (8) Richtigkeit von Garantien und/oder keine anderen Vertragsverletzungen des Verkäufers. Auch solche Vollzugsbedingungen sind aus Verkäufersicht ungeliebt. (9) Finanzierungsvorbehalt auf Käuferseite. Ist der Käufer bei Signing noch nicht sicher, ob er den Kaufpreis aufbringen kann, kann er versuchen, sich ein Rücktrittsrecht für den Fall zu sichern, dass das Zustandekommen der Finanzierung scheitert.

16.105

Bei allen Vollzugsbedingungen ist im Kopf zu behalten und zu regeln, welche Partei welche Verpflichtungen im Hinblick auf das Erreichen der Vollzugsbedingungen übernimmt, und ab welchem Zeitpunkt der Verkauf endgültig gescheitert ist, wenn die Vollzugsvoraussetzungen bis dahin nicht vorliegen (Long Stop Date).

16.106

Der dingliche Vollzug des Unternehmensverkaufs kann sich in zwei Varianten vollziehen. Die dingliche Übertragung kann bereits im Unternehmenskaufvertrag vereinbart sein und steht dann unter den aufschiebenden Bedingungen des Eintritts der Vollzugsvoraussetzungen und der Zahlung des Kaufpreises. In diesem Fall muss der Käufer nach Eintritt der Vollzugsvoraussetzungen nur noch zahlen, und der Übergang des Unternehmens erfolgt dann automatisch. Bei der anderen Variante wird das Unternehmen in getrennten, typischerweise deutlich kürzeren Vertrag übertragen, der auf den vorher abgeschlossenen Unternehmenskaufvertrag Bezug nimmt. Diese Übertragung erfolgt ebenfalls Zug um Zug gegen Zahlung des Kauf1072 | Schmidt-Jortzig/Rollin

A. Unternehmensverkauf | Rz. 16.111 Kap. 16

preises. Für den Abschluss dieses neuen Vertrages treffen sich die Parteien oder ihre Vertreter häufig erneut. Nach dem Vollzug unterschreiben die Parteien gelegentlich ein Closing Protocol, in dem sie zu Beweiszwecken deklaratorisch festhalten, dass das Closing stattgefunden hat, und das dem Käufer als Quittung (§ 368 BGB) über die Kaufpreiszahlung dient.

4. Kaufpreis Die Pflicht des Käufers zur Kaufpreiszahlung ist bei einem Festkaufpreis leicht zu regeln. Bei variablen Kaufpreisen oder Earn-Out-Regelungen (s. Rz. 16.83 ff.) ist dagegen ein relativ umfangreicher Festlegungs- und Streitbeilegungsmechanismus notwendig.

16.107

Typisches Beispiel: Der Käufer erstellt eine Kaufpreisberechnung erstellen und übermittelt diese dem Verkäufer. Der Verkäufer kann diese dann überprüfen, wobei ihm Auskunfts- und Einsichtsrechte in das Zielunternehmen, das ihm dann nicht mehr gehört, zustehen. Innerhalb einer bestimmten Frist kann der Verkäufer Einwendungen geltend machen. Einigen sich die Parteien hierüber nicht, entscheidet ein neutraler Wirtschaftsprüfer, der entweder bereits im Unternehmenskaufvertrag benannt wurde oder auf Antrag einer Partei bestellt wird, z.B. vom Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. oder einer (Industrie- und) Handelskammer. Ein solcher Wirtschaftsprüfer ist Schiedsgutachter (§§ 317 ff. BGB) und nicht Schiedsrichter (§§ 1029 ff. ZPO), weil er über Tat- und nicht über Rechtsfragen entscheidet.

16.108

Der Verkäufer wird schließlich wünschen, dass der Käufer gegen seine Kaufpreisansprüche nicht aufrechnen oder Zurückbehaltungsrechte geltend machen kann, damit er den Kaufpreis tatsächlich erhält.

16.109

5. Gewährleistung, Garantien und Freistellungen a) Gewährleistung Wäre vertraglich nichts anderes vereinbart, würden sich Ansprüche des Käufers wegen etwaiger Mängel des Unternehmens nach dem Kaufrecht des BGB richten (§§ 434 ff. BGB). Deren Voraussetzungen und Rechtsfolgen passen aus verschiedenen Gründen jedoch nicht für Unternehmenskäufe: Da jedes Unternehmen anders ist, gibt es kaum eine übliche Beschaffenheit (§ 434 Abs. 1 BGB). Das Rücktrittsrecht des Käufers bei schwereren Mängeln (§§ 323, 437 Nr. 2 BGB) ist praktisch kaum durchführbar, weil jedes Unternehmen lebt und sich dauernd verändert, gerade nach einem Inhaberwechsel. Es lässt sich daher nicht wie ein Auto gegen Wertersatz (§ 346 BGB) zurückgeben. Üblich ist daher Folgendes:

16.110

(1) Das kaufrechtliche Mängelgewährleistungsrecht und alle anderen Rechte des Käufers, die in Zusammenhang mit Eigenschaften des Zielunternehmens stehen, werden soweit gesetzlich zulässig ausgeschlossen. (2) Stattdessen vereinbaren die Parteien einen Katalog von Garantien und Freistellungen mit eigens geregelten Rechtsfolgen. b) Garantien: Inhalt Garantien sind im BGB nicht ausdrücklich geregelt, sondern werden aufgrund der Vertragsfreiheit (§ 311 Abs. 1 BGB) von den Parteien vereinbart. Der Begriff „Garantie“ impliziert bereits, dass sie, anders als im Kaufrecht des BGB (§§ 276, 280 Abs. 1 Satz 2, 437 Nr. 3), eine

Schmidt-Jortzig/Rollin | 1073

16.111

Kap. 16 Rz. 16.111 | Verkauf und Verpachtung des Familienunternehmens

Haftung des Verkäufers auch ohne Verschulden begründen, was typischerweise ausdrücklich klargestellt wird.

16.112

Wozu und mit welchem genauen Inhalt Garantien abgegeben werden, ist Verhandlungssache. Gegenstand solcher Verhandlungen sind häufig Garantien zu folgenden Themen. (1) Wirksame gesellschaftsrechtliche Gründung der Zielgesellschaft und andere grundlegende gesellschaftsrechtliche Verhältnisse. (2) Inhaberschaft an den verkauften Anteilen (Share Deal) oder anderen Vermögensgegenständen (Asset Deal) (sog. Title-Garantie). Diese Garantie schützt das Interesse des Käufers, für seinen Kaufpreis eine Gegenleistung zu erhalten, und gegen sie kann sich der Verkäufer selten wehren. (3) Erstellung der jüngsten Jahresabschlüsse der Zielgesellschaft nach anwendbaren Rechnungslegungsvorschriften, z.B. HGB und Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung (GoB) oder International Financial Reporting Standards (IFRS). Weil diese typischerweise Grundlage der Bewertung des Zielunternehmens durch den Käufer sind, sind auch diese Garantien üblich. Schwieriger wird es für den Verkäufer, wenn er die objektive Wahrheit und Vollständigkeit der Jahresabschlüsse, z.B. in Bezug auf Verbindlichkeiten (harte Bilanzgarantie) garantieren soll. (4) Werthaltigkeit und Zustand des Anlagevermögens. (5) Abschließende Auflistung von allen Rechtsgeschäften zwischen Verkäufern und Zielgesellschaft, insbesondere im Zeitraum zwischen letztem Bilanzstichtag und Closing (no leakage/locked box, s. Rz. 16.81). (6) Inhaberschaft an und Zustand von Grundbesitz. (7) Keine Verstöße gegen Umweltrecht und keine Altlastenhaftung. (8) Auflistung bestimmter Verträge, die aufgrund ihrer Art oder ihres Volumens besonders wichtig für das Zielunternehmen sind. (9) Führung des Geschäftsbetriebs in Übereinstimmung mit öffentlichem Recht, insbesondere mit sämtlichen notwendigen öffentlich-rechtlichen Genehmigungen. (10) Vollständige Auflistung aller Arbeitnehmer, Organe und freien Mitarbeiter der Zielgesellschaft; vollständige Erfüllung aller vergangenen (Zahlungs-)Ansprüche gegenüber Mitarbeitern; vollständige Auflistung aller Pensionsverbindlichkeiten. (11) Keine Verstöße gegen Kartellrecht und keine sonstigen Compliance-Verstöße wie z.B. Antikorruptionsrecht. (12) Vollständige Auflistung aller erhaltenen Subventionen. (13) Vollständige Auflistung aller (angedrohten) Rechtsstreitigkeiten; keine Produkthaftungsansprüche. (14) Vollständige Auflistung aller Versicherungen.

16.113

Ob sich die Garantien nur auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages (verkäuferfreundlich) oder daneben auch auf den Zeitpunkt des Closings (käuferfreundlich) beziehen, wird typischerweise für jede Garantie einzeln besprochen. Das Gleiche gilt für die Frage, ob die Garantien oder einzelne davon – trotz ihrer Verschuldensunabhängigkeit – unter dem

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A. Unternehmensverkauf | Rz. 16.115 Kap. 16

Vorbehalt der Kenntnis oder des Kennenmüssens bestimmter Personen wie z.B. der Verkäufer abgegeben werden. Der Begriff „Garantien“ suggeriert gelegentlich, dass mit der Abgabe einer Garantie eine Äußerung des Käufers dahingehend verbunden ist, dass die Garantie richtig ist, und dass ein Garantieverstoß damit zugleich eine Art automatischen (moralischen) Vorwurf gegen den Verkäufer mit sich bringt. Richtiger ist es, in den Garantien eine reine (Rück-)Allokation bestimmter Risiken, die der Käufer mit dem Unternehmen erwirbt, auf den Verkäufer zu sehen. Diese Frage wird dann relevant, wenn der Käufer dem Verkäufer vorwirft, arglistig gehandelt zu haben (dazu Rz. 16.119).

16.114

c) Garantien: Rechtsfolgen Kernfunktion der Garantien ist, dass sie dem Käufer für den Fall eines Verstoßes gegen eine Garantie einen Anspruch auf Schadensersatz geben. Die Details dieser Rechtsfolge werden im Unternehmenskaufvertrag detailliert geregelt, und sie sind noch wichtiger als die Inhalte und Voraussetzungen der Garantien (dazu Rz. 16.112). Wenn ein Verkäufer, wie so häufig, mit einem (subjektiv) riesigen Garantiekatalog des Käufers konfrontiert wird, kann er einerseits versuchen, diese Garantien mühsam einzeln „weg zu verhandeln“. Wenn es dem Verkäufer aber andererseits gelingt, durch eine angemessene Rechtsfolgenregelung gleichsam die Spitze des Trichters eng zu halten, kann er auch umfangreicheren Garantiekatalogen gelassen entgegen sehen. Folgende Themen spielen hier eine Rolle: (1) Art des Schadensersatzes. Häufig ist der Verkäufer ähnlich §§ 249 ff. BGB primär verpflichtet, Naturalrestitution zu leisten, und, wenn diese nicht erfolgt oder nicht möglich ist, Schadensersatz in Geld. Ein solcher Anspruch erstreckt sich zunächst darauf, den unmittelbaren Schaden zu kompensieren. Beispiel: Wenn bestimmte Vorräte trotz einer entsprechenden Garantie fehlen, liegt es nahe, einen Anspruch des Käufers in Höhe des Einkaufspreises dieser Vorräte anzunehmen. Weitreichender, und potentiell teurer für den Verkäufer, wird es, wenn der Käufer einen Schaden daraus herleitet, dass ihm wegen der fehlenden Vorräte außerdem Umsätze und Gewinne entgangen sind oder sogar in Zukunft entgehen werden, etwa weil ein Großkunde verärgert abgesprungen ist. Das BGB gewährt dem Geschädigten großzügig den vollen Schadensersatz einschließlich entgangenen Gewinns (§ 252). Der Verkäufer wird versuchen, seine Ersatzpflicht für einzelne Schadensarten wie mittelbare oder Folgeschäden oder entgangenen Gewinn abzubedingen. (2) Üblich und wichtig ist eine Haftungsobergrenze (cap) für den Verkäufer. Aus dessen Sicht sollte diese zunächst nicht höher als der erhaltene Kaufpreis sein, damit der Verkäufer am Ende nicht noch draufzahlt. Üblich sind in Relation zum Kaufpreis noch deutlich niedrigere Obergrenzen, zumindest für einen Teil der Garantien, z.B. 10-50 % des Kaufpreises. (3) Entgegen der dreijährigen Regelverjährung (§ 195 BGB) ist es üblich, die Verjährung der Garantieansprüche so zu wählen, dass der Käufer nach dem Closing ein oder zwei Jahresabschlüsse des Zielunternehmens aufstellen kann, wobei die meisten Garantieansprüche ans Licht kommen. Bestimmte Grundlagengarantien werden davon häufig ausgenommen und verjähren erst nach längerer Zeit, z.B. nach fünf bis zehn Jahren.

Schmidt-Jortzig/Rollin | 1075

16.115

Kap. 16 Rz. 16.115 | Verkauf und Verpachtung des Familienunternehmens

(4) Um teure Streitigkeiten über Kleinigkeiten zu vermeiden, ist es üblich, Ansprüche erst ab einer bestimmten Schadenshöhe durchsetzbar zu gestalten (de minimis). Häufig findet sich noch eine weitere Untergrenze, die alle geltend gemachten Ansprüche zusammen erreichen müssen, damit der Käufer Ansprüche durchsetzen kann (Freigrenze, Freibetrag oder Basket). (5) Ansprüche aufgrund von Sachverhalten, die der Käufer kennt oder aufgrund der Due Diligence kennen musste, sind häufig von den Garantien ausgenommen, wobei Voraussetzungen und Folgen meist intensiv diskutiert werden. (6) Der Umgang mit Garantieverletzungen, die aufgrund von Ansprüchen Dritter entstehen, ist häufig Gegenstand von Diskussionen. Beispiel: Ein Kunde macht Gewährleistungsansprüche gegen das Zielunternehmen geltend, und der Käufer nimmt den Verkäufer daher aus einer Garantie in Anspruch. Hier sei unterstellt, dass der Käufer mit seiner Inanspruchnahme des Verkäufers dem Grunde nach im Recht ist, weil der Verkäufer z.B. garantiert hat, dass es solche Gewährleistungsansprüche nicht gibt. Der Verkäufer wird also Schadensersatz leisten müssen, und zwar indem er den Käufer oder das Zielunternehmen von der Gewährleistungsverbindlichkeit gegenüber dem Kunden freistellt. Der Verkäufer wird aber fürchten, dass der Käufer in einem solchen Fall gegenüber seinem Kunden allzu kulant ist, um sich bei dem Verkäufer schadlos zu halten. Der Käufer wiederum möchte nicht, dass sich der Verkäufer in Gespräche mit (wichtigen) Kunden einmischt. Im Unternehmenskaufvertrag wird die Freistellungsverpflichtung des Verkäufers um bestimmte Mitwirkungsrechte bei der Abwicklung der Forderung Kunde-Zielunternehmen ergänzt.

(7) Den Käufer kann die Obliegenheit treffen, den Verkäufer unverzüglich oder innerhalb einer bestimmten Frist über Garantieverstöße zu informieren. (8) Ob bei Garantieverstößen mehrere Verkäufer als Gesamtschuldner (§§ 426 ff. BGB, käuferfreundlich) haften oder nur als Teilschuldner pro rata des Kaufpreisteils, den sie erhalten haben (verkäuferfreundlich), ist Verhandlungssache. Beispiel:

16.116

Drei Brüder A, B und C verkaufen ihr Unternehmen, das ihnen zu gleichen Teilen gehört. A zieht nach dem Closing in die Karibik. B überträgt wesentliche Teile seines Vermögens (insolvenzanfechtungssicher) auf seine Ehefrau und verjubelt den Rest. C behält seinen bisherigen Wohnsitz in Deutschland. Haften A, B und C als Gesamtschuldner, kann sich der Käufer im Falle einer Garantieverletzung allein an C halten, der wiederum sein Geld anteilig bei A und B zurückholen muss (§ 426 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BGB).

d) Freistellungen

16.117

Wie die Garantien gewähren Freistellungen dem Käufer Ansprüche für den Fall, dass bestimmte Risiken im Zielunternehmen eintreten; je nach Ausgestaltung sind die Grenzen zwischen beiden fließend. Verallgemeinert dienen die Garantien der Absicherung von Risiken, bei denen die Parteien begründet hoffen, dass sie nicht bestehen. Bei Freistellungen hingegen geht es um Risiken, deren Eintritt nicht sicher ist (sonst könnte der Käufer gleich einen niedrigeren Kaufpreis bieten), aber doch wahrscheinlicher ist. In dieser Logik ist es konsequent, dass der bei Garantien gelegentlich zu findende Haftungsausschluss für Themen, die der Käufer kennt, nicht gilt. Überhaupt werden häufig viele der haftungsbeschränkenden Rechtsfolgenregelungen, die für die Garantien gelten, bei Freistellungen ausgeschlossen, weil diese das 1076 | Schmidt-Jortzig/Rollin

A. Unternehmensverkauf | Rz. 16.120 Kap. 16

entsprechende Risiko ganz dem Verkäufer aufbürden sollen. Häufig bilden Freistellungen Themen ab, die in der Due Diligence aufgetaucht sind. Beispiele: (1) Steuern jeder Art bis (spätestens) zum Vollzugstag, es sei denn, diese sind bereits in die Unternehmensbewertung des Käufers eingeflossen, etwa weil für sie eine Rückstellung im letzten Jahresabschluss gebildet wurde. (2) Kosten der Sanierung von Altlasten auf Grundstücken des Zielunternehmens. (3) Risiken aus einem laufenden Ermittlungsverfahren. (4) Mögliche Rückzahlung von Subventionen aufgrund des Unternehmensverkaufs. (5) Zahlungsansprüche, die Vertragspartner des Zielunternehmens in Zusammenhang mit einer Change of Control-Klausel geltend machen. e) Verbleibende Haftung des Verkäufers bei Vorsatz Insgesamt erhält ein Verkäufer, der gut verhandelt hat, ein Haftungspaket, das die Risiken des Zielunternehmens nach dem Closing in weiten Teilen dem Käufer aufbürdet. Die – praktisch nicht vorkommende – Anwendung der Mängelgewährleistungsansprüche des BGB würde sich dagegen in den meisten Fällen deutlich käuferfreundlicher auswirken. Das ist nicht etwa ein Zeichen dafür, dass M&A-Markt oder -Beratungspraxis besonders verkäuferfreundlich sind, sondern in der (auch internationalen) Praxis das Spiegelbild davon, dass der Käufer mit dem Zielunternehmen zusammen auch dessen unternehmerische Chancen kauft und es daher angemessen ist, wenn er damit auch dessen Risiken übernimmt.

16.118

Diese ausgewogenen und von der Praxis immer wieder im Detail fein ausgearbeiteten Lösungen werden gelegentlich ausgehebelt, wenn der Käufer mit dem Zielunternehmen unzufrieden ist und Ansprüche außerhalb der vereinbarten Garantien und Freistellungen geltend macht. Den Schlüssel dafür liefert – trotz des vertraglichen Ausschlusses solcher Ansprüche – § 276 Abs. 3 BGB, wonach die Haftung des Schuldners für vorsätzliche Pflichtverletzungen nicht im Voraus ausgeschlossen werden kann. Der Verkäufer, der bei Vorsatz – und dem rechtlich praktisch austauschbaren Begriff „Arglist“1 – denkt, dass er nur für Extremfälle gilt, ist oft überrascht, wie weitreichend, und aus Praktikersicht oft erstaunlich käuferfreundlich, die Rechtsprechung diesen Begriff interpretiert. Stichworte wie „Angaben ins Blaue hinein“2, „Pflicht zum unaufgeforderten Aufklären“3, „gesteigerte Aufklärungspflicht beim Unternehmensverkauf“4 oder die Zurechnung von Wissen Dritter5 führen zu einer sehr weiten Ausdehnung des Vorsatzbegriffs. Schützen kann sich der Verkäufer dagegen nicht im Unternehmenskaufvertrag, sondern durch eine aktive Gestaltung der Due Diligence. Insgesamt ist diese Einschränkung der Vertragsfreiheit zugunsten des Käufers bedenklich, aber von der Praxis hinzunehmen.

16.119

Als Rechtsfolge einer solchen Arglist steht dem Käufer eine ganze Palette von Rechten zur Verfügung, die von Anfechtung (§ 123 Abs. 1 BGB) über Kaufrecht (§ 437 BGB) bis zum Deliktsrecht reicht (§ 826 BGB). Sehr häufig machen unzufriedene Käufer Ansprüche auf

16.120

1 2 3 4 5

Ellenberger in Palandt79, § 123 BGB Rz. 11. Armbrüster in MüKo8, § 123 BGB Rz. 16. BGH v. 28.11.2001 – VIII ZR 37/01, NJW 2002, 1042 (1043). BGH v. 28.11.2001 – VIII ZR 37/01, NJW 2002, 1042 (1043). OLG Düsseldorf v. 16.6.2016 – 6 U 20/15, NZG 2017, 152 (154 ff.).

Schmidt-Jortzig/Rollin | 1077

Kap. 16 Rz. 16.120 | Verkauf und Verpachtung des Familienunternehmens

Schadensersatz in Form einer Reduzierung des Kaufpreises geltend, sie die auf Verschulden bei Vertragsverhandlungen stützen. Der Höhe nach ist ein solcher Anspruch darauf gerichtet, den Kaufpreis auf das zu reduzieren, was ein verständiger Käufer ohne Täuschung gezahlt hätte.1 f) Versicherbarkeit der Garantien

16.121

Garantiestreitigkeiten sind, wie viele Streitigkeiten, für die Parteien lästig: Bevor der Käufer rechtliche Schritte einleitet, muss er mit dem Zielunternehmen schon sehr unzufrieden sein, und gerade dann sollte er seine Energie eigentlich darauf konzentrieren, dieses zu führen. Der Verkäufer dagegen hat eigentlich schon mit dem Zielunternehmen abgeschlossen und möchte lieber den Kaufpreis genießen. Manchmal sind Verkäufer bei Streitigkeiten faktisch oder rechtlich für den Käufer kaum mehr greifbar, so die Privatperson, die sich im Ausland zur Ruhe setzt, oder der Private Equity-Fonds, der mit Ende seiner Laufzeit sein Geld an seine Anleger ausgeschüttet hat.

16.122

Dies führt zu der Idee, Ansprüche des Käufers gegen den Verkäufer aus Garantieverletzungen zu versichern (sog. Warranties & Indemnities oder W&I-Insurance). Die Versicherung übernimmt gegen eine Prämie dieses Risiko. Auch wenn es, wie für Versicherungen typisch, das komplette Rundum-Sorglos-Paket nicht oder nicht zu bezahlbaren Preisen gibt, erfreuen sich W&I-Versicherungen zunehmender Beliebtheit.

6. Sicherheiten für Käufer und Verkäufer 16.123

Die verschiedenen Ansprüche der Parteien werfen die Frage auf, wie diese abgesichert werden. Für den Verkäufer geht es vor allem um seine Kaufpreisansprüche. Soweit er den Kaufpreis bereits am Closing erhält, ist er dadurch abgesichert, dass die Übertragung des Unternehmens in der Regel unter der aufschiebenden Bedingung der Kaufpreiszahlung erfolgt (s. Rz. 16.106). Wenn der Käufer dann nicht zahlt, schützt dies den Verkäufer aber nur vor dem Verlust des Unternehmens, sichert aber nicht den Zahlungsanspruch selbst oder Schadensersatzansprüche ab. Aus Verkäufersicht empfiehlt sich daher eine Personalsicherheit, z.B. Bürgschaft (§§ 765 ff. BGB) eines solventen Schuldners wie einer Konzernmutter oder, häufig noch sicherer, einer soliden Bank. Dies ist insbesondere wichtig, wenn, wie häufig, Käuferin im Rechtssinne ein leeres Akquisitionsvehikel ist. Noch wichtiger ist eine solche Absicherung für den Verkäufer, wenn er sein Geld erst nach Closing bekommt, wie bei einem Earn Out oder einem Vendor Loan (s. Rz. 16.89 ff.). In diesem Fall können auch Sicherheiten am Zielunternehmen, zum Beispiele Pfandrechte an den Geschäftsanteilen, sinnvoll sein. Oft sind allerdings allzu weitreichende Wünsche des Verkäufers in diese Richtung nicht durchsetzbar, z.B. weil Sicherheiten für Banken, die die Akquisitionsfinanzierung des Käufers stellen, vorrangig sind (so typisch bei Private Equity-Käufern).

16.124

Der Käufer möchte vor allem etwaige Garantie- oder Freistellungsansprüche absichern. Neben Personalsicherheiten kommt vor allem die Zahlung eines Teils des Kaufpreises, z.B. 10 % oder 20 %, auf ein Treuhandkonto in Betracht. Der Treuhänder, z.B. ein Notar, verwahrt dieses Geld für einen bestimmten Zeitraum, z.B. 18 Monate nach Closing, und zahlt es anschließend an den Verkäufer aus, wenn nicht der Käufer bis dahin Ansprüche geltend macht.

1 Zum Unternehmenskauf BGH NJW 1977, 1536 (1538); allgemein z.B. Grüneberg in Palandt79, § 311 BGB Rz. 57.

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A. Unternehmensverkauf | Rz. 16.126 Kap. 16

7. Verhaltenspflichten zwischen Signing und Closing Der Zeitraum zwischen Signing und Closing ist für alle Beteiligten, einschließlich des Zielunternehmens und seine Mitarbeiter, ein schwieriger Schwebezustand. Zumindest bei rechtlich zwingenden Vollzugsvoraussetzungen wie kartellrechtlichen Genehmigungen ist dies jedoch nicht zu vermeiden. Der Käufer wird besonders darauf achten wollen, dass das Unternehmen in diesem Zeitraum so weitergeführt wie bisher, dass aber der Verkäufer keine wesentlichen strategischen Entscheidungen trifft, ohne dass der Käufer einverstanden ist. Üblich ist in diesem Zeitraum daher ein Katalog von Geschäften, die das Zielunternehmen nur vornehmen darf, wenn der Käufer vorher zustimmt. Einem allzu engen Katalog Grenzen setzen einerseits das Kartellrecht, weil die Parteien den Vollzug des Unternehmenskaufs nicht vor der behördlichen Zustimmung vorweg nehmen dürfen1, andererseits je nach Rechtsform die Unabhängigkeit der Verwaltung des Zielunternehmens (z.B. § 76 Abs. 1 AktG). Verstöße gegen diese Pflicht wird ein Käufer deutlich sanktioniert sehen wollen. Das ist für den Verkäufer auch zumutbar, wenn der Katalog zustimmungspflichtiger Geschäfte nicht zu umfangreich und hinreichend konkret ist.

16.125

8. Streitbeilegung Im Unternehmenskaufvertrag ist zu regeln, wo und wie die Parteien Streitigkeiten beilegen. Zentrale Weichenstellung ist die Frage, ob Schieds- oder staatliche Gerichte entscheiden sollen. Schiedsgerichte haben den Anspruch, schnell und zügig zu arbeiten. Die freie Auswahl der Schiedsrichter durch die Parteien soll besonderen Sachverstand und Expertise sicherstellen. Es gibt grundsätzlich nur eine Instanz, was zumindest für deren Gewinner erfreulich ist und der Geschwindigkeit dient. Schiedsverfahren sind, anders als die mündliche Verhandlung vor staatlichen Gerichten, nicht öffentlich. Schiedsrichter können in englischer Sprache Beweis erheben und verhandeln, während staatliche Gerichte in der Regel deutsch sprechen (§ 184 Satz 1 GVG). Entscheidungen staatlicher Gerichte sind in ihrem Staat sofort vollstreckbar, während Schiedssprüche erst für vollstreckbar erklärt werden müssen (§§ 1060 f. ZPO). Dafür sind Schiedssprüche im Ausland manchmal leichter vollstreckbar als Entscheidungen staatlicher Gerichte. Die Entscheidung für Schieds- oder staatliche Gerichte entzieht sich insgesamt schematischen Lösungen. Folgende Themen sind jeweils zu beachten: (1) Bei staatlichen Gerichten wird die internationale Zuständigkeit typischerweise dem anwendbaren Recht folgen. Vor staatlichen Gerichten über Verträge zu streiten, die einem anderen Recht unterliegen, ist aufgrund des internationalen Privatrechts zwar möglich, aber kaum zweckmäßig. Die örtliche Zuständigkeit liegt dann zweckmäßiger beim Zielunternehmen oder an einer neutralen, gut erreichbaren Großstadt. Die entsprechende Gerichtsstandsvereinbarung ist in den Unternehmenskaufvertrag aufzunehmen; sie muss den allgemeinen prozessualen Anforderungen (§ 38 ZPO, Art. 25 EuGVO2) genügen.3 (2) Bei Schiedsgerichten dominieren die großen Schiedsinstitutionen wie der International Court of Arbitration bei der International Chamber of Commerce (ICC) oder die Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS). Die entsprechende Schiedsklausel ist, alternativ zur Gerichtsstandsvereinbarung, in den Unternehmenskaufvertrag aufzunehmen

1 Meyer-Sparenberg in Beck’sches M&A-Handbuch, § 43 Rz. 79. 2 VO (EU) Nr. 1215/2012 vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. 3 Ausführlich Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht7, § 9.

Schmidt-Jortzig/Rollin | 1079

16.126

Kap. 16 Rz. 16.126 | Verkauf und Verpachtung des Familienunternehmens

(wichtige Ausnahme: § 1031 Abs. 5 Satz 3 ZPO, der bei Verbrauchern eine gesonderte Schiedsvereinbarung verlangt). Typischen Regelungen in einer Schiedsklausel sind neben der Wahl einer Schiedsinstitution Schiedsort, Zahl der Schiedsrichter und Verfahrenssprache.1

16.127

Bei allem müssen die Parteien im Kopf behalten, dass sie ein Urteil oder einen Schiedsspruch eventuell später im Ausland für vollstreckbar erklären lassen müssen.

IX. Tätigkeit des Verkäufers nach dem Closing 16.128

Gelegentlich wünscht der Käufer, dass der Verkäufer noch eine Zeitlang im Unternehmen tätig ist. Diese Tätigkeit kann sowohl als Organ, z.B. Geschäftsführer, Vorstand oder Beirat, ausgeübt werden, oder, für den Verkäufer unter Haftungsaspekten rechtlich günstiger, als Berater. Der Verkäufer wird darauf achten, dass Umfang und Ausgestaltung der Tätigkeit klar umrissen sind und dass er für etwaige Fehler möglichst nicht haftet. Typischerweise liegt es im Interesse aller Beteiligten, die Dauer der Tätigkeit klar zu befristen.

16.129

Neben solchen Tätigkeiten wird der Käufer im Unternehmenskaufvertrag vereinbaren wollen, dass der Verkäufer für einen gewissen Zeitraum ab Closing nicht in Wettbewerb mit dem Zielunternehmen tritt (Wettbewerbsverbot). Dahinter steckt das legitime Interesse des Käufers, dass der Verkäufer sein Wissen über das Unternehmen und seine Branchenkenntnisse und -kontakte nicht zu Lasten des Zielunternehmens ausnutzt. Neben der unmittelbaren Tätigkeit wird typischerweise auch die Beteiligung an Wettbewerbsunternehmen untersagt, wovon Kleinbeteiligungen an börsennotierten Unternehmen wiederum meist ausgenommen werden. Die damit verbundene Einschränkung der Freiheit des Verkäufers ist nur dann kartellrechtlich (§ 1 GWB) und zivilrechtlich (§ 138 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG) haltbar, wenn sie sachlich, räumlich und zeitlich auf das Notwendige beschränkt ist.2 Ob ein solches Wettbewerbsverbot durch eine Vertragsstrafe abgesichert wird, ist Verhandlungssache. Dafür spricht, dass Schadenseintritt und -höhe für den Käufer schwer nachweisbar sind.

B. Unternehmensverpachtung I. Die Unternehmenspacht als Instrument der Unternehmensnachfolge 1. Zulässigkeit und Vertragstypus 16.130

Zwar ist die Unternehmenspacht zivilrechtlich nicht eigens geregelt, jedoch steht außer Zweifel, dass ein Unternehmen Gegenstand eines Pachtvertrags sein kann.3 Das ergibt sich schon aus zahlreichen Vorschriften innerhalb und außerhalb des BGB. Beispielhaft sei auf die §§ 583a, 596b, 1822 Nr. 4 BGB, 22 Abs. 2 HGB und § 292 Abs. 1 Nr. 3 AktG hingewiesen.

16.131

Den Unternehmenspachtvertrag charakterisiert, dass eine Vertragspartei – der Verpächter – der anderen Vertragspartei – dem Pächter – auf schuldrechtlicher Grundlage ein Unternehmen zeitweise gegen Entgelt überlässt und der Pächter dadurch in die Unternehmerstellung

1 Ausführlich Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht7, § 29. 2 S. z.B. Kübler/Oest, KSzW 2011, 47; Müller/Thiede, EuZW 2017, 246. 3 S. die Rechtsprechungsübersicht bei Schaub in Staudinger, 2013, § 581 BGB Rz. 66.

1080 | Schmidt-Jortzig/Rollin

B. Unternehmensverpachtung | Rz. 16.135 Kap. 16

des Verpächters einrückt, ohne dass dieser die Inhaberschaft an dem Unternehmen verliert.1 Typischerweise führt der Pächter das Unternehmen in eigenem Namen und für eigene Rechnung fort; er trägt das unternehmerische Risiko. Die Einzelheiten der rechtlichen Einordnung der Unternehmenspacht sind Gegenstand akademischer Debatten und sollen an dieser Stelle nicht vertieft werden.2 Die nachfolgende Darstellung, die sich auf die wesentlichen Grundlagen beschränken muss, soll den Regelungsbedarf, die Fallstricke und der Besonderheiten der Unternehmenspacht an folgendem einfachen Beispiel illustrieren:

16.132

Die Holzspielzeuge Hamburg GmbH (H-GmbH), deren alleinige Gesellschafterin die G ist, produziert Holzspielzeug und beschäftigt rund 30 Arbeitnehmer. Die H-GmbH ist Eigentümerin eines Grundstücks in Hamburg, auf dem sie eine Betriebsstätte unterhält. G, der auch alleiniger Geschäftsführer der H-GmbH ist, ist 60 Jahre alt und hat eine 16 Jahre alte Tochter (C). Er möchte sich aus dem laufenden Geschäft zurückziehen, gleichwohl jedoch der C den Einstieg in das Unternehmen ermöglichen, wenn und sobald sie hierzu bereit ist. Auf der Spielwarenmesse in Nürnberg lernt er den D kennen, der alleiniger Gesellschafter der D-GmbH ist. D trägt sich mit dem Gedanken, im Holzspielzeug-Geschäft Fuß zu fassen, und regt an, dass die H-GmbH ihren Betrieb der D-GmbH zur Nutzung überlasse.

16.133

2. Motiv- und Interessenlage Für die pachtweise Überlassung eines Unternehmens können verschiedene Gründe sprechen.3 In Nachfolgezusammenhängen ist ein Motiv hervorzuheben: Mit der Verpachtung des Unternehmens kann der Inhaber eine Nachfolge geordnet vorbereiten, ohne entweder selbst verantwortlich zu bleiben oder das Unternehmen endgültig „herzugeben“4, zumal die Pacht die am Kapitalmarkt für den Gegenwert des Unternehmens erzielbare Rendite regelmäßig übersteigen wird. Für den Pächter ist es vorteilhaft, dass er – jedenfalls im Vergleich zum Erwerb des Unternehmens – i.d.R. ohne größere Investitionen am Markt teilnehmen kann und ihm dafür eine erprobte und funktionierende Einheit zur Verfügung steht.

16.134

Der Charakter der Unternehmenspacht als zeitweiser Überlassung bestimmt die Interessenlage der Parteien. Dem Verpächter ist daran gelegen, am Ende der Pachtzeit ein brauchbares Unternehmen zurückzuerhalten. Das setzt – wenngleich eine generelle Betriebspflicht ausdrücklich vereinbart werden sollte5 – voraus, dass der Pächter das Unternehmen während der Vertragslaufzeit fortführt und dafür erforderlichenfalls Investitionen tätigt, Produktionsabläufe anpasst und optimiert sowie die Belegschaft verstärkt oder abbaut. Diese Themen bedürfen allein wegen der nur fragmentarischen gesetzlichen Regelung vertraglicher Abreden.

16.135

1 S. Schaub in Staudinger, 2013, § 581 BGB Rz. 64; Klein-Blenkers in Dauner-Lieb/Langen3, Anh. zu §§ 581–597 BGB Rz. 1. 2 S. den Überblick bei Dörmer, Die Unternehmenspacht, S. 29. 3 Schaub in Staudinger, 2013, § 581 BGB Rz. 67; s. auch Niggemann/Simmert, NWB-BB 07/2010, 215. 4 Klein-Blenkers in Dauner-Lieb/Langen3, Anh. zu §§ 581–597 BGB Rz. 6; Hübner in Sudhoff5, § 76 Rz. 3; Krause, MittRhNotK 1990, 237 (238). 5 Eine generelle Betriebspflicht trifft den Pächter nämlich grundsätzlich nicht, s. Schlinker in BeckOK, 1.9.2017, § 581 BGB Rz. 105; Kern, Pachtrecht, § 581 BGB Rz. 257. Das gilt auch, wenn die Parteien die Pacht nach dem von dem Pächter erzielten Umsatz bemessen (BGH v. 4.4.1979 – VIII ZR 118/78, NJW 1979, 2351 [2352]); ausführlich Schaub in Staudinger, 2013, § 581 BGB Rz. 286-289; a.A. Bauermeister in Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK8, § 581 BGB Rz. 59; für i.d.R. konkludent vereinbarte Betriebspflicht Wolf/Eckert/Ball10, Rz. 1701.

Schmidt-Jortzig/Rollin | 1081

Kap. 16 Rz. 16.136 | Verkauf und Verpachtung des Familienunternehmens

3. Alternative Gestaltungsinstrumente a) Optionen des Unternehmers

16.136

Die Unternehmenspacht stellt nicht die einzige Gestaltungsmöglichkeit zur Nachfolgevorbereitung dar. Der Unternehmer kann Dritte auch auf anderem Wege in die Führung seines Unternehmens einbinden. b) Unternehmensnießbrauch

16.137

Der Nießbrauch verschafft dem Nießbraucher gegenüber dem Pächter ein nicht nur obligatorisch, sondern dinglich wirkendes Nutzungsrecht. Es werden zwei verschiedene Formen des Nießbrauchs unterschieden, deren Wirkungen erheblich voneinander abweichen. Der sog. Ertrags- oder Quotennießbrauch bewirkt keinen wirtschaftlichen Unternehmerwechsel. Dem Nießbraucher werden je nach vertretener Auffassung nur die Unternehmenserträge mit dinglicher Wirkung zugesprochen oder er erwirbt bloß einen schuldrechtlichen Anspruch auf den Gewinnanteil.1 Bedeutender für die Abgrenzung zur Unternehmenspacht ist der sog. Vollnießbrauch. Hier werden unter Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes alle Einzelgegenstände (auch „Assets“) des Unternehmens mit einem Nießbrauch belastet (vgl. § 1085 Satz 1 BGB) und der Nießbraucher tritt wirtschaftlich und mit Blick auf die Assets in die Unternehmerstellung des Nießbrauch-Bestellers ein.2 Dabei wird er aber nicht Vollrechtsinhaber sondern erwirbt lediglich dingliche Rechte an den Assets. Die Unternehmenspacht ist dem so beschriebenen Vollnießbrauch sehr weit angenähert, dieser ist aber in der rechtstechnischen Umsetzung herausfordernder3; etwa ist der Nießbrauch an einem zum Unternehmen gehörenden Grundstück nach den allgemeinen Erwerbsvoraussetzungen in das Grundbuch einzutragen (§§ 873 Abs. 1, 1030 Abs. 1 BGB).4 Das dem Nießbrauch zugrunde liegende Kausalgeschäft kann ferner gem. § 311b Abs. 3 BGB beurkundungspflichtig sein.5 c) Fremdmanagement

16.138

Schaltet der Unternehmer Dritte in die Unternehmensführung ein (Fremdmanagement), ändert dies nichts an seiner Unternehmerstellung. Das Fremdmanagement ist lediglich durch dienstvertragliche Abreden und ggf. erforderliche organschaftliche Bestellungsakte in die Unternehmensführung einbezogen. Der Unternehmer wird hier zu erwägen haben, ob er sich von der Hinzunahme Dritter auf Führungsebene dieselben Vorteile versprechen kann, wie von der langfristigen Überantwortung seines Unternehmens in die Hände eines fähigen Pächters. Möchte der Unternehmer weitreichende Mitwirkungsrechte bei der künftigen Führung des Unternehmens behalten, ist der Rückgriff auf ein Fremdmanagement-Modell gegenüber der Entscheidung für die Unternehmenspacht sicherlich die passendere Wahl. 1 In diesem Zusammenhang ist vieles streitig s. die Erläuterungen bei Heinze in Staudinger, 2017, § Anh. zu §§ 1068, 1069 BGB Rz. 29; Pohlmann in MüKo7, § 1085 BGB Rz. 14; Stenger in Sudhoff5, § 34 Rz. 9. 2 Karsten Schmidt, Handelsrecht6, § 5 III Rz. 58; Vossler in Oetker6, Anh. §§ 25-28 HGB Rechtsgeschäftliche Unternehmensübertragungen Rz. 61; zu den Einzelheiten Pohlmann in MüKo7, § 1085 BGB Rz. 16-29. 3 „Der Unternehmensnießbrauch kann als verdinglichte Unternehmenspacht bezeichnet werden.“, Karsten Schmidt, Handelsrecht6, § 5 III Rz. 58. 4 Klein-Blenkers, Das Recht der Unternehmenspacht, S. 55. 5 Hierzu und zur „Bausch und Bogen“-Rechtsprechung des RG vgl. Krüger in MüKo8, § 311b BGB Rz. 103-105 sowie BGH v. 30.10.1990 – IX ZR 9/90, ZIP 1990, 1541 (1544).

1082 | Schmidt-Jortzig/Rollin

B. Unternehmensverpachtung | Rz. 16.142 Kap. 16

d) Franchising Beim Franchising überlässt der Franchise-Geber dem – wirtschaftlich selbstständigen – Franchise-Nehmer Schutzrechte zur Nutzung und stellt diesem Know-how zur Verfügung; überdies wird der Franchise-Nehmer in aller Regel in die Vertriebs- und Dienstleistungsstruktur des Franchise-Gebers einbezogen.1 Der Franchise-Vertrag weist ohne Zweifel pachtrechtliche Elemente auf.2 Für die Nachfolgeregelung bietet Franchising nur bedingt sachgerechte Lösungen, denn das Franchising zeichnet aus, dass der Franchise-Geber in gewissem Maße langfristig selbst unternehmerisch tätig bleibt.

16.139

II. Rechtstechnische Grundzüge 1. Überblick: Gesetzliche Ausgangslage und vertraglicher Regelungsbedarf Ein Unternehmen ist ein komplexer, sich im Marktgeschehen verändernder Organismus. Der gesetzliche Rahmen des Pacht- und Mietrechts, dem eine eher statische Betrachtung eigen ist, fügt sich kaum den besonderen Anforderungen der Verpachtung eines Unternehmens.3 Das Unternehmen ist ein „Pachtgegenstand im Fluss“.4

16.140

Nimmt der Pächter etwa während der Pachtzeit bauliche Maßnahmen an einem Betriebsgrundstück vor, hat er diese bei Ablauf der Pachtzeit grundsätzlich rückgängig zu machen (vgl. §§ 581 Abs. 2, 546 BGB). Dass diese Regelung für die Unternehmenspacht nicht passt, ist offenkundig. So werden oft die Zulässigkeit von bzw. Zustimmungspflicht zu baulichen Veränderungen vereinbart, welche für den Betrieb des Pächters erforderlich sind. In diesem Fall können sich jedoch Verpächter und Pächter uneins darüber sein, welche baulichen Veränderungen erforderlich sind und welche nicht. Der Pächter mag überdies vor erforderlichen baulichen Veränderungen zurückschrecken, sofern sich diese nicht über die Dauer der Pacht rentieren. Daneben können die gesetzlichen Regelungen über die Behandlung des Inventars (etwa die Ersetzungspflicht des Verpächters, § 582 Abs. 2 Satz 1 BGB, oder der gesetzliche Eigentumserwerb an Inventarstücken nach § 582a Abs. 2 Satz 2 BGB, die dem Pächter Sicherungsmittel entziehen können) nicht interessengerecht oder zu kompliziert sein und müssen korrigierend durch An- und Rückkaufverpflichtungen, jeweils mit Vollrechtsübertragung ersetzt werden. Gesetzliche Regeln für die Behandlung des Umlaufvermögens (beispielsweise Vorräte, Forderungen) fehlen gänzlich. Daneben werden überaus wichtige Aspekte, etwa die Frage, ob und in welchem Umfang die Parteien während und nach Ende der Pachtzeit ein Wettbewerbsverbot trifft, nicht adressiert.5

16.141

Der schon auf dieser Ebene ersichtliche Regelungsbedarf ist unbedingt vertraglich festzuhalten.6 Da die Unternehmenspacht ähnlich wie ein Asset Deal, jedoch mit zeitlicher eschränkung, einen – wirtschaftlichen – Wechsel des verantwortlichen Rechtsträgers für die vorhan-

16.142

1 S. Bauermeister in Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK8, § 581 BGB Rz. 23; Klein-Blenkers, Das Recht der Unternehmenspacht, S. 60. 2 Schaub in Staudinger, 2013, Vorbem. zu § 581 BGB Rz. 95. 3 S. Karsten Schmidt, Handelsrecht6, § 5 III Rz. 52; Krause, MittRhNotK 1990, 237 (238 ff.). 4 S. Klein-Blenkers, Das Recht der Unternehmenspacht, S. 245 ff. 5 Handelsrechtliche Vorschriften, etwa die §§ 60, 61 HGB, sind nicht entsprechend anzuwenden, s. BGH, Urt. v. 30.4.1957 – VIII ZR 201/56, NJW 1957, 988; Schaub in Staudinger, 2013, § 581 BGB Rz. 311; Wolf/Eckert/Ball10, Rz. 1715. Zum Wettbewerbsverbot des Verpächter s. die Ausführungen bei Klein-Blenkers, Das Recht der Unternehmenspacht, S. 260 ff. 6 S. die Muster bei: Bruns, Verpachtung eines Gewerbebetriebs8, S. 2 ff.; Stummel, Standardvertragsmuster5, S. 357 ff.; Hoffmann-Becking in Münchener Vertragshandbuch, Bd. 1 Gesellschaftsrecht8, X.12.

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Kap. 16 Rz. 16.142 | Verkauf und Verpachtung des Familienunternehmens

denen Assets bewirkt, sind darüber hinaus zahlreiche handels-, gesellschafts-, kartell- und arbeitsrechtliche Vorschriften zu beachten. Prominentes Beispiel hierfür sind die handelsrechtlichen Vorschriften zur Haftung wegen Firmenfortführung.1 Der firmenfortführende Pächter mag darauf bestehen, entgegen § 25 Abs. 1 HGB nicht für alle solche Verbindlichkeiten zu haften, die von dem Verpächter vor Vertragsschluss begründet worden sind. In diesem Zusammenhang ist nochmals darauf hinzuweisen, dass der Verpächter, möchte er sicherstellen, dass der Pächter die Firma tatsächlich fortführt, diesen hierzu vertraglich verpflichten sollte.2 Weitere zu beachtende Konsequenzen folgen überdies aus § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB, wonach der Pächter in die Arbeitsverhältnisse eintritt, die der Verpächter begründet hat.3 Auf die steuerliche Behandlung der Unternehmenspacht wird hingegen hier nicht eingegangen.4

2. Das Unternehmen als Pachtgegenstand und seine Überlassung 16.143

Unter dem Unternehmen als Pachtgegenstand versteht sich eine Gesamtheit von Sachen, Rechten und immateriellen Vermögenswerten, die eine betriebliche Organisationseinheit konstituiert5. In Betracht kommt auch die Überlassung eines selbstständigen Unternehmensteils.6 In der Diktion des BGH stellen die Erträge des Unternehmens die Früchte des Pachtgegenstands i.S.d. § 581 Abs. 1 Satz 1 BGB dar.7

16.144

Die so verstandene Pacht des Unternehmens ist gedanklich zu unterscheiden von der Pacht der Gesellschaftsanteile des Rechtsträgers des Unternehmens. Ob und inwieweit solche Pachtgestaltungen rechtskonstruktiv möglich und zulässig sind, ist fraglich. Dogmatische Bedenken unterstreichen die zum Abspaltungsverbot entwickelten Grundsätze und begreifen als „Pacht eines Gesellschaftsanteils“ nicht dessen zeitweise Überlassung zu Gebrauch und Fruchtziehung, sondern – bei Kapitalgesellschaften – die befristete Vollrechtsübertragung oder – bei Personengesellschaften – die befristete Veränderung im Gesellschafterbestand. Bedarf für Gestaltungen dieser Art ist bei genauerer Betrachtung nicht ersichtlich.8

16.145

Demgemäß wird der Verpächter dem Pächter nicht nur Grundstück und Betriebsstätte einschließlich der dort vorgehaltenen Produktionsmittel zugänglich machen, sondern alle materiellen und immateriellen Vermögensgegenstände, die für die Führung des Unternehmens erforderlich sind: Noch vorhandenes bewegliches Umlaufvermögen, Lieferanten- und Kundenbeziehungen und sonstige (Dauer-)Schuldverhältnisse mit Dritten, Geschäftsunterlagen, der 1 Zur Anwendbarkeit auf die Unternehmenspacht s. schon RGZ 133, 318 (322 ff.); BGH v. 29.3.1982 – II ZR 166/81, NJW 1982, 1647 mit Anm. von Karsten Schmidt. 2 So etwa § 2 Abs. 3 des Musters bei Stummel, Standardvertragsmuster5, S. 357. Der wirtschaftliche Wert der Firma ist mit deren kontinuierlicher Marktpräsenz verknüpft, vgl. Krause, MittRhNotK 1990, 237 (242). 3 S. Schaub in Staudinger, 2013, § 581 BGB Rz. 322, 326. 4 Instruktiv Schaub in Staudinger, 2013, § 581 BGB Rz. 85-100 sowie Metz in Steuerberater Rechtshandbuch, VII. Pacht, Rz. 544. Solange die Grundsätze der Betriebsaufspaltung nicht gelten, ist die Unternehmenspacht eine besondere Spielart der Betriebsunterbrechung. Stille Reserven werden nicht aufgedeckt (s. BFH v. 11.2.1999 – III R 112/96, BFH/NV 1999, 1198). 5 Klein-Blenkers in Dauner-Lieb/Langen3, Anh. zu §§ 581–597 BGB Rz. 2; Schlinker in BeckOK, § 581 BGB Rz. 39; Kern, Pachtrecht, § 581 BGB Rz. 102. 6 Schaub in Staudinger, 2013, § 581 BGB Rz. 65; Karsten Schmidt, Handelsrecht6, § 5 III Rz. 51. 7 BGH v. 27.3.1991 – XII ZR 136/90, NJW-RR 1991, 906 (907). 8 Ausführlich zum Ganzen Schaub in Staudinger, 2013, Vorbem. zu § 581 BGB Rz. 77, die u.a. darauf hinweist, dass bei Personengesellschaften sich die Vorteile solcher Gestaltungen gegenüber der Treuhand an Gesellschaftsanteilen und der Unterbeteiligung nicht erschließen.

1084 | Schmidt-Jortzig/Rollin

B. Unternehmensverpachtung | Rz. 16.148 Kap. 16

good will, ggf. bestehende gewerbliche Schutzrechte und Lizenzen an diesen, die Firma, Internetdomains, E-Mail-Adressen, Telefonnummern, das Knowhow sowie Genehmigungen und Gestattungen. Die Vielschichtigkeit des so verstandenen Pachtgegenstands hat erhebliche Konsequenzen für die rechtliche Bewertung des Pachtvertrags im Ganzen1 und bestimmt zugleich, nach welchen zivilrechtlichen Regeln Überlassung und Rücküberlassung zu erfolgen haben. Während die Vermögensgegenstände des unbeweglichen und beweglichen, auch immateriellen Anlagevermögens originär pachtweise überlassen werden, nähert sich die Unternehmenspacht beim beweglichen Umlaufvermögen kraft Natur der Sache einem einmaligen Austausch mit kaufvertraglichen Elementen an2. Sowohl beim Kauf als auch bei der Pacht können für laufende Verträge (beispielweise Versorgung, Versicherung, Leasing, Einkaufsrahmenvereinbarungen) inter partes wirkende Eintrittsund Übernahmepflichten mit Freistellungsverpflichtungen im Innenverhältnis vereinbart werden. Der Erfolg solcher Gestaltungen hängt fraglos davon ab, ob der andere Teil dem Übergang des Vertragsverhältnisses zustimmt. Der Übergang von Arbeitsverhältnissen richtet sich, wie bereits angesprochen, nach § 613a BGB (s. dazu Rz. 16.99 Tab. Nr. 4)

16.146

3. Besondere Wirksamkeitsvoraussetzungen Der Unternehmenspachtvertrag kommt grundsätzlich nach den allgemeinen Vorschriften zustande. Die nach den §§ 550 Satz 1, 581 Abs. 2 BGB gesetzlich angemahnte Schriftform3 wird in praxi schon deswegen eingehalten, weil der Regelungsgegenstand es verlangt. Unter Umständen ist der Vertrag notariell zu beurkunden, etwa, wenn dem Pächter eine Kaufoption versprochen wird und zu dem Unternehmen ein Grundstück gehört.4 Allein zur Schaffung eines Vollstreckungstitels für den Pachtanspruch braucht der Verpächter die notarielle Beurkundung des ganzen Vertrags nicht zu erwägen. Diesem Bedürfnis des Verpächters kann schon dadurch genügt werden, dass sich der Pächter wegen des Pachtanspruchs der sofortigen Zwangsvollstreckung in sein Vermögen unterwirft.5

16.147

Zwar soll an dieser Stelle auf die besonderen aktienrechtlichen Bestimmungen zu Unternehmensverträgen nicht näher eingegangen werden.6 Mit Blick auf das Beispiel sei aber darauf hingewiesen, dass sich der Gesellschaftszweck der verpachtenden GmbH durch die pachtweise Entäußerung des Unternehmens grundlegend verändert: Die Gesellschaft „verrentet“ in weiten Teilen.7 Der Abschluss des Pachtvertrags wird daher als Wirksamkeitsvoraussetzung – wenn die Satzung hierzu nicht schon ermächtigen sollte – von einem zustimmenden Gesell-

16.148

1 Schaub in Staudinger, 2013, § 581 BGB Rz. 68. 2 S. etwa die §§ 1 und 2 des Musters bei Hoffmann-Becking in Münchener Vertragshandbuch, Bd. 1 Gesellschaftsrecht8, X.12, und § 8 des Musters bei Stummel, Standardvertragsmuster5, S. 357, 360; Karsten Schmidt, Handelsrecht6, § 5 III Rz. 52. 3 Die Nichteinhaltung der Schriftform führt i.Ü. zu einer deutlichen Verlängerung der Kündigungsfrist. 4 Krause, MittRhNotK 1990, 237; Bruns, Verpachtung eines Gewerbebetriebs8, S. 2, 18; Klein-Blenkers, Das Recht der Unternehmenspacht, S. 118. 5 Dabei sind die allgemeinen Wirksamkeitsvoraussetzungen des § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO zu beachten. Dem vollstreckungsrechtliche Konkretisierungsgebot soll durch die Bezugnahme auf das Vertragswerk Genüge getan sein, vgl. BGH v. 19.12.2014 – V ZR 82/13, NJW 2015, 1181 (1183). 6 S. den Überblick bei Schaub in Staudinger, 2013, § 581 BGB Rz. 71 ff. mit den Hinweisen zur weiterführenden Literatur. 7 Gleichwohl kann (und will) der verpachtende Teil regelmäßig weiterhin Einfluss auf die Unternehmensführung ausüben, s. Dörmer, Die Unternehmenspacht, S. 133.

Schmidt-Jortzig/Rollin | 1085

Kap. 16 Rz. 16.148 | Verkauf und Verpachtung des Familienunternehmens

schafterbeschluss entsprechend der §§ 53, 54 GmbHG begleitet werden müssen.1 Es ist streitig, ob insoweit die Zustimmung aller Gesellschafter analog § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB erforderlich ist.2 Die Eintragung des Vertrags in das Handelsregister der verpachtenden GmbH ist aber in jedem Fall erforderlich.3 Es sei noch vollständigkeitshalber darauf hingewiesen, dass die verpachtende GmbH ihre Firma ändern muss, wenn die pachtende GmbH das Unternehmen unter dieser Firma fortführt.4 Ob auf Seiten der pachtenden GmbH die Zustimmung der Gesellschafterversammlung zum Abschluss des Pachtvertrages erforderlich ist, ist streitig.5

4. Übersicht über regelungsbedürftige Aspekte 16.149

Die wechselseitigen Pflichten der Parteien im Pachtverhältnis sollten vertraglich abschließend geregelt werden. Die Darstellung an dieser Stelle beschränkt sich auf die typische Pflichtenlage, die im Zuge der Vertragsgestaltung berücksichtigt werden muss.

16.150

Zunächst ist der Verpächter verpflichtet, dem Pächter die Nutzung des Unternehmens in dessen Sachgesamtheit, und den Genuss von dessen Früchten, also den Erträgen des Unternehmens, zu gewähren und ihn in das Unternehmen einzuweisen.6

16.151

Der Pächter ist zur Zahlung der vereinbarten Pacht verpflichtet. Zur Bemessung der Pacht wird der Pflichtenkanon der Parteien im Ganzen zu berücksichtigen sein, insbesondere jedoch solche Regelungen, die die Kostentragung für Investitionen regulieren (hierzu Rz. 16.163 ff.). Die Pacht kann unterschiedlich ausgestaltet werden. Denkbar sind fixe Beträge7 oder die Verknüpfung der Pacht mit (Jahres-)Umsatz oder Jahresergebnis mit monatlichen Vorauszahlungen.8 Daneben sollte der Pachtvertrag den Pächter verpflichten, das Unternehmen ordnungsgemäß zu betreiben9 und zwar unter Fortführung der Firma (s. Rz. 16.142 u. Rz. 16.148). Die zur Führung des Unternehmens anzulegende Sorgfalt kann sich am Maßstab des § 43 Abs. 1 GmbHG oder an § 277 BGB10 orientieren. Bei Ablauf der Pachtzeit schuldet der Pächter die Rückgewähr des Unternehmens (hierzu Rz. 16.171).

1 BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88, NJW 1989, 295 (296); Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht9, § 293 AktG Rz. 42; dagegen missverständlich Schaub in Staudinger, 2013, § 581 BGB Rz. 170, eine Satzungsänderung ist gerade nicht erforderlich. 2 Dafür Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht9, § 293 AktG Rz. 43a mit Nachweisen zur abweichenden Meinung, wonach die Zustimmung der qualifizierten Mehrheit ausreiche. 3 S. nur Krause, MittRhNotK 1990, 237 (246); für Unternehmensverträge im Allgemeinen: BGH, Beschl. v. 30.1.1992 – II ZB 15/91 – juris; differenzierend Dörmer, Die Unternehmenspacht, S. 133. 4 Details bei Krause, MittRhNotK 1990, 237 (248). 5 Dagegen etwa Krause, MittRhNotK 1990, 237 (246). 6 S. Vossler in Oetker6, §§ 25-28 Anh. Rechtsgeschäftliche Unternehmensübertragungen Rz. 56; Schaub in Staudinger, 2013, § 581 BGB Rz. 214; Frenzl, Betriebspacht-, Betriebsüberlassungs- und Betriebsführungsverträge in der Konzernpraxis, Rz. 50. 7 S. die Beispiele bei Hoffmann-Becking in Münchener Vertragshandbuch, Bd. 1 Gesellschaftsrecht8, X.12 § 8; Niggemann/Simmert, NWB-BB 07/2010, 215; Schubert/Küting, DB Beilage 7/1976, 1 (11). 8 Ausführlich zu den Gestaltungsoptionen Schaub in Staudinger, 2013, § 581 BGB Rz. 253-258 sowie Frenzl, Betriebspacht-, Betriebsüberlassungs- und Betriebsführungsverträge in der Konzernpraxis, Rz. 54 ff. 9 S. ausführlich zu Inhalt und Umfang der Betriebspflicht Klein-Blenkers, Das Recht der Unternehmenspacht, S. 239 ff. 10 Vgl. Hoffmann-Becking in Münchener Vertragshandbuch, Bd. 1 Gesellschaftsrecht8, X.12 § 7 Abs. 1.

1086 | Schmidt-Jortzig/Rollin

B. Unternehmensverpachtung | Rz. 16.157 Kap. 16

Schließlich müssen sich die Parteien über die Dauer der Pacht verständigen. Pauschale Aussagen hierüber lassen sich kaum treffen.

16.152

Fortsetzung Beispiel Rz. 16.136: Eine vergleichsweise kurze Pachtdauer wird aus Sicht des G nicht genügen, seine Tochter auf die Nachfolge vorzubereiten und könnte die D-GmbH zudem von gebotenen Erweiterungsinvestitionen abhalten, die dem Unternehmen über die Dauer der Pacht hinaus zugutekommen. Eine vergleichsweise lange Pachtdauer beeinträchtigt dagegen den Reaktionshorizont des G.

16.153

In diesem Zusammenhang ist, wie im Übrigen für viele Dauerschuldverhältnisse, stets zu überlegen ob Optionsrechte vereinbart werden sollen.

16.154

Schließlich sollten die Parteien für auftretende Leistungsstörungen praxisgerechte Lösungen im Voraus vertraglich vereinbaren. Verpächter und Pächter sollten es vermeiden, die gesetzlichen Rahmenbedingungen, hier insbesondere die §§ 536 ff. BGB sowie die allgemeinen Regeln der §§ 280 ff. BGB, die weder auf die Unternehmenspacht abgestimmt1 noch in ihrer Anwendbarkeit unumstritten2 sind, ohne individuelle Abstimmung zur Anwendung gelangen zu lassen. Sind sich die Parteien uneins über, erstens, die Vertragsgemäßheit bzw. den Zustand des Unternehmens und, zweitens, den Umgang mit dieser Uneinigkeit, ist jedes gedeihliche und produktive Miteinander während der Unternehmenspacht gefährdet. Da die Parteien anders als beim Unternehmenskaufwährend der Unternehmenspacht in mehr oder weniger engem Kontakt zueinander stehen, beispielsweise um strategische Unternehmensentscheidungen zu treffen, ist der Pachtvertrag individuell an die Wünsche der Parteien anzupassen.

16.155

Im Ausgangspunkt hat sich die vertragliche Gestaltung in puncto Mängelhaftung und Ansprüche aus Pflichtverletzungen mit denselben Fragen zu befassen, die auch bei einem Unternehmenskauf zutage treten. Denkbar ist es also, im Sinne umfassender Konfliktvermeidung jegliche Mängelgewähr von vornherein auszuschließen.3 Andererseits sollte sich der Pächter bestimmte Charakteristika des Unternehmens, die für ihn von entscheidender Bedeutung sind, zusichern lassen.4 Wie beim Unternehmenskauf ist den Parteien zu raten, dem Vertragsschluss eine angemessene Due Diligence vorangehen zu lassen (s. dazu Rz. 16.54 ff.)

16.156

III. Ausgewählte Probleme 1. Entscheidungsautonomie des Pächters und Mitwirkungsrechte des Verpächters Am Ende der Pachtzeit hat der Pächter dem Verpächter das Unternehmen zurückzugewähren und zwar grundsätzlich in dem Zustand, in dem es ihm gewährt worden ist (§§ 581 Abs. 2, 546 Abs. 1 BGB). Dieser Grundsatz wird dem Unternehmen als „Pachtgegenstand im Fluss“ typischerweise nicht gerecht. Beide Vertragsparteien können ein Interesse daran haben, dass das Unternehmen für die Dauer der Pacht nicht lediglich erhalten wird, zumal Meinungsverschiedenheiten darüber vorprogrammiert sind, was „Erhaltung“ konkret bedeutet. Im Gegenteil kann den Parteien daran liegen, dass das Unternehmen mit Blick auf sich laufend ändernde Marktverhältnisse ebenfalls verändert oder sogar substantiell erweitert wird. 1 S. nur Klein-Blenkers, Das Recht der Unternehmenspacht, S. 171. 2 Dazu Schaub in Staudinger, 2013, § 581 BGB Rz. 386, 388. 3 So etwa bei Hoffmann-Becking in Münchener Vertragshandbuch, Bd. 1 Gesellschaftsrecht8, X.12 § 7 Abs. 3, und bei Stummel, Standardvertragsmuster5, S.357, 361. 4 S. Schaub in Staudinger, 2013, § 581 BGB Rz. 389.

Schmidt-Jortzig/Rollin | 1087

16.157

Kap. 16 Rz. 16.158 | Verkauf und Verpachtung des Familienunternehmens

16.158

Dass dem Pächter im Hinblick auf seine Pflicht zum ordnungsgemäßen Betrieb des Unternehmens Entscheidungsspielräume zuzugestehen sind, versteht sich angesichts des mit dem Pachtvertrag verbundenen Übergangs der (wirtschaftlichen) Unternehmerstellung von selbst. Ein wirklicher Mehrwert für die Beurteilung streitträchtiger Grenzbereiche ist hiermit nicht gewonnen. Auch hier ist es daher ratsam, detaillierte und unmissverständliche Absprachen zu treffen, etwa durch abschließende Kataloge zustimmungsbedürftiger Pächterentscheidungen. Solche Kataloge mögen etwa die Einstellung oder Auflegung bestimmter Produktlinien betreffen oder die Anmietung weiterer Betriebsflächen sowie die Errichtung zusätzlicher Produktionsstätten. Eine Maßnahme kann auch dadurch zustimmungsbedürftig gestellt werden, dass ihr Investitionsvolumen betragsmäßige Schwellenwerte überschreitet.1 Hierbei hat der Verpächter abzuwägen, in welchem Umfang er dem Pächter unbeschränkte Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit zugestehen möchte. Das der Unternehmenspacht inhärente Risiko des Verpächters, dass sein Unternehmen über die Pachtzeit an Wert verliert, kann hierdurch zumindest eingehegt werden.2

16.159

Aus Verpächtersicht ist unabhängig von diesen Fragen zu erwägen, ob konkrete Informations-, Anzeige- und Berichtspflichten des Pächters fixiert werden sollen.3

16.160

Zustimmungsvorbehalte wie vorstehend dargestellt sind nicht immer zielführend. Die Eigenheit einer bestimmten Geschäftsführungsmaßnahme oder einer strategischen Entscheidung kann die Entscheidungsautonomie des Pächters gleichsam aus sich heraus beschränken und es erforderlich machen, den Verpächter verstärkt einzubinden:

16.161

Im dritten Jahr der Pacht bietet die Woodpecker Toys Inc. (W-Inc.) der D-GmbH an, auf zehn Jahre verbindlich den Produktvertrieb auf dem nordamerikanischen Markt für die H-GmbH zu übernehmen. Im Gegenzug für die langfristige Einräumung der Vertriebsrechte verspricht die W-Inc. besonders günstige Vertriebsprovisionen. Der Pachtvertrag der D-GmbH hat seinerseits eine Restlaufzeit von sieben Jahren.

16.162

Für den Pächter und den anderen Teil, im Beispiel die W-Inc., ist die Eingehung solcher über die Pachtzeit hinauslaufenden Verpflichtungen nur attraktiv, wenn deren Schicksal auf die Beendigung der Pacht abgestimmt ist. Der andere Teil wird sich darauf verlassen wollen, dass der Verpächter bei Pachtbeendigung die Vertragspflichten des Pächters – auch ohne Rücksicht auf § 25 HGB – übernimmt. Der Pächter will spiegelbildlich sichergestellt wissen, dass er bei Pachtbeendigung von seinen Vertragspflichten entbunden wird, da er diese danach nicht mehr wird erfüllen können. Nur bilaterale Absprachen im Pachtvertrag über die Freistellung des Pächters im Innenverhältnis nach Pachtbeendigung bilden diese Interessenlage nicht ausreichend ab. Aufzulösen ist dies etwa dadurch, dass Pächter, Verpächter und anderer Teil die Einzelheiten der Vertragsbeziehung gemeinsam abstimmen. Bereits bei Eingehung der Vertragsbeziehung kann etwa verabredet werden, dass bis zum Stichtag der Pachtbeendigung nur der Pächter, für die Zeit nach dem Stichtag der Verpächter dem anderen Teil verpflichtet ist.

1 S. Frenzl, Betriebspacht-, Betriebsüberlassungs- und Betriebsführungsverträge in der Konzernpraxis, Rz. 462. 2 Krause, MittRhNotK 1990, 237 (238). 3 So etwa die Anzeigepflicht für „wesentliche Investitionsvorhaben“ bei Hoffmann-Becking in Münchener Vertragshandbuch, Bd. 1 Gesellschaftsrecht8, X.12 § 6 Abs. 1 Satz 3. Für den Fall, dass eine umsatz- oder ergebnisabhängige Pacht vereinbart wird, vgl. etwa OLG Bdb., Teilurt. v. 13.6.2007 – 3 U 181/06, juris, zur Herausgabe von BWA an den Verpächter.

1088 | Schmidt-Jortzig/Rollin

B. Unternehmensverpachtung | Rz. 16.168 Kap. 16

2. Aufwendungen auf den Erhalt und die Erweiterung des Unternehmens Die Instandhaltung und Instandsetzung des Pachtgegenstands durch den Verpächter entspricht dem gesetzlichen Leitbild (§§ 581 Abs. 2, 535 Abs. 1 Satz 2 BGB).1

16.163

Fortsetzung Beispiel Rz. 16.164: Im zweiten Jahr der Pacht zeigt sich, dass das Werkshallendach der H-GmbH undicht ist. Ein Teil der Produktionsanlage kann deswegen nicht genutzt werden.

16.164

Die gesetzliche Vorgabe ist freilich dispositiv.2 Die Parteien können etwa vereinbaren, dass der Pächter dazu verpflichtet ist, den Pachtgegenstand bzw. einzelne Gegenstände des Unternehmens auf eigene Kosten zu erhalten und ggf. zu ersetzen. Dass eine solche Regelung sinnvoll sein kann, zeigt sich schon daran, dass der Pächter (zunächst)3 die wirtschaftliche Last des nicht so nutzbaren Pachtgegenstands trägt und daher bestrebt ist, die erforderlichen Investitionen unverzüglich zu tätigen. Der Verpächter ist dagegen unter Umständen nicht daran interessiert, mit Einzelheiten des laufenden Betriebs behelligt zu werden und mag zudem die Ressourcen nicht mehr vorhalten, die ihm eine sachgerechte Einschätzung des Investitionsbedarfs überhaupt ermöglichen.4

16.165

Zwar schafft es grundsätzlich einen Anreiz, die Kostenlast demjenigen aufzuerlegen, der zur Vornahme von Investitionen verpflichtet ist. Allerdings – etwa in Fällen, in denen vorhandenes Anlagevermögen aus Modernisierungsgründen auszutauschen ist – können Finanzierungskosten in einem Umfang anfallen, die die Investitionen für den Pächter unattraktiv machen, insbesondere, wenn die Abschreibungsdauer hinter der verbleibenden Pachtdauer zurückbleibt. In diesem Zusammenhang können und sollten die Parteien einen interessengerechten Katalog von Übernahmerechten und -pflichten oder von Wegnahmerechten und Wiederherstellungspflichten oder aber eine Kombinationen aus beiden Instrumenten vereinbaren.5

16.166

Fortsetzung Beispiel Rz. 16.136: Im dritten Jahr der – bis dahin erfolgreichen – Unternehmenspacht möchte die D-GmbH auf dem Betriebsgrundstück der H-GmbH eine weitere Produktionshalle errichten und außerdem zehn weitere Arbeitnehmer einstellen. Der G ist skeptisch, ob dieses Vorhaben langfristig profitabel für die HGmbH sein wird.

16.167

Bei betriebserweiternden Investitionen stellen sich andere Fragen als bei Erhaltungs- und Ersatzinvestitionen, denn das Gesetz trifft hierzu gar keine Regelung. Der Pächter ist zwar grundsätzlich dazu verpflichtet, das Unternehmen „weiterzuentwickeln“.6 Er ist hierzu aber gleichzeitig auch nicht ohne Weiteres berechtigt, sondern läuft beispielsweise Gefahr, dass ihn

16.168

1 S. die Einzelheiten bei Schaub in Staudinger, 2013, § 581 BGB Rz. 224–227. 2 Schaub in Staudinger, 2013, § 581 BGB Rz. 292; verschiedene Regelungsansätze zu Erhaltungsinvestitionen bei Klein-Blenkers, Das Recht der Unternehmenspacht, S. 248. 3 Wenngleich der Verpächter ohne anderslautende Parteivereinbarung die Verantwortlichkeit dafür trägt, dass die Mangelhaftigkeit des Pachtgegenstands den Fruchtgenuss des Pächters beeinträchtigt, s. Schaub in Staudinger, 2013, § 581 BGB Rz. 234. 4 Schubert/Küting, DB Beilage 7/1976, 1 (9). 5 S. etwa die Klausel bei Hoffmann-Becking in Münchener Vertragshandbuch, Bd. 1 Gesellschaftsrecht8, X.12. § 10 Abs. 1 und 3 und die Beispiele bei Schubert/Küting, DB Beilage 7/1976, 1 (10). 6 Dazu schon unter Rz. 16.177; s. auch Schaub in Staudinger, 2013, § 581 BGB Rz. 289 mit dem Hinweis, dass die Abgrenzung zur „erhaltenden Weiterentwicklung“ im Einzelfall schwierig zu ziehen sein wird.

Schmidt-Jortzig/Rollin | 1089

Kap. 16 Rz. 16.168 | Verkauf und Verpachtung des Familienunternehmens

am Ende der Pacht (auch noch zu finanzierende) Rückbauverpflichtungen treffen. Beiden Parteien ist – wenn auch mit unterschiedlichen Zeithorizonten – daran gelegen, die Ertragskraft des Unternehmens zu stärken. Auf dieser gemeinsamen Grundlage können bereits bei Abschluss des Pachtvertrags verbindliche Regelungen für diesen Bereich getroffen werden. Beispielsweise kann sich der Verpächter bereits bei Vertragsschluss vorbehalten, zu einem späteren Zeitpunkt selbst und auf eigene Kosten eine bestimmte Maßnahme an dem Unternehmen vorzunehmen, wenn er dies mit Blick auf die erwartete Marktentwicklung für geboten hält, der Pächter aber anderer Meinung sein könnte. Umgekehrt kann es für den Pächter anreizoptimal sein, solche Maßnahmen selbst und auf eigene Kosten vorzunehmen, wenn ihm der Verpächter verspricht, am Ende der Pachtzeit erforderlichenfalls eine Entschädigung zu leisten.

16.169

Bei alledem dürfen die steuerrechtlichen Konsequenzen des Vertragsvollzugs nicht aus dem Blickfeld geraten1, so dass die Abstimmung und Umsetzung der vertraglichen Regeln mit steuerlicher Beratung erfolgen sollte.

16.170

In diesem Zusammenhang sollten die Parteien auch regeln, wer bisher nicht berücksichtigte sonstige Lasten zu tragen hat, die mit der Führung des Unternehmens verbunden sind (etwa Anliegergebühren, Grundsteuer, Entsorgung, Telekommunikation, Versorgung mit Strom, Wasser, Fernwärme).

3. Vertragsbeendigung und Rückgewähr des Unternehmens 16.171

Die befristete Unternehmenspacht endet, sofern nicht ein Teil außerordentlich kündigt, mit Zeitablauf. Der Pächter hat das Unternehmen – also die zu dem Unternehmen gehörenden Gegenstände – dem Verpächter nach den jeweils einschlägigen Vorschriften zurückzugewähren.2 Das sachliche Anlagevermögen ist dem Verpächter zu übergeben, je nach Gestaltung ist das Umlaufvermögen zu übergeben und zu übereignen oder abzutreten. Die Rückgewähr immateriellen Vermögens ist regelmäßig keiner konkreten Handlung des Pächters zuordenbar, sondern verdichtet sich in (regelungsbedürftigen!) fortdauernden Wettbewerbsverboten und der (spiegelbildlichen) Pflicht des Pächters, den Verpächter in das Unternehmen rückeinzuführen.3 Der BGH verweigert dem Pächter im Ausgangspunkt jegliche Ausgleichsansprüche für während der Vertragslaufzeit geschaffenen zusätzlichen Goodwill.4

16.172

Besonders hingewiesen sei darauf, dass den Verpächter mit der Firmenfortführung nach Vertragsbeendigung, gleichgültig ob diese aufgrund von Zeitablauf oder Kündigung erfolgt, die Haftung nach § 25 Abs. Satz 1 HGB trifft.5 Das kann zu der für den Verpächter misslichen 1 Wesentliche Umgestaltungen während der Pachtzeit können für den Verpächter als Betriebsaufgabe zu werten sein, s. BFH v. 15.10.1987 – IV R 91/85, BFHE 151, 392. 2 Zur Bedeutung wesensmäßiger Veränderungen des Unternehmens für den Rückgewähranspruch vgl. BGH v. 13.11.1990 – KZR 2/89, ZIP 1991, 402 (406): Für den Rückgewähranspruch ist nicht die Identität des Unternehmens entscheidend, sondern dessen Erhalt und Fortführung als isolierte Einheit in der Hand des Rückgewährverpflichteten, ausführlich bei Dörmer, Die Unternehmenspacht, S. 328 ff. 3 S. Schaub in Staudinger, 2013, § 581 BGB Rz. 331. 4 BGH v. 12.5.1986 – II ZR 11/86, NJW 1986, 2306; Kern, Pachtrecht, § 581 BGB Rz. 259; Vossler in Oetker6, Anh. §§ 25-28 HGB Rechtsgeschäftliche Unternehmensübertragungen Rz. 59; Wolf/ Eckert/Ball10, Rz. 1723. 5 Das gilt im Übrigen auch für einen Anschlusspächter, s. BGH v. 16.1.1984 – II ZR 114/83, ZIP 1984, 442.

1090 | Schmidt-Jortzig/Rollin

C. Betriebsaufgabe | Rz. 16.176 Kap. 16

Situation führen, dass er für die von dem Pächter begründeten Verbindlichkeiten haftet, ohne gem. § 25 Abs. 2 HGB eine hiervon abweichende Vereinbarung in das Handelsregister eintragen zu können; denn die einseitig bleibende Erklärung des Verpächters, für diese Verbindlichkeiten nicht haften zu wollen, wird nicht eingetragen.1 Daher ist es ratsam, bereits bei Abschluss des Pachtvertrags die Enthaftung des Verpächters für den Beendigungsfall zu vereinbaren, wenn dieser eine solche Enthaftung wünscht. Ebenfalls – aus Pächtersicht: dringend – anzuraten ist eine Regelung über den Preis und die Rückgabe desjenigen beweglichen Umlaufvermögens, das (der Gattung nach) bei Überlassung des Unternehmens dem Pächter verkauft und übereignet worden ist.2 Anderenfalls kann der Pächter ggf. Gefahr laufen, mit einem umfangreichen Bestand an Vorräten belastet zu sein, ohne diese sinnvoll verwenden oder weiterveräußern zu können.

16.173

C. Betriebsaufgabe I. Ausgangslage Kommen Unternehmensnachfolge, -veräußerung oder -verpachtung nicht in Betracht – und zwar beispielsweise dann, wenn dem Unternehmer kein Käufer zur Verfügung steht, der bereit ist, die Gesellschaft oder ihr Vermögen insgesamt zu erwerben – bietet es sich als ultima ratio an, die Gesellschaft aufzulösen, das vorhandene, nicht unmittelbar verfügbare Vermögen abzuwickeln und zu verteilen sowie die Gesellschaft schließlich vollständig zu beenden. Da die Gesellschaft in diesem Fall umfassend beseitigt wird, handelt es sich hierbei jedoch um einen relativ langwierigen Prozess, welcher – vor allem bei einer GmbH – in der Regel einen Zeitraum von deutlich über einem Jahr beansprucht.

16.174

Beschleunigt werden kann dies bei Personenhandelsgesellschaften, wenn die Auseinandersetzung ohne eine Liquidation erfolgt, indem ein Gesellschafter oder ein Dritter das Gesellschaftsvermögen im Wege der Universalsukzession übernimmt oder jegliche Anteile erwirbt und damit ebenfalls Gesamtrechtsnachfolger wird.3 Eine weitere Alternative ist beispielsweise eine Verschmelzung nach § 20 UmwG, die ebenfalls zum Erlöschen des übertragenden Rechtsträgers führt.4 Alle diese Möglichkeiten setzen jedoch einen übernehmenden Rechtsträger voraus. Gibt es diesen nicht, verbleibt faktisch nur die Liquidation.

16.175

Diese Situation kann mit folgender Abwandlung unseres Ausgangsbeispiels (Rz. 16.9) veranschaulicht werden:

16.176

G ist alleiniger Gesellschafter der H-GmbH und 60 Jahre alt. Die von ihm beschäftigten rund 30 Arbeitnehmer sind überwiegend so alt wie G und arbeiten ihrem wohlverdienten Ruhestand entgegen. Die meisten Maschinen der H-GmbH stammen noch aus ihrer Gründungszeit und sind daher überholt. G möchte sich aus dem Geschäft zurückziehen. Seine 16jährige Tochter C träumt davon, Ärztin zu werden und ist sich sicher, dass sie die H-GmbH unter keinen Umständen übernehmen möchte. Da der Spielzeugmarkt hart ist und die H-GmbH zwar noch Gewinne erwirtschaftet, aber erhebliche

1 S. OLG Frankfurt v. 23.6.2005 – 20 W 272/05, NJW-RR 2005, 1349 (1350). 2 S. etwa die Klausel bei Hoffmann-Becking in Münchener Vertragshandbuch, Bd. 1 Gesellschaftsrecht8, X.12. § 2 Abs. 3; Schubert/Küting, DB Beilage 7/1976, 1 (10). 3 Vgl. Roth in Baumbach/Hopt38, § 145 HGB Rz. 10; Hillmann in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn3, § 145 HGB Rz. 22 ff.; Karsten Schmidt in MüKo4, § 145 HGB Rz. 32 ff. 4 Roth in Baumbach/Hopt38, § 145 HGB Rz. 10; Karsten Schmidt in MüKo4, § 145 HGB Rz. 35.

Schmidt-Jortzig/Rollin | 1091

Kap. 16 Rz. 16.176 | Verkauf und Verpachtung des Familienunternehmens Ertragsrückgänge erleidet, scheitern jegliche Verkaufsverhandlungen des G. Um sich seinen Ruhestand finanzieren zu können, benötigt der G jedoch in Zukunft Geld.

II. Ablauf der Liquidation 1. Anwendbare Vorschriften 16.177

Während die Liquidation bei einer vermögenden GmbH und AG im Interesse der Gläubigerbefriedigung nach §§ 66 ff. GmbHG1 bzw. § 264 ff. AktG2 zwingend ist, ist sie nach § 145 Abs. 1 HGB für Personenhandelsgesellschaften lediglich der gesetzliche Normalfall, da auch eine andere Art der Auseinandersetzung von den Gesellschaftern vereinbart werden kann. Einen Sonderfall bildet nur eine Abwicklung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, welche nach den Vorschriften der Insolvenzordnung (InsO) zu erfolgen hat und hier nicht vertieft wird.

16.178

Die gesetzlichen Verfahrensvorschriften über die Liquidation einer Personenhandelsgesellschaft sind überwiegend disponibel und können im Gesellschaftsvertrag oder durch eine einstimmige Übereinkunft der Gesellschafter abbedungen werden.3 Demgegenüber sind die Vorschriften des GmbHG4 und des AktG5 weitgehend zwingend, da hier mangels akzessorisch haftender Gesellschafter ein höherer Gläubigerschutz als bei den Personenhandelsgesellschaften geboten ist. Für die Personenhandelsgesellschaften finden sich in den §§ 145 ff. HGB zahlreiche Verfahrensvorschriften, die nach § 161 Abs. 2 HGB bzw. § 10 Abs. 1 PartGG auch für die KG bzw. PartG anwendbar sind. Vergleichbare, dann aber weitgehend nicht abdingbare Regelungen enthalten auch die §§ 66 ff. GmbHG für die GmbH sowie die §§ 264 ff. AktG für die AG.

16.179

Nach dem gesetzlichen Leitbild ist das Liquidationsverfahren in drei Abschnitte zu untergliedern – die Auflösung der Gesellschaft (dazu unter Rz. 16.180 ff.), ihre Liquidation im eigentlichen Sinne (Rz. 16.184) sowie schließlich ihre Vollbeendigung (dazu unter Rz. 16.186). Die folgende Erläuterung orientiert sich an dem gesetzlich vorgesehenen „Normalfall“, d.h. der Liquidation der Gesellschaft einschließlich der Liquidation des von ihr zu unterscheidenden Unternehmens.

2. Auflösung der Gesellschaft 16.180

Die Liquidation wird durch die Auflösung der Gesellschaft eingeleitet. §§ 131 Abs. 1 HGB, § 60 Abs. 1 GmbHG und § 262 AktG sehen als Auflösungsgründe den Zeitablauf, einen Gesellschafter- bzw. einen Hauptversammlungsbeschluss, die Eröffnung des Insolvenzverfahren sowie eine gerichtliche Entscheidung vor. Zudem können im jeweiligen Gesellschaftsvertrag weitere Gründe vorgesehen werden, weder § 131 HGB6 noch § 60 GmbHG7 sind insoweit 1 Haas in Baumbach/Hueck22, § 66 GmbHG Rz. 2; Karsten Schmidt in Scholz11, § 66 GmbHG Rz. 1. 2 Koch in Hüffer/Koch13, § 264 AktG Rz. 2; J. Koch in MüKo4, § 264 AktG Rz. 4. 3 Vgl. Butzer/Knof in MünchHdb. GesR I5, § 84 Rz. 75; Karsten Schmidt in MüKo4, § 155 HGB Rz. 3. 4 OLG Stuttgart, Beschl. v. 7.12.1994 – 8 W 311/93, NJW-RR 1995, 805; vgl. auch Haas in Baumbach/Hueck22, § 71 GmbHG Rz. 5; Gsell in Rowedder/Schmidt-Leithoff6, § 71 GmbHG Rz. 7; Altmeppen in Roth/Altmeppen9, § 71 GmbHG Rz. 25; Karsten Schmidt in Scholz11, § 71 GmbHG Rz. 10. 5 J. Koch in MüKo4, § 264 AktG Rz. 4. 6 Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn3, § 131 HGB Rz. 27; Karsten Schmidt in MüKo4, § 131 HGB Rz. 9. 7 Vgl. § 60 Abs. 2 GmbHG.

1092 | Schmidt-Jortzig/Rollin

C. Betriebsaufgabe | Rz. 16.185 Kap. 16

abschließend. Lediglich § 23 Abs. 5 Satz 1 AktG verbietet AGs, weitere Auflösungsgründe in ihrer Gesellschaftssatzung festzulegen. Die Auflösung führt zu einem veränderten Gesellschaftszweck, d.h. die Gesellschaft bleibt zwar in ihrer ursprünglichen Identität erhalten, dient jedoch nur noch ihrer eigenen Abwicklung.1 Daraus ergibt sich, dass sich die innergesellschaftlichen Rechte und Pflichten mitverändern und die Abwicklungsförderung im Vordergrund steht.2

16.181

Zudem übernehmen die Liquidatoren bzw. die Abwickler (bei der AG) die Geschäftsführung und die Vertretung der Gesellschaft und werden zu ihrem Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan.3 Soweit der Gesellschaftsvertrag bzw. ein Beschluss der Gesellschafter keine abweichende Regelung vorsieht, sind sämtliche Gesellschafter (§ 146 Abs. 1 Satz 1 HGB) bzw. die Geschäftsführer (§ 66 Abs. 1 GmbHG) Liquidatoren und damit die handelnden Organe der sich in Auflösung befindlichen Gesellschaft. Für die AG übernehmen die Position der Abwickler die Vorstandsmitglieder, wobei auch hier die Satzung bzw. ein Beschluss der Hauptversammlung eine andere natürliche oder sogar juristische Person vorsehen kann.4 Sie üben ihr Amt entweder auf Basis eines mit der Gesellschaft geschlossenen Dienstvertrages oder ihrer Mitgliedschaft in der Gesellschaft aus.5

16.182

Die Auflösung ist nach § 143 Abs. 1 Satz 1 HGB, § 65 Abs. 1 Satz 1 GmbHG bzw. § 263 Satz 1 AktG deklaratorisch in das Handelsregister einzutragen.6 Ferner ist die Firma im Zusammenhang mit ihrer Abwicklung als Liquidationsfirma zu bezeichnen, § 153 HGB, § 68 Abs. 2 GmbHG bzw. mit weitergehenden Kennzeichnungspflichten § 268 Abs. 4 AktG. Dies kann beispielsweise durch den Zusatz „i.L.“, “in Liq“ oder „i.A.“ erfolgen.7

16.183

3. Liquidationsphase Der Ablauf der Liquidationsphase sowohl im HGB, GmbHG als auch im AktG recht ausführlich geregelt. Für den nachfolgenden kurzen Überblick werden die gesetzlichen Regelungen – trotz Abdingbarkeit bei Personenhandelsgesellschaften – zugrunde gelegt.

16.184

Die Liquidatoren bzw. Abwickler haben nach § 149 Satz 1 HGB, § 70 GmbHG bzw. § 268 Abs. 1 Satz 1 AktG die laufenden Geschäfte zu beenden, die Forderungen einzuziehen, das übrige Vermögen in Geld umzusetzen und die Gläubiger zu befriedigen. Dazu erstellen sie zunächst nach § 154 HGB, § 71 Abs. 1 GmbHG bzw. § 270 Abs. 1 AktG eine Liquidationseröffnungsbilanz, welche als fortgeführte Ertragsbilanz ohne neue Bewertung der Aktiva und

16.185

1 Butzer/Knof in MünchHdb. GesR I5, § 83 Rz. 61; Hillmann in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn3, § 145 HGB Rz. 11f. 2 Karsten Schmidt in MüKo4, § 145 HGB Rz. 20; Hillmann in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn3, § 145 HGB Rz. 13. 3 Karsten Schmidt in MüKo4, § 149 HGB Rz. 5; Karsten Schmidt in Scholz11, § 66 GmbHG Rz. 2; Koch in Hüffer/Koch13, § 269 AktG Rz. 2. 4 Vgl. § 265 Abs. 1, 2 AktG. 5 Hillmann in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn3, § 149 HGB Rz. 3; Butzer/Knof in MünchHdb. GesR I5, § 84 Rz. 24; J. Koch in MüKo4, § 263 AktG Rz. 10. 6 BFH v. 5.2.1985 – VIII R 223/79, zitiert nach juris; Haas in Baumbach/Hueck22, § 65 GmbHG Rz. 15; Karsten Schmidt in MüKo4, § 143 HGB Rz. 20. 7 Roth in Baumbach/Hopt38, § 153 HGB Rz. 1.

Schmidt-Jortzig/Rollin | 1093

Kap. 16 Rz. 16.185 | Verkauf und Verpachtung des Familienunternehmens

Passiva zu errichten ist.1 Während und nach der vollständigen Abwicklung verfassen sie zudem alljährliche Abschlüsse sowie eine Abschlussbilanz.2. Sodann verteilen sie das verbleibende Vermögen der Gesellschaft nach dem Verhältnis der Kapital- bzw. der Geschäftsanteile, § 155 Abs. 1 HGB, § 72 GmbHG bzw. § 271 Abs. 1 u. 2 AktG. Eine Schlussrechnung bzw. -bilanz ist nun zu erstellen. Zu beachten ist jedoch, dass bei einer GmbH und einer AG eine Verteilung des Vermögens an die Gesellschafter gem. § 73 Abs. 1 GmbHG bzw. § 272 Abs. 1 AktG weder vor Tilgung oder Sicherstellung der Schulden noch vor Ablauf eines Jahres nach der Gläubigeraufforderung im Gesellschaftsblatt (sog. Sperrjahr) erfolgen darf. Zahlen die Liquidatoren einer GmbH das Vermögen zu früh aus, haften sie persönlich, § 73 Abs. 2 GmbHG. Ebenso haftet der Abwickler einer AG gem. § 93 Abs. 5 AktG bzw. nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 272 Abs. 1 AktG.3 Eine entsprechende Jahresfrist existiert bei den Personengesellschaften nach den Vorschriften des HGB nicht und ist auch nicht erforderlich, da hier – anders als bei einer GmbH und AG- die Gesellschafter nach § 128 HGB persönlich haften, vgl. auch § 159 Abs. 1 HGB.4

4. Vollbeendigung der Gesellschaft 16.186

Nach vollständiger Verteilung des Vermögens ist die Liquidation beendet. Das Ende der Auseinandersetzung ist beim Handelsregister anzumelden, §§ 154, 157 Abs. 1 HGB, § 74 Abs. 1 GmbHG bzw. § 273 Abs. 1 Satz 1 AktG. Die Gesellschaft ist bei Personenhandelsgesellschaften bereits durch die komplette Vergabe des Vermögens erloschen.5 Demgegenüber erlischt eine GmbH nach der Lehre vom Doppeltatbestand erst durch die Vermögenslosigkeit und die Eintragung des Erlöschens in das Handelsregister.6 Bei der AG hingegen ist es umstritten, ob allein die konstitutive Löschung der Gesellschaft im Handelsregister zum tatsächlichen Erlöschen des Rechtsträgers führt oder ob – wie bei der GmbH – nach der Lehre vom Doppeltatbestand zusätzlich die Vermögenslosigkeit der Gesellschaft erforderlich ist.7 Eine wesentliche Bedeutung hat der Zeitpunkt der Eintragung in das Handelsregister allerdings auch bei Personengesellschaften nach § 159 Abs. 2 HGB hinsichtlich des Verjährungsbeginns der Ansprüche gegen die Gesellschafter. Nach der Vollbeendigung sind die Bücher und Schriften der Gesellschaft für eine Dauer von zehn Jahren von einem Gesellschafter oder einem Dritten zu verwahren.

1 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff20, § 71 GmbHG Rz. 2; Karsten Schmidt in Scholz11, § 71 GmbHG Rz. 4. 2 Haas in Baumbach/Hueck22, § 71 GmbHG Rz. 28; Altmeppen in Roth/Altmeppen9, § 71 GmbHG Rz. 32 ff., vgl. für Personengesellschaften § 154 HGB. 3 Servatius in Grigoleit, § 272 AktG Rz. 10; J. Koch in MüKo4, § 272 AktG Rz. 35; Koch in Hüffer/ Koch13, § 272 AktG Rz. 7. 4 Vgl. Hillmann in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn3, § 155 HGB Rz. 21. 5 BGH v. 21.6.1979 – IX ZR 69/75, NJW 1979, 1987; Roth in Baumbach/Hopt38, § 157 HGB Rz. 3, Karsten Schmidt in MüKo4, § 157 HGB Rz. 9. 6 OLG Düsseldorf v. 14.11.2003 – 16 U 95/98 = NZG 2004, 916; OLG Stuttgart v. 28.2.1986 – 2 U 148/85, ZIP 1986, 647; Haas in Baumbach/Hueck22, § 60 GmbHG Rz. 6; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff20, § 74 GmbHG Rz. 7; Karsten Schmidt in Scholz11, § 74 GmbHG Rz. 14. 7 Servatius in Grigoleit, § 273 AktG Rz. 8; Koch in Hüffer/Koch13, § 273 AktG Rz. 7; J. Koch in MüKo4, § 273 AktG Rz. 13.

1094 | Schmidt-Jortzig/Rollin

Kapitel 17 Mediation für Familienunternehmen – Innovative Anwendungen und Einsatzgebiete in den Systemen Familie, Unternehmen und Gesellschafter A. B. I. II. III. 1. 2. 3. 4. 5. IV. V. VI. 1. 2. 3. 4. 5. VII. VIII. C. I. II. 1. 2. 3. III. 1.

2.

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen der Mediation Soziale Konflikte . . . . . . . . . . . . . . Das Mediationsgesetz . . . . . . . . . . Prinzipien der Mediation Freiwilligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . Informiertheit . . . . . . . . . . . . . . . . . Eigenverantwortlichkeit . . . . . . . . . Vertraulichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisoffenheit . . . . . . . . . . . . . . Leitsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Mediator . . . . . . . . . . . . . . . . . Beiträge der Medianden . . . . . . . . Verhandlungsbereitschaft: Beteiligung und Mitarbeit . . . . . . . . . . . Selbstvertretung – firm und fair . . Konfliktstile und Konfliktmuster . Die „Geschichten“ der Medianden Positionen, Taktiken . . . . . . . . . . . Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurz-Zeit-Mediation . . . . . . . . . . Mediation in Familienunternehmen Konfliktfelder . . . . . . . . . . . . . . . . Familienunternehmen Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . Typus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konflikte in Familienunternehmen Drei-Kreise-Modell a) Subsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wechselwirkungen der Subsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Äußere Einflüsse . . . . . . . . . . . . d) Komplexität . . . . . . . . . . . . . . . . e) Systemische Muster . . . . . . . . . . f) Bedürfnisse . . . . . . . . . . . . . . . . Konfliktfelder a) Spannungsbögen . . . . . . . . . . . . b) Subsystem Gesellschafter . . . . . c) Subsystem Unternehmen . . . . .

17.1 17.4 17.13 17.16 17.17 17.18 17.19 17.20 17.21 17.23 17.33 17.34 17.38 17.39 17.41 17.43 17.44 17.50

17.54 17.55 17.56 17.57

17.59 17.63 17.70 17.72 17.79 17.85 17.91 17.95 17.96

IV. 1. 2. 3. 4. V. 1.

2.

3. 4. 5. 6. 7. 8. D. I. II. III. IV. V. VI. VII. 1. 2.

d) Subsystem Familie . . . . . . . . . . 17.97 Typus Familienunternehmen . . . 17.98 Subsystem Gesellschafter . . . . . . . . 17.99 Subsystem Familie . . . . . . . . . . . . . 17.100 Subsystem Unternehmen . . . . . . . 17.101 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.102 Ablauf der Mediation in Familienunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.103 Schritt 1: Arbeitsbündnis a) Vorlaufphase . . . . . . . . . . . . . . . 17.104 b) Setting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.105 c) Eskalation . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.107 d) Gesprächsregeln . . . . . . . . . . . . 17.111 e) Viererschritt . . . . . . . . . . . . . . . 17.120 Schritt 2: Die Rolle des Rechts a) Das Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.121 b) Die Regelwerke des Gesamtsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.125 c) Imparität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.127 d) Fairness und Gerechtigkeit . . . . 17.131 Schritt 3: Themen . . . . . . . . . . . . . 17.132 Schritt 4: Bedürfnisse . . . . . . . . . . . 17.140 Schritt 5: Optionen . . . . . . . . . . . . 17.150 Schritt 6: Angebots-Verhandeln . . 17.155 Schritt 7: Abschlussvereinbarung . 17.158 Schritt 8: Nachbetreuung . . . . . . . . 17.159 Die mediative Familienverfassung 17.160 Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.161 Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.162 Setting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.164 Beweggründe und Erwartungen . 17.165 Zweifel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.169 Typus Familienverfassung . . . . . . 17.175 Die analoge Anwendung der Mediation zur Erarbeitung einer Familienverfassung Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . 17.178 Ausgangshypothesen a) Konsensfiktion . . . . . . . . . . . . . 17.181 b) Verrechnungsnotstände . . . . . . 17.184 c) Desynchronisationserscheinungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.185

Born | 1095

Kap. 17 | Mediation für Familienunternehmen d) Zuckerguss-Familienverfassung 3. Arbeitsbündnis . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Rolle des Rechts . . . . . . . . . . . 5. Maßstäbe für Fairness und Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Familieninteresse . . . . . . . . . . . . . . 7. Optionen a) Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Subsystem Gesellschafter . . . . . c) Subsysteme Familie . . . . . . . . . d) Subsystem Unternehmen . . . . . 8. Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Anpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Rechtliche Einordnung 1. Meinungsstand a) Rechtlich unverbindlich . . . . . . b) Unmittelbare und mittelbare Rechtsverbindlichkeit . . . . . . . . 2. Stellungnahme a) Rechtstatsachen . . . . . . . . . . . . b) Suprafamiliäre und rechtsverbindliche Ordnung . . . . . . . . . .

17.188 17.192 17.195 17.203 17.204 17.210 17.211 17.212 17.213 17.214 17.215 17.217 17.219 17.228

E. F. I. II. III. IV. 1. 2. 3. 4. V. VI. G.

c) Beispiel Eheverträge . . . . . . . . . d) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . e) Dogmatische Einordnung . . . . Collaborative Law – Cooperative Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das mediative schiedsrichterliche Verfahren Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . Schiedsgericht . . . . . . . . . . . . . . . Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . Beschlussmängelstreitigkeiten Schiedsfähigkeit II . . . . . . . . . . . . . Schiedsfähigkeit III . . . . . . . . . . . . Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die DIS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das mediative Schiedsverfahren . Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17.232 17.242 17.250 17.254

17.266 17.270 17.271 17.272 17.277 17.279 17.280 17.281 17.284 17.291

17.229

Literatur (Auswahl): Adolphsen, Der Zivilprozess im Wettbewerb der Methoden – Pay Pal und Ebay Law, BRAK-Mitteilungen 2017, 147; Ashby, An introduction to Cypernetics, New York 1956; Ballreich, Vertiefungsprozesse in der Mediation anregen, 58-65, in Knapp (Hrsg.), Konflikte lösen in Teams und großen Gruppen, 3. Aufl., Bonn 2020; Barth/Böhm/Barth (Hrsg.), Wirtschaftsmediation – Konflikte in Unternehmen und Organisationen, Stuttgart 2016; Bastine, Konflikte klären, Probleme lösen – die Psychologie der Mediation, 11-45, in Haynes/Mecke/Bastine/Fong (Hrsg.), Mediation – Vom Konflikt zur Lösung, 4. Aufl., Stuttgart 2014; Bastine/Ripke, Konflikte: Bewältigung Widerstände, Barrieren, Auflösungen, Workshop-Manual, 2013; Baumann, Mediation und Unternehmensnachfolge: Einsatzmöglichkeiten und Vorteile, ZEV 2004, 111; Baus, Die Familienstrategie, Wie Familien ihr Unternehmen über Generationen sichern, 5. Aufl. 2016; Bielecke, Gegensätze ziehen sich an, Polarisierungen in Ressourcen verwandeln, 225-230, in: Knapp (Hrsg.), Konflikte lösen in Teams und großen Gruppen, 3. Aufl., Bonn 2020; Binz/Mayer, Anteilsvinkulierung bei Familienunternehmen, NZG 2012, 201-212; Bishop, Systemische Mediation, Praxis und Erfolg Band 11, Kiel 2016; Bohny, Nicht ohne meine Geschwister! Die Bedeutung von Geschwisterteams für die Nachfolgeentscheidung der nächsten Generation in Familienunternehmen, Schriftenreihe des Friedrichshafener Institut für Familienunternehmen, zupFIF, Band VI, 2016, 9-17; Born, Gestaltung der lebzeitigen Nachfolge, in: DWS Institut (Hrsg.), HdB Familienunternehmen, 2014; Born/Ghassemi-Tabar/Gehle, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 7, 5. Aufl., München 2016; Boszormenyi-Nagi/Spark, Invisible Loyalties, Harper & Row, New York 1973; Braun, Susanne, (Außergerichtliche) Streitbeilegung in Unternehmensnetzwerken: eine Herausforderung für das Konfliktmanagement, SchiedsVZ 2013, 274-279; Braun, Bianca, Erfolgreich jenseits der Börse: Was führende Familienunternehmen auszeichnet, 2009; Breidenbach/ Peres, Die DIS-Mediationsordnung, SchiedsVZ 2010, 125-130; Briem, Professionelles Konfliktmanagement für innerbetriebliche Konflikte, ZKM 5/2011, 146-149; Bruhn, Collaborative Practice – Eine neue alternative Streitbeilegungsmethode mit großem Potenzial, NJOZ 2008, 1726-1732; Burkart, Verhandlungen in der Familie. Beobachtungen der Familiensoziologie, 81-102, in Röthel (Hrsg.), Verträge in der Unternehmerfamilie, Hamburg 2014; Burkhart; Die spinnen die Jungen, Eine Gebrauchsanweisung für die Generation Y, Heidesheim 2016; Bush/Folger, The Promise of Mediation, San Francisco 2005; Chiotellis/Fikentscher (Hrsg.), Rechtstatsachenforschung. Methodische Probleme und Beispiele aus

1096 | Born

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Born | 1097

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1098 | Born

Mediation für Familienunternehmen | Kap. 17 nisationen: Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Verknüpfungen, 99-115, in Kleve/Köllner (Hrsg.), Soziologie der Unternehmerfamilie, Wiesbaden 2019; Kühn, Generationenwechsel bei Unternehmerfamilien und Private Clients – Der mediationsanaloge Beratungsansatz AG Mediation – News – 5.11.2019 – abrufbar unter https://mediation.anwaltverein.de/news/einzelansicht/-artikel/generationenwechsel-bei-unternehmerfamilien-und-private-clients; Lammers, Emotionsfokussierte Methoden, Techniken der Verhaltenstherapie, Weinheim 2015; Lange, Corporate Governance in Familienunternehmen, BB 2005, 2585-2590; Lange, Kodex und Familienverfassung als Mittel der Corporate Governance in Familienunternehmen, 135-150, in Kirchdörfer/Lorz/Wiedemann/Kögel/Frohnmayer (Hrsg.), Familienunternehmen in Recht, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, Festschrift für Brun-Hagen Hennerkes zum 70. Geburtstag, München 2009; Leenen, Typus und Rechtsfindung, Diss. 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Born | 1099

Kap. 17 | Mediation für Familienunternehmen Familienunternehmen, Frankfurt/M. 2010/2011; PricewaterhouseCoopers (Hrsg.), Familienunternehmen Deutschland, Frankfurt/M. 2006; PricewaterhouseCoopers/Europa Universität Viadrina, Konfliktmanagement-Studien (2005 und 2016): PricewaterhouseCoopers/EUV, Konfliktmanagement in der deutschen Wirtschaft, Frankfurt/M 2016; Priester, Treupflichten in der Familiengesellschaft, Rechtsfragen der Familiengesellschaft, Heidelberg 2006; Prinz/Kahle (Hrsg.), Beck`sches Handbuch der Personengesellschaften, 5. Aufl., München 2020; Prügl/Rauschendorfer, Stiftung Familienunternehmen (Hrsg.), Deutschlands nächste Unternehmergeneration, 5. 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Aufl., Baden-Baden 2017; Risse, Neue Wege der Konfliktbewältigung: Last-Offer-Schiedsverfahren, High/ Low-Arbitration und Michigan-Mediation, BB 2002, Beilage 2 zu Heft 16, 16-22; Rosa, Beschleunigung und Depression – Überlegungen zum Zeitverhältnis der Moderne, Psyche – Z Psychonal 65, 2011, 1041-1060; Rosner/Winheller, Mediation und Verhandlungsführung, Systemische Organisationsberatung und Aktionsforschung, Band 4, Schriftenreihe des Instituts für systemische Aktionsforschung, München und Mering 2012; Lange, Die Familiencharta und das Familienunternehmen – Bedeutung und Schnittstellen zum Gesellschaftsvertrag, 33-46, in Röthel/Schmidt (Hrsg.), Die Verträge der Familienunternehmer, Hamburg 2013; Rüsen/von Schlippe/Kleve, Die dynastische Großfamilie: Skizze eines spezifischen Typus von Unternehmerfamilien, 225-247, in Kleve/Köllner (Hrsg.), Soziologie der Unternehmerfamilie, Wiesbaden 2019; Scherer (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch Erbrecht, 5. Aufl. 2018; Scherer, Familienunternehmen: Zivil- und steuerrechtliche Besonderheiten bei der Gestaltung des Gesellschaftsvertrags, BB 2010, 323-329; von Schlippe/Groth, Unternehmen, Familie, Unternehmerfamilie: Systemtheoretische Perspektiven zur Erweiterung des Drei-Kreise-Denkens, 267-277, in Kleve/ Köllner (Hrsg.), Soziologie der Unternehmerfamilie, Wiesbaden 2019; von Schlippe, Zwischen Ökonomie und Psychologie: Konflikte in Familienunternehmen, ZKM 2009, 17-21; von Schlippe/Schweitzer, Systematische Intervention, 3. Aufl. 2017; von Schlippe/Nischak/Hachimi (Hrsg.), Familienunternehmen verstehen, Gründer, Gesellschafter und Generationen, Familienworkshops als Weg der Entwicklung einer Familienstrategie, 2. Aufl., Göttingen 2011; Schmeing, Konfliktmanagement in Familienunternehmen, Der systematisierte Einsatz gerichtlicher und außergerichtlicher Streitbeilegungsmethoden zur Konfliktlösung, Diss. Bayreuth 2018; Schmidbauer, (Nicht mehr) recht haben müssen, 178-184, in Knapp (Hrsg.), Konflikte lösen in Teams und großen Gruppen, 3. Aufl., Bonn 2020; Schmitz, Lösungsorientierte Gesprächsführung, 3. Aufl. 2016; Schröder, Mediationsklausel im Gesellschaftsvertrag einer GmbH, GmbHR, 2014, 960-963; Schubert, Plötzlich und unerwartet, Hamburg 2015; Schulz von Thun, Miteinander reden: 1, Störungen und Klärungen, Allgemeine Psychologie der Kommunikation, 51. Aufl. 2014; Schulz von Thun, Miteinander reden: 2, Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung, Differenzielle Psychologie der Kommunikation, 34. Aufl. 2014; Schulz/Werz, Die Familienverfassung (Teil I) – Ziele, Grundlagen, Inhalte, ErbStB 2007, 310-313; Schulz/Werz, Die Familienverfassung (Teil II) – Musterformulierung mit Erläuterungen, ErbStB 2007, 353-360; Schween/ Koeberle-Schmid/Bartels/Hack, Die Familienverfassung, Zukunftssicherung für Familienunternehmen, Bonn-Bad Godesberg 2011; Seibold/Lantelme/Kormann, German Familiy Enterprises, Cham 2019; Steve de Shazer, Der Dreh – Überraschende Wendungen und Lösungen in der Kurzzeittherapie, 14. Aufl., Heidelberg 2019; Siegel, Mediation in Erbstreitigkeiten, Berlin 2009; Sigle, Zur Psychologie der Familiengesellschaften, 459-476, in Pfeiffer/Wiese/Zimmermann (Hrsg.), Festschrift für Heinz Rowedder zum 75. Geburtstag, München 1994; Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, Heidelberg 2012; Simon, Familien und Unternehmen, Überlegungen zu Unterschieden, Gemeinsamkeiten und den Folgen, 18-34, in: Simon (Hrsg.), Die Familie des Familienunternehmens, Ein System zwischen Gefühl und Geschäft, 3. Aufl., Heidelberg 2011; Simon, Die Familie des Familienunternehmens, Besonderheiten der Familiendynamik, 35-54, in Simon (Hrsg.), Die Familie des Familienunter-

1100 | Born

A. Einleitung | Rz. 17.1 Kap. 17 nehmens, Ein System zwischen Gefühl und Geschäft, 3. Aufl., Heidelberg 2011; Simon, Editorial: Geld oder Liebe – Familien und ihre Unternehmen, Familiendynamik 2001, Heft 26 (4), 333-337; Simon/ Wimmer/Groth, Mehr-Generationen-Familienunternehmen, Erfolgsgeheimnisse von Oetker, Merck, Haniel u.a., 3. Aufl., Heidelberg 2017; Spiegelberger, Die Familienverfassung: Gestaltung von Gesellschaftsverträgen, 89-114, in Rödl/Scheffler/Winter (Hrsg.), Internationale Familienunternehmen, Festschrift für Bernd Rödl zum 65. Geburtstag, München 2008; Stahl, Dynamik in Gruppen, 4. Aufl., Weinheim 2017; Stamm/Bernhard/Hameister, Empirische Befunde zu Unternehmerfamilien in Deutschland, 115-141, in: Kleve/Köllner (Hrsg.), Soziologie der Unternehmerfamilie, Wiesbaden 2019; Steffek, Mediation in Europa und der Welt, ZKM 2009, 21-25; Stierlin, Gerechtigkeit in nahen Beziehungen, Systemisch-therapeutische Perspektiven, 2. Aufl., Heidelberg 2007; Tagiuri/Davis, Family Business Review, vol V, no. 1, 1992; Thomann/Prior, Klärungshilfe 3, Das Praxisbuch, Hamburg 2017; Töben, Mediationsklauseln, RNotZ, 2013, 321-345; Tomm, Die Fragen des Beobachters – Schritte zu einer Kybernetik zweiter Ordnung in der systematischen Therapie, 5. Aufl., Heidelberg 2009; Uffmann, Family Business Governance – Rule-Making in the Shadow of Law and Love, ZIP 2015, 2441-2451; Ulmer, Die große, generationsübergreifende Familien-KG als besonderer Gesellschaftstyp, ZIP 2010, 549-557; Unberath, Mediationsklauseln in der Vertragsgestaltung, Prozessuale Wirkung und Wirksamkeit, NJW 2011, 1320-1324; Waibel, Kommunikationskultur in Familienunternehmen, Freiburg 2016; Walter, Durch Einfühlungslisten zum Perspektivwechsel, 185-191, in Knapp (Hrsg.), Konflikte lösen in Teams und großen Gruppen, 3. Aufl., Bonn 2020; Wanka, Juristische Personen und ihre Organe als Vorstand der Stiftung, Diss. Heidelberg 2018; Waterstradt, Westliche (Unternehmens-) Familienmodelle im historischen Wandel: eine prozess-soziologische Skizze, 51-98, in: Kleve/Köllner (Hrsg.), Soziologie der Unternehmerfamilie, Wiesbaden 2019; Watzke, Wahrscheinlich hat diese Geschichte gar nichts mit ihnen zu tun, 2. Aufl., Mönchengladbach 2008; Wedemann, Gesellschaftskonflikte in geschlossenen Kapitalgesellschaften, Diss. Tübingen 2013; Wenckstern, Güterstandsklauseln in Gesellschaftsverträgen, NJW 2014, 1335-1341; Westermann, Patchwork-Familien im Gesellschaftsrecht, NZG 2015, 649-657; Wicke, Corporate Governance-Fragen in der Kautelarjurisprudenz kleiner und mittelgroßer Unternehmen, ZGR 2012, 450-488; Wimmer/Gebauer, Nachfolge in Familienunternehmen – Theoretische Überlegungen für die erfolgreiche Gestaltung des Übergangs, 47-69, in von Schlippe/Rüsen/Groth (Hrsg.), Beiträge zur Theorie des Familienunternehmens, Schriftenreihe zu Familienunternehmen, Band 1, Witten 2009; Wimmer/Simon, Vom Familienunternehmen zur Unternehmerfamilie: Zur Erweiterung einer sozialwissenschaftlichen und systemtheoretischen Perspektive, 145-168, in Kleve/Köllner (Hrsg.), Soziologie der Unternehmerfamilie, Wiesbaden 2019; Wimmer/Groth/Simon, Erfolgsmuster von Mehrgenerationen-Familienunternehmen, 95-171, in: von Schlippe/Rüsen/Groth (Hrsg.), Beiträge zur Theorie des Familienunternehmens, Schriftenreihe zu Familienunternehmen, Band 1, Witten 2009; ZEW-Studie, Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Familienunternehmen, 5. Aufl. 2019 (ISBN: 978-3-942467-68-1) abrufbar unter https://www.familienunternehmen.de/media/ public/pdf/publikationen-studien/studien/Die-volkswirtschaftliche-Bedeutung-der-Familienunternehmen-2019_Stiftung_Familienunternehmen.pdf (Abruf 3.1.2020).

A. Einleitung Dieser Beitrag beschäftigt sich mit den Einsatzgebieten des mediativen Konzeptes für Familienunternehmen unter besonderer Berücksichtigung der Unternehmensnachfolge. Nach der Darstellung der Grundlagen der Mediation werden die prägenden Merkmale des Typus „Familienunternehmen“ anhand der typischen Konfliktfelder einer Unternehmerfamilie beschrieben und die Besonderheiten einer Mediation zur Bearbeitung eines Aktualkonfliktes in einer Unternehmerfamilie herausgestellt. Die analoge Anwendung des Verfahrens der Mediation zur Erarbeitung einer Familienverfassung, ohne dass ein Aktualkonflikt vorliegt, steht im Zentrum der Ausführungen. Hierdurch wird erhellt, dass der Mediationsprozess über seinen üblichen Anwendungsbereich als Konfliktlösungsverfahren hinaus als Kommunikationskonzept sowohl im Gesamtsystem Familie, Gesellschafter und Unternehmen als auch jeweils Born | 1101

17.1

Kap. 17 Rz. 17.1 | Mediation für Familienunternehmen

in allen Subsystemen die Verhandlungsfähigkeit und die Konfliktfähigkeit1 der Unternehmerfamilie im Prozess der Unternehmensnachfolge erheblich steigern kann. Die Mediation in ihrer Anwendungsvielfalt sollte daher Bestandteil eines jeden Konfliktmanagementsystems2 für eine Unternehmerfamilie sein.3 Weiter werden andere denkbare neue Einsatzgebiete des mediativen Konzeptes in der anwaltlichen Vertretung und der Schiedsgerichtsbarkeit für eine Unternehmerfamilie aufgezeigt.

17.2

Familienunternehmen sollen ein besonderes Konfliktpotential in sich tragen, das sie anfällig macht und häufig den Keim für ihr Ende bringt.4 Konflikte in Familienunternehmen gelten daher als „der Vernichter von Vermögenswerten“5 und werden als „existenzgefährdend“ eingestuft.6 Es scheint, dass besonders in Unternehmerfamilien Konflikte heruntergespielt, verdrängt oder tabuisiert werden.7 Nicht gelöste Konflikte sollen daher häufiger zum „Untergang“ von Familienunternehmen führen als unternehmerische Fehlentscheidungen.8 Das „Untergangsrisiko“ realisiert sich insbesondere beim Generationswechsel.9 So wird der Nachfolgeprozess auch als „Achillesferse des Familienunternehmens“ bezeichnet, „ein Moment, in dem Konflikte aufbrechen und mangelnde Planungen erkennbar werden.“10 Dementsprechend sollen nur 33 % der Unternehmen von der zweiten Generation fortgeführt werden; nur 3–4 % der Unternehmen gehen angeblich in die dritte Generation und nur 1 % in die vierte Generation über.11 Dies sei 1 Vgl. zur Konfliktfähigkeit in der Zusammenarbeit KPMG-Studie 2016, Hinter den Kulissen, Firma, Familie, Führung, 18. 2 Duve/Eidenmüller/Hacke/Fries, 303 ff.; Kloweit/Gläßer, Teil 1, 1. Einführung, 68 ff.; Habbe/Gieseler, NZG 2016, 1010 (1013); Schmeing, 23: „Familienunternehmen benötigen daher ein professionelles Konfliktmanagement“. 3 Zustimmend May/Bartels, 540. 4 Sigle in FS Rowedder, 462; Wicke, ZGR 2012, 450 (458): „gesteigertes Konfliktpotential“. 5 Hennerkes/Kirchdörfer, 62; Jansen/Beyerlein, BB 2012, 733; Hueck, 37. 6 Hennerkes/Kirchdörfer, 62 ff.; Kormann, Zusammenhalt der Unternehmerfamilie, 391: „Ungelöste Konflikte werden allgemein für die größte Gefahr für das Familienunternehmen gehalten“; Groth, 30–41; Kalss, FS Binz, 2014, 342 (344): „Sprengpotential“; Wimmer/Gebauer in von Schlippe/Rüsen/ Groth, 48 (51): „Sprengkraft“; vgl. zum Streit bei Aldi, Bahlsen, Müller, Tönnies, Dr. Oetker Zeit online v. 19.5.2016, editiert am 29.5.2016, abgerufen am 3.1.2020 unter https://www.zeit.de/2016/20/ familienunternehmen-deutschland-aldi-mueller-selbstbeschaedigung; zu Bahlsen auch Duve/Eidenmüller/Hacke/Fries, 31, 42; vgl. auch den Gesellschafterstreit der Privatbrauerei F & Co. oHG, OLG Köln v.19.12.2013 – 18 U 218/11, BeckRS 2014, 01271; zum Streit der Vivil-Erben nach dem Tod von Axel Müller-Vivil unter https://www.badische-zeitung.de/offenburg/die-vivil-erben-streiten-ueber-die-zukunft-der-firma-138324620.html abgerufen am 14.10.2018; zum Streit der Playmobil-Erben nach dem Tod von Horst Brandstätter unter https://www.morgenweb.de/mannheimer-morgen_artikel,-wirtschaft-dicke-luft-in-der-bunten-playmobil-welt-_arid,830764.html abgerufen am 3.1.2020; May/Bartels/Müller/Rieg/von Au in PricewaterhouseCoopers AG (Hrsg.), Family Governance in Familienunternehmen, 2015, 8; Die News 07_08/2015_031: Friede ernährt – Streit verzehrt: In führenden Familienunternehmen wie Porsche, Oetker oder Tönnies herrscht offener Krieg, https://dienews.net/aktuelles/2015/07/konflikte-in-familienunternehmen-friede-ernaehrt-streit-verzehrt/ abgerufen am 29.6.2020; Hastenteufel/Staub, StB 2019, 185 (189): „hohe Konfliktanfälligkeit“. 7 Schubert, 25; Uffmann, ZIP 2015, 2441 (2442): „das konfliktanfällige Konstrukt Familienunternehmen“. 8 Kormann, Zusammenhalt der Unternehmerfamilie, 391; Häring, 32; Fabis, 4; Habbe/Gieseler, NZG 2016, 1010 ff.; Mutter, 14. 9 Leiß in Kleve/Köllner, 169 (172): „Kristallisationspunkt“ im Nachfolgeprozess, denn Generationenbeziehungen (...) provozieren Konflikte.“ 10 Lubinski, 171; so auch Wedemann, 97: „Gesellschafterkonflikte als Achillesferse“; Hueck, 37. 11 Hilker, Familiendynamik 2001, 338 (359).

1102 | Born

A. Einleitung | Rz. 17.2 Kap. 17

die nüchterne statistische Grundlage der bekannten Spruchweisheit: „Die erste Generation erbaut’s, die zweite erhält’s, in der dritten zerfällt’s’ – auch international als Buddenbrook-Phänomen bekannt.“1 Von einem Generationswechsel zum nächsten soll die Lebenserwartung des Familienunternehmens schrumpfen und im Durchschnitt bei nur 24 Jahren liegen.2 Daraus eine Gesetzmäßigkeit abzuleiten, erscheint indes zweifelhaft. Nach der Untersuchung der am Umsatz gemessenen 368 größten deutschen Familienunternehmen durch Seibold/Lantelme/Kormann3 ergibt sich bezüglich ihres Gründungsdatums folgendes Bild:

Zu einem ähnlichen Bild kommt das ifm Mannheim4 bei der Untersuchung der 600 umsatzstärksten Familienunternehmen:

1 Hilker, Familiendynamik 2001, 338 (359); Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 69; Wimmer/Simon in Kleve/Köllner, 145 (150). 2 Leiß in Kleve/Köllner, 169 (171). 3 Zusammengefasst aus Table 8.2 bei Seibold/Lantelme/Kormann, 126 ff. 4 ZEW-Studie, 30, Abb. C-1.

Born | 1103

Kap. 17 Rz. 17.2 | Mediation für Familienunternehmen

Betrachtet man diese untersuchten Familienunternehmen, dann müsste die Zahl der älteren Familienunternehmen viel geringer sein, da dort mehr Generationenübergänge zu verzeichnen sind. Trotz der höheren Anzahl der Generationenübergänge sind die untersuchten Familienunternehmen also offenbar nicht „untergegangen“.

Vergleicht man die Ergebnisse, dann sind bei Seibold et al.1 186 der 368 (50,54 %) und beim ifm Mannheim 256 der 600 (42,67 %) Familienunternehmen von heute aus gesehen älter als 100 Jahre. Rechnet man eine Generation mit 30 Jahren, lässt sich daher sagen, dass nahezu die Hälfte der großen Familienunternehmen den Sprung von der zweiten in die dritte Generation geschafft haben und nicht nur 3–4 %, wie das Buddenbrook–Phänomen nahelegt. Richtig bleibt aber, dass unbearbeitete Konflikte zwischen Mitgliedern der Unternehmerfamilie in ihrer jeweiligen Rolle als Familienmitglied, Gesellschafter oder Mitarbeiter eine Fortführung und Wertsteigerung des Familienunternehmens erschweren oder gar unmöglich machen können – nicht mehr und nicht weniger.

17.3

Die im Zusammenhang mit Konflikten stehenden Kosten2 in Unternehmen sind bekannt.3 Gleichwohl soll es aber in Familienunternehmen nur wenige Ansätze zur Konfliktbearbeitung geben.4 Nach einer älteren Untersuchung von PricewaterhouseCoopers5 aus dem Jahr 2006 hatte nur etwa jedes sechste Familienunternehmen Mechanismen zur Bewältigung von Konflikten etabliert. Allerdings hatten 46 % der Befragten einer weiteren PricewaterhouseCoopers Studie aus dem Jahr 20086 bereits einen Mediator zur Konfliktlösung eingesetzt.7 Maßnahmen zur Konfliktprävention werden zwar verbreitet empfohlen.8 Diese Maßnahmen stellen jedoch selbst keine Konfliktbearbeitungsregelungen dar.9 Unternehmen führen indes

1 Seibold/Lantelme/Kormann, 62: „More than 20 % of German family-owned enterprises are older than 120 years.“. 2 Vgl. KPMG – Konfliktkostenstudie 2009: „Die Studie ermöglicht einen Überblick über die Höhe von Konfliktkosten in Industrieunternehmen sowie über den Informationsstand von Unternehmen bezüglich dieser Kosten. Am teuersten sind laut Umfrage gescheiterte und verschleppte Projekte: Jeder zweite Befragte gibt dafür ungeplant pro Jahr mindestens 50.000 Euro aus; jeder zehnte sogar über 500.000 Euro“. 3 Vgl. KPMG – Konfliktkostenstudie 2009; vgl. auch Rosner/Winheller, 342 m.w.N. 4 Hennerkes/Kirchdörfer, 64; Neuvians, 2; Habbe/Gieseler, NZG 2016, 1010 (1013). 5 PricewaterhouseCoopers, 2006, 6; 83 % der Teilnehmer der Studie gaben an, dass sie über keine Konfliktlösungsverfahren verfügen, und zwar weder bei Konflikten zwischen Familiengesellschaften noch zwischen aktiven in den Unternehmen tätigen Familienmitgliedern. 6 PricewaterhouseCoopers, 2008, 24. 7 Wächtler, 176: „Das Mediationsverfahren sollte dabei als Möglichkeit der Beratung unbedingt berücksichtigt werden.“; so auch Hastenteufel/Staub, StB 2019, 185: „Ein Mediationsverfahren eignet sich in besonderem Maße für Familienunternehmen“; ähnlich Hennerkes/Kirchdörfer, 68: „In Deutschland hat sich das Mediationsverfahren bisher noch nicht so recht durchgesetzt, wenngleich es mehr und mehr an Einfluss gewinnt“; Schmeing, 23: „Bei der Inanspruchnahme externer Mediatoren zeigten sich die Familienunternehmen hingegen eher zurückhaltend.“ 8 Hennerkes/Kirchdörfer, 65 zur Familienverfassung als Mittel der Streitvermeidung; vgl. May, Governance Kodex für Familienunternehmen, 31; Habbe/Gieseler, NZG 2016, 1010 (1013) m.w.N.; Grube in KPMG-Studie 2016, Hinter den Kulissen, Firma, Familie, Führung, 18, 58. 9 Neuvians, 3.

1104 | Born

B. Grundlagen der Mediation | Rz. 17.6 Kap. 17

zunehmend Konfliktmanagementsysteme (KMS)1 ein, die sich jedoch im Schwerpunkt mit der Bearbeitung und der Auswahl von Konfliktlösungsverfahren für einen Aktualkonflikt im Unternehmen beschäftigen.2

B. Grundlagen der Mediation I. Soziale Konflikte Soziale Konflikte sind nach Bastine3 wahrgenommene Differenzen zwischen Personen, Gruppen oder Organisationen, durch die Ziele oder Interessen mindestens eines Beteiligten wesentlich beeinträchtigt oder behindert werden. Die Verantwortung für die Behinderung wird beim anderen gesehen. Der Prozess wird in der Regel von starken Gefühlen begleitet.

17.4

Nach Bastine4 gibt es übergeordnete Kontext-Bedingungen von Konflikten, und zwar soziokulturell, ökonomisch, ökologisch, politisch, rechtlich, ethisch, institutionell, epochal, usw. In der Theorie des sozialen Konfliktes, die auch jeder Konfliktanalyse zugrunde liegen sollte, lassen sich vier Teilsysteme unterscheiden. Manifestiert sich ein Konflikt, gibt es zunächst die persönlichen Anteile („Teilsystem Beteiligte“). Hier geht es um die Bedürfnisse, persönlichen Anliegen, Werte, die Biografie, Gerechtigkeitsprinzipien, Überzeugungen. Das „Teilsystem Fakten“ betrifft die sachlichen Anteile eines Konfliktes, d.h. die Informationen bezüglich der rechtlichen, der ökonomischen und der organisatorischen Situationen. Das dritte Teilsystem betrifft die Beziehungsanteile, also die systemischen Beziehungsmuster, das Beziehungsnetzwerk, die Beziehungsqualität, Hierarchie, Status, systemische Konfliktmuster. Das vierte „Teilsystem Dritte“ beinhaltet die sozialen Anteile, also die Familie, Beteiligte im Hintergrund, Helfersysteme.

17.5

Systemisch betrachtet sind nicht bearbeitete Konflikte lösungsresistent und selbst erhaltend,5 selbst verstärkend und selbst regulierend.6 Jeder Konfliktpartner ist Teil eines oder mehrerer Systeme oder Subsysteme, die sich jeweils ihre eigene Wirklichkeit und ihre Konflikte konstruieren.7 Konflikte stellen ein komplexes und dynamisches8 System mit verschiedenen Einflüssen dar, die sich wechselseitig stabilisieren9 und selbstgesteuert autonom aufrechterhal-

17.6

1 Kirchhoff in Kloweit/Gläßer, Teil 3 A, 577 ff; Steffek in Greger/Unberath/Steffek, Einl. A. Rz. 54 m.w.N.; Kirchhoff, Wirtschaftsmediation in Deutschland, ZKM 04/2007, 108 ff.; Briem, ZKM 2011, 146. Vgl. ausführlich die Konfliktmanagement-Studien von PriceWaterhouse Coopers und Europa Universität Viadrina (2005 und 2016): PwC/EUV Konfliktmanagement in der deutschen Wirtschaft, Frankfurt/M 2016, 82; s. auch www.rtmkm.de; Braun, SchiedsVZ 2013, 274 ff.; May, NZBau 2015, 468 ff. 2 Ausführlich zur Systematik der unterschiedlichen Konfliktlösungsverfahren und der Kriterien für die Auswahl eines Verfahrens, Schmeing, 126 ff. 3 Bastine/Ripke, 7; zur Typologie von Konflikten ausführlich Glasl, Konfliktmanagement, 55 ff.; ähnlich PwC/EUV Konfliktmanagement in der deutschen Wirtschaft, Frankfurt/M 2016, 82; Wedemann, 46: „Enttäuschung normativer Verhaltenserwartungen“ m.w.N zu den Rationalitätsdefiziten; Duve/Eidenmüller/Hacke/Fries, 34. 4 Bastine/Ripke, 8. 5 Diez, 63. 6 Diez/Krabbe/Engler, 59. 7 Diez/Krabbe/Engler, 59. 8 Duve/Eidenmüller/Hacke/Fries, 35. 9 von Schlippe/Schweitzer, 33.

Born | 1105

Kap. 17 Rz. 17.6 | Mediation für Familienunternehmen

ten.1 Menschliches Verhalten, welches bei dem einen Teil kognitiv erfahren wird, kann über ein Antwortverhalten (Feedback) verstärkende oder abschwächende Wirkung haben.2 Der ungelöste Konflikt ist damit ein Zustand, der sich immer wieder um seiner selbst willen einpendelt (Homöostase).

17.7

Nach Simon3 gibt es drei Typen von Konfliktthemen: die Sozial- oder Beziehungsebene, die Sach- oder Inhaltsebene sowie Fragen der Zeit bzw. des Timings. Gefährlich für Familienunternehmen sind die Konflikte auf der Beziehungsebene, da sie mit einer Eskalationsgefahr verbunden sind. Es geht nicht primär um die Sache, sondern um persönliche Identität, Ehre, Anerkennung, Respekt, Status, Macht oder Unterwerfung. So sollen laut einer empirischen Untersuchung etwa 60 % aller Konflikte in Familienunternehmen eine persönliche Differenz zur Grundlage haben, die in das Unternehmen hineingetragen wird.4

17.8

Nach Glasl5 können Konflikte und deren Eskalationen in neun Stufen eingeteilt werden:

17.9

Ab dem Erreichen einer bestimmten Eskalationsstufe sind die Konfliktparteien typischer Weise nicht mehr allein in der Lage, den Konflikt zu bearbeiten.6 Die Grenze der Selbsthilfe ist regelmäßig nach dem Eintritt in die vierte Konfliktphase „Images und Koalitionen“ erreicht; ab diesem Zeitpunkt kann der Konflikt ohne Hilfe Dritter i.d.R. nicht mehr gelöst werden.7

1 Bastine/Ripke, 10; Diez/Krabbe/Engler, 59: „Fähigkeit zur Selbstregulierung und Selbstheilung“; Duss-von Werdt in Haft/Schlieffen, Handbuch Mediation2, § 11, S. 231 (244) Rz. 40. 2 Neuvians, 69. 3 Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 111. 4 Schmeing, 218 m.w.N. 5 Glasl, Selbsthilfe in Konflikten, 120. 6 Steffek in Greger/Unberath/Steffek, Einl. A. Rz. 52. 7 Glasl, Selbsthilfe in Konflikten, 138.

1106 | Born

B. Grundlagen der Mediation | Rz. 17.11 Kap. 17

Der Konflikt ist janusköpfig.1 Konflikte können destruktiv oder konstruktiv sein. Mit Konflikten gewalttätig umzugehen, ist zwar bis heute Alltag.2 Auf Grund der Janusköpfigkeit ist aber nicht jeder Unterschied und nicht jeder Interessenwiderstreit ein Konflikt und nicht jeder Konflikt führt in den Abgrund.3 Konflikte sind normal und sie sind ein notwendiger Bestandteil menschlichen Zusammenlebens.4 Simon5 führt insoweit treffend aus: „Konflikt ist der Normalzustand des Familienunternehmens.“ Konflikte können daher auch als eine Ressource6 und ein Beweggrund für notwendige Veränderungen und Weiterentwicklungen, als kreativer Prozess, als Musterveränderung, als Methode des Wettbewerbs oder als Auseinandersetzung von Interessen verstanden werden.7 Dies ist das von Edward de Bono entwickelte Verständnis einer „positiven ressourcenorientierten Konfliktsicht“.8

17.10

Die mögliche negative und zerstörerische Kraft eines Konfliktes kann indes Angst machen. Mit einem Konflikt verbinden wir daher eher negative Gefühle und hoffen, dass wir nie so einen Konflikt haben werden, wie wir ihn bei anderen von außen sehen. Aus diesem Grund wird auch oft davon gesprochen, Konflikte „zu vermeiden“9 oder zu „verhindern“.10 Was aber normal ist, sollte nicht vermieden oder verhindert oder bekämpft werden, sofern die Beziehung aufrechterhalten werden soll. Konfliktvermeidung auf der Sach- oder Inhaltsebene ist daher „sträflich“ und für jedes Familienunternehmen „riskant“.11 Fehlen einer Beziehung, einer Organisation, einem Team die täglichen Konflikte, ist das bedenklich und sollte den Beteiligten eine Warnung sein.12 Hilfreicher ist es über Präventionen nachzudenken oder zu überlegen, wie man Konflikte löst oder aber mit ihnen anders umgeht.13 Dabei gilt grundsätzlich, dass für jeden Konflikt im Einzelfall geprüft werden muss, welches Konfliktlösungsverfahren den größten Erfolg verspricht.14

17.11

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

Bastine/Ripke, 5. Duss-von Werdt, Einführung in Mediation, 13. Bastine/Ripke, 6. Diez/Krabbe/Engler, 53. Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 113; May in Koeberle-Schmid/Fahrion/Witt, 425–427: „Konflikte als natürlicher und konstruktiver Bestandteil in Unternehmerfamilien und Familienunternehmen“. Diez/Krabbe/Engler, 53: „positive ressourcenorientierte Konfliktsicht (... nach) Edward de Bono“; Simon in Simon, Die Familie des Familienunternehmens, 18 (34). Diez/Krabbe/Engler, 53. Diez/Krabbe/Engler, 53. Neumueller, 46. Mutter, 15: „Mechanismen (...) schaffen, durch welche Missverständnisse und Konflikte verhindert werden.“; Habbe/Gieseler, NZG 2016, 1010 ff.; Hennerkes/Kirchdörfer, 65: „...Familienverfassung als Mittel der Streitvermeidung...“. Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 113. Diez/Krabbe/Engler, 53. So auch Baus, 48 unter Hinweis auf die Familienstrategie in den USA: „Dort ist ihre Aufgabe immer schon bevorzugt die Prävention.“ Grundlegend zur Systematisierung von unterschiedlichen Konfliktlösungsverfahren für Familienunternehmen, Schmeing, 29 ff.; Glasl, Konfliktmanagement, 419 ff.; andere Konfliktlösungen und Konfliktpräventionen werden in diesem Beitrag nicht berücksichtigt. Vgl. hierzu auch Mähler/ Mähler in Heussen/Hamm, § 48; Fabis, ab 17, 30: „Familienrat, Familientag, Beirat“; Habbe/Gieseler, NZG 2016, 1010 ff.; Braun, SchiedsVZ 2013, 274 ff.; Jansen/Beyerlein, BB 2012, 733 (735); Wicke, ZGR 2012, 450 (469): „Beirat als Schlichtungsstelle“; vgl. auch die Konfliktmanagementverordnung der DIS vom 1.5.2010 (Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e.V.) abrufbar unter http://www.disarb.org/de/16/regeln/dis-konfliktmanagementordnung-10-kmo-id18 (Abruf: 3.1.2020); s. auch andere Verfahren z.B. Klärungshilfe nach Thomann/Prior oder das St. Galler Nachfolge-Modell nach Halter/Schröder.

Born | 1107

Kap. 17 Rz. 17.12 | Mediation für Familienunternehmen

17.12

Ein gerade für Familienunternehmen1 stets in Betracht zu ziehendes Verfahren ist die Mediation.2 Sie ist eine gewollte, zielgerichtete und ergebnisoffene Praxis der vernetzten Kommunikation3 von konkreten aufeinander bezogenen4 Personen und damit ein Kommunikationsprozess, in dem unterschiedliche Methoden angewendet werden,5 damit die Medianden im Rahmen ihrer mediativen Verhandlungen eine Balance zwischen einem Verstehensprozess und einem Handlungsprozess6 finden, um ihren Konflikt und/oder ihre Probleme7 vermittelnd durch einen allparteilichen Mediator zu lösen.8 Dabei findet grundsätzlich keine verbale Kommunikation unter den Medianden statt, sondern die Kommunikation läuft typischerweise über den Mediator. Der Mediator arbeitet mit einem Medianden und die anderen Medianden sind in die Rolle des Zuhörers versetzt. Die Mediation als Verfahren ergänzt insoweit die systemische Organisationstheorie bzw. die Systemtheorie, die Organisationen (wie auch Familien) als Kommunikationssysteme betrachtet.9

II. Das Mediationsgesetz 17.13

Nach dem Mediationsgesetz10 ist Mediation ein vertrauliches und strukturiertes Verfahren, bei dem Parteien mithilfe eines oder mehrerer Mediatoren freiwillig11 und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts anstreben. Ein Mediator ist dabei eine unabhängige und neutrale Person ohne Entscheidungsbefugnis, die die Parteien durch die Mediation führt. Der Mediator ist allen Parteien gleichermaßen verpflichtet. Er fördert die Kommunikation der Parteien und gewährleistet, dass die Parteien in angemessener und fairer Weise in die Mediation eingebunden sind. Das Gesetz sagt indes nicht, wie Mediation im Einzelnen funktioniert.12

1 Hastenteufel/Staub, StB 2019, 185 (189); Wedemann, 510 ff.; Kalss/Probst, Familienunternehmen, 10. Kap., Rz. 60 ff.; Riedel in Riedel, 663 (665) Rz. 6 ff. 2 Grundlegend Bastine in Haynes/Mecke/Bastine/Fong, 11 (14–22); Montada/Kals, 105 ff.; Riedel in Riedel, 663 (665) Rz. 6 ff.; Kessen/Troja in Haft/Schlieffen, Handbuch Mediation3, § 14, S. 329 ff.; Duss-von Werdt in Haft/Schlieffen, Handbuch Mediation2, § 11, S. 231 (233) Rz. 6 Fn. 2: „Wieder aufgekommen ist die Mediation zwar in den USA und in Kanada im Verlauf der letzten 60 Jahre. In Europa ist sie mindestens zwei Jahrtausende älter und kam von da westwärts über den Atlantik.“; zur Geschichte der Mediation vgl. Duss-von Werdt, homo mediator; Duss-von Werdt, Einführung in Mediation, 13; vgl. auch zur Entwicklung der Mediation Rosner/Winheller, 320; Neumueller, 235 ff. 3 Duss-von Werdt in Haft/Schlieffen, Handbuch Mediation2, § 11, S. 231 (244) Rz. 57 ff. 4 Duss-von Werdt in Haft/Schlieffen, Handbuch Mediation2, § 11, S. 231 (235) Rz. 17. 5 Duss-von Werdt in Haft/Schlieffen, Handbuch Mediation2, § 11, S. 231 (240) Rz. 27: „Methoden sind auch nicht die Mediation selber, sondern Modelle (Konstrukte) möglicher Wege zur und der Mediation. Der Weg ist auch nicht das Ziel, sondern Ziel ist das Ende des Weges.“ 6 Krabbe, ZKM 2018, 181 (183). 7 von Schlippe/Schweitzer, 31: „Ein Problem ist (...) etwas, das von jemandem einerseits als unerwünschter und veränderungsbedürftiger Zustand angesehen wird, andererseits aber auch als prinzipiell veränderbar.“ 8 Man kann dies mit Krabbe, ZKM 2018, 181 ff. auch so formulieren: „Mediationsgespräche sind keine gewöhnlichen Unterhaltungen. Sie gründen auf dem Bestreben, eine Vereinbarung, einen Vertrag zwischen den Konfliktparteien herbeizuführen.“ 9 Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 85; von Schlippe/Schweitzer, 30: „Denn nicht das System muss sich verändern, sondern „nur“ die Kommunikation rund ums Problem.“ 10 BGBl. I 1577; zuletzt geändert durch Art. 135 der Verordnung vom 31.8.2015 (BGBl. I 1474). 11 In der Praxis ist „bereitwillig“ schon ausreichend; ähnlich Riedel in Riedel, 663 (665) Rz. 8: „weitgehend freiwillig“. 12 Anschaulich mit dem exemplarischen Fall einer Erbmediation Diez/Krabbe/Engler.

1108 | Born

B. Grundlagen der Mediation | Rz. 17.17 Kap. 17

Die Mediation wirbt zwar mit dem Versprechen, sie sei Konfliktlösung. Es ist jedoch zweifelhaft, ob die Konflikte nach einer gelungenen Vermittlung wirklich „weg“ sind.1 Der Bericht der Bundesregierung2 über die Auswirkungen des Mediationsgesetzes auf die Entwicklung der Mediation in Deutschland vom 14.6.2017 nährt diese Zweifel. Er kommt zu dem Ergebnis, dass es auch in den Fällen einer Abschlussvereinbarung nicht heißen muss, dass der Konflikt beendet werden konnte. Die Wahrscheinlichkeit einer Konfliktbeilegung durch Mediation liegt danach bei ca. 50 %. Der „Erfolg“ einer Mediation stellt mithin eher die Ausnahme dar (Konflikt beendet: 42 % „selten oder nie“, 34 % „hin und wieder“, nur 24 % „immer“ oder „ganz überwiegend“). In rund 25 % der Fälle kommt es zumindest hin und wieder vor, dass die Mediation von einer Seite sogar abgebrochen wird.

17.14

Dieser auf den Erfolg abstellende Bericht greift indes zu kurz. Die Mediation hat viel bewirkt, wenn die Medianden nach der Mediation mit ihrem Konflikt anders umgehen,3 ohne ihn zu lösen. Im besten Fall sind daher aus Konfliktgegnern Konfliktpartner geworden.4 Mediation ist damit nicht nur erfolgreich, wenn der Konflikt gelöst wird, sondern auch dann, wenn er – trotz einer Problemlösung auf der Sachebene – bestehen bleibt, aber ein Weg gefunden wird, um mit ihm gut umzugehen.5 So führen von Schlippe/Schweitzer zutreffend aus: „Über die Veränderbarkeit von Unveränderbarem lohnt nicht zu sprechen – wohl aber darüber, wie man bestmöglich aushalten und ertragen kann, was man nicht verändern kann.“6

17.15

III. Prinzipien der Mediation 1. Freiwilligkeit Das Mediationsgesetz spricht zwar von Freiwilligkeit,7 in der Praxis ist diese jedoch nicht immer gegeben und wird von zumindest einem Medianden auch oft verneint. „Ich bin nicht freiwillig hier, sondern mein Chef/mein Partner/unser Vater/meine Kinder, unsere kreditgewährenden Banken etc. fordern, dass wir eine Mediation durchführen.“ Damit eine Mediation durchgeführt werden kann, ist für ein Arbeitsbündnis daher die „Bereitwilligkeit“ der Medianden ausreichend, mitzuwirken und sich einzubringen.8

17.16

2. Informiertheit Der Grundsatz der Informiertheit9 bedeutet im Wesentlichen, dass alle Parteien über die entscheidungserheblichen Tatsachen und die Rechtslage umfassend informiert sein müssen, um so eine Akzeptanz der Ergebnisse für die Zukunft zu gewährleisten.10 1 2 3 4 5 6 7

Duss-von Werdt, Einführung in Mediation, 19. BT-Drucks. 18/13178, 6. Duss-von Werdt, Einführung in Mediation, 19. Friedman/Himmelstein, 40. Duss-von Werdt in Haft/Schlieffen, Handbuch Mediation2, § 11, S. 231 (240) Rz. 26. von Schlippe/Schweitzer, 32. § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 2 MediationsG; Riedel in Riedel, 663 (676) Rz. 51; Steffek in Greger/Unberath/Steffek, § 1 Rz. 30; Kracht in Haft/Schlieffen, Handbuch Mediation3, § 13, S. 301 (319 ff.). 8 Ähnlich Bishop, 63: „Wille von Allen“; Vgl. zur Auftragsklärung bei Unfreiwilligkeit auch von Schlippe/Schweitzer, 26: „Wie kann ich Ihnen helfen, dass die anderen Sie in Ruhe lassen, dass die anderen nicht mehr denken, dass Sie (...), dass Sie mich so schnell wie möglich wieder los werden?“. 9 Kracht in Haft/Schlieffen, Handbuch Mediation3, § 13, S. 301 (322 ff.); Riedel in Riedel, 663 (676) Rz. 52; ähnlich § 2 Abs. 6 MediationsG: „...Kenntnis der Sachlage treffen und ihren Inhalt verstehen.“ 10 Kracht in Haft/Schlieffen, Handbuch Mediation3, § 13, S. 301 ff.

Born | 1109

17.17

Kap. 17 Rz. 17.18 | Mediation für Familienunternehmen

3. Eigenverantwortlichkeit 17.18

Eigenverantwortung1 bedeutet, dass die Medianden verstehen, was für sie substanziell ist und dass sie eine Lösung erarbeiten, die für alle Beteiligten die beste ist. Es bedeutet auch, dass die Medianden aktiv an der Gestaltung des Verfahrens mitwirken. Damit sind die Medianden selbst verantwortlich und übernehmen eine aktive Rolle.2

4. Vertraulichkeit 17.19

Alle Beteiligten können sich zu Beginn der Mediation im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten zur Vertraulichkeit3 verpflichten, müssen es aber nicht. Es kann vereinbart werden, dass bei einem Scheitern der Mediation in einem nachfolgenden streitigen Prozess im Rahmen der Mediation offenbarte Informationen nicht gegen die offenbarende Partei verwendet werden können.4 Der Mediator ist nach § 4 MediationsG indes stets zur Verschwiegenheit verpflichtet und er kann sich im Zivilverfahren auf ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO berufen.5

5. Ergebnisoffenheit 17.20

Die Lösung muss mediativ verhandelt werden und sie steht zu Beginn der Mediation nicht fest. Ergebnisoffenheit bedeutet, dass man nicht weiß, wohin die Reise geht.6

IV. Leitsätze 17.21

Die hier vertretene Spielart der systemischen Mediation7 berücksichtigt weiter die u.a. der systemischen Therapie8 entlehnten nachstehenden Leitsätze:9 1 Vgl. § 1 Abs. 1 MediationsG; ähnlich Riedel in Riedel, 663 (678) Rz. 60: „Selbstverantwortlichkeit“; Kracht in Haft/Schlieffen, Handbuch Mediation3, § 13, S. 301 (320 ff.); Steffek in Greger/Unberath/Steffek, § 1 Rz. 38. 2 Friedman/Himmelstein, 37. 3 Steffek in Greger/Unberath/Steffek, § 1 Rz. 52. 4 Vgl. § 1 Abs. 1 und § 4 MediationsG; Kracht in Haft/Schlieffen, Handbuch Mediation3, § 13, S. 301 (324 ff.). 5 Goltermann in Kloweit/Gläßer, § 4 Rz. 9 m.w.N. 6 Vgl. Duss-von Werdt in Haft/Schlieffen, Handbuch Mediation2, § 11, S. 231 (248) Rz. 55. 7 Diez/Krabbe/Engler, 58; vgl. zu den unterschiedlichen Ansätzen auch Mähler/Mähler in Heussen/ Hamm, § 48 Rz. 75 ff.; Bishop, 19 ff.; Duve/Eidenmüller/Hacke/Fries, 90 ff.; zur Illustration der Verhandlungsmethode wird oft auf die Entstehungsgeschichte des Friedensvertrages zwischen Israel und Ägypten 1979 – auf der Grundlage des Camp-David-Abkommens von 1978 – verwiesen. Israel weigerte sich die eroberte Sinai-Halbinsel zu räumen, während Ägypten auf einer Rückgabe bestand – eine scheinbar ausweglose Situation. Was war den jeweiligen Staaten aber bei ihrer jeweiligen Position wichtig? Ägypten wollte den Sinai aus historischen Gründen in ihrem Hoheitsgebiet wissen, während Israel den von dort erfolgenden Beschuss auf sein Hoheitsgebiet unterbinden wollte. Die Lösung bestand in der Rückgabe des Gebiets unter gleichzeitiger Einrichtung einer entmilitarisierten von multinationalen Truppen kontrollierte Zone, vgl. Fabis, 26; vgl. auch zum Ein-Text-Verfahren in den Camp-David-Verhandlungen, detailliert Rosner/Winheller, 306 ff.; s. auch Riedel in Riedel, 663 (674) Rz. 41; Hinrichs, Praxishandbuch Mediationsgesetz, 92 Rz. 231; vgl. auch zur Caucus-Mediation Eidenmüller, ZIP 2016, 18 ff; Duve/Eidenmüller/Hacke/Fries, 224 ff. 8 Vgl. Krabbe/Fritz, ZKM 2013, 76; Diez/Krabbe/Engler, 60 f. 9 Nach Dendorfer, DB 2003, 135, „Leitgedanken“; Fabis, 27.

1110 | Born

B. Grundlagen der Mediation | Rz. 17.23 Kap. 17

17.22

– Die Parteien sind autonom; – Im Zentrum steht der Versuch des Verstehens des anderen, bezogen auf seine persönlichen Anliegen und Bedürfnisse, ohne dessen Position zu verstehen oder gar zu akzeptieren. Erst das wechselseitige Verstehen der persönlichen Anliegen und Bedürfnisse des anderen kann konsensuale Lösungen ermöglichen (Verstehensprozess);1 – Zirkularität: „A soll sagen, was B seiner Meinung nach braucht.“ (Perspektivenwechsel); – Abwendung vom Denken in Positionen, Hinwendung zum mediativen Verhandeln anhand der hinter den Positionen stehenden wahren Bedürfnisse der Parteien (Handlungsprozess); – Abwendung von Beurteilungen, Hinwendung zu Problembeschreibungen; – Abwendung von Schuldzuweisungen, Hinwendung zu Bedürfnissen; – Abwendung von Vergangenheit, Hinwendung zu Zukunft und Zielen; – Feed-Back-Prozesse; – Möglichkeitserweiterung und Optionalität; – Berücksichtigung der Ressourcen der Medianden statt Problem-Orientierung; – Neutralität; – Allparteilichkeit; – Konflikte als Lösungsversuche; – Arbeit mit Hypothesen;2 – Arbeit mit Regeln und neuen Ordnungen. Den systemischen Zusammenhang beschreibt Duss-von Werdt3 treffend wie folgt: „Wer nichts damit anfangen kann, aus welchen Gründen auch immer, dass er am Verhalten der anderen selber beteiligt ist, mag vielleicht lieber auf das achten, was in und nicht zwischen den Menschen vorgeht. Nur kann er sein Interesse daran auch abdecken, wenn er selber darauf achtet, was zwischen ihm und anderen passiert, was sie ihm mitteilen über sich selbst und ihre Erfahrungen mit anderen. Denn wenn er es nur vermutet oder hypothetisch annimmt, was sich da abspielt, bleibt er allein mit sich selber und seinen Konstrukten, weil er mit der beobachteten Person nicht bewusst kommuniziert. Dennoch ist es ihm auch dann unmöglich, nicht zu kommunizieren. Nur fehlt ihm der aktive Austausch, die bewusste und Verständnis ermöglichende Zirkularität, welche ergeben könnte, ob seine Konstrukte “über" die anderen stimmig sind oder nicht.“

V. Der Mediator Der Mediator muss allparteilich4 sein. Der Mediator darf nicht für eine Person unmittelbar oder mittelbar Partei ergreifen. Jeder Mediand erfährt von ihm die gleiche Zuwendung und er 1 2 3 4

Ballreich in Knapp, 58 ff. Diez/Krabbe/Engler, 173. Duss-von Werdt in Haft/Schlieffen, Handbuch Mediation2, § 11, S. 231 (243) Rz. 32. Steffek in Greger/Unberath/Steffek, § 2 Rz. 23; ähnlich § 1 Abs. 2 MediationsG: „unabhängig und neutral“.

Born | 1111

17.23

Kap. 17 Rz. 17.23 | Mediation für Familienunternehmen

wendet für jeden Medianden gleich viel Zeit auf (Verfahrensgerechtigkeit). Die Allparteilichkeit ist kein Zustand. Sie ist eine Selbstverpflichtung des Mediators. Sie muss stets von Neuem im Prozess hergestellt werden.1

17.24

Die Haltungsanforderung an den Mediator, allparteilich zu sein und zu handeln, wird von ihm an die Eigenverantwortlichkeit der Medianden gekoppelt. Er fordert die Medianden auf, ihn darauf hinzuweisen, sofern sie aus ihrer Wahrnehmung heraus in seinem Verhalten eine parteiliche Haltung erkennen2 oder ihn als „parteilich empfinden“, auch wenn der Mediator selbst stets der Auffassung sein sollte, er sei allparteilich.3

17.25

Die Allparteilichkeit steht in einer Wechselbeziehung zu anderen Begriffen wie der Neutralität, der Kongruenz und der Authentizität. Während sich die Allparteilichkeit mithin auf die Stellung des Mediators zu den Konfliktparteien bezieht,4 ist der Begriff der Neutralität eng mit der Allparteilichkeit verbunden, jedoch gleichzeitig inhaltsverschieden. So ist die Neutralität für den Mediator kein geeignetes Konzept,5 die Allparteilichkeit indes schon. Ist die Allparteilichkeit die selbstbindende Zustandsverpflichtung des Mediators, zielt die Neutralität auf den Inhaltsaspekt des Konfliktes.6 So verhält sich der Mediator stets neutral gegenüber Ideen, Zielen, Wertvorstellungen, Überzeugungen und den von den Medianden gefundenen Lösungen.7

17.26

Es ist natürlich, dass der Mediator jeden geschilderten Konflikt mit seinem Blick auf die Welt abgleicht, interpretiert und Schlussfolgerungen trifft. Er stellt damit sogleich eigene Wertungen an. Neutralität bedeutet, diese eigenen Wertungen bei sich zu behalten. Er muss artikulieren, dass es nicht um seine Situation geht, sondern darum, dass die Medianden ihre eigene Situation schildern, mit ihren eigenen Wertungen und eigenen Emotionen. Indem der Mediator zeigt, dass er versuchen möchte, die unterschiedlichen Wahrheiten zu verstehen und erklärt, er werde seine eigenen Einstellungen hintenanstellen, erfahren die Medianden zugleich, was der Mediator unter Neutralität als Teilaspekt der Allparteilichkeit versteht. Dies zeigt sich insbesondere auch in den Fragestellungen des Mediators. Hierbei gilt nach von Schlippe et al.,8 dass jede Frage immer auch eine Intervention ist, die implizit eine bestimmte Sicht von Wirklichkeit anbietet; damit könnte der Mediator eine Richtung vorgeben („dieses Problem sollte gelöst werden“) und seine Neutralität in der Wahrnehmung zumindest eines Medianden verlieren.

17.27

Neutralität9 und Allparteilichkeit müssen also vom Mediator in der Mediation gelebt und von den Medianden erfahren werden. Dies setzt im Weiteren wiederum voraus, dass der Mediator eine „gut integrierte Persönlichkeit“10 ist. So soll der Mediator „tief geerdet in sich selbst ru1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Diez/Krabbe/Engler, 60; Ripke in Trenczek/Berning/Lenz/Will, 193 (195) Rz. 17. Ripke in Trenczek/Berning/Lenz/Will, 193 (195) Rz. 18. Friedman/Himmelstein, 245. Anders Riedel in Riedel, 663 (675) Rz. 48, die die Allparteilichkeit als Aufgabe versteht, für ein Gleichgewicht zwischen den Medianden zu sorgen. Zutreffend Duss-von Werdt, Einführung in Mediation, 17; anders § 1 Abs. 2 MediationsG; Steffek in Greger/Unberath/Steffek, § 1 Rz. 56. Ripke in Trenczek/Berning/Lenz/Will, 193 (196) Rz. 22; anders Riedel in Riedel, 663 (675) Rz. 48, die die Neutralität auf die Rolle des Mediators als Vermittler bezieht. Tomm, 77. von Schlippe/Schweitzer, 58. Vgl. auch Kracht in Haft/Schlieffen, Handbuch Mediation3, § 13, S. 301 (308 ff.). Ripke in Trenczek/Berning/Lenz/Will, 193 (196) Rz. 25.

1112 | Born

B. Grundlagen der Mediation | Rz. 17.29 Kap. 17

hen, ohne Scheu seine Person tatsächlich als Spielball, Reflektionsmöglichkeit oder Grenze zur Verfügung stellen und eine Kraft ausstrahlen, die in ihm liegt, die die Medianden beruhigt, trägt und sich entfalten lässt“.1 Der Mediator ist damit eine Person, die den Medianden Halt, Wertschätzung und Resonanz gibt.2 Das ist leichter gesagt als getan, erfordert es doch vom Mediator eines: ausreichend Zeit zum Reflektieren seiner Rolle im System der konkreten Mediation und daraus abgeleitet zur möglichen Korrektur seiner psychologischen, juristischen und ökonomischen Hypothesen.3 Erlebt der Mediator durch die Medianden deren Konflikt, kann dies im Mediator Emotionen triggern. Diese können wiederum ihre Ursache in der eigenen Geschichte des Mediators haben.

17.28

So kommt der mediationsanalogen Supervision4 mit ihren Formen der Einzelsupervision und der Gruppensupervision eine unverzichtbare Bedeutung für die Qualitätssicherung der Mediation zu, da hier für den Mediator als Supervisand ein Reflexionsraum geöffnet wird, der ihm ein vertieftes Verständnis seiner beruflichen Realität verschafft und ihn vielfältig bereichert. Es könnte sein, dass der Konflikt der Medianden im Mediator selbst etwas auslöst oder es kristallisiert sich ein „blinder Fleck“ des Mediators heraus. So besteht stets die Gefahr von Vermischungen der persönlichen Lebensumstände des Mediators mit denen der Medianden. In der Supervision werden diese Aspekte allerdings nicht behandelt. Man geht nicht in den „Keller“ des Supervisanden, sondern bleibt auf seiner beruflichen Ebene. Auch geht es nicht um eine „Kontrolle“ des Mediators oder gar eine Kontrolle der Mediation. Die Außensicht des Supervisors und/oder der Teilnehmer der Gruppensupervision auf das System Medianden/Mediator und die Analyse der konkreten Situation aus verschiedenen Blickwinkeln und Dimensionen kann entscheidende Impulse für die Neuausrichtung des Mediators, seine Hypothesenbildung und die Interventionen für die nächste Sitzung oder eine neue Mediation liefern. Nur wer dem Medianden authentisch und kongruent gegenübertritt, wird von ihm als Person sichtbar wahrgenommen und erst dadurch kann der Mediator den Medianden ein Gefühl von Sicherheit vermitteln. Demgegenüber ist eine Störung zu befürchten, sofern sich der Mediator seine Sympathien und Antipathien nicht eingesteht.5 Das Prinzip der Neutralität beinhaltet weiter die Aufforderung an den Mediator, den Medianden wertzuschätzen, ihn anzuerkennen und auch neugierig zu sein. Der Mediator muss sich dafür begeistern können, den Medianden in seinem Inneren zu verstehen. Daher sind Vorurteile oder Schuldzuweisungen mit dem Prinzip der Neutralität unvereinbar. Zwei Grundannahmen sollten daher dem Fundament der Haltung des Mediators nach Mecke6 zugrunde liegen:

Medianden „tun in der Mediationssitzung das Beste, was ihnen mit den ihnen zur Verfügung stehenden Wahlmöglichkeiten möglich erscheint; jedem Verhalten, auch einem zerstörerisch wirkenden Tun, liegt eine positive Absicht zugrunde, die sich aber durch subjektiv mangelnde Wahlmöglichkeiten in einem Verhalten zeigt, dass negativ wirkt.“ Aus diesem Grund sollte der Mediator auch „Vorwürfe als schlecht verpackte Wünsche“ behandeln, damit er hierdurch Bedürfnisse auffindet, die er für die wechselseitige bedürfnisorientierte Problemdefinition benötigt.

1 2 3 4 5 6

Ripke in Trenczek/Berning/Lenz/Will, 193 Rz. 24. Krabbe, ZKM 2018, 181 (182). Diez/Krabbe/Engler, 173. Diez/Krabbe/Engler, 76, 180 ff.; Kaldenkerken, 201 ff. Montada/Kals, 49. Mecke in Haynes/Mecke/Bastine/Fong, 278 (319); vgl. auch Bishop, 15.

Born | 1113

17.29

Kap. 17 Rz. 17.30 | Mediation für Familienunternehmen

17.30

Abschließend wird die Haltung des Mediators und seiner Allparteilichkeit abgerundet durch Akzeptanz, Respekt und Empathie.1 Hervorzuheben ist insbesondere das Schweigen in der Mediation.2 Dabei ist Schweigen nicht nur Stille, sondern ein „Verhalten ohne Reden“. Ressourcenorientiertes „empathisches Schweigen und Zuhören“ bzw. „aktives, schweigendes Zuhören“ zählt gemeinhin zu den grundlegenden Techniken für die Mediationsarbeit. 3 Zur Welt der beratenden Berufe stellt dies die größte Abweichung dar. Beratende Berufsgruppen müssen „schillern“, „aktiv werden“ und ihr Gegenüber bereits von Anbeginn an von der Methode und der Lösung überzeugen.4 So lebt die Rechtswissenschaft „vom Wort, von der Sprache und vom treffenden Argument“.5 Stille eintreten zu lassen, abzuwarten, bis die Medianden anfangen zu sprechen und die Kraft des aktiven Zuhörens,6 sich entwickeln lassen, sind wesentliche Haltungen des Mediators. Diese unterscheiden ihn von den beratenden Berufen. Aber auch hier gilt es, Akzeptanz und Empathie auch dann zu zeigen, wenn sich die persönliche Erfahrungswelt des Mediators und diejenige der Medianden unterscheiden.7 Dies gilt insbesondere auch bei negativen Gefühlen. Das Negative zulassen, kann beim Medianden der erste Schritt sein, sich aus dem Negativen tatsächlich befreien zu wollen.8

17.31

Der Mediator trifft Aussagen, die dazu beitragen, Antworten zu liefern und stellt Fragen, die dazu neigen, Antworten zu fordern.9 Im Verstehensprozess der Mediation (Schritt 3 Themensammlung, Schritt 4 Bedürfnisse) werden lineare und zirkuläre Fragen und Aussagen in einer Balance gehalten.10 Der Handlungsprozess der Mediation (Schritt 5 Optionen, Schritt 6 Angebots-Verhandeln) wird demgegenüber hauptsächlich durch reflexive, zirkulär reflexive und zirkuläre Fragen gefördert.11

17.32

Für den Mediator gelten weiter die wiederum der Therapie entlehnten Grundregeln:12 Repariere nichts, was nicht kaputt ist; Wenn etwas funktioniert, mach mehr davon; Höre mit dem auf, was mehrfach nicht funktioniert hat und versuche etwas anderes. Schließlich sollte der Mediator auf den Sinnesbezug der Sprache13 besonderen Wert legen. Der Mediator sollte sich bewusst machen, welche Sprache die Medianden jeweils sprechen. Dies reicht von dem Beobachten der Körpersprache bis zur Einschätzung, welchen Repräsentationskanal der jeweilige Mediand verwendet. So mag ein Mediand nach Mecke14 seine Befindlichkeit als „alles ist farblos und trübe geworden, manchmal sehe ich nur noch schwarz“ und ein anderer als „ich stecke vollkommen fest, habe mich völlig in mich selbst verkrochen“ 1 Diez, 165. 2 Vgl. hierzu Gerber, Perspektive/Schwerpunkt, 2015, 149 ff., der anschaulich verschiedene Situationen beschreibt, in denen das konsequente Schweigen des Mediators die Medianden wieder ins Reden bringt und ihre Selbstverantwortung für das Mediationsergebnis stärkt. 3 Gerber, Perspektive/Schwerpunkt, 2015, 149, 150. 4 Ripke in Trenczek/Berning/Lenz/Will, 193 (198) Rz. 35; Tomm, 76 ff. 5 Gerber, Perspektive/Schwerpunkt, 2015, 149 ff. 6 Duve/Eidenmüller/Hacke/Fries, 139; Rosner/Winheller, 74. 7 Ripke in Trenczek/Berning/Lenz/Will, 193 (198) Rz. 36; s. auch Duve/Eidenmüller/Hacke/Fries, 151. 8 Ripke in Trenczek/Berning/Lenz/Will, 193 (199) Rz. 43. 9 Tomm, 170 f.; Krabbe, ZKM 2018, 181 (182). 10 Krabbe, ZKM 2018, 181 (183); Mecke in Haynes/Mecke/Bastine/Fong, 278 (295 ff.). 11 Krabbe, ZKM 2018, 181 (183); Rosner/Winheller, 433 ff. mit Beispielsfragen. 12 Schmitz, 18 ff.; Krabbe/Fritz, ZKM 2013, 76 m.w.N. 13 Mecke in Haynes/Mecke/Bastine/Fong, 278 (282 ff.). 14 Mecke in Haynes/Mecke/Bastine/Fong, 278 (283).

1114 | Born

B. Grundlagen der Mediation | Rz. 17.38 Kap. 17

beschreiben. Die Sprachauswahl hat mithin eine erhebliche Auswirkung auf die Kommunikation und auf das Verständnis. Damit die Medianden ein Gefühl entwickeln können, vom Mediator gut verstanden worden zu sein, ist die eigene Bereitschaft des Mediators gefordert, sich auf den jeweiligen Sinnesbezug der Sprache der Medianden einzulassen.1

VI. Beiträge der Medianden Die Medianden leisten einen wesentlichen Beitrag bezüglich des Erfolges oder Misserfolges einer Mediation. Sie bringen unterschiedliche Voraussetzungen und Bedingungen mit. Diese beeinflussen jeweils den Beginn und den Verlauf einer Mediation.2 Nach Bastine3 sind die nachstehenden Aspekte wesentlich:

17.33

1. Verhandlungsbereitschaft: Beteiligung und Mitarbeit Menschen kommen mit unterschiedlichen Erwartungen in die Mediation. Dies führt zu unterschiedlichen Beziehungsangeboten und Beziehungsbotschaften an den Mediator. Bei nicht hocheskalierten Konflikten gilt es zunächst herauszufinden, was der Konflikt ist, wie mit dem Konflikt bisher umgegangen worden ist und weiter umgegangen werden soll.

17.34

Der Besucher kommt „mehr oder weniger unfreiwillig“. Er wurde z.B. von einem anderen (z.B. dem Patriarchen oder umgekehrt von der Nachfolgegeneration) „geschickt“ oder „mitgenommen“. Seine Beteiligung wird erst einmal gering ausfallen und er wird eine „eher abwartende Haltung“ einnehmen.

17.35

Der Klagende wird eher mitteilen, er habe sehr viele Probleme, er fühle sich aber macht- und hilflos, diese zu verändern. Ihn muss man dafür gewinnen, selbst etwas zur Lösung des Problems beizutragen.

17.36

Der Kunde hat das Angebot der Mediation verstanden und wird sich aufgeklärt, konstruktiv und kooperativ zeigen. Oft ist er auch der Initiator der Mediation und vielleicht auch derjenige, der stärker an einer Mediation interessiert ist. Die Aufgabe des Mediators ist, hinter die jeweilige Beziehungsbotschaft zu schauen und den Schutz zu sehen, den sie dem jeweiligen Medianden bietet, sowie das darin erkennbare Bedürfnis, die gewünschten Veränderungen zu erreichen. Der Mediator fördert die Verhandlungsbereitschaft der Medianden, indem er die konstruktiven Beiträge würdigt, die ein Mediand durch das Einnehmen seiner Rolle leistet.

17.37

2. Selbstvertretung – firm und fair Selbstvertretung meint Verhandlungsfähigkeit. Diese ist Voraussetzung des Prinzips der Eigenverantwortlichkeit. Die Verhandlungsfähigkeit stellt einen wichtigen Indikator dafür dar, ob eine Mediation für diesen Konflikt das geeignete Verfahren darstellt. Jeder Mediand sollte in der Lage sein, sich „firm“ und „fair“ zu verhalten. Firm bedeutet, dass jeder Konfliktpartner seine eigenen Interessen in den Mediationssitzungen wahrnehmen und vertreten kann (Selbstbehauptung; Window I). Fair bedeutet die Fähigkeit der Medianden, mit dem Konfliktpartner kooperativ zu kommunizieren.

1 Mecke in Haynes/Mecke/Bastine/Fong, 278 (287). 2 Bastine in Haynes/Mecke/Bastine/Fong, 11 (22–33). 3 Bastine in Haynes/Mecke/Bastine/Fong, 11 (22).

Born | 1115

17.38

Kap. 17 Rz. 17.39 | Mediation für Familienunternehmen

3. Konfliktstile und Konfliktmuster 17.39

Im Konflikt verhalten sich Medianden typischerweise in drei unterschiedlichen Konfliktmustern, wobei Medianden auch Anteile von jedem Muster aufweisen können: die Anpasser, die Vermeider und die Kontrolleure.1 Menschen reagieren im Konflikt häufig mit den Reaktionsweisen Kampf oder Rückzug. Dies schlägt sich in einem offensiven oder defensiven Konfliktstil nieder. Komplementäre Konfliktstile zeichnen sich dadurch aus, dass ein Partner offensiv und der andere defensiv agiert (Täter/Opfer). Bei eskalierenden Konfliktmustern ist häufig bei beiden Partnern ein offensiver Konfliktstil zu erkennen. Defensive Konfliktmuster sind dadurch gekennzeichnet, dass beide Medianden dem Konflikt am liebsten aus dem Weg gehen würden.

17.40

Beim komplementären Konfliktstil sollte der Mediator ausgleichend mit den polarisierenden Konfliktrollen umgehen und versuchen, ein Machtgleichgewicht herzustellen. Bei eskalierenden Konfliktmustern sollte er versuchen, die weitere Eskalation zu stoppen und die Konfliktpartner zu einer konstruktiven Kommunikation zu bewegen. Beim defensiven Konfliktmuster sollte er beide Medianden in ihrem Eintreten für sich selbst stärken und die Unterschiedlichkeit ihrer Positionen verdeutlichen.

4. Die „Geschichten“ der Medianden 17.41

Jeder Mensch nimmt die Wirklichkeit und die Welt anders wahr und interpretiert sie auf seine ihm eigene Art und Weise. So entwickelt auch jeder Mediand eine eigene Geschichte und eine „eigene subjektive Wahrheit“ des Konflikts.2 Um diese Geschichten produktiv für die Medianden nutzen zu können, sollte der Mediator folgende Grundregeln beachten:

17.42

Der Mediator sollte sich auf die persönlichen Bedürfnisse und persönlichen Anliegen in der „Geschichte“ des jeweiligen Konfliktpartners konzentrieren und diese herausfiltern. Zweitens sollte er die Brisanz der Geschichte durch Normalisieren3 entschärfen („es gibt immer zwei verschiedene Sichtweisen“; „das kann in jeder Familie passieren.“4). Drittens sollte er das Wiederaufgreifen und in Frage stellen der Geschichte des einen Konfliktpartners durch den anderen Konfliktpartner früh unterbrechen, indem er auf die Ziele der jeweiligen Medianden eingeht. Schließlich sollte er seinen Blick auf den Konflikt als nur seine subjektive Wahrheit erkennen. Dies ist systemisch und konstruktivistisch gemeint, da nicht nur die Konfliktbeteiligten mit ihren unterschiedlichen Vorstellungen von der Wirklichkeit ein System bilden, sondern auch der Mediator mit den Medianden.5

5. Positionen, Taktiken 17.43

Jeder Konfliktpartner bezieht in einem Konflikt zunächst einmal eine Position, in der er (einseitig) für sich festlegt, worin der Konflikt besteht und wie er gelöst werden kann. Im Konflikt verengt sich der Blick und aus der Sicht des Medianden gibt es regelmäßig nur einen einzigen 1 Vgl. vertiefend Diez/Krabbe/Engler, 54 f. 2 von Schlippe/Schweitzer, 7: „Eine besondere Rolle spielen dabei die Kommunikation und die von den verschiedenen Menschen erzählten Geschichten: „Wirklichkeit“ wird als Ergebnis sozialer Konstruktion angesehen, nicht als etwas, das objektiv ist und ein für alle Mal Gültigkeit besitzt.“; Diez/Krabbe/Engler, 59. 3 Diez/Krabbe/Engler, 197; Duve/Eidenmüller/Hacke/Fries, 141. 4 Kormann, Zusammenhalt der Unternehmerfamilie, 399. 5 Tomm, 59.

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B. Grundlagen der Mediation | Rz. 17.45 Kap. 17

Weg zur Lösung des Konflikts. Das Problem einer solchen Kopplung einer Problemdefinition mit einem Lösungsvorschlag besteht darin, dass es schwierig ist, die einmal bezogene Position zu verändern und dass das eigentliche Problem „im Dunkeln“ bleibt. Dies führt darüber hinaus zu einer Einengung des Verhandlungsspielraums, einer Reduktion der Handlungsvarietäten und erschwert die Konfliktlösung. Der Mediator muss also in einem Zwischenschritt die den Positionen zugrunde liegenden Anliegen und Bedürfnisse der Medianden (die aus wichtigen Absichten, Wünschen, Motiven, Bedürfnissen und Erwartungen, aber auch aus Ängsten, Sorgen oder Befürchtungen bestehen) aufgreifen und herausarbeiten, um so den Spielraum für konsensuale mediative Verhandlungen zwischen den Konfliktpartnern zu öffnen.

VII. Abgrenzung Mediation ist keine Rechtsberatung, keine Unternehmensberatung, keine Lebensberatung, keine Moderation, kein Schlichtungsverfahren1 und auch kein persönliches Coaching. Mediation ist auch kein Verhandeln2 über Anspruchsgrundlagen, Positionen oder zwischen der besten und der schlechtesten Alternative, wie es die die juristisch geprägten Berufe ausüben. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen. In einer Sitzung ging es um den Umgang mit einer Praxis, die die Eltern mit erheblichen finanziellen Mitteln zunächst für sich errichtet hatten. Der Sohn wollte die Praxis nach seiner Ausbildung und dem Ruhestand der Eltern mit dem Einverständnis der Eltern nutzen. Gestritten wurde aber über das Nutzungsentgelt. Der Sohn als Nutzer wollte, dass die Eltern verpflichtet sind, Miete in Empfang zu nehmen und die Eltern wollten nicht berechtigt sein, von ihrem Sohn Miete zu fordern. Diese Positionen löst der Gesetzgeber gerade umgekehrt, indem er den Mieter zur Zahlung des Mietzinses verpflichtet und den Vermieter zur Forderung des Mietzinses berechtigt. Wie wollen Anwälte diese Positionen der Eltern und des Sohnes mit für diesen Fall nicht gegebenen Anspruchsgrundlagen verhandeln? Auf der Bedürfnisebene geht dies aber, da der Sohn auf eigenen Beinen stehen möchte und die Eltern darüber nachdenken, ob sie ihren Sohn in das Erwachsenwerden loslassen können, wo es normal ist, für genutzte Räume Miete zu bezahlen.

17.44

Mediation ist ein in die Zukunft gerichteter und lösungsorientierter Kommunikationsprozess, bei dem freilich Medianden an vergangene Verletzungen erinnert werden können. In manchen Fällen kann es zwar hilfreich sein, die in der Vergangenheit stattgefundenen Verletzungen anzusprechen.3 Die Mediation ist im Gegensatz zur Therapie aber ein Verfahren, bei dem Sachthemen im Vordergrund stehen, die aus der Vermengung der Beziehungsebene und der Sachebene von den Medianden nicht mehr ohne weiteres selbst gelöst werden können.4 Dies erhellt, dass die Mediation zwar mit den Methoden der systemischen Therapie5 arbeiten kann, ohne aber selbst Therapiesitzungen einzuleiten oder durchzuführen. Die Aufgabe des Mediators ist es also, nur insoweit systemische Werkzeuge, wie z.B. bestimmte Fragetechniken6 zu nutzen, als es darum geht, ein wechselseitiges Verstehen der Medianden zu erzielen.

17.45

1 2 3 4 5

A.A. Jansen/Beyerlein, BB 2012, 733 (735): „...Schlichtungsverfahren ohne richterliches Urteil...“. Rosner/Winheller, 289. Bishop, 24: „... lösungsorientiert in die Vergangenheit gehen...“; „Wann war es noch gut?“, 51. Krabbe, ZKM, 2014, 185 ff.; Hohmann, ZKM 2006, 39 ff. Diez/Krabbe/Engler, 58; Diez, 61, 158 ff.; vgl. zu verschiedenen systemischen Werkzeugen von Schlippe/Schweitzer. 6 Mecke in Haynes/Mecke/Bastine/Fong, 278 (306 ff.); Diez/Krabbe/Engler, 184; Krabbe, ZKM 2018, 181ff.; Krabbe, ZKM, 2014, 185 ff.; von Schlippe/Schweitzer, 40, 5. Systemische Fragen; Hohmann, ZKM 2006, 39 ff.; Duve/Eidenmüller/Hacke/Fries, 143 ff.; vgl. auch mit Formulierungsvorschlägen in Anlehnung an Steve de Shazer Rosner/Winheller, 432 ff. S. auch vertiefend zu Steve de Shazer Schmitz.

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Kap. 17 Rz. 17.45 | Mediation für Familienunternehmen

Nach Mecke1 nehmen wir ausgehend von der „lösungsorientierten Kurzzeittherapie“ an, dass „unser Denken abhängig vom Inhalt, über den wir nachdenken, jeweils unterschiedlich verläuft. Wenn wir etwa intensiv über ein Problem, dessen Verursachung, Geschichte und die dadurch verursachten Einschränkungen nachdenken, so finden wir nur schwer Zugang zu den Denkmustern, die wir eigentlich für die Lösung dieses Problems benötigen. Denken wir jedoch ebenso intensiv über das nach, was wir nach der erfolgten Lösung eines Problems neu oder anders tun werden, so finden wir die zur Lösung und Veränderung nötigen Ressourcen oft viel eher und zugleich beiläufiger.“ Eine klassische Frage dieses Ansatzes ist die sogenannte Wunderfrage:2 „Nehmen Sie einmal an, dass eines nachts, wenn sie schlafen, ein Wunder geschieht und das Problem einfach verschwunden ist. Aber das passiert, während sie schlafen, deswegen wissen sie gar nicht, dass das Wunder stattgefunden hat. Wenn Sie nun morgen aufwachen, woran werden sie merken, dass dieses Wunder geschehen ist? Was wird dann anders sein? Was werden Sie dann anders bzw. Anderes tun?“ Es ist jedoch Vorsicht geboten, soweit Mediatoren mit der Psychologie fernen Grundberufen diese Methoden anwenden, weil sie „hipp“ oder „faszinierend“ sind; allzu oft wird verkannt, dass bereits die einfache Frage eine erhebliche Intervention3 sein kann; andere Methoden, wie z.B. die (gefährliche) Familienaufstellung oder das Arbeiten mit Skulpturen sollten diese Mediatoren wiederum nur zurückhaltend und uU. besser nur in einer vorbereitenden Supervision zur Hypothesenbildung anwenden (Familienbrett), damit nicht die Medianden dazu verleitet werden, anzunehmen, dass das was sie sehen, die Wirklichkeit ist!4

17.46

In der Mediation5 steht die Arbeit mit dem Menschen im Vordergrund.6 Emotionen7 sind daher nicht etwa unwillkommen oder „störend“, sondern hilfreiche Leuchtfeuer, die den Weg zu den Bedürfnissen und persönlichen Anliegen markieren.8 Emotionen sind die wichtigste Quelle für Informationen über die Bedürfnisse und Motivationen und eine achtsame Wahrnehmung der Emotionen ermöglicht, eine Einsicht in die Bedürfnisse zu erlangen.9

17.47

Bewusste Veränderungsprozesse in den Personen können ebenfalls zum Mittelpunkt der Mediation gemacht werden. Damit kann Mediation über das Auffinden einzelner Problemlösungen hinausgehen. Die Mediation kann mithin ihre volle Kraft entfalten, sofern sie es ermög1 2 3 4 5 6

7 8 9

Mecke in Haynes/Mecke/Bastine/Fong, 278 (306). Mecke in Haynes/Mecke/Bastine/Fong, 278 (308); Schmitz, 24 (73). von Schlippe/Schweitzer, 58. vgl. hierzu auch warnend von Schlippe/Schweitzer, 64: „dass sich Berichte über katastrophale Auswirkungen von Aufstellungen in Unternehmen häufen.“, vgl. auch zu den gemeinsamen Bezugspunkten der systemischen Aufstellungen und der Mediation Rosner/Winheller, 385 ff. Vgl. zu anderen Mediationsstilen Ponschab in Haft/Schlieffen, Handbuch Mediation3, § 11, S. 277 ff. Anders das Harvard-Konzept, welches ein rein lösungsorientierter Verhandlungsansatz ist („einer teilt, der andere wählt“). Das Harvard-Konzept trennt bewusst Sachfragen von Beziehungs- und Verfahrensfragen und Optionen, die sich vorranging durch Beziehungsprobleme auszeichnen, vgl. Fisher/Ury/Patton, 221 ff.; zu den inhaltlichen Unterschieden zwischen dem Harvard-Konzept und der Transformativen Mediation Hösl in Haft/Schlieffen, Handbuch Mediation3, § 12, S. 296 ff.; s. auch Rosner/Winheller, 85 ff. Anders Habbe/Gieseler, NZG 2016, 1010 (1014), die zu Unrecht meinen, mit der „Moderation durch den Mediator“ bliebe ein sachlicher Ablauf gewährleistet. Ähnlich Duve/Eidenmüller/Hacke/Fries, 133: „wichtige Informationsquelle“; Rosner/Winheller, 60 ff: „(...) so bezeichnen MONTADA und KALS Emotionen als „Königsweg zu den im Konflikt relevanten Sichtweisen und Überzeugungen.“ Lammers, 16, 108 ff.

1118 | Born

B. Grundlagen der Mediation | Rz. 17.50 Kap. 17

licht, über die Problemlösung hinaus Menschen in ihrem Diskursverhalten zu ändern und Prozesse des sozialen Lernens zu initiieren. In Anlehnung an Bush/Folger1 sind die zentralen Zielgrößen dabei Empowerment2 und Recognition. Dabei bedeutet Empowerment die Unterstützung der einzelnen Konfliktpartei zur Formulierung eigener Anliegen und Bedürfnisse (Autonomie und Selbstbehauptung = Window I3). Recognition bedeutet, dass die Bedürfnisse und Anliegen des anderen Konfliktpartners anerkannt werden (Window II4). Mediation ist indes keine Vergangenheitsbewältigung und auch keine Therapie. Primäres Ziel der Mediation ist es nicht aus psychologischen oder therapeutischen Gründen eine Verhaltensänderung zu bewirken. Mediatoren haben nicht die Funktion, emotionale Situationen oder Gefühle zu vertiefen, zu begleiten oder aufzuarbeiten.

17.48

Mediation ist nach allem keine Sache und auch keine Methode, sondern die Mediation hat Methoden.5 Sie beschreibt einen von allen Beteiligten abhängigen und bezogenen Austausch zwischen konkreten Menschen, die sich ihre je eigene Welt zurechtgelegt haben und sie zur Basis ihres Handelns machen.6 So geht es bereits in der ersten Sitzung der Mediation nicht darum, die eine Wahrheit zu finden, sondern Verständnis zu wecken, dass es verschiedene subjektive Wahrheiten gibt, die im Falle einer konsensualen Lösung miteinander koordiniert, bzw. ausbalanciert werden müssen.7

17.49

VIII. Kurz-Zeit-Mediation Das Mediationsverfahren benötigt nach Diez8 und Krabbe9 nicht in jedem Fall mehrere Sitzungen. Manchmal ist dies auch von den Medianden gar nicht erwünscht. Sie verlangen nach „schnellen“ und funktionierenden Lösungen, die eine aktuelle Situation verbessern sollen (z.B. Vorbereitung einer Gesellschafterversammlung, einer Aufsichtsratssitzung, etc.). Dann kann eine Kurz-Zeit-Mediation helfen, die zunehmend nachgefragt wird.10 Das Konzept11 besteht darin, dass die Mediation in einer einzigen Sitzung (2 bis 8 Stunden, maximal 2 Tage) konzentriert wird. Das Wesen der Mediation wird dabei nicht aufgegeben. Allerdings führt die zeitliche Begrenzung zu einer Verdichtung und zur Begrenzung auf eine funktionierende Lösung; es erfolgt keine Gesamtsanierung. Die Mediation ist am Ende beendet, aber nicht vollendet.12 Im Gegensatz zur Mediation ohne Zeitbegrenzung, hat sie nicht den Anspruch, Veränderungen im Verhalten zu bewirken, sondern sie gibt bestenfalls einen Impuls zu einer Richtungsänderung. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Bush/Folger, 65; vgl. auch Hösl in Haft/Schlieffen, Handbuch Mediation3, § 12, S. 289 ff. Steffek in Greger/Unberath/Steffek, § 1 Rz. 45. Diez/Krabbe/Engler, 166 ff. Diez/Krabbe/Engler, 166 ff.; Steffek in Greger/Unberath/Steffek, § 1 Rz. 45. Duss-von Werdt in Haft/Schlieffen, Handbuch Mediation2, § 11, S. 231 (243) Rz. 35; Kalss/Probst, Familienunternehmen, 10. Kap., Rz. 9 ff. Duss-von Werdt in Haft/Schlieffen, Handbuch Mediation2, § 11, S. 231 (243) Rz. 35. Duss-von Werdt, Einführung in Mediation, 10. Diez, 220. Diez/Krabbe/Engler, 252 ff.; Krabbe, Perspektive Mediation 2012, 58 ff.; Krabbe/Fritz, ZKM 2013, 76 (77). Krabbe, Perspektive Mediation 2012, 58 ff.; Krabbe/Fritz, ZKM 2013, 76 (77). Abgeleitet aus der „Lösungsfokussierten Kurzzeit-Therapie“ von Steve de Shazer, vgl. Krabbe/ Fritz, ZKM 2013, 76; vertiefend Schmitz, Lösungsorientierte Gesprächsführung; de Shazer, Der Dreh. Krabbe, Perspektive Mediation 2012, 58 ff.; Krabbe/Fritz, ZKM 2013, 76 (77).

Born | 1119

17.50

Kap. 17 Rz. 17.51 | Mediation für Familienunternehmen

17.51

Dies erfordert wiederum eine umfangreiche Vorlaufphase, die klären soll, ob überhaupt eine Mediation zu diesen Bedingungen stattfinden kann. Die Vorlaufphase besteht aus einem strukturierten Informationsaustausch zwischen Mediator und Mediand (Telefonat, E-Mail, persönliches Gespräch, mit Einzelnen oder auch mit allen Beteiligten). Es folgt die Hypothesenbildung mit der Prüfung der Indikation und Kontra-Indikation einer Kurz-Zeit-Mediation und im Anschluss die Gestaltung des Settings.

17.52

Eine Herausforderung für den Mediator stellt das Zeitmanagement dar. Er darf sich selbst nicht unter Zeitdruck setzen und er muss die Zuversicht vermitteln, dass in seinem Zeitplan gewährleistet ist, dass alle Schrittfolgen eingehalten werden. Er ist der „Meister des Minimalismus“.1 Aber auch für die Medianden ist die Kurz-Zeit-Mediation eine Herausforderung. Es muss ihnen in der Vorlaufphase vermittelt werden, dass ihre unbedingte Mitarbeit, Aufmerksamkeit, Konzentration und Entscheidungsfreudigkeit erforderlich sind.

17.53

Eine Kurz-Zeit-Mediation kann angezeigt sein, sofern die nachstehenden Voraussetzungen gegeben sind:2 Die Konfliktthematik ist für alle verständlich und allen vertraut. Es kann ein Thema identifiziert werden, „das oben aufliegt“, also aktuell den Anlass gegeben hat (z.B. Einladung der Mitglieder der Unternehmerfamilie zur Geburtstagsfeier des Gründers). Es kann ein präziser und realistischer Zeitplan erstellt werden. Die Motivation der Medianden ist von Anfang an stark oder lässt sich während der Sitzung rasch verstärken und es bestehen Anzeichen, dass sie sich aktiv am Prozess beteiligen. Schließlich muss gewährleistet sein, dass die Autonomie und Selbstbehauptung jeder Partei (Window I) entwickelt werden kann.3 Kontraindiziert ist die Kurz-Zeit-Mediation bei diffusen Lebensverhältnissen, bestimmten instabilen Persönlichkeitsstrukturen, bei komplexen Sachverhalten, bei denen Teilsachverhalte nicht sinnvoll isoliert werden können und dem Erreichen der Konfliktstufe 6 nach Glasl.4

C. Mediation in Familienunternehmen I. Konfliktfelder 17.54

Ist zwischen den Mitgliedern der Unternehmerfamilie ein Aktualkonflikt ausgebrochen und wird um eine Mediation nachgesucht, gelten für den Mediationsprozess einige Besonderheiten. Es gibt typische Konfliktfelder5 und typische im Zusammenhang mit einer Unternehmensnachfolge stehende rechtliche Regelungen, mit denen der Mediator vertraut sein sollte („Feldkompetenz“) und die ihn bei der notwendigen Vorbereitung der Mediation und seiner fortwährenden Hypothesenbildung6 unterstützen können. 1 2 3 4 5

Krabbe/Fritz, ZKM 2013, 76 (78). Krabbe, Perspektive Mediation 2012, 58 ff.; Krabbe/Fritz, ZKM 2013, 76 (77); Diez, 220 ff. Diez/Krabbe/Engler, 166 ff. Glasl, Selbsthilfe in Konflikten, 120. Felden/Hack/Hoon, 336 ff; Hubner in Trenczek/Berning/Lenz/Will, 538 (540); Fischer, Konflikt Dynamik 2012, 78 ff.; Kormann, Zusammenhalt der Unternehmerfamilie, 431; Hennerkes/Kirchdörfer, 68: „..Mediationsverfahren bisher noch nicht so recht durchgesetzt, ..“; Falk in Falk/Heinte/Krainz, 177-194; Baumann, ZEV 2004, 108; Neuvians, 61; zu Mediationen in den Familienunternehmen Haribo, Porsche und Gruner + Jahr, die an die Öffentlichkeit gelangt sind vgl. SZSerie: Familienunternehmen Zoff unter Verwandten, 17.5.2010 abrufbar unter http://www.sueddeutsche.de/news?search=%22zoff+unter+Verwandten%22&sort=date&all%5B%5D=dep&all%5B %5D=typ&all%5B%5D=sys&all%5B%5D=time (Abruf: 3.1.2020). 6 Vgl. hierzu Krabbe, ZKM 2018, 181 (182); Diez/Krabbe/Engler, 173.

1120 | Born

C. Mediation in Familienunternehmen | Rz. 17.55 Kap. 17

II. Familienunternehmen 1. Bedeutung Familienunternehmen sind die zahlenmäßig größte, umsatz- und beschäftigungsstärkste Gruppe deutscher Unternehmen.1 Gut neun von zehn der privaten Unternehmen in Deutschland sind Familienunternehmen.2 Die Gesamtzahl der Familienunternehmen beträgt ca. 3,292 Mio.3 Dies ergibt einen Anteil an allen Unternehmen ohne öffentliche Unternehmen von 90 %.4 Hierin enthalten sind die „kleine Bäckerei“ und große an der Börse gehandelte Konzerne, wie die Familienunternehmen Beiersdorf AG, Henkel AG & CO. KGaA und die Merck KGaA. Ab einem Umsatz von 10 Mio. Euro ist ca. jedes zweite Unternehmen ein Familienunternehmen.5 Betrachtet man die 10.117 am Umsatz gemessenen größten Familienunternehmen6 lassen sich drei Gruppen unterscheiden: 3.800 kleine Unternehmen (38 %) erzielen einen Umsatz zwischen 12 Mio. Euro und 40 Mio. Euro; 5.900 mittelgroße Unternehmen (58 %) erzielen einen Umsatz zwischen 41 Mio. Euro und 600 Mio. Euro und 185 große Unternehmen (2 %) erzielen einen Umsatz zwischen 600 Mio. Euro und 1 Mrd. Euro und weitere 232 große Unternehmen (2 %) erzielen einen Umsatz über 1 Mrd. Euro. Die Gruppe der großen Familienunternehmen (4 %) beschäftigen 5,9 Millionen Arbeitnehmer und die beiden anderen Gruppen (96 %) beschäftigen 4,1 Millionen Arbeitnehmer. Nimmt man die im DAX gelisteten 23 Unternehmen (ohne Familienunternehmen) mit einem Umsatz größer als 2,9 Mrd. Euro, stehen ihnen 71 Familienunternehmen gegenüber, die ebenfalls einem Umsatz größer als 2,9 Mrd. Euro erzielen.7 Die Bedeutung der Familienunternehmen ist indes nicht auf Deutschland beschränkt, denn 70 der 500 größten Familienunternehmen weltweit kommen wiederum aus Deutschland.8 Der Anteil der Unternehmerfamilien an allen verheirateten Paaren in der Bevölkerung wird auf 15 % geschätzt.9

Nach einer Studie des ifm Mannheim10 fanden zwischen 2002 bis 2008 bei 178.000 Familienunternehmen ein Generationswechsel in der Firmenleitung statt. 60 % der Familienunternehmen verbleiben in Familienhand, 20 % haben sog. externe Nachfolger und weitere 20 % werden von Nachfolgern, die zuvor schon im Unternehmen gearbeitet haben, weitergeführt.

1 Vgl. Lubinski und zur volkswirtschaftlichen Bedeutung der Familienunternehmen die ZEW-Studie. 2 ZEW-Studie, 1. 3 ZEW-Studie, 1. 4 ZEW-Studie, 6. 5 ZEW-Studie, 11. 6 Seibold/Lantelme/Kormann, 26. 7 Seibold/Lantelme/Kormann, 26. 8 Seibold/Lantelme/Kormann, 1. 9 Stamm/Bernhard/Hameister in Kleve/Köllner, 115 (116). 10 ifm-Mannheim, Generationswechsel, 13, 86; Nach Schätzungen des Bonner Instituts für Mittelstandsforschungen werden in den Jahren 2014 bis 2018 rund 135.000 Familienunternehmen mit ca. 2 Millionen Beschäftigten auf neue Eigentümer übertragen, zit. nach Baus, 134: „Die meisten sind selbstverständlich Kleinbetriebe, zu ihnen zählen aber auch 700 Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 50 Millionen EUR p.a.“

Born | 1121

17.55

Kap. 17 Rz. 17.56 | Mediation für Familienunternehmen

2. Begriffsbestimmung 17.56

Familienunternehmen1 werden unterschiedlich definiert2 und sie sind schon lange Gegenstand der rechtswissenschaftlichen Untersuchung.3 Von einem Familienunternehmen wird gesprochen, wenn es von Mitgliedern einer oder mehrerer Familien gegründet und von diesen mindestens in der zweiten Generation geführt wird4 oder wenn natürliche Personen gesellschaftsrechtlich beteiligt und durch familiäre Bande verbunden sind5 oder die familiären Beziehungsmuster durch einen auf die Unternehmensführung bestimmenden Einfluss auf das Unternehmen übertragen werden.6 Die einen unterscheiden weiter nach dem Merkmal „Firmenleitung“ (also Geschäftsführung/Vorstand). Das Unternehmen sei demnach eigentümergeführt, sofern wenigstens ein Gesellschafter in der Geschäftsführung ist und es sei familienkontrolliert, sofern die Familienmitglieder lediglich Gesellschafter sind.7 Für andere kommt es entscheidend auf den auf das Unternehmen ausgeübten maßgeblichen oder beherrschenden8 oder bestimmenden9 Einfluss der Unternehmerfamilie an. Ein Unternehmen gelte danach als familienbeeinflusst, wenn eine Familie unabhängig von der Anzahl der beteiligten Familienmitglieder oder eine natürliche Person mehr als 50 % der Anteile hält oder wenn eine Familie oder natürliche Person mindestens 25 % der Anteile hält, aber gleichzeitig einen maßgeblichen Einfluss auf die strategische Führung und Geschäftsführung des Unternehmens nehmen kann.10 Das IfM Bonn klassifiziert alle Unternehmen als Familienunternehmen, bei denen bis zu zwei natürliche Personen oder ihre Familienangehörigen mindestens 50 % der Anteile eines Unternehmens halten und diese natürlichen Personen der Geschäftsführung angehören.11 Die Systemiker sprechen von einem Familienunternehmen, wenn eine Familie einen maßgeblichen Einfluss auf die Politik des Unternehmens hat.12 Wieder andere fordern

1 Waterstradt in Kleve/Köllner, 51 (87): „Ab 1860 ist das Wort Familienbetrieb nachweisbar und bezeichnet ein „(kleineres) Unternehmen, Geschäft o.Ä., das sich im Besitz einer Familie befindet (und von dieser geleitet, betrieben wird)“, ab 1890 das Wort Familienunternehmen und ab 1910 das Wort Unternehmerfamilie (...).“ 2 Schmeing, 210, der einen Überblick über die „unterschiedlichen Begriffsverständnisse“ der Literatur gibt. 3 Akademie für deutsches Recht, Ausschuss für G.m.b.H.-Recht, Bd. 2, hrsg. v. Schubert, 1986, 55, zit. nach Foerster, BB 2019, 1411; Sigle in FS Rowedder, 1994, 459 (460); Kalss/Probst, GesRZ 2013, 115 mit weiteren Definitionen; anders Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 8. 4 Kleve/Köllner in Kleve/Köllner, 2. 5 Sigle in FS Rowedder, 1994, 459 (460). 6 Schmeing, 216. 7 Vgl. zur Definition der Stiftung Familienunternehmen https://www.familienunternehmen.de/media/public/pdf/d. 8 Prütting/Schirrmacher, ZGR 2017, 829 (832). 9 Schmeing, 216. 10 Habbe/Gieseler, NZG 2016, 1010 ff.; Lubinski, 18 (55), wonach die Familie mindestens einen Geschäftsführer bestellt; Braun, Erfolgreich jenseits der Börse, 12: „Gemeinsames Merkmal aller zur Diskussion stehenden Abgrenzungen ist jedoch der maßgebliche Einfluss einer oder mehrerer Familien auf die Entwicklung und Gestaltung des Unternehmens.“; Fabis, 2; Hilker, Familiendynamik 2001, 338, nach dem es ausreicht, dass die Familie infolge ihrer Stimmenmehrheit die Geschicke maßgeblich bestimmen kann, unabhängig davon, ob die Geschäftsführung in der Hand der Familie oder ihrer Mitglieder liegt; vgl. Hennerkes/Kirchdörfer, 35; vgl. auch Seibold/Lantelme/ Kormann, 5. 11 http://www.ifm-bonn.org/definitionen/mittelstandsdefinition-des-ifm-bonn/(Abruf 3.1.2020). 12 Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 16.

1122 | Born

C. Mediation in Familienunternehmen | Rz. 17.58 Kap. 17

ein „transgenerationales Element“, d.h. Ziel muss es sein, dass „in der Familie geplant wird, das Unternehmen in die nächste Familiengeneration weiterzugeben“.1 Weiter soll ein Unternehmen beliebiger Größe als Familienunternehmen anzusehen sein, wenn sich die Mehrheit oder alle entscheidungsbefugten Familienmitglieder einer Familienverfassung unterwerfen, die auf Dauer ausgelegt ist und nur mit qualifizierter Mehrheit oder Einstimmigkeit abgeändert werden kann.2 Endlich gibt es auch das Mehr-Familien-Unternehmen, welches von mehreren nicht miteinander verwandten Personen gegründet wurde und dann von mehreren Familien beeinflusst wird.3 Der Gesetzgeber verwendet den Begriff zwar nicht, jedoch definiert er das „Familienunternehmen“ in § 13 Abs. 9 Nr. 2 ErbStG insoweit, als der Gesellschaftsvertrag oder die Satzung Regelungen enthält, nach denen Verfügungen über die Beteiligung an der Personengesellschaft oder den Anteil an der Kapitalgesellschaft auf Mitgesellschafter, auf Angehörige im Sinne des § 15 der Abgabenordnung oder auf eine Familienstiftung gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG beschränkt sind. Die Erbschaftsteuerrichtlinien 2019 verwenden dann darauf aufbauend den Begriff „Familienunternehmen“ in R E 13a 20.

3. Typus Die Begriffe „Unternehmerfamilie“4 und „Familienunternehmen“ sind jeweils ein Typusbegriff.5 Sie entziehen sich damit einer allgemein gültigen Definition oder einer Begriffsbestimmung. Nach der Lehre vom Typus6 können abgestufte Erscheinungen ordnend erfasst und durch Reihenbildungen Zwischenformen und unterschiedliche Ausprägungsgrade berücksichtigt werden. Die Aufstellung von Typenreihen ermöglicht eine Zuordnung (Adskription) im Gegensatz zur begrifflichen Subsumtion. Dabei kommt es nicht auf die Identität in den den Typus prägenden Merkmalen an, sondern auf die Ähnlichkeit im Gesamtbild.7

17.57

Zur Findung der den Typus Familienunternehmen prägenden Merkmale werden nachstehend im Text zunächst als Ausgangsbasis die typischen Konfliktfelder in einem Familienunternehmen und einer Unternehmerfamilie untersucht. Im Anschluss werden die rechtlichen Merkmale, die eine Unternehmerfamilie und ein Familienunternehmen aufweisen, anhand der typischen von der Unternehmerfamilie abgeschlossenen materiellen Regelwerke (Gesellschaftsverträge, Schenkungsverträge, Testamente, etc.) und der darin getroffenen Absprachen aufgezeigt.8

17.58

1 Wimmer/Simon in Kleve/Köllner, 145 (147); Scherer, BB 2010, 323: „nachhaltiges, generationenübergreifendes Unternehmertum“; Schmeing, 216; Otten-Pappas/Jäkel-Wurzer, 6; Waibel, 56. 2 Kalss/Probst, GesRZ 2013, 115. 3 Vgl. Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 78. 4 Wimmer/Simon in Kleve/Köllner, 145 (156). 5 Schmeing, 192; Fabis, 110; Born, Handbuch Familienunternehmen, Rz. 43; vgl. auch Uffmann, ZIP 2015, 2441 (2443); Westermann, NZG 2015, 649; Hueck, 22 (27 ff.) m.w.N. 6 Leenen, 119. 7 Leenen, 183. 8 Ähnlich Prütting in Lange/Windthorst, 35 (38), der sich dem Begriff Familienunternehmen über die Rechtsgeschäfte der Unternehmerfamilie (Gesellschaftsvertrag, Gesellschafterbeschlüsse, Familiencharta und Nebenabreden) nähert. Vgl. hierzu auch Schmeing, 201 ff.

Born | 1123

Kap. 17 Rz. 17.59 | Mediation für Familienunternehmen

III. Konflikte in Familienunternehmen 1. Drei-Kreise-Modell a) Subsysteme

17.59

Konflikte in Familienunternehmen unterscheiden sich von Konflikten in anderen Systemen und insoweit können sie auch als „spezifisch“1 bezeichnet werden.

17.60

Beim Aufspüren von Konfliktfeldern und Verstehen von Konfliktdynamiken und zur Veranschaulichung der Rollenvielfalt verwendet die herrschende Auffassung2 das theoretische Drei-Kreise-Modell (drei – Familie, Unternehmen, Gesellschafter – jeweils sich überschneidende Kreise) der Wirtschaftswissenschaftler Renato Tagiuri und John Davis.3 Sie haben die drei Systeme „Familie, Unternehmen und Gesellschafter“ unter dem Blickwinkel der betriebswirtschaftlichen Unternehmensziele miteinander systemisch verschränkt.4

Für die Darstellung in den Familienmediationen hat sich eine Zweiteilung des Unternehmenskreises, nach der zwischen den im Unternehmen operativ Tätigen und den Geschäftsführern/Prokuristen differenziert wird, als hilfreich erwiesen.

17.61

Das Drei-Kreise-Modell kann jedoch kein systemisches allgemeines oder individuelles Muster der Beteiligten aufzeigen.5 Die Mitglieder der Unternehmerfamilie richten ihr Handeln und Denken auch nicht an diesen Subsystemen aus, weil sie sich dessen meistens gar nicht bewusst sind.6 Darüber hinaus sind die drei Kreise nicht gleichgewichtig;7 der Eintritt und Austritt aus dem Gesellschafterkreis oder dem Unternehmenskreis folgt anderen Regeln, als dem

1 Baus, 65 ff. 2 Simon/Wimmer/Groth, 92, Abb. 8: Drei-Kreise-Model mit Zuordnungen; Hubner in Trenczek/ Berning/Lenz/Will, 538 (540), Abb. 1: Drei-Kreise-Model mit Zuordnungen und einem Anwendungsbeispiel in der Mediation: „... bringt Klarheit für die Betroffenen und wirkt entlastend.“; Kellermanns/von Schlippe in Koeberle-Schmid/Fahrion/Witt, 429: „Überschneidende Systeme“; May, Erfolgsmodell Familienunternehmen, 41 (42): „... ein großartiges Instrument“; ähnlich Hilker, Familiendynamik 2001, 338 (340); Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 25; Koeberle-Schmid/Grottel, 48; Schmeing, 219, Abb.7. 3 Tagiuri/Davis, 43-62; Gersick/Davis/Hampton/Lansberg, 226. 4 von Schlippe, ZKM, 2009, 17. 5 Kritisch zum Drei-Kreise-Modell Rüsen/von Schlippe/Kleve in Kleve/Köllner, 225 (250): „Was genau überschneidet sich da?“; von Schlippe/Groth in Kleve/Köllner, 267. 6 Lubinski, 16. 7 Lubinski, 16.

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C. Mediation in Familienunternehmen | Rz. 17.63 Kap. 17

Ausscheiden aus der Familie,1 auch wenn man rechtlich betrachtet, von der Adoption abgesehen, nicht aus der Familie ausscheiden kann.2 Das Modell birgt weiter die „Gefahr, die vielseitigen Beziehungsnetze zwischen Familie und Unternehmen auf die polare Gegenüberstellung eines Systems der Emotionalität (Familie) und eines Systems der Rationalität (Unternehmen) zu reduzieren“.3 Dadurch wird verkannt, dass „der Erfolg des Unternehmens letztlich der Erfolg der Familie ist“.4 Gleichwohl kann das Drei-Kreise-Modell in den Mediationssitzungen zur Veranschaulichung der Vielfalt von Rollen, Ressourcen und Fähigkeiten von einzelnen Familienmitgliedern und den jeweils betroffenen Sachebenen, Beziehungsebenen und Systemgesetzebenen5 verwendet werden.6 Gleichzeitig können auch anstehende Veränderungen im Rahmen der Unternehmensnachfolge durch Kreisübertritte in eine Schnittmenge (Schenkung von Gesellschaftsanteilen, Aufnahme von Tätigkeiten im Unternehmen, Heirat von Abkömmlingen, etc.) visualisiert werden. Es ist auch hilfreich, die Rollenvielfalt zu visualisieren, indem bei der Arbeit mit dem Mediator „unterschiedliche Hüte“ aufgesetzt werden oder verschiedene „Rollenstühle“ gestellt werden („Wenn Sie auf diesem Stuhl Platz nehmen, sprechen Sie bitte nur als Vater“, usw.).7

17.62

b) Wechselwirkungen der Subsysteme Gerade die „enge strukturelle Koppelung“ der drei Subsysteme lässt den besonderen „Typus“ des Familienunternehmens entstehen.8 Die Folge dieser „Koppelung“ sind „wechselseitige Beeinflussungspotentiale“ und eine „gegenseitige Irritierbarkeit“.9 Denn häufig entstehen die eskalierten Widersprüche durch Rollenvermischungen seitens der Subsysteme Familie, Unternehmen und Gesellschafter.10 Während die „normale Familie“ danach strebt, Berufliches und Privates räumlich, zeitlich und organisatorisch zu trennen („Jetzt ist Feierabend“), gelingt dies den Mitgliedern der Unternehmerfamilie am Ende nicht.11 So prägen die Probleme des Unternehmens den Alltag der Unternehmerfamilie.12 Vereint ein Familienmitglied in sich alle Rollen (Tätigkeit im Unternehmen, Gesellschafter, Elternteil), ist im Rahmen der Kommunikation nach außen häufig nicht erkennbar, in wel1 Wimmer/Simon in Kleve/Köllner, 145 (155): „Familien besitzen eben ihrer ganz eigenen Auflösungsmodalitäten.“ 2 Fabis, 6; Kühl in Kleve/Köllner, 101 ff.; Haas, Familiendynamik 2001, 388 (397): „Etwas Familienunternehmensspezifisches scheint der Autorin das Gefangensein in der Situation zu sein und die Unmöglichkeit, das Konfliktfeld zu verlassen, ohne gleichzeitig die Familienbande aufzugeben.“ 3 Lubinski, 16; Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 8: „Die Gleichsetzung von Emotionalität und Irrationalität ist abwegig.“ 4 Lubinski, 292. 5 Bishop, 179: „3x3 Säulenmodell für Familienunternehmen“. 6 Vgl. zur sog. Familyness Häring, 15. 7 von Schlippe/Groth in Kleve/Köllner, 271. 8 Wimmer/Simon in Kleve/Köllner, 145 (148). 9 Wimmer/Simon in Kleve/Köllner, 145 (148). 10 Uffmann, ZIP 2015, 2441 (2444); von Schlippe, ZKM, 2009, 17 mit Hinweisen zu den unterschiedlichen Gerechtigkeitslogiken in den Subsystemen; Kühl in Kleve/Köllner, 110: „Rollenkonflikte“; Neuvians, 38; Gläßer in FS Binz, 2014, 228 (231): „fundamentale Konflikte...“; Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 25. 11 Krabbe, Die Wirtschaftsmediation 2015, 51 (52). 12 Wimmer/Simon in Kleve/Köllner, 148.

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17.63

Kap. 17 Rz. 17.63 | Mediation für Familienunternehmen

cher Rolle es gerade handelt oder in welchem Kontext gerade das Gespräch geführt wird.1 Daher ist die Kommunikation systemisch bedingt anfälliger für Konflikte. Die Ursache für diese Störanfälligkeit liegt u.a. in dem fehlenden Management der Komplexität der systemischen Wechselwirkungen der Subsysteme Familie, Gesellschafter und Unternehmen. Standardisierte Lösungen und Prozesse, wie sie die Subsysteme Unternehmen und Gesellschafter kennen, können auf das Subsystem Familie nicht übertragen werden.2 Denn jede Unternehmerfamilie hat ihre eigene(n) Geschichte(n), ihre Traditionen, ihre von der Vorgeneration tradierten Werte und besonders ihre individuellen systemischen Verhaltensmuster.3 Daher ist jede Unternehmerfamilie einzigartig und etwas Besonderes.4

17.64

Unterschiedlich sind in den drei Subsystemen nach Fabis5 jeweils die Kommunikationsmuster, die Erwartungshaltungen („Programme“, „Rollen“, „Person“, „Werte“),6 die Wertschätzungsauslöser, die Austrittsoptionen, die Sanktionsmechanismen, die Belohnungsmuster, die Zielsetzungen, die Daseinsberechtigungen, die Funktionen der Akteure und die Bedeutung des Individuums. Diese jeweiligen Unterschiede verkörpern wiederum jeweils für sich eine mögliche Konfliktquelle.

17.65

Unterschiedliche Sichtweisen werden von vielen gefürchtet; dafür mag es gute Gründe geben und man entwickelt Strategien, um Konflikten aus dem Weg zu gehen. Einige versuchen andere zu beherrschen, andere geben nach oder suchen nach einem schnellen Ergebnis oder nach Patentlösungen. Das Problem wird dabei aber nur „unter den Teppich gekehrt“ und es taucht in anderer Form wieder auf.7

17.66

Die Subsysteme Familie und Unternehmen folgen wiederum jeweils ihrer eigenen Wirklichkeit und inneren Logik.8 Was in einem System logisch richtig ist, kann in dem anderen System logisch falsch sein.9 Die strukturelle Kopplung dieser unterschiedlichen Logiken und teilweise kontradiktorischen Regeln folgenden Subsysteme „Familie“ und „Unternehmen“ unterliegen nach Simon10 beschreib- und analysierbaren Eigengesetzlichkeiten und die koevolutionäre gegenseitige Beeinflussung dieser Subsysteme führt sowohl zur Veränderung der Familiendynamik als auch zur Veränderung der Unternehmenskultur. Nach Gläßer11 können die

1 Krabbe, Die Wirtschaftsmediation 2015, 51 (52); Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 15. 2 von Schlippe/Schweitzer, 8: „Veränderungsprozesse, die sich in Bereichen hoher Komplexität und großer Instabilität abspielen, sind nicht im herkömmlichen Sinn zu „steuern“ (...), vielmehr geht es dort darum, die Randbedingungen für Musterveränderungen zu gewährleisten.“ 3 von Schlippe/Schweitzer, 12. 4 Lubinski, 293: „Die spezifische Balance von Familie und Unternehmen ist das Ergebnis einer historischen Entwicklung und somit für jedes Unternehmen einmalig.“ 5 Fabis, 4. 6 von Schlippe/Groth in Kleve/Köllner, 272. 7 Friedman/Himmelstein, 109. 8 Wimmer/Simon in Kleve/Köllner, 157; Kühl in Kleve/Köllner, 99 ff., 109; Schmeing, 222 ff.; Uffmann, ZIP 2015, 2441 (2444); Haas, Familiendynamik 2001, 388 ff.; folgend von Schlippe, ZKM, 2009, 17; Riedel in Riedel, 663 (671) Rz. 31; zum System Gesellschafter: Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 22: „Das System der Gesellschafter, d.h. der Eigentümer des Unternehmens, folgt in seiner Entscheidungsfindung formaljuristischen Regeln, die weder sonderlich viel mit sachlichen noch persönlichen Fragestellungen zu tun haben.“ 9 von Schlippe, ZKM, 2009, 19. 10 Simon, Familiendynamik 2001, 333 ff. 11 Gläßer in FS Binz, 2014, 228 (231).

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C. Mediation in Familienunternehmen | Rz. 17.68 Kap. 17

sehr unterschiedliche Natur und inhärente „Logik“ dieser drei so unterschiedlichen Systeme, die gleichzeitig in und auf Familienunternehmen wirken, zu Irritationen, Kollisionen und nicht selten auch zu fundamentalen Konflikten führen – vor allem, wenn die Systemkollisionen ungebremst oder gar unbewusst erfolgen. Aus der Sicht des Unternehmens kann danach z.B. der Abkömmling als Nachfolger fachlich ungeeignet sein, so dass seine Nichternennung zum Geschäftsführer nach den Maßstäben im Subsystem Unternehmen (Wettbewerb, Leistung, Qualifikation, Hierarchie, Erfolg) logisch richtig ist. Das Subsystem Familie wird indes durch eine andere Logik gesteuert, nämlich nach den Maßstäben Gleichheit, Gerechtigkeit, Loyalität, Stabilität und Liebe.1 Im Subsystem Familie kann mithin der Abkömmling die Entscheidung als Abwertung und daher Verletzung empfinden, so dass die Entscheidung hier systemlogisch falsch ist. Es entsteht eine Paradoxie und die Erfahrung des Vaters, wie ich mich auch entscheide, es ist in jedem Fall falsch!2

17.67

Paradox ist auch die Kommunikation (in der Unternehmerfamilie ist sie personenbezogen, im Unternehmen sachbezogen3) und die Idee der Gerechtigkeit (in der Familie gelten Gleichheitserwartungen und Gleichbehandlung, im Unternehmen gelten Ungleichheitserwartungen und Ungleichbehandlung).4 Eine andere zentrale Paradoxie besteht darin, dass die Familie mit einer Fiktion des „familialen Kollektiveigentums“ lebt und arbeitet.5 Die „Familie“ ist aber nicht „Eigentümerin“ des Unternehmens, sondern im Regelfall sind es nur einzelne Familienmitglieder, die in den Kreis der Gesellschafter eintreten. Hierunter fällt auch die „verdoppelte Familie“ mit der paradoxen Doppelaufgabe „Sei Familie!“ und „Sei Unternehmerfamilie!“.6 Weiter paradox ist die „Überlebensbotschaft“; während das ideelle Überleben der Familie durch Traditionen gewährleistet wird (Vergangenheitsorientierung) benötigt das Unternehmen Innovationen, um überleben zu können (Zukunftsorientierung).7 Paradoxien8 führen indes nicht zwangsläufig zu Konflikten.9 Es kann schon entlastend sein, wenn sich das Familienmitglied klar wird, welche Rolle in seinem „inneren Team“10 in der konkreten Situation den Vorrang genießt und dies dem anderen Familienmitglied gegenüber kommuniziert wird („Als Vater sage ich dir, dass ich dich unbedingt liebe und ich mir wünsche, mit dir gemeinsam in unserem Unternehmen an der Spitze zu arbeiten; als Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter sehe ich jedoch die Notwendigkeit, diese Stelle mit einer anderen Person zu besetzen, da ich glaube, dass diese Person eine höhere Fachkompetenz besitzt.“).11 1 Hilker, Familiendynamik 2001, 338 (343); Fritsch in Riedel, 687 (690). 2 Simon/Wimmer/Groth, 35 ff. mit einer tabellarischen Übersicht der Paradoxien und ab S. 152 Ziff.6; Wimmer/Groth/Simon in von Schlippe/Rüsen/Groth, 97 (114 ff.); von Schlippe/Nischak/Hachimi, Familienunternehmen verstehen, 22; Neuvians, 41; Fritsch in Riedel, 687 (690); Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 27 ff.: „pragmatische Paradoxien“ und mit weiteren Beispielen von Paradoxien ab S. 32. 3 Simon/Wimmer/Groth, 163. 4 Simon/Wimmer/Groth, 170; Neumueller, 44. 5 Wimmer/Simon in Kleve/Köllner, 147. 6 von Schlippe/Groth in Kleve/Köllner, 274. 7 Simon/Wimmer/Groth, 202. 8 von Schlippe, ZKM, 2009, 17 (19); Simon/Wimmer/Groth, 27 ff.; Neuvians, ZKM 2011, 93 (94); Fritsch in Beckervordersandfort, 277 (284); Röthel in Röthel, 9 (31). 9 von Schlippe, ZKM, 2009, 19. 10 von Schlippe/Schweitzer, 94. 11 Vgl. auch Fritsch in Beckervordersandfort, 277 (283).

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17.68

Kap. 17 Rz. 17.68 | Mediation für Familienunternehmen

Es geht am Ende darum, Paradoxien „nicht ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen“1, sondern zu versuchen, sie als Kreativitätstreiber zu nutzen.2 Paradoxien können nämlich der Anlass sein, dritte Wege aus der Entweder-oder-Situation zu finden, die jenseits des bislang Gedachten liegen.3 Paradoxien können indes Aushandlungsprozesse von Familienmitgliedern in allen Subsystemen und in allen Verträgen erheblich beeinflussen.4 Sofern und soweit Paradoxien von den Mitgliedern der Unternehmerfamilie indes nicht erkannt und reflektiert werden, können diese eine zerstörerische Kraft entfalten; denn es droht eine „Nicht-Entscheidung“ oder eine „Beliebigkeit“ und die Familienmitglieder können sich nicht auf ein Regelwerk, wie mit Paradoxien umgegangen wird, verlassen, weil es schlicht keines gibt.5

17.69

Nach der Systemtheorie6 gilt aber auch positiv, dass jedes System oder Subsystem in der Mediation Selbstheilungskräfte sowie die Fähigkeit zur Selbstregulation hat.7 Daher kann der Mediator beschränkt auf seine „Katalysator-Funktion“ mit der Autonomie und Selbstbehauptung der verschiedenen Systeme arbeiten, in der Gewissheit, dass sich jedes System autopoietisch (selbst erhaltend) verhält.8 c) Äußere Einflüsse

17.70

Die Dimensionen der sozialen Beschleunigung (technologische Beschleunigung, Beschleunigung des sozialen Wandels, Beschleunigung des Lebenstempos)9 wirken auf alle drei Subsysteme und damit auch auf das Gesamtsystem. Allerdings sind das Beharrungsvermögen und der Umgang damit in den jeweiligen Subsystemen unterschiedlich. Und während die Unternehmen mit Programmen10 „verordnen“ können, die Beschleunigungen und Entschleunigungen für die Menschen verträglich zu steuern und auszubalancieren, fehlen diese Mechanismen in der Unternehmerfamilie. So treffen in der Familie unterschiedliche Generationen „ungebremst“11 aufeinander. Die einen mit einem hohen Beharrungsvermögen, die sich der Beschleunigung und dem Wandel entgegenstellen und die anderen, die die Veränderungen vorantreiben. Hinzukommt, dass der soziale Wandel auch mit einem Wertewandel einhergeht. Die Nachfolgerinnen12 und Nachfolger, die heute die Übernahme beginnen, gehören überwie1 Simon/Wimmer/Groth, 151. 2 Neumueller, 42: „Um die systemimmanenten Paradoxien in Familienunternehmen in erfolgreiche Chancen zu wandeln, bedarf es eines effektiven „Paradoxiemanagements“. 3 Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 43. 4 Röthel in Röthel, 9 (32), die zu Recht darauf hinweist, dass sich in Unternehmerfamilien Ambivalenzen potenzieren mit der Folge, dass innerfamiliäre Aushandlungsprozesse nachhaltig erschüttert werden, 34. 5 Simon/Wimmer/Groth, 30. 6 Kühl in Kleve/Köllner, 99 ff. 7 Diez/Krabbe/Engler, 60. 8 Diez/Krabbe/Engler, 60. 9 Rosa, Psyche – Z Psychonal 65, 2011, 1041 (1042); vgl. auch zur hierdurch begründeten Krise des Rechtssystems Mähler/Mähler in Heussen/Hamm, § 48 Rz. 29. 10 Vgl. hierzu Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 88. 11 Gläßer in FS Binz, 2014, 228 (231). 12 Leiß in Kleve/Köllner, 169 (171): „Noch vor 10 Jahren wurde nur jedes zehnte Familienunternehmen von einer Tochter übernommen und geführt. (...) Aktuell sind bereits über 40 % der Nachfolger weiblich.

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C. Mediation in Familienunternehmen | Rz. 17.73 Kap. 17

gend der Generation Y an, die ein anderes Wertesystem haben.1 Dieser Wertewandel2 kann nun ebenfalls zu Interessengegensätzen3 und diese unter Umständen zu Konflikten führen.4 Werden Interessengegensätze zu Konflikten, können diese in der Regel ab einer bestimmten Eskalationsstufe5 eine Gefahr für die Unternehmerfamilie und letztlich für den Erhalt des Familienunternehmens darstellen.6 Ein bedeutender Strukturwandel ist auch in dem Verständnis der Ehe und Familie festzustellen. So hat sich nach Burkart7 im Modernisierungsprozess immer mehr der Partnerschaftsgedanke durchgesetzt und heute wird von der „Verhandlungsfamilie“ gesprochen. Die tradierten Regeln und die Entscheidungsmacht einzelner wird in Frage gestellt zugunsten der Möglichkeit der Mitsprache aller Familienmitglieder an allen wichtigen Entscheidungen. Konflikte werden daher durch Verhandlungen gelöst und dies entspricht vertragsähnlichen Strukturen.

17.71

d) Komplexität Familienunternehmen, die in die nächste Generation überführt werden, zeichnen sich dadurch aus, dass die Anzahl der Familienmitglieder zunimmt.8 Jeder Kreis, d.h. jedes Subsystem kann daher im Laufe der Zeit „Personenzuwachs“ erhalten. Ab 50 Familienmitgliedern wird von einer „dynastischen Großfamilie“ gesprochen.9

17.72

Der zeitliche Eintritt in das Gesamtsystem erfolgt durch Geburt oder Eheschließung in den Kreis Familie. Dieser Kreis bleibt auch in der Evolution des Familienunternehmens stets der Kreis mit der größten Personenanzahl. Von diesem Kreis gelangt man durch eine gemeinsame Entscheidung10 oder Entscheidung einzelner entweder in den Kreis Gesellschafter, z.B. schon als Minderjähriger durch Schenkungen/letztwillige Verfügungen oder (zusätzlich) in den Kreis Unternehmen, indem man „mitarbeitet“, entweder (zunächst) operativ oder (später) in der Geschäftsführung. So ist auch der Weg zurück. Man scheidet typischerweise zunächst aus der Geschäftsführung aus, verbleibt im Kreis Gesellschafter, u.U. noch im Beirat, und scheidet dann als Gesellschafter aus und verbleibt im Kreis Familie, aus dem man dann durch Tod wieder ausscheidet. Durch die Erhöhung der Anzahl der Personen insgesamt und den wechselnden Bestand an Mitgliedern in einem Kreis durch Kreisübertritte in eine Schnittmenge in einem „evolutionären11 Drei-Kreise-Modell“ wird für die Familienmitglie-

17.73

1 Otten-Pappas/Jäkel-Wurzer, 6: „Die Generation Y umfasst Personen, die in den Jahren von 1977 bis 1999 geboren wurden“; Burkhart, 17 ff. 2 Otten-Pappas/Jäkel-Wurzer, 4; Harrie in Barth/Böhm/Barth, 53 unter Hinweis auf den Streit zwischen Vater und Sohn beim Dübel Hersteller Fischer. 3 Schween/Koeberle-Schmid/Bartels/Hack, 14. 4 Kellermanns/von Schlippe in Koeberle-Schmid/Fahrion/Witt, 429 ff.; von Schlippe, ZKM, 2009, 17. 5 Vgl. Glasl, Konfliktmanagement, 446 ff. 6 Fabis, 1; Haas, Familiendynamik 2001, 388 ff.; Binz/Mayer, NZG 2012, 201 (208); Ulmer, ZIP 2010, 549 (551). 7 Burkart in Röthel, 81 (83). 8 Vgl. zur Lebenszyklusentwicklung des Familienunternehmens Hueck, 28; s. auch Kirchdörfer/Lorz, FuS 2011, 97 (99): „Eigentümerthemen in der Evolution des Familienunternehmens“; Kleve/Köllner in Kleve/Köllner, 7. 9 Rüsen/von Schlippe/Kleve in Kleve/Köllner, 225 (227); kritisch zur Typologisierung Schmeing, 200 ff. 10 Vgl. Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 85. 11 Zur Dynamik Uffmann, ZIP 2015, 2441 (2444).

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Kap. 17 Rz. 17.73 | Mediation für Familienunternehmen

der nachvollziehbar veranschaulicht, dass sich die Rollen und die Komplexität in den einzelnen Subsystemen (Familie, Unternehmen, Gesellschafter) und damit dem Gesamtsystem stetig erhöht.1 So wird erkennbar, dass allein die steigende Anzahl menschlicher Interaktionen das Risiko sozialer Konflikte erhöhen kann.2 Und es gilt, dass jede Veränderung in einem Subsystem und jeder Kreisübertritt in eine neue Schnittmenge, zu einer Veränderung des Gesamtsystems führt.3

17.74

Es stellt sich damit die Frage, wie man dieser im Lauf der Zeit zunehmenden Komplexität begegnen soll? Komplexität wird hier in dem Sinne verstanden, dass mehr Faktoren auf ein System einwirken, als wir kontrollieren können. Wie beherrscht man die durch die stetig steigende Anzahl der Familienmitglieder, der Gesellschafter, der operativ tätigen Familienmitglieder, der Mitglieder der Geschäftsführung zunehmende Komplexität?4 Intuitiv wird im Innern der Ruf nach Vereinfachung laut, um die Komplexität zu reduzieren.5 Einfach wäre, die Dynamik in den Subsystemen zu stoppen. So kann die Anzahl der Gesellschafter auf eine bestimmte maximale Anzahl festgelegt werden6 oder an die Stelle der Gesellschafter tritt eine Stiftung7 als Alleingesellschafter oder es wird vereinbart, dass Familienmitglieder nicht im Unternehmen arbeiten dürfen.8 Diese in der Praxis anzutreffenden Lösungen sind jedoch nicht verallgemeinerungsfähig. 1 Rüsen/von Schlippe/Kleve in Kleve/Köllner, 225 (226); Kirchdörfer/Breyer, FuS Sonderheft 2014, 13 (21 ff.); Lüke, Wirtschaft – Das IHK-Magazin für München und Oberbayern – 03/2013, 56; Fritsch in Riedel, 687 (697); Gläßer in FS Binz, 2014, 228 (228 ff). 2 Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 73: „Das Risiko von Konflikten potenziert sich mit der Zahl der Beteiligten“; Schmeing, 204; Uffmann, ZIP 2015, 2441 (2445); Schween/Koeberle-Schmid/Bartels/Hack, 14: „Es verwundert nicht, dass gerade ältere, größere Familienunternehmen mit größerem Gesellschafterkreis offenbar besonders starken Regelungsbedarf spüren. Einerseits verfügen viele von ihnen bereits über eine Historie mehr oder weniger erfolgreich bewältigter Herausforderungen oder Konflikte im Kreis der Gesellschafter. Damit erhöht sich auch das Bewusstsein dafür, dass verbindliche Regelungen für alle sinnvoll sein können. Andererseits steigt mit der Entfernung vom Gründungszeitpunkt auch die Komplexität der familiären Beziehungen – und damit die Notwendigkeit, mit einfachen, vorbestimmten Regeln das Wirken und die Rolle der Gesellschafter in für alle produktiven Bahnen zu lenken. Nach aller Erfahrung nehmen bei großen, alten und mit einem divers besetzten Gesellschafterkreis ausgestatteten Familienunternehmen auch Zahl und Schärfe der Konflikte zu.“; Felden/Hack/Hoon, 357; Reich/Bode, DStR 2018, 305 (306); Wicke, ZGR 2012, 450 (460); Kellermanns/von Schlippe in Koeberle-Schmid/Fahrion/Witt, 429. 3 Krabbe, Perspektive Mediation 2012, 58; Duss-von Werdt in Haft/Schlieffen, Handbuch Mediation2, § 11, S. 231 (244) Rz. 37. 4 Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 11. 5 von Schlippe/Schweitzer, 10: „Die von einer Person gebildeten Sinnattraktoren entstehen aus der Tendenz menschlicher Kognition, zu ordnen, Kategorien zu bilden, und damit Komplexität zu reduzieren. (...) Menschen fürchten nichts mehr als das Chaos und darum wählen sie eine Ordnung auch dann, wenn sie quälend ist.“ 6 So z.B. beim Familienunternehmen Vorwerk & Co. KG (nach Werner Mittelsten Scheid: „max. 20 Gesellschafter“, Symposium zur Gesellschafterbindung am 14.3.2018 in Mannheim); vgl. auch Wimmer/Gebauer in von Schlippe/Rüsen/Groth, 48 (65) zur Nachfolgevariante „Reinszenierte Kleinfamilie zur Komplexitätsreduktion“. 7 Umfassend und anschaulich Feitsch/Linder, ZStV 2018, 29 (Teil 1) und ZStV 2018, 67 (Teil 2); Pauli, ZStV 2019, 41 ff.; Reich, DStR 2020, 265 ff.; v. Oertzen, BB 2019, 2647; v. Oertzen/Reich, DStR 2019, 317 ff.; v. Oertzen/Friz, BB 2014, 87 ff. 8 So z.B. beim Familienunternehmen Franz Haniel & Cie. (nach Kathalyn von Eyb, Symposium zur Gesellschafterbindung am 14.3.2018 in Mannheim).

1130 | Born

C. Mediation in Familienunternehmen | Rz. 17.78 Kap. 17

Nach den Grundsätzen der Kybernetik, die auch Eingang in die systemische Familientherapie1 gefunden haben, ist Komplexität nur mit Varietät beherrschbar.2 So zählt das Gesetz von der erforderlichen Varietät (Ashbysches Gesetz3) zu den zentralen Erkenntnissen der Kybernetik. Das Gesetz besagt, dass ein System, welches ein anderes steuert, umso mehr Störungen in dem Steuerungsprozess ausgleichen kann, je größer seine Handlungsvarietät ist.

17.75

Wendet man dieses Gesetz analog auf die drei Subsysteme als ein geschlossenes Gesamtsystem an und wertet man jeden einzelnen Kreis als ein in sich zu steuerndes Subsystem, wird deutlich, dass die Akteure der einzelnen Kreise (Familie, Unternehmen, Gesellschafter) jeweils bezogen auf ihre Rollen ihre jeweilige Handlungsvarietät vergrößern müssen, damit das Gesamtsystem und die jeweiligen Subsysteme störungsfrei funktionieren. Insbesondere gilt dies für das Subsystem Familie, welches nach dem Typus Familienunternehmen einen Einfluss auf das Subsystem Unternehmen hat und dieses also steuert. Größere Handlungsvarietät kann erzielt werden, sofern unterschiedliche Denkansätze und unterschiedliche Interessen Raum bekommen und ein Problem von unterschiedlichen Perspektiven aus betrachtet wird. Die Familienmitglieder brauchen mithin zur Beherrschung der steigenden Komplexität mehr Handlungsalternativen und mehr Entscheidungsmöglichkeiten und vor allen Dingen Konsens, um dies alles zu erreichen. Nicht bearbeitete Konflikte vermindern aber ihrer Natur nach die Handlungsvarietät der Beteiligten – weil sich im Konflikt der Blick auf nur eine denkbare Lösung verengt – und beeinträchtigen die Steuerungsmöglichkeit des Gesamtsystems und der jeweiligen Subsysteme erheblich.

17.76

Die Mediation erhöht nun bereits in einem ersten Schritt die Komplexität und sie ist daher ihrer Natur nach geeignet, die Varietät zu erhöhen. Dies beginnt beim Setting.4 O-Ton aus einer Sitzung mit 26 Teilnehmern eines Familienunternehmens in der sechsten Generation: „So haben wir alle noch nie zusammen in einem Raum gesessen und Themen besprochen, die unsere Familie und unser Unternehmen betreffen.“

17.77

Es wird deutlich, dass es komplexer ist, wenn 26 Personen mit all ihren Unterschieden arbeiten, als wenn es zwischen diesen 26 Personen nur vereinzelt und über Zeiträume hinweg Gruppengespräche mit zwei oder drei Teilnehmern gibt („Hast du schon gehört, was Vater gestern zu X gesagt hat?“). Wird aber die Mediation als komplexer Steuerungsprozess der Kommunikation im Sinne der Kybernetik verstanden, kann gleichzeitig die Handlungsvarietät der Akteure erhöht und die Beherrschbarkeit der Komplexität der zu steuernden Systeme erfolgreich gesteigert werden. Die praktischen Erfahrungen zeigen, dass dem anfänglichen Unglauben oft Erstaunen folgt, wenn es großen Familien gelingt, auf diese „komplexe“ Art und Weise zusammen zu arbeiten und im Vergleich zu ihren bisherigen Einigungsversuchen nun schneller Lösungen von Problemen oder Konflikten gefunden werden, die noch dazu von allen mitgetragen werden.

17.78

1 Tomm, 19. 2 Beispiele sind auch die immer komplexer werdenden Gesellschaftsverträge, die Ausdruck sind, die Varietät für eine Vielzahl von gegenwärtigen und zukünftigen Lebenssachverhalten zu erhöhen, vgl. hierzu Wedemann, 67. 3 Ashby, An introduction to Cybernetics. 4 Diez/Krabbe/Engler, 230 ff.

Born | 1131

Kap. 17 Rz. 17.79 | Mediation für Familienunternehmen

e) Systemische Muster

17.79

Unter Berücksichtigung der Evolutionsstufen der Unternehmerfamilie und des Familienunternehmens1 können für den Mediator die nachstehenden Hypothesen hilfreich sein, die auch Aufschluss darüber geben können, wie Verrechnungsnotstände oder Systemgesetzverletzungen in der Vergangenheit2 unter Umständen angelegt worden sind.3

17.80

Die Gründerfamilie lebt in den Aufbaujahren. In diesen Aufbaujahren werden typischerweise alle personellen, finanziellen und organisatorischen Ressourcen wie durch ein Brennglas auf einen Punkt fokussiert: Die Existenz muss gesichert werden und hierfür werden alle Kräfte eingesetzt. Die erste Generation hat eine stärkere Orientierung an den „Unternehmergeist“ als die nachfolgenden Generationen.4 Das Überleben des Unternehmens steht im Zentrum.5 Das Lebenswerk und der Lebenssinn besteht darin, das Unternehmen zum Blühen zu bringen und an die Kinder weiterzugeben.6 Alles andere hat sich diesem Ziel unterzuordnen. Die Kinder wachsen so unter Umständen in einer Konkurrenzsituation auf.7 Die geschäftlichen Ereignisse werden allgegenwärtig besprochen. Die Firma sitzt immer „am Tisch“ und das Unternehmen bestimmt die Kommunikation in der „Freizeit“ und „zwischen den Ehepaaren, sogar im Bett beim Einschlafen und Aufwachen“.8

17.81

Die Bereiche Beruf und Familie konkurrieren. Die Kinder werden zwar früh mit der Welt des Unternehmens konfrontiert, können aber das Unternehmen als Konkurrenz um elterliche Liebe erleben.9 Die Eltern wiederum können Schuldgefühle entwickeln, weil sie sich ihrer Elternrolle nicht ausreichend Zeit widmen. Gleichzeitig erwarten sie aber, dass die Kinder das Lebenswerk über ihren Tod hinaus weiterführen und ihnen dankbar sind.10 Andererseits geschieht die Delegation dieser Aufgabe an die Kinder unbewusst und die Kinder nehmen die elterlichen Aufträge unbewusst an. Sich von diesen Aufträgen zu lösen, fällt beiden Seiten besonders schwer. Die Kinder möchten ihre Eltern nicht enttäuschen und die Eltern wünschen sich, dass die Nähe zu den Kindern erhalten bleibt. Aber die Kinder können andere Interessen und andere Vorstellungen von Selbstverwirklichung haben, dies oft auch dank eines Partners, dessen Grundwerte und Erwartungen in andere Richtungen weisen.11 Das lässt die Kinder zwischen einer Dankbarkeitshaltung und einer Vorwurfshaltung schwanken.12 Somit können Konflikte vorgebahnt sein, die das Familienklima vergiften.13

1 Baus, 75 ff.; Fritsch in Beckervordersandfort, 277. 2 Kalss in FS Binz, 2014, 342 (344). 3 Vgl. vertiefend zu verschiedenen Aushandlungsmustern anhand von Fallbeispielen Leiß in Kleve/ Köllner, 169 (176 ff.). 4 Seibold/Lantelme/Kormann, 57. 5 von Schlippe, ZKM, 2009, 17: „(...) So war das Unternehmen buchstäblich im Kreissaal anwesend (...)“. 6 Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 65; Stierlin, 50. 7 Simon in Simon, Die Familie des Familienunternehmens, 35 (43). 8 Wimmer/Simon in Kleve/Köllner, 156, 158; Kleve/Köllner in Kleve/Köllner, 2, m.w.N.; Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 66; Schubert, 13. 9 Krabbe, Die Wirtschaftsmediation 2015, 51 (52). 10 Krabbe, Die Wirtschaftsmediation 2015, 51 (52). 11 Stierlin, 50. 12 Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 67. 13 Stierlin, 50.

1132 | Born

C. Mediation in Familienunternehmen | Rz. 17.84 Kap. 17

Hierbei kommt nach Simon1 auch der Vater-Sohn-Beziehung eine Sonderrolle zu. So könnte Unabhängigkeit ein wichtiger Bestandteil der Identität des Vaters als Unternehmer sein. Meist wird ein patriarchalischer Führungsstil praktiziert. Für den Sohn wird indes eine widersprüchliche Doppelbotschaft gesendet. Auf der einen Seite fordert der Vater Gefolgschaft und Unterwerfung und auf der anderen Seite sieht er sich selbst als „Erfolgsmodell“ und hofft, sein Sohn würde diesem Vorbild folgen. Gehorcht der Sohn, übernimmt er indes eine schwache Position gegenüber dem Vater. Tritt er in die Fußstapfen des Vaters und folgt er seinem Autonomieideal, können Vater und Sohn in einen Konflikt geraten.2 Töchter könnten es leichter haben, da sie an anderen Ideal- und Rollenbildern gemessen werden und dementsprechend weniger leicht widersprüchlichen Erwartungshaltungen und Handlungsanweisungen ausgesetzt sind. Dies kann wiederum unter den Nachfolge-Geschwistern (Bruder/Schwester) zu einem Gefühl der Ungleichbehandlung und Ungerechtigkeit führen.

17.82

In der zweiten Generation spricht man von der Geschwistergesellschaft. Während in der ersten Generation das „Überleben des Unternehmens“ den Treiber für Wachstum bildete, treten in der zweiten Generation auch familiäre Motive hinzu. Erbschaftsteuerthemen, Schenkungen von Anteilen an Abkömmlinge, persönliche Kariere von Abkömmlingen in der operativen Führung des Familienunternehmens und ein Bedürfnis von Familienmitgliedern nach Dividenden treiben weiter zu Wachstum an.3 Denn alle Liquiditätsabflüsse (Ausgleichszahlungen an weichende Erben, Abfindungen an ausscheidende Gesellschafter, Erbschaftsteuerzahlungen, Pflichtteils- und Zugewinnausgleichsforderungen) reduzieren das Wachstumspotential des Familienunternehmens um die Hälfte bis zu zwei Dritteln!4

17.83

In der Geschwistergesellschaft kann wiederum ein Erfahrungswissen und ein Verständnis entstanden sein, in welchen Fällen Konflikte aktuell ausbrechen.5 Das Familienunternehmen steht nicht mehr im Zentrum, es besteht aber eine emotionale Distanz gegenüber dem Familienunternehmen.6 Deswegen soll es der zweiten Generation auch leichter fallen, die Firma bezüglich der Führung in fremde Hände zu legen, wobei zugleich die Erwartungshaltung an die Enkel abnimmt, das Unternehmen operativ fortzuführen.7 Die Enkel haben daher mehr Wahlmöglichkeiten. Das Unternehmen ist das Werk der Großeltern, das zeitlich weit zurückliegt und auch emotional eine Distanzierung erlaubt.8 Hat die dritte Generation9 das Steuer übernommen, spricht man auch vom Vetternkonsortium.10 Die Zahl der Familienmitglieder ist gestiegen und es kann eine „Entfremdung“11 untereinander und zum Unternehmen eingetreten sein. Zur Aufrechterhaltung der familiären Bindung müssen aktive Gegenmaßnahmen eingeleitet werden (z.B. Familientage, Feste, geregelte

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 67, 68. Vgl. zu einem Mediationsgespräch zwischen Vater und Sohn Ballreich in Knapp, 58 ff. Seibold/Lantelme/Kormann, 59. Seibold/Lantelme/Kormann, 59. Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 69; Simon in Simon, Die Familie des Familienunternehmens, 35 (46). Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 69; Krabbe, Die Wirtschaftsmediation 2015, 51 (52). Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 69. Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 69. Simon in Simon, Die Familie des Familienunternehmens, 35 (47). Fritsch in Beckervordersandfort, 277 (286). Mutter, 14; Kirchdörfer/Lorz, FuS 2011, 97 (100).

Born | 1133

17.84

Kap. 17 Rz. 17.84 | Mediation für Familienunternehmen

Zusammenkünfte, etc.).1 Mit der dritten Generation beginnt das „merkwürdige und bemerkenswerte Phänomen der Mehr-Generationen-Familie“ bzw. des „Mehr-Generationen-Familienunternehmens.“2 „Damit die Einzelnen sich überhaupt als Mitglieder einer Familie zu verstehen lernen, bedarf es der bewussten und zielgerichteten Organisation“3 und der organisierten Kommunikation. f) Bedürfnisse

17.85

In Unternehmerfamilien sind die nachstehenden Anliegen und Bedürfnisse häufig vorzufinden und können dem Mediator als Hintergrundhypothesen4 helfen. Dabei sollte der Mediator davon ausgehen, dass jeder Mediand in einem Handeln oder Verhalten eine positive Absicht für sich selbst hat, weil jeder Mensch in jedem Moment das Beste für sich unternimmt, was ihm gerade möglich ist.5 Wenn sich dies auf der Sachebene zeigt, wird es aber u.U. vom Gegenüber als Einschränkung empfunden und eine Einschränkungsabsicht unterstellt. Die nachstehenden Bedürfnisse werden daher in der Regel nicht als „Ich-Botschaft“ kommuniziert, sondern es werden vom Empfänger negative Absichten des Senders unterstellt. Der Mediator kann unterstützen, dieses Missverständnis auf der Kommunikationsebene aufzulösen.

17.86

Dem „Gründer“ ist es wichtig, dass sein Lebenswerk erhalten bleibt. Es besteht eine hohe emotionale Bindung, er wäre traurig, gar verzweifelt, wenn das Unternehmen Schaden nehmen würde. Viele Entbehrungen und schlaflose Nächte liegen zurück. Kritik an den Kindern als Geschäftsführer kann ihre Ursache in der Sorge haben, das Unternehmen werden Schaden nehmen. Es besteht ein großes Bedürfnis nach Sicherheit im Generationswechsel und es stellt sich die Frage, durch welche konkreten Maßnahmen ein Sicherheitsgefühl aufgebaut werden kann. Der Gründer erhält viel Anerkennung von Mitarbeitern, Freunden, Politik, etc. Der geschäftliche Erfolg ist Erfüllung und Sinn an sich. Kritik aus der Familie verletzt und empört und kann dann als fehlende Dankbarkeit oder fehlender Respekt empfunden werden, insbesondere sofern schon Anteilsschenkungen an Abkömmlinge vorausgegangen sind.

17.87

In der klassischen Unternehmerfamilie könnte die an die Ehefrau gerichtete Erwartungshaltung darin bestehen, dem Ehemann „den Rücken frei zu halten“, die potentiellen Nachfolger zu erziehen, die Familie zu repräsentieren und gleichzeitig noch im Familienunternehmen mitzuarbeiten.6 Der Ehefrau ist es wichtig, in allen ihren Beiträgen gesehen zu werden, sowohl im Unternehmen als auch in der Familie. Sie hat auf Ehezeit verzichtet. Für sie bedeutet der Generationswechsel auch wieder ein „mehr“ an Ehezeit. Konflikte müssen gelöst werden, damit Familienfrieden eintreten kann. Das Streben nach Harmonie ist vorhanden. Es ist wichtig, dass die Kinder im Unternehmen Zufriedenheit erfahren und dass deren Zukunft gesichert ist.

17.88

Die Kinder möchten eigenständig sein und in ihrer Arbeit wertgeschätzt werden. Freie unternehmerische Entfaltung, Anerkennung und Zufriedenheit sind wichtige Anliegen. Die Kritik des Vaters oder auch das „An-sich-Ziehen“ von operativen Aufgaben kann als Abwertung 1 Krabbe, Die Wirtschaftsmediation 2015, 51 (52); Kleve/Köllner in Kleve/Köllner, 8. 2 Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 69; Wimmer/Groth/Simon in von Schlippe/Rüsen/Groth, 97 ff. 3 Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 71. 4 Diez/Krabbe/Engler, 173; Rosner/Winheller, 403 ff. 5 Mecke in Haynes/Mecke/Bastine/Fong, 278 (319); Bishop, 15. 6 Hennerkes/Berlin/Berlin, 41.

1134 | Born

C. Mediation in Familienunternehmen | Rz. 17.91 Kap. 17

empfunden werden. Der Vater könnte fehlende Dankbarkeit empfinden oder ihm fehlt vielleicht das Gefühl von Sicherheit „die Kinder werden es schon richtig machen“.

Für die Schwiegerkinder gilt typischerweise die Regel, dass sie weder am Privatvermögen noch am Betriebsvermögen beteiligt werden.1 Sie verzichten aber unter Umständen auf ihre Karriere und die Möglichkeit eigenes Vermögen aufzubauen. Dies ist ein immaterieller Wert, der berücksichtigt werden sollte, um ein Gefühl von „gerechter Behandlung“ entstehen zu lassen. Eine Mitarbeit im Familienunternehmen kann wichtig sein, um die Nähe zur Familie zu spüren.

17.89

An typischen Bedürfnissen und persönlichen Anliegen der Familienmitglieder lassen sich weiter nennen, ob bei einer unterschiedlichen quotalen oder inhaltlichen Verteilung von Privatvermögen oder Betriebsvermögen Gerechtigkeitsgefühle2 unter Geschwistern verletzt werden3 oder wie dem Bedürfnis nach wirtschaftlicher Versorgung4 und Sicherheit der nicht tätigen Gesellschafter und ihrer Familien Rechnung getragen werden kann, ohne dem Familienunternehmen „zu viel“ Liquidität zu entziehen.

17.90

2. Konfliktfelder a) Spannungsbögen Die Konfliktfelder in Familienunternehmen sind zwar nicht einzigartig,5 jedoch erhöhen die systemischen Besonderheiten im Familienunternehmen die Wahrscheinlichkeit für Konflikte.6 Die in einer Unternehmerfamilie typischerweise behandelten widerstreitenden Interessen lassen sich zunächst in folgende Spannungsbögen einordnen:7 – Familienunternehmen vs. Familie, – Gemeinschaft vs. Individuum,8 – ältere Generation vs. jüngere Generation,9 – Eigennutz vs. Verantwortung, – Vertrag vs. Gemeinschaft,10 – Beziehungs-Überoptimismus vs. Risikobewusstsein,11 – Einheit vs. Vielfalt,12 – Mehrheit vs. Minderheit.13 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

Hennerkes/Berlin/Berlin, 41. Fabis, 6. Montada/Kals, 220 ff. Schween/Koeberle-Schmid/Bartels/Hack, 32. Neuvians, 61. Neuvians, 61; vgl. auch Lutz, Der Gesellschafterstreit; Wedemann, Gesellschafterkonflikte in geschlossenen Kapitalgesellschaften; Schmeing, 229 ff. Born, Handbuch Familienunternehmen, Rz. 49; Kormann, Zusammenhalt der Unternehmerfamilie, 428. Mutter, 17. Kormann, Zusammenhalt der Unternehmerfamilie, 428; Ebel in FS Binz, 2014, 171 (172 ff.). Burkart in Röthel, 81 (94). Röthel in Röthel, 9 (36). Fritsch in Riedel, 687 (692). Kalss in FS Binz, 2014, 342 (345).

Born | 1135

17.91

Kap. 17 Rz. 17.92 | Mediation für Familienunternehmen

17.92

In diesen Spannungsfeldern und entstehenden nicht beherrschbare Konflikten wird das Familienunternehmen zum „Kampffeld“ und zum „Spielmaterial“ der sich im Streit befindlichen Familienmitglieder.1

Erschwerend kommt in Familienunternehmen hinzu, dass die Konfliktdynamik durch ein Machtgefälle bestimmt wird. Der Gründer oder Mehrheitsgesellschafter besitzt oft aufgrund der herausragenden unternehmerischen Leistung und des Erfolgs des Unternehmens eine ausgeprägte Machtfülle, die sich in alle Bereiche des Unternehmens, des Gesellschafterkreises und der Familie erstreckt.2 Dem Mächtigen stehen die Ohnmächtigen gegenüber und dies macht Veränderungen besonders schwer. Die Mediation benötigt hier einen starken Mediator, nicht um den Mächtigen zu beeinflussen, sondern um zu verhindern, dass der Mächtige den Prozess beeinflusst3 und einen starken Mächtigen, der den Weitblick hat, Veränderungen durch eine Mediation zuzulassen.4

17.93

Die Unternehmerfamilie ist darüber hinaus ein spezieller Typus von Verhandlungsfamilie.5 So finden im Laufe der Zeit immer wieder Verhandlungen über die Abgrenzung zwischen Familie und Unternehmen statt und die jeweiligen Bedürfnisse der Familienmitglieder müssen permanent koordiniert und ausbalanciert werden.

17.94

In Anlehnung an Neuvians6 können in Familienunternehmen bezogen auf die in den Subsystemen beteiligten Personen die nachstehend genannten typischen7 Konfliktfelder festgestellt werden: b) Subsystem Gesellschafter

17.95

– Nachfolgekonflikte:8 Wer von mehreren Abkömmlingen folgt mit welcher Beteiligungshöhe unentgeltlich zu Lebzeiten oder von Todes wegen in die Gesellschafterstellung? – Konflikte mit der Gründergeneration; – Rivalitäten zwischen und innerhalb von Gesellschafterstämmen;9 – Konflikte unter den Gesellschaftern;10 1 2 3 4 5 6 7 8

9 10

Wimmer/Simon in Kleve/Köllner, 149. Fritsch in Riedel, 687 (694). Harrie in Barth/Böhm/Barth, Wirtschaftsmediation, 55. Roland Mack, „Ich war eher skeptisch“, wir – Das Magazin für Unternehmerfamilien, Juli 2016, 21: „Den Mediationsprozess zuzulassen, stellte für mich die größte Herausforderung dar. Man muss auch einmal etwas ausprobieren, um zu sehen, ob es funktioniert“. Burkart in Röthel, 81 (94). Nach Neuvians, 61 ff. S. auch Rosner/Winheller, 386, der zu Recht darauf hinweist, dass das Konzept typologisierter Konfliktdynamiken auch ein typologisiertes Regelwerk der Konfliktbearbeitung und Konfliktlösung nahelegt. Nach einer PricewaterhouseCoopers Studie aus dem Jahr 2010/2011 haben 35 % der Familienunternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz angegeben, dass der häufigste Streitpunkt die strategische Ausrichtung des Unternehmens ist, gefolgt von dem Thema der Unternehmensnachfolge, PricewaterhouseCoopers (Hrsg.), Fels in der Brandung? – Studie über Familienunternehmen, 20 ff.; Jansen/Beyerlein, BB 2012, 733 (734). Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 76. Gesellschafterstreitigkeiten sind ein weites Feld und sie können sich beziehen auf Zuständigkeitskonflikte, Anfechtung von Mehrheitsbeschlüssen, Abberufung von Geschäftsführern, Ausschluss aus der Gesellschaft, Gewinnverteilung, Auskunfts- und Kontrollrechte, Ausscheiden und Abfindung, etc., vgl. umfassend Lutz, Gesellschafterstreit, 6. Aufl.

1136 | Born

C. Mediation in Familienunternehmen | Rz. 17.97 Kap. 17

– Konflikte im Zusammenhang mit der Ergebnisverwendung, Gewinnverwendung, Gewinnverteilung;1 – Konflikte im Zusammenhang mit Kapitalerhöhungen und Kapitalherabsetzungen; – Konflikte bei Investitionsentscheidungen; – Konflikte bei der Aufteilung der Stimmrechte;2 – Konflikte zwischen tätigen und nicht tätigen Gesellschaftern; – Konflikte beim Verkauf des Familienunternehmens; – Machtmissbrauch der Mehrheitsmacht (Aushungern der Minderheit, Kapitalerhöhung);3 – Blockade der Mehrheit durch die Minderheit;4 – Konflikte beim Ausstiegswunsch eines Gesellschafters (Kündigung, Abfindung, Verkauf, etc.). c) Subsystem Unternehmen

17.96

– Konflikte über den Generationswechsel5 in der Führung6 (jung/alt); – Geschwisterrivalitäten in der

Führung;7

– Konflikte mit Nichtfamilienmitgliedern (Fremdgeschäftsführung); – Geschlechterrollen Differenzen;8 – Konflikte bei der Gestaltung des Wechsels von einer Ein-Personen-Geschäftsführung zu einem Kollegialorgan, z.B. in der Geschwistergesellschaft;9 – Machtmissbrauch und inadäquate Vorteilsgewährung;10 – Misstrauen aufgrund von Informationsdefiziten.11 d) Subsystem Familie

17.97

– Konflikte bei der Partnerwahl; – Konflikte mit Angeheirateten; 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Vgl. Fabis, 67–84. Vgl. Fabis, 88. Wedemann, 46. Wedemann, 53. Bohny, zupFIF, Band VI, 2016, 9; Hubner in Trenczek/Berning/Lenz/Will, 538 ff. Hierzu Lutz, Gesellschafterstreit, Rz. 566. Ebel in FS Binz, 2014, 171 (174 ff.). Otten-Pappas/Jäkel-Wurzer, 17. Hilker, Familiendynamik 2001, 338 (340): „Hierbei wird oft das Erfordernis verkannt, dass zur Sicherung der langfristigen Unternehmenskontinuität in der zweiten und dritten Generation auch die Management- und Organisationsstrukturen professionalisiert werden müssen.“; Haas, Familiendynamik 2001, 388 ff.; Fritsch in Beckervordersandfort, 277 (285). 10 Kalss/Probst, Familienunternehmen, 10. Kap., Rz. 9 ff. 11 Kalss/Probst, Familienunternehmen, 10. Kap., Rz. 9 ff.

Born | 1137

Kap. 17 Rz. 17.97 | Mediation für Familienunternehmen

– Konflikte zwischen Familienmitgliedern oder deren Ehepartnern im Zusammenhang mit einer Tätigkeit im Unternehmen;1 – Konflikte bei der wirtschaftlichen Versorgung2 von Familienmitgliedern; – Konflikte bei dem Abschluss von Schenkungsverträgen, Eheverträgen und Erbverträgen; – Konflikte bei der Vertretung und Entsendung in Gesellschaftergremien, Beiräten, etc.

IV. Typus Familienunternehmen 17.98

Die den Typus prägenden – auch rechtlichen – Merkmale3 eines Familienunternehmens der hier untersuchten4 Art können nun anhand der Konfliktfelder und der Subsysteme konkretisiert werden, weil die materiellen Regelwerke des jeweiligen Subsystems als Normenkomplex teilweise Lösungen für die vorstehend skizzierten Konflikte bieten sollen:

1. Subsystem Gesellschafter 17.99

– Die Gesellschaftsanteile am Familienunternehmen oder juristischen Personen, die im Vorstand5 oder Stiftungsrat einer privatnützigen oder gemeinnützigen Stiftung sind, befinden sich in der Hand von einem oder mehreren Familienmitgliedern oder mehrerer Familien und sie sind nicht frei verkäuflich,6 allenfalls innerhalb der (jeweiligen) Familie und vorrangig in den Familienstämmen; im Übrigen werden Vorkaufsrechte und Erwerbsrechte – auch in Kaskaden – vereinbart. – Wenn bestimmte Mehrheiten es wollen, darf (Tag-Along-Option) oder muss (DragAlong-Option) die Minderheit ebenfalls ihre Anteile an Dritte zu den ausgehandelten Konditionen verkaufen;

1 2 3 4

Schween/Koeberle-Schmid/Bartels/Hack, 31. Schween/Koeberle-Schmid/Bartels/Hack, 32. Vgl. hierzu Born, Handbuch Familienunternehmen, Rz. 3. Die Befunde basieren auf einer bewussten Auswahl (Quotenverfahren) der in der Praxis verwandten Anstellungsverträgen von Geschäftsführern, Gesellschaftsverträgen von Familienunternehmen mit Familienverfassungen und Schenkungsverträgen (Vertragspaare) und einer Auswertung der dem Verfasser gegenüber bekundeten Interessen in Anlehnung an die Untersuchungen des ifm Mannheim, Generationswechsel, 13 und der Untersuchung der 500 größten Familienunternehmen durch Seibold/Lantelme/Kormann. 11 Vertragspaare betrafen Familienunternehmen mit einem jährlichen Umsatz von 12 bis 40 Mio. Euro, 17 Vertragspaare mit einem jährlichen Umsatz von 41 bis 600 Mio. Euro und 2 Vertragspaare mit einem jährlichen Umsatz von 600 bis über 1 Mrd. Euro. Bei allen untersuchten Familienunternehmen nehmen die aus der Familie stammenden Gesellschafter maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung und die schenkweise Übertragung von Gesellschaftsanteilen an die nächste Generation ist bereits erfolgt oder steht bevor. Die Erhebungsgesamtheit wurde auf 30 Verträge im Verhältnis der Größenklassifizierung nach Seibold/Lantelme/Kormann, 26 festgelegt; vgl. zu dieser die Repräsentativität annähernd gewährleistenden Zahl: Karl J. T. Wach in Chiotellis/Fikentscher, 89 (99). 5 Wanka, Juristische Personen und ihre Organe als Vorstand der Stiftung. 6 Hueck, 37; vgl. auch Seibold/Lantelme/Kormann, 1: „Looking back over a period of 100 years, it can be observed that German family business sold their property only slow or not at all in comparison to those in Anglo-Saxon countries.“; Schmeing, 195.

1138 | Born

C. Mediation in Familienunternehmen | Rz. 17.99 Kap. 17

– Die Übertragung der Anteile am Familienunternehmen in der Generationenfolge vollzieht sich innerhalb der Familie ausschließlich an Abkömmlinge oder Mitgesellschafter durch Schenkungen oder durch Erbfall;1 – Die Gesellschafter der jeweils nächsten Generation leisten keine Einlage; – Die Gesellschafter regeln das Schicksal der jeweiligen Beteiligung im Todesfall eines Gesellschafters im Gesellschaftsvertrag und nicht im Testament (entweder durch die Anordnung von Sonderrechtsnachfolgen bei Personen(handels)gesellschaften oder durch Einziehungs- und Abtretungsverpflichtungen bei Kapitalgesellschaften); im Übrigen werden bei Kapitalgesellschaften Poolvereinbarungen i.S.d. ErbStG abgeschlossen; – Dritte, insb. Schwiegerkinder, können nicht Gesellschafter werden oder bleiben („Blutsgesellschaft“);2 – Es werden im Gesellschaftsvertrag Vermögenssorgeanordnungen getroffen, § 1638 BGB; – Es werden erhebliche Entnahmebeschränkungen und Ausschüttungsbeschränkungen vereinbart;3 – Durch umfangreiche Thesaurierungen und Rücklagenbildungen werden die Selbstfinanzierung und die Unabhängigkeit des Familienunternehmens erhalten;4 – Auf der Ebene der Gesellschaft oder in Beiräten oder Aufsichtsräten entscheidet die Mehrheit der Stimmen von Familienmitgliedern,5 wobei Sonderstimmrechte für Personen oder Geschäftsanteile oder Stimmrechtsbindungen in Stämmen gelten können oder Entsendungsrechte greifen; – Die Gesellschafter verpflichten sich im Gesellschaftsvertrag zum Abschluss von Eheverträgen (sog. „Güterstandsklauseln“6) mit dem Güterstand der Gütertrennung oder der modifizierten Zugewinngemeinschaft, bei der der Wertzuwachs des Anteils während der Ehezeit dem Zugewinnausgleich entzogen werden soll; – Es werden erhebliche Abfindungsbeschränkungen7 zur Sicherung der Kapital- und Liquiditätsbasis vereinbart, und zwar sowohl durch eine vom Verkehrswert abweichende niedrigere Bewertung als auch durch die Anordnung von ratierlichen Zahlungen; – Die ordentliche Kündigung in Personengesellschaften wird erschwert (Ausschluss bis 30 Jahre8), auch über in den Schenkungsverträgen vereinbarte Rücktrittsrechte, die greifen, falls der Gesellschaftsvertrag (z. B. gerade bei der Abfindungsregelung oder der Kündigungsregelung) oder die Familienverfassung verletzt oder gerichtlich oder außergerichtlich „angegriffen“ werden;

1 Vgl. auch BGH v. 22.5.1989 – II ZR 211/88, NJW-RR 1989, 1259; Ulmer, ZIP 2010, 549 ff; Prütting/Schirrmacher, ZGR 2017, 829 (833). 2 Schmeing, 211. 3 Schmeing, 197. 4 Schmeing, 197. 5 ZEW-Studie, 51. 6 Kritisch hierzu Wicke, ZGR 2012, 450 (475); Hueck, 170. 7 Vgl. hierzu Born, Handbuch Familienunternehmen, Rz. 268 ff. m.w.N.; Prütting/Schirrmacher, ZGR 2017, 829 (833). 8 Zur Zulässigkeit dieser Beschränkung gerade bei Familienunternehmen Born, Handbuch Familienunternehmen, Rz. 203 m.w.N.

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Kap. 17 Rz. 17.99 | Mediation für Familienunternehmen

– Es werden Kataloge vereinbart, die die Reichweite der Handlungsmöglichkeiten der geschäftsführenden Gesellschafter beschreibt; – Es werden Mediationsklauseln,1 CP-Klauseln und Schiedsklauseln vereinbart.2

2. Subsystem Familie 17.100

– Es besteht eine generationsübergreifende Familienbindung3 durch tradierte und neu reflektierte und erarbeitete Werte (Schaffung von sozialem Kapital4). Typische Werte der Unternehmerfamilie sind: Familie, Pflichtbewusstsein, Disziplin, Integrität, Loyalität, Vertrauen, Solidarität, soziale Verantwortung, Respekt, Bodenständigkeit, unbedingte Leistungsbereitschaft der tätigen Familienmitglieder;5 – Es besteht ein von allen getragener Vorrang des Unternehmensinteresses vor dem persönlichen und finanziellen Interesse eines einzelnen Familienmitglieds;6 – Die Familienmitglieder denken langfristig und in Generationen.7 Sie leben nach dem Grundsatz, dass jede Generation Treuhänder für die nächste Generation ist;8 – Die Familienmitglieder haben das übergeordnete Ziel, das Familienunternehmen zu erhalten,9 den Wert zu steigern und das Familienunternehmen erfolgreich in die nächste Generation zu übertragen;10 – Der Familienverband bringt neue Anteilseigner und gegebenenfalls Unternehmerpersönlichkeiten hervor; – Das Familienunternehmen dient der finanziellen Absicherung und Versorgung der Familie11 und der nächsten Generation; – Die Unternehmerfamilie steht gegenüber dem Unternehmen – auch in der Öffentlichkeit12 – in einer unternehmerischen Gesamtverantwortung; 1 Vgl. Loos/Brewitz, SchiedsVZ 2012, 305 ff.; Unberath, NJW 2011, 1320 ff.; Töben, RNotZ 2013, 321 ff.; Schröder, GmbHR 2014, 960 ff. 2 Hierzu Wicke, ZGR 2012, 450 (480); auch Hueck, 169. 3 Schmeing, 196. 4 Kalss/Probst, Familienunternehmen, 10. Kap., Rz. 19 ff. 5 Vgl. auch Fritsch in Beckervordersandfort, 277 (290) zu den Werten, die von John L. Ward Familienunternehmen zugeschrieben werden: Mut, Achtung, der gute Ruf, Fairness, Offenheit, Fleiß Verlässlichkeit, Neugier, Bescheidenheit, Disziplin, Vorsicht, Loyalität, Ehrlichkeit, Respekt; Schmeing, 198 ff. 6 Simon/Wimmer/Groth, 158; Dauner-Lieb in Röthel, 181 (183); Zutreffend Lubinski, 292: „Auch paradigmatische Äußerungen wie ‚Firmeninteresse geht vor Familieninteresse’ basieren auf dieser Unterscheidung und verdecken, dass der Erfolg des Unternehmens letztlich der Erfolg der Familie ist, die Reputation der Firma den ‚guten Namen’ der Familie bestimmt und der Erhalt des Unternehmens ein zentrales Interesse der (mehrgenerationellen) Familie bildet“; anders Holler, ZIP 2018, 553 (558): „unverzichtbarer Vorrang des Unternehmensinteresses“; ebenso Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 45, der sie als „nützliche Regel“ ansieht und meint, es schade auch nicht, sie in Gesellschaftsverträgen festzuschreiben; Schmeing, 193. 7 Prütting/Schirrmacher, ZGR 2017, 829 (833); Schmeing, 196 f. 8 Wimmer/Simon in Kleve/Köllner, 148: „transgenerationale familiale Unternehmertum“. 9 Mutter, 16. 10 ZEW-Studie, 51. 11 Schmeing, 194. 12 Schmeing, 195.

1140 | Born

C. Mediation in Familienunternehmen | Rz. 17.102 Kap. 17

– Die Familie hat „ihr Vermögen“ zu einem erheblichen Anteil im Unternehmen gebunden („nicht fungibles Vermögen“);1 – Es werden Regelungen zum Schutz des Privatvermögens vereinbart; – Die Familienmitglieder haben eine Familienverfassung erarbeitet und überwachende Organe (z.B. einen Familienrat) gebildet.2

3. Subsystem Unternehmen – Familienmitglieder (auch Schwiegerkinder, selbst nach einer Scheidung) sind im Familienunternehmen operativ oder in der Geschäftsführung oder Aufsichtsräten oder Beiräten3 tätig und sehen dort ihre berufliche Zukunft und Entfaltungsmöglichkeit;4

17.101

– Es gibt Regelungen, die Stämmen oder Personen Rechte einräumen, Familienmitglieder in den ihnen zugewiesenen Beteiligungsgesellschaften oder Geschäftsbereichen anzustellen; – Die Familienmitglieder stellen entweder die Geschäftsführung oder bestimmen diese maßgeblich;5 – Es bestehen Qualifizierungsvoraussetzungen, um als Familienmitglied im Unternehmen tätig zu sein;6 – Es gibt Regelungen zur Einführung eines Konfliktmanagementsystems; – Festlegung der Geschäftsbereiche des Familienunternehmens als Kernbereiche; – Das Unternehmen hat eine Corporate Governance erarbeitet,7 in der bestimmte Werte und eine Unternehmenskultur vorgegeben werden.

4. Ausblick Ob das deutsche Erfolgsmodell „Familienunternehmen“ eine Zukunft hat, ist unsicher. Seibold et al. kommen aufgrund ihrer Datenbasis8 zu dem Ergebnis, dass die Gründungszahlen rückläufig sind.9 In diese Richtung lässt sich eine von der Stiftung Familienunternehmen in Auftrag gegebenen Befragung von 516 Vertretern der nachfolgenden Unternehmergenerationen im Alter zwischen 16 und 40 Jahren deuten. Die Befragten stammen zu ca. 80 % aus der ersten und zweiten Generation. Dort findet sich der „Trend“, dass die Zustimmung zu der Aussage „Gründung eines eigenen Unternehmens“ in den letzten 10 Jahren um 23,3 % zu1 2 3 4 5 6 7 8

Wimmer/Simon in Kleve/Köllner, 147; Schmeing, 195. Schmeing, 208. Fabis, 44; ZEW-Studie, 51. Schmeing, 194. Schween/Koeberle-Schmid/Bartels/Hack, 31. Schmeing, 208: „Familiy Education“. Vgl. hierzu Lange, BB 2005, 2585 ff.; ZEW-Studie, 51. Der Datenpool bestand aus 10.000 Familienunternehmen und davon wurden die 500 umsatzstärksten untersucht, Seibold/Lantelme/Kormann, 25, 116 Abb. 7.1. 9 In diese Richtung weisen auch die Zahlen des Statistischen Bundesamtes, aus denen sich ergibt, dass die Zahl der Gründungen von Betrieben mit größerer wirtschaftlicher Bedeutung von 2004 bis 2018 von ca. 160.000 auf ca. 120.000 und damit um 25% zurückging, https://www.destatis.de/ DE/Presse/Pressemitteilungen/2019/03/-PD19_118_52311.html

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17.102

Kap. 17 Rz. 17.102 | Mediation für Familienunternehmen

rückging.1 Die Mehrheit der Befragten möchte im eigenen Familienunternehmen die Nachfolge antreten. In der Trendanalyse wird weiter erkennbar, dass die Ausbildung der Kinder und deren Ausrichtung an den Bedürfnissen des Unternehmens zurückgeht; auch die Aussage, Kinder sollten bereits in jungen Jahren an das Unternehmen herangeführt werden, ist rückläufig.2 In gleichem Umfang nimmt die Zustimmung zu der Aussage ab „die Nachfolger der Geschäftsführung sollten aus der Familie stammen“ oder „Kinder sollen keine Anteile erhalten, sofern sie nicht in das Unternehmen einsteigen“.3 In der Praxis stellen wir weiter fest, dass erfolgreiche junge Unternehmer der ersten Generation in Deutschland ein schnelles Wachstum und einen Verkauf als erste Priorität anstreben und nicht die Nachfolge in der Familie. Gestützt wird diese Beobachtung durch eine Studie des IfM Bonn4 und eine Erklärung des DStV,5 nach der jedes zweite Familienunternehmen beabsichtigt, den Geschäftsbetrieb zu veräußern und nicht mehr der Wunsch vorhanden sei, dass der Betrieb von einem Familienmitglied fortgeführt werde.6 Ein Grund dafür mag auch sein, dass die seit Jahrzehnten geltenden steuerlichen Anreize einer „unentgeltlichen Nachfolge“ für die jeweils nächste Generation bei den großen Familienunternehmen der ersten Generation aufgrund der Einführung der erbschaftsteuerlichen Bedürfnisprüfung und einer steuerlichen Zahllast von 80 % auf das aufgebaute Privatvermögen fast verschwunden sind. Es ist daher steuerlich betrachtet günstiger, das Unternehmen zu veräußern und den Veräußerungsgewinn diversifiziert für die Familie weltweit anzulegen und ohne Bedürfnisprüfung der Erbschaftsteuer zu unterwerfen. Hinzu kommt eine stetige Internationalisierung der Familien. Die jungen Familienmitglieder studieren vermehrt im Ausland und werden auch dort ansässig. Haben sie schon Anteile schenkweise erhalten, droht eine sich stetig verschärfende Wegzugsbesteuerung. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Eigentümer von Familienunternehmen aufgrund des demografischen Wandels schlicht keine möglichen Nachfolger in ihrer Familie haben.7 Auch der Wertewandel ist zu berücksichtigen und viele Abkömmlinge wollen das Risiko der Führung eines Unternehmens mit der Übernahme der Verantwortung für die Arbeitsplätze – deutlich spürbar in der Corona-Krise 2020 – und dem damit einhergehenden Arbeitsumfang und den Herausforderungen auf der Beziehungsebene zwischen Übergeber und Übernehmer nicht eingehen.8 So arbeiten 55 % aller Mitglieder aus Unternehmerfamilien nach 19 Uhr im Vergleich zu 38 % aller zugeordneten Individuen in einem regulären Arbeitskontext und 44 % aller Mitglieder aus Unternehmerfamilien gaben an, keine geregelte Arbeitszeit zu haben, während dies für nur knapp 9 % aller zugeordneten Individuen in einem regulären Arbeitskontext der Fall ist.9

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Prügl/Rauschendorfer, 81. Prügl/Rauschendorfer, 62. Prügl/Rauschendorfer, 64. Stamm/Bernhard/Hameister in Kleve/Köllner, 115 (117). Der Deutsche Steuerberaterverband (DStV), Handelsblatt vom 7.1.2020, 13 „Abschwung lässt Berater kalt.“ Leiß in Kleve/Köllner, 169 (196): „In der Praxis zeigen Studien, dass die Übernahme von Familienunternehmen durch familieninterne Nachfolger in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen ist.“ Leiß in Kleve/Köllner, 169 (171). Leiß in Kleve/Köllner, 169 (197); ZEW-Studie, 1. Stamm/Bernhard/Hameister in Kleve/Köllner, 115 (136).

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C. Mediation in Familienunternehmen | Rz. 17.105 Kap. 17

Es erscheint daher nicht unrealistisch, anzunehmen, dass wir in Deutschland in den nächsten Jahrzenten die gleichen Verhältnisse haben werden wie in Frankreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten – eine Wirtschaft ohne größere Familienunternehmen.1

V. Ablauf der Mediation in Familienunternehmen Nachstehend werden die Schritte2 der Mediation im Einzelnen unter besonderer Berücksichtigung des Typus Familienunternehmen3 und der Annahme eines Aktualkonfliktes zwischen den Mitgliedern einer Unternehmerfamilie ab Glasl Stufe 44 dargestellt.

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1. Schritt 1: Arbeitsbündnis a) Vorlaufphase Wie eine Mediation beginnt, ist entscheidend für ihren Erfolg.5 In der Praxis der Mediation in Dyaden kommen im Regelfall nach einem ersten Telefonat zwischen Mediator und einem Medianden zwei Medianden zum Mediator. Bei Unternehmerfamilien ist die Situation komplizierter und komplexer. Wer möchte den Konflikt in der Mediation bearbeiten, der Vater, die Mutter, der Bruder, die Kinder oder die Schwiegerkinder oder die Enkel? Sind alle für eine Mediation bereit oder ist es hilfreich, dass zunächst individuelle Vorgespräche stattfinden, bei denen der Mediator und das Familienmitglied entscheiden, ob6 die Mediation überhaupt als Verfahren in Betracht kommt (Vorlaufphase).7

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b) Setting Auch das Setting8 sollte vorab besprochen werden, d.h., welche Familienmitglieder sind unmittelbar vom Konflikt betroffen, welche Familienmitglieder sollen teilnehmen, alle oder nur bestimmte Generationen oder nur die Blutslinie, etc. Hilfreich ist wiederum das Drei-KreiseModell, sofern der Aktualkonflikt im Rahmen einer vorbereitenden Konfliktanalyse einem der Subsysteme oder einer bestimmten Schnittmenge zugeordnet werden kann.

1 Seibold/Lantelme/Kormann, 2: „This structure, developed over centuries, shows how important it is that taxes – inheritance tax or tax on non-income values such as property tax – do not decimate family businesses, as has happened in Great Britain, France, and the USA.“ 2 Kessen/Troja in Haft/Schlieffen, Handbuch Mediation3, § 14, S. 329 ff.; Kloweit/Gläßer, § 2, S. 198 ff.; vgl. im Einzelnen zum Inhalt der Phasen weitergehend Riedel in Riedel, 663 (667) Rz. 14–47. 3 Vgl. Lueger/Froschauer in Lueger/Frank, 33; Habbe/Gieseler, NZG 2016, 1010 ff.; Baumann, ZEV 2004, 112: „... optimales Instrument...“; Jansen/Beyerlein, BB 2012, 733 unter Hinweis auf Mediationen zur Unternehmensnachfolge im Haribo Konzern, Porsche Konzern und im Druck- und Verlagshaus Gruner + Jahr zit. n. Elisabeth Dostert, 17.5.2010, SZ-Serie: Familienunternehmen Zoff unter Verwandten; Simon in Simon, Die Familie des Familienunternehmens, 35 (53): „Familiencoaching“. 4 Glasl, Selbsthilfe in Konflikten, 120. 5 Friedman/Himmelstein, 89. 6 Diez/Krabbe/Engler, 71: „Kriterien für oder gegen eine Mediation lassen sich grundsätzlich in vier Kategorien unterteilen: – Positive Indikation bei Medianden – eingeschränkte Indikation bei Medianden – Kontra-Indikation bei Medianden, die sich eventuell noch in positive Indikationen umwandeln lassen – Indikationskriterien in der Person des Mediators.“ 7 Neuvians, ZKM 2011, 93; Riedel in Riedel, 663 (667) Rz. 11: „Vorlaufphase“; Paul, ZKM 2003, 80 (81) zur Mediation bei der Weidmann Metallverarbeitungs GmbH. 8 Diez/Krabbe/Engler, 230.

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Kap. 17 Rz. 17.106 | Mediation für Familienunternehmen

17.106

Zu wenig beachtet wird nach unserer Erfahrung, dass die Rechtsanwälte oder Steuerberater, die die Familie oder einzelne Familienmitglieder oder das Familienunternehmen schon lange begleiten oder die im Aktualkonflikt bereits die außergerichtliche oder auch schon gerichtliche Interessenvertretung von Familienmitgliedern übernommen haben, eine wichtige Ressource für die Konfliktbearbeitung darstellen. Sie sind daher unbedingt Teilnehmer der Mediation. Dabei kommt ihnen eine mehrfache Bedeutung zu. Auf der einen Seite leisten sie einen Beitrag im Rahmen der Informiertheit, da sie ihre Einschätzung der Rechtslage geben können. Auf der anderen Seite sind sie systemisch ein Drehkreuz für das Schlüsselkonzept der zwei Gespräche, begründet von Friedman und Himmelstein.1 Im Kern geht es darum, dass die jeweiligen Rechtsanwälte „offen“ unter Aufdeckung ihrer jeweiligen Rechts- und Prozessstrategie über den möglichen Ausgang eines Rechtsstreits sprechen und zwar so, als wenn man das Gutachten für den eigenen Mandanten mit einer Risikoeinschätzung an den gegnerischen Anwalt weiterleiten würde und umgekehrt! c) Eskalation

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Beim ersten Treffen mit Familienmitgliedern, die um eine Mediation zur Bearbeitung eines eskalierten Aktualkonfliktes gebeten haben, trifft man oft eine gestörte Kommunikationsstruktur vor, die von starkem Misstrauen, einer negativen Interaktion und unterschiedlichen Wahrheiten geprägt ist. Je größer das Misstrauen ist, desto mehr wird eine gegnerische Wirklichkeit erfunden.2

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Bei hocheskalierten Konflikten schließlich herrscht Krieg mit all seinen vergangenen und gegenwärtigen Schlachten, Verletzten, Intrigen, Aufrüstungen, heimlichen und offenen Überfällen, gezielten Schlägen, etc.3 Die Familienmitglieder sind schon viele Jahre auf dem Kriegspfad4 und sie sind mit großem Zeitaufwand und all ihrer Energie sehr geschickt und erfahren darin, ihre Schlachtpläne auszuarbeiten und in Angriffen umzusetzen. Sie suchen Verbündete in der Familie, im Unternehmen bei Angestellten (Lagerbildung), in Beiräten und Aufsichtsräten, auch im Mediator und schmieden Allianzen und Angriffspläne und üben Vergeltung.

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Derart in einen Konflikt verstrickt, halten es die Familienmitglieder in der ersten Sitzung kaum aus, mit anderen Familienmitgliedern in einem Raum zu sitzen. Die Luft ist zum Zerreißen angespannt und es dauert nicht lange, bis die ersten Schuldvorwürfe als Du-Botschaften abgefeuert werden, mit der Faust gedroht und geschrien wird. Unterschiedliche Wahrheiten prallen aufeinander und in der Vergangenheit erlittene Verletzungen flammen erneut auf. Emotionen brechen sich nun Bahn und durchfluten den Raum wie Tsunamis. Tränen fließen. Die Familienmitglieder handeln intuitiv und impulsiv. Sie sind mit Appellen („Jetzt beruhige dich doch einmal!“), der Aufforderung zur Einhaltung angemessener Umgangsformen oder mit Sachthemen oder gar Prozesserklärungen, wie eine Mediation von statten geht, schlicht nicht zu erreichen. Niemand würde zuhören, finge der Mediator nun an, die Prinzipien der Mediation zu erklären! In der anwaltlichen Beratungspraxis würde man in diesem Fall die Sitzung unterbrechen, damit sich die Mandanten wieder „beruhigen“, da erfahrene Anwälte – wie Lutz5 zutreffend he1 2 3 4 5

Friedman/Himmelstein, 65 f. Duss-von Werdt in Haft/Schlieffen, Handbuch Mediation2, § 11, S. 231 (243) Rz. 36. Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 27: „Schlachtfeld“. Watzke, 52. Lutz, Gesellschafterstreit, Rz. 571.

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C. Mediation in Familienunternehmen | Rz. 17.112 Kap. 17

rausstellt – darauf hinwirken, „dass das Vergleichsgespräch ohne Polemik, in konstruktiver und ruhiger Atmosphäre und in dem Bemühen verläuft, einen Kompromiss zu finden“. In der Mediation unterbrechen wir nicht, weisen uns die Emotionen doch den Weg zu den persönlichen Anliegen und Bedürfnissen, so dass wir wissen, wir sind auf dem richtigen Weg. Die emotionalen Entladungen werden vom Mediator daher durch „Schweigen“ zugelassen. Vorübergehendes planvolles Schweigen ist Ressourcenorientiert. Es kann hilfreich sein, den Medianden „den nötigen Raum zu geben, ihren Gefühlen und Divergenzen einmal ausreichend Luft zu machen“.1 Nach der eintretenden Stille und dem „aktiven schweigenden Zuhören“2 kann der Mediator die von Krabbe entlehnte Frage stellen: „Haben Sie nun etwas Neues über sich und ihre Familienmitglieder erfahren?“. Die Herausforderung für den Mediator und die Medianden besteht zu Beginn darin, den Konflikt auch als Chance begreifbar zu machen. Die Familienmitglieder müssen daher zunächst entscheiden, ob sie auf den unbekannten und anstrengenden Friedenspfad3 abbiegen oder den Krieg fortsetzen möchten. Die Familienmitglieder wissen im Regelfall nicht, was Mediation ist. Ziel ist es, mit ihnen in Kontakt zu treten.4 Als erstes werden daher Regeln der Zusammenarbeit mediativ verhandelt5 und damit ein verlässliches Arbeitsbündnis für die Dauer des Verfahrens geschlossen. Der Mediator muss dabei die Verfahrensgerechtigkeit besonders im Blick behalten. Dies betrifft sowohl die Zeit als auch die Sprache („Bei meinem Bruder haben Sie sich mehr Zeit für ihn genommen und auch die Frage anders gestellt!“). Bei hoch eskalierten Konflikten wachen die Medianden mit Argusaugen darauf, ob der Mediator vielleicht doch einen „Hauch von mehr Empathie“ für den Konfliktgegner entwickelt.

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d) Gesprächsregeln Ungewöhnlich und für die Familienmitglieder ungewohnt ist dann die Vorgehensweise des Mediators im Einzelnen. Der Mediator ist kein Moderator, kein Schlichter und auch kein Garant für die Einhaltung von ungeschriebenen Kommunikationsregeln oder eines vermeintlichen Gebots von Sachlichkeit.

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Etwas anderes gilt, sofern die Familienmitglieder konkrete Gesprächsregeln6 autonom verhandelt haben und der Mediator weiß, was er konkret unternehmen soll, falls diese Regeln nicht eingehalten werden (z.B. „Wie möchten Sie heute hier in unserer Sitzung zusammenarbeiten, welche Regeln sollen gelten und was erwarten Sie von uns als Mediatoren, sobald jemand diese Regeln verletzt, was in dieser Situation ganz normal ist und immer passieren kann?“). Mediation ist ein Verfahren der Entschleunigung und der kleinen Schritte. Verständlicherweise drängen vor allen Dingen die Unternehmerpersönlichkeiten dahin, möglichst schnell eine „einfache“ Lösung für ihren Konflikt zu finden, da sie den Konflikt selbst und die damit einhergehende emotionale Entladung als belastend und schädlich für das Unternehmen empfinden.7 Aus ihrer Geschäftsführungstätigkeit sind sie es darüber hinaus gewohnt, schnell zu

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Gerber, Perspektive/Schwerpunkt, 2015, 149, 151. Gerber, Perspektive/Schwerpunkt, 2015, 149 ff. Watzke, 80 f. Vgl. zum Inhalt dieser Phase im Einzelnen und detailliert Riedel in Riedel, 663 (667) Rz. 12 zum Informationsgespräch in einer Vorlaufphase. 5 Diez/Krabbe/Engler, 190 f. 6 Diez/Krabbe/Engler, 190. 7 Vgl. Friedman/Himmelstein, 965.

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17.112

Kap. 17 Rz. 17.112 | Mediation für Familienunternehmen

analysieren und pragmatisch Sachthemen zu entscheiden. Schließlich haben sie auch meistens schon eine Lösung „im Gepäck“, die sie präsentieren wollen. Mediation bedeutet aber auch hier zunächst eine Entschleunigung und eine Verlagerung des Konflikts auf die Ebene: Wie wollen sie hier als Familie zusammenarbeiten?

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Hier zeigt sich bereits, ob die Mediation überhaupt für die Familie ein geeignetes Instrument ist und ob sie gelingen kann. Gelingt zu Beginn das Arbeitsbündnis nicht und lässt sich keine gemeinsame Basis der Zusammenarbeit oder der Gesprächsregeln finden, ist dies ein starkes Indiz dafür, dass der inhaltliche Konflikt nicht konsensual, sondern besser durch die Entscheidung eines Dritten (Gericht, Schiedsverfahren, Schlichtung) zu lösen ist.1

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Allerdings sind die meisten der irrigen Annahme, ein Gerichtsurteil würde zu ihren Gunsten ausgehen.2 Diesen (heimlichen) Gedanken einer „vermeintlich besseren Alternative zu einer ausgehandelten Vereinbarung“ tragen sie manchmal in sich (kurz: BATNA = Better Alternative to a negotiated Agreement).3 Dies kann dann verhindern, sich auf die Mediation „einzulassen“. Anders verhält es sich bei Familienmitgliedern, die eher Sorge oder Angst vor dem haben, was beim Scheitern der Mediation u.U. durch ein Gerichtsverfahren geschieht4 (kurz: WATNA5 = Worst Alternative to a negotiated Agreement). Hier ist die Bereitschaft groß, sich auf ein Mediationsverfahren einzulassen.

17.115

In der ersten Sitzung kann es hilfreich sein, die „gemischten Gefühle“ in Erfahrung zu bringen und aufzuzeigen. Welche Erwartungen und Hoffnungen haben die Familienmitglieder bezüglich der Mediation und sind diese Erwartungen und Hoffnungen realistisch? Welche Sorgen und Skepsis haben die Familienmitglieder hinsichtlich der Mediation und sind diese Sorgen und Skepsis realistisch? Wie schätzt dies jeder bezogen auf den anderen auf einer Punktescala ein? In dieser Phase ist es also wichtig, dass die Familienmitglieder zunächst die Unterschiede6 zwischen ihnen erkennen und verstehen lernen, dass sie im Rahmen der Mediation unterschiedliche Erwartungen und Sorgen haben und dass sie eigenverantwortlich eine Lösung im Konsens erarbeiten wollen und dass sie auch selbst für die Lösung verantwortlich sind. Der Mediator ist wiederum für die professionelle Gesprächsführung verantwortlich und die Familienmitglieder für den Gesprächsinhalt.7

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Der Mediator hört aktiv zu. Er ist bereit, alles, was er hört, als die Erfahrung der Familienmitglieder zu akzeptieren und seine eigenen Erfahrungen zurückzustellen. Er ist ferner bereit, sich jedem Familienmitglied gegenüber emphatisch zu verhalten, das heißt empfindsam ge-

1 Jansen/Beyerlein, BB 2012, 733 (734): „Für unterschiedliche Streitigkeiten existieren unterschiedlich gut geeignete Konfliktlösungsverfahren“; Schmeing, 67 ff; vgl. auch die DIS-Konfliktmanagementordnung 10 (KMO) abrufbar unter http://www.disarb.org/de/16/regeln/dis-konfliktmanagementordnung-10-kmo-id18 (Abruf 3.1.2020). 2 Haynes/Bastine/Link/Mecke, 104. 3 Duve/Eidenmüller/Hacke/Fries, 220 ff. 4 Haynes/Bastine/Link/Mecke, 113. 5 Diez/Krabbe/Engler, 76. 6 Duve/Eidenmüller/Hacke/Fries, 180: „Das Auffinden und Ausnutzen von Unterschieden zwischen den Konfliktparteien spielt in praktisch jedem Mediationsverfahren als Instrument zur „Kuchenvergrößerung“ eine zentrale Rolle.“; Vgl. zur sukzessiven Einführung von Reflexivität in der systemischer Beratung anhand von Fragen, die für alle Beteiligten die Unterschiede erkennbar werden lassen, von Schlippe/Schweitzer, 34. 7 Haynes/Bastine/Link/Mecke, 63; Krabbe, ZKM 2018, 181 ff.

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C. Mediation in Familienunternehmen | Rz. 17.120 Kap. 17

genüber den gefühlten Bedeutungen des Familienmitglieds zu sein. Gleichwohl bleibt er trotz aller Akzeptanz und aller Empathie kongruent als eigene Person sichtbar. Der Mediator wird mit eigenen Worten paraphrasieren,1 was er wahrgenommen hat. Das Paraphrasieren bedeutet nicht ein Spiegeln oder Wiedergeben, sondern der Mediator muss von dem, was er gehört hat, also Position, Beurteilungen, Schuldzuweisungen, Vergangenheit, individuellen Problemen zu einer Umformung gelangen und sich dies von den Familienmitgliedern bestätigen lassen. Durch das Paraphrasieren besteht für die Familienmitglieder die Möglichkeit, sich mancher Dinge klarer zu werden. Paraphrasieren darf nicht mit Reframing verwechselt werden; letzteres ist Alltag der systemischen Praxis und bedeutet, dass der Mediator einem Geschehen eine andere Bedeutung, einen anderen Sinn, eine davon zu trennende „gute Absicht“ geben kann.2

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Es ist natürlich, dass jedes Familienmitglied im Konflikt davon überzeugt ist, dass es Recht hat und nur der andere sich ändern muss, damit alles gut wird. O-Ton in der Mediation: „Wenn meine Schwester sich normal verhalten würde, müssten wir jetzt nicht hier sein“.

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Es ist also fast unmöglich von einer solchen Haltung direkt zu einem Konsens zu kommen. Und wer glaubt, allein die Wahrheit zu besitzen, wird sie nicht verhandeln wollen, weil sie für ihn schlicht nicht verhandelbar ist.3 Der Mediator wird also nicht das Problem als „entweder oder“ ansehen, sondern ein „sowohl als auch“.4 Es ist hilfreich für die Familienmitglieder, wenn der Mediator sagt, dass sie unterschiedliche5 Meinungen und jeweils einen eigenen Blick auf die Wahrheit haben. Jeder Mensch deutet, interpretiert und zieht Schlussfolgerungen über das, was ihm seine Sinne vermitteln. Das muss nicht die Realität sein und auch nicht das, was der Konfliktpartner als „seine Realität“ aufgrund seiner individuellen Deutungen und Interpretationen schlussfolgert. Hilfreich ist daher die Frage, ob Handlungen oder Verhalten auch anders interpretiert werden könnten?6

17.119

e) Viererschritt Da die Familienmitglieder im Regelfall nicht wissen, wie eine Mediation von statten geht, muss ihnen die „innere Logik“ des Mediationsprozesses erklärt werden. Dies sollte den Mediator indes nicht dazu verleiten, langatmige dogmatische Monologe zu halten. Es geht vielmehr darum, zwischen den einzelnen Schritten der Mediation Erläuterungen zu geben. Diese Vorgehensweise wird „Methode des Viererschritts“7 genannt. Erstens: der Mediator fasst den 1 Kessen/Troja in Haft/Schlieffen, Handbuch Mediation3, § 14, S. 329 (340): „Der 3-Schritt des Loopens/Paraphrasierens“; Duve/Eidenmüller/Hacke/Fries, 141: „... sehr wichtig, mit eigenen Worten wiederzugeben, was der Sprechende zuvor gesagt hat. Obgleich Ihnen das wiederholte Paraphrasieren zunächst künstlich vorkommen mag, sollten Sie diese Technik als Mediator daher jedenfalls möglichst regelmäßig gebrauchen.“; Diez/Krabbe/Engler, 203. 2 Vgl. von Schlippe/Schweitzer, 76 Reframing, 79: „Verstörung der bisherigen Sicht der Dinge“; Mecke in Haynes/Mecke/Bastine/Fong, 278 f. 3 Duss-von Werdt in Haft/Schlieffen, Handbuch Mediation2, § 11, S. 231 (243) Rz. 35: „Wo (k)ein Wille ist, da ist auch für die Mediation (k)ein Weg.“ 4 Mähler/Mähler in Heussen/Hamm, § 48 Rz. 33; Duss-von Werdt in Haft/Schlieffen, Handbuch Mediation2, § 11, S. 231 (247) Rz. 52; Fritsch in Riedel, 687 (692). 5 Duss-von Werdt in Haft/Schlieffen, Handbuch Mediation2, § 11, S. 231 (247) Rz. 51: „Wie mit den Unterschieden umgegangen wird, ist der „Dauerbrenner“ der Mediation.“ 6 Bishop, 33. 7 Mit Formulierungsbeispielen Diez/Krabbe/Engler, 225 ff.

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17.120

Kap. 17 Rz. 17.120 | Mediation für Familienunternehmen

vorangegangenen Schritt zusammen und würdigt ihn; zweitens: der Mediator erklärt den nächsten Schritt sowie den Sinn im Kontext des Mediationsprozesses; drittens: der Mediator überprüft, ob diese Erklärung für jeden Medianden verständlich ist; viertens: der Mediator holt von jedem Medianden die Zusage ein, sich auf den nächsten Schritt einzulassen.

2. Schritt 2: Die Rolle des Rechts a) Das Gesetz

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Mediation findet nicht im rechtsfreien Raum statt, auch nicht im Schatten des Rechts, sondern im Licht des Rechts.1 Mediation fußt auf dem gesetzten Recht und ist Bestandteil der Rechtsfortbildung.2 In der Mediation in Unternehmerfamilien kommt dem Recht wiederum eine besondere Bedeutung zu.

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Das Gesetz trifft eine verbindliche Entscheidung, gibt eine Problemlösung und wählt eine Handlungsalternative unter Abwägung der widerstreitenden Interessen. Die Norm gibt dem einen, was sie dem anderen nimmt und Gewinner und Verlierer beugen sich dem Sinn und Zweck des Gesetzes. Die grundsätzliche Funktion des Gesetzes besteht darin, konsensfähige Lösungen von Gerechtigkeitsaufgaben zu liefern. Genügt das Gesetz nicht, um Gerechtigkeit – verstanden als subjektives Empfinden der Mehrheit der Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt – zu schaffen, muss es durch Richter und Parlament weiterentwickelt, korrigiert und reformiert werden. Rechtsentwicklung ist daher ein fortlaufender Prozess, in welchem fortgesetzt versucht wird, gerechte und funktionsfähige Lösungen bei Problemen menschlichen Zusammenlebens zu finden. Problemlösungen müssen sich laufend bewähren und unter Umständen verbessert werden. Ein mühsamer und langwieriger Prozess, der dem Einzelnen in seiner konkreten Lebens- und Konfliktsituation nicht weiterhilft, sofern nach seiner Meinung aufgrund eines Wertewandels die gesetzliche Regelung als ungerecht empfunden wird. Der Einzelne wird daher auf die Reform des Gesetzes nicht warten wollen, sondern von der ihm gewährten Privatautonomie Gebrauch machen.

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Wenn also Rechtssätze ihre Wurzeln in den Lebenskonflikten haben, können die Medianden sich bei einem ähnlichen Konflikt „anschauen“, was die Gesellschaft als eine gute und gerechte Lösung für diesen Konflikt ansieht. Das Gesetz kann damit als Angebot einer Konfliktlösung betrachtet werden.3 Sich über das Recht zu informieren bedeutet mithin in der Mediation die Handlungsvarietät zu erhöhen. Und Angebote muss man nicht annehmen! Das Recht wird in der Mediation daher nicht angewandt, sondern verwendet.4

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Das geltende Recht hat nach Diez5 u.a. auch eine Auffangfunktion, sofern die Mediation scheitert, und es bietet dem Schwächeren Schutz. Weiter hat das Recht eine Ordnungsaufgabe und dazu zählt auch die Organisation von Beziehungen und Verantwortung.6 Schließlich kann jeder Mediand am Recht prüfen und würdigen, inwieweit er selbst oder die anderen Rechtspositionen aufgeben. Vor einer rechtsverbindlichen Vereinbarung muss daher jeder wissen,

1 Diez, 144; Diez/Krabbe/Engler, 140 ff. 2 Zur Konkurrenzsituation bei der Rechtsfortbildung zwischen dem staatlichen Zivilprozess, den Schiedsgerichten und der Mediation Adolphsen, BRAK-Mitteilungen 04/17, 147. 3 Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 22: „friedliche Konfliktlösung“. 4 Mähler/Mähler in Heussen/Hamm, § 48 Rz. 85 ff. 5 Diez/Krabbe/Engler, 140 ff.; vgl. auch Mähler/Mähler in Heussen/Hamm, § 48 Rz. 85 ff. 6 Röthel in Röthel, 9 (40).

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C. Mediation in Familienunternehmen | Rz. 17.127 Kap. 17

auf welche rechtlichen Ansprüche er gegebenenfalls verzichtet und was er stattdessen gewinnt. Solange dies nicht klar ist, ist die Mediation als informierter Konsens nicht tragfähig.1 b) Die Regelwerke des Gesamtsystems Die Soziologen definieren die Unternehmerfamilie als Familie, die Betriebsvermögen besitzt und/oder über ihre Tätigkeit im Unternehmen Einkommen generiert, deren familiärer Alltag also nicht an Erwerbstätigkeit ausgerichtet ist, sondern von einem oder mehreren Unternehmen beeinflusst wird.2 Dabei wird der Begriff „Familie“ als „jedes soziale Konstrukt“ verstanden, welches „der Logik familiärer Beziehungsmuster“ folgt.3

17.125

Die Unternehmerfamilie ist weiterhin eine „Vertragsfamilie“.4 Einzelne oder mehrere sich nahestehende Personen vereinbaren in der Unternehmerfamilie mit jeweils anderen einzelnen oder mehreren Familienmitgliedern zu unterschiedlichen Zeitpunkten die unterschiedlichsten materiellen Regelwerke des Gesamtsystems: z.B. Eheverträge, letztwillige Verfügungen (Gemeinschaftliche Testamente, Erbverträge), Pflichtteilsverträge, Schenkungsverträge, Versorgungsverträge (Gewinnbezugsrechte, Nießbrauchsrechte, Leibrenten, dauernde Lasten), Anstellungsverträge, Gesellschaftsverträge, Geschäftsordnungen, Beirats- und Aufsichtsratsordnungen, Stiftungserrichtungen, gesellschaftsrechtliche Nebenvereinbarungen, Beistatute, Poolverträge, Stimmbindungsverträge, Nachfolgeverträge, Abfindungsverträge, Übergabeverträge und Nutzungsvereinbarungen über Grundstücke, Familienverfassungen, etc.).5 Diese Regelwerke des Gesamtsystems sind die Gesetze unter den Familienmitgliedern,6 die wiederum im Rahmen der Privatautonomie und der Gestaltungsfreiheit von der gesetzlichen Regelung abweichen können. In der Mediation in Unternehmerfamilien gibt es mithin zwei Anknüpfungspunkte für die Rolle des Rechts, das Gesetz und die materiellen Regelwerke des Gesamtsystems.

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c) Imparität Es gibt indes berechtigte Zweifel, ob die Rechtsgeschäfte der Familienmitglieder stets im Sinne der Ausübung einer selbstbestimmten Privatautonomie zustande gekommen sind. Die Nähebeziehungen der Familienmitglieder könnten systemisch bedingt zu einer viel schwerwiegenderen und rechtlich erheblichen Beeinträchtigung der Selbstbestimmung führen, als bislang angenommen wurde. Paradoxien und sich in Unternehmerfamilien potenzierende Ambivalenzen7 könnten zu einer „getrübten Selbstbestimmung“ des Einzelnen führen, so dass ein freies Aushandeln der Rechtsgeschäfte des Gesamtsystems nicht mehr automatisch angenom-

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Mähler/Mähler in Heussen/Hamm, § 48 Rz. 85 ff. Burkart in Röthel, 81 (94). Schmeing, 216. Röthel in Röthel, 1 (2). Hierzu auch Mutter, mit zahlreichen Hinweisen auf rechtliche und steuerliche Besonderheiten. Hachenburg, 120: „Der Vertrag ist das Gesetz unter den Parteien.“ Röthel in Röthel, 9 (33): „Ambivalenz wird dabei verwendet, „um nicht zu vereinbarende Widersprüche in Beziehungen ... zu bezeichnen.“; Ambivalenzen (Nähe – Distanz; Dauer – Wechsel) sind im Übrigen auch in uns und jeweils bezogen auf eine andere Person festzustellen, vgl. hierzu das sog. Riemann-Modell, Riemann, Grundformen der Angst; ausführlich zur Anwendung des Riemann-Thomann-Modells beim Arbeiten mit Gruppen Stahl, 237 ff.

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17.127

Kap. 17 Rz. 17.127 | Mediation für Familienunternehmen

men werden kann, sondern grundsätzlich zu hinterfragen ist.1 Vertragsverhandlungen in familiären Beziehungsprozessen folgen damit allenfalls teilweise der Logik des für sich stehenden, nicht weiter begründungsbedürftigen rationalen Austauschvertrags.2 Wie das Gesetz und die Rechtsprechung3 mit diesen gestörten Verhandlungsprozessen umgehen, kann hier nicht im Einzelnen diskutiert werden.4

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Zu erwähnen ist allerdings die Entscheidung des BGH im Zusammenhang mit einem Unternehmerehevertrag.5 Der BGH hat Gesamtunwirksamkeit angenommen, obwohl kein einzelner objektiver Kernbereichsverstoß vorlag! Entscheidend war aber, dass die Ehefrau des Unternehmersohnes an der Ausarbeitung des Ehevertrages nicht beteiligt war; sie erhielt das Dokument vor dem Notartermin nicht ausgehändigt, der Ehevertrag war ein untergeordnetes Element der unentgeltlichen Anteilsübertragung an den Sohn, und sie befand sich bei Anwesenheit ihres Säuglings im Notartermin unter Zeitdruck.

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Im Kern lässt sich die Imparität darauf zurückführen, dass der Ehevertrag nicht das Ergebnis einer fairen und selbstbestimmten Verhandlung der Eheleute darstellte.6 Damit sind die Weichen gestellt, dass der BGH in Zukunft zu Recht den Gesichtspunkt der objektiven Kernbereichsverletzung im Rahmen der Inhaltskontrolle weiter zurücktreten lässt.

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Als Hypothese bleibt, dass bei den einzelnen Rechtsgeschäften des Gesamtsystems ein besonderes Risiko besteht, dass sich die Verknüpfung von unterschiedlichen, sich auch widersprechenden Bedürfnissen der Subsysteme und der Familienmitglieder auf die Fähigkeit zur selbstbestimmten Interessendurchsetzung im Rahmen von Verhandlungen oder Vertragsabschlüssen auswirkt.7 Für die Mediation ist eine denkbare Imparität beim Abschluss von Rechtsgeschäften des Gesamtsystems jedoch eine mögliche Konfliktquelle. Erkennbar werden kann dies an einer sich zeigenden Empörung, die auf ein Gefühl „ungerecht behandelt worden zu sein“ schließen lässt. Hilfreich könnte hierbei der Hinweis sein, dass sowohl das Gesetz als auch die Rechtsgeschäfte des Gesamtsystems dispositiv sind. Die Familienmitglieder, die Gesellschafter sind, sind zugleich das oberste „Organ“ und sie können die bestehenden Verträge jederzeit abändern oder so belassen, wie sie sind. Gleiches gilt für die Ehepaare, die Eheverträge abgeschlossen haben. Die Medianden können daher mediativ verhandeln, wie sie mit dem Recht und den materiellen Regelwerken der jeweiligen Subsysteme umgehen möchten. Es kann hilfreich sein, das Recht zunächst noch „draußen“ zu lassen. Man könnte ohne weiteres zunächst darüber mediativ verhandeln, welche persönlichen Anliegen und Bedürfnisse eines Gesellschafters und seines Ehepartners bezogen auf eine Gewinnverwendung bestehen, ohne den Gesell-

1 Röthel in Röthel, 9 (34): „Aushandlungsprozesse (...) nachhaltig erschüttern.“; in dieser Richtung auch schon Westermann, NZG 2015, 649, (650): „Ein weiterer Schritt in diese Richtung wäre es, wenn grundlegende Änderungen in der Zusammensetzung und im Gefühl der Zusammengehörigkeit einer Familie auf ihren Einfluss auf die Ausgewogenheit derartiger Verträge untersucht werden soll.“ 2 Röthel in Röthel, 9 (34). 3 Z.B. BGHZ 125, 206 (213 – „Lebenstraum“ (Bürgschaft eines 19-jährigen für den Kredit des 74jährigen Vaters). 4 Vgl. hierzu eingehend die Beiträge in Röthel. 5 BGH v. 15.3.2017 – XII ZB 109/16, NZFam 2017, 408; Milzer, NZFam 2018, 10. 6 BGH v. 8.10.2014 – XII ZB 318/11, NJW 2015, 53: „Störung der subjektiven Vertragsparität“. 7 Röthel in Röthel, 9 (76).

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C. Mediation in Familienunternehmen | Rz. 17.134 Kap. 17

schaftsvertrag oder das Gesetz zu kennen.1 Gleiches gilt, sofern beispielsweise über die Folgen einer Kündigung des Gesellschaftsvertrages und die Modalitäten einer Abfindungszahlung verhandelt wird. Vielleicht stellen die Medianden ja dann fest, dass sie für sich eine faire und gerechte und eine konsensuale Lösung gefunden haben, die nun im Widerspruch zum Gesellschaftsvertrag steht. In der Folge muss dann eben der Gesellschaftsvertrag angepasst oder sogleich durch einen Gesellschafterbeschluss abgeändert werden. So gesehen kann die Mediation die Vertragsgestaltung fördern. d) Fairness und Gerechtigkeit Abgekoppelt von der Rolle des Rechts müssen die Medianden jeweils ihre eigenen Maßstäbe für Fairness und Gerechtigkeit2 erarbeiten, da sie am Ende der Mediation nur so überprüfen können, ob sie die gefundenen Lösungen als gerecht empfinden und ob sie die Vereinbarungen mit gutem Gewissen und mit guten Gefühlen unterschreiben können.3

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Maßstäbe für Fairness und Gerechtigkeit können nach Diez4 sein: Machbarkeit und ökonomische Realität, weiterhin Respekt im Umgang miteinander nach Beendigung der Konflikte, Interessen und Bedürfnisse von jedem einzelnen, Erhalt von Werten (Unternehmen, guter Ruf, Wohl der Kinder, Erhalt von Beziehungen), Absicherung der Zukunft, Anerkennung von Arbeit und Energie, materieller und immaterieller Kontenausgleich, z.B. auch Schuld, Ausgleich von Geben und Nehmen, Prinzipien der Rechtsordnung.5

3. Schritt 3: Themen Gelingt das Arbeitsbündnis und wurde die Rolle des Rechts geklärt, sollten bereits in der ersten Sitzung die Themen der Familienmitglieder einzeln gesammelt und auch mit Hilfe von Flipcharts visualisiert werden.6 Der Einsatz des Flipcharts ist hilfreich, da das gesprochene Wort flüchtig ist. Jeder kann damit auf einen Blick erkennen, was man selbst und der andere gesagt haben. Der Mediator hält die zu besprechenden Themen fest.7 Positionen werden zu sachlichen und ergebnisoffenen Themen umformuliert.8

17.132

Nicht die Positionen der einzelnen Familienmitglieder werden visualisiert, sondern nur die von den Positionen abgeleiteten ergebnisoffenen sachlichen Oberbegriffe. Würde beispielsweise ein Familiengesellschafter T 250 Euro Entnahmen pro Jahr fordern, würde man dies in ein ergebnisoffenes Thema „Verwendung von Gewinnen“ oder „Umgang mit Entnahmen“ umformulieren.

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Durch die Themensammlung wird visualisiert, ob es gemeinsame oder auch unterschiedliche Themen gibt. Jeder kann sehen, was den anderen beschäftigt. Sind die Themen für jedes Familienmitglied visualisiert, wird wiederum mit jedem Familienmitglied eine Rangfolge der

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Ähnlich Westermann, NZG 2015, 649. Diez/Krabbe/Engler, 136. Diez, 126. Diez/Krabbe/Engler, 136 ff. Diez/Krabbe/Engler, 137. Diez/Krabbe/Engler, 205 ff. Riedel in Riedel, 663 (668) Rz. 20. Kessen/Troja in Haft/Schlieffen, Handbuch Mediation3, § 14, S. 329 (338); Steffek in Greger/Unberath/Steffek, § 1 Rz. 45.

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Kap. 17 Rz. 17.134 | Mediation für Familienunternehmen

Themen erarbeitet. Hier kommt es darauf an, in Erfahrung zu bringen, welche innere Wichtigkeit das jeweilige Thema für das einzelne Familienmitglied hat.

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Es kann im Einzelfall geboten sein, für bestimmte Themen das Setting zu ändern,1 z.B. wenn die Gründergeneration für sich ein Thema bearbeiten möchte und die Optionen dann der nächsten Generation vorgestellt werden sollen oder wenn zunächst in den Stämmen gearbeitet werden soll.

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Ist ein Thema in der Bearbeitung, müssen unter Beachtung des Prinzips der Informiertheit zunächst alle Informationen in die Mediationssitzung eingebracht werden. Es gibt nach dem Beginn der Mediation grundsätzlich keine Gespräche außerhalb der Mediationssitzung,2 in denen etwa vertrauliche Informationen an den Mediator weiter geleitet werden mit der Bitte, diese nicht weiter zu geben. Der Mediationsprozess kann nach der hier vertretenen Spielart so nicht funktionieren,3 da die Allparteilichkeit des Mediators in höchste Gefahr gerät und Misstrauen entstehen kann, was die eine Partei dem Mediator wohl erzählt hat, was wiederum vorsorglich erst einmal richtig gestellt werden muss („Ich weiß zwar nicht worüber sie mit meinem Bruder gesprochen haben, er hat sie aber bestimmt angelogen, das macht er nämlich immer so..... ich sage ihnen jetzt einmal, wie das damals wirklich war“). Sollte eine Partei nicht die Eigenverantwortlichkeit besitzen, sich vor den anderen mit ihren Anliegen und Bedürfnissen zu offenbaren, ist das Mediationsverfahren vielleicht nicht geeignet. Dann könnte auf ein CP-Verfahren4 ausgewichen werden.

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Die Familienmitglieder können außerhalb der Mediationssitzung anhand von halböffentlichen Fragebögen5 Antworten geben. Gefragt werden kann nach Informationen zu einem Thema oder aber auch, was ein Familienmitglied zurzeit am meisten beschäftigt. Die Fragen und Antworten können dann, z.B. in einer Auswertung, Gegenstand der nächsten Sitzung sein. Es liegt jedoch auf der Hand, dass nur dann gemeinsam an einer Lösung gearbeitet werden kann, wenn jedes Familienmitglied den gleichen Informationsstand hat.

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Dies kann auch bedeuten, dass sich ein Familienmitglied außerhalb der Mediationssitzung rechtlich beraten lassen muss. Soweit Anteilsschenkungen an Abkömmlinge und zur Absicherung Eheverträge und Erbverträge vorausgegangen sind, hat sich eine Veränderung im Subsystem Gesellschafter ergeben. In Bezug auf das materielle Regelwerk des Gesamtsystems könnte aber im „Kreis Familie“ ein erhebliches Informationsungleichgewicht bestehen. Die einen fühlen sich unsicher und den anderen wird ein „gefühltes rechtliches Herrschaftswissen“ zugeschrieben. Das Denken der älteren geschäftsführenden Gesellschafter ist in der Tat dann auch weit mehr von dieser Normvorstellung bestimmt und eingeengt („Das haben wir doch bereits alles im Gesellschaftsvertrag geregelt“), als das der Abkömmlinge, die gerade aufgrund einer Schenkung Gesellschafter geworden sind und den Gesellschaftsvertrag nicht unter Zuhilfenahme einer Rechtsberatung in vollem Umfang durchdrungen haben.

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In der nächsten Sitzung entscheiden die Familienmitglieder, in welcher Reihenfolge bestimmte Themen bearbeitet werden sollen. Der Mediator muss jedoch darauf achten, deutlich zu 1 Diez/Krabbe/Engler, 230 ff. 2 Friedman/Himmelstein, 42, 230 ff. 3 So auch Duve/Eidenmüller/Hacke/Fries, 262 f.; anders das Mediationsgesetz in § 2 Abs. 3, 2. Danach kann der Mediator im allseitigen Einverständnis getrennte Gespräche mit den Parteien führen. Für Einzelgespräche auch Riedel in Riedel, 663 (679) Rz. 63 und auch Eidenmüller, ZIP 2016, 18 ff. 4 S. unten im Text Abschnitt E; Duve/Eidenmüller/Hacke/Fries, 73. 5 Hilfreich hierzu mit Formulierungsvorschlägen Schmitz, 24 (73); Peyron/Milan in Knapp, 22 ff.

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C. Mediation in Familienunternehmen | Rz. 17.144 Kap. 17

machen, dass im Rahmen der Bearbeitung von einzelnen Themen nur vorläufige Optionen festgehalten werden. Die Familienmitglieder müssen sich bezüglich der Lösung erst dann verbindlich festlegen, wenn im Schritt 5 eine Gesamtschau vorgenommen wurde. Eine rechtsverbindliche Absprache muss gegebenenfalls vorab von Anwälten oder Steuerberatern überprüft oder beurkundet werden. Hier wird der Sorge der Familienmitglieder vorgebeugt, sie würden sich bereits bei einem Thema schon verbindlich festlegen und sie hätten unter Umständen etwas übersehen.

4. Schritt 4: Bedürfnisse Nachdem alle für ein Thema relevanten Informationen (Tatsachen und Recht) erhoben wurden, werden die persönlichen Anliegen und Bedürfnisse jedes Medianden herausgearbeitet.1

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Die Konfliktbearbeitung findet immer bezogen auf ein Thema statt und läuft durch die hier beschriebenen Schrittfolgen. Dies gilt auch in den Fällen, in denen die Themen mehr oder weniger miteinander in Beziehung stehen. Die Aufstellung einzelner Themen wird möglich, da die Familienmitglieder wissen, dass die Verbindlichkeit erst am Ende in einer Gesamtschau aller Lösungen für alle Themen erarbeitet wird. In dieser Phase fällt es insbesondere Juristen und auch Entscheidern besonders schwer, sich davon frei zu machen, welche Lösung sich bereits auf Grund der Schilderung des Themas „offensichtlich“ anbietet oder welche Lösungen miteinander konkurrieren. Das Prinzip der Ergebnisoffenheit erfordert indes, dass jeder – auch der Mediator – seine Lösungen zunächst bei sich behält.

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Nun müssen die unter den Positionen tiefer liegenden persönlichen Anliegen und Bedürfnisse2 – auch anhand der Emotionen – „gefunden“ werden. Betrachten wir die „Positionen“ näher. Würde ein Familienmitglied im Zuge einer Nachfolgeplanung eine Garantiedividende fordern und die anderen eine Vollthesaurierung, stünden sich zwei bipolare und damit gegensätzliche Positionen gegenüber. Es ist natürlich, dass sich in einem Konflikt jeder auf seiner Positionsebene verschanzt. Das Verhandeln wird darauf reduziert, linear die Mitte zwischen diesen Positionen zu finden. Der Verhandlungsspielraum ist dadurch naturgegebenen Maßen sehr eng. Alles, was der Eine gewinnt, bedeutet zwingend den Verlust beim Anderen.

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Aufgabe der Mediation ist es nun, die unter der Position liegenden persönlichen Anliegen3 und Bedürfnisse4 ans Licht zu bringen. Der Mediator würde also beispielsweise fragen, warum ist es für sie wichtig, eine Garantiedividende zu erhalten und warum ist es für sie wichtig, dass stets alle Gewinne thesauriert werden?

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Ein Bedürfnis oder ein persönliches Anliegen im Sinne der Mediation soll dem Medianden etwas bedeuten. Es muss ihn emotional berühren. Es ist als Ich-Botschaft mit einem gegenwärtigen oder zukünftigen Nutzen, jedoch nicht zu spezifisch und damit lösungsoffen, positiv und eindeutig umsetzbar auf das Thema zu formulieren.5 Persönliche Anliegen befinden sich hinter jeder Position. Es handelt sich um kurz- und/oder langfristige Bestrebungen, Wünsche, Hoffnungen, Motive und Ziele. Persönliche Anliegen können sich auch teilweise widerspre-

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1 Diez/Krabbe/Engler, 124 ff.; Riedel in Riedel, 663 (670) Rz. 82: „Kernstufe“. 2 Duve/Eidenmüller/Hacke/Fries, 157 ff.: „Interessen erforschen und gewichten.“ 3 Abgrenzung vom üblichen Bezug auf „Bedürfnisse“, s. u.a. Bastine in Haynes/Mecke/Bastine/ Fong, 11 (28–32). 4 Steffek in Greger/Unberath/Steffek, Einl. A. Rz. 53. 5 Friedman/Himmelstein, 173.

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Kap. 17 Rz. 17.144 | Mediation für Familienunternehmen

chen. Bedürfnisse sind demgegenüber grundlegende, allgemein menschliche Gefühle eines Mangels mit dem Wunsch, diesen Mangel zu beseitigen. Es ist die motivationale Basis menschlichen Handelns und wird übersichtlich in der Hierarchie menschlicher Grundbedürfnisse nach Maslow1 dargestellt.

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Jeweils passend zu bestimmten Positionen sind persönliche Anliegen bzw. Bedürfnisse zum Beispiel, finanziell versorgt zu sein, ein befriedigendes Privatleben zu führen, geschäftlich Erfolg zu haben, Wertschätzung zu erfahren und Anerkennung für die Arbeitsleistung zu bekommen, etc. Die persönlichen Anliegen und Bedürfnisse sind deshalb so wichtig, weil sie im Rahmen der Mediation andere Lösungsmöglichkeiten eröffnen können. Die Erarbeitung der persönlichen Anliegen und Bedürfnisse hat mehrere Funktionen, nämlich einmal sich von den nicht realisierbaren Positionen zu lösen und andererseits Raum für neue Ideen zu schaffen. Dies kann gelingen, weil die zuhörenden Familienmitglieder, die persönlichen Anliegen und Bedürfnisse des mit dem Mediator arbeitenden Familienmitgliedes nun u.U. erstmals als dessen Vorstellung von sich selbst und seiner Umwelt erfahren. Konfrontiert wurden sie bislang nur mit der für sie unannehmbaren Position. Auf der Ebene der persönlichen Anliegen und Bedürfnisse ist damit ein wechselseitiges Verstehen2 möglich, da uns die „gehörten Anliegen und Bedürfnisse“ als menschliches Wesen nicht fremd, sondern als bereits selbst erlebt und gefühlt bekannt sind.3 Es beginnt der Anfang des Verstehens des anderen und Positionen beginnen sich zu „verflüssigen“.

1 Maslow, Farther Reaches of Human Nature. 2 Ballreich in Knapp, 58 ff; Schmidbauer in Knapp, 178 ff. 3 Schmidbauer in Knapp, 178 (184).

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C. Mediation in Familienunternehmen | Rz. 17.147 Kap. 17

Ähnliches gilt für die Gefühle. Konflikte halten ihre Macht u.a. dadurch aufrecht, indem sie verhindern, dass die Betroffenen untereinander ihre tiefer liegenden Gefühle ausdrücken. Vielmehr zeigen wir im Konflikt negative Emotionen wie Wut, Misstrauen, Schuld, Frustration, Enttäuschung. Diese Gefühle trennen uns aber. Die darunter liegenden Emotionen wie Schmerz, Verletzungen, Kummer, Angst bleiben eher verborgen. Diese Gefühle können uns aber verbinden.1

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Hilfreich für den Mediator ist die Zuordnung der Emotion zu einem Bedürfnis.2 Angst oder Zufriedenheit deuten in der Regel auf das Bedürfnis Sicherheit. Trauer oder Freude deuten in der Regel auf das Bedürfnis Beziehung. Wut oder Mut deuten in der Regel auf das Bedürfnis Entwicklung. Empörung ist typischerweise eine emotionale Reaktion auf wahrgenommenes Unrecht. Ungerechtigkeit – auch gegenüber Dritten – wird erlebt, wenn man überzeugt ist, dass der andere geltendes Recht oder Verträge, legitime Ansprüche, moralische Standards oder Gerechtigkeitsnormen verletzt hat.

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Für den Mediator ist es darüber hinaus hilfreich, sich ein Bild davon zu machen, welche Familienmitglieder welche Ziele verfolgen. Dies geht also über die reine Erforschung von Bedürfnissen und persönlichen Anliegen des Einzelnen zu einem Thema hinaus. Entscheidend ist, dass der Mediator das einzelne Familienmitglied zur Gesamtfamilie in Beziehung setzt. Ein fruchtbares Modell zur Beschreibung der Wechselbeziehungen ist hierbei das „RiemannThomann-Modell“.3 Hierdurch ist es möglich, zu verstehen, dass ein Familienmitglied verschiedene Anliegen verfolgt, die sich auch widersprechen können. So muss sich jeder Mensch im Verlauf seines Lebens immer wieder mit den Forderungen nach Abgrenzung, Beziehungsfähigkeit, Dauerhaftigkeit und Wandlungsbereitschaft und den hierdurch geweckten existenziellen Grundängsten vor Einsamkeit, Selbstverlust, Unbeweglichkeit und Chaos auseinandersetzen.4 Der Mediator kann damit als Arbeitshypothese den individuellen Toleranzbereich jedes Familienmitgliedes entlang jeder der beiden Dimensionen des Riemann-Thomann-Kreuzes (Nähe – Distanz, Dauer – Wechsel) bestimmen. So wird das „seelische Heimatgebiet“ des jeweiligen Familienmitglieds abgesteckt und der Mediator kann die Emotionen und Ängste leichter einordnen, die entstehen, wenn das seelische Heimatgebiet und damit der Toleranzbereich bezogen auf ein Thema verlassen wird.5 Dem ähnelt auch das „intergenerative Aushandlungsmuster im Nachfolgeprozess von Unternehmerfamilien“ von Leiß mit den Achsen Verbundenheit – Autonomie, Bewahrung – Veränderung.6 Hilfreich sind auch die Systemgesetze nach Bishop,7 die sich mit den Bedürfnissen des Einzelnen zwar teilweise überschneiden, jedoch die systemischen Wechselwirkungen anschaulich erfassen. Die Besonderheit bei Mediationen in Unternehmerfamilie besteht nun darin, dass bei einer größeren Anzahl von Medianden der vorstehend beschriebene Prozess sehr mühsam und zeitaufwendig wäre. Es wäre auch nicht gewährleistet, dass alle Familienmitglieder noch zuhören, sofern die Mediatoren mit einem Familienmitglied arbeiten. Darüber hinaus finden wir häufig eine Lagerbildung vor, sei es, dass mehrere Familienstämme existieren, die als „Frakti1 2 3 4 5 6 7

Friedman/Himmelstein, 322. Vgl. vertiefend Eismann/Lammers, 27, 28. Vgl. vertiefend Stahl, 237 ff. Stahl, 241 ff. Stahl, 248. Leiß in Kleve/Köllner, 169 (172). Bishop, 26.

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Kap. 17 Rz. 17.147 | Mediation für Familienunternehmen

on“ einen Fraktionszwang ausüben, sei es, dass z.B. innerhalb eines Familienstammes die Generationen jung gegen alt in einen Konflikt verstrickt sind. In all diesen Fällen können die „Werkzeuge“ angewandt werden, die bei der Lösung von Konflikten in Teams und großen Gruppen „gut funktionieren“. Insoweit sei auf die zahlreichen Beiträge bei Knapp1 verwiesen, die für die unterschiedlichen Phasen unterschiedliche Werkzeuge anbieten, die sich in der Praxis bewährt haben. Hervorzuheben ist an dieser Stelle das Arbeiten mit einem Werte- und Entwicklungsquadrat2, weil es auch bei einer größeren Anzahl von Familienmitgliedern und ihren typischen Lagerbildungen verwendet werden kann.

17.148

Erst wenn alle Anliegen und Bedürfnisse der einzelnen Familienmitglieder erarbeitet und von den anderen verstanden und akzeptiert3 worden sind (Window II4), ist die wechselseitige bedürfnisorientierte Zieldefinition5 formulierbar.

17.149

Schließlich kann jedes Subsystem für sich selbst betrachtet eigene Anliegen und Bedürfnisse haben. In Mediationssitzungen ist es hilfreich, jedem Subsystem eine Stimme zu geben, z.B. für das Unternehmen einen Stuhl in den Raum zu stellen und die Medianden danach zu fragen: „Wenn ihr Unternehmen eine eigene Stimme und eigene Gefühle hätte, was würde es hier in dieser Sitzung zu diesem Thema als Anliegen vortragen?“ Diese Bedürfnisse und Anliegen sind dann Bestandteil der wechselseitigen bedürfnisorientierten Zieldefinition. Für die Medianden wird dadurch klarer, dass bestimmte Themen aus unterschiedlichen Perspektiven6 betrachtet und auch unterschiedlich bewertet werden können.7

5. Schritt 5: Optionen 17.150

Ist eine wechselseitige bedürfnisorientierte Zieldefinition formuliert, kann man dazu übergehen, unter der Zuhilfenahme von bestimmten Kreativitätstechniken8 Ideen, Optionen9 oder Lösungen zu entwickeln.10 Hierbei geht es nicht darum, was machbar ist, sondern nur darum, was denkbar ist. Die Entwicklung von Optionen setzt eine kreative11 Atmosphäre voraus.

17.151

Im „Kreativraum“ geht es darum, sich spielend neuen Dingen zu öffnen. Die Entwicklung von Ideen kann durch bestimmte Kreativitätstechniken gefördert werden. Stets geht es aber hierbei zunächst um Quantität und nicht um Qualität. Es gibt keine Zuordnung zu Personen, keine Killerphrasen, keine Bewertungen, alles ist erlaubt, auch Unrealistisches und Verrücktes.

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Knapp (Hrsg.), Konflikte lösen in Teams und großen Gruppen, 3. Aufl., Bonn 2020. Schulz von Thun, Miteinander reden: 2, 46 ff.; Bielecke in Knapp, 225 ff. Ballhaus in Knapp, 58 ff. Diez/Krabbe/Engler, 169 ff. Bastine in Haynes/Mecke/Bastine/Fong, 11 (35 ff). Vgl. Walter in Knapp, 185 ff., zum Arbeiten mit Einfühlungslisten bei Lagerbildung. Röthel in Röthel, 9 (15). Kessen/Troja in Haft/Schlieffen, Handbuch Mediation3, § 14, S. 346 ff.; Greiter in Haft/Schlieffen, Handbuch Mediation3, § 17, S. 405 ff.; Duve/Eidenmüller/Hacke/Fries, 185 ff., zu Brainstorming, Brainwriting, Mindmapping, 6-Hüte-Methode, etc.; Montada/Kals, 177 ff.; Steffek in Greger/Unberath/Steffek, § 1 Rz. 45. 9 Diez/Krabbe/Engler, 132 ff. 10 Riedel in Riedel, 663 (672) Rz. 33. 11 Montada/Kals, 172 ff.

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C. Mediation in Familienunternehmen | Rz. 17.156 Kap. 17

Der Mediator, der in den jeweiligen Fachbereichen Know-how oder auch „Feldkompetenz“ besitzt, sollte sich mit seinen Lösungen und Lösungsideen zurückhalten. Er kann sie allenfalls vorsichtig und behutsam und nicht wertend einbringen mit dem Hinweis, dass in ähnlichen Situationen andere Familien dieses oder jenes ausprobiert haben.1

17.152

In diesen virtuellen Raum kann man indes nur eintreten, wenn sich jeder mit seinen eigenen Bedürfnissen und persönlichen Anliegen bereits wiedergefunden hat. Die wechselseitige bedürfnisorientierte Zieldefinition ist mithin eine Voraussetzung, um in den Kreativraum einzutreten. Stellt sich hier im Kreativraum heraus, dass ein Familienmitglied nicht mitarbeitet, ist mit Sicherheit zuvor keine ausreichende Zeit und Gelegenheit gewesen, dass sich das Familienmitglied mit seinen persönlichen Anliegen und Bedürfnissen von den anderen verstanden gefühlt hat (Window II).

17.153

Die Ideen werden intuitiv bewertet und sie werden zu Optionen zusammengefasst. Sodann werden Optionen bewertet, ausprobiert und letztendlich mediativ verhandelt. Hier ist es sinnvoll, dass Berater, die die Familie schon lange begleitet haben, zu den Sitzungen eingeladen werden. Als vertraute Fachberater (Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Rechtsanwälte, Unternehmensberater, Beiräte, Aufsichtsräte) können sie einen hilfreichen Input des Denkbaren geben. Ob es am Ende machbar ist, müssen die am Prozess beteiligten Familienmitglieder entscheiden. Jede beschlossene Lösung muss dann im Ergebnis der Überprüfung standhalten, ob sie von der erarbeiteten wechselseitigen bedürfnisorientierten Zieldefinition gedeckt ist.

17.154

6. Schritt 6: Angebots-Verhandeln Mediatives Verhandeln2 ist kein interessengeleitetes und sachbezogenes Verhandeln von Forderungen und Positionen zwischen BATNA und WATNA. Das mediative Verhandeln ist zunächst an die Bedingung geknüpft, dass die Grundprinzipien der Mediation gelten müssen (Selbstbehauptung jedes Einzelnen und Wechselseitigkeit). Die Verhandlungsmodelle werden nicht vorgegeben, sondern mediiert.3

17.155

Verhandelt wird nicht nur über die materiellen, sondern auch über die immateriellen Werte. Es können auch materielle gegen immaterielle Werte getauscht werden! Angebots-Verhandeln bedeutet, dass die Medianden jeweils aufgefordert werden, möglichst viele Angebote abzugeben, damit die anderen Konfliktteilnehmer eine Auswahl haben.4 Als Vorstufe ist das Aufhängen eines Wertebildes5 hilfreich, welches die in der „Tauschbörse“ vorhandenen Werte visualisiert. Beim Verhandeln können „Streit und heftige Emotionen hochkommen“, denn jeder weiß, dass es „jetzt ernst wird.“6

17.156

1 Duve/Eidenmüller/Hacke/Fries, 267; anders Jansen/Beyerlein, BB 2012, 733: „....dass der berufene Mediator den Konfliktgegenstand mit den Parteien erörtert und mit Hilfe eigener Lösungsvorschläge den Partien den Weg zu einer gemeinsamen Lösung eröffnet...“ 2 Diez/Krabbe/Engler, 152 ff.; vertiefend Rosner/Winheller. 3 Diez/Krabbe/Engler, 153: „Geben-Nehmen-Modell; Zitronenteilungs-Modell; Feilsch-Modell; Halbe-Halbe-Modell; Tit for Tat-Modell; Paket-Modell; Los-, Würfel- oder Eintext-Modell; Erst-, zweit-, drittbeste Alternativen; Konsens- oder Palaver-Modell; Kröten-Modell. 4 Multiple offer strategy vgl. Rosner/Winheller, 188, zur MESO-Technik. 5 Diez/Krabbe/Engler, 212 ff. 6 Diez, 151.

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Kap. 17 Rz. 17.157 | Mediation für Familienunternehmen

17.157

In einer Gesamtschau werden alle machbaren Optionen gewählt.1 Es könnte sein, dass einzelne Familienmitglieder in der Gesamtschau eine Ungerechtigkeit empfinden, da sie der Auffassung sind, die eine oder andere Seite habe ein Übergewicht erlangt. Dann muss wieder in die vorige Schrittfolge der Mediation zurückgegangen werden. Optionen zu einzelnen Themen werden damit erst dann verbindlich, wenn für alle Themen eine Lösung mediativ verhandelt wurde.2

7. Schritt 7: Abschlussvereinbarung 17.158

Die Abschlussvereinbarung wird schriftlich fixiert und in rechtlicher und auch steuerlicher Hinsicht von außen überprüft. Sofern keine Bedenken bestehen oder keine Änderungen erfolgen, ist die Vereinbarung von den Medianden zu unterzeichnen oder notariell zu beurkunden.

8. Schritt 8: Nachbetreuung 17.159

Die Medianden können, sofern sie es wünschen, bei der Umsetzung der vereinbarten Lösungen begleitet werden. Ist im Einzelfall die Umsetzung nicht gelungen, könnte dieser Gesichtspunkt noch einmal näher betrachtet und zwischen den Medianden bearbeitet werden.

D. Die mediative Familienverfassung 17.160

Nachstehend steht die Erarbeitung einer Familienverfassung unter analoger Anwendung des Verfahrens der Mediation im Zentrum der Ausführungen. Ein Aktualkonflikt in der Unternehmerfamilie ist damit nicht gegeben und es wird auch nicht um eine Mediation nachgesucht.

I. Begriff 17.161

Der Begriff Familienverfassung3 wird nicht einheitlich verwendet. Gesprochen wird auch von einer Familiencharta,4 einem Familienvertrag,5 einer Family Business Governance,6 einer Fa-

1 Riedel in Riedel, 663 (673) Rz. 37. 2 zum Paket-Verhandeln vgl. Rosner/Winheller, 186. 3 Stengel in Prinz/Kahle, Beck`sches Handbuch der Personengesellschaften, § 17 Rz. 6; Hastenteufel/Staub, StB 2019, 185 (188); Hennerkes/Kirchdörfer, 65: „...Familienverfassung als Mittel der Streitvermeidung...“; Schulz/Werz, ErbStB 2007, 310 ff., 353 ff; Fabis, OSC 4 (2007) 14, 62: „Ähnlichkeiten zu den Hausgesetzen von Adelsfamilien“; hierzu auch Mutter, 36; Born in Handbuch Familienunternehmen, Rz. 47 ff.; Kormann, Zusammenhalt der Unternehmerfamilie, 219–223: „Bindung durch faire Verfassung“; Gläßer in FS Binz, 2014, 228 (235) m.w.N.: „Familienverfassungen werden als Grundgesetz oder Rahmen für ein Familienunternehmen, (je nach Technik – Affinität) als Wegweiser, Leitplanke oder Navigationssystem für das eine Steuerung im Hinblick auf Krisensituationen auch als Stoßdämpfer, Rettungsanker oder als Schwimmweste bezeichnet; Habbe/Gieseler, NZG 2016, 1010 (1013); Neumueller, 47 ff. 4 Wimmer/Simon in Kleve/Köllner, 161; Fritsch in Beckervordersandfort, 277 (282); Baus, 107 ff. 5 Mutter, 36 ff.; vgl. auch BGH v. 9.12.1968 – II ZR 42/67, NJW 1969, 794 zu einem „Familienvertrag“; Prütting in Lange/Windthorst, 35 (38), 6 Kellermanns/von Schlippe in Koeberle-Schmid/Fahrion/Witt, 429 ff.

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D. Die mediative Familienverfassung | Rz. 17.162 Kap. 17

mily Governance,1 einer Familienkultur,2 oder einer Familienstrategie.3 Diesen Begriffen kann zunächst entnommen werden, dass Regelungen im „Kreis der Unternehmerfamilie“ gemeint sind. Ob und wenn ja, in welchem Umfang auch die anderen beiden Kreise „Unternehmen, Gesellschafter“ betroffen sein könnten, ist unklar. Die weiter verwendeten Begriffe, wie Verfassung oder Charta, lassen darauf schließen, dass es um etwas „höher Stehendes“ gehen soll. Damit könnten auch mögliche Norm-Funktionen und ein Rechtsbindungswille4 gemeint sein. Die Begriffe geben allerdings keine Auskunft darüber, welchen normativen Inhalt eine Familienverfassung typischerweise hat oder haben soll und mit welchem Prozess eine Familienverfassung idealerweise erarbeitet werden sollte, um die nachhaltigsten Ergebnisse zu erzielen.5 Einigkeit besteht, dass die Familienverfassung der Ausdruck eines gemeinsamen Willens der Unternehmerfamilie sei und sie in aller Regel auch von allen Familienmitgliedern und damit allen Gesellschaftern geschrieben und unterschrieben werde.6

II. Vorkommen Ungefähr jede vierte Unternehmerfamilie in Deutschland hatte im Jahr 2011 bereits eine Familienverfassung7 erarbeitet.8 Nach der Untersuchung von May et al. aus dem Jahr 20159 verfügen bereits 35 % der Familienunternehmen über eine Familienverfassung. Dies soll immer häufiger geschehen.10 Nach einer Schätzung des Wittener Instituts für Familienunterneh1 Fritsch in Beckervordersandfort, 277 (282); Kirchdörfer/Breyer, FuS Sonderheft 2014, 13 ff.; http:// www.kodex-fuer-familienunternehmen.de (abgerufen am 3.1.2020). 2 Binz/Mayer, NZG 2012, 201: „Wird aber keine ausgeprägte Familienkultur gepflegt, die auch in Bezug auf das Familienunternehmen ein „Wir-Gefühl“ schafft, kommt es in der Regel spätestens ab der dritten Generation zu einer Entfremdung unter den Gesellschaftern und damit, und zwar mit oder ohne Anteilsvinkulierung, zur ersten Auflösungserscheinungen“; auch Hueck, 34; Fritsch in Beckervordersandfort, 277 (286). 3 Rüsen/von Schlippe/Kleve in Kleve/Köllner, 225 (240); Fritsch in Beckervordersandfort, 277; Fritsch in Riedel, 687 ff. 4 Holler in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 7, § 75 Rz. 108. 5 Ähnlich Gläßer in FS Binz, 2014, 228 (235). 6 Kormann, Governance des Familienunternehmens, 508. 7 Fleischer, NZG 2017, 1201 (1205) unter III. Familienverfassungen im Wandel der Zeiten; „Die regulative Leitidee, tragende Prinzipien und Werte einer Familie verbindlich festzuhalten, ist nicht neu und begegnet uns bereits in den sog. Hausgesetzen des Spätmittelalters.“ 8 Schween/Koeberle-Schmid/Bartels/Hack, Vorwort May, 5: „Jede Inhaberfamilie jenseits der ersten Generation sollte sich eine Familienverfassung geben. Dieses Regelwerk ist eine der wichtigsten Vorkehrungen, die die langfristige Überlebenskraft der Unternehmerfamilie sichert. Ein Vorrat an rechtzeitig formulierten, schriftlich niedergelegten und von allen in der Familie akzeptierten Regeln sorgt dafür, dass Stabilität gewahrt, Kommunikation gesichert, gegensätzliche Interessen ausgesprochen und gelöst und Konflikte angegangen werden, wenn sie noch klein sind.“; Gläßer in FS Binz, 2014, 228, (230 ff.); ähnlich Braun, Erfolgreich jenseits der Börse, 60: „All das zeigt: Familienunternehmen können nur dann Erfolg haben, wenn es gelingt, die Interessen der einzelnen Familienmitglieder und des Unternehmens auszubalancieren. Voraussetzung dafür sind neben einem gemeinsamen Werte- und Zielsystem vor allem klare Regeln. Dieser Problematik sind sich die UGUs sehr wohl bewusst, weshalb man dort zunehmend eine Familienverfassung, eine sog. Family Governance, findet“. 9 May/Bartels/Müller/Rieg/von Au, 6. 10 Fleischer, NZG 2017, 1201 (1205); Hueck, 13: „stark zunehmender Beliebtheit“ und 13 ff. mit zahlreichen Hinweisen auf weitere Studien und Unternehmen, die über eine Familienverfassung verfügen; Schween/Koeberle-Schmid/Bartels/Hack, 16: „Es scheint sich also abzuzeichnen, dass das Bewusstsein für den Wert einer Verfassung für die Familie steigt – immer mehr Inhaberfamilien

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Kap. 17 Rz. 17.162 | Mediation für Familienunternehmen

men1 haben von rund 100 bis 150 großen Familienunternehmen mit mehr als einer Milliarde Euro Umsatz bereits ein Drittel eine mehr oder weniger ausgefeilte Familienverfassung, allerdings nur die Hälfte davon soll auch über „Konfliktklauseln“ verfügen.

17.163

Die Forschungsergebnisse zeigen, dass Unternehmerfamilien mit Familienverfassungen Regelungsbereiche wie Mitgliedschaft, Geschäftsmodell, Selbstverständnis, Nachfolge, Mitarbeit von Familienmitgliedern, Ausschüttungen, Ausscheiden von Gesellschaftern, Verzahnung zur Corporate Governance, Ausbildung von Gesellschaftern, Service-Leistungen für Gesellschafter (Family Office), gemeinnütziges Engagement, Familienaktivitäten, etc. signifikant klarer und besser geregelt haben als Unternehmerfamilien ohne Familienverfassungen.2 Dies lässt den Schluss zu, dass Familienverfassungen Regelungen beinhalten, die auch die Subsysteme Unternehmen und Gesellschafter betreffen. Familienunternehmen mit Familienverfassungen sollen nach dieser Untersuchung schließlich auch erfolgreicher gewirtschaftet haben.3 Dies könnte allerdings auch an der Ersparnis von Konfliktkosten liegen.4 Die Untersuchungen von Neumueller5 zeigen, dass Unternehmerfamilien offenbar auch den Wunsch haben, dass die Familienverfassung bei Regelverstößen der Familienmitglieder gegen die Familienverfassung rechtliche Sanktionen bereithalten soll. So erklärte eine interviewte Familie, ihre Familienverfassung sehe einen überwachenden Familienrat vor, der auch im Gesellschaftsvertrag verankert sei. Seine Aufgabe sei die Überwachung der Einhaltung der Regelungen der Familienverfassung. Bei einem Regelverstoß könne das Familienmitglied aus der Familiengemeinschaft ausgeschlossen werden, was dann auch ein Ausscheiden aus der Gesellschaft mit sich zöge.6

III. Setting 17.164

Das praktizierte Setting ist variantenreich. Mal wird die Familienverfassung nur von den Gesellschaftern verfasst, dann wieder nur von den noch beteiligten Gründern und den Abkömmlingen, also unabhängig von ihrer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung, aber ohne Schwiegerkinder. Dann schließlich von der Großfamilie, also inklusive der bereits aus der Gesellschaft ausgeschiedenen Senioren und/oder der noch nicht beteiligten GesellschafterAbkömmlinge und der Ehepartner, Schwiegerkinder, Stiefkinder oder Adoptivkinder, bis hin zur Einbeziehung der Freundin oder des Freundes des Abkömmlings, der gerade durch eine Schenkung Gesellschafter geworden ist. Vereinzelt erarbeiten auch die unterschiedlichen Generationen „ihre“ jeweilige Familienverfassung. Dann gibt es auch den „Beitritt“ zu einer Familienverfassung, d.h. das Familienmitglied erhält mit der Schenkung der Anteile oder dem Erreichen der Volljährigkeit die Familienverfassung feierlich ausgehändigt und muss sich zu

1 2 3 4 5 6

wollen die wichtigen inhaberstrategischen Fragen von Familie und Unternehmen regeln, bevor Konflikte, Spannungen und andere Ernstfälle auftreten. Sie haben offenbar erkannt, dass es sinnvoll ist, neben dem Gesellschaftsvertrag ein System von schriftlich niedergelegten Abmachungen zu treffen, die das Gesamtsystem Familie und Unternehmen stabilisieren.“ Müller, Handelsblatts vom 11.12.2017; vgl. auch Noske, Süddeutsche Zeitung, Nr. 276, 1.12.2017. Schween/Koeberle-Schmid/Bartels/Hack, 28–30; Gläßer in FS Binz, 2014, 228 (240). Schween/Koeberle-Schmid/Bartels/Hack, 26; May/Bartels/Müller/Rieg/von Au, 21. Steffek in Greger/Unberath/Steffek, Einl. A. Rz. 54 m.w.N.; KPMG – Konfliktkostenstudie 2009. Neumueller, 137 ff. Neumueller, 150, 157.

1160 | Born

D. Die mediative Familienverfassung | Rz. 17.167 Kap. 17

dem Inhalt durch Leistung einer Unterschrift „bekennen“.1 Endlich werden auch die langjährigen Berater (Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Rechtsanwälte, Unternehmensberater, Beiratsmitglieder etc.) zu bestimmten Themen in die Sitzungen eingeladen, weil sie eine wichtige Ressource darstellen und eine bereichernde Außensicht geben können.

IV. Beweggründe und Erwartungen Nach einer älteren Studie von Schween et al.2 gaben 62 % der Unternehmerfamilien als Motivation für die Erarbeitung einer Familienverfassung an, sie wollten eine Nachfolgeregelung vorbereiten oder die Familienverfassung diene der Konfliktprävention (51 %). 8 % wollten eine Familienverfassung zur Lösung akuter Konflikte erarbeiten.

17.165

Die Mehrheit erhoffte sich von einer Familienverfassung vor allem einen emotionalen Mehrwert; dieser Wert eines Familienunternehmens setzte sich aus der Sicht der Inhaber zusammen aus einem ökonomischen und einem emotionalen Teil. Der emotionale Wert wurde definiert als Gefühl der Zusammengehörigkeit als Familie3 und der Zugehörigkeit zum Familienunternehmen.4

17.166

Die Erwartungen5 an eine Familienverfassung sind nach der Studie von Schween et al.: Frieden und Stabilität sichern (84 %); Zusammenhalt und Identifikation fördern (76 %); Führung und Kontrolle verbessern (27 %); wirtschaftlichen Erfolg erhöhen (32 %). Knapp 80 % der befragten Unternehmerfamilien gaben an, dass ihre ursprünglichen Erwartungen an eine Familienverfassung voll erfüllt oder sogar übertroffen wurden.6 Die Familienverfassung schaffte danach ein signifikant nachweisbares Plus bei der Zufriedenheit in der Unternehmerfamilie.7 Mithin sollen kritische Fragen thematisiert werden, bevor die Themen auf der Tagesordnung stehen.8

17.167

1 Leibinger-Kammüller, Süddeutsche Zeitung, 20.11.2017, Nr. 266: „Zum 16. Geburtstag bekommt jedes Kind die Familien-Charta überreicht.... Man muss den Kodex feierlich unterschreiben, dann ist man Teil der Familienrunde.“; vgl. Fabis, 17, der darauf hinweist, dass in diesem Fall die Familienverfassung erneut zu erarbeiten ist. Dem ist insoweit zu folgen, dass zumindest das Familieninteresse zwingend zu erweitern und mediativ neu zu verhandeln ist. 2 Schween/Koeberle-Schmid/Bartels/Hack, 19, so gaben nach Schween et al.Inhaber an: „Unsere Familienverfassung gibt uns Kraft; mit der Familienverfassung haben wir eine gemeinsame Basis geschaffen; heute gehen wir mit Konflikten viel besser um und gefährden dadurch nicht den Fortbestand; zum ersten Mal haben wir über Sprengstoffthemen gesprochen; ich bin begeistert und beeindruckt von den Ergebnissen, die wir zusammen erarbeitet haben; ich bin so positiv. Wir haben unsere Familienverfassung in die Praxis umgesetzt. Wir sehen uns wieder als eine Unternehmerfamilie. Und niemand denkt an den Ausstieg; durch die Erarbeitung unserer Familienverfassung ist alles so gekommen, wie ich es mir erhofft habe.“; vgl. auch May/Koeberle Schmid in Koeberle-Schmid/Grottel, 206. 3 Hueck, 20. 4 Schween/Koeberle-Schmid/Bartels/Hack, 21. 5 Schween/Koeberle-Schmid/Bartels/Hack, 25. 6 Schween/Koeberle-Schmid/Bartels/Hack, 24. 7 Schween/Koeberle-Schmid/Bartels/Hack, 27. 8 Schween/Koeberle-Schmid/Bartels/Hack, 19: „Eine Familienverfassung ist also ein Instrument zur Sicherung des Fortbestands des Familienunternehmens über Generationen hinweg. Konflikte über die Nachfolge, aber auch innerhalb des Gesellschafterkreises aufgrund unterschiedlicher Interessen, beispielsweise über die Ausschüttung, sollen damit so gelenkt werden, dass sie das Unternehmen und den Zusammenhalt der Familie nicht gefährden. Wichtig ist der präventive Charakter der Regelungen. Denn in einem akuten, einmal ausgebrochenen Konflikt kann eine eilig eingeführte Familienverfassung nichts mehr retten. Sie ist deshalb keine Option bei Themenfeldern, wo es innerhalb des Gesellschafterkreises bereits offen brennt. Hier sollte mit anderen Mitteln gearbeitet werden“.

Born | 1161

Kap. 17 Rz. 17.168 | Mediation für Familienunternehmen

17.168

Nach den Fallstudien von Neumueller1 kommen der Familienverfassung folgende Aufgaben und Funktionen zu: Identifikation, Ordnung, Handlungsfähigkeit, Integration, wechselseitige Kontrolle, Konfliktbefriedung, (System-) Vertrauen. In der Literatur werden „der Familienverfassung“ unterschiedliche Eigenschaften zugeschrieben. So werden Familienverfassungen als Instrument eines Konfliktmanagements verstanden und eingesetzt2 und sie gilt auch als Maßnahme der Konfliktvermeidung3 oder der Konfliktprävention4 oder gar der Konfliktlösung.5 Nach Mutter6 schaffe die Familienverfassung (von ihm Familienvertrag genannt) Mechanismen der Konfliktvermeidung und Konfliktlösung und gebe Formen des angemessenen Umgangs unter den Familienmitgliedern vor. Sie soll auch vorbeugen, indem sie die die Familienmitglieder zu einem sachlichen Austausch der Argumente diszipliniere. Nach May et al. wirke sie sich positiv auf die Veränderungsbereitschaft und Veränderungsfähigkeit der Inhaberfamilie aus.7 Nach Fabis8 soll die Familienverfassung den Zusammenhalt in der Familie und die Bindung der Familienmitglieder an das Unternehmen stärken. Nach Fleischer9 könne das gesellschaftsrechtliche Grundgerüst durch innerfamiliäre Leitlinien stabilisiert werden. Nach Gläßer10 böten Familienverfassungen die Möglichkeit, die drei für Familienunternehmen relevanten – und parse ja gleichwertigen – Wirksysteme bewusst zu reflektieren, systematisch zu koordinieren und damit konstruktiv zu integrieren. Nach Wedemann11 erhöhe sie das soziale Kapital, also die Ressourcen, die mit der Teilhabe am Netz sozialer Beziehungen verbunden seien. Parameter seien: das Bestehen eines Vertrauensverhältnisses zwischen den Akteuren, ein gemeinsames Ziel, ein deckungsgleicher Wertekanon sowie eine übereinstimmende Philosophie hinsichtlich der Gestaltung des Weges, auf dem das Ziel erreicht werden soll. Förderlich seien eine enge und stabile soziale Beziehung, sowie häufige soziale Interaktionen.

V. Zweifel 17.169

Die ifm-Mannheim-Studie „Gesellschafterbindung in Familienunternehmen“12 aus dem Jahr 2018 zeigt allerdings in eine andere Richtung. Die Familienverfassung hat für die Bindung der Gesellschafter zum Unternehmen danach unter Berücksichtigung ihrer Anwendung im Unternehmen eine nur geringe Bedeutung.13 Die Familienmitglieder wiesen vielmehr den 1 Neumueller, 198. 2 Gläßer in FS Binz, 2014, 228, (229 ff.). 3 May/Koeberle-Schmid, DB 2011, 485 (487); Mutter, 31; auch Hueck, 165; Kirchdörfer/Lorz, FuS 2011, 97 (106): „Vermeidung von Streitpotential“; Holler, ZIP 2018, 553 (555). 4 Lange in FS Hennerkes, 2009, 135 (148); Hennerkes/Kirchdörfer, 65, zur Familienverfassung als Mittel der Streitvermeidung; vgl. May, Governance Kodex für Familienunternehmen, 31; Grube in KPMG-Studie 2016, „Hinter den Kulissen, Firma, Familie, Führung“, 18 (58); KPMG-Studie 2017, „Auf ewig verbunden“, 21 (29); Holler in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 7, § 75 Rz. 100 ff.; Hueck, 19, 176; Neumueller, 46. 5 Mutter, 31; Fritsch in Beckervordersandfort, 277 (288). 6 Mutter, 40, 45. 7 May/Bartels/Müller/Rieg/von Au, 3. 8 Fabis, 15 a.E.; Schween/Koeberle-Schmid/Bartels/Hack, 20. 9 Fleischer, NZG 2017, 1201 ff. 10 Weiter zu typischen Regelungsinhalten einer Familienverfassung Gläßer in FS Binz, 2014, 228, (232). 11 Wedemann, 46. 12 ifm-Mannheim, Gesellschafterbindung in Familienunternehmen. 13 ifm-Mannheim, Gesellschafterbindung in Familienunternehmen, 37, Abb. 18.

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D. Die mediative Familienverfassung | Rz. 17.173 Kap. 17

nachstehenden Maßnahmen zur Gesellschafterbindung einen höheren Stellenwert zu: persönliche Kontakte mit Management, Vertretung in Gesellschaftergremien, regelmäßige schriftliche Informationen, soziales Engagement/Spenden, persönliche Kontakte mit Gremien, Feiern besonderer Ereignisse, Unternehmensbesichtigungen, Ausbildung/Praktika für nächste Generation, mögliche Mitarbeit im Unternehmen, Chroniken, Archive, Treffen nächste Generation, regelmäßige Dividende, Unternehmensverfassung, regelmäßige Pressemitteilungen, Familienname im Unternehmensnamen, Kostenerstattungen, Serviceangebote, Digitale Angebote.

Die Familienverfassung erreichte hier nur einen Wert von 1,49 (0 =unwichtig; 5 = sehr wichtig). Noch unbedeutender wird die Familienverfassung, sofern man die Korrelation zwischen den Maßnahmen zur Gesellschafterbindung und der Erfüllung der Gesellschafterinteressen bzw. der Gesellschafterzufriedenheit betrachtet. Eine signifikante Korrelation konnte überhaupt nur bei der Aussage „Ich bin mit den Zielen, Plänen und der Strategie des Unternehmens einverstanden“ festgestellt werden.1 Schließlich konnte der Familienverfassung gar kein Effekt zugeschrieben werden, sofern es um die Zufriedenheit in der Rolle als Gesellschafter geht.2

17.170

Eine Schlussfolgerung der Analyse beider Studien könnte sein, dass eine Familienverfassung offenbar nur zu einer Zufriedenheit in der Rolle als Familienmitglied führt. Dann würde sie aber nach Auffassung der befragten Unternehmerfamilien in den anderen Subsystemen Unternehmen und Gesellschafter nahezu wirkungslos sein!

17.171

Könnte es also sein, dass sich hier ein Wandel in der Bedeutung der Familienverfassung eingestellt hat, der bislang von der Wissenschaft noch nicht nachvollzogen werden konnte?

17.172

Nach unserer Erfahrung könnte dieser Bedeutungswandel an den unterschiedlichen Vorgehensweisen zur Erarbeitung einer Familienverfassung liegen. Die zunehmende Nachfrage nach einer Familienverfassung hatte vermehrt unterschiedliche Anbieter hervorgebracht. Familienverfassungen werden von Juristen, Steuerberatern, Betriebswirten, Unternehmensberatern, Instituten unterschiedlichster Couleur, Psychologen, Mediatoren mit unterschiedlichen Grundberufen oder von den Familien oder einzelnen Familienmitgliedern als „Charta-Ausschuss“ selbst, teils mit teils ohne fremde Berater erarbeitet. Unterschiedliche Anbieter haben unterschiedliche Methoden und unterschiedliche Methoden führen zu unterschiedlichen verbindlichen oder unverbindlichen, konkreten oder allgemeinen Inhalten und vor allem zu unterschiedlichen Gefühlen. Werden z.B. Familienverfassungen von Gesellschaftern mit den Methoden der Erarbeitung eines Gesellschaftsvertrages „geschrieben“, erhält man am Ende nur ein „weiteres Papier“, das zwar sprachlich leichter zu lesen ist, von dem die Familienmitglieder dann aber nicht so recht wissen, was sie damit machen sollen. Im Vergleich zum Gesellschaftsvertrag kann diese Familienverfassung dann keine höhere rechtliche oder emotionale Bindung bewirken, als der Gesellschaftsvertrag selbst! Zu Recht wird daher vertreten,3 dass die Familienverfassung „alle genannten Systeme und alle genannten Disziplinen einbeziehen“ müsse und es nicht ausreiche, einen „Nur-Juristen, einen Nur-Steuerberater oder einen NurUnternehmensberater in die Gestaltung“ der Familienverfassung einzubinden. Demgegenüber begreift Mutter4 die Familienverfassung als Disziplinierungsmittel, um zu rationalen Ent-

17.173

1 ifm-Mannheim, Gesellschafterbindung in Familienunternehmen, 53, 54 Tab. 2 und 3. 2 ifm-Mannheim, Gesellschafterbindung in Familienunternehmen, 107; andere Vermutung bei Hueck, 54. 3 Vgl. Kirchdörfer/Breyer, FuS Sonderheft 2014, 13 (17). 4 Mutter, 40, 45.

Born | 1163

Kap. 17 Rz. 17.173 | Mediation für Familienunternehmen

scheidungen zurückzukehren. Das funktioniert m.E. nicht immer, da Menschen stets zuerst intuitiv und dann emotional reagieren und oft – ohne Impulskontrolle – erst später (vielleicht) kognitiv verstehen, warum sie so „gegen die Familienverfassung“ gehandelt haben.

17.174

Was aber soll nun in einer Familienverfassung sinnvollerweise stehen? Wer schreibt die Familienverfassung und wie entsteht sie? Wo kann man sie rechtlich einordnen? Diese Fragen lassen sich erst beantworten, wenn sich die gesamte Unternehmerfamilie zunächst in einem mediationsanalogen Prozess1 auf ein gemeinsames Ziel verständigt hat, was „ihre Familienverfassung“ leisten soll.2

VI. Typus Familienverfassung 17.175

Hueck3 hat die Rechtstatsachen zur Familienverfassung untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass es „die Familienverfassung“ derzeit (noch) nicht gibt.4 Soll sie nur im Subsystem Familie Beachtung finden, werden Themen aufgegriffen wie gemeinsame Werte, Verhaltenskodex, Selbstverständnis, Rollenklärung, Maßnahmen zum Erhalt des Zusammengehörigkeitsgefühls (z.B. gemeinsame Familienaktivitäten, Familientreffen, etc.), Konfliktmanagement, Statuierung eines Familienrates als zentrale Konfliktanlaufstelle, gemeinnütziges Engagement, etc. Soll sie auch in dem Subsystem Unternehmen wirken, greift sie Themen auf wie Voraussetzungen der Mitarbeit von Familienmitgliedern, insbesondere in der Geschäftsführung, im Beirat oder Aufsichtsrat, Wandel in der Führung, Kollegialorgan, Geschäftsmodell, Strategie, Verzahnung zur Corporate Governance, etc. Soll sie auch in dem Subsystem Gesellschafter wirken, greift sie Themen des Gesellschaftsvertrages auf wie z.B. Beteiligung von Minderjährigen und Studierenden, Rechte der Stämme, Stimmrechte, Steueroptimierung, Gewinnverwendung, Ausschüttungen, Nachfolgeregelungen, Service-Leistungen für Gesellschafter (Family Office), Ausscheiden von Gesellschaftern, Ausbildung und Fortbildung von Gesellschaftern, operative und geschäftsführende Mitarbeit von Gesellschaftern, Umstrukturierungen (Realteilungen, Stiftung), etc.

17.176

Sie greift aber auch ähnlich wie der Gesellschaftsvertrag Schnittmengen-Themen auf, wie den Inhalt von Eheverträgen und letztwilligen Verfügungen.5

17.177

Dies alles zeigt, dass der Begriff „Familienverfassung“ ein Typusbegriff6 ist. Er entzieht sich damit einer allgemein gültigen Definition oder einer Begriffsbestimmung.7 Der Erarbeitungsprozess und der Inhalt einer Familienverfassung sind so individuell wie die jeweilige Unter1 Born in Handbuch Familienunternehmen, Rz. 31 ff.; Uffmann, ZIP 2015, 2441 (2441 ff). 2 So zutreffend Lüke, Wirtschaft – Das IHK-Magazin für München und Oberbayern – 03/2013, 56. 3 Vgl. hierzu die grundsätzliche rechtstatsächliche Untersuchung – allerdings ohne den Blick auf die mediativen Familienverfassungen und die Mediation zu legen – von Hueck, Die Familienverfassung. 4 Hueck, 78. 5 Zur Nichtigkeit derartiger Festlegungen Kirchdörfer/Lorz, FuS 2011, 97 (105). 6 Priester, 53, 55; vgl. auch Uffmann, ZIP 2015, 2441 (2448); Fabis, 15; Leenen, 119; ähnlich Schween/Koeberle-Schmid/Bartels/Hack, 12: „In der Praxis jedoch ist die Welt der Familienverfassungen so farbig und variantenreich wie die Familien und ihre Unternehmen selbst.“; Reich/Bode, DStR 2018, 305 ff. 7 A.A.: Schween/Koeberle-Schmid/Bartels/Hack, 10: „Eine Familienverfassung dokumentiert alle Regeln, an denen sich das Handeln der Inhaber orientieren soll. Sie ist moralisch bindend und allgemein verständlich verfasst. Sie wird von der Gesamtheit der Gesellschafter erarbeitet. Zahlreiche ihrer Regelungen münden im Gesellschaftsvertrag“.

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D. Die mediative Familienverfassung | Rz. 17.178 Kap. 17

nehmerfamilie selbst.1 Daher gibt es auch kein taugliches allgemeines Muster einer Familienverfassung, welches als Grundlage für eine individuelle Familie verwendet werden kann.2 Werden wiederum „Muster“ verwendet,3 kann die Familienverfassung u.U. nicht das leisten, was sich die Unternehmerfamilie von ihrer Familienverfassung erhofft.

VII. Die analoge Anwendung der Mediation zur Erarbeitung einer Familienverfassung 1. Vorgehensweise Möchte die Unternehmerfamilie eine Familienverfassung erarbeiten, sei es zur Vorbereitung einer erstmaligen oder wiederkehrenden Unternehmensnachfolge oder zur Konfliktprävention,4 stellt sich die Frage nach der Vorgehensweise.5 Es wird darauf hingewiesen,6 dass der vorherige gemeinsame und ergebnisoffene7 Erkenntnis- und intensive Erarbeitungsprozess entscheidend sei. Weiter soll die Familienverfassung von allen Familienmitgliedern selbst und gemeinschaftlich erarbeitet und unterzeichnet werden, und zwar unabhängig davon, ob alle Familienmitglieder auch an dem Unternehmen beteiligt sind.8 Es fehlen jedoch Hinweise, wie dies konkret zu geschehen habe.9 Manche sprechen von einer „Methodik, die sich herausgebildet“ habe und die „moderierte Workshops“10 beinhalte oder in „Bausteine gegliedert“ sei.11 Andere stellen „Fahrpläne“12 und „systematische Skizzen“13 auf und geben eine Reihen-

1 Gläßer in FS Binz, 2014, 228 (234). 2 Fabis, 15; Lüke, Wirtschaft – Das IHK-Magazin für München und Oberbayern – 03/2013, 56 (58); Kirchdörfer/Lorz, FuS 2011, 97 (102). 3 Wie Musterformulierungen bei Schulz/Werz, ErbStB 2007, 353 ff.; vgl. auch den exemplarischen Aufbau eines „Familienvertrages“ bei Mutter, 38, 43; Felden/Hack/Hoon, 393: „typischer Aufbau einer Familienverfassung“; s. auch den Leitfaden, Fragen und Antworten bei Koeberle-Schmid/ Witt/Fahrion, 487 ff. 4 Vgl. zur mediativen Nachlassplanung als präventiver Einsatz der Erbmediation, Siegel, 308 ff. 5 Mutter, 2 ff., zum „Fahrplan“ der Erarbeitung eines „Familienvertrages“ und zur Herstellung der Informiertheit mittels einer „Bestandsaufnahme“. 6 Kormann, Zusammenhalt der Unternehmerfamilie, 269 ff.; May/Bartels, 102; Schween/KoeberleSchmid/Bartels/Hack, 16; Born in Handbuch Familienunternehmen, Rz. 51; Fleischer, NZG 2017, 1201 (1206); allerdings ohne Hinweis auf den mediationsanalogen Prozess Hueck, 20 (141); „Die Regelungen der Familienverfassung (fußen) häufig auf einer viel bewussteren Entscheidung der Familiengesellschafter als etwa die Regelungen, die im Gesellschaftsvertrag getroffen werden und die in der Regel nicht die Familiengesellschafter selbst, sondern juristische Berater vorbereiten und formulieren“; Mutter, 29 ff.; Holler, ZIP 2018, 553 (556): „Bei Lichte betrachtet, erscheint das Verfahren tatsächlich wichtiger als das Produkt.“ 7 Fritsch in Riedel, 687 (713). 8 Fabis, 14 (15); Felden/Hack/Hoon, 389. 9 Burkart in Röthel, 81 (94): „Es gibt zwar eine ganze Reihe von sozialwissenschaftlichen Studien zu Unternehmerfamilien, doch Analysen von Aushandlungsprozessen sind rar.“ 10 Felden/Hack/Hoon, 393: „moderierte Workshops“; May/Koeberle Schmid in Koeberle-Schmid/ Grottel, 206: „... gemeinsame Workshops...“ 11 Vgl. statt vieler Hueck, 10 „Der Prozess verläuft zumeist sehr ähnlich, da sich hierfür in der Praxis eine bestimmte Methodik herausgebildet hat“ und 54: „spezifische Entwicklungsmethodik“; Holler, ZIP 2018, 553 (554): „moderierter Prozess“; Fritsch in Beckervordersandfort, 277 (287): „Bausteine“. 12 Mutter, 31 ff. 13 Baus, 49.

Born | 1165

17.178

Kap. 17 Rz. 17.178 | Mediation für Familienunternehmen

folge der Sitzungen und Themen vor, wobei es darum gehen soll, die „Interessen zu moderieren“ oder auch eine „Disziplinierung“ von Familienmitgliedern zu bewirken.

17.179

Nach diesseitiger Auffassung kann die Mediation mit ihren Schrittfolgen als strukturiertes Verfahren analog zur Verhandlung einer Familienverfassung verwendet werden, ohne dass ein Aktualkonflikt gegeben ist.1

17.180

Auf der Seite der Mediatoren hat sich eine Co-Mediation2 als hilfreich erwiesen. Im Mediatorenteam sollten beide Geschlechter vertreten3 und die berufliche Heimat sollte unterschiedlich sein.

2. Ausgangshypothesen a) Konsensfiktion

17.181

Betrachten wir die Ausgangssituation. Es besteht kein Aktualkonflikt und die Unternehmerfamilie möchte eine Familienverfassung erarbeiten. Unternehmerfamilien schrecken davor zurück, ihre Situation mit einem (zumeist negativ besetzten) Konflikt zu assoziieren. Sie würden daher ihr Vorhaben nicht mit einer Mediation in Verbindung bringen.

17.182

Die Konsensfiktion4 ist in Unternehmerfamilien besonders stark ausgebildet, das heißt, die Familienmitglieder artikulieren gegenüber Außenstehenden, dass sie im Großen und Ganzen ein harmonisches Miteinander pflegen.5 Die Konsensfiktion ist dadurch gekennzeichnet, dass die individuellen Interessen der einzelnen Familienmitglieder in den Hintergrund treten und nicht ohne weiteres erkennbar sind. Das Interesse (u.U. einzelner) am Unternehmen und seinem Erhalt und seiner Wertsteigerung dominiert (u.U. auch die nicht am Familienunternehmen Interessierten). Dies wird auch kundgetan (O-Ton: „Bei uns geht das Unternehmensinteresse dem Interesse des Einzelnen vor.“). Mit diesem Satz soll der mögliche Konflikt bereits im Keim erstickt werden. Die Konsensfiktion wird mithin durch die Angst vor Auseinandersetzungen6 genährt und mit aller Kraft unbewusst aufrechterhalten. Die Familienmitglieder wollen unbedingt den Zustand des „scheinbaren“ harmonischen Zusammenhalts festhalten, aus „Sorge, jede Disharmonie könne alsbald zu einem schädlichen Konflikt führen“,7 der womöglich zusätzlich von außen (Öffentlichkeit oder Belegschaft) erkennbar wird. So werden gerne Prozesse und Methoden zur Erarbeitung einer Familienverfassung akzeptiert, die versprechen, Ambivalenzen8 (Verkauf des Unternehmens oder Fortführung) oder Polyvalenzen (Verkauf, eigene Fortführung oder Fremdgeschäftsführung) auszublenden und nicht die Per1 Born in Handbuch Familienunternehmen, Rz. 31 ff.: „mediationsanalog“; Uffmann, ZIP 2015, 2441 (2441 ff.): „mediationsanalog“. 2 Die Co-Mediation macht auch einen Einsatz weiterer systemischer Werkzeuge möglich, wie das „Reflecting Team“ und das „Splitting Team“, vgl. von Schlippe/Schweitzer, 83; zum Reflecting Team auch Schmitz, 121. 3 Auch Ehepaare als Mediatoren „wirken“ anders, Beispiel das Mediatoren-Ehepaar Mählers. 4 Wimmer/Simon in Kleve/Köllner, 163; Hilker, Familiendynamik 2001, 338 (345); Neuvians, 39. 5 Vgl. auch Fabis, 1: „So etwas gibt es bei uns nicht.“ 6 Simon/Wimmer/Groth, 166: „... eine höllische Angst vor Streit zu beobachten, die zu einer Art Harmoniezwang zu führen scheint.“ 7 Kormann, Zusammenhalt der Unternehmerfamilie, 391; s. auch Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 84: „Alle damit verbundenen Fragen können im Prinzip thematisiert werden (was, wie die Erfahrung zeigt, aus Angst, die familiäre Harmonie zu gefährden, meist noch zu wenig getan wird).“ 8 Diez/Krabbe/Engler, 63.

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D. Die mediative Familienverfassung | Rz. 17.184 Kap. 17

sonen und Tabuthemen und den Umgang mit Unterschieden oder Ambivalenzen1 in den Vordergrund zu stellen, sondern die Findung von Gemeinsamkeiten2 und die Erörterung von Sachthemen. Dies ist dann hochprozentige Nahrung für die Konsensfiktion. Der unbewusste Wille zur Aufrechterhaltung der Konsensfiktion führt indes dazu, dass kurz aufflammende Aktualkonflikte nicht bearbeitet werden. Es entsteht eine Tabuisierung3 von bestimmten Themen und eine Kommunikationsverknappung.4 „Dabei bezieht sich die Verknappung nicht auf den Umfang der Kommunikation insgesamt, sondern meint die fehlende Zeit, in der die Familienmitglieder ihre Belange besprechen können“.5 Die Inhalte, die im Rahmen der „enthemmten“ Kommunikation besprochen werden können, kommen auf diese Weise zu kurz.6 Gleichzeitig sorgt das Familienunternehmen „in der Familie beinahe täglich für einen Problemimport, der familienintern die Aufmerksamkeit auf die genuinen Familienthemen erheblich begrenzt.“7

17.183

b) Verrechnungsnotstände Die Ursachen der fortschreitenden Kommunikationsverknappung können auch in schlummernden Verrechnungsnotständen liegen. In den nahen Beziehungen der Familienmitglieder werden nach Stierlin8 jeweils Verdienst und Schuldigkeit, Geben und Nehmen über die Zeit verrechnet. Die Familienmitglieder führen also unbewusst Buch, wer etwas erhalten hat und wer zu wenig oder mehr gegeben hat.9 Und auch wenn die Familienmitglieder nach Jahren nicht mehr genau die einzelnen Vorgänge schildern können, wissen sie doch stets genau den aktuellen Saldo des Verrechnungskontos bezogen auf ein bestimmtes Familienmitglied. Wenn nun nach der subjektiven Wahrheit eines Familienmitgliedes ein anderes Familienmitglied viel mehr bekommen hat und ein Ausgleich nicht stattfindet, kann ein Verrechnungsnotstand entstehen10 oder eine Systemgesetzverletzung nach Bishop11 vorliegen, die zunächst „geheilt“ werden muss. „Dieser (der Verrechnungsnotstand) geht dann typischerweise mit Gefühlen von Ausgebeutet sein, von In-der-Falle-sitzen, von Frustration, Wut, Trotz, ja Verzweiflung und Racheverlangen einher. Oft verbindet sich damit aber auch das Gefühl, ja das sichere innere Wissen, zu einer Wiedergutmachung, zu einem Kontenausgleich berechtigt zu sein, der, wenn schon nicht von den betroffenen Beziehungspartnern selbst, von anderer Seite – und sei dies von der Seite Gottes oder von der Seite des Schicksals – eingeklagt werden kann: so oder so muss einfach der Gerechtigkeitsausgleich kommen.“12

1 Leiß in Kleve/Köllner, 169 (173): „Ambivalenzen werden trotz hohen Leidensdrucks nicht besprochen.“ 2 Neumueller, 58. 3 Wimmer/Simon in Kleve/Köllner, 164: „Konfliktverbote“; Hilker, Familiendynamik 2001, 338 (344). 4 Wimmer/Simon in Kleve/Köllner, 156, 163; Neuvians, 38. 5 Neuvians, 38. 6 Neuvians, 38; Simon/Wimmer/Groth, 166; Kalss in FS Binz, 2014, 342 (350 ff.). 7 Wimmer/Simon in Kleve/Köllner, 158. 8 Stierlin, 46; Rüsen/von Schlippe/Kleve in Kleve/Köllner, 225 (258). 9 Das Modell der inneren Buchführung und des Kontenausgleichs geht zurück auf Ivan Boszormenyi-Nagi/Geraldine M. Spark, Invisible Loyalties, 1973 by Harper & Row, New York. 10 Diez/Krabbe/Engler, 68 ff. 11 Bishop, 21. 12 Stierlin, 46.

Born | 1167

17.184

Kap. 17 Rz. 17.184 | Mediation für Familienunternehmen

Nach Stierlin1 zeigen sich viele Eltern und auch Großeltern hier als innovative Gründerpersönlichkeiten. „Ihr Lebenswerk, ja ihr Lebenssinn bestand darin, das Unternehmen zum Blühen zu bringen und an ihre Kinder weiterzugeben. An deren Loyalität appellierend und mit deren Interesse und Dankbarkeit rechnend, delegierten sie diese zur Fortsetzung ihres Lebenswerkes. Aber diese hatten andere Interessen und andere Vorstellungen von Selbstverwirklichung, dies oft auch dank einer Partnerin, deren Grundwerte und Erwartungen in andere Richtungen wiesen. Somit waren Konflikte vorgebahnt, die das Familienklima vergifteten und in einer Reihe mir bekannter Fälle auch Rechtsanwälte und Gerichte über Jahre beschäftigten. Aber auch wenn es schließlich zu einem „Einlenken“ und zur Übernahme des Betriebes durch die Kinder kam, lebten Konflikte fort. Denn die Prämissen und Regeln, nach denen Konten verrechnet wurden, verfilzten sich zu einem immer weniger durchschaubaren Gemenge: (...) Und solche Vermengung der Prämissen und Regeln blieb dann dazu angetan, Konflikte sowohl zu erzeugen als auch zu verdecken und im Familienuntergrund weiterschwelen zu lassen. So entsteht „eine explosive Mischung von unvereinbaren Regeln, Gerechtigkeitsprämissen wie auch Loyalitätsbindungen und Delegationen.“ c) Desynchronisationserscheinungen

17.185

Eine weitere Ursache für die Kommunikationsverknappung kann im sozialen Wandel liegen. Der „Rohstoff Zeit“ wird nach Rosa2 gefühlsmäßig immer knapper. Das Gefühl, das alles, was dauert, „zu lange dauert, zu viel Zeit verbraucht“, und dass wir „immer schneller laufen müssen, nur um unsere Position zu halten“ und „auf dem Laufenden zu bleiben“, gehört zur Grundbefindlichkeit der Moderne.3 Akute Zeitnot ist demnach ein Dauerzustand moderner Gesellschaften. Die Ursache für das Gefühl der permanenten Zeitknappheit liegt nicht etwa in dem technischen Wandel und der technischen Beschleunigung und auch nicht im sozialen Wandel, sondern in unserem Lebenstempo. Wir versuchen die Zahl der Handlungs- und Erlebnisepisoden pro Zeiteinheit zu erhöhen, indem wir „schneller machen“, mehr Dinge am Tag erledigen, oder Pausen und Wartezeiten abschaffen oder mehr Dinge gleichzeitig erledigen. Wir stoßen aber an Grenzen und den Beschleunigungstendenzen stehen Beharrungskategorien gegenüber (z.B. natürliche Geschwindigkeitsgrenzen, Entschleunigungsinseln, Verlangsamung als unbeabsichtigte Nebenfolge (Stau), etc.).

17.186

Beachtenswert sind dabei die Desynchronisationserscheinungen, die auftreten, wo temporeiche Vorgänge auf „rückständige“ Systeme treffen. Der Eindruck von Verzögerung entsteht überall dort, wo unterschiedliche Geschwindigkeiten aufeinandertreffen. Dies kann auch bei den Subsystemen Familie und Unternehmen und den jeweiligen Akteuren passieren. Während sich das Unternehmen permanent wandelt und wandeln muss und sein Lebenstempo in vielen Bereichen (Produktion, Kommunikation, Führung, etc.) erhöht,4 könnte die Familie ein höheres Beharrungsvermögen besitzen. In dem Subsystem Familie mit Werten wie Tradition stehen Veränderungen nicht gerade auf der Tagesordnung. Es gilt eher der Satz: „Das haben wir bei uns in der Familie schon immer so gemacht.“ Auch der Wechsel von Generation zu Generation ist ein „relativ gemächlicher Veränderungsrhytmus der Familie.“5 In Familienunternehmen treffen daher zwei Typen sozialer Systeme mit sehr unterschiedlichen 1 2 3 4

Stierlin, 50. Rosa, Psyche – Z Psychonal 65, 2011, 1041 (1042). Rosa, Psyche – Z Psychonal 65, 2011, 1041 (1042). Hueck, 168: „in besonderer Weise von Schnelllebigkeit geprägt“; Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 105. 5 Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 104.

1168 | Born

D. Die mediative Familienverfassung | Rz. 17.189 Kap. 17

Wandlungsnotwendigkeiten und -geschwindigkeiten aufeinander.1 Das Subsystem Familie könnte damit das Subsystem Unternehmen verlangsamen. Dies kann wiederum auch der Einzelne in seiner Rollenvielfalt erleben. So könnte also der junge Sohn als Nachfolger in seiner Rolle als geschäftsführender Gesellschafter mit einem hohen Lebenstempo das Gefühl haben, dass in der Familie alles zu langsam geht, zu mühselig, zu kompliziert und zu schwierig ist und die Gespräche zu lange dauern. Der Unternehmer in ihm mag sich daher in der Familie eher verlangsamt und gebremst fühlen. Gespräche mit Familienmitgliedern über emotionale Themen, die keiner „schnellen“ Lösung zuzuführen sind, werden als „langsam“ und „anstrengend“ empfunden und man ist „schnell“ genervt, weil es nicht vorangeht. Brechen gar Konflikte aus, kommt man mit dem hohen Lebenstempo im Unternehmen aus dem Tritt. Man wird entschleunigt und es könnte die Leistungsfähigkeit beeinträchtigt werden. Wir wissen aber, dass Verlangsamungsstrategien bisweilen unhintergehbare Voraussetzungen für die weitere Beschleunigung sind!2 Die Erarbeitung einer im Gesamtsystem wirkenden mediativen Familienverfassung durch die Familie kann daher als notwendige Entschleunigung verstanden werden, um im Subsystem Unternehmen zu beschleunigen. Da die Mediation selbst ein Verfahren der Entschleunigung ist, kann sie strategisch eingesetzt werden und diese Verlangsamung bewirken, sofern sie als Prozess für die Erarbeitung einer Familienverfassung eingesetzt wird.

17.187

d) Zuckerguss-Familienverfassung Die Angst vor einem „schädlichen“ Konflikt mag damit zwar in jedem zweiten Fall eine Motivation für die Erarbeitung einer Familienverfassung als Konfliktpräventionsmaßnahme sein. Die Konsensfiktion wird jedoch trotz des Bestehens von Verrechnungsnotständen u.U. verhindern, dass im Rahmen der Erarbeitung einer Familienverfassung überhaupt konfliktträchtige Themen besprochen werden! So erleben wir in der Praxis bei der Bearbeitung eines der Familienverfassung zeitlich nachgelagerten Aktualkonfliktes3 des Öfteren, dass eine bereits vorhandene, aber von der Konsensfiktion geborene „Zuckerguss-Familienverfassung“ vorliegt, die die Tabuisierung perpetuiert hat und lediglich versuchte, Gemeinsamkeiten festzuschreiben, statt Unterschiede zu betonen oder Verrechnungsnotstände zu thematisieren.4 Es verwundert nicht, dass derartige Familienverfassungen zu keiner höheren Bindungswirkung und Zufriedenheit in der Rolle als Gesellschafter führen.

17.188

Derartige „Zuckerguss-Familienverfassungen“5 kommen vor allem zustande, wenn Familienverfassungen gleich einem Gesellschaftsvertrag von Dritten „entworfen werden“ oder das Arbeiten mit Emotionen und Bedürfnissen nicht vorkommt und die Beteiligten stets versuchen, von der Beziehungsebene auf die vertraute Sachebene6 zu kommen, um den schwan-

17.189

1 Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 105. 2 Rosa, Psyche – Z Psychonal 65, 2011, 1041 (1050). 3 Zahlreiche Szenarien der Nichtbeachtung der Familienverfassung und des Konfliktausbruchs bei Hueck, 225 ff. 4 Vgl. z.B. die bei Hueck, 6 abgebildete fiktive juristisch geprägte Familienverfassung, die aber im Wesentlichen aus abstrakten Werten und dem Gesellschaftsvertrag entlehnten Themen besteht; unterschiedliche Bedürfnisse der einzelnen Familienmitglieder fehlen und sollen auch durch den Satz „Firma geht vor Familie“ nicht behandelt werden; vgl. auch May im Handelsblatt, 23.1.2017, Nr. 16, 22, Marktplatz Anja Müller, der von einer „Blümchenverfassung“ spricht. 5 Born in Handbuch Familienunternehmen, Rz. 55. 6 So Baus, 43: „Kontrovers sachgerecht zu verhandeln“.

Born | 1169

Kap. 17 Rz. 17.189 | Mediation für Familienunternehmen

kenden Grund der Emotionalität zu verlassen. So liest man, dass Emotionen „gebannt“, „verdrängt, und „Konflikte vermieden“ werden müssen. Nach Baus1 richtet die Familienstrategie den Blick z.B. nicht auf die Personen, sondern konzentriert sich pragmatisch auf die Strukturen, die für den Erhalt von Unternehmen und Vermögen wichtig sind. Dieses überkommene Denken ist jedoch gerade bei Familienunternehmen unbehilflich und höchst gefährlich. Ein Praxisbeispiel mag dies illustrieren. Eine Unternehmerfamilie teilte uns mit, sie habe ein Muster einer Familienverfassung übernommen und „verabschiedet“. Darin enthalten war die Vereinbarung, einen Familientag abzuhalten, der laut Wortlaut „der Entfremdung entgegenwirken“ sollte. Die Verwendung dieses Begriffs ist Übrigen ein typisches Indiz dafür, dass nicht mediativ gearbeitet wurde. In der Mediation werden die „negativ“ besetzten Begriffe nicht festgehalten, sondern in positive zukunftsorientierte Bedürfnisse transformiert, hier also „Zusammengehörigkeitsgefühl“. Wer „Angst“ hat, will nicht verhandeln, wie er keine Angst mehr hat, sondern was er braucht, um mehr „Sicherheit“ zu erlangen. Auf dem ersten Familientag kam es zu einem heftigen Streit, der auch die in der Familienverfassung vereinbarten Werte und daraus abgeleiteten Verhaltensweisen („Wir akzeptieren andere Standpunkte, hören einander aktiv zu, lassen den anderen ausreden, behandeln einander respektvoll und beleidigen einander nicht.“) schmerzlich vermissen ließ. Daraufhin entschied der Patriarch, dass der Familientag aufgrund des Konfliktpotentials gestrichen wird. Der Prozess der Erarbeitung jener Familienverfassung war dadurch geprägt, dass versucht wurde, auf der Sachebene zu bleiben und Gemeinsamkeiten zu finden. Tabuthemen und Konflikte wurden nicht bearbeitet, sie schwelten daher auch nach der Fertigstellung der Familienverfassung „unter dem Teppich“ weiter und brachen bei dem nächsten größeren Zusammentreffen aus. Nach Rosner/Winheller2 lässt sich „in der Praxis (...) die Erfahrung machen, dass dort, wo die Beteiligten nicht dazu willens oder in der Lage sind, aus der Vergangenheit stammende Verletzungen und Beziehungsstörungen „aufzuarbeiten“, die Wahrscheinlichkeit einer tragfähigen Einigung deutlich geringer wird – oder die in der Verhandlung gefundene scheinbare „sachliche“ Lösung dann spätestens in der Umsetzung scheitert, weil der Vertrauensverlust zwischen den Verhandlungsparteien oder andere hindernde Gefühlszustände nach wie vor wirksam sind“. Dies zeigt den Weg zu den Verrechnungsnotständen oder den nach Bishop3 genannten „Systemgesetzverletzungen“. Es kann hilfreich sein, solche Systemgesetzverletzungen oder Verrechnungsnotstände anzusprechen, wenn die Chance besteht, dass eine „Entschuldigung“ ausgesprochen werden kann, die wiederum nicht unbedingt angenommen werden muss.4 Sofern diese Verletzungen nicht „geheilt“ werden können und man sich selbst auch nicht verordnen kann „anders zu fühlen“, hilft manchmal der Gedanke, den erdachten Dingen oder Handlungen einen anderen Bedeutungsinhalt zu geben (z.B. „Für meinen Bruder würde ich dies nicht tun, es hilft aber meinen Kindern bei ihrem zukünftigen Weg im Familienunternehmen.“).

17.190

Mediative Familienverfassungen bieten der Familie damit die Möglichkeit, den potenziellen Konflikt im Sinne von de Bono als Chance und Ressource zu begreifen und konsensual Lösungen mediativ zu verhandeln. Hierzu besteht keine sinnvolle Alternative. Daher müssen zwangsläufig alle Familienverfassungen mit der Aufgabe der Konfliktprävention scheitern, die 1 2 3 4

Baus, 46. Vgl. auch Rosner/Winheller, 302. Bishop, 21. Zum „richtigen“ entschuldigen vgl. auch Bishop, 70 ff.

1170 | Born

D. Die mediative Familienverfassung | Rz. 17.193 Kap. 17

„abgeschrieben“ oder nur mit „Sachargumenten“ oder „juristischen Denkschablonen“ entworfen wurden. Gleiches gilt, sofern nur ein einzelnes Familienmitglied (entweder das Familienoberhaupt oder ein Mitglied der nächsten Generation) oder ein „Familienausschuss“ oder ein „Gesellschaftergremium“ eine Verfassung formuliert oder Musterformulierungen1 übernimmt, die sich plausibel anhören und die dann lediglich im Kreis der Familie „besprochen“ oder „abgenickt“ werden. Das mediative Konzept zur Erarbeitung einer Familienverfassung unterscheidet sich daher fundamental von der üblicherweise empfohlenen Vorgehensweise des „Auffindens von Gemeinsamkeiten“,2 bei der die Chance vertan wird, Raum zu geben, für ein wechselseitiges Verstehen und Anerkennen der unterschiedlichen Anliegen und Bedürfnisse der einzelnen Familienmitglieder und der Subsysteme. Zukunft braucht keine Gemeinsamkeiten, sondern eine konsensuale Übereinkunft, wie mit Unterschieden umgegangen wird.3

17.191

3. Arbeitsbündnis Die Konsensfiktion steht damit der Erarbeitung einer Familienverfassung mit einem evolutionären4 Mediationsprozess nicht entgegen. Da kein Aktualkonflikt besteht, ist die Familie auch in der Wahl der „Methode“ unvoreingenommen. Intuitiv wissen sie aber sehr wohl, dass es besser sein kann, ein wechselseitiges Verstehen der Bedürfnisse zu erreichen, bevor über Lösungen verhandelt wird.

17.192

In einer Vorlaufphase muss das Setting besprochen werden. Die Settings können auch in Abhängigkeit von einem Thema während des Prozesses verändert werden oder sofern in Bezug auf die Fortführung Ambivalenzen oder Polyvalenzen5 festgestellt werden. In einer Unternehmerfamilie stellte sich z.B. erst in der dritten Sitzung eine Ambivalenz bezüglich der Firmenfortführung heraus; einige konnten die Entscheidung noch nicht treffen, ob verkauft oder fortgeführt werden soll; wir haben das Setting geändert und die Gründer von den zukünftigen Gesellschaftern getrennt. Die Gruppe der Gründer einigte sich in einem eigenen Mediationsprozess darauf, dass ein Gesellschafter ausscheidet. Dies verkleinerte auch die andere Gruppe und es konnte eine Entscheidung für die Fortführung als gemeinsames Ziel getroffen werden. Im besten Fall werden alle dem Kreis der Familie zuzurechnenden Mitglieder6 – ggf. auch Minderjährige – eingeladen.7 Um einen Mehrwert zu erzielen, müssen aber zwingend mehr

17.193

1 Kirchdörfer/Lorz, FuS 2011, 97 (104): „Ähnliche Schwierigkeiten können dann auftreten, wenn konkret bestehende Divergenzen bei der Erstellung der Familienverfassung keiner Klärung zugeführt, sondern nur oberflächlich behandelt oder nur formal durch Schlagworte, Leerformeln oder Formelkompromisse kaschiert werden.“; z.B. sehr ausführliche Formulierungsvorschläge mit konkreten Handlungs- und Verhaltensabsprachen bei Mutter, 14. 2 Vgl. statt vieler Baus, 48 (49): „Die Familie hat in der Familienstrategie die Chance, sich die Gemeinsamkeiten wieder zu erarbeiten. Aber mit zunehmender Zersplitterung und Entfremdung in einer Unternehmerfamilie wird es längere Zeit brauchen, diese Gemeinsamkeiten zu finden.“ 3 Anders Baus, 46, die versucht den „materiellen Bezugspunkt“ einer „Emotion“ in den Vordergrund zu stellen, z.B. Erhalt des Familienvermögens, was als „Interesse“ mit Sachbezug verstanden werden kann. Sodann heißt es: „Über Interessen, die hinter den Emotionen stehen, (...) ist eine sachliche Verständigung möglich, über Emotionen nicht.“; ähnlich Neumueller, 57 ff. 4 Lubinski, 171 m.w.N., 223: „Lang andauernder evolutionärer Prozess“. 5 Diez/Krabbe/Engler, 63. 6 Kirchdörfer/Breyer, FuS Sonderheft 2014, 13 (21); Schmeing, 338: „alle Familienmitglieder“; Neumueller, 201. 7 So auch Fritsch in Beckervordersandfort, 277 (287).

Born | 1171

Kap. 17 Rz. 17.193 | Mediation für Familienunternehmen

Personen teilnehmen, als nur die Gesellschafter, also zumindest die Ehepartner der Gesellschafter.1 Sind Anteilsschenkungen geplant, sollten auch die zukünftigen Gesellschafter und deren (zukünftige) Ehepartner einbezogen werden.

17.194

Die erste Aufgabe besteht darin, dass die Familie in der Schrittfolge der Mediation ihr Arbeitsbündnis schließt. Es werden Gesprächsregeln mediativ verhandelt. Dabei wird es auch darauf ankommen, begreifbar und erlebbar zu machen, wie Kommunikation verstanden und richtig praktiziert wird.2 Das Senden allein ist nicht ausreichend, der Empfänger muss die Botschaft nicht nur empfangen, sondern auch mit seinem vom Sender gemeinten Bedeutungsinhalt „auspacken“. Macht er das nicht oder packt er einen anderen Bedeutungsinhalt aus, als der Sender gemeint hat, entsteht ein Missverständnis. Die Anzahl der Teilnehmer ist nicht begrenzt,3 da die Mediation keine Begrenzung kennt.4 Bei einer größeren Teilnehmerzahl, z.B. 60 Familienmitglieder, ist es hilfreich, dass Sprecher gewählt werden, die in einem inneren Kreis sitzen, während die anderen im äußeren Kreis sitzen oder dass die Familienmitglieder je nach Thema in einer fishbone-Anordnung sitzen oder dass parallel in mehreren Räumen (mit jeweils einem Co-Mediator) gearbeitet wird und die Gruppensprecher die Ergebnisse im Plenum vorstellen, etc. Es ist auch denkbar das Setting an die „Drei-Kreise“ anzugleichen. So könnten beispielsweise nur die tätigen Familienmitglieder mit einem Mediator in einem inneren Kreis arbeiten, während die anderen nicht tätigen Familienmitglieder oder Gesellschafter mit dem Co-Mediator außerhalb des Kreises gesetzt werden.5

4. Die Rolle des Rechts 17.195

Wenn wir eine Familie mediativ dabei unterstützen, eine Familienverfassung zu erarbeiten, kann nicht gesagt werden, wohin die Reise geht. Damit ist der Prozess, wie die Mediation selbst, ergebnisoffen. Wir fragen: „Was möchten sie in ihrer Familienverfassung lesen?“ Die dann genannten Themen betreffen in der Regel alle Subsysteme, unabhängig davon, ob sie in einem oder mehreren rechtlichen Regelwerken bereits abgehandelt sind. Aktuell mag auch dieses oder jenes Thema für ein Familienmitglied „oben auf“ liegen und es besteht – vielleicht zum ersten Mal überhaupt – die Möglichkeit, dieses Thema im Familienkreis zu besprechen und eine faire und gerechte konsensuale Lösung zu finden. Dann können die Grundsätze der Kurz-Zeit-Mediation in den Prozess der Erarbeitung der Familienverfassung integriert werden.

17.196

Wie dargelegt spielt das Recht in Familienunternehmen eine besondere Rolle und auch die Erarbeitung einer Familienverfassung muss zwingend im Licht des Rechts stattfinden.

17.197

Das Gesetz und die Rechtsgeschäfte des Gesamtsystems können damit auch hier als Angebot einer Lösung betrachtet werden. Sich darüber zu informieren bedeutet demnach auch hier, Informationsungleichgewichte zu beseitigen, die Selbstbestimmung zu stärken (Window I) und schließlich, die Handlungsvarietät zu erhöhen. Das Gesetz und die Regelwerke des Ge1 So auch zutreffend Baus, 48. 2 Vgl. grundlegend Schulz von Thun, Miteinander reden: 1, 68: „Was ist das Grüne in der Soße? – Mein Gott, wenn es dir hier nicht schmeckt, kannst du ja woanders essen gehen!“; vgl. auch Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 13. 3 Steffek in Greger/Unberath/Steffek, § 1 Rz. 68; a.A. Hueck, 11: „zwanzig nicht übersteigen“. 4 Vgl. zur Mediation in einem Orchester mit 126 Musikern Krabbe/Kutz, ZKM 2017, 111 ff.; Krummenacher in Knapp, 231: „Praktische Erfahrungen liegen für Gruppen bis 2.000 Personen vor.“ 5 Keydel in Knapp, 205 (207) mit Hinweisen zum Ablauf des „Fishbowl I“.

1172 | Born

D. Die mediative Familienverfassung | Rz. 17.202 Kap. 17

samtsystems übernehmen eine Ordnungsfunktion und eine Auffangfunktion, sofern die Familienmitglieder keine anderen Lösungen verhandeln. Die Rechtsgeschäfte des Gesamtsystems werden damit auch im Prozess der Erarbeitung einer Familienverfassung nicht angewandt, sondern verwendet. Andererseits kann jedes Familienmitglied an den Regelwerken des Gesamtsystems prüfen und würdigen, inwieweit es selbst oder die anderen Rechtspositionen aufgeben. Vor einer rechtsverbindlichen Vereinbarung der Familienverfassung ist daher eine jeweils themenbezogene Bestandsaufnahme der Rechtsgeschäfte des Gesamtsystems und des geltenden Rechts notwendig,1 da jeder – unter Umständen auch nach einer externen rechtlichen Beratung – wissen muss, auf welche rechtlichen Ansprüche er gegebenenfalls verzichtet und was er stattdessen gewinnt. Solange dies nicht klar ist, ist auch die Familienverfassung als informierter Konsens nicht tragfähig.

17.198

Das Mediieren der Rolle, die die Familienmitglieder den Regelwerken des Gesamtsystems oder auch der gesetzlichen Regelung zukommen lassen wollen, ist damit unabdingbar. Alle Familienmitglieder, wenn auch in unterschiedlichen Rollen, sind präsent und haben die Macht, im Rahmen der Privatautonomie „ihr gesetztes Recht“ zu erhalten oder unmittelbar oder im Weg eines Umsetzungsauftrags abzuändern.

17.199

Die an die Familie gerichtete Frage lautet daher, ob jeder bereit ist, unter Umständen alle bestehenden rechtlichen Regelwerke als bisher vereinbartes Recht abzuändern, soweit und sofern sie hier zu einem bestimmten Thema eine konsensuale Lösung mediativ verhandeln, die in den bestehenden Rechtsgeschäften des Gesamtsystems bislang anders gelöst worden ist. Wird diese Frage von jedem bejaht, ist mithin das Ziel der Familie, ein rechtlich verbindliches Regelwerk zu schaffen.

17.200

Möchten Familienmitglieder bestehende Rechtsgeschäfte des Gesamtsystems nicht „antasten“, weil sie andernfalls befürchten, schlafende Konflikte zu wecken oder weil sie für sie günstige Positionen nicht aufgeben möchten, werden sie die Familienverfassung als bloße Absichtserklärung formulieren oder insgeheim die Absprachen nur zum Schein treffen. Dann ist es der Familienverfassung aber anfänglich unmöglich, den Leistungserfolg zu erbringen und sie ist bezogen auf einen Konflikt, der in den nachgelagerten Rechtsgeschäften bereits angelegt ist, sinnlos.2 Gerade die verschiedenen Gerechtigkeitsvorstellungen der Familienmitglieder können daher eine „heikle Klippe“3 des mediativen Prozesses darstellen.

17.201

Diejenigen, die die Familienverfassung abseits des Rechts positionieren wollen, erkennen zwar die Notwendigkeit einer Bestandsaufnahme der materiellen Regelwerke des Gesamtsystems;4 diese dienen ihnen jedoch nur als Marker der möglichen Konfliktfelder. Sie sollen nur „Aufschluss über die Verhältnisse in Familie und Unternehmen geben“.5 Hierbei wird die tiefere Bedeutung dieser Rechtsgeschäfte als Vorschlag einer Konfliktlösung verkannt, von dem man vielleicht abweichen möchte.

17.202

1 So zutreffend Mutter, 2 ff.; vgl. auch Baus, 48: „Diese Daten bilden die Grundlage für die Arbeitstreffen. Sie dauern in der Regel einen Tag.“ 2 Gibhardt/Blusz, Deutscher AnwaltSpiegel Spezial Private Clients 2010, 5. 3 Diez, 128. 4 Baus, 48; Neumueller, 56: „Inventur der Familie“. 5 Baus, 48.

Born | 1173

Kap. 17 Rz. 17.203 | Mediation für Familienunternehmen

5. Maßstäbe für Fairness und Gerechtigkeit 17.203

Die Bereitschaft der Familienmitglieder, bestehende Rechtsgeschäfte der Subsysteme zu ändern, setzt zwingend voraus, dass jeder seine eigenen Kriterien und Maßstäbe für seine Fairness und Gerechtigkeit erarbeiten kann.1 So versteht jeder unter Gerechtigkeit etwas Verschiedenes und der Mediator muss von der objektiven Gerechtigkeit Abstand nehmen.2 Das müssen die Familienmitglieder auch, sofern sie ihre Rechtsgeschäfte in den Subsystemen als objektiv gerecht ansehen. Das vorhandene Recht (z.B. die Eheverträge oder der Gesellschaftsvertrag), von dem man ja u.U. abweichen will, ist daher als einzige Fairnesskontrolle ungeeignet. Dem Gedanken, derartige Eingriffe in bestehende Regelwerke vorzunehmen, werden die Familienmitglieder aber nur dann zustimmen, wenn ihre eigene Gerechtigkeit einen Platz bekommt. Sie müssen also jeweils eigene Maßstäbe finden, anhand derer sie die in der Familienverfassung beschlossenen Vereinbarungen überprüfen können, ob sie diese als gerecht empfinden und ob sie die Vereinbarungen mit gutem Gewissen und mit guten Gefühlen unterschreiben können.3 Dabei hat die wahrgenommene Fairness des Verfahrens (Verfahrensgerechtigkeit) einen großen Einfluss auf eben dieses subjektive Fairnessempfinden. Nach Rosner/Winheller4 zeigen „Studien, dass diese Fairness des Verfahrens genauso wichtig ist, wie die Substanz des eigentlichen Ergebnisses. Bei wahrgenommener Verfahrensfairness akzeptieren Menschen durchaus auch ein Ergebnis, das ungünstiger als erwartet ausfällt.“

6. Familieninteresse 17.204

Ist das Arbeitsbündnis geschlossen und die Entscheidung für eine rechtsverbindliche Familienverfassung gefallen, müssen die Familienmitglieder klären, ob sie als Unternehmerfamilie ein gemeinsames Ziel finden.5 Nicht immer kann indes zu Beginn des Prozesses die Entscheidung für ein gemeinsames Ziel getroffen werden. Da wir bei der Erarbeitung einer Familienverfassung keine Konfliktsituation vorfinden, muss der Mediator darauf achten, ob eine Ambivalenz-Phase6 vorliegt, die typischerweise in Beziehungsmediationen anzutreffen ist („Trennen wir uns oder führen wir die Beziehung – verändert – fort“). In Bezug auf die Unternehmerfamilie kann dies bedeuten, dass der Zeitpunkt für die Entscheidung, das Familienunternehmen fortzuführen oder z.B. zu verkaufen, noch nicht reif ist. Verfehlt wäre es nun, den Prozess abzubrechen. Der Mediator braucht Geduld, Toleranz und Durchhaltevermögen und er sollte mehr Gewicht auf die Strukturierung des Prozesses legen.7 Es kann hilfreich sein, das Setting zu ändern und eine Mehrwege-Mediation durchzuführen.8 Nach Diez/Krabbe/Engler9 sollten Mediatoren in diesen Mediationen die „Rolle des Rechts“ erst ganz am Schluss erarbeiten, um nicht eine Seite der Ambivalenz zu verstärken.

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Diez, 126. Diez/Krabbe/Engler, 70. Diez, 126. Rosner/Winheller, 106. Lüke, Wirtschaft – Das IHK-Magazin für München und Oberbayern – 03/2013, 56 (57); so auch Neumueller, 59 ff. Diez/Krabbe/Engler, 63. Diez/Krabbe/Engler, 63 f. Diez/Krabbe/Engler, 65. Diez/Krabbe/Engler, 65.

1174 | Born

D. Die mediative Familienverfassung | Rz. 17.208 Kap. 17

Sofern ein übergeordnetes gemeinsames Ziel mediativ verhandelt ist, müssen sich die Familienmitglieder darauf verständigen, wie sie jeweils für sich ihre unterschiedlichen Ziele, ihre unterschiedlichen Rollen und ihre unterschiedlichen Werte1 definieren (Window I) und ob dies von den anderen jeweils akzeptiert wird (Window II) und was dies für jeden Einzelnen im Alltag (verstanden als eine von einem Dritten erkennbare Handlungsanweisung) bedeutet. Wird z.B. „offene Kommunikation“ als Wert nur vereinbart, bleibt dieser Wert inhaltsleer. Der Mediator würde weiter fragen, woran die Familienmitglieder in Zukunft im Alltag erkennen könnten, dass die Kommunikation offen geführt wird. Er könnte auch fragen, was sich verändern müsste, damit die Kommunikation zukünftig mit Sicherheit nicht mehr offen geführt wird. Die aus der Umkehrmethode entnommenen konkreten Beispiele lassen sich in positive Beispiele umformulieren und in den Alltag integrieren. Schließlich kann auch die Wunderfrage2 hilfreich sein und zu guten Ergebnissen führen.

17.205

Sodann muss der Inhalt des Familieninteresses bezogen auf das gemeinsame Ziel erarbeitet werden. Die Familienverfassung soll am Ende nur Lösungen beinhalten, die von allen Familienmitgliedern mitgetragen werden, die also im Interesse aller Familienmitglieder, dem sog. Familieninteresse liegen.3 Der Begriff des Familieninteresses ist dabei i.S.d. Mediation zu verstehen; es ist gleichbedeutend mit der „wechselseitigen bedürfnisorientierten Zieldefinition“.4 Dieses Familieninteresse ist damit mehr als die Summe der Individualinteressen der einzelnen Familienmitglieder, nämlich ein übergeordnetes Gebilde, eine suprafamiliäre Definition, in der sich jedes Familienmitglied mit seinen persönlichen Anliegen und Bedürfnissen bezogen auf ein gemeinsames Ziel wiederfinden sollte.

17.206

Das so verstandene Familieninteresse ist mithin der Nukleus aller Regelungen, die sich eine Unternehmerfamilie im Hinblick auf das Gesamtsystem geben kann. Das Erforschen der Bedürfnisse der einzelnen Familienmitglieder und die Akzeptanz der persönlichen Anliegen durch die anderen ist entscheidend. Denn der wechselseitige Blick auf die persönlichen Anliegen und Bedürfnisse schafft eine Basis des gemeinsamen und wechselseitigen Verstehens und Vertrauens der Familienmitglieder. Wie bereits dargelegt sind Bedürfnisse für Familienmitglieder indes nicht ohne weiteres erkennbar. Diese müssen für alle sichtbar gemacht werden. Nur wenn wir den Blick von unterschiedlichen Perspektiven auf die Bedürfnisse richten, können wir ein besseres wechselseitiges Verstehen erreichen und Räume für bislang unerkannte Lösungen öffnen.

17.207

Ein mediativ erarbeitetes Familieninteresse5 einer Unternehmerfamilie lautet z.B.:

17.208

Im Zusammenhang mit der Fortführung unseres

Familienunternehmens6

– ist es uns wichtig, die Tradition fortzusetzen, weil uns dies Vertrauen in die eigene Stärke und ein Gefühl gibt, dass wir nicht allein sind, – ist es uns wichtig, ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu erleben, 1 Richtig Fritsch in Beckervordersandfort, 277 (290), die aus gemeinsamen Zielen Werte ableitet. 2 Mecke in Haynes/Mecke/Bastine/Fong, 278 (308); Schmitz, 24 (73). 3 Vgl. auch Lubinski, 190: „Gerade in Familienunternehmen müssen Regelungen für die Führungsnachfolge nicht nur für das Unternehmen günstig sein, sondern auch die Bedürfnisse der Familie bestmöglich befriedigen“; ähnlich Mutter, 14; Kalss/Probst, Familienunternehmen, 3. Kap., Rz. 2. 4 Bastine in Haynes/Mecke/Bastine/Fong, 11 (35 ff.) 5 Für eine jährliche Überprüfung auch Familie Weidmüller, zit. nach Schween/Koeberle-Schmid/ Bartels/Hack, 38 f. 6 Dem ging der mediative Prozess voraus, dass dies die wechselseitige bedürfnisorientierte Zieldefinition aller Familienmitglieder ist.

Born | 1175

Kap. 17 Rz. 17.208 | Mediation für Familienunternehmen

– ist es uns wichtig, Tätigkeiten zu verrichten, die uns zufrieden machen, – ist es uns wichtig, unseren Kindern und deren Partnern eine Zukunft zu geben, in der sie Zufriedenheit erfahren können, – ist es uns wichtig, gut aufgenommen und akzeptiert zu werden und einen guten Einstieg in unser Familienunternehmen zu erhalten, – ist es uns wichtig, von anderen Unterstützung zu erfahren. Dies ist kein „Mustertext“. Es ist also nicht hilfreich diesen Text zu übernehmen. Die konkrete Familie hatte sich diesen Konsens hart und mediativ unter „Tränen“ erarbeitet. Die konkreten Handlungen, die das Familieninteresse im Alltag zum Leben erwecken, wurden in einem von der Familienverfassung abgekoppelten Umsetzungsbuch vereinbart, welches jährlich überprüft und angepasst wird.

17.209

Bereits in diesem Stadium lassen sich so Gerechtigkeitsüberzeugungen1 bearbeiten, die von allen geteilt werden oder nicht geteilt werden. Wo herrscht Gleichheit, wo gibt es gerechtfertigte Abweichungen von der Gleichheit aufgrund unterschiedlicher Leistung, Bedürftigkeit,2 Seniorität, früherer Absprachen, etc. Wechselseitige Wertschätzung und Anerkennung sowie Bedürfnisse nach freier unternehmerischer Entfaltung können bereits hier als Grundwert in das Familieninteresse aufgenommen werden und eine tragende Rolle spielen.

7. Optionen a) Inhalte

17.210

Alle denkbaren Optionen können hier nicht behandelt werden. Insoweit sei ergänzend auf die grundlegende und vertiefte Arbeit von Mutter3 verwiesen, der umfassend und anschaulich viele rechtliche und steuerliche Themen des Familienunternehmens und der Familienverfassung (von ihm „Familienvertrag“ genannt) anspricht. Anschaulich sind auch die Interviews von Neumueller4, der in mehreren Fallstudien Unternehmerfamilien u.a. zu den Inhalten ihrer jeweiligen Familienverfassung und den etwaigen Regelverstößen und Sanktionen befragt hat. In den mediativ erarbeiteten Familienverfassungen bearbeiten die Mitglieder der Unternehmerfamilie typischerweise5 die nachstehenden Themen. b) Subsystem Gesellschafter

17.211

– Regelungen, wer zum Kreis der Gesellschafter6 zählen kann (Blutslinie, Schwiegerkinder, Adoptivkinder, Stiftungen); – Regelungen, ob und wenn ja, unter welchen persönlichen Voraussetzungen und im welchen Verhältnis lebzeitige Anteilsübertragungen an Abkömmlinge oder Dritte stattfinden können und wann sie ihre Anteile gegebenenfalls wieder verlieren (z.B. bei der Entschei1 2 3 4 5

Montada/Kals, 220 ff. Schween/Koeberle-Schmid/Bartels/Hack, 32. Mutter, 36 ff.; vgl. auch Neumueller zum typischen Aufbau einer Familienverfassung, 74 ff. Neumueller, 137 ff. Die Befunde basieren auf den mediativen Familienverfassungen der Familienunternehmen gemäß Fn. 4 zu Rz. 17.99; vgl. auch zu möglichen Inhalten von juristisch geprägten Familienverfassungen ausführlich Mutter, 39 ff. 6 Schween/Koeberle-Schmid/Bartels/Hack, 12.

1176 | Born

D. Die mediative Familienverfassung | Rz. 17.211 Kap. 17

dung nicht (mehr) im Unternehmen tätig zu werden, bei Nichtabschluss von Eheverträgen oder Erbverträgen, Abschluss von Anstellungsverträgen – auch der Ehepartner – bei Wettbewerbern, etc.); – Grundsätze der Gewinnverwendung, insbesondere sofern der Gesellschafterkreis vergrößert wird, z.B. regelmäßige Dividende oder Garantiedividende als Versorgungsleistung für Sub-Familien? – Festlegung eines Wertekanons und Ausarbeitung der Regelungen eines Verhaltenskodex, welche konkreten von Dritten wahrnehmbaren Verhaltensweisen daraus für jeden Einzelnen im Alltag eines Gesellschafters – auch in der Öffentlichkeit – folgen; – Vereinbarung von Kommunikationsregeln und Gesprächsregeln und welche Sanktionen bei Regelverstößen gelten sollen; – Festlegung der Geschäftsbereiche des Familienunternehmens als Kernbereiche; – Festlegung von Geschäftsbereichen, die einzelnen Stämmen oder Gesellschaftern zur unternehmerischen Entfaltung in eigener wirtschaftlicher Verantwortung überlassen sind; – Regelungen zu Investitionen in bisherige und/oder neue Geschäftsbereiche und Bestimmung der Eigenkapitalquote; – Regelung der Beteiligungsverhältnisse beim zukünftigen Erwerb von Unternehmen; – Umgang mit Risiken und Krisen (Darlehensgewährungen, Kapitalerhöhungen, Rückstellung von Investitionen – auch im Privatbereich –, Reduzierung von Entnahmen und Ausschüttungen, etc.); – Regelungen zum Beteiligungsmanagement; – Regelungen unter welchen Voraussetzungen ein (Teil)Verkauf des Familienunternehmens in Betracht kommt; – Regelungen unter welchen Voraussetzungen die Einbringung des Familienunternehmens in eine gemeinnützige oder privatnützige Stiftung in Betracht kommt; – Regelung der persönlichen Kontakte mit der Geschäftsführung, den Beiräten, den Aufsichtsräten; – Regelung zur Schaffung eines Beirats, Aufsichtsrats, etc.;1 – Vertretung in Gesellschaftergremien, Beiräten, Aufsichtsräten und Entsendungsrechte; – Ruhestandsregelungen für Gesellschafter und Hinterbliebene ab einem bestimmten Lebensalter; – Regelung von Ausstiegsszenarien gepaart mit Versorgungsaspekten; – Regelmäßige schriftliche Informationen; – Verzahnung zur Corporate Governance.

1 Vgl. Mutter, 37.

Born | 1177

Kap. 17 Rz. 17.212 | Mediation für Familienunternehmen

c) Subsysteme Familie

17.212

– Regelungen, wer zum Kreis der Unternehmerfamilie1 zählt (Schwiegerkinder und/oder deren Abkömmlingen aus anderen Ehen2 und/oder deren Verwandte und/oder Adoptivkinder?); – Bestimmung des Familieninteresses als wechselseitige bedürfnisorientierte Zieldefinition; – Festlegung eines Wertekanons für alle Subsysteme (z.B. Sparsamkeit, Bodenständigkeit, Pflichtbewusstsein, Disziplin, Integrität, Loyalität, Fleiß, Leistungsbereitschaft, Familiensinn, Offenheit, Solidarität, Hilfsbereitschaft, soziale Verantwortung, Respekt, Transparenz, Vertrauen, Gerechtigkeit, guter Ruf der Familie, Wohl der Kinder, Erhalt von Beziehungen) und Ausarbeitung der Regelungen eines Verhaltenskodex, welche konkreten von Dritten wahrnehmbaren Verhaltensweisen daraus für jeden Einzelnen als Familienmitglied im Alltag – auch in der Öffentlichkeit – folgen; – Grundsätze des Aufbaus eines gebundenen Privatvermögens (z.B. Stiftung) unter Berücksichtigung der subjektiven Gerechtigkeitsgefühle;3 – Regelungen bei Wohnsitzverlagerungen ins Ausland (Thema Wegzugsbesteuerung); – Regelungen zur wirtschaftlichen Versorgung4 von Familienmitgliedern und weiteren Verwandten, ohne dem Familienunternehmen die für Innovationen und Investitionen benötigte Liquidität zu entziehen; – Regelungen des Inhalts von (allen) Eheverträgen, mit denen entweder der Güterstand der Gütertrennung oder der der modifizierten Zugewinngemeinschaft zu vereinbaren ist, so dass der Wertzuwachs des Anteils während der Ehezeit einem etwaigen Zugewinnausgleich entzogen wird; – Regelungen des Inhalts von (allen) Testamenten oder Erbverträgen bezogen auf die Beteiligungen und die Nachfolger, Verständigung auf einen Testamentsvollstrecker bezogen auf die jeweilige Beteiligung, Abfassung einer letztwilligen Mediationsklausel;5 – Regelungen, die gelten sollen, falls absehbar ist, dass ein Stamm ausstirbt; – Maßnahmen zur Pflege des Zusammengehörigkeitsgefühls (z.B. Feiern besonderer Ereignisse, Familientage, Familientreffen, Familienausflüge, Familienfeiern, Familienurlaube, Familienseminare,6 Unternehmensbesichtigungen, etc.); – Maßnahmen zur Professionalisierung des Familienmanagements (z.B. Einrichtung eines Family Office, eines Familienrats als Wächter der Charta, etc.); – Informationen über Investitionen und Neuerwerbungen, Strategieveränderungen; – Soziales Engagement, Spenden, gemeinnützige Stiftungen oder gGmbH;7 – Einführung eines Konfliktmanagementsystems, z.B. mit einem Familienrat oder einem Mediator als Konfliktanlaufstelle und einer CP-Vereinbarung und einer mediativen Schiedsvereinbarung; 1 2 3 4 5 6 7

Schween/Koeberle-Schmid/Bartels/Hack, 12. Vgl. hierzu vertiefend Westermann, NZG 2015, 649. Montada/Kals, Mediation, 220 ff. Schween/Koeberle-Schmid/Bartels/Hack, 32. Steffek in Greger/Unberath/Steffek, § 1 Rz. 226. Fritsch in Beckervordersandfort, 277 (298). Mutter, 28.

1178 | Born

D. Die mediative Familienverfassung | Rz. 17.213 Kap. 17

– Umgang mit der Familienverfassung (rechtliche Verbindlichkeit, Umsetzungsaufträge an Gruppen und Mitglieder, z.B. Abschluss oder Anpassung der Eheverträge, der Testamente und Erbverträge, der Gesellschaftsverträge, der Geschäftsordnungen, Beiratsordnungen, Beistatuten, Anstellungsverträge, etc.); – Serviceangebote für die Familienmitglieder (Family Office, Family-Net, Familienzeitung); – Weitergabe von Erfahrungswissen; – Kostenerstattungen; – Einrichtung und Betreuung von Chroniken und Archiven; – Regelungen zum Treffen der nächsten Generation; – Einbeziehung von Minderjährigen, z.B. Planung von Familientagen; – Regelungen zur Repräsentation und zum „Außenauftritt“. d) Subsystem Unternehmen – Regelungen zur Gestaltung des Wechsels von einer Ein-Personen-Geschäftsführung in Form eines patriarchalischen Leitungssystems zu einem die Kompetenz verbreiternden Geschwister-Kollegialorgan;1 – Regelungen zur freien unternehmerischen Entfaltung der jungen Generation bei Mitaufnahme in die Geschäftsführung bei wechselseitiger Wertschätzung und Anerkennung der jungen und der alten Generation (Wertschätzung der jungen Generation gegenüber der Aufbauleistung der Vorgeneration und Sicherstellung, dass Erfolge der jungen Generation auch dieser zugerechnet werden; Umgang mit eigenen/neuen Ideen der jungen Generation);2 – Regelungen, ob und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen und in welchen Positionen und Funktionen (Geschäftsführung, Beirat) Familienmitglieder (z.B. Schwiegerkinder) oder Fremdgeschäftsführer im Familienunternehmen tätig werden dürfen oder müssen3 oder ob es eine Entscheidungsfreiheit bei der Berufswahl und Lebensplanung gibt;4 – Regelungen zur fachlichen und persönlichen Eignung5 der jungen Generation bei der Aufnahme einer Tätigkeit im Unternehmen und Bestimmung von Qualifizierungsvoraussetzungen und Weiterbildung; – Regelungen zur Professionalisierung der Management- und Organisationsstrukturen zur Sicherung der langfristigen Unternehmenskontinuität;6 – Regelungen zur Einführung eines Konfliktmanagementsystems; – Umgang mit Mitarbeitern (Verhaltenskodex); – Regelungen für Personalentscheidungen;

1 2 3 4 5 6

Haas, Familiendynamik 2001, 388 ff. Hubner in Trenczek/Berning/Lenz/Will, 538 (540). Schween/Koeberle-Schmid/Bartels/Hack, 31. Hubner in Trenczek/Berning/Lenz/Will, 538 (540). Hubner in Trenczek/Berning/Lenz/Will, 538 (540). Hilker, Familiendynamik 2001, 338 (340).

Born | 1179

17.213

Kap. 17 Rz. 17.213 | Mediation für Familienunternehmen

– Wettbewerbsverbote und Verpflichtungen zur Beendigung von Anstellungsverträgen bei Wettbewerbsunternehmen, insbesondere der in den Familienkreis eintretenden Schwiegerkinder; – Festlegung eines Wertekanons und Ausarbeitung der Regelungen eines Verhaltenskodex, welche konkreten von Dritten wahrnehmbaren Verhaltensweisen daraus für jeden Einzelnen als Mitarbeiter im Unternehmen im Alltag folgen; – Regelungen zur Wissens- und Know-how Weitergabe; – Regelungen zur Vereinbarkeit der Mutterrolle mit dem Beruf und der Suche nach einem ausgewogenen Verhältnis zwischen beruflicher Tätigkeit und Zeit für die Familie und/oder privater Freizeit; – Einrichtung einer Kinderbetreuung – auch für Angestellte; – Ausbildung/Praktika für die nächste Generation.

8. Umsetzung 17.214

Hat die Familie, die von ihr erarbeiteten Lösungen mediativ und rechtsverbindlich verhandelt und in einer mediativen Familienverfassung schriftlich fixiert, ist der Prozess noch nicht an sein Ende gelangt. Die geschriebene Familienverfassung ist zunächst der gegenständlich gewordene Gedanke eines Familienkonsenses in Bezug auf ein konkretes Thema, der den Beweis schuldig bleibt, ob er im Alltag gelebt werden kann.1 Allein das Denken von Werten, Verhaltensweisen, Regeln, Strukturen und Institutionen führt noch nicht dazu, dass die erdachten Dinge von den Familienmitgliedern im Alltag auch umgesetzt2 werden. Manchmal ist das Gegenteil der Fall, ganz nach Brecht: „Ja, mach nur einen Plan! Sei nur ein großes Licht! Und mach dann noch´nen zweiten Plan, Gehen tun sie beide nicht.“ Dies kann u.U passieren, wenn Verletzungen in der Vergangenheit stattgefunden haben oder Verrechnungsnotständen bestehen, die unbearbeitet weiter wirken.3 Aus der methodologischen Sicht erhellt sich dann, dass der Prozess zur Erarbeitung der Familienverfassung bis zu diesem Zeitpunkt zunächst die Konsensfiktion verlängert hat und Konsensstabilität noch nicht erreicht ist. Die Erfahrung der Familienmitglieder, dass die in der Familienverfassung beschlossenen Verhaltensweisen oder Lösungen im Alltag nicht umgesetzt werden (können), zerstört die Konsensfiktion4 in der Familie. Jetzt erst könnte der Blick auf die Interessengegensätze, die Unterschiede und etwaige Konflikte oder Konfliktpotentiale frei sein.5 Risiken treten klarer hervor und Aktualkonflikte befinden sich auf einer noch geringen Eskalationsstufe. Sie können gut in einer jetzt auch so benannten Mediation als Bestandteil eines familiären Konfliktmanagementsystems6 bearbeitet 1 Mutter, 30: so auch May/Bartels, 111, 119. 2 Ähnlich Mutter, 29, der erkennt, dass ich nicht die anderen ändern kann, sondern nur mich selbst: „Letztlich bleibt es trotz all dieser Hilfestellungen in der Hand der einzelnen Familienmitglieder, ob die gemeinsame Strategie gelingt oder nicht.“ 3 Bishop, 28 ff. 4 Hilker, Familiendynamik 2001, 338 (345): „Spätestens anlässlich der Übergabeproblematik bricht die Konsensfiktion bei Eltern und Kindern auf, während die Beziehungen in der Familie auch nach außen zu typischen, durch mangelnde Kommunikation gekennzeichneten Verhaltensweisen geführt haben.“ 5 Zahlreiche Szenarien der Nichtbeachtung der Familienverfassung bei Hueck, 225 ff. 6 May/Bartels, 540.

1180 | Born

D. Die mediative Familienverfassung | Rz. 17.216 Kap. 17

werden. Dabei haben die Familienmitglieder den strukturierten Prozess der Mediation bereits positiv erlebt, diente er ihnen doch als Grundlage zur Erarbeitung des Familieninteresses und der Familienverfassung. Gelingt nun die Konfliktlösung oder wird ein bestimmter Umgang mit dem Konflikt vereinbart, dann bedeutet dies nicht nur die Vermeidung eines Trennungsgrunds, sondern auch ein starkes Bindungserlebnis in allen Subsystemen und damit im Gesamtsystem.1 In der Folgezeit können „Lerneffekte“ entstehen und die Konfliktfähigkeit2 des Gesamtsystems und das Zusammengehörigkeitsgefühl der Familie wird gesteigert („Diese schwierige Situation haben wir gemeinsam gemeistert!“).3 Gleichzeitig wird erlernt, dass Konflikte nicht sogleich in den Abgrund führen, sondern dass man sie bearbeiten kann. Dies schafft ein Gefühl von Sicherheit und erzeugt Mut, auch zukünftig mit schwierigen Themen oder Konflikten mediativ umzugehen. Wir haben festgestellt, dass Familienmitglieder nach gelungenen Mediationen in kleinen Schritten beginnen, ihr Verhalten zu verändern. Sie erhalten einen anderen Blick auf die systemischen Zusammenhänge, ihre unterschiedlichen Rollen und verändern ihr Kommunikationsverhalten. Dieses veränderte Kommunikationsverhalten ist letzten Endes die entscheidende Maßnahme zur Konfliktprävention.4

9. Anpassung Familienverfassungen sind lebende und dynamische Regelungen und müssen als solche regelmäßig überprüft und überarbeitet werden,5 um auf den Wandel der ökonomischen, sozialen, familiären und rechtlichen Rahmenbedingungen sowie der Interessen der Familienmitglieder und der Veränderungen in den Subsystemen (Personenzuwachs) reagieren zu können.6 Dies macht deutlich, dass die Familienverfassung weiterentwickelt werden muss,7 sobald die nächste Generation vor der Tür des Subsystems Gesellschafter und/oder Unternehmen steht. Hier ist es hilfreich, dass sich die Mitglieder der nächsten Generation zunächst untereinander finden und den vorstehend beschriebenen Prozess durchlaufen.

17.215

Gerade in der Flexibilität und der Veränderungsoffenheit liegt eine zentrale stabilisierende Wirkung von Familienverfassungen.8 Eine regelmäßige Revision der Familienverfassung kann zudem zur Überprüfung der andauernden Gültigkeit von Werten und Zielvorstellungen und zur (Wieder-) Herstellung von Inklusivität genutzt werden.9 Jede Änderung der Familienverfassung sollte wiederum mediativ erfolgen, denn Konsens ist die Bedingung der Nachhaltigkeit und in der Mediation gibt es keine Mehrheitsentscheidungen!

17.216

1 Kormann, Zusammenhalt der Unternehmerfamilie, 391. 2 Baumann, ZEV 2004, 112: „Konfliktbewältigungskompetenz“. 3 Kormann, Zusammenhalt der Unternehmerfamilie, 435: „Diese Lerneffekte können dann die Grundlage sein, dass sich auf informelle Weise ‚Friedfertigkeitsroutinen‘ entwickeln.“ 4 Ähnlich Fritsch in Beckervordersandfort, 277 (292); s. auch Halter/Schröder, 215. 5 Hueck, 124: „5 Jahre“; Felden/Hack/Hoon, 393: „Fünf-Jahres-Rhythmus“; Kalss in FS Binz, 2014, 342 (349). 6 Gläßer in FS Binz, 2014, 228 (238); Kormann, Governance des Familienunternehmens, 564. 7 Koeberle-Schmid/Fahrion/Witt, 479. 8 Gläßer in FS Binz, 2014, 228 (238). 9 Gläßer in FS Binz, 2014, 228 (238).

Born | 1181

Kap. 17 Rz. 17.217 | Mediation für Familienunternehmen

VIII. Rechtliche Einordnung 1. Meinungsstand a) Rechtlich unverbindlich

17.217

In der juristischen Literatur wird die Familienverfassung unterschiedlich eingeordnet.

17.218

Nach herrschender Meinung1 ist die Familienverfassung eine rechtlich unverbindliche Absichtserklärung. Es wird auch ausdrücklich davor gewarnt, mit der Familienverfassung ein weiteres juristisches Regelwerk neben den bestehenden gesellschaftsrechtlichen Dokumenten zu etablieren.2 Die Familienverfassung als solche solle lediglich die Motivation erhöhen, sich an dieses Regelwerk zu halten. Die Familienverfassung stärke oder erzeuge danach zumindest einen Selbstbindungswillen des Familienmitglieds.3 b) Unmittelbare und mittelbare Rechtsverbindlichkeit

17.219

Eine im Vordringen befindliche Auffassung4 misst der Familienverfassung eine Rechtswirkung zu. Allerdings wird differenziert. 1 Ausführlich zum Meinungsstand Hueck, 59; Stengel in Prinz/Kahle, § 17 Rz. 6; Foerster, BB 2019, 1411 ff.; Hennerkes/Kirchdörfer, 65 f.; Lange in FS Hennerkes, 2009, 135 (148); Spiegelberger in FS Rödl, 2008, 89 ff.; v. Oertzen/Reich, DStR 2017, 1065 (1118), (1123); Fabis, OSC 4 (2007) 14, 362: „reine Absichtserklärung“; Fabis, 14 (15); Habbe/Gieseler, NZG 2016, 1010 (1013): „Soft-Law, das gerichtlich nicht durchsetzbar ist.“; Kellersmann/Winkeljohann, Finanz Betrieb 2007, 406 (411): „vorrechtlichen Raum“; Heigel, Handelsblatt vom 12.4.2016, 42: „Eine Familienverfassung ist nie juristisch bindend, da sie nicht vorgeschrieben ist und es auch keine vorgegebene Form dafür gibt.“; Lange in Röthel/Schmidt, 33 (44): „weder einklag- noch vollstreckbar“; Baus, 111: „Die Familiencharta ist schließlich nicht rechtlich verbindlich, sondern beruht auf Selbstbindung.“; Felden/Hack/Hoon, 387: „.. nicht rechtlich bindend, sondern lediglich emotional verpflichtend.“; ähnlich auch Kögel in Scherer, § 40 Rz. 11: „..rechtlich nicht verbindliches Regelwerk..“; Fritsch in Riedel, 687 (712): „rechtlich unverbindlich.“; Fritsch in Beckervordersandfort, 277 (300): „freiwillige Selbstbindung“; Hauck, Die Familiencharta, pFlFig/04/2012; ders., Die Familienstrategie, pFlFig/01/2012; Wedemann, 97: „Die Zielvereinbarung sollten die Gesellschafter als Absichtserklärung ohne rechtsverbindlichen Charakter ausgestalten.“; Schulz/Werz, ErbStB 2007, 310 (311, 313): „bloße Absichtserklärung“, 353: „rechtlich unverbindlich“; Schween/Koeberle-Schmid/Bartels/Hack, 12: „Zahlreiche ihrer Regelungen münden im Gesellschaftsvertrag, wodurch sie juristisch bindend werden.“; Kirchdörfer/Lorz, FuS 2011, 97 (101); Kirchdörfer/Breyer, FuS Sonderheft 2014, 13 (17); May/Koeberle-Schmid in Koeberle-Schmid/Grottel, 206: „... nur moralisch bindend.“; Neumueller, 51. 2 Kirchdörfer/Lorz, FuS 2011, 97 (101); Kirchdörfer/Breyer, FuS Sonderheft 2014, 13 (16): „integrativer Ordnungsrahmen“; Wedemann, 97: „für das Sozialkapital gefährlich“; Holler in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 7, § 75 Rz. 118; zustimmend Holler, ZIP 2018, 553 (557): „größere Vorsicht und Zurückhaltung geboten“; vgl. auch Holler, DStR 2019, 880 ff. (Teil I) und DStR 2019, 931 ff. (Teil II); Fritsch in Beckervordersandfort, 277 (300). 3 Schween/Koeberle-Schmid/Bartels/Hack, 35; Fritsch in Beckervordersandfort, 277 (300). 4 Born in Handbuch Familienunternehmen, Rz. 51; Uffmann, ZIP 2015, 2441 (2441 ff.); Westermann, NZG 2015, 649; Kormann, Governance des Familienunternehmens, 508; Fleischer, NZG 2017, 1201 (1210); Fleischer, ZIP 2016, 1509 ff.; Holler in Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, § 75 Rz. 100 ff., 115, 119; Hueck, 70 ff., 267; Reich/Bode, DStR 2018, 305 (309); Gibhardt/ Blusz, Deutscher AnwaltSpiegel Spezial Private Clients 2010, 5; Wicke, ZGR 2012, 450 (485): „schuldrechtliche Nebenvereinbarung“; Hastenteufel/Staub, StB 2019, 185 (189): „für die Unternehmerfamilie bindend“; Schmeing, 337: „... da je nach dem in der Familienverfassung zum Ausdruck kommenden Parteiwillen auch verbindliche Teile enthalten sein können.“

1182 | Born

D. Die mediative Familienverfassung | Rz. 17.224 Kap. 17

Nach dem Verfasser1 ist die Familienverfassung so auszugestalten und in die anderen Regelwerke des Gesamtsystems einzubeziehen, dass sie eine übergeordnete und rechtsverbindliche Ordnung darstellt. Bei allen unternehmerischen Entscheidungen, Entscheidungen der Gesellschafterversammlungen und allen Rechtsgeschäften und steuerlichen Konzepten sind die Wertungen und Definitionen der Familienverfassung vorrangig zu berücksichtigen. Daraus folgt auch, dass die Verpflichtung zur Einhaltung und Umsetzung der Familienverfassung i.S.d. Gesellschaftsvertrags eine Beitragsverpflichtung des einzelnen Gesellschafters darstellt. Die Nichtbefolgung der in den Gesellschaftsvertrag inkorporierten Familienverfassung führt mithin dazu, dass der Gesellschafter nicht nur die Familienverfassung verletzt, sondern zeitgleich seine aus der Gesellschafterstellung folgende Treupflicht.2

17.220

Nach Uffmann3 ist die mit Rechtsbindungswillen abgeschlossene Familienverfassung ein Rahmenvertrag4 mit einem mehrseitig multipolaren Charakter. Der Prozess der Erarbeitung einer Familienverfassung ziele auf eine „Bändigung“ der zahlreichen Individualinteressen und verlange aufgrund der multipolaren Interessenlage eine mediationsanaloge Begleitung.5

17.221

Ähnlich sieht Fleischer6 in der Familienverfassung einen verbundenen Vertrag und weist darauf hin, dass wir die Grenzen eines „Denkens in isolierten Vereinbarungen zugunsten eines Denkens in vertraglichen Beziehungen“ überwinden müssen. Zwischen der Familienverfassung und den nachgeordneten rechtlichen Regelungswerken bestünde ein rechtsgeschäftlicher Verbund korrespondierender Vereinbarungen. Zustimmend sieht auch Prütting7 in der Familienverfassung einen „Vertrag“, der außerhalb der Gesellschaftssatzung steht und der über das Konstrukt der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht Wirkungskraft entfaltet.

17.222

Hueck8 meint, die typische Familienverfassung solle nur zwischen den Gesellschaftern abgeschlossen werden und durch den Abschluss einer Familienverfassung mit rechtlicher Bindung werde eine Innengesellschaft bürgerlichen Rechts nach den §§ 705 ff. BGB begründet. Sofern keine rechtliche Bindung festgestellt werden könne, handele es sich typischer Weise um eine rechtlich nicht durchsetzbare Vereinbarung sui generis.

17.223

Nach Mutter9 ist der Familienvertrag in erster Linie ein Instrumentarium, durch welches sich die Familienmitglieder über Generationen hinweg zur Verfolgung gemeinsamer Werte und Ziele „verpflichten“. Die rechtliche Einordnung der Familienverfassung könne indes nicht pauschal getroffen werden, sondern sei für jede Regelung einzeln zu bestimmen.

17.224

1 Born in Handbuch Familienunternehmen, Rz. 51. 2 BGH v. 9.12.1968 – II ZR 42/67, NJW 1969, 793 (794), zur Berücksichtigung eines „Familienvertrags“ bei der Konkretisierung der gesellschaftlichen Treupflicht; Schmeing, 337: „Konkretisierungen der gesellschafterlichen Treuepflicht oder als Auslegungshilfen des Gesellschaftsvertrags“. 3 Uffmann, ZIP 2015, 2441 (2441 ff.). 4 Zu Rahmenvereinbarungen s. auch Hueck, 185 f. m.w.N. 5 Uffmann, ZIP 2015, 2441 (2444); Born in Handbuch Familienunternehmen, Rz. 51; Kirchdörfer/ Lorz, FuS 2011, 97 (100): „Bändigung dieser drei Systeme“. 6 Fleischer, ZIP 2016, 1509 (1519). 7 Prütting in Lange/Windthorst, 35 (53). 8 Hueck, 71 ff., 145, 180; folgend Holler, ZIP 2018, 553 ff.; Holler in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 7, § 75 Rz. 110; zustimmend Reich/Bode, DStR 2018, 305 (309). 9 Mutter, 36 ff.

Born | 1183

Kap. 17 Rz. 17.225 | Mediation für Familienunternehmen

17.225

Andere1 sprechen der Familienverfassung selbst zwar die unmittelbare rechtliche Verbindlichkeit ab, sie sehen sie aber als „Fundament rechtlicher Gestaltung“. Damit die Regelungen rechtlich verbindlich werden, müssten sie in die jeweiligen Vertragswerke „transformiert“ oder „übertragen“ werden.

17.226

So ist die Familienverfassung nach Kalss2 eine Ermächtigungsgrundlage und Auslegungshilfe für alle nachfolgenden und nachgeordneten Regelwerke, Verträge und sonstigen Rechtsgeschäfte, die das Familienunternehmen in dem weiteren Sinn betreffen.3 Die Familienverfassung sei die oberste Rechtsgrundlage für ein Familienunternehmen.4 Bildhaft gesprochen sei sie das Grundgesetz oder die Magna Charta der Familie.5 Sie lege aber nicht nur rechtliche, sondern auch wertorientierte ethische und moralische Rahmenbedingungen fest.6 Sie sei die Grundlage einer Mehrzahl von Verträgen, jedoch rechtlich nicht unmittelbar durchsetzbar.7 Aus ihr folge damit ein Auftrag, den nachgeordneten Vertrag zu ändern.8

17.227

Nach Gläßer9 gilt die Familienverfassung nur als Auslegungsrichtlinie: Aus ihr seien die Grundsätze zur Interpretation des Gesellschaftsvertrages und aller weiteren Regelwerke (Testamente, Eheverträge, Geschäftsordnungen, etc.) und zur Ausfüllung sich eventuell aufzeigender Lücken zu gewinnen. Familienverfassungen dienten danach als inhaltliche Orientierung für die Auslegung der nachgelagerten Vertragswerke und sonstigen relevanten Rechtsakte des Unternehmens bzw. der Familie. Verstoße eine nachgeordnete Regelung gegen die Familienverfassung, sei mittels Auslegung Vereinbarkeit herzustellen. Wenn dies nicht möglich sei, ergäbe sich aus der Familienverfassung ein materieller Änderungsauftrag.10 Die Familienverfassung bilde das Gerüst, auf dem der Gesellschaftsvertrag und die weiteren Verträge der Unternehmerfamilie, soweit diese Bezug zu dem Familienunternehmen haben, aufgebaut werden.11 Außerdem könne eine Familienverfassung zur erläuternden oder ergänzenden Auslegung des Gesellschaftsvertrages herangezogen werden.12

1 Kalss/Probst, Familienunternehmen, 3. Kap., Rz. 3 ff.; Kalss, FS Binz, 2014, 342 (350 ff.); Kormann, Zusammenhalt der Unternehmerfamilie, 219–223: „Bindung durch faire Verfassung“, 275. 2 Kalss/Probst, Familienunternehmen, 3. Kap., Rz. 23 ff.; Kalss/Probst, GesRZ 2013, 115 (116); Kalss/Probst, Stiftungsletter 1/2013, 14 (16); Kalss in FS Binz, 2014, 342 (350 ff.). 3 Kalss/Probst, Stiftungsletter 1/2013, 14 (16); Kalss/Probst, Familienunternehmen, 3. Kap., Rz. 26; so auch Gläßer in FS Binz, 2014, 228 (235). 4 Kalss/Probst, Stiftungsletter 1/2013, 14 (16). 5 Kalss/Probst, Familienunternehmen, 3. Kap., Rz. 22. 6 Kalss/Probst, Familienunternehmen, 3. Kap., Rz. 26; Kalss/Probst, Stiftungsletter 1/2013, 14 (16). 7 Kalss/Probst, Familienunternehmen, 3. Kap., Rz. 26. 8 Kalss/Probst, Familienunternehmen, 3. Kap., Rz. 26; ähnlich Neumueller, 206: „(...) wird dringend empfohlen, den Gesellschaftsvertrag im Nachgang an die Familienverfassung auf entsprechenden Anpassungsbedarf durch einen Rechtsberater prüfen zu lassen“. 9 Gläßer in FS Binz, 2014, 228 (238); so auch Stengel/Prinz/Kahle, § 17 Rz. 6; Kormann, Governance des Familienunternehmens, 508; Fleischer, NZG 2017, 1201 (1209); Prütting/Schirrmacher, ZGR 2017, 829 (837); Uffmann, ZIP 2015, 2441 ff.; Born in Handbuch Familienunternehmen, Rz. V, 47 ff. 10 Gläßer in FS Binz, 2014, 228 (238). 11 Hennerkes/Kirchdörfer, 65 f. 12 Fleischer, NZG 2017, 1201 (1209).

1184 | Born

D. Die mediative Familienverfassung | Rz. 17.230 Kap. 17

2. Stellungnahme a) Rechtstatsachen Da es nach den rechtstatsächlichen Untersuchungen von Hueck1 und Neumueller2 in der Praxis derzeit unterschiedliche Vorgehensweisen und ein unterschiedliches Verständnis vom Inhalt und Anwendungsbereich einer Familienverfassung gibt, muss in jedem Einzelfall und bezogen auf eine einzelne Regelung deren unmittelbare oder mittelbare Rechtswirkung geprüft werden.3

17.228

b) Suprafamiliäre und rechtsverbindliche Ordnung Jenseits der Empirie stellt sich aber die entscheidende Frage, ob die Familienverfassung selbst in rechtsverbindlicher Weise klagbare Rechte und Pflichten in Bezug auf materielle und immaterielle Interessen statuieren soll!4 Dies kann vor dem Hintergrund der durch die Rechtstatsachenforschung erwiesenen5 und an sie gerichteten Erwartungshaltung und Zielsetzung der Unternehmerfamilien (z.B. Erhalt des Familienunternehmens, Konfliktprävention, Erhalt von Beziehungen, etc.) nur bejaht werden.

17.229

In der mediativen Familienverfassung thematisiert, bestimmt und synchronisiert die Familie unterschiedliche Rechte und Pflichten in allen Subsystemen, sowohl mit unmittelbarer als auch mit mittelbarer rechtsverbindlicher Wirkung. Dabei berücksichtigt sie verschiedene Rechtsgeschäfte zwischen unterschiedlichen Personen und Personengruppen der Unternehmerfamilie in Gegenwart und Zukunft, wie z.B. Gesellschaftsverträge, Stimmbindungsvereinbarungen, Eheverträge, Testamente, Erbverträge, Schenkungsverträge, Schenkungsangebote, Nießbrauchsrechte, Leibrenten, Geschäftsordnungen, Beiratsordnungen, Konfliktordnungen, Anstellungsverträge, Optionsrechte auf Tätigkeit im Unternehmen oder Beirat (Aufsichtsrat), Gleichstellungsversprechen bezüglich Vermögensaufbau im Privatvermögen, etc.6 Damit ist die Familienverfassung das materiell rechtlich mächtigste Instrument, dass der Unternehmerfamilie zur Verfügung steht. Ihre Regelungen und deren Auslegung steht an erster Stelle.

17.230

Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen ein Gesellschaftsvertrag der bereits abgeschlossenen Familienverfassung zeitlich nachfolgt! Diese Fälle kommen in der Praxis deshalb vor, weil insbesondere durch die beiden letzten großen Reformen des Erbschaftsteuergesetzes Umstrukturierungen vorgenommen wurden und werden und die Anteile der (Alt)Gesellschafter auf verschiedenen Wegen in neue Holdinggesellschaften, z.B. im Wege eines qualifizierten 1 Fleischer, NZG 2017, 1201 (1209): „Schlagend ist der Einwand, dass es „die“ Familienverfassung nicht gibt.“ 2 Neumueller, 138 ff. mit mehreren Fallstudien in Form von Interviews von Mitgliedern der jeweiligen Unternehmerfamilie. 3 Hueck, 71 ff.; Schween/Koeberle-Schmid/Bartels/Hack, 9: „... so farbig und variantenreich wie die Familien und ihre Unternehmen selbst.“; Reich/Bode, 305 (307); Fleischer, ZIP 2016, 1509 (1519); Fleischer, NZG 2017, 1201 (1209): „Vielmehr führt an einer sorgfältigen Prüfung ihrer Regelungsnatur im Einzelfall kein Weg vorbei.“; Peter May/Peter Bartels, Governance im Familienunternehmen, 130. 4 Fleischer, NZG 2017, 1201 (1209): „Das eine Auseinandersetzung mit möglichen Rechtswirkungen einer Familienverfassung schon im Zeitpunkt ihrer Erarbeitung unausweichlich ist, erkennt inzwischen auch die aktuelle beratende Literatur und versucht sich hierauf einzustellen.“ So auch Gibhardt/Blusz, Deutscher AnwaltSpiegel Spezial Private Clients 2010, 5; Foerster, BB 2019, 1416 ff. 5 Hueck, Die Familienverfassung. 6 Mutter, 36; Uffmann, ZIP 2015, 2441 (2444); Born in Handbuch Familienunternehmen, Rz. 51.

Born | 1185

Kap. 17 Rz. 17.230 | Mediation für Familienunternehmen

Anteilstauschs, übertragen und im Anschluss unentgeltlich an Abkömmlinge oder privatnützige Familienstiftungen geschenkt werden. Grundlage für die Ausarbeitung dieser neuen Gesellschaftsverträge und Schenkungsverträge kann dann die rechtsverbindliche Familienverfassung sein. Gleiches gilt, sofern Gesellschafter einen erfolgreichen Genrationswechsel planen und Anteilsschenkungen bevorstehen. In diesen Fällen müssen regelmäßig die Gesellschaftsverträge überarbeitet werden, weil sich der Kreis der Gesellschafter verändert. Bevor dies aber geschieht, kann eine vorab zu erarbeitende Familienverfassung dazu dienen, rechtsverbindlich die „neuen Spielregeln“ und Zugangsvoraussetzungen zu den Subsystemen festzulegen. Der zeitlich nachgelagerte Abschluss des Gesellschaftsvertrages stellt damit die Umsetzung der Familienverfassung dar und bevor die Familienverfassung nicht von allen, insbesondere den zukünftigen Gesellschaftern rechtsverbindlich unterschrieben ist, werden keine Schenkungen vollzogen. Die Familienverfassung ist damit die rechtliche Grundlage der Planung und Umsetzung der Unternehmensnachfolge. Ein anderes Beispiel soll den rechtlichen Vorrang der Familienverfassung verdeutlichen. In einem Familienunternehmen schrieb der Gesellschaftsvertrag fest, dass jeder Gesellschafter zugleich „im Familienunternehmen tätig sein muss“. Der dem Subsystem Unternehmen zuzuordnende Anstellungsvertrag wurde gesondert abgeschlossen. Nun sollten aber Gesellschaftsanteile schon vor dem Studium an weitere volljährige Abkömmlinge der 6ten Generation verschenkt werden, um erbschaftsteuerlich Vergünstigungen in Anspruch nehmen zu können. Die vollzogene Schenkung hätte nun im Subsystem Gesellschafter zu Gesellschaftern geführt, die nicht tätig, sondern nur kapitalmäßig beteiligt und entnahmeberechtigt sind. Die bereits tätigen Gesellschafter der 6ten Generation waren „empört“ (Hinweis auf das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden), da sich ihr bisheriger jahrelanger Einsatz in der Geschäftsführung nicht in der Beteiligungshöhe niedergeschlagen hatte. Die noch tätigen Gründer der 5ten Generation wollten wiederum ihre Kinder in ihren jeweiligen Stämmen jeweils gleich behandeln. Die Familie musste nun verhandeln, wie mit der Zugangsschranke des Gesellschaftsvertrages umzugehen ist. Die mediativ von der Unternehmerfamilie in der Familienverfassung getroffene rechtsverbindliche Absprache beinhaltete dann einen Gesellschafterbeschluss, einen Nachtrag zu den Geschäftsführeranstellungsverträgen und einen Umsetzungsauftrag zur Abfassung eines Schenkungsvertrages. Verkürzt wurde vereinbart, dass der Grundsatz im Gesellschaftsvertrag zwar erhalten bleiben soll; erst die nächste Generation sollte ihn abändern können. Gleichwohl konnten Schenkungen vorgenommen werden, wobei die Entnahmen beschränkt wurden. Die Abkömmlinge müssen sich aber mit dem Erreichen des 30ten Lebensjahres entscheiden, ob sie im Familienunternehmen arbeiten wollen oder nicht. Entscheiden sie sich dann gegen eine Mitarbeit, verlieren sie ihren Anteil (Rücktritt vom Schenkungsvertrag). Im Gegenzug gewährte die Familienverfassung den bisher schon tätigen Gesellschaftern der 6ten Generation mit sofortiger Wirkung eine höhere Vergütung als Geschäftsführer (Nachtrag zum Anstellungsvertrag).

17.231

Die Familienverfassung selbst stellt damit eine suprafamiliäre und rechtsverbindliche Ordnung dar.1 Der rechtlich verbindlichen Formulierung der Familienverfassung ist der Vorrang zu geben.2 Sie wirkt selbst, wo sie materiell rechtlich in den Grenzen der Vertragsfreiheit und

1 Born in Handbuch Familienunternehmen, Rz. 51. Ähnlich Fleischer, ZIP 2016, 1509 (1519): „übergreifender Ordnungsrahmen“. 2 Kormann, Governance des Familienunternehmens, 509.

1186 | Born

D. Die mediative Familienverfassung | Rz. 17.233 Kap. 17

Gestaltungsfreiheit1 unmittelbar wirken kann und statuiert darüber hinaus in diesem Rahmen einen materiellen Abschlusszwang oder Änderungszwang2 von anderen nachgeordneten einseitigen oder mehrseitigen Rechtsgeschäften. Wo dies materiell nicht unmittelbar durchsetzbar ist (z.B. Eheverträge, Testamente), definiert sie materiell rechtliche Zugangsvoraussetzungen zu den Subsystemen Gesellschafter und Unternehmen. Wer diese Zugangsvoraussetzungen nicht erfüllt, gelangt in kein anderes Subsystem, d.h., er wird nicht Gesellschafter3 und/oder wird nicht im Unternehmen tätig. Dabei ist der Abschluss der Familienverfassung selbst Zugangsvoraussetzung zum Zutritt des Gesamtsystems und die Familienverfassung definiert Zugangsvoraussetzungen für die jeweiligen Subsysteme.4 Schließlich gibt sie die Regelmechanik vor, falls die Zugangsvoraussetzungen nicht gegeben sind oder später wegfallen. Die Familienverfassung erschöpft sich daher nicht in der Etablierung familienbezogener Verfahrens- und Verhaltensregeln und Institutionen zur Förderung des Zusammenhalts.5 c) Beispiel Eheverträge Die Funktion der Familienverfassung als suprafamiliäre und rechtsverbindliche Ordnung soll am Beispiel der „Eheverträge“6 näher betrachtet werden. In Gesellschaftsverträgen der Familienunternehmen finden sich typischerweise Güterstandsklauseln.7 Danach kann der verheiratete Gesellschafter „ausgeschlossen“ werden oder „automatisch“,8 seine Beteiligung – teilweise ohne Abfindung (!) – „verlieren“, wenn er keinen Ehevertrag abschließt, der den Gesellschaftsanteil wertmäßig aus dem Zugewinnausgleichsanspruch des Ehepartners (in der Regel die Ehefrau) ausschließt (Gütertrennung oder modifizierte Zugewinngemeinschaft).

17.232

Hinter der Norm des Zugewinnausgleichs verbirgt sich eine gesetzgeberische Lösung eines Konfliktes, sofern sich die Eheleute darüber streiten, ob und wenn ja, wie die während der Ehezeit ungleich gewachsenen Vermögensmehrungen auszugleichen sind. Nach geltender Rechtslage, die die Mehrheit der Bevölkerung widerspiegelt, steht dem Ehepartner die ehezeitliche Verkehrswertsteigerung des Gesellschaftsanteils zur Hälfte zu, weil die Beiträge und Leistungen der Ehepartner in der Ehe als gleichwertig erachtet werden.9 Wenn also bei gleichwertigen Beiträgen und Leistungen am Ende ein wirtschaftliches Ungleichgewicht entstanden ist, muss es ausgeglichen werden. Im Rahmen der Ehevertragsfreiheit kann hiervon abgewichen werden, freilich nur in den Grenzen der von der Rechtsprechung entwickelten Kernbereichslehre.10

17.233

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Vgl. hierzu Musielak, JuS 2017, 949 ff. Uffmann, ZIP 2015, 2441 (2444); Born in Handbuch Familienunternehmen, Rz. 51. Ähnlich Mutter, 37. Kleve/Köllner in Kleve/Köllner, 4: „Zugang“. So aber Holler, ZIP 2018, 553 ff. Hueck, 170, unter Hinweis auf Drittkontrahierungsklauseln in Gesellschaftsverträgen m.w.N. Wenckstern, NJW 2014, 1335 ff.; Ivo in Röthel, 103 (109); zu einer weit gefassten Güterstandsklausel Hölscher, NJW 2016, 3057. 8 Sowohl für die Personen(handels)gesellschaft als auch die GmbH s. Milzer, NZG 2017, 1090 (1091) unter Hinweis auf BGH NZG 2003, 871 ff. 9 BVerfGE 105, 1, 11; Röthel in Röthel, 9 (61). 10 BGH v. 8.10.2014 – XII ZB 318/11, NJW 2015, 52 ff.; vgl. hierzu Dauner-Lieb in Röthel, 181 (185).

Born | 1187

Kap. 17 Rz. 17.234 | Mediation für Familienunternehmen

17.234

Der sachliche Grund derartiger Drittkontrahierungsklauseln1 ist nachvollziehbar.2 Obwohl der Zahlungsanspruch im Fall der Beendigung des Güterstands (Scheidung oder Tod) vom Gesellschafter-Ehepartner (oder seinen Rechtsnachfolgern) zu erfüllen ist, fürchten die Mitgesellschafter, dass Entnahme- oder Ausschüttungsforderungen des „familienfremden“ Ehegatten auf sie zukommen, die dann zu einem ungewollten Liquiditätsabfluss im Unternehmen führen. Im Todesfall gilt dies deshalb, weil dem „familienfremden“ Ehegatten der Zutritt in die Gesellschaft im Gesellschaftsvertrag regelmäßig verwehrt wird. Der Gesellschaftsanteil selbst stellt – sofern die Abfindung nicht ausgeschlossen ist – im Fall der Scheidung wiederum einen Vermögenswert dar, der der Zwangsvollstreckung unterliegt, so dass am Ende doch die Gesellschaft den Abfindungsanspruch oder das Einziehungsentgelt bezahlen wird. Gesellschaftsvertragliche Abfindungsbeschränkungen „helfen“ nicht, da der BGH3 den vollen Verkehrswert einschließlich Goodwill in die Zugewinnausgleichsberechnung einstellt.

17.235

Die Drittkontrahierungsklausel trifft in Familienunternehmen typischerweise junge Ehepaare. Anlass ist die bevorstehende oder bereits vollzogene Schenkung eines Gesellschaftsanteils an einen Abkömmling im Zuge der Unternehmensnachfolge. Schwiegerkinder sollen im Regelfall keinen Einfluss auf das Unternehmen erhalten. Das primäre Interesse geht dahin, das Unternehmen in der „Blutslinie“ zu erhalten.4 Der Ehevertrag sichert insoweit die Flanken. Harte Güterstandsklauseln in Gesellschaftsverträgen, die sogar die Abfindung ausschließen, werden dennoch bewusst mit dem Risiko der Unwirksamkeit vereinbart, weil man dann hofft, dass der junge Gesellschafter einen „teuren“ Prozess mit ungewissem Ausgang vermeiden will und dem Druck nachgibt, den Ehevertrag abzuschließen.

17.236

Dabei ist der Auffassung zuzustimmen, dass auch die isolierte Vereinbarung einer Gütertrennung gerade in der Unternehmerehe einen Eingriff in den Kernbereich darstellen kann, der zur Unwirksamkeit des Ehevertrages führt.5 Im Regelfall stellt nämlich das aufgebaute Privatvermögen die Altersversorgung des Unternehmers dar. Ein Versorgungsausgleich findet daher nicht statt. Im Rahmen einer Inhaltskontrolle ist dem Ehegatten also zumindest das zuzusprechen, was er an Vermögensbildung hätte erreichen können, wenn er nicht geheiratet hätte.6

17.237

Es ist ohne weiteres nachvollziehbar, dass auf dem jungen Ehepaar ein immenser Druck liegt, diesen „von den Gesellschaftern/der Familie geforderten“ Ehevertrag abzuschließen. Was soll denn der Zweifel an der „Entrechtung“ und „seinem Verzicht“ hegende Ehepartner seinem Ehepartner entgegenhalten, wenn dieser sagt, er habe sich zum Ehevertragsabschluss verpflichtet oder werde sich verpflichten (müssen) und wenn er sein Wort nicht halte, werde er den Gesellschaftsanteil nicht erhalten oder – gar ohne Abfindung – verlieren, der ja die zukünftige Existenz gewährleiste. Außerdem würden das in der Familie alle so machen, und das schon seit Generationen!

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Milzer, NZG 2017, 1090 ff.; Grotheer, RNotZ 2015, 4 (5). Wenckstern, NJW 2014, 1335 (1337); Hölscher, NJW 2016, 3057 ff. BGH, NJW 1999, 784; BGH NJW 1980, 229 (230); Milzer, NZG 2017, 1090 ff. Wenckstern, NJW 2014, 1335 (1339). Die Berufung auf die isolierte Vereinbarung der Gütertrennung kann im Einzelfall rechtsmissbräuchlich sein, vgl. BGH v. 8.10.2014 – XII ZB 318/11, NJW 2015, 55. 6 BGH v. 8.10.2014 – XII ZB 318/11, NJW 2015, 54: „Funktionsäquivalenz von Versorgungs- und Zugewinnausgleich“; Dauner-Lieb in Röthel, 181 (186 ff.): „Eine Gütertrennung beraubt den Unternehmerehegatten seiner Altersversorgung.“

1188 | Born

D. Die mediative Familienverfassung | Rz. 17.241 Kap. 17

Hier wird nicht zwischen Eheleuten firm und fair verhandelt, und auch nicht zum Abschluss des Ehevertrages „motiviert“, sondern schlicht massiver Druck auf den in den Familienkreis eintretenden Ehepartner und den in den Gesellschafterkreis eintretenden Abkömmling ausgeübt.1 Die Disparität liegt also nicht darin begründet, dass ein Ehepartner den anderen dominiert, sondern beide Ehepartner „notgedrungen“2 eine von dritter Seite eingeforderte Verpflichtung erfüllen. Die Güterstandsklausel ist damit ein „hoch effizientes Verhandlungsdruckmittel“ und baut eine „Drohkulisse“ auf, der das junge Paar nicht standhalten kann.3 Mit Recht wird daher inzwischen gesehen, dass die subjektive Disparität in diesen Fällen mit der Folge der Nichtigkeit des Ehevertrages gegeben ist.4

17.238

Das ohnmächtige neue Familienmitglied mag zwar „empört“ sein. Dies kann aber den Abschluss des Ehevertrages nicht verhindern, zumal das bestehende Risiko der Trennung der Eheleute durch einen Überoptimismus5 in die Dauerhaftigkeit der Beziehung überblendet wird. Das Gefühl, von der Familie des Ehepartners ungerecht behandelt worden zu sein, kann sich indes auf ewig in das emotionale Gedächtnis einbrennen und einen ersten Grundstein für den späteren Verrechnungsnotstand legen mit der Folge, dass der Auftrag zum gerechten Kontenausgleich unter Umständen an die Kinder weitergeben wird (Delegation).

17.239

Daraus folgt: Güterstandsklauseln haben in Gesellschaftsverträgen nichts verloren.6 Sie sind der falsche Ort. Eheverträge müssen zwischen Eheleuten firm und fair verhandelt werden und nicht zwischen „Gesellschaftern“, die „ihr“ Unternehmen schützen wollen.

17.240

Hier zeigt sich nun mit aller Deutlichkeit die Kraft der mediativen Familienverfassung. Wenn die dem Subsystem der Familie zuzuordnenden Ehepaare die Familienverfassung erarbeiten und alle das gemeinsame Ziel entwickelt haben, das Familienunternehmen zu schützen, können sie firm und fair verhandeln, wie ihre jeweiligen im Synallagma stehenden Beiträge oder Gaben7, materielle und immateriellen Werte oder Leistungen und Gegenleistungen aussehen. Das kann dann auch ein Ehevertrag mit Gütertrennung sein. Als Gabe für den Verzicht auf den Zugewinn könnte eine Versorgungsregelung verhandelt werden (Destinatär in einer Stiftung, Übertragung von Immobilienvermögen, Unterhalt, Rente, etc.). Für das Wertebild könnte der Ehepartner als immateriellen Wert z.B. die Kindererziehung oder den Verzicht auf Karriere oder das Vermögen eintragen, welches er im Falle der Nichtheirat hätte aufbauen können. Auch hier gilt der mediative Grundsatz, dass vor einer rechtsverbindlichen Vereinbarung jeder wissen muss, auf welche rechtlichen Ansprüche er gegebenenfalls verzichtet und was er stattdessen gewinnt. Solange dies nicht klar ist, ist die Familienverfassung als informierter Konsens nicht tragfähig. Eine ehevertragliche Vereinbarung, die dem Rechnung trägt, kann daher für alle Ehepaare der Familie entweder gleichberechtigt oder unter Berücksichtigung unterschiedlicher, aber von allen mitgetragener Bedürfnisse und Anliegen, in der Familienverfassung festgelegt werden. Dass die Vereinbarung noch beurkundet werden muss,

17.241

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Wenckstern, NJW 2014, 1335 (1339). Milzer, NZG 2017, 1090 (1092). Wenckstern, NJW 2014, 1335 (1339). Milzer, NZG 2017, 1090 ff. Röthel in Röthel, 9 (36): „In den Kreis der beziehungstypischen Rationalitätsverzerrungen gehört ein Phänomen, das als overconfidence (Überoptimismus) bezeichnet wird“. 6 Wenckstern, NJW 2014, 1335 (1339); zust. Milzer, NZG 2017, 1090 (1091): „sittlich indifferent“; a.A. Hölscher, NJW 2016, 3057 (3058). 7 Zum Gabentausch vgl. Burkart in Röthel, 88; vgl. auch zum Geben und Nehmen in Netzwerkbeziehungen Rüsen/von Schlippe/Kleve in Kleve/Köllner, 225 (258 f.).

Born | 1189

Kap. 17 Rz. 17.241 | Mediation für Familienunternehmen

ist kein Hinderungsgrund, denn das ist Alltag in der Mediation und ist auch bei dem im Gesellschaftsvertrag geforderten Ehevertrag nicht anders. Anders ist aber, dass die von den Ehepaaren mediativ verhandelte und gewollte und vom Konsens getragene und dem Schutz des Familienunternehmens dienende „Güterstandsregelung“ nicht angreifbar ist und am Ende für alle „den Kuchen“ größer macht. d) Schlussfolgerung

17.242

Die rechtlich verbindliche Familienverfassung sollte mithin das Ergebnis einer mediativen Verhandlung der Mitglieder der Unternehmerfamilie sein, wobei nicht der Weg das Ziel ist, sondern Ziel ist das Ende des Weges. Der eine gibt, weil der andere verzichtet oder etwas anderes gibt. Der andere verzichtet, weil er etwas bekommt. Das Verhandeln über und der Austausch von materiellen und immateriellen Werten steht damit im Vordergrund. Die Beiträge der Familienmitglieder und ihr wechselseitiges Geben und Nehmen1 stehen in einem synallagmatischen Verhältnis. Die jeweiligen materiellen und immateriellen Werte, die Bestandteile der wechselseitigen Angebote sind, werden versprochen, weil auch die anderen Familienmitglieder ihrerseits Angebote unterbreiten und etwas versprechen. Die Währung für den Ausgleich von Konten ist dabei unterschiedlich. Manchmal heißt sie „Fairness“, manchmal „Respekt“, „Verlässlichkeit“ oder „Sicherheit“.2 So kann Schuld gegen Geld, Verzicht auf Kariere gegen juristisch nicht begründete Abfindungen oder Versorgungen getauscht werden. Die Familienverfassung ist damit das Ergebnis eines mediativen Verhandelns von Leistung und Gegenleistung, von Geben und Nehmen jenseits des kommerziellen Austauschvertrages.3

17.243

Aus diesem Grund enthält die Familienverfassung auch die verhandelten Sanktionsvereinbarungen, z.B. in dem sie die Mechanik und den Inhalt des Schenkungsvertrages über Gesellschaftsanteile an dem Familienunternehmen vorgibt. Wenn der Ehevertrag später nicht beurkundet werden sollte, wird der Gesellschaftsanteil nicht verschenkt oder er geht verloren, weil im Schenkungsvertrag der Verstoß gegen die Familienverfassung einen Rücktrittsgrund darstellt.4 Das Familienmitglied ohne Ehevertrag, kann also aufgrund der Nichterfüllung der materiellen Zugangsvoraussetzung nicht in den Gesellschafterkreis eintreten oder darin verbleiben (Rücktritt von der Schenkung).5 Der Abschluss des Ehevertrages steht damit im Synallagma mit dem Abschluss des Schenkungsvertrages.6

17.244

Gerade weil die Mitglieder des Subsystems Familie mit der Familienverfassung einen Konsens finden, wie die materiellen Regelwerke des Gesamtsystems zu gestalten sind, begründet die Familienverfassung keine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts. Es fehlt bereits das Merkmal

1 Rüsen/von Schlippe/Kleve in Kleve/Köllner, 225 (253). 2 Diez/Krabbe/Engler, 69. 3 Röthel in Röthel, 35: „... erweist sich in diesem Maße auch das rechtliche Grundmodell des kommerziellen Austauschvertrages als unzulänglich, sobald es um die Eigentümlichkeiten von familiären Verträgen im Rechtssinne geht.“ 4 So auch Wenckstern, NJW 2014, 1335 (1339). 5 Dies zeigt auch deutlich, dass allein die aus steuerlichen Gründen motivierte Übertragung von Gesellschaftsanteilen kontraproduktiv ist. Es bleibt dann nur der Weg, den Gesellschaftsvertrag mit entsprechenden Ausschlussklauseln zu füllen, dann aber im mediativen Prozess und daher im Konsens mit den unmittelbar Betroffenen; vgl. auch Born in Handbuch Familienunternehmen, Rz. 135 ff. 6 Dies gilt beispielsweise auch analog für die denkbare Übereinkunft der Familie, Gesellschafter könne nur werden oder bleiben, wer im Unternehmen mitarbeitet.

1190 | Born

D. Die mediative Familienverfassung | Rz. 17.248 Kap. 17

einer wechselseitigen Verpflichtung aller Parteien der Familienverfassung, gleichrangig zur Förderung des gemeinsamen Zwecks beizutragen.1 Der Austausch der wechselseitigen materiellen und immateriellen Werte steht im Vordergrund, auch wenn ein darüber hinaus gehendes gemeinsames Ziel oder Motiv vereinbart wurde. Die mediative Familienverfassung kann damit als rechtsverbindliche Festlegung der Ökonomie von Geben und Nehmen im Sinne eines Austauschvertrages verstanden werden. Dies macht besonders deutlich, dass eine Familienverfassung, die nur von Gesellschaftern erarbeitet wird, im Regelfall keinen Mehrwert für die Unternehmerfamilie liefern kann, sondern allenfalls für die Gesellschafter.

17.245

Neben diesem Rechtsumsetzungsauftrag wirken die Regelungen der Familienverfassung auch unmittelbar,2 sofern konkrete materielle Regelungen zwischen Familienmitgliedern getroffen werden, so z.B., wenn sich die dem Subsystem Unternehmen zuzuordnenden geschäftsführenden Gesellschafter in ihrer Rolle als Geschäftsführer verpflichten, jeweils nur noch für bestimmte Geschäftsbereiche geschäftsführungsbefugt zu sein. Oder sie fassen in ihrer Rolle als Gesellschafter einen Gesellschafterbeschluss und ändern damit konkret den Gesellschaftsvertrag einer oder mehrerer Personen(handels)gesellschaft ab, oder treffen eine auch in Kapitalgesellschaften zu beachtende gesellschaftsrechtliche Nebenvereinbarung,3 oder ändern eine etwa bestehende Geschäftsordnung und ihre jeweiligen Anstellungsverträge (z.B. gleiche Vergütungsregelungen für alle oder ungleiche).

17.246

Schließlich ist die Familienverfassung jenseits der unmittelbaren Rechtswirkungen als Auslegungsrichtlinie4 für die nachgeordneten Regelwerke des Gesamtsystems im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung heranzuziehen.5 Etwaige auftretende Widersprüche, Lücken oder Unklarheiten oder Konflikte werden damit immer i.S.d. Geistes und der Wertvorstellungen der Familienverfassung bearbeitet. Dies gilt insbesondere auch für Gesellschaftsverträge6 von Personen(handels)gesellschaften und Kapitalgesellschaften, unabhängig davon, ob ein Hinweis auf die Familienverfassung gegeben ist. So hebt Prütting7 zutreffend hervor: „Wer sich an einer familiengetragenen Gesellschaft beteiligt und nachweislich den Konnex von Familienverfassung und darin enthaltenen Maximen oder auch konkreten Vorgaben kennt oder sogar Teil des Vertragswerks Familienverfassung ist, dem steht es aufgrund der engen gesellschaftsrechtlichen Bindung mit Blick auf die angeführten Treuegesichtspunkte nicht zu, sich ausschließlich auf Gesetz, Satzung und Rechtsprechung zu Publikumsgesellschaften unter Ausschluss der besonderen familienverfassungsrechtlichen Einwirkungen zurückzuziehen.“ Dies ist im Übrigen auch das entscheidende Argument dafür, dass alle Mitglieder der Unternehmerfamilie an der Erarbeitung der Familienverfassung beteiligt sind und nicht nur die Gesellschafter.

17.247

Daraus folgt auch, dass die Verpflichtung zur Einhaltung und Umsetzung der Familienverfassung i.S.d. Gesellschaftsvertrags eine Beitragsverpflichtung des einzelnen Gesellschafters dar-

17.248

Schäfer in MüKo7, § 705 BGB Rz. 161, 162. Zur Geschäftsordnung vgl. Mutter, 37. BGH NZG 2010, 988 f.; BGH NJW 1983, 1910 (1911). So auch Fabis, 15: „Auslegungshilfe“. May/Bartels, 127, 128; Hueck, 118; Prütting/Schirrmacher, ZGR 2017, 829 (847): „... die Möglichkeit besteht, auch individuelle Verhältnisse und damit gegebenenfalls auch eine eventuell existente Familienverfassung in der dabei durchzuführenden Angemessenheitskontrolle zu berücksichtigen und den Gesellschaftsvertrag damit auch anhand einer solchen zu überprüfen“. 6 So auch Neumueller, 206. 7 Prütting in Lange/Windthorst, 35 (50). 1 2 3 4 5

Born | 1191

Kap. 17 Rz. 17.248 | Mediation für Familienunternehmen

stellt.1 So ist es auch denkbar, dass die Familienverfassung durch einen Gesellschafterbeschluss auf die korporative Ebene gehoben wird.2 Die Nichtbefolgung der in den Gesellschaftsvertrag inkorporierten Familienverfassung führt weiter dazu, dass der Gesellschafter nicht nur die Familienverfassung verletzt, sondern zeitgleich seine aus der Gesellschafterstellung folgende Treupflicht.3 Dies gilt unter Berücksichtigung des Vertrauens durch externe Regelungen selbst in dem Fall, in dem der Gesellschaftsvertrag oder die Satzung keine Bezugnahme auf die (nicht beurkundete) Familienverfassung enthält.4 Dabei gilt im Besonderen, dass der BGH5 bei den Personengesellschaften die Wirksamkeit eines Mehrheitsbeschlusses der Gesellschafter allein am Maßstab der gesellschaftsrechtlichen Treupflicht überprüft, so dass es am Ende immer darauf ankommt, „ob der Eingriff im Interesse der Gesellschaft geboten und dem betroffenen Gesellschafter unter Berücksichtigung seiner eigenen schutzwürdigen Belange zumutbar ist“. Da nach dem BGH6 diese Mehrheitsbeschlüsse „nicht abstrakt und ohne Berücksichtigung der konkreten Struktur der jeweiligen Personengesellschaft und einer etwaigen besonderen Stellung des betroffenen Gesellschafters festgestellt werden können“, dient die Familienverfassung mithin der Konkretisierung der schutzwürdigen Belange und der Zumutbarkeit.

17.249

Die berechtigte Frage, was aber geschieht, wenn genau in diesem Umsetzungsprozess, der die Vorgaben von Familienverfassungen in durchsetzbare Regelungen „heruntertransformieren“ soll, Grundsatzkonflikte oder Grabenkämpfe zwischen einzelnen Gesellschaftern oder Stämmen entstehen oder erneut aufbrechen,7 wurde bereits beantwortet. Sofern die Zugangsschranken zu den Subsystemen greifen, vollzieht sich keine Veränderung in den Subsystemen! Indes wird dadurch die Konsensfiktion beendet. Nun ist die Mediation als Konfliktbearbeitungsregel ein geeignetes Verfahren, um Aktualkonflikte zu bearbeiten. e) Dogmatische Einordnung

17.250

Ist die mediative Familienverfassung damit ein rechtlich verpflichtendes Austauschverhältnis von materiellen und immateriellen Werten, ist sie dogmatisch als familialer Rahmenvertrag in Form des komplexen Langzeitvertrages zu qualifizieren.

17.251

Insoweit kann ergänzend zu Uffmann und Fleischer auf die Gedanken von Nicklisch8 zurückgegriffen werden. Bei den Subunternehmerverträgen bei Bau- und Anlagenprojekten im In- und Auslandsgeschäft sind alle vertraglichen Beziehungen voneinander unabhängig. Sie haben aber zumindest eine faktisch verbindende Gemeinsamkeit: Sie sind Teil eines Netzwerks von Vertrags1 Holler in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 7, § 75 Rz. 112: „Gesellschaftervereinbarungen enthalten in der Praxis regelmäßig Beitrags- und Förderpflichten, welche rechtlich verbindlich vereinbart werden und einklagbar sind“. 2 Prütting in Lange/Windthorst, 35 (47). 3 Born in Handbuch Familienunternehmen, Rz. 51; BGH v. 9.12.1968 – II ZR 42/67, BGHZ 51, 204 = NJW 1969, 793 (794), zur Berücksichtigung eines „Familienvertrags“ bei der Konkretisierung der gesellschaftlichen Treupflicht; Prütting/Schirrmacher, ZGR 2017, 829 (834): „... Ausstrahlkraft auf den Gesellschaftsvertrag und die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht.“; Prütting in Lange/Windthorst, 35 (44): „... das bereits de lege lata über die Treuepflicht der Weg für eine justiziabel Einbeziehung der Familiencharta geebnet ist.“; zur Treueplicht vgl. auch Lutz, Gesellschafterstreit, Rz. 69a. 4 BGH, NZG 2010, 988 f; Prütting in Lange/Windthorst, 35 (47). 5 BGH, NZG 2014, 1296 (1300). 6 BGH NZG 2014, 1296 (1300). 7 Gläßer in FS Binz, 2014, 228 (235). 8 Nicklisch, NJW 1985, 2361 ff.

1192 | Born

E. Collaborative Law – Cooperative Praxis | Rz. 17.254 Kap. 17

beziehungen,1 die alle auf die ordnungsgemäße Erfüllung des Kundenvertrags ausgerichtet sind. Diese gemeinsame Zielsetzung, die auch regelmäßig in den einzelnen Verträgen Ausdruck findet, führt bei den Beteiligten in aller Regel zu dem Bewusstsein, dass sie zur Realisierung des Hauptvertrages zusammenwirken müssen und insofern mehr oder minder „in einem Boot sitzen“. Die den Typus des komplexen Langzeitvertrages prägenden Merkmale sind der Langzeitcharakter, das dynamische Vertragskonzept, d.h., im Zeitpunkt des Vertragsschlusses können regelmäßig nicht alle Einzelheiten der zu erbringenden Leistungen von vornherein exakt festgelegt werden, und schließlich das Strukturelement der Kooperation.

17.252

Dies ist bei der Familienverfassung als familialer komplexer Langzeitvertrag,2 der über Generationen gelten soll, ebenso.3 Die gegenwärtigen und zukünftigen Verträge (z.B. Gesellschaftsverträge, Eheverträge, Schenkungsverträge, Beteiligungserwerbe, letztwillige Verfügungen, etc.) müssen unter Umständen erst noch geschlossen oder abgeändert werden. Bestimmte Eckpfeiler werden aber in der Familienverfassung bereits als Zugangsvoraussetzung zu den Subsystemen Gesellschafter und Unternehmen vorgegeben. Alle materiellen Regelwerke des Gesamtsystems sind zwar rechtlich voneinander unabhängig; der Abschluss des einen Vertrages wird aber nur erfolgen, wenn auch der andere Vertrag abgeschlossen wird. Alle verbindlichen Regelwerke sind „familiale Verträge“4 und sie dienen der Erreichung des gemeinsamen Ziels (hier Erfüllung des Familieninteresses als wechselseitig bedürfnisorientierte Zieldefinition). Alle Regelwerke haben daher eine faktische Gemeinsamkeit, sie dienen dieser Zielerreichung und insofern sitzen alle Familienmitglieder „in einem Boot“5 und die Familie und das Unternehmen bilden eine „Schicksalsgemeinschaft“6. Somit müssen sie bei der Erarbeitung der Familienverfassung kooperativ und konsensual zusammenwirken, Rechte und Pflichten statuieren, Zugangsvoraussetzungen der Subsysteme bestimmen, Mitwirkungshandlungen und Unterlassungsverpflichtungen definieren und unmittelbar wirkende materielle Regelungen treffen, um die Subsysteme und das Gesamtsystem störungsfrei zu steuern.7

17.253

E. Collaborative Law – Cooperative Praxis Die Cooperative Praxis8 (CP-Verfahren) hat sich aus der Mediation heraus entwickelt und sie wird seit 2007 in Deutschland angeboten.9 Sie bedarf einer eigenen und zusätzlichen Ausbil-

1 Vgl. zum Netzwerkgedanken m.w.N. auch Hueck, 303; Rüsen/von Schlippe/Kleve in Kleve/Köllner, 225 (256); s. auch Fleischer, ZIP 2016, 1509 (1519): „nexus of contracts“. 2 Anklingend bei Hueck, 74. 3 Gibhardt/Blusz, Deutscher AnwaltSpiegel Spezial Private Clients 2010, 5: „... im Zweifel mehrere Jahrzehnte „in Kraft“ bleiben...“; Mutter, 35: „Die Strategie sollte deshalb nicht früher als 15 Jahre nach ihrer Umsetzung zur Disposition der Familienmitglieder stehen.“ 4 Röthel in Röthel, 1 (2). 5 Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 40. 6 Simon/Wimmer/Groth, 154. 7 Uffmann, ZIP 2015, 2441 (2449): „integratives, übergreifendes Steuerungsinstrument auf einer Meta-Ebene“. 8 Mähler/Mähler in Heussen/Hamm, § 48 Rz. 45 f.; Engel, ZKM 2013, 170 ff.; Bruhn, NJOZ 2008, 1726 ff.; Steffek in Greger/Unberath/Steffek, § 1 Rz. 47; Schmeing, 78 ff. 9 Inzwischen sind die Deutsche Vereinigung für Cooperative Praxis (DVCP) wie verschiedene, regionale Gruppierungen gegründet worden; https://www.collaborativepractice.com (Abruf 3.1.2020); www.cooperative-praxis.de (Abruf 3.1.2020).

Born | 1193

17.254

Kap. 17 Rz. 17.254 | Mediation für Familienunternehmen

dung der Anwälte, die bereits zum Mediator ausgebildet sind (Anwaltsmediatoren). Das CPVerfahren ist ein weiter entwickeltes Mediationsverfahren. Es teilt die Leitsätze der Mediation, es gelten die gleichen Prinzipien und die gleichen Schrittfolgen. Allerdings gibt es keinen allparteilichen Mediator, der den Prozess steuert. Die meditative Prozesssteuerung obliegt den jeweiligen CP-Anwälten, die die Konfliktparteien anwaltlich vertreten.

17.255

Das Besondere am CP-Verfahren liegt nun darin, dass die CP-Anwälte von den Parteien von ihrer jeweiligen anwaltlichen Verschwiegenheitsverpflichtung befreit werden und sie darüber hinaus einem gerichtlichen Vertretungsverbot unterliegen. Die CP-Anwälte sind daher von vornherein verpflichtet, ihr Mandat zu beenden und nicht vor Gericht aufzutreten, falls die mediativen Verhandlungen scheitern, bzw. nicht zu einer Einigung führen. Die CP-Anwälte können das Verfahren daher nur gewinnen, sofern es ihnen gelingt, die Parteien darin zu unterstützen, eine für sie faire Lösung mediativ zu verhandeln, die ihre jeweiligen wechselseitigen Bedürfnisse berücksichtigt.

17.256

Die CP-Anwälte können mit voller Energie auf eine Einigung hinarbeiten und sie müssen sich nicht „rechtspositionsfähig“ für eine Vertretung vor Gericht halten.1 Sie müssen nicht taktieren und abwägen, welche Information sie preisgeben oder nicht preisgeben, weil sie in einem späteren Verfahren Verwendung finden könnte.

17.257

Das CP-Verfahren kommt in Betracht, sofern die Parteien nicht nur ihre Ansprüche durchsetzen wollen, sondern wenn es ihnen auch darum geht, auf der Grundlage des gesamten Konfliktstoffes im Austausch aller Ressourcen und Synergien eigenverantwortlich einen Konsens anzustreben.2 Ein weiterer Vorteil des CP-Verfahrens liegt darin, dass ungleiche Machtverhältnisse ausbalanciert werden können. So sind die CP-Anwälte auch Unterstützer und Fürsprecher ihrer Partei und zwar nicht nur, weil sie ihre Ansprüche durchsetzen, sondern weil sie mitwirken, dass die persönlichen Anliegen und Bedürfnisse ihrer Partei und auch ihre immateriellen Werte Eingang in die mediativen Verhandlungen finden und im Rahmen der wechselseitigen bedürfnisorientierten Zieldefinition berücksichtigt werden.

17.258

Die Vereinbarung einer CP-Klausel in der Familienverfassung und allen nachgelagerten materiellen Regelwerken des Gesamtsystems ist daher vorrangig zu empfehlen.3 Dies gilt insbesondere, sofern sich junge Gesellschafter in einem Aktualkonflikt befinden und Schwierigkeiten haben, für sich selbst einzustehen oder psychologische oder rechtsberatende Unterstützung brauchen. In einem Mediationsverfahren würden sie sich unter Umständen nicht „öffnen“ und selbst behaupten (Window I). Ein Fürsprecher in Gestalt eines CP-Anwalts, der nicht konfliktverschärfend arbeitet und einem gerichtlichen Vertretungsverbot unterliegt, kann eine wesentliche Entlastung für das Familienmitglied und auch die Familie bewirken.

17.259

Darüber hinaus kann Cooperative Praxis an die Stelle der Mediation treten, wenn die Kapazität des neutralen Mediators nicht ausreicht, um die Parteien zu einer eigentlich gewollten Ei1 Duve/Eidenmüller/Hacke/Fries, 73; Mähler/Mähler in Heussen/Hamm, § 48 Rz. 45 f. 2 Mähler/Mähler in Heussen/Hamm, § 48 Rz. 45 f. 3 Die Beauftragung von CP-Anwälten scheint insbesondere vor dem Hintergrund des „Rufs“ der Anwälte bei der Beratung von Familienunternehmen angezeigt, wenn man bei Baus, 37 liest: „Anwälte fördern häufig absolutistische Illusionen bei ihren Mandanten. Das Zusammenspiel von Anwälten und Parteien prägt eine schiefe Sicht auf die Verhältnisse. Traditionelles anwaltliches Denken orientiert sich gewohnheitsmäßig an den Kategorien Partei und Konflikt. (..) tragen Anwälte noch immer dazu bei, indem sie das Gewinnen als zugleich sinnvolles und plausibles Ziel hinstellen.“

1194 | Born

E. Collaborative Law – Cooperative Praxis | Rz. 17.265 Kap. 17

nigung zu begleiten.1 Als komplexeres Verfahren kann es bei komplexeren Sachverhalten, wie z.B. der Unternehmensnachfolge eingesetzt werden. Auch hier gilt wieder die Erkenntnis, dass Komplexität nur mit Varietät beherrscht werden kann. Die größte Herausforderung besteht allerdings für die CP-Anwälte bezüglich ihrer inneren Haltung. Im Rahmen ihrer juristischen Ausbildung haben sie gelernt, die Interessen ihrer Partei notfalls vor Gericht durchzusetzen, soweit Anspruchsgrundlagen, Einreden und Einwendungen begründbar und beweisbar sind. Die Mediationsausbildung hinterlässt jedoch im Regelfall „Spuren“ und führt zu einer Veränderung der Haltung. Der Blick auf die wechselseitigen Bedürfnisse der Konfliktparteien und die Arbeit mit Emotionen prägt die „erweiterte Wahrnehmung“. Am Ende steht damit auch eine Veränderung des Selbstverständnisses vom Berufsbild des Rechtsanwalts.2

17.260

Das CP- Verfahren stellt nun die Anforderung, sowohl Anwalt als auch Mediator in einer Person zu sein und beides zu praktizieren (Haltungs-Split). Ein scheinbar offensichtlicher und nicht lösbarer Widerspruch.3 Blickt man jedoch genauer auf das Verfahren, ist diese Aufgabe lösbar.

17.261

Das CP-Verfahren beginnt mit einer Vorlaufphase. Die CP-Anwälte sprechen zunächst mit ihren jeweiligen Mandanten. Hier wird ausgelotet, ob der Mandant für ein CP-Verfahren bereit ist. Im Kern werden die Prinzipien der Mediation, die Leitsätze und die Schrittfolgen vermittelt. Gleichzeitig wird der CP-Anwalt darauf hinweisen, dass er nicht allparteilich ist, sondern als Fürsprecher die mediative Aufgabe hat, den Mandanten darin zu unterstützen, eigenverantwortlich eine Lösung mit der Gegenseite mediativ zu verhandeln.

17.262

In Schritt zwei treffen sich die CP-Anwälte ohne die Mandanten. Von der Verschwiegenheitsverpflichtung befreit schließen sie das Arbeitsbündnis. Dieses wird schriftlich fixiert und von allen unterschrieben.

17.263

Im Schritt drei erfolgt das erste Gespräch zwischen allen Beteiligten. Es schließen sich mehrere Sitzungen an, die einmal zwischen dem CP-Anwalt und seinem Mandanten oder auch zwischen den beiden CP-Anwälten oder weiteren Experten, Gutachtern, Psychologen, Mediatoren, etc. geführt werden.

17.264

Bricht in einer Sitzung der Aktualkonflikt aus, bevorzugen wir, dass ein Überkreuz-Paraphrasieren praktiziert wird. Dies bedeutet, dass bei einer emotionalen Entladung und der Suche nach dem Bedürfnis der gegnerische CP-Anwalt den Mandanten paraphrasiert. Dies kann hilfreich sein, damit der Mandant sich von dem gegnerischen CP-Anwalt verstanden fühlt. Der CP-Anwalt muss in dieser Phase indes behutsam vorgehen, damit sein Mandant nicht den Eindruck erhält, er stünde dem Konfliktgegner näher als seinem Auftraggeber. Diese möglicherweise auftretende Situation ist schon in der Vorlaufphase mit dem Mandanten zu besprechen.

17.265

1 Mähler/Mähler in Heussen/Hamm, § 48 Rz. 45 f. 2 Vgl. zum „Mediationsanwalt“ May, NZBau 2015, 468 ff. 3 Duss-von Werdt, Einführung in Mediation, 16: „eine Mediatrix, die auch Anwältin ist, kann nicht beides sein...“.

Born | 1195

Kap. 17 Rz. 17.266 | Mediation für Familienunternehmen

F. Das mediative schiedsrichterliche Verfahren I. Vorbemerkung 17.266

Ein ordentliches Gerichtsverfahren1 als Problemlösung ist nur scheinbar eine Alternative zur Mediation und zum CP-Verfahren. Denn das ordentliche Gerichtsverfahren und damit die Entscheidung eines Dritten, der den Konflikt nicht kennt und damit kein Experte des konkreten Konflikts ist, führt häufig zur Auflösung der familiären Beziehung; das „Vertrauensverhältnis wird zerstört und die Intensität der familiären Kommunikation wird beendet“.2 Das „gerichtliche Urteil beendet den Konflikt und zugleich die Beziehung“.3 Die oft eigentlich den Streit auslösenden oder verschärfenden Umstände, wie persönliche Differenzen zwischen den Beteiligten, Verrechnungsnotstände, Systemgesetzverletzungen werden nicht thematisiert und können daher auch nicht bearbeitet und beigelegt werden, so dass zumindest latente Konfliktherde bestehen bleiben.4 Nach einer „aufreibenden gerichtlichen Auseinandersetzung über Jahre hinweg werden weder Sieger noch Unterlegener sich gemeinsam einer lebendigen Familie als einer emotional verbundenen Gruppe zugehörig fühlen“.5 So gibt es in diesem „Familienkonkurs“6 am Ende nur Verlierer.

17.267

Jeder Versuch einer einvernehmlichen Lösung ist daher vorzugswürdig. Heute ist die Ansicht daher weit verbreitet, dass es nützlich und hilfreich sein kann, ein Mediationsverfahren durchzuführen, bevor ein Schiedsgericht angerufen wird.7

17.268

Gleichwohl kann Mediation und Cooperative Praxis nicht gelebt werden, ohne dass auf das rechtsstaatliche Gerichtssystem zurückgegriffen werden kann. Und die Mediation ist kein „Allheilmittel“ und keine „Wunderwaffe“.8 Sie kann aus mehreren Gründen schlicht scheitern, z.B. sofern der Mediator seine Allparteilichkeit verliert, indem er Lösungsvorschläge unterbreitet9 oder die Medianden die Mühen und emotionalen Anstrengungen einer Mediation scheuen oder nicht mehr aushalten. Für die Medianden ist es dann entlastend, dass sie ihren Konflikt in fremde Hände legen können und auf einen „gerechten“ Ausgang hoffen.

17.269

Ihnen ist aber meist nicht bewusst, dass der „Dritte“ stets bemüht sein wird, in der Vergangenheit10 liegende und bewiesene Sachverhalte, verstanden als objektive Tatbestände, unter eine Rechtsnorm oder unter die vorhandenen materiellen Regelwerke des Gesamtsystems zu subsumieren. Er wird seinem Urteilsspruch damit eine angeordnete Rechtsfolge zugrunde legen, die zum Zeitpunkt der Verkündung der Norm von einer in der Bevölkerung angenom-

1 Hier wird nur auf das kontradiktorische Urteil Bezug genommen. Der überwiegende Teil der gerichtlichen Verfahren wird nicht durch ein streitiges Urteil beendet, sondern durch einen Vergleich, auch durch mediativ ausgebildete und arbeitende Güterichter, oder einseitige Parteierklärungen mit verfahrensbeendender Wirkung, Schmeing, 101 ff. 2 Kormann, Zusammenhalt der Unternehmerfamilie, 415. 3 Kormann, Zusammenhalt der Unternehmerfamilie, 415; Simon, Einführung in die Theorie des Familienunternehmens, 116; Baus, 38. 4 Fabis, OSC 4 (2007) 14, 359; Wedemann, 513. 5 Kormann, Zusammenhalt der Unternehmerfamilie, 415. 6 Wimmer/Simon in Kleve/Köllner, 155. 7 Kormann, Governance des Familienunternehmens, 634; Habbe/Gieseler, NZG 2016, 1010 (1014). 8 Schmeing, 65 f.; vgl. zu Indikationen für eine Mediationseignung Rosner/Winheller, 329 ff. 9 So aber Jansen/Beyerlein, BB 2012, 733 (735). 10 Fabis, OSC 4 (2007) 14, 359; Risse, BB 1999, Beil. 9, 1 (2).

1196 | Born

F. Das mediative schiedsrichterliche Verfahren | Rz. 17.271 Kap. 17

men Mehrheit oder dem Abschluss des Regelwerkes von der Mehrheit der Vertragsbeteiligten ein „gerechtes Ergebnis“ darstellt. Ob dies mit dem subjektiven Gerechtigkeitsempfinden auch nur einer Partei zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung übereinstimmt, ist offen.1 Gleichwohl werden die Parteien versuchen, ihren Rechtsanwalt davon zu überzeugen, er möge dem Richter unbedingt auch die erlittenen Verletzungen, die empfundenen Ungerechtigkeiten und die Unerträglichkeit der anderen Seite darlegen, weil „natürlich nur so“ der Richter den Konflikt wird wirklich verstehen können. Die Arbeit des Richters ist jedoch von Methodenlehre und Subsumtion geprägt und sie lebt nicht vom Verständnis der wechselseitigen Bedürfnisse des Klägers und des Beklagten. Der Richter blickt im Rahmen der Urteilsbegründung nicht in die Zukunft und er hat von Berufs wegen nicht die Aufgabe, zu erforschen, was die Parteien auf der Ebene der Bedürfnisbefriedigung brauchen, um in Zukunft mit ihrem Konflikt gut umzugehen oder ihn gar zu lösen.2

II. Schiedsgericht Als Alternative zum ordentlichen Gerichtsverfahren kommt für Familienunternehmen jedoch ein Schiedsverfahren3 in Betracht. Vereinzelt findet man Pressemitteilungen, die darauf hinweisen, dass innerhalb von Familienunternehmen Schiedsgerichte für die Konfliktlösung bevorzugt angerufen werden.4 Zu nennen ist z.B. der Familienstreit innerhalb der Familie Oetker. Neben der Gesellschafterversammlung ist der Beirat dort das wichtigste Kontrollgremium der Gruppe. Bei dem Streit ging es um die Besetzung des Beirats. Im Wege eines Vergleichs vor einem Schiedsgericht wurde vereinbart, dass die drei Familienstämme jeweils einen Vertreter in den Beirat entsenden.5

17.270

III. Schiedsverfahren Die Zivilprozessordnung regelt das schiedsrichterliche Verfahren in den §§ 1025 ff. ZPO. Die Einleitung eines Schiedsverfahrens setzt eine Schiedsvereinbarung der Parteien voraus, §§ 1029 ZPO, 1031 ZPO, entweder als selbständige Schiedsabrede oder als Schiedsklausel in einem Hauptvertrag, z.B. auch in einem Gesellschaftsvertrag oder einer Familienverfassung. Wesentliche Rechte sind das Recht auf rechtliches Gehör, § 1042 Abs. 1 Satz 2 ZPO oder auch das Recht auf Gleichbehandlung der Parteien, § 1042 I Satz 1 ZPO. Weiter können auch Rechtsanwälte nicht von der Verhandlung ausgeschlossen werden, § 1042 Abs. 2 ZPO. Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten wird ausgeschlossen und eine dennoch vor einem ordentlichen Gericht erhobene Klage wird als unzulässig abgewiesen, § 1032 ZPO. Soweit nichts anderes vereinbart ist, ist das Gericht mit drei Richtern zu besetzen, § 1034 ZPO. Wie

1 Schmeing, 99 f. 2 Vgl. Fabis, 22; Risse, NJW 2000, 1614 ff.; vgl. auch Rosner/Winheller, 323 ff.; Schmeing, 98. 3 Lutz, Gesellschafterstreit, Rz. 820 ff.; Kalss/Probst, Familienunternehmen, 10. Kap., Rz. 7 ff.; Habbe/Gieseler, NZG 2016, 1010 (1012); Fabis, OSC 4 (2007) 14, 359; zu den Kombinationsmöglichkeiten von Schiedsverfahren und Mediation vgl. Dendorfer-Ditges in Kloweit/Gläßer, Teil 3 N, 870 ff.; Scherer, BB 2010, 323 (328); Jansen/Beyerlein, BB 2012, 733 (735); Wicke, ZGR 2012, 450 (480); Wedemann, 522. 4 Anders die detaillierten rechtstatsächlichen Untersuchungsergebnisse von Wedemann, 522, danach hat kaum eine GmbH-Satzung eine Schiedsklausel. 5 Zeit online: Herrschen oder Teilen – Streit im Hause Oetker: Bericht Deutschlands bekannteste Wirtschaftsdynastie bald auseinander?, 13.3.2014, editiert am 22.3.2014, abgerufen am 3.1.2020 unter https://www.zeit.de/2014/12/familienkonzern-oetker.

Born | 1197

17.271

Kap. 17 Rz. 17.271 | Mediation für Familienunternehmen

die Richter bestellt werden, unterliegt der Parteivereinbarung. Gleiches gilt auch für die Qualifikation der Richter. Die Richter müssen auch nicht juristisch ausgebildet sein und schließlich wird der Ort vom Schiedsgericht bestimmt, § 1043 ZPO. Im weiteren Verlauf ähnelt das Verfahren dann dem ordentlichen Gerichtsverfahren. Es werden Anträge gestellt, vom Schiedsgericht Fristen gesetzt und der Rechtsstreit wird nach einer mündlichen Verhandlung durch einen Schiedsspruch entschieden, es sei denn die Parteien schließen einen Vergleich, der ebenfalls als Schiedsspruch formuliert wird, § 1053 ZPO. Der Schiedsspruch kann für vollstreckbar erklärt werden und er hat inter partes die Wirkung eines rechtskräftigen gerichtlichen Urteils, § 1055 ZPO, welches vom OLG nur bei Vorliegen grober Verfahrensstöße aufgehoben werden kann, § 1062 Abs. 1 Nr. 4 ZPO.

IV. Beschlussmängelstreitigkeiten 1. Schiedsfähigkeit II 17.272

Neue Attraktivität könnte das Schiedsverfahren durch die Rechtsprechung des BGH zu Beschlussmängelstreitigkeiten erlangen.

17.273

Lange Zeit galt es als herrschende Meinung, dass Beschlussmängelstreitigkeiten nicht vor einem Schiedsgericht ausgetragen werden dürfen. Der BGH hat indes in seiner Entscheidung „Schiedsfähigkeit II“ vom 6.4.20091 seine bisherige Auffassung aufgegeben und ausgeführt, dass Beschlussmängelstreitigkeiten im Recht der GmbH auch ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung der Wirkungen der §§ 248 Abs. 1 Satz 1, 249 Abs. 1 Satz 1 AktG grundsätzlich Kraft einer dies analog im Gesellschaftsvertrag festschreibenden Schiedsvereinbarung oder einer außerhalb der Satzung unter Mitwirken aller Gesellschafter und der Gesellschaft getroffenen Individualabrede „schiedsfähig“ seien. Voraussetzung sei weiter, dass das schiedsgerichtliche Verfahren in einer dem Rechtsschutz für staatliche Gerichte gleichwertigen Weise ausgestaltet sei. Aus dem Rechtsstaatsprinzip folge, dass es ein Mindeststandard an Mitwirkungsrechten und damit an Rechtsschutzgewährung für alle der Schiedsklausel unterworfenen Gesellschafter geben müsse.

17.274

Die in einer Satzung enthaltene Schiedsklausel muss sich allerdings an § 138 Abs. 1 BGB messen lassen. Eine Schiedsklausel würde demnach dieser Prüfung nicht standhalten, wenn sie eine übermäßige Einschränkung des Rechtsschutzes zum Gegenstand hätte.2 Danach gilt, dass die Schiedsabrede grundsätzlich mit Zustimmung aller Gesellschafter in der Satzung verankert sein muss. Alternativ reicht auch eine außerhalb der Satzung unter Mitwirkung aller Gesellschafter und der Gesellschaft getroffene Absprache, z.B. in einer Familienverfassung. Jeder Gesellschafter muss neben den Gesellschaftsorganen über die Einleitung und den Verlauf des Schiedsverfahrens informiert und dadurch in die Lage versetzt werden, dem Verfahren zumindest als Nebenintervenient beizutreten.3

17.275

Ferner müssen sämtliche Gesellschafter an der Auswahl und Bestellung der Schiedsrichter mitwirken können, sofern nicht die Auswahl durch eine neutrale Stelle erfolgt. Im Rahmen 1 BGHZ 180, 221 ff.; Der BGH hat damit seine Auffassung gemäß Urteil vom 29.3.1996 (BGHZ 132, 278 ff. – „Schiedsfähigkeit I“) aufgegeben, dass mangels einer ausdrücklichen Regelung durch den Gesetzgeber eine Schiedsfähigkeit vom Beschlussmängelstreitigkeiten im Hinblick auf die Wirkungen der §§ 241 Abs. 1, 249 Abs. 1 Satz 1 AktG nicht auf dem Wege richterlicher Rechtsfortbildung zu eröffnen sei. 2 BGHZ 180, 221 (228). 3 BGHZ 180, 221 (228).

1198 | Born

F. Das mediative schiedsrichterliche Verfahren | Rz. 17.278 Kap. 17

der Beteiligung mehrerer Gesellschafter auf einer Seite des Streitverhältnisses kann dabei grundsätzlich das Mehrheitsprinzip zur Anwendung gebracht werden. Schließlich muss gewährleistet sein, dass alle denselben Streitgegenstand betreffenden Beschlussmängelstreitigkeiten bei einem Schiedsgericht konzentriert werden.1 Die Entscheidung des BGH vom 6.4.2009 ist in der Literatur2 auf Zustimmung gestoßen. Die Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e.V. (DIS) hat speziell für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten ergänzende Regeln entwickelt, die die neue Rechtsprechung berücksichtigen.3

17.276

2. Schiedsfähigkeit III Der BGH hat dann mit seinem Beschluss vom 6.4.20174 seine Rechtsprechung fortgeführt und seine für die Kapitalgesellschaft entwickelten Grundsätze auch auf eine Schiedsvereinbarung in einem Gesellschaftsvertrag einer Personen(handels)gesellschaft fortgeführt. Der BGH wiederholte seine Auffassung, dass für die Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen in Gesellschaftsverträgen gewisse inhaltliche Mindestanforderungen gelten müssen, sofern und soweit sie auch Beschlussmängelstreitigkeiten erfassen sollen. Zur Begründung führt der BGH an, dass seine für die Kapitalgesellschaft entwickelten Grundsätze aus den grundlegenden Maßstäben des §§ 138 BGB ff. und des Rechtsstaatsprinzips entwickelt worden seien. Von daher würden sie im Grundsatz auch für die Personengesellschaften gelten, sofern bei diesen gegenüber Kapitalgesellschaften keine Abweichungen geboten seien. Der Kommanditist unterfiele daher genauso dem Schutz wie der Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft.

17.277

Diese Entscheidung blieb allerdings nicht ohne Kritik.5 Hintergrund ist, dass es bislang herrschende Auffassung war, dass Beschlussmängelstreitigkeiten in den Personengesellschaften ohne weiteres schiedsfähig seien und die von der Rechtsprechung entwickelten besonderen Anforderungen an Schiedsvereinbarungen grundsätzlich keine Anwendung fänden.6 Die neue Rechtsprechung führt somit dazu, dass die bestehenden Gesellschaftsverträge der Personenhandelsgesellschaften u.U. überarbeitet werden müssen. In diesem Fall kann auch die Anwendung der DIS-ERGeS in einer Personengesellschaft vereinbart werden.7

17.278

1 BGHZ 180, 221 (229). 2 Hilbig, Schieds VZ 2009, 247 (252): „..., so sehr hantiert der BGH doch mit einer Axt, wo auch ein Skalpell bereit gelegen hätte, ...“ und 258: „...das Urteil ist insgesamt sehr zu begrüßen. (...) den Vorgaben des vorliegenden Urteils hat der BGH die betroffenen Interessen ausbalanciert und praktikable Eckpfeiler für die Kautelarpraxis gesetzt“; Heskamp, RNotZ 2012, 415 ff., nach dem die Vertraulichkeit eines Schiedsverfahrens eine sachliche Erörterung der streitentscheidenden Fragen erleichtert (Seite 416) und dem Schiedsverfahrens eine vergleichsfördernde Wirkung zukommt, beispielsweise in Gesellschaften, die auf der persönlichen Zusammenarbeit der Gesellschafter beruhen und auch in Familienunternehmen. Darüber hinaus werde die Gefahr verringert, dass Gesellschaftsinterna nach Außen treten; Schröder, GmbHR 2014, 960 ff; Schmeing, 173 ff. 3 Abrufbar unter http://www.disarb.org/de/16/regeln/dis-erg%C3 %A4nzende-regeln-f%C3 %BCrgesellschaftsrechtliche-streitigkeiten-09-erges-id5 (Abruf: 3.1.2020). 4 BGH v. 6.4.2017 – I ZB 23/16, BB 2017,1171 ff. 5 Lutz, Gesellschafterstreit, Rz. 841; Göz/Peitsmeyer, SchiedsVZ 2018, 7 m.w.N. Fn. 11. 6 Göz/Peitsmeyer, SchiedsVZ 2018, 7. 7 Göz/Peitsmeyer, SchiedsVZ 2018, 7, (13).

Born | 1199

Kap. 17 Rz. 17.279 | Mediation für Familienunternehmen

3. Vorteile 17.279

Als Vorteile1 von Schiedsgerichten werden die nicht-öffentliche Verhandlung2 und die Geheimhaltung der offengelegten Informationen genannt.3 Die fehlende Öffentlichkeit führt nach allgemeiner Auffassung dazu, dass Betriebsgeheimnisse und das Innenleben des Familienunternehmens geheim bleiben. Ferner soll eine erhöhte Vergleichsbereitschaft bestehen. Als Vorteil wird auch die Möglichkeit gesehen, die Schiedsrichter auszuwählen.4 Die Unparteilichkeit der Schiedsrichter und deren fachliche Qualifizierung wird ebenfalls hervorgehoben. Schließlich werden als Vorteile genannt, die gemeinsame Akzeptanz einzelner Gutachter, die kurze Verfahrensdauer,5 die Festlegung der Anzahl der Instanzen6 und endlich die geringeren Kosten.7

4. Nachteile 17.280

Die Vorteile des Schiedsverfahrens werden nicht von allen geteilt.8 So wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die angebliche kürzere Verfahrensdauer des Schiedsverfahrens gegenüber einem Gerichtsverfahren nur dann vorliegt, wenn das Gerichtsverfahren über zwei oder drei Instanzen geführt wird. Gegenüber der Dauer eines erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens bietet das Schiedsverfahren keine zeitlichen Vorteile.9 Übersehen werde auch, dass sich an ein Schiedsverfahren ein bis zu zwei Instanzen geführtes Vollstreckungs- und Aufhebungsverfahren anschließen kann.10 Die hervorgehobenen Kostenvorteile ergäben sich ebenfalls nur dann, wenn der Rechtsstreit über mehrere Instanzen geführt wird und wenn es um hohe Streitwerte geht. Im Regelfall überstiegen nämlich die Kosten eines Schiedsverfahrens diejenigen eines gerichtlichen Verfahrens deutlich und insbesondere dann, wenn ein aus drei Personen bestehendes Schiedsgericht vereinbart worden sei.11 Den größten Nachteil teile das Schiedsgerichtsverfahren wiederum mit dem ordentlichen Gerichtsverfahren, dass nämlich die meist tieferliegenden Konfliktursachen nicht bearbeitet werden.12

V. Die DIS 17.281

Das Schiedsverfahren bietet einen erheblichen Gestaltungsspielraum. So können andere Verfahrensordnungen, z.B. die Verfahrensordnung abweichend von der Zivilprozessordnung gewählt werden. Zu empfehlen ist z.B. die von der DIS (Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e.V.) reformierte und ab dem 1.3.2018 gültige Schiedsordnung. Sie zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass sie nunmehr die Konfliktmanagementordnung als Anlage 6 in die DIS-Schiedsgerichtsordnung 2018 integriert hat. 1 Lutz, Gesellschafterstreit, Rz. 821. 2 Kirchdörfer/Breyer, FuS Sonderheft 2014, 13 (24); Fabis, OSC 4 (2007) 14, 359; Habbe/Gieseler, NZG 2016, 1010 (1012); Schmeing, 88. 3 Jansen/Beyerlein, BB 2012, 733 (735); Heskamp, RNotZ 2012, 415; vgl. Fabis, 24; Risse, BB 2001, Beilage 2 zu Heft 16, 16 ff.; Lörcher, DB 1998, 245 ff.; Wedemann, 525. 4 Vgl. Fabis, 23. 5 Vgl. Fabis, 24. 6 Schmeing, 87. 7 Vgl. Fabis, 23. 8 Schmeing, 88 f. 9 Heskamp, RNotZ 2012, 415 (416) m.w.N. 10 Heskamp, RNotZ 2012, 415 (416) m.w.N. 11 Heskamp, RNotZ 2012, 415 (416) m.w.N. 12 Vgl. Fabis, 25.

1200 | Born

F. Das mediative schiedsrichterliche Verfahren | Rz. 17.285 Kap. 17

Die DIS-Schiedsgerichtsordnung bietet weiter die Möglichkeit, die Regeln den individuellen Bedürfnissen der Parteien anzupassen. Art. 27 der 2018 DIS-Schiedsgerichtsordnung verpflichtet nunmehr das Schiedsgericht, frühzeitig eine Verfahrenskonferenz mit den Parteien abzuhalten, um mit Hilfe eines auf den konkreten Streitfall abgestimmten Plans eine zügige und kostengünstige Streitbeilegung zu erreichen (Art. 27.4 (iii) DIS-SchO). Neben der 2018 DIS-Schiedsgerichtsordnung bietet die DIS Verfahrensordnungen für das gesamte Spektrum von Verfahren zur alternativen Streitbeilegung an: Schlichtung, Mediation, Gutachten, Schiedsgutachten und Adjudikation.

17.282

Grundsätzlich soll das Schiedsgericht in jeder Phase des Verfahrens eine einvernehmliche Beilegung der Streitigkeit fördern (Art. 26 DIS-SchO 2018). Es besteht nun die Möglichkeit, dass auch ein Konfliktmanager an der Verfahrenskonferenz teilnimmt. Dessen Bestellung können die Parteien beantragen (Art. 2.2 DIS-SchO 2018 i.V.m. Anlage 6 – Konfliktmanagementordnung). Der Konfliktmanager hat die Aufgabe, die Parteien bei der Auswahl des für ihren Fall am besten geeigneten Konfliktlösungsverfahrens zu unterstützen. Die Konfliktmanagementordnung wird durch eine Mediationsordnung,1 Schiedsgutachten- und Gutachtensordnung sowie eine Verfahrensordnung für Adjudikation ergänzt.2

17.283

VI. Das mediative Schiedsverfahren Da die Parteien die Möglichkeit haben, zu bestimmen, wie das Schiedsverfahren ablaufen soll,3 könnte auch ein „mediatives Schiedsverfahren“4 vereinbart werden. Hierbei werden die Entwicklungen in der Mediation in vollem Umfang berücksichtigt und mit dem schiedsrichterlichen Verfahren „verschmolzen“. Schiedsrichter und Anwälte müssen (zertifizierte) Mediatoren sein, wobei zumindest ein Schiedsrichter die Befähigung zum Richteramt besitzen sollte. Die Anwälte sollten zusätzlich in dem Verfahren der Cooperativen Praxis ausgebildet sein. Weiter ist zu vereinbaren, dass die mündliche Verhandlung analog nach dem Konzept der Kurz-Zeit-Mediation durchzuführen ist.5

17.284

Die Leitsätze der Mediation und die Prinzipien gelten in vollem Umfang. Die rechtliche Informiertheit wird durch die CP-Anwälte sichergestellt. Alle erheblichen und relevanten Tatsachen und Informationen sind in den Schriftsätzen enthalten. Gleichzeitig wird der zu mediierende Konflikt thematisch eingegrenzt, wobei es Aufgabe der mündlichen Verhandlung sein

17.285

1 Die DIS hat in 2016 nur drei Mediationsverfahren administriert, im Jahr 2017 gar keins und im Jahr 2018 zwei, http://www.disarb.org/de/39/content/statistik-id72 (abgerufen am 3.1.2020). 2 Pörnbacher/Lederer, BB 2018, 705 (710): „Bislang werden diese alternativen Streitbeilegungsverfahren eher selten wahrgenommen: In den Jahren 2015 und 2016 hat die DIS jeweils lediglich sechs solcher Verfahren administriert. Auch die Möglichkeit eines „Meta“-Verfahrens, in dem mit Hilfe eines Konfliktmanagers das geeignete Verfahren von den Parteien ausgewählt werden soll, wurde bisher von den Nutzern nicht wahrgenommen. Einer der Gründe mag sein, dass die Verfahrenswahl meist überwiegend von taktischen Erwägungen geprägt ist, die über das Ziel, den Konflikt „objektiv sinnvoll“ zu lösen, hinausgeht oder diesem mitunter sogar entgegensteht, weil Ziel der Parteien regelmäßig eben nicht nur die „objektiv sinnvolle“ Konfliktlösung ist, sondern auch und vor allem eine Konfliktlösung zu ihrem Vorteil.“ 3 Wedemann, 527: „Die Beteiligten können das Schiedsgericht ermächtigen, nach Billigkeit zu entscheiden.“ 4 Vgl. zum ähnlichen Med-ARB/ARB-Med Verfahren und MEDOLAN-Verfahren, bei dem Mediation und Schiedsverfahren ineinandergreifen können, Mähler/Mähler in Heussen/Hamm, § 48 Rz. 5, 9; Schmeing, 89 ff.; Breidenbach/Peres, SchiedsVZ 2010, 125 ff. 5 Anklingend Hinrichs, Praxishandbuch Mediationsgesetz, 83 Rz. 203.

Born | 1201

Kap. 17 Rz. 17.285 | Mediation für Familienunternehmen

wird, im Sinne einer Themensammlung die Klageanträge ergebnisoffen umzuwandeln und u.U. noch ergänzende Themen aufzunehmen. Wichtig ist, dass sich das mediative Schiedsverfahren typologisch der Kurz-Zeit-Mediation annähert. Denn auch im mediativen Schiedsverfahren gibt es keine umfassende Versöhnung und nicht alle Baustellen werden bearbeitet. Behandelt wird nur das „was oben aufliegt“ und durch die Klageanträge eingegrenzt ist. Das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit bleibt ebenfalls gewahrt. Dabei kann die Begleitung und Fürsprache durch die CP-Anwälte entlastend und unterstützend wirken. Schließlich ist auch die Vertraulichkeit gegeben.

17.286

Die CP-Anwälte haben dabei die Funktion, die Medianden (Schiedskläger und Schiedsbeklagte) in der Findung einer konsensualen Lösung basierend auf einer wechselseitigen bedürfnisorientierten Zieldefinition zu unterstützen. Die mediative Verhandlung kann unterbrochen werden und die CP-Anwälte können sich untereinander – befreit von der Verschwiegenheitsverpflichtung – austauschen. Sie können sich ebenfalls mit ihren Mandanten zurückziehen.

17.287

Die Verfahrenskonferenz entspricht der Vorlaufphase aus der Kurz-Zeit-Mediation. Hier ist auch zu entscheiden, ob Gutachten eingeholt werden müssen. Die Sachverständigen sind dann in der Mediation anwesend. Sofern sich der Streitstoff eignet, ist unter Heranziehung der Grundsätze der „Kurz-Zeit-Mediation“1 das Verfahren an einem Tag zu Ende. Gelingt die konsensuale Lösung nicht, erfolgt ein Schiedsspruch.

17.288

Die Herausforderung für die Schiedsrichter besteht darin, dass sie sich „splitten“ müssen, wie wir es aus der Cooperativen Praxis kennen. Dort werden Anwalt und Mediator in einer Person vereint. Während dies für den CP-Anwalt die größte Herausford