Universität unterm Hakenkreuz: Teil 2, 1 Die Kapitulation der Hohen Schulen, Band 1: Das Jahr 1933 und seine Themen 9783110977356, 9783598226304


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German Pages 668 Year 1992

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorbemerkungen
Kapitel 1. Machtergreifung sowie Gleichschaltung im Randbereich
Kapitel 2. Akademische Rochaden
Kapitel 3. Der Rektor - der Kurator
Kapitel 4. Reformer und Relegierte
Anhang
Anmerkungen
Nachträge zum Literaturverzeichnis in Teil I
Personenregister
Ortsregister
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Universität unterm Hakenkreuz: Teil 2, 1 Die Kapitulation der Hohen Schulen, Band 1: Das Jahr 1933 und seine Themen
 9783110977356, 9783598226304

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saur

Helmut Heiber

Universität unterm Hakenkreuz

Teil II

Die Kapitulation der Hohen Schulen Das Jahr 1933 und seine Themen Band 1

K-G-Saur München-London-New York-Paris 1992

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme He¡ber, Helmut: Universität unterm Hakenkreuz / Helmut Heiber. - München ; London ; New York ; Paris : Saur Teil 2. Die Kapitulation der Hohen Schulen : das Jahr 1933 und seine Themen. Bd. 11992 ISBN 3-598-22630-6 © Gedruckt auf säurefreiem Papier Alle Rechte vorbehalten/All Rights Strictly Reserved K. G. Saur Verlag GmbH & Co. KG, München 1992 A Reed Reference Publishing Company Printed in the Federal Republic of Germany Jede Art der Vervielfältigung ohne Erlaubnis des Verlags ist unzulässig. Satz: FotoSatz Pfeifer GmbH, Gräfelfing Druck /Printed by W. S. Druckerei, Bodenheim Binden/Bound by Thomas Buchbinderei, Augsburg ISBN 3-598-22630-6

Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkungen 7 Kapitel 1 Machtergreifung sowie Gleichschaltung im Randbereich Aufrufe 11 - Vor 1933 \2-Nach der Machtergreifung 1 8 - A u f r u f der 300 Lokale Aktionen 21 - Hochschulverbands-Erklärung 25 - „Aufruf an die Gebildeten der Welt" 28 Weitere 32 - Zusammenfassung 38 - Beflaggung 41 - Preußen 42 - Übrige Länder 44 Heidelberg 45 - Tübingen 48 — Bilder, Büsten usw. 49 — Ehrendoktoren, Ehrensenatoren usw. generell 51 - speziell 55 - Talare 67 - Vorgänge nach der Machtergreifung 73 - Die Kieler „Seeburg" 75 - Schließungen 76 - Rheindorf/Riezler 79 - „Schandpfahl" 88 - Bücherverbrennungen 89 - Feiern 90 - Arbeitsgemeinschaften 92 - Studentische Aktionen 95 - Gleichschaltung im Randbereich 97 - Akademien 97 - Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft 99 - Notgemeinschaft 100 - Öffentlich mitfinanzierte Forschungsinstitute 101 Fachverbände 102 - Fachzeitschriften 105 - Verbände-Gleichschaltung 106 - Hochschulverband 107 - Spranger 110 - Staatskommissare 138 - Tübingen 140 - Frankfurt 143

Kapitel 2 Akademische Rochaden Schließungen und Aufhebungen 148 - Gießen 150 - Halle 151 - Rostock 153 - Hamburg 154 - Köln 156- Frankfurt 160-Zusammenlegungen 173 - Das TH-Problem 174 - Reichshochschule Berlin 174 - Breslau 182 - Prag 189 - Verlegungen 190 - Die ehemals tschechischen Hochschulen 190 - Gießen 193 - Neugründungen 195 - Trier, Saarbrücken, Nancy 195 - Essen, Düsseldorf, Lübeck 198 - Litzmannstadt, Krakau 198 - Lemberg, Riga, Dorpat 202 - Leiden 203 - Linz 205 - Posen 214-Straßburg 224 -Anrieh 235 - Ausbauten 255 - Medizinische Akademien 255 - Rudolf-Hess-Akademie Dresden 255 - Sonstige 258

Kapitel 3 Der Rektor - der Kurator Das Führerprinzip 260 - Das Jahr 1933 264 -April 265 - Mai 273 -Juni 278 -Juli 280 Oktober 286 - November 290 - Dezember 294 - Die Rektorenkonferenzen 295 -1933 296 - 1937 303 - Großdeutsch 307 - Kriegskonferenzen 310 - Von der Wahl zur Ernennung 316 - Amtsdauer 320 - Parteieinflüsse 331 - Status und Institutionelles 344 5

Amtseid, Bezüge, Titel 351 - Senat 355 - Verhältnis des Rektors zu den übrigen Hochschulorganen 360 - Dekane 361 - Der Kurator 365 - Gauleiter und Kurator 378 - Kuratorenkonferenzen 385 - Rektor gegen Kurator 387 - Lokaltermine 388 - Bonn 388 - Kiel 389 - Die zeitliche Entwicklung 397 -1936/37 400 -1939 408 - Der Wiener Aufstand 411 - Der 9. Oktober 1941 und seine Folgen 414 - Straßburg und der Eklat 419 - Die Rebellion gebt weiter 426 - Die letzten Jahre 429 Kapitel 4 Reformer und Relegierte Die Reformrektoren 435 - Eine akademische „Viererbande"? 436 -Neumann 439 - Wo// 442 - Krieck 450 - Heidegger 480 - Und schließlich Rein 511 - Vom Wege abgeirrt 529 Baur} 529 - Kölbl 537 - Fischer 540 - Kipp 540 - Mevius 543 - Storm 554

Anhang [1]-[10] 567 Anmerkungen 581 Nachträge zum Literaturverzeichnis in Teil 1647 Personenregister 649 Ortsregister 665

6

Vorbemerkungen

Das Manuskript für Kapitel 1 und zum größten Teil auch für Kapitel 3 dieses Bandes hat bei meinem Ausscheiden aus dem Institut für Zeitgeschichte Ende Februar 1989 vorgelegen, der Rest sowie Kapitel 2 und 4 sind im Winter 1989/90 niedergeschrieben worden. Das Abkürzungs- und das Literaturverzeichnis findet man in Teil I und zu letzterem einige Ergänzungen am Ende des vorliegenden Bandes. Wie am Schluß der Einleitung angemerkt, habe ich bei der Danksagung vor der großen Zahl der benutzten Archive und vor der Unmenge der mir dort behilflich gewesenen Kolleginnen und Kollegen kapituliert und gemeint, statt der üblichen Aufzählung der Institutionen und Namen mich mit einem allgemein gehaltenen Dank begnügen zu müssen. Inzwischen sind mir Bücher in die Hand gekommen, wo mutigere Autoren solche Tableaus über mehrere Seiten hinweg erstrecken. Ich halte das bei derartigen Dimensionen nach wie vor für mehr Plage als Wohltat, indes ist nachträglich das Bedürfnis gewachsen, doch wenigstens diejenigen, die sich durch weit über die Pflicht hinausgehende Hilfsbereitschaft ausgezeichnet haben oder zu denen im Laufe meiner Arbeit ein auch persönliches Verhältnis entstanden ist, mit dieser Arbeit durch Namensnennung in eine Beziehung zu setzen: Bader, Karl S. (Zürich) Baissen, Hans-Wilhelm (Göttingen) Bauermann, Johannes (Münster) Düwell, Kurt (Aachen) Enders, Gerhard (Potsdam) Fuchs, Heinz-Wilhelm (Darmstadt) Gall, Franz (Wien) Haselier, Günther (Karlsruhe) Hauptreif, Wolf-Dieter (Hamburg) Hessel, Ulrich (Paris) Höflechner, Walter (Graz) Kinder, Elisabeth (Koblenz) Knetsch, Georg (Würzburg) Koch, Horst (Frankfurt) Kopp, Hans-Dieter (Braunschweig) Lötzke, Helmut (Potsdam) Oberkofler, Gerhard (Innsbruck) Oppel, Hans D. (Würzburg) Otto, Ferdinand (Göttingen) Pols, Werner (Braunschweig) Prange, Wolfgang (Schleswig) Reifig, Heinz (Münster) Resmini, Renate (Köln) Schäfer, Volker (Tübingen)

Schlömer, Hans (Würzburg) Schmidt, Gerhard (Dresden) Schmidt, Paul (Bonn) Schrempp, Ernst (Freiburg) Thieme, Hans (Freiburg) Titze, Marthel (Berlin) Trumpp, Thomas (Koblenz) Weisert, Hermann (Heidelberg)

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Teil II

Die Kapitulation der Hohen Schulen Das Jahr 1933 und seine Themen

KAPITEL 1

Machtergreifung sowie Gleichschaltung im Randbereich

Es ist im ersten Teil dieser Arbeit wie auch anderswo und fast überall vom „unpolitischen" deutschen Professor und der sich - vermeintlich - „entpolitisiert" fühlenden deutschen Universität gesprochen worden. Das schließt freilich, wie wir gesehen haben, nicht aus, daß es auch unter ihnen politische, ja eminent politische Köpfe gegeben hat. Man hat aus den Reichstagshandbüchern der Weimarer Zeit etwas über vierzig Hochschullehrer ausgezählt, davon drei1 (Hermann, Köster, Respondek) eindeutig Privat- oder andere Dozenten, der Rest „Professoren", darunter aber mindestens einer (Schultze-Naumann) an einer „sonstigen" Hochschule, einige mit Sicherheit oder hoher Wahrscheinlichkeit Honorarprofessoren und zwei, einer davon Ernst Reuter, der bis 1933 mit der Hochschule überhaupt nichts zu tun gehabt hat, hier völlig falsch. Insgesamt - außer den letzten zwei - gehörten, nach Fraktionen, zur SPD vier (Baade, Grotjahn, Köster, Radbruch), zur D D P zehn (Bergsträßer, Gerland, Goetz, Hellpach, Hermann, Heuss, Hummel, Neumann-Hofer, Schücking, Schulze-Gaevernitz), zum Zentrum sieben (Dessauer, Hitze, Kaas, Lauscher, Mausbach, Respondek, Schreiber), zur DVP vier (Graf zu Dohna, Kahl, Moldenhauer, Riesser) und zur D N V P acht (v. Freytag-Loringhoven, Hoetzsch, Lent, Müller-Lehnartz, Semmler, Spahn, Spuler, Strathmann), ferner je einer zur Deutschen Bauernpartei (Fehr), zur Wirtschaftlichen Vereinigung (Bredt), zur BVP (Beyerle) und zur Volksrechtspartei (Prütz). Das linke Extrem, die K P D , war in dem allerdings 1927 zur SPD übergewechselten Rosenberg vertreten, der N S D A P gehörten drei Reichstags-Professoren an (Hunke, Schultze-Naumburg, Vahlen)2. 41 von 17883, das macht aus dem Reichstag der Weimarer Zeit natürlich noch keine Paulskirche. Aber die Professoren hatten noch etwas mehr an demokratischer Aktivität anzubieten. Nicht nur Betätigung auch in Landtagen, Gemeindevertretungen oder sonstwo in der niederen und hohen Politik 4 , sondern darüber hinaus eine ganz spezifische Form politischer Kultur: die Verfertigung oder jedenfalls Unterzeichnung zahlreicher öffentlicher Aufrufe, Bekenntnisse und Appelle. Zuletzt einige hundert Unterschriften, in der überwiegenden Mehrzahl Ordinarien, von denen es (1932) 2600 gegeben hat. Genug also, um - wo die statistischen Auguren noch aus Zehntelprozenten bedeutende Trendwenden und Umschwünge herauslesen - den bislang akzeptierten „unpolitischen" Professor zwar nicht gerade zu demontieren, aber doch einer näheren Betrachtung zu unterziehen, zu relativieren und zu verdeutlichen. Sicher sind die Kommunisten nicht die Erfinder der Methode, Begriffe zu kapern und unter neuer Flagge weitersegeln zu lassen. Aber sie haben das erstmals in großem Stil praktiziert, und durch Arthur Koestler ist dieses Verfahren auch in die Literatur eingegangen. Es ist das an sich nichts Verwerfliches; Wortinhalte und Begriffsbestimmungen sind weder göttliches noch Naturrecht und daher alles andere als sakrosankt. Es verblüfft nur den Gegner und macht ihn ratlos, wenn seine „dicke Bertha" plötzlich im feindlichen 11

Arsenal auftaucht und gegen den bisherigen Kanonier in Stellung gebracht wird. Die Springer-Leute beispielsweise hatten das Entern und Kapern des Begriffs „Demokratie" durch den als undemokratisch par excellence verrufenen Gegner, sinnfällig demonstriert in der „Volksdemokratie", der „Deutschen Demokratischen Republik" und so fort, lange nicht verwunden. Ahnliches gilt nun auch für den „unpolitischen" oder „entpolitisierten" Professor. Gewiß war er, dezent schwarz-weiß-rot changierend, auch im gewöhnlichen Wortsinn die Regel. Nicht wenige aber gelten als „unpolitisch" nur deshalb, weil man das mit „nicht richtig politisch" gleichsetzt. Genauer: Wer sich rechts engagiert hat, war nicht politisch, sondern dumm, also gerade unpolitisch. Politisch war und dachte nur, wer für die Republik, für den demokratischen Staat eingetreten ist - und noch ein Stückchen weiter links wird das expressis verbis oder zumindest durch die Blume auf den Sozialismus eingeschränkt. Fassen wir das nun wieder etwas weiter, auch das Engagement rechts als politisch, so sehen wir diese Professoren in den Jahren der Geburtswehen rund um die Machtergreifung unermüdlich beim Unterschreiben. 1933 für Hitler, 1932 daneben und meist für Hindenburg — was heute kein großer Unterschied zu sein scheint, damals aber einer gewesen ist, wo doch der greise Marschall-Präsident als letzter demokratischer Notanker vor der Einfahrt in das Dritte Reich ausgeworfen war. Der professorale Drang zum öffentlichen politischen Bekenntnis war freilich nichts völlig Neues, wenn er auch in den achtzig Jahren zwischen den „Göttinger Sieben" und der bedrohlich werdenden Entwicklung des Weltkrieges etwas außer Mode gekommen war. Letztere aber und dann die Friedensbedingungen, „Versailles", und davon vor allem die Auslieferung der sogenannten Kriegsverbrecher an die Entente 5 , hatten einen neuen Anlauf bedeutet. Meist waren es solche bestimmte Situationen, welche die Professoren in Bewegung setzten, und dann 6 natürlich Kandidatur und Wahl des Helden von Tannenberg zum „Ersatzkaiser", dem die deutschen Universitäten und Technischen Hochschulen am 3. Juni 1919, als er den „ruhmreich geführten Feldherrnstab aus den Händen" gelegt hatte, in „Liebe und Verehrung" als der „Verkörperung aller heldenhaften Eigenschaften des Geistes [!] und Charakters" so bitter nachgeweint hatten 7 . Seltener waren sie Wahlhelfer für eine Partei direkt, das aber nun auch wiederum nicht so selten und links so schwächlich, wie es gern unterstellt wird: Unter den 115 Vertretern des deutschen Geisteslebens, die vor der Reichstagswahl im Dezember 1924 einen Wahlaufruf für die D D P unterzeichnet haben, befanden sich 103 Professoren, und auch von den restlichen zwölf waren — neben Ricarda Huch etwa und Thomas Mann - einige Privatdozenten, so der hier schon genannte v. Ubisch. Es handelte sich um eine Sammlung wirklich „guter Adressen" aus dem akademischen Sektor dieses deutschen Geisteslebens, darunter Andreas, Anschütz, Bergsträßer, Bonn, Born, Curtius, Delbrück, Dibelius, Driesch, Goetz, Hampe, Hellpach, Herkner aus dem Anfang des Alphabets und das dann so weiter 8 . Auch im „goldenen" Teil der zwanziger Jahre haben sich die Professoren zwar rarer, aber nicht unsichtbar gemacht. 1927 sammelten sie recht eifrig mit bei der „HindenburgSpende" aus Anlaß des 80. Geburtstags ihres Idols. Rektoren und Hochschulverband hatten „mindestens 10 Mark" pro planmäßigen Professor empfohlen, der Kassensturz ergab dann auch knapp 22 000 Mark für den - so das Glückwunschtelegramm von 46 Hochschulen - siegreichen Helden und Retter im Kriege und gerechten Lenker des Staates im Frieden, Göttingen mit 2000 Mark an der Spitze. Von elf Hochschulen hatte man freilich nichts oder nur Vages gehört, in Heidelberg etwa haben, nach einem protestierenden Vermerk Alfred Webers auf der Sammelliste, ganze vier Professoren gespendet 10 , und 12

ob die 22 000 Professoren-Mark in einer ihrem Einkommen angemessenen Relation zu den 8 Millionen Mark Gesamtergebnis gestanden haben (keine 0,3 Prozent also), mögen - falls das noch geht - Statistiker aus Hochschullehrer- und Volkseinkommen errechnen. Was andererseits im Jahr darauf herausgekommen ist, als links 32 Geisteslebens-Vertreter, darunter 16 Professoren, für ausgesperrte Ruhrarbeiter gesammelt haben ist nicht bekannt. Und auch die Professorennamen waren es kaum; jedenfalls ist es hier, ein gutes Stück links noch von dem DDP-Aufruf, keine derart glänzende Versammlung gewesen Aster, Cordier, Honigmann, Mittermaier und Steinbüchel waren immerhin darunter. 1931/32, die Bedrohung von rechts war inzwischen riesenhaft angewachsen, sind es dann schon mehr gewesen, die zur Fahne eilten. Es ist von diesen Aktionen für Gumbel und gegen die attentistische Haltung des Hochschulverbandes weiter oben schon gesprochen worden12, es soll daher an dieser Stelle lediglich auf die achtzig HochschullehrerUnterschriften der Resolution von 1931 verwiesen werden13, darunter Barth, Driesch, Einstein, Goldschmidt, Horkheimer, Kantorowicz, Radbruch, Salomon, Sinzheimer, Schücking und Wiesengrund(-Adorno). 1932 wurden dann also bloß noch 28 Unterzeichner zusammengebracht. Dafür ergab die Hindenburg-Spende - inzwischen wurde er ja 85 - trotz der gegenüber 1927 katastrophal verschlechterten wirtschaftlichen Lage noch immer mehr als die Hälfte, 12 500 Mark14. Es ist nicht auszuschließen, daß das pekuniäre Geburtstagsständchen für den soeben wiedergewählten Präsidenten nicht allein durch die dünner gewordenen Geldbörsen beeinträchtigt worden ist, sondern auch von gewissen Ermüdungserscheinungen. Hatte doch eben jene Wiederwahl in zwei Wahlgängen im März und April den „politischen" Professoren einiges abverlangt, und die erste Reichstagswahl jenes Jahres am 31. Juli sowie die zur Zeit des Geburtstages tobende Wahlschlacht für die schicksalhafte zweite am 6. November noch etwas mehr. Stets ging es um die jetzt neue Frage „Hindenburg oder Hitler?". Bei den Präsidentenwahlen direkt, bei den Reichstagswahlen indirekt. Für erstere15 kursierte ein Text mit drei Absätzen, in dem „wir Hochschullehrer" die „Volkswahl Hindenburgs jenseits aller Parteigrenzen" als „einmütigen Akt des Dankes, des Vertrauens und der Liebe" forderten - als ob nicht das Schicksal der Nation auf dem Spiele gestanden hätte, sondern lediglich einem alten Mann etwas Liebes gesagt werden sollte. Er gebiete „letzte Ehrfurcht jenseits aller Kritik", und „der Welt" dürfe nicht das schmähliche Schauspiel geboten werden, daß die Deutschen sich „nicht einmal in diesem größten Namen zusammenfinden" könnten. Solch allerdings tatsächlich unpolitischer Schwachsinn (ähnliches bietet das politische Leben freilich in der Demokratie und - abgeändert - auch sonstwo tagtäglich) lief nun also an Deutschlands Hohen Schulen zur Unterschrift um. Bei der Universität Marburg gab es 10216 plus 11 nachträgliche, bei der TH Braunschweig 26 (und vier nachträgliche), in Heidelberg 29, in Jena 96, in Halle 114 Unterschriften. Für Halle wies der Völkische Beobachter gegenüber einer Pressemeldung von einem angeblich „geschlossenen" Votum für Hindenburg darauf hin, es hätten mithin 116 Professoren und Dozenten nicht unterschrieben. Das stimmte auch ungefähr, das Statistische Jahrbuch zählte dort im Sommersemester 1932 239 Lehrkräfte - in Braunschweig übrigens 115, in Marburg 189, in Heidelberg 252 und in Jena 209. Eine Gesamtaufstellung der erhaltenen Unterschriften ist offenbar nicht vorhanden, und vielleicht ist die Angelegenheit gar nicht oder nur wenig weiter gediehen, jedoch sind die vorliegenden Zahlen schon für sich allein - in Heidelberg ist vermutlich etwas nicht richtig gelaufen—sehr beachtlich, vor allem verglichen mit den Maulhelden von heute, den scharfen studentischen Kritikern dieser Hochschulleh13

rerschaft, von denen regelmäßig um die achtzig Prozent eine politische Wahläußerung überhaupt verweigern. Initiator der Aktion war wohl der von dem Berliner Oberbürgermeister ins Leben gerufene und daher als „Sahm-Ausschuß" bekannt gewordene „Hindenburg-Ausschuß", der die Wiederwahl des Präsidenten in großem Stile betrieb. Der Historiker Fritz Härtung, Ordinarius in Berlin und dort unter Zuhilfenahme von - so möchte man meinen eigentlich mehr als zwei Ohren bemüht, seinem Lehrer Richard Fester in der hallischen Provinz mit Nachrichten und Klatsch aus der Reichshauptstadt das Emeritus-Dasein erträglicher zu gestalten, hat bei dem Aufruf Vater und Sohn Mareks am Werke geglaubt - vom Sohn (der dort saß, wo man damals meinte, die Geschicke der Republik in die Hand nehmen zu müssen: im Generalstab) sei er wohl inspiriert, vom Vater (dem letzten Historiographen des preußischen Staates) stilisiert worden 17 . In Thüringen, wo ab 26. August die Nationalsozialisten regierten und die Aktion ein Nachspiel im Landtag gehabt hat, hieß es, der Text sei von Marburg nach Jena übermittelt worden 18 . Und das ist auch zutreffend: Eine Anregung zur Nachahmung unter Ubersendung des Textes hat der Marburger Rektor am 4. Februar 1932, dem Tag der Datierung der Marburger Erklärung, an seine Kollegen abgehen lassen. Braunschweig etwa erstattete am 13. Februar Erfolgsmeldung, im Text waren aus „von der weitaus größten Mehrheit der Professoren" die „weitaus größten" gestrichen worden, was jedoch ebensowenig wie im Fall Halle die Panne verhindert hat, daß in der Braunschweiger Landeszeitung noch am 16. Februar (rechts dann genüßlich richtiggestellt) vom „gesamten Lehrkörper" die Rede gewesen ist. Andererseits wissen wir von Münster, daß dort die Aktion unterblieben ist, weil sie als Unterstützung einer bestimmten politischen Richtung hätte gedeutet werden können 19 . Zur gleichen Zeit waren, erstmalig in dieser Art, auch schon akademische Wahltrommler für Adolf Hitler tätig 20 . Schon seit November 1931 ist, ausgehend vom „Kampfbund für deutsche Kultur", nach Unterschriften Ausschau gehalten worden. Für den Februar ist auch dieser Aufruf geplant gewesen, aber es muß mit der Organisation etwas gehapert haben, denn seit dem letzten Wahlgang waren schon knapp drei Wochen vergangen und auch die Preußenwahl (zusammen mit der in Bayern, Württemberg, Hamburg und Anhalt) war bereits abgehakt, als er am 30. April glücklich veröffentlicht werden konnte. Sehr großen Wert hat der Völkische Beobachter offenbar auf die verspäteten 42 Professoren nicht gelegt, die „deutschbewußt" nun nur noch für den „Aufbau eines neuen deutschen Kulturlebens" und die Rettung vor dem „Kulturbolschewismus" im 1929 gegründeten Kampfbund warben, das „Erste Beiblatt" schien dafür ausreichend zu sein. Daß sich eine recht stattliche Professoren-Riege (darunter v. Müller, Pinder und Lenz aus München, Wahl und Haller aus Tübingen, der inzwischen verstorbene Kossinna, Hans F. K. Günther natürlich, Poppelreuter aus Bonn, Krüger aus Leipzig, Lenard selbstverständlich, Reiter aus Rostock und so weiter21) öffentlich (wenn auch indirekt und ohne namentliche Anrufung Beelzebubs) zu Hitler bekannte, was ein halbes Jahr zuvor noch eine Sensation dargestellt hätte, schien damals kein absolutes Novum mehr zu sein - mochten jedenfalls die VB-„Schriftleiter" meinen, wenn sie frühere Ausgaben ihrer Zeitung durchblätterten und ihre damaligen Würdigungen für bare Münze nahmen. Am 3. April hatte das Blatt einen noch rechtzeitigen Wahlaufruf gebracht, die Professoren waren hier allerdings nicht gebündelt und als solche vertreten, sondern nur „unter anderen" zwischen all den Unterzeichnern für die „Vaterländischen Verbände Deutschlands" und den „Reichslandbund". Der große Chirurg Geheimrat August Bier stand da - in der 14

alphabetischen Reihenfolge - an zweiter Stelle (was nicht einmal ein minimales Risiko beinhaltete, da er in jenem Jahr emeritiert worden ist), vier weitere Professoren folgten, davon jedoch mindestens einer sicher kein Hochschullehrer und wirklich aktiver Ordinarius lediglich der Elektromaschinenbauer Max Kloß von der T H Berlin. Diesem noch etwas schüchternen Entree war dann drei Tage später, obschon nur auf Seite 3, auf der sich auch Rudolf Herzog, Verfasser der „Stoltenkamps und ihre Frauen", zu Hitler bekannte, die kühne Feststellung gefolgt: „Die deutsche Geisteswelt wählt Adolf Hitler!" Kühn, weil auch unter diesem Aufruf die Geisteswelt immer noch reichlich dünn vertreten war, sechs waren es genau, die ihr Sprüchlein aufsagen durften, jeder seinen individuellen Text, der Name und alle Würden fett darunter. Einer davon war ein Komponist, ein weiterer der uns bekannte Adolf Bartels, der - seit 1905 „Professor" und damit als Experte ausgewiesen 22 - Hitler „wirkliche geistige Potenz" bescheinigte, ein dritter zwar ein schreibender Literaturgeschichtler und Gießener Ehrendoktor, der indes sonst mit der Universität ebensowenig zu tun hatte: Professor Karl Berger war - pensionierter - Gymnasialprofessor in Lörrach. Blieben also für ihren Teil der deutschen Geisteswelt ganze drei „Universitäts-Professoren" übrig. Wir kennen zwei davon: Philipp Lenard, dem es „wie ein Wunder" erschien, „daß Hitler lebt und dem deutschen Volk gegeben ist", und Hans F. K. Günther, der Hitler als den Mann empfahl, der die Bildung des Kerns „zu einem neuen deutschen Volke" vollbracht hatte. Der dritte war Carl August Emge, der Chef des Nietzsche-Archivs, der dem „Studium Nietzschescher Ideen" die rechte Deutung der „riesenhaften" nationalsozialistischen Bewegung und des „höchsten Staatsmannes" an ihrer Spitze verdankte. Spärlich, so weit. Aber bereits nochmals vier Tage später hatte das Zentralorgan der N S D A P seinen Lesern wiederum 41 Herren nennen können, die sich innig Adolf Hitler als Reichspräsidenten wünschten und ihn damit erneut als den „Kandidaten der deutschen Geisteswelt" auswiesen. Von der Hochschule (und auch sonst) waren es freilich wieder die alten Namen, neu zusammengepackt: Bartels, Bier, Emge, Günther, Kloß und Lenard, dazu zwei weitere alte Kämpen, die aus unerfindlichen Gründen bislang übersehen worden waren, Johannes Stark und Herman Wirth, dann die auch bisher die lichten Reihen auffüllende akademische „Halbwelt" von Komponisten, Gymnasialprofessoren und so weiter sowie als einziger echter „Neuzugang" der Kölner Chirurg und nichtbeamtete außerordentliche Professor Hermann F. O . Haberland, er ebenfalls uns kein Unbekannter mehr. Lokal ist daneben wohl noch weiteres gelaufen. Aus Heidelberg jedenfalls wird berichtet 23 , daß es nicht nur jene 29 Unterschriften unter den Hindenburg-Aufruf, sondern auch ein Parallelunternehmen für Hitler gegeben hat. Ganze drei Unterschriften habe dieser Aufruf allerdings nur getragen - die des unvermeidlichen Emeritus Lenard, dem sich ein weiterer emeritierter Geheimrat, der Zivilrechtler Friedrich Endemann, hinzugesellte sowie ein Herr Dettweiler, vor dem sämtliche Nachschlagewerke kapitulieren. Auch bei solchen Aktionen, wenn es sie überhaupt außer in Heidelberg gegeben hat, scheint der Zulauf also nicht gerade weltbewegend gewesen zu sein. Insofern bildeten mithin die „Kampfbund"-Professoren, die sich, in der Deckung dieses vorgeblich „überparteilichen" Vereins und ohne den Namen Hitler in den Mund zu nehmen, dann im Rudel vorgewagt haben, schon ein Novum. Und das Jahr war noch nicht zu Ende, als so langsam offenbar wahr wurde, was der Völkische Beobachter schon am 27. Januar, noch vor den Wahlgängen, ironisch behauptet hatte, daß nämlich jetzt die Professoren kämen und „uns ihrer aufrichtigen nationalsozialistischen Gesinnung versicherten". An15

selm Faust24, jung und daher vor keinem Erbsenhaufen zurückscheuend, hat den Jahrgang 1932 des Völkischen Beobachters durchgesehen und ist dabei auf 87 sich zu Hitler bekennende Hochschullehrer gestoßen. Zwei Tage vor der ersten Reichstagswahl, am 29. Juli 1932, sind denn auch im Völkischen Beobachter nunmehr 51 Professoren zum Bekenntnis angetreten, „von der festen Uberzeugung beseelt", verpflichtet zu sein, sich „mutig und mit Vertrauen" für die nationalsozialistische Bewegung zu entscheiden. Vertrauen, gewiß - wieso aber Mut? Wegen der Kultusministerien etwa? Mitnichten, ist doch im wichtigsten Preußen Franz v. Papen bereits am Werke. Auch die „von vielen gefürchtete Einschränkung der geistigen Freiheit" befürchten sie, wie sie erklären, nicht. Aber ach, sie sind trotzdem durch „Bedenken hindurchgegangen", und daher also der erforderliche Mut. Bedenken, die „den intellektuellen Menschen bei einigen Zielgedanken der nationalsozialistischen Bewegung" kämen. Sie aber hatten den inneren Schweinehund überwunden, diese 51, den Blick fest gerichtet auf die „als grundsätzlich richtig" erkannten „wesentlichen" Zielgedanken. Als da waren: die Bekämpfung des fremdrassigen Einflusses, die Einschränkung des Eigennutzes, der Wille zur Befreiung des Staates vom Finanzkapital. 51 Hochschulprofessoren also, diesmal wohl sämtlich „richtige", wenn auch eine Reihe Emeriti und Honorarprofessoren darunter, zwei aus Graz, sonst einigermaßen gemischt aus vielen, obwohl nicht allen deutschen Hochschulen (beide Münchener zum Beispiel fehlten25, auch Aachen, beide Breslau, Freiburg, Greifswald, Kiel, Leipzig - was Sachsen mit vollen zehn Dresdenern kompensierte - und, denn noch stand Krieck ja erst ante portas, Frankfurt). Unter den Debütanten (natürlich sind auch die bisherigen Geistesweltler wieder dabei, obschon nicht lückenlos) befinden sich Erich Rothacker und Erich Jaensch, Otto Koellreutter und Hans Naumann, Herwart Fischer und Paul Schmitthenner26. Wie nun dieser erste richtige akademische Feldgottesdienst für Adolf Hitler 27 zustande gekommen ist, war schon recht seltsam. 300 statt 50 hätten es sein können, hat Ernst Anrieh am 17. November Reichsorganisationsleiter Gregor Straßer anvertraut28, wenn die Sache nicht „so jämmerlich behandelt worden wäre". Denn nicht die Parteileitung hat das Unternehmen entriert und auch keine andere Parteistelle. Selbst der Studentenbund hat nur eine helfende (und noch dazu eben schlecht helfende) Hand gereicht. Idee und Ausführung gingen vielmehr auf einen einzigen Außenseiter zurück, den außerordentlichen Professor für Baukonstruktionslehre an der T H Stuttgart und noch ziemlich frischen (Februar) Parteigenossen Wilhelm Stortz. Und zwar hatte Stortz, als er sich um Anschriftenmaterial an Gottfried Feder von der NSDAP-Reichsleitung gewandt hatte, ursprünglich gar nicht die Reichstagswahl im Visier gehabt, sondern die - Machtergreifung. Da sollten, wie vor hundert Jahren, mit einem sofort zu veröffentlichenden Aufruf die Professoren an vorderster Front stehen. Und daraus also, aus einer Privatinitiative, war dann der Aufruf der 51 entstanden. Es ist nicht weiter verwunderlich, daß etwa Haberland in Köln vor der Unterzeichnung erst die Erlaubnis seiner Gauleitung eingeholt hat 2 '. Ebenso genau sind wir über die Drähte im Hintergrund der zweiten Reichstagswahl jenes Jahres informiert. Auch hier ist die Initiative zu einer akademischen Proklamation nicht von der Partei ausgegangen (selbst die 51 waren dem Völkischen Beobachter zwar zweispaltigen Fettdruck, aber das nur im 2. Beiblatt wert gewesen - Herausgeber Hitler wußte schon, wo die Entscheidung fiel und wo nicht). Erst als das Sekretariat Goebbels von einem mißvergnügten Schwarz-Weiß-Roten, dem Berliner Chirurgie-Privatdozenten und „zuverlässigen Parteigenossen" Arnold Zimmer, einen Professoren-„Entschließungs16

entwurf" der ehemaligen Harzburger Freunde erhalten hatte, wurde von ihm Hitlers Kanzlei alarmiert mit der Anregung, sofort an nahestehende Hochschullehrer heranzutreten, um mit der Veröffentlichung einer entsprechenden Entschließung den Deutschnationalen nach Möglichkeit zuvorzukommen. Der schwarz-weiß-rote Entwurf war auf einer am 11. Oktober 1932 im Reichstag abgehaltenen Tagung „politisch rechtsgerichteter Hochschullehrer" beraten, etwas abgeschwächt und dann mit drei Gegenstimmen (Zimmer, der Berliner Theologe Arnold Stolzenburg und ein Dritter) verabschiedet und den Hochschulen zur Unterzeichnung im üblichen Umlaufverfahren zugeleitet worden. Er begrüßte Hindenburgs „Eingreifen im Reich und in Preußen", bejubelte die „vaterländisch und fachmännisch erprobten Männer" der Papen-Regierung und „bedauerte lebhaft" den undankbaren (da von dieser ja aus den Fesseln befreit und vor „mörderischer Verfolgung" geschützt) und gehässigen Widerstand der NSDAP. Die nationalsozialistische Parteileitung hat offenbar nicht allzu schnell gehandelt. Erst am 20. Oktober wurde der Studentenbund mit dem „Gegenschlag" betraut, der sich dann aber befehlsgemäß „in kürzester Frist" ans Werk machte und am Vortag der Wahl sowie am Wahltag selbst in der Parteipresse30 das Ergebnis seiner Bemühungen präsentieren konnte. Es war dies allerdings ein magerer Erfolg. Viele der Professoren, an die man herangetreten war, hatten abgelehnt. Die einen hatten - angeblich - an irgendeinem Satz etwas auszusetzen, andere offen die Furcht vor wirtschaftlichen Nachteilen zugegeben: „Man sei doch Beamter, man könne doch seine Lebensstellung nicht riskieren, man arbeite im stillen besser für den Führer..." Auch mit NS-Verbänden hatte es Arger gegeben, Eifersüchteleien und Streit darüber, ob die Namen der ganz großen Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht werden sollten oder nicht. Wäre all dieser gekränkte Ehrgeiz nicht gewesen, so hätten sie, meinten die Studentenführer, leicht 150 bis 200 Unterschriften besorgen können. So aber waren es ganze 56, vielfach dieselben wie am 29. Juli, nur jetzt schön alphabetisch geordnet. Lücken im Vergleich zum Juli rührten beispielsweise von einem Rundschreiben her, das zwei damalige Mitverfasser, Paul Schmitthenner31 und Helmut Göring, beide an der T H Stuttgart, an alle früheren Unterzeichner gerichtet und in dem sie ihre Einwände gegen den neuen Aufruf dargelegt hatten - mit, wie die Studentenführer meldeten, „unangenehmer Wirkung" 32 . Andere Alt-Unterzeichner hatten prinzipielle oder formelle (es ging ja nicht mehr von einem Kollegen aus) Gründe für ihre nunmehrige Nichtbeteiligung angeführt 33 , obwohl der neue Text mit dem alten streckenweise identisch, allerdings um eine die „Machtübernahme durch Adolf Hitler" als einziges Mittel gegen Not und Verelendung fordernde Präambel sowie um einen gegen die neue Reichsregierung gerichteten Schlußpassus bereichert worden war, in dem Papen das Vertrauen verweigert (nur Personen-, kein Systemwechsel) und der Vorwurf gemacht wurde, die „nationalsozialistische Bewegung an der Übernahme der Macht gehindert" zu haben. Unter den die so gerissenen Lücken füllenden Neuzugängen (die deutschnationale Opposition vom 11. Oktober war natürlich dabei) fallen Karl Bornhausen und Eugen Fehrle, Georg Gerullis und Artur Knick, Hans Reinerth und Ernst Storm besonders ins Auge34 - die kommenden Rektoren und sonstigen Führer, ist man versucht zu sagen, beziehen jetzt die Stellung, die Stunde der Steigbügelhalter hat geschlagen. Das jedenfalls ist richtig: Je später die Stunde ist, desto mehr Leute betreten die Bühne, die dann im Dritten Reich eine Rolle gespielt haben, während die frühen Mithelfer (auf dem allgemeinen poli17

tischen Parkett ist es ja nicht viel anders gewesen) oft nur Kometenerscheinungen der „Kampfzeit" geblieben sind. Es wird also schon stimmen mit den von Faust ausgezählten 87 Bekennern. Außerdem aber hat es offenbar noch so etwas wie Unterzeichner in pectore gegeben. Zu diesem Schluß führt jedenfalls der anderweitig erwähnte Bericht, den der alte, aber mit einem jüdischen „Mischling I. Grades" verheiratete Parteigenosse Helmut Weigel Anfang 1939 Hitler erstattet hat: Als einziger bayerischer Historiker, bayerischer Privatdozent und Erlanger Hochschullehrer Parteigenosse, habe er die während der Wahlkämpfe von 1932 im Völkischen Beobachter erschienenen Erklärungen und Aufrufe deutscher Hochschullehrer „selbstverständlich unterzeichnet" 35 . Nur findet sich der Name des fränkischen Landesgeschichtlers vor dem Oktober noch nicht. 1933 wird es solche Geheimnisse nicht mehr geben. Die Macht ist übernommen, Hindenburg hat Hitler berufen, die beiden sind nun nicht mehr Konkurrenten und Gegner, sondern Bundesgenossen und Kumpane, und wie alle bislang verunsicherten deutschen Bürger ist auch der deutsche Professor aus dem Dilemma „Hindenburg oder Hitler?" befreit. Jetzt kann man für Hindenburg sein und für Hitler. Der jetzige Hitler ist der beste, den es je gab, nunmehr arrivé und im Frack, und auch Hindenburg hat man endlich im richtigen, rechten Lager - man kann ihn wieder lieben, ohne die nahezu schon perverse Kröte seiner republikanischen Wahlkämpfer schlucken zu müssen. Völlig vereinsamt sind nun die republikanischen Professoren des Weimarer Kreises 36 . Wenn schon im November 1930 Versuche der Heidelberger Anschütz und Radbruch gescheitert sind, diese Institution wiederzubeleben, so ist jetzt überhaupt nicht mehr daran zu denken. Friedrich Meinecke, der ein Jahr zuvor noch mit Erich Mareks und vielen anderen einen Historiker-Aufruf für den von der Republik in Beschlag genommenen Ersatzkaiser 37 unterschrieben hat, erwägt zwar, gemeinsam mit Walter Goetz und dem Bismarck-Herausgeber Friedrich Thimme einen Teil der damaligen Mitunterzeichner für eine „Erklärung gegen das Hitlersche Geschichtsbild der letzten 14 Jahre" zu gewinnen. Aber diese Warnung „vor dem sich öffnenden Abgrunde", die Sammlung „von 20 - 30 der allerbesten Namen", bleibt bereits in den Anfängen stecken - schon bei Hermann Oncken ist man sich sehr im Zweifel, ob er mitmachen würde 38 . Dabei hat es sehr wohl nicht nur bei den „Weimarern", wo Goetz an einer Rede gegen den „völligen Versager" Hitler, den Mann „ohne klares Ziel und ohne jede geistige Überlegenheit", arbeitete, entschiedene und sogar mutige Gegner gegeben, nur waren sie vereinzelt und ohne Zusammenhang. Wer wußte (und wer weiß) etwa schon von dem Abdruck eines offenen Briefes an Hitler in der Washington Times vom 21. März 1933, in dem deutsche Wissenschaftler gegen die Behandlung ihrer jüdischen Kollegen protestiert und auf den jüdischen Beitrag zur deutschen Kultur hingewiesen haben 39 ? Aber selbst wenn die Frondeure dreißig gute Unterschriften zusammengebracht und wenn sie dann noch in Deutschland eine Washington Times gefunden hätten - das kleine Häuflein wäre kaum beachtet, vielleicht nicht einmal bemerkt worden. Denn über das Zehnfache an Unterschriften stand unter einer Erklärung der - wieder einmal - „deutschen Geisteswelt" für Hitlers Liste 1. Über 300 „deutsche Männer" und „berufene Lehrer der akademischen Jugend unseres Volkes" bekannten sich hier überzeugt, daß Adolf Hitlers Machtübernahme der richtige Weg sei und der nationalsozialistischen Bewegung Wandel und Wiederaufstieg gelingen werde, und versicherten ihre Bereitschaft zur Mitwirkung am großen Werke 40 . Exakt waren es 301, zu denen noch elf Münchener kamen, deren Unterschriften unter (fast 41 ) genau denselben Text aus unerfindlichen Gründen se18

parat veröffentlicht worden sind, zusammen also 312 und damit ein offenbar sogar in den Reihen der Veranstalter überraschender Erfolg, hatte doch die Studentenbundsführung noch am 24. Februar mit etwa 120 gegenüber den 56 bei der letzten Reichstagswahl gerechnet42. Einige „exotische" Ortsangaben wie Clausthal und Eberswalde, aber auch Dortmund, Elbing, Kothen und Weimar weisen darauf hin, daß der Bereich dieser Erklärung über den unserigen hinausgeht und noch Berg und Forst, Gewerbe, Lehrerbildung und Baukunst umschließt. Aber auch mit dieser Einschränkung ist die Endsumme imponierend, die Verteilung freilich verblüffend. Allein 90 Unterschriften kamen aus Berlin, aus den beiden anderen Städten mit Universität und Technischer Hochschule, Breslau und München, waren es nur 13 beziehungsweise 11 (das Verhältnis der Lehrkräfte allerdings 1174 :411 :546). Und aus Kiel 26, aus Jena 17, aus Halle43 und Leipzig je 16, aus Bonn und Münster je 12, aus Gießen und Greifswald je 11 und so weiter. Ganz am Ende hatten in Göttingen, Heidelberg und Karlsruhe je drei Hochschullehrer unterschrieben, in Freiburg, Köln und Würzburg je zwei und in Hamburg und Rostock gar nur je einer. Und völlig fehlten nicht nur die Mediziner von Düsseldorf, die katholischen Theologen von Braunsberg und das „verjudete" Frankfurt, sondern auch Stuttgart, Klagges' Braunschweig und Dresden, wo immerhin noch Baeumler lehrte und im Jahr zuvor nationalsozialistische Pionierarbeit geleistet worden war. Das bedeutet, daß bei der Sammlung eine gehörige Portion Zufall am Werke gewesen sein muß und auch hier mit dem Auszählen wenig anzufangen ist. Franz Wirz hat denn auch im Juni beklagt44, ihnen an der Münchener Universität sei dieser Aufruf „aus noch ungeklärten Intriguen vorenthalten worden" (das erwähnte Münchener „Separatvotum" hat jedoch zumindest Außenbezirke auch der Universität erreicht). In diese „Intriguen" müßte der Studentenbund verwickelt gewesen sein, dessen Bundesleitung wie alle Parteispitzen ja in München saß. Denn Bundesführer (so hieß damals noch der künftige „Reichsstudentenführer") Oskar Stäbel ist es gewesen, der unter dem 11. Februar als hektographiertes Rundschreiben den Text an die „hochverehrten Herren Professoren" versandt hat mit der Bitte um Unterzeichnung und Rücksendung, letztere vermutlich über die lokalen Studentenschaften. Es ist gewiß nur eine Anzahl Auserwählter bedacht worden; auf einem Exemplar in den Studentenbundsakten45 ist ein Verteiler für Südwestdeutschland vermerkt: Heidelberg, Stuttgart und Tübingen je zehn, Karlsruhe neun, Darmstadt und Gießen je sechs und Freiburg fünf Exemplare. Ob das endgültig war, ist zu bezweifeln, das Prinzip der Auswahl jedoch ist es nicht. So haben die Göttinger Kommilitonen vier Tage nach der Wahl berichtet46, daß sie bei „sämtlichen in Frage kommenden" Göttinger Dozenten die Unterzeichnung erbeten hätten, und beschwerdeführend hinzugefügt, welch „denkbar besten Erfolg" sie „trotz der Verjudung der hiesigen Universität" gehabt hätten, wie betrübt sie aber gewesen seien, im Völkischen Beobachter nur einen Teil der nach München übersandten Erklärungen vorzufinden, - „reichlich vergrämt" sei insbesondere Otto Westphal, den sie „als den jungen Professor und Lehrer " ansähen. Drei sehr vergrämte Göttinger - Jens Jessen und der baldige Rektor Friedrich Neumann waren die beiden anderen - bildeten dann am 18./19. März gemeinsam mit 27 Leidensgefährten aus weiteren Städten (darunter fünf Tübinger, deren Unterschriften-Übersendung bereits am 28. Februar dokumentiert ist 47 , und völkisch bis nationalsozialistisch bekannt-gute Namen wie Banse oder Krieck) den Gegenstand eines „Nachtrags", den das NSDAP-Organ am 18. März, infolge der „wichtigen Ereignisse" leider so verspätet, 19

zu den dreihundert vom 4. gebracht hat48. Dazu gehörten nunmehr auch drei Braunschweiger und zwei Frankfurter - in Dresden hat man offenbar den VB nicht gelesen. Was alles zeigt, wie schlampig die jungen Herrschaften gearbeitet haben müssen, denn die Schriftleitung in Münchens Schellingstraße dürfte kaum schuld gewesen sein. Am 2. März hatte der Bundesgeschäftsführer des Studentenbundes geprahlt49, „heute schon insgesamt 320 Unterschriften" zu haben - und bis zum Anlaufen der Rotationsmaschinen am Abend des darauffolgenden Tages waren davon, die wahrscheinlichen Nachzügler der letzten Stunden nicht einmal gerechnet, zehn bis zwanzig spurlos verschwunden. Bei seiner Aktion hat sich der Studentenbund auf einen angeblichen „Wunsch des Führers" berufen. Ob es den wirklich gegeben hat, ist angesichts der Wertschätzung, die Wissenschaft und Wissenschaftler bei ihrem neuen Führer genossen, einigermaßen unwahrscheinlich. In einem Brief von 1937 hat sich jedenfalls Ernst Storm von der Technischen Hochschule in Charlottenburg, damals noch Dekan der Fakultät für Allgemeine Wissenschaften, gerühmt50, gemeinsam mit Stäbel Initiator der Unternehmung gewesen zu sein - vom Führer war hier nicht die Rede. Aber Führer oder nicht Führer: Der „Aufruf der 300" ist nicht ohne Kritik und nicht ohne Konkurrenz geblieben. Insbesondere in Jena war die Mehrzahl der vom Studentenbund angeschriebenen Hochschullehrer nicht geneigt, den ihnen vorgelegten Text so, wie er war, zu unterzeichnen. Nachdem man Äußerungen ähnlichen Unmuts auch von anderen Hochschulen eingeholt hatte, wurde ein mehr auf das Vertrauen in die Führung des „verehrten Herrn Reichspräsidenten" abgefaßter Text aufgesetzt, in dem zwar jeweils hinter Hindenburg auch die von ihm berufenen „nationalen" Männer Erwähnung fanden, der Name Hitler aber direkt nicht vorkam. Abraham Esau, Hochfrequenztechniker und neuer Rektor, hat diesen Text am 27. Februar an die übrigen Magnifizenzen versandt mit der Bitte um Sammlung von Zustimmungserklärungen. Woher er dabei den Optimismus nahm, daß deren Zahl und der Text am Freitag, zwei Tage also vor der Wahl, durch den Deutschlandsender bekanntgegeben werden würden, hat er nicht näher erklärt, und ob das wirklich geschehen ist, dürfte zweifelhaft sein. Immerhin: Partiell war der Erfolg dieser Aktion überwältigend. Aus Baumstarks Münster51, wo die Studenten kürzlich ganze zwölf Unterschriften hatten sammeln können, kamen nicht weniger als 108, weitere zwölf wurden noch nachgemeldet. Von den zwölf Studentenbunds-Unterzeichnern waren neun auch hier dabei, nur den Professoren Hierlscher und Mevius (dem späteren Rektor) und dem Privatdozenten Kremer dünkte das Bekenntnis zu Adolf Hitler mit diesem letzten schwarz-weiß-roten Professorenaufruf nicht recht vereinbar. Und drei andere gaben „Sondervoten" ab. Dem Rechtshistoriker Hermann Hallermann erschien die Jenaer „Kundgebung nicht in allen Einzelheiten glücklich", doch müßte man sich jetzt wohl über alle Parteiinteressen hinweg zusammenfinden - also Unterschrift. Grundsätzliches Einverständnis auch des Gerichtsmediziners Heinrich Többen, der nur den erweckten Anschein einer bereits abgeschlossenen Sammlung aller nationalen Kräfte bemängelte - „selbstverständlich" gehörten dazu doch auch die bisherigen „Volksgenossen der bürgerlichen Mitte" (nicht unterschrieben hat aus ähnlichen Gründen der Zivilrechtler Ernst Jacobi: Weil die große Partei, der er sich verbunden fühle, ausgeschlossen, nicht zu den „vaterländischen Kräften" gezählt und damit „unerhört" beschimpft werde). „Tiefstes Bedauern" und „ernsteste Bedenken" drittens des - freilich trotzdem unterzeichnenden - Theologen Wilhelm Stählin, der schon die Tatsache der Erklärung „für einen Fehler und ein Unglück" hielt. Außerdem sei die sprachliche und stilistische Form 20

Hochschullehrern nicht angemessen, das „Gepräge des Kompromisses" unübersehbar, und es werde die Gefahr einer „furchtbaren Zerspaltung" in Unterzeichner und NichtUnterzeichner heraufbeschworen - ganz abgesehen davon, daß es nicht ausbleiben werde, „daß man an bestimmten Stellen sehr genau prüfen wird, welche Namen unter dieser Erklärung stehen und welche nicht". Wie recht er damit hatte, und zwar ganz allgemein, zeigt ein Brief, der zeitlich und institutionell ziemlich weit entfernt verfaßt worden ist, nämlich am 16. August 1934 vom Reichsschulungsleiter der Parteiorganisation, und wo bei dem Berliner Psychologen Hans Rupp moniert wurde, daß er „nicht einmal" unter den dreihundert vom 4. März 1933 gewesen sei 52 . Es wird das nicht das einzige Votum dieser Art gewesen sein und für alle jene Manifeste Gültigkeit haben. Nicht überall 53 war die Begeisterung so groß wie in Münster. Der Rektor der Münchener T H antwortete, er hielte zwar auch den vom Studentenbund vorgelegten Aufruf „in seiner jetzigen Fassung" für nicht zur Unterschrift geeignet, darüber hinaus aber überhaupt eine politische Kundgebung derzeit „weder für notwendig noch für zweckmäßig". Er rate daher, auch von dieser Kundgebung abzusehen. Ebenso wie sein Bonner Kollege hat er jedoch den Text an die Abteilungen beziehungsweise Fakultäten weitergeleitet, die eigene Ablehnung allerdings nicht verschweigend. Aus Bonn liegen einige Reaktionen darauf vor. Der theologische Dekan schloß sich „ganz" der Ansicht des Rektors an und unterließ auch - ganz sicher, „daß nicht ein einziges Mitglied eine derartige Erklärung unterschreiben würde" - eine Befragung der Fakultät. Letzteres hat sein medizinischer Kollege, obschon ebenfalls „durchaus auf dem Boden der Meinung Eurer Magnifizenz" stehend, wenigstens getan und vier Unterschriften (darunter die des bald zu Amt und Würden gelangenden Friedrich Pietrusky) erhalten, aber auch eine Reihe motivierter Ablehnungen, aus denen hervorzugehen scheint, daß der Text selbst zwar goutierte, nicht aber der Zeitpunkt und auch nicht der Initiator („ausgerechnet Herr Esau"). Negativ war ebenfalls das Echo aus Köln: Gefährlicher Gewissenszwang, unübersehbare Folgen Einigkeit darüber beim weitaus größten Teil der Kölner Kollegen. Es ist anzunehmen, daß die Aktion Esau angesichts des überwiegend negativen Echos stillschweigend beigesetzt worden ist. Vielleicht hat man auch den Deutschlandsender nicht dafür zu erwärmen vermocht, in der überregionalen Tagespresse jedenfalls findet sich weder an jenem Freitag noch am darauffolgenden Samstag ein Niederschlag. Das gloriose münstersche Ergebnis ist allerdings vom Pressedienst „Hochschulkorrespondenz" samt Text veröffentlicht worden, aber erst mehr als eine Woche nach der Wahl, als es kaum noch jemanden interessiert haben wird. Lokal mag es dann ebenso noch publiziert worden sein wie Produkte rein örtlichen Charakters der damals förmlich von einer Art Bekenntnisrausch ergriffenen Professorenschaft. Aus Tübingen 54 hat Esaus Projekt die Zusicherung von Einigkeit in der „Tendenz" und ein persönliches Bravo von Rektor Simon erhalten, vom Umlauf indes habe man abgesehen, sei doch kurz zuvor „aus den gleichen Erwägungen heraus wie Jena [sie] eine ähnlich lautende Erklärung beschlossen" worden. Denn Unzufriedenheit herrschte auch dort. Die Studentenbundsfunktionäre mußten melden, daß Tübinger Hochschullehrer gemeinsam mit dem einzigen Stuttgarter Hochschul-Parteigenossen, Wilhelm Stortz, der die Unterschrift unter ihren Aufruf abgelehnt habe, an einem anderen Aufruf arbeiteten. Das war am 25. Februar. Am Tag zuvor schon hatte die Studentenbundsleitung von einigen bereits geworbenen Tübinger Unterzeichnern die Mitteilung erhalten, ihre Unterschriften gälten nur mit einer unmittelbar anzuschließenden Zusatzerklärung, worin die Tübinger betonten, sich damit „lediglich zu Adolf Hitler und seiner Idee" zu beken21

nen. Was wohl heißen sollte: nicht zur Partei mit all ihren Unebenheiten, - „unser lieber Professor Lehnich [der künftige württembergische Wirtschaftsminister] braucht natürlich wieder eine Extrawurst". Die brauchte man am oberen Neckar in der Tat, wie jene55 besondere Tübinger Erklärung zeigt, die dann am 28. Februar mit 107 Unterschriften, meist von Professoren, aber auch mindestens 33 sonstige lokale Honoratioren vom Apotheker bis zum Reichsbahnrat darunter, veröffentlicht wurde und das Bekenntnis enthielt, auf dem Boden des Programms der derzeitigen Reichsregierung zu stehen. Als einzigen Initiator („allein zuwege gebracht") hat sich Ende 1933, als die Sache noch relativ frisch in Erinnerung und eine Schwindelei kaum ratsam war, seinem Rektor gegenüber, der von den lokalen Geschehnissen schließlich genug wußte, der - oben ausführlich abgehandelte - Botaniker Lehmann gerühmt. Sein Motiv war nicht so sehr politischer, aber menschlich um so mehr verständlicher A n gewesen: Eine Erklärung von Studenten, so hatte er zu dem am 17. Februar übermittelten Studentenbunds-Manifest angemerkt, gedenke er nicht zu unterschreiben, er werde aber „etwas besseres beibringen". Wie er das dann bewerkstelligt hat und wie er, sehr zu seinem Leidwesen, „bestimmt" wurde, „noch Bürger hinzuzunehmen", das hat er im Detail beschrieben - und wie seine Erklärung „dann in Nord und Süd als Erklärung der Universität für die Regierung Hitler - gegen die Mainlinie" abgedruckt worden sei. Der Aufgeschlossenheit zahlreicher Kollegen hatte der Botaniker gewiß sein können, die Irritation über den studentischen Coup war offensichtlich sehr weitreichend. Auch im Senat hat, ganz in seinem Sinne, der Verwaltungsrechtler Ludwig v. Köhler am 25. Februar erklärt, daß er es eines Hochschullehrers nicht für würdig halte, eine von den Studenten präsentierte Erklärung zu unterschreiben, - wenn er etwas erklären wolle, tue er das von sich aus und aus freien Stücken. Und Rektor Simon hatte am 1. März und sicher eher verharmlosend nach Stuttgart berichten müssen, das Vorgehen des Studentenbundes habe eine „gewisse Unruhe im Lehrkörper hervorgerufen" und der Große Senat habe einstimmig einer eigenen Entschließung zugestimmt, die in der Tagespresse veröffentlicht worden sei. Das war mithin am 28. Februar geschehen (an diesem Tage jedenfalls in der „Tübinger Chronik"), und der Text hatte dem „in uns Hochschullehrern" lebendigen „heißen Willen" zur Mitarbeit „mit allen Kräften" Ausdruck gegeben und sich zu einem „an Leib und Seele gesunden Volke voll Willensstärke" und einem „zuchtvoll geleiteten machtvollen Staate" bekannt. Magnifizenz Paul Simon, ein Philosoph und Theologe, der kurz darauf als Domprobst nach Paderborn verschwunden ist, hatte die - vermutlich also Lehmannsche - Vorlage in die Sitzung mitgebracht, und ganz ohne Einwendungen war es da nicht abgegangen. Diese zielten allerdings in eine den Nachkriegs-Reminiszenzen 56 entgegengesetzte Richtung. Max Wundt, dem Philosophen, und insbesondere dem Philologen Ernst Sittig war das zu lahm gewesen. Sie vermißten eine entschiedene Ablehnung des „Internationalismus", und die Einstimmigkeit wurde erst nach längerer harter Bearbeitung Sittigs gewonnen, der schließlich mit dem Vorbehalt, er betrachte dies als Minimum, zu Boden ging. Diese Divergenzen zeigen auch hier wieder ein Problem auf, das von Fall zu Fall zu berücksichtigen, dabei jedoch unvermeidlich subjektiver Willkür ausgeliefert ist: Was jetzt als devot, kriecherisch und „gleichgeschaltet" erscheint, kann — kann! - seinerzeit durchaus ein Versuch der Zügelung und Mäßigung, des Rettens, was noch zu retten war, gewesen sein. Auf die - konfrontiert mit der Anmaßung des Studentenbundes erfolgende 22

Aktion rund um den baldigen Domprobst scheint das anwendbar, und gleich wird weniger Zweideutiges zu berichten sein. Trotzdem sollte man vorsichtig mit dieser Entlastung umgehen, schon die Menge der 33er Professoren-Bekenntnisse legt das nahe. Denn ähnlich, wenn auch vielleicht nicht ganz so kreativ wie in Tübingen, ist es auch an anderen Hohen Schulen Deutschlands zugegangen. Sehen wir uns, ungefähr chronologisch geordnet, an, was Krieg und Zufall davon übriggelassen haben. Aus Bonn berichtet Erich Hoffmann 5 7 von einem bereits am 22. Februar „in der Zeitung" erschienenen Aufruf - mit seiner Unterschrift. Auf beeiltem Wege ins Kolleg sei sie von „interessierten Anhängern der Partei" eingeholt worden, - und im Interesse der deutschen Professoren ist zu hoffen, daß sie ihre politischen Bekenntnisse und Handreichungen für die weniger gebildeten Volksgenossen nicht sämtlich zwischen Tür und Angel abgegeben haben. Am selben Tag machen in Halle die Professoren Ernst Kohlmeyer (Kirchengeschichte), Gustav Boehmer (Bürgerliches Recht), Friedrich Voelcker (Chirurgie), Georg Baesecke (Germanistik) und Ferdinand v. Wolff (Mineralogie) mobil und verfassen eine Adresse an die Studentenschaft der Universität, die mit „Die Stunde ist gekommen" beginnt und mit „Es gibt keinen anderen Weg!" endet und sich dazwischen mitten „hineinstellt in die Volksbewegung und an die Seite" der vom Herrn Reichspräsidenten berufenen Männer. Der Senat bestellt eine Redaktionskommission (Kohlmeyer und Boehmer sitzen darin), welche einen erträglichen Text verfaßt - und der erscheint dann am Schwarzen Brett 5 8 . Eine weitere „Erklärung" gab es in Kiel 59 . Sie war allerdings - nach Protesten - „nicht für die Öffentlichkeit bestimmt", sondern eine etwas merkwürdige Angelegenheit mit internen Hintergründen, und gehört deshalb genaugenommen nicht hierher, obwohl sie vom 28. Februar 1933 datiert und am 3. März dem Rektor vorgelegt wurde und Inhalt wie Formulierung durchaus VB-Charakter trugen: Bekenntnis und Versicherung des Willens zur „ernsthaften Bekämpfung aller volkszerstörenden marxistischen Einflüsse" und zur Unterstützung des „Aufbaus des neuen Reiches". Die Initiatoren waren der Hygieniker Hermann Dold und der Physikalische Chemiker Lothar Wolf, demnächst Rektor. Bei der Unterschriftensammlung hatten auch sie erfahren müssen, daß nicht alle gefragten Kollegen zustimmten. Der Klassische Philologe Richard Härder, einer davon und zweifellos kein Gegner („begrüße ich auf das wärmste"), hat vier engzeilige Seiten lang erläutert, warum das so sei und welche „schwerwiegenden Bedenken" ihn zur Abstinenz veranlaßten. Sie ähnelten denen, die wir schon kennen: Abgesehen davon, daß die „Kundgebung als solche" ein „rein formaler, äußerst vieldeutiger Akt" und der Text mißverständlich sei, beanstandete er, daß sich infolge der nur selektiven Aufforderungen zur Unterzeichnung die Gruppe der NichtUnterzeichner aus „sehr verschiedenartigen Personen" zusammensetzen werde, nämlich aus - vielleicht nur zufällig - Nicht-Gefragten und aus Verweigerern. Trotzdem haben Dold und Wolf noch weitere 14 geheim bleibende und nur dem Rektor mitgeteilte Namen zusammenbekommen - ein interner Kniefall, mehr konnte bei diesem ganzen verschwörerischen Getue nicht herauskommen. Für die Presse bestimmt hingegen war an der Berliner Universität ein Aufruf „zahlreicher Hochschullehrer", denen der Professoren-Sammelauftrieb offenbar noch nicht ausreichte. Gleichfalls am 4. März, dem Vorabend der Wahl, veröffentlicht 60 , enthielt er ein Bekenntnis zum „Zusammenschluß der nationalen Kräfte unter Führung Adolf Hitlers" als „einzig möglichem Weg" aus wissenschaftlicher Not und seelischer Bedrängnis zur Wiedergewinnung nationaler Würde. Am wichtigsten war dabei vermutlich die der „akademischen Jugend" („mit feuriger Begeisterung der nationalen Volksbewegung er23

geben") gereichte Hand. „I. A." von „bisher über 200 Hochschullehrern" unterschrieben hatten neun Professoren, Eugen Fischer alphabetisch an der Spitze. Schon zwei Tage zuvor hatten die zu einer „Tagung der deutschgesinnten preußischen Hochschuldozenten" im Preußischen Landtag Versammelten telegraphisch Hitler ein Treuegelöbnis übersandt und versprochen, am Wiederaufbau der deutschen Volksgemeinschaft tatkräftig mitzuwirken61. Die „deutschgesinnten Hochschuldozenten" entpuppen sich freilich bei näherem Hinsehen als die Mitglieder des Kampfbundes für deutsche Kultur, und es ist dies also keine eigentlich akademische Veranstaltung gewesen. Und formal kein Aufruf waren die „Richtlinien" der am dazwischenliegenden Tage, am 3. März, in Frankfurt von Krieck gegründeten „Kulturpolitischen Arbeitsgemeinschaft deutscher Hochschullehrer" 62 , die - so diese „Richtlinien" - den deutschen Hochschulen wieder zu einem deutschen Gesicht verhelfen wollten und sich zur Freiheit von Forschung und Lehre nur bekannten mit dem „ausdrücklichen Vorbehalt" der Bindung des Forschenden und Lehrenden „durch Gliedschaft im Volksganzen an völkische Art und Aufgabe". Dem verquasten Deutsch entsprach die Verlogenheit, mit der diese Leute dreist behaupteten, ihre „Gesinnungs-, Arbeits- und Kampfgemeinschaft" diene keiner „einzelnen politischen Partei". Am 22. und 23. April hat die Arbeitsgemeinschaft in der Frankfurter Universität ihre erste Tagung abgehalten, mit 123 Teilnehmern, denen nach Kriecks Versicherung, keine Konjunkturpolitik betreiben zu wollen, sein Kollege Klausing Leitsätze für die „Erneuerung der deutschen Hochschule" entwickelt hat - abwiegelnd, wie man sagen muß, gegen eine revolutionäre Vernichtung unersetzlicher Traditionen, die bedrohten „Namen unserer Hochschulen" eingeschlossen63. Man hat ein bißchen am Berufungsverfahren gerüttelt und auch ein wenig für das Führerprinzip Stimmung gemacht, - wir können das übergehen, denn ob es danach noch eine zweite Tagung gegeben hat, ist sehr zweifelhaft. Allzuviel jedenfalls hat man von diesen Über-Parteipolitischen nicht mehr gehört, obwohl sich unter den 23 Gründer-Unterschriften 64 eine Anzahl damals hochnotierter Namen befand. Eine Zeitschrift mit dem anspruchsvollen Titel „Die deutsche Hochschule" hat bereits nach zwei Nummern das Zeitliche gesegnet. Nun wieder wirkliche Aufrufe. So bestand auch in Münster 65 angesichts des „brennenden Reichstagsgebäudes" Bedarf für eine weitere Loyalitätsbekundung. Dieser Aufruf, von Rektor, Prorektor und Dekanen unterzeichnet, datiert freilich erst vom Wahltag selbst, und wenn das auch ein „Datum zum Tage" sein kann, so ist doch nicht auszuschließen, daß darunter erst der Abend des 5. März, nach der Bekanntgabe der Wahlergebnisse, zu verstehen ist. Kollegen und Studenten wurden jedenfalls hier aufgerufen, nach dem Muster des gerade eben zu größerer Bekanntheit gelangenden Horst-WesselLiedes die Reihen fest zusammenzuschließen, Trennendes zurückzustellen und gegenüber dem „Wahnsinn des Kommunismus" („die Mordwaffe aus der schon zum Stoße gehobenen Hand geschlagen") fest an Deutschlands Zukunft zu glauben. Ähnliches wird sicher hier und da geschehen sein. Werfen wir etwa einen Blick auf Heidelberg, wo in jenem Frühjahr nicht nur Hitler „mit freudiger Begeisterung" gebeten worden ist (oder werden sollte66), „über dieses älteste Bollwerk deutscher Kultur und Gesinnung" seine „schirmende Hand" zu halten, sondern woher auch Kunde kommt 67 von einem Aufruf „kurz vor dem 5. März", der in der akademischen Hitler-Lobhudelei die Meßlatte ein gutes Stück höher gelegt hat. „Voller Vertrauen" blickten da die „unterzeichneten deutschen Hochschullehrer und Forscher" auf ihren neuen Führer, dessen „Glaube an die unzerstörbare Kraft des deutschen Volkes", dessen „lauteres Wollen", 24

„tiefes soziales Empfinden" und „rückhaltloses Einsetzen seines Lebens für die Größe Deutschlands" diesen Braven Gewähr bot für eine gedeihliche Zukunft in stürmischer Zeit. Das „von uns, denen das Amt der Forschung und Lehre anvertraut ist", geforderte klare Bekenntnis haben in Heidelberg namentlich freilich nur drei Professoren abgelegt: Lenard natürlich, der sich wieder als Jüngling fühlende alte Kämpe, dann Eugen Fehrle als einzig Aktiver, vermutlich bereits auf dem Sprung ins badische Kultusministerium, und schließlich ein weiterer Emeritus und Geheimrat, der Zivilrechtler Friedrich Endemann - hier sämtlich alte Bekannte. Die Formulierung der nachträglichen Heidelberger Veröffentlichung dieser Hymne läßt jedoch darauf schließen, daß nicht nur am Neckar Mit-Bekenner gesucht und auch gefunden worden sind. Die Wahl ist vorbei, Hitlers Regierung „ermächtigt". Nach dem großen Tag in Potsdam liest in Heidelberg am 25. März Heinrich Mitteis im Morgenblatt wieder einmal eine Reihe von Erklärungen, wo Richtervereine und dergleichen Verbände ihre freudige Mitarbeit an der nationalen Erneuerung bekunden. Könnten sich denn nicht, überlegt der Rechtshistoriker, die deutschen Universitäten zu einer ähnlichen „Gesamterklärung" zusammenschließen ? Wenn keine andere den Mut habe (er sondiert beispielsweise in Bonn), müßte eben halt Heidelberg als die älteste Universität die Initiative ergreifen68. O b nun von Heidelberg ein Weg dorthin führt oder nicht: Etwas Ähnliches jedenfalls entsteht knapp einen Monat später. Wie es zu dieser Erklärung des Hochschulverbandes vom 22. April gekommen ist, in welchem Zusammenhang sie steht und welche Folgen sie gehabt hat, das gehört zur später69 zu schildernden Geschichte der Gleichschaltung des Verbandes. Hier daher nur dieser Hinweis und ein kurzer Blick darauf. Die Erklärung des Verbandes war schon die zweite in jenem April. Anfang des Monats70 hatte bereits eine andere in zwei Sätzen „schärfsten Protest gegen die jeder Grundlage entbehrende Greuelpropaganda im Ausland" erhoben, - es waren dies die Tage nach dem Judenboykott vom 1. April und der ausländischen Reaktion auf dieses erste weithin sichtbare Signal der aufziehenden Barbarei. Am 22. war man dann sehr viel wortreicher - und zielte man in eine andere Richtung, in eine damals freilich längst überholte. Der Aufstieg des neuen Reichs wurde als Erfüllung der Sehnsucht der Hochschulen begrüßt und der neuen Mannschaft „Vertrauen und Begeisterung" versprochen. Das war in Ordnung, unfreundlich jedoch mußte wirken, daß - wie vor den März-Ereignissen - vom Führer nicht selbst die Rede war, sondern nur von den vom „ehrwürdigen Herrn Reichspräsidenten" eingesetzten Führer». Noch bedenklicher war die Ablehnung einer „Politisierung, die eine Verengung auf Sonderanschauungen bedeutet", - war letzteres nicht genau das, was der Nationalsozialismus forderte? Bei der nunmehr üblichen Einordnung der Freiheit von Forschung und Lehre weitere Ketzereien: Gewiß Ablehnung von „Heimatlosigkeit des Geistes" und „wertblindem Relativismus", aber Berufung auf die „uralte deutsche Geistesfreiheit" und Bekenntnis zu „sittlicher Verantwortung vor der Wahrheit" - von völkischer Anbindung keine Rede. Noch übler aber die bei allem Willen zur Reform („Wiederherstellung der alten Auslese nach dem Adel von Geist und Charakter") angekündigte, beinahe schon angedrohte Verteidigung „unserer alten, ehrwürdigen Formen" der Selbstverwaltung und Selbstergänzung. Und dazu noch die Reklamierung „reicher Mannigfaltigkeit" der Überzeugungen auch im Rahmen der jetzt von der „Notlage unseres Volkes" diktierten Vereinheitlichung auf vielen Gebieten und das Versprechen, für diese Freiheit der Überzeugung „wie bisher mit Festigkeit einzutreten". Man denke nur: Das herrliche, uralte Sehnsüchte stillende Dritte Reich - eine Notlage!! Wenn dann noch „blindes Mitlaufen" und „leere Schlagworte" als „undeutsch" und „unschöpfe25

risch" abgelehnt wurden, so ist es verständlich, daß dies - woran bei Rektor Simons Text noch Zweifel erlaubt sind - sehr richtig eher als Kriegserklärung denn als Treueschwur verstanden worden ist und bei der Deutschen Studentenschaft wie bei den Parteigenossen unter den Hochschullehrern wilde Empörung geweckt71, Gegenerklärungen provoziert und schließlich zum Sturz des Verbandsvorstands geführt hat. Zwei Tage später72, Göttinger Tageblatt vom 24. April 1933: „Wir unterzeichneten Göttinger Dozenten sind der Ansicht..." Fünf Tage zuvor hatten die Leser des Tageblatts erfahren, ihr Nobelpreisträger James Franck habe um Entbindung von seinen Amtspflichten gebeten und dem Rektor eine öffentliche Erklärung des Inhalts zugeschickt, daß er es ablehne, von der „Vergünstigung" Gebrauch zu machen, als Kriegsteilnehmer trotz jüdischer Abstammung weiter dem Staate dienen zu dürfen; „wir Deutschen jüdischer Abstammung", so hatte er sich beklagt, „werden wie Fremde und Feinde des Vaterlandes behandelt". Und nicht weniger als 42 Göttinger Kollegen, Leute darunter wie Jens Jessen, Hermann Kees und Hans Plischke, Werner Blume, Gerhart Jander und Konrad Meyer selbstverständlich auch, waren nun also der Ansicht - und schämten sich nicht, dies ihren Volksgenossen bekanntzugeben - , daß eine solche Form der Rücktrittserklärung einem Sabotageakt gleichkomme und sie daher hofften, „daß die Regierung die notwendigen Reinigungsmaßnahmen beschleunigt durchführen" werde. Nach dem Kriege ist in der Entnazifizierungs-Apologetik behauptet worden, hier sei eine Eingabe an den Innenminister durch eine Indiskretion der örtlichen Parteileitung in die Presse gelangt, was jedoch, selbst wenn es stimmen sollte, die Sache auch nicht viel besser macht. Wie damals ebenfalls zu vernehmen war, stammten die Unterzeichner aus „verschiedenen politischen Lagern", geeint - so der ehemalige nationalsozialistische Agrarpolitiker und „Lebensraum"-Planer Konrad Meyer-durch Francks „Brüskierung der eigenen Regierung besonders vor dem Ausland". Keine Rede also mehr von Antisemitismus, von der Maßregelung der jüdischen Professoren, von den zum Teil tätlichen Angriffen auf sie oder den geifernden Stellungnahmen zum „Judenproblem" - alles vergessen. Die Kultusverwaltungen im Nachkriegsdeutschland scheinen das ähnlich gesehen zu haben, jedenfalls was die elf von den 42 anlangt, über deren Verbleib der Göttinger Kurator Bojunga 1950 orientiert gewesen ist. Von ihnen nämlich war gerade einer (Blume) entlassen worden, ein zweiter hatte keinen Lehrauftrag mehr, und ein dritter war verstorben, zwei jedoch gehörten als Emeriti, zwei als Ordinarien und einer als planmäßiger Lektor nach wie vor dem Göttinger Lehrkörper an, drei waren Rufen an andere Hochschulen gefolgt (eine Fakultät wußte sogar von acht bis zehn derzeit aktiven Ordinarien), von denen einer soeben Rektor in Hohenheim war. Und das muß ja wohl auch ganz in Ordnung gewesen sein, wenn man nämlich aus dem gleichen Zeitraum erfährt, mit welcher Verve einer von diesen, ein erst später, nach seinem 65. Geburtstag, Emeritierter, wenn auch verkappter Antifaschist gewesen ist. Jener führende Ägyptologe Deutschlands war zwar SA-Führer gewesen - aber nur via „Stahlhelm" und um die Parteitruppe konservativ zu unterwandern, und dann auch Parteigenosse - aber ungefragt plötzlich zur Entgegennahme der Mitgliedskarte kommandiert, ist als politisch unzuverlässig stets bei der Rektorwahl übergangen (!) und nicht einmal zur Mitgliedschaft bei der Dozentenbunds-Akademie aufgefordert worden kurz, in jener Zeit Opfer einer „Kette fortwährender Vergewaltigungen und Demütigungen seitens der NSDAP" gewesen. Das erscheint phantastisch, ist aber nur ein Beispiel von allzu vielen, - sollte wider Erwarten noch einmal ein Kunstmaler aus dem Oberösterreichischen oder ein niederbayerischer Geflügelzüchter das Thema „Herrenvolk" 26

anschlagen, müßte eigentlich schon ein willkürlicher Auszug aus dem Entnazifizierungsgeschehen Remedur schaffen. Im abschließenden Entnazifizierungsverfahren ist dieser Mann denn auch Anfang 1949 für „entlastet" erklärt worden; auch die Unterschrift unter den Aufruf gegen den berühmten jüdischen Physiker und Kollegen Franck, so befand der Göttinger Hauptausschuß, könne ihm „nicht als antisemitische Handlung ausgelegt werden". Mit Sicherheit nicht antisemitisch getönt, sondern nur lieb gemeint: eine Hitler übermittelte 73 „Gratulation" der Heidelberger Naturwissenschaftlich-Mathematischen Fakultät anläßlich des ersten „Feiertages der nationalen Arbeit". Auch daß der Tübinger Rektor Simon für die erste Nummer des endlich ins Leben gerufenen rechten „Neuen Tübinger Tagblatts" das gewünschte Geleitwort im alten vaterländischen Pathos, aber ohne vermeidbare nationalsozialistische Bezüge lieferte74, war zu erwarten: Mit Freuden begrüße die Tübinger Alma mater den Zusammenschluß zur Einheit der nationalen Gesinnung, am erfolgreichsten habe sie dem Eindringen marxistischer Gesinnung widerstanden, am tiefsten die Schmach von Versailles gefühlt - Verantwortung vor Gott, Begeisterung für die Größe des Vaterlandes und so fort. Ganz anders am 3. Juli Dekan Otto Goetze von den Erlanger Medizinern 75 . Am Samstag zuvor hatte er im Studentenheim eine Rede seines Kultusministers angehört und sich angesprochen gefühlt, als Schemm das „nationalsozialistische Gedankengut dargelegt" hatte, auf dessen Grundlage das Verhältnis zwischen dem nationalsozialistischen Staat und den Vertretern der Wissenschaft neu aufgebaut werden sollte. Spectabiiis Goetze dankte nun dem neuen Kulturverwalter schriftlich (zur beliebigen Verwendung) und innig für die „edle und herzgewinnende Form" der Mitteilung seiner Entschlüsse, bot ihm „durch diese öffentliche Erklärung in vaterländischer Gesinnung korporativ" die Mitarbeit der Universität bei der Erreichung des hohen Zieles an und gab, nachdem er jenes nationalsozialistische Gedankengut als „von den Vätern überkommenes Erbgut und erworbenes Besitztum" von „95 Prozent aller deutschen Professoren" identifiziert und die bekannte wunde Stelle mit der Erkenntnis, es gebe „keine reine Wahrheit, die dem Vaterland nicht nützlich wäre", bepflastert hatte, ohne erkennbare Legitimation das Gelöbnis ab, daß die Erlanger Universität „uneingeschränkt alle ihre Kräfte dem nationalsozialistischen Staat zur Verfügung" stelle und um Befehle (Spectabiiis schrieb freilich „Aufforderung") bitte, in welcher „speziellen äußeren und inneren Form das geschehen" solle. Die letzten Wellen, welche die großen März-Ereignisse geschlagen hatten, waren kaum verebbt, als am 14. Oktober ein neues Ereignis die deutschen Professoren zu Begeisterungsstürmen hinriß. Hier gab es nun keine Spur mehr von dem bösen Dilemma zwischen Hindenburg und Hitler, hier war auch kein Raum für die Ressentiments der Unterlegenen und Gleichgeschalteten, hier fanden sich Schwarz-Weiß-Rote und Hakenkreuzler völlig freiwillig und ohne jedes Sacrificium intellectus am gleichen Strang ziehend vereint: Deutschland war aus der Genfer „Quasselbude", dem Völkerbund, ausgetreten! Schon vier Tage später richtete die „älteste Stätte der Pflege deutschen Geistes", Heidelberg also, „für immer an die Seite des Führers gestellt", an diesen ein Telegramm, das die „Entscheidung des Führers als befreiende Tat" bejubelte; hiermit, so fuhr die älteste Stätte der Geistpflege fort, sei der Wahrheit gedient und allen Völkern der Weg zu einem gerechten Frieden gewiesen worden 76 . Am 23. Oktober - Hitler hatte inzwischen für den 12. November eine Volksabstimmung über seine Politik angesetzt, verbunden (wie er das von nun an bei seinen außenpolitischen Handstreichen stets tun würde) mit einer Reichstagswahl - meldet sich auch der 27

Hochschulverband mit Dank für die „erlösende Tat" (Erlösung nämlich aus den „unwürdigen Genfer Bindungen") und gelobt für alle deutschen Hochschullehrer ein einmütiges Bekenntnis am 12. November sowie Gefolgschaft „in Treue und Entschlossenheit" beim Kampf um Deutschlands Ehre 77 . Ähnliches geloben am Tag darauf, sicher ist sicher, noch einmal die Magnifizenzen Escherich und Schwaiger für Universität und Technische Hochschule „der Stadt, von der die deutsche Freiheitsbewegung ihren Ausgang nahm" 7 8 . Und auch die „Landesuniversität" Tübingen kann ein solches Ereignis nicht vorüberziehen lassen, ohne in gewohnter Geschwätzigkeit einen Aufruf ins Ländle gehen zu lassen 79 , einig zu sein in der „Erfüllung der Pflicht, die unser Führer von jedem ehrenhaften und vaterlandsliebenden Deutschen erwartet" - so, wie sie selbst „treu und fest" hinter diesem Führer, seiner „kraftvollen, weitschauenden Regierung" und den „hohen Zielen des Nationalsozialismus" stehe. Unmittelbar vor dem Wahltag ist es dann zu dem spektakulärsten Ereignis dieser Art gekommen, zu jenem von Wilhelm Röpke in seiner türkischen Emigration als „Schandfleck auf der ehrenvollen Geschichte deutscher Bildung" empfundenen „Akt der Prostitution". „An die Gebildeten der ganzen Welt" richtete „die deutsche Wissenschaft" den Appell, dem „Ringen des durch Adolf Hitler geeinten deutschen Volkes um Freiheit, Ehre, Recht und Frieden" das gleiche Verständnis entgegenzubringen, das sie selbst erwarteten 80 . Wer hier nun die „völkerverbindende Macht der Wissenschaft" erst aus dem „Zusammenwirken der volksgebundenen Wissenschaftspflege der einzelnen Völker" entstehen sah, das war ein etwas seltsames Konglomerat von sechs Professoren, die meisten namhaft, wenn nicht Koryphäen ihres Faches, drei Leipziger darunter und vier - allerdings nicht sämtlich gleichzeitig - Rektoren: der Germanist Theodor Frings, der Romanist Walther v. Wartburg und der Laryngologe Artur Knick, alle drei in Leipzig, sowie der Kirchenhistoriker Emanuel Hirsch in Göttingen, der Philosoph Martin Heidegger in Freiburg und der Strafrechtler Eberhard Schmidt in Hamburg. Letzterer, der Hamburger Rektor, hat einem Kollegen mitgeteilt, daß dieser „Aufruf an die Gebildeten der Welt" unter seiner Mitwirkung zustande gekommen sei, und man kann sich daher vorstellen, daß die genannten sechs Herren tatsächlich redigierend zusammengesessen oder jedenfalls korrespondiert haben. Und sie fanden den Text schön, frei von Tatsachenbehauptungen, wie sie in „gewissen früheren Aufrufen deutscher Gelehrter zu großen Schwierigkeiten und peinlichen Unannehmlichkeiten geführt" hatten (und auch später haben zur Mitzeichnung aufgeforderte - nationalsozialistische - Kollegen abmahnend an die „Wirkung der Professorenkundgebungen in der Vergangenheit" erinnert) - ein schlichter Ruf nach Frieden und Gerechtigkeit. Als „Ruf", ja sogar als eine ganze Reihe von Rufen, hat dies auch der Mann hinter jenen sechs Gelehrten 81 verstanden - präzisiert als „Weckruf zu klarer Selbstbesinnung", als „Mahnruf zu unbeugsamer Selbstachtung", als „Kampfruf für den wahren Völkerfrieden" und als „Heroldsruf zu einmütiger, geschlossener, treuer Gefolgschaft hinter dem deutschen Führer Adolf Hitler". Der Verfasser solch schöner Prosa war Arthur Göpfert, der sächsische Gauobmann des NS-Lehrerbundes und spätere (1935 bis 1945) sächsische Volksbildungsminister, und wofür er sie verfaßt hat, das war die Einladung des N S L B Sachsen zu einer „machtvollen Kundgebung" von „Vertretern der deutschen Wissenschaft" am Nachmittag vor dem Wahltag, am 11. November, in der gewöhnlich beschwingtem Varieté dienenden Alberthalle zu Leipzig, dem „Potsdam der Erziehung". Was das laut dieser Einladung vom 4. November „zwanglos erstellte Forum aus deutschen Hochschulprofessoren, Vertretern der Erzieherschaft und der Studentenschaft" zu 28

hören bekommen sollte, wurde als Ansprachen von „Exponenten der freien deutschen Wissenschaft", „deutscher Wissenschaftler von bedeutendstem Weltruf, angekündigt. Und wirklich, was in Leipzig nach Göpferts Begrüßung und Vorstellung („Ihr adeliger Geist veranlaßt sie, den Gebildeten aller Völker zu sagen, daß sie sich in freudigem und freiem Mannesstolz zu Adolf Hitler bekennen") vor das „Forum" trat, konnte sich schon sehen lassen - zumindest im nationalsozialistischen Verständnis. Neun waren es, darunter die drei Nicht-Leipziger Aufrufverfasser. Den Reigen eröffnete der Berliner Universitätsrektor, der Anthropologe Eugen Fischer („Ein ganz Großer hat in das Rad der Geschichte seine Hand getan und im letzten Augenblick das Steuer herumgerissen... Vor unseren Augen entstand das Neue, das dieser eine Mann hingestellt hat wie zwei ragende Irminsäulen: national und sozial... Wir spüren wieder den großen Führer..."), nach ihm kam sein Leipziger Kollege, der Tierzüchter Arthur Golf („... zu dem von Gott dem deutschen Volke gesandten Führer, unserem Volkskanzler Adolf Hitler... Wie haben die Herzen aufgejauchzt, ... wie haben wir alle das als eine wahrhaftige Erlösung empfunden, daß uns endlich der Führer wurde..."), dann als dritte Magnifizenz, etwas gedämpfter, indes tief schürfend, Heidegger („Das Einzigartige dieser Wahl ist die einfache Größe der in ihr zu vollziehenden Entscheidung... Es ist der Aufbruch einer geläuterten und in ihre Wurzeln zurückwachsenden Jugend... Die nationalsozialistische Revolution bringt die völlige Umwälzung unseres deutschen Daseins. Von nun an fordert jedwedes Ding Entscheidung und alles Tun Verantwortung"). Hirsch folgte82 („Eine Fahne - wir alle grüßen sie; ein Mann - wir alle folgen ihm... Wenn auf morgen der Führer uns ruft, uns zum neuen nationalsozialistischen Deutschland zu bekennen, Mann für Mann, Frau um Frau, so antwortet es aus mir: Ja. Ich sage das als deutscher Mann, als evangelischer Christ und Theolog [sie], als Lehrer der Universität"), dann mit schmalzigem Pathos Wilhelm Pinder, der - noch - Münchener Papst deutschbewußter Kunstwissenschaft („Ich habe die ganzen Jahre hindurch, seit dem Eintritt in den Völkerbund, auf den Augenblick gewartet, der Gott sei Dank jetzt da ist... und auf was für eine Weise: so friedliebend, so unsäglich anständig, so rein und ehrenhaft, wie es die unvergeßlich ergreifenden Reden unseres großen Führers immer und immer getan haben... Das ist Politik aus Sittlichkeit, das ist Politik aus dem Herzen, aus einem geradezu religiösen Untergrund her. Das ist etwas Neues in der Geschichte!"), dann für die Mediziner, nüchterner und offenbar extemporierend, Deutschlands berühmtester Chirurg Ferdinand Sauerbruch („Mir war es [das eben gehörte „ergreifende Geständnis unseres Kollegen Hirsch"] wie ein kindliches Gebet; möge es erhört werden!"). Als letzte schlössen sich an für die Juristen wieder ein Rektor und Erst-Unterzeichner, Schmidt aus Hamburg, noch ein evangelischer Theologe, der Systematiker Friedrich Karl Schumann aus Halle, und schließlich und endlich (in der Einladung nicht angekündigt) der Göttinger Rektor Friedrich Neumann, der Germanist - die alle ebenfalls die endliche Heilung einer der tiefen „Wunden von Versailles" begrüßten und selig ihrem Führer dankten. Damit und mit der Verlesung des von den sechs Vorreitern gezeichneten Entschließungstextes und mit dessen einstimmiger Annahme war die Sache aber noch nicht ausgestanden. Denn es waren schließlich nicht sämtliche deutschen Professoren in der Leipziger Alberthalle, und wenn auch „zahlreiche" telegraphische Zustimmungen einliefen, so reichte das längst nicht aus. Nach den erwähnten schlechten Erfahrungen und Peinlichkeiten sollte das Unternehmen diesmal richtig angefaßt werden und das triumphale Ergebnis hieb- und stichfest und wasserdicht sein. Deshalb schickte der NSLB-Sachsen nunmehr an die Rektorate Entschließungstext mit Unterschriftenblatt. Jedem sollte die 29

Unterschriftsleistung ermöglicht werden - oder doch fast jedem, denn Juden und Leute, die „sonst nicht in Betracht kommen", sollten natürlich ausgeschlossen sein (Schmidt Hamburg freilich hat das in vollem Bewußtsein seines Abweichens von den Richtlinien, aber mit dem Plazet „radikal nationalsozialistischer Kollegen", nicht befolgt, um Unfrieden zu vermeiden; ob auf diese Weise tatsächlich Juden und „Marxisten" mit „hineingerutscht" sind, könnte einmal in Hamburg untersucht werden). Das Ganze sollte dann, seiner „historischen Bedeutung und Größe" gemäß und als „Markstein in der Geschichte der deutschen Wissenschaft", in fünf Sprächen gedruckt werden und nicht nur in einer „billigen broschierten", sondern zur Verteilung an sämtliche ausländischen Hochschulen auch in einer „vornehm ausgestatteten gebundenen" Ausgabe erscheinen. Für die dafür veranschlagten 10 000 Mark wurden - und das wird sie vermutlich mehr noch geschmerzt haben als alles in der nun wiederum einsetzenden akademischen Kritik an Text und Textteilen sich äußerndes philologisches oder politisches Unbehagen - die Professoren zur Kasse gebeten, Sammelliste und Kontonummer des NSLB-Sachsen waren beigefügt. Das tollste aber war ein Einfall, mit dem man „jeden Argwohn des Auslandes" hinsichtlich einer „Fälschungsabsicht" glaubte ausschalten und die „Gewährleistung vollster Gewissens- und Meinungsfreiheit" beweisen zu können: Sämtliche Unterschriften sollten (auch) „in Facsimiledruck erscheinen". Bis zum 15. Januar 1934 lagen die Listen aus. In Hamburg jedenfalls, in Freiburg war die Aktion Anfang Februar noch im Gange und anderswo vielleicht noch länger. Denn noch Mitte Juni 1934 ist der Verlag Wilhelm Limpert in Dresden damit beschäftigt gewesen, die „nicht immer leserlichen" Professorenunterschriften zu transkribieren. Schließlich aber, im August83, war das große Werk abgeschlossen, lag das - so der Titel - „Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat"84 ausgedruckt vor, fünfsprachig also in Deutsch, Englisch, Italienisch, Französisch und Spanisch, dadurch 136 Seiten dick, ab Seite 127 gefüllt mit 957 Unterschriften85. Das war das Dreifache vom Frühjahr 1933 und rangierte, so ist festgestellt worden86, nach den 3016 Professoren und Dozenten, die im August 1914 dem Vaterland auch verbal zu Hilfe geeilt waren, quantitativ an zweiter Stelle deutscher Professorenbekenntnisse aller Zeiten, wenn auch mit gewaltigem Abstand in der Relation zum Gesamtbestand (ein Achtel statt drei Viertel). Kein Wunder also, daß die Erbsenzähler vor Aufregung feuchte Hände bekommen und beispielsweise87 mit dem Fisher-Yates-Test anstelle des üblichen X2-Tests, mit Hilfe der Pearsonschen Formel und des Produkt-Moment-Koeffizienten tolle Berechnungen angestellt und profunde Erkenntnisse gewonnen haben, etwa über die Unterschiede in „Traditions-" und anderweitigen Hochschulen, zwischen NS-Senioren und NS-Junioren und dergleichen mehr. Ein seine Väter offenbar recht überraschendes Ergebnis war dabei, daß „Pearson's R-0,618 betrug", was heißen sollte, daß das „Fakultätsinteresse am Nationalsozialismus" im umgekehrten Verhältnis zur Größe des Hochschulorts gestanden habe. Oder noch simpler: Je kleiner die Hochschule, desto größer (und leichter) die nationalsozialistische Infiltration - zu welcher Erkenntnis es freilich Pearsons nicht unbedingt bedurft hätte. Unseren Politikwissenschaftlern, das sei zu ihrer Ehre gesagt, sind freilich selbst Bedenken gekommen, die sich in der Richtung bewegten, ob sich denn wirklich aus NSDAP-Mitgliedschaft und derartigen Lippenbekenntnissen nationalsozialistische Gesinnung „ausloten" lasse. Und so ist es ja auch. Für solche Skepsis hätte man bei gründlicherem Hinsehen ein weiteres Argument finden können. Die große Aktion vom November 1933, die erstmals Schwierigkeiten und 30

Peinlichkeiten vermeiden und alle Hochschullehrer einen wollte, war nämlich eher noch peinlicher danebengegangen als ihre Vorgänger, machte doch die Liste eher den Eindruck eines Fleckerlteppichs als einer akademischen Heerschau. Was etwa die Universitäten anbelangt: Schmidts Hamburg war zwar mit stolzen 167 Unterschriften vertreten, auch aus Neumanns Göttingen waren es noch 51 und aus Marburg sogar 100, im „väterlichen" Leipzig hingegen schien es nur eine Veterinärmedizinische Fakultät zu geben, und andere Universitäten gab es offenbar überhaupt nicht, nicht einmal Eugen Fischers Berlin, nicht Bonn, nicht Breslau, nicht Erlangen und so weiter bis hin zu Würzburg. Bei den Technischen Hochschulen sah es nicht viel besser aus. Dresden war nahezu kriegsstark angetreten (137, abzüglich 29 Dozenten und Assistenten des angeschlossenen Pädagogischen Instituts), Danzig und Hannover waren wenigstens vertreten, der große Rest glänzte auch hier durch Abwesenheit. Die schütteren Reihen füllten Lehrkräfte von Instituten, die so leicht keine Gelegenheit vorübergehen ließen, wo sie sich Arm in Arm mit den „richtigen" Professoren zeigen konnten - Bergakademien, Landwirtschaftliche, Forstliche, Handels- und merkwürdigerweise auch Philosophisch-Theologische Hochschulen sowie selbstverständlich Pädagogische und Lehrerbildungsanstalten en masse. Zieht man die ab, rechnet jedoch hinzu noch 118 sogenannte „Einzelne Wissenschaftler" ohne Hochschulangabe, Versprengte, die meist sonst nicht vertretenen Hochschulen angehörten (aus Leipzig beispielsweise unter anderen Helmut Berve, Erich Brandenburg, Hans Freyer, Theodor Frings, Arthur Golf, Rudolf Kötzschke, Theodor Litt [!], Otto Reche, Levin Schücking [!], Otto Steche und Hermann Wendorf), so bleiben ganze 338 Unterschriften aus Universitäten und 191 aus Technischen Hochschulen88. Was war geschehen? Wie konnte das große Werk so kläglich enden? War bei der großen Mehrheit doch noch genug Widerstandsgeist vorhanden? War dies das letzte Aufbäumen des deutschen Professors vor der Resignation? Nichts dergleichen. Es war nicht mehr geschehen, als daß auch dieses Projekt in die Mühle der üblichen Professoren-Klüngelei und -Cliquen geraten und dort zwar nicht ganz fein verschrotet, aber doch übel deformiert worden war. Gewissermaßen „normale" Kritik89 hat es ja sogar, wie bereits erwähnt, in Hamburg gegeben, wo Schmidt von „gewissen Bedenken" mancher berichtet hat. Aber die Sache ging tiefer, und es gab andere als solche überwindbare (und überwundene) Hindernisse. Als nämlich Göpfert sich mit der Rektoren-Koalition Heidegger Neumann - Schmidt, von der noch zu sprechen sein wird, zusammentat, war das Schicksal des Unternehmens eigentlich schon besiegelt. Denn diese neu-nationalsozialistischen Reformer, die mit der deutschen Hochschule Großes vorhatten, waren bei ihren Kollegen alles andere als unangefochten. Ein Blick nach Heideggers Freiburg90. Hans Großmann-Doerth, Wirtschaftsrechtler, fragt bei seinem Hamburger Bekannten Schmidt an: Ihnen sei da dieser Aufruf an die Gebildeten der Welt zur Unterschrift vorgelegt worden - wie sich denn die Kollegen an der Unterelbe verhielten, ob die nicht beigefügte „Denkschrift" (als solche waren nicht sehr geschickt die Leipziger Reden bezeichnet worden) denn dort bekannt sei und ob eine Unterschrift unter den Aufruf etwa auch eine Unterschrift unter diese Reden bedeute? Schmidt hat zwar den Freiburger zu beruhigen versucht und ihm versichert, er könne unbedenklich unterschreiben, - im Breisgau aber war das Mißtrauen, insbesondere hinsichtlich der vom sächsischen Lehrerbund vorsichtshalber nicht mitübersandten Redetexte, tief verwurzelt. Beispielsweise in der Theologischen Fakultät, wo sechs Kollegen erst die „Denkschrift" sehen wollten und, als Dekan Nikolaus Hilling das als unmöglich 31

bezeichnete, die meisten von ihnen auf ihrer Forderung beharrten, einer, der Dogmatiker Engelbert Krebs, mit der Begründung, er habe „ein zu großes Mißtrauen in die wissenschaftliche Haltung der Herren, die in Leipzig beisammen waren" - und die bereits für die Druckkosten gespendete eine Mark wolle er bitteschön auch zurückhaben. Das wäre vermutlich zu verschmerzen gewesen. Aber es kam schlimmer. Denn nebenan, in der Philosophischen, alarmierte Gerhard Ritter als Wortführer „erheblicher Bedenken unter den hiesigen Professoren" am 23. Dezember 1933 das Auswärtige Amt: Form wie Formulierung der „sehr groß aufgezogenen Kundgebung" seien zu beanstanden, ebenso der „grundsätzliche Ausschluß aller Nichtarier" - eine Sammlung Freiburger Namen ohne so weltbekannte wie Husserl oder Lenel würde im Ausland wohl von vornherein ihre Wirkung verfehlen. Weiter sei zweifelhaft, ob der richtige Zeitpunkt für eine solche Massenkundgebung schon gekommen und nicht „individuelle Aufklärung aufgrund persönlich erworbenen Vertrauens" (wie das bei Ritter ausgesehen hätte, kann man sich gut vorstellen) besser, wenn nicht allein wirksam sei und eine derartige Veranstaltung nicht wieder Gegenkundgebungen provoziere und mithin mehr Schaden als Nutzen stifte91. Das „Amt", die Erfahrungen „erheblicher Auswirkungen außenpolitischer Art" bei Kundgebungen dieser Art vor Augen, reagierte erwartungsgemäß und gab den Alarm weiter an das Reichsinnenministerium, das hinwiederum, bisher über die Angelegenheit nicht informiert, den Führer des ihm - noch - unterstellten Reichsverbandes der Deutschen Hochschulen, Herwart Fischer, um Äußerung ersuchte. Der war als Würzburger Rektor bereits angeschrieben worden, und an ihn als Führer des Hochschulverbandes war auch schon der Karlsruher Rektor herangetreten mit der Bitte um Prüfung und Äußerung, ob die Beteiligung erwünscht sei. Von der Leipziger Veranstaltung hatte Fischer natürlich auch so schon gehört, er war auch eingeladen gewesen, hatte jedoch abgelehnt und hielt die lokale Veranstaltung von „Herrn Lehrer Göpfert" nicht der Beteiligung und ihre Ergebnisse nicht der Beachtung wert. Weder als Verbandsführer, so antwortete er dem Ministerium, noch als Rektor habe er daher Schritte unternommen, um Namen für die Kundgebung oder Beiträge für deren Drucklegung zu sammeln - die leeren Sammellisten als Beweis beigefügt. Das war es dann also. Sowohl Innenministerium wie Auswärtiges Amt erhoben den Vorbehalt ihres vorherigen Einverständnisses mit einer Veröffentlichung oder Verbreitung im Auslande. Und aus Freiburg kamen keine Listen zurück, aus Würzburg also ebenfalls nicht und nicht aus Karlsruhe. Und nicht aus Tübingen 92 , nicht aus Erlangen 93 („vom Herrn Rektor abgelehnt, ad acta") und nicht aus den übrigen Stätten deutscher Gelehrsamkeit. Die in toto 957 Unterschriften (die Faksimile-Idee hatte man offenbar auf die gebundene Auslands-Ausgabe beschränkt, wenn nicht gar als doch zu aufwendig überhaupt aufgegeben) konnten nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Ganze - modern ausgedrückt - ein ausgesprochener Flop und ein solcher Haufen von Professoren selbst im Dritten Reich unmöglich unter einen Hut zu bringen war. Als das Trümmerstück erschien, waren inzwischen weitere, kleinere Aktionen abgelaufen, und eine war gerade im Gange. Neben Treuegelöbnissen lokaler Art, wie sie jetzt Mode geworden waren - zum Beispiel Rektor Fezer - Tübingen seinem Reichsstatthalter und Gauleiter Murr zum Geburtstag (!) 9 4 : „der Pflichten voll bewußt,... zum Einsatz jederzeit freudig bereit" - , gab es weiterhin Unternehmungen, die man heute mit Begriffen wie „im Republikmaßstab" oder „nation-wide" kennzeichnen würde. Da 9 5 war gleich im Februar 1934 eine Deutsche und Preußische Rektorenkonferenz, zu deren Abschluß 32

angeblich96 die Magnifizenzen, bevor sie „mit neuen Impulsen und unerschütterlicher Zuversicht" an ihre Arbeit zurückkehrten, eine Art Huldigungstelegramm an Kultusminister Rust absetzten, in dem sie voll „tiefer Dankbarkeit" glaubten den „Führer" gefunden zu haben, der „im Geiste Adolf Hitlers mit fester Hand und klaren Direktiven den totalen nationalsozialistischen Neuaufbau der Wissenschaft und der preußischen Universität" leiten werde. Die „feste Hand" und die „klaren Direktiven" waren nun freilich genau das, was Rust völlig abging und wohl schon damals niemand mit auch nur etwas Einblick von ihm mehr erwartete. Die Adresse hatte denn auch neben der Anpassung („...tief durchdrungen von der Notwendigkeit der inneren Erneuerung der Wissenschaft und der Universität") und dem Nachweis der Fähigkeit, rechts überholen zu können („...radikale Forderung nach einem neuen Sinn"), einen hochschulpolitischen Hintergrund, war ein preußischer Zug in dem Kampf um das künftige Reichskultusministerium (ob es nämlich - unter Rust aus dem preußischen Kultusministerium oder aber aus der Hochschulabteilung des Reichsinnenministeriums entstehen sollte). Sie wird uns daher anderswo97 beschäftigen, hier sei nur noch der abgrundtiefe Bückling erwähnt, den auch der Hintergrund schwer rechtfertigen kann: „Der Nationalsozialismus ist die einzige lebendige und schöpferische Macht, die die Wissenschaft und die deutsche Universität befreit..." Es sind indessen mildernde Umstände zu berücksichtigen. Erstens lohnt es bei dem gegebenen kleinen Rahmen, die hier zum Appell Angetretenen daraufhin zu überprüfen, wer fehlte. Und siehe da: Zwei von den preußischen Magnifizenzen fehlten tatsächlich die der beiden Breslauer Hochschulen. Warum gerade sie, weiß der Himmel, denn von Rechts wegen hätten noch mehr fehlen müssen. Hatte das Unternehmen doch - zweitens mit der Berliner Rektorenkonferenz, auf der dieser Text beschlossen worden sein sollte (vorsichtig hieß es allerdings vage: „aus Anlaß"), wenig oder überhaupt nichts zu tun. Völlig sind die Hintergründe und Umstände vielleicht nur zu klären, wenn Königsberger Universitätsakten darüber erhalten (und zugänglich) sind. Die Königsberger Magnifizenz Hans Heyse nämlich war, im Alleingang oder auch von einigen Kollegen unterstützt, der Spiritus rector dieses Husarenstücks oder zumindest, sollten die Drahtzieher Unter den Linden gesessen haben, deren Geschäftsführer. Denn von Königsberg aus sind am 13. und 14. Februar 1934, einige Tage also nach der Berliner Zusammenkunft, Telegramme an die Rektoren hinausgegangen mit dem Text der Huldigung und der Bitte um „umgehende telegrafische Zustimmung" an Heyse. Wenn es hier heißt „die Rektoren", so ist das kein Versprechen, wurden doch nicht nur die preußischen Kollegen antelegraphiert, sondern nachweislich auch Hamburg, Heidelberg, Gießen, Freiburg und Braunschweig, eventuell mehr, und sinnvoll wäre gewesen: alle98. Warum dann zwei Tage darauf der über die „Nationalsozialistische Korrespondenz" verbreitete Text zwar von „den unterzeichneten Rektoren deutscher Hochschulen" sprach, der Vorspann aber von „Rektoren der preußischen Hochschulen" und auch nur deren Unterschriften beigefügt waren, das hing möglicherweise mit der Reaktion der Empfänger zusammen. Denn die mit der geforderten Beschleunigung eingegangenen Zustimmungen können vornehmlich aus Preußen gekommen sein und Heyse die Beschränkung auf einen „Preußenschlag" nahegelegt haben. Daß die Begeisterung jedenfalls auch hier wieder nicht ungeteilt gewesen ist, zeigt das Beispiel Eugen Fischers in Berlin, der zwar am 14. - nach telefonischem Anruf durch einen „unbekannten Herrn Schmitt", warum er noch nicht zugestimmt habe, er sei der einzige, der noch fehle - sein Plazet zur Post gegeben, aber noch am gleichen Abend 33

einen Brief nachgesandt hat mit - angeblich von Rektoren anderer Hochschulen geteilten - Bedenken. Bedenken „natürlich nicht" gegen „den Ausdruck unserer Dankbarkeit und unseres Gefolgschaftswillens gegenüber unserem Herrn Kultusminister", sondern weil er, abgesehen von der grundsätzlichen Problematik „derartiger gemeinsamer Kundgebungen", eine „vornehme" Richtigstellung der „noch viel ungerechteren öffentlichen Kritik an uns Professoren" vermißt habe. Nun, der Berliner Anthropologe, dessen Namen man als den des Hauptes der größten und bedeutendsten Universität an die Spitze der Unterzeichner gestellt hatte („Herr Heyse hat sich bescheiden an zweite Stelle gesetzt", mäkelten dem Königsberger mißgünstige Kollegen), konnte, als er am 16. Februar seine Zeitung99 aufschlug, wenigstens gewiß sein, das, was er da las, letzten Endes doch unterschrieben zu haben. Andere waren da weniger gut dran. Beispielsweise Ernst Krieck, ein Jahr zuvor noch von nunmehrigen Gefolgsleuten mit freundlicher Herablassung behandelter Volksschullehrerausbilder in der Dortmunder Verbannung, jetzt Rektor und eine Art Konkursverwalter in Frankfurt. Er habe, grollte er über das Reich hinweg nach Ostpreußen, keine Ermächtigung für seine Anführung erteilt, er habe vielmehr nicht zugestimmt und werde auch nicht zustimmen, weil er erstens „solche politischen Uberrumpelungsmanöver entschieden" ablehne und zweitens „als Rektor einer zum Tode verurteilten Universität [es ist schon erwähnt worden: Frankfurt, mit anderswo abservierten Juden und Republikanern förmlich vollgepumpt, erwartete den finalen Torpedoschuß] grundsätzlich nicht vor die Öffentlichkeit" trete. Und eine solche Überraschung aus der Zeitung war nicht nur Krieck, sondern auch dem Kollegen Otto Eggert von der Technischen Hochschule Berlin und „verschiedenen" anderen100 Magnifizenzen beschieden gewesen. Wichtiger aber noch als derartige Kümmernisse waren die „viele Unruhe" an jenem 15./16. Februar „zwischen Reichskanzlei, Reichsinnenministerium und preußischem Kultusministerium" und das ständige Telefonieren seit dem 14. zwischen den der „Reichs"-Partei angehörenden akademischen Funktionären, dem mit seinem Hochschulverband beim Reichsinnenministerium ressortierenden Herwart Fischer (in den spannendsten Stunden am 14. gerade auf der Fahrt von Würzburg nach Berlin und daher ausgeschaltet), seinem Namensvetter Eugen, Schmidt -Hamburg und dem Rektorentags-Vorsitzenden Esau-Jena. Wie man also sieht, hatte die Rust-„Adresse" noch eine ganz andere, nicht an diese Stelle gehörige und daher hier nur angeschnittene Dimension. Verlassen wir den Schauplatz mit einem Blick auf das Dankschreiben Rusts an jeden der beteiligten Rektoren vom 21. Februar und auf einen Hamburger Rektor, der den verehrten Königsberger Kollegen am 16. zwecks „endgültiger" Stellungnahme mit einer neuen Bitte, diesmal um „genauere Mitteilungen" über „Anlaß und Absichten dieser Kundgebung", genervt, aus Ostpreußen natürlich keine Antwort erhalten und am Ende „allen Göttern" gedankt hat, Hamburg vor einer Verwicklung in „diese unerfreuliche Sache" bewahrt zu haben und die Folgen des „fragwürdigen Unternehmens" in Ruhe abwarten zu können. Wir verlassen damit freilich auch die hohe Zeit des bei den deutschen Professoren seit den Jahren, als es um den Ausgang des Weltkrieges bedenklich auszusehen begann, so beliebten öffentlichen Bekenntnisses. Denn nach diesem letzten Kraftakt ist es relativ still geworden, - als ob der Bedarf an den offenbar untrennbar damit verbundenen Skandalen nunmehr gedeckt gewesen war. Weitere Rekordversuche werden nicht mehr unternommen, nur die „Petitessen" dauern noch an. Die Universität Erlangen telegraphiert am 2. Juli101 „in alter Treue" an Hitler, 34

der soeben seine SA-Führung hat hinrichten lassen: „Heißen Dank. Gott segne unseren Führer." Wobei es aber sicher überspannt ist, wenn behauptet wird, daß damals auch für den kleinen Mann (und also erst recht für den Professor) ersichtlich der Rechtsstaat in Scherben ging und der bei Luther als Trampelpfad beginnende, vom zweiten Friedrich zum Fahrweg erweiterte und von Bismarck zur Chaussee ausgebaute Weg nun „von Röhm an" als Rollbahn direkt und jedem Zeitgenossen einsehbar nach Auschwitz geführt hat. Was auch die Professoren allein sahen, das war die lang ersehnte Ausschaltung der Ultras durch die gemäßigten Kräfte - mit etwas „Spänen" zwar im Blickfeld, nicht aber die billig-klugen Erkenntnisse vom bundesrepublikanischen Sofa. Der August bringt am 2. Hindenburgs Tod und Hitlers nunmehr komplettierte Machtergreifung und am 19. die Volksabstimmung darüber — an sich Anlässe genug, die deutschen Professoren wieder einmal bekennend in die Zeitungsspalten zu führen. Aber nicht nur ist die Zeit knapp, auch der alte Geist lebt eben nicht mehr, monumentale Aktionen sind nicht mehr en vogue. Immerhin stehen noch 70 Unterschriften unter einem Aufruf, den Teile der Presse am Wahltag unter der - man denke an die „Geisteswelt" - zurückhaltenden Überschrift „Appell der Wissenschaftler" veröffentlichen 102 . Zwar sind da auch Leute dabei wie der preußische Archiv-Chef Brackmann, der Bibliotheks-Generaldirektor Krüß oder der Ministerialdirektor Vahlen, die also nicht mehr oder nur in losem Zusammenhang mit der Universität stehen, doch über sechzig sind richtige Hochschullehrer. Politisch ist es ein merkwürdiges Sammelsurium, wo sich etwa 103 Bier, Brandl, Esau, beide Fischer, Nicolai Hartmann, Haushofer, Heidegger, Hilbert, Jaensch, Koellreutter, Mareks, Rüdin, Sombart, Edward Schroeder, Spamer, Stark und Theodor Wiegand unter einem Dach zusammengefunden haben, das denn auch als kleinster gemeinsamer Nenner entsprechend dürftig aussieht: Mit Hitlers Einrücken an Hindenburgs Stelle die bange Sorge während des „Krankenlagers des verewigten Reichspräsidenten" gebannt, Vertrauen zu ihm auch als Staatsführer (mit dem listigen weiteren Vertrauen auf die Förderung der Wissenschaft unter seiner Führung) - wir „folgen dem Appell der Reichsregierung". O b dieser Aufruf identisch ist mit dem, der in dem berühmten Artikel des „Schwarzen Korps" gegen die „weißen Juden" in der Wissenschaft vom 15. Juli 1937 erwähnt worden ist und dem Werner Heisenberg die Unterschrift verweigert habe („Obwohl ich persönlich ,ja' stimme..."), und ob es ebenfalls derselbe ist, dem, wie bereits geschildert, Adolf Windaus mit dem barschen Telegramm „Ich unterzeichne die Erklärung für Hitler nicht" die Zustimmung versagt hat 104 , muß dahingestellt bleiben, da in der SS-Zeitung von einem Aufruf der deutschen Nobelpreisträger die Rede und das Windaus-Telegramm an die Notgemeinschaft gerichtet gewesen ist. Immerhin könnte die Zeitung sich geirrt und die Notgemeinschaft nur mit Unterschriften gesammelt haben, eine weitere Erklärung ist jedenfalls nicht bekannt geworden. Der Völkische Beobachter (und vielleicht die gesamte Parteipresse) scheint diesen Aufruf trotz der zum Teil klangvollen Namen überhaupt nicht beachtet zu haben. Daß er zu saftlos gewesen sein könnte, ist eine von mehreren denkbaren Erklärungen solcher Abstinenz. Da war schon schöner, was einzelne Hochschulen zu dem großen Ereignis anzumerken hatten. So die „Kundgebung" der Tübinger Universität 105 - die schriftliche, außerdem war zu einer „öffentlichen" ins Tübinger Museum eingeladen - , die „Herz und Sinn" geöffnet zeigte für die Gedanken, die „unseren Führer" und „durch ihn das ganze Volk" bewegten, die „nationalsozialistisches Denken und Wollen" zur Richtschnur zu machen versprach für alle Arbeit in Hörsaal und Laboratorium: „Unseres Führers Kampf ist unser Kampf und sein Wollen ist unser Wollen." 35

Oder erst, den Neckar abwärts, eine „Wahlkundgebung" der Ruperto Carola, zu der noch das Akademische Krankenhaus „in geschlossenem Zuge mit Fahne und klingendem Spiel anmarschiert" ist (und mit den Leichtkranken der Kliniken!) und wo, zwischen Vizekanzler und Kanzler, Krankenhauspförtner SS-Sturmführer Schwarz zu den ergriffen Lauschenden gesprochen hat; dem auch hier hinzugefügt ein Wahlaufruf, der in prägnanter Kürze alles Wesentliche in seinen drei Sätzen zusammenfaßte 106 : „Wir glauben an die Sendung unseres Führers und seinen Weg, der allein zur Freiheit und Größe unseres Volkes führt. Ihm nur gebührt die höchste Führerstelle in Volk und Staat. Wir legen noch einmal und für immer vertrauensvoll unser Schicksal in seine Hände." Ganz gewiß ist nicht nur am Neckar der große Mann auch von den Professoren so blumig ins - bereits okkupierte - Amt des Staatsoberhaupts gerufen worden, und so manche Köstlichkeit dieser Art von Politik-Wissenschaft wird der Wind verweht haben. Wir aber sind damit am Ende der hier zur Erörterung stehenden anderthalb Jahre Gleichschaltung angelangt. Bevor wir diese nun von anderer Warte aus betrachten, einen kurzen Blick voraus, um dieses Thema abzuschließen, einen Blick auf die weitere Entwicklung des akademischen öffentlichen Bekenntnisdranges, und den Versuch einer zusammenfassenden Würdigung. Noch 1934, am 1. Dezember, hat es in den Hochschulen wiederum „Kundgebungen" gegeben, die aber, gegen die tschechische „Vergewaltigung der Deutschen Universität Prag" gerichtet, vom Reichserziehungsministerium mit Erlaß vom 30. November angeordnet worden waren 107 , also nicht hierhergehören. Das Jahr 1935 scheint wie in der großen Politik nach den Anstrengungen der beiden vergangenen dem Verschnaufen und Wieder-zu-Kräften-Kommen gewidmet gewesen zu sein; das öffentliche „stolze" Gedenken und die „ehrerbietigsten Glückwünsche" wiederum der Eberhard-Karls-Universität an und für den „unvergleichlichen Feldherrn des Weltkriegs" zu dessen 70. Geburtstag 108 ist ja nur ein Nebenereignis persönlicher Art und mehr durch die Schlußzeile „Es lebe die Freiheit!" in des „Feldherrn" Ludendorff Dank bemerkenswert. Erst 1936 brachte wieder eine öffentlicher Erklärung würdige „geschichtlich bedeutsame Stunde", die auch die deutschen Universitäten und Hochschulen drängte, „ihre Treue und Dankbarkeit gegenüber dem Führer ausdrücklich" zu bekunden. So begann der Text 109 , den Wilhelm Krüger, Anatom, Veterinär und neuer Rektor der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität, am 24. März, drei Wochen nach der „Wiederherstellung der deutschen Wehrhoheit" links des Rheins, den Kollegen übersandt hat - mit der nun schon üblichen Bitte um „unverzügliche" Zustimmung ihrer Lehrkörper bis übermorgen Freitag mittag, war doch schon am Sonntag, ebenfalls wie üblich, die „Volksabstimmung in Form einer Reichstagswahl". Und weiter ging es damit, daß deutscher Geist und deutsche Wissenschaft auf Gedeih und - wie wahr! - Verderb mit dem Schicksal des „Deutschen Volkes" verbunden seien, daß deutscher Geist nichts sei ohne „das Leben deutschen Blutes". Die deutschen Hochschulen, hieß es abschließend, „erkennen im Führer den Schützer dieses Lebens und stellen sich, dankerfüllt und voll Vertrauen, einmütig hinter seinen Willen". Natürlich machten da alle mit (denn wer wollte schon nicht hinter des Führers Willen stehen, wie immer das bewerkstelligt werden mochte) - „begeistert" (Münster), „rückhaltlos" (Braunschweig), „vollkommen" (Erlangen), „ganz" ( T H München - das „voll und . . . " vom Rektorstellvertreter Lutz Pistor freilich aus dem Entwurf wieder herausgestrichen) oder nur so, schlicht. Manche Hochschulen hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits ohne die Berliner Aufmunterung auf ihre Pflicht besonnen, Bonn zum Beispiel, das schon am 8. März in einem 36

Aufruf, dem sich Köln, Aachen und die beiden Düsseldorfer Akademien angeschlossen hatten, „in den allgemeinen Jubel über die kühne Tat des Führers und Befreiers... aus tiefster und herzlichster Dankbarkeit" eingefallen war: „Heil dem Manne, dem wir diese Befreiungstat verdanken" (wobei gewisse Anklänge an die Militär-Lyrik um den berühmten Sanitätsgefreiten Neumann, obwohl also beide Gefreite, sicher nicht beabsichtigt waren). Und aus dem pädagogischen Bereich ein „schönes Wort" Friedrich Nietzsches beisteuernd: „Was lernt man in einer guten Schule? Gehorchen und Befehlen!" Oder die vereinigten Münchener, die dann am 27. etwas nüchterner als Magnifizenz Pietrusky und die übrigen rheinischen Frohnaturen der Tagespresse (und „zur beliebigen sonstigen Verwendung" dem Propagandaministerium) übermittelten, was in dieser „einer der größten Entscheidungsstunden deutscher Geschichte" am Platze war: „Kunst, Wissenschaft und Forschung werden ihre Pflicht tun." Daneben brachte das Jahr 1936 noch im Oktober 1 1 0 öffentlichen Dank und Gelöbnis in Berlin zu einer Tagung „Das Judentum in der Rechtswissenschaft" versammelter Hochschuljuristen - Dank für Hans Franks „richtungweisende Worte" und Gelöbnis des Marsches in diese Richtung, nämlich Juden nur sparsamst und als solche zu zitieren, in Bibliotheken und Seminaren die jüdischen Autoren zu separieren und an einer Bibliographie dieses Schrifttums sowie an einer „Geschichte des Judentums und seiner Kriminalität" mitzuarbeiten. Sofern Tagungen anderer Fächer stattfanden, haben sie sich, wie wir noch sehen werden, davon gewöhnlich nur durch die mindere Publizität unterschieden. Im Frühling 1937 hat sich dann Münster etwas Besonderes ausgedacht. Schon im Vorjahr hatte man sich durch Umlauf sogenannter „Opferbuchblätter" in den Fakultäten rege an dem zu Führers Geburtstag von der SA ausgelegten „Dankopferbuch der Nation" beteiligt - das natürlich mit Lesen nichts zu tun hatte, sondern nur eine hochgestochene Variante jener Schnorrerei war, zu der sich zu allen Zeiten soziales Gefühl, persönliches Geltungsbedürfnis und manchmal auch gesunder Erwerbssinn zusammenfinden. Für 1937 nun regte der Physiker Hermann Senftieben an (und Magnifizenz Mevius nahm die Anregung gern auf), demonstrativ „in mehr oder minder geschlossener Form" zum Dankopfer zu spenden; geeignet dafür sei die günstig gelegene Gaststätte Freitag, das Sturmlokal von (Senftiebens) 7/13, wo - von einer SA-Wache geehrt und beschützt - ein Opferbuch ausliege. Groß waren dann freilich Enttäuschung und Betrübnis, als am 22. April pünktlich 11 Uhr die Rechts- und Staatswissenschaftler unter Führung ihres Dekans Max Käser bei Freitag aufmarschierten und weit und breit keinen SA-Mann erblickten, sondern lediglich einer Kellnerin ihr Dankopfer mißvergnügt in die Hand drücken konnten. Die Philosophen und Naturwissenschaftler waren dann schlauer und rückten erst nach der Mittagsstunde an, zu der sich die - vormittags beruflich in Anspruch genommenen SA-Kameraden bei Freitag einfanden111. Sonst hat 1937 Krieck, inzwischen längst in Heidelberg, den beiden badischen Kollegen eine gemeinsame öffentliche Kundgebung im Juni vorgeschlagen 112 , und im September haben die Rektoren auf Anregung der Greifswalder Magnifizenz Karl Reschke, der dann, nachdem er sich etwas hatte bitten lassen, „Für Alle" unterzeichnete, voll „Freude und Stolz" Hitler für eine ganz besondere Ehrung gedankt. Man hatte sie, die Parias von gestern, zum Reichsparteitag nach Nürnberg eingeladen! Es war dies Hitlers persönlicher Wunsch gewesen, und das Amt des Beauftragten des Führers für die gesamte geistige und weltanschauliche Erziehung der NSDAP hatte die Einladung organisiert, lag doch in Rosenbergs Händen die Leitung der Kulturtagung, wo die ornatgeschmückten Rektoren 37

und Prorektoren auftreten sollten. Daß sie ausschließlich als farbenprächtige Staffage benötigt wurden, stellte sich indes schnell heraus, als nämlich das Reichserziehungsministerium hochbeglückt den Kreis möglichst weit zu ziehen versuchte: Die „Einbeziehung weiterer Lehranstalten" außer den Universitäten und Technischen Hochschulen wurde vom Amt Rosenberg abgelehnt, eine Liste zusätzlicher einladungswürdiger Prominenz, zwei oder (Berlin, Breslau, München) drei Professoren pro Universität113, ist wohl gar nicht erst außer Haus gelangt, und sogar die Prorektoren sind am Ende wegen Platzmangel wieder ausgeladen worden. Aber auch so muß es sehr schön gewesen sein, und auf der Rückreise, noch „erfüllt von dem großen Eindruck", haben dann die Magnifizenzen in Bad Berneck jene Adresse mit dem dazugehörigen Gelöbnis aufgesetzt, Reschke hat sie in Druck gegeben und nach fünf Tagen abgeschickt, und auch für Rosenberg ist noch ein bißchen Dank abgefallen114. Das Jahr 1938 ist nun wirklich nicht arm an großartigen politischen Ereignissen gewesen, doch scheint selbst die Heimkehr Österreichs samt der obligatorischen Volksabstimmung und Reichstagswahl ohne Gelöbnisse und Bekenntnisse von Hochschulen und Rektoren vorübergerauscht zu sein. Letztere waren freilich teilweise damit beschäftigt, voll „glücklicher" (Hamburg) oder gar „überschäumender" Freude (TH München) mit den neuen Landsleuten und Kollegen Glückwünsche auszutauschen. Während man dabei in München lediglich den Stolz zu erahnen versuchte, der das „deutsche Volk in Österreich" erfüllen mußte, wo doch „der Schöpfer Großdeutschlands aus seinen Reihen hervorgegangen" war, packten die praktischen Hamburger diesen Schöpfer, „unseren großen Führer und Kanzler", gleich in ein Paket und spedierten ihn nach Innsbruck zwar von Magnifizenz Rein persönlich ausgewählt, aber vermutlich trotzdem nicht Öl, sondern Buntdruck oder aus der Werkstatt Heinrich Hoffmanns stammend115. 1939 sandten dann die erstmalig versammelten großdeutschen Rektoren Hitler ein „ehrerbietigstes" Huldigungstelegramm voller Dank für das Glück, von der Kraft der nationalsozialistischen Bewegung wieder zu den wahren Quellen der Erkenntnis zurückgeführt worden zu sein, und mit dem „Gelöbnis hingebender Treue"116. Und als im Monat darauf das Objekt all dieser Ehrerbietung fünfzig wurde, hat sicher nicht nur die „Hansische" Universität „in Dankbarkeit und Treue" gegrüßt117. Dann kam der Krieg, und dessen Auswirkungen sollen hier geschlossen behandelt werden. Dem Versuch einer Bilanz aber sei eine kurze Zeitungsnotiz aus dem Völkischen Beobachter vom 6. März 1933 vorangestellt. Man erinnere sich: Die Erklärung der „Dreihundert" war erschienen, gleichzeitig das Münchener Separatum und unter dessen Unterzeichnern genannt auch ein „Prof. Hahn". Und da scheint Amandus Hahn, außerordentlicher Professor für Physiologische Chemie an der Münchener Universität, den Mut gehabt zu haben, aufzustehen und zu sagen: Ich bin das aber nicht. Das Presseamt des Studentenbundes jedenfalls hat veröffentlicht, daß es sich bei dem Hahn auf der Liste um den Akademieprofessor (Hermann) Hahn handele, was festzustellen nötig sei, weil der Universitätsprofessor Hahn „äußerst besorgt"darüber sei, in der Öffentlichkeit etwa irrtümlicherweise zu den deutschen Hochschullehrern gerechnet zu werden, die Hitler ihr besonderes Vertrauen schenkten. Es ist kurz zuvor in vielleicht ungebührlich leichtem Ton von dem Honig die Rede gewesen, den die passionierten und durch nichts einzuschüchternden Verfertiger soziologischer Schichtaufnahmen aus diesen Unterschriftensammlungen zu saugen versucht haben. Größeren Ernst verdienen auf jeden Fall die Feststellungen, die Anselm Faust nach gründlicher Beschäftigung getroffen hat118. Es handelt sich, etwas umformuliert und verkürzt, um fünf Thesen. Erstens: Brachers „Selbstgleichschaltung" von Hoch38

schule und Hochschullehrern hat nicht erst mit dem 30. Januar 1933 oder dann erst im März begonnen. Zweitens: Die wirklichen Nationalsozialisten unter den deutschen Hochschullehrern hatten zwar zahlenmäßig geringes Gewicht, was sich indes erheblich verschiebt, setzt man sie nicht in Bezug zur gesamten Zunft, sondern zu der damals wie vorher verschwindend geringen Zahl der tatsächlich politisch Engagierten. Drittens: In ihrem Lehrkörper spezifisch für den Nationalsozialismus „anfällige" Fächer hat es nicht gegeben; allein überrepräsentiert (und das gleich um 100 Prozent!) sind die nationalsozialistischen Hochschullehrer der - Technik. Viertens: Es ist nicht der Fall, daß es sich bei den Nationalsozialisten vorwiegend um ganz junge oder in ihrer Karriere gehemmte Überalterte gehandelt hat, fast die Hälfte hatte vielmehr bereits ein Ordinariat (die erscheinenden nb.ao. Professoren waren freilich mit 45 Jahren Durchschnittsalter tatsächlich deutlich überaltert). Fünftens: Karrierehoffnungen aufgrund von nationalsozialistischen Bekenntnissen vor 1933 haben sich nur selten erfüllt. Alldem ist zuzustimmen mit folgenden Bemerkungen. Ad 1. Das ist naheliegend, ist ja der Nationalsozialismus schließlich nicht als Deus ex machina urplötzlich auf der Bühne erschienen, sondern längere Zeit mit großem und noch absichtlich gesteigertem Gedröhn auf die in Panik geratende Republik zugerollt; es wäre in hohem Grade verwunderlich, wenn dies in der Hochschullehrerschaft ohne Folgen geblieben sein sollte. Ad 2. Ebenfalls plausibel, ist es doch überall und damals wie heute so: Eine engagierte und lautstarke selbst winzige Minorität kann das Gesicht einer Institution und den Lauf von Ereignissen ausschlaggebend oder gar exklusiv prägen und bestimmen; die Massen, denen Ringe durch die Nasen gezogen werden können, finden sich überall, und bedeutende geistige Kapazität behindert das Einsetzen dieser Ringe kaum - sofern sie es nicht sogar erleichtert. Ad. 3: Das würde unterstreichen, daß nicht der Professor, sondern der Citoyen unpolitisch oder so und so politisch gewesen ist. Trotzdem wird zu zeigen sein, daß diese These für den Gejawiverlauf des Dritten Reiches so nicht zu halten ist, es hat Fächer mit größerer als durchschnittlicher nationalsozialistischer Affinität ihrer Lehrkörper gegeben, und das waren nicht nur so politisch oder ideologisch gefährdete wie Anthropologie, Vorgeschichte oder (Anti-Einstein-)Experimentalphysik, sondern etwa auch politische Kalmenzonen wie Anatomie, Astronomie und Zahnmedizin. Das hat, wie noch belegt werden wird, immer seine besonderen Gründe gehabt. Uberraschend erscheint freilich das generelle „Abschneiden" der technischen Fächer, der Architekten, Maschinenbauer und so weiter, und läßt verschiedene, entweder für die Republik oder für die Technik nicht sehr schmeichelhafte Schlüsse zu, die hier aber nicht erörtert werden sollen, da genau dies ja der engere Bereich der Technischen Hochschulen ist, den wir nach Möglichkeit ausschließen wollen. Eines nur noch: Es darf nicht vergessen werden, daß Hitler ein bedeutender Förderer nicht allein der Baukunst, sondern ebenfalls technischer Entwicklungen gewesen ist und auf diesem Gebiet sehr lange „die Nase im Wind" gehabt, zuletzt freilich, Ratte im immer enger werdenden Käfig, auch total danebengegriffen hat. Ad. 4: Die erhebliche Beteiligung der Ordinarien ist eine Überraschung auch für unsere Aufruf-Belletristik. Was heißt: In der Motivierung hat es also weniger Opportunismus und mehr ideologische Verranntheit gegeben als bisher und gemeinhin angenommen. Was aber auch nicht ausschließt, daß ein Leben lang gedemütigte und in der Wirtschaftskrise mehr denn je aussichts- und hoffnungslos dem sechsten oder gar siebenten Dezennium sich nähernde oder hier bereits angelangte nichtbeamtete Professoren und Dozenten nach der Vision des Dritten Reiches als letztem Strohhalm gegriffen haben, 39

auch wenn dessen Verwirklichung im Ob-überhaupc und Wenn-ja-wann keineswegs sicher, das Spiel also va banque war, - viel ist es schließlich nicht gewesen, was diese Leute aufs Spiel zu setzen hatten. Ad 5: Wie man im Dritten Reich Parteikarriere gemacht hat und welche Bedeutung dabei Verdienste aus der Zeit vor 1933 hatten, ist hier und da schon gestreift worden und wird später119 Thema eingehender Erörterung sein. So selten jedenfalls sind auf „Kampfzeit-Verdiensten aufgebaute Karriereerwartungen nun auch wieder nicht - und meist nur bei den Stillen im Lande nicht - in Erfüllung gegangen, obschon es richtig ist, daß Betriebsamkeit nach dem 30. Januar sich in der Regel besser verzinst hat. Generell also kann man Fausts Folgerungen, im Gegensatz zu den Erkenntnissen aus dem Reich der Erbsenzähler, schon akzeptieren. Eine wichtige freilich, den Hinweis auf die so geringe Zahl politisch Denkender und Handelnder, nur mit noch weiter gehender Einschränkung, als er selbst sie schon angefügt hat. Denn: Ohne das nun ausgezählt zu haben, vermittelt ein vergleichender Blick in Zeitungen wie auch in Parlamentshandbücher nicht den Eindruck einer auffälligen Unter-Repräsentation der Hochschullehrerschaft; es ist unter Berücksichtigung der zu vermutenden Größenunterschiede keineswegs so, daß andere Berufsgruppen deutlicher hervorgetreten wären. Das gilt für die Zeit vor dem 30. Januar 1933 und erst recht für die Zeit danach. Wo ist sonst schon ein Berufsstand, wo eine soziale Gruppe, die zur Weimarer Zeit so vernehmlich gewesen wäre und die es damals und später geschafft hätte, über das ganze Reich hinweg 13 Prozent ihrer Angehörigen zu einer Unterschriftsleistung zu mobilisieren und knapp tausend zusammenzuholen, wie es noch jene verunglückte Professoreninitiative vom Winter 1933/34 zustande gebracht hat? Wenn man bedenkt, welche Prozentsätze anerkannt „politische" Gruppierungen auch nur zur - anonymen - Wahlurne zu bringen imstande sind, wird der Pauschalvorwurf gegen den damaligen deutschen Professor, „unpolitisch" gewesen zu sein, recht irreal. Freilich: Er war „politisch" meist in der falschen Richtung. Und wird natürlich sofort „unpolitisch", wo „politisch" mit „demokratisch-republikanisch" oder sogar, je nach dem eigenen Standpunkt, mit „sozialistisch" identifiziert wird. Nach dem Motto „Wer wirklich politisch denkt, kann gar nicht anders denken als ich" werden dann Etiketten aufgeklebt, deren Echtheit sehr schnell im allgemeinen Bewußtsein verankert, ohne daß sie eine wirklich objektive Analyse aushalten würde. (Natürlich ist auf der anderen Seite genauso gearbeitet worden, beispielsweise bei der Definition und Einengung des Begriffs „national", aber die ist ja heute in der geistigen Welt praktisch nicht mehr existent.) Halten wir also fest, daß der politisch trottelige Professor mit Schlafmütze und Nachtlampe inmitten eines - besonders in seiner Arbeiterschaft - von politischem Bewußtsein nur so strotzenden Volkes zum wesentlichen Teil eine Stilisierung seiner späteren Gegner ist. Er ist, von dem hier ja nicht gemeinten und überall vorhandenen Troß der Mitläufer oder wirklich Schlafmützigen abgesehen, schon „politisch" gewesen - nur eben in dem Rahmen, in den er sich gestellt fand, und ohne die Barrikadennostalgie, mit der in späteren (und ruhigeren) Zeiten politisches Denken und Handeln gewertet werden sollte. „Kritisch" (in der heutigen, gefälschten Bedeutung) ist er allerdings nicht gewesen. *

Der 30. Januar, der Tag der Machtübernahme oder Machtergreifung, dessen jährliche Wiederkehr dann zwölfmal mit - zuletzt allerdings deutlich nachlassendem - Pomp begangen worden ist, hat im Hochschul- (wie im sonstigen) Leben vorerst überhaupt keine 40

Folgen gehabt. In einem Drittel Deutschlands regierten ja noch die alten Kultusminister; und von denen, die über Hochschulen geboten, waren nur der thüringische und der braunschweigische Nationalsozialisten. Die übrigen zwei Drittel allerdings, Preußen, befanden sich nun unter brauner „Kultus"-Regie, aber die hielt sich zurück, baute zunächst einmal die Kommandostelle selbst um, ohne groß nach außen zu wirken. Es gab keine reglementierenden Erlasse, keine umstürzenden Anordnungen oder Verbote, selbst Juden habilitierten sich und wurden berufen. Alles wartete erst einmal in Furcht oder Hoffnung auf den Tage der Reichstagswahl, den 5. März: Würden sie es schaffen oder nicht? Sie haben es bekanntlich geschafft, wenn auch auf Umwegen, und so ist dieser 5. März 1933 der eigentliche Tag der Machtergreifung gewesen. Damals hatten die Hochschulferien gerade begonnen, und am uns näher liegenden Beispiel der Jahre um 1970 läßt sich abschätzen, welche Bedeutung das gehabt hat. Nämlich: Es blieb an den Hochschulen ruhig, und Ubergriffe der siegestrunkenen Studenteska, wie sie bei laufendem Semester zweifellos en masse vorgekommen wären, blieben aus. Die relativ harmlosen Scharmützel zwischen der Universität und ihren Kindern am und nach dem 5. März drehten sich fast ausschließlich um einen Gegenstand, der an sich völlig belanglos, aber von alters her und ganz besonders in den Weimarer Jahren die Gemüter in heftigste Wallung zu versetzen in der Lage gewesen ist. Die Rede ist von der Fahne. Anders als heute, wo es nur die eine Sortierung von „Farben" gibt, die man, je nach Geschmack, hissen oder verbrennen, beweihräuchern oder besudeln kann und in die noch das zweite Deutschland lediglich Hammer und Zirkel hineingetan hat, existierte damals ein breites „Angebot". Da war (von links nach rechts) erstens die rote Fahne der Arbeiterbewegung, mit den drei Pfeilen in der gelinderen, mit Hammer und Sichel in der dem braven Bürger schlaflose Nächte bereitenden Version - beide jedoch Ende Februar, nach dem Reichstagsbrand, aus dem Verkehr gezogen. Dann gab es die schwarz-rot-goldene Fahne, von ihren Gegnern Schwarz-Rot-Gelb oder auch Schwarz-Rot-Senf genannt, immerhin keine hundert Jahre zuvor die Farben der nationalen Einigungsbewegung, jetzt aber nur noch die der in akademischen Gefilden bestenfalls belächelten und verspotteten Republik. Drittens die schwarz-weiß-rote Fahne, ursprünglich die des Norddeutschen Bundes (das Schwarz-Weiß Preußens und das Weiß-Rot der Hanse) und vor allem des geliebten Kaiserreiches, als „Reichskriegsflagge" mit dem Eisernen Kreuz und als Handelsflagge mit winziger republikanischer „Gösch" in der Republik erhalten geblieben beziehungsweise wieder zurückgeholt worden und auf Strandburgen wie in Schrebergärten praktisch allein vorhanden, politisch das Symbol des bürgerlich-nationalen Lagers. Und viertens dann also die Hakenkreuzfahne - sie bedarf keiner Vorstellung und wird, zusammen mit Hitler, noch bekannt sein, wenn die Deutschen sich dann völlig ausgestorben haben. Die Hochschulen waren, mit - bedingter - Ausnahme der beiden Stiftungsuniversitäten Frankfurt und Köln, staatliche Institutionen und mithin der staatlichen Flagge verpflichtet. Und die war (bis am 12. März in einem „Erlaß des Reichspräsidenten über die vorläufige Regelung der Flaggenhissung" von den rundum in Deutschland wehenden „alten schwarz-weiß-roten Fahnen" die Rede war, denen sich ab 13. „bis zur endgültigen Regelung der Reichsfarben" Hakenkreuzflaggen hinzugesellen sollten) rechtmäßig noch immer Schwarz-Rot-Gold. Aber Rot-Gold oder Weiß-Rot, zumindest die nationalsozialistischen Studenten hielten unmittelbar nach dem „Wahlsieg" beides nicht für angemessen und wollten dem errungenen Sieg auch Zeichen setzen. 41

Es ist geschrieben worden 120 , die Naziregierung habe sofort nach der Wahl einen Erlaß an alle Universitäten und Hochschulen ergehen lassen, drei Tage lang die Hakenkreuzfahne zu hissen. Das ist sachlich nicht korrekt und auch zeitlich eine Woche zu früh angesetzt, sonst wäre (ganz abgesehen davon, daß es noch gar keine Stelle gab, die das für alle deutschen Hochschulen hätte anordnen können) all das nicht passiert, was passiert ist. Vielmehr haben die noch ausgiebig mit sich selbst beschäftigten Ministerien die Dinge erst einmal laufen und die Hochschulen sich selbst überlassen. Das preußische Kultusministerium etwa hat, als einzige eigene Maßnahme und nach „zahlreichen" Anfragen, am 9. März nur noch einmal (was sich auf eine vorangegangene Anweisung des Ministerpräsidenten Göring an alle preußischen Dienststellen bezog) darauf hingewiesen121, daß es der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung diene, wenn „in diesen Tagen nationaler Erregung Konflikten, die sich aus der Ablehnung von Flaggenwünschen ergeben können, ausgewichen wird". Nun, das war ja denn auch weitgehend bereits geschehen. Die Zeiten, wie sie noch um den 10. Februar geherrscht hatten, wo die Kölner Studenten, um der Universität einen ruhigen und würdigen Verlauf zu gewährleisten, Studentenbunds-Reichsführer v. Schirach als Redner ausgewechselt und den Ort der Handlung aus dem unmittelbaren „Hoheitsgebiet der Universität" hinausverlegt hatten, als sie ihre „Fahnenweihe" vorzunehmen gedachten122 - diese Zeiten waren mit dem 5. März bis auf weiteres vergangen. Jetzt gehörte die Hochschule ihnen. Nachrichten aus Preußen. In der Reichshauptstadt 123 will Rektor Daniel Krencker, ein Bauhistoriker und Spezialist für Palmyra, den jungen Kollegen Ernst Storm verhaften lassen, als der auf der Technischen Hochschule eine Hakenkreuzfahne hat hissen lassen. Natürlich geht das nicht, vielmehr sitzt wenige Jahre später der Mann mit der Fahne auf dem Stuhl des Rektors. In Greifswald124, wo am Reichsgründungstag, also vor dem 30. Januar, bereits Schwarz-Weiß-Rot neben der Reichsflagge gesetzt worden ist, wird beim ersten offiziellen Beflaggungsanlaß, am 12. März, dem Volkstrauertag, die Hakenkreuzfahne neben Schwarz-Weiß-Rot aufgezogen. In Kiel125, wo gerade die „Stoßtruppfakultät" erfunden wird, ist man da schon einen Schritt weiter. Am 8. März hat Rektor Scheel angeordnet, aus Anlaß der geschichtlichen Wende das Universitätsgebäude zu beflaggen - Preußens Schwarz-Weiß am Hauptmast, eine vom Universitäts-Bauamt in Kürze zu liefernde schwarz-weiß-rote Fahne am Mast über der Freitreppe. Kaum ist ersteres geschehen, erscheint der SS-Sturmführer Göttsch mit zwei Kameraden und dem Hausinspektor Lichtenfeld im Universitäts-Sekretariat. Alle vier rufen „Heil Hitler", und dann läßt sich Göttsch gegen ordnungsgemäße Quittung die vom Mast verbannte schwarz-rot-goldene Dienstflagge aushändigen (die GöringWeisung, die bei solchen Konfrontationen Widerstand verbot, lag bereits vor). Die SS-Leute begeben sich daraufhin mit einer mitgebrachten „kleinen Hakenkreuzflagge" aufs Dach, und nun wird die Preußenfahne am Hauptmast heruntergeholt und, von auf der Universitätsfreitreppe aufmarschierten Stahlhelmern und SS-Leuten mit einem dreifachen „Heil Hitler" begrüßt, ihr Fähnchen aufgezogen. Sodann wird die noch „amtierende" Reichsflagge vor der Freitreppe zerrissen und anschließend wohl in den Hafen geworfen. Der weisungsgemäß nicht geleistete Widerstand der Universitätsverwaltung erhält ein Ventil in der Befriedigung darüber, daß die an einem schnell errichteten dritten Mast wieder aufgezogene Preußenfahne wie auch das am Tag darauf gelieferte SchwarzWeiß-Rot größer sind als die „Hitlerflagge" am Hauptmast. Und dann folgt, offenbar nicht nur auf der Kieler Universität, sondern auf den Dienst42

gebäuden im gesamten Reich, ein sonderbares Farbenspiel, dessen Berliner Hintergründe aufzuhellen hier nicht der Ort ist: Am Samstagabend vor dem Volkstrauertag werden in „feierlicher Flaggenparade" die „wilden" Hakenkreuzfahnen eingeholt, am Volkstrauertag wehen dann (und auch in Greifswald hätte das eigentlich so sein müssen) nur die Farben Schwarz-Weiß-Rot, unter denen die Helden ja gefallen waren, am Montag aber auf allen Dienstgebäuden drei Tage lang und nun nicht mehr illegal oder halblegal, sondern auf ministerielle Anordnung hin neben Schwarz-Weiß auch die beiden „Flaggen der nationalen Erhebung". Das Schicksal der vom studentischen Zorn verschont gebliebenen übrigen Kieler „schwarz-rot-gelben Flaggen": Sie sind im Dezember 1934 eingesammelt und im Institut für Pflanzenbau vernichtet worden, womit die letzten Spuren der verhaßten Republik beseitigt waren. Göttingen, am gleichen 8. März 126 . Beim Stellvertretenden Kurator Geheimrat Wolff erscheinen keine SS-Leute wie in Kiel, sondern zwei Kameraden von Studentenschaft und Studentenbund. Sie verlangen die Genehmigung zur Beflaggung sämtlicher Universitätsgebäude mit Hakenkreuzfahnen. Wolff verweigert das: Nicht ohne Anordnung vom Kultusministerium. Die Kommilitonen telegrafieren nach Berlin an Rust, erhalten aber keine Antwort. Am Nachmittag hissen, ohne sich um das Verbot des Kurators zu scheren, SA und SS „in feierlichem Aufzug" Hakenkreuzfahnen auf verschiedenen Gebäuden, die Wolff am nächsten Vormittag wieder einziehen läßt. SS-Sturmbannführer Gnade stellt ein Ultimatum: Wenn die Fahnen nicht binnen einer halben Stunde am gestern eingenommenen Platz sind, werden seine SS-Leute die Beamten, die sie entfernt hätten, „wenn nötig unter Gewalt" zwingen, sie unter SS-Aufsicht wieder aufzuziehen. Natürlich sind nach den dreißig Minuten alle Fahnen wieder „an Ort und Stelle", und die SS unternimmt gelegentliche Kontroll-Rundfahrten bei den Instituten, um sicherzustellen, daß das auch „von Dauer" ist. Nach der Erinnerung von Fritz Micheel127 haben sich unter den SA-Leuten, die vor dem Chemischen Universitäts-Laboratorium zur Hakenkreuz-Hissung aufmarschiert waren, auch die Kollegen Gerhart Jander, Karl Friedrich Jahr und August Winkel befunden; Windaus habe, empört, seine Mißbilligung am Schwarzen Brett verkündet, doch sei der Anschlag sehr bald wieder verschwunden. Aus Marburg 128 ist eine Reiberei erst aus Anlaß der Maifeier gemeldet worden, und die war unwesentlich, ein offenbar persönlichen Querelen entsprungener Streit um Feier und Ansprache bei der Flaggenhissung in der Universitäts-Kinderklinik. Er hing wohl damit zusammen, daß ein karrierebewußter Assistenzarzt mit etwas dunkler Vergangenheit irrigerweise in Klinikdirektor Ernst Freudenbergs Ahnentafel schwache Stellen vermutete. Anders in Münster 129 , wo schon der 8. März nicht ohne Aufregung vergangen war. Als kurz vor zwei ein Oberregierungsrat von der Regierung in Münster der Universität telefonisch und vermutlich in Ausführung des Göring-Dekrets mitteilte, laut Anordnung des Oberpräsidenten solle gegen das Hissen von Schwarz-Weiß-Rot und Hakenkreuz kein-Einspruch erhoben werden und die Hissung werde am Nachmittag geschehen, war - es herrschten, wie gesagt, bereits tiefe Ferien - einzig und allein der Heizer Bals zur Entgegennahme dieser Mitteilung anwesend. Der rief den Hausinspektor an, der Rektor Keller zu Hause und der den „nationalsozialistischen Vertrauensmann" Professor Naendrup. Und als Ergebnis dieser Beratung erging Weisung an den Inspektor: Wenn die Abordnung mit den Fahnen anrücke, solle ihr bedeutet werden, daß der Rektor gegen Schwarz-Weiß-Rot nichts einzuwenden und deren Hissung - angeblich - selbst schon angeordnet habe, das „Aufziehen einer Parteifahne" hingegen könne er nicht billigen. 43

Gegen 17 Uhr kamen sie dann, um die 400 Mann - SA, Stahlhelm und auch ein Polizeioffizier dabei. Sie hörten sich an, was ihnen Inspektor Goldmeyer ausrichtete (den schwarz-weiß-roten Teil hat er dabei in der Aufregung ganz vergessen), und schritten dann „ohne weiteres" zur Tat - Goldmeyer öffnete die Tür. Als sie wieder abzogen, prangte Schwarz-Weiß-Rot über dem Aulafenster, und die Hakenkreuzfahne flatterte auf dem Dach. Rektor Keller, so gewinnt man den Eindruck, hatte das auch gar nicht anders erwartet. Ebenfalls aus Bonn 130 erfährt man von einer Verweigerung der Hissung der Hakenkreuzfahne, jedenfalls „zuerst". Und zwar geschah dies in der Medizinischen Poliklinik durch deren Direktor Max Bürger - den Mann, der bei Hitler immer an einen Bismarckhering mit herausgenommenem Gehirn und per Streichhölzchen aufgesperrtem Maul denken mußte. Sonst aber scheint alles vorbildlich vonstatten gegangen zu sein; aus der Zeit nach 1945 gibt es auch eine Schilderung davon - sicherlich irrig des 30. Januar und in Wirklichkeit des 8. März. Ein sogenanntes Flaggenkommando hat da erst die Universität bedient und ist dann mit Musik nach Poppelsdorf zur Landwirtschaftlichen Hochschule gezogen, vom vollständig versammelten Lehrkörper erwartet. Das Programm war beide Male das gleiche: Ansprache und Hoch auf Hindenburg, Flaggenhissung durch einen Politischen Leiter, Hoch auf Adolf Hitler. Die Ausbringung der „Hochs" war wohl Prärogative der Rektoren. Wieder anders feierte man in Frankfurt131, wo Kurator Riezler, von dem bald mehr zu hören sein wird, fein nuancierte (und vielleicht auch Sorge trug, daß sich die Hitlerleute und ihre deutschnationalen Verbündeten nicht unnötig in die Arme liefen): Vi 11 Uhr am Donnerstag, also erst am 9. März, einen Tag später als gewöhnlich, hißte SS „im Einvernehmen mit mir" ihre Hakenkreuzfahne, 12 Uhr Stahlhelm Schwarz-Weiß-Rot - dies mit Musik und persönlicher Anwesenheit des Kurators und mithin deutlich das Weinabteil. Mitte April dann meinte der Leiter der Orthopädischen Klinik, Georg Hohmann, sich gegen die „in Universitätskreisen" verbreitete Behauptung zur Wehr setzen zu müssen, er habe bei der Beflaggung am Tag von Potsdam wie an den Osterfeiertagen die Hakenkreuzfahne auf seiner Klinik weggelassen. Er hatte also nicht. So war das jetzt in Preußen. Und wenn hier künftig der NS-Studentenbund etwas mit Fahnen im Sinn hat, wenn in Frankfurt132 etwa eine „erste Sturmfahne" zu „weihen" ist, dann muß das nicht mehr, wie noch im Februar in Köln 133 , irgendwo außerhalb des „Hoheitsgebiets der Universität" vorgenommen werden, sondern das geschieht jetzt in ihrem Herzen, in der Aula, und mit ihren Würdenträgern als Statisterie. Jetzt haben diese gezeigt bekommen und wissen, wo es mit den Fahnen langgeht. Und außerhalb Preußens ? In Hamburg134 ist offenbar alles glatt verlaufen, hat doch der Studentenschafts-Vorsitzer Heinrichsdorff Magnifizenz Raape am 9. März „die allerherzlichsten Glückwünsche zur Hissung der Hakenkreuz- und Schwarz-Weiß-RotFlagge auf den Fahnenmasten der Hamburgischen Universität" ausgesprochen - endlich wieder „anständige Farben", wie er meinte. Auch in Jena, im nationalsozialistisch regierten Thüringen, hat ein von Schutz- und Hilfspolizei begleiteter Massenaufmarsch von Studentenbund, SA, SS und Stahlhelm am 10. März die Flaggenhissung ungestört vollziehen können135. Anders im ja ebenfalls nationalsozialistisch regierten Braunschweig136, wo Gassner zwar unbekannten Orts auf Urlaub137, Prorektor Karl Fries jedoch, der Braunschweiger Chemiker, nicht weniger der bisherigen politischen Linie der Hochschule verbunden war. Man hat ihrem Antipoden Bodo Heinemann nach 1945 vorgeworfen, er habe die 44

Hakenkreuzfahne auf dem TH-Gebäude gehißt und dies hinterher an die große Glocke gehängt. Damit nicht recht zu vereinbaren ist jedoch ein der „Tatzeit" näherer Bericht eines Herrn v. Griesbach vom Februar 1934. Danach hat dieser Griesbach als Angehöriger der T H und Vorsitzender der Assistentenschaft der Hochschule am 7. März 1933 bei Fries vorgesprochen: Seit gestern flaggten die öffentlichen Gebäude Hakenkreuz und Schwarz-Weiß-Rot, ob denn die Hochschule, die in letzter Zeit andauernd unerfreulichen Gesprächsstoff wegen ihrer anti-nationalsozialistischen Haltung geliefert habe, nicht Entsprechendes unternehmen wolle? Fries: Es liegt keine Anweisung der Regierung vor, und im übrigen gestatten die Bestimmungen nur Schwarz-Rot-Gold und (das braunschweigische) Blau-Gelb. Und wenn die Assistenten nun von sich aus und ohne Genehmigung die Fahnen auf der Hochschule aufziehen würden? Dann werde er sie wieder entfernen lassen, der Hausmeister sei bereits unterrichtet, die Böden unter Verschluß. Ja, aber es sei dies doch schließlich für jeden Deutschen der größte Freudentag seit 1918 (was ein Lapsus in der Eile war, denn sicher hat Griesbach die Ereignisse von 1918 nicht als Freudentage einstufen wollen). Der Herr v. Griesbach irre, hatte Fries daraufhin erwidert, nicht für alle Deutschen. Und wenn er es daher jetzt ihm erlaube, dann müßte er vielleicht „übers Jahr" ebenso erlauben, rote Fahnen zu hissen; er sei ein alter Mann und habe schon viel politisches Geschehen erlebt: Die Politik bewege sich in Wellenbewegungen - heute sei der am Ruder, morgen jener. Das allerdings war nun nicht der Blickwinkel, aus dem die Nationalsozialisten ihre große Revolution gern beäugen ließen, und es gehörte selbst in diesen ersten Wochen der neuen „Wellenbewegung" schon ein gewisser Mut dazu, ihn so deutlich zu dokumentieren. Fries hat sich auch weiter nicht überreden lassen, und der Hausmeister bestätigte anrückenden Fahnenträgern die empfangene Weisung, eine Beflaggung zu verhindern, welche die Assistenten daher (bis dann am Tag darauf eine Anordnung des offenbar etwas schläfrigen nationalsozialistischen Ministeriums die Sache legalisierte) nur abseits auf dem Turm des Hochspannungsinstituts vornehmen konnten. Ein Mann von ähnlichem Format fand sich in Leipzig138 in dem schon mehrmals erwähnten Nationalökonomen Gerhard Kessler, der bei Rektor Achelis schriftlich gegen das Aufziehen der Hakenkreuzfahne auf der Universität protestiert hat. Da Achelis aber, wenn auch nach einigem Zögern, selbst die Hissung angeordnet hatte, war der Protest ergebnislos und wurde nur als Zeichen von Naivität gewertet. Achelis' Kollege Willy Andreas in Heidelberg139 hingegen hat ohne Zögern gewußt, was er zu tun hatte, obwohl es ihm sicher auch nicht gerade leichtgefallen ist. Baden gehörte zu den letzten Ländern, die „gleichgeschaltet" wurden beziehungsweise sich „gleichschalten" ließen. Erst am 10. März ist die republikanische Regierung zurückgetreten, nachdem am Tag zuvor der badische Gauleiter Robert Wagner als Reichskommissar die Polizeigewalt übernommen hatte. In Heidelberg hatte dies am Nachmittag des 9. dazu geführt, daß sich die ungeduldig ihre Stunde erwartende „gewaltige Heersäule der braunen Bataillone" endlich vom Parteihaus Richtung Bezirksamt in Bewegung setzen konnte („Adolf Hitlers politische Soldaten marschierten!") und ein „Bataillon" auch in der Universität bei Rektor Andreas vorsprach. Der hatte schon eine schriftlich formulierte Erklärung zur Hand, die er den SA-, SS- und Stahlhelmführern vorlas: Da ihm keine diesbezügliche Verordnung des für die Universität zuständigen Unterrichtsministeriums bekannt sei, müsse er als auf die Verfassung beeidigter Beamter gegen die Beflaggung Verwahrung einlegen. Genau wie in Münster wurde das kommentarlos zur Kenntnis genommen und dann, „während die Tausende vor der Universität begeistert das Deutsch45

landlied sangen", die „Fahnen des neuen Deutschland" aufgezogen - ohne, wie die NS-Zeitung „Volksgemeinschaft" triumphierte, „freundliche Genehmigung des Rektors", des „zu sehr nach rückwärts gewandten" Historikers Andreas. Wie sehr „rückwärts", das hat Andreas in den nun folgenden Stunden bewiesen, als er, Verwahrung einlegend, alle Hebel in Bewegung setzte, um beim Polizeipräsidenten und dann beim „Reichskommissar für die Polizeiverwaltung Badens" zu erreichen, daß die Flaggenaktion für illegal erklärt und rückgängig gemacht wurde. Die Illegalität ist ihm dabei auch reihum bestätigt worden, das tat nicht weiter weh damals, von einer Entfernung der Flaggen wurde ihm jedoch ebenso unisono „abgeraten": Das Hakenkreuzbanner wehe nun einmal über sämtlichen deutschen Universitäten, und auch in Baden sei ja die überwiegende Mehrheit der akademischen Jugend nationalsozialistisch gesinnt, derartigen „Äußerungen des Überschwangs" solle daher, auch wenn sie der rechtlichen Grundlagen entbehrten, ein „gewisses Verständnis" und eine „milde Beurteilung" entgegengebracht werden; aus „Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" jedenfalls (da waren sie also wieder) müßten die Flaggen bleiben. Die „Vorbereitung" seiner Erklärung vom 9. März dürfte Andreas nicht schwergefallen sein, hatte er doch drei Tage zuvor, am 6., ihn mit dem gleichen Ansinnen bedrängende Nationalsozialisten, den Studentenbunds-Hochschulgruppenführer Bayer und den Kollegen Fehrle, mit demselben Argument in ihre Schranken verwiesen. Da schon, gleich nach der Wahl, waren die braunen Sieger nicht zu halten gewesen, waren vorgeprescht und hatten „spontan" unter anderem auf den Rathäusern in Karlsruhe, Mannheim, Freiburg und Heidelberg ihre Fahnen aufgezogen; die Staatsregierung aber war (noch) nicht zurückgewichen, hatte Berlin gegen die „Überrumpelung" eingeschaltet und schließlich mit Gauleiter Robert Wagner einen Kompromiß ausgehandelt: Keine neuen Flaggenhissungen, Entfernung bereits gehißter Hakenkreuzfahnen aber erst in der kommenden Nacht. War dieser Kelch dank Andreas' fester Haltung noch an der Universität vorübergegangen, so hatte sich also drei Tage später der Druck als zu stark erwiesen. Nunmehr, nach der Beflaggung des Universitätsgebäudes, richteten sich die Blicke auf zwei republikanische Bastionen des Heidelberger akademischen Lebens, auf das Institut für Sozial- und Staatswissenschaften („Insosta") im Palais Weimar und auf das benachbarte Institut für Zeitungswissenschaft, - die höheren Hausnummern in der Hauptstraße, so schrie die NS-Presse, seien ein „Brutherd antideutscher Gesinnung". Das Zeitungsinstitut stand unter der Leitung des Soziologen Hans v. Eckardt, der „jüdisch liiert" war, im Februar die Rundfunkübertragung einer Hitlerrede hatte abstellen lassen („Ich fürchte, die Autorität der Reichsregierung wird darunter leiden") und dann noch im gleichen Jahr aus dem Amt geworfen worden ist, das „Insosta" unter der des „kleinen Bruders des immerhin nicht unbedeutenden Max Weber", wie die NS-Presse höhnte. Daß Alfred Weber so klein nun auch wieder nicht war, hatte er indes gerade eben drei Tage zuvor in einem Leserbrief an das „Heidelberger Tageblatt" gezeigt, in dem er gegen jene „spontane" Hissung der Hakenkreuzfahne auf dem Heidelberger Rathaus („Parteidemonstration") angegangen war: Ohne öffentliche Klarstellung werde er nicht mehr annehmen können, in einem Staate gleichberechtigter Bürger zu leben. Wenn sie es für nötig halte, so hatte die Partei daraufhin gedroht, werde sie auch auf seinem Palais Weimar oder an seiner Wohnung „unser Banner hissen". In den Morgenstunden des 10. März bat man es dann für nötig gehalten. Oder genauer: endgültig für nötig. Denn bei beiden Instituten waren bereits am Vorabend SA und Poli46

zei erschienen und hatten „Parteifahnen der NSDAP" gehißt. Die Meldung des Hausmeisters vom Zeitungsinstitut war eben gerade im Rektorat eingelaufen, als sich 18.30 Uhr - dort die SA- und Stahlhelmdelegation einfand. Die bereits hereingebrochene Nacht hatte indes dem Spektakel bei den „höheren Hausnummern der Hauptstraße" ein baldiges Ende bereitet. Am Vormittag darauf nun ist die SA wieder erschienen, hat den Schmuck des Vorabends nicht mehr vorgefunden, dieses Manko schnell behoben und vier mit Gewehren bewaffnete SA- und diesmal auch SS-Posten „zur Wahrung der allgemeinen Sicherheit und Ordnung" zurückgelassen. Weber - wie die „Völksgemeinschaft" am Tag darauf so schön schreiben wird: „vor Wut übergeschäumt" - ordnete daraufhin die Schließung des Instituts an. Dagegen, daß Weber bei diesen Vorfällen als „Schweinehund" bezeichnet worden ist, hat Rektor Andreas Verwahrung eingelegt - das Ergebnis läßt sich denken. Mehr Erfolg hatten Proteste der anderen Seite, nationalsozialistischer Insosta-Studenten nämlich, gegen ihren Lehrer (wenn sie auch einräumten, daß seine wissenschaftliche Lehrtätigkeit kein Vorwurf treffen könne140). Weber wurde beurlaubt, und der sofort einberufene Engere Senat beschloß, daß künftig Maßnahmen gegen Beflaggungsaktionen mit dem Rektorat abzustimmen seien. Was freilich überflüssig war, da am Abend des Volkstrauertages durch „Reichsfunkspruch" die schon erwähnte dreitägige - von Montag, dem 13., bis Mittwoch, den 15., - Beflaggung aller öffentlichen Gebäude mit Schwarz-Weiß-Rot und Hakenkreuz angeordnet wurde und die Universität Heidelberg nunmehr allein die Sorge hatte, wie sie für alle ihre Häuser so schnell die benötigten Fahnen beschaffen konnte. Die NSDAP-Ortsgruppe mußte angesichts der überschäumenden Konjunktur passen, und auch die Fachhandlung Schneider konnte nur Restbestände abgeben und erst am 13. und 14. peu ä peu das plötzlich so begehrte Tuch nachliefern Nebenan, in Karlsruhe141, ist der 6. März anders vergangen. Dort war der damalige NS-Studentenbunds-Chef Oskar Stäbel inzwischen zu Stadtrats-Ehren (und -Besoldung) gelangt, und als sich gegen 11 Uhr „eine große Menge uniformierter und nicht uniformierter Menschen" vor dem Hochschulgebäude einfand, um nach dem Muster von Schloß, Rathaus und Bezirksamt nun auch dort das Aufziehen der Hakenkreuzfahne (in den Rektoratskanzleien schrieb man gelegentlich noch „Hackenkreuz", aber die Übung kam dann) zu genießen, machte er Rektor Holl mit seinem und der Menge Wunsch vertraut. Auch Holl weigerte sich zunächst, „eine Parteifahne zu hissen", ging jedoch, nachdem Stäbel massiv gedroht hatte, „seine Leute" sonst nicht zurückhalten zu können, auf dessen Kompromiß Vorschlag ein: die Hochschulfahne in der Mitte, rechts und links Hakenkreuz und Schwarz-Weiß-Rot. Und damit waren alle zufrieden - „die versammelte Menge sang das Deutschlandlied und ging ruhig auseinander". Einer aber konnte den Tag besonders glücklich beschließen: Gustav Kögel, der Vorstand des Photochemischen Instituts. Hatte er doch als einziger Dozent der Karlsruher Hochschule auf dem ihm „durch das Hausrecht unterstehenden Institutsgebäude" die „Hitlerfahne" selbst und „ohne Zutun anderer" gehißt (wie er sich das im April vorsichtshalber und für die Nachwelt vom Hochschulsekretariat hat bestätigen lassen). Württemberg. In Stuttgart142 war gerade Senatssitzung, als - es muß wohl am 7. März gewesen sein - die nationalsozialistischen Studenten „in wohlgeordnetem Zug" anmarschierten und eine Abordnung die Hakenkreuzhissung verlangte. Magnifizenz Peter Paul Ewald, der seine neugierigen und kontaktfreudigen Kollegen nur mit Mühe von den Fenstern hatte zurückholen und von Sympathiekundgebungen zur Straße hinunter abhalten können, erteilte sofort sein Einverständnis, - es hätte ja keinen Sinn gehabt, hat er 47

nach 1945 rückblickend festgestellt, „sich gegen eine derartige Bewegung durch solche Formalitäten schützen zu wollen". Da ist man tags darauf in Tübingen 143 nicht ganz so großzügig gewesen. Betreiber der Aktion war auch hier der Studentenbund, mit den beiden Professoren Gustav Bebermeyer und Rupprecht Matthaei gewissermaßen als Verbindungsoffizieren gegenüber der Universitätsleitung. Diese waren es, die am Abend des 7., nachdem sie vergeblich versucht hatten, Rektor Simon telefonisch zu erreichen, in der Wohnung von Universitätsrat Knapp aufkreuzten: Morgen um 13 Uhr würden SA, SS und Stahlhelm auf dem Tübinger Rathaus die schwarz-weiß-rote Fahne aufziehen, und die Studenten wünschten auch auf der Universität die Fahnenhissung vorzunehmen. Und wie zum Trost: Laut Rundfunk wehe in Stuttgart auf Landtag, Rathaus und so weiter neben der schwarz-weiß-roten sogar die Hakenkreuzflagge. Knapp verwies auf die Rechte des Rektors, und die nächtliche Runde schied mit der Vereinbarung, am nächsten Tag 11 Uhr im Rektorzimmer die Sache zu besprechen. Die frühen Vormittagsstunden vergingen damit, daß Magnifizenz Simon und Rat Knapp vom Stuttgarter Kultministerium telefonisch Weisung einzuholen suchten. Die zuständigen Herren waren indes nicht zu erreichen (an diesem 8. März übernahm gerade der soeben zum Reichskommissar ernannte SA-Gruppenführer v. Jagow die Macht im Ländle), und ein nicht zuständiger gab die in jenen Tagen gängige Empfehlung: Verwahrung könne man ja einlegen, Widerstand zu leisten sei indes „nicht rätlich". Damit war die Marschrichtung an sich klar, jedoch wurde die sich anbahnende Harmonie durch zwei Telefonate gestört. Im ersten erfuhr man von Matthaei, daß jetzt auch die Hakenkreuzfahne mit auf dem Programm stand, im zweiten vom Studentenbunds-Funktionär Schumann, daß man dort nicht mehr bis zum Nachmittag warten könne, noch am Vormittag werde die Hakenkreuzfahne gehißt werden. Während Rektor und Universitätsrat fernmündlich und dann auch mündlich mit Schumann verhandelten und beide Seiten ihre Positionen absteckten (mit Schwarz-Weiß-Rot sei man einverstanden und das müsse doch als nationales Symbol auch seiner Partei genügen, die Hakenkreuzfahne als Parteifahne aber werde unter keinen Umständen genehmigt werden - Symbol ihrer Bewegung sei das Hakenkreuz, und das müsse und werde gehißt werden, wer jetzt noch nicht begriffen habe, daß die Nationalsozialisten an die Macht gekommen seien, der könne nicht mehr ernst genommen werden), wurde aus dem Botanischen Institut angerufen: O b eigentlich bekannt sei, daß auf der Universität die Hakenkreuzfahne wehe? Das brachte die Konferenz in eine etwas schwierige Situation. Die einen waren peinlich überrascht, die anderen peinlich verlegen; die Tat der Studenten Martin Sandberger und Erich Ehrlinger (später Sicherheitspolizeichef in Estland der eine, in der Ukraine der andere) aber rückgängig zu machen erwies sich auch im Kuhhandel als unmöglich: Rektor Simon bekam gerade noch wenigstens Schwarz-Weiß-Rot mit aufs Dach und die Zusage, bei Eintritt der Dunkelheit die ganze Dekoration wieder einzuziehen. In der Senatssitzung am gleichen Tage hat wenigstens der Chirurg Martin Kirschner das Aufziehen einer Parteifahne auf der Universität bedauert und einen Verweis für die beiden Täter verlangt; realisiert freilich wurde nur seine andere Forderung, eine mißbilligende Notiz an die Presse zu geben. Für Bayern schließlich berichtet aus Erlangen, wo er zur Zeit der nationalsozialistischen Machtergreifung Prokanzler war, der Kirchenrechtler Hans Liermann 144 , wie der Kreisleiter und der Ortsgruppenleiter ins Rektorat im Schloß gekommen seien mit der 48

Forderung, die Hakenkreuzfahne zu hissen. Und als Rektor Eugen Locher bedauert habe, keine zu besitzen, da hätten die Herren eine mitgebrachte Fahne ohne Beteiligung der Universität auf dem Schloß aufgezogen. Unwahrscheinlich an dieser Schilderung Liermanns ist freilich das Datum: Am 31. Januar soll die Aktion vorgenommen worden sein. Es dürfte sich um den 10. März gehandelt haben, an dem man in Bayern überall ans „Hissen" ging. Sonst ist aus Bayern nichts bekannt geworden, es hat sich vielleicht auch nichts Nennenswertes ereignet. Welche Vermutung freilich ausgeschlossen werden muß auf der großen weißen Fläche der ost- und mitteldeutschen Hochschulen, wo wir bei all diesen Aufzählungen auf - wie hier im Falle Greifswald - dort erschienene Sekundärliteratur oder auf zufällige Funde in den dezimierten preußischen Akten angewiesen sind. Das aber läßt sich wohl mit einiger Wahrscheinlichkeit vermuten: Einen Vorgang wie in der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt, wo Starks Vorgänger die von den Nationalsozialisten dieser Behörde gehißte Hakenkreuzfahne ohne viel Federlesens wieder hat einholen lassen145, hat es bei den Hochschulen nicht gegeben. Privaten Ärger freilich, es ist davon teilweise schon gesprochen worden, haben Professoren hier und da schon gemacht144 - in verschiedenen Stufen und in unterschiedlicher Richtung, was etwa bei Klagen der Partei, daß der Professor Laubender „die Fahne immer zu spät hisse", begann und ungefähr da endete, wo der Professor Coenders seinen Studenten Schulte, der auch NSDAP-Kreislciter war, auf hohem Roß zu dem mit ihm verfeindeten Nachbarn schickte, um dort - mit gezogener Pistole - die als Anbiederung verstandene Hakenkreuzfahne entfernen zu lassen. Manche Professoren sind vielleicht tatsächlich überfordert gewesen und haben sich in dem Farben-Kaleidoskop nicht mehr zurechtgefunden. Mag das noch zweifelhaft sein bei dem Mechanik-Ordinarius der T H Braunschweig Richard Düll, der bei der Trauerbeflaggung am 2. Oktober 1935 (Überführung des im Vorjahr „verewigten" Hindenburg in seine - nicht ganz - „letzte Ruhestätte" im Tannenberg-Denkmal) mit einer schwarz-weiß-roten Fahne unliebsam aufgefallen ist („ein starkes Stück", „scheint den 15. September147 verschlafen zu haben"), so liegt der Fall klarer bei dem emeritierten Gießener Azteken-Forscher August Freiherr v. Gall, dem dasselbe Malheur nach achtjähriger Übung zu „Führers Geburtstag" 1944 passiert ist. War im Falle Düll ein Versehen von Sohn Eugen schuld gewesen, so hier „Vergreifen im dämmerigen Zimmer" wegen starker Kurzsichtigkeit. 1944 aber war man da rigoroser: Die Universität entzog dem so stark Kurzsichtigen die Lehrberechtigung, und der Gauleiter, dem das nicht genügte, ordnete Galls Entfernung von der Universität an, obwohl diese ihn als debil und „stark verwahrlost" entschuldigt hatte. » Fahnen, Uniformen, Bilder, Ehrungen. Selbstverständlich sind die nationalsozialistischen Uniformen auch an den Hochschulen längst wieder erlaubt und salonfähig, nun sind die „marxistischen" Uniformen und Abzeichen an der Reihe, mit Verboten belegt zu werden148. Einen ähnlichen Wachwechsel gibt es im papiernen und steinernen bis bronzenen Pantheon. Eine Verordnung des Reichsinnenministers vom 10. April 1933 veranlaßt auch in den Hochschulen eine Revision der gemalten, fotografierten, gemeißelten und gehauenen Votivbilder - für Juden und Mitmischer am Novemberumsturz ist nun kein Platz mehr. Offenbar traut man aber den Hochschulen nicht. So ordnet der thüringische Ministerpräsident am 12. Juli 1934 eine Überprüfung an, ob die bewußten Gegenstände 49

auch wirklich endgültig vernichtet sind. Sie sind es nicht, es gibt in Jena noch ein Bild des verdienten jüdischen Rechtshistorikers Eduard Rosenthal, der Rektor will es erhalten, aber natürlich erlaubt man das nicht149. Noch 1938, nach der „Kristallnacht", hält der Göttinger Kurator Bojunga eine Nachprüfung für ratsam, ob - wenn er das auch annehme - die Entfernung von Bildern jüdischer Gelehrter tatsächlich restlos erfolgt oder ob nicht etwa eines „bisher unbemerkt hängengeblieben" sei. Das sei dann unverzüglich zu beseitigen, wobei Bojunga eine (vielleicht ebenfalls ratsame?) Hilfe beim bisher wohl übersehenen und gewiß schwierigen Problem der Behandlung von Gruppenbildern gibt: Wenn die Juden da massiert aufträten oder „in besonders hervorragender Weise" dargestellt würden, sei auch hier „die Entfernung geboten". Es fällt dabei auf, daß nur noch von „Entfernung" die Rede ist, nicht mehr von „Vernichtung". Dürfen die Juden jetzt etwa in die Magazine? In Wien dann jedenfalls ja. Die Porträts und Büsten jüdischer Professoren und Dozenten, so wird die Aktion reichlich spät Magnifizenz Knoll am 20. Mai 1942 für die Universität Wien nachholen150, seien nicht zu vernichten, sondern es sei für eine „geeignete Verwahrung Sorge zu tragen". Es bestehe nämlich (und man wünscht sich hier Wiener Gelenkigkeit am Werke) die Absicht, „in einem späteren Zeitpunkt eine Ausstellung zu veranstalten, die den Einfluß des jüdischen Geistes auf die Wissenschaft veranschaulichen" solle. Die Juden also sind abgehängt oder weggeschafft. Hitlerbüsten halten statt dessen ihren Einzug - und wo, wie in Münster151 „in Bronzetönung" beim Bildhauer Mazzotti, der Rektor Hindenburg mitbestellt hat, da kann er vom Kurator hören, daß die 85 Reichsmark für Hitler zwar übernommen würden, für Hindenburg aber wegen der angespannten Kassenlage kein Geld da sei. Selbstzahler haben da keine Probleme, etwa in Frankfurt am 14. November 1934; nur die Büsten der Gründer, sowieso vielfach Juden, müssen da weggeräumt werden, die passen nicht in solch illustre Umgebung. Wird, wie in der Aula der TH Hannover, anstelle des noch lebenden deutschnationalen Reichspräsidenten der tote nationalsozialistische Märtyrer Horst Wessel als Pendant gewählt, ist von Finanzierungsschwierigkeiten nicht die Rede152. Aber das mag Zufall sein. 1943 ist es dann so weit, daß selbst ein Goebbels der akademischen Walhalla würdig wird: Seine Universität Heidelberg erneuert nicht nur das Doktordiplom ihres „Studenten und Doktors", sondern stellt auch, freilich für nicht mehr allzu lange Zeit, im Senatssaal eine Büste dieses „entscheidenden Staatsmannes" auf, die der Bildhauer Pageis für vermutlich etwas mehr als 85 Mark geschaffen hat153. Hitlerbilder kamen da billiger, manchmal wurden sie sogar von begeisterten Professoren gestiftet. So in Braunschweig von dem Elektrotechniker Erwin Marx, der das Porträt seines Führers im Hörsaal seines Hochspannungsinstituts über dem Katheder feierlich aufgehängt und darüber dann einen Bericht in die Lokalpresse lanciert hat154. „Unser Führer" in Ol war gewiß etwas teurer, wie schön daher für die Bonner Magnifizenz Pietrusky, daß der Kurator ihm das Stück „liebenswürdigerweise" überließ155. HitlerGedenkmünzen hat zwar keine Hochschule schlagen lassen, in der Heidelberger durften sie aber immerhin von der SA vertrieben werden156. Unübersehbar also hielt überall die neue Zeit Einzug und wurde manch einem durch solche und andere Äußerlichkeiten besonders - schmerzhaft oder freudig - bewußt. Etwa in Halle, als die gesamte Universität, Lehrkörper, Studenten und Verwaltung, für den Umzug am ersten Maifeiertag des Dritten Reiches erstmalig vor dem alten Schinkelbau antrat, der Studentenbundsführer „Stillgestanden!" kommandierte und all die gelehrten Herren daraufhin ihre Knochen zusammenrissen und den Befehl exekutierten. 50

Oder wenn an der Fassade der Heidelberger Neuen Universität die noch von Gundolf formulierte Inschrift „Dem lebendigen Geist" in „Dem deutschen Geist" verbessert wurde und die Skulptur der Pallas Athene dem Hoheitszeichen weichen und an die Rückfront des Gebäudes umziehen mußte. In Halle hat sich der Historiker Hans Herzfeld157 gedemütigt gefühlt, in Heidelberg sah der Germanist Friedrich Panzer einen Traum erfüllt158. Am 1. Mai 1933 hat der - umgebildete - Kleine Senat der TH Stuttgart auf Antrag der Architekturabteilung beschlossen, den „Mann, der durch seinen sieghaften Kampf für deutsche Art den Boden bereitet hat, auf dem allein eine deutsche Baukunst wachsen kann" - kurz: Adolf Hitler - zum Ehrendoktor zu ernennen159. Am 4. stand es im Staatsanzeiger, und am 5. war er es nicht mehr. Denn da informierte derselbe Staatsanzeiger über Hitlers Ablehnung und die Distanzierung des Kultministeriums von dem eigenmächtigen Schritt der Hochschule. Und der Spott des Studentenbundes folgte auf dem Fuße160: Wie hier die „Männer der Wissenschaft" gemeint hätten, mit ihrem „etwas angestaubten Requisit" dem Volkskanzler und Arbeiterführer Adolf Hitler eine Freude zu machen - wie einst dem Dr. h.c. Isidor Löwenstein. Hitlers vorrangiger Beweggrund war die von ihm arrogant stilisierte, bewußt über allem Lametta angesiedelte Schlichtheit, die ihn deutlich über den Jahrmarkt der Eitelkeiten seiner Goldfasane und - später auch - ordensbehängten Generäle hinausheben sollte (Hess hat das kopiert und versucht, sich damit über dem Nonplusultra-Fasan Göring zu plazieren). Kein Titel, soll er gesagt haben, sei größer als sein Name. Straßen und Plätze also durften, außer in München161, schon nach ihm benannt werden - Dr. Hitler aber? Um ein Haar wäre er ja im Vorjahr bereits Professor geworden. Die meisten von denen, die sich damals darüber amüsiert hatten, konnten das jetzt freilich nicht mehr, aber die Sache paßte eben nicht zu dem, was man im heutigen Deutsch sein Styling nennen würde. Die Ablehnung akademischer Ehrungen hat Hitler indes nicht auf sich beschränkt, auch seinen Parteigenossen wurde die akademische Umarmung versagt - zeitweise jedenfalls. Hatte er nun Angst, daß seine Condottiere sich mit fünffachem Doktortitel ausgestattet lächerlich machten? Oder war es nur, weil man in der Vergangenheit den Mund so sehr weit aufgerissen hatte, wenn republikanische, insbesondere sozialdemokratische Politiker ihre Honoris-Causa-Räder schlugen? Dabei ist es im Weimarer Staat schon deshalb so toll damit nun auch nicht zugegangen, weil ja wirklich kein sehr herzliches Verhältnis zwischen Hochschule und Republik bestanden hat. Allerdings wußte damals der neue Würdenträger solche Ehrungen weit mehr zu schätzen als der alte im Kaiserreich, dem der Reserveoffizier noch ein gutes Stück mehr bedeutet hatte. Findig hatten daher die Universitäten, um ihr „Angebot" breiter zu fächern, übernommen, was bei den auf „Sponsoren" von Anfang an angewiesenen Technischen Hochschulen schon länger Brauch war: die Institutionen der Ehrensenatoren, Ehrenbürger und Ehrenmitglieder. Es war somit ein akademisches Warenhaus entstanden, wie es sich Humboldt kaum vorgestellt haben wird. Nun führte man also auch Billigeres im Sortiment, jetzt konnte auch der weniger betuchte Industrielle (der Ehrendoktor notierte etwa bei 25 000 RM162, also rund 250 000 DM heutigen Geldes) ein bißchen akademischen Glanz erwerben, jetzt lag auch für den kleinen Stadtrat und Ministerialreferenten etwas auf dem Tresen. Die Bezeichnung im einzelnen tat dabei wenig zur Sache. Keine Hochschule führte alle drei Titel, die knappe Hälfte bot zwei an, die übrigen nur einen163. Bei zwei Stück war die Rangordnung unterschiedlich. Während etwa in Köln, Rostock, Würzburg, Aachen und 51

Hannover der Ehrensenator „mehr war" als der Ehrenbürger oder das Ehrenmitglied (von Frankfurt ist bekannt164, daß nach 1933 der Ehrensenator, nachdem eine „größere Anzahl, zum großen Teil jüdischer Rasse, inzwischen verschwunden" war, nur noch an Ehrenbürger für spätere weitere „Verdienste" verliehen wurde), ist in Stuttgart der Ehrenbürger höher bewertet worden als der Ehrensenator. Auch war das Ausmaß der Prostitution unterschiedlich. Eine Zusammenstellung für die Universitäten, allerdings aus der Blütezeit des Gewerbes, den dreißiger Jahren165, reicht von Erlangen (3), Hamburg (4), Berlin (5), Köln (5) und Göttingen (6) bis zu „Großhändlern" wie Bonn, Frankfurt und Marburg (je 24), Heidelberg (28), München (32) oder gar Rostock (38). Der Ehrendoktor freilich war damit nicht etwa ausgerottet. Die Berliner Boulevardpresse, die sich dieser Dinge mit viel Liebe angenommen hat, fand beispielsweise 1929 auf der Visitenkarte des Aufsichtsratsvorsitzenden der I. G. Farben Carl Duisberg nicht weniger als acht Ehrendoktorate sämtlicher Fakultätsrichtungen und ermittelte 1931 unter den 910 Mitgliedern der Aufsichtsräte von 33 großen deutschen Aktiengesellschaften immerhin 200 Ehrendoktoren 166 . Die hauptsächlich betroffenen Technischen Hochschulen hatten damals Besserung gelobt und Quotierung oder gar „Null-Jahre" (wie man das heute nennen würde) eingeführt, welche dann auch die nationalsozialistische Hochschule, wie wir sehen werden, beizubehalten versucht hat. Es war dieser Schacher jedenfalls in schwarz-weiß-roten und erst recht in braunen Blättern Jahre hindurch ein so dankbares Thema gewesen, daß 1933 bei den neuen Herren hier und da Bedenken bestanden, die - davon wird noch die Rede sein - nun einsetzenden peinlichen Überprüfungen und Aberkennungen „Systemgrößen" verliehener Würden von einer Woge neuer politisch motivierter Ehrungen begleiten zu lassen. Bedenken, wohlgemerkt, auf hoher politischer Seite, denn die Hochschulen ihrerseits scheinen wenig Hemmungen gehabt zu haben, ja kaum zu halten gewesen zu sein, die neue Kundschaft im Laden gerechterweise ebenso, wenn nicht freudiger zu bedienen als ihre Vorgänger. Und da eine ganze Reihe potentieller Kunden damit durchaus übereinstimmte, hat man an höchster Stelle immer wieder von neuem auf die Bremse treten müssen. Mit Anordnung vom 5. Mai 1933 untersagte Hess führenden Nationalsozialisten die Annahme des Titels „Doktor ehrenhalber" 167 , und im November 1933 ließ er dann die Universitäten bitten, sie möchten „grundsätzlich" davon absehen, führende Männer der nationalsozialistischen Bewegung zum Ehrensenator oder Ehrenmitglied zu ernennen168. Definitiv verbieten konnte der Stellvertreter des Führers zwar nur Parteigenossen die Annahme akademischer Ehrungen, insbesondere von Ehrendoktoraten, doch hatte das zur Folge, daß das Reichserziehungsministerium reichsdeutsche Ehrendoktoren vorerst überhaupt nicht mehr genehmigte. Es hatte solche Enthaltsamkeit indessen noch einen weiteren, möglicherweise sogar primären Grund, der auch der anderen Seite schmerzlich bewußt war (Groh dann auf einer Rektorenkonferenz am 7.18. März 1939: „Das mußte mit der Zeit geradegestellt werden"). Der Kieler Rektor Wolf hat ihn am 23. Oktober 1934 in einem Schreiben an Rust geäußert169. Nach einleitenden Bemerkungen über die Entwertung der Ehrenpromotion in den „letzten Jahrzehnten [!]" und die Notwendigkeit, den früheren, ja einen höheren Sinn wiederzugewinnen, bezeichnete Wolf hier das Verbot der Ehrendoktorierung von Parteigenossen als mit dem Ansehen jenes Titels, ja der Universität schlechthin, unvereinbar: „Auf die Dauer führt eine Diskreditierung dieser Art zur Preisgabe der Universität überhaupt." Sollte die Aufhebung des Verbots nicht durchzusetzen sein, sollte der Ehrendoktor nicht auch für Parteigenossen als hohe Ehre gelten, dann sollten die 52

Universitäten diesen ihren höchsten Rang abschaffen. Ähnlich äußerte sich später der Marburger Neutestamentler Hans Freiherr v. Soden 170 , und daß hier nicht etwa ein Mißverständnis vorlag, erläuterte der neue Reichsführer der Deutschen Studentenschaft Andreas Feickert in seiner 1934 erschienenen Broschüre „Studenten greifen an" 171 : „Es ist jedem Mitglied der NSDAP verboten, den Ehrendoktor einer deutschen Hochschule anzunehmen. Diese Tatsache spricht. Eines Nationalsozialisten ist es unwürdig, den höchsten Ehrentitel einer deutschen Hochschule anzunehmen. Das sollte jedem Dozenten... auf den Nägeln brennen ..., daß dieser Titel als Ehrentitel nicht mehr vom einfachsten Arbeiter der NSDAP angenommen wird." Im Herbst 1936 kam es Unter den Linden zur Erörterung weiterer Mißstände 172 : der Unzahl von Ausländer-Ehrenpromotionen als Folge der Einschränkungen für Deutsche (dazu etwa v. Soden: „... für meine Begriffe von nationaler Ehre nicht leicht [zu akzeptieren]") und der bei Parteigenossen hier und da vorgekommenen Ausnahmen - wie zum Beispiel das an Reichsminister Hans Frank verliehene Ehrenbürgerrecht der Universität München. Die Lage war also rundum unerfreulich. Staatliche und akademische Stellen bohrten daher unaufhörlich bei der Partei, und nachdem im Sommer 1937 zum Göttinger Universitätsjubiläum der dortige Rektor wieder einmal einen Schritt unternommen und die Erlaubnis für Parteigenossen beantragt hatte, deutsche Ehrenpromotionen anzunehmen 173 , konnte Ministerialreferent Professor Groh am 15. Oktober 1937 auf einer Rektorenkonferenz die frohe Botschaft verkünden 174 , daß der Stellvertreter des Führers im August auf die Vorstellungen des Ministeriums hin endlich die Ehrenpromotion von Parteigenossen „unter bestimmten Kautelen" erlaubt habe. Eine davon sei das Vorliegen „hervorragender eigener wissenschaftlicher Leistungen" - mittelbare Verdienste um die Wissenschaft sollten nicht mehr genügen. Damit, so Groh, sei man voll einverstanden, nur über die Mitwirkung der Zentralstellen sei noch keine Einigung erzielt. Wenn diese dann aber hergestellt sei und das Signal auf Grün stehe, müsse allerdings „rationiert" werden, habe doch jede Hochschule zwei, drei Anträge parat liegen, so daß andernfalls ein Schub von 80 bis 120 Ehrenpromotionen zu erwarten wäre. Es dauerte noch bis zum 22. März 1938 (Groh: „eine lange Geschichte"), daß Verleihungsrichtlinien endlich die akademische Ehrung „führender Persönlichkeiten in Partei und Staat" grundsätzlich freigaben. Es ist dieser Erlaß über die „Verleihung des Grades und der Würde eines Ehrendoktors sowie der akademischen Würde eines Ehrensenators, Ehrenbürgers oder Ehrenmitgliedes" das erste und - mit Ausnahme von zwei späteren Kontingentierungserlassen - einzige Mal, wo dieses Thema im Amtsblatt des Reichserziehungsministeriums auftaucht 175 . Hier wurden sämtliche einschlägigen Bestimmungen in Satzungen und Promotionsordnungen der einzelnen Hochschulen aufgehoben und in allgemeinverbindlichen Richtlinien bei Ehrenpromotionen „mittelbare Verdienste" sowie „ausgezeichnete Erfolge ... um das Gemeinwohl [sie]" als Gründe ausgeschlossen. Ehrungen von Parteigenossen waren „entgegen der bisherigen Übung" ausdrücklich wieder zugelassen, ein Einspruch des Ministeriums wurde vorbehalten 176 und die vorherige Prüfung der Kandidaten auf Reinheit des Blutes und politische Zuverlässigkeit angeordnet - „erforderlichenfalls durch Inanspruchnahme der Parteidienststellen usw." (dies offenbar die ausgehandelte Kompromißformel in der erwähnten Streitfrage). Für die übrigen drei Würden galt der Ausschluß der „mittelbaren Verdienste" und „Gemeinwohl-Erfolge" nicht. Eine Ubergangsbestimmung kontingentierte, wie angekündigt, die Ehrenpromotionen für die nächsten zwei Jahre auf höchstens eine pro Hoch53

schule (1940 und 1942 jeweils um weitere zwei Jahre verlängert177). Die Technischen Hochschulen (unter Führung von Karlsruhe) ließen sich vom Ministerium bestätigen, daß die nunmehr von den Ehrendoktoren verlangten „hervorragenden eigenen wissenschaftlichen Leistungen" auch solche technisch-erfinderischer und -konstruktiver Art einschlössen und technische Pioniere wie Benz, Daimler, Diesel, Siemens oder Zeppelin mithin doktorierfähig wären178. Damit war nun eigentlich alles gesagt, und nur Kenner der „Szene" dürften nicht verwundert gewesen sein, als im Januar 1939 vom Reichserziehungsministerium auf eine Anfrage hin „empfohlen" wurde, in Aussicht genommene Ehrungen zurückzustellen und die beabsichtigte Erörterung auf der nächsten Rektorenkonferenz abzuwarten179. Diese erfolgte dann des längeren und breiteren am 8. März 1939180 - allerdings nur auf Randgebieten, ein Grund für das „Abwarten" ist hier nicht ersichtlich. Die weitere Entwicklung zeigt ihn jedoch. Im Juni 1939 gibt Bormann im StdF-Rundschreiben 130/39 eine Entscheidung Hitlers bekannt, wonach die Voraussetzung besonderer wissenschaftlicher Leistungen bei Ehrenpromotionen führender Nationalsozialisten nunmehr auch bei der Verleihung des „Ehrensenators" gelten solle. Und im Mai 1940 wird die Schraube rundum wieder angezogen181: Bormann unterrichtet das Reichserziehungsministerium am 3. davon, daß Hitler die Verleihung „irgendwie gearteter akademischer Grade ehrenhalber", Doktor, Senator und so weiter, an Politische Leiter und Gliederungsführer, an Minister, Staatssekretäre und Oberpräsidenten nicht wünsche - sämtliche Hochschulen seien entsprechend zu verständigen. Daß Hitlers „Wünsche" etwas anderes waren, als wenn sich sonst irgend jemand etwas wünschte, wurde den Rektoren, wiederum von Groh, am 16. Dezember 1940 auf einer weiteren Konferenz in Prag verdeutlicht182: Man habe sich leider nicht daran gehalten, deshalb hier noch einmal eine ganz klare Wiederholung; ein offizieller Erlaß darüber sei nicht möglich, die Kenntnisnahme von der mündlichen Mitteilung sei indes schriftlich zu bestätigen, Zuwiderhandelnde würden sich „größten Schwierigkeiten" aussetzen. Was jedoch nicht hinderte, daß dieses Verbot auf der nächsten Rektorentagung, am 25. November 1941 in Straßburg, und dann noch einmal schriftlich am 20. Januar 1943 den Magnifizenzen in Erinnerung gerufen werden mußte183 - der Durst der Größen von Staat und Partei nach akademischer Labung war offenbar der freudigen Bereitschaft der Hochschule, sie zu gewähren, äquivalent. 1942 ist ein „verdienter General" Ehrenbürger einer Stadt geworden, - Hitler ordnet die Beschränkung auf „ganz besondere Ausnahmefälle" und die vorherige Einholung seiner „persönlichen Genehmigung" an. Kanzleichef Lammers dehnt das am 23. November 1942 interpretierend auch auf akademische Würden aus, und Rust gibt es am 20. Januar 1943 an die Rektoren weiter184 - „enge persönliche Beziehungen" zur Wissenschaft oder zu der betreffenden Hochschule werden als mögliche stichhaltige Gründe genannt. Und hier wie auch von Lammers wird der vertrauliche Charakter dieser Anordnungen beschworen (der andererseits diverse Seitensprünge ermöglicht). Ende des Jahres hat das Reichserziehungsministerium die meist viel zu kurzfristige Eingabe der gewünschten Ehrenpromotionen zu bemängeln185. Im Februar 1944 scheint Hitler wieder etwas gelesen oder gehört zu haben, was er mißbilligt; Lammers erhält den Auftrag, Rust nochmals anzuweisen, mit dem Ehrendoktor „so sparsam wie nur möglich" umzugehen186. Rust meldet daraufhin am 6. April die von ihm schon veranlaßte strenge Rationierung. Und noch wenige Monate vor Torschluß, im November 1944, stoppt Hitler die Verleihung des Ehrenbürgerrechts einer Universität an einen „vielfach 54

bewährten Frontoffizier" (es handelt sich um Göttingen und General Hoßbach): Die Anerkennung militärischer Verdienste oder besonderer Tapferkeit geschehe durch Beförderung, Ordensverleihung und dergleichen, könne jedoch nicht Anlaß sein für akademische Ehrungen 187 . So ist denn bis zum Ende Hitlers Sorge um seine Paladine und die übrigen Stützen des Regimes ebenso ungebrochen geblieben wie sein Mißtrauen gegenüber dem süßen akademischen Leben, von dem sie nicht korrumpiert werden sollten. Will man nun freilich im einzelnen wissen, in welchem Umfang jene merkwürdigen „Verbote unterderhand" befolgt worden sind oder wie weit überhaupt die akademische Prostitution hier gegangen ist, so stößt man wieder auf die bekannte Schranke der Lükkenhaftigkeit der Überlieferung; eine Gesamtaufstellung ist seinerzeit nicht angelegt worden oder aber nicht erhalten geblieben. Jedenfalls nicht für die interessanteren frühen Jahre. Für die Zeit von 1938 bis 1944 hingegen existiert noch 188 eine Aufstellung des Reichserziehungsministeriums über die von den deutschen Hochschulen 189 kreierten Ehrendoktoren: TH andere Universitäten insgesamt 1938 4 1 7 12 4 1939 3 7 1940 1 1 7 9 1941 9 6 1 16 1942 2 3 5 1943 190 6 22 3 31 1944 10 2 12 23 der insgesamt 92 waren Professoren (darunter Gottl-Ottlilienfeld, Zwiedineck-Südenhorst, Theodor Mayer, Bier, Holtzmann und Chroust) und zwei (Krauch und Tank) Titular-Professoren, die anderen meist Wirtschaftsführer, einige höhere Beamte (Todt und Staatssekretär Kleinmann die ranghöchsten) oder Offiziere (Udet der ranghöchste); akademische Exoten: der Forscher Wilhelm Filchner und der Dichter Wilhelm v. Scholz. Diese Liste ist, als Kontrollinstrument benutzt, beruhigend, zeigt sie doch in diesem einen Fall (und Optimismus läßt das auf andere Teilgebiete und Zeiträume übertragen), daß von den hier zur Sprache kommenden Vorgängen nur ein einziger (Todt) nicht auch in der übrigen Überlieferung dokumentiert ist. Sehen wir uns die nun an. Noch vor dem Hess-Verbot vom 5. Mai 1933 ist, wohl am 20. April, der westfälische Gauleiter Josef Wagner gerade noch durchgerutscht als Dr. h.c. der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät in Münster 191 . Das wegen der Begründung nachfragende Berliner Kultusministerium erhielt ausschließlich Politisches geboten: Der Gauleiter habe das Ruhrgebiet „dem Kommunismus abgerungen" und in die „staatliche Neuordnung" übergeleitet. Wenn Wagner, was zu vermuten ist, Anlaß war für die Aktion vom 5. Mai, so hat der bayerische Kultusminister Schemm offenbar die Erweiterung auf die 2. Klasse vom November ausgelöst: Am 4. November hatte in Erlangen Zahnmediziner Johannes Reinmöller bei der Rektoratsübernahme die Ernennung Schemms zum Ehrenbürger der Universität verkündet 192 - „wegen seiner hervorragenden Verdienste um das Universitätswesen". Die folgenden Jahre verliefen unter dem frischen Eindruck der die Hochschulen deklassierenden Parteiverbote eher ruhig, Ehrungen gab es vorerst nur im weiteren Umkreis der NSDAP. 1934 etwa - im Jahr, in dem die Technischen Hochschulen, wie Hannover der Mitwelt anzeigte 193 , in Hindenburg „ihren größten Ehrendoktor" verloren 194 55

erhielt im März in Paul Krannhals ein der NSDAP nahestehender todkranker „Denker, der die neue Zielrichtung des Lebens früh und klar erkannt" hatte, und „ein Deutscher, der unserem Volke seine hohe Aufgabe an der Zeitenwende wies", auf Anregung des Philosophen Jaensch und sieben weiterer Kollegen (Neophyt Wilhelm Mommsen darunter) den Ehrendoktor der Marburger Philosophischen Fakultät195, und im November sammelte der sattsam bekannte völkische Verleger Julius Friedrich Lehmann in München den der dortigen Mediziner und den der Tübinger Naturwissenschaftler ein196. In Tübingen stammte die Anregung von dem Namensvetter im biologischen Ordinariat, geehrt wurde der Verleger Günthers und Schemanns als „richtungsgebend" bei der „naturwissenschaftlichen Grundlegung des völkischen Staates" und weil er die „Vererbungsforschung als biologische Notwendigkeit erkannt und zum Siege geführt" hatte. Auf eine Kritik des Jenaer Botanikers Otto Renner, solange Feickerts Wort, nicht einmal der einfachste Arbeiter nehme den Ehrendoktor einer deutschen Hochschule an, noch im Räume stehe, müsse eigentlich das Ehrgefühl jede Ehrenpromotion verbieten197, antworteten die Tübinger mit der Feststellung, so der „Sache der Universitäten besser gedient" zu haben als „durch schmollendes Beiseitestehen", und verwiesen stolz auf die erhaltene Zustimmung der Reichsleitung der NSDAP. 1935 meldete sich wieder einmal jemand mit der Auffassung, daß die deutschen Universitäten „aus der jüdisch-marxistischen Zeit allerhand wiedergutzumachen" hätten. Es war dies eine „Volksdeutsche Gemeinschaft" in Göttingen, dort 1891 von dem „bekannten völkischen Vorkämpfer Volkswirt Nüse" gegründet - Leute, die natürlich im „Blüting" und im „Neblung" schrieben, als sie in Freiburg für ihren noch immer lebenden und wirkenden Karl Nüse, das heißt also für sich selbst, und für Adolf Bartels einen Ehrendoktor reklamierten198. Sie wurden nach Jena und Göttingen weiterverwiesen und haben Bartels' wegen in Jena angeklopft, für ihren Nüse aber auf Freiburg bestanden, wo sich dann die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät ernsthaft und ausführlich mit Nüses Verdiensten auseinandergesetzt und die schließliche Ablehnung damit begründet hat, es lägen doch „starke Gegensätze zu der Wirtschaftspolitik der Regierung" vor. Heidelberg hingegen konnte im Dezember einen richtigen und - wenn er auch erst später die höheren politischen Weihen erhalten hat - schon halbwegs prominenten Nationalsozialisten einfangen, seinen langjährigen Studentenführer Gustav Adolf Scheel. Die Würde eines Ehrensenators erschien Rektor Groh, und das Reichserziehungsministerium stimmte ihm bei, als angemessener Ausdruck des Dankes199. Gehörte Scheel wenigstens zum Hochschulbetrieb, so hatte der nächste Anwärter als Parteigenosse ganz besonderer Art Anspruch auf eine Ausnahmebehandlung. 1936 nämlich wurde der hochwürdigste Mitkämpfer Adolf Hitlers und Abt im Ruhestand Albanus Schachleiter zum Ehrendoktor der Universität München ernannt200. Daß sich dessen jetzt in der Reichskanzlei residierender alter Freund nur noch flüchtig und ohne allzu große Begeisterung an seinen katholischen Steigbügelhalter erinnerte, war im akademischen München entweder nicht bekannt oder aber wurde übersehen, weil es näher heran an Hitler nun mal nicht ging. Auch die beabsichtigte Ehrenpromotion des Kirchenrats und im Vorjahre frischgebackenen Volkskunde-Professors Eugen Mattiat201, der Unter den Linden über die Personalia der Theologen (und anderer) herrschte, durch die Marburger Theologische Fakultät zielte nicht gerade in das Herz des Regimes; im übrigen hat das Ministerium seine Zustimmung verweigert - ob wirklich grundsätzlich wegen der noch ausstehenden allgemeinen Reform des Ehrungswesens oder aber etwas peinlich berührt, bleibe dahingestellt. 56

Im selben Jahr begann das Rennen um die Pfahlbauten von Unteruhldingen am und im Bodensee. Am Start, wie damals bei allen prähistorischen Angelegenheiten: der Reichsführer SS, vertreten durch sein „Ahnenerbe", und das Amt Rosenberg, vertreten durch den Reichsbund für deutsche Vorgeschichte unter Professor Hans Reinerth. Das Objekt der Bemühungen: Bürgermeister und Bauer Georg Sulger, mit seinem „Verein für Pfahlbau- und Heimatkunde" seit Jahrzehnten verdienstvoll mit dem Aufbau des Pfahlbaudorfes beschäftigt. Und womit beide Konkurrenten den Bauern Sulger zu ködern hofften: ein Ehrendoktorat. Reinerth und Wolfgang Schultz202 bearbeiteten die Münchener Philosophische Fakultät, welche die Anregung zwar eingehend geprüft hat, sich zu einem einheitlichen Votum für Rust aber nicht durchringen konnte, weil eine selbständige wissenschaftliche Veröffentlichung Sulgers weit und breit nicht auszumachen war203. Damals, Ende August 1936, hat auch schon Walther Wüst, einer der wichtigsten SS-Lobbyisten im Hochschulraum, mit seinem Reichsführer ein erstes Mal über eine solche Möglichkeit gesprochen. Es dürfte dies von Himmler ausgegangen sein, den das Ahnenerbe überzeugt hatte, daß Sulger eine Ehrenpromotion wohl verdient habe204, und der im Mai 1937 nochmals an Wüst herantreten ließ, ob er nicht den Ehrendoktor für den Bauern veranlassen könne. Mit der Übernahme der Pfahlbauten durch das Ahnenerbe sollte die Ehrung verbunden werden, damit sie nicht am Ende gar Reinerths Bemühungen zugeschrieben würde. Wüst jedoch mußte unter Hinweis auf das Scheitern bereits des Amtes Rosenberg abwinken, und nachdem am 1. Februar 1938 Sulgers Pfahlbauten nicht in das Ahnenerbe, sondern in Reinerths hier siegreichen Reichsbund übergeführt worden waren, ist der Fall für die SS „nicht mehr akut" gewesen205. Ende 1937 also hatte die Parteileitung, vermutlich von beiden Seiten unter Beschuß, nachgegeben, und 1938 schien damit die Zeit politisch motivierter Ehrungen wieder gekommen zu sein. Aber schon die Ehrenpromotion von Bernhard Köhler, von der Kölner Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät im Januar angemeldet204, mußte ausfallen: Dem Leiter der Kommission für Wirtschaftspolitik in der NSDAP-Reichsleitung war die Annahme „auf Grund von Parteibestimmungen nicht möglich", - trotz der wieder umgeschlagenen Windrichtung merkwürdig, da Köhler ja seit November 1933 (ab Winter 1936 allerdings beurlaubt) einen Lehrauftrag für „nationalsozialistische Arbeitsund Gesellschaftspolitik" wahrnahm und sich „hervorragende eigene wissenschaftliche Leistungen" eigentlich hätten finden lassen müssen. Aus dem Jahr 1938 sind (neben der Ehrendoktorierung Todts durch die T H München207) nur Vorbereitungen bekannt, die dann 1939 zu einer Reihe schöner Erfolge für deutsche Hochschulen geführt haben, als der Dichter und ReichsschrifttumskammerPräsident Hans Friedrich Blunck Ehrenmitglied der Hansischen Universität208 und Reichsinnenminister Frick Ehrensenator der Universität Freiburg wurde 209 , den - auch buchstäblich - dicksten Fisch aber die Technische Hochschule in Braunschweig an Land zog, als sich Hermann Göring herabließ, aus Anlaß der Eröffnung der Luftfahrt-Abteilung der Hochschule die Würde eines Ehrensenators entgegenzunehmen210. Die Braunschweiger haben sich freilich auch nicht lumpen lassen. Göring mußte man schon etwas bieten, und die Zeiten, wo man sich um 89 Mark für eine Hindenburg-Büste gestritten hatte, waren glücklich vorbei, so popelig ging es an Deutschlands Hohen Schulen nicht mehr zu. 10 000 RM hatte der Kölner Künstler mit Professortitel K. B. Berthold für die Göringsche Ehrensenator-Kette in der Ausführung 18 Karat Gold mit auf Gold emaillierten Wappen unter Bleikristall, ovalem Reif und Hakenkreuz mit Brillanten „ausgefaßt" haben wollen, was man auf 6500 RM drücken konnte dadurch, daß Minister57

Präsident Klagges die Brillanten stiftete, - woher er sie gehabt haben mag, fragt man wohl besser nicht. Natürlich brauchte ein solches Kunstwerk seine Zeit, und als Anfang 1940 Klagges' Adjutant die Kette in Köln abholen und Klagges sie Göring zum Geburtstag am 13. Januar nachträglich überreichen konnte, war im Bereich Wissenschaft schon Gericht gehalten worden. Unter den Linden nämlich war man verschnupft, weil die vereinigten Braunschweiger, Ministerpräsident wie Technische Hochschule, eine vorherige Information oder gar die Genehmigung des Ministeriums für entbehrlich gehalten hatten, darüber hinaus aber auch, weil bei solcher Praxis eines Tages ein Einspruch des Stabes Hess unvermeidlich war, gegen dessen Einschaltung auf diesem Gebiet große Bedenken bestanden, wollte man nicht bei allen Hochschulen „ähnliche Zustände wie in Halle" haben (das damals, davon später, weitgehend zu einer Art Modell-Universität der Partei unter der Federführung des Amtes Rosenberg denaturiert war). Und die Kollegen Rektoren andererseits waren nicht ohne Neid, insbesondere der in Karlsruhe, der empörte Briefe an das Berliner Ministerium richtete: Wo solle das hinführen ..., wenn das alle machen würden ..., schließlich seien „die führenden Männer des Dritten Reiches gewiß mehrfach würdig". Das Unwetter entlud sich über den armen Braunschweigern auf der Rektorenkonferenz am 7. und 8. März 1939211, als Magnifizenz Weigel die Frage vortrug, ob es nicht Zeit sei, für die Ernennung von Ehrensenatoren reichseinheitliche Richtlinien zu erlassen: Fast zur gleichen Zeit, als Braunschweig Göring ernannte, habe Stuttgart einem Schreinermeister wegen geschenkter Holzmodelle die gleiche Würde verliehen. Und wie könne man jetzt noch Leute für Geldspenden mit dem Ehrensenator auszeichnen, ohne dem Ehrensenator Göring, der dieser Würde ein so ganz besonderes Gewicht verliehen habe, auf die Füße zu treten? So weit Weigel. Und die Kollegen hieben in dieselbe Kerbe, sprachen von Takt und dergleichen. Gerstenberg, der Braunschweiger, konterte: Nach Braunschweiger Begriffen sei der Ehrensenator „eine sehr hohe akademische Würde", in Braunschweig jedenfalls sei es ausgeschlossen, daß jemals ein Schreiner für Holzmodelle Ehrensenator würde. Nun wiederum war Stuttgart gefordert - und böse. Rektor Schöll verteidigte seinen Willy Gottwik: Schließlich lebe man im Dritten Reich, wo die Würdigkeit eines Schreinermeisters nicht unter der (er hat wohlweislich nicht gesagt „Görings", sondern) eines Kommerzienrats stehe (den es ofenfrisch als „Kommerzialrat" freilich nur noch bei den Brüdern in Österreich gab). Und die Ministerialvertreter meinten säuerlich, bisher sei immer angefragt worden bei ihnen, und jedesmal, mit der einzigen Ausnahme Todt 212 , habe der Führer die akademische Ehrung der betreffenden führenden Persönlichkeit, sei es der Partei, sei es des Staates, auch einmal Görings und des Ehrendoktors für einen Reichsminister, abgelehnt - nur „Braunschweig" sei „erst nachher bekannt" geworden. In seinen Brandbriefen an das Ministerium Ende 1938/Anfang 1939 hatte Weigel für den Fall einer Sanktionierung des braunschweigischen Vorgehens Karlsruher Ehrensenatoren-Anträge für Todt, Ley und seinen Gauleiter Robert Wagner angedroht. Wie erinnerlich, hat dann aber Bormann im Juni 1939 die Voraussetzungen für den Ehrensenator verschärft. Beinahe hätte das schon die erwähnte Ehrung Fricks betroffen, die von langer Hand vorbereitet worden war. Unter Vermittlung des Freiburger Oberbürgermeisters hatte man eine „nähere persönliche Verbindung" herzustellen versucht, eine Abordnung der Universität war bei Frick aufgekreuzt, und Rektor Otto Mangold selbst hatte am 9. März 1939 bei einer ihm „gewährten Vorsprache" mit „großer Freude das lebhafte Interesse" des Innenministers an der deutschen Wissenschaft im allgemeinen und an der 58

Universität Freiburg im besonderen festgestellt. Der Senat hatte das gern gehört, so daß Mangold Frick am 8. Mai den „in Ehrerbietung" gefaßten Beschluß mitteilen konnte, ihm „in dankbarer Anerkennung Ihrer Förderung der Wissenschaft die Würde eines Ehrensenators anzutragen". Wie im Falle Göring war natürlich auch das genau die Wunde, auf welche die Nationalsozialisten zur Weimarer Zeit ständig eingeschlagen hatten und die Bormann und sein Stab Hess unter allen Umständen vermieden sehen wollten. Als die StdF-Anordnung vom 16. Juni 1939 in Baden bekannt wurde, erkundigte sich die Gauleitung, zur Beantragung einer Ausnahmebewilligung entschlossen, in Freiburg nach dem Stand der Angelegenheit Frick und war erfreut zu hören, daß der Minister umgehend mit einem Schreiben vom 12. Mai die Würde angenommen hatte, die Sache also schon abgeschlossen war („bereits verliehene Titel", so hatte es in der Anordnung vom 16. Juni geheißen, „bleiben von dieser Entscheidung unberührt"). Die Urkunde wurde auf den 12. Mai 1939 datiert und darin dem „alten Kampfgefährten unseres Führers" für seine „unbeirrbareTreue in hellen und düsteren Tagen", aber auch für die „unübersehbare Fülle" von Anregungen durch seine „schöpferische und richtungsweisende Arbeit" der nationalsozialistischen Albert-Ludwigs-Universität „verehrungsvoller und tiefempfundener Dank" ausgedrückt. Wegen Terminschwierigkeiten ist sie freilich erst am 7. März 1940 zusammen mit den „Insignien" in einem „akademischen Festakt" („alle Gebäude der Universität flaggen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang") „im traditionellen Gewände", wie Magnifizenz Mangold sagte, „aber beseelt vom Geiste des Nationalsozialismus" dem Geehrten überreicht worden, der sich (aus freien Stücken!!) mit einem - von der „ehrerbietigsten" und „stolzen" Universität dann gedruckten - Vortrag 213 sowie mit mehreren „Kisten" bedankte, denen Rektor Mangold („Sie hätten mir keine größere Freude machen können"), Prorektor Maunz sowie leitende Herren der von Frick besichtigten Chirurgischen Klinik Bilder des Ministers entnehmen durften - „Bieberbild mit Silberrahmen" und Widmung für die erste, „Bild B mit Unterschrift in Holzrahmen" für die zweite Garnitur. Die im Juni dann erscheinende Publikation des Festaktes (daß darin dem „historischen Ablauf" gemäß Verleihungsansprache und Urkundenteil seinem Festvortrag vorangestellt wurden und nicht etwa folgten, hatte Frick dem Verlag bewilligt - der Universität wäre es egal gewesen) war wohl auch eine Art Kompensation für die Mangold abgeforderte publizistische Abstinenz, hatte doch am 12. Februar die badische Gauleitung darum ersucht, wegen der Verfügung des Stellvertreters des Führers vom vergangenen Juni die Verleihung der Insignien nur „in geschlossenem Kreise" vorzunehmen und in der Presse nicht erörtern zu lassen. Ebenfalls noch, und zwar genau einen Monat vor dem 6. Juni 1939, war Göring nun auch Ehrenbürger der Göttinger Universität geworden 214 , und es ist zu vermuten, daß dieses anhebende Einsammeln akademischer Würden durch „Lametta-Hermann" dazu beigetragen hat, Hitler und den Stab Hess zum neuerlichen Tritt auf die Bremse zu bewegen. Formeller Anlaß war die Eingliederung der Forstlichen Hochschule Hannoversch Münden als Forstliche Fakultät gewesen, und im Elogium ist denn auch neben den üblichen Verbeugungen gerühmt worden, daß der Geehrte „forstliches Brauchtum ehrfürchtig [Göring und ehrfürchtig!] bewahrt und beschützt" und die deutsche Forstwirtschaft „als Nationalsozialist auf das Gesetz der Lebensgemeinschaft des Waldes gestellt" habe keine „besonderen wissenschaftlichen Leistungen" freilich, wie sie künftig auch in dieser Preisklasse verlangt wurden. Ebenso weniger daran als vielmehr an dem Zusammenpakken mit Göring gescheitert ist wohl der Antrag des Göttinger Studentenführers, Walter 59

Gross, den Leiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP, gleichfalls zum Ehrenbürger zu ernennen; „vorläufig zurückstellen, vielleicht Reichsparteitag 1941" lautete ein, darin zu optimistischer, Bearbeitungsvermerk 215 . Rechtzeitig, nämlich am 20. Mai 1939 anläßlich des „Tags des deutschen Rechts", ist auch Reichsminister Hans Frank Ehrensenator in Leipzig geworden 216 und noch einen Monat früher, am 15. April „im VII. Jahr der Regierung Adolf Hitlers", Reichsorganisationsleiter Robert Ley in Karlsruhe 217 . Schon im Winter 1938/39 hatte Rektor Weigel in Berlin „vorgefühlt, ob Dr. Ley wohl für die Ehrensenator-Würde zu haben wäre". Er war es, und das Reichserziehungsministerium hatte sein Plazet gegeben. Die „schöne und geradezu erhebende Feier", hübsch „mit Musik umrahmt", mit Schwarzwälder Trachten aus dem Fundus des Badischen Staatstheaters 218 und „in Anwesenheit aller Prominenz" gedacht, hat wegen eines Bergwerksunglücks 219 kurzfristig einen Tag vorverlegt werden müssen, was dem Aufgebot an „Prominenz" etwas Abbruch tat. Sonst aber war es also doch schön. Nur das Elogium hat, weniger in der schriftlichen Form („hohe sozial-, wirtschafts- und kulturpolitische Verdienste", im besonderen um die einzigartige Aktion „Gutes Licht - gute Arbeit") als in der mündlichen, etwas Mühe gemacht, die Ausarbeitung der etwa halbstündigen Rede nämlich, in der Magnifizenz Weigel auf Wunsch seines Gauleiters Leys Werdegang und Verdienste herausstellen sollte. Hilfesuchend („So genau bin ich nun aber über Geschichte und Wirken Leys nicht unterrichtet") mußte er sich, etwas peinlich, an die Organisation seines künftigen Ehrensenators wenden. In der umgekehrten Richtung hat hoffentlich ein ähnliches Informationsdefizit vorgelegen, könnte doch sonst Leys Freude etwas gedämpft worden sein durch das Wissen, daß Weigel zur gleichen Zeit die gleiche Würde, einzeln oder im Zweierpack, in den vier badischen Handelskammerbezirken verteilt hat - für insgesamt 349 100 R M „Industriespenden" von 108 „Spendern". Es war dies das alte Problem um Göring und den Schreinermeister Gottwik - älter und sicher auch langlebiger als diese beiden: Wie können die Leute mit der Brieftasche zufriedengestellt werden, ohne die zu vergrämen, die der Chose erst Glanz und Wert verleihen. Auf den ersten Blick überrascht, daß die Universität Frankfurt noch am 1. Juli 1939, es war der Tag der Feier ihres 25jährigen Bestehens, ihren Oberbürgermeister Fritz Krebs sowie Werner Zschintzsch, den Staatssekretär im Reichserziehungsministerium, zum Ehrenbürger ernennen durfte 220 . Wie jedoch am Freiburger Fall ersichtlich ist, waren Ausnahmebewilligungen nicht aus der Welt - vor allem für Fälle, die am Stichtag schon so weit gediehen waren. Von da an war jedoch zunächst einmal Pause. In Bonn mußten sich Oberpräsident und Gauleiter Terboven sowie Landeshauptmann Heinrich Haake mit einer „Goldenen Plakette" begnügen221, und in Frankfurt 222 scheiterten zur gleichen Zeit Bemühungen, Staatssekretär Hermann Esser, Mitkämpfer Hitlers aus frühester Stunde, bei dem es indes nur zum Präsidenten des Reichsausschusses für Fremdenverkehr und obersten Tourismus-Manager des Dritten Reiches gelangt hatte, zum Ehrendoktor der Staatswissenschaften zu promovieren, an der Verfügung vom 16. Juni: An Arbeiten des designierten Ehrendoktors war nur ein Buch von 1927 aufzutreiben gewesen mit dem Titel „Die jüdische Weltpest", das als „hervorragende wissenschaftliche Leistung" zu qualifizieren sich weder der fachlich zuständige Statistiker Paul Flaskämper noch Dekan Reinhold Henzler „für zuständig" hielten. Daß Gustav Adolf Scheel, inzwischen längst Reichsstudentenführer, von der Würzburger Universität als der Bewahrerin studentischer Tradition am 20. November 1940 zum Ehrensenator ernannt und mit dem Recht ausgestattet wurde, „die Ehrensenatoren60

toga in Purpur zu tragen", war vermutlich der oder zumindest ein Anlaß der Beschwerden Grohs in der Rektorenkonferenz vom 16. Dezember, man habe sich nicht an Hitlers ausdrücklichen Wunsch vom Mai gehalten223. Denn auch bei Scheel waren wissenschaftliche Verdienste nicht zu entdecken und schon gar nicht hervorragende; als Begründung mußten lediglich seine „hohen Verdienste" um das deutsche Studententum herhalten. Daß als Anlaß die „Vollendung seines 33. Lebensjahres" gewählt und auch offiziell angegeben worden ist, möchte man gern für Ironie der Julius-Maximilians-Universität halten224. 1941. Seit November 1940 geht nun alles ganz streng zu. Den Ehrendoktor, den die Baufakultät der TH Berlin Albert Speer hatte verleihen wollen, hat der Stellvertreter des Führers abgelehnt225: Nicht einmal mehr bei sehr großen wissenschaftlichen Verdiensten - und Speer hat nur eine „nahezu bis zur Vollendung bereits fertiggestellte" Doktorarbeit vorzuweisen, die er seinerzeit wegen seines „Kampfes für die NSDAP" hatte abbrechen müssen. Rektor Storm versucht dagegen anzugehen, führt aus, was für ein „allseitig beliebter und geachteter Mann" Speer doch sei und wie schwer es ihm, Storm, falle, seinen Fakultäten die unterschiedliche Behandlung226 „klarzumachen". Die Sache ist hoffnungslos, ist doch die Ablehnung von Hitler selbst ausgegangen, der seinen Architekten huldvoll auf sein Podest emporgehoben hat: Der Name Speer habe eine Bedeutung, die eine Verstärkung durch den Ehrendoktor „weder erhalte noch ihrer bedürfe". Damit ist man also glücklich wieder bei 1933 angelangt. Und doch gibt es eine Ausnahme. Willy Messerschmitt, der berühmte Augsburger Flugzeugkonstrukteur und -bauer macht sich dafür stark: für den Ehrendoktor „einer Technischen Hochschule", der Generaloberst Ernst Udet den 45. Geburtstag am 26. April 1941 verschönen soll - auf ihn gehe die technische Überlegenheit der deutschen Luftwaffe zurück, und während des Krieges sei noch keine akademische Ehrung eines Soldaten erfolgt227. Göring ist natürlich einverstanden, Hess, so teilt Bormann Lammers am 5. März mit, unterstütze den Vorschlag „wärmstens", und Hitler hat dann „wegen überragender fachlicher Verdienste" die Verleihung des Ehrendoktortitels angeordnet (daß das von Rechts wegen eigentlich nicht möglich war, fiel damals niemand auf). Die TH Berlin wurde dazu eingeteilt, die Senatoren gaben „gern" ihre Zustimmung, dann aber meldete sich die TH München: Messerschmitts Vorschlag sei von ihr angeregt worden. Nun also nicht Berlin, sondern München. Wenige Monate später nimmt sich der neue Ehrendoktor das Leben. Mit dem bereits des öfteren bewiesenen Gemeinschaftsgefühl der Technischen Hochschulen, die sich und ihre Klientel als einen einzigen Erbhof betrachten, will nun Braunschweig „an seiner Stelle" den Generalfeldmarschall Milch zum 50. Geburtstag am 30. März 1942 ehrendoktorieren. Über Staatsminister (Justiz und Finanz) Friedrich Alpers, der zugleich als Staatssekretär De-facto-Chef von Görings Reichsforstamt ist, trägt man die Sache an den Reichsmarschall heran, der einverstanden ist, und an Lammers, der auf „gewisse Bedenken beim Führer" hinweist. Görings Flieger sind indes auch hier Sieger, Hitler ist wider Erwarten einverstanden. Lammers freut sich, das nach Braunschweig mitteilen zu können, und dort ist die Urkunde auch schon ausgefertigt, auf den 30. März, als etwas damals allem Anschein nach Einmaliges geschieht: Der Luftfahrt-Ordinarius Heinrich Koppe hört, als er telefonisch von Milchs Adjutanten Oberst Polte das Geburtstagsfestprogramm erbittet, in das sich die TH mit ihrem Ehrendoktor einreihen möchte, nicht nur, daß es keines gibt, da der Feldmarschall, wirklich ein weißer Rabe, schon längst grundsätzlich jegliche dienstliche Befeierung seiner persönlichen Gedenktage verboten habe, sondern er wird auch gefragt, 61

ob etwa gar eine akademische Ehrung geplant sei. Und als der Professor bejaht, sehen er und dieTH Braunschweig sich mit der grausamen Wahrheit konfrontiert: Der Marschall will gar nicht! Für Milch kommt so etwas nicht in Frage, nicht einmal der edle Ehrendoktor; er hat es sich „einmal in seinem Leben in den Kopf gesetzt, nicht Doktor zu werden", und will es „auch jetzt nicht", außerdem hat er diesen Titel „bereits früher von anderen Hochschulen angeboten erhalten, aber abgelehnt". Und da der Marschall nicht zu bewegen ist, muß der ganze Rummel rückgängig gemacht werden. Die nun noch folgenden Jahre bringen zum großen Teil nur eine Aufreihung heute mehr oder weniger unbekannter Namen, hier und da wird die bloße Nennung genügen. Im August 1941, „am Tage der 20ten [sie] Wiederkehr der Gründung der SA" (Rektor Weigel hatte immer den ganzen Parteikalender im Kopf oder zumindest seinen Volz zur Hand), wurde - neben einem Mann von den Reichswerken und beiden alten Studentenführern der „Kampfzeit" - Görings Persönlicher Referent, Ministerialrat SA-Brigadeführer Fritz Görnnert, Ehrenbürger in Karlsruhe228 - der erste seit der „nationalsozialistischen Volkserhebung", wie Weigel hervorhob. Schon Ende Januar jenes Jahres war in diesem 2. Rang Landesrat SA-Oberführer Hans Joachim Apffelstaedt Ehrenbürger in Bonn geworden229. Und in Heidelberg avancierten im März der Staatssekretär im Reichslandwirtschaftsministerium Fritz Landfried und im Juni Postminister Wilhelm Ohnesorge zu Ehrensenatoren230, — über Lammers hatte man Hitlers Genehmigung herbeigeführt, und beide ließ die Serenissima für 1500 RM pro Kopf von dem Karlsruher Kunstmaler Hagemann zur Verschönerung ihres Senatssaales in Ol verewigen. Im übrigen ist jetzt die Wehrwirtschaft, ihrer derzeitigen Bedeutung entsprechend, groß im Spiel. Als, ebenfalls in Heidelberg, zum September der Wirtschaftsführer Carl Krauch zur Ehrenpromotion ansteht, wird erstmalig die vorherige Genehmigung der Partei-Kanzlei eingeholt. Paul Pleiger als Ehrendoktor und Ferdinand Porsche als Ehrensenator sind Braunschweig im Juni vom Reichserziehungsministerium abgelehnt worden231, die im selben Monat in Tübingen eingeleitete Ehrenpromotion von Robert Bosch und, auf Anregung des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP und des NS-Lehrerbundes, eines Ministerialbeamten aus dem Stuttgarter Kultministerium, Friedrich Reinöhl, bei den Medizinern, des „Wüstenfuchses" Erwin Rommel und eines pensionierten lokalen Militärs, des Generals d. Inf. Ernst Kabisch, bei den Philosophen geht glatt nur bei Bosch zum 80. Geburtstag am 23. September 1941232. Glatt bei Bosch? Bei den so eindeutig mittelbare Verdienste ausschließenden Richtlinien? Nun, so glatt nicht, aber aus einem anderen Grunde. Denn hier zeigt sich die - Medizinische - Fakultät als beharrliche Wahrerin der auch „nach altem akademischen Brauch" geforderten eigenen hervorragenden wissenschaftlichen Leistungen - welche überraschende Einstellung zeigt, daß den Universitäten (noch) die Routine und sicher auch die Geldnöte der Technischen Hochschulen abgingen. Man gedachte den Beleuchtungspionier und großzügigen Mäzen (eben gerade wieder 20 000 RM für Paracelsus-Ausstellung und -Museum) mit dem Ehrensenator abzufinden, den aber lehnte Bosch ab. Unter dem Druck von Gauleiter-Reichsstatthalter Murr und Ministerpräsident Mergenthaler sowie angesichts der von ihnen herbeigeführten ausdrücklichen Aufhebung der Bestimmungen für diesen Ausnahmefall durch Amtschef Mentzel vom Reichserziehungsministerium hat die Fakultät schließlich nachgegeben, den heiklen Fall aber auch nicht vertuscht (Anerkennung vorbildlicher Förderung der Gesundheitsfrage, Verdienste um die medizinische Forschung und die Entwicklung der Heilkunde durch Schaffung großzügiger Einrichtungen). 62

Rommel, ebenfalls ohne schriftliche Spuren seines Wirkens, war schon am Rektor („so sympathisch und einer Ehrung würdig General Rommel auch nach meiner Ansicht ist") gescheitert; von den beiden anderen, deren Namen in den Autorenkatalogen der Bibliotheken wenigstens erschienen (von dem vielseitigen General stammten nicht nur das „Volksbuch vom Weltkrieg" und weitere - „nicht alle gleichwertige" - Weltkriegsprosa, sondern auch Kompositionen wie der „Trauermarsch auf den Tod eines Heldenjünglings"), setzten die Mediziner ihren Reinöhl nach nochmaligem, einstimmigem Fakultätsbeschluß vom 9. Dezember 1943 schließlich nach über drei Jahren am 24. August 1944 durch, während Kabisch genauso wie Rommel an der Militär-Hürde gescheitert ist. Das Jahr 1942 233 wird das ganz große Feierjahr. Es sieht Speers zweiten oder (wenn man Dorsch so einordnet) dritten Mann, den Oberdienstleiter Karl-Otto Saur, als Ehrenbürger in Karlsruhe. Zwecks Verschönerung des Hochschultages im Februar hatten Rektor Weigel und sein Adlatus Mickley die Reihen der ehemaligen Schüler der Fridericiana auf potentielle Ehrungsempfänger gemustert, und eindeutig „ragte" da Stabsleiter Saur „hervor" mit seinen „Leistungen auf wehrtechnischem und wehrwirtschaftlichem Gebiet". Auch die übrigen Technischen Hochschulen sind nicht untätig gewesen. In Hannover ist im Februar der Regierungspräsident Rudolf Diels, der nach dem Kriege dann die Anfänge der nationalsozialistischen Gestapo beleuchtet (oder, wie manche meinten, verdunkelt) hat, Ehrensenator und in Darmstadt der Staatssekretär im Reichsverkehrsministerium Wilhelm Kleinmann allen Regeln zum Trotz (die Darmstädter nannten es unverschämt „Verdienste auf dem Gebiete der Eisenbahnwissenschaften [man beachte den Plural!], insbesondere um die wissenschaftliche Durchdringung der Eisenbahnpraxis . . . " ) sogar Ehrendoktor geworden. Es herrschten damals eben etwas sonderbare Verhältnisse. Die Stuttgarter, die dem „Generalbevollmächtigten für das Kraftfahrwesen", einem Generalmajor v. Schell, die gleiche Ehrung zugedacht hatten, haben wohl zuviel gefragt. Vom Reichserziehungsministerium ist die Sache Lammers vorgelegt worden - mit dem Ergebnis, daß Hitler wieder einmal die Voraussetzung der „ganz besonderen fachlichen Leistungen" gefordert hat. Weil er nämlich, dies eine vertrauliche Zusatzinformation Bormanns nur für Lammers, „die Leistungen des Herrn Generalmajor v. Schell nicht als überragend" ansah (den Ehrendoktor für Milch, das wurde schon erwähnt, genehmigte er zur gleichen Zeit, obwohl auch die Braunschweiger bekennen mußten, daß hier nicht die „Pionierarbeit eines Wissenschaftlers" vorlag, sondern nur eine „technisch-wissenschaftliche Tat" von allerdings „überragender Bedeutung"). Gar nicht erst bis in die Reichskanzlei gelangt ist die Karlsruher Absicht, dem Staatssekretär (und seit kurzem geschäftsführenden Reichsernährungsminister) Herbert Backe mit dem Ehrendoktor zu danken. Das übliche Blabla hatte der Kollege und Kältetechniker Rudolph Plank geliefert, war doch der eigentliche Grund der vorgesehenen Ehrung, daß Backe soeben die Karlsruher Kältetechnik durch Verlegung eines Instituts für Lebensmittelfrischerhaltung nach dort unterstützt hatte. Unter den Linden war man nicht der Ansicht, daß dies nun „sogleich durch Ernennung zum Dr.-Ing. e.h. belohnt werden" müsse, „besondere technische Leistungen des Herrn Backe" waren dort „nicht bekannt geworden". Die Universitäten 234 konnten oder wollten auch 1942 mit diesem Tempo kaum Schritt halten. Außer Heidelberg. Die Ruperto Carola hat für „bedeutende Erfolge in der Neugestaltung der badischen Hochschulen in nationalsozialistischem Geiste" im Juli aus der Ministerialbürokratie 235 den Kollegen Eugen Fehrle zum Ehrendoktor und den Ministerialrat Grüninger zum Ehrenbürger ernannt - und im Monat zuvor bereits zwei Ehren63

Senatoren kreiert. Der alte Lenard war am 8. Juni achtzig geworden, was die RuprechtKarls-Universität zu einer gewaltigen Feierstunde in ihrer Aula (ein „machtvolles Bekenntnis der deutschen Wissenschaft zum Nationalsozialismus schlechthin") inspiriert hatte236. Die Festrede hatte ein Lenard-Schüler gehalten, Reichspostminister Wilhelm Ohnesorge, und da der Postchef am gleichen Tage seinen 70. Geburtstag beging, war es für die Universität „fast unerläßlich", ihm (Ehrendoktor aus Weimars Zeiten war er bereits) den Ehrensenator gleich mit zu geben. Hitler hatte der Ehrung des Mannes, dessen schöne Sondermarken seine schwarzen Kunst-Kassen so erfreulich füllten, gern zugestimmt, „seinen alten Mitkämpfer besonders grüßen" und ihm sein Bild mit Widmung überreichen lassen. Richard Wagners „Verachtet mir die Meister nicht" und „Ehrt Eure deutschen Meister" hat die Presse als besonders „feinsinniger" Abschluß der „einzigartigen" Ehrung des „greisen, weißhaarigen, unerschrockenen Vorkämpfers deutscher Wissenschaft" und des obersten Postlers tief beeindruckt. Ein Mißklang allerdings: Ausgerechnet der Völkische Beobachter war nicht vertreten gewesen und hatte sich „aus dritter Hand" einen Bericht besorgt, unter dessen vielen Fehlern am Neckar besonders schmerzte, daß die „zentrale Feier" in Heidelberg lediglich als kurzer Anhang der Schilderung einer Ehrung in Karlsruhe beigefügt war, wo Lenard nie gelehrt oder gearbeitet hatte. Heidelberg hat dann noch im Herbst, von Hitlers Entscheidung im Jahr zuvor offenbar nicht informiert oder in der Hoffnung, sie auf diese Weise aushebeln zu können, auf dem etwas ungewöhnlichen Weg über die - Heidelberger - Eltern sondiert, ob nicht auch Speer, an sich wie Milch „solchen Ehrungen ablehnend" gegenüberstehend, gewonnen werden könne; selbstverständlich schien in diesem Falle nur ein Ehrendoktorat angemessen, vorerst jedenfalls. Als diese Fühler von der Neckarmündung her ausgestreckt wurden, hatte die Universität Breslau gerade einen Dämpfer erhalten. Zu seinem 80. Geburtstag am 15. November hatte sie den Dichter Gerhart Hauptmann zum Honorarprofessor ernennen wollen, war indes vom Ministerium auf den Ehrensenator verwiesen worden (Ehrendoktor war der 1933 zunächst kühlgestellte, inzwischen aber wieder hochgeehrte ehemalige „Gewerkschafts-Goethe" schon in Prag [1921] und Columbia, New York [1932]). Halle und Köln hatten mit der Ehrendoktorierung von zwei Film-Generaldirektoren ebenfalls Schiffbruch erlitten: Der Dr. h.c. von Ludwig Klitzsch, Oberster des ScherlVerlags und der Ufa, war vom hallischen Gauleiterstellvertreter, der von Paul Lehmann, seinem Pendant bei der Tobis, von Gauleiter Grohe in Köln verhindert worden; die Ehrenpromotionen mußten storniert werden. Zwei Frankfurter Ehrenbürger hingegen waren reibungslos ernannt worden: Im Juli, als dort das Postinstitut errichtet worden war, der Präsident der Oberpostdirektion Paul Lohmeyer und zwei Monate zuvor Staatsrat Walther Schieber als „kommender Mann auf dem Gebiete der Chemie". Schieber von der Thüringischen Zellwolle in Schwarza war, gerade eben Chef des Rüstungslieferungsamtes geworden, einer der führenden Leute in der vormals Todtschen, jetzt Speerschen Rüstungsverwaltung. Der Rest ist wirklich einer; die seit Jahresbeginn 1943 nun auch für (fast) jeden erkenntlich aufziehenden Wolken und die immer länger werdenden Schatten scheinen den Hochschulen den Spaß an ihrem Geschäft mit der Eitelkeit etwas verleidet zu haben. Oder auch: Das zu entrichtende Entree war jetzt absehbar ein Nonvaleur. In Heidelberg237 sind inzwischen die Speer-Sondierungen offenbar nicht recht vorangekommen, denn im Winter, vor dem 80. Geburtstag des alten Herrn am 6. Mai 1943, legt sich Magnifizenz 64

Schmitthenner erneut ins Zeug und bietet der Familie Speer nunmehr ein Paket an: den Ehrendoktor der Naturwissenschaftlich-Mathematischen Fakultät für den „Herrn Sohn", dem der Führer ja „die Neugestaltung unserer Heimatstadt als hohe Friedensaufgabe übertragen" habe, und den Ehrenbürger für beide Eltern, weil sie diesen „Herrn Sohn durch seelisches Erbe und geistige Formung zu dem werden ließen, was er heute ist". Als dann diese (hoffentlich) einmalige Familienehrung über die Bühne geht und Albert senior am 6. Mai 1943, Wilhelmine am 19. Februar 1944 ihre Würde erhalten, wird das freilich so kraß nicht mehr ausgedrückt, sondern in „reges Interesse und stete Förderung" beziehungsweise, in der Damenausführung, in „feinsinniges und gütiges Interesse und stete Tatbereitschaft für die geistige Neugestaltung unserer Hochschule" sublimiert. Der „Herr Sohn", der sich wohl noch erinnerte, was Hitler zwei Jahre zuvor über den „Namen Speer" gesagt hatte, hat sich freilich trotzdem der Umarmung entziehen können. Was ganz praktisch war, hat es doch wenig später die Entziehung erspart. Sonst liegt aus diesem Jahr 1943 nichts vor. 194 4 238 im Februar hat dann die T H München, neben einem Siemens (ein [Kühl-]Linde und vier weitere Wirtschaftsführer wurden Ehrenbürger), dem Kommandierenden General im Luftgau VII, General d. Flakart. Emil Zenetti, und dem Direktor der Isarwerke Franz Langlotz, auch Reichsstatthalter General Franz Ritter v. Epp die Würde eines Ehrensenators verliehen - eigentlich recht spät und nun ja nur noch auf kurze Zeit. Und im Juli bat Kiel um die Genehmigung der Ehrenpromotion des preußischen Finanzministers Johannes Popitz - ein denkbar ungeeigneter Zeitpunkt. Die Universität Kiel, so schrieb Rektor Andreas Predöhl, fühle sich Popitz eng verbunden, - was er wenig später vermutlich gern zurückgenommen hätte. Dazu eine etwas eigenartige Begründung für die beabsichtigte Bemühung der Philosophischen Fakultät (es war dies längst schon nur noch ein Verteilungsproblem): Zwar würde eine Ehrung durch die Staatswissenschaftler näherliegen, zwecks „noch besserer Würdigung" der „weitreichenden wissenschaftlichen Wirksamkeit und umfassenden Gelehrtenpersönlichkeit" Popitz' habe man sich jedoch für den Dr. phil. h.c. entschieden. Offenbar war der Gemischtwarenladen, zu dem sich die einstige Königin oder doch Vizekönigin der Wissenschaften entwickelt hatte, für derlei zuständig. Ein-hier-letzter Gruß der „braunen Universität" kommt aus Göttingen, wo man, im noch relativ friedensmäßigen Herzen des Reiches, zumindest das Tempo, wenn nicht gar die Richtung der Entwicklung wohl noch nicht so recht mitbekommen hat: General d. Inf. Friedrich Hoßbach soll Ehrenbürger werden. Die Sache geht - rundum bricht die Welt zusammen - tatsächlich an Hitler, und nun läuft das Ringelspiel denn also noch einmal ab: Tapferkeit vor dem Feind und besondere Verdienste in der Truppenführung werden durch Orden und Beförderungen anerkannt, sind jedoch kein Anlaß für die Verleihung des Ehrenbürgerrechts einer Universität. Hitler fällt diese Entscheidung in den letzten Novembertagen, Dringenderes gab es offenbar nicht zu erledigen. Nach 1945 mußten dann die meisten dieser Ehrungen wieder aberkannt werden - eigentlich schade, wenn man bedenkt, welche Mühe es den deutschen Hochschulen bereitet hat, sie genehmigt zu bekommen, und manchmal sogar, sie an den Mann zu bringen. Dabei hat hier ja nur ein Teil gezeigt werden können, wenn auch vermutlich der bei weitem größere. Trotzdem sind Lücken zweifellos vorhanden (und nicht nur dort, wo Wünsche nicht bis zum formellen Vorschlag gereift sind - wie in Posen, wo Parteistellen, aber wohl nicht nur sie, für den Dichter des „Spiels von Job dem Deutschen", Kurt Eggers, den Ehrendoktor haben wollten 239 ). Die bayerische mag tatsächlich sachlich begründet und damit gar keine sein. Aber wirklich so wenig aus Ost- und Mitteldeutschland ein65

schließlich Berlins, der Reichshauptstadt? Sicher gibt es da also wiederum weiße Stellen, ein Gefälle freilich nach Süden und vielleicht auch nach Osten kann man dem Torso glauben. Und er zeigt auch - weniger bei den schärfer bewachten Ehrendoktoren, umfassend bei den drei „Ersatzdrogen" - die unvermindert stark bleibende Beteiligung der Technischen Hochschulen: Die Mitfinanzierung der kostspieligen technischen Institute und Einrichtungen durch Titelverkauf ist nahezu von Geburt an nolens volens ein wichtiges Wachstumshormon dieser Institute gewesen. Und ein wirksames dazu - nur das Privileg, Banknoten direkt drucken zu dürfen, hätte das Geld müheloser in die Kassen gebracht. Derart strukturell bedingt, war der Titelschacher (von dem hier ja nur die politische und nicht unmittelbar lukrative Eisberg-Spitze geortet worden ist) in dem von den Technischen Hochschulen betriebenen Ausmaß schon verständlich. Und immerhin zweifelhaft ist, ob sich die Universitäten wirklich fast durch die Bank so vornehm zurückgehalten haben, wie es hier den Anschein hat. Hatte nicht ihr Ministerium beinahe eine Sintflut erwartet? Sollten sie plötzlich anderen Sinnes geworden sein? Es ist das kaum anzunehmen, rationierte und kontingentierte Waren sind eigentlich überall und immer auch abgeholt worden. Lassen wir es offen, und begnügen wir uns mit den gewährten Einblicken. Zu sehen, wie der Betrieb gelaufen ist - dazu genügen sie völlig. Diese ständig wiederholten Versuche von hoher, höchster und sogar allerhöchster Stelle (wo man doch eigentlich meinen sollte, ein einziges „Führerwort", ja schon der berühmte „Führerwille" müßte genügt haben, das tat er doch sonst auch), wenigstens im Partei-, möglichst noch im Staats- und Wehrmachtbereich diese Sucht nach akademischem Behang einzudämmen, nachdem die Null-Promille-Regelung der Anfangsjahre erst unterspült und schließlich im „Abschnitt Göring" völlig zusammengebrochen war - sind sie nicht geradezu rührend? Eine dünne Stelle im sonst omnipotenten Führerstaat: Wie sehr lockten doch, von einigen wenigen Abstinenzlern abgesehen, die süßen Früchte, die mit dem akademischen Brimborium und Abrakadabra ausstaffierten Glitzerdinger für Visitenkarte, Türschild und Briefpapier aus dem bei aller vorgeblichen Verachtung noch immer lockenden Reich der Hohen Schulen (und wie haben sie zuvor gelockt, und wie locken sie heute, und wie werden sie wohl immer weiter locken)!

Wir sind zu diesem Exkurs über die von der deutschen Hochschule an die Führer des Dritten Reiches ausgeteilten Ehrungen (die sich ihrerseits, wie noch zu zeigen sein wird, mit - 1 . Klasse - „Adlerschild" und - 2. Klasse - „Goethemedaille", den übernommenen kulturellen Ersatz-Orden des ehemaligen Reichspräsidenten, aber auch mit eher lustigen Sachen wie der „Verleihung des Buches ,Mein Kampf'" 240 oder der Einladung zum Reichsparteitag als „Ehrengäste des Führers"241, seltener und vielleicht nur im Falle Lenard242 mit dem Goldenen Parteiabzeichen revanchiert haben243) verführt worden durch die Abfuhr, die sich die Stuttgarter T H bei ihrem Dr. h. c. Hitler geholt hat. Die Gerechtigkeit gebietet, nicht unerwähnt zu lassen, daß solche Pläne nicht allein in Neckarnähe - wo man nur den Kopf zu schnell und zu weit hinausgestreckt hat - gereift sind, sondern auch anderswo das Bedürfnis nach gerade diesem Ehrendoktor erblüht ist. Und nicht bloß in zumindest einer weiteren der traditionell besonders vaterländischen Technischen Hochschulen, die ja schon 1919 als Dank für den verlorenen Krieg dem Feldmarschall 66

v. Hindenburg das Unikat der gemeinsamen Ehrendoktorwürde verliehen hatten, sondern auch im Kreis der Universitäten regten sich derartige Wünsche. In Braunschweig244, wo man „Severing gutzumachen" hatte, ist es nur eine Anregung gewesen, die unter dem Stuttgarter Blitz schnell wieder ihr Leben ausgehaucht hat, bei den Juristen in Münster hingegen245 hat das Angebot bereits auf dem Tisch gelegen, und Gauleiter Wagner ist dann nur „2. Wahl" gewesen, nachdem der Fakultät die Ehrenpromotion Hitlers „nicht vergönnt gewesen war". Und vom hochherzigen Angebot aus Baden, als Nachfolger des Großherzogs rector magnificentissimus und Schirmherr der ältesten Universität des Deutschen Reiches zu werden, ist schon die Rede gewesen, - „Ablehnen!" hatte Staatssekretär Lammers verfügt, ohne Hitler weiter zu bemühen246. Man muß solche Bemühungen der Hochschule, sich im Maul des Tigers einzurichten, allerdings in ihrem Gesamtzusammenhang sehen. Die Versuche, die alte Überlieferung in Inhalt und Form zu retten, sei es auch nach dem Muster der „russischen Schlittenfahrt", bilden ja ein Hauptthema dieser Arbeit und werden uns in ihrer wesentlichen, die Inhalte betreffenden Ausformung noch sehr beschäftigen. Das Formale aber - das jedoch, wie bei den mit massiven finanziellen Interessen verbundenen akademischen Ehrungen deutlich wurde, nie rein formal ist — hat bei den 1933 keimenden Abwehrbemühungen auch seine Bedeutung gehabt. Ein sinnfälliges Symbol, an das sich die Hochschule geklammert hat und das schon bald nach der Machtergreifung den Attacken lokaler Parteiinstanzen ausgesetzt gewesen ist, war die Amtstracht - nicht erst 35 Jahre später ist es ein Anliegen von Angreifern gewesen, den Mief von 1000 (?) Jahren aus den Talaren zu klopfen. Bei den Bestrebungen der Gauleiter, Einfluß auf „ihre" Universität zu gewinnen, hat dieses Thema mit eine Rolle gespielt, und es wird dort darauf zurückzukommen sein. Als Beispiel für die aber auch internen Auseinandersetzungen mag hier Hamburg247 dienen, wo 1934 die Hauptschlacht geschlagen worden ist, nachdem die ersten Scharmützel um den Talar mit einem wunderlichen Kompromiß geendet hatten: Man opferte die Halskrause, ein von den hansischen Senatoren bei der norddeutschen protestantischen Geistlichkeit entlehntes Detail der Amtstracht der ja nun nicht gerade traditionsüberladenen hamburgischen Universität. In der Senatssitzung am 15. Oktober 1934, in der Rektor Eberhard Schmidt die beabsichtigte Beseitigung des „unnatürlichen, theaterhaften" Garderobenstückes verkündete und ein Muster des neuen „Halsabschlusses", weißer Stehumlegekragen mit schwarzem Schlips, vorführte, versuchte der äußerste rechte Flügel, vertreten durch den Keltischen Philologen Ludwig Mühlhausen und den Kriegsgeschichtler Alfred Schüz, noch eine Erstürmung der Hauptbastion. Zum feierlichen Rektorwechsel am 5. November, wo der Stehumlegekragen Premiere haben sollte, werde er, so erklärte Mühlhausen, entweder in SA-Uniform erscheinen oder überhaupt nicht. Es stehe nichts über dem Nationalsozialismus, sagte er, das aber sei bei jeder Gelegenheit zum Ausdruck zu bringen, und deshalb müsse bei dem Aufzug des Lehrkörpers durch die Uniform gezeigt werden, daß sich auch Nationalsozialisten darunter befänden. Der Rektor und die übrigen Senatoren, von Rein bis Westphal, protestierten, und der Rektor verkündete, er werde keinesfalls zulassen, daß einzelne Herren in mit ihrer Zugehörigkeit zum Lehrkörper nicht in Zusammenhang stehenden Uniformen erschienen und so dessen Einheit störten. Diese innere Einheit, sekundierte Schüz dem Kelten, bestehe überhaupt nicht; was aber bestehe, sei ein starker Unterschied in der Einsatzbereitschaft, und der Talar täusche da eine Einheitlichkeit vor, die gar nicht existiere. Nun, der Vorstoß dieser beiden war abgeschlagen worden. Vor der „gesetzlich vorgeschriebenen Amtstracht" streckten sie die Waffen, und auf dem Rückzug gaben sie die 67

förmliche Erklärung ab, sie hätten nicht etwa zum Ausdruck bringen wollen, jeder Talarträger müsse als Nicht-Nationalsozialist betrachtet werden. Die Umarbeitung der Talare wurde in Auftrag gegeben, und die Kollegen wurden um die umgehende Mitteilung ihrer „Kragenhalsweite" gebeten. Zu dieser Zeit freilich zog sich bereits das richtige Unwetter zusammen, zeigte sich doch, daß Mühlhausen & Schüz außerhalb des Senats potente Verbündete besaßen. Wie das Rektorat auf dem Talar beharrte, so die Dozentenschaft auf dem Recht zum Uniformtragen. Als der Rektor daraufhin die Uniformträger nicht auf dem Podium, sondern im Saale plazierte, blieb Dozentenschaftsführer Wilhelm Blotevogel, der hier deutlich eine „Mißachtung des nationalsozialistischen Ehrenkleides" erblickte (was er später, warum auch immer, auf eine Mißachtung ebenfalls derer ausgedehnt hat, die „für den Führer und das nationalsozialistische Deutschland ihr Leben ließen"), der Veranstaltung am 5. November fern - und der Eklat war da. Weitere Lehrkräfte, die sich mehr von der Partei als von der Universität versprachen, glänzten ebenfalls durch Abwesenheit. Und auch Dr. Heinz Lohmann, Alt-Parteigenosse von 1928 und Führer der Deutschen Dozentenschaft, hatte sein angekündigtes Erscheinen abgesagt (am selben Tage 9 Uhr abends zugestellt) und war gar nicht erst aus Berlin angereist, weil er es als alter Nationalsozialist ablehne, „auf einer Veranstaltung zu erscheinen, auf der man die Kämpfer der Bewegung offenbar nur ungern sieht" (und im Rektorat vermutete man dort, in Berlin, die Regieführung der ganzen Affäre, was Blotevogel auch bestätigt hat). Spätestens der beigefügten Drohung, die Deutsche Dozentenschaft werde dafür sorgen, daß „dem Ehrenkleid der Nationalsozialisten auch in der Hamburgischen Universität die verdiente Achtung entgegengebracht wird", konnte die neue Magnifizenz Rein den Ernst der Lage entnehmen. Unterrichtsbehörde, Reichsstatthalter und Reichserziehungsministerium wurden eingeschaltet, die Studentenschaft aber, die trotzdem mit „54 Braunhemden" neben den Talaren auf dem Podium erschienen war, entschuldigte einen solchen Lapsus zwar mit Verzögerungen auf dem Befehlsweg Berlin-Hamburg, stellte sich jedoch „restlos auf Seiten der Hamburgischen Dozentenschaft" und kündigte an, in Zukunft „bei ähnlichen Fällen" nicht mehr teilzunehmen. Den hier geführten Federkrieg, in dem unermüdlich erklärt und das Erklärte dann wieder von der anderen Seite „schärfstens mißbilligt" und „mit aller Entschiedenheit" zurückgewiesen worden ist, bis ins einzelne nachzuzeichnen verlohnt nicht. Sein Ergebnis jedenfalls: Rein konnte mit Freude und wohl auch zu Recht alles, vom Gauleiter über die SA bis zum Ministerium, an seiner Seite erblicken; auf die „dienstliche Pflicht", die gesetzlich vorgeschriebene Amtstracht zu tragen, wurde nochmals ausdrücklich hingewiesen. Und die Gegenseite nahm mit knirschenden Zähnen das Interesse von Staat und Partei an der Erhaltung des akademischen Brauchtums zur Kenntnis und räumte die zu weit vorgeschobene Stellung. Nur eines verdient vielleicht noch festgehalten zu werden. Am Berliner Kupfergraben, wo Lohmann und sein Stab amtierten, hatte man eine „protokollarische Aufzeichnung" über jene Senatssitzung vorliegen, auf der der Streit begonnen hatte. Sie war der Deutschen Dozentenschaft übermittelt worden vom Verfasser - Professor Schüz. Das war Kriegsgeschichte - praktisch angewandt. Vielleicht sind durch diese erfreuliche Entwicklung die Krausen-Verteidiger zu einem letzten Versuch ermutigt worden. Otto Lauffer, der hier schon einmal genannte LandesHistoriker, hat ihn unternommen - zugunsten „einer, wie ich glaube, zu Unrecht Verstoßenen" - einige Wochen nach der Erstaufführung des neuen „Halsabschlusses": Optisch sei dieser „unerträglich" gewesen, nur „unter größtem Ächzen und Stöhnen" seien die Kollegen damit fertig geworden, und das Publikum habe gemeint, sie „hätten ausgesehen 68

wie gerupfte Hühner", die Professoren. Sein Antrag, die alte „kostümliche Schönheit und Würde" bei nächster Gelegenheit wieder einzuführen, ist im Rektorat noch einige Zeit „wiedervorgelegt", aber nie behandelt worden. Obwohl die Lage so ungünstig gar nicht war, wie die folgenden Fingerzeige auf das Sinnen und Trachten der allerhöchsten Instanz anzudeuten scheinen. Allerdings gehörte das zu jenen Bereichen von ihm gering erscheinender Bedeutung, wo Hitler - wie insbesondere bei den meisten erheiternden Ausflüssen des völkisch-nordischen Germanenkarnevals - geneigt war, seine besseren und oft in entgegengesetzte Richtung weisenden Überzeugungen hintanzustellen und treuen und bewährten Gefolgsleuten ihre harmlosen Spielwiesen zu lassen. Wenn in einer Aufzeichnung hilfreicher Gesichtspunkte, die im Verlauf der Schlacht von Hamburg im dortigen Rektorat angefertigt worden ist, auch eine Mitteilung des Berliner Hochschulabteilungsleiters Bacher auftaucht, der Führer wünsche keine Eingriffe in das akademische Brauchtum, so scheint das auf den ersten Blick eine jener gerade in akademischen Kreisen damals gängigen Wunschvorstellungen zu sein, zumal im gleichen Atemzug dasselbe für das Brauchtum der studentischen Verbände behauptet wurde, das es ein Jahr später nur noch in der Erinnerung an „Alt-Heidelberg" gegeben hat. War es nicht verwegen, wenn im Frühjahr 1937 in einer Bonner Senatssitzung 248 die Erörterung Talar oder nicht Talar als völlig unnötig und widersinnig beiseite gewischt wurde? Man erfährt hier, daß eine einzige Hochschule seit der Machtergreifung die Talare abgelegt habe (gemeint: Jena), der Talar aber doch deutschen Ursprungs sei, die Tracht der deutschen Hochschullehrer von alters her. Mithin: „Die Talare werden weiter getragen" - und die noch keinen hatten, sind noch im November 1938 zum wiederholten Male gemahnt, zugleich aber auch die also Privilegierten von denen geschieden worden, die, wie die Lehrbeauftragten, solcher Gunst nicht teilhaftig waren. War das nicht geradezu tollkühn, diese liebevolle Pflege verstaubter Relikte einer nicht mehr allzuhoch geschätzten Zeit? Wo der Studentenwichs in die Requisitenkammer abgeräumt war, da sollte Platz sein für die Kostümierung der Professoren? Doch der war in der Tat vorhanden, weil nämlich Professoren erstens längst nicht so wichtig waren wie Studenten („Unsere Jugend"), zweitens auch längst nicht so zahlreich und drittens ihre Kostüme reiner Mummenschanz ohne jede gesellschaftliche Relevanz. Und die Bonner Senatoren vom Frühjahr 1937 sind gar nicht so verwegen, wie es scheint, denn sie wissen, wie hier der Wind weht, ist doch vierzehn Tage zuvor, am 11. Mai, in Berlin Rektorenkonferenz gewesen, und am Rhein hallt nur wider, was Staatsminister Wacker, derzeit Leiter des Amtes Wissenschaft, den erfreuten Magnifizenzen eröffnet hat 2 4 9 : Ganz im Sinne des Führers glaube er zu handeln, hat der in dieses Amt beurlaubte badische Kultusminister gesagt, wenn er die Auffassung vertrete, eine vorhandene gute Tradition auch beizubehalten. Weshalb seien denn die Engländer etwa dem Bolschewismus gegenüber so widerstandsfähig? Also. Auch unter den würdigen Talaren sei durchaus „ein treues deutsches Herz" zu schlagen imstande. Und wenige Monate nach diesem Ausflug in das Reich der Marlitt weiß man es dann genau 250 : Es ist tatsächlich im Sinne des Führers! Hat er doch die Rektoren zur Kulturtagung des Reichsparteitags 1937 eingeladen mit dem ausdrücklichen Wunsch alias Befehl, die Magnifizenzen sollten „im Ornat (Talar)" die Veranstaltung schmücken. Und 1938 wieder und 1939, wäre der Krieg nicht dazwischengekommen, auch - und immer im „Ornat", wie Rosenbergs Stabsleiter Urbanjahr für Jahr das Reichserziehungsministerium angewiesen hat 251 . Rektor Rein frohlockte. Damit war ja nun wohl „eine endgültige Klärung des langjährigen Streitpunktes" erfolgt. Meinte er jedenfalls. Unter den Linden sammelte man indes

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gern noch weitere Punkte. Als Referent Professor Groh Ende Januar 1938 Kiel besucht252 und dort nach einer Feier mit Rektor Ritterbusch, Gauleiter Lohse und Himmler zusammensitzt, läßt er sich anschließend von Ritterbusch schriftlich bestätigen, daß der Reichsführer sich da ganz unmißverständlich für das Beibehalten der Talare ausgesprochen und gemeint habe, ein Abgehen von einer solchen alten Sitte bedeute einen mangelnden Sinn für Tradition. Nun aber brechen, ohne daß bereits etwas entschieden wäre, alle Dämme 253 . In Bonn macht Rektor Schmidt auf den „Wunsch und Willen unseres Führers" sowie Rusts aufmerksam und schreibt preisgünstige Sammelbestellungen aus - der Talar pro Stück neunzig Mark, das Barett elf fuffzich. Die Mediziner, die mit ihren Bestellungen im Rückstand sind („keine Fakultät hat so wenig ..."), werden ermahnt und förmlich bedroht: Ein Auftreten in nicht der Würde des Anlasses entsprechenden Anzügen werde als Mangel an Disziplin gewertet werden. In Hamburg aber näht man Ösen. Auch das war eine Anregung Lauffers: Orden auf die Talare. Erst hat der Rektor das abgelehnt, weil es bei den meisten deutschen Universitäten nicht üblich sei. Als indes neueste Feststellungen die Majorität auf der anderen Seite ermitteln, schwenkt Rein um, und nun laufen die Osenbestellungen wie geschmiert: Sieben für den Physiker Möller, zwei Ösen für eine große Ordensschnalle (mit zehn Dekorationen) und darunter eine (?) Öse für drei Einzelorden für den Tropenmediziner Mühlens; sechsmal links oben plus Parteiabzeichen, darunter dann links E.K.-I-Ösen und „rechts unten" welche für den „Türkischen Halbmond" benötigt der Afrikanische Philologe Klingenheben, und ein besonders geschäftstüchtiger Mann stellt der Universität gleich noch die Ordensschnalle selbst in Rechnung (die damals übrigens recht preiswert um zwei Mark zu haben war). Es war wie ein großes Kostümfest. Wo es noch keine Talare gab, da führte man sie jetzt ein - wie in Gießen. Wenn aber alles so emsig beim Verkleiden war - ließ sich das nicht noch ein bißchen erweitern? Sollten nicht alle ihre Freude haben? Sämtliche Habilitierte (und nicht mehr nur die Ordinarien) sind zwar inzwischen bereits Talarträger geworden. Aber da sind doch noch die Doktoren - hat es da nicht im Mittelalter... ? 1937 veranstaltet das Reichserziehungsministerium eine Enquête: Soll man oder soll man nicht? Im Auge hat man Unter den Linden vor allem (aber nicht ausschließlich) die ausländischen Studenten und die ausländische Konkurrenz. Manche Fakultäten sind vernünftig und verneinen entschieden; insbesondere etwa das Ansehen des billigen medizinischen Doktors würde durch derartigen Mummenschanz im Ausland nur weiter gemindert. Andere wieder spielen wie die Kinder, mehrere wollen einen „Doktorring" einführen oder gar die „alte, schöne deutsche Sitte des ,Doktorhutes'". Selbst einen Rektor findet man unter dem Doktorhut, v. Arnim von d e r T H Berlin - wer hätte 1933/34 ausgerechnet bei einem SA-Gruppenführer die blaue Blume der akademischen Romantik vermutet! Im Jahr zuvor war am Rhein ein neues Problem aufgetaucht, freilich mehr peripherer Natur 254 . Der Bonner Rektor Pietrusky nämlich hatte am 2. Juli 1936 seinem Morgenblatt.entnommen, der Führer habe mit Erlaß vom 19. Juni allen „Richtern, Staatsanwälten und den sonstigen zum Tragen einer Amtstracht verpflichteten Beamten der Reichsjustizverwaltung das Hoheitsabzeichen verliehen". In weißer Seidenstickerei gehalten, sollte es künftig „zu Ehren Adolf Hitlers" die rechte Brustseite der Robe zieren. Was den Richtern recht ist, sagte sich die Bonner Magnifizenz, sei den Professoren billig, und so bat er noch am selben Tag auf dem Dienstweg über den Kurator das Reichserziehungsminsterium, „gefl. veranlassen zu wollen", daß den Universitätsprofessoren die „gleiche Auszeichnung zuerkannt" werde. 70

Die freudige Zustimmung aus Berlin ließ freilich auf sich warten. Nichts rührte sich. Nachdem nahezu ein Vierteljahr vergangen war, fragte Pietrusky bei Kurator Bachem an, wann er denn den Antrag nach Berlin weitergegeben habe. Und siehe da, dies war überhaupt noch nicht geschehen. Erstens, wie Bachem sich rechtfertigte, weil er die seit geraumer Zeit gestörten persönlichen Beziehungen zu Pietrusky durch einen neuerlichen Dissens nicht weiter habe belasten wollen, zweitens wegen eines Urlaubs, drittens habe er es bei seinem letzten Berliner Besuch schlicht vergessen und viertens schließlich, weil er angenommen habe, daß solche „naheliegenden Erwägungen selbstverständlich höheren Orts ohnehin schon angestellt worden sein dürften". Den zu befürchtenden Dissens begründete er in seiner unter Pietruskys Drohung, sich nun direkt an das Ministerium zu wenden, jetzt umgehend gefertigten acht Seiten langen Stellungnahme, die am 17. Oktober den Antrag des Rektors endlich nach Berlin begleitete, sehr ausführlich. Unklar sei nämlich der gemeinte Personenkreis. Nur die Ordinarien? Sämtliche beamteten Professoren? Alle Professoren überhaupt? Auch die Dozenten? Vielleicht dann auch die Assistenten? Aber wie man es auch drehe und wende, so zeigte Bachem, „mißlich", „unerwünscht" und „unbefriedigend" wäre jede Interpretation. Außerdem lägen die Verhältnisse an der Hochschule ganz anders als bei der Justiz - dort eine Verpflichtung zum Tragen der Amtstracht als Ausdruck von Obrigkeitsbefugnissen, hier die bloße Berechtigung, überwiegend nur ein „Schmuck bei feierlichen Anlässen". Weiter aber: Was würde wohl die Partei dazu sagen? (Und weil er das sehr genau wußte, schickte er den Vorgang gleich seinem Kreisleiter mit dem schönen Namen Weisheit - zur Stellungnahme, die er in Berlin nachreichen wolle.) Würde eine solche Maßnahme nicht dort, wo man die „politische Entwicklung der Hochschullehrer sehr genau verfolgt" habe, ziemliches Befremden auslösen? Denn wie lägen schließlich die Dinge? Werde nicht seitens der Partei einem Ordinarius die Beteiligung an einer gegen den Reichsleiter Rosenberg gerichteten anonymen Schrift zugeschrieben? Habe nicht eine „hier nicht ohne zwingenden Grund zu nennende ausgeprägt mit der Wahrnehmung staatshoheitlicher Aufgaben betraute Stelle" gegenüber mehreren Ordinarien gewisse dauernde Vorsichtsmaßnahmen ergriffen? Werde nicht einem medizinischen Ordinarius der Eintritt in die Partei verweigert? Sollten diese Leute und sollten auch die katholischen Theologen mit ihrer „mindestens sehr vorsichtigen Einstellung gegenüber der Bewegung" nun etwa deren Hoheitsabzeichen tragen dürfen? „Ästhetische" Erwägungen kämen hinzu - hier die „weit zurückliegende Tracht", da das Zeichen so „ganz anderen Stils", passe das denn zusammen? Und schließlich und endlich: Gehöre die Frage nicht zu dem größeren Fragenkomplex einer grundsätzlichen Prüfung der Beibehaltung der Amtstrachten überhaupt, hänge sie nicht vielleicht sogar mit Titelfragen und der Stellung der Hochschulverwaltung zusammen, und sei sie deshalb nicht unter Umständen gefährlich „weitschichtig" ? Diese Frage sei „noch nicht für eine Entscheidung reif", hieß es dazu in dem Bescheid aus Berlin vom 4. November. Was aber die Anregung des Rektors angehe, so sei sie geprüft worden, doch könne ihr „nicht nähergetreten" werden. Das war alles, insgesamt sieben Zeilen. Da der Vorgang nur in Bonn, aber wohl nicht mehr in Berlin nachweisbar ist, läßt sich nicht sagen, ob die Berliner Entscheidung Frucht eigener Überlegungen gewesen ist oder Ausfluß einer etwaigen Horrorvision des Stabes Hess, das durch das Blut der Märtyrer geheiligte Hakenkreuzemblem und das Symbol des von ihnen noch mit schon gebrochenem Blick herbeigesehnten Dritten Reiches ausgerechnet auf der Brust dieser erzreaktionären Professoren prangen zu sehen. Für letzteres spricht dabei nicht 71

nur die Zeit, die man sich Unter den Linden mit der Antwort gelassen hat, sondern auch der bei Rust und seiner Gefolgschaft wohl mit Recht zu vermutende Neid auf die Ausschmückung in Gürtners Bereich mit dem naheliegenden Verlangen gleichzuziehen. Die Entscheidung in der Grundsatzfrage reifte offenbar nur langsam. Durfte man so kühne Schlüsse ziehen wie am 27. April 1938 Freiburgs neuer Rektor Otto Mangold 255 ? Radikale Nationalsozialisten seien zwar Talargegner, sagte er, „sehr gute" gebe es indes auch bei dessen Befürwortern. Maßgebend könne da doch nur das „Verhalten und die Äußerungen unseres Führers" sein. Und er befragte das Orakel Adolf Hitler, sah ihn in der Potsdamer Garnisonkirche „unter den Flaggen und Fahnen alter deutscher Regimenter", hörte aus seinen Reden die „Achtung vor der Geschichte unseres Volkes" heraus - und wußte Bescheid. Also Talar; jedoch könne er sich gut vorstellen, daß eines schönen Tages nach „einer erfolgreichen Umgestaltung der Universitäten durch den Nationalsozialismus in der Universität selbst das Bedürfnis nach einer Berufskleidung entstünde, die dem neuen Geist Rechnung trägt". Ende 1938 berichtet dann der Heidelberger Rektor seinem Senat, nach seinen Informationen sei die „Talar-Frage dahin entschieden, daß der Talar bei feierlichen Anlässen zu tragen" sei, - für sämtliche Dozenten werden jetzt Talare angefertigt 256 . Aber noch Ende 1940 hängt alles in der Luft 2 5 7 . Der Rektor der Clausthaler Bergakademie wird am 4. November Unter den Linden vorstellig und hält in Sachen Talar eine „klare Stellungnahme der Reichsführung" für erwünscht. Die „Verleihung einer repräsentativen Uniform" hätten sich die Vertreter der deutschen Hochschulen als „wertvolle Glieder in der deutschen Kampfgemeinschaft" schon längst verdient, und in ihren Zivilanzügen „inmitten der gefälligen Uniformen der übrigen hohen Behördenvertreter" wirkten sie „zumindest komisch, wenn nicht gar reaktionär". Ein anderer Posteingang ist gewichtiger als der von den Höhen des Harzes. Am 13. Dezember meldet sich der Stab Hess: Man sei darauf hingewiesen worden, daß der Talar der Universitätsprofessoren „von der Bevölkerung als überlebt angesehen" werde. Auch der Stab Hess sei der Ansicht, daß „diese Tracht nicht mehr in die heutige Zeit" passe und „daher baldmöglichst abgeschafft" werden sollte - an der Universität Jena sei sie „bereits beseitigt". Wenn hierauf am 13. Februar 1941 geantwortet wurde, dieTalarfrage habe „dadurch ihre Erledigung gefunden", daß das Ministerium beabsichtige, „für die Hochschullehrer eine Uniform einzuführen", und „einleitende Schritte bereits unternommen" worden wären, so sollte das Wort „Uniform" wohl etwas begütigend wirken, ist doch in jenem Jahr vom Amt Wissenschaft bei den „künstlerischen Fachberatern von Partei- und Staatsdienststellen" eine „neue einheitliche HochschullehrerfntcAt" in Auftrag gegeben worden 258 . Das hat freilich seine Zeit gedauert (inzwischen war, zumindest bei besonderen Anlässen, das Tragen des Talars „nicht erwünscht", wie etwa die Rektoren instruiert wurden, die Ende 1941 zur Eröffnungsfeier der neuen Reichsuniversität Straßburg geladen waren 259 ). Vermutlich ist aus der neuen Kostümierung überhaupt nichts mehr geworden, jedenfalls aber war sie primär gedacht als Zubehör der „Verreichlichung" der Hochschulen und ist-daher dort mehr am Platze. Am richtigen Platze aber ist hier das traurige Ende der schönen Talare 260 . Was 1933/34 der Kriegshistoriker Schüz nicht geschafft hatte, schaffte 1945 der Krieg selbst. Dem „Volksopfer", das im Januar noch die letzten Bekleidungsstücke aus unzerbombten deutschen Schränken holen sollte, fielen auch die Talare der Professoren zum Opfer. Oder jedenfalls einige davon. Denn nicht an allen Universitäten ist das so freudig geschehen wie in Kiel, wo die Universität ihren „schmerzlichen Verlust" 72

an alter Überlieferung und würdiger Tradition als „wirkliches O p f e r " in der Lokalzeitung feiern ließ. Je neun von den 68 Talaren und 65 Baretten, darunter das Kostüm des Rektors, sind allerdings auch dort zurückbehalten worden - für alle Fälle. Würzburg hat sich ähnlich in der Presse lobend erwähnen lassen, während in Göttingen nicht allein Rechtsverhältnisse einer Ablieferung der Talare im Wege standen (sie waren hier - wie anderswo! - „persönliches Eigentum der Kollegen"), sondern ebenfalls niedersächsischnüchterne Überlegungen hinsichtlich der zu erwartenden „nicht geringen Schwierigkeiten" bei einer Wiederbeschaffung nach dem Kriege. Rektor und „Dignitas"-Autor Hans Drexler verfiel daher (wenn es um sein materielles Wohl geht, ist auch der in höchsten Sphären schwebende Professor durchaus praktisch und erfindungsreich) auf den Ausweg einer Ablieferung nur dann, wenn für die bestimmte Tuchart der Talare „ein unmittelbarer Bedarf auftritt". N u n , da konnte er lange warten - noch länger vermutlich als sein Hamburger Kollege Keeser und dessen Senat, die über den naseweisen Vorschlag des Internisten Hans Heinrich Berg, die Talare beim Volksopfer abzugeben, erst einmal berieten und dann beschlossen, zunächst beim - längst ausgebombten und hierhin und dorthin verlagerten Reichserziehungsministerium anzufragen: Die Fracks habe man doch schon abgegeben, und zumindest der Senat müsse schließlich „bei bestimmten Anlässen Amtstracht anlegen" und daher von der Abgabe der Talare wohl absehen. Das also ist geschehen am 1. Februar des Jahres 1945, und wie dieser ganze Vorgang, so läßt Keesers Vermerk 14 Tage später bei der Wiedervorlage den Verdacht keimen, Goebbels' berüchtigte Sportpalastrede könne womöglich nicht überall einwandfrei empfangen worden sein: „Mit Rücksicht auf die militärische Lage abwarten bis zum Eingang einer Antwort."

Bekenntnisse also, Fahnen, Ehrungen, Kostüme. Und Auferstehung. Die Lemuren steigen aus ihren Gräbern - und siehe da, sie leben nicht nur noch, sie wollen auch ernstgenommen werden und halten ihre Stunde für gekommen 261 . Im Universitäts-Sekretariat in Heidelberg erscheint am Nachmittag des 12. April 1933 „Herr Dr. Arnold Rüge", verlangt ein Vorlesungsverzeichnis, stellt fest, daß er „noch nicht" darinsteht, und meint: „Das kommt noch, die Zeiten haben sich jetzt geändert - sagen Sie das Magnifizenz." Und vom selben O r t aus hat sich ein anderer Sturmvogel, Philipp Lenard, bereits bei Hitler gemeldet und ihn am 21. März darauf hingewiesen, wie „sehr erneuerungsbedürftig" und in „besonders schlechtem Zustand" doch in erster Linie die Hochschulen seien - mit ihrem „Fremdgeist, engem Fach-Geist und bequemem Denken zum Vorteil der eigenen Stellung, auch Internationalismus": „Deutschland wäre nie so tief gesunken, wenn die Hochschullehrer in Ordnung gewesen wären." Wie der greise Streiter „für sogleich Hilfe" bietet, um durch „energische Einflußnahme" dem „stark verrotteten Zustand" zu steuern, davon wird später die Rede sein 262 . Gespenstisch wie diese Rufe aus dem Totenreich, dann aber wiederum auch geradezu karnevalistisch mutet so manches an, was sich in jenen Monaten nach der nationalsozialistischen Machtergreifung an den Hochschulen abgespielt hat. Verfolgen wir das große Jahr und seine Ereignisse im akademischen Raum nunmehr mit dem Kalender in der Hand. Es wird allerdings eher ein Kaleidoskop sein als ein Kalendarium, dafür hat es zu viele Hochschulen gegeben mit vielfach ähnlichen oder fast identischen Verläufen, freilich doch mit Variationen. Gleich ist überall der Rahmen: der Abschluß des Winterseme73

sters Ende Februar noch ungestört, die Märzereignisse - Wahl, Ländergleichschaltung, Ermächtigungsgesetz - in die akademischen Ferien fallend und daher des richtigen Resonanzbodens entbehrend, das ebenfalls anfangs noch die mit der Monatswende März/ April anhebende „Säuberung", dann aber Semestereröffnung, vielfach bereits auf den 20. April festgelegt, als man noch nicht daran gedacht hatte, daß hier der Reichskanzler Geburtstag haben würde. Es folgt ein wildes Vierteljahr beinahe richtiger Revolution an den Hochschulen, wo die Studenten Jakobiner spielen, ausgeprägter noch als in den übrigen Lebensbereichen, bis schließlich, als jeder Widerstand gebrochen ist und Revolutionäre nicht mehr benötigt werden, hier wie überall die Zügel scharf angezogen werden und die totalitäre (Ab-)Normalität sich installiert. Was in jenen Wochen im einzelnen vorgegangen ist, braucht hier auch deshalb nicht in extenso vorgeführt zu werden, weil die jeweiligen Hochschulhistorien das schon getan haben. Sehen wir uns aber einige davon mit dem Blick auf die Variationen an. Köln 263 ist ein Beispiel für schmerzhafte Konfrontation mit der eigenen Unzulänglichkeit. Die Stunde der Wahrheit schlägt hier relativ früh, Mitte Februar schon, und zwar im Zusammenhang mit jener schon erwähnten 264 Kundgebung nationaler Studenten, die sich von der ursprünglichen „Weihe" einer Studentenbunds-Sturmfahne zur nationalen Kundgebung für Reichskanzler Hitler gemausert hat. Die Universität zeigt sich gespalten - in ihren Reaktionen (die Vorlesungen läßt man ausfallen, gibt das aber erst unmittelbar vor Beginn bekannt; Universitätsstrom für ihre Lautsprecher überläßt man den Studenten, trifft aber auch Vorsorge, daß sich nicht etwa ein „Beamter, Assistent oder Angestellter" an den Fenstern zeigt) wie auch selbst (der Vorlesungsausfall geht im Senat nur mit 6 : 5 Stimmen durch). Natürlich macht sie es so keinem recht, alle fühlen sich verschaukelt. Während es an anderen Hochschulen sogar nahezu halkyonisch bleibt (aus Freiburg etwa ist in der Universitätsgeschichte von jenen Monaten kaum etwas zu berichten 265 , nicht einmal die Bücherverbrennung hat stattgefunden - „aus ungeklärten Ursachen", und nur der Rektorwechsel v. Möllendorff-Heidegger ließ auch am Oberrhein ahnen, daß etwas „los" war im Reich), geht es an wiederum anderen hoch her. Mit am höchsten in Braunschweig 266 , das ja in den Monaten und Wochen zuvor im Blickpunkt der Öffentlichkeit gestanden hat - und auf den Tagesordnungen hektisch aufeinanderfolgender Rektorenkonferenzen. Es hat jedoch einen vollen Monat gedauert, bis das - im Land Braunschweig schließlich längst etablierte - Regime sich stark genug fühlte, im Ende Februar in Gang gesetzten Kesseltreiben gegen das Rektorat Gassner das Halali zu blasen. Da sind sie dann zum Sturm angetreten, der nun von lästigen Koalitionsrücksichten befreite Ministerpräsident Klagges, die nationalsozialistische Presse, der Studentenbund und die anfangs noch kleine, aber wachsende nationalsozialistische Opposition in der Hochschule um den Pharmakologen Paul Horrmann. Ende März ist Gassner, nachdem er sich einige Tage beim „Stahlhelm" im AOK-Gebäude verborgen hat, bei Nacht und Nebel nach Bonn geflohen, in einer Klinik findet er dort Unterschlupf 267 . Aber der akademische Krimi geht weiter; Klagges erwirkt einen Haftbefehl, der Gastgeber daraufhin Gassners „freiwillige" Rückkehr nach Braunschweig, wo er - am 2. April - gleich auf dem Hauptbahnhof verhaftet wird. Die, ein wohl seltener Fall, im Gefängnis einsitzende Magnifizenz ist dann am 6. abgesetzt worden 268 , - Horrmann, der bisherige Outlaw, übernahm die Kette. In Braunschweig hat die studentische Avantgarde nur eine begleitende Rolle gespielt, meistens aber hat ihr Aktivismus, einer Zeit des Umsturzes angemessen, die „revolutionären Monate" beherrscht. Neben manch anderem, der das damals miterleben mußte, 74

hat Walter Goetz 269 diese wilde und sehr schwüle Atmosphäre, die sich nunmher an den Hochschulen ausbreitete, geschildert; er wird hier besonders erwähnt, weil nirgendwo sonst so deutlich wird, wie weit diese Exzesse gingen: Als er im Sommer 1933 kapituliert, Leipzig geräumt und sich in die Umgebung von München zurückgezogen hatte, ist Goetz selbst dort noch von anonymen Leipziger Briefen und Postkarten verfolgt und bedroht worden - mit durchaus aktuellen Bezügen (nach einem Fahrradunfall etwa: „Wie schade, daß Sie nicht draufgegangen sind"), die den langen Arm des Studentenbundes ahnen ließen. Die im Januar und Februar 1933 fälligen AStA-Wahlen waren unterschiedlich ausgegangen; in Heidelberg, Karlsruhe, Gießen, Tübingen und Jena hatten die nationalsozialistischen Listen Gewinne erzielt, in Rostock, Bonn, Aachen, Leipzig, Berlin (TH) und Braunschweig aber Einbußen hinnehmen müssen270 - eine besonders empfindliche, ein Viertel der Stimmen, bezeichnenderweise in Braunschweig. Dem Selbstbewußtsein der nationalsozialistischen Studenten hat auch letzteres nicht geschadet, und öffentliche Danksagungen an ihre Adresse, wie sie etwa in Karlsruhe der neue Kultusminister Wakker von sich gab271, waren ebenso wie die triumphale Rehabilitierung der „system"-verfolgten Kommilitonen Quellen weiterer Arroganz. „Kommissare", die Symbolfiguren jener Monate, die wir gleich an der Hochschule bei der Arbeit sehen werden, halfen auch hier nach, wo es nötig war. Studentenvertreter - notfalls, wie in Aachen, der gesamte AStA - oder Fachschaftsführer, die „nicht die unbedingte Gewähr für eine fruchtbare Arbeit" boten, wurden amtsenthoben; wenn eine Fachschaft, wie die Mathematisch-Physikalische von Göttingen, völlig „verjudet" und „Domäne der jüdischen Professoren" war, hat man sie auch gleich ganz aufgelöst272. Im Oktober ist es dann so weit gewesen, daß man selbst auf dem Freisinger Domberg den „Ruf vernommen" und die Studentenschaft der dortigen Philologisch-Theologischen Hochschule sich zum Dienst gemeldet hat - in der naiven Hoffnung, es werde „weder Sieger noch Besiegte" geben273. Ob die Freisinger Kommilitonen das wirklich geglaubt haben, bleibe dahingestellt, die Heidelberger Waffenstudenten jedenfalls, die sich am 19. April jubelnd zum ersten Mensurtag „auf der Hirschgasse zu Heidelberg" einfanden, nachdem „pazifistische Weichlinge" mit ihrem Mensurverbot sie lange Jahre zum Ausweichen ins hessische Neckarsteinach gezwungen hatten - die waren sich sicher: Der deutsche Geist war wieder eingekehrt, die nationale Revolution hatte dem Schikanieren der Studentenverbindungen ein Ende bereitet274. Und Weichlichkeit gab es ebenfalls nicht mehr gegenüber Kommunisten und Marxisten, die nun endlich vom Hochschulbesuch ausgeschlossen wurden. Daß das nicht ganz ohne Gegenwehr abgegangen ist, mag ein Blick zurTH München zeigen, wo der Beginn des Dritten Reiches mit heftigen Prügeleien in der Mensa am 2. und 3. Februar (die freilich so wild nun doch nicht gewesen sein werden, da sie, wie sich bei späterer Inventur herausstellte, an Verlusten lediglich 3 Suppenteller, 2 Aschenbecher, 2 Milchgläser und 1 Zahn gekostet haben) und einer Welle von Flugblättern gegen Hitler und die „reaktionäre Herrenklique" begleitet wurde275. Ernster waren die Vorgänge in Kiel 276 . Sie hatten damit begonnen, daß die - ja nicht verfaßte - nationalsozialistisch geführte Freie Kieler Studentenschaft und die NSDAPHochschulgruppe Kiel schriftlich am 4. und 5. Februar dem Rektor, dem Nationalökonomen August Skalweit (bereits im zweiten Rektoratsjahr und eigentlich als „Hort des akademischen Burgfriedens" geltend), vier Forderungen präsentierten: ihre Anerkennung als offizielle Vertretung der Kieler Studenten, das Verbot der - kommunistischen 75

Freisozialistischen Studentengruppe, die Errichtung eines Lehrstuhls für Kriegsgeschichte und Wehrpolitik und schließlich, dringend und daher nun Ausgangspunkt des Konflikts, die sofortige Aufhebung des vom Rektor wie in jedem Wahlkampf, so auch jetzt erlassenen Verbots, die Aula und vor allem die sogenannte Seeburg, eine Art Gesellschaftshaus der Universität, für studentische Veranstaltungen zu benutzen. Gegen die „faschistische Maßnahme" dieses Verbots haben übrigens jene „Freisozialisten" einen noch viel schärferen, nämlich „schärfsten Protest" eingelegt: Für sie waren „solche Zwangsmaßnahmen" ausschließlich „gegen die Organisationen der Revolutionären Arbeiter- und Studentenschaft" gerichtet, hätten doch die Nationalsozialisten, mehr an „Fackelzugrummelbegeisterung" denn an „geistiger Auseinandersetzung" interessiert, im nun ablaufenden Semester nicht eine einzige öffentliche Versammlung durchgeführt. Nun, vielleicht gedachten diese das jetzt nachzuholen, jedenfalls sprachen die Unterzeichner Schmidt (für die Freie Studentenschaft) und Frost (für die NSDAPHochschulgruppe) am 9. beim Rektor vor, nachdem dieser über ihre schriftlichen Wünsche nicht entschieden, sondern nur die Behandlung auf der nächsten Senatssitzung zugesagt hatte. Über diese Unterredung sind nachträglich verschiedene Lesarten verbreitet worden. Weht bereits durch diejenige Skalweits ungemütliche Kühle, so enthält die Darstellung, die tags darauf von seinen Gesprächspartnern einer Studentenversammlung vermittelt wurde, eine glatte Brüskierung: Die Kommilitonen seien vom Rektor im Sitzen empfangen und schon nach den ersten Worten unterbrochen und hinausgeworfen worden. Was dann in der darauffolgenden Nacht mit einem gekonnten Steinwurf durch die Doppelfenster präzise auf den Schreibtisch des Rektors begann und am folgenden Tage eskalierte, erfordert als Bilder aus dem studentischen Leben jener Tage hier keine eingehende Würdigung und lag auch in dem bis dato üblichen Rahmen - Stinkbomben, Offnen von Hydranten, Flugblätter („Ganz Deutschland lacht über Kiels Rektor!"), Demonstrationen, Protestversammlungen, Schlägereien, Einschreiten der Polizei. Skalweit wird in eine Versammlung zitiert, erscheint natürlich nicht, anderntags erblickt man ihn am Fenster seines Amtszimmers, es wird gelacht und gejohlt - „Nieder mit Skalweit und dem verjudeten Senat!" Die nationalsozialistischen Studenten senden ein Protesttelegramm nach Berlin, fordern darin Untersuchung und einen Staatskommissar und proklamieren einen zweitägigen Protest-Hörerstreik. Rektor und Senat schließen daraufhin ab Sonnabend, 11. Februar, die Universität auf zunächst drei Tage mit der Androhung der Verlängerung bis Semesterende, „sollten sich die Verstöße gegen die akademische Ordnung wiederholen". Das hätte nun freilich kaum in die politische Landschaft gepaßt, und Rektor Skalweit hat sich gehütet, sein Blatt auszureizen. Am 13. unterzeichnete er zusammen mit Schmidt, Frost und ein paar anderen Studentenführern eine gemeinsame „Erklärung", die den „Kieler Hochschulkonflikt" beilegte. Die Herren erkannten sich wechselseitig „guten Glauben" zu, die Universität verzichtete auf Maßregelungen von Konfliktbeteiligten, und die Seeburg wurde der Freien Studentenschaft für ihre Sitzungen und für „geschlossene Veranstaltungen" geöffnet - für den Rest der studentischen Forderungen, dessen Erfüllung ja nicht in ihrer Macht lag, versprachen Rektor Skalweit und Rektor designatus Scheel „sich nach Kräften einzusetzen" (daß sich der Designatus - und Nachfolger ab 6. März - in jenen Tagen mit dem tüchtigen Steinwerfer „freundlich anbiederte", obwohl er vor dem 30. Januar ein „Hauptstreiter im Kampf gegen den Hitlerismus" gewesen sei, hat Skalweit besonders erbittert277). 76

So hatte die Universität denn ihre erste Niederlage im Dritten Reich hinter sich, mochte sich Skalweit (wie in einem Dankschreiben an einen zuverlässigen Kollegen, den Theologen Hermann Mulert) auch einreden, entschlossene Haltung habe „die Studentenschaft zur Aufgabe ihrer überspannten Forderungen veranlaßt". Wer aufschrie, war das von der Freisozialistischen Studentengruppe repräsentierte akademische „revolutionäre Proletariat". Es beklagte sich, gewiß zu Recht, über Terroraktionen von nationalsozialistischen Studenten und Polizei. Als es dann sogar vor der Universitätsfreitreppe demonstrieren wollte, wurden diese „Elemente" natürlich, wie das Universitätssekretariat befriedigt beobachtete, „von der Polizei auseinander getrieben". Es hat noch die eine oder andere Hochschulschließung in jenen Monaten der „nationalen Revolution" gegeben. Die von Frankfurt freilich 278 , die einen Monat später, am 9. März, die SA vorm Universitätsgebäude aufmarschieren ließ und am Tag darauf Reichskommissar Rust veranlaßte, vom Kurator die sofortige Wiedereröffnung zu verlangen, ist gar keine gewesen, sondern nur eine Falschmeldung. So antwortete jedenfalls Kurator Riezler und erklärte das Mißverständnis als Verwechslung mit einer Ausweiskontrolle an den Universitätseingängen, die er zum Schutz der gerade gehißten und nun „oben wehenden" Fahnen angeordnet habe, nachdem Beamte „verdächtige Gestalten in Civil im Vestibül" ausgemacht hatten. Zweifellos echt hingegen waren die Schließungen von Darmstadt und Rostock Ende Mai beziehungsweise Mitte Juni. Die in Rostock 279 gründete auf einem peripheren Gebiet: Eine von der Studentenschaft einberufene Vollversammlung der evangelischen Studenten mit einer Rede Hossenfelders, des „Reichsleiters der Deutschen Christen", war von Rektor und Senat des konfessionellen Friedens wegen verboten worden. Die nationalsozialistischen Studenten hatten in ihr bewährtes Repertoire gegriffen: Vorlesungsstreik, Aufziehen von SA-Posten und „starke Patrouillen", „um jegliche Störung von vornherein zu unterbinden". Daraufhin waren, wie es in einer Agenturmeldung hieß, auf Anordnung des Rektors die Vorlesungen an der Universität eingestellt worden. Das Verbot der deutschchristlichen Werbeveranstaltung ist dann vom mecklenburgischen Ministerpräsidenten Granzow aufgehoben, über Schicksal und Dauer der Vorlesungseinstellung aber zumindest überregional nicht berichtet worden 280 . Die Darmstädter Schließung 281 hat die Presse am 31. Mai, die Wiederaufnahme des Lehrbetriebs nach „Eingreifen der Regierung" am Tage danach gemeldet. Was ist dort geschehen? Ausgangspunkt war eine „große öffentliche Schlageter-Gedächtnisfeier" des NS-Studentenbundes. Als Redner hatte man erst Magnifizenz Thum gewinnen wollen, nach dessen Abwinken ist es dann der Privatdozent Karl Lieser gewesen, Architekt und Vertrauensmann der „aktiven Nationalsozialisten", der das Wort ergriff. Und diese Gelegenheit benutzte, mit seinen Kollegen abzurechnen, die während des Kampfes um die Hochschule zum größten Teil abseits gestanden hätten. Das war ja nun nur zu wahr, wurde aber trotzdem von den Darmstädter Professoren ungern gehört. Und besonders ungern, weil Lieser vor dem 30. Januar politisch völlig unauffällig und auch nicht Parteimitglied gewesen war. So hat er denn „größte Erbitterung hervorgerufen", die Kollegen waren „schwer verletzt". Die Dozentenschaft beabsichtigte, „aufs schärfste" gegen ihn vorzugehen und ihn eventuell sogar von der Hochschule zu entfernen. Hinzu nämlich kam, daß zur gleichen Zeit durch die - gezielte? - Indiskretion eines „ältlichen Ministerialrats" („ungeheurer Vertrauensbruch") eine Denkschrift über die Abteilung für Architektur bekannt wurde, die Lieser und der Student Fraikin im Auftrage der „Nationalsozialistischen Arbeitsge77

meinschaft" der Hochschule für die Gauleitung angefertigt und in der sie mit ihrem deutlichen Urteil über politische Einstellung, Charaktereigenschaften und Fähigkeiten der einzelnen Darmstädter Architektur-Lehrer nicht hinter dem Berg gehalten und das Ganze noch mit einem Spritzer - falscher - antisemitischer Denunziation (Paul Meißner, der rheinhessische Denkmalpfleger) gewürzt hatten. „Überaltert" oder „liberalistisch und marxistisch verseucht" lauteten etwa ihre Wertungen. Wer Gelegenheit hatte, Lieser von alten Parteigenossen umringt und mit den Kameraden der Gauleitung händchenhaltend beobachten zu können, wird der Aktion seiner Kollegen wohl keine allzu großen Chancen eingeräumt haben. Zunächst freilich verlief alles recht imponierend. Rektor Thum berief am Mittag des 30. Mai für den Abend den Senat ein - auf der Tagesordnung: die Schlageterfeier und die Denkschrift. In der Sitzung wurde die allgemeine Entrüstung nur vom Vertreter der Studentenschaft nicht geteilt, die sich entschieden hinter Lieser stellte und dessen Denkschrift als „durchaus sachlich gehalten" (was die interne Charakterisierung „vernichtend" nicht ausschloß) und von „ehrlichem und überzeugtem SA-Geist durchdrungen" beurteilte. Der Senat empfand als besonders peinlich, wie Lieser hier auch den kürzlich aus Danzig berufenen Ordinarius, dem er bei der Neubesetzung unterlegen war, angegriffen hatte, entzog ihm unter Stimmenthaltung (!) der Nationalsozialisten und der beiden Studentenvertreter 282 die Venia, beauftragte den Rektor, beim Ministerium Liesers fristlose Entlassung zu beantragen - und schloß, angesichts der von der Studentenschaft eingenommenen Haltung, prophylaktisch die Hochschule mit sofortiger Wirkung. Am kommenden Tag, als die Darmstädter Kommilitonen vor geschlossenen Türen standen, war natürlich der Teufel los. Sie rotteten sich zusammen, „öffneten" und besetzten die Hochschule und stellten Posten vor die demonstrativ weit aufgerissenen Tore. Die vom Rektor zu Hilfe gerufene Polizei lehnte (von den Studenten aufgeklärt) ein Einschreiten ab. Und dann also hatte die Regierung eingegriffen - in Gestalt eines hessischen Unikums namens Staatspräsident. Der, der Studienrat und Gymnasialprofessor Ferdinand Werner, ernannte den Dipl. Ing. Otto Kopp, der vor kurzem noch Volontärassistent bei Thum gewesen, inzwischen freilich, als einer der ältesten Kämpfer Darmstadts, „kommissarischer Bürgermeister bei der Stadt Darmstadt" geworden war, zum kommissarischen Kanzler der T H und bestellte Rektor und je zwei Dozenten und Studentenführer zu sich. Das Vorgehen des Rektors wurde mit Ausnahme der Hochschulschließung gebilligt, das Liesers verurteilt (wie der Studentenbund zu wissen glaubte, waren Werner geschickt ausgewählte Teile der Lieserschen Denkschrift „vorgelesen worden" und hätten also jenen „vernichtenden Eindruck hinterlassen"). Und die Studenten wurden sanft ermahnt. RektorThum hob daraufhin die Schließung auf, und die Studentenbundsposten zogen sich vorerst zurück, erschienen allerdings am 1. Juni erneut, um nun die Schlacht um Lieser zu schlagen. Jetzt „besetzten" und schlössen nun die Studenten die Hochschule und ließen sich dies vom neuen Kanzler sanktionieren, - Flugblätter verkündeten: „Treu um Treu... Wir lassen einen Kameraden, der mit uns ... kämpft, nie im Stich." Beinahe wäre es zum Bürgerkrieg gekommen, da nunmehr Thum zu dem Studienrats-Staatspräsidenten marschierte und dieser tatsächlich die Freimachung der Hochschule durch Polizeistreitkräfte anordnete. Zwar konnten die Studenten zum freiwilligen Rückzug bewogen werden, doch nahm das Ringen seinen Fortgang und endete schließlich damit, daß der kommissarische Kanzler Kopp die Senatsentscheidung gegen Lieser aufhob, ihn wieder in alle Rechte einsetzte und ihm insbesondere die Venia wieder erteilte - was selbst zu tun der Senat dem Herrn Kopp verweigert hatte. 78

Es waren dies noch dramatische Momente, da - Gauleiter Sprenger war abwesend und konnte nirgendwo gefunden werden - einschließlich des Staatspräsidenten niemand in Darmstadt genau wußte, hatte nun der Kanzler mehr zu sagen als der Rektor oder aber stand er nur neben ihm. Die Studenten scherten sich wenig um solche Kompetenzprobleme, sondern lösten sie auf ihre Art: Sie haben für den Fall, daß sich ihre Auffassung nicht durchsetzen sollte, „einen SA-Sturm in der Nähe der Hochschule in Bereitschaft gelegt". Dessen Existenz genügte, sein Eingreifen war nicht erforderlich, Staatspräsident und Rektor beugten sich diesem Druck. Damit schien die Sache ausgestanden zu sein - und das ist sie auch gewesen, von einem Nachspiel abgesehen. Staatspräsident Werner nämlich mißfiel das Koppsche Durchgreifen, in dem er eine Anmaßung nicht erhaltener Rechte witterte. Er nahm den Fall nochmals auf und veranlaßte eine Vereinbarung, wonach Lieser „revocieren" und die Hochschule verlassen sollte - unter Weiterbezug seines Gehalts bis zum 1. Oktober. Hier nun griffen, von der anderen Seite herbeigerufen und „interessiert", höhere Mächte ein. Reichsstatthalter Sprenger, jetzt wieder parat, ordnete an, daß „die Sache ruhen solle und daß Herrn Lieser nichts geschehen dürfe". Dessen Weg zu den Höhen, auf denen wir ihn noch beobachten werden, war damit frei - und die Hochschule auch bei dieser Schließung auf der Strecke geblieben. „Der erste Abschnitt eines großen und schweren Kampfes gegen reaktionäre Kräfte", so meldete der Studentenbunds-Landesführer Hessen seinem Bundesführer Oskar Stäbel, „ist damit beendet." Immerhin: Es waren dies doch Versuche, sich zur Wehr zu setzen. Und allzu viele hat es daneben nicht gegeben. Selbst der Rückblick der anti-nationalsozialistischen Musteruniversität Freiburg 283 hat lediglich das öffentliche Eintreten der beiden ThannhauserAssistenten für ihren Chef in der Freiburger Tagespost vom 13. April 1933 anzumerken sowie einen Protest des Zivilrechtlers Hans Großmann-Doerth gegen die von Nationalsozialisten inszenierte Verhaftung eines politischen Gegners, - Rektor Heideggers Ermahnung, gefälligst Positives am Nationalsozialismus zu finden, war das einzige Ergebnis. Ein Leuchtzeichen aus Bayern: Der Senat d e r T H München hat sich mit dem Vorschlag von Rektor Richard Schachner, dem Kultusminister der abtretenden letzten Weimarer bayerischen Staatsregierung Franz Goldenberger ein Dankschreiben zu übersenden, einstimmig einverstanden erklärt 284 . Das ist dann Mitte März abgegangen - nicht flüchtig und konventionell, sondern 25 Zeilen lang und voller ehrender Superlative. Und ein Vierteljahr später hat die Hamburger Philosophische Fakultät bei der turnusgemäßen Neuwahl ihrer Vertreter im Ausschuß für Auslands- und Kolonialkunde demonstrativ Richard Salomon wiedergewählt - trotz dessen Bitte, von seiner Wiederwahl abzusehen 285 . Die Fakultät hat den jüdischen Kollegen geradezu in Pflicht genommen, ä la longue freilich war dieser einzelne Akt ebenso vergeblich wie seine wenigen Pendants. Es hätten schon sehr, sehr viel mehr sein müssen, um es die Macht wenigstens spüren zu lassen. Wie auch die 32 übrigen Kuratoren und Kanzler hätten aufmarschieren müssen, als es dem 33. an den Kragen ging. Der Universitätskurator galt wie der Archivdirektor als ein Mann, der politisch nicht unbedingt erste Wahl zu sein brauchte. Wie Valentiners Rückkehr aus dem Kultusministerium auf seinen alten Stuhl in Göttingen zeigt, konnte dieser in den regulären Weisungs- und Berichtsfluß eingebundene und kaum zu überraschenden Initiativen verführende Beamtenposten auch als eine mildere Abart Sibiriens benutzt werden, viel Porzellan war da nicht zu zerschlagen. So wie Kurt Riezler freilich sollte er denn doch nicht sein, zumal der Kurator der Frankfurter Stiftungsuniversität über einen nicht unerheblich grö79

ßeren Handlungsspielraum verfügte als seine „richtig" preußischen Kollegen. Und da er diesen Spielraum in der Vergangenheit nicht nach dem Geschmack der nationalen und nationalsozialistischen Studenten wie auch gleichgesinnter Professoren und Dozenten genutzt, Frankfurt vielmehr, wie diese ihm vorwarfen 286 , zur „roten" und total „verjudeten" Universität gemacht hatte (Dozentenschaftsführer Girndt im Dezember 1933: dessen „Personalpolitik unserer Universität den Namen ,rote Universität' brachte"), stand Riezler 1933 als einziger Kurator an der Spitze der nationalsozialistischen Proskriptionsliste seiner Hochschule 287 . Und zusammen mit ihm 288 der nichtbeamtete außerplanmäßige Professor für Mittlere und Neuere Geschichte Kurt Rheindorf, der zwar auch durch seine Lehrtätigkeit Anstoß auf der rechten Seite erregt hatte, etwa durch das Sakrileg, das angebliche Deutschlandlied auf den Lippen der Langemarck-Stürmer als Beispiel für historische Legendenbildung abzuhandeln (und in der Tat wird man bei einem Sturmangriff unter schwerstem Feuer seinen Atem vermutlich zu etwas anderem benötigen als ausgerechnet zum Singen), mehr aber noch durch seine Tätigkeit an Riezlers Seite in der akademischen Selbstverwaltung. Daß er 1928 bei den bereits erwähnten 289 Vorgängen um den Vortrag des Amerikaners Brown Scott über den Kellogg-Pakt in der Frankfurter Aula eine Rolle gespielt, insbesondere veranlaßt hatte, daß den Ruhestörern die Studentenkarten abgenommen wurden, hat die rechte Fraktion schon früh gegen ihn eingenommen und ist im Frühjahr 193 3 2 9 0 gern wieder aufgewärmt worden: Wie Rheindorf „Handlangerdienste für einen amerikanischen Hetzer" geleistet habe, als das „Geschwafel des Deutschenfressers" von „nationaldenkenden Studenten" gestört wurde. Aktueller aber war anderes. Zur Zeit der Machtergreifung war Rheindorf Vorsitzender der Extraordinarienvereinigung und Geschäftsführer der Studentenhilfe, als der er seit 1926, Mitglied und Delegierter des Senats, das gesamte Gebührenerlaß- und Stipendienwesen der Universität geleitet und ausgebaut hatte: allein nach fachlicher und menschlicher Würdigkeit sowie wirtschaftlichen Bedürfnissen, wie seine Freunde sagten, - unter Bevorzugung von Juden und Marxisten, wie seine Gegner behaupteten. Das gleiche galt für die ebenfalls von Rheindorf geleitete Akademische Außenstelle Frankfurt des beim Auswärtigen Amt ressortierenden Deutschen Akademischen Austauschdienstes, wo ihm nun unter den 216 im Sommersemester 1932 immatrikuliert gewesenen ausländischen Studierenden 98 Juden und 39 Konfessionslose (der „überwiegende Teil" vermutlich „gleichfalls Juden") als stärkste konfessionelle und 38 Polen als stärkste nationale Gruppe angekreidet wurden. Objektiv freilich konnte man Rheindorf, der 1932 für die Auflösung eines sozialistisch gefärbten Deutsch-Ausländischen Studentenclubs gesorgt hatte und auch gegen den „unerwünschten Zustrom amerikanischer Mediziner jüdischer Konfession" eingeschritten war, „rote" Tendenzen ebensowenig nachsagen wie dem Stellvertretenden und geschäftsführenden Vorsitzenden des Kuratoriums (Vorsitzender auf dem Papier war der jeweilige Frankfurter Oberbürgermeister). Riezler, und auch deshalb scheint eine etwas gründlichere Darlegung der Frankfurter Vorfälle nicht unangemessen zu sein, ist außerhalb des Wissenschaftsbereichs kein Namenloser - und ebenfalls kein bereits Vergessener. Die Herausgabe seiner Tagebücher Anfang der siebziger Jahre hat vielmehr erhebliches Aufsehen erregt, sie gehörte zu den Abwehrmaßnahmen der historischen Zunft gegen die von Fritz Fischers „Griff nach der Weltmacht" bewirkte Neuauflage der „Kriegsschuldlüge", des so dankbaren Themas der zwanziger und dreißiger Jahre. Politisch waren die damals das Fach beherrschenden konservativen bis rechtsliberalen 80

Historiker der Auffassung, daß das nach dem Zweiten Weltkrieg mit Hitlers Verbrechen einschließlich Kriegsentfesselung beladene Deutschland nicht unbedingt noch der Anerkennung der Historiographie von Versailles bedürfe, und sachlich-fachlich warfen sie dem hamburgischen Nestbeschmutzer (es war dies noch nicht die Zeit, wo dergleichen zum obligatorischen Gesellschaftsspiel der geistigen Crème geworden ist) vor, unkritisch, nämlich unter souveräner Nichtachtung von politischem Ambiente, verfolgten Zwecken und so weiter, all das aus den Akten herausgepickt zu haben,was sein N e o Versailles zu belegen schien. U n d in der sich darum entwickelnden Feldschlacht 291 waren die Tagebücher insbesondere aus dem Jahre 1914, die der 1955 verstorbene Riezler hinterlassen hatte, von beträchtlicher B e d e u t u n g - w a r u m , werden wir gleich sehen. Wozu nur noch erwähnt werden soll, daß Riezler, von gesundem Mißtrauen gegenüber Historikern erfüllt und zuletzt selbst nicht mehr recht sicher, was diese oder jene Aufzeichnung von ihm eigentlich bedeuten sollte, die Vernichtung der Tagebücher nach seinem Tode gewünscht, ein massiver Ansturm aus der deutschen Geisteswelt, von Theodor Heuss bis zum schließlichen Herausgeber Karl Dietrich Erdmann, die Erben indes umgestimmt hat, so daß die wichtige Quelle 1972 erscheinen konnte - die nun ihrerseits ad fontes vordringenden Reisigen Fischers mit der Entdeckung wohl etwas großzügiger Bearbeitung, insbesondere der unkommentierten Aufnahme möglicher nachträglicher Uberarbeitungen, erfreuend. Wir hier haben es nun zwar nicht mit dem „welthistorischen" Riezler zu tun, sondern nur mit der akademischen Antiklimax in seiner Lebensgeschichte, zu deren Verständnis man freilich auch das Vorangegangene wenigstens in groben Umrissen kennen muß. Tagebuch-Herausgeber Erdmann hat seiner umstrittenen Edition ein auch von der Gegenseite gelobtes 292 „politisches Profil 1882-1955" vorangestellt, auf dessen 140 Seiten den Ereignissen von 1933 bezeichnenderweise nur ein einziger Absatz gewidmet ist; Rheindorf, dessen Lebenslauf bei uns so eng mit dem Riezlers verflochten ist, tritt überhaupt nicht auf 293 , und von Riezlers gelegentlich erwähnter Frau Käthe hätte man auch dann gern etwas mehr gehört, wenn sie nicht die Tochter Max Liebermanns und Riezler mithin durch sie „jüdisch versippt" gewesen wäre. Entnehmen wir hier sowie einer Erinnerung der gemeinsamen Schirmherren im Auswärtigen Amt an Riezlers Verdienste durch Freund 294 Rheindorf die wichtigsten Daten aus der Lebensgeschichte dieses Mannes, der immerhin dem 1933 erschienenen Brockhaus 13 Zeilen wert gewesen ist (die Nachkriegs„Enzyklopädie" hat ihn dann unter den Teppich gekehrt). Der Neffe des wegen seiner Verdienste um die bayerische Geschichte mit dem persönlichen Adel geehrten Münchener Historikers Sigmund Ritter v. Riezler hat, Münchener auch er, in seiner Heimatstadt von 1901 bis 1905 studiert, erst Klassische Philologie, dann mehr Geschichte, hat auch eine Habilitation erwogen, ist dann aber 1906 in das Auswärtige Amt eingetreten. Bei der damaligen Verflechtung an der Spitze und als Angehöriger des Pressebüros ebenfalls und zunehmend mehr in der Reichskanzlei tätig, 1915 dann auch offiziell d o n zugeteilt, wußte er erst Bülow und dann vor allem Bethmann Hollweg zu nehmen, dessen „rechte H a n d " er schließlich bis zu Bethmanns Sturz im Sommer 1917 gewesen ist - in den elf Jahren vom Hilfsarbeiter zum Wirklichen Legationsrat und Vortragenden Rat mit dem Titel Exzellenz avanciert. Aus der noch folgenden restlichen Kriegszeit ist Riezlers Ernennung zum Botschaftsrat und damit zweiten Mann 295 an der nach dem Frieden von Brest-Litowsk eingerichteten Deutschen Botschaft in Moskau (später Petrograd) im April 1918 interessant, weil er dort half, einen von den Militärs beabsichtigten Marsch auf Petersburg (Unternehmen „Erntefest") zum Sturz der bolsche81

wistischen Regierung zu organisieren296, und dann im Oktober das von ihm, nun Referent in der Politischen Abteilung, verfochtene energische Vorgehen gegen den Berliner Sowjetbotschafter Joffe und dessen „weltrevolutionäre" Aktivitäten. Nachdem die militärische Entwicklung ab August noch im Juli genährte Illusionen („Die Bolschewiki sind tot", „Sturz in wenigen Tagen") verweht hatte, der Traum von der deutschen Weltherrschaft ausgeträumt und am Ende nicht einmal mehr die nun betriebene Eingliederung der Deutschen Österreichs und Böhmens bei dem - verlorenen - Spiel herausgekommen war, von der noch im Oktober erhofften Möglichkeit der Angliederung „volksfremder anliegender Staaten" ganz zu schweigen, hat Riezler als Vertreter des Reiches bei der, angeblich auf seine Initiative, nach Bamberg geflohenen bayerischen Regierung Hoffmann den Einsatz von Reichswehr gegen München wie auch die Aufstellung des Freikorps Epp gefördert und so maßgeblich zur Zerschlagung von Räteherrschaft und Spartakus beigetragen. Riezler hat sich dann stark gemacht für die Verweigerung der deutschen Unterschrift unter den Versailler Vertrag und, als die Hasardeure damit nicht durchdrangen, am 23. Juni 1919 seinen Abschied eingereicht. Zum 1. Oktober ist er „zur Disposition" gestellt worden. Daß dies keine Ablehnung der Republik implizierte, wird daraus deutlich, daß er vom November 1919 bis zum April 1920 im Range eines Gesandten das Büro des neuen Reichspräsidenten Ebert geleitet hat. Das Scheitern dieser Zusammenarbeit hat weniger politische als vielmehr persönliche Gründe gehabt, die Charakterunterschiede zwischen dem, wie Erdmann schreibt, „pragmatisch nüchternen, bürgerlich ehrbaren und rechtschaffenen Ebert und dem geistreich vieldeutigen, phantasievoll schweifenden" und der aufgestiegenen demokratischen Führungsschicht gegenüber sarkastisch-ungeduldigen Riezler waren zu groß. Nach Jahren philosophisch-politischer Reflexion ist Riezler dann im April 1928 zum De-facto-Kurator in Frankfurt und zugleich zum Honorarprofessor in der dortigen Philosophischen Fakultät ernannt worden. Wie zu den Freunden der Berliner Jahre Theodor Heuss 297 gehört und Riezler zusammen mit Männern wie Walter Goetz, Harry Graf Keßler, Carl Petersen und Eugen Schiffer seit 1919 die Monatsschrift „Die Deutsche Nation" herausgegeben hatte, auch den Ideen Friedrich Naumanns mehr und mehr nähergerückt war, so zählten zu den neuen Frankfurter Freunden - laut SD298 ein liberaler, humanistischer Kreis, der vor und einige Zeit nach der Machtübernahme an der Frankfurter Universität und im Frankfurter Kulturleben eine große Rolle gespielt habe299 - Karl Reinhardt, der Historiker Ernst Kantorowicz, Max Kommerell, der Philosoph und Psychologe Max Wertheimer und der Marburger Philosoph Karl Löwith; auch Paul Tillich, der Soziologe Karl Mannheim, der Physiker Erwin Madelung und die Juristen Hans Otto de Boor und (sogar) Hermann Heller gehörten, der eine mehr, der andere weniger, dazu. Das war natürlich ein weites Spektrum, und wer Riezlers Platz näher hätte bestimmen wollen, durfte wohl nicht gerade in Hellers Nähe suchen. Wie denn auch „betont national" und nicht etwa „rot" sein mußte, wer sich der Protektion der Wilhelmstraße erfreuen durfte und dem sie, in Alarmbriefen angefordert, 1933 auch nicht verweigert worden ist, als die Dinge in Frankfurt eskalierten. Das ist Mitte März geschehen, in Frankfurt hat das Spektakel außergewöhnlich früh begonnen. Wie es scheint, ist auch hier der Stoß zunächst gegen des Herzogs Mantel gerichtet gewesen, obschon man das nicht mit Gewißheit sagen kann, weil der „Frontabschnitt" Rheindorf sehr viel besser dokumentiert ist. Denkbar jedenfalls ist es, war es doch ein lohnendes und auch erklärtes Ziel, das Studentenwerk und die Studentenförderung in die 82

Hand zu bekommen. Am 13. März 3 0 0 lief die Aktion an: Unter Anführung eines Dr. Hans Geisow von der Hauptabteilung Volksbildung der Frankfurter Gauleitung, Schriftsteller und auch „Kampfbund"-Funktionär, sowie des Philosophie-Privatdozenten und außerordentlichen Professors Heinrich Hasse besetzte SA die Studentenhilfe und die Auslandsstelle. Auf Veranlassung Riezlers wurde die Politische Polizei herbeigeholt, welche die Räume zunächst einmal versiegelte. Die Studentenhilfe, so informierte Geisow noch an diesem 13. nach abgeschlossener Aktion Reinhard Sunkel als den damaligen „Privatsekretär" des Reichskommissars Rust, habe „lediglich dem Marxismus gedient", hätte doch von ihr der Führer der kommunistischen Studentengruppe 4000 Mark Unterstützung und der Kurator Riezler, „ein übler Marxist", seinen Umzug finanziert bekommen; bestimmt werde in den Akten der Studentenhilfe „reichlich belastendes Material" gefunden werden. Rust solle nun, wie schon fernmündlich mit (dem in das Ministerium eingeschleusten NS-Lehrerbunds-Funktionär) Dr. Haupt vereinbart, den Professor Hasse sofort zum ministeriellen Kommissar ernennen. Das ist etwas zuviel verlangt gewesen, dafür hatte das Ministerium seine eigenen Leute. Bevor nun aber die Vernehmungen begannen - die Auslandsstelle wurde zwei Tage später wieder freigegeben, die Studentenhilfe blieb bis zum 24. unter Verschluß - , protestierten Riezler und Rheindorf in Berlin, im Kultusministerium beziehungsweise im Auswärtigen Amt. Riezlers dabei geäußerte Vermutung, es müsse „absolut damit gerechnet werden, daß der gesamte Senat und Lehrkörper sich einem das Ansehen der Studentenhilfe und der in ihr aufopfernd tätigen Dozenten" - nämlich des „hochverdienten" Professors Rheindorf und der ihn unterstützenden „hervorragenden beamteten Professoren" - „entehrenden Vorgehen energisch widersetzen" würden, war denn doch zu optimistisch. Beide haben das Geschehen eher mit den Händen in den Taschen verfolgt, - ob wenigstens die Fäuste geballt waren, läßt sich daher nicht erkennen. Nachdem zuerst eine Universitätskommission, bestehend aus dem (an sich mitbeschuldigten!) Zivilrechtler Hans Otto de Boor und - als Vertrauensmann der Partei - dem an der Aktion vom 13. März führend beteiligt gewesenen Zeitungswissenschaftler und Bibliotheksdirektor Joachim Kirchner, die Geschäftsführung der Studentenhilfe auf Bevorzugung von „Marxisten, Ausländern und Juden" sowie (als Verdächtigung damals unentbehrlich!) UnterschleiP 01 zu prüfen und die einschlägigen Akten „sicherzustellen" begann, bestellte bald darauf das Kultusministerium, vom Auswärtigen Amt(! 3 0 2 ) alarmiert, den damaligen Justitiar der Hochschulabteilung, Landgerichtsrat Schnoering, als Kommissar und delegierte ihn zur Untersuchung nach Frankfurt. Inzwischen lief auch schon die Kampagne gegen Riezler auf vollen Touren, der sich deshalb veranlaßt fühlte, gegen „ausgestreute Verdächtigungen", er sei Kommunist und Pazifist, eine Aufzeichnung über seine Vergangenheit anzufertigen und im Kultusministerium (wie vermutlich auch andernorts) vorzulegen: Als „Kaiserlicher Geschäftsträger" also „den Sturz der bolschewikischen Regierung" betrieben, dann einen „energischen Zugriff" gegen den russischen Botschafter Joffe und die sämtlichen in Berlin befindlichen „revolutionären Agenten" befürwortet, schließlich die Verlegung der bayerischen Regierung ins sichere Bamberg und den Einsatz von Reichstruppen gegen das rote München durchgesetzt, die dortige Gegenbewegung und die Ausstattung des Freikorps Epp gefördert und am Ende wegen der Unterzeichnung in Versailles den Abschied genommen. Streckenweise sogar wörtlich war dies also identisch mit dem, was eine Woche später Freund Rheindorf verbreitet hat, als er dem Auswärtigen Amt am 25. März von „schweren Angriffen" auf Riezler berichtete und hinzufügte, man habe dabei auch die Bülow83

Memoiren nicht übersehen (für die im Kielwasser Bethmanns zutage gekommene Kritik Riezlers an seinem früheren Chef hatte Bülow sich in seinen berüchtigten Denkwürdigkeiten mit der Bemerkung revanchiert, Riezler gehöre „zu den strebsamen Leuten, die jeden lieben können und jeden lieben, der das Füllhorn der Gnaden in der Hand hält" 303 was natürlich gerade 1933 hervorragend in die Landschaft paßte). Trotzdem: So kam die Sache nicht recht voran. Oberpräsident v. Hülsen scheint versucht zu haben, Riezler nach Möglichkeit zu decken, bestimmt jedoch sind die sachlich geführten Untersuchungen des Kommissars Schnoering nicht so verlaufen, wie sich die Gegner das gedacht hatten. Da sich andererseits aber die politische Lage für sie so überaus erfreulich entwickelte, lag es nahe, nun einen Schritt zuzulegen. Der Tag des großen Judenboykotts schien einen passenden Rahmen zu bieten - passend für einen Großeinsatz gegen die Universität überhaupt. Unter Führung zweier von der Kreisleitung bestimmter Studenten, die von Prorektor Madelung und dem juristischen Dekan quasi das Kommando übernahmen, besetzten etwa achtzig SA-Leute das Universitätsgebäude und durchsuchten es „nach Juden und Marxisten". Mehrere Juden wurden aus dem Gebäude gejagt, der „arische Studierende" Erich Link, der dem Prisenkommando die Berechtigung der Kontrolle bestritt, geohrfeigt. Zur gleichen Zeit wurden ebenfalls die Universitätsinstitute heimgesucht, bei den Pharmakologen der - jüdische - Direktor Werner Lipschitz aus seinem Institut geworfen. Daß da Riezler und Rheindorf kaum unbehelligt bleiben würden, war zu erwarten. Auch gegen sie wurde die „kochende Völksseele" in Bewegung gesetzt, Massen von Studenten und dem üblichen Gesindel demonstrierten am frühen Vormittag vor den Wohnungen der zwei „Staatsfeinde", krakeelten „Raus mit dem Juden Rheindorf!" und dergleichen. Schutzpolizei mußte eingreifen und die beiden in - echte! - Schutzhaft nehmen. Riezler rettete sich vor dem Mob in die HNO-Klinik, Rheindorf auf eine Polizeiwache nahe seiner Wohnung. Franz Beyerle, der damals in Frankfurt lehrende Rechtshistoriker und Zivilrechtler, ist dann von den Verhafteten um Beistand antelefoniert worden, hat sie eingesammelt und außerhalb Frankfurts in Sicherheit bringen wollen. Da die Herren sich nach dem Schock aber erst etwas stärken wollten, wurde daraus vorerst nichts: SS-Leute erschienen und brachten beide von der Riezlerschen Mittagstafel im offenen Wagen ins Polizeigefängnis304. Beyerle hat sie am Abend wieder abholen dürfen, nachdem man Riezler im Rathaus von den Vorteilen der sofortigen Unterzeichnung eines ihm nahegelegten Beurlaubungsgesuchs für das Sommersemester hatte überzeugen können. Dessen letzter Satz: „Dieses Urlaubsgesuch stelle ich, da mir mitgeteilt wird, daß die Weiterführung der Geschäfte durch mich die Wiederherstellung des Friedens an der Universität erschweren würde"-und der Datumszeile „Frankfurt a. M., den 1. April 1933" und Unterschrift beigefügt: „z. Zt. in Schutzhaft". Alles hat sich Riezler mithin nicht gefallen lassen, und wo doch die Sache von längerer Hand vorbereitet war, hätte sie an sich ein eleganteres Ergebnis haben müssen. Die zuständigen Stellen nämlich waren von der spontanen Volksseele keineswegs überrascht worden. Schon am 24. März hatten Frankfurter „nationale Studenten" Unter den - Berliner - Linden in dem Amtsgerichtsrat August Wisser den vom Vertrauen aller nationalen Akademiker getragenen Nachfolger Riezlers präsentiert (der es dann auch, wie wir noch hören werden305, geworden ist), und das Kultusministerium hatte daraufhin mit dem neuen nationalsozialistischen Frankfurter Oberbürgermeister Krebs als De-jureKurator bereits die Modalitäten der sofortigen Beurlaubung Riezlers zu erörtern begonnen. 84

Interessant ist, auf wen Beyerle bei seinen Aktivitäten und Ermittlungen an jenem turbulenten 1. April als Drahtzieher der Aktion gestoßen sein will: auf eine Art „kulturpolitisches Triumvirat'', bestehend aus Krieck, dem Frankfurter Wirtschaftsrechtler Friedrich Klausing, früher führend in der Volkspartei, inzwischen einer der frisch zur N S D A P bekehrten Eiferer, und einem sich mit der Abfassung von Dramen beschäftigenden Chemiker oder Ingenieur, in dem die Stadt Frankfurt damals den geeigneten neuen Intendanten für ihr Stadttheater gefunden hatte 306 . Wenn auch Krieck, als Oberbürgermeister Krebs sich auf eine Berliner Anfrage hin wegen der Festnahme Riezlers erkundigte, glaubhaft geantwortet hat, er wisse nur, was in der Zeitung gestanden habe, da er „die ganze Zeit über auf Fahrt" gewesen sei, so dürfte doch generell Beyerles Vermutung, daß die Drahtzieher innerhalb der Universität zu suchen seien, zutreffen. In der Gauleitung nämlich hat zumindest Rheindorf einen Fürsprecher in nicht unwichtiger Stellung gehabt, den Personalamtsleiter Heinz Bickendorf, der früher Führer der Frankfurter NS-Studentengruppe gewesen und von Rheindorf „in der großzügigsten Weise*' unterstützt worden war, auch mit der Zusage von Hilfe bei etwaigen Schwierigkeiten aus politischen Gründen - „zu einer Zeit, wo es kein Mensch wagte, mit einem Nationalsozialisten auch nur zu reden". Bickendorf hielt damit jetzt nicht hinter dem Berge und stellte Rheindorf auch sonst ein, nach damaligen Begriffen, günstiges Zeugnis aus: ehemaliger Offizier und Frontkämpfer, durch und durch militärisch, manchmal brutal, bis an den Hals mit Energie geladen, persönlich sauber, wenn auch politisch labil - Nationalsozialist zwar nicht, jedoch alles andere als ein Marxist. Sollte Rheindorf tatsächlich, so Bickendorf, vorwiegend jüdische und kommunistische Studenten unterstützt haben, so gelte es einmal die Zusammensetzung der hiesigen Studentenschaft zu bedenken (der „deutsche Teil" nicht sehr erfreuliche Frankfurter, die nur die Gelegenheit zum Studium am - universitäts-traditionslosen - O r t ausnutzten, der starke jüdische aber geprägt von Betriebsamkeit und Streberhaftigkeit, die dem ungeschulten Auge des Nicht-Antisemiten leicht als Fleiß, Intelligenz und wissenschaftlicher Drang erscheinen könnten), zum anderen aber müsse man berücksichtigen, woher schließlich der größte Teil der Studentenhilfe-Mittel käme, nämlich von Privaten. Das aber seien in Frankfurt nun einmal „Juden, Logenbrüder und Demokraten bzw. Marxisten", und Spenden schafften eben „moralische Bindungen". Und dann sei da ja ebenfalls noch der Einfluß Riezlers gewesen. Daß, wie es heiße, Rheindorf Riezler „beherrscht" habe, glaube er, Bickendorf, nicht 307 - Riezler sei nicht der Mann, der seine Machtposition nicht auszunutzen wisse. Und Riezler zu ersetzen schlug auch Bickendorf vor, während es doch möglich gemacht werden könne und müsse, „Rheindorf für uns auszuwerten". Rheindorf hat das allerdings wenig geholfen, er ist nicht „ausgewertet" worden, beider Laufbahn im akademischen Bereich war beendet. Noch während des Sommersemesters, für das Riezler sein „Urlaubsgesuch" gestellt hatte, ermittelten das Büro des Reichspräsidenten (wo er versorgungsberechtigt war) und das Kultusministerium, ob sich Beanstandungen feststellen ließen, die einen Hinauswurf nach § 4 B B G rechtfertigten. Überall in Frankfurt Fehlanzeige. Nur Krieck, inzwischen Rektor, erwähnte, Riezler und Tillich hätten seinerzeit aus politischen Gründen seine Berufung nach Frankfurt verhindert; doch gab er unterderhand zu verstehen, daß er auf die Verfolgung dieser Sache keinen Wert lege - er wird gewußt haben, warum nicht. Man hat Riezler daher zum 30. September 1933 ohne den „Tatbestand des § 4 B B G " und ohne Begründung entlassen und gemeint, ein Gesuch um Verlängerung des Urlaubs bis zum Ende der Amtsperiode am 31. März 1934 einfach übergehen zu können. Riezlers Einspruch dagegen und ein dro85

hender Zivilprozeß haben dann (Pensionsansprüche bestanden hier nicht) zu einem 1500RM-Vergleich für das strittige halbe Jahr geführt, - so ganz hat sich Justitiar Kasper auf seine zweckdienliche Konstruktion des § 6 BBG (Maßnahme im Interesse des Dienstes) als „eine Art von Generalklausel" bei allen nicht schärferen Maßnahmen denn doch nicht verlassen wollen. Riezler muß gehofft haben, wenigstens seine Tätigkeit als Honorarprofessor retten zu können. Ob ihm das eine Zeitlang auch wirklich gelungen oder aber, was wahrscheinlicher sein dürfte 308 , am 15. Januar 1934 jenes Kolleg „Einführung in die gegenwärtige Problematik der Lehre vom Menschen" ein erster Test gewesen ist: Seine Hörer - so jedenfalls DNB und Frankfurter Volksblatt vom 16. - brachten an diesem Tage durch anhaltendes Scharren und Klimpern mit Schlüsseln unmißverständlich zum Ausdruck, daß sie „einen Mann wie Professor Riezler restlos ablehnten". So „restlos", wie das Volksblatt schrieb, allerdings doch nicht. Einem ungarischen Studenten war es vorbehalten geblieben, den Randalierern entgegenzurufen: „Es ist eine Schande, daß man im Lande von Goethe und Schiller so handelt!" Zehn Mann waren das gewesen, teils in Zivil, teils in SS-Uniform, unter Anführung eines SS-Sturmführers Fähndrich, durch die Bank fakultätsfremd, und Riezler kannten sie nicht einmal von Ansehen. Dafür aber konnten sie, nachdem er, ohne zu Wort gekommen zu sein, den Hörsaal verlassen hatte, die etwas überraschten Kommilitonen aufklären: Das sei doch der frühere Kurator, der die ganzen Juden hierherberufen habe, die Wertheimer, Tillich, Salomon und so weiter, und der auch 1931 daran schuld gewesen sei, daß der große Krieck von der Universität entfernt wurde, - gegen solche Leute müsse man brutal vorgehen, mit Krach, denn die Revolution sei noch nicht zu Ende; sollte er etwa wieder hereinkommen, werde es weitergehen. Riezler ist nicht „wieder hereingekommen". Hier nicht und auch sonst nicht. Auf seine Meldung und Bitte um Bestrafung der Ruhestörer und Richtigstellung der „grotesken Irrtümer" über seine Person und seine Haltung in der Vergangenheit (man denke nur an seine Bemühungen um Männer der nationalsozialistischen Bewegung wie Heidegger und Carl Schmitt) hat Rektor Krieck antworten wollen, das Ministerium habe seine, Riezlers, Entlassung beschlossen und der betreffende Erlaß werde in den nächsten Tagen eintreffen, von einer Wiederaufnahme der Vorlesung bitte er daher abzusehen. Es ist dieser Zwischenbescheid aber nicht nötig gewesen, da Riezler von sich aus nicht wieder gelesen beziehungsweise zu lesen versucht hat. Die Entziehung seiner Lehrbefugnis nach § 6 BBG ist dann am 26. Januar ausgefertigt worden. Da hatte Dozentenschaftsführer Girndt gerade vor kurzem Max Kommereil, damals auf seinem wechselvollen Wege Leiter des Wissenschaftlichen Amtes der Frankfurter Dozentenschaft, dieses Amtes enthoben, weil er dem anfragenden Südwestdeutschen Rundfunk geantwortet hatte, gegen einen geplanten Vortrag Riezlers über „Nietzsche und das tragische Zeitalter der Philosophie" am 8. Dezember um Mitternacht in Radio Frankfurt sei nichts einzuwenden. Die Studentenschaft hatte Wind von dem Projekt bekommen, hatte gemeinsam mit Girndt protestiert und den Eklat verhindert, doch waren beide NS-Stellen sehr böse darüber, daß ihnen Kommereil „bei diesem Kampf gegen den Rundfunk in den Rücken gefallen" war. Es wäre ja auch ein Witz gewesen, hätte ausgerechnet Riezler die Sendereihe eröffnet, mit der die „erneuerte" Frankfurter Universität der Öffentlichkeit vorgestellt werden sollte - der „berüchtigte Kurator Riezler", wie es noch des öfteren abwertend hieß („hat dem ... nahegestanden", „war eng liiert mit dem ...", „gehörte der Clique um d e n . . . an" und so fort), wo mißliebige Leute irgendwo ferngehalten werden sollten oder sonstwie beurteilt wurden, Kommereil und der Klassische 86

Philologe Walter Otto, der Botaniker Heinrich Schmitz und der wendige Bibliothekswissenschaftler Joachim Kirchner 309 . Und Rheindorf natürlich auch, der - so 1934 Girndt - „Intimus und junge Mann des berüchtigten" Riezler. Wie ist es ihm ergangen? Sein Schicksal war dementsprechend. In einer Senatssitzung am 11. April 1933 konnte Krieck berichten, daß Rheindorf seine Amter in der Akademischen Auskunftsstelle niedergelegt habe. Als am 13. Juni das Ergebnis der Schnoering-Untersuchung nach Frankfurt übermittelt wurde, wonach sich für irgendwelche Pflichtverletzungen, insbesondere auch für eine einseitige Bevorzugung „jüdischer, ausländischer und linksradikaler Studierender", „keine Anhaltspunkte ergeben" hätten, wurde das achselzuckend zu den Akten genommen, und kein Mensch interessierte sich mehr dafür - ein damals nicht gerade seltenes Schicksal. In der kritischen Zeit hatte ihn Beyerle einige Wochen in einer Pension in Münster am Stein untergebracht und so aus dem Frankfurter Schußfeld genommen 310 . Eine Wiederaufnahme seiner Lehrtätigkeit schloß die Fakultät aus, da dies sofort neue Studentenkrawalle zur Folge haben würde (was wenn auch kein vorgeschobener, so doch nicht der einzige Grund gewesen ist). Großzügig hat man ihm aber die akademische Laufbahn an einer anderen Universität offengelassen. Rheindorf wollte es in Berlin versuchen und erhielt im Oktober auch die ministerielle Genehmigung zur Verlegung seines Wohnsitzes in die Reichshauptstadt. O b es nun wirklich, wie Rheindorf 1946 angegeben hat, Alfred Baeumler gewesen ist, der nach hoffnungsvollen Ansätzen, von Frankfurter Parteigenossen alarmiert und informiert, die Umhabilitation verhindert hat, oder ob Rheindorfs Talente vielleicht mehr auf dem Gebiet der akademischen Verwaltung als auf dem der wissenschaftlichen Arbeit gelegen haben - die Sache ist jedenfalls schiefgegangen. Nach einer gespenstischen Auseinandersetzung mit der Frankfurter Fakultät, die ihm vorwarf, seit 1933 ohne Beurlaubung keine Vorlesungen mehr gehalten zu haben, andererseits aber dem Ministerium gegenüber eine Wiederaufnahme seiner Lehrtätigkeit als „völlig unmöglich" kategorisch ausschloß, haben die Frankfurter schließlich im Dezember 1935 die Berliner Genehmigung eingeholt und erhalten, Rheindorf in ihrem Personal- und Vorlesungsverzeichnis zu streichen. Die Frankfurter Abneigung gegen den impulsiven, oft unangenehm sarkastischen und daher mit persönlichen Feinden opulent versehenen Mann hat noch über die RektorAmtszeit seines Intimfeindes Platzhoff, ja über die Lebensdauer des Regimes hinausgereicht: Nach dem Kriege hat, einigermaßen skandalös, die Fakultät zunächst versucht, Rheindorfs Ausscheiden als „freiwillig" hinzustellen und ihm die Wiedergutmachung zu verweigern. Daß der zu seinem Freundeskreis gehörende Physiker Madelung recht gehabt haben dürfte mit der Auffassung, das ohne Rücksicht auf die Gefühle seiner Mitmenschen erfolgende Um-sich-Werfen mit verletzenden Urteilen und Ansichten, das ständige Wehtun, sich selbst wie anderen, habe Rheindorfs Umwelt veranlaßt, sich von dem unbequemen Nachbarn zurückzuziehen - was er selbst dann wieder als Zurücksetzung empfunden hätte, erfährt durch die nicht sehr sympathischen, wichtigtuerischen und nicht selten denunziatorischen Briefe seines Nachlasses eine Bestätigung (aber wenn schon die Professoren nicht beurteilen können, was besser ins Feuer gehört, wie sollen es dann, in der Regel nach einigen Dezennien Verehrung, ihre Witwen wissen).

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Es ist kein Zufall, wenn man bei der Schilderung jener Wochen immer wieder in die Studentengeschichte hineingerät, wenn sie hier eng verflochten ist mit der allgemeinen Universitätsgeschichte jener Wochen und Monate, waren es doch eben die Kommilitonen, die als revolutionäre Avantgarde die Szenerie beherrschten. Nehmen wir etwa den „Schandpfahl". Es war dies eine Idee der Deutschen Studentenschaft, die am 19. April („Wir werden diesen Schandpfahl für alle Zeiten stehenlassen") in die Lande geschickt und am 4. Mai wieder abgeblasen worden ist, nachdem das Echo überwiegend negativ war und die meisten Studentenschaften die Sache ignoriert oder aber gar sich mitzumachen geweigert hatten. In der Regieanweisung hatte es geheißen: Ein klobiger Baumstamm, etwas über mannshoch, auf Hochschulgebiet, an den die „Erzeugnisse derer" zu nageln seien, „die nicht unseres Geistes sind" - „heute für die Schriftsteller, morgen für die Professoren". Einige launige Arbeitsanweisungen waren beigefügt gewesen: Für die „Weltbühne" dürften zweizöllige Nägel geeignet sein, für „Herrn Stefan Zweig, Herrn Ludwig und ähnliche Cohns" Reißzwecken genügen, für Tucholsky „wären Vierzöller zu empfehlen". In Dresden, Erlangen, Königsberg, Münster und Rostock sind die Dinger tatsächlich errichtet worden311. Weshalb diese Aktion aber für uns von Interesse ist: Es ist, als eine Reaktion darauf, eine Art Zürcher Rektorenkonferenz entdeckt worden. „Am 30. April 1933", so heißt es 312 , „versammelten sich in Zürich Vertreter deutscher Universitäten, um zu beraten, was gegen die Studentenaktionen zu tun sei", und weiter ist dort von „vertraulichem Charakter" der „Konferenz" und von „Ausweichen auf neutralen Boden" die Rede. Selbstverständlich ist das in dieser Form Unsinn, die deutschen Rektorenkonferenzen pflegten nicht im Ausland abgehalten zu werden. Richtig ist, daß sich unter den Gästen aus aller Welt, die der Eidgenössischen Technischen Hochschule zur Centenarfeier am 29. April ihre Reverenz erwiesen, auch eine erhebliche Anzahl Rektoren und sonstige Vertreter deutscher Hochschulen befunden haben 313 . Es mag nun sein, daß sich angesichts der stürmischen Ereignisse im Reich und zwecks Gedankenaustausch darüber mehr deutsche Gäste angemeldet haben, als es sonst der Fall gewesen wäre, jedenfalls wurde die Gelegenheit natürlich wahrgenommen, sich gegenseitig das Herz auszuschütten. Ein erhalten gebliebener Niederschlag davon (und die Ursache jenes Rektorenkonferenz-Mißverständnisses) ist ein Brief, der am 1. Mai aus dem Hotel Eden au Lac 314 an den Kölner Rektor geschrieben worden ist - von dem Amtsvorgänger und Zürich-Delegierten der Universität Godehard Ebers 315 . Die in der Nachbarschaft von Altdorf und Küßnacht ein bißchen konspirierenden Magnifizenzen sind denn auch dem Schatten Wilhelm Teils gerecht geworden: Gegen die Deutsche Studentenschaft versprachen sie die Bemühungen der „Regierung" zu unterstützen, die außer Rand und Band geratenen braunen Oberstudenten wieder an die Kandare zu bekommen - freilich nicht durch einen Apfelschuß coram publico, durch einen „öffentlichen Schritt", sondern durch „Vorstellungen" der einzelnen Rektoren beim Ministerium, mehr also eine Art moralische Aufrüstung. Geradezu tollkühn aber waren sie beim „Schandpfahl". An die Zeitungen gedachte man markige Protesterklärungen zu schicken („Die Universität lehnt vor Gegenwart und Zukunft jede Verantwortung hierfür ab"), und einzelne Rektoren, wie Berlins Kohlrausch, spielten gar mit der Absicht, zurückzutreten. Um solche Teil-Euphorie richtig einzuschätzen, muß man allerdings wissen, daß, als derart die Muskeln spielten, bereits ein Telegramm aus dem Berliner Kultusministerium bekanntgeworden war, es werde „die Errichtung der Schandpfähle bestimmt unterbun88

den" werden, - so daß es sich also nur noch um die mit Berliner Rückendeckung zu bewerkstelligende Disziplinierung etwa rebellierender Studentenschaften handeln konnte. Tatsächlich sogar, was die Zürcher Konspiration freilich nicht wußte, war die Angelegenheit bereits vom Tisch. Und das war Kohlrauschs Verdienst, der auf der Fahrt nach Zürich in der Zeitung von den in den Universitäten geplanten Schandmälern gelesen und von Offenburg aus am 28. Hitler und Rust telegraphisch „beschworen" hatte, eine solche „Schändung der Hochschulen" und Vernichtung „wertvollsten deutschen Kulturgutes" durch „unreife, irregeleitete Idealisten" zu verhindern. Schon am Tag darauf, als in Zürich gefeiert wurde, hatte sich in Berlin Gerullis Gerhard Krüger vorgenommen - mit dem Ergebnis: „Schandmäler in Universitäten werden nicht errichtet." Oder exakter, wie man es der Reichskanzlei auf Nachfrage meldete: „Wenn überhaupt, nicht mehr auf Universitätsgelände316". Nur soweit es sich um solche Ausstrahlungen handelt, spielt der studentische Klamauk jenes akademischen Machtergreifungs-Festivals in unser Thema hinein. Und somit auch dessen spektakulärer Höhepunkt, die berüchtigten Bücherverbrennungen in den Maitagen317, die Großaktion nach Semesterbeginn, die sich höchst sonderbar von einem Tritt des Verbands deutscher Volksbibliothekare gegen das Schienbein der privaten Leihbücherei-Konkurrenz über (zusammen mit den „Schandpfählen") eine Art Hintergrundmusik für eine großangelegte Denunzierungskampagne der Deutschen Studentenschaft gegen mißliebige Professoren zur eigenständigen Symbolhandlung unter Beteiligung von Goebbels gemausert hat318 und an der sich Rektoren, Dekane und Professoren in dem Bemühen, die Scharte der letzten Jahre auszuwetzen, reich beteiligt haben. Und das nicht nur als Statisten im Zug hinter den Lastwagen, Ochsen- und Jauchekarren oder drapiert um die Scheiterhaufen (Eugen Fischer-Berlin in seinem Rektoratsbericht von 1935319 noch immer stolz: „Der Rektor stand neben Reichsminister Dr. Goebbels am 10. Mai 1933 vor dem lohenden Feuer, in dem die Studentenschaft Schmutzschriften verbrannte"), sondern hin und wieder auch als Flammenredner oder Mit-Heizer. Einer Zusammenstellung von Gerhard Sauder320 ist zu entnehmen, wer sich wo ohne Not prostituiert hat, vorgeschaltete „Kundgebungen" eingeschlossen. Hier diese Namen: Berlin - Alfred Baeumler (Philosophie) in seiner Antrittsvorlesung vor und in Zusammenhang mit der Kundgebung, Bonn - Hans Naumann (Germanistik), Eugen Lüthgen (Kunstgeschichte321), Breslau - Karl Bornhausen (Theologie), Frankfurt - Fricke322 (ein frisch zum Professor ernannter evangelischer Studentenpfarrer), Göttingen - Friedrich Neumann (Germanistik, Rektor), Privatdozent Gerhard Fricke (Germanistik), Kiel - Ferdinand Weinhandl (Philosophie)323. Und diese Liste ist nicht einmal vollständig, wie das Beispiel Stieve in Halle zeigt324. Hier und da ist die Klippe dadurch umgangen worden, daß eine „feierliche Übergabe" des neuen Studentenrechts vorgeschaltet wurde und die Rektoren (etwa in München) oder erlesene Festredner (etwa Philalethes Kuhn in Gießen) dabei ihre Sprüche aufsagten325. In Freiburg hat überhaupt keine Verbrennung stattgefunden, die württembergischen Studentenschaften haben sie auf Veranlassung des dort zuständigen Landesführers und NS-Lyrikers Gerhard Schumann als einzige ausdrücklich verweigert326, und an den übrigen Hochschulorten327 haben die Professoren einschließlich der wie für die Abfassung, so offenbar auch für die Verbrennung von Literatur zuständigen Germani89

sten wenigstens den Mund gehalten. Glaubt jedenfalls, wer Sauder vertraut. Wie recht freilich Lenin mit seinem bekannten Ausspruch über Vertrauen und Kontrolle gehabt hat, erweist eine Visite in Köln, wo die Aktion328 und eine darauf basierende Darstellung329 zudem noch einen recht aufschlußreichen Blick hinter die akademischen Kulissen gewähren330, weshalb die Kölner Geschehnisse hier pars pro toto in großen Zügen wiedergegeben werden sollen. Zunächst zur Korrektur. Anders als bei Sauder angegeben, hat in Köln sehr wohl ein Professor gesprochen, wenn auch wohl nicht - wie Neumann in Göttingen - die Bücher eigenhändig ins Feuer geworfen. Es war jedoch ebenfalls der Rektor persönlich, der (schon wieder einer) Anatom und Pathologe Ernst Leupold. Und was sich hinter den Kulissen regte: das schlechte Gewissen. Heute würde man diese ganzen KulturrevolutionsPlanungen der braunen Kommilitonen als einen ziemlichen Flop bezeichnen: Von Anteilnahme, geschweige denn Begeisterung war nicht viel die Rede, niemand zog so richtig mit, Widerwille machte sich unübersehbar bemerkbar. Auch in der Kölner Universität. Zwar reservierte man für die „Damen des Lehrkörpers" Fensterplätze mit guter Sicht auf den Scheiterhaufen und hob diesen damit in den Rang einer akademischen Festveranstaltung, der den rechten Biß zu nehmen Angehörige dieses Lehrkörpers unterdessen jedoch am Werke waren. Der Germanist Ernst Bertram etwa, dem es gelang331, seine Freunde Gundolf und Thomas Mann vom Schinderkarren herunterzuholen. Oder der Zivilrechtler Heinrich Lehmann, der bemüht war, bei der „Feier" die Verkündung wenigstens der schlimmsten jener zwölf Thesen der Deutschen Studentenschaft „gegen den undeutschen Geist" zu verhüten, welche die deutsche Öffentlichkeit Mitte April332 auf den neuen Kulturkampf eingestimmt hatten - insbesondere der hier einschlägigen Nummer 5: „Der Jude kann nur jüdisch denken; schreibt er deutsch, so lügt er." Oder auch Magnifizenz selbst, dem nicht allein die Unversehrtheit seiner Universitäts-Bibliothek am Herzen lag (an sich exemt, in Kiel jedoch war sie bereits von Studenten geplündert worden), sondern auch die Gesundheit seines Lehrkörpers. Als laut Wetterbericht eine durchziehende „Störungslinie mit Regen" die sowieso kühle Witterung mit „landregenartigen" Niederschlägen weiter zu verschlechtern drohte, blies er wenige Stunden vor Feuerbeginn die Beteiligung des Lehrkörpers ab, und die ganze Kundgebung platzte daraufhin — anders als in Berlin, Bonn und so weiter, wo im Interesse der großen Sache „strömender Regen" tapfer ertragen worden ist. Man hat dann freilich die Veranstaltung eine Woche später nachgeholt, und die Professoren mußten sich jetzt die üblichen Unfreundlichkeiten der Studentenführer über ihr Versagen in der Kampfzeit anhören. Darum herumgekommen sind die Kölner also nicht, - und wenn man die Feier am nunmehr 17. Mai betrachtet, fragt man sich, ob diese Leute denn tatsächlich darum herumkommen wollten. Zwar unterblieben die berüchtigten Feuersprüche und war die verfeuerte Literatur auf dem Bürger sowieso suspekte Figuren wie Heinrich Mann und Emil Ludwig, Alfred Kerr und Erich Maria Remarque beschränkt - „etwa fünf wissenschaftlich wertlose Bücher" aus Universitätsbeständen beigegeben. Aber die Professorenfrauen an den Fenstern und der Rektor persönlich am Scheiterhaufen - war das nötig? Waren diese ganzen Versuche einer Korrektur an der Optik der Sache, der entgegenzutreten man nicht wagte, nicht übler beinahe noch, als wenn man auch Gundolf und den „großen" Mann mit ins Feuer geworfen hätte? Um der neuen nationalen Regierung öffentlich und feierlich zu huldigen, ist die Bücherverbrennung die schönste, aber nicht die einzige Gelegenheit gewesen. Hat am 90

17. Februar, wie bekannt 333 , die Kölner Fahnenweihe noch „vor den Toren der Universität" stattfinden müssen, die Rektor Ebers für diesen Vormittag geschlossen hat und an deren Fenstern sich niemand zeigen durfte334, und konnte gar am 23. Februar in der Berliner Universität noch eine sozialdemokratische Wahlkundgebung abgehalten werden (die freilich von „Unbekannten" durch Schüsse in den Saal und eingeworfene Fensterscheiben beeinträchtigt worden ist 335 ), so finden wir nach dem März die inzwischen an Haupt und (anhebend) Gliedern erneuerte Hochschule den weiteren großen Ereignissen voll gewachsen336. Nein, im März sogar schon. Denn, wie überall im Reich, geht das Gejubele am „Tag von Potsdam", dem 21. März, bereits munter los. Nehmen wir hier das „schwarze" Münster als Beispiel337. „Machtvolles Bekenntnis der Westfälischen Wilhelms-Universität zur Regierung Adolf Hitler", „gewaltige Willenskundgebung", „Menschenknäuel", durch die einer sich kaum den Weg bahnen kann, und eine Festrede von Hubert Naendrup, der nun seine „Orgesch Münsterland" und seinen „WestfalenTreubund" am Ziel wähnt - vorbei sei es, so freut er sich, mit dem Kommunismus und dem sozialdemokratischen Marxismus. Und so geht es weiter. Hitlers Geburtstag wird etwa in Göttingen, wo das für den Studentenbund noch ein „unerhörtes Glück" bedeutet, als offizielle Studentenschaftskundgebung gefeiert, und am 1. Mai, dem ersten „Tag der nationalen Arbeit", ziehen die Professoren unter dem Zeichen ihrer neugefundenen Volksverbundenheit als geschlossene Kolonnen in den „Marschsäulen" m i t - s o „zackig" es der Embonpoint erlaubt und an der Spitze des akademischen Detachements (elitäre Reste in Tübingen: zwischen dem evangelischen Feldgottesdienst und dem öffentlichen Klamauk auf dem Marktplatz noch eine Separatfeier im Audimax). Und so feiert man am 26. oder 27. Mai Albert Leo Schlageter, schlicht wie in Freiburg oder aufwendiger (und ja auch der Golzheimer Heide näher) wie in Bonn mit zwei Professoren als Festrednern (der Chemiker Eduard Hertel und v. Antropoff) - gute Gelegenheiten zum Üben des, wie Magnifizenz Heidegger seinen Herren erläutert, zum „Nationalgruß des deutschen Volks gewordenen" Erhebens des rechten Armes. Die Johannisnacht vom 24. auf den 25. Juni versammelt dann die Professoren, soweit es ihr Rheumatismus gestattet, ein zweites Mal in jenem Jahre mit den Kommilitonen rund um ein Feuer — vom Glück begünstigt die Universitätsstädte, wo sich für Sonnwendfeiern und Feuerräder geeignete Erhebungen in greifbarer Nähe befinden. Im August ist es ruhig oder vielleicht besser: bleibt es ruhig, denn des unglücklichen Weimar Verfassungsfeier hat der Herr Minister gestrichen - es wird kaum jemandem aufgefallen sein. Vergessen wir aber nicht im November neben dem Heldengedenken (die Kriegshelden sind erst im Februar 1939, als wieder neue anstanden, wohl wegen der Gefahr einer Art unlauteren Wettbewerbs in die Iden des März ausgesiedelt worden) den ersten 9., an dessen Vorabend die Studentenschaften ihre Rektoren und Professoren wieder einmal auf die Straße bitten - ein Ruf, dem man sich um so weniger entziehen kann, als nicht nur zu Ehren der Toten von der Feldherrnhalle marschiert wird, sondern auch zum Nutzen der Volksabstimmung am Sonntag darauf. Wir wollen an dieser Stelle, wo nun das Jahr der großen Saartreuekundgebungen anhebt, die Professoren auf ihrem Feiermarsch durchs Dritte Reich verlassen - mit einem letzten Blick auf die Reichshauptstadt, wo wie überall in Preußen am 18. wieder „Reichsgründungsfeier" ist (wobei jedoch „auch die Ereignisse des 30. Januar 1933" zu feiern sind - im nächsten Jahr, Hindenburg ist dann tot, wird der 30. den 18. verdrängen), der 30. aber Professoren und Dozenten bei einem „einfachen Mittagessen mit erwerbslosen 91

Volksgenossen" vereint findet und man sich schon langsam Gedanken macht über die „stille Weihe", mit welcher der 20. Jahrestag des Kriegsausbruchs begangen werden soll - keine „Feiern, Reden und Gepränge, sondern Gebet, Gesang, Gedenken". Wer oder was aber paßt zu weihevoller Schlichtheit am besten? „Wir haben nur einen Wunsch und eine Bitte, daß nur einer zu uns rede - der Führer." Ein Kaleidoskop, doch gerade so dem Geschehen jener Monate adäquat - logisch, systematisch, methodisch war da nicht viel. Was sich die Akteure dabei dachten, darüber gehen die Meinungen auseinander, je nachdem, wie man es gern hätte 338 . Wo der eine nur hypnotisierte Kaninchen vor der Schlange sieht („weder das Talent, das Drohende zu begreifen, noch die Kraft, dem Schrecklichen zu widerstehen"), erblickt der andere einige Hundertschaften Huren auf dem Wege ins akademische Bordell („die geistige Elite der Nation... hatte nichts anderes zu tun, als sich den neuen Machthabern als Vasall anzubieten"). Dazwischen und gewöhnlich differenzierter, nicht so töricht verallgemeinernd, liegt das übrige. Gegeben hat es jedenfalls dieses Sich-Mitreißen-Lassen von der überschäumenden Begeisterung, dieses emphatische Sich-Ausliefern an den Nationalsozialismus, für die auch das Entstehen aller möglichen Hochschulgruppen und Arbeitsgemeinschaften Zeugnis ablegt339. Jedoch nicht nur solche neuen Partei-Ausleger, auch alte Organisationen wie der Kampfbund für deutsche Kultur glaubten jetzt Morgenluft und Möglichkeiten eines kräftigen Wachstums zu wittern. Das sollte sich freilich ebensobald als Schimäre erweisen, wie es um die Zukunft all der „Arbeitsgemeinschaften" nicht sehr glänzend bestellt war. Diese entstanden chaotisch-spontan, und ihr Spektrum reichte von den „Arbeitsgemeinschaften der Nationalsozialisten an ..." oder „Nationalsozialistischen Arbeitsgemeinschaften an ...", wie sie etwa in Hessen im April/Mai unter der Ägide des NSStudentenbundes und manchmal mit deutlichem „klassenkämpferischen" Trend340 erblühten, bis zu der früher schon erwähnten341 Gründung einer „Kulturpolitischen Arbeitsgemeinschaft deutscher Hochschullehrer" durch - Ernst Krieck an der Spitze 23 meist westdeutsche342 Professoren mit ausgesprochenem Rechtsdrall, die sich dem Ziel „Deutsche Hochschulen müssen ein deutsches Gesicht tragen" verpflichtet fühlten. Gehört hat man später von allen nichts mehr. Das aber deshalb, weil solche Grüppchenbildungen außerhalb der straffen Organisation nicht geschätzt wurden - und nicht etwa mangels Beteiligung. Im Gegenteil. Die drei letzten Quartale von 1933 haben auch in den Hochschulen zwar nicht gerade Wunder bewirkt, aber doch ihre Uberzeugungsarbeit geleistet, und wie äußerlich die Ergebnisse vorerst auch scheinen mochten, steter Tropfen würde den Stein schon weiter höhlen. Je ein Beispiel vom Beginn und vom Ende dieses Zeitraums. Das erste aus Hamburg, Sitzung der Philosophischen Fakultät am 29. April 343 - eine ganz gewöhnliche Sitzung wie zahllose andere damals in Deutschland, in der nichts weiter als das tägliche Brot jener Wochen gekaut wird. Ein Abschiedsbrief von Ernst Cassirer an die Fakultät wird verlesen, der Dekan bringt das Mitgefühl der Fakultätsmitglieder mit den von den Behördenmaßnahmen betroffenen Kollegen zum Ausdruck; Mitteilung, daß vier Herren von der Hochschulbehörde nahegelegt worden ist, nicht mehr zu lesen, da „die Studenten sonst nicht für die Ruhe in der Universität garantieren könnten"; dem beurlaubten Museumsdirektor und Professor Max Sauerlandt soll (weil „seine Kunstauffassung von der Regierung nicht gebilligt" wird) unterderhand nahegelegt werden, seine Vorlesung nicht abzuhalten, und andere sagen selbst ab; Erörterung der Eingriffe in den Lehrkörper und der problematisch gewordenen Lehrfreiheit, Festlegung eines empfeh92

lenswerten Procedere bei etwaiger Störung der Vorlesung; Bericht des Rektors über die Rektorenkonferenz und über die Nichtbeteiligung der Hochschulen an der Neugestaltung des Studentenrechts; Erörterung des Programms für die Feier am 1. Mai. Kein Einspruch, kein Aufbegehren, gewiß nichts davon, und trotzdem hört man noch aus dem nüchternen Protokolltext Unlust, Widerwillen und wohl auch innere Empörung heraus. Einer Besatzungsmacht würde man so ähnlich gegenüberstehen. Und im November/Dezember dann Frankfurt, Antworten auf zwei Rundschreiben, in denen Dozentenschaftsführer Girndt zu einem Bierabend eingeladen, Fragebogen der Preußischen Dozentenschaft übersandt sowie empfohlen hat, sich möglichst umgehend (Termine gleich genannt) bei der SA einzugliedern344. Einer meldet mit geschlossenen Hacken, er werde „zur Stelle" sein, ein anderer zeigt sich überwältigt von der „Größe des Vertrauens", das ihm hier entgegengebracht werde, eine Assistentin, die daraufhin ihre Mitgliedschaft beantragt, tastet sich mit der Anrede „Sehr geehrter Führer" zwar noch etwas unsicher, doch mit dem beflissenen Versuch, Genüge zu tun, in die neue Zeit. Man weist vor, was man bereits vorzuweisen hat: „regelmäßige Vortragstätigkeit in der NSDAP in den Schulungsabenden", „Bannarzt des Bannes 186 der HJ", „Amtswalter der Bewegung", „eugenische Begutachtungen", „altes Partei-Mitglied vom März 1932", „Leiter der Abteilung Rasse und Erbgesundheit beim Stabe des Gebietes 13 der HitlerJugend sowie stellvertretender Gebietsarzt". Und wenn man klagt, dann allenfalls über Frust. Professor Erwin Becher von der Medizinischen Klinik hat im Sommer bereits dem NS-Lehrerbund seine Anmeldung geschickt und nichts darauf gehört, und auch bei der SA hat er sich nun schon seit drei Monaten vergeblich bemüht, ist dort wegen seines Alters nicht genommen und an die Hitler-Jugend verwiesen worden, wo man gern ältere Arzte nehme, und daß er sich dort um eine Arztstelle beworben hat, ist nun auch schon wieder lange her. Wer nicht kann oder möchte, an dem Abend nicht oder auch sonst nicht, hat doch wenigstens seine Gründe: Wegen Gallensteinen „verbietet sich jedes abendliche Ausgehen von selbst", die „Vertretung im klinischen Dienst am Krankenbett" ist noch nicht geklärt, im „ganzen Arbeitsgebiet zu meiner Freude reichlich Gelegenheit, am Ausbau des neuen Staates mitzuarbeiten", „von einem gichtig-rheumatischen Leiden befallen", „den Anstrengungen des Geländesports gesundheitlich nicht gewachsen", obwohl „mir gerade eine gemeinschaftliche Ausübung des Geländesports große Freude machen würde", „würde sehr gerne beitreten, aber meine Gesundheit macht mir das z. Zt. gänzlich unmöglich". Manche lassen sich anschließend noch zur Mitarbeit bereden - wie der Prähistoriker Hans Zeiß, der das falsch verstanden haben mußte und sich beim Stahlhelm angemeldet hatte, und wenn sie stichhaltig ist, wird eine Verhinderung von Girndt mit warmen Worten („herzliches Bedürfnis") anerkannt - wie bei dem Versicherungswissenschaftler Albrecht Patzig, der, schwerhörig und stark vermindert sehfähig, „selbst bei Tageslicht nicht ohne Begleitung über die Straße gehen" kann und im Dunkeln „geradezu hilflos" ist: „Ich würde doch als SA-Mann eine traurige Rolle spielen." Was Patzig dazu beteuert, reklamieren in der einen oder anderen Form, nur daß es ihnen nicht so glatt abgenommen wird, ebenfalls die Unlustigen: „Aber als Deutscher spiele ich ganz und gar keine traurige Rolle", „meine Gesinnung ist so gut deutsch, wie sie nur irgend sein kann". Auch wer nicht liebedienert oder sich nicht soldatisch-„zackig" gibt, ist doch zumindest freundlich-liebenswürdig und verbindlich. Daß das kein Fehler sein kann, haben also die vergangenen Monate gelehrt. Allerdings: Die Szene im Frühling spielt im Bereich der Ordinarien, die vom Spätherbst überwiegend 93

bei den Nichtordinarien, wo die Fütterungszeiten noch nicht bis zum Lebensende festgesetzt und geregelt waren und bereits zur Schau getragenes Befremden existenzbedrohend sein konnte. Diesen Unterschied hat es indes auch früher schon gegeben, und die Ordinarien hatten nun einmal den Vorteil, bei jedem Richtungswechsel gewissermaßen „Innenbahn zu laufen", 1918 war das nicht anders gewesen. Der Einzug des Nationalsozialismus an den deutschen Hochschulen, die Akzeptanz des Regimes, hatte jedenfalls Fortschritte gemacht, das war allerorts unverkennbar. Und dazu hatte nicht zuletzt dessen offenkundiges Bemühen beigetragen, die Dinge dort, wo sie aus dem Ruder gelaufen waren, wieder in den Griff zu bekommen. Gewiß, alle die Ausschreitungen waren praktisch unblutig verlaufen, niemand war ermordet worden, noch nicht, und die Heidelberger Lokalgrößen etwa, den Rektor eingeschlossen, konnten sich würdig und aufs peinlichste berührt gegen die „bösartigen Erfindungen" eines Dr. Richard Neuberger verwahren345, der am 4. Oktober in der angesehenen New Yorker Zeitschrift „Nation" in einem Artikel „The New Germany" von der nächtlichen Ermordung eines „alten sozialistischen und liberalen" Professors in Heidelberg durch Nationalsozialisten berichtet hatte - am Morgen habe ihn seine Frau mit eingeschlagenem Schädel am Fuß der Treppe gefunden (wobei es sich besonders glücklich traf, daß Neuberger auch Mißhandlungen von Juden im benachbarten Neckargemünd und die Entweihung der dortigen Synagoge beschrieben hatte, es dort aber „überhaupt keine Juden geschweige denn einen Rabbiner oder eine Synagoge" gab). Aber auch ohne Mord und Totschlag war noch genügend „los". Wer einen Posten hatte, gab ihn verständlicherweise nur ungern auf und wehrte sich, sofern und so gut er konnte. Dann aber waren auch die, die sich auf dem gekaperten Staatsschiff bereits eine Pfründe zu sichern gewußt hatten, nur zu gewillt, sie gegen die zu verteidigen, mit denen gemeinsam man vor kurzem noch auf der Straße und in den Saalbauten und Bierkellern gelärmt hatte und die, ist der Neid auf den Freund doch gewöhnlich inniger als der Haß auf den Feind, das Geschrei eher noch schriller fortsetzten und sich als die Jakobiner einer noch ausstehenden zweiten Revolution aufspielten. Noch vor Potsdam und Ermächtigungsgesetz war Ley am 14. März in einem Parteibefehl346 dagegen eingeschritten, daß selbst Ortsgruppenleiter und SA-Truppführer bei Behörden die Absetzung von Beamten verlangten und ihren Mann für den Posten gewöhnlich gleich mitbrachten - und das natürlich so weiter über die Kreisleiter bis hinauf zu den Gauleitern und dementsprechend bei den Gliederungen. O b das viel geholfen hat, erscheint zweifelhaft, wenn man etwa sieht, was, nunmehr also im Hochschulbereich, am 30. März in Münster vorgegangen ist347. So lautete der Ukas, den dort ein „Gustav Deinas, Sturmführer und Adjutant der Standarte 13" erlassen hat: „Im Rahmen der Abwehrmaßnahmen gegen die im Auslande verbreiteten Greuelnachrichten habe ich heute um 11 Uhr 15 Min. dem Direktor des Pharmakologischen Institutes der Universität Münster, Herrn Prof. Dr. Freund die weitere Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit und den Aufenthalt in den Diensträumen untersagt. Herr Prof. Dr. Freund hat sich bis auf Weiteres als beurlaubt zu betrachten." Freund hat sich gefügt und der Kurator die Wahrnehmung der Direktoratsgeschäfte geregelt. Er ist dann nach Berlin zum Vortrag geeilt, doch erst am 4. April hat es die „Beendigung des Abwehrkampfes" erlaubt, daß Freund seinen Dienst wieder antreten durfte Münster aber ist sicher kein Ausnahmefall gewesen. So ist es etwa an jenem berüchtigten Boykott-Samstag, am 1. April, auch an der Bonner Universität zu derartigen Störungen 94

des wissenschaftlichen und Prüfungsbetriebs gekommen, daß der Rektor vom - kommissarischen - Oberbürgermeister als der maßgeblichen Polizeibehörde eine Erklärung eingeholt hat, wonach „der Universitätsboden immun und nicht zu betreten" sei 348 . Daß die nationalsozialistischen Studenten, die Wortführer der zweiten Revolution im akademischen Bereich, so leicht nicht einzuschüchtern waren, zeigte dann der schon erwähnte Aufruf, mit dem die Führung der Deutschen Studentenschaft am 19. April die „Gesamtaktion wider den undeutschen Geist" eingeleitet hat 349 . „Wir halten nichts von den klugen Mönchen im stillen Kämmerlein", hreß es da, und dann wurde den „bildungssüchtigen Abgesandten" aus der bürgerlichen „Brutstätte des Liberalismus" unverhüllt gedroht: „Der Staat ist erobert, die Hochschule noch nicht! Die geistige SA rückt ein. Die Fahne hoch!" Man kann es verstehen, wenn beispielsweise in Heidelberg Rektor Andreas das Einrücken der geistigen SA nicht tatenlos abwarten wollte und vom Karlsruher Ministerium am 24. April nicht nur einen Erlaß erbat, der „Einzelaktionen und Störungen des akademischen Lehrbetriebs aufs strengste untersagte", sondern auch „zur Sicherstellung der akademischen Ordnung und eines ungestörten Lehrbetriebs" einen listigen Antrag stellte 350 : die „Abordnung" einer „kleineren Wachabteilung" aus „SA, SS und Stahlhelmleuten" zum Schutz der Universitätsgebäude; als „Wachhabenden" präsentierte er einen ihm vertrauenswürdig erscheinenden Studentenführer mit dem tatsächlich beruhigenden Namen Fred Himmel 351 . Daß die Heidelberger Schutztruppe keine isolierte Erscheinung geblieben ist, könnte die Existenz eines „Ordnungsdienstes" in der Berliner Universität beweisen, den man noch Ende Juni effektiv am Werk sehen konnte 352 . Das freilich in ziemlich anderer Stoßrichtung als der von Himmels Heidelberger Noske-Truppe, nämlich bei der Besetzung und Durchsuchung des Physikalisch-Chemischen Instituts, wobei drei als „Marxisten" ausgewiesene Studenten „an die Polizei abgegeben" wurden. Institutsdirektor Max Bodenstein, zweifacher Ehrendoktor und - die Preußische eingeschlossen - dreifacher Akademiker, hat ausdrücklich keinen Protest erhoben, sondern nur mißbilligend bemerkt, er stehe der Durchsuchung nicht sympathisch gegenüber. Am 29. April hat in Münster Gauleiter Meyer von Westfalen-Nord jene BaumstarkKommission eingesetzt, der neben der Überprüfung der sich häufenden Partei-Anmeldungen von Professoren und Dozenten die „gründliche personale Reinigung des Lehrkörpers" obliegen sollte. Es ist bereits geschildert worden, wie diese Kommission, von Rektor wie Ministerium mit äußerster Kühle behandelt, in der Parteifehde zwischen Westfalen-Nord und Westfalen-Süd auf der Strecke geblieben ist 353 , - es leuchtet ein, daß die Studentenschaft diesen Kampf der Jumbos nur auf der zweiten Geige begleiten durfte. Das aber war eine Ausnahme. Zur gleichen Zeit - und solche eigenen Erfolge waren weit eher die Regel - ist in Hamburg von der Studentenschaft unter Androhung von Demonstrationen die Ersetzung des angekündigten Festredners der Maifeier, des ihnen zu alten Internisten Ludolph Brauer, durch den jugendfrischen und einwandfrei nationalsozialistischen Adolf Rein erzwungen worden 354 . Und damit war dann also der gefürchtete oder ersehnte Semesterbeginn gekommen. Schwierigkeiten gewärtigte man insbesondere um die nicht beurlaubten jüdischen (nämlich „geschützten") und sonst mißliebigen Professoren. Wie etwa in Kiel vorsorglich bekanntgegeben wurde 355 , erwartete das Ministerium von ihnen die Ausübung ihrer Amtspflicht: Maßnahmen seien getroffen, um alle Störungen zu verhindern; sollten diese „wider Erwarten" aber doch eintreten, werde „mit den schärfsten Mitteln eingegriffen werden". 95

Am 2. Mai hat Kultusminister Rust einen Erlaß an die preußischen Studentenschaften gerichtet356, in dem nun endlich Tacheles geredet wurde. Die Umgestaltung des Lehrkörpers, so hieß es da, sei Aufgabe der Staatsregierung; der Studentenschaft obliege jetzt die Pflicht, durch Disziplin und Leistung den Ruf des deutschen Hochschulwesens wiederherzustellen, und sie dürfe sich in der „Erfüllung dieser großen und ehrenvollen Aufgabe" auch nicht beirren lassen durch „Entgleisungen einzelner Hochschullehrer", die „in diesen Tagen eines deutschen Arbeiterfrühlings durch beleidigende Erklärungen das junge Deutschland" herausforderten. „Störungsversuchen" des „Arbeitsfriedens" werde er auf beiden Seiten entgegenzutreten wissen, versicherte Rust, tapfer Mörder und Ermordete gleich schuldig sprechend, und wie er Lehrer, die „unser deutsches Hochschulwesen durch unzeitgemäße und unberechtigte Erklärungen" vor der Welt denunzierten, entfernen werde, so werde er auch Studenten vom Hochschulstudium ausschließen, die sich zu „störenden Aktionen an den Hochschulen mißbrauchen" ließen. Wie man also sieht, konnten auch jetzt die Kommilitonen noch nicht an den Ohren gezogen werden, ohne daß man zur Kompensation zugleich mit einem Knüppel kräftig auf die Professoren eindrosch. Das wurde noch deutlicher in einer Rede Rusts am 6. Mai in der Aula der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität, wo eine „gewaltige Kundgebung" anläßlich der Verkündung des neuen Studentenrechts stattfand. Von dieser Erklärung, die als für das Verhältnis zwischen Studenten und Hochschulen „programmatisch" ausgegeben wurde, hat der Kultusminister - der Text wurde in extenso verbreitet357 - nach einem Drittel allgemeiner Einleitung fast die ganzen restlichen beiden Drittel „meinen Herren Professoren" gewidmet, die, in ihre Forschungsarbeit „vollständig eingekapselt", die Jugend übersehen hätten, welche in ihnen Führer in die deutsche Zukunft gesucht habe. Jetzt müßten die Herren Professoren um ihr „Recht der Erstgeburt" kämpfen, müßten sich bewähren, damit sich wieder, wie im Nationalsozialismus an sich selbstverständlich, „die Jugend ehrfurchtsvoll vor dem Alter beugt" und „wieder in Ehrfurcht zu ihren Füßen sitzt". Und so weiter und so fort - es kam, wie gesagt, knüppeldick, und hätten die vergangenen Monate nicht schon so bös an der professoralen Würde gezaust, wäre vielleicht doch der eine oder der andere der so Gebeutelten protestierend hinausgegangen. Väterlich mild hingegen wurden am Schluß und eher beiläufig die Studierenden aufgefordert, in ihre akademische Gemeinschaft zurückzukehren, die Grenzen ihrer Freiheit zu erkennen und nun unter ihrem eigenen Gesetz durch „unerhörte Disziplin" zu beweisen, daß es nicht ihre Schuld gewesen sei, daß die Hochschulen „Schauplätze der Unruhe waren". Daß sich so etwas auch im Dritten Reich nicht einfach durch Kommando regeln ließ und schon gar nicht von diesem Kommandierenden, läßt sich denken. Weiter hat sich die Hierarchie gegen Bedrohungen von unten wehren müssen, etwa im Juli in Tübingen der Rektor gegen heftige Angriffe der Studentenführung in Sachen Wehrsport358, bis im August wiederum Rust in einem Erlaß gegen die Eingriffe Unberufener, Einzelpersonen wie Verbände, in die Hochschulverwaltung eine neue Gardinenpredigt hielt - es werde das unter keinen Umständen mehr geduldet werden, laut Erklärung Hitlers sei die Revolution abgeschlossen359. Und am 21. Weinmond, unter welcher Bezeichnung man unschwer den Oktober erkennt, aber auch schon den Marsch der baldigen Martin-Luther-Universität in die Arme Rosenbergs zu erahnen meint, bat der hallische Rektor Stieve als „Führer" (so hieß das jetzt, man ging mit der Zeit) des Deutschen Rektorentages „sämtliche deutschen Kultusministerien", den sich mehrenden Fällen zu wehren, wo „die deutschen Hochschullehrer von unberufener Seite in aller Öffentlichkeit in unverant96

wortlicher und ungerechtfertigter Weise angegriffen und in der öffentlichen Meinung herabgesetzt" würden. Daß die Hochschullehrerschaft der nationalen Erhebung ablehnend, zumindest aber zurückhaltend gegenüberstehe: Nichts sei falscher als das. Unerschrocken hätte sie vielmehr bis Ende 1923 an der Spitze des nationalen Kampfes gestanden, und wenn danach Stimmen von Hochschullehrern laut geworden wären, die das hohe Ziel der nationalen Befreiung verkannten, so dürfe man doch nicht übersehen, „daß ein großer Teil von ihnen gegen unseren Willen berufen wurden [sie] und heute nicht mehr in unseren Reihen stehen". Aus ehrlicher Überzeugung stände man bedingungslos hinter dem Führer360, also sollten die Angriffe „endlich zum Schweigen kommen". Wenn wir damit dieses große Thema von 1933 verlassen, so mit dem Wissen, daß zwar in der zweiten Hälfte des Jahres die Ruhe und die Ordnung der akademischen Hierarchie wiederhergestellt worden sind - und insbesondere die Ereignisse der Jahresmitte 1934 werden dann weiter zur Abkühlung beitragen - , daß völlig aber die Angriffe noch lange nicht „zum Schweigen gekommen" waren. Und zwar, während Partei und Studenten am Ende mehr oder weniger ihren Frieden mit den Professoren machten, vor allem der Teil nicht, der aus ihren eigenen Reihen kam. Man wird dafür im folgenden Teil dieser Arbeit noch hinreichend Belege finden, hier mag als Illustration ein damals vielbeachteter Artikel genügen, den im März 1935 eine Studentenzeitschrift aus der Feder des schon erwähnten NS-Aktivisten Johannes v. Leers veröffentlicht hat361. Unter der Uberschrift „Leistung gegen Intrige!" monierte v. Leers hier, daß die Zeit der Straßenaufmärsche und der leidenschaftlichen Reden zwar zu Ende sei, es jedoch immer noch einzelne gebe, die meinten, durch besonders revolutionäres Reden die nationalsozialistischen Ideale weitertreiben zu können - „Rollhosenjakobiner" der Phrase, „rabiates Gerede unreifer Burschen": „Es gibt nichts Komischeres als einen überalterten Jakobiner" (womit er ja zeitlos recht gehabt hat). Indes nütze Gesinnungstüchtigkeit überhaupt nichts, wenn hinter ihr keine Leistung stehe; hier drohe „vergiftende Intrigantentätigkeit" die Arbeit lahmzulegen, wo doch an manchen Stellen hinter jedem, der arbeite, zwei bis drei ständen und sich eifrigst bemühten, ihn abzusägen, weil sie seinen Posten haben wollten. Da war sie also wieder - oder schon oder immer noch, die alte Problematik des totalitären Staates, und nicht nur dieses. Denn wie Gesinnung ohne Leistung nutzlos ist, so Leistung ohne Gesinnung gefährlich. An der Quadratur des Kreises, den Geist, dem der Widerspruch, manchmal bis zur Selbstvernichtung, inhärent ist, gewissermaßen „staatstragend" zu machen, sind sie bislang alle gescheitert, und fraglich blieb immer nur, ob man wohl starr oder geschmeidig besser der Herausforderung begegne. Mehr also dazu vorerst nicht. Und ebenfalls soll die nun hinlänglich aufgeworfene und völlig zufriedenstellend nicht zu beantwortende Frage nach Ausmaß und Intensität wirklicher „Läuterung" ausgeschlossen bleiben, wenn wir uns jetzt der institutionellen und damit eigentlichen „Gleichschaltung" zuwenden.

Es ist dabei das, was sich zwar noch im akademischen Bereich, aber nur am Rande der Hochschule abgespielt hat, nicht unser Thema, und dies soll daher bloß sporadisch gestreift und vor allem dort darauf hingewiesen werden, wo es schon an anderer Stelle dieser Arbeit in ihre engere Thematik hineingespielt hat. Wie etwa bei der edelsten und damals wohl angesehensten Institution, der Preußischen Akademie der Wissenschaften, 97

von deren Gleichschaltung wir bereits im Zusammenhang mit v. Laue und Einstein, Haber und Stark gehört haben 362 . Es soll das nicht wiederholt werden, es hat Würdiges gegeben wie Plancks versuchte Intervention für die jüdischen Kollegen, wie die HaberTotenfeier, wie die Laue zu verdankende Ablehnung der Aufnahme Starks - und weniger Würdiges wie den ausgehandelten „freiwilligen" Rücktritt Einsteins, wie die HeymannErklärung gegen Einstein, wie den von Friedrich Paschen, Planck und Karl Willy Wagner 363 unterzeichneten und dem Druck der „Regierung" wohl mehr vorauseilenden als folgenden Antrag auf Aufnahme Starks. Max Planck, die tragische Figur, dieser - wir hörten Paul Ewald schon - brave Mann, das Gegenteil eines Revolutionärs, hat sich gebeugt „wie die Bäume im Wind"; und der „Vorsitzende Sekretär Planck" ist es, viel später noch, auch gewesen, der in einem Rundschreiben vom 1. Dezember 1938, dem Erlaß W N 2604a des Reichserziehungsministeriums folgend, den Kollegen, die „Mischlinge" oder „jüdisch versippt" waren (sowie den unter den Korrespondierenden und Ehrenmitgliedern noch vorhandenen Juden), die Niederlegung der Mitgliedschaft nahegelegt hat, andernfalls Widerruf - und „der Einfachheit halber" die Ausfüllung eines beigefügten Fragebogens „ergebenst anheimgestellt" 364 . Bei den vier anderen Akademien verliefen die Dinge freilich eher noch schlimmer. Von den Göttingern 365 etwa wurde der hier schon eine Woche früher ergangene Erlaß des Ministeriums mit der Aufforderung, „soweit erforderlich die notwendig werdenden Erklärungen abzugeben", den Mitgliedern einfach ins Haus geschickt - Plancks altväterliche Umschreibung und halbe Entschuldigung gewinnt daneben einen Hauch von Courtoisie. Von solchen Reinigungsaktionen abgesehen, haben die alten Herren in ihren „mathematisch-physikalischen" und „philosophisch-historischen Klassen" eine relativ lange Schonzeit genießen dürfen, vom Regime als Tierparks an sich ausgestorbener Spezies geduldet. Erst unter dem 14. Februar 1936 ist den übrigen vier 366 ein Erlaß zugegangen mit der Aufforderung, die - wie aus der Anlage ersichtlich - von den Bayern vorgenommenen Satzungsänderungen ebenfalls durchzuführen. München also war es gewesen, das nach Vorschlag vom 16. November 1935 (unter dem Eindruck der „Nürnberger Gesetze") und Erhalt der Berliner Genehmigung am 23. Januar 1936 seine Bayerische Akademie der Wissenschaften der „heutigen Staatsauffassung" angeglichen hatte, könnte sie doch, wolle sie die aus ihrem staatlichen Charakter fließenden Vorteile genießen, unmöglich ein Gebilde darstellen, das „von den Staatsauffassungen der heutigen Zeit völlig unberührt" bleibe. Ergo: Die Sekretäre werden nicht mehr gewählt, sondern vom zuständigen Reichsminister ernannt, ebenso der neueingeführte Präsident, der - Karl Alexander v. Müller - an die Spitze der Institution tritt. Von den anderen gelehrten Gesellschaften hat als erster Planck avisiert, er werde nicht verfehlen, demnächst einen Vorschlag der Angleichung der Satzung an die heutigen Verhältnisse vorzulegen; die übrigen werden gefolgt sein 367 . Wie das in Leipzig ausgesehen hat, ist dem Verfasser vor vielen Jahren von Theodor Litt geschildert worden 368 : „Und eines schönen Tages, das war wohl schon im Jahre etwa 37/3 8 369 , kommt an die Leipziger Akademie und an die vier anderen Akademien die Forderung von dem Rust, wir hätten uns ein neues Statut zu geben. Und um uns unnötige Hirnanspannung zu ersparen, wurde uns auch gleich gesagt, was in diesem Statut drinzustehen hätte: Führerprinzip, Rassenprinzip und so weiter. Ich habe damals zu der Akademie in Leipzig gesagt: Wir wollen doch einfach dem Ministerium erklären: Bitte, mach du dir eine Akademie, wie du sie haben willst, mit einem Statut, wie es dir gefällt, mit Mitgliedern, wie du dir sie wünschst, aber mute uns 98

nicht zu, daß wir einfach unserer Tradition ins Gesicht schlagen, mute uns das nicht zu, wir verzichten darauf. Was meinen Sie: Ein paar Leute stimmten mir zu, die größere Mehrheit erklärte: Ja, wenn wir das sagten, könnten wir dabei ja nicht mitreden. Ich sage: Ein komisches Mitreden, wenn man einem sagt, was man zu beschließen hat als Statut. Also man redet mit. Eines schönen Tages kommt nun das unter dem Mitreden der Universität zustande gekommene Statut mit der Aufforderung an die beiden Sekretäre der Akademie, zu unterschreiben: der Historiker Brandenburg, der Physiker Heisenberg. Heisenberg, der niemals Nazi gewesen ist, auch keine Neigungen gehabt hat; Brandenburg, der zwar nicht Nazi war, aber viele Entschuldigungsgründe für sie hatte... Jetzt kommt also an die beiden Sekretäre die Aufforderung, das zu unterschreiben. Natürlich steht das, was wir abgelehnt hatten, drin, und sie sagen infolgedessen, sie lehnten es ab, das zu unterschreiben, höchstens drunterschreiben: Zur Kenntnis genommen. Oh nein, bekommen sie zurück, Ihr habt mitverhandelt, jetzt müßt Ihr unterschreiben. Dann haben sie unterschrieben. Ich habe damals zu Heisenberg gesagt: Warum haben Sie eigentlich unterschrieben? Sie können doch erklären: Ich unterschreibe nicht, ich lege mein Amt nieder, - wozu denn? Ja, sagte Heisenberg - ich vergesse es nie - , das ist eben bei den Nazis so: Wenn sie sagen: Bewege die rechte Hand, dann bewegt man die rechte Hand, das rechte Bein - das rechte Bein. Nein, sage ich, so ist es nicht, sondern so wird es, wenn keine Männer da sind, die widersprechen. Notabene, Heisenberg ist niemals auch im leisesten Sinne Nationalsozialist gewesen. Ich zitiere das nur als Beleg dafür, wie auch Männer von Geist und Charakter diesem ganzen System widerspruchslos erlagen, an entscheidenden Punkten jedenfalls. Ich sagte damals in der Akademie: Ja, was haben wir denn eigentlich nun gewonnen, wenn wir erst also widersprechen und dann doch schließlich mitmachen. Darauf sagte einer, - sagte Alfred Schulz, der alte Jurist - , er sagte: Ja, dann können wir wenigstens uns überzeugen, ob die anderen auch mitstimmen oder widersprechen. Ja, sagte ich, diese Ubereinstimmung würde dann nur sein eine Übereinstimmung in der sklavischen Unterwerfung. Eine Unterwerfung wird nicht dadurch besser, daß sie von vier anderen Akademien auch mitgemacht wird. Jetzt stellen Sie sich mal vor: Wenn die Akademie damals so verfahren hätte, wie ich es vorgeschlagen habe - wie würde die heute dastehen! Dann würde es heißen: Das ist die einzige deutsche Akademie, die sich in diesem Augenblick charaktervoll bewährt hat. Dagegen sich ein Statut geben, das ihrer eigenen Tradition widerspricht, stattdessen Unterwerfung. Überall immer dasselbe: Wir sind klüger, wenn wir Ja sagen. Das war die durchgehende Stimmung." Von den - neben den Akademien - beiden anderen tragenden Säulen der außeruniversitären Wissenschaft ist bereits gesprochen worden, als wir den Parteigenossen v. Bochmann von der NSDAP-Reichsleitung auf seiner Erkundungsreise durch die deutsche akademische Provinz im Herbst 1932 begleitet haben 370 . Freundlich und mit dem Versprechen, „in jeder Weise entgegenzukommen", war er (so sein Bericht) bei der Kaiser-WilhelmGesellschaft (KWG) vom Generaldirektor, dem Staatsrechtler Friedrich Glum, aufgenommen worden 371 , dem angeblich ebenfalls „die vielen Juden in den Instituten" auf die Nerven gingen. Etwas anders war der Empfang bei der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft ( N G ) gewesen, jener bei weitem wichtigsten Institution außerstaatlicher Forschungsfinanzierung, wo bei Präsident Friedrich Schmidt-Ott - „ein sehr schlauer Herr, der es bisher immer verstanden hat, alle regierenden Parteien sich geneigt zu erhalten" - und dessen Stellvertreter Geheimrat Victor Schwoerer der anfängliche „Griff ins Wespennest" - „man tobte und sprach von einer Politisierung der Wissenschaft" - zu guter Letzt aber doch noch mit der Zusage der „Hineinwahl" zumindest „eines unserer Parteigenossen" und der „wohlwollenden" Erwägung des Ausscheidens „der für uns untragbaren Prof. Hoetzsch und Dr. Moses" geendet hatte. 99

Die KWG ist denn auch nach der Machtergreifung weiterhin recht entgegenkommend gewesen, über die erforderlichen Umbildungen sind sich die neuen Herren mit (auch hier) Planck und Glum schnell einig geworden: Verkleinerung des Senats von 44 auf 32 Personen (es ist immer kostensparend, wenn nur eine Partei oder zwei ihre Leute zu versorgen haben, die Demokratie mit ihrem uferlosen Aufblähen aller Pfründen kommt da teurer), von denen 14 von der Hauptversammlung zu wählen, je sieben vom Reich und von Preußen zu ernennen waren (der Rest: der Generaldirektor und die drei Sektionsvorsitzenden); ferner Hinauswurf aller „politisch Belasteten", während Planck von den Juden unter der Bedingung, „die übrigen Nichtarier ohne weiteres fallenzulassen", drei mit „großen Stiftungen für die Gesellschaft" behalten durfte: Franz v. Mendelssohn und Paul Schottländer, beide hochbetagt und Gründungsmitglieder noch aus dem Kaiserreich, sowie den - jüngeren - Frankfurter Universitätsmäzen Alfred Merton. Wie ein historischer Witz mutet es an, daß die Siebener-Listen der beiden Ministerien, auf denen die alten Marschierer Lenard, Stark und Vahlen in die KWG einrückten, angeführt wurden von zwei schwarz-weiß-roten Fossilien aus der Feudalzeit: die des Reichsinnenministeriums von „Carl Eduard Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha, K. H . " , die des preußischen Kultusministeriums von „August Wilhelm Prinz von Preußen, K. H . " - wobei „K. H . " beide Male für „Königliche Hoheit" stand. Der „Auwi" ist dann sogar zum 1. Schriftführer gewählt worden und wäre beinahe gar noch - Stark wollte Schmidt-Ott hinausschießen, und es gab bösen Stunk in der Senatssitzung vom 28. Juni 2. Vizepräsident geworden, bevor er auch nur über die Annahme der Senatorwürde zu befinden geruht hatte (die Genehmigung „Seiner Majestät" aus Doorn hat er erst danach erhalten), doch hat „S. K. H . " den popeligen Schriftführer als „nicht meinen Intentionen" entsprechend deutlich von oben herab abgelehnt 372 . Die Gleichschaltung der Notgemeinschaft hat sich, v. Bochmann hatte die dortige Atmosphäre richtig eingeschätzt, etwas länger hingezogen. Präsident Schmidt-Ott und die übrigen Mitglieder von Präsidium und Hauptausschuß hatten zwar im Sommer ihre Ämter zur Verfügung gestellt, doch war es dabei und bei der kommissarischen Weiterführung der Vorstandsgeschäfte auch geblieben, Neuwahlen hatten nicht stattgefunden. Am 17. Juli 1934 hat dann das neue Reichserziehungsministerium eingegriffen und Johannes Stark, bereits Präsident der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt, als kommissarischen Leiter der N G eingesetzt. Satzungsgemäß war dazu das Plazet der Mitgliederversammlung erforderlich, das man jedoch „aus Ersparnisgründen" durch die Einholung der Zustimmungen im schriftlichen Umlaufverfahren ersetzte — die Genehmigung zur Satzungsänderung „im Sinne des Führerprinzips" gleich blanko mit eingeschlossen. Mitglieder - das waren die Akademien, die Hochschulen und einige Gesellschaften, insgesamt 57. 47 davon haben gehorsamst zugestimmt, was ausreichte, um Schmidt-Ott mit geheucheltem Dank für tatkräftige Beseitigung der wissenschaftlichen Verödung in einer Zeit tiefsten Elends endgültig aufs Altenteil zu schicken. Die Universitäten Bonn und Gießen, die Handelshochschule Nürnberg und die Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte haben sich, aus welchen Gründen auch immer, nicht geäußert, die KWG hat sich „vorläufig der Stimme enthalten", die vier Akademien und im Kielwasser der Bayerischen die Universität München haben Stark abgelehnt. Wie letzteres vor sich gegangen ist, darüber haben Stark und sein - übernommener Adlatus Eduard Wildhagen einen Bericht von „unserer Kampfgruppe" aus München erhalten, der erwies, daß „eine Akademie die andere in ihrem unnationalsozialistischen Verhalten unterstützt" hatte, ein Kartell gewissermaßen, und es sei wohl „zweckmäßig, 100

diese ganzen Institutionen aufzulösen und durch eine Deutsche Akademie der Wissenschaft zu ersetzen". Die Berliner hatten, so der Münchener Konfident, am 24. Juli damit angefangen, ihre Ablehnung herumzuschicken. Am gleichen Tage war eine Anfrage aus Göttingen eingegangen, und es hatten daraufhin die vier Geheimräte - Präsident Leopold Wenger sowie die Klassensekretäre Jonathan Zenneck, Georg Leidinger und Eduard Schwartz - eine Sitzung abgehalten und Göttingen dann ihre Ablehnung mitgeteilt: So hervorragend Starks Leistungen auf einem Spezialgebiet gewiß seien, so sei er doch „selbst auf dem Gebiete der Physik verhältnismäßig einseitig". Derart aus München mit einer zweiten Krücke versehen, hatten die Göttinger am Tag darauf nachgezogen und Stark „nicht für geeignet" erklärt. Die Leipziger schließlich waren am 26. gefolgt und hatten sich eine Persönlichkeit mit einem „weiten Blick für die Bedürfnisse aller" gewünscht, die Stark nicht sei 373 . Anschließend an KWG und N G nun ein Blick auf - sagen wir: teilstaatliche Forschungsinstitute, in der Regel Gründungen engagierter Privatleute, die, meist politisch motiviert, Beihilfen aus öffentlichen Mitteln erhielten oder deren Etat teilweise von staatlichen Kassen finanziert wurde. Hier zwei Beispiele. Erstens das Institut für Auswärtige Politik in Hamburg, nach dem Kriege zwecks Teilnahme an der Aufklärung der Kriegsursachen und Wiederherstellung gleichrangiger wissenschaftlicher Auslandsbeziehungen von Albrecht Mendelssohn Bartholdy gegründet und seitdem geleitet, zuletzt eine rechtsfähige Stiftung unter der Aufsicht des Hamburger Senats. Obwohl das Auswärtige Amt sich warm für Mendelssohn einsetzte und ihm und seinem Institut bescheinigte, „immer fest auf deutschem Boden gestanden" und bei der „Vertretung der deutschen Interessen im Ausland keinen pazifistisch-demokratischen Tendenzen gehuldigt" zu haben, drehte das Reichsinnenministerium im September 1933 den staatlichen Geldhahn zu. Daß ohne Mendelssohn das Institut am Ende war, wurde in Kauf und die Anregung des dann im Februar 1934 demissionierenden Institutsleiters „gern aufgenommen", die Reste der Universität anzugliedern, der er ja ebenfalls nicht mehr angehöre 374 . Bedeutender war in Berlin die Deutsche Hochschule für Politik, auch sie Werk eines einzigen Mannes, Ernst Jäckh 3 7 5 :1920 geboren - wie er, im Dritten Reich mit dem drohenden Ende seines „Lebenswerkes" konfrontiert, voller Pathos geschildert hat - „aus dem Schützengrabengeist von 1914; getauft mit dem Blut meines einzigen Sohnes, der als Fahnenjunker im französischen Trommelfeuer gefallen ist; gefirmt mit dem ,Primat der Politik', das Reichskanzler Hitler in der Potsdamer Garnisonkirche wieder postuliert hat; dankbar anerkannt von SS- und SA-Führern, die ihr [seiner Hochschule] ihre Ausbildung verdanken . . . " . Wenn Jäckh hierfür als Referenz den SA-Führer von BerlinBrandenburg Karl Ernst angegeben hat, so beweist das den frühen Zeitpunkt auch dieses Sterbens. Es war sogar ein sehr früher: In den Mittagstunden des 1. April 1933 ist Jäckhs Hochschule, die ein Fünftel ihres Budgets vom Reich und von Preußen bezog (beim Reichsinnen- beziehungsweise beim preußischen Kultusministerium ressortierend), vorläufig geschlossen worden. Es hatte nichts genützt, schnell noch im März Hitlers Reichskanzlei-Staatssekretär Lammers und einen damals offenbar hochnotierten Parteigenossen C . A. Fischer ins Kollegium zu berufen, sich beider „Beratung" bei der Gewinnung weiterer Parteigenossen als Dozenten zu versichern, den nationalsozialistischen Pädagogik-Star Ernst Krieck als Gastdozenten anzuheuern und das Kuratorium zeitgemäß „umzubauen". Eines nur wollte Präsident Jäckh unbedingt verhindern, weil er dadurch, mit Recht, das „Weiterlaufen" seiner erheblichen, an die Voraussetzung „unbedingter Wissenschaft101

lichkeit" geknüpften amerikanischen Rockefeller- und Carnegie-Gelder gefährdet sah: die Zuordnung seiner Hochschule zu dem soeben entstandenen Propagandaministerium, die den neuen Herren vorschwebte. Dank Lammers schaffte er es immerhin, am Tag der Schließung von Hitler empfangen zu werden, ihm seine Planungen vortragen zu dürfen und die „grundsätzliche Bereitschaft des Herrn Reichskanzlers" mit nach Haus zu nehmen, zu Semesterbeginn in der Vorlesungsreihe „Politik in der Praxis" einen Vortrag zu halten. So schön das gewiß war, so hatte doch, wie man in der Reichskanzlei notierte, „zu allen diesen Angelegenheiten der Herr Reichskanzler keine Stellung genommen", sondern den Petenten an denselben Goebbels verwiesen, vor dem er ja gerade auf der Flucht war. Jäckh selbst hat das in einem Brief noch drastischer geschildert 376 : „Hitler erwiderte, daß er seit Jahren die Hochschule als ein politisch wichtiges Instrument dem Doktor Goebbels versprochen habe." Bereits die Nachricht vom Empfang Jäckhs in der Reichskanzlei hatte indes genügt, Gegner zu alarmieren. Martin Spahn hatte sie „so sehr erschreckt", daß er „sofort" bei Lammers vorsprach, und ein Dr. Ulrich Kersten ließ sich in einem bösen, von der Nationalsozialistischen Korrespondenz verbreiteten 377 Artikel über den „ Fall Jäckh - ein Kapitel erbärmlicher Charakterlosigkeit" aus: Der einst den Emil Ludwig, Feuchtwanger und Einstein bei der „systematischen Verunglimpfung des nationalen Deutschland" geholfen und noch für Brüning, ebenfalls die nationale Bewegung „ununterbrochen verunglimpfend", durch die U S A getingelt sei, der könne plötzlich gar nicht genug Eifer an den Tag legen, seine „nationalistische Gesinnung" zu betonen und der nationalen Regierung seine Dienste anzubieten. Und das hat die „nationale Regierung" wohl ähnlich gesehen, konnte doch Jäckh apologetische Aufzeichnungen verfassen und versenden, soviel er wollte: Mitte des Monats wurde sein „Lebenswerk" ganz dem Propagandaministerium unterstellt und darüber hinaus, das war neu, aber wohl angesichts des nun zu erwartenden Stopps der Auslandsgelder logisch, gar noch verstaatlicht. Wilhelm und Ebert, schrieb Jäckh daraufhin, habe er „noch so ehrenvolle Angebote" staatlicher Anbindung abgelehnt, und auch jetzt lege er daher sein Amt als Präsident nieder 378 . Sollte er geglaubt haben, damit die Gegenseite beeindrucken zu können, so wäre das ein Irrtum gewesen. Für den 29. Juni hat dann der „Kommissar der Deutschen Hochschule für Politik", Paul Meier-Benneckenstein, zur Eröffnung der Sondervortragsreihe des Sommersemesters eingeladen - über den „Faschismus und seine praktischen Ergebnisse" sprach Reichsminister Dr. Goebbels 3 7 '. Es wird von der Hochschule für Politik und ihrem weiteren Weg an anderer Stelle noch die Rede sein, hier soll nun die Gleichschaltung der zahlreichen Verbände und Vereine wenigstens erwähnt werden, die sich um die einzelnen Fächer gruppierten. Im Zusammenhang mit Laue und Stark bereits genannt worden ist die Deutsche Physikalische Gesellschaft und der auf der Würzburger Physikertagung im September 1933 abgewehrte Griff Johannes Starks nach dem Vorsitz 380 . Solcher kleinen Erfolge hat man sich freilich in jenen Vereinigungen nicht oft und wenn, dann nicht lange erfreuen können - und hat sie vielfach auch gar nicht gewollt oder benötigt. Konnte ein Fach erwarten, den Wind der angebrochenen Zeit voll in den Segeln zu haben, bedurften in der Regel weder seine Interessenvertretungen der Gleichschaltung noch es selbst der Rechtfertigung. Bei den Fächern in Randlage der Konjunktur hatte die Fachlobby dafür zu sorgen, daß die „volkserziehenden" und sonstigen nunmehr geschätzten Werte ihrer Wissenschaft ins rechte Licht gerückt wurden. Wie dies etwa die Gesellschaft für Völkerkunde im Oktober 1933 in einem Schreiben an Hitler getan hat, in dem sie ihm ein bißchen aus seinem „Kampf" 102

zitierte, die Bedeutung der Völkerkunde als Grundlage und Ergänzung so hochwichtiger Disziplinen wie Vorgeschichte und Volkskunde, Anthropologie und Rassenkunde erläuterte und ihre Möglichkeit, „wertvolle Richtlinien für die Schaffung und Pflege neudeutschen Volkslebens zu geben", ebensowenig vergaß wie einen zukunftweisenden Ausblick auf ihr Gewicht in einer „neuen deutschen Kolonialperiode" 381 . Wo es indes nicht einmal solche Affinitäten gab, war da nicht allzuviel zu machen, war der neue Zeitgeist fremd und daher meist der Lobby-Verband erneuerungsbedürftig, manchmal selbst lange noch nachdem 1933 die Juden und Marxisten, die Demokraten und Pazifisten hinausgesäubert waren. So bei der Deutschen Mathematiker-Vereinigung, von der das Reichserziehungsministerium noch im Januar 1935 eine Satzungsänderung fordern mußte, wonach die Leitung der Vereinigung künftig des „Vertrauens der Staatsführung, d. h. der Bestätigung durch das Reichserziehungsministerium", bedürfe - sowie das Ausscheiden des Hamburger Ordinarius Wilhelm Blaschke aus dem Ausschuß, weil er „für die Denunziation eines Volksgenossen gegenüber Ausländern verantwortlich" sei. Nun ist Blaschke, weiter unten bei der Fachgeschichte mehr über ihn, nie Gegner des Nationalsozialismus gewesen. Vor 1933 hatte er, Spitzname Mussolinetto, Sympathien für den Faschismus gezeigt, ab 1936 hat er sich dann der Partei immer mehr angenähert und ist einer der in Berufungsfragen wohl einflußreichsten deutschen Mathematiker geworden. Gerade in den Anfangsjahren des Regimes aber ist er bemüht gewesen, wie auch ein Blaschke nicht übermäßig schätzender Kollege 382 nach 1945 eingeräumt hat, die „schädigenden Wirkungen des Nazismus auf die Universitäten abzustreifen". In diesem Sinne hatte er auch auf dem Pyrmonter Mathematiker-Kongreß von 1934 gewirkt und war dabei offenbar ins Feuer der Partei geraten. Jedenfalls gab es also abseits von den Brennpunkten noch 1935 Vereinigungen, die den Forderungen der neuen Zeit noch nicht gerecht geworden waren und dazu jetzt noch angehalten werden mußten. Sie und all die anderen abzuhandeln wäre eine eigene Arbeit wert und kann hier nicht Aufgabe sein. Es möge aber dem Historiker verziehen werden, wenn er die wenigen Streiflichter, die nur Hinweise auf das Geschehen rund um die Hochschule geben können und sollen, mit einem Blick auf das eigene Fach beschließt. Der Ausschuß des Verbands deutscher Historiker hat am 10. und 11. Juni 1933 in Eisenach seine Gleichschaltungssitzungen abgehalten, bei denen es, das kann man zwischen den Zeilen lesen 383 , ziemlich hoch hergegangen sein dürfte. Die Historiker haben zwar versucht, den Schein und die Würde zu wahren, was allerdings einige skurrile Verrenkungen gekostet hat und am Ende doch erfolglos geblieben ist. Der Vorsitzende war hier kein Problem: Karl Brandi, unschätzbarer und nicht so leicht zu übertreffender Weltmann auf internationalem Parkett, war nicht nur unentbehrlich (das hätte ihm gegebenenfalls wenig genützt), sondern auch tragbar und ist es noch lange geblieben 384 . Aber man hatte da einen Juden im Ausschuß Wilhelm Levison war Schatzmeister. Natürlich stellte er sein Amt zur Verfügung, und nun stand man also vor dem Problem „Anpassung oder Heldenmut". Am ersten Tag gab man sich noch mannhaft: Es bestehe „keine Veranlassung zu wünschen, daß irgendein Mitglied aus politischen Gründen ausscheidet". Nachdem sie sich das aber noch einmal überschlafen hatten, hielten die Herren es dann doch für besser, einen Pflock zurückzustecken, und bastelten eine ulkige Konstruktion, indem sie den Kollegen Friedrich Oertel bevollmächtigten, „den gegenwärtigen Schatzmeister nach außenhin zu vertreten". Nun hatte man also deren zwei: den Juden Levison nach innen, den Arier Oertel nach außen. Auf andere Art geteilt waren die Meinungen hinsichtlich einer personellen Auffrischung in Richtung auf das neue Regime. In einem Falle war man sich einig, nämlich den 103

großdeutschen Großmeister Heinrich Ritter v. Srbik zu kooptieren - für die noch immer preußisch-kleindeutschen Kollegen zwar ein Opfer, doch das in Maßen und vor allem wissenschaftlich vertretbar. Albert Brackmann aber, als Generaldirektor der preußischen Staatsarchive - wenn man so sagen darf - mehr Beamter als die anderen, hat die Diskussion darüber angeregt, ob nicht eine weitere Selbstergänzung des Ausschusses „durch Mitglieder der N S D A P erwünscht sei, um künftigen, etwa von außen her drohenden Versuchen politischer .Gleichschaltung* zuvorzukommen" (es ist wirklich kaum zu glauben, daß der „vorauseilende Gehorsam" damals noch nicht erfunden worden ist). Am ersten Tag bleibt das noch offen, noch ist es einer Mehrheit zu schmerzlich, daß „andere als rein sachliche Gründe eine Selbstergänzung veranlassen" sollten. Und als dann am nächsten Tag der Zug, wie zu erwarten, doch abgeht und außer dem Wiener v. Srbik noch der Hamburger Adolf Rein und der Leipziger Helmut Berve aus dem alleinigen Grund ihrer NSDAP-Parteimitgliedschaft in den Ausschuß kooptiert werden, da behaupten doch die Herren trotz alledem und man kann schon sagen frech und gottesfürchtig, dabei „nicht von dem Wunsch nach äußerlicher, Gleichschaltung' bestimmt" zu sein, vielmehr ausdrücklich „jede politische Demonstration dieser Art vermeiden" zu wollen. Sie hielten es lediglich für wünschenswert, zur „eigenen Information ... rechtzeitig und in geeigneterWeise Fühlung mit nationalsozialistisch gesinnten Kollegen zu gewinnen". So also war das. Bei einer anderen zentralen Institution der deutschen Geschichtswissenschaft, dem Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine 385 , ist die Person des Vorsitzenden eigentlich ebensowenig problematisch gewesen wie beim Historikerverband. Der Geheimrat Georg Wolfram in Frankfurt brauchte sich, was die Aufgeschlossenheit gegenüber dem neuen Regime anlangte, von dem Geheimrat Karl Brandi in Göttingen kaum in den Schatten stellen zu lassen. Für die vom 3. bis 8. September 1933 in Königsberg angesetzte Tagung hatte er im Berliner Kultusministerium vorsorglich eine Eröffnungsansprache angekündigt, die „auf die nationalsozialistische Aufgabe des Gesamtvereins" hinweisen würde. Aber ob das nun nicht ausreichend gewesen ist oder ob es daran lag, daß Wolfram, unbekannter, denn doch leichter zu ersetzen war als Brandi - in Königsberg jedenfalls wurde ein neuer Vorsitzender gewählt und damit, wie dieser stramm dem Ministerium meldete, der Gesamtverein „nationalsozialistischer Leitung unterstellt". Der neue Vorsitzende war ein Mann, auf den die Ausschußmitglieder des Historikerverbandes, als sie nach ein oder zwei wissenschaftlich wenigstens passablen Nationalsozialisten Ausschau hielten, offenbar nicht gekommen sind, der indes in den jetzt anhebenden zwölf Jahren noch eine Rolle gespielt hat: der Landesgeschichtler Willy Hoppe, demnächst Rektor perpetuus der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität und damit so etwas wie oberster deutscher Hochschullehrer, daneben übrigens auch Liquidator der Historischen Reichskommission 386 . Das Rundschreiben nun, in dem Hoppe am 23. September seine kleine Machtübernahme und die „neuen Aufgaben" des Vereins verkündet hat, ist eine ganz instruktive Belegstelle dafür, was hier mit Typen wie Hoppe aufzog. Unter seiner neuen, nationalsozialistischen Führung, so hieß es da, bekenne sich der Verband „rückhaltlos" zum neuen Staat: „Er ist sich bewußt, daß er seine Aufgabe in dem Dritten Reich nur dann erfüllen kann und nur dann Bestand haben wird, wenn alle seine Glieder sich unbedingt die Forderungen Adolf Hitlers an die Geschichtswissenschaft zu eigen macht [sie]." Es gelte, so fuhr Hoppe in seinem Tagesbefehl fort, sich nicht mit der Erforschung der Vergangenheit zufriedenzugeben, stehe doch „darüber" die „heilige Verpflichtung", das Forschen nutzbar zu machen für die Gesamtheit. Und nachdem er 104

die künftige enge Zusammenarbeit mit dem „Kampfbund für deutsche Kultur" und dergleichen proklamiert, den bisherigen Verwaltungsausschuß zu seinem „Führerrat" umfunktioniert und auch den einzelnen Vereinen das Führerprinzip verordnet und die Umgestaltung ihrer „Führung" befohlen hat („Wahlen unterbleiben") - so, „daß vollauf Gewähr für ein Arbeiten im Sinne des neuen Deutschland gegeben ist", vergattert er abschließend seine neuen Lehnsleute: „Noch einmal: Wir forschen nicht um des Forschens willen! Alles für Deutschland, nur für Deutschland - in dieser Gesinnung reihen wir uns ein in das Arbeitsheer, das an dem neuen Deutschland baut!" Im Jahr darauf hat Hoppe dann mit Rosenberg/Reinerths Reichsbund für Deutsche Vorgeschichte einen Vertrag abgeschlossen, der seine Vorgeschichtsvereine den Rosenberg-Leuten auslieferte. „Für die Zwecke einer gründlichen geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung" sollten sie in den Rosenberg-Konzern eingegliedert werden, wofür Hoppe die Anerkennung als „maßgebender Verband" für die neuere Geschichte treibenden Vereine erhoffte. Im Amt Rosenberg hätte man da auch nichts dagegen gehabt, aber betrüblicherweise gab es ja ebenfalls auf diesem Gebiet noch andere Leute mit Ambitionen, so daß Hoppes Rechnung nicht recht aufgegangen ist. Noch weniger als die Berufsverbände der einzelnen Fächer können hier die dazugehörigen Fachzeitschriften in ihrer „Gleichschaltung" Gegenstand der Erörterung sein. Die der angesehensten historischen Zeitschrift hat der Verfasser an anderer Stelle ausführlich geschildert387; ähnliche Darstellungen für weitere Fächer wird es gewiß mehrere geben, und eine jener Zeitschriften, die traditionsreichste juristische, ist in dieser Beziehung hier bereits in Erscheinung getreten388. Es mag daran aber der Mechanismus gezeigt werden, wie dergleichen vor sich ging. Genauso wie bei der Historischen Zeitschrift scheint es auch hier nicht an den herausgebenden Professoren gelegen zu haben, sondern der Verlag - Hermann Böhlaus Nachf. in Weimar - war es, dem es mulmig wurde389 und der ab Anfang Januar 1934 wiederholt die Redaktion drängte, dem „Zug der Zeit" zu entsprechen und die Schriftleitung der Zeitschrift der Savigny-Stiftung „gleichzuschalten". Es betraf dies (die beiden anderen Abteilungen hatten ausschließlich „arische Redaktoren") lediglich die komplett mit zwei Juden vertretenen Romanisten. Geheimrat Ulrich Stutz, der Berliner Leiter der Gesamtredaktion, hat zwar des Kollegen Ernst Levy Vorschlag, einen arischen dritten Romanisten hinzuzunehmen, als sachlich nicht angängig390 und schon gar nicht zeitgemäß, als Schwächung nämlich der Redaktionsautorität „im Zeitalter des Führerprinzips völlig unangebracht", abgelehnt, aber doch versucht (und Kollege Hans E. A. Feine war einverstanden, Kollege Ernst Heymann hat es offenbar geduldet), unter Opferung des rücktrittswilligen anderen Juden, Ernst Rabel, wenigstens Levy, den „geschäftsführenden Redaktor" der Romanisten, zu halten, indem man ihm in Paul Koschaker eine Art arischen Konzessionsschulze als zweiten und Titular-Redaktor beiordnete, dessen wichtigste Qualifikation darin bestand, daß sein Name mit einem Buchstaben aus der ersten Hälfte des Alphabets begann und damit also vor Levy rangierte391. Koschaker schien zunächst auch gewillt zu sein, scheute aber, vermutlich nachdem er sich „oben" umgehört hatte, davor zurück, ein „sinkendes Schiff zu besteigen". Levy, der das so sah, erkannte auch: Es geht für mich nicht darum, das Schiff aus der Gefahr zu retten und weiter meine Pflicht zu tun - ich selbst bin ja die Gefahr! Und deshalb demissionierte - „höchst unfreiwillig" - nun auch er, sei es ihm doch nicht zuzumuten, unter dem Damoklesschwert zu arbeiten. Die neue rein „arische" Gesamtredaktion hat den „zu unserem größten Leidwesen" ausscheidenden Kollegen immerhin in einer Erklärung die Hand gedrückt und wärmsten 105

Dank gesagt, ihr Rücktritt sei angesichts des herzlichen Einvernehmens, der langjährigen Zusammenarbeit und ihrer großen Verdienste „um so schmerzlicher". Was im Zusammenhang damit der Geheimrat Stutz, Arier, dem Kollegen Levy, Jude, zitiert hat, eignet sich durchaus als Motto für diesen Teil der damaligen Professorenschaft: Ultra posse nemo obligatur. Und das war der bessere. Und der „jüngere Celsus", Juventus mit Vornamen, dem Büchmann das zuschreibt und wer immer das sein mag, hatte auch völlig recht. Nur: War das tatsächlich ultra posse? Mußten die Geheimräte Stutz wirklich in den Savigny-Zeitschriften bleiben?

Wir rücken ein Stück näher an die Hochschule heran, nach diesen wenigen „vertikalen" Beispielen einige aus der „horizontalen" Lobby. Vom Deutschen Akademischen Assistentenverband eine frühe Meldung aus Halle an der Saale. Die Ortsgruppe hat Wünsche wirtschaftlich-finanzieller Natur Unter den Linden vorzubringen: Die mögliche Teilung von Assistentenstellen soll beseitigt, männliche Stellenbewerber sollen bevorzugt und die Steuerfreigrenze von monatlich 160 Reichsmark soll wieder eingeführt werden. Aber sie hat, es ist der 10. Mai 1933, auch schon etwas zu bieten: Am 28. April hat man einen Vorstand eingesetzt, der „nur aus Nationalsozialisten besteht". „Fremdrassigen und undeutschen Akademikern" wird man von Stund an die Mitgliedschaft verweigern, nur noch die „deutschblütigen aufbaubereiten Kräfte zusammenfassen" und es als „unsere heiligste Pflicht" betrachten, „zu unserem Teil mit aller Kraft am Neuaufbau des Vaterlandes mitzuarbeiten"392. Es wird dies den Assistentenverband kaum vor dem schnellen Ende bewahrt haben, das, eine halbe Etage höher, auch den Deutschen Nichtordinarienverband nach nur kurzem Leben393 ereilt hat. Dort hatte es nichts genützt, daß sich die Nationalsozialisten nach Studenten-Vorbild separat zu organisieren versuchten, um dann den an sich parteilosen Gesamtverband zu vereinnahmen. Und ebenfalls nichts, daß Mitte Mai der kommissarische Führer der Münchener Nicht-Ordinarien, ein Privatdozent Gebhard, mit Hilfe eines damals gerade „im Kommen" befindlichen Kollegen, des mit besten Beziehungen zur nationalsozialistischen Gesundheitsführung wie dadurch auch zum neuen „Stellvertreter des Führers" ausgestatteten Dermatologen Franz Wirz, nichtbeamteter außerordentlicher Professor, einen Hilfeschrei an die „in einer hervorragenden Weise organisierte" Studentenschaft gerichtet hat: „Wir wenigen Nicht-Ordinarien" seien dies nicht einmal innerhalb der Partei - könnten nicht die Studenten überall an die Nicht-Ordinarien herantreten394 und sie zum Beitritt keilen? „Wir Nicht-Ordinarien werden mit Ihnen kämpfen, die Hochschulen ... im Sinne unseres Führers Adolf Hitler und seiner Ideen zu gestalten", hatte er versprochen. Doch dafür waren andere vorgesehen, separat organisierte Nicht-Ordinarien, nationalsozialistische oder alle zusammen, wurden dafür nicht benötigt. Am 11. November 1933 sind die Ortsgruppen von „Reichsführer" Victor Schilling, den wir hier als Konkursverwalter erleben, ersucht worden, ihre Auflösung vorzunehmen und deren Vollzug anzuzeigen. Aus den „Restbeständen der Kasse" suchte sich Schilling mit 1000 Mark für das „Haus der Erziehung" in Bayreuth, die projektierte Gralsburg des NS-Lehrerbundes, das Wohlwollen von Lehrerbunds-Chef, Bayreuth-Gauleiter und Kultusminister Schemm zu erstiften, was sich dann 1934 als in jeder Beziehung falsche Kapitalsanlage erweisen sollte. Den Rest erbte die Dozentenschaft - sehr viel ist es wohl nicht gewesen. Es 106

war übrigens dieser Todesfall schon so unwichtig geworden, daß hier und da die befohlene Anzeige vergessen und das erst im Sommer 1937 bemerkt worden ist, wo dann die Säumigen, darunter Bonn und Frankfurt, zum Nachgraben in alten Akten veranlaßt wurden. Dies war nötig, damit das Reichserziehungsministerium nun endlich die Sterbeurkunde ausstellen konnte, weil nach der Auflösung der einzelnen Nichtordinarienvereinigungen sowie der beiden - preußischen und außerpreußischen - Zwischen-Dachverbände eine satzungsgemäße Auflösung nicht mehr herbeigeführt werden konnte, diese Karteileiche aber irgendwie beseitigt werden mußte 395 . Noch ein Stockwerk höher gibt es eine Meldung aus München. Dort war Anfang Mai Hanns Dorn, dem Ordinarius für Sozialwissenschaft an d e r T H München und 1. Vorsitzenden des Bayerischen Hochschullehrerbundes, bei einem Empfang durch Schemm eröffnet worden, wie sehr der Minister es doch begrüßen würde, wenn sich die Hochschullehrer, die mit den Zielen des NS-Lehrerbundes „einig gingen", zur Mitgliedschaft anmelden würden. Dorn hatte gedacht, daß da wohl die Vorstandsmitglieder mit gutem Beispiel vorangehen sollten und das in einer Sitzung des Gesamtvorstands am 6. Mai vorgeschlagen - und siehe da, sämtliche Vorstandsmitglieder, ohne Ausnahme, gingen mit den Zielen des NS-Lehrerbundes einig, hatten zugestimmt und sich angemeldet. Es waren dies (Dorn war bereits Mitglied gewesen), ihrer zwölf, darunter die Geheimräte Georg Rost (Würzburg), Albert Rehm (München) und Sebastian Finsterwalder (TH München), aus Erlangen befanden sich Friedrich Lent und Rudolf Stucken darunter 396 . Man will gewiß nicht bösartig sein, aber man fragt sich doch, warum diese Herren, bei so innigem Einvernehmen, diesen Schritt nicht bereits längst und von selbst getan hatten. Nun aber schon nahezu mitten ins Herz, zu dem einzigen Verband, dessen „Gleichschaltung" hier gründlich erörtert werden soll: dem Verband der Deutschen Hochschulen. Dieser, 1920 mit unverhohlen wehmutsvollem Blick zurück ins Kaiserreich gegründet, war eine Art Dachverband der deutschen Universitäten und sonstiger Hochschulen 397 zur Vertretung und Wahrung ihrer und der Hochschullehrer Interessen wissenschaftlicher und vor allem wirtschaftlicher Art. Man verstand sich als „frei von politischer Voreingenommenheit nach irgendeiner Richtung" 398 - und das meist guten Glaubens, da konservatives Grundverständnis und Mißbilligung von Demokratie und Parteiengezänk schließlich keine Richtung waren, sondern bürgerlich-nationale Selbstverständlichkeit. Oberste Instanz war der gewöhnlich alljährlich abgehaltene Deutsche Hochschultag. Bis nun der Nationalsozialismus unüberhörbar an die Türen klopfte, war die Situation noch relativ übersichtlich gewesen und waren die mit der Republik aufgezogenen Probleme noch zu bewältigen. Wenn sich etwa der Verbandsvorstand auf einer „außerordentlichen" Herbsttagung 1929 in Villach der Anfang Juli von Kiel eingelegten Verwahrung gegen Beckers Verbot von Kundgebungen und Gedenkstunden zum 10. Jahrestag der Unterzeichnung in Versailles angeschlossen hatte und hier einen „unveräußerlichen Bestandteil" des Selbstbestimmungsrechts wie auch das „unerläßliche Vertrauen" der „heranwachsenden Jugend" in ihre Lehrer gefährdet sah, so wußte er die im März auf dem 6. Deutschen Hochschultag in München mit den Stimmen sogar der sozialistischen Kollegen verabschiedete Resolution gegen die Versailler „Kriegsschuldthese" im Rücken399. Innenpolitisch gab es einen solchen Konsensus zwar nicht, aber man wußte wenigstens, woran man war. Und wenn die Neue Zürcher Zeitung bei der auch in München wieder von der konservativ-nationalen Mehrheit erhobenen Forderung der „Entpolitisierung der Hochschule" einen „üblen Beigeschmack" zu spüren glaubte und den Hochschultag auch darin voll „im Fahrwasser der politischen Reaktion und Restauration" se107

geln sah, so hätte ihr im Jahr darauf ebenfalls die Vorstandsentschließung vom 19. Juli gegen die „mit ernster Sorge" verfolgte „Gefahr einer bewußten Politisierung der Lehrstühle" unerfreulich klingen müssen. Veranlassung zu jener Sorge um Sachlichkeit, Reinheit und Wahrheit von Lehre und Forschung war indes - was allerdings lediglich in Begleittexten gesagt wurde - erstmalig etwas ganz anderes, etwas ganz Neues, etwas, was sich auf dem rechten Ufer abspielte: die skandalöse Berufung Hans F. K. Günthers nach Jena durch den nationalsozialistischen Minister Frick. Obschon es sich natürlich die Repräsentanten der deutschen Hochschulen nicht verkneifen konnten anzumerken, daß sich ihre Entschließung in gleicher Weise gegen jüngste Vorkommnisse wende, „bei denen die Zugehörigkeit zu linksstehenden Parteien den Ausschlag für die Berufung gegeben zu haben" scheine400, war das doch ein Novum - Gefahr von rechts? Das vorletzte Weimarer Jahr, 1931, sah dann den Verband auf der einen Seite im Kampf um die von den Einsparungs-Notverordnungen bedrohte Emeritierung, auch damals schon garniert mit Belangen des Allgemeinwohls, wie wir das heute, voll erblüht, von Interessenverbänden, Gewerkschaften, Parteien und so weiter so ekelerregend vorexerziert bekommen, andererseits aber, wie oben gezeigt worden ist401, dabei, den rechten Kommilitonen bei ihrer Hetze gegen Emil Gumbel aufmunternd auf die Schultern zu klopfen. Wenn dagegen nur die verschwindend kleine Gruppe wirklich linker Professoren, darunter Barth, Einstein, Heller, Horkheimer, Radbruch und Wiesengrund (-Adorno) Einspruch erhob 402 , so schien damit die Ordnung wiederhergestellt und die Vorjahresaufregung um Günther ein einmaliger Ausrutscher zu sein. Aber das täuschte. 1932. Der 7. Deutsche Hochschultag in Danzig hatte sich Anfang Oktober noch ausführlich Routinethemen wie Hochschulreform, Nachwuchsfrage und Uberfüllungsproblematik gewidmet403, anders im Monat darauf zwei am 4. in Halle und am 14. in Berlin abgehaltene „außerordentliche außeramtliche Deutsche Rektorenkonferenzen" 404 . Wenn nach der ersten die Presse berichtete, die Rektoren hätten sich in der braunschweigischen Angelegenheit gegen Klagges gestellt, so könnte das den Eindruck erwecken, als hätte der Braunschweiger Konflikt das hektische Konferenzgetriebe veranlaßt. Dieser Eindruck würde zwar fehlgehen, da Anlaß das neue Studentenrecht war, immerhin aber hat sich die Konferenz von Gassner und Mühlenpfordt ausführlich über die Braunschweiger Vorfälle berichten lassen und zwei Entschließungen gefaßt, deren eine in Richtung Horrmann die Kollegen an ihre Pflicht erinnerte, sich nicht so weit in die politischen Tageskämpfe zu verwickeln, daß ihre wissenschaftliche Haltung und Objektivität in den Augen der Öffentlichkeit und insbesondere ihrer Schüler in Frage gestellt werde. Die andere sprach der braunschweigischen T H Dank aus für ihr „mannhaftes Eintreten" gegen die „Eingriffe des Braunschweiger Völksbildungsministers in die Freiheit der Wissenschaft und in die akademische Selbstverwaltung" und stellte sich „einmütig hinter" ein Schreiben, das der Hochschulverbands-Vorsitzende Tillmann in der Braunschweiger Angelegenheit an den Reichspräsidenten gerichtet hatte. Der Verband also war doch nicht so leisetreterisch gewesen, wie es das Protokoll von Halle befürchten läßt, vielmehr405 hatte Tillmann am 28. November, nachdem er der Presse eine Darstellung der Braunschweiger Ereignisse aus der Sicht des Verbandes übermittelt hatte, diese Darstellung und Gassners Bekanntmachungen beigefügt, Hindenburg um das Einschreiten der Reichsregierung aufgrund von Artikel 15 der Reichsverfassung oder auch des Reichspräsidenten selbst nach dem damals ja jedem Kind geläufigen Notverordnungsartikel 48 gebeten - so unheilvoll sei der „Rechtsfrieden im Deutschen Volk" gestört. In all diesen Schriftstücken wurde die Tendenz sowohl der Rektoren wie 108

des Hochschulverbands deutlich, die Studenten oder jedenfalls deren „besseren" Teil von dem nationalsozialistischen braunschweigischen Ministerium abzugrenzen: Keineswegs sollte es ihnen verwehrt werden, „mit heißem Herzen" Anteil zu nehmen an den Problemen des politischen Lebens; an ihrer politischen Radikalisierung und an dem „Zustand völliger Disziplinlosigkeit" in Braunschweig seien allein der dortige Volksbildungsminister und die mit ihm Hand in Hand arbeitenden nationalsozialistischen Studenten schuld - eine Gruppe übrigens, die „täglich kleiner" werde406. Aus den hier benutzten Hochschulakten geht nicht hervor, ob und wie Hindenburg geantwortet hat. Wenn es, was man annehmen kann, geschehen ist, so war der Bescheid jedenfalls nicht so, daß er eine Unterrichtung der Verbandsmitglieder erfordert hätte. Diese und die Öffentlichkeit hörten vielmehr aus dem Verbands-Vorort Halle erst wieder nach der „Machtübernahme", im April 407 . Zeitgemäßes noch zwanzig Tage vor dem Paukenschlag vom 22.: Eine Erklärung, am 3. veröffentlicht, „voll Entrüstung und mit schärfstem Protest gegen die jeder Grundlage entbehrende Greuelpropaganda im Ausland"; „alle Kulturländer" forderte der Verband auf, sich „einzusetzen für die Widerlegung der uns in den Augen der Welt herabsetzenden Unwahrheiten". Nun hatte die ja nur selten mit den neuen Herren Deutschlands sympathisierende Auslandspresse in der Tat das eine oder das andere draufgesattelt, wer indes die Tage um den Judenboykott in Deutschland nicht gerade bettlägerig erlebt hatte, dem hätte das „jeder Grundlage entbehrend" eigentlich im Halse steckenbleiben müssen. Die beiden Unterzeichner für den Hochschulverband, der Bonner Theologe Fritz Tillmann als Vorsitzender und der Darmstädter Flugmechaniker Wilhelm Schlink als sein Stellvertreter, scheinen jedoch keine Beschwerden verspürt zu haben. Da es zusammengehört, sei hier eingeschoben, was sich in dieser Richtung an der Spitze der deutschen Hochschulen in jenen Tagen noch bewegt hat. Da war vor allem ein Brief, den der Strafrechtler Eduard Kohlrausch, als Rektor der Friedrich-Wilhelms-Universität (ohne geographisch definierendes Adjektiv, also Berlin) gewissermaßen der Vormann der deutschen Magnifizenzen, zwei Tage später, am 5., an Reichskommissar Rust gerichtet hat mit der Bitte um eine eingehende mündliche Aussprache über seine Sorgen hinsichtlich „unserer Hochschulen und ihrer Mitarbeit an den neuen nationalen Aufgaben". Diese Mitarbeit nämlich sei auch ihm „Herzensangelegenheit", und gewiß verfolgten sie beide, Rust und er, das „gleiche Ziel, mögen auch unsere Ansichten über die richtigen Wege da und dort auseinandergehen". Wenn Kohlrausch sich darauf berief, „von der Gesamtheit der deutschen Rektoren legitimiert" zu sein, so hat er eine solche Vollmacht freilich erst mit gleicher Post eingefordert - auf der bevorstehenden Rektorenkonferenz in Wiesbaden, der „24. außeramtlichen", sollte dann das Thema erörtert werden. Als diese am 12. zusammentrat, war indes etwas geschehen, was die Lage veränderte und nicht gerade erleichterte: Köln hatte sich als der Kette schwächstes Glied erwiesen, Rektor Ebers und der Kölner Senat waren als erste weich geworden und hatten ihre Ämter niedergelegt, „sofort vorgenommene Neuwahlen" aber der neuen Regierung willfährige Nachfolger bestellt. Deren Spitzenmann, der Pathologe und Anatom Ernst Leupold, gab jetzt in Wiesbaden als erster deutscher Gleichschaltungsrektor „im Einverständnis mit dem Herrn Reichskommissar" eine Erklärung ab und eröffnete den Kollegen, daß Rust das Kölner Vorgehen begrüße und den übrigen Universitäten und Hochschulen empfehle, „ebenfalls eine entsprechende Gleichschaltung vorzunehmen". Was hatte nun Kohlrausch demgegenüber von seiner Aussprache mit Rust zu berichten? 109

Nicht sehr viel Tröstliches. Versprochenes Entgegenkommen, das war alles - und gar nichts. Man beschloß, „bei den gegebenenfalls vorzunehmenden Schritten" in jeder Weise vorsichtig zu verfahren, alle „etwa nötig erscheinenden Änderungen" in der Zusammensetzung der Selbstverwaltungsorgane freilich müßten (mußten sie wirklich?) den Hochschulen selbst überlassen bleiben. Damit war die Kapitulation vor Rust und seiner Partei praktisch vollzogen und von ihnen im akademischen Raum die „Macht" übernommen, obwohl von den anwesenden Spitzen von 23 Universitäten und ebenfalls 23 Hochschulen erst eine Minorität das nationalsozialistische Parteiabzeichen auf oder - wahrscheinlicher - unter dem Revers trug oder doch zumindest eindeutig der neuen Zeit zuzuordnen war 408 . Denn nicht sehr hoffnungsvoll klang auch, was die drei Vertreter des Hochschulverbands - neben Tillmann und Schlink der Zivilrechtler Justus Wilhelm Hedemann aus Jena 4 0 9 - zu berichten hatten und was die Konferenz mit dem Verlangen möglichster Beschleunigung der Arbeiten „begrüßte" 410 : die erfolgte Einsetzung eines „Ausschusses zur Erneuerung der Hochschulen zu ihrer festeren Eingliederung in die Volksgemeinschaft". Die hielten nun viele für dringend geboten. Unter den Antworten, die Kohlrausch auf sein Rundschreiben an seine Amtskollegen vom 5. April erhalten hat, befindet sich auch eine der Göttinger Magnifizenz Siegmund Schermer, eines Veterinärmediziners, in der — neben Erwägungen über eine Verlegung des Vororts von Halle, wo Rektor Frölich kränkele und Prorektor Aubin „sogar" seine Amtsgeschäfte habe niederlegen müssen, nach Berlin - auch an der Spitze des Hochschulverbandes eine Veränderung empfohlen wird: Tillmann passe wohl kaum „in unsere heutige Zeit hinein". Werde man aber in der Rektorenkonferenz wie im Hochschulverband die Leitung nicht Männern anvertrauen, die „eine gewisse .Gleichschaltung' mit den Absichten der Reichsregierung gewährleisten", dann würde „in Zukunft über uns hinweg verfügt werden". Und da ist sie also wieder, die grundsätzliche Kapitulationsbereitschaft, das so weit verbreitete Wenigstens-retten-was-noch-zu-retten-ist, das denen den Boden unter den Füßen wegzog, die von sich und ihren Kollegen etwas mehr erwarteten. Gehörte aber Tillmann wirklich zu letzteren? Einer seiner Vorstandskollegen, der gleich eine große Rolle spielen wird, ist wohl in etwa dieser Ansicht gewesen, er hat ihn eingeschätzt als „aufrechten Mann von großer Energie und Geschäftsgewandtheit", allerdings zu jener Zeit, auf einer Vorstandssitzung Ostern oder kurz vor Ostern 411 in Rhöndorf, dem Geschehen gegenüber einigermaßen ratlos, — an die maßgebenden Stellen komme er kaum noch heran, habe er geklagt, und jede Hochschule ginge ihren eigenen Weg: „Ich weiß gar nicht mehr, was ich machen soll." Auf dieser Ostersitzung ist nun anscheinend erstmalig erwogen und erörtert worden, mit einer grundsätzlichen Stellungnahme des Verbands und damit der deutschen Hochschulen zur nationalsozialistischen Revolution an die Öffentlichkeit zu treten. D a auch in diesem Gremium Kollegen mit Sympathien für die nationalsozialistische Bewegung nicht fehlten, kam man indes zu keiner Einigung und das Thema daher auf der nächsten Vorstandssitzung am 21./22. April in Würzburg erneut zur Sprache. Die meisten zeigten noch immer keine große Begeisterung für eine solche Erklärung, einer aber entwarf in einem Nebenzimmer einen Text, der dann doch Zustimmung fand, mit einigen Modifikationen verabschiedet und unter dem Datum des 22. gedruckt und der Öffentlichkeit übergeben wurde. Der Verfasser dieser Erklärung, von dem auch die zuvor zitierte Charakterisierung Tillmanns stammt, ist nun jener Philosoph und Pädagoge Eduard Spranger 412 , den wir bei 110

der Schilderung professoraler Resistenz für diesen Abschnitt beurlaubt haben - die Gestalt unter seinen damaligen Kollegen, von der sich am ehesten sagen läßt, sein Charakterbild schwanke von der Parteien Haß und Gunst verwirrt. Es ist verwunderlich, daß in der Festschrift zum 400jährigen Jubiläum der Universität Jena413, einem Juwel marxistischer „Historiographie" 414 , Spranger übersehen worden ist, als dort der „reaktionäre Abschaum" gemustert wurde, der um 1933 im akademischen Deutschland „bereits auf dem Boden des Faschismus" stand oder „zeitig genug den Augenblick witterte, wo es galt, in die rechte Bahn umzuschwenken, um dann mit Lehrstühlen, Institutsdirektorsposten oder gar Rektoraten belohnt zu werden". Neben Alfred Rosenberg (der allerdings weder Ordinarius noch Institutsdirektor noch „gar" Rektor geworden ist und das wohl auch nie angestrebt hat) und Krieck sowie Baeumler (die man so sehen kann) haben die tüchtigen Jenaer Historiker als vierten ausgerechnet Theodor Litt entdeckt, dessen Freund Spranger wenigstens einen Hauch mehr Qualifikation mitgebracht hätte als der in jeder Beziehung eindeutig „antifaschistische" (freilich ebenso antikommunistische!) Litt. Spranger zu würdigen wollen wir uns hier nicht vermessen und ist auch entbehrlich, schon im Lexikon gibt es eine Anzahl Zeilen mit Titeln von Arbeiten, die das bereits und sicher besser unternommen haben. Ein paar Stichworte nur: Dilthey-Schüler, sieben Jahre nach der Promotion und zwei nach der Habilitierung Ordinarius für Philosophie und Pädagogik in Leipzig (1911), seit 1920 an der Friedrich-Wilhelms-Universität; politisch „organisiert" lediglich von 1933 bis 1935 im „Stahlhelm"; 1944 in den 20. Juli verwickelt und von Anfang September bis zum 14. November („nachdem die Gesamtermittlungen Belastendes nicht ergeben haben") in Gestapohaft; erster Berliner Nachkriegsrektor, siebenfacher Ehrendoktor, Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband sowie Friedens-Pour-le-merite in der Bundesrepublik Deutschland. Alles bestens also? Nun, schon im Brockhaus von 1935 findet man neben so schönen Dingen wie Humanitätsideal und Lebensformen heute Befremdliches, das sich in die Nachkriegs-„Enzyklopädie" nicht hinübergerettet hat: die „zuchtvolle ästhetische ,Selbstformung' des Einzelnen im Dienste der Gemeinschaft" etwa oder eine „machtpolitische, realistische Staatsauffassung". So ist denn auch für einen freundlichen Betrachter wie Theodor Eschenburg415 Sprangers „Sympathie für eine mehr autoritäre Staatsordnung unverkennbar", was sich bei weniger Kulanz und Nachsicht (zitiert sei416 als Beispiel ein Bruno Reimann, der sich unter den offenbar zahlreichen Bruno Reimanns als Bruno W. Reimann unverwechselbar macht) zu dem unverhüllten Vorwurf steigert, zu den Wegbereitern des Nationalsozialismus zu zählen und in seiner Sehnsucht nach dem starken Machtstaat, aber auch durch die Pflege des Frontkämpfer-Mythos und die Romantisierung des militärischen Abenteuers, durch Propagierung einer Opfer-Ethik und durch einen förmlichen Fetischismus der Stärke den Nährboden bereitet zu haben, auf dem dieser habe gedeihen können. Die Berechtigung oder Nicht-Berechtigung solcher Vorwürfe soll hier nicht untersucht werden417, als symptomatisch kann aber wohl gelten, daß Spranger noch auf dem Hochschulverbandstag in Danzig im Oktober 1932 Wortführer der Gegner einer von seinem (späteren?) Freunde Litt angeregten Entschließung gegen die Wühlarbeit und Verlogenheit der nationalsozialistischen Studenten gewesen ist; deren Gesinnung hielt er noch für echte und ideale Gläubigkeit, „viel Gesundes" glaubte er in der so schmuddeligen „nationalen Welle" enthalten. Wir wollen es dabei bewenden lassen und jenen kurzen Zeitabschnitt betrachten, jenes Frühjahr 1933, in dem Eduard Spranger Hochschulgeschichte gemacht hat - auch hier in111

dessen wieder auf der einen Seite gerühmt418 als „der eine" wenigstens, der sein Amt zur Verfügung gestellt habe, wo der geschlossene Rücktritt ganzer Fakultäten den „beschämenden Diktaturen wildgewordener Studentenschaftsführer" ein schnelles Ende bereitet hätte, auf der anderen sein Verhalten geschmäht419 als eine erst nach dem Kriege zum Konflikt mit den Nationalsozialisten hochstilisierte „professorale Extratour", die nachgeholte Entnazifizierung eines, der „mehr als nur bejahende Sätze zum nationalsozialistischen Regime gesagt und geschrieben hatte". Was aber stand nun in jenem - neudeutsch - „Papier", das am 21. April in dem Würzburger Nebenzimmer entstanden und am Tag darauf in überarbeiteter Form auf den Weg geschickt worden ist420? Natürlich auch Freundliches, in den Ohren der neuen Herren Wohlklingendes. Dergleichen ist unvermeidlich, und es zeugt von Ignoranz, wenn nicht Böswilligkeit, in solchen Fällen chemisch reine Widerstandsprosa zu erwarten und zu fordern421. Von der „Wiedergeburt des Deutschen Volks" und dem „Aufstieg des neuen Deutschen Reiches" als Erfüllung der „stets glühend empfundenen" Hoffnungen und Sehnsucht der „Hochschulen unseres Vaterlandes" war da also die Rede, vom Willen zur Reform, ja von „unserem geistigen Wehrwillen" - angeschlossen ein Bekenntnis zu Arbeitsdienst, Wehrsport, Grenzlandschutz und anderen nunmehr hohe Priorität genießenden Dingen. Das Versprechen hingegen, „unsere Kraft für Gottgebundenheit, Völkssitte, Wahrheit und Recht" einzusetzen, war wohl nicht ganz das, was die Sieger des 30. Januar unter „Dienst am neuen Deutschland" verstanden. Auch waren „Vertrauen und Begeisterung", mit der die Professoren den neuen Führern zu folgen versprachen, in ihrem Wert gemindert dadurch, daß auch hier wieder der eine, der ganz große Führer namentlich nicht genannt war, sondern er und seine Mannschaft lediglich als vom „ehrwürdigen Herrn Reichspräsidenten eingesetzt" vorgestellt und mithin in ihrem Selbstverständnis als unmittelbar von der „Vorsehung" berufen beeinträchtigt wurden. Weiter wurde zwar eine Politisierung der deutschen Hochschule bejaht, aber nur eine, „die den gemeinsamen nationalen Willen stärkt"; „die Form der Politisierung, die eine Verengung auf Sonderanschauungen bedeutet", wurde abgelehnt- und war doch gerade das, was den Nationalsozialisten vorschwebte. Auch die Verteidigung „unserer alten ehrwürdigen Formen" wurde den neuen Machthabern angekündigt und der von der neuen Zeit überall geforderten Vereinheitlichung die für ein lebendiges Volk „auch immer" notwendige „reiche Mannigfaltigkeit der Lebensformen und Uberzeugungen" zur Seite gestellt - genau das also, was abzuwürgen und zu knebeln der Nationalsozialismus wild entschlossen und was bereits voll im Gange war. Für die Freiheit der Überzeugung werde man „wie bisher mit Festigkeit eintreten" (wobei allerdings die Einschränkung „soweit sie aus deutschem Wesen entspringt" Schlupflöcher ließ und gewährleistete, nicht etwa von den jüdischen Kollegen zur Nagelprobe gebeten werden zu können), „unechte Gesinnung, blindes Mitlaufen, leere Schlagworte sind undeutsch". Und da war noch eine weitere Stelle, die in der folgenden Auseinandersetzung eine Hauptrolle gespielt hat und deren Fassung offenbar so flexibel gewesen ist, daß man darüber streiten konnte, ob das nun Perfekt war oder Futur. Wer so dem neuen Regime den Spiegel vorhielt, war also der „Vorstand des Verbandes der Deutschen Hochschulen" mit zehn Unterzeichnern422. Tillmann, Frölich (beide hier wie auch noch Jahrzehnte später falsch geschrieben423) und Schlink kennen wir bereits; vor Spranger standen der Tübinger Verwaltungsrechtler Ludwig v. Köhler und der Münchener Psychiater Oswald Bumke, nach ihm der Dresdener Adolph Nägel (Wärme112

kraftmaschinenbau), der Berliner Friedrich Solger (Geologie), der Aachener Alwin Schleicher (Anorganische Chemie) und der Münchener Edwin Fels (Geographie). Wer sich nun aber von diesen zehn Herren als erster auf die Füße getreten gefühlt und aufgeschrien hat, das war eine Institution, die - so hatte es jedenfalls den Anschein - eigentlich direkt oder primär gar nicht angesprochen, der jedoch - sowieso sauer, weil hier die alten Herren von gestern sich anmaßten, in den „neuen Formen der Nationalerziehung" wie eben Arbeitsdienst, Wehrsport und so weiter ein Wort mitreden zu wollen - bald eine Handhabe, sich aufregen zu können, geboten worden ist (wir werden das gleich sehen). Und diesem Protest der Deutschen Studentenschaft schlössen sich nicht nur in München die nationalsozialistischen Nichtordinarien und jener erwähnte Professor Franz Wirz an, der beim Gesundheitskommissar, aber auch im Stab Hess an den akademischen Fäden zog (an den Studentenschaftsvorsitzenden Gerhard Krüger: „Wir begrüßen aufs wärmste Ihre Gegenerklärung!"), sondern auf ihn beriefen sich auch dem folgende Aufschreie der Hochschulen - die freilich erst geraume Zeit, fast einen ganzen Monat, später, ausgelöst durch einen zunächst genial erscheinenden, sich bald aber als selbstmörderisch erweisenden Schachzug der Gruppe Tillmann. Inzwischen nämlich hatte das Kölner Beispiel Schule gemacht, und auch die übrigen Hochschulen hatten sich, mehr oder weniger sanft getrieben, „gleichgeschaltet". Als daher Tillmann am 6. Mai für den 26. einen außerordentlichen Hochschultag nach Erfurt einberief, wo „durch Neuwahl des Vorstandes und der Ausschüsse Arbeit und Zukunft des Verbandes sichergestellt" werden sollten, und zehn Tage später den Termin auf den 1. Juni verschob, weil nämlich am 26. eine Vertretung des Vorstandes und der Deutschen Rektorenkonferenz von Hitler empfangen werden sollte, da brach die Revolte aus. Aufgepflanzt wurde die Fahne des regimekonformen Aufruhrs in Kiel, wo bereits in einer Senatssitzung am 15. Mai der Rektor ermächtigt worden ist, den empörten Studenten zu erklären, daß auch der größte Teil der Dozentenschaft mit dem Hochschulverbandsaufruf vom 22. April nicht einverstanden sei. Als am Tag darauf (die Post ging damals noch so schnell) der neue Tillmann-Brief vom selben 16. Mai einging, hielt Magnifizenz Wolf es für geboten, es mit einer solchen Solidaritätskundgebung nicht bewenden zu lassen, sondern einen Schritt zuzulegen. Am 18. gingen von der Förde Briefe hinaus „mit vorzüglicher Hochachtung" an den sehr geehrten Herrn Kollegen Tillmann, „mit kollegialen Empfehlungen" an die anderen Universitäts- und TH-Rektoren und „ehrerbietigst" an den neuen Minister Rust. Der Inhalt war überall der gleiche: Dem alten Vorstand habe die Deutsche Studentenschaft ihr „schärfstes Mißtrauen ausgesprochen" (die das freilich eigentlich nichts anging und die gar kein Vertrauen zu haben brauchte), und er besitze auch nicht mehr das Vertrauen der Hochschulen, weshalb es „untragbar" sei, daß er noch aktiv in Aktion und etwa gar vor Hitler auftrete. Der Empfang durch den Herrn Reichskanzler hätte nicht eine Verschiebung, sondern vielmehr eine Vorverlegung des Erfurter Hochschultags bewirken müssen, damit die neuen Leute den Verband hätten repräsentieren können. Jetzt bleibe nur der Protest bei Hitler „mit allen Mitteln" gegen den Empfang des alten Vorstands und die Bitte um Verschiebung bis nach der Neuwahl am 1. Juni. Begeistert stimmten Kollegen zu und telegraphierten nun ihrerseits in die Reichskanzlei: Heidegger für Freiburg, Krüger für die Tierärztliche Hochschule Berlin424 und Zietzschmann für die in Hannover („Technisch" wurde in Kiel offenbar im weitesten Sinne verstanden), Schulze für Rostock, Naendrup für Münster, Merk für Marburg, Horrmann für die T H Braunschweig und Gleichschaltungspionier Leupold für Köln gleich 113

am 20., am 22. folgten Neumann für Göttingen, Krieck für Frankfurt und Schachner für die T H München, am 23. die Forstliche Hochschule Eberswalde (so weit reichte die Kieler „Technik"). Inzwischen waren freilich auch Stimmen hörbar geworden, die besonnener waren Rektoren, die nicht sofort zur Teilnahme am Kieler Husarenritt zu satteln gedachten. Magnifizenz Meisner aus Greifswald bemäkelte die Anführung des Mißtrauens der Studentenschaft als „Begründung unsererseits", ebenfalls sachlich an sich einverstanden waren der Ober-Förster in Hannoversch Münden, Eichmann, wie auch die Rektoren Pietrusky und Kluge von Bonn und Karlsruhe, die indes ein Telegramm an Hitler für untunlich hielten, da dieser schließlich die Verhältnisse im Hochschulverband kennen und seine Gründe haben werde, noch den alten Vorstand zu empfangen (womit sie Hitlers Interesse an den deutschen Hochschulen freilich erheblich überschätzten). Ein vierter meinte gar, seines Erachtens könne „der Herr Reichskanzler es beanspruchen, daß Verbände ihm nicht mit inneren Mißhelligkeiten zur Last fallen". Wer nun noch den folgenden Satz liest „Diese meine Auffassung scheint mir der Verehrung zu entsprechen, die wir unserem Führer und seiner hochgesinnten Persönlichkeit schuldig sind", der würde vielleicht auf Neumann in Göttingen oder - insbesondere ein Schweizer - auf Heidegger in Freiburg tippen, womit er allerdings völlig falsch läge: Der Brief kam aus Heidelberg, stammte von Andreas und beweist wieder einmal, wie sehr das Herauslösen aus dem Kontext oder gar böser Interpretationswille in die Irre führen können. Das Telegramm, das aus Königsberg an Hitler abging, war nur von einem „Obmann der Hochschullehrer" in der ostpreußischen Gauleitung gezeichnet, der betrübt nach Kiel berichten mußte, es sei ihm „zweifelhaft, ob unser Rektor das auch tun wird", und Rektor Thum von Darmstadt war am ruppigsten und erklärte dem Kollegen Wolf in einem einzigen Satz, daß er für das gewünschte Telegramm „unter den vorliegenden Umständen keinen Grund einsehe". Die übrigen Rektoren aber haben offenbar überhaupt nicht geantwortet, was ebenfalls von wenig Sympathie für das Kieler Vorgehen kündete. Aus Hamburg beispielsweise wissen wir, daß der Senat am 26. Mai die Kieler Initiative erörtert, die Nichtbeteiligung des Rektors gebilligt und ihn beauftragt hat, in Erfurt dagegen Verwahrung einzulegen. So lagen die Dinge, als Wolf dann am 3. Juni erneut auf die Pauke schlug und Kiels Austritt aus dem Hochschulverband erklärte. Dabei hatte dessen Vorstand, der „alte", inzwischen längst den Rückzug angetreten und in plötzlicher Angst vor der eigenen Courage den Kollegen Spranger als den Hauptschuldigen vom 21./22. April wie eine heiße Kartoffel fallenlassen (dessen Freund Litt: „... in einer wirklich schmählichen Weise desavouiert, um um Gottes willen nicht den Schein zu erwecken, als ob er mit ihm sympathisiere"). Noch bevor die Deutsche Studentenschaft am 17. Mai mit ihrer Klage an die Öffentlichkeit gegangen war („versteckte Angriffe gegen den Nationalsozialismus, in Sonderheit gegen die Deutsche Studentenschaft"; Verweigerung der Anerkennung des Verbands als Vertretung der Hochschulen, „solange einer der Unterzeichner des Aufrufs noch seinem Vorstand angehört" 425 ) und auch - das war damals so gang und gebe - ihrerseits an Hitler telegraphiert hatte (mit der „Schädigung des Volkes durch Lüge, Gewissensdruck und ungeistige Art", gegen die der Verband den Kampf aufnehmen wolle, sei die Deutsche Studentenschaft gemeint 426 ), war von Bumke in seinem besonders gefährlichen München in einem Solo Schadensbegrenzung betrieben worden, indem er den versammelten dortigen Ordinarien und NichtOrdinarien beteuert hatte, wie sehr ihm jeder Angriff auf die Studenten und auf den Nationalsozialismus ferngelegen habe und daß es sich nur um Mißverständnisse oder Druckfehler handeln könne. 114

Wirz hat das am Tag darauf brühwarm Gerhard Krüger, dem 1. Vorsitzenden der Deutschen Studentenschaft, nach Berlin gemeldet 427 . Vorausgegangen aber war dem BumkeSolo ebenfalls Schriftliches in Richtung Berlin: ein Brief Bumkes an Ministerialrat Achelis. Im Kultusministerium, so hieß es da, seien, wie er soeben höre, gewisse Stellen in dem Aufruf vom 22. April mißverstanden worden, weshalb er „unter Ehrenwort" das Folgende mitteile: „Der Entwurf zu diesem Aufruf ist mir von Herrn Kollegen Spranger vorgelesen worden, unmittelbar ehe er in der Vorstandssitzung selbst behandelt wurde. Ich bin dabei nicht auf den Gedanken gekommen, daß sich die Ausdrücke ,Lüge, Gewissensdruck und ungeistige Art* gegen die Deutsche Studentenschaft, geschweige denn gegen die jetzige Regierung richten könnten. Ich habe sie vielmehr auf die früheren Regierungen der Herren Becker und Grimme bezogen, gegen die ja der Vorstand des Verbandes der deutschen Hochschulen durch Jahre hindurch im Stillen und leider bei sehr ungleicher Verteilung der Machtverhältnisse gekämpft hat. Soweit ich Herrn Kollegen Spranger kenne, würde er es mir bestimmt gesagt haben, wenn er mit diesen Worten die Deutsche Studentenschaft oder gar die jetzige Regierung hätte treffen wollen." An diese rührende Naivität des Geheimrats schlössen sich an seine bestimmte Erinnerung, daß auch in der Sitzung von der Deutschen Studentenschaft überhaupt nicht die Rede gewesen sei, sowie die Versicherung, daß sein Brief nicht als Versuch betrachtet werden solle, die Vorstandsmitglieder reinzuwaschen; das hätten sie gar nicht nötig, die „ganze Zusammensetzung" des Vorstands sollte ihn eigentlich „vor jedem Vorwurf von nationaler Seite ein für allemal schützen" 428 . Doch eine Woche später mußte Bumke erneut zur Feder greifen, nachdem die Deutsche Studentenschaft ihre Erklärung zu dem Aufruf des Hochschulverbands-Vörstands veröffentlicht hatte und im Völkischen Beobachter ein Aufsatz erschienen war: „Der Fall Spranger - die Studentenschaft im Kampf gegen die liberale Hochschulreaktion". Bumkes Adressat war jetzt Dr. Rainer Schlösser in der Berliner VB-Redaktion 429 , dem er nun die „ganz falschen Voraussetzungen" des Artikels zu verdeutlichen suchte. Er fügte seinen Brief an Achelis bei, nahm Tillmann gegen den Verdacht von Intrigen und „liberaler Zersetzungspolitik" in Schutz und fragte, ob man es sich denn jetzt, wo es darum gehe, „unser inneres Leben von allen Zersetzungserscheinungen" zu reinigen, leisten könne, das Ansehen der deutschen Wissenschaft zu untergraben. Sollte er gehofft haben, daß die Angelegenheit mit der höflich-kühlen Antwort Schlössers, man wolle keineswegs das Ansehen der deutschen Hochschulen herabsetzen, weshalb das Bumke-Schreiben „willkommen" sei, ausgestanden war, so mußten die studentischen Fanfaren vom 17. Mai eines Besseren belehren. N u n trat am 21. der (mittlerweile um Spranger 430 und Frölich verminderte) Verbandsvorstand die Flucht ebenfalls in die Öffentlichkeit an und erläuterte in einer Erklärung „mit aller Entschiedenheit", daß sein Aufruf ein „Bekenntnis zur nationalen Regierung" habe sein und den „Willen zur Mitarbeit beim Wiederaufbau unseres Staates" habe zum Ausdruck bringen wollen - hätte man eine Interpretation als Angriff gegen Studentenschaft und nationale Regierung für möglich gehalten, wäre er nicht beschlossen und veröffentlicht worden. Und ganz konkret: „Wenn Herr Professor Spranger mit gewissen Wendungen des Aufrufs" die Studentenschaft gemeint habe, so sei das seine persönliche Auffassung, mit welcher der Vorstand nichts zu tun habe. Was war geschehen? Hatte die wie 1918 von Kiel ausgehende „Revolte" so schnell gereifte Früchte getragen? Oder hatte es daran gelegen, daß die Studenten immer weiter ge115

wühlt haben, wie eine spätere Zeitungsmeldung 431 erkennen läßt, wonach der Kreis Bayern der Deutschen Studentenschaft den Rücktritt der beiden Münchener im Hochschulverbandsvorsitz, des Psychiaters Bumke und des Wirtschaftsgeographen Fels, forderte und von ihren Professoren die Neuwahl von Vertretern „erwartete", die sich „schon seit Jahren zum Geist der deutschen Revolution bekennen" - und anderswo dürfte man ähnlich vorgegangen sein. Nun, mit den Studenten hing es schon zusammen, jedoch hatte ihre erste Aktion bereits völlig genügt bei dem springenden Punkt der ganzen Affäre - hatte genügt, um Tillmanns großem Coup das Wasser abzugraben, jenem die akademische Welt so aufregenden Empfang des Tillmann-Vorstands beim „Herrn Reichskanzler". Der hatte eine ebenso bemerkenswerte Vorgeschichte, wie er dann ein schnelles Ende nehmen sollte« 2 . Erbeten worden war er - offiziell und schriftlich nach ergebnislosen mündlichen Sondierungen-von Tillmann mit einem am 9. in der Reichskanzlei eingegangenen Schreiben vom 6. Mai. Sehr wahrscheinlich wäre auch diese Bitte erfolglos geblieben, hätte der Reichskanzlei-Staatssekretär Lammers nicht am Tag darauf ein weiteres und mit dem Tillmann-Gesuch bestimmt koordiniertes Schreiben erhalten, dieses von dem Verleger Hugo Bruckmann, der nicht nur Reichstagsabgeordneter war, sondern vor allem zusammen mit seiner Frau in der „Kampfzeit" einen der beiden Münchener Salons gehalten hatte, in denen der Wiener Strizzi Adolf Hitler das empfangen hatte, was man bei englischen jungen Damen unter finishing versteht und was die Formulierung, er sei gesellschaftsfähig gemacht worden, nur unscharf wiedergibt. Bruckmann nun berichtete hier mit der frischen Unbekümmertheit revolutionärer Umbruchzeiten von einer am 8. „in unserem Hause stattgefundenen Besprechung über Reorganisation der Universitäten" - ganz so, als ob der Salon Bruckmann der selbstverständliche Ort für Entscheidungsfindungen dieser Art war. Teilgenommen hatten „als Vertreter der Münchener Universität" sechs Professoren und zwei Privatdozenten, und neben Exponenten der neuen Zeit wie dem Historiker Karl Alexander v. Müller, dem Geopolitik-General Karl Haushofer und dem Kunstgeschichtler Alfred Stange 433 finden wir an der Spitze der Liste unseren Geheimrat Bumke vom Hochschulverband, dem Bruckmann schon den Weg zu Schlösser gewiesen hatte und der auch der Wortführer in jener Gesellschaft gewesen ist. Alleiniges Konferenzthema nämlich war der Verband und, wie sich deutlich erweist, die Bestrebungen seines Vorstands, ihn und vor allem sich selbst in die neue Epoche hinüberzuretten. Seit geraumer Zeit, so hatte Bumke hier referiert, bemühe man sich um eine „engere Anpassung des Hochschulbetriebs an die Gedankenwelt der nationalsozialistischen Bewegung". Leider sei bisher keine „Audienz beim Reichskanzler" zu erhalten gewesen, die aber nun, vor der Erfurter Tagung, dringend erforderlich sei. Denn nicht nur wollten einige Herren des Vorstands „dem Herrn Reichskanzler Vortrag halten dürfen über den Wunsch, der sie beseelt, sich ganz in den Dienst der Regierung zu stellen und den Neuaufbau der Hochschulen im Sinne des Herrn Reichskanzlers durchzuführen", sondern es fände in Erfurt auch eine Neubesetzung im Vorstand statt und eventuellen Wünschen der „Regierung in sachlicher oder personeller Hinsicht" würde dabei „gerne entsprochen werden". Daß sich diese freilich, bitte schön, in Grenzen halten sollten, legte der Hinweis auf drei disponible Stellen nahe - an der Spitze der „voraussichtlich" Ausscheidenden (neben v. Köhler und Nägel) natürlich Spranger. Daß der übrige Vorstand indes und insbesondere sein Vorsitzender („ist katholischer Theologe, aber, wie ich höre, Gegner der Zentrumspartei" 434 ) comme il faut waren, attestierte Bruckmann, soweit er das konnte, und empfahl Lammers abschließend etwas 116

nonchalant und für die Einschätzung dieses ganzen Professorenhaufens bezeichnend, eine „Abordnung von 2-3 Leuten" durch Hitler empfangen zu lassen, damit sie die „Einstellung des Herrn Reichskanzlers in allgemeinen großen Zügen kennenlernen" könnten. Aus Bumkes Feder war noch ein weiterer Aufruftext beigefügt, den er am 21. April nach Würzburg mitgebracht, der jedoch keine Verwendung gefunden hatte, weil der Vorstand die Erklärung des „Herrn Kollegen Spranger für noch geeigneter hielt". Dieser Text allerdings wurde den Erfordernissen des Tages in deutlicher und unmißverständlicher Sprache gerecht: „... erklären, daß sie die Wiedererrichtung einer kraftvollen Staatsführung auf das Wärmste begrüßen,... entschlossen, mit allen national empfindenden Volksgenossen zusammenzuarbeiten,... in den letzten Jahren Unterdrückung des nationalen Willens in der akademischen Jugend, Ernennung ungeeigneter Lehrer, Eingriffe in den pflichtmäßigen Dienst an der freien Wahrheitsfindung, ... schwindet heute jeder Anlaß für Mißverständnisse, jetzt wird eine Einheitsfront geschaffen ..." Tillmann und der Reichstagsabgeordnete Bruckmann waren am 13. Mai von Lammers beschieden worden, daß der „Herr Reichskanzler sich gern bereit erklärt habe" - Termin 26. Mai, 12 Uhr mittags. Am 16. hatte Tillmann die Teilnehmer an diesem High noon gemeldet : für den Verband er selbst, Schlink (damals Rektor in Darmstadt) und Wegbereiter Bumke, für die Rektorenkonferenz deren Vorsitzender Hermann Stieve, Rektor in Halle, sowie sein Prorektor, der Tierzüchter Frölich aus dem Hochschulverbandsvorstand. Dann aber waren am 18. die Telegramme der Studentenschaft und aus Kiel in der Reichskanzlei eingelaufen mit ihren Bitten, die Verbandsvertreter nicht zu empfangen, und sofort, am Tag danach ausgefertigt, wurden Bruckmann und Tillmann benachrichtigt, daß es „dem Herrn Reichskanzler leider doch nicht möglich" sei, die Deputation zu empfangen, - „infolge außergewöhnlich starker Arbeitsüberlastung" ist noch in das Konzept eingefügt worden 435 . Tillmanns sofortiger telegrafischer Hinweis auf die irrigen Voraussetzungen der Studentenschaftsaktion wie seine nachfolgende schriftliche Erläuterung sind dann nur noch zu den Akten genommen worden. Die ab 20. einlaufenden Rektorentelegramme bewiesen, sofern das noch nötig war, daß man sich mit der Absage auf den richtigen Weg begeben hatte. Vereinzelt erhoben sich freilich auch in Sachen Spranger Stimmen in der anderen Richtung. Rektor und Senat von Sprangers Friedrich-Wilhelms-Universität verurteilten in einer würdigen, von Eugen Fischer gezeichneten und an die Rektoren der deutschen Hochschulen versandten Erklärung die „Kundgebung" des Hochschulverbandsvorstands vom 21. Mai als „unkollegial und dem Ansehen der deutschen Professorenschaft abträglich", Rektor und Senat lehnten es „mit Entschiedenheit" ab, daß hier der alte Vorstand versuche, die Verantwortung auf Spranger abzuwälzen, ohne ihn überhaupt gehört zu haben. Das war am 27. Mai geschehen, und am Vortage hatte der Senat der Hamburger Universität, wo Spranger nie gelehrt hat, seinen Rektor ermächtigt, bei der Tagung in Erfurt das Bedauern des Senats darüber zum Ausdruck zu bringen, daß der Verbandsvorstand in der Erklärung vom 21. „von Professor Spranger abgerückt" sei. Es waren dies, selbst wenn andere Motive mitgespielt haben sollten, immerhin Lichtblicke in der Dämmerung von Feigheit, die in den Führungsetagen der deutschen Hochschulen angebrochen war. Und sie sind um so höher einzuschätzen (was freilich auch die Feigheit entsprechend mildert), als Spranger sich inzwischen noch etwas anderes geleistet und für weiteres Aufsehen gesorgt hatte. Der VB-Artikel und die beiden Bumke-Briefe kreisten bereits ebenfalls darum - diese mit der Versicherung, bei der Würzburger Vorstandssitzung habe davon bestimmt niemand gewußt, ja auch Spranger selbst gewiß noch 117

nicht mit dieser Möglichkeit gerechnet (Bumke, echt oder gespielt naiv, wie es offenbar seine Art oder Masche war: Sonst hätte er uns doch zweifellos vertraulich unterrichtet), und so sei denn das Zusammentreffen „wirklich rein zufällig" - das Zusammentreffen mit Sprangers Rücktritt nämlich436. Es ist nur drei Tage nach Würzburg gewesen, am 25. April, daß er Rust um seine Entpflichtung gebeten hat. Und doch braucht deshalb Bumkes Vermutung nicht falsch zu sein, hat Spranger doch in seinem Gesuch neben der „Entwicklung der Verhältnisse an den preußischen Universitäten", die ihm für die Zukunft keine mit seinem Gewissen in Einklang zu bringende Wirksamkeit gestatteten, einen unmittelbaren Anlaß angegeben, ein - nach seiner Darstellung von 1955 - „letztes, affektauslösendes Accedens": die ihm am 24. von Alfred Baeumler zugegangene Mitteilung, daß die beabsichtigte Errichtung eines Lehrstuhls für Politische Pädagogik jetzt erfolgt und er, Baeumler, mit der Verwaltung dieses Lehrstuhls und mit dem Aufbau eines entsprechenden Instituts beauftragt worden sei. Spranger hat später eingeräumt, daß Baeumler in den vorangegangenen Tagen ihn zweimal in seiner Wohnung aufgesucht habe, ohne ihn anzutreffen (und vielleicht hat er sich auch verleugnen lassen). Unzweifelhaft ist ebenfalls, daß der Dekan, der Historiker Fritz Härtung, bei diesem Geschäft, dessen Vorgeschichte in die letzten Weimarerjahre hineinreichte, - offenbar ordnungsgemäß - beteiligt gewesen ist. Trotzdem ist es natürlich möglich, daß das „Accedens" zu einer solchen spontanen Reaktion geführt hat, zu einer Kurzschluß-Stimmung, wie sie in der Notiz „Blitzartig das Bewußtsein: Das ist die Grenze, hier beginnt die schabionisierte Universität" ihren Niederschlag gefunden haben soll. Wie auch immer: An jenem 25. geht Spranger zunächst zu seinem Rektor, damals noch Kohlrausch, der abzuwiegeln versucht: Er solle doch lieber erst mal Urlaub nehmen. Man ruft den Personalreferenten Achelis im Ministerium an, der in die gleiche Kerbe schlägt: Sprangers Arbeitsgebiet werde doch gar nicht tangiert, er bilde die Lehrer fachlich aus, Baeumler werde die von den Studenten geforderte Nationalerziehung liefern437, es sei da überhaupt keine Kollision zu befürchten. Spranger läßt sich nicht überreden, sondern macht sich nach den Linden auf den Weg, wo er 11 Uhr 45 dem Staatssekretär sein Entpflichtungsgesuch überreicht. Der - es ist noch Lammers, der Alois Lammers ist weder überrascht, noch rät er ab, sondern jammert nur ein bißchen über eine „Parteistelle im Hause", die in Fällen wie dem Baeumlers die Befehle erteile, er wisse von gar nichts. Als er von Rust zurückkommt, dem er das Gesuch überbracht hat, soll er von „sichtbarem Unmut" berichtet haben. Und lediglich „bekümmert" ist auch Dekan Härtung, den Spranger nach Rückkehr in die Universität trifft. Den folgenden 26. sieht man Spranger mit „public relations" beschäftigt. Eine Verlautbarung der Universität, die mittags im Rektorat formuliert wird, findet er entweder zu schlapp, oder aber er vermutet - und das gewiß zu Recht - , daß sie den Weg in die Presse, dafür würde die Partei sorgen, kaum finden werde. Er aber will und muß, soll sein Schritt Sinn haben, verhüten, daß die Angelegenheit in den Kulissen erledigt und dann unter den Teppich gekehrt wird. Also übergibt er am Nachmittag einem ihm bekannten Journalisten der Deutschen Allgemeinen Zeitung eine Aufzeichnung mit einer Darstellung aus seiner Sicht: Das an den deutschen Hochschulen herrschende „Glück über das wiedergewonnene Deutschland" und dann der „schwere Schatten", der darauf gefallen sei - durch den „Spionageerlaß"438 der Deutschen Studentenschaft nämlich, der ihn an Metternich erinnere, der Sätze enthalte, die „auch beim nationalsten Leser schweren Anstoß erregen" müßten, und den wieder zu beseitigen, wie er das erwartet habe, weder dem Rektor 118

noch dem Minister gelungen sei. Die DAZ veröffentlicht das am 27. - und damit ist der Skandal da. Die übrige Presse zieht nach, und Unter den Linden legt man ein Kuvert an - „Zeitungsausschnitte Spranger". Der freilich ist bereits damit beschäftigt, unerwünschte und denn doch zu gefährliche Interpretationen zu dämpfen. Noch 1955, also nicht etwas als Schutzbehauptung im Dritten Reich, hat der „pater paedagogias Germaniae" mit entwaffnender Naivität (die also rundum und hier derart entwaffnend, daß man wieder einmal in Versuchung gerät, am politischen Fingerspitzengefühl der deutschen Professoren schlechthin zu verzweifeln) so etwas wie Erstaunen darüber geäußert, daß, wie er in jenen Tagen nach dem 27. April gehört habe, seine „Erklärung,politisch' ausgelegt" wurde - als ob es dazu einer Auslegung bedurft hätte! Es wird daher, so unglaublich sich das anhört, ebenfalls mehr echtes als diplomatisches Erstaunen gewesen sein, das in jenem weiteren Brief an Rust durchklingt, den Spranger am 28. nachgeschoben hat - gegen die ihm zu Ohren gekommene „mißverständliche Auslegung" seines Satzes in der DAZ über die „Entwicklung der Verhältnisse": Ausschließlich beziehe sich der auf die preußischen Universitäten, und zwar auf die durch die „offizielle Studentenschaft" herbeigeführten Verhältnisse (hier wird nun klar, warum die Studenten und ihr Gefolge auch die Erklärung des Hochschulverbands vom 22. April glaubten entsprechend interpretieren zu können und daß der Verbandsvorstand in der Tat einigermaßen unschuldig in die Bredouille geraten ist, was allerdings die - trotzdem entbehrliche - Desavouierung Sprangers nicht entschuldigt); „in keiner Weise" habe er sagen wollen, daß „ich dem neuen Staat" und der „neuen Staatsführung mit meinem Gewissen nicht folgen könne". Und als Beleg dafür hat er dann tatsächlich neben - pauschal - sonstigen öffentlichen Äußerungen die von ihm entworfene Verbandserklärung vom 22. als „eindeutig positiv" angeführt. Man muß hier innehalten und fragen, ob Sprangers Nachkriegsgegner mit ihrer Interpretation des 22. April nicht etwa doch recht haben. Hat Spranger, noch im Abwind der untergegangenen Republik stehend, die Dinge anders gesehen, als sie - sagen wir - ab Mitte Herbst 1934 oder dann gar im Kriege gesehen wurden? Uberwogen in seinen Augen die Worte der Anpassung an Gewicht eine damals noch gelinde und erst unter Anlegung späterer Maßstäbe unerhört erscheinende Kritik? Aber mag es nun subjektiv tatsächlich so gewesen sein und der Text vom 21./22. April überwiegend als Zucker gedacht (und wäre die Bezugnahme vom 28. ein Schachzug gewesen, der das, was die Studenten ohnehin demnächst aufgreifen würden, in kühner Uminterpretation selbst präsentierte), hätte er sich eigentlich nach 1945 noch daran erinnern müssen; objektiv jedenfalls hat das Regime ihn als Affront empfunden - und das sollte zählen. Zwangsläufig und ohne eigenes Zutun ist sein Kopf nicht in die Schlinge geraten. Spranger hat sich inzwischen an einen Mann um Hilfe gewandt, dem er zusammen mit drei anderen „konservativen" Berliner Kollegen439 am 26. Februar „Befürchtungen für die Zukunft der deutschen Universitäten" hatte vortragen dürfen: Franz v. Papen. Der akute Notstand sei nun da, schrieb er dem Vizekanzler, er selbst sei in den „Mittelpunkt von Presseerörterungen gerückt", der Fall sei indes von allgemeiner Bedeutung, würden doch die Studenten (den „Spionageerlaß" beigefügt440) zu Richtern über ihre Professoren und zu einem schändlichen Denunziantentum aufgerufen, die Gesinnung auch nationaler Männer werde „geknechtet", erheuchelte Gesinnung breite sich aus und drohe zu einem Schaden für die „deutsche Volksseele" zu werden - alles Dinge, die es einem „Professor von Ehrgefühl und aufrechter Gesinnung unendlich erschwerten, künftig das Ka119

theder einer deutschen Universität zu betreten". Was er aber, am Rande der vielen „Gesinnung", speziell wollte: „Hohe Fürsprache" für einen Empfang durch den Herrn Reichskanzler, den Kollegen gleichzeitig auch über Minister Popitz herbeizuführen bemüht wären. O b das erfolgversprechende Wege zu Hitler waren, möchte im nachhinein etwas zweifelhaft erscheinen. Aber sie waren es tatsächlich: Am 2. Mai antwortete Papen, er habe fürden4., 13 Uhr, einen Termin bei Hitler bewirkt, bitte jedoch dringend um eine vorherige Aussprache mit Rust, ohne die ein Empfang durch Hitler keinen Zweck haben dürfte und zu der er Spranger daher bereits schriftlich angemeldet habe. Als der Gelehrte dort jedoch am 3. aufkreuzte, mußte er hören, daß Rust es ablehne, ihn zu empfangen; Lammers und der neue Ministerialdirektor Gerullis, bis vor kurzem Extraordinarius für Baltische Philologie in Leipzig, sprachen von einer ungünstigen Wendung, die seine Sache genommen hätte: Erst jetzt habe der Minister seine Würzburger Erklärung zu Gesicht bekommen und sei darüber aufs äußerste aufgebracht. Obwohl inzwischen auch Sprangers anderer Fühler in Richtung Hitler, über den Kirchengeschichtler Hans Lietzmann und Popitz, sich durchaus günstig angelassen und zunächst einmal zur Ubersendung seines Papenbriefes an Göring und Rust geführt hatte, war damit die Hitleraudienz erledigt: Drei oder vier Stunden vor demTermin erhielt er per Rohrpost von Papen die Absage wegen politischer Überlastung des Herrn Reichskanzlers. Die von Spranger Papen gegenüber erwähnten „Presseerörterungen" hatten übrigens gerade in jenen letzten Apriltagen - und das ist vermutlich der Anlaß für Sprangers Papenbrief gewesen - in einer zweiten der Presse übergebenen und dort fleißig abgedruckten Erklärung der Deutschen Studentenschaft einen neuen Höhepunkt erklommen. „Ein Professor ist vergessen worden", lautete die Uberschrift 441 dieser Antwort auf Sprangers Flucht in die Öffentlichkeit, wo der Pädagoge seiner Klage über die Einrichtung des Ordinariats und Instituts für Politische Pädagogik ohne seine Mitwirkung seinen Kummer über die Haltung der Studenten vorangestellt hatte, die ihn merkwürdig an die Stellung erinnere, wie sie (sein Topos jener Tage) „ein Metternich gegenüber Studenten und Professoren einnahm". Er habe das Gefühl, hatte Spranger der D A Z geschrieben, daß er „den Zugang zu der neuen Generation wohl nicht mehr finden würde". Was ihm nunmehr die „Metterniche" bestätigen: Gerade in dem von Spranger kritisierten Ordinariat und Institut werde die deutsche Studentenschaft beweisen, „daß sie sich dann in der Gefolgschaft befindet, wenn sie eine Wissenschaft erlebt, die aus dem Geist der Revolution kommt". Spranger scheint dazu keine Stellung genommen zu haben. Erst über drei Wochen später hat ihn die öffentliche Ohrfeige der ehemaligen Vörstandskollegen im Hochschulverband (nach einer letzten Begegnung am 27. April soll Tillmann sich noch mit den Worten verabschiedet haben: „Wir halten einander die Treue") zu einem matten Brief an den Studentenschafts-Führer Gerhard Krüger veranlaßt, in dem er bitter beklagte, daß der Vorstand ihm vorher keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben habe, die Interpretation seines Würzburger Textes dementierte und Krüger geradezu anbettelte, ob er nicht vielleicht „zu einer Aussprache geneigt" sei. Es ist dies das letzte, was von Spranger im Zusammenhang mit dem Hochschulverband zu berichten ist. Ihre Wege trennen sich jetzt. Doch bevor das weitere Schicksal des ja nun am 3. Juni mit der Kieler Austrittserklärung konfrontierten Verbandes abgehandelt wird, einen Blick auf das Ende der akademischen Laufbahn des ersten deutschen Professors, der 1933 aus politischen Gründen aus dem Amt geschieden ist und den Nationalsozialisten den Bettel hingeworfen hat. 120

Aber hat er wirklich? Der Spranger vom 24. Mai, dem Datum des Briefes an Krüger, ist ja schon reichlich müde gewesen - sicher nicht zuletzt deshalb, weil sich eine am 25. April, seinem letzten Tag in der Universität, oder kurz danach niedergeschriebene Notiz inzwischen als Illusion erwiesen hatte: „Abschied; gemeinsame Uberzeugung, mein Entschluß sei recht, er könne - als ein Opfer - anderen Kollegen nützen, andere würden folgen." Niemand folgte. Dekan Härtung etwa hatte den Schritt gleich als übereilt bezeichnet, auch 1918 habe man laviert und sei damit weiter gekommen (daß er und die Fakultät von Spranger glücklich an jenem 27. April unterrichtet worden waren, an dessen Morgen man seine Erläuterungen dazu bereits der D A Z hatte entnehmen können, wird die Begeisterung kaum erhöht haben). Und nach der Flucht in die Öffentlichkeit zeigten sich sogar bis dahin verständnisvolle Kollegen unangenehm berührt - so etwas machte man nicht, das war nicht standesgemäß, war Nestbeschmutzung. Und was vielleicht noch schlimmer war: Umhabilitierungssondierungen in der Schweiz, die später durch ihr freundliches Entgegenkommen den großen Helden Karl Barth und einige kleinere ermöglicht hat, waren negativ verlaufen, die Universität Bern hatte abgewinkt. Mit dem großen Fanal war es also nichts gewesen. Fichte hatte die Jugend hinter sich gehabt, die Göttinger waren wenigstens zu siebt gewesen - Spranger stand allein. Wenig aber ist peinlicher als ein verhinderter Held. Spranger muß das gewußt haben, erfuhren doch am 13. Juni die Berliner und bald auch die übrigen deutschen Zeitungsleser: „Professor Spranger bleibt." Der Amtliche Preußische Pressedienst teilte hier mit, der Pädagoge habe sich inzwischen davon „überzeugt, daß die Gründe für sein Verhalten nicht stichhaltig waren". Diesem Begräbnis dritter Klasse wurde dann noch im Wortlaut eine Erklärung beigefügt, die Spranger Rust hatte abgeben müssen: Er habe die „Maßnahmen des Herrn Ministers zur Wiederherstellung des Vertrauensverhältnisses zwischen Studentenschaft und Professorenschaft nicht in vollem Umfange" gekannt, seine damaligen Besorgnisse dürfe er nun „als nicht mehr begründet ansehen", weshalb er den „lebhaften Wunsch" habe, seine Arbeit wie bisher „in naher Verbundenheit mit der akademischen Jugend dem deutschen Volk und Staat widmen zu können". Die konservative Presse von der Deutschen bis zur Kreuz-Zeitung hatte der Meldung ein paar Sätze angeschlossen, die diese Lösung begrüßten und Rust, der gleich nach Sprangers Rücktritt vor der Presse sein persönliches Bedauern geäußert hatte, für seine „Weitsicht" dankten. Der Berliner Lokal-Anzeiger, Hugenbergs Massenblatt für die Reichshauptstadt, ging noch einen Schritt weiter und genoß „Ausblicke auf die Möglichkeit einer weiteren glücklichen Gestaltung der bisher nicht restlos geklärten Stellung der deutschen Professorenschaft gegenüber dem Kultusministerium und der studierenden Jugend": Das Zeugnis, das der hervorragende Gelehrte durch sein Verbleiben im Lehramt für „die neuen Werte" ablege, müsse von der gesamten gebildeten Welt als „Bekenntnis geistiger Zukunftsbereitschaft verstanden werden". Das also war glücklich aus dem Fanal geworden: ein Bekenntnis! Freilich: Spranger hatte erleben müssen, wie sein „Fall" eine „reine Privatsache" geworden war. Denn auch der anfängliche Pressewirbel war schnell verrauscht, wo es links von den nationalsozialistischen Parteizeitungen durchaus aufmunternde Stimmen gegeben hatte. „Geht es so, Deutsche Studentenschaft?", hatte die Deutsche Zeitung gefragt, „Studentenschaft, wohin?" die Tägliche Rundschau, „Muß das sein?" die Kreuz-Zeitung. Und man hatte Spranger zitiert - aus Kolleg-Niederschriften des vergangenen Sommers (Anerkennung für die nationalsozialistischen drei Grundgedanken Führerprinzip, Leistungsprinzip und Dienst an Volk und Staat), aus einem Aufsatz in der von ihm mitherausgegebenen 121

Zeitschrift „Die Erziehung", aus einem Rundfunkvortrag vor ein paar Monaten. Spranger-Studenten hatten ein Schreiben an die Presse gerichtet 442 , in dem sie „abrückten" von der Deutschen Studentenschaft und erklärten, wie ihnen Spranger seit Jahren Wege gewiesen habe, die sie zu einem „tieferen Bewußtwerden unseres Deutschtums geführt" und ihnen „das freudige Bekennen zur nationalsozialistischen Revolution zu einer Selbstverständlichkeit" gemacht hätten. Hier und da waren Vorläufer gesucht und gefunden worden, Kollegen, die ebenfalls gegangen wären. „Auch Eduard Spranger tritt zurück", hatte eine Überschrift in der Deutschen Allgemeinen Zeitung gelautet, und das Berliner Tageblatt war einen Tag später, am 27. April, deutlicher geworden, hatte aus Heidelberg Gerhard Anschütz und Alfred Weber, aus Göttingen James Franck und aus Berlin den Krebsforscher Ferdinand Blumenthal angeführt (die beiden letzteren freilich Juden, Weber gezwungen und Anschütz bereits über 65), diese alle aber „Linke", zu denen sich nun also ein so streng nationaler Mann wie Eduard Spranger geselle und Mißstimmung auch im rechten, im Hugenberg-Lager erzeuge. Aber selbst wo noch die studentischen Unbotmäßigkeiten gegen Rektor Kohlrausch in Berlin und gegen Bernhard Harms in Kiel dazugerechnet wurden sowie Kohlrauschs (nicht, wie Rust sich öffentlich zu erklären beeilte, mit Spranger und dem von diesem beanstandeten „Spionageerlaß" zusammenhängender 443 ) Rücktritt - mit Vorläufern war Spranger wenig gedient, was er erwartet hatte und was ausgeblieben war, das waren Ge/o/gileute, die sich ihm anschlössen, eine „Aktion deutscher Professoren". Das genaue Gegenteil aber war eingetreten: Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, so hat er sich nach dem Kriege erinnert, habe man ihn in „völliger Vereinsamung existieren" lassen. In „völlig passive Haltung gedrängt", sitzt er nun also Woche um Woche und wartet und merkt, wie er seine „Stoßkraft" in solcher Vereinsamung Stück um Stück verliert. Im Hause Härtung schließt er Frieden mit dem Konkurrenten Baeumler. Der Kampf ist längst aufgegeben, als ihm am 31. Mai von Gerullis mitgeteilt wird, Rust sei jetzt bereit, ihn zu empfangen. Anfang Juni hat dann dieser Empfang stattgefunden. „Sichtlich erleichtert", so Spranger später, sei der recht nervöse Rust, der ihn „ziemlich lange" habe warten lassen, gewesen, als er ihm seinen Entschluß eröffnete, das Entpflichtungsgesuch zurückzuziehen. Man habe noch über die Studentenschaft (deren gerade beabsichtigte Disziplinierung Spranger mit seiner Aktion leider durchkreuzt habe) und über Baeumlers Berufung gesprochen (die keine Kränkung hätte sein sollen), und abschließend habe Rust dann jene öffentliche Erklärung Sprangers zur Zurücknahme seines Gesuchs gefordert, die er in den Tagen danach zusammen mit Gerullis, der ihm dabei die „Demütigung" erleichtert hätte, ausgearbeitet habe. So weit Spranger 1955. Was können dazu die preußischen Akten ergänzen? Zunächst einmal das, daß es nicht etwa raffinierte Taktik gewesen ist, den Rebellen auf kleiner Flamme gar kochen zu lassen, sondern daß dies jedenfalls zum großen Teil an der Schwerfälligkeit der Bürokratie gelegen hat. Für eine Antwort auf Sprangers Gesuch gab es nicht weniger als drei Entwürfe, zwei noch vom April, einer von Anfang Mai. Alle drei sollten nach Zeichnung „Sofort! Noch heute!" abgehen, und alle drei endeten mit der Ablehnung des Gesuchs und der Entlassung nach § 4 BBG. Im ersten und - hauptsächlich juristisch überarbeiteten - zweiten Entwurf wurde festgestellt, daß Spranger sich mit dem Text seines Gesuches „offen in Gegensatz zu der jetzigen Regierung gestellt" habe, „offenbar um als Märtyrer zu gelten", während er doch unter den „marxistischen und liberalistischen Regierungen", unter den Ministern Hänisch, Becker und Grimme, nie prote122

stiert und „zumindest in Neutralität verharrt" habe. Und die Baeumler-Berufung sei unter Beteiligung des Dekans, der keine Bedenken gehabt habe, erfolgt, könne also kein Grund für Sprangers Gesuch sein. Dieser Entwurf war dann hinfällig geworden durch Sprangers Eingabe vom 28. April mit seiner Loyalitätserklärung für den neuen Staat und dessen Führung. Nunmehr wurde die Entlassung darauf abgestellt, daß Spranger mit der Behauptung, es sei Rust nicht gelungen, den „Spionageerlaß" zu beseitigen, in der Presse die Autorität der Unterrichtsverwaltung in Frage gestellt sowie das staatlich anerkannte Hochschulorgan der Deutschen Studentenschaft mit den Vorwürfen „Lüge, Gewissensdruck und ungeistige Art" schwer beleidigt, insgesamt also ein Verhalten an den Tag gelegt habe, geeignet, „die Achtung und die Ehre der deutschen Hochschule und des neuen Deutschlands vor dem Auslande herabzuwürdigen" (da Spranger lediglich mündlich im Kultusministerium Lammers und Gerullis gegenüber jene Vorwürfe der Hochschulverbands-Erklärung vom 22. April explizit auf die Deutsche Studentenschaft bezogen hatte, wird hier ersichtlich, daß diese, als sie gegen Spranger vorging, vielleicht den Text vom 21.122. April nicht nur interpretiert, sondern womöglich aus dem Ministerium Informationen erhalten hat). Zu Baeumler hatte man inzwischen noch den Paragraphen 15 Abs. 1 Satz 2 der Satzung der Berliner Universität ausfindig gemacht, wonach kein Professor ein ausschließliches Recht auf alleinige Vertretung eines bestimmten Faches habe. Das Ergebnis freilich blieb von den neuen Begründungen unberührt: sofortige Entlassung nach § 4. Vor der Absendung aber langte also am 3. Mai, das Schreiben des „mir persönlich bekannten Professor Spranger" beigefügt, der Papen-Brief ein. Die einzige festgehaltene Reaktion darauf betraf die Spranger-Stelle über die Deutsche Studentenschaft, die dem „Professor von Ehrgefühl" das Betreten des Katheders so erschwere - offenbar sah man hierin neues Beleidigungsmaterial. Keinerlei Randvermerke oder -Verfügungen hingegen fand der angekündigte Empfang Sprangers durch Hitler und das „Anheimstellen", daran „evtl. persönlich teilzunehmen" und Herrn Spranger zuvor zu empfangen. Von da an wird die Akte ausgesprochen wortkarg. Unter dem 17. Mai hat man anstelle der Entlassung erst einmal das Urlaubsgesuch (bis zur Entscheidung über seinen Emeritierungsantrag) genehmigt, das Spranger seinem zweiten Schreiben vom 28. April beigelegt hatte; dies ist am 12. verfügt worden - warum jetzt, ist nicht ersichtlich. Das nächste und letzte ist eine Verfügung vom 9. Juni: „1) Beurlaubung Spranger Berlin aufheben. 2) Spranger übernimmt wieder Leitung Päd. Inst. 3) Prof. Baeumler zu benachrichtigen" (der am 27. einen Vertretungsauftrag erhalten hatte) - was alles „sofort" am 10. geschehen ist. Keine Veranlassung, keine Begründung, kein Wort über den Rust-Empfang, nichts. So war denn Spranger wieder da. Auch hierzu, hat er nach dem Kriege geschrieben, habe er wieder eine „Fülle von Sympathieerklärungen" erhalten („wie man's macht, ist es recht"), doch sei sein Einfluß in Universität und Fakultät „natürlich zu Ende" gewesen. 1955 hat die rechtsstehende Deutsche Hochschullehrer-Zeitung für ihre Attacke gegen Spranger 444 dessen wissenschaftlich-publizistisches Wirken im Dritten Reich erforscht, und man wird Grabert und seinen Leuten wohl zubilligen können, sich dabei alle erdenkliche Mühe gegeben zu haben. Trotzdem war das Ergebnis nicht allzu berauschend: einiges Alberne über die „neue Volkwerdung" und den neuen „politischen Menschen" („bodenverbunden, volksverbunden, arbeitsverbunden" und „Kampfnatur") - dies gewiß entbehrliche Verbeugungen, ferner etwas über die „lange durch die Volksseele" gehende „Sehnsucht nach einem Führer", noch bevor dieser „erstanden" sei - eine autoritäre Sympathiebezeigung, die dem autoritären Spranger vermutlich keine Verrenkung gekostet 123

hat. Dann etwas über die „Militarisierung der Hochschulen" in Deutschland, wobei jedoch die von Spranger erwähnte ausländische Kritik daran deutlicher ist als sein etwas verschwimmendes Argument gegen diese. Das war in einem Vortrag in Japan geäußert worden, und solche Auslandstätigkeit als „Kulturpropagandist", und das auch noch im Krieg (mit letzterem gemeint ein einziger Vortrag in Budapest!), als „dorthin nur .Kanonen' geschickt wurden", ist denn auch das Gravierendste, was Graberts Sykophanten haben hervorwühlen können. 1936, der Vorschlag ist wohl vom Auswärtigen Amt ausgegangen, war Spranger auf ein Jahr nach Tokio beurlaubt worden für die Leitung des Japanisch-Deutschen Kulturinstituts (das schwierige Problem seiner Vertretung in Berlin, wo Spranger nicht Baeumler und das Ministerium nicht Nicolai Hartmann über den Weg traute und beider Machtzuwachs verhindert werden sollte, war schließlich doch gelöst worden). Nach Eingang der abschließenden Berichte hat Rust dann am 26. April 1938 Spranger dafür gedankt, „die deutschen kulturpolitischen Interessen mit unermüdlichem Einsatz Ihrer Arbeitskraft und mit ganz besonderer Einfühlung in die gestellten Aufgaben erfolgreich wahrgenommen" zu haben. Anschließend ist er noch für das pädagogische Ordinariat der Universität Istanbul im Gespräch gewesen, obwohl in Parteikreisen die Skepsis wohl nie ganz geschwunden ist. So hat es 1937 eine im Amt Rosenberg aufmerksam verfolgte „Angelegenheit Prof. Gerullis und Prof. Spranger" gegeben, von der sonst nichts weiter bekannt ist, und als ein Jahr zuvor der Kieler Gaudozentenbundsführer Lohr über den Kollegen Cay v. Brockdorff zu gutachten hatte, schränkte er Günstiges wie die „Ablehnung der marxistischen Erziehungsexperimente bereits 1932" und die eindeutige Stellungnahme gegen „Schulreformer wie Kerschensteiner" dadurch ein, Brockdorff halte „auf der anderen Seite große Stücke" auf Spranger. Daß die Graberts jedenfalls generell Unrecht haben mit ihrer Einschätzung Sprangers, ist 1982 noch einmal und wohl endgültig bewiesen worden durch Klaus Scholders Edition der Protokolle der Mittwochs-Gesellschaft 445 . 1934 war Spranger kooptiert worden, und sein Vortrag vom 17. April 1935 ist es gewesen, der dort „zum ersten Mal den Ton entschiedener Kritik am herrschenden System und seinen Normen zu Protokoll gab" (Scholder) - mit der Quintessenz: „Wer politische Wissenschaft will, will im Grunde überhaupt nicht Wissenschaft; denn der Wille zur Macht ist wesensmäßig etwas anderes als der Wille zur Wahrheit." Scholder hat auch aus einem Brief Sprangers vom 20. April 1936 an einen Vertrauten zitiert: „Führen wir nicht den König Lear auf? Muß nicht eine gesunde Generation unter Psychopathen wahnsinnig werden? Ist es nicht eine noble Art des letzten Widerstandes - auch wahnsinnig zu werden?" Spranger hat in der Gesellschaft noch weitere Vorträge gehalten, so am 1. März 1939 über und gegen Hegels Weltgeschichte als Weltgericht („Es kommt darauf an, der eigenen erkämpften und gewissensmäßig erprobten Uberzeugung die Treue zu halten, nicht aber jeder Wendung der Geschichte gefällig zu sein") und am 31. Januar 1940 über „Volksmoral und ihre Sicherung" - „moralische Zellenbildung" gegen die jetzt herrschende „rücksichtslose Erfolgsgier, Brutalität gegenüber dem Leben, Verlogenheit als planvolle Methode und Verlust des Rechtssinnes" fordernd. In der Mittwochs-Gesellschaft hat sich seine Freundschaft mit Ludwig Beck entwickelt, hier ist er auch Ulrich v. Hassell begegnet. An deren Umsturzplänen ist Spranger zwar nicht unmittelbar beteiligt gewesen, doch ahnte er natürlich, was gespielt wurde. Eine Stelle in Becks von der Gestapo beschlagnahmter Korrespondenz war dann der Anlaß seiner eingangs erwähnten Verhaftung im September 1944 - einer Haft, aus der er am 14. November 4 4 6 entlassen worden ist. 124

„Es scheint nichts gegen ihn vorgelegen zu haben", notierte man im Kultusministerium, von der Zuverlässigkeit der Arbeit der die Entlassung verfügenden „Sonderkommission 20. Juli" des Reichssicherheitshauptamts offenbar nicht hundertprozentig überzeugt. So viel zu Spranger - nach seiner Zeit im Hochschulverbandsvorstand. Und nun also der Hochschulverband - nach der Vorstandsmitgliedschaft Sprangers 447 . Wir haben ihn Ende Mai 1933 verlassen, am 1. Juni trifft man sich wieder beim - im doppelten Wortsinn - außerordentlichen Hochschultag 448 in Erfurt, der in der Hochschulgeschichte auch dadurch seine - später noch zu würdigende - Bedeutung hat, daß er geleitet wurde von einem Geheimrat Seydel (richtig Seidl geschrieben, Erich Seidl), der zwar Ministerialrat z. D . war, aber auch Beauftragter Schemms, und keinen Zweifel daran ließ, daß er hier als Vertreter des NS-Lehrerbundes wirkte, welcher damit unüberhörbar Anspruch erhob auf alle Hochschullehrer vom Ordinarius bis zum Assistenten und an allen Hochschulen von der Lehrerbildungsanstalt in Hintertupfingen bis zur Universität in Berlin. Bereits am Abend des Vortages hatten sich die „nationalsozialistischen Vertreter" zu einer Besprechung im Kossenhaschen zusammengesetzt und die Regie für den folgenden Tag besprochen. Dazu geladen hatte derjenige, der dann am 1. Juni neuer „Führer" des Verbandes wurde (die Vorsitzenden, Vorsitzer und Obmänner starben in jenen Wochen rundum aus, da ja nun das „Führerprinzip" für primos inter pares wenig Raum mehr ließ und ein Führer auch mehr „action" versprach als ein eher betulicher Vorsitzender). Es war dies „Pg. Prof. Schucht" - Friedrich Schucht, Geologe und Ordinarius an der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin (später Universitätsfakultät), Honorarprofessor auch an der dortigen T H sowie in Eberswalde 449 . Am 2. meldete er den Hochschulbehörden die in Erfurt erfolgte „Gleichschaltung" des Verbandes und stellte sich als „1. Vorsitzenden und Führer", den Tübinger Kanzler Gustav Bebermeyer als seinen Vize vor (erstmals waren mithin keine Universitätsordinarien Vorsitzende, sondern ein Ordinarius einer „Hochschule" und ein Extraordinarius). Ferner gehörten zu dieser Führung noch sieben weitere Herren, teilweise Rektoren und meist Leute, die auch sonst eine Rolle gespielt haben und hier bereits erwähnt worden sind - Victor Schilling (Berlin), Theodor Vahlen (Greifswald), Herwart Fischer (Würzburg) und Hubert Naendrup (Münster), von den Technischen Hochschulen August Thum (Darmstadt) und Max Kloß (Berlin) sowie der - sonst nirgends hervorgetretene Chemiker Ernst Biesalski (Berlin) 450 . Neun Leute also, die sich nunmehr „rückhaltlos" (will heißen: nicht so wie die Vorgänger) zur nationalsozialistischen Weltanschauung bekennen, sämtliche Hochschullehrer in die wahre Volksgemeinschaft einzugliedern versprechen 451 und deren Namen vorerst einmal unter der obligatorischen Ergebenheitsadresse stehen und dort der neuen Regierung vollmundig schwören, immer nur mit ihr und niemals gegen sie zu arbeiten und mit dieser Auffassung zu stehen und zu fallen. Ein Erfolg ist schon einmal der Hitler-Empfang. Tillmann hatte nach dem Rücktritt des alten Vorstands großherzig darum gebeten, ihn den Nachfolgern zu gewähren; diese nahmen die Bitte sofort in Erfurt auf, und am 16. ging tatsächlich ein positiver Bescheid aus der Reichskanzlei ab: Am 23., 11 Uhr, wollte Hitler die Herren empfangen. Schucht meldete sich, Bebermeyer, Schilling und „vielleicht noch" Fischer an, doch da haben wohl die anderen gemurrt. Jedenfalls waren am 23. auch Biesalski und Kloß mit von der Partie. Aber ach, zu jener Zeit nagte bereits der Wurm der Zwietracht am Verbände - oder richtiger: Er hatte sich gerade daran gemacht, ihn zu verspeisen. Es ist hier eine Gruppe 125

„Stoßtrupp" hätten sie gewiß nicht ungern gehört - aus der idealistischen ersten Generation nationalsozialistischer Rektoren am Werke zu beobachten, vier Leute, die in jenen Monaten auch anderweitig versucht haben, die Hochschulen im Sinne eines Nationalsozialismus, wie sie ihn verstanden, umzugestalten, und die damit sämtlich im Abseits gelandet sind, wo sie dann zusehen konnten, wie ihre Nachfolger vorexerzierten, daß von einem nationalsozialistischen Rektor zunächst einmal Gehorsam, dann wieder Gehorsam und drittens noch einmal Gehorsam gefordert wurde und dann - vielleicht! - an vierter oder fünfter Stelle und sorgfältigst gegen Mißbrauch abgesichert so etwas wie eigene Initiative.' Es waren dies Martin Heidegger aus Freiburg und Ernst Krieck aus Frankfurt, die beide keiner Vorstellung mehr bedürfen, der Germanist Friedrich Neumann aus Göttingen und der Physikalische Chemiker Lothar Wolf aus Kiel. Ihnen schlössen sich an der Gerichtsmediziner Friedrich Pietrusky aus Bonn und (zunächst) für Tübingen Staatskommissar Gustav Bebermeyer - der am selben Tage zum zweiten Verbandsvorsitzenden gewählt worden ist, an dem er mit jenen fünf Magnifizenzen am Erfurter Rande beschloß, persönlich „unverzüglich" aus dem Verband auszuscheiden und ebenfalls den Austritt seiner „Universität als solcher" zu bewerkstelligen. Als Motiv nannten die Herren ihre gemeinsame Überlegung, daß es einem „klaren Führerprinzip" widerspräche, „wenn sich zwischen Ministerium und' Rektor eine parlamentarische Institution schiebt". Natürlich sah die Fronde auch schon die Crux ihrer Aktion: die zum Verband gehörige „Hinterbliebenen-Hilfskasse" der NichtOrdinarien, für nicht wenige Mitglieder das Wichtigste daran überhaupt. Diese Kasse sollte daher nicht mit erlöschen, sondern der Nichtordinarien-Vereinigung angegliedert werden, der man offenbar - irrigerweise - ein längeres Leben zuschrieb. Wolf machte den Anfang. Er hatte mit seinem Senat keinerlei Probleme (zehn der 13 Mitglieder waren erreichbar gewesen und hatten sämtlich zugestimmt) und erklärte also am 3. Juni den Austritt Kiels mit der abgesprochenen Begründung, die „Existenz des Verbandes" sei durch das Führerprinzip „überflüssig geworden", eine eventuell nötig werdende Gesamtvertretung der Hochschulen könne jetzt, nach der Aufwertung des Rektors durch das Führerprinzip, die Rektorenkonferenz wahrnehmen. Der vollzogene Austritt wurde auch dem Ministerium gemeldet mit der ausdrücklichen Feststellung, der Verband sei damit nicht mehr berechtigt, sich als Vertretung sämtlicher deutschen Hochschulen zu bezeichnen. Pietrusky folgte für Bonn am Tag darauf und notifizierte das am 7. in Berlin (in Bonn, meinte er, wären die Zustände schon so, daß er die Zustimmung seines Senats nur „nachträglich" einzuholen brauche), Krieck meldete am gleichen 7. den bevorstehenden Schritt Frankfurts und kündigte eine Mahnung in Freiburg, Göttingen und Marburg an. Marburgs Beteiligung muß wohl in den Erfurter Kulissen zugesagt oder angedeutet worden sein, zuversichtlicher jedenfalls als berechtigt; auch war weder von Heidegger noch von Neumann bislang Vollzugsmeldung erstattet worden, und aus Tübingen gar (Bebermeyer stand nicht mehr auf Wolfs Verteiler) hatte Rektor Dietrich am 10. geschrieben, daß man dort dem Kieler und Bonner Schritt nicht zustimmen könne, weil man im Hochschulverband keine parlamentarische Institution, sondern eine gerade angesichts der bevorstehenden Hochschulreform mehr denn je notwendige berufsständische (Dietrich schrieb „...ständige") Vertretung erblicke. Inzwischen hatte, am 8. und also relativ spät, Schucht die Sprache wiedergefunden, teilte den übrigen Magnifizenzen den Kieler Schritt mit (von Bonn war aus Gründen, von denen wir gleich hören werden, nicht die Rede), lehnte ihn und die geforderte Auflösung 126

des Verbandes „mit aller Entschiedenheit" ab und versprach, diesen vielmehr „kräftig und machtvoll" zu einem „festen Bollwerk" auszugestalten. Die Rektoren wurden um ihr Vertrauen zur neuen Verbandsführung sowie darum gebeten, „energisch Front zu machen" gegen die, die da Zwietracht säen wollten - der Hinweis auf den satzungsgemäß mit einem Austritt verbundenen Verlust aller „Anrechte auf die Hilfskasse" wurde dabei nicht vergessen. Zur gleichen Zeit glaubte freilich Pietrusky aufgrund ihm zugegangener Nachrichten, daß auch bei anderen Hochschulen „große Neigung zum Austritt" bestände, und tatsächlich lief bei der Universität Kiel am 10. nur zwei Stunden nach dem Eingang von Schuchts Bollwerk-Rundschreiben, um 11 U h r 30 genau, ein aus fünf Worten bestehendes Telegramm desselben Absenders ein: „Hochschulverband wird aufgelöst Heil Hitler Schucht." Auf die Hintergründe dieser selbst für damalige Verhältnisse erstaunlichen Kehrtwendung findet sich in keiner Akte auch nur ein Hinweis. War es indes eine Sensation, so doch eine kurzlebige. Ebenso schnell, wie Schucht „in die Kartoffeln rin" gewesen war, war er auch wieder „raus". Triumphierend hatte Kiel den vermeintlichen Sieg umgehend an die Presse weitergegeben, an die Kieler Zeitung. Und am 13.452 noch meldete auch der Völkische Beobachter: „Der Verband der deutschen Hochschulen vor der Auflösung." Als diese Meldung erschien, hatte jedoch der Vorstand des Verbandes getagt, hatte ausführlich die „hochschulpolitische Lage" erörtert und war einmütig zu der (kurz zuvor ja bereits in Tübingen artikulierten) Uberzeugung gekommen, der Fortbestand des Verbandes sei „vor allem im Hinblick auf die brennende Frage der Hochschulreform heute notwendiger als je", - den vormaligen Frondeur Bebermeyer setzte man als eine Art Generalbevollmächtigten für die Hochschulreform ein, dem Fischer, Kloß und Schilling „als Mitarbeiter beigegeben" wurden. Und Schucht telegrafierte wieder einmal nach Kiel. Diesmal: „Auf Vorstandsbeschluß nehme mein Telegramm betreffend Auflösung des Hochschulverbandes hiermit zurück." N u n scheint, wenn man dem hallischen Rektorat traut, der arme Schucht damals in dieser Frage geschwankt zu haben wie das Rohr im Winde. Denn bereits zwei Tage vor seinem ersten Telegramm nach Kiel hat er auf der Rektorenkonferenz berichtet, „kurze Zeit hindurch" sei er selbst der Auffassung gewesen, der Verband müsse aufgelöst werden; er habe das nach Kiel mitgeteilt, später aber widerrufen. Ganz so ist es indes wohl doch nicht gewesen. Die Tatsache, daß sich von einem solchen Duplikat vor dem 8. Juni, dem Tag der Rektorenkonferenz, in den Kieler Akten nichts findet, ist ein erstes Indiz für einen Datierungsirrtum. Und es gibt noch ein zweites. Der gedruckte Konferenzbericht weist zwar das Datum 8. Juni 1933 ebenso eindeutig aus wie (neben den postalischen Angaben) der Eingangsstempel der Universität Kiel den 10. Juni 1933 als Datum des Schucht-Telegramms. Aber da gibt es außerdem einen Briefwechsel zwischen Heidegger, Wolf, Neumann und Pietrusky, der der Vorbereitung der Rektorenkonferenz diente. Heidegger regt hier an, daß sich aus dieser Konferenz eine „kleinere Führergruppe herausbilden" solle. Mit seinem (hier schon im Ergebnis vorweggenommenen) Vorschlag, daß Krieck, Neumann, Wolf und er sich am Nachmittag des Vortages der Konferenz darüber besprechen und die Konferenz „vorbereiten" sollten, sind die drei anderen gern einverstanden. Pietrusky hat einen ähnlichen Vorschlag: ein „Dreimännerkollegium", einer davon der Berliner Rektor (jetzt Eugen Fischer) - den aber zumindest Wolf nicht gern darin sehen würde. Getroffen hat man sich jedenfalls an jenem Vortage, zumal eine für den Vormittag anberaumte Sitzung der Notgemeinschaft kurzfristig ausfiel und man also viel Zeit hatte. Unsicher ist nur, wer alles daran teilgenommen hat, und auf den ersten 127

Blick geradezu mysteriös das Datum: der 17.! Und das dieser Korrespondenz der 13. bis 15., und am 18. sollte die Rektorenkonferenz sein! Damit ist nun von dieser Deutschen Rektorenkonferenz zu berichten, der „25. außeramtlichen", abgehalten angeblich am 8., sehr wahrscheinlich also aber erst am 18. Juni 453 in Berlin (der Ort wenigstens stimmt) und hauptsächlich einberufen zwecks Klärung der Stellung zum Hochschulverband. Außer Marburg und Rostock waren sämtliche Universitäten, außer Hannover und München sämtliche Technischen Hochschulen durch ihre Rektoren vertreten, der Hochschulverband durch Schucht und Bebermeyer; den Vorsitz führte Stieve-Halle als Rektor des Vororts. Sein Prolog war, nach der Gebetsmühle der Verteidigung der „von jeher treudeutsch und vaterländisch gesinnten" Hochschullehrer allgemein („Wenn ein Teil..."), eine ebensolche des alten Verbandsvorstands, dem allein es zum Beispiel zu verdanken sei, daß die „deutschen Hochschulen in den vergangenen Jahren nicht noch stärker mit ungeeigneten Lehrkräften durchsetzt worden" wären, verbunden mit einer Verurteilung des Kieler Verhaltens: Für das Vorbringen etwaiger Bedenken (die im übrigen lediglich auf einem Mißverständnis beruhten - entstanden aus der „Aussprache von Herrn Professor Spranger auf dem preußischen Kultusministerium") sei der Verbandsvorstand, der Vorort der Rektorenkonferenz oder auch das vorgesetzte Ministerium der rechte Ort gewesen, nicht aber der Herr Reichskanzler und die Presse. Was nun die augenblickliche Situation angehe: Die Rektorenkonferenz könne satzungsgemäß nicht über eine Auflösung des Verbandes beschließen, dessen Existenz im übrigen „gerade in der Jetztzeit von großer Bedeutung" und der durch die Austritte von Kiel und Bonn in seinem Bestand „in keiner Weise gefährdet" sei; wohl aber seien diese beiden Hochschulen der mit der Verbandszugehörigkeit verknüpften Vorteile verlustig gegangen. Abschließend äußerte Stieve noch seine Verwunderung darüber, daß dem „ausschließlich" aus NSDAP-Parteigenossen bestehenden neuen Vorstand ausgerechnet zwei Pg.-Rektoren ihren Austritt erklärt hätten. In der nachfolgenden Aussprache teilte zunächst Neumann mit, daß auch der Göttinger Senat den Austritt erklärt habe. Das war (ein zusätzliches Indiz in der Datierungsfrage454) am 17. geschehen, und zwar mit einer Begründung, die von den bislang im Kreise der „Rebellen" geäußerten Zielen abwich: Der Verband sollte nicht aufgelöst werden, sondern nur - und dazu sollte der Göttinger Schritt beitragen - „die ihm durch die Gegenwart vorgeschriebene neue Form" finden. Magnifizenz Neumann berührte da einen in der Tat zweifelhaften, wenn auch aus der Entwicklung heraus erklärlichen Aspekt des Verbandes, der nämlich seinen Leistungen nach im wesentlichen ein Hochschullehrerbund war, der aber in der Form eines Verbandes der Hochschulen auftrat und in dem die Rektoren „lediglich die Aufgabe" hatten, den „körperschaftlichen Zusammenschluß der Hochschulen zu verbildlichen". Was Göttingen wollte, war auf der einen Seite eine ausgebaute und verstärkte Rektorenkonferenz als wirkliches Gremium der verantwortlichen Hochschulführer, auf der anderen einen berufsständischen (auch hier wieder: „... ständigen", viel Ahnung davon hatten die Professoren offensichtlich nicht) Bund der Deutschen Hochschullehrer - also den bisherigen Hochschulverband minus seine falsche, die wahre Aufgabe verdeckende Organisationsform. Dieses Problem ist dann auch auf der Konferenz gemeinsam mit allen anderen erörtert worden. Der Partisanenchef Wolf hat sich dabei auffällig in Schweigen gehüllt (und seine Diskussionsbeiträge gegen „schulmeisterliche Kritik" am 3. Juli schriftlich nachgereicht). Im übrigen aber prallten die Fronten aufeinander, wobei der Verband in dem Königsberger Rektor, dem Nationalökonomen Wilhelm Preyer, einen beredten, in den 128

Magnifizenzen Mießner (Tierärztliche Hannover), Helfritz (Breslau) und anderen weitere Verteidiger fand. Am Ende wurde Stieves Antrag, die Entschließung „Der Verband ... muß erhalten bleiben und in engster Weise mit der Rektorenkonferenz zusammenarbeiten", mit großer Mehrheit angenommen. Die Rektoren sämtlicher „Hochschulen" stimmten dafür und für die Universitäten lediglich Krieck, Heidegger, Neumann, Wolf sowie - neu - Meisner-Greifswald dagegen; der eine der beiden Rädelsführer des Aufstandes, Pietrusky, enthielt sich merkwürdigerweise für Bonn lediglich der Stimme - offenbar war es bei der nachträglich eingeholten Zustimmung seines Senats nicht so ganz reibungslos abgegangen. Krieck, Heidegger, Neumann und Wolf taten noch ein übriges: Sie verließen unmittelbar nach der Abstimmung den Saal und kehrten nicht wieder zurück. So jedenfalls später ein schriftliches Monitum Kriecks und Wolfs zum Protokoll, in dem sie ihre Aktion vermißt hatten. Auf der nächsten Konferenz am 21. Oktober wird „Führer Stieve" dazu allerdings maliziös feststellen, daß der große Protestakt überhaupt nicht aufgefallen sei; die Herren hätten die Sitzung keineswegs „unter Protest verlassen", sondern sich vielmehr „herausgeschlichen", und Göttingen habe sich durch seinen zweiten Vertreter später noch an der Aussprache und den weiteren Abstimmungen beteiligt. Sollte dergleichen jedenfalls, was er nicht hoffe, wieder einmal vorkommen, so bitte er darum, daß diejenigen, die unter Protest den Saal verließen, das mitteilten. Ist die Konferenz am 18. gewesen, so hat das preußische Kultusministerium auf dieses Konferenzergebnis schnell reagiert und die Falle geöffnet, in der sich nun nicht nur der Hochschulverband fangen sollte, - autonome oder halbautonome Institutionen außerhalb der Reichweite ihrer Anordnungsbefugnis entsprachen, sollte man sie je geschätzt haben, jetzt jedenfalls ganz und gar nicht dem Geschmack der Kultusbehörden. Am Dienstag (20.) verbreitete das Wölfische Telegraphen-Büro die Meldung, das Ministerium werde in Zukunft weder mit dem Hochschulverband noch mit der Rektorenkonferenz verhandeln. Gerullis, den Stieve daraufhin sofort anrief, gab sich etwas moderater: Mit einzelnen Rektoren und auch mit dem Vorsitzenden der Rektorenkonferenz werde man „im gegebenen Fall" schon verhandeln, und gegen das bloße „Fortbestehen" des Hochschulverbandes habe man auch „keine Bedenken". Dies entsprach einer anderen, schon vom 19. datierten, Stieve jedoch offenbar nicht bekanntgewordenen Presseverlautbarung des Ministeriums, wonach die Beteiligung „privater Organe" wie Hochschulverband und Rektorenkonferenz an der bevorstehenden Umgestaltung der Hochschulen den Grundsätzen der nationalen Regierung widersprechen würde; der Hochschulverband könne indes seine „sozialen Aufgaben mit Zustimmung des Ministeriums weiterführen". Schlimm genug war das alles - und ein deutliches Signal, wie Insubordination künftig geahndet werden würde. Der Gegner schrie denn auch Triumph! Am schrillsten Krieck in seinem „Volk im Werden"455. Rührend sei es gewesen, wie auf der Konferenz die Verdienste und Leistungen des Hochschulverbandes hochgelobt worden wären - eine völlig unnötige Verteidigung (angeblich) ohne jeden Angriff, nur vier Universitäten hätten „dem alten Gebilde den Rücken gekehrt". Das preußische Kultusministerium habe nun dieses anachronistische „Privatgebilde" mit einem „kräftigen Ruck" abgeschüttelt, im neuen Staat habe so etwas nichts zu suchen. Und dann las Krieck dem Verband wieder einmal die Leviten, von den reaktionären Ursprüngen bis zu dem „nicht eben heroisch geendeten" Versuch, dem Braunschweiger Klagges in den Arm zu fallen, dann der Umfall, die „Tarnung durch das Hakenkreuz", indes auch jene Gleichschaltung „nach der 129

Weise des abgestandensten Parlamentarismus" vollzogen, - damit, daß sich der Vorsitzende nun „Führer" nenne, ändere sich überhaupt nichts. Die Rektorenkonferenz aber habe durch ihre „Verheiratung" mit dem glücklich „erledigten" Hochschulverband Selbstmord begangen und die verdiente Q u i t t u n g prompt erhalten. Schlimm genug also alles, und Schucht hißte denn auch sofort zwar nicht die ganz weiße Fahne, aber doch ein recht helles Fähnchen, indem er Wolf am 22. Juni versicherte, in der Frage der Hinterbliebenen-Unterstützungskasse, die satzungsgemäß beim Todesfall eines Kieler Nichtordinarius nun keine Zahlung mehr leisten könne, nach einem „tragbaren A u s w e g " zu suchen. Die Gegner rügten unnachsichtig das bisherige Schweigen, drängten auf Beschleunigung, damit nicht ihre Ordinarien die günstige Gelegenheit nutzten, die Beitragszahlungen einzustellen und der Kasse zu entwischen („da diese Herren schwer wieder herbeizukriegen sind"), und waren fest entschlossen zu verhüten, daß sich „der im übrigen überflüssige Hochschulverband" mit Hilfe der Kasse „am Leben erhielt". Genau dazu aber fühlte sich Schucht durch das ministerielle Machtwort eher ermutigt. A m 27. forderte er, da doch die prinzipiellen Gründe nicht mehr beständen, Kiel zum Einlenken auf: Die Austrittserklärung solle rückgängig gemacht werden. Dies zeigt, daß sich mittlerweile die Dinge für die abgefallenen Rektoren nicht nach Wunsch entwickelt hatten. Der Aufstand hatte keine Mehrheit gefunden, sondern die Insurgenten waren unter sich geblieben, und daß dergleichen Dinge generell mit dem epochalen „Führerprinzip" schwer zu vereinbaren waren, kam noch hinzu. A m 1. Juli ist Schucht denn auch noch kühner geworden und hat den Rektoren in einem Rundschreiben die Sprengung der ihm angelegten „charitativen" Fesseln angekündigt: Der Vorstand habe eine Sammlung allen Materials zur Hochschulreform beschlossen (auf der nächsten Rektorenkonferenz wird man hören, was ihn zu so viel Optimismus berechtigte). U n d es hat ebenfalls Wolf auf Schuchts Aufforderung vom 27. Juni nicht schroff ablehnend, sondern nur hinhaltend geantwortet und sich auf eine Stellungnahme gegenüber dem Hochschulverbands-Kassenwart Kloß berufen. Der hatte für die Verbandsmitteilungen einen Aufsatz verfaßt und darin eine Neumanns Vorstellungen entgegengesetzte Richtung eingeschlagen, hatte für den Verband fern von der Interessen-Vertretung der Vergangenheit „neue und vielleicht viel größere Aufgaben" entdeckt, die unter dem Titel „Warum Gleichschaltung des Hochschulverbandes ?" allerdings reichlich nebulös geschildert wurden - die alte Weisheit, daß sich die Hölle plastischer darstellen läßt als der Himmel, bewahrheitete sich hier wieder einmal. Erziehung zum „Deutschen Menschen" - gerade an der Hochschule notwendig, „ehrliche Arbeit am eigenen Selbst" anstelle fruchtloser Verordnungen, damit erschöpfte sich eigentlich Kloß' Weisheit. Vielleicht aber war gerade solche Unschärfe hilfreich, als der Verfasser nun Wolf unter Ubersendung des Manuskripts gefragt hatte, o b dieser sich im Falle einer derartigen Umgestaltung des Verbandes wohl entschließen könnte, seine bislang „verständliche ablehnende Haltung" aufzugeben, denn der Kieler hatte immerhin geantwortet, „im ganzen" könne er sich einen solchen Schritt „absolut denken" - allerdings nur einer Neugründung gegenüber, nach genauerer Information und nach Rücksprache mit den Junta-Kollegen in Freiburg, Frankfurt und Göttingen. Wo schon das Rebellenbollwerk an der Ostsee solche Verschleißerscheinungen zeigte, mußte die Lage auf den äußeren Schanzen ziemlich desolat sein. In der zweiten Julihälfte wurde denn auch eine erste richtige weiße Fahne aufgesteckt, und zwar in Bonn, w o nun das vermutete Motiv für Pietruskys Stimmenthaltung in der Rektorenkonferenz belegt wird. Die hiesigen NichtOrdinarien, so informierte er die vier Verbündeten, beunruhige 130

die Angelegenheit nach wie vor, und das sei schließlich auch verständlich. Deshalb nämlich, weil sich ein Ende Juni ausgeworfener Rettungsanker mittlerweile als etwas brüchig zu erweisen schien. Damals hatte Wolf die Kieler Kollegen mit der „vertraulich" weitergegebenen Zusicherung des Ministeriums bei der Stange gehalten, „dafür Sorge zu tragen, daß im Falle des Todes eines der ausgetretenen Mitglieder dessen Angehörige keinerlei Schaden durch den Austritt erleiden". Und natürlich hatte die frohe Botschaft auch in den vier anderen Aufstandsorten die Verunsicherten getröstet und zum Ausharren bewogen. Beim schwächsten Glied der Kette freilich, in Bonn, hatte Mißtrauen die gläubige Bereitschaft angekränkelt und Magnifizenz Pietrusky veranlaßt, Unter den Linden um eine schriftliche Bestätigung der Zusage zu bitten. Und es schien sich zu bewahrheiten, daß man eben nur das, was man schwarz auf weiß besitzt, auch wirklich getrost nach Hause tragen kann. Wartete er doch nun schon drei Wochen auf eine Antwort von Gerullis und glaubte die nun in einem - sicher doch vom Ministerium inspirierten - Zeitungsartikel zu sehen, der wiederum den privaten, „charitativen" Charakter des Hochschulverbands betonte. Wer aber, so sagte man sich in Bonn, an den „charitativen" Einrichtungen eines Vereins teilnehmen wolle, der müsse schließlich auch Mitglied sein. Er halte es deshalb, unterrichtete Pietrusky also am 18. Juli die Mitverschworenen, angesichts der wirtschaftlichen Notlage der meisten Nichtordinarien für seine Pflicht, dem Hochschulverband wieder beizutreten. Was dem noch folgte in Pietruskys Brief, verblüfft auch dann, wenn man ihm ein Anrecht auf Rechtfertigung zuzubilligen bereit ist. Der Zweck des Austritts, so Pietrusky, sei - „meines Erachtens", wie er vorsichtig einfügte - doch erreicht und der Hochschulverband kein Fremdkörper mehr zwischen Hochschule und Ministerium (geändert hatte sich allerdings überhaupt nichts), „wir Nationalsozialisten" könnten doch nicht „dauernd" gegen die selbstgewünschte nationalsozialistische Verbandsführung opponieren, „geringfügige Gegensätze" (geringfügig waren sie also jetzt!) müßten schließlich, „um dem Ganzen nicht zu schaden", beiseite gestellt werden, wie sähe es denn aus, wenn die nationalsozialistischen Hochschullehrer sich gegenseitig bekämpften, und so weiter auch die Kollegen sollten doch „um der Sache willen" dem Verband wieder beitreten, dessen Existenz übrigens, so seine Informationen, nach dem Empfang durch Hitler gesichert erscheine. „Sachliche Gründe" sind, damals wie heute und in der Wissenschaft nicht anders als sonstwo, stets verdächtig, lediglich Vehikel persönlicher Interessen zu sein - manchmal unterschwellig, manchmal verschämt, oft aber auch ganz unverschämt und frech. Pietrusky liefert hier, im Kreise der Auguren, für letzteres ein schönes und vollmundiges Beispiel. Seine Freunde machten sich da etwas weniger vor. Es sei ihm unfaßlich, so empörte sich Wolf Gerullis und den Mitstreitern gegenüber, warum der Hochschulverband „nicht endlich" die Hinterbliebenenkasse vom Verband ablöse, sondern damit „wieder einen Druck auf die wirtschaftlich Schwachen" (die gab es damals schon!) ausübe. Was, frage er Gerullis, solle denn nun geschehen, auch seine Nichtordinarien könne er nicht „auf die Dauer in der bisherigen Unsicherheit schweben lassen". Mit Neumann war er sich einig, noch nicht die Hoffnung aufzugeben, sondern als harter Kern „solange wie möglich durchzuhalten"; bis zum September habe man Zeit, und vielleicht befreie sie die bevorstehende Gründung eines Reichskultusministeriums samt allgemeiner Neuordnung aus der Kalamität. Krieck und Heidegger, die beiden Koryphäen unter den Rebellen, wurden beschworen, „zunächst endgültig" ihren Austritt zu vollziehen, was - im 131

verbindlichen Südwesten war man wohl vorsichtiger gewesen als im trutzigen Norden offenbar noch nicht geschehen war; Pietrusky wurde auf die im Gange befindliche Umorganisation des Verbandes hingewiesen - vor deren Ende sollte man doch keine Entscheidungen treffen. Dies war, wie die übrigen Briefe zeigen, zwar übertrieben, immerhin hatte sich aber jene Korrespondenz mit Schatzmeister Kloß - vorerst - so erfreulich entwickelt, daß sich hier ein Schlupfloch zu eröffnen schien, ein Weg, einigermaßen unter Wahrung des Gesichts aus der selbstgestellten Falle wieder herauszukommen, vielleicht sogar mit einem kleinen Gewinn. Kloß nämlich hatte einen Ölzweig übersandt: Der Vorstand habe Wolfs Schreiben „mit Befriedigung" zur Kenntnis genommen. Aber nicht nur das, der Vorstand habe ihn, Kloß, auch beauftragt, nach seinen Gedanken den Entwurf einer neuen Satzung aufzustellen, den er Wolf vertraulich mit der Bitte um Stellungnahme beilege. Wolf nannte umgehend, am 4. August, drei „wichtige" Punkte, an denen er „Anstoß" nahm der allerwichtigste davon der zweite, nämlich die Verankerung jener Hinterbliebenenfürsorge, die dem Verband soeben gerade das Leben gerettet hatte, wiederum in der Satzung (Nr. 1 forderte eine Umbenennung in „Arbeitsgemeinschaft", Nr. 3 betraf die vorgesehene Einrichtung von „Vertrauensleuten"). Wenn Kloß, so Wolf abschließend, umgehend mitteile, daß der Verband die verlangten Änderungen vornähme, sehe er „absolut die Möglichkeit, daß Kiel und Göttingen dem Verband wieder beitreten, Frankfurt und Freiburg den beabsichtigten Austritt nicht vollziehen" würden. Doch damit hatte der Kieler überreizt. Kloß nahm sich mehr als eine Woche Zeit, nannte dann Wolfs Forderungen „Anregungen" und lehnte sie alle drei glatt ab. Und dann kam der Herbst und mit ihm das Ende der Schlacht. Vom 8. bis 10. September tagte in Würzburg der Verbandsvorstand, die Magnifizenzen von Halle und Münster nahmen teil. Über „alle wichtigen Punkte herrschte vollkommene Übereinstimmung" und dabei handelte es sich um jene geplante Neuordnung der deutschen Hochschulen, für die der „charitative" Verband eigentlich gar kein Mandat mehr haben sollte. Die neue Verbandssatzung, so stellte Magnifizenz Stieve für die Rektorendelegation befriedigt fest, beinhalte „eine noch innigere Zusammenarbeit" mit der Rektorenkonferenz; man sei „den Herren des Vorstandes für ihr großes Entgegenkommen in jeder Weise zu Dank verpflichtet". Das war deutlich genug. Wenn Anfang September abzusehen sei, so hatte Neumann, wohl ebenfalls langsam weichgeklopft von seinen um ihre künftigen Witwen und Waisen bangenden Nichtordinarien, am 5. August Wolf geschrieben, daß vor Oktober „keine Änderung des gegenwärtigen Zustandes eintritt, müssen wir natürlich wieder uns dem Hochschulverband zurechnen". Am 20. September ist es dann so weit gewesen (so Neumann an Wolf), „in einem einfachen Satze, wie wir ihn verabredet haben", die Verbindung mit dem Verband wiederaufzunehmen. Und dieser Satz lautete: „Die Georg-August-Universität Göttingen tritt dem Verband der Deutschen Hochschulen wieder bei" und ist am 29. September „mit den besten Empfehlungen" an die Landwirtschaftliche Hochschule in Berlin N 4 abgegangen (womit, wie Schucht bestätigte, die „den dortigen Mitgliedern drohenden Schwierigkeiten behoben" waren). Lediglich Kiel - weiß der Himmel, wie in Holstein die Nichtordinarien bei der Stange gehalten wurden - ist offenbar nicht zu Kreuze gekrochen 456 . Das änderte indes nichts daran, daß der Aufstand zusammengebrochen war. Wolken schienen noch einmal über dem Verband aufzuziehen, als am 6. Oktober Arbeitstagungen in Tübingen (vorgesehen für den 21., Thema „Die deutschen Hochschulen im nationalsozialistischen Staat", Refe132

renten Wundt, Bebermeyer, Herwart Fischer, Kloß, Schilling und Rothacker) und Jena „auf Grund neuer, vor dem Abschluß stehender Verhandlungen der verschiedenen Verbände der deutschen Hochschullehrer" abgesagt wurden. Die Erwähnung einer „erstrebten gemeinsamen Tagung" braucht zwar diese Wolken noch nicht zu zerstreuen, dies tut jedoch, und zwar gründlich, das Protokoll der nächsten - der 26. außeramtlichen - Rektorenkonferenz am 21. Oktober 4 5 7 . Daß „Führer Stieve" hier - nachdem er die Protestanten der letzten Sitzung gewatscht hatte 458 - erklärt hat, der Hochschulverband müsse unter allen Umständen erhalten bleiben, war nun schon eine Selbstverständlichkeit. Aber er bemerkte auch, daß dessen Bedeutung, wie die vergangenen Monate gezeigt hätten, „immer größer werde", in Zusammenarbeit mit ihm sei „reiche und fruchtbringende Arbeit geleistet worden", und auch das Reichsinnen- wie das preußische Kultusministerium hätten sich bereit erklärt, mit dem Verband zusammenzuarbeiten. Völlig abenteuerlich schließlich mußte den ehemaligen Dissidenten, von denen freilich nur der „halbe" Pietrusky anwesend war (Kiel war durch den Prorektor, Frankfurt durch einen Dekan, Freiburg wie auch Göttingen überhaupt nicht vertreten), klingen, was Stieve über die beabsichtigte Hochschulreform ausplauderte, was indes zumindest Wolf in großen Zügen bereits dem Kloß-Entwurf hatte entnehmen können: Es sei beabsichtigt, daß in Zukunft der Reichsinnenminister auf Grund von Vorschlägen der Hochschullehrer den Führer des Hochschulverbandes ernenne und dieser dann den Führer des Rektorentages - nicht gerichtet also, sondern (gleichgeschaltet und) gerettet! Und „einmütig" stimmten die Magnifizenzen einem am Vortage vom Hochschulverbandsvorstand beschlossenen Telegrammtext zu, der Hitler für die „erlösende Tat" in Genf dankte und für ein „einmütiges Bekenntnis" am 12. November die „ganze Kraft" aller deutschen Hochschullehrer andiente - unterschrieben von, zwischen Verbandsführer Schucht und seinen acht (Vahlen fehlte hier wie auch schon früher, vermutlich wegen seiner Ministerialtätigkeit) Unterführern eingeklemmt, Stieve als „Führer des Deutschen Rektorentages". Außerdem wollte der Rektorentag gemeinsam mit dem Verband einen „Schriftsatz" an sämtliche deutschen Kultusministerien schicken, in dem die Hochschullehrer gegen „ungerechtfertigte Angriffe" von außen in Schutz genommen wurden. Denn jüngst erst wieder hatte der Ministerialrat Haupt, Leiter der Reichsfachschaft Hochschullehrer im NS-Lehrerbund, in einem Wehrsportlager von „Bildungsschwindel" gesprochen, und Gauleiter Streicher gar hatte in einer öffentlichen Versammlung volle anderthalb Stunden über die Professoren geschimpft und dem Erlanger Rektor, als der eine Verteidigung versuchte, sein Vertrauen entzogen. Schuld an solchen Mißverständnissen waren natürlich, darüber gab es bei den Magnifizenzen nicht den geringsten Zweifel, die „jetzt ausgebooteten Herren", die „zum großen Teil" seinerzeit von den „marxistischen Regierungen" den Fakultäten aufgezwungen worden seien. Ja, den neuen Herren mit den traditionsreichen Amtsketten brannte die Angelegenheit so auf den Nägeln, daß Bebermeyer, bei dem offenbar die dazu nötigen Kontakte vermutet wurden, darüber sogar „persönlich mit Hitler reden" sollte. Es dürfte kaum dazu gekommen sein, und auch mit dem „Schriftsatz" ist nicht alles glattgegangen. Weil sich nämlich über dessen Text zwischen Stieve und Schucht noch „gewisse Meinungsverschiedenheiten" ergeben haben, ist er erst am 9. November, jedoch mit der ursprünglichen, lediglich (wie sich später herausstellen sollte, in der falschen Richtung) aktualisierten Datierung „21. Weinmond" nur für den Rektorentag abgesandt worden. 133

Summa summarum: Welch ein Triumph für die noch im Juni in Agonie liegende „Privat"-Institution! Wenn sich je etwas wie der Phoenix aus der Asche erhoben hat, dann dieser Verband der Deutschen Hochschulen. Pardon: Dieser Reichsverband der Deutschen Hochschulen. Denn so heißt er seit dem 4. Dezember, und es ist dies lediglich die nachgeholte äußerliche Dokumentation eines von der deutschen Presse am 14. November gemeldeten Ereignisses: des „freiwilligen Zusammenschlusses" des Verbands der Deutschen Hochschulen, der Deutschen Rektorenkonferenz und drei weiterer Organisationen459 zu einer Reichsorganisation der gesamten deutschen Hochschulen und der deutschen Hochschullehrerschaft. Führer war freilich nicht mehr Schucht, sondern das war der Würzburger Rektor Herwart Fischer geworden, ein mit den Rechten eines Ordinarius ausgestatteter Extraordinarius für Gerichtsmedizin, der dann seinerseits die Jenaer Magnifizenz Esau460, einen Hochfrequenztechniker mit dem bei einem Führer in nationalsozialistischer Zeit unerwarteten Vornamen Abraham, zum Vorsitzenden („Führer" wollte jeder immer gern allein sein) des Rektorentages bestellt hatte. Satzung war - in strammem Vollzug des Führerprinzips vollgestopft mit „Der Führer beruft..., der Führer leitet..., der Führer ernennt..., der Führer setzt fest..." (jeweils Fischer, nicht Hitler) - im wesentlichen der Kloß-Entwurf geworden, und gegen Jahresende machte, wie alle anderen ehemaligen Rebellen, auch Wolf seine Vorschläge461 für die von ihm seinerzeit so schroff abgelehnte Institution der Vertrauensleute - zur gefälligen Ernennung oder Nicht-Ernennung durch Führer Fischer. Halten wir ein zum Resümee. Was war geschehen? Fünf nationalsozialistische Aktivisten mit Rektorkette sind da also losmarschiert: Der eine war weltberühmt, einen zweiten hielten viele, darunter er sich selbst, für den Präzeptor des angebrochenen Dritten Reiches, ein dritter war mäßig bekannt, die restlichen zwei praktisch namenlos. In unterschiedlichem Umfang hatten sie dann Schwierigkeiten mit ihrem Fußvolk bekommen, bei dem - anders als bei ihnen - neben der Ideologie auch der Geldbeutel eine Rolle spielte (wo der aber mitspielt, spielt er gewöhnlich die erste Geige). Ideologie - alle fünf waren natürlich Parteigenossen, einer davon bereits seit 1932, die anderen vier allerdings nur „Maikäfer" eben jenes Frühlings. Und auf den Weg gemacht hatten sie sich gegen eine Institution, die zwar soeben gerade „gleichgeschaltet", in echt nationalsozialistischem Verständnis aber völlig überflüssig, ja schädlich war. Sagten sie jedenfalls. Ob das wirklich der Grund oder nur ein Grund war - von ihren Unterredungen und Telefonaten gibt es keine Protokolle, von ihren Gedanken schon gar nicht. Auch weil diese Gruppe sich ebenfalls anderswo als die Speerspitze des die Hochschulen umgestaltenden Nationalsozialismus verstanden hat, ist der Verdacht zumindest nicht auszuschließen, daß hier primär ein zu kurz oder zu spät gekommener „Stoßtrupp" gegen einen erfolgreicheren intrigiert hat. Wie auch immer - diese fünf sind dabei auf die Nase gefallen. Vor ihrem ersten, mit großer Verve vorgetragenen Angriff hat den Gegner ein in Sekundär-Betrachtungen leicht übersehenes Anhängsel gerettet, das indes den Gang der Ereignisse beträchtlich beeinflußt hat (auch ein Martin Bormann hat in einer solchen Funktion seinen Weg an die Spitze angetreten): Da, nachdem auch der Nichtordinarienverband zum Tode verurteilt war, niemand so recht wußte, wohin mit der Hilfskasse, hat sie dem Verband über die kritischen Wochen hinübergeholfen - der Schwanz, der mit dem Hunde wedelte. Plötzlich aber, es grenzte an ein Wunder, hat der gerade noch so dahinkrebsende Verband wieder vollen Wind in den Segeln gespürt. Wie das gekommen ist, steht zwar nirgendwo unverschlüsselt zu lesen, zwischen den Zeilen aber gibt es hinreichend Anhaltspunkte: A la 134

longue haben Wolf & Co. deshalb verloren, weil sie auf die falsche Karte gesetzt haben beziehungsweise weil ihr Atout zu spät gestochen hat. Die sogenannte „Verreichlichung" der Hochschulen (mit dem gesamten Unterrichtswesen) war damals schon, das sei hier vorweggenommen, beschlossene Sache. Offen war lediglich, ob es eine echte „Verreichlichung" geben würde oder aber etwas, was man genauer „Verpreußung" hätte nennen können. Oder anders ausgedrückt: O b aus dem seit dem Frühjahr im Gang befindlichen Ringen das Reichsinnenministerium als Sieger hervorgehen würde, das bisher die — freilich damals wie heute beim Bund kümmerliche — Reichskompetenz verwaltete, oder aber das preußische Kultusministerium zu den bisherigen preußischen zwei Dritteln auch noch das restliche vereinnahmen konnte. Der Ausgang war 1933 noch nicht eindeutig abzusehen. Zwar war Frick eindeutig stärker als Rust, aber hinter ihm stand niemand mehr, hinter Rust hingegen Göring als oberster Preuße. Der Hochschulverband nun hatte auf seinen Brotherrn gesetzt, die Rebellen andererseits warteten sehnsüchtig auf die volle Machtübernahme der Preußen und ihres Gerullis. Sie ist am Ende ja auch erfolgt, aber drei Vierteljahre zu spät; die Zeit, die ihnen auch anderswo den Wind aus den Segeln genommen hat, ist ebenfalls hier gegen sie abgelaufen. Die weitere Geschichte des Hochschulverbandes gehört strenggenommen nicht mehr in unseren Bereich. Es sei aber hier angefügt 462 , daß das, was da der Asche entstiegen war, nicht sehr lange für einen Phoenix gehalten werden konnte. Was man 1934 von ihm hörte, war wenig - und das wenige nicht sehr erfreulich. Da verweigerte bereits im Februar an der Münchener T H der Führer des Assistentenverbands Heinrich Gall, zwar nur Privatdozent und außerordentlicher Professor für Anorganische Chemie, aber auch Referent der Reichsfachschaft Hochschullehrer in der Reichsleitung des NS-Lehrerbundes 463 , den Beitritt zum Reichsverband, weil dieser „nicht die berufsständische Gliederung für alle Dozenten" sei - unter Hinweis auf die an der Mehrzahl der deutschen Hochschulen existierende „Dozentenschaft" als staatliche Zwangsorganisation des akademischen Nachwuchses; die sei „gleichzeitig" eine Gliederung im NS-Lehrerbund, der für ihn „als Nationalsozialisten" allein in Frage komme und keiner der „alten Verbände" - und Kultusminister Schemm denke genauso. Verbands-Führer Fischer hat die „staatliche Zwangsorganisation" Dozentenschaft für „ganz Süddeutschland" dementiert, - sie würde auch „hoffentlich, wenn das Reichsministerium des Innern unsere oberste Reichsbehörde für Hochschulfragen bleibt, keine staatliche Organisation werden". Nun, das Reichsinnenministerium blieb das bekanntlich nicht, und ebensowenig blieb der vom Reichsinnenminister eingesetzte Fischer Verbandsführer. Allerdings nicht deswegen, sondern weil ein von ihm beim Verband beschäftigtes „Schreibfräulein" gegen ihn Anzeige wegen „gewaltsamer Verübung unzüchtiger Handlungen" erstattet hat. Als das bayerische Kultusministerium das am 28. Dezember nach Berlin meldete, hatte der Würzburger Oberstaatsanwalt bereits Anklage erhoben, war ein Dienststrafverfahren eingeleitet und Fischer als Rektor, Lehrstuhlinhaber und Verbands-Führer abberufen oder vorläufig seines Dienstes enthoben worden - und natürlich verhaftet. Kommissarischer Nachfolger im Verband aber wurde eben jener inzwischen als Ministerialrat in Berlin wirkende Heinrich Gall, der auch den Verband in die Reichshauptstadt übersiedelte und die nach dem preußischen Sieg längst fälligen Verhandlungen mit dem NS-Lehrerbund über die dortige Eingliederung des Hochschulverbands einleitete, die freilich sehr bald durch seine Erkrankung und den Unfalltod Schemms ins Stocken gerieten. Sofort nach Galls Gesundung sollten sie wieder aufgenommen werden; aber die hat es nicht gegeben, und auch Gall ist dann, am 22. März, verstorben. 135

Zu dieser Zeit war der Aufruhr im Verband bereits wieder in vollem Gange. Schon im August 1934, nach dem Sieg des preußischen Kultusministeriums, hatte kein anderer als der Leiter der Hinterbliebenenkasse selbst, Oscar Martienssen, Physiker im feindlichen Kiel, mit seiner Kasse sicheres Ufer zu erreichen versucht und - unter Berufung auf preußische und bayerische Wünsche - ihre Ausgliederung als selbständiger eingetragener Verein verlangt. Den dann eigentlich überflüssigen Verband, so Martienssen, solle man auflösen - eine naheliegende Folgerung, weshalb sich denn auch Herwart Fischer dieser von Rektor Wolf freudestrahlend und herzlich befürwortend gemeldeten neuen Rebellion und dem Kappen des so bewährten Rettungsankers widersetzt hat. Inzwischen aber hagelte es förmlich Beschwerden aus dem Kreise der unter dem Joch des Semesterbeitrags von acht Reichsmark stöhnenden Hochschullehrerschaft 464 . Was tat der Verband eigentlich dafür? Nichts, beschwerte sich beispielsweise Gerhard Ritter in Freiburg: Seine Aufgabe als Interessenvertretung sei mit der Einführung des Führerprinzips weggefallen, von irgendeiner fruchtbringenden Tätigkeit habe man nicht das geringste gehört, die Verbandszeitschrift scheine eingegangen zu sein, daß „ein Ministerialrat Gall" sich als seinen Führer bezeichne, habe man nur beiläufig erfahren, ebenfalls von der Absicht einer Uberführung in den NS-Lehrerbund - und es scheine „keine Rede davon zu sein", die Mitglieder zu fragen, ob sie damit einverstanden seien oder nicht. Auch um eine Rechnungslegung scheine sich niemand zu bemühen, und der ganze Verband sei „in seiner jetzigen Form nichts weiter als eine Einrichtung zur Besteuerung der Hochschullehrer zu unbekannten Zwecken", eine auf die Dauer nicht zu ertragende Zumutung für ihre „Geduld und Gutwilligkeit". Anderswo regte sich der Unmut ähnlich, die Zahlungen wurden eingestellt oder nicht mehr an den Verband abgeführt. Die alten Widersacher in Kiel und Göttingen erhoben wieder das Haupt, Unruhe in München pflanzte sich fort, und als ein weiterer scharfer Kritiker meldete sich ein ehemaliger treuer Gefolgsmann, der Breslauer Universitätsrektor Gustav Adolf Walz. Dieser bekannte sich im Februar und April 1935 als zwar „entschiedener Gegner" der Rebellion von 1933, hielt jetzt aber ebenfalls die Beiträge für „nicht länger" zumutbar, zumal irgendwelche „positiven und fruchtbaren Ergebnisse des Hochschulverbands nicht zutage getreten" seien und sein nur aus Spesen bestehender Rechnungsabschluß nicht als gerechtfertigt anerkannt und nicht gutgeheißen werden könne. Als geschäftsführenden Nachfolger Galls hatte das Reichserziehungsministerium am 13. April den Berliner TH-Rektor v. Arnim bestellt465, der sofort verkündete, die von seinem Vorgänger eingeleitete Auflösung des Verbandes „nunmehr in Angriff zu nehmen". Mit der gerade erfolgten und in den „Richtlinien zur Vereinheitlichung der Hochschulverwaltung" vom 1. April verankerten Einrichtung der „Deutschen Dozentenschaft" war nun endlich auch das richtige Auffangbecken gefunden, nachdem die Hochschullehrer mit Schemms Tod dem Lehrerbund hatten entrinnen können. Am 3. Mai verkündete v. Arnim, daß die Sache auf Wunsch Rusts „etwas hinausgeschoben" werden müsse, weil noch einzelne Aufgaben abzuwickeln seien und es „vielleicht" sogar neue geben könnte. Die Beiträge aber fielen ab 31. März fort, und in Bonn, wo sie noch ein Vierteljahr eingesammelt, überwiesen und dann rückerstattet worden sind, hat Rektor Pietrusky sie, „das Einverständnis aller Herren Kollegen" voraussetzend, dem Ausschmückungsfonds der Universität zugeführt - jetzt auf einmal fiel der „Betrag für den Einzelnen nicht in die Waagschale". Weil damit das, was die „Basis" vor allem anderen interessierte, geklärt war, hatte man 136

nun Ruhe. Der Rest fand keine Beachtung mehr. Als wenig später der Hochschulverband sein Dasein beendete, fiel das kaum mehr auf. Nicht einmal eine Zeitungsmeldung war es wert. Und auch - zunächst - nicht einmal einen ministeriellen Erlaß. „Ich löse daher [weil er nämlich „nicht mehr erforderlich" sei] mit dem heutigen Tage den Reichsverband der deutschen Hochschulen auf", schrieb Vahlen am 18. November 1935 an Arnim-als Referentenschreiben des Amtschefs W. Erst 1936 bemerkte man (bei Arnim lief noch immer Post ein für den Verstorbenen), daß das rechtlich wohl nicht genügte, weshalb der Ministerialerlaß W I a Nr. 1287 vom 7. Juli 1936 den Verband noch einmal und nunmehr formell rechtskräftig aufgelöst hat. Begründet wurde sein Erlöschen mit dem Entstehen der Deutschen Dozentenschaft als Standesorganisation aller Hochschullehrer, Erbe in wirtschaftlicher Hinsicht - Verbandsvermögen und Fortführung der Hinterbliebenenkasse wurde das ebenfalls frisch ins Leben getretene „Reichsdozentenwerk e. V.". Aber auch über diesem Erben, das sei hier wenigstens kurz angedeutet, stand kein günstiger Stern. Zunächst einmal erhob der Stellvertreter des Führers Einspruch und drückte seine Beteiligung durch: Leiter und Kuratorium durften nur im Einvernehmen mit ihm bestellt werden, der im November als Leiter eingesetzte Ministerialreferent Heinz Lohmann mußte Reichsdozentenführer „Bubi" Schultze Platz machen. Am 7. September 1936 konnten dann endlich die Hochschulen über die neue Institution - und en passant auch über die Auflösung des Hochschulverbandes - informiert werden. Als Mitgliedsbeitrag, so teilte Rust mit, habe er „10% des jeweiligen Steuerabzugs vom Arbeitslohn" genehmigt. Der Beitritt war freiwillig - oder jedenfalls das, was man damals darunter verstand: Er gebe, hatte Rust geschrieben, der Erwartung Ausdruck, daß keiner, der die Ehre habe, an einer deutschen wissenschaftlichen Anstalt lehrend und forschend tätig zu sein, sich dieser hohen sozialen Verpflichtung entziehe. Vorsichtshalber sollten sich aber die Rektoren „laufend darüber unterrichten" und etwaige den Beitritt hindernde Zweifel an Sinn und Zweck der Organisation „durch persönliche Rücksprache beseitigen". O b die Magnifizenzen sich mit ihrer Gehirnwäsche nun nicht richtig Mühe gegeben oder die Ministerialreferenten nicht richtig gerechnet haben: Knapp ein halbes Jahr später war das „Reichsdozentenwerk" pleite, von der Hinterbliebenenkasse aufgefressen. Die Ausgaben überstiegen die Einnahmen bei weitem, von (es kommt das heute alles sehr bekannt und recht aktuell vor) hundert zahlenden Mitgliedern waren mindestens dreißig Witwen zu versorgen, ein jährlich für die Kasse notwendig werdender Zuschuß von „mindestens 284 000 R M " zeichnete sich ab und überstieg sogar den Gesamtetat des Dozentenwerks, das ja auch noch junge Wissenschaftler unterstützen sollte. Staatsmittel in diesem Umfang konnten - angeblich - nicht bereitgestellt werden, eine jährliche Umlage von 300 RM pro Mitglied war ebenfalls nicht realisierbar, also mußte das stolze Sozialwerk wieder dichtgemacht werden. Abgefunden werden konnten - und auch das nur unter Berücksichtigung von wirtschaftlicher Lage, Kinderzahl wie -alter und so weiter - als „am härtesten betroffen" lediglich die bereits in den Genuß einer Rente gekommenen Witwen und Waisen; die übrigen geleisteten Beiträge derer, die „bisher der Auffassung sein mußten, für ihre Hinterbliebenen wenigstens notdürftig gesorgt zu haben", wurden in den Schornstein geschrieben - neu ist am bundesrepublikanischen „Rentenschwindel" also nur der Name. Die damaligen Opfer wurden mit dem Hinweis auf die kommende Reichs-HabilitationsOrdnung vertröstet (ihre „Nichtberücksichtigung war aber insbesondere deshalb zu verantworten..."), wo mit der Erteilung der Lehrbefugnis die Berufung in das Beamten137

Verhältnis verbunden werden sollte und planmäßige Dozentenstellen auf der Grundlage der Assistentenvergütungen geschaffen würden. Doch das gehört in ein späteres Kapitel. *

Wir stehen damit vor dem Kernstück der nationalsozialistischen Machtergreifung an den Hochschulen - Kernstück zugleich auch der nationalsozialistischen Hochschulreform beziehungsweise dessen, was davon überhaupt ins Leben getreten ist. Bevor wir uns aber dann dem Rektor und der Rektoratsverfassung widmen, ist noch einer Institution zu gedenken, die anfangs als mögliche Alternative erscheinen konnte und im Frühjahr 1933 als Begleiterscheinung der „Revolution" erblüht ist - zu einem nur flüchtigen Dasein allerdings, obschon teilweise von beachtlichem Einfluß. Hin und wieder ist er, wie in Köln oder Berlin 466 , gar als deus ex machina herbeigerufen oder jedenfalls beschworen worden - der Staatskommissar, und es wird gewiß Leute und Stellen gegeben haben, die hierin die Keimzelle künftiger Universitätsführung zu erkennen glaubten. Die Logik der Entwicklung hin zur Restauration der - umgekrempelten - alten Gewalten hat das freilich nicht bestätigt und den Staatskommissar als Wurmfortsatz verkümmern lassen. Sobald die Zentralinstanzen gleichgeschaltet worden waren und die Bürokratien sich von dem Schock erholt hatten, sind die Zügel wieder in die Hand genommen und diese Kommissare, Einflußschneisen unkontrollierter lokaler, partikularer und Parteiinteressen, beseitigt worden. Den ungefähren Endpunkt markiert die in einem Erlaß des Reichsinnenministers an die Landesregierungen vom 16. August 1933 467 geäußerte Bitte, den „Abbau auch der Kommissare bei den Universitäten, sofern er bisher nicht erfolgt ist, mit möglichster Beschleunigung durchzuführen". Wenn es hier heißt, das Wirken dieser bei einzelnen Universitäten offenbar („Es ist zu meiner Kenntnis gelangt...") noch tätigen Kommissare solle „dem wissenschaftlichen Ruf der Universitäten nicht immer genügend Rechnung tragen", so dürfte das eher noch mit der - angesichts der dahinter stehenden Faktoren gebotenen Vorsicht und Zurückhaltung formuliert gewesen sein, obwohl dieses „Wirken" in den Akten kaum aufscheint und sich im wesentlichen wohl außerhalb des Schriftverkehrs abgespielt haben wird. Schemenhaft und nahezu konturlos also geistern diese Kommissare, von ein paar Ausnahmen abgesehen, durch die Hochschulakten jenes Frühjahrs und Frühsommers. Von manchen erfährt man nicht mehr als den Namen - oder nicht einmal den. Die früheste Erwähnung im Dritten Reich: Noch vor der Gleichschaltung in Preußen wird Kiel am 31. Januar 1933 das Eintreffen eines Staatskommissars zur Beilegung der Studentenunruhen avisiert. Aber das war noch ein - übliches - ad-hoc-Unternehmen, die Entsendung eines Ministerialbeamten, der für eine bestimmte, am O r t zu führende, aber zeitlich begrenzte Untersuchung durch die Ernennung zum Kommissar mit den nötigen Machtbefugnissen der Hochschulleitung gegenüber ausgestattet wurde - in einer solchen Funktion haben wir ja bereits den Landgerichtsrat Schnoering in Frankfurt wirken sehen 468 . Mit umfassendem Mandat hingegen 469 erscheinen für die T H Hannover der neue Oberpräsident, SA-Obergruppenführer Lutze, für die Universität Bonn der Oberbürgermeister Rickert, für die T H Aachen der dortige Regierungspräsident. Letzteren kann man auch bei der Arbeit beobachten, wie er nämlich zu der vorgeschlagenen Entlassung von fünf Professoren den Rektor anweist, bei der Studentenschaft etwaige Vorwürfe „genau feststellen" zu lassen und „besonders beweiskräftige Unterlagen" zu sammeln - wie Äußerungen in Vorlesungen und dergleichen. 138

Das geschah übrigens Ende Mai 1933, nachdem am 29. April im preußischen Kultusministerium in einer Randnotiz noch festgehalten worden war, die Einsetzung von Kommissaren an den Hochschulen sei nicht beabsichtigt. Den Anlaß dazu hatte ein Posteinlauf gegeben, der erweist, daß es damals sogar einen gewissen Andrang gegeben hat: die vom „Kommissar beim Landesamt Rheinland" als „dringend erforderlich" unterstützte Bewerbung des Pg. Giuseppe Carlo Maria Nino Broglio, eines naturalisierten Italieners vom Gardasee, der von zwei Assistentenjahren her, 1921 bis 1923, mit den „Hochschulverhältnissen vertraut" war und das „dringende Gebot der Stunde" kannte - eine Hochschule, „deren ganze Arbeit vom ersten Haarstrich bis zum letzten Schlußpunkt nationalsozialistisch orientiert" sei. Woran es in Aachen, dem „wichtigsten westlich gelegenen Bollwerk des Deutschtums", leider Gottes mangele. Nicht eindeutig würden da die „deutschen Belange in den Vordergrund" gestellt, es würden „Ausländer als Professoren beschäftigt" und noch heute „fremdländische und fremdrassige" Assistenten besoldet (auch das also ein uns heute vertrautes Syndrom, wobei nur fraglich ist, ob immer mehr „Fremdländische" und immer penetrantere „Aufklärung" den Marsch in den Pogrom tatsächlich stoppen oder aber eher noch beschleunigen). Ist es auch dem Parteigenossen Broglio versagt geblieben, in Aachen „den ganzen Hochschulbetrieb in nationalsozialistischem Sinne nachdrücklichst zu beeinflussen", so haben wir an einer anderen Technischen Hochschule einen anderen ehemaligen Assistenten bereits in voller Tätigkeit angetroffen: den Pg. Kopp in Darmstadt 470 . Naendrups Funktion in Münster hingegen als „Vertrauensmann der N S D A P für die Provinz Westfalen bei der Westfälischen Wilhelms-Universität" konnte schon deshalb nicht zum Staatskommissar ausgebaut werden, weil sich - wir sahen es471 - dieses Vertrauen betrüblicherweise auf das halbe Westfalen beschränkte, die andere Hälfte aber, die südliche, ganz im Gegenteil von bitterem Mißtrauen erfüllt war. Ebensowenig kann man die Lehrerbunds„Obmänner", die Schemm in Bayern 472 jeder Hochschule verordnen wollte, zu dieser Kategorie zählen - selbst wenn sie Wirklichkeit geworden sind und Leute mit den geforderten Qualifikationen (erprobter Nationalsozialist, ausgesprochen immateriell, fachlich anerkannt, nicht allzu weltfremd) tatsächlich zu finden gewesen sein sollten (ein bißchen weltfremd war so ein Professor natürlich stets). Immerhin tauchte in Erlangen noch Anfang September ein Dr. Dehnel als Kommissar auf, neben dem offenbar noch genügend Raum war für die Beschäftigung eines anderen Herrn als „Vertrauensmann" des bayerischen Kultusministeriums. Das ist der Kollege Preuß gewesen, Hans Preuß, ein evangelischer Theologe, der von einer Art Trilogie in jenem Jahr gerade das Werk „Luther der Prophet" herausbrachte, nach „Luther der Künstler" 1931 und vor „Luther der Deutsche" 1934 - eine Aufeinanderfolge, die sich angenehm in die politische Entwicklung fügte. Daß sich all diese Sonderbeauftragten gegenseitig auf die Füße traten, ist ja ein Charakteristikum nationalsozialistischer Herrschaft schlechthin, hat allerdings im vorliegenden Fall dazu beigetragen, sie im Spätsommer 1933 relativ problemlos zugunsten der Zentralgewalt wieder entmachten und einziehen zu können. Wie der Kollege Preuß hier als Vertrauensmann, so sind anderswo politisch bewährte Professoren auch formell als Staatskommissare eingesetzt worden. In Hamburg war Adolf Rein zunächst und vor seinem Rektorat Kommissar für das Hochschulwesen 473 , er wird hier gleich anschließend im Kreis einiger aus dem Rahmen fallender Magnifizenzen gewürdigt werden. Ebenso hat der württembergische Kultminister Professoren, die alte Parteigenossen waren, zu Staatskommissaren bestellt: für d i e T H Stuttgart den Architekten Wilhelm Stortz, für die Universität Tübingen den Germanisten Gustav Bebermeyer. 139

Von Stortz heißt es in einer Stuttgarter Universitätsgeschichte jener Jahre 474 , seine Rolle in der Personalpolitik ließe „sich wegen Quellenmangels nur ahnen". Auch hier also das gleiche Problem, obwohl gerade hier aus anderer Quelle 4 7 5 ein kleiner Lichtstrahl in das Dunkel um die Kommissare fällt und nicht nur den Irrtum jener Darstellung korrigiert, Stortz' Ernennung sei „von der N S D A P " erfolgt (es ist der Minister gewesen), sondern den Stuttgarter Kommissar mit den „besonderen Vollmachten" auch dabei zeigt, wie er in der Schweiz gefallene Äußerungen des Kollegen Paul Bonatz „gegen die nationalsozialistische Revolution disziplinarisch verfolgt". Noch etwas deutlicher scheint die Betätigung Bebermeyers in Tübingen auf - dies weniger eine Folge der besonders liebevollen Beschäftigung der von Vorbildern wie dem berühmten Walter Jens animierten Tübinger Studentenschaft schon seit 1964 mit der „Vergangenheit" ihrer Professoren 476 als vielmehr beides ermöglicht durch die dort ebenso umfangreiche wie liberal verwaltete archivalische Uberlieferung 477 . Gustav Bebermeyer, im Sommer 1921 habilitiert und zu Beginn des Dritten Reiches noch immer Privatdozent, galt zwar als rechtsstehender Mann, hatte sich indes bis dahin in keiner Weise politisch betätigt, so daß sein kometenhafter Aufstieg seine Umgebung überraschte. Am 21. April ist er vom Kultministerium ernannt worden - nach dem Text des Erlasses „zum Beauftragten mit besonderen Vollmachten an der Universität". War Rein wenigstens planmäßiger Extraordinarius, so Bebermeyer nur Privatdozent mit Professortitel. Beiden aber hat ihre Einsatzbereitschaft noch im selben Jahr das Ordinariat eingebracht - Rein im September, Bebermeyer schon im Juli (für Deutsche Volkskunde - und die Tübinger Studentenschaft sah darin die Gewähr, daß er „aus diesem Fache eine ganz lebendige Waffe [!] im Kampf um die restlose Verdeutschung der deutschen Hochschule schmieden wird"). Bebermeyers Lehrer Hermann Schneider, seinerzeit germanistischer Ordinarius, hat nach dem Kriege (am 23. Oktober 1952 an Rektor Bünning) bekundet, daß die Lesart falsch sei, Bebermeyer habe auf Grund seiner Machtstellung sich „gewissermaßen dieser Professur bemächtigt". Er und sein Kollege Paul Kluckhohn hätten vielmehr - und das wird man ihm abnehmen können - keine Neigung gehabt, für den Staatskommissar ein drittes germanistisches Ordinariat zu verlangen. D a aber irgend etwas geschehen mußte und der Staatskommissar nicht gut Privatdozent bleiben konnte, habe man für die nun plötzlich hoch im Kurs stehende germanistische „Tochterwissenschaft" Volkskunde, aus deren Gebiet Privatdozent Bebermeyer bereits Vorlesungen gehalten hatte, ein Ordinariat beantragt, dessen Fehlen von der Partei bereits beanstandet worden war. Während Rein indes noch höhere Weihen empfangen wird, ist Bebermeyer nach seinem Kommissariat wieder in Reih und Glied hinabgetaucht - wegen einer Affäre, die aus den Akten nicht völlig deutlich wird, aber wohl mit der Ausfüllung seines BeamtenFragebogens zu tun hatte. Man hat ihn daraufhin seiner Würden entkleidet und darunter auch als Sonderbeauftragten abberufen, wofür Rektor Dietrich seinem Minister am 7. November „im Namen der Universität den ergebensten Dank" aussprach mit der Versicherung, bemüht zu sein, sich „dieses Vertrauens wert zu zeigen". Woraufhin dann am 9. Dezember das Rektoramt von Kultminister Mergenthaler zu einer sorgfältig formulierten Erklärung im Großen Senat ermächtigt wurde, derzufolge das Ministerium den Fall jetzt als erledigt betrachte und nichts dagegen gehabt hätte, wenn Bebermeyer wieder die Leitung des Studentenwerks übertragen worden wäre, doch habe dieser mitgeteilt, sich voll und ganz den großen Aufgaben seiner Professur widmen zu wollen. Die Abberufung als Sonderbeauftragter freilich war sowieso fällig gewesen. Für alle württembergischen Hochschulen hatte das Ministerium zwar am 30. September die 140

Fortsetzung ihrer Tätigkeit „bis auf weiteres, voraussichtlich bis zum Inkrafttreten der neuen Hochschulverfassung", angeordnet, die Bestellungen dann aber am 30. Oktober mit Wirkung ab 1. November aufgehoben. Daß hier jedoch möglicherweise 478 Zwischenverbindungen zu der persönlichen Angelegenheit Bebermeyers bestanden haben, weist eine etwas merkwürdige Notiz in dem rechten Neuen Tübinger Tageblatt vom 23. Oktober aus, in der es heißt, das Kommissariat Bebermeyer sei „durch die Regierung bestätigt" worden und bleibe „also weiter bestehen": „Es wird mit dieser Nachricht mancher Unklarheit ein Ende bereitet." O b das nun nur die Abwehr gewesen ist von Bemühungen der Universität, dem Kommissariat zu entkommen (und ob vielleicht gar die „Ausfüllung des Beamten-Fragebogens" auch zu jenen gehört hat), bleibe dahingestellt. Was aber ist über die Tätigkeit von Kommissar Bebermeyer, dieser einzigen überhaupt einigermaßen dokumentierten, überliefert? Am 21. April also ist er ernannt worden, am selben Tage unterrichtete darüber der Minister den Rektor, und am 24. erfuhren es der Senat sowie durch die Presse die Öffentlichkeit. Der neue Kommissar, so hieß es in dem Material für die Zeitungen in patriotisch eingefärbtem Kanzleideutsch, dessen Ernennung „namentlich in vaterländischen Kreisen dankbar begrüßt" werden würde, sei der Regierung verantwortlich für die „Durchführung der in Angriff genommenen Einstellung der Universität auf die hohen Ziele des begonnenen großen Werkes einer Staats- und Kulturerneuerung im nationalen Sinne". Glückliches Tübingen - günstig nämlich sei die Lage hier, habe sich die Universität doch „immer rückhaltlos zum nationalen Gedanken bekannt", weshalb die Hoffnung auf eine reibungslose Gleichschaltung in enger Zusammenarbeit mit den Organen der Selbstverwaltung bestehe. So konnten denn am 25. bereits „erste Maßnahmen" verkündet werden: Der Kanzler der Universität, der Strafrechtler August Hegler, hatte sein Amt zur Verfügung gestellt (zumindest in diesem Falle exakt: stellen müssen, da nämlich der neue Minister bezweifelt hatte, ob er hinreichend „aktivistisch" sei), ebenfalls drei nunmehr politisch „belastete" Senatoren im Kleinen Senat, der Staatsrechtler Carl Sartorius, der Ophthalmologe Wolfgang Stock und der Mathematiker Erich Kamke sowie der rechts- und wirtschaftswissenschaftliche Dekan Hans Teschemacher; neue Leute waren an ihre Stellen gerückt, nur einen neuen Kanzler hatte Bebermeyer noch nicht ernannt. Das also immerhin gehörte zu den Befugnissen des neuen starken Mannes, der der Öffentlichkeit dabei vorgestellt wurde: Dem Bild nach ein auch in der Breite etwas eingeschrumpfter Hugenberg, ein mehrfach dekorierter und zuletzt noch schwer verwundeter Frontsoldat von Langemarck (es gab also Überlebende) bis zum bitteren Ende, in der „vaterländischen Bewegung" von Anfang an führend tätig und insbesondere „als Mensch und Kamerad" hoch angesehen in den Kleinkaliberschützenvereinen, wo sich der neue Universitätskommissar seit langem „nutzbringend praktisch" betätigt und den „Wehrgedanken vertieft" hatte. Daß Magnifizenz Simon noch am Tage der Ernennung Bebermeyers von dem Ereignis offiziell erfuhr, hatte er möglicherweise der Tatsache zu verdanken, daß er bereits Tage zuvor Mergenthaler um eine Unterredung gebeten hatte, für die der Minister die Zeit nun wohl für gekommen hielt. Er hörte sich „mit Befriedigung" an, daß Simon ihm versicherte, die Universität - „in den letzten Jahren von sehr kompetenter Seite" mit der „ehrenden Bezeichnung der deutschesten aller Universitäten" ausgezeichnet - wolle all ihre Kräfte an der Seite der Regierung in den Dienst des großen Zieles stellen. Das sei sehr schön, antwortete Mergenthaler, indessen bedürfe es auch „gewisser personeller Veränderungen" und dazu der Ernennung und Bevollmächtigung Bebermeyers. 141

Für diese Auswahl eines „Kollegen aus unseren Reihen", so ermahnte der Rektor drei Tage später seine Senatoren, müßten sie wohl alle dem Herrn Minister dankbar sein. Da hatte es schon eine erste „vertrauensvolle Aussprache" zwischen beiden gegeben, und von Stund an sah man Rektor (ab 2. Mai dann der Pathologe und Anatom Albert Dietrich) und Kommissar quasi Arm in Arm. Im Senat etwa folgten jetzt den „Mitteilungen des Rektors" die „Mitteilungen des Kommissars" - mit dieser Reihenfolge wenigstens intern die bange Frage von Ende April verneinend, „ob der Staatskommissar etwa über dem Rektor stehe"; Mergenthaler hatte seinerzeit ausweichend geantwortet, beide sollten zusammenarbeiten. Und das tun sie also auch. Oder jedenfalls: Sie tun so, als ob sie es tun. Gerüchte, daß es zwischen beiden Streit gebe, daß der Kommissar den Rektor stürzen möchte, dementieren sie empört in der Senatssitzung am 27. Juli. Der Rektor betont vielmehr ihre reibungslose Zusammenarbeit und seine in keiner Weise beeinträchtigte Stellung, und Bebermeyer glaubt zu wissen, wo die Unruhestifter sitzen - „außen"; erfahre er, wer es sei, werde der Betreffende es auch persönlich mit ihm zu tun bekommen. Inzwischen ist Bebermeyer überall am Ball. Bebermeyer vermittelt zwischen Rektor und Studentenschaft (die auch ihren „Kommissar" hat, nämlich den Studentenbundsführer), Bebermeyer verhandelt — mit dem Kultminister, mit dem Reichsinnenminister Frick, ja angeblich sogar mit Hitler persönlich, von dem er (Bebermeyer ist ja, wir sahen es bereits, großer Mann auch im Hochschulverband) den ehrenvollen und über Tübingens Grenzen weit hinausreichenden Auftrag erhält (und die Universität stellt ihm dafür einen fünfköpfigen Ausschuß zur Seite), bis zum Oktober ein Reichsrahmengesetz für die Hochschulreform zu entwerfen; die entscheidende Tagung darüber werde dann in Tübingen stattfinden, und (so etwas glaubte man damals noch) Hitler werde voraussichtlich teilnehmen. Und Bebermeyer redet, hält unermüdlich Vorträge. Ob („kernhaft, markig") am 1. Mai auf dem Tübinger Marktplatz oder vier Wochen später bei der Immatrikulationsfeier, ob beim Bierfest des Tübinger Reichswehr-Bataillons oder bei einem HJ-Treffen - Bebermeyer ist immer mit einer Ansprache dabei479. Und schließlich säubert Bebermeyer natürlich auch. Oder richtiger: vor allem. Denn das ist schließlich seine Hauptaufgabe, und sein Motto dabei hat er den Studenten und der Universität am 29. Mai verkündet: „Es kommt nicht darauf an, ob ein Hochschullehrer mehr oder weniger beurlaubt wird." Wenn solche Großzügigkeit vielleicht auch hier und dort Anstoß erregt - die davon profitieren, die in Wartestellung Bereitstehenden, sind ihm deshalb gewiß nicht böse. Und auch sich selbst hat er also bei dieser Gelegenheit versorgen können; das war doch immerhin etwas und lohnte die wohl unvermeidlichen Peinlichkeiten seiner heiklen Stellung im Kollegenkreis (später wird man hier davon noch etwas mehr hören480). Indem wir nun den vorübergehend ins Stolpern geratenen, danti aber größtenteils rehabilitierten Bebermeyer in sein im Frühjahr 1934 für ihn geschaffenes Seminar für Deutsche Volkskunde entlassen, in dem er - 1935 auch Prorektor und Fakultäts-Vertrauensmann der Studentenschaft - über „Rasse, Volkstum, Volk", „Deutsche Volkwerdung" oder „Völkische Idee und Bewegung in Deutschland" lesen und zur (aktuellen) „Frage der Umvolkung" Übungen abhalten wird, bleibt uns noch ein abschiednehmender Blick auf zwei kommissargewohnte Hochschulen, gewissermaßen die beiden Profis im Staatskommissar-Frühling 1933. Denn kein Novum war der Staatskommissar für die nichtstaatlichen Universitäten Frankfurt und Köln, wo er vielmehr in den Satzungen vorgesehen war. Bis 1933 hatten hier die Oberpräsidenten in Kassel und Koblenz mehr oder we142

niger formal diese Funktion ausgeübt, dann gerieten auch ihre Positionen in den Strudel der „nationalen Revolution". In den Wochen des pseudorevolutionären Uberschwangs schienen Kommissare dieser Art nicht das zu sein, was man benötigte - keine Bürokraten nämlich, sondern nationalsozialistische Aktivisten. Für Köln 4 8 1 fand sich ein solcher in Dr. Peter Winkelnkemper, „Hauptschriftleiter" des Westdeutschen Beobachters, also des Parteiorgans am Niederrhein. Adenauers kommissarischer Nachfolger Günther Riesen hatte beim Kultusministerium für dessen Bestellung plädiert, mehr wohl noch um eine „angesichts der schwierigen Kölner Finanzlage dringend erforderliche Neuregelung" einzuleiten, aus „finanzieller Hinsicht" also, als weil man Rektor Ebers* „festem Willen" mißtraut hätte, auf „geistiger Grenzwacht im Westen" an der Erneuerung Deutschlands mitzuarbeiten. D a s indes schloß die Berücksichtigung und Erwähnung auch der „personellen Hinsicht" natürlich nicht aus, die schließlich die Seele all dieser Kommissare gewesen ist. Kölns Pionierrolle bei der Einsetzung einwandfrei regimekonformer Rektoren dürfte kaum ohne Winkelnkempers maßgebliche Beteiligung vor sich gegangen sein. U n d auch im übrigen scheint seine Tätigkeit der Bebermeyers in etwa entsprochen zu haben; bei der Kölner Verbrennung der „Schmutz- und Schundschriften" am 10. Mai agiert er jedenfalls hinter der neuen Magnifizenz Leupold als Feuerredner (eine Woche zuvor allerdings hat er sein Plazet zur „Verschonung" der Universitäts-Bibliothek gegeben). Winkelnkemper ist dann der letzte nationalsozialistische Oberbürgermeister von Köln gewesen, an der Universität war ihm als Staatskommissar bereits im Herbst 1934 der Kölner Gauleiter Grohe gefolgt und damit die alte Ordnung cum grano salis wiederhergestellt worden. Frankfurt scheint im Frühjahr 1933 eine ganze Kompanie von Kommissaren anbieten zu können' 182 . So ist ein Telegramm vom 17. März mit „Schnoering K o m m i s s a r " gezeichnet, sechs Tage später erwähnt das Personalamt der Gauleitung den Oberpräsidenten als Staatskommissar für die Frankfurter Universität, kurz darauf, am 25., Rheindorf in seinem Bericht an das Auswärtige Amt auch namentlich den Herrn v. Hülsen. Im nächsten Monat erscheint der Amtsgerichtsrat August Wisser in dieser Funktion, und 1946 führt der Leipziger Juristendekan de Boor in einem Bericht über die Vorgänge um Riezler „Exzellenz Schwander" als Staatskommissar für die Universität an. N i m m t man noch einen hinzu, der es beinahe geworden wäre, nämlich den Wirtschaftsrechtler Friedrich Klausing, damals wohl der rührigste Drahtzieher in den Frankfurter akademischen Kulissen, dann sind es ganze fünf. Aber das täuscht. Linden-Justitiar Schnoering war nur ein mit befristeten Kommissarvollmachten für die Riezler-Untersuchung ausgestatteter Externer, Oberpräsident v. Hülsen der Amtsinhaber noch aus der Weimarer Zeit 4 8 3 , und der frühere Oberpräsident Schwander ist zwar von Rektor Gerloff und Oberbürgermeister Krebs nominiert, am Ende aber ebensowenig ernannt worden wie Klausing. Bleibt also Wisser, und wenn man dessen ausführliche Nachkriegs-Schilderung seiner Beamtenlaufbahn liest, dann scheidet auch er aus, kommt doch der „ K o m m i s s a r " darin überhaupt nicht vor, sondern lediglich der „ K u r a t o r " . Und das ist in der Tat ziemlich durcheinandergegangen, da das nämlich einerseits dasselbe war, andererseits aber auch wieder nicht. Bislang war der Kuratoriums-Vorsitzende Staatskommissar gewesen, und diese bisherige Konstruktion - der Staatskommissar weitab vom Schuß im Oberpräsidium in Kassel und der „fast unangreifbare" Geschäftsführende Vorsitzende die eigentliche Schlüsselstellung vor O r t - lasteten die Nationalsozialisten 1933 der S P D an, die sich so maßgeblichen Einfluß auf die G e schäftsführung habe sichern wollen. Wegen der damit zweifellos verbundenen Schwie143

rigkeiten und Verzögerungen soll auch Präsident v. Hülsen für eine Umstrukturierung und einen Staatskommissar an Ort und Stelle eingetreten sein. Wahr oder nicht - im März 1933 jedenfalls gerieten mit der Ausschaltung Riezlers die Dinge in diese Richtung in Bewegung. Zu einem Antrag auf Gewährung von Versorgungsbezügen im Jahre 1950 hat Wisser eine Schilderung jener Vorgänge gegeben: Riezler sei Anfang März in Schutzhaft genommen worden und habe sein Amt niedergelegt; Nachfolger sei der oben erwähnte484 Chemiker, Schriftsteller und bald auch Theaterintendant Heinz Geisow geworden, der binnen zwei bis drei Wochen infolge Unfähigkeit die Verwaltung lahmgelegt habe: Löhne und Gehälter seien nicht gezahlt worden, und die Akten hätten sich „zu Bergen getürmt". Daraufhin hätten einige Dozenten einen Hilferuf nach Berlin gerichtet, woher dann Schnoering als Deus ex machina erschienen sei, der Geisow zum Rücktritt veranlaßt und die Gauleitung um Bestimmung eines Nachfolgers ersucht habe. Junge Dozenten hätten dann ihn, Wisser, vorgeschlagen, und er will die „Abordnung der jüngeren Dozentenschaft (Dr. Cordes, Dr. Reischauer und Dr. Weidlich)" - vom Kuratoriumsvorsitzenden, Oberbürgermeister Krebs, zu ihm geschickt - zunächst einmal darauf aufmerksam gemacht haben, daß er weder Anwärter noch Mitglied der Partei sei (er wurde es dann sehr bald), erst nach einem Das-mache-nichts habe er seine Zustimmung gegeben 485 . Schief hat Wisser zweifellos die Entsendung Schnoerings dargestellt, die Geschichte mit der Delegation hingegen könnte so ungefähr stimmen. Denn unter denen, die sich damals in Frankfurt einschlägige Gedanken machten (darunter Gaupersonalamtsleiter Heinz Bickendorf, der sich gegen die Entsendung eines Sonderkommissars als vierte Kontrollbehörde wandte und statt dessen eine „Neubesetzung der Geschäftsführung" wünschte 486 - warum, werden wir gleich sehen), befanden sich die drei von Wisser genannten Angehörigen der „jüngeren Dozentenschaft", die am 24. März in zwei Eingaben 487 den Ruf nach Wisser erschallen ließen, freilich nur „als Nationalsozialisten" und ohne weitere Legitimation, bei der zweiten Eingabe noch verstärkt durch einen „Pg. stud. iur.", einen „Pg. stud. phil. nat." und einen Pg. Dr. Otto Rixecker mit nicht genannter Beschäftigung. Indes ist es nicht uninteressant zu wissen, daß R. 4 8 8 Weidlich und Hans Reischauer Parteigenossen waren, Reischauer dazu noch der SS und Heinrich Cordes der SA angehörte, und alle im NS-Lehrerbund und/oder später im Dozentenbund eine Rolle gespielt haben. Stellung bezogen ihre Eingaben gegen „umlaufende Gerüchte von der bevorstehenden Nominierung des Herrn Prof. Dr. Klausing zum Staatskommissar". Warum? Erstens aus einer Art Fürsorge. „Ein ganz entschiedenes, rücksichtsloses Durchgreifen" sei angesichts der „nur zu gut bekannten Verhältnisse an der hiesigen Universität" vonnöten; das aber sei von einem Kollegen nie zu erwarten, der sich der „einstürmenden Fürsprachen von Freunden derer, die er mit aller Härte anzufassen genötigt" sein werde, nicht entziehen könne und so in „zermürbende Konflikte" zwischen menschlichem Mitgefühl und aufgetragener Pflicht geraten müsse (auch bei einem auswärtigen Kollegen, so fügten sie prophylaktisch hinzu, sei das angesichts des von Universität zu Universität reichenden Beziehungsgeflechts kaum anders). Zweitens aber und nun unverhüllt ad personam: Klausing gelte zwar als nationaler Mann, ein solcher Ruf sei jedoch „in Frankfurt leicht zu erwerben". Für Nationalsozialisten sei er „ganz untauglich", ein ehemaliger Mitarbeiter der volksparteilichen Frankfurter Nachrichten, „wachsweich" und ein Mann der Kompromisse, der „jede gefährliche Spitze unweigerlich abbrechen" werde, und auch von der „deutsch empfindenden" Studentenschaft werde er dementsprechend abgelehnt. 144

O b die hier gegen Klausing ins Feld geführten Argumente vollständig gewesen sind, weiß man nicht. Möglich ist es, da junge Leute gegen „Graue Eminenzen" leicht allergisch sind. Und das war Klausing wohl. Wer vertrat Rektor und Prorektor auf der Rektorenkonferenz ? Klausing - obwohl er nur Dekan war. Wer agierte für Frankfurt im Hochschulverbandsvorstand? Klausing. Mit wem erörterte der von Berlin angereiste Sonderbeauftragte Schnoering die Frankfurter Lage? Mit Klausing. Wer bewies dem Geländesportlager der Dozentenschaft die „besondere Freude und Ehre" seines Besuchs und „erzählte den Kameraden" von seinen „Plänen und Zielen"? Hand in Hand mit Rektor Krieck der Professor Klausing489. Ein ausreichendes Motiv war das also schon, doch ist daneben ein mehr persönliches Agens natürlich nicht auszuschließen. In ihrer ersten Eingabe, vermutlich am Vormittag, hatten die drei noch anonym als Staatskommissar ein langjähriges „Mitglied unserer Bewegung" gefordert und den Vorschlag einer „Reihe von geeigneten Herren" angekündigt. Am Abend war die „Reihe" geschrumpft und hatten sie eine „vom Vertrauen aller Nationalsozialisten" getragene Persönlichkeit, einen „altbewährten Nationalsozialisten", gefunden und auch schon mit ihm gesprochen, eben Amtsgerichtsrat August Wisser — so bewährt freilich, will man seiner Nachkriegsvita Glauben schenken, eigentlich nicht und außerdem bereits für eine ehrenvolle Verwendung in Hanau vorgesehen. Mit letzterem stimmt überein, daß seine Besucher zu Wisser gesagt haben sollen, es handle sich nur um eine vorübergehende Vertretung, und daß sich dann kurz nach Amtsübernahme, vom Gauleiter als „politischer Berater" abgeordnet, der Gaupersonalamtsleiter Bickendorf bei ihm eingefunden, so etwas wie mitgearbeitet und ihm nach einiger Zeit eröffnet habe, er sei der eigentliche Nachfolger und Wisser solle ihn nur anlernen. Daraus ist freilich nichts geworden. Wisser, der noch einen zweiten Parteikandidaten, den Gaupropagandaleiter Müller-Scheidt, aus dem Felde geschlagen haben will, hat sich vielmehr - in Hanau mußte man sich ohne ihn behelfen - an der Frankfurter Universität installiert bis zum Ende des Dritten Reiches. Und das ist, zurück zu belegten Daten, so vor sich gegangen490. Am 3. April, nachdem die Dinge infolge Riezlers Ausschaltung aktuell geworden waren, wurde zwischen Schnoering und Krebs der Amtsgerichtsrat Wisser als „Staatskommissar mit der Aufgabe, die Geschäfte des Geschäftsführenden Vorsitzenden des Kuratoriums zu übernehmen", abgesprochen. Am nächsten Tag aber war Krebs auf den Kandidaten von Magnifizenz Gerloff, Ex-Oberpräsident Schwander, umgeschwenkt. Hier taucht auch zum ersten Mal die „Anregung" auf, den Gaupersonalamtsleiter Referendar Bickendorf einem Staatskommissar Schwander „als .Adjutant'" beizuordnen, — den „Adjutanten" hat Schnoering im Konzept seiner Aufzeichnung über die Frankfurter Gespräche zwar gestrichen, genauso indes ist er dann ja offenbar bei Wisser wieder aufgetaucht. Und auch ein Staatskommissar Klausing ist noch nicht vom Tisch, auch ihn „evtl. ins Auge zu fassen", regt Oberbürgermeister Krebs an. Als aber Schnoering, nach Berlin zurückgekehrt, den Ministerialreferenten Achelis und Haupt berichtet, wird das Personalkarussell angehalten. Man entscheidet sich für Wisser, der nach jener „Eingabe einer Anzahl Frankfurter Herren" („Persönlichkeiten" ist aus dem Entwurf als wohl doch etwas übertrieben herauskorrigiert worden) ja auch bereit sei, das Amt des Staatskommissars zu übernehmen. Man telefoniert mit dem Justizministerium, und dort gibt es grünes Licht: Wisser wird für die Frankfurter Aufgabe Urlaub erteilt werden. Am 5. April491 wird er ernannt - wie vereinbart also „zum Staatskommissar mit dem Auftrag, die Geschäfte des Geschäftsführenden Vorsitzenden des Kuratoriums zu übernehmen". 145

In der Mitteilung an Wisser hieß es „zunächst die Geschäfte", und noch vielversprechender - „zunächst lediglich" - hatte man ihn in den Vorgesprächen über den Umfang seiner künftigen Aufgaben informiert. Was darauf hindeutet, daß die Erfinder dieses Staatskommissars sich eine Zeitlang nicht recht klar oder einig gewesen sind, ob er nicht vielleicht neben dem Geschäftsführer auch gleich den Kurator selbst ablösen sollte. Noch nachdem er ihn in sein neues Amt eingeführt hatte, hat Krebs am 11. April in Berlin angefragt, ob er Wisser nun eigentlich „an Stelle des Herrn Oberpräsidenten Dr. v. Hülsen als Staatskommissar" eingesetzt habe oder ob dieser nur die Riezler-Stelle des Geschäftsführenden Kuratoriumsvorsitzenden bekleiden solle. Es war dies einerseits eine bei den komplizierten Verhältnissen in Frankfurt naheliegende Verwechslung, andererseits aber sind die Intentionen der „Väter" Wissers vielleicht auch in die Richtung gegangen, ebenfalls in Frankfurt mit der Kombination der Funktionen Hülsens und Riezlers auf dem Umweg über den damals modischen „Staatskommissar" neuer Art einen Völl-Kurator üblicher Prägung zu zeugen. Ende April / Anfang Mai mußte Frankfurt um den Mann mit den dort bereits erworbenen „großen Verdiensten" noch einmal kämpfen: Das Innenministerium hatte den Vielseitigen mit der kommissarischen Verwaltung der Geschäfte des Landrats in Wetzlar beauftragt. Das ganze „Reformwerk der Universität" war damit „stark gefährdet", und über den Draht und dann auch in inständigen Bittbriefen drang das Wehgeschrei nach Berlin - des Studentenbunds, der Dozentenschaft und von Rektor Krieck, der aufzählte, wer alles Wisser so sehr vertraue, daß er für die Universität einfach unentbehrlich sei: Oberbürgermeister, Dozentenbund, Studentenschaft, Kampfbund, Polizeipräsident, Gerichtsbehörden, NS-Juristenbund, Anwaltskammer, Arbeitsgemeinschaft nationaler Verbände. Krieck hatte freilich auch allen Grund, schrieb man es doch in Frankfurt Wissers „geschickten Verhandlungen" zu, daß er einstimmig zum Rektor gewählt worden war. Und auch Wissers Erfinder im NS-Lehrerbund, Cordes und Reischauer, jetzt mit dem Oberassistenten Otto Girndt, einem der Frankfurter Dozentenführer, als drittem Mann, waren natürlich wieder mit von der Partie, als es galt, sich für die „glücklichste Ergänzung zu unserem Rektor" in die Schanze zu schlagen. Unter den Linden wollte man sich schon zum Bittsteller und Fürsprecher dieser Wünsche machen, als es dem Justitiariat gerade noch rechtzeitig einfiel, daß man schließlich die älteren Rechte habe und das Innenministerium kommen müsse, wenn es etwas wolle, - Wisser allein sollte auf die Tatsache hinweisen, gewissermaßen bereits vergeben zu sein. Im August ging man daran, die „Verhältnisse endgültig zu regeln". Zunächst allerdings nur die Riezlers, während Wissers Beauftragung mit der Verwaltung der Geschäfte lediglich verlängert, seine endgültige Bestellung als ständiger Stellvertretender Kuratoriumsvorsitzender aber „noch zurückgestellt" wurde. Am 16. Oktober ist sie dann erfolgt, wenn auch noch unter Vorbehalt des Widerrufs und unter weiter andauernder Beurlaubung als Amtsgerichtsrat. Noch 492 Anfang 1935 sind Wisser „dem Staatskommissar der Universität zustehende" Funktionen übertragen worden - „bis zur Wiederbesetzung des Amtes des Staatskommissars". Dazu wieder, wie in den bösen Weimarer Zeiten, den Oberpräsidenten von Hessen-Nassau zu ernennen (seit Juli 1933 - v. Hülsen war im Juni in den „einstweiligen Ruhestand" versetzt worden - Philipp Prinz v. Hessen) hatte das Berliner Kultusministerium zwar schon im September 1933 „in Aussicht genommen", doch scheint es bei der Aussicht beziehungsweise Absicht geblieben zu sein493. 146

Mit August Wisser ist die Geschichte des Staatskommissars und damit der „nationalen" oder „nationalsozialistischen Revolution" an den deutschen Hochschulen zu Ende gegangen. Er ist eine Art Super-Kurator oder -Kanzler und stets als solcher gedacht gewesen, mochte sich auch die eine oder die andere Stelle, meist der Partei, hier Hoffnungen auf eine dauernde Einflußnahme gemacht haben. Die Söhne der Revolution verblaßten und vergingen mit ihr, während sich der unter Kuratel gestellte und manchenorts schon totgesagte Rektor als der eigentliche Gewinner und Nutznießer der neuen Zeit erweisen sollte. Vorerst jedenfalls.

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KAPITEL 2

Akademische Rochaden

Bevor wir uns nun also mit der Umstrukturierung der Hochschule durch die neuen Machthaber befassen, vor allem mit den Kuratoren und Rektoren, und - wie wir das immer halten wollen - deren Geschichte durch die zwölf Jahre hindurch verfolgen, sei ein anderes, nicht so umfangreiches Hauptthema des Jahres 1933 vorgeschaltet: Es spitzten sich damals Gerüchte, Mutmaßungen, Erwägungen, auch in gewissem Umfang Handlungen zu, die Schließung oder Zusammenlegung von wissenschaftlichen Hochschulen betrafen. Das Thema war geerbt und gerade eben in den Jahren der großen Depression und Wirtschaftskrise akut geworden, nachdem die Zeit unmittelbar vor und nach dem Weltkriege nicht nur Verluste (Straßburg) gebracht, sondern mehr noch Neugründungen (Frankfurt, Köln, Hamburg) gesehen hatte. Und es ist auch in den folgenden Jahren bis zum Beginn des zweiten Krieges nicht völlig verschwunden und hat dann in dessen Endstadium neue Aktualität gewonnen, nun freilich ganz anders - nämlich mit den Erfordernissen des Krieges - motiviert als zuvor. Im „Erhebungsjahr" 1933 aber kreisten die Gerüchte so wild wie nie. Hier werden wir die Vorgeschichte unberücksichtigt lassen, das Endstadium in den Kriegszusammenhang verweisen und uns lediglich mit den zehn Jahren zwischen der Machtergreifung und der Wende des Krieges befassen. Zunächst 1933. Wie eben schon angedeutet: Ein Gespenst ging um. Oder sogar mehrere Gespenster. Denn zu den Befürchtungen, das Dritte Reich werde die am Ende der „Systemzeit" drohenden Sparmaßnahmen nunmehr exekutieren, gesellten sich andere dahingehend, diese Nazis würden die alten Universitäten zugunsten reiner Parteihochschulen beseitigen, sie auf einmal oder auch allmählich auflösen. Während solche Beunruhigung eher noch wuchs, je mehr man nämlich von den Absichten, später auch Aktivitäten insbesondere des Amtes Rosenberg in dieser Richtung hörte, nahm die „geerbte" Gefahr allmählich ab, obwohl sie an besonders neuralgischen Stellen bis zum Kriege nicht völlig gewichen ist. Ja, sie eskalierte sogar noch einmal im Jahre 1937, angesichts des gewaltigen Rückgangs der Studentenzahlen. Auslösendes Moment der öffentlichen Diskussion war damals eine rege publizistische Tätigkeit Ernst Kriecks zum Thema, die auch in der Emigration 494 und im übrigen Ausland bis hin nach Connecticut 495 ein lebhaftes Echo gefunden hat. Es hieß, er habe in Goebbels' „Angriff" und später etwa im Hamburger Tageblatt vom 6. Februar 1937 die „bestehenden Universitäten" als „Leichentuch für die deutsche Nation" bezeichnet, ein Drittel davon sei überflüssig und sollte am besten geschlossen werden. Krieck hat mit Äußerungen dieser Art auch bei den Bedrohten für Aufregung gesorgt - noch an so relativ entlegenen Stellen wie der Pharmazeutischen Zeitung vom 3. Februar, wo man sich, das eigene Fach betreffend, an ähnliche Spekulationen des 148

Braunschweiger Rektors Horrmann 1934 erinnerte und der Pharmazie künftig bei Hochschulen ohne Medizinische Fakultät wenig Chancen mehr einräumte496. Die Veröffentlichungen der deutschen Presse in letzter Zeit und der „lebhafte Widerhall" im Ausland haben dann einen Runderlaß des Reichserziehungsministeriums4'7 vom 26. April ausgelöst, welcher der Beunruhigung entgegenwirken und die nur der ausländischen „Greuelpropaganda" Nahrung gebende öffentliche Erörterung beenden sollte: Im „gegenwärtigen Augenblick" sei auch angesichts des „erheblichen Rückgangs der Studentenzahl nicht beabsichtigt, bestehende Hochschulen aufzuheben oder durch den Abbau von Einrichtungen", die als „wesentlicher Bestandteil der in Frage stehenden Hochschule" gelten würden, „in ihrer Entwicklung zu schädigen". Sollte im Guinness-Buch der Rekorde einmal die gummiartigste und dehnfähigste amtliche Verlautbarung eingetragen werden, darf dieser Runderlaß WI1650/37 nicht übersehen werden. „Gegenwärtiger Augenblick", „wesentlicher Bestandteil", „Schädigung der Entwicklung" - das alles hörte sich nicht sehr gut an. Sicher war nur: Es standen also Hochschulen „in Frage". Auf ihren Konferenzen im Mai 1937498 erfuhren die Rektoren und Kuratoren im Zusammenhang mit notwendig werdenden „Kontingentierungsmaßnahmen" (statt 140 000 Studenten im Jahre 1931 gab es nur noch 75 000 und mithin nur etwa die Hälfte der Gebühren), daß man versuchen wolle, trotzdem „die kleinen Hochschulen mit durchzubringen". Aber eben, das sei die Wahl, vor der das Ministerium stehe: entweder zu kontingentieren oder „acht Todesurteile zu fällen". „Acht" bekamen jedenfalls die Rektoren zu hören, wo die großen Universitäten auf sicherem Gelände gegen die Kontingentierung und damit Beschneidung ihres Wachstums, ja Zurückstutzung überhaupt, grantelten, die „kleinen" hingegen natürlich dankbar nach dem gebotenen Strohhalm griffen. Vor den Kuratoren war, was die „endgültige" Aufhebung anlangte, nur von „zwei oder drei Hochschulen" die Rede, und auch dagegen sei man doch sehr - „alte Traditionen über den Haufen zu werfen" und augenblicklich („ewig" werde man ja mit einem armen Deutschland nicht zu rechnen brauchen) in seiner Existenz Bedrohtes „einfach zu beseitigen", dagegen habe sich schließlich auch der Führer gewandt. Im Dezember in Marburg499 mußte Wacker indes immer noch Gerüchten über die beabsichtigte Schließung von Universitäten oder über „Schrumpfungsprozesse" ausdrücklich entgegentreten: „Es ist nicht beabsichtigt, eine der bestehenden Hochschulen zu schließen." Drei Gründe führte er an: die Tradition, den Eindruck, den Schließungen im Ausland machen müßten, und drittens (das Jahr 1938 warf seine Schatten voraus) den notwendigen Bezug einer Hochschulplanung nicht auf die Grenzen des „in Versailles genehmigten Reiches", sondern auf den gesamten Volksdeutschen Raum. Eines Tages werde man vielleicht froh sein, all die „hohen Stätten der Wissenschaft" erhalten zu haben. Freilich werde man Einsparungen machen bei der Planung, im jetzt möglichen Reichsmaßstab sinnvoll konzentrieren, eine andere Aufgabenverteilung vornehmen Änderungen, wie sie schließlich auch Althoff schon gekannt habe, die indes unter „keinen Umständen" Fachschulen (Kriecks Steckenpferd) gebären und auch die Technischen Hochschulen nicht „auf den Stand von Fachschulen herunterdrücken" sollten. Und trotzdem ist dies noch auf der „Ersten Großdeutschen" Rektorenkonferenz im März 1939 Thema gewesen. Das „von Versailles genehmigte Reich" ist ja mittlerweile nicht mehr aktuell, jetzt ist der Blick klar dafür, daß die „im Laufe der letzten 600 Jahre" unter „verschiedenen Bedingungen und verschiedenen Interessen" entstandenen heutigen Universitäten und Hochschulen und ihre Lokalisierung „vom Gesichtspunkt des großdeutschen Raumes aus betrachtet alles andere als zweckmäßig" sind: Hier sind sie 149

eng „zusammengeballt", dort weit „auseinander gezogen", die eine ist noch die alte Universitas litterarum, die andere gehört zu den neuen Hochschultypen der Technischen, Forstlichen, Landwirtschaftlichen und so weiter Hochschulen - da werde die Planung Remedur schaffen. Bis das so weit gewesen ist, hat der Krieg, und das in zunehmendem Maße, andere Sorgen gebracht. Wer aber ist in den Jahren davor nun effektiv bedroht gewesen? Auf eine Kurzformel gebracht, kann man sagen: Die Kleinen und die Neuen. Alte MetropolitanUniversitäten wie Berlin und München oder später Wien haben sich keine Sorgen zu machen brauchen, Institutionen voll Tradition wie Heidelberg und Göttingen ebenfalls nicht. Daß Alter allein freilich keinen absolut sicheren Schutz gewährt hat, zeigt die Stimmführerrolle Marburgs für die Todes- und Schrumpfkandidaten auf den Rektorenkonferenzen: Daß es zusammen mit Gießen und Frankfurt auf der Todesliste stände („eine der drei"), erzählte man sich bereits 1934500. Auch Halle, Rostock und Greifswald hatten ehrwürdige Traditionen - und mußten trotzdem zittern. Ja selbst von Freiburg meinte501 man, es gehöre zu den „bedrohtesten" Universitäten des „ganzen Reiches". Greifswald zumindest war schon Anfang 1932 im Gerede gewesen502, und daß drei Jahre Drittes Reich wenig bewirkt hatten, der Pleitegeier eher noch hoffnungsvoller über den Schwachen kreiste, hat Gießens Oberbürgermeister erfahren, als er am 22. Februar 1936 Unter den Linden wegen der Zukunft seiner Universität vorsprach. Er bekam nicht sehr viel Erfreuliches zu hören: Die vorhandenen Mittel reichten weder hin, „die Versäumnisse der letzten zwanzig Jahre nachzuholen", noch zum Ausbau der Hochschulen entsprechend dem Fortschreiten der Wissenschaft. Addiere man den starken Rückgang der Einnahmen hinzu, sei in kurzem der Zeitpunkt erreicht, wo es nur noch zwei Möglichkeiten gäbe: Entweder einmalig 100 bis 150 Millionen Mark zu bekommen - oder aber abzubauen. Teillösungen wie die Einsparung einzelner Fakultäten seien dann jedoch noch weniger befriedigend als die Schließung ganzer Universitäten. Tröstlich aber: Gießen stände „durchaus nicht im Brennpunkt" und werde „zumindest nicht die erste Hochschule sein", die - falls es überhaupt dazu käme und der Führer seine Einwilligung gebe — geschlossen werden würde. Freilich: Würden in Hessen solche Maßnahmen nötig, käme Gießen „zweifellos" vor Darmstadt an die Reihe503. Gießen ist überhaupt nicht an die Reihe gekommen, doch ist - mit noch mehr Grund zwar in Halle und intensiver in Frankfurt - nirgendwo so lange gezittert worden wie dort 504 . Bereits im September 1933 zeigte sich ein Rektor, damals Heinrich Bornkamm, von einer zuständigen Stelle - es war der „Herr Staatsminister Jung" - ermächtigt zur Dementierung „unverantwortlicher Gerüchte" über eine geplante „Aufhebung der Landesuniversität Gießen". Aber schon ein halbes Jahr später tauchten diese „erneut in konkreter Form" auf, wie der Gießener Studentenschaftsführer seinem Reichsführer berichtete. Das war am 3. März 1934 gewesen, in einem Jahr, wo - wie wir noch sehen werden505 - in Berlin die ebenfalls bedrohten Frankfurter Nachbarn mit dem Florians-Finger auf Gießen zeigten. Am 10. September 1935 nahm (nur die Personen hatten unterdessen gewechselt) ein weiterer Brief den gleichen Weg: Das Reichserziehungsministerium habe „beschlossen, der juristischen Fakultät hier ab 1. April 1936 de facto ein Ende zu bereiten". Da die fünf Seiten Gegenargumente originär kaum den Köpfen der Kommilitonen entsprungen sein dürften, ist unser Interesse an dem, was sich Gießen und seine Juristen dazu haben einfallen lassen, wohl legitim. Fünf Argumentgruppen waren es. Erstens: Ohne Juristen sänke die Universität zur 150

Fachschule herab und verliere sie insbesondere „jede Möglichkeit, sich zur politischen Hochschule, zu der sie schon gute Ansätze gemacht" habe, zu entwickeln (Adolf Hitler hätte vermutlich laut gelacht - eine Entwicklung hin zur Politik nur mit Juristen möglich!). Zweitens: Die Einsparung sei minimal, betrügen doch die gesamten Sachausgaben (an den personellen änderte sich angeblich nichts) für Juristen, Theologen und Geisteswissenschaften zusammen ganze 21 000 Mark, die für Medizin und Naturwissenschaften hingegen satte 930 000. Drittens: Keine andere Universität und Fakultät sei so stark mit dem Land und der Bevölkerung verbunden, kaum irgendwo sonst habe es „weniger politische Reibereien" gegeben, sei das „kameradschaftliche Zusammenleben" so ideal. Viertens: Gießens große völkische wie wissenschaftliche Tradition - hier seien „bewußte Judengegnerschaft und der alldeutsche Gedanke" geboren worden, und gerade bei den Juristen hätte es so viele hervorragende und „vom landläufigen Liberalismus abweichende" Gelehrte gegeben. Fünftens schließlich: Gießen sei eine kleine Universität, wo sich der „Gedanke der universitas" also am leichtesten verwirklichen lasse, sei eine Hochschule, die „sich judenfrei gehalten" habe, gelegen in einer Arbeiter- und Landstadt, wo der Student wie kaum anderswo „sowohl Bauern, Soldaten wie auch Arbeiter kennenlernen" könne und ebenfalls „den harten soldatischen Geist". Zu guter Letzt aber eine weitere Empfehlung, die den mit den damaligen Überlegungen und mit den Gedankengängen in jenen Köpfen weniger Vertrauten etwas verblüfft: Gießen sei - neben Aschaffenburg — „der Ort, von dem aus strategisch der Rhein gewonnen und die Mainlinie allein gehalten werden" könne. Was für die Dislozierung eines Kavallerieregiments gut von Bedeutung gewesen sein könnte, während es als Begründung für den Standort einer Hochschule nicht so ganz einleuchtet. Sollte diese Argumentation für die Erhaltung einer Universität oder Fakultät trotzdem überzeugt haben, dann jedenfalls nicht sofort. Denn noch am letzten Novembertag verspricht Unter den Linden der Ministerialrat Klingelhöfer den Frankfurtern, die vor nicht allzu langer Zeit selbst noch heftig zu rudern hatten, jetzt aber aus dem Schneider sind, eine Verstärkung ihrer Rechtswissenschaftlichen Fakultät, wenn die in Gießen aufgelöst würde. Die Sache blieb dort, wo in jenem Regime (und nicht nur bei Rust) so vieles geblieben ist: in der Schwebe. Als am 29. Januar 1937 Punkte für die geplante Rektorenkonferenz angefordert wurden, antwortete Rektor Pfahler: „Seit 2 Jahren leidet die Universität unter Abzugsgerüchten und unter finanziellen Schwierigkeiten, die einem langsamen Abbau gleichkommen". Um „endlich Beruhigung zu schaffen", bedürfe es jetzt einer „vom Nationalsozialismus aus vollzogenen Entscheidung über das Schicksal der kleinen Universitäten". Sie ist dort nicht gefällt worden und später auch nicht. Im Lager Rosenberg hat Alfred Baeumler zwar im Rahmen der Erwägungen über die Posener Gründung kurz vor Jahresende 1939 angeregt 506 , Gießen oder Greifswald „oder auch vielleicht beide zusammen" nach dem Osten zu verlegen, und noch im Sommer 1940 konnte der Koblenzer Gauleiter Gustav Simon, als er - es wird davon gleich zu berichten sein - die „Wiedergründung der Universität Trier" betrieb, in Richtung Hitler melden, eine Möglichkeit der Verwirklichung sehe Rust in der Schließung Gießens, das nur noch eine „unbedeutende Hörerzahl" habe und in der „Nachbarschaft der Universitäten Frankfurt und Marburg nicht lebensfähig erhalten werden" könne. Das sind indes alles nicht ernsthaft aufgegriffene Ideen gewesen, gleichwohl ist - wie gesagt - nirgendwo länger gezittert worden als in Gießen. Außer vielleicht in Halle, das 1933 nur von seinem Gauleiter Jordan gerettet worden ist 151

und im Rahmen der Schwerpunktbildungen der vorgesehenen Hochschulreform im Sommer 1935 den Verlust seiner juristischen Fakultät hat bekanntgeben müssen507. Am 6. November nennt Rektor Woermann dem Gauleiter den 1. April 1936 als den vorgesehenen Termin der Schließung der Fakultät. Das aber ist dann offenbar doch nicht so heiß gegessen worden, wie man es gekocht hatte, denn noch im Sommersemester 1936 zeigen sich zwar, nachdem Woermann am 15. Januar am Schwarzen Brett der Universität bereits Entwarnung gegeben hatte508, Saaleuniversität und Saalestadt erneut durch ministerielle Schließungsabsichten beunruhigt, aber da sieht man wieder die Axt insbesondere an die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät gelegt, in deren Juristischer Abteilung von den acht Lehrstühlen gerade noch drei besetzt sind -so zumindest hat es sie also noch gegeben509. Es scheint das reinste Wechselbad gewesen zu sein und nicht allein die Juristen bedroht und das eine oder andere weitere Einzelfach, sondern die Hochschule selbst. Ende März 1936510 hat Rektor Woermann in seinem Rektoratsbericht ähnliche Sorgen ausbreiten müssen, wie sie die Gießener quälten: „Lange Zeit" sei „unsere Arbeit überschattet" gewesen von der Sorge um die Erhaltung der Universität. Wer hier einen Rückblick auf Vergangenes herauslas, hatte zwar recht, doch war die Sache noch längst nicht ausgestanden. Wie Woermanns anschließende Lobpreisung seiner Martin-LutherUniversität durchblicken läßt: „Nicht wegzudenken aus der Geschichte des deutschen Geistes", eine der ältesten preußischen Universitäten, „allezeit in ihrem Kern ein Hort nationaler Gesinnung", „Bewahrerin der Lehrstühle von Luther und Melanchthon". In der Rechnung, die ungefähr zur gleichen Zeit, im Dezember 1935/Januar 1936, in Berlin Hochschulabteilungsleiter Bacher aufstellte, war freilich von Luther und Melanchthon weniger und vom Geld mehr die Rede. Hier wurde auf den miserablen Zustand der hallischen Universitätsinstitute hingewiesen, die „nur mit sehr erheblichen Mitteln" auf einen neuzeitlichen Stand gebracht werden könnten. Lage und Größe der Stadt ließen einen Ausfall Halles „tragbar erscheinen", auch die (den Begriff kannte man damals schon, nur mit anderem Sinn) „Umweltverhältnisse" sprächen dafür sowie die „Massierung der Hochschulen im mitteldeutschen Raum". Mit diesen Hinweisen hatte Bacher bei seinen Leuten eine „Denkschrift zur Auflösung der Universität Halle" bestellt, die zur Vorlage beim Führer bestimmt war. Die Denkschrift und das sonstige Material sollten so angelegt sein, daß dieser, sollte er gegen die Auflösung entscheiden, „gleichzeitig" den Finanzminister anweisen mußte, größere Mittel zur Verfügung zu stellen. Für Bacher freilich war das angesichts der Umstände, nämlich des bis 1953 zu erwartenden weiteren Absinkens der Studentenzahlen, daneben aber auch des Aufbaus der Wehrmacht und der Höherbewertung nichtStudierter Berufe im nationalsozialistischen Staat, kaum mehr eine Frage des Ob, sondern nur noch eine des Wann. Und hier gedachte er ein schnelles Tempo vorzulegen und die Auflösung möglichst bald und in einem Zug durchzuziehen - den 1. Oktober 1936 hatte er schon ins Auge gefaßt. Es störte daher Unter den Linden, als Rektor Woermann Anfang 1936 ein Abwehrmanöver unternahm. Am 8. Januar war im Berliner Tageblatt zu lesen, was eine Woche später am Schwarzen Brett stand: Woermann sei „von zuständiger Stelle" zu der Erklärung ermächtigt worden, daß eine Auflösung der Universität Halle oder von „Teilen derselben" nicht beabsichtigt sei. Bacher suchte nach Schuldigen - er jedenfalls habe Woermann „in letzter Zeit mehrfach" erklärt, daß diese Frage augenblicklich weder positiv noch negativ endgültig entschieden werden könne, und „unter allen Umständen" seien „diese 152

Dinge" weiter vorzubereiten und einwandfrei „zahlenmäßig" zu untermauern. Die Hallenser sind offenbar schlauer gewesen. O b Rosenberg nun schon hinter jener Erklärung Woermanns gesteckt und den hallischen Rektor ermutigt hat, obwohl er ja erst Anfang 1938 offiziell bei „Martin Luther" eingestiegen ist511 - jedenfalls hat Göring, von den verängstigten Hallensern ebenfalls als Nothelfer umworben, im März erklärt, die Universität Halle werde nicht geschlossen 512 . Daß nach dem ganzen Hin und Her keiner mehr hundertprozentig daran glaubte, beweisen die auch weiterhin abgegebenen Versicherungen - etwa noch Mitte November 1937 des neuen Honorarprofessors Oberbürgermeister Weidemann in seiner Antrittsvorlesung, die Universität bleibe unter allen Umständen unangetastet 513 . Dann aber, 1938, kam ja die Schirmherrschaft Rosenbergs und damit endlich einigermaßen Sicherheit. In Gefahr allerdings ist Halle-Wittenberg nach der Vergrößerung des Reiches und mit dem Schwinden des Rosenbergschen Prestiges doch noch einmal gekommen. Im Januar 1940514 gab es da „Gerüchte", die an Halles Gauleiter Eggeling, Nachfolger des 1937 nach Dessau versetzten Rudolf Jordan, „herangetragen" worden waren und die dieser, sonst „mißtrauisch" gegenüber Gerüchten, „unter den obwaltenden Umständen" als durchaus im Bereich des Möglichen liegend beurteilte. Es handelte sich um das, was wir ja schon von Gießen her wissen: Die Universität Halle sollte nach Posen verlegt werden! Mit einem gequälten Aufschrei wandte sich Eggeling an Hess und an den Protektor der Martin-Luther-Universität Alfred Rosenberg, dessen Belange damit ja ebenfalls tangiert waren und der dann auch prompt „uneingeschränkt" zustimmte und seinerseits bei Hess gegen einen solchen „öffentlichen Affront gegen einen Reichsleiter der N S D A P " protestierte. Welche Umstände aber obwalteten denn nun? Schon 1933, erinnerte Eggeling, sei schließlich die Absicht verfolgt worden, Halle aufzulösen; erst das Eingreifen des Gauleiters Jordan bei Göring habe das ja damals rückgängig gemacht. Und jetzt sei es wieder so weit, er habe die Empfindung, daß das Reichserziehungsministerium, „und zwar besonders der Beamtenkörper" (damit war Rust also freigesprochen), aus „sehr naheliegenden Gründen" gegen die Universität Halle eingestellt sei. Die Ministerialbürokratie nämlich sei „tief empört darüber", daß a) die Partei sich hier zum ersten Male sehr aktiv und mit erheblichen Erfolgen „um eine Universität gekümmert" habe, daß b) ein Reichsleiter, nämlich der Parteigenosse Rosenberg, „hier besonders aktiv in Erscheinung" getreten und daß c) hier zwischen Wissenschaft und Partei ein „besonders gutes Verhältnis gegeben" sei, weshalb sie, die Ministerialbürokratie, „ein Schwinden ihres Einflusses" fürchte. Daher, so fuhr Eggeling fort, nehme er an, daß diese Bürokratie, falls eine Universität in den Osten verlegt werden sollte, „das in ihren Augen ungezogene Kind Halle hierfür in Aussicht nehmen würde". Was ihn in seiner Stellung als Gauleiter treffen würde, was aber auch Reichsleiter Rosenberg als „gegen ihn gerichtete Handlung empfinden" müßte. Hess brauchte indes nicht, wie erbeten, seinen „ganzen Einfluß" für die „im Brennpunkt des weltanschaulichen Kampfes" stehende Universität Halle einzusetzen. Von einer Verlegung Halles, so ließ er Anfang März antworten, sei ihm nichts bekannt und sei auch in den Verhandlungen mit dem Ministerium über Posen niemals die Rede gewesen. Von Halle weiter nach Rostock 515 . Von dort kam ja bekanntlich Bacher, und so wußte Kreisleiter Volgmann einen Ansprechpartner mit sowohl Kompetenz wie Sympathie, als er Anfang April 1935 von maßgebender Seite erfuhr, „seine" Universität werde „höchstwahrscheinlich zugunsten anderer eingehen müssen". Alles Unsinn, antwortete der Leiter der Hochschulabteilung, „völlig aus der Luft gegriffen", noch nicht einmal „eine De153

batte über eine solche Frage" sei im Ministerium eröffnet worden. „Für die nächste Zeit" käme eine „Schließung von Volluniversitäten" sowieso nicht in Frage, und bei „evtl. späteren Schließungen" würde Rostock „unter keinen Umständen in erster Linie" dazugehören. Die hier gebrauchte Vokabel „Volluniversität" war ein Schlüsselwort. Denn daß eine Schließung auf dem Wege über eine stückweise Amputation der „Volluniversität" am lautlosesten zu bewerkstelligen sei, war damals eine in Deutschlands Rektoraten verbreitete Überzeugung. „Volluniversität" zu bleiben schien daher eine Lebens- und Uberlebensfrage zu sein. Wie Gießen um seine Juristen gekämpft hatte, wird sich Rostock 1937/38 für seine Pharmazeuten in die Schanze schlagen - und beide voller Argwohn, daß hier der gesamten Universität zur gefälligen späteren Bedienung der Strick schon immer einmal um den Hals gelegt werden sollte. Bei den Juristen mochte das stimmen, bei den Pharmazeuten sicherlich nicht. Die Konzentrierung des relativ teuren pharmazeutischen Studiums durch Ausjäten der im feudalistischen Wildwuchs entstandenen pharmakologischen Institute war eine nicht nur Gießen betreffende Maßnahme sehr wahrscheinlich ohne Hintergedanken - eine der wenigen, die es in dieser Richtung tatsächlich gegeben hat, wo doch Frequenz und Finanzlage weit mehr erfordert hätten. Mecklenburg jedenfalls protestierte in Berlin, Studentenführer, Kultusminister und Gauleiter. Ersterer meinte - von der hier beabsichtigten „langsamen Abdrosselung einer kleinen Universität" überzeugt - , wenn man denn unbedingt glaube, etwas schließen zu müssen, dann solle man doch die Theologie nehmen und „uns von den Elementen befreien, die für jede Aufbauarbeit untragbar sind" (wie später belegt werden wird, war Rostock neben Marburg die hervorragende Bekenntnis-Zitadelle), und nicht gute Kräfte wie die Pharmazeuten. Der Stellvertretende Gauleiter v. Koerber konnte Rust, als man am 9. November 1937 gemeinsam zur Feldherrnhalle marschierte, wenigstens die Zusage einer nochmaligen Prüfung abringen. Mit einem „weitere Einsparungen" fordernden Finanzministerium konfrontiert, war das Ergebnis nicht zweifelhaft, - „es hat bei der Regelung bleiben müssen", vermerkte Rust am 12. Februar 1938. Weitere Folgen aber hat die Amputation nicht gehabt. Von den Ängsten der Kleinen nun zu den Sorgen der Neuen, der, wie man das sah, vom oder zumindest im „System" errichteten Universitäten - errichtet natürlich in den marxistisch verseuchten Großstädten, zum großen Teil für deren Söhne und Töchter, welche Förderung von Anonymität und Absonderung die neuen Herren sowieso nicht schätzten. Studenten sollten nicht zu Hause wohnen, sondern, bequem zu überwachen und zu indoktrinieren, in Gemeinschaftshäusern, wie sie nun, meist in den Häusern der Verbindungen, eingerichtet wurden - und lieber in Heidelberg als in Hamburg. Dort 516 hatten die Existenzsorgen bereits im Schatten der bevorstehenden nationalsozialistischen Machtergreifung eingesetzt. Über „Kulturabbau in Hamburg" berichtete am 30. November 1932 die Tägliche Rundschau: Allen Versicherungen und Dementis zum Trotz sei die „Universität Hamburg bedroht". „Gewisse Kreise" arbeiteten an ihrem Abbau - für die schwarz-weiß-rote „Rundschau" sind das natürlich in erster Linie die Sozialdemokraten in ihrer Enttäuschung über den Rechtsdrall an der von ihnen aufgebauten, verhätschelten und „mit Lehrstühlen überschütteten"517 Hochschule. Um so beachtlicher, daß die „Rundschau" trotzdem nicht von „Treibereien" sprechen wollte, man müsse an dieses Problem der Not ohne Sentimentalität herangehen. „Größte Sorge" machte sich auch die nationalsozialistisch beherrschte Studentenschaft unter ihrem Vorsitzer Heinrichsdorff, doch sei man „gewillt, die Hamburgische Universität zu halten". 154

Diese Diskussion ist über Hitlers Machtergreifung hinaus aktuell geblieben518, und es ist darüber ein Schriftwechsel geführt worden und erhalten geblieben, der zeigt, wie recht Gutzkows Ben Akiba hat. Am „5. Hornung 1934" hat sich der Göttinger Student Ernst Alpers in Hamburg erkundigt, was denn eigentlich los sei: Er möchte gern in Hamburg promovieren, aber mal heiße es, die hamburgische Universität werde Reichsuniversität ein andermal, sie würde geschlossen. In ihrer Antwort konnte die Hochschulbehörde auf eine Erklärung des Regierenden Bürgermeisters vom Vorjahre verweisen, wonach die Universität Hamburg unter allen Umständen erhalten bleiben solle. Diese Antwort und der Senatsbeschluß vom 15. Mai 1933 zum gleichen Thema sind nun freilich nicht etwa public-relations-Maßnahmen gewesen, sondern standen vor dem Hintergrund einer harten Auseinandersetzung in jenem Frühjahr - Hochschulbehörde und Universität auf der einen Seite, Finanzdeputation und insbesondere Rechnungsamt auf der anderen. Die letztgenannte Partei räumte zwar ein, daß im Verhältnis zu anderen Etatposten die durch eine Aufhebung der Universität zu erzielenden Einsparungen relativ gering seien. Eine leere Staatskasse müsse indes jede Möglichkeit ergreifen und werde dabei immer „zunächst auf Beseitigung derjenigen Einrichtungen verfallen, deren Eingehen für die Allgemeinheit am erträglichsten" sei. Am ehesten aber könne die Allgemeinheit auf Einrichtungen verzichten, die „nur einem verhältnismäßig beschränkten Kreise der Bevölkerung zugute" kämen - „vorwiegend gerade Hochschulen", dann auch „Theater usw.". Diese an sich völlig richtigen und logischen Überlegungen lösten selbstverständlich auf der Gegenseite, auf dem Kultursektor, wo man sich immer und selbst marxistischen Erkenntnissen von Bau und Uberbau zum Trotz liebend gern für den Nabel der Welt hält, bittere Empörung aus. Adolf Rein, damals bei der Hochschulbehörde beschäftigt, stellte am Rand des Schreibens die rhetorische Frage: „Für wen existiert die Wissenschaft?", doch hat das, was dann kam, sogar ihn, den Wortgewaltigen, beinahe sprachlos gemacht. Die „Proletarisierung des Akademikertums", so nämlich hatten die Leute mit dem Rechenstift ihren Faden weitergesponnen (und der nun folgende Satz hat wohl die Qualität anhaltender Gültigkeit), sei „zum nicht geringen Teil Folge einer zu weitherzigen Schaffung von Bildungsmöglichkeiten". Hierzu aber habe „ganz besonders auch die Neuerrichtung großstädtischer Universitäten nach dem Kriege in unerwünschter Weise beigetragen", und wolle man „das Übel bei der Wurzel fassen", gälte es, diese „heute mehr als jemals für das deutsche Geistesleben entbehrlichen Hochschulen wieder zu beseitigen". Speziell in Hamburg sei die Gelegenheit jetzt einmalig günstig, wo doch der Lehrkörper durch Emeritierungen, Todesfälle und so weiter gerade recht geschrumpft sei. Die Gegenargumente der Wissenschaftsverwalter klangen reichlich lahm. Da wurde eine Kostenrechnung aufgemacht, wie preiswert die Universität Hamburg mit ihren 1,95 Millionen netto519 dem Steuerzahler doch käme gegenüber etwa in Preußen Münster (2,79), Kiel (3,32), Göttingen (3,76) und Halle (3,94), von Breslau (4,38) oder gar der deluxe-Ausführung Berlin (8,76) ganz zu schweigen. Dann wurde vorgehalten, daß die auf die Straße gesetzten Professoren nicht so ohne weiteres in auswärtigen Universitäten würden untergebracht werden können und somit die hamburgische Staatskasse weiter mit Warte- oder Ruhegeldern belasten würden. Bereit erklärte man sich jedoch, an den Lehrkörper zu appellieren, die „Forderungen für die Entschädigung der wissenschaftlichen Arbeit" möglichst herabzusetzen. Und dazu hieß es, offensichtlich in vollem Ernst: „Da die Auswahl des Lehrkörpers sich auf Männer beschränken wird, die den Eigennutz 155

dem Allgemeinwohl unterordnen, ist mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, daß hier Erfolge zu erzielen sein werden." Auch versprach man, von der bisherigen „Massenabfertigung" abzugehen und nur noch eine qualitative „Auswahl der deutschen Jugend" zuzulassen. Vor allem aber schlug man auf die lokalpatriotische Pauke: Eine Aufhebung würde nicht nur auf „leidenschaftliche Gegnerschaft der hamburgischen deutschbewußten Kreise" stoßen, sondern darüber hinaus einen Verzicht bedeuten, an der „Neugestaltung der besten Kräfte des deutschen Volkes mitzuwirken", und draußen in der Welt den Anschein erwecken, „als ob im Hanseatentum durch die nationale Revolution der Geist ausgeschaltet werden sollte". Die Finanzexperten haben die Möglichkeiten gerade eines populistischen Regimes gewaltig überschätzt. Wo 1944 noch Theater spielten, sind sie 1933 ganz gewiß nicht geschlossen worden, und wo 1944 noch Katheder bestiegen wurden, hat man sie 1933 bestimmt nicht beiseite geräumt. Solange noch eine einzige Notenpresse betriebsbereit im Keller der Reichsbank stand, hielt sich die Bedrohung der Hohen Schulen in Grenzen. Und die wirtschaftliche Entwicklung hat ja dann auch tatsächlich Luft geschafft - wären die Rüstungsanstrengungen nicht gewesen, vielleicht sogar auf solider Basis. Jedenfalls war die Sache damit ausgestanden, und Bürgermeister Krogmann konnte vor Bürgerschaft und Senat erklären, daß eine Schließung der Universität aus finanziellen Gründen nicht in Frage komme, nur eine teilweise Umwandlung und Einschränkung der Aufgaben. Daraufhin ist dann der Senatsbeschluß vom 15. Mai ergangen, von einer Aufhebung der Universität abzusehen. Daß freilich Gerüchte gewöhnlich langlebiger sind als die Fakten, die sie gezeugt haben, ist im vorliegenden Fall bereits durch jenen Brief des Göttinger Studiosus gezeigt worden. Damals, Ende Februar 1934, hat das Hamburgische Staatsamt das Propagandaministerium gebeten, der Presse bei der Erörterung des Themas „Großstadtuniversität" eine Namensnennung zu untersagen, und eine entsprechende Anweisung ist dann auch tatsächlich ergangen. Im März 1934 hat die Presse 520 die Gerüchte der letzten Wochen über Umgestaltung, Zusammenlegung und Schließung einzelner deutscher Universitäten dementiert - vollmundig und brutal, wie es jetzt Usus war: Im nationalsozialistischen Deutschland sei in dem kurzen Zeitraum eines Jahres schon so viel kulturelle Aufbauarbeit geleistet worden, daß solche Gerüchte sich selbst Lügen straften, - wer sie künftig noch verbreiten sollte, mache sich der Sabotage am deutschen Aufbauwerk schuldig und dürfte eine „seiner Handlungsweise Rechnung tragende Behandlung erfahren". Daß freilich völlig die Angst nie gewichen ist, zeigt erstens ein Argument, das Rein, nunmehr Rektor, am 27. August 1935 gebraucht hat521, als er seinen Vize Goerttler in Hamburg zu halten suchte: In einem Weggang könnte eine „Bejahung der Berliner Äußerungen" gesehen werden, die Universität Hamburg sei „nicht gesichert und nicht entwicklungsfähig". Und das zeigt zweitens die nervöse Rückfrage der Hamburger noch am 16. Februar 1937 in Berlin hinsichtlich des - ganz oder teilweise - Fortbestandes ihrer Hochschule, als in der Reichshauptstadt die Auslandshochschule gegründet wurde; die Eierschalen des alten Kolonial-Instituts waren nicht so einfach abzustreifen. Das Reichserziehungsministerium ermächtigte am 4. Mai ausdrücklich zu der Feststellung, daß eine Aufhebung der Hamburger Universität nicht beabsichtigt sei. Nun nach Köln, in die zweite der „für das deutsche Geistesleben entbehrlichen" Großstadtuniversitäten des Nachkriegs. Eine Rechtfertigung dessen, daß Magnifizenz Leupold - er wie auch seine Dekane kein alter Nationalsozialist, sondern erst nach dem 30. Januar „hundertprozentig auf die NS-Linie eingeschwenkt" - der erste Gleichschal156

tungsrektor im Reich gewesen ist, sieht eine Studie über die Universität Köln 5 2 2 in der „begründeten Befürchtung, die politisch .unsichere' Kölner Universität könne geschlossen werden". Nun ist in der Tat die Tendenz zum Umfallen an den nicht bedrohten Hochschulen, allerdings kaum meßbar, geringer gewesen, und man wird das Erwachsen der Kölner Pionierrolle aus der Bedrohung und den damit zusammenhängenden Ängsten ohne einen dagegen sprechenden Anhaltspunkt nicht bestreiten wollen. Offenbar fehlt bis auf den heutigen Tag eine gründliche Dokumentation des frühen Kölner Ringens um die Existenz, so daß wir wieder auf stud. phil. Ernst Alpers in Göttingen als Zeugen zurückgreifen müssen, der in seinem erwähnten 523 Schreiben vom „5. Hornung 1934" neben Hamburg Köln als eine weitere Universität genannt hat, von deren Schließung gesprochen werde. Auch der Kölner Universitätshistoriker Golczewski 5 2 3 ' schreibt nur von einer Schließungsabsicht angeblich Görings (der hier bei diesem Thema erstmalig auftaucht), die Anfang November 1933 „wohl endgültig aufgegeben" worden sei. Anfang jenes Monats habe in Godesberg eine Unterredung zwischen Rust, Grohe, Winkelnkemper und Oberbürgermeister Riesen stattgefunden mit dem „Ergebnis" (also doch nicht Göring?), die Universität Köln solle „voll und ganz erhalten bleiben". Was das Ministerium Mitte 1934 noch einmal bestätigt habe. Für 1935 hingegen gibt es im dortigen Universitätsarchiv eine Akte 524 über die Abwehr einer Bedrohung, welche die Kölner Universität politisch in einem erfreulichen Licht zeigt. Das Spiel setzte ein Ende Juni, als das Reichserziehungsministerium (oder aber, das geht aus der Akte nicht hervor, zwei Referate des Amtes Wissenschaft unabhängig voneinander) der Kölner Universität und - als Staatskommissar beziehungsweise Kuratoriumsvorsitzender zuständig und ihr eng verbunden - dem Kölner Gauleiter Grohe sowie dem Kölner Oberbürgermeister Riesen folgende geplante Einschränkungen eröffnete: Die Herausnahme der vorklinischen Fächer aus der Kölner Medizinischen Fakultät und deren Übertragung nach Bonn und vice versa die Übertragung des Bonner Klinikums nach Köln. An sich ein durchaus akzeptables Geschäft, und die Kölner Weherufe wären denn wohl auch maßvoll geblieben (Rektor v. Haberer: „Schon waren wir geneigt zuzustimmen..."), hätte nicht - zweitens - auch hier wieder die juristische Fakultät geschlossen werden sollen. Handelte es sich nun bei der Aktion im medizinischen Bereich vermutlich um eine von den Finanzen diktierte Rationalisierung, so hat die juristische Amputation einen politischen Hintergrund gehabt. Karl August Eckhardt, Fachreferent Rechtswissenschaft Unter den Linden, jedoch - das darf man wohl nicht übersehen - aus Bonn, von der Konkurrenz also, herkommend, hat sich gewundert, daß die Kölner die „absolute Notwendigkeit" der Entpflichtung der Herren Ex-Rektor Ebers, Franz Haymann und Ludwig Waldecker (der Finanzwirtschaftler Fritz Karl Mann kam noch hinzu) nicht einsähen und „eher diese Herren länger ertragen als den in einer Verkürzung liegenden Prestigeverlust in Kauf nehmen" wollten - wo doch Rust ganz im Gegenteil glaube, der Universität Köln mit jenen Entpflichtungen „einen großen Dienst geleistet" zu haben. Die Einzelheiten bleiben hier zwar noch im Dunkel, das Faktum der politischen Einfärbung jedoch ist bereits erkennbar. Und sie wird noch deutlicher werden. Was ist geschehen? Alles, was Köln mobilisieren konnte (war doch der „nationalsozialistische Aufbauwille" in dieser „geistigen Grenzwarte im Westen" ungestüm), ist zur Abwehr der Gefahr auf die Barrikaden gebeten worden. Das Menetekel des AkademieSchicksals Düsseldorfs erscheint hinter der medizinischen Front, schlimmer noch aber wäre das völlige Aufrollen der Universität, sollte der Einbruch bei den Juristen nicht ab157

geriegelt werden können. Denn darin sieht man einen „erheblichen Defekt", auch infolge der engen Berührungen mit der Philosophischen Fakultät, die also in einem solchen Falle schwer mitbetroffen würde. Statt, wie es eigentlich erforderlich wäre, eine EvangelischTheologische Fakultät zu eröffnen, sieht sich Köln wieder in die Zeit vor dem Universitätsvertrag zwischen der Stadt und Preußen vom 29. Mai 1919 zurückgeworfen: Aus sei es dann mit der Universitas, umsonst wären all die Opfer der Bürgerschaft gewesen, zurückgestutzt würde man auf eine Wirtschaftswissenschaftliche Hochschule mit ein paar Anhängseln in Form einer amputierten Medizinischen und einer angeschlagenen Philosophischen Fakultät (gegen, der Blick rheinaufwärts fehlt in Köln selten, fünf Fakultäten in Bonn). Briefe werden zwischen den in Frage kommenden Stellen en masse gewechselt, und die Angelegenheit erreicht ihren Höhepunkt, als voll Hoffnung, „daß der Leidenskelch an uns vorübergeht", am 2. August 1935 im Hotel Kaiserhof in Essen die Gauleiter Terboven (als Oberpräsident der Rheinprovinz) und Grohe, Oberbürgermeister Riesen, Rektor Hofrat v. Haberer sowie Winkelnkemper als Geschäftsführender Vorsitzender des Kuratoriums mit Rust zusammentreffen - anschließend fährt man noch ein bißchen mit dem Dampfer. Als die sechs Herren vom Minister schieden, konnten sie zwar nichts Handfestes mit nach Hause nehmen, aber doch wenigstens die auf der Dampferfahrt gegebene Zusage Rusts, keine Entscheidung zu treffen ohne nochmalige vorherige Erörterung des ganzen Fragenkomplexes mit Grohe, Riesen und v. Haberer. Und es kam, wie es kommen mußte - keine „nochmalige vorherige Erörterung", sondern am 28. August Briefe Eckhardts nach Köln, welche die Entscheidung seines Ministers eröffneten: „Als solche" bleibe die Rechtswissenschaftliche Fakultät von Köln erhalten, aber vorerst lediglich für die ersten bis vierten Semester. Mithin könne auf Dozenten für Antike und Römische Rechtsgeschichte, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, Zivilprozeß- und Vollstreckungsrecht, Kirchenrecht, Internationales Privatrecht und Rechtsphilosophie „bis auf weiteres" verzichtet werden; vier Lehrstühle, nämlich Planitz, Nipperdey, Coenders und ein noch zu berufender Staatsrechtler, eventuell Hamel aus Greifswald, Parteigenosse von 1932, dürften für die ersten Studiensemester ausreichen. Eine „Wiederergänzung der Fakultät", den Aufbau einer „politisch einwandfreien Vollfakultät", hoffe man in zwei bis drei Jahren durchführen zu können. Damit hat der Referent, selbst einer der bedeutendsten Juristen seiner Zeit, die Katze aus dem Sack gelassen: Diese ganze komplizierte Operation wie auch die zuvor angedrohte völlige Aufhebung der Fakultät hatte offenbar den primären, wenn nicht überhaupt einzigen Zweck, eine Reihe mißliebiger Professoren beseitigen zu helfen - so etwa, wie man eine Baracke verbrennt, die von Wanzen befallen ist. Sind etwa, so muß man sich nun fragen, die beiden anderen Aktionen ähnlich motiviert gewesen? Das Gesetz zur Neuordnung der deutschen Hochschulen hatte ja die Grundlage geliefert und war Ausgangspunkt gewesen; seitdem und seit der Münchener Akademie-Tagung der deutschen „Rechtswahrer" waren die Gerüchte umgegangen, wonach das Ende der Fakultäten in Halle, Gießen und Köln bevorstehe. Und das hat sich dann ja auch, ganz oder teilweise, bewahrheitet. O b dieser Teil der „Reform", die angebliche rationelle Schwerpunktbildung, vielleicht nichts weiter als Bluff gewesen ist und besser in das Kapitel „Säuberung" gehört, und was man, nun einmal mißtrauisch geworden, auch von dem Rest des „Reformwerkes" halten soll, diese Fragen werden uns hier noch beschäftigen. Doch zurück zu der Kölner „Baracke". Es wäre nun schön, könnte man eine Beteili158

gung der Universitäts- und Fakultätsleitung an dieser „Barackenverbrennung" eindeutig ausschließen. Wie die Dinge aber liegen, läßt eine zuvor, das heißt vor jener Entscheidung, geäußerte Bitte des Dekans Heinrich Lehmann (mit einem Ruf ans sichere Ufer, nach Leipzig, in der Tasche Liquidator ohne eigenen Einsatz) Schlimmes befürchten - die auf die bloßen Sachwerte beschränkte Bitte nämlich, die Institute und Seminare zu erhalten, damit sie bei der Wiedereröffnung noch vorhanden seien und nicht „erst von Grund auf neu aufgebaut werden" müßten (an sich selbst aber hat der brave Mann wenigstens gedacht: Bei der Wiedereröffnung sollte ihm doch bitte sein bisheriges Ordinariat „wieder angeboten" [!] werden). Vor den Betroffenen jedenfalls haben die akademischen Behörden die Camouflage so gut und so lange wie möglich aufrechterhalten. Waldecker etwa525, auf einem Lehrstuhl für Öffentliches Recht und erst 1934 im Rahmen des Umbaus der juristischen Fakultäten („Stoßtrupp-", normale und Wartezellen neben dem elektrischen Stuhl) von Breslau nach Köln gekommen, hat erst am 9. September 1935 erfahren, daß die „organisatorischen Gründe" für eine Aufhebung seiner Fakultät eng mit der „Entfernung einer Anzahl von Professoren" verbunden wären „und daß in diesem Zusammenhang auch mein Name eine Rolle spiele". Er hat daraufhin umgehend Rektor v. Haberer ermächtigt, bei der „Schlußverhandlung in Berlin" am 10. September die Erklärung seiner Bereitschaft zum freiwilligen Rücktritt abzugeben, „wenn dadurch die Fakultät als solche gerettet werden könne". Das Ministerium hat das abgelehnt, und ein paar Tage später hörte Waldecker von „Auffassungen hinsichtlich meiner Persönlichkeit, wie sie bei der Verhandlung [in Berlin] als für meine Zwangsentpflichtung kausal bezeichnet worden" seien. Seine Rechtfertigung und Richtigstellung auch nur zu den Akten zu nehmen, hat Eckhardt sich geweigert: Politische Entscheidungen könnten „nun einmal auf die persönliche Anständigkeit" keine Rücksicht nehmen526. Und Waldeckers Bitte, ihm „mit Rücksicht auf meine Vergangenheit" einen anderen Abgang zu ermöglichen (nämlich die Rückversetzung an die staatlich-preußische Universität Breslau und dortige Entpflichtung), erledigten die Dienstherren dadurch, daß sie ihm am 19. durch die Post die Zwangsentpflichtung zustellen ließen. Zu diesem Zeitpunkt war der nach Eckhardts Briefen vom 28. August zu erwartende Schlagabtausch bereits abgeschlossen. Der Oberbürgermeister war der Wortführer bei diesem Protest gewesen, der nach angemessener Empörung über die nicht eingehaltene Zusage (dazu dann Eckhardt: Zugesagt worden sei eine nochmalige Verhandlung vor einer Auflösung der Fakultät - das aber sei ja keine) das Fazit zog: Kein nennenswerter Gewinn, ja in der Auswirkung praktisch genau dasselbe wie eine Auflösung, hätte man doch die ersten vier Semester und die dazugehörigen vier Lehrstühle mit Rücksicht auf die Wiso-Fakultät sowieso behalten müssen. Welch ein „ungeheurer Prestigeverlust" aber für den Nationalsozialismus, wenn die Universität Köln, die „vom alten System nicht fertiggebracht wurde", nunmehr „von der nationalsozialistischen Reichsführung nicht mehr durchgehalten würde" - er und v. Haberer würden bei Rust, ja bei Hitler selbst vorsprechen. Das jedoch war nicht nötig. Es kam nämlich, wie Eckhardt am 17. September erfreut und abschließend feststellte, zu einer Lösung, die „allseitig" zufriedenstellte. Selbstverständlich, so hatte Eckhardt nach Köln geschrieben, sei es „auch dem Herrn Minister dringend erwünscht, wenn die juristische Fakultät Köln aus eigener Kraft den vollen Lehrbetrieb aufrechterhalten" könne - nach dem gewaltigen Aderlaß also. Und das konnte sie oder gab sie jedenfalls vor zu können. Lehmann schlug den „verlockenden 159

Leipziger Ruf" aus und blieb in Köln, ebenfalls Gotthold Bohne, und Hamel sollten sie ja als Staatsrechtler „zunächst vertretungsweise" dazubekommen 527 . Und so gedachte man sich die zwei Jahre Vakanz zu behelfen, die nach dem Hinauswurf der drei Kollegen nach §4 B B G (Fortfall des Lehrstuhls als Voraussetzung) unumgänglich waren, wollte man das Gesetz nicht völlig „zur Farce" machen. Alles ist nun selig, die Briefe triefen nur so von Glück und Dank und Komplimenten: Haberer an Eckhardt und Eckhardt an Haberer, dem als einem „wahren Rektor der Universität" auch die juristische Rumpffakultät, bestehend aus Lehmann, Bohne und Nipperdey, am 14. September ihre „uneingeschränkte Bewunderung" ausdrückt: „Ohne Sie und Ihr Eingreifen wäre das Schicksal der Fakultät besiegelt gewesen." Und die Presse verkündet dann am 21. die Durchführung des juristischen Studienbetriebs in Köln „wie bisher in vollem Umfange"; die von der Pressestelle der Universität herausgegebene N o tiz hat so getan, als habe es sich lediglich um haltlose „umlaufende Gerüchte" gehandelt, und die Kölnische Zeitung bekommt sogar Ärger mit der Universität, weil sie eigenmächtig den Vorhang etwas beiseite geschoben hat. Ebenfalls am 21. sowie am Tag darauf erfolgen die (mit Mann) vier Emeritierungen unter Fortfall der Lehrstühle. Derart gerupft, aber im übrigen wohlbehalten, ist die Universität Köln damit aus der Schußlinie gelangt. Jahre später wird dann der abenteuerliche Plan ihrer Verlegung ins holländische Leiden und ihrer Zusammenlegung mit der dortigen Universität erwogen werden - sie wird uns in jenem Kontext wieder begegnen. Der dritten der gefährdeten Nachkriegs-Großstadtuniversitäten ist damals am ärgsten mitgespielt worden. Nach dem letzten Kriege hat, neben anderen Berichten darüber, der ehemalige Frankfurter Kurator Wisser, Riezlers Nachfolger, die ganze Aktion so dargestellt 528 , daß die Nationalsozialisten eine Universität im Osten neu hätten einrichten und dafür eine dieser drei „im Westen" schließen wollen; nachdem Hamburg, Köln und Frankfurt ins Auge gefaßt worden wären, sei die Entscheidung schließlich zuungunsten von Frankfurt gefallen. Dazu ist zu sagen, daß der Schwerpunkt „Osten" zwar völlig richtig ist 529 , daß aber in den Akten nichts über eine solche Neugründung in jener Zeit enthalten ist, wohl aber das Drängen der Finanzverwaltung auf Einsparungen durch Schließung. Man wird also vermuten dürfen, daß dieses „hier eine weg, dort eine hin" über Erwägungen kaum hinausgediehen ist, zutreffend aber ist auf jeden Fall die „zuungunsten von Frankfurt" gefallene Entscheidung. Und dafür bot sich Frankfurt ja auch in verschiedener Hinsicht an. Erstens, was die Studentenzahlen anlangte. Im Oktober 1935 hat das Statistische Amt der Stadt Frankfurt eine Rechnung aufgemacht 530 , wonach zwischen den Studienjahren 1931/32 und 1935/36 im Durchschnitt sämtlicher deutscher Universitäten die Abnahme dreißig Prozent, in Frankfurt hingegen weit über die Hälfte betragen hatte - genau von 3907 auf 1661 ohne Beurlaubte und von 4570 auf 2019 mit diesen. Wobei Ursache und Wirkung natürlich austauschbar waren: Weil weniger Studenten kamen, wurde die Schließung bedrohlicher, und weil die Schließung drohte, kamen weniger Studenten. Noch einladender mußte ein Blick auf den Lehrkörper wirken. Wie Goebbels sich einmal bei einer tour d'horizon über das deutsche Kulturleben vor der Machtergreifung entsetzt hat, so mochte es auch den braven Nationalsozialisten bei der Betrachtung der Frankfurter Universität in den Jahren 1933/34 überkommen: „Wo man hinsieht-Juden, nichts als Juden." Und nicht nur die „eigenen" - es wird bei der „Säuberung" der Hochschulen noch im Zusammenhang darzustellen sein, wie diese Kumulierung im Fall Frankfun nicht zuletzt auch das Ergebnis eines Anfangskapitels nationalsozialistischer 160

Hochschulpolitik gewesen ist531. Gerhart Husserl aus Göttingen, James Goldschmidt und Fritz Schulz aus Berlin, Heinrich Hoeniger aus Kiel (von dort auch Richard Kroner in die Philosophische Fakultät), Eugen Rosenstock-Hüssy aus Breslau - das waren allein fünf Juristen, die im Frühjahr 1934 - Krieck, bestürzt: 5 Juden auf einen Schlag! 532 - an die Stiftungsuniversität Frankfurt versetzt worden sind - nach § 5 B B G , also „im Interesse des Dienstes". Und ihnen allen schwante Böses, hatten sie doch nunmehr einzig und allein noch Ansprüche an die Stiftung und nicht mehr an den preußischen Staat. Das ginge doch nicht an, reklamierten Rosenstock, Schulz und Hoeniger: Bei der Annahme einer Berufung sei dies ja der freie Wille des Betreffenden, und nähme er den Ruf an, kontrahiere er eben mit der Stiftung Frankfurt, bei einer Versetzung „im Interesse des Dienstes" aber, ohne Befragen also, sei die Entziehung des Schutzes der Eigenschaft als preußischer Beamter unzulässig; wenn nun etwa die Hinterbliebenen eines Tages einer vermögenslosen Stiftung gegenüberständen - was dann? Es ging natürlich doch an und blieb dabei, sofern nicht andere Überlegungen der neuen Herren, wie gleich zu zeigen sein wird, in dieselbe Richtung wiesen. Mit Vorlesungen oder Übungen nämlich brauchten sich die Versetzten nicht zu bemühen, die kamen, wie der Dekan der Philosophischen Fakultät Jantzen das delikat formuliert hat, „infolge der besonderen Verhältnisse praktisch kaum mehr in Frage". Denn da man „erhebliche Unruhen in der Studentenschaft" befürchtete (Kurator Wisser hatte „volles Verständnis dafür", daß es ihr nicht möglich war, „in der Frage ihrer grundsätzlichen Einstellung zur Errichtung der völkisch-politischen Universität nachzugeben"), „ferner in Frankfurt aus bekannten Gründen nach wie vor eine starke Ablehnung jüdischen Einflusses auf die Frankfurter Hochschulen" bestand und man außerdem - so viele Juden! - um den „Ruf" der Universität besorgt war, wurden die Herren ersucht, bis zur „Umorganisation der Universität Frankfurt" von deren Abhaltung abzusehen und sich als beurlaubt zu betrachten. Ohne jedoch mit allen Vorteilen förmlich beurlaubt zu sein; und nahezu schon ekelerregend dankte Dekan Klausing für die - erzwungene - Bereitschaft, „jederzeit zur Abhaltung von Vorlesungen und Übungen zur Verfügung zu stehen", - sollte „die Notwendigkeit entstehen", werde man darum bitten. Den Sommer über ging das so hin. Inzwischen bearbeitete Karl August Eckhardt, der Kollege und nunmehrige Fachreferent Unter den Linden, die fünf Juristen. Am 25. Oktober 1934 konnte er seinem Staatssekretär melden, daß es ihm „unter kräftiger Assistenz von Kurator, Rektor und Dekan in Frankfurt gelungen" sei, „vier von den dort sitzenden geschützten Juden [z. B. Husserl: fünf Jahre als Kriegsfreiwilliger an der Westfront, zwanzig Schlachten, darunter Langemarck, E . K . I, Kompanieführer, Kopfschuß] zu einem Emeritierungsantrag zu bewegen". Da man indes nun nicht gut all diese und die folgenden Emeriti Frankfurt aufbürden konnte, wo sie ja nie eine einzige Vorlesung gehalten hatten, war dem Kurator „Hoffnung gemacht" worden, daß ein Teil an ihre alte Universität zurückversetzt und dort emeritiert werde. Was bei dieser ersten Tranche allerdings aus nicht genannten Gründen nur bei Schulz „infrage" kam. Außerdem aber machte Eckhardt den Vorschlag, die emeritierten Juden mit dem Limit von zwei Stunden pro Semester auf ein „enges Lehrgebiet" zu beschränken - Husserl und Schulz auf Römisches Recht, Hoeniger auf Bank- und Börsenrecht und ferner etwa den Historiker Ernst Kantorowicz auf italienische Geschichte. Denn „unerträglich" war es für Karl August Eckhardt, wenn ein Jude wie Kantorowicz über deutsche Geschichte, wie Husserl über Rechtsphilosophie, wie Hoeniger über Arbeitsrecht und wie Schulz über geltendes deutsches Recht Vorlesungen anzeigen würde. 161

Bacher als Abteilungsleiter ordnete eine Prüfung an, ob das ohne generelle Regelung möglich sei, damit man sich nicht später zur Zurücknahme dieser Maßnahme gezwungen sehen würde, fand im übrigen aber die Einziehung der vier Lehrstühle durch den „vom Herrn Minister genehmigten Abbau-Plan von Frankfurt" gedeckt und Eckhardts Erfolge „sehr erfreulich". Und wie beglückend ebenfalls: „Rektor und Kurator arbeiten tatsächlich doch recht gut und vor allem miteinander- und mit uns!" Auch Amtschef Vahlen gab sein Plazet, und nun lief die Sache rückwirkend per 1. November, mit ein paar unbedeutenden Trostpflastern: Schulz erhielt also die gewünschte Rückversetzung nach Berlin zur dortigen Emeritierung, Hoeniger die erbetene Erstattung einer Berlin-Reise während der Abbauverhandlungen als Dienstreise, Kroner „Forschungsurlaub" ins Ausland (welche Abwanderung übrigens das Auswärtige Amt aus Furcht vor neuer „Greuelhetze" gar nicht gern sah). Schwierigkeiten gab es lediglich bei Rosenstock-Hüssy, der sich nämlich, für das Wintersemester nach Harvard beurlaubt, in den USA aufhielt. Sein Einspruch gegen die Aufgabe der von ihm in Preußen erworbenen Rechte (auf die er angewiesen sei, da er „durch volle neun Jahre dem Kriege und dem Kampfe um die Volksgemeinschaft meine wissenschaftliche Karriere zum Opfer gebracht habe, ein Umstand, der gerade in Frankfurt wohlbekannt" sei 533 ) deckte sich mit dem „dringenden Wunsch" Frankfurts, nicht für den emeritierten Rosenstock zahlen zu müssen, weshalb sich das Ministerium schließlich damit einverstanden erklärte, im Tausch gegen sein Emeritierungsgesuch auch Rosenstocks Versetzung nach Frankfurt aufzuheben und ihn in Breslau zu emeritieren534. Was dann mit Erlaß vom 3. Dezember geschehen ist. Alle haben sie übrigens, das sei hierzu noch vermerkt, die Dankformel „meine Anerkennung und meinen Dank für Ihre verdienstvolle akademische Wirksamkeit" erhalten - „verdienstvoll" in die Entwürfe noch hineinkorrigiert. Bei diesem unwürdigen Spiel, das soeben in einem Teilbereich zu betrachten war, ist nun immer wieder die Rede gewesen von einer andernfalls erfolgenden „Schließung der Universität" oder daß dies oder jenes „im Interesse der Erhaltung der Universität" geschehen müsse - daß beispielsweise „die Aufhebung der Juristischen Fakultät sowie der Philosophischen Fakultät bevorsteht", galt im Auswärtigen Amt im April 1934 als ausgemacht. Diese Drohung hat jahrelang den Himmel über der Universität Frankfurt verdüstert. Als die Frankfurter Universität 1950 den siebzigjährigen Wilhelm Gerloff feierte 535 , war es dessen „unerschrockenem Auftreten" in Berlin 1933 zu verdanken gewesen, daß, als „der Fortbestand unserer Universität aufs stärkste gefährdet" war, den „einseitigen Maßnahmen der Boden entzogen" wurde. Ebenfalls nach dem Kriege hat der Dekan der Philosophischen Fakultät 536 für das Jahr 1933 von einem Plan des Reichserziehungsministeriums (das es damals freilich noch gar nicht gab) berichtet, „die ganze Johann Wolfgang Goethe-Universität aufzuheben". Daß es dazu nicht gekommen wäre, sei „vor allem den unermüdlichen Vorstellungen" Platzhoffs zu verdanken gewesen, der auch - 1934 - unter Verzicht auf einige Planstellen den Fortbestand durchgesetzt habe, als einzelne Fakultäten „wo nicht aufgehoben, so doch stark verkleinert werden" sollten. Ein anderer Dekan, der der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, hat eine Auflösungsabsicht des Ministeriums im Jahr 1935 festgehalten 537 , „fanatisch" befürwortet von einem der Berliner Referenten, einem Herrn Beck, der aber bei einem Besuch in Frankfurt von Oberbürgermeister Krebs, Platzhoff und Wisser habe umgestimmt werden können und sich mit der Opferung einer Reihe von Lehrstühlen, die „als jüdische Reservate" galten, begnügt habe. 162

Und von Wisser selbst besitzen wir (und Karl Reinhardt hat die Geschichte irgendwoher erfahren und noch ein paar Akzente gesetzt) eine ziemlich dramatische Darstellung seines Rettungsversuchs im Jahre 1934538, nachdem Rust aus der Liste der drei Todeskandidaten Frankfurt ausgewählt hatte, alle Bemühungen von Gauleiter, Oberbürgermeister, Rektor und Kurator, weil sie in Berlin lediglich bei Ministerialrat Klingelhöfer „freundliche Unterstützung" gefunden hatten, vergeblich geblieben waren und Rust das „Auflösungsdekret" bereits gegengezeichnet und an die Reichskanzlei zur Unterschrift geleitet hatte. Krieck hatte sich nach Heidelberg abgesetzt, „sechs der besten Lehrkräfte" waren seinem Fluchtbeispiel gefolgt, der Gauleiter war „weniger interessiert" (!), der Oberbürgermeister hatte resigniert - und da nun war August Wisser, so also hat er sich 1950 erinnert, nach Berlin aufgebrochen (Reinhardt: auf gut Glück). Ein „guter Bekannter" (Reinhardt: zufällig beim Portier im Excelsior getroffen) vermittelte ihm die Bekanntschaft mit dem Parteigenossen Nr. 2, dem Oberst a. D. Hermann Kriebel, der im Februar 1924 mit Hitler auf der Anklagebank des „Volksgerichts" München gesessen hatte und nunmehr - wie so mancher „Uralte" im feudalen Exil - Generalkonsul im fernen Schanghai war, glücklicherweise aber gerade auf Urlaub zu Hause. Und der verschaffte Wisser das Entree zu „allen hohen Stellen": Montag war er in der Reichskanzlei, Dienstag bei Göring, Mittwoch im Innenministerium, Donnerstag bei Rosenberg und Freitag im Kultusministerium, wo er unter Berufung auf die an den Vortagen eingesammelte Unterstützung „energisch die sofortige Zurücknahme des Auflösungsbeschlusses" forderte. Zwar war Rust gerade verreist (das oder - unverblümt - krank war er gewöhnlich), aber als Wisser am Sonnabend wiederkam, wurde für Montag eine Konferenz angesetzt, und alle Frankfurter Würdenträger wurden dazu kurzfristig eingeladen. Das dort herbeigeführte Endergebnis des Wisserschen Sturmangriffs auf Berlin: Zurücknahme des Beschlusses und darüber hinaus das Versprechen einer Wiedergutmachung des „angerichteten Schadens". Nun kann man darunter immerhin Dinge nach Art der geschilderten Zusage eines späteren Wiederaufbaus der Kölner Juristenfakultät verstehen, während der in der anderen Quelle erwähnte „Herr Beck" eine glatte Mystifikation sein dürfte. Dichtung und Wahrheit sind bei all diesen Erzählungen, heute kaum mehr entwirrbar, zusammengeflossen. Was aber ist nun tatsächlich aus den zeitgenössischen Akten zu belegen? Gerda Stuchlik, der wir den eindrucksvollen Buchtitel „Goethe im Braunhemd" verdanken, schreibt dort 539 , die Auflösungsgerüchte seien mit Beginn des Sommersemesters 1933 aufgetreten540. Das ist sogar noch zu spät, hat doch schon Riezler am 23. März, am Tag des Ermächtigungsgesetzes also, die Mitglieder des Frankfurter Lehrkörpers darauf hinweisen lassen541, einen „derartigen Unsinn" zu glauben und weiterzuverbreiten entspräche nicht den Interessen der Universität, als nämlich eine Zeitung mitgeteilt hatte (ob nur ihm oder veröffentlicht, geht daraus nicht hervor), im Thomas-Bräu hätte gestern ein Professor im Beisein mehrerer Studenten mit lauter Stimme verkündet, die Universität Frankfurt würde geschlossen. Allzuviel freilich ist 1933 noch nicht passiert. Es existiert aus jenem Jahr offenbar nur ein Bericht, den Wisser am 4. Oktober dem Ministerialdirektor Gerullis erstattet und abschriftlich dem Rektor und vier Frankfurter Lokalgrößen (Oberbürgermeister Krebs, Reichsstatthalter Sprenger, Handelskammer-Direktor Lüer und Gaupropagandaleiter Müller-Scheidt) zur Kenntnis gebracht hat 542 . Er zeigt, daß damals Konkretes noch nicht vorgelegen haben wird, denn er bezieht sich auf angeblich umlaufende Gerüchte, welche die „Aufbauarbeit" beunruhigten und Studenten von der Immatrikulation in Frankfurt 163

abhalten könnten. Nun werden damit allerdings kaum bloße Redereien in den Äbbelwein-Kneipen von Sachsenhausen gemeint gewesen sein, sondern der Busch, auf den hier geklopft wurde, stand selbstverständlich in Berlin. Solche Gerüchte, so Wisser, seien natürlich an sich belanglos, für den Fall aber, daß „tatsächlich Erwägungen" in dieser Richtung angestellt werden sollten, führte er an, was nicht nur gegen eine Auflösung, sondern sogar für eine besondere Förderung Frankfurts spräche - an der Spitze den heutigen Werkstudenten, dem mit der „Romantik der kleinen Universitäten" nicht mehr gedient sei. Dann nahm er sich die - ihm „zu Ohren gekommenen" - drei Argumente gegen Frankfurt vor. Erstens die finanzielle Lage - keineswegs unsicher. Auch nach der Inflation, die Zuschüsse von Staat und Stadt erforderlich gemacht habe, sei der Hauptteil der Kosten durch Stiftungen zu bestreiten, und zu der Befürchtung, die Stadt könne eines Tages ihren Zuschuß nicht mehr leisten, bestehe kein Anlaß. Zweitens der Mangel an Tradition - in nationalsozialistischer Sicht eigentlich eher Vorteil als Nachteil, und im übrigen pflege man ja die von Straßburg. Ferner rechnete Wisser die Beziehungen zum Saargebiet hinzu, eine wichtige Aufgabe des „Bollwerks im Westen", der „westlichen Grenzmark-Universität Frankfurt". Und er zitierte Hans Hinkel, den späteren „Reichskulturwalter", damals ein bedeutender unter den vielen „Staatskommissaren", wonach es an den Grenzen des Reiches nicht gelte, „Festungen aus Stein oder Beton zu bauen, sondern Festungen der deutschen Kultur". Drittens schließlich der „Mangel an Rekrutierungsgebiet" - dazu eine Statistik über den Besuch der Frankfurter Universität aus ganz Deutschland. Und nachdem nun der „jüdische Einfluß vollständig beseitigt" sei, könne man damit rechnen, daß die Frankfurter „zu einer der gesuchtesten Universitäten" werde. An der schon jetzt übrigens „alle Einrichtungen" für die politische Schulung beständen und - noch ein letzter Ausfall gegen die Romantik-Konkurrenz eine „echte Kameradschaft der Faust und der Stirn" gewährleistet sei. Eine beigefügte Niederschrift von Rektor Krieck sekundierte in Sachen Westbollwerk und nur vermeintliche Traditionslosigkeit und listete vor allem eingeholtes „Wohlwollen" auf: Vom Oberbürgermeister natürlich, aus dessen „Aufbauarbeit" der „Erneuerung der kulturellen Mission Frankfurts" eine Aufhebung der Universität „das Kernstück ausbrechen" würde, dann des Reichswehrministeriums wegen der „strategischen und geistigstrategischen Lage der Universität Frankfurt", weiter Görings - „größte Aufmerksamkeit" und Unterstützung „mit aller Kraft" (wenn auch leider allgemein der Stadt und nicht speziell der Universität, aber die sei doch „selbstverständlich" einbezogen). Und dann vor allem Hitlers persönlich. A m 1. Juli hatte Krieck ihm Vortrag halten dürfen über die Aufgabe seiner Universität, „das seit einem Jahrhundert veränderte und verfälschte geistige Gesicht der alten Kaiserstadt in ein deutsches Gesicht umzuwandeln". Und was hatte Krieck gefunden? Zustimmung. Und was hatte der Führer ihm „mit auf den Weg gegeben"? Die „Versicherung seines Wohlwollens für die Universität Frankfurt". Da mochten sie denn kommen, die Feinde Frankfurts! Am 20. Februar 1934 erließ Magnifizenz Krieck eine Art Tagesbefehl. Mit „Kameraden!" begann er, sprach dann wieder von den Gerüchten und der durch sie ausgelösten Beunruhigung und gab schließlich den „Beschluß der zuständigen Behörden" bekannt, wonach „die Johann Wolfgang Goethe-Universität nicht nur erhalten bleibt, sondern auch als vorbildliche nationalsozialistische Universität auf- und ausgebaut wird" - die dazu erforderlichen Berufungen würden „in nächster Zeit" erfolgen 543 . Wie das? Die unmittelbare Veranlassung dürfte ein undatierter, aber im Januar/Februar 1934 in Dozentenbundsakten eingeordneter Vermerk aufzeigen 544 . Sprenger, so heißt es da, habe die Er164

mächtigung erteilt zu der Mitteilung, daß „durch Zusage des Ministerpräsidenten Göring der Bestand der Universität Frankfurt gesichert sei". Und das wiederum erläutert in einer anderen Akte 5 4 5 ein Dankschreiben Sprengers an Göring vom 5. Februar, das veranschaulicht, wie im Dritten Reich Lappalien wie der Bestand einer Universität behandelt worden sind. Am 25. Januar hatten sie „zufällig" im Reichskanzler-Palais „kurz" miteinander gesprochen - im Vorzimmer, als Sprenger darauf wartete, bei Hitler vorgelassen zu werden. Und da also, so zwischen Tür und Angel, hatte Göring „die Liebenswürdigkeit gehabt zu erklären, daß die Frankfurter Universität nicht aufgelöst werden würde". Seinen Dank sowie den „der leitenden Persönlichkeiten der Universität" sprach Sprenger nun aus und meldete etwas voreilig, daß Rektor Krieck daraufhin „den Ruf nach Heidelberg ausschlagen" werde (die Behandlung Kriecks, ob und wieweit man Unter den Linden durch Zusagen versuchen würde, ihn, der nur den „Aufbau im nationalsozialistischen Sinne weiterführen", nicht aber „der Totengräber Frankfurts werden" wollte 546 , am Main zu halten, galt dort als Barometer für die Wetterlage um die Universität allgemein 547 ). Es heißt in der 1939 herausgegebenen Chronik der Frankfurter Universität für die vergangenen sechs Jahre 548 zu Recht, daß die endgültige Sicherung des Fortbestands der Frankfurter Universität in jenem Jahre 1934 in erster Linie Sprenger zu verdanken sei, der „seinen ganzen Einfluß dafür aufgeboten" habe. Denn rührig ist er tatsächlich damals gewesen, dieser Gauleiter mit dem wohl größten Interesse an „seiner" Universität. Für den 23. Januar zum Beispiel 549 hatte er sich einen Termin bei Rust besorgt, und bei Hitler war er also zwei Tage danach, am 25., gewesen, um ihm seine Sorgen um die Universität vorzutragen. Euphorisch gestimmt durch Görings Vorzimmer-Versprechen hatte er Hitler noch gesagt, seine Entscheidung sei nun nicht mehr erforderlich. Und da, der Dank an Göring ist gerade zur Post, erhält er am 8. Februar eine Benachrichtigung über die bevorstehende Auflösung der Universität! Das Telegramm an Hitler, das Sprenger noch am selben Tage absetzt, war fast zwei Schreibmaschinenseiten lang und enthielt zur Universitätsfrage, wie sollte es auch, wenig Neues: Weltbedeutung der Frankfurter Universität, vorgesehene Vernichtung eines beispiellosen Kulturzentrums, der Straßburger Traditionsuniversität und der Zentrale aller geistigen Ausstrahlungen vom und zum Saargebiet, große Gefahr feindlicher Propaganda über nationalsozialistische Kulturzerstörung, der Bestand der Universität nicht Frage eines Rechenexempels. Für uns hier neu ist, was der Gauleiter abschließend über die Schließung der Universität als „Ausgangspunkt unabsehbarer Katastrophe" für die ganze Stadt telegrafiert hat: Nach der „schwersten wirtschaftlichen und steuerlichen Einbuße" durch die Auflösung oder Abwanderung von 1500 jüdischen Großbetrieben im vergangenen Jahr würde der Wegzug von über 3000 Studenten Frankfurt im In- und Ausland als „absterbende Stadt" abstempeln 550 . Dasselbe also wie seinerzeit in Halle und in Braunschweig, dasselbe wie heute bei ähnlichen Gelegenheiten (nur daß man damals noch den Begriff „Arbeitsplätze" entbehren mußte): die gewöhnlich wirksame Betätigung des „ökonomischen Hebels". Den hatte auch Exrektor Gerloff zu bewegen versucht, als er zwei Tage zuvor, am 6. Februar, bei Finanzminister Popitz vorgesprochen und ihm vorgerechnet hatte, wie billig die Frankfurter Universität ihm doch kam: 771 000 RM kostete sie Preußen im laufenden, etwa eine Million im kommenden Jahr, nach Fälligkeit der Kulturellen Wohlfahrtsrente aus der Aufwertung der Stiftungskapitalien im Jahr 1941 aber ab 1942 praktisch überhaupt nichts mehr. Bei einer Auflösung hingegen würden mehrere 100 000 165

Mark Dauerlasten verbleiben und Stiftungskapitalien von mehr als 10 Millionen Mark an die Stadt und an verschiedene wissenschaftliche Gesellschaften fallen. Und außerdem: Rechtfertigten geringfügige finanzielle Einsparungen denn die Zerstörung von Werten, die zu erhalten gerade jetzt Aufgabe sein sollte? In schwerster Not habe Preußen zwei Universitäten gegründet, Berlin und Bonn - wolle sich da der nationalsozialistische Staat etwa mit dem Odium der Aufhebung von Universitäten belasten? Die Frankfurter hatten Zeit genug gehabt, sich den Kopf zu zerbrechen und ihr Material zu sammeln. Denkschriften zu dieser Lebensfrage gab es damals zuhauf, natürlich immer wieder nur Variationen zum Thema mit im Grunde immer gleichen, nur vielleicht zunehmend kecker werdenden Argumenten: Vorteile der traditionslosen GroßstadtUniversität ohne Bindung an das alte System (!), aber mit der Symbiose von Stirn und Faust, dabei aber doch Grenzmark-Universität mit Tradition und Funktionen (Doktordiplom-Erneuerung) der untergegangenen Universität Straßburg; de-facto-Universität des Saargebiets; Institute von Weltruf; billigste Universität (ein besonderer Pfiffikus hatte es genau ausgerechnet: 1/47 der Gesamtausgaben für die zehn preußischen Universitäten); Mittelpunkt wehrpolitischer Erziehung, die Pflege des Wehrgedankens aber gerade in der Neutralen Zone besonders wichtig und von der Reichswehr begrüßt; bereits weit fortgeschrittener Aufbau der völkisch-politischen Universität unter günstigsten Voraussetzungen, hier die Revolution radikal durchgebrochen, alles gesäubert und von nationalsozialistischem Geist durchdrungen und der angebliche (!) frühere Charakter mehr oder weniger ein Märchen (gegründet mit Mitteln der gewiß nicht an einer marxistischen Hochschule interessierten Industrie und Bankwelt, dann allerdings als Folge der allgemeinen politischen Entwicklung ein paar Marxisten oder Sozialisten eingesickert, aber „höchstens insgesamt drei oder vier" - und in zwei Fakultäten überhaupt kein politisch Unzuverlässiger!). Freilich hatte man sich auch schon Rückzugsgedanken gemacht - vermutlich weil das, was man so Unter den Linden erkunden konnte, doch recht bedenklich klang. Es gibt da eine Denkschrift, die allerdings nirgendwo551 datiert ist, mit der Uberschrift: „Die Stadt Frankfurt ist mit der Beseitigung der Sonderstellung der Universität gegenüber den rein staatlichen Universitäten grundsätzlich einverstanden." Nämlich: Entgegenkommen bei der Umgestaltung und Anpassung der Universitätsverfassung, bei der Stellung des Kurators, in finanzieller Hinsicht („im Rahmen des Möglichen"), vor allem aber durch Übertragung der Stiftungen an den Staat. Dieses letzte und heikelste Thema war auch Gegenstand einer Sitzung oder Besprechung maßgeblicher Frankfurter am 13. Februar, und Richard Merton, Sohn des de-facto-Gründers der Universität, hat sich noch am selben Tage für seine Stiftung „Institut für Gemeinwohl", wohl die gewichtigste552, auch schriftlich damit einverstanden erklärt - in einem Schreiben an Wisser, den „Feldherrn", der „in eine schwere Schlacht" rücke und zwar selbstverständlich „nur von Sieg sprechen" dürfe, sich aber doch auch „für den Fall der Niederlage klarmachen" müsse, wie er „seine Truppen unter den geringsten Verlusten vom Gegner" lösen, das heißt also, wie auch bei einer Auflösung das Geschaffene „in irgendeiner Weise erhalten bleiben" könne. Was Merton vielleicht nur ahnte: Auch Berlin hatte sich bereits über das Frankfurter Stiftungsvermögen Gedanken gemacht - aus ihm sollten, kaum im Sinne der Stifter, die „sehr erheblichen Abwicklungskosten" der Universität bestritten werden („das war der alte Plan", notierte Achelis später, am 11. Juli 553 ). Wie begründet Mertons Sorge war, sollten schon die folgenden Tage erweisen. Am 17. ließ Hitler Sprenger auf sein Telegramm vom 5. antworten, die „letzte Entscheidung 166

in dieser Frage" sei noch nicht gefallen. Diesen Bescheid könnte der Frankfurter Gauleiter ungefähr zur gleichen Zeit auf den Tisch bekommen haben wie einen von ihm wiederum voreilig - ausgelösten Jubelruf Kriecks. Ebenso voreilig wie der MedizinerDekan auf einer Fakultätssitzung am 1. Februar 554 , auf der er die Urheber der Forderung nach Frankfurts Aufhebung im Berliner Finanzministerium lokalisiert und nicht nur von der „Fürsprache" Görings berichtet hat, sondern auch davon, daß „sich der Reichskanzler selbst für die Erhaltung der Universität ausgesprochen" habe - eine wohl etwas kühne Interpretation der Sprenger-Audienz vom 25. Januar. Wie voreilig aber auch immer, am Ende ist es jedenfalls gut ausgegangen, vielleicht ist es doch der stete Tropfen gewesen, der den Stein schließlich gehöhlt hat. Wie schon angedeutet, hat die Frankfurter Pressure-group ja nicht aus Gauleiter, Bürgermeister, Rektor und Kurator allein bestanden. Da waren auch all die gefährdeten „wertvollen Kameraden", die sich, wie Dozentenschaftsführer Girndt hocherfreut feststellte 555 , so „herzlich und eng" zusammengeschlossen hatten, wie es eben nur der Kampf und die drohende Niederlage möglich machen. Da war ferner die Industrie, die im Frankfurter Raum so starke chemische insbesondere, da war der Kleinhandel, überhaupt - wie in Halle schon beobachtet - die gesamte Wirtschaft in Stadt und Umland mit ihrem Repräsentanten, dem erwähnten Kammerpräsidenten Carl Lüer, an der Spitze 556 . Da steckte schon dahinter, was man heute neudeutsch „power" nennen würde. Am 13. Februar hat das Universitäts-Kuratorium seinen Stellvertretenden Vorsitzenden Wisser beauftragt, nach Berlin zu fahren, um mit allen maßgebenden Stellen Fühlung zu nehmen, dort alles vorzutragen, was es an „Gesichtspunkten" für den Fortbestand der Universität gab, und „Widerstände zu beseitigen" 557 - offensichtlich die von Wisser 1950 geschilderte triumphale Mission 558 . Am 9. März konnte der Heimkehrer auf der nächsten Sitzung von der „Entscheidung des Führers" berichten, „daß vorläufig keine Universität geschlossen werden" solle. Was freilich nun keine brandaktuelle Neuigkeit mehr war, hat doch der Dekan der Mediziner dies seiner Fakultät bereits am 28. Februar verkünden können. Diesem Bericht 559 verdanken wir außerdem die Kenntnis von einer Präzisierung der Entscheidung Hitlers dahingehend, „bis die Reichsreform durchgeführt sei". Da wir nun einerseits wissen, daß es die nie gegeben hat, andererseits, daß es nicht guttat, Hitler mit derselben Sache zweimal zu kommen, wissen wir ebenfalls, wann die Frankfurter Universität aufgelöst worden ist: Nie. Die Hoffnung ganz aufgegeben hatte man damals auch Unter den Linden nicht. Noch am 9. März zwar hat das Kultusministerium dem Preußischen Finanzministerium mitgeteilt 560 , es habe den Staatszuschuß für die Universität Frankfurt nicht in den nächstjährigen Staatshaushalt aufgenommen, „da die endgültige Entscheidung über die Erhaltung oder Schließung" noch nicht getroffen worden sei. Und der März ist auch weiter voller Ungewißheit. Gerüchte tauchen, sogar in Gießen 561 , „erneut in konkreter Form" auf, in die Presse 562 gibt man zu diesem „hartnäckig sich haltenden Gerücht" eine „Klarstellung und eine Warnung": Es entbehre jeder tatsächlichen Grundlage, niemals sei an zuständiger Stelle daran gedacht worden - die im nationalsozialistischen Deutschland in so kurzer Zeit schon geleistete kulturelle Aufbauarbeit strafe solche Gerüchte Lügen. Und noch dicker (wir kennen das ja schon): Wer dergleichen künftig noch verbreite, mache sich der „Sabotage am deutschen Aufbauwerk schuldig" und werde „eine seiner Handlungsweise Rechnung tragende Behandlung erfahren". Weniger frech, dafür detaillierter behauptet der Landespressedienst des Deutschen Nachrichtenbüros Ende des Monats, nach den jüngsten Besprechungen, die Sprenger und Krebs (die also auch) im Kultusministerium 167

geführt hätten, stehe nun endgültig fest, daß die Frankfurter Universität erhalten bleibe und sogar noch besonders ausgebaut werden würde. Die künftigen höheren Verwaltungsbeamten sollten aus ihr hervorgehen, und nach Ostern würden zwei Sachbearbeiter des Ministeriums anreisen, um die Ausbaumaßnahmen an der Universität der Westmark an Ort und Stelle zu beraten. Die Bedrückung weicht offenbar der Morgenluft. Hocherfreut melden sich nach der Lektüre ihrer Zeitung Ausbauwillige wie etwa am 29. 563 der Indogermanist Herman (ein n wie bei Wirth) Lommel. Er weiß: „Die Möglichkeiten des Ausbaus zu erwägen, ist nicht meines Amtes" - aber er tut es trotzdem. Er ahnt auch, daß es vielleicht „befremden" könne, wenn er seine innige Freude über die Erhaltung und Förderung der Universität mit einem „Hinweis auf das Ungenügen meiner Stellung" verknüpft - aber er muß einfach. Denn nicht nur die Errichtung (oder jetzt - gegen Schließungen anderswo hat man in Frankfurt nichts - vielleicht „Verpflanzung") einer Theologischen Fakultät tut laut Lommel not, sondern auch der Ausbau seines Extraordinariats zum Ordinariat, das es unter seinem Vorgänger gewesen ist. Sein Forschungsgebiet nämlich ist „Arische Philologie". Nun sei dieses „arisch" zwar (leider) nicht deckungsgleich mit dem jetzt so bedeutsam gewordenen „populärwissenschaftlichen Begriff des Arischen", aber es berühre sich doch - „nahe Verwandte" seien die „alten Arier" allemal. Am 31. Juli durfte Wisser, von einer erneuten Berlinreise zurückgekehrt, dem Kuratorium wieder einmal berichten, das Kultusministerium habe „sich jetzt endgültig für den vollen Weiterbestand der Universität Frankfurt entschieden", die freien Lehrstühle sollten „alsbald besetzt werden". „Voller Weiterbestand" war kühn formuliert. Denn Freude zwar am Main noch in den Randbereichen, doch Unter den Linden, wo soeben gerade eine Denkschrift über Sparmaßnahmen durch „Vereinheitlichung der wissenschaftlichen Institute an den preußischen Hochschulen" fertiggestellt worden ist564, scheint man sich gesagt zu haben: Wenn nicht so, dann vielleicht anders. Erste Auswirkungen davon machen sich auf der Frankfurter Kuratoriumssitzung vom 3. Mai bemerkbar: Berichte über Veränderungen bei den Juristen, Berufungen und „in Aussicht stehende Versetzungen". Prorektor und Juristendekan sondieren gerade in Berlin, was man dort eigentlich vorhat. Das ist nun also die Phase, von der es überall hieß und heißt, Frankfurt sei zum „Abstellbahnhof" für als Nichtarier entweder überhaupt nicht mehr „verwendbare" oder an anderen Universitäten deshalb unerwünschte Professoren geworden. So hat sich Krebs bei Rust beschwert565, und sie drohten sich zu häufen, diese Fälle solcher Versetzungen nach Frankfurt, nicht um hier zu lesen, sondern um hier nach §6 BBG abgebaut zu werden. Es ist nun möglich, daß es Überlegungen gegeben hat, die Frankfurter Universität (wie wir das weiter oben formuliert haben) mit Juden und politisch Unerwünschten566 vollzustopfen und dann gewissermaßen zu „versenken" - nicht pauschal, das ging nach Hitlers Entscheidung ja nicht mehr gut, aber schön langsam, Stück für Stück. In einem Kopf, wie ihn Karl August Eckhardt auf den Schultern trug, könnte eine Idee dieses Formats schon entstanden sein. Eher „nach Art des Hauses" muten indes Gedanken an, wie sie Rosenstock-Hüssy und Fritz Schulz den Berliner Demontage-Spezialisten unterstellt haben: Versetzungen an die Stiftungsuniversität und Abbau dort mit dem Dolus oder zumindest der Möglichkeit, eines schönen Tages mit einem Konkurs der Stiftung die jüdischen Kollegen um ihre Alters- und Hinterbliebenenbezüge zu betrügen, - wie sehr viel einfacher das dereinst gehen würde, das konnten sich damals ja nur die wenigsten vorstellen. 168

Auch Oberbürgermeister Krebs wohl nicht, dessen „starken Unwillen" über diese Praxis der Stellvertretende Kurator Wisser zwar gezielt, aber trotzdem wohl zutreffend nach Berlin gemeldet hat 5 6 7 : Die Stadt habe die Verpflichtung zur Zahlung der Hälfte der Gehälter schließlich nur unter der Voraussetzung einer Lehrtätigkeit übernommen und erblicke in dem Versetzungsverfahren das „Bestreben, Verpflichtungen des Staates auf die Stadt abzuwälzen". Der Kommunalpolitiker war, falls das nötig gewesen sein sollte, ein paar Tage zuvor von Wisser und Platzhoff noch einmal so richtig aufgeklärt worden 5 6 8 : Bei den Juristen nun zu vier im April hierherversetzten „Nichtariern" glücklich als fünfter Rosenstock, bei den Philosophen im April der „Nichtarier" Richard Kroner aus Kiel, im Juli der Theologe Bornhausen aus Breslau 569 , ein dritter stände vor der Tür: „Abstellbahnhof" Frankfurt! Und „vollbewährte arische Professoren, die gerne hier geblieben wären", hätten „Platz machen müssen"! Das war schon ein Szenario, das dem pflichtbewußten Stadtvater die Freude an dem einstigen Juwel seiner Stadt rundum vermiesen konnte. Schlimmer noch waren die Gefühle auf der Seite der Betroffenen, denn die Gefahr bedrohte, was der „Solidarität" selten guttut, die einen mehr und die anderen weniger. Und ganz besonders also die Juristen. Der Zivilrechtler Gustav Boehmer erfuhr das zu seinem Entsetzen, als er am 17. März in Berlin bei Achelis vorsprach 570 . Im Oktober hatte er, bis dahin seit 1920 Ordinarius in Halle, einen Ruf in das kahlgeschlagene Frankfurt erhalten - für den 52jährigen wohl die letzte Chance, von Halle wegzukommen. Er hatte den Ruf angenommen. Leicht war ihm das nicht gefallen, es hatte den „Verlust meines in den letzten zehn Jahren sauer ersparten Vermögens" bedeutet, weil er das vor vier Jahren gekaufte Haus zum halben Preis verschleudern mußte und damit kaum die Hypotheken decken konnte. Aber er war dem ehrenvollen Ruf, den Rust „nach längerem Zaudern" schließlich erteilt habe, gefolgt - so dringend und wiederholt war der Wunsch der „bis 1933 stark verjudeten und jetzt gereinigten" Frankfurter Fakultät gewesen, ihn „für den Wiederaufbau in Anspruch zu nehmen". Ein Haus hat er nun gemietet in Cronberg unter beachtlichen Aufwendungen für Reparaturen, in Halle hat er sich verabschiedet, und die Möbel stehen dort zum Abtransport bereit, als ihm jetzt am 17. März Achelis rät, besser in Halle zu bleiben und auf die Frankfurter Professur zu verzichten, weil „die Zukunft der Frankfurter Universität höchst unsicher sei" und die „größte Wahrscheinlichkeit ihrer baldigen Auflösung bestehe". Bis Ende April haben sich dann in Boehmers Sicht „die Verhältnisse hier so entwickelt, daß wohl an einer Auflösung der Fakultät im Herbst dieses Jahres nicht mehr gezweifelt werden kann". Es muß, folgt man der Schilderung seiner Leiden, nicht allzu gemütlich gewesen sein damals in der Frankfurter juristischen Fakultät. Alle glaubten zu wissen, daß das Ende nahe war, keiner aber wußte, wie es kommen würde. Es war wie in einem Wartesaal kafkaesker Prägung: Alles saß da im ungewissen, ab und an verschwand einer, andere kamen hinzu oder nicht richtig hinzu, führten eine makabre Papierexistenz, und die, die noch keine „Versetzungsordre" erhalten hatten, wurden immer gereizter, immer deprimierter, die Gerüchte schwirrten - und er, Boehmer, „der ich auf den hohen Rossen hoffnungsvoller Zukunftspläne in Frankfurt einreiten wollte", wußte nicht, ob es sich „überhaupt lohnt anzufangen". Sein Schicksal schien die neue, aus der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät entstehende Handelshochschule zu sein, nicht gerade das, wo man „auf hohen Rossen einreiten" konnte, weshalb ihm die von Achelis in Betracht gezogene Versetzung lieber gewesen wäre, nur bitte nicht zurück nach Halle - nach elf Jahren in Greifswald und fünfzehn in Halle glaubte er seine Zeit in Preußens akademischem Sibirien abgesessen zu haben. 169

Es ist eingangs bereits angedeutet worden, wie erfreulich sich die Dinge letzten Endes gestaltet haben - jedenfalls für die „Arier" im „populärwissenschaftlichen" Sinne. Einige Monate jedoch blieben die Frankfurter Juristen noch auf der Streckbank. Am 5. Mai klärte Platzhoff als Prorektor die Studierenden der Rechtswissenschaft auf 571 : N u r wer bis zum Ende des Sommersemesters sein Studium abgeschlossen habe, könne die Erste juristische Prüfung in Frankfurt ablegen, für spätere Prüfungs- oder auch Promotionskandidaten gebe es „keine Sicherheit". Und als der Dekan der Mediziner zwölf Tage später seinen Kollegen über die Ereignisse während der Semesterferien und dabei auch über den „Universitätsbestand" berichtete 572 , nur von einer Verkleinerung der juristischen Fakultät sprach und von der noch nicht ergangenen Entscheidung über den Bestand der Philosophischen (die drei übrigen würden ausgebaut, meinte er), da wußte er mehr als das Lindenministerium. Dort war es Schnoering, den man im Vorjahr als Kommissar nach Heidelberg geschickt hatte, der die Dinge ins Rollen brachte 573 , als er am 30. Juni erst beim Kollegen Kühnhold vom Haushaltreferat und dann am 10. Juli beim Kollegen Achelis anfragte, ob „etwas Zuverlässiges über die Aufrechterhaltung bzw. Umgestaltung der Frankfurter Universität" bekannt sei. Es ging dabei um die 400 000 Mark Staatszuschuß für Frankfurt, die mangels Entscheidung nun doch noch nachträglich in den Haushalt 1934 eingestellt worden waren, deren Einsparung hier oder anderswo das Finanzministerium sich indes nicht abhandeln ließ. Als Möglichkeit gab es den Neubau der Universitäts-Augenklinik in Berlin, aber da hätten Abstriche die Gesamtplanung für die Umgestaltung des Berliner Klinikwesens gefährdet. Frankfurt war die Ideallösung gewesen: Schließen und die Schließung selbst bezahlen lassen. Nicht daß der Führer explicite dagegen gewesen wäre, doch hatte er sich nun einmal dafür ausgesprochen, diese Frage erst „demnächst" bei der Neuorganisation des gesamten Hochschulwesens im Rahmen der Reichsreform anzupacken. So sei denn, antwortete Achelis Schnoering, eine endgültige Entscheidung noch nicht getroffen worden. Staatssekretär Stuckart hielte lediglich die Aufrechterhaltung der Medizinischen und der Naturwissenschaftlichen Fakultät „für angezeigt" - er, Achelis, würde noch „in gewissem Umfange" die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche bestehen bleiben lassen. Er habe in Frankfurt „mit aller Dringlichkeit" personelle Einschränkungen verlangt, aber noch nichts Endgültiges gehört. Man kam überein, daß es nunmehr notwendig sei, eine Entscheidung herbeizuführen, zumal auch die Besetzung von Vakanzen bei anderen Universitäten von dem Schicksal Frankfurts abhing. Die Ministervorlage datiert vom 13. Juli, die Entscheidung Rusts ist schließlich genau einen Monat später, am 13. August, schriftlich fixiert worden. Er war in jenem Monat nicht untätig gewesen, hatte mit Popitz und auch mit Sprenger gesprochen und verkündete nun das Ergebnis: „Frankfurt ist auf Einziehung von Lehrstühlen gefaßt". Amtschef Vahlen wurde um einen „besonderen Vorschlag .Frankfurt'" ersucht. Im übrigen aber hatte der Minister ein Kolumbus-Ei ausgebrütet: Warum sollte man denn diesen Rumpf nicht in Gottes Namen als „.Universität' Frankfurt" („Universität" also von Rust in Anführungszeichen gesetzt) bestehen lassen, „auch wenn der Name nicht mehr berechtigt" erscheine? Auf diese Weise wurde, wie von den Finanzleuten gefordert, eingespart, „Abwicklungskosten" fielen keine an, und die Frankfurter waren glücklich. Man hat Bernhard Rust vielfach vorgeworfen, sein Geld eigentlich nicht verdient zu haben, hier aber erleben wir ihn in einer Sternstunde. Am 6. September hat Wisser Vahlen dann endlich detaillierte Lehrstuhl-Einsparungs170

vorschlage der Juristen und Philosophen übersandt. Von den Naturwissenschaftlern bot Rektor Platzhoff dazu einen der drei mathematischen an (zwei „z. Zt. mit Nichtariern besetzt", von denen Kurator Wisser in seinem Begleitschreiben Ernst Hellinger vorschlug, der „wegen seiner früheren politischen Haltung am unbeliebtesten" sei) und den nach der Pensionierung Max Wertheimers freien psychologischen, von den Wirtschaftsund Sozialwissenschaftlern einen der drei betriebswirtschaftlichen - „der ebenfalls durch das Berufsbeamtengesetz freigewordene ordentliche Lehrstuhl für Soziologie ist ohnehin seitdem nicht besetzt". Härter mußten und wollten sich natürlich die der Todeszelle Entkommenen rupfen lassen: Die Juristen gedachten von ihren zehn Lehrstühlen vier zu opfern - just jene Stellen, die „unbesetzt" waren, wenn man nämlich die „vier Nichtarier" nicht rechnete, die auf diesen Stellen das Aus erwarteten; die Philosophen boten fünf von ihren 16 an und wollten sich damit auf die „für die völkisch-politische Erziehung der akademischen Jugend im nationalsozialistischen Staate unumgänglichen" Fächer beschränken. Von den - naturgemäß besonders gefährdeten - „Orchideen" wollte man Kunstgeschichte und - als Universität am Sitz des Archäologischen Instituts - Klassische Archäologie unbedingt behalten, auf dem Opferaltar lagen neben Naheliegendem wie Semitische Philologie und Klassische Philologie immerhin auch Indogermanistik, Pädagogik und Geschichte (einer von drei Lehrstühlen). Man darf freilich derartige Listen sachlich nicht überbewerten, weil ausschlaggebend bei solchen Dingen immer der personelle Gesichtspunkt ist und der sachliche gewöhnlich nur Dekoration, - die Frage lautet de facto nicht „Welches Fach ist entbehrlich?", sondern: „Welches Fach ist frei, wird frei oder ist von einem Kollegen besetzt, den wir nicht mögen?" Wenn Wisser in seinem Begleitschreiben wirksamere Einsparungen durch eine „organische Gliederung des Hochschulwesens für alle Universitäten" anregte (was hieß, daß doch auch von den anderen Universitäten entsprechende Vorschläge angefordert werden sollten), so wird das im Ministerium kaum sehr beeindruckt haben. Dort dachte man, nachdem das akute Problem durch die angeordnete Amputation Frankfurts vom Tisch war, in langfristigen Perspektiven. Daß in diesen ihre Universität durchaus noch eine gewisse Rolle spielte, wußten die Frankfurter. Das zeigen zwei weitere Besprechungen am 19. und 20. September 574 . Krebs und Wisser waren wieder einmal nach Berlin gereist und hatten Termine bei Popitz und Vahlen erhalten. Popitz hatte abwehrend die Hände gehoben: Er sei nicht der „böse Mann", der partout Frankfurt auflösen wolle. Doch könne schließlich nicht bestritten werden, daß es in Deutschland zu viele Universitäten gebe. Denke man aber an Auflösungen, so dränge sich der Gedanke an die drei jüngsten auf, die zugleich Großstadtuniversitäten seien; in Großstädte aber gehörten Universitäten seiner Meinung nach nicht, da dort der Andrang ungeeigneter Studenten, die nur studierten, weil sie keinen anderen Beruf wüßten, erfahrungsgemäß sehr groß sei. Andererseits sei natürlich, das verkenne er nicht, die Auflösung einmal vorhandener Universitäten sehr schwierig. Popitz' Besucher antworteten, der Fortbestand der Universität sei zugesagt, zur Debatte stehe lediglich noch Auflösung beziehungsweise Einschränkung der juristischen und der Philosophischen Fakultät. Das alles sei noch nicht entschieden, wich der Minister aus, er selbst sei, vor acht Tagen erst aus dem Urlaub zurück, über den aktuellen Stand der Frage nicht genau unterrichtet; die letzte Entscheidung liege jedenfalls beim Führer und hänge eng mit der Reichsreform zusammen, weshalb eine schnelle endgültige Entscheidung nicht zu erwarten sei. Nach dem St.-Florians-Prinzip versuchten dann also die Gäste, wie dort schon geschildert, Popitz' Blick auf Gießen zu lenken, das doch 171

für eine Auflösung und Umwandlung in drei Fachhochschulen hervorragend geeignet sei, und durften die Bemerkung des Ministers mit auf den Weg nehmen, daß dies in der Tat keinen großen Verlust bedeuten würde. Abschließend „klar formulierte Fragen" und die Antworten darauf: Auflösung der Frankfurter Universität - ein klares Nein, Aufhebung einzelner Fakultäten - noch nicht geklärt. Krebs und Wisser hatten Popitz auch die Frankfurter Schrumpfungsvorschläge überreicht. Am nächsten Tag erfuhren sie von Vahlen, daß die in ihrem neuralgischsten Punkt bereits überholt waren und daß die Vorschläge, die nach der Genehmigung durch Rust an das Preußische Finanzministerium geleitet werden würden, bei einer Fakultät (bei den übrigen wolle man sich an die Frankfurter Offerten halten) erheblich weiter gingen: Nicht sechs von ihren zehn Lehrstühlen, sondern nur ganze drei sollten die Juristen behalten dürfen, wobei die Vermutung erlaubt ist, daß hinter dem hier wieder einmal und besonders deutlich zu beobachtenden Zugriff auf die juristischen Fakultäten nicht nur deren besonders starke „Verjudung", sondern auch die in den Ministerien natürlich bekannte Überzeugung Hitlers stand, daß es viel zuviel Juristen gab und man mit einem Bruchteil gut auskommen könne und angenehmer leben werde. Noch weiter reichende Auswirkungen wurden freilich bestritten, und Krebs' Frage, ob das nicht doch nur eine Übergangslösung mit dem Blick auf eine spätere Auflösung der Universität sei, wurde verneint: Eine Totalauflösung komme für das Ministerium nicht in Betracht, und Minister Rust werde sich gegenüber den zu erwartenden weiteren Einsparungsforderungen des Finanzministers mit vollem Nachdruck für die Vorschläge seines Hauses einsetzen. Wenn freilich die Besucher abschließend wunschgemäß autorisiert wurden, den Studenten zu erklären, sie könnten in Frankfurt unbesorgt weiterhin Rechtswissenschaft studieren und ihr Studium auch zum Abschluß bringen, so ist es etwas rätselhaft, wie das, vorerst jedenfalls, bei drei Ordinariaten mit „jüngeren Kräften zur Seite" funktionieren sollte. Eine Etage tiefer entwickelte Bacher, bei dem die Herren anschließend noch vorsprachen, sein Programm: Keine Überstürzung, alles werde man nach nationalsozialistischem Grundsatz (!) langsam reifen lassen; auf die Dauer werde sich zeigen, welche Universitäten lebensfähig seien - und die übrigen werde man dann eben auflösen. Sehr wahrscheinlich Ergebnisse dieser Berlin-Visite, denn zweifellos von der Universität inspiriert, waren zwei Artikel, die in den folgenden Monaten in Frankfurts Presse erschienen. Der erste, am 11. Oktober im Frankfurter Volksblatt, hätte in heutigen „Medien" unweigerlich Glossen und Karikaturen über die „Universität Bockenheim" im Gefolge gehabt. Wurde doch hier, weil „maßgebende Stellen des Reiches" auf dem Standpunkt ständen, die Stätten wissenschaftlichen Lehrens und Lernens gehörten „in die stillen Städte des Landes", allen Ernstes behauptet, Frankfurt sei, was seine Universität anbelange, gar keine Großstadt wie Berlin, Leipzig oder Köln, denn die befinde sich ja gar nicht in Frankfurt, sondern in der Kleinstadt Bockenheim. Und es schloß sich dem ein idyllisches Bild an von Bockenheims Studentenbuden, Tante-Emma-Läden und Kneipiers, von den „im herrlichen Brentano-Parkbad oder im Schatten des Palmengartens" sich erfrischenden und lustwandelnden Studiosis. Den anderen Artikel brachte das Stadtblatt der Frankfurter Zeitung am 25. November. Am 14. war Rektoratsfeier gewesen und dabei „amtlich" ebenfalls gefeiert worden, daß die Gefahr der Auflösung von Frankfurts Universität endgültig abgewendet sei (wie oft war sie das schon gewesen). Trotzdem, schrieb die Zeitung, wollten die Gerüchte einer Gefährdung nicht verstummen - wie leicht aber seien sie doch zu widerlegen! Nämlich, 172

etwas verblüffend, mit der „Bodenständigkeit" der Frankfurter Universität! Diesem hier nicht vermuteten Argument folgten vertraute Dinge - „Kulturbollwerk", Billig-Universität und so weiter sowie eine Aufzählung in jüngster Zeit bei den Pharmazeuten, Anatomen, Gerichtsmedizinern und Baineologen erfolgter Ausbaumaßnahmen 5 7 5 (daß diese ausnahmslos auf dem de facto nie bedroht gewesenen medizinischen Sektor lagen, mußte der Leser selbst kombinieren). Zum Jahresende (die Mediziner 576 hörten von ihrem Dekan gerade wieder einmal, daß der Fortbestand der Universität „gesichert" sei - bei der neuen Gaueinteilung würden lediglich bei mehr als einer Universität im Gau einzelne Fakultäten zusammengelegt werden) gratulierten sich die Frankfurter wechselseitig zum im abgelaufenen Jahr erzielten Erfolg 577 . Karl Maria Kaufmann, der Frankfurter Orientalist, dankte - „Gott segne Führer und Reich!" - Wisser als dem Retter der Goethe-Universität der Vaterstadt, der hinwiederum die Blumen weiterreichte an Gauleiter Sprenger, verbunden mit dem Versprechen, „in enger Fühlung mit der Gauleitung" die Frankfurter Universität „als eine der ersten zu einer Pflegestätte nationalsozialistischer Weltanschauung", zu einer „vorbildlichen Stätte der Pflege nationalsozialistischen Geistes und nationalsozialistischer Wissenschaft zu machen". Und in der Tat hat Frankfurt es in erster Linie seinem Gauleiter zu verdanken gehabt, daß seine Universität als Ganzes Ende 1934 im wesentlichen aus der Schußlinie gewesen ist, in die andere wie Köln oder Gießen, wir sahen es, jetzt erst richtig gerieten. Keine Universität ist der Aufhebung näher gewesen als Frankfurt, und ohne Sprengers Einsatz in Berlin wäre sie darum wohl kaum herumgekommen. Sprenger war ein „starker" und ein an „seiner" Universität interessierter Gauleiter, Grohe in Köln beispielsweise war zwar auch engagiert, hatte indes weniger Einfluß, und von dem „starken" Karl Kaufmann in Hamburg ist in dem Kampf um die Erhaltung der nunmehr Hansischen Universität wenig zu vernehmen gewesen. Abschied von Frankfurt 5 7 8 . Eine - offenbar letzte - Alarmierung am 13. Januar 1935: Das Kultusministerium wolle „noch einen Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre eingehen" lassen, w o das Handelshochschulstudium doch das Rückgrat der Universität sei und die Wirtschaft einen von nationalsozialistischer Weltanschauung erfüllten jungen kaufmännischen Nachwuchs bei der Lösung der großen Aufgaben der Zukunft so nötig brauche! Wenn schon, dann doch lieber Klunker (Christian Jasper Kluraker, Armenpflege und Fürsorgewesen) oder Arndt (Paul Arndt, offenbar Spezialist für Heimarbeit), die sowieso kurz vor der Emeritierung ständen. Wenig mehr als ein Jahr später aber die Freudenbotschaft: „Unser Regierungspräsident aus Wiesbaden Zschintzsch" ist zum Staatssekretär im Kultusministerium ernannt worden, nun würden sich langjährige gute Beziehungen „sicher vorteilhaft auswirken". Die freilich waren jetzt nicht mehr nötig. Eine Sonderform der Aufhebung, die ebenfalls breit erörtert, die aber teilweise auch durchgeführt worden ist, war die Zusammenlegung oder Angliederung. Das hatte 579 bereits vor der Machtergreifung in Bayern begonnen, w o 1930 die Hochschule f ü r Landwirtschaft und Brauerei in Weihenstephan der Technischen Hochschule München einverleibt worden war. 1934 gingen die Landwirtschaftliche Hochschule und die Tierärztliche Hochschule in Berlin den gleichen Weg (nur die dortige Handelshochschule konnte sich in eine Wirtschaftshochschule retten) und wurden zwei Abteilungen einer neuen Fakultät der Universität Berlin. Im Jahr darauf folgte die Landwirtschaftliche Hochschule in Bonn-Poppelsdorf, auch sie wurde zur Fakultät - hier der Universität Bonn. Die dritte Landwirtschaftliche Hochschule in Hohenheim bewahrte vor dem gleichen Schicksal (für die Zeit des Nationalsozialismus) der Kriegsausbruch 580 . 173

Pläne einer Zusammenlegung gleich aller drei württembergischen Institutionen zu einer „Großhochschule" lagen bereits seit 1933 in der Schublade, ein „Führerrat" der drei Rektoren, der Studentenführer und anderer interessierter Persönlichkeiten wurde am 11. November 1933 ins Leben gerufen. Ein Plan von 1934 sah dann die Konzentration der Groß-Universität in Tübingen vor, müsse doch die veraltete Technische Hochschule in Stuttgart sowieso neu gebaut werden, und das täte man besser im strukturschwachen Tübingen als in der wirtschaftlich und kulturell gesicherten Hauptstadt. Eine andere Planung des Tübinger Dozentenführers, des Anatomen Robert Wetzel, wollte offenbar weniger radikal alles an Ort und Stelle lassen oder aber im Stuttgarter Raum konzentrieren - für die ja auch sinnvolle Zusammenlegung gleicher Fächer war selbstverständlich auch er. Was im Braunschweigischen581 der Bergakademie Clausthal die Zusammenlegung mit der T H Braunschweig erspart hat, die noch 1940 im Reichserziehungsministerium erörtert worden ist und derentwegen Rektor Herzig sich nach dem Kriege „starke Differenzen" mit seinem Gauleiter Lauterbacher gutgeschrieben hat, mag hier offenbleiben vielleicht nur die Kriegsentwicklung. Gewiß hat bei dem Plan eine Rolle gespielt, daß Braunschweig selbst nicht auf allzu festen Füßen stand und 1937/38 lediglich durch aktive Studentenanwerbung hart an der Auflösung vorbeigesteuert werden konnte - die Sogwirkung des ganze sechzig Straßenkilometer entfernten Hannover war naturgemäß gewaltig und die Existenz zwei so eng benachbarter Technischer Hochschulen ein Anachronismus aus der Zeit der Territorialherrschaft. Mit Stuttgart und Braunschweig sind wir in einen Bereich geraten, wo es nicht mehr um kleine Fachhochschulen im Fakultätsmaßstab ging, sondern wo mit den Technischen Hochschulen die Naturwissenschaften, die Technik und die moderne Zeit überhaupt zum Verkauf standen. Es wird daher, bevor wir zu der am weitesten gediehenen Zusammenlegung solcher Großinstitutionen, der Breslauer, kommen, ein Wort zu sagen sein über das TH-Problem in der Zeit des Dritten Reiches. Auf der Rektorenkonferenz am 15. Dezember 1937582 hat in der Funktion des REM-Staatssekretärs Staatsminister Wakker eine weitere Planung dieser Art geschildert, die deshalb von besonderer Bedeutung ist, weil hier Hitler höchstpersönlich mit den Bauklötzen gespielt hat. Es handelt sich um das Projekt „Reichshochschule Berlin", an anderer Stelle583 auch „Adolf-Hitler-Universität" genannt - und so also ging Wackers Erzählung: Vor einigen Jahren bereits habe der Führer Rust en passant gesagt, er denke sich einmal einen Neubau der Berliner Universität. Und als nun mit ihm, Wacker, Unter den Linden ruhigere Zeiten eingezogen wären, habe Rust ihn mit der Ausarbeitung eines entsprechenden Vorschlags beauftragt. Kurz darauf jedoch sei die Angelegenheit von außen her in ein rascheres Tempo getrieben worden, nämlich durch die Planungen der Umgestaltung Berlins zu einer (in Hitlers Verständnis) würdigen Hauptstadt des Reiches. Einige Straßenzüge sollten über bisherige Hochschulinstitute geführt werden, die ihnen mithin zum Opfer fallen müßten - und vor allen Dingen: Die gesamte Charité müßte weg. Wohin aber damit - und zwar baldigst, denn die neue Charité müsse ja stehen, bevor die Straßen gebaut würden? Innerhalb der Stadt gebe es keine Möglichkeit für einen Komplex dieses gewaltigen Umfangs, also heraus damit. Die Studenten jedoch könnten nicht zwischen ihren Kollegs eine Stunde Anfahrtsweg haben - also alles heraus und Neubau auf der Wiese, der (das wußte man damals schon) billiger komme als Neubau nach Abriß. Wem nun in diesem Stadium die große Idee gekommen ist, hat Wacker aus irgendwelchen Gründen nur umschrieben. Jene „grundsätzliche Seite" kann aber nach Lage 174

der Dinge eigentlich nur Rust gewesen sein, den wir hier also bei einem weiteren Brainstorming erleben dürfen. U n d ausgesehen hat diese Idee s o : E s gelte eine Universität des 20. Jahrhunderts zu schaffen, eine andere als im Zeitalter Goethes, eine, zu der auch die Technik und die angewandte Naturwissenschaft gehören. Die Rektoren haben Wacker an dieser Stelle mit Beifall bedacht - o b in vollem Bewußtsein dessen, was das für ihre humboldtsche Universität bedeuten würde, kann bezweifelt werden. Vielleicht haben sie auch durch ihr Klatschen den nächsten Satz nicht so ganz deutlich zu hören brauchen: „So wurde zum erstenmal der Plan gefaßt, die Technische Hochschule Charlottenburg und die Universität Berlin zu einem großen, geschlossenen Körper zusammenzufassen." D a s Projekt, so Wacker weiter, sei ausgearbeitet und von Rust Hitler vorgetragen worden: „Der Führer war so überrascht und eingenommen von diesem Plan - das konnte man an seinen Maßnahmen erkennen - , daß er sofort ein Bauverbot über dieses Gebiet verhängen und sofort die nötigen Vorarbeiten in G a n g bringen ließ." U n d nicht nur das, denn beglückt konnte Wacker noch berichten, daß Hitler den Plan „bereits weitgehend als in seinem Rahmen und in seinem Sinne liegend" akzeptiert habe und „intensiv und mit großem Interesse an der Frage der baulichen L ö s u n g " arbeite. D a s , so rief Wacker den Magnifizenzen zu, wie wenn er ihnen nun endlich nicht nur das rettende Ufer, sondern auch gleich noch das dahinter liegende Gelobte Land zeigen konnte - das werde „der Weg sein, auf dem der Führer die innere Verbindung zur Wissenschaft finden wird". Der erneute Beifall der Rektoren galt nun nicht mehr dem Projekt, sondern dem großen C o u p ihres Ministeriums und der berauschenden H o f f n u n g , Wissenschaft und Wissenschaftlern auf diesem U m w e g endlich und endgültig Absolution zu verschaffen und sie vom Katzentisch in die allerhöchste Gnadensonne zu rücken. Seltsamerweise hat Wacker gar nicht erwähnt, was sich knapp drei Wochen zuvor, am 27. November, zugetragen hatte 584 . A n der Teufelssee-Chaussee in Berlin-Grunewald hatte Hitler da den Grundstein für den Neubau der nach dem Austritt aus dem Völkerbund entstandenen Wehrtechnischen Fakultät der T H in Charlottenburg gelegt. U n d nachdem er dort von seinem „unabänderlichen Willen und Entschluß" geschwafelt hatte, Berlin durch Neubauten „für alle Zeiten" zur „ewigen Hauptstadt des ersten deutschen Völksreiches geeignet und würdig" zu machen, hatte Rust gesprochen und den Zuhörern erläutert, was sie hier sahen: den Anfang der „Reichsuniversität Berlin", die in diesem Gelände entstehen werde - mit dem Olympiastadion und dem übrigen „Reichssportfeld" als Universitätssportplatz. Wenn das wehrtechnische „Kastell" fertiggestellt sei (ein „mächtiger fünfstöckiger Q u a d e r b a u " aus Albert Speers architektonischem Gruselkabinett, begrenzt von „zwei großen Eckbauten, die vier 30 Meter hohe Ecktürme tragen"), dann würden die übrige T H mit ihren Einrichtungen und die Universität mit ihren Einrichtungen nachfolgen und sich zusammenschließen zur „neuen Universalen H o c h schule". Und zwei Tage danach hatte Speer einen Wettbewerb für diese Hochschulstadt zu beiden Seiten der dann bis zu 100 Meter breiten Heerstraße ausgeschrieben - 50 000 Mark der erste Preis, 50 000 Mark für vier weitere Preise, Baubeginn Sommer 1939, U-Bahnund Autobahnanschluß, alle jetzt dort befindlichen Einzelhäuser weg. Später hat G a u dozentenführer Willing beim TH-Semesterschlußappell Ende Februar 1938 noch den Namen der neuen Hochschulstadt bekanntgegeben, den einzig denkbaren, eben „AdolfHitler-Universität Berlin", und dann hat man, von den Leuten in den „Einzelhäusern" vielleicht abgesehen, nichts mehr von der Sache gehört, obwohl doch der Krieg erst im Herbst 1939 begonnen hat und auch dann noch eine Zeitlang weitergebaut worden ist. 175

Wie der große Plan von den Betroffenen in Wirklichkeit aufgenommen worden ist, darüber gibt es keine oder fast keine Belege. Eine Stelle zumindest, die es unmittelbar und an erster Stelle anging, hat wenig Enthusiasmus erkennen lassen. Und das war die TH in Charlottenburg, die nachzuweisen versucht hat, daß eine solche Zusammenlegung nicht möglich sei585. Ob man an der Linden-Universität begeisterter gewesen ist? Kaum. Wie immer das aber auch ausgesehen haben mag, es ist jedenfalls im Dritten Reich weder die „Reichshochschule Berlin" entstanden noch sonst Wesentliches auf diesem Gebiet geschehen, wenn man nicht eine gewisse geistige Entwicklung in der Richtung, wie sie dann nach dem Kriege weiterverfolgt worden ist, dafür in Anspruch nehmen will. Zwei Symptome — vielleicht zufälliger Art, aber nicht willkürlich ausgewählt. Nachdem Klagges, als braunschweigischer Volksbildungsminister- sieht man von der Episode Frick in Thüringen ab - der erste Nationalsozialist mit Kompetenzen im Hochschulbereich, schon Ende 1932586 gegen die unzulässige Anwendung des Universitätsbegriffs auf die Technische Hochschule, die nur Fachbildung zu vermitteln habe, Stellung bezogen hatte, hat Mitte Juni 1933587 Carl Töpfer, der an der TH Karlsruhe einen Lehrauftrag für Flugtechnik wahrnahm, Hitlers bisherigem Privatsekretär und nunmehrigem Stellvertreter als Parteichef, zu dem er einen - offenbar lockeren - Kontakt hatte und dem er sich, nur leicht verschleiert, als notwendiger „Reichskommissar für das gesamte technische Schulwesen" andiente, noch bedeutet, was insbesondere nottue sei, sich von dem „akademischen Flitz [?]" freizumachen, der bestrebt sei, die Technischen Hochschulen „den Universitäten .gleichzustellen'". Erstere, so Töpfer, bedürften einer solchen - in Anführungszeichen - „.Gleichberechtigung' durchaus nicht", seien sie doch „wichtig genug für sich allein schon". Rund zehn Jahre später aber, im Herbst 1942588, hat der umtriebigste Mann im nationalsozialistischen TH-Betrieb, Karlsruhes Rektor Weigel, eine Umfrage bei seinen 15 Kollegen veranstaltet, was sie denn von seinem Vorschlag hielten, die Technischen Hochschulen in Technische Universitäten umzubenennen. Ob nun die Zeit noch nicht reif war oder aber ob die mit „liebe Kameraden" angeredeten Magnifizenzen den Karlsruher Fundamentalisten nicht als Stimmführer goutierten - die Bilanz, die Weigel nach langem Zuwarten am 30. Juli 1943 gezogen hat, war nicht gerade hinreißend: Sechs hatten überhaupt nicht geantwortet, „restlos" und „voll und ganz" lediglich Beutehochschulen wie Graz, Prag oder Wien zugestimmt, die anderen sich bedeckt gehalten - von „wärmstens begrüßt, jedoch die Zeit nicht günstig genug" (Berlin) und „zweifellos Wichtigkeit für die Zukunft" (München) über „sehr begründet, aber noch einige Bedenken" (Stuttgart) und Mangel „einschlägiger Erfahrungen" (Breslau) bis „augenblicklich nicht geeignet" (Hannover). Auch Dresden wollte „nichts geändert wissen" und scheute sich vor allem, die „Figur des ,Universitätsprofessors'" zu übernehmen, die man „mancherseits immer noch lächerlich zu nehmen geneigt" sei. Rektor Jost hat das dann allerdings nachträglich als seine lediglich persönliche Meinungsäußerung herabgestuft, die auch nicht Grund sei der Ablehnung einer „Umtaufe", dieser sei vielmehr der unzeitgemäße Ersatz für das „deutsche und deutliche" Wort „Hochschule", eine der „glücklichsten Wortschöpfungen unserer Zeit", - doch änderte das nicht viel an der Sache. Die Frage, in welche Richtung sich die Technische Hochschule bewegen müsse, ob zur Universität hin oder von der Universität weg, ist nicht erst dem Jahr 1933 entsprungen, sondern war viel älter und stand drängend seit dem Ersten Weltkrieg zur Diskussion. Einigkeit herrschte nur darüber, daß sie sich bewegen müsse, und ziemliches Einvernehmen auch dahingehend, daß an ihrer Existenz überhaupt das Versagen der Universität des 176

19. Jahrhunderts schuld war, welche die Entwicklung der Technik und der angewandten Naturwissenschaften verschlafen oder hochmütig unterschätzt hatte, und daß eine Lösung gewissermaßen durch Heimkehr der Technischen Hochschule in die Universität jetzt nicht mehr möglich sei. „Der Himmel bewahre uns", so hatte der Berliner Universitätsrektor Gustav Roethe auf der 125-Jahr-Feier der Charlottenburger Kollegen geseufzt 589 , „vor einer riesigen Gesamtuniversität, die alles, was nur entfernt nach Hochschule schmeckt, in einen großen Urbrei zusammenrührt." C. H . Becker 590 hat 1918/19 noch einen solchen „Wiederanschluß [?]" gefordert, aber bald eingesehen, daß das „organisatorisch nicht mehr zu erreichen" war, weshalb er dann im Amt daran ging, wenigstens den „Geist der Verwaltung", die Selbstverwaltung und Fakultätsgliederung vor allem, und die „Grundsätze bei Berufungen" anzugleichen. Seine Reformen von 1922/23, insbesondere die - Fakultäten einführende - Neuordnung der Verfassungsstatuten der preußischen Technischen Hochschulen vom 20. März 1923, haben dann auch die Unterprivilegierung der T H beseitigt, als deren Beweis drei klassische Beispiele durch die Sekundärliteratur ziehen, die auch hier nicht unterschlagen werden sollen: die den TH-Professoren nicht gewährte Emeritierung (für das Bankkonto und damit auch für die Nachwuchsgewinnung ein schweres Manko), die von der Universität 591 nicht angerechneten TH-Semester (so daß etwa ein TH-diplomierter Chemiker dort nicht promovieren konnte) und die nicht geltende TH-Promotion bei einer Universitäts-Habilitierung. Trotzdem haben sich weiterhin die Fronten - hie Universität, hie Technische Hochschule - gegenübergestanden. Für die eine Position möge Ernst Krieck stehen, als Spätberufener verständlicherweise ein besonders engagierter Partisan der Universität. Die Techniker und so weiter, so hat er 1933 geschrieben 592 , sollten in die Lage versetzt werden, ihr „berufstechnisches Wissen und Können im Gesamtzusammenhang des völkischen Lebensganzen zu verstehen", ihre „Fachschranken" müßten die TH-Professoren überwinden und die „Weite des völkisch-politisch-geschichtlichen Weltbildes" gewinnen, ihre Probleme und Methoden müßten sie „hinausführen in die großen politischen, wirtschaftlichen und Geschichtszusammenhänge". Zwei Wege gebe es heraus aus der „Bildungsnot" der Technischen Hochschulen. Der eine führe zur völligen inneren Verselbständigung als Fachhochschule bei eigener „Durchdringung aller Fächer" mit dem gemeinsamen und verpflichtenden Weltbild - wo aber sei der dazu erforderliche „Reichtum von philosophischen Begabungen" in den Lehrkörpern? Also der zweite Weg, heraus aus der „Sackgasse" einer „Fehlentwicklung" und hinein in Kriecks Gesamtuniversität, wo sie, weitab freilich von dem „gewaltigen Zentralbau mit der Einheitskuppel" (lies: Philosophie), einem (dem naturwissenschaftlichen) der „strahlenförmigen Sektoren der Fakultäten vorgelagert", im „Kranz" der Fachund Berufshochschulen ihr Plätzchen finden würden. Konnten sie damit nicht glücklich sein, die Technischen Hochschulen, die sowieso „vor einem Ende" standen, wo doch die Allgemeinen Abteilungen entweder am Verkümmern waren oder aber wie in Dresden (wo noch Baeumler wirkte) zu „kleinen Universitäten auszuwachsen" drohten mit der übrigen Hochschule als „Anhängsel". Und noch 1937 593 : „Das Fernziel einer großen, umfassenden Universität wäre die Hereinnahme der Technischen Hochschulen..." Die „Heimkehr" also doch. Wie eine späte Antwort wirkt nach neun Jahren Drittem Reich, soundsoviel hundert Kilometern Autobahn und zwei Jahren mit technischen Blitzfeldzügen die stolzgeschwellte Einleitung zu dem repräsentativen Sammelband „Die deutschen Technischen 177

Hochschulen". Für Otto Streck, T H München, hat die Frage, warum die Universität die neue Bildungsaufgabe nicht übernommen oder an ihr wenigstens entscheidend mitgewirkt habe, nur noch „historisches Interesse": „Die deutsche technische Hochschule ist eine Institution, die in einer über hundert Jahre währenden Entwicklung aus eigener Kraft neben der Universität als etwas Neues gewachsen ist, wofür es bisher kein Vorbild und keinen Rahmen gab, und die längst die Mündigkeit erreicht hat... Ihre innere Struktur ist wesensverschieden von jener der Universität. Die Zusammenarbeit mit der Universität in der Zukunft kann deshalb nicht mehr dadurch geschehen, daß man etwa durch eine verwaltungsmäßige Organisationsmaßnahme eine technische Hochschule als Fakultät in eine Universität eingliedert... Hier läßt sich das Rad der Geschichte nicht mehr zurückdrehen." Und Universität und Geisteswissenschaften machen die Honneurs. Der Einleitung des Wasserbauers vorangestellt ist ein von „Universitätsprofessor Dr. Heinrich Ritter von Srbik" den technischen Kollegen geliefertes Geleitwort - Kritik an „manchen Vertretern der Geisteswissenschaften", die „auch heute noch" technischer Forschertätigkeit die „höhere geistige Weihe" absprächen, nun aber auch schon Verteidigung - so schnell hat sich die Welt gedreht. Ebenfalls sei, schreibt Srbik, die „Minderbewertung" zurückzuweisen, die „angesichts des großen Siegeszuges der Technik" den Geisteswissenschaften „so oft zuteil" werde. Und schließlich, drapiert mit den nahezu schon erledigten Ideen der dreißiger Jahre, der Ölzweig: „Beide Horte der deutschen Kultur, heute völlig gleichberechtigt", seien in der gemeinsamen „Dienstpflicht der Wissenschaft am Volkstum" vereint, mögen sie nun „als Forschungs- und Lehranstalten getrennt bleiben oder in einem Gesamtkörper zusammengeschlossen werden". Im Dezember 1944594 hat noch das Reichserziehungsministerium die Bayern gerügt und mißbilligt, daß ein junger Germanist, der den „Ansprüchen der eigenen Universität nicht zu genügen" scheine, für die Ernennung an einer Technischen Hochschule empfohlen wurde - eine belanglose Arabeske. Doch wird man jetzt fragen müssen, ob in den zwischen Krieck und Streck/Srbik liegenden acht braunen Jahren die zuvor beklagten Ubelstände beseitigt worden sind oder sich zumindest gebessert haben. Blicken wir dafür noch einmal zurück - bis zu den Anfängen. Durch Aufnahme und Pflege der allgemeinbildenden Fächer waren einst, seit den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, die „Polytechnischen Schulen" zu Hochschulen geworden, doch war diesem Trend sehr bald ein Rückfall in die schwerpunktmäßige Fachbildung gefolgt, der den allgemeinbildenden Fächern zwar die Lehrstühle und Lehraufträge belassen, sie jedoch von jedem Einfluß auf den Bildungsgang der Studenten ausgeschaltet hatte 595 . Seit etwa 1910 war nun das Unbehagen gegenüber dieser Entwicklung gewachsen, die Furcht, hier in eine Sackgasse zu geraten, die wieder in der Fachschule enden würde, von der man sich doch gerade befreit hatte. Und der Ruf hatte nun wieder geheißen: „Weniger Fachbildung, mehr freie Zeit für Allgemeinbildung." Dies hatte nach dem Weltkrieg zu einer sogar Einfluß auf das Prüfungswesen einschließenden Renaissance der allgemeinbildenden Fächer geführt, die sich freilich als Scheinblüte entpuppte und der sehr schnell erneut eine Gegenbewegung der „Fachleute" folgte. Gerade aus der Wirtschaft kamen zwar auch kritische Stimmen, sogar einflußreicher Wirtschaftsführer, doch bewirkten sie wenig. Mehr oder weniger konzeptlos trudelten die Technischen Hochschulen in ihrem Slalomlauf zwischen Fachschule und Universität dahin und in das Dritte Reich hinein. Auf der Rektorenkonferenz vom 31. Mai 1935596 forderte Vahlen die Wiedererringung 178

der verlorengegangenen Lernfreiheit an den Technischen Hochschulen, wo das Studium in „so enge Fesseln gelegt" sei, daß der „Studienplan wie auf der Schule festgelegt" sei „Stunde für Stunde, den ganzen Tag herunter", vor lauter Übungen, Zeichnungen und so fort komme der TH-Student gar nicht mehr zur Besinnung. Auch an der „Front" erhofften die Leidtragenden vom Jahre 1933 ihre Emanzipation. Einer von ihnen, der Germanist der Stuttgarter T H Hermann Pongs597, glaubte mit der „Umwälzung" endlich den „Weg freigemacht für höhere Werte" und brachte dafür einen Kronzeugen bei, der schlechthin nicht zu schlagen war: Adolf Hitler. Wer „Mein Kampf" las - aber wer tat das schon? - , konnte dort fast stets Nützliches finden. So auch Pongs im 2. Teil598 ein Plädoyer für die auf den humanistischen Fächern basierende allgemeine Bildung und gegen die „gefährlich" zunehmende Hinwendung der wissenschaftlichen Ausbildung zu den „realen", gemeint naturwissenschaftlichen, Fächern in „unserer heutigen materialistischen Zeit". Und auf diese literarische Perle gestützt, entwarf Pongs eine Planung für die geisteswissenschaftliche Ausbildung seiner Techniker, die zwar nicht von den „Gefahren des Geistes", dem „Abschweifen in wirklichkeitsfremde Ideologien", bedroht seien, dafür aber eben um so eher der Materie verfielen. So viel zum Deklamationsteil. Was aber ist nun Greif- und Nachweisbares wirklich geschehen? Von den Akten des Reichserziehungsministeriums ist der Band „Allgemeine Angelegenheiten der Technischen Hochschulen" erhalten geblieben599, eine Ablage also, die - wie bei „Allgemeinem" üblich - dem klangvollen Titel widersprechend in erster Linie all jenen Kleinkram aufnehmen mußte, der sich anderswo nicht unterbringen ließ, die aber doch auch wirklich Grundsätzliches enthält. Blättern wir jenen Band daraufhin einmal durch. Angelegt worden ist er zum 1. Januar 1935, was aber nichts besagt, da dies, sofern die preußischen Akten nicht einfach fortgeführt wurden, ein gängiges Datum der Akteneröffnung im neuen Reichsministerium gewesen ist. Der erste Vorgang von Belang ist eine Vorlage Bachers vom 16. November, die über Vahlen an den als stellvertretender und geschäftsführender Staatssekretär amtierenden Amtschef Z (Zentralamt), Ministerialdirektor Kunisch, gegangen ist600. Der Anlaß war eine durch Todesfall eingetretene Vakanz. Anlaß nämlich für eine Erklärung Bachers, die Hochschulabteilung plane den Umbau der Technischen Hochschulen zu „wirklichen .Hoch'schulen". Ziel sei, die reine Wissensvermittlung und die Behandlung der technischen Elementarfächer „aus der Hochschule herauszunehmen und sie auf andere Weise den Studierenden zu übermitteln". Die Pläne hätten sich „dahin verdichtet, daß eine Stufenleiter .Höhere technische Fachschule zur Technischen Universität' geschaffen werden" solle. Damit glaubte Bacher sich einig zu wissen mit Rust, der sich ein solches Ziel in seiner „programmatischen Rede" auf der 25-Jahr-Feier der T H Breslau zu eigen gemacht und öffentlich verkündet habe. Im Amt E aber, das zeigt sich hier, gab es andere Vorstellungen und Widerstand, den Bacher durch eine Umgliederung der bisher dort ressortierenden höheren technischen Fachschulen ins Amt W, mindestens aber durch eine kooperative Neubesetzung dieses Referats E IV beseitigt sehen wollte. Es ist damals eine Besprechung bei Kunisch angesetzt gewesen. Ihr Ergebnis, falls sie stattgefunden hat, befindet sich nicht in der Akte, obwohl hier der Originalvorgang abgelegt ist, sondern nur noch eine dem Vorgang beigefügte zweieinhalbseitige Aufzeichnung „Ausbau der Abteilung für allgemeine Wissenschaften", die offenbar von der Dozentenschaft der T H Aachen stammt und bereits am 16. Juli 1935 im Ministerium eingegangen ist. Sie enthält den in der sonstigen Erörterung nirgendwo auftauchenden und wohl auch etwas abstrusen Vorschlag einer kleinen T H , die offenbar nicht mithalten 179

konnte und gegen die bei einigen anderen begonnene Einrichtung „umfangreicher Abteilungen für Kultur- und Geisteswissenschaften" Stellung bezog. Sollte sie aus den Aachener Allgemeinen Wissenschaften gekommen sein, so muß ihr Verfasser ein Übermaß an Selbstverleugnung besessen haben, argumentierte er doch nicht nur mit der naheliegenden „Aufblähung und Zersplitterung", sondern vor allem mit einem trüben Bild des Lehrkörpers der Allgemeinen Abteilungen: „Tüchtige Lehrkräfte" seien angesichts der Konkurrenz der Universitäten kaum zu finden, und es könnten nur „dritte Kräfte" an den Technischen Hochschulen „aushalten", denen es „entweder an Strebsamkeit" fehle oder aber die es „infolge Unvermögens oder Mißgeschicks nicht weiter" brächten und sich nun „in einer ständig absteigenden Linie" bewegten eine Schilderung, die Pongs vermutlich empört zurückgewiesen hätte. Des Verfassers Vorschlag aber war, den gesamten „allgemeinen" Betrieb auf Gastprofessoren umzustellen, die jeweils etwa für ein Jahr von den Universitäten ausgeliehen werden sollten - eine zwar interessante, aber doch wohl reichlich abenteuerliche und kaum realisierbare Lösung. Daß dieses Jahr 1935 und zumindest noch das folgende auch sonst eine fruchtbare Zeit der Reformdiskussion an den Technischen Hochschulen gewesen sind, kann - nochmals Aachen - der Festschrift der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule zur Zentenarfeier 1970601 entnommen werden (die merkwürdigerweise im übrigen von den hier genannten Verwerfungen keine Notiz nimmt und eine „relativ kontinuierliche Entwicklung" in Aachen bis zum Kriege und zu den dadurch bewirkten Veränderungen konstatiert). Da wird eine Schrift des Verbandes Deutscher Diplom-Ingenieure vom 20. Januar 1935 angeführt über die „Neugestaltung der Ausbildung für den Ingenieurberuf", eine weitere Denkschrift des Deutschen Ausschusses für technisches Schulwesen über eine neue Arbeitsverteilung im Lehr- und Forschungsbetrieb der Technischen Hochschulen vom Juni 1935 sowie ein Vorschlag des Studentenbundes „zum Neuaufbau der technischen Erziehung", der 1936 offenbar lebhaft diskutiert und etwa von der Aachener Hochschule abgelehnt worden ist. All dies aber braucht hier, wo die Technik ja nicht Gegenstand der Erörterung ist, nicht vertieft zu werden. In unserer Akte finden diese Erwägungen jedenfalls keinen Niederschlag, sie enthält aus jenem Zeitraum nichts mehr zum Thema, Allgemeinbildung und Allgemeine Fakultäten sind offenbar nicht mehr von aktuellem Interesse. Vielleicht deshalb, weil die Technischen Hochschulen im ganzen etwas ins Wackeln geraten waren, wie das nach einem Zwischenraum von Quisquilien der nächste wieder belangvolle Vorgang in jener Akte zeigt. Er stammt vom Januar 1939, und es geht um eine „Veröffentlichung über die Technischen Hochschulen" - vermutlich die, die dann 1941 erschienen ist - und um eine Besprechung offenbar der T H - und Bergakademie-Rektoren bei Göring, die in „besonders würdiger Form erfolgen und anschließend groß in der Presse bekanntgegeben werden" solle. Dadurch, so meinte der Oberregierungsrat Huber, der Verfasser der Notiz, werde „mehr und Sichererfes] erreicht als durch ein ausdrückliches Dementi der im Umlauf befindlichen Gerüchte". Die Sache würde auf der Rektorenkonferenz besprochen 602 und „erledigt". Ganz „erledigt" möglicherweise nicht, wenn - der bevorstehende Krieg kündigt sich hier an - mit diesen (für die Technischen Hochschulen offensichtlich negativen) „Gerüchten" der Alarm im Zusammenhang stehen sollte, der Unter den Linden am 15. März ausgelöst worden ist durch etwas, das Amtschef Wacker „soeben vertraulich" gehört hatte und das, wie er sich sogleich vergewisserte, auch bei der Reichsstudentenführung 180

bereits bekannt war: In der „näheren Umgebung des Herrn Generalfeldmarschall Göring" solle die Absicht bestehen, „in den nächsten Tagen einen Reichskommissar für die Technischen Hochschulen zu ernennen" - Oskar Stäbel, der im Mai 1934 abgetretene Reichsstudentenführer, sollte hier eine politische Auferstehung erleben. Dieser Reichskommissar ist, sollte er nicht ein Schattendasein geführt haben, nicht ernannt worden, und folgenlos sind auch zwei Ermahnungen geblieben, die im Kriege aus dem unter Bormanns Leitung sich entwickelnden omnipotenten Superministerium kamen, das zuerst noch Stab Stellvertreter des Führers, nach Hess' Abgang dann ParteiKanzlei hieß. Am 14. Juni 1940 wurde, von Kurt Krüger unterzeichnet, nach der dort gern verwendeten Einleitungsformel „Mir ist folgendes berichtet worden" geklagt, der wachsende Einfluß der Großindustrie auf den Arbeitsgebieten der Technischen Hochschulen bereite Sorge. Während nämlich deren Betrieb stark eingeschränkt worden sei, werde jetzt auch die Grundlagenforschung stellenweise „ausschließlich von der Großindustrie betrieben", die überdies dazu übergegangen sei, sich ihren eigenen Nachwuchs auszubilden. Härter formuliert folgte das zwei Jahre später, am 9. September und am 14. Oktober 1942, noch einmal - wiederum aus dem Büro Krüger, und nunmehr hat man Unter den Linden ein wenig daran zu kauen gehabt. Was war jetzt der Panei-Kanzlei „mitgeteilt" worden? Zunächst die unzulängliche Ausstattung und die „lächerlich kleinen" Etats der Technischen Hochschulen und nachfolgend „darüber hinaus" die desolate Lage von Forschung und Lehre auf naturwissenschaftlichem Gebiet in Relation zum Ausland: zu den USA sowieso (37 Großanlagen etwa für Atomzertrümmerung, in Deutschland keine einzige), aber auch zu Großbritannien und sogar zur Sowjetunion (in mitgelesenen Feldpostbriefen war über die dort im Vergleich zu manchen deutschen Hochschulinstituten „reichhaltigen und großzügigen" staatlichen Institute und Forschungslaboratorien Verwunderung geäußert worden). Kernphysik und Kernchemie gehörten also zu den speziell genannten notleidenden Fächern, und als Gründe waren der Partei-Kanzlei die allgemeinen Mängel der in den letzten Jahren „sehr zurückgebliebenen" Technischen Hochschulen genannt worden. Auf die Unterstützung der Industrie, die viele Hochschulinstitute allein mit ihren Geldern „völlig neu gegründet" habe, seien sie angewiesen, und auch für die Professoren sei der finanzielle Anreiz, sich dort ein Zubrot zu verdienen, „durchwegs recht stark". Der Einfluß der Industrie gehe so weit, daß er sich „sogar in der Lehrplangestaltung bemerkbar" mache, und ihren Nachwuchs kaufe sie sich mit monatlichen Unterstützungszahlungen bereits bei den zweiten, höchstens dritten Semestern ein. Das war hart. Weniger des Inhalts wegen, den hätte man, wäre das von anderer Seite gekommen, mit gewohnter Behördenarroganz hinweggebügelt. Bormanns Großbetrieb aber war — vielleicht noch neben den Finanzministerien - die einzige Instanz, bei der es galt, Farbe zu bekennen. Unter den Linden verfaßte Referent v. Rottenburg einen Antworttext, der mit „Es muß leider zugegeben werden" begann und auch weiter voller Demut war. Was aber mußte nun zugegeben werden? Daß die TH-Ausstattung „durchweg" nicht so war, wie sie sein müßte, daß da schon im Kaiserreich „schädliche Sparsamkeit" manches versäumt habe, was nachfolgende Zeiten wirtschaftlicher Not nicht hatten nachholen können - von der dann „nachfolgenden" Zeit im Dritten Reich sprach Rottenburg lieber nicht. Statt dessen davon, wie es „Länder mit einer älteren wissenschaftlichen Kultur" - auch England, Frankreich nicht weniger - überhaupt schwer hätten, mit dem Neuaufbau anderswo (lies: USA, Sowjetrußland) Schritt zu halten, und von den doch „gewaltigen Leistungen Deutschlands" im gegenwärtigen Kriege - „allzuschlecht" kön181

ne es mithin nicht bestellt sein. Es folgte nach einer Aufzählung der in Preußen und bei den noch mehr vernachlässigten Reichshochschulen „immerhin" im einzelnen durchgeführten Maßnahmen die Präsentation des Schwarzen Peters: die Berufung auf die bis 1933 fehlende Möglichkeit einer einheitlichen Planung und auf die (bis zum heutigen Tage) Haushaltzuständigkeit lediglich für jene preußischen und neuen Reichshochschulen sowie auf die jetzt so sehr eingeschränkte Bautätigkeit. Nach dem Kriege, wenn auch die Hochschulen der außerpreußischen Länder „meiner Verwaltung haushaltsmäßig unterstellt" sein würden und wieder gebaut werden könne, werde der auch im Reichserziehungsministerium als „unbedingte Notwendigkeit" betrachtete TH-Ausbau in größerem Maße in Angriff genommen werden. Mit etwas Überarbeitung, einigen Ergänzungen und ein bißchen weniger Schuldbewußtsein ist die Antwort sinngemäß so nach einem Dreivierteljahr, am 19. Juli 1943, glücklich hinausgegangen. Die Ergänzungen gründeten vor allem auf Protesten der Korreferenten, die erstens die ablehnende Haltung der Finanzminister „allen Anträgen und Bemühungen unseres Hauses gegenüber" und zweitens die Sonderleistungen von KaiserWilhelm-Gesellschaft und insbesondere Forschungsgemeinschaft („seit der Präsidentschaft von Prof. Mentzel etwa 8 Mill. jährlich") mehr hervorgehoben wissen wollten. Drittens sollte die Industriehilfe nicht als „milde Gabe, sondern als eine Form des Dankes" interpretiert und viertens schließlich (solche Kühnheit freilich ist dann doch besser unterblieben) daran erinnert werden, „daß nach 1933 bis etwa 1938 von allen maßgebenden Stellen der Partei und des Staates die Zweckforschung als das einzig Wahre gepriesen und die Grundlagenforschung verdammt worden" sei. Es ist zu bezweifeln, ob diese Perspektive, dieser Wechsel auf eine ziemlich ferne und ungewisse Zukunft, im Braunen Haus tatsächlich beruhigend gewirkt hat. Krüger hat indes offenbar nichts wieder von sich hören lassen - aber was sollte er schließlich auch tun, zu ändern war ja in der Tat jetzt nichts mehr. Diesen Exkurs abschließend noch die Frage, was denn nun eigentlich stimmte: die Fanfarenstöße der Festschrift von 1941 oder das Lamento und Weinen zwei Jahre später. Sind die Technischen Hochschulen nun im Triumphmarsch aus dem Dritten Reich gezogen oder in Sack und Asche? Oder hat sich das etwa je nach der Kriegslage geändert, war es wieder Zeit Trauer zu tragen, nachdem sich die „großen Siegeszüge der Technik" in der russischen Steppe und in der afrikanischen Wüste totgelaufen hatten? Sicher hat das eine wesentliche Rolle gespielt, uns jedoch mag die Erkenntnis genügen, daß das Problem Technische Hochschule in der nationalsozialistischen Zeit zwar viel beredet, aber kaum angepackt, geschweige denn gelöst worden ist; das ist der Zeit danach vorbehalten geblieben. Mit der Vermutung, daß ernstlich wohl auch dort nichts geschehen sein wird, besichtigen wir nun die Zusammenlegungspläne, die am meisten im Gespräch gewesen und am weitesten gediehen sind, die für Breslau605. Diese Angelegenheit war eine „Erblast", die Rust bei seinem Einzug Unter den Linden vorgefunden hat—und, betrachtet man das politische Konzept seiner Partei, eine sehr, sehr peinliche dazu. Sie war damals genau ein Jahr alt, stammte also noch aus dem sozialdemokratischen Kultusministerium. Weit gefaßt, war sie sogar noch älter. Womit weniger an Aufzeichnungen von 1936 gedacht ist, die im zeitnäheren 1933 auf das Vorjahr 1932 datierte Bemühungen nach 1930 zurückverlegen, sondern an die Zeit vor der Gründung der T H Breslau 1910, als man einfach die technischen Fächer in die Philosophische Fakultät der Universität hatte eingliedern wollen, was aber an deren Widerstand gescheiten war - noch immer galt Technik bei den Ver182

tretern der reinen Lehre als etwas Universitätsfremdes, womit man sich nicht die Hände schmutzig machen wollte. Im Februar 1932 also erschien die Korrektur der Verweigerung von 1910 auf der Tagesordnung. Richter natürlich und der TH-Fachreferent Ministerialrat v. Rottenburg sollen die geistigen Väter gewesen sein, der Anlaß das knapp werdende Geld - nach einer Lesart die notwendig erscheinende Aufhebung des Instituts für Hüttenkunde und Bergbau, nach einer anderen und wahrscheinlicheren das Verlangen der Universitätschemiker nach neuen Laboratorien, während die TH über leicht erweiterungsfähige und „einigermaßen" neue verfügte. So jedenfalls ist das auf seiten der Hochschulen später dargestellt worden. Der Physiker Clemens Schaefer freilich, mit einer Pause in Marburg seit 1917 Ordinarius an der Universität Breslau, hat am 13. Dezember 1939 interessierten Prager Kollegen eine völlig andere Geschichte erzählt604, sich auf seine Kompetenz als Vorsitzender einer Kommission berufend, welche „die Dinge hier in Breslau" hatte organisieren sollen. Das Motiv ist bei ihm dasselbe: die der Universität wie der T H gestellten Sparforderungen nach dem „großen finanziellen Zusammenbruch im Jahre 1931". Als Initiatoren aber treten bei Schaefer nicht Beamte des Ministeriums auf, sondern der damalige TH-Rektor Erich Waetzmann und sein Senat. Sie hätten (wir folgen nun Schaefers Darstellung) den Beschluß gefaßt, wegen einer Vereinigung an die Universität heranzutreten, „damit wenigstens vernünftig gespart würde". Offene Türen seien dabei eingerannt worden, sei doch die T H damit einem „lang gehegten Wunsch" der Universität entgegengekommen, den diese nur deshalb nicht zu äußern gewagt hatte, weil die Initiative vom „schwächeren Teil ausgehen mußte". Man sei sich einig gewesen über eine „vollkommene Vereinigung", und Pläne, die schon bis ins Detail gingen (so sollte etwa der damalige TH-Rektor Prorektor werden und dann das nächste Rektorat übernehmen), seien ausgearbeitet und vom Ministerium genehmigt worden. Ganz zum Schluß jedoch, so schreibt Schaefer weiter, im Herbst 1932, hätten sich plötzlich Widerstände bemerkbar gemacht, nämlich in der Technischen Hochschule und exakt in der Baufakultät, wo es „ein paar rabiate Nur-Techniker" gegeben habe - Leute, wie es sie an jeder T H gebe, die am liebsten auch Chemie, Mathematik und so weiter „von ihren Leuten, Ingenieuren", und nicht von „Fachleuten" lehren lassen würden. Diese Kreise hätten nun immer neue Gegenargumente vorgebracht, darunter das, der geschlossen nationale Block der TH-Studenten dürfe nicht in die stark sozialistisch verseuchte Universitäts-Studentenschaft (Cohn hat davon nicht viel gemerkt) „eingeschmolzen" und somit beseitigt werden, und immer neue Hindernisse aufgetürmt, etwa für den Dekan der Ingenieurwissenschaftlichen Fakultät erst den Titel „Magnifizenz", dann die Amtsbezeichnung „Präsident" gefordert. Es habe, so entrüstet sich Schaefer sieben Jahre später und „kriegt beim Diktieren noch die Wut" 605 , nichts gegeben, „das schofel genug gewesen wäre, um nicht verwendet zu werden". In dieser Situation erst habe im Dezember 1932 das Ministerium „energisch durchgegriffen" und erklärt, nachdem jetzt alles beschlossen und die organisatorische Arbeit geleistet sei, „gäbe es kein Zurück mehr". Und so seien denn die beiden Anstalten vereinigt in den Staatshaushalt 1933 eingestellt worden, dann aber die Tage der Machtergreifung gekommen. Wir unterbrechen hier Schaefer, um uns etwas zu wundern. Denn von Aktivitäten eines Faktors, der in anderen Akten eine tragende Rolle spielt, ist bei ihm überhaupt nicht die Rede. Und das sind die damaligen Breslauer Studenten, uns ja bereits als temperamentvoll vertraut606 durch den Fall Cohn, der zur gleichen Zeit in Breslau abgelaufen ist. 183

Laut Schaefer scheinen sie hier interesselos und apathisch zugesehen zu haben. In Wirklichkeit ist die Studentenschaft von Anfang an engagierter Gegner des Projekts und bereits im Februar 1932 aktiv gewesen, als die ersten Überlegungen durchgesickert waren. Völlig zutreffend haben die Studenten den beiden Rektoren an der Initiative die Schuld gegeben, eine Vollversammlung faßte am 25. Februar mit großer Mehrheit eine Entschließung gegen die Zusammenlegung - und Magnifizenz Waetzmann soll seine Studenten unter Druck gesetzt haben, mit ihrem Protest wenigstens nicht an die Öffentlichkeit zu gehen. Dann aber hat ja im Sommer Papens Kaehler die „Erblast" übernommen, statt links stand Berlin nun plötzlich rechts. Auch das scheint bei Schaefer nicht recht durch, jedoch hat es da auch nicht allzuviel gegeben, was hätte durchscheinen können. Es ist unter Kaehler trotz des Protestes einer doch stramm rechten Studentenschaft nichts verzögert oder gar gestoppt worden, es wurden vielmehr (und das hat dann Schaefer völlig richtig gesehen) in den Wochen vor der Machtergreifung die Dinge vorangetrieben. So ist das einige Jahre danach auch von studentischer Seite geschildert worden, die dann allerdings ausschließlich das Ministerium als treibende Kraft hingestellt hat - Rektoren, Senate, Professoren waren vergessen. Und genauso bereits am 24. Juni 1933 im Rektoratsbericht 607 : Am 2. Januar hätten die Kommissare des Reiches den Beschluß gefaßt, die T H Breslau mit Wirkung vom 1. April als Ingenieurwissenschaftliche Fakultät der Universität anzugliedern (das heißt Maschinenbau, Bauingenieurwesen und Architektur Stoffkunde sollte mit den Allgemeinen Wissenschaften zur Philosophischen Fakultät abwandern), der Name der Gesamtanstalt sollte dann lauten „Schlesische Universität (Friedrich-Wilhelms-Universität und Technische Hochschule)" und die Etats mit Wirkung vom gleichen Tage vereinigt werden. Das nunmehr schwarz-weiß-rote Kultusministerium also am Werk, jedoch überraschenderweise im Sinne der roten Vorgänger. Und für uns wieder Rückblende zu Schaefer. Statt von Einsparung und Rationalisierung sei jetzt viel von der kulturpolitischen Idee der Universitas litterarum zu hören gewesen. Das Ministerium Grimme habe es im ersten Halbjahr 1932 verstanden gehabt, nicht nur die großen Industrieverbände für seine Sparmaßnahmen zu gewinnen, sondern auch einen erheblichen Teil des Lehrkörpers der bedrohten TH - mit dem Druckmittel der (niemals ernsthaft erwogenen) Schließung als sonst einzig möglicher Alternative. Hat Schaefer recht, brauchte freilich an derTH nicht mehr allzuviel gewonnen zu werden, die rabiaten Bauingenieure werden kaum gemeint gewesen sein. Und bestimmt ebenfalls nicht die Studenten. Die Studentenschaft, damals (extrem wie zu allen Zeiten) die Speerspitze derer, die sich auf der „Wacht im Osten" befanden und alles beargwöhnten, was irgendwie als Räumen einer Stellung gedeutet werden konnte, ist leidenschaftlicher Gegner solcher Planungen gewesen und geblieben, und Seite an Seite mit ihr alles andere, was sonst noch rechts gestanden hat in Schlesien. Erschwerend kam hinzu, daß die beiden übrigen und kleineren Breslauer Hochschulen, die Pädagogische Akademie und die Staatliche Kunstakademie, völlig auf der Strecke bleiben sollten (und Ende 1932 wohl auch geblieben sind). War, so hieß es bei den Protestlern, ausgerechnet der deutsche Osten das geeignete Feld für kulturpolitische Experimente? Sollte er, während Zehn-Kinder-Minderheitenschulen für Polen unterhalten würden und die Polen in ihrem Kattowitz eine neue Technische Hochschule aus dem Boden stampften, vielleicht kulturell veröden? Sollte die neben Danzig einzige Bildungsstätte dieser Art im reichsdeutschen Osten verkümmern, die „deutsche kulturelle Front im Osten" wirklich und wahrhaftig „abgebaut" werden? 184

Man fragt sich, warum die rechte Kaehler-Administration das nicht auch so gesehen hat. Mußte es denn tatsächlich ausgerechnet Breslau sein? Es mußte. Und zwar selbst dann, wenn hier nicht von Breslau herübergestreckte Hände hilfreich ergriffen worden sein sollten. Von den elf deutschen Technischen Hochschulen nämlich befanden sich acht nicht in Universitätsstädten, die also schieden von vornherein aus. Und von den drei restlichen kamen Berlin und München ihres Umfanges wegen nicht in Betracht, so daß in der Tat, wollte man einsparen oder auch - trotz der schlechten Erfahrungen 1928 in Münster608 - kulturpolitisch weiterexperimentieren, lediglich Breslau übrigblieb, das im übrigen damals nicht, wie die „Gleiwitzer Heimattreuen" Hindenburg schrieben, „mehr als tausend", sondern noch ganze 700 Studenten hatte. Die Gegner haben behauptet, das Ministerium Grimme und dann auch seine Nachfolger hätten die Sache „sehr geheimnisvoll" behandelt und versucht, sie „in aller Stille" über die Bühne zu bringen. Im Januar 1933 jedenfalls, als sich die Planungen realisierten, konnte von „Stille" keine Rede sein. Protestdemonstrationen und -entschließungen gegen das Herabsinken derTH Breslau in eine Aschenbrödelstellung, zu bloß noch lokaler Bedeutung, setzten den Planern hart zu: Breslau werde dann eine Sonderstellung einnehmen, keine vollwertige Ausbildungsstätte für Techniker mehr darstellen, sein Diplom weniger gelten, der doch erwünschte Zuzug der akademischen Jugend aus dem übrigen Reich nach Schlesien eine weitere schwere Hemmung erfahren. Wortführer waren die Studentenschaften natürlich, die Breslauer, die Deutsche und die Großdeutsche, dann eine „Vereinigung der Studierenden an der T H Breslau", Alfred Baeumler in Dresden („schwerer Fehler", Symptom für die Bereitschaft Deutschlands, „sich zu verkleinern") und Erwin Schrödinger in Berlin („tief zu bedauern") sowie die Presse von der „Schlesischen" bis hinüber zur Deutschen Allgemeinen Zeitung, aber auch die „Vereinigten Verbände heimattreuer Oberschlesier" und Berufsverbände wie der Bund Schlesischer Industrieller oder der „Architekten- und Ingenieur-Verein zu Breslau" fanden sich hier zusammen (wobei irgendwo hinter letzterem vermutlich die „Rabiaten" hätten geortet werden können). Die Koalition der Vereinigungsgegner war, wie man sieht, weit gefächert, und ihr Geschrei hörte sich in der Tat bedrohlich an, und am bedrohlichsten also im Januar 1933. In den Weihnachtsferien war, offenbar aus heiterem Himmel, von der Deutschen Studentenschaft in Berlin die Nachricht an die Breslauer Kommilitonen gelangt, wonach die Zusammenlegung „so gut wie beschlossen sei" und auch schon exakte Ausführungspläne vorlägen. Sofortige Rücksprachen mit der nunmehrigen Magnifizenz Bernhard Neumann führten nicht viel weiter - Rektor und Senat wußten offenbar nichts Genaueres. Mithin machte sich eine Studentendelegation nach Berlin auf den Weg, die am 3. und 4. Januar 1933 im Regierungsviertel Klinken putzte. Am 3. hielt ihnen zunächst Unter den Linden v. Rottenburg einen 90-Minuten-Vörtrag, dem sie entnehmen konnten, was der zeitungslesende Bürger609 eine knappe Woche später erfahren hat: den schon erwähnten Beschluß der „Kommissare des Reiches für Preußen", wie das Preußische Staatsministerium derzeit ja hieß. Damit war sogar die Minimalforderung des Architekten- und Ingenieur-Vereins vom 22. Februar 1932 unterlaufen, wenn die Maßnahme schon nicht vermieden werden könne, dann wenigstens die drei technischen Fakultäten jede für sich zu erhalten, hätten doch etwa Baukunst und Hüttenkunde sicherlich nicht mehr Berührungspunkte als etwa Theologie und Medizin. Daß auch von dem dort als Ausdruck der Gleichwertigkeit ebenfalls geforderten Turnus im Rektorat keine Rede war, versteht sich von selbst. 185

Aus Berlin haben die studentischen Emissäre aber auch sonst nur wenig Tröstliches mitgebracht. Rottenburg hatte nach Verlesung des Wortlauts des Staatsministeriumsbeschlusses noch von der so möglichen Raumgewinnung und Raumreserve gesprochen, von den bei den Chemikern möglichen Einsparungen (Kosten eines TH-Erweiterungsbaus eine halbe Million gegenüber zwei Millionen für einen Neubau bei der Universität), von späteren Ausgestaltungsmöglichkeiten unter Benutzung der jetzt langsam abzubauenden Professuren. Ministerialdirektor Valentiner, bei dem sie anschließend waren, hatte das wiederholt und von den Einsparungsmöglichkeiten bei der Anschaffung wissenschaftlicher Literatur geschwärmt, und Reichskommissar Kaehler soll dann am 4. sogar mit der staatlichen Anerkennung der ja nicht mehr verfaßten Studentenschaft gelockt haben, wenn man in Breslau Ruhe geben würde (was empört abgelehnt worden sei - „voll und ganz" werde man sich für Breslau einsetzen und den Kampf „mit allen Mitteln durchführen"). Die Abgesandten hatten an jenem 4. schließlich noch die einzelnen Landtagsfraktionen aufgesucht (alle sicher nicht). Vielfach waren zwar „die maßgebenden Herren nicht anwesend" gewesen, doch hatte man immerhin von NSDAP und DVP „bindende Zusicherungen" einer Anfrage im Landtag und der Stimmabgabe gegen die Breslauer Zusammenlegung erhalten, und auch mit dem Zentrum, so berichteten sie, hätten sich die Verhandlungen „sehr günstig" angelassen. Die Breslauer Studenten forderten die übrigen Technischen Hochschulen zu einem Protestschritt auf, man sammelte für einen Kampffonds (von jedem „Kommilitonen nur RM -.10 als Scherflein") und erfreute sich an der Zahl der Bundesgenossen. Am 16. Januar 1933 hat dann eine Vollversammlung der TH-Studentenschaft in Breslau beschlossen, für einen Tag in den „Generalstreik" zu treten gegen den Beschluß des Ministeriums, Technische Hochschule und Universität zusammenzulegen. Und auch andere studentische Vereinigungen forderten nachdrücklich die Zurücknahme des Beschlusses, - da aber kam dann auch schon das Dritte Reich. Der neue Mann, Rust, hat sich also weiter mit dieser Erbschaft herumplagen müssen. Es sei dies, so erklärte er am 22. Februar 1933 in einem Interview, das er einem Vertreter der Telegraphen-Union gab610, eine der nächsten Aufgaben, die er in Angriff zu nehmen habe. Grundsätzlich meine er, daß, wenn „unser politisches Aufmarschgebiet im Osten" liege, dort auch „unser kulturpolitisches Aufmarschgebiet" liegen müsse. Sollte daher der Zusammenlegungsbeschluß wegen „bloßer Sparmaßnahmen" erfolgt sein, so seien diese dort im Osten am wenigsten zu rechtfertigen. Handele es sich aber um eine Maßnahme der Kulturpolitik, dann liege „möglicherweise der Fall anders" - wenn nämlich (was immer das sein mochte) „ausgeprägte geistige Zuschußleistungen" Breslau zu einem „starken geistigen Mittelpunkt im deutschen Osten" machten. Er habe mit den maßgeblichen Stellen Fühlung genommen, hatte Rust noch gesagt, und werde in der nächsten Woche nach Breslau fahren, um sich an Ort und Stelle zu orientieren (der Interviewer hatte indessen das Gefühl, der Reichskommissar habe sich bereits für die Zusammenlegung entschieden). Die Reise ist dann auch geschehen, und der neue Reichskommissar soll den Eindruck gewonnen haben, daß eine vollständige Vereinigung der Technischen Hochschule abträglich sei. Meinen die einen. Schaefer allerdings wußte vom Gegenteil. In einer mehrstündigen Aussprache mit Professoren, Großindustriellen und Verwaltungsbeamten hätte sich „die völlige Vereinigung so siegreich" durchgesetzt, daß Rust sich am Ende von der Güte dieser Sache überzeugt gezeigt und das wenige Tage später denn auch in einem der Deutschen Allgemeinen Zeitung gegebenen Interview bekannt habe. 186

N u n gibt es freilich von Rust lediglich jenes TU-Interview vor seiner Breslau-Reise, ein anderes in der D A Z ist nicht zu finden und auch, nach so kurzer Zeit, wenig wahrscheinlich611. Jedenfalls mußte Schaefer nun einen späteren Umfall Rusts begründen. Dem von den „neuen Männern" im Kultusministerium ausgelösten „unmöglichen Durcheinander" gibt er die Schuld, meint aber, das sei nicht ohne Nachhilfe geschehen. Die alten Widerständler hätten sich hinter den neuen Parteimännern verschanzt und beispielsweise Gauleiter und Oberpräsident Brückner „suggeriert", das Verschwinden der Breslauer T H bedeute angesichts der gegen Schlesien gerichteten polnischen und tschechischen Ambitionen eine „nationale Schwächung". Und diese Parteileute, „keiner natürlich genau orientiert", seien prompt „darauf hineingefallen" und hätten entsprechende Erklärungen abgegeben. Mindestens hier ist Schaefers Bericht Unsinn, denn es hat wohl keinen Gauleiter oder Oberpräsidenten gegeben, dem man, als ihm eine Feder vom Hut genommen werden sollte, Gegenargumente erst hätte suggerieren müssen. Und diese waren ja so naheliegend, - wie gleich zu zeigen sein wird, ist darüber am Ende die Vereinigung denn auch zu Fall gekommen. Als geraume Zeit verstrichen und die Frage nicht mehr aktuell war, hat Hermann Matzke in der 1941erTH-Festschrift geschrieben, wenn der Beschluß der Kommissare in seiner ursprünglichen Form nicht zur Ausführung gelangt sei, so habe das die Hochschule „zum großen Teil unserer jugendfrischen Studentenschaft" und ihren Führern zu verdanken, die „unerschrocken und unermüdlich die Öffentlichkeit aufgerüttelt" hätten. Am 8. März nämlich hat ein Staatsministerialbeschluß bestimmt, daß beide Hochschulen „Namen und korporative Selbständigkeit vorläufig behalten", die Vereinigung der Etats dagegen und die Zusammenlegung der Verwaltung und von Instituten aufrechterhalten bleiben sollten. Vereinigt waren die chemischen Institute, die mathematischen und die volkswirtschaftlichen Seminare, einige andere naturwissenschaftliche Lehrstühle und eben vor allem die Etats, was in einem gemeinsamen Kurator für beide Hochschulen äußeren Ausdruck fand. Universitätsprofessoren wurden zugleich Mitglieder der entsprechenden TH-Fakultäten und umgekehrt, die „Schlesische Universität" als Gesamthochschule indessen hat es - vorerst, wie viele meinten - nicht gegeben. Noch Mitte Juni hat Rust, als er die Rektoratsübergabe in seiner Gauhauptstadt Hannover durch eine Ansprache ehrte, den Fall Zusammenlegung Breslau gestreift mit der Bemerkung, daß man in der Vereinzelung bisher tatsächlich zu weit gegangen sei612. Doch schon die mittlerweile bereits ohne Vollzug der institutionellen Vereinigung erfolgten ersten Zusammenlegungen hatten sich als problematisch erwiesen, vor allem für die T H und ihre Angehörigen. Dort wurde geklagt: Keine Straßenbahnverbindung bei zwei Kilometer Luftlinie Entfernung, daher Zeitversäumnisse und Verzögerungen, deshalb Inanspruchnahme zwar der von der T H angebotenen Leistungen durch - nicht eingeschriebene - Universitätsstudenten, nicht aber umgekehrt, da sich an der T H „die Söhne unserer verarmten Grenzprovinz" mit ihrem längeren Studium die großen Zeitverluste nicht leisten könnten; Unzuträglichkeiten bei Berufungen durch Unkenntnis der wahren Bedürfnisse des technisch-wissenschaftlichen Unterrichts auf Seiten der Universität. Nun seien, so hat 1941 der Breslauer Festschrift-Berichterstatter geschrieben, seitdem 1935 die T H durch ihr glanzvoll zusammen mit dem „Ersten Tag der deutschen Technik" begangenes Jubiläum in den „Gesichtskreis der gesamten deutschen Technik gerückt" sei, die „Zusammenlegungsversuche dank der zielbewußten Führung der Hochschule, wenn auch unter schweren Kämpfen, allmählich" abgeebbt - eben auch weil auf dem Gebiet der angestrebten „praktischen Ökonomisierung des Studiums ... nicht der geringste 187

Erfolg erzielt worden" wäre. Daß „abebben" richtig war, ist für die Jahre 1935/36 wohl anzuzweifeln. Denn ob man in Berlin nun die Klagelieder der Breslauer Techniker nicht kannte oder überhörte und die Flucht nach vorn antreten wollte: Anfang 1936 beschloß das nunmehrige Reichserziehungsministerium per 1. April erneut die Breslauer Zusammenlegung - mit dem zu erwartenden Echo. Dozentenbund, Schlesiens jetziger Gauleiter Josef Wagner und Todt als Beauftragter für Technik nahmen „entschieden" dagegen Stellung, der Stab Stellvertreter des Führers bündelte diese Proteste und schickte sie nach Berlin mit dem Ergebnis, daß man Unter den Linden von der Breslauer Vereinigung wiederum bis auf weiteres Abstand nahm - jedoch mit der trotzigen Anmerkung, dereinst und generell werde man alle Technischen Hochschulen mit den nächstgelegenen Universitäten zu einer neuen Universitas vereinen. Auch in der T H hatte man sich selbstverständlich zur Abwehr gerüstet, und dort vermutlich ist damals oder in den Wochen zunächst noch anhaltender Verunsicherung danach eine Protestschrift 613 entstanden, die erstens (jede Statistik ist ja geduldig) den als Vereinigungsgrund angeführten Rückgang der Besucherzahlen als noch unterdurchschnittlich nachwies und im übrigen auf den schädlichen Meinungsstreit über die Vereinigung zurückführte, zweitens die Ahnungslosigkeit der für die beabsichtigte „Schließung oder langsame Abtötung d e r T H Breslau" beziehungsweise der im Fall einer Zusammenlegung für ihr weiteres Geschick Verantwortlichen hinsichtlich der Anforderungen des technischen Studiums anprangerte (mit dem nicht gerade sehr gravierenden Beispiel, ein Theologe könne dann als Rektor auch die angegliederte Technische Hochschule führen) und drittens schließlich, nach einem Rückblick auf die „außerordentlich bewegte und ungünstige Entwicklung" seit der Gründung 1910 (insbesondere natürlich dank der „bekannten gegnerischen Einstellung marxistischer und verwandter Kreise der Systemzeit"), des Führers Telegramm zum 25jährigen Bestehen zitierte mit seinem Wunsch, daß die T H Breslau auch weiterhin ein „wichtiger kultureller Stütz- und Mittelpunkt im Osten des Reiches" sein möge. Daß derartige Texte von den damit zu Beglückenden selbst abgefaßt und zusammen mit der vorgesehenen Huldigung eingereicht zu werden pfleg(t)en, wurde selbstredend übersehen und dreist gefragt: Sollte es im nationalsozialistischen Deutschland etwa gestattet sein, daß die Worte des Führers „von gewissen Stellen einfach nichtachtend beiseite geschoben werden" dürfen? Und wolle man sich etwa in „krassesten Gegensatz" setzen zu den „grundlegenden Ausführungen des Führers" auch in seinem „Kampf" oder ebenfalls zu „seinen großen Kulturreden" auf den letzten Reichsparteitagen? Die Angehörigen der T H Breslau jedenfalls würden sich, „ihrer Aufgabe und Verantwortung bewußt, den Vorstößen dunkler Mächte mit allen Kräften widersetzen"! Wie das aber so ist bei „dunklen Mächten": Sie geben keine Ruhe. Und speziell hier kam noch hinzu, daß das von Schaefer für 1933 ausgemachte „unmögliche Durcheinander" offensichtlich angehalten hat. Denn wie anders ist es zu erklären, daß dann um die Jahreswende 1936/37 614 Magnifizenz Walz im Reichserziehungsministerium eröffnet worden ist, eine Vereinigung sei (wie er dem zu entnehmen glaubte, auf Einwirkung einer höheren Stelle hin) endgültig beschlossen, eine Änderung dieses Beschlusses sei nicht mehr möglich und die schriftlichen Anordnungen wären in Kürze zu erwarten. Am 19. Januar 1937 wandte sich daraufhin der Breslauer Studentenführer Eberhard Kühn an Reichskanzlei-Chef Lammers und klagte darüber, daß seit den Maßnahmen von 1933 der Breslauer Dozentenschaft und Studentenschaft gegenüber „immer wieder eine weitere Vereinigung außer Frage gestellt worden" sei, ja jüngst noch im November 1936 bei der 188

125-Jahr-Feier der Breslauer Universität Rust erklärt habe, die „Akten über die Zusammenlegung" seien „abgeschlossen". Und erfragte nach den Voraussetzungen, den Gründen und der Form der nun jetzt „scheinbar endgültig beschlossenen Zusammenlegung". Natürlich war „scheinbar" hier falsch und müßte rot angestrichen werden - was Studentenführer Kühn meinte, war „anscheinend". Wie die Entwicklung dann aber gelaufen ist, hat sie sein „scheinbar" so etwas wie gerechtfertigt: Wieder ist aus der institutionellen Zusammenlegung nichts geworden, im Dezember 1937 hat vielmehr das Preußische Staatsministerium auf Antrag des Reichserziehungsministeriums beschlossen, daß Universität und T H „als selbständige Hochschuleinrichtungen erhalten bleiben" sollten. Es sei damit, so wurde in der Presse verlautbart615, eine „Entscheidung der früheren Regierung" aufgehoben worden. Rückblickend hat im November 1939616 Ministerialrat v. Rottenburg, der unversehrt über die Zeitläufte hinweggekommene spiritus rector des Gedankens unter dem längst vergessenen Grimme (so vergessen, daß irgend jemand beim Breslauer Dozentenbund schon „Grimmel" schreiben konnte), das endgültige Scheitern der Breslauer Pläne auf den Widerstand vor Ort zurückgeführt, auf den „Fachpartikularismus" sowie auf die Angst der Professoren, die sich hier eine Abbaumaßnahme „eingeredet" hätten (als ob er nicht selbst zumindest vor der Studentendelegation über abzubauende Professuren laut nachgedacht hätte); beidem hat der Kollege Breuer, an den „Kampf um eine zweite Rektorkette" erinnernd, noch das manische Festhalten der T H an ihrer Selbständigkeit hinzugefügt. Offiziell ist das Scheitern als Zurückstellung kaschiert worden, und ganz und gar aufgegeben hat man Unter den Linden die Idee nicht, für die doch historische (Korrektur der hochmütigen Ablehnung der ausschließlich humanistisch-geisteswissenschaftlich orientierten Universitäten des 19. Jahrhunderts, die heraufkommende Technik für voll und in ihren Kreis aufzunehmen), allgemein kulturpolitische (Verwirklichung einer vollen „Universitas" mit einer wechselseitigen „Befruchtung von Fachgebiet zu Fachgebiet") und praktische (Möglichkeit besseren Ausbaus und besserer Ausstattung gemeinsamer Einrichtungen auf naturwissenschaftlichem Gebiet) Gründe sprächen. Der nunmehr verfolgte listige Plan ging dahin, das Projekt umzudrehen und zuerst nicht die kleinste, sondern - nach dem Neubau der Hochschulstadt in Berlin - die größte Technische Hochschule mit der größten Universität zusammenzulegen und der Sache so das Odium eines Abbaus zu nehmen. Nun, dazu ist es bekanntlich nicht mehr gekommen. Und auch ein anderer Anlauf ist gescheitert, der 1939 von Prag ausgegangen ist617. Treibende Kraft war der dortige kommissarische Gaudozentenbundsführer Konrad Bernhauer, mit im Spiele waren aber auch die beiden Rektoren, der Pädagoge Ernst Otto (Deutsche Karls-Universität) und der Chemiker Kurt Brass (Deutsche T H Prag), die beiden Dozentenführer und die - wie Bernhauer sich vorsichtig ausgedrückt hat - „Mehrzahl der Dekane". Der Schatten Breslaus schwebte von Anfag an über dem Unternehmen. Am 5. Dezember 1939 haben die akademischen Würdenträger der beiden Hochschulen dem Reichsprotektor und dem Reichserziehungsministerium ein Memorandum übersandt. Durch die „Vereinheitlichung" des Prager Hochschulwesens aus „der Deutschheit unserer nationalsozialistischen Weltanschauung" heraus sollte ein „hervorragendes Instrument deutscher Kultur- und Wirtschaftspolitik im Ost- und Südostraum" erwachsen - mit dem nicht sehr einfallsreichen Namen „Deutsche Karls-Universität und Technische Hochschule in Prag" und gegliedert in sechs Fakultäten: drei von der Universität, zwei von d e r T H und eine zusammengefügte naturwissenschaftliche. Bei de189

ren Benennung nun freilich sollte „Althergebrachtes abgestreift" werden, so daß es etwa statt der Medizinischen eine „Gesundheitswissenschaftliche" Fakultät geben würde und dergleichen Schnack mehr. Die Theologen hatte man vorsichtshalber erst einmal aus dem Spiel gelassen, dieses Problem sollte, wie es in etwas holprigem Deutsch hieß, „aus nationalsozialistischen Erwägungen", aber auch „unter Berücksichtigung der Kirche für den Volkstumskampf", später „geregelt" werden. Gerade in Prag - so erläuterte Bernhauer Mentzel, dem nunmehrigen Amtschef W, seinen Antrag - , wo man nicht wisse, wohin mit der notwendigen großen naturwissenschaftlichen Fakultät, und wo sowieso von Grund auf alles neu gestaltet werden müsse, wo auch der äußere Neubau dann besser und reibungsloser vorangehen würde und wo gerade die Traditionen der ältesten Hochschulen ihrer Art Anreiz gäben, wiederum als erste den „neuen Hochschultyp praktisch zu verwirklichen" - gerade hier sei der günstigste Boden für eine „sinnvolle Eingliederung aller Zweige der Wissenschaft in einen einheitlichen Rahmen". Mentzels Referenten dachten ähnlich, hielten den Plan für „glücklich" und „wertvoll" und befürworteten seine Weiterverfolgung. Vom Breslauer Feuer gebrannt, verlangten sie freilich, daß die Sache „psychologisch gut unterbaut" und von den „geistig bedeutsamsten Köpfen" beider Hochschulen, von „allen ins Gewicht fallenden örtlichen Stellen", „gefordert und getragen" werden müsse, auch sollte gleichzeitig „irgendeine ins Auge fallende Ausbaumaßnahme eingeleitet oder mindestens fest zugesagt werden". Was Mentzel aber dann doch zur Ablehnung des Antrags veranlaßt hat, ist nicht der Schatten Breslaus gewesen oder nur in einer ganz speziellen Hinsicht - ein Punkt, den Bernhauer bereits in seiner Erörterung möglicher Einwände aufgeführt, aber offenbar nicht überzeugend genug widerlegt hatte: Daß nämlich „das Tschechentum" dies als Rückzug werten könnte. Sorgfältig ausgearbeitet und auch zukunftweisend sei der Prager Vorschlag, so befand er in seiner Vorlage für Rust, zur Zeit jedoch aus kulturpolitischen Gründen unzweckmäßig. Der Eindruck, Deutschland gebe hier ein Kulturinstitut auf, würde erweckt, und die tschechischen Hochschulen würden „allein schon durch ihre Zahl eindrucksvoller auftreten können". Rust stimmte zu, und mit einem persönlichen Schreiben Mentzels an Bernhauer vom 16. Januar 1940 wurde dessen an sich „durchaus brauchbarer" Vorschlag beigesetzt. Zusammengelegt worden ist in Prag also ebensowenig etwas wie in Breslau oder sonstwo. Das bedeutete freilich nicht, daß des Planens nunmehr ein Ende gewesen wäre. Ganz im Gegenteil: Jetzt in den Kriegsjahren wird das Spiel mit den akademischen Bauklötzchen förmlich zur Obsession, jetzt kommen gewissermaßen die Gründerjahre. Vor ihrer Schilderung indes noch einen Blick auf eine Randerscheinung, auf die Verlegungspläne. Die erste Absicht dieser Art ist auch die, welche am weitesten, nämlich bis zu einer „Führerentscheidung", gediehen ist, und läßt uns am eben betretenen Schauplatz verbleiben. Die beiden deutschen Prager Hochschulen, die Deutsche Karls-Universität und die Deutsche Technische Hochschule, sind zusammen mit der dritten Institution dieser Art, der Deutschen Technischen Hochschule in Brünn, bereits Gegenstand im Reich angestellter Erwägungen gewesen, bevor sie überhaupt zum Reich gehört haben. „Selbstverständlich Gedanken gemacht" über deren Zukunft hatte sich etwa, das Sudetenland war gerade eben „befreit" worden, der hier schon aufgetretene Jenaer Pathologe Werner Gerlach, SS-Sturmbannführer im Persönlichen Stab des Reichsführers SS und von diesem gern für irgendwelche Sonderaufträge benutzt 618 , im kommenden Jahr dann als Generalkonsul in der isländischen Hauptstadt Reykjavik. 190

Hier nun gedachte Gerlach der „höchst unerfreulichen Entwicklung" der Prager Universität in den letzten zwanzig Jahren - materiell sowohl („unvorstellbar zurückgegangen") wie insbesondere personell. Mit Vorliebe hätten die Tschechen bei Berufungen „Auch-Deutsche" an die Universität gezogen, worunter er „zwar deutschen Paß, aber keine deutsche Gesinnung" verstand. Würde jetzt der deutsche Einfluß in Prag nicht sehr stark, werde das so weitergehen und eine „Brutstätte für Emigranten, Freimaurer und Liberalisten" entstehen. Wenn er sich daher zwar denken könne, daß der Führer die deutsche Universität in Prag erhalten wolle - besser sei eine Verlegung in das deutsche Sudetenland, nach Reichenberg oder Eger. Ja, es sei sogar der Gedanke zu erwägen, dort auf der Tradition dieser uralten, urdeutschen Hochschule eine wirklich nationalsozialistische deutsche Hochschule aufzubauen. Himmler ließ für diese Anregungen bestens danken „sicherlich" werde diese Frage „in absehbarer Zeit geregelt" werden, jedoch habe er selbst „darauf keinerlei Einfluß". Wenn Himmler keinen hatte, konnte das nur eins bedeuten: Die Sache befand sich in der Hand Hitlers. Und so war es auch, die beiden ebenfalls nicht unbedeutenden 619 Deutschen Technischen Hochschulen Brünn und Prag eingeschlossen. Und das war naheliegend, da ja eine der möglichen „Regelungen" die war, die dann Mitte März 1939 realisiert worden ist. Damals freilich, im Oktober zuvor, war sich Hitler offenbar noch nicht recht sicher darüber, was er mit der Rest-Tschechoslowakei machen sollte. Das Rundschreiben Nr. 53 des Dozentenbundes vom 27. Oktober 4 2 0 jedenfalls meldete als Abschluß geführter Verhandlungen die Entscheidung des Führers, daß die beiden Prager Hochschulen nach Reichenberg verlegt werden sollten und die Brünner nach Linz. Die Vorgeschichte. Im Münchener „Führerbau" war die Tinte kaum getrocknet, als ähnlich wie Gerlach sich auch die Reichsdozentenführung schon Gedanken machte über das Schicksal der deutschen Hochschulen in dem nunmehr fast rein tschechischen Rumpf-Böhmen und -Mähren. Am 5. Oktober veranstaltete sie in München eine Sitzung mit den ins Reich geflüchteten Prager Professoren, am 14. hatte Schultze in Berlin eine Besprechung mit Konrad Henleins Beauftragtem für Hochschulfragen - vermutlich jenem Dr. Oberdorffer, der hier später noch einmal zu erwähnen ist —, und am 20. war er zu Henlein selbst nach Reichenberg gefahren. In jener Zeit nahm der Plan, die Prager Universität und die beiden Technischen Hochschulen zwar zu erhalten, aber nicht am bisherigen Standort zu belassen, Gestalt an. Dafür wurde ins Feld geführt, daß Hitler „immer wieder" die weitestgehende Beseitigung der „Reibungsmöglichkeiten zwischen Deutschen und Tschechen" gefordert habe, daß die deutschen Gelder für die Hochschulen in den Sudetenraum und nicht in die RestTschechoslowakei fließen sollten und daß die Gefahr vermieden werden müsse, daß sich an diesen Hochschulen die oppositionellen Kräfte zusammenfänden. Allerdings gedachte man Forderungen zu stellen: Das tschechoslowakische Gesetz vom 19. Februar 1920 mußte fallen, das die tschechische Universität zur alleinigen Rechtsnachfolgerin der alten Karls-Universität erklärt hatte, samt allen Folgen von der Aberkennung des Namens und der „Enteignung" von Besitz bis zum „Insignienraub" von 1934; gemeinschaftlicher Bibliotheksbesitz sollte „nach einem bereits festgelegten Plan" aufgeteilt, Archivalien über sudetendeutsche Gebiete ausgeliefert werden. So weit schien alles klar zu sein. Nun aber die Frage, wohin damit. Verschiedene Möglichkeiten wurden erörtert und wieder verworfen: Verteilung auf Breslau und Leipzig, Verlegung der Mediziner nach Dresden und dort Gründung einer Akademie, Verlegung der Technischen Hochschulen nach Aussig oder nachTroppau. Am Ende kam dabei her191

aus, was eben schon genannt worden ist: Die Prager Institute sollten nach Reichenberg, die Brünner Hochschule nach Linz verlegt werden, wobei für Reichenberg seine große sudetendeutsche Bibliothek sowie („Freizeitwert" hieß damals nur noch nicht so) die nahen Talsperren, Gebirge und Wälder ins Feld geführt worden sind - von der „Gauhauptstadt" war seltsamerweise nicht die Rede. Die Folge 9 des 1. Jahrgangs des „Informationsdienstes der Reichsdozentenführung", datiert „November 1938"621, die über die nunmehr beendeten Erörterungen berichtete und bereits ein „provisorisches Semester in Reichenberg" ankündigte, wußte auch detailliert über die von Hitler - tröpfchenweise - gefällten Entscheidungen zu berichten, nachdem ihm Bormann das Material der Reichsdozentenführung vorgelegt habe: am 10. Oktober die Verlegung der Universität Prag nach Reichenberg, am 23. die der T H Brünn nach Linz, am 25. die der T H Prag nach Reichenberg. Und da hatte dann - auch darüber ließ der Informationsdienst urbem et orbem nicht im unklaren - der Reichsdozentenführer seine große Zeit gehabt: Am 24. hatte er das Reichserziehungsministerium verständigt, „das bis dahin die Entscheidungen des Führers nicht kannte", und drei Tage später waren Schultze und Wacker zusammengekommen, um Sofortmaßnahmen zu beraten: Am 1. Dezember sollte das „Notsemester in Reichenberg" beginnen. „Rein organisatorische Verhandlungen" über die Verlegungen haben Wacker und „Bubi" Schultze auch mit Leuten von der Dienststelle Rosenberg geführt 622 , welche ebenso wie Himmlers Gerlach die Gelegenheit nutzen wollte, eine „Reichsuniversität in jeder Weise nach nationalsozialistischen Grundsätzen" aufzubauen - angeblich hätten die „Männer des Sudetengaus" die maßgebliche Beteiligung der Dienststelle an der Planung der Universität Reichenberg verlangt. Auch wurde hier (Hitlers Forderung, Reibungsflächen abzubauen, wurde offenbar so ernst schon nicht mehr genommen) der Gedanke erörtert, „einige Seminare der Universität Reichenberg" in Prag zu belassen: „Ausgesuchte deutsche Studenten" sollten dort mit Reichsstipendien den „Tschechenkampf aus eigener Anschauung kennenlernen" und das „Deutschtum stützen". Letzteres allerdings beabsichtigte Hitler schon sehr bald auf andere Weise zu tun. Drei Wochen nach dem Rundschreiben vom 27. waren das nämlich alles nur noch bloße „Gerüchte", die ein Telegramm des Reichserziehungsministeriums an alle deutschen Hochschulen am 17. November genüßlich dementierte: Der Führer habe am 14. entschieden, daß keine Verlegungen der deutschen Hochschulen aus der Tschechoslowakei erfolgen würden. Das war nun nachgerade so toll, daß sogar die doch sicher braven und geduldigen Dozentenbundsangehörigen einer Erläuterung bedurften. Die ist dann vom Dozentenbund am folgenden Tage mit dem Rundschreiben Nr. 56 geliefert worden und lautete so: „In der Zeit vom 22. bis 29. Oktober 1938" habe der Dozentenbund vom Stab des Stellvertreters des Führers „mehrfach" die Mitteilung erhalten, der Führer habe „endgültig" die Verlegung ins Reich angeordnet - daraufhin also das Rundschreiben 53 (und die Informationsdienst-Folge 9). „In den letzten Tagen" sei nun „offenbar aus politischen Gründen heraus diese Entscheidung abgeändert worden", denn am 15. November habe Reichsleiter Bormann die „letzte Entscheidung des Führers" übermittelt: „Einstweilen" Verbleib der Hochschulen in Prag und Brünn. „Einstweilen" also, so betonte der düpierte Reichsdozentenbundsführer, und damit stehe „der so bestimmt gehaltene Hinweis" im Telegramm des Ministeriums nicht im Einklang - man werde bemüht sein, eine nun wirklich „endgültige Regelung so bald als möglich herbeizuführen". Das war anscheinend nicht so einfach, bestätigte doch am 30. November „streng vertraulich" das Rundschreiben Nr. 62: Die angeordnete Verlegung wird „aus politischen 192

Erwägungen z. Zt. nicht durchgeführt, die Hochschulen bleiben demnach einstweilen in der Tschechei" - eine endgültige Entscheidung habe der Führer noch nicht getroffen. Schon damals hatte Hitler die feste Absicht623, die ungeliebten Ergebnisse der Münchener Konferenz lediglich als eine Art Aperitif zu sich zu nehmen und die tschechoslowakische „Frage" demnächst endgültig zu lösen. Vielleicht hat man das auch außerhalb des innersten Zirkels schon geahnt, die plötzliche „strenge Vertraulichkeit" im Dozentenbund und die dem Staatstelegramm vom 17. am 21. nachgeschickte Sperre „Nur für den Dienstgebrauch"624 könnten Indizien dafür sein. Das Reichsfinanzministerium übrigens hat auf Grund einer zweispaltigen Meldung im Berliner Lokal-Anzeiger vom 4. November noch Mitte des Monats seine notwendige Beteiligung an den Verlegungen im Reichserziehungsministerium anmelden wollen, was schließlich nach Informierung über die neue Entscheidung vom 14. November unterblieben ist625. Bei Rosenberg ist Anfang 1939 noch einmal ein Gedanke, in den ehemals tschechoslowakischen Gebieten auf dem Hochschulsektor mitzumischen, zwar nicht entstanden, aber doch wohlwollend geprüft worden626. Jener Dr. Oberdorffer, der bei Gauleiter Henlein „Generalbeauftragter für alle wissenschaftlichen Vereine" war627, hatte der Dienststelle eine Denkschrift über die Gründung eines „sudetendeutschen Kulturinstituts mit besonderer Aufgabensetzung für den böhmisch-mährischen Raum" vorgelegt. Reichsamtsleiter Matthes Ziegler, Leiter von Rosenbergs „Amt für weltanschauliche Information", hielt die Idee für außerordentlich wesentlich und es für zweckmäßig, diesen Mann „bald in unmittelbare Verbindung mit unserer Dienststelle zu bringen", am besten im Rahmen des Reichenberger Gauschulungsamtes. Baeumler aber sah das nüchterner: So legitim auch das Bestreben jedes Gauleiters sei, in seinem Bereich eine Universität zu haben, und so verständlich, daß Henlein, nachdem die Verlegung der Prager nach Reichenberg „anscheinend aufgegeben" worden sei, nun andere Wege zu gehen versuche, so sei doch der vorgelegte Plan für ein solches „Institut für Landes- und Volksforschung der Sudetenländer" einerseits mit seinen „komplizierten organisatorischen Verschlingungen" ein „Rattenkönig" und bedürfe der Umarbeitung, andererseits aber sei die Frage der Neugründung einer Universität im Reich angesichts der sinkenden Besuchsziffern der Hochschulen doch sehr problematisch. Waren nun die Verlegungen von Prag und Brünn wenigstens bereits beschlossen gewesen und erst später wieder rückgängig gemacht worden, sind andere über Gedankenspiele nicht hinausgediehen. So Ende 1938 die in jenen Erwägungen einer akademischen Aufwertung des neuen Sudetengaus aufgetauchte Idee einer Verlegung der Universität Halle nach Eger628, so 1943 der Plan einer Verlegung der Universität Köln ins besetzte holländische Leiden629. Wie man sieht, sind es immer in ihrer Existenz bedrohte Universitäten gewesen, die in solchen aus der Vergrößerung des Reichsgebietes und Machtbereichs geborenen Verlegungsspielen auftauchen. Das trifft ebenfalls zu auf ein drittes, zeitlich dazwischenliegendes Projekt, eine Verlegung der Universität Gießen. Hier ist nun das auf diesem Gebiet gewiß seltene und verwunderliche Phänomen zu betrachten, daß nicht Mord geplant war, sondern Selbstmord. Die Auffassung nämlich, daß Gießen nicht mehr lebensfähig sei und entweder geschlossen, besser aber verlegt werden sollte, war merkwürdigerweise vor allem in Gießen selbst verbreitet630. Nun war aber auch die Situation der hessischen Landesuniversität tatsächlich verzweifelt. Rechnete man die Studierenden der Sonderausbildungszweige ab, die 138 Veterinäre und die 54 Landwirte (die 156 Forstwirte sowieso, denn die Forstwirtschaft war soeben zum 1. November 1938 aufgelöst worden!), so hatte die eigentliche Universität damals noch 193

ganze 363 Studenten. Im Vergleich zu den Höchstzahlen früherer Jahre wies Gießen damit einen Rückgang von 85 Prozent aus gegenüber den 50 Prozent des Reichsdurchschnitts, der schon beängstigend genug war. Frankfurt war sechzig, Marburg gar nur 28 Kilometer entfernt, und in der Zange zwischen beiden, zwischen Großstadtverlokkungen und Hochschulromantik, blieb Gießen nicht einmal mehr langsam, dafür aber mit tödlicher Sicherheit die Luft weg. Die Denkschrift, die der Gießener Dozentenbundsführer Freerksen um den 10. N o vember 1938 herum im Reichserziehungsministerium überreicht hat631, schilderte mit einer Offenheit, welche die - hier nicht beantwortbare 632 - Frage nach dem cui bono auslöst, das desolate Bild einer „rein baulich unfreundlichen und wenig anziehenden" Stadt in reizloser Umgebung, die ihren Studenten weder kulturell noch an dem, was man heute „Freizeitwert" nennt, etwas zu bieten habe, und darin eine völlig unzureichend ausgestattete Universität (in der Medizinischen Klinik nicht einmal eine Diätküche) mit einem Lehrkörper dritter Garnitur - viele Lehrstühle entweder seit Jahren vakant oder von ihrem längst emeritierten früheren Fachvertreter „immer wieder weiter versehen" oder Stätten eines ständigen Wechsels, der für Neuere Geschichte etwa von 1933 bis 1938 „nicht weniger als zwölf verschiedenen Dozenten übertragen" worden. Und daneben Marburg, als Stadt zwar klein, aber kulturell bedeutend und weltbekannt und in herrlicher Umgebung gelegen, sowie Frankfurt, die (so schnell hatte sich auch hier die Welt gedreht) „junge, aufstrebende Universität" , eine „nicht sehr arische Gründung" zwar, aber durch die Energie des Gauleiters „schnell vom jüdischen Einfluß befreit" und wesentlich gefördert. Und selbst da, wo Todeskandidaten sonst gern Zuflucht zu nehmen pflegten, in Tradition und Geschichte, hatte Freerksen nur weitere Argumente für Gießens Harakiri gefunden: Zwar 330 Jahre alt, aber von Anfang an ohne Fortüne. Während andere landesherrliche Gründungen mit rein landesgebundener Zweckbestimmung sich aus diesem Rahmen hatten erheben und zu Weltbedeutung gelangen können, habe Gießen stets nur „ein bescheidenes Leben dahingelebt", an diesem allein gehalten durch das Privileg der hessen-darmstädtischen Beamtenausbildung. Von Anfang an sei Gießen bloß interimistisch gedacht gewesen, nämlich von den lutherischen Theologen Hessen-Darmstadts veranlaßt, als die bis dahin gemeinsame Universität Marburg von dem in Hessen-Kassel sich ausbreitenden „calvinistischen Gift" infiziert wurde, und 1624 schon einmal suspendiert, 1645 aber wieder eröffnet worden — eine lediglich aus engsten konfessionellen wie Prestigegesichtspunkten erfolgte Gründung an einem denkbar ungeeigneten Ort, von Anfang an „ eigentlich unnötig" und ihr Schicksal „eigentlich seit 1933 besiegelt". Was tun - fragte Freerksen. Vielleicht die Naturwissenschaften auf Kosten der Geisteswissenschaften ausbauen? Ein Trugschluß. Oder radikale Stützung durch das Reich, eine Reichsuniversität? Bestimmt nicht machbar. Oder Aufhebung beziehungsweise Schließung? Sehr gefährlich. Also Verlegung, der einzig gangbare Weg „ zu neuer Blüte". Verlegung in eine sorgfältig nach den für die „Pflege- und Pflanzstätten nationalsozialistischer Weltanschauung" geltenden Kriterien auszuwählende Stadt. Eine im Grenzgebiet, eine, wo der weltanschauliche Kampf erst noch ausgefochten werden müsse. Salzburg etwa, wo das alte Österreich eine katholische Hochschule als erklärte „Hochburg der katholischen Reaktion" zu bauen begonnen hatte. Salzburg, dessen Gauleiter (es war noch nicht Scheel, sondern - in Personalunion mit Kärnten - Rainer) bereits die Errichtung einer naturwissenschaftlichen Institution angekündigt habe, - „wieviel glücklicher" wäre es, statt dessen eine „ganze Universität" dorthin zu verlegen! Und die Stadt Gießen? Sie 194

werde dem Verlust der Universität nicht nachtrauern, „ja ihn wahrscheinlich sogar als Erleichterung empfinden" und mit ihrer Bestimmung als wachsende Garnisonstadt zufrieden sein. Im Kultusministerium hat Freerksens Idee kein positives Echo gefunden. Huber hat mit „dem Herrn Dr. Freerksen einiges über die Sachlage erörtert" und ihm bedeutet, daß eine Aufhebung Gießens zum gegenwärtigen Zeitpunkt „kaum" und eine Verlegung nach Salzburg „sicher" nicht in Betracht käme. Immerhin wollte man gewappnet sein, da der Gießener Besucher Unter den Linden nur eine Kopie seiner Denkschrift übergeben hatte und eine Anfrage der Stelle, die „auf Aufforderung" das Original erhalten hatte - was ja schlimmstenfalls Hess oder sogar Hitler sein konnte - , gut möglich war. Ob das geschehen ist, muß hier offenbleiben. Die Universität Gießen ist jedenfalls nicht nach Salzburg verlegt worden, obwohl die Idee bei Gauleiter Rainer auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein scheint: Noch um die Jahreswende 1940/41 hat er „wegen der Übertragung einer mitteldeutschen Universität nach Salzburg" verhandelt - mit wem, das hat SS-Obersturmbannführer Sievers vom „Ahnenerbe", dem Rainer das erzählt hatte, nicht niedergeschrieben633. Ihm sei, so hatte Rainer gemeint, „zunächst einmal die Übertragung als solche wichtig, alles andere regele sich dann von selbst". Inzwischen jedoch 634 hatte sich bereits ein anderer Interessent für die Gießener Konkursmasse gemeldet, der Koblenzer Gauleiter Gustav Simon, der mit Rust über eine Wiedergründung der Universität Trier verhandelte. Er ist freilich, wenn man seiner Darstellung folgen darf (und in diesem Punkt darf man), nicht so unkollegial gewesen, selbst die Schließung Gießens als Äquivalent ins Gespräch zu bringen. Dies hat vielmehr Rust getan, der den Vorschlag angeblich „begrüßt" und zu verwirklichen versprochen habe, falls „der Führer seine Zustimmung" erteile (von der Rust allerdings gewußt haben dürfte, daß sie kaum zu erwarten war). Simon hat in seinem Schreiben an Hitler vom 18. August 1940 sein Anliegen dreifach begründet. Erstens „historisch-völkisch" als Wiedergutmachung an Trier verübten französischen Unrechts, dessen 1473 gegründete Universität 1798 durch ein französisches Dekret aufgelöst worden und nach den Befreiungskriegen lediglich als Priesterseminar aus der Theologischen Fakultät wieder erstanden war: Nachdem „durch Ihre Tat, mein Führer, der deutsche Lebensraum im Westen wiederhergestellt und neu gestaltet" werde, sei auch das alte Einzugsgebiet der Universität Trier wieder deutsch. Zweitens gab es „politisch-weltanschauliche" Gründe, in der „westdeutschen Hochburg des katholischen Klerus" (2700 Priester, Priesterschüler, Mönche und Nonnen auf 78 000 Einwohner) dieser „katholischen Geistesmacht eine deutsche Geistesmacht" entgegenzusetzen. Die - drittens - wirtschaftlichen Gründe waren ein Ableger davon: Jener katholische „Gesamtpersonalbestand" von 2700 Köpfen sei für Trier ein „wirtschaftlicher Faktor ersten Ranges" und überträfe den der wenigen industriellen Mittelbetriebe der Stadt. Wenn nun nach dem Kriege, wie es sein Bestreben sei, diese katholischen Einrichtungen „Stück für Stück beseitigt und ausgemerzt" würden, müsse der Stadt wirtschaftlich „irgendein Ersatz geboten" werden - und da wäre eine Universität „wohl die beste Lösung". Lammers hat wie üblich vor seinem Vortrag bei Hitler die beteiligten Ministerien, Erziehung und Finanzen, um ihre Stellungnahmen gebeten. Unter den Linden wurde nach Vortrag bei Staatssekretär Zschintzsch und Rust eine Antwort ausgearbeitet und darin richtiggestellt, daß Rust zwar „sehr viel Verständnis" bekundet, aber dem Gauleiter Simon deutlich gesagt habe, daß die Neuerrichtung einer Universität nur durch Verlegung einer bestehenden in Frage käme (etwas anderes hatte der Gauleiter eigentlich auch nicht 195

behauptet). Dies wurde für Hitler noch weiter belegt: Bedingt durch die Territorialgeschichte gebe es eine „Häufung von Hochschulen" im Westen (strategisch aufgelistet neun „in der ersten Linie", sechs „in der zweiten Linie"); außer dem im Aufbau begriffenen Straßburg sei eine weitere nicht zu rechtfertigen, es sei denn, eine der anderen Hochschulen werde „vorverlegt" (dazu der unvermeidliche Hinweis auf den Besucherschwund - mit wieder anderen, geduldigen Zahlen: 50000 Studenten im Großdeutschen Reich insgesamt im 2. Trimester 1940 gegenüber 150000 im Sommersemester 1931 allein im Altreich; der Stand von 1931 zwar „viel zu hoch", doch würden die zur Deckung des Nachwuchsbedarfs erforderlichen 90000 Studenten auch nach Rückkehr der Kriegsteilnehmer nicht zu erwarten sein). Im übrigen aber wurden Simons wirtschaftliche Gründe nicht einmal erwähnt und seine historischen mit dem Hinweis auf die Rolle Triers als „katholische Hochschule der Gegenreformation" beiseite geschoben; lediglich die „politisch-weltanschaulichen Überlegungen seien bedeutsam und verdienten Beachtung und wohlwollende Prüfung, gelte es doch gerade an der Westgrenze sowohl den katholischen Einfluß wie auch „die Überreste westlerischer, liberalistischer und frankoviler Einstellung zu überwinden" das „frankovil" wurde in der Reichskanzlei mißbilligend angestrichen, hier hatten Expedient und Schreibkraft eine liederliche Korrektur falsch gelesen, und bis hinauf zum zeichnenden Zschintzsch war es keinem aufgefallen. Die Überlegungen, die Unter den Linden dazu intern angestellt worden waren, sind durch die Ungewißheit über den „zukünftigen deutschen Gebietszuwachs im Westen" belastet gewesen. Sollte dieser nämlich, so wurde überlegt, „über den Umfang des früheren Reichslandes Elsaß-Lothringen in erheblichem Umfang hinausgehen", würde eine weitere Universität „zum Zweck der Durchdringung der neuen Gebietsteile mit deutscher Kultur durchaus in Betracht kommen" - je nach der „besonderen Richtung" der Erweiterung in Trier oder aber vielleicht auch in Nancy. Warum solcher Weitblick nicht voll in das Schreiben an die Reichskanzlei eingeflossen ist, läßt sich nicht mehr ergründen, aber auch ohne solche Perspektiven hat der Text dem Reichsfinanzminister genügt und ihn bestimmt, sich der Auffassung des Kollegen anzuschließen. Beide Schreiben, das der Erziehung vom 21. Dezember 1940 und das der Finanzen vom 23. Januar 1941, sind indes abgefaßt worden in Kenntnis einer anderen Stellungnahme, die schon am 17. Oktober Lammers übersandt worden war. Bormann hatte hier für den Führerstellvertreter erklärt, daß er die Errichtung neuer Hochschulen im Westen für falsch halte - insbesondere aus einem Grund, dem man Unter den Linden offenbar keine große Bedeutung beigemessen hat: Es gäbe schon jetzt nicht genügend erstklassige Lehrkräfte, bei einer weiteren „Vermehrung der Universitäten" werde die „hieraus folgende Mittelmäßigkeit der Lehrkräfte dem Ansehen der deutschen Wissenschaft keineswegs dienlich sein". Überdies hatte Bormann bereits angedeutet, wofür Zschintzsch schon bald einen Beleg bekommen sollte. Nachdem sich Simons Absichten bei dessen Kollegen herumgesprochen hatten, ist nämlich schnell ein Konkurrent auf dem Plan erschienen. Beim Reichserziehungsministerium hat am 29. Oktober Bürckel, der Gauleiter der „Westmark", die Muskeln spielen lassen (und die waren kräftiger als die Simons): „Aus zwingenden Gründen" käme hier in erster Linie sein Saarbrücken in Frage, er werde „eine Führerentscheidung herbeiführen". Das war nun also sowieso schon im Gange, die führte Lammers am 4.Februar 1941 herbei. Und sie folgte der Vorlage der Reichskanzlei (und des Reichserziehungsministeriums): „Der Führer wünscht, daß die Angelegenheit für die Dauer des Krieges zurück196

gestellt wird." Für diesen Zeitpunkt - „nach Beendigung des Krieges" (demnächst also, wie man damals meinte) - hatte der Reichserziehungsminister Hitler eine „kurze Denkschrift über die wesentlichen Gesichtspunkte der Hochschulplanung" versprochen. Nachdem die Gründung neuer Universitäten aber in der Presse weiter (oder vielleicht auch erst jetzt) erörtert wurde, zuletzt noch in der „offiziellen Zeitung des Gauleiters Bürckel" und mit einem neuen Kandidaten („Gedanken um eine Landesuniversität Auch Kaiserslautern besaß einst eine blühende Hochschule" 6 3 5 ), hat Anfang März der Unter den Linden zuständige Referent dafür plädiert, jene Denkschrift, um etwaigen endgültigen Entscheidungen vorzugreifen, „bereits jetzt" einzureichen, doch wollte Rust „mit Rücksicht auf die Ungeklärtheit der Grenzziehung im Westen" davon nichts wissen. Von den genannten Ortsnamen hat der Hochschulort Saarbrücken kurz vor Kriegsende noch einmal eine Rolle gespielt 636 und zum vermutlich letzten Zank zwischen dem Ministerium Rust und dem Haus des Kollegen Goebbels Anlaß gegeben, der einst im Juli 1933 auf der Landesführerschule Plassenburg vollmundig die Gründung von fünf neuen deutschen Universitäten im Laufe der nächsten acht Jahre angekündigt hatte 637 . Elf Jahre später nun also so etwas wie eine Rechtfertigung dessen. Ein Professor E. 6 3 8 Staritz (der Himmel weiß, Professor wo), derzeit im Propagandaministerium Leiter der Abteilung Volkskunde, hatte „zwecks Festigung unseres Volkstums" mit den Gauleitern im Westen unter anderem auch über Hochschulfragen verhandelt. Darüber hinaus hatte Staritz den Mineralogen Karl Krüger, außerplanmäßiger Professor an der Technischen Hochschule Berlin, mit dem er in „raumvölkischen" Fragen zusammenarbeitete, aufgefordert, sich Gedanken über die Schaffung neuer Hochschulen im westlichen Grenzgebiet zu machen und dann darzulegen. Krüger hatte daraufhin einen „Planungsbeitrag" für die Errichtung einer T H Saarbrücken ausgearbeitet, von dem Städtebau-Ordinarius (und vermutlich Dekan) Erwin Marquardt absegnen lassen und am 17. März 1944, wohl um sein Licht nicht unter den Scheffel zu stellen, ebenfalls seinem Rektor „zur vertraulichen Kenntnis" übergeben. Vertraulich hin, vertraulich her - Magnifizenz hat am 1. April nach Berlin Bericht erstattet, und der Reichserziehungsminister beschwerte sich am 22. Mai beim Propagandaminister („... muß ich dringend um sofortige Unterrichtung sowie um Abgabe an mich bitten") sowie beim Superministerium Partei-Kanzlei, mit dem man nach der Errichtung der Reichsuniversitäten Posen und Straßburg übereingekommen war, von weiteren Hochschulgründungen während des Krieges inklusive aller Erörterungen und Planungen dieser Art abzusehen. Im Propagandaministerium hat man sich dumm gestellt und die Sache durch Rückfragen zunächst einmal bis Mitte November verzögert - und dann hat für die Errichtung einer deutschen Hochschule in Saarbrücken fürs nächste kein Handlungsbedarf mehr bestanden. Für die Studenten des Großdeutschen Reiches, deren Zahl sich nach Belieben und Bedarf auf die Hälfte oder auch auf ein Drittel des Höchststandes in der „Systemzeit" herunterfrisieren ließ, mit Gewißheit aber zu gering war und bleiben würde, sind hier im Südwesten also bereits drei präsumtive neue Universitätsstädte im Angebot gewesen Trier, Saarbrücken und jenes Nanzig, das der (wie man das damals nannte) instinktlose Ministerialrat des Kultusministeriums noch mit dem zweifellos in Kürze überholten welschen Namen Nancy bezeichnet hat. Und vielleicht auch noch, direkt hat man das nicht gesagt, Kaiserslautern. Verläßt man indes Zeit und Gegend, so ist damit die Reihe der Kandidaten noch längst nicht erschöpft. 197

Nennen wir zunächst im Altreichsgebiet noch Essen, dessen Oberbürgermeister Ende 1938 oder Anfang 1939 eine Bergakademie hatte haben wollen. Oberregierungsrat Huber, der die Ablehnung dieses Antrags auf der Rektorenkonferenz vom 7./8. März 1939 bekanntgegeben hat 639 , schüttelte nur den Kopf über solche Versuche „immer wieder von allen Stellen, für eine Stadt eine Hochschule zu sichern". Wenn irgendwo ein Krankenhaus gebaut werden solle, meinten die Leute dort gleich, das sei eigentlich ein guter Ansatzpunkt für eine medizinische Fakultät. Das Ministerium denke nicht daran, „Verkehrsvereinsinteressen irgendeiner Stadt" zu vertreten, man habe „genügend Hochschulen" - sagte Huber. Was nicht hinderte, daß zwei Jahre später, im März 1941, der Gauleiter von Düsseldorf Gelüste verspürte, seine Medizinische Akademie zu einer Volluniversität auszubauen 640 . Zwar wurde hier nicht der direkte Weg beschritten, sondern zunächst nur eine „Vollakademie" angestrebt - die etwas sonderbare Vorstellung einer „naturwissenschaftlichen Hochschule", in der indes ebenfalls „die Geisteswissenschaften gelehrt und besonders gepflegt werden" sollten. In Berlin glaubte man deutlich die „Nachtigall trapsen" zu hören. Daß es nicht nur im Westen Hochschul-Ambitionen gegeben hat, zeigt ein undatierter, früher liegender Vorschlag in der Dienststelle Rosenberg (Thilo v. Trothas), in Lübeck, das „in irgendeiner Weise zur Stadt des Nordens zu ernennen" sei, eine „Hochschule bzw. Universität zu errichten" 641 . Zur vollen Reife gediehen sind solche Absichten lediglich in den eingegliederten Gebieten. E i n e T H Litzmannstadt, die der dortige Regierungspräsident im Frühjahr 1941, in jener wahren „Gründerzeit", hat haben wollen, ist zwar der Ablehnung verfallen, weil die 17 vorhandenen Technischen Hochschulen den Bedarf auch später ohne „unerwünschten Massenbetrieb" decken würden, landschaftliche Orientierung aber gerade bei dem erheblich freizügigen technischen Studium nur eine untergeordnete Rolle spiele 642 . Eine andere Planung jedoch, nicht sehr weit von Lodz entfernt, hat größere Chancen gehabt. Im benachbarten „Generalgouvernement" befand sich zur gleichen Zeit das Schicksal der Universität Krakau noch in der Schwebe 643 . Nach der deutschen Besetzung waren die Krakauer Hochschulen, Universität und Bergakademie, geschlossen und ihre Professoren verhaftet beziehungsweise interniert worden, gehörten sie doch zu jener Schicht polnischer Intelligenz, mit denen die Ostraum-Germanisierer wenig Gutes vorhatten. Es soll dazu nicht unerwähnt bleiben, daß es deutsche Professoren gegeben hat, die für ihre gefährdeten polnischen Kollegen ein gutes Wort einzulegen gewagt haben. So im nahen Breslau der TH-Chemiker Walter Hückel, der eine „Dankesschuld" aus der Zeit eines früheren Krakau-Besuches abtragen wollte, indem er vier polnische Professoren rühmte - wegen ihrer liebenswürdigen Aufnahme oder wegen ihrer ganz und gar nicht deutschfeindlichen oder (das brachte die Zeit so mit sich) wegen ihrer antisemitischen Einstellung. Und so auch sein Rektor, der bei der Weiterleitung noch den Ehrenbürger der Breslauer T H Jan Nowak in den Kreis der Empfohlenen einschloß. Jedenfalls: Die Universität Krakau stand gewissermaßen „leer", und Generalgouverneur Frank war wild entschlossen, diese 1364 gegründete „Zweitälteste deutsche Universität" unter dem Namen „Kopernikus-Universität" wieder aufzufüllen - deutsch, versteht sich. Es muß ihm indes gesagt worden sein, daß es da Widerstände geben würde, weshalb er sich zu einem Vorgehen entschloß, das man im Reichserziehungsministerium als „eigenartige Wege" empfunden hat: Zeitungsmeldungen wurden lanciert, Hitlers positive Entscheidung als bereits gefallen verkündet und schon bei einer ganzen Reihe von 198

Professoren sondiert, bei Medizinern zunächst, da man alternativ erwog, den Betrieb zunächst als „Medizinische Akademie" aufzunehmen (das war immer das einfachste, die Krankenhäuser und Kliniken waren ja sowieso da, und Arzte, die nichts dagegen haben, ihre Liquidationen mit dem Professortitel zu schmücken, oder - wenn sie den schon lange, lange haben - gern noch Chefarzt-Ordinarius werden möchten, braucht man nie weit zu suchen). Diese Leute hatten zum Teil bereits ihre Verbindungen am alten Hochschulort gelöst und waren in Krakau „aufgekreuzt". Eröffnet werden sollte am zweiten Jahrestag der Gründung des Generalgouvernements, am 26. Oktober 1941 - auch das stand schon fest. Unter den Linden, wo man zuerst durch Pressemeldungen aufgeschreckt worden war, ist diesem ganzen Treiben überraschend lange mit einer wahren Engelsgeduld zugesehen worden - ja, die Referenten sind sogar einzelnen Krakauer Dienststellenleitern bei der Vorbereitung von Fakultätslisten für die neue Universität zur Hand gegangen. Das rührte daher, daß das Reichserziehungsministerium verunsichert, weil - wie wir noch sehen werden - von dem ganzen Hochschulbetrieb außerhalb des Altreichs in unterschiedlichem Umfang ausgeschaltet war. So hatte es die österreichischen Hochschulen erst nach erfolgter Gleichschaltung und Säuberung übernehmen dürfen, weil ihm beides nicht so recht zugetraut worden war. Auch in Straßburg und Posen hatten die Gauleiter mehr als ihre Kollegen im Altreich das Sagen, und was sich gar in den besetzten Gebieten abspielte, geschah „fern in der Türkei". Bei der Eröffnung in Posen am 27. April 1941 hat Generalgouverneur Frank damit begonnen, seine Krakauer Karten offen auf den Tisch zu legen. Er hatte den Präsidenten seiner Abteilung für Wissenschaft und Erziehung, einen Hofrat Watzke, nach Posen abgeordnet und mit dem Auftrag versehen, Rust dort über die Krakauer Universitätspläne kurz Vortrag zu halten, - und danach in der Presse einen Schritt zugelegt. Rust hat in Krakau das getan, was ein von einem Wegelagerer überfallener Minister bei heiklen Fragen meist tut: Er hatte zugehört, ohne sich zu äußern. Anläßlich der Eröffnung der Staatsbibliothek Krakau und noch bei einem anderen Anlaß ist Frank dann aus seiner Deckung weiter heraus- und vor die Öffentlichkeit getreten. Richtige Berufungsvorverhandlungen wurden nun eingeleitet und geführt, was natürlich nur über das Reichserziehungsministerium laufen konnte - wo man also nach dem bewährten Muster zurückhaltend mitgewirkt hat, ohne Stellung zu beziehen. Was indes auf der Gegenseite den Eindruck stillschweigender Zustimmung machte. Nicht zu Unrecht. Immerhin ließ man den Hofrat Watzke nach Berlin kommen, und der Ministerialrat Kohlbach und der Oberregierungsrat Scurla ließen sich von ihm aus einem für die Presse vorbereiteten Manuskript vorlesen, wie die „völlig neuen Wege" aussahen, welche die Kopernikus-Universität, diese „erste wirklich nationalsozialistische Hochschule", zu gehen beabsichtigte. Da war einmal eine „Biologische Fakultät" vorgesehen mit der „Sektion Pflanze", der „Sektion Tier" und der „Sektion Mensch" (diese die alternative Medizinische Akademie), weiter eine „Geisteswissenschaftliche Fakultät", wo auch Recht und Wirtschaft ihr Domizil finden sollten, und schließlich eine „Mathematisch-Physikalisch-Technische Fakultät" mit den Naturwissenschaften und den „Arbeitsgebieten einer Technischen Hochschule", für welche die Restbestände der Warschauer T H als Grundstock übersiedelt werden sollten und auch die „vom Herrn Generalgouverneur verkündete Errichtung einer Großsternwarte des Ostens" eine wertvolle Hilfe sein werde. Für ein vorgesehenes „beratendes Kuratorium" lägen bereits Zusagen vom Veteranen Vahlen und von Wiens Magnifizenz Knoll vor, und was die Kliniker anlange, sei man „nahezu" komplett. 199

Die Herren vom Ministerium haben auf eine Stellungnahme verzichtet und nur zwei Fragen aufgeworfen. Erstens, woher die Studenten kommen würden ? Da konnte Watzke auf Zusagen „von Herren der Reichsstudentenführung" verweisen: Zwischen 600 und 1200 aus dem Reich hatten sie „als leicht nach dem Osten versetzbar in sichere Aussicht gestellt". Zweitens aber dann die Gretchenfrage: O b der Herr Generalgouverneur denn die Zustimmung des Führers eingeholt habe? Nach einer Mitteilung des Herrn Generalgouverneurs, so mußte der Hofrat bekennen, habe „der Führer sich für die Universitätspläne interessiert", eine Entscheidung sei freilich noch nicht gefallen. Der Aktenvermerk Scurlas über diese Besprechung stammt vom 12. Juli 1941. Noch bevor jedoch nach den Vorschlägen des Referenten entweder an Frank oder an Lammers herangetreten werden konnte, war bereits, am 16., Bormann zur Stelle, dem wieder einmal etwas „berichtet" worden war, diesmal also die beabsichtigte Universitätsgründung in Krakau. Der Reichsleiter meinte, daß neben den Ostuniversitäten des Reiches mit nun auch Posen kein Bedürfnis zu erkennen sei, außerdem müßten vor „derartig weittragenden Beschlüssen" erst die „weitere Entwicklung im Osten und damit auch das weitere Schicksal des Generalgouvernements" abgewartet werden. Das Schicksal zwar nicht des Generalgouvernements, wohl aber das des Generalgouverneurs hatten eine Woche zuvor auch die Herren des Reichserziehungsministeriums im Blickfeld gehabt, als sie hofften, der ja vor kurzem begonnene Krieg gegen die Sowjetunion werde das Krakau-Projekt in den Hintergrund treten lassen. Nur dann, so waren sie von Watzke belehrt worden, wenn Frank anderweitig in Anspruch genommen werden sollte und Staatssekretär Bühler die Gouvernementsverwaltung übernähme, nicht jedoch, wenn Frank, „der sich ständig mit dem Universitätsplan" befasse, neben einer Verwendung in Rußland die Dienstgeschäfte weiterführe. Nachdem Amtschef Mentzel am 24. Juli seine Referenten - bisher sei eine „amtliche Erklärung unseres Hauses" zu den Krakauer Vorgängen nicht erfolgt, vorläufig sei mit einer zustimmenden auch nicht zu rechnen - zu „größter Zurückhaltung" vergattert und insbesondere vor der Erörterung irgendwelcher Berufungspläne mit den Krakauern gewarnt hatte, antwortete Rust, verärgert über eine im Hause verschuldete Verzögerung, am 5. August Bormann, er teile dessen Standpunkt und Bedenken - ein zweimaliges „völlig" ist bei der Bearbeitung des Entwurfs durchgestrichen worden - , gerade eben habe er seinerseits eine Klärung herbeiführen wollen. Und er fügte die hier schon mehrfach genannten Argumente bei, an erster Stelle nun seinerseits die von Bormann im Falle Trier geltend gemachten Schwierigkeiten bei der Besetzung der Lehrstühle angesichts des unzureichenden Nachwuchses, der Verluste an der Front und so fort - ob Bormann nicht dem Führer Vortrag halten wolle? Das ist dann am 20. August geschehen mit dem Ergebnis : Während des Krieges auf keinen Fall - Rust und Frank seien dementsprechend zu verständigen. Was via Lammers am 26. erfolgt ist. Trotzdem scheint das nicht alle Interessierten erreicht zu haben. Oder aber Frank hat anfangs gemeint, für seine Alternativlösung einer einstweiligen Medizinischen Akademie gelte das nicht. Jedenfalls hatte „Bubi" Schultze Mitte Oktober „etwa fünfzehn Dozenten" zur Hand, die Taue teilweise schon gekappt und in Krakau „aufgekreuzt", die mit Unterstützung seines Dozentenbundes für dort angeheuert worden waren - ausgewählt „selbstverständlich" in erster Linie nach ihrer „weltanschaulich-politischen Zuverlässigkeit", Leute also, die „zu den besten, einsatzfreudigsten und kämpferisch[st]en Nationalsozialisten der Hochschule" gehörten. Diese braune Elite befand sich nun in einer peinlichen Lage. Und Schultze nicht minder: Angeblich solle Frank die Gründungs200

urkunde für Krakau bereits unterschrieben haben, so fragt er am 18. Oktober bei Lammers an, das Reichserziehungsministerium hingegen behaupte, von einer Eröffnung noch in diesem Winter könne nicht die Rede sein. Ihm scheine fast, hier sei „wieder einmal mit dem Namen des Führers Mißbrauch" getrieben worden - er bitte um Aufklärung. Die ist ihm dann auch zuteil geworden, und „selbstverständlich" sind die Berufenen nicht nach Krakau gekommen. Was freilich aus den bereits dorthin verirrten Schäflein geworden ist, geht aus den Akten nicht hervor. Wie das Spiel mit den Krakauer Opfern im Detail abgelaufen ist und wie dreist die Gouvernementsregierung versucht hat, Berlin zu unterlaufen, zeigt ein Beispiel644, das nicht einmal zu jener bemitleidenswerten Kategorie zählt, wo die Leute bereits an der obersten Weichsel „aufgekreuzt" waren. Und es zeigt auch, wie vage und zufällig der jeweilige Informationsstand gewesen ist. Denn nicht jeder ist so gut weggekommen wie der Dr. Herbert Weinelt, aus Prag übernommen und beim Institut für Heimatforschung der Universität Königsberg untergebracht, der am 16. Mai 1941 bei Himmlers „Ahnenerbe" um eine andere Verwendung gejammert hat (die Kameraden von der SS ermahnten daraufhin zur Disziplin und erinnerten daran, daß er es jetzt mit dem geordneten Staatsgebilde des Großdeutschen Reiches zu tun habe und nicht mehr mit dem „ehemals tschechisch-slowakischen Staatsgebilde") und dabei bereits in der Vergangenheitsform schrieb: „Als es noch hieß, daß in Krakau eine deutsche Universität eröffnet wird ..." Andere steckten da nämlich noch in der vollen Gegenwart. Wie in Erlangen der Laryngologe Helmuth Richter, Oberarzt und außerplanmäßiger Professor, der fast genau am selben Tag, am 18., seinem Rektor mitgeteilt hat, ihm sei ein Ordinariat an der „voraussichtlich zu Beginn des Wintersemesters 1941/42 zu eröffnenden Medizinischen Akademie bzw. Universität in Krakau" angeboten worden; er habe sich „entschlossen, diesen Ruf anzunehmen" und bitte um Einholung des Einverständnisses des bayerischen Kultusministeriums. Am 25. Juli kam aus Krakau die Kunde, Hitler habe nunmehr entschieden, „daß Krakau Universität wird", wie Generalgouverneur Frank verschiedentlich öffentlich und persönlich geäußert habe - Richter möge doch „spätestens mit Beginn des Wintersemesters" in Krakau antreten; der Gynäkologe Schaefer445 sei schon eingetroffen, der Dermatologe Keining646 werde zum 15. August erwartet. Am 30. August eigentlich mußte Lammers* Stopbefehl vom 26. in Krakau bereits eingegangen sein hörte Richter nochmals von der Gouvernementsregierung: Er müsse zu Beginn des Wintersemesters in Krakau sein, um seine Aufgaben in der HNO-Klinik „sogleich in Angriff nehmen zu können", auch der Lehrbetrieb solle mit Semesterbeginn aufgenommen werden. Am 15. September (!) reichte Richter dem Erlanger Rektorat den soeben erhaltenen formellen Ruf nach Krakau ein - mit der verblüffenden Hinzufügung, noch bei seinem Besuch in Krakau Anfang oder Mitte Mai sei „lediglich die Rede von einer Medizinischen Akademie" gewesen, jetzt aber sei ihm mitgeteilt worden, der Führer habe „nunmehr dahingehend entschieden, daß Krakau Universität werden" und zum kommenden Wintersemester eröffnet werden solle. Kurz darauf dann neue Kunde aus Krakau: Eröffnung (nun allerdings wieder bescheidener der Medizinischen Akademie) also voraussichtlich am 26. Oktober, dem zweiten Jahrestag des Generalgouvernements; Richter möge „etwa am 15. Oktober kommen, inzwischen seien außer Schaefer auch der Chirurg Schörcher447 und der Pathologe Randerath 648 eingetroffen. Und am 24. September ist dann der Erlanger Rektor auch noch von der Regierung des Generalgouvernements direkt und offiziell in gleichem Sinne unterrichtet worden. 201

Am 2. Oktober aber befand sich im Posteingang der Erlanger Universität ein Schreiben aus München mit der Abschrift eines Erlasses des Reichserziehungsministers vom 15. September: Laut Anordnung des Führers während des Krieges in Krakau weder Universität noch Medizinische Akademie, das Krakauer Angebot an Professor Richter „daher gegenstandslos". Sollte Richter trotzdem nach Krakau gehen wollen, bleibe ihm das unbenommen, planmäßige Lehrstühle indes gebe es dort nicht. Ratlos wandte der arme Richter sich nun wieder an die Gouvernementsregierung und erfuhr, daß man mit Berlin in Verhandlungen stehe über die „Abordnung" der für Krakau in Aussicht genommenen Professoren - er möge weiteren Bescheid abwarten. Im November kam dann von Krakau das endgültige Aus; am 15. meldete Richter, durch diese Zurückziehung „aufs schwerste enttäuscht", seinem Rektor, er gehe nicht nach Krakau. Endgültig? Zwei Jahre später scheint eine neue Runde eingeläutet zu werden. Diesmal vom Reichsärzteführer erhält Richter eine Anfrage, ob er die Stelle eines Chefarztes der Krakauer HNO-Klinik annehmen wolle, Krakau werde „in absehbarer Zeit zur Universitätsstadt gemacht". Eingedenk der „monatelangen Vorbereitungen" von 1941 und um „nicht ein zweites Mal unverschuldet in die Lage von 1941" zu geraten, fragt er vorsichtshalber am 30. Juli 1943 erst einmal beim Reichserziehungsministerium an, ob man dort „tatsächlich nunmehr" beabsichtige, in Krakau eine Universität zu eröffnen. Natürlich ist das, wie er Ende Oktober erfährt, nicht der Fall. Andere Gründungen im Osten sind schmerzloser gewesen, weil sie noch weniger Gestalt angenommen haben. Zu den Schemen, die hier im kurzlebigen deutschen „Ostraum" aufgetaucht sind, gehörte im Generalgouvernement eine weitere Medizinische Akademie in Lemberg 649 (Berichte, daß auch hier schon „Dozenten herangeholt" würden, beruhten auf Hörensagen und waren vermutlich falsch) und im Baltikum eine Universität Dorpat und eine Technische Hochschule Riga. Über Dorpat erzählte Harmjanz, nunmehr Referent Unter den Linden, in jenem akademisch-gebärfreudigen Frühsommer 1941 dem „Ahnenerbe" 6 5 0 , die Vorbereitungen für die Errichtung seien im vollen Gange, „ähnlich wie in der Slowakei" solle hier „eine Art .baltische Schweiz'" unter deutscher Führung entstehen, die auch eine Universität „bekommen" werde, besetzt mit den „deutschfreundlichen und aufbauwilligen" estnischen, lettischen und litauischen, aber auch mit einigen reichsdeutschen Hochschullehrern - Rektor „womöglich" ein Deutscher. Das Reichserziehungsministerium werde „bei erster Gelegenheit" einen Referenten, nämlich ihn, Harmjanz, nach Dorpat schicken, um „die Arbeiten in Angriff nehmen zu lassen". Wie die „erste Gelegenheit" andeutet, befand sich die ausersehene Universitätsstadt zu jenem Zeitpunkt noch gar nicht in deutschen Händen: Man schrieb den 25. Juni, und vor drei Tagen erst waren die deutschen Truppen in die Sowjetunion eingefallen. Jene frühen Planspiele sind freilich nicht alle gemeinsam mit der kuriosen Idee einer - unter deutschen Soldatenstiefeln und durchpflügt von SS-Einsatzgruppen! „baltischen Schweiz" untergegangen, zumindest die Universität Dorpat mit Medizinischer, Tierärztlicher und Landwirtschaftlicher Fakultät ist Mitte Februar 1942 eröffnet worden 651 . Von der Planung einer deutschen Technischen Hochschule in Riga erfahren wir durch die Anfrage eines Professors Jacoby im Frühjahr 1942 652 , eines alten Rigaers, der seit der Aussiedlung der deutschen Volksgruppe in Brünn untergekommen war, etwas von der Planung in Lettland gehört hatte und nun wegen einer Heimkehr sondierte. Neben der Wiedereröffnung der lettischen Universität, die jedoch als „fremdvölkische" in die alleinige Zuständigkeit des Ostministeriums beziehungsweise des Reichskommissars Ost202

land fiel, war tatsächlich der Plan einer deutschen T H in der lettischen Hauptstadt erörtert worden, aber eben auch nur erörtert, im Reichserziehungsministerium nämlich, mehr nicht. Über die „Zuständigkeit in Angelegenheiten der projektierten deutschen wissenschaftlichen Hochschulen im Reichskommissariat Ostland" - und das schloß also auch Dorpat ein - war „die Auseinandersetzung mit dem Ostministerium aus naheliegenden Gründen noch nicht erfolgt". Spärlich auch und widersprüchlich sind, nunmehr für den Westen, die besetzten Niederlande, die die Universität Leiden (damals gern auch Leyden geschrieben) betreffenden Aktenüberreste. Leiden, eine alte Universität von 1575, war Ende 1941 wegen „deutschfeindlicher Umtriebe" von den deutschen Besatzungsbehörden geschlossen worden 653 . Der Gedanke, die Kölner Universität dorthin zu verlegen, ist hier bereits erwähnt worden 654 . Er scheint auf den ersten Blick zur Suche von akademischen Luftschutzkellern zu gehören. Dieser Eindruck aber täuscht. Denn 6 5 5 auch die Idee einer dortigen ersten „germanischen" Universität stammte zumindest mit aus Köln, eine treibende Kraft war der Direktor des Instituts für Vor- und Frühgeschichte der Universität Köln, Walter Stokar v. Neuforn 6 5 6 . Der Gedanke, so schrieb er in der Absicht, das „Ahnenerbe" mit einzuspannen, am 12. Oktober 1942 an dessen Geschäftsführer Sievers, „in Leiden die erste Germanische Universität aufzumachen", habe „derart greifbare Formen" angenommen, daß er „offiziell beauftragt" sei, den „Lehrkörper zusammenzustellen". Offiziell beauftragt von wem? Vermutlich von Reichskommissar Seyss-Inquarts Kulturkommissar Wimmer, der zusammen mit Himmlers „Germanischem Wissenschaftseinsatz" das Leiden-Projekt bis 1944 betrieben hat 657 . Er soll diese Germanenplanung, die darauf beruhte, daß nach Meinung der Initiatoren erst recht „nach einer Hereinbeziehung Englands" nicht Rostock oder dergleichen im Nordosten „Germanisches Zentrum" werden könne, weil doch die „aktiven Germanen in Nordwesteuropa" säßen, hier nicht weiter erörtert werden, da sie in den halbseidenen Randbereich der Rosenberg und Himmler und ihrer Kathederspinner gehört. Zu der SSGruppe in Rusts Amt Wissenschaft hatte man zwar angeblich über den Kameraden SSHauptsturmführer Dr. Schwarz 658 , der das „volle Vertrauen von Mentzel und Harmjanz" genossen haben soll, guten Kontakt, doch hatte man bereits gemerkt, daß Unter den Linden allein schon der damit drohende Abzug von Wissenschaftlern aus dem Reich „ganz und gar nicht sympathisch" war. So weit nämlich waren die Dinge im Oktober 1942 bereits gediehen, daß Stokar eine Lehrstuhl-Besetzungsliste aufgestellt hatte und versenden konnte, - würde das Ahnenerbe für seine Pläne in Leiden den geeigneten Boden sehen und mitmachen, hätte das „den ungeheuren Vorteil, daß wir nicht mit einem Schlage die ganze Universität besetzen müßten". Soviel also zum ersten Leiden-Kapitel. Stokar aber ist jener Mann, dem auch in Gerhard Hirschfelds Aktenfund über die Verlegung Kölns die Urheberschaft zumindest zum Teil zufällt: ein persönlich motivierter Racheakt, weil Köln ihm wegen seiner Betätigung in Holland die Bezüge gestrichen haben soll. Im Verlauf des Jahres 1944, so heißt es in einem Resümee von Hirschfelds Akten 6 5 9 , sei diese Idee dann zur „Frontuniversität Leiden" herabgestuft worden. In den erhaltenen Akten des Reichserziehungsministeriums 660 (wie offenbar auch im niederländischen Reichsarchiv) setzt die Überlieferung erst hier und ohne jeden Bezug auf den germanischen Vorläufer ein. Ausgangspunkt sind Besprechungen vom 20. bis 23. Oktober 1943 zwischen Rust, Reichskommissar Seyss-Inquart und Wehrmachtbefehlshaber Christiansen. Ab Frühjahr 1944 sollte demnach in den Gebäuden und Instituten der stillgelegten Universität Leiden eine „vollbesetzte und wissenschaftlich hervorragende Universität in 203

Betrieb gesetzt werden". Der Reichserziehungsminister übernahm es, dafür aus bombengeschädigten deutschen Hochschulen einen „Lehr- und Studentenkörper" zusammenzustellen. Bald erwies sich freilich, daß von den Studenten, weil sie die „militärischen Voraussetzungen" nicht erfüllten, nur „wenige, vielleicht auch gar keine" mit nach Leiden würden gehen können. Möglicherweise war das schon befürchtet worden, hatte doch das Ministerium nicht nur zugesagt, eine Liste zuzüglich aus Wehrmacht und Waffen-SS herauszuziehender weiterer Dozenten und Assistenten aufzustellen, sondern es sollten auch „zusätzliche" Studenten (weibliche und Schwerkriegsbeschädigte waren ausgeschlossen) zur „Auffüllung" beim Oberkommando der Wehrmacht angefordert werden. Alle sollten sie, abkommandiert, aktive, wenn auch nicht kasernierte Soldaten bleiben und für „Sonderfälle" zum militärischen Einsatz zur Verfügung stehen. 3000 Studenten konnten in Leiden Platz finden; und soweit keine Uberfüllung vorlag, sollten auch niederländische Studenten aus der Legion und der Waffen-SS die Universität besuchen dürfen, ja sogar „loyale niederländische Dozenten verwendet" werden können. Die Sache verzögerte sich durch die Ausbombung des Ministeriums. So ist erst am 17. Januar 1944 ein von Mentzel gezeichneter Erlaß an die Rektoren von elf besonders luftgefährdeten Universitäten hinausgegangen mit der Benachrichtigung, es sei in Aussicht genommen, in Leiden mit Beginn des Sommersemesters eine Soldatenuniversität zu eröffnen. Damit biete sich eine „günstige Ausweichmöglichkeit für durch Bombenschäden ganz oder zum großen Teil zerstörte Lehrstühle und Institute" - Bereitschaftsmeldungen beschleunigt erbeten. Anfang März aber, das Sommersemester stand langsam vor der Tür, war das Projekt bereits wolkenverhangen. Einmal hatte Lammers einen Führerbefehl verteilt, wonach im Westraum nur noch solche Maßnahmen weitergeführt werden dürften, die unmittelbar der Erhöhung seiner Verteidigungskraft dienten - was man von der „Frontuniversität" Leiden nicht unbedingt sagen konnte. Das Reichserziehungsministerium wollte daher, im vorgeschriebenen Glauben an eine baldige militärische Wende, „das Projekt zunächst um ein halbes Jahr verschieben". Die Herren des Reichskommissars jedoch winkten ab: Die „Frage sei schon erledigt, das Projekt könne trotzdem weiterverfolgt werden". Zweitens aber: Die bombengeschädigten Universitäten hatten „noch keinen einzigen Hochschullehrer" gemeldet! So arg die Bombenschäden auch sein mochten und so groß das Vertrauen in den „Endsieg" - vor der im Frühjahr erwarteten Invasion ausgerechnet nach Holland umziehen wollte der deutsche Professor denn doch lieber nicht. Am 25. März mußte Mentzel das endgültig bestätigen: Keine Meldungen für Leiden, alle unentbehrlich. Von Einzelfällen etwa möglicher „Nachbarschaftshilfe" abgesehen, kämen also lediglich im Wehrdienst stehende Lehrkräfte in Betracht. Die Eröffnung schon zu Beginn des ja in einem Monat anfangenden Sommersemesters sei doch „Zumindestens bedenklich". Am 10. Mai (das Semester hatte also bereits begonnen, nur nicht in Leiden) kam man überein, daß die Verwirklichung des Planes erst möglich sei, wenn die „akute Invasionsgefahr" vorüber wäre. Inzwischen wollte man aber fleißig weitere Vorbereitungen treffen - Mentzel zum Beispiel mit General Hermann Reinecke, dem Chef des Allgemeinen Wehrmachtamtes, sprechen, ob die Wehrmacht bereit sei, etwa 1500 Studenten zum Studium nach Leiden abzukommandieren. Mit einem Schreiben vom 4. August an seinen Kontrahenten beim Reichskommissar, Ministerialrat Schwarz, hat Mentzel das Projekt dann endgültig bestattet. Bei Reinecke war er am 13. Juni, eine Woche nach Beginn der Invasion, gewesen. Der General hatte 204

nicht gerade laut gelacht, aber doch auf die „Unübersichtlichkeit der allgemeinen militärischen Lage" hingewiesen, keine sofortige Entscheidung fällen und sich wieder melden wollen. Das war nicht geschehen, und Mentzel hatte den gewiß völlig richtigen Eindruck, daß der General sie „heute weniger denn je" fällen würde. Ja, wenn er die totale Mobilmachung aller heimischen Arbeitskräfte und die bevorstehende Schließung einer Reihe von Fakultäten, wenn nicht ganzer Hochschulen, so recht betrachtete, hielt er eigentlich die Errichtung der Frontuniversität „im gegenwärtigen Zeitpunkt für ausgeschlossen". Er habe daher, so teilte Mentzel dem Spielkameraden in Apeldorn mit, den Vorgang „vorläufig zu den Akten geschrieben" und schlage vor, „daß wir in günstiger Zeit wieder auf die Angelegenheit zurückkommen". Da eine solche bekanntlich hat auf sich warten lassen, ist die Frontuniversität Leiden ein Phantom geblieben - wie so vieles andere auch. Wirklich bis zur Eröffnung gediehen sind aber immerhin drei neue Hochschulen, als „Reichshochschulen" in allen Fragen der Planung, Besetzung und Finanzierung unmittelbar dem Reich zugeordnet. Im Osten war das die Reichsuniversität Posen mit dem Schwerpunkt auf dem volkswirtschaftlichen Gebiet, im Westen die Reichsuniversität Straßburg mit dem Schwerpunkt auf dem Gebiet der Kulturideologie und im Süden schließlich die Technische Hochschule Linz - in der chronologischen Reihenfolge der Entstehung die erste in dieser Reihe (womit nicht die Eröffnung gemeint ist, sondern der Planungsbeginn; die Wehen haben bei der T H Linz, die gewissermaßen auf der freien Wiese entstanden ist, länger gedauert). Auch Linz also lag außerhalb des mit Hochschulen übersetzten Altreichs, in der Ostmark, Adolf Hitlers Heimat - und zwar genau dort. Hitler hat zeit seines Lebens ein nahezu erotisches Verhältnis zu Linz gehabt, es ist seine größte, wenn nicht einzige Liebe gewesen. Um dem Völker- und Rassenmischmasch des verhaßten Wien, das ihn ausgestoßen und nach München vertrieben hatte, donauaufwärts echt deutschen Widerpart zu bieten, ist ihm nichts zu gut und nichts zu teuer gewesen. Beinahe um jeden neuen Pflasterstein hat er sich gekümmert, hat für Museen, die ja ein Wien ausstechen mußten, überall in Europa Edles zusammenkaufen (Diebstahl, Raub und offene Erpressung wie bei Göring waren bei ihm selten, er hatte es ja), Anton Bruckner im Stift St. Florian eine Weihestätte schaffen und die Hermann-Göring-Werke aus dem Boden stampfen lassen. Und zu den Pretiosen, welche die neue Donaukönigin schmücken sollten, gehörte nun einmal, mochte er von dergleichen auch im allgemeinen nicht viel halten, eine Hochschule. Der Art am besten, die noch am ehesten zu etwas taugte und wenn auch weniger zu den Kunstsammlungen, so doch zu den Hermann-Göring-Werken paßte. Und so entstand die Technische Hochschule Linz. Ginge es allein nach dem, was die Aktenüberlieferung ausweist, so müßte hier vor 1942 wenig geschehen sein. Das kann zutreffen oder auch nicht. Sicher ist aber, daß 1942/43/ 44, als anderswo alles nicht „unbedingt Kriegswichtige" nach und nach zum Erliegen kam, in Linz erst richtig die Ärmel hochgekrempelt worden sind. Aus 1938 ist nichts anderes bekannt als Hitlers bereits erwähnte Beschlüsse von Ende Oktober und vom 14. November - zunächst, die T H Brünn nach Linz zu verlegen, und dann, das zu widerrufen mit der Hinzufügung, „auf jeden Fall" solle unabhängig hiervon eine Technische Hochschule in Linz errichtet werden661. Und eine knappe Woche danach unterrichtete Bormann das Reichserziehungsministerium noch einmal: Das, so habe der Führer betont, stehe „endgültig fest". Das war, noch eine Erinnerung, ebenfalls der Tenor der Mitteilungen auf der Rektorenkonferenz vom 7./8. März 1939 662 : Führerauftrag einer TH-Errichtung in Linz unabhängig von den Verlegungsplänen aus derTschecho205

Slowakei (Staatsminister Wacker), eine T H Linz die einzige, und zwar auf Anordnung des Führers, neu zu errichtende Hochschule (Oberregierungsrat Huber). Die ständige Berufung auf Hitler deutet bereits an: Unter den Linden ist Linz stets ein ungeliebtes Kind gewesen. Wie wir noch hören werden, galt als Grund aller Zurückhaltung der mangelnde Bedarf - und eine Neugründung, wo alte Technische Hochschulen verschämt „mit Universitäten zusammengelegt", in Wirklichkeit ihnen als Fakultät angegliedert werden sollten, war tatsächlich sachlich Unsinn. Nicht ohne Einfluß indes dürfte auch geblieben sein, daß es nicht unbedingt ein Vergnügen war, ein Unternehmen zu planen, bei dem Hitler persönlich die Hand im Spiele hatte - und das, wie sich herausstellen sollte, zunehmend mehr. Aus den folgenden dreieinhalb Jahren enthalten die Akten zunächst nur eine einzige Neuigkeit 663 : Bei einem Vortrag über die „Linzer Bau-Angelegenheiten" am 7. Februar 1940 hat Hitler sich „für den Entwurf der Technischen Hochschule des Herrn Professors Jost aus Dresden entschieden". Und daß dies alles ist, weist sicher nicht nur die Hand des Zufalls aus, sondern eben auch die Zurückhaltung des Ministeriums. Immerhin hat es also offenbar eine Art Wettbewerb gegeben und war damit nun eine wesentliche Weiche gestellt, denn dieser Architekturordinarius Wilhelm Jost ist es gewesen, der dann am 4. Oktober 1943 im Stiftsgebäude des Klosters Wilhering bei Linz als Rektor die neue Technische Hochschule Linz eröffnet hat - freilich mit einer halben Fakultät für Bauwesen, nämlich der Architekturabteilung mit einem Ordinarius und einem Extraordinarius, nur die „Karikatur einer Technischen Hochschule", wie man unserer Tage befunden hat 664 (kümmerlich war es in der Tat, jedoch haben auch andere Institutionen, darunter nachmals berühmte Hochschulen, klein, aber mit Prätention angefangen). Eine weitere Besprechung ein Jahr später, im Februar 1941, hatte noch die Absicht festgelegt, das Ganze „organisch von unten her aufzubauen", mit einer Naturwissenschaftlichen Fakultät und einer Fakultät für Bauingenieure und Architekten zu beginnen. Danach scheint indes „das Ganze" wieder geruht zu haben, und der Führererlaß über die Stillegung aller nicht kriegswichtigen Angelegenheiten vom 25. Januar 1942 wird den Beteiligten nicht unwillkommen gewesen sein. Diese Erleichterung aber, wenn es sie denn gegeben hat, sollte sich schon bald als verfrüht herausstellen. Lebendig wird es in den Akten nämlich im Herbst 1942 665 , beginnend mit einer Mitteilung Bormanns an Lammers vom 3. und einer dadurch ausgelösten Anfrage Lammers* im Reichserziehungsministerium vom 13. September: Hitler habe die besondere Förderung der Hochschulen in den Alpen- und Donaureichsgauen gewünscht 666 und hierbei betont, daß es ihm „besonders auf baldige Eröffnung der Technischen Hochschule in Linz ankomme" - w i e die Dinge denn ständen? Sie standen nicht gut. Am 11. Oktober berichtete Rust, gebaut werden hätte, auch nach den jüngsten Äußerungen Speers, überhaupt noch nichts können, nicht einmal die anderthalb Jahre zuvor in Aussicht genommenen Planierungsarbeiten durch Kriegsgefangene wären erfolgt. Mithin sei es auch mit dem „organischen Aufbau von unten her" noch nichts geworden. Wenn nunmehr freilich durch die ihm mitgeteilte „Willensäußerung des Führers" alle Hemmnisse einschließlich des Erlasses vom 25. Januar beseitigt seien, dann könne es ja losgehen. Was Rust als daraufhin von ihm getroffene Maßnahmen gemeldet hat, war allerdings nicht gerade berauschend: Mit Beginn des Wintersemesters werde ein Materialprüfungsamt seine Arbeiten beginnen und ein Institut für Wasserbaukunde entstehen; schön wäre es auch, wenn man die vollständige Ausrüstung des Krakauer Bergbau-Instituts „überwiesen" bekommen könnte. Und mit dem Sommersemester 1943 werde im bis dahin von 206

Behörden geräumten Petrinum eine Fakultät für Bauingenieure und Architekten eröffnet werden. Einen kommissarischen Kurator in der Gestalt eines nach Linz abkommandierten Ministerialrats seines Hauses (Breuer) habe er auch schon bestellt, fügte Rust noch hinzu (der sich freilich wenig später im Luftfahrtministerium durch persönliche Intervention bei Generalfeldmarschall Milch vergeblich bemüht hat, wenigstens den Regierungsoberinspektor Wilhelm Lehmann für Linz zurückzubekommen - Lehmann war angesichts der „weiter verschärften Personallage im Luftwaffenverwaltungsdienst" unabkömmlich 667 ). Nun war aber inzwischen über Lammers und Bormann ein weiterer Auftrag Hitlers bei Rust eingelaufen. Nachdem dem Professor Giesler die Gesamtplanung der Linzer Großbauten übertragen worden sei, möchte er doch die bisher vorliegenden TH-Baupläne Giesler zur Einsichtnahme möglichst umgehend zuleiten. Rusts Antwort lautete, daß sich diese Pläne gar nicht in seiner Hand, sondern noch bei Professor Jost in Dresden befänden. Alles zusammengenommen befand man in der Reichskanzlei, Rust habe sich eigentlich mehr zur baulichen Gestaltung als zum Lehrbetrieb geäußert, und so wolle man es ebenfalls Bormann gegenüber halten. Und das geschah und ging auch gut, weil nämlich die Bauplanung vorerst Hitler hinreichend beschäftigte. Am 12. November (um die Ruinen von Stalingrad begann eine Woche später die sowjetische Offensive, drei Tage danach war die 6. Armee eingekesselt) besichtigte er bei Giesler das „große Modell" und verwarf Josts Entwurf als „nicht durchführbar". Dasselbe hatte er drei Tage zuvor, zum 9. November in München, auch dem „Reichsbaurat für die Stadt Linz an der Donau", Professor Roderich Fick, erklärt, als dieser ihm Josts Entwürfe für die T H Linz zeigte. Es war dies schon die zweite Fassung, aber auch die erschien Hitler, „mindestens was den architektonischen Kern anlangt", immer noch zu umfangreich. Dann gab es weitere Schwierigkeiten. Der Generalgouverneur, der anfangs geneigt gewesen war, dem Ministerium Rust das Krakauer Bergbau-Institut zu überlassen, dann aber unter Hinweis auf eigene Pläne abgesagt hatte, wollte zwar nach Lammers' Anfrage gern mit nicht mehr Benötigtem seinen Teil zu Linz „beitragen", wobei es sich aber nur noch um einen „verbliebenen Rest" handelte, nachdem nämlich ein Teil bereits 1940 von wissenschaftlichen Hilfskräften der Montanistischen Hochschule Leoben „geborgen" und in die Steiermark abtransportiert worden war. Und drei Wochen später war bedauerlicherweise nicht einmal das möglich, der gesamte Rest war für die Materialprüfungen seines Technisch-Physikalischen Forschungsinstituts unentbehrlich, leider. Auch wollte die Volksdeutsche Mittelstelle ihr Lager im Kloster Wilhering nicht hergeben - unter Berufung auf einen erneuten Befehl Himmlers, keine zur Unterbringung von Umsiedlern dienenden Objekte aus der Hand zu lassen. Diese Räume mußten jedoch von den Balten- und Bessarabien-Deutschen frei gemacht werden, wollte man, wie nunmehr endgültig vorgesehen war, die neue T H in dem jetzt gaueigenen früheren Zisterzienser-Stift Wilhering, siebeneinhalb Kilometer donauaufwärts, unterbringen. Und aus dem Petrinum in der Pöstlingbergstraße 30 hatte man die dort etablierten sechs Behörden nicht herausbekommen (für die hätte - mitten im Kriege! - die Schloßkaserne frei gemacht werden müssen). Wieder mußte Lammers eingreifen und den Reichsführer-SS von dem Führerwunsch und den seiner Verwirklichung entgegenstehenden Schwierigkeiten unterrichten. Himmler hüllte sich noch in Schweigen, als mit dem Stalingrad-Erlaß vom 13. Januar 1943 über den „umfassenden Einsatz von Männern und Frauen bei Aufgaben der Reichsverteidigung" neues Unheil über die T H Linz heraufzog: War der Umbau von Wilhering

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nach dem nunmehr anzulegenden „strengsten Maßstab" kriegswichtig oder nicht? Würde man die 14 000 kg Eisen, 8 kg Kupfer, 200 kg Messing, 200 kg Zink, 550 kg Aluminium und 50 cbm Schnittholz bekommen oder nicht? Und die Fernsprechanlage und die Arbeitskräfte und die 118, mindestens aber 45 „Köpfe" Personal? Am 28. Januar 1943 ist ein entsprechender Hilferuf Rusts an Lammers ergangen, die Bitte um „baldtunlichste" Klarstellung, ob Linz auch „unter den veränderten Verhältnissen" eröffnet werden solle. Die Hoffnung, daß die Sache nun wenigstens mit diesem neuen Hindernis abgetan sei, ist nahezu aus jeder Zeile herauszulesen. Ein ähnliches Motiv könnte man beinahe bei seinem Antwortschreiben vom 19. Dezember 1942 an Reichsbaurat Fick vermuten, der als den Schuldigen an dem von Hitler wiederum abgelehnten Jost-Entwurf das Raumprogramm des Erziehungsministeriums ansah und empfohlen hatte, es doch „durch Unterlassen der einen oder anderen Fakultät" zu reduzieren und einzelne Institute weniger aufwendig zu planen. Von wegen weniger aufwendig! „Ein Abstrich von diesem Programm" sei nicht möglich, hatte Rust geantwortet, der Umfang sei etwa der einer mittleren Hochschule - 1200 bis 1500 Studenten und drei Fakultäten (Naturwissenschaften, Bauwesen, Maschinenwesen); „monumentale Bauten" seien nur die Hauptgebäude, der Rest Hallen- und Fabrikbauten nach dem Baukastensystem. Im vierten Kriegsjahr mußte das eigentlich abschrecken. Die Begeisterung dürfte auch nicht gerade gewachsen sein durch das, was der Ministerialrat Breuer am 12. November aus Linz, von der Front gewissermaßen, gemeldet hat. Da hatte doch der designierte Rektor Jost einen verkürzten Studienplan aufgestellt, der nach seiner Meinung „eine wesentliche Straffung gegenüber der aus dem liberalistischen Jahrhundert übernommenen Studienweise" darstellte - im Ministerium, das schließlich für diese „Übernahme" verantwortlich war, malte jeder Leser ein dickes Fragezeichen an den Rand. Als Lehrkräfte sollten zunächst, so Jost weiter, die in Linz mit Bauaufgaben betrauten „hervorragendsten Fachvertreter" herangezogen werden. „Wissenschaftliche Größen" könnten für Linz erst dann dauerhaft gewonnen werden, wenn man in der Lage sei, ihnen „entsprechende Institute und Arbeitsmöglichkeiten" zu bieten (später ergänzt: und Wohnraum). Fürs erste Semester seien solche Größen aber sowieso nicht erforderlich, dafür jedoch, zuzüglich Schreib- und Hauspersonal, elf Lehraufträge, möglichst an Ortsansässige zu erteilen (weshalb seine Liste nach einem Grazer Dozenten bereits an zweiter Stelle einen „älteren Oberstudienrat" aus Linz anforderte). Professor Nipper, der zuständige TH-Referent Unter den Linden, war angemessen empört. Diesem Studienplan könne unter keinen Umständen zugestimmt werden. In Linz so „bestenfalls eine schwache Fachschule aufzumachen" - das würde der Führer sicher nicht gutheißen. Und im übrigen könne Herr Jost „mit gleicher Berechtigung auch das Essen und Trinken der Menschen als eine aus der liberalistischen Zeit übernommene Angewohnheit" bezeichnen. Am 4. Dezember war Vortrag bei Rust - durch Amtschef Mentzel, Nipper und Harmjanz. Die beiden ersteren äußerten „wiederholt die ernstesten Bedenken", Rust allerdings hielt Josts Plan für ein ganz interessantes „Experiment" der bestmöglichen Ausbildung von Kriegsteilnehmern (Nipper hat vielleicht deshalb am 25. Januar 1943 sieben deutsche TH-Professoren im großen Sitzungssaal des Ministeriums die Jost-Vorschläge zerpflücken, als ungeeignet befinden und insbesondere ihre Empörung über das von Jost geopferte siebente Studiensemester freien Lauf nehmen lassen), stimmte aber wenigstens insoweit zu, daß hiermit nicht etwa „ein Experiment in der Architekturausbildung schlechthin" durchgeführt werden sollte. Im übrigen war man sich, das verstand sich, darin einig, „mit allen Mitteln" den „Wunsch 208

des Führers" zu erfüllen, Linz so bald als möglich „in Betrieb zu nehmen". O b einige der Herren sich dabei zugezwinkert haben, geht aus der Aktennotiz natürlich nicht hervor, aber es wäre auch gar nicht nötig gewesen, es genügte vollkommen die folgende Mitteilung: Auf die telegraphische Umfrage bei den Hochschulen hatten sich ganze acht Studenten für Linz gemeldet. Nun wollte man bei Hitler und beim O K W zumindest noch fünfzig Kriegsteilnehmer lockermachen, um die Hörsaal-Ränge wenigstens notdürftig zu füllen. Beim nächsten Besuch Josts, am 21. April, hat Rust seine Mitarbeiter vorsichtshalber erst hinterher verständigt. Diesem neuen Versuch des Dresdeners, seinen Reformstudienplan durchzusetzen, haben die Referenten indes auch nachträglich erbitterten Widerstand geleistet: Der Reichsstudienplan für die Architekten sei seinerzeit nach eingehenden Beratungen aufgestellt worden, und es sei ein Unding, davon abzuweichen und „auf längst überholte und überlebte Dinge zurückzukommen". Sie hatten Josts Ausbildungsplan inzwischen, wie schon erwähnt, von sieben Koryphäen auseinandernehmen lassen und ihn auch dem Architekten Speer gezeigt, der hier zwar ebenfalls keine „geeignete Grundlage" sah, es indes ablehnte, sich einzumischen. An jenem 21. April hatte Jost einen weiteren Vorschlag gemacht, der der Beschleunigung dienen sollte. Im Stift befand sich nämlich außer den Umsiedlern, die nach wie vor da waren (soeben hatte die Volksdeutsche Mittelstelle im Vorgriff auf die noch immer ausstehende Entscheidung Himmlers wenigstens die Räumung des Küchentrakts zur Renovierung zugesagt), ein Priesterseminar, nach dem durch „Einzelanordnung des Führers" erfolgten Übergang des Stifts in das Eigentum des Gaues Oberdonau dessen Mieter. Ihm sollte gekündigt und die 15 Seminaristen sollten auf ein Weiterstudium an den staatlichen Hochschulen verwiesen werden. Das war nun ein Vorschlag, der auch den Gegnern des Jostschen Studienplans einleuchtete - eine Reichshochschule (und noch dazu Adolf Hitlers Kleinod!) unter einem Dach mit einem katholischen Priesterseminar, das war „sehr unerwünscht" und würde gewiß Ärger mit den Studenten auslösen. Vertragsgemäß konnte den Priestern (im Konventflügel lebten auch noch vier Küchen-Nonnen) jedoch erst zum 31. August gekündigt werden, weshalb auch auf diesem Wege keine sofortige Entlastung zu erwarten war. Und die war doch so nötig. Der ursprüngliche Eröffnungstermin 1. Januar war längst verstrichen, und daß auch aus dem Termin Beginn des Sommersemesters nichts werden würde, war ebenfalls klar, denn noch werkelte in des Führers künftiger Hochschule als einsamer Solist (wenn man da an frühere Bauten dachte!) ein vom (den Briefbogen gab es natürlich bereits) „Kommissarischen Kurator" Breuer „glücklich von der Gendarmerie losgeeister" Tischlermeister mit zwei französischen Kriegsgefangenen. Ja, selbst der Herbsttermin war gefährdet. „Oben" allerdings waren inzwischen die letzten Widerstände von der „Willensäußerung des Führers" niedergewalzt worden. Diese letzte Bastion war - wie gewöhnlich, wenn es um Neues geht, das etwas kostet - die Finanzverwaltung, hier der Reichsfinanzminister. Sehr vom hohen Rosse herab hatte er noch am 1. Februar Lammers geschrieben, die Errichtung der Linzer Fakultät käme „wohl nicht mehr in Frage", auch die örtlich „voreilig" begonnenen Vorarbeiten seien bis nach Kriegsende zurückzustellen. Und mit der den Leuten vom Rechenstift eigenen Präzision war da noch einmal alles aufgeführt worden, was dagegen sprach - mit Ausnahme von Stalingrad, aber darüber redete man wohl besser nicht. Doch auch ohne das war die Liste eindrucksvoll genug ausgefallen: Großer Kostenaufwand des Reiches (noch dazu für ein „reichsfremdes" Gebäude!), Inanspruchnahme er209

heblicher Mengen von kontingentierten Baustoffen, 27 Professoren für eine einzige Fakultät angefordert, wenn auch nicht für sofort (in Graz gab es 31 für alle Fakultäten!), Personalanforderung von insgesamt 118 Personen, wo schon kaum mehr entbehrliche Kräfte der Reichsverteidigung zur Verfügung gestellt werden müßten, und Beschäftigung dieser über 100 Personen für nur 50 Studenten zu einer Zeit, wo die Kapazität voll ausgestatteter Hochschulen nur zu weniger als einem Drittel, in einzelnen Fällen sogar zu weniger als einem Fünftel genutzt werde. Das Begleitschreiben zu der Rust übersandten Abschrift drückte die „sichere Annahme" aus, dieser werde sich den „darin geäußerten schwerwiegenden Bedenken nicht verschließen". Womit Schwerin freilich weit offene Türen einrannte: Rust entgegnete dem „sehr verehrten Herrn Grafen", daß er am 28. Januar im gleichen Sinne ebenfalls schon bei Lammers vorstellig geworden sei - ein Schreiben, von dem hier668 ja bereits die Rede gewesen ist. Auch Lammers war derselben Meinung. Er sei überzeugt, schrieb er am 7. Februar an Bormann und legte die Briefe der beiden Minister bei, daß „der Führer unter den obwaltenden Umständen damit einverstanden" sein werde, daß die Linzer Eröffnung zurückund die Bau- und sonstigen Arbeiten dafür sofort eingestellt würden. Wenn Bormann einverstanden sei, werde er „den Führer nicht noch persönlich befassen", sondern in ihrer beider Namen den beteiligten Stellen Bescheid geben. Nur sollte Bormann doch bitte „Vorsorge treffen", daß Gauleiter Eigruber dann nicht bei Hitler protestieren würde. In dieser Hinsicht waren Lammers* Sorgen unbegründet: Auch Eigruber hatte inzwischen am 27. Januar die Zurückstellung der Hochschuleröffnung vorgeschlagen. Keiner von beiden aber, weder Lammers noch Eigruber, kannte Hitler so gut wie Bormann. Der hatte den richtigen Riecher und hielt doch lieber Vortrag, am 12. Februar. Und als daher Lammers am 22. Rust und Schwerin-Krosigk antwortete, fiel diese Antwort ganz anders aus, als er gedacht hatte: „Trotz der Schwierigkeiten" wünsche der Führer „gleichwohl" die baldmöglichste Eröffnung in Linz. Er meine, ein Unterrichtsbetrieb in beschränktem Umfange müsse doch auch ohne größere Umbauten ermöglicht werden können, und habe angeordnet, diese Möglichkeit nochmals zu überprüfen. Rust solle das „ungesäumt" tun und dann ihn, Lammers, „zwecks abschließendem Vortrag beim Führer" von dem Ergebnis verständigen (damit war wohl wieder Bormann gemeint, denn Lammers gelangte damals selten mehr zum Vortrag, am Ende fungierte er mit seiner Reichskanzlei lediglich noch als Bormanns Berliner Sekretariat). Rusts Herren rechneten also nochmals nach, und siehe da - es ging in der Tat auch billiger. Wie das Ergebnis zeigte, das Rust schon am 10. März wirklich „ungesäumt" melden konnte. „Wesentliche Einsparungsmöglichkeiten" sowohl bei den einmaligen wie bei den laufenden Aufwendungen hatten sich ergeben, „ganz geringfügige Umbauten" waren nur noch nötig. Statt 300 000 brauchten für Hitlers Steckenpferd nur noch 165 000 Mark (ohne die Desinfizierung der Umsiedler-Räumlichkeiten wären es sogar nur 160 000 gewesen) in den Reichshaushalt für das Rechnungsjahr 1943 bei Kapitel XIX eingestellt zu werden, der Materialaufwand hatte sich zwar nur geringfügig senken lassen, konnte jedoch schnell dank der erbetenen Intervention Lammers* zum einen Teil mit Zustimmung Speers, der „mit Rücksicht auf die,Optik des Krieges'" das Unternehmen allerdings nicht gern in die Rangfolgelisten der kriegswichtigen Bauvorhaben aufnehmen mochte, aus dem Linz zur Verfügung gestellten Gesamtkontingent genommen, zum anderen von Gauleiter Eigruber gedeckt werden. Voraussetzung der Eröffnung sei freilich, so hatte Rust hinzugefügt, der immer noch nicht erfolgte Auszug der Umsiedler und - für die erwünschte baldige Vergrößerung von 50 auf 150 Studenten - die Kündigung des Priesterseminars. 210

Als dieses Schreiben im Reichsfinanzministerium gelesen wurde, am Briefanfang Rusts Versicherung, vom Wunsch des Führers habe er „mit Dank und Freude" Kenntnis genommen, am Briefende die Erwartung, bei den Haushaltberatungen werde sich auch der Herr Reichsfinanzminister diesen erheblich gekürzten Anträgen nicht verschließen - da wußte man, was die Stunde geschlagen hatte, und resignierte. Nachdem der Führer auf dem Plan bestanden habe, so hieß es, könnten sich Einwendungen nur noch dagegen richten, daß die Einschränkungen keine wesentlichen Ersparnisse brächten. Nach Lage der Sache dürften solche Einwendungen indes kaum Erfolg versprechen, und es empfehle sich daher nur noch, die Zustimmung vom Ergebnis des abschließenden Vortrags bei Hitler abhängig zu machen. Was man denn auch am 7. Mai schrieb. Fünf Tage später war das als die Datierung, die Lammers' Antwort an beide trug, ergangen nach seinem Schriftwechsel mit Speer: Nachdem sich nun auch die Bereitstellung der Baustoffe „in unbedenklicher Form" ermöglichen lasse („Schnittholz und Zement" standen bereits bereit), glaube er „ohne nochmaliges Befragen des Führers sagen zu können, daß die sofortige Inangriffnahme" der Bauarbeiten im Stift Wilhering „dem Willen des Führers entspricht"; er stelle „anheim, danach zu verfahren". Selbstverständlich taten sie das. Noch freilich saßen im künftigen Hochschulgebäude die Bessarabier mit ihren Flöhen und Wanzen, denn Himmler rührte sich nicht. Am 22. April bat Rust ihn nochmals „dringend, mich instand zu setzen, dem Wunsche des Führers nachzukommen". Wiederum kein Echo aus dem „Sonderzug Heinrich". Am 6. Mai wurde Lammers wieder einmal um Hilfe gebeten, die am 11. auch gewährt worden ist. O b aber sich der Reichsführer-SS dadurch endlich von dem „großen Gewicht", das Hitler auf die baldigste Eröffnung in Linz legte, hat überzeugen lassen, verschweigen die Akten. Nicht mehr für das Umsiedlerlager benötigte Teile des Stiftes hatte Breuer jedenfalls durch ein vorläufiges Abkommen an Ort und Stelle freigekämpft, und die Bauarbeiten waren in gutem Fortschreiten: 51 Arbeiter hatte er Mitte Juli - italienische Maurer, französische Kriegsgefangene, deutsche Ofensetzer und dann den Tischlermeister sowie ein paar Ukrainerinnen, hier wenigstens war noch etwas zu spüren von der völkerverbindenden Kraft der Wissenschaft. „Trotz der bestehenden Schwierigkeiten" sollte es nun „spätestens mit Beginn des Wintersemesters" losgehen. Am 15. Juni gab Rust dem kommissarischen Rektor Jost zusammenfassende Weisungen (und seine Herren ließen ihn dabei auf die Besprechung mit den Fachkollegen am 19. Januar „ausdrücklich" Bezug nehmen): 1) Zunächst eine Architekturabteilung ohne Bauingenieurwesen (das ursprüngliche „nur" in diesem Satz hat Rust durchgestrichen); 2) Studierende lediglich Kriegsversehrte im ersten Semester; 3) Grundlage des Unterrichts die reichseinheitlichen Studienpläne (hier fügte der mehr oder weniger vergewaltigte Minister mildernd ein: „Dabei bleibt Ihnen ja die Bewegungsmöglichkeit, ohne die Sie Ihre Aufgabe angesichts der Sonderlage in Linz zu lösen nicht in der Lage wären"); 4) auf keinen Fall eine generelle Verkürzung des Studiums. Dem folgte eine Aufzählung der zunächst „vom Reichsfinanzministerium bewilligten" (von einem Peniblen abgeändert in „in Aussicht genommenen") Professuren: keine 27 mehr, sondern eine ordentliche für Werklehre und eine außerordentliche für Technisches Zeichnen. Dreiervorschläge dafür sowie neue, begründete Vorschläge für darüber hinaus notwendig werdende Lehraufträge wurden erbeten. Von diesen Dreiervorschlägen und Berufungen findet sich nichts in den Akten außer einem dem Baurat Parusetti, Vorstand des Reichsbauamtes Steyr, erteilten Auftrag, gegen 1000 RM das Lehrgebiet „Statik und Festigkeitslehre" in Vorlesungen und, „soweit nö211

tig", Übungen zu vertreten. Anfang September hat Jost in der Presse für die neue T H Linz Studenten anzuwerben versucht, von der Reichsstudentenführung wollte er sich für den Linz-Besuch noch etwas Unterstützung geben lassen. Und dann ist also eröffnet worden, am 4. Oktober. Rust hat es sich, ging es doch schließlich um so etwas wie Adolf Hitlers natürliche Tochter, nicht nehmen lassen und feierte den nach so vielen Kalamitäten geborenen Kümmerling als einen „Beweis der unerschütterlichen Lebenskraft des deutschen Geistes"669, Eigruber und Scheel waren auch da. Nach dem Wunsch des Führers, sagte Oberdonaus Gauleiter, solle das die modernste deutsche Hochschule werden. Wobei sich die Gäste hoffentlich nicht allzu gründlich umgesehen haben, was Breuers internationale Baubrigade zuwege gebracht hatte. O b wohl ordentlich desinfiziert worden war, ja ob die Umsiedler überhaupt nun endlich draußen waren? Aus dem Rest des Jahres 1943 ist nur noch spärliche Kunde in die Akten gelangt: Ende Oktober über die Festsetzung der Hochschulgebühren, angelehnt an die für die T H Graz gültigen, und vom 16. November ein Schreiben des - nun nicht mehr kommissarischen - Rektors Jost an Rust. Jost hatte dem Minister am 28. Oktober mündlich über den Stand der Aufbauarbeiten berichtet, dabei von Rust gehört oder zu hören geglaubt, daß „der Auftrag des Führers sich auf den Aufbau der gesamten Hochschule" beziehe, und fixierte nun einige Punkte, von denen man nicht recht weiß, waren sie nun Folgerungen, die er zog, oder meinte er nur Besprochenes festzuhalten (auch Rust kann man ja von Illusionen nicht a priori freisprechen). Etwa: Die Errichtung der Architekturabteilung sei „ohne Unterbrechung bis zum Vollausbau weiterzubetreiben", die Bauingenieurabteilung möglichst schon im kommenden Sommersemester einzurichten, die Allgemeine Fakultät „wenigstens organisatorisch" vorzubereiten - nur mit den Maschinenbauern müsse man bis zum Neubau der Hochschule warten. Man kann nachfühlen, daß solch kühne Perspektiven in dem Monat, als in Berlin das Ministeriumsgebäude in Schutt und Asche fiel, dort mehr Wer- als Bewunderung ausgelöst haben. Zumal der tüchtige Jost darüber hinaus „hochschuleigene Wohngebäude in Hochschulnähe" zu errichten, die Sportanlagen zu erweitern und am „Prälatenflügel" einen weiteren Flügel anzubauen gedachte. Aber die wilden Ausrufungs- und Fragezeichen zu Josts Schreiben hatten unrecht, und Jost lag richtig: In Linz war noch möglich, was anderswo längst ins Reich der Phantasie oder der Erinnerung gehörte. Am 8. (und ergänzend am 24.) Februar 1944 stieß die Magnifizenz von Wilhering nach. Eigruber hatte ihm von einer Frage Hitlers erzählt: Warum denn in Linz nur Architekten, aber keine Bauingenieure studieren könnten? Daraufhin hatte Jost sich deren Studienplan wieder vorgenommen und ihn - „streng" nach der Reichsstudienordnung - überarbeitet. Auch die Lehrkräfte seien gesichert, in den meisten Fällen würde eine Erweiterung des Lehrauftrags (es gab sie also doch) genügen, für die wenigen neuen Fächer würden sich „bei dem großen Reichtum der Ostmark an technisch hervorragenden Fachkräften die geeigneten Dozenten unschwer finden lassen" - was nur heißen konnte, daß eine neue Garnitur von Bauräten und „Ingenieuren" in Wilhering einrücken sollte. Auch Platz sei (jetzt!) da, und das Studentenwerk würde mehr Studenten nur begrüßen - kurz, einer „alsbaldigen Errichtung der Bauingenieur-Abteilung" stehe eigentlich nichts entgegen. Ein „Führerwunsch" tat noch immer seine Wirkung. Wenn aber Linz ausgebaut werden solle, so meinte man im Ministerium, könne „selbstverständlich nur ganze Arbeit geleistet werden", das heißt, es müsse „dann auch in absehbarer Zeit eine Allgemeine Fakultät her". Wenn! „Natürlich" werde man versuchen, dem Wunsch Hitlers „schnellstens gerecht zu werden", schrieb Referent Nipper in Richtung Speer zu Josts Plänen - aber liege 212

der denn tatsächlich vor? Speer möchte doch bitte bei einem seiner Besuche im Führerhauptquartier diese Frage anschneiden, andernfalls nämlich sei sein, Nippers, Amtschef Mentzel dafür, es bei den Architekten bewenden zu lassen. Um „anderer Ziele" willen habe man seinerzeit zwar die Eröffnung vorgenommen, obwohl „kein unmittelbares Bedürfnis vorlag", indes gälten jene Gründe doch nicht für eine Erweiterung. Der von Nipper Angesprochene antwortete am 31. März: Speer habe sich aus den auswärtigen, nicht-Berliner Hochschulangelegenheiten und insbesondere aus dem infolge Hitlers Förderung „noch komplizierteren" Fall Linz „immer herausgehalten", außerdem sei er nicht in Berlin, sondern kuriere außerhalb eine „ziemlich schwere Krankheit" aus - Mentzel solle sich doch direkt an Bormann wenden. Und das ist am 18. April tatsächlich so geschehen, auf den ersten Blick etwas verwunderlich. Ein kleiner Ministerialdirektor! Und gar noch mit der vertraulichen Anrede „Lieber Parteigenosse Bormann"! Nun, Mentzel war schließlich auch Präsident der geldspendenden Forschungsgemeinschaft, Kassenwart und Verwalter also der von der Wirtschaft zu leistenden Tributzahlungen, und außerdem ein maßgebender Mann im Reichsforschungsrat - da ging das. „Außerordentlich lieb" wäre es ihm zu erfahren, so schrieb er, wie der Führer über einen solchen Schritt denke, der zwar machbar sei, aber doch zusätzliche Einrichtungen und die Berufung geeigneter, jetzt kaum mehr zur Verfügung stehender Fachvertreter notwendig mache. Und das heute kaum Glaubliche geschah: Am 15. Mai schrieb Jost unter dem nichts Gutes verkündenden Briefkopf „Gauleitung Oberdonau der NSDAP - Technische Hochschule Linz", Gauleiter Eigruber habe bestätigt, „daß der Führer die sofortige Errichtung der Bauingenieurabteilung" erwarte. Und am 17. Mai wurde das von Bormann auch noch persönlich wiederholt: Rektor Jost sei „jede nur mögliche Hilfe zu gewähren", und die „notwendigen Mittel seien in ausreichendem Maße" zur Verfügung zu stellen; ferner sei Jost zu beauftragen, „baldmöglichst" Berufungsvorschläge einzureichen. Sela! Am 7. Juli gingen an den Reichsfinanzminister und an den Kurator die entsprechenden Anträge und Aufträge ab. Der Reichsfinanzminister konnte bei diesem Gönner nur klein beigeben - Dipl.-Ing. Werner Starke von der Partei-Kanzlei hat sich freilich Mitte Oktober den Ministerialdirektor Kluge noch einmal vorknöpfen müssen. Sollte es andere Hindernisse gegeben haben, sind auch sie überstiegen worden. Auf die Frage des Ministeriums, ob er denn wirklich eine genügend große Anzahl geeigneter Fachvertreter namhaft machen könne, hat Jost drei Berufungsvorschläge „in Kürze" angekündigt, weitere drei Namen waren im Gespräch - außer dem Stuttgarter H. Hanson ist allerdings keiner davon670 im Kürschner zu finden. Jedenfalls: Anfang November 1944 (!) hat dann die Presse gemeldet671, daß in Linz nun auch das Bauingenieur-Studium eröffnet werde. Bei den Lehrkräften als dauernden Ausgaben hat das Reichsfinanzministerium noch einen schwachen Versuch unternommen, sich zur Wehr zu setzen, - man werde, so wurde mit dem Erziehungsministerium vereinbart, „vorsichtig ablehnen". Jost nämlich hatte inzwischen, Adolf Hitler im Rücken, aus Herzenslust zugelangt: 17 ordentliche und acht außerordentliche Professoren-Planstellen sowie die Mittel für 16 wissenschaftliche Assistenten hatte er angefordert672. Dafür werde er einige „gute Fachvertreter" sofort namhaft machen können, andere erst nach weiterer „gründlicher Umschau". Die Besetzung jener Stellen lautete daher durchweg „N.N." bis auf - und hier erfährt man, wer nun am Ende de facto in Wilhering gelandet ist - die beiden in der Architekturabteilung bereits tätigen Herren, den Ordinarius Schuhmacher für Werklehre und den außerordentlichen Professor Engelhardt für Technisches Zeichnen673. 213

Ein Brief wurde im Finanzministerium entworfen, der sich auf den mittlerweile, nach dem Juli-Attentat, herausgekommenen, auf Goebbels zugeschnittenen Erlaß vom 25. Juli über den nun wirklich totalen Krieg stützte, der doch alle früheren Vollmachten außer Kraft gesetzt habe - ohne eine Weisung des Führers liefe da nichts. Das aber hätten die Finanzleute sich nach den in punkto Linz bereits gemachten Erfahrungen eigentlich denken können: Am 27. November war sie da. Und der Tenor war streng: Bei allen Schließungsverhandlungen in den vergangenen Monaten sei von den zuständigen Dienststellen eindeutig festgelegt worden, daß „im Falle vorzunehmender Einschränkungen die Technische Hochschule Linz im vollen Umfange weiterzuführen" sei. O b es denn nicht möglich sei, „wenigstens jetzt eine klare Entscheidung" des Finanzministeriums zu bekommen, stöhnte Nipper am 4. Dezember, zwischen Baum und Borke. Man telefonierte, und am 11. ist auch sie dann tatsächlich gefallen und die Zustimmung sowohl für die Errichtung der Bauingenieur-Abteilung wie für die 25 ProfessorenPlanstellen erteilt worden. Ein - freilich nur mickeriger - Teilsieg auf dem Rückzug aus Waterloo: Josts Aufwandsentschädigung wurde von geforderten 2300 Mark auf 1900 (plus unverändert 1000 Mark Amtsvergütung) zusammengestrichen. Wenn in Posen wie in Straßburg in kürzerer Zeit mehr zustande gekommen ist als in Linz, so gilt es zu berücksichtigen, daß beide „Reichsuniversitäten" eben nicht auf der freien Wiese entstanden sind. In beiden Fällen konnten vorhandene Universitätseinrichtungen übernommen werden. Eine Vorweltkriegs-Tradition, an die angeknüpft werden konnte, gab es freilich nur im Falle Straßburgs. In Posen hingegen hatte es zu preußischer Zeit lediglich eine „Königliche Akademie" gegeben, offenbar eine Art Volkshochschule (den ersten und den letzten Rektor, den „Philosophen" Eugen Kühnemann und den Kunsthistoriker Franz Bock, hat man dann zur Eröffnungsfeier der „Reichsuniversität" nach Posen geholt), und erst die Polen hatten daraus 1919 eine Universität gemacht. Auf dieser Grundlage nun eine deutsche Universität zu errichten muß schon bald nach Beendigung des Polenfeldzuges von interessierter Seite betrieben worden sein, wobei man unter „interessiert" an erster Stelle Posens Gauleiter Greiser und mit Abstand hinter ihm das Reichserziehungsministerium beziehungsweise Teile seines Amtes Wissenschaft zu verstehen hat. Ende November 1939674 scheint Hitlers Zustimmung bereits vorgelegen zu haben, denn vom 4. Dezember stammt der erste schriftliche Nachweis, ein Schreiben des Reichserziehungs- an das Reichsfinanzministerium. Der Führer habe die Errichtung angeordnet, so hieß es da, und im Einvernehmen mit dem Reichsstatthalter habe man - da die Angelegenheit wegen zahlreicher in Posen eingetroffener Rückwanderer aus den „Oststaaten", Hochschullehrer und Studenten aus Riga, Dorpat und so fort, „dringlich" sei - zu diesem den Dr. Hanns Streit als „Universitätsbeauftragten" abgeordnet, zwecks Sicherstellung und Erhaltung der Gebäude und Einrichtungen der polnischen Universität. Die Räume nämlich waren weitgehend bereits von anderen Dienststellen in Anspruch genommen worden, weshalb man, um auch wirklich geeignete Räumlichkeiten zu gewinnen, sachverständige Beratung benötigte und um Abordnung eines Baubeamten bat. Der „Universitätsbeauftragte" Streit, der frühere Leiter des Studentenhilfswerks (ein vielseitiger Mann, der in Posen dann noch Vizepräsident der Reichsstiftung für deutsche Ostforschung, Stellvertretender Leiter der Verwaltungsakademie, Gaustudentenführer und Gaudozentenführer gewesen ist675), scheint übrigens - und wenn ja, dann sicher auf Drängen Greisers - schon vor der angeblichen Anordnung Hitlers „beim Reichsstatthalter in Posen" installiert worden zu sein, da bereits am 17. November ein Hauserlaß des Ministeriums seine Anschrift bekanntgemacht hat676. 214

Am 11. Dezember stellte dann der Reichsstatthalter einen ersten, noch nicht mit Zahlen versehenen Antrag auf Bereitstellung der „erforderlichen Mittel in angemessener Höhe" für Aufräumungsarbeiten, Umbauten, erste organisatorische Maßnahmen und dergleichen. Welche Höhe wohl angemessen sein würde, konnte ahnen, wer las, daß der Führer die Errichtung „in kürzester Frist" angeordnet habe und daß hier „in Einrichtung und Betrieb mustergültig die deutsche Wissenschaft im Osten" repräsentiert werden sollte. Das klang nicht so, als ob es billig werden würde. Die Neuigkeit erfreute jedoch auch sonst nicht alle, die davon hörten. Da war Bormann, dem wieder einmal Einschlägiges „berichtet" worden und der befremdet war darüber, daß der Stellvertreter des Führers bisher noch nicht um seine Stellungnahme gebeten worden sei. Um spätere Verzögerungen zu vermeiden, bat er Rosenberg am 13. Dezember um Mitteilung seiner „grundsätzlichen Auffassung" zu dem Plan677 (und am 2. Februar 1940 zu den inzwischen vom Reichserziehungsministerium unterbreiteten Details678 ). Hatte Bormann nur das Verfahren zu beanstanden, waren andere über die Sache selbst bestürzt. Aus Breslau und Königsberg meldete der SD Bedenken und Unwillen, - die Albertina, durch die „Entwicklung der letzten Jahre an sich schon in den Hintergrund gedrängt", befürchtete von der neuen Universität Konkurrenz nunmehr im - bislang offenbar trotz allem rhetorischen Getöse nicht allzu wirkungsvoll geförderten - Osten selbst, und die Breslauer Studentenführung saß an einer Ausarbeitung über die Bedeutung ihrer Ostuniversität. Vielleicht hätte man in Königsberg und Breslau ruhiger geschlafen, wäre dort der Verlauf bekannt geworden, den die Dinge zunächst nahmen. Im Erziehungsministerium war Greisers Trompetenstoß richtig verstanden und angesichts dessen, was hier offenbar an Anforderungen jeglicher, insbesondere aber finanzieller Art in Aussicht stand, war eine schriftliche Rückversicherung für ratsam gehalten worden. Am 30. Dezember wurde diese Fixierung des Führerwillens in der Reichskanzlei erbeten. Uber die Art, wie Lammers das dann am 29. Januar 1940 vorgetragen haben dürfte, gibt ein Vermerk seines Reichskabinettsrats Killy Aufschluß, wo angesichts der „Überanspannung des Finanzbedarfs" eine sofortige Errichtung als nicht durchführbar bezeichnet wird - der „wahrscheinlich gewünschte politische Effekt" ließe sich doch „durch eine entsprechende Kundgebung ggfs. unter feierlicher Grundsteinlegung" zunächst auch und erheblich preiswerter erreichen. Andererseits hat der um seine Auffassung gebetene Reichsinnenminister dem Vorschlag Greisers „grundsätzlich" zugestimmt: In der Mitte des Ostraumes klaffe zwischen Königsberg und Breslau eine „kulturpolitische Lücke", welche „das Polentum" zum Ausbau eines wissenschaftlichen Vorpostens genutzt habe, an dessen Stelle „eine Hochburg deutscher Kulturleistung und ein Bollwerk gegenüber dem Polentum aufzurichten" notwendig sei. Dieses Votum freilich hatte nicht allzuviel Gewicht. Hitler jedenfalls bestritt am 29. Januar, eine Entscheidung dahingehend getroffen zu haben, daß in Posen in kürzester Frist eine deutsche Universität geschaffen werden solle; lediglich die Vorbereitung einer solchen Universität habe er angeordnet. In diesem Sinne wurde dann der Reichserziehungsminister instruiert, keine größeren Summen für Bauten und Einrichtungen zu beantragen, während gegen die Anforderung für die Planung und Vorbereitung notwendiger Mittel keine Bedenken beständen. Inzwischen - wir hörten bereits davon679 - hatte auch Rosenberg Bormann geantwortet, grundsätzlich ebenso angetan von der Idee wie der Reichsinnenminister. Sorgen bereitete hier lediglich die ihm von Gauleiter Eggeling suggerierte Idee, es könnten viel215

leicht Erörterungen über die Verlegung der Universität Halle nach Posen im Gange sein, was denn ein „öffentlicher Affront gegen einen Reichsleiter der N S D A P " wäre und zugleich ein Anschlag auf „eine der wenigen an den Universitäten vorhandenen nationalsozialistischen geistigen Keimzellen". Eggeling hatte am 23. Januar „persönlich, eigenhändig" (er hatte das Schreiben auch „persönlich übergeben" wollen) ebenfalls Hess gemeldet, was da an ihn, der er „sonst gegenüber Gerüchten sehr mißtrauisch" sei, „von verschiedenen Seiten herangetragen worden" war und was ihm auch als „durchaus im Bereich der Möglichkeit liegend" erschien. Denn sollte wirklich für Posen auf eine Universität „aus dem Raum des inneren Deutschland" zurückgegriffen werden, dann gewiß auf das von der Ministerialbürokratie nicht geliebte „ungezogene Kind Halle", gegen welchen Anschlag seinen „ganzen Einfluß einzusetzen" Eggeling mit großem Nachdruck Hess bat. Der Führer-Stellvertreter ließ dem Gauleiter und Rosenberg antworten, von einer beabsichtigten Verlegung der Universität Halle sei ihm nichts bekannt, in den Verhandlungen mit dem Erziehungsminister über die Universitätserrichtung in Posen sei davon „niemals die Rede gewesen" 680 . Das ist indes erst am 6. März geschehen; am 30. Januar, noch im ungewissen also nach Eggelings Alarm und vermutlich nicht zuletzt zwecks Ablenkung von Halle ausgewählt, hatte Rosenberg außer den Sorgen um „seine" Universität Hess auch schon Vorschläge unterbreitet für ein „bestimmtes Schwergewicht" in Forschung und Lehre der neuen Universität Posen: Geschichte sowie Rassen- und Sprachenkunde des europäischen Ostens schienen ihm dafür tauglich zu sein. Was sich freilich nicht recht vertrug mit den mehr praktischen Vorstellungen Greisers, der den Aufbau einer landwirtschaftlichen, einer tierärztlichen und einer medizinischen Fakultät für vordringlich hielt, im Zusammenhang damit auch einer naturwissenschaftlichen. Lediglich darin dürften Greiser und Rosenberg sich einig gewesen sein: „Die Errichtung theologischer Fakultäten ist nicht beabsichtigt." Hinter Alfred Rosenberg wird hier der konstruktive Geist des anderen „Weltanschauungs-Alfreds" erkennbar, mehr noch sogar hinter der Stellungnahme des Reichsinnenministeriums, wohin es Verbindungslinien gegeben haben mag. Von ihm, nämlich aus einer Aufzeichnung schon vom 29. Dezember 1939, stammte die Generallinie, eine Reichsuniversität Posen „lebhaft zu begrüßen", stammte auch die Sache mit der Lücke zwischen Königsberg und Breslau, stammte ebenfalls die Empfehlung, hier „unter zielbewußter Leitung" und mit „politischem Schwung" etwas „Neues bedachtsam aufzubauen". Und bei der Lektüre dieser Baeumler-Notiz wird auch verständlich, warum man bei Rosenberg auf Eggelings „Gerüchte" so nervös reagiert hat: Man hatte selbst bereits derartige Gedanken verfolgt. Natürlich nicht Halle, aber etwa „Greifswald oder Gießen oder auch vielleicht beide zusammen" hat hier schon Baeumler „nach dem Osten zu verlegen" empfohlen als „Grundstock", aus dem dann „etwas Neues zu formen" sei. Das war, wie gesagt, am Ausgang des vergangenen Jahres geschrieben worden. Aber auch zwei, drei Monate später hatte es nicht den Anschein, als ob den Planern nach Hitlers Entscheidung vom 29. Januar 1940 die Lust vergangen wäre. Unter den Linden war man, nachdem die für den 1. April erhoffte Überführung sämtlicher wissenschaftlicher Hochschulen im Reichsgebiet in die unmittelbare Verwaltung des Reiches vom neuen „Generalbevollmächtigten für die Reichsverwaltung" als im Krieg nicht erforderlich aufgeschoben worden war, mit einer entsprechenden „Regelung des Hochschulwesens" wenigstens in den neuen Reichsgauen befaßt. Am 3. April legte man den Entwurf einer Verordnung vor, die für Posen die Bestellung eines Universitätskurators und 216

den Übergang des Vermögens der alten polnischen Universität auf die neue Reichsuniversität vorsah (gegen letzteres allerdings erhob der Reichsinnenminister, angeblich aus juristischen Gründen, Einspruch 681 ). Greiser auf der anderen Seite hatte Sorgen mit der Auslegung der Führerentscheidung, die er am 1. Juli Lammers unterbreitete: Reichserziehungs- und Reichsfinanzministerium wollten ihn auf „Sichtung und Erhaltung des Vorhandenen unter Ingangsetzung einer kleinen landwirtschaftlichen Abteilung" beschränken, während er die ohne große Bauten und „mit an sich geringen Mitteln" mögliche „Auswertung und Vervollständigung der vorhandenen Einrichtungen" und die Aufnahme des Lehr- und Forschungsbetriebs je nachdem „sogleich oder mit Kriegsende" anstrebe. Lammers antwortete am 8. in Greisers Sinn; die Frage, wann der Betrieb aufgenommen werden solle, habe bisher überhaupt nicht zur Erörterung gestanden, doch nehme er nicht an, daß der Führer, der lediglich kostspielige Bauten schon zum jetzigen Zeitpunkt habe verhüten wollen, gegen die von Greiser angestrebte „vorläufige Aufnahme eines beschränkten Hochschulbetriebes Einwendungen erheben würde". Da dies, die Interpretation des „Führerwillens" durch Bormann oder (damals noch, gewöhnlich aber auch jetzt schon erst nach Anfrage bei dem Reichsleiter) Lammers, der Modus war, wie Entscheidungen zweiten Ranges getroffen wurden, war damit der Weg frei für eine - bescheidenen Ansprüchen genügende - Reichsuniversität Posen. Ja, der Reichsfinanzminister hat sogar noch im gleichen Monat den „Wünschen des Reichsstatthalters Greiser" in - wie in der Reichskanzlei verwundert angemerkt wurde - „ziemlich großzügigerWeise entsprochen", indem er bereits für das Rechnungsjahr 1940 „recht erhebliche Mittel", nämlich 1 360 000.- RM, für die Ingangsetzung der Posener Universität bereitstellte, darunter fünf Lehrstühle für die Landwirtschaftliche Abteilung (von der man bei dieser Gelegenheit erfährt, daß sie bereits „errichtet" war) und neun weitere sowie 20 Stellen für Beamte, 20 für wissenschaftliche Assistenten, 68 für Angestellte und 126 für „Lohnempfänger". Ein weiteres indirektes Signal dafür, daß die Dinge jetzt im Fluß waren, kam aus dem Stab Hess 682 . Eine Beschwerde vom 7. August darüber, daß er bei der Ernennung des kommissarischen Kurators Streit nicht beteiligt worden sei, war noch in der freundlichen Form eines „privaten Dienstschreibens" Krügers an Mentzel gehalten, die erste Mahnung vom 27. September ebenfalls und in umgänglichem Ton, während die letzten, die vierte und die fünfte, recht barsch abgefaßte und von Bormann „i.V." gezeichnete Dienstschreiben des Stellvertreters des Führers 683 waren. Das Ministerium hatte erst ziemlich „von oben herab" antworten wollen, daß eine Zustimmungseinholung bei jeder Bestellung eines kommissarischen Vertreters (Krüger hatte ebenfalls Professuren mit einbezogen), die meist ja auch sehr dringlich sei, eine „wesentliche Vermehrung der Büroarbeit" bedeuten und die bisher schon „von Einfachheit weit entfernte Bearbeitung von Personalangelegenheiten noch mehr erschweren" würde. Man hat das aber dann doch lieber so nicht abgesandt 684 . Ende des Jahres hat Rust den Warthegau besucht und dabei mit Greiser natürlich auch die Universitätsfrage erörtert. Wenn er noch zu bekehren war, so ist er bekehrt worden. Nach Berlin jedenfalls kehrte er „in meiner Überzeugung bestärkt" zurück, daß die möglichst baldige Aufnahme der Universitätstätigkeit im zur Zeit möglichen Umfang angesichts der „außerordentlichen Aufgaben im deutschen Osten" dringend erwünscht sei. Vorbehaltlich der Zustimmung des Führers habe er, wie er Lammers am 13. Dezember mitteilte, mit Greiser die allmähliche Aufnahme des Lehr- und Forschungsbetriebs ab 217

1. April 1941 vereinbart. Von Anfang an müsse die neue Universität die Möglichkeit haben, „sich selbst unlösbar in Volk und Land zu verwurzeln", und bei Kriegsende müsse sie in der Lage sein, die von der Front zurückkehrende studentische Generation aufzunehmen. Selbstverständlich werde vor Kriegsende nicht an „Neubauten größeren Umfangs" gedacht, weshalb die Veterinärmedizin und die klinischen Teile der Medizin erst nach dem Kriege gebaut werden sollten. Aber auch eine „beschleunigte Ingangsetzung" der Landwirtschaftlichen Fakultät sowie eine „allmähliche Eröffnung" der Naturwissenschaftlichen, der Philosophischen, der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen und der nichtklinischen Teile der Medizinischen Fakultät - dies das Ziel, das er sich gesteckt habe - erforderten leider doch größere Mittel. Es stände das Schloß nicht zur Verfügung und ebenfalls nicht andere Gebäudekomplexe, in denen Teile der polnischen Universität untergebracht waren - Barackenbauten als Zwischenlösungen seien also erforderlich. Ferner seien die zur Verfügung stehenden Gebäude in ihrer Substanz geschädigt, das Lehrmaterial lückenhaft und veraltet; auch die Einrichtung zahlreicher Institute habe außerordentlich gelitten, Wohnraum müsse beschafft werden - kurz, roh geschätzt seien 25 Millionen Mark in den nächsten vier Jahren erforderlich. Wolle Lammers das bitte oder solle er es selbst, dann unter Hinzuziehung Greisers, Hitler vortragen? Es sei weder das eine noch das andere erforderlich, wurde Rust am 2. Januar 1941 beschieden, denn die Angelegenheit bedürfe weder einer Genehmigung noch einer Weisung des Führers. Dieser habe vielmehr schon entschieden, daß „großzügige und kostspielige Neubauten zurückgestellt werden" sollten - was die Zustimmung im übrigen ja beinhalte. Jetzt sei es lediglich noch nötig, daß Rust sich wegen der Bereitstellung der erforderlichen Mittel mit dem Reichsfinanzminister einige. Eine gewisse Rolle hat bei der Entwicklung der Posener Angelegenheit auch der Wettlauf mit Straßburg gespielt. Andeutungen in dieser Richtung waren zuvor schon gefallen, als Greiser dieses Thema am 23. Januar in einem Brief an Finanz-Staatssekretär Reinhardt pecuniae causa frontal anging: Mit dem Führerwillen und dem Aufbau der deutschen Kultur im Osten sei es „unvereinbar, wenn auf dem sichtbarsten Ausgangspunkt wissenschaftlichen und kulturellen Schaffens, nämlich einer Universität, die Bevorzugung des Westens gegenüber dem Osten so kraß in Erscheinung treten würde wie bei einer Eröffnung der Straßburger Universität, ohne daß Posen zu gleicher Zeit seine Hochschultore" öffne. Die Reichsuniversität Straßburg aber würde, das stehe „mit Sicherheit fest", am 1. April oder zumindest im Laufe jenes Monats eröffnen, also müsse dann auch Posen beginnen. D a aber zu einem „solchen Beginnen Geld" gehöre und mithin also schnelles Geld, schlage er eine möglichst umgehende Besprechung der drei zuständigen Dezernenten, der Ministerialdirektoren Mentzel und Manteuffel sowie seines Aufbaubeauftragten, des Universitätskurators Streit, in Berlin oder Posen vor. Nun war eine Besprechung Manteuffel - Mentzel bereits „seit längerer Zeit" für den 30. Januar angesetzt, als Ergebnis eines Briefes, den Rust freilich erst am 15. Januar dem „sehr verehrten Herrn Grafen" geschrieben hat (Leuten vom Ancien régime wie Schwerin gegenüber hat der Reichserziehungsminister sich zumindest bis zum 20. Juli so verhalten, als sei er früher dort Kutscher gewesen - still oder vielleicht auch nicht nur insgeheim belächelt vermutlich sowohl von Lammers, dem Spezialisten für „partikulierte Eigennamen", wie von Leuten wie Goebbels oder Himmler, die sich eine prinzliche Pagerie leisten konnten). Auf Straßburg hatte hier auch Rust hingewiesen, als dessen Eröffnungsdatum nunmehr der 26. April feststehe (nicht ganz fest, denn als Posen dann gerade anlief, traf aus dem Elsaß die Kunde ein, es würde Herbst werden), und „äußerste 218

Beschleunigung" in seinem Hause versprochen. Die Mittel, die er verlangte, die „schätzungsweise 25 Millionen", jetzt bereits „für die nächsten 3 - 4 Jahre", liefen mittlerweile unter der Bezeichnung „Aufbaufonds", was doch eigentlich nur bedeuten konnte: „neben dem ordentlichen Haushalt". Und auch sonst schössen nun die Wünsche ins Kraut - wie überall und immer, wenn Dämme erst einmal zu brechen beginnen. Die Besprechung am 30. Januar hat im Reichsfinanzministerium stattgefunden - ohne Streit. Und das in beiderlei Bedeutung. Bis auf den ins Wintersemester verschobenen Aufbau einer Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät hat Mentzel alle Wünsche durchgebracht - an Lehrstühlen „etwa 35". In einem am 12. Februar nachfolgenden Schreiben Mentzels ist von den kommissarischen Haushaltsverhandlungen am 3. Februar die Rede und von der dort begründeten Notwendigkeit von nun bereits 88 Lehrstühlen, 56 davon Ordinariate und 32 Extraordinariate, ohne welche Planstellen der Gesamtaufbau der Universität und die jetzt schon in die Wege zu leitenden Berufungsverhandlungen ein Unding wären. Die „in Aussicht genommenen Hochschullehrer" ständen „bereits jetzt vollzählig fest" (und zwei Monate später wird man erfreut feststellen, mit welch „wirklicher innerer Begeisterung" sich die deutschen Hochschullehrer „fast ohne Ausnahme" für die Arbeit im Osten zur Verfügung gestellt hätten, so daß die Besetzung Posens mit „wissenschaftlich und politisch einsatzbereiten Gelehrten" keine Schwierigkeiten bereite). Entgegenkommend wollte man sich allerdings im Haushalt 1941 mit der Ausbringung der Mittel für die Hälfte, für 44 Professoren, begnügen und gegebenenfalls erforderlich werdende weitere Mittel überplanmäßig beantragen, die Marschrichtung aber stand jetzt fest. Und es war nun auch soweit. Am 28. Februar wurde die Öffentlichkeit informiert685. Sie zeigte sich angemessen begeistert, wenn auch nicht durchweg so wie Ernst Anrieh686, der über der „von Polen vernachlässigten Kultur", über den zu ihrer „festen und gestaltenden Ausstrahlung und Verdichtung" die deutsche Kultur benötigenden „riesigen Gebieten" im Osten gleichsam die Sonne aufgehen sah. „Universitätsbeauftragter" Streit gab am 2. März im Völkischen Beobachter weiteres bekannt - etwa, daß das die erste nationalsozialistische Universitätsgründung sei, daß man in die alte Kaiser-WilhelmBibliothek „noch mindestens 400 000 Bände einbringen" werde und daß der Posener Hochschullehrer nicht nur Wissenschaftler sein dürfe, sondern auch „im Volkstumskampf des Ostens seinen Mann zu stellen" habe. Ein Irrtum Streits war, daß der Begriff „Reichsuniversität" exklusiv für Posen vorbehalten sei, und etwas beunruhigend seine Einleitung, daß die „Kühnheit der Entschlüsse Adolf Hitlers noch immer von der Kühnheit seiner Taten übertroffen worden" sei. Am 10. März reichte der Stab Hess einen Aufbauplan mit den einzelnen Fakultäten und Lehrstühlen zur Stellungnahme an die Dienststelle Rosenberg weiter687. Und am selben Tage erschien eine „Verordnung zur Regelung des Hochschulwesens in den Reichsgauen Danzig-Westpreußen und Wartheland"688, die - später ergänzt durch eine Durchführungsverordnung des Reichserziehungsministers vom 17. April - die Stellung des Kurators der Universität Posen689 regelte und ihn „unbeschadet seiner unmittelbaren Unterstellung" unter den Minister „zugleich" als „Sachbearbeiter des Reichsstatthalters in Posen für die Angelegenheiten der Universität Posen" auswies. Er hatte „in meinem [Rusts] Auftrag persönlich und unmittelbar" den Reichsstatthalter über „wichtige Angelegenheiten innerhalb der Universität Posen zu unterrichten". Inzwischen hatte am 29. März Rust Lammers wieder einmal gebeten, Posen-Entscheidungen Hitlers herbeizuführen. Erstens die Genehmigung des Gründungstages - als 219

„bescheidener Ausdruck des Dankes" war jetzt Hitlers 52. Geburtstag, der 20. April, vorgesehen. Und zweitens die persönliche Eröffnung am 27. April. O b Hitler „in dieser Zeit letzter Entscheidungen" allerdings dafür Zeit haben würde, war selbst Rust zweifelhaft, weshalb er alternativ bat, „dem Führer anheimstellen" zu wollen, ihn mit der Eröffnung in des Führers Namen zu beauftragen. Die Zweifel waren berechtigt. Hitlers Persönlicher Referent Meerwald ahnte und entschied auch gleich, daß der Führer „im Hinblick auf seine überaus starke Belastung durch die Aufgaben der Kriegführung" wohl nicht persönlich die Eröffnung werde vornehmen wollen. Gegen die Beauftragung Rusts damit wie gegen den 20. April als Gründungstag vermuteten Hitlers Auguren indes keine Bedenken. Bernhard Rust hat dann am 27. in Posen, nach Streits „Herr Reichsminister, ich melde Ihnen: Die Vorbereitungen sind so weit gediehen, daß die Eröffnung vollzogen werden kann" und Greisers Stiftung einer 100000-Mark-„Morgengabe" für Stipendien und Preisaufgaben, eine lange und schöne Rede gehalten, deren Text von D N B in extenso verbreitet 690 und dann nochmals, gemeinsam mit den übrigen Höhepunkten der Feier, in Buchform dem Publikum zugänglich gemacht worden ist691. Von dem markigen, plakativen Einleitungssatz „Der Gründer des Dritten Reiches gründete hier [?] an seinem 52. Geburtstage die erste Universität seines Großdeutschen Reiches" über die deutschen Kolonisatoren (nicht nur „Schwertträger", sondern auch Kultur- und Ordnungsbringer) bis zum Ostwall des unbeirrbaren und unbesiegbaren deutschen Geistes und zu Posens Erdreich, auf dem neues deutsches Volkstum „durch Härte gestählt" wurde und sich „in Treue bewähren" konnte, war alles da; nichts fehlte, was den akademischen Kolonisatoren Freude bereiten konnte. Im engeren Sinne zur Sache gehörte, was die angemessenen „räumlichen Voraussetzungen" anlangte, die Vertröstung auf die Zeit „nach dem Siege" und gehörte die Bekanntgabe der noch erforderlichen Einschränkungen bei den Fachrichtungen, der Genehmigungspflicht für das Studium sowie der ersten Personalia. Streit wurden nunmehr endgültig die Geschäfte des Kurators übertragen und sein Kommissariat damit beendet, und als Rektor wurde der Ordinarius für Tierzuchtlehre und Haustiergenetik Peter Carstens eingesetzt, der bereits über einschlägige Erfahrungen als Rektor von Hohenheim verfügte und, SS-Standartenführer, seit über einem Jahr zusätzliche Qualifikation als Leiter des Ansiedlungsstabes Posen hatte gewinnen können 6 9 2 . Im weiteren Verlauf des „glanzvollen Staatsaktes in der festlich geschmückten Aula" 6 9 3 , zu dem sämtliche Rektoren der deutschen Universitäten und Hochschulen kommandiert waren, hatte die neue Magnifizenz Programmatisches von sich gegeben - neu vielleicht nur die Erklärung, daß es für die Reichsuniversität des Ostens „nach Osten keine Grenzen" gebe, nicht an der des Warthegaus und nicht am Bug. Dann hatte Posens Oberbürgermeister Scheffler einen „Reichsfreiherr-von-Stein-Preis" gestiftet, dann Reichsdozentenführer Schultze von dem „fortan ewig deutschen Raum" gefaselt und von den „heute restlos in der Gemeinschaft des deutschen Volkes" stehenden Hochschullehrern, die „in unangetasteter Freiheit der Wissenschaft" ihre „Fähigkeiten voll zur Entfaltung und Blüte" bringen könnten. Vor dem Sieg-Heil auf den Führer und den „Liedern der Deutschen" waren noch der Vertreter des Reichsstudentenführers (bis zum Druck wurde aus seinem „Stellvertreter des Führers" der „Privatsekretär des Führers"), der Berliner Rektor Hoppe für die Universitäten und ihre „vollzählig erschienenen Rektoren" sowie Vahlen für die Akademien zu Wort gekommen (er war jetzt Präsident der „Reichsakademie der Deutschen Wissenschaft" und überbrachte Carstens für seine „wertvolle Forschungsarbeit auf dem Gebiete der Haustierzüchtung" die korrespondierende Mit220

gliedschaft der Preußischen Akademie der Wissenschaften). Mit dem Bekenntnis „Und so bleibt unser Blick auf den Führer gerichtet, dem wir allezeit verschrieben haben alle Güter unseres Wissens, unseren ganzen Arbeitswillen und unser ganzes Herz", das Osteuropa-Historiker Reinhard Wittram für die rückgeführten Wissenschaftler ablegte, klang die Feier aus; beim gemeinsamen Mittagessen plauderte noch Emeritus Eugen Kühnemann aus der Pionierzeit von anno 1903. Wen aber traf man nun außer Carstens noch in Posen? Gedanken hatte man sich Unter den Linden bereits im Februar 1940 gemacht, wie eine Mitteilung des Medizin-Referenten Professor de Crinis an den Erlanger Chirurgen Heinrich Westhues zeigt694, er sei für den chirurgischen Lehrstuhl in Posen in Aussicht genommen. Weitere Namen, ebenfalls Mediziner, finden sich in einer Niederschrift über eine Besprechung einiger Ministerialreferenten mit Streit am 26. Januar 1941695: Eichler-Freiburg für Physiologie, Vöß-Leipzig für Anatomie, Brandt-Riga für Pathologie, Großmann-Landsberg für Hygiene, Goroncy-Greifswald für Gerichtsmedizin und Enke-Bernburg für Psychiatrie sie sämtlich für Ordinariate vorgesehen, ebenso die noch namhaft zu machenden drei Naturwissenschaftler (für Botanik, Zoologie und Chemie). Das sah nicht allzu schlecht aus. Curt Goroncy war bereits Ordinarius, Hermann Vöß, Hans Großmann und Willi Enke waren plan- und außerplanmäßige ao. Professoren (Großmann, Abteilungsvorsteher im Preußischen Hygienischen Institut Landsberg, in Greifswald und Enke, Direktor der Landesheilanstalt Bernburg, in Halle), Walter Eichler war Privatdozent und der „rückgeführte" Brandt wird vermutlich in Riga Professor gewesen sein. Anfang März folgte dann dieser medizinischen Vorhut das Gros und bewies, daß man Unter den Linden den Mund nicht allzu voll genommen hatte, als man davon sprach, die Vorschläge lägen schon sämtlich parat. Am 5. und 6. gab der Stab Hess an die Dienststelle Rosenberg über Fernschreiber drei Besetzungslisten zur Stellungnahme durch696 mit insgesamt 35 Namen, 24 für ordentliche, neun für außerordentliche Professuren und zwei ohne nähere Angaben - 28 waren für die Philosophische Fakultät vorgesehen, sieben waren Völkswirte. Es befanden sich acht „Umsiedler" darunter, der wohl bekannteste der schon erwähnte Historiker Reinhard Wittram aus Riga, wo er an der Herder-Hochschule, 1928 habilitiert, seit 1938 Ordinarius gewesen war. Er wurde sofort Dekan der Philosophischen Fakultät und ist es bis zur Flucht im Januar 1945 geblieben - nur einigermaßen befriedigt, als aus seinem SA-Sturmführer wenigstens ein Hauptsturmführer geworden war, nachdem er die prächtigen schwarzen Uniformen rundum ins Feld geführt hatte: Rektor und Kurator SS-Standartenführer und der Agrar-Kollege SS-Hauptsturmführer. Die Philosophische Fakultät, so mäkelte er, käme „auf diese Weise zu kurz" (während die totale Einschätzung Posens als „herbe Enttäuschung" wohl erst der geläuterten Sicht der Nachkriegsjahre entstammte 697 ). Unter den Reichsdeutschen gab es eine ganze Anzahl im damaligen Verständnis durchaus prominenter Namen, etwa Stammler (Halle), Paulsen (Berlin), v. Richthofen (Königsberg), v. Arnim (Berlin), v. Mende (Berlin), Wissmann (Freiburg) oder Wagenführ (Erlangen). Die Rosenberg-Leute erhoben am 9. und 10. April Bedenken in fünf Fällen698, die übrigen durften passieren. Da diese fünf nicht sämtlich auf den hier erwähnten Fernschreiblisten stehen, ergibt sich, daß es davon noch mindestens eine weitere gegeben haben muß. Die Ablehnungen erfolgten „aus wissenschaftlichen und weltanschaulichen Gründen", wobei ein Fall einen ganz aufschlußreichen Einblick in Rosenbergs Beurteilungswerkstatt gestattet: „Falls es sich", so hieß es da, „um den in der Parteiamtlichen Prüfungskommission tätigen Dr. Gerhard Krüger handelt, so ist aus wissenschaftlichen 221

Gründen 699 gegen..." So weit war es also schon, daß die miteinander rivalisierenden Parteibonzen sich nicht einmal einen Lehrstuhl in Posen gönnten. Die vier anderen: der „Philosoph" Gerhard Stammler (Halle) wegen seiner „verworrenen Christuslogik", der Psychologe Siegfried Günther (Berlin) als „politisch unentschiedener Denker" mit Tendenzen zum Pietismus, ein Judäist Pohl (Berlin) allgemein als „wissenschaftlich ungenügend" und - Ludwig Ferdinand Clauß (Berlin) natürlich sowieso („infolge einer gut begründeten Stellungnahme des Rassenpolitischen Amtes der N S D A P von einer Förderung ausgeschlossen"). Aber nicht nur zu den einzelnen Vorschlägen, sondern auch generell hatte man bei Rosenberg einiges anzumerken. Von Baeumler stammten acht Seiten Kritik „betr. Plan für den Aufbau des Lehrkörpers der Reichsuniversität Posen" 7 0 0 . Der Grundtenor Baeumlers war, daß hier beim erstmaligen Aufbau von etwas völlig Neuem bisherige Verhältnisse und Entwicklungen als „richtig und vorbildlich bestätigt" würden und damit ihre abschließende Sanktion erhielten. Nun sei jedoch die bisherige Entwicklung ohne jeden Zweifel steuerlos gewesen, beeinflußt von allen möglichen Dingen und nicht zuletzt von „professoralem Ehrgeiz", der beispielsweise „nach der Vermehrung der Dekanatsstellen" gedrängt habe. Deshalb das „wissenschaftlich ungesunde und unhaltbare" Prinzip der Spezialisierung, gerade in jüngster Zeit etwa in Form der unsinnigen und verhängnisvollen Abtrennung der Naturwissenschaften von den Geisteswissenschaften, - eine Entwicklung, deren Aufhebung „Hauptpunkt jeder künftigen Hochschulreform" sein müsse. Es gelte die „weltanschaulich begründete Idee der Einheit der Wissenschaften" wieder in den Mittelpunkt zu rücken, denn was nütze der Aufbau einer „von der Theologischen Fakultät befreiten Hochschule", wenn dabei „die von der theologisch zersetzten Hochschule übernommene Anarchie der Wissenschaften weiterbestehen" dürfe. Nun hatte Baeumler, bei Licht besehen und nach Entfernung der dick aufgetragenen Lagen ideologischen Schwulstes, nicht allzuviel Neues zu bieten, er bot das nicht gerade seltene Bild des philosophischen Denkers, der sein Fach und allenfalls noch die Geisteswissenschaften für den Nabel der Welt hält, neben dem eigentlich nur noch Unwesentliches existiert. So ist denn also die Wiederherstellung der alten, die Naturwissenschaften wieder an die Leine nehmenden und umfassenden Philosophischen Fakultät nahezu das einzige Grundsätzliche, was er für Posen und für die neue nationalsozialistische Musteruniversität verlangt. Zu Medizin und Rechtswissenschaften hat er gar keine Anregungen, die können bleiben, wie sie sind, und selbst das Problem der Zuordnung der Wirtschaftswissenschaften stellt er „praktischen Erwägungen" anheim. So besteht denn die ganze Revolution neben der Rückkehr des philosophischen Dinosauriers (der Name darf bleiben, da „Philosophisch-Geschichtlich-Naturwissenschaftlich" zu schwerfällig sei) nur aus der Zusammenfassung der landwirtschaftlichen, tierärztlichen und forstwissenschaftlichen Fakultäten zu einer einzigen (nicht einmal einen Namen dafür weiß er „Boden, Pflanze und Tier" als Gegenstand, mehr fällt ihm dazu nicht ein). Daneben freilich hat er speziell an der Posen-Planung noch ein paar Kleinigkeiten zu bemängeln: die Bezeichnung „Volks- und Geisteswissenschaftliche Fakultät" als den Gegensatz zu den Naturwissenschaften noch besonders „dogmatisierend", bei der Philologie das Abweichen von „einer der besten Traditionen" durch die vorgesehene grundsätzliche Loslösung der Literaturgeschichte von der Sprachwissenschaft, das Fehlen von Lehrstühlen für Anthropologie, Biologie, Orientalistik und Religionswissenschaft, die Existenz hingegen in Posen entbehrlicher oder nicht sinnvoll zu lehrender Fächer (Völkerkunde, Judäistik), falsche Schwerpunkte (zwei Lehrstühle für Musikwissenschaft,

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aber nicht einmal ein Ordinariat für die gesamte Klassische Philologie), keine sinnvolle Gruppierung der Institute und Seminare, zu viele Ordinariate im Verhältnis zu den D o zenten, das heißt also zuviel Alter bei zu wenig Jugend, und vor allem das zu einem bloßen Nebeneinander von Spezialfächern führende Bestreben, „möglichst viele Lehrstühle für möglichst viele politisch interessante Gegenstände" zu errichten, statt mit einer „leistungsfähigen Volluniversität" einen „Mittelpunkt deutschen wissenschaftlichen Geisteslebens im Osten" zu schaffen. Die Reichsuniversität Posen hat dann mit einer „würdigen Feier in der Großen Aula" sogar noch ein Jubiläum feiern können 70 '. Es war zwar nur, am 20. April 1942, das einjährige und im Verhältnis etwa zu den 550 Jahren Heidelberg 1936 entsprechend schlichter (im „großen Kreis geladener Gäste" befand sich etwa statt Greiser nur dessen Stellvertreter Schmalz), aber doch Anlaß genug für ein Fest, denn viel Zeit für weitere, das zeichnete sich schon ab, würde ja kaum sein. Nachdem die Egmont-Ouvertüre verklungen war (die „Stabführung" hatte der Assistent Heribert Ringelmann vom Musikwissenschaftlichen Institut), der Posener Dichter Wolfram Krupka mit seinem „Vorspruch" („Uns Deutschen ist es eigen, wahr zu sein, deshalb liegt uns die Sehnsucht tief im Blut... Die Welt ist uns zu eng, das Weltall nicht") den Gästen zu denken gegeben und der philosophische Dekan Reinhard Wittram von der Arbeit seiner Fakultät ein erfreuliches Bild („Alles Kleine und Unwesentliche taucht unter im Strom der Zeit, eine junge und kraftvolle Mannschaft hat Schritt gefaßt"), sein Kollege von den Naturwissenschaften (Baeumlers Vision war also Vision geblieben), der Chemiker Carl Kröger, für seinen Bereich ein etwas verhalteneres vermittelt hatte, war von Magnifizenz Carstens die überaus befriedigende Aufwärtsentwicklung vom Sommer- zum Wintersemester geschildert worden: von 36 zu 66 Dozenten, von 175 zu 405 eingeschriebenen Studierenden. Zwar könnten „zweifellos noch nicht die vielen Bequemlichkeiten zahlreicher Institutionen des Altreichs" geboten werden, aber gerade das begünstige die „Auslese aktivistischer junger Menschen", fördere den vom Osten geforderten „eigenen Menschentyp". Unter der „politischen Führung des größten Staatsmannes aller Zeiten" vor einem Jahr erst eröffnet, brauchten - darin waren Carstens und Wittram sich einig - schon heute manche Seminare und Institute den Wettbewerb und den Vergleich mit „großen Einrichtungen im Altreich" nicht zu scheuen. Daß sich die Verschiebung der Errichtung der klinischen Anstalten der Posener Medizinischen Fakultät mit guten Beziehungen hat aushebeln lassen, bewies der Röntgenologe Hans Holfelder, dessen Berufung im Frühjahr 1943 zwar längst zugesagt war, sich indes immer wieder verzögert hatte. Nun war Holfelder jedoch nicht nur Ordinarius in Frankfurt, sondern auch SS-Standartenführer und sowohl „Beratender Röntgenologe beim SS-Panzerkorps Leibstandarte-SS Adolf Hitler" wie auch Kommandeur des „Röntgensturmbannes beim SS-Führungshauptamt". Und mit seinem Röntgensturmbann auf Weisung Himmlers bereits Ende 1941 nach Posen umgezogen, um dort „vordringliche volkspolitische Aufgaben unter der Bevölkerung des Reichsgaues Wartheland" durchzuführen (worunter man sich nicht grundlos Schlimmes vorstellen kann). Über Hitlers Leibarzt Morell hat er dessen Entscheidung vom 28. Februar 1943 erwirkt: den wunschgemäßen „Sofortbau einer provisorischen Röntgenklinik" und deren „Ausstattung mit den notwendigen Apparaten". Der vermutlich wegen des sonderbaren Dienstweges mißtrauische Mentzel hat zwar erst noch bei Lammers nachgefragt, jedoch hat Hitler, der wohl Ärger mit dem Spender seiner lindernden Anti-Gas-Pillen aus dem Wege gehen wollte, beim Vortrag am 15. August seinen „mündlich geäußerten Führerent223

scheid" bestätigt. Nur die gewünschte, „allerdringlichsten Bauvorhaben der Rüstung" vorbehaltene „höchste Rangfolgestufe" Speers ist ihm verwehrt worden - doch lieferte dieser ihm wenigstens gleich Baracken702. Daß in Posen freilich nicht alles eitel Freude war, läßt ein Hilferuf erkennen, den die Dienststelle Rosenberg zwei Jahre danach, am 18. März 1944, befürwortend an die Partei-Kanzlei weitergeleitet hat703. Die „äußerst unglückliche Lage"der Posener Rechtswissenschaftlichen Fakultät müsse „mit allen Mitteln beseitigt" werden. Das erste davon, wenn nicht überhaupt das einzige, etwas, das sich ausgerechnet von dieser Seite empfohlen reichlich seltsam ausnahm, war die Berufung des Bonner Dozenten Heinrich Vogt, eines „Fachmanns für Römische Rechtsgeschichte", die zu betreiben die Partei-Kanzlei gebeten wurde. Straßburg hatte es da besser. Denn die Ängste in Posen waren, allem Ost-Geschwätz zum Trotz, nur allzu berechtigt. Das Erreichen von Friedenszeiten theoretisch einmal vorausgesetzt: Wer hätte schon nach Posen gehen wollen? Das wäre, sosehr man sich auch bemüht haben würde, ein neues Halle, ein neues Greifswald geworden. Da war Straßburg schon etwas anderes, diese Schädelstätte deutscher Sehnsucht, im 17. Jahrhundert vom Franzosen dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation schnöde geraubt und seitdem bestimmt, ein Vierteljahrtausend Dorn im Fleische entweder der einen oder der anderen Nation zu sein. Wohl nie hat unser Volk etwas so schmerzlich enttäuscht wie die Erkenntnis nach 1871, daß Straßburg und das Elsaß nach dem Gemeinschaftserlebnis der Grande Révolution gar nicht mehr deutsch fühlten und deutsch sein und sich lieben lassen wollten und Erwin von Steinbachs Münsterbau wie auch Goethes Ritte nach Sesenheim einer nicht mehr zurückzuholenden Vergangenheit angehörten. Zu den mit der Grazie eines Nilpferdes unternommenen Versuchen, 1789 auszulöschen, hatte auch die Kaiser-Wilhelm-Universität Straßburg gehört, und als die deutschen Professoren Ende 1918 auszogen, taten sie das mit dem festen Willen wiederzukommen. Die Traditionspflege für das verlorene Elsaß-Lothringen hatte sich in Frankfurt konzentriert, und auch die dortige Universität war in die Rolle des Traditionsregiments für die „aus dem Reichsverband ausgeschiedene" Straßburger Reichsuniversität hineingewachsen. Anders als bei der Posener Gründung hat daher im Falle Straßburg die Frage des „Ob" nie eine Rolle gespielt, die baldestmögliche Wiederanknüpfung an 1918 war vielmehr eine Selbstverständlichkeit. Die früheste Erwähnung von Planungen in den Akten stammt vom 5. Juli 1940704: Professor Maximilian de Crinis, Referent im Reichserziehungsministerium für das Fachgebiet Medizin, war zu diesem Zeitpunkt zwar „noch nicht offiziell beauftragt", sich mit der „Medizinischen Fakultät in Straßburg zu beschäftigen", was ihn jedoch nicht daran gehindert hat, schon immer einmal eine Liste geeigneter „Persönlichkeiten" zusammenzustellen. In erster Linie war er bestrebt, „SS-Kameraden für Straßburg in Aussicht zu nehmen", weil (oder angeblich weil) die Medizinische Akademie der SS-Junkerschule nach Straßburg kommen sollte. Sechs solche SS-Kameraden hat er also „in Aussicht genommen" : den Sturmbannführer Wilhelm Pfannenstiel, Ordinarius für Hygiene in Marburg, den Obersturmführer Hermann Nieder, ao. Professor für Chirurgie in Köln, den Sturmbannführer Gustav Borger, apl. Professor für Pathologische Anatomie in München, den Sturmbannführer Ernst Holzlöhner, Ordinarius für Physiologie in Kiel, den Polizei-Oberfeldarzt Gustav Döderlein, apl. Professor für Gynäkologie in Berlin, und den Sturmführer Kurt Neubert, Ordinarius für Anatomie in Rostock. „Ferner" hatte de Crinis noch vier Parteigenossen in petto, den Kölner HNO-Ordinarius Alfred Güttich, den Dresdener ao. Pro224

fessor für Augenheilkunde Hugo Gasteiger, den Berliner Dozenten Kurt Hofmeier (Kinderheilkunde, insbesondere „Erbbiologie des Kindesalters" ) und den Rostocker Honorarprofessor Hermann Boehm, der als Rassenhygieniker in Alt-Rehse wirkte. Und schließlich war da noch eine Handvoll „politisch zuverlässige" Leute, die möglicherweise auch in der Partei waren, genau wußte er das nicht: ein Internist Masing, der aus Dorpat „rückgeführt" worden war, dann zwei Dozenten, der Gerichtsmediziner Herbert Elbel in Heidelberg und Carl Martius (Physiologische Chemie) in Tübingen, sowie als letzter Alfred Stühmer, Ordinarius für Dermatologie in Freiburg. Die Straßburger Listen sind nicht nur länger als die Posener, sondern auch bekannt, doch sie können und sollen hier nicht im einzelnen gebracht werden. Auf der anderen Seite verdienen sie aber auch nicht, völlig übergangen zu werden, hat doch damit das Regime aufgeboten, was es als seine Elite verstand, gegen welche Einschätzung sich zur Wehr zu setzen die Betroffenen nach 1945, als es mit gutem Grund belastend war, „Straßburger Professor" zu sein, beharrlich und mit unterschiedlichem Erfolg versucht haben. Nun hatten freilich nicht allein Parteistellen Straßburger Ambitionen. Da gab es zum Beispiel bereits zu so früher Zeit auch einen anderen Interessenten, der sich mit der „berechtigten Forderung" gemeldet hat, in Straßburg „entsprechende Berücksichtigung bei der Besetzung der Stellen und Amter zu erfahren". Und das war, naheliegend, die „Traditionsuniversität Frankfurt", in diesem Schreiben vom 9. Juli an die Reichsdozentenbundsführung705 vertreten durch Gaudozentenbundsführer Guthmann, wobei aber Parallelschreiben von Rektor oder/und (Stellvertretendem) Kurator zu vermuten sind. Der Frankfurter Kurator nahm dann auch an einer Besichtigung der Straßburger Universität vom 18. bis 20. Juli teil, zu der das Reichserziehungsministerium und das badische Kultusministerium „Delegationen" entsandt haben706. Die Leitung hatte Kultusminister Professor Schmitthenner, den Gauleiter Robert Wagner, von Hitler mit unbeschränkten Vollmachten für das Elsaß ausgestattet, dort zu seinem Beauftragten für kulturelle Fragen ernannt hatte. Recht verärgert hatte Schmitthenner feststellen müssen, daß er auf dem Gebiet des elsässischen Hochschulwesens nicht der einzige und offenbar nicht einmal der erste „Beauftragte" war: Das Reichssicherheitshauptamt hatte in der Person des umstrittenen Professor Anrieh aus Bonn auch schon einen ernannt. Seinerseits bestellte er zu seinem Referenten für den Hochschulsektor den Professor Fuhs, und als sich dann der Frankfurter Kurator zu Wort meldete (der gequälte Schmitthenner fragte erst einmal, in welcher Eigenschaft er denn nun eigentlich auch mitreden wolle), da traten die Leute, die sich um die Errichtung der Universität Straßburg zu kümmern gedachten, sich langsam gegenseitig auf die Füße. Einigkeit bestand zunächst einmal darüber, was man nicht wollte: eine theologische Fakultät. Außerdem wollte Schmitthenner in Straßburg nicht Rektor und der Mann aus Frankfurt nicht Kurator werden. Aber auch positiv ergaben sich Übereinstimmungen: Erstens, daß eine Reichsuniversität einer badischen vorzuziehen sei, zweitens, daß man „nur bewährte Kräfte heranzuziehen" gedachte (wo und wie bewährt, blieb allerdings offen), und drittens schließlich, am wichtigsten, daß man der Verlockung, nun in Straßburg alle die „vielfach vorgeschlagenen", aber nirgends verwirklichten „Reformen durchzuführen", nicht erliegen wolle - jedes Experiment sei angesichts der besonderen Bedeutung Straßburgs gewagt, gefährlich und unangebracht (selbst gegen die Einrichtung einer - an anderen Hochschulen angeblich bewährten - Dozentenakademie gab es sofort Widerspruch). 225

Am 20. September hört man, daß Gauleiter Wagner, Reichserziehungsministerium und Dozentenbund „eifrigst am Aufbau der neuen Universität" arbeiten. Und man erfährt auch, daß Anrieh offenbar einen neuen oder weiteren Auftrag erhalten hat: Er ist jetzt als Schultzes Beauftragter beim Chef der Zivilverwaltung akkreditiert. „Bubi" Schultze hat übrigens zu jenem Zeitpunkt bereits „alle Listen so ziemlich aufgestellt" bis auf die Zahnheilkunde, einen offenbar kniffligen Fall, weshalb er jetzt den OberZahnmediziner Pieper zum Lokaltermin nach Straßburg lädt 707 . Und Schultze hat nicht übertrieben. Von jenem September an ermöglichen mehrere Akten Ausblicke auf ein sich munter drehendes Personalkarussell. Da ist etwa das O r dinariat für Vorgeschichte. Unter den Linden hatte man den Frankfurter Dozenten Joachim Werner vorgesehen beziehungsweise sich am 24. September von Hans Zeiß in München vorschlagen lassen, der ihn für „einen der besten" hielt. Drei weitere Gutachten, die man wie üblich einholte, bestätigten im Mai 1941 diesen Eindruck. Der erste jener Gutachter war zwar kein Hochschullehrer, aber ein zweifellos kompetenter Mann: Obersturmbannführer Sievers vom Ahnenerbe. Der hielt Werner für eine „sehr glückliche Lösung" (einer seiner Gründe, der für Sievers zu sprechen scheint: Werner sei „im Streit der Vorgeschichtler neutral"). Kurt Tackenberg (Bonn) und Herbert Jankuhn (Kiel) stießen in das gleiche Horn, und so ist dieser Werner, was auf dem minenverseuchten Gebiet der Vorgeschichte beachtlich war, im Oktober 1941 glatt mit der Wahrnehmung des Lehrstuhls beauftragt und im Februar 1942 zum außerordentlichen Professor ernannt worden 708 . Nun war aber das, was das Reichserziehungsministerium da trieb, anfangs ein bloßes Schattenboxen. Während der Aufbauzeit nämlich haue das letzte Wort der Chef der Zivilverwaltung mit seinen unbeschränkten Vollmachten. Er war es, der, wenn er auch keine förmlichen Berufungen durchführte, die Leute nach Straßburg holte und dort einsetzte - auch ohne die Zustimmung, ja auch gegen die Intentionen des Reichserziehungsministers. Ein typischer Fall ist der des Geographen Georg Niemeier 709 . In Münster 1931 habilitiert, war Niemeier dort 1937 zum außerordentlichen, 1939 zum außerplanmäßigen Professor ernannt worden. Im gleichen Jahre folgte er einem Ruf an die Herder-Hochschule in Riga zu einem der politischen Entwicklung wegen nur kurzen Gastspiel. „Rückgeführt", hat er dann den geographischen Lehrstuhl erst in Göttingen und dann in Jena vertreten. Gegen den Willen der Jenenser Fakultät sollte er dort oktroyiert werden und war nach Abschluß der Berufungsverhandlungen im gegenseitigen Einverständnis erst einmal zur Abkühlung für eine Gastprofessur im besetzten Gent vorgesehen, als er, wie man Unter den Linden gesagt hat, „über Nacht Jena wie auch Gent ohne unser Wissen im Stich gelassen hat, um sich für Straßburg werben zu lassen". Der erboste Referent Harmjanz hat daraufhin „auf Niemeier keinerlei Wert mehr" gelegt, seine Berufung nach Jena rückgängig gemacht und ihn in den alten Stand eines Dozenten in Münster zurück-, man kann auch sagen strafversetzt - ob Straßburg, das habe er selbst zu entscheiden, „zumal von hier aus unmittelbar auf die Besetzungen in Straßburg kein Einfluß" bestehe. Niemeiers Antwort vom 25. März 1941 erfolgte unter dem bereits gedruckten - Briefkopf „Der Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Straßburg", das maschinenschriftlich darübergesetzte „k." = kommissarisch fiel kaum ins Auge. Dekan Niemeier, der damit um Urlaub bat „bis zur endgültigen Berufung hierher", saß auch bereits fest genug im Straßburger Sattel, um das Ministerium arrogant zu rügen, weil ihm ein Oberregierungsrat mündlich von der Rückverweisung nach Münster als einer „Strafmaßnahme" des „verärgerten" Ministeriums 226

gesprochen hatte: Man sollte damit doch etwas vorsichtig sein, könne doch sonst „in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, als ob das Reichserziehungsministerium mit dem Aufbau und der Einrichtung der Universität Straßburg in der heutigen Form nicht einverstanden sei". Was zwar haargenau stimmte, vom Ministerium aber natürlich trotzdem nun seinerseits „gerügt" werden mußte. Niemeier, der Parteigenosse, SA-Mann und bis zum Kriegsausbruch stellvertretender Gausachbearbeiter für weltanschauliche Schulung im NS-Lehrerbund gewesen ist, hat im Februar 1946 den ehemaligen Straßburger Kollegen eine sechsseitige hektographierte Sprachregelung übersandt, wie koscher es doch zumindest in der Naturwissenschaftlichen Fakultät bei den Straßburger Berufungen zugegangen sei710. Daß es lediglich und ausschließlich nach der wissenschaftlichen Leistung und nicht nach der Parteinummer gehen solle, habe ihm Rektor Schmidt vor Übernahme des Dekanats „mit allem Nachdruck versprochen". Und so sei denn kein einziger Kollege berufen worden, weil er Parteigenosse war; der einzige Alt-Parteigenosse sei der Kollege Jander gewesen711 - und der war tot. Natürlich habe das Reichserziehungsministerium (auch späte Rache ist noch süß) „immer wieder politisch bewährte" Professoren berufen wollen, auch solche, die von anderen Hochschulen „immer wieder abgelehnt" worden waren, einmal gar einen „kriminell belasteten Physiker", aber „Gründungsdekan" Niemeier hatte „lieber auf Lehrstühle verzichtet", als sich „nicht der Tradition der deutschen Hochschule entsprechende Leute" aufzwingen zu lassen. Andererseits sei manche gewünschte Berufung am Widerstand des Ministeriums und der Partei-Kanzlei gescheitert, aber immerhin habe man doch eine Reihe von Nicht-Parteigenossen durchsetzen können: Hegemann, Hiedemann, v. Weizsäcker712. Und Niemeier hat den bedrängten „Straßburgern" noch einige Fälle zur Hand gegeben, ohne Namensnennungen freilich und teilweise (Weizsäcker und Hegemann) mit den eben Genannten identisch: die Abwehr des aus politischen Gründen vorgesehenen Naturwissenschaftshistorikers713 und des Rassenkundlers, der Kampf um den Experimental- und den Theoretischen Physiker - der eine stand nicht auf Seiten der „deutschen Physiker", der andere war nicht Parteigenosse714 - und die Neubesetzung der Geologie 1943, wo das Ministerium einen Alt-Parteigenossen hatte plazieren wollen. Wegen des Theoretischen Physikers sei er selbst nach München in die Höhle des Löwen, in die Partei-Kanzlei, gefahren und habe den Vorwurf gehört, eine „positivistische Fakultät" aufbauen zu wollen; die Abwehr des Geologen habe schließlich sein „Faß" zum Überlaufen gebracht und seine Freistellung für die Wehrmacht innerhalb weniger Tage bewirkt. Es muß, diesen Eindruck vermittelt Niemeiers Bericht, eine förmliche Passion gewesen sein, die damit zu Ende gegangen ist. Übel besonders die Versuche des Ministeriums, Widerstand auf dem Wege über die Besoldung, durch Streichen von Stellen und dergleichen zu brechen: „Wir wollen Euch zeigen, daß auch wir in Straßburg noch etwas zu sagen haben, wenn Ihr schon unsere Berufungsvorschläge so wenig beachtet." Ein Leidensweg, auf dem die „Anfänge einer kleinen Gelehrtenrepublik" nur dadurch ermöglicht wurden, daß man zwischen den verschiedenen zum Mitreden befugten Instanzen hatte lavieren können, so daß man von der Partei gewünschte Unbekannte oder als wissenschaftlich schwach Bekannte habe fernhalten können - wie jenen von einem „höheren Parteiführer" empfohlenen Mann, der sich in der politischen Schulung einer Parteigliederung bewährt habe und „sicherlich auch ein guter Physiker sei". Niemeiers Verteiler und Schlußbemerkung liefern für die Naturwissenschaftliche Fakultät eine ziemlich umfassende Liste der Straßburger Besetzung. Er nennt nicht weniger 227

als 34, mit den im Text als verstorben erwähnten Jander und Wilckens 36 Namen. Aus dem Reichserziehungsministerium gibt es für dieselbe Fakultät zwei undatierte, aber gewiß aus den Jahren 1940/41 stammende Listen von Besetzungsvorschlägen, die eine mit 55 Namen, nach 28 Fächern geordnet, die andere mit 56 Namen für 37 Lehrstellen715. Und dabei ist diese Aufstellung als Lehrstuhl-Liste nicht einmal komplett, es fehlen beispielsweise Niemeier und seine Geographie, also offenbar die bereits geregelten oder am Ministerium vorbeigelaufenen Besetzungen. Man darf das jedenfalls schon als für den Anfang recht opulent bezeichnen, auch wenn hier Ordinariate und Extraordinariate zusammengefaßt sind. Die gesamte Universität Erlangen etwa verfügte in jenem Jahr 1941 über 62 planmäßige Lehrstühle761, die gesamte Technische Hochschule Karlsruhe über ganze 42. Straßburg konnte also nicht klagen. Die Namen hier aufzuführen, würde, wie gesagt, zu weit gehen; es mag genügen, daß - etwa Himmel (Heidelberg), Jander (Greifswald, früher Göttingen) und Irmscher (Hamburg) - solche darunter nicht gerade selten gewesen sind, die bereits in den frühen Annalen nationalsozialistischer Hochschularbeit verzeichnet standen. Und wenn etwa, nach einem Presseempfang im Straßburger Rathaus, die Deutsche Allgemeine Zeitung am 12. Februar 1941 die ersten rund zwanzig klangvollen Namen gemeldet hat, die Straßburg zu einer „Hochburg deutschen Geistes" machen würden, und darunter ein eigentlich völlig unbekannter „Prof. Günther aus Jena" auftaucht, der die Hochburg mit Neuerer Geschichte versorgen würde, so war das natürlich eine Verwechslung von Vor- und Nachnamen - Franz war's, Günther Franz, der berühmte „Bauern-Franz". Es werden gleich noch einige weitere Personalia zu nennen sein, die Straßburgs geistigen Vätern vorgeschwebt haben, doch soll dem eine Schilderung vorausgeschickt werden, wie sich verschiedene Stellen zwar weniger um diese Vaterschaft, dafür aber um das Sorgerecht für das jüngste Kind der deutschen Wissenschaft - ja, man kann beinahe sagen „geschlagen" haben. Reichserziehungs- und Reichsfinanzministerium waren sich einig, daß - wie ersteres es am 12. Februar 1941 beantragt hat - die neue Universität Straßburg „von allem Anfang an" in den Haushalt des Reichserziehungsministeriums aufgenommen werden sollte. Beide Häuser verfolgten ja das Ziel einer allgemeinen Verreichlichung der Wissenschaftsverwaltung, und das war ein Schritt auf diesem Wege, ein notwendiger. Dies war am 30. Januar so abgesprochen worden717. Einen Monat später erfuhr die deutsche akademische Welt aber nicht vom zuständigen Ministerium, sondern von anderer Seite, daß es jetzt eine Universität (noch nicht „Äe/cÄJuniversität") Straßburg gab und daß die auch einen Rektor hatte namens Schmidt - so jedenfalls Briefkopf und Unterschrift (dort, am Briefende, war er allerdings nur „k. Rektor") eines Rundschreibens „an alle Rektoren der deutschen Universitäten und Technischen Hochschulen" vom 27. Februar718. Eine Neuigkeit scheint das freilich nicht mehr gewesen zu sein, war doch angeblich Anlaß des Zirkulars „eine ganze Reihe von Gerüchten" (Münchens TH-Rektor Pistor: Erfreulicherweise bisher bei uns nicht aufgetaucht) und „Äußerungen in der Presse", die alle „keineswegs den Tatsachen" entsprächen und dann auch noch, wie zahlreiche Zuschriften von Universitäten gezeigt hätten, dort „völlig falsch aufgefaßt" worden wären. Magnifizenz Schmidt sagte nur, wie diese wilden Gerüchte entstanden seien: durch die schnelle Aufeinanderfolge von Verhandlungen mit Professoren, Parteidienststellen und so fort - bedingt durch den „verhältnismäßig kurzen Zeitraum", der „aus bestimmten Gründen" für den Aufbau der Universität Straßburg zur Verfügung stände. Er zitierte indes weder, was da alles Falsches gesagt worden war, noch, wie sich die Wahrheit darstell228

te, sondern versicherte lediglich, daß Straßburg nur aufgebaut werden könne „auf dem Boden der großen wissenschaftlichen Tradition aller deutschen Universitäten" und in „engster Fühlungnahme" mit dem Reichserziehungsministerium (dies, an sich - wenn das ja eigentlich zuständige Ministerium schon nicht selbst „aufbaute" - eine Selbstverständlichkeit, war wohl ein Fingerzeig auf den Inhalt der Gerüchte) und mit allen deutschen Hochschulen, deren „kameradschaftliche" Unterstützung Schmidt hiermit erbat. Er hoffe, so schrieb er weiter, daß Straßburg noch einmal denselben Beweis liefern könne, den die deutschen Universitäten schon seit 1933 erbracht hätten: Daß dort nämlich „einsatzbereite und erprobte Nationalsozialisten hervorragende wissenschaftliche Arbeit" leisteten. Pistor in München empfand bei dieser „Herausstellung unserer nationalsozialistischen Mannschaft" zwar besondere Befriedigung, doch hätte ein guter Nationalsozialist eher verstört sein müssen - denn in Wirklichkeit sollte schließlich gerade Straßburg ein bißchen mehr „Beweis" erbringen. Vielleicht wird in dem einen oder anderen Rektorat der Kalauer gefallen sein, daß der Name Schmidt doch irgendwie bekannt vorkomme. In Hamburg hatte es ja schon einmal eine Magnifizenz Schmidt gegeben, und in Bonn auch. Und eben dieser Bonner Schmidt war es tatsächlich - Karl Schmidt also, der Direktor der Bonner Augenklinik, 1935 vom Privatdozenten zum Ordinarius emporgetaucht. Anfang Januar hatten die Straßburger Gründer „nach sorgsamster Überlegung" in ihm den geeigneten Mann gefunden für ein derartiges Unternehmen und ihn bestellt - der Universalbeauftragte Anrieh, von dem noch weiter die Rede sein wird, der Stab Hess, das Reichserziehungsministerium und das SD-Hauptamt. Im Zusammenhang mit der Posener Universität war zu hören, daß Straßburg zwischen dem 1. April und dem 1. Mai eröffnen würde, und das wurde als definitiv hingestellt. Schuld an der Verlegung in den Herbst war, so hat man dann behauptet, der Stand der Umbauten, eine Rolle gespielt hat indes vermutlich auch der Konflikt, der nach langem Schweben Anfang März offen ausgebrochen ist719. Vordergründig war er haushaltsrechtlicher Natur, de facto aber ging es darum, wer in der Straßburger Universitätsstraße das Sagen haben sollte. Bislang war die Antwort auf diese Frage eindeutig gewesen: der Gauleiter als Chef der Zivilverwaltung. Und dagegen lief nun, als die Gründung sich konkretisierte, das Reichserziehungsministerium Sturm, kräftig unterstützt vom Reichsfinanzministerium. Der 5. März 1941 war der Tag einer förmlichen Explosion. Wagner schrieb an Rust und telefonierte mit Lammers, und dessen Staatssekretär Zschintzsch telefonierte mit Ministerialdirektor Kritzinger in der Reichskanzlei und schickte noch am selben Tage einen Brief hinterher. Wagner beantwortete hier ein (in den Akten nicht vorhandenes) Schreiben des Erziehungsministers vom 12. Februar und lehnte eine „Sonderregelung" für die Universität Straßburg ab. Unter „Sonderregelung" verstand er das Gegenteil von dem, was man an sich denken würde. Eine Sonderregelung sei es, wenn die Universität nicht in seinen Haushalt aufgenommen würde, habe er doch „von Anfang an" auf dem Standpunkt gestanden, daß aufgrund seines Führerauftrags alles in seinem Bereich auch in seinen Haushalt gehöre (mit Ausnahme allein der Reichssonderverwaltungen Finanz, Justiz, Bahn und Post). Gerade die Universität sehe er als „eine meiner wichtigsten Aufgaben" an. Außerdem sei eine Herausnahme aus seinem Haushalt auch mit Rücksicht auf spätere Ersatzforderungen an Frankreich nicht angängig. Rust hat erst am 20. März richtiggestellt, daß genau anders herum ein Schuh daraus werde, daß gerade das Reich solche Ersatzforderungen geltend machen müsse und daß es 229

vielmehr eine „Sonderregelung" darstellen würde, käme Straßburg anders als alle übrigen Hochschulen in den neuen Reichsgebieten nicht in seinen Haushalt. Zuvor freilich war Wichtigeres zu tun gewesen. Noch am 5. also telefonierte und schrieb Zschintzsch hinüber in die Reichskanzlei mit der Bitte um Herbeiführung einer Entscheidung Hitlers ordnungsgemäße Berufungsverfahren und dabei die Gewinnung der vom Führer für Straßburg geforderten „nur hervorragenden Lehrkräfte" könnten nur durchgeführt werden, wenn Planstellen geboten würden. In welchem Haushalt nun aber diese Personalwie auch die Sachmittel ausgebracht werden sollten, darüber sei eine „Meinungsverschiedenheit" mit dem Chef der Zivilverwaltung entstanden. Dieser berufe sich auf seine alleinige Verantwortlichkeit für die elsässischen Angelegenheiten gemäß Führererlaß vom 18. Oktober 1940. Der aber regele doch ausdrücklich lediglich die „vorläufige Verwaltung", die Gründung einer Universität jedoch und vor allem die Schaffung deutscher Beamtenstellen dort seien bereits endgültige, auf die vollständige Eingliederung des Elsaß abgestellte Maßnahmen. Jene Stellen könnten also allein in seinem Haushalt ausgewiesen werden - entweder „offen" für die Reichsuniversität Straßburg oder aber „verdeckt" als Reichsprofessuren ohne ausdrückliche Bezugnahme auf die Straßburger Universität. In beiden Fällen würde das Vorschlagsrecht für die Ernennung durch Hitler nach den im „übrigen Reich" geltenden Bestimmungen bei ihm, dem Erziehungsminister, liegen, und nur dies sei zweckmäßig und verhüte eine „erneute Zersplitterung" und einen „unmöglichen Rückschritt". Der Reichsfinanzminister ging am 11. März noch einen Schritt weiter und schloß sich nicht nur „mit allem Nachdruck" und ohne irgendeinen Vorbehalt an, sondern verwarf auch die „verdeckte" Lösung (Reichsprofessuren dienten lediglich der Sicherstellung ins Ausland gehender Hochschullehrer für den Fall ihrer Rückkehr). Schließlich bestehe ja „bekanntlich" die Absicht einer Verreichlichung der gesamten deutschen Hochschulen und seien sämtliche 16 „neu hinzugekommenen" in der Ostmark, im Sudetengau, im Protektorat und in den Ostgebieten als Reichshochschulen in den Einzelplan X I X des Reichserziehungsministeriums übernommen worden - warum dann diese völlig überflüssige Ausnahme? An sich lag der Fall klar, und alles, was es bisher an Indikatoren für eine künftige Gestaltung des Reiches gab, sprach für die Auffassung der beiden Ministerien. Aber Unter den Linden war man trotzdem nervös, weil man nämlich gehört hatte, Wagner habe sich bereits an Bormann gewandt, um eine Entscheidung Hitlers in seinem Sinne zu erreichen. Zschintzsch bat daher Kritzinger telefonisch, eine solche Entscheidung via Bormann und ohne Anhörung des Ministeriums „möglichst zu verhindern". Zugesagt ist das zwar worden, aber offenbar nicht als dringlich betrachtet. Wie in solchen Fällen üblich, sammelte die Reichskanzlei zur Vorbereitung der Führervorlage erst einmal Stellungnahmen interessierter Ressorts und Dienststellen ein. Die des Reichsfinanzministers, des engen Alliierten und Büchsenspanners des Erziehungsministers, ist schon erwähnt worden. Der Reichsinnenminister, der eine Woche zuvor noch Klagen aus dem Osten über die „hohen finanziellen Angebote" Straßburgs an Professoren und Dozenten kundgetan und die Schwächung Posens, Prags, Königsbergs und Breslaus durch den damit noch verstärkten „natürlichen Reiz des Westens" beklagt hatte, „pflichtete" am 21. März den Ausführungen des Erziehungsministers gleichfalls „bei": Die Schaffung der Grundlagen für eine hervorragende Pflegestätte deutschen Geistes und deutscher Kultur fordere eine zentrale Regelung. Er sprach sich indes, im Gegensatz zum Finanzminister, aus außenpolitischen Erwägungen, nämlich wegen der noch nicht erfolgten 230

„Einbeziehung des Elsaß in das Deutsche Reich", für die „verdeckte Form" aus und erinnerte an seine Beschwerde über die Straßburger Großzügigkeit bei Berufungsangeboten: Die „höheren Gesichtspunkte, die das Gesamtwohl des Reiches ins Auge fassen", würden bei einer Entscheidung der Personalfragen durch den Chef der Zivilverwaltung, der verständlicherweise in erster Linie die Interessen des Elsaß fördere, kaum genügend berücksichtigt werden. Wagner hielt, wie er am 17. März antworten ließ, eine nochmalige Äußerung für nicht erforderlich, da er ja am 5. Lammers alles bereits vorgetragen habe - eine Nonchalance, die darauf schließen läßt, daß tatsächlich auf dem Gauleiter-Dienstweg über Bormann schon „etwas lief". In der Reichskanzlei bereitete nun Reichskabinettsrat Killy für seinen Chef die Angelegenheit auf mit dem Resümee, ein Führervortrag sei wohl unvermeidlich, „zumal" damit zu rechnen sei, daß die strittige Frage „auf anderem Wege" („Bormann" war unleserlich gemacht worden) an den Führer herangetragen würde. Inhaltlich sollte dem vom Erziehungsminister vertretenen Gesamtinteresse vor der Stärkung der Reichsgaue der Vorrang gegeben und den Wünschen Wagners durch die von Rust „bereitwillig in Aussicht gestellte enge Zusammenarbeit" Rechnung getragen werden; ob außenpolitische Erwägungen eine „offene Haushaltgebarung" zuließen, müsse Hitler entscheiden. In diesem Sinne hat Lammers am 3. April erfolgreich Vortrag gehalten: „Der Führer stimmt den Ausführungen der Ressorts zu." Am 9. wurden die Parteien von dieser Führerentscheidung in Kenntnis gesetzt 720 . Daß es aber jedermann auch erfuhr und wußte, wo künftig Barthel den Most zu holen hatte, dafür sorgte das Erziehungsministerium auf einer Tagung der Dekane in Berlin Anfang Mai, so daß Leute wie der Erlanger Chirurg Heinrich Westhues, dessen Bewerbung um einen Straßburger Lehrstuhl bislang zwar im Ministerium günstig aufgenommen worden war, nicht jedoch in der Gauleitung, die, wie man in Berlin dem Bewerber bedauernd hatte erklären müssen, „vom Führer persönlich Vollmachten erhalten habe, die Lehrstühle nach eigenem Ermessen zu besetzen" - daß diese Leute nun Morgenluft witterten und sich erneut ins Gespräch brachten721. Der Zank freilich war mit der Führerentscheidung vom 3. April noch keineswegs erledigt, er fing jetzt erst richtig an. Wagner nämlich begnügte sich nicht damit, sich Dritten gegenüber pikiert zu geben, wie etwa am 5. Mai in einem Schreiben an Rosenberg 722 , er könne ihm in der Frage der Besetzung des Straßburger Lehrstuhls für Vor- und Frühgeschichte keinen Bescheid geben und der Reichsleiter möchte sich doch an den Reichserziehungsminister wenden, da ihm, Wagner, durch den Entscheid Hitlers „jede Verfügungsberechtigung aus der Hand genommen" sei. Der Gauleiter verweigerte sich überhaupt - und das auch an höchster Stelle. Zwei Wochen später antwortete er Lammers, unter diesen Umständen könne er die Verantwortung oder auch nur eine Mitverantwortung für den Aufbau der Universität Straßburg nicht übernehmen. Eine Zusammenarbeit mit dem Reichserziehungsministerium sei nach seinen bisherigen Erfahrungen unmöglich, eine Reihe der dortigen Beamten habe seine bisherigen Aufbauarbeiten vielmehr „nachweislich nur sabotiert". Diese „Reihe" bestand, namentlich genannt, aus Professor Harmjanz und Ministerialrat Scheer - Harmjanz wurden vier, Scheer zwei „Sabotage"-Fälle vorgeworfen. Die Scheers waren relativ harmlos, er hatte „ohne sachliche Begründung" zwei von Wagner in Aussicht genommene Professoren abgelehnt, den „bedeutenden jüngeren Chirurgen" Christian Zukschwerdt und den Kölner Physiologen Hans Lullies. Bei Harmjanz lagen die Dinge schlimmer. Da war einmal der Fall Niemeier, dann hatte 231

er dem Leipziger Rektor Berve gegenüber die nach Straßburg übersiedelnden Professoren als „Abtrünnige" bezeichnet, die man durch Revision ihrer Verträge bestrafen werde, und zu dem Göttinger geschäftsführenden Rektor Plischke gesagt, die „eigentlichen" Berufungsverhandlungen würden nur in Berlin geführt, alle Verhandlungen im Auftrag des Chefs der Zivilverwaltung seien „praktisch bedeutungslos". Und Anrieh schließlich, den wir hier als „k. Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Straßburg" kennenlernen, hatte er dadurch schikaniert, daß er von ihm einen Bericht über die Wahrnehmung seiner Lehrtätigkeit in Hamburg verlangte, obwohl er wußte, daß Anrieh zur Wehrmacht eingezogen und vom O K W nach Straßburg abkommandiert war. Weiter war da einiges, das nur auf „Informationen aus dem Reichserziehungsministerium zurückgehen" konnte - wenn etwa die Magnifizenzen von Bonn und Kiel hatten durchblicken lassen, daß sie die Eröffnungen von Straßburg und Posen im Kriege eigentlich für unnötig hielten, und „eine Reihe von Rektoren ebenfalls gesprächsweise" die Straßburger Neueröffnung für eine „ziemlich ungeklärte und unsichere Sache". Schließlich habe das Ministerium in einer „Reihe von Fällen" Straßburgwillige zum Bleiben an ihrer bisherigen Wirkungsstätte oder zur Annahme eines Rufes an eine andere Universität bewogen: den Kölner Ordinarius für Kinderheilkunde Hans Kleinschmidt etwa und den Tübinger Rassebiologen Wilhelm Gieseler, letzteren gar mit der falschen Behauptung angeblicher diesbezüglicher Wünsche des Stellvertreters des Führers! Summa summarum: „Ich sehe mich daher nicht in der Lage, künftig noch etwas für die Universität Straßburg zu tun. Ich bitte das Reichserziehungsministerium anzuweisen, die gesamte Verantwortung und Arbeit für die Universität Straßburg zu übernehmen." Lammers ließ zunächst den Reichserziehungsminister Stellung nehmen. Er sei, erwiderte Rust am 16. Mai, „auf das äußerste befremdet", daß ein vom Führer eingesetzter Verwaltungschef die Mitarbeit an einer so bedeutsamen Aufgabe verweigere, und lege „allerschärfste Verwahrung" ein gegen die „fast ausnahmslos" jeder Begründung entbehrenden Anklagen gegen seine Herren. Es wäre ihm ein leichtes, darauf mit einer „erheblich größeren Aufzählung" entgegengesetzter Fälle zu antworten, wo der Chef der Zivilverwaltung die Interessen Straßburgs beeinträchtigt habe, doch glaube er nicht, daß dem Führer die Entscheidung „über derartige persönliche Angelegenheiten zuzumuten" sei. Deshalb beschränke er sich darauf, zu den einzelnen Vorwürfen „das Erforderliche" zu sagen. Erstens: Rektor Berve habe auf Aufforderung eine Erklärung abgegeben, wonach Harmjanz weder von „Abtrünnigen" noch von „Bestrafung" durch Vertragsrevision gesprochen (sondern lediglich vom beim Erziehungsministerium liegenden „letzten Wort") und seinen Unwillen darüber bekundet habe, daß einige Herren sich mit den Straßburger Stellen über das Ministerium hinweg ins Benehmen gesetzt hätten. Rektor Plischke gegenüber, zweitens, habe Harmjanz nicht gesagt, die von Straßburg geführten Verhandlungen seien bedeutungslos, sondern er habe nur mit Recht darauf verwiesen, daß die endgültigen Verhandlungen und die Berufungen dem Ministerium oblägen (eine förmliche Erklärung ä la Berve hat man von Plischke offenbar nicht erhalten oder aber lieber nicht zitiert). Drittens die Anforderung eines Berichts von Anrieh: Die sei vom Hamburger Rektor ausgegangen, der eine Freistellung von der Wehrmacht überhaupt (und nicht speziell für Straßburg) vermutet hatte und über Anrichs Dienstantritt in Straßburg statt in Hamburg befremdet gewesen war. 232

Scheer befand sich im Heeresdienst und hatte nicht gehört werden können, nach der Aktenlage aber, so schrieb Rust, seien gegen Zukschwerdt, der nicht Universitätsprofessor, sondern nur Krankenhausdirektor in Bruchsal sei, allein Bedenken hinsichtlich bereits erreichter wissenschaftlicher und persönlicher Reife erhoben worden, endgültig abgelehnt habe man ihn bis heute nicht. Nur im Fall Lullies habe man in der Tat die Interessen der noch im Aufbau begriffenen Kölner Fakultät denen Straßburgs gegenüber den Vorrang eingeräumt, dessen unbestrittene Vorrangstellung ja nun nicht bedeuten könne, daß man sämtliche übrigen Belange ungeprüft beiseite wische. Was im übrigen einzelne Rektoren redeten, sei unmaßgeblich und die „befremdliche" Vermutung von Informationen des Ministeriums als Hintergrund „entsprechend niedriger zu hängen". Kleinschmidt sei nicht „einbestellt" worden, sondern habe von sich aus um ein Gespräch nachgesucht, und Gieseler sei zwar einbestellt und vor die Entscheidung München oder Straßburg gestellt worden, das aber nur, weil Gauleiter Adolf Wagner (und der, nicht etwa der Stellvertreter des Führers, sei auch genannt worden) seine Berufung nach München „besonders unterstützt" habe. Abschließend verwahrte sich Rust noch einmal gegen den „ungeheuerlichen" Sabotagevorwurf und forderte, dessen Zurücknahme „in aller Form" zu veranlassen. Seine Mitarbeiter hätten in jeder Hinsicht pflichtgemäß gehandelt und träfen im übrigen auch nicht persönlich irgendwelche Anordnungen, hierzu sei vielmehr stets eine „förmliche amtliche Entscheidung meines Hauses" obligatorisch, die er sich in wichtigen Fällen selbst vorbehalte. Zu der Verweigerung der künftigen Mitarbeit durch den Chef der Zivilverwaltung werde Lammers gewiß „die erforderliche Erwiderung" von sich aus erteilen, sachlich sei er „ohne weiteres bereit, die Verantwortung und Arbeit für die Universität Straßburg allein zu übernehmen" (Schwierigkeiten würden sich lediglich bei der Abstellung der notwendigen Beamten und Lohnempfänger ergeben). Am 7. Juni hat Lammers den beiden Parteien geantwortet - von sich aus, ohne Führervortrag wegen dessen (wie üblich wieder) „überaus starker Belastung mit wichtigsten Aufgaben der Staats- und Kriegsführung". Robert Wagner („der Führer würde über den letzten Absatz Ihres Schreibens sehr erzürnt sein") wurde ermahnt, die erhobenen Vorwürfe, weil der Sache durch eine Vertiefung dieser persönlichen Meinungsverschiedenheiten nicht gedient sei, auf sich beruhen zu lassen und gemeinsam mit dem Reichserziehungsministerium „dafür Sorge zu tragen, daß die Universität Straßburg ihre Aufgabe als Hochburg deutschen Geisteslebens gegen den romanischen Westen erfüllen könne" Rust desgleichen und dementsprechend zu einer dem Willen des Führers gemäßen sachlichen und personellen Ausstattung Straßburgs aufgefordert; durch die Aufnahme des Universitätshaushalts in seinen Haushalt dürfe „keinesfalls diese hochschulpolitische Aufgabe gefährdet werden". Die Angelegenheit hat nun eine ihr gemäße Fortsetzung gefunden. Robert Wagner nämlich hat am 24. Juli auf seinem Standpunkt beharrt und die Mitarbeit weiter verweigert. Daß, wie Lammers geschrieben habe, der Führer sehr erzürnt sein werde darüber, das glaube er nicht, da dieser nicht verlangen würde, „daß ich gegen meine Überzeugung handle". Und die war nun einmal „einfach so, daß ich mit dem derzeitigen Reichserziehungsministerium nicht zusammenarbeiten kann" (und der Vorwurf der Sabotage wurde nicht nur nicht zurückgenommen, sondern ausdrücklich wiederholt). Die Herren, die das Ministerium nach Straßburg schicken wolle, seien nach seiner und seiner Mitarbeiter Auffassung genau die, die „man nicht hierher schicken" dürfe. Auch gingen die Anschauungen über die Grundaufgaben der Universität völlig auseinander. Seine und seiner Mit233

arbeiter „großzügige" Planung werde vom Hause Rust „immer mehr zusammengestrichen", eine vom Reichserziehungsministerium geschaffene Universität werde über „den Rahmen der übrigen Universitäten des Reiches" gewiß nicht hinauswachsen, das sei die „Auffassung aller Männer an Ort und Stelle". Also bliebe ihm, Wagner, nichts anderes übrig, als sich zurückzuziehen und abzuwarten; in der Hochschulabteilung seines badischen Kultusministeriums und in der „ungewöhnlich fähigen und tatkräftigen Persönlichkeit" des von ihm berufenen Rektors Schmidt verfüge das Reichserziehungsministerium ja über genügend Hilfe zur Durchführung seiner Arbeiten - es bedürfe also seiner „Mithilfe gar nicht". Vermerken wir dazu noch, daß Lammers diese Rebellion lediglich „zur Kenntnis" und ebenso wie Wagner eine vielleicht zu gegebener Zeit (Wagner: in Bälde) sich ergebende persönliche Unterredung über die heikle Frage in Aussicht genommen hat, wo der Gauleiter seine ablehnende Haltung im einzelnen zu begründen versprach, weil sich „so etwas besser mündlich sagen als dem Papier anvertrauen" lasse. Dieser seltsam undramatische Ausgang der großen Staatsaktion (denn jenes Gespräch hat offenbar nie stattgefunden) hat eigentlich durch die Bank Blessierte auf der Walstatt zurückgelassen. Lammers hat, wahrscheinlich weil er an Hitler in der Zeit um den Angriff auf die Sowjetunion nicht mehr herangekommen ist, genaugenommen klein beigeben müssen, und Wagner fühlte sich zu Recht als der Mohr, der seine Schuldigkeit getan hatte. Weitaus am besten war, mit der Rückendeckung der auch im Dritten Reich sehr mächtigen Finanzverwaltung, das Reichserziehungsministerium davongekommen, wenn es nun auch damit rechnen mußte, daß „an Ort und Stelle" ständig Sand ins Getriebe geschüttet und Knüppel zwischen die Beine geworfen werden würden (was indes so schlimm nicht geworden ist). Wirklicher Gewinner aber war die auch von Schmitthenner in Karlsruhe für richtig gehaltene Traditionsuniversität unter weitestgehendem Verzicht darauf, den Verlockungen nachzugeben, hier eine nationalsozialistische Reformuniversität aus dem Boden zu stampfen. Sie hatte den Sieg davongetragen über die Ideen der nationalsozialistischen Reformer. Daß sie sich, noch kaum existent, auch gegen sonstige Parteieinflüsse durchaus erfolgreich zur Wehr zu setzen verstanden hat, scheint die Besetzung des Lehrstuhls für Kinderheilkunde zu belegen723. Wo freilich auch das Glück erheblich die Hand im Spiel gehabt hat. Für diesen Posten hielt sich, da „aus dem Kulturkreis von Straßburg", obschon genau bereits im Badischen, stammend, der Frankfurter außerplanmäßige Professor Kurt Scheer außerordentlich geeignet. Gauleiter Sprenger empfahl ihn trotz des dann „großen Verlustes für Frankfurt" mit warmen Worten, insbesondere aber legte sich Theo Croneiß für Scheer ins Zeug, ein maßgeblicher Mann in der Hess-Kamarilla: der mit den Dienstgraden Reichsamtsleiter und SS-Brigadeführer ausgestattete Leiter des Referats für technische Fragen im Stab Stellvertreter des Führers. Nun hatte Scheer Meriten auf dem Gebiet der Rachitisbekämpfung. Wenn er dort auch nicht so „bahnbrechend" gewirkt hatte, wie Croneiß ihn anpries, so hatte er doch in Frankfurt einen ersten Großversuch durchgeführt mit der Zwangsbestrahlung von Milch - einer Methode, gegen die allerdings damals wegen der noch nicht zu überblickenden möglichen Folgen starke Bedenken erhoben wurden und an deren Stelle Gegner die Einnahme von gegebenenfalls „hochkonzentriertem" Vitamin D propagierten. Am 23. September 1940 schon empfahl Croneiß den „hervorragenden Wissenschaftler" voll „Lauterkeit und kämpferischer Natur" erstmalig. Das Ministerium antwortete ohne große Begeisterung (man schätzte solche „Empfehlungen" nicht sehr), Scheers Eignung werde sachlich geprüft und dann die Entscheidung gefällt werden - und nahm Verhand234

lungen mit dem Kölner Ordinarius Hans Kleinschmidt auf. Als dieser dann ablehnte, meldete sich Croneiß am 31. März 1941 von neuem. O b sein Argument besonders wirksam war, ein Lehrstuhl und ein Institut für Scheer würden dessen Position gegenüber den - „aus durchaus eigennützigen Motiven" - Bekämpfern der Milchbestrahlung wesentlich stärken, darf bezweifelt werden. Hess' Flug nach England sollte bald auch sein Druckmittel, er habe dem Stellvertreter des Führers persönlich über das Ergebnis zu berichten, gegenstandslos machen. Indes konnte er noch eine weitere Nötigung zwei Tage später nachschieben. Inzwischen hatte man nämlich über Leibarzt Brandt Hitler die „Milchbestrahlungsaktion" nahebringen können, und auch er hatte angeblich genaue Verfolgung der Ergebnisse und „regelmäßigen Bericht" gewünscht. Er zweifle nicht, so schloß Croneiß seine dringliche Erinnerung, daß der Führer, den man in „unmittelbarer Verbindung" nunmehr „sozusagen täglich auf dem laufenden halten" solle, Scheers Berufung „richtig finden" würde. Dekan Stein jedoch fand sie nicht richtig („kommt eine Berufung nicht in Frage"), Rektor Schmidt auch nicht („rechtfertigt [Scheers] Verdienst nicht eine Berufung nach Straßburg") und Ministerialreferent Klingelhöfer ebenfalls nicht („mir weder Prof. Scheer noch der Unterzeichner der beiden Schreiben bekannt"). Inzwischen war Hess in England gelandet, seine Kamarilla, Croneiß inklusive, ausgeschaltet und die neue ParteiKanzlei der Meinung, man solle dem Bestrahier zwar einen Lehrstuhl geben, doch müsse das „nicht gerade Straßburg sein". Und so kam denn jetzt der weitere Kandidat von Fakultät und Hochschulabteilung ins Spiel, der Berliner Rachitisspezialist, Dozent und Direktor des Kaiserin-Augusta-Viktoria-Hauses Kurt Hofmeier, der auch Reichsgesundheitsführer Conti genehm war. Scheer aber mußte außerplanmäßig in Frankfurt weiterbestrahlen. Von diesem Exkurs Scheer nun zurück zu den großen Querelen um die verhinderte Reformuniversität. Es ist jetzt an der Zeit, die Reformer, Wagners „meine Mitarbeiter", seine „Männer an Ort und Stelle", und ihre Ideen etwas genauer zu betrachten. Es waren ihrer vornehmlich drei: Rektor Schmidt, der medizinische Dekan Stein und der philosophische Dekan Anrieh 724 . So die hierarchische Reihung, an Bedeutung und Einfluß aber gehörte mit ziemlichem Abstand Anrieh an die erste Stelle, der sich indes aus den bekannten, hier bereits behandelten Gründen 725 die Rektorkette nicht selbst hatte umhängen können. Von Anrieh, dessen Vater der erste Rektor der Kaiser-Wilhelm-Universität gewesen sein soll 726 , gibt es nun einen zwanzigseitigen Schriftsatz vom 23. Mai 1941, verfaßt also zu einem Zeitpunkt, als er sein Werk nach der Entscheidung Hitlers vom 3. April mit einer „ernsten Bedrohung" konfrontiert sah, und formal gerichtet an den Oberstadtkommissar Ernst als Wagners „Generalreferenten für das Elsaß", aber, wie das oft so ist, mehr dorthin zielend, wohin er ebenfalls seinen Weg gefunden hat - zum Beispiel (aber bestimmt nicht nur) in die Reichskanzlei. Denn der Zweck war, möglichst viel von den materiellen Reforminhalten in die neue Firma hinüberzuretten. Anrichs Exposé gliedert sich in zwei Teile: Einer Übersicht über die Fakultäten ist ein allgemeiner Abschnitt vorangestellt, worin Anrieh zunächst einmal den Beginn seiner Straßburger Tätigkeit schildert. Seine „Beauftragungen" sind hier etwas anders dargestellt, von SS und SD ist (Anrieh wird seine Gründe gehabt haben) überhaupt nicht die Rede, sondern Generalreferent Oberstadtkommissar Ernst war es gewesen, der ihn „geholt", mit der Bearbeitung der „Wiedererrichtung einer großen deutschen Universität in Straßburg" beauftragt und mit Kultusminister Schmitthenner in Verbindung gebracht hatte, woraus sich eine Beauftragung mit der Vorbereitung der Universitätsgründung 235

nun auch durch den Chef der Zivilverwaltung ergeben habe. Und damit hätten dann „Monate der genauen Vorbereitung der Konstruktion der Universität und der Überlegung über den Personenkreis" begonnen. Die „größte Aufgabe, die Findung des Rektors", hatte er „nach sorgsamster Überlegung" und in Zusammenarbeit mit Stab Hess, Rust-Ministerium und SD-Hauptamt in der Person Schmidts glänzend gelöst, und im Januar 1941 war die „Führung der Universität errichtet" worden. Um sie noch einmal in Korona vorzustellen: Sein Schmidt mithin Rektor, er selbst Dekan der Philosophischen Fakultät und damit zwar aus Emsts Generalreferat formal ausgeschieden, aber doch mit „genügend Gelegenheit", dort weiter mitzumischen. Die Mediziner leitete also Stein, die Naturwissenschaftler Niemeier, blieben noch die Rechts- und Staatswissenschaften, für die man aus Kiel den Strafrechtler Friedrich Schaffstein geholt hatte, einen Mann, der sich bereits 1932 über die Frage „Liberales oder autoritäres Strafrecht" Gedanken gemacht und diese zwei Jahre später durch den Entwurf einer Politischen Strafrechtswissenschaft ergänzt hatte - bei der Erörterung der Rechtswissenschaften 727 werden wir ihm wieder begegnen. Diesem Abriß der Frühzeit schloß sich nun bei Anrieh eine Darstellung dessen an, was ihm und den übrigen Straßburger Reformern so vorgeschwebt hatte und jetzt durch die Machtergreifung der Berliner Bürokraten gefährdet war, und wir erkennen hier unschwer, woher Robert Wagner, einst aktiver Offizier 7 2 8 und als Experte in rebus academicis eigentlich nicht ausgewiesen, seine Weisheiten bezogen hat. Die hier freilich noch viel leuchtender dargestellt worden sind. Die griffige „Parole" nämlich, die zu verwirklichen diese Leute sich zusammengefunden hatten, lautete: „Die Entthronung der Sorbonne". Nicht nur also, daß man die zweitgrößte französische Universität übernommen hatte, sie sollte vielmehr auch dazu dienen, die größte in den Rang der Provinzialität hinabzudrücken. Das, so meinte Anrieh und bezog sich auf einen angeblichen Auftrag des Stabes Hess (den er indes vermutlich erst bestellt haben dürfte), beinhalte die Aufgabe, „in dieser Westecke des Reiches" eine neuartige, wirklich als Hochschule des nationalsozialistischen Reiches in Erscheinung tretende Universität „aufzustellen", ein Leuchtfeuer gewissermaßen hinein in das westliche Europa. Darüber aber waren sich diese Reformer mit späteren einig: Humboldt hatte da ausgedient. Eine Gestaltung „aus der Weltanschauung des Idealismus und Humanismus von 1800" kam überhaupt nicht in Frage, sondern einzig und allein eine solche „aus der Weltanschauung des Nationalsozialismus". Der Konflikt mit den ziemlich entgegengesetzten Vorstellungen der Ministerien (Schmitthenner - und das würde auch Wagners erwähnte, etwas spitze Bemerkung in seinem letzten Schreiben an Lammers erklären - scheint so oder so Stellung bezogen zu haben, je nachdem, ob er für das Kultusministerium oder aber für den Chef der Zivilverwaltung agierte) war damit unvermeidlich und hatte sich, wie von Anrieh zu hören ist, bereits im Vorfeld entzündet. Denn die große Idee schloß die „Schaffung eines unbedingt körperschaftlichen Lehrkörpers" ein (was immer Anrieh darunter verstanden haben mag), die „Sicherung der ständigen Nachwuchsschaffung" (das war schon klarer) und weiter Impulse, die, von Straßburg ausgehend, der „gesamten deutschen Wissenschaft" in einem „dauernden Zustrom zugeleitet" werden würden. Es ist vorstellbar, daß dieser Anrichsche Impulsstrom Unter den Linden wenig Enthusiasmus geweckt hat. Und erst recht nicht die „völlig freie Gestaltungsmöglichkeit des Lehrkörpers", die Anrieh forderte, um seine Universität „völlig neu und ungebunden" und „organisch vom O r t aus" zusammenzustellen. Und bei den Kollegen im Finanzres236

sort blankes Entsetzen jene „großzügigsten materiellen Mittel", die der Straßburger Schöpfer für die Verwirklichung seiner Vision benötigte. In einer „wirklich großen Arbeitsleistung" habe er in „engster Zusammenarbeit" wieder mit dem Stabe Hess und dem SD-Hauptamt einen Plan von 129 Ordinariaten und Extraordinariaten aufgestellt - und „den größten Teil dieser Männer bereits gewonnen"! Den „Berufungsverhandlungen" habe der Bevollmächtigte des Chefs der Zivilverwaltung „beigewohnt". Und diese Formulierung ist, um das hier einzufügen, kein Lapsus linguae, wie eine Vereinbarung mit dem Jenenser Biologen Gerhard Heberer zeigt729, worin Gauleiter Wagner als Chef der Zivilverwaltung Heberer „beruft" und zum Direktor des Instituts für Biogenetik „ernennt"; der Vertrag wurde durch seine Unterschrift „gültig", und der Reichserziehungsminister erscheint lediglich als Formalität in der Präambel - „im Einvernehmen mit...". 129 Professoren also zum größten Teil schon angeheuert, „Hunderte von persönlichen Bindungen" bereits eingegangen und „Umbauten und Anschaffungen größten Ausmaßes am Laufen" - am 15. Oktober hätte es losgehen können. Und nun der Entscheid der Einordnung des Straßburger Etats in den Reichshaushalt. „Reichsuniversität" - nun, als die hatte man sich von Anfang an verstanden, das störte nicht, wohl aber die damit aufziehende Bedrohung des „großen, beinah vollendeten Plans" durch Bürokratie und Streichungen im Stellenplan: 29 Ordinariate und Extraordinariate von den 129, weniger also verblieben noch als die 112, die das Reichserziehungsministerium im vergangenen Winter versprochen und am 12. Februar beim Reichsfinanzminister beantragt hatte730! Und von den Hilfskräften und Assistenten teilweise gar nur 40 bis 30 Prozent! Gewiß, auch mit hundert Professoren könne man eine „recht große Universität aufbauen", aber doch nicht diese Universität, wie man sie hatte schaffen wollen. Eine alte könne man damit „kopieren", aber keine neue „organisieren", die „ganze Struktur" würde man zerstören. Nicht nur die Kräfte für die gestrichenen Stellen gingen verloren, sondern auch andere, die nur unter den Voraussetzungen jener Struktur angenommen hätten. Und das Vertrauen in den Chef der Zivilverwaltung, in Partei und Staatsapparat würde im Elsaß „weithin erschüttert". Die „Blicke eines großen Teils der Welt" seien auf Straßburg gerichtet, und der Eindruck müsse doch „der sein, daß hier schlagartig und trotz Krieg eine erstklassige und zu fürchtende deutsche Universität" in das alte Haus eingezogen sei. Versprechen, in drei bis fünf Jahren würden es 125 Stellen sein, nützten da nichts, ebenfalls sei die Ersparnis durch eine solche Verschiebung „außerordentlich gering". Und auch das Argument, den übrigen deutschen Universitäten würden „zuviel Kräfte entzogen", steche nicht, sei doch durch eine „sehr günstige und glückliche Mischung älterer, junger und jüngster Kräfte" gerade dies vermieden worden. So sei denn die in jeder Hinsicht beste Lösung die „totale Übernahme des vom Chef der Zivilverwaltung bereits Geplanten und Vorbereiteten". Wie aber — nun Teil 2 - sah jene „sehr günstige und glückliche Mischung" aus? Da die Universität „in ihrer geistigen Einheit" bestimmt sein sollte von dem „nationalsozialistischen Glauben der untrennbaren Zusammengehörigkeit von Stofflichem und Geistigem", waren ihre „eigentlichen Grundpfeiler die Geisteswissenschaftliche und die Naturwissenschaftliche Fakultät". In ihnen sollte die „untrennbare Wirklichkeit aufgerollt" werden, die beiden übrigen hatten das lediglich „von ihrer Seite aus" zu „unterstreichen". In - erstens - der Philosophischen (hier nicht „Geisteswissenschaftlichen") Fakultät sollten drei Gruppen im „Vordergrund" stehen: Geschichte, Germanistik und Romanistik. 237

Für Geschichte waren sieben Ordinariate vorgesehen gewesen: Petri731 (Germanisches Volkserbe in Südost-Frankreich und der Schweiz), Heimpel 732 (Mittelalter), Stach733 (Hilfswissenschaften), Franz 734 also (Reformation und Dreißigjähriger Krieg) und Anrieh (Neuere und neueste Geschichte) sowie ein N . N . (Wehrgeschichte) und ein Krüger (Geschichte der Bewegung). Was aber hatte nun der Rotstift der Berliner Ministerien hier angerichtet? Das Volkserbe, die Hilfswissenschaften und die Bewegung waren völlig gestrichen, die Wehrgeschichte in ein Extraordinariat verwandelt. Schlimm insbesondere die Sache mit der Bewegung. Es war nämlich jener Krüger nicht einer von den 16 Krüger, die der Kürschner 1940/41 verzeichnet hat, und mithin auch nicht einer der beiden dortigen Gerhard Krüger, sondern das war der Reichsamtsleiter Gerhard Krüger, Kurts Bruder, von dem hier schon erwähnt worden ist, daß Rosenbergs Leute ihn dann für Posen - wenn auch vergeblich - als völlig unqualifiziert abgelehnt haben. Krüger sollte in Straßburg mit Zustimmung seines Chefs, des Reichsleiters Bouhler, die Geschichte der Partei als Ordinarius erforschen, schrieb Anrieh, Bouhler aber, das scheine in Berlin „nicht bekannt zu sein", sei vom Führer exklusiv „rein forschungsmäßig die Geschichte der Partei anvertraut". Diese Parteigeschichte nun „kurzerhand" seinem, Anrichs, Lehrstuhl zuzuschlagen - ein Unding. Hat man bei der Gruppe Geschichte schon den Eindruck, hier seien nicht Lehrer für Fächer, sondern Fächer für Lehrer ausgesucht worden, so verstärkt sich dieses Gefühl bei der Gruppe Germanistik. Denn die hatte so aussehen sollen: Lugowski 735 für das „vorwiegend ältere Fach", Fricke736 und Rössner 737 für das „vorwiegend neuere", Höfler 738 für Alte Germanenkunde und Skandinavismus - dies ein neues Fach der „Universität des Nationalsozialismus". Dazu zwei Extraordinariate, N. N. „zur besonderen Unterstützung des rein Sprachlichen"(!) und Gutenbrunner 739 neben Höfler. Diese „Gruppe Höfler-Lugowski-Fricke-Gutenbrunner-Rössner" hätte, so Anrieh, die Garantie gegeben für eine „neue Schule der Germanistik und vor allem endlich des germanistischen Nachwuchses" angesichts der „Verzettelung der gegenwärtigen Germanistik". Und der Rotstift hier? Lugowski gestrichen, der Mann „zur besonderen Unterstützung des rein Sprachlichen" gestrichen, Rössner zum Extraordinarius herabgestuft-und damit „dieses Kernfach" der neuen Universität „vollkommen zusammengebrochen". Und von Höfler und Gutenbrunner, die dafür sorgen sollten, daß die Deutschen endlich nicht nur „die griechische, römische und orientalische Welt", sondern auch die „eigene Vergangenheit und ihr Denk- und Sagengut" kennenlernten, schrieb Anrieh nur im Konjunktiv und glaubte wohl auch an ihre Berufung nicht mehr so recht. Der Rest wird bei Anrieh etwas oberflächlicher behandelt, sowohl die dritte „Gruppe" des Vordergrundes, die Romanistik (von drei Ordinariaten eins gestrichen), wie auch das „sonst Gestrichene": die Ordinariate für Psychologie und Indologie sowie der zweite philosophische Lehrstuhl, das Extraordinariat für Griechisch und die nicht weiter qualifizierte „Politische Auslandskunde", vermutlich ebenfalls ein Ordinariat. In ein Extraordinariat „vermindert" worden war das Ordinariat „für Geschichte und Leistung des Deutschtums in der Welt". Namen nennt Anrieh (mit Ausnahme des Graezisten, des „sehr verdienten Elsässers" Mugler, der hier „herausgestellt werden sollte") nicht, es folgt lediglich der nochmalige Hinweis, daß der Chef der Zivilverwaltung „mit beinahe allen Dozenten schon verhandelt und abgeschlossen" habe. Wie das im Falle eines solchen bereits erfolgten „Abschlusses" gewesen ist, ob einem verdienten nationalsozialistischen Wissenschaftler die damit bereits gesichert erscheinende Straßburger Pfründe wirklich hat wieder weggenommen werden können, ist nicht bekannt; vermutlich wird 238

man ihn als eine Art noch nicht rechtskräftiger Vorvertrag interpretiert oder aber die Streicherei wird sich auf Fälle ohne einen solchen „Abschluß" oder des Verzichts des Betreffenden beschränkt haben. „Stärkstens erschüttert" aber war der vom Chef der Zivilverwaltung genehmigte und mit „Vorverträgen" (hier steht der Begriff, den Anrieh bei den Professoren vermeidet) festgelegte Plan ebenfalls durch das Ausmaß der Streichungen bei den Assistentenstellen (von 40 blieben 17 - für Anrieh eine „unerträgliche Sparsamkeit", Relikt einer „vergangenen Zeit"), den Schreibkräften (von 25 blieben ganze vier - viel durfte in Straßburg wirklich nicht geschrieben werden, sollte Anrieh die Wahrheit gesagt haben) und den sonstigen Hilfskräften sowie beim Etat, der zwar noch nicht feststand, wo Anrieh aber „mit Sicherheit" eine Kürzung um „mehr wie [sie] ein Drittel" auf etwa 100 000 R M erwartete. Seine 150 000 R M seien unentbehrlich, und dazu ein „Exkursionsfonds von etwa 30 000 R M " - müßten doch junge Deutsche, die „im Bewußtsein, der Ordnungsmacht Europas anzugehören", erzogen werden sollten, Heimat und Welt kennenzulernen Gelegenheit haben. Der Hinweis, daß man schließlich die Theologische Fakultät eingespart habe, für die „wahrscheinlich ohne weiteres" Stellen und Etat bewilligt worden wären, rundete das Bild: Kein „Schrumpfungsprozeß" sei damit beabsichtigt gewesen, sondern die Straßburger „Geisteswissenschaftliche Fakultät" übernehme ja schließlich die „seelisch-aktive" Ausrichtung von den Theologen. Nun der andere von Anrichs beiden „Grundpfeilern", Niemeiers Naturwissenschaftler, von denen dieser ja, wir hörten es, 1946 erzählt hat, wie ganz normal, ja eigentlich anti-nationalsozialistisch sie zusammengeholt worden waren. Niemeier hat da offensichtlich sein Rundschreiben vom 17. Juni 1941740 nicht mehr so recht in Erinnerung gehabt, in dem er seinen „Männern" zwei „Grundsätze allgemeiner Art" für die Arbeit ans Herz gelegt hatte, deren erster die stete Berücksichtigung forderte von Gesicht und Charakter einer Reichsuniversität, die „Vorbild und Ausdruck ihres Zeitalters, d. h. des Nationalsozialismus", sein wolle. Im Rahmen der „politischen Neuordnung des Erdteils" hatte der umsichtige Geograph seiner Fakultät die „besondere Aufgabe" zugesprochen, das „germanisch-deutsche Weltbild in der Naturerkenntnis auszubauen und voranzutragen", hatte dann wehmütig die 42 „professeurs" von 1938 mit den 26 „Professoren" von 1941 (immer noch einer zuviel) verglichen und die so wenig angemessenen „personellen und finanziellen Mittel" beklagt. Und er hatte auch den Kollegen die Planung von drei Arbeitskreisen erläutert, die im Monat zuvor in Ernst Anrichs Protestschrift noch „vier Mittelpunkte" geheißen h a t t e n - d e r „biologische", der „exakt naturwissenschaftliche", der „die Landesforschung betreffende" und der „mathematische", - ist es nötig zu sagen, daß sich der Eindruck „Fächer für Lehrer" im Anblick dieses Sammelsuriums noch vertieft? Aber sehen wir uns das näher an. Erstens also der „biologische Kreis", ein „großes Erbforschungsinstitut" mit „stärkstem Anschluß" an Rassenkunde und Paläontologie, das „von Straßburg aus dem ganzen Westen die wissenschaftliche Richtigkeit dieses Teils der nationalsozialistischen Weltanschauung nachdrücklichst deutlich machen" würde. Damit sollten sich befassen als Zoologen der Ordinarius Weber und der Extraordinarius Schlottke 741 , als Botaniker der Ordinarius Firbass und der Extraordinarius Bünning 742 , als Biogenetiker gleich zwei Ordinarien, Heberer und Knapp 743 , als Mikrobiologe der Extraordinarius Engel 744 und noch ein Extraordinarius für Regionale Bodenkunde. Die hier „ausgewählten und gewonnenen Männer", so versicherte Anrieh, hätten eine „ausgezeichnete Besetzung" dargestellt, wäre vom Rotstift der Ministerien dieses „Kernfach" nicht „zertrümmert" worden: Knapp, 239

Engel und der Regionale Bodenkundler, also „praktisch alles Neuartige", gestrichen, Assistenten und Hilfspersonal ebenfalls „zusammengestrichen", der Etat von 14 000 auf 4000 RM „zusammengebrochen" - so sei keine umfassende, exakte und schnelle Forschung möglich, so sei vor allem die Biogenetik nicht zu dem zu machen, wozu sie gerade in der nationalsozialistischen Universität Straßburg gemacht werden müsse. Nicht anders bei dem „exakt naturwissenschaftlichen Mittelpunkt", bei Niemeier als „Physikalisch-Chemische Gruppe" firmierend und auf die „Lebenserhaltung unseres Volkes" ausgerichtet, worunter Anrieh „Wehrmacht und Nahrungsfreiheit" verstand. Erstens das Fach Physik, inklusive die wehrtechnisch so wichtige Kernphysik und die von der Luftwaffe benötigte Meteorologie: die Ordinariate Weizsäcker (Theoretische), Finkelnburg (Experimental), N . N . (Höhere Experimental- = Kernphysik) und Jung (Geophysik) 745 sowie die Extraordinariate Hiedemann (Angewandte) und Lettau (Meteorologie) 746 . Eine „äußerst intensive Inangriffnahme" dieser „neuartigen Zusammenarbeit" würde die Besetzung dieser Gruppe versprechen, hätten die Ministerien nicht den - noch anonymen - Kernphysiker und den Meteorologen gestrichen und Weizsäckers Ordinariat in ein Extraordinariat verwandelt. Auch hier also ist wieder, das sei in Parenthese hinzugefügt, das Bestreben der Ministerien deutlich, die Straßburger Planungen auf das Normalmaß zurechtzustutzen und alle Experimente rechtzeitig abzubiegen. Die Chemie, wo es etwas konservativer zuging, ist denn auch entsprechend weniger gerupft worden. In der Anorganik sollte dem Ordinarius Jander 747 neben dem Extraordinarius Beischer 748 noch als „Abteilungsleiter" der aus Toulouse „unbedingt" in die Heimat zurückstrebende Elsässer Rinck beigegeben werden - er ist gestrichen worden. Bei der Organik haben sowohl Ordinarius Zeile wie Extraordinarius Grewe 749 die Streichungsklippe passiert, der dann außer Assistenten und Hilfskräften nur noch Noddack 7 5 0 , ein neben dem Ordinarius eingeplanter Extraordinarius für Physikalische Chemie, zum Opfer gefallen ist. Und drittens schließlich die Astronomie, bei der „Physikalisch-Chemischen Gruppe" zwar etwas merkwürdig eingeordnet, dem „exakt naturwissenschaftlichen Mittelpunkt" aber schon zuzurechnen, ist mit ihrem Ordinariat und „verschiedenen Observatoren" offenbar überhaupt nicht vom Rotstift tangiert worden - über die Sachen am Himmel gab es wohl keine Meinungsverschiedenheiten. Der Mittelpunkt 3 wurde von Niemeier „Gruppe Grundlagenforschung der Erdoberfläche und allgemeine Landesforschung" genannt - es ist immer wieder bewunderungswürdig, wie ehrfurchterweckend und -gebietend die Wissenschaft, unter welchem Regime auch immer, ihre Waren, und noch die dürftigsten davon, für die, welche sie bezahlen sollen, zu verpacken versteht. Nicht immer erfolgreich freilich. In der für die RohstoffForschung so wichtigen Mineralogie ist der Extraordinarius gestrichen, gestrichen sind auch die Extraordinarien für Angewandte Geologie (N. N . ) und für Wirtschaftsgeographie (Pfeifer 751 ). Von diesem Kahlschlag bei den Extraordinarien verschont geblieben sind lediglich der Geochemiker Hegemann und der Paläontologe Dehn 752 , die beiden einzigen nunmehr neben den Ordinarien Drescher-Kaden (Mineralogie), Wilckens 75 ' (Geologie) und Niemeier (Geographie). Mathematiker, die den vierten und letzten Mittelpunkt bilden sollten, hatte man offenbar noch keine gefunden, denn Anrieh nennt hier keine Namen, sondern klagt nur über die Streichungen: Vorgesehen gewesen waren drei Ordinariate und ein Extraordinariat, davon war das Extraordinariat (Reine Mathematik) gestrichen und das Ordinariat für Angewandte Mathematik in ein Extraordinariat verwandelt worden. 240

Anrichs naturwissenschaftliche Gesamtbilanz: Der Etat „auf [gemeint: um] ungefähr 35 Prozent verkürzt", von 62 Assistentenstellen nur 48 bewilligt, von 16 Extraordinariaten die Hälfte, von 37 Ordinariaten ganze 26. Und all das ohne Rücksicht auf das „organische Gefüge"! Bei den beiden lediglich „unterstreichenden" Fakultäten ist Anrieh relativ wortkarg gewesen. Bei den Juristen deshalb, weil hier der „Anspruch an Stellen normal" gewesen war und mithin „auch nur geringe Streichungen" stattgefunden hatten. Das große Konzept, das neue Wege hatte weisen sollen in der Ausbildung der höheren Verwaltungsbeamten für Staat und Partei, hatte nämlich „infolge der Unklarheit über diese neuen Ausbildungen einstweilen zurückgehalten" werden müssen. Und so erfährt man denn nur von einem „besonders großen Ausbau in zwei Sektionen", der - gut konservativ - geplant gewesen war. Für die erste, die „rein rechtswissenschaftliche", sei ein „hervorragender Kreis gewonnen worden", die Streichungen dabei wären „nicht nennenswert". Bei der zweiten, der „volkswirtschaftlichen und staatswissenschaftlichen", hatte man ursprünglich Staatsverwaltung, Parteiverwaltung, Politik, Rassenhygiene (!) und Raumforschung „besonders hinzuziehen" wollen. Daraus war also nichts geworden, und von dem eher herkömmlichen Torso war ein Ordinariat für Volkswirtschaft und das neue Ordinariat für Raumforschung, angeblich das erste in Deutschland überhaupt, dem ministeriellen Rotstift anheimgefallen. Beinahe rundum positiv stellte sich die Lage bei den Medizinern dar, so daß Anrieh auch hier auf Namen verzichtet hat und wir nicht erfahren, ob und wie sich die „SS-Kameraden" eingelebt haben. Straßburgs „besondere Lage", die neben Kliniken („an Bettenzahl hinter Berlin beinahe die größten") „vom Waisenhaus bis zum Altersheim" alles bot, war bereits so sinnvoll genutzt worden, daß hier eine „Fakultät größten Ausmaßes", „einheitlich zusammengefaßt und ausgerichtet", ein wirklicher „Organismus der Gesundheitsführung des Volkes", entstanden war. Die Besetzung („muß als eine sehr gute in wissenschaftlicher, politischer und menschlicher Hinsicht bezeichnet werden") war denn auch beinahe komplett bewilligt und lediglich ein Extraordinariat für Medizinische Psychologie gestrichen worden (daß gerade dies besonders wichtig und der „Aufbau einer neuen, konkreter ausgerichteten Psychologie dadurch erheblich gestört" war, versteht sich am Rande - eben gerade deshalb ist es ja wohl getilgt worden). So weit Ernst Anrichs große Planung. Sie hat beispielsweise bei der SS so gut gefallen und schien dort dem „Standpunkt der SS so sehr" zu entsprechen, daß Himmler (auch hier werden die „SS-Kameraden" bei der Medizin nicht erwähnt) sie einem Auftrag zugrunde legte, diese Universität (in Heydrichs Worten 754 ) „mit SS-Kräften zu besetzen und sie auf das Ziel der Festigung des deutschen Volkstums auszurichten" - als eine „im Raum verankerte Kampfuniversität" gegen den „westlerischen Geist". Und nun also war jene Planung von einer sturen und unbedarften Ministerialbürokratie kastriert worden. Anrieh irrte jedoch, sollte er geglaubt haben, daß hier allein Gegner saßen. Auch die übrigen Universitäten befanden sich am Vorabend des offenen Aufruhrs. Fälle wie der jenes erwähnten Frankfurter außerplanmäßigen Professors Kurt Scheer, den die Straßburger erst haben, dann jedoch nicht mehr haben wollten, den Frankfurt aber offenbar gern losgeworden wäre, weshalb es die Verdienste seines neuartigen Verfahrens der Rachitisbekämpfung mit bestrahlter Milch so warm empfahl 755 , - die nämlich waren die Ausnahme. Die meisten Universitäten dachten anders beziehungsweise hatten niemand, den sie an die Luft setzen wollten. Anrieh hatte ja vorgegeben, durch seine „glückliche Mischung" vermieden zu haben, 241

daß den anderen Universitäten zuviel Kräfte entzogen würden. Eine solche Behauptung wäre indes bei den Leidtragenden kaum auf Zustimmung gestoßen. Kiels Rektor Ritterbusch, ein Mann von betont nationalsozialistischem Gepräge und sicher mit gewissem Verständnis, hat von „Maßlosigkeit" und „Überheblichkeit" gesprochen, von einer „Ausräuberung unserer Universitäten", als er am 22. Februar 1941 in Berlin „allerstärksten Protest" erhob 756 - ebensowenig wie andere Rektoren sei er gewillt, das alles unwidersprochen hinzunehmen, es werde zu einem „großen Skandal" kommen. Auslösendes Moment waren „unsere beiden" von Straßburg abgeworbenen Germanisten gewesen, Fricke und Lugowski, welche die Zahl rund machten, auf die Straßburg Hand legte „jetzt bereits zehn unserer besten Professoren", wie Ritterbusch aufschrie. Aber nicht nur das, auch unter den Angestellten räuberten die Straßburger Piraten, und die - in Kiel unentbehrliche - juristische Seminarbibliothekarin hatte man gar „zu bestimmen" versucht, gleich noch die Seminarkartothek mit nach Straßburg zu bringen! Es waren also nicht bloß übergangene Wissenschaftsverwalter und kleinkarierte Finanzknauser, die an Ernst Anrichs akademischem Orplid herummäkelten, auch in der Gelehrtenrepublik hätte er über Leichen gehen müssen, wäre Wagner und ihm nicht das Handwerk gelegt worden. Schon ganz abschiednehmend hat er seine Konzeption in ihren Umrissen auch noch der Öffentlichkeit am Ende „grundsätzlicher Betrachtungen" vorgestellt, die er aus Anlaß der Straßburger Eröffnung dem Publikum präsentiert hat757, und hier zeigt sich noch einmal, wie wichtig ihm dieses „große Gesamtexperiment" mit den Reichsuniversitäten Posen und, vor allem, Straßburg gewesen ist. Wir haben uns bei Ernst Anrieh lange aufgehalten. Er ist indes der letzte gewesen in der Reihe der zum Zuge gekommenen, am Ende dann aber doch gescheiterten nationalsozialistischen Hochschulreformer. Wäre seine Vergangenheit und wäre Schirachs Unversöhnlichkeit nicht gewesen, hätte er hinter Rein die Prozession nationalsozialistischer Reform-Rektoren abgeschlossen - und de facto ist er ja auch etwas ähnliches wie Straßburger Gründungsrektor gewesen. Und das rechtfertigt vielleicht das sonst ungebührliche Verweilen. Nun hat uns freilich die Entwicklung jenes von Anrieh zumindest inspirierten Zanks des Chefs der Zivilverwaltung und des Reichserziehungsministers um die Straßburger Universität über den März 1941 schon ein Stück hinausgeführt, und wir müssen deshalb noch einmal in jenes Frühjahr zurückkehren. Am 5. Mai, knapp drei Wochen also vor Anrichs Wehgeschrei und dessen Ansatzpunkt, ist der Bescheid des Reichserziehungsministeriums an den Straßburger Kurator über die „vorweg genehmigten" Lehrstühle ergangen758. Das waren demnach Hl Juristische F. Medizinische F. Philosophische F. Math.-Nat. F.

13 18 23 17

Insgesamt

71

H2 3 9+3 760 6 8 29

1938759 21 41 45 42 149

zusammen also exakt jene 100, von denen Anrieh meinte, auf diese runde Zahl hin sei seine grandiose Planung rein mechanisch zusammengestrichen worden. Auch so aber nahm sich das noch stattlich genug aus, und so manche deutsche Universität wäre mit einer solchen Ausstattung überglücklich gewesen. 242

Nun sollten Besetzungsvorschläge „baldigst" vorgelegt werden - „die dort geführten Berufungsvereinbarungen sind den Vorschlägen beizufügen". An die Rektoren aber erging zur gleichen Zeit, am 8. Mai, ein Runderlaß 761 , der - dem Anschein nach ganz allgemein - „Anträge zugunsten von Hochschulprofessoren anläßlich der Ablehnung eines Rufes an eine andere Hochschule" zum Gegenstand hatte. Angeblich ging es um den aus „früheren Zeiten" selbständiger Personalhoheit der Länder überkommenen „Mißstand", Professoren, die einen Ruf erhalten hatten, durch irgendwelche Zugeständnisse oder die Zusicherung, sie zu erwirken, zum Bleiben zu bewegen: Der Einsatz der Professoren sei heute Angelegenheit einer einzigen Stelle, nämlich des Amtes Wissenschaft des Reichserziehungsministeriums, und die Ablehnung eines Rufes werde zwar keinem „übelgenommen", sei aber „an sich kein Anlaß zu einer Verbesserung der Bezüge". Das war nun ein altes Lied, das hier angestimmt wurde, eine Gepflogenheit - so unausrottbar wie das Trinkgeld für Kellner, unausrottbar jedenfalls, solange föderalistische Struktur noch rudimentär erhalten war. Und aktuell war lediglich der in der zweiten Hälfte des Erlasses mitgeteilte Anlaß: Das gelte auch für die Ablehnung eines Rufes nach Straßburg, wo über die „Ausbringung der Mittel" einige Zeit „Unklarheit bestanden" habe, die nun aber beseitigt sei. Über das Ausmaß der bei einer Berufung nach Straßburg gemachten Zugeständnisse beständen „teilweise übertriebene Vorstellungen", zurückgehend auf „einzelne an Ort und Stelle geführte vorläufige Verhandlungen". Für diese (mit dem Sieg in der Tasche ließ Mentzel seinen Minister nun Fraktur reden) habe es „nicht etwa eine grundsätzliche Ermächtigung meinerseits" gegeben, und von jenen Zusicherungen „besonders hoher Bezüge" habe „auch bisher keine einzige meine abschließende Genehmigung gefunden", nur „gerechtfertigt" erscheinende Einstufungen kämen in Frage. Sollte aber jemand, der für Straßburg vorgesehen gewesen sei, aus irgendwelchen Gründen nicht von seiner bisherigen Hochschule abgezogen werden können, so werde von dem Betreffenden die Einsicht erwartet, die „bereits geführten Vorverhandlungen als gegenstandslos" zu betrachten, ohne „unmittelbar mit Schadloshaltung zu rechnen". So waltete denn wenigstens Milde beim Einkassieren der Wohltaten Wagners und Anrichs, bezog sich doch das „unmittelbar" auf die anschließende Zusicherung, daß die geplant gewesene Auswahl für Straßburg für die „fachliche Wertung des einzelnen Professors von Belang" bleibe und „zu einem späteren Zeitpunkt", „zusammen mit anderen Erwägungen, eine Verbesserung der Bezüge rechtfertigen" könnte. Mit anderen Worten: Zwecks Wahrung des Gesichts konnten die großzügigen Straßburger Wechsel zwar nicht sofort eingelöst werden, wer aber brav war, stillhielt und sich nicht auf irgendwelche Rechtsstandpunkte stellte, durfte hoffen, in nicht allzu ferner Zukunft etwas mehr im Portemonnaie zu haben. Anträge „zugunsten von Straßburg-Kandidaten", so hatte der Erlaß geendet, die nicht nur zwecklos seien, sondern „geradezu meine Absichten stören", wären zu unterlassen. Sie sind wohl auch kaum mehr gekommen, überhaupt Störungen nicht, da nun im Sommer die Wunden überraschend schnell vernarbt sind. Mentzels Fachreferenten taten, nachdem jetzt gewissermaßen die Belagerten von jeder auswärtigen Unterstützung abgeschnitten worden waren, zwecks Versöhnung ihr Möglichstes an Großzügigkeit, und die Straßburger andererseits ließen die ganz großen Rosinen fallen und arrangierten sich mit den Berliner Siegern. Diesen Eindruck vermittelt jedenfalls ein recht zufriedener Brief, den Niemeier am 30. Juni an den für ihn zuständigen Referenten Oberregierungsrat Führer geschrieben hat 762 , nachdem die Straßburger Crew von Verhandlungen heimgekehrt war, die Rektor und Dekane Unter den Linden geführt hatten. 243

„Im ganzen gesehen", schrieb Niemeier, sei die „Straßburger Angelegenheit doch ein erhebliches Stück weitergebracht", in wesentlichen Punkten „nunmehr Übereinstimmung erzielt" worden. Niemeier selbst allerdings hatte, während seine „Kondekane" mit ihren Ministeriumsreferenten zu „weitgehendem Ubereinkommen" gelangt waren, noch „restliche Sorgen" nach Haus mitgenommen, die er nun schriftlich „von Mann zu Mann" Führer vortrug. Neben kleineren Wünschen wie Stellenvertauschungen (wobei man unter anderem erfährt, daß es, offenbar auf dem Wege über eine Kustodenstelle, nun doch einen Mann für die „Regionale Bodenkunde" gab, den Göttinger Wortmann 763 , den freilich die Provinzialverwaltung in Hannover durch ein „großzügiges Angebot" zu halten suchte) waren dies vor allem zwei. Erstens die Experimentalphysik, wo Niemeier aus seinem „Geheimnotizbuch", unter der Voraussetzung der Berufung Finkelnburgs auf einen der beiden Lehrstühle, für den anderen als Kandidaten „zur Auswahl" anbot: den Lenard-Schüler Rudolf Tomaschek an erster Stelle und daneben noch Christian Gerthsen (Berlin), Wilhelm Hanle (Halle) und Tomascheks Nachfolger in Dresden, Herbert Arthur Stuart. Sollte Finkelnburg für den ersten physikalischen Lehrstuhl „fallengelassen" werden, sprach er sich vorläufig ablehnend über Johannes Malsch (Köln) als Ersatz aus. Niemeiers zweite Sorge, ebenfalls aus dem Bereich der Physik, nunmehr der Theoretischen, zeigt ihn - und das soll nicht verschwiegen werden - in einem günstigen Licht und deutet darauf hin, daß vielleicht nicht alles in seinen Erzählungen nach 1945 lediglich Dekorative Graphik ist. Er setzt sich hier nachdrücklich für Carl Friedrich v. Weizsäcker ein, gegen den politische Bedenken erhoben worden waren - „ausgesprochen Nachteiliges", so meinte man bei der Partei, sei zwar nicht über ihn bekannt geworden, er sei jedoch „am politischen Geschehen unserer Zeit völlig uninteressiert" und auch in Zukunft sei seiner ganzen Veranlagung nach kaum mit einem aktiven Einsatz für die Bewegung zu rechnen. Schön und gut, so schrieb Niemeier dazu an Führer, man könne jedoch eine Universität nicht „nur mit hundertprozentigen Aktivisten besetzen". Wo mangelnde politische Aktivität nicht aus bösem Willen herrühre, sondern aus „Versponnensein in die wissenschaftliche Arbeit", könnten derartige Leute von einer im Ganzen nationalsozialistischen Hochschule schon verkraftet werden. Ein solcher unverzichtbarer „Leistungsmensch" würde, in einen Kreis gestellt, der sich um seine politische Aktivierung bemühe, immer noch weit besser sein als ein Mann von mangelhafter wissenschaftlicher Leistung, der dies dadurch auszugleichen versuche, daß er sich „als hundertachtzigprozentiger Nazi" gebärde. Niemeier hat noch ein übriges getan und Weizsäckers Vater, den Staatssekretär im Auswärtigen Amt, bewogen, bei der Partei-Kanzlei eine Uberprüfung zu veranlassen, damit sein Sohn nach Straßburg berufen werden könne 764 . Neben freiwilligem Arbeits- und Militärdienst Vorjahren konnte dabei immerhin die Mitgliedschaft im Dozentenbund ins Treffen geführt werden - dort war nicht jeder. Und Weizsäcker ist denn auch 1942 berufen worden und bis zum Ende in Straßburg gewesen. Solcherart waren also ungefähr die letzten Sorgen. Denn nun konnte es tatsächlich losgehen. Am 22. Juli wurde im Reichsfinanzministerium nochmals das „volle Einvernehmen" mit dem Erziehungsministerium in Sachen Straßburg festgehalten 765 . Der „besonderen politischen Bedeutung" dieser Universität sei durch eine wirklich großzügige Ausstattung mit Lehrstühlen Rechnung getragen worden: Hundert Stück - wo doch etwa Bonn (ohne Theologen) „bloß über siebzig" verfüge und obwohl auch die meisten übrigen Reichshochschulen „besondere Bedeutung" besäßen, sei es nun durch „Ausstrahlung nach dem Südosten" oder als „deutsches Kulturzentrum im Ostraum". 244

In seinem Trotzbrief an Lammers vom 24. Juli766 hatte Robert Wagner abschließend Rektor Schmidts Sorge vorgetragen, die Universität Straßburg könne nun, wo zu dem „sehr schleppenden" Umbau noch Personalprobleme träten, nicht zu Beginn des Wintersemesters eröffnet werden, was aber doch „aus politischen und anderen Gründen" unbedingt notwendig sei. Das Ministerium sorgte dafür, daß es sich diese Blöße nicht zu geben brauchte. Am 1. September 1941 meldete DNB 767 , die Universität Straßburg werde zum Wintersemester ihren Lehrbetrieb aufnehmen, möglich sei das Studium in sämtlichen Fächern der Philosophischen Fakultät, das rechts- und wirtschaftswissenschaftliche Studium, der klinische Teil des medizinischen sowie - in begrenztem Umfang für höhere Semester - das naturwissenschaftliche Studium. Zugleich formierten sich die ehemaligen Straßburger Dozenten und Studenten, darunter der einstige Straßburger Rektor Ludwig Jost, der frühere Berliner Rektor Eduard Kohlrausch als ehemaliger Straßburgstudent, von der Frankfurter Traditionsuniversität Rektor Walter Platzhoff sowie die Professoren Martin Spahn und Paul Wentzcke (beide früher Straßburger Dozenten), und gründeten einen „Bund der Freunde der Reichsuniversität Straßburg" - Kreisleiter Bickler, Oberstadtkommissar Ernst und Magnifizenz Schmidt stellten sich für den Vorbereitenden Ausschuß zur Verfügung 768 . Daß und wann eröffnet wurde, war damit klar, nun blieb noch die Frage, wze769. Rust hielt einen „Staatsakt erster Ordnung" für geboten, mit Straßburg im Flaggenschmuck und größter Anteilnahme des Reiches und der Bevölkerung sowie natürlich mit Hitler so könne man „Frankreich empfindlich berühren". Nun war dem Minister freilich klar, daß er auf absehbare Zeit (der Ostfeldzug fuhr sich gerade in den Weiten Rußlands fest) Hitler nicht würde bekommen können. Vielleicht hat man ihm auch gesagt, daß es mit der Anteilnahme der Bevölkerung vorerst seine Schwierigkeiten haben würde. Jedenfalls unterbreitete er Lammers am 1. Oktober einen Kompromißvorschlag: Jetzt nur eine akademische Feier mit allen deutschen Rektoren und den lokalen baden-elsässischen Spitzen und Aufschiebung des „Staatsaktes erster Ordnung" auf einen späteren Zeitpunkt - würde das Hitlers Billigung finden? Am 21. Oktober hatte Lammers Gelegenheit, dies im Führerhauptquartier vorzutragen (sehr viele hätte er nicht mehr gehabt). Hitler war einverstanden. Dann trug Lammers noch vor, Gauleiter Wagner habe „mit aller Entschiedenheit erklärt", daß er einen Eröffnungsakt durch Rust boykottieren werde. Und Hitler befahl erwartungsgemäß, Wagner habe zu erscheinen. Und da er seine Pappenheimer kannte und sichergehen wollte, daß der Gauleiter auch tatsächlich parierte, ordnete er an, Lammers und Bormann sollten ihm das eröffnen. Lammers hat für seinen Teil eine wirklich schöne und schonende Form gefunden, in solcher Art von Briefstellerei waren er und seine Herren ja Meister. Der Führer hielte es für selbstverständlich, so schrieb er dem Gekränkten nach Straßburg, daß er an der Feier teilnehme, was doch sicher auch ihm selbst ein „Herzensbedürfnis" sei nach all dem großen Anteil, den er an dem Werk genommen habe. Und Bormann wurde bedeutet, wie „sehr mißlich" es doch sein würde, wenn Wagner fernbliebe und damit die „Ihnen bekannten Meinungsverschiedenheiten" auch vor dem „das deutsche Elsaß mißgünstig betrachtenden Ausland in Erscheinung treten würden". Vor der Eröffnungsfeier fiel noch einmal ein leichter Schatten über Straßburg770, als der Professor E. Schilling in Karlsruhe771 Rechnungen präsentierte, die in Erfüllung eines Auftrages angefallen waren, den er im Februar 1941 noch von der Wagner-Anrich-Mannschaft erhalten hatte: Für die neue Universität eine Aula und ein Rektorzimmer, beide jeweils mit Vorraum, auszubauen und künstlerisch zu gestalten. Mit welchen näheren Wei245

sungen dieser Auftrag versehen gewesen war, wurde den Beamten des Reichsfinanzministeriums schnell klar, als sie in jenen Faktura blätterten - die Marmorverkleidungen in der Aula für 140 978.50 R M , der Lüster dort 59 5 6 0 . - , jeder Senatorstuhl 1000.-, der Wandteppich dort 76 0 0 0 . - , ein anderer im Vorraum 10 6 0 0 . - , einer - handgeknüpft - im Rektorzimmer 12 000.-, dort an den Wänden alte flämische Gobelins für 30 400.-, und so ging das weiter. 788 958.38 R M waren es im ganzen, und darin war das Honorar für den so kostspieligen Professor noch nicht einmal enthalten. Die Reichsfinanzbeamten wollten ja nicht kleinlich sein, erkannten auch Straßburgs „erhöhte repräsentative Verpflichtungen" an, fanden aber denn doch den „Aufwand ungewöhnlich" und „das zulässige Maß überschritten". Freilich: Die Aufträge waren erteilt worden, die rechtlichen Verpflichtungen bestanden, eine Änderung war „kaum mehr möglich" - und zähneknirschend mußte gezahlt werden. Die Anregung, „gegebenenfalls die für die Auftragserteilung maßgebenden Stellen", das hieß also Wagner, zur Verantwortung zu ziehen, dürfte ernsthaft kaum in Erwägung gezogen worden sein. Die Reichsuniversität Straßburg ist dann am 23. November 1941 in jenem kleinen Rahmen eines akademischen Festaktes eröffnet worden, der ohne Adolf Hitler und elsässische Volksbegeisterung auskam. Eine „geschmackvoll erneuerte Aula", so drahtet der Korrespondent der Frankfurter Zeitung 772 , sei aus dem „in der Franzosenzeit verwahrlosten Lichthof" geworden, repräsentabel, stimmungsvoll beleuchtet - das ist der Ort, wo „zum ersten Mal wieder ein neuer deutscher Lehrkörper in die alte Aula marschiert". Und dann die „alten deutschen Regimentsfahnen von Straßburg" und die „Jubiläumskette Kaiser Wilhelms I . " um Magnifizenz Schmidt - ein „bewegter und packender Augenblick" ist das. Die badischen Zeitungen 773 haben in den einstimmenden Artikeln der Vortage bereits betont, daß an der Spitze der zahlreich erwarteten (die Vokabel des Perfektums lautete dann „herbeigeeilten") Persönlichkeiten aus Partei, Staat, Wehrmacht und so weiter Gauleiter Robert Wagner erscheinen werde, dessen „zielbewußter Initiative" die Eröffnung „in erster Linie zu danken" sei. Man wird sich jedoch einen eher verkniffenen Wagner vorstellen dürfen, mit Sicherheit jedoch einen schweigenden, einen stummen Gast. Denn Rust redete zwar wieder und eröffnete, unter den folgenden acht Ansprachen indes, die wie üblich die guten Wünsche der „Paten" überbrachten oder die neue Institution übernahmen, werden die, die nicht Bescheid wußten, das Fehlen jenes Initiators verwundert zur Kenntnis genommen haben. Schultze war darunter und als Vertreter der Akademien wieder Vahlen, Platzhoff für die Traditionsuniversität und Kohlrausch als alter Straßburger, der Gaustudentenführer und der Oberstadtkommissar, Rektor Schmidt natürlich auch. Der Gaxstudentenführer? Und was war mit Scheel, der doch nahezu zwangsläufig neben oder genauer vor Schultze gehört hätte? Er war zwar da, aber er schwieg wie Wagner, und man wird nicht sehr weit danebengreifen, wenn man hierin eine Demonstration der Solidarität wenn schon nicht des Reichsstudentenführers, so doch des designierten 774 Gauleiters Scheel vermutet. Nicht nur „die Frankfurter", auch die übrige Presse hat das Spektakel im neuausgebauten Lichthof der Reichsuniversität mit einer „unter klingendem Spiel" aufmarschierten Abordnung der Wehrmacht unter den „alten Feldzeichen der früheren ruhmreichen Straßburger deutschen Regimenter" natürlich angemessen gewürdigt, und wer sich etwa besonders für die Ausführungen des Reichsdozentenführers Schultze interessiert haben sollte, wurde durch die Mitteilungen des NSD-Dozentenbundes 7 7 5 ausführlich bedient. Im Jahr darauf sind die „Reden und Ansprachen bei der Eröffnung der Reichsuniversität 246

Straßburg" noch im Straßburger Hünenburg-Verlag Friedrich Spiesers erschienen, und in Posen wird man diese Broschüre im Kleinformat befriedigt mit dem eigenen Prachtband in Folio 776 verglichen haben - es zahlte sich schon aus, wenn man seinen Gauleiter zu den Gönnern zählen durfte. Sehr haben sich diese „Reden und Ansprachen" nicht voneinander unterschieden, wenn man einmal von einsamen Höhepunkten absieht wie jener Feststellung Theodor Vahlens, „wir Nationalsozialisten" seien „Wahrheitsfanatiker, zutiefst durchdrungen von der Kraft und dem Segen der Wahrheit". Die Themen waren vorgegeben und boten sich an: Hier das urdeutsche Elsaß, von Gottfried von Straßburgs Tristan bis zu Karl Roos' Märtyrertod in „Nanzig", dort die nun, nicht mehr einem „geheimnisvollen Logengebäude gleich", wieder ans Volk „herangerückte" und „inmitten des völkischen Lebens" stehende deutsche Universität in ihrem neuen Verständnis (Schultze: „Freiheit der Wissenschaft ist nur erreichbar in der nationalsozialistischen Hochschulgemeinschaft") und mit ihrem neuen Typ von Lehrer, nicht mehr der Weise von Neu-Syrakus mit seinem Noli turbare, nicht mehr der „weltfremde, einsame Stubenhocker", sondern ein „lebendiges Glied einer überpersönlichen Einheit", einer „Kampfgemeinschaft" - und beide jetzt, nach „jener Zwischenuniversität 777 von 1871 bis 1918" mit ihrer „mangelhaften Bodenständigkeit" (Schultze), vereint in der neuen Reichsuniversität, der legitimen Erbin Jakob Wimpfelings, des Praeceptor Germanorum und Planers der ganz alten deutschen Straßburger Hochschule. Das alles aber überstrahlt von der Wiedergabe jener „Worte voller Siegeszuversicht", welche die Alten Kämpfer unter den Straßburger Gästen zwei Wochen zuvor im Münchener Löwenbräukeller aus dem Munde ihres Führers gehört hatten, der zwar jetzt in der Ferne weilte, dem Rust indes telegrafisch die vollzogene Eröffnung meldete und der dann nicht nur seine besten Wünsche zurückgab 778 , sondern von Rust auch eine Viertelmillion Mark als Spende für „besondere Ausgaben" hatte überbringen lassen. Solcher Wettstreit im Glauben an den Endsieg verleitete den Minister allerdings zu einer längeren antibritischen Philippika, die ein Kernstück seiner Rede bildete und nicht so recht zu Anlaß und Thema paßte. Das aber wurde wieder gutgemacht. Rusts Vorliebe für das deutsche Liedgut, welche die Rektoren dann ja zwei Jahre später in Salzburg kennenlernen durften, brach sich nämlich schon hier in Straßburg Bahn in der einleitenden, vielleicht etwas kühnen Behauptung, „nächst unserer Nationalhymne und dem HorstWessel-Lied" gäbe es kein anderes Lied, das im deutschen Volk so widerklinge wie „ O Straßburg, o Straßburg, du wunderschöne Stadt..." Rust hat auch für den unterlegenen Konkurrenten, den „lieben Parteigenossen Wagner", freundliche Worte gefunden und die neue Hochschule als ein „lebendiges Stück Ihrer Aufbauarbeit" apostrophiert. Herzlichst natürlich fiel bei Magnifizenz Schmidt „mein Gruß und mein ganz besonderer Dank" aus: „Ihnen, Gauleiter", verdanke man „im Grunde" das, was „heute Form und Gestalt gewonnen" habe. Der Gauleiter habe zwar gebeten, von seiner „besonderen Ehrung am heutigen Tage abzusehen", seinen wie der Universität „herzlichsten Dank" sowie „tiefe Verehrung und Liebe" auszusprechen könne er ihm indes nicht verwehren. Und dann hatte Schmidt noch verdiente Volkstumskämpfer und reichsdeutsche ElsaßFans geehrt - Ernst wurde Ehrensenator, zwölf andere, vom Kreisleiter bis zu Spieser, wurden Ehrenbürger und vier weiteren hatte Rust den Honorarprofessor mitgebracht. Auf den Tag genau drei Jahre hat dann die Reichsuniversität im „nunmehr für immer deutschen" Elsaß existiert. Im Alltag hatten, wenn man Niemeiers Erzählung von 1946779 glauben darf, die Vorlesungen jeweils mit einem „politischen Glaubensbekenntnis" be247

gönnen werden sollen. Von den Kollegen jedoch sei diese Anregung von „außerhalb" einmütig als „innerhalb der Naturwissenschaften unsinnig" abgelehnt worden - Leistungen sollten überzeugen, nicht politische Phrasen. Wie es die anderen Fakultäten gehalten haben, hat Niemeier leider nicht berichtet. Uber diese dreijährige Wirksamkeit gibt es Betrachtungen der „Arbeit und Aufgaben der neuen Reichsuniversität" wie jene volle Seite 4, welche die Frankfurter Zeitung ihr am 6. Juni 1942 gewidmet und wo sie ein bißchen skeptisch die „neuen Methoden" des „neuen Geistes" gemustert hat, insbesondere die „Großseminare" der Philosophischen Fakultät, und es gibt aus jener Zeit auch Symptome für Schwierigkeiten, mit denen einzelne Fächer in Straßburg zu kämpfen hatten - vor allem natürlich die, bei denen es auch sonst hoch herging. So beispielsweise in der Physik beim Aufbau einer „schlagkräftigen Kernphysik", der ständig durch den Streit um die sogenannte „deutsche Physik" beeinträchtigt wurde. Wie Niemeier Ende 1941 an die Reichsführung-SS schrieb 780 (in dem Kollegen SS-Hauptsturmführer August Hirt, dem berüchtigten Straßburger Anatomieordinarius, Schädelsammler und Experimentator in den Konzentrationslagern Struthof und N a t z weiler, besaß er einen wegekundigen Verbindungsmann), hatte man ursprünglich sogar vorgehabt, den ersten Lehrstuhl mit einem Kernphysiker zu besetzen. Jetzt aber wollte man nach dessen Besetzung mit einem Experimentalphysiker wenigstens durch die Gewinnung des Frankfurter Dozenten Wolfgang Gentner und unter Mitarbeit des Dozenten Fleischmann einen Kernphysikalischen Arbeitskreis schaffen als Voraussetzung einer Verwirklichung der bereits Ende 1940 von Gauleiter Wagner zugesagten engen Zusammenarbeit mit dem Reichsluftfahrtministerium. Das nämlich hatte „beträchtliche Mittel" versprochen, insbesondere ein Cyclotron für eine halbe Million Mark samt Hochspannungsanlage, wodurch (in Deutschland gab es sonst nur ein „sehr kleines") der Gefahr der „Überflügelung" durch die Amerikaner mit ihren „fast drei Dutzend", allerdings (wie man zu wissen glaubte) meist nicht funktionierenden, Apparaten gesteuert werden sollte. Die Vertreter des Reichsluftfahrtministeriums, die bisher „unendliche Geduld" bewiesen hätten, seien die Verzögerungen durch das Physikergezänk nun leid und würden jetzt (ungern zwar, weil dann einerseits Auslese und Heranbildung von geeignetem Nachwuchs fehlen, andererseits erstklassige Fachkräfte von den Hochschulen abgezogen werden würden) dem Gedanken nähertreten, eigene Forschungsstätten zu schaffen - könnte deshalb vielleicht die Reichsführung-SS „unsere Straßburger Pläne" unterstützen, und wenn ja, wie? O d e r in der Vor- und Frühgeschichte 781 - ein Gebiet, auf dem ja nichts geschehen konnte, ohne daß sich entweder Rosenberg oder Himmler oder auch beide nicht genügend ästimiert fühlten. Für Straßburg nun hatte Rosenberg den Professor Rudolf Stampfuß nominiert, der das Fach seit 1935 an der Dortmunder Hochschule für Lehrerbildung vertrat, einen Mann aus der Kossinna-Schule mit manchen Arbeiten über Sippenfriedhöfe und Hügel- und Brandgräberfelder, sowie neben diesem Georg Kraft, außerplanmäßiger Professor und Leiter des Museums für Urgeschichte in Freiburg. Im Frühjahr 1940 war Rosenberg wegen seiner beiden Kandidaten an Wagner herangetreten, der die Sache aber nicht mehr hatte weiterverfolgen können wegen des Ubergangs des Straßburg-Aufbaus an das Reichserziehungsministerium. Dort hatte der Ministerialrat Frey einen Mann des Gegenlagers in Vorschlag gebracht, der ja weite Teile des Amtes Wissenschaft beherrschenden SS. Doch ist diese Kandidatur des Königsbergers Bolko Frhr. v. Richthofen nicht mit dem sonst gewohnten Nachdruck vertreten worden. Die Gründe dafür sind nicht bekannt - es könnte sein, weil ein Mann wie Richthofen eben in den Osten und 248

nicht in den Westen gehörte, oder vielleicht auch, weil er faktisch sowieso nicht greifbar war und auch auf absehbare Zeit nicht sein würde, da er ja bei der Truppe möglicherweise kämpfte, bestimmt aber dichtete 782 . Jedenfalls hat das Ministerium geduldet, daß die Fakultät sich „auf einen jüngeren Forscher" festlegte. Gegen diesen, den Frankfurter D o zentenjoachim Werner, ist nunReinerth, Rosenbergs Amtsleiter für Vorgeschichte, massiv angegangen. Denn Werner war Assistent bei der Römisch-Germanischen Kommission, die mit ihrer provinzialrömischen Forschungsrichtung für die Rosenberg-Leute weit übler als jeder SS-Mann, ja so ungefähr das Schlimmste war, was es nach Juden, Freimaurern und Katholiken überhaupt gab. So zeige denn, schrieb Reinerth am 17. April 1942, Werners Habilitationsschrift über den Thorsberger Moorfund deutlich seine „Tendenz, die Abhängigkeit des nordisch-germanischen Kunststils vom provinzial-römischen Einfluß aufzuzeigen" - eine Arbeit, worin er sich im Sinne einer nationalsozialistischen Vorgeschichtsforschung geäußert hätte, läge nicht vor. Auch sei er sowohl vor 1933 der Fachgruppe Vorgeschichte des Kampfbundes für deutsche Kultur wie nach 1933 dem Reichsbund für Deutsche Vorgeschichte ferngeblieben. Ebenfalls im persönlichen und privaten Bereich waren Rosenbergs Leute fündig geworden. Da waren Werners Lehrer: der „als Judenfreund" bekannte Max Ebert in Berlin, dann Oswald Menghin in Wien und Jesuitenzögling Gero v. Merhart in Marburg, die „beide der katholischen Front zumindest sehr nahe" ständen. Und da war eine „lange nach 1933 geschlossene Ehe" unter Akquirierung eines Schwiegervaters, der Freimaurer dritten Grades gewesen war, und einer Schwiegermutter, die gar „aller Wahrscheinlichkeit nach nichtarische Vorfahren" besäße. Deshalb: „Schärfster Einspruch" gegen Werner. In der politisch besonders wichtigen Reichsuniversität sei ein besonders strenger Maßstab auch hinsichtlich der weltanschaulich-politischen Seite der Bewerber anzulegen, da gehörten von den Gegnern der nationalsozialistischen Weltanschauung abhängige Leute von „gegenvölkischer Haltung" nicht hin, zumal - schlimm genug - bereits auf den Lehrstuhl für westeuropäische Archäologie der Leiter der römischen Abteilung des Landesmuseums Trier, Harald Koethe, berufen worden sei. Keine Schwierigkeiten hingegen gibt es, wo nicht die zweite Garnitur häkelt, sondern der Prokurist der Firma Wünsche anmeldet. So etwa auf einem Gebiet, das man auf den ersten Blick in Straßburg gar nicht vermutet hätte. Aber dieser erste Blick täuscht: Gerade wer Theologie und Theologische Fakultäten für überflüssig, unsinnig oder schädlich hält, ist durchaus angetan von Religionswissenschaft und Religionsgeschichte, die ja gerade Licht bringen sollen in Ursprünge und Umstände theologischer Verirrungen und kirchlicher Abwege sowie in die noch vom Christentum unbefleckte Religiosität der germanischen Ahnen. So betrachtet, nimmt es nicht weiter wunder, daß gerade die ParteiKanzlei an der Errichtung von Lehrstühlen für Religionsgeschichte sehr interessiert und im Frühjahr 1942 bemüht gewesen ist 783 , neben Halle-Wittenberg und Kiel auch Straßburg mit einer solchen Einrichtung zu versehen. Selbstredend hatte eine Institution wie die Partei-Kanzlei, deren Wirksamkeit sich schließlich zu einem erheblichen Teil auf personalpolitischem Gebiet abspielte, auch gleich Namen parat. Nach Straßburg sollte O t t o H u t h berufen werden 784 , der seit 1940 in Tübingen Dozent für Religionsgeschichte der Indogermanen und deutsche Volkskunde war. In den beiden anderen Fällen hat der hier zuständige, Anliegen aus jener Richtung sowieso weniger geneigte Preußische Finanzminister, über die „in großer Zahl" eingehenden Nachtragsanträge zum Haushalt 1942 verstimmt, die Stellen abgelehnt, sie allerdings für den Haushaltsplan für 1943 fest zugesichert und damit die sofortige vorübergehende Verwendung in anderen Fachrichtungen 249

freier Stellen für diesen Zweck erlaubt. Im Fall Straßburg war lediglich der dort vorhandene und noch nicht besetzte Lehrstuhl für Vergleichende Religionswissenschaft umzuwidmen, was der Reichserziehungsminister prompt beantragt und der Reichsfinanzminister ebenso prompt genehmigt hat - alles ging innerhalb des Monats März in sonst ungewohntem Tempo über die Bühne. Bevor nun Straßburgs böses Ende diese Betrachtung abschließt, noch einige Straßburger Personalia. Von August Günsen, dem Manne, der der Straßburger Universität ungeachtet der gerade auf ihrem Dach wehenden Flagge unwandelbar die Treue gehalten hat, ist bereits weiter oben die Rede gewesen 785 . Vielleicht auch schon von Günther Franz, der von einer Schattenseite der politisch so bedeutsamen Tätigkeit an der Reichsuniversität erfahren mußte, als ihm 1944 Kollege Major Percy Ernst Schramm aus dem Führerhauptquartier einen Sonderdruck zurücksandte mit der Bemerkung, er möchte mit Franz keine Beziehungen unterhalten, solange ihm „kein plausibler G r u n d " bekannt sei, warum dieser, Jahrgang 1902 und bei doch wohl guter Gesundheit, nach fünf Jahren Krieg „noch immer nicht" bei der Truppe sei786. Ebenfalls ist Anrichs trauriges Schicksal ja bereits geschildert worden: Wie selbst dessen Verdienste um den Aufbau der Reichsuniversität für Schirach kein hinreichender Anlaß einer „Begnadigung" seines ehemaligen NSDStBReichsschulungsleiters gewesen sind. Kommissarischer Dekan war er also und auch „Bevollmächtigter des NSD-Dozentenbundes für die Universität Straßburg", und in dieser Eigenschaft hat er dem Erziehungsministerium noch am 20. Mai 1942 ein Gutachten über Alexander Graf Schenk v. S t a u fenberg erstattet 787 („in politischer Hinsicht kein ausgesprochener Aktivist", aber „entwicklungsfähig") - zu einer Zeit, als seine SS-Freunde schon alle Hände voll zu tun hatten, um ihn überhaupt in Straßburg zu halten. Denn das war nicht so einfach, war doch, wie Heydrich im April an seinen Reichsführer geschrieben hat 788 , das Ministerium Rust „ohnehin nicht sonderlich für Anrieh eingenommen", weil der ja versucht habe, den Aufbau Straßburgs „in engster Zusammenarbeit mit der Partei und der SS und unter Umgehung der Ministerialbürokratie des Erziehungsministeriums durchzusetzen". Und nun hinge, nachdem Oberstadtkommissar SS-Standartenführer Ernst ohne Erfolg von Schirach zurückgekehrt sei, Anrieh in der Luft: Rust habe bei der Eröffnung „klar" gesagt, daß er ohne Klärung der Frage seiner Parteizugehörigkeit nicht als Dekan bestätigt werden würde, und auch Dozentenbund und Dozentenschaft in Straßburg könne er als Nicht-Parteigenosse nicht länger führen (was Heydrich nicht schrieb: Ebenfalls aus der SS, in die er seinen Schützling mit dem Dienstgrad eines SS-Untersturmführers vorläufig aufgenommen hatte, müßte er wieder verschwinden). O b Himmler nicht Hitler darauf ansprechen oder Schirach und Rust veranlassen könne, „unter die alten Zwistigkeiten einen Strich" zu ziehen? Schließlich gehöre Anrieh doch „zweifellos zu den wenigen Nachwuchskräften einer nationalsozialistischen Geschichtswissenschaft", sei er ein Gegengewicht gegen die zu erkennenden Einflußnahme-Versuche der SA (die hatte Dekan Niemeier zum Sturmbannführer befördert und Rektor Schmidt zum Standartenführer vom Truppführer, also gewissermaßen vom Unteroffizier zum Oberst!) und halte er „noch heute daran fest, daß Aufbau und Ziel der Universität Straßburg nur mit der SS erreicht werden" könnten. Es hat, wie wir schon hörten, alles nichts geholfen. Von Schirach ist kategorisch Frontbewährung verlangt worden, und Ernst Anrieh hat also seine Ämter niederlegen müssen und ist dort verschwunden, wovon die großen Reformer zwar so sehnsuchtsvoll faselten, wohin es sie indes nur sehr schwach zog: im Kriegsdienst. Noch Ende 1943 hat der SD 250

ihm nachgetrauert, wie er als erster „konstruktive Pläne für die Neuordnung der Fakultäten von den nationalsozialistischen Lebensfragen her" verfolgt habe und diese Pläne „soweit wie nur möglich im Sinne der SS und in enger Fühlungnahme mit dem Reichssicherheitshauptamt" habe verwirklichen wollen. Allerdings, so mußte man rückblickend einräumen, seien Anrichs „Ideen oft etwas romantisch" gewesen, sie hätten nicht „mit den gegebenen Wirklichkeiten" gerechnet und er habe sie „mit einer gewissen Sturheit" vertreten - das sei ihm mit Recht vorgeworfen worden. Würde es für den Romantiker Anrieh ein Comeback geben? Kaum. Indes: Videant consules, wie die alten Professoren sich bei solchen Gelegenheiten zu schreiben pflegten. 1944 hat Rektor Schmidt bei der Rektorenaustausch-Aktion mit auf der Liste gestanden. Es war also nicht gezielt Schmidt, der gehen sollte, aber mit drei Jahren Straßburger Rektorat und den vorangegangenen weiteren drei Bonner Rektoratsjahren gehörte er zu denen, die - wenn sie dort noch brauchbar sein sollten - dringend auf ihre Lehrstühle zurückkehren mußten. Die Partei-Kanzlei hatte diese Auffassung in einem Rundschreiben an die Gauleiter unterstützt, die oft aus Bequemlichkeit neue Gesichter in den Rektoraten scheuten. Woraufhin sich denn auch Robert Wagner gemeldet hat, - ob sein Boykott inzwischen etwas aufgeweicht war oder ob er in dieser Kardinalfrage eine Ausnahme gemacht hat, das bleibe dahingestellt. Jedenfalls: Die Partei-Kanzlei möchte doch bitte damit einverstanden sein, daß Schmidt noch ein Jahr Rektor bleibe. Krüger hat dann 789 am 10. August Mentzel gelegentlich einer Dienstbesprechung im Propagandaministerium daraufhin angesprochen, der aber hat abgelehnt und diese Ablehnung am 1. September schriftlich präzisiert, weil Krüger nämlich gemeint hatte, ohne „erhebliche Gegengründe" des Ministeriums werde Bormann sich wohl der Auffassung Wagners anschließen. „Gegengründe" also waren die langen Rektoramtszeiten Schmidts und dessen eigener Wunsch, diese „Bürde" endlich loszuwerden und zurücktreten zu dürfen (wobei man freilich nur selten erfährt, ob ein solcher Wunsch echt oder „nahegelegt" war). Vor allem aber: Wenn man an der Universität Straßburg „mit ihrem jung aufgebauten und nach nationalsozialistischen Gesichtspunkten ausgewählten Lehrkörper" keinen brauchbaren neuen Rektor finden könne, dann müsse man erstens den „Aufbau Straßburgs für irgendwie mißglückt halten" und könne man zweitens nirgends einen Rektorwechsel vornehmen. Anderswo ständen die Dinge wirklich schlecht, an der T H München etwa, wo für den Perpetuus Pistor effektiv kein geeigneter Nachfolger vorhanden sei, oder auch in Heidelberg. In Straßburg hingegen, das auch frei von Bombenschäden sei (solche waren der zweite triftige Grund einer Verlängerung), gebe es eine Reihe geeigneter Kandidaten für das Rektorat, er wolle nur auf den derzeitigen Prorektor, den Strafrechtler Georg Dahm, hinweisen (der allerdings auch schon Rektor gewesen war, in Kiel, und den man längere Zeit nicht mehr sehr geschätzt hatte). Andere lokale Instanzen wollten übrigens auch ihre Rektoren behalten, etwa Sauckel in Jena Astel oder Karl Hermann Frank in Prag Buntru an derTH - ein Präzedenzfall Straßburg sei da nicht ratsam. Diese „Gegengründe" scheinen gewichtig genug gewesen zu sein, um Bormann zu überzeugen. Denn es hat einen neuen Rektor gegeben. Wie der im einzelnen zustande gekommen ist, darüber schweigt die Uberlieferung. Als sich jedoch der „Rektor der Reichsuniversität" am 29. November, eine Woche also nachdem alles Hals über Kopf aus Straßburg geflüchtet war, wieder gemeldet hat790, nunmehr aus Tübingen, wo die Reichsuniversität, Rektorat und Kuratorium wie auch der „Lehrkörper, soweit er der Gefangennahme entkommen konnte", „gastfreundlich aufgenommen" worden wäre, wo sie weiter bestehe und weiter arbeite, wo sie damit - „solange Straßburg in Händen des Fein251

des ist oder unbenutzbar bleibt" - zeige, daß sie nicht vernichtet sei, weder vom deutschen Volke aufgegeben noch gar von sich selbst, und die übrigen Magnifizenzen diese tröstliche Mitteilung erhielten, stand darunter nicht der Name Schmidts (den hatten die Amerikaner oder die Franzosen). Aber auch nicht die Namen Dahm oder Schrade. Als „Rektor der Reichsuniversität", wenn auch einer Schattenexistenz, zeichnete hier, aus dem Orkus auferstanden, Ernst Anrieh. Wie gesagt, drei Fragezeichen hinter die Frage, wiedas gelaufen sein könnte. Sicher ist wohl nur eines: Ein Vergessen von „i. A . " , „i. V.", „k." oder „stv." kann man bei deutschen Verwaltungen selbst im Strudel des Zusammenbruchs getrost ausschließen. War hier nicht eben von einem Kuratorium die Rede? Erinnert uns das nicht an Posens Kurator Streit, der so maßgeblich am Aufbau jener Institution mitgewirkt hat? In den Akten über die Straßburger Geschehnisse tritt ein Kurator kaum in Erscheinung. Lediglich bei der ersten „Besichtigung der Straßburger Universität" im Juli 1940 791 hatte einer, der Ministerialrat Brenner, darauf hingewiesen, die Aufrechterhaltung der Verbindung mit dem Gauleiter sei „ja eine der Aufgaben des Kurators". Und der Studentenbundszeitschrift „Die Bewegung" 792 ist denn auch zu entnehmen, daß Wagner im Oktober 1940 einen Kurator ernannt hat. Diese an sich etwas abseitige Quelle wird insofern erklärlich, als der neue Kurator niemand anderes gewesen ist als der badische Gaustudentenführer Richard Scherberger - was das „deutsche Studententum" selbstverständlich „mit Stolz erfüllt" hat. Als Studentenführer ist Scherberger denn auch hin und wieder, nicht sehr oft freilich, „dabei gewesen". So auch, wir hörten schon davon, unter den Rednern bei der Eröffnung am 23. November 1941. In den Presseberichten war nur vom „Gaustudentenführer" die Rede. Und in der späteren Broschüre ... würde da nicht in der Überschrift, zwischen „Gaustudentenführer" und „Beauftragter des Reichsstudentenführers" eingeklemmt, noch stehen „Kurator der Reichsuniversität Straßburg" - aus dem Text seiner Ansprache hätte man das gewiß nicht erraten: „Mit freudigen Herzen grüßt das deutsche Studententum... Das deutsche Studententum nimmt besonders großen Anteil... So wünschen wir der Reichsuniversität Straßburg..." Erst beim Ende Straßburgs wird man auch den Kurator Scherberger einmal in Aktion sehen können. Hatten wir dieses Ende „schlimm" genannt? Es war eher kläglich 793 . Für das Wintersemester 1944/45 war die Reichsuniversität, im Rahmen der allgemeinen Aktion, bereits weitgehend stillgelegt, außer bei den Klinikern gab es keinen Vorlesungsbetrieb mehr. Viele Professoren waren, wenn sie es irgendwie hatten drehen können, längst über alle Berge, als sich Pattons Truppen näherten. Die „weitaus größten" Verluste hat mithin der medizinische Lehrkörper zu verzeichnen gehabt, der sich nicht so leicht aus seinen Kliniken absetzen konnte. Prodekan August Hirt hat aufgrund der eingesammelten Meldungen der Kollegen am 19. Dezember aus der Tübinger Anatomie einen zusammenfassenden Bericht versandt. Auf die Kollegenhilfe war er dafür schon deshalb besonders angewiesen, weil er selbst an dem heroischen Geschehen nicht hatte teilnehmen können: Er hatte gerade in Würzburg Ausweichstellen erkundet und vorbereitet und war dann auf dem Rückweg am 23. November nur mehr noch bis Appenweier gekommen. Inzwischen war am 21. die Lage bedrohlich geworden, und die Universität hatte „Vorbereitungen zur evtl. Flucht" angeordnet - für die Abreise sei indes die Anordnung des Gauleiters abzuwarten. Magnifizenz Schmidt hatte nämlich von „autoritativer militärischer Seite erfahren, daß eine Überrumpelung Straßburgs gleich derjenigen von Mühlhausen nicht möglich sein würde". Mit Beruhigungspillen dieser Art suchte er seine auf252

geregten Professoren bei der Stange zu halten, die es nun mit der gleichen Intensität von Straßburg wegdrängte, mit der es sie ein paar Jahre zuvor dorthin gezogen hatte. Beispiele aus einer Fakultätssitzung der Mediziner abends 18 Uhr: Sei es denn nicht unsinnig, daß die Theoretiker „in dieser Zeit" in Straßburg blieben? Und die mit den kleinen Kliniken - der Frauenklinik etwa mit ihren ganzen 30 Kranken ? „Sehr ungehalten" war Rektor Schmidt da geworden. Er hatte darauf hingewiesen, daß schließlich nicht bloß die Medizin-Theoretiker noch da seien (allerdings, wie gesagt, mit großen Lücken), sondern auch (und die vermutlich nicht weniger lückenhaft) die Dozenten der Juristischen und der Philosophischen Fakultät (nur die Naturwissenschaftler mit ihren Instituten waren „ins Reich" ausgelagert worden, die durften wegen ihrer kriegswichtigen Forschungsaufträge dem Feind nicht in die Hände fallen - bei den anderen war das nicht so tragisch), und es klipp und klar für unmöglich erklärt, daß die Professoren türmten. Etwas anderes als „türmen" kam sowieso nicht mehr in Betracht, von einem geordneten Abzug konnte nicht mehr die Rede sein. Zum Beispiel das Bürgerspital hatte für den Fall der Fälle drei Omnibusse zugewiesen bekommen. Einer davon war zur Reparatur in Kolmar - und vermutlich sorgte Sabotage dafür, daß er nie fertig wurde, den zweiten hatte vor einigen Tagen die Gestapo beschlagnahmt, die schließlich auch gern und mit noch triftigerem Grund schnell über den Rhein verschwinden wollte, und mit dem dritten war gerade am Morgen der Fahrer „auf und davon", niemand wußte (aber jeder ahnte) wohin. Als die Herren nach der Sitzung nach Hause strebten, hörten sie unter der Hand, die Amerikaner ständen schon in Wasselnheim. Am 22. - seit dem Vormittag war aus Nordwesten langsam anschwellendes Artilleriefeuer zu hören - haben dann die reichsdeutschen Frauen und Kinder die Erlaubnis erhalten, Straßburg zu verlassen, „wenn sie wollten". Die Universität, vorbildlich, hatte das auf den 23. verschoben, da Kurator Scherberger die Abreise der weiblichen Angestellten abgelehnt hatte. Noch in der Nacht ordnete dann die Partei an, die Frauen und Kinder sollten 6 Uhr morgens mit einem bereitgestellten Sonderzug nach Lahr oder Offenburg abfahren, doch hat diese Anordnung im Bereich der Universität nur einen „Bruchteil der Betroffenen" erreicht, nicht zum Beispiel die im Bürgerspital. Eine Gruppe von weiblichen Angestellten und Professorenfrauen unter Führung von Ernst Rudolf Huber gedachte nun mit dem 12-Uhr-Zug die nicht mehr so „wunderschöne Stadt" zu verlassen. Kurator Scherberger hatte am Abend nach einer Rücksprache mit der Gauleitung die Lage noch „als gesichert" geschildert. Daß die feindlichen Panzerspitzen „abgekniffen" seien und eine unmittelbare Gefahr für Straßburg nicht bestehe, hatte er bereits am frühen Nachmittag antichambrierenden Dekanen verkündet, eine für 1/2 7 Uhr abends angesetzte Besprechung dann aber abgesagt. Der 23. ist angebrochen. Noch 8 Uhr morgens erhält Scherberger von der Gauleitung die Weisung, daß alles, die weiblichen Angestellten eingeschlossen, zu bleiben habe. Und noch um 10 Uhr erklärt Schmitthenner Anrieh: „Es liegen keine Befehle vor, wir bleiben!" Rektor und Kurator versuchen dann vergeblich, von der Gauleitung „irgendwelche Befehle zu bekommen". Denn dort ist jetzt niemand mehr anzutreffen. Kurz nach 11 (sie gehören zu den letzten) radeln Dekan Schrade und Frau über die Rheinbrücke - er hat sich zur Begleitung seiner Frau einen Tag Urlaub genommen und sich für die Folgezeit die vertretungsweise Führung der Rektoratsgeschäfte in der Ausweichstelle Tübingen übertragen lassen. Gegen 1/2 12 verschwinden dann auch Rektor Schmidt und Kurator Scherberger. Das Bürgerspital ist da bereits seit kurz nach 10 von Franzosen und Amerikanern umstellt, und nur einem SS-Hauptsturmführer Dr. Christian 253

ist noch gegen 11 Uhr der Ausbruch zur Rheinbrücke gelungen. Die Kranken sind an jenem 23. zum größten Teil noch nicht abtransportiert, und die Klinikdirektoren haben sich entschlossen, bei ihren Kranken zu bleiben - ein Entschluß, dem sich angeblich auch die Leiter der „theoretischen Institute" angeschlossen haben. So hatte denn die Medizinische Fakultät an Professoren den Verlust von Dekan Stein und zwölf weiteren zu beklagen, deren Schicksal damals unbekannt war. Auf dieser Liste befanden sich der Name des Rektors Schmidt sowie die Namen Zukschwerdt, Lullies und Fleischmann - von de Crinis* anfangs auserwählten „SS-Kameraden" ist auch hier keiner darunter. Von den Restbeständen der übrigen Fakultäten hatte sich an jenem Donnerstagvormittag natürlich auch auf den Weg ostwärts begeben, was nur konnte. Meist per Fahrrad oder zu Fuß. So auch gegen 1/2 12 die Gruppe Huber, vermindert um diejenigen, die das lieber nicht abgewartet, sondern sich schon auf eigene Faust auf den Weg gemacht hatten, und verstärkt durch die soeben mit offenbar ungebrochenem Optimismus aus dem Schwarzwald zurückgekehrte Frau Heimpel. Man marschierte zu Fuß, das Gepäck auf den geschobenen Fahrrädern. Zu dieser Zeit kurvten bereits einige feindliche Panzer durch Straßburg. Der Marne-Kanal war noch ohne Schwierigkeit zu passieren, an der Rheinbrücke aber, das hatte sich in Straßburg herumgesprochen, standen schon die Amerikaner und Franzosen. Auf zwei am Ufer requirierten maroden Booten ohne Steuer, dafür aber gottlob mit einer Schöpfkelle ausgerüstet, kehrte diese letzte Abteilung der Reichsuniversität Straßburg über den - Hochwasser führenden - Rhein ins Reich zurück. So reiht sich denn das Schicksal der Straßburger Professoren ein in den „Fall von Straßburg" oder besser den „Fall Straßburg", wie in Tübingen Anatom Wetzel nach Empfang der Flüchtlingsberichte gesagt hat. Alles-Truppen, Behörden, Dienststellen, SS-Einheiten - ist von dem einrückenden Feind überrascht worden. Es war das ein nicht mehr unbekanntes, hier jedoch besonders, obwohl nicht einmalig, scharf konturiertes Bild. Nach Durchhalteparolen und Räumungsverboten noch bis in die Morgenstunden jenes Tages war dann alles kopflos gewesen, niemand hatte gewußt, was er tun sollte. Bei einer von dem Historiker Heimpel geführten Volkssturmkompanie etwa erschien gegen 10 Uhr der Bataillonskommandeur, ließ die Elsässer, die wollten, nach Hause gehen, der Rest, die wenigen Reichsdeutschen und diejenigen Elsässer, welche die Flucht vorzogen, legten die Waffen ab und schlugen sich zur Rheinbrücke durch, darunter von der Universität Kompanieführer Heimpel, Zugführer Franz und Gruppenführer Fricke. Letzterer übrigens hat, glücklich in Kehl angelangt, von jenem Erscheinen des Bataillonsführers nichts erzählt, nach seinem Bericht hat sich die Kompanie Heimpel schlicht und von selbst „aufgelöst". Wie auch immer, es war jedenfalls die Linie der Vernunft, die sich hier, ohne daß die Leute an der Spitze das gewollt hätten, durchgesetzt und wenigstens einige überflüssige Verluste verhindert hat. Und gute Nationalsozialisten haben sich über diese von Paris bis Straßburg reichende Kette von jämmerlichem Versagen und Etappenmentalität damit hinweggetröstet, daß solche negativen Erscheinungen schicksalsbedingt seien und eintreten mußten, um auch noch den letzten Rest ungeeigneter und nur an sich selbst denkender Menschen zu erkennen und zu gegebener Zeit (nicht jetzt, wo geeigneter Ersatz fehlte, sondern nach dem Kriege dann) ausschalten zu können. Dies also war das Finale Straßburg - hier gebracht, weil gut dokumentiert und weil, anders als bei den deutschen Hochschulen, mit einer Darstellung der Reichsuniversität Straßburg so bald wohl nicht zu rechnen sein dürfte. Damit geht die Geschichte der in der 254

nationalsozialistischen Zeit unternommenen Neugründungen von Universitäten und Technischen Hochschulen zu Ende. Die Fachhochschulen stehen hier ja nicht mit auf dem Programm, doch sind an dieser Stelle, um den Einfallsreichtum und das Gründungsfieber im damaligen akademischen Deutschland präzis auszuleuchten, einige Hinweise vielleicht nicht ohne Interesse. Medizinische Akademien waren überaus beliebte Wunschobjekte. Eine Reihe Krankenhäuser hatte schließlich jeder Gauleiter in seiner Hauptstadt - ein paar Umbauten, ein bißchen Vorklinikum dazu, und schon konnte die Gauhauptstadt auch beinahe Universitätsstadt sein. Vor allem im Kriege, als die anderen Fakultäten schließungsbedroht vor sich hin kümmerten, waren Ärzte mehr begehrt und benötigt denn je und erwies sich das Medizinstudium als absolut krisenfest. So waren denn Medizinische Akademien etwa 1941 für Salzburg 794 , Mitte 1942 für Linz 795 und Ende 1942 für Dortmund 7 9 6 im Gespräch. Rusts Amt Wissenschaft, grundsätzlich gegen Fachhochschulen eingestellt und die Fahne der „Universitas" hochhaltend, hat alle diese Versuche abgeblockt - auch dann, wenn sie wie im Falle Klagenfurt von der Partei-Kanzlei an das Ministerium herangetragen wurden und prächtig illustriert waren („kämpferischer Grenzgau", „Erschließung der Heilmöglichkeiten des Mittelmeeres"). Es könnte dann, so meinte man Unter den Linden, jede andere Stadt mit mehr als 250 000 Einwohnern (und einem Krankenhaus) auch kommen, dann gäbe es keine Grenze mehr und die Dinge kämen „hoffnungslos ins Rutschen". Man hatte in jenen Kriegsjahren schon Dresden hinter sich, wo „alte Bindungen und wohl auch Versprechungen" vorgelegen hatten. Und wo es vor allen Dingen ein „Rudolf-Hess-Krankenhaus" gegeben hatte, ein Lieblingsspielzeug des inzwischen entschwundenen Stellvertreters des Führers. Der Fall Dresden 797 war im Herbst 1938 ins Leben getreten, als Hess und sein enger Vertrauter, der Reichsärzteführer Wagner, die ersten Gespräche geführt hatten. Aus dem in Dresden schon seit einigen Jahren bestehenden und die von dem gelinde schrulligen Führerstellvertreter fanatisch verehrte Naturheilkunde anwendenden „Rudolf-HessKrankenhaus" sollte eine „Rudolf-Hess-Akademie für neue deutsche Heilkunde" werden - nach dem Düsseldorfer Muster, nur eben spezialisiert. Viele zeigten sich von der Idee des hohen Herrn angetan bis begeistert, Wagner sowieso („wärmstens befürwortet"), ebenfalls der sächsische Gauleiter Mutschmann, angeblich „aus wehrpolitischen Gesichtspunkten" auch die Wehrmacht, bestimmt aber die Stadt Dresden. Die versprach, ihre Einrichtungen, insbesondere also das Krankenhaus, zur Verfügung zu stellen und als Träger die Kosten des ganzen Unternehmens zu bestreiten. Was sehr bald damit begann, daß sie einen 1,5-Millionen-Mark-Pump bei der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte beantragte (in sämtlichen Regimen offensichtlich die Kuh, die bei Bedarf jeder nach Belieben melken kann). Wer nicht begeistert war, das waren das Reichsinnen- und das Reichsfinanzministerium, beide mit den bekannten Argumenten gegen Neugründungen in einer Zeit von Schrumpfung, Zusammenlegungen und Schließungserörterungen sowie mit Zweifeln an der finanziellen Leistungsfähigkeit sowohl der Stadt Dresden, die jenes Darlehen nicht (wie behauptet) für die Akademie, sondern (wie man hier wissen wollte) lediglich für Mängelbeseitigung am Krankenhaus und „zur Linderung der großen Krankenhausbettennot in Dresden" beantragt habe, als auch der Reichsärztekammer, die zwar Beihilfen versprochen, sich selbst jedoch erst kürzlich in einem eigenen Beihilfeantrag „außerstande erklärt" habe, „ihre Pflichtaufgabe, die Fortbildung der Ärzte", ohne erhebliche Beitragserhöhung oder aber Beihilfen des Reiches in dem erforderlichen Umfang erfüllen zu können. 255

Geradezu entsetzt aber war man in Leipzig, wo man die Mediziner schon ihre Koffer für Dresden packen sah, und sehr unangenehm berührt zeigte sich ebenfalls der größte Teil der zuständigen Leute im Amt Wissenschaft Unter den Linden. Dort war man erstens, wie schon gesagt, sowieso gegen Fachhochschulen - das prosperierende Düsseldorf prosperiere nicht deshalb, weil es Akademie sei, sondern wegen seiner vorzüglichen Lehrkräfte. Zweitens witterte man (der Tip stammte wohl aus dem Reichsfinanzministerium) die Wiederaufnahme eines alten Dresdener Plans um die Jahrhundertwende, der Technischen Hochschule erst eine weitere Fakultät anzugliedern und dann vielleicht noch eine und sie auf diesem Wege peu ä peu zur Universität auszubauen. Drittens aber rasselten noch andere Alarmglocken: Ein neuer kommunaler Hochschulträger stand hier vor der Tür. Köln und Frankfurt waren glücklich wenigstens de facto eingegliedert worden, und die Zukunft dachte man sich genau umgekehrt - die medizinischen Fakultäten sollten dereinst nicht mehr Gäste in den städtischen Krankenhäusern sein, sondern diese vielmehr verstaatlicht und Universitätseinrichtungen werden. Lag hier auch noch ein weiter Weg voller Hindernisse vor Rusts Leuten, einen Schritt zurück wollten sie auf keinen Fall tun. Und dazu also schallten von der Pleiße, kaum war das anfangs streng vertraulich behandelte Projekt ruchbar geworden, im Dezember schrille Schreie herüber, die nichts weniger als die Existenz der dortigen Gesamtuniversität als unabsehbar geschädigt, wenn nicht überhaupt schon untergraben hinstellten. Spectabiiis Robert Schröder, Gynäkologe, war sich mit Magnifizenz Knick, der ja ebenfalls Mediziner ( H N O ) war, darin einig, daß die Dresdener Sache völlig überflüssig sei: Auch ohne die neue Heilkunde hätten die deutschen Universitäten „überall in der Welt glänzend bewährte" Ärzte hervorgebracht, was an jener aber gut und brauchbar sei, werde „von jeher auch von der sogenannten Schulmedizin gewürdigt". Sie habe mithin „an allen Universitäten den ihr gebührenden Platz" - so weit durchgearbeitet jedoch, daß sie schon jetzt ein „geschlossenes, übersehbares Arbeitsgebiet" darstelle, sei sie noch nicht. Die Referenten Unter den Linden sahen die Dinge realistisch. Man meinte zwar, es sei „sehr bedauerlich", daß das Rudolf-Hess-Krankenhaus seinerzeit nicht in eine Universitätsstadt gelegt worden wäre, und musterte all die trefflichen Gegenargumente, war sich aber darüber klar, „daß dieser Plan notfalls auch ohne und gegen unseren Willen verwirklicht werden würde, so daß nur übrig bleibt, uns von vornherein und rechtzeitig an dieser Einrichtung zu beteiligen und sie so zu gestalten, daß sie mindestens im wesentlichen unseren Wünschen und Vorstellungen entspricht". Was bedeutete, daß man nur zuzustimmen gedachte, wenn die Stadt Dresden zwar ihr Krankenhaus zur Verfügung stellte, im übrigen aber das Unternehmen eine Außenstelle der Leipziger Medizinischen Fakultät werden würde. Ein Zeichen des guten Willens war die nach Kiel gerichtete Bitte des Medizin-Referenten Professor Bach - im Gegensatz zu seinen Kollegen als ein „Zeit und Gegenwart" verstehender „vernünftiger Mensch" der Naturheilkunde aufgeschlossen - , ob man nicht dort den chirurgischen Chefarzt des Rudolf-Hess-Krankenhauses im Hinblick auf die „absolut vertraulich" - beabsichtigte Gründung habilitieren könnte; der Parteigenosse Jensen werde „von allen Seiten sowohl menschlich wie fachlich sehr geschätzt", und eine Dozentur für ihn würde das Ministerium „auf das allerwärmste" begrüßen (die Kieler Antwort war reserviert wohlwollend und enthielt die Gegenfrage, ob Jensen etwa schon von einer anderen Fakultät abgelehnt worden sei). Obwohl Bach im Erziehungsministerium es „nicht für tunlich" hielt, all das „noch256

mals aufzurühren", bestanden Reichsinnen- und Reichsfinanzministerium auf einer solchen weiteren Erörterung der ganzen Angelegenheit unter direkter Beteiligung des Stellvertreters des Führers. Am 12. Juli 1939 erst ist diese Besprechung zustande gekommen. Vom Stellvertreter des Führers war niemand erschienen, der Reichsärzteführer inzwischen verstorben, und insbesondere die Vertreter des Reichsfinanzministeriums (wo man der Auffassung war, es sei auch jetzt noch möglich, daß eine Klinik an einem Universitätsort diese Aufgabe übernähme) konnten sich zu einer eindeutigen Zusage nicht entschließen, - es mache den Eindruck, stöhnte Naturheilfreund Bach, als hätten sie „den tieferen Sinn der Notwendigkeit der Errichtung dieser Akademie nicht begriffen". Etwas anderes kam noch hinzu, das Bach beunruhigte: Im Januar war Hess seine Unterschrift unter das - gegen einen Teil seiner Klientel gerichtete - sogenannte Kurpfuscher-Gesetz abgehandelt worden gegen die Zusage der Reichsgesundheitsführung, sich in Lehre und Forschung der „naturgemäßen Heilkunde und Volksmedizin anzunehmen und sie in eine glückliche Synthese mit der sogenannten Schulmedizin zu bringen". „Wenn wir jetzt nicht von Seiten der Hochschule", so plädierte Bach, „das Gebiet der naturheilkundlichen Medizin an uns reißen und durch die Forschung die Spreu vom Weizen scheiden", dann werde in ganz wenigen Jahren das Kurpfuschergesetz wieder zu Fall gebracht werden. Durch den Kriegsausbruch ist die Sache dann weiter „ins Stocken geraten". Auch schickte die Stadt Dresden dem Erziehungsministerium „trotz mehrfacher Ankündigung" nicht am 12. Juli 1939 in Aussicht gestellte Unterlagen. Am 19. April 1941 mahnte Wagners Nachfolger Blome, nachdem der Referent des Ministeriums, mit dem er ein paar Wochen zuvor die Angelegenheit durchgesprochen hatte, einberufen worden und die Sache dadurch „wieder liegengeblieben" war. Der Stellvertreter des Führers, so schrieb Blome, sei „an der baldigen Verwirklichung des Planes außerordentlich interessiert". N u n , einen Monat später gab es keinen Stellvertreter des Führers und mithin auch keinen obersten Naturheil-Freak mehr, und jeder wußte jetzt und hatte es amtlich, daß der Mann verrückt gewesen war. Unter den Linden meinte man daher, „angesichts des zu vermutenden geänderten Interesses der Partei-Kanzlei" solle die Haltung des Ministeriums „noch einmal genau präzisiert" werden. Und dementsprechend wurde in der Antwort vom 7. Juni die spätestens am 12. Juli 1939 begrabene alte Litanei reaktiviert: die grundsätzlichen Bedenken gegen insbesondere medizinische Fachhochschulen (jetzt steigende Tendenz solcher Absichten), die ungenügend ausgenutzten vorhandenen Hochschulen, die Universitas und die dubiose Finanzierung sowie die nunmehr kriegsbedingte Sparsamkeit und neue Zweifel daran, schon die jungen Mediziner „auf eine bestimmte Richtung der Heilkunde einzustellen". Weshalb auch die alte Idee wieder auftauchte, das Naturheilgebiet doch lieber von der Leipziger Fakultät zusätzlich übernehmen zu lassen. Die Lagebeurteilung des Erziehungsministeriums war indes irrig. Le roi est mort, vive le roi - die „Neue Deutsche Heilkunde", die sich als „Naturheilkunde im Rahmen der Gesamt-Medizin", als Synthese von „wissenschaftlicher Medizin einerseits und Naturheilkunde und Empirie andererseits" verstand, hatte bereits einen neuen, wenn auch toten Patron gefunden. Als wissenschaftliche Pflegestätte, so erläuterte Blome Mentzel am 15. November (mündlich) und am 12. Dezember (schriftlich), sei die Errichtung der „Gerhard-Wagner-Akademie" unabdingbar - der verstorbene Reichsärzteführer, Hess' treuer Schleppenträger all die Jahre hindurch, hatte Gerhard geheißen, und so hießen nun auch das Krankenhaus und die geplante Akademie. Man solle sich nicht täuschen, fuhr 257

Blome fort, es sei ein „verhältnismäßig großer Teil des Volkes", der nach natürlichem Leben und nach natürlicher Heilweise strebe, und Propaganda- wie Innenministerium würden derzeit wegen der scharfen Siebung der Heilpraktiker nach dem neuen Gesetz mit Beschwerden bombardiert. Und nicht nur aus den „unteren Volksschichten" rekrutierten sich die Anhänger der Heilpraktiker, sie säßen auch in den „höchsten Stellen von Partei und Staat" (was also heißen sollte: nicht nur Hess). Die damit erbetene Revision seines Standpunktes hat Mentzel allerdings noch nicht vorgenommen. Er ging erst einmal zum Schmied statt zum Schmidtchen und legte den Fall dem Leiter der Partei-Kanzlei selbst vor: Blomes Argumente überzeugten ihn nicht, er gedenke die Dresdener Medizinische Akademie bis nach Kriegsende zurückzustellen. Mit der Antwort hat sich Bormann Zeit genommen bis zum 23. Mai 1942, und sie war negativ: Er halte die Weiterverfolgung auch während des Krieges ebenfalls für notwendig. Und damit begann wieder einmal das bekannte Hinhaltespiel. Das Haus Rust gab den Schwarzen Peter an den Reichsfinanzminister weiter, der nun seinerseits blockierte, woraufhin sich auch der Erziehungsminister querzulegen wagte: „Sosehr ich den Gedanken einer Medizinischen Akademie in Dresden als Pflegestätte der Naturheilmethode in Erinnerung an den verstorbenen Reichsärzteführer Dr. Wagner begrüße", die Zeit sei doch wirklich nicht günstig. Kriegs-Totalisierungs-Verordnungen kamen im rechten Moment zu Hilfe, und die Sache war schon halb oder ganz erkaltet, als sie im Mai 1944 von ganz anderer Seite wieder aufs Feuer gesetzt wurde. Sachsens Gauleiter Martin Mutschmann meldete sich bei Bormann und dann im Reichserziehungsministerium als Erbe: Er bitte die Errichtung der Akademie „nunmehr unverzüglich in die Wege zu leiten", und zwar als Staatliche Akademie des Landes Sachsen; bis zum Neubau werde er sie vor allem im Hygiene-Museum unterbringen. Seine „vollste Unterstützung" signalisierte Bormann und bat um Beteiligung an der von Mutschmann geforderten Besprechung. Im Ministerium zog Rust die Sache an sich. Die Besprechung jedoch hat nie stattgefunden, denn das Ministerium war eben gerade „in eine Prüfung der Frage eingetreten", als die Stillegungsaktion des neuen Reichsbevollmächtigten Goebbels der Gerhard-Wagner- vorm. Rudolf-Hess-Akademie für neue deutsche Heilkunde endgültig den Garaus machte. Als Rust das den Partnern am 13. Oktober notifizierte, hat keiner mehr Widerspruch eingelegt. So viel also zu den Medizinischen Akademien, wie ja auch Düsseldorf teilweise in unseren Rahmen einbezogen worden ist. Abgelegener war die Bauakademie 798 , die Hamburg 1941 gewünscht und wohl auch durchgesetzt hat - hier war der Reichserziehungsminister dafür und nur der Reichsfinanzminister dagegen, dessen Einwände aber von Lammers ohne die erbetene Entscheidung des mittlerweile in den Osten abgereisten Hitler beseitigt wurden. Abgelegen ist auch die 1938/39 beabsichtigte neue Bergakademie Essen 799 sowie die Koloniale Universität Krefeld 800 , die der donige Oberbürgermeister zu Weihnachten 1938 angeregt hat. Letztere Idee ist indes ganz interessant und auch aufschlußreich dafür, welch seltsame Blüten die damalige neue Gründerzeit getrieben hat. Oberbürgermeister Heuying von Krefeld-Uerdingen begann seinen Antrag mit der Versicherung, sein Vorschlag sei wirklich etwas Außergewöhnliches, etwas ohne Vorbild in irgendeinem Lande. Warum aber nun gerade Krefeld, das doch weder am Meer liege noch eine „besondere koloniale Tradition" habe? N u n , das war ganz einfach. Krefeld hatte eine hohe Arbeitslosenziffer gehabt, und der Vierjahresplan hatte deshalb eine Kunstseidenfabrik in Krefeld errichtet. Auch die Etablierung einer Zellstoffabrik war geprüft und dabei festgestellt worden, daß es dazu gelingen müsse, „billiges Zellstoffholz 258

aus den Tropen heranzuschaffen". So hatte sich denn „Material über die dringende Notwendigkeit der Wiedererlangung der deutschen Kolonien" in Krefeld angesammelt, aus dem dann der Gedanke erwachsen war, den „noch nicht zu übersehenden Wert der Kolonien mit größter Sorgfalt aufzunehmen", um sie nach ihrer „Rückgabe an Deutschland" zu „organisieren und zur Entfaltung zu bringen". Das aber schien den Krefeldern durch eine Koloniale Universität „am zweckmäßigsten" gewährleistet und in Krefeld am besten zu verwirklichen — der bedeutenden Industriestadt auf vielseitiger wirtschaftlicher Grundlage, in äußerst günstiger Verkehrslage „im Bereich des Seeklimas", mit fortschrittlichem, vorbildlichem Schulwesen und einer „von leidenschaftlichem nationalsozialistischen Aufbauwillen" erfüllten Stadtverwaltung, die Grundstücke und finanzielle Mittel zur Verfügung stellen würde. An Aufgaben, welche die neue Universität erwarteten, sah der Oberbürgermeister eine große Vielfalt, war doch, wie er erläuterte, in den Kolonien „die Natur infolge des tropischen Klimas in jeder Beziehung von der heimischen verschieden" und fehlten doch bislang noch „die Voraussetzungen, unsere Kolonien nach den Grundsätzen nationalsozialistischer Weltanschauung aufzubauen". Da waren die Ölvorkommen, die Klimaforschung, die Wasserwirtschaft, die „fast unvorstellbare Fruchtbarkeit" und die Tropenkrankheiten (mit der berühmten Tsetsefliege) - alles Probleme, die die Krefelder anpakken wollten. Auch das Verhältnis zwischen Weißen und Farbigen (denen vom Klima die körperliche Arbeit zugewiesen sei) mußte „klargestellt" werden, und die „praktische Anwendung" der Rassenlehre auf die Kolonien sowie ihr „propagandistischer Zuschnitt auf die Psyche der Schwarzen" (die immerhin hatten sie) stellten der neuen Universität weitere „hochinteressante Aufgaben". Sogar der (von den Krefeldern offenbar vorausgesetzte) etwas unbedarfte Leser dieser Denkschrift mußte einsehen, daß der „Kampf mit der französischen Ideologie der Gleichwertigkeit der Rassen" im Krefelder Seeklima zweifellos bestens aufgehoben sein würde. Mit seiner Bitte um wohlwollende Prüfung hat sich Oberbürgermeister Heuying zuerst an das Auswärtige Amt gewandt, das ihm bedeutete, der Zeitpunkt für die Verwirklichung seines Planes sei noch nicht gekommen (als er aber dann 1940 gekommen zu sein schien, grassierte die Kolonial-Euphorie in Hamburg mit richtigem Seeklima und Kolonialinstituts-Tradition, während aus Krefeld offenbar nichts mehr zu vernehmen gewesen ist), und daraufhin an das Reichserziehungsministerium, das mit der dort beim Umgang mit Menschen ohne Ministerialzulage üblichen Arroganz auf seine Zuständigkeit pochte („... und daher nur von mir erfolgen könnte"), eine selbständige Kolonial-Hochschule ebensowenig für zweckmäßig hielt wie eine Medizinische Akademie und statt dessen auf die kürzliche Errichtung eines Kolonial-Instituts an der Hamburger Universität hinwies. Keine Neugründung in unserem Sinne wäre ein Kuriosum gewesen, das die Studentenschaft Halle im frischen Überschwang des Sommers 1933 an den Mann zu bringen versucht hat 801 : Die Errichtung von „Landesuniversitäten für Auslandsdeutsche" an allen reichsdeutschen Universitäten nach dem „System des regionalen Monopols" - also etwa in Hamburg für die Überseedeutschen, in Königsberg für die aus dem Osten, Halle selbst wollte für die Siebenbürger und die übrigen Rumäniendeutschen zuständig sein. Diese „Landesuniversitäten" sollten „ihre" Studenten mit Freifahrten, Studiengelderlaß, Stipendien und günstiger Heimunterbringung anlocken und böten, so meinten die Hallenser, „größte Vorteile" - beispielsweise bei der politischen Schulung. Mit dieser Kateridee einer Verdoppelung der deutschen Universitäten soll unser Überblick über HochschulNeugründungen im Dritten Reich abgeschlossen sein. 259

KAPITEL 3

Der Rektor - der Kurator

Hauptsächlich zwei Aufgaben schienen 1933 die neue nationalsozialistische Hochschulverwaltung vordringlich zu erwarten: erstens die „Säuberung" der Lehrkörper - insbesondere von Juden, denn an Marxisten war auch nach vierzehn Jahren „Novemberrepublik" nicht allzuviel vorhanden - und ihre Umbildung in zuverlässig nationalsozialistische Kader, zweitens aber die Säuberung der Hochschulstruktur von ständischen oder gar demokratischen Elementen und ihre Umgestaltung im Sinne des nationalsozialistischen „Führerprinzips". Man ist dabei auf den beiden Feldern unterschiedlich vorgegangen. Bei Erstgenanntem ist der chirurgische Eingriff nicht gescheut worden, während im zweiten Falle ad-hoc-Regelungen zu genügen schienen, zeitlich befristet, ohne daß die Grundstruktur, insbesondere das alte Prinzip der Selbstergänzung der Fakultäten, grundsätzlich aufgehoben oder wesentlich mehr durchlöchert worden ist, als das auch zuvor schon der Fall gewesen war. Analog zu diesem Procedere verhielt sich die Aufnahme der beabsichtigten und getroffenen Maßnahmen in den Lehrkörpern. Wo nämlich in dem einen Fall Unruhe und Murren bis nach Berlin zu vernehmen waren, herrschte im anderen tiefes Schweigen, keine Hand und kaum ein Mund rührten sich für die alte Leitungsstruktur, und sehr bald schon waren Hochschulen und Hochschullehrer eher erleichtert, so glimpflich davongekommen zu sein und so wenig Federn haben lassen zu müssen. Dies hatte seine Gründe. Das Unrecht an dem konkret greifbaren Kollegen wog nun einmal - Antisemitismus hin, Antisemitismus her - schwerer als die weitere Durchlöcherung institutioneller Fassaden, die sowieso schon reichlich desolat waren. Außerdem waren die Eingriffe vorerst spärlich, sahen zwar anfangs - siehe den Staatskommissar - wild aus, wilder als sie in Wirklichkeit waren; nach wenigen Monaten des revolutionären Brimboriums entkleidet, wirkten sie eher behutsam - und wer wirklich Angst gehabt hatte, konnte jetzt, spätestens aber nach dem „niedergeschlagenen Röhm-Putsch", aufatmen. Zu solcher Regungslosigkeit trugen wesentlich bei der relativ gute Kontakt zwischen Ministerium und Hochschulen und das gediegene Einfühlungsvermögen Unter den Linden in die Stimmungslage an der akademischen Front (oder wie man heute sagen würde: Basis). Beides beruhte darauf, daß in der Hochschulabteilung des preußischen Kultusministeriums eine zuvor wie danach und anderswo nur gelegentlich geübte Praxis von 1933 an bis zum Ende des Regimes zur Regel gemacht worden ist: die bis auf die Justitiare und ganz wenige Ausnahmen komplette Besetzung der Referate wie der Spitze mit Hochschullehrern. Mit politisch genehmen natürlich, aber immerhin. Auf diese Gewichtsverlagerung im Personalbestand der Hochschulverwaltung, die hier weiter unten 803 ausführlich dargestellt werden wird, ist vermutlich die auf den ersten Blick überraschende Form des strukturellen Eingriffs in die Hochschulleitung zurückzuführen. „Vermutlich" bedeutet, daß eine exakte Aussage leider nicht möglich ist, da von 260

den Akten des preußischen Kultusministeriums nichts erhalten zu sein scheint, was ein Licht werfen könnte auf die interne Entscheidungsbildung, und angesichts der wie eh und je unbestrittenen Schrittmacherrolle Preußens in der Hochschulpolitik mit seinen 27 von insgesamt 49 Hochschulen hat einzig und allein unter den Berliner Linden die Entscheidung fallen können. War schon zuvor den übrigen Länderverwaltungen wenig mehr übbriggeblieben als der Nachvollzug der preußischen Beschlüsse, so war darin keine Änderung zu erwarten von mit der Marschrichtung „Verreichlichung" gleichgeschalteten Länderministerien, auch wenn die partikularen Sonderinteressen damit natürlich beileibe nicht beseitigt waren, sondern schon bald fröhliche Urständ feierten (auch davon später mehr). Wir tappen daher, was diese interessanten Hintergründe anlangt, so ziemlich im dunkeln, und was schließlich daraus ans Tageslicht getreten ist, die Institution des Führerrektors, erscheint zwar als die im Sinne des Nationalsozialismus logische und naheliegende Lösung, ist sie indes keineswegs gewesen. Denn schließlich hatte ja der Minister seine Statthalter an Ort und Stelle, und eine verstärkte Kuratorialverfassung hätte eigentlich nähergelegen als die ausgewählte Rektoratsverfassung. Man wird daher wohl nicht in unzulässiges Phantasieren verfallen mit der Vermutung, daß eine Normalbürokratie (und dann gewiß auch die der Linden vor dem Jahre 1933) sie wohl gezeugt hätte. Wie sie dann ja auch, das sei vorweggenommen, nachgeholt worden ist, als die Rektoratsverfassung der ins Berliner Ministerium einberufenen Professoren und Dozenten nationalsozialistischer Färbung mehr oder weniger Schiffbruch erlitten hatte - aber da war die Uhr ja schon abgelaufen. Warner freilich hatte es bereits gegeben, als noch Zeit gewesen wäre, wäre es lediglich eine Frage der Zeit gewesen. In aller Deutlichkeit etwa hat 1937 einer, der allerdings betroffen war, der als nationalsozialistischer Führerrektor gescheitert und im übrigen im nationalsozialistischen Lager umstritten, jedenfalls mit dem Amt Rosenberg und dem dortigen Wissenschafts-Sachwalter Alfred Baeumler herzlich verfeindet war - hat also Ernst Krieck den Haken nicht nur erkannt, sondern auch öffentlich vorgezeigt 804 : Weil man zwar Beamte, Funktionäre und Syndici ernennen könne, nicht aber Führer, sei die künstliche Zeugung des staatlich autorisierten Führerrektors nach Mißgriff auf Mißgriff und Enttäuschung um Enttäuschung als mißglückt anzusehen. „Der Rektor als Führer", so hat Hellmut Seier 1964 seine noch heute lesenswerte Arbeit betitelt - nach einem Aufsatz, in dem die Breslauer Magnifizenz Gustav Adolf Walz 1935 die Aufgaben des Rektors nach den vorläufigen Universitätsverfassungen von 1933 und sein Verhältnis zu den anderen akademischen Institutionen abgehandelt hatte 805 . Walz hat abschließend seinen Aufsatztitel in der Frageform wiederholt und aus der Aufzählung vieler bedenklicher Umstände die Summe gezogen, daß die Universität zu einer wirklichen Einheit unter der Führung des Rektors erst noch werden müsse. Dreißig Jahre später und mit der Möglichkeit eines umfassenden Rückblicks ist Seier ungefähr zu der gleichen Wertung gekommen und hat insbesondere beanstandet, daß Funktionen und Kompetenzen des Führerrektors nie systematisch präzisiert worden seien. Und das stimmt - an sich. Denn was heißt schon, wie noch 1939 ein Oberregierungsrat vom Reichserziehungsministerium die Aufgaben des Rektors erläutert hat, „die Hochschulgemeinschaft führen, die wissenschaftliche Gestaltung der Hochschule ... durchführen, die Erfüllung ihrer politischen Aufgaben ... sichern" 806 ? Es waren dies Leerformeln, bei deren Ausfüllung aber nahezu alles von der Persönlichkeit des jeweiligen Rektors abhing. Da es jedoch schon bald keine Persönlichkeiten mehr gab in dieser Funktion, ist die Rektor-Verfassung am Ende für alle erkennbar gescheitert - daran, und nicht 261

an der mangelnden Präzisierung der Funktionen. Die hätte völlig ausgereicht, hätte das „Führerprinzip" tatsächlich „Führer" ausgehalten, ertragen und gebildet. Seier stimmt Walz darin zu, daß sich der Rektor „nicht kurzerhand als Rechtsnachfolger des Senats' begreifen lasse", übergeht dabei freilich, daß der Breslauer dies nicht als falsch, sondern nur als nicht umfassend genug empfunden hat. Es sollte nicht eine bloße Kompetenzverschiebung im Sinne „liberalen Rechtsdenkens" vorgenommen werden, sondern dieser äußere Rahmen wäre durch einen „prinzipiellen Strukturwandel" auszufüllen, aus dem die „einzigartige" Doppelstellung des nationalsozialistischen Universitätsrektors zwischen dem Verwaltungsbeamten und dem politischen Führer entstehen müsse: Wahrer der Forschungs- und Lehrfreiheit auf der einen, „politischer Ratgeber" (was natürlich beschönigte, gefragt und wohl auch resignierend gemeint war eher „Erfüllungsgehilfe") des Ministers auf der anderen Seite, „Koordinator von Partei- und Forschungsinteressen" (Seier) - und deshalb als Voraussetzung notwendigerweise sowohl ausgewiesener Wissenschaftler wie bewährter Nationalsozialist. Von „unüberbrückbaren Gegensätzen" hat Walz aber geschrieben, die sich hier aufzutun schienen. Lediglich „schienen" deshalb, weil auch Walz (wie so viele damals mit ihm) den Antagonismus durch den uns ja schon sattsam bekannten Taschenspielertrick aus der Welt zu schaffen hoffte, man dürfe Freiheit eben nicht als „Voraussetzungslosigkeit im liberalen Sinne" auffassen und sich (und sie) damit dem Relativismus und schließlich Nihilismus ausliefern, sondern die Einheit des völkischen Daseins ... und so weiter und so fort. An dieser Quadratur des Kreises, an dem Versuch, die Freiheit zu portionieren, sind die Walze alle gescheitert, damals, zuvor und danach - und werden sie auch weiter scheitern. Daß Freiheit an keine Bedingungen zu knüpfen ist und ihr keine Grenzen zu setzen sind, daß sie nie zu unterdrücken ist, andererseits aber auch nie vor ihrer Zersetzung und schließlichen Auflösung bewahrt bleibt, ist eines der Grundgesetze unseres politischen und überhaupt gesellschaftlichen Lebens, eine der Ausformungen des Gesetzes vom ständigen Stirb und Werde, unter dem diese Welt nun einmal steht. Unter dem vielen, das sich diesem Gesetz hat beugen müssen, hätte auch der nationalsozialistische Führerrektor seinen Platz, den es freilich gar nicht erst gegeben hat, weil es ihn nicht hat geben können, und nicht deshalb, weil es vielleicht an einer „rektorablen Elite" gefehlt hätte. Die hat es, wie wir gleich sehen werden, wenigstens am Anfang durchaus gegeben, doch ist sie Mann für Mann untergegangen und hat schließlich dem weichen müssen, gegen den sich Walz so verwahrt hat: dem Verwaltungsbeamten mit Ordinariat. Im übrigen hat Walz sich politisch, auf einen Zweck hin, geäußert, als er die Rechtsnachfolge des Senats als für die Interpretation des neuen Rektors ungenügend bezeichnete. De jure wie de facto sind die Rektoren im Dritten Reich genau das gewesen, Senatsnachfolger - und sie sind damit auch ganz gut zurechtgekommen. Und insbesondere die rectores perpetui der zweiten Hälfte der dreißiger und Anfang der vierziger Jahre sind damit auch froh geworden, es hat ihnen recht gut gefallen. Hauptsache, man war wieder wer. Denn dem schon vom absolutistischen Staat schwer angeschlagenen807 Rektor hatte das im 19. und 20. Jahrhundert aufkommende und wachsende antiautoritäre Verständnis (man verachtete in der Hochschule die Demokratie zwar, doch konnte man sich den Strömungen der Zeit natürlich nicht ganz entziehen) nicht gerade gutgetan. Er war zum repräsentativen Aushängeschild der Universität heruntergekommen, zum bloßen Vollzugsorgan der Beschlüsse des Senats, durch seine kurze - in der Regel einjährige - Amts262

dauer zuverlässig daran gehindert, machtverleihende Einsicht in die Dinge oder gar Einfluß zu gewinnen. Selbständige Entscheidungen durfte er nur im Notfall treffen, und noch da hatte er unverzüglich das nachträgliche Plazet seines Senats einzuholen. Mit großem und im Maßstab der inneren Aushöhlung gesteigenem Pomp bei den einschlägigen Gelegenheiten der Öffentlichkeit vorgeführt, war dieser akademische Götze in der Regel wenig mehr als der zwischen Ministerium beziehungsweise Kurator und Senat beziehungsweise Fakultäten eingeklemmte Watschenmann aller. Dagegen jetzt? Der neue „Führer" der Hochschule, einer ihm zu „Gefolgschaftstreue" verpflichteten „Gemeinschaft", wurde nicht mehr vom Senat gewählt, sondern vom Minister ernannt. Er war nicht der bloße Vollstrecker von Senatsbeschlüssen, sondern selbst der Mann, der (natürlich nur, soweit ihn das Ministerium ließ, aber das war nie anders gewesen) Beschlüsse faßte und sich dabei von „seinem" Senat allenfalls beraten ließ. Und dieser Senat (der „engere" natürlich immer) bestand außerdem nicht mehr aus von den Fakultäten entsandten Vertrauensleuten, sondern aus den von ihm selbst ernannten „Unterführern", Prorektor und Dekanen, die er gar noch, wenn sie ihm nicht mehr paßten, jeden Tag wieder in die Wüste schicken konnte. Verständlich, daß die bei der Beratung des Rektors den Senat ersetzenden oder ergänzenden „Führerstäbe" wie in Heidelberg oder (in puncto weltanschauliche Festigung schon etwas bedenklich) „Führerräte" wie in Breslau nicht sehr langlebige Blüten der Anfangsjahre waren; dergleichen war später nicht mehr nötig, da war der Senat automatisch „Führerstab" genug. Wo es einen solchen Führerstab gab, gehörte er mithin zu den Insignien eines jener Rektoren der Anfangsjahre, denen es ernst damit war, die Universität mit dem nationalsozialistischen „Geist" zu erfüllen, wie sie ihn in ihren Illusionen verstanden. In der Reihe der Hochschullehrer, die sich hier Gedanken gemacht haben, selbst Rektoren oder auch nicht, befanden sich exzellente wie unbekannte Namen, Heidegger steht hier neben Weller (wobei man kaum noch wissen wird, daß Maximilian Weller Lektor und Sprecherzieher an der Kölner Universität gewesen ist), Freyer neben Seidl (jenem auf kurze Zeit mächtigen Erich Seidl vom NS-Lehrerbund 8 0 7 1 ). Und dazwischen die Krieck und Walz und Rein, die Schmitthenner und Ritterbusch, die Mannhardt und Escherich und wie sie alle heißen. Da hier aber zunächst einmal lediglich das „Führerprinzip" unser Thema ist, werden all diese Pläne und Forderungen, diese Gedankenspiele und Spinnereien uns erst später im Gesamtzusammenhang der Utopie einer nationalsozialistischen Hochschule beschäftigen und hier nur insoweit auftauchen, wie sie zum engeren Thema gehören. Sehr viel ist das nicht gewesen, und das Originellste darunter ein Vorschlag aus Gießen8071", der aus der Entfernung aussieht wie das Politruksystem linker Bauart (und auch wirklich verwandte Züge aufweist), den Beteuerungen seiner Erfinder zufolge aber der preußischen Armee abgeschaut sein sollte. „Hindenburg und Ludendorff" waren damals wohl noch in guter Erinnerung, und so ähnlich sollte auch das „Zwieführer"-System funktionieren, in dem neben dem Rektor und den Dekanen jeweils ein zweiter Mann stand, eine Art Stabschef mit der Pflicht nicht nur, das gemeinsame Werk kritisch zu fördern, sondern auch Alarm zu schlagen, sollte der Erstführer Warnungen in den Wind schlagen und ein kesses Solo versuchen. Uber seine Geburtsstadt Gießen ist dieses dubiose System gottlob nicht hinausgekommen. Aber Gießen, wo man sich überhaupt etwas gedacht hat, gehört zu den Ausnahmen. Zur Regel hingegen, daß sich in einer ausführlichen Abhandlung über die „Hochschulrevolution" 808 auf den zuständigen 23 Seiten mit dem Titel „Die Grundlagen der neuen Hochschule" nach einer knappen Erörterung der unsinnigen Parlamentarisierung von 263

Senaten und Fakultäten in letzter Zeit („Mehrheitsbeschlüsse über jede Kleinigkeit") zum Thema Rektor lediglich der Satz findet, ihm sowie den Dekanen müßten „weitgehende Vollmachten für eine selbsttätige, selbstverantwortliche Leitung" gegeben werden. Wie denn noch 1987 in einer kenntnisreichen Einleitung zu einer Sammlung von Aufsätzen über das „verdrängte Kapitel" in der Geschichte 809 der einzelnen Fächer in dem Unterkapitel 3.2 über den nationalsozialistischen „Neuaufbau" der Hochschule der Rektor und seine Rolle weder bei 3.2.1 noch bei 3.2.2 noch bei 3.2.3 noch bei 3.2.5 vorkommen und bei 3.2.4 die Praxis seiner Berufung gerade im Schlußabsatz, obwohl es sich bei dieser Universität um die von Göttingen handelt und ihr Rektor von 1933 einer der damals interessantesten, Friedrich Neumann, gewesen ist. st Bei Beginn eines neuen Abschnitts sitzt der Autor vor seinem Material und überlegt, wie dieses wohl am instruktivsten zu präsentieren sei. Für die turbulenten Ereignisse des Umbruchsjahres 1933 rund um die Gleichschaltung der deutschen Hochschulen im Zeichen des „Führerprinzips" erscheint eine Art Kalendarium dem akademischen Charivari angemessen, in dem die Rektorenkonferenz am 12. April sowie die Erlasse des Rust-Ministeriums vom 21. April und 28. Oktober als Fixpunkte auszumachen sind. Noch 8 1 0 am 30. Januar (es muß am Nachmittag oder Abend gewesen sein, erwähnt doch der Schreiber, daß „unser Chef die Führung der Reichsregierung jetzt in der Hand hat") fallen die ersten papiernen Schüsse: Der Frankfurter Hochschulgruppenführer des NS-Studentenbunds weist den Chefredakteur des Völkischen Beobachters Alfred Rosenberg dezent darauf hin, sein Rektor Gerloff - das sei „aus Senatskreisen durchgesikkert" - wäre mit der Begründung gewählt worden, daß er zur wirksamen Bekämpfung des „Nationalsozialismus auf der Hochschule am geeignetsten" sei. Vierzehn Tage später zieht sein Hamburger Kollege nach. Rektor Raape hat mißbilligt, daß seine Studenten bei den „Kämpfen um den WigandPokal" in „unserem braunen Waffenrock" angetreten sind. Soll man sich etwa „in zusammengeliehene Zivilkleidung hüllen und als namenloser Verein um die Erringung von Pokalen und Titeln bemühen" ? Natürlich nicht - in der Hoffnung, „daß die Zeit nicht mehr fern sein wird, wo . . . " Sie war es: Schon am 6. März kann Studentenschaftsvorsitzender Heinrichsdorff zum Hissen von Schwarz-Weiß-Rot und Hakenkreuz mit der Bemerkung gratulieren, er freue sich, daß dieser historische Wechsel („endlich wieder anständige Farben") „unter dem Rektorate Ew. Magnifizenz eingetreten ist". Der „Kieler Hochschulkonflikt" um die Seeburg, hier an anderer Stelle schon geschildert811, war da gerade beigelegt, drei Tage hatte Skalweit seine Universität geschlossen und die Partie immerhin remis beenden können. Ahnliches gilt - ebenfalls bereits behandelt812 und darauf hier nur hingewiesen - von Magnifizenz Ebers' Kampf gegen die Kölner „Sturmfahnenweihe" am 17. Februar. Weniger Komödienstadl war das zur selben Zeit, Mitte Februar, eingeleitete Kesseltreiben gegen den Braunschweiger Rektor Gassner, das (auch dies nur eine Erinnerung 813 ) Ende März/Anfang April mit dessen Rücktritt und Verhaftung geendet hat. Wie todernst es hier gemeint war, zeigt ein Schreiben des Studentenschaftsvorstands an das Kultusministerium vom 23. März, wo es darum geht, dem noch amtierenden, aber kapitulationsreifen und nach Fluchtmöglichkeiten suchenden Gassner sogar den Ausweg in die Leitung einer biologischen Anstalt zu verlegen.

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Am 6. März 814 ist in Kiel Rektorwechsel. Ein ganz regulärer: August Skalweit übergibt die Kette dem 1932 ordnungsgemäß gewählten Historiker Otto Scheel. Nur: Aus dem Urlaub, in den Skalweit jetzt fährt, wird er zurückgerufen, weil die braunen Studenten einen Überfall auf sein Haus planen (auslösendes Moment könnte seine Unterschrift unter einen Aufruf zur Wiederwahl des Oberbürgermeisters Lueken bei den Kommunalwahlen am 12. März gewesen sein). O b er den nun durch seine Rückkehr verhindert hat oder ob tatsächlich ein paar Scheiben eingeworfen worden sind - Skalweits Name erscheint jedenfalls auf einer von der Studentenführung veröffentlichten Liste „untragbarer" Professoren, man schließt ihn von den akademischen Feiern aus und verbannt alles, um „Unruhen" zu vermeiden - seine Vorlesungen ins abgelegene Weltwirtschaftsinstitut. Er fühlt sich, allein von Jessen noch gestützt, als „schwärzestes unter den schwarzen Schafen" und gibt auf. Breslau, das ihn noch kurz zuvor hatte haben wollen, will jetzt nur noch stramme Nationalsozialisten, Frankfurt findet sich schließlich „bereit, mich aufzunehmen" 815 . Skalweit verläßt Kiel ohne Tränen. „Wie weiches Wachs", so hat er geklagt, sei sein Nachfolger Scheel, bislang ein Hauptstreiter im Kampf gegen den Hitlerismus, in den Händen der braunen Funktionäre gewesen. Kein Wunder schließlich, wenn man weiß, in welchen wirtschaftlichen Kalamitäten der Mann steckte und daß er damals bei Kurator und Ministerium laufend um Vorschüsse betteln gehen mußte. Noch eine Erinnerung: Der 13. März war der Beginn der Aktion gegen den Frankfurter Kurator Riezler 816 . Es ist dies übrigens augenscheinlich das einzige offene Vorgehen gewesen gegen einen Kurator mit Ausnahme der unter ihrem Datum noch zu behandelnden Aktion gegen Breslaus v. Bahrfeldt im Mai - die im Dunkeln freilich sieht man ja bekanntlich nicht. Eine Woche später817 hat in Göttingen der dortige Studentenbundsführer eine „lange Unterredung" mit dem Rektor. Das ist Siegmund Schermer, ein Tierarzt (neben der Anatomie eine weitere stattlich vertretene Provenienz medizinischer akademischer Würdenträger, was einen Rückschluß auf die dort - verglichen mit der Humanmedizin - offenbar beklagenswerte Nebenerwerbssituation gestattet). Und der braucht, wenn der Studentenführer richtig zugehört hat, endlich aus seinem Herzen keine Mördergrube mehr zu machen, sondern kann sagen, wie „riesig erfreut" er ist, weil er nun „in die Lage gesetzt wird, Göttingens Ruf als verjudete marxistische Universität umzudrehen", und er „endlich einmal unter dem Hakenkreuzbanner sprechen darf". Drei Nachrichten von Ende März 818 . Am 25. eröffnen Studentenschaftsleiter und Studentenbundsführer dem Karlsruher TH-Rektor Karl Holl, Literaturgeschichtler seines Zeichens, er sei „nicht mehr genehm"; am 4. und 6. April stoßen sie dann nach, zuletzt beim Ministerium mit der Forderung sofortiger Neuwahlen und des sofortigen Amtsantritts des Nachfolgers. Am 27. versucht in Heidelberg Andreas wenigstens auf nationalem Gebiet ein paar Punkte zu sammeln, indem er seine Dozenten zur „Abwehr der Greuelpropaganda" aufruft und Zeitungen, Nachrichtenbüros und nicht zuletzt „Seine Hochwohlgeboren Herrn Reichsminister Dr. J . Goebbels" über dieses sein Wirken informiert (von letzterem erbittet er noch Briefstellerhilfe für „aufklärende Privatbriefe" an einige - aufgeführte - Amerikaner). Und am 31. tritt dann also Gassner zurück 819 . Als er zwei Tage später, am Sonntagmorgen auf dem Braunschweiger Hauptbahnhof, verhaftet wird, ist am Vortage auch anderswo ein Rektorat abgelaufen: in Frankfurt das Gerloffs 8 2 0 . Ernst Krieck ist sein Nachfolger. Ebenfalls gibt es eine neue Spitze in Greifswald: der Ophthalmologe Wilhelm Meisner. Zu der Zeit legt das Regime vielfach einen Schritt zu, und es kriselt nun nicht mehr nur in Braunschweig. 265

In Berlin kommt es am 4. April zu Demonstrationen gegen Rektor Kohlrausch, die Rusts Eingreifen erforderlich machen, gleich nebenan tritt der erste und einzige Rektor aus rassischen Gründen zurück - Moritz Bonn an der Handelshochschule. In Köln beginnt am Tag darauf das Staatskommissariat des Redakteurs Winkelnkemper, das in weniger als einer Woche schon zu schönen Erfolgen führen wird, für Eberswalde, bei Eilhard Wiedemann, wird erstmals eine bereits erfolgte Bestätigung wieder zurückgezogen, und im führungslosen Braunschweig bittet der Senat den Minister um eine Interimslösung in der Gewißheit: Wen immer er auch zu Gassners Nachfolger wählen würde, eine Aussicht, vom Kultusminister bestätigt zu werden, hätte der Mann nicht. Klagges erfüllt den Wunsch des - nach dem Beschluß der Petition zurückgetretenen Senats gern und ernennt am 7. seinen Konfidenten Paul Horrmann, den Pharmakologen, zum „geschäftsführenden Rektor". Es versteht sich, daß der Administrator das Recht der Nachfolge hat und nicht lange lediglich die Geschäfte führen wird. Vorerst aber darf er eine große Sühneaktion leiten: Klagges redet auf der Freitreppe der Hochschule, und unterdessen wird hinter ihm langsam eine um die sieben Meter lange Hakenkreuzfahne am Hochschulgebäude herabgelassen. Am 7. wird es im Musterländle lebendig. Karlsruhe verlangt die politische und rassische Reinigung und Neubildung der akademischen Behörden, insbesondere der Senate, zugleich darf man sich nun auch in Baden im Schmuck der SA-, SS- und sonstigen nationalsozialistischen Uniformen an den Hochschulen tummeln821. Rheinabwärts aber löst schon am folgenden Tag Winkelnkempers Wirken eine Lawine aus, die binnen hundert Stunden Jahrhunderte deutscher Universitätstradition fürs erste verschütten wird: Rektor Ebers, im heiligen Köln natürlich dem Zentrum nahestehend, teilt dem kommissarischen Oberbürgermeister Riesen seine Bereitschaft mit, zurückzutreten und dem geforderten „politisch rechts stehenden Rektor" Platz zu machen. Nachdem man noch vergeblich versucht hat, telefonisch in Berlin Rückendeckung zu erlangen, wirft noch am gleichen Abend Kölns gesamte akademische Führung das Handtuch und tritt zurück Rektor, Senat, Dekane. Was sie dazu primär bewogen hat, Druck oder Kopflosigkeit oder Angst vor der Einsetzung eines neuen Rektors durch den Kommissar (das hat Nachfolger Leupold dann am 12. den anderen Rektoren erzählt822 - man habe so die Selbstverwaltung retten wollen, eine schöne Selbstverwaltung!) oder aber (dies eine Nachkriegsvermutung823) Sorge um das von der Schließung bedrohte Köln - wer weiß es. Jedenfalls fanden am 11. Neuwahlen statt, als sei dies die natürlichste Sache der Welt. 79 Stimmberechtigte gab es, 75 von ihnen wählten den genehmen — „rechts stehend", aber nicht in der Partei824 - Anatomen Ernst Leupold und setzten damit ein weithin ins Land leuchtendes Zeichen. Die jetzige Kölner Zeitgeschichtsforschung825 hat mit Erleichterung festgestellt, daß Leupold zwar Freikorpskämpfer, nicht aber „alter Nationalsozialist" gewesen sei (gerade das war er doch - gewesen), und dies ebenfalls nicht die neuen Dekane. Natürlich nicht, das sind die nun anderswo diesem Beispiel folgenden neuen Leute in der (von Ausnahmen wie Krieck oder Horrmann bestätigten) Regel nicht gewesen, auch in der Wissenschaft wußte man um die Nützlichkeit schwarz-weiß-roter Steigbügelhalter und Übergangslösungen. Im übrigen ist Leupold relativ schnell wieder in der politischen Versenkung verschwunden. Bei einer Rede Streichers auf einer Veranstaltung des NS-Lehrerbunds soll er sich über Ausführungen des „Frankenführers" abfällig geäußert und die Partei soll ihm daraufhin das Reden in öffentlichen nationalsozialistischen Versammlungen untersagt haben826, jedoch hat es da auch noch andere, gewichtigere Gründe gegeben827. Wieder verschwunden sind die 33er-Ubergangsrektoren zwar sämt266

lieh sehr bald, mit dem Datum Februar 1934 zählt der Pionier Leupold indes nicht zu den letzten. Aber zurück zum 12. April 1933. Als da die außerordentliche Rektorenkonferenz in Wiesbaden eröffnet wurde, hatten die Teilnehmer spätestens am Morgen beim Hotelfrühstück präzis den Zeitungen828 entnehmen können, was sie erwartete: die politische Gleichschaltung der preußischen Universitäten nach dem rühmlichen Kölner Muster vom Vortage. Und so kam es denn auch gleich zu Beginn dieser Konferenz, von der829 bereits die Rede gewesen ist. Kurz zusammengefaßt830: Leupold erzählt aus Köln, betont die Freiwilligkeit der Vorgänge und gibt Rusts Empfehlung zur Nachahmung bekannt. Kohlrausch, der ja am Vortage bei Rust gewesen ist, zeigt sich überrascht und sieht so schwarz nicht. Und dann läuft die Sache etwas anders, als man das in Berlin erwartet haben mochte (es handelte sich, daran sei erinnert, noch um eine Konferenz alten Stils mit Einladung durch den Vorort, die Magnifizenzen waren unter sich und noch ohne ministerielle Wegweisung). In der Diskussion wird man sich nämlich gegen zum Nachgeben mahnende Stimmen, Schermer-Göttingen (Mittun oder Ausschaltung) und natürlich Leupold, am Ende einig, „bei den gegebenenfalls vorzunehmenden Schritten in jeder Weise vorsichtig zu verfahren", jeder einzelnen Hochschule - Keller-Münster hat das vorgeschlagen - sollten „etwa nötig erscheinende Änderungen in der Zusammensetzung ihrer Selbstverwaltungsorgane" selbst überlassen sein. Das war nun zwar gewiß kein Aufstand, aber wohl auch nicht ganz das, was Rust und sein Linden-Team sich vorgestellt haben mochten, als sie am 11. zur Frühstückslektüre für die Rektoren in die Presse lanciert hatten: „Das Beispiel von Köln wird auch für die anderen Universitäten maßgebend sein. Nach Mitteilung von unterrichteter preußischer Seite wird die Gleichschaltung an den Universitäten bis zum 1. Mai überall vollzogen sein." Die Frage war jetzt, welches Gewicht der Rektorentrotz wohl haben würde. Die Magnifizenzen sollten das neun Tage später erfahren. Es ist diese Wiesbadener Veranstaltung übrigens in Presse und Sekundärliteratur manchmal als „Preußische", manchmal als „Deutsche" bezeichnet worden. Des Rätsels Lösung: Es hat formell wie üblich zwei Konferenzen gegeben, von 9.20 Uhr bis 19.15 Uhr die „24. außeramtliche Deutsche" und anschließend bis 19.30 Uhr, nachdem sich die Kollegen von Baden bis Thüringen zurückgezogen hatten, eine Viertelstunde lang die „29. außeramtliche Preußische". Letztere bestand lediglich aus der Annahme der Aufnahmeanträge der Handelshochschulen Berlin und Königsberg, indem die übrigen Punkte der Tagesordnung, darunter eben „1. Hochschulpolitische Lage", als durch die vorangegangene „Deutsche" erledigt angesehen wurden. Der Anatom Wilhelm v. Möllendorff, der am 15. von dem Kirchenhistoriker Joseph Sauer die Freiburger Amtskette übernahm, ist der letzte regulär gewählte Universitätsrektor gewesen. Seine „Vorahnung, er werde das Amt nicht lange führen"831, war zutreffend. Aber sehen wir uns zuvor noch etwas um. Der 14. und 15. April in Münster832 und in Heidelberg. In Münster tagen im Rektorzimmer die Dekane und noch zwei Geheimräte (Krause und Schenck) mit dem Prorektor; Rektor Keller, der sich irgendwo zwischen Wiesbaden und Zürich befindet, soll telegrafisch heimbeordert werden. Denn die Runde ist während der Sitzung um einen Mann erweitert worden - den Kollegen Naendrup, durch die noch schreibfrische Vollmacht des Bochumer Gauleiters Wagner zum „Vertrauensmann der NSDAP für die Provinz Westfalen bei der Westf. WilhelmsUniversität" bestellt - das spezial-westfälische Nord-Süd-Theater nimmt seinen An267

fang833. Übrigens ist die Aufforderung an die (schließlich wie alle anderen gewählten und nicht ernannten) nichtarischen Herren Kollegen im Senat, ihr Amt zur Verfügung zu stellen, bereits am Vortag hinausgegangen - das „Führerprinzip" tut seine ersten Schritte. In Heidelberg 834 reicht Rektor Andreas zur gleichen Zeit die — badische - „Säuberungs"-Verfügung an seine Würdenträger weiter. Zwei betroffene Dekane, Ernst Levy bei den Juristen und Artur Rosenthal bei den Naturwissenschaftlern, sollen zu diesem Zeitpunkt ihre Konsequenzen bereits gezogen und ihr Amt niedergelegt haben 835 . Und der Engere Senat überrascht und erfreut Andreas einstimmig mit einem doppelten Vertrauensbeweis: Er hält eine „ausdrückliche Neubestätigung" der letzten Rektorwahl für überflüssig und stellt darüber hinaus eine Verlängerung für das nächste Rektoratsjahr in Aussicht. Geehrt fühlt Andreas sich dadurch schon, indes wird ihm unter soviel Scheinwerferlicht auf seine - im Sinne der neuen Machthaber politisch nun nicht gerade makellose - Person auch etwas unbehaglich, und er bittet den Prorektor eindringlich836, seine Wahl doch einer erneuten Prüfung durch den Großen Senat zu unterziehen und den Gedanken einer Verlängerung aufzugeben. Wie recht er hatte! Am 18. April 837 wurde die Schlacht von Braunschweig beendet (der neuzusammengesetzte Senat trat zum ersten Male zusammen und ratifizierte Horrmanns Geschäftsführung) und ein Gefecht um Freiburg eingeleitet: „Der Alemanne", die badische Parteizeitung, erklärte schon per Überschrift „Herr von Moellendorff als Rektor unhaltbar" und ritt eine schneidige Attacke. Hauptangriffspunkt war - wie in Kiel - wieder einmal das Stadtoberhaupt. Möllendorff hatte sich zu engagiert für den Zentrums-Oberbürgermeister Hans Bender eingesetzt. Die Diktion des Angriffs ließ Universitätsnähe vermuten, und natürlich schloß sich die Studentenschaft gern an. Zu Hitlers Geburtstag 838 wäre in Preußen eigentlich Semesterbeginn gewesen, doch hat das Ministerium den Termin auf den 1. Mai verschoben, um bis dahin die Dozenten weiter auf ihre politische Eignung hin zu überprüfen und (wie es in einem Marburger Fakultätsbericht damals bereits mit der heute zur Perfektion ausgebildeten Verniedlichung negativer Maßnahmen heißt) „die Lehrkörper anzugleichen". Greifswald meldet die Bestätigung Meisners, und in Freiburg ist eine von Möllendorff einberufene Senatssitzung, auf der beide, Rektor und Senat, ihren gemeinsamen Rücktritt beschließen. Was sich schon ein, zwei Tage später als weitblickend herausstellen sollte. Denn am gleichen Tage unterzeichnet Rust den Entwurf des Erlasses, der am 21. an die preußischen Hochschulen hinausgeht und dem sich die übrigen Länder wie üblich anschließen. Ursprünglich hatte er zwei Punkte umfaßt; der zweite, der dem Rektor drei Dozenten als Beirat mit Amtszeit bis zum 1. April 1937 zur Seite stellte, zwei vom Weiteren Senat gewählt, einer von der Studentenschaft bestimmt, ist noch zuletzt von Rust gestrichen worden. Der verbleibende Punkt: Anordnung der Neuwahl von Rektor, Dekanen und Senat unmittelbar nach Semesteranfang überall dort, wo seit dem 1. Februar keine Rektorenwahlen stattgefunden haben839. An den restlichen April- und ersten Maitagen geht es auf den deutschen Hochschulen zu wie beim Kegelabend. Der erste Rektor ist ja schon am Vortag gefallen, Möllendorff in Freiburg, dessen Abgang durch den Angriff im „Alemannen" zum Sturz Hals über Kopf geworden ist. An diesem 21. wird sein Nachfolger gewählt - dem Möllendorff-Vorschlag gemäß, wenn auch in etwas gedrückter Stimmung. Von den an sich 93 wahlberechtigten Professoren sind es 13 Juden nicht mehr, 24 andere fehlen wegen der so kurzfristigen Einberufung der Sitzung oder entschuldigen sich dann jedenfalls damit. Der neue Rektor: 268

Martin Heidegger. Als Prorektor wird dem Prälaten Joseph Sauer die Papenrolle zugeteilt 840 . Und nun werden also überall an den Universitäten Gleichschaltungs-Senatssitzungen anberaumt. Die nächste Nachricht, die hierzu an die Öffentlichkeit gelangt, scheint noch in die Richtung des Widerstandes zu weisen - es ist indes die letzte dieser Art. Kohlrausch in Berlin verwahrt sich in der Presse gegen die ebenfalls in die Presse lancierte Falschmeldung der Deutschen Studentenschaft, er werde zurücktreten. Die Studenten haben ihm, zu Recht oder zu Unrecht, die „Erklärung" in den Mund gelegt, er werde das Rektorat niederlegen, würden die von den Studenten ausgehängten 12 Thesen „wider den undeutschen Geist" hängenbleiben; da diese aber noch immer aushingen, sei mithin anzunehmen ... 841 . Noch eine Nachricht scheint wenigstens anzudeuten, daß alles so schlimm nun doch nicht ist. In Heidelberg 842 , der neben nun Heideggers Freiburg anderen badischen Universität, wird am 26. April Andreas auch im Großen Senat durch einstimmige Akklamation in seinem Amt bestätigt. Drei Nationalsozialisten freilich rücken in den Engeren Senat ein, Hans Himmel und Johannes Stein als Nichtordinarienvertreter, Wilhelm Groh, später Rektor und dann in der Berliner Hochschulabteilung tätig, als neugewählter Dekan der Juristen. Nun aber kommen die Preußen aus der Provinz. Den Anfang machen am 26. Göttingen 843 , wo anstelle Schermers (dessen Saat damals noch gar nicht so recht hatte aufgehen können: Erst am 4. Mai sahen wir ja den Metallurgen Rudolf Vogel, von seinem Beispiel bestimmt, zwecks Parteieintritt zur Ortsgruppe Geismar eilen) mit 89 von 97 Stimmen der Germanist Friedrich Neumann gewählt wird, und Münster 844 , wo Hubert Naendrup 56 von 82 gültigen Stimmen erhält. Die Opposition gegen die erfolgte Vergewaltigung war im katholischen Westfalen also größer, indes nicht soviel größer, wie man meinen sollte, wenn man dazu noch erstens die Baumstark-Opposition der Kampfgruppe Westfalen-Nord und zweitens das Handicap berücksichtigt, daß Naendrup schließlich mit dem Stigma des amtlich beglaubigten Parteispitzels behaftet war. Vorangegangen war die hier in ihrem Zusammenhang mit Baumstark schon gestreifte 845 Schlammschlacht um das münstersche Rektorat zwischen der alten Gauleitung Westfalen unter Josef Wagner in Bochum, seit kurzem nur noch Westfalen-Süd, und der davon abgeteilten neuen Gauleitung Westfalen-Nord unter Alfred Meyer. Wagner pochte auf Anciennität und alte gesamtwestfälische Rechte, sein Mann war Naendrup; Meyer war zwar der newcomer, saß dafür aber am Ort, sein Mann war Baumstark. Der bisherige Rektor Keller nun wollte gern wiedergewählt werden, und Baumstark hat später behauptet, es sei ihm recht gewesen, nachdem er von Kellers Absicht gehört habe, in die Partei einzutreten. Als dabei Naendrup zwecks Beschleunigung dem Kandidaten seine guten Dienste anbot, dieser sie auch annahm, dann jedoch aus der Beschleunigung eine Verzögerung wurde, und zwar bis nach Verkündung der Parteisperre vom 1. Mai, war für die Baumstark-Leute die Sache klar: Hier hatte ein Naendrup-Konkurrent ausgeschaltet werden sollen. Was sicher so nicht stimmt, denn schon als am 25. der Wahltermin vorverlegt wurde und in spätester Abendstunde die Nordlichter bei Gauleiter Meyer zu einer Art Krisensitzung zusammenkamen, ist von Keller nicht oder nicht mehr die Rede gewesen. Der Nord-Kandidat war vielmehr Baumstark, darüber waren sich alle einig - angeblich bis auf diesen selbst, dem die Kandidatur (wie er in einer umfangreichen Aufzeichnung über den ganzen Stunk behauptet hat) „geradezu aufgezwungen" worden sei. Dazu paßt freilich nicht so recht, daß noch vierzig Jahre später Teilnehmern einer damals mit dem Rek269

torvorschlag befaßten Fakultätssitzung unvergeßlich geblieben war, wie sich urplötzlich Baumstark erhoben und gefordert hatte, ihn zu nominieren; der Gauleiter wünsche das, und eine andere Wahl gäbe es mithin sowieso nicht. Erst im nachhinein wohl ist daraus die erwähnte „Ölbergstimmung" am Wahltag geworden - angesichts einer Wahlhandlung, die Verlierer Baumstark als „einen der traurigsten und beschämendsten Vorgänge deutscher Universitätsgeschichte" eingestuft hat. Und das hat, seiner Schilderung zufolge, in großen Zügen so ausgesehen: Ein Legat der Gauleitung Süd fordert kategorisch die Wahl Naendrups, Keller erteilt daraufhin einem Naendrup-Gefolgsmann das Wort zu einer „Propagandarede". Dabei wird auch die Zuständigkeit von Süd als der nicht nur ehemaligen, sondern auch wieder künftigen Landesleitung von ganz Westfalen behauptet. Baumstark spricht dagegen, führt eine „endgültige" Entscheidung Leys an, des Leiters der P.O. 8 4 6 , zugunsten der Zuständigkeit von Süd für die westfälische Universität. Daraufhin Naendrup, „wie ein Peitschenhieb": „So ist das nicht wahr" - Baumstark, entsetzt, coram publico der Lüge bezichtigt zu werden, resigniert. Und wiederum: Ganz so ist es bestimmt nicht gewesen und Baumstark kaum so zartbesaitet (wenn Naendrup auch wohl von härterem Material), daß bereits die Bezichtigung und nicht erst die Uberführung der Lüge genügt haben sollte, die Knie schlottern zu lassen. Aber „Wild-West in Münster" ist von den gelehrten Herren zweifellos gespielt worden. Und als zumindest bisher unüblich wären noch drei Begleiterscheinungen zu nennen. Erstens die eben erwähnte Vorverlegung: Die Wahl in Münster war (versehen mit dem damals der Gruppe Nord genehmen Hinweis, Wiederwahl von Rektor und Senat seien „selbstverständlich in keiner Weise" verboten) am 22. auf den 3. Mai angesetzt und ist dann am 25., einem „dringenden Wunsch" der Studentenschaft folgend, auf den 26. vorverlegt worden847 - die Kommilitonen regelten also schon die Rektorwahlen. Zweitens: Keller hat in Berlin angefragt, ob denn noch nach der alten Satzung gewählt werden solle. Und Achelis hat die Frage bejaht mit der Hinzufügung, daß Rust die Wahl ja zu bestätigen habe und sich wohl „unter jedem Wahlmodus eine Form der Gleichschaltung auch für Münster" werde finden lassen. Das aber ist dann doch gar nicht so einfach gewesen. Denn schließlich drittens: Berlin hat es zunächst abgelehnt, die Wahl zu bestätigen848. Es werde, so gab Achelis dem die Geschäfte führenden Prorektor Herrmann am 28. April telefonisch durch, eine Neuwahl vorgenommen werden müssen, die „aber nicht übereilt werden" solle. Der Grund dafür, daß das Ministerium dann am 8. Mai Naendrup doch bestätigt und Meyer so herzlich dazu gratuliert hat, daß Naendrup beglückt für die versprochene Unterstützung danken und auf eine „erfolgreiche persönliche Zusammenarbeit" hoffen konnte, dürften in seiner und seiner Freunde oben geschilderten erfolgreichen Beschäftigung mit Baumstarks Vorleben zu suchen und unschwer zu finden sein. Bonn, Frankfurt und Kiel wählten am 27., ebenfalls Karlsruhe. In Bonn 849 erhielt von 111 abgegebenen und 104 oder 105 gültigen Stimmen der Gerichtsmediziner Friedrich Pietrusky 83, zwölf Proteststimmen fielen auf den alten Rektor Adolf Zycha. In der Meldung nach Berlin hieß es empfehlend von den Gewählten, alle ständen „parteipolitisch weit rechts", Pfennigsdorf (der neue theologische Dekan) und insbesondere Pietrusky hätten schon vor der Umwälzung offen mit der Bewegung sympathisiert, und einer, der Jurist Eckhardt, war sogar Parteigenosse (von Karl August Eckhardt später im Zusammenhang mit der - von ihm maßgeblich beeinflußten - Berliner Hochschulabteilung und ihrer Politik mehr). Es muß übrigens ungefähr zur gleichen Zeit gewesen sein, daß ne270

benan in Poppelsdorf 850 , demnächst Dependance als Landwirtschaftliche Fakultät, sich vom „agrarpolitischen Apparat" der Parteigenosse Wilhelm Klein, bisher nur Vorsitzender des Kreisziegenzuchtverbandes Bonn-Land, ins Rektorat hieven ließ - Parteigenosse vom Januar, weil Hitler in seinem „Kampf" jedem „deutschen Mann ein Stück der deutschen Scholle" versprochen habe, auf dem er „erdverbunden seine Kinder großziehen" könne. In Frankfurt 851 wird am gleichen Tage Ernst Krieck gewählt, - der Rektor, der am 29. April die erste „Sturmfahne" des Frankfurter NS-Studentenbundes weihen wird, heißt also nicht mehr Gerloff. Und in Kiel 852 wird an diesem 27. Lothar Wolf Rektor, der Leiter der Physikalisch-Chemischen Abteilung des Chemischen Instituts. Scheel hatte sich, wie an die Presse gegeben wurde, „nicht wieder zur Wahl stellen lassen". Nach der Urfassung der Erklärung, mit der er die Kollegen am Morgen der Wahl davon in Kenntnis setzen wollte (in der endgültigen waren der erste, zweite und vierte Satz gestrichen und nur der dritte übriggeblieben), hatte es gewunden und leicht mysteriös heißen sollen: „Ich lege mein Amt nicht nieder; dazu habe ich gar keinen Anlaß. Die rechtliche, sachliche und politische Bedeutung dieser Tatsache wird jedem deutlich sein. Wohl aber muß ich noch einmal aufs bestimmteste erklären, daß ich außerstande bin, eine Wiederwahl anzunehmen. Die Gründe liegen weder in meiner bisherigen Amtsführung noch in meiner Gesamthaltung, sondern in der gegenwärtigen Lage." Gemeint war damit das damals Übliche: Druck der Studentenschaft mit regelrechten Unruhen, ausgelöst jedoch nicht von den 12 Thesen wie in Berlin, sondern von der dreisten Forderung des Abtretens von nicht weniger als zwei Dutzend Dozenten, begleitet von der Androhung schärfster Gewaltmaßregeln im Weigerungsfalle. Scheel, ursprünglich Theologe und in Tübingen seit 1906 Kirchengeschichtler gewesen, bis er 1924 einem Ruf nach Kiel für das Fach Schleswig-holsteinische Landesgeschichte (daneben Lehrauftrag für Reformationsgeschichte) gefolgt war, ist dann 1937 auf dem 8. Internationalen Historiker-Kongreß in Zürich weithin bekannt geworden: Mit einem Vortrag über Luther hat er dort eine Gegenrede Gerhard Ritters mit nachfolgendem großen Eklat im Reich ausgelöst 853 - und die Richtigkeit von Skalweits Einschätzung 854 bestätigt. Karlsruhe liegt zwar nicht in Preußen, erhält aber auch an jenem Tage einen neuen Rektor, den Maschinenbauer Hans Kluge. Hier läßt sich beobachten, wie so etwas auch in den außerpreußischen Ländern zugehen konnte. Im Amt ist, er wurde schon erwähnt, der Literaturgeschichtler Karl Holl, 1932 wiedergewählt. Staatskommissar Wacker im badischen Kultusministerium hält einen Wechsel für erforderlich. Da es aber noch keine neuen gesetzlichen Richtlinien gibt, ist eine Wahl nach dem alten Verfahren unumgänglich. Er sondiert bei den „nationalsozialistischen Gruppen" der Hochschule, wer wohl einerseits politisch akzeptabel sei, andererseits auch mit der erforderlichen zahlenmäßigen Zustimmung rechnen könne. Die „nationalsozialistischen Gruppen" nennen ihm Kluge, den Rektor vom Studienjahr 1927/28, der zwar nicht Parteimitglied sei, aber „unter den obwaltenden Umständen" die bestgeeignete Persönlichkeit 855 . Und Wacker ordnet die Wahl an, nachdem also „auf Grund der Vorklärungen mit Sicherheit zu erwarten war, daß die Wahl auf den von der nationalsozialistischen Führung als erwünscht erachteten Mann fallen würde". Und die Kommilitonen schätzen sich glücklich, in Kluge den Mann gefunden zu haben, „an dessen Seite die Karlsruher Studentenschaft die neue Hochschule gründen wird". Am 29. wird in Aachen 856 der Ordinarius für Hüttenwesen Paul Röntgen wiedergewählt - wie man meinte und wie es in dem Rust-Erlaß vom 21. April 1933 auch geheißen 271

hatte („bis zum übernächsten ordnungsgemäßen Wahltermin") bis zum 30. Juni 1936. Die Wahl erfolgte mit allen 52 Stimmen, da war er mithin seit dem 25. Mai 1932, als er nur 23 erhalten hatte, der nächste Kandidat 22 und drei weitere zusammen sieben, ein ganz schönes Stück vorangekommen 857 . Im übrigen: Wenn es hier in Akten und Literatur heißt „wurde gewählt", so ist das ungenau, da bei den preußischen Technischen Hochschulen Statuten und Regulative dem Ministerium seit Adam fast schon nationalsozialistische Zustände bescherten: Gewählt worden nämlich ist Röntgen 1932 wie 1933 zum „ersten Kandidaten". Dem folgte noch die Wahl eines „zweiten" und eines „dritten", die allesamt dann nach Berlin gemeldet wurden und von denen das Ministerium einen, in der Regel wohl den „ersten", ernannte. Der 29. April war auch der Tag, der die Universität Breslau 858 von „schlimmstem Gesinnungszwang" erlöste, wie die schwarz-weiß-rote „Schlesische Zeitung" am Tag darauf jubelte. Hans Helfritz, der schon erwähnte Staats- und Verwaltungsrechtler, einer der wenigen, die (so das gleiche Blatt) „ihrem Namen Ehre gemacht" hatten und „als Bekenner aufgetreten" (er mit einem frechen Artikel in eben dieser Zeitung vor allem) und deshalb vom „System" gezüchtigt worden waren (er durch Entzug des Prüfungsrechts, durch Veröffentlichung dieser Maßnahme und durch die Berufung des Königsbergers Ludwig Waldecker als „Strafprofessor" 8 5 9 ), dieser Helfritz erlebte an jenem Tage als Magnifizenz Helfritz eine glänzende Rehabilitierung - und das Rektorat Brockelmann sein Ende. Die nationalsozialistischen Studenten freilich haben schon den richtigen Riecher gehabt, als sie bei Helfritz, obwohl er doch vor 1933 inoffizieller Vertrauensmann der Studentenschaft gewesen war, auf ihrer Seite gegen Cohn gestanden und deshalb angeklagte Demonstranten verteidigt hatte, etwas die Stirnen in Falten zogen: Wirklich ist es mit dem Mann, der sich während der Weimarer Jahre auch für das frühere deutsche Kaiserhaus engagiert hatte, nicht lange gutgegangen, und schon nach wenigen Monaten mußte er wieder ausscheiden, weil es ihm „nicht gelang, sich vollkommen auf den Boden des Nationalsozialismus zu stellen". So geht also der April zu Ende. Was weiß man noch aus diesem Monat? Wichtig ist der Schritt voran, den - im Nationalsozialismus ja auch erfahren -Thüringen tut: Der Rektor in Jena 860 wird zu Alleinentscheidungen ermächtigt. Daß man erst dadurch auch Unter den Linden auf diese Idee gekommen ist, wird kaum anzunehmen sein; sollte man jedoch (wie das heute wäre) interessiert daran gewesen sein, wie das wohl von den Betroffenen aufgenommen werden würde - einen Test an der Saale gab es also. Vielleicht ist auch noch die Düsseldorfer und die Stuttgarter Wahl in den April gefallen, die Amtseinführung ist dann jedenfalls erst im Mai erfolgt. In Düsseldorf wird der Gynäkologe Hans Schmidt gewählt, in Stuttgart 861 ist der Physiker Peter Paul Ewald zurückgetreten, wie es heißt freiwillig. Wogegen freilich das Kuriosum spricht, daß nicht er, sondern der Nachfolger am 10. Mai den Rektoratsbericht über das vergangene Amtsjahr erstattet hat. Dieser Nachfolger war - ernannt - der Architekt Heinz Wetzel, nicht zu verwechseln mit dem Anatomen Robert Wetzel, der erst ab 1936 im benachbarten Tübingen für Aufregung sorgen wird, jetzt aber noch in Würzburg lehrt. Als Architekt war er ausgewiesen als Angehöriger eines Berufsstandes, der ja in Stuttgart wie auch sonst im Reich, sofern es sich nicht um Verfemte aus dem Bauhaus-Bereich handelte, überdurchschnittlich dem großen Bauherrn und -meister in der Reichskanzlei verfallen ist. Stuttgarts Alter Kämpfer Wilhelm Stortz war an Ort und Stelle ein weiterer Beleg dafür und noch einer der neue Dekan Paul Schmitthenner, den hinwiederum man nicht verwechseln darf mit jenem Schmitthenner, der auch Paul hieß und eben272

falls im Dezember 1884 geboren war, der aber Wehrhistoriker in Heidelberg, Dozent bis 1933, Ordinarius ab 1933, später Rektor und schließlich Kultusminister in Karlsruhe gewesen ist. Am 1. Mai, als - aus links mach' rechts - überall im Reich der erste „Tag der nationalen Arbeit" gefeiert wird, ist in Tübingen 862 auch Rektoratsübergabe, zu der aus Stuttgart die neuen Herren Württembergs, Murr und Mergenthaler, angereist sind. Simon tritt, wie es scheint, etwas weinerlich, zurück - die Bitte an die Staatsregierung, der Universität auch innerhalb der neuen Staatsordnung eine ihrem Wesen entsprechende Daseinsmöglichkeit zu schaffen, ist jedenfalls mehr Chamade als Fanfare und entspricht der Fin-de-siecleStimmung des noch denkenden Teils des nationalen Bürgertums. Der neue Rektor Albert Dietrich, zu der im Universitätsleben jetzt nahezu so etwas wie regierenden Gilde der Pathologen und Anatomen gehörig und - von Mergenthaler erst nach einer Loyalitätserklärung und zögernd bestätigt - noch Amtsnachfolger nach altem Recht, spricht in seiner Rektoratsrede sinnigerweise „Von Tod und Leben" - und darum geht es ja in der Tat. 2. Mai: Erlaß Rusts an die preußischen Kommilitonen 863 , für die nun, nach der Verkündung des neuen Studentenrechts, eine Zeit „ernster und erfolgreicher Arbeit" gekommen sei. Mit anderen Worten: Die jungen Freunde sollen nun endlich aufhören, sich in Dinge zu mischen, die sie nichts angehen - „eine Umgestaltung der Lehrkörper ist die Aufgabe der Staatsregierung". Und noch etwas Balsam für die zarten jungen Seelen: Sie sollten sich doch bitte nicht „durch Entgleisungen einzelner Hochschullehrer beirren" lassen - als ob den Professoren damals noch groß nach „Entgleisungen" zumute gewesen wäre! Am selben Tag Wechsel an der Spitze von Deutschlands führender Universität 864 : Kohlrausch, so heißt es nach außen, habe gebeten, von seiner Wiederwahl abzusehen. Vielleicht war dieser kampflose Abgang mit ein Grund dafür, daß weder Rust noch die Partei nachtragend gewesen sind (er hatte doch beispielsweise eine jüdische Studentin laufen lassen, die den Kultusminister als Quatschkopf bezeichnet hatte 865 - eigentlich unverzeihlich, mochte sie noch so „durchaus blond und arisch" ausgesehen haben) und man 1939 nach Kohlrauschs 65. die allseits so begehrte ausnahmsweise Hinausschiebung der Entpflichtung um zwei Jahre nicht nur gebilligt, sondern sogar begrüßt hat 866 . Der neue Mann: Eugen Fischer, Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik, ein fachlich wohl hervorragender Vertreter eines nun gewichtig werdenden und daher langfristig in Verruf gekommenen Faches. Fischer, nicht Parteigenosse, war genehm, ein Mann mit Meriten, die freilich stets mit einer Einschränkung zu versehen waren. Seit langem schon hatte er sich der Vererbungslehre und der deutschen Rasseforschung gewidmet, allerdings auch mit einigen allzu kühnen Rassehypothesen vom rechten Rand aufgeräumt und Leute wie den „RassenGünther" als Dilettanten milde belächelt. Bereits 1910 hatte er die nordische Rasse als den „Kulturträger und Kulturbringer Europas" gefeiert und vor einem „Rassenchaos" gewarnt, aber bisher auch behauptet, die von ihm propagierte Rassenpflege habe nichts zu tun mit der Bevorzugung der einen oder der Bekämpfung der anderen Rasse. Aber das waren Schnitzer, die einem schon älteren Herrn von Ruf nachgesehen werden konnten. Am 2. Mai lief er praktisch ohne Konkurrenz. Von 138 Abstimmenden haben drei ungültige Stimmzettel abgegeben, drei wählten Kohlrausch wieder, der eine demonstrative Wiederwahl abgelehnt hatte 867 , dreißig drei andere und ganze 102 (im zweiten Wahlgang sogar 110) den erwünschten Fischer. Die Bestätigung erfolgte bereits vier Tage 273

später, bei der Berliner Feier der Studentenrechts-Übergabe in der dabei gehaltenen Ansprache Rusts. Kohlrausch hängte ihm daraufhin sofort die Amtskette um, und unmittelbar anschließend fand im Rektorat die Vereidigung statt - eine Rektoratsübergabe in einem beinahe nach Staatsstreich riechenden Rahmen, wohl die einzige so unfeierliche in der Geschichte der Friedrich-Wilhelms-Universität. Zwei Tage später, am 4., wird in Charlottenburg8'8 der Geodät Otto Eggert Nachfolger von Ludwig Tübben. Die Studentenschaft, die politisch zwar nichts gegen ihn einzuwenden hat, aber lieber Tübben behalten hätte und in diesem Sinn auch beim Senat vorstellig geworden war, hatte den Eindruck, dies sei der primäre Grund der Entscheidung für Eggert gewesen - auf keinen Fall dürfe ein Wunsch der Studentenschaft erfüllt werden. Keiner wird es zugegeben haben, doch ist es gewiß nicht nur an der TH Berlin so gewesen (und vielleicht auch nicht nur im Dritten Reich), daß ein (zu) gutes Verhältnis zur Studentenschaft beim Rektorwahlgremium nicht unbedingt eine Empfehlung war. Am Vortag hatten das auch die Kommilitonen in Marburg869 erfahren müssen: D e r neugewählte - Große Senat hatte mit 78 von 89 Stimmen den bisherigen Rektor, den Deutschrechtler Walther Merk, wiedergewählt. Zehn Stimmen waren ungültig, eine hatte jener hier schon zitierte Politikwissenschaftler Johann Wilhelm Mannhardt erhalten, der sich in jenem Jahr gerade mit Schriften („Hochschulrevolution") und Aufsätzen („Universität und Nationalsozialismus") als berufener Interpret nationalsozialistischen „Wollens" an der deutschen Hochschule vorstellte. Nun war aber Mannhardt der Kandidat der Marburger Studentenschaft, deren Führer Ewald Oesterhoff an den Vortagen zugunsten seines Kandidaten geradezu hektisch agitiert und intrigiert hatte. Er war beim Kreisleiter gewesen, hatte eine Weiterführung des Rektorats durch Merk mit dem Lieblingswort der damaligen Zeit als „für uns untragbar" bezeichnet, an seiner Stelle den Nationalsozialisten Mannhardt nominiert (um die „Spannungen zwischen dem Lehrkörper und den fast durchweg nationalsozialistisch eingestellten" Marburger Studenten abzubauen) und ebenfalls die zur Rektorwahl wahlberechtigten Parteigenossen zugunsten dieses Kandidaten bearbeitet. Bald aber hatten auch Gegner ihre Minen gelegt, die Kandidatur eines Privatdozenten, der auf dieser Schnellstraße Ordinarius werden wollte, hatte weiter verunsichert, und schließlich gelang es, Unter den Linden die Aktivitäten Oesterhoffs zweckentsprechend darzustellen, so daß Achelis die Marburger seinen „Wunsch" wissen ließ, Merk wiederzuwählen. Die von diesem dann gemeldete „Gleichschaltung der Universität Marburg mit dem Willen der Regierung" hatte freilich den Schönheitsfehler, daß mit seiner Wiederwahl automatisch auch sein Vorgänger, der Chemiker Alfred Thiel, als Prorektor im Amt blieb, der sich 1932 bei den Pro-Hindenburg-Aufrufen sehr ins Zeug gelegt hatte. Trotz der Garnisonkirche blieb das, wie es im Senat hieß, eine „Aktion zugunsten der Linksparteien"870. Aber das war nicht zu ändern, und als sich der Pulverdampf über dem Schlachtfeld verzog, sah man sogar den Feind von den Barrikaden heruntersteigen. In der heutigen Zeit der Umgestaltung, so schlug Studentenschaftsführer Oesterhoff noch am Wahltag in einem Brief an den Senat einen in seinen Kreisen eher ungewohnten konservativen Ton an, sei es „unbedingt erforderlich, die Kräfte in ihren Ämtern zu belassen, die sich durch ihre bisherige Arbeit das Vertrauen erworben haben, künftighin im Sinne der Deutschen Revolution zu wirken" - also auch Rektor Merk und sogar den Prorektor. Aus Halle871 hat die Hochschulkorrespondenz am 5. Mai die Wahl des Anatomen Hermann Stieve zum Rektor gemeldet (er selbst dann am 26. seine Bestätigung), doch hat sie bereits einige Tage zurückgelegen872. Es wurden in jenen Tagen, nach Semesterbeginn, 274

vielfach Aprilwahlen noch nachträglich bekanntgegeben (am selben 5. beispielsweise auch die Kriecks in Frankfurt), der Wahltag ist in diesen Notifikationen nie genannt. Von Stieves Wirken bei der Beisetzung von Rektorenkonferenz und Hochschulverband ist hier bereits ausführlich die Rede gewesen. Ebenfalls am 5. regte Magnifizenz Leo Raape im Senat der Universität Hamburg 873 an, die Mitglieder, soweit nicht neu gewählt, sollten doch ihre Mandate zur Verfügung stellen und Neuwahlen ermöglichen, nachdem in Preußen im Zuge der Gleichschaltung allgemein Neuwahlen stattgefunden hätten. Der Senat aber, der soeben für den abgesetzten hamburgischen Hochschulreferenten v. Wrochem ein Ehrengeschenk und ein Abschiedsessen beschlossen und den Rektor gezwungen hatte, beim Präses der Hochschulbehörde einen der für Wrochems Entlassung angegebenen Gründe, er besitze nicht das Vertrauen der Mehrzahl der Dozenten, expressis verbis zu dementieren - dieser Senat zeigte sich störrisch. Seine „überwiegende Mehrheit wünschte, diese Frage auf sich beruhen zu lassen". Das versuchte Bauernopfer ist also fehlgeschlagen - wieviel Zeit hat Raape wohl noch? Aus den nun folgenden Tagen einige Meldungen meist vom Rande. In Kiel874 schneidet am 6. wohl als einer der ersten (er hat sich vermutlich nur rhetorisch auf Beispiele aus anderen Hochschulen berufen) der abgetretene Scheel das Prorektor-Problem an: Wenn jetzt ausdrücklich ein neuer Rektor gewählt werden müsse, sei es doch dem Sinn dieser Maßnahme zuwider, bliebe der alte, wie es ja Satzung sei, als Prorektor weiter im Spiel. Auch der müsse jetzt gewählt werden. Er bitte das zu veranlassen, von seiner Person freilich - er war natürlich mißvergnügt - absehen zu wollen. Da die Amtszeit des Vorgängers Ludwig Klein am 30. Juni endete, hätte Hannover 875 sowieso wählen müssen. Aber vielleicht nicht den Wasserbauer Otto Franzius, der am 8. Mai mit 38 von 42 Stimmen „erster Kandidat" wird. Dann ist dies die Zeit der Senatsergänzungen dort, wo es keine vollständigen Neuwahlen gegeben hat; in der Meldung Würzburgs taucht - zwei jüdische Mitglieder sind hier „freiwillig ausgeschieden" !876 erstmals Herwart Fischer in der Honoratiorenliste auf. Einen neuen Rektor meldet am 10. Hohenheim (Percy Brigl), keinen neuen Rektor hingegen zwei Tage danach Clausthal877. Wie das - wo Clausthal doch preußisch ist? Nun, die Bergakademien unterstehen damals noch nicht dem Kultusminister, sondern dem Minister für Wirtschaft und Arbeit. Und der hält, anders als Rust, Neuwahlen „nicht für erforderlich". Wie man auf Anfrage dem Ernährungsminister mitteilt, der sich offenbar mit ähnlichen Erwägungen hinsichtlich seiner Landwirtschaftlichen Hochschulen trägt. Beiden werden diese Sorgen bald abgenommen werden. Am 15. notifiziert die T H Breslau den Amtsantritt von Wilhelm Rein, und am 19. wird dann noch ein „freiwilliger Rücktritt" bekanntgegeben: Rektor und Senat in Jena878. Der neue Mann ist freilich wieder der alte, der Physiker und Parteigenosse von jenem Mai 1933 Abraham Esau, hier schon erwähnt. Für das am 1. Oktober beginnende Amtsjahr wird er dann, nachdem Wahlen auch an den Hochschulen als liberalistisch-demokratisches Teufelswerk entlarvt sind, noch einmal vom Ministerium ernannt, seltsamerweise ist das aber erst am 14. Dezember bekanntgegeben worden 879 und vermutlich nur wenige Tage zuvor erfolgt. Esau, in seinem Jena heute als Ausbund von Faschismus und Imperialismus gewertet, ist übrigens nicht der Kandidat der strammen Nationalsozialisten gewesen, die hatten vielmehr beim Ministerium die Ernennung Hans F. K. Günthers betrieben 880 . Der 24. Mai fällt insofern aus dem Rahmen, als es hier - neben Riezler wohl einmalig881 - um einen Kurator geht. Der Breslauer882 (für Universität und T H zuständig) hört zu 275

seiner „großen Bestürzung" von Vorwürfen, die gegen ihn erhoben würden - er stände dem „System" nahe und sei daher weltanschaulich „heute nicht geeignet" —, und schreibt sofort ans Ministerium. Der Verdacht liegt nahe, daß diese Angriffe mit Breslaus jüngster Cohn-Affäre zusammengehangen haben, derentwegen sich in den vergangenen Monaten bereits der Universitätsrat und Universitätsrichter, ein amtierender Senatspräsident der Justiz namens Schoch, hatte verteidigen müssen. Angreifer war kein Geringerer gewesen als der Führer der preußischen NSDAPLandtagsfraktion, der Gauleiter der „Ostmark" Wilhelm Kube. Es war dies eine erste „Ostmark", die nichts mit dem Bayerischen Wald und schon gar nichts mit Osterreich zu tun hatte, sondern ein Gebiet an der Oder umfaßte, den Regierungsbezirk Frankfurt/ Oder mit der „Grenzmark Posen-Westpreußen" im Norden und der Niederlausitz und damit also auch schlesischem Territorium im Süden883. Derart doppelt legitimiert, hatte Kube in den ersten Februartagen auf einer NSBO-Kundgebung im Breslauer Messehof gesprochen und fünf Minuten davon Schoch gewidmet, stets genannt in einem Atemzug mit Cohn. 1813 wäre Preußen niemals befreit worden, so vernahm die nationalsozialistische Creme der schlesischen Arbeiter, wären nicht ein Fichte und ein Schleiermacher, sondern „Männer vom Schlage eines Schoch, Cohn, Gumbel usw." der deutschen Jugend Lehrer gewesen. Und noch einmal für im Denken etwas langsamere Betriebszellenleute: Als damals am Zobten die Studenten zusammenkamen884, hätten sie „keinen Universitätsrichter Schoch und keinen Universitätsprofessor Cohn" als Lehrer gehabt. Die im übrigen beide „außerordentlich gut" zusammenpaßten, weshalb sich „der Preußenlandtag" mit dieser „Gesinnungslumperei jüdischer Hanaken" noch beschäftigen werde - nach dem „gesunden alttestamentarischen Grundsatz Auge um Auge, Zahn um Zahn", den „die Herren Schoch und Cohn" sicher besonders schätzen würden. Und so weiter und so fort. Die nationalsozialistische Schlesische Tageszeitung hatte dann am 16. März vom „Sozialdemokraten Schoch" geschrieben, dem „von den Universitätsskandalen" her „bekannten" Universitätsrichter, gegen welchen Vorwurf Schoch Anfang April den Schutz des Kultusministeriums erbat: Nie sei er Sozialdemokrat gewesen, sondern hätte „stets unverändert eindeutig auf nationalem Boden gestanden". Und in den Disziplinarverfahren der Affäre Cohn habe er lediglich seine Amtspflicht erfüllt, - was ihm der neue Universitätsrektor Helfritz, als Verteidiger der angeschuldigten Studenten seinerzeit „sozusagen der Gegner", bestätigt hat: Absolut sachlich und korrekt sei er gewesen885. Im Falle des Kurators Dr. Dr. h.c. Max v. Bahrfeldt, Regierungspräsident z. D., hat die Affäre Cohn natürlich auch mitgespielt, aber nur drittrangig in einer ziemlich komplizierten und komplexen Konstellation. Gegen den „unmöglichen Herrn v. Bahrfeldt" (5. Juli: „Bahrfeldt soll schon lange weg") ist erstens der Breslauer Gauleiter und Oberpräsident Helmuth Brückner. Gegen ihn sind ebenfalls Rektor und Studentenschaft der Technischen Hochschule - die T H fühlt sich seit der kürzlichen Zusammenlegung der Verwaltungen beider Hochschulen unter Bahrfeldt nicht recht glücklich. Gegen Bahrfeldt ist schließlich angeblich auch Rust. Für Bahrfeldt ist der ostpreußische Gauleiter und nunmehrige Oberpräsident Erich Koch. Bahrfeldt ist nämlich bis zum Sommer 1932 sieben Jahre lang Regierungspräsident in Königsberg gewesen. Und das hilft, als er im Mai von jenen Gerüchten hört, die offenbar aus Schlesien und aus Ostpreußen stammen. Einen Freund aus Königsberger Tagen (ein anderer ist der damalige dortige „Kommandierende", der General v. Blomberg), den Wehrkreispfarrer, inzwischen Landesbischof Müller (der spätere „Reibi"), bittet er zu 276

sondieren. Der setzt sich mit Koch in Verbindung und gibt dann nach Breslau Entwarnung durch. Bahrfeldt ist beruhigt und bereitet im Sommer gerade sein Aufnahmegesuch in die NSDAP vor (Ludwig Müller sprendet eine schriftliche Befürwortung), als Brückner zuschlägt. Dem Regierungspräsidenten z. D. wird eine Regierungsratsstelle angeboten in der Erwartung, daß Bahrfeldt kapiert. Das tut er auch, er dankt und bittet am 1. Oktober um Versetzung in den Ruhestand. Begleitet wird sein Gesuch von 17 Seiten kläglicher Rechtfertigung: DVP (angeblich von Hitler als „national" legitimiert) von 1921 bis März 1933, seitdem nur deswegen noch nicht Parteigenosse, um nicht als „Konjunkturjäger" zu erscheinen und „die beiden Hochschulen reibungslos in die neuen Verhältnisse hinüberzuführen". In Königsberg dem „System" gegenüber zu nachgiebig gewesen? Mitnichten, er hat nur getan, was der Diensteid unbedingt erforderte, hat immer wieder Anweisung gegeben, jede Kleinlichkeit und Gehässigkeit zu vermeiden und die Herren von der NSDAP honorig zu behandeln. Verfolgung der NSDAP? Genau das Gegenteil! Ein Redeverbot für den jetzigen Gauleiter Florian hat er dem bösen Oberpräsidenten Siehr, von dem alles Übel ausgegangen ist, ausgeredet - Florian hatte ihn nicht vergebens darum gebeten und hat ihm dann auch „besonders gedankt". Und da waren noch der Regierungsassessor Dr. Bethge und der Oberförster Graf Finkenstein und jenes Mitglied vom Bezirksausschuß und der Lastkraftwagenbesitzer aus Muldszen. Und mit dem Skandal um den „Auwi" auf dem Königsberger Hauptbahnhof hat er überhaupt nichts zu tun gehabt, da ist er bei seinen Eltern in Halle gewesen. Und das Verbot der braunen Hemden - so schlimm war das doch gar nicht, wenn er auch so aus der freien Hand, ohne Akten, nichts Präzises dazu sagen kann. Jedenfalls, das weiß er genau, ist da in seinem Regierungsbezirk Königsberg „nicht mehr, eher weniger" angeordnet gewesen als in den übrigen Bezirken - für die „Torheit und Überspanntheit" des Polizeipräsidenten Titze könne man ihn schließlich nicht verantwortlich machen. Und mit keinem der Damaligen hat er mehr als die notwendigen Kontakte gehabt. Siehr habe ihn sogar „in persönlich kränkender Weise" behandelt, das Reichsbanner war „feindselig", die Demokraten hätten ihn „grundsätzlich geschnitten", mit dem Zentrum habe er „nie etwas zu tun" gehabt und Sozialdemokraten habe er nur gesehen, wenn sie Beschwerden vorbrachten. Dagegen die Reichswehr - enges Zusammenarbeiten, öffentlicher Dank vom früheren Chef der Heeresleitung und vom jetzigen Reichswehrminister. Und im übrigen sei auch ein Mordanschlag auf ihn verübt worden, jawohl, am 1. August 1932 ist er von vier Personen niedergeschossen worden - „der einzige Fall in der preußischen Geschichte, daß ein leitender Verwaltungsbeamter in dieser Weise mit seinem Leben und mit seinem Blute hat einstehen müssen". Wofür einstehen, hat Bahrfeldt ausgelassen, sicher versehentlich. Aber Brückner hat das alles sowieso nicht allzusehr interessiert. Es ging nämlich weniger um Bahrfeldt, den er - wie dieser klagte - vermutlich überhaupt nicht kannte und den er trotz Bitten denn auch nie empfangen hat. Der Gauleiter hat vielmehr jemanden zur Hand, der untergebracht werden muß, den bisherigen Regierungspräsidenten in Liegnitz v. Hahnke, einen „nationalen Mann", aber leider nicht aktiv genug im neuen Verständnis. Und so geht dann also Bahrfeldt und Hahnke rückt nach. Nachdem Brückner im Dezember 1934886 gestürzt ist, wird Bahrfeldts Rehabilitierung betrieben - offenbar von Leuten in der Umgebung des Gauleiters Koch. Daraus ist jedoch nichts geworden, da der neue Gauleiter Josef Wagner887, der ja (es ging da zu wie bei Napoleon) 1933 die Hälfte seines westfälischen Reiches an Alfred Meyer verloren hatte - einen eigenen Anwärter auf die Kuratorpfründe hatte. 277

Diese Breslauer Ereignisse sind etwas ausführlicher geschildert worden erstens, weil es sich hier um die Rarität eines Kuratorabschusses handelt - nicht gerade in aller Öffentlichkeit, aber doch mit „großer Besetzung" und über den schlichten Verwaltungsakt hinausgehend, mittels dessen der Verwaltungsbeamte an der Hochschulspitze, wenn es nötig war, lautlos beseitigt werden konnte. Und zweitens wegen des hier wieder einmal bemerkenswerten Hineinwirkens der Schach- und Winkelzüge der braunen Vizekönige in die akademischen Gefilde. Indes hat uns Bahrfeldt unserer Zeit vorausgeführt, und wir müssen nun zurück zum Tage seiner ersten Beschwerde. Das war also der 24. Mai gewesen. Der 23. und der 27. sind denkwürdig dadurch, daß an diesen Tagen große Rektoren bei ihrer Amtsübernahme große Reden gehalten haben: die erste in der Frankfurter Oper (laut Frankfurter Zeitung „bis in die obersten Ränge, Kopf an Kopf, mit Gästen gefüllt") Ernst Krieck 888 über den ihm vorschwebenden „Monumentalbau" Universität, „in sich gegliedert nach den Fakultäten und überwölbt von der Kuppel der völkischen Wissenschaft", die andere nur in der Freiburger Aula, aber mit einem nahezu schon spanischen Zeremoniell gestaltet. Chargierte, Fahnen, Fakultäten, die Talarträger in der Runde, „vom inneren Gang herkommend", die Senatoren „zu innerst zu beiden Seiten dieses Ganges zur Übernahme des Geleits der Ehrengäste beim Auszug", dann vom mittleren Gang die übrigen Talarträger, „links hereinkommend" die Philosophische, Theologische und die Rechts- und Staatswissenschaftliche, „rechts hereinkommend" die Medizinische und die Naturwissenschaftlich-Mathematische Fakultät, dahinter die „Herren Dozenten ohne Talar" auf Stühlen - das Horst-Wessel-Lied, „die erste Strophe als vierte wiederholt", dabei „rechte Hand erhoben zum Gruße der Toten" („bedeutet nicht die Bekundung der Zugehörigkeit zur NSDAP"). Das ist das - etwas verwirrende - Ambiente, über dessen geistigen Inhalt sich die Welt noch heute nicht beruhigt hat: Magnifizenz Martin Heidegger 889 spricht über „Die Selbstbehauptung der deutschen Universität". Beide, Krieck wie Heidegger, werden uns gleich noch ausführlich beschäftigen. Am 2. Juni meldet Königsberg die erfolgte und bestätigte Wiederwahl des am 11. Januar für das Amtsjahr 1933/34 gewählten Nationalökonomen Dietrich Preyer, am 16. Juni Gießen die Wahl des Kirchenhistorikers Heinrich Bornkamm, dem nach 1945 die Trüffelsucher890 so kapitale Funde wie etwa die aus Lehrerschaft und Studentenschaft zu stellende „Sturmtruppe einer neuen Hochschule" zu verdanken haben oder auch die folgende Hymne: „Aber daß Gott das große Reich durch die staatsmännische Größe des Führers hat Wirklichkeit werden lassen, ist ein Geschenk an unser Geschlecht, das uns tagaus und tagein auch in Sorgen stolz und glücklich machen kann." Immerhin ist der Ludwigs-Universität die Inauguration ihres „ältesten Nationalsozialisten und geistigen Führers" 891 erspart geblieben: Mit seinen 63 Jahren war Philalethes Kuhn in der Zeit des Jugendkults wohl schon zu tatterig, vielleicht auch zu leidend. Am 19. Juni wird in Braunschweig892 Horrmann nun endgültiger und gewählter Rektor. Als Klagges dieTH am 18. zur Wahl auffordert, ist sie bereits sechs Tage zuvor angesetzt worden. Der Unmut der Mitglieder des Lehrkörpers hält sich in Grenzen, ist aber doch wenigstens spürbar: Von den 45 abgegebenen „verschlossenen Wahlzetteln" sind zehn weiß, drei tragen zwei andere Namen. Immerhin: 32 Stimmen also für den vorjährigen Outlaw in geheimer Wahl - man kann nicht sagen, das eben noch so tapfere Braunschweig habe die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Vom gleichen Tag - es ist offenbar ein Tag der Technischen Hochschulen - ist die Rektoratsübergabe in Hannover 893 zu erwähnen. Nicht so sehr wegen der politischen Ah278

nungslosigkeit, mit der man nicht nur Göring eingeladen, sondern ihn auch gebeten hat, gleich noch Hitler mitzubringen, und schon gar nicht, weil nicht einmal Oberpräsident Lutze, der „Kommissar unserer Hochschule", erschienen ist, sondern weil der, der wirklich gekommen war (und mit dessen bereits erfolgter Zusage man offenbar Göring und Hitler herbeizulocken gehofft hatte!), nach dem neuen Rektor Franzius („Heute glaube ich an die Sendung des Deutschen Volkes mit der gleichen Kraft, mit der wohl die ersten Christen an die Heilsbotschaft geglaubt haben") eine Rede gehalten hat, die Franzius als „programmatisch" empfand und durch die er „die ganze Feier in ein höheres Licht gerückt" sah. Was Rust, Minister und örtlich zuständiger Gauleiter, hier in Hannover abgespult hat, ist in Wahrheit ein ziemlich dünnes Garn gewesen (wo nötig, wird es an anderer Stelle zitiert werden) und folgenreicher vielleicht die launige Bemerkung, zu der sich der Minister-Gauleiter durch die in voller Pracht zu seinen Füßen sitzende Professorenschaft inspiriert fühlte: In der äußeren Form erinnere sie ihn an ein Domkapitel. Am 21. erhält wieder ein Rektor Pleinpouvoir - oder jedenfalls nahezu: Paul Schulze in Rostock 894 , Zoologe und noch regulär für das Amtsjahr 1933/34 gewählter Nachfolger des Tierbakteriologen Kurt Poppe. Pouvoir nicht etwa durch das Schweriner Ministerium - nein, Senat und Konzil entmannen sich hier weitgehend selbst mit dem Beschluß, ihre Befugnisse mit Ausnahme des Berufungs- und des Satzungsrechts bis auf weiteres dem Rektor zu übertragen. Initiator solcher Kapitulation war der Privatdozent für Organische Chemie Franz Bacher, der sich mit diesem Handstreich für die Leitung der Hochschulabteilung Unter den Linden qualifiziert hat. Und als Begründung hatte eine „schwere Krise" der Universität herzuhalten, jene hier schon erwähnte 895 Kirchenkampf-Auseinandersetzung zwischen dem Rostocker NS-Studentenbund und der Theologischen Fachschaft. Rostock, so brüstete sich Magnifizenz Schulze, habe als erste deutsche Universität „dem Führergedanken zum Siege verholfen". Ganz reibungslos allerdings nicht - 18 Gegenstimmen und drei Enthaltungen von 55 Stimmen insgesamt, und fünf Senatoren traten danach zurück. Zwei Tage danach erhalten sämtliche preußischen Rektoren einen Machtzuwachs anderer Art. Prorektor war ja bisher nach altem Brauch der Vorjahrsrektor. Wie schon gezeigt worden ist896, sind aber schnell Zweifel aufgetaucht, ob diese weitere Teilhabe der abgehalfterten Größen an der Macht wirklich das Optimale war. Scheel-Kiel also hat den Prorektor statt dessen ebenfalls wählen lassen wollen, Franzius, der neue Rektor in Hannover, hat eine bessere Idee und vertraut sie am 19. bei der Rektoratsübergabe Rust an: Er möchte sich seinen Prorektor selbst aussuchen dürfen - „nach meinem Vertrauen". Er hat das schon am 2. nach Berlin geschrieben und hat mitgeteilt, wie er durch kräftige Gehirnwäsche bei den Fakultäten für eine einwandfreie Zusammensetzung des neuen Senats gesorgt habe, daß ihm jedoch im Falle des Prorektors leider die Hände gebunden seien. Nichts hatte sich daraufhin gerührt (was freilich gut an dem üblichen bürokratischen Betrieb liegen konnte), und nun packt er also die Gelegenheit beim Schopf. Dem Minister leuchtet es ein, und er diktiert der neuen Magnifizenz einen entsprechenden Erlaßentwurf, den diese sofort dem Ministerialdirektor Gerullis nach Berlin übermitteln soll. Das geschieht, am 20., und am 23.897 werden tatsächlich - Rusts Text leicht redigiert - die Rektoren ermächtigt, ihre Vertreter „nach freier Wahl" zu bestimmen und den „derzeitigen Prorektor" abzulösen - ein wesentlicher Schritt auf dem Wege zum Führer-Rektor, zur Rektoratsverfassung und zur Installierung des Führerprinzips an der Hochschule überhaupt. Und eine dritte Pioniertat, die es festzuhalten gibt. Köln, Rostock, Hannover - bis auf Hannover eigentlich eher unverdächtige Hoch279

schulen. Aus Heidelberg oder Greifswald hätte man viel eher Rauchsignale erwartet, aber das Jahr 1933 zählte eben zu jenen Grenzsituationen, wo die Schwachen gefährlich werden. Daß die übrigen Länder hier nicht bedenkenlos nachgezogen und so viel Macht in der Hand der Rektoren vielleicht zunächst gescheut haben, zeigt gleich das Hannover benachbarte Braunschweig 898 , wo Horrmann vom 10. Juli bis zum 9. September (dreimal hin und her) bei Klagges darum kämpfen mußte, nicht satzungsgemäß das älteste Senatsmitglied Roth (Gassner schied als „beurlaubt" und auch sonst selbstverständlich aus) zum Prorektor zu berufen, sondern selbst eine Wahl treffen zu dürfen beziehungsweise nach dem ersten Widerstand - Dekan Fritz Gerstenberg zu ernennen. Und ein badischer Erlaß vom 27. Juni 899 , der Rektor Heidegger ermächtigte, zu seiner Unterstützung aus der Dozentenschaft einen Kanzler zu ernennen und auch dessen Aufgabenkreis zu bestimmen, verriet das württembergische Vorbild. Immerhin, das Novum war: Nicht das Ministerium, der Rektor bestimmte und ernannte seinen Kanzler. Bayern 900 gar stoppte am folgenden Tage sämtliche Rektor-, Dekan- und Senatswahlen, weil die Verfassungen der bayerischen Universitäten „demnächst geändert" würden. Am selben 28. wählte zwar mit 60 von 65 Stimmen der Senat der (davon offenbar nicht betroffenen) T H München 901 zum Rektor bis 1935 den Maschineningenieur Anton Schwaiger, ein frühes Public-Relations-Talent, das dann aufrichtigst und herzlichst noch Röhm und Hess zur Reichsministerwürde beglückwünscht und bei den Münchner Neuesten sofort reklamiert hat, als er bei der Aufzählung der Teilnehmer an einem SS-Festabend seinen Namen vermißte, obwohl er sich doch „sogar längere Zeit mit Herrn Reichsführer Himmler unterhalten" hatte. Und ebenfalls am 28. gab d i e T H Danzig die Wiederwahl des Landwirtschaftlers O t t o E. Heuser bekannt, doch zeigte der Münchener Erlaß vom 28. den neuen Trend - weg von der Wahl. Am 6. Juli änderte Hamburg 9 0 2 sein Hochschulgesetz, was indes nur ein Nachklapp der liberalen Hanseaten war, die Angleichung an preußische und viele sonstige Verhältnisse: Die Rektorwahl bedurfte künftig der Bestätigung durch die Landesunterrichtsbehörde. Am 22. wird das seine Konsequenz haben. Zuvor aber noch einen Blick nach Berlin 903 , wo Magnifizenz Fischer dem Reichskanzler am 13. Juli den dem Berliner Rektor (bislang) zustehenden Antrittsbesuch abstatten und ihm als Huldigung des italienischen Kollegen Fabio Frazzetto dessen Werk über die Gebeine Dantes überreichen darf, und einen weiteren nach Heidelberg 904 , dessen Großer Senat am 8. Andreas' Nachfolger im Studienjahr 1933/34 wählt, für die Zeit ab 1. Oktober also. Es ist natürlich Wilhelm Groh, der Arbeitsrechtler, der sich schon seit geraumer Zeit als künftiger Rektor gefühlt hat und später mit der Karlsruher Wacker-Clique die Berliner Hochschulabteilung übernehmen und dort, seinen Gönner überlebend, lange eine Rolle spielen wird. Zurück nach Hamburg 9 0 5 . Die Vollversammlung, 62 von 88 waren anwesend, wählte also am 22. Wen sie zu wählen hatte, teilte Magnifizenz Raape „in Einverständnis mit der Landesunterrichtsbehörde" zu Beginn der Sitzung mit: den Strafrechtler Eberhard Schmidt. „Unbeschadet der Wahlfreiheit" - so hatte Raape seiner Wahlempfehlung hinzugefügt, und die 17, die Schmidt nicht wählten, haben davon auch Gebrauch gemacht. Die neue Bestätigung wurde noch am 22. erbeten, am 26. erteilt. Sehr viel geändert hatte sich damit nicht. Raape hatte gleich nach der Machtergreifung (so hat er das nach dem Zusammenbruch geschildert) sein Amt mit der Bemerkung, er gedenke nicht in die Partei einzutreten, zur Verfügung gestellt, jedoch war da noch kein geeigneter Nachfolger vorhanden gewesen. Mit dem Auftrag, einen solchen zu suchen, hatte er sein Amt weitergeführt - und schließlich auch einen gefunden, nämlich ausgerechnet Robert Degkwitz. 280

Es konnte indes leider nicht mehr ausprobiert werden, ob die Behörde tatsächlich Degkwitz akzeptiert hätte, da gegen ihn schon bald disziplinarisch ermittelt wurde. Der Ersatz Schmidt, auf den man sich dann einigte, war ebensowenig Parteigenosse wie Raape. Letzterer beendete Ende September mit einem herzlichen Nachruf („... erfüllen hiermit die schmerzliche Pflicht") auf den am 10. gestorbenen jüdischen Staatsrechtler Kurt Pereis, an dessen Sarg übrigens - in Hamburg war das noch möglich - vier Studenten in Stahlhelm-Uniform Ehrenwache hielten, sowie mit einer ehrenden, dankenden Erwähnung zweier „infolge der neuen Verhältnisse ausscheidender Kollegen" in seinem Rechenschaftsbericht sein Rektorat. Sein Nachfolger begann es im Oktober mit einem Votum zur Regelung des Hochschulausschlusses von Studierenden „wegen antinationaler Betätigung", das ebenfalls eher gemäßigten Geist verriet: U m die „sehr unerwünschte Möglichkeit haltloser Denunziationen einzudämmen", plädierte er für die Festlegung „sehr bestimmter Tatbestände" und war auch sonst bemüht, Studenten mit nationalem Übereifer von einer Anzeige zurückzuhalten. Der Münchener Salvatorplatz ergänzte am 25. Juli 906 seinen Erlaß vom 28. Juni mit einigen Details über die „im Benehmen mit dem Reiche und mit Preußen" vorbereitete Reform, die noch „rechtzeitig vor Beginn des Winterhalbjahres 1933/34" verfügt werden sollte. Bislang hatte man sich das mehr hinter vorgehaltener Hand zugeflüstert, Rektor Merk in Marburg beispielsweise hatte, als sich entsprechende Gerüchte verdichteten, Informationen bei Stieve in Halle eingeholt, was es denn nun mit der angekündigten Hochschulreform auf sich habe, in Marburg tappe man da völlig im dunkeln. Jetzt gab Münchens Salvatorplatz amtlich bekannt: Der Minister ernennt den Rektor, der Rektor seinen Stellvertreter, die Senatoren und die Dekane; der Senat wird „erheblich" verkleinert und zur den Rektor beratenden Körperschaft deformiert, alle seine Zuständigkeiten außer der für die Disziplinarangelegenheiten der Studenten gehen auf den Rektor über. N u n wußte eigentlich jeder Bescheid - in Bayern und gewiß nicht nur dort. Der Aufschrei der Empörung hätte also jetzt erfolgen können. Er ist nicht erfolgt. Es gab 907 ein bißchen U n m u t und ein paar Proteste, die indes den Bereich der Protestierenden nicht verlassen haben. Man schickte sich gegenseitig Papiere zu und brütete über „Schritten", die jedoch nie gemacht worden sind, sondern die man so lange erwogen hat, bis die Gegenseite endgültig die Luft abdrehte. So kursierte ein dem Münchener Zumbusch zugeschriebener undatierter Rektorenprotest gegen die Abschaffung der Rektorwahl, und Marburgs Prorektor Alfred Thiel, einer jener Altrektoren, an deren Beseitigung als Prorektoren man erst so spät gedacht hatte, versuchte einen Empfang durch Hitler zu bewerkstelligen, um dort Klage zu führen darüber, daß von der feierlich zugesagten Erhaltung der akademischen Selbstverwaltung wenig bliebe, wenn aus dem Rektor ein jederzeit absetzbarer Beamter des Ministeriums würde. Es ist daraus ebensowenig etwas geworden wie aus allen sonstigen erwogenen „Schritten", und wohl das einzige, was der Sturm im Wasserglas Greifbares bewirkt hat, bevor der Erlaß vom 28. Oktober das Wasserglas umwarf, ist im Herbst eine Art Denkschrift eines Marburger Ad-hoc-Kreises gewesen, die an ihrer Stelle noch erwähnt werden wird. In München war inzwischen der Vorhang ein weiteres Stück gehoben worden, indem das Ministerium am 28./29. Juli telefonisch Aufträge verteilte, im Senat über den Rektor für das nächste Studienjahr zu beraten und einen Vorschlag einzugeben. Damit war in Bayern der Abschied von Wahl und Selbstverwaltung vollzogen und waren die im Frühjahr noch f ü r zweckmäßig erachteten Dekorationsstücke von Kultusminister-Gauleiter Schemm weggeräumt, bevor noch in Berlin Kultusminister-Gauleiter Rust sich dazu 281

hatte aufraffen können (der sich übrigens wohl gratulieren konnte, als dann der Tod im März 1935 den Rivalen aus dem Wege räumte). Der Akademische Senat der Münchener Universität 908 schlug am 31. den Zoologen Karl Leopold Escherich als Leo v. Zumbuschs Nachfolger vor, auf den, so wurde das Ministerium informiert, wohl auch die einmütige Wahl gefallen wäre, hätte es heuer noch einmal eine gegeben. Und auch der von Erlangen 909 hat sich, das brachte wohl die Zeit so mit sich, einstimmig entschieden, empfahl „wärmstens" den Zahnmediziner Johannes Reinmöller - jenen Reinmöller, für den Hitler als ein Held in tiefster Not erstanden war und den dann 1935 das Reichserziehungsministerium zum Aufräumen nach Würzburg geschickt hat. Erst zwei Jahre danach wohlgemerkt, 1937 nach der Sperre, ist Reinmöller in die Partei aufgenommen worden. Er muß also schon über besondere Qualitäten verfügt haben, denn politisch einwandfrei ist auch sein Vorgänger in Erlangen gewesen, der Zivilrechtler Eugen Locher. Daran jedenfalls wird kaum einer der Teilnehmer an der Rektoratsübergabe gezweifelt haben, als sie in seinem Rechenschaftsbericht über das Rektoratsjahr 1932/33 und die Lage der Nation hörten, man dürfe sich da von gewissen „Ubergangserscheinungen den Blick nicht trüben" lassen für die „geschichtliche Tat, daß die nationalsozialistische Revolution dem nationalen Ideengut wieder zum Durchbruch verholfen hat, auf das unsere deutschen Hochschulen gegründet sind". Hätte Reinmöller, der dies zusammen mit zwei eigenen Kurz-Reden 1934 unter dem Titel „Ins Dritte Reich" hat veröffentlichen lassen910, das schöner sagen können? 1935 Aufräumen in Würzburg? Nun, Würzburg 911 ist bereits hier, 1933, aus dem Rahmen gefallen. Rektor Georg Wunderle, Religionsphilosoph, meldete nämlich dem Salvatorplatz am 29. Juli, es sei jetzt, nach Schluß der Vorlesungen, die Zahl der noch in Würzburg weilenden Senatsmitglieder „derart zusammengeschmolzen", daß eine „Beschlußfassung über derart wichtige Fragen wie den Vorschlag eines künftigen Rektors als undurchführbar" erscheine - er müsse daher von einem Vorschlag Abstand nehmen. Das war natürlich ein prächtiger fiwstand für das Führerprinzip, und es ist verständlich, daß man in München äußerst erbost gewesen ist. Freilich wurde man wieder etwas besänftigt durch zwei aus Würzburg nachgeschobene Berichte, nachdem ein Ministerialrat sich die Würzburger Magnifizenz telefonisch vorgeknöpft hatte: Am 5. nannte Wunderle den „Herrn Kollegen Dr. Herwart Fischer" als den von der „allgemeinen Stimmung des Lehrkörpers" wohl gewünschten neuen „Führerrektor", und fünf Tage später konnte er, nach Rückkehr einiger Herren von Exkursionen, einen dementsprechenden und einstimmig gefaßten Senatsbeschluß nachreichen. Ein am Salvatorplatz konzipierter Erlaßentwurf „an das Rektorat der Universität Würzburg" billigte nun Wunderle zwar zu, sich nicht „irgendwie uninteressiert oder gar widerständig" verhalten zu haben, wollte ihn aber doch, um „gegen die Wiederholung eines solchen Vorganges Vorkehr zu treffen", die Amtsgeschäfte für den Rest seines Amtsjahres an den Herrn Prorektor abgeben lassen. Rücksichtnahme auf die Stellung des künftigen Rektors führte dann dazu, daß von dieser weitgehenden Maßregelung zunächst Abstand genommen und am 28. Herwart Fischer (wie Escherich für München und Reinmöller für Erlangen) mit Wirkung vom 15. Oktober ohne diese Begleitumstände ernannt worden ist. Jedoch erkundigte man sich bei dem Würzburger Gauleiter Hellmuth nach der „Gesamthaltung" des Volksgenossen Wunderle - bereit, je nach Ausfall der Auskunft, diesen doch noch seines Amtes zu entheben oder auch zu rügen. Die Antwort (vom 22. Septem282

ber) ist dann am Salvatorplatz nicht angekommen, man fragte in Würzburg nach und suchte sie dann im Ministerium, doch war sie weder in der Registratur noch beim Herrn Staatsminister auffindbar. Und so ist dann Wunderies restliche Rektoratszeit verstrichen und die wohl einzige Folge seines Fauxpas gewesen, daß „von dem üblichen Dankschreiben für die Rektoratsführung abgesehen" wurde. O b eine Maßregelung des bayerischen Kultusministeriums freilich den Richtigen getroffen haben würde und nicht etwa einen nur etwas zerstreuten und kränkelnden Professor, muß ohne Kenntnis der Beurteilung der mainfränkischen Gauleitung offenbleiben, erscheint indes kaum zweifelhaft, liest man in der Liste der Werke Wunderies aus jenem Jahr 1933 Titel wie „Universität und Volksgemeinschaft" und „Universität und Erziehung zum geistigen Führertum". Das war also Würzburg. Außerhalb Bayerns zieht Baden912 knapp einen Monat später dem bayerischen Vorbild nach - noch etwas gründlicher. Auf fünf Seiten regelt am 21. August913 ein Erlaß die neue Stellung von Rektor, Senat und Fakultäten. Die endgültige Regelung bleibt zwar vorbehalten (da - noch immer bringt der badische Großherzog und nicht der bayerische König das Hoch auf den Kaiser aus - die „völlige Erneuerung der deutschen Hochschulen" nur von einer einheitlich im ganzen Reich vorgenommenen Hochschulreform erreicht werden kann), faktisch jedoch sind die der „Umgestaltung" bedürftigen Verfassungen der badischen Hochschulen damit bereits aus den Angeln gehoben. Und inhaltlich erweitert die Regelung sogar noch die bayerische: Der Rektor, ernannt vom Minister, ist Führer der Hochschule mit „allen Befugnissen des seitherigen (engeren und großen) Senates", er kann als seinen Vertreter einen Kanzler ernennen, Dauer und Befugnisse dieser Kanzlerschaft liegen in seinem Ermessen. Die Rektoren neuer Art will das Ministerium zum 1. Oktober benennen, das Ende ihrer Amtszeit bleibt offen. Der Senat ist nur noch eine den Rektor „beratende Körperschaft", er faßt keine Beschlüsse und stimmt nicht ab und kann vom Rektor nahezu beliebig vergrößert werden. Die Dekane und ihre Stellvertreter werden vom Rektor ernannt und sind ihm allein verantwortlich, über ihn läuft auch der Geschäftsverkehr der Fakultät. Deren Mitglieder können vom Dekan, der in Fakultätsangelegenheiten das alleinige Entscheidungsrecht hat, zur Beratung (an der der Rektor oder ein von ihm benannter Vertreter stets teilnahmeberechtigt ist) zugezogen werden, nur bei wichtigen Angelegenheiten (am 7. Oktober erläutert: insbesondere Berufungen) ist die Einholung ihrer Ansicht obligatorisch, Beschlüsse freilich werden natürlich auch hier nicht gefaßt. Ende Januar 1934 wird dann in einer „revolutionären Tat" das „liberalistische System" in den badischen Fakultäten vollends zerschlagen und werden sie zu „dem Volke verpflichteten Arbeitsgemeinschaften" erklärt; Leistungsfähigkeit, Opferwille und persönlicher Einsatz sollen künftig Rang und Geltung bestimmen - das umschrieb die Aufnahme der Dozenten in die Fakultät. Der in Baden bewiesene Eifer wiederum ließ die Bayern nicht ruhen, ihr knappes Elaborat vom 25. Juli ebenfalls auszufeilen. Dies geschah mit Vorschriften, die zu Goethes 185. Geburtstag, am 28. August, den drei Universitäten eröffnet und auch im Amtsblatt des Kultusministeriums veröffentlicht wurden914. Es zeigte sich hier, daß München (von der akademischen Liberalitas Bavarica waren offenbar noch Restbestände vorhanden) im Saldo hinter Karlsruhe zurückblieb, wenn auch nicht allzusehr. So wurde der Senat nicht völlig entmachtet, sondern es blieben ihm einige marginale Zuständigkeiten für studentische Disziplinarangelegenheiten sowie dienstaufsichtliche Befugnisse; wichtiger war, daß die Fakultäten nicht auf unverbindliches Palavern beschränkt wurden, sondern auch Beschlüsse fassen durften. 283

Da Meinungsverschiedenheiten zwischen einem Dekan und seiner Fakultät aber vom Rektor entschieden wurden, bedeutete dies letzten Endes einen weiteren Machtzuwachs für den „Führerrektor". Einen solchen bewirkte zweifellos ebenfalls die Regelung, daß der bayerische Rektor bei der Berufung seines Senats völlig freie Hand haben sollte und sich unter den zehn bis 13 von ihm zu ernennenden Senatoren lediglich die Dekane befinden mußten (das kategorische badische „Der Senat faßt keine Beschlüsse" fehlte freilich in Bayern, ohne daß ihm jedoch analog zu den Fakultäten ein Beschlußrecht ausdrücklich verliehen worden wäre - dieser Punkt blieb offen). Historisch bedingt gab es in Bayern keinen Kanzler, sondern einen unbestimmten „Vertreter" des Rektors, unter dem man sich den Prorektor vorstellen konnte. Nach wenig mehr als einem halben Jahr Drittes Reich war dies alles, sollte man meinen, schon ganz schön stark - die bayerische wie die badische Neuordnung. Tat sich da nichts dagegen? Wenn schon keine Revolution, vielleicht ein Revolutiönchen? Uber den badischen Erlaß - sie nennt ihn „Universitäts-Verfassung", obwohl er das zwar de facto, aber nicht de jure war - schreibt Frau Vezina915, er hätte die Universität Heidelberg „wie ein vernichtender Schlag" getroffen, was sie dann freilich in „löste in Universitätskreisen Besorgnis aus" abgemildert hat. Das letztere dürfte richtig sein, wie denn die Denkschrift, die der noch amtierende Rektor Andreas dagegen abgefaßt, am 17. September ausgefertigt und am 19. Minister Wacker eingereicht hat, für die allgemeine Stimmung kaum repräsentativ gewesen sein dürfte und im übrigen in seiner Lage nicht allzuviel Mut erfordert hat. Zumal sie so toll auch gar nicht gewesen ist. Denn was Andreas hier916 vorgebracht hat an Anderungswünschen zu der „Hochschulordnung" vom 21. August, ist keineswegs weltbewegend. Und wenn er, bevor er sich nun nach seinem Rektorat wieder „der völkischen Erziehung des jungen Geschlechts zu politischen Menschen" zuwenden wird, dieses Vorbringen, insbesondere in seinem Begleitschreiben an Wacker, mit tiefen Verbeugungen begleitet (sein Rektorat im Geist der Regierung der nationalen Erhebung geführt, seine Betrachtungen durchaus vorwärts und nicht etwa rückwärts gewandt, freimütiger Rat eines dem Führergedanken anhängenden und ihn nur vor Trübungen bewahren wollenden, bekenntnisfreudigen deutschen Gelehrten, der aus ehrlicher Uberzeugung die Hochschule rückhaltlos unter den großen Leitgedanken der nationalsozialistischen Staatsordnung - wahres Führertum und wahre Volksgemeinschaft - gestellt sehen möchte), so ist das gewiß - wieder einmal nicht simpel ein feiges Bemühen um Absicherung und ein Symptom dafür, wie sich die deutsche Hochschule binnen kürzester Zeit an Befehlsempfang in strammer Haltung gewöhnt hat, sondern - aus der Feder eines Mannes wie Andreas - eben auch wieder ein Zeichen ihrer Ambivalenz dem neuen System gegenüber, mit dem man in vielem eben doch sympathisierte. Was will Andreas? Daß das neue „System" (das ist natürlich ein Lapsus) die Hochschulen seinen Grundsätzen anpaßt, ist ihm eine Selbstverständlichkeit, bestürzt hat ihn nur, daß man die amtlichen Vertreter der Betroffenen vorher nicht angehört hat. Dann kritisiert er, daß der Zuschnitt noch schmaler ist als in Bayern. Das akademische Selbstverwaltungsrecht sei mehr als eine Schöpfung des „für uns alle abgeschlossenen liberalen Zeitalters" und „älter als alle Demokratien des 19. und 20. Jahrhunderts"; als eine „Frucht des germanischen Genossenschaftstriebes" - Tacitus in der Übersetzung des liberaler Neigungen unverdächtigen Kollegen Fehrle als Zeuge - versucht er es seinen Lesern im Ministerium schmackhaft zu machen. Hebt man es, wie geschehen, auf, würden möglicherweise die „vorhandenen Mängel des Gelehrtentums durch Beamtenuntugen284

den vermehrt". Und schließlich die übliche Warnung davor, die Lehrfreiheit anzutasten - sie solle vielmehr, meint Andreas, „förmlich verkündet" werden. Im einzelnen zum Rektor. Allgemeine Zustimmung, schreibt Andreas, finde, daß der ehemalige „parlamentarische Schattenkönig" nunmehr die Führung der Hochschule übernehmen werde. Indes solle man ihn nicht lediglich zum Organ des Behördenwillens machen, eine „gezügelte Selbstbestimmung" sei einer „zu straffen Bürokratisierung" (er erinnert an die geringe Beliebtheit der preußischen Kuratoren, denen das Rektoramt nun angenähert werde) unbedingt vorzuziehen. Natürlich müsse der Rektor eine „Vertrauensperson der Regierung" sein, aber er müsse (nochmals Tacitus dazu) mehr durch Beispiel als durch Machtbefugnis führen, in „vertrauensvoller genossenschaftlicher Zusammenarbeit", mehr Kamerad Rektor als Führer-Rektor. Gegen die Ernennung durch das Ministerium hat Andreas offenbar nichts, nur möchte er wie in Bayern ein Vorschlagsrecht des Senats, eine Dreierliste, denn daß den Universitäten bei der Bestimmung ihrer Oberhäupter weniger Einfluß eingeräumt werde als den Städten, das ist ihm nun doch „schmerzlich". Auch die längere Amtsdauer zwecks Schaffung bisher mangelnder Kontinuität bejaht er, um die Amtsgewalt zu stärken, aber nicht (das sei nur jetzt bei dem ersten Rektor neuen Typs mit seinen besonders schwierigen Aufgaben gerechtfertigt) unbestimmt im Belieben des Ministeriums, sondern festgelegt - drei Jahre (Dekane zwei, um „Klüngelbildung" zu vermeiden) hält er indes für das höchste, was auch eine starke Persönlichkeit ohne Aufgabe ihrer „wissenschaftlichen Schöpferischkeit" auf sich nehmen könne. Prorektor und Dekane müßten, wo man doch mit den „Unvollkommenheiten der Menschen" zu rechnen habe, das Beschwerderecht zum Minister erhalten. Und unter dem Rektor für den Verwaltungskram nicht einen „Kanzler" (welch eine Beleidigung für Hitler!), sondern einen besseren Adjutanten mit dem Titel Syndikus, Universitätsrat oder dergleichen, um ein bedenkliches Nebenregiment zuverlässig auszuschließen. Die Entmachtung des Senats hat Magnifizenz Andreas offenbar weniger „schmerzlich" empfunden; es stört ihn lediglich, daß der Rektor dieses Gremium durch Ernennung von Vertrauensleuten manipulieren kann - durch einen Vergleich mit dem „Pairsschub parlamentarischer Systeme" sucht er das seinem Leser Wacker zu verekeln. Für die Fakultäten hingegen, für diese „eigenartigen Lebewesen", will Andreas schon mehr Spielraum und Atemluft, damit sie nicht verkümmern (was der Senat also ruhig kann). Gewiß befürwortet auch er eine Stärkung der Macht der Dekane - wie im Senat haben in der Fakultät bisher zu viele Quisquilien und Verwaltungsangelegenheiten die Zeit gestohlen. Mehr Sicherung „fruchtbaren genossenschaftlichen Wirkens", als es die neue Ordnung vorsieht, bedürften hingegen die Selbstverwaltungsangelegenheiten - vor allem das Berufungswesen: Die Vorschlagsliste sei nur dann vom Dekan aufzustellen, wenn die Fakultät sich nicht einigen könne, und jedes Mitglied solle das Recht zum schriftlichen Sondervotum besitzen. Aber auch sonst will er die „wichtigen Angelegenheiten", in denen die Fakultät mitreden dürfe, genau definiert sehen. Daß der Rektor die Dekane ernennt, ist ihm trotz Tacitus und der Königswahl der alten Germanen offensichtlich kein großes Ärgernis. Ein Vorschlagsrecht der Fakultät möchte er lediglich, ohne daß aber der Rektor daran gebunden sei. Und er beschließt dies mit folgender Empfehlung, die sicherlich nicht ironisch gemeint gewesen ist, sondern ganz akademisch naiv: „Die Dekanatswahl des letzten Semesters hat übrigens durchaus bestätigt, daß die Fakultäten auch von sich aus die Zeichen der Zeit richtig zu deuten und entsprechend auszuwählen verstehen." Wie wahr! 285

Soweit also Andreas. Ein Schrittchen weiter ist man damals im noch nicht betroffenen Preußen gegangen. Aber in Marburg hat man ja so seine Besorgnisse. Vielleicht war es Zufall, oder aber es lag in der Luft - voneinander gewußt hat man offenbar nicht daß dort917 zur selben Zeit ebenfalls ein Kompromiß ausgearbeitet wurde, hier nicht von einem einzelnen, sondern von einem Team: der Rektor, der Prorektor, drei frühere Rektoren und noch ein, zwei andere Professoren. Das Ergebnis, das am 11. Oktober dem Hochschulverband und der Rektorenkonferenz präsentiert wurde (de facto zwei Leichen, Institutionen jedenfalls, die, selbst wenn sie noch gelebt haben würden, den Gang der Dinge bis zum 28. Oktober gewiß nicht mehr hätten ändern können), war etwas weniger bescheiden als die Wünsche von Magnifizenz Andreas. Führerprinzip, zweijähriges Rektorat und die Ministerbefugnis zur Rektorenentlassung wurden zugestanden, Rektorund Dekanswahl als „Ausfluß echt germanischen Genossenschaftsgeistes" (die germanischen Genossenschaften hatten damals Hochkonjunktur) hoffte man dafür einzuhandeln und sollten verteidigt werden. Aber wie gesagt, bewirkt haben die Marburger Sandkastenspiele nicht das geringste und hat Andreas nichts und hat auch sonst niemand etwas. Mittlerweile ist das Gleichschaltungsspiel vielmehr wieder eine Runde weiter. Denn auch Mecklenburg ist inzwischen einen Schritt vorangekommen, seitdem das Schweriner Unterrichtsministerium am 3. Juli die von der Rostocker Universität vorgeschlagene Übertragung der Senatsbefugnisse auf den Rektor als „Notmaßnahme'' genehmigt hatte (im September wurde die Notmaßnahme verlängert). In Rostock918 hat am 10. August Bachers „Arbeitsgemeinschaft nationalsozialistischer Dozenten" dem Rektor ihre Denkschrift „Grundsätzliches zum organisatorischen Neubau der Hochschule" überreicht, die ebenfalls die klare Rektoratsverfassung fordert. Zusammen mit dem badischen und dem bayerischen Muster wird sie dann Grundlage einer neuen Satzung für Rostock, die am 1. Dezember in Kraft gesetzt wird - Thüringen ist Anfang November vorausgegangen. Warum es, wo kleinere Hochschulländer so forsch vorgegangen sind (und nur Sachsen919 sich noch Zeit ließ bis zum 22. Dezember und Hamburg 920 einen weiteren Monat länger, bis zum 19. Januar 1934), in Preußen trotzdem noch bis zum 28. Oktober gedauert und was Unter den Linden hemmend gewirkt hat, wird aus den Akten nicht ersichtlich921. Sicher läßt es sich nicht allein damit erklären, daß nun erst einmal Semesterferien waren und also kein dringender Handlungsbedarf bestand. Sehen wir aber diese Ferienmonate kurz durch. In Bonn922 erlaubt der Brief der offenbar recht gut informierten Frau Therese Decker vom 8. August in Sachen Konen./. Poppelreuter 923 einen Blick auf Aktivitäten, den Germanisten Hans Naumann ins Rektorat zu hieven - andere wiederum wollen Antropoff als Rektor haben. Therese Decker warnt Naumann, diese „sehr gerade, knorrige urdeutsche Natur", vor Poppelreuters Versuchen, ihn als Strohmann vorzuschieben; und da er tatsächlich im kommenden Jahr Rektor geworden ist, waren die Deckerschen Berichte aus dem akademischen Untergrund möglicherweise nicht ganz aus der Luft gegriffen. Am 28. September ernennt das badische Kultusministerium 924 gemäß Erlaß vom 21. August die drei Rektoren. In Freiburg und Karlsruhe sind es die alten - nun aber, so stellte man sich das offenbar vor, mit der Ernennung an Stelle der Wahl zu einer Art höherer Weihe gelangt. In Heidelberg ist es der bereits gewählte Groh. Er und Heidegger in Freiburg sind „für einen längeren Zeitraum" vorgesehen, Kluge in Karlsruhe will man nur noch ein halbes Jahr im Amt behalten. Am 1. Oktober ist dann in Heidelberg Amtsübergabe. Wider Erwarten, so hat Andreas 286

im Sommer 1934 einem befreundeten Kollegen geschrieben925, habe er bis zum Schluß seines Rektorats „gut durchgehalten". Dieser Schluß freilich ist noch einmal von den lokalen Pauken und Trompeten begleitet worden 926 . Es begann mit dem Heidelberger Tagblatt und den Heidelberger Neuesten Nachrichten, die es am 30. September, einem Samstag, in Rückblicken auf das Rektorat Andreas dem scheidenden Rektor als besonderes Verdient anrechneten, die Universität vor Erschütterungen bewahrt zu haben, seine „frische, lebhafte Aktivität", das Vertrauensverhältnis zu Öffentlichkeit und Studenten rühmten - und so fort. Das rief natürlich die in der Neckarstadt bekanntlich nicht gerade raren Andreas-Gegner auf den Plan. Der Studentenschaft bemächtigte sich, so der neue Rektor Groh, „eine bedenkliche Unruhe". Die dokumentierte sich zunächst in einer von dem Heidelberger Studentenschaftsführer (später Reichsstudentenführer, Gauleiter und Reichsdozentenführer) Gustav Adolf Scheel gezeichneten Erklärung, die an einige im nationalsozialistischen Verständnis unliebsame Vorfälle in der Vergangenheit erinnerte, das „Vertrauensverhältnis" ausdrücklich dementierte und mit dem neuen Rektor und der „Neuordnung" auch den Abschluß der „liberalen Ära" begrüßte. Als die nordbadische Parteizeitung „Hakenkreuzbanner" diesen Text am 3. veröffentlichte, muß sie ihn wohl als zu schwach und zu schlapp angesehen haben. Was es zu korrigieren galt: Im Beiprogramm befaßte sich das Blatt in gut studentischer Manier (Autor oder Autoren waren leicht zu lokalisieren) mit jenen „sinnigen Aufsätzen" der bürgerlichen Presse, die den „Geist seiner verflossenen Magnifizenz", des letzten der 681 gewählten Rektoren, atmeten, eines miesen Anpassers, der plötzlich die nationalsozialistische Kulturpolitik in Erbpacht genommen habe und die Zeit vergessen machen wolle, wo Heidelberger Professoren „neben einem Juden Gumbel saßen und vor einem Remmele ihren Kotau machten". Nachfolger Groh war offenbar auch das noch nicht ausreichend und ging das vor allem nicht an des Übels Wurzeln. Eben erst, am 2., hatte er seinem Minister in einem Brief gelobt, das ihm „übertragene Amt mit allen Kräften nach bestem Wissen und Gewissen im Geiste der nationalsozialistischen Regierung zu führen". Wie schön für ihn, daß sich so schnell eine Gelegenheit bot, das zu beweisen. Er erkannte in den Andreas-freundlichen Presseveröffentlichungen eine „gefährliche Methode des Widerstandes" und sah sich deshalb veranlaßt, nun auch die „Meinung der Hochschulführung" der Öffentlichkeit zu übergeben. Das geschah in einer weniger den Vorgänger (dem hauptsächlich seine Denkschrift gegen die „neue nationalsozialistische Hochschulverfassung Badens" vorgehalten wurde) als vor allem die alte Ruperto Carola in toto denunzierenden Erklärung, datiert vom 5. Oktober: Schlecht verstandene volkserzieherische Pflicht, mitschuldig an der „dünkelhaften, volksfremden Haltung" vieler Intellektueller, deshalb jetzt tiefe Erschütterung der geistigen Grundlagen und der ungestörte Fortgang des Universitätslebens nur äußerlich und (Diener) im wesentlichen der „vorbildlichen Haltung der Heidelberger Studentenschaft zu danken". Der lokalen „Volksgemeinschaft", die Grohs Text noch am gleichen 5. gebracht hatte, erging es, wie es dem regionalen „Hakenkreuzbanner" mit der Scheel-Erklärung ergangen war - auch sie meinte das noch etwas ausschmücken zu sollen. Und so rechnete auch sie einen Tag später unter dem Titel „Rektor Willy Andreas a.D. " mit diesem noch separat ab: Ein lauer Liberaler, der deutschen Wiedergeburt „hinderlicher als die marxistischen Gegner" - und dann das ganze Sündenregister von der Rheinlandbefreiungsfeier von 1930 bis zum Flaggenzwischenfall von 1933. Immerhin: Am 17. Oktober hat Magnifizenz Groh das Ministerium gebeten, von „weiteren Maßnahmen" gegen Professor Andreas Abstand zu nehmen, und am 24. hat 287

Karlsruhe dieser Bitte entsprochen. Welche „Maßnahmen" zuvor offenbar bereits ergriffen worden waren, geht hieraus nicht hervor - nur der Vorwurf, daß die beiden Veröffentlichungen im „Tagblatt" und in den „Neuesten" auf seine Veranlassung hin erfolgt sein sollten. Vielleicht stimmt das auch. „Sprichwörtlich bekannte Eitelkeit" hatte die „Volksgemeinschaft" Andreas vorgeworfen - sie freilich nicht gerade die ideale Zeugin. Aber ihre Leser kannten Andreas. Und der eitle Professor ist eher die Regel als die Ausnahme, und die Bestellung von gedrucktem L o b . . . es gab und gibt Leute, die weitgehend damit ausgelastet sind. Später, nach dem Kriege, hat Andreas sich an verschiedene Schikanen erinnert 927 wie überdurchschnittliche „Gehaltsreduktion", tiefere Einstufung, Entziehung eines Teils der seinem Seminar gehörenden Amtsräume und Bücherbestände sowie Ausschluß von Staatsprüfungen. Vielleicht befinden sich darunter jene „Maßnahmen", jedoch sind das andererseits alles Dinge, die damals gewissermaßen zum „Repertoire" gehörten und die man auch dann mit Vorsicht betrachten sollte 928 , wenn man die vorangestellte Version der Oktoberereignisse („... wegen meiner politischen Haltung wurde ich in einer der ersten Amtshandlungen meines Nachfolgers ... in offiziellen Presseerklärungen als Staatsfeind angeprangert") nicht kennen würde. Gesichert ist, daß Heidelberg sich bemüht hat, Andreas loszuwerden. Am 9. März 1937929 eröffnete Wilhelm Engel, der Unter den Linden zuständige Fachreferent, der Heidelberger Magnifizenz, er habe, gestützt auf ein Heidelberger Gutachten, die „Berufung Andreas nach Leipzig durchgesetzt" — und Groh äußerte seine Genugtuung darüber. Aber wie das manchmal so geht: Aus dem schönen und offenbar scheinbar schon verwirklichten Plan ist nichts geworden und Andreas am Ende des Regimes noch immer in Heidelberg gewesen. Man hat ihm nach 1945930 die einwandfreie Haltung während seiner in das Dritte Reich fallenden Rektoratszeit, von der Beflaggung bis zum Ende, hoch angerechnet, und geradezu „glänzende Zeugnisse" erhielt er von einer ganzen Kompanie nunmehr hochangesehener Persönlichkeiten (darunter etwa Heuss, Meinecke und Dibelius), als der Öffentliche Kläger ihn wegen einiger kleiner Unschönheiten vor die Spruchkammer zitiert hatte - darunter der hier schon erwähnte Brief an Goebbels in Sachen „Greuelpropaganda", dann seine Zugehörigkeit zur SS als Förderndes Mitglied von 1934 bis 1938 und schließlich die Aufnahme des SA-Märtyrers Horst Wessel in das von ihm mit herausgegebene Sammelwerk „Die Großen Deutschen". Eine Konnexion, die weder nach dem 30. Januar 1933 noch nach dem 8. Mai 1945 eine Empfehlung gewesen ist: Der Schwiegersohn von Erich Mareks war auch der Schwager des Generals und Reichskanzlers Schleicher. Etwas Neues, was der Oktober 1933 brachte und was von nun an dazugehörte, waren die Meldungen der ernannten - zunächst badischen und bayerischen - Rektoren, was sie nun ihrerseits alles ernannt hatten an Prorektoren, Kanzlern, Senatoren, Dekanen, Ausschußmitgliedern und dergleichen - Groh-Heidelberg zum Beispiel am 2., Reinmöller -Erlangen am 12., Fischer-Würzburg am 13.931 Ferner brachte er an diesem 13. nun auch in Hessen eine neue Verfassung für Gießen 932 , im wesentlichen streng wie die badische. Den Rektor ernennt hier der Reichsstatthalter - ohne Vorschlagsrecht des Senats, dieser „faßt keine Beschlüsse". Neu ist die Abhängigkeit der Dekan- und Prodekan-Ernennungen des Rektors von der Bestätigung durch die Kultus-Ministerialabteilung. Und neu ist auch die dem hier wie in Baden vorgesehenen Kanzler beigefügte Parenthese „Zweitführer", was den Beginn jener kurzlebigen hessischen, auch ins benachbarte Baden überschwappenden Marotte anzeigt, des sogenannten „Zwieführer"-Systems, das uns, wie die übrigen Abschnitte dieser gegenüber Baden und Bayern weitergreifenden und auch 288

als solche bezeichneten „Verfassung", noch an späterer Stelle beschäftigen wird. Daß, obwohl ja keine Abstimmungen mehr stattfanden, die verantwortliche Mitarbeit aller Dozenten gewährleistet sei, schloß die Deutsche Allgemeine Zeitung 933 vielleicht eher tückisch aus der kindlich-naiven Bestimmung des Paragraphen 18, wonach die Dozenten künftig nicht nur berechtigt, sondern ausdrücklich verpflichtet waren, ihre der des Dekans etwa widersprechende Auffassung diesem unverzüglich zur Kenntnis zu bringen. Nach der neuen Verfassung ist dann Bornkamm, wie er den Kollegen am 20. Dezember melden konnte, für das am 15. Oktober begonnene Amtsjahr wieder berufen worden. Am 16. gibt das bayerische Kultusministerium (inzwischen existieren auch „Vorschriften zur Verwaltung der Technischen Hochschule") nun noch die Ernennung für die T H München 934 bekannt: Schwaiger bleibt, weshalb man - Verwaltungsvereinfachung auch noch anderer A r t - v o n der Einholung von Senatsvorschlägen abgesehen habe. Zwölf Tage später geschieht dann endlich, worauf alles wartet: Rust gibt in dem Erlaß U 1 1926935 die Regelung für Preußens Universitäten bekannt, die mutatis mutandis identische Fassung für die Technischen Hochschulen folgt am 6. Dezember 936 . Damit erweist sich die Vorteilhaftigkeit der außerpreußisch aufgelassenen Testballone: Es gibt keine Überraschungen mehr - und mithin auch keine möglichen Steine des Anstoßes. Auf den knapp zwei Seiten bringen die fünf Punkte Rektor (vom Minister ernannt, Dreiervorschlag des Senats, Ernennung der Dekane) und Senat (Einberufung im Belieben des Rektors, keine Abstimmungen) und die fünf Punkte Fakultäten (Recht eines Dreiervorschlags für die Ernennung der Dekane, keine Abstimmungen, Recht des Sondervotums, Schriftverkehr in Personal- und Studienangelegenheiten über den Rektor) an Neuem eigentlich nur die Senatszusammensetzung: Zu Rektor, Prorektor und Dekanen treten hier der Hochschulführer der (neuen preußischen) Dozentenschaft, der Hochschulführer des SA-Hochschulamtes (eine im dritten Teil dieser Arbeit zu rezensierende skurrile und kurzlebige Institution, die dann gewissermaßen zusammen mit Röhm in Stadelheim erschossen werden wird) sowie aus jeder Fakultät ein vom Dekan bestimmter Ordinarius und zwei vom Dozentenschaftsleiter benannte Dozenten; ein Studentenschaftsvertreter ist wie in den übrigen Ländern auf Studentenangelegenheiten beschränkt. Das Ganze läuft unter der Uberschrift „Vorläufige Maßnahmen zur Vereinfachung der Hochschulverwaltung", hat also, wie das angesichts der bevorstehenden „Verreichlichung" und der damit zu erwartenden Vereinheitlichung des Hochschulwesens (warten mußte man auf Teilergebnisse bis zum 1. April 1935) auch gar nicht anders sein konnte, provisorischen Charakter. Nun war also sonnenklar, wohin die Reise ging; auch im entlegensten akademischen Winkel des Reiches konnte es keine Illusionen mehr geben. Während jetzt in Preußen die Rektorvorschläge der Senate Unter den Linden einlaufen, noch einige Nachrichten aus jenen Tagen von den anderen Ländern. In Heidelberg 937 hat Groh seinen „Führerstab" installiert, eine Einrichtung mit dem offenbaren Zweck, dem sterbenden Senat noch den letzten Fußtritt zu versetzen. O b er hier Pionier oder Nachahmer gewesen ist, muß offenbleiben, da die - schon erwähnten - anderen Stabs-Gründungen dieser Art nicht datierbar sind. „Brücke von der Universität zur Bewegung" jedenfalls sollte die neue und in keiner Verfassung oder Hochschulordnung verankerte Institution nach dem Willen ihres hiesigen geistigen Vaters sein, was indes in ihrer Zusammensetzung nicht recht deutlich wurde. Mehr eine Art Küchenkabinett, saßen hier nämlich mit Rektor, Kanzler und Vizekanzler (beide keine Ordinarien) lediglich ein Obermedizinalrat (der 1934 Dozent wurde) und allerdings der Heidelberger Studentenführer Gustav Adolf Scheel zusam289

men, der dann wohl die „Bewegung" repräsentierte; 1934 kam noch, nach seiner Berufung an die Ruperto Carola, Krieck dazu. Das Gremium tagte alle zwei, drei Wochen und hat bis zum Ende des Rektorats Groh bestanden. Und vom Monatsende Oktober noch eine Nachricht aus Leipzig938, von einer Universität, die bisher hier nicht erschienen ist. Die Universitas Litterarum Lipsiensis ist (als das Schicksal in Gestalt von Karl Marx sie noch nicht ereilt hatte) bis zu den Neugründungen rund um den Ersten Weltkrieg immer stolz darauf gewesen, als einzige deutsche nicht Ruprecht-Karls- und nicht Friedrich-Wilhelms-, nicht Ludwig-Maximilians- und auch nicht Georg-August-, nicht einmal Landes-, sondern schlicht (mit derselben penetranten Schlichtheit, mit der inzwischen Hitler sein Braunhemd trug) Universität Leipzig zu sein - Bürger-, nicht Fürstengründung. Da ist es vielleicht unter ihrer Würde gewesen, die akademischen Schwestern über das Geschehen in ihrem Hause zu informieren. Sie war jedenfalls die einzige, die das nicht getan hat, weshalb die Informationen von der Pleiße am dürftigsten sind. Am 31. Oktober jedenfalls ist Hans Achelis dort aus seinem Rektorat geschieden - Hans Achelis, der Kirchengeschichtler, der alte Achelis und Vater des Physiologen Johann Daniel939, der, bis vor kurzem ebenfalls noch in Leipzig, inzwischen Unter den Linden die preußische Hochschullehrerschaft säuberte. Der ordnungsgemäße Rektor des Rektoratsjahres 1932/33940 war einer von denen, die glaubten beschwichtigen zu können - nur nicht die neuen Leute reizen und dadurch die „Kinderkrankheiten" verlängern - , war der Mann, dem wir schon zugehört haben, wie er der Tochter des von den Nationalsozialisten verfolgten und verhafteten Kollegen den guten Rat gibt, die Angelegenheit doch von der komischen Seite zu sehen. Als er jetzt abgeht, meint der Theologe, die nationale Revolution betrachtend und biblisch geschult, nach der Zeit der Weissagung sei nun die Zeit der Erfüllung gekommen. Was wenigstens insofern nicht verkehrt war, als sein Nachfolger wirklich ein guter Erfüllungsgehilfe gewesen ist: der Tierzüchter Arthur Golf. Zu dessen großer Freude damit auch endlich das Prorektorat Litts endete, den er schon gleich nach der Machtergreifung vergeblich zum Rücktritt zu überreden versucht hatte. Aber nun also nach Preußen. Die Kieler941 sind dort die ersten. Ihr Vorschlag nennt Rektor Wolf (am 29. wird er dann ernannt) und Prorektor Buddenbrock an erster und zweiter Stelle, und an dritter - Jens Jessen! Zwei Tage später folgt Bonn - ebenfalls mit dem „zeitigen" Rektor Pietrusky an erster (am 16. ernannt) und Prorektor Zycha an folgender Stelle. Und am 4. Marburg 942 , der Pharmakologe Max Baur an erster Stelle. Dieser, fachlich bislang mit den Problemen der Harnstoffe und des chemischen Krieges ausgelastet, kann - so die Oberhessische Zeitung am 29. November - der bereits erfolgten Übernahme der Führung der Marburger Ortsgruppe des Luftschutzbundes noch die der Philipps-Universität hinzufügen: Am 25. ist er ernannt worden, am selben Tag, an dem in der Kreisleitung der dortige Beamtenführer das Berliner Ministerum bittet, den auf der Liste vorgesehenen „Prof. Bauer" (sie) abzulehnen („für uns untragbar"). Der alte Rektor Merk hatte „dringend darum gebeten, von seiner Wiederwahl abzusehen". O b so etwas immer stimmte oder nur eine kaschierte Abwahl war, ist im nachhinein nur schwer zu entscheiden. Das wird deutlich im Falle Berlin943, wo Eugen Fischer sofort nach Erhalt des Erlasses U 1 1926, am 3. November, Rust schreibt, seine Kollegen würden ihn zwar an erster Stelle auf die Vorschlagsliste setzen, doch könne er verstehen, wenn der Minister einen Mann mit alter Bindung an die Partei vorziehen würde: „Nur diesen Vorzug würde ich anerkennen; in rückhaltlosem Einsatz für die nationalsozialistische Sache und im Willen, darin mitzuarbeiten und die Universitäten einbauen zu helfen, 290

halte ich mich jedem für ebenbürtig." Wenn das aber so sei, möchte Rust ihm das doch bitte vorher sagen und ihm „einen Rücktritt so ermöglichen, daß die Sache nicht leidet". Wobei man anstelle von „die Sache" ( = Universität), wie immer bei so etwas, getrost „Fischer" setzen kann. Und wirklich wird er gleich darauf etwas deutlicher, will freilich auch hier nicht „Fischer", sondern die „fundamentalste" Bedeutung seiner Erb- und Rassenlehre im Visier haben: „Es wäre ein unheilvoller Schaden, wenn kleinliche Naturen sagen könnten, Eugen Fischer war nationalsozialistisch nicht zuverlässig genug und ist deswegen nicht zum Rektor ernannt worden." Wird er wohl bleiben dürfen? Kann man auf einen solchen Mann verzichten? Während wir das abwarten, geht in Frankfurt 944 und Köln der Rektorvorschlag auf den Weg. Der Frankfurter Senat hat richtiggehend abgestimmt, obwohl das doch eigentlich nicht statthaft ist. Aber der Fall ist nicht hoffnungslos: ein leerer weißer Zettel nur - und auf den übrigen dreizehn der Name Krieck. Noch Leute secundo und tertio loco zu nennen, macht man sich daher gar nicht erst die Mühe (und ist auch wirklich überflüssig: Schon am 17. wird Krieck ernannt). Und Köln 945 tut am 8. das gleiche, wählt Rektor Leupold mit elf von 13 Stimmen zum ersten Kandidaten. Zuvor hat Dekan Hans Carl Nipperdey ein Gutachten abgegeben zu der uralten Streitfrage, was wohl zuerst dagewesen ist, das Ei oder die Henne. Oder in der aktuellen Form: Kann den neuen Führerprinzip-Rektor erst ein neuer Führerprinzip-Senat vorschlagen, oder kann erst der neue FührerprinzipRektor den neuen Führerprinzip-Senat ernennen? Nipperdey entschied sich (wie das die neue Verfassung vom 28. Oktober ja auch völlig eindeutig vorschrieb) für den ersten Weg, weil es „sonst der bisherige Rektor in der Hand hätte, durch die Art der Zusammensetzung des Senats auf den Senatsvorschlag Einfluß zu nehmen" (daß dies nun der alte Senat via Rektor hinsichtlich seiner künftigen Zusammensetzung konnte, hielt die juristische Spektabilität offenbar für weniger gewichtig, und in Wirklichkeit war das eine so belanglos wie das andere - den Rektor ernannte der Minister, und der Vorschlag war eine Farce). Leupolds Zeit ist freilich nur noch in Wochen bemessen. Bereits am 19. Februar 1934 wird er sein Gesuch um Entbindung vom Rektorat einreichen, wegen des Verhaltens des Kölner Gauleiters Grohe - „für meine Person tief verletzend" und „für die Stellung eines Rektors gänzlich untragbar": Der Gauobmann des NS-Juristenbundes hat, ohne ihn zu benachrichtigen, den Professor Geldmacher beauftragt, an seiner „Stelle den Reichsjuristenführer und die Gautagung zu begrüßen". Nach nunmehr erworbenen Einblicken in das (damalige?) akademische Milieu ahnen wir, wie das weitergeht. Und so geht es auch weiter, natürlich wird dann Anfang März 1934 Geldmacher, der Betriebswirt Erwin Geldmacher, Nachfolger des Pionier-Rektors des Führerprinzips. Entreakt in anderen Ländern. In Erlangen 946 hat inzwischen am 4. November Rektor Locher an Johannes Reinmöller das Amt übergeben - die Universität feiert an jenem Tag ihren 190. Geburtstag, und Reinmöller legt als erster Erlanger Rektor den Eid in deutscher Sprache ab. Mit dem heiligen Versprechen, so sagt er in seiner Rede, sich des Retters des deutschen Volkes würdig zu erweisen, trete die Friedrich-Alexander-Universität in das 20. Jahrzehnt ihres Bestehens ein. Zwei Tage später erhält Jena 9 4 7 zwar keinen neuen Rektor (Esau wird bestätigt), aber nun endlich ebenfalls eine neue Satzung nach dem Führerprinzip und dem übrigen nun bekannten Strickmuster. Merkwürdig, daß die bislang politisch so flinken Thüringer jetzt der großen Armee hinterherhinken - hatte lediglich Frick seine Leute in Schwung gebracht? In Süddeutschland haben Rektoren damals gerade Kraftproben zu bestehen. Groh in Heidelberg 948 mit dem juristischen Dekan, der sich in einem scharfen Telefonat bei dem 291

kranken Rektor über die Publizierung der Ruhestandsversetzung eines allseits geschätzten „nichtarischen" Kollegen, des Orthopäden Hans Ritter v. Baeyer, beschwert hat. Der Hochschulreferent eilt am 8. November von Karlsruhe herüber und schlägt Groh die Absetzung des Dekans vor. Sie erfolgt am Tag darauf - wegen „ungebührlichen Betragens dem Rektor gegenüber". Man könnte darüber streiten, was hier ins akademische Leben einbrach - die Schule oder der Kasernenhof. Mit Gewißheit die Unanständigkeit. Bei dem gemaßregelten Dekan handelte es sich übrigens um Heinrich Mitteis. Und in Tübingen 949 eskaliert der Streit mit Kommissar Bebermeyer, nachdem man Anfang des Monats die „Sonderbeauftragten" und „Kommissare" und insbesondere den einen Bebermeyer schon geglaubt hatte glücklich loszusein. Gewissermaßen als Dankopfer hatte Rektor Dietrich einen „Hochschulpolitischen Ausschuß gebildet", um in allen politischen Fragen die „enge Beratung von führenden Personen der nationalsozialistischen Bewegung" zu genießen. Am 20. aber ruft er vor dem Großen Senat gewissermaßen den Notstand aus: Die Kommissariate sind verlängert worden, er, der Rektor, hat seinen Rücktritt angeboten, hat Bebermeyer abberufen und ist im Kultministerium trotz mehrfacher Versuche nicht mehr empfangen worden - ist nun sein Rektorat „erledigt", oder gibt es Hoffnung auf eine „befriedigende" Regelung? Weitere Ernennungen während der zweiten Novemberhälfte in Preußen: Am 16. der Dogmatiker Karl Eschweiler für die Braunsberger Akademie und Neumann für Göttingen 950 . Die Göttinger haben am 3. November ihren Neumann wiedergewählt, einstimmig natürlich 951 und mit der Bitte, von den beiden weiteren Vorschlägen absehen zu dürfen: Neumann, der sich des Vertrauens der gesamten Universität erfreue und dessen Persönlichkeit Gewähr biete für die weitere Führung der Universität in nationalsozialistischem Geiste, sei unentbehrlich für die „Neuformung" der Universität, ein Wechsel im Rektoramt „fast untragbar". Wenn Neumann umgehend seinem Senat einen „Stab des Rektors", bestehend aus Prorektor Schermer, den Führern von Dozentenschaft und Studentenschaft, einem Vertreter des SA-Hochschulamts und dem Leiter der Pressestelle, vor die Nase setzte, hat er damit für die Richtigkeit dieser Einschätzung gleich ein erstes Signal gesetzt. Veränderungen bringt der Monat in Breslau, wo am 25. der Staatsrechtler Gustav Adolf Walz den unglücklichen Helfritz ablöst, und vor allem in Halle 9 5 2 , wo Stieve nun am Ende seines Weges angelangt ist. 1931/32 hat er als Kumpel der nationalsozialistischen Studenten einen Flankenangriff gegen Aubin geführt, 1933 hat er bis vor kurzem Rektorentag und Rektorenkonferenz zu Grabe tragen geholfen. Jetzt kann der Mohr gehen. Neuer Rektor der Martin Luther Universität Halle-Wittenberg wird Hans Hahne - Fächer: Deutsche Geschichte und Volkstumskunde. Für die „gesamte hallische Studentenschaft" beginnt damit „ein neuer Zeitabschnitt im Leben unserer Universität", und sie dankt Rust „von Herzen für diese Tat": „Mit großer Freude und unbeschreiblichem Jubel" habe sie „Kenntnis genommen von der Ernennung unseres Prof. Hahne zum Rektor". Und an den neuen Mann an der Spitze: „Zum ersten Male sind Führer der Dozenten, Dozentenschaft und Studentenschaft aktive Träger einer zu verwirklichenden Idee, der nationalsozialistischen Universität... Das persönliche Verhältnis, das Ew. Magnifizenz zu allen geistig und charakterlich jungen Kräften an der Universität haben, wird diese Arbeit zu einem besonderen Erfolg werden lassen." Hahnes früher Tod am 2. Februar 1935 hat freilich die volle Reife jenes Erfolges verhindert. Rektoratsübergabe auch am 24. November in Darmstadt 953 , von August Thum an Hans Busch. Thum (Werkstoffkunde) hat es verstanden, sich nach 1945 als 1933 ständig 292

von Verhaftung und Ermordung bedroht hinzustellen, als einen Mann, der „als Rektor den Becher des Ärgers und Verdrusses bis zur Neige" habe leeren und „Beleidigungen von den Studenten und gewissen Assistenten kübelweise schlucken" müssen. Die Schließung der Darmstädter Hochschule und ihre Besetzung durch die SA 9 5 4 erscheint hier als „Revolte der Studenten gegen den Rektor" - denn da ist jetzt etwas aus dem Jahre 1934 zu kompensieren: Thums Eintritt in die Partei. Er hat eine freundliche Spruchkammer gefunden, die es ihm abnahm, daß das gegen seinen Willen und schon gar nicht aus eigenem Antrieb geschehen war, sondern „auf Verlangen Hitlers" (der freilich sehr wahrscheinlich von der Existenz eines Professors Thum nicht die leiseste Ahnung gehabt haben dürfte) 955 . Und das Aufnahmejahr spricht zumindest für eine gewisse Patronage im Bereich der Partei. Aber wie dem auch sei, politisch sehr übel kann auch sein Nachfolger nicht gewesen sein, der es bei dieser Rektoratsübernahme am 24. November immerhin verstanden hat, seine Ansprache ohne einen gravierenden Kotau über die Bühne gehen zu lassen - das ging also auch. An der Technischen Hochschule jedenfalls. Einen Tag nach der Darmstädter Feier beginnt an der Münchener Universität Escherichs Amtszeit. Seine Rektoratsrede „Termitenwahn" 956 war kein rein zoologischer Fachvortrag, sondern bot Weiterführendes, freilich auch Seltsames und eigentlich Ambivalentes. Im Termitenstaat, dem von Menschen „bisher" noch nicht erreichten „Totalstaat reinster Prägung", fand Escherich „das oberste Gesetz des Nationalsozialistischen Staates .Gemeinschaft geht vor Eigennutz* bis in die letzte Konsequenz verwirklicht": Absolute Disziplin, absolute Unterordnung des Individuums unter das Ganze (ein Prozent Korruption allerdings entdeckte er doch), Selbstaufgabe und Selbstaufopferung für das Ganze, Hingabe und Eifer bei Erfüllung der Pflichten und alles sogar noch - jedenfalls hat Escherich das beobachtet - mit „starken Lustgefühlen". Nur leider: Menschen sind keine Termiten, und zu versuchen, sie „ohne weiteres" mit Gewalt oder Terror zu Termiten zu machen, das sei Bolschewismus, namenloses Unglück, eben „Termitenwahn". Um aber nun zu einem „sicher funktionierenden menschlichen Totalstaat" zu gelangen, wie der Nationalsozialismus das ja wolle, bedürfe es langer Erziehung „über mehrere Generationen hinweg" und schwerer Arbeit auch der Hochschule, bis es dereinst „höheres Lustgefühl" vermitteln werde, „der Gemeinschaft zu dienen als egoistischen Trieben zu frönen". Wenn man das heute liest, stutzt man: Ein früher Mann des Widerstands? Hält hier einer den nationalsozialistischen Termitenzüchtern vorsichtig einen Spiegel vor, das Spiegelbild nicht sehr überzeugend mit der Ballonmütze und Hammer und Sichel kaschiert? Nun, damals hat das offenbar niemand so verstanden (erst nach 1945, wie wir noch sehen werden), und Escherich selbst, der Bruder gewissermaßen der berüchtigten „Orgesch", liefert lediglich einen, ebenso mehrdeutigen, weiteren Beleg. Sollte er jedoch an jenem 25. November 1933 todernst gewesen sein, so kann man verstehen, warum Hitler, abgesehen von den evangelischen Geistlichen, am wenigsten von den Professoren gehalten hat. Am Tage, an dem die Universität München Näheres aus dem Leben der Termiten erfährt, erläßt nun auch Württemberg für Tübingen 957 eine neue Universitätsverfassung. Der Inhalt ist jetzt schon Routine mit leichten Variationen (Genehmigungspflicht für die Auswahl des Prorektors, Beschlüsse weder da noch dort), wirklich neu ist nur die programmatische Umbenennung der (Engeren) Fakultät in Fakultätsrat. Die neue Verfassung hat einen Rektorwechsel im Gefolge. Der schwer angeschlagene Dietrich stürzt nun ganz, am 4. Dezember ernennt Stuttgart einen-Theologen zu seinem Nachfolger, Karl Fezer. „Mit sofortiger Wirkung" hat es im Erlaß geheißen, jedoch findet die Rektorats293

Übergabe erst kurz vor Weihnachten statt, am 21. - nur mit einer „schlichten Feierlichkeit" anstelle des „überlieferten festlichen Rahmens". Statt die übliche Rechenschaft abzulegen, begnügte Dietrich sich mit dem Bekenntnis, sein „einzigstes [sie] heißes Bemühen" habe darauf hingezielt, „der neuen Zeit die Tore offenzuhalten" (und daran lag es natürlich: weiter öffnen hatte er sollen, nicht offenhalten). Die neue Magnifizenz hingegen schöpfte voll aus seinem theologischen Fundus, erkannte den „im Nationalsozialismus wirksamen Willen" als die gleiche „Erkenntnis von der Einheit und Ganzheit", die auch die Wissenschaft und insbesondere seine Theologie in den letzten Jahrzehnten umgewälzt habe, die „Totalität des Lebens und eines Volkes", wie Hitler sie „in einer großen Schau erkannt" habe und „mit seinem gewaltigen Willen" jetzt durchsetze. Hätte der es erfahren, hätte er beruhigt sein können - die Hohe Schule zu Tübingen war offenbar in guten Händen. Mecklenburg gab zur gleichen Zeit wie Württemberg seiner Rostocker Universität958 eine neue Satzung der nun üblichen Art. Neu scheint hier gewesen zu sein, daß man die vielenorts in Konkurrenz zu den Senaten installierten Führerstäbe zumindest dem Namen nach institutionalisiert und den Senat gleich in „Führerrat" umbenannt hat. Wenn das stimmt, kann man den Mecklenburgern bestätigen, daß ihr Staatswappen keine Rückschlüsse auf das Staatsvolk erlaubt. Damit ist des großen Jahres letzter Monat gekommen. Am 2. Dezember meldet sich aus dem fernen Königsberg ein neuer Rektor - im äußersten Nordosten des Reiches ist es ebenso wie im äußersten Südwesten ein Philosoph, nur nicht ganz so berühmt: Hans Heyse. Zwei Tage später hält er seine Rektoratsrede „Die Idee der Wissenschaft und die deutsche Universität". Hier offenbart sich dem ostpreußischen Denker in einer Art Vision der „Führer der deutschen Revolution" als das deutsche Pendant zum Grabmal der unbekannten Soldaten der anderen Nationen, nur eben halt lebendiger und zukunftsträchtig, und hier leert er über Philosophie und Wissenschaft einige Kannen pseudophilosophisches und pseudoheroisches Bla-bla aus. Denen, die das etwa nicht kapieren sollten, wurde bei der Veröffentlichung dieses tiefschürfenden Unsinns 95 ' (wobei wir uns heute freilich an die Brust schlagen müssen, die Emphase, der hochgestochene Anspruch und der Phrasenreichtum haben sich kaum verändert, nur der Inhalt - die Geräte gewissermaßen, an denen geturnt wird) noch ein Aufsatz „Über Geschichte und Wesen der Idee des Rechts" beigefügt, wo es - trotz der völlig unterschiedlichen Titel steht in beiden Beiträgen ungefähr dasselbe-der Wissenschaft noch einmal gesagt wurde, was sie hatte - nämlich „nur ein Gesetz: den tiefsten Absichten und Zielen des Führers zu dienen, der Idee und Wirklichkeit des Neuen Reichs". Später wird man dem Philosophen Heyse in Göttingen wieder begegnen als Präsident einer dort residierenden „Nationalsozialistischen Akademie der Wissenschaften", hinter welchem pompösen Namen man freilich nicht mehr suchen darf als eine vor sich hin kümmernde Institution des selbst auch nicht viel potenteren Dozentenbundes. In Karlsruhe960 hingegen hat es keine Veränderung gegeben961, Magnifizenz Kluge übergibt am gleichen 2. Dezember gewissermaßen an sich selbst - „beseelt vom Glauben an den Führer": Gruß an das „Hakenkreuzbanner als Feldzeichen der nationalen Erhebung" (kein „schmählicher Farbenwechsel" wie 1918), ein bißchen Denunziation der alten Hochschulverfassung und Enthüllung vor 1933 erörterter Reformpläne als dahin gerichtet, sich dem Einfluß des Ministeriums des „Nachnovemberregimes" zu entziehen. Natürlich sei jetzt für dergleichen kein Platz mehr, jetzt herrsche „engste Gemeinschaft mit der Staatsleitung", und wer den neuen Rektortyp als Fremdkörper begreife, als Or294

gan des vorgesetzten Ministeriums, der habe eben noch nicht begriffen, „daß sich die in den Nachkriegsjahren gegenüberstehenden Fronten der Ministerien und Hochschulen in eine gemeinsame, für das Gedankengut des Nationalsozialismus kämpfende Front verwandelt haben". Schließlich noch eine Verbeugung mit der „feierlichen" Versicherung, Hochschule und Volk „im nationalsozialistischen Sinne dienen" zu wollen, und dann die übliche Bitte um Vertrauen, mit einer allerdings unüblichen Begründung serviert: Damit (und das „ist doch unser aller Ansicht") der Beweis erbracht werde, daß die neue badische Hochschulverfassung „gut und vorbildlich für das Reich" sei. Die deutschen Hochschulen also im edlen Wettstreit darum, welche von ihnen sich wohl am besten knebeln und fesseln ließ - wer hätte das noch ein Jahr zuvor geahnt! Sonst gibt es noch in Hannover962 den Rektorvorschlag, acht von neun Stimmen erhält Franzius am 13. Dezember. Und fünf Tage später wird dann in Berlin963 Eugen Fischer erlöst: Sein Senat hat ihn Mitte November erwartungsgemäß nominiert, einstimmig, und jetzt wird er am 15. Dezember ernannt. Und schließlich fällt noch in das Jahr 1933 das Ende - „Ableben" ist ein treffender Begriff - der Rektorenkonferenzen.

Die Rektorenkonferenzen also. Ihre „Frühgeschichte", nicht zu unserem Bereich gehörend, hier nur kurz. Die Institution war de jure eine Veranstaltung des Deutschen Rektorentages und hieß deshalb auch „Außeramtliche Deutsche Rektorenkonferenz". Ihr genereller Zweck war die möglichste Vereinheitlichung des Hochschulwesens; die Einladung erfolgte durch den Vorort Halle, der auch hinterher ein - bis zu zehnseitiges - Ergebnisprotokoll drucken ließ und versandte964. Handelte es sich nicht um die reguläre jährliche Konferenz, sondern war sie aus besonderem Anlaß einberufen, dann war das eine „Außerordentliche außeramtliche Rektorenkonferenz". 1933, als alles nur noch außerordentlich war, hat man auf das „außerordentlich" verzichtet. Die letzte Zusammenkunft im Herbst 1933 war dann, der neuen Zeit entsprechend, keine „Konferenz" mehr, sondern eine „Tagung" - aber das hat das Unternehmen auch nicht mehr gerettet. Daneben gab es dasselbe noch mit „Preußisch" statt „Deutsch", zum gleichen Zeitpunkt dergestalt stattfindend, daß sich zuvor oder (in der Regel) danach die „Preußen" zusammensetzten - eine halbe Stunde hat dafür oft genügt. Nach 1919 ist der Teilnehmerkreis erweitert worden, als zwar Straßburg verlorengegangen war, dafür Frankfurt, Hamburg und Köln neu dazukamen, und auch der bisherige Hochmut der Universitäten, sich nicht mit Technischen Hochschulen oder gar Institutionen wie Bergakademien und Landwirtschaftlichen Hochschulen gemein zu machen, durch die politischen Ereignisse einen Dämpfer erhalten hatte. Irgendwann ist damit begonnen worden, die Konferenzen durchzunumerieren, die „Preußischen" separat, die „Außerordentlichen" eingereiht. Am 8. Oktober 1932 in Zoppot (man ging nicht ungern zur Nachsaison in Seebäder, auch Cuxhaven und Brunshaupten hatten schon „Hochschulkonferenzen" erlebt) war man bei der „21. Deutschen" und der „28. Preußischen" angelangt - „Preußische" deshalb ein paar mehr, weil die Reichskonferenz erst ein paar Jahre später und nach dem Vorbild der seit 1903 existierenden „Preußischen" ins Leben gerufen worden war965. Außerdem hat es noch - unnumerierte - „amtliche" gegeben, zumindest preußische. O b das Reichsministerium des Innern auch „Amtliche Deutsche Rektorenkonferenzen" 295

einberufen hat, kann dahingestellt bleiben - sie wären ebenso bedeutungslos gewesen wie das Ministerium selbst im „Kultus"-Bereich. Im hier zu behandelnden Zeitraum 1932 bis 1934 hat es jedenfalls keine gegeben, die offenbar einzige amtliche preußische am 15. Dezember 1932 in Berlin unter dem Vorsitz von Reichskommissar Kaehler966. Dann haben diese Tradition erst die Rektorenkonferenzen des Reichserziehungsministeriums fortgesetzt, die nun freilich keine ausgesprochen „amtlichen" mehr zu sein brauchten, da es „Außeramtliches" im Führerstaat nicht mehr gab und eine derartige Zusammenrottung von Magnifizenzen unter die Hochverratsparagraphen gefallen wäre. Die Existenz „Amtlicher Deutscher Rektorenkonferenzen" dieses Namens ist indes auch deshalb unwahrscheinlich, weil es eine dementsprechende Institution auf Reichsebene mit anderer Bezeichnung gegeben hat: die „Hochschulkonferenzen", jährlich auf Einladung - Danzig und Österreich eingeschlossen - eines der Länder stattfindend, dessen Kultusministerium dann für die jeweilige Tagung federführend war. Es sind das keine weltbewegenden und wohl eher „wissenschaftstouristische" Veranstaltungen gewesen, im Herbst 1932 ist im jährlichen Turnus die „7. Hochschulkonferenz" abgehalten, für Herbst 1933 die nächste vorbereitet worden. Eine „Ordentliche" haben freilich unter Vorantritt Württembergs auch die übrigen Länder verschieben wollen, „bis wieder ruhigere Verhältnisse eingetreten sind", eine „außerordentliche" in Berlin aber sollte es doch sein. O b sie am 14. Oktober tatsächlich stattgefunden hat, ist nicht nachweisbar. Noch am 9. Oktober hat das Reichsinnenministerium die sächsischen Regierungsstellen (Sachsen war an der Reihe) jedenfalls gebeten, davon abzusehen, die „Frage der Reform der Hochschulverfassung" oder „Hauptfragen der Hochschulgestaltung" am 14. auf die Tagesordnung zu setzen (was gewiß zusammenhing mit dem Ringen - Reichsinnenministerium contra preußisches Kultusministerium - um die Zuständigkeit für die künftige Reichskultusverwaltung). O b nun stattgefunden oder abgesagt: Sehr aufregend ist die Tagesordnung also wohl nicht mehr gewesen967. Zurück zu den „Außeramtlichen". Hauptthema in Zoppot waren „Studentenfragen" gewesen, insbesondere die (Wieder-)Anerkennung einer verfaßten Studentenschaft und das Verbot kommunistischer „wie überhaupt politischer" Studentengruppen - hier war es, wo Litt ein gemeinsames Vorgehen gegen das unakademische Verhalten von studentischen Rädelsführern gefordert hat. Die „Preußische" 1/2 5 Uhr nachmittags tarockte wie üblich nach. „Außerordentlich" kam man dann keine zwei Monate später, am 4. Dezember, in Halle zur 22. zusammen - Hauptpunkt war die „hochschulpolitische Lage". Es ging um den Braunschweiger Konflikt, der in dieser Arbeit ja bereits, jene Konferenz eingeschlossen, ausführlich abgehandelt worden ist968. Der fieberhafte Zustand Deutschlands spiegelte sich en miniature darin, daß bereits zehn Tage später, am 14. Dezember, in Berlin die 23. „außerordentliche" tagte, das Studentenrechts-Thema von Zoppot fortsetzte und Entwürfe von Mustersatzungen „durchberiet". Und dann sind also die Nazis an der Macht, schließlich auch die Länder „gleichgeschaltet". Drei Rektorenkonferenzen gibt es 1933 noch, drei „außeramtliche", merkwürdigerweise aber, wie schon gesagt, keine „außerordentliche" darunter. Am 12. April in Wiesbaden - das ist die 24. (die 29. Preußische schließt sich von 19.15 Uhr bis 19.30 Uhr an) - geht es wieder um die hochschulpolitische Lage, ferner um die Hochschulreform. Die Lage - das sind die Kölner Ereignisse der Vortage969, und der Punkt Hochschulreform besteht aus freundlicher Zustimmung zu der Aktivität des Hochschulverbands und Aufmunterung, diese fortzusetzen. Außer dem wie üblich gedruckten Ergebnisprotokoll 970 existiert noch - und so etwas ist immer ein Glücksfall - ein handschriftliches Ge296

dächtnisprotokoll des Münchener TH-Rektors Richard Schachner 971 . Aus diesem ist hier schon bei der Schilderung der Ereignisse des Jahres 1933 mehrmals zitiert worden und wird auch später noch zitiert werden, da wir uns bei vorliegender Zusammenstellung mit dem sachlichen Inhalt der Konferenzen im einzelnen weder aufhalten können noch müssen, ja genaugenommen nicht einmal dürfen. An dieser Stelle soll jedoch, als Beispiel für den Wert solcher „wilden" Protokolle, von jener Regel abgewichen werden. Besprochen wird die „Judenfrage" (daß es die gibt, ist inzwischen selbstverständlich). Den „jüdischen und marxistischen Herren" ist also nahezulegen, sich beurlauben zu lassen und so weiter, denn da ist ja nun das Berufsbeamtengesetz, und die Durchführung ist Sache der Rektoren. Und dann notiert Schachner, daß „Rabe U. Hamburg" (Raape also) erstens eine „möglichst günstige Gestaltung" für die jüdischen Kollegen im Rahmen des Gesetzes fordert, darüber hinaus aber zu überlegen bittet, ob nicht grundsätzlich Protest eingelegt werden soll. Die Diskussion ergibt, daß ein Protest „gefährlich und aussichtslos" sei. Merk-Marburg geißelt - und nennt als Beispiel seine eigene Universität - die „Verjudung der Hochschulen". Holl-Darmstadt hält „Verjudung" für eine Übertreibung, weiß aber auch, daß „anfänglich viel schärferes Vorgehen gegen die Juden geplant gewesen" sei - er und Tillmann vom Hochschulverband warnen dringend vor einem Protest, der nur den Hochschulen schaden würde. Ein Vertreter Bonns verurteilt das alte System, und Kohlrausch-Berlin (der alte Berliner Rektor also wohlgemerkt und noch nicht der Gleichschalter) ermahnt die Kollegen laut Schachner-Protokoll folgendermaßen zur Judenfrage: „Wir haben eine schwere Schuld auf uns geladen, wir haben viele Riegel nicht vorgeschoben, die man hätte vorschieben können. Die Verjudung ist gekommen, weil man sich nicht entgegengestellt hat." Deutsche Magnifizenzen, des Volkes geistige Crème de la crème, 72 Tage nach der Machtergreifung und zwanzig nach der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes! Es haben damals freilich viele so gedacht wie Kohlrausch, nicht zuletzt unter den deutschen Juden. Und es ist nicht gesagt, daß man immer so denken wird und denken muß wie heute, wo Toleranz und Liberalismus erst dann richtig schön sind, wenn sie bis ins Extrem, bis zur Selbstaufgabe, überdreht werden. Warum sollte man nicht so haben denken dürfen wie die Berliner Magnifizenz? Selbstverständlich würden die „Riegel" Hitler nicht verhindert haben, doch hätte er es schwerer gehabt, für seinen - bei aller Affinität in dieser Form landfremden - antisemitischen Komplex ein derart stabiles Fundament zu gründen, hätte er nicht 95 Prozent Verständnis fest einkalkulieren können für seine und seiner Streicher Illustrationen, wie wenig sich die jüdischen Zuwanderer im „Zwischenreich" zurückgehalten, was vielmehr sie sich - angeblich - alles herausgenommen hätten. „Auschwitz" freilich macht auch hier die an sich legitime Überlegung unmöglich und spricht die Kohlrauschs rundum schuldig. Bei der 25. am 8. Juni in Berlin 972 ist erneut die hochschulpolitische Lage Thema, diesmal die Festlegung der Stellung zum Hochschulverband, der von Schucht und Bebermeyer vertreten wird, — auch dies ist hier ja schon behandelt worden 973 . Ihr ist dann die am 20. vom Wölfischen Telegraphen-Büro verbreitete Nachricht gefolgt von der Ablehnung des preußischen Kultusministeriums, in Zukunft noch mit der Rektorenkonferenz zu verhandeln, und Anfang Juli die Protestaktion der NS-Fronde Wolf-KrieckHeidegger gegen Stieve. Und auch die 26. und letzte am 21. Oktober 9 7 4 ist vorrangig - es folgen dann allerdings noch acht weitere Tagesordnungspunkte minderer Güte - dem gleichen Thema gewidmet, jetzt neben den Aktivitäten des Hochschulverbandes auch dem Angriff von Wolf &

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Co. sowie dem Brief an die Ministerien zur Verteidigung der deutschen Hochschullehrer (die meist „gegen unseren Willen" berufenen und jetzt glücklicherweise wieder ausgesonderten ausgenommen) gegen die politischen Angriffe, den Stieve trotz gewisser Schwierigkeiten mit Schucht später unter diesem historischen, lediglich germanisch zum „21. Weinmond" erhöhten Datum versenden wird. Neu ist, daß es jetzt keinen Vorsitzenden mehr gibt, sondern einen Führer - „Führer Stieve-Halle eröffnet die Tagung", „der Führer betont", „der Führer berichtet" und berichtet wieder und betont wieder... Kompliziert wird es dann, als Schucht für den Hochschulverband spricht. Jetzt sind zwei Führer da. „Der Führer dankt dem Führer", heißt es allen Ernstes im Protokoll-wie sollten sich die armen Magnifizenzen da noch auskennen (und es wird verständlich, daß Hitler bald darauf mit der ganzen Führerei aufgeräumt hat und sich später dann diesen Titel gewissermaßen patentieren lassen wollte - Deutschland in seiner damaligen Führersehnsucht wäre sonst in Führern ertrunken). Mit Herwart Fischers Bestellung zu einem neuen Führer, nunmehr dem der Reichsorganisation der deutschen Hochschulen 975 , ist dann Stieves wie Schuchts, der Rektorenkonferenzen wie des Hochschulverbands Zeit abgelaufen. Ende des Jahres hatte Fischer noch den Vorort des Deutschen Rektorentages von Halle nach Jena verlegt, was bewegte Hilferufe des Oberpräsidenten der Provinz Sachsen sowie - am 28. Dezember - des hallischen Magistrats an das preußische Kultusministerium und an das Reichsinnenministerium ausgelöst hat976, die sich auf die seit 1913 währende, 1927 noch einmal ausdrücklich bestätigte Tradition des ständigen Vorsitzes Halles in der Deutschen Rektorenkonferenz beriefen und die günstige geographische Lage, die alte Parteimitgliedschaft des neuen Rektors Hahne und die Zugehörigkeit zu Preußen anpriesen, das immerhin die „erheblich größere Zahl" der im Rektorentag vertretenen Hochschulen stelle. Freilich blieb das ergebnislos, doch war das nicht mehr von Belang, hat es doch eine Rektorenkonferenz dieser Art weder von Halle noch von Jena aus geleitet mehr gegeben. Es war überhaupt von Rektorentag und Rektorenkonferenz nicht mehr viel zu vernehmen. Für die am 7. Februar 1934 in der Berliner Philharmonie angesetzte Verkündung der Verfassung der Deutschen Studentenschaft haben Führer Esau (Jena) und Ober-Führer Fischer noch Anweisungen gegeben - so wichtige Dinge wie die Bekleidung der teilnehmenden Herren und ein gemeinsames Essen betreffend 977 . Wobei Herwart Fischer am 3. Februar die am Vortage von Esau für beide Institutionen erlassene Kleiderordnung „einheitlich im Gehrock mit Amtskette" schnell noch korrigiert hat: „Natürlich" sei „neben schwarzem Rock auch Parteiuniform angezeigt". Das „gemeinsame einfache Essen" ist es vermutlich gewesen, woraus eine Woche später eine „Rektoren-Konferenz" entstanden ist, als Heyse nämlich von Königsberg aus die hier schon geschilderte978 telegraphische Blitzaktion startete, mit der von den Kollegen die ebenfalls telegraphischen Zustimmungen zu der Huldigungsadresse an den preußischen und nun bereits designierten Reichs-Kultusminister Rust eingeholt wurden. Im Text der Adresse hieß es zwar lediglich und zutreffend: „... die kürzlich in Berlin zusammentrafen", doch machte die Presse979 daraus im Vorspann fast einheitlich, also wohl inspiriert :„... aus Anlaß einer Rektoren-Konferenz". Die Rektorenkonferenz, jedenfalls im bisherigen „außeramtlichen" Verständnis, hat seit jenem Februar 1934 nichts mehr von sich hören lassen - dem „Gehrock" in schöner Symbolik hat ihre letzte Lebensäußerung gegolten. Ihr juristisches Ende, nunmehr ja das des Hochschulverbandes, ist hier bereits in jenem Zusammenhang geschildert worden 980 . Letzte Versuche einer Reanimation haben Ende 1934 die süddeutschen Rektoren unter298

nommen (die Technischen Hochschulen Stuttgart und München luden nach Ulm ein981) sowie insbesondere die noch vorhandenen Reste der Rebellenbastionen des Vorjahres unter Hinzuziehung aller verfügbaren Hilfstruppen982. Zwar war das Plenum in ihren Vorstellungen zu einem „kleinen Gremium" zusammengesunken, und das wollte beileibe auch nicht etwa tagen, sondern lediglich - die „gegenwärtige Lage der Universitäten" mache das „dringend wünschenswert" - gemeinsam Rust Vortrag halten, aber selbst das grenzte nach den Maßstäben, die künftig angelegt wurden, an Insubordination, wenn nicht gar Meuterei. Doch hat diese Initiative, die von Kiel ausging und der sich Königsberg, Göttingen, Bonn und Breslau anschlössen, das Ministerium Rust dazu veranlaßt, Erwägungen über eine einzuberufende Rektorenkonferenz wenn nicht überhaupt erst anzustellen, so doch zu konkretisieren. Erst sollte, so kam man im Amt Wissenschaft überein, der im Januar 1935 vorgesehene teilweise Rektorenwechsel abgewartet, dann aber diese Konferenz abgehalten werden. Eine „amtliche" also, zu der nicht ein gewählter Vorsitzender einlud, sondern zu der ins Ministerium befohlen wurde, und die erst in zweiter Linie Konferenz, in erster aber Befehlsempfang und Gehirnwäsche sein würde. Und deren Protokolle mithin nicht mehr an die Teilnehmer versandt, sondern nur im Ministerium verwahrt wurden983. Exakt genommen die Fortsetzung der vermutlich mit der „7. Hochschulkonferenz" im Herbst 1932 abgebrochenen Reihe, indes hat das so niemand gesehen. Die allgemeine Auffassung von der „Erbfolge" drückte 1938 eine Göttinger Denkschrift984 dahingehend aus, „daß die deutschen Rektoren sich nicht mehr unter dem Rektor eines Hochschulvorortes treffen, um dann Anregungen an die zuständigen Ministerien heranzutragen; die deutschen Rektoren werden vielmehr von dem Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung oder von dem zuständigen Chef des Amtes Wissenschaft als dem Vertreter des Reichsministers zu einer amtlichen Rektorenkonferenz zusammengerufen..." Als der Oberregierungsrat Hans Huber am 30. Januar 1939 über den „Aufbau des deutschen Hochschulwesens" einen Vortrag in der Verwaltungsakademie hielt985, hat er für all diese Vorläufer natürlich nur ziemlich abwertende Worte gefunden. Sie hätten „allenfalls eine gewisse Übereinstimmung der Verwaltungspraxis" bewirkt, eine auch nur „im Grundsätzlichen gleichmäßige Verwaltungsordnung" indes hätten der Stolz auf die Eigenstaatlichkeit, Sucht nach Originalität und Besserwisserei, aber auch die unterschiedlichen politischen Strömungen in den Ländern verhindert. Nun, Licht- wie Schattenseiten des Föderalismus sind heute zur Genüge bekannt, Huber hatte recht, aber ebenso und noch mehr auch nicht recht. Sehr viel weniger als bisher hat es von der neuen Art Tagungen nicht gegeben, insgesamt waren es immerhin neun und zwei halbe in den verbleibenden zehn Jahren 986 und die vom „31. Mai 1935" die erste in dieser Veranstaltungsreihe987. Es hatte mithin doch etwas länger gedauert und mindestens zwei Verschiebungen gegeben: Erst waren die Rektoren für den 8. Februar geladen988 worden, dann für den 18. Mai 989 , und eine weitere Einladung, nun schon mit Tagesordnung, galt für den 21. Mai 990 . An jenem Tage aber hat die „Konferenz" höchstwahrscheinlich auch stattgefunden, denn in Gießen hat der Rektor am Kopf seiner Notizen über die Sitzung991 dieses Datum vermerkt, und außerdem ist der „Dienstag der 31. Mai 1935" des Ministerialprotokolls kein Dienstag gewesen, sondern ein Freitag, der 21. hingegen tatsächlich ein Dienstag. Die Tagung wurde eingeleitet durch eine Ansprache von Amtschef Vahlen, der über Reformen redete und über Verreichlichung und viel über den Führer (das war jetzt natür299

lieh der richtige, der ganz große), zu dessen Ehren sich am Ende die versammelten Magnifizenzen „zu dreifachem Sieg-Heil-Ruf" erhoben. Dann - Rust war gar nicht erst gekommen - ging Vahlen zwar nicht, übergab aber, weil er sachlich wohl nicht allzuviel von den zu erörternden Dingen verstand, den Vorsitz an Hochschulabteilungsleiter Bacher. Zunächst wurde den Rektoren etwas über das neue Reichserziehungsministerium erzählt, wer was war und wie es sich gliederte - und das muß Neuland gewesen sein, schrieb doch Rektor Pfahler fleißig mit (und nicht alle Namen richtig). Weitere Themen waren: die Gliederung der Hochschule und ihrer Führungsorgane, ihre Verfassung, ihr Verhältnis zu NSDAP, Dozentenbund und so weiter, Berufungsprobleme und Nachwuchsfragen, Rechtsverhältnisse und die Forschungsabteilung des Ministeriums. Mittendrin faßten die Rektoren zwei Entschließungen „zu den beiden wichtigsten Fragen", die sie gern dem Minister, sollte er noch kommen, vortragen wollten, jedenfalls aber schon einmal dem Herrn Ministerialdirektor, also Vahlen, überreichten. Die eine war ein belangloser Applaus, die andere drückte Befürchtungen vor einem anhebenden Dualismus in der verantwortlichen Führung der Hochschulen aus - gemeint war die Selbstherrlichkeit von Studentenschaft und Studentenbund. Dieses Thema war dann auch das letzte, das behandelt wurde: Die Strafordnung für die Studenten und was der Rektor gegen unbotmäßige Studentenführer tun könne (Zwischenruf von Magnifizenz Specht-Erlangen: „Ich kann doch gegen sie nicht an!"). Inzwischen hatte Rust tatsächlich vorbeigeschaut und die versammelten Rektoren mit einer Ansprache erfreut. Dann verdeutlichte Bacher - „bevor ich dem Herrn Ministerialdirektor die Beendigung unserer Tagesordnung melde" - noch einmal den Geist des neuen Ministeriums, indem er seine Mitarbeiter vorstellte als „Kameraden im Amt, die sich verschworen haben, ihre Kenntnisse, die sie aus der Front haben, zu benutzen, um geschlossen den Aufbau der Hochschule durchzuführen". Mit „Front" war nun nicht etwa Verdun gemeint, sondern diese Vokabel war das rechte Pendant zur linken „Basis" „Front" also waren in diesem Falle die Hochschulen, von denen das neue Ministerium ja die Besetzung seiner Hochschulabteilung abkommandiert hatte. Er hoffe, so schloß Bacher die Konferenz, daß „wir überall die Resonanz an der Front finden, daß man überall erkennt: Hier sitzen nicht glatte, rasselnde, kalte Puppen, die nicht wissen, wie es in Wirklichkeit auf den Hochschulen aussieht, sondern Männer, die die Front aus eigenem Erlebnis genauso kennen wie Sie.". Und damit, so meinte man im Ministerium, könnte es nun wohl geraume Zeit sein Bewenden haben. Die Rektoren aber sahen das vielfach anders. Nicht, daß sie unbedingt geistige Ausrichtung benötigt hätten. Was sie aber brauchten, das war die berühmte „Schulter zum Anlehnen". Jemanden, bei dem man sich einmal wieder so richtig ausweinen und dabei gar noch hoffen konnte, damit etwas zu bewirken. Es spricht für die Vereinzelung, in der das Ministerium Rust seine „Führerrektoren" hielt, daß diese erst merkten, wie sehr sie eigentlich litten, als sie aus Anlaß des Heidelberger Universitätsjubiläums von 1936 erstmalig alle wieder zusammensaßen. Vorreiter 992 war Rektor Stortz von der T H Stuttgart gewesen, Württembergs akademischer Renommier-Altnationalsozialist und als solcher noch am ehesten gegen die Fährnis eines wagehalsigen Unternehmens abgesichert. Er hatte schon im Mai eine Umfrage bei den Technischen Hochschulen zum Thema Assistentennot veranstaltet und dabei die Frage eines gemeinsamen Vorgehens aufgeworfen. Auf die Antworten (außer Hannover und Braunschweig alle bejahend) berief er sich, als er nun am 25. August die TH-Kollegen zu einer Konferenz am 3. Oktober nach Wei300

mar in den „Weißen Schwan" bat. Aus dem „Schwan" wurde dann am 8. der historische „Elephant" - und einen Elefanten, und zwar aus einer Mücke, machte auch das Ministerium Rust, nachdem es alarmiert worden war. Und das war so gekommen: Der Stuttgarter Rektor hatte in seinem Rundschreiben zwar eine „nochmalige Rücksprache mit dem Reichswissenschaftsministerium" erwähnt, nach der er nun diese Einladung ergehen lasse, nichtsdestotrotz erblaßte Albert Wolfgang Schmidt, Münchens Technische Magnifizenz, angesichts solcher Verwegenheit, der so ohne weiteres sich anzuschließen er sich lieber versagen wollte. Er sagte sich, ein individuelles Vorgehen sei doch wohl besser, und fragte zunächst einmal Unter den Linden an, wie er sich verhalten solle und ob der Stuttgarter Kollege das denn überhaupt dürfe. Er durfte nicht. Zwar bekannte sich mutig ein Referent als derjenige, der tatsächlich Stortz in seiner Idee bestärkt hatte, doch ging am 29. September ein Schreiben Bachers nach Stuttgart ab, in dem sich der Leiter der Hochschulabteilung „einigermaßen bestürzt" zeigte, sei es „doch ganz selbstverständlich, daß im nationalsozialistischen Deutschland eine ,Rektorenkonferenz' ausschließlich nur von dem Reichserziehungsminister einberufen werden" könne. Es ginge „unter gar keinen Umständen", daß sonst eine Rektorenzusammenkunft „zu einer,Rektorenkonferenz' gestempelt" werde, und er müsse „dringend bitten, geeignete Schritte zu unternehmen...". Nach seinem Vorschlag sollte die Sache unauffällig in eine „kameradschaftliche Arbeitszusammenkunft" umgebogen werden, was schon ein großes Entgegenkommen bedeutete. Stortz hat sein Weimarer Treffen dann aber doch besser ganz abgesagt, wirklich „unauffällig" und als Verschiebung getarnt: „Wegen des Termins werde ich mich erneut mit Ihnen in Verbindung setzen." Aus dem Ministerium aber erging am 21. Oktober ein Erlaß, in dem Bacher „aus gegebener Veranlassung" nunmehr alle Rektoren darauf hinwies, daß Rektorenkonferenzen „ausschließlich nur noch von meinem Herrn Minister einberufen werden", Themenanregungen indes gern entgegengenommen würden. „Aus gegebener Veranlassung" also. Vielleicht, wenn nämlich die Diskretion nicht beispiellos gewesen ist 993 , existierten sogar deren zwei 994 . Gab es doch eine weitere Vorgeschichte, als Bachers Zusicherung, verbunden mit Erinnerungen an Heidelberg, Erlangens Specht aktivierten, am 30. Oktober Unter den Linden die Einberufung einer solchen Konferenz zu beantragen - sieben dort der Lösung bedürftige Fragen beigefügt, darunter das Verhältnis des Rektors zu den Parteiformationen in der Universität und die „Sicherung des vom nationalsozialistischen Rektor geführten Universitäts-Apparats gegen unmittelbare Eingriffe". Genau eine Woche zuvor hatte Specht einen anderen Brief an denselben Empfänger abgesandt, weil er sich durch Bachers Erlaß vom 21. nicht nur allgemein animiert, sondern direkt angesprochen gefühlt hat, obwohl er vermutlich allenfalls in zweiter Linie gemeint gewesen ist. Was war geschehen? Specht hatte am 15. Oktober, von ähnlichen Sorgen geplagt wie Stortz, ein Rundschreiben an die Universitätsrektoren verschickt des Inhalts, er halte eine offene Aussprache aller Rektoren mit dem Herrn Reichsminister für notwendig, sei in Heidelberg auch „durch eine große Zahl von Rektoren ermächtigt" worden, initiativ zu werden, sei es beim Staatssekretär auch geworden, habe noch mehrmals gemahnt und jetzt erfahren, daß eine solche Besprechung für Anfang November in Aussicht genommen sei. Den Kollegen hatte Specht Besprechungspunkte vorgeschlagen, weitere erbeten - und auch eine Meinungsäußerung dazu, ob eine Vorbesprechung („nur wir Rektoren") an einer zentral gelegenen Universität für notwendig gehalten werde. Einige hatten sie für notwendig gehalten - wie Kiels Dahm, der auch Erfahrungen des 301

Vorjahres verwertete, als er meinte, es „müßte darauf gedrungen werden, daß auf der Rektorenkonferenz die Rektoren selbst zur Sprache" kämen (Metz-Freiburg erörterte auch gleich geeignete Lokalitäten - von Jena kam er gerade, und dieser Platz sei nicht geeignet). Die meisten aber hatten abgewinkt, und der eine oder der andere hatte sogar Bedenken geäußert, weil - wie Specht am 23. die Kollegen verständigte - der „falsche Eindruck entstehen könnte, als ob eine .Komplottbildung' erfolgt sei". Neumann in Göttingen etwa, der offenbar seine Lektion gelernt hatte, hielt dergleichen für „nicht möglich", und Haberer in Köln hatte sich bereits im gleichen Sinne in einem Gedankenaustausch mit Metz-Freiburg geäußert: Wenn „wir eine Rektorenkonferenz beabsichtigen, müssen wir den Herrn Minister um die Einberufung derselben bitten". Das Begehren, gehört zu werden, war jedoch weitverbreitet, denn es grummelte an den Hochschulen. Der eine fühlte sich von der Entwicklung beim Dozentenwerk bedroht (kein Universitätseinfluß mehr auf die Vergabe der Darlehen), ein zweiter war durch die „verfehlte preußische Kuratorialverwaltung" verärgert, weitere durch „viele andere Dinge". Es sei unverständlich, so schrieb in jenem Monat aus Marburg der Jurist Wilhelm Felgentraeger an Metz, „warum Berlin die Mißstimmung wachsen läßt, anstatt sich ein Bild von den Beanstandungen zu machen, ein paar unmögliche Männer zu , opfern* und die Oberleitung dann in die Hand zu nehmen. Wenn man in Berlin wüßte, wie gern wir alle eine klare Führung der Deutschen Wissenschaft und eine verständige, behutsame Vertretung ihrer Belange begrüßen würden, so würden sie sich nicht vor den paar Rektoren verkriechen, sondern sie zu Wort kommen lassen." In Erlangen hatte inzwischen Specht über Bachers scharfem Erlaß gesessen und sich also betroffen gefühlt. Er schickte nunmehr sein Rundschreiben vom 15. Oktober nach Berlin und verteidigte sich: Hieraus ginge denn doch wohl klar hervor, daß nirgends die Absicht bestanden habe, „dem Herrn Minister in irgendeiner Beziehung vorzugreifen" und so weiter. Es war dies ein Schreiben, das im Kollegenkreis Zustimmung gefunden hat, Rektor Metz von Freiburg etwa fand es „erfreulich, daß Specht auf die scharfe Tonart von B. fest" geblieben sei. Und Kiels Dahm kam ihm sogar am 2. November voll solidarisch zu Hilfe und bekräftigte insbesondere, daß die Vorbesprechung allein Anregungen zur Tagesordnung habe dienen sollen, inhaltliche Erörterungen indes niemand beabsichtigt hätte (was natürlich reichlich blauäugig war). Das alles lag nun also bereits hinter Specht, als er am 30. Oktober den formellen Antrag auf Einberufung einer Rektorenkonferenz stellte und all die Punkte aufführte, die von mehr als einem der Kollegen vorgeschlagen worden waren. Metz in Freiburg aber offenbarte Freunden die ihn nach den Erfahrungen der letzten Wochen erfüllenden „großen Besorgnisse". Gerade weil man doch „ein starkes Reichsministerium" und „geordnete Befehlsverhältnisse" wolle, würden „wir alle noch fester werden müssen". Und ähnlich an Specht: „Um so fester wird unsere Haltung sein müssen, die wir auf vorgeschobenem Posten stehen; wir führen unser Amt weiß Gott nicht zu unserem Vergnügen." Das Ergebnis war, daß er nicht mehr allzu lange, nur jenes eine Semester noch, auf dem „vorgeschobenen Posten" geblieben ist, „feste Haltung" in dieser Richtung war nicht allzusehr gefragt. Aber das ahnte er wohl noch nicht, wohingegen eine andere von ihm gehegte Befürchtung - „die Hoffnung, daß eine Rektorenkonferenz zustande kommt, wird also immer geringer" - sich schnell zu bestätigen schien. Denn aus der Konferenz wurde im November 1936 nichts und im Dezember ebenfalls nichts, - Hugelmann-Münster schob am 11. noch ein paar Verhandlungspunkte nach und bekräftigte das „wirkliche Bedürfnis" 302

nach Abhaltung einer Konferenz „in nicht allzuferner Zukunft". Jedoch ist bis Ende März im Ministerium überhaupt nur von einer „Aussprache über wichtige Hochschulfragen" die Rede gewesen. Auf längere Sicht indes haben sich die bösen Ahnungen dann doch nicht bewahrheitet: 1937 hat es sogar zwei Rektorenkonferenzen gegeben, eine in Berlin am 11. Mai und eine zweite in Marburg am 15. Dezember. Es begann995 mit einem Erlaß des Amtschefs Wissenschaft an die Rektoren vom 29. Januar, dem wir auch den Grund der Verzögerung entnehmen können: Die Leitung des Amtes hatte gewechselt, und damit war natürlich auch einiges im Amt selbst anders geworden. Die Karlsruher hatten in der Wissenschaft die Macht übernommen (oder jedenfalls das, was es Unter den Linden davon zu übernehmen gab), und es zeichnete nicht mehr Vahlen, sondern Wacker. Er kündigte eine beabsichtigte Erörterung „aller zur Zeit wichtigen" Hochschulfragen an und erbat Vorschläge bis zum 10. Februar. Und die sind dann auch gekommen, und wenn man sie heute nebeneinanderstellt, so sind - obwohl wir ja an dieser Stelle nicht auf die einzelnen Sachfragen eingehen wollen - einige ganz interessante Beobachtungen zu machen. Die Technischen Hochschulen zum Beispiel hatten offenbar überhaupt keine hochschulpolitischen Wünsche, sondern realere. Und die kreisten um die Etatmittel und die Bezüge der Professoren, - ein Stoßseufzer von Magnifizenz Dahm am Ende des Vorjahres, die Hinzuziehung der TH-Kollegen werde sich wohl „nicht vermeiden lassen" (ergo: schön wäre es schon), gewinnt hier Farbe. Aber auch in Meyer-Erlachs Jena steht das Portemonnaie im Vordergrund des Interesses, die Wiederauszahlung der Promotionsgebühren an die Dozenten sowie Klagen über die ständigen Gehaltskürzungen und die daraus entstandenen Nachwuchsprobleme (für fähige Köpfe kein Anreiz mehr da). Der Nachwuchs taucht natürlich auch sonst auf - nicht freilich in Würzburg, wo die Stellung des Rektors als Führer der Universität die einzige Sorge ist. Einzig jedoch nicht in Würzburg - fast alle wollen das gern geklärt sehen, ihre Position als „Führerrektoren" und deren Beeinträchtigung durch Parteistellen, insbesondere die Studentenführer (letzteres für Rektor Metz sogar das Problem) sowie die Stellung der Hochschule im nationalsozialistischen Staat. Zweitwichtigster hochschulpolitischer Punkt ist bei den preußischen Universitäten das Problem Rektor - Kurator, das gleich im Zusammenhang behandelt werden soll. Bei den außerpreußischen Universitäten, die keinen Kurator haben, drückt der Schuh hier nicht. Gibt es nicht einmal einen die Tagesgeschäfte erledigenden Kanzler, dann freilich wird - wie im hessischen Gießen oder im mecklenburgischen Rostock - über die Arbeitsüberlastung des Rektors geklagt und mindestens ein Assistent gefordert, besser noch das Rektorat als Full-time-Job - hier klopft der Präsident der Nachkriegszeit bereits hörbar an die Tür. Dann verlangen die kleinen Universitäten, die unter den abenteuerlichen bürokratischen Wucherungen etwa beim Berufungsverfahren am meisten zu leiden haben, die finanzielle Vereinheitlichung aller Universitäten im Reich sowie Garantien für ihre Existenz auf eine bestimmte Reihe von Jahren; große möchten die gegen die „Großstadtuniversitäten" verhängten Studentenhöchstziffern beseitigt sehen und weiter wachsen dürfen. Und so gibt es noch eine Reihe von Wünschen mehr, über das Promotionsverfahren nach der geänderten Ordnung vom 16. Dezember 1936 wird sehr oft geklagt, in Bonn allein offenbar hat der Universitätsprofessor noch immer unter „ungerechtfertigten Angriffen in der Öffentlichkeit" zu leiden, in Göttingen will Neumann die Dekane etwas mehr an die Kette des Rektors gelegt wissen („heranrücken" nennt er das). Erwähnt werden soll auch noch Leipzig, wo Rektor Golf ein Thema, das sonst nirgendwo auftaucht, 303

für so wichtig hält, daß er es nicht nur an die Spitze seiner Wünsche stellt, sondern gleich noch das Schreiben seiner Philosophischen Fakultät beifügt, von der die Anregung ausgeht: die Promotion von Juden. Da nämlich gibt es Ärger an der Pleiße, weil die Partei hier viel strengerer Auffassung ist als der Staat, der arme Dekan aber zwischen die Messer geraten ist: Als solcher darf er die Unterschrift unter ein Doktordiplom für einen Juden nicht verweigern, die er aber als Parteigenosse nicht leisten darf. Die Leipziger fordern eine einheitliche Lösung - und werden sich kaum darüber im unklaren befunden haben, wie allein die aussehen konnte. So entstand eine Tagesordnung von sieben Punkten, von „Hochschulreform und Hochschulplanung" sowie „Hochschulverfassung und Hochschulverwaltung" über „Nachwuchsnot" und „Studentenschaft" bis hin zum „Verschiedenen" die Wünsche abdeckend, mit - und das war neu und für die Rektoren gewiß hoch befriedigend - jeweils einer Magnifizenz oder auch deren zwei als Berichterstatter in einem Zehn-Minuten-Referat. Für die beiden ersten Punkte, die hochschulpolitischen, waren das Krieck (der den Rektorenkollegen dazu seine Schrift „Die Berufsfakultät der Lehrer und die Neugliederung der Universitäten" zukommen ließ) und der Berliner TH-Rektor v. Arnim. Diesmal eröffnete Rust die Konferenz996 persönlich, allerdings auf dem Wege in eine Kabinettsitzung (die gab es in jenen Jahren letztmalig) und daher beeilt. Auch wollte er angesichts der „zeitlich begrenzten und stark beladenen" Tagung nicht Zeit beanspruchen für „große Ausführungen über die hochschulpolitische Lage meinerseits". Das wollte auch der neue Amtschef Staatsminister Wacker nicht tun, der im Anschluß daran jedoch den neuen Stil des Amtes Wissenschaft unter seiner Leitung und damit auch den der Rektorenkonferenzen skizzierte: Keine „programmatische Erklärungen" und keine Bekanntgabe „endgültiger und unverrückbarer" Stellungnahmen des Ministeriums, sondern „Rede und Gegenrede" und beiderseitiges Vertrauen, kein „einmaliges Ereignis, sondern der Anfang einer regelmäßig wiederkehrenden Reihe von Zusammenkünften". Daß es freilich nicht ganz einfach ist, eine Diskussion anzuordnen, zeigte gleich der erste Tagesordnungspunkt „Hochschulreform und Hochschulplanung": Nachdem der Referent geendet hatte und man „nunmehr in die Debatte eintreten" wollte, hatte keiner etwas dazu zu sagen. Damit, daß Referent der Regierungsrat Huber vom Ministerium gewesen war und nicht, wie angekündigt, der dann aus nicht bekannten Gründen wieder „ausgeladene" Rektor Krieck, wird das kaum zusammengehangen haben, denn so beliebt ist Krieck bei seinen Kollegen nun wirklich nicht gewesen. Gab es nichts zu sagen zum Thema Hochschulreform? Oder waren die Magnifizenzen über die plötzliche Redefreiheit, die sie doch so nachdrücklich gefordert hatten, derart perplex, daß den Kathedergewaltigen das Wort im Munde steckenblieb? Erörterungen der einzelnen Punkte, wir sagten es bereits, werden dort Erwähnung finden, wohin sie thematisch gehören. Hier sind wir daher schon beim — artikuliert von Walz-Breslau - abschließenden Dank der Rektoren dafür, daß ihre „Sorgen einmal an den Mann gebracht" worden waren, „der dafür tatsächlich verantwortlich ist". Keine „tote Redeschlacht" sei geschlagen worden, sondern man gehe „mit dem lebhaften Gefühl nach Hause", daß man an der „richtigen Adresse" sei: „Es wird gearbeitet!" Bevor um 19 Uhr mit dem nunmehr letzten „Sieg-Heil auf den Führer Adolf Hitler, das deutsche Volk und die deutsche Wissenschaft" (das erste Mal hatten die Magnifizenzen nach Rusts Ansprache „begeistert in den dreifachen Ruf" eingestimmt) die Tagung geschlossen wurde, hatten die Anwesenden von Wacker noch weitere gute Worte gehört. Man wolle „engstmögliche Verbindung" zwischen den „Sachbearbeitern des Ministe304

riums und den Herren draußen im Land", man wolle sich „persönlich näherkommen" und die „kleinen Reibungsmöglichkeiten" beseitigen, die der „reine Aktenkrieg" fördere, man wolle in diesen Konferenzen ein Ventil schaffen für sachliche Kritik, damit nicht „draußen herumgemeckert und geschimpft" werde. In der Tat ist der gute Wille dieser zweiten Equipe des Amtes Wissenschaft nicht anzuzweifeln. Zwischen der Ära Vahlen und der Ära Mentzel und im Vergleich mit jenen beiden war die Ära Wacker eine nahezu goldene Zeit - aber auch kürzer als gedacht 997 . Man habe nicht die Absicht, so hatte der neue Amtschef am 11. Mai noch versprochen, alle kommenden Konferenzen „in diesem Hause" abzuhalten, sondern man werde „zu Ihnen hinaus an die Hochschulen kommen". Und tatsächlich hat die nächste Rektorenkonferenz bereits am 15. Dezember und nicht im Ministerium, sondern in Marburg stattgefunden, im Ehrensaal des Jubiläumsbaus der Philipps-Universität 998 . Wieder hatten die Rektoren ihre Vorschläge eingereicht. Bei Neumann-Göttingen stand noch immer die Abgrenzung Rektor - Kurator mit Abstand an der Spitze der Desiderata, Metz-Freiburg schien nach wie vor eine Regelung des Verhältnisses zum Studentenführer vordringlicher, dem Marburger Zimmerl ging es um die Stärkung des Rektorats nach allen Seiten. In den Antworten auf eine Umfrage des Kieler Rektors (jetzt der Verfassungs- und Verwaltungsrechtler Paul Ritterbusch, der im Krieg dann in Berlin eine größere Rolle spielen wird) dominierten Studentenangelegenheiten, primär die Sorge wegen des anhaltend starken Rückgangs der Studentenzahlen - die wirtschaftliche Lage hatte sich ja stabilisiert und damit, wie zu allen Zeiten, der Ansturm auf die Hochschulen, wo es sich in der Not ja immer noch am besten „überwintern" läßt, nachgelassen. Daneben gab es Sorgen wie die des Zoologen Friedrich Eggers, der für den Dozentenbund antwortete: Eggers hatte sich als „Hochschullehrer, der Rassenpflege im weltanschaulichen Sinne" las, von der in Kriecks „Volk im Werden" erhobenen Forderung bedroht gefühlt, bei der Ausbildung der Philologen unter Verkürzung der Universitäts-Ausbildungszeit die politisch-weltanschaulichen Fächer an die Hochschulen für Lehrerbildung zu verweisen. Kriecks Vorschläge beunruhigten übrigens nicht nur den Kieler Zoologen, sondern auch in Heidelberg - hier ging es wohl an die Substanz. Von dieser Marburger Konferenz gibt es das stenographische Protokoll 9 9 9 sowie einige vertrauliche Niederschriften - eine des Bonner und eine des Aachener Rektors 1 0 0 0 - , ferner „Merkworte" des Göttinger und einen Bericht des Kieler Rektors 1001 . Wenn Rust die Tagesordnung vom 11. Mai als „stark beladen" empfunden hat, so wird er die vom 15. Dezember - sollte er sie gekannt haben (denn den Ausflug nach Marburg hat er nicht mitgemacht, man schickte sich nur Telegramme) - kaum anders eingestuft haben. Zwar gab es nur drei hauptsächliche Themen - „Stellung und Aufgabe des Rektors", „Zugang zur Hochschule, Nachwuchsnot, Verkürzung der Ausbildungszeit" und „Studentenschaft, Studentenschaftsarbeit und Reichsstudentenwerk" - , doch deuten bereits die Kapiteltitel an, wie vollgepackt hier alles war. So hatte denn auch das erste dieser Themen 15, das zweite 19 und das dritte wiederum 15 Unterthemen, und das „Verschiedene", das an siebenter Stelle nach „Berufungsverfahren und Geschäftsgang", „Hochschullehrer und Hochschullehrerrecht" und „Hochschulwoche" folgte, umfaßte sogar 29 Punkte. Wacker hat bei der Eröffnung der Marburger Tagung angekündigt, die „Aussprachemöglichkeit", die bis zum Mai des Jahres „oft zu fehlen schien", künftig dadurch zu gewährleisten, daß „Rektorenkonferenzen im Winter in Berlin stattfinden und im Sommersemester an einer der deutschen Hochschulen auch außerhalb Preußens". Wollte er auch diesen „Turnus" zwar nicht „jetzt schon für alle Zukunft festlegen", so schieden doch die 305

Magnifizenzen, wie ihre Berichte zu Haus zeigen, befriedigt von Marburg und in der Gewißheit, daß nun bessere Zeiten angebrochen waren. Ganz so opulent ist es dann doch nicht geworden, und daß andererseits die von Wacker eingeführte Offenheit der Aussprache nicht völlig unproblematisch war, könnte mindestens dem neuen Kieler Rektor gedämmert und zu denken gegeben haben - sicher nicht lange freilich, gehörte doch Ritterbusch zu der weltanschaulich gefestigten Garnitur. Immerhin hat Prorektor Dahm zunächst (ob das nun stimmte oder nicht) die Abwesenheit von „Magnifizenz Ritterbusch in England" mitgeteilt und dieser dann nach Rückkehr sich hinter angeblichen Marburger Absencen verschanzt („... da ich nicht an allen Besprechungen teilgenommen habe"), als aus Breslau der SD-Führer des SS-Oberabschnitts Südost eine Frage zu der Tagung an der Lahn stellte: Einige Rektoren sollten sich dem Vernehmen nach dagegen gewandt haben, daß Theologiestudenten mit sofortiger Wirkung die staatlichen Stipendien verweigert werden sollten - wer alles das denn, bitte schön, gewesen sei 1002 ? Andererseits jedoch erblühte auch das eine oder andere Blümchen am neuen Wege 1003 . Wie etwa dieses, das sein - obschon nur kurzes - Wachstum dem milderen Blick verdankte, mit dem man im Reichserziehungsministerium die offenbar für harmloser gehaltenen TH-Rektoren betrachtet hat. In Marburg, so schrieb die Münchener TH-Magnifizenz Albert Wolfgang Schmidt am 20. Dezember 1937 an Wacker, „hatten Sie die Güte, eine Besprechung der Rektoren der Deutschen [das schrieb man jetzt vorsichtshalber gern groß, falsch konnte das jedenfalls nicht sein] Technischen Hochschulen zu genehmigen und mir den Vorsitz zu übertragen". So habe er denn mit beiliegendem Rundschreiben die Kollegen für den 7. Januar 1938 nach München gebeten und erlaube sich, auch die beiden Referenten einzuladen - anschließend gemeinsames Mittagessen und abends dann ins „Platzl". Die Referenten Professor Mentzel und Professor Nipper reisten denn auch an und trafen auf die Rektoren beziehungsweise sonstigen Vertreter der elf Technischen Hochschulen und der Bergakademie Freiberg (Clausthal hatte sich entschuldigt). Generalinspektor Todt ist dann mit den Herren am Tag darauf noch ein bißchen die neue Reichsautobahn und die Deutsche Alpenstraße entlanggefahren, und insofern war es ein voller Erfolg. Weniger leider, was die beiden Hauptpunkte anlangte, die „wirtschaftliche Lage des Hochschullehrerberufes" und die „ungenügenden Haushaltmittel der Institute der Technischen Hochschulen", bereits für Marburg gemeldete und dort - sei es aus fehlendem Allgemeininteresse, sei es, um nicht schlafende Hunde zu wecken - ausgeklammerte Gravamina der Techniker. Und auch die Denkschrift, die Schmidt noch am Abend des 7. Januar mit der etwas naiven Bitte „um möglichst baldige Bereinigung" der geschilderten Notstände nach Berlin abgeschickt hat, scheint dort nicht richtig reüssiert zu haben. Auf einer weiteren Zusammenkunft in Dresden hatten die technischen Magnifizenzen die dann hoffentlich eingefahrene Ernte begutachten wollen. Als indes Schmidt sie Mitte Februar zu organisieren begann, wurde er von Berlin ziemlich unsanft gebremst - man solle doch die Dinge erst einmal reifen lassen, „gelegentlich wieder eine weitere Konferenz vorbereiten, und auch das sei nicht seine Sache, sondern die des Dresdener Kollegen". Im Mai - in Stuttgart wurde Stortz schon ungeduldig und wollte sich „innerlich mit der Vertagung der rein unter uns verabredeten zweiten Zusammenkunft in Dresden nicht abfinden" - schrieb dann Nipper dem Dresdener Rektor Beck, Wacker habe sich zu der geplanten Konferenz „durchaus zustimmend" geäußert - aber nicht jetzt schon im Sommer, der Anfang des Wintersemesters sei die beste Zeit. Daraus ist dann Mitte Dezember geworden - und von da an hat man vorerst nichts mehr davon gehört. 306

Die allgemeine Rektorenkonferenz, von Wacker in Marburg ja für den Sommer zugesagt, war inzwischen am 7. Juni 1938 auf den Herbst und Ende Oktober weiter gleichfalls auf Mitte Dezember verschoben worden1004, offenbar sollte die TH-Konferenz diesmal Annex sein. Die Wünsche der Magnifizenzen für die Tagesordnung waren erbeten worden und längst abgeliefert, als am 2. Dezember eine weitere Verschiebung auf die zweite Hälfte des Wintersemesters bekanntgegeben wurde. Grund war angeblich die „besondere Ausgestaltung", welche die Tatsache „geboten erscheinen" lasse, daß es sich hier um die erste Rektorenkonferenz des neuen Großdeutschen Reiches handle. Nun war das freilich seit März existent (das Sudetenland hatte auf diesem Gebiete ja praktisch nichts „erbracht") und mithin eigentlich als Begründung zu fadenscheinig, um selbst vom gutwilligsten Rektor abgenommen zu werden. So ist es denn 1938 trotz der so schönen Aussichten des Vorjahres zu nichts gekommen. Man hat sich zwar wieder - und wieder im Talar! - im September bei Hitlers Reichsparteitag getroffen, zu mehr als den beliebten Bierabenden kann es dabei jedoch nicht gekommen sein. Immerhin lagen nun Ende des Jahres die Vorschläge auf dem Tisch - aus Freiburg beispielsweise, wo mittlerweile der Zoologe Otto Mangold Metz abgelöst hatte, die „Einordnung der nationalsozialistischen Verbände [gemeint also Dozentenbund und Studentenbund] in den Arbeitsgang der Universität" - ein Dauerbrenner und ein wohl so nicht zu lösendes Problem. Und aus Göttingen wurde, ebenfalls dem von Mann zu Mann weitergegebenen olympischen Feuer ähnlich, die andere ehrwürdige Reliquie herbeigetragen: die „Stellung des Rektors in der Universität". Bonn, seit dem Arger mit Thomas Mann1005 auf diesem Gebiet sensibel, verlangte eine Vereinheitlichung bei der Entziehung des Doktorgrades, Leipzig wollte Habilitation und Dozentur wieder verschmelzen und den Senat aus dem Berufungsverfahren ausscheiden (erstens mache er alles nur langwieriger, zweitens aber sitze dort ja der Studentenführer drin), und in Wien, wo man das Dritte Reich und den Trend ja noch nicht so genau kannte, machte sich Rektor Fritz Knoll für die Beibehaltung der Zulassung der „Mischlinge (vor allem der Vierteljuden) zum Hochschulstudium" stark. Darauf konnte dann 1939 bei der „Ersten Tagung der Rektoren der wissenschaftlichen Hochschulen des Großdeutschen Reiches" am 7. und 8. März in Berlin (großes Reich zwei Tage!) zurückgegriffen werden. Bevor das Jahr 1938 verlassen wird, hier aber noch ein dort spielendes Rand-Kuriosum. Platzhoff-Frankfurt hat am 2. Juni im Namen weiterer Rektoren (bei der Jahrestagung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in Berlin will man sich getroffen haben, sonst darf man ja nicht) um eine Aussprache der Rektoren mit dem Reichsdozentenführer und dem Reichsstudentenführer gebeten1006 - die angesammelten Mißverständnisse sollten beseitigt werden. Im Ministerium fand man die Idee „zweckmäßig" und „wertvoll". Aber sämtliche Rektoren, also nach Art einer Rektorenkonferenz oder gar im Rahmen der nächsten? Nein, es galt „Präzedenzfälle" zu vermeiden. Künftig etwa die Rektorenkonferenzen mit Scheel und Schultze - brr 1007 ! Also ein paar Rektoren nur oder auch ein paar mehr und vielleicht auch nicht nur Rektoren, sondern auch andere Vertreter der Hochschulen, und nicht gleich, sondern später, irgendwann nach der Rektorenkonferenz ... 1008 . Oder auch gar nicht. Die Einladung für die große Tagung1009 ist am 2. Februar 1939 ergangen, die beigefügte Tagesordnung mit nur fünf Sachthemen kürzer als bisher, aber so allgemein und inhaltslos wie irgend möglich: 1. Allgemeine Hochschulverwaltung, 2. Lehre und Forschung, 3. Hochschulnachwuchs, 4. Studentenschaft, 5. Haushalts-, Gebühren- und Steuerfragen. Da war alles drin und zugleich auch nichts. Dafür war der Rahmen um so stattlicher, die 307

Abordnung von Prorektoren war diesmal „nur im äußersten Fall gestattet", und sogar von den deutschen Hochschulen in Prag und Brünn waren die Rektoren bereits anwesend, obwohl das „Protektorat" ja erst eine Woche später geschaffen worden ist. Ein Frühstück im Hotel Kaiserhof, gegeben durch den „Chef des Amtes Wissenschaft", am ersten Abend ging man gemeinsam in eines der Staatstheater, am zweiten wurde von Rust ins Bristol eingeladen - alles war vom Feinsten. Termin war ursprünglich der 28. Februar und 1. März gewesen, „anderweite [sie] dringende dienstliche Inanspruchnahme des Herrn Reichsministers" hatte eine Verschiebung um eine Woche bedingt. Die „Erste Großdeutsche" begann also am 7. März 1939 11 Uhr vormittags und in Gegenwart von Presse und sonstiger Öffentlichkeit im Berliner Hotel Kaiserhof mit einer Rede Wackers, der die neuen deutschen Hochschulen begrüßte und die Zeit als eigentlich jetzt erst reif für all die Hochschulreformen bezeichnete (die bisher hatten auf sich warten lassen). Ihrer in mehrerer Hinsicht programmatischen Bedeutung wegen, die nicht zuletzt durch den (von der Regel abweichenden) Versand des Textes an die Hochschulen1010 dokumentiert wurde, sei diese Rede hier in großen Zügen referiert. Ihr Zweck sollte sein, einen Überblick zu geben über die wichtigsten Neuordnungen der letzten Jahre und Monate sowie über die heranstehenden Probleme und die in Vorbereitung befindlichen Maßnahmen. Von den durch Wacker dabei abgehandelten neun Tätigkeitsfeldern seines Amtes sollen die letzten fünf hier nur aufgezählt werden: Pflege internationaler Beziehungen, Studenten-, Studien- und Prüfungs-, äußere Verwaltungs- sowie besondere Forschungsangelegenheiten. Zum ersten Punkt „Innere Verwaltungsangelegenheiten" gab der Amtschef einen Uberblick über eine erfolgte organisatorische Straffung in Amt und Ministerium (zum Beispiel, etwas mehr als organisatorisch und durchaus politisch, die Ausgliederung der Hochschulen für Lehrerbildung aus dem Amt Wissenschaft in das Amt Erziehung - „wohin sie nach meiner Auffassung gehören") sowie über die Maßnahmen auf dem Gebiet der „Verreichlichung", das uns später noch ausführlich beschäftigen wird. Bei Punkt zwei „Zusammenarbeit zwischen Partei und Staat" hielt Wacker einen einzigen Satz für ausreichend: Diese sei „heute eine ausgezeichnete" (ein nicht für die Presse geeignetes einschneidendes Detail fügte er dann am Nachmittag hinzu: Die soeben am 28. Februar vom Stellvertreter des Führers unter künftiger Ausschaltung des Dozentenbundes in Anspruch genommene alleinige Zuständigkeit seitens der Partei in allen grundsätzlichen Fragen; auch hiermit werden wir uns noch zu beschäftigen haben). Auf die - drittens „Planungsmaßnahmen" folgte schließlich die „Personalpolitik" mit der Aufzählung tatsächlich wesentlicher „Meilensteine", von der Aufhebung des Reichsdozentenwerks und der Neufassung der Reichshabilitationsordnung über das (in der akademischen Provinz viele Sorgen behebende und das seit der Weimarer Endzeit die Professoren ängstigende Schreckgespenst der allgemeinen Pensionierung endlich bannende) Emeritierungsgesetz bis zur reichseinheitlichen und grundsätzlichen Neuordnung des Berufungsverfahrens. Nach einer matten Erklärung, warum nicht alles „mit einem Federstrich" zu erledigen sei, befaßte sich der Redner noch mit drei größeren Problemen der Zukunft: Mit der Frage des Nachwuchses für die sogenannten akademischen Berufe und wie das derzeitige Mißverhältnis zwischen der tatsächlichen und der Bedarfszahl durch die „außerordentlichen Zugangswege" zur Hochschule wie Begabtenprüfung, Langemarck-Studium und Sonderreifeprüfungen behoben werden würde, zweitens mit der Frage der Sicherung des Hochschullehrernachwuchses selbst (das hier Thema späterer Erörterung, an dieser Stelle daher nur die Anmerkung, daß der arme Wacker sich sehr winden mußte bei dem Ver308

such, seinen Hörern einigermaßen verständlich zu machen, warum es trotz der Übernahme der gesamten Personalpolitik durch das Reich im Jahre 1935 praktisch noch immer keine einheitlichen Grundsätze und keine einheitliche Besoldung gab) und drittens mit der Planung im deutschen Hochschulwesen - dies ein Thema, das wir ja schon kennen: die Überlegungen, die aus den Interessen der Territorialherren entstandenen und nach modernen Gesichtspunkten alles andere als zweckmäßig lokalisierten und darüber hinaus aus den gleichen Gründen auch fachlichen „Wildwuchs" mit sich schleppenden Hochschulen neu zu ordnen. Hochinteressant dann Wackers Schluß, ein tiefes Einsaugen nach langen schweren Jahren endlich zu witternder Morgenluft. Habe es der Führer in seiner großen Rede auf der Kulturtagung des letzten Reichsparteitages nicht eindeutig verneint, daß der Nationalsozialismus eine kultische Bewegung sei? Habe er nicht das Einschleichen unklarer mystischer Elemente abgelehnt? Habe er nicht den Nationalsozialismus als kühle Wirklichkeitslehre schärfster wissenschaftlicher Erkenntnis und ihrer gedanklichen Ausprägung charakterisiert - klares Erkennen, nicht geheimnisvolles Ahnen? Was anders sei denn das Ziel echter deutscher Wissenschaft? Exakte Erkenntnis von den Dingen zur Lehre ausgeprägt - darin habe sich im Laufe der Jahrhunderte der Typ des germanisch-deutschen Forschers entwickelt. Und den geschlagenen Rosenbergianern noch nachsetzend, der Triumphschrei: „Alle Geister der germanisch-deutschen Vergangenheit befinden sich hierbei auf unserer Seite!" Und ganz am Ende: „Der Weg der Wissenschaft führt auf den Weg des Führers." Dem müssen gegenüber in der Reichskanzlei eigentlich die Ohren geklungen haben. Nach diesem erhebenden Frühstück im Kaiserhof ging es dann im Festsaal des Reichserziehungsministeriums am Nachmittag und am folgenden Tage etwas prosaischer zu, den Vorsitz führte wieder Wacker. Der 8. begann mit einer Rede Rusts, kurz vor 18 Uhr erst konnte zum Abschluß mit dem üblichen „dreifachen Sieg-Heil!" auf „unseren großen Führer" jenes „einen" gedacht werden, „auf dessen Weg wir wandern". Wir brauchen uns damit jedoch nicht aufzuhalten, da das Wesentliche von Wacker bereits vorgegeben war und nun nur noch Diskussionsbeiträge oder Quisquilien zur Verhandlung anstanden. Wollte einer wirklich einmal in Grundsätzliches ausbrechen wie etwa Hoppe-Berlin mit der Bitte, ob „wir" nicht wenigstens eine kurze Antwort in der Frage der Mitwirkung des Rektors bei der Ernennung des Studentenführers erhalten könnten, wurde er vom Vorsitzenden abgeblockt - man wolle das diesmal wegen der vorgeschrittenen Zeit aussetzen. Zumal man sich ja binnen kurzem wiedersehen werde - im Sommer. Und da bekanntlich die „Sommerkonferenz jedes Mal an einer anderen Hochschule" abgehalten werde und dieses Jahr natürlich in der Ostmark - auf Wiedersehen also Anfang Juli in Graz! Zum Schluß aber zog Wacker ein Papier aus der Tasche, auf dem - angeblich „in der Zwischenzeit" verfaßt - all die Fragen aufgezeichnet waren, „die uns alle bewegen und bei denen ohne weiteres Einmütigkeit herzustellen war". Am Tag darauf waren sie bereits in ganz Deutschland in den Zeitungen nachzulesen. Und zwar: Daß die deutsche Hochschule die ihr vom Führer gestellten „großen völkischen Aufgaben" (was immer das sein mochte) mit dem festen Entschluß, sie zu lösen, übernommen habe und daß die Erfüllung dieser völkischen Aufgaben, so einfach war das, die Freiheit der Lehre und Forschung nicht beeinträchtigen würde. Letztere beiden seien ebenso eine untrennbare Einheit wie die deutsche wissenschaftliche Arbeit überhaupt - Grund- also wie angewandte Wissenschaft. Im übrigen müsse die deutsche Hochschule, eine Arbeits- und Erziehungsgemeinschaft, jedem begabten deutschen 309

Volksgenossen offenstehen, die Verkürzung der Gesamtausbildungszeit dürfe (und hier artikuliert sich vielleicht ein bescheidenes Aufmucken) den hohen Leistungsstand deutscher wissenschaftlicher Arbeit nicht schädigen. Frust verrieten auch der achte, der zusätzliche Mittel forderte, und der elfte und vorletzte Punkt, der den Anspruch der deutschen Hochschule auf die Anerkennung und die Unterstützung des gesamten Volkes erhob. Dann noch ein bißchen Bla-bla und endlich der Schlußsatz, der ebenso wie Wackers Redeschluß am Vortage unverkennbar in Richtung Rosenberg konzipiert war und dem steuern sollte, was sich da am Chiemsee zusammenbraute und in ein, zwei Universitäten bereits Metastasen bildete, noch bevor die Muttergeschwulst so recht Gestalt angenommen hatte: „Die nationalsozialistische deutsche Hochschule will die hohe Schule des deutschen Volkes sein!" Für das „Glück", an „dieser Aufgabe tätig sein zu dürfen", dankten die Rektoren ihrem Führer1011 „mit dem Gelöbnis hingebender Treue". Und das war gewiß nicht überbezahlt, wenn man - wie Deutschlands Magnifizenzen - der Auffassung war, es sei die deutsche Wissenschaft erst durch den Nationalsozialismus „wieder zu den Quellen ihrer Erkenntnis zurückgeführt worden". Wie würde das erst im Herbst in Graz werden, der ruhmreichen „Stadt der Volkserhebung"! Es wurde gar nicht, denn Graz hat die deutschen Rektoren nie gesehen. Daran aber ist nicht etwa der Krieg schuld gewesen, sondern eine Programmänderung schon im Frühjahr. Die große Schau des Jahres 1939 sollte nämlich der „1. Tag der Deutschen Wissenschaft" vom 24. bis 26. Juni in Hannover werden. Am 24. wollten ihn Rust und Rosenberg in der Stadthalle eröffnen, über Scheel und Schultze freilich reichten vorerst die Chargen nicht hinaus (und Schultze hat am 13. Juni per Rundschreiben seine Dozentenbundsführer unterrichtet, sein Name sei „ohne meine Einwilligung" auf die Rednerliste gesetzt worden); Mentzel vom Ministerium, ein paar Professoren noch, Sauerbruch der teuerste davon - das war's1012. Doch dann war ein neuer Stern über der deutschen Wissenschaft aufgegangen - oder eher ein Mond. Das Programm, kaum gedruckt, mußte umgestellt werden: Göring wollte, übertragen natürlich von allen deutschen Sendern, an jenem 24. in der Stadthalle von 10 bis 12 Uhr zu den Teilnehmern sprechen. Man kann das wohl guten Gewissens als die Sternstunde der deutschen Hochschule im Dritten Reich ansehen. Höher ist es nimmer gegangen. Aber ach, der neue Stern erwies sich als bloßer Komet: Wenige Tage später, am 20. Juni, ist der „Tag der Deutschen Wissenschaft" urplötzlich und ohne Angabe von Gründen abgesagt beziehungsweise, wie es schonend hieß, „verschoben" worden. Und mit ihm die „Großkundgebung" in der Stadthalle, zu der allein die Universität Göttingen mit 80 Hochschullehrern hatte anrücken wollen, und natürlich auch die Veranstaltung, derentwegen hier überhaupt von Hannover die Rede gewesen ist: die Rektorenkonferenz, die am Vortage, am 23., im Braunen Saal des hannoverschen Rathauses hatte abgehalten werden sollen. Eine Winterkonferenz hat dann am 11. November in Berlin im Ministerium stattgefunden1013 - ziemlich lustlos, ohne vorherige Versendung einer Tagesordnung und, wie es scheint, ebenfalls ohne Aufnahme eines Protokolls. Auch waren die Rektoren nicht wie sonst üblich unter Teilnahme-Druck gesetzt worden, sondern es hatte vielmehr ganz zivil geheißen, man würde es begrüßen, wenn Rektor X Y daran teilnehmen würde - „im Notfall" könne auch ein Vertreter entsandt werden. Erhalten ist diese so geheime Tagesordnung, die zwischen der Begrüßung durch den neuen Amtschef Mentzel (Wacker war ja im April nach Karlsruhe zurückgekehrt) und einer Ansprache Rusts ausschließlich aus 310

sechs „Berichten" von Ministerialreferenten und einem „Vortrag" des Amtschefs besteht - da ließ es sich freilich leicht auf eine Unterrichtung der Teilnehmer und auf ein Protokoll verzichten. Das einzige hier interessierende Thema behandelte der Bericht des Oberregierungsrats Huber über die Vereinheitlichung und Verreichlichung des Hochschulwesens (dem wir weiter unten begegnen werden), alles übrige betraf Kriegsthematik. Diese dominierte auch die restlichen Rektorenkonferenzen, die der vierziger Jahre. Am 25. Oktober 1940IOM kündigte das Reichserziehungsministerium eine Konferenz Ende November/Anfang Dezember an und bat wie üblich um Wünsche zur Tagesordnung. Am 30. November wurde dann eingeladen, für den 16./17. Dezember und, obwohl es ja Winter war, nach Prag in die Deutsche Gesellschaft für Wirtschaft am Graben - Durchlaßscheine waren bei den Polizeibehörden zu beantragen, Reisemarken vorher einzutauschen. Ein Protokoll ist offenbar auch in Prag wieder nicht und ebenfalls nicht bei den folgenden Konferenzen aufgenommen worden. In der Einladung waren sechs „Gebiete" genannt, aus denen, wie es ganz allgemein hieß, „Angelegenheiten zur Erörterung" gelangten: „Unterrichtsbetrieb im Krieg" ebenso wie die Standardthemen „Akademische Verfassung", „Besoldungsfragen, Nachwuchs, Studentenfragen sowie Promotion und Habilitation" - auch letztere gewiß in der „Optik des Krieges". Für das, was „die Front" (seitdem es wieder eine richtige gab, ging die so beliebte Metapher freilich nicht mehr ganz so locker über die Lippen) bewegte, sind vielleicht detaillierte Vorschläge ganz aufschlußreich, die der Freiburger Rektor, der Mathematiker Wilhelm Süss, eingereicht hat und die sich an verschiedenen Stellen erhalten haben. „Eindeutige Führung der Universität durch den Rektor" war eines dieser Exposés überschrieben; noch immer wurde, unter Hinweis auf „gelegentlich aufgetretene Schwierigkeiten", für den Rektor Vorschlags- oder Vetorecht bei der Bestimmung der Dozenten- und Studentenschaftsleiter gefordert, am besten solle er in Personalunion auch Dozentenbundsführer sein. Zweitens dann die Klage über die „autoritäre Handhabung der Fakultätsführung durch den Dekan" : Die Dekane sollten daran erinnert werden, vor ihren Entscheidungen ihre Fakultätsausschüsse anzuhören; ihr autoritärer Führungsstil (der offenbar allein dem Rektor zustand) habe Interesselosigkeit der Fakultätsmitglieder erzeugt und den „kameradschaftlichen Geist" der Fakultäten zerstört. Ein weiterer Text war „Organisation des Vertrauens statt des Mißtrauens gegenüber Hochschullehrern" betitelt, enthielt aber nichts anderes als Klagen über die Beseitigung der „schwarzen Kassen", insbesondere in den Kliniken. Aus der gleichen Richtung stammte, ebenfalls die Medizin betreffend, die Beschwerde „.Außenseiter' als akademischer Nachwuchs", die sich - modern gesprochen - gegen die „Seiteneinsteiger" aus lukrativen Privatpraxen und städtischen Krankenhäusern richtete, durch die sich die Marschierer auf der „Ochsentour" benachteiligt fühlten. War das zeitlos, so ein typisches 1940er Thema hingegen, als der „Endsieg" ja in greifbare Nähe gerückt schien, die Sorge um die „Ausbaupläne für die Hochschulen bei Kriegsende" : „Großzügige Planung" und der Förderung anderer Gebiete angemessene Ausgaben seit der Machtergreifung wurden hier vermißt, nach dem Siege müsse das nun aber - „zur Sicherung der geistigen Führung Großdeutschlands unter den Kulturländern der Welt" - umgehend nachgeholt werden, Baupläne für Neu- und Umbauten gelte es bereits jetzt zu bearbeiten. Als die 58 Rektoren nach Hause fuhren (62 wissenschaftliche Hochschulen gab es jetzt im Reich!), erhielt die Presse sechs „Leitgedanken", die sie angeblich erarbeitet hatten - von 1 bis 6 lediglich Gewäsch 1015 . 311

Für 19411016 hatte das Ministerium, am 19. August, zunächst lediglich eine Rektorenkonferenz der Technischen Hochschulen im November angekündigt, im Anschluß an eine vorgesehene Korrekturbesprechung der Studienpläne der Technischen Hochschulen und Bergakademien. Die Nennung von „Punkten" dafür wurde erbeten und ist auch erfolgt 1017 . O b es aber nun nicht genügend gegeben hat (in München beispielsweise bereitete neben der Strafordnung für die Studenten lediglich noch die in jüngster Zeit erfolgte Verleihung des Titels Rektor an Vorstände von Volksschulen Kopfschmerzen) oder was sonst dazwischengekommen sein mag, jedenfalls scheint diese TH-Konferenz in einer allgemeinen Rektorenbesprechung aufgegangen zu sein, die am 6. Oktober angekündigt wurde und im Anschluß an die voraussichtlich am 16. November erfolgende Eröffnung der neuen „Reichsuniversität" Straßburg abgehalten werden sollte. Am 6. November ergingen die Einladungen, der Termin der Universitätseröffnung war inzwischen auf den 23./24. verschoben worden. Ein Novum war, daß es sich um eine gemeinsame Konferenz von Rektoren und Kuratoren handelte - Ausstrahlung eines Problems, das wir demnächst1018 untersuchen wollen. Als diese „Rektoren- und Kuratorenkonferenz" dann am 24. im Straßburger Universitätsgebäude eröffnet wurde, fanden sich indes noch weitere Teilnehmer ein: Vertreter der Hochschulverwaltungen der Länder. So hat denn zu später Stunde der dringende Wunsch gewiß nicht allein Studentkowskis 1019 doch noch Erfüllung gefunden. Warum diese Neuerungen eingeführt worden sind und daß sie nicht oder zumindest nicht primär „kriegsbedingt" waren (was damals für alles mögliche herhalten mußte), zeigt ein Blick auf die Tagesordnung. Während nämlich für den Vormittag des 25. - am Nachmittag sollten sich die Magnifizenzen auf einem „Ausflug in die Vogesen" erholen wenig aufregende Themen wie „Werbung für akademische Berufe", „Hochschule und Ausland" oder „Studium der Kriegsteilnehmer" die Agenda füllten, war der 24. auch brisanteren Dingen gewidmet. Er begann zwar harmlos mit der üblichen Ansprache Rusts, der von den künftigen „außerordentlich" bedeutungsvollen Aufgaben der Naturwissenschaften bei der „Erschließung des weiten, unerschöpflichen Raumes im Osten mit seinen ungeahnten Schätzen" fabulierte und ebenfalls den Geisteswissenschaften bei der „geistigen Auseinandersetzung mit der Welt" Aufgaben „von unerhörter Größe und Bedeutung" zuwies. Und auch die nachfolgenden Ausführungen von Paul Ritterbusch, früher Rektor in Kiel, jetzt Unter den Linden tätig, über sein Steckenpferd, den „Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften", werden die Konferenzteilnehmer kaum von den Stühlen gerissen haben. Dann aber werden sie munterer geworden sein, als es wieder einmal um die nicht totzukriegende „Abgrenzung der Zuständigkeitsgebiete des Rektors und des Kurators" ging, - Näheres darüber, wie schon gesagt, im Sachzusammenhang. In Hamburg 1020 hat ein Herr Knüll, vermutlich der Vertreter der hamburgischen Hochschulabteilung, einen neunseitigen Bericht über die Straßburger Veranstaltung abgeliefert, dem zu entnehmen ist, was dort sonst noch besprochen worden ist. Er enthält nichts von Belang und auch keine rechte Begründung dafür, warum die Magnifizenzen Matting und Herzig so bedrückt von Straßburg nach Hannover beziehungsweise Braunschweig zurückgereist sind. Die Konferenz, so hat sich Matting am Heiligen Abend Reichsstudentenführer Scheel anvertraut, habe Anzeichen aufgewiesen, die bedenklich stimmen müßten: starke Bevormundung und zunehmende Bürokratisierung. Gewiß ist das der Vorspruch gewesen zu dem, was die beiden Niedersachsen anschließend hier wie auch noch bei Rust abgeladen haben: ihre Angst vor der ins Haus stehenden Kuratorialverfassung. 312

In Salzburg, wo Scheel ja inzwischen als Gauleiter und Reichsstatthalter residierte, hatten die beiden Herren gern noch persönlich vorsprechen wollen, und in Salzburg hat dann auch die Rektorenkonferenz des Jahres 1942 stattgefunden, die dank des Gastgebers „mit Stallgeruch" alles Bisherige in den Schatten stellte 1021 . Nicht über zwei Tage, von einem ganz zu schweigen, erstreckte sich die Veranstaltung, sondern über volle fünf, vom 28. August bis zum 1. September - und ein Beiprogramm gab es vielleicht! D a s Programm, so berichtete aus Hannover Prorektor Pfannmüller seinem Rektor an die Ostfront 1 0 1 2 , habe „mehr nach einem Fest als nach einem Arbeitsprogramm" ausgesehen. Ein altgedienter Studentenführer wußte natürlich, wie Professoren es gern haben. U n d außerdem waren ja gerade Festspiele - kriegsmäßig zwar, aber was heißt das in Salzburg schon! Mit Richard Strauss' Arabella im Festspielhaus hatte es begonnen, der sich ein Begrüßungsabend im Österreichischen H o f (den gab es noch!) anschloß, und als man am Mittag des 1. September zum gemeinsamen Mittagessen im Platterhof nach Berchtesgaden aufbrach, hatten die Magnifizenzen außerdem nicht nur einen Empfang des Oberbürgermeisters im Stieglbräu, einen durch Scheel in der Residenz und einen dritten durch den Minister (der selbst allerdings mit einer eitrigen Lungenentzündung zu Hause im Bett lag) im Mirabell, eine Kaffeestunde in Schloß Leopoldskron mit künstlerischen Darbietungen, noch ein Mittagessen im Osterreichischen H o f und einen Abend im Peterskeller hinter sich, sondern sie hatten auch in der Felsenreitschule, ausgeführt vom WeißgärberQuartett und dem Wiener Staatsopernchor, eine Kammerserenade, im Mozarteum ein Konzert von Ernest Ansermet und nochmals im Festspielhaus Figaros Hochzeit genießen dürfen und im Landestheater einen Nestroy mit dem Titel „Einen J u x will er sich machen", der der gesamten Veranstaltung als Motto hätte dienen können. Prorektor Gerstenberg etwa meinte anschließend, mit ihren Bierabenden und den Festspielen sei diese Rektorenkonferenz wohl für jeden Teilnehmer „ein unvergeßliches Erlebnis" geblieben. War in Salzburg sonst noch etwas gewesen? Ach ja, natürlich, die Arbeitstagungen im Rittersaal der Residenz, vormittags je drei, nachmittags je zwei Halbstundenreferate, anschließend Aussprache. A m Samstag zum Thema „Nachwuchsfragen der akademischen Berufe", am Montag vormittag über „Grundfragen der deutschen Forschung" und am Nachmittag und Dienstag vormittag über „Hochschulpolitische Fragen" - der Sonntag gehörte natürlich ausschließlich dem „Rahmenprogramm" (wobei man, wie bei den meisten derartigen Veranstaltungen und beim heutigen Wissenschaftstourismus erst recht, in Zweifel sein kann, was nun eigentlich der Rahmen war und was das Eingerahmte). Die Referenten entstammten wieder weitgehend dem Ministerialbereich, was die Befürchtungen der beiden Niedersachsen vom Vorjahr zu bestätigen scheint, und die Themen waren dementsprechend kuschelweich - noch die „hochschulpolitischen Fragen" ohne jede Dramatik: Studienförderung, Reichsstudentenwerk und Ausbildung für den öffentlichen Dienst. Diesen Eindruck bestätigen zwei längere Berichte von Teilnehmern für die Daheimgebliebenen: von Dekan Richard Vieweg noch auf der Heimreise für die Darmstädter und von Prorektor Fritz Gerstenberg für die Braunschweiger Kollegen 1 0 2 3 . N o c h die höchsten Wellen haben demnach von Ritterbusch angedeutete Überlegungen geschlagen, die Verwaltungsausbildung von der juristischen zu lösen, sowie Rektor C h u d o b a s Aufnahme des professoralen Ceterum censeo jener Epoche. Zum Thema Hochschullehrernachwuchs hatte er referiert und war am Ende selbstverständlich bei der Diffamierung dieses Berufsstandes gelandet. Dessen Schutz hatte er wieder einmal gefordert - und 313

Anerkennung. Aber rechtzeitige Ehrung, wie es bei Künstlern ja auch geschehe, und nicht erst nach dem Tode. Mentzel hatte dazu tröstend wissen lassen, daß das in dieser Hinsicht maßgebende Propagandaministerium jetzt „nicht mehr gegen, sondern für die Hochschulen" sei. Und wenn sich der Darmstädter nicht verhört haben sollte, hat Mentzel den nach Streicheleinheiten dürstenden Professoren doch tatsächlich die Wiedereinführung des „Geheimrats" in Aussicht gestellt, sein Haus wolle „in diesem Sinne vorstoßen". Das wäre denn ja zu schön gewesen, leider ist es nicht mehr dazu gekommen. Des großen Erfolges wegen hat man die Salzburger Veranstaltung im Jahr darauf wiederholt - und das ist dann allerdings voll ins Auge gegangen1024. Am 22. Juli 1943 war, nunmehr etwas bescheidener, auf den 26. bis 28. August (daraus wurde dann doch wenigstens der 25. bis 28.) geladen worden, und also wieder nach Salzburg. Das wissenschaftliche Programm war jetzt, nach Stalingrad, völlig vom Kriege bestimmt; die Auswirkungen des totalen Krieges und das Kriegsteilnehmerstudium bildeten die Schwerpunkte der Tagung. Wünsche zur Tagesordnung hatten wieder angemeldet werden können, und Süss -Freiburg, der im ersten Komplex über die „gegenwärtige Lage der deutschen Wissenschaft" zu referieren hatte, sammelte bei den Kollegen deren Erfahrungen ein. Dem anderen Programm war vom Kriege weniger anzumerken. Konzert- und Festspielkarten allerdings drohten diesmal kontingentiert zu werden - insbesondere bei der „Zauberflöte" am Sonntagabend, wo - vornehm geht die Welt zugrunde - ebenso wie beim Scheel-Empfang in Schloß Kleßheim „Uniform oder dunkler Anzug" verlangt waren. Bei den Edwin-Fischer-Konzerten oder dem Clemens-Krauss-Konzert im Mozarteum oder auch beim „G'wissenswurm" der Wiener Exl-Bühne wurde das wohl nicht so genau genommen, und bei den Empfängen (neben Scheel wieder Rust und Mentzel als Gastgeber), bei den Essen wieder im Osterreichischen Hof und im Stieglkeller, bei der Stadtbesichtigung und im Kino („Dorfmusik") war das völlig problemlos. Die Rektoren waren hingerissen von dem „ausgezeichneten Beiprogramm" und von der „reichlichen Bewirtung" im fünften Kriegsjahr, was alles die Reise nach Salzburg gelohnt hätte. Der Rest, die eigentliche Konferenz, allerdings weniger. Neun Referate am ersten, elf am zweiten Tag und noch weitere vier am letzten Vormittag1025, bevor es abging nach Schloß Leopoldskron - das war vielleicht auch für Rektoren etwas viel, zumal die Themen nicht gerade Muntermacher waren. Vor allem aber zeigten sich die heimgekehrten Magnifizenzen „niedergeschmettert" von dem Auftreten ihres Ministers, das genügend Aufsehen erregt hatte, um die Kunde davon bis zu dem mittlerweile fast allmächtig gewordenen Bormann gelangen zu lassen. Der hat bei Kaltenbrunner, Heydrichs Nachfolger als Chef der Sicherheitspolizei und des SD (alias Reichssicherheitshauptamt), einen Bericht angefordert, der am 16. November 1943 erstattet worden ist1026 und uns einen Einblick gestattet in das Interieur dieser offenbar bemerkenswerten Veranstaltung. Losgegangen war das schon am 26. bei der Eröffnung der Tagung. Er wolle hier einmal sein Herz ausschütten, hatte Rust gesagt, warum es zu dem allgemein bekannten Ruin des deutschen Schulwesens gekommen sei. Er sei daran nicht schuld, ihn habe der Führer schon seit vier Jahren nicht mehr empfangen, und andere (worunter unschwer Goebbels und Rosenberg zu verstehen waren, vielleicht auch Scheel) hätten die Dinge bei Hitler falsch angebracht und zerredet. So also war das. Die Rektoren staunten, und selbst Ministeriumsangehörige fragten sich, was man denn nun von einem Minister halten solle, der öffentlich seine Ohnmacht bekannte - schließlich hätte er ja schon vor Jahren zurücktreten können. 314

Der Abend dieses Tages brachte mit Rusts Tischrede auf dem von ihm gegebenen Empfang im Österreichischen Hof eine Fortsetzung, wenn nicht Steigerung. Eine volle Stunde soll er sich zwischen dem ersten und dem zweiten Gang und mit einem Stimmaufwand, der das Festspielpublikum im benachbarten Nebensaal zu unfreiwilligen, aber gewiß interessierten Mithörern machte, über die verschiedensten Dinge ausgelassen haben, daß es, wie ein Teilnehmer berichtet hat, „den anwesenden Rektoren und Referenten des Ministeriums heiß und kalt über den Rücken gelaufen" sei, - Seitenhiebe auf Goebbels gab Rust dabei ebenso zum besten wie Indiskretionen über die zu erwartende (und später eingetretene) politische Entwicklung in Italien. Seine Zuhörer sahen sich erstaunt an, schüttelten sacht die Köpfe und ließen im nachhinein ihrer Verwunderung freien Lauf. „War er schon betrunken!", fragte einer - woran er eigentlich operiert sei, ein anderer. „Er wartete immer darauf, daß ihm noch etwas einfiele", meinte ein Dritter, während ein Vierter der Auffassung war, ein Nervenarzt hätte den Minister „auf der Stelle einkassieren" müssen. Und dabei hatte das „Kameradschaftliche Beisammensein" im Peterskeller da noch gar nicht stattgefunden. Das stieg erst zwei Tage später, am Sonnabend, nach Rückkehr von Leopoldskron und nachdem auch Clemens Krauss überstanden war. 21 Uhr hat es begonnen, und, so erinnerten sich Teilnehmer, „beschwingt" sei es gewesen. Zwei Uhr morgens ist dann der Minister, sicher mit einiger Mühe und Hilfe, auf den Tisch gestiegen und hat verkündet, daß er jetzt seine schon längst beabsichtigte hochpolitische Rede zur Lage in Italien halten werde. Mentzel, zwar vermutlich ebenfalls nicht nüchtern (das war Mentzel selten), aber alkoholgewöhnt, hat versucht, das sich abzeichnende Unheil abzuwenden - mit einer längeren Ansprache und einem dreifachen Hoch auf den Minister. Der aber ließ sich so leicht nicht bremsen, sondern kündigte wiederum an, daß er nun seine „Rede auf die Römer" halten werde. Mit einem tiefen Griff ins deutsche Liedgut hat dann ein Teilnehmer die Situation gerettet und den Gesang „Als die Römer frech geworden" angestimmt, in den all die Magnifizenzen mehr oder weniger begeistert, aber - zwei Uhr früh! - sicher lautstark einstimmten. Wenn auch damit, der Liedtext paßte ja hervorragend, die Ministerrede eigentlich angemessen ersetzt war, ließ Rust doch noch immer nicht locker und fragte, ob er jetzt nun seine Rede halten könne. Erst das donnernde „Nein" seiner Zechkumpane hat ihn dann endlich bewogen, mit hochrotem Kopf vom Tisch herunterzusteigen und die ungastliche Stätte zu verlassen. Nun muß man zwei Dinge berücksichtigen. Erstens war Rust ein kranker Mann. Eine ungemein schmerzhafte Trigeminusneuralgie ließ ihn mehr, als ihm guttat, dem Alkohol zusprechen und liefert eine teilweise Entschuldigung, die man akzeptieren muß. Zweitens aber hat ihn möglicherweise eine vorangegangene Bierrede des Straßburger und früheren Bonner Rektors die Stimmung im Peterskeller und das Ausmaß der Sympathie und Aufnahmebereitschaft seiner Hörer falsch einschätzen lassen. Mit „Bernhard" hatte (wenn man die „Reichsuniversitäten" einmal für voll nimmt, der fünfte „Doppelrektor") Karl August Schmidt seinen Minister angeredet, hatte ihn geduzt und liebevoll als den „mißratenen Treuhänder der Wissenschaft" apostrophiert. Solche Herzlichkeit wirkt im Suff leicht animierend und gaukelt Intimität vor, wo in Wirklichkeit Verachtung vorherrscht. Im übrigen: Auf Kaltenbrunners Bericht hat dann Bormann vermerkt: „Dem F. berichtet 30.11.43." 1944 und das Ende1027. Am 9. Juli 1028 eine auch, aber anfechtbar, als „Rektorenkonferenz" bezeichnete Dienstbesprechung der Rektoren und Kuratoren ausschließlich über Luftschutzmaßnahmen und Luftkriegsauswirkungen, abgehalten in Königsberg im An315

Schluß an die dortige 400-Jahr-Feier (genau 400 Jahre hat es die Albertus-Universität also gegeben). Und dann im Dezember Posen, wenige Wochen, bevor die Russen und Polen dort einziehen: Die deutschen Hochschulrektoren besprechen in der Kleinen Aula der Reichsuniversität „vordringliche auslandskulturpolitische Aufgaben der Hochschulen" nach der Erörterung von „Maßnahmen zum totalen Kriegseinsatz" in ihrem Bereich und vor „Verschiedenem". Das war freilich nicht ganz so gedacht gewesen. Den Vorschlag Posen hatte Mentzel bereits im Frühjahr gemacht, und Rust hatte zugestimmt-vermutlich nicht ungern, wird sich seine Sehnsucht nach einem Wiedersehen mit Salzburg doch wohl in Grenzen gehalten haben. Ende August oder Anfang September war als Termin vorgesehen. Ende Mai hat sich Posens Greiser „mit besonderer Freude" als Gastgeber gewinnen lassen, dann aber muß wie üblich irgend etwas dazwischengekommen sein. Denn erst am 22. November konnten endlich die Einladungen herausgehen, am 7. Dezember folgte die - karge Tagesordnung. Und am 14./15. Dezember fand dann die Tagung statt, die im Mai noch als Rektorenkonferenz angekündigt, mittlerweile aber ebenfalls zur „Dienstbesprechung" herabgestuft worden war, - am 23. Januar 1945 ist die Warthegau-Hauptstadt erstmalig im Wehrmachtbericht aufgetaucht, der schließlich am 1. März die Kapitulation der Besatzung nach „vierwöchigem heldenhaftem Kampf" gemeldet hat. Das Ambiente war, solcher Fluchtatmosphäre entsprechend, dürftig, und denen, die in Salzburg, vom Festspielhaus bis Leopoldskron, dabeigewesen waren, könnten die Tränen gekommen sein. Statt 24 Referaten, das freilich war kein Fehler, nur fünf, jedoch das gesamte Beiprogramm, Salzburgs Clou, in Posen bestehend aus „Kameradschaftlichem Beisammensein" an beiden Abenden, das zweite im Posener Schloß anschließend an einen Werbevortrag Greisers über das Wartheland. Im Schneematsch klappernd zu Wilhelms östlicher Hohkönigsburg - welch ein Unterschied zu den rauschenden Salzburger Tagen, jenen glanzvollen Höhepunkten des braunen Rektoren-Tourismus. Die Mitreise von Angehörigen, so hatte es diesmal geheißen, sei nicht erwünscht. Es werden selbst in den feind- und bombenbedrohten Großstädten des Westens nicht allzu viele gewesen sein, die das beklagt haben. Im Posener Schloß also sind die Rektorenkonferenzen des Reiches ausgeklungen. Nachzutragen bleibt noch, daß es daneben selbstverständlich noch lokale „Rektorenkonferenzen" gegeben hat, vom jeweiligen regionalen Potentaten einberufen. Und gelegentlich hat auch der Reichserziehungsminister selbst zwar nicht gerade verpönte Separat-Konferenzen veranstaltet, aber doch auf örtlicher Ebene seine Schäfchen zusammengetrommelt. Ein Blick beispielsweise in eine hannoversche Akte 1029 zeigt beide Typen in unmittelbarer Nachbarschaft: Am 10. November 1943 bittet der Gauleiter zu einer „Rektorenkonferenz" auf den 18. nach Rotenkirchen mit anschließendem „Abendbrot", während am darauffolgenden 15. Januar Rust zwei Stunden Fahrtunterbrechung zu einer „Dienstbesprechung besonders wichtiger und dringender Anliegen" mit den akademischen Würdenträgern am Ort nutzt.

Daß die Nationalsozialisten gewiß nicht beabsichtigten, in ihrem Dritten Reich, sollte es kommen, die Bestimmung der Hochschulrektoren so etwas wie dem freien Spiel der Kräfte zu überlassen und sich den Ergebnissen von „Geheimräten" gelenkter Wahlen zu unterwerfen, hatte bereits Frick in seinem thüringischen Vorspiel angezeigt, als er Ende 316

Januar 1931 gegen die Wahl des Betriebswirtschaftlers Ernst Pape zum Rektor in Jena Einspruch erhob - vorgeblich wegen der allerdings nur äußerst knappen Mehrheit von nur einer Stimme (39 : 38), die indes kaum gestört haben dürfte, wäre Pape nicht früher einmal SPD-Mitglied gewesen1030. Als „durchaus ungewöhnlich" wurde dieser Eingriff links kritisiert, „gesetzlich freilich" war er, wie man zugeben mußte, „zulässig". In der Tat war das Bestätigungsrecht des Landesherren nach freiem Ermessen, meist aus dem 18. Jahrhundert stammend, de facto inzwischen zwar zu einer bloßen Rechtsaufsicht verkümmert, die der Prüfung der formalen Gesetzlichkeit des Wahlvorgangs galt1031, de jure indes nicht beseitigt. Ebensowenig wie ihr Frick zwei Jahre zuvor hatten 1933 die sich nun um die deutsche Hochschule kümmernden Leute die Absicht, sich von irgendwelchen Bedenken stören zu lassen. „Für uns Nationalsozialisten", so kommentierte beispielsweise die „Tübinger Zeitung"1032 am Ende des Jahres das Geschehene, sei es „gewiß nicht überraschend" gewesen, „daß für den Gebrauch dieses unseres neuen Werkzeuges auch neue Männer bestimmt werden müssen, die unserem Führer Adolf Hitler aus ureigenem Erleben verbunden sind". Nun, ganz so gefährlich war es damit vorerst noch nicht gewesen, und bis zum Schluß sogar hat man damit seine Mühe gehabt. Daß sich indes in dieser Richtung etwas bewegte, zeigten die Monate ab März, und vor allem dann der April 1933, als nicht jeder jetzt zwar unter Berücksichtigung der neuen Lage, im übrigen aber noch „frei" gewählte neue Rektor auch tatsächlich sein Amtszimmer beziehen durfte1033. „Gleichschaltung" hieß das neue Modewort, das auf unserem Gebiet gegen Ende der Semesterferien auftrat, in die am Tage des Reichstagsbrandes die noch intakte Hochschule ihre Professoren und Studenten entlassen hatte. Wo seit dem 1. Februar keine Rektorenwahlen stattgefunden hätten, seien „spätestens sofort nach Semesterbeginn" Rektor, Dekane und Senat neu zu wählen, und zwar gleich für die nächste Amtsperiode mit, für anderthalb Jahre also, so ordnete zwecks „Gleichschaltung der Hochschulen mit dem Willen der Regierung" der Kommissar Rust für seine preußischen Hochschulen an1034. Vom 21. April ist dieser Erlaß datiert, - wie erinnerlich, hatten die Rektoren ja neun Tage zuvor in Wiesbaden ihren neuen Kollegen Leupold bestaunen dürfen und per saldo zu erkennen gegeben, daß von ihnen gegen weitere Leupolds kein Widerstand zu befürchten war. Reibungslos vielmehr gingen diese Wahlen über die Bühne, so daß am 1. Mai, wie gefordert1035, überall politisch einwandfreie Rektoren die Feiern des ersten „Tages der Nationalen Arbeit" leiten konnten. Am 23. Juni ermächtigte Rust dann „vorbehaltlich der bevorstehenden Änderung der einschlägigen Bestimmungen" seine Rektoren, anstelle ihres derzeitigen Prorektors ein ihnen genehmes Senatsmitglied zum Vertreter zu bestimmen1036. Die „einschlägigen Bestimmungen" sind im Spätsommer und Herbst mit den neuen Hochschulverfassungen und durch Erlasse der Kultusministerien, insbesondere durch die preußischen „Vorläufigen Maßnahmen zur Vereinfachung der Hochschulverwaltung" vom 28. Oktober, in Kraft getreten und haben aus dem Rektor als Senatsexekutive den „Führerrektor" gemacht, der auf Vorschlag des Senats vom Minister aus der Zahl der Ordinarien ernannt wurde - es ist das ja schon ausführlich geschildert worden. Für eine spätere Erörterung andererseits soll hier die Rolle ausgeklammert werden, die bis zur Entstehung der Reichskultusverwaltung die Länderministerien und die neuen Reichsstatthalter gespielt haben. Sie hatten ja bislang „ihre" Rektoren nach der Wahl bestätigt, und noch nach Errichtung des Reichserziehungsministeriums hat Hochschulabteilungsleiter Bacher am 15. September 1934 in einem Vermerk festgestellt, daß die „Mitwirkung" des Hauses bei der Ernennung der Rektoren noch nicht sichergestellt sei. 317

„Mitwirkung" - so bescheiden war man damals noch Unter den Linden! Das regionale Lager nämlich hatte mit den Reichsstatthaltern und Gauleitern eine beachtliche und anfangs also sogar noch überschätzte Verstärkung erfahren. Hier klärte sich jedoch bald die Lage, und ernsthaft ist die mit der „Verreichlichung" angefallene Erbschaft aus dem Bestand der Landeskultusverwaltungen dem neuen Reichserziehungsministerium nicht bestritten worden. Wie schon der kommende Winter zeigen sollte. Bis zum Ende des Wintersemesters 1934/35 jedenfalls waren vorerst einmal politisch akzeptable Rektoren installiert, und es war nun die Frage, wie es dann weitergehen sollte. Sollte man (und das „man" war nun das neue Reichserziehungsministerium) wie bisher wählen lassen und darauf vertrauen, daß nationalsozialistische Umerziehung schon die geeigneten Leute in die Führer-Rektorate spülen werde? Daß sich Wahlen indes so leicht zur Farce würden machen lassen wie auf der größeren politischen Bühne, war nicht zu erhoffen, zumindest nicht gewiß. Hier rief nicht ein von Sieg zu Sieg eilender „Führer" an die Urnen, sondern ein zwischen Auftrumpfen und immer neuen Pannen hindurchstolpernder Rust - und außerdem waren ja diese intellektuellen Professoren als Kritteler und Nörgler besonders verdächtig. Also kam eigentlich nur in Betracht, die Wahlen abzuschaffen und durch Ernennungen zu ersetzen. Ein Vorschlagsrecht freilich sollte, schon aus rein praktischen Gründen, den Hochschulen belassen werden. Wem aber dort? Bislang war der Rektor überall von einem Professorenplenum gewählt worden, mochte das nun ein als Konzil oder Großer Senat etabliertes Hochschulorgan sein oder eine ad hoc zusammentretende Wahlkörperschaft 1037 . O b ihnen das Vorschlagsrecht bleiben oder ob das etwa bei dem scheidenden Rektor liegen sollte und wieviele Vorschläge gemacht werden dürften, das hatten die neuen Hochschulverfassungen nicht einheitlich geregelt. Man hatte in den Landeskultusverwaltungen experimentiert und das Ei des Kolumbus noch nicht gefunden. Wie schwierig das aber auch war, zeigt die barsche Kritik der Deutschen Studentenschaft, als die Bayern gewissermaßen drei Kurien einführen wollten: Hier würden die drei Gruppen innerhalb der Hochschule, welche die nationalsozialistische Hochschulpolitik ja gerade zusammenführen wolle, „erst recht aufeinandergehetzt" 1038 ; wenn sie sich aber „in einen richtigen Kampfzustand hineinagitiert" hätten, dann werde „von Seiten des Ministeriums einfach der Rektor ernannt". Der Studentenführer fühlte sich an die „Kaiserwahl zur Verfallszeit des Römischen Reiches deutscher Nation" und an die „Patstwahl" (er war hoffentlich weder Historiker noch Theologe) erinnert. Und doch war es gerade das - welche Gruppe nämlich wen gern haben wollte - , was die letztlich entscheidenden Stellen nicht nur in Bayern sehr interessierte. Nach all diesen neuen Verfassungen und Bestimmungen sind mithin zwar anfallende Vakanzen besetzt worden, mehr aber auch nicht. Denn für das Ende der Wahlperiode im Frühjahr 1935 hat sich das Reichserziehungsministerium eine neue und einheitliche Lösung einfallen lassen. Zunächst einmal wurden am 29. November 1934 (einige Wochen zuvor hatte man für das gesamte Reich die notwendige Bestätigung einer Rektorwahl durch das neue ÄeicAsministerium eingeführt) sämtliche satzungsgemäß im Wintersemester etwa anstehenden Rektorwahlen storniert; es sei beabsichtigt, voraussichtlich am Ende des laufenden Semesters einheitlich die Rektoratsamtsperioden an allen reichsdeutschen Hochschulen für beendet zu erklären. Am 18. Dezember und im Detail dann am 24. Januar 1935 wurde die Katze aus dem Sack gelassen 1039 , und wenn man es genau betrachtet, wurde es nicht sehr viel anders, als es die Ziffer 2 des Erlasses vom 28. Oktober 1933 auch schon angeordnet hatte, nur gewissermaßen geballter und schön etikettiert. 318

Ein sogenannter „Rektorvorschlag" war „zu ermitteln", und zwar überall am 15. Februar und nach einem einigermaßen komplizierten Verfahren. Auf einer Vollversammlung (also sämtlicher beamteter ordentlicher und außerordentlicher Professoren, Honorarprofessoren, nichtbeamteter außerordentlicher Professoren und Privatdozenten) war den Erschienenen - Aktive waren zur Teilnahme verpflichtet, Emeriti teilnahmeberechtigt - je ein Zettel, eine Art Wahlschein, auszuhändigen, mit dem jeder durch Einsetzen eines Namens einen ordentlichen Professor als Rektor in Vorschlag bringen konnte, die Wiederwahl des bisherigen Rektors war zulässig. Die Zettel waren mit Namen und Dienststellung zu unterschreiben, jedoch wurden diese Angaben nach dem Einsammeln bei der Verkündung der Vorgeschlagenen nicht mit verlesen, der Rektor hatte vielmehr „unbedingtes Stillschweigen zu beobachten und keinerlei Aufzeichnungen zu den Akten zu nehmen". Post festum ist man dann Unter den Linden ziemlich ungehalten gewesen, als trotz dieses Verbots „Wahlergebnisse" in die Zeitungen gelangten. Die Rektoren wurden nochmals vergattert; die Schuldigen würden, wie man großzügig verkündete, um eine Untersuchung der „geschehenen Amtspflichtverletzungen" gerade noch herumkommen (was gelogen war, da man zur gleichen Zeit eine solche Untersuchung an der Universität Berlin eingeleitet hat, die dann freilich ausging wie das Hornberger Schießen: Kein Schuldiger war zu ermitteln)1040. Nach Berlin war das Ergebnis listenmäßig, also nicht namentlich, zu melden, und zwar getrennt nach den Dienststellungen der Abstimmenden (also in etwa den bayerischen „Kurien"). Das mitgegebene Muster sah mithin so aus:

ProfessorA Professor B Professor C

o. 37 14 usw.

ao. 5 2

Hon. 2 -

nb. 18 27

D. 24 42

Zus. 86 85

Woraus sich schon ergibt, womit das Erziehungsministerium als Regel gerechnet hat: mit je einem Kandidaten der Privilegierten und der Unterprivilegierten sowie einigen ferneren „usw."1041. Der Rektor hatte zu dem Ergebnis Stellung zu nehmen und außerhalb Preußens die Landesunterrichtsbehörde unter Beifügung der Unterlagen den eigentlichen Vorschlag zu machen. Daß nach der Rechtslage der Reichsstatthalter (und Gauleiter und damit also die Partei!) hier nichts zu melden hatte, weil es sich ja nicht um die Ernennung eines neuen Beamten handelte, sondern um die Ausübung eigener kultusministerieller Zuständigkeit, war besorgten Föderalisten (und Nationalsozialisten) bereits zuvor erläutert worden1042, - die Jahre sollten allerdings zunehmend erweisen, wie blaß alle Theorie war. Zwei Tage vor dem großen Ereignis sah man sich Unter den Linden „veranlaßt", ein offenbar an der „Front" entstandenes Mißverständnis (in Karlsruhe etwa war bei der Erläuterung des Berliner Erlasses für die badischen Hochschulen am laufenden Band von „Wahl" - „Wahlvorgang", „Wahlvorschlägen", „Wahlzetteln" - die Rede gewesen) klarzustellen: Was da nun übermorgen stattfinden werde, sei beileibe keine Wahl (unterstrichen), die abgegebenen Voten nämlich würden „nicht gezählt, sondern gewogen". Mit diesem Argument wurden auch Leute getröstet, die — wie der Tübinger Universitätsrat Knapp - bisher bei der Rektorwahl mitgemischt hatten und sich nun vor die Tür gestellt und die „Grundlagen ihrer Stellung" in Gefahr sahen1043. Daß es keine Aufstellung von 319

„Kandidaten" geben konnte, wo es keine Wahl gab, hatte das Ministerium vorsorglich noch hinzugefügt. Und die Entscheidung lag selbstverständlich in Berlin. Nachdem der Reichserziehungsminister (sprich: sein Amt Wissenschaft) sie gefällt hatte, sollte die Rektoratsübernahme überall am 1. April erfolgen - Näheres darüber gleich bei den einzelnen Hochschulen. Hier sei nur noch angemerkt, daß die Mißverständnis-Klärung des Ministeriums nicht bis in die Presse gelangt ist, die vielmehr (von den hier vermuteten Amtspflichtverletzungen ist ja bereits die Rede gewesen) an mehreren Orten etwa die „Wiederwahl" eines Rektors meldete (Erlangen zum Beispiel) oder aber eine erhaltene Stimmenmehrheit und demnach zu erwartende Bestätigung des Ministeriums (Deutsche Allgemeine Zeitung für Berlin). Möglicherweise hat diese unerwünschte Öffentlichkeitsarbeit der Hochschulen dazu beigetragen, daß das Ministerium Rust einige Exempel statuiert und damit gezeigt hat, wer das Sagen hatte: Hier und da ist ein Außenseiter an dem Sieger vom 15. Februar vorbeigezogen - von Bonn erwähnten wir das schon, in Jena ist es genauso geschehen (mit 108 Stimmen von 129 hatte der bisherige Rektor Esau hinter dem von ganzen acht Kollegen vorgeschlagenen Meyer[-Erlach] zurückzutreten1044). Mit den - an anderer Stelle1045 als Ganzes zu würdigenden - „Richtlinien zur Vereinheitlichung der Hochschulverwaltung" vom 1. April 1935, einem der wenigen kümmerlichen Reformansätze, erhielt dann der Führerrektor ein Vorschlagsrecht für die vom Reichswissenschaftsminister (so hieß er damals noch) zu ernennenden Prorektoren sowie für die Dekane - ein Recht, das später zum Recht der Ernennung aus eigener Machtvollkommenheit erweitert worden ist (bei einem Führerrektor, der nicht der Harlekin seiner Hochschule und nicht eine Marionette seines Ministeriums sein sollte, eigentlich eine Selbstverständlichkeit). Und die Funktionäre des Dozentenbundes wurden von ihm - Dienstweg „selbstverständlich nach wie vor nicht über den Rektor" - auf Trab gebracht, die prospektiven Prorektoren und Dekane zu ermitteln und „in aller Kürze und so schnell als möglich" über ihre „politische und sonstige Tragbarkeit" zu berichten1046. Nach diesem Kraftakt ist die zuständige Berliner Ministerialbürokratie offenbar erst einmal erschöpft gewesen. Denn fast ein Jahr ist nun nichts mehr zum Thema Rektor zu vernehmen. Erst Ausgang des Winters, als das Amtsjahr sich zu runden begann, erhob sich da und dort die Frage, wie lange die Vorschlagsrektoren eigentlich amtieren sollten. Der Erlaß vom 24. Januar 1935 hatte dazu gemeint, die Amtsdauer werde durch die neuen Hochschulsatzungen bestimmt. Die aber, endgültige nämlich, gab es nicht, sondern lediglich die Provisorien von 1933. Von der Breslauer Magnifizenz Walz, die sich ja Anfang des abgelaufenen Jahres über den „Rektor als Führer der Universität" Gedanken gemacht hatte1047, war insbesondere Einheitlichkeit verlangt worden und nicht wie noch jetzt Wahl beziehungsweise Ernennung auf ein Jahr, faktisch aber auf unbestimmte Zeit in Preußen, auf vier oder zwei Jahre in den übrigen Ländern. Der bisher revolutionärste Schritt in diese Richtung war am 27. November 1933 erfolgt, als - auf Anregung Hannovers - wenigstens der Beginn der Amtszeit der preußischen TH-Rektoren vom 1. Juli analog zu den Universitäten auf den 1. Mai verlegt worden war1048. Zu mehr war es 1933 nicht gekommen, nicht einmal in Preußen. Auch die in einem privaten Dienstschreiben des Ministerialrats v. Rottenburg vom 2. Februar 1934 erwähnte Absicht, für die Technischen Hochschulen wie an den Universitäten (und wie in Charlottenburg) das einjährige Rektorat einzuführen, hatte in Hannover Besorgnis ausgelöst. Der Senat beauftragte den Rektor am 14. Februar, in Berlin wegen der Beibehaltung des „ausgezeichnet bewährten" zweijährigen Rektorats vorstellig zu werden, 320

auch wenn ein solcher Turnus für den jeweiligen Rektor eine starke Belastung darstelle. Der dieserart belastete Rektor Franzius war da denn auch anderer Meinung gewesen und hatte der Weiterleitung des Senatswunsches hinzugefügt, er selbst sei dagegen, ein Jahr lang könne die Schinderei im Rektorat gerade noch „ertragen werden" (und er nahm die Gelegenheit wahr, sich aus dem Staube zu machen: „... bittet, von seiner beabsichtigten Wiederwahl abzusehen"). Dieses Votum war freilich sowieso zu spät gekommen, denn das Ministerium hatte bereits am 12. Februar 1934 seine Absicht verwirklicht: einjährige Amtszeit mit möglicher Verlängerung um ein weiteres Jahr rundum in Preußen. Wer darin freilich die Wunschvorstellung der neuen Herren erkennen zu können geglaubt hätte, der wäre auf dem H o l z wege gewesen. Von Anfang an, spätestens seit Herbst 1933, war vielmehr das Ziel, das man Unter den Linden ansteuerte, die Beseitigung einer in Satzungen oder sonstwo festgelegten Amtszeit überhaupt 1049 . Der Rektor, dem das Ministerium jederzeit von heute auf morgen den Stuhl vor die Türe stellen konnte, der allenfalls seine Entbindung selbst beantragen durfte, über die jedoch ebenfalls in Berlin entschieden wurde - das war der Traum der Ministerialbeamten im Amt Wissenschaft. Es war ein Mann, der an seinem Sessel klebte, weniger wegen der ja wirklich nicht üppigen Dotierung, sondern von scheinbarer Macht und - schon realerem - Ansehen und Status so berauscht, wie es nun einmal gewöhnlich dem Menschen geht, und der sich daher willig lenken ließ und sich hüten würde, die Hand zu beißen, die ihn damit fütterte. In diesem Rahmen jedenfalls bewegten sich die Vorstellungen der „echten" Ministerialbeamten. Als aber der Amtsrat Senger in einem Vermerk das Fazit zog, zur Zeit könne ein Rektor nur auf eigenen Antrag von seinem Amte entbunden oder aber aus besonderen Gründen vom Minister abberufen werden 1050 , hat sein Vorgesetzter, Hochschulabteilungsleiter Bacher, der nicht nur Beamter, sondern auch Professor war, zu Sengers Vermerk gemeint, das sei seines Erachtens falsch gesehen, wäre es aber tatsächlich so, dann müßte es schnellstens geändert werden. Die Frage der Amtszeit sei noch offen, und wolle man wirklich keine Begrenzung, müßte man eine hauptamtliche Stellung aus dem Rektorat machen. Die anderen Hochschulländer hätten schließlich begrenzte Regelungen, meist zwei Jahre, und in der Tat dürfte ein Jahr zu kurz sein. Bachers Vorschlag also, datiert vom 15. September 1934: Zwei Jahre Amtszeit, festgeschrieben ab 1. April 1935, Einführung eines entsprechenden Turnus für Nachfolgevorschläge, bei außerplanmäßiger Abberufung Amtieren des Nachfolgers nur bis zum ursprünglichen Ende der Amtsperiode. Wie schon gezeigt, ist von diesen - vernünftigen - Vorschlägen Bachers nichts in die endgültige Fassung der Regelung vom 24. Januar 1935 eingegangen. Herausgekommen ist trotz anderslautender Lippenbekenntnisse vorerst ein Rektor, der jederzeit zu entfernen war und da, wo er gefügig war und in keine Skandale verwickelt, der „Perpetuus" notfalls auch wider Willen. Die meisten aber wollten nur zu gern. Die mit dem unempfindlichsten Gesäß haben es über fünf Jahre auf dem Rektorsessel ausgehalten - und das sind nicht wenige gewesen; Rekordhalter Platzhoff in Frankfurt hat seine zehn Jahre nahezu vollendet. Daß diese Leute für ihre Wissenschaft nicht mehr zu gebrauchen waren und auch ohne den Zusammenbruch des Regimes hätten abgeschrieben werden müssen, versteht sich. Im Januar 1936 ist das Problem der Amtsdauer der amtierenden Rektoren also wieder ins Gespräch gekommen, ausgehend von einer Anfrage der Württemberger. Bacher brachte sie en passant bei einem Ministervortrag an, und Rust sprach sich daraufhin ge321

gen eine generelle Neubesetzung schon im laufenden Jahr aus1051. Das aber war, wie wir wissen, nicht nach dem Geschmack der Ministerialprofessoren, und Bacher ist in einer Ministervorlage vom 29. Januar sogar auf die Absichten von Anfang 1934 zurückgegangen, auf die damals vorgesehene grundsätzliche Beschränkung auf ein Rektoratsjahr, damit der Rektor nicht „Verwaltungsbeamter im eigentlichen Sinne" werde. Zur aktuellen Lage legte er eine Liste der Hochschulen bei, wo ein Rektorwechsel entweder notwendig oder erwünscht sei, und stellte die Alternative allgemeine Beendigung der Rektoratszeit für alle Hochschulen, oder aber „in geeigneter Form" Abberufung beziehungsweise Aufforderung, das Amt zur Verfügung zu stellen, in den aufgelisteten Fällen. Bacher sprach sich dabei für die zweite Möglichkeit aus. Würde man dann doch „wenigstens in denjenigen Fällen, in denen wir das Weiteramtieren der Rektoren für erwünscht halten, jeder unnötigen Diskussion mit all denjenigen Stellen, die bei der Ernennung von Rektoren beteiligt sein wollen, enthoben sein". Sich vorzustellen, wer damit wohl gemeint gewesen ist, bedarf keiner großen Phantasie: in erster Linie natürlich die Länderregierungen, daneben aber sicher auch interessierte Parteistellen. Die zweite Frage, die der Hochschulabteilungsleiter hier seinem Minister vorlegte, betraf den Modus der Rektorernennung: Wieder unter Mitwirkung der Lehrkörper wie Anfang 1935 oder par ordre de muphti? 1935 habe Rust sich für die erste Möglichkeit entschlossen, und auch jetzt sprach Bacher sich für sie aus — mit der Abänderung, daß man dem amtierenden Rektor nicht mehr Einsicht in die Ergebnisse gewähren solle: Ungeöffnet sollten nunmehr die Umschläge mit den Stimmzetteln selbst dem Ministerium zugeleitet werden (hatte nun der dem Ministerium zur Kenntnis gelangte Fall jenes bedauernswerten Bonner Privatdozenten von 1935, der - zwischen Szylla und Charybdis seine Stimme kurzerhand dem Dozentenschaftsleiter hatte übertragen wollen, seine Wirkung getan, oder wollte man im Ministerium jetzt selbst gern wissen, wer wen vorschlug?). Die Begründung, die Bacher für sein Votum abgegeben hat, ist nicht uninteressant. Benötigen, so schrieb er, würde man den Vorschlag der Lehrkörper zwar nicht, befänden sich doch „leider auch heute noch" an jeder Hochschule nicht mehr als ein oder zwei rektorable Ordinarien - und die seien „hier genau bekannt". Auf der anderen Seite aber sei es doch „nicht unzweckmäßig, den Hochschulen das Gefühl zu belassen, daß sie überhaupt noch vor Entscheidungen gehört werden". Wie gesagt - die Leute, die entschieden, hielten solche psychologische Raffinessen offenbar für nicht mehr erforderlich. Es hat weder 1936 noch jemals danach wieder eine Befragung ä la 1935 gegeben. Und auch keinen generellen Rektorenwechsel mehr, von nun an sind die „Führer" der Hochschulen nur noch separat und von Fall zu Fall abberufen und neu ernannt worden. Und die aktuelle Frage wurde am 22. Februar mit der Antwort an Stuttgart entschieden, eine allgemeine Neuernennung der Rektoren zum 1. April 1936 sei nicht beabsichtigt, - die übrigen Hochschulländer erhielten Abschriften1052. In den Handakten Bachers1053 befindet sich der Durchschlag eines Schreibens, das er einige Tage zuvor, am 11. Februar, an den Reichsamtsleiter des Dozentenbundes gerichtet hat und das etwas mehr Einblick bietet. „Bubi" Schultze hatte ihm einen Rektor-Kandidaten für Freiburg angeboten, und der Leiter der Hochschulabteilung gab dazu allgemeine Informationen: Rust habe entschieden, daß die am 1. April nicht beendeten RektorAmtsperioden weiterlaufen sollten. Erst später, wenn der „große Zug der gegenwärtig in Bearbeitung befindlichen Berufungen im wesentlichen abgeschlossen" sei und man die zur Verfügung stehenden Kräfte besser überschauen könne, werde eine allgemeine Neu322

emennung sämtlicher deutscher Rektoren stattfinden - vermutlich unter Verlegung des Rektorwechsels in den Herbst. Es ist dazu nie gekommen - woran nicht etwa der Krieg schuld gewesen ist. Rust und seine „Männer" schoben auch diese Sache erst einmal vor sich her. Wieder verging genau ein Jahr, das Problem der Rektorernennung wurde stets im Februar akut, vor Ablauf der ja noch immer ungewiß im Raum schwebenden Jahresperioden. Unter den Linden überlegte man sich „Grundsätze für das Verfahren bei der Ernennung eines Rektors". Es ist jetzt ausdrücklich das Reich-Länder-Problem, um das es geht, die Beteiligung der Landesregierungen also, die schließlich bis zur Errichtung des Reichserziehungsministeriums - oder besser: bis zur Übernahme der Reichskompetenz durch das preußische Kultusministerium - diese Ernennungen in eigener Machtvollkommenheit vorgenommen hatten. Diese Frage führt uns zurück in das Frühjahr 1935, in die Wochen nach dem „Rektorvorschlag". Wieder1054 war es Stuttgart gewesen, dem das Berliner Vorgehen problematisch erschien. In dem Erlaß vom 24. Januar, so hatte Reichsstatthalter und Gauleiter Murr am 16. April 1935 Rust geschrieben, sei „eine Mitwirkung weder des Reichsstatthalters noch der Partei vorgesehen". Bisher seien nach den Verfassungen der drei württembergischen Hochschulen die Rektoren „vom Kultminister jeweils im Einvernehmen mit mir ernannt und abberufen" worden. Was sich bewährt habe, weshalb es „unbedingt notwendig" sei und er „dringend" darum bitte, die getroffene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß künftighin die Vorschläge „mein Einverständnis besitzen müssen". Die Empfänger hatten einstimmig aufgeschrien. „Nicht!" lautete Bachers Marginalie, und Amtschef Vahlen hatte ein „Durchlaufen" der Vorschläge beim Reichsstatthalter zur Stellungnahme als „das Äußerste" bezeichnet: „Die Ernennung muß unabhängig von der Zustimmung des Reichsstatthalters von hier erfolgen." Bacher schlug vor, Murrs Brief einfach ohne Antwort „z. d. A." (zu den Akten) zu schreiben. Das war dann aber doch nicht gut möglich, so daß am 14. August eine Antwort abgegangen ist, in der das Ernennungsrecht im Interesse einer reichseinheitlichen Führung der Hochschulen gewahrt und auf die in jedem Falle doch von früher her vorliegenden Gutachten der verschiedensten Parteidienststellen hingewiesen, indes versprochen wurde, künftig „vorher stets noch einmal die Gauleiter zu hören". Murr ist damit nicht zufrieden gewesen. Das Hochschulrektoramt, so antwortete er zunächst am 18. September, sei zu wichtig, als daß man die Begutachtung irgendeiner beliebigen Parteistelle oder -gliederung überlassen könne, er möchte daher bitte schön als Gauleiter selbst gehört werden. Die Partei, so fuhr er am 23. Dezember fort, wiederum mit Reichsstatthalter-Briefkopf1055, könne ja auch einmal anderer Auffassung sein als der Kultminister, und deshalb bitte er „nochmals", man möge sich doch bei einer Rektorernennung in Württemberg zuvor seiner „Stellungnahme versichern". Das war ja nun Vahlens „Äußerstes", und deshalb ging Bachers - berechtigte - Kritik an dem Vergleich Murrs mit der Beamtenernennung, wo ja die Mitwirkung der Partei ebenfalls Vorschrift geworden sei (keine Ernennung, sondern eine zeitliche Beauftragung ä la Schwurgerichtsvorsitzender, wo die Partei auch nicht beteiligt werde), und sein Vorschlag, den Brief unbeantwortet zu lassen (das war offenbar seine Spezialität), ins Abseits. Vahlen meinte, da man die Partei ja sowieso zu beteiligen gedenke und es überdies zu nichts verpflichte (was Unsinn war, denn natürlich war das Votum des Gauleiters und Reichsstatthalters keine so ganz einfach in den Wind zu schlagende Kleinigkeit), könne man diesen Wunsch doch ruhig erfüllen, das sei doch nur zweckmäßig. So antwortete denn 323

Rust, daß man der Bitte „künftig gern entsprechen werde", und damit war der Reichsstatthalter, wenn auch ohne Vetorecht, wieder mit ins Spiel gekommen. Die Reich-Länder-Problematik, durch die bisherige „Verreichlichung" nicht sehr viel weniger kompliziert geblieben, wird an anderer Stelle dieser Arbeit 1056 zusammengefaßt werden. Wie viel oder wie wenig aber bei dem herausgekommen war, was hier soeben als „reichseinheitliche Führung der Hochschulen" bezeichnet worden ist, kann man beobachten, wenn man - nun also wieder im Februar 1937 - den Linden-Referenten bei ihrem Vorhaben zusieht, jene „Grundsätze für das Verfahren bei der Ernennung eines Rektors" zu erarbeiten. Die vorgenommene Bestandsaufnahme ergab eine bunte Vielfalt nahezu wie zu Zeiten von Greiz-Schleiz-Lobenstein 1057 - und die absolute Machtlosigkeit, vor der Reichsreform, die Hitler ja mißmutig vor sich herschob, daran etwas ändern zu können. Da gab es etwa Preußen, wo Landesregierung und Reichsregierung identisch waren, zweitens Hamburg, Hessen und Sachsen, wo der Reichsstatthalter zugleich Gauleiter war und auch die Landesregierung übernommen hatte, drittens ohne letzteres Baden, Mecklenburg, Thüringen und Württemberg, viertens Bayern, wo der Reichsstatthalter weder Gauleiter noch Chef der Landesregierung war und fünftens schließlich den der besonderen Beachtung würdigen Sonderfall Braunschweig, wo der Gauleiter Reichserziehungsminister war (was natürlich auch für Göttingen und Hannover zutraf, aber die waren ja preußisch). Dementsprechend gab es bei der Kombination der an der Ernennung irgendwie beteiligten oder interessierten Stellen Rektor - Landesregierung - Gauleiter Reichsdozentenführer - Reichserziehungsminister fünf verschiedene Möglichkeiten. Wie die Dinge lagen, ließ man lieber die Finger davon, wusch die minsteriellen Hände in Unschuld und vertröstete sich und Anfragende auf den St. Nimmerleinstag der Reichsreform. Weniger, ja gar nicht kompliziert lagen die Dinge bei der Amtszeit. Hier genügte ein Befehl, wenn man sich Unter den Linden nur erst einmal darüber klar wurde, was man eigentlich selbst wollte. Das alte Team der Hochschulabteilung war inzwischen abgetreten, und es regierten die Badener, die Gruppe Wacker, in der beruflichen Provenienz freilich auch nicht einheitlich, es waren Ministerialbeamte, doch befand sich etwa mit dem ehemaligen Heidelberger Rektor Groh auch ein Mann von der „Front" darunter. Dort aber, an der „Front", war die Stimmung, welche die neue Mannschaft vorfand, offenbar differenziert. Noch in einem ersten Rundschreiben-Entwurf war von „vielen" in Berlin vorgebrachten Wünschen um Entbindung vom Rektorat die Rede, wenig später spricht ein Aktenvermerk von „verschiedentlichen Bestrebungen", angeordnete Wechsel „hinauszuschieben". Beides ist gut möglich, gab es doch ebensowohl die, die im Rektorat eine vielleicht nötige, aber doch lästige Unterbrechung ihrer wissenschaftlichen Arbeit erblickten, wie jene, die in dem Wirken als lokaler Potentat Traumerfüllung und nicht selten auch Erlösung aus wissenschaftlicher Mediokrität fanden. Die neuen Leute Unter den Linden wurden sich einig1058, und ein entsprechender Runderlaß ist dann am 22. März 1938 hinausgeschickt worden: Da die ihnen als „wissenschaftliche und weltanschauliche Führer der deutschen Hochschulen" gestellten Aufgaben sowie die Vertretung der Hochschulen nach außen den Rektoren allenfalls noch Zeit ließen für Unterrichtstätigkeit, kaum aber für wissenschaftliche Arbeit, die Fühlung mit dieser aber nicht verlorengehen dürfe, werde die Dauer des Rektorats hiermit „grundsätzlich auf mindestens 2 bis höchstens 3 Jahre" festgesetzt. Und zwar gelte das jetzt und in Zukunft - von Anträgen auf Verlängerung bei einem demgemäß fälligen und angeordneten Rektorwechsel bitte er, so schloß der unterzeichnende Rust, absehen zu wollen1059. 324

Seier1060 sieht in diesem Erlaß eine Modifizierung des politischen Führungsanspruchs, eine — wenn auch uneingestandene - „Rechtfertigung der deutschen Universitätstradition, des aristokratisch-republikanischen [?] Rektors"; sowohl die charaktervolle Führerpersönlichkeit wie der politisch-ideologische Führer der Universität seien damit auf der Strecke geblieben. Das ist richtig, nur eben ist es nicht etwa ein freiwilliger Entschluß gewesen, sondern ein Sich-Fügen in das - vorerst jedenfalls - Unvermeidliche. Wollte man nicht den (Nachkriegs-)„Präsidenten" oktroyieren (und auf diese Idee ist niemand verfallen, auch Bacher soeben wollte das ja nicht etwa ernsthaft in Erwägung ziehen - die Zeit ist dafür wohl noch nicht reif gewesen), hätte die Alternative eine Anzahl von mindestens fünf bis zehn wissenschaftlich, ideologisch und „charakterlich" hervorragend qualifizierten Professoren an jeder Universität erfordert - man war froh, wenn man überhaupt einen fand, von dem sich das wenigstens annähernd sagen ließ. Der Weg von den Persönlichkeiten des Aufbruchs zum Mittelmaß des Alltags, der Weg, sagen wir einmal, von den Heidegger und Krieck zu den Platzhoff und Hoppe, ist nicht zu umgehen gewesen, er war unvermeidbar. Man konnte nur auf die Zukunft hoffen, tat dabei freilich alles, was sie zerstörte, was „Persönlichkeiten" gar nicht erst hochkommen ließ, und hat am Ende die Hoffnung auf diese Zukunft, auf den endlichen Führerrektor, definitiv begraben. Der Erlaß vom 22. März 1938 ist ein Stein an diesem Wege gewesen, mehr nicht. Im Monat darauf ist dann auch das Abberufungsverfahren modifiziert worden, Groh hat den Vorschlag gemacht und der neue Staatssekretär Zschintzsch und Rust haben zugestimmt. Bisher war der Rektor, dessen Amtszeit man beenden wollte, von der Absicht des Wechsels informiert und um den Vorschlag eines Nachfolgers gebeten worden. Künftig sollen nun „vollendete Tatsachen geschaffen" werden: Der Rektor wird ohne Vorwarnung „sofort" von seinem Amt entbunden, ihm wird in der verdienten Kategorie der Dank ausgesprochen, und es ergeht an ihn die Aufforderung, Nachfolgevorschläge zu unterbreiten. Von dieser Neuerung versprach man sich erstens, daß sie die bisher erfolgte Einschaltung „verschiedenster Kräfte" in den Ernennungsvorgang unterbinden werde, zweitens das leichtere Zurückweisen von Verlängerungsanträgen und drittens schließlich eine erhöhte Motivierung der bislang oft der „nötigen Entschlußkraft" mangelnden Hochschulen bei der Bemühung um einen Nachfolger. Groh hielt auch gleich ein Musterformular parat, mit dem künftig die Rektoren — „um Ihnen die Möglichkeit zu geben, sich wieder ganz Ihrer Aufgabe als Lehrer und Forscher zu widmen" - abgelöst werden sollten, es brauchte nur noch das Datum, der Name der Hochschule und der Termin ausgefüllt zu werden, bis zu dem Nachfolgevorschläge „vorzulegen" waren1061. Es sei indes vorweggenommen, daß dieses Faustschlag-Verfahren, sofern überhaupt nennenswert praktiziert, sehr bald wieder in der Versenkung verschwunden ist; die zugefügten Verletzungen mußten ja auch beträchtliche Narben hinterlassen haben. Auf der Rektorenkonferenz am 7. und 8. März 19391062 wurde die Rektoratsdauer auf Wunsch von Karlsruhe auf die Tagesordnung gesetzt: Der Zeitraum von zwei bis drei Jahren, so erläuterte Magnifizenz Weigel den Antrag, erscheine den badischen Technikern zu knapp bemessen. Hierzu vermerkte das Protokoll „Heiterkeit". Der Karlsruher Rektor hat hinter solcher Fröhlichkeit den Eindruck der Kollegen vermutet, als hätte er hier „persönlichen Empfindungen nachgegeben", und sich beeilt, solche zu dementieren: Er selbst habe bereits nach zweijähriger Amtszeit gebeten, ausscheiden zu dürfen. „Karlsruher Kameraden" vielmehr, auch Studenten- und Dozentenführung, ja sogar „unser Gauleiter", hätten ihm dieses Vorbringen nahegelegt, und begründet werde es mit Planungen auf lange Sicht. Beispielsweise: Wenn man daran denkt, „eine neue Hochschul325

Stadt zu erstellen" - sollte da der Rektor etwa „mitten im besten Zuge seiner Arbeit abgelöst" werden, nur wegen „irgendeiner äußerlichen Vorschrift"? Freilich, so ganz lediglich Handlungsbeauftragter ist Weigel nun doch nicht gewesen, wie seine weiteren Ausführungen zeigten. Er plädiere gewiß nicht für den lebenslänglichen Rektor, sagte er, aber sei so ein vorgeschriebener Rhythmus denn überhaupt mit dem nationalsozialistischen Führerprinzip vereinbar? Dieses verlange doch vielmehr „Kontinuität der Führung", und ein Reichsleiter oder Gauleiter werde daher schließlich auch nicht nach einer bestimmten Zeit abgelöst. Ihm scheine die kurze Amtsdauer sich aus einer Zeit herübergerettet zu haben, wo der Rektor vom Senat gewählt wurde und nur repräsentative Aufgaben hatte. Das also war nun doch Weigel pur (und man hat ihn ja auch später aus seinem Rektorsessel nahezu herausoperieren müssen). In einem Braunschweiger Bericht über diese Konferenz heißt es, die anderen Hochschulen seien „durchweg" der Ansicht gewesen, daß eine längere Amtsdauer nicht in Frage käme, doch wird das durch das wörtliche Protokoll nicht gedeckt. Denn nach Weigel gesprochen haben lediglich Sommer-Göttingen, der den Prorektor in etwas abgeänderter Version (ein Jahr vor und ein Jahr nach seinem Rektorat) als Göttinger Novität zur Nachahmung zwecks Kontinuitätsgewinnung anbot, Pistor-München, der ein gewisses Verständnis für die Position des TH-Kollegen zeigte (nicht „ganz formal" begrenzt, sondern Ausnahmen „von Fall zu Fall") und Knoll-Wien, der offenbar Sommer nicht richtig verstanden hatte und dessen Kontinuitäts-Prorektor leicht variiert (nur den zweiten Teil, das Ex-Rektor-Prorektorat) noch einmal vorführte - Pistor allein also hat überhaupt etwas zu Weigels Thema gesagt. Wacker hat dazu zunächst ein nach der Aktenlage etwas seltsames Argument vorgebracht: Bei der von Weigel beanstandeten Maßnahme handle es sich nicht um eine formale Vorschrift, sondern um das Ergebnis einer Rektorenkonferenz, bei der Weigels Herr Vorgänger Karlsruhe vertreten habe. Das aber ist etwas sonderbar, denn vom 22. März 1938 ist ja der beanstandete Runderlaß (in dem von irgendeiner Rektorenkonferenz nicht die Rede war) datiert — und es müßte sich daher um die Rektorenkonferenz in Marburg im Dezember 1937 gehandelt haben, dort jedoch ist die Rektor-Amtsdauer nicht Thema gewesen. Andererseits: Kein Protest offenbar der Rektoren, als sie das 1939 gehört haben - und ein paar von 1937 waren ja doch noch im Amt und dabei. Aber es wird vermutlich so gewesen sein, daß einige Magnifizenzen vor sich hingedöst haben, alle anderen im Saal aber meinten, das müsse zur Zeit des Vorgängers geschehen sein - auch der Mann aus Baden war ja noch relativ neu und Vahlen mit Bacher noch nicht allzulange abgelöst. Weiter erklärte Wacker, daß die Drei-Jahres-Begrenzung „aus der Situation heraus" entstanden sei, daß es persönliche Wünsche zeitlich früherer Enthebung gegeben habe, andererseits aber auch Diskriminierungen vermieden werden sollten. Die Kontinuität etwa bei langfristigen Ausbauvorhaben könne auch durch einen Sonderauftrag gewährleistet werden, ohne daß der Betreffende unbedingt Rektor sein müsse. Im übrigen aber gebe es Ausnahmen „auch heute, beispielsweise bei Herrn Platzhoff". Alles klar also im Frühjahr 1939 - Höchstgrenze eines Rektorats drei Jahre. Hätte er dann noch gelebt, hätte Wacker fünf Jahre später noch immer den Fall Platzhoff als Beispiel anführen können. Nur daß der Frankfurter Veteran dann von einem Strauß weiterer Oldtimer umgeben war, wenn auch keiner von ihnen ernstlich seinen Rekord gefährdete. Diese fünf Jahre sind allerdings Kriegsjahre gewesen, und das konnte als Entschuldigung dienen und hat auch dafür hergehalten. Ja, es war das sogar regulär nach einer neuen Norm. Denn zwei Monate nach Kriegsbeginn, auf der Rektorenkonferenz vom 11. No326

vember 1939, hat der Amtschef Wissenschaft erklärt, daß während des Krieges bei den amtierenden Rektoren kein Wechsel eintreten werde1063. Nur meinte man damals ja, sehr lange würde es nicht mehr dauern bis zum Ende des Krieges, und an fünfeinhalb Jahre hat niemand gedacht. Suchen wir nun, was an Maßnahmen und Äußerungen allgemeiner Art zur Rektoratsdauer in jenen fünfeinhalb Jahren zu finden ist. Bis zum Beginn des Ostfeldzuges überhaupt nichts. Erst danach wird es klar, daß doch noch etwas Zeit ist bis zum Endsieg. Unter den Linden zieht man Bilanz. Vor zwei Jahren also jene Erklärung, die indes mittlerweile nicht nur durch Berufungen von Rektoren an andere Hochschulen durchlöchert ist. Auch ohne solch triftigen Grund sind an den Universitäten Freiburg, Hamburg und Rostock, an der T H Aachen sowie an der Handelshochschule Leipzig und der Wiener Hochschule für Bodenkultur die Rektoren abgelöst und neue ernannt worden. Im Ministerium meint man, es sei nun an der Zeit, zu der früheren Regelung zurückzukehren, weshalb den amtierenden Rektoren empfohlen werden soll, „Umschau nach einem Nachfolger zu halten" 1064 . Das scheint indes so nicht die Zustimmung von Amtschef oder Minister gefunden zu haben, denn als am 3. Dezember 1941 Magnifizenz Weigel seinem Senat über die Straßburger Rektorenkonferenz vom 24./25. November berichtet hat1065, las sich das etwas anders: Der Reichserziehungsminister werde im Hinblick auf die Kriegsverhältnisse von sich aus keinen Wechsel in den Führungsämtern herbeiführen, in „wohlbegründeten Einzelfällen" aber einen gewünschten Wechsel „wohlwollend prüfen", indes nur dann zulassen, wenn „die Kontinuität der Führung unbedingt gewahrt" bleibe. Neu in so dezidierter Form, faktisch jedoch bereits an sehr vielen Orten praktiziert: Der Rektor solle künftig von vornherein einen Prorektor heranziehen, der für die Übernahme des Rektorats geeignet sei und ihn dereinst ablösen könne (der scheidende solle dann als „ständiger Berater in der Eigenschaft eines Senior-Rektors" in den Senat eintreten). Die Weigelsche Version ist, wie die relativ wenigen folgenden Veränderungen zeigen, zweifellos diejenige, die praktiziert worden ist. Das Jahr 1942 bringt nichts Neues, das Jahr 1943 zunächst einen leichten Wellenschlag in Wien, aber von überregionaler Bedeutung1066. Friedrich Plattner, nicht mehr Gleichschalter im ehemaligen österreichischen Kultusministerium, sondern nur noch schlichter Ordinarius für Physiologie, meldet am 6. Januar als SS-Standartenführer seinem Reichsführer Himmler, daß die Dekane der Universität Wien zu „einer Art geheimem Wahlakt" aufgerufen hätten. Zwar hat er sofort bei den Dekanen „der drei weltlichen Fakultäten (nicht der theologischen!)" protestiert und diesen Vorgang als unnationalsozialistisch abgelehnt, aber Plattner geht sicher bei Dingen, die nach Konspiration, wo nicht gar Hochverrat riechen. Das Fürchterliche, was geschehen ist: Die Dekane haben ihren Professoren ein Formular zugeschickt und ihnen „anheimgestellt", darauf die Mitglieder des Lehrkörpers zu benennen, die ihrer Meinung nach als Rektor der Universität in Frage kämen. Das jedoch nicht etwa konspirativ, wie der von Plattner ausgelöste Rummel vermuten ließe, sondern völlig einem vorhandenen Bedürfnis entsprechend: Fritz Knoll hatte seine Absicht kundgetan, nach bald fünf Jahren „mit Ende des laufenden Wintersemesters sein Rektoramt zurückzulegen". Freilich: Dem Senat, so war von den Dekanen beruhigend hinzugefügt worden, würden nur die Namen der Vorgeschlagenen, nicht die der Vorschlagenden zur Kenntnis gebracht werden (das Verfahren also ungefähr des „Rektorvorschlags" von 1935). Daß so etwas „in schroffem Gegensatz zu dem vom Nationalsozialismus von jedem einzelnen geforderten Verantwortungsbewußtsein stehe", war schon bald (und ver327

mutlich nicht nur über Himmler) bis zur Partei-Kanzlei gedrungen, die am 27. Januar Rusts Beamte um ihre Stellungnahme bat. Und am 26. Februar folgte noch der Chef der Sicherheitspolizei und des SD, dessen Leute in Wien „beträchtliches Aufsehen" in der dortigen Hochschullehrerschaft festgestellt haben wollten - hervorgerufen von dem so gefährlichen Rundschreiben. Die Wiener Dekane rapportierten: Es habe sich, wie in dem Rundschreiben auch ausgeführt worden sei, nicht um eine Abstimmung, sondern um eine „informative Vorbefragung" gehandelt - wichtig, weil nur so wirklich gewährleistet werden könne, daß nicht etwa ein zur Führung Berufener übersehen werde. Eingeholt worden sei ein unverbindlicher (und im übrigen keineswegs anonymer, sondern mit vollem Namen gezeichneter) Rat, wobei völlig klar gewesen sei, daß die Zahl der Nennungen keine Bedeutung hatte; weder der Rektor noch der Dozentenbund habe denn auch Einspruch erhoben, als sie von dem Verfahren hörten. Für sich bestätigte das Knoll in seinem Begleitschreiben und - „Ostmärker" mußte man eben sein, bis zu einem gewissen Umfang beinhaltete das Narrenfreiheit - belehrte sein Ministerium, daß im Dritten Reich „Abstimmungen oder abstimmungsähnliche Befragungen" keineswegs grundsätzlich verboten seien, habe doch schließlich der Führer selbst 1938 über den „Anschluß" abstimmen lassen. Das Erziehungsministerium hat es vorgezogen, der Partei-Kanzlei lediglich die Stellungnahme der Dekane abschriftlich zu übersenden, Rektor Knolls Auffassung über die identischen Rechte von Adolf Hitler und den Wiener Spektabilitäten aber lieber im Haus zu belassen. „Geschickt" sei zwar die Rechtfertigung der Dekane, so lautete der ministerielle Kommentar, jedoch sei es zweifelhaft, ob tatsächlich nur sachliche Genauigkeit ihr Motiv gewesen sei oder ob nicht vielmehr „andere Hintergründe eine Rolle gespielt" hätten 1067 . Man hätte von ihnen jedenfalls „mehr eigene Entschlußkraft und Verantwortungsfreudigkeit" erwarten können; von anderen Hochschulen sei ein solches Verfahren zur Ermittlung einer als Rektor geeigneten Persönlichkeit „bisher nicht bekannt geworden". O b diese Wiener Störung mit eine Rolle gespielt hat, als „die Partei" Ende Juni verkündete, sie stehe auf dem Standpunkt, daß die Rektoren „unbedingt gewechselt werden" müßten, läßt sich natürlich nicht nachweisen, - „Bubi" Schultze hat sich darüber nicht ausgelassen 1068 , als er am 24. Juni seine Männer an den Hochschulen anwies, über die Dauer der Amtszeit ihres Rektors und über einen geeigneten Nachfolger zu berichten. Als dieses Rundschreiben Schultzes über den Greifswalder Rektor und den Ministerialreferenten für die Rektoren (Ritterbusch) auf Amtschef Mentzels Schreibtisch gelangt war, rief dieser in der Partei-Kanzlei an, bei Kurt Krüger, der in jenen letzten Jahren des Regimes der dortige Ansprechpartner war. Und Krüger versicherte, daß sich der Standpunkt der Partei-Kanzlei in der Rektorfrage nicht geändert habe und nach wie vor mit dem des Ministeriums „praktisch identisch" sei. Bei dieser Gelegenheit erfährt man, wie zu jener Zeit die Auffassung des Ministeriums ausgesehen hat: Amtsniederlegung spätestens nach drei Jahren, aber nur dann, wenn „tatsächlich ein äquivalenter Nachfolger vorhanden ist". In Salzburg hat Mentzel dann den Rektoren dies „klargestellt". Wie klar, mögen zwei Beispiele zeigen. Die Braunschweiger Magnifizenz hat das in Salzburg so ziemlich mitbekommen - zwei bis drei Jahre also mit Verlängerung, wenn kein geeigneter Nachfolger da sei - , hat aber bei der Vorgeschichte den Reichs