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German Pages [1228] Year 2015
Trude Maurer
» … und wir gehören auch dazu « Universität und ›Volksgemeinschaft‹ im Ersten Weltkrieg
Mit 5 Tabellen Umschlagabbildung: Hugo Hepding (vorne links) als Soldat mit Kameraden vor ihrer Unterkunft im Feld im Ersten Weltkrieg (1915). Nachlass Hugo Hepding, Universitätsarchiv Gießen © Privatbesitz Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-647-33603-9
Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Gedruckt mit Unterstützung der VolkswagenStiftung und des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung, Regensburg. © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG , Theaterstraße 13, 37073 Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC , Bristol, CT, U. S. A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de
Inhalt
Wie dieses Buch entstanden ist und wie man es lesen kann (Vorwort und Dank) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI I. Universitäten im Krieg: ein vernachlässigtes Forschungsthema
1
Übergangene Jahre und ausgesparte Fragen: Der Erste Weltkrieg in der Universitätsgeschichtsschreibung (1) Universitätsgeschichte als Gesellschaftsgeschichte: Aspekte und Fragestellungen (13) Der vergleichende Ansatz: die ausgewählten Universitäten (19)
II . Hauptstadt – Provinz – Grenze: Die ausgewählten Universitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1. Stadt und Universität: Die Universität in der Stadt . . . . . . . . . . 26 Gießen (26) Straßburg (31) Berlin (42)
2. Korporierte und Freistudenten, Inländer und Ausländer: Die Studentenschaft der einzelnen Universitäten . . . . . . . . . . 58 Berlin (63) Straßburg (72) Gießen (82)
3. Professoren und Privatdozenten, Gelehrte und ›Politiker‹: Der Lehrkörper der verschiedenen Universitäten . . . . . . . . . . . 88 Gießen (92) Straßburg (97) Berlin (112) Heterogenität und internationale Verflechtung (130)
4. Grundstrukturen für Lehre und Forschung: Fakultäten, Institute und Fächerspektrum . . . . . . . . . . . . . . 134 Gießen (135) Straßburg (139) Berlin (150) Résumé (156)
5. Staatliche Verwaltung und akademische Selbstverwaltung . . . . . 157 Berlin (160) Straßburg (164) Gießen (167) Vergleichende Schlußfolgerungen (170)
6. Standesbewußtsein und nationale Aufgabe: Das Selbstverständnis der Universitätsangehörigen . . . . . . . . . 171 Universitäten als geistige Zentren – Professoren als Wegweiser für Volk und Politiker (174) Internationalität der Wissenschaft und Nationa-
VI Inhalt lisierung der Universitäten (178) Die Verbindung von Forschung und Lehre und ihre Voraussetzungen (187) Der ›Stand‹ der Professoren (195) Gießen, Berlin, Straßburg: Selbstverständnis und Profil (199) Schluß betrachtung (210)
7. Veränderte Verhältnisse: Der Kriegsalltag vor Ort . . . . . . . . . . 211 Kriegszustand und Erfahrungen in der Grenzfestung (212) Materielle Verhältnisse der Universitätsangehörigen (220) Veränderte Rahmen bedingungen der Institution (233)
III . Die Universitäten im Kriegseinsatz: Zur Priorität der ›Volksgemeinschaft‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 1. Sommer und Herbst 1914: Kriegserwartung – Aufbruchstimmung – Rechtfertigungsbedürfnis . . . . . . . . . . 241 Reaktionen auf das Attentat von Sarajevo: Kriegserwartung, Kriegs bereitschaft? (242) Das Ausrücken der Studierenden und der Rechtfertigungsdruck nicht eingezogener Dozenten (246) Die Verteidigung des Reichs mit der Feder: Rechtfertigung der Kriegführung (261) Unterzeichner und Nicht-Unterzeichner (273) Skepsis und Ablehnung (286) Flankierende Einzelbemühungen (289) Résumé (292)
2. Der Dienst in der Armee I: Studenten als Teil des Volksheeres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 Die Kriegsteilnehmer der drei Universitäten (305) Erfahrungen studentischer Kriegsteilnehmer (309) Die Kluft zwischen Front und Heimat (320) Verluste (322) Schlußfolgerungen (324)
3. Der Dienst in der Armee II: Der ›vergönnte‹ Militäreinsatz Lehrender . . . . . . . . . . . . . . . 325 Schwierigkeiten der Ermittlung – Selbstdarstellung der Universitäten (325) Überblick (329) Tätigkeit als Experten im Dienst der Armee: Mediziner (333) Naturwissenschaftler im Experten-Einsatz (341) Praktischer Kriegseinsatz der Theologen und Geisteswissenschaftler (346) ›Überflüssige‹ Freiwillige und verhinderte Soldaten (351) Heeresdienst im engeren Sinn (352) Zwischenbetrachtung (357) Erfahrungen in der Ausbildung und an der Front (358) Wissenschaftliche Früchte des Kriegseinsatzes (365) Zur ›Rangordnung‹ der verschiedenen Einsatzbereiche (369) Reklamierung und Unabkömmlichkeit von Universitätsangehörigen (370) Organisatorische Regelungen und finanzielle Verhältnisse während des Kriegsdienstes (375) Verluste (379) Résumé (380)
Inhalt
VII
4. Freiwillige Übernahme von Aufgaben in der Heimat: Breite und Exklusivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 »Im Interesse der Universität«: die veröffentlichten Berichte (382) Die Pflege Verwundeter: vollwertiger Ersatzdienst und institutionelle Verpflichtung (387) Unterhaltungs- und Bildungsangebot für die Verwundeten (397) Ausfasernde Kriegsfürsorge: vom Bahnhofsdienst zu Spendensammlungen (400) Kriegswirtschaft (408) Wissenschaftliche Expertise im Kriegseinsatz (412) Professoren in Aushilfsfunktionen (424) Das Engagement der Hochschullehrer: Motivation und Deutung (429) Erträge des Einsatzes (435) Freiwilliger Einsatz der Studierenden (437) Die Aktivitäten der Studentinnen (440) Der Akademische Hilfsbund: Gemeinsame Anstrengungen aller Universitäts angehörigen? (453) Schlußfolgerungen: Akademischer ›Stand‹ und Fragmentierung der universitas (463)
5. Totale Mobilisierung? Die Pflicht zum ›freiwilligen‹ Vaterländischen Hilfsdienst . . . . . 466 Schließung der Universitäten – oder Heranziehung zum Hilfsdienst? (467) Hilfsdienst der Dozenten (470) Der Hilfsdienst der Studenten (476) Hilfsdienst der Studentinnen: Initiativen aus dem Kreis der Frauenbewegten (485) Die Reaktion der Universitäten auf den Hilfsdienst der Frauen (496) Der Umfang der Hilfstätigkeit der Studentinnen (504) Schwache Resonanz – und immer neue Aufrufe (509) Erfahrungen der Munitionsarbeiterinnen und Urteile über sie (514) Studentinnen als Etappenhelferinnen (516) Weitere Hilfsdiensttätigkeiten (524) Résumé und Schlußfolgerungen (527)
6. Die Spaltung der Gelehrtengemeinschaft im Dienst an der ›Volksgemeinschaft‹: Gesinnungsbildung – Kriegszielkontroverse – politische Organisation . . . . . . . . . . . 534 Kriegsvorträge der Daheimgebliebenen zur Festigung der ›Volksgemeinschaft‹ (537) Umstände und Ergebnisse der Vortragsreihen (557) Kriegszieldiskussion und Spaltung der Professorenschaft 1915: Seeberg-Adresse und Delbrück-Eingabe (563) Deutscher Nationalausschuß für einen ehrenvollen Frieden vs. Unabhängiger Ausschuß für einen Deutschen Frieden (576) Innenpolitische Gegensätze zwischen den rivalisierenden Richtungen (587) Reaktionen auf die Friedensresolution des Reichstags (591) Weitere Polarisierung durch Verfestigung der Spaltung: Vaterlandspartei vs. Volksbund für Freiheit und Vaterland (598) Bemühungen um die Stärkung des Durchhaltewillens: der Bund deutscher Gelehrter und Künstler (619) Vaterländischer Unterricht für die Zivilbevölkerung (625) Folgen der politischen Spaltung: Zerstörung der kollegialen Beziehungen (631) Folgen der politischen Spaltung: Verhinderung wissenschaftlicher Karrieren (635) Studen tische Beteiligung an der Gesinnungspflege (641) Résumé (649)
VIII Inhalt 7. Unterstützung der Kämpfer durch die Daheimgebliebenen: Die Kluft zwischen Front und ›Heimatheer‹ in der universitas . . . 655 ›Literarische Liebesgaben‹ der Universitäten für ihre Angehörigen im Feld (656) Bemühungen von Instituten, Studentenvertretung, Verbindungen (661) Spirituelle Betreuung der Kommilitonen im Feld (668) Der deutsche Studentendienst und die Liebesgaben deutscher Hoch schüler (671) Kontakte aus dem Feld in die Heimat (680) Funktion und Wirkung der Beziehungen ins Feld (694)
8. Résumé: Dienst am Vaterland und gesellschaftlicher Führungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . 702 IV. Sekundäre Aufgaben: Studium und Lehre im Krieg . . . . . . . . . 715 1. Die Veränderungen des Lehrkörpers im Krieg . . . . . . . . . . . . 720 Größe und Struktur (720) Der kriegsbedingte Dozentenmangel (730) Berufungsverfahren: Praktische Probleme und außerwissenschaftliche Anforderungen (735) Der Umgang mit ausländischen Dozenten und Assistenten (746) Schlußbetrachtung (764)
2. Die Studentenschaft vor Ort: »Dienstuntaugliche, Kriegsbeschädigte und studierende Damen« . . 767 Ausländische Studenten (771) Der Anteil der Frauen in der Studentenschaft (789) Soldaten und Verwundete (793) Auswirkungen auf Lehrende und Studierende (796) Schlußüberlegungen (800)
3. Veränderte Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 805 Kriegsgetriebenheit und »Kriegspassivität« (805) Ausquartierung: die Verlegung der Lehrveranstaltungen (811) Kriegsbedingte Semester zeiten (815) Mangel an technischem und Verwaltungspersonal (820) Résumé (823)
4. Veränderte Zulassungsbedingungen, verkürzte Studiengänge, Prüfungserleichterungen: Zum Verhältnis von akademischen Anforderungen, militärischem Einsatz und politischen Rahmenbedingungen . . . . 824 Notreifeprüfungen (824) Immatrikulation in absentia (833) Beschränkung der Zureise in die Festung Straßburg (837) Notprüfungen für Universitätsabsolventen I: Staatsexamina (840) Die Anrechnung des Kriegsdienstes auf Studien- und Vorbereitungszeit (853) Notprüfungen für Universitätsabsolventen II: Änderungen im Promotionsverfahren (856) Das Verhalten der Prüfer im Krieg (873) Kriegspromotionen von Ausländern (878) Promotionsbilanz (891) Schlußüberlegungen (892)
Inhalt
IX
5. Das Lehrangebot für die Studentenschaft vor Ort: Wandel des Inhalts und der Veranstaltungsformen? . . . . . . . . . 898 Fortsetzung der Lehre in den ›alten Bahnen‹? (898) Der Umfang der Lehre im Krieg (901) Vertretungen (902) Die tatsächliche Lehre: Prüfungsrelevante Vollständigkeit? (906) Lehrbefreiung trotz Dozentenmangel? (915) Inhaltliche Veränderungen des Angebots (918) Kriegsmedizin (919) Die Aufklärung über Geschlechtskrankheiten für Hörer aller Fakultäten (923) Der Fall Nicolai (925) Jura und Nationalökonomie (928) Fächer der Philosophischen Fakultät (932) Orientalistik (938) Erweiterung des Sprachangebots (942) Ein neues Fach: Auslandskunde (944) Erste Überlegungen (944) Die Wiederaufnahme der Pläne im Krieg (947) Die neuen Auslandsstudien in Berlin, Straßburg und Gießen (956) Bilanz gegen Kriegsende (971) Schlußfolgerungen (974)
6. Fröhliches Studentenleben und Aufschließen der »Himmelstür zum Zeitlosen«: Hochschulkurse für Soldaten im Kriegseinsatz . . . . . . . . . . . . 976 Die Kurse in Arlon, Prilep und Bukarest (980) Die Funktion der Kurse (984) Die Motivation der Dozenten (990) Die Gestaltung der Kurse (992) ›Volksgemeinschaft‹ in der Fremde? (999) Die Hochschulkurse in Straßburg (1007) Theologische Lehrgänge für Feldgeist liche (1022) Schlußfolgerungen (1024)
7. Gewandelte Beziehungen in der universitas . . . . . . . . . . . . . . 1027 Schützer und Beschützte: die veränderten Beziehungen zwischen Lehrenden und Studierenden (1027) »der Feind, den wir bekämpfen«: Die Studentin. Veränderte Beziehungen zwischen Männern und Frauen in der Universität (1033) Der Feind auf dem Papier: die Wiederbelebung der Debatte über das Ausländerstudium (1048) Schlußfolgerungen (1058)
8. Akademische Selbstdarstellung: Festakte – Jubiläen – Ehrenpromotionen und Gefallenengedenken im Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1061 Die regelmäßigen Universitätsfeiern und ihre äußere Gestaltung (1061) Die Reden zum Rektoratswechsel zwischen zurückhaltender Unterstützung des Krieges und pathetischer Mobilisierung (1067) Die Feier des Kaisergeburtstags im Krieg: Friedensherrscher und Vorbild der Pflichterfüllung und des Dienstes (1079) Die Hundertjahrfeiern des Geburtstags des Reichsgründers: Bismarck als Verkörperung »deutschen Geistes« und der Weltkrieg als sein Vermächtnis (1090) Das Reforma tionsjubiläum 1917: Luther, der ›deutsche Recke‹ (1103) Promotionen zur Würdigung des Kriegseinsatzes (1114) Gefallenengedenken während des Krieges (1118) Schlußüberlegungen (1127)
X Inhalt V. Zum »Zusammenklang [von] ›Waffen und Wissenschaft‹«: Eine Schlußbetrachtung zur universitas in der ›Volksgemeinschaft‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1129 »Wehrkraft und Wissenschaft« (1129) Universität und ›Volksgemeinschaft‹ (1133) Vergleiche (1136)
Anhang Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1140 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1151 Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1153 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1191 Namensregister (1191) Geographisches Register (1208)
Wie dieses Buch entstanden ist und wie man es lesen kann (Vorwort und Dank)
Dieses Buch hat eine lange Geschichte; denn es ist aus einem Projekt hervor gegangen, das ursprünglich deutsche und russische Universitäten im Ersten Weltkrieg zu vergleichen unternommen hatte. Das schien nahezuliegen, da deutsche Universitäten die Vorbilder für die im 19. Jahrhundert gegründeten russischen waren, künftige Professoren ein, zwei Jahre an deutschen Universitäten verbrachten und es daher eine starke Verflechtung zwischen den Universitäten beider Länder gab. Zudem berichteten Zeitgenossen bei Kriegsbeginn nicht nur vom patriotischen Aufschwung im Zarenreich, sondern sogar von der Teilnahme der Studenten daran. »Viele« hätten sich freiwillig gemeldet. Bei genaueren Studien erwies sich das allerdings als eine nur aus der russischen Erfahrung erklärbare Wahrnehmung, für die angesichts der Regimekritik vieler Studenten und ihrer scharfen Ablehnung des russisch-japanischen Krieges zehn Jahre zuvor schon die Meldung einiger Freiwilliger eine Sensation darstellte. Tatsächlich war die Beteiligung von Universitätsangehörigen an der Kriegführung im internationalen Vergleich aber so gering, daß Rußland allenfalls als (fast leere) Kontrastfolie zum vielfältigen Engagement deutscher Studenten und Dozenten getaugt hätte.1 Zugleich lieferten die Quellen zu den deutschen Universitäten, kombiniert mit den heutigen Recherchemöglichkeiten, die Chance, es beim deutschen Binnenvergleich nicht bei der Unterscheidung Hauptstadt – Provinz – Grenze zu belassen, sondern auch die Karrieren und Lebensläufe der einzelnen zu berücksichtigen und so nicht nur Strukturen herauszuarbeiten, sondern auch die vielfältige Wirklichkeit konkreter vorstellbar zu machen. Im Rückblick erscheint das Unternehmen fast vermessen. Jeder Kenner der Geschichte einer der drei untersuchten Universitäten wird gewiß manches ergänzen können, vielleicht aber auch das eine oder andere zurechtrücken wollen. Den Unzulänglichkeiten, die unvermeidlich sind, wo es um etwa 800 Gelehrte und ca. 11.500 Studie1 Siehe dazu Trude Maurer, Fern der Front und fern vom »Volk«: Die »Verteidigung der Heimat« durch Studenten und Professoren des Russischen Reiches, in: Stefan Karner/Philipp Lesiak (Hg.), Erster Weltkrieg. Globaler Konflikt – lokale Folgen. Neue Perspektiven, Innsbruck u. a. 2014, S. 247–270. Vergleichend: Trude Maurer, Integration in die ›Volksgemeinschaft‹ oder Exklusivität? Die Angehörigen deutscher und russischer Universitäten im Ersten Weltkrieg, in: Cornelia Rauh/Arnd Reitemeier/Dirk Schumann (Hg.), Kriegsbeginn in Norddeutschland. Zur Herausbildung einer »Kriegskultur« in transnationaler Perspektive (im Druck).
XII Wie dieses Buch entstanden ist und wie man es lesen kann rende geht, stehen aber die Chancen gegenüber, die der vergleichende Blick bietet; denn manches fiele dem auf eine einzelne Universität Blickenden vielleicht gar nicht auf, weil es nicht als Besonderheit oder Abweichung erschiene, sondern einfach als das Gegebene. Doch der Vergleich ist mühsam, weil schon die Dozentenpositionen und ihre Benennungen, auch das Verfahren bei der Erstellung der Personalverzeichnisse und Studentenstatistiken der einzelnen Universitäten sich unterschieden. Allein die den preußischen Universitäten vorgegebene Untergliederung ihrer Studentenstatistik war so kompliziert, daß der Berliner Rektor, der 1915 eigentlich die hohe Beteiligung der Studentenschaft an der Kriegführung belegen wollte, die nichtpreußischen Männer einfach übersah… Die Grundlage des Vergleichs mußte deshalb quasi für jeden Aspekt erarbeitet werden, und um die Überprüfbarkeit zu erleichtern, sind die quellenkritischen Überlegungen im folgenden Text immer integriert. Die Konkretisierung und Differenzierung vor Verallgemeinerungen und Schlußfolgerungen hat der Darstellung einen Umfang gegeben, der auch manchen Leser zurückschrecken lassen könnte, der 350–400 Seiten für die Untersuchung einer Universität für durchaus angemessen hält. Für den, der für das Dreifache, in dem die drei untersuchten Universitäten in jedem thematischen Unterabschnitt parallel behandelt werden, keine Zeit hat, sind einige Abkürzungsmöglichkeiten eingebaut: Er kann z. B. den Abschnitt lesen, der für seine Fragestellung der wichtigste ist – und wird durch die Fußnoten auf hier evtl. vorausgesetzte Informationen in früheren Abschnitten verwiesen. Wer sich eigentlich für alle Aspekte interessiert, findet am Ende jedes Abschnitts der Teile III und IV eine interpretierende oder perspektivierende Zusammenfassung. Wenn er dort beginnt, kann er also die Früchte der Arbeit genießen, ohne an Aussaat (Zusammenstellung der Informationen), Kultivierung (Verknüpfung der Informationen) und Einbringung der Ernte (Erkenntnisschritte) teilzunehmen – und, falls er es dann doch genauer wissen will, gezielt zurückblättern. – Vladimir Nemirovič-Dančenko, einer der Gründer des Moskauer Künstler-Theaters, das mit Anton Čechovs Dramen weltberühmt wurde, sagte einst: »Wenn im ersten Akt eine Büchse an der Wand hängt, dann hat sie im dritten loszugehen.« In diesem Sinne bitte ich die weniger eiligen Leser, sich auch auf die Details der folgenden Darstellung einzulassen; denn (fast) alle werden irgendwo in den beiden dicken Bänden wieder benötigt. Bei der langen Arbeit an diesem Buch habe ich von vielen Seiten Hilfe er fahren. Vor allem im Anfangsstadium konnte ich auf den Rat von Dietrich Beyrau und Dieter Langewiesche (beide Tübingen) bauen. Auf dem langen Weg zu dem jetzt vorliegenden Buch haben mir in einigen schwierigen Situationen Gespräche mit Maria Rhode (Göttingen) zur Entscheidung über die weiter einzuschlagende Richtung verholfen. Die drei wichtigsten Archive (HumboldtUniversität Berlin, Archives Départementales du Bas-Rhin Strasbourg, Univer-
Wie dieses Buch entstanden ist und wie man es lesen kann
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sität Gießen) haben die Arbeit auf je eigene Weise unterstützt. Die Leiterin des Gießener Universitätsarchivs, Eva-Marie Felschow, die auf zahlreiche Rück fragen beim Schreiben geduldig und akribisch Auskünfte gab, müßte, falls es ihn denn gäbe, einen Preis für die Forschungsförderung durch Archivare erhalten. Aber auch das Gießener Stadtarchiv war besonders entgegenkommend und hat Artikel aus der Lokalzeitung auf meine Bitte rasch und effektiv gesucht und als Scans bereitgestellt. Mitgewirkt haben an der Arbeit mehrere Hilfskräfte: Michail Gorelik hat zunächst die Verzeichnisse des Lehrkörpers der drei Universitäten erstellt, in denen ich nun ein Jahrzehnt lang nachgeschlagen habe, wer zu welcher Fakultät gehörte und in welchem Semester welchen Status hatte. Außerdem hat Herr G orelik das Berliner Tageblatt auf einschlägige Artikel durchgesehen. Dasselbe hat Elena Mingaleva (neben entsprechenden Verzeichnissen für den Lehrkörper der russischen Universitäten) dann für die Straßburger Post getan. Ganz am Ende hat Karin Bohr bei der Zusammenführung verschiedener Quellen- und Literaturverzeichnisse und der Erstellung des Registers geholfen. Ihnen allen danke ich für ihre Geduld und Einsatzbereitschaft ganz herzlich. Weiteren Dank für manchen Hinweis und die Klärung von Details statte ich in den Fußnoten ab. Doch all’ dieses Engagement hätte ohne die nötigen finanziellen Mittel nicht zu diesem Buch führen können: Die VolkswagenStiftung hat das vergleichende deutsch-russische Projekt, an dem fünf Kollegen in der Russischen Föderation und Estland beteiligt waren und aus dem außer zahlreichen Aufsätzen der einzelnen auch zwei Sammelbände hervorgegangen sind,2 über einen längeren, sogar unterbrochenen Zeitraum insgesamt mehr als drei Jahre finanziert. Dabei war der zuständige Referent, Wolfgang Levermann, zugleich ein entgegenkommender Berater, der half, manche Hürde zu überwinden. Nach Abschluß des Projekts hat die VolkswagenStiftung die verbliebenen Mittel als Druckkostenzuschuß aufbewahrt und nun für das vorliegende Werk zur Verfügung gestellt. Doch ermöglicht wurde die Publikation schließlich nur, weil das Institut für Ost- und Südosteuropaforschung (Regensburg), an dem ich derzeit forsche, großzügig und unbürokratisch die noch fehlenden zwei Drittel der Druckkosten übernahm. Ihm und seinem geschäftsführenden Direktor Ulf Brunnbauer weiß ich mich daher zu besonderem Dank verpflichtet. Ich würde mich freuen, wenn der Blick einer Osteuropahistorikerin diesen Kollegen und Förderern die Geschichte der deutschen Universität vielleicht aus einer etwas anderen als der gewohnten Perspektive näherbringen könnte. Regensburg/Göttingen, im März 2015
Trude Maurer
2 Trude Maurer (Hg.), Kollegen – Kommilitonen – Kämpfer. Europäische Universitäten im Ersten Weltkrieg, Stuttgart 2006; Trude Maurer/Aleksandr N. Dmitriev (Hg.), Universitet i gorod v Rossii (načalo XX veka), Moskva 2009.
I. Universitäten im Krieg: ein vernachlässigtes Forschungsthema
Übergangene Jahre und ausgesparte Fragen: Der Erste Weltkrieg in der Universitätsgeschichtsschreibung »Feierlich verschworen sich die Schriftsteller, nie mehr mit einem Franzosen, nie mehr mit einem Engländer Kulturgemeinschaft haben zu wollen, ja mehr noch: sie leugneten über Nacht, daß es je eine englische, eine französische Kultur gegeben habe. All das sei gering und wertlos gegenüber deutschem Wesen, deutscher Kunst und deutscher Art. Noch ärger trieben es die Gelehrten. (….) manchmal war es, als hörte man eine Horde Besessener toben, und all diese Männer waren doch dieselben, deren Vernunft, deren formende Kraft, deren menschliche Haltung wir vor einer Woche, vor einem Monat noch bewundert. Das Erschütterndste an diesem Wahnsinn aber war, daß die meisten dieser Menschen ehrlich waren.«1
So erinnerte sich der Europäer Stefan Zweig, der den Juli 1914 noch in der belgischen Sommerfrische verbracht und zur Zeit des deutschen Einmarsches dort auf dem Weg zurück nach Wien Deutschland durchquert hatte, 1942 in seiner Welt von gestern. Er hielt nicht nur die (wirklich erfolgte?) plötzliche Umwertung der lange vertrauten und ganz selbstverständlich geschätzten Kulturen der nunmehrigen ›Feinde‹ fest, sondern auch die abrupte Veränderung der Schriftsteller und »noch ärger« der »Gelehrten«, deren Pathos ihre »Vernunft« und ›Menschlichkeit‹ ausgeschaltet hatte. Dabei hatte sogar für Zweig selbst, den Kriegsgegner, der erste »Aufbruch der Massen etwas Großartiges, Hinreißendes und sogar Verführerisches« gehabt.2 Gerade das macht seine Einschätzung der ›ehrlichen‹ Absage an Vernunft und Kulturgemeinschaft so glaubwürdig. Doch hat die beschriebene Haltung nicht nur die Erinnerung dieses Zeitgenossen geprägt, sondern auch die Wahrnehmung der deutschen Professorenschaft und damit der Universitäten in der neueren Forschung. Auch sie datiert den »Zusammenbruch der internationalen Gelehrtenrepublik« schon auf die
1 Stefan Zweig, Die Welt von gestern. Erinnerungen eines Europäers, Frankfurt 1981, S. 265 f. 2 Zweig, Die Welt von gestern, S. 258.
2 Universitäten im Krieg: ein vernachlässigtes Forschungsthema »ersten Augusttage«.3 Angesichts der vorher lebhaften Wissenschaftsbeziehungen, mit vielfältigen individuellen Kontakten, institutioneller Zusammenarbeit und organisiertem Austausch,4 war dies in der Tat ein Einschnitt, der durch die Gelehrtenmanifeste des Herbst 1914 noch vertieft wurde.5 Da Professoren zudem in der Kriegszieldebatte ab 1915 das große Wort führten,6 hat sich die Forschung lange auf ihre Beteiligung an der Kriegsdeutung und Kriegspropaganda konzentriert. Sogar die vierbändige Geschichte der Universität in Europa, die an sich der Sozialgeschichte gebührenden Raum zuweist, widmet sich im Kapitel über Universitäten und Kriege im 20. Jahrhundert allein den internationalen Beziehungen und der Kriegspropaganda.7 Dabei blieb der Anteil derer, die öffentlich Stellung bezogen, wenn man von der Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reichs einmal absieht,8 zumindest an einigen neuerdings ge3 Bernhard vom Brocke, ›Wissenschaft und Militarismus‹. Der Aufruf der 93 »An die Kulturwelt!« und der Zusammenbruch der internationalen Gelehrtenrepublik im Ersten Weltkrieg, in: William M. Calder III /Hellmut Flashar/Theodor Lindken (Hg.), Wilamowitz nach 50 Jahren, Darmstadt 1985, S. 649–719, hier 649. 4 Zu verschiedenen institutionalisierten Formen der Zusammenarbeit s. Brigitte Schröder-Gudehus, Deutsche Wissenschaft und Internationale Zusammenarbeit 1914–1928. Ein Beitrag zum Studium kultureller Beziehungen in politischen Krisenzeiten, Genève 1966, S. 33, 39; Brigitte Schroeder-Gudehus, Les Scientifiques et la paix. La communauté scientifique au cours des années 20, Montréal 1978, S. 41–62; Bernhard vom Brocke, Der deutsch-amerikanische Professorenaustausch. Preußische Wissenschaftspolitik, internationale Wissenschaftsbeziehungen und die Anfänge einer deutschen auswärtigen Kulturpolitik vor dem Ersten Weltkrieg, in: Zeitschrift für Kulturaustausch 31 (1981), S. 128–182; zur Internationalität eines Faches: Gabriele Metzler, Internationale Wissenschaft und nationale Kultur. Deutsche Physiker in der internationalen Community 1900–1960, Göttingen 2000; zum deutsch-russischen Austausch: Trude Maurer, »Abkommandiert« in die »akademische Freiheit«. Russischer Professorennachwuchs in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 24 (1995), S. 63–104; Trude Maurer, Der Weg zur Mündigkeit, Auslandsaufenthalte rußländischer Wissenschaftler im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: Hyperboreus. Studia Classica 10 (2004), S. 60–77. 5 Siehe dazu u. Kap. III .1. 6 Klaus Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral. Die deutschen Hochschullehrer und die politischen Grundfragen des Ersten Weltkrieges, Göttingen u. a. 1969; Herbert Döring, Der Weimarer Kreis. Studien zum politischen Bewußtsein verfassungstreuer Hochschullehrer in der Weimarer Republik, Meisenheim a. Gl. 1975, S. 21–56. 7 Und dabei macht der Erste Weltkrieg nur ein Siebtel dieses Kapitels aus, läßt man die Kriegsfolgen außer acht, sogar weniger als ein Fünfzehntel! Notker Hammerstein, Epilog. Universitäten und Kriege im 20. Jahrhundert, in: Walter Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa. Bd. III: Vom 19. Jahrhundert zum Zweiten Weltkrieg (1800– 1945), München 2004, S. 515–545. Zuletzt s. das Kapitel »Akademische Schützengräben« in: Ernst Piper, Nacht über Europa. Kulturgeschichte des Ersten Weltkriegs, Berlin 2013, S. 213–250, das ebenfalls allein die Gelehrtenaufrufe und Kriegspublizistik behandelt. Nicht einmal bei dem so ausführlich behandelten Georg Simmel (S. 227–229) wird eine seiner zahlreichen praktischen Tätigkeiten erwähnt. 8 Diese wurde von der Mehrheit der Hochschullehrer unterschrieben. Siehe dazu u. Kap. III .1.
Universitäten im Krieg: ein vernachlässigtes Forschungsthema
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nauer untersuchten Universitäten klein.9 Zudem waren nicht nur die Gelehrten resolutionen überproportional von Geisteswissenschaftlern unterschrieben,10 sondern fast die gesamte Kriegspublizistik ging auf Angehörige dieser Fächergruppe zurück.11 Doch wird das, was die schreibende und Kriegsvorträge haltende Minderheit äußerte, oft unzulässigerweise verallgemeinert und so auch der schweigenden Mehrheit zugeschrieben.12 Dies ist um so gravierender, als sich die umfassendste, glänzende und scharfsinnig durchdachte Analyse auf die »gehobene Publizistik« von der Politik nahestehenden Ordinarien, vor allem in Berlin, beschränkt. Unberücksichtigt bleiben also nicht nur die anderen Statusgruppen, sondern auch Ordinarien kleinerer Universitäten, die bei akademischen Festakten, auch zur jährlichen Feier des Kaisergeburtstags sprachen.13 Zudem entsteht dadurch, daß von Herkunft und kultureller Prägung, aber auch persönlicher Kriegserfahrung der Autoren, etwa dem Fronteinsatz, völlig abgesehen wird und vom ›realhistorischen‹ Hintergrund nur einige Querverbindungen zum Alldeutschen Verband oder der Obersten Heeresleitung erwähnt werden, quasi eine reine ›Ideengeschichte‹.14 Deshalb ist zu recht moniert worden, daß es keine systematische Studie zu deutschen Universitäten im Ersten Weltkrieg gebe und auch »der Aspekt ›Wissenschaft und Universität in Kriegsdiensten‹«, »abgesehen vom Beitrag der
9 Christian Jansen, Professoren und Politik. Politisches Denken und Handeln der Heidelberger Hochschullehrer 1914–1935, Göttingen 1992, S. 111; Sylvia Paletschek, Tübinger Hochschullehrer im Ersten Weltkrieg: Kriegserfahrungen an der ›Heimatfront‹ Universität und im Feld, in: Gerhard Hirschfeld/Gert Krumeich/Dieter Langewiesche/HansPeter Ullmann (Hg.), Kriegserfahrungen. Studien zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte des Ersten Weltkriegs, Essen 1997, S. 83–106, hier 85, 101; Andrea Wettmann, Heimatfront Universität. Preußische Hochschulpolitik und die Universität Marburg im Ersten Weltkrieg, Köln 2000, S. 214–218, 337. 10 Paletschek, Tübinger Hochschullehrer im Ersten Weltkrieg, S. 90. 11 Eberhard Demm, Anmerkungen zur »Enzyklopädie Erster Weltkrieg«, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 52 (2004), S. 441–451, hier 444. 12 Darauf hat schon Dieter Langewiesche hingewiesen: Die Eberhard-Karls-Universität Tübingen in der Weimarer Republik. Krisenerfahrungen und Distanz zur Demokratie an deutschen Universitäten, in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 51 (1992), S. 345–381, hier 368. 13 Einschränkungen: Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 15 f.; zu den universitären Festakten s. u. Kap. IV.8. 14 Indirekt wird dieser Punkt angesprochen und ausgeklammert durch die Konzentration auf Ordinarien und die Erklärung, daß diese schreibend aktiv geworden seien, weil sie weder front- noch heimatdienstfähig gewesen seien (Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 21). Tatsächlich waren manche der von ihm behandelten Autoren, z. B. Walter Goetz (Ordinarius für Geschichte) oder Max Wundt (Privatdozent für Philosophie) aber längere Zeit an der Front! Nicht berücksichtigt wird z. B. die polnische Herkunft Alexander Brückners.
4 Universitäten im Krieg: ein vernachlässigtes Forschungsthema Kriegspublizistik zur ›geistigen Mobilmachung‹«, nicht untersucht worden sei.15 Dies ist um so gravierender, als in den Überblicksdarstellungen einzelner Universitäten, die sich im allgemeinen auf die Institution (d. h. die ›Verfassungsgeschichte‹ der Universität) und auf die Entwicklung der Wissenschaften in ihr konzentrieren, der Krieg meist ausgeblendet wird.16 Gerade in dieser Ausnahmesituation aber wurde die Universität stark von außen bestimmt; denn als Einrichtung der Forschung und Lehre wurde sie durch den Krieg in der Erfüllung ihrer Aufgaben behindert, und als Staatsanstalt war sie sogar davon abhängig, wie der Staat in dieser Situation seine Handlungsfähigkeit bewahren konnte.17 Die in der herkömmlichen Universitätsgeschichtsschreibung dominierende Binnenperspektive genügt also nicht, um Universitäten im Krieg eingehender zu untersuchen. Tatsächlich wurde das Spektrum der Fragen inzwischen erweitert: Zu zwei älteren Dissertationen über Universitäten im Krieg, die – stark an den Akten der jeweiligen Institution entlang – wichtige Informationen bereitstellten und systematisierten, sie jedoch kaum auf größere Fragestellungen hin interpretierten,18 sind neuerdings einige Studien zu einzelnen Universitäten hinzugekommen. Mustergültig wurde, wenn auch nur in Aufsatzlänge, Erlangen als »durchschnittliche kleinere Universität in der süddeutschen Provinz« untersucht, sowohl im Vergleich der Kriege seit der napoleonischen Zeit bis hin zum Zweiten Weltkrieg als auch auf den Ersten Weltkrieg konzentriert: personelle Entwicklung, Entwicklung der Lehre, Kriegsdienst von Studenten und Professoren an der Front und in der Heimat, Haltung zum Krieg, Entfremdung zwischen Front 15 Paletschek, Tübinger Hochschullehrer, S. 84 A. 6 und 86 A. 13. 16 Moniert wird das z. B. von Wilhelm Ribhegge, Geschichte der Universität Münster. Europa in Westfalen, Münster 1985, S. 144: Die Festschrift von 1980 habe »den gesamten Komplex ›1. Weltkrieg‹ – wie auch die Universitätsgeschichte des 20. Jahrhunderts – überwiegend mit Schweigen abgedeckt«. 17 Formuliert in Anlehnung an Werner K. Blessing, Universität im Krieg. Erlanger Schlüsseljahre im 19. und 20. Jahrhundert, in: Karl Strobel (Hg.), Die deutsche Universität im 20. Jahrhundert. Die Entwicklung einer Institution zwischen Tradition, Autonomie, historischen und sozialen Rahmenbedingungen, Vierow 1994, S. 47–68, hier 47 f. 18 Walter Grüner, Die Universität Jena während des Weltkrieges und der Revolution bis zum Sommer 1920. Ein Beitrag zur allgemeinen Geschichte der Universität, Jena 1934; Andreas Anderhub, Das Antoniterkreuz in Eisen. Zur Geschichte der Universität Gießen während des Ersten Weltkriegs, Gießen 1979. S. bei Grüner etwa S. 99 den Vorschlag einer Huldigungsadresse an den Kaiser, ohne zu ergänzen, was daraus wurde; oder die nichtbehandelte Beteiligung der Professoren am Vaterländischen Unterricht (s. dazu u. Kap. III .6). Bei Wettmann, Heimatfront Universität, findet sich zu dieser Huldigung und auch dem späteren gemeinsamen Rektorenaufruf im September 1917 gar nichts. Bei Anderhub s. etwa S. 48 zum Vaterländischen Hilfsdienst und Munitionsarbeiterinnen im Mai 1918 – ohne den offenkundigen Versuch zweier aufeinander folgender Rektoren wahrzunehmen, den Fraueneinsatz zu verhindern (s. dazu u. Kap. III .5). Auf Anderhubs Dissertation beruht anscheinend auch der entsprechende Abschnitt bei Peter Moraw, Kleine Geschichte der Universität Gießen 1607–1982, Gießen 1992, S. 193–199.
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und Heimat.19 Für Tübingen und Heidelberg ist der praktische und mentale Kriegseinsatz der Professoren analysiert worden, letzterer auch als Teil einer epochenübergreifenden Untersuchung.20 Ein allgemein formulierter Aufsatz über deutsche Studenten im Ersten Weltkrieg beruht im wesentlichen auf Material für die preußische Universität Bonn.21 Eine kurze Studie zu Leipzig berücksichtigt beide Gruppen und prüft darüber hinaus auch den Lehrbetrieb und die Hilfseinrichtungen für Kriegsteilnehmer.22 Ähnlich, aber nicht ganz so systematisch, hat ein ausgewiesener Weltkriegshistoriker die Quellen der Freiburger Universität ausgewertet, um daran vor allem den Zerfall der inneren Einheit zu zeigen.23 Dagegen beruht der entsprechende Abschnitt in der neuesten Berliner Universitätsgeschichte fast ganz auf Untersuchungen über andere Universitäten – gestützt auf die Vermutung, daß die dort beobachteten »konkreten Auswirkungen des Krieges […] auch für die Berliner Universität typisch sein dürften.«24 Etwas konkreter wird die Berliner Entwicklung in einem Vergleich dreier Hauptstadt-Universitäten dargestellt, bleibt dabei aber skizzenhaft und 19 Blessing, Universität im Krieg, Zitat S. 47; Werner K. Blessing, Die Universität Erlangen im Ersten Weltkrieg, in: Die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg 1743–1993. Geschichte einer deutschen Hochschule, Erlangen 1993, S. 87–98. 20 Paletschek, Tübinger Hochschullehrer; Folker Reichert, Wissenschaft und »Heimatfront«. Heidelberger Hochschullehrer im Ersten Weltkrieg, in: Armin Kohnle/Frank Engehausen (Hg.), Zwischen Wissenschaft und Politik. Studien zur deutschen Universitätsgeschichte (…), Stuttgart 2001, S. 494–519; Christian Jansen, Professoren und Politik, S. 109–142. 21 Konrad H. Jarausch, German Students in the First World War, in: Central European History 17 (1984), S. 310–329. 22 Der gründliche Aufsatz faßt die Ergebnisse einer Magisterarbeit von 2003 zusammen: Ulrike Gätke-Heckmann, Die Universität Leipzig im Ersten Weltkrieg, in: Ulrich von Hehl (Hg.), Sachsens Landesuniversität in Monarchie, Republik und Diktatur. Beiträge zur Geschichte der Universität Leipzig vom Kaiserreich bis zur Auflösung des Landes Sachsen 1952, Leipzig 2005, S. 145–168. 23 Dementsprechend wird z. B. das Lehrangebot nicht untersucht, sondern nur seine Reduktion einerseits, Kurse für Kriegsteilnehmer andererseits erwähnt (S. 154, 158), aber die Auseinandersetzung zwischen den beiden Historikern Valentin und von Below (s. u. Kap. III.6) ausführlich dargestellt (S. 162–164). Chickering hat früher sowohl eine Überblicksdarstellung über Deutschland im Ersten Weltkrieg veröffentlicht als auch, am Beispiel Freiburgs, ein Buch über Krieg und städtisches Leben. Hier handelt es sich um einen Beitrag zur Jubiläumsfestschrift: Roger Chickering, Die Universität im Krieg 1914–1918, in: Bernd Martin (Hg.), 550 Jahre Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Bd. 3: Von der badischen Landesuniversität zur Hochschule des 21. Jahrhunderts, Freiburg u. a. 2007, S. 152–165. 24 Charles E. McClelland, Die disziplinär organisierte Forschungsuniversität, 1860–1918, in: GUUL . Bd. 1: Gründung und Blütezeit der Universität zu Berlin 1810–1918, Berlin 2012, S. 425–654, hier 627–635. Die Statistik immatrikulierter und anwesender Studenten wird nur für Gesamtpreußen angegeben (S. 629), die Zahl der Kriegsdienst leistenden Professoren ist wie erstere aus Wettmann, Heimatfront Universität, übernommen. Dabei lassen sich die Daten aus den gedruckten Personalverzeichnissen zusammenstellen (s. u. Kap. III .2), doch sind für diesen Unterabschnitt der neuen Berliner Universitäts geschichte offenkundig weder diese noch archivalische Quellen benutzt worden.
6 Universitäten im Krieg: ein vernachlässigtes Forschungsthema teilweise auf Zufallsfunde gestützt.25 Für Straßburg im Krieg liegen zwei Skizzen vor, die allerdings nur einzelne Schlaglichter auf die Entwicklung werfen, da das Hauptinteresse dieser Bücher anderen Leitfragen gilt.26 Fast im Umfang einer kleinen Monographie dagegen ist Königsberg erörtert und dabei an vielen Aspekten die Ähnlichkeit zu den anderen bereits untersuchten Universitäten belegt,27 zugleich aber die Besonderheit der Universität an der Ostgrenze des Reichs aufgezeigt worden: Angesichts eines nur schmalen politischen Spek25 Elizabeth Fordham, Universities, in: Jay Winter/Jean-Louis Robert (Hg.), Capital Cities at War. Paris, London, Berlin 1914–1919. Bd. 2: A Cultural History, Cambridge u. a. 2007, S. 235–279. Der Vergleich der drei Universitäten ist systematisch angelegt, doch wird etwa – nach einem pauschalen Satz über die Umwidmung von Universitätsgebäuden zu Krankensälen in allen drei Hauptstädten – für Berlin nur zweimal auf die Zahnklinik hingewiesen (S. 246, 252), während die allgemeine (preußische) Regelung, wonach die Universitätskliniken im Kriegsfall zu Lazaretten werden, nicht einmal Erwähnung findet. Die behauptete Zulassung von Frauen zu deutschen (! nicht preußischen!) Hochschulen 1908 (S. 259) sowie die irrtümliche Schreibung mehrerer bekannter Gelehrter (»Willamowitz-Moellendorff«, »Margaret Bieder« [statt »Margarete Bieber«]) und berühmter Forscher (»R. Vierhans«!) lassen auf mangelnde Vertrautheit mit dem deutschen Fall schließen. Die »bemerkenswerte Verlagerung« der Lehre hin zur Neueren, insbesondere preußischen Geschichte (S. 255) stellt sich etwas anders dar, wenn man das gesamte Lehrangebot analysiert (s. u. Kap. IV.5). Der Hilfe englischer Professoren für deutsche Studenten während des Krieges (S. 266) wäre der Abschluß zahlreicher Promotionsverfahren ›feindlicher Ausländer‹ auch gegen Einspruch des Kultusministeriums (s. u. Kap. IV.4) entgegenzustellen. 26 In Craigs glänzender Monographie über die Rolle der Straßburger Universitäten für das nation building konzentriert sich der kurze Abschnitt über den Ersten Weltkrieg auf die Überlegungen zur Zukunft des Elsaß: John F. Craig, Scholarship and Nation B uilding. The Universities of Strasbourg and Alsatian Society, 1870–1939, Chicago u. a. 1984, S. 195–210. In Bernd Schlüters Monographie zu einer Teildisziplin der Straßburger Juristischen Fakultät stützt sich der als »Epilog« gekennzeichnete Abschnitt im wesentlichen auf die gedruckten Jahresberichte der Kriegsstelle (s. dazu u. Kap. III .4) und ist stark von einem moralisierenden Ton geprägt: Bernd Schlüter, Reichswissenschaft. Staatsrechtslehre, Staatstheorie und Wissenschaftspolitik im Deutschen Kaiserreich am Beispiel der Reichsuniversität Straßburg, Frankfurt 2004, S. 487–502. S. 495 A. 32 wird ein irrtümlicher und irreführender Bezug hergestellt, da mit dem dort genannten »patriotischen Pamphlet« (bei dem als Beleg angegebenen Craig übrigens »patriotic pamphlets«) nicht der »Ostergruß der Universität« 1917 gemeint ist, sondern dem Kontext nach der Auf ruf an die Kulturwelt und die Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reichs (beide 1914; s. dazu u. Kap. III .1). 27 Beteiligung der Dozenten an der Kriegsdeutung, der Studierenden und Lehrenden am Fronteinsatz sowie an zahlreichen Hilfsdiensten in der Heimat, der Etappe und an der Front, anwendungsbezogene Forschung im militärischen Auftrag, Ausrichtung des Lehrbetriebs auf aktuelle Unterrichtsthemen, institutionelle Veränderungen (wie A. 28, S. 484). Bei einer solchen Zusammenfassung der Befunde wird allerdings zu sehr auf die Ähnlichkeit der Phänomene abgehoben, ohne Rücksicht auf Ausmaß und Umfeld. So erscheint bei genauerer Untersuchung (statt Aufzählung einzelner aktueller Themen von Lehrveranstaltungen) die »Ausrichtung des Lehrbetriebs auf aktuelle Unterrichts themen« eher zweifelhaft (s. u. Kap. IV.5).
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trums (Mitte-Rechts) gab es hier keine Polarisierung der Professorenschaft; zugleich setzte sich die Universität mit der Gründung eines Instituts für Ostdeutsche Wirtschaft entschieden für die »politische und ökonomische ›Grenzsicherung‹ im exponierten Ostpreußen« ein. Hier markierte der Erste Weltkrieg also eine tiefe Zäsur im Selbstverständnis der Gelehrten, so daß ein »zweite[r] Existentialisierungsschub« nach dem Versailler Vertrag daraus dann die ›Grenzlanduniversität‹ formen konnte, die sich ganz in den Dienst des sich bedroht fühlenden Deutschtums stellte.28 Monographisch wurden in jüngerer Zeit nur zwei Universitäten untersucht: hochreflektiert und quellengesättigt Marburg, sozusagen als Fallstudie einer preußischen Universität in einem Buch, das in gleicher Länge zunächst die preußische Hochschulpolitik während des Ersten Weltkriegs aufarbeitet.29 Da gegen wurde für Göttingen nur die Naturwissenschaftliche Abteilung der Philosophischen Fakultät erörtert (wobei der für Tübingen und Heidelberg gänzlich fehlende Aspekt der Studenten hier allerdings für die ganze Universität betrachtet wird).30 Beide Studien behandeln etwa dieselben Aspekte wie die Erlanger Pionieraufsätze, ergänzen sie aber durch – punktuelle – Untersuchung der Forschung während des Krieges. Doch ist in beiden Fällen der auf das größere Ganze – die preußischen (oder mittleren deutschen) Universitäten hier, die ganze Universität Göttingen da – zielende Anspruch zu relativieren, da manchmal zu schnell pars pro toto verallgemeinert wird.31 Einzelne Studien zu Spezialfragen der Universitätsgeschichte diskutieren diese auch für die Kriegszeit. Obwohl nur sehr kurz behandelt, wird sie bei der Untersuchung des Zusammenhangs von Elite, Männlichkeit und Krieg geradezu zum Drehpunkt in der Geschichte (nicht nur) der deutschen Studentenschaft in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts.32 In einer großen 28 Christian Tilitzki, Die Albertus-Universität Königsberg. Ihre Geschichte von der Reichsgründung bis zum Untergang der Provinz Ostpreußen (1871–1945). Bd. 1: 1871–1918, Berlin 2012, S. 403–486, Zitate 485. 29 Wettmann, Heimatfront Universität. 30 Detlef Busse, Engagement oder Rückzug? Göttinger Naturwissenschaften im Ersten Weltkrieg, Göttingen 2008, auch unter: http://webdoc.sub.gwdg.de/univerlag/2008/SGU1_ dbusse.pdf. Insgesamt schwankt die Darstellung zwischen der Universität als ganzer und den Naturwissenschaften. So wird etwa die Kriegsteilnahme der Studenten für die Universität betrachtet (S. 28), der Dozenten aber nur für die Naturwissenschaftler (S. 210). 31 Zum Anspruch: Wettmann, Heimatfront Universität, S. 18. S. als Beispiel für eine sehr weitgehende (und, wie der Vergleich mit Gießen zeigt, vorschnelle) Schlußfolgerung die S. 216 aus dem Ort der Kriegsvorträge gezogene (vgl. u. S. 651); vorsichtiger dagegen, obwohl gerade auf ihre eigene Monographie gestützt, Andrea Wettmann, Ruhmvoll verödet? – Deutsche Universitäten im Ersten Weltkrieg, in: Trude Maurer (Hg.), Kollegen – Kommilitonen – Kämpfer. Europäische Universitäten im Ersten Weltkrieg, Stuttgart 2006, S. 29–38. 32 Sonja Levsen, Elite, Männlichkeit und Krieg. Tübinger und Cambridger Studenten 1900– 1929, Göttingen 2005, S. 171–188 (speziell zu Deutschland 178–186). Eine andere, Oxford
8 Universitäten im Krieg: ein vernachlässigtes Forschungsthema Monographie zum Studium von Ausländern in Deutschland (das im 19. Jahrhundert für mehr als die Hälfte der außerhalb ihres Heimatlandes Studierenden der ganzen Welt das wichtigste Ziel gewesen war) wird der Erste Weltkrieg ausführlich behandelt, denn nun wurden diese Studenten systematisch in erwünschte und unerwünschte eingeteilt, bzw., wie die Staaten, denen sie an gehörten, in »Verbündete«, »Neutrale« und »Gegner«. Seit Kriegsbeginn wurde die Studienmigration, die vorher vor allem als Indikator des Rangs der deutschen Wissenschaft und als Chance für die deutsche Wirtschaft (zur Erschließung neuer Märkte) galt, also vorrangig nach politischen Gesichtspunkten beurteilt.33 Allerdings beschränken sich diese Untersuchung der Hochschulpolitik wie auch die Fallstudien zu ihrer Umsetzung im wesentlichen auf den Ausschluß ›feindlicher Ausländer‹ und die Immatrikulation neuer Studenten, welche Kulturen angehörten, die als Deutschland nahestehend galten (wie etwa die Flamen oder Deutschbalten, obwohl beide formal ja ›feindliche Ausländer‹ waren). Nicht in den Blick kommen dagegen die bei Kriegsbeginn laufenden und tatsächlich in den ersten Kriegswochen noch mit der Promotion abgeschlossenen Prüfungsverfahren zahlreicher feindlicher Ausländer und die Haltung deutscher Studierender zu ihren ausländischen Kommilitonen.34 Aus disziplingeschichtlicher Perspektive haben sich früh Theologen und Kirchenhistoriker mit dem Ersten Weltkrieg beschäftigt. Darunter ragt ein (nicht unumstrittenes) Werk über die »Kriegstheologie«35 des Urhebers der wichtigsten annexionistischen Kriegszieladresse, Reinhold Seeberg, hervor, der seit langem im Alldeutschen Verband aktiv war und großen Einfluß in hochschulpolitischen Organisationen wie auch im sozialkonservativen Verbandsprotestantismus hatte. In seiner politischen Theologie verbanden sich lutherische
und Heidelberg vergleichende Studie, erscheint insofern umfassender, als sie auf deutscher Seite eine Universität von reichsweiter Ausstrahlung und dort die gesamte Studentenschaft untersucht (während Levsen sich auf die Korporationsstudenten beschränkt). Doch sie behandelt den Krieg nur in einem skizzenhaften Ausblick mit dem Befund, daß die gegenseitige Feindschaft nicht seine Ursache, sondern seine Folge gewesen sei: Thomas Weber, Our Friend »the Enemy«. Elite Education in Britain and Germany before World War I, Stanford 2008, S. 223–231, bes. 230. 33 Daniela Siebe, »Germania docet«. Ausländische Studierende, auswärtige Kulturpolitik und deutsche Universitäten 1870 bis 1933, Husum 2009, S. 291–367, Zitat 298. Vgl. als Konzentrat, im wesentlichen zur Hochschulpolitik, ohne die Fallstudien, auch: Daniela Siebe, »Nattern am Busen der Alma mater«. Ausländische Studierende an deutschen Universitäten 1914–1918, in: Maurer (Hg.), Kollegen, S. 39–53. 34 S. dazu u. Kap. IV.4 und Kap. IV.7. 35 Diesen Begriff definiert der Pionier dieser Forschungen folgendermaßen: »Pfarrer und Theologieprofessoren verkündigten auf Kanzeln und Kathedern das Geschichtshandeln Gottes im Krieg und gaben dem Krieg einen politischen, einen existentiellen und religiösen Sinn.« Günter Brakelmann, Krieg und Gewissen. Otto Baumgarten als Politiker und Theologe im Ersten Weltkrieg, Göttingen 1991, S. 5.
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Tradition und aggressiver Nationalismus.36 Für mehrere Universitäten wurden die Aktivitäten der medizinischen Fakultäten während des Krieges erörtert und daran insbesondere gezeigt, wie auch Mediziner den Krieg bejahten und dem Kampf selbst therapeutischen Charakter zuschrieben, ihn aber außerdem für ihre Forschungen nutzten – bis hin zur Schaffung von Feldprosekturen, wo die Pathologen durch Sektion Tausender Gefallener ein Wissenskorpus über Konstitutionscharaktere und Krankheitsphasen gewannen.37 Auch Biographien einzelner Gelehrter, die in vorbildlicher Weise wissenschaftsgeschichtliche und politisch-weltanschauliche, manchmal auch sozialhistorisch-lebensweltliche Analyse verbinden, bereichern die Erforschung des Ersten Weltkriegs. Doch gelten sie überwiegend Geisteswissenschaftlern – und damit letztlich wieder der Frage der Kriegsdeutung und Kriegspropaganda.38 Gerade in solchen Studien 36 Die Pionierstudie: Günter Brakelmann, Protestantische Kriegstheologie im Ersten Weltkrieg. Reinhold Seeberg als Theologe des deutschen Imperialismus, Bielefeld 1974; zur Vervollständigung von Seebergs Biographie und Theologie, aber ohne spezielle Beschäftigung mit dem Ersten Weltkrieg, s. die Analyse von Friedrich Wilhelm Graf, Reinhold Seeberg, in: Wolf-Dieter Hauschild (Hg.), Profile des Luthertums. Biographien zum 20. Jahrhundert, Bielefeld 1998, S. 617–676. Als Vertreter der liberalen Theologie und Politik stellte Brakelmann diesem Nationalkonservativen später in einer weiteren Monographie den Kieler Otto Baumgarten gegenüber (s. A. 35). Vgl. auch (nicht immer ganz treffend im Kommentar der zahlreichen Zitate): Karl Hammer, Adolf von Harnack und der Erste Weltkrieg, in: Zeitschrift für evangelische Ethik 16 (1972), S. 85–101. Hammers Quellenedition mit historischer und theologisch-systematischer Einleitung in Monographienlänge gilt (unter Einbeziehung des Krieges von 1870/71) fast ganz dem Ersten Weltkrieg und dort insbesondere der Kriegspredigt: Karl Hammer, Deutsche Kriegstheologie (1870–1918), München 1971. Passim kommen, v. a. im darstellenden Teil, auch einige Universitätstheologen vor. 37 Diese Beispiele aus Hans-Georg Hofer, Medizin, Krieg und Politik: Die Freiburger Medizinische Fakultät und der Erste Weltkrieg, in: Martin (Hg.), 550 Jahre Albert-LudwigsUniversität III, S. 166–181. Vgl. auch zu Gießen: Cay-Rüdiger Prüll, Die Fakultät in der Krise: Gießens Universitätsmediziner und der 1. Weltkrieg, in: Ulrike Enke (Hg.), Die Medizinische Fakultät der Universität Gießen: Institutionen, Akteure und Ereignisse von der Gründung 1607 bis ins 20. Jahrhundert, Stuttgart 2007, S. 305–325 (Details daraus u. in Kap. III .4, Kap. IV.2, Kap. IV.5). – Das lange angekündigte Buch über Medizin im Ersten Weltkrieg ist bei Abschluß des Manuskripts zum vorliegenden Buch erschienen: Wolfgang U. Eckart, Medizin und Krieg. Deutschland 1914–1924, Paderborn 2014. Universitäten und Professoren als solche werden darin nicht behandelt und kommen nur vereinzelt als Autoren medizinischer Arbeiten und darin implizierter Anschauungen zu Wort, denn es geht hier um eine »medizinische Gesellschaftsgeschichte des Weltkrieges«, die auch als »Sozial- und Erfahrungsgeschichte« der wichtigsten beteiligten Gruppen verstanden wird (Zitate S. 9, 17). Als »erste grobe Skizze« versucht sie sich gleichwohl an einer »zusammenfassenden Perspektive auf die gesellschaftliche Komplexität des Krieges« (9, 20). 38 S. dazu Stefan Meineke, Friedrich Meinecke. Persönlichkeit und politisches Denken bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, Berlin u. a. 1995; Hans Cymorek, Georg von Below und die deutsche Geschichtswissenschaft um 1900, Stuttgart 1998; Christian Nottmeier, Adolf von Harnack und die deutsche Politik 1890–1930. Eine biographische Studie zum Verhältnis von Protestantismus, Wissenschaft und Politik, Tübingen 2004; Peter Betthausen, Georg Dehio. Ein deutscher Kunsthistoriker, Berlin 2004.
10 Universitäten im Krieg: ein vernachlässigtes Forschungsthema ergibt sich gelegentlich aber eine Fehlinterpretation der (quasi als Hintergrund mitbehandelten) Universitätsgeschichte.39 Die Biographie des Chemikers Fritz Haber dagegen verbindet nicht nur auf außergewöhnlich sorgfältige und aufschlußreiche Weise das Leben des Einzelnen mit der Gesellschafts-, Wissenschafts- und Kriegsgeschichte,40 sondern lenkt mit diesem wohl prominentesten Beispiel den Blick auch darauf, daß die Unterstützung der Kriegführung keineswegs auf die mentale Mobilisierung beschränkt war, welche Geistes- und Sozialwissenschaftler so energisch vorantrieben. Vielmehr leisteten Angehörige verschiedener Fächer ihren je eigenen Beitrag. So förderte Haber die deutsche Kriegführung als Forscher wie als Wissenschaftsorganisator auf entscheidende Weise:41 durch die Ammoniaksynthese und die Entwicklung und Erprobung von Giftgas.42 Universitätsphysiker arbeiteten militärischen Einrichtungen zu.43 Und in Göttingen war in der 1913 der Universität übergebenen Modellversuchsanstalt schon seit Jahren rüstungsrelevante Forschung betrieben worden. Indem er sich im Krieg dann in den Dienst des Militärs stellte, konnte deren Leiter seine Anstalt ausbauen und seine eigenen Forschungspläne auf ungeahnte Weise fördern.44 Hier und anderswo wurden Rüstungsforscher schon bald für die Forschung freigestellt und von der Front aus als Militärangehörige zurück an ihre Institute kommandiert oder von der Industrie angefordert. Ende 1916 wurde sogar eine Kaiser Wilhelm Stiftung für Kriegstechnische Wissenschaften gegründet.45 Manche kriegsrelevanten Forschungsgebiete erfuhren während des Krieges also eine Förderung. In anderen wurde »das in der Friedenszeit erworbene 39 So hält Betthausen, Dehio, die Vorlesungsverzeichnisse für eine Quelle zur tatsächlich stattgefundenen Lehre, während sie eigentlich nur als Absichtserklärungen gelesen werden können (s. dazu u. S. 913 f.; zur Reklamierung der ankündigenden Lehrenden zwischen Druck des Verzeichnisses und Semesterbeginn auch Kap. III .3). 40 Margit Szöllösi-Janze, Fritz Haber 1868–1934. Eine Biographie, München 1998. 41 Demm, »Enzyklopädie Erster Weltkrieg«, S. 444. 42 Szöllösi-Janze, Fritz Haber, S. 270–393. Beleg für zwei Freiburger Wissenschaftler, die sich daran beteiligten, bei Andreas Lehmann, Der kriegswissenschaftliche Einsatz der Freiburger Naturwissenschaftler im Ersten Weltkrieg, in: Martin (Hg.), 550 Jahre AlbertLudwigs-Universität III, S. 182–204, hier 189. 43 Sie arbeiteten z. B. in der Artillerieprüfungskommission, der Torpedoinspektion und (im Physikalischen Institut der Universität Würzburg) an der Produktion von Röhren für die drahtlose Nachrichtenübertragung. Stefan L. Wolff, Zur Situation der deutschen Universitätsphysik während des Ersten Weltkrieges, in: Maurer (Hg.), Kollegen, S. 267–281, hier 273–279. Zur Haltung der Physiker zum Krieg und zum internationalen Austausch: Metzler, Internationale Wissenschaft, S. 85–119. 44 Detlef Busse, Forschung im Krieg – Forschung durch den Krieg. Von der Instrumenta lisierung militärischer Interessen für die Errichtung der Göttinger Modellversuchsanstalt, in: Maurer (Hg.), Kollegen, S. 283–296. 45 S. dazu Helmut Maier, Forschung als Waffe. Rüstungsforschung in der Kaiser-WilhelmGesellschaft und das Kaiser-Wilhelm-Institut für Metallforschung 1900–1945/48. 2 Bde., Göttingen 2007, S. 85–152.
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know-how für die Kriegführung abgeschöpft«.46 Wie groß die Bedeutung solcher Arbeiten für die Kriegsführung insgesamt war, ist noch unbekannt. Einerseits wurde die Einschätzung eines prominenten Zeitgenossen, daß die Physiker »in keiner Weise etwas von größerer Bedeutung für die Kriegsführung geleistet hätten«, trotz der genannten Aktivitäten durch die neuere Forschung bestätigt.47 Andererseits hat die Untersuchung der Naturwissenschaftler einer einzelnen Universität ergeben, daß mehr als die Hälfte von ihnen mit kriegswissenschaftlichen Forschungen beschäftigt war, und zwar je mehr, je länger der Krieg dauerte. Dabei konnten sie auf freundschaftlich-kooperative Be ziehungen zum Militär aus der Vorkriegszeit aufbauen.48 (Daß dafür auch die Vaterländische Hilfsdienstpflicht eine wichtige Rolle gespielt hätte,49 überzeugt allerdings weniger.) Mancherorts konnte sich ein medizinisches Teilfach wie die Orthopädie, die für die »Krüppelfürsorge« so wichtig war, neu etablieren. Deshalb erstaunt es um so mehr, wenn man an der Nachbaruniversität für einen ähnlichen Plan aus der Vorkriegszeit den Krieg nicht nutzte. Und während die eine Universität, an der Kinderheilkunde und Dermatologie noch nicht eigenständig vertreten waren, gerade jetzt den Grund dafür legte, beließ es die Nachbaruniversität bei einer von einem Extraordinarius selbst finanzierten Kinderklinik und errichtete einen Lehrstuhl erst 1933.50 Insgesamt scheinen institutionelle Ver
46 Wettmann, Ruhmvoll verödet?, S. 35. 47 Metzler, Internationale Wissenschaft, S. 88 (mit Zitat aus Wilhelm Wien, Aus dem Leben und Wirken eines Physikers, Leipzig 1930, S. 37). 48 Lehmann, Kriegswissenschaftlicher Einsatz der Freiburger Naturwissenschaftler. Er dokumentiert das aus einer ungedruckten Kriegschronik der Universität und stellt sieben Einsatzfelder vor: Gaskampf, Flugwesen, Meteorologie, Roh- und Ersatzstoffsuche, Kriegsgeologie, Seuchenbekämpfung, Spionageabwehr. 49 Lehmann, Kriegswissenschaftlicher Einsatz der Freiburger Naturwissenschaftler, S. 199 spricht einerseits davon, daß dadurch wohl vor allem der moralische Druck erhöht worden sei, gibt andererseits aber zu bedenken, daß wohl die caritativen und sonstigen Nebentätigkeiten der Dozenten schon genügt hätten. In Wirklichkeit waren die Dozenten aber vom Hilfsdienst befreit – und dafür war nicht ihr sonstiger Kriegseinsatz ausschlaggebend, sondern die eigentliche Funktion der Universität. S. dazu genauer u. Kap. III .5. 50 Zu allen drei Teilfächern in Marburg: Wettmann, Heimatfront Universität, S. 313–317. In Gießen wurde der Plan zum Bau einer Orthopädischen Klinik, der 1914 fertig war, im Krieg nicht umgesetzt, und der Verein für Krüppelfürsorge stellte noch 1922 vergeblich einen Antrag an die Medizinische Fakultät zur Errichtung eines Lehrstuhls. Georg Herzog (Red.), Zur Geschichte der Akademie für Medizinische Forschung und Fortbildung, in: Ludwigs-Universität. Justus-Liebig-Hochschule. 1607–1957. Festschrift zur 350-Jahrfeier, Gießen 1957, S. 31–95, hier 77 (Karlheinz Idelberger). Zur Kinderklinik: Cay-Rüdiger Prüll, Die Medizinische Fakultät an der Schwelle zum 20. Jahrhundert – Neuorientierungen und Neuberufungen, in: Enke (Hg.), Medizinische Fakultät Gießen, S. 235–250, hier 246.
12 Universitäten im Krieg: ein vernachlässigtes Forschungsthema änderung oder gar Wachstum der universitären Forschung während des Krieges eher stagniert zu haben.51 Noch weniger beachtet als diese fach- oder problemorientierten Leistungen wurde bisher die Beteiligung der einzelnen Dozenten an der Kriegführung. In einem Fall, in dem solcher Kriegsdienst für eine Universität zahlenmäßig genau dokumentiert ist, werden daraus sogar Schlüsse gezogen, die auf einem grundsätzlichen Irrtum beruhen.52 Die Tätigkeiten von Medizinern, Nationalökonomen, Juristen an der Front, in der Besatzungsverwaltung und in der Heimat53 waren zwar weniger spektakulär als Giftgas und »wissenschaftliche Aeronautik«54 – doch ohne sie hätte der Krieg nicht so lange geführt werden können. Die militärische Verwendung meinte ja keinesfalls immer Einsatz in der kämpfenden Truppe oder in Garnisonen der Etappe oder der Heimat, sondern auch Aufgaben, die Hochschullehrer zwar in der Armee oder für sie, aber unter Anwendung ihrer Fähigkeiten als Experten ausübten. Dieser Kriegseinsatz aber ist bisher nicht genauer untersucht. Andererseits fehlen für die Studentenschaft, deren militärischer Einsatz und überproportionale Gefallenenrate – im Gegensatz etwa zu den Mythen über bei Langemarck mit dem Deutschlandlied auf den Lippen in den Tod gegangenen Studentenregimentern55 – auch wissenschaftlich gesichert ist, genauere Unter51 Wettmann, Ruhmvoll verödet?, S. 35. Dokumentiert ist das eingehend aber nur für Marburg. Doch deuten gerade die unterlassenen Bemühungen in Gießen in dieselbe Richtung. 52 S. die Tabelle bei Wettmann, Heimatfront Universität, S. 503 und ihre Interpretation, daß der Kriegsdienst der übrigen bedeutet hätte, daß nur vier von 42 Professoren der Medizinischen Fakultät anwesend gewesen wären. Wie unten gezeigt wird, verbanden viele Mediziner die medizinische Verwendung in der Armee (in Lazaretten vor Ort oder auch als Konsultanten) mit der Fortsetzung der Lehre. 53 Siehe u. Kap. III .3 und Kap. III .4. 54 So die Bezeichnung für den entsprechenden Lehrauftrag des Leiters Ludwig Prandtl an der Universität Göttingen ab 1909 (Busse, Forschung im Krieg, S. 285). 55 Konrad H. Jarausch, Deutsche Studenten 1800–1970, Frankfurt a. M. 1984, S. 109. Zur Auflösung des Langemarck-Mythos s. als prägnante Kurzinformation Bernd Hüppauf, in: Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz/Markus Pöhlmann (Hg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn u. a. 2003, S. 671 f. (s. v.). Laut Heeresbericht »brachen [dort] junge Regimenter unter dem Gesange ›Deutschland, Deutschland über alles‹ gegen die erste Linie der feindlichen Stellungen vor und nahmen sie« (langer Auszug aus dem Heeresbericht bei Karl Unruh, Langemarck. Legende und Wirklichkeit, Koblenz 1986, S. 9). Als Beschreibung des rauschhaften Singens und Vorwärtsstürmens unter Mißachtung jeder Gefahr s. den Bericht von stud. phil. [-] Grünwald, Das Berliner Studentenregiment bei Ypern, innerhalb des Artikels: Gedenkfeier für die gefallenen Akademiker Groß-Berlins, in: Deutsche Akademische Zeitschrift 1 (1919), S. 182–195, hier 192. Demnach bestand die »R. J. D. 43« [Reserve-Infanterie-Division?] »zu 80 % aus Berliner Akademikern« (191). (In der ersten Flandern-Schlacht kämpfte die 43. Reserve-Division.) Statistische Überprüfung des Mythos von den studentischen Freiwilligen bei Unruh, Langemarck, S. 61–68. Zu zeitgenössischen Bezugnahmen auf Langemarck in den Universitäten s. u. S. 657 f. (Weihnachten 1914) sowie 1088 (1917).
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suchungen über das Engagement der zum Militärdienst nicht Tauglichen und insbesondere der studierenden Frauen.56 Die gesetzliche Pflicht der Männer als Staatsbürger, durch Militär- oder (ab 1917) Vaterländischen Hilfsdienst zu den Kriegsanstrengungen beizutragen, aber auch die kaum schwächere moralischpatriotische Verpflichtung der Frauen rücken – zusammen mit der starken Außenbestimmung durch diese und weitere Kriegsumstände – die Frage ins Zentrum, wie die Universität als Teil der Gesamtgesellschaft am Krieg teilnahm und von ihm betroffen war.
Universitätsgeschichte als Gesellschaftsgeschichte: Aspekte und Fragestellungen Die Geschichte der Universitäten wird hier also nicht als Verfassungsgeschichte der Institution (entlang der Veränderung ihrer Statuten) und nicht als Wissenschaftsgeschichte erkundet, sondern als Gesellschaftsgeschichte. Das meint zunächst die Sozialgeschichte im herkömmlichen Sinn – also die Geschichte verschiedener gesellschaftlicher Gruppen – und darüber hinaus jene Perspektive auf die Geschichte schlechthin, die diese nicht mehr vom Staat, sondern von der Gesellschaft her in den Blick nimmt.57 Die Untersuchung geht also von jenen Gruppen aus, die seit dem Mittelalter zusammen die Universität bildeten: Studierenden und Lehrenden. Dieses letztlich korporative Selbstverständnis der universitas magistrorum et scholarium dominierte auch noch im Ersten Weltkrieg, obwohl einigen neueren Satzungen zufolge die Universität aus Dozenten, immatrikulierten Studenten sowie den »zur Geschäftsführung der Universität und zur Verwaltung ihrer Institute nötigen Beamten und Unterbeamten« bestand.58 Doch obwohl letztere (im Unterschied zum technischen Personal!) 56 Zu den Studentinnen im Krieg s. aber Marianne Koerner, Auf fremdem Terrain. Studienund Alltagserfahrungen von Studentinnen 1900 bis 1918, Bonn 1997, S. 289–413; Trude Maurer, Der Krieg als Chance? Frauen im Streben nach Gleichberechtigung an deutschen Universitäten 1914–1918, in: JUG 6 (2003), S. 107–138; Trude Maurer, »Studierende Damen«: Kommilitoninnen oder Konkurrentinnen?, in: Marc Zirlewagen (Hg.), »Wir siegen oder fallen!« Deutsche Studenten im Ersten Weltkrieg, Köln 2008, S. 75–92. Bes. hinsichtlich des Vaterländischen Hilfsdienstes (einschließlich des Einsatzes von Frauen in der Etappe) geht die vorliegende Untersuchung über diese Arbeiten hinaus (zur Kritik an Koerner s. bes. u. S. 517 A. 190 und 645 A. 493). 57 Vgl. eine ähnliche Beobachtung zur Veränderung der Perspektiven in der Wissenschaftsgeschichte bei Jürgen Büschenfeld/Heike Franz/Frank-Michael Kuhlemann (Hg.), Wissenschaftsgeschichte heute. Festschrift für Peter Lundgreen, Bielefeld 2001, S. 7. 58 Zitat: Statut für die Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg vom 24. Februar 1875 [in der Fassung von 1903], Straßburg 1904, S. 1 (§ 1). Ähnlich: Statuten der Universität zu Berlin, Berlin o. J. [1816], Teil I, § 3. In den Gießener Satzungen findet sich dagegen keine Definition; dort kommen nicht einmal die Beamten vor: Satzungen der Universität Gießen. Erster Teil, Gießen o. J. [1908; unpag. Konvolut], darin: Statut über die Organisation
14 Universitäten im Krieg: ein vernachlässigtes Forschungsthema mindestens in diesen jüngeren Gründungen als Teil der Universität galten, wurden doch beide Gruppen nicht als deren ›Mitglieder‹ betrachtet; denn bei den Universitäten handelte es sich um »in hohem Maße historisch sedimentierte Institutionen«, in denen sich trotz ihres ständigen Wandels und wiederholter Reform alte Traditionen quasi abgelagert hatten.59 Das traditionelle Selbstverständnis schlug sich übrigens nicht nur in zeitgenössischen Äußerungen und sogar in den Jahresberichten der Rektoren nieder, in welchen das technische und Verwaltungspersonal kaum erwähnt wurde, sondern wirkt sich noch heute in universitätshistorischen Darstellungen aus.60 In der zweiten, umfassenderen Bedeutung meint Gesellschaftsgeschichte der Universität, daß die Institution und dieser traditionell definierte Personen verband als Teil der Gesamtgesellschaft und in Wechselwirkung mit ihr (und ihrer Entwicklung) betrachtet werden. Herkömmlich war dieses Verhältnis von der herausgehobenen Position der Gebildeten generell sowie dem Führungs anspruch der Akademiker und insbesondere der Gelehrten geprägt. Der 1908 verstorbene Pädagoge und Bildungshistoriker Friedrich Paulsen hatte die Universitäten für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts in ihrer Gesamtheit zu einem »nationalen Institut« erklärt, in dem das Volk mangels nationaler politischer Institutionen auch seine »nationale Selbstdarstellung« erblickt habe. Besonders deutlich artikulierte Paulsen die den Universitäten zugedachte geistige Führung.61 Auch in Deutschland kam ihnen (wie in Ostmitteleuropa oder etwa Belgien) eine wichtige Rolle in der nationalen Bewegung zu.62 Zwar waren
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der Landesuniversität Gießen [1879]. Allerdings behandelt das Statut nur die Gremien und den Lehrkörper; dasselbe gilt für die Neufassung 1911 (Satzungen der Universität Gießen. Erster Teil. Nr. 1: Verfassung der Landes-Universität Gießen, o. O. o. J. [Gießen 1911]). Für die Studenten gab es in Gießen den Teil 2 der Satzungen. Beide Teile jeweils mit dem eigentlichen Verfassungstext sowie diversen Geschäftsordnungen, Ferienordnung, Urlaubsordnung etc. Der Begriff der »historischen Sedimentierung« als »Ablagerung von Traditionen in Normen, Werten und Ritualen der Institutionen« nach Hans-Werner Prahl, Sozialgeschichte des Hochschulwesens, München 1978, S. 10 und 355 A. 3 (Zitat). Letzteres konstatiert auch Sylvia Paletschek, Stand und Perspektiven der neueren Uni versitätsgeschichte, in: NTM 19 (2011), S. 169–189, hier 177 f. »Die einheitliche Gesamtheit unserer Universitäten steht in der ersten Hälfte des Jahrhunderts als das große nationale Institut da. Zu ihnen blickte das deutsche Volk auf, um sich von dorther seine Gedanken über Gott und Welt, über Staat und Kirche, über N atur und Geschichte formen zu lassen. Nach ihnen blickte es auch als nach seiner nationalen Selbstdarstellung, da es solche in politischen Institutionen nicht fand.« Friedrich Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts (….). Bd. II. 3. erw. Aufl., hg. und (…) fort gesetzt von Rudolf Lehmann, Berlin u. a. 1921, S. 265. Das berühmteste Beispiel ist natürlich die Teilung der Prager Universität 1882, aber auch die (rumänische und ukrainische) Nationalisierung der 1875 als supranational-österreichische gegründeten Universität Czernowitz binnen kurzer Zeit, die Polonisierung der Universität Lemberg oder die Vlamisierung der zuvor französischsprachigen Universität Gent. Zu Prag und Czernowitz s. Trude Maurer, National oder supranational? Prag
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Professoren nach der Reichsgründung dann wesentlich geringer in Parlamenten vertreten, darum aber nicht unpolitisch; denn sie engagierten sich öffentlich, sowohl publizistisch als auch in Verbänden. Und sie beanspruchten, wenn auch nicht die politische Führung, so doch die Deutungshoheit bezüglich des Zeitgeschehens. Dabei stützten sich diese »Gelehrtenpolitiker« insbesondere auf ihre fachliche Expertise und erhoben den Anspruch der Überparteilichkeit.63 Dem frühneuzeitlichen ›Gelehrtenstand‹ standen die Professoren des Kaiserreichs zwar schon ziemlich fern; denn die Absonderung in »bewußter Vornehmheit« war einer gewissen Annäherung an die Gesamtgesellschaft gewichen.64 Doch wenn im Kaiserreich manchmal von einem »Berufsstand« die Rede war, spiegelten sich darin noch die Widersprüche des Übergangs zur modernen Hochschullehrerschaft: Es handelte sich um eine akademische Elite, die ihren Beruf in protestantischer Tradition als Berufung verstand, gleichzeitig die Professionalisierung ihrer Forschungs- und Lehrtätigkeit vorantrieb – und doch »einem ständisch verwurzelten Verfassungssystem korporationsrechtlich und mental verhaftet« blieb.65 Durch die starke Außenbestimmung im Krieg, die veränderten Prioritäten und die neue Hierarchie der Werte wurde das Verhältnis von Universität (insund Czernowitz – zwei deutsche Universitäten in Ostmitteleuropa (1875/1882–1914), in: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 49 (2000), S. 341–382; zu Berlin jetzt Sven Haase, Berliner Universität und Nationalgedanke 1800–1848. Genese einer politischen Idee, Stuttgart 2012. Nur allgemeine Beobachtung ohne Beispiele und Literatur auch bei Paletschek, Stand und Perspektiven der Universitätsgeschichte, S. 178. 63 Klaus Schwabe, Einführende Bemerkungen: Rahmenbedingungen und Selbstdeutung des beruflichen Wirkens deutscher Gelehrter, in: Klaus Schwabe (Hg.), Deutsche Hochschullehrer als Elite 1815–1945, Boppard 1988, S. 9–25, hier 16–19; Rüdiger vom Bruch, Professoren im Deutschen (!) Kaiserreich [1993], in: Rüdiger vom Bruch, Gelehrten politik, Sozialwissenschaften und akademische Diskurse in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, hg. von Björn Hofmeister und Hans-Christoph Liess, Stuttgart 2006, S. 11–25, hier 21–23. 64 S. dazu, wiederum schon durch die Formulierungen aufschlußreich, die Fortsetzung von Paulsens Standardwerk für 1892–1914 durch den Hg. der 3. Aufl.: »Waren sie bis tief ins 19. Jahrhundert hinein eine Welt für sich, durch äußere Formen, aber auch durch ihren Geist und ihre Interessen von dem Volksganzen in bewußter Vornehmheit abgesondert, so vollzog sich mit der zweiten Hälfte des Jahrhunderts eine sichtbare Annäherung. Die Demokratisierung der Bildung, einer der hervorragendsten Züge dieser Epoche, machte sich fühlbar. Die Hochschule hatte bis dahin eigentlich nur eine mittelbare Wirkung auf das Volksleben ausgeübt dadurch, daß sie Beamten und sonstigen akademischen Berufen ihre Vorbildung gab. Jetzt trat vielfach eine unmittelbare Berührung ein, der Abstand zwischen Hochschule und Leben wurde zusehends geringer.« Rudolf Lehmann, Der gelehrte Unterricht bis zum Weltkrieg. 1892–1914, in: Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts II, S. 695–797, zu den Universitäten 695–715, hier 697. 65 vom Bruch, Professoren im Kaiserreich, Zitat (und gekürzt paraphrasierte Passage) S. 12. S. auch: Christian Jansen, Vom Gelehrten zum Beamten. Karriereverläufe und soziale Lage der Heidelberger Hochschullehrer 1914–1933, Heidelberg 1992.
16 Universitäten im Krieg: ein vernachlässigtes Forschungsthema besondere Professorenschaft) und Gesellschaft einer schweren Prüfung unter zogen. In der folgenden Untersuchung geht es also zum einen darum, wie sich die Mitglieder der Universität als Teil der Gesellschaft an der unmittelbaren Kriegführung beteiligten oder zu deren mittelbarer Unterstützung engagierten, zum anderen darum, wie sich ihre Stellung in der Gesellschaft und ihr herkömmlicher Führungsanspruch in der neuen Situation veränderten. Einzelne Professoren dienten sogar als einfache Soldaten, und manche übernahmen als nicht Militärdienstfähige praktische Aufgaben in der Heimat, die ihrer Qualifikation und ihrem sozialen Rang mitnichten entsprachen.66 Ihr spezifi scher Beitrag bestand allerdings, ihrer früheren Auffassung von ihrer Rolle in der Gesellschaft entsprechend, in der Kriegsdeutung und Gesinnungsbildung. Daher ist auch dieser freiwillige Einsatz zu untersuchen, der über die berühmten, ans Ausland adressierten Manifeste und an die eigene Regierung gerichteten Kriegszieladressen hinaus eine gesellschaftliche Breitenwirkung anstrebte.67 Dabei ergab sich ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen der Pflege der Wissenschaft (in Studium, Lehre und Forschung) als der eigentlichen Aufgabe der Universität und dem Kriegsengagement ihrer Mitglieder. Bei dessen Erörterung geht es nicht nur um aktuelle und praktische Prioritäten, sondern auch um eine mögliche Neubewertung bzw. Umwertung. Bei alledem ist zu klären, inwieweit die Mitglieder der Universität von sich aus handelten oder auf Aufforderung von außen. Erstreckte der Staat die quasi totale Mobilisierung (wie sie für Männer ja spätestens Ende 1916 mit dem Gesetz über den Vaterländischen Hilfsdienst zur Norm wurde68) auch auf die Universitätsmitglieder, oder mobilisierten diese sich selbst (und andere dazu)? Aufgrund der prinzipiellen Gleichheit der wehrpflichtigen Männer als Staatsbürger stellt sich auch die Frage, ob der gemeinsame Militärdienst von Professoren, Studenten und anderen Soldaten sowie die Übernahme praktischer Tätigkeiten in der Heimat eine Egalisierung bewirkten. Im Krieg wurde zudem die neue Vorstellung einer Parteien und Stände überwölbenden ›Volksgemeinschaft‹ zum parteiübergreifend und gerade auch von Intellektuellen propagierten Leitbegriff,69 den etwa Friedrich Meinecke ganz selbstverständlich 66 67 68 69
S. dazu u. Kap. III .3 und Kap. III .4. S. dazu u. Kap. III .1 und Kap. III .6. S. dazu u. Kap. III .5. Allerdings verbargen sich dahinter durchaus unterschiedliche inhaltliche Vorstellungen, so daß die Nationalsozialisten ihn nach dem Zerfall des Konsens in den zwanziger Jahren auf seine völkisch-mythische Variante reduzieren konnten. Gunther Mai, »Verteidigungskrieg« und »Volksgemeinschaft«. Staatliche Selbstbehauptung, nationale Solidarität und soziale Befreiung in Deutschland in der Zeit des Ersten Weltkrieges (1900–1925), in: Wolfgang Michalka (Hg.), Der Erste Weltkrieg. Wirkung – Wahrnehmung – Analyse, München etc. 1994, S. 583–602, hier 590–595; Jeffrey Verhey, Der »Geist von 1914« und die Erfindung der Volksgemeinschaft, Hamburg 2000, S. 16 f., 217–219, 346–355.
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gebrauchte.70 Daher sind die Beziehungen der Universitätsmitglieder zur Gesamtgesellschaft auch an diesem Konzept zu messen. Integrierten sich Professoren und Studenten selbst in die ›Volksgemeinschaft‹ – und falls ja: Was bedeutete das für ihren bisherigen Führungsanspruch? Allerdings waren die Universitäten nicht nur durch die ihnen angehörenden Personen (als Teil der Gesamtbevölkerung), sondern auch durch ihre Bildungsund Ausbildungsfunktion sowie die Produktion von Wissen mit der Gesellschaft verbunden bzw. verschränkt.71 Daher sind als zweiter Komplex die Rückwirkungen des Krieges auf das Funktionieren der Universität zu untersuchen. Dabei muß die Wissenschaftsgeschichte hier allerdings ausgespart bleiben; und das nicht nur, weil sie aufgrund der zu berücksichtigenden Fächervielfalt die Möglichkeiten einer Sozial- und Kulturhistorikerin (und wohl auch eines einzelnen Wissenschaftshistorikers) übersteigt,72 sondern auch, weil sich binnen so weniger Jahre kaum ein fundamentaler Wandel vollziehen konnte. Zudem wurde wissenschaftliche Innovation auch durch Personalmangel und finanzielle Engpässe erschwert. Zu untersuchen ist daher, wie sich Lehre und Studium unter den Bedingungen des Krieges veränderten. Dafür gilt es zunächst einmal, die – während des Krieges ständig fluktuierende – Zusammensetzung der beiden Gruppen zu prüfen; denn durch den Militärdienst eines großen Teils der Studentenschaft verkleinerte sich die Gruppe der tatsächlich anwesenden Studierenden nicht nur, sondern sie erhielt auch ein anderes Profil, da nun Frauen, die bislang eine Randgruppe gewesen waren, einen beträchtlichen Anteil stellten. Mit zunehmender Dauer des Krieges kehrten aber auch Männer aus dem Feld zurück – als Verwundete oder zum Abschluß ihres Studiums Beurlaubte. Gleich zu Beginn wurde die Studentenschaft durch Ausschluß der ›feindlichen Ausländer‹ kulturell (bzw. national) homogener. Im Lehrkörper kam es, obwohl aufgrund der Altersstruktur nur ein kleiner Teil eingezogen wurde (und sich manche anderen freiwillig meldeten), doch mancherorts zu einem Dozentenmangel. Außerdem erschwerte der Krieg die Neubesetzung vakanter Stellen, etwa durch unterbliebene Habilitationen, z. T. aber auch durch die lokalspezifischen Verhältnisse. Und ebenso wie für die Studentenschaft stellt sich auch hier die Frage nach dem Umgang mit ausländischen Mitgliedern.
70 S. als Beispiel das Zitat aus einem Brief von 1918 u. S. 617 f. in A.372. 71 Nach Paletschek, Stand und Perspektiven der Universitätsgeschichte, S. 173. 72 Fordham, Universities, S. 270–275 stellt unter der Überschrift Innovation auf fünfeinhalb Seiten die Veränderung akademischen Forschens für drei Universitäten dar und schließt daraus auf die »absolute Schlüsselrolle der Universitätswissenschaft für die Kriegs anstrengungen« (S. 273). Doch selbst wenn man ihren weiten Begriff von universities (für alle Hochschulen, auch THs, grandes écoles, Institute etc.) akzeptiert, scheint das Urteil durch ihre Beispielreihe nicht hinreichend substantiiert.
18 Universitäten im Krieg: ein vernachlässigtes Forschungsthema Noch früher als auf die Lehre wirkte sich der Krieg auf das Prüfungswesen aus; denn um Einrückenden oder Abreisenden noch einen Abschluß des Studiums (bzw. der Gymnasialzeit) zu ermöglichen, wurden »Notprüfungen« ein geführt. Im weiteren Verlauf des Krieges stellte sich dann aus praktischen Gründen die Frage nach gewissen Änderungen des Promotionsverfahrens – was für eine »historisch sedimentierte« Institution keine reine Äußerlichkeit bedeutete. Außerdem wurde den Studenten-Soldaten, um sie gegenüber den ›Daheim gebliebenen‹ nicht zu weit zurückfallen zu lassen, ein Teil ihres Kriegsdienstes auf die Mindeststudienzeit angerechnet. Mit wachsender Kriegsdauer stellte sich dann aber auch die Frage der Prüfungstauglichkeit der dem Studium Entwöhnten. Diese Situation wurde ihnen nicht nur durch faktische Rücksichtnahme, sondern auch durch konkrete Hilfe erleichtert. Insgesamt erörtert dieser Teil der folgenden Untersuchung anhand der veränderten Zulassungsbedingungen, verkürzten Studiengänge und Prüfungserleichterungen das Verhältnis von akademischen Anforderungen, militärischem Einsatz und poli tischen Rahmenbedingungen. Bezüglich der Lehre ist zusätzlich zu den neuen Veranstaltungsformen für Kriegsteilnehmer vor Ort, aber insbesondere in der Etappe,73 auch nach mög lichen inhaltlichen Veränderungen unter dem Einfluß des Krieges zu fragen. Da das in den einzelnen Veranstaltungen Vorgetragene nicht zu eruieren ist, geht es in erster Linie um eine Überprüfung des thematischen Angebots. Wenn die staatliche Kultusverwaltung »keinen nennenswerten Einfluß« ausübte, um die Lehrinhalte an Kriegsfragen anzupassen,74 macht das alle Beobachtungen dazu aber um so aussagekräftiger bezüglich der Haltung der Dozenten bzw. der Erwartungen der Hörer. Und in der zweiten Kriegshälfte veranlaßten die preußischen Behörden die Universitäten dann reichsweit, sich Gedanken über einen neuen interdisziplinären Schwerpunkt, die sog. Auslandsstudien, zu machen.75 Das mußte bei Gelehrten, die die Erklärung der ›Welt‹ und insbesondere des Krieges für ihre Aufgabe hielten, auf Resonanz stoßen. Der entbehrungsreiche und gefahrvolle Einsatz (vor allem der Studenten) im Feld und die insgesamt verbesserte Betreuungsrelation veränderten auch die Beziehungen innerhalb der Universität: zwischen Lehrenden und Studierenden, zwischen Kriegsdienstpflichtigen und vom Kriegsdienst Verschonten bzw. Ausgeschlossenen, auch zwischen Studenten und den erst wenige Jahre zuvor zur Immatrikulation zugelassenen Studentinnen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob es innerhalb der universitas eine ›Volksgemeinschaft‹ zwischen den Mitgliedern, den Verwaltungsbeamten und dem sonstigen Personal gab.
73 Siehe dazu u. Kap. IV.6. 74 So über Preußen Wettmann, Heimatfront Universität, S. 142, 251 (Zitat). 75 S. dazu u. Kap. IV.5.
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Schließlich ist auch die kulturhistorische Dimension einzubeziehen; denn regelmäßige und einmalige Feiern zu akademischen wie nationalen Anlässen – Rektoratswechsel, Kaisergeburtstag und Jubiläen – dienten der Selbstdarstellung und Selbstvergewisserung der Universität. Die Themenwahl der wissenschaftlichen Vorträge und ihre patriotische Umrahmung sowie die Deutungsperspektive bei den Feiern zu Bismarcks 100. Geburtstag und zur Vierhundertjahrfeier der Reformation geben Aufschluß über die Haltung der Professorenschaft (welche die Redner stellte) zum Krieg und zu der Gesellschaft, die ihn führte. Auskunft darüber geben schließlich auch die Würdigung des Kriegseinsatzes durch Ehrenpromotion und das Gedenken an die Gefallenen aus der eigenen Gemeinschaft.76 Dabei wirft erstere zusätzliches Licht auf die Veränderung der Rangordnung von wissenschaftlicher und nichtwissenschaftlicher Leistung, letztere bringt die Frage nach der inneruniversitären ›Volks gemeinschaft‹ auf den Punkt. Indem der Kriegseinsatz von Lehrenden und Studierenden sowie die eigentliche Arbeit der Universität vor Ort untersucht werden, können das Funktionieren der Institution im Krieg dargestellt und die Veränderung der sozialen Beziehungen analysiert werden: innerhalb der universitas sowie zwischen ihr und der Gesamtgesellschaft.
Der vergleichende Ansatz: die ausgewählten Universitäten »Jede Universität, auch die kleinste, kennzeichnen Besonderheiten und ein ganz spezifisches, unverwechselbares Profil, resultierend aus den bisherigen Traditionslinien, der räumlichen Lage, dem disziplinären Zuschnitt und je spezifischen Personenkonstellationen in Vergangenheit und Gegenwart.«77 Deshalb müßte man, um ›die‹ deutschen Universitäten im Ersten Weltkrieg zu beurteilen, eigentlich alle betrachten. Keinesfalls ist es legitim, die Ergebnisse der Untersuchung einer einzelnen zu verallgemeinern. Aber auch eine Generalisierung auf der Grundlage der bereits vorliegenden Studien ist nicht möglich, weil diese (ganz abgesehen von der an den verschiedenen Universitäten unterschiedlich geführten Statistik) so unterschiedlich zugeschnitten und daher nicht konsequent vergleichbar sind. Deshalb werden im folgenden entsprechend dem oben skizzierten Fragenkatalog drei Universitäten vergleichend untersucht. Diese sollten möglichst jeweils für einen Typ stehen und sich insbesondere bezüglich der Situation im Krieg deutlich unterscheiden. Zur Bestimmung des Typs kommen verschiedene, in der universitätshistorischen Literatur benutzte Klassi fizierungen in Frage: Häufig wird nach Größe (d. h. vor allem Studentenzahl) 76 Zu alledem s. Kap. IV.8. 77 Paletschek, Stand und Perspektiven der Universitätsgeschichte, S. 179 (Casus angepaßt).
20 Universitäten im Krieg: ein vernachlässigtes Forschungsthema unterschieden in Kleinstuniversitäten wie Gießen und Kiel, mittlere wie Göttingen und Heidelberg, Großuniversitäten wie Berlin und München. Im Wettbewerb untereinander bildete sich daraus letztlich eine Rangfolge aus. Das deutsche Universitätssystem war also ein Konkurrenzsystem.78 Und innerhalb dieses Systems lassen sich dann, quasi als Karrierestufen für Lehrende, Einstiegs-, Aufstiegs- und Endstationsuniversitäten unterscheiden.79 Doch auch das Umfeld ist von großer Bedeutung für die Untersuchung des Verhältnisses von Universität und Gesellschaft. Daher sind also auch Lage, Größe und Struktur der Stadt zu bedenken. Danach, vor allem aber mit Blick auf den Krieg, lassen sich Hauptstadt, Provinz und Grenze unterscheiden. Die Universität Berlin zeichnete sich, als Hauptstadt nicht nur des größten Bundesstaats, sondern zugleich des Deutschen Reichs, neben ihrem reichen Kultur angebot durch die lokale Nähe zur Zentrale der Macht, aber auch ihre direkten Kontakte dorthin aus.80 Das galt sowohl für das preußische Kultusministerium, als vorgesetzte Behörde der Universitäten, als auch für die Reichsinstitutionen, denen die Entscheidungen über die Kriegführung oblagen. Es ist sogar die These vertreten worden, daß die deutsche und insbesondere die Berliner Wissenschaft im Kaiserreich nicht nur mit den sozialen und politischen Problemen der Zeit eng verflochten gewesen sei, sondern »gleichsam Verfassungsrang« erworben habe.81 Im Deutschen Reich war Berlin die Endstation einer Professorenkarriere und ihrem Selbstverständnis zufolge die deutsche Nationaluniversität. Grenzräume werden vor allem als Konfliktzonen wahrgenommen, und im Krieg waren sie das in den an Gegnerstaaten angrenzenden Gebieten ja auch ganz unmittelbar als Aufmarsch- oder gar Kampfgebiet. Doch konnten sie, v. a. in Friedenszeiten, auch »gewollt oder ungewollt – zugleich Vermittlungszonen werden«.82 In Deutschland waren drei Universitäten an der Grenze in besonderer Weise vom Ersten Weltkrieg betroffen: Königsberg, wo schon am 2. August 78 Rainer A. Müller, Genese, Methoden und Tendenzen der allgemeinen deutschen Universitätsgeschichte, in: Mensch – Wissenschaft – Magie. Mitteilungen der Österreichischen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte 20 (2000), S. 181–202, hier 194 (im Anschluß an Marita Baumgarten). 79 Marita Baumgarten, Professoren- und Universitätsprofile im Humboldt’schen Modell des 19. Jahrhunderts, in: Christoph Schwinges (Hg.), Humboldt International. Der Export des deutschen Universitätsmodells im 19. und 20. Jahrhundert, Basel 2001, S. 105–130, hier 108. S. dazu auch u. S. 88, 94 und 200. 80 S. dazu u. Kap. II.1. 81 Rüdiger vom Bruch, Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin. Vom Modell »Humboldt« zur Humboldt-Universität 1810–1949, in: Alexander Demandt (Hg.), Stätten des Geistes. Große Universitäten Europas von der Antike bis zur Gegenwart, Köln u. a. 1999, S. 257–278, Zitat 259. 82 Zitat: Rainer Hudemann, Nationale Konflikte und urbaner Modernisierungstransfer. Strasbourg/Straßburg als Paradigma, in: Christoph Cornelißen/Stefan Fisch/Annette Maas, Grenzstadt Straßburg. Stadtplanung, kommunale Wohnungspolitik und Öffentlichkeit 1870–1940, St. Ingbert 1997, S. 7–20, hier 9.
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einzelne Professoren mit ihren Familien die Stadt verließen und ab dem russischen Einmarsch in Ostpreußen eine Absetzbewegung begann (die allerdings mit dem Sieg bei Tannenberg bereits wieder obsolet wurde);83 Freiburg, das während des Krieges 25 Fliegerangriffe erlebte und angesichts dieses Risikos bis Sommer 1915 von einer mittleren zur zweitkleinsten Universität Deutschlands schrumpfte,84 und Straßburg, das im einzigen Gebiet des Reiches lag, in dem während des gesamten Krieges gekämpft wurde: Über Nacht war das Elsaß »zum Einmarschgebiet der französischen Truppen geworden, zum Aufmarsch-, Operations- und Etappengebiet des deutschen Heeres«.85 In Straßburg war 1872 wieder eine deutsche Universität errichtet worden. Direkt dem Reich unterstellt, war dies die erste nichtregionale Universität im deutschen, durch Dezentralisierung und regionale Besonderheiten gekennzeichneten Universitätssystem.86 Durch Förderung der Wissenschaft (und damit auch des deutschen Ansehens) sollte sie helfen, das 1870 (›zurück‹-)eroberte Elsaß in das neugeschaffene Reich zu integrieren. In einer kulturell gemischten Bevölkerung war ihr also eine besondere nationale Aufgabe zugewiesen worden; und auch wenn der Begriff als offizieller nur in die Epoche des Nationalsozialismus gehört, verstand sie sich selbst als Reichsuniversität und kann quasi als zweite deutsche National universität gelten. Tatsächlich wurde im Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg aber eine doppelte kulturelle Bindung des Elsaß und damit auch eine Mittlerfunktion der Universität ins Auge gefaßt.87 Mit dem Krieg wurde die Zugehörigkeit des Landes zum Deutschen Reich und damit zugleich die Zukunft der Universität wieder ungewiß. Der Größe nach eine mittlere Universität, für Lehrende eine Aufstiegsuniversität, war Straßburg (als jüngste Gründung) der Ausstattung nach eine Spitzenuniversität. Als Provinz-Universität kämen alle kleinen in Frage. Doch sollte die hier zu untersuchende im Landesinnern liegen, um den Provinzcharakter klar von grenzbedingten Problemen unterscheiden zu können. Die Wahl Gießens als kleine, auch innerhalb des Großherzogtums Hessen-Darmstadt relativ abseits gelegene und – auf das deutsche Gesamtsystem bezogen – Einstiegsuniversität erfüllt nicht nur diese Bedingungen, sondern kann außerdem der üblichen Verallgemeinerung von der preußischen auf die deutsche Entwicklung entgegen83 Tilitzki, Albertus-Universität Königsberg, S. 406 f. mit A. 1929. 84 Chickering, Die Universität im Krieg, S. 153. 85 Nützlicher Überblick: Daniel Mollenhauer, Elsaß-Lothringen, in: Hirschfeld u. a. (Hg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, S. 454–456. Zitat: Das Elsass von 1870–1932. Hg. im Auftrage der Freunde des † Abbé Dr. Haegy von J. Rossé, M. Stürmel, A. Bleicher, F. Deiber, J. Keppi. 4 Bde., Colmar o. J. [1936], hier Bd. I: Politische Geschichte, S. 269. 86 Dieser Gesichtspunkt im Anschluß an Christian Bonah, Une université internationale malgré elle, in: Elisabeth Crawford/Josiane Ohlff-Nathan (Hg.), La science sous influence. L’université de Strasbourg enjeu des conflits franco-allemands 1872–1945, Strasbourg 2005, S. 29–35, hier 31. 87 S. dazu u. I-6.
22 Universitäten im Krieg: ein vernachlässigtes Forschungsthema wirken. Zugleich bietet sich hier aber ein Vergleich mit der nahegelegenen preußischen Universität Marburg an, die für die Zeit des Ersten Weltkriegs von allen deutschen Universitäten am genauesten erforscht ist. Über alle drei Universitäten liegen inzwischen kürzere, ganz unterschiedlich konzipierte Texte zum Ersten Weltkrieg vor;88 doch fördert intensives Quellenstudium nicht nur zusätzliche Informationen zutage, sondern bietet sogar für Bekanntes manche neue (oder erstmalige) Interpretation. So wird nicht nur das Wissen über Universitäten im Krieg erweitert, sondern durch den konsequent durchgeführten Vergleich auch das Profil der einzelnen Universitäten und der Blick auf die Gesamtentwicklung geschärft. Universitätsgeschichte erfordert vielleicht noch mehr Umsicht bei der Quelleninterpretation als andere Teildisziplinen, weil die Historiker geneigt sind, ihre eigene Universitätserfahrung zurück zu projizieren und von ihr entsprechenden Prämissen auszugehen. Doch eine Generation, die von der »Sonne der Kriegserfahrungen« sprach,89 ist uns so fremd, daß die Gefahr besteht, daß wir sie gar nicht mehr begreifen können. Trotzdem ist es unsere Aufgabe, genau dies zu versuchen. Und das heißt, eingedenk der von Zweig betonten Ehrlichkeit, zunächst, die Zeitgenossen ›beim Wort‹, ihre Äußerungen ernst zu nehmen.
88 Zu Beginn der Arbeit an diesem Buch lagen eine kurze Dissertation zu Gießen (s. o. die Bemerkungen zu Anderhub, Antoniterkreuz [A. 18]) und der kurze Weltkriegsabschnitt eines Buches über Straßburg vor (Craig, Scholarship and Nation Building [A. 26]). Schlüter, Reichswissenschaft, erschien in diesem Jahr. Während der Arbeit kam dann der Abschnitt in der Berliner Jubiläumsgeschichte hinzu (McClelland, Forschungsuniversität [A. 24]). 89 S. das vollständige Zitat u. S. 892.
II. Hauptstadt – Provinz – Grenze: Die ausgewählten Universitäten
Von den drei untersuchten Universitäten konnte gerade die kleinste und zudem in der Provinz gelegene Gießener auf eine über 300jährige Geschichte zurückblicken. Doch wurde ihr 1907 eine halbe Woche lang gefeiertes Jubiläum1 weit überstrahlt von der Jahrhundertfeier Berlins drei Jahre später. In Gießen war – neben den Rektoren aller deutschsprachigen Universitäten – nur ein amerikanischer Professor (und ehemaliger Gießener Student) vertreten, in Berlin dagegen Delegierte aus aller Welt.2 Die Straßburger andererseits hatten zum 25jährigen Bestehen 1897 ihr jährliches Stiftungsfest nur »in etwas grösserem Massstabe als sonst festlich« begehen wollen – aber bei diesem »Festakt« dann doch die herausgehobene Bedeutung ihrer alma mater in verschiedenen Reden zum Ausdruck gebracht.3 Zu Kriegsbeginn war die neue deutsche Universität dort gerade einmal 42 Jahre alt. Allerdings hatte in Straßburg seit dem 16. Jahrhundert eine Akademie bestanden, die 1621 Universitätsrang erhalten und auch nach der Angliederung des Elsaß an Frankreich 1681 bis zur Französischen Revolution den Charakter einer deutschen, städtischen, protestantischen Universität bewahrt hatte. Hier hatten nicht nur Goethe, sondern auch Metternich und M ontgelas studiert. Gerade, daß man hier auch die französische Sprache und Lebensart
1 Das Mittwochabend mit dem Empfang des Großherzogspaares beginnende und am Sonntag mit einem Feuerwerk endende Programm sieht man auf einer Postkarte, die abgebildet ist in: Harald Busse (Hg.), Alt-Gießen läßt grüßen, Gießen o. J., S. 59. S. dazu auch den ausführlichen Bericht (mit Ansprachen und Grußadressen): Zur Erinnerung an die dritte Jahrhundertfeier der Großherzoglich Hessischen Ludwigsuniversität in den Tagen vom 31. Juli bis zum 3. August 1907, Gießen 1907. 2 S. dazu die Gästeliste in: Zur Erinnerung an die dritte Jahrhundertfeier, S. 6–10, zum Studium des Amerikaners in Gießen 40. Für Berlin s. den offiziellen Bericht: Erich Schmidt, Jahrhundertfeier der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin (…) 1910. Bericht (…) erstattet von dem Prorektor, Berlin 1911. Außerdem: Reinhard Hübner, Die Berliner Universitätsjubiläen 1860 und 1910, in: Siegfried Wendt (Hg.), Gesellschaft in Geschichte und Gegenwart. Beiträge zu sozialwissenschaftlichen Problemen (…), Berlin 1961, S. 97–114, hier 108–114. 3 Das Stiftungsfest der Kaiser-Wilhelms-Universität Strassburg [künftig: Stiftungsfest der KWU] am 1. Mai 1897, Straßburg 1897, Zitate S. 1. Bereits nach weiteren fünf Jahren dann erneut »feiernd aus[zu]ruhen und weite Umschau [zu] halten«, schien nicht am Platze (Stiftungsfest der KWU 1902, S. 5).
24 Hauptstadt – Provinz – Grenze erlernen konnte, hatte im 18. Jahrhundert zur überregionalen Attraktivität für deutsche Studenten beigetragen.4 War Gießen einst als konfessionelle Universität errichtet worden, so sollten die Berliner und Straßburger Gründung vor allem staatlich-nationalen Z wecken dienen. Nach den beiden Teilungen Hessens war Gießen der zunächst noch gemeinsamen, dabei aber calvinistisch gewordenen Universität Marburg als lutherische Institution entgegengesetzt worden und blieb lange die einzige lutherische Universität im Westen des Heiligen Römischen Reiches.5 Die Berliner Universität sollte, den Worten des Königs zufolge, dem preußischen Staat nach den Niederlagen gegen Napoleon helfen, durch geistige Kräfte zu ersetzen, was er an physischen verloren hatte.6 Und mit der Errichtung in Berlin brach man mit der alt-ehrwürdigen Tradition, Landesuniversitäten gerade nicht in Residenzstädten einzurichten.7 Die Straßburger Gründung schließlich sollte die Eingliederung des eroberten Elsaß in das neue Reich fördern (was aus französischer und elsässischer Perspektive allerdings als Germanisierung erschien).8 Aber während Gießen (im seit 1806 bestehenden, paritätischen Großherzogtum Hessen) im 19. Jahrhundert seine konfessionelle Gebundenheit verloren hatte,9 beanspruchte die eigentlich preußische Universität Berlin nicht nur, die deutsche Nationaluniversität zu sein, sondern wurde im In- und Ausland auch so 4 Einige Professoren hielten damals ihre Vorlesungen bereits auf französisch. Anton Schindling, Bildung und Wissenschaft in der Frühen Neuzeit 1650–1800, München 1994, S. 20 f.; Craig, Scholarship and Nation Building, S. 8 f. 5 Moraw, Kleine Geschichte, S. 9–22. 6 Max Lenz, Geschichte der königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Bd. 1: Gründung und Ausbau, Halle 1910, S. 78; Max Lenz, Rede zur Jahrhundertfeier der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Halle 1910, S. 5 f. (nur Anspielung!). 7 McClelland, Forschungsuniversität, S. 478. 8 John Craig, La Kaiser-Wilhelms-Universität Strassburg 1872–1918, in: Elisabeth Crawford/Josiane Olff-Nathan (Hg.), La science sous influence. L’ université de Strasbourg enjeu des conflits franco-allemands 1872–1945, Strasbourg 2005, S. 15–28, hier 15. Ähnlich schon Craig, Scholarship and Nation Building, S. 2. Dasselbe gilt umgekehrt in bezug auf Frankreich nach 1919. Bonah, Une université internationale, S. 33 f. schreibt sogar der (nach der Angliederung des Elsaß an Deutschland) nach Nancy verlegten Medizinischen Fakultät und der neuen deutschen Universität Straßburg dieselbe Funktion zu: Er sah beide als Modell im jeweiligen nationalen Kontext – und insofern als nationalkulturelle Bestätigung. Allerdings sollte man hinzufügen, daß damals auch eine Versammlung von 91 Notabeln des Unterelsaß die Gründung einer Universität in Straßburg gefordert hatte; denn die Stadt sollte nicht von den Höhen ihrer glänzenden Vergangenheit auf das Niveau einer einfachen Garnisonsstadt herabsinken. Die Notabeln schlugen eine – vielleicht zweisprachige – Institution unter elsässischer Kontrolle vor (Craig, Scholarship and Nation Building, S. 34). 9 Durch die Entstehung des Großherzogtums 1806 (mit einem Viertel katholischer Be völkerung) war aus einem lutherischen ein paritätischer Staat geworden (Moraw, Kleine Geschichte, S. 151; Hans Georg Gundel, Die Geschichtswissenschaft an der Universität Gießen im 20. Jahrhundert, in: Ludwigs-Universität 1607–1957, S. 222–252, hier 224).
Hauptstadt – Provinz – Grenze 25
wahrgenommen, ja anerkannt. Und die Straßburger Universität verstand sich nicht nur aufgrund ihrer eigentümlichen Verfassung als »Reichsuniversität«,10 erhob also ebenfalls einen weit über Elsaß-Lothringen hinausreichenden Anspruch auf nationale Bedeutung (während sie sich mit dem wachsenden Anteil elsässischer Studenten, der Gründung einer katholisch-theologischen Fakultät und den Bemühungen um die Erforschung des Elsaß tatsächlich stärker zu einer Landesuniversität hin entwickelte11). Als »jüngstes Regiment« zählte sie sich mit Halle, Berlin, Bonn zur »geistigen Leibwache der Hohenzollern«.12
10 Doch war dies nicht ihre offizielle Bezeichnung – und sollte, zur Abgrenzung von den nationalsozialistischen Reichsuniversitäten, in der Forschungsliteratur auch nicht verwandt werden. Beleg für die Selbstbezeichnung: Die Straßburger Universität als Reichsinstitut, in: SP 8.2.1906 MiA (Ausschnittt: ADBR 103 AL 201). Dort heißt es im Vorschlag, die Universität ganz aus Reichsmitteln zu finanzieren (statt wie bisher aus Mitteln ElsaßLothringens und einem Reichszuschuß): So könne die als »nationale Institution« gegründete endlich (!) eine »Reichsuniversität« werden. 11 S. dazu die ausführliche Darstellung bei Craig, Scholarship and Nation Building, Kap. 4–6, die Zuspitzung auf diese Frage (mit weiteren Belegen) bei Trude Maurer, Vorposten – oder auf verlorenem Posten? Die Universitäten Straßburg und Jur’ev 1872/1887– 1918, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 56 (2007), S. 500–537, hier 503–512 und Stephan Roscher, Die Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg 1872–1902, Frankfurt u. a. 2006, S. 77–82 (zum Rechtsstatus) und 268–297 (zur Landesforschung). 12 So der Rektor beim Festakt 1897. Er nahm damit eine Formulierung auf, die der Berliner Rektor (der Herkunft nach ein reformierter Schweizer) während des preußisch-französischen Krieges bei der jährlichen Stiftungsfeier 1870 geprägt hatte. Die Universität sei »durch ihre Stiftungsurkunde das geistige Leibregiment des Hauses Hohenzollern«. Emil Du Bois-Reymond, Über den Deutschen Krieg. Rede am 3. August 1870 in der Aula (…), Berlin 1870, S. 45. Zu Bonn s. u. S. 41; Halle mag als erste Reformuniversität genannt sein. In der Straßburger Rede von 1897 werden alle vier Universitäten als »Schöpfungen wissenschaftlichen Lebens (‥), durch welche die Hohenzollern grosse Momente Ihrer (!) aufsteigenden Geschichte bezeichnet haben«, zusammengefaßt. Zum Gebrauch militärischer Metaphern und Ausdrucksweisen für die Wissenschaft s. Trude Maurer, Universitas militans. Von der Militarisierung der deutschen Universität im späten Kaiserreich zur Rechtfertigung des Militarismus im Ersten Weltkrieg, in: Maurer (Hg.), Kollegen, S. 57–74, hier 63–67.
1. Stadt und Universität: Die Universität in der Stadt Gießen Mochte die Universität Berlin am Status der Landes- und Reichshauptstadt partizipieren, daraus zusätzliche Ressourcen, Ansehen und Aufmerksamkeit gewinnen, so war in den kleinen deutschen Universitätsstädten die ganze Stadt auf die Universität ausgerichtet. Dies spiegelte sich im 19. Jahrhundert in den Beobachtungen ganz unterschiedlicher Zeitgenossen, von einheimischen Schriftstellern bis zu ausländischen Gelehrten. Als der russische Allgemeinhistoriker M. M. Stasjulevič während seines zweijährigen Aufenthaltes in Berlin 1858 verschiedene andere deutsche Universitäten bereiste, stellte er in Jena fest: »(…) alles hier in der Stadt dient der Universität und besteht für sie.«1 Eine ähnliche Beschreibung Marburgs in einem Roman von 1834 wurde später in dem Satz zusammengefaßt »Marburg hat keine Universität, sondern ist eine Universität«.2 Mit austauschbaren Ortsnamen beanspruchten dies schließlich auch verschiedene andere Kleinstädte für sich.3 Da sich die Universitätsstädte im 19. Jahrhundert aber alle um eine Garnison bemühten (und sie auch erhielten), damit Studenten hier ihren Wehrdienst als Einjährig-Freiwillige4 mit dem Studium kombinieren konnten,5 trat neben die Professoren- und Studentenschaft als zweiter Wirtschaftsfaktor und Anziehungspunkt des gesellschaftlichen Lebens das Militär. Dies spiegelt sich für die Universität des Großherzogtums Hessen ebenfalls in einem literarischen Werk (in dem sie allerdings, wie auch alle Personen des Schlüsselromans, einen fiktiven Namen trägt): »Der angesehenste, der vorbildlichste Bürger der Stadt Philippinenthal und ihres weiten Umkreises«, ein Unternehmer (??), geht zwar selbst wenig aus, bittet aber oft »Herren in sein Haus. 1 Das ungedruckte Schreiben an P. A. Pletnev ist zitiert bei Pavel Naumovič Berkov, Die Universität Jena Ende der 50er bis Anfang der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts in den Tage büchern, Briefen und Erinnerungen damaliger russischer Gelehrter, in: Wissenschaft liche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena 7 (1957/58), S. 475–482, Zitat 477. 2 In »Prinz Rosa Stramin« von E. Koch (1834) heißt es: »Göttingen hat eine Universität, Marburg ist eine, indem hier alles, vom Prorektor bis zum Stiefelwichser, zur Universität gehört.« Dieses Zitat und die spätere Fassung nach Wettmann, Heimatfront Universität, S. 69 mit A. 340. 3 Karl Braun/Claus-Marco Dieterich, Die Kleinstädte und das Geistesleben. Zur ethno grafischen Erkundung der Universitäts-Stadt, in: JUG 11 (2008), S. 243–250, hier 243. 4 S. dazu u. Kap. III .2 mit A. 4. 5 Die Universitäten mußten sogar die Erfahrung machen, daß junge Männer sich (ohne Absicht eines wirklichen Studiums) nur für kurze Zeit immatrikulierten, um ihren verkürzten Dienst in einer Universitätsstadt zu absolvieren (O[tto] Kern (Halle) als Vors. der erweiterten 5. Konferenz deutscher Universitätsrektoren an die Zentrale des Akademischen Hilfsbundes 2.2.1916 [Vertraulich!]: UA Gi Allg. 108, fol. 207–208v, hier 208).
Stadt und Universität
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Die besten Beziehungen unterh[ä]lt er mit Professor Toggenburg und Herrn von Barnefeld, dem Kommandeur des Philippinenthaler Regimentes (…).« Auch viele Corpsstudenten nehmen an solchen Einladungen teil.6 Zwar fühlen sich manche Offiziere dadurch in ihrer Bedeutung beeinträchtigt: »Und dann, sehen Sie: eine Universitätsstadt. Hier herrscht der Student. In Posen [wo dieser Major zuvor stationiert war]: Die Regierung und das Militär.«7 Trotzdem prägten Offizierskorps und Lehrkörper als Pole des gesellschaftlichen Lebens das Milieu dieses Standortes – gerade weil sich die Landesuniversität nicht in der Hauptstadt des Großherzogtums, Darmstadt, sondern an dessen Peripherie befand. Militärs, Lehrende und Studenten trafen sich nicht nur bei öffentlichen Anlässen der Stadt oder der Universität und bei gesellschaftlichen im privaten Kreis: Vielmehr gab es auch gewisse geistige Beziehungen und gemeinsame Werte: Einzelne Offiziere besuchten (nicht nur im Roman) Vorlesungen, und zumindest in der Schönen Literatur war der Kommandeur »ein Mann von Welt und von Geist«, verband mit seinem »Pflichtgefühl ein hohes Verantwortungsgefühl«.8 Gießen, das 1914 32.000 Einwohner zählte, lag an der äußersten Grenze eines deutschen Kleinstaates. Aber immerhin war es die Hauptstadt seiner Provinz Oberhessen – und hatte sich im 19. Jahrhundert von einer Klein- zu einer Mittelstadt entwickelt, war Gewerbe- und Dienstleistungszentrum mit lebhaftem Geschäftsverkehr geworden und verfügte über das Selbstbewußtsein einer prosperierenden Provinzialhauptstadt.9 Wie bei anderen mittleren Städten spielte 6 Zwar behält der Großbürger nicht ihre Namen, ist aber »von vollendeter Liebenswürdigkeit mit dem ›krassesten Fuchs‹.« Henry Benrath, Die Mutter der Weisheit. Roman eines Jahres, Stuttgart 1953 [zuerst 1933], S. 181. Der unter Pseudonym schreibende Autor (mit bürgerlichem Namen Albert H. Rausch) war von 1900 bis zu seiner Streichung im April 1933 in Gießen immatrikuliert, allerdings seit 1922 beurlaubt. Seine Dissertation war von seinem Mentor abgelehnt worden, da ihm jemand mit demselben Thema in Jena zuvorgekommen war. (Nach Adolf Bach, Studentisches und wissenschaftliches Leben in Gießen vor 50 Jahren, in: Nachrichten der Gießener Hochschulgesellschaft 33 [1964], S. 191–216, hier 199, 201). Zur Einschätzung vgl. auch Moraw, Kleine Geschichte, S. 179: »Die ganze Atmosphäre der Vorkriegszeit kann man in romanhafter Umgestaltung in der ›Mutter der Weisheit‹ (…) in sich aufnehmen.« 7 Benrath, Mutter der Weisheit, S. 105. 8 Unter den bei einer anderen Abendgesellschaft in ihrer geistigen Beschränktheit vor geführten Offizieren ist immerhin einer, der beim französischen Lektor, offenbar auf französisch, dessen »Zyklus über George Sand und ihre Beziehungen zu Musset und Chopin« hört (Benrath, Mutter der Weisheit, S. 106). Zitat über den Kommandanten S. 181. Zum vertiefenden Interesse des Garnisonskommandanten an einem in der Universität während des Krieges gehörten Vortrag s. u. S. 1107. 9 Ludwig Brake, Auf dem Weg zur modernen Stadt: 1850–1914, in: Ludwig Brake/Heinrich Brinkmann (Hg.), 800 Jahre Gießener Geschichte 1197–1997, Gießen 1997, S. 182–214, bes. 182, 210; zu Handel und Gewerbe auch Ursula Braasch-Schwersmann, Die Entwicklung des Stadtgebiets in der Neuzeit, in: Brake/Brinkmann (Hg.), 800 Jahre Gießener Geschichte, S. 350–380, hier 361 f.; Bach, Studentisches und wissenschaftliches Leben, S. 191. Einwohnerzahl nach Moraw, Kleine Geschichte, S. 165.
28 Hauptstadt – Provinz – Grenze die Universität für deren Wirtschaft eine wichtige, aber nicht, wie bei den kleinen, die ausschlaggebende Rolle.10 Hier gab es Tabak- und Metall-Industrie, Ziegelfabrikation, Großhandelsbetriebe, zwei überregional bedeutende Verlagsbuchhandlungen sowie seit 1905 die Hessische Lehrmittelanstalt. Der landwirtschaftlichen Umgebung entsprechend spielten auch die Viehmärkte eine Rolle, und ganz in der Nähe der Stadt befand sich ein Mangan- und Eisensteinbergwerk. Doch für das Renommee und Selbstverständnis hatten diese Wirtschaftszweige eine wesentlich geringere Bedeutung als die Universität. Sie nahmen in dem 1907, zu deren 300jährigem Jubiläum publizierten Stadtführer, nicht nur wenig Raum ein. Auch der Titel stellte mit dem Begriff »Universitätsstadt« die Rangfolge klar.11 Und diese Mittelstadt mit traditionellem Gewerbe und kleiner Industrieansiedlung warb zugleich mit einer gewissen ländlichen Gemütlichkeit um Studenten (die als Käufer und ›Zimmerherren‹ eine wichtige Rolle für den Kleinhandel und das Mietgewerbe spielten): »Heiter wie auch die Natur ringsum, ist auch der Gießener und mehr noch die Gießenerin, sie war es gewiß von jeher! Der treue biedere Volksschlag der Hessen ist als gastfreundlich und treuherzig weit bekannt, der junge Studio findet hier herz liche Aufnahme und lernt sich schnell wohl fühlen in der alten, schönen, herrlich ge legenen Stadt an der Lahn.«12
Dafür sollten auch die »günstigen« Wohnungsverhältnisse sorgen, meist »neu und modern eingerichtet[e]« Häuser, »villenartig mit Gärten«.13 Im Zuge der Stadterweiterung hatten sich in den sechziger und siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts neue Straßenzüge gebildet, die später als Universitätsviertel bezeichnet wurden. In diesem stadtnahen, gleichwohl ländliche und gartenartige Züge tragenden Gebiet wohnten vor allem Bildungsbürger (einschließlich der Professoren), Beamte, auch Bahnangestellte und Handwerker. War hier die Baufrequenz in der Gründerzeit am höchsten, so gab für den weiteren Bebauungsverlauf die Errichtung des Universitätshauptgebäudes 1880 einen entscheidenden Impuls. Ab 1887 entstand zudem ein regelrechtes Klinikviertel. Seinen Höhepunkt erreichte dieser Bauboom in den 90er Jahren, dauerte aber auch im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts noch an.14 Trotzdem erschien 10 Diese Typologie nach Dietrich Höroldt, Zur wirtschaftlichen Bedeutung der Universitäten für ihre Städte, in: Erich Maschke/Jürgen Sydow (Hg.), Stadt und Hochschule im 19. und 20. Jahrhundert, Sigmaringen 1979, S. 25–76, hier 67. 11 Wegweiser durch die Universitätsstadt Giessen und ihre Umgebung. Giessener Verkehrshandbuch, Gießen o. J. [1907], S. 194–204; vgl. zur Expansion der Wirtschaft durch einen Gründungsboom Ende der siebziger Jahre auch Brake, Auf dem Weg zur modernen Stadt, S. 184 f. 12 Wegweiser durch Giessen, S. 226. 13 Wegweiser durch Giessen, S. 266. 14 Christel Wagner-Niedner, Das Universitätsviertel – Bau- und Architekturgeschichte 1860–1914, in: Brake/Brinkmann (Hg.), 800 Jahre Gießener Geschichte, S. 540–590, hier
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die Stadt einem unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg aus Bonn Berufenen als »ländlich armselige, mit Kulturgütern nur sparsam gesegnete (…), die Straßen (…) von provinzmäßiger Geschmacklosigkeit (…). Hier und da« wuchs sogar »die Landwirtschaft (…) mitten in die Stadt hinein«, Einkaufsmöglichkeiten und Wohnkultur lagen »im argen«. Nur die Grünanlagen und das »herrliche Fachwerk des sogenannten Neuen Schlosses« (aus dem 16. Jahrhundert) boten eine gewisse Entschädigung.15 Daß Gießen seit 1860 Eisenbahnknotenpunkt war, hatte nicht nur zur beschleunigten Urbanisierung beigetragen, sondern auch die Mobilität von Professoren und Studenten vervielfacht.16 Die Stadt konnte sich bester Einbindung in das Schnellzugsystem rühmen, und ein 1912 von seinen Studien in Frankreich zurückkehrender Doktorand mußte nur einmal umsteigen: aus einem »Pariser Wagen (…) in den Berliner Schnellzug«.17 Hatte zwischen 1821 und 1867 nur sporadisch Militär in der Stadt gelegen, so war sie seit damals wieder Standort; auch eine neue Kaserne war gebaut worden.18 1907 zählte die Garnison etwa 1600 Mann.19 Das 1813 gegründete Infanterieregiment 116 war seit 1868 in der Stadt stationiert und erprobte am Anfang des 20. Jahrhunderts das (von seinem Kommandeur mitentwickelte) neue Exerzierreglement der deutschen Infanterie. Dem hatte Gießen wohl auch den Besuch des Kaisers 1906 zu verdanken, der seit 1891 Chef des Regiments war. Wenige Tage nach dieser Vorführung wurde das neue Reglement genehmigt.20 Und in dem Stadt-Führer von 1907 sind von fünf Bildern des Kapitels über die Garnison drei dem Kaiser bzw. seinem Besuch der Stadt gewidmet.21 Den kulturellen Interessen der Bewohner dienten neben der Bibliothek der Universität, die auch solide erscheinenden »einheimischen Personen«, welche letzterer nicht angehörten, offenstand, eine öffentliche Lesehalle mit 156 Zei-
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540 f., 587 A. 9–11; Peter Moraw, Die Universität von den Anfängen bis zur Gegenwart (1607–1995), in: Brake/Brinkmann (Hg.), 800 Jahre Gießener Geschichte, S. 446–484, hier 457. Ernst Küster, Erinnerungen eines Botanikers, Gießen o. J. (1956), S. 205. Braasch-Schwersmann, Entwicklung des Stadtgebiets, S. 362; Brake, Auf dem Weg zur modernen Stadt, S. 209; Moraw, Kleine Geschichte, S. 164. Benrath, Mutter der Weisheit, S. 9 (aus dem ersten Satz des Romans). Zur genaueren Orientierung s. die Übersichtskarte der Schnellzugverbindungen sowie das Verzeichnis der durchlaufenden Wagen von Gießen aus in: Wegweiser durch Giessen (ausklappbare Tafel nach S. 16). Brake, Auf dem Weg zur modernen Stadt, S. 209. Wegweiser durch Giessen, S. 148. Laut Sebastian Kircher, »In Treue stark!« – Die Stadt Gießen im Ersten Weltkrieg. Magisterarbeit, Gießen [2012], S. 9 zählte die Garnison in Friedenszeiten bis zu 2000 Mann. Gießen als Garnison. Streiflichter nach verschiedenen Quellen zusammengestellt. 1759– 1906, in: Heimat im Bild. Beilage zum Gießener Anzeiger, 7, 15.2.1957. Rud. Mohr, Geschichte der Garnison Gießen, in: Wegweiser durch Giessen, S. 81–97 (Fotos S. 81, 85, 89, 93, 97).
30 Hauptstadt – Provinz – Grenze tungen und Zeitschriften (sowie 6000 Bänden schöner Literatur und Populärwissenschaften) und ein Museum, das neben vielem Orts- und Landeskund lichen auch eine darüber hinausreichende Münzsammlung bot.22 Seit 1907 hatte Gießen ein eigenes Theater, dessen Bau der Konzertverein, der Saalbauverein und der seit 1890 bestehende Theaterverein – drei der insgesamt ca. 500 1914 bestehenden Vereine – seit 1901 betrieben hatten. Zu zwei Dritteln durch Spenden der Bürgerschaft finanziert, war dieses »Denkmal bürgerlichen Gemeinsinns« rechtzeitig zum Universitätsjubiläum fertiggestellt worden.23 Mitglieder des Lehrkörpers beteiligten sich nicht nur an diesen Initiativen; vielmehr wurden einzelne auch zu Stadtverordneten gewählt – im späten Kaiserreich waren das der Psychiater Robert Sommer und der Forstwissenschaftler Karl Wimmenauer.24 Doch neben diesem Engagement für das Gemeinwohl wurde das Verhältnis zwischen Stadt und Universität auch durch universitäre Initiativen zu diversen Anlässen und gelegentliche Spannungen charakterisiert. 1913, als mit unzähligen Feiern im ganzen Deutschen Reich des 100. Jahrestags der Völkerschlacht bei Leipzig gedacht wurde, ging die Initiative zu einer gemeinsamen Feier von »Provinz, Stadt, Universität« vom Rektor aus, der sich an den Oberbürgermeister und Provinzialdirektor wandte. Beide waren zur Besprechung bereit, auch wenn der Provinzialdirektor unsicher war, ob sich ein solcher Plan verwirklichen lasse. Wenige Tage später stimmte auch die Studentenschaft diesem Plan zu.25 Später äußerte dann der Städtische Ausschuß den Wunsch, an der Auswahl der Lieder beteiligt zu werden, die Männergesangsvereine wollten am Kommers ebenfalls teilnehmen.26 Bei der Feier im Stadttheater dirigierte schließlich der Universitätsmusikdirektor die Gesangvereine der Stadt! Es folgten ein Konzert, ein Fackelumzug der Studentenschaft und ein gemeinsamer Kommers von Bürgerschaft und Universität.27 Von der Initiative zu dieser Feier bis zum Dirigat dokumentierte die Universität so ihren Führungsanspruch innerhalb der Stadt und der Provinz. Im Rangstreit zwischen
22 S. das Kapitel mit Unterabschnitten dreier Autoren: Bibliotheken und Sammlungen, in: Wegweiser durch Giessen, S. 131–141. Externe Leser der UB mußten entweder »durch ihre Stellung die nötige Gewähr für richtige Benutzung bieten oder gegebenen Falles einen Bürgschein beibringen« (S. 131). 23 Brake, Auf dem Weg zur modernen Stadt, S. 207 f., 210. 24 Wimmenauer seit 1904, Sommer seit 1910. S. Zoltán Rozsnyay, Karl Wimmenauer, in: G/M/P II, S. 1041–1048, hier 1047; Erwin Schliephake, Robert Sommer, in: G/M/P II, S. 895–905, hier 902. S. auch: Adreß-Buch der Stadt und des Kreises Gießen 1913, (Gießen 1913), S. 291. 25 Rektorat an Geheimrat Usinger und OB Mecum 11.12.1912; Geheimrat Usinger an Rektor 14.12.1912; OB an Rektor 14.12.1912; Ausschuß der Gießener Studentenschaft an Rektorat 31.12.1912 (über eine Sitzung am 16.12.1912): UA Gi PrA 2020, fol. 18, 19, 20, 17. 26 Ebel an Rektor Gi 7.4.1913: UA Gi PrA 2020, fol. 6. 27 1813 – Jahrhundertfeier – 1913 [Programm]: UA Gi PrA 2020, fol. 21–22.
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dem Rektor der Landesuniversität und dem Provinzialdirektor von Oberhessen wurde ersterem vom Staat bescheinigt, daß er qua Amt (und unabhängig von seiner persönlichen Stellung) »der erste Beamte am Platze« sei.28
Straßburg Das konnte der Straßburger Rektor nicht beanspruchen; denn im Reichsland Elsaß-Lothringen war selbstverständlich der kaiserliche Statthalter, der seit 1879 das Landesministerium mit einem Staatssekretär und mehreren Unterstaatssekretären (also die ›Regierung‹ des Reichslandes) dirigierte,29 die ranghöchste Persönlichkeit. Unter deutscher Herrschaft entwickelte sich die im deutsch-französischen Krieg eroberte Provinzstadt Straßburg nicht nur zu einer Großstadt, sondern zur regionalen Hauptstadt, zu einer Metropole des Rheingebietes.30 Da die von 50tägiger deutscher Belagerung und Beschießung angerichteten Schäden Deutschland das Odium eines Zerstörers eingebracht hatten, wurde die stark beschädigte Stadt nicht nur schnell wieder aufgebaut.31 Vielmehr wuchsen ihre Bevölkerung und der bebaute Raum in dieser Zeit auf mehr als das Doppelte, und die Expansion gab der Stadt nicht nur ein neues Gesicht, sondern auch eine neue Struktur. Um 1900 war Straßburg eine blühende und weiterhin expandierende Stadt, deren von der deutschen Eroberung verur-
28 Gustav Krüger, Denkschrift über die Stellung der Landesuniversität und ihrer Professoren im hessischen Staatswesen. Als Handschrift gedruckt, o. O. o. J. [1916], S. 6. Entstanden war das Problem laut Darstellung Krügers durch die schematische Verleihung des Titels eines Geheimrats nach einer bestimmten Dienstzeit im Großherzogtum (so daß hierher berufene Professoren sie evtl. erst im fortgeschrittenen Alter erhielten). Zwar bestätigte der Staat damit die Auffassung der Universität, nicht allerdings deren Begründung, wonach der Rektor »Vorsitzender eines Landeskollegiums«, nicht eines »Provinzkollegiums« (etwa einer Provinzialdirektion oder eines Landgerichts) sei und ihm deshalb der gleiche Rang gebühre wie den Präsidenten der übrigen Landeskollegien (S. 7). Krügers Denkschrift wurde von der Universitätsspitze mitgetragen. (Anderhub, Antoniterkreuz, S. 49). 29 Der Statthalter übernahm damals die Funktionen, die bislang der Reichskanzler als politische und der Oberpräsident als administrative Spitze gehabt hatten. Zudem konnte ihm der Kaiser auch die Ausübung eines Teils seiner Befugnisse als Landesherr übertragen (nach Stefan Fisch, Das Elsass im deutschen Kaiserreich [1870/71–1918], in: Michael Erbe [Hg.], Das Elsass. Historische Landschaft im Wandel der Zeiten, Stuttgart 2002, S. 123–146, hier 129). 30 François Uberfill, La société strasbourgeoise entre France et Allemagne (1871–1924), Strasbourg 2001, S. 13, 86; G[eorges] Livet/F[rancis] Rapp (Hg.), Histoire de Strasbourg des origines à nos jours. 4 Bde., Strasbourg 1980–1982, hier Bd. 4 (1982), S. 395. 31 Annette Maas, Stadtplanung und Öffentlichkeit in Straßburg (1870–1918/25). Vom Nationalbewußtsein zur regionalen Identität städtischer Interessengruppen, in: Cornelißen/Fisch/Maas, Grenzstadt Straßburg, S. 205–275, hier 210 f.
32 Hauptstadt – Provinz – Grenze sachte Wunden inzwischen vernarbt waren.32 1910 hatte sie knapp 170.000 Einwohner. Rechnet man die Bewohner der ebenfalls rasant wachsenden Vororte dazu, zählte diese Agglomeration am Vorabend des Ersten Weltkrieges ca. 221.000 Personen.33 Nach der Angliederung an das neue Deutsche Reich hatte sich die Bevölkerung der Stadt durch Abwanderung wie auch durch Zuwanderung stark verändert. Professoren der französischen Universität und andere Angehörige der gebildeten Schicht wanderten nach Frankreich ab, zugleich gab es aber eine regionale Binnenwanderung, deren Hauptziel Straßburg war, und eine Zuwanderung aus verschiedenen Gebieten des Reichs. Die Personen der letzten Gruppe bezeichnete man – im quasi neu-deutschen Elsaß – als »Altdeutsche«. (Dadurch wuchs in Straßburg auch der Anteil der Protestanten). Neben der Erwerbs- oder Karrieremöglichkeit, der dienstlichen Verpflichtung und der nationalen Aufgabe zog auch das Klima, das das Elsaß zum »Sonnenparadies«, zur deutschen Côte d’Azur, machte,34 manchen hierher. Auch dem 1901 berufenen Friedrich Meinecke erschien es nach seinem ersten Semester, in dem er sich ganz hatte »einkapseln« müssen, »als ob sich plötzlich jetzt eine Flügeltür zum Garten öffnete, die Sonne hineinbräche und eine herrliche Landschaft sich vor uns ausbreitete.«35 Während die Altdeutschen im Elsaß insgesamt nur ein Sechstel der Bevölkerung bildeten, stellten sie in Straßburg 1890 bereits 40 %. Allerdings verweist dieser Anteil zugleich auf ein Definitionsproblem – denn bei der Volkszählung 1910 gaben nur 28 % der Einwohner einen Geburtsort in einem deutschen Staat außerhalb Elsaß-Lothringens an. Der im allgemeinen wesentlich höher angesetzte Anteil der Altdeutschen ergibt sich daraus, daß auch ihre bereits im 32 So der Straßburger Soziologe Stéphane Jonas, Strasbourg 1900. Ville de frontière et d’innovation (1890–1918), in: Revue des Sciences Sociales de la France de l’Est 19 (1991/1992), S. 13–30, hier 13. Die Metapher ist dem Vorspann entnommen. Falls dieser von der Redaktion stammen sollte, trifft er jedenfalls den Inhalt des umfangreichen (dreispaltig gesetzten) Aufsatzes. Die im Text genannte Verdreifachung der Bevölkerung erscheint als Übertreibung. Vgl. etwa Uberfill, Société Strasbourgeoise, S. 45; Daten leicht greifbar bei Bernard Vogler, Straßburg, in: Theologische Realenzyklopädie (künftig: TRE). Bd. 32, Berlin u. a. 2001, S. 233–241, hier 239. 33 Livet/Rapp, Histoire de Strasbourg IV, S. 345 f. 34 Diese Perspektive wird dem aus Mecklenburg stammenden Vater des (selbst im Elsaß aufgewachsenen) Architekten Paul Bonatz zugeschrieben in: Denis Durand de Bousingen, Les Architectes Paul et Karl Bonatz: Une préface Alsacienne à une carrière Européenne, in: Revue d’Alsace 111 (1985), S. 157–168, hier 158. (In den Erinnerungen von Paul Bonatz, Leben und Bauen, Leinfelden 31953, S. 7 finden sich nur die Bezeichnungen »Gottesgarten« und »Weinparadies«, doch mag »Sonnenparadies« in den persönlichen Gesprächen mit Nachkommen gefallen bzw. zitiert worden sein, auf die sich Durand de Bousingen ebenfalls beruft: S. 168). 35 Friedrich Meinecke, Autobiographische Schriften. Hg. von Eberhard Kessel, Stuttgart 1969 [Werke Bd. VIII], S. 143.
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Reichsland geborenen Kinder zu dieser Gruppe gerechnet werden.36 Allerdings könnte man sich, wenn man etwa die Tochter des Nationalökonomen Georg Friedrich Knapp betrachtet, Elly Heuss-Knapp,37 fragen, ob diese Gruppe nicht schon ganz eigene Züge trug. (Andererseits wird der Anteil der aus Deutschland Stammenden aber auch dadurch verschleiert, daß Beamte von jenseits des Rheins, sobald sie im Elsaß dienten, die elsaß-lothringische Staatsangehörigkeit bekamen.38) Allmählich kam es zu einer gewissen Annäherung zwischen Elsässern und Altdeutschen, die sich auch in einem steigenden Anteil interkultureller Eheschließungen zeigt: 1896–1910 betrug er 23–27 %. Damit wies Straßburg die höchste ›Mischehenquote‹ des gesamten Elsaß auf.39 Man fand solche Eheschließungen auch unter den Gelehrten, vor allem aber in der öffentlichen Verwaltung und unter Arbeitern.40 Das war keine Novität in Straßburg, ›Mischehen‹ hatte es auch in französischer Zeit gegeben. Nur das Muster veränderte sich – zum einen in der Geschlechterkonstellation von Einheimischen und Zugezogenen, vor allem aber durch die Einbeziehung weiterer Herkunftsgebiete: Waren die Ehepartner früher überwiegend aus Baden gekommen, so stammte nun über die Hälfte aus dem Rheinland, ein gutes Viertel, zeitweise ein Drittel sogar aus anderen preußischem Gebieten – obwohl aus einer Perspektive, in der ›die Deutschen‹ bislang Badener, Württemberger und Pfälzer gewesen waren, die Preußen doch als Leute von den Rändern Europas erschienen.41 Elsässer un36 Livet/Rapp, Histoire de Strasbourg IV, S. 347, 372; Bernard Vogler, Histoire culturelle de l’Alsace. Du moyen age à nos jours, les très riches heures d’une région frontière, Strasbourg 31994, S. 304. Jonas (Strasbourg 1900, S. 14) zufolge stellten die Autochthonen nicht mehr als 54–56 % der Bevölkerung, die Zugewanderten 39 %. Die Juden (mit etwa 4 % Bevölkerungsanteil, die teils Einheimische, teils Zugewanderte waren) zählt er als besondere Gruppe. Für das gesamte Elsaß s. die grundlegende Arbeit von Alfred Wahl, L’immigration allemande en Alsace-Lorraine (1871–1918). Un aperçu statistique, in: Recherches Germaniques 3 (1973), S. 202–217, zur Straßburger Zusammensetzung 206 f. 37 S. ihre Erinnerungen an die ersten 27 Jahre ihres Lebens (1881–1908): Elly Heuss-Knapp, Ausblick vom Münsterturm, Berlin 1934. Es handelt sich dabei um die Frau des späteren Bundespräsidenten Theodor Heuss. 38 Wahl, L’immigration allemande, S. 203. 39 Jonas, Strasbourg 1900, S. 14. Vgl. die geringeren Mischeheraten für das gesamte Elsaß bei Wahl, L’immigration allemande, S. 214. Wahl gibt allerdings zu bedenken, daß die tatsächliche Zahl vermutlich niedriger liegt, weil unter den im Reichsland Geborenen ja auch Kinder von Altdeutschen waren. 40 Stéphane Jonas, La ville de Strasbourg et son université, in: Stéphane Jonas (Hg.), Strasbourg, capitale du Reichsland Alsace-Lorraine et sa nouvelle université 1871–1918, Strasbourg 1995, S. 17–56, hier 32. Zur Mischehenrate der verschiedenen sozialen Gruppen s. auch Uberfill, Société Strasbourgeoise, S. 104, 113, 114, 161, 164. 41 So, mit Bezug auf zeitgenössische Redeweisen (»Er kommt aus Pelzpommern«, »Il vient des extrémités du continent«) Uberfill, Société Strasbourgeoise, S. 94; Tabelle der Herkunftsgebiete nach Jahrfünften 96.
34 Hauptstadt – Provinz – Grenze terschieden klar zwischen preußischen und aus anderen Bundesstaaten stammenden Altdeutschen: Mit letzteren hatten sie fast herzliche Beziehungen.42 Ein Paradebeispiel für die Integration eines Pfälzers war der Leiter des Statistischen Büros der Stadt, der allerdings bereits in Lothringen das Gymnasium besucht und in Straßburg studiert hatte, wo er dann auch eine Elsässerin heiratete. Auch die Universität, in der damals bereits 60 % der Studenten Elsässer waren, hatte für seine Integration eine wichtige Rolle gespielt.43 Von den Lehrenden der Universität ging während des 19. Jahrhunderts allerdings nur ein einziger eine ›Mischehe‹ ein, ein Privatdozent.44 Solche Ehen, deren Zahl im 20. Jahrhundert wuchs, schufen sogar Spannungen, weil sowohl die Universitätsgemeinschaft als auch die elsässische frankophile Gesellschaft sie mißbilligte (und sie zudem die Karriere verzögerten).45 Wenn ein alt deutscher Universitätsangehöriger eine Deutsche heiratete, blieb er im selben Milieu; heiratete er aber eine Elsässerin, so entstammte sie einem sozial niedrigeren, meist dem der Kaufleute, Händler und Kleinbesitzer.46 Das vielleicht bemerkenswerteste Beispiel für ›Mischehen‹ boten die Kinder des preußischjüdischen Historikers Harry Bresslau, die beide Einheimische heirateten: sein Sohn, ein Privatdozent der Medizin, 1907 die Tochter eines Händlers, seine Tochter, Waisen-Inspektorin der Stadt, dann Diakonieschwester, 1910 den Privatdozenten der Theologie (und Medizinstudenten) Albert Schweitzer. Zwar schrieb Schweitzer ab 1905 nur noch deutsch, doch mit seiner Braut korrespondierte er auf französisch.47 Allerdings erscheint dieses Beispiel nicht nur wegen der jüdischen Abstammung Helene Bresslaus und der beiden ungewöhnlichen Persönlichkeiten untypisch. Auch die norddeutsche Herkunft des aus dem Hannoverschen stammenden (Schwieger-) Vaters Bresslau macht es zu einer Ausnahme. Hatte die französische Kultur im 18. Jahrhundert stark auf die Elsässer ausgestrahlt und das kulturelle Leben der Oberschicht schließlich geprägt, so waren im Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg nur noch 40 % der Straßburger
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So Uberfill, Société Strasbourgeoise, S. 135, 144. Uberfill, Société Strasbourgeoise, S. 132. Uberfill, Société Strasbourgeoise, S. 141. Uberfill, Société Strasbourgeoise, S. 147. Uberfill, Société Strasbourgeoise, S. 159. Harry Bresslau selbst war aus der jüdischen Gemeinde ausgetreten, jedoch nicht zum Christentum konvertiert. S. die biographische Einleitung von Rhena Schweitzer Miller, Zu Helene Bresslau, in: Rhena Schweitzer Miller/Gustav Woytt (Hg.), Albert Schweitzer – Helene Bresslau, Die Jahre vor Lambarene. Briefe 1902–1912, München 1992, S. 16–20. Zu Schweitzers Sprachentwicklung s. Uberfill, Société Strasbourgeoise, S. 144; Vogler, Histoire culturelle de l’Alsace, S. 371. Der Briefwechsel ist auch für die kulturellen Verhältnisse in Straßburg sehr aufschlußreich. Zur Hilfe des Französisch-Lektors bei einer Publikation Schweitzers s. u. Kap. IV.1.
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Bevölkerung des Französischen mächtig. Dabei gab es auch unter den Intellektuellen und Gebildeten der Altdeutschen eine kleine Gruppe, die – wie die einheimische Mittel- und Oberschicht – zweisprachig war. Die Unterschicht dagegen sprach nur den alemannischen Dialekt.48 (Auch unter französischer Herrschaft war der Unterricht in der Volksschule bis 1855 deutsch gewesen, die deutsche Schulpolitik zielte dann – nach anderthalb Jahrzehnten französischer Unterrichtssprache – darauf, die dialektsprachigen Bevölkerungsteile wieder an die hochdeutsche Schriftsprache zu gewöhnen.49) Der Wahlstraßburger und damalige Privatdozent (im Ersten Weltkrieg Extraordinarius) für Nationalökonomie, Werner Wittich, hielt die Elsässer für Deutsche, die der deutschen Geistesbildung jedoch entfremdet seien, ohne die französische aufgenommen zu haben. Bei der Unterschicht konstatierte er »fröhliche (…) Unbildung«.50 In der alten Festungsstadt bildete das Militär auch im deutschen Kaiserreich einen wichtigen Teil der Bevölkerung, stellte 1910 aber nur noch unter 9 % (im Vergleich zu 12,8 % im Jahre 1861). Zwar handelte es sich dabei um eine relativ wohlhabende Gruppe, doch lebte diese ziemlich isoliert. Sogar für die Ehefrauen der Offiziere gab es besondere Verhaltensregeln.51 Und dabei spielten auch die Diskriminierung der Elsässer und deren eigene Vorbehalte gegen die deutsche Militärmacht eine Rolle: Unter den deutschen Staatsangehörigen Straßburgs standen 1910 etwa 159.000 Zivilisten 15.500 Militärs gegenüber. (Dazu kamen 4800 Ausländer.) Differenziert man nun weiter nach Autochthonen und Zugewanderten, so gab es unter den Zivilisten 111.000 Elsässer und 48.000 Nichtelsässer; unter den Militärs dagegen dominierten die Altdeutschen mit fünf Sechsteln (13.000 Altdeutschen standen nur 2500 Elsässer gegenüber).52 Bis 1903 hatten elsässische Wehrpflichtige ihren Dienst grundsätzlich in ›Altdeutschland‹ ableisten müssen, in diesem Jahr durfte erstmals ein Viertel von ihnen im Reichsland dienen. (Ob diese Pflicht aber auch für Einjährig-Freiwillige galt? Immerhin durfte der Elsässer Albert Schweitzer 1894 sein Dienstjahr hier mit dem Studium an der Kaiser-Wilhelms-Universität verbinden!) Und während Elsässer in der französischen Republik zahlreiche Offiziere gestellt hatten und 1914 170 Elsässer im Generalsrang den französischen Streit48 Jonas, Strasbourg 1900, S. 14, 16. Zur genaueren sozialen und konfessionellen Differenzierung der Haltung in der Sprachenfrage s. Craig, Scholarship and Nation Building, S. 23–28. 49 Eva Rimmele, Sprachenpolitik im Deutschen Kaiserreich vor 1914. Regierungspolitik und veröffentlichte Meinung in Elsaß-Lothringen und den östlichen Provinzen Preußens, Frankfurt/Main 1996, S. 49, 60. 50 Werner Wittich, Deutsche und französische Kultur im Elsass, Straßburg 1900, S. 26–32, Zitat 31. 51 Livet/Rapp, Histoire de Strasbourg IV, S. 351–354, 374. Zu den Verhaltensregeln: Wahl, L’immigration allemande, S. 216. 52 Genaue Zahlen bei Livet/Rapp, Histoire de Strasbourg IV, S. 356.
36 Hauptstadt – Provinz – Grenze mächten angehörten, war ihnen diese Laufbahn im deutschen Kaiserreich so gut wie verschlossen.53 Doch nicht nur die Bevölkerung veränderte das Antlitz der Stadt. Ebenso stark wirkten die städtebaulichen Maßnahmen, die von dem expliziten Wunsch geprägt wurden, Straßburg als ›deutsche Stadt‹ neu einzurichten. Durch ihre Monumentalität sollte sie der Selbstdarstellung des Reiches und seiner Ansprüche dienen und die Bevölkerung entsprechend beeinflussen.54 Da Straßburg nun nicht mehr unmittelbare Grenzstadt war, wurden Entfestigung und Stadterweiterung, die Anlage der repräsentativen ›Neustadt‹, schon bald begonnen. Doch während die Schleifung von Festungsmauern in ganz Europa damals üblich war – in Gießen z. B. hatte man dies schon Anfang des 19. Jahrhunderts getan – wurde sie hier als Angriff auf die eigene kulturelle und politische Identität der Elsässer interpretiert. Zwar versuchten die Behörden, der Kritik an der ›preußischen‹ Stadterweiterung durch Integration älterer Straßburger Pläne in ihre eigenen Vorhaben die Spitze zu nehmen (und es entstanden auch neue, der Stadt vorgelagerte Forts). Doch hatten sie angesichts des monumentalen Charakters der neuen Architektur, der an den Palästen des Kaisers und der Universität besonders gut abzulesen war, damit nur begrenzt Erfolg.55 Auf neu hierher Berufene wirkte die Stadt unterschiedlich – wobei offenbar alle dem älteren Baubestand Tribut zollten: Dem Psychiater Wollenberg zufolge, der als Großstädter in Tübingen manches hatte entbehren müssen und 1906 nach Straßburg kam, »verdiente [es] den Namen ›Klein-Paris‹ viel mehr als Leipzig«. Trotz nur ca. 150.000 Einwohnern sei es doch »eine Großstadt [gewesen], dazu bei aller Kultur erfüllt von einer Behaglichkeit, wie ich sie nirgends wieder gefunden habe«, und durch »die Uniformen der Offiziere und die bunten Mützen der Studenten stets gewissermaßen festlich belebt.«56 Zielte 53 Hans-Ulrich Wehler, Unfähig zur Verfassungsreform: Das »Reichsland« Elsaß-Lothringen von 1870 bis 1918, in: Hans-Ulrich Wehler, Krisenherde des Kaiserreichs 1871–1918. Studien zur deutschen Sozial- und Verfassungsgeschichte, Göttingen 1970, S. 17–63, hier 47. Zu Albert Schweitzer, dem sein Hauptmann ermöglichte, morgens um 11 Uhr bereits die Vorlesungen des Philosophen Windelband zu hören, s. Albert Schweitzer, in: Raymund Schmidt (Hg.), Die Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen. Bd. 7, Leipzig 1929, S. 205–248, hier 207. Zum »Soldatenstand« als »eigentlichem Beruf des Elsässers« und seinen Chancen in der französischen Armee s. auch schon Werner Wittich, Deutsche und französische Kultur, S. 16, 26, zur Dominanz der Altdeutschen im Offizierskorps 59. 54 S. dazu ausführlich Harold Hammer-Schenk, Die Stadterweiterung Straßburgs nach 1870. Politische Vorgaben historistischer Stadtplanung, in: Michael Brix/Monika Steinhauser (Hg.), »Geschichte allein ist zeitgemäss«. Historismus in Deutschland, Lahn-Gießen 1978, S. 121–141, hier bes. 122–124 und ein schlagendes Zitat aus dem Entwurf eines Stadtplaners 126. Vgl. auch Jonas, La ville et son université, S. 24. 55 Hudemann, Nationale Konflikte und urbaner Modernisierungstransfer, S. 15–17. 56 Robert Wollenberg, Erinnerungen eines alten Psychiaters, Stuttgart 1931, S. 105 (Unterschied zu Tübingen), 109 (Zitate).
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Wollenberg mit »Klein-Paris« offenkundig auf die klassizistischen Bauten der französischen Zeit, so übertrafen für den zum Sommersemester 1918 nach Straßburg berufenen Juristen Heinrich Lehmann die Bauten der alten deutschen Reichsstadt, nicht nur das Münster, »alle später errichteten, und wiederum überragen die unter französischer Herrschaft im Stil Louis XV. errichteten Gebäude, wie z. B. das Palais Rohan, alles, was unter deutscher Herrschaft geschaffen wurde. Am besten wirkt von den aus dieser letzten Epoche stammenden Gebäulichkeiten die Universität, am schlechtesten der Kaiserpalast, den der Volksmund nicht mit Unrecht ›Palais de mauvais goût‹ nannte.«57
Der Öffentlichkeit in Frankreich vermittelten diese Bauprojekte gar den Eindruck, daß sich die Deutschen hier für Jahrhunderte einrichteten – und damit erfaßte sie tatsächlich die (gelegentlich sogar explizierte) Absicht.58 Zwar wurden diese staatlichen Gebäude nicht, wie im Reichstag verschiedentlich ge fordert, im »deutschen, nationalen« oder gar »deutschen, (…) germanischen« Baustil errichtet, sondern überwiegend im Stil der italienischen Renaissance. Aber da dieser in Deutschland und besonders Berlin für öffentliche Gebäude damals üblich war, hob auch er die Neubauten deutlich vom alten Straßburg ab. Ausschlaggebend war bei ihrer Errichtung nicht die Funktion, sondern die ästhetisch-politische Wirkung. Das belegt besonders die neue Universitäts- und Landesbibliothek: Ihr architektonischer Aufwand ging an der Zweckmäßigkeit und konstruktiven Notwendigkeit geradezu vorbei.59 Mit dieser ›Germanisierung‹ der Architektur entwickelte sich zwar kein einheitlicher ›Reichsland-Stil‹, doch die Abkehr von der klassizistischen Bauweise war überdeutlich.60 Neben den sonstigen kulturellen und sozialen Unterschieden führte auch der Unmut über die grundlegende Veränderung des Stadtbildes dazu, daß die Alteingesessenen in der Altstadt verharrten, während die Neustadt zur ›deutschen‹ Stadt wurde. Aber letztlich fand die Stadterweiterung auch die Akzeptanz der Einheimischen, was durch wirtschaftliche Interessen noch beschleunigt wurde.61 Und mittelfristig gelang es, »Elsaß« zu einem Kernbegriff der Vermittlung zumachen, der jeweils unterschiedlich konnotiert und deshalb von allen Betrof57 Heinrich Lehmann, Ein großer Jurist des Rheinlands. Jugend und Beruf. Seine Lebens erinnerungen, hg. von Gerhard Kegel, Bonn 1976, S. 100. 58 Für die französische Deutung s. das Zitat aus Jean-Jacques Weiss, Au pays du Rhin, Paris 1886, S. 227 f. bei Maas, Stadtplanung und Öffentlichkeit, S. 213; für die deutsche Absicht ein Zitat aus der Budgetkommission des Reichstags bei Hammer-Schenk, Stadterweiterung Straßburgs, S. 130. 59 Hammer-Schenk, Stadterweiterung Straßburgs, S. 129 f. (Zitate 129), 133 f. Ein Bild vom Lesesaal der UB in: 325 Jahre Staatsbibliothek in Berlin. Das Haus und seine Leute (…), Wiesbaden 1986, S. 107. 60 Daniel Mollenhauer, Die Grenzen der Germanisierung. Identitätsentwürfe im Elsass um 1900, in: Comparativ 15 (2005), 2, S. 22–44, hier 35. 61 Maas, Stadtplanung und Öffentlichkeit, S. 227 f.
38 Hauptstadt – Provinz – Grenze fenen als Orientierungspunkt akzeptiert (bzw. im eigenen Sinne instrumentalisiert) werden konnte.62 Die Eingriffe in die historische Substanz gipfelten im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts im Großen Durchbruch, einer Straßenschneise, die durch Abriß von 135 Gebäuden durch die Altstadt geschlagen wurde. Aber dies bedeutete zugleich die Sanierung eines innerstädtischen Slumviertels, dessen vertriebene Mieter in der größten Gartenstadtanlage des Kaiserreichs Aufnahme fanden.63 Schon diese Maßnahme belegt, daß sich die Stadt in den Jahrzehnten der deutschen Herrschaft nicht nur architektonisch veränderte. Vielmehr wurden auch die sanitären Verhältnisse grundlegend verbessert und der Wohnungsbau gezielt gefördert. Die zu Beginn der Epoche schlechten hygienischen Verhältnisse waren vor allem auf die Belagerung und den darauf folgenden ungeordneten Zustrom von Zuwanderern zurückzuführen. Jetzt wurden unter anderem Wasserleitung und Kanalisation angelegt, 1908–1911 schließlich auch ein Schwimm- und Medizinalbad gebaut. Dies alles, wie auch die Anstellung von Schulärzten, die Einrichtung einer Zentralstelle für die Verwaltung des Medizinalwesens (durch Anstellung eines Stadtarztes 1904), die Gründung eines Gemeindewaisenamtes und die Errichtung einer Säuglingsheilstätte 190164 waren letztlich das Ergebnis einer Umgestaltung der Gemeindeorganisation und der Entstehung eines neuen öffentlichen Raumes. Damals entstanden lokale Vereinigungen, etwa des Volksvereins für das katholische Deutschland, der Gewerkschaften, der SPD.65 Und zugleich wurde die Gemeindeverwaltung in einer glücklichen Verbindung deutscher und französischer Prinzipien umgestaltet: Das deutsche Konzept kommunaler Selbstverwaltung überließ viele Aufgaben – Infrastruktur, Schulwesen, Sozialpolitik – dem selbständigen Handeln der Bürgerschaft, und dabei gestand die neue Gemeindeordnung von 1895, die zwischen großen und kleinen Städten unterschied, den leistungsfähigen größe ren Spielraum zu. Aber gleichzeitig galt hier weiterhin der französische Grundsatz des allgemeinen Wahlrechts. Deshalb war Straßburg die einzige Großstadt im Deutschen Reich, in deren Gemeinderat die SPD stark vertreten und, zusammen mit den Linksliberalen, an der kommunalen Politik wesentlich beteiligt war. (Von den Professoren der Universität gehörten der Stadtverordnetenversammlung am Vorabend des Ersten Weltkriegs ein Nationalliberaler und 62 Hudemann, Nationale Konflikte und urbaner Modernisierungstransfer, S. 18; Maas, Stadtplanung und Öffentlichkeit, S. 272 f. 63 Fisch, Elsass im Kaiserreich, S. 139–141. 64 Jonas, Strasbourg 1900, S. 22 f. S. dazu auch als Überblick über die wichtigsten Fakten Alexander Dominicus, Straßburgs deutsche Bürgermeister Back und Schwander 1873–1918, Frankfurt 1939. Das kleine Buch war die Festgabe des Wissenschaftlichen Instituts der Elsaß-Lothringer im Reich zu Schwanders 70. Geburtstag, der Autor ein ehemaliger Mitarbeiter der beiden Bürgermeister und späterer preußischer Innenminister. 65 S. dazu Jonas, Strasbourg 1900, S. 16–18; ebenso Jonas, La ville et son université, S. 34.
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ein Zentrumsvertreter an: der Jurist Fritz van Calker, übrigens der Lehrer von Carl Schmitt, und der Historiker Martin Spahn.) Dies führte zu einer Ausweitung der kommunalen Tätigkeit, wie sie im Frankreich der Dritten Republik völlig undenkbar gewesen wäre. Und in der professionalisierten Armenpflege fanden auch die Professorentöchter Elly Knapp und Helene Bresslau ihr Arbeitsfeld.66 Zugleich war der Anteil der Elsässer in der städtischen Verwaltung wesentlich höher als in der reichsländischen – was auch zu einem höheren Anteil der ›Mischehen‹ hier führte und die Annäherung der verschiedenen Gruppen begünstigte.67 Im Kampf gegen die Wohnungsnot der Zeit wurde Straßburg mit seiner Politik sogar zu einem Vorbild in Deutschland, ja Mitteleuropa. Zunächst rief der Bürgermeister eine Wohnungskommission ins Leben (der neben Gemeinderäten auch andere Bürger angehörten), richtete ein städtisches Wohnungsinspektorat und ein Wohnungsnachweisamt ein, erhob »Zusatzpfennige« zur Finanzierung des Abrisses ungesunder alter Quartiere. Dann entstand eine gemeinnützige Baugenossenschaft, in der die Initiativen mehrerer Gruppen zusammenflossen: liberaler Gemeindereformer, freier Gewerkschaften und christlicher Gewerkschaften. Geradezu spektakulär war der Anteil der Ärzte in der Wohnungskommission: Sie stellten ein Drittel der Mitglieder. Unter den 16 Gründungsaktionären der Baugenossenschaft (allesamt Philanthropen) waren auch zwei Professoren der Universität sowie der (promovierte) Universitätssekretär.68 Ähnlich wie die Wohngebiete insgesamt, spiegelte auch die Verteilung der Universitätsgebäude die Untergliederung der Stadt in ›Teilgemeinschaften‹.69 War die Universität zunächst wie die früheren französischen Spezial(hoch)schulen über die Stadt verstreut, so konzentrierte sie sich dann in zwei Campi (weil die neue medizinische Fakultät in der Nähe des Bürgerspitals und damit separat vom neuen, im Nordosten angelegten Universitätsviertel gebaut wurde). Dabei wurde allerdings nur das Hauptgebäude der Universität (mit dem berühmten Motto Litteris et patriae) vom Reich finanziert, die übrigen mußten aus dem Steueraufkommen Elsaß-Lothringens bezahlt werden.70 Und die Stadt
66 Fisch, Elsass im Kaiserreich, S. 138, 141; Stadtverordnete: Jonas, La ville et son université, S. 38; Morsey, Spahn, S. 148. Schmitt: Reinhard Mehring, Carl Schmitt. Aufstieg und Fall, München 2009, passim. 67 Uberfill, Société Strasbourgeoise, S. 133. 68 Jonas, Strasbourg 1900, S. 17–24. Der Extraordinarius für Medizin, Oskar Minkowski, und der Ordinarius für Verwaltungsrecht, Otto Mayer, gehörten während des Krieges jedoch anderen Universitäten an. 69 Von einer sous-communauté de Vieux-Allemands spricht etwa Jonas, La ville et son université, S. 25. 70 Craig, Scholarship and Nation Building, S. 72 f.; Christian Pfister, L’université de Strasbourg, Paris. o. J (1921), S. 42; Marie-Noële Denis, Vivre à Strasbourg. Professeurs et étudiants, in: Jonas (Hg.), Strasbourg, capitale du Reichsland, S. 57–87, hier 57.
40 Hauptstadt – Provinz – Grenze trug ihrerseits wesentlich zur Finanzierung des Bürgerspitals bei, das »zur Universitätsklinik avanciert« war.71 Noch stärker als die räumliche Konzentration der Universitätsgebäude und der Wohnungen der Professoren prägte aber die gesellschaftliche Distanz die Verhältnisse: Die Professoren wurden nicht in elsässische Salons eingeladen, selbst im Restaurant setzten sich deutsche Professoren und Elsässer an verschiedene Tische, und die häuslichen Kochgewohnheiten waren so verschieden, daß die deutschen Speisen bei einem Elsässer Widerwillen hervorriefen. In der Abendgesellschaft eingesessener Straßburger hätte die Anwesenheit eines einzigen ›Deutschen‹ das Vergnügen verdorben. Die altdeutschen Professoren und die gehobene lokale Gesellschaft waren durch einen Graben voneinander getrennt.72 Friedrich Meinecke hatte in seinem in einer neuen Straße gebauten Haus zwar elsässische Nachbarn, doch das »war fast der einzige altelsässische [!] Verkehr«, den seine Familie damals gewann, und »das Gefühl der Distanz blieb«.73 Gertrud Simmel, die Gattin des 1914 als Philosophieprofessor nach Straßburg berufenen Georg Simmel und selbst unter dem Pseudonym Marie-Luise Enckendorff als philosophische Schriftstellerin bekannt geworden, charakterisierte ihre Familie als »Großstadtleute (…), d. h. auf einem Boden wachsend, in den Wurzeln nicht eindringen. Deutschland ist die Heimath – das fühlt man. Aber hier ist nicht ganz Deutschland – es ist die Grenzprovinz Preußen (!) u. Antipreußen.«74 Konnte Gießen durch sein Regiment eine besondere Beziehung zum Kaiserhaus reklamieren, so Straßburg durch die Universität: Denn über die Bindung an den Landesherrn hinaus, die die Stadt mit ganz Elsaß-Lothringen teilte – zum 25jährigen Thronjubiläum Wilhelms II. brachte die Universität ihre Glückwünsche »ihrem Kaiser und Landesherrn« dar –, hatte die Universität eigene, spezielle Beziehungen zur kaiserlichen Familie: Zu ihrem 25jährigen Bestehen hatte der Kaiser dem Rektor eine Amtskette verliehen, zwei Kronprinzen hatten hier studiert, der eine war sogar »mit höchster Auszeichnung« zum Dr. rer. pol. promoviert worden.75 Und ganz abgesehen davon, daß die Presse71 Zur Finanzierung: Martin Spahn in der Gemeinderatssitzung 5.4.1918 (als Präzedenzfall für die von ihm vorgeschlagene Unterstützung des künftigen Auslandsstudiums durch die Stadt). S. das Prot. zu P. 12 der Sitzung (=S. 228–231), hier 231: ADBR 103 AL 861. Zitat: Norbert Schappacher/Eckhard Wirbelauer, Zwei Siegeruniversitäten: Die Straß burger Universitätsgründungen von 1872 und 1919, in: JUG 13 (2010), S. 45–72, hier 56. 72 Denis, Vivre à Strasbourg, S. 58 (mit Zitaten aus Erinnerungen beider Gruppen). 73 Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 145. Meinecke wohnte zuerst in der Sternwartstraße, gegenüber dem Universitätsgarten, dann in einem eigenen Haus in der neuen Ludwigshafener Straße. 74 Gertrud Simmel an Rudolf Pannwitz 20.5.1914 (Auszug), in: Georg Simmel, Gesamtausgabe. Bd. 23: Briefe 1912–1918. Jugendbriefe, Frankfurt 2008, S. 331. 75 Diese und weitere Verbindungen zwischen der Universität und dem Kaiser, dem Elsaß und dem Kaiser stellte der Nationalökonom und Finanzwissenschaftler A[ugust] Sarto-
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berichterstattung über diese Promotion zu einem Prozeß wegen Beamtenbeleidigung führte,76 könnte man schon in der Wahl des Studienorts nicht nur Geneigtheit gegenüber der Universität erblicken, sondern eine besondere Form der Aneignung dieses Gebiets, der Germanisierung – so wie einst das Studium des damaligen Kronprinzen (und späteren Kaisers Wilhelms II.) in Bonn die Prussifizierung des Rheinlandes unterstützt hatte. (Schließlich war die preußische Rhein-Universität 1818 ja ebenfalls mit dem Gedanken der Integration eines neuen, zudem katholischen Gebiets gegründet worden.) Für Straßburg hatte die Universität große Bedeutung: Die Straßburger Neue sten Nachrichten (ein äußerst erfolgreiches Lokal- und Regionalblatt vom Typ des ›Generalanzeigers‹)77 bezeichneten sie 1910 als größtes Kleinod der Stadt.78 Auch aus historischer Perspektive machte die leistungsfähige Universität deren intellektuelle Attraktivität aus.79 Mit ihren »volkstümlichen Hochschulkursen« versuchte sie, auch einem breiteren Publikum Bildung anzubieten, erreichte aber, entgegen ihrer Absicht, die Arbeiterkreise kaum. Dies versuchte dann ein, vor allem aus Studenten bestehender, Verein für Unterrichtskurse in Elementarfächern.80 Aber natürlich hatte die Universität nicht nur ideelle Bedeutung, sondern stellte auch einen wichtigen Wirtschaftsfaktor dar. Mit ihrer Bedeutung für die Stadt und das ganze Land begründete die Kommune auch das Jahresstipendium von 600 Mark, das sie 1911 anläßlich der Immatrikulation des 2000. Studenten stiftete. Es sollte bedürftigen Studenten zukommen, die in Straßburg geboren oder deren Eltern seit mehreren Jahren hier wohnhaft waren.81 Zwar stifteten viele (nicht nur Universitätsstädte) Stipendien für die Kinder der eigenen Bürger. Aber die hier gewählte Definition des Empf ängerkreises umschloß gebürtige Straßburger und Zugewanderte gleichermaßen, und beide Gruppen konnten aus Elsässer oder altdeutschen Familien stammen. Insofern zielte die Widmung des Stipendiums auf eine diese Unterschiede transzen dierende lokale Identität. rius Freiherr von Waltershausen her: Akademische Feier des Regierungsjubiläums (…) des Kaisers Wilhelm II. (…), Straßburg 1913, S. 39–44, hier 39, 41. Zum Studium der Kronprinzen s. auch die Rede Knapps in: Stiftungsfest der KWU 1908, S. 5 f. 76 S. dazu: Ein Nachspiel zur Prinzen-Promotion, in: Berliner Zeitung am Mittag 3.8.1908, Ausschnitt in: ADBR 103 AL 201. 77 Im Unterschied zur Straßburger Post, die als Tochterblatt der Kölnischen Zeitung erschien. Zu dieser s. Roscher, Kaiser-Wilhelms-Universität, S. 95. Zu den Straßburger Neuesten Nachrichten: http://chapo.dna.fr/dna/hist_journal.html (14.7.2013). 78 Der Anlaß war die Ernennung des ehemaligen Oberbürgermeisters Back zum Kurator der Universität. Notiz ohne Titel in: Straßburger Neueste Nachrichten 297, 21.12.1910, Ausschnitt in: ADBR 103 AL 201. 79 Livet/Rapp, Histoire de Strasbourg IV, S. 361. 80 Die Zahl der Teilnehmer betrug zu Anfang des SS 1906 233, am Ende 114. S. den Bericht des Rektors in: Stiftungsfest der KWU 1907, S. 9 f. 81 SAM 9 (WS 1910/11), 7, 28.2.1911 (Ausschnitt in: ADBR 103 AL 187).
42 Hauptstadt – Provinz – Grenze Seit es zum Deutschen Reich gehörte, war Straßburg geographisch keine Grenzstadt mehr. Wohl aber gab es Identitätsgrenzen zwischen den verschiedenen Gruppen, welche die Stadt bewohnten. Aber dank des Transfers und der Mischung ihrer Fähigkeiten und Bestrebungen, der Anerkennung der jeweils anderen und der gemeinsamen Verwirklichung kultureller Normen und Werte konnte Straßburg im späten Kaiserreich eine aktive, schöpferische und innovative Rolle spielen, in Stadtplanung, Architektur und Sozialpolitik zu einer seiner erfolgreichsten Städte werden. Ihre charakteristischen Züge waren das gemeinsame Werk der autochthonen Elsässer und der zugewanderten Altdeutschen. Insofern war Straßburg eine »grenzüberschreitende« Stadt (ville trans-frontalière) geworden.82
Berlin Wie Straßburg, war auch Berlin im Kaiserreich durch Zuwanderung rasant gewachsen und beherbergte eine heterogene, fragmentierte Bevölkerung. In der Mitte Preußens, auch auf halber Strecke zwischen Memel an der Ost- und Metz an der Westgrenze des Deutschen Reiches bzw. zwischen der dänischen Grenze und Oberschlesien gelegen, befand sich diese Universität zugleich im politischen Zentrum des größten deutschen Staates und des gesamten Reiches (wenn auch, von den süddeutschen Staaten aus gesehen, vielleicht etwas abseits und in einer umstrittenen Hauptstadt83). Mit diesen Bezugspunkten ist zugleich die Entwicklung ihres Umfeldes umrissen: Zwischen der Universitätsgründung 1810 und dem Beginn des Weltkriegs war Berlin von einer etwas verschlafenen Residenz- und Garnisonsstadt zur Hauptstadt eines der mächtigsten Staaten Europas, zur vielleicht dynamischsten Großstadt auf dem Kontinent und zur europäischen Metropole geworden.84 Von Zeitgenossen wurde es immer wieder mit Chicago verglichen85 – auch wenn es (samt seinen Einwohnern) manchen Besuchern aus älteren Metropolen noch in den achtziger Jahren als hoffnungslos provinziell erschienen war.86 82 Formuliert in Anlehnung an Jonas, Strasbourg 1900, S. 13 f., 17 f., 27 (zitierter Begriff). 83 Harald Engler, Die Finanzierung der Reichshauptstadt. Untersuchungen zu den hauptstadtbedingten staatlichen Ausgaben Preußens und des Deutschen Reiches in Berlin vom Kaiserreich bis zum Dritten Reich (1871–1945), Berlin u. a. 2004, S. 10. 84 Zusammengefaßt nach den Charakterisierungen bei David Clay Large, Berlin. Biographie einer Stadt, München 2002, S. 12, 21, 61 (der Berlin – ohne »vielleicht« – für die dynamischste Stadt auf dem europäischen Festland hält); Gerhard Masur, Das Kaiserliche Berlin, München u. a. 1971, S. 11 f., 118, 125. 85 Marc Twain und ein französischer Reisender werden zitiert bei Large, Berlin, S. 63; Wal ther Rathenau bei Masur, Berlin, S. 73; vgl. auch Karl Scheffler, Berlin. Ein Stadtschicksal, Berlin-Westend 31910, S. 151. 86 Der französische Schriftsteller und Vorleser der Kaiserin Jules Laforgue wird zitiert bei Large, Berlin, S. 39 und Walter Kiaulehn, Berlin. Schicksal einer Weltstadt, München u. a. 1958, S. 124.
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Hatten auf dem Gebiet des späteren Groß-Berlin 1871 932.000 Menschen gelebt, so waren es 1919 3,8 Mio. Die eigentliche Hauptstadt war im Vergleich zur Reichsgründung (als sie ca. 800.000 Einwohner zählte) auf das Zweieinhalb fache gewachsen und hatte ihren Höchststand 1912 mit gut zwei Millionen Einwohnern gehabt. Da das Wachstum ebenso ihr Umland erfaßte, hatte auch dieses sich grundlegend verändert: Mit Feldern und Wäldern früher fast idyllisch, war es nun, wie in Straßburg, Teil einer städtischen Agglomeration. Am Ende dieses Prozesses bildete das Berlin von 1871 dann nur noch den »›City‹-Bereich eines urbanen Areals von einem sonst in Deutschland unbekannten Ausmaß«, in dem die noch bestehenden Verwaltungsgrenzen im Häusermeer nicht mehr zu erkennen waren.87 Schon 1875 waren nur noch 41 % der Bewohner in der Stadt selbst geboren, 1910 waren es nur noch 37,3 %. Dabei ging aber die Redewendung, daß jeder echte Berliner aus Schlesien komme, an der Wirklichkeit vorbei. Das größte Kontingent unter den Neu-Berlinern, die aus dem ganzen Reich, hauptsächlich aber aus den verschiedenen Teilen Preußens kamen, stellten die Zuzügler aus der Provinz Brandenburg.88 Doch daß Berlin keine ›Gesellschaft‹ (im Sinne eines durchgegliederten Ganzen) hatte, sondern aus getrennten, sich nur wenig überschneidenden Kreisen bestand, geht nicht nur auf diese Zuwanderung zurück, sondern setzte, trotz der Urbanisierung, ältere Zustände fort. Adel – 1871 nur 1 % der Bevölkerung der preußischen Residenz –, Militär und Beamte lebten abgeschlossen für sich, aber auch die Angehörigen anderer Stände oder Schichten verkehrten jeweils mit ihresgleichen, sowohl in den ca. 7000 eingetragenen Vereinen als auch in informellen Gruppierungen.89 Nur in exklusiven Zirkeln oder in individuellen Freundeskreisen überschnitten sich die verschiedenen Kreise manchmal.90 Die hohen Offiziere und Diplomaten bildeten die gesellschaftliche Elite, jene Kreise, die zu den Hofbällen eingeladen wurden. Unter den 50 Kategorien, in welche die Hofgesellschaft eingeteilt war, gehörte der Rektor der Universität zur 47. Auch einige weitere ausgesuchte Bürgerliche wurden zu Hoffesten eingeladen, von den Professoren im 19. Jahrhundert etwa der Historiker Ranke, später Ernst Curtius, Hans Delbrück oder Adolf (von) Harnack, der im Jahrzehnt vor dem Weltkrieg phasenweise fast täglich mit dem Kaiser sprach. (Insgesamt hielten die Hohenzollern, im Vergleich zu manchen Fürsten von Klein- und Mittelstaaten, aber einen gewissen Abstand zu ihren mittleren Beamten – doch die meisten Pro87 Michael Erbe, Berlin im Kaiserreich (1871–1918), in: Wolfgang Ribbe (Hg.), Geschichte Berlins. Bd. 2: Von der Märzrevolution bis zur Gegenwart, München 1987, S. 689–793, hier 691–693, Zitat 691. 88 Erbe, Berlin im Kaiserreich, S. 695 f. Daten für 1910 nach: Statistisches Jahrbuch der Stadt Berlin. 33. Jahrgang, enthaltend die Statistik der Jahre 1912 bis 1914 sowie Teile von 1915, Berlin 1916, S. 36 f. 89 Kiaulehn, Berlin, S. 111–115; Scheffler, Berlin, S. 121, 208 f. 90 S. dazu genauer unten Kap. II.3.
44 Hauptstadt – Provinz – Grenze fessoren taten so, als ob sie hoffähig wären.) Die Parlamentarier dagegen, unter denen ja auch einige Berliner (und andere) Professoren waren, kamen nur anläßlich von Reichstagseröffnungen und Thronreden ins Schloß. Auch das Leben in der Stadt prägte, wie vielleicht nirgends sonst, der Offizier – obwohl der Anteil der Militärspersonen an der Bevölkerung viel geringer war als in Straßburg:91 19.500 gab es unter den Erwerbstätigen Berlins Mitte der siebziger Jahre.92 Neben der (reichsweit größten) Garnison hatten hier auch die beiden mächtigsten Militärinstitutionen des Reichs ihren Sitz: das preußische Kriegsministerium und der Generalstab. Dazu kamen aber größere militärische Einheiten im Umfeld der Hauptstadt (zum Schutz vor Demonstrationen und Aufständen), so daß der Berliner Großraum weltweit als die gewaltigste militärische Konzentration in Friedenszeiten galt.93 Ausländer nahmen jedoch nicht nur die allgegenwärtige Präsenz des Militärs wahr, sondern auch die unterwürfige Haltung der Bevölkerung gegenüber den Soldaten. Einem Engländer erschien die Stadt wie ein einziges großes Exerzierfeld, das zivile Leben als »bloßes Anhängsel«.94 Wenn »oft genug (…) der vorüberziehende preußische Militärmarsch« sogar mitten in die Vorlesung hineinschmetterte, verdroß das manchen Professor keineswegs, »reckten sich dafür doch die Leiber straff empor, fühlte ich doch, wie es rhythmisch in die Beine zuckte! In uns Preußen steckt Gott sei Dank immer etwas vom preußischen Soldaten«, versicherte der Germanist Gustav Roethe 1910 auf dem Kommers der Jubiläumsfeier.95 (In Straßburg dagegen scheinen sich die Dozenten mehr daran gestört zu haben: Zwar konnten sie kein generelles Verbot der Musik vorbeimarschierender Truppen erwirken, doch immerhin wurden 1894 militärische Ständchen untersagt und dieses Verbot 1904, nach Beschwerden, erneut eingeschärft. Nach Verhandlungen zwischen Universität und Militär folgte dann eine detaillierte Regelung, die die Interessen beider Seiten berücksichtigte.96) 91 Masur, Berlin, S. 82–84 (mit der »beherrsch(enden)« Stellung des Offiziers – ohne einschränkendes »vielleicht«); Kiaulehn, Berlin, S. 124, 126. Namen der am Hofe gerne ge sehenen Professoren nach McClelland, Forschungsuniversität, S. 443. 92 Erbe, Berlin im Kaiserreich, S. 721 A. 4. 93 Marcus Junkelmann, Die Präsenz des Militärischen in der Hauptstadt, in: Körner/Weigand (Hg.), Hauptstadt, S. 117–136, hier 117 f. 94 Henry Vizetelly (1879) wird zitiert bei Large, Berlin, S. 37, 39. 95 S. seine Rede in Schmidt, Jahrhundertfeier, S. 171–175, Zitat 173. 96 Die Garnisonsbestimmungen für Straßburg regelten dies nach einzelnen Straßen und Uhrzeit und unterschieden dabei »Marschieren mit klingendem Spiel oder mit schlagenden Tambours« sowie »Darbringen von Ständchen«. S. dazu die Akte Spielen der Militär musik in der Nähe der Universität: ADBR 103 AL 195, insbes. fol. 53, 55 sowie unfol. die Schreiben des XV. Armeekorps bzw. der Straßburger Kommandantur an das Kuratorium der Univ. vom 14.5.1894 und 17.5.1894; des Rektors an den Kurator 20.5.1904; der Kommandantur II an das Kuratorium 15.7.1904 sowie den Entwurf des Rektors (18.5.1911) zur Anfrage des Husarenregiments: Die Universität hatte gegen die Abhaltung eines Konzertes am Blumenfest von 11–12.30 nichts einzuwenden.
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In Berlin wurde vor allem die Sonderstellung des adligen Offiziers von den übrigen Bewohnern als kränkend empfunden. Die sich wiederholenden Kleinen Anfragen im Reichstag wegen dessen Bevorzugung beantwortete der Kriegsminister zwar mit Hinweisen auf das Überwiegen bürgerlicher Offiziere – aber auf die Reichshauptstadt traf das eben nicht zu: Dort gab es in den Garderegimentern in manchen Jahren gar keine, in verschiedenen anderen Regimentern fast keine bürgerlichen Offiziere.97 Natürlich bestanden hier, wie anderswo, aber vielfältige Verflechtungen zwischen Universität und Militär: durch Ableistung des einjährig-freiwilligen Dienstes während der Studienzeit, durch den Reserveoffiziersstatus der meisten Dozenten und die damit verbundenen mehrwöchigen Übungen,98 durch die Anwesenheit lokaler Militärs bei universitären Festakten – bis hin zur Beteiligung der Militärmusik daran.99 Daß die Garderegimenter in Berlin nur fünf Minuten von der Universität entfernt waren, verstärkte die studentische Orientierung am Militär noch weiter.100 Wirtschaftlich war die Universität für Berlin, wie in Großstädten generell, nur von untergeordneter Bedeutung. Aus der Summe des jährlichen Etats der Hochschule und der den Studenten für ihren Lebensunterhalt zur Verfügung stehenden Mittel läßt sich errechnen, wieviel sie der Stadt einbrachten. Dabei stand Berlin eindeutig am unteren Ende der Skala: Hier war der Ertrag pro Kopf der Gesamtbevölkerung am kleinsten (während sich der Wohlstand kleiner Universitätsstädte gerade auf die studentischen und universitären Mittel gründete).101 Das lag zum einen am geringen Anteil, den die Studenten an der Bevölkerung hatten, zum anderen aber auch daran, daß Berlin, ganz anders als Gießen und viel mehr als Straßburg, ein bedeutender Industriestandort war, schon 1871 die größte deutsche Industriestadt. Bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges noch weiter ausgebaut, war es eines der führenden Zentren der Elektroindustrie, des Maschinenbaus, der Metallverarbeitung und chemischen, auch der Textilindustrie.102 Im 19. Jahrhundert konnte es »mit gutem Recht den Titel einer Welthauptstadt der Hochtechnologie für sich beanspruchen; es war das
97 Kiaulehn, Berlin, S. 130. 98 Als Beispiel s. den Althistoriker Wilamowitz-Moellendorff, der entgegen vorheriger Auskunft doch eingezogen wurde und deshalb eine geplante Forschungsreise verschieben mußte: Jürgen Malitz, Theodor Mommsen und Wilamowitz, in: Calder u. a. (Hg.), Wilamowitz nach 50 Jahren, S. 31–55, hier 48 A. 59. 99 S. dazu genauer Maurer, Universitas militans, S. 59–62 (mit umfangreichen Nachweisen). 100 McClelland, Forschungsuniversität, S. 560. 101 Höroldt, Zur wirtschaftlichen Bedeutung der Universitäten, S. 41, 67, 69. Ganz deutlich wurde der Wohlstand der kleineren Universitätsstädte z. B. bei der Gründung von Sparkassen im 19. Jahrhundert – denn hierbei zeigte sich, daß etwa die Unterschichten in Bonn mehr Geld zur Verfügung hatten als in nahegelegenen Industriestädten (S. 44). 102 Erbe, Berlin im Kaiserreich, S. 721–730.
46 Hauptstadt – Provinz – Grenze Silicon Valley seiner Zeit«.103 Doch im Verwaltungszentrum Preußens und des Reichs konzentrierte sich auch ein großer Teil des Dienstleistungssektors, und zur Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und Kleidung spielte das Handwerk weiterhin eine bedeutende Rolle.104 Wie in Straßburg, so war auch in der boomenden Spree-Metropole das Verhältnis zwischen städtischen und Reichs- (bzw. im Elsaß: reichsländischen) Behörden gespannt:105 Noch mehr galt dies für die Beziehungen der seit 1848 liberalen Stadt zu Preußen, die als »stetiger Kleinkrieg« charakterisiert werden können. Zwar gab es unter den Stadtverordneten und (besoldeten oder unbesoldeten) Stadträten zahlreiche hervorragende Angehörige des Bildungsbürgertums, doch ihr Einfluß auf die Administration der Stadt war beschränkt;106 denn bis 1881 war Berlin noch immer den Regierungsbehörden des brandenburgischen Bezirks Potsdam unterstellt und wurde prinzipiell wie jeder andere Landkreis behandelt. Zwar bildete es danach einen eigenen Stadtkreis, doch konnte der preußische Staat trotz dieser Stärkung der kommunalen Eigenständigkeit seinen Willen in Berliner Angelegenheiten durch den Polizeipräsidenten (der direkt dem Innenministerium unterstand und faktisch als Regierungspräsident fungierte) immer wieder durchsetzen.107 Darüber hinaus griffen auch noch andere Behörden in das kommunale Leben ein: Das Oberkonsistorium, das Provinzialschulkollegium, das Medizinalkollegium der Provinz Brandenburg, die Verwaltung der Staatsbahnen und natürlich die Militärverwaltung als Kommandoinstanz über die Berliner Garnison. So blieben für den Magistrat der Stadt (der aus dem Oberbürgermeister, einem Bürgermeister und 30 besoldeten und unbesoldeten Stadträten bestand) kaum wesentliche Bereiche übrig. Eine wichtige Stellung hatte er vor allem in der Armen- und Sozialfürsorge, allmählich eignete sich die Stadt auch die Regelung der Energie- und Wasserversorgung an.108 Von den Angehörigen der Universität tat sich als langjähriger Stadtverordneter im 19. Jahrhundert etwa der Mediziner Rudolf von Virchow hervor.109 Während des Ersten Weltkriegs gehörten jeweils zwei Universitätsmediziner der Stadtverordnetenversammlung an, zunächst beide der Freien Fraktion, ab 1917 ein Freier und ein Linker: der Extraordinarius für Gynäkologie Leopold Landau und (bis 1917) der Privatdozent und Titularprofessor Adolf Lazarus, ab 103 So der Urbanologe Peter Hall, zitiert bei Large, Berlin, S. 62. 104 Erbe, Berlin im Kaiserreich, S. 721. 105 Large, Berlin, S. 14, 21. 106 Masur, Berlin, S. 150. 107 Der Polizeipräsident befehligte nicht nur die Polizeitruppe, er nahm auch wesentliche Ordnungsaufgaben wahr. Ihm unterstanden das Fremden-, Dienstboten- und Fuhrwerkswesen, auch die Feuerwehr. Nach Erbe, Berlin im Kaiserreich, S. 744 f. 108 Erbe, Berlin im Kaiserreich, S. 745 f. 109 Erbe, Berlin im Kaiserreich, S. 759.
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November 1917, vom gleichen Status, der Internist Kurt Brandenburg.110 Für die Wahl zur Stadtverordnetenversammlung galt, wie für den preußischen Landtag, das Dreiklassenwahlrecht. Deshalb hatten die Sozialdemokraten hier nur einen geringen Einfluß, obwohl sie von den sechs Berliner Bezirken für die Wahlen zum Reichstag (für die das allgemeine und gleiche Wahlrecht der Männer galt) zwei fest in der Hand hatten, später drei weitere dazugewannen – und der Hauptstadt damit den Beinamen des »roten Berlin« einbrachten. Und obwohl viele Angehörige der dritten Kurie sich aus Ärger über das Klassenwahlrecht an den kommunalen Wahlen gar nicht beteiligten, gewannen die Sozialdemokraten 1890 in der Stadtverordnetenversammlung 11 Sitze, 1900 22 (von insgesamt 144).111 Letzten Endes war Berlin also »auch eine Metropole der Opposition«,112 und im Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg wurde es sogar »zum wichtigsten Schauplatz der Arbeitskämpfe in Deutschland«, mit denen die Arbeiterschaft nicht nur günstigere wirtschaftliche Bedingungen erkämpfen, sondern auch die Regierung zu einer Reform des preußischen Wahlrechts zwingen wollte.113 Auch wenn das stürmische Wachstum der Hauptstadt und die zunehmende Verstädterung des Umlands jede geordnete Stadtplanung zunächst überroll ten,114 konnte die Infrastruktur seit den siebziger Jahren zunehmend verbessert werden. Die damals begonnene Kanalisation – deren radiale Anlage wesentlich auf Virchow zurückging – und die moderne Trinkwasserversorgung waren bis Anfang der neunziger Jahre abgeschlossen. In dieser »zunehmend gesünderen Stadt« sank die Sterberate binnen kurzem.115 Auch darüber hinaus bemühte sich die Stadt um eine effiziente Gesundheitspolitik: Tatsächlich war das Berliner Gesundheitswesen für die damalige Zeit ungewöhnlich gut und übertraf alles, was andere europäische Hauptstädte, von Amerika ganz zu schweigen, zu bieten hatten.116 1909 verfügte die Stadt allein über 26 öffentliche und
110 Die Stadtverordnetenversammlung zählte damals 142 Mitglieder. Neben den traditionellen Fraktionen der Freien, der Linken und der Sozialdemokraten gab es 1918 auch noch eine Fraktion der USPD. Zusammengestellt nach: Stadtverordneten-Versammlung zu Berlin 1914, Berlin o. J., S. 28 (Nr. 75 und 77); dass. 1915, S. 30 (Nr. 75 und 77); dass. 1916, S. 30 (Nr. 76 und 79); dass. 1917, S. 30 (Nr. 74) und 32 (Nr. 76); dass. 1918, S. 32 (Nr. 75) und S. 8 (Nr. 13). Alle Verzeichnisse in: Landesarchiv Berlin A Rep. 000-02-01 Nr. 1317. Lazarus und Landau waren Juden (Aleksandra Pawliczek, Akademischer Alltag zwischen Ausgrenzung und Erfolg. Jüdische Dozenten an der Berliner Universität 1871–1933, Stuttgart 2011, S. 478). 111 Large, Berlin, S. 113 f.; Masur, Berlin, S. 153. 112 Erbe, Berlin im Kaiserreich S. 755. 113 Large, Berlin, S. 116 f. 114 Erbe, Berlin im Kaiserreich, S. 732. 115 Erbe, Berlin im Kaiserreich, S. 704, 711 f.; Large, Berlin, S. 47 (Zitat). 116 Masur, Berlin, S. 151 f.
48 Hauptstadt – Provinz – Grenze 54 private Krankenhäuser oder Heilanstalten mit insgesamt 11.100 Betten.117 Im öffentlichen Nahverkehr leistete Berlin »Pionierarbeit«: Ab den siebziger Jahren fuhr hier eine Dampfeisenbahn, 1881 die erste elektrische der Welt, 1882 die erste Hochbahn Europas, später wurden die Pferdebahnstrecken elektrifiziert, 1902 schließlich eine Gesellschaft für elektrische Hoch- und Untergrundbahnen gegründet, die bis zum Kriegsbeginn ein Netz mit sechs Linien von insgesamt 38 km Länge errichtete. (Außerdem war Berlin ein Knotenpunkt des Fernverkehrs: Um die Jahrhundertwende hatte es 10 Fernbahnhöfe und wurde von 12 Eisenbahnlinien angefahren.)118 Zur Schaffung neuen Wohnraums entstanden Baugenossenschaften, und die Gartenstadtidee konnte sich im Berliner Raum weitgehend durchsetzen. Noch während des Krieges wurde für die Arbeiter der Spandauer Rüstungsindustrie eine Gartenstadt angelegt.119 Zwar war die Stadt in der Gründerzeit in alle Richtungen stark expandiert, nach Norden, Osten und Süden durch neue Arbeiterviertel, nach Westen durch neue Wohngebiete für Mittelstand und Großbürgertum. Doch »Kaiserstadt« oder »Reichshauptstadt« meinte das engere Areal um das Stadtschloß sowie den nach Westen durch Brandenburger Tor und Tiergarten führenden Straßenzug Unter den Linden – Charlottenburger Chaussee. Ein weiteres Repräsentationszentrum für das neue Reich wurde südlich des Spreebogens angelegt. Dabei wurde das schnelle Wachstum in der Gründerzeit mit einem Mangel an Einheitlichkeit und Stil bezahlt.120 Nachdem die Boulevards schon seit den siebziger Jahren auf allerhöchsten Wunsch aus ästhetischen Gründen an Pariser Vorbildern orientiert waren, forcierte vor allem Wilhelm II. die Umsetzung der Vision vom repräsentativen Berlin. Er ließ Regierungsbauten und Kirchen, Gefängnisse, Kasernen, Krankenhäuser und zahllose Denkmäler errichten.121 So verschwand der ältere und schlichtere preußische Stil allmählich unter den Prachtgebäuden des neuen Reiches – doch den dekorativen Aufwand des Reichstags fand selbst Wilhelm II. geschmacklos. (Daß dieser im umgekehrten Verhältnis zu den Einflußmöglichkeiten des Parlaments stand, dürfte ihn dagegen weniger gestört haben).122 Die statuengesäumte Straße im Tiergarten (bei der manche historische Gestalten die Züge lebender Persönlichkeiten, etwa des Kaiserfreundes Eulenburg, trugen) nannten die Berliner despektierlich »Puppenallee«.123 Die alte Paradestraße Unter den Linden war zu einem Boulevard mit Modegeschäften, Restaurants, Banken, Hotels geworden – doch
117 118 119 120 121 122 123
Erbe, Berlin im Kaiserreich, S. 717. Large, Berlin, S. 46, 95 (Zitat); Erbe, Berlin im Kaiserreich, S. 738 f. Erbe, Berlin im Kaiserreich, S. 708–710. Masur, Berlin, S. 72; Erbe, Berlin im Kaiserreich, S. 756–758. Large, Berlin, S. 72. Masur, Berlin, S. 61; Large, Berlin, S. 74, Erbe, Berlin im Kaiserreich, S. 756. Erbe, Berlin im Kaiserreich, S. 756; Large, Berlin, S. 75.
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als allgemein von Pferde- auf elektrische Straßenbahnen umgestellt wurde, verbot Wilhelm II. deren Verkehr auf dieser Prachtstraße, so daß viele Linien nördlich und südlich davon enden mußten.124 Auch ins Kulturleben der Stadt griff dieser Kaiser, der der Epoche den Namen gab, immer wieder zensierend ein, z. B. im Königlichen, also dem ältesten der drei Opernhäuser, dessen Chefdirigent Richard Strauss deshalb noch ein privates Orchester zur Aufführung seiner avantgardistischen Musik gründete,125 oder durch die Verhaftung Gerhart Hauptmanns, nachdem dessen sozialkritische Stücke nicht mehr nur in der (privaten) Freien Bühne Otto Brahms, sondern auch in einem von diesem übernommenen staatlichen Theater gespielt wurden. (Allerdings bestätigten die Gerichte die Haft nicht durch ein passendes Gerichtsurteil.)126 Auch Preisverleihungen wendete der Kaiser: durch Ab erkennung des Hauptmann verliehenen Schillerpreises oder durch Verhinderung einer Auszeichnung für Käthe Kollwitz. Hier, in der Bildenden Kunst, versuchte er unter anderem, die Ausstrahlung der Sezession zu beschränken, indem er Offizieren den Besuch der Ausstellung in Uniform verbot und Mitgliedern der Sezession die Mitwirkung in der Jury des offiziellen Kunstsalons untersagte. Sogar der Direktor der Gemäldegalerie quittierte nach kaiserlichen Zurechtweisungen für seine Ankaufpolitik den Dienst.127 Die offiziöse Kunstrichtung fand in der Akademie ihren Platz, deren Präsident der Historienmaler Anton von Werner wurde. Dieser benutzte seine Stellung dann z. B. dazu, eine MunchAusstellung der Berliner Künstlervereinigung vorzeitig zu schließen.128 Dieser Widerstreit zwischen der offiziell geförderten akademisch-traditionellen Malerei und der Avantgarde war bezeichnend für das »doppelgesichtige Kulturleben zwischen epigonalem Hofgeschmack« und Moderne. Doch setzte sich letztere allmählich in allen Bereichen durch.129 Schon länger war Berlin eine wichtige Museumsstadt. Mit dem Ausbau der Museumsinsel durch Bode wurde es Ende des 19. Jahrhunderts zu einer der führenden Museumsstädte der Welt.130 Und mit dem Bau neuer Luxushotels (das Adlon war nicht nur moderner, sondern auch zweckmäßiger ausgestattet als das Schloß), aber auch mit seinem Vergnügungsangebot wurde Berlin schließlich auch zu einem Anziehungspunkt für Touristen: Hatte es vor der Reichsgründung 5000 Besucher pro Tag, so waren es
124 Large, Berlin, S. 35; Erbe, Berlin im Kaiserreich, S. 737. 125 Large, Berlin, S. 80; Erbe, Berlin im Kaiserreich, S. 784. 126 Large, Berlin, S. 77 f. 127 Large, Berlin, S. 84, 89. 128 Erbe, Berlin im Kaiserreich S. 786 f.; Large, Berlin, S. 83. 129 Erbe, Berlin im Kaiserreich, S. 781. Vgl. auch Large, Berlin, S. 18, 21 zur »komplizierten Mixtur aus Modernitätskult und Sehnsucht nach einer untergegangenen, ruhigeren Zeit«. 130 Large, Berlin, S. 86 f.; Erbe, Berlin im Kaiserreich, S. 788.
50 Hauptstadt – Provinz – Grenze bald schon 30.000.131 1913 besuchten fast 290.000 Ausländer Berlin, davon über 101.000 aus dem Russischen Reich, fast 50.000 aus Österreich-Ungarn.132 Zwar gab es in der Reichshauptstadt kein Universitätsviertel im Sinne einer Konzentration von Instituten und Wohnungen der Lehrenden. Und die Studenten wohnten – je nach ihren pekuniären Möglichkeiten – ohnehin über die ganze Stadt verstreut. Dabei bewirkten die nachteiligen Wohnverhältnisse, daß manche von ihnen an Geist und Körper Schaden nahmen. Deshalb forderte der Mediziner Max Rubner beim Antritt seines Rektorats 1910 die Gründung einer Studentenkolonie, am besten außerhalb der Stadt, mit guter Verkehrsanbindung und Sportmöglichkeiten.133 Viele Universitätsprofessoren (und hohe Beamte) dagegen waren bei der Expansion der Stadt, bei der im Westen auch große Wohneinheiten entstanden waren, in denen der Mittelstand und das Groß bürgertum lebten, im sogenannten ›alten Westen‹ geblieben, also der Gegend um den Tiergarten, von wo aus sie ihre ganz im Zentrum liegenden Hörsäle (und Ämter) durch einen halbstündigen Spaziergang erreichten.134 Diese relative Nähe war umgekehrt aber auch für die Studenten wichtig; denn da der Staat den Lehrenden – mit Ausnahme weniger Institutsdirektoren – in den Universitätsgebäuden keine Arbeits- und Sprechzimmer zur Verfügung stellte, arbeiteten sie nicht nur überwiegend zuhause, sondern wurden dort auch von ihren Studierenden aufgesucht (und benötigten besonders als Mitglieder der Prüfungskommission auch ein Sprech- bzw. »Wartezimmer«).135 Andererseits zogen manche von dort aus dann weiter nach Westen in die Vororte: Adolf (von) Harnack z. B. zuerst nach Wilmersdorf, dann in die (Villen-) Kolonie Grunewald.136 Dort wohnten auch Max Planck, Werner Sombart (der Anfang 1918 zum Professor der Universität ernannt wurde), Hans Delbrück, Karl Bonhoeffer und Ferdinand Sauerbruch und fuhren mit der S-Bahn in die Stadt.137 Am Kurfürstendamm 100 in Halensee, das ebenfalls zu dieser (erst 1920 nach Berlin eingemeindeten) Kolonie gehörte, wohnte auch der Schweizer Romanist Hein-
131 Large, Berlin, S. 35 f., 101 f., zum Amüsement 103, über die Attraktivität für Homo sexuelle (und die Prostitution beider Geschlechter) 104–106, über die »Stadt der Schaufenster« 99. Details zur Ausstattung: Masur, Berlin, S. 146 f. 132 Statistisches Jahrbuch der Stadt Berlin 33 (1916), S. 220. Die Daten bei Masur, Berlin, S. 145 sind mißverständlich, weil er teilweise von »Ausländern« und teilweise von [allen] »Fremden« spricht. 133 Max Rubner, Unsere Ziele für die Zukunft. Rede zum Antritt des Rektorates (…), Berlin 1910, S. 19–23. 134 Masur, Berlin, S. 72, 93. 135 Dies machten die Professoren in der Wohnungsnot nach dem Ersten Weltkrieg geltend, als Einquartierung drohte. S. Rektor Seeberg an Wohnungsamt der Stadt Berlin 30.9.1919: GStA PK I. HA Rep. 76 Sekt 1, Tit. I, Nr. 11 Bd. III, fol. 165. 136 Nottmeier, Harnack, S. 123. 137 McClelland, Forschungsuniversität, S. 491.
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rich Morf.138 Sogar der junge, gerade als besoldeter Extraordinarius nach Berlin berufene Max Born konnte sich an der »Grenze zwischen der Kolonie Grunewald, wo wohlhabende und einflußreiche Leute ihre Villen hatten, und dem Bezirk Schmargendorf, dessen Bevölkerung zum größten Teil der Mittelklasse angehörte«, eine »sehr schöne Wohnung in hübscher Umgebung leisten«.139 Und Friedrich Meinecke baute, als er 1914 nach Berlin berufen wurde, verlockt von der Planung einer Reihenhaussiedlung der von ihm besonders geschätzten Bauweise, gleich in Dahlem. Dafür sprach auch die geplante Verlegung des Geheimen Staatsarchivs – und möglicherweise der Universität – dorthin.140 Dank der gerade fertiggestellten U-Bahn verlor er »bei rationeller Tageseinteilung« keine Zeit »durch die weiten Entfernungen, denn die Untergrundbahn kann als warmer und heller Lesesalon für Zeitungen und Broschüren benutzt werden«, schrieb er dem ehemaligen Freiburger Kollegen Georg von Below. So lebte er in der »frischen, norddeutschen Wald- und Ackerluft«, gewissermaßen »auf dem Dorfe«, »wo die Ochsen pflügten«.141 Die Universität selbst lag im Zentrum der Hauptstadt, denn bei der Gründung 1810 hatte sie vorhandene fürstliche Räumlichkeiten mitten in der preußischen Residenz erhalten: in einem königlichen Palast.142 Deshalb hatte sie von Anfang an hauptstädtischen Charakter. Dieser wurde nach der Reichsgründung durch die Nähe zu den neuen Reichsinstitutionen noch verstärkt. Da sich auch die anfangs übernommenen anderen Gebäude bzw. nun der Universität angegliederten Einrichtungen, insbesondere die Charité, in der Nähe befanden, konnte man bis vor dem Ersten Weltkrieg fast alle wichtigen Einrichtungen vom Universitätshauptgebäude aus zu Fuß erreichen. Das galt auch für die vielen neuen Institute, die im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert errichtet wurden. Und die Universitätsbibliothek teilte sich ab 1914 sogar ein Gebäude mit der Königlichen.143 Das seit langem überfüllte Hauptgebäude wurde erst unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg erweitert; doch die kleinen Forschungsseminare fanden z. T. noch im 20. Jahrhundert in der Wohnung der Professoren 138 AV FWU Berlin WS 1915/16, S. 30 und 1916/17, S. 30. 139 Max Born, Mein Leben. Die Erinnerungen des Nobelpreisträgers, München 1975, S. 232. 140 Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 227. 141 Friedrich Meinecke, Ausgewählter Briefwechsel. Hg. von Ludwig Dehio und Peter Classen, Stuttgart 1962 (Werke VI), an Below (undatiert, ca. Anf. Nov. 1914), S. 52 f. (Zitat 53). Übrige Zitate S. 50, 55; s. auch S. 48, 49. 142 Charles E. McClelland, »To Live for Science«: Ideals and Realities at the University of Berlin, in: Thomas Bender (Hg.), The University and the City. From Medieval Origins to the Present, New York u. a. 1988, S. 182–197, hier 182 f. 143 Der Bibliotheks-Neubau war 1903 begonnen worden; der spätere Lesesaal der UB diente 1909–1914 zunächst als Lesesaal der Königlichen Bibliothek, bevor deren neuer KuppelLesesaal bereitstand. S.: 325 Jahre Staatsbibliothek Berlin, S. 140, 144. Die vorausgehenden allgemeinen Beobachtungen nach McClelland, Forschungsuniversität, S. 479–481. Zur Bibliothek s. auch u. S. 775 mit A. 41.
52 Hauptstadt – Provinz – Grenze statt.144 Neben den Universitätskliniken, die sich nördlich des Hauptgebäudes befanden, und der Charité, in der immer mehr universitäre Einrichtungen angesiedelt wurden, entstanden seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert auch noch zahlreiche Polikliniken und viele kleine Privatkliniken und Praxen, in denen Universitätsmediziner sich ein Zubrot oder, als Extraordinarien und Privat dozenten, den Lebensunterhalt verdienten. So bildete sich schließlich ein ganzes medizinisches Quartier aus.145 Jahrelang trug sich der Hochschulreferent im Preußischen Kultusministerium, Friedrich Althoff, mit der »Begründung einer (…) durch hervorragende Wissenschaftsstätten bestimmten vornehmen Kolonie, eines deutschen Oxford«, konnte diese Überlegungen aber bis zu seinem Tod 1908 nicht mehr in einem Gesamtplan zusammenführen. Seine verstreuten Notizen wurden von einem Ministerialrat (und späteren Minister) 1909 in einer Denkschrift für den Kaiser zusammengefaßt. Danach sollten auf der staatlichen Domäne Dahlem naturwissenschaftliche und medizinische Universitätsinstitute, staatliche Forschungsinstitute, diverse Museen, Sportanlagen für die Studenten entstehen, aber auch das (vor allem der Ausbildung von Diplomaten und sonstigen im Ausland tätigen Reichsbeamten dienende) Orientalische Seminar dorthin verlegt werden.146 Nach dem Zeugnis seines Biographen wollte Althoff sogar die ganze Universität nach Dahlem verlegen,147 sozusagen »eine Campus-Universität« nach amerikanischem Vorbild schaffen.148 (Auch Friedrich Meinecke hielt dies für die »vielleicht (‥) beste« der Althoffschen Ideen.149) Da das Landwirtschafts144 McClelland, Forschungsuniversität, S. 479, 483, 488 f.; Rüdiger vom Bruch, Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin. Vom Modell »Humboldt« zur Humboldt-Universität 1810–1949, in: Alexander Demandt (Hg.), Stätten des Geistes. Große Universitäten Europas von der Antike bis zur Gegenwart, Köln u. a. 1999, S. 257–278, hier 268. 145 Volker Hess, Die Medizin als Disziplin bis 1945, in: GUUL . Bd. 5: Transformation der Wissensordnung. Berlin 2010, S. 693–711, hier 695 f., 708 f. 146 Diese Zusammenfassung Friedrich Schmidt-Otts ist als »Denkschrift für Kaiser Wilhelm II. [1909]« abgedruckt in: Wilhelm Weischedel (Hg.), Idee und Wirklichkeit einer Universität. Dokumente zur Geschichte der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Berlin 1960, S. 487–503, Zitat 487. Da es vor allem um die Förderung der Naturwissenschaften ging, hätte es eigentlich »deutsches Cambridge« heißen müssen, aber für den Juristen Althoff mochte Oxford mit mehr Ruhm verbunden sein (so Annette Vogt, Vom Hintereingang zum Hauptportal? Lise Meitner und ihre Kolleginnen an der Berliner Universität und in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Stuttgart 2007, S. 103). 147 Arnold Sachse, Friedrich Althoff und sein Werk, Berlin 1928, S. 282. 148 Diese Bewertung Rüdiger vom Bruchs (trotz der Althoff zugeschriebenen Bezeichnung »deutsches Oxford«) könnte sich darauf berufen, daß Althoff von dem amerikanischen Austauschprofessor Burgess beeinflußt wurde, der ihm von der Verlegung der Columbia University berichtete (Sachse, Althoff, S. 282). Rüdiger vom Bruch, Humboldt-Univer sität zu Berlin, in: Laetitia Boehm/Rainer A. Müller (Hg.), Universitäten und Hochschulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Eine Universitätsgeschichte in Einzeldarstellungen, Düsseldorf 1983, S. 50–68, hier 62. 149 Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 227.
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ministerium die Domäne aber parzellenweise an private Käufer veräußern wollte, hatte Althoff 1906 einige der bedeutendsten Professoren unterschied licher Fächer zu einem Memorandum an den Kaiser bewegen können, woraufhin dieser dem Verkauf Einhalt gebot. Schließlich empfahl der Ministerialrat (auf offizielle Anfrage) dem Kaiser als passendes Geschenk zum Universitäts jubiläum die von Althoff erwogenen Forschungsinstitute. Tatsächlich wurde bei der Jubiläumsfeier 1910 die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft ins Leben gerufen,150 wobei Wilhelm II. einer Denkschrift folgte, die Adolf von Harnack in seinem Auftrag (auf der Grundlage einer im Ministerium erstellten) und mit Hilfe der Kollegen Emil Fischer (Chemie) und August (von) Wassermann (Medizin) verfaßt hatte.151 Darin stellte Harnack die vorgeschlagenen »relativ selbständigen Forschungsinstitute«, »die rein der Wissenschaft dienen sollen« (nicht der Lehre), in einer eigenwilligen Interpretation Humboldts als das dar, was jener (unter dem Namen »Hilfsinstitute«) einst als »›abgesondert zwischen Akademie und Universität‹« stehende Einrichtungen konzipiert habe. Gleichzeitig bezogen sie sich aber auch auf derartige Schöpfungen »im Auslande«, wo »die großen anderen Kulturnationen (…) die Zeichen der Zeit« bereits erkannt hätten. Nun gelte es, diesen »bedenklichsten Rückstand« aufzuholen. Bei dieser Gelegenheit nannte Harnack »die Wehrkraft und die Wissenschaft« in einem Atemzug: als »die beiden starken Pfeiler der Größe Deutschlands«.152 Die gleichzeitige Verlegung von Universitätsinstituten nach Dahlem hatte allerdings zur Folge, daß für manche Vorlesung Demonstrationsobjekte Woche für Woche nach Berlin hinein (und dann natürlich auch zurück) geschafft werden mußten.153 150 Zu den Dokumenten, in: Weischedel (Hg.), Idee und Wirklichkeit, S. 522–524. 151 Wassermann, ein bedeutender Immunologe und Bakteriologe, war Leiter des Preußischen Klin. Instituts für Infektionskrankheiten, an der Universität nur Ord. Honorarprof. 1913 Leiter des neuen KWI für experimentelle Therapie. http://www.whonamedit. com/doctor.cfm/2511.html (15.11.2014). 152 Adolf von Harnack, Denkschrift an den Kaiser 21.11.1909, in: 50 Jahre Kaiser-WilhelmGesellschaft und Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften. 1911–1961. Beiträge und Dokumente, Göttingen 1961, S. 80–94, hier 80, 83 und 87 (»reine Wissenschaft«), 80 (Humboldt-Zitat), 84 (Ausland), 89; nur gekürzt (und ohne das letzte Zitat, das i. O. sogar fett gedruckt ist!) in: Weischedel (Hg.), Idee und Wirklichkeit, S. 446–456. Solche Institutionen im Ausland: Paris (1888), New York (Rockefeller 1901), Washington (Carnegie 1902), Stockholm (Nobel 1905) (nach McClelland, Forschungsuniversität, S. 498). Zur Vorgeschichte der Denkschrift: Lothar Burchardt, Wissenschaftspolitik im Wilhelminischen Deutschland. Vorgeschichte, Gründung und Aufbau der KaiserWilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, Göttingen 1975, S. 31–34. Weitere Belege zur Komplementarität von Wissenschaft und Militär s. u. S.268 f.. 153 So berichtet von Gottlieb Haberlandt, Erinnerungen. Bekenntnisse und Betrachtungen, Berlin 1933, S. 178 f. Haberland wollte die Vorlesung nicht in Dahlem halten, weil dann zu wenige Hörer kämen und er außerdem gerade auf die fachfremden Wert legte, weil sie durch dieses Interesse die Einheit der Wissenschaften aufrechterhielten (s. dazu auch u. S. 857 mit A. 129). Das Pflanzenphysiologische Institut ist erstmals nachgewiesen in AV FWU Berlin SS 1913, S. 68.
54 Hauptstadt – Provinz – Grenze Neben dem Problem der räumlichen Streuung (und notwendigen Konzentrierung) wird mit diesem Vorgang auch ein weiteres Charakteristikum der Berliner Konstellation angesprochen: Schon für die Wahl des Standorts 1810, aber auch für die wissenschaftliche Entwicklung der Universität war es von entscheidender Bedeutung gewesen, daß in der Stadt bereits Spezialschulen, Biblio theken, Sammlungen, botanische Gärten und die Königliche Akademie der Wissenschaften existierten.154 Im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert stehen für die Verflechtung von Akademie und Universität besonders Theodor Mommsen und Adolf (von) Harnack, die trotz ihrer unterschiedlichen poli tischen Richtung die Vorstellung von der Wissenschaft als Großbetrieb teilten, selbst als Wissenschaftsmanager größere Forschungsprojekte und Institutionen leiteten und gute Beziehungen sowohl zum preußischen Kultusministerium als auch zum Kaiser selbst aufbauten.155 Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts bezogen sowohl Althoff als auch Harnack die bestehenden außeruniversitären Institute in ihre Pläne ein, etwa die Physikalisch-Technische Reichsanstalt, der Althoff eine Chemisch-Technische in Dahlem an die Seite stellen wollte.156 Inzwischen waren aber auch weitere Hochschulen entstanden, und zusammen mit ihnen sowie den außeruniversitären wissenschaftlichen Einrichtungen bildete die Universität eine »Wissenschaftslandschaft«,157 die den einfachen Universitätsstädten kaum vergleichbar war. Von den neuen Hochschulen, unter denen die Königlich-Technische in Charlottenburg und die Handelshochschule herausragten, wurde vor allem die erstere von Wilhelm II. stark gefördert und durch das 1899 verliehene Promotionsrecht den (sich gegen diese Konkurrenz wehrenden) Universitäten endgültig gleichgestellt. Schnell wurde sie zur größten TH im deutschsprachigen Raum.158 (Daß aber die Zahl der Studenten der Universität nach der Öffnung für Absolventen der Realschule I. Ordnung trotz154 Rüdiger vom Bruch, Vom Humboldt-Modell zum Harnack-Plan. Forschung, Disziplinierung und Gesellung an der Berliner Universität im 19. Jahrhundert (Vortrag im Historischen Kolleg München). Ich danke Rüdiger vom Bruch, daß er mir das Manuskript zur Verfügung gestellt hat. Vgl. auch vom Bruch, Humboldt-Universität S. 50. 155 S. dazu eingehend Stefan Rebenich, Theodor Mommsen und Adolf Harnack. Wissenschaft und Politik im Berlin des ausgehenden 19. Jahrhunderts, Berlin u. a. 1997, zu den Kontakten zur Bildungsverwaltung und zum Kaiserhof bes. S. 76, 94–128, 537–560 (Dabei werden auch die Unterschiede zwischen Mommsens und Harnacks Regierungsnähe herausgearbeitet und der [trotz ihrer religiös-theologischen Differenzen] enge, geradezu freundschaftliche Umgang Harnacks mit dem Kaiser differenziert analysiert). 156 Denkschrift für Kaiser Wilhelm II. (wie A. 146), S. 494; Harnack, Denkschrift (wie A. 153), S. 448. 157 Dieser Begriff bei Hubert Laitko, Friedrich Althoff und die Wissenschaft in Berlin. Konturen einer Strategie, in: Bernhard vom Brocke (Hg.), Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftspolitik im Industriezeitalter. Das »System Althoff« in historischer Perspektive, Hildesheim 1991, S. 75–85, Zitat 77. 158 vom Bruch, Humboldt-Universität, S. 66 f. Eine Habilitationsordnung hatte die TH bereits seit 1884! McClelland, Forschungsuniversität, S. 492 f.
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dem stark zunahm, deutet darauf hin, daß diese wohl eher traditionellen akademischen Berufen als dem Ingenieurswesen zustrebten.159) In der Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft wie auch in der Förderung der TH zeigt sich eine besondere Beziehung Wilhelms II. zu den Wissenschaften, die sich im Kaiserreich ohnehin gezielter staatlicher Förderung erfreuten. Auch den Professorenaustausch zwischen der Berliner und einigen amerikanischen Universitäten förderte er persönlich. (Die amerikanischen Gastprofessoren und ihren Gattinnen verkehrten sogar bei Hofe).160 Gewiß betrachteten auch viele Gelehrte, wie es Friedrich Meinecke aus dem Kreis der Archivare des Geheimen Preußischen Staatsarchivs um Sybel bereits Ende der achtziger Jahre berichtet hat, das Gebaren des Kaisers mit Befremden.161 Und doch konnten sich auch manche Wissenschaftler dessen Wirkung nicht entziehen, etwa, wenn seine schnelle Auffassungsgabe und seine gute Vorbereitung auf Gespräche deutlich wurden.162 Einer der Berliner Professoren, Theodor Schiemann, wurde sogar zum persönlichen Freund des Kaisers. 1904 zum ersten Mal von ihm eingeladen, und zwar in seiner Doppelfunktion als politischer Publizist (der konservativen ›Kreuz-Zeitung‹) und als Osteuropahistoriker, begleitete er den Kaiser später auf verschiedenen Reisen und wurde (wenn auch wohl nicht ganz zu recht) im In- und Ausland sogar für dessen Sprachrohr gehalten.163 Aber wichtiger als diese Beziehungen zu einzelnen Gelehrten war die Haltung des Kaisers gegenüber der Institution. Daß Wilhelm II. 1910 am 100jährigen Jubiläum der von seinem Urgroßvater gestifteten Universität teilnahm, versteht sich von selbst.164 Er besuchte die Universität häufiger als seine Vor 159 McClelland, Forschungsuniversität, S. 493. 160 Doch ging er nicht, wie früher oft behauptet, auf seine Initiative zurück. S. dazu Bernhard vom Brocke, Der deutsch-amerikanische Professorenaustausch. Preußische Wissenschaftspolitik, internationale Wissenschaftsbeziehungen und die Anfänge einer deutschen auswärtigen Kulturpolitik vor dem Ersten Weltkrieg, in: Zeitschrift für Kulturaustausch 31 (1981), S. 128–182, hier 136 (Nicht-Initiative), 142 f. und 166 f. (pers. Förderung). 161 Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 98, 104, 111. Seine Distanz scheint auch in seiner Festrede zum 100jährigen Jubiläum der Befreiungskriege und zum 2 5jährigen Thronjubiläum des Kaisers (1913) durch. S. dazu Trude Maurer, Engagement, Distanz und Selbstbehauptung: Die patriotischen Jubiläen des Jahres 1913 als Brennspiegel der Gesellschaftsgeschichte deutscher Universitäten, in: JUG 14 (2011), S. 149–164, hier 158 f. 162 Über diese berichtet – neben allen bekannten problematischen Zügen – der ehemalige Hofmarschall des Kaisers: Robert Zedlitz-Trützschler, Zwölf Jahre am deutschen Kaiserhof. Aufzeichnungen des Grafen Robert Zedlitz-Trützschler, Berlin u. a. 1923, S. 8. Er erwähnt (S. 213) auch die von größter Faszination und Bewunderung zeugenden Worte eines amerikanischen Austauschprofessors über Wilhelm II., die er für echte Überzeugung, nicht Schmeichelei hält. Daß auch Adolf von Harnack dem »Charme« des Kaisers verfallen sei, berichtet Masur, Berlin, S. 89. 163 Klaus Meyer, Theodor Schiemann als politischer Publizist, Frankfurt u. a. 1956, S. 57–59. 164 S. dazu seine Rede in Schmidt, Jahrhundertfeier, S. 36–38 (mit der Ankündigung der Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft S. 37 f.).
56 Hauptstadt – Provinz – Grenze gänger,165 im akademischen Jahr 1912/13 gleich zweimal. Das erste Mal »galt diese Ehrung in erster Linie« den amerikanischen Austauschprofessoren, aber »an dieser Gnadenerweisung durfte die Universität, auf deren Gäste sie sich bezog, partizipieren.« Außerdem nahm der Kaiser an der Jahrhundertfeier der Befreiungskriege teil und hielt bei dieser Gelegenheit auch selbst eine Ansprache vom Katheder, in der er mit der Anrede »Kommilitonen« eine Gemeinschaft zwischen der Universität und dem Herrscher herstellte.166 Bei dieser Gelegenheit ging ein besonders »warmer Regen von Ratstiteln« und Orden auf die Universität nieder. (Unter anderen erhielt Theodor Schiemann damals den Charakter eines Geheimen Regierungsrats – was allerdings bei ordentlichen Professoren nach einer gewissen Dienstzeit fast dazugehörte.)167 So konnte beim Rektoratswechsel 1914, zweieinhalb Monate nach Kriegsbeginn, Max Planck schließlich davon sprechen, daß die »Friedrich-Wilhelms-Universität (‥) nicht nur durch ihre örtliche Lage dem Hohenzollernschloß die nächste zu sein sich rühmen« dürfe. Doch neben der besonderen Beziehung zur Dynastie hob er auch den »ganz besonderen nationalen Charakter« hervor (der ihre internationale Offenheit ergänzt habe).168 Bereits in seiner Rede beim Festakt zum Jubiläum 1910 hatte der Autor ihrer monumentalen Geschichte, Max Lenz, sie als deutsche Nationaluniversität dargestellt: Alle Kämpfe um die deutsche Einheit spiegelten sich in ihrer Geschichte, bei der Befreiung von der Fremdherrschaft und in der Nationalbewegung habe sie an der Spitze gestanden. Dabei hob er am Beispiel hervorragender Gelehrter (Georg Beseler, Johann Gustav Droysen und Theodor Mommsen) auch die Verbindung von »liberalen und nationalen Ideen« hervor. Doch mit dem Erreichen der deutschen Einheit sei die Universität »von ihrer bevorzugten Stellung« zurückgetreten, da nun »jede Universität im Reiche Anteil an den Kräften« gewonnen habe, »die in dem nationalen Staate 165 So Otto Hintze in seiner Festrede zum Thronjubiläum, abgedruckt in: Feier des Fünfundzwanzigjährigen Regierungs-Jubiläums (…) des Kaisers und Königs (…), Berlin 1913, S. 5–38, hier 38. Dagegen vermerkte Maximilian Harden bissig, daß erst die Antrittsvorlesung des ersten amerikanischen Austauschprofessors 1905 den Kaiser in die Universität gebracht habe: »das Gerede des Herrn Peabody«, das offenbar mehr »Ehre werth« sei als »die Vorlesungen der Ranke, Helmholtz (…) Schmidt und all der anderen weltberühmten deutschen Dozenten« (zitiert nach vom Brocke, Deutsch-amerikanischer Professorenaustausch, S. 142). 166 Rektorwechsel an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Berlin 1913, S. 19. Die Rede des Kaisers findet man in: Feier der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin (…) zur Erinnerung an die Erhebung der deutschen Nation im Jahre 1813, Berlin 1913, S. 34–38. S. dazu auch Maurer, Universitas militans, S. 65–67. 167 Zitat: Kiaulehn, Berlin, S. 128 (hier über den »jedes Jahr« niedergehenden »warmen Regen«). Die Liste der Auszeichnungen, unter denen der Geheimratstitel eine der niedrigsten war, findet man bei Schmidt, Jahrhundertfeier, S. 179–183. Dementsprechend wäre die Erwähnung der Auszeichnung bei Meyer, Theodor Schiemann, S. 62 zu qualifizieren. 168 Rektorwechsel 1914, S. 5.
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oder durch ihn zur Entfaltung kommen.« Mag letzteres auf den ersten Blick als Relativierung des eingangs genannten »Zieles, Preußen die geistige Herrschaft in Deutschland zu gewinnen«, erscheinen, so wird dies doch gleich wieder qualifiziert: »Darf sie noch den ersten Platz beanspruchen, so doch nur als Erste unter Gleichen«.169 Wie die Berliner Universität formal die Egalität der deutschen Universitäten akzeptierte, aber zugleich ihren Führungsanspruch zu wahren bestrebt war, wird an ihrer Darstellung der Feier zum 25jährigen Thronjubiläum des Kaisers deutlich. Nachdem die Anregung einer gemeinsamen Glückwunschadresse aller deutschen Universitäten zunächst daran gescheitert war, daß die Berliner bereits eine eigene zu entwerfen geplant hatte, taten sich die anderen Universitäten zusammen und planten die Übergabe einer Bronzetafel. Knapp zwei Wochen vor der Feier lud dann der Berliner Rektor die (zur Übergabe anreisenden) Rektoren der anderen Universitäten zur Feier der Friedrich-Wilhelms-Universität ein und bat sie, gemeinsam mit dem Berliner Lehrkörper in die Aula einzu ziehen.170 In seinem Bericht darüber wurde später aber nicht nur die »Einheit und Einigkeit der deutschen Wissenschaft« betont, sondern auch das »Recht« der Berliner Universität, die Führung »unter den Schwesteruniversitäten, die mit ihr alle auf einer Linie stehen«, zu übernehmen.171 Dabei deutet aber gerade der große rhetorische Aufwand auf die zugrundeliegenden Spannungen eher hin, als daß er sie zu verdecken vermag. 169 Die Rede ist abgedruckt in Schmidt, Jahrhundertfeier, S. 99–121, hier 100–102, 104, Zitate 100, 104; auch separat: Max Lenz, Rede zur Jahrhundertfeier der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Halle 1910, S. 6–8, 11, Zitate 6, 11. 170 S. dazu das Faszikel Regierungsjubiläum Seiner Majestät des Kaisers und Königs Wilhelm II. 1913: UA Gi PrA 2021. Nach dem Scheitern der ersten Initiative war zunächst noch an mindestens zwei Orten (in Gießen und Rostock) der Zusammenschluß der nichtpreußischen Universitäten erwogen worden. Verschiedentlich klingen Bestrebungen zur gemeinsamen Wahrung der Eigenständigkeit gegenüber den preußischen an, andererseits aber auch die Gemeinsamkeit aller anderen deutschen Universitäten gegen die hauptstädtische. S. bes. die Einladung des Berliner Rektors vom 3.6.1913 (auf den 13.6.) fol. 44 und die farbige Abbildung der Bronzetafel fol. 46. Ob der Berliner Rektor bei der Übergabe ebenfalls anwesend war, konnte nicht geklärt werden. 171 Rektorwechsel 1913, S. 21 f.: »Die Feier des Regierungsjubiläums hat uns darin, daß die Rektoren aller deutschen Universitäten sich in unserer Aula zusammenfanden, in äußerlich symbolischer Darstellung die Einheit und Einigkeit deutscher Wissenschaft vergegenwärtigt. Möge dies Symbol ein Unterpfand sein dafür, daß die deutschen Universitäten, die viel mitgearbeitet haben an dem nationalen Aufschwung Deutschlands, sich allezeit da zusammenfinden werden, wo es gilt, nicht nur in der Form die nationale Einheit zu bekunden, sondern sie auch durch Wort und Tat zu stützen und zu fördern. Möge jene Feier ein Unterpfand sein auch dafür, daß die äußere und innere Weiter entwicklung der Universität Berlin, die Stellung, die sie einnimmt in der Pflege der Wissenschaft, ihr allezeit das Recht gibt unter den Schwester-Universitäten, die mit ihr alle auf einer Linie stehen, führend dann zu sein, wenn ihr Platz im Mittelpunkt des Reiches es von ihr fordert.«
2. Korporierte und Freistudenten, Inländer und Ausländer: Die Studentenschaft der einzelnen Universitäten Der einer ursprünglich deutschen Familie entstammende, aber russisch sozia lisierte Fedor Stepun (Friedrich Steppuhn), der nach der Februarrevolution 1917 Minister der Provisorischen Regierung und später Soziologieprofessor in Deutschland wurde, hatte in seinen Studienjahren hier die »Fremdheit« erlebt, nicht nur im allgemeinen, sondern insbesondere auch in der Universität. Er wunderte sich über die »ungeheuerliche Gemessenheit im Leben der deutschen Studenten«, »die im ersten Semester gewissermaßen auf Befehl fast nichts arbeiten, viel trinken, mit Kellnerinnen ›poussieren‹, (…) eine wissenschaftliche Karriere nur einschlagen, wenn die Eltern Vermögen besitzen, und sehr eilig, nach Beendigung des Studiums, ihre Korps aus Organen der Freundschaft in Empfehlungsbüros der deutschen Bürokratie verwandeln«.1
Trotz der kritischen Note erkannte Stepun (neben der Sozialisierungs- bzw. Erziehungsfunktion der Korporationen und der karriereförderlichen Vernetzung) das für die Studienzeit selbst zentrale Element der Geselligkeit. Allerdings fixierte er mit diesen Beobachtungen den Blick des Lesers auf ein besonders im internationalen Vergleich auffallendes Spezifikum und ließ gegenläufige Tendenzen in der deutschen Studentenschaft unberücksichtigt.2 Der Humboldtschen Konzeption zufolge galt die Universität als rein wissenschaftliche, nicht als Erziehungsanstalt. Zwar könnte man das für Anfang des 20. Jahrhunderts mit Fug und Recht bezweifeln, weil Gesinnungsbildung im nationalen Sinn durchaus betrieben wurde, etwa im Rahmen der Feiern zum Kaisergeburtstag und Reichsgründungstag, aber auch bei jährlichen Stiftungsoder Gründungsfeiern der einzelnen Universitäten sowie ihren Jubiläen. Doch da dies nicht nur in den Reden der Rektoren und sonstigen Professoren, sondern auch den Festbeiträgen der Studierenden erfolgte, führt es unmittelbar zu den Korporationen zurück: Die in der Humboldtschen Universität bestehende ›Lücke‹ füllten die Studentenverbindungen, die beanspruchten, mit ihren Veranstaltungen, Bestimmungsmensuren und gegenseitigen Verpflichtungen (in einem auf Lebenszeit angelegten Männerbund) erzieherisch zu wirken: 1 Fedor Stepun, Wie war es möglich. Briefe eines russischen Offiziers, München 1929, S. 197 (aus einem Brief [S. 190–206] aus dem evangelischen Feldlazarett 18.4.1916 an einen »Sergjei H.«, der ebenfalls in Deutschland studiert hatte). 2 Das mag auch damit zusammenhängen, daß er selbst in Heidelberg und Freiburg studiert hatte, wo die Korporationen das Studentenleben wesentlich stärker prägten als in Großstadtuniversitäten wie Leipzig oder Berlin.
Korporierte und Freistudenten, Inländer und Ausländer
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zur Körperbeherrschung und Charakterbildung, aber auch als Sozialisations instanz der Oberschicht.3 Im Kaiserreich stellten die Korporierten insgesamt die Hälfte aller Studenten, an einzelnen kleineren Universitäten sogar die überwiegende Mehrheit.4 Doch an der ›Massenuniversität‹ entstanden mit der Veränderung der Sozialstruktur der Studentenschaft auch neue Organisationsformen; denn hatten die Korporationen des 19. Jahrhunderts mit Duell und Mensur adelige Symbole, Umgangsformen und Ehrbegriffe adaptiert, so wollten viele Studenten aus der nichtakademischen Mittelschicht sich den hergebrachten Formen des Verbindungslebens nicht mehr unterordnen und drangen auf eine eigenständige Interessenvertretung. So trat den Korporierten die um die Jahrhundertwende entstandene Bewegung der sogenannten Freistudenten gegenüber (die als organisierte Nichtverbindungsstudenten von den freien, d. h. nichtorganisierten Studenten zu unterscheiden sind).5 Allerdings behinderte sich die Freistudentenschaft in ihrem Wirken selbst: durch fast ständige Auseinandersetzungen darüber, ob sie eine inhaltlich offene Gesamtvertretung aller freien Studenten sein oder ein spezifisches Programm verfolgen sollte, für das sie dann den Gesamtvertretungsanspruch hätte aufgeben müssen. Dazu kamen bald diverse Reformverbindungen und an die Jugendbewegung angelehnte Akademische Freischaren. In den Auseinandersetzungen zwischen den traditionellen Korporationen und den neuen Gruppen ging es letztlich auch um die Verteilung der Macht innerhalb der Studentenschaft. Wie konnten sie ihre jeweiligen Anliegen und gar die gesamte Studentenschaft in einem ›allgemeinen Studentenausschuß‹ vertreten? Nachdem in Münster zwei Semester lang faktisch zwei Ausschüsse nebeneinander bestanden hatten, wurde dies 1910 von den Freistudenten zum allgemeinen Modell erhoben – in Berlin z. B. angesichts »schlimmster Atomisierung 3 S. dazu u. a. Konrad H. Jarausch, Korporationen im Kaiserreich: Einige kulturgeschichtliche Überlegungen, in: Harm-Hinrich Brandt/Matthias Stickler (Hg.), »Der Burschen Herrlichkeit«. Geschichte und Gegenwart des studentischen Korporationswesens, Würzburg 1998, S. 63–83; Harm-Hinrich Brandt, Studentische Korporationen und politischsozialer Wandel – Modernisierung und Antimodernismus, in: Wolfgang Hardtwig/ Harm-Hinrich Brandt (Hg.), Deutschlands Weg in die Moderne. Politik, Gesellschaft und Kultur im 19. Jahrhundert, München 1993, S. 122–143. 4 Insgesamt gab es damals 48 Verbände mit 891 Korporationen, aber mindestens noch einmal ebenso viele Verbindungen, die keinem Verband angehörten (Harald Lönnecker, Zwischen Völkerschlacht und Erstem Weltkrieg. Verbindungen und Vereine an der Universität Leipzig im 19. Jahrhundert, Koblenz 2008, S. 15 f.). 5 S. dazu (und zum ganzen folgenden Abschnitt) Hans-Ulrich Wipf, Studentische Politik und Kulturreform. Geschichte der Freistudenten-Bewegung 1896–1918, Schwalbach 2004. Zur Übernahme adliger Formen: Lönnecker, Zwischen Völkerschlacht und Erstem Weltkrieg, S. 19; diese traditionelle Sicht durch »einen spezifischen Eigensinn« modifizierend: Ute Frevert, Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft, München 1991, S. 134–139 (Zitat 134).
60 Hauptstadt – Provinz – Grenze und Zersplitterung« der Studentenschaft. Dabei konnten die beiden Gremien gemeinsame Beschlüsse fassen, aber bei nichtkonsensfähigen Fragen auch getrennt agieren. Doch selbst in diesem Modell blieb ein Übergewicht der Kor porierten gewahrt.6 Letztlich dienten die Studentenausschüsse der Selbstdarstellung der Korporierten und leiteten ihren ›allgemeinstudentischen‹ Anspruch aus nur minimalen Zugeständnissen an die unorganisierte Masse ab. Als »Gemeinschaft« von »nichtindifferenten Nichtkorporierten« kam die Freistudentenschaft nicht dagegen an.7 – Neben dem Organisationsgrad allgemein interessieren im folgenden auch die Relation zwischen Korporierten und Nichtkorporierten (aus der Perspektive der ersten auch »Wilde« genannt) sowie die Gewichtung der verschiedenen Assoziationsformen: Corps, Burschenschaften, sonstige farbentragende Verbindungen auf der einen, schwarze Verbindungen, oft nur »Vereine« genannt, auf der anderen Seite8 – beide aber als Gegenüber zur Freistudentenschaft. Diese organisatorische Ausdifferenzierung vollzog sich auf dem Hintergrund einer starken Expansion der Universitäten des Deutschen Reiches in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg. Zwischen 1871 und 1914 vervierfachte sich die Frequenz.9 Damit wuchs nicht nur der Anteil der Studierenden in der entsprechenden Altersgruppe (auf 1,63 %).10 Vielmehr verbreiterte sich zugleich die soziale Basis der Studentenschaft. Der Anteil der Adligen sank auf 2 %, jener der Kinder aus Handelskreisen stieg auf 23,3 %, während der Industrieanteil bei 17,7 % stagnierte. Der Prozentsatz der Beamtensöhne vergrößerte sich noch (auf 47,9 %). Doch legt man nicht den Rechtsstatus, sondern die Bildung ihrer 6 Denn während die Verbindungsstudenten pro Korporation einen Vertreter entsandten, wählten die freien Studenten ihre Vertreter und bekamen dafür von der Universitätsleitung einen bestimmten Schlüssel vorgeschrieben. S. dazu Wipf, Studentische Politik und Kulturreform, S. 162–178. Zitat aus dem Plädoyer für tatsächlich umfassende Studentenausschüsse mit Zwei-Kammer-System im Organ der Berliner Freistudentenschaft: R. E. M., Studentenausschüsse, in: Der Student 6 (1913/14), S. 21 f. (Zitat 21), 27 f., 78 f. 7 Zitat: Georg Schwarz, Das Verhalten der Nichtkorporierten zu allgemeinstudentischen Angelegenheiten und daraus sich ergebende Folgerungen, in: Der Student 6 (1913/14), S. 393–395, hier S. 395. 8 Als einführenden Überblick zum Korporationswesen samt einer Tabelle mit Mitgliedszahlen für 1913/14 s. Norbert Kampe, Studenten und »Judenfrage« im Deutschen Kaiserreich. Die Entstehung einer akademischen Trägerschicht des Antisemitismus, Göttingen 1988, S. 111–124 (mit ausklappbarer Tafel »Die großen studentischen Kartelle« zwischen S. 116 und 117). Außerdem die in A. 3 genannten Aufsätze von Jarausch und Brandt. 9 Jarausch, Korporationen im Kaiserreich, S. 66. Genauer: SS 1871: 13.093, SS 1914: 60.225, also 4,6mal so viel. Daten nach: Hartmut Titze, Datenhandbuch zur deutschen Bildungsgeschichte. [Bd. I/1:] Das Hochschulstudium in Preußen und Deutschland 1820–1944, Göttingen 1987, Tab. 1, S. 27–30, hier 28, 29. 10 Diese Zahlen beziehen sich auf alle Studierenden, also auch die anderer Hochschultypen. Ihr Anteil unter den 19–23jährigen stieg während des Kaiserreichs von 0,5 auf 1,63 (nach Jarausch, Deutsche Studenten, S. 72).
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Väter zugrunde, ging der Anteil der Söhne gebildeter Beamter von zwei Fünfteln auf ein Fünftel zurück. Zur dominierenden Herkunftsschicht wurde nun das Besitzbürgertum. Insgesamt blieben die Oberschichten weiterhin überrepräsentiert (wobei aber eine interne Umverteilung stattfand). Zugleich gab es eine soziale Öffnung in die unteren Mittelschichten, die dann (im Vergleich zur Gesamtbevölkerung) ebenfalls überrepräsentiert waren. – Die Zusammensetzung der Studentenschaft der einzelnen Universitäten wich von dem Gesamtmuster allerdings beträchtlich ab, und noch stärker unterschieden sich dadurch die Universitäten untereinander.11 Deshalb werden sie auch einzeln vorgestellt – nach Größe und Zusammensetzung ihrer Studentenschaft sowie deren Organisationsmuster im Jahr des Kriegsbeginns.12 Dabei sind zwei Gruppen besonders zu berücksichtigen, weil ihre Präsenz auch in der Öffentlichkeit damals stark diskutiert wurde und weil ihre Behandlung bzw. ihr eigenes Handeln im Krieg ein wichtiger Indikator für die Veränderung innerakademischer und gesamtgesellschaftlicher Beziehungen ist: Ausländer und Frauen; denn von allen Studierenden, die im 19. Jahrhundert eine Universität außerhalb ihres Herkunftslandes besuchten, hatte Deutschland die meisten angezogen. Beim Zugang von Frauen zum Hochschulstudium bildete es aber gewissermaßen das Schlußlicht in Europa. Erst wenige Jahre vor dem Krieg hatte Mecklenburg-Schwerin als letzter der deutschen Bundesstaaten Frauen 1909 zur Immatrikulation zugelassen. In den anderen war dies 1900– 1908 geschehen. Gießen, Berlin und Straßburg öffneten sich regulär studierenden Frauen erst zum Winter 190813 – obwohl sie seit langem Gasthörerinnen hatten und manche von diesen (mit Ausnahmegenehmigung) auch promovierten. Die erste Frau, die sich 1908 ins Berliner Immatrikulationsbuch eintrug, war die Tochter Adolf (von) Harnacks, die zuvor Lehrerin gewesen war 11 Alles nach Jarausch, Deutsche Studenten, S. 76–78 (mit eingestreuten Bemerkungen zu einzelnen Universitäten). 12 Zur weiteren Entwicklung s. u. Kap. IV.2. 13 Von »Hochschul«- (nicht »Universitäts«-) Studium ist hier die Rede, weil etwa im Russischen Reich Frauen ebenfalls nicht an Universitäten, seit den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts aber an Frauenhochschulen studieren konnte. An den traditionellen britischen Universitäten studierten sie an Frauen-Colleges, wo sie allerdings keine akademischen Grade erwerben durften, während ihnen dies an den neueren civic universities gestattet war. Zur Entwicklung der einzelnen deutschen Bundesstaaten s. als Überblick: Ilse Costas, Von der Gasthörerin zur voll immatrikulierten Studentin: Die Zulassung von Frauen in den deutschen Bundesstaaten 1900–1909, in: Trude Maurer (Hg.), Der Weg an die Universität. Höhere Frauenbildung vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert, Göttingen 2010, S. 191–210; zur europäisch-vergleichenden Perspektive: Trude Maurer, Einführung. Von der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen: Das deutsche Frauenstudium im internationalen Kontext, ebd. S. 7–22; zu Straßburg, das unter dieser Perspektive noch gar nicht untersucht wurde: Trude Maurer, Ein Lehrstück über die Dialektik des Fortschritts. Die Zulassung von Frauen an der Universität Straßburg: Reichsländische Variationen zu einem gesamtdeutschen Thema, in: JUG 16 (2013), S. 9–50.
62 Hauptstadt – Provinz – Grenze und mit 24 Jahren als Externe soeben das Abitur gemacht hatte. Sie studierte sieben Semester in Berlin, wurde dann aber in Greifswald promoviert. Da ihr Thema aus der Neueren Deutschen Literatur stammte, mußte sie offenbar dorthin ausweichen,14 weil der Berliner Vertreter dieses Faches, Gustav Roethe, Frauen keinen Zutritt zu seinen Veranstaltungen gewährte.15 Immerhin empfand ein Teil der deutschen Öffentlichkeit es als »Skandal«, daß ihm gestattet war, »eine bestimmte Kategorie rechtmäßig Studierender von seinen Vorlesungen auszuschließen«.16 Daß auch manche anderen Dozenten Frauen als nicht in die Universität gehörend betrachteten, läßt sich an der in ihren Vorlesungen noch gebrauchten Anrede »Meine Herren« ablesen.17 In Gießen wurden mit der Einladung »an die gesamte Studentenschaft« noch 1910 und 1913 »sämtliche Herrn [!] Studierenden« zum Jahresfest gebeten. Auch 1914 hatte der Universitätssekretär das wieder geschrieben, aber seinen Fehler bemerkt, die »Herren« ausradiert und die Leerstelle mit einem eleganten Schweif übermalt.18 Ausländer stellten im Sommersemester 1914 7,9 % der Studentenschaft deutscher Universitäten (4750 Personen). (Nimmt man alle wissenschaftlichen Hochschulen zusammen, machten sie sogar ein Zehntel aus.) Besondere Brisanz 14 Zur Biographie: Hans Cymorek/Friedrich Wilhelm Graf, Agnes von Zahn-Harnack (1884–1950), in: Inge Mager (Hg.), Frauenprofile des Luthertums. Lebensgeschichten im 20. Jahrhundert, Gütersloh 2005, S. 202–251; Nachweis der Dissertation und des Rigorosums: JHSS 27 (1911/12), S. 301. Zur Immatrikulation als erste Frau in Berlin: Elke Lehnert, Der Kampf um die reguläre Zulassung der Frauen zum Universitätsstudium, in: Von der Ausnahme zur Alltäglichkeit. Frauen an der Berliner Universität Unter den Linden, Berlin 2003, S. 39–48, hier 43 f. (mit Abbildung des Matrikelbuchs, in dem Agnes Harnack (wie alle Frauen) mit dickem F markiert war. Zu Agnes (von Zahn-) Harnack s. auch u. Kap. III .5. 15 Zur Öffnung s. auch die Nachträge zum VV für SS 1914 in: BAN VIII (1913/14), S. 160–162, hier 161 sowie S III (1914), S. 15. 16 Professorale Disziplinlosigkeit, in: Breslauer Zeitung 23.8.1913. Der Vorschlag derselben Zeitung, ihn aus der Prüfungskommission auszuschließen (ihm also die Prüfungsgebühren zu entziehen), hatte nicht gefruchtet (Professor Roethe und die Studentinnen, in: Breslauer Zeitung 25.7.1913). S. außerdem: Professor Roethe und die Studentinnen, in: Vossische Zeitung 24.7.1913. Alle Ausschnitte in: I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. IV, Nr. 61 Bd. XXIII, fol. 321, 315, 314. 17 Johanna Bleker, »Deutsche Wissenschaft ist Männerwerk«. Der Einzug der Frauen in die Gelehrtenrepublik, eine Zeitenwende?, in: J. B. (Hg.), Der Eintritt der Frauen in die Gelehrtenrepublik. Zur Geschlechterfrage im akademischen Selbstverständnis und in der wissenschaftlichen Praxis am Anfang des 20. Jahrhunderts, Husum 1998, S. 17–30, hier 27; Ute Scherb, »Ich stehe in der Sonne und fühle, wie meine Flügel wachsen«. Studentinnen und Wissenschaftlerinnen an der Freiburger Universität von 1900 bis in die Gegenwart, Königstein 2002, S. 70; vereinzelte Belege noch für die 1920er Jahre: Kirstin Boehlke, Frauenstudium an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel vor dem Hintergrund des Frauenstudiums in Deutschland. Eine Skizze, o. O. o. J. [masch. vervielf., Kiel 1985], S. 14. 18 UA Gi PrA 1215, fol. 8; 1216, fol. 1; 1217, fol. 2.
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gewann die sogenannte ›Ausländerfrage‹, die in den Jahren davor heftig debattiert worden war,19 im Ersten Weltkrieg. Ganz unmittelbar warf die neue Situation die Frage auf, wie mit den plötzlich zu ›feindlichen Ausländern‹ gewordenen Immatrikulierten umzugehen sei, und mittelfristig bewirkte der Krieg eine Umorientierung der Studentenströme (so daß 1930 nur noch 9 % aller Auslandsstudenten der Welt nach Deutschland kamen).20 Das zeitgenössische ranking der Universitäten wurde nicht vom Volumen der Publikationen und Forschungsmittel, sondern von der Studierendenzahl bestimmt. Und während man herkömmlich die hohe Frequenz mit der Qualität des Lehrkörpers begründete, heißt es neuerdings: »Die Professoren folgten den Studenten, nicht umgekehrt.«21 Deshalb werden hier von den beiden Gruppen, die zusammen die universitas bildeten, die Studierenden zuerst vorgestellt.22
Berlin Seit 1880 durchgehend die größte deutsche Universität,23 zählte Berlin bei Kriegsausbruch, also im Sommersemester 1914, 8024 regulär Studierende. (Das waren immerhin 265 weniger als im Jubiläumsjahr 1910). 10 % davon waren 19 S. dazu Siebe, »Nattern am Busen der Alma mater«; Siebe, »Germania docet«, S. 291–367. 20 Zur historischen Entwicklung: Daniela Siebe, Ausländische Studenten in Gießen (1900– 1949). Akzeptanz, Umwerbung und Ausgrenzung, Gießen 2000, S. 5 (Zwischen 1830 und 1895 studierte über die Hälfte aller Auslandsstudenten der Welt in Deutschland.); Siebe, »Germania docet«, S. 15 f. Daten für 1914: Peter Drewek, »Die ungastliche deutsche Universität«. Ausländische Studenten an deutschen Hochschulen 1890–1930, in: Jahrbuch für historische Bildungsforschung 5 (1999), S. 197–224, hier 200, 203. 21 Und ihrerseits suchten sich die Studenten ihre Universität entsprechend ihren finan ziellen Möglichkeiten, der Bedingung des Staatsdienstes, das Examen an der Heimatuniversität abzulegen, der Attraktivität der jeweiligen Stadt oder Landschaft, auch der Familientradition aus – kaum dagegen nach der wissenschaftlichen Qualität (für deren Erkennen ja bereits Fachkenntnisse vorausgesetzt sind). Alles nach Paletschek, Provinz versus Metropole?, S. 22. Eine ähnliche Beobachtung machte schon Marita Baumgarten, Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert. Zur Sozialgeschichte deutscher Geistes- und Naturwissenschaftler, Göttingen 1997, S. 221: »Die Berufungschancen bzw. das Prestige der jeweiligen Universität richtete sich nach ihrer Frequenz.« Vgl. auch 264. 22 Dabei gilt es, entsprechend dem zitierten Maßstab, von der größten zur kleinsten Universität ›abzusteigen‹. Berlin war natürlich bei allen drei Parametern führend. Doch könnte, jeweils innerhalb der Gruppen etwa gleichgroßer Universitäten, ein Vergleich der anderen beiden Leistungsbereiche interessant sein. 23 Zuvor hatte es gelegentlich auf Platz zwei gestanden, 1880–1945 war es durchgehend die größte deutsche Universität. Zwischen 1870 und 1914 hatte sich die Frequenz vervierfacht, wobei die Zuwachsraten seit den neunziger Jahren aber leicht unter dem Reichsdurchschnitt lagen (nach Paletschek, Provinz versus Metropole?, S. 223 f.) und die Studentenschaft schneller als die Professorenschaft gewachsen war (McClelland, Forschungsuniversität, S. 531 f., 535).
64 Hauptstadt – Provinz – Grenze Frauen (802). Fast zwei Drittel der Studierenden (73,4 %) waren Landeskinder – doch angesichts der Größe des preußischen Territoriums bedeutete dies eine Vielfalt unterschiedlicher Herkunftsregionen. Insofern hat es wenig zu besagen, daß der Anteil der Studierenden aus anderen deutschen Bundesstaaten – 11,5 % – geringer war als jener der Ausländer: 15,2 %.24 Seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts hatte Berlin auf Studenten aus den USA und allen europäischen Nachbarländern eine große Anziehungskraft ausgeübt und damit Paris, das bis dahin geführt hatte, Konkurrenz gemacht.25 Auch mit dem Ausländeranteil lag Berlin unter den Universitäten des Reiches an der Spitze, deutlich vor den beiden anderen Großuniversitäten – Leipzig (11,7 %) und München (9,3 %) – und inzwischen auch vor Heidelberg, das im 19. Jahrhundert in manchen Se mestern Spitzenwerte von bis zu 30,6 % Ausländern gehabt hatte, jetzt allerdings nur noch 13,1 %.26 Die mit Abstand größte Gruppe unter den Ausländern (und etwa die Hälfte aller Ausländer an der Universität Berlin) stellten die Studierenden aus dem Russischen Reich: 503 (d. h. 41,4 %; im Winter 1913 waren es noch 52,7 % gewesen27). Zwar hatte Berlin schon zu Hegels Zeiten eine große Ausstrahlungskraft auf die entstehende russische Intelligencija ausgeübt, Slavophile wie Westler.28 Doch der starke Zustrom in den anderthalb Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg hatte ganz andere Ursachen: Die wichtigste war die Diskriminierung jüdischer Studenten im Russischen Reich, wo diese seit 1887 einem numerus clausus
24 Daten für 1914 nach: Nachtrag zum Amtlichen Verzeichnis des Personals und der Studierenden der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin für das Winterhalbjahr 1914/15, Berlin 1914, wie üblich, als »Endgültige Feststellung« für das vorhergehende Semester, im unpag. Anhang. 25 vom Bruch, Humboldt-Universität, S. 57. 26 Da für Leipzig und München nur die Statistik des jeweils laufenden Semesters die Ausländer getrennt von den anderen Nichtlandeskindern ausweist, konnte für diese Frage die endgültige Feststellung des jeweils folgenden Semesters nicht herangezogen werden. Belege also nach: Personal-Verzeichnis der Universität Leipzig für das Sommer-Semester 1914, Leipzig o. J., S. 220f; Personalstand der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sommer-Halbjahr 1914, München 1914, S. 193. S. auch die graphische Darstellung bei Hartmut Titze, Datenhandbuch zur deutschen Bildungsgeschichte. [Bd. I/2:] Wachstum und Differenzierung der deutschen Universitäten 1830–1945, Göttingen 1995, S. 45 sowie die Daten und Prozentsätze S. 90 (Berlin), 317 (Heidelberg), 418 (Leipzig), 465 (München); für Heidelberg: S. 47, 313 (WS 1869/70: 30,56 %), 315 (SS 1914: 13,08 %). 27 Die Daten der Studenten aus dem Russischen Reich an allen deutschen Universitäten im SS 1913 findet man bei: Claudie Weill, Étudiants russes en Allemagne, 1900–1914. Quand la Russie frappait aux portes de l’Europe, Paris 1996, S. 92 (Berlin: 641 von 1217). Zum preußischen numerus clausus, der diesen Rückgang bewirkt hatte, s. u. 28 S. dazu Dmitrij Tschižewskij, Hegel in Rußland, in: Dmitrij Tschižewskij (Čyževskyj) (Hg.), Hegel bei den Slaven, 2. verb. Aufl. Darmstadt 1961, S. 145–396, als Überblick für die vierziger Jahre 174–177, außerdem die entsprechenden Abschnitte in den Kapiteln über die einzelnen Denker.
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unterlagen.29 Und gerade mit Blick auf die jüdische Mehrheit unter den ›russischen‹ Studierenden war dann ab Wintersemester 1913 ein (allerdings nicht publizierter) numerus clausus für russische Untertanen an preußischen Universitäten festgesetzt worden (nachdem zuvor schon München eine Quotierung für diese Gruppe eingeführt hatte und dies 1913 auf alle bayerischen Universitäten ausgeweitet wurde).30 Der zweite wichtige Grund für die rasant steigende Zahl der Studenten aus dem Zarenreich lag in der drei Semester währenden Schließung der russischen Universitäten während der ersten Revolution, 1905/06.31 Der Hauptstadtuniversität waren ausländische Studenten durchaus willkommen. In seiner Rede über »Internationale Aufgaben der Universität« hob der Altphilologe Hermann Diels Berlin 1906 als »Metropole«, in der deutsche und ausländische Studenten »den großen und freien Blick«, das »weltstädtische Leben« zu finden hofften, von den traditionellen englischen Universitäten in ihrer »Beschaulichkeit der altererbten Ideale« ab.32 1914 erschien eine Werbeschrift über Berlin und seine Universität, die sich besonders an Ausländer richtete und 105 mal verkauft wurde. Noch im ersten Kriegswinter ließ das Ministerium von einem in Deutschland geborenen und aufgewachsenen, nun internierten britischen Staatsbürger eine Übersetzung ins Englische anfertigen (während man die Herstellung einer chinesischen Ausgabe vorläufig aufgab).33 29 Er lag im Ansiedlungsrayon bei 10 %, außerhalb bei 5 %, in Petersburg und Moskau bei 3 %. 1901 wurde er verschärft, in den Jahren bis zum Ersten Weltkrieg gab es dann zeitweise Lockerungen, danach Wiederherstellung der früheren Normen und Einzelbestimmungen für verschiedene Universitäten. Dazu grundlegend Guido Hausmann, Der Numerus clausus für jüdische Studenten im Zarenreich, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 41 (1993), S. 509–531. Zu Umsetzung und Folgen: Trude Maurer, Diskriminierte Bürger und emanzipierte »Fremdstämmige«. Juden an deutschen und russischen Universitäten, Graz 2013, S. 48–53. 30 Jack Wertheimer, The »Ausländerfrage« at Institutions of Higher Learning. A Controversy Over Russian-Jewish Students in Imperial Germany, in: Leo Baeck Institute Year Book 27 (1982), S. 187–215, hier 200 f. Zitat zur Geheimhaltung bei Trude Maurer, »Der historische Zug der Deutschrussen nach Göttingen« oder: Auslese und Abschreckung. Die Zulassung zarischer Untertanen an einer preußischen Universität, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 53 (2004), S. 219–256, hier S. 252. 31 Zu weiteren Gründen für die Studienmigration s. Weill, Étudiants russes en Allemagne, S. 86–90. 32 Die neueren englischen civic universities erwähnte er allerdings nicht! Hermann Diels, Internationale Aufgaben der Universität. Rede zur Gedächtnisfeier des Stifters der Ber liner Universität (…), Berlin 1906, S. 10. 33 Zur Vergütung der englischen Übersetzung s. Amtl. Akad. Auskunftsstelle an der Kgl. FWU an [Pr. KuMi] 27.2.1915; zur chines. Ausgabe: Kgl. Min. der ausw. [!] Angelegenheiten an Pr. KuMi 12.11.1914; zum Absatz: Weidmannsche Buchhandlung an Pr. KuMi 21.8.1915. Alle: GSt APK I. HA Rep. 76 Sekt 1, Tit. I, Nr. 11 Bd. III, fol. 19 f., 17, 46. Clarence Sherwood war der Sohn des Englisch-Lektors der Dresdener TH und einer deutschen Sängerin und selbst 1892 in Berlin promoviert worden. Nach Joseph Spooner, Percy Sherwood: Complete Works for Cello and Piano. Album Notes [zur gleichnamigen CD], London 2012, S. 3, 8 f. (mit dem lat. Lebenslauf in A. 32).
66 Hauptstadt – Provinz – Grenze Für viele Deutsche bedeutete das Studium in der Hauptstadt des Reiches und an seiner größten Universität den krönenden Abschluß ihres Studiums. Zu dessen Abrundung oder Vervollkommnung kamen sie hierher. Das beeinflußte auch die Altersstruktur: Der Anteil von Studierenden in fortgeschrittenen Semestern war in Berlin höher als an den Provinzuniversitäten.34 Dazu paßt – auch wenn ursächliche Beziehungen nicht bewiesen, sondern allenfalls vermutet werden können –, daß die Mehrheit der Studenten, die sich in irgendeiner Form organisierten, dies in freien wissenschaftlichen Vereinigungen und nicht im chargierten Verbindungswesen tat. In diesem Sinn war Berlin, im Unterschied zu mancher kleineren, keine »Erlebnis-«, sondern eine »Arbeitsuniversität«.35 Allerdings war es manchem Professor alten Schlages, wie etwa dem Germanisten Roethe sehr unbehaglich in solcher Gesellschaft: Die »zahlreiche[n] Studenten, die nie einen Kommers mitgemacht haben, kaum wissen, was ein Kommersbuch ist (…) als rechte Studenten gelten zu lassen, wird mir doch sauer.«36 Hier – wie in anderen Metropolen – war der Anteil der in Verbindungen Organisierten schon Ende des 19. Jahrhunderts nicht sehr hoch gewesen. 1914, als er im Durchschnitt aller Universitäten noch bei 49,5 % lag, betrug er hier nur noch 24,4 %.37 Dabei gehörten nur etwa 6 % der Berliner Studierenden Korporationen mit Mensurbetrieb an. Da weitere 6 % (wie selbstverständlich auch die Mensurschlagenden) im Falle der Verletzung ihrer (sehr äußerlich verstandenen) Ehre aber ebenfalls unbedingte Satisfaktion forderten, waren insgesamt 12 % prinzipiell zum Duell bereit.38 Daß der Anteil der Korporierten (sowohl Farben, d. h. Band und Mütze, Tragende als auch »Schwarze«, die sich nur mit Bierzipfeln und Kneipjacken schmückten) so niedrig lag, mag mit dazu beigetragen haben, daß es in Berlin, anders als in den kleinen Universitätsstädten, nicht zu Konflikten zwischen der lokalen Gesellschaft und den Studenten kam. Doch spielte dabei vermutlich auch die Omnipräsenz von Militär und Polizei in der Hauptstadt eine Rolle.39 Und schließlich stellten die Studenten hier ja auch nur einen winzigen, zudem verstreuten Anteil der Bevölkerung. 34 McClelland, Forschungsuniversität, S. 545 f. 35 Rüdiger vom Bruch, Vom Humboldt-Modell zum Harnack-Plan. Forschung, Disziplinierung und Gesellung an der Berliner Universität im 19. Jahrhundert (Vortrag im Historischen Kolleg München), Manuskript S. 16. 36 Roethes Ansprache beim Festkommers, in: Schmidt, Jahrhundertfeier, S. 171–175, Zitat 172. Er selbst war Alter Herr des Vereins deutscher Studenten (nach: Und Roethe sprach…! Vielmehr: er schimpfte, in: Vorwärts 190, 13.7.1918 [Ausschnitt in: I. HA Rep. 76 Va KuMi Sekt. 2 Tit. IV Nr. 68 B Bd. I, fol. 44]). 37 Im WS 1888/89 hatte er bei 27,6 % gelegen. Kampe, Studenten und »Judenfrage« im Kaiserreich, S. 121 f. 38 Diese Prozentsätze wurden errechnet, indem die von Kampe (Studenten und »Judenfrage« im Kaiserreich, Tab. zwischen S. 116 und 117) aus der Korporationspresse für 1913/14 gesammelten Daten zur Gesamtzahl der Berliner Studierenden im SS 1914 in Relation gesetzt wurden. 39 Auf diesen Grund weist McClelland, Forschungsuniversität, S. 558 hin.
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Andererseits gab es innerhalb der Universität durchaus Spannungen zwischen den verschiedenen Gruppen. Hier, wo die Studentenschaft aufgrund der Dauerkonflikte zwischen liberalen und antisemitischen Verbänden ( allen voran der Verein deutscher Studenten) ohnehin außergewöhnlich polarisiert war, entstand – nach einer nur kurze Zeit bestehenden Bewegung der Unabhängigen 1892 – im Winter 1898/9 eine organisierte Freistudentenschaft. In der Hauptstadt des Reiches war sie stärker exponiert als an anderen Universitäten, da sie auch in der politischen Presse eingehend erörtert wurde. Andererseits entwickelten sich unter dem Druck antisemitischer Angriffe liberale Positionen hier deutlicher als anderswo. Doch breiteten sich ab 1910 gerade von Berlin aus deutschvölkische Studentenverbände aus, an deren Gründung oppositionelle Freistudenten beteiligt waren. Innerhalb der freistudentischen Bewegung selbst artikulierten sich die Berliner in dieser Zeit zunehmend als radikale Verfechter einer Programmpartei (im Gegensatz zu einer inhaltlich offenen Gesamtvertretung der ›Freien‹).40 1913 und 1914 wurde Walter Benjamin zum Vorsitzenden der Berliner Freistudentenschaft gewählt. Auf dem jährlichen (reichsweiten) Freistudententag beantragte sie (gemeinsam mit der Münchner) u. a. den Anschluß des Verbandes an die internationale Studentenvereinigung Corda Fratres, die in der Hochschulöffentlichkeit als pazifistisch galt, und die Öffnung für Mitglieder von Reformkorporationen, um so die Voraussetzungen für die Bildung eines ›akademischen Links-Blocks‹ zu schaffen.41 Zu den sozialen Aktivitäten der Berliner Freistudentenschaft gehörte die Einrichtung eines studentischen Arbeitsamtes bereits 1901 und eine Umfrage zur Wohnungssituation 1912/13.42 Besonders engagierte sie sich im Bildungsund künstlerischen Bereich: etwa mit einer Denkschrift zur Gründung eines akademischen Theaters, mit der Publikation der Zeitschrift Die Kunst im Le ben oder mit Exkursionen und Führungen, für die z. B. die führenden Vertreter der Berliner Secession ihre Ateliers öffneten: Leistikow, Corinth, Liebermann. Die Universitätsbehörden registrierten das freistudentische Interesse an der zeitgenössischen Kunst, die sich dem obrigkeitlichen Kunstgeschmack bewußt entgegenstellte, mit wachsendem Mißtrauen, und untersagten kurzerhand eine Publikation des Berichtes der kunstwissenschaftlichen Abteilung der Freistudentenschaft auf dem Universitätsgelände.43 Auch in die Veranstaltungstätigkeit griffen sie ein – erstaunlicherweise zunächst nicht bei Vorträgen (sogar 40 41 42 43
Wipf, Studentische Politik und Kulturreform, S. 39–41, 90, 172. Wipf, Studentische Politik und Kulturreform, S. 192–194. Wipf, Studentische Politik und Kulturreform, S. 45, 185. Wipf, Studentische Politik und Kulturreform, S. 77, 131. Ab 1913 hatte die Freistudentenschaft auch eine Pädagogische Abteilung (S. 187). Zu seinen (offenbar von der Mehrheit bislang nicht geteilten) Vorstellungen von studentischen Lesungen, bei denen der »sitt liche Mensch der Kunst sich unterwirft, um sie zu ahnen«, s. Walter Benjamin, Studen tische Autorenabende, in: Der Student 6 (1913/14), S. 114–116 (Zitat 116).
68 Hauptstadt – Provinz – Grenze dezidiert liberaler Redner) über die Reform des Dreiklassenwahlrechts, wohl aber, als es um »Student und Alkoholismus«, Sexualpädagogik und »das Sexualleben des Kindes« ging. (Da jeder freie Student zuhören konnte, waren die Veranstaltungen quasi öffentlich.) Hatte der Rektor zunächst die Verteilung einer freistudentischen Einführungsschrift und dann einer Nummer der Berliner Freistudentischen Blätter (die an anderen Berliner Hochschulen unbeanstandet blieb) untersagt, so folgte schließlich ein unbefristetes Verteilungsverbot auf dem Universitätsgelände. Anlaß waren zunächst ein kritischer Artikel gegen die »reaktionäre Haltung« der Korps und ihre »Vetternwirtschaft« in der preußischen Verwaltung, dann eine Parodie auf den Umgangston und das Selbstverständnis der Korpsstudenten. Als die Universität nach den genannten Vorträgen Listen der einzelnen Abteilungen der Freistudentenschaft verlangte, wurde deren personelle Schwäche klar: Sie hatte nur 187 Teilnehmer – von den insgesamt fast 5000 nichtorganisierten Studenten der Berliner Universität. Nun entzog der Senat ihr den Vertretungsanspruch. Sie mußte sich in einen studentischen Verein umwandeln und regelmäßig Namenslisten ihrer ›Ehrenbeamten‹ sowie der Teilnehmer ihrer Bildungsveranstaltungen einreichen. Auch das Kultusministerium machte deutlich, daß die Freistudentenschaft künftig nicht damit rechnen konnte, offiziell als Vertretungsorgan anerkannt zu werden. Gegen die Fortsetzung der politischen Bildungsarbeit hatten die Rektoren zunächst keine Einwände, doch schritt Max Lenz 1911 als amtierender Rektor ein, als Max Maurenbrecher (SPD) eingeladen wurde: »Parteiführer« seien »am wenigsten geeignet«, »objektiv« über politische Fragen zu sprechen.44 Mehrfach gab das Repräsentationsmonopol der Korporationen der Frei studentenschaft Anlaß, ein Jubiläum zu boykottieren: zunächst zum 200jährigen Bestehen des preußischen Königtums, später zum 100. Jahrestag der Universitätsgründung. Bei den Vorbereitungen dafür hatte der scheidende Rektor beim Versuch, einen Jubiläumsausschuß zu schaffen, der freien Studentenschaft Parität mit den Korporierten zugesagt. Doch sein Amtsnachfolger erschwerte die Voraussetzungen dafür so sehr, daß die Freistudenten zeitweise zum Boykott der Wahlen aufriefen und, nachdem sie diesen kurz zuvor aufgehoben hatten, die vom Rektor gesetzte Wahlbeteiligung nicht erreichten. Im dann gebildeten Ausschuß mit 39:30 deutlich in der Minderheit (obwohl die Nicht-
44 Der Rektor lehnte es übrigens ab, sein Verbot zu begründen. Er bezog sich nur auf sein Recht und die pädagogische Pflicht, eine Auswahl aus den angekündigten studentischen Vortragsveranstaltungen zu treffen. Für das Verbot der Einführungsbroschüre war nicht das kurze Kapitel über die »Sexuelle Frage« entscheidend, sondern die Textpassagen, in denen die Freistudenten ihre Bildungsarbeit mit dem Unvermögen der Hochschule begründeten. Das wird aus den Randbemerkungen des Rektors im überlieferten Exemplar deutlich. (Wipf, Studentische Politik und Kulturreform, S. 131–136, 153 A. 91; Zitate 136).
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korporierten in der Gesamtstudentenschaft ja eine Drei-Viertel-Mehrheit hatten!), verlangten sie eine Sperrklausel – und wurden vom Rektor der Sabotage bezichtigt. Nachdem er den Ausschuß aufgelöst hatte, berief er umgehend einen neuen allein aus Korporierten ein – und gestand schließlich den Nichtkor porierten einen einzigen Sitz darin zu, um nach außen den Schein einer Gesamtvertretung zu erwecken. Nach einem kritischen Kommentar dazu wurden die Berliner Freistudentischen Blätter bis zum Jubiläum erneut verboten. Die meisten Nichtkorporierten hielten sich dann von den offiziellen Feierlichkeiten fern – zur Veranstaltung in der Aula am zweiten Tag waren ohnehin nur Farbentragende zugelassen. Aber einen Monat später organisierte die Freistudentenschaft eine eigene Feier, an der 1000 Studierende teilnahmen und der prominenteste Redner der Nobelpreisträger für Chemie Wilhelm Ostwald war. Diese Auseinandersetzungen machten deutlich, daß »die ›Freie Studentenschaft‹ keineswegs als integraler Bestandteil der Universitätskorporation galt.«45 Inzwischen waren neue Reformvereine entstanden, etwa die vom Wandervogel inspirierte Akademische Freischar, die sich als Erziehungsgemeinschaft verstand, oder der Akademische Freibund, der eine »Liberalisierung des Studententums« anstrebte. Beide Bewegungen waren 1907 gegründet worden und hatten auch in Berlin Ortsgruppen. Im Gegensatz zur Freistudentenschaft wählten sie ihre Mitglieder aus – und ließen sich nicht in studentenpolitische Auseinandersetzungen verwickeln (die sich aus dem Alleinvertretungsanspruch der Freistudentenschaft ergaben). Nicht nur verschiedene Universitätsleitungen, sondern auch manche Reformverbindung, etwa die Akademische Freischar, lehnten diesen Anspruch der Freistudentenschaft als Anmaßung ab. Gleich zeitig artikulierte sich innerhalb der Freistudentenschaften verschiedener Universitäten ein katholischer Oppositionsflügel, auch in Berlin.46 Frauen an der Universität hatten sich, noch bevor ihnen die Immatrikulation gestattet war, bereits als Gasthörerinnen zusammengeschlossen. Zur Zeit des Kriegsbeginns war hier (wie z. B. auch in München) etwa ein Fünftel der Frauen organisiert. Vier überregionale Zusammenschlüsse waren damals mit einem eigenen Verein in Berlin vertreten: Der Verband der Studentinnenvereine Deutschlands (dem reichsweit etwa 1000 Mitglieder angehörten) war politisch und konfessionell neutral und an die Frauenbewegung angelehnt (Zeitschrift Die Studentin). In Berlin waren im Winter 1916/17 65 Frauen in diesem
45 Alles nach Wipf, Studentische Politik und Kulturreform, S. 44, 163–165, Zitat 165. Im offiziellen Festbericht spiegeln sich diese Vorgänge allenfalls indirekt: im Bedauern, daß aufgrund der Vielzahl der Einladungen von den zur Zeit des Jubiläums Studierenden nur wenige an den Festakten teilnehmen konnten, nur als »jugendliche Umrahmung« auf gefordert wurden und »im Wichs (…) auf der schmalen Galerie« standen (Schmidt, Jahrhundertfeier, S. 5, 35, 30). 46 Wipf, Studentische Politik und Kulturreform, S. 142–144.
70 Hauptstadt – Provinz – Grenze Verein aktiv.47 Die Deutsche Christliche Vereinigung studierender Frauen, die sich dem Weltbund christlicher Studenten angeschlossen hatte (aber in 16 deutschen Kreisen insgesamt nur 100 Mitglieder umfaßte), unterhielt in Berlin ebenfalls einen Verein. Neben diesem faktisch protestantischen bestand auch noch ein katholischer Studentinnenverein: Mechthild. Um innerhalb der bestehenden Universitätsstruktur Vertretungsrechte wahrnehmen zu können, mußten sich die Vereine in Satzung und Formalitäten den Korporationen angleichen. So wählten sie sich etwa auch Farben und Bänder, verzichteten aber auf spezifisch männliche Rituale wie die Mensur. Schließlich war in Berlin auch noch der Deutsche Verband akademischer Frauenvereine vertreten, der 1914 insgesamt vier Mitgliedsvereine hatte (zwei weitere kamen im Krieg dazu). Im Gegensatz zu den drei anderen Verbänden beruhte dieser auf streng korporativen Prinzipien und war von Anfang an »deutsch-christlich national« ausgerichtet (Zeitschrift Akademische Frauenblätter). Jüdinnen wurden dort nicht aufgenommen (obwohl sich der Verein gleichzeitig gegen den Vorwurf des Antisemitismus verwahrte und der Arierparagraph erst 1926 eingeführt wurde). Daneben bestanden noch losere Vereinigungen, etwa von Absolventinnen desselben Gymnasiums. Manche Studentinnen hatten sich auch der Freistudentenschaft, der Freischar oder wissenschaftlichen Vereinen angegliedert.48 Zu Semesterbeginn warben die vier Verbände, von denen der korporativ organisierte die Rituale männlicher Verbindungen bis zum obligatorischen Trinken und ›Salamander‹-
47 Im SS 1915 waren es allerdings nur 37 Frauen gewesen (S V [1915], S. 50). Mitgliederliste WS 1916/17 in: S V (1916/17), S. 73 f. Gerta Stücklen, die Altmitglied des Vereins war (74), gibt in ihrer bei Eberhard Gothein angefertigten Heidelberger Dissertation 1000 Mitglieder an (Gerta Stücklen, Untersuchung über die soziale und wirtschaftliche Lage der Studentinnen. Ergebnisse einer an der Berliner Universität im Winter 1913/14 veranstalteten Enquête, Göttingen 1916, S. 117). Betrachtet man allerdings die in der Zeitschrift angegebenen Mitgliedszahlen der einzelnen Vereine, so handelt es sich bei der Gesamtzahl 1000 vermutlich um aktive, inaktive und Altmitglieder. Zu diesem Verband s. ausführlich: Koerner, Auf fremdem Terrain, bes. S. 196 f., 210–213. Zu den Aktivitäten im Krieg u. Kap. III .4 mit A. 292–334. 48 Zu Berlin: Hannah Lund, Blaustrumpf – Knäbin – Pionierin! Die Berliner Studentin 1908–1918, in: Von der Ausnahme zur Alltäglichkeit, S. 49–57, hier 52 f.; Stücklen, Soziale und wirtschaftliche Lage der Studentinnen, S. 117–120. Zum Organisationsgrad in München: S V (1916/17), S. 62 f. Zum christlichen Verband: Christiana HilpertFröhlich, »Vorwärts geht es, aber auf den Knien.« Die Geschichte der christlichen Studentinnen- und Akademikerinnenbewegung in Deutschland 1905–1938, Pfaffenweiler 1996, S. 22; zum national-völkischen: Käte Conrad/Anne Marie Fiedler, Deutscher Verband Akademischer Frauenvereine (D. V. A. F.), in: Michael Doeberl (Hg.), Das akademische Deutschland. Bd. II: Die deutschen Hochschulen und ihre akademischen Bürger, Berlin 1931, S. 591 f. Zu dessen ideologischer Ausrichtung s. die Dissertation über die Gründerin: Louisa Sach, »Gedenke, daß Du eine deutsche Frau bist!« Die Ärztin und Bevölkerungspolitikerin Ilse Szagunn (1887–1971) in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus, Diss. med. Berlin 2006, S. 40–42.
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Reiben nachahmte, um neue Mitglieder.49 Damit stießen sie sowohl beim Lehrkörper als auch bei Mitstudentinnen, die der Universität ein moderneres und zugleich weiblicheres Gepräge geben wollten, auf Widerspruch.50 Angesichts dieser vielfältigen Landschaft unterschiedlicher und gegensätzlicher Assoziationen der Studierenden überrascht es kaum, daß die Berliner Universität, anders als die meisten übrigen, am Anfang des 20. Jahrhunderts keinen (übergreifenden) Studentenausschuß hatte. Der letzte war 1888 aufgelöst worden, und danach war es »trotz verschiedenartiger Bemühungen« nicht mehr gelungen, »eine Vertretung der gesamten Studentenschaft zu bilden«. »Immer größer und unüberbrückbarer schienen die Gegensätze zu werden, die einmal zwischen den korporierten und den nichtkorporierten Studenten und dann auch wieder innerhalb dieser beiden Gruppen dem Ideal einer einheitlichen Vertretung der Studentenschaft entgegenstanden.« Nur zur Abhaltung größerer Feiern waren jeweils – letztlich temporär gebliebene – Ausschüsse geschaffen worden. Doch 1913 wollten die Studierenden die zur Vorbereitung des Thronjubiläums gelungene Zusammenarbeit zur Ausgangsbasis für einen dauerhaften Zusammenschluß machen. (Während dies in ihrer Darstellung als eigene Initiative erscheint, findet sich dieselbe Tatsache im Jahresbericht des Rektors als dessen Erwartung wieder. Ihm schien es »für die Berliner Universität besonders schmählich, noch keine im Ausschuß geeinigte Studentenschaft zu haben«.) Tatsächlich wurde auf einer allgemeinen (von der präsidierenden der damals sieben Burschenschaften einberufenen) Studentenversammlung ein vorbereitender Ausschuß aus 16 Korporierten und 16 Nichtkorporierten (inkl. einer Frau) bestimmt, der im Juli 1914 auch einen Satzungsentwurf für einen allgemeinen Studentenausschuß verabschiedete. Die Ausländer waren dort aber schließlich nicht vertreten; denn ihr Wahlrecht war umstritten: Der Universitätsrichter trat für ihre Gleichberechtigung ein, wollte ihnen aber kein passives Wahlrecht gewähren, die Freistudenten verlangten für sie »völlige Gleichberechtigung«, die Mensur schlagenden und deutschvölkischen sprachen
49 S. die Erinnerungen an das SS 1915 bei Elisabeth Flitner, Ein Frauenstudium im Ersten Weltkrieg, in: Zeitschrift für Pädagogik 34 (1988), S. 152–169, hier 157: »Wenige Tage nach der Immatrikulation bekam jeder Neuling schriftliche Einladungen von den studentischen Frauenverbindungen zur Teilnahme an einer Sitzung und zur Mitgliedschaft. Um mir ein Bild zu verschaffen, nahm ich mehrere Einladungen wahr. Man wurde in den üblichen Ablauf des Abends eingereiht und konnte Stil und Inhalt des Vereins kennenlernen. Am penetrantesten steht mir ein deutschnationaler Club vor Augen. Jede Teilnehmerin hatte ein Seidel Bier vor sich stehen, die Chargierten trugen bunte Mützen und Schärpen; es wurde ›Salamander reiben‹ kommandiert und patriotisch gesungen – eine groteske Kopie der männlichen Verbindungen, wie ich sie von Jena her kannte.« 50 Lund, Berliner Studentin 1908–1918, S. 53. S. dort auch das Zitat Hans Delbrücks über Frauen, die beim Festkommers zum Universitätsjubiläum mitgetrunken hatten, damit die männlichen Studenten »belästig[t]« und sich selbst »erniedrig[t]«.
72 Hauptstadt – Provinz – Grenze ihnen jegliches Wahlrecht ab.51 Da der Ausschuß wegen des Krieges dann nicht ganz den Satzungen entsprechend ausgestaltet werden konnte, agierte er als immer wieder bestätigter vorläufiger Ausschuß.52 Das soziale Interesse innerhalb der Studentenschaft wollte ein im Sommer 1913 gegründeter Akademisch-sozialer Ausschuß wecken, dem 17 Verbindungen und Vereinigungen angehörten.53 Wesentlich praktischer als diese (nur) auf Vorträge zielende Vereinigung war die Soziale Arbeitsgemeinschaft Berlin-Ost, die der Potsdamer Friedenskirchen-Pfarrer Friedrich Siegmund-Schultze 1911 gegründet hatte, indem er zunächst sein Amt aufgab und mit Familie samt drei Studierenden selbst in dieses Problemviertel zog. Nach dem Vorbild des Londoner East End schuf er hier dann die erste Nachbarschaftssiedlung für Arbeiter und Studenten. Wie Siegmund-Schultze selbst Mitglied der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung war (die in Deutschland 1913 über 900, in Berlin 65 Mitglieder hatte), war auch seine Schöpfung zunächst an diese angelehnt.54
Straßburg Straßburg gehörte zu Beginn des Krieges zu jener Gruppe der deutschen Universitäten, die zwischen 1500 und 3000 Studierende zählten. (Und zwischen ihr und den großen – Berlin, München, Leipzig, Bonn – lagen noch die ›Dreitausender‹, Freiburg und Halle.) Im Sommersemester 1914 zählte die ›Hauptstadt‹ des Reichslandes Elsaß-Lothringen 1959 Studierende (ebenso wie Berlin also deutlich weniger als ein Jahr zuvor). Davon waren nur 3 % (59) Frauen.55
51 Ausschuß der Studentenschaft der Kgl. Friedrich-Wilhelms-Universität. Bericht für das Winter-Semester 1914–15, in: BAN IX (1914/15), S. 122–126, hier 122 f.; Rektorwechsel 1913, S. 15; Plancks Worte werden referiert in: Primus, Zur Schaffung des Ausschusses an der Berliner Universität, in: Der Student 6 (1913/14), S. 183–185, Zitat 184, dort auch Positionen zum Wahlrecht der Ausländer. Details: Die allgemeine Studentenversammlung vom 13. Juli 1914, in: Der Student 6 (1913/14), S. 389–392 (drei Anträge bezügl. Ausländer S. 389). 52 Theodor Kipp, Bericht über das Amtsjahr 1914/1915, Berlin 1915, S. 13. 53 BAN IX (1914/15), S. 78 f. Zur Tätigkeit im Krieg s. u. S. 439 f. 54 Haejung Hong, Die Deutsche Christliche Studenten-Vereinigung (DCSV) 1897–1938. Ein Beitrag zur Geschichte des protestantischen Bildungsbürgertums, Marburg 2001, S. 133–137, zur Trennung (weil Siegmund-Schultze dann auch nichtgläubige Studenten aufnahm) 142. Mitgliedszahlen der DCSV nach Hong, Tabelle S. 39. Zu S.-S. auch BBKL XXIV (2005), Sp. 1349–1366 (Karl Heinz Voigt), zu seiner Einschätzung der Studentinnen-Arbeit in der Munitionsindustrie u. S. 515 f. 55 Die Daten für 1914 und spätere Semester nach PV KWU Strb. SS 1914, S. 90. Für 1913 s. die Tabelle bei Weill, Étudiants russes en Allemagne, S. 92. Eine Tabelle zur Herkunft der Straßburger Studentenschaft aus den einzelnen deutschen Bundesstaaten für 1872–1899 findet man bei Wahl, L’immigration allemande, S. 212.
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Nach der Gründung des Deutschen Reiches hatte ein Straßburgsemester als nationale Pflicht gegolten. In ihren Autobiographien stilisierten die ehemaligen Studenten, die diesem Appell gefolgt waren, die Stadt sogar zum Zentrum und Spiegelbild deutscher Kultur.56 Implizit erklärte noch im frühen 20. Jahrhundert ein Rektor (übrigens Physiker!) die ›altdeutschen‹ Studenten zu Kolonisatoren.57 Andererseits wurden in den letzten Jahren vor dem Krieg an der Universität und in ihrem Umfeld »auch manche Söhne altdeutscher Eltern« für die damals aufgekommene Vorstellung einer »Vermittlerrolle des Elsaß« aufgrund der dort existierenden »Doppelkultur« gewonnen.58 Wegen der der Universität Straßburg zugewiesenen Mission ist die übliche Unterscheidung zwischen Landeskindern und Angehörigen anderer deutscher Staaten von viel größerer Bedeutung als bei anderen deutschen Hochschulen. Der Anteil der Elsässer war in den Jahrzehnten vor dem Krieg kontinuierlich gestiegen: von 17,2 % (1882) auf 40 % (1913). So stand den 50,8 % ›Altdeutschen‹ (von denen ein Drittel aber schon im Reichsland aufgewachsen war) eine nur wenig kleinere Gruppe von Elsässern gegenüber. Betrachtet man die im Elsaß geborenen oder aufgewachsenen Kinder der Zuwanderer dagegen als eigene Gruppe (15,9 %), waren die ›Altdeutschen‹ (34,9 %) schon im Hintertreffen.59 56 S. dazu Silke Möller, Zwischen Wissenschaft und »Burschenherrlichkeit«. Studentische Sozialisation im Deutschen Kaiserreich 1871–1914, Stuttgart 2001, S. 231. Die nationale Pflicht erwähnte rückblickend auch der Rektor in seiner Ansprache 1913 bei einem Sonderkommers (der zusätzlich zum allgemeinen abgehalten wurde): Reichs- und KaiserKommers des Waffenrings der Straßburger Studentenschaft 28.1.1913 (….). Rede des Rektors: ADBR 103 AL 152. 57 In seiner Antrittsrede sagte er: »Und Sie, meine Herren Studierenden, kommen nicht in ein ausgebeutetes, sondern in ein neu erschlossenes Land. Möge Ihre Kulturarbeit eine glückliche sein!« (Ferdinand Braun, Über drahtlose Telegraphie und Neuere Physika lische Forschungen, in: Stiftungsfest der KWU 1905, S. 17–49, Zitat 38). 58 Zitat: Albert von Mutius (Hg.), Aus dem Nachlaß des ehemaligen Kaiserlichen Statthalters von Elsaß-Lothringen, früheren Preußischen Ministers des Innern von Dallwitz, in: Preußische Jahrbücher 214 (1928), S. 1–22, 147–166, 290–303, hier 293. Dallwitz, der bereits bei der Vorbereitung der elsaß-lothringischen Verfassung von 1911 als deren Gegner hervortrat (S. 159), wurde selbst allerdings erst im Frühjahr 1914 Statthalter dort (und bemühte sich dann um deren Abschaffung; s. Fisch, Elsass im Kaiserreich, S. 133). Er berichtet also allenfalls aus kurzzeitiger Anschauung der Vorkriegsverhältnisse. Außerdem legt der Kontext nahe, daß er sich auf die Söhne im Reichsland lebender Altdeutscher bezieht – die man evtl. auch als Neuelsässer betrachten könnte (nicht auf Studenten aus ›Altdeutschland‹). Jedenfalls aber scheint Craigs Interpretation der Stelle als »many German students« (Scholarship and Nation Building, S. 186) nicht zutreffend. Zur Doppelkultur s. genauer u. S. 205–209. 59 Nur im Gründungsjahr, 1872, hatte er über dem hier gewählten Ausgangsdatum 1882 gelegen: bei 28,5 %. Alle Prozentsätze berechnet nach der Tabelle bei Craig, Scholarship and Nation Building, S. 357. Als Elsässer sind hier nur die als »native« klassifizierten Bewohner des Reichslandes gerechnet, nicht die als »immigrant« bezeichneten. Letztere wurden zu den ›Altdeutschen‹ gerechnet. Zur Ermittlung der Klassifizierung s. den Anhang Statistical Sources and Methods, S. 349–356, bes. 350.
74 Hauptstadt – Provinz – Grenze (Im Sommersemester 1914 betrug der Anteil der Landeskinder – ohne sie nach den Kindern Elsässer oder zugewanderter Eltern unterscheiden zu können – 54,3 %, ohne die Lothringer 45,4 %.60) Die nationale Mission führte nicht nur (wie an den preußischen Universitäten) zu besonderer Überwachung der Polen, sondern auch der frankophil orientierten Studenten.61 Obwohl der katholische Bevölkerungsanteil hier noch viel höher war als jenseits des Rheins, waren die Katholiken unter den Studenten zunächst noch stärker unterrepräsentiert.62 Doch mit dem steigenden Anteil der Landeskinder änderte sich auch die konfessionelle Zusammensetzung der Studentenschaft. Im letzten Friedensjahr übertraf der katholische Anteil (45,3 %) den protestantischen (43,9 %) sogar; dazu kamen 9,6 % Juden und ein gutes Prozent von Studenten, die sonstigen Bekenntnissen angehörten.63 Zu der in sich schon heterogenen deutschen Studentenschaft kamen noch die Ausländer. In den letzten Jahrzehnten hatte Straßburg immer viele angezogen, u. a. Fortgeschrittene, die wegen der damals besonders avancierten Labor ausstattung und bedeutenden Lehrenden gekommen waren. Hatte es in den siebziger Jahren (nach Berlin und Leipzig) die drittgrößte Gruppe ausländischer Studenten des Reichs,64 so lag es zu Kriegsbeginn weit hinter Berlin.65 Im Sommer 1914 beherbergte es immerhin wieder 3,7 % der 4750 in Deutschland studierenden Ausländer. Unter den in Straßburg Immatrikulierten stellten die Ausländer 8,9 % (175 von 1959).66 Fast drei Viertel (72,6 %) von ihnen stammten aus dem Russischen Reich. Ein Jahr zuvor (als die Zahl der Ausländer noch höher gelegen hatte) waren es 63,4 % gewesen. Daß die Gesamtzahl der Ausländer zurückgegangen und zugleich der Anteil der aus Rußland stammenden gestiegen war, könnte beides auf die all 60 Berechnet nach den Daten in: PV KWU Strb. SS 1914, S. 90–92. 61 1913 wurden z. B. zwei polnische Juristen aus Posen (also preußische Staatsbürger) »wegen antinationaler Schmähungen, verbunden mit schweren Beleidigungen von Kommilitonen« für zwei Semester der Universität verwiesen. KWU an Dekan der Med. Fak. 1.7.1913: ADBR 103 AL 1049. 62 Das gilt sogar dann, wenn man die soziale Herkunft mitberücksichtigt. Craig, Scholarship and Nation Building, S. 114 und 360 Tab. 6. 63 Die Rohdaten in: Elsass 1870–1932. IV: Karten, Graphik, Tabelle, Dokumente, Tab. Nr. 105, S. 210. Hier auch Daten für 1898 und 1907. 64 Craig, Scholarship and Nation Building, S. 76 f. (mit Auszügen aus Personalzeugnissen amerikanischer Studenten der siebziger Jahre). 65 Anfang der achtziger Jahre hatte Straßburg 9 % von allen ausländischen Studenten in Deutschland angezogen, 25 Jahre später nur noch 2,5 %. Craig, Scholarship and Nation Building, S. 161. 66 1913 waren es noch 9,25 % gewesen. (Die Ausgangsdaten nach Weill, Étudiants russes en Allemagne, S. 92, weichen von Craigs Angaben für 1913 etwas ab, da sie auf den universitären Personalverzeichnissen beruhen, Craigs dagegen auf statistischen Jahrbüchern – die offenbar ein anderes Stichdatum hatten). Rohdaten für 1914 nach PV KWU Strb. SS 1914, S. 90, 92.
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gemeine und Straßburger Politik gegenüber dieser Gruppe zurückzuführen sein. Im vorausgegangenen Wintersemester hatten sich noch 35 Mediziner (und ein katholischer Theologe) aus dem Russischen Reich in Straßburg neu eingeschrieben, wenige Ende Oktober, die meisten im November (vielleicht, nachdem sie an preußischen Universitäten abgewiesen worden waren?).67 Aber im Lauf des Wintersemesters hatte auch die Straßburger Universität auf Vorschlag des Kurators einen numerus clausus beschlossen, der ab Sommer 1914 galt: Dabei wurde die Zahl der Medizinstudenten auf maximal 100 pro Land begrenzt. In dem Heft der Straßburger Akademischen Mitteilungen vom April 1914, das alle Interessenten, die um Zusendung eines Vorlesungsverzeichnisses baten, als kostenlose Beilage erhielten, wurden die Konsequenzen klar ausgesprochen: »Da im verflossenen Winter 135 russische Studierende der Medizin immatrikuliert waren, so können russische Studierende der Medizin in diesem Sommersemester überhaupt nicht immatrikuliert werden.«68 Auch in Straßburg hatte es seit Jahren Klagen über die »Ausländerplage« gegeben. Aber ein anonymer pragmatischer Vorschlag, der höhere Gebühren für Ausländer zwar ablehnte, bei der Belegung von Laborplätzen etc. jedoch eine Stufung in Landeskinder, andere Deutsche und Ausländer vorsah und damit zugleich die Priorität der Elsässer (bzw. im Elsaß Geborenen) gesichert hätte, blieb unerhört.69 1913 verlangten dann die Klinikerstudenten, anhand der Beleglisten der Quästur bzw. Dozenten selbst den angeblich mißbräuchlichen, d. h. nichtregistrierten und unbezahlten Vorlesungsbesuch von Ausländern zu kontrollieren, was die Medizinische Fakultät aber zurückwies. Wie auch der Rektor sprach sie sich (vermutlich zur Besänftigung der Studierenden) für eine Kontrolle durch Beamte der Universität bzw. Institute aus.70 Einen Beschluß über die Erhöhung der Hörgelder verschob der Senat auch im Sommer 1914 noch weiter.71 Tatsächlich gab es im 67 Nach den Immatrikulationsdaten in: PV KWU Strb. SS 1914. 68 Mitteilungen, namentlich bezüglich der Immatrikulation, in: SAM XVI (SS 1914), Nr. 1, 25.4.1914, S. 1–3, Zitat 1. Protokoll der Senatssitzung vom 20.12.1913: ADBR 103 AL 114, unfol. Daß der Kurator um »gutachtliche Äußerung« zu einer »Höchstziffer« und höheren Gebühren gebeten hatte, ist als Vorschlag zu interpretieren. 69 Zu den Klagen s.: Verhandlungen des Landesausschusses, in: Straßburger Bürger-Zeitung 71, 24.3.1911; zum Vorschlag dieser demokratischen Zeitung: Die Landesuniversität und ihre ›Ausländerplage‹, in: Straßburger Bürger-Zeitung 74, 28.3.1911, S. 6. Beide in: ADBR 103 AL 201. Der letztgenannte Artikel ist unterzeichnet: »Homo sum«! 70 Den Schaden beim Besuch theoretischer Vorlesungen hätten nur die Dozenten (durch nicht gezahlte Hörgelder); unregistriert an Praktika und klinischen Veranstaltungen teilzunehmen, sei aber nutzlos, weil man dann ja nicht aufgerufen werde und nicht praktisch arbeiten könne. Dekanat der Med. Fak. an Rektor KWU 19.12.1913 Abschrift: ADBR 103 AL 1049. 71 Zunächst sollten nach dem Vorschlag eines Senators Informationen über das Verfahren anderer Universitäten eingeholt werden, um dann die einzelnen Straßburger Fakultäten Stellung nehmen zu lassen. S. Prot. der Senatssitzung vom 22.6.1914 (mit Ergänzung vom 22.7.1914): ADBR 103 AL 115.
76 Hauptstadt – Provinz – Grenze Sommer 1914 aber nur einen einzigen neuen Studenten aus Rußland: einen Philologen.72 Einmal zugelassen, wurden Studenten von dort (ob Russen, Deutsche oder Juden) in Straßburg wie anderswo innerhalb der Universität (zumindest formal) gleichbehandelt.73 Im gesellschaftlichen Leben der Stadt spielten die Studenten eine geringere Rolle als in den kleinen deutschen Universitätsstädten.74 Zudem galt Straßburg als Arbeitsuniversität. Zwar entstanden schon im ersten Semester 10 Korporationen, doch hatten sie jeweils nur eine Handvoll Mitglieder. So war das Studentenleben stärker von informellen Zirkeln geprägt, von denen manche ein Jahrzehnt lang bestanden und auch Lehrende einschlossen.75 Das Organisationsmuster entsprach der vielfältigen Zusammensetzung der Straßburger Studentenschaft. Zwar war das traditionelle deutsche Studentenleben den Elsässern fremd – denn der korporierte Student erschien ihnen als Verkörperung des preußischen Oberschichttypus: kastenmäßig abgeschlossen, ohne Geschmack, militaristisch. Tatsächlich bestanden enge Verbindungen zwischen den studentischen Corps und der Offizierswelt. Elsässische Studenten, die Mitglieder solcher Korporationen wurden, waren anderen Elsässern daher suspekt. Maximal 15 % aller bis 1900 studierenden Elsässer waren jemals Mitglied einer Verbindung, und während einerseits der Prozentsatz der Elsässer in der Studentenschaft stieg, ging andererseits ihr Anteil an den Korporierten zurück. Da aber auch bei vielen ›altdeutschen‹ Studenten und Professoren die Skepsis gegenüber dem traditionellen Studentenleben wuchs, waren für Straßburg die eher wissenschaftlich orientierten formellen und informellen Zusammenschlüsse charakteristisch.76 Die Deutsche Christliche Studentenvereinigung zählte hier 25 Mitglieder.77 Elsässer schlossen sich gern konfessionellen Verbindungen an, von denen die Argentina und die Wilhelmitana als Zusammenschlüsse der protestantischen Theologen bereits in französischer Zeit entstanden waren. (Der Wilhelmitana 72 Nach den Immatrikulationsdaten in: PV KWU Strb. SS 1914: Schmuel Schraer. 73 Darauf verweist z. B. die Aufzählung der verstorbenen »Kommilitonen« im Jahresbericht des Rektors (Stiftungsfest der KWU 1914, S. 13; genauer u. S. 1048). Zur Haltung gegenüber einem Zusammenschluß rußländischer Studierender s. u. Zur Gleichbehandlung in Göttingen (nach Abschreckung vieler Interessenten durch den Universitätssekretär im Vorfeld) s. Maurer, Auslese und Abschreckung; außerdem: Trude Maurer, Balten, Polen, Juden – und strebsame Frauen. Die »russischen« Studenten Göttingens um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, in: Elmar Mittler/Silke Glitsch (Hg.), 300 Jahre Sankt Petersburg. Rußland und die »Göttingische Seele«, Göttingen 2003, S. 453–473 (als Gesamteindruck aus der Lektüre zahlreicher Dissertationsgutachten und Prüfungsprotokolle). 74 Elsass 1870–1932. Bd. III: Geschichte der kulturellen und religiösen Entwicklung, S. 120. 75 Craig, Scholarship and Nation Building, S. 76 f. 76 Otto Mayer, Die Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg. Ihre Entstehung und Entwicklung, Berlin u. a. 1922, S. 80. 77 Hong, Deutsche Christliche Studentenvereinigung, Tabelle S. 39.
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gehörte z. B. Albert Schweitzer an.) Auch einen bikulturell orientierten katholischen Reformverein hatte es einst gegeben, doch war er nach der Jahrhundertwende verschwunden. Daneben existierten frankophile Vereinigungen, die aber – trotz der allgemein postulierten Dominanz frankophiler Gesinnung – nie die Mehrheit der elsässischen Studenten anziehen konnten. Zudem wurden wichtige elsässische Studentenvereine mehrfach geschlossen: Sundgovia 1887, der 1903 gegründete Cercle des étudiants alsaciens-lorrains (der bewußt den Gegensatz zum deutschen Studententum pflegte) 1911. In beiden Fällen entstand aber nach dem Verbot ein neuer Zusammenschluß der »Ehemaligen«. Die Gründung dieser Vereinigungen deutet allerdings nicht auf eine Stärkung der frankophilen Gesinnung hin, sondern reagierte im Gegenteil auf deren Schwächung. So wurde Anfang des 20. Jahrhunderts die Ablehnung des Umgangs mit Altdeutschen schwächer. Elsässer traten nun sogar in Burschenschaften und Corps ein. 1910 gehörte ein Drittel der Elsässer einer Verbindung an, und zwar überwiegend einer konfessionellen, elsässischen.78 Um ihre Differenz zu markieren, gründeten sie also eigene Organisationen.79 Aber damit übernahmen sie die Formen des deutschen Studentenlebens und paßten sich ihm, wenn auch in einer parallelen Struktur, letztlich an. Einem Bauern- und Winzersohn aus dem Unter-Elsaß zufolge (der sein gesamtes achtsemestriges Jurastudium in Straßburg verbracht hatte) entsprachen die verschiedenen Studentenverbindungen auch der unterschiedlichen sozialen Herkunft: Die Söhne der Bourgeoisie schlossen sich dem Cercle und der 1909 gegründeten Association des étudiants alsaciens-lorrains an, Beamtensöhne den schlagenden, Bauernsöhne den konfessionellen Verbindungen.80 Die Verbindungen pflegten nicht nur Geselligkeit und Solidarität, sondern kultivierten zugleich die eigene, elsässische Identität. Dazu dienten auch Rituale, die von den Vereinen ausgingen, an vorderster Stelle der jährliche Schweigemarsch (monôme) der frankophilen elsässischen Studenten um das Denkmal des aus dem Elsaß stammenden Generals der Revolutionszeit J.-B. Kleber, der als Gegendemonstration zu den offiziellen deutschen Paraden in Straßburg
78 Craig, Scholarship and Nation Building, S. 122–130, 174–184; Elsass 1870–1932 III, S. 120. Beleg für Schweitzer: Schweitzer/Bresslau, Briefe, S. 380. 79 Denis, Vivre à Strasbourg, S. 66 f. 80 Désiré Müntzer, Der elsässische Student und das Deutschtum. Ein Beitrag zur Elsässischen Frage, Straßburg o. J. [1910], S. 24 f. Biogr. Informationen: NDBA 6, S. 2779 f. Allerdings wurde er nicht, wie dort angegeben, in Straßburg, sondern wie viele andere Juristen, die nie in Jena studiert hatten, 1912 dort promoviert. Bei der sozialen Zuordnung kann es sich wohl nur um eine Tendenz handeln, da noch 1910 nur knapp 12 % der Studenten aus der Bauernschaft stammten (Elsass 1870–1932 IV, Tab. 104, S. 209). Müntzer (Der elsässische Student, S. 9) dagegen beobachtet eine »Verjüngung« der Bourgeoisie »durch das elsässische Bauernblut« und behauptet: »Heute sind es zum größten Teil Bauernsöhne, die auf den Universitäten studieren«.
78 Hauptstadt – Provinz – Grenze gedeutet worden ist.81 Ursprünglich von der Sundgovia eingeführt,82 wurde er auch nach deren Zwangsauflösung weiter praktiziert, 1900 verboten, im Dezember 1905 schließlich wieder erlaubt. (Trotzdem wurden Studenten, die einen Monat vor Aufhebung des Verbots einen Schweigemarsch veranstaltet hatten, nachträglich noch angezeigt und bestraft.)83 Die Persiflage eines monôme einige Jahre später wurde – trotz der beginnenden Faschingszeit – als antielsässische Demonstration gedeutet, die Verwendung eines Besenstiels mit einem roten und einem weißen Fetzen (durch den Couleurdiener) als Profanierung der elsässischen Farben. Daß die Straßburger Bürger-Zeitung dabei feststellte, »die elsässische Studentenschaft [sei], wie die altdeutsche auch, (…) berechtigt«, ihre traditionellen Bräuche zu pflegen, belegt nicht existierende Gleichberechtigung, sondern deutet eher auf die Notwendigkeit der Selbstbehauptung hin und diente zugleich als Grundlage für die Kritik an der Haltung der ›altdeutschen‹ Studenten, die sich nicht mit der »Unaufdringlichkeit« eines »schweigsamen Rundgang[s]« im »Dunkel der Nacht« begnügten.84 (Der Darstellung der Bürger-Zeitung stand allerdings eine andere Tatsachenbeschreibung des betreffenden Corps und eine andere Einschätzung der Straßburger Neuesten Nachrichten entgegen.85) Trotz der Akzeptanz der Universität bei den Elsässern, die durch die wachsende einheimische Studentenschaft und die Übernahme deutschen Studentenlebens dokumentiert wird, waren die Beziehungen zwischen Studenten aus dem Elsaß und von jenseits des Rheines also keineswegs spannungsfrei. Der Winzersohn und Jurist plädierte für eine Aufhebung des Gegensatzes zwischen (im Elsaß aufgewachsenen) altdeutschen und elsässischen Studenten, indem erstere das Elsaß als »Heimat« und letztere Deutschland als »Vaterland« anerkannten und sie gemeinsam eine »›elsässisch-nationale Vereinigung‹ auf der Grundlage der elsaß-lothringischen Staatsangehörigkeit« bildeten.86 Die Behörden betrachteten vor allem die Frankophilen mit Argwohn: Als sich der bekannte Musikverlag Breitkopf & Härtel Anfang 1914 vor dem Druck eines
81 Denis, Vivre à Strasbourg, S. 86. 82 Craig, Scholarship and Nation Building, S. 126. 83 S. dazu Zuem Klêwer. Gedicht vum Albert Matthis mit G’sang fur e’ Mannsstimm und Klaviermüsik [Doppelblatt mit Zeichnung, Text und Noten] [1904]; zur Aufhebung des Verbots: Ministerium für Elsaß-Lothringen an Polizeipräsident 11.12.1905; zur späteren Anzeige und Bestrafung: Vom Monôme, in: Straßburger Bürger-Zeitung 23.1.1906. Alle in: ADBR 103 AL 202. 84 Studentische Provokation, in: Straßburger Bürger-Zeitung 39, 16.2.1909. Ausschnitt in: ADBR 103 AL 199. 85 Keine studentische Provokation, in: Straßburger Neueste Nachrichten 40, 17.2.1909 [Abdruck einer Erklärung des Corps Suevia und eigener Kommentar dazu]: ADBR 103 AL 199. 86 Müntzer, Der elsässische Student, Zitate S. 29, 34.
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studentischen Liederbuchs an das Straßburger Polizeipräsidium wandte, weil ihm einer der Texte politisch bedenklich vorkam, die Studenten sich aber damit rechtfertigten, dies sei ein traditionelles Lied, wurde ihm für den Fall der Veröffentlichung tatsächlich eine Prüfung auf Verstoß gegen das Strafgesetz in Aussicht gestellt. Den Chansonnier de l’étudiant Alsacien-Lorrain wollte übrigens der Pharmazeutenverein drucken lassen, doch einen solchen studentischen Verein gab es nicht – während die Universität den Studenten im Mai 1906 verboten hatte, Mitglied des allgemeinen Pharmazeuten-Vereins zu werden (und von den bisherigen Mitgliedern den sofortigen Austritt verlangt hatte).87 Damals hatte der Verein sein Faschingsfest in blau-weiß-roten Dekorationen und unter Ausschluß der ›Altdeutschen‹ gefeiert.88 Im Sommer 1914 erneuerte der Senat der Universität das Verbot der Mitgliedschaft im Pharmazeutenverein. Grundlage dafür war eine Bestimmung der Akademischen Vorschrift, wonach die Teilnahme von Studierenden an Vereinen von Nichtstudenten »im Interesse der akademischen Disziplin untersagt werden« konnte.89 In einem anderen Fall dagegen, in dem es um die Studierenden aus dem Russischen Reich ging, stellte sich die Universitätsleitung gerade mit dem Disziplinargument vor die Studenten. Im Sommer 1913 stellte die Polizei Unter suchungen über die Russische Akademische Lesehalle an und beabsichtigte deren Auflösung. Doch das Disziplinaramt der Universität, dem die Akten zur Stellungnahme überwiesen wurden, sah »eine Gefährdung der akademischen Disziplin in keiner Weise« nachgewiesen – und deshalb keinen Grund zur Schließung der Lesehalle.90 In den Debatten über die Universitätsreform im Russischen Reich 1905 hatte übrigens ein Professor, der 1885–1887 zur Weiterqualifikation in Straßburg gewesen war, daran erinnert, mit welcher Selbst verständlichkeit die deutschen akademischen Behörden diesen russischen Verein damals binnen weniger Tage zugelassen hatten.91 Anfang 1913 waren auch 87 Breitkopf & Härtel an Polizeipräsidium Straßburg 21.1.1914; Pol.präs. an Ksl. Ministerium/Abt. des Innern 23.1.14 (Abschrift); Aktennotiz 27.1.1914; Bericht des Rektors [Adressat unklar] 14.2.1914; alle in: ADBR 103 AL 198. Dort auch der Text des Liedes, das man evtl. auch als profranzösische Replik auf Ernst Moritz Arndts »Was ist des Deutschen Vaterland?« lesen könnte. 88 Stefan Fisch, Nation, ›Heimat‹ und ›petite patrie‹ im Elsaß unter deutscher Herrschaft (1870/71–1918), in: Marco Bellabarba/Reinhard Stauber (Hg.), Identità territoriali e cultura politica nella prima età moderna, Bologna u. a. 1998, S. 359–373, hier 367. 89 Verbot des Pharmazeutischen Vereins für Studenten [gedruckte Notiz, Quelle unklar]: ADBR 103 AL 199. Und der Verein selbst wurde laut Fisch, Nation, ›Heimat‹ und ›petite patrie‹, S. 367 im Juni aufgelöst. 90 Akten-Notiz 2.6.1913; Akten-Notiz 1.7.1913. Beide in: ADBR 103 AL 199. 91 D. A. Gol’dgammer, O »zapiske (1.500?) učenych«, in: Russkaja Mysl’ 26 (1905), 8, 2. Paginierung, S. 1–29, hier 23. Deutsche Zusammenfassung (ausführlicher als hier) bei Trude Maurer, Hochschullehrer im Zarenreich, Ein Beitrag zur russischen Sozial- und Bildungsgeschichte, Köln u. a. 1998, S. 759.
80 Hauptstadt – Provinz – Grenze die Mitglieder der Lesehalle vom Rektor zum Kaiser- und Reichskommers eingeladen worden – zehn hatten damals dankend angenommen. Bei dieser Gelegen heit bezeichnete ihr Vorsitzender die Lesehalle übrigens als »Korporation«.92 Neben den Verbindungen gab es in Straßburg seit 1907 auch eine organisierte Freistudentenschaft, die 1911 dem gesamtdeutschen Verband beitrat.93 1910 wollte sie in der sozialwissenschaftlichen Abteilung Vorträge von Vertretern verschiedener Parteien über deren Programme halten lassen, sah – nach einem Vorgespräch mit dem Universitätssekretär – aber davon ab.94 Sie gab auch eine eigene Zeitschrift heraus, die Freistudentischen Blätter für Elsaß-Lothrin gen (1909–1914).95 Die Vereinigung katholischer Freistudenten hatte in Straßburg eine feste Bastion.96 Einen Studentenausschuß hatte es in Straßburg schon in den achtziger Jahren gegeben – und dem zitierten russischen Professor galt er als Ausweis der Autonomie der deutschen Universität. Doch handelte es sich dabei offenbar um ein fragiles Organ, das nur zeitweise existierte und immer wieder mühsam neu belebt werden mußte; denn die Studentenschaft war zu stark gespalten, um sich dauerhaft in einer gemeinsamen Gesamtvertretung zusammenzufinden. Am Anfang des 20. Jahrhunderts hatte der Rektor den Studentenausschuß aufgehoben, nachdem die farbentragenden Corps, Burschenschaften und Turnerschaften ausgetreten waren, weil man ihnen – dem »Glanz der Studentenschaft« – nicht mehr Einfluß gewähren wollte (gegenüber den anderen, die aus ihrer Sicht nur einen »Abglanz« darstellten). Der Versuch des Rektors, wenigstens für den Kaiserkommers einen gemeinsamen Festausschuß zu bilden, scheiterte jedoch daran, daß nun die solchermaßen Beleidigten ihre Mitwirkung verweigerten. Aber immerhin schlossen sich jetzt die nichtfarbentragen-
92 Russische Akademische Lesehalle Straßburg (…) an Rektor o. D.: ADBR 103 AL 152. 93 Wipf, Studentische Politik und Kulturreform, S. 255. Bei Craig, der eine spezifische Fragestellung verfolgt (Scholarship and Nation Building) wird die Freistudentenschaft nicht beachtet. Als zeitgenössische Quelle: Müntzer, Der elsässische Student, S. 23 f. Als Beleg für die Existenz 1912 s. die Mitteilung von Rektor Ehrhard an den Senat 9.1.1912: ADBR 103 AL 55. 94 Als dies publik wurde, berief sich dieser darauf, daß er nicht als Amtsperson, sondern als Freund der Freistudentenschaft privat um Rat gefragt worden sei. In der Presse dagegen wurde seine Prognose, der Rektor werde das nicht dulden, gegen die »treuherzige Jugend« ausgelegt, die in ihrer Loyalität bereits vor einem »Subalternbeamten« kusche. Sie verkenne, »daß der wahre Mannesmut heute nicht auf Kneipe und Mensurboden, sondern in der Volksversammlung und in den Anliegen des Staates geübt wird.« Zitat: Straßburger Neue Zeitung 424, 2. Blatt, 2.11.1910; außerdem: Stenger, Vorsitzender der »Freien Studentenschaft« 9.11.1910 [Adressat unklar]; Rektor Strb. an Rektor Marburg 11.11.1910; Rektor Marburg an Rektor Strb. 15.11.1910. Alle in: ADBR 103 AL 151. 95 Nachweis in: Wipf, Studentische Politik und Kulturreform, S. 263. Einzelne Nummern oder Auszüge auch in: ADBR 103 AL 151. 96 Wipf, Studentische Politik und Kulturreform, S. 144.
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den Korporationen zu einem eigenen Verband zusammen.97 Aus dem inzwischen geschaffenen provisorischen Studentenausschuß trat 1907 der Verein jüdischer Studenten aus (weil er nicht an der Auslosung der Vertreter beim Empfang des Prinzen beteiligt wurde und dadurch seine Gleichberechtigung verletzt sah).98 1908/9 kam dann wieder ein Ausschuß der Studentenschaft mit festen Satzungen zustande und sollte nicht bloß für die Vertretung bei Festlichkeiten zuständig sein, sondern von der Universitätsleitung auch für die akademische Krankenkasse, das Lesezimmer und die Sportangelegenheiten heran gezogen werden.99 Doch auch er war nicht von Dauer, und seit Mai 1911 gab es gar keinen Studentenausschuß mehr. Zur Organisation von Veranstaltungen berief der Rektor jeweils die Vertreter der einzelnen Verbindungen ein.100 An einem solchen Treffen 1912 nahmen z. B. 41 studentische Vereinigungen teil – und das waren noch keinesfalls alle! Doch gab es, wie sich bei mehreren Verhandlungen erwies, unter diesen eine Gruppe, die ihre Ansprüche immer durchsetzen konnte und damit, da die anderen dies nicht akzeptierten, letztlich eine Gesamtvertretung verhinderte: die im Waffenring zusammengeschlossenen elf schlagenden Verbindungen. Am deutlichsten wird die innere Fraktionierung der Studentenschaft an den Feiern zum Kaisergeburtstag. Traditionell gehörte dazu auch jeweils ein allgemeiner Festkommers. Doch in den letzten Vorkriegsjahren kam er mehrfach nicht zustande; denn die Unstimmigkeiten in der Studentenschaft, welche Vereinigungen vertreten sein sollten und welche Plätze sie beanspruchten, wer präsidiere, waren nicht zu überbrücken. So war der Kommers z. B. 1912 gescheitert, obwohl sich der Rektor (damals der katholische Kirchenhistoriker Albert Ehrhard) sehr darum bemüht hatte.101 Statt eines allgemeinen hielten verschiedene Korporationen dann jeweils eigene Kommerse ab. 1913 fand der allgemeine, unter dem Rektorat des evangelischen Kirchenhistorikers, zwar statt, aber nach 97 Was ist los?, in: Elsässischer Volksbote 299, 24.12.1904 (Zitat); Studentisches, in: Der Elsässer 29, 25.1.1905. Beide in: ADBR 103 AL 201. 98 Verein jüdischer Studenten an der Universität Strassburg 5.12.1907 an Rektorat: ADBR 103 AL 151. 99 Stiftungsfest der KWU 1909, S. 11 f. (aus dem Jahresbericht des Rektors). 100 Universitäts-Sekretär der KWU 12.12.1913 (auf eine Anfrage der Amtl. Akad. Auskunftsstelle der Universität Leipzig vom 9.12.1913): ADBR 103 AL 1432. Zu den verschiedenen Wiederbelebungsversuchen s. die Akte ADBR 103 AL 151. 1911 z. B. wollten sich sowohl der Verein studierender Frauen als auch der Verein jüdischer Studenten an Vorbereitungen beteiligen (s. die Briefe beider Vereine an den Rektor, jeweils vom 24.11.1911), während mehrere bestehende Verbindungen (zwei Burschenschaften, eine Landsmannschaft und Arion) ablehnten (s. das am 20.11.1911 versandte Zirkular: Betr. Neubildung des Ausschusses). 101 Quasi als Geste der Dankbarkeit für die Entgegennahme der Huldigung der Studentenschaft durch den Kaiser bei seinem Besuch in Straßburg im Vorjahr. Rektor Ehrhard an Korporationen 9.12.1911 und an den Senat 9.1.1912. Beide: ADBR 103 AL 151.
82 Hauptstadt – Provinz – Grenze Aussage dreier studentischer Vereinigungen (Frauen, Freistudentenschaft und Abstinenzler!) nur, weil Rektor Johannes Ficker selbst dabei den Vorsitz übernahm.102 Für 1914 hatten die genannten drei Gruppen eine völlig neue Idee entwickelt (eine Feier mit Gedichtrezitationen etc., bei der nur einzelne Studierende, aber keine Korporationen hervorträten); doch wurde ihr Vorschlag zunächst durch Initiative des Rektors ›überholt‹ und, dann, beim Treffen aller studentischen Gruppen erneut eingebracht, vom Waffenring abgelehnt. Das Scheitern des allgemeinen Kommerses ahndete Rektor August Sartorius von Waltershausen (mit Billigung des Senats) damit, daß er an keinem der von Korporationen veranstalteten Kommerse teilnahm.103 Außerdem kam es in diesem Jahr aber zu einem offenen Eklat bei der offiziellen Feier des Kaisergeburtstags, weil der Waffenring wieder abzog, da einem Teil seiner Korporationen die zu geteilten Plätze nicht zusagten!104 Eine Initiative zur Gründung eines Studentenausschusses als Zweikammernsystem aus Korporierten und Freistudenten scheiterte in Straßburg, wie auch an mehreren anderen Universitäten, am Veto der Verbindungen.105 So gingen auch im Sommer 1914, unmittelbar vor Kriegsbeginn, die Versuche noch weiter, endlich wieder einen allgemeinen Studentenausschuß in Straßburg zu schaffen.106
Gießen Mit seinen 1448 Studenten im Sommersemester 1914 war Gießen nicht nur die kleinste der untersuchten Universitäten, sondern auch eine der kleinsten im ganzen Deutschen Reich. Nur Erlangen (1302) und Rostock (1009) hatten noch weniger Studierende, Greifswald (1456) lag mit Gießen gleichauf. Dagegen war die benachbarte preußische Universität Marburg um 1000 Studenten reicher (2464)!107 58,4 % der Gießener Studierenden waren »Hessen«, 41,6 % »Nicht 102 Verein studierender Frauen/Freie Studentenschaft/Verbindung Freiland an Rektor Strb. 18.11.1913: ADBR 103 AL 151. Details über den Prozeß des Aushandelns, bei dem die waffentragenden Studenten eine starke Position hatten, in der Aufzeichnung Rektor Fickers 10.12.1912: ADBR 103 AL 152. 103 Rektor Sartorius von Waltershausen [an die stud. Korporationen] 28.11.1913; Aufzeichnung des Rektors 2.12.1913; Rektor Strb. an alle Kollegen 22.1.1914. Alle: ADBR 103 AL 151. 104 S. die ausführliche Darlegung des komplizierten Ablaufs durch den Rektor 5.2.1914 auf dem Schreiben des Kollegen Fehling an ihn vom 29.1.1914: ADBR 103 AL 154. 105 Wipf, Studentische Politik und Kulturreform, S. 174. 106 S. die Anfrage der KWU an die Universität Marburg 16.6.1914: ADBR 103 AL 151. 107 Die Daten für Gießen nach: PB LU Gi WS 1914/15, S. 67. Dabei handelt es sich um die endgültigen Daten einschließlich der nachträglich Immatrikulierten (vgl. auch A. 24). Die Daten für die übrigen Universitäten nach Titze, Datenhandbuch I/2, S. 162 (Erlangen), 505 (Rostock), 258 (Greifswald), 442 (Marburg).
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hessen«. Da die Frauen und Ausländer nur im jeweils laufenden Semester erfaßt wurden, ist ihre Zahl nur annähernd zu ermitteln, denn es fehlen die nachträglich Immatrikulieren: Im Sommer 1914 waren das vier »Hessen« und 12 »Nicht hessen«. Bezogen auf die vorläufige Gesamtzahl von 1432 betrug der Anteil der Frauen 2,2 % (32 Personen), der Anteil der Ausländer 3,6 %.108 Gießen war also die ›deutscheste‹ und die ›männlichste‹ der untersuchten Universitäten.109 Von den 51 Ausländern 1914 stammten 33 aus dem Russischen Reich,110 also 64,7 %. Auch im gesamten Zeitraum 1900–1918 lag der Anteil der ›Russen‹ an allen Ausländern bei über 60 %.111 Aus Übersee hatten sich dagegen nur zwei Studierende nach Gießen ›verirrt‹: ein Amerikaner und ein Japaner.112 In Gießen gab es, anders als in Berlin und Straßburg, keinen numerus clau sus für die russischen Untertanen. Ein Ausländer, der immatrikuliert werden wollte, benötigte neben seinen Zeugnissen eine amtlich beglaubigte Bescheinigung, daß sein Vater für den Lebensunterhalt aufkommen werde. Die Entscheidung lag im Ermessen des Rektors, doch stimmte dieser sie mit den einzelnen Fakultäten ab, wobei sich die anderen nach den Richtlinien der Medizinischen Fakultät richten wollten, de facto aber zum Teil großzügiger verfuhren.113 Ein 1914 in Gießen promovierter (und später selbst als Hochschullehrer tätiger Germanist) charakterisierte 50 Jahre später die Mehrheit seiner Kommilitonen als Brotstudenten, die auf das Examen und eine Anstellung hinarbeiteten, ein kleines Häuflein als Bummelanten, nur wenige als »künstlerisch oder wissenschaftlich wirklich Reg- und Strebsame«, die den »Problemen um ihrer selbst willen nachging[en]« oder über das Examen hinaus der Wissenschaft »tätig verbunden« blieben.114 Ein beträchtlicher Teil der Studentenschaft war auch kurz vor Kriegsbeginn ›aktiv‹, also Mitglied einer farbentragenden oder schwarzen Verbindung, in Bünden mit oder ohne Mensurzwang, mit oder ohne Prinzip unbedingter 108 Die Differenz zwischen vorläufig und nachträglich Immatrikulierten ergibt sich aus dem Vergleich der Statistiken in: PB LU Gi SS 1914 und WS 1914/15. Titze, Datenhandbuch I/2, S. 213 nimmt für seine Statistik die vorläufigen Zahlen. 109 Für die Zeit um 1910 stellt Moraw, Kleine Geschichte, S. 180, fest, daß der Gießener Frauenanteil nur ein Drittel des Reichsdurchschnitts betrug. 110 S. die Tabelle der Staatsangehörigkeiten in: PB LU Gi SS 1914, S. 71. Dort sind 32 Studenten aus »Rußland« und 1 aus »Finnland« angegeben, die hier, entsprechend den damaligen Gesetzen und den Gepflogenheiten der Universitätsstatistik als ›Russen‹ gezählt werden. Dementsprechend wären auch die Angaben bei Anderhub, Antoniterkreuz, S. 10 f. zu korrigieren. Den Studierenden aus Finnland hat er hier und für SS 1916 bis 1918 (auch jeweils einer) übersehen. Auch bei den Angaben für die Schweiz und Luxemburg liegen Versehen vor. 111 Damals studierten insgesamt 331 Personen aus dem Russischen Reich in Gießen. Siebe, Ausländische Studenten in Gießen, S. 40. 112 S. die Tabelle bei Anderhub, Antoniterkreuz, S. 11. 113 Siebe, Ausländische Studenten in Gießen, S. 25–27. 114 Bach, Studentisches und wissenschaftliches Leben, S. 193.
84 Hauptstadt – Provinz – Grenze Satisfaktion.115 In Benraths Schlüsselroman gehören sowohl die Mitglieder der Corps als auch jene der Burschenschaften ihren Organisationen nicht aus Idealismus, auch nicht aus Streben nach Geselligkeit an, sondern um Beziehungen für ihre weitere Karriere zu knüpfen. (So bestätigte die Fiktion die Heidelberger Erkenntnis Stepuns.) Der Held, der als geistig interessierter Individualist die Mitgliedschaft in Korporationen ablehnt, wird von Tante und Cousine auf deren Bedeutung hingewiesen – obwohl deren Sohn bzw. Bruder, dessen »einziger Gott (…) das Corps« ist, viele Jahre damit vertrödelt hat und an sein Examen noch immer nicht zu denken ist.116 Immer noch prägten die farbentragenden Korporationen das Bild der kleinen Universitätsstadt, aber ein Wandel des Stils und auch des Spektrums studentischer Aktivitäten deutete sich an.117 Im Jubiläumsjahr 1907 listete der Stadtführer die studentischen Vereinigungen auf, samt Zirkel, Angabe der Farben, des Verbindungshauses118 oder der üblichen Kneipe.119 Von den 10 als »Akademische Vereinigungen« benannten gehörten drei Corps dem Kösener S. C. an, also der Hauptorganisation der traditionellen Corps, welche die unbedingte Satisfaktion vertraten. Daneben gab es vier Burschenschaften,120 zwei Landsmannschaften121 sowie den Kyffhäuserverband der Vereine Deutscher Studenten, eine traditionell antisemitische Organisation. Die nächsten zehn waren als »Verbindungen und Vereine« klassifiziert. Von den sieben Verbindungen waren zwei schwarze, die übrigen farbentragend, aber darunter auch eine Reform- und eine »christliche« Verbindung, ein katholischer Studentenverein und der Akademisch-Pharmazeutische Verein. Die nächsten drei gehörten dem Verband wissenschaftlicher Vereine an: ein theologischer, ein mathematischnaturwissenschaftlicher, ein philologisch-historischer. Diese drei hatten zwar Vereinsfarben, trugen sie aber nicht. Außerdem bestand die Deutsche Christ liche Studentenvereinigung (mit 1913 fünf Mitgliedern122) und die Freie Studentenschaft (mit Wander-, Sport- und wissenschaftlicher Abteilung). Schließlich existierten auch noch »sonstige Vereine«: Schach-Club, der Akademische Gesangsverein und der Gesellschaftsverein (der Bälle und Konzerte organisierte, eine Bibliothek, ein Zeitschriftenzimmer sowie ein Billard- und Spielzimmer unterhielt). 115 116 117 118 119 120 121 122
Bach, Studentisches und wissenschaftliches Leben, S. 194. Benrath, Mutter der Weisheit, S. 19 f., 22 (Zitat), 30 f., 34, 84, 96. Moraw, Kleine Geschichte, S. 178. Zu den Verbindungshäusern s. die Abbildungen in: Wegweiser durch Giessen, S. 249, 253, 255, 257, 261. Zur Deutung der ›wehrhaften‹ Architektur zweier 1893/4 geschaffener Verbindungshäuser s. Wagner-Niedner, Das Universitätsviertel, S. 553, 555. Der gesamte folgende Abschnitt nach: Wegweiser durch Giessen, S. 232–234. Drei in der Deutschen Burschenschaft, eine weitere im A. D. B. Eine freie und eine im Coburger LC . Hong, Deutsche Christliche Studentenvereinigung, Tabelle S. 39.
Korporierte und Freistudenten, Inländer und Ausländer
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In dieser traditionellen Domäne der Farbenstudenten hatte es die Frei studentenschaft besonders schwer, sich zu organisieren.123 Doch sie bestand ab 1905/06 und trat 1908 dem deutschen Gesamtverband bei, wurde im selben Jahr aber auch schon verboten.124 Offenkundig wurde sie aber bald wieder gegründet, da sie 1909 ein eigenes Tagebuch herausgab.125 Einer der Aufsätze daraus wird, auch überregional, häufig als Beleg für die Haltung der Freistudentenschaft herangezogen, die das parteipolitische Engagement ablehnte, zugleich aber das politische Desinteresse der Korporationen für schädlich hielt.126 Eine Namensliste der Gießener Freistudenten um 1910 erfaßte 25 Personen.127 Wie an verschiedenen anderen Orten, schufen sich aber auch hier die katholischen Freistudenten kurz vor dem Krieg eine eigene Organisation.128 Eine solche Aufspaltung kann die Wirksamkeit der Freistudentenschaft allerdings kaum erhöht haben. Immerhin führten einige von ihr veranstaltete Vorträge 1910 zu einem Konflikt und grundsätzlichen Überlegungen: Die Sozialwissenschaftliche Ab teilung der Gießener Freien Studentenschaft hatte eine »Vortragsfolge von politischen Rednern aller bedeutenderen Parteien« geplant. Aus prinzipiellen (wie aus Kosten-) Gründen sollten die Vorträge öffentlich, auch für Nichtakademiker zugänglich sein. Während der um Erlaubnis gefragte Rektor Vorträgen ohne Diskussion zunächst zustimmte, zog er die Genehmigung für die Öffentlichkeit dann zurück. Zwar gab die Freie Studentenschaft als solche den Plan auf, drei einzelne Studenten organisierten die Vorträge aber trotzdem. Nach deren Bestrafung und der Aufforderung des Rektors, ein an der Philosophischen Fakultät studierender Rechtsanwalt möge sich exmatrikulieren, protestierte das Präsidium der Freien Studentenschaft gegen die bestehenden Vorschriften als »unwürdigen Zwang«, der nach dem Vereinsgesetz von 1908 nicht mehr berechtigt sei, und forderte die »Gleichstellung des Akademikers mit den übrigen Staatsbürgern.«129 Doch daß überhaupt eine Anzahl christlicher und freier Verbindungen und Vereinigungen ganz unterschiedlicher Richtung entstehen konnte, »die sich
123 Wipf, Studentische Politik und Kulturreform, S. 219. 124 Wipf, Studentische Politik und Kulturreform, S. 255. 125 Gießener Studentisches Tagebuch. Hg. vom Präsidium der Freien Studentenschaft Gießen 1 (SS 1909) (nach Wipf, Studentische Politik und Kulturreform, S. 21 A. 13 und S. 263). 126 Wipf, Studentische Politik und Kulturreform, S. 233. 127 Dabei ist es unklar, ob es sich hierbei um Mitglieder – also alle – handelt, oder etwa nur sog. Ehrenbeamte. Wipf, Studentische Politik und Kulturreform, S. 223. 128 Wipf, Studentische Politik und Kulturreform, S. 144. 129 Bericht über die Vorgänge an der Universität Gießen im Sommer-Semester 1910 anläßlich des Verbots politischer Vorträge. (Hg. vom Präsidium der Gießener Freien Studentenschaft), o. O. o. J. Vorhanden in UB Gießen unter der Signatur A 56500/1 fol (45).
86 Hauptstadt – Provinz – Grenze wie auch immer verstandenen Reformen verschrieben hatten«, und daß nicht zu Verbindungen gehörende Studenten sich nicht mehr als Außenseiter fühlten, verwies einerseits auf die »soziale Verbreiterung« der Studentenschaft ins Kleinbürgertum hinein. Andererseits spielten dabei die Anziehungskraft der Forschungs-Universität, wie sie sich erst im Kaiserreich wirklich ausgebildet hatte, ebenso eine Rolle wie neue Ideale der Zeit. Und dabei vollzog sich dieser Wechsel in den einzelnen Fakultäten mit unterschiedlichem Tempo: am ›fortschrittlichsten‹ waren die Naturwissenschaftler, am konservativsten die Juristen.130 Erst 1915 wurde hier ein Studentinnenverein gegründet, der zum neutralen Verband der Studentinnenvereine gehörte.131 Ein allgemeiner Studentenausschuß war in Gießen auf Initiative des Rektors entstanden, die, nach vergeblichen Bemühungen 1886–1888, allerdings erst beim zweiten Versuch einige Jahre später zum Erfolg geführt hatte. 1906 gehörten dem Ausschuß auch zwei Freistudenten an – die jedoch einer erdrückenden Überzahl von Verbindungsstudenten gegenüberstanden. Jede der genannten Vereinigungen delegierte einen Vertreter, die Nichtkorporierten dagegen wählten ihre Vertreter. Bis 1914 war die Zahl der ihnen zustehenden Sitze auf fünf gewachsen. Der Ausschuß hatte über alle von der ganzen Studentenschaft zu veranstaltenden Aufzüge und Festlichkeiten zu beschließen sowie über sonstige ihm vom Rektor vorgelegte Fragen.132 In diesem Sinne vertrat der Studentenausschuß allenfalls die Repräsentationsinteressen der verschiedenen Gruppen, aber nicht ihre sozialen oder Studienanliegen. Und im Engeren Ausschuß erhielt der Studentinnenverein keine Ämter, so wie er auch bei Festlichkeiten und sonstigen Repräsentationsakten der Universität »nur soweit beteiligt [war], als es die Natur einer Studentinnenvereinigung gestattet[e].«133 In allen drei Universitäten war die Studentenschaft also stark fragmentiert. Dabei wandte sich die organisierte Freistudentenschaft gegen den Korporatismus und seinen antisemitischen Nationalismus, setzte sich für eine moderne Allgemeinbildung ein, für die Repräsentation der gesamten Studentenschaft und deren Selbstverwaltungsrecht. An vielen deutschen Universitäten engagierte sie sich auch für soziale Reformen. Doch sie konnte keine Liberalisierung der Studentenschaft bewirken, da sie nur wenige erreichte, letztlich also am Widerstand der Korporationen134 und an der Gleichgültigkeit der meisten Nicht130 Moraw, Kleine Geschichte, S. 178 f. 131 S IV (1915), S. 50. 132 Zur Vorgeschichte: Moraw, Kleine Geschichte, S. 179. Zu den Bestimmungen für die Zusammensetzung s. Ausschuß der Gießener Studentenschaft (Auszug), S. 235. 133 S IV (1915), S. 50. 134 Weitgehend in Anlehnung an Wettmann, Heimatfront Universität, S. 42 formuliert. Zum Verhältnis zwischen Korporierten und Nichtkorporierten s. auch Schwarz, Verhalten der Nichtkorporierten.
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organisierten scheiterte. Dabei hatte die kleinste Universität nicht nur den geringsten Frauen- und Ausländeranteil, sondern sie war auch am stärksten von Korporierten geprägt. Immerhin hatte sie im Gegensatz zu den beiden anderen einen Allgemeinen Studentenausschuß, der allerdings von den Korporierten dominiert wurde.
3. Professoren und Privatdozenten, Gelehrte und ›Politiker‹: Der Lehrkörper der verschiedenen Universitäten Das deutsche Universitätssystem des 19. Jahrhunderts beruhte auf Konkurrenz – und gerade sie war die Grundlage seines Erfolges: Die einzelnen Habi litierten konkurrierten miteinander um vakante Professuren, die einzelnen Universitäten oder auch die Kultusminister verschiedener Bundesstaaten um die Gelehrten. Und zudem förderte das preußische Kultusministerium auch noch die Konkurrenz der preußischen Universitäten untereinander. Durch dieses Berufungssystem bildete sich eine »Rangfolgeordnung« heraus, die die »Hochschullandschaft in Einstiegs-, Aufstiegs- und Endstationsuniversitäten« unterteilte, wobei aber auch die kleinen Universitäten ihre wichtige Aufgabe hatten: junge Talente zu entdecken und zu fördern.1 Dabei bildeten sich zwar zwischen einzelnen Universitäten, oft im näheren Umfeld, sozusagen regionale Beziehungsnetze heraus. Doch insgesamt wurden die Professoren reichsweit, ja aus dem ganzen deutschen Sprachraum (bis hin nach Dorpat!) berufen.2 Dabei gab es allerdings noch kein Bewerbungsverfahren im heutigen Sinn, auch keine Ausschreibungen. Vielmehr wählten von den Fakultäten zusammengestellte Berufungskommissionen ihnen geeignete Bewerber aus, holten evtl. Erkundigungen über sie ein, und schlugen sie dann dem zuständigen Minister vor, meist auf einer Dreierliste. Der Berliner Universität war dieses Vorschlagsrecht 1838 gewährt worden. Für die Straßburger war es rechtlich nicht fixiert, wurde aber analog praktiziert.3 Die Berufung erfolgte in der Regel rasch, die Ernennung wenige Wochen später, nach meist kurzen Verhandlungen, derentwegen ein Berufener auch schon einmal am 24. Dezember an den zuständigen Referenten im Ministerium schrieb, am 26. anreiste, um am 27. die Institute und Sammlungen seines künftigen Arbeitsplatzes zu inspizieren.
1 Baumgarten, Professoren- und Universitätsprofile, S. 108, 128; Paletschek, Provinz versus Metropole?, S. 235; Craig, Scholarship and Nation Building, S. 15. 2 S. dazu die Auszählungen und die graphische Darstellung des Beziehungsnetzes bei Hans Heinrich Blotevogel, Kulturelle Stadtfunktionen und Urbanisierung. Interdependente Beziehungen im Rahmen der Entwicklung des deutschen Städtesystems im Industriezeitalter, in: Hans Jürgen Teuteberg (Hg.), Urbanisierung im 19. und 20. Jahrhundert. Historische und geographische Aspekte, Köln u. a. 1983, S. 143–185, hier 151 (Tabelle) und 154 (graphische Darstellung). 3 Dabei unterbreitete in diesem Fall der Statthalter den Berufungsvorschlag dem Kaiser (Schlüter, Reichswissenschaft, S. 131 f.).
Professoren und Privatdozenten, Gelehrte und ›Politiker‹
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Am 28. Dezember sprach er persönlich beim Referenten vor und lehnte den Ruf am 29. ab.4 Wer es auf ein Ordinariat geschafft hatte, dem vermittelte dieses eine »sozial ausgezeichnete Stellung«, die in dieser Hinsicht am ehesten »mit dem Offiziersberuf« zu vergleichen war – wobei der Gelehrte dem Offizier aber letztlich doch nachgeordnet war und in der Öffentlichkeit den Vortritt zu lassen hatte.5 Doch die Ordinarien stellten den kleinsten Teil des Lehrkörpers; denn um die Jahrhundertwende erweiterte sich dieser durch die rasant wachsende Zahl der Privatdozenten beträchtlich.6 Seit den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts mußte für die Habilitation eine eigene wissenschaftliche Arbeit angefertigt werden, und zu Beginn des 20. setzte sich die Forderung durch, daß diese aus einem anderen Gebiet zu stammen habe als die Dissertation.7 Ohne Anspruch auf Gehalt und Pension bildeten die Privatdozenten das in Zeiten der Universitätsexpansion nötige Reservoir kostengünstiger oder gar kostenloser Lehrk räfte.8 Um 1907 erteilten sie 42 % der gehaltenen Veranstaltungsstunden.9 Sofern sie nicht Assistentenstellen innehatten oder mit einer Vertretung beauftragt 4 S. die Unterlagen zur Berufung des Leipziger Archäologen Franz Studniczka nach Berlin in GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. IV, Nr. 61 Bd. XXIV, fol. 125–137. 5 Franz Eulenburg, Der »akademische Nachwuchs«. Eine Untersuchung über die Lage und die Aufgaben der Extraordinarien und Privatdozenten, Leipzig u. a. 1908, Zitate S. 16. Zur militärischen Prägung und Überformung der Klassengesellschaft s. Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918. Bd. 1: Arbeitswelt und Bürgergeist, München 1990, S. 417, 420. Für die Bedeutung des Status im Alltag s. etwa die Visitenkarten, auf der der Reserveoffiziersrang vor dem akademischen Grad genannt war (Konrad H. Jarausch, Students, Society, and Politics in Imperial Germany. The Rise of Academic Illiberalism, Princeton 1982, S. 344), die Uniformen der Reichskanzler oder das Ausweichen eines berühmten Berliner Professors vor dem Generalstabsoffizier auf dem Bürgersteig (Hans- Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 3: Von der »Deutschen Doppelrevolution« bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, München 1995, S. 821 f.). 6 In Preußen z. B. stieg ihre Zahl zwischen 1895 und 1905 um 51,8 %. S. die Daten bei Bernhard vom Brocke/Peter Krüger (Hg.), Hochschulpolitik im Föderalismus. Die Protokolle der Hochschulkonferenzen der deutschen Bundesstaaten und Österreichs 1898 bis 1918, Berlin 1994, S. 436. 7 Sylvia Paletschek, Die permanente Erfindung einer Tradition. Die Universität Tübingen im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, Stuttgart 2001, S. 516 f.; zum abnehmenden Anteil der Unhabilitierten s. Tab. 7 bei Christian von Ferber, Die Entwicklung des Lehrkörpers der deutschen Universitäten und Hochschulen 1864–1954, Göttingen 1956, S. 77. 8 Zum wachsenden Anteil der Privatdozenten an der Zahl aller Lehrenden in Preußen s. die Tabelle im Anhang zu vom Brocke/Krüger (Hg.), Hochschulpolitik im Föderalismus, S. 436. Vergleicht man 1870 und 1914, so stieg der Anteil der Privatdozenten von 26,7 % auf 41,7 % aller Lehrkräfte (inkl. Lektoren etc.), während der Anteil der Ordinarien von 47,9 auf 34,7 % fiel. 9 Dabei durfte das Angebot der Privatdozenten bei der Feststellung der Vollständigkeit des Lehrplans eigentlich gar nicht berücksichtigt werden (Eulenburg, Der »akademische Nachwuchs«, S. III, 59).
90 Hauptstadt – Provinz – Grenze waren, bezogen sie aus der Lehre im allgemeinen nur Hörgelder. Auf einen anderen Verdienst als Lebensunterhalt angewiesen, konzentrierten sie sich daher in München, Leipzig, Berlin – also da, wo entsprechende Erwerbsmöglichkeiten außerhalb der Universität bestanden und wo die Universitäten ihrer hohen Studentenzahl wegen mit der Habilitation von Nachwuchskräften weniger restriktiv verfuhren.10 Die Privatdozenten bestritten einen beträchtlichen Teil der Lehrveranstaltungen, deckten viele neue Teildisziplinen ab11 – und trieben im Streben nach einer Professur mit ihren Forschungen »zugleich den wissenschaftlichen Fortschritt durch stetige Spezialisierung voran«.12 Daß sich in diesem Prozeß ihre Kompetenz als gleichrangig mit der der Ordinarien erwies, führte später zu Konflikten: Denn der ›offiziellen‹ Universität stand eine weit größere »unterprivilegierte, stark leistungsorientierte ›inoffizielle‹« gegenüber.13 Doch setzte der Zugang zur Lehre nicht nur wissenschaftliche Leistungen, sondern seit der lex Arons auch politische Loyalität voraus. Wer der Sozialdemokratie anhing, blieb davon ausgeschlossen.14 Sehr unterschiedlich war an den einzelnen Universitäten die Position des Extraordinarius. Eine Person mit diesem Titel konnte ein Privatdozent mit dem »Prädikat ›Professor‹« – wie ihn reichsweit etwa ein Fünftel der Privatdozenten trug15 –, ein Extraordinarius mit Vergütung oder ein etatisierter Extra ordinarius (und sogar Abteilungsleiter) sein. Manche Universitäten wiesen dies im Personalverzeichnis aus, die meisten jedoch nicht. Bei allen disziplinarischen und ökonomischen Unterschieden zwischen diesen Teilgruppen war ihnen aber die fehlende Teilhabe an der universitären Selbstverwaltung gemeinsam. In Anknüpfung an das ursprünglich damit verbundene Warterecht wurde das Extraordinariat immer noch als »Durchgangs- und Warteposten« verstanden, was aber im Gegensatz zur faktischen Bedeutung der außerordentlichen Professoren im Lehrbetrieb stand, die gewissermaßen »ein erspartes
10 Eulenburg, Der »akademische Nachwuchs«, S. 34 f. Nimmt man den deutschen Sprachraum insgesamt, so fanden sich 30 % der Privatdozenten und Extraordinarien (!) in Berlin und Wien, insgesamt 40 % in Berlin, Wien, Leipzig und München. 11 Nach Wipf, Studentische Politik und Kulturreform, S. 27 wurden in Deutschland zwei Drittel der Lehrveranstaltungen von Privatdozenten gehalten. 12 Dieter Langewiesche, Die Universität als Vordenker? Universität und Gesellschaft im 18. und frühen 20. Jahrhundert, in: Saeculum 45 (1994), S. 316–331, Zitat 326 f. 13 Rainer A. Müller, Vom Ideal der Humboldt-Universität zur Praxis des wissenschaft lichen Großbetriebes. Zur Entwicklung des deutschen Hochschulwesens im 19. Jahrhundert, in: Franz Bosbach/William Filmer-Sankey/Hermann Hiery/Thomas Brockmann (Hg.), Prinz Albert und die Entwicklung der Bildung in England und Deutschland im 19. Jahrhundert, München 2000, S. 129–143, hier 138. 14 S. dazu u. S. 159 und 163. 15 Referat Eulenburgs in: Verhandlungen des ersten deutschen Hochschullehrer-Tages zu Salzburg im September 1907, Straßburg 1908, S. 23–32, hier 30.
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Ordinariat« ausübten. Genau darin wurzelte der Nichtordinarienkonflikt.16 In Preußen erhielten etatisierte Extraordinarien, sofern sie ein in ihrer Fakultät nicht vertretenes Spezialfach wahrnahmen, für den Fall, daß Angelegenheiten ihres Spezialfaches verhandelt wurden, Sitz und Stimme in der Fakultät – an ihrer Stellung änderte sich dadurch aber kaum etwas.17 Eine ganz eigentümliche – und in den einzelnen Universitäten ebenfalls sehr unterschiedliche – Position hatten die Inhaber einer Ordentlichen Honorarprofessur. Dabei handelte es sich in Preußen um eine »reine Ehrenstelle (‥), mit der keinerlei Bezüge verbunden« waren, während man anderswo einen ständig Besoldeten so bezeichnete, der nur aufgrund der statuarischen Bestimmungen nicht in ein Ordinariat einrücken konnte.18 Die Berliner z. B. vergaben die Ordentliche Honorarprofessur an Männer, die ihnen »wegen ihrer hervorragenden wissenschaftlichen oder wegen ihrer besonderen akademischen Verdienste (…) als Ordinarien willkommen« gewesen wären, »aber aus besonderen Gründen kein Ordinariat erlangen«, der Fakultät jedoch »in ergänzender Lehrtätigkeit« wichtige Dienste leisten konnten.19 Hier nutzte man die Verleihung der Ordentlichen Honorarprofessur vor allem dafür, Praktiker und wissenschaftlich verdiente Persönlichkeiten aus dem nichtakademischen Bereich für die Lehre zu gewinnen, nur in Ausnahmefällen zur »›Belohnung‹ des eigenen wissenschaftlichen Nachwuchses, der kein Ordinariat erreichen konnte.«20 Gemeinsam war den Inhabern an den verschiedenen Universitäten jedoch, daß sie in der Fakultät über dieselben Rechte wie die Ordinarien verfügten.21 In Straßburg aller16 Alexander Busch, Die Geschichte des Privatdozenten. Eine soziologische Studie zur großbetrieblichen Entwicklung der deutschen Universitäten, Stuttgart 1959, S. 108 f.,111, danach auch die angeführten Zitate aus: Die Lage der außerordentlichen Professoren an den preußischen Universitäten, Magdeburg 1911, S. 13, 58. 17 Busch, Geschichte des Privatdozenten, S. 112. Weitere Informationen, insbesondere über die Besoldung, s. im Abschnitt über Berlin. 18 Preußen (mit Zitat): Antrag des Pr. KuMi auf Erteilung der Genehmigung zur Ernennung von Ordentlichen Honorarprofessoren an den Universitäten 18.8.1917: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. IV, Nr. 45 Bd. XI, fol. 112; Gegenbeispiel: Stefan Gerber, Die Universität Jena 1850–1918, in: Traditionen – Brüche – Wandlungen. Die Universität Jena 1850–1995, Köln 2009, S. 23–253, hier 174. Außerdem: Paletschek, Permanente Erfindung einer Tradition, S. 264. 19 Jur. Fak. Berlin an Pr. KuMi 5.8.1918: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. IV, Nr. 45 Bd. XI, fol. 160–165v, Zitat 160. In diesem Schreiben lehnte die Fakultät die vom Min. erwünschte Ernennung des in Straßburg nicht mehr aktiven Juristen van Calker zum Ord. Honorarprof. ab, »weil er – wie wir hören, um Oberverwaltungsgerichtsrat zu werden – seine auswärtige Stelle aufgibt«. Die Fakultät wandte gegen die Honorarprofessur für ihn ein, daß er »durch die Politik dem wissenschaftlichen akademischen Leben fast völlig entrückt« sei (Zitate fol. 162, 162v.). 20 Pawliczek, Akademischer Alltag, S. 231. 21 S. generell etwa die Unterschriften auch von Honorarprofessoren auf Rundschreiben des Dekans an die Fakultätsmitglieder, d. h. Ordinarien. Für Gießen auch Moraw, Kleine Geschichte, S. 170.
92 Hauptstadt – Provinz – Grenze dings kannte man nur schlichte (keine Ordentlichen!) Honorarprofessoren – und diese nahmen laut Statut ebensowenig an den Fakultätssitzungen teil wie die außerordentlichen Professoren.22 Die Gehälter der Professoren wurden individuell ausgehandelt; doch bestand seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in den meisten Universitäten dafür ein fester Rahmen. Preußen hatte 1897 als Eingangsgehalt für Ordinarien 4000 M., für besoldete Extraordinarien 2000 M pro Jahr festgelegt. In festen Abständen kamen dazu Dienstalterzulagen bis zu einem Maximum von 6000 bzw. 4000 M. – allerdings nicht für Mediziner, die noch Einnahmen aus ärztlicher Praxis hatten. Außerdem erhielten alle beamteten Professoren einen Wohnungsgeldzuschuß zwischen 540 und 680 M. pro Jahr. Dazu kamen die Hörgelder – je nach Zahl der eingeschriebenen Teilnehmer einer Lehrveranstaltung. Doch mußte ab 1897 alles, was 3000 M. an Nebeneinnahmen überstieg, zur Hälfte an die Staatskasse abgeführt werden, die daraus dann jenen eine Zulage gewährte, die weniger als 600 M. zusätzlich zu ihrem Gehalt einnahmen. Ab 1902 wurden die Hörgelder aller auf 800 M. ergänzt und so ein gewisser Ausgleich zwischen den Professoren der kleineren und der Massenfächer (wie Jura oder Medizin) geschaffen. Allerdings galt dies nur für Neuberufene. Bereits im Dienst stehende mit hohen Hörgeldern unterwarfen sich dem neuen System nicht.23 Wie stark das preußische Modell ausstrahlte bzw. andere Bundesstaaten unter Zugzwang setzte, konnte man an Gießen sehen: Bereits 1898 bestimmte ein hessisches Gesetz die Gehälter für Professoren – allerdings ohne ein Wohngeld und ohne Umverteilung der Hörgelder. Neben den hochschulinternen Differenzierungen der einzelnen Statusgruppen und der Herkunft der Lehrenden werden im folgenden auch ihre politische Haltung und das öffentliche Engagement sowie die Binnenbeziehungen innerhalb des Lehrkörpers skizziert.
Gießen Die kleinste der untersuchten Universitäten hatte die älteren deutschen Verhältnisse am stärksten bewahrt: Das wissenschaftliche Personal (also ohne die Tanz-, Turn-, Fecht- und Reitlehrer) umfaßte in Gießen im Sommersemester 1914 56 Ordinarien, einen Ordentlichen Honorarprofessor, 20 Extraordinarien (davon sechs etatisierte), 31 Privatdozenten, zwei Lektoren sowie einen Assistenten, insgesamt 111 Personen. Läßt man die drei Lehrbeauftragten, die noch 22 Statut für die Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg, S. 3 (§ 6). 23 W[ilhelm] Lexis, Übersicht der gegenwärtigen Organisation der deutschen Universitäten, in: W[ilhelm] Lexis (Hg.), Die Universitäten im Deutschen Reich, Berlin 1904, S. 39– 57, hier 43–46; ähnlich M[agnus] Biermer, Die Rechtsverhältnisse der deutschen Universitätsprofessoren. In amtlichem Auftrage zusammengestellt, Gießen 1903, S. 7–10.
Professoren und Privatdozenten, Gelehrte und ›Politiker‹
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dazu kamen, unberücksichtigt, ergibt sich folgende Struktur: 50,5 % Ordinarien, 18 % Extraordinarien, 27,9 % Privatdozenten (die übrigen machen zusammen die restlichen 3,6 % aus).24 Der Anteil der Ordinarien war hier also viel höher als im Reichsdurchschnitt (37 %) und erst recht als in Berlin. Die nichtetatisierten Extraordinarien entsprachen jener Gruppe von Privat dozenten, die in Preußen (und ebenso in Elsaß-Lothringen!) nach längerer Zeit der Bewährung üblicherweise den Professorentitel erhielten.25 In Gießen dagegen wurden sie auf Vorschlag des Fachvertreters nach Diskussion in der Fakultät vom Großherzog zu außeretatmäßigen Extraordinarien ernannt. Ebenso wie Ordentliche Honorarprofessoren bezogen sie kein Gehalt.26 Nach dem Kriterium der materiellen Absicherung könnte man die 111 Mitglieder des Lehrkörpers also in zwei Gruppen zusammenfassen: 58,6 % besoldeten standen 41,4 % unbesoldete Dozenten gegenüber. Seiner Größe nach war der Gießener Lehrkörper gut überschaubar. Doch auch hier gab es eine Fluktuation. Zwar hatten auch andere Universitäten einen negativen Saldo von Hin- und Wegberufungen – aber von allen deutschen Universitäten wies Gießen die schlechteste Bilanz auf!27 Die Universität selbst deutete dies allerdings im Rahmen der oben genannten Funktion, junge Begabungen zu entdecken und zu fördern. »In der deutschen Gelehrtengeschichte« nehme sie »eine ganz besondere Stellung« ein, schrieb ihr Rektor, weil in allen Wissenschaften »die glänzendsten Gelehrten kürzere oder längere Zeit« hier gewirkt hätten. Die Universität habe immer den »erreichbaren Besten«28 berufen und – so müßte man ergänzen – dann auch bald wieder abgegeben. So lehrten 24 Die Zusammenstellung der Listen der Lehrenden aller drei Universitäten mit Namen und Status für 1914–1918 verdanke ich Michail Gorelik. Die Zahlen weichen von den bei Moraw, Kleine Geschichte, S. 172 angeführten ab. Moraw zählt nur 50 Ordinarien, nur 11 außeretatmäßige Extraordinarien, nur 30 Privatdozenten. Die Daten für etatmäßige Extraordinarien und den Ord. Honorarprofessor stimmen überein. Die »sechs sonstige[n] Lehrkräfte wissenschaftlichen Anspruchs« mögen den oben genannten Lektoren, von denen einer auch den Titel »Professor« führte, dem (promovierten) Assistenten und den drei Lehrbeauftragten entsprechen. Offenbar hat Moraw diese sechs aber seiner Strukturberechnung nicht zugrundegelegt, weil er S. 173 das »wissenschaftliche Personal« dann nur mit 98 statt mit 104 beziffert. Insofern kommt er beim Anteil der Ordinarien auf 53,4 %. 25 Eulenburg, Der »akademische Nachwuchs«, S. 116. 26 S. dazu den Antwortentwurf, wohl auf die Rundfrage der Universität München an die Senate der deutschsprachigen Universitäten vom 26.3.1914, vom 2.4.1914 (abgezeichnet von Universitätssekretär Erle), auch mit Details des Verfahrens: UA Gi PrA 49, fol. 51. Kurzinformation zu Ord. Honorarprofessoren und nichtbeamteten Extraordinarien bei Moraw, Kleine Geschichte, S. 171. 27 Blotevogel, Kulturelle Stadtfunktionen und Urbanisierung, S. 152. (In der Tabelle S. 151 fehlt Gießen leider.) 28 Leo Rosenberg, Die Universität Gießen, ihre Entwicklung und ihre Anstalten, dargestellt von ihrem derzeitigen Rektor, Düsseldorf o. J. [1928], S. 25.
94 Hauptstadt – Provinz – Grenze in den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in Gießen jene beiden Koryphäen, die zur Zeit des Ersten Weltkriegs ihre Wissenschaft in Straßburg und Berlin (und in beiden Fällen auch reichsweit) prägten: Der Altphilologe Eduard Schwartz und der Theologe und Wissenschaftsorganisator Adolf (von) Harnack.29 Die Berufungsverfahren wurden zunächst von einer Expertenkommission behandelt, dann an Fakultät und Gesamtsenat weitergegeben. Und dabei verschaffte man sich immer einen Überblick über die Nichtordinarien im jeweiligen Fach.30 Im Hinblick auf die Ordinarien war Gießen also »eine sogenannte Durchgangsuniversität, weil das immaterielle und materielle Belohnungssystem der zeitgenössischen Wissenschaft von den kleinen zu den großen Hochschulen hinführte«.31 Noch genauer wäre die Klassifizierung als »Einstiegsuniversität«: da, wo Gelehrte typischerweise ihr erstes Ordinariat erreichten – und zwar vergleichsweise jung (in Gießen mit durchschnittlich 35–36 Jahren). Dementsprechend gering war der Anteil derer, die aus einem anderen Ordinariat hierher berufen wurden: im 19. und frühen 20. Jahrhundert in den Geisteswissenschaften nur 22,8 %, in den Naturwissenschaften sogar nur 10,5 %.32 Für kleine Universitäten war die Abwanderungsquote ein Qualitätsmerkmal. Insofern hielt sich Gießen zu Recht für erfolgreich: 72,2 % der hierher berufenen Geisteswissenschaftler wurden wieder wegberufen – und gingen dann typischerweise an Aufstiegsuniversitäten, nur ganz vereinzelt (und meist indirekt) gelangten sie an Großuniversitäten wie Leipzig oder Berlin. Daß Gießen in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg bei sechs von sieben geisteswissenschaftlichen Berufungen dann aber Ordinarien anderer Universitäten gewinnen konnte, belegt sein Renommee.33 Die etatisierten Extraordinariate wurden zwar ebenfalls als Lehrstühle bezeichnet, waren aber speziellen oder noch nicht voll akzeptierten Teilgebieten gewidmet und schlechter besoldet. Zur Hilfe für unbemittelte Privatdozenten gab es in Hessen seit 1901 einen kleinen staatlichen Dispositionsfonds. Dazu kamen später noch besoldete Lehraufträge und Lehrstuhlvertretungen.34 Ihrer Herkunft nach überwogen unter den Gießener Lehrenden zwar die Preußen, doch verknüpfte sich die Universität seit 1900 auch stärker mit Süddeutschland. Und auf jeden Fall war ihr Lehrkörper, anders als in seiner Früh29 Nachweise für die Gießener Zeit bei Moraw, Kleine Geschichte, S. 188, 190. 30 Hans Strahl, Unserer Universitäten Zukunft. Akademische Rede zur Jahresfeier (…) 1919, Gießen 1919, S. 5 f.; Volker Press, Gustav Roloff, in: G/M/P I, S. 761–777, hier 765. 31 Moraw, Kleine Geschichte, S. 164. 32 Marita Baumgarten, Professoren und Universitäten, S. 160 f., 225 f. Das durchschnittliche Berufungsalter betrug bei den Geisteswissenschaftlern 36,6 Jahre, bei den Naturwissenschaftlern 35,1 Jahre (jeweils alle Berufungen im 19. und frühen 20. Jahrhundert). 33 Baumgarten, Professoren und Universitäten, S. 172–175, zu den Naturwissenschaftlern vgl. 235; zu den Ordinarienberufungen 162. 34 Moraw, Kleine Geschichte, S. 170 f.
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zeit, »entregionalisiert«.35 Die Universität des Großherzogtums Hessen berief ihre Lehrenden relativ ausgewogen aus preußischen und nichtpreußischen Universitäten, auch aus dem (deutschsprachigen) Ausland, meist der Schweiz.36 1907, als Franz Eulenburg seine große Erhebung über den »akademischen Nachwuchs« durchführte, waren drei Ordinarien im Ausland geboren (aber kein Extraordinarius und kein Privatdozent).37 Die Frage nach dem Geburtsland zu stellen, ist für die Zusammensetzung des Lehrkörpers insofern aussagekräftiger als die nach der Staatsbürgerschaft, weil Beamte üblicherweise eingebürgert wurden. In Gießen wirkten während des Ersten Weltkriegs in der Medizinischen Fakultät der Deutschbalte mit schwedischen Wurzeln Eugen Bostroem, der allerdings bereits in Deutschland studiert hatte.38 In der Philosophischen Fakultät hatte der gebürtige Niederländer Jan Versluys ein außeretatmäßiges Extraordinariat für Zoologie.39 Mit ihrem Einkommen standen die Gießener Lehrenden, anders als noch am Anfang der 1890er Jahre,40 gar nicht schlecht da, vor allem im Vergleich zu den benachbarten Marburger Kollegen: Seit 1898 betrug das Anfangsgehalt des Ordinarius 4500 M. und konnte sich mit insgesamt vier Zulagen bis auf 6500 M. steigern. Die Gehälter der Extraordinarien spannten sich von 2500 bis 4000 M.41 Damit erreichten sie fast das Maximum der preußischen Provinzuniversitäten (das wegen des dort gezahlten Wohngeldzuschusses etwas höher lag). Zwar brachten die Professoren der kleinen Landesuniversität durchaus Verständnis für die geringe Finanzkraft des hessischen Staates auf. Doch bezüglich der Pension und Hinterbliebenenfürsorge fanden sie sich erheblich schlechter gestellt als ihre Kollegen anderswo.42 Und mancher Extraordinarius verdiente weniger als gehobene technische oder Verwaltungsmitarbeiter. Das Jahreseinkommen des Kollegienhausbeschließers betrug 2165 M., das des Extraordinarius für Pharmazeutische Chemie nur 2000.43
35 Moraw, Kleine Geschichte, S. 164. 36 Baumgarten, Professoren und Universitäten, S. 161, 241, 243. Allerdings kamen aus dem Ausland fast nur Geisteswissenschaftler, keine Naturwissenschaftler. 37 Eulenburg, Der »akademische Nachwuchs«, Tab. III, S. 36 f. 38 Denn er war bei der Russisch-Prüfung für die Aufnahme an die Universität Dorpat durchgefallen (Helmut Faber, Eugen Bostroem, in: G/M/P I, S. 99–104). 39 S. zu ihm http://de.wikipedia.org/wiki/Jan_Versluys_(Zoologe) (21.7.2013). 40 Damals fanden sich die Hochschullehrer im gesamtdeutschen Vergleich an 17. Stelle von 20, die Nichthabilitierten gar auf dem zweitletzten Platz (Moraw, Kleine Geschichte, S. 168). 41 Biermer, Rechtsverhältnisse der Universitätsprofessoren, S. 51; Lexis, Übersicht, S. 43, 47. 42 Krüger, Denkschrift, S. 2 f. 43 So die Angaben über das Zivildiensteinkommen in den komplizierten Berechnungen des ihnen zustehenden Militärsolds während des Krieges: Gh. MdI an VA Gi 20.11.1914 bzw. 14.12.1914: UA Gi Allg. 107, fol. 107, 126.
96 Hauptstadt – Provinz – Grenze Ob die Gießener untereinander vor dem Weltkrieg noch so liberal verfuhren wie in den späten achtziger und neunziger Jahren, als Titel verpönt waren, sie sich – anders als an typischen ›Geheimratsuniversitäten‹ – nur mit Namen ansprachen, in der gelehrt-geselligen Vereinigung der Lehrenden egalitär miteinander umgingen und ein Privatdozent die Ordinarien nicht als ›Oberkollegen‹ zu behandeln hatte,44 muß offenbleiben. Immerhin bat der Senat kurz vor Beginn des Krieges um die Einführung einer Amtstracht für die Lehrenden. Talare waren ja an den meisten Universitäten für feierliche Angelegenheiten üblich, doch hatten einige sie erst wenige Jahre zuvor eingeführt, in Preußen etwa Marburg und Kiel.45 Dabei war die Amtstracht in Preußen schon 1845 festgelegt worden: für Professoren schwarze Talare, die aber nur die Ordinarien mit einem farbigen Futter trugen, das an allen Öffnungen zu sehen war. Als an einzelnen Universitäten die Privatdozenten die Erlaubnis erlangt hatten, ebenfalls Talare tragen zu dürfen, bemühten sich die Extraordinarien um Farben, um sich von ihnen abzugrenzen – und erhielten das Recht auch, allerdings mit einer feinen Abstufung gegenüber den Ordinarien.46 So wirkten sie selbst auf die Aufrechterhaltung jener symbolischen Unterschiede hin, die die inneruniversitäre Hierarchie spiegelten. Offenbar hatten die Gießener Professoren nun das Bedürfnis, ihre Besonderheit zu unterstreichen. Innerhalb der Beamtenschaft des Großherzogtums beanspruchten sie jedenfalls eine herausgehobene Stellung: Im Anschluß an die Beobachtung, daß Hessen bei Auszeichnungen schematischer verfahre als andere deutsche Staaten, hielt der Theologe Krüger in einer – auch von der Universitätsspitze mitgetragenen Denkschrift – 1916 fest, »daß die Sonderart der Universitäten es durchaus verbietet, die Professoren nach den für die übrigen Beamten geltenden Gesichtspunkten zu behandeln«.47 Gleichzeitig führten sie im Personalverzeichnis aber für sich (wie auch für die ›kleinen‹ Verwaltungsbeamten) alle Orden und die kleinsten Auszeichnungen, wie etwa das hessische
44 Der sogenannte »Sonderbund« war zur Zeit des berühmten Justus Liebig einst als Oppositionsvereinigung der Jüngeren gegründet worden, umfaßte später aber nahezu alle Dozenten. Und dort wurden nicht nur Ordinarien, sondern auch außerordentliche Professoren und Privatdozenten zum Leiter gewählt. Die hier in einfache Anführungszeichen gesetzten Begriffe benutzt der Autor selbst mit Anführungszeichen: Lothar Heffter, Beglückte Rückschau auf neun Jahrzehnte. Ein Professorenleben, Freiburg 1952, S. 65. 45 Gh. Hess. MdI an Ministerialdirektor Naumann (Pr. KuMi) 25.2.1914: GStA PK , I. HA Rep 76 Va Sekt. 1 Tit. I Nr. 11 Bd. II, fol. 239. 46 In Marburg z. B. wurden ihnen Farben nur am Kragen gestattet, um den Unterschied zu den Ordinarien zu wahren. Allgemeine Zusammenfassung: Pr. KuMi an Gh. Hess. MdI 5.3.1914; zu Marburg: Pr. KuMi an Kurator Marburg 30.4.1912; Kgl. Erlaß 5.7.1912 (Bestätigung des Vorschlags). Alle: GSt APK I. HA Rep 76 Va Sekt. 1 Tit. I Nr. 11 Bd. II, fol. 240 f., 227, 231 f., 234. 47 Krüger, Denkschrift, S. 8. Vgl. dazu auch o. S. 30 f. mit A. 28.
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Militärdienst-Alterszeichen für neun Dienstjahre, penibel auf und erklärten die verwendeten Symbole in einer zweiseitigen Liste.48 In der kleinen Universitätsstadt bildeten die Kollegen nicht nur den beruflichen, sondern auch den wichtigsten persönlichen Umgang – und zwar nicht im engeren Fach-, sondern im weiteren Kreis der Gesamtuniversität. Neben privaten Beziehungen bildeten dafür mehrere Wandergruppen den Rahmen. Auch die Professorengattinnen hatten wichtige Funktionen bei der Gestaltung dieses Bekannten- und Freundeskreises. Zum einen musizierten sie miteinander;49 zum anderen waren sie bei den Neuaufnahmen in den Wander-Bund, dem nur Lehrende der Universität angehörten, abstimmungspflichtig. (Ihre Gatten dagegen waren nur abstimmungsberechtigt!) Und die Frauen waren es auch, die die Wanderungen planten und organisierten. Seinen Schwerpunkt hatte dieser Bund zwar in der Medizinischen Fakultät, war aber fächerübergreifend.50 Daneben gab es mindestens eine, evtl. auch zwei weitere Professorenwandergruppen.51 Als der Wander-Bund am 26. Juli 1914 im Universitätsgarten ein Picknick hielt, wurden patriotische Lieder gesungen, und der Eintrag im Wanderbuch endet mit den Worten »Der nahende Krieg«.52 Eine wichtige Rolle spielte im geselligen Leben offenbar der Germanist Otto Behaghel, der eine der Wandergruppen führte, aber in seinem Haus auch ein Gesangs-Quartett versammelte und Kostümfeste veranstaltete.53
Straßburg Wesentlich größer als der Gießener war der Straßburger Lehrkörper, auch wenn er nie den Umfang erreichte, den der Gründungsbeauftragte einst anvisiert hatte: Mit 62 Ordinarien und 62 Extraordinarien wäre die Universität damals die größte in Deutschland geworden.54 Tatsächlich hatte sie bei der Eröffnung 1872 45 ordentliche und 13 außerordentliche Professoren, fünf Jahre später 48 PB LU Gi SS 1914, S. 29 f. 49 Press, Roloff (wie A. 30), S. 769. 50 Ulrike Enke, »Freundschaft giebt der Seele Kraft« – Der Freundeskreis um Robert Sommer und der »Wander-Bund«, in: Gießener Universitätsblätter 36 (2003), S. 47–61, bes. 47–49. 51 Der ehemalige Gießener Student Bach erwähnt den von dem Germanisten Behaghel geführten »Rennklub« und die »Blindschleiche« (Bach, Studentisches und wissenschaftliches Leben, S. 205). Von Professorengattinnen ist in dieser Quelle nicht die Rede. Zu dem von Behaghel geführten Klub auch Eduard Bötticher, Leo Rosenberg, in: G/M/P I, S. 778–788, hier 785. 52 Enke, »Freundschaft giebt der Seele Kraft«, S. 55. 53 Bach, Studentisches und wissenschaftliches Leben, S. 206, 203. 54 Denn Berlin und Leipzig hatten zu jener Zeit je 102 Professoren (Craig, Scholarship and Nation Building, S. 47).
98 Hauptstadt – Provinz – Grenze 58 bzw. 18.55 Im Sommersemester 1914 zählte sie 69 Ordinarien, 9 Honorarprofessoren, 25 Extraordinarien, 68 Privatdozenten und drei Lektoren, insgesamt also 174 Dozenten im wissenschaftlichen Bereich.56 Die Ordinarien machten nur 39,7 % aus – doch aufgrund ihrer eigentümlichen Verfassung hatte dieser Status an der Universität Straßburg weniger Bedeutung als anderswo, kam dieser Minderheit also auch innerhalb der Korporation wohl weniger Gewicht zu.57 Andererseits schlossen sich um 1910 auch hier die Nichtordinarien zusammen, um ihre eigenen Interessen zu vertreten und (wie natürlich auch legitimierend hinzugefügt wurde) »an der Förderung der allgemeinen Interessen der Universität« mitzuwirken. Daraufhin richtete der Senat eine gemeinsame Kommission aus Ordinarien und Extraordinarien ein zur Erörterung der Wünsche letzterer.58 In den einzelnen Fakultäten war die Struktur der Statusgruppen recht verschieden: Die Philosophische zählte (obwohl sie in Straßburg nur die Geisteswissenschaften umfaßte!) die meisten Ordinarien,59 die Medizinische die meisten Extraordinarien60 und Privatdozenten61 (nämlich ungefähr die Hälfte).62 Nach ihren Einkünften lassen sich die Straßburger einteilen in 55,7 % Lehrende mit fester Besoldung und 44,3 %, die ohne eine solche auskommen mußten. Der Status eines Ordinarius entsprach dem eines Rates IV. Klasse der elsässischlothringischen Landesbeamten (z. B. Oberlandesgericht- oder Regierungsrat).63 55 Craig, Scholarship and Nation Building, S. 70. 56 PV KWU Strb. SS 1914, S. 2–9. Nicht mitgezählt werden die im VV aufgeführten Emeriti, da etwa die Hälfte von ihnen nicht mehr in Straßburg wohnte. Nicht mitgerechnet ist auch der einzige »Lehrer der Künste« (für Musik); zwei Fecht- und ein Tanzlehrer werden innerhalb der Rubrik »Beamte der Universität« als »Exerzitienmeister« aufgeführt. 57 S. dazu u. Kap. II.5 über die Universitätsverwaltung. 58 Satzungen der Vereinigung der Honorarprofessoren, außerordentlichen Professoren und PD an der Univ. Straßburg [o. D.]: ADBR 103 AL 229. Datierung und Reaktion des Senats nach: Stiftungsfest der KWU 1910, S. 10 (im Bericht des Rektors). Allgemein zu dieser Entwicklung: Rüdiger vom Bruch, Universitätsreform als soziale Bewegung. Zur NichtOrdinarienfrage im späten deutschen Kaiserreich, in: Geschichte und Gesellschaft 10 (1984), S. 72–91. 59 Von den Ordinarien gehörten 8 zur protestantischen Theologischen Fak., 8 zur katholischen, 10 zur Juristischen, 13 zur Medizinischen, 19 zur Philosophischen und 11 zur Mathematisch-Naturwissenschaftlichen. 60 Von den Extraordinarien gehörte einer zur prot. Theologischen Fak. (keiner zur kath.), drei zur Juristischen, 11 zur Medizinischen, drei zur Philosophischen, 7 zur Mathe matisch-Naturwissenschaftlichen. 61 Von den 68 Privatdozenten gehörte einer zur prot. Theologischen Fak., drei zur kath., einer zur Juristischen, 34 zur Medizinischen, 15 zur Philosophischen und 14 zur Mathematischen. 62 An der Med. Fak. wirkte fast die Hälfte aller Extraordinarien sowie die Hälfte aller Privatdozenten. Honorarprofessoren gab es in der Medizinischen (2), Philosophischen (6) und Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fak. (1). 63 Das geht aus der Umzugsbewilligung für den 1903 nach Straßburg berufenen Hermann Rehm hervor. S. Statthalter von E-L an Rehm 25.3.1903: ADBR 103 AL 655.
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Anders als in Preußen und Hessen bestanden im Reichsland aber weder Normalgehälter noch Dienstalterzulagen. In der Gründungszeit waren hier Ordinariengehälter von 6600 bis 13.500 M. bewilligt worden (wovon ein Sechstel bis ein Fünftel als Aktivitätszulage galt). Manche dieser Gehälter wurden noch um die Jahrhundertwende gezahlt. Doch Neuberufenen bot man in dieser Zeit nur noch 5000 bis 6000 Mark. Zwar hatten sich die Extraordinarien ursprünglich etwas besser gestanden als anderswo,64 doch war der Abstand zwischen den Gruppen durch die hohen Ordinarienmaxima hier ursprünglich größer. Durch die aktuelleren geringeren Gehälter hatte er sich aber vermindert. Andererseits fand in Straßburg eine echte Emeritierung statt, die ein Professor (auch der Extraordinarius!) mit 65 Jahren verlangen konnte: Dabei behielt er sein Gehalt und verlor nur die Aktivitätszulage.65 In das deutsche Berufungsnetz war Straßburg gut eingebunden. Rege war der Austausch der Geisteswissenschaftler mit den bedeutenderen preußischen Universitäten – Göttingen, Bonn und Berlin –, entwickelt mit dem benach barten Freiburg, mit Gießen (drei Berufene von dort, ein dorthin abgeworbener gebürtiger Straßburger!), Heidelberg und München. Und dabei hatte Straßburg für die Anwerbung beträchtlich bessere Chancen als die kleinen oder anderen mittleren Universitäten – nur wenige Neuberufene erhielten hier ihr erstes Ordinariat! Daß der Wechsel in den Geistes- ausgeprägter als in den Naturwissenschaften war,66 erklärt sich zum Teil aus der Modernität der Einrichtungen der neuen Universität. Da andere, mit Ausnahme Berlins, erst allmählich konkurrenzfähig wurden, blieben Naturwissenschaftler in den ersten Jahrzehnten eher hier.67 Doch war ihre Mobilität durch den Apparatebedarf für die Forschung generell erschwert. Insgesamt waren bis 1897 schon mehr als ein Dutzend Professoren aus dem Straßburger Kollegium nach Berlin berufen worden. Auch die Abwerbungen nach Leipzig und München belegten seinen Erfolg.68 Alles in allem sind Beharrung und Mobilität der Straßburger schwer zu beurteilen – denn sie differierten stark nach Fakultäten. Doch zumindest die Geistesw issenschaftler waren hier mobiler als anderswo: auf jeden der erfaßten
64 Sie hatten bei der Gründung 3000 M. zuzüglich 600 M. Wohnungsbeilage erhalten, und Lexis vermutete: »und sie werden auch jetzt noch einen ähnlichen Stand haben«. Lexis, Übersicht, S. 44, 47 (Zitat); Biermer, Rechtsverhältnisse der Universitätsprofessoren, S. 40 f. 65 Lexis, Übersicht, S. 48 (für Ordinarien); ebenso Biermer, Rechtsverhältnisse der Professoren, S. 41 f. Beispiele für emeritierte Extraordinarien s. etwa in: PV KWU Strb. WS 1910/11, S. 5 (Oswald Kohts, in der Med. Fak.), 6 (Sigmund Levy und Eduard Thrämer, beide in der Phil. Fak.). 66 Baumgarten, Professoren und Universitäten, S. 218–220, 210, 263. 67 Bonah, Une université internationale, S. 33. 68 Otto Lenel, Die Universität Straßburg 1621 [ ] 1921. Gedenkrede, Freiburg 1921, S. 18 f.
100 Hauptstadt – Provinz – Grenze Berufenen kamen im Lauf seiner Karriere mehr Ordinariate als anderswo.69 Und bis zum Ersten Weltkrieg war die Dozentengeneration der Gründungsphase nahezu komplett ausgetauscht. Die Verflechtung mit den süddeutschen Universitäten (und einer TH) wurde über die Berufungen hinaus auch durch jährliche Treffen mit den Freiburger, Heidelberger, Karlsruher (TH-) und Tübinger Dozenten verstärkt.70 Der Herkunft nach waren die Straßburger Lehrenden bunt gemischt. Bei der Gründung kamen die meisten aus dem sogenannten ›Altdeutschland‹, nicht aus dem Reichsland. Und der Anteil der Elsässer unter den Lehrenden, bei der Gründung (1872) überwiegend protestantische Theologen und Mediziner, sank von 25,9 % auf 14,5 % 1911/1271 (und ging bis Sommer 1914 noch weiter zurück). Zudem waren die Einheimischen in der höchsten Rangstufe besonders gering vertreten: Von den 66 Ordinarien waren nur vier Elsässer (6 %)!72 Nur in der erst 1903 gegründeten Katholisch-Theologischen Fakultät stammte ein beträchtlicher Teil der Dozenten aus dem Elsaß; einen einzelnen, der zudem auf französisch publizierte, fand man aber auch bei den Protestanten.73
69 So Baumgarten in ihrer detaillierten Untersuchung der Geistes- und Naturwissenschaftler, die sechs Universitäten (und deren Verflechtung mit allen anderen deutschen) gilt. (Baumgarten, Professoren und Universitäten, S. 220). Da dabei aber nur die Fluktuation Straßburgs mit diesen sechs untersucht ist, nicht die Entwicklung des Straßburger Lehrkörpers überhaupt, kann damit auch die gegenteilige Aussage nicht widerlegt werden: Bonah stellt nämlich fest, die Straßburger Lehrenden seien im Vergleich zu denen anderer deutscher Universitäten wenig mobil: Doch betrachtet er nur die Mediziner der Gründungsgeneration. Andererseits bemerkt er selbst aber auch, Straßburg sei ein Sprungbrett oder eine Sackgasse (Bonah, Une université internationale, S. 32 f.). 70 Anke Dörner, »Der Freiburger Universität unauslöschlichen Dank«. Die Auflösung der Reichsuniversität Straßburg im November 1918 und ihre Aufnahme durch die Univer sität Freiburg, in: Freiburger Universitätsblätter 38 (1999), 145, S. 131–141, hier 133. 71 15 von 58 (1872), 23 von 159 (1911/12). 72 Christian Baechler, L’Université allemande de Strasbourg et l’Alsace-Lorraine (1872–1918), in: Les Universités du Rhin Supérieur de la fin du Moyen Age à nos jours. (…), Strasbourg 1988, S. 131–141, hier 135; Vogler, Histoire culturelle de l’Alsace, S. 321. Zu den Fächern der Elsässer Gründungsriege: Ludwig Dehio, Die Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg, in: Georg Wolfram (Hg.), Wissenschaft, Kunst und Literatur in Elsaß-Lothringen 1871–1918, Frankfurt a. M. 1934 (Das Reichsland Elsaß-Lothringen 3), S. 1–30, hier 3. Zum Sommer 1914 s. die Angabe: »Von den Hochschullehrern waren zuletzt 24 Elsässer.« (Johannes Ficker, Die Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg und ihre Tätigkeit. Rede bei der Gedenkfeier der Reichsgründung […] 1922, Halle 1922, S. 13). Bezieht man die Zahl auf die Professoren und Privatdozenten (nach Ficker, wie nach obiger Aus zählung: 103 + 68), so ergibt sich ein Anteil von 14 %. Rechnet man die drei Lektoren (die damals nicht nur Sprachkurse hielten) ebenfalls zu den Hochschullehrern, so ergibt sich ein noch geringerer Anteil: 13,8 %. 73 Zu den Katholiken: Dehio, Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg, S. 28; zu Lobstein s. als Kurzinformation BBKL XVII (2000), Sp. 862–864 (Matthias Wolfes), wo hervorgehoben wird, er sei der deutschen wie der französischen Kultur gleichermaßen verbun-
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Auch im wissenschaftlichen Nachwuchs stellten die ›Altdeutschen‹ die überwiegende Mehrheit: 1885–1890 waren unter den Habilitanden 64 ›Altdeutsche‹ und 11 Elsässer (85,3 %:14,7 %).74 Wenn sie diese Hürde aber genommen hatten, war es für Elsässer schwer, eine Professur zu erhalten. Der Staats- und Völkerrechtler Robert Redslob, der 1909–1913 Privatdozent in Straßburg war und dann nach Rostock berufen wurde, berichtet, ein Elsässer habe erst dann eine Chance auf eine Professur in Straßburg gehabt, wenn er zunächst einige Zeit an Universitäten jenseits des Rheins gearbeitet habe, »um deutsche Verhältnisse kennen zu lernen«.75 Einem elsässischen Theologen bedeutete einer der Professoren am Tag seiner Habilitation, daß er alle Hoffnung fahren lassen solle, hier je einen Lehrstuhl zu erhalten.76 Der Privatdozent Fernand Ménégoz, ein gebürtiger Straßburger, der in seiner Heimatstadt sowie in Berlin und Paris studiert hatte und Neffe des Elsässer Theologen Louis Eugène Ménégoz an der Sorbonne war, war im Hauptberuf Pfarrer.77 Als Redslobs Bruder nur um eine Assistentenstelle an der Augenklinik nachsuchte, verweigerte ihm dies der deutsch-jüdische Professor, weil Redslob zu französisch denke. Er solle auf die andere Rheinseite gehen, um zu einem Deutschen zu werden.78 1911 gab es sogar Klagen im Landesausschuß über die fehlende Gleichberechtigung der elsässischen Dozenten.79 Doch versprach der Kurator, dem entschieden entgegenzuarbeiten.80 Bereits 1909 hatte das Ministerium die Fakultät gedrängt, einen Elsässer auf die Vakanz für Romanische Philologie zu berufen.81 den gewesen. Vgl. aber auch El[isabeth] Lobstein/Ed[uard] Lobstein, Paul Lobstein, professeur à l’université de Strasbourg, 1850–1922. Un alsacien idéal, Strasbourg u. a. 1926. Lobstein war nach dem Krieg auch Professor der französischen Universität. 74 Wahl, L’immigration allemande, S. 212. 75 Robert Redslob, Alma Mater. Mes souvenirs des Universités allemandes, Paris 1958, S. 108 (Zitat i. O. deutsch). 76 Zitiert bei Craig, Scholarship and Nation Building, S. 171 (betr. Guillaume Baldensperger). 77 Zunächst 1904–1915 an St. Nikolaus, dann 1915–1919 an St. Amelien. Zu Ménégoz: Bopp, Evangelische Geistliche II, S. 363; zu seinem Onkel: BBKL V (1993), Sp. 1255–1256 (Klaus-Gunther Wesseling). 78 Edmond Redslob, D’un régime à l’autre. Ce que j’ai vecu, Paris 1933, zitiert (ohne Seitenangabe) bei Uberfill, Sociétié strasbourgeoise, S. 143. 79 Der Landesausschuß war eine indirekt, durch die Bezirkstage gewählte Vertretung mit dem Recht, Gesetzesvorlagen einzubringen. Er war traditionell frankophil, durfte aber seit 1881 nur noch auf deutsch debattieren. S. dazu Fisch, Elsass im Kaiserreich, S. 130; Rimmele, Sprachenpolitik, S. 26. 80 Verhandlungen des Landesausschusses, in: Straßburger Bürger-Zeitung 71, 24.3.1911. Auch andere Zeitungen berichteten ausführlich über die Debatte zum Universitätsetat, aber ohne diesen spezifischen Punkt zu erwähnen: Landesausschuß von ElsaßLothringen, in: Elsässer Kurier 71, 24.3.1911; Aus dem Landesausschuß, in: Freie Presse. Sozialdemokratisches Organ für Elsaß-Lothringen 14, 71, 24.3.1911, Titelblatt. Alle Ausschnitte in: ADBR 103 AL 201. 81 Zwar hatte sie tatsächlich einen (bereits in Bonn lehrenden!) auf Platz 1 gesetzt. Doch lehnte er ab. Craig, Scholarship and Nation Building, S. 172 f.
102 Hauptstadt – Provinz – Grenze Neben dem Zugang zu Ämtern macht auch der Umgang innerhalb des Kollegiums die Fragmentierung des Lehrkörpers deutlich: Als erster elsässischer Privatdozent der juristischen Fakultät fühlte sich Robert Redslob zwar von »allen Professoren, ohne Ausnahme«, gut aufgenommen. Aber es lag doch ein »Schatten auf [diesem] Bild: Sie spürten genau, daß ich aufgrund meiner Herkunft und meiner Traditionen nie wirklich einer der Ihren sein würde und daß ich nicht nur auf dem Gebiet der Politik Abstand wahren würde, sondern daß ich nicht alle meine gesellschaftlichen Pflichten erfüllen und nicht vollständig am Leben unter den Kollegen teilnehmen würde. Fakultaetsleben. Van Calker warnte mich: ›Sie dürfen sich nicht auf ’s vornehme Stuehlchen setzen.‹«82
Redslobs Beziehungen zu den Kollegen waren immer korrekt, teilweise von Sympathie geprägt und für ihn schon deshalb wichtig, weil es unter den Elsässern keinen Spezialisten seines Faches gab, mit dem er sich hätte austauschen können. Aber es war ein »Alptraum« für ihn, andere Deutsche bei ihnen zu treffen, insbesondere Offiziere, »die Verkörperung der Eroberungsarmee«. Wenn er fortfährt, »Die Universität erschien mir als der einzige Ort, der den Abgrund zwischen dem fremden Volk und mir überdecken (masquer) konnte«, bestätigt er damit einerseits die auf deutscher Seite mit der Universitätsgründung verbundenen Hoffnungen und Absichten. Aber zugleich macht er durch den Kontext und die gewählte Formulierung deutlich, daß die Kluft nicht einmal hier wirklich überbrückt werden konnte. Im allgemeinen der »einzige [seiner] Art«, wurde er bei solchen Gesellschaften als »wirklicher Elsässer« geradezu bestaunt. Die naive Bemerkung einer Tischnachbarin, sie habe ihn für einen Ausländer gehalten, parierte er mit geradezu offensiver Direktheit: »Sie irren sich sehr, gnädige Frau. Ganz im Gegenteil: Als einziger in diesem Haus bin ich keiner.«83 Andere waren zurückhaltender, mieden aber ebenfalls engere Kontakte mit den ›altdeutschen‹ Kollegen.84 Neben den elsässischen und den ›altdeutschen‹ Reichsbürgern gab es im Kollegium eine ganze Reihe von Ausländern – nach dem rechtlichen Kriterium ohnehin (da Lektoren nicht eingebürgert wurden85), aber auch nach der kulturellen Prägung: Besonders aus der Schweiz und Österreich,86 aber auch aus dem 82 83 84 85
Redslob, Alma mater, S. 102. Die hier kursiv wiedergegebenen Passagen i. O. deutsch. Redslob, Alma mater, S. 104 f. Craig, Scholarship and Nation Building, S. 103. In Straßburg wirkten damals für Französisch Hubert Gillot, für Italienisch Santorre Debenedetti und für Englisch James Woodall. Gillot war laut Craig, Scholarship and Nation Building, S. 179 um 1910 der einzige französische Staatsbürger im Lehrkörper. 86 Allein in der Medizin waren es 1914 mindestens drei Dozenten aus Österreich-Ungarn (als Militärärzte erwähnt in: Johannes Ficker, Bericht über die Tätigkeit der Kriegsstelle der Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg […]. 1 (1914/15) – 4 (1917/18), Straßburg 1915–1918, hier 1 (1914/15), S. 4). Folgende Namen aus PV KWU Strb. 1914, Angaben zur Staatsbürgerschaft aus den weiter genannten Quellen: In der Math.-Nat. Fakultät
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Russischen Reich wurden immer wieder Lehrende berufen, für das Gründungskollegium sogar aus Lyon und Athen.87 1914 gehörten zum Lehrkörper z. B. ein in Petersburg geborener lutherischer Deutscher, der zwar selbst schon als Kind mit den Eltern nach Deutschland gekommen war, aber noch viele Verwandte und Besitz in Rußland hatte: der Jurist Andreas von Tuhr.88 Daneben standen drei Deutschbalten (die ebenfalls nicht mehr zarische Untertanen waren): der berühmte Kunsthistoriker Georg Dehio, der (mit 76 Jahren immer noch nicht emeritierte) Pharmakologe Oswald Schmiedeberg und der Privatdozent der Medizin (und Titularprofessor) Nicolai Guleke.89 (Ein niederländischer Mediziner wechselte gerade zum Wintersemester 1914/15 nach Wien.90) Neben Dehio wirkten in der Philosophischen Fakultät noch der aus Böhmen stammende Honorarprofessor (und Direktor der Gemäldegalerie) Ernst Polaczek und der Schweizer Orientalist Friedrich Schulthess.91 An der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät lehrten nicht nur zwei Schweizer Privatdozenten, Paul Ruggli und Andreas Speiser,92 sondern auch zwei Privatdozenten der Physik aus dem Russischen Reich (die allerdings, wie die erwähnten Professoren, ebenfalls keine Russen waren): Leonid Mandelstam (Leonid Isaakovič Mandel’štam) und Nikolaus Papalexi (Nikolaj Dmitrievič Papaleksi). Der erste, ein Jude aus Mogilev, war wegen Beteiligung an Studentenunruhen 1897 von der Universität Odessa relegiert worden, hatte sein Studium in Straßburg beendet, war hier 1902 promoviert worden, hatte sich 1907 habilitiert und 1913 den Professorentitel erhalten. Wie bei anderen Ausländern wurde dafür die Zustimmung der Regierung des Heimatlandes eingeholt und der Titularprofessor nicht eingab es mindestens zwei Schweizer Privatdozenten: Paul Ruggli (s. P. Ruggli an Rektorat 18.12.1917: ADBR 103 AL 192) und Andreas Speiser. Der aus Böhmen stammende Kunsthistoriker und Museumsdirektor Ernst Polaczek wirkte als Honorarprof. an der Phil. Fak. (Nachweisung bezgl. der als unabkömmlich bezeichneten Dozenten der hiesigen Universität: ADBR 103 AL 190; Biographisches Lexikon der Oberlausitz: http://www. wiki.olgdw.de/index.php?title=Ernst_Polaczek). 87 Ficker, Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg, S. 11. 88 S. die (relativ unergiebige) Personalakte in ADBR 103 AL 748 sowie ergänzend http:// catalogus-professorum-halensis.de/thurandreasvon.html (25.11.2005). 89 Zu Schmiedeberg s. http://de.wikipedia.org/wiki/Oswald_Schmiedeberg. Die preußische Staatsbürgerschaft Gulekes ist nachgetragen in Gulekes Personalakte: ADBR 103 AL 404, unfol. 90 Zu Karel Frederik Wenckebach s. http://www.whonamedit.com/doctor.cfm/2246.html (12.11.2014). 91 Zum Dehio-Schüler Polaczek s. Betthausen, Georg Dehio, S. 105, 175, 204, 250; Kurz biographie von Schulthess bei Ludmila Hanisch, Die Nachfolger der Exegeten. Deutschsprachige Erforschung des Vorderen Orients in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Wiesbaden 2003, S. 206. 92 P. Ruggli an Rektor KWU Strb. 18.12.1917: ADBR 103 AL 192; Historisches Lexikon der Schweiz unter: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D45062.php (20.1.2012); Speiser: Historisches Lexikon der Schweiz: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D43135.php (20.1.2012).
104 Hauptstadt – Provinz – Grenze gebürgert.93 In der Medizinischen Fakultät gab es 1914 mindestens drei Dozenten aus Österreich-Ungarn.94 Einer von ihnen, Demeter Ritter von Tabora, stammte aus einem alten rumänischen Bojarengeschlecht. Als Gießener Privatdozent war er zusammen mit einem von dort Berufenen 1907 als Oberarzt nach Straßburg gekommen war und seit Sommer 1912 hier Titularprofessor.95 Ein besonderer Fall war ein in Frankreich sozialisierter Deutscher: Der Inhaber des Lehrstuhls für Systematische Theologie, Emil Walter Mayer, war als Sohn des Pfarrers der deutschen Gemeinde in Lyon geboren und aufgewachsen und hatte das berühmte Lycée impérial als bester Schüler seines Jahrgangs mit doppeltem Baccalaureat absolviert (was ihn zum Besuch der berühmten École polytechnique berechtigt hätte). Schon während des Studiums in Berlin hatte er seine französische Staatsbürgerschaft gegen die deutsche eingewechselt.96 Neben der ethnisch-kulturellen Differenzierung ist auch die konfessionelle Struktur des Lehrkörpers zu bedenken. Lange war er protestantisch dominiert – und dabei gab es für die Kooptation von Juden, ähnlich wie an anderen deutschsprachigen Universitäten in bi- oder multikultureller Umgebung, geringere Hindernisse als an den sonstigen Universitäten des Reichs.97 Der Gynäkologe Wilhelm Alexander Freund, der anderswo mehrfach aufgrund seines Judentums übergangen wurde, aber trotz Aufforderung die Taufe verweigerte, hatte hier von 1879 bis zu seiner Emeritierung 1901 gewirkt und dabei den Aufschwung der deutschen Gynäkologie mitgeprägt.98 Während des Krieges 93 Die Informationen über Herkunft und Relegation aus Russian Biographical Archive, München 2000, MF 302/193–196. Weitere Informationen: Personalnachweis [Datum unklar]; Kurator an Statthalter 31.7.1913 und 20.10.1913; alle in der Personalakte: ADBR 103 AL 581. Dort auch das Gutachten der Math.-Nat. Fak. vom 3.6.1913. Zu Papalexi s. dessen Personalakte: ADBR 103 AL 640. Auf die nichtrussische Herkunft Papalexis deutet außer dem Namen die Bezeichnung als rossijskij (nicht: russkij) fizik hin: http://www.computermuseum.ru/connect/papalexi.htm (5.10.2005). 94 Als Militärärzte erwähnt in: Ficker, Bericht I (1914/15), S. 4. 95 Zur Biographie s. A. Huttmann/A. Reiner, Das Seuchenlazarett der Festung Straßburg im Ersten Weltkrieg und sein Chefarzt, in: Arzt und Krankenhaus 1987, 3, S. 87–92. Die Angabe der Ernennung zum Professor 1915 (S. 87), ist aber entsprechend PV KWU Strb. (1912–1918) zu korrigieren. Korrespondenz von 1911/12 zur Vorbereitung der Verleihung des Titels in seiner Personalakte: ADBR 103 AL 227. 96 BBKL Band XVI (1999), Sp. 1029–1039 (Matthias Wolfes). 97 Für Straßburg: Craig, Scholarship and Nation Building, S. 84 (gestützt auf Quellen unter schiedlicher Provenienz). Zu deutschen Universitäten in einem gemischt- (und überwiegend anders-) nationalen Umfeld s. Maurer, National oder supranational?, S. 352 und passim. 98 S. die gedruckten Glückwunschschreiben der Med. Fak. Straßburg zu Freunds 50jährigem Doktorjubiläum (1905) und zu seinem 80. Geburtstag (1913) in ADBR 103 AL 1043, die nicht nur von Anerkennung der wissenschaftlichen Leistung, sondern auch von Zuneigung zur Persönlichkeit geprägt sind. Zu Freunds Karriereschwierigkeiten s. Andreas D. Ebert, Jüdische Hochschullehrer an preußischen Universitäten (1870–1924). Eine quantitative Untersuchung mit biographischen Skizzen, Frankfurt 2008, S. 107–118, zur mehrfachen Ablehnung der Taufe 110.
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gehörten dem Lehrkörper u. a. der emeritierte Ordinarius Harry Bresslau, die Mediziner Karl Spiro (Honorarprofessor), Jakob Parnas und Siegfried Samelson (Privatdozenten) an; Wilhelm Alexander Freund dagegen lebte seit seiner Emeritierung in Berlin, lehrte also nicht mehr.99 Einige andere waren jüdischer Herkunft, allen voran Freunds getaufter Sohn Hermann (Extraordinarius), auch Richard Edler von Mises, oder jüdischer Abstammung, wie etwa Georg Simmel, dessen Eltern bereits vor der Heirat zu zwei verschiedenen christlichen Konfessionen konvertiert waren und den Sohn bei seiner Geburt protestantisch hatten taufen lassen. Trotzdem wurde Simmel von allen als Jude betrachtet und schrieb sogar selbst von sich, er sei »jüdischen Blutes«.100 Daß mit der Taufe die Herkunft nicht ›vergessen‹ war, belegen die biographischen Grund informationen über Ernst Polaczek für den Statthalter, der für die Verleihung des Professorentitels zuständig war.101 (Nur bei Paul Laband scheint das Vergessen [-lassen] wirklich gelungen zu sein.102) Zu den ›Getauften‹ gehörten auch Max Ernst Mayer und Erich Meyer, bei Arnold Cahn ist die Konfession nicht ein deutig zu ermitteln.103 99 Zu Spiro s. u. S. 427, 470, 473; zu Samelson, der nach dem Krieg Extraordinarius in Breslau wurde und sich nach dem Novemberpogrom das Leben nahm: Eduard Seidler, Jüdische Kinderärzte 1933–1945: Entrechtet, geflohen, ermordet 1933–1945, Basel 2007, S. 220 f.; Dov Tāmārî, Moritz Pasch (1843–1930). Vater der modernen Axiomatik. Seine Zeit mit Klein und Hilbert und seine Nachwelt. Eine Richtigstellung, Aachen 2007, S. 8. Zu dem Chemiker Parnas die Konfessionsangabe in seinem Personalbogen anläßlich der Habilitation in der Med. Fak. ADBR 103 AL 635. 100 Zu Hermann Freund s. seinen Personalbogen (1890) in ADBR 103 AL 381 (»evang.«); zu Mises s. u. S. 345; zu Simmel Maurer, Diskriminierte Bürger, S. 32, 85 A. 97. Dabei meint »Herkunft« jüdische Sozialisation später Ausgetretener oder Getaufter, »Abstammung« zielt auf die jüdischen Vorfahren selbst schon bei der Geburt Getaufter. S. Maurer, Diskriminierte Bürger, S. 113 A. 233. 101 Auf dem Formular für die Ernennung »Im Namen des Kaisers«, auf dem auch das Procedere vermerkt war, hieß es u. a. »ist jüdischer Abkunft, aber getauft« (mit Abgangsvermerk des Kuratoriums 3.2.1905). Polaczek war 1904, also nach fünfjähriger Privatdozentur, am 31.7.1904 in Straßburg zum Protestantismus konvertiert. S. sein Schreiben an den Rektor (aus seinem Heimatort Reichenberg!) vom 5.8.1904. Beide: ADBR 103 AL 647. 102 Er hatte sich als junger Mann taufen lassen, erwähnte das aber nicht in seinen Erinnerungen – und sogar in NDB (13 [1982], S. 362–363 [Manfred Friedrich]), wo der Kon fessionswechsel im allgemeinen registriert wird, ist nur »ref[ormiert]« notiert. BBKL (XXV [2005], Sp. 761–764 [Florian Ganslmeier]) erwähnt die »jüdische Herkunft«, aber nicht die Taufe. Zur Taufe s. Walter Pauly, Paul Laband (1838–1918). Staatsrechtslehre als Wissenschaft, in: Helmut Heinrichs/Harald Franzki/Klaus Schmalz/Michael Stolleis (Hg.), Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, München 1993, S. 301–319, hier 305. 103 Sascha Ziemann, Max Ernst Mayer (1875–1923). Materialien zu einer Biographie, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte (4) 2002/2003, S. 395–425 (hier nach http:// www.jura.uni-frankfurt.de/ifkur1/neumann/Lehrstuhlteam/Ziemann/publikationen/ ziemann_memayer_jbjurzeit4_2003.pdf [14.5.2012]); Erich Meyer, Brunsvicensia Judaica. Gedenkbuch für die jüdischen Mitbürger der Stadt Braunschweig 1933–1945,
106 Hauptstadt – Provinz – Grenze Viel stärker unterrepräsentiert waren Katholiken.104 Die protestantische Mehrheit in der Universität verstand sich selbst als von konfessionellen Bindungen frei und allein von wissenschaftlichen Erwägungen geleitet, war aber letztlich nicht nur liberal, sondern antiklerikal und antikatholisch. Dadurch geriet sie auch in einen Gegensatz zur Bevölkerungsmehrheit des Reichslands.105 Schon seit den neunziger Jahren prangerte der preußische Hochschulreferent Althoff die Behandlung der Katholiken in Straßburg an und wirkte auf die Errichtung einer katholisch-theologischen Fakultät hin.106 Als dann zwei Lehrstühle der Philosophischen Fakultät für Katholiken reserviert wurden, war dies dem Lehrkörper (und der von ihm mobilisierten akademischen Öffentlichkeit Deutschlands) ein Skandal. Der erste (berühmtere) Fall war der des 1901 berufenen Historikers Martin Spahn, Sohn eines Zentrumspolitikers. Mit Blick auf die geplante katholisch-theologische Fakultät nutzte die Reichsregierung die Vakanz des Lehrstuhls für Neuere Geschichte zur Etablierung eines Katholiken, richtete aber gleichzeitig eine zweite Neuzeit-Professur ein, die mit Friedrich Meinecke besetzt wurde. (Dabei ging es nicht zuletzt darum, daß die Mittelalterprofessur mit einem Juden, Harry Bresslau, besetzt war und den Behörden in dieser Konstellation ein Protestant unter den Historikern unverzichtbar schien.)107 Darauf berief sich die Universität, als mehr als ein Jahrzehnt später deutlich wurde, daß eine Philosophieprofessur ebenfalls seit langem für einen Katholiken reserviert war (worüber es 1901 bereits Gerüchte gegeben hatte). Zwar respektierte die Fakultät den Geheimvertrag mit dem Vatikan schließlich, forderte aber analog zum ›Fall Spahn‹ die Einrichtung einer Parallelprofessur. Allerdings wurde dies schon dadurch hinfällig, daß der Kurator die Forderung nicht weiterleitete. Als unmittelbar nach der Berufung eines Katholiken auch die zweite Philosophieprofessur vakant wurde, zog die Kommission Georg Simmel für Platz 1 in Erwägung, stieß damit aber auf den Widerstand einiger Kol-
Braunschweig 1966, S. 117; zu seiner eigenen Konfession s. den Personalbogen in seiner Dienstakte: UA Gö Kur. 5107. Arnold Cahn wird auf http://www.alemannia-judaica.de/ cannstatt_synagoge.htm (30.10.2011) als berühmter jüdischer Cannstatter genannt. Der Personalbogen von 1886 (ADBR 103 AL 340) enthält nicht einmal eine Rubrik für die Angabe der Konfession. 104 Im polemischen Rückblick auf die Zeit der Jahrhundertwende (aus protestantischer Sicht): »In der Tat bot bislang die Universität dem Paritätsstatistiker ein höchst anstößiges Bild. Unter 109 Dozenten der 3 weltlichen Fakultäten befanden sich wohl 15 Juden, aber nur 11 Katholiken!« (Dehio, Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg, S. 22 f.). 105 Baechler, L’université allemande de Strasbourg, S. 135, 137. 106 Craig, Scholarship and Nation Building, S. 138–140. 107 Zum Fall Spahn s. besonders instruktiv: Pawliczek, Akademischer Alltag, S. 83–92 (zu Bresslau 84 f.); außerdem: Craig, Scholarship and Nation Building, S. 145–158; Rudolf Morsey, Martin Spahn (1875–1945), in: Jürgen Aretz/Rudolf Morsey/Anton Rauscher, Zeitgeschichte in Lebensbildern. Bd. 4, Mainz 1980, S. 143–158, hier 146 f.
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legen. Daher wurden auswärtige Gutachten eingeholt, schließlich Platz 1 und 2 je doppelt (und pari passu) besetzt, dies zuletzt (offenkundig aufgrund von Harnacks und Schmollers Gutachten zu seinen Gunsten) aber doch in eine Dreier liste mit Simmel allein auf Platz 1 geändert.108 Übrigens wurde im Lauf der ersten Philosophie-Neubesetzung auch deutlich, daß bei Berufungsverhandlungen in Straßburg Katholiken besonders hoch pokern konnten.109 Angesichts der Aufgabe, die Integration des Elsaß in das neue Deutsche Reich zu fördern, und der starken Unterrepräsentation der Einheimischen in der Studentenschaft und im Lehrkörper kommt dem Verhältnis der aus ›altdeutschen‹ Gebieten Berufenen zum Elsaß besondere Bedeutung zu. Friedrich Meinecke, der 1901–1906 in Straßburg lehrte, schrieb dazu im Rückblick: »Die Professorenschaft, der nur wenige Altelsässer [!] angehörten, mußte sich (…) als eine hineingepflanzte Kolonie im Lande fühlen. Aber was für eine Kolonie! Ich erlebte hier eine Nachblüte des liberalen und zugleich leidenschaftlich nationalen Humanismus der Reichsgründungszeit, wie sie vielleicht auf keiner anderen Universität noch so kräftig war.«
Damit würdigte er nicht nur die besondere Qualität des Lehrkörpers, vor allem in den Geisteswissenschaften, an dem er (zumindest rückblickend) im Kampf gegen die konfessionellen Professuren aber auch »manche Kurzsichtigkeit und Eigensinnigkeit, (…) aus gläubigem Idealismus« erkannte.110 Vielmehr griff er auch eine im Lehrkörper verbreitete Wahrnehmung der eigenen Situation auf, die der seit 1890 in Straßburg lehrende Harry Bresslau in die Worte gefaßt hatte: »Wir leben hier doch nur wie in einer Kolonie«, was Meinecke dann erläuterte »das heißt abgetrennt vom elsässischen Leben rings um uns.«111 Andererseits machte der aus Sachsen stammende und 1913 nach Straßburg berufene Histo riker Walter Goetz die Erfahrung, »daß jeder, der sich heimisch fühlen wollte und das Land mit Liebe umfaßte, in warme Fühlung mit der eingeborenen Bevölkerung kommen konnte, während man unter Beamten und Offizieren von norddeutscher Herkunft nur zu oft die Vorstellung
108 Genaue Rekonstruktion des Verfahrens aufgrund der Akten in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 225–232, 245–249, 255 f. Auch Gustav Störring, der frühere Inhaber der Professur, hatte S. in einem Separatvotum abgelehnt. 109 Arthur Schneider an Kurator Strb. 28.6.1913 und 1.7.1913; Antrag mit Randvermerk des Kurators an Statthalter 3.7.1913. Alle: ADBR 103 AL 266. 110 Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 147 f. Ihm erschien das »wie ein letztes Aufleuchten des Professorengeistes der Paulskirche« – mit denselben Schwächen. Zur Charakterisierung der Phil. Fak. und ihrer bedeutendsten Gelehrten 148–155. 111 Zitat und Erläuterung: Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 226. Meinecke selbst hatte in Berlin noch bei Harry Bresslau studiert. Vgl. auch Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 146: »Wir leben hier in einer Kolonie, hieß es unter uns Professoren.«
108 Hauptstadt – Provinz – Grenze fand, daß man wie in einem feindlichen Lande lebe und dementsprechend auftreten müsse. Mit solchen Gesinnungen war niemals Fühlung mit Elsässern und Lothringern zu gewinnen«.112
Das mehrfach beobachtete Getrennt-Leben galt aber jedenfalls für die Wohnviertel: Zunächst lebten die ›deutschen‹ Professoren in der Altstadt, zogen dann aber – entsprechend dem Neubau von Universitätsgebäuden und der Anlage neuer Stadtviertel sowie dem Ausbau des Verkehrsnetzes – in die Neustadt und an den neuen Stadtrand. Diese räumliche Trennung entspricht, wie von der französischen Forschung vermutet, gewiß der sozialen zwischen zugewandertem deutschen und einheimischem Bildungsbürgertum,113 wird aber durch ähnliche Siedlungsentwicklungen in kleinen innerdeutschen Universitätsstädten wie Tübingen und Marburg relativiert.114 Darüber hinaus aber blieben die gesellschaftlichen Kreise voneinander geschieden. Meineckes z. B. hatten nur zu einer einzigen elsässischen Familie, ihren unmittelbaren Nachbarn, Kontakt – und dieser spielte sich nicht nur außerhalb des Hauses ab, sondern war auch von mentaler Reserviertheit und bleibender Distanz geprägt. Ähnliche Erfahrungen machten auch seine Kollegen.115 In elsässische Salons wurden Altdeutsche nicht eingeladen. Und ein Elsässer, der deutsche Gesellschaften frequentierte, wurde von anderen Einheimischen gemieden. Auch elsässische und altdeutsche Professoren verkehrten, abgesehen von wenigen Ausnahmen, kaum miteinander; im Restaurant setzten sie sich an verschiedene Tische.116 Sogar bei Wohltätigkeitsveranstaltungen, bei denen Gräfin Wedel (die schwedische Gattin des Statthalters 1907–1914) die beiden Welten zusammenzubringen suchte, blieben die zugewanderte deutsche und die einheimische Gesellschaft jeweils unter sich.117 Der 1906 nach Straßburg berufene Wollenberg erinnerte sich später:
112 Walter Goetz, Aus dem Leben eines deutschen Historikers [1925], in: W. G., Historiker in meiner Zeit. Gesammelte Aufsätze, Köln u. a. 1957, S. 1–87, hier 45. 113 Denis, Vivre à Strasbourg, S. 60–67. Sie spricht sogar von einer »Enklave kolonialen Typs«, welche altdeutsche Professoren und Studenten bildeten. Vgl. auch Uberfill, S ociété Strasbourgeoise, S. 142. 114 Zu Marburg s. Bernhard vom Brocke, Marburg im Kaiserreich. 1866–1918. Geschichte und Gesellschaft, Parteien und Wahlen einer Universitätsstadt im wirtschaftlichen und sozialen Wandel der industriellen Revolution, in: Erhart Dettmering/Rudolf Grenz (Hg.), Marburger Geschichte. Rückblicke auf die Stadtgeschichte in Einzelbeiträgen, Marburg 1980, S. 367–540, hier 374, 384–396, 515 f.; zu Tübingen: Sylvia Paletschek, Permanente Erfindung einer Tradition, S. 45–58. 115 Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 145 f. 116 Craig, Scholarship and Nation Building, S. 77–80; Denis, Vivre à Strasbourg, S. 58; Livet/Rapp, Histoire de Strasbourg IV, S. 375; Vogler, Histoire culturelle de l’Alsace, S. 321. 117 Livet/Rapp, Histoire de Strasbourg IV, S. 388.
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»Bei Wohltätigkeitstee’s und ähnlichen Veranstaltungen stand wohl der Name der Madame oder Mademoiselle X. friedlich neben dem der Frau Geheimrat Y. Einen ›Verkehr‹ gab es aber nur ganz ausnahmsweise. Man erstrebte ihn auch von deutscher Seite nicht mehr.«
Bei Wollenberg selbst allerdings entstand durch die vielfachen ärztlichen Kontakte mit elsässischen Kollegen ein solch’ »ausnahmsweise[r]« Verkehr und »manche an Freundschaft grenzende Beziehung«.118 Doch stärkte die ärztliche Tätigkeit die Bande innerhalb der Universität generell.119 Trotz dieser gesellschaftlichen Distanz reizte Meinecke im Stadtbild wie »in der Seele des Elsässers« die Verbindung zweier Kulturen: »die unvertilgbare deutsche Grundsubstanz mit der darübersitzenden französischen Kulturschicht«. Schon bald hatte er sogar das Gefühl, daß Straßburg seine »dauernde Heimat werden könne«.120 Ähnlich berichteten andere, daß es ihnen »zur zweiten Heimat« oder gar »völlig zur Heimat« geworden sei.121 Und manche blieben Jahrzehnte hier, etwa der Orientalist Theodor Nöldeke, auch nach seiner Emeritierung und sogar bis nach dem Ersten Weltkrieg.122 Die entgegengesetzte Position vertrat der aus Württemberg stammende Pädagoge Theobald Ziegler, der die nach Straßburg berufenen Professoren »für eigentlich heimatlos, von der Wurzel abgeschnittene Gewächse« hielt – und als Emeritus dementsprechend nach Frankfurt zog.123 Von den Emeriti wohnten im Sommersemester 1914 neun in Straßburg, fünf außerhalb. Eine Reihe bedeutender Gelehrter band sich gar für das ganze Leben an Straßburg oder strebte nach der Wegberufung in die »Wahlheimat«, auf den »Posten an der Grenze« zurück, etwa der Altphilologe Eduard Schwartz, der 1902 (nur ungern) nach Göttingen ging, von dort regelmäßige Ferienreisen nach Straßburg machte, später einen Ruf nach Frei118 Wollenberg, Erinnerungen eines alten Psychiaters, S. 113, 115. 119 So war etwa der Internist Cahn der Hausarzt der Familie Bresslau (Verena Mühlstein, Helene Schweitzer Bresslau. Ein Leben für Lambarene, München 32010, S. 122). 120 Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 145. 121 Otto Lenel, in: Hans Planitz (Hg.), Die Rechtswissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstellungen. [Bd. 1], Leipzig 1924, S. 133–152, Zitat 146; Otto Mayer, in: Planitz (Hg.), Rechtswissenschaft I, S. 153–176, hier 169. Lenel und Mayer stellen dies mit Blick auf ihre Annahme auswärtiger Rufe 1907 bzw. 1903 fest. 122 NDB 19 (1999), S. 311 f. (Hartmut Bobzin). Weitere Emeriti, die in Straßburg wohnten (laut PV KWU Strb. SS 1914): August Sigmund Schultze (Jur.-Staatsw.), Alfred Weber (Phil.), Georg Gerland (Phil.), Harry Bresslau (Phil.), Eduard Thrämer (Phil.), Ernst-Wilhelm Benecke (Math.-Nat.), Graf Hermann zu Solms-Laubach (Math.-Nat.), Theodor Reye (Math.-Nat.). 123 Sein Ausspruch wird zitiert bei Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 226; zur Biographie: Roscher, Kaiser-Wilhelms-Universität, S. 150–152; zum Wohnort (außer PV KWU Strb.) auch Stiftungsfest 1916, S. 12. Weitere auswärts wohnende Emeriti (nach PV KWU Strb. SS 1914): Franz Peter Bremer (Jur., Bonn), Wilhelm Alexander Freund (Med., Berlin), Bernhard Naunyn (Med., Baden-Baden), Sigmund Levy (Phil., Linnich/Rheinprovinz).
110 Hauptstadt – Provinz – Grenze burg annahm, weil er so in die »unmittelbare Nähe Straßburgs« kam und schließlich 1914 dorthin zurückkehrte. Wie dabei die einzelnen Faktoren, die Dehios Sohn für diese Bindung nennt, zu gewichten sind, muß offenbleiben: die Milde des Südens, die große Vergangenheit der Region und der Missions gedanke der Universität.124 Am Anfang des 20. Jahrhunderts konnten diese Gelehrten, nicht nur angesichts steigender Zahlen elsässischer Studenten, noch an den Erfolg glauben, denn sie hatten den »Eindruck, daß in der Tiefe ganz langsam der Riß sich zu schließen beginne und nicht nur die deutsche Grundnatur, die unvertilgbar war, sondern auch das deutsche Bewußtsein des Elsässers im Erwachen sei. Von 1904 ab wurde es aber merklich anders. Es war mehr ein besonderes elsässisches als ein deutsches Bewußtsein, was man jetzt wahrnehmen konnte. Die Elsässer verlangten stärker ihre volle Autonomie im Reiche, und man konnte nicht immer erkennen, ob das Ziel mehr auf Gleichberechtigung mit den anderen deutschen Stämmen oder auf Abkapselung gegen sie ging.«125
Mit ihrem Engagement in der Gemeindepolitik unterstützten einzelne ›altdeutsche‹ Professoren auch den Kampf um die Autonomie der städtischen Verwaltung. Andere engagierten sich im sozialen Wohnungsbau, der Medizinalverwaltung und in der öffentlichen Meinungsbildung.126 Der Jurist Rehm war Mitbegründer (und seit 1914 Vorsitzender) der Elsaß-Lothringischen Mittelpartei, sowie Vorstandsmitglied des Evangelischen Preßverbandes für Elsaß-Lothringen.127 Harry Bresslau und Fritz van Calker gehörten zu den Initiatoren der 1903 gegründeten Liberalen Landespartei.128 Spahn (1910–1912) und van Calker (1912–1918) waren darüber hinaus zeitweise auch Reichstagsabgeordnete, ersterer für das Zentrum (1910–1912), letzterer für die Nationalliberalen (1912–1918), beide aber nicht für elsässische Wahlkreise!129 (Dort wurde während des gesamten Kaiserreichs kein einziger Professor gewählt!130) 124 Dehio, Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg, S. 28. Eduard Schwartz, Wissenschaft licher Lebenslauf [1932], in: Eduard Schwartz, Gesammelte Schriften. Bd. 2: Zur Geschichte und Literatur der Hellenen und Römer, Berlin 1956, S. 1–21, hier 8 (zwei Zitate), 13 (Zitat), 16. Vgl. auch den katholischen Philosophen Baeumker, der es zunächst als »vaterländische Pflicht« verstand, nach Straßburg zu gehen, dann aber eine tiefe emotionale Bindung an die Stadt entwickelte (zit. bei Baumgarten, Professoren und Universitäten, S. 219). 125 Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 146. 126 Jonas, La ville et son université, S. 26, 38, 42; zu den Stadtverordneten s. o. S. 38 f. 127 NDB 21 (2003), S. 282–283 (Manfred Friedrich). 128 Nach NDBA 5 (1984), S. 354–355 (s. v. Bresslau). 129 Fritz van Calker war Abgeordneter des Wahlkreises Landau (Pfalz 2), Spahn des Wahlkreises Warburg – Höxter, allerdings nur (durch Nachwahl) von 30.8.1910 bis Januar 1912. Dann wurde er bereits nicht mehr aufgestellt (Bernd Haunfelder, Reichstags abgeordnete der Deutschen Zentrumspartei 1871–1933. Biographisches Handbuch und historische Photographien, Düsseldorf 1999, S. 262 f.). 130 Die Personalien der elsässischen Reichstagsabgeordneten 1874–1918, in: Elsass 1870– 1932 IV, S. 68–71.
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Jahrzehntelang hatte der Lehrkörper als ganzes seine Modernität und Liberalität durch den Verzicht auf die für Professoren üblichen Geheimratstitel und Talare demonstriert. Ja, die Professoren hatten die Regierung in ihrer sogenannten »Unratsadresse« 1882 sogar ausdrücklich (und mit Erfolg) aufgefordert, ihnen den Geheimratstitel zu ersparen – weil sie ihren Stolz auf ihr wis senschaftliches Ansehen gründeten.131 Wenn sie dann an andere Universitäten berufen wurden, fügten sie sich den dortigen Bräuchen allerdings. »So habe ich es auch gemacht und sehe darin keine besondere Charakterlosigkeit, – trotzdem aber steht mir der Straßburger Professor noch heute höher als der Geheimrat«, schrieb Friedrich Meinecke im Rückblick.132 In Straßburg selbst wurden die Professoren dadurch düpiert, daß nun viele Gymnasiallehrer von der Regierung zu Titular-Professoren ernannt wurden. 1912 war die Ablehnung des Geheimratstitels dann schon erschüttert, die Medizinische Fakultät sprach sich sogar grundsätzlich für dessen Einführung aus. Noch 1902 hatte der Rektor auf die Frage des Kaisers, ob die Professoren sich nicht mit Talaren befreunden könnten, geantwortet: »Gewiß, nur müßte man sie ihnen erst einmal anziehen, ohne sie darum zu fragen.«133 Aber nun beschloß der Senat, die Talare auch in Straßburg einzuführen – obligatorisch für Rektor und Dekane, fakultativ für die Professoren. Dagegen lehnte er es einstimmig ab, das Recht der Amtstracht auf die Privatdozenten auszudehnen.134 Nachdem die Frage 1912 aber nicht endgültig geklärt werden konnte, bestätigte der Senat seinen Beschluß Ende 1913 noch einmal.135 Auf Angabe von Orden und Auszeichnungen im Personalverzeichnis verzichteten die Straßburger, anders als die Gießener und Berliner, aber ganz konsequent – nur die akademischen Grade und der Status in der Universität waren angegeben, nicht einmal die Ehrendoktorate!
131 Manfred Nebelin, Die Reichsuniversität Straßburg als Modell und Ausgangspunkt der deutschen Hochschulreform, in: Bernhard vom Brocke (Hg.), Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftspolitik im Industriezeitalter. Das »System Althoff« in historischer Perspektive, Hildesheim 1999, S. 61–68, hier 67; Bezeichnung der Eingabe: Otto Mayer, Die Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg. Ihre Entstehung und Entwicklung, Berlin u. a. 1922, S. 77. 132 Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 148; Craig, Scholarship and Nation Building, S. 83 f. 133 Otto Mayer, KWU Straßburg, S. 77 f. (mit Zitat), 109. Ohne dies anzugeben, zitiert Mayer sich damit selbst, da er damals Rektor gewesen war. 134 S. Prot. der Senatssitzung vom 10.6.1912: ADBR 103 AL 113. 135 Dann wollte er dem Professorenplenum vorschlagen, die Talarpflicht für Rektoren und Dekane durch Aufnahme ins Universitätsstatut einzuführen. S. Prot. der Senatssitzung vom 1.12.1913: ADBR 103 AL 114.
112 Hauptstadt – Provinz – Grenze
Berlin Der Lehrkörper der Berliner Universität war fast dreimal so groß wie der Straßburger und mehr als viereinhalbmal so groß wie der Gießener. Im Sommersemester 1914 konnten 513 Personen der Statusgruppen Ordinarien, Ordentliche Honorarprofessoren, Extraordinarien, Privatdozenten, Lehrbeauftragte und Lektoren als wissenschaftliches Lehrpersonal gelten.136 Mehr als die Hälfte von ihnen (275; 53,6 %) waren jedoch Privatdozenten (wenn auch zum großen Teil mit Professorentitel), ein knappes Fünftel (93; 18,1 %) außerordentliche Professoren. Diesen 71,7 % Nichtordinarien standen nur 97 ordentliche Professoren (18,9 %) gegenüber. Dazu kamen 29 Ordentliche Honorarprofessoren (5,7 %), fünf Lehrbeauftragte (2,7 %)137 und 14 Lektoren (2,7 %). Zu diesem krassen Mißverhältnis hatte sich die immer ungleiche Proportion zwischen Lehrstuhlinhabern und Lehrenden ohne Besoldung erst in den letzten Jahrzehnten zugespitzt. Während die Zahl der Privatdozenten in der hauptstädtischen Universität seit 1884 um 159 % gestiegen war (von 106 auf 275 Personen), hatten sich die etatisierten Ordinariate nämlich nur um 40 % vermehrt.138 Im Reichsdurchschnitt war der Anteil der Ordinarien am Lehrkörper (32 %) um mehr als die Hälfte höher als in Berlin.139 Die Proportion von besoldeten und unbesoldeten Lehrenden läßt sich für Berlin nicht ermitteln; denn im Gegensatz zum 136 Nicht mitgerechnet sind drei Gerichtsassessoren als Fakultätsassistenten der Jur. Fak., weil die anderen Fakultäten keinerlei Assistenten in das Verzeichnis aufgenommen haben. Von den insges. 14 Lektoren der Phil. Fak. wurden vier nicht berücksichtigt, die Zeichnen, Kartenzeichnen, praktische Photographie und Stenographie unterrichteten. Berücksichtigt wurden dagegen die vier Lektoren der Med. Fak., von denen zwei promoviert waren. Zwei von ihnen unterrichteten Zahnheilkunde, einer »Massage und Gymnastik«, ein weiterer »Mechanotherapie«. AV FWU Berlin SS 1914, S. 16–40. Außerdem folgt im VV noch ein »Exerzitienmeister« als »Universitäts-Tanzlehrer«. Eine große Zahl weiterer Lektoren findet man am Seminar für Orientalische Sprachen (s. dazu u. S. 153 f.). Diese werden ebensowenig aufgenommen wie Assistenten und andere Beauftragte diverser Universitätsinstitute, die nur unter den Instituten, aber nicht in der Liste der Fakultäten genannt sind. 137 Insgesamt findet man in AV FWU Berlin, SS 1914 zwar sechs Lehrbeauftragte, doch war ein Lehrbeauftragter der Jur. Fak. zugleich Privatdozent der Philosophischen, daher wurden (um Doppelzählungen zu vermeiden) in der Gesamtstatistik nur fünf Lehr beauftragte berücksichtigt. 138 Für diese Berechnung wurde die »Übersicht der Zahl der Lehrer« zugrundegelegt (bei der aus der Zahl der Ordinarien die dahinter in Klammer gesetzten Ord. Honorar professoren herausgerechnet wurden). Lenz, Geschichte der FWU Berlin, Bd. 3, S. 490– 492. Auch dieses Wachstumsmuster war untypisch. Insgesamt war in Deutschland die Privatdozentenschaft in den 25 Jahren zwischen 1886 und 1911 um 94 % gestiegen, die Zahl der Ordinarien dagegen nur um 23 % (nach Busch, Geschichte des Privatdozenten, S. 77). 139 Busch, Geschichte des Privatdozenten, S. 76.
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Gießener unterschied das Personalverzeichnis nicht zwischen etatisierten und nichtetatisierten Extraordinarien. Aber in Preußen hatten 1907/8 fast 80 % aller Extraordinarien einen Lehrauftrag für ein bestimmtes Gebiet. Auf diese Weise war die Position ja auch entstanden: Für neue Teilgebiete, die im bisherigen Stellenplan nicht vorkamen, nun aber als notwendige Ergänzung erschienen, wurden extra ordinem (geringer bezahlte) Professuren ohne Mitspracherecht in der Fakultät besetzt.140 Am Vorabend des Ersten Weltkriegs waren die Universitäten (und besonders die Berliner), für die diese Gruppen vorher eher eine Reserve dargestellt hatten, für die Lehre auf die außerordentlichen Professoren und auch die (meisten) Privatdozenten angewiesen.141 Zudem war das Extraordinariat in Preußen nicht, wie oft anderswo, nur ein Titel, sondern ein mit Pflichten verbundenes Amt. Trotzdem hatte Althoff zu außerordentlichen Professoren ernannte Privatdozenten oft sogar einen Revers unterschreiben lassen, daß damit kein Anspruch auf spätere Anstellung verbunden sei oder daß sie sechs Jahre lang keinen Ruf annehmen würden. Erst 1910 bestimmte ein Ministerialerlaß, daß Ernennungen zum außerordentlichen Professor nur noch erfolgen sollten, wenn eine Etatstelle zur Verfügung stand oder ihre Einrichtung in nächster Zeit zu erwarten sei.142 Doch die meisten Extraordinarien in ganz Deutschland waren, wie schon in Gießen beobachtet, am Anfang des 20. Jahrhunderts unbesoldet.143 In Berlin lagen die Gehälter für Ordinarien deutlich über dem preußischen Durchschnitt, für Extraordinarien dagegen darunter, obwohl die Eingangsstufen für beide Gruppen höher fixiert waren als im Rest Preußens: auf 4800 M für Ordinarien und 2400 für Extraordinarien, durch Zulagen jeweils zu steigern bis 7200 bzw. 4800.144 1908 bezog über die Hälfte der Extraordinarien allerdings gar kein Gehalt. Das Gefälle zwischen den beiden Gruppen war in der Reichshauptstadt also noch größer als an den anderen Landesuniversitäten. 1907 betrug das Durchschnittsgehalt der Ordinarien 7241 M, das der Extraordinarien 3078 M., wobei die Durchschnitte der einzelnen Fakultäten aber bei den Ordinarien 2800, bei den Extraordinarien fast 1000 M. auseinanderlagen.145 Auch deshalb, nicht nur wegen der Disproportion von Ordinarien und Nichtordinarien, hatten die Berliner die zentrale Rolle in der entstehenden Bewegung der 140 Eulenburg, Der »akademische Nachwuchs«, S. 55–57. 141 McClelland, Forschungsuniversität, S. 427 f., 468. 142 Norbert Andernach, Der Einfluß der Parteien auf das Hochschulwesen in Preußen 1848–1918, Göttingen 1972, S. 142. 143 vom Bruch, Universitätsreform als soziale Bewegung, S. 78. 144 Biermer, Rechtsverhältnisse der Universitätsprofessoren, S. 7; Lexis, Übersicht, S. 43, 47. 145 Das höchste durchschnittliche Ordinariengehalt hatten die Juristen (8400 M.), das niedrigste die Mediziner (5672 M.). Bei den Extraordinarien standen die Theologen (3600) an der Spitze, während die Mediziner nur 2643 M. hatten. S. die Tabelle bei Eulenburg, Der »akademische Nachwuchs«, S. 136 (die die Durchschnittsgehälter für alle preußischen Universitäten und alle Fakultäten erfaßt).
114 Hauptstadt – Provinz – Grenze Nichtordinarien. So wurde das noch im ausgehenden 19. Jahrhundert starke Corpsdenken im Lehrkörper durch ein Gruppendenken abgelöst.146 Und in den letzten Jahren vor Beginn des Weltkrieges gehörten die meisten Berliner Nichtordinarien einer der seit 1907 geschaffenen Organisationen zur Vertretung ihrer Gruppeninteressen an: dem Privatdozenten- oder dem Extraordinarienverband.147 Doch obwohl sich die verschiedenen deutschen Nichtordinarienorganisationen seit 1912 in einem Kartell zusammengeschlossen hatten, wurde ihre Bewegung durch den Kriegsausbruch gestoppt.148 Natürlich gab es hier, wie überall, auch durch ihre Familie abgesicherte Privatdozenten: Der Philosoph Bernhard Groethuysen z. B., Sprößling einer Arztfamilie, konnte es sich offenbar erlauben, auf das Hörgeld zu verzichten, und las in den Jahren vor dem Krieg immer gratis – obwohl er seit seiner Habilitation 1907 jedes Jahr mehrere Monate in Paris verbrachte (wo er weiter über die Philosophie der Französischen Revolution forschte).149 Das Mißverhältnis zwischen Ordinarien und Nichtordinarien war in der Juristischen und Theologischen Fakultät am wenigsten,150 in der Medizinischen dagegen besonders extrem ausgeprägt. 20 etatisierten Ordinarien standen hier 36 außerordentliche Professoren und 134 Privatdozenten gegenüber. Doch belegt das Personalverzeichnis der Universität, daß – neben der Privatpraxis, die für Ärzte generell möglich war – eine ganze Reihe von außerordentlichen Professoren und Privatdozenten Ämter in anderen Einrichtungen hatte: die Extraordinarien meist als Direktoren von Krankenhäusern oder sonstigen Anstalten (etwa der Unterrichtsanstalt für Staatsarzneikunde), die Privatdozenten als Prosektoren, leitende Ärzte oder gar Direktoren anderer Krankenhäuser. Die meisten Extraordinarien waren zugleich Geheime Medizinalräte, manche Privatdozenten Geheime Sanitätsräte.151 Das typische Privatdozentenproblem, seinen Lebensunterhalt sichern zu müssen, dürften sie nicht gekannt haben. Dagegen spielte es in der Philosophischen Fakultät, zu der, wie damals üblich, die Geistes- und die Naturwissenschaften gehörten, eine größere Rolle. 146 Rüdiger vom Bruch, Wissenschaft, Politik und öffentliche Meinung. Gelehrtenpolitik im Wilhelminischen Deutschland (1890–1914), Husum 1980, S. 108 f. 147 vom Bruch, Universitätsreform als soziale Bewegung, S. 91 (mit Daten in A. 100, 101). Während diese beiden Gruppen in Preußen je eigene Verbände hatten, waren sie außerhalb Preußens in gemeinsamen Nichtordinarienvereinigungen zusammengeschlossen. 148 vom Bruch, Universitätsreform als soziale Bewegung, S. 85 f. 149 Klaus Große Kracht, Zwischen Berlin und Paris: Bernhard Groethuysen (1880–1946). Eine intellektuelle Biographie, Tübingen 2002, S. 23 A. 15, 68, 74. 150 In der Theol. Fak. standen neun Ordinarien neun Privatdozenten gegenüber; außerdem gab es fünf ao. Professoren und zwei Ord. Honorarprofessoren. In der Jur. Fak. gab es elf Ordinarien, zehn Privatdozenten, acht ao. Professoren und drei Ord. Honorar professoren. 151 Für die medizinischen Extraordinarien und Privatdozenten s. AV FWU Berlin SS 1914, S. 22–28.
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Hier standen 57 Ordinarien 121 Privatdozenten gegenüber, von denen aber nur wenige ein Amt an einer anderen wissenschaftlichen Einrichtung oder höheren Behörde hatten, etwa als Kustos an den Königlichen Museen, als etat mäßiger Professor an der TH Charlottenburg bzw. an der Landwirtschaftlichen Hochschule oder als Kaiserlicher Regierungsrat.152 (Gymnasiallehrer und Bibliothekare, die es unter Privatdozenten häufiger gab,153 scheinen diese Ämter im Personalverzeichnis nicht angezeigt zu haben.) Dazu kamen 14 Ordentliche Honorarprofessoren und 44 außerordentliche Professoren. Von allen deutschen Universitäten hatte die Berliner die höchste absolute Zahl wie auch den größten Anteil nichtetatisierter Extraordinarien und Honorarprofessoren.154 Doch waren unter ihren unbesoldeten Lehrenden verschiedener Fakultäten auch Koryphäen ihrer Wissenschaften oder wichtige Amtsträger, die der Universität zusätzliches Prestige verliehen. So findet sich unter den drei juristischen Honorarprofessoren etwa der Kronsyndikus, der auch Mitglied des Preußischen Herrenhauses war, unter ihren Privatdozenten der spätere Schöpfer der Weimarer Reichsverfassung, Hugo Preuß (der an der Universität über die Titularprofessur nicht hinauskam, obwohl ihn seine Fakultät mehrfach zum Extraordinarius vorschlug. Dafür scheint aber eher seine politische Haltung als sein Judentum den Ausschlag gegeben zu haben. An der neuen Handelshochschule erhielt er 1906 dagegen ein Ordinariat). Einer der Ordentlichen Honorarprofessoren der Medizinischen Fakultät vereinte gleich mehrere andere Ämter, darunter das des Generalstabsarztes der Armee (im Range eines Generalleutnants), des Chefs des Sanitätskorps und der Medizinalabteilung im Kriegsministerium sowie des Direktors der Kaiser Wilhelms-Akademie für das militärärztliche Bildungswesen: Otto von Schjerning. Ein anderer war Abteilungsleiter am Robert-Koch-Institut für Infektionskrankheiten und Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Experimentelle Therapie. Unter den Ordentlichen Honorarprofessoren der Philosophischen Fakultät fand man den Präsidenten der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt Emil Warburg, den Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physikalische Chemie und Elektrochemie Fritz Haber, und ein Mitglied des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Chemie, Richard Willstätter, der im folgenden Jahr (1915) den Nobelpreis erhielt.155 152 Oskar Wulff (S. 37), Max Georg Zimmermann (S. 36); Jakob Meisenheimer (S. 37); Peter Claußen (S. 38). 153 Eulenburg, Der »akademische Nachwuchs«, S. 46. Allerdings liegen – im Gegensatz zu den (wenigen) vom Gymnasium an die Universität berufenen Ordinarien – keine Statistiken dazu vor (Busch, Geschichte des Privatdozenten, S. 88, 142). 154 Paletschek, Provinz versus Metropole?, S. 239. 155 AV FWU Berlin SS 1914, S. 18 (Adolf Stölzel), 19 (Hugo Preuß), 21 (Otto von Schjerning), 33 (Emil Warburg, Fritz Haber), 34 (Richard Willstätter). Zu Preuß s. die sorgfältig abwägende Untersuchung bei Pawliczek, Akademischer Alltag, S. 556–449, die auch beobachtet, daß die fast gleichzeitig begonnenen Karrieren zweier anderer jüdischer Juristen nicht auf Hindernisse stießen.
116 Hauptstadt – Provinz – Grenze Eine enge Verbindung bestand zwischen der Akademie der Wissenschaften und der Universität – aber nicht mehr aufgrund der ursprünglichen Regel, daß Akademiemitglieder auch an der Universität lehren durften, sondern wegen der Praxis, daß sich die Akademie überwiegend aus dem Lehrkörper der Berliner Universität ergänzte. Von den ordentlichen Professoren der Philosophischen Fakultät waren zwischen 1870 und 1900 sogar zwei Drittel Mitglied der Akademie. Dagegen machten die übrigen Mitglieder der Akademie im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts keinen Gebrauch mehr von ihrem Recht, an der Universität zu lesen.156 Und umgekehrt nutzte man, auf Vorschlag Max Plancks, dieses Akademieprivileg (in Verbindung mit der Schaffung eines Kaiser-WilhelmInstituts für Physik), um Einstein ohne Lehrverpflichtung nach Berlin holen zu können.157 Für manchen war der geistige Austausch, den die Akademie ihm bot, eine entscheidende Bereicherung: So fand der im Sommer 1917 berufene Jurist Ulrich Stutz hier den Kontakt außerhalb der Fakultät, den er an der Universität vermißte. Und für den Theologen Karl Holl war die Akademie es, die ihn in Berlin hielt, als er fast einem Ruf nach Leipzig gefolgt wäre.158 Auszeichnungen wie die Wahl in die Akademie der Wissenschaften oder die Verleihung des Ordens Pour le Mérite waren jedoch nicht nur Ausdruck des Verdiensts, sondern auch der Gunst bei Hof und des Kräftegleichgewichts innerhalb der Akademie. Damit spiegelten sie zugleich wissenschaftliche und politische Strömungen.159 Allein durch ihr Amt hatten die Professoren denselben Rang wie ein Major der Armee oder ein Rat IV. Klasse inne, doch die meisten Gelehrten erhielten individuell einen höheren – in Berlin meist einen Geheimratstitel oder sogar das Prädikat »Exzellenz«.160 Ihre Orden und sonstigen Auszeichnungen wurden im Personalverzeichnis sorgfältig registriert161 – doch beim öffentlichen Bericht überging sie der Rektor, nur scheinbar bescheiden; denn er wies, wenn er über die ehrenden Auszeichnungen für Mitglieder des Lehrkörpers sprach, zugleich darauf hin, daß er »dem Herkommen gemäß nicht von den Orden« spreche, und listete dann nur die Ernennungen und Titel verleihungen auf.162 156 McClelland, Forschungsuniversität, S. 438 f., 452. 157 Am klarsten bei Armin Hermann, Max Planck, Reinbek 61995, S. 51. Umstände detaillierter bei Large, Berlin, S. 143. 158 Ulrich Stutz an Hans Lietzmann 16.4.1918; Karl Holl an Hans Lietzmann 15.6.1918. Beide: Kurt Aland (Hg.), Glanz und Niedergang der deutschen Universität. 50 Jahre deutscher Wissenschaftsgeschichte in Briefen an und von Hans Lietzmann (1892–1942), Berlin u. a. 1979, S. 398, 400. 159 McClelland, Forschungsuniversität, S. 438–440, 443 f. Pointierter im ursprünglichen Manuskript (für dessen Einsichtnahme ich Ch. McClelland zu Dank verpflichtet bin), S. 8. 160 Busch, Geschichte des Privatdozenten, S. 100, 143; McClelland, Forschungsuniversität, S. 441 mit A. 20. 161 Im Gegensatz zu Gießen fehlte allerdings die Erläuterung der verwendeten Symbole. 162 Kipp, Amtsjahr 1914/15, S. 8.
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Für die Ordinarien galt Berlin nicht nur »als Höhepunkt und Endstation im akademischen Leben«,163 sondern war das in der Regel auch. Kaum einer der hierher Berufenen verließ die Reichshauptstadt noch einmal.164 In 40 Jahren standen 85 Hin- nur drei Wegberufungen gegenüber.165 (Aber immerhin gab es einige Lehrende, die einen Ruf nach Berlin ausschlugen.166) Das hohe Renommee der Universität zeigt sich auch daran, daß sie nach 1880 knapp 70 % aller Geisteswissenschaftler und 55,5 % aller Naturwissenschaftler aus dem Ordinarienrang rekrutierte, nach der Jahrhundertwende waren es (im Gründungs prozeß neuer Lehrstühle) bei den Geisteswissenschaftlern sogar 78,3 %.167 So kamen nicht so sehr die jüngeren, innovativen Kräfte, sondern eher die ›Besten der Bewährten‹ zum Zuge.168 Die Konsequenz dieser Berufungserfolge (mit dem höchsten Berufungsalter im gesamtdeutschen Vergleich) und des Ver weilens bis zur Emeritierung war ein hohes Durchschnittsalter der Lehrstuhl inhaber.169 Und da das mittlere Alter der Privatdozenten in Berlin über 40 lag (höher als bei allen anderen Universitäten des Reichs), war auch der Lehrkörper als ganzer, trotz seines Fünftels Nichtordinarien, die damals noch als »akademischer Nachwuchs« galten,170 im reifen bis fortgeschrittenen Alter, weiter von den Studenten entfernt als an allen anderen Universitäten. Nach ihrer Herkunft (d. h. dem Geburtsort) aber waren die Lehrstuhlinhaber ebenso gemischt wie in Gießen und Straßburg.171 Während sich in den Geisteswissenschaften ein innerpreußisches Berufungsnetz ausgebildet hatte, so daß 1866–1914 22 Neuberufene von anderen preußischen, 10 von außerpreußischen und 8 von ausländischen Universitäten kamen, überwogen bei den Natur wissenschaftlern die Zugänge von außerhalb Preußens.172 Dabei erfolgten die 163 Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 226. 164 Von den 1810–1914 hierher berufenen Geisteswissenschaftlern verließen es nur sechs (das entspricht 6,3 %) wieder; doch waren davon drei Ausländer. Von den Naturwissenschaftlern kehrten ihm gar nur 2,8 % den Rücken (Baumgarten, Professoren und Universitäten, S. 170, 179 f., 239). 165 Blotevogel, Kulturelle Stadtfunktion und Urbanisierung, S. 151. 166 1870–1930 lehnten neun Tübinger einen Ruf nach Berlin ab. Nach Paletschek, Permanente Erfindung einer Tradition, S. 25. 167 Baumgarten, Professoren und Universitäten, S. 161, 170, 226. 168 Eine Reihe späterer Berliner Professoren hatte mehrere Jahre an Universitäten gelehrt und geforscht, die aus preußischer Perspektive in der Provinz lagen, von den Historikern z. B. Meinecke in Freiburg, Dietrich Schäfer in Tübingen (Paletschek, Provinz versus Metropole?, S. 236). 169 Zum Alter bei der Berufung s. Baumgarten, Professoren und Universitäten, S. 160 f., 226. 170 Eulenburg, Der »akademische Nachwuchs«, S. 104. 171 S. dazu die Tabelle für 1907 bei Eulenburg, Der »akademische Nachwuchs«, S. 36 f. Dabei ist zu berücksichtigen, daß es um das Geburtsland (nicht den vorherigen Wirkungsort) geht. 172 Aus dem Ausland kamen aber im gesamten Untersuchungszeitraum (1810–1914) nur drei Naturwissenschaftler. Baumgarten, Professoren und Universitäten, S. 171, 232, 241.
118 Hauptstadt – Provinz – Grenze Berufungen zwar im allgemeinen auf der Grundlage einer Dreierliste der Fakultät, doch entschied der bis 1907 als Hochschulreferent des preußischen Kultusministeriums amtierende Althoff gelegentlich auch autokratisch. Und gerade in seiner Zeit wurden mehr Professoren aus preußischen Universitäten berufen (dagegen kaum Ausländer).173 Da in Straßburg durch Althoffs Politik (wenn auch formal durch den Kaiser) der Fakultät Katholiken aufgenötigt wurden, ist es um so erstaunlicher, daß in Berlin, wo Althoff tatsächlich für die Berufungen zuständig war, Katholiken und Juden so deutlich benachteiligt wurden. Eine katholische theologische Fakultät gab es nicht, an den anderen Fakultäten waren nur vereinzelt Katholiken anzutreffen.174 Althoff scheint aber auch hier versucht zu haben, Katholiken zu fördern – und bei einer Berufung wurde in der Presse sogar die Konfession als eigentlicher Grund ventiliert, die (an sich unbestreitbare Qualifikation) als nicht von Belang hingestellt.175 Der unterstellten Förderung steht ein Musterbeispiel von Diskriminierung gegenüber, das sich in der Diskussion um die Nachfolge des Verfassungsrechtlers Anschütz während des Krieges findet.176 Daß das Berliner Kollegium Gelehrten jüdischer Herkunft gegenüber nicht verschlossen war, aber ihre Chancen wohl noch weniger berechenbar waren als die nichtjüdischer Gelehrter, verdeutlicht das Brüderpaar Norden, die sich beide schon vor dem Abitur hatten taufen lassen und beide der Philosophischen Fakultät angehörten. Während der Altphilologe Eduard bereits mit 38 Jahren aus Greifswald auf ein Berliner Ordinariat berufen wurde, erhielt sein jüngerer Bruder Walter erst 13 Jahre nach der Habilitation in Berlin einen Professorentitel und schließlich in der Weimarer Republik eine nichtbeamtete außerordent liche Professur.177 Jüdische Herkunft oder Abstammung waren ein Faktor unter mehreren, die bei der Berufung eine Rolle spielten. Und bei der Begründung der
173 McClelland, Forschungsuniversität, S. 458–465; Baumgarten, Professoren und Universitäten, S. 189. 174 McClelland, Forschungsuniversität, S. 446 f., 549. 175 Außer dieser Unterstellung im Berufungsverfahren eines Österreichers gibt es Hinweise auf Althoffs spätere Aufforderung an diesen, ihm zwei katholische Historiker zur Berufung vorzuschlagen. S. dazu Annekatrin Schaller, Michael Tangl (1861–1921) und seine Schule. Forschung und Lehre in den Historischen Hilfswissenschaften, Stuttgart 2002, S. 100–102 mit A. 383 und 387. 176 S. dazu u. S. 740. 177 Der Altphilologe war in Berlin »ein Wunschkandidat, weil er eine willkommene Ergänzung, aber keine ›Gefahr‹ oder Konkurrenz darstellte«. Der Historiker hatte mit der Habilitation in mittelalterlicher Geschichte nicht nur mehr Konkurrenten, sondern orientierte sich dann auch auf Nationalökonomie (mit Spezialisierung in Kommunalwissenschaften) um. Ihre Herkunft war allgemein bekannt, beiden wurde gleicher maßen wissenschaftliche Befähigung attestiert. Alles nach Pawliczek, Akademischer Alltag, S. 379–385, Zitat 381.
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›Untauglichkeit‹ eines Kandidaten dienten sie zumindest nicht als prima, sondern eher als ultima ratio.178 Wie die beiden anderen Universitäten, so hatte auch die Berliner sowohl Ausländer als auch aus dem Ausland berufene, inzwischen eingebürgerte Professoren in ihrem Lehrkörper. 1907 zählte sie unter 88 Ordinarien 11 im Ausland Geborene, unter 110 Extraordinarien 14, unter 221 Privatdozenten 7.179 Ausländer waren, da sie in Preußen (im Gegensatz etwa zu Bayern180) nicht verbeamtet wurden, einige (aber keinesfalls alle) Lektoren der modernen Fremdsprachen, unter denen sich 1914 ein Franzose,181 zwei britische182 und ein rumänischer Staatsbürger befanden. (Letzterer war allerdings ein gebürtiger Deutscher aus einer Breslauer Rabbinerfamilie, in Rumänien zum Christentum konvertiert und dort eingebürgert, einer der Begründer der rumänischen Sprachwissenschaft, seit 1912 Lektor in Berlin.)183 Der umgekehrte Fall lag bei dem RussischLektor Peter Schalfejew vor: Er stammte zwar aus einer russischen orthodoxen Priesterfamilie im Baltikum, war jedoch deutschbaltisch akkulturiert, mit einer Deutschbaltin verheiratet, wegen seiner lutherischen Orientierung aus dem russischen Staatsdienst ausgeschieden184 und nach Deutschland gegangen (wo er dann auch zum Luthertum übertrat). Hier wurde er (zunächst nebenamtli178 Pawliczek, Akademischer Alltag, S. 468. 179 Eulenburg, Der »akademische Nachwuchs«, S. 36. Übrigens gingen die Auslandsberufungen nicht, wie häufig angenommen, auf Althoff zurück, sondern nahmen nach seinem Ausscheiden zu, besonders nach 1910 (Baumgarten, Professoren und Universitäten, S. 181, 193, 221). 180 Dort wurden sie als etatmäßige Staatsbeamte beschäftigt und erwarben nach dreijähriger Anstellung die Unwiderrufbarkeit und dadurch auch die bayerische Staatsangehörigkeit. [Bayr. Min.] an Pr. KuMi 15.9.1914: GStA PK I. HA , Rep. 76a, Sekt 1, Tit. I, Nr. 35 Bd. I fol. 142. 181 Der zweite Französisch-Lektor, Eugène Pariselle, * 1856 in Altenburg, war vermutlich deutscher Staatsbürger. Geburtsdaten nach Johannes Asen, Gesamtverzeichnis des Lehrkörpers der Universität Berlin. Bd. I: 1810–1945, Leipzig 1955, S. 145. Weitere Details zu beiden s. u. S. 757 f. und 761 f. 182 Fred Harsley; Frederic Sefton Delmer (AV FWU Berlin, SS 1914, S. 39). Harsley war seit 1890 Lektor in Berlin (Asen, Gesamtverzeichnis, S. 70). Zu seiner Entlassung s. u. S. 746. Die Staatsbürgerschaft ergibt sich aus der Entlassung nach Kriegsbeginn. Zu Delmer s. http://de.wikipedia.org/wiki/Frederick_Sefton_Delmer und (im Artikel über seinen Sohn) http://en.wikipedia.org/wiki/Sefton_Delmer (12.11.2014). 183 Der Vorname nach AV FWU Berlin WS 1914/15, S. 40. (In anderen Ausgaben des Verzeichnisses fehlt der Vorname entweder ganz oder ist nur mit dem Initial »H.« angegeben). Den rumänischen Namen Hariton trug er seit seiner Konversion zum Chri stentum, sein Geburtsname war Heimann. Promoviert 1884 in Leipzig, Autor des ersten Rumänisch-Lehrbuchs für Ausländer (1905) und Hg. des noch heute autoritativen dreibändigen Rumänisch-Deutschen Wörterbuchs (1903, 1911, 1925). Informationen nach http://en.wikipedia.org/wiki/Heimann_Hariton_Tiktin (30.1.2009). 184 Nach russischem Recht waren die Kinder aus konfessionellen Mischehen mit einem orthodoxen Partner orthodox und mußten orthodox erzogen werden.
120 Hauptstadt – Provinz – Grenze cher) Lehrer am Seminar für orientalische Sprachen,185 dann an der Preußischen Kriegsakademie (dort auch zum Professor ernannt) und zusätzlich Lektor der Universität.186 Dem in Preußen eingebürgerten Russen deutschbaltischer Kultur stand ein Däne an der Seite, der wohl durch die Geburt in Nordschleswig (das seit 1867 zu Preußen gehörte) preußischer Staatsbürger und seit 1906 Lektor für nordische Sprachen war.187 Gewissermaßen das Zwischenglied zwischen ausländischen Lektoren und üblicherweise bei der Berufung eingebürgerten Professoren stellte François Émile Haguenin dar. Er war 1901 auf drei Jahre zum Lehrer am Seminar für orientalische Sprachen und außerordentlichen Professor der Philosophischen Fakultät ernannt worden.188 Dabei hatte die Fakultät allerdings bedenklich gestimmt, daß jemand »Lehrer der Jugend sein solle, ohne dem Könige den Eid der Treue zu schwören, dem aber auch andererseits die erste Voraussetzung für die Unabhängigkeit des Charakters, die Anstellung auf Lebenszeit, nicht zugestanden« wurde.189 Befristete Anstellung und fehlende Einbürgerung schienen mit der Vorstellung von einem (auch nur außerordentlichen) Professor also unvereinbar. Doch das Ministerium sah darin die nicht unübliche »nebenamtliche Übertragung einer Professur für die Dauer der Bekleidung eines anderweitigen Hauptamtes«.190 Später wurde dieser Kontrakt immer wieder verlängert, so daß sich Haguenin auch bei Kriegsbeginn noch in der Reichshauptstadt befand.191 Die nach Berlin berufenen Professoren ausländischer Herkunft waren da gegen hier (oder bereits an einem früheren deutschen Wirkungsort) eingebürgert. Dazu zählten mehrere Deutschbalten: der berühmte Theologe, Dogmenhistoriker und Wissenschaftsorganisator Adolf (von) Harnack, der über Privatdozentur und Extraordinariat in Leipzig und Ordinariate in Gießen und Marburg bereits 1888 (mit 37 Jahren) die Endstation Berlin erreicht hatte;192 der Theologe Reinhold Seeberg, der (über Stationen in Dorpat und Erlangen) 10 Jahre später als »konservativer Gegenpol« zu Harnack nach Berlin berufen
185 So 1887 errichtet (nach vom Brocke, Deutsch-amerikanischer Professorenaustausch, S. 130). In AV FWU Berlin SS 1914, S. 47 figuriert es aber unter den »Wissenschaftlichen Anstalten der Universität« (S. 42–70). S. dazu o. S. 52 und genauer u. S. 153. 186 In UA HU ist keine Personalakte vorhanden. Nur Minimalinformation bei Asen, Gesamtverzeichnis, S. 168. Ausführlichere Biographie: Peter Wörster, Russe – Deutschbalte – Preuße. Zu Leben und Werk des Slawisten Peter Schalfejew (1858–1916), in: Jahrbuch des baltischen Deutschtums 2002, S. 252–260. 187 Asen, Gesamtverzeichnis, S. 139. Der Geburtsort Hadersleben ist handschriftlich dem Exemplar des Bandes im Archiv der HU Berlin hinzugefügt. 188 Pr. KuMi an Emile Haguenin 12.10.1901: UA HU UK H 41 (Personalakte). 189 Phil. Fak. Berlin an Min. 23.11.1901: UA HU UK H 41, fol. 5–5v. 190 Pr. KuMi an Phil. Fak. Berlin 18.3.1902: UA HU UK H 41, fol. 7–8. 191 UA HU UK H 41, fol. 10, 12, 13, 15, 21, 22, 23, 24 (1906–1913 jeweils für ein Jahr). 192 S. dazu Nottmeier, Harnack; Rebenich, Mommsen und Harnack.
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worden war.193 Ein anderer Deutschbalte hatte seine Heimat dagegen verlassen, um der Russifizierung zu entgehen, habilitierte sich aber erst in Berlin, war zeitweise Archivar und etablierte dann erstmals das Spezialfach Osteuropäische Geschichte an einer deutschen Universität: Theodor Schiemann. (Alle drei sollten in der Kriegszieldiskussion eine wichtige Rolle spielen, Schiemann zusammen mit seinen Schülern auch die Randstaatenpolitik wesentlich mitprägen.) Hermann Struve war dagegen kein Deutschbalte, sondern ein Rußlanddeutscher aus dem Residenzenmilieu, Sproß einer alten Astronomenfamilie. Nach dem Studium in Dorpat hatte er sogar einen zweijährigen staatlich finanzierten Auslandsaufenthalt zur Vorbereitung auf eine Professur erhalten und später am Observatorium in Pulkovo gewirkt. Nach den Vorstellungen der Obrigkeit hätte er der Nachfolger seines Vaters in dessen Direktorium werden sollen, war aber 1895 nach Königsberg gegangen und von dort nach Berlin.194 Neben diesen Deutschen aus dem Russischen Reich standen eingebürgerte Polen unterschiedlicher Herkunft: der Nationalökonom Ladislaus von Bortkiewicz aus Sankt Petersburg, der seinen Namen als Göttinger Doktorand und Straßburger Privatdozent noch quasi aus dem Russischen transkribiert und die polnische Schreibweise erst als Professor der preußischen Universität Berlin angenommen hatte,195 und der Slavist Alexander (Aleksander) Brückner aus dem österreichischen Galizien, der seit 1881 außerordentlicher, seit 1892 ordentlicher Professor in Berlin war.196 Er bezeichnete sich zunächst als österreichischer, ab 1881 als »zuerst preußischer, dann deutscher Staatsangehöriger polnischer Nationalität.«197 Ein weiterer ehemaliger Österreicher war wie Brückner in Galizien geboren, aber in Wien und dem böhmischen Pilsen aufgewachsen, hatte an der deutschen Universität in Prag studiert und war über Professuren in Breslau und Straßburg 1913 nach Berlin gekommen: Adalbert Czerny, der Mitbegründer der modernen Kinderheilkunde.198 Aus Böhmen stammte auch der Nationalökonom Heinrich Herkner, der außer in Wien aber an mehreren deutschen Universitäten studiert hatte und in Straßburg von Lujo Brentano promoviert worden 193 BBKL IX (1995), Sp. 1307–1310 (Traugott Jänichen, Zitat 1307); ähnlich Graf, Seeberg, S. 619. 194 Er hatte in Dorpat den Magister- und in St. Petersburg den Doktorgrad erhalten (der in etwa der deutschen Habilitation entsprach). Nachruf (L. Courvoisier): Astronomische Nachrichten 212, Sp. 33–38; http://en.wikipedia.org/wiki/Hermann_Struve (18.11.2011). 195 Maurer, Balten, Polen, Juden, S. 453 f. (mit Nachweisen). 196 Zu ihm s. Alicja Nagórko (Hg.), Aleksander Brückner – zum 60. Todestag. Beiträge der Berliner Tagung 1999; Maria Rhode, Aleksander Brückner und Jan Baudouin de Courtenay. Wissenschaft, Nation und Loyalitäten polnischer Gelehrter in Berlin und St. Petersburg, in: Maurer (Hg.), Kollegen, S. 329–340. 197 Zit. bei Marie Luise Bott, Mittelalterforschung oder moderne Philologie? Romanistik, Anglistik, Slavistik 1867–1918, in: GUUL 4: Genese der Disziplinen. Die Konstitution der Universität, Berlin 2010, S. 339–392, hier 386. 198 NDB 3 (1957), S. 460 (Manfred Stürzbecher).
122 Hauptstadt – Provinz – Grenze war.199 Aus dem ungarischen Teil der Habsburgermonarchie kam der Botaniker Gottlieb Haberlandt.200 Die ›eigentlichen‹ Österreicher führte der Wiener Franz Ritter von Liszt an, der berühmte Straf- und Völkerrechtler. Der Internist Theodor Brugsch aus Graz hatte vom Studium über Promotion und Habilitation bis zur Titularprofessur 1910 alle Karrierestufen an der Berliner Universität genommen.201 Der Tiroler Alois Brandl hatte in Wien seine akademische Qualifikation erhalten, war aber rasch über Göttingen und Straßburg auf das Berliner Ordinariat für Anglistik gelangt.202 Aus Kärnten stammte der Mediävist Michael Tangl, der aus dem österreichischen Archivdienst einen Ruf als Extraordinarius nach Marburg und zwei Jahre später von dort nach Berlin erhielt, wo er sich das Ordinariat aber noch »ersitzen« müsse. Er war Mitglied der Zentraldirektion der Monumenta Germaniae Historica und wurde im Ersten Weltkrieg sogar deren kommissarischer Leiter.203 Der (protestantische) Neukantianer Alois Riehl stammte aus Südtirol und war über Professuren in Graz, Freiburg, Kiel, Halle nach Berlin gekommen.204 Sproß einer Schweizer Patrizierfamilie war Wilhelm His – und nahm, wie sein Vater, den Weg von einem Basler Ordinariat auf das einer deutschen Großuniversität; der Sohn allerdings über die Zwischenstation Göttingen. Durch seine eigenen Professuren war er längst eingebürgert, erst in Sachsen, dann in Preußen.205 Sein Landsmann, der Romanist Heinrich Morf, war nach Professuren in Bern und Zürich Rektor der Frankfurter Akademie für Handels- und Sozialwissenschaften gewesen und lehrte seit 1910 als Ordinarius in Berlin.206 Aus den Niederlanden war der Sinologe Johann Jakob de Groot gekommen, seit 1890 Professor in Leiden, seit 1912 in Berlin.207 199 NDB 8 (1969), S. 622 (Gerhard Stavenhagen). 200 Die Familie stammte aus Bratislava, der Vater war Professor an der Landwirtschaft lichen Hochschule in Ungarisch-Altenburg. 201 J. C. Poggendorffs biographisch-literarisches Handwörterbuch (….). Bd. VI, Berlin 1936, S. 351 f. 202 NDB 2 (1955), S. 527 f. (Fritz Wölcken); http://www.sammlungen.hu-berlin.de/dokumente/ 251/. 203 Schaller, Tangl, S. 101 (Zitat), zur Berufung nach Marburg, wo man einen Historiker aus Deutschland (oder wenigstens einen schon lange in Deutschland lebenden Österreicher vorgezogen hätte) und auch die Konfession nicht unkommentiert ließ, S. 62–66, zur späteren Berufung in die Leitung der MGH 246–249. 204 NDB 21 (2003), S. 586–587 (Wolfdietrich von Kloeden). 205 Zum Vater, der 1872 Ordinarius in Leipzig wurde (das im 19. Jahrhundert längere Zeit die größte deutsche Universität war), BLÄ II, S. 240; zum Sohn: BLÄ 50, I, S. 637. Die in Wikipedia genannte Geburt in Deutschland ist demnach ein Irrtum! Sächsische Staatsangehörigkeit bei Übernahme des Extraordinariats in Leipzig 1895, preußische beim Ordinariat in Göttingen 1906 (Wilhelm His, Die Front der Ärzte, Bielefeld u. a. 1931, S. 1). 206 NDB 18 (1997), S. 100–102 (W. Theodor Elwert). 207 Minimale biogr. Information in: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Akademiebibliothek. Ausgewählte Literaturnachweise aus dem Bestand der Aka demiebibliothek. Johann Jakob Maria de Groot. Sinologe, Berlin 2002, S. 3.
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So hatten alle Fakultäten in ihrem Ordinarien-Kern Einsprengsel aus anderen, im wesentlichen aber ›nahen‹ europäischen Kulturen. Und sofern diese Lehrenden Beamte waren, standen sie als Eingebürgerte den geborenen Deutschen gleich. Dazu kamen natürlich Ausländer unter den Privatdozenten, etwa der gebürtige Wiener Leo(pold) Langstein, ein wichtiger Pädiater.208 Zu den permanent in Berlin lehrenden Professoren ausländischer Herkunft gesellten sich Kollegen auf Zeit, also vor allem die Amerikaner, die in dem vom Kaiser persönlich geförderten Professorenaustausch mit Harvard (und dann auch mit der New Yorker Columbia University) nach Berlin kamen. Wie die Berliner ihre Universität einschätzten, ergab sich daraus, daß sie die Amerikaner zwar gern aufnahmen, selbst aber nicht nach Harvard gehen wollten – so daß schließlich der Leipziger Wilhelm Ostwald den ersten Schritt tun mußte und überhaupt in den ersten vier Jahren nur Nichtberliner nach Harvard gingen. Von den 11 bis 1915/16 ausgewählten deutschen Gastprofessoren in Harvard waren nur vier Berliner; von den neun für Columbia nur einer.209 Mancher Berliner lehnte diesen Austausch rundweg ab – und nicht nur deshalb, weil die amerikanischen Studenten dann zuhause blieben, wo sie ja nun auch deutsche Professoren hören könnten.210 Berlin galt zwar als führende Universität Deutschlands, doch wurde ihr lang anhaltender Aufschwung nicht nur durch die Berufungs- und Altersstruktur gehemmt. Die immer größere Expansion, die steigende Studentenzahl, die die Gefahr der Degradierung zur Lehr- und Lernfabrik in sich barg, riefen Gegenreaktionen hervor und blockierten auch neu entstehende Disziplinen. So gewann die Universität, die im 19. Jahrhundert als führende Innovatorin gegolten hatte, den Charakter einer Hüterin alter gelehrter Werte. Eine zunehmend konservative Professorenschaft hielt am Vorrang der Wortwissenschaften fest und erkannte die Ebenbürtigkeit einer zweiten Wissenschaftskultur nicht an. Die Förderung der Naturwissenschaften ging weniger von der Universität selbst als 208 1933 starb er nicht, wie ein nicht namentlich, sondern nur indirekt (»Die Mitbegründer der Zeitschrift«) gezeichneter Nachruf (in: Zeitschrift für Kinderheilkunde 55 [1933], 5, unpag.) vermeldete, an einem plötzlichen Herzschlag, sondern kam seiner Entlassung aus rassistischen Gründen durch einen Suizid zuvor. Udo Schagen/Sabine Schleier macher, Unter dem Hakenkreuz (1933–1945), in: Johanna Bleker/Volker Hess (Hg.), Die Charité. Geschichte(n) eines Krankenhauses, Berlin 2010, S. 169–187, hier 178. 209 Nach langen vergeblichen Vorbereitungen waren in der ersten Endauswahl der Vor geschlagenen nur zwei Berliner und drei Professoren anderer Universitäten (vom Brocke, Deutsch-amerikanischer Professorenaustausch, S. 141). Für die weiteren Jahre s. die Listen der beiderseitigen Austauschprofessoren S. 142 (Harvard) und 145 (Columbia). Von den Ausgewählten sagten dann – wegen der Schwierigkeiten im Krieg, aber auch in dem Wunsch, in Deutschland ihren Beitrag zu dem ihm vermeintlich aufgezwungenen Krieg zu leisten – zwei für Harvard und einer für Columbia ab (S. 160). 210 Bissige Bemerkungen, auch über einen amerikanischen Kollegen, finden sich bei Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Erinnerungen 1848–1914, Leipzig o. J. [1928], S. 288.
124 Hauptstadt – Provinz – Grenze vom Ministerium aus. Und andere Bereiche, wie Technik und Wirtschaft, die sich in dieser Zeit ebenfalls verwissenschaftlichten, suchten viele von ihrer Universität fernzuhalten. So war – trotz aller wissenschaftlichen Leistungen – auch eine gewisse geistige Verkrustung zu beobachten.211 Zugleich standen die Professoren der Berliner Universität, die sich als deutsche Nationaluniversität begriff, durch ihr Wirken in der Reichshauptstadt stärker im Blickfeld der Öffentlichkeit als alle ihre Kollegen, selbst in Leipzig oder München. Auch anderswo, etwa in Gießen, berichteten die Zeitungen natürlich über die Vorgänge an der lokalen Universität – und erhielten dafür von ihr, oft schon im Vorfeld, die nötigen Informationen oder auch Redemanuskripte.212 Wenn sie sich auch nur in einem Punkt nicht ausreichend informiert fand, beklagte sich eine Zeitung darüber, etwa die Straßburger Neuesten Nachrichten, weil ihr die Neuberufungen nicht mitgeteilt würden (was an manchen deutschen Universitäten durchaus üblich war).213 Doch die regelmäßigen Rubriken in der Vossischen Zeitung und im Berliner Tageblatt erreichten nicht nur Hauptstadtbewohner, sondern eine reichsweite Leserschaft, weil diese in Berlin erscheinenden Zeitungen überregionalen Charakter trugen.214 Der neu an tretende Berliner Rektor wurde dort jeweils ausführlich porträtiert.215 Die Gelehrten dieser Universität waren in besonderer Weise mit der imperialen politischen Kultur der Reichshauptstadt verbunden. Deshalb fanden die Konflikte innerhalb des Lehrkörpers (etwa im Berliner Antisemitismusstreit 1879/80), aber auch solche zwischen dem Lehrkörper und dem vor gesetzten Ministerium (etwa in der vom Kaiser erzwungenen Entfernung des sozialdemokratischen Privatdozenten Leo Arons) reichsweite Beachtung. Ande rerseits wurden die renommierten Gelehrten aber auch in die »Legitimierung und Absicherung einer machtgestützten Weltpolitik« einbezogen – und gewannen dadurch eine Sonderstellung innerhalb der deutschen Professorenschaft.216
211 McClelland, Forschungsuniversität, S. 509–511. 212 S. den Entwurf einer Zeitungsnotiz mit dem Vermerk »Für den Gießener Anzeiger« 1909: UA Gi PrA 1214, fol. 65. 1915 ist auf dem Redemanuskript des Rektors Sommer zur Bismarckfeier vermerkt, der Vorsitzende des Studentenausschusses möge auch ein Exemplar seiner Ansprache an den Gießener Anzeiger schicken (UA Gi Allg A 1345, fol. 3–3v). 213 Sie betonte ausdrücklich, daß sie ansonsten über die Behandlung durch die Universität nicht klagen könne. Siehe: Von der Universität, in: Straßburger Neueste Nachrichten 259, 6.11.1906, Zweites Blatt. Ausschnitt in: ADBR 103 AL 201. 214 S. etwa die ständige Rubrik »Aus der Chronik der Berliner Universität«, z. B. in: Vossische Zeitung 616, 4.12.1914, 1. BL , S. 2 f. 215 Als Beispiel für die Porträtierung des Rektors und der neuen Dekane siehe: Die Rektoratswahlen. Prof. Penck Rektor für 1917/18, in: Vossische Zeitung 2.8.1917. Ausschnitt in: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. III, Nr. 1 Bd. 7, fol. 185. 216 vom Bruch, Vom Humboldt-Modell zum Harnack-Plan, S. 16.
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Besonders in Krisenzeiten wurde die Universität durch die enge Verflechtung mit der Hauptstadt und die Nähe zu Hof und Regierung geprägt. »Kritische Liberale wie Mommsen und Virchow bildeten die Minderheit.«217 Eine exponierte Stellung hatte die Berliner Universität zwar schon im 19. Jahrhundert gehabt, doch verstärkte sich diese am Anfang des 20. noch. Der entscheidende Auslöser dafür war die Flottenagitation 1897/98 und 1899/1900, »die neben der Reputation der Berliner Gelehrten das Moment der lokalen Nähe erstmals in nennenswertem Umfang in den Vordergrund rückte«. Aber während die Professoren politische Aspekte der ministeriellen Berufungspolitik als Einschränkung ihrer Lehrfreiheit sahen, empfanden sie ihr eigenes freiwilliges außenpolitisches Engagement (das freilich mit offiziellen Stellen abgestimmt war) als praktische Umsetzung ihrer wissenschaftlichen Überzeugungen. Aus ihrer Perspektive fügte sich die Flottenrüstung bestens in das gesamtnationale Interesse ein, während sie die damit verbundenen industriellen Interessen gar nicht wahrnahmen. Einerseits wurde in der Flottenagitation die politische Zuverlässigkeit der Berliner Professoren (besonders der Nationalökonomen und Historiker) getestet. Andererseits verkleinerte sich aber die bisherige Reibungsfläche (etwa mit den Kathedersozialisten), da der innenpolitische Druck gleichzeitig nachließ. Und mit der wachsenden nationalpolitischen Reputation wurde auch die Bereitschaft zu innenpolitischer Kritik schwächer.218 Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts bezog Reichskanzler von Bülow Vertreter der Wissenschaft (meist ortsansässige Gelehrte) in einem bisher unbekannten Ausmaß in die politische und gesellschaftliche Atmosphäre der Regierungskreise ein. Das gilt besonders für den Theologen und Wissenschafts organisator Adolf Harnack und den Nationalökonomen Gustav Schmoller, beide später geadelt,219 aber auch für andere Professoren, z. B. den Fachkollegen des letzteren (und ebenfalls Kathedersozialisten) Adolf Wagner. Die Politiker und Wissenschaftler trafen sich etwa bei den »Parlamentarischen Abenden« oder bei Soireen im Haus von Bülows. Dabei wurden diese Kontakte keineswegs unmittelbar politisch genutzt; aber sie festigten die staatsloyale Gesinnung der Professoren, auf die die Regierung dann bei Bedarf zurückgreifen konnte. Durch den persönlichen Umgang sahen sich die Professoren gesellschaftlich gewürdigt und begriffen ihre Rolle nicht als untergebene Helfer, sondern als Partner in einer Arbeitsteilung »zwischen dem Manne der Tat und den Männern der Reflexion«. Unter Bülows Nachfolger wurden die Beziehungen zwischen dem Reichskanzler und der Berliner Gelehrtenwelt distanzierter, obwohl Bethmann 217 Bernhard vom Brocke, Forschung als industrieller Fortschritt: Berlin als Wissenschaftszentrum. Akademie der Wissenschaften, Universität, Technische Hochschule und Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, in: Wolfgang Ribbe/Jürgen Schmädeke (Hg.), Berlin im Europa der Neuzeit. Ein Tagungsbericht, Berlin u. a. 1990, S. 165–197, hier 178. 218 Alles nach vom Bruch, Öffentliche Meinung, S. 98–100, Zitat 98. 219 Schmoller 1908, Harnack 1914.
126 Hauptstadt – Provinz – Grenze Hollwegs »bedächtige, zögernde Art eine erstaunliche Affinität zu deren Denkart« aufwies. Der Kontakt zur Reichskanzlei bestand zwar weiter, aber vor allem zu Mitarbeitern des Kanzlers, nicht mehr zu ihm selbst. Gleichzeitig erwartete er von den Gelehrten aber, daß sie eine kulturpolitische Erziehungsaufgabe erfüllten. Dazu waren sie jedoch nicht bereit.220 Der Einfluß der Professoren auf die deutsche Politik wurde damals allerdings überschätzt, besonders im Ausland. Englische Kommentatoren nahmen den Einfluß einzelner Gelehrter als Indiz für die Stellung des gesamten Standes – wobei sich auch dort zwei Meinungen entgegenstanden: Die einen sahen die Stellung der Professoren in Deutschland in ihrem eigenen Wert, der Hochachtung ihrer Kollegen und Verehrung ihrer Schüler begründet, die anderen betonten, daß »keine andere Kaste (….) ihren Einfluß auf Staatsangelegenheiten« übertreffe. »Theologie- und Geschichtsprofessoren sind unter den beliebtesten Ratgebern des Kaisers.«221 Gewiß: Bei Treffen deutscher mit ausländischen Kollegen standen die Berliner im Vordergrund.222 Und der Theologe Harnack, der Militärhistoriker (und Herausgeber der Preußischen Jahrbücher) Delbrück sowie der Osteuropahistoriker Schiemann (der auch russische Geheimdokumente übersetzte, die der deutschen Regierung von einem Angehörigen der russischen Botschaft in London zugespielt wurden223) hatten direkten Umgang mit dem Kaiser. Doch von da auf den Einfluß ›der‹ Berliner Professoren zu schließen, wäre verfehlt; denn es handelte sich nur um einzelne, die zudem nur wenige Fächer der geistes- und sozialwissenschaftlichen Richtung vertraten, während sich die Naturwissenschaftler in der Politik kaum hervortaten, sondern vor allem in gelehrten Gesellschaften außerhalb der Universität wirkten.224 Richtig ist aber, daß die Regierung den Professoren um 1910 wesentlich freundlicher gegenüberstand als noch in den neunziger Jahren und zu Beginn des Jahrhunderts.225 Einerseits gab es durch den direkten Kontakt zu Entscheidungszentren die Möglichkeit, Einfluß zu nehmen – andererseits ist dessen Umfang kaum zu bestimmen. Gefördert wurde er aber gewiß auch dadurch, daß die hohen Reichs- und preußischen Beamten ihrerseits vor allem in Nationalökonomie und Geschichte geschult waren und ihre Sachkompetenz und den Anspruch auf politische Neutralität gerade aus ihrer wissenschaftlichen Ausbildung herleiteten. Gelehrte und Spitzenbeamte begegneten sich in exklusiven informellen Vereinigungen wie der Mittwochsgesellschaft, der Staatswissenschaftlichen 220 Alles nach vom Bruch, Öffentliche Meinung, S. 100–103, Zitat 101. Vgl. auch Nottmeier, Harnack, S. 140. 221 vom Bruch, Öffentliche Meinung, S. 92–95 (mit Zitat Frederick William Wiles 1913). 222 vom Bruch, Öffentliche Meinung, S. 96 f. 223 Meyer, Theodor Schiemann, S. 63. 224 McClelland, Forschungsuniversität, S. 443 f., 435. 225 S. das Zitat eines ehemaligen Regierungsrats bei vom Bruch, Öffentlichkeit, S. 98.
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Gesellschaft oder der Volkswirtschaftlichen Gesellschaft. Friedrich Meinecke (der Ende 1914 in die Mittwochsgesellschaft gewählt wurde) beschrieb die Atmosphäre dort als »eine Mischung von akademischer und gouvernementaler Luft« (in der man sich nicht so nahekam wie in seinen Straßburger und Freiburger Professoren-»Kränzchen«). Dagegen fehlten solche institutionalisierten Formen des Kontakts zu Parlamentariern und Wirtschaftskreisen.226 Von den acht Professoren der Mittleren und Neueren Geschichte, die während des Kaiserreichs Berliner Lehrstühle innehatten, waren drei Abgeordnete des Preußischen Landtags oder des Reichstags – der später in der Kriegsziel debatte aktive Hans Delbrück hatte in den achtziger Jahren beiden angehört –, und fast alle engagierten sich auch in der Meinungspresse, wie etwa den von Delbrück herausgegebenen Preußischen Jahrbüchern. Dasselbe galt für drei der vier Staatswissenschaftler (nur der Amtsinhaber 1870 machte da eine Ausnahme.)227 Doch durch die Professionalisierung der Parlamente einerseits, die Veränderung der Universität zum »wissenschaftlichen Großbetrieb« (Harnack) andererseits ging diese unmittelbare praktisch-politische Betätigung zurück. Denn mit der Forschungsentwicklung waren steigender Konkurrenzdruck und Publikationszwang verbunden, während aufgrund der wachsenden Studentenzahlen gleichzeitig Lehr- und Prüfungstätigkeit sowie Verwaltungsaufwand zunahmen. Deshalb zogen sich die Professoren mehr auf Publizistik und Reden zurück und wirkten eher als Gutachter, statt wie früher politische Ziele zu formulieren. Als sich im späten Kaiserreich traditionelle Gelehrtenpolitik und moderne Politikberatung vorübergehend verbanden, trugen die Gelehrten »nicht mehr zur Zielformulierung, sondern zur Zielabsicherung bei«.228 Doch gehörten auch jetzt noch insgesamt fünf Universitätsprofessoren dem Reichstag an, als einziger Berliner allerdings Franz von Liszt als Mitglied der Fortschrittlichen Fraktion. Im Preußischen Abgeordnetenhaus saßen 1913 sieben Professoren, im Herrenhaus ca. 20 (davon die Hälfte vom Senat der Universität gewählt). Zu den vom Monarchen ernannten gehörten damals die Berliner Adolf Stölzel (Jura), Adolf Wagner (Nationalökonomie) und Wilhelm Waldeyer (Medizin).229 Zwar hatte Berlin ein besonders entwickeltes Vereinswesen und im 19. Jahrhundert auch zahlreiche Zirkel, in dem sich gebildete Bürger, darunter Professoren der Universität und städtische Honoratioren, zur gegenseitigen Belehrung 226 vom Bruch, Öffentlichkeit, S. 251–258. Zitate: Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 238. Vgl. außerdem: McClelland, Forschungsuniversität, S. 600 f., 603. 227 McClelland, Forschungsuniversität, S. 435, 590. Annelise Timme zufolge ging Delbrück als Gelehrter in die Politik, um »für seine historische Wissenschaft zu lernen« (NDB 3 [1957], S. 557 f.). 228 vom Bruch, Öffentlichkeit, S. 250 f. 229 Zuvor hatte er seit 1908 bereits dem Preußischen Abgeordnetenhaus angehört. McClelland, Forschungsuniversität, S. 589 f.
128 Hauptstadt – Provinz – Grenze trafen. Doch mit der Ausdifferenzierung der Wissenschaften, der Institutionalisierung von Fachgesellschaften – in Berlin waren es allein für die verschiedenen Zweige der Geschichtswissenschaft 20! – und Kongressen auf nationaler und internationaler Ebene ging die gelehrt-urbane Kommunikation zwischen Universitätsangehörigen und städtischen Honoratioren zurück.230 Um die Jahrhundertwende begegneten sich in manchen Häusern führender Gelehrter durchaus noch Wissenschaft, Kultur und Politik: Bei dem (1903 verstorbenen) Althistoriker Theodor Mommsen trafen sich jahrzehntelang Mu seumsdirektoren, Gelehrte, Reichs- und preußische Spitzenbeamte (darunter der preußische Hochschulreferent Althoff und der Unterstaatssekretär und spätere Berliner Oberbürgermeister Adolf Wermuth). Daneben pflegte Mommsen Freundschaften mit einer Reihe von Schriftstellern – von Fontane bis zu Fritz Mauthner.231 Ähnlich wurde das Haus des 1914 nach Berlin berufenen Friedrich Meinecke zur Stätte des Austauschs zwischen Kollegen, Politikern, führenden Beamten und eigenen Schülern. Doch verweist dieses Beispiel zugleich darauf, wie stark die Freundschaftsbeziehungen im Kreis der Kollegen ver ankert blieben: Meinecke war eng mit Otto Hintze und dessen Frau, Meineckes Doktorandin, Hedwig Hintze befreundet (die ihrerseits durch die Freundschaft zu Meineckes Tochter die Bande zwischen den Familien verstärkte).232 Noch deutlicher wird dieses auch private Netz von Universitätskollegen im Hause Planck: In der Nachbarschaft wohnten viele bekannte Professorenfamilien, u. a. die Delbrücks und Harnacks, 1916 zog auch der Mediziner Karl Bonhoeffer hierher. Delbrücks und Plancks Sohn spielten fast täglich miteinander Schach. Im Hause Planck wurde viel musiziert: Der Hausherr selbst spielte täglich eine Stunde Klavier, komponierte Operetten für akademische Festlichkeiten und häusliche Veranstaltungen. Er musizierte zusammen mit dem Geiger Joseph Joachim, der Direktor der Musikhochschule und Primarius eines Streichquartetts war, nach dessen Berufung nach Berlin auch mit Einstein. In den unmittelbaren Vorkriegsjahren hatte sich im Hause des gerade wiederverheirateten Witwers Planck sogar ein Chor gebildet, dem außer Mitgliedern und Freunden der genannten Professorenfamilien Delbrück, Harnack und Planck auch einige Privatdozenten der Universität angehörten, darunter Otto Hahn. 230 Rüdiger vom Bruch, Universität und Stadt. Historische Streiflichter, in: Spiegel der Forschung 24 (2007), 2, S. 4–11, hier 11. 231 Rebenich, Mommsen und Harnack, S. 390–396. 232 S., besonders zur Bedeutung von Meineckes Frau dafür, Gerhard A. Ritter, Einleitung: Friedrich Meinecke und seine emigrierten Schüler, in: Gerhard A. Ritter (Hg.), Friedrich Meinecke. Akademischer Lehrer und emigrierte Schüler. Briefe und Aufzeichnungen 1910–1977, München 2006, S. 14, 84 f. Dort auch über die Teenachmittage Hintzes mit Kollegen, Freunden, Schülern. Die Gelehrtenehe der Hintzes wird mit einem gew issen Staunen, aber auch respektvoller Sympathie beschrieben bei Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 232 f.
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Gemeinsam studierte man Werke von Haydn und Brahms ein, wobei Planck selbst sowohl den Klavierpart übernahm als auch dirigierte. Unter den Zuhörern waren Lise Meitner (damals Plancks Assistentin) und andere junge Physiker. Außerdem verkehrten im Hause Planck auch Fritz Haber sowie die Physiker Max von Laue und Erwin Schrödinger (der später Plancks Nachfolger wurde).233 Der Kreis wurde also von Universitätsmitgliedern geprägt, umfaßte dabei aber Angehörige verschiedener Fakultäten und Statusgruppen. Auch wenn die Professorenschaft sich nicht mehr allein aus dem Bildungsbürgertum und alten Mittelstand rekrutierte, blieb sie in mancher Hinsicht doch ein Gesellschaftskreis für sich.234 Durch Heiratsbeziehungen wurde die Geselligkeit im eigenen Kreis noch verstärkt: So waren die Familien Harnack und Delbrück verschwägert, der Altphilologe Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff war der Schwiegersohn des berühmten Althistorikers Theodor Mommsen.235 Und ganz allmählich erweiterte sich dieser Kreis, wie an den Beispielen Hedwig Hintze und Lise Meitner schon deutlich wird, auch um gelehrte Frauen. Darüber hinaus waren einige Gelehrte mit studierten Frauen verheiratet, die selbst nicht mehr (oder jedenfalls nicht selbständig, für sich) wissenschaftlich aktiv waren.236 Doch trotz solch enger, auch persönlicher Verflechtungen innerhalb des Kreises von Universitätskollegen scheint keine volle Integration des Lehrkörpers gelungen zu sein. Zwar gehörte der teilweise schon in Deutschland aufgewachsene und später hier promovierte Harnack ganz dazu; andere aus dem Ausland Berufene dagegen blieben offenbar Außenseiter. Nicht nur der polnische Nationalökonom Bortkiewicz war in Berlin »doch beinahe wie ein ›Fremdkörper‹«,237 auch wenn »die ›deutsche Gründlichkeit (…) in ihm wie in vielen anderen, die nicht durch ihre Geburt zu uns gehören, einen ihrer besten Vertreter gefunden« hatte.238 Auch der Slavist Alexander Brückner war nicht wirklich zum Mitglied der Berliner Gesellschaft geworden (ebensowenig allerdings der polnischen Kolonie). Eher hielt er sich an Wissenschaftler mit polnischem Hintergrund, die der deutschen akademischen Welt angehörten und (wie er inzwischen) preußische Staatsbürger bzw. Reichsbürger waren.239 Auch die Deutschbalten pflegten in Berlin – zumindest neben anderen kollegialen und Freundschafts 233 Astrid von Pufendorf, Die Plancks. Eine Familie zwischen Patriotismus und Widerstand, Berlin 22006, S. 20, 30, 40, 62; Hermann, Planck, S. 24, 45 (mit einer Reihe von Namen). 234 McClelland, Forschungsuniversität, S. 444. 235 McClelland, Forschungsuniversität, S.437. Dabei wurde diese Verbindung von beiden Seiten mit Argwohn betrachtet (S. 440). 236 Beispiele bei McClelland, Forschungsuniversität, S. 506–508. 237 Oskar Anderson, Ladislaus v. Bortkiewicz (†), in: Zeitschrift für Nationalökonomie 3 (1932), S. 242–250, hier 246. 238 Ferdinand Tönnies, Ladislaus v. Bortkiewicz (1868–1931), in: Kölner Vierteljahrshefte für Soziologie 10 (1931/32), S. 433–436, Zitat 435. 239 Rhode, Brückner, S. 331.
130 Hauptstadt – Provinz – Grenze beziehungen – die Kontakte untereinander. So trafen sich bei einem »Baltenabend« in einem Berliner Restaurant ›Alte Herren‹ ihrer früheren alma mater Dorpat. Dort war 1903 neben Schiemann, Harnack und Seeberg u. a. auch der Chirurg Ernst von Bergmann anzutreffen, und auch der Russisch-Lektor Schalfejew gehörte dazu sowie der Römisch-Rechtler Wilhelm von Seeler aus Riga, damals Extraordinarius in Berlin (1912 Ordinarius in Jur’ev, 1913–1917 in Sankt Petersburg). Schalfejew und Seeberg standen viele Jahre in direkter persön licher Beziehung, mit Schiemann war Schalfejew ebenfalls vertraut.240 Selbst der Österreicher Michael Tangl blieb in Berlin fremd: Auch in Marburg, wo er sich relativ wohlfühlte, hatte er den Eindruck, keinen »Anschluß an das norddeutsche Wesen« zu finden, »Vorsteher« einer österreichischen »Fremdenkolonie« zu sein,241 in Berlin dann zog er sich zunächst auf die Familie zurück. Mit der jährlichen Sommerfrische in seiner Kärntner Heimat stieß er auf befremdetes Erstaunen (obwohl doch die Plancks auch häufig am Tegernsee, ebenfalls auf Familienbesitz, Urlaub machten). In Berlin fühlte er sich isoliert. In Privatgesprächen untereinander artikulierten Kollegen durchaus antikatholische Vorbehalte (die ihm dann zugetragen wurden) – während er in der Fakultät angeblich voll gewürdigt wurde.242 So war der große Lehrkörper der hauptstädtischen Universität trotz intensiver privater Beziehungen zwischen manchen seiner Mitglieder letztlich doch nicht nur nach Status und Einkommen, sondern auch nach Herkunft und landschaftlich-kultureller Prägung stark fragmentiert. Doch galt dies auch für Straßburg und Gießen.
Heterogenität und internationale Verflechtung Der Lehrkörper aller drei Universitäten war landschaftlich stark gemischt, und dabei kamen die Mitglieder nicht nur aus allen Regionen des Deutschen Reichs, sondern aus dem gesamten deutschsprachigen Raum. Unter den im Ausland Geborenen waren nicht nur Angehörige der deutschen Minderheit, sondern auch einzelne Vertreter anderer Kulturen – vom Niederländer über den russisch akkulturierten Juden bis zum rumänischen Bojaren. Darüber hinaus aber waren auch die einheimischen Mitglieder des Lehr körpers mit der internationalen Gelehrtengemeinschaft verflochten, durch Mitgliedschaften, vielfältige Kontakte und Aktivitäten. So besaßen etwa der Straßburger Anatom Franz Keibel und der elsässische Kirchenhistoriker Albert 240 Alles nach Wörster, Russe – Deutschbalte – Preuße, S. 257, 259, 262. Karriere v. Seeler: DBL , S. 720. Jur’ev ist der Name des russifizierten Dorpat. 241 Zitate aus seinen Briefen bei Schaller, Tangl, S. 93. 242 Allerdings nach Aussage eines Kollegen, der sein Ressentiment privat nicht verborgen hatte. Schaller, Tangl, S. 114–116 mit Zitaten.
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Ehrhard beide Ehrendoktorate mehrerer ausländischer Universitäten.243 Von den Berlinern waren z. B. der Nationalökonom Adolph Wagner »Ehrenmitglied der Universität Jurjew« (also der russifizierten Universität Dorpat, deren Lehrkörper er 1865–1868 angehört hatte), der Gynäkologe Ernst Bumm Mitglied eines russischen Ärztevereins.244 Manche Angehörigen der drei Universitäten lehrten (als zuhause Beurlaubte) vor dem Krieg im Ausland: etwa der Straß burger Privatdozent der Germanistik Ernst Stadler seit 1910 in Brüssel, von wo aus er 1914 eigentlich einem Ruf auf eine Dozentur in Kanada folgen wollte;245 der Berliner Privatdozent Joseph Horovitz (Sohn des Frankfurter Rabbiners) seit 1907 am Muhammedan Anglo-Oriental College in Aligarh (Indien);246 der Berliner Orientalist Carl Friedrich Lehmann-Haupt seit 1911 als Ordinarius in Liverpool, 1913/14 als Vertreter des Lehrstuhls für Alte Geschichte in Oxford.247 Der Berliner Extraordinarius Martin Ficker (übrigens ein Bruder des Straßburger protestantischen Theologen!) war 1913 in das Staatliche Hygiene-Institut in Sᾶo Paulo eingetreten,248 und der Straßburger Ordinarius für Orientalistik, Enno Littmann, lehrte 1910–1912 zeitweise an der neuen Universität in Kairo.249 Zudem verfügte, entgegen der Unterstellung mancher Historiker,250 nicht nur eine ganze Reihe von Gelehrten über persönliche Auslandserfahrung im Westen, sondern auch im Russischen Reich: Der Berliner Nationalökonom Max Sering hatte (zusammen mit dem Kollegen von der Landwirtschaftlichen Hoch243 Nach 25jähriger Tätigkeit als Privatdozent und Extraordinarius in Freiburg war Keibel bereits bei der Berufung nach Straßburg Ehrendoktor der Universitäten Harvard, St. Andrews und Birmingham, 1914–1917 zugleich research associate der Carnegie Foundation. S. das Personalformular [1914] in seiner Dienstakte ADBR 103 AL 482; den Nachruf von [-] Elze, in: Klinische Wochenschrift 8 (1929), S. 1335 sowie G. L. S., Franz Keibel, in: Science 69 (1929), S. 637. Albert Ehrhard, zuvor Prof. in Würzburg, Wien und Freiburg, wurde 1911/12 Ehrendoktor der Universitäten Christiania (Oslo), Athen und St. Andrews. Nach Karl Baus, Albert Ehrhard 1862–1940, in: Bonner Gelehrte. Beiträge zur Geschichte der Wissenschaften in Bonn. Katholische Theologie, Bonn 1968, S. 114– 122 und NDB 4 [1959], S. 357 (Wilhelm Hengstenberg). 244 Wagner: AV FWU Berlin SS 1913, S. 28; Bumm: BB 30/1 (WS 1915/16), S. 139 (Auszug aus: Münchner Medicinische Wochenschrift 23.11.1915 [zur Streichung aus der dortigen Mitgliederliste]). 245 BBKL X (1995), Sp. 1090–1106 (Peter Noss); außerdem Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 307, 309; zu seinem Ruf nach Kanada auch: Stadler an Dekan der Phil. Fak. 1.10.(?)1914, in: ADBR 62 AL 35. 246 Und zwar Arabisch. Hanisch, Die Nachfolger der Exegeten, S. 79, 191. Ergänzend: http:// de.wikipedia.org/wiki/Josef_Horovitz (18.12.2011). 247 Günther Lorenz, Carl Friedrich Lehmann-Haupt, in: Reinhold Bichler (Hg.), 100 Jahre Alte Geschichte in Innsbruck, Innsbruck 1985, S. 33–45, hier 38. 248 NDB 5 (1961), S. 134 f. (Helmut Jusatz). 249 Auswärtiges Amt an Statthalter in E-L 17.10.1910; Enno Littmann an Kurator Strb. 22.10.1910; Dt. Generalkonsulat Kairo 17.2.1911. Alle: ADBR 103 AL 554. S. auch u. Kap. II.4 mit A. 59. 250 Siehe z. B. Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 28.
132 Hauptstadt – Provinz – Grenze schule) 1912 eine Studienreise (für 108 Teilnehmer!) bis in die Ost-Ukraine hinein organisiert und 1913 einen Aufsatzband über »Rußlands Kultur und Volkswirtschaft« herausgegeben.251 Franz von Liszt war 1913 beim internationalen Strafrechtlerkongreß in Petersburg nicht nur besonders geehrt worden, sondern hatte – gegen Vergütung – auch Seminare an der dortigen Universität gehalten.252 Der Straßburger Historiker Karl Stählin hatte – zu Forschungen über einen Vorfahr, der im 18. Jahrhundert an der Petersburger Akademie gewirkt hatte – 1910 fast vier Monate Archivstudien in Rußland betrieben und war dabei bis Saratov an der unteren Wolga gekommen. 1913 hatte er ein enthusiastisches, aber auch einsichtsreiches Buch über Rußland und russische Kultur publiziert (und wurde später zum Osteuropahistoriker).253 Der Gießener Psychiater Robert Sommer war 1910 von der Gesellschaft für experimentelle Pädagogik in Petersburg und der Gesellschaft für experimentelle Psychologie in Moskau eingeladen worden, Vorträge über die Überschneidung von Psychologie und Pädagogik zu halten, und referierte in Rußland vor Lehrern, Ärzten und Psychologen.254 Und dem Straßburger Philosophen Georg Simmel lag für Herbst 1914 eine Einladung zu Vorträgen in Petersburg vor.255 Mitglieder der Preußischen Akademie der Wissenschaften korrespondierten mit ausländischen Kollegen nicht nur, sondern kooptierten gerade im Sommer 1914 auch das vierte russische Mitglied: den (später in der Emigration zu internationaler Berühmtheit gelangten) Althistoriker Michail Rostovcev (Rostovtzeff), der auch schon am Deutschen Archäologischen Institut in Rom gearbeitet hatte.256 Der Klassische Philologe Otto Immisch, bis 1913 Ordinarius in Gießen, gab seit 1910 zusammen mit dem Petersburger polnischen Kollegen
251 Max Sering (Hg.), Rußlands Kultur und Volkswirtschaft. Aufsätze und Vorträge im Auftrage der Vereinigung für staatswissenschaftliche Fortbildung Berlin, Berlin u. a. 1913, zu dieser Exkursion S. III, Vf. 252 Belege bei Trude Maurer, Der Krieg der Professoren. Russische Reaktionen auf den deutschen »Aufruf an die Kulturwelt«, in: Jürgen von Ungern-Sternberg/Wolfgang von Ungern-Sternberg, Der Aufruf ›An die Kulturwelt!‹ Das Manifest der 93 und die Anfänge der Kriegspropaganda im Ersten Weltkrieg, 2. erw. Aufl. Frankfurt u. a. 2013, S. 163–201, hier 196. 253 S. das Kap. über Stählin in: Gerd Voigt, Rußland in der deutschen Geschichtsschreibung 1843–1945, Berlin 1994, S. 160–182, hier 163–166. S. auch seine von dort geschriebenen Briefe: Karl Stählin, Reisebericht aus Rußland 1910. Briefe an seine Frau, (Diessen 1968); sowie: Karl Stählin, Über Rußland, die russische Kunst und den großen Dichter der russischen Erde, Heidelberg 1913. 254 Michael Meyer zum Wischen, »Der Seele Tiefen zu ergründen…«. Robert Sommer (1864–1937) und das Konzept einer ganzheitlichen, erweiterten Psychiatrie, Gießen 1988, S. 24. 255 Siehe u. S. 216. 256 Außer diesen vier waren aus dem Russischen Reich auch zwei Deutschbalten kooptiert worden. Genauer dazu Maurer, Der Weg zur Mündigkeit, S. 60 f., 75 f.
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Tadeusz Zieliński (und einem Münchner) die Reihe Das Erbe der Alten heraus, von der bis 1914 acht Bände erschienen.257 Alle drei Universitäten, auch die kleinste in der Provinz, hatten also Anteil an der ›internationalen Gelehrtenrepublik‹, die keine Floskel, sondern bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges gelebte Realität war.
257 Otčet o sostojanii i dejatel’nosti Imperatorskogo S.-Peterburgskogo universiteta za 1912 god, Sankt-Peterburg 1913, S. 155 f. S. auch Titelblätter der einzelnen Bände der Reihe.
4. Grundstrukturen für Lehre und Forschung: Fakultäten, Institute und Fächerspektrum Der Erste Weltkrieg traf die Universitäten nach einer Phase umfassender Expansion. Gewachsen waren sie im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert nicht nur durch eine rapide Zunahme der Studentenzahlen und eine Verbreiterung der sozialen Basis. Vielmehr vollzog sich auch in den Wissenschaften ein Expansions- und zugleich Spezialisierungsprozeß.1 Er betraf zunächst vor allem die Disziplinen der Philosophischen Fakultät, also Natur- und Geisteswissenschaften, sowie die Medizinische Fakultät. Dagegen wurden Jura und Theologie erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts ausgebaut.2 Im Zuge dieser Ausweitung und zugleich Ausdifferenzierung entstanden auch neue Strukturen innerhalb der Universität.3 »Das Institut und das Seminar als Organisationsform, Bautypus und Arbeitsgemeinschaft haben das Gesicht der Universität gründlicher verändert als viele statutarische Regelungen.« Und indem Institut und Seminar ein Eigenleben führten und Eigengesetzlichkeit gewannen, wurde, ohne förmliche Veränderung, auch die geschriebene Universitätsverfassung modifiziert. Hier entfaltete sich auch eine neue, mehrstufige Hierarchie mit dem Ordinarius als Direktor, nachgeordneten Professoren und Dozenten bis hin zu den Assistenten und dem nichtwissenschaftlichen Personal. Der Straßburger Philosoph und Pädagoge Theobald Ziegler begriff diese Veränderungen als »Eindringen des monarchischen Prinzips in die Gelehrtenrepublik«. Besonders in den naturwissenschaftlichen Instituten und den Kliniken waren die Arbeitsbeziehungen fast autoritär geprägt.4 Der unterschiedliche Anstieg der Studentenzahlen und der Ausbau der Wissenschaften samt ihrer Differenzierung veränderten auch das Gewicht der einzelnen Fakultäten bis hin zu einer Umkehrung der herkömmlichen Rangfolge. Durch die neuen Organisationsformen wurde die Teilhabe der Studenten verstärkt, und indem neben die Vorlesung als bisherige Vermittlungsform die verschiedenen Stufen von Seminaren traten, entwickelte sich der moderne Arbeits- und Forschungsunterricht. Aber zugleich bedrohte der »Großbetrieb der Wissenschaft« (Adolf [von] Harnack) die herkömmliche Universität, die gerade jetzt, im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, zur Humboldtschen Universität 1 2 3 4
Wettmann, Heimatfront Universität, S. 21–23. Zur Frequenz s. oben Kap. II.2. Paletschek, Provinz versus Metropole?, S. 231. Als knappste Übersicht s. Müller, Vom Ideal zur Praxis, S. 140–142. Moraw, Kleine Geschichte, S. 173 f. (Zitat 173); Wettmann, Heimatfront Universität, S. 46 f.; zum Ordinarienprinzip auch Müller, Vom Ideal zur Praxis, S. 138; Theobald Ziegler, Über Universitäten und Universitätsstudium. Sechs Vorträge, Leipzig u. a. 1913, S. 99 (Zitat).
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stilisiert und idealisiert wurde.5 »An die Stelle der persönlichen Bekanntschaft und der privaten Beziehungen von Lehrern und Schülern trat zunehmend die betriebsförmig arbeitende Institution.«6 Waren 1870 auf einen Hochschullehrer 8,6 Studenten gekommen, so waren es 1914 schon 14,3. Und da sich die Institutsdirektoren stark auf die Forschung zurückzogen und wachsende Verwaltungsaufgaben zu erfüllen hatten, verringerte sich ihr Kontakt zu den Studierenden. Von diesen sahen die meisten den Professor nur im Hörsaal, die Zulassung zu Seminaren und persönlicher Auseinandersetzung war einem kleinen Kreis vorbehalten. Zugleich hatte sich der sozioökonomische Abstand zwischen Lehrenden und Studierenden vergrößert, besonders wenn man den Vergleich bis ins 18. Jahrhundert zurückzieht.7 Der Ausbau und die Ausdifferenzierung der Disziplinen wurden im 19. Jahrhundert nicht von einer einzelnen Universität angeführt; vielmehr teilten sich mehrere große und mittelgroße in die Vorreiterrolle. Dazu gehörten gleich zwei der hier untersuchten: Berlin und Straßburg. Schon das schwächt den häufig beschworenen Gegensatz zwischen »Provinz versus Metropole« ab.8 Gleichzeitig betonte jede deutsche Universität ihre Besonderheit.
Gießen Beim Jubiläum 1907 brachte der Gießener Rektor die »Sonderart« seiner Universität mit ihrer Gründung in Zusammenhang – und war sich zugleich bewußt, daß sie von manchen Zeitgenossen als »altes Sondertum« abgelehnt wurde. Er rekapitulierte die Geschichte, wies dabei aber auch auf bislang Unbekanntes (wohl bei den Recherchen zum Jubiläum Gefundenes) hin: zwei Frauen, die im 19. Jahrhundert in Gießen promoviert worden seien, eine sogar immatrikuliert. So verband er die Darstellung der Geschichte zugleich mit dem aktuellen Anliegen der regulären Zulassung von Frauen (die im nächsten Jahr tatsächlich folgte9) 5 S. dazu Sylvia Paletschek, Verbreitete sich ein ›Humboldt’sches Modell‹ an den deutschen Universitäten im 19. Jahrhundert?, in: Schwinges (Hg.), Humboldt International, S. 75–104. 6 Busch, Geschichte des Privatdozenten, S. 79 (Zitat; im Anschluß an Daten über die Zahl der Studierenden pro Ordinarius und pro Nichtordinarius 1870/1910/1953). Vgl. auch Moraw, Kleine Geschichte, S. 173; Wettmann, Heimatfront Universität, S. 37. 7 Friedrich Paulsen, Die deutschen Universitäten und das Universitätsstudium, Berlin 1902, S. 232–236; Wettmann, Heimatfront Universität, S. 39; Relation von Lehrenden (aller Statusgruppen) und Studierenden errechnet nach der Tabelle bei vom Brocke/Krüger (Hg.), Hochschulpolitik im Föderalismus, S. 436. 8 Paletschek, Provinz versus Metropole?, S. 230. 9 S. dazu Eva-Marie Felschow, Der lange Weg in die Universität – Zum Beginn des Frauen studiums in Gießen, in: Marion Oberschelp (Hg.), Recht auf Wissen. 90 Jahre Frauen studium an der Gießener Universität, Gießen 1999, S. 35–57.
136 Hauptstadt – Provinz – Grenze und wies auch generell auf die Gegenwart als Zeit der Neuerungen hin. Insgesamt wurde die Universität so als eine traditionelle, sich aber ständig erneuernde Institution dargestellt, ohne daß der Topos der semper reformanda explizit bemüht wurde. Wenn der Jubiläumsredner aber feststellte, daß sich die wissenschaftliche Eigenart der Universität vor allem in der Theologie verkörpert habe,10 so verwies das Perfekt auf einen abgeschlossenen Zustand; denn inzwischen hatte die Gießener Theologische Fakultät ihren früheren Status eingebüßt. Vergleicht man die Frequenz der einzelnen Fakultäten 1914 mit der im 19. Jahrhundert, so war die einst bedeutende Theologie schon in dessen Verlauf zurückgegangen. 1914 stellte sie nur noch 8,2 % der Studenten – im Vergleich zu 26,7 % 1823. Die Juristen, die damals noch die Hälfte der Studentenschaft umfaßt hatten, zogen jetzt nur noch 10 % an. Mehr als 40 % aber studierten nun an der Philosophischen Fakultät, die einst die untere, propädeutische gewesen war, jetzt aber hauptsächlich der Lehrerbildung diente. Doch neben den Geistesund Naturwissenschaften gehörten dazu auch die Kameralwissenschaften, d. h. Staats-, Forst- und Agrarwissenschaft. Insgesamt vereinte die Philosophische Fakultät also Bereiche, die längst auseinanderstrebten. In der Gesamtstudentenschaft stellten die Geisteswissenschaftler 20,3 %, die Naturwissenschaftler 12,5 %, die ›Kameralisten‹ 10 %.11 Unter den Naturwissenschaftlern dieser Durchgangsuniversität waren aber nicht nur ›Passanten‹, sondern z. B. auch ein »lehrstühlebeherrschender ›Großordinarius‹«, der Zoologe Johann Wilhelm Spengel, Gründer und Herausgeber eines führenden Fachperiodikums, der Zoologischen Jahrbücher.12 Die Agrarwissenschaft hatte in Gießen eine starke Tradition. Einst zu der nur wenige Jahre existierenden Ökonomischen Fakultät gehörig, ressortierte sie seit mehr als einem Jahrhundert, wie andernorts, in der Philosophischen und hatte hier vom Kontakt mit den Naturwissenschaften profitiert. Justus »Liebig war der Schöpfer der Agrikulturchemie (…), die die Produktionsmöglichkeiten der Landwirtschaft der ganzen Welt in ungeahnter Weise ausweitete.«13 Im Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg nahm die Agrarwissenschaft, nachdem das Prüfungswesen 1904 nach den damals in Deutschland geltenden Normen geregelt worden war, einen bemerkenswerten Aufschwung: Ihre Studentenzahl wuchs binnen zehn Jahren auf mehr als das Siebenfache: von 14 auf über 100.14 Zu den Cameralia zählte auch die Forstwissenschaft, in der Gießen insofern eine Vorreiterrolle gespielt hatte, als es seit 10 11 12 13
Zur Erinnerung an die dritte Jahrhundertfeier, S. 17 f. Moraw, Kleine Geschichte, S. 176–178. Moraw, Kleine Geschichte, S. 181. Gerhard Reinhold/Max Rolfes, Zur Geschichte der Landwirtschaftswissenschaft an der Ludwigs-Universität und der Justus Liebig-Hochschule in Gießen, in: Ludwigs-Univer sität 1607–1957, S. 347–367, Zitat 348. 14 Reinhold/Rolfes, Landwirtschaftswissenschaft, S. 352.
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1831 über das erste Universitätsforstinstitut der Welt verfügte. Und nach einem Rückgang der Studentenzahlen erlebte das Fach mit der Errichtung einer dritten Professur um die Jahrhundertwende eine neue Blüte.15 Im Sommer 1914 studierten es in Gießen 35 Studenten.16 Die verbleibenden 40 % von Studierenden widmeten sich der Medizin.17 Die Gießener Fakultät vollzog, wenn auch mit einer gewissen Verzögerung, die allgemeine Entwicklung mit, und die Berufungskommissionen bemühten sich um die Einrichtung und Etablierung der zeitgenössischen Richtungen. So kam es auch hier zu einer Ausdifferenzierung der Fächer. Zwar war die Psychiatrie mit der Berufung von Robert Sommer 1895 relativ spät eingeführt worden, und die Pädiatrie verfügte noch bei Kriegsbeginn nur über eine von einem Privatdozenten privat finanzierte Poliklinik (was ihm nach achtjährigem Bestehen 1907 ein außeretatmäßiges Extraordinariat einbrachte). Doch in der Physiologie und Hygiene war man durch Ausrichtung auf die Biochemie und praktische klinische Probleme auf der Höhe der Zeit.18 Als Besonderheit hatte die Gießener Universität neben der Human- aber auch Tiermedizin aufzuweisen. Diese hatte sich 1900 als Veterinärmedizinisches Kollegium innerhalb der Medizinischen Fakultät konstituiert, die dann eine Zeitlang als »Vereinigte Medizinische Fakultät« geführt wurde (in welcher die Veterinär- der Humanmedizin allerdings untergeordnet war). Doch nach mehrjähriger Vorbereitung wurde im November 1914 schließlich eine eigenständige Fakultät eröffnet – fast unmittelbar (und wohl nur durch eine kriegsbedingte Verzögerung) nach der Münchner, als zweite an einer deutschen Universität. (Üblicherweise wurde das Fach an Tierärztlichen Hochschulen gelehrt.) An die Stelle des einen enzyklopädisch angelegten Ordinariats traten jetzt vier Lehrstühle für Veterinärmedizin.19 Daß der Physiologe für die Ausbildung beider Gruppen von Medizinern zuständig war, also eine hohe Hörerzahl hatte, verschaffte Gießen, obwohl doch eigentlich ›nur‹ eine Durchgangsuniversität, die Möglichkeit, Ordinarien nicht nur 15 Gerhard Reinhold, Die Geschichte der Forstwissenschaft an der Universität Gießen, in: Ludwigs-Universität 1607–1957, S. 368–374, hier 370–373. Durch die Konkurrenz der Forstakademie in Hannoversch-Münden (1867) war die Frequenz um 50 % gesunken. 16 PB LU Gi SS 1914, S. 70. 17 Moraw, Kleine Geschichte, S. 176. 18 Zusammengefaßt nach Cay-Rüdiger Prüll, Die Medizinische Fakultät an der Schwelle zum 20. Jahrhundert – Neuorientierungen und Neuberufungen, in: Enke (Hg.), Medizinische Fakultät Gießen, S. 235–250. 19 An der Universität München war am 1. Oktober eine Veterinärmedizinische Fakultät eröffnet worden. Der Antrag der Gießener Universität war am 30.7. dem zuständigen Innenministerium vorgelegt worden, aber Entscheidung und Vollzug verzögerten sich, da sich der Großherzog im Feld befand. Zusammengefaßt nach: Moraw, Kleine Geschichte, S. 184, 195; Anderhub, Antoniterkreuz, S. 5, 49 f.; Wilhelm Schauder, Zur Geschichte der Veterinärmedizin an der Universität und Justus-Liebig-Hochschule Gießen, in: LudwigsUniversität 1607–1957, S. 96–173, hier 136.
138 Hauptstadt – Provinz – Grenze kleinerer, sondern auch gleichgroßer Universitäten zu berufen.20 In Verbindung mit der Forst- und Agrarwissenschaft verlieh die Tiermedizin der Universität eine landwirtschaftliche Prägung: Nimmt man diese drei Fächer zusammen, waren sie genau so stark wie die Humanmedizin, stellten also ein Viertel aller Studenten (die Tiermediziner allein 15 %).21 Und zugleich wurde durch die Verselbständigung des Veterinärmedizinischen Kollegiums 1914 das Fakultätsspektrum, das ohnehin nicht mehr von einem Gleichgewicht bestimmt war, weiter verändert. Die Theologische Fakultät, die im Vergleich zu ihrem Hochstand im 17. und 18. Jahrhundert schon im ersten Viertel des 19. geschrumpft war und jetzt die studentenärmste war, hatte immerhin noch ein Ordinariat mehr als die Veterinäre. Jahrzehntelang wurde diese Fakultät, an der als junger Ordinarius auch der liberale Harnack gelehrt hatte (1879–1886), vom Verständnis der Theologie als einer historischen Religionswissenschaft geprägt. Damit aber geriet sie im Lande der lutherischen Orthodoxie in Gegensatz zu den ›positiven‹ Kirchenkreisen, auch dem Konsistorium in Darmstadt – und mußte sich im Landtag 1912 sogar »modernes Heidentum« vorwerfen lassen.22 Entsprechend der generell späten Ausdifferenzierung dieser Fakultäten umfaßten in Gießen das Theologische und Juristische Seminar auch zu Beginn des 20. Jahrhundert noch jeweils die ganze Fakultät – während die Philosophische Fakultät eine ganze Reihe fachlich spezialisierter Seminare aufwies, die Veterinärmedizinische in fünf Institute aufgespalten war und in der Humanmedizin neben Instituten auch eine Reihe von Spezialkliniken existierte.23 An dieser kleinen Universität konnten die Studenten auch im 20. Jahrhundert noch persönliche Beziehungen zu ihren Lehrern aufbauen, die über ein reines Instruktorenverhältnis hinausgingen. So konnte ein echtes »Meister-JüngerVerhältnis« entstehen, bei dem letzterer nicht nur Anweisungen erhielt, sondern auch seine eigenen Interessen zur Geltung bringen konnte. Mancher nahm sogar an den Geselligkeiten im Hause seines ›Meisters‹ teil.24
20 Bericht der Kommission zur Wiederbesetzung der vakanten Physiologie-Professur 29.2.1916, in: Personalakte Trendelenburg, zit. bei Thomas Klingmann, Die Entwicklung der Physiologie in Giessen von 1905–1938, Gießen 1995, S. 119. 21 Moraw, Kleine Geschichte, S. 176, 178. Bilder des landwirtschaftlichen Versuchsguts und seiner Aktivitäten in: Rosenberg, Universität Gießen, S. 23–26. 22 Moraw, Kleine Geschichte, S. 166, 188 f. 23 Details mit Gründungsdaten bei Moraw, Kleine Geschichte, S. 174 f. 24 Allgemeine Beobachtungen sowie Berichte über das Haus des Germanisten Behaghel bei Bach, Studentisches und wissenschaftliches Leben, S. 216 (Zitat), 206.
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Straßburg Straßburg verfügte damals – mit mehr als einer Million Bänden – über die größte Universitätsbibliothek der Welt (auch wenn es um 1910 Bedenken gab, daß sie nur durch Einwerbung zusätzlicher Mittel bei der Industrie und Gebühren der Leser auf diesem Stand zu erhalten sei25). Während dies der Zerstörung der alten Straßburger Bibliothek im preußisch-französischen Krieg zu ›verdanken‹ war,26 ging die von der üblichen abweichende Fakultätsgliederung auf die Ausdifferenzierung der Fächer und die Diskussion über Erhalt oder Teilung der Philosophischen Fakultät zurück, die schon in der Gründungszeit der Reform universität begonnen hatten. Daß Mathematik und Naturwissenschaften hier eine eigene Fakultät bildeten, hatte in Deutschland nur einen einzigen Vorläufer: In Tübingen war die Teilung der alten Philosophischen Fakultät schon 1863 erfolgt. Die nächste Universität, die diesen Schritt tat, war erst 1890 Heidelberg, 1911 folgte Freiburg, 1914, bei ihrer Gründung, die neue Frankfurter Universität. »Die Herauslösung der Naturwissenschaften aus der Philosophischen Fakultät beförderte letztlich den Ausbau beider Fächergruppen, da der Widerstand gegen die Neugründung von Lehrstühlen in der alten Philosophischen Fakultät, der u. a. durch die Angst mancher Professoren vor Machtverlust und Kürzungen für das eigene Fach motiviert war, kleiner wurde.«27 Nicht verwirklicht wurde dagegen ein anderer Vorschlag aus der Straßburger Gründungsphase: eine eigenständige Staatswissenschaftliche Fakultät. Nicht einmal die von dem Gründungsbeauftragten vorgesehene stärkere Gewichtung dieser Fächer wurde zunächst umgesetzt; denn sie fiel den nötigen Einsparungen zum Opfer. Statt der geplanten Abteilung innerhalb der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät gab es zunächst nur einen einzigen Lehrstuhl, dem allerdings bereits zwei Jahre später ein zweiter an die Seite gestellt wurde.28 Unter 25 Straßburg, in: Schwäbischer Merkur 25.5.1910 (Ausschnitt in ADBR 103 AL 188/1). 26 Noch im Jahr der deutschen Bombardierung begann der Leiter einer schwäbischen Privatbibliothek mit dem Aufbau einer neuen in Straßburg und einigte sich bald mit den Behörden auf den Anschluß an die zu gründende Universität. Nach einem öffentlichen Appell erhielt er dafür viele Privatspenden, vom Kaiser allein 4000 Bücher, von 300 Verlagen alle ihre im Druck befindlichen Werke (Craig, Scholarship and Nation Building, S. 59 f., 174). 27 Paletschek, Provinz versus Metropole?, S. 217 f. Vorausgegangen war an anderen Universitäten (Bonn, Leipzig, München) die Teilung der philosophischen Fakultät in zwei Sektionen (Müller, Vom Ideal zur Praxis, S. 139). Vgl. eine abweichende Deutung der Teilung als »Vorschub« für »Positivismus« der »›Einzelwissenschaften‹ und ›Spezialschulen‹« bei Busch, Geschichte des Privatdozenten, S. 80 f. 28 Craig, Scholarship and Nation Building, S. 44 f., 51 f. Die Formulierung von der »Trennung der Naturwissenschaftlichen von der Philosophischen sowie die der Staatswissenschaftlichen von der Juristischen Fakultät« (Nebelin, Straßburg als Modell der Hochschulreform, S. 65) ist also irreführend.
140 Hauptstadt – Provinz – Grenze deren Inhabern waren im 19. Jahrhundert Gustav Schmoller und Lujo B rentano sowie Georg Friedrich Knapp, der mit ihnen zusammen zu den Gründern des Vereins für Socialpolitik gehörte. 1874 mit 33 Jahren berufen, war er 1914 noch immer im Amt.29 Als Sozialreformer angetreten, wurden diese Nationalökonomen damals oft als »Kathedersozialisten« geschmäht. Immerhin war die Eingliederung der Staatswissenschaften in die Juristische Fakultät eine Neuerung (nach österreichischem und Schweizer Vorbild), die bald Schule machte. Ihr lag der Gedanke zugrunde, daß Staatswissenschaft und Volkswirtschaftslehre unabdingbar seien, um die tatsächlichen Lebensverhältnisse zu erfassen und damit auch zu einer verständigen Anwendung und Fortbildung des Rechts zu gelangen.30 Eine weitere und von der deutschen akademischen Praxis noch stärker abweichende Idee, die in der Gründungsphase von dem neu ernannten Ober präsidenten des Reichslandes kam, blieb gänzlich unbeachtet: die Schaffung einer überkonfessionellen theologischen Fakultät, die lutherische, calvinistische, katholische und jüdische Professoren haben sollte. Und sogar Bismarcks Vorschlag der Einrichtung einer katholisch-theologischen (neben der geplanten protestantischen) Fakultät wurde nach gewissen Verhandlungsschwierigkeiten mit dem zuständigen Bischof wieder fallengelassen.31 Erst am Anfang des 20. Jahrhunderts wurde, auf Beharren aus der Reichszentrale (wo dies vor allem der Hochschulreferent im preußischen Kultusministerium und ehemalige Straßburger Extraordinarius Althoff betrieb) eine Theologische Fakultät für die im Elsaß dominierende Konfession eingerichtet. Damit sollte sowohl der Ruf Straßburgs als antikatholische Festung widerlegt als auch der katholische Klerus gewonnen bzw. eingedeutscht werden; denn bislang wurden die Priester in den noch französisch geprägten bischöflichen Seminaren in Straßburg und Metz, überwiegend sogar an Seminaren in Frankreich ausgebildet. Dabei war der Klerus in seiner Haltung zur Universität inzwischen gespalten: Während ein Teil sie weiterhin boykottierte, wollte der andere sie durchdringen und verändern.32 Die Professoren selbst dagegen schlugen in derselben Zeit eine andere Erweiterung der Universität vor: auf technische Fächer. Dafür erwarteten sie vielfältigen Nutzen für das Reichsland und verwiesen auf die hier engere Zusammenarbeit zwischen elsässischen und ›altdeutschen‹ Studenten (während an 29 Zu Knapps Berufung: Craig, Scholarship and Nation Building, S. 71. 30 Herwig Schäfer, Juristische Lehre und Forschung an der Reichsuniversität Straßburg 1941–1944, Tübingen 1999, S. 10 f. 31 Craig, Scholarship and Nation Building, S. 49. 32 Craig, Scholarship and Nation Building, S. 137 f.; zu den bischöflichen Seminaren Ulrike Rother, Die theologischen Fakultäten der Universität Straßburg. Ihre rechtlichen Grundlagen und ihr staatskirchenrechtlicher Status von den Anfängen bis zur Gegenwart, Paderborn u. a. 2001, S. 220, 223; Mayer, KWU Straßburg, S. 98, 100. Drei Viertel aller Priester wurden Rother zufolge in Frankreich ausgebildet.
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Technischen Hochschulen jenseits des Rheins die Elsässer unter sich blieben!), aber auch auf die allgemeine, von dem renommierten Göttinger Mathematiker Felix Klein angeführte Bewegung zur Integration der angewandten Wissenschaften in die Universität. Auch die Straßburger dachten nicht etwa an eine TH, sondern an eine Technische Fakultät ihrer Universität (die deren Studentenschaft um 50 % vergrößern würde). Daran allerdings zeigte wiederum die Regierung kein Interesse.33 Doch verfolgte diese ihre Linie zur Integration der Katholiken weiter, indem zunächst – ohne Rücksprache mit der Philosophischen Fakultät – dort Ordinariate für Katholiken reserviert wurden; denn der Vatikan hatte die gleichzeitige Berufung zweier Katholiken auf Lehrstühle dieser Fakultät zur Vorbedingung für eine Übereinkunft bezüglich einer Katholisch-Theologischen Fakultät gemacht.34 (Zugleich fügte sich dies aber in Althoffs Bestreben ein, »die konfessionelle Mischung im Lehrkörper« den Verhältnissen des Landes und der Studentenschaft anzunähern.35) Allerdings waren solche konfessionell gebundenen Lehrstühle keine absolute Novität: In der ehemals katholischen und in einer katholischen Region liegenden Universität Freiburg war Ende des 19. Jahrhunderts der größte Teil des Lehrkörpers protestantisch. Und als dort die Theologen forderten, daß die Historiker katholischer Konfession sein müßten, errichtete das zuständige Ministerium kurzerhand einen vierten Lehrstuhl (für Badische Landesgeschichte und Historische Hilfswissenschaften), der nach informeller Absprache durch einen Katholiken besetzt sein sollte.36 In Bonn und Breslau gab es, als Folge der Notwendigkeit der Priesterausbildung (und der Existenz einer katholisch-theologischen Fakultät), seit langem konfessionell gebundene Lehrstühle in der Philosophischen Fakultät.37 Auf diesem Hintergrund konnten die Straßburger Professoren argumentieren, daß es an einer Universität ohne katholische Fakultät keinen Bedarf für einen konfessionellen Lehrstuhl gebe. Doch ob im ›Fall Spahn‹ tatsächlich die konfessionelle (katholische) Bindung das Hauptmotiv der Ablehnung der Fakultät und der öffentlichen Kampagne war oder der Eingriff in die Autonomie der Universität, ist umstritten.38 33 Craig, Scholarship and Nation Building, S. 141–144. 34 Siehe o. S. 106 f. 35 Auch wollte er dafür sorgen, »daß katholische Gelehrte bei gleicher Tüchtigkeit nicht außer allem Betracht in Berufungsfällen bleiben« – womit er deutlich ihre bisherige Diskriminierung ansprach. Zu den Zitaten s. Rudolf Morsey, Zwei Denkschriften zum ›Fall Martin Spahn‹ (1901). Ein Beitrag zur preußisch-deutschen Wissenschaftspolitik, in: Archiv für Kulturgeschichte 1956, S. 244–257, hier 257. 36 Paletschek, Provinz oder Metropole?, S. 234 f. 37 Rother, Theologische Fakultäten Straßburg, S. 225 f., 244, 246. 38 Erstere Auffassung vertritt – nach Hinweis auf die Verquickung wissenschafts-, konfessions- und parteipolitischer Gesichtspunkte – z. B. Rudolf Morsey: »Vielen der sich ultraliberal gebärdenden professoralen Protestler (…) ging es in erster Linie um die Wahrung des status quo im Sinne exklusiv-protestantischer Bastionen an den Universitäten.«
142 Hauptstadt – Provinz – Grenze Zum Wintersemester 1903/04 wurde dann, nach mehrjährigen Verhandlungen mit dem Vatikan, die Katholisch-Theologische Fakultät eröffnet – mit drei aus dem örtlichen Priesterseminar und fünf von jenseits des Rheins berufenen Professoren. Während die elsässische katholische Kirche eine Theologische Fakultät immer abgelehnt hatte – weil an einer staatlichen Universität, anders als im weiterbestehenden Grand Séminaire, die Ernennung der Professoren nicht allein dem Bischof vorbehalten bleiben konnte –, erhob der Lehrkörper der Universität öffentlich keine Einwände; denn er konnte die politischen Absichten verstehen und fürchtete bei einer Ablehnung auch negative Folgen (schließlich hatte der Protest im Fall Spahn seine Position gegenüber der Regierung ja geschwächt).39 Tatsächlich integrierte sich die neue Fakultät schnell in die Gesamtuniversität40 – nicht zuletzt vielleicht dadurch, daß sie bei Aufstellung der üblichen Ordnungen »bereitwillig Abhilfe« schuf, als der Rektor bangte, die Privatdozenten könnten in ein der akademischen Freiheit nicht entsprechendes Abhängigkeitsverhältnis kommen.41 Die Verbindung zwischen der Universität und dem Land bzw. seiner Bevölkerung scheint durch die neue Fakultät gestärkt worden zu sein. Die Theologieprofessoren hielten engen Kontakt zu den religiösen Vereinen und begaben sich, wie ihre protestantischen Kollegen, auch zu Gottesdiensten immer wieder in Landgemeinden. Der überproportionale Anstieg der Zahl katholischer Studenten in den folgenden Jahren scheint ebenfalls mit der neuen Fakultät zusammenzuhängen, die zudem – mit 150–200 Studenten pro Semester – die protestantische Schwesterfakultät bald übertraf.42 Auch schien sich mit der sozialen Herkunft, kulturellen Prägung und künftigen Aufgabe dieser Studenten die Hoffnung auf einen weiteren Eindeutschungsimpuls zu erfüllen.43 Ein ›Alleinstellungsmerkmal‹ unter den 21 (bzw. ab Oktober 1914: 2244) Universitä(Morsey, Spahn, S. 146) Daß – trotz Hervorhebung des Problems einer konfessionellen Professur in der Bitte an den Kaiser, Spahn nicht zu bestätigen – die Wahrung der Autonomie das Hauptziel gewesen sei, vertritt dagegen Craig, Scholarship and Nation Building, S. 149. 39 Craig, Scholarship and Nation Building, S. 158–161. Zu den Verhandlungen mit dem Vatikan s. Rother, Theologische Fakultäten Straßburg, S. 221–244. Ablehnung seitens der katholischen Kirche: François Igersheim, L’Alsace et ses historiens 1680–1914. La fabrique des monuments, Strasbourg 2006, S. 284 f. 40 G. Livet/G. Wackermann, Université, in: EA 12 (1986), S. 7476–7502, hier 7483 f. 41 Mayer, KWU Straßburg, S. 104. 42 Ficker, Die Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg, S. 30; Craig, Scholarship and Nation Building, S. 182, 191; Roscher, Kaiser-Wilhelms-Universität, S. 264–267. 43 »An die 200 junge Elsässer mehr als bisher besuchten fortab die Universität, Elsässer aus dem Volke, nicht aus der Bourgeoisie, geneigter sich der deutschen Wissenschaft aufzuschließen, durch ihren künftigen Beruf zu volkstümlicher Wirkung bestimmt.« (Dehio, Kaiser-Wilhelms-Universität, S. 24). 44 Die Universität Frankfurt am Main wurde zum Wintersemester 1914 eröffnet.
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ten des Reichs war die doppelte Theologie nicht – aber doch eine Besonderheit, die Straßburg nur mit Bonn, Breslau, Tübingen und Münster teilte.45 Diese wirkte sich unmittelbar auf die Zusammensetzung der Studentenschaft aus: Die Verteilung auf die Fakultäten stach vor allem durch den hohen Anteil an 13,5 % Theologen (8,3 % in der katholischen, 5,2 % in der protestantischen Fakultät) von Gießen und noch mehr von Berlin ab. Die Juristen scheinen auf den ersten Blick sogar doppelt so stark gewesen zu sein wie in der hessischen Landesuniversität (20,5 %); doch dies täuscht, weil in Straßburg ja auch die Staatswissenschaften zur Juristischen Fakultät gehörten. Der Anteil der Mathematiker und Naturwissenschaftler war mit 15,6 % anderthalb mal so hoch wie in Gießen, der der Mediziner dagegen um mehr als ein Viertel geringer (29,4 %).46 Neben der Gesamtstruktur von sechs Fakultäten war auch die Ausstattung der einzelnen mit Lehrstühlen von Bedeutung. So verfügte die Medizinische über eine Fülle von Ordinariaten und Instituten für neue Teildisziplinen und war hierin eine Zeitlang allen anderen deutschen Universitäten voraus. In der Zahl der Lehrstühle hatte allerdings auch schon die alte französische Fakultät 1870 die Berliner übertroffen – nicht jedoch in der modernen Ausstattung mit Labors etc.47 In der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, die (als Folge der kürzlichen Universitätsgründung) ebenfalls hervorragend mit Labors bestückt war, wirkten – als junge Leute – spätere Nobelpreisträger wie Wilhelm Röntgen oder Adolf von Baeyer. Der Physiker Ferdinand Braun, der hier angefangen hatte und hierher zurückgekehrt war, erhielt den Nobelpreis als Straßburger Ordinarius 190948 – und starb gegen Ende des Krieges in den USA .49 Sowohl die Philosophische als auch die Naturwissenschaftliche Fakultät glänzten durch »Luxuswissenschaften«, die es bei ihrer Gründung nur an wenigen anderen Universitäten oder gar nicht gab: Kunstgeschichte, Ethnologie, Sanskrit, Ägyptologie bzw. Paläontologie und Astrophysik.50 Auch das erste deutsche Ordinariat speziell für Anglistik entstand hier.51 1913 wurde, offenbar auf In45 Paletschek, Permanente Erfindung einer Tradition, S. 12. 46 Alles berechnet nach: Übersicht über die Zahl der Studenten, in: PV KWU Strb. WS 1914/15, S. 67, die als Ausgangsdaten die Angaben für das SS enthält. 47 Dehio, Kaiser-Wilhelms-Universität, S. 9; Roscher, Kaiser-Wilhelms-Universität, S. 82–84; 1870: Bonah, Une université internationale, S. 34. 48 Roscher, Kaiser-Wilhelms-Universität, S. 84 f. 49 Er habe »im Krieg die Heimat« verlassen, um die drahtlose Telegraphie aufrechtzuerhalten, was ihm auch viele Monate gelungen sei (Prof. Ferdinand Braun, in: SP 239, 4.5.1918 MA). Laut http://www.pit.physik.uni-tuebingen.de/braun.html (13.1.2014) sollte er im Auftrag der deutschen Regierung in einem (schließlich nicht mehr zustande gekommenen) Prozeß als Experte auftreten (Patentkrieg mit England) und konnte wegen des Kriegs nicht nach Deutschland zurückkehren. 50 Nebelin, Straßburg als Modell der Hochschulreform, S. 65; Craig, La Kaiser-WilhelmsUniversität, S. 19 f. (mit Zitat aus Wilhelm Spiegelberg, Die orientalischen Studien an der deutschen Universität Straßburg, in: Deutsches Vaterland, 4, Januar-Februar 1922, S. 47). 51 Dehio, Kaiser-Wilhelms-Universität, S. 13.
144 Hauptstadt – Provinz – Grenze itiative der Regierung, in Straßburg sogar eine Professur für Armenische Philologie geschaffen.52 Die Philosophische Fakultät zeichnete sich durch eine ›starke‹ Orienta listik aus, die hier Ordinariate für Indologie, Ägyptologie, Semitistik, vergleichende Sprachwissenschaft umfaßte; dazu kam ein Extraordinariat für Assyrisch.53 1903 lehrten dieses Fach hier sechs Personen – so viel wie sonst nur noch in Leipzig und halb so viel wie in Berlin.54 Allerdings wurde – da in Theodor Nöldekes Auffassung von akademischer Lehre Fragen der Vermittlung keine Rolle spielten – ein Orientalisches Seminar hier erst 1911, unter Enno Littmann, gegründet. Das fiel gerade in Straßburg auf, wo die Seminare so »viel reicher ausgestattet waren als manche preussische Universitätsbibliothek«.55 In den ›kleinen‹ Fächern verzeichnete die Philosophische Fakultät eine Anzahl bedeutender Gelehrter, etwa den Kunsthistoriker Georg Dehio, den Schöpfer des Handbuchs der deutschen Kunstdenkmäler, der während des Krieges als Emeritus hier lebte;56 den Orientalisten Nöldeke, einen Forscher von europäischem Ruf, der für Meinecke der »Erste seines Faches in Deutschland«57 war, spezialisiert auf Semitistik, aber auch in anderen Teildisziplinen aktiv, und sich als Emeritus auch während des Krieges noch in der Lehre engagierte.58 Sein Kollege (und späterer Schwieger-Enkel) Enno Littmann wies eine geradezu weltläufige Karriere auf: Princeton – Straßburg – Kairo und (nach Ablehnung eines weiteren Rufs nach Princeton) schließlich Göttingen.59 52 Die Fakultät war einverstanden, wünschte aber (wegen ungünstiger Aufnahme der letzten Publikation des künftigen Professors) einen Aufschub seines Dienstantritts. S. Prot. der Fakultätssitzung 22.2.1913 in: ADBR 103 AL 120. 53 Roscher, Kaiser-Wilhelms-Universität, S. 170. Das dort erwähnte weitere Extraordinariat für Türkisch kam erst während des Krieges hinzu. Siehe u. S. 940. 54 Hanisch, Nachfolger der Exegeten, S. 39. 55 Alles nach Hanisch, Nachfolger der Exegeten, S. 47, Zitat aus den Lebenserinnerungen Carl Brockelmanns. Vgl. auch die Tabelle der Gründungsjahre der Orientalischen Seminare deutscher Universitäten S. 58. 56 Betthausen, Georg Dehio, S. 275. 57 Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 152. 58 Er bot jeweils zum WS eine Lehrveranstaltung an (offenbar mehrfach dasselbe Thema: Persisch. Schahname): VV KWU Strb. WS 1915/16, S. V, 21; dto. 1916/17, S. V, 22; dto. 1917/18, S. VI, 21; dto. 1918/19, VI, S. 21. Im SS 1918 ist er (S. VI) in der Übersicht der Veranstaltungen anbietenden Lehrenden zwar genannt; doch wird im eigentlichen Katalog keine Lehrveranstaltung angeführt. 59 Als er Lecturer in Princeton war, wurde die dortige Ernennung zum Extraordinarius nicht mehr wirksam, weil er zu der Zeit in Abessinien weilte und von dort aus den Ruf nach Straßburg annahm, wo er 1906–1913 wirkte – allerdings unterbrochen durch zeitweilige Lehre an der neugegründeten Universität Kairo. Die Annahme eines Rufs nach Princeton 1909 konnten die Straßburger noch verhindern, doch mit dem preußischen Angebot dann nicht mehr mithalten, so daß Littmann 1914 nach Göttingen ging. Details über alle diese Stellen und die Angebote bei den Berufungen in der Personalakte ADBR 103 AL 554.
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Durch die Neugründung erfolgte in Straßburg auch früh eine Ausdifferenzierung der Altertumswissenschaften in Philologie und Alte Geschichte, die im Vergleich zu anderen Universitäten zudem eine »geradezu üppige Personalausstattung [aufwiesen]: vier Lehrstühle für die Beschäftigung mit griechischer und lateinischer Literatur sowie griechischen und römischen ›Altertümern‹«.60 Zu nennen wären besonders der Altphilologe Eduard Schwartz, der gerade 1914 wieder nach Straßburg zurückkehrte, oder (bis Ende 1913) Bruno Keil, der Althistorie und Philologie verband.61 Der Mediävist Harry Bresslau, seit Jahrzehnten Mitglied der Zentraldirektion der Monumenta Germaniae Historica, seit 1913 emeritiert, beteiligte sich auch weiterhin an der Lehre und übernahm 1915 sogar erneut die Leitung des Seminars für Mittelalterliche Geschichte.62 Die Stärke der Philosophischen Fakultät zeigte sich nicht zuletzt daran, daß sie 1914 16 Seminare und Institute aufwies.63 Neben den guten Besetzungen in den etablierten traditionellen Fächern und den kleinen ›Luxuswissenschaften‹ zeichnete sich die Philosophische Fakultät – in geringerem Maße auch die Juristisch-Staatswissenschaftliche und die Theologische – durch landeskundliche Lehrveranstaltungen und Regionalforschung aus (was damals keineswegs allgemein verbreitet war). Dabei war die Zahl dieser Veranstaltungen in den ersten drei Dekaden immer weiter gestiegen und lag in der letzten bei durchschnittlich 2,5 pro Semester. Als Schwerpunkte hatten sich dabei Germanistik, Kunstgeschichte/Archäologie und Geschichtswissenschaft ausgebildet. Insgesamt 26 Dozenten (davon mehr als die Hälfte Ordinarien) hatten sich daran beteiligt. 24 von ihnen waren ›Altdeutsche‹.64 Ebenso entwickelte sich die Zahl der insgesamt schließlich 200 regionalspezifischen Dissertationen, die (unter Einbeziehung von Theologie und Jura) im dritten Jahrzehnt 9 % der geisteswissenschaftlichen Arbeiten ausmachte, in der Philosophischen Fakultät allein sogar 10,7 %.65 Auch unter den Publikationen spielten regionalspezifische Themen eine zunehmend wichtigere Rolle. Unter den 50 Autoren waren die Katholiken mit 20 % (im Vergleich zu ihrem Anteil am Lehrkörper) deutlich überrepräsentiert.66 60 Eckhard Wirbelauer, Alte Geschichte an der Straßburger Kaiser-Wilhelms-Universität (1872–1918), in: Volker Losemann (Hg.), Alte Geschichte zwischen Wissenschaft und Politik, Wiesbaden 2009, S. 209–240, 212, Zitat 230. 61 Roscher, Kaiser-Wilhelms-Universität, passim. Zu Schwartz s. o. S. 109 f. 62 Diese Angaben zu Bresslau nach Roscher, Kaiser-Wilhelms-Universität, S. 186–189 und bes. 385 A. 1390. 63 Igersheim, L’Alsace et ses historiens, S. 271. (In PV KWU Strb. SS 1915, S. 16–18 sind nur 15 zu identifizieren.) 64 S. dazu Roscher, Kaiser-Wilhelms-Universität, S. 268–273. Auch, stärker inhaltlich orientiert, Igersheim, L’Alsace et ses historiens, S. 273–286. 65 Roscher, Kaiser-Wilhelms-Universität, S. 273–279. 66 Roscher, Kaiser-Wilhelms-Universität, S. 243, 279–286. Vgl. zur wissenschaftlichen Beschäftigung als Form der persönlichen Aneignung der neuen Heimat auch Ficker, KaiserWilhelms-Universität, S. 26 f.
146 Hauptstadt – Provinz – Grenze Spitzenreiter war der Germanist Ernst Martin, der bis 1910 wirkte, 67 regionalbezogene Arbeiten publizierte und mit seinen Vorlesungen nicht nur Hörer aller Fakultäten, sondern auch Externe anzog.67 Zur Institutionalisierung dieser Forschung wurden neue Periodica gegründet, in der Redaktion der seit 1853 existierenden Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins eine elsässische Abteilung eingerichtet.68 Dazu kamen akademische und gelehrte Gesellschaften. Zwar waren diese nicht auf die Universität beschränkt, doch ergriffen oft Hochschullehrer die Initiative oder forcierten diese Bestrebungen. Allerdings ging es den »Protagonisten ›einer Art kultureller Sammlungspolitik‹« dabei nicht um die Verbreitung des Konzepts der »Doppel kultur«, sondern ganz im Gegenteil um die Kanalisierung nichtopportuner Vorstellungen. 1901 bat die Philosophische Fakultät sogar um Errichtung eines etatisierten Extraordinariats für elsässisch-lothringische Landesgeschichte für einen der Straßburger Privatdozenten, einen Protestanten von jüdischer Geburt und ›altdeutscher‹ Herkunft. Doch wollte schon der Kurator nicht zustimmen, weil dies die gerade erst geschaffenen »›Paritätsverhältnisse‹« erneut zugunsten des protestantischen und jüdischen Anteils verschoben hätte. Auch der Statthalter lehnte »vorerst« ab.69 Und obwohl die Fakultät auf ähnliche Lehrstühle für sogenannte »Partikulargeschichte« Pommerns bzw. Preußens in Greifswald und Königsberg hinwies, blieb sie ohne Erfolg. Gelehrt und erforscht wurde die Landesgeschichte dann bald von Fritz Kiener, einem elsässischen Privatdozenten mit engen Verbindungen zu allen elsässischen Politikern, dem allerdings die Landesregierung und auch die Fakultät mit einer gewissen Skepsis gegenüberstanden. Er galt als methodisch progressiv und politisch nicht ausreichend zuverlässig.70 Ab etwa 1908 wurden dann immer wieder Forderungen nach einem landesgeschichtlichen Lehrstuhl erhoben. Oft waren sie mit dem Vorwurf der Zurück setzung von Elsässern bei den sonstigen Berufungen verbunden. 1911 allerdings argumentierte der Senat als Reaktion auf die Forderung im Landtag, daß es nirgendwo, außer in München, spezielle Lehrstühle für Landesgeschichte gebe – insbesondere nicht in Baden und Württemberg. Der Sinneswandel und die Umkehrung der Argumentation im Vergleich zum Antrag 10 Jahre zuvor hing offenbar damit zusammen, daß man nun eben jenen einheimischen Gelehrten hätte befördern müssen, der das Fach als Privatdozent lehrte. Nun hielt die Universität den Lehrstuhl für nicht unbedingt erforderlich – und suchte 67 Roscher, Kaiser-Wilhelms-Universität, S. 161–164, 285. 68 Roscher, Kaiser-Wilhelms-Universität, S. 295 f. 69 Der Betroffene erhielt bald darauf ein unbezahltes Extraordinariat, jedoch ohne Bezug auf die Landesgeschichte (Nachweise in A. 70). 70 Roscher, Kaiser-Wilhelms-Universität, S. 244–246 (Zitate im Zitat aus einer Münchner Magisterarbeit sowie aus der Straßburger Bürger-Zeitung vom 8.11.1901). Zu Kieners politischen Verbindungen: Igersheim, L’Alsace et ses historiens, S. 283.
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mit dem Hinweis auf eine genauere Prüfung der Sachlage das Ganze offenkundig zu verschleppen. Man befürchtete nun, daß ein von einem Elsässer besetzter Lehrstuhl für Landesgeschichte zum Sammelpunkt jener elsässischen Studenten würde, die gegen die Eindeutschung waren. Die Straßburger Post, die als Professorenblatt galt, warf Kiener sogar politische Indoktrination der Studen ten vor und fragte: »Ist das französische Kultur oder gar die berühmte Dop pelkultur?«71 Im übrigen ist es – trotz der expliziten Negierung – ziemlich unwahrscheinlich, daß der oben genannte Freiburger Lehrstuhl für badische Landesgeschichte und Hilfswissenschaften den Straßburgern entgangen sein könnte, trafen sie die Kollegen doch mindestens bei den Jahrestreffen der süddeutschen Universitäten. Der ehemalige Straßburger Oberbürgermeister, seit wenigen Monaten Kurator der Universität, nahm eine vermittelnde Rolle ein: Er wies einerseits darauf hin, wie der große Zuspruch für Kieners Lehrveranstaltung zur elsässischen Geschichte von über 100 Hörern im Sommer 1908 auf nur 14 im Winter semester zurückgegangen und sie im Sommer 1909 mangels Interesse dann sogar eingestellt worden sei. Andererseits versprach er nicht nur, ein Auge auf diese Angelegenheit zu haben, sondern hatte zuvor auch schon zugesichert, allen Tendenzen zur Zurückdrängung der Elsässer entgegenzuwirken.72 Im Hintergrund setzte sich noch ein weitaus Mächtigerer für Kiener ein, der 1908 zum Staatssekretär (also Haupt der Landesregierung) ernannte Hugo Freiherr Zorn von Bulach, der erste und einzige Elsässer in diesem Amt.73 (Trotzdem erhielt der 1904 habilitierte Kiener erst 1913 den Professorentitel – was man angesichts seiner stark gehemmten Produktivität allerdings nicht als Diskriminierung 71 Zusammengefaßt aus den komplementären Ausführungen von Craig, Scholarship and Nation Building, S. 172–174 und Roscher, Kaiser-Wilhelms-Universität, S. 246 f. (mit Zitat aus SP 15.11.1911). S. dazu auch Kieners Schreiben [an den Kurator] vom 16.11.1911 mit aufgeklebtem Zeitungsausschnitt (über den Beifall bei Bemerkungen, die man als Hiebe gegen zugewanderte Altdeutsche hätte verstehen können. Kiener zufolge waren dies aber Zitate aus Sebastian Münsters Cosmographia, denen in einer anderen Vorlesungsstunde entsprechende Zitate über die Franzosen folgen könnten): ADBR 103 AL 487/1. 72 Verhandlungen des Landesausschusses, in: Straßburger Bürger-Zeitung 71, 24.3.1911, Ausschnitt in: ADBR 103 AL 201. 73 Kiener ging offenbar sowohl in Straßburg als auch auf Z.s Gut Osthausen bei Z. ein und aus. Z. schätzte ihn sehr und hob in der Korrespondenz mehrfach dessen ungewöhnliche summa cum laude-Promotion in Berlin hervor, verwies ihn aber auch darauf, daß er die Bedingungen der Universität zu akzeptieren habe und sich nicht von seinen »guten Freunden von der Nationalistischen Partei« ins Bockshorn jagen lassen solle. Gegenüber den Landtagsabgeordneten machte er geltend, daß die Initiative zu einer solchen Professur eher von der Regierung ausgehen sollte und wirkte in dieser Hinsicht auch auf den Kurator ein. S. zwei Schreiben Zorns von Bulach in Kieners Personalakte: Min. für E-L/Der Staatssekretär. [Unterschrift: Zorn von Bulach] an Kurator 19.2.1908; Zorn von Bulach (auf Briefkopf des Min. für E-L/Der Staatssekretär, mit hs. Ortsangabe Osthausen 23.9.1911) (Zitat). Beide: ADBR 103 AL 487/1.
148 Hauptstadt – Provinz – Grenze deuten muß.74) Zumindest partiell realisiert wurde das landeshistorische Anliegen durch Verleihung einer Honorarprofessur für Südwestdeutsche Geschichte und Bibliothekswesen an den UB -Direktor Georg Wolfram, »einen ›altdeutsch‹patriotischen Historiker, der allerdings zum ›Bekenntniselsässer‹ avanciert« war.75 – Außerdem wurden im Jahrzehnt vor dem Weltkrieg zwei gelehrte Gesellschaften gegründet, die unabhängige elsässische Gelehrte in engeren Kontakt mit der Universität bringen sollten: die Wissenschaftliche Gesellschaft in Straßburg (1906) und die Gesellschaft für Elsässische Literatur (1912).76 Straßburg war die erste Universität, an der das Seminarsystem grundsätzlich eingeführt wurde und voll ausgebaut war77 – also nicht wie an den älteren erst allmählich als Ergänzung entstand, zu verschiedenen Zeiten für die einzelnen Fächer. So bildete sich durch das Nebeneinander von Vorlesungen und auf dem Gespräch beruhenden Veranstaltungen der neue Typus der Arbeitsuniversität, der seinerseits erst durch die Einrichtung moderner Seminarbibliotheken und Labors möglich wurde.78 Darüber hinaus wurden Exkursionen (»wissenschaftliche Ausflüge«) bald ein unentbehrliches Mittel der Beobachtung und des Unterrichts.79 Sowohl aus diesen neuen Lehrformen als auch aus der Forschungsorientierung80 resultierten engere Beziehungen zwischen Lehrenden und Studierenden, als sie an den anderen Universitäten üblich waren. Sie beschränkten sich nicht auf Lehre und Studium, sondern waren auch geselliger Natur.81 So schrieb etwa der Elsässer Albert Schweitzer über seine Studienzeit (an der Theologischen Fakultät) in den neunziger Jahren: »Durch keine Traditionen gehemmt, suchten Lehrer und Studierende miteinander das Ideal 74 S. in seiner Dienstakte eine undatierte, ungezeichnete Aufzeichnung, die frühestens von 1908 stammt und bei der von anderer Hand mit Bleistift der Name »Wiegand« hinzu gefügt ist. (Wilhelm W. war seit 1879 Direktor des Bezirksarchivs, 1890 Honorarprof., 1906 Ordinarius der Universität). Außerdem Kieners eigene Schreiben an den Kurator vom 13.11.1909 und (auf dessen Nachfrage vom 1.7.1910) 3.7.1910 über die geplante Fertigstellung eines größeren Werkes im Winter 1910/11: ADBR 103 AL 487/1. 75 Roscher, Kaiser-Wilhelms-Universität, S. 247. 76 Craig, Scholarship and Nation Building, S. 191. Zu den gelehrten Gesellschaften auch Vogler, Histoire culturelle de l’Alsace, S. 324. 77 Von der Universität, in: Straßburger Neueste Nachrichten 259, 6.11.1906, Zweites Blatt. Ausschnitt: ADBR 103 AL 201. 78 Nebelin, Straßburg als Modell der Hochschulreform, S. 265. In Tübingen und München war die Straßburger Seminarpraxis noch um 1900 unbekannt. Bernhard vom Brocke, Preußische Hochschulpolitik im 19. und 20. Jahrhundert. Kaiserreich und Weimarer Republik, in: Werner Buchholz (Hg.), Die Universität Greifswald und die deutsche Hochschullandschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 2004, S. 27–56, hier 38. 79 Ficker, Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg, S. 12. 80 Daß sie nicht nur eine »Arbeitsuniversität«, sondern eine »Forschungsuniversität« ge wesen sei, betont (unter Verwendung der deutschen Begriffe) besonders Bonah, Une université internationale, S. 32. Vgl. auch Ficker, Kaiser-Wilhelms-Universität, S. 9. 81 Craig, Scholarship and Nation Building, S. 77.
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einer neuzeitlichen Hochschule zu verwirklichen.«82 Ganz ähnlich sah dies der Kirchenhistoriker und Editor reformationsgeschichtlicher Quellen Johannes Ficker, der ab 1892 bis zur Schließung der Universität durch die Franzosen 1918 in Straßburg lehrte: »Und vom ersten Beginn der Universität sind die Studierenden in den Geist der Gemeinschaft hineingezogen worden; nicht als unfreie Schüler, reglementiert und kontrolliert, sondern als zu selbständiger Bildung des Wissens und des Charakters heranreifende Mitarbeiter der Wissenschaft haben sie gemeinsam mit den Dozenten ihre Arbeit getan und sind mit ihnen auch zumeist in enges persönliches Verhältnis ge treten. Nirgendwo ist diese persönliche Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden so intensiv und so in ganzem Umfange gepflegt worden.«83
Mit diesem 1922 formulierten Rückblick wird die Straßburger Universität gewissermaßen als Verwirklichung der Humboldtschen Universitäts-Idee dar gestellt.84 Dabei waren mit der Bezeichnung der Studierenden als »heranreifende Mitarbeiter der Wissenschaft« schon Ansätze zu einem kollegialen Verhältnis zu erkennen, das sich letztlich logisch aus Humboldts Verständnis ergab, daß Lehrende und Studierende »beide (…) für die Wissenschaft da« seien.85 Und bei all’ dem waren die Straßburger Gelehrten – in ihrem Selbst verständnis, aber auch im Rückblick des in Straßburg promovierten Historikers Ludwig Dehio – »Vertreter eines Realismus, der mit schärferer Kritik, mit strengerer Methode zu neuen Resultaten leitete.«86
82 Schweitzer, [Selbstdarstellung], S. 207. 83 Ficker, Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg, S. 10. 84 Demzufolge benötigte der »Lehrer-Gelehrte«, »der wissenschaftlich Forschende, der Forscher als Lehrer« ja die Studenten gerade für seinen eigenen Fortschritt in der Wissenschaft, weil er durch Lehren seine Gedanken entwickelte und durch das offene, kühne Erkenntnisstreben ihres unverbildeten Geistes angeregt wurde. S. Wilhelm von Humboldt, Über die innere und äußere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin, in: (E. Müller [Hg.]), Gelegentliche Gedanken über Universitäten, Leipzig 1990, S. 273–283, hier 274. Vgl. zur Humboldtschen Konzeption den luziden Aufsatz Riedels, aus dem auch (S. 240) die einleitenden Zitate dieser Anmerkung stammen: Manfred Riedel, Wilhelm von Humboldts Begründung der ›Einheit von Forschung und Lehre‹ als Leitidee der Universität, in: Zeitschrift für Pädagogik, Beiheft 14 (1977), S. 231–247. 85 Humboldt, Über die innere und äußere Organisation (wie A. 84), S. 274. 86 Dehio, Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg, S. 4. Ludwig Dehio, Gründer der Marburger Archivschule und 1949–1963 Herausgeber der Historischen Zeitschrift, war ein Sohn Georg Dehios. Er verweist dabei auf eine Bemerkung Schmollers, der die Straß burger Gründung im Rückblick durch den Hunger nach Tatsachen und Wirklichkeit charakterisiert habe, welche er den idealistischen und romantischen Spekulationen der vorausgehenden Epoche gegenüberstellte.
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Berlin Anders als die Reformuniversität Straßburg 1872 entsprach die Berliner noch der traditionellen Struktur der vier aus dem Mittelalter stammenden Fakul täten.87 Allerdings wurden schon bei ihrer Gründung 1810 die Naturwissenschaften ganz der Philosophischen Fakultät zugeordnet, also nicht mehr wie an anderen Universitäten auf diese und die Medizinische verteilt.88 Anders als die Universität des Reichslandes Elsaß-Lothringen hatte die Hauptstadt des konfessionell ebenfalls heterogenen Preußen (und des Deutschen Reiches!) nur eine protestantische Theologische Fakultät. Unter den Studenten stellten die Theologen sogar einen kleineren Anteil als in Gießen (6,1 %), weniger als einen halb so großen wie in Straßburg. Dagegen wurde die führende Stellung in den Geisteswissenschaften an deren höchstem Anteil von allen drei untersuchten Universitäten deutlich (27 %). Die Mediziner lagen (unter Einbeziehung der Pharmazeuten) mit Straßburg gleichauf (28,8 %), die Juristen (unter Einbeziehung der in der Philosophischen Fakultät angesiedelten Kameralwissenschaften) einige Prozent vorn (24,4 %), die Naturwissenschaftler geringfügig dahinter (13,8 %).89 Zunächst beruhte die Bedeutung der Berliner (und deutschen National-) Universität vor allem auf den Geisteswissenschaften, in denen wiederum die Altphilologie durch die Entwicklung der historisch-kritischen Methode eine Leitfunktion innehatte und durch editorische Großprojekte auch den Weg zum wissenschaftlichen Großbetrieb gebahnt hatte.90 Außerdem ragte die Philosophische Fakultät der deutschen Hauptstadt durch ihre starke Überlappung mit der Königlichen Akademie der Wissenschaften aus den Schwesterfakultäten des Reichs heraus. 1913 waren 38 Fakultätsangehörige Ordentliche Mitglieder der Akademie – stellten dort also zwei Drittel! »Man kann also sagen: Die Autorität 87 Inwiefern diese Struktur allerdings mehr dem Bedarf von Staat und Kirche an ausgebildetem Personal entsprochen habe als irgendeinem gesellschaftlichen Bedürfnis nach ›Wissenschaft‹ im Humboldtschen Sinne (McClelland, Forschungsuniversität, S. 429), ist unklar – selbst wenn man die Binnen-Aufteilung der Fakultäten in Fächer berücksichtigt. 88 Doch blieben Parallellehrstühle für Botanik bis ca. 1850 und für Zoologie sogar bis Anfang des 20. Jahrhunderts an der Med. Fakultät bestehen (Paletschek, Provinz versus Metropole?, S. 220). Und auch an der Phil. Fakultät wurden diese Fächer zunächst von Dozenten gelehrt, die zuvor Ärzte und Apotheker an der Med. Fak. waren. Ewald Harndt, Die Stellung der Medizinischen Fakultät an der preußischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin als Beispiel für den Wandel des Geisteslebens im 19. Jahrhundert, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 20 (1971), S. 134–160, hier 138. 89 Endgültige Feststellung [für SS 1914], in: Nachtrag zum Amtlichen Verzeichnis [Kgl. FWU], WS 1914/15, unpag. Anhang. 90 Wilfried Nippel, Genese und Ausdifferenzierung der Altertumswissenschaften, in: GUUL 4, S. 199–215, hier 201–204; Holger Dainat, Klassische, Germanische, Orienta lische Philologie, in: GUUL 4, S. 319–338, hier 329–334.
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der Akademie wird verstärkt durch die Autorität der philosophischen Fakultät der Berliner Universität, und hinter der Autorität dieser Fakultät steht auch die Autorität der Akademie.«91 Auch die Medizin entwickelte sich im 19. Jahrhundert zu einer anderen, nämlich einer Naturwissenschaft. Dies spiegelt sich auch in der Veränderung der Prüfungsordnung, die das Tentamen philosophicum durch das Tentamen physicum ersetzte. Zugleich bescherte diese Entwicklung der Berliner Medizin bereits um 1860 internationale Geltung.92 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts und im 20. ging dann die Führung an die Naturwissenschaften über, wurde Berlin zum Zentrum reiner naturwissenschaftlicher Forschung – ohne daß deren faktische Führungsfunktion allerdings an der eigenen Universität an erkannt worden wäre.93 Und trotz der Avanciertheit vieler Disziplinen – etwa durch Einrichtung eines chemischen Labors in Virchows Pathologischem Institut – hinkte Berlin hinter Straßburg und auch jenen Universitäten her, die um die Jahrhundertwende eine Teilung der Philosophischen Fakultät vornahmen. Hier dagegen verselbständigten sich die Naturwissenschaften erst 1936.94 Die Medizinische Fakultät war durch das schon zuvor bestehende Collegium Medico-Chirurgicum (zur Ausbildung von Militärärzten) und das große Hospital der Charité von Anfang an größer und spezialisierter als in vielen anderen Universitäten. In der Zeit der Expansion zwischen 1870 und 1910 hatte sich die Zahl der Lehrenden hier verfünffacht – während sie in der Philosophischen Fakultät nur auf knapp das Dreifache, bei Theologen um 57 % und bei Juristen um 39 % gestiegen war.95 In der Theologischen Fakultät war im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert die Kirchengeschichte die »Leitdisziplin«. Einen der Lehrstühle dafür hatte seit 1888 Adolf (von) Harnack inne, der auf Wunsch der Fakultät, aber gegen den Widerstand des Oberkirchenrates berufen worden war. Zur »Beruhi gung der kirchlichen Lage« war 1893 ein zusätzlicher systematischer Lehrstuhl geschaffen worden, der mit Vertretern der sogenannten ›positiven Theologie‹ besetzt wurde, ab 1898 also mit Reinhold Seeberg als »Gegengewicht« zu
91 Adolf von Harnack, Über die Zukunft des Orientalischen Seminars und den Plan einer Auslandshochschule, in: IMWKT 12 (1917/18), Sp. 182–206, hier 196. 92 Harndt, Die Stellung der Medizinischen Fakultät, S. 148–150, 156. 93 Diese Schlußfolgerung zieht Harndt, Die Stellung der Medizinischen Fakultät, S. 156 f. aus der Tatsache, daß in den Reden zum Universitätsjubiläum nur die großen Geisteswissenschaftler des 19. Jahrhunderts genannt wurden, aber nicht die Naturwissenschaftler. 94 Paletschek, Provinz versus Metropole?, S. 217. 95 McClelland, Forschungsuniversität, S. 429 und Tabelle (zum Vergleich zwischen 1860 und 1910) S. 432. Eine genauere Analyse hat jetzt Frank Wagner vorgelegt: Beharr liche Einheit der Vielfalt. Das Ordinarienkollegium der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1809–1945, Gießen 2012 (Volltext unter: http://geb.uni-giessen.de/geb/ volltexte/2012/8608/pdf/WagnerFrank_2009_02_11.pdf [27.9.2012]).
152 Hauptstadt – Provinz – Grenze Harnack.96 Bald trug er als Gegenposition zu Harnacks Vorlesungen über »Das Wesen des Christentums«, die 1899 600 Hörer (auch aus der gehobenen Gesellschaft Berlins) anzogen, ebenfalls für Hörer aller Fakultäten die »Grundwahrheiten der christlichen Religion« vor (und unterrichtete darin privatissime auch die Kaiserin und ihre Hofdamen).97 In Harnack und Seeberg, den beiden bedeutendsten Theologen des ausgehenden 19. Jahrhunderts, manifestierten sich »die religiösen und theologischen Konflikte« der Zeit an der Berliner Fakultät. Beide waren, wie auch mehrere andere Fakultätsmitglieder, stark in kirchlichen Sozialwerken engagiert: Harnack im Evangelisch-Sozialen Kongreß, Seeberg in der Kirchlich-Sozialen Konferenz.98 Die Historisierung des christlichen Glaubens wurde dann von der Religionsgeschichtlichen Schule weiter vorangetrieben, als deren Vorläufer in Berlin Wolf Graf Baudissin gelten kann, und zu der in der Fakultät außerdem noch Bernhard Weiß, Hugo Gressmann und Adolf Deißmann gehörten.99 Durch die Berufung Ernst Troeltschs, der als Systematiker der Religionsgeschichtlichen Schule gelten kann, wäre deren Gewicht in der Fakultät noch weiter ausgebaut worden. (Dies versuchten Julius Kaftan und Seeberg, der als »entscheidende Schlüsselfigur« bei theologischen Berufungen an preußische Universitäten gelten kann, zu verhindern.) Troeltsch nahm (am 4. Juli 1914) den Ruf auch an, um Harnack im Kampf gegen das ›System Seeberg‹ nicht allein zu lassen – doch wurde sein religionsgeschichtlicher Lehrstuhl dann in die Philosophische Fakultät transferiert und mit einer Widmung für »Kultur-, Geschichts-, Gesellschafts- und Religionsphilosophie und christliche Religionsgeschichte« versehen,100 so daß Troeltsch erst ab Sommer 1915 in Berlin lehrte.
96 Notger Slenczka, Die Theologische Fakultät 1880–1945, in: GUUL 4, S. 53–106, hier 55 f., 61, Zitate 56, 55, 61. 97 Graf, Seeberg, S. 640. 98 Slenczka, Theologische Fakultät, S. 65, 73. 99 Slenczka, Theologische Fakultät, S. 73–76. 100 »Tatsächlich konzipierte er sein Fach als eine ›historisch-ethische‹ Kulturwissenschaft des Christentums« (Friedrich Wilhelm Graf, Philosophisch reflektierte Kriegserfahrung. Einige Überlegungen zu Ernst Troeltschs »Kaisergeburtstagsrede«, in: Friedrich Wilhelm Graf (Hg.), »Geschichte durch Geschichte überwinden«. Ernst Troeltsch in Berlin, Gütersloh 2006, S. 231–252, hier 235–237, Zitat 235). Zum ›System Seeberg‹: Thomas Kaufmann, Die Harnacks und die Seebergs. »Nationalprotestantische Mentalitäten« im Spiegel zweier Theologenfamilien, in: Manfred Gailus/Hartmut Lehmann (Hg.), Nationalprotestantische Mentalitäten. Konturen, Entwicklungslinien und Umbrüche eines Weltbildes, Göttingen 2005, S. 165–221, hier 193 f. (mit Zitaten). Zum Berufungsverfahren: Günter Wirth, Zwischen den Stühlen. Ernst Troeltsch und die Ber liner Universität, in: Horst Renz (Hg.), Ernst Troeltsch zwischen Heidelberg und Berlin, Gütersloh 2001, S. 118–184, bes. 171–173; knapper und auf das Biographische zugespitzt bei Hans-Georg Drescher, Ernst Troeltsch. Leben und Werk, Göttingen 1991, S. 216–219.
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Auffallend gut ausgestattet waren von Anfang an auch die Altertumswissen schaften, jedenfalls was die Zahl der Lehrstühle betrifft. Das hing vermutlich damit zusammen, daß die Verwissenschaftlichung der Klassischen Philologie zur Zeit der Errichtung der Universität bereits fortgeschritten war, der Einfluß des Neuhumanismus in der Gründung stark zur Geltung kam und die Akademie der Wissenschaften in den Altertumswissenschaften einen Schwerpunkt hatte. Schließlich entsprach dies auch den Bedürfnissen der Lehrerbildung. Trotzdem spielte Berlin keine Vorreiterrolle bei der Ausdifferenzierung der Professuren innerhalb der Philosophischen Fakultät, etwa der Altphilologie, Geschichte, Neueren Philologie, oder bei der Erstgründung von Professuren für Archäologie oder Kunstgeschichte. Innovativ allerdings war es, wie Straßburg, bei der Institutionalisierung der ›kleinen‹ Fächer: Assyriologie, Keltologie, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, Musikwissenschaft – alle um die Jahrhundertwende, Osteuropäische Geschichte 1906 und Sinologie 1912. Dabei waren »einige dieser Erstgründungen – so die Lehrstühle für Slavistik, für Osteuropäische Geschichte oder auch des Seminars für orientalische Sprachen – (…) politisch motiviert und sollten der Ausbildung von Beamten des Auswär tigen Amtes dienen oder die Kolonialbewegung unterstützen«.101 Das Seminar für Orientalische Sprachen war zur Vermittlung von Sprachkenntnissen und Landeskunde für die praktische Tätigkeit in Übersee geschaffen worden und hatte zwei Abteilungen: für den Dolmetscherdienst und für den Kolonialdienst. Es war ein Institut an der (aber nicht ›der‹) Universität und wurde gemeinsam vom Deutschen Reich und Preußen, welches damit das Angebot der Universität Berlin erweitern wollte, getragen. Zum Studium dort war kein Abitur nötig; auch hatte das Seminar kein Promotionsrecht. Seine Lehrenden wurden zwar mit dem Professorentitel geschmückt, galten aber nicht als Gelehrte und hatten üblicherweise auch keine akademischen Grade.102 Trotzdem waren viele seiner Hörer – im Sommer 1914 zählte es insgesamt 255 – Studenten der Universität. Von Anfang an bot es auch Suaheli und bald weitere afrikanische Sprachen an, dann auch diverse europäische. (Außerdem gab es dort praktische Übungen, etwa »in der Routenaufnahme«, zu »astronomischen Ortsbestimmungen«, in Chemie und Chemischer Technologie, über Handels101 Paletschek, Provinz versus Metropole?, S. 231 f. Zur Lehrstuhlentwicklung der Philosophischen Fakultäten s. Baumgarten, Professoren und Universitäten, S. 44–49. Ergänzend zum wissenschaftsgeschichtlichen Hintergrund der Gründung des Seminars für Osteuropäische Geschichte gegen den Willen der Fakultät s. Roger Chickering, Der Ort der Osteuropäischen Geschichte in der deutschen Geschichtswissenschaft um 1900, in: Dittmar Dahlmann (Hg.), 100 Jahre Osteuropäische Geschichte. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Stuttgart 2005, S. 11–19. 102 Hanisch, Nachfolger der Exegeten, S. 40–45. Abteilungen nach: Hermann Schumacher, Zur Frage der Errichtung einer Auslandshochschule, in: IMWKT 12 (1917/18), Sp. 257–282, hier 272.
154 Hauptstadt – Provinz – Grenze und Wirtschaftsgeographie, sogar einen »Samariterkursus«).103 1913 faßte der Reichstag auf Antrag Erzbergers eine Resolution, mit der die Regierung auf gefordert wurde, eine »Denkschrift« über den Ausbau des Seminars für Orientalische Sprachen »zu einer Auslandshochschule« vorzulegen. Doch legte der Reichskanzler diese dem Reichstag erst im März 1917 (!) vor, so daß sie auf dem Hintergrund des Krieges schließlich in die Konzipierung eines neuen Faches mündete.104 Zwar war die Ausdifferenzierung der Wissenschaften in der deutschen Nationaluniversität besonders hoch: Doch war Berlin – im Gegensatz zu Straßburg – unter den letzten Universitäten, die die Seminare institutionalisierten.105 Zwischen 1882 und 1907 erhielt es 43 neue wissenschaftliche Einrichtungen, davon 23 im medizinischen Bereich. Im Sommer 1914 besaß die Berliner Universität 69 eigene Institute und nutzte weitere 20 Institute bzw. Anstalten für Lehrund Forschungszwecke. Wie überall, so war auch hier – vor allem aufgrund des starken Bezugs zur Berufsausbildung der Studenten – die Ausdifferenzierung innerhalb der Theologischen und Juristischen Fakultät geringer, die beide in jeweils drei Abteilungen untergliedert waren. Doch kamen dazu ein Seminar für Deutsches und eines für Strafrecht, 1911 noch ein Institut für Auslands- und Wirtschaftsrecht.106 Die Einfügung so vieler neuer spezialisierter Institute und Seminare in eine traditionelle Lehrstuhl-Einteilung belegt nicht nur die präzedenzlose Expansion der Professorenschaft im Kaiserreich, sondern signalisiert auch eine grundlegende Änderung in den Macht- und Finanzierungsbeziehungen. Das war in Berlin am deutlichsten, weil die Universität aufgrund ihrer Größe und Lage die meisten neuen Institute bekam und im Gegensatz zu anderen (die eigene Einkommensquellen hatten) fast ganz vom Staat finanziert wurde.107 Dabei gingen viele Seminare auf die Einzelinitiative von Lehrenden zurück – und wurden erst Jahrzehnte später vom Staat durch Kapital und Legitimation weiter 103 Eugen Mittwoch, Das Seminar für Orientalische Sprachen an der Universität zu Berlin, in: Weltpolitische Bildungsarbeit an Preußischen Hochschulen, Berlin 1926, S. 12–22, zum Unterricht 15–18, zur Hörerzahl 20: 106 für Orientalische Sprachen, 52 für Afrikanische Sprachen, 27 für Osteuropäische, 59 für Westeuropäische, 11 für »Nichtkoloniale realistische Fächer«. Veranstaltungen nach VV FWU Berlin SS 1914, S. 147–159. 104 S. dazu ausführlicher u. Kap. IV.5. 105 Paletschek, Provinz versus Metropole?, S. 231. 106 Alles nach Elmar Tenorth, Transformation der Wissensordnung. Die Berliner Universität vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis 1945. Zur Einleitung, in: GUUL 5, S. 9–59, hier 18–22 (mit Listen der Institute der Phil. Fak., Jur. Fak. und Theol. Fak.). S. auf dem Stand von 1909 auch die Tafel »Gesamtentwicklung der wissenschaftlichen Anstalten« (mit Teilnehmerzahl der Seminare) bei Lenz, Geschichte der FWU Berlin III, nach S. 446. Die Zahl für 1914 nach Charles McClelland [Manuskriptfassung des Beitrags zu GUUL 1, S. 45 (in die Druckfassung nicht mehr eingegangen)]. 107 McClelland, Forschungsuniversität, S. 486 f.
Grundstrukturen für Lehre und Forschung
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ausgestattet.108Allerdings standen die Seminare und Institute keineswegs allen Lehrenden zur Verfügung: Privatdozenten und Extraordinarien mußten »sich meist mit der Ankündigung und Abhaltung von Übungen ohne Lehrmittel begnügen.« Und »ohne Gewährung der reichen Lehrmittel des Faches« hatte die Habilitation in einer Zeit, in der »das sachliche Kapital eine solche Rolle spielt, kaum noch einen Sinn.«109 Als 1911 dann die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft gegründet wurde, lehnten viele Professoren der Berliner Universität die neuen Forschungsinstitute ab, weil sie deren Konkurrenz um Gelder oder Talente fürchteten – oder den Einfluß der Direktoren auf die Universität. Deshalb verhinderte die Philosophische Fakultät auch, daß die Institutsdirektoren Ordinarien der Universität wurden und dann stimmberechtigt gewesen wären. Tatsächlich aber gab es starke Überschneidungen zwischen Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Universität und Akademie; denn man sah ja, daß die deutsche Wissenschaft nur durch solche Großforschungsorganisationen konkurrenzfähig bleiben konnte. Das hatten schließlich auch schon Mommsens generalstabsmäßig geführte Projekte gezeigt.110 Das Verhältnis von Lehrenden und Studierenden wurde in Berlin vor allem durch die Größe der Universität geprägt. 16 % aller Studenten der (ab 1914) 22 deutschen Universitäten studierten hier. Seit der Jahrhundertwende häuften sich Klagen über den Massenbetrieb, denn die Relation hatte sich binnen 13 Jahren um 50 % verschlechtert: Kamen 1894 auf einen Dozenten noch 11,6 Studenten, so waren es 1907 schon 17,2, auf einen Ordinarius sogar 91! (Im Reichsdurchschnitt dagegen kamen auf jeden Dozenten 14 Studenten, auf jeden Ordinarius nur 34.) In der Studentenpresse las man immer häufiger von den unzureichenden Möglichkeiten, mit den Professoren in Kontakt zu treten. Der Leipziger Kulturhistoriker Lamprecht konstatierte bei den Berliner Ordinarien zudem ein erschreckendes Desinteresse an Ausbildungsfragen. Umgekehrt verstärkten gerade in Berlin die überhand nehmenden Lehrverpflichtungen für viele Gelehrte die Attraktivität hochschulferner Forschungsinstitute.111 Zwar gab es auch weiterhin Forschungsseminare, die sich einst, lange vor der Institutionalisierung der Seminare mittels eigener Räume und Spezialbibliotheken, in den philologisch-historischen, später auch in den staatswissenschaft lichen Fächern etabliert hatten. Doch erfaßten sie nur einen sehr kleinen Kreis der Studierenden – etwa 6–12 ausgesuchte Teilnehmer wurden zugelassen – und trafen sich oft in der Privatwohnung der Dozenten. Aus ihren forschungsorientierten Seminararbeiten erwuchsen dann oft in kurzer Zeit Dissertationen.112 In den Geisteswissenschaften trafen sich Doktoranden auch noch im 20. Jahrhun108 109 110 111 112
McClelland, Forschungsuniversität, S. 486 f. Eulenburg, Der »akademische Nachwuchs«, S. 66. McClelland, Forschungsuniversität, S. 499 f. vom Bruch, Öffentliche Meinung, S. 106–108. vom Bruch, Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, S. 268.
156 Hauptstadt – Provinz – Grenze dert zu Teenachmittagen bei ihren Doktorvätern, z. B. bei Meinecke.113 Trotzdem wurden auch hier, wie in Straßburg, die Beziehungen zwischen Lehrenden und Lernenden stilisiert. Wilamowitz zufolge hatte der Student »ein Recht auf einen Lehrer, den er fortarbeiten, forschen und lernen, den er auch irren sieht, denn der alte Spruch docendo discimus gilt auch in der Umkehrung discendo docemus.« Gerade auch durch seine eigenen Fehler und sein Lernen daraus vermochte der Lehrende zu lehren.114
Résumé Nach Fakultätsgliederung und Fächerangebot unterschieden sich die drei Universitäten also beträchtlich, und obwohl sie alle ein großes Spektrum an Studienmöglichkeiten boten, waren die Schwerpunkte doch sehr verschieden: Der medizinisch-landwirtschaftlich ausgerichteten in Gießen standen zwei Universitäten gegenüber, denen nicht nur die Landwirtschaft fehlte, sondern die auch mehr als zehn Prozentpunkte unter dem 40 %igen Gießener Mediziner-Anteil lagen. Dafür waren in der hessischen Landesuniversität die Juristen besonders schwach vertreten. Alle hielten dabei am Ideal intensiver LehrerSchüler-Beziehungen und dadurch geförderten forschenden Lernens fest, doch bestanden dafür nach Größe der Universität und Dozenten-Studierenden-Relation faktisch sehr unterschiedliche Chancen. Inwieweit angesichts zunehmender Ausdifferenzierung der Fächer, Spezialisierung der Gelehrten und wachsendem Lehrkörper die einzelnen Universitäten noch eine Einheit bilden konnten, war auch eine Frage ihrer Verfassung und Verwaltungspraxis.
113 Ritter (Hg.), Friedrich Meinecke, S. 29. 114 Die Universität dürfe nicht auf den Standpunkt des 18. Jahrhunderts zurücksinken, wo der Professor im wesentlichen sagte, was in den Büchern stand (Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Von der Universität Erreichtes und Erhofftes. Rede zur Gedächtnisfeier des Stifters (…) 1916, Berlin 1916, S. 20).
5. Staatliche Verwaltung und akademische Selbstverwaltung Die deutsche Universität kann »als ›compositum mixtum‹ zwischen kontrollierter Staatsanstalt und akademischer Selbstverwaltungskorporation« gelten.1 Dabei war die für die einzelnen Institutionen maßgebliche Instanz seit der Frühen Neuzeit der jeweilige Landesherr. Auch nach der Gründung des Deutschen Reichs blieb die Hochschulpolitik (wie das gesamte Bildungswesen) Sache der einzelnen Bundesstaaten. Nicht zuletzt wuchs deren Einfluß dadurch, daß nun im wesentlichen sie die Universitäten finanzierten: In Preußen kamen 1914 nur noch 0,7 % der Einkünfte aus dem eigenen Vermögen der Universitäten. Dadurch erreichte der Staat aber auch die erstrebte immer größere Kontrolle über sie.2 Trotz des Föderalismus im Bildungsbereich hatte sich ein gemeindeutsches Hochschulrecht ausgebildet, dessen Grundsätze die Verbindung von Freiheit der Forschung und der Lehre, akademischer Selbstverwaltung und staatlicher Hochschulverwaltung waren.3 Darüber hinaus koordinierten die deutschen Bundesstaaten seit 1898 ihre Hochschulangelegenheiten aber auch in Einzelfragen. Aufgrund der hohen Mobilität von Studierenden und Lehrenden war dies auch nötig und bewirkte, zusammen mit deren Migration, eine Vereinheitlichung auch in Einzelfragen: vom Status der Hochschullehrer bis zu den Abschlußprüfungen. Seit damals gab es jährliche Konferenzen der Hochschulreferenten der jeweiligen Ministerien, die vorhandene Schwierigkeiten und Differenzen erörterten und die künftige Ausgestaltung der Hochschulen diskutierten. Da es sich dabei um eine Einrichtung der Regierungen handelte, die ihre Beschlüsse durch ministerielle Regelungen und administrative Maßnahmen umsetzte, blieben die Parlamente aus diesem Prozeß völlig ausgeschaltet (während die Hochschulpolitik der Einzelstaaten ausgiebig erörtert wurde, im Preußischen Landtag etwa im Rahmen der Haushaltsdebatten4). Zugleich war immer ein Vertreter des Innenministeriums des Reichs an den Konferenzen beteiligt. Insofern ist diese Koordination als »Substitution der verfassungsrechtlich ausgeschlossenen Betätigung des Reiches auf diesem Feld« bezeichnet
1 Zitat: Müller, Genese, S. 198. Ausführlicher dazu: Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. IV: Struktur und Krisen des Kaiserreichs. 2., verb. u. erg. Aufl., Stuttgart u. a. [1982], S. 929 f. 2 In Anlehnung an Wettmann, Heimatfront Universität, S. 29. 3 Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte IV, S. 928. 4 Nach Andernach, Einfluß der Parteien auf das Hochschulwesen, S. 1, etwa drei Sitzungen à 5–6 Stunden; vgl. auch vom Brocke, Marburg im Kaiserreich, S. 453.
158 Hauptstadt – Provinz – Grenze worden.5 Seit 1901 nahm auch immer ein Vertreter des – zentralen – österreichischen Ministeriums für Kultus und Unterricht an den Konferenzen teil.6 Die Universitäten ihrerseits erzielten ebenfalls eine gewisse Koordinierung, indem sie sich mit klärungsbedürftigen Fragen oft per Rundschreiben an einander wandten. Vielleicht schufen sie damit sogar ein kleines Gegengewicht gegen die Einigung der Beamtenapparate.7 Seit 1903 tagten dann regelmäßig die preußischen Rektoren, seit 1913 außerdem alle Rektoren (reichs-)deutscher Universitäten; doch trugen beide Konferenzen »außeramtlichen« Charakter.8 Darüber hinaus entstanden durch die hohe Mobilität der Professoren und Studenten eine gemeinsame Öffentlichkeit und ein gemeinsamer wissenschaftlicher Stil, die ihrerseits dann die Rolle der Universitäten als »nationale Institutionen« garantierten.9 Zeitgenössisch konkretisierte der Bildungshistoriker und 1908 verstorbene Professor der Berliner Universität, Friedrich Paulsen, das compositum mixtum in seiner als »Orientierungshilfe« für Studenten, Politiker und Öffentlichkeit geschriebenen10 Überblicksdarstellung 1902 im internationalen Vergleich und hob dabei die Selbstverwaltungsrechte hervor: Die deutsche Universität halte die Mitte zwischen dem englischen und dem französischen Typ, indem sie wie letzterer der Staatsverwaltung unterstehe, aber nicht unwichtige Teile der alten korporativen Verfassung (des ersteren) erhalten habe, also »ein gewisses Mass von Selbstverwaltung« genieße.11 Lehmann zufolge, der ein früheres Standardwerk Paulsens, die Geschichte des gelehrten Unterrichts, nach dem Ersten Weltkrieg bis 1914 fortschrieb, erfreuten sich die deutschen Universitäten einer Unabhängigkeit, wie sie nur noch die katholische Kirche im Staatsleben genieße und kein außerdeutscher Staat sie biete. Die Selbstverwaltung diene zum Schutz der Lehrfreiheit, die ursprünglich nicht mit dem Wesen der Universität verbunden gewesen sei, im modernen Verfassungsstaat aber »den Kern und den eigentlichen Wert der Sonderstellung der Universität« bezeichne.12 5 Alles nach [Bernhard vom Brocke,] Einführung. Entstehung, Ziele, Verfahren und Bedeutung der Hochschulreferenten-Konferenz im Kaiserreich, in: vom Brocke/Krüger (Hg.), Hochschulpolitik im Föderalismus, S. XIX-XXX , Zitat XXII . 6 1913 tagte man sogar in Linz. S. die Protokolle 3a, 3b und 14 in: vom Brocke/Krüger (Hg.), Hochschulpolitik im Föderalismus, S. 23–45 bzw. 251–266. 7 S. als Beispiel u. S. 866 f. 8 Wilhelm Schlink, Rektorenkonferenz und Verband der Deutschen Hochschulen, in: Das akademische Deutschland. Bd. III: Die deutschen Hochschulen in ihren Beziehungen zur Gegenwartskultur, Berlin 1930, S. 589–596, hier 589 f. 9 Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918 I, S. 572. 10 Paulsen, Die deutschen Universitäten, S. Xf. Der zitierte Begriff (in Anlehnung an Paulsens Text) bei Müller, Genese, S. 186. 11 Wahl der Leitung; Einfluß auf Besetzung der Lehrstühle. Paulsen, Die deutschen Uni versitäten, S. 3 f. 12 Lehmann, Der gelehrte Unterricht, S. 700.
Staatliche Verwaltung und akademische Selbstverwaltung
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Lehr- und Lernfreiheit wurden in Deutschland nicht nur von den Beteiligten, sondern auch von allen politischen Lagern als Prinzip hochgehalten, faktisch jedoch geschmälert. Einerseits erzwang der Staat im Lauf des 19. Jahrhunderts mehrfach Remotionen und goß dann seine Disziplinargewalt auch über die Privatdozenten in die sogenannte lex Arons (1898). Die Mitgliedschaft des Phy sikers Leo Arons in der SPD führte 1900 dazu, daß die Fakultät ihm, wie vom Kaiser gefordert, die venia legendi entzog; 1908 wurde aus demselben Grund sogar eine Habilitation verweigert.13 Max Webers Beobachtungen zufolge galt die lex Arons »stillschweigend in Deutschland wohl überall«.14 Andererseits suchten nun auch die Parteien und die Wirtschaft Einfluß auf die Hochschulen, Lehrstuhlbesetzung, Entwicklung einzelner Disziplinen zu nehmen. Da sich die Universitäten davon aber bedroht fühlten, lehnten sie sich ihrerseits enger an den Staat und seinen scheinbar überparteilichen Beamtenapparat an.15 Obwohl es keine Hochschulpolitik des Reiches und rechtlich überhaupt keine gemeinsame Politik der Bundesstaaten gab, waren die deutschen Verhältnisse insgesamt also recht einheitlich. Dabei war die Hochschulverwaltung der einzelnen Bundesstaaten im allgemeinen von großer Kontinuität geprägt: Während das Kultusministerium in Preußen zwischen 1871 und 1918 neunmal umbesetzt wurde, wechselte der Leiter der Hochschulabteilung nur dreimal. Ein Vierteljahrhundert lang hatte dieses Amt Friedrich Althoff inne,16 der die preußische Universitätslandschaft umgestaltete und direkt (Straßburg) oder mittelbar auch die der anderen Bundesstaaten beeinflußte. Zudem wurden seit Ende des 19. Jahrhunderts auch die preußischen Regelungen für Lehramtsbewerber und die juristischen Examina für andere Staaten immer wichtiger: Da viele Studenten einen Teil ihres Studiums an Universitäten außerhalb ihres Heimatstaates absolvierten, aber schließlich doch an einer preußischen das Examen ablegten, mußten auch die anderen deutschen Universitäten die dafür nötigen Lehrveran13 Busch, Geschichte des Privatdozenten, S. 114 f. Zwar handelte es sich bei der lex Arons um ein preußisches Gesetz, doch verweigerte die Universität Jena demselben Privatdozenten die Habilitation ebenfalls. Zum Inhalt genauer Paulsen, Die deutschen Universitäten, S. 130 f.; vor allem aber (mit Rekonstruktion des achtjährigen Verlaufs) Bernhard vom Brocke, Hochschul- und Wissenschaftspolitik in Preußen und im Deutschen Kaiserreich 1882–1907: das »System Althoff«, in: Peter Baumgart (Hg.), Bildungspolitik in Preußen zur Zeit des Kaiserreichs, Stuttgart 1980, S. 9–118, hier 95–99. 14 Max Weber, Rußlands Übergang zum Scheinkonstitutionalismus, in: M. W., Gesamt ausgabe I/Bd. 10, Tübingen 1989, S. 281–684, hier 372 A. 82. 15 Wettmann, Heimatfront Universität, S. 28 f. 16 Bernhard vom Brocke, Kultusministerien und Wissenschaftsverwaltungen in Deutschland und Österreich: Systembrüche und Kontinuitäten 1918/19 – 1933/38 – 1945/46, in: Rüdiger vom Bruch/Brigitte Kaderas (Hg.), Wissenschaften und Wissenschaftspolitik. Bestandsaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2002, S. 193–214, hier 195 f.; Pawliczek, Akademischer Alltag, S. 35.
160 Hauptstadt – Provinz – Grenze staltungen anbieten.17 Daß der größte deutsche Staat mit seinen neun, ab 1902 (Münster) 10 und schließlich 1914 (Frankfurt) 11 Universitäten durch sein Kultusministerium über die Landesgrenzen hinaus auf die gesamte Hochschullandschaft einwirkte,18 wird auch an den beiden hier untersuchten nichtpreußischen Universitäten deutlich: Gießen, das sich stark an der benachbarten, seit 1866 preußischen Universität Marburg orientierte, und Straßburg, das faktisch bis 1907 von dem dafür eigentlich gar nicht zuständigen Althoff ›mitregiert‹ wurde. Aber wie bei der Fakultätsstruktur, so entsprach auch in der Verfassung im engeren Sinn allein Berlin dem ›typischen‹ deutschen Muster, zumindest weitgehend:
Berlin Anders als die älteren Universitäten, die oft über eigenen Land- und Immobilienbesitz (sowie Einkünfte daraus) verfügten, war die Berliner nicht mehr als finanziell autonome Korporation, sondern als vom Staat zu dotierende Anstalt gegründet worden.19 Wie ihr Historiker Max Lenz in der Jubiläumsfeier ausführte, war sie keine frei vom Staat existierende wissenschaftliche Vereini gung im Schleiermacherschen Sinn (ihm allerdings auch nicht entgegengesetzt). »Korporative Organisationen haben immer nur dann durchaus selbständig sein können, wenn die obrigkeitliche Gewalt versagte.«20 Auch Paulsen charakterisierte sie als compositum mixtum: Ihren Statuten gemäß war sie zugleich eine »Staatsanstalt« und eine »›privilegierte‹« »freie Gelehrtenkorporation« – so wie es schon das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten vorgesehen hatte.21 Das eigene Behördensystem mit einem Ministerium als »Mittelpunkt«, das Preußen 1817 als erster deutscher Staat (aber keineswegs als erster Staat überhaupt!22) für das Bildungswesen einrichtete, hatte üblicher17 Paletschek, Provinz versus Metropole?, S. 219. 18 Als allgemeine Feststellung schon bei Rudolf Vierhaus, Zur Entwicklung der Wissenschaften im deutschen Kaiserreich (1870–1914), in: Helmut Rumpler (Hg.), Innere Staatsbildung und gesellschaftliche Modernisierung in Österreich und Deutschland 1867/71 bis 1914, Wien u. a. 1991, S. 194–204, hier 198. 19 Paletschek, Provinz oder Metropole?, S. 219. 20 Lenz, Rede zur Jahrhundertfeier, S. 27. 21 Paulsen, Die deutschen Universitäten, Zitate S. 93, 90 (Zitat Humboldts), 93. ALR : Lexis, Übersicht, S. 39. 22 Dies meint irrtümlich vom Brocke, Preußische Hochschulpolitik, S. 29: »erstes Kultusministerium der Welt«. Die Einordnung ist selbst dann nicht ganz zutreffend, wenn man seine eigene Einschränkung berücksichtigt: »Vorangegangen war nur Polen« (31 f.); denn die Nationale Erziehungskommission, die zu recht als erste weltliche Bildungsbehörde Europas bezeichnet wird, war, 1773, nach der ersten Teilung gegründet, nur von kurzer Dauer. Im Russischen Reich wurde ein »Ministerium der Volksaufklärung« aber bereits 1803 geschaffen!
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weise auch einen Vertreter vor Ort, den Kurator. Er übte die allgemeine Staatsaufsicht aus und hatte zugleich für das Gedeihen der Anstalt Sorge zu tragen.23 Während der wissenschaftliche Bereich den Universitätsorganen zur Selbstverwaltung überlassen war, war für die Vermögens- und Personalverwaltung der Kurator zuständig. Er stellte auch das Budget auf.24 Doch in der Hauptstadt des preußischen Staates, in der man sich am Ort des Ministeriums befand, unter den Augen der zuständigen Beamten und mit der Möglichkeit des direkten Verkehrs,25 fehlte ein solches Mittelglied. In Berlin war »der größte Teil der Kuratorialgeschäfte dem Ministerium selbst vorbehalten und das übrige einem aus Rektor und Universitätsrichter bestehenden Kuratorium übertragen,«26 die diese Funktion als »Stellvertreter« ausübten.27 Das Fehlen eines Kurators be deutete also keine größere Unabhängigkeit der Berliner Universität! Von der alten Autonomie war den Universitäten (oder genauer gesagt: ihren ordentlichen Professoren) die Wahl des Rektors und der Dekane geblieben. Außerdem wählten sie jene Senatsmitglieder, die zum Rektor, Prorektor, Universitätsrichter und den Dekanen, welche dem Senat qua Amt angehörten, hinzutraten.28 Ab 1910 durften in Preußen auch die Extraordinarien an der Rektorwahl teilnehmen und hatten in der Fakultät, sofern sie ein sonst nicht vertretenes Spezialfach lehrten, in Angelegenheiten dieses Faches (also nicht generell!) Sitz und Stimme.29 Auf staatliche Anordnung waren ab 1914 in Preußen auch die etatmäßigen außerordentlichen Professoren im Senat vertreten, allerdings nur minimal, mit einem Sitz.30 Während die Fakultäten, wie überall, neue Kollegen als Privatdozenten ohne Gehalt und Anstellung kooptieren konnten, stand die Ernennung neuer Pro fessoren allein dem Staat zu, der dabei allerdings meist (jedoch keineswegs immer) die 1838 erstmals gestattete Vorschlagsliste der betroffenen Fakultät berücksichtigte. In den Statuten kam das Recht auf Selbstergänzung jedenfalls nicht vor! Sie kannten nur die – für das Ministerium nicht verbindliche – Konsultation der Fakultäten!31 Zwar meinte Lehmann 1921, nach Althoffs Ausscheiden sei »die Mitwirkung der Staatsbehörde bei den Ernennungen (…) wieder 23 Paulsen, Die deutschen Universitäten, S. 88 (Zitat), 93. 24 Klemens Pleyer, Die Vermögens- und Personalverwaltung der deutschen Universitäten, Marburg 1955, S. 110 f., 120. 25 S. dazu Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 132. 26 Lexis, Übersicht, S. 40. 27 S. AV FWU Berlin SS 1914 bis WS 1917/18. Zu ihren (beschränkten) finanziellen Befugnissen s. Pleyer, Vermögens- und Personalverwaltung, S. 112. 28 Paulsen, Die deutschen Universitäten, S. 94 f. 29 Lehmann, Der gelehrte Unterricht, S. 708. 30 Siehe u. S. 235 f. mit A. 126. 31 McClelland, Forschungsuniversität, S. 458–461; Daten zu Ernennungen gegen den Vorschlag der Fakultät in Preußen (1817–1900 und 1882–1900) sowie speziell an der Berliner Phil. Fak. bei vom Brocke, Hochschul- und Wissenschaftspolitik, S. 90.
162 Hauptstadt – Provinz – Grenze auf das vor ihm übliche Maß zurückgegangen«.32 Doch im gesamtpreußischen Durchschnitt und auch an der Berliner Philosophischen Fakultät war der Prozentsatz der oktroyierten Berufungen jedenfalls bis 1900 unter Althoff geringer als zuvor.33 Die Wahlen zum Rektor erfolgten zwar »rein persönlich«, doch hatte sich ein fester Turnus der Fakultäten ausgebildet. Die Philosophische, die doppelt so viele Ordinarien zählte wie alle anderen Fakultäten zusammen, stellte alle zwei Jahre den Rektor, abwechselnd aus ihrer geistes- bzw. naturwissenschaftlichen Sektion. In den Jahren dazwischen wechselten sich die anderen Fakultäten der Reihe nach ab.34 Das Verfahren war laut Statut ursprünglich so angelegt, daß im ersten Wahlgang quasi durch freies Votum die Kandidaten bestimmt wurden, zwischen denen die Wahlberechtigen im zweiten dann auswählten.35 Meist hatten der Zwei- und Drittplazierte jedoch nur 1–2 Stimmen, so daß zu vermuten ist, daß bereits im Vorfeld eine Art Kandidatennominierung stattgefunden hatte. (1915 gab es sogar nur einen Zweitplazierten mit einer einzigen Stimme.)36 Nur 1914, als die Wahl unmittelbar vor der Kriegserklärung stattfand, teilten sich die Stimmen zwischen mehreren stärkeren Kandidaten auf: Die Juristen Kipp und von Liszt erhielten im ersten Wahlgang 62 bzw. 35 Stimmen; im zweiten wurde Kipp dann mit 74:24 Stimmen gewählt. Eine ähnliche Konstellation wiederholte sich 1919, als die Geisteswissenschaftliche Abteilung der Philosophischen Fakultät turnusgemäß den Rektor zu stellen hatte und Eduard Meyer 32, Erdmann 21 und der Militärhistoriker Delbrück 19 Stimmen erzielte. Doch wurden damals außerdem auch für die Theologen Seeberg (15) und Erman (6) Stimmen abgegeben, und auch im entscheidenden zweiten Wahlgang blieb eine starke Lagerbildung sichtbar.37 Die Wichtigkeit der Wahlen wird durch die Berichterstattung der überregionalen Berliner Zeitungen dokumentiert: Vossische wie Berliner Tageblatt stellten nicht nur die Gewählten ausführlich vor, sondern gingen manchmal sogar auf die Wahl ein.38 Die engen 32 Denn seine Nachfolger hätten die Ernennung wesentlich als ein formales Recht ausgeübt und nur ausnahmsweise maßgebenden Einfluß angestrebt. Lehmann, Der gelehrte Unterricht, S. 706 f. 33 S. die A. 31 genannte Tabelle vom Brockes. Vgl. auch McClelland, Forschungsuniversität, S. 461. 34 Die Rektoren der Berliner Universität, in: Vossische Zeitung 387, 31.7.1915 AA , S. 5. 35 Im ersten Wahlgang wählte jeder Berechtigte den, den er zum Rektor haben wollte. Die drei mit der höchsten Stimmenzahl wurden im zweiten dann zur Stichwahl gestellt: Statuten der Universität zu Berlin, Berlin o. J. [1816], III § 3. 36 S. die Wahlprotokolle für 1912, 1913, 1915 und 1916 in: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. III, Nr. 1 Bd. 7, fol. 26–27, 59–60, 134, 162–163. 37 Im zweiten Wahlgang erzielte Meyer 42, Erdmann 27 und Delbrück 23 Stimmen. S. die Wahlprotokolle in: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. III, Nr. 1 Bd. 7, fol. 98–99 und 256. 38 Siehe z. B.: Die Rektoren der Berliner Universität (wie A. 34).
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Beziehungen der hauptstädtischen Universität zum Ministerium spiegelten sich in dem »üblichen Rektorendiner« bei Amtsantritt, das allerdings als private Einladung gehandhabt wurde.39 Für die zweite Ebene der Selbstverwaltung, die Fakultäten, liegt aus dem November 1914 eine lebendige Beschreibung des wenige Monate zuvor nach Berlin berufenen Meinecke im Brief an einen befreundeten Kollegen vor: »Ganz ulkig sind die Fakultätssitzungen, so eine Art Auktion, wo der Dekan (Delbrück) als Auktionator mit Stentorstimme das Geschwätz der herumsitzenden, gehenden und stehenden Kollegen zu übertönen versucht. Nur die Hälfte, die Weißund Grauköpfe, hat Platz am Tische, die melierten und die braunen Köpfe stehen und lehnen herum an den Fensternischen und erzählen sich was. Aber es ist anscheinend die richtig angepaßte Form für diese auseinanderquellende Riesenfakultät.«40
In seinen Erinnerungen setzte Meinecke das in Kontrast zu den »würdevollen Straßburger Sitzungen«, wo ihm die Fakultät als »Ganzheit« und »individuelles Lebewesen« erschienen war. Zwar berichtete er, daß einem Diktum Lenz’ zufolge in der Fakultät eine Clique herrschte, die aus der »stolzen Hofrats universität Göttingen« nach Berlin gekommen war. Trotzdem sei »das Ideal akademischer Selbstverwaltung in Sauberkeit und Strenge bei ihnen doch alles in allem gut aufgehoben«, denn sie erfüllten »ihre Aufgabe, als Schäferhunde die lockere Herde der Fakultät zu umwandeln, brav«, so daß »man sich auf das Zuschauen in Fakultätsgeschäften beschränken könne«. Und im Krieg habe es dann ohnehin wichtigere Dinge gegeben als Fakultätsgeschäfte.41 In solchen Verhältnissen erscheint es um so bedeutsamer, daß sich die Philosophische Fakultät lange geweigert hatte, Leo Arons die Lehrbefugnis zu ent ziehen. Erst nachdem dafür ein spezielles, vom Kaiser initiiertes Gesetz verabschiedet worden war, geschah dies. Ebenso wollte sie sich später, im ersten Kriegsjahr, bei der Wiederaufnahme des Falls, mit der Wiederverleihung der venia begnügen, während das Ministerium eine Wiederaufnahme des Falls forderte.42 Doch hatte der Universitätshistoriker Max Lenz schon beim An39 Zitat aus der Anfrage des neu gewählten Rektors Wolf Graf Baudissin an Pr. KuMi 11.11.1912 (mit Unterschrift W. Baudissin! Der damalige Minister war ebenfalls adelig, aber kein Graf: August von Trott zu Solz); vgl. den Antwortentwurf (»Nicht zu journalieren!«) und die Voranfrage des Rektors Max Planck bezüglich der geplanten Einladung zu einem »geselligen Mahl«, an den Pr. KuMi vom 17.10.1913 sowie den Antwortentwurf (jetzt mit Geschäftsnummer) 22.10.1913: GSt APK , I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. III, Nr. 1 Bd. 7, fol. 34, 35, 65, 66. 40 Meinecke an Dove o. D. [November 1914], in: Meinecke, Ausgewählter Briefwechsel, S. 52 f., Zitat 53. 41 Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 248 f. (Straßburg), 249 f. (Wirken der Göttinger Clique). 42 Zur Entlassung s. o. A. 13, zur Wiederaufnahme die Fakultätsprotokolle vom 17.6. und 8.7.1915 in: UA HU Phil. Fak. 34, fol. 313–314 und 315–316.
164 Hauptstadt – Provinz – Grenze tritt seines Rektorates 1911 feststellen können: »Die Stürme haben sich gelegt, und fester als je erscheint uns unter dem Schirm der Macht unsere Burg der Freiheit.«43
Straßburg Als Georg Simmel 1914 nach Straßburg kam, empfand er die »[d]ie Univ [als] ein[en] Haufen von gelehrten Atomen, ohne jede Einheit u. Gemeinsamkeit, ohne überindividuellen Geist des Ganzen«.44 Ob der Grund dafür vielleicht gerade die relativ starke Partizipation aller Professoren an der Selbstverwaltung war? Zwar entsprach die vom Kaiser gegründete Universität Straßburg im großen und ganzen den preußischen Strukturen; doch wurden die korporativen Rechte erweitert.45 Als erste nichtregionale Universität im deutschen System, das ansonsten durch Dezentralisierung und regionale Besonderheiten gekennzeichnet war, unterstand sie nicht dem Unterrichtsministerium eines Einzelstaates wie die anderen Universitäten, sondern zunächst dem Reichskanzler, ab 1879 dem Statthalter. (Der 1914 sein Amt neu antretende Statthalter besuchte sogar gleich am Tag seiner Ankunft das Stiftungsfest der Universität.46) Die unmittelbare Aufsicht hatte ein Kurator, der vom Kaiser bestellt wurde. Im allgemeinen wurde das Kuratorium jedoch nur im Nebenamt ausgeübt.47 Dabei war die Vermögensverwaltung geteilt: Der Kurator war für die beträchtlichen staatlichen Mittel zuständig, eine Verwaltungskommission des Senats für das (geringe) Stiftungsvermögen.48 Der Rektor wurde jährlich vom Plenum, d. h. der Gesamtheit der ordentlichen und außerordentlichen Professoren gewählt. Auch Anträge auf Änderung des Universitätsstatuts und alle Angelegenheiten, die der Statthalter, Kurator oder Rektor und Senat ihm zuwiesen, unterlagen der Beschlußfassung dieses Gremiums. Hier nahmen die außerordentlichen Professoren also nicht nur beratend an der Arbeit teil, sondern waren 43 Lenz, Freiheit und Macht, S. 20. 44 Und er fuhr fort: »deshalb auch nur mit einem Minimum allgemeiner kultureller Wirkung auf die Studenten u. auf das umgebende Milieu. Meine ganze Bemühung geht darauf, eine solche Wirkung herbeizuführen, aber die personalen, soziologischen u. politischen Verhältnisse lassen mich sehr am Erfolg zweifeln, der günstigstenfalls in vielen Jahren eintreten könnte.« (Simmel an Anna und Ignaz Jastrow 13.7.1914, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 349 f.). 45 Pleyer, Vermögens- und Personalverwaltung, S. 114. 46 Stiftungsfest der KWU 1914, S. 3. Hans von Dallwitz hatte selbst u. a. in Straßburg studiert (NDBA 7 [1986], S. 570 f.). 47 Bonah, Une université internationale, S. 31; Pleyer, Vermögens- und Personalverwaltung, S. 114 f.; Mayer, KWU Straßburg, S. 37 f. Zum Kuratorium als Besonderheit einer außerpreußischen Universität auch Lexis, Übersicht, S. 40. 48 Pleyer, Vermögens- und Personalverwaltung, S. 124.
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als Mitglieder einer Verwaltungsbehörde anerkannt. Mit Ausnahme des passiven Wahlrechts für das Rektorat sowie des aktiven und passiven für den Senat genossen sie hier die gleichen Rechte wie die Ordinarien.49 Dem Senat gehörten, wie in Berlin, Rektor, Prorektor, die Dekane der Fakultäten und pro Fakultät ein gewähltes Mitglied an – aber kein Universitätsrichter;50 denn im Gegensatz zu den älteren deutschen Universitäten gab es in Straßburg kein Universitätsgericht. Die Professoren hatten also wesentlich geringere Disziplinarbefugnisse über die Studenten. Zwar konnte der Senat das consilium abeundi anwenden, Studenten also von der Universität ausschließen; doch sah sich die Straßburger Universität nicht in loco parentis. Folglich gab es keinen Karzer zur Disziplinierung bei jugendlichen Exzessen, und die Studenten unterlagen nur den all gemeinen Zivilgesetzen und der allgemeinen Gerichtsbarkeit.51 Auch hier wurden die Rektoren, allerdings erst seit Beginn des 20. Jahr hunderts,52 nach einem festen Turnus der Fakultäten gewählt. Eine Abweichung davon verwies folglich auf Probleme oder Spannungen. Die 1903 errichtete Katholisch-Theologische Fakultät wurde zum ersten Mal 1911 berücksichtigt, war davor also übergangen worden. Und das hatte »nicht nur in der Fakultät, sondern auch in weiteren Kreisen« eine »Mißstimmung« erzeugt. 1911 wurde dann der international renommierte Elsässer Albert Ehrhard gewählt, der zuvor Ordinariate in Würzburg, Wien und Freiburg bekleidet hatte.53 Das knappe Ergebnis führte offenbar wiederum zu »Zeitungspolemiken«. Deshalb wurde Ehrhard auf Anregung des Statthalters im nach der Wahl üblichen Immediat bericht an den Kaiser vom Kurator ausführlich gewürdigt und die Wahl als »Akt ausgleichender Gerechtigkeit gegenüber der katholisch-theologischen Fakultät« dargestellt, während sonst nur eine formularmäßige Mitteilung üblich
49 So im innerdeutschen Vergleich am klarsten Viktor Naumann, Die deutschen Universitäten in ihrem Verhältnis zum Staat, ihre Verfassung und Verwaltung, ihre Statuten und Disziplinar-Ordnungen, Graz u. a. 1909, S. 48 f. Vgl. auch Craig, Scholarship and Nation Building, S. 71 f. Wo Redslob, Alma mater, S. 96 von den Unterschieden zwischen Ordinarien und Extraordinarien spricht, handelt es sich um die deutschen Verhältnisse all gemein, nicht speziell um Straßburg (wie man dem Ausgangspunkt des Kapitels nach vermuten könnte). 50 Mayer, KWU Straßburg, S. 31 f.; s. die Zusammensetzung in PV KWU Strb. SS 1914, S. 1 f. (und analog für die folgenden Semester). 51 Craig, Scholarship and Nation Building, S. 71; vgl. genauer Mayer, KWU Straßburg, S. 33–35 (Disziplinaramt aus Rektor, Prorektor und Syndikus; Stufen der Strafen). Als Zeichen der Modernität gewertet bei Roscher, Kaiser-Wilhelms-Universität, S. 88. 52 Die Rektoren der Kaiser Wilhelms-Universität, in: SP 115, 10.2.1916 MiA, Zweites Blatt datiert die Einhaltung einer festen Reihenfolge auf das Rektorat des Theologen Friedrich Spitta (1901/02). 53 Kurator an den Kaiser 15.2.1911: ADBR 103 AL 71. Bei Craig, Scholarship and Nation Building, S. 189 nur das Faktum der Wahl mit Erwähnung einer Gegenkandidatur und des knappen Wahlausgangs. Zu Ehrhards internationalem Renommee s. o. S. 130 f.
166 Hauptstadt – Provinz – Grenze war.54 Da Ehrhards pro-deutsche Haltung bekannt war, er zudem infolge »der Veröffentlichung einer freimütigen Besprechung kirchlicher Verhältnisse die ihm früher verliehene Würde eines Hausprälaten« des Papstes verloren hatte,55 richtete sich die Ablehnung vermutlich weniger gegen ihn als gegen die Einbeziehung der katholisch-theologischen Fakultät in den Turnus. In den Straßburger Fakultäten ging es weniger egalitär zu als auf der Ebene der Gesamtuniversität. Eine besondere Vertretung der Nichtordinarien gab es hier nicht. Doch konnten sie bei einzelnen Fakultäten aufgrund eines besonderen Beschlusses an allen Beratungen und Abstimmungen teilnehmen.56 Eine vom Senat vorgeschlagene Änderung des Statuts, die Nichtordinarien, welche Institutsdirektoren oder alleinige Vertreter eines von der Fakultät anerkannten Hauptfaches waren, die Beteiligung an den Fakultätsgeschäften ermöglicht hätte, scheiterte nach Darstellung des Kurators an der Unschlüssigkeit der Vereinigung der Nichtordinarien, während deren Vorsitzender auf die ablehnende Haltung aller Fakultäten verwies, die einen entsprechenden Antrag im Plenum sinnlos gemacht habe.57 So hatten die Nichtordinarien bis zum Kriegsbeginn also keine institutionalisierte Vertretung auf Fakultätsebene. Die Dekane wurden nicht gewählt. Vielmehr amtierte jeder Ordinarius ein Jahr lang, und zwar entsprechend der Anciennität an der Straßburger Fakultät.58 An den Verhandlungen beider Selbstverwaltungsgremien, des Plenums wie der Fakultäten, konnten sich in Straßburg (im Gegensatz zu anderen Univer sitäten) auch Emeriti beteiligen. Und der 1906 mit 70 Jahren emeritierte Orientalist Theodor Nöldeke machte davon auch eifrig Gebrauch.59 Die elsässische Hochschulpolitik wurde mit der preußischen koordiniert. Sogar bei den Berufungen stimmte man sich ab: Aus Straßburg wurde niemand ohne Zustimmung des dortigen Kurators an eine preußische Universität berufen, während analog niemand von dort ohne Zustimmung des preußischen Ministeriums nach Straßburg kommen konnte. Umgekehrt erfolgten auch Be-
54 Hs. Hinzufügung (unklar, wessen) auf dem zunächst formularmäßigen Entwurf des Immediatberichts des Kurators an den Kaiser [–] Febr. 1911: ADBR 103 AL 71. Das zweite Zitat ging auch in den endgültigen Bericht ein (s. A. 53). 55 Bericht des Kurators (wie A. 53). 56 Kurator Strb. an Kurator Jena 7.2.1911: ADBR 103 AL 229. 57 Zum Hergang s. diverse Notizen auf dem Schreiben des Kgl. Sächs. KuMi an Kurator Strb. 19.6.1913; zum Scheitern: Kurator Back an Regierungsrat Dr. Schmaltz (Dresden) 8.7.1913 (Entwurf); Dr. Friedrich Küchler an Kurator 2.3.1914. Alle: ADBR 103 AL 229. 58 Mayer, KWU Straßburg, S. 31; genauer: L’université de Strasbourg XIII-XX siècle. Exposition (…) 1988. Catalogue, o. O. 1988, S. 46. 59 S. das Zitat aus seinen ungedruckten Erinnerungen bei Hartmut Bobzin, Theodor Nöldekes Biographische Blätter aus dem Jahr 1917, in: Werner Arnold/Hartmut Bobzin (Hg.), »Sprich doch mit deinen Knechten aramäisch, wir verstehen es!« 60 Beiträge zur Semitistik, Wiesbaden 2002, S. 91–104, hier 103.
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rufungen, um dem jeweils anderen ›Land‹60 zu erlauben, sich von politisch Mißliebigen zu befreien.61 Ernannt wurden die Straßburger (wie die Berliner!) Ordinarien dann vom Kaiser, die Extraordinarien vom Statthalter. In der Katholisch-Theologischen Fakultät erfolgte außerdem eine vorherige Abstimmung mit dem zuständigen Bischof (während in Preußen der Bischof nur ein Einspruchsrecht genoß).62 Eine ganze Reihe von Besonderheiten wies auch die kleinste der hier untersuchten Universitäten auf:
Gießen Wie alle deutschen Universitäten, so war auch die Gießener in dieser Zeit »eine Staatsanstalt mit den vom Rechtsstaat gewährten bekannten akademischen Freiheiten.«63 Anders als die meisten, unterstand sie aber nicht einem speziell für das Bildungswesen zuständigen Ministerium,64 sondern dem Innenministerium des Großherzogtums Hessen, wo ein Ministerialrat als Hochschulreferent für diese Universität und die in Darmstadt befindliche TH zuständig war. Als Vertreter der Regierung gab es – analog zum Kurator in Preußen und Elsaß-Lothringen – einen Kanzler, doch übertrug die Regierung dieses Amt bereits seit 1888 regelmäßig dem Rektor (was als Möglichkeit schon im Statut von 1879 vorgesehen war). Faktisch war das Kanzleramt damit beseitigt – obwohl es auch die »Verfassung der Landesuniversität Gießen« von 1911 weiterhin vorsah. Gleichzeitig rückte der Universitätsamtmann als oberster Verwaltungsbeamter in einen Teil der freigewordenen Funktionen ein.65 Der Rektor war hier, wo er die Aufsichtsbefugnisse des staatlichen Kommissars mit den Befugnissen der von den Kollegen gewählten Universitätsspitze vereinigte und als Kanzler qua Amt Mitglied der Ersten Kammer der Landstände war, also mehr als ein primus inter pares. »Rektor zu werden erschien deshalb damals vielen als Krone im Leben eines Universitätsprofessors.«66 Der Rektor wurde aus den drei vom Kollegium der Ordinarien – in Gießen als »Gesamtsenat« bezeichnet – gewählten Kandidaten vom Großherzog ernannt. Dabei 60 Ein Bundesstaat wie die übrigen war das Reichsland Elsaß-Lothringen ja nicht. 61 Craig, Scholarship and Nation Building, S. 94 f. 62 Mayer, KWU Straßburg, S. 100. Zur Ernennung der Berliner: Wagner, Beharrliche Einheit, S. 30. 63 Moraw, Kleine Geschichte, S. 169. 64 Ein solches wurde in Hessen erst nach der Revolution 1918 gebildet. S. dazu Anderhub, Antoniterkreuz, S. 51. 65 Moraw, Kleine Geschichte, S. 169. 66 Pleyer, Vermögens- und Personalverwaltung, S. 117; Zitat: Adolf Stählin, Paul Gisevius, in: G/M/P I, S. 276–286.
168 Hauptstadt – Provinz – Grenze hielt sich der Monarch offenbar streng an den Kandidaten, der jeweils die meisten Stimmen auf sich vereinte.67 Doch verfuhr man dabei innerhalb der Universität, jedenfalls nach den Aussagen des 1918/19 (bereits zum zweiten Mal) amtierenden Rektors nach einer »Wechselfolge«, in der sich die Rektoren »nach Fakultäten und innerhalb dieser nach Dienstalter« aneinanderreihten.68 Andererseits gab es durchaus Gruppenbildungen, und der Germanist Behaghel soll faktisch auch dann das Haupt der Universität gewesen sein, als er das Rektorat nicht innehatte.69 Ab 1911 nahmen an der Wahl der Kandidaten für dieses Amt auch die Ordentlichen Honorarprofessoren und die planmäßigen Extraordinarien teil; doch durfte ihre Gesamtzahl die Hälfte der Zahl der Ordinarien nicht übersteigen. Und obwohl die Extraordinarien nun auch in den Fakultäten Sitz und Stimme erhielten, wenn ihre Angelegenheiten betroffen waren und das Fach nicht durch einen Ordinarius vertreten war, blieben die ordentlichen Professoren doch »in der Praxis die Herren der Universität«.70 Die meisten laufenden Geschäfte der Gesamtuniversität oblagen dem Engeren Senat, der aus Rektor, Exrektor (und faktisch mit dem Rektor identischen Kanzler) sowie sieben vom Gesamtsenat gewählten Ordinarien bestand. (Das schmälerte zugleich den Status der anderswo qua Amt dem Senat angehörenden Dekane.) Für die Verwaltung des Universitätsvermögens, die Aufstellung des Universitätshaushaltes und die Vorlagen über die Bewilligung und Verwendung staatlicher Mittel war der Verwaltungsausschuß zuständig, der seit 1911 aus dem Exrektor als Vorsitzendem, dem Rektor und drei auf Vorschlag des Gesamtsenats vom Minister ernannten Ordinarien bestand. Doch konnte die Regierung auch ein nicht dem Lehrkörper angehörendes Mitglied ernennen. Der Verwaltungsausschuß, dessen Akten von allen Mitgliedern des Gesamtsenats eingesehen werden konnten, unterstand direkt dem Minister.71 Auf die sich darin wie auch in der faktischen Personalunion von Rektorat und Kanzleramt ausdrückende Stellung der Universität im Staat fallen gelegentlich noch einige andere Schlaglichter: Der damalige Straßburger Rektor Knapp beobachtete beim Gießener Jubiläum 1907 »das beinahe vertrauliche Verhältnis (…), in welchem der Großherzog von Hessen zu seiner Landesuniversität 67 68 69 70 71
Moraw, Kleine Geschichte, S. 169. Strahl, Unserer Universitäten Zukunft, S. 11. Anderhub, Antoniterkreuz, S. 5. Moraw, Kleine Geschichte, S. 170 f. Der von ihm aufgestellte Haushalt mußte für alle Professoren und Institutsdirektoren zur Einsicht ausgelegt werden; und diese hatten Gelegenheit, ihre nicht in den Entwurf aufgenommenen Anträge vor dem Ausschuß zu vertreten. Alle Details zu diesem Ausschuß nach Pleyer, Vermögens- und Personalverwaltung, S. 121 f.; Grundinformationen zu Engerem Senat und Verwaltungsausschuß auch bei Moraw, Kleine Geschichte, S. 169 f.
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lebt«.72 Und bei der Jahresfeier 1914 sprach auch der Gießener Rektor selbst davon, daß der Monarch »allzeit mit warmer Teilnahme« seiner Universität zugewandt sei.73 1916 forderte der Theologe Krüger in seiner Denkschrift neben der »bekannt[en]« Teilnahme des Monarchen am Gedeihen der Universität aber auch »die lebendige Fühlung«: Er solle sich, »wie es von anderen Bundesfürsten bekannt ist, bei gelegentlichen Besuchen persönlich von den Leistungen seiner Professoren überzeugen« – oder, falls dafür keine Zeit sei, sich in der Residenz von ihnen Vortrag halten lassen.74 Im selben Jahr meinte der zuständige ( Innen-!) Minister, der offenbar erstmals erfolgten Einladung der Universität zur Jahresfeier nicht folgen zu können, wollte die Möglichkeit aber für spätere Jahre offenlassen.75 Sind Nähe oder Ferne zwischen dem Herrscher und der Landesuniversität (deren Rector magnificentissimus er ja war) schwer zu bestimmen, so lassen sich doch zumindest einige Aussagen über die hessische Hochschulpolitik treffen. Mehr noch als andere deutsche Staaten sah sich das Großherzogtum genötigt, sich an Preußen zu orientieren; denn die Nachbaruniversität Marburg, die 1866 an Preußen gefallen war, hatte unter dessen Herrschaft einen großen Aufschwung genommen.76 Manchmal schlug der hessische Minister von sich aus vor, wie Preußen vorzugehen,77 manchmal schloß er sich dessen Vorbild trotz eigener Bedenken an,78 manchmal verzichtete man sogar innerhalb der Universität schon auf Überlegungen zu bestimmten Problemen, weil man sich ja doch »bedingungslos dem fügen [müsse], was die Preußische Regierung für ihre Universitäten anordnen wird.«79 So wurde die Gießener Universität »durch die Macht der Umstände mittelbar nahezu ein Teil des preußischen Hochschulsystems.«80
72 73 74 75 76 77 78 79 80
Stiftungsfest der KWU 1908, S. 14. Samuel Eck, Gedanke und Persönlichkeit. Akademische Festrede (…), Gießen 1914, S. 4. Krüger, Denkschrift, S. 12. Gh. MdI an Rektor Gi 22.6.1916 (mit Unterschrift des Hochschulreferenten): UA Gi PrA 1218, fol. 78–79. vom Brocke, Marburg im Kaiserreich, S. 374, 515–517. Gh. MdI an Landesuniv. Gi 11.6.1918 [zum geplanten Beginn des Wintersemesters]: UA Gi PrA 1038, fol. 39. Bericht über die Sitzung des Gesamtsenats der Univ. Gießen vom 14.7.1917 [mit Reaktion auf das Schreiben des MdI]: UA Gi PrA 1038, fol. 28. Als Begründung des Berichterstatters für den Verzicht auf einen eigenen Antrag (trotz seiner entgegengesetzten Meinung): Dr. Schlesinger: Vortrag an den Gesamtsenat 24.7.1917: UA Gi PrA 1038, fol. 13–15, Zitat fol. 15. S. als weiteres Beispiel auch u. S. 233 f. Moraw, Kleine Geschichte, S. 163.
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Vergleichende Schlußfolgerungen Zwar beruhte die Administration aller deutschen Universitäten auf einem Zusammenspiel (und zeitweiligem Widerstreit) von Staatsverwaltung und Selbstverwaltung, doch wiesen die drei untersuchten Universitäten sowohl in ihrer Binnenstruktur als auch im Verhältnis zur vorgesetzten Behörde beträchtliche Unterschiede auf. In den Vorkriegsjahren waren sie aber alle mit dem Streben der Extraordinarien nach Partizipation an der Selbstverwaltung konfrontiert. Da diese inzwischen so umfangreiche Leistungen in Forschung und Lehre erbrachten, daß die Universitäten gar nicht mehr ohne sie hätten auskommen können, wurde ihre Stellung »allgemein als ungerecht empfunden. Die Fakultäten waren früher Kollegien gleichgestellter und gleichberechtigter Standesgenossen. Mit der Zeit waren sie Oligarchien geworden, in denen eine bevorrechtigte Gruppe für und über eine größere Anzahl minder Berechtigter zu entscheiden hat.«81 Die Universität Gießen war diesen Bestrebungen 1911 entgegengekommen, die Berliner wurde, wie alle preußischen, 1914 vom Staat angewiesen, den Extraordinarien ein Minimum an Mitwirkung zu gestatten, während diese in der Straßburger schon seit der Gründung auf der Ebene der Gesamtuniversität gewisse Mitwirkungsrechte genossen, aber auf der für ihre Arbeit vielleicht wichtigeren Fakultätsebene weiterhin vom Wohlwollen der Ordinarien abhängig waren. Die universitäre Selbstverwaltung gewährte Ordinarien und Extraordinarien in den verschiedenen Universitäten also eine unterschiedliche Partizipation. Privatdozenten aber blieben grundsätzlich davon ausgeschlossen. Und von dem wichtigsten Recht, ihre Spitze selbst zu bestimmen, machten nur zwei Universitäten in vollem Umfang Gebrauch, indem sie ›echte‹ Wahlen durchführten, während man in dem kleinen Gießen mit dem Anciennitätsprinzip eine vielleicht befürchtete Polarisierung vermied. Zugleich hatte der Rektor (durch die Kanzler-Befugnisse) hier aber eine stärkere Stellung als anderswo. Obwohl die Universitäten überall Staatsanstalten waren, dabei im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert massiven Eingriffen in ihre Selbstverwaltung ausgesetzt, und sich inzwischen auch eine gesamtdeutsche Hochschulpolitik ausgebildet hatte,82 unterschieden sich die Realgestalten der einzelnen Universitäten also nicht nur durch Größe und Zusammensetzung des Kolle giums, sondern auch durch die Besonderheiten ihrer Verwaltung.
81 Lehmann, Der gelehrte Unterricht, S. 707. 82 Paletschek, Permanente Erfindung einer Tradition, S. 29.
6. Standesbewußtsein und nationale Aufgabe: Das Selbstverständnis der Universitätsangehörigen Als der ehemalige Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom, Ludwig Curtius, auf seine Zeit als Professor im Kaiserreich und in der Weimarer Republik zurückblickte, schien ihm das Wesentliche über die Systembrüche hinweg erhalten geblieben zu sein: »Es war eine Zeit, in der man im Universitätsleben von einer geistig-moralischen Aristokratie sprechen konnte, einer Aristokratie, die rein bürgerlichen Charakter hatte. (…) Für den einzelnen Universitätslehrer bedeutete das, daß er einsame Forschungsarbeiten und das tätige Zusammenwirken mit der Jugend verbinden konnte, daß er einem von der ganzen Nation geschätzten Stande angehörte und das Bewußtsein haben konnte, ein freierer Mensch zu sein als jeder andere Beamte.«1
Zwar hatte Curtius an keiner der hier untersuchten Institutionen gelehrt, doch aufgrund der hohen Mobilität der deutschen Gelehrten, die üblicherweise an mehreren Universitäten nacheinander wirkten – bei Curtius waren es drei2 – fließen auch in die Äußerungen der hier als Gießener, Straßburger, Berliner Behandelten Erfahrungen an anderen Universitäten ein. Deshalb scheint es wenig sinnvoll, ihr Selbstverständnis getrennt abzuhandeln. Vielmehr werden die Hochschullehrer hier als Gesamtgruppe vorgestellt (und dabei gelegentlich auch Äußerungen aus anderen als den untersuchten Orten einbezogen), beson dere Züge der einzelnen Institutionen abschließend ergänzend herausgestellt. – An Fritz K. Ringers Pionierstudie über »die deutschen Mandarine« hat man zu Recht kritisiert, daß er von den Geistes- und Sozialwissenschaftlern auf die Gelehrten aller Fächer schließe3 – denn Selbstverständnis und Weltsicht wurden ja ganz wesentlich auch vom jeweiligen Fach (bzw. der Fakultätszugehörigkeit) geprägt. Deshalb geht es hier vor allem um die Aufgaben sowie die Arbeits bedingungen, die den fächerübergreifenden Rahmen bildeten, also das allen 1 Zit. im Zitat eines Zeitungsartikels von 1979 bei Eduard Bötticher, Leo Rosenberg, in: G/M/P II, S. 778–788, hier 784. Alle wesentlichen Elemente des Zitats finden sich, auch in denselben Begriffen, in: Ludwig Curtius, Deutsche und antike Welt. Lebenserinnerungen, Stuttgart 1956, S. 319 f., jedoch nicht, wie hier, in wenigen Zeilen zusammengefaßt. 2 Ab 1908 in Erlangen, nach dem Ersten Weltkrieg kurze Zeit in Freiburg, 1920–1928 in Heidelberg. S. NDB 3 (1957), S. 449 (Robert Heidenreich). 3 Fritz K. Ringer, Die Gelehrten. Der Niedergang der deutschen Mandarine 1890–1933, München 1987 (amerik. Original 1969, dt. Erstausgabe 1983). S. dazu etwa die Kritik Bernhard vom Brockes: »Die Gelehrten«: Auf dem Weg zu einer vergleichenden Sozialgeschichte europäischer Bildungssysteme und Bildungseliten im Industriezeitalter, in: Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts in Trient 10 (1984), S. 389–401, hier 392 f.
172 Hauptstadt – Provinz – Grenze Gemeinsame, wie es auch Curtius in seinem Rückblick hervorhob: Forschung und Lehre, staatliche Rahmenbedingungen und soziale Stellung. Zwar waren die Professoren Staatsbeamte – doch ließ dieser Rechtsstatus den grundsätzlichen Unterschied zur gesamten restlichen Beamtenschaft in ihren Augen nur um so deutlicher hervortreten. Das ergab sich einer Denkschrift des Gießener Theologen Krüger zufolge (welche sich die gesamte Universität zu eigen machte) schon aus ihrer Berufstätigkeit, die sich nicht auf das »beschränkte Ackerfeld« des jeweiligen deutschen Bundesstaates beziehe wie bei anderen Landesbeamten, sondern auf das »Geistesleben der Menschheit« (welches die Professoren mit den von ihnen ausgestreuten »geistigen Keimen« »befruchte[te]n«). Und daraus folgte dann wiederum, daß »die Sonderart der Universitäten es durchaus« verbiete, jene »nach den für die übrigen Beamten geltenden Gesichtspunkten zu behandeln«.4 Gerade die Abwehr eines solchen Versuches führte einen Teil der deutschen Professorenschaft ab 1907 in Hochschullehrertagen zusammen5 – gemeinsam mit Kollegen von den Technischen Hochschulen. Da sich die Universitätsprofessoren in Deutschland als »Träger einer besonderen ›Begabung (›Charisma‹)‹« verstanden, sahen sie auch die mühselige und entbehrungsreiche Privatdozentur als charismatischen Auslesemodus, »nicht als eine professionelle Qualifikationskarriere«.6 Auf dem dritten Hochschullehrertag 1909 forderte der Psychiater Emil Kraepelin, daß der Weg zur Professur »unter allen Umständen ein wirtschaftliches Opfer bedeuten muß, damit sie nur von denjenigen angestrebt wird, die den inneren Beruf dazu in sich spüren.«7 Die Gelehrten übten also nicht einen Beruf aus, sondern sie folgten einer Berufung – im doppelten Sinne: Sie hatten sich nicht um eine Stelle zu bewerben, sondern wurden in ihr Amt berufen bzw. ernannt. Und zu dessen Ausübung genügte gewissenhafte Pflichterfüllung keinesfalls. Gefordert war vielmehr ein Engagement, das einem eigenen inneren Antrieb entsprang.
4 Krüger, Denkschrift, S. 3, 8. 5 Dazu programmatisch: Verhandlungen des ersten Hochschullehrer-Tages, S. 10. Genaueres dazu u. S. 188–192. 6 Martin Schmeiser, Akademischer Hasard. Das Berufsschicksal des Professors und das Schicksal der deutschen Universität 1870–1920. Eine verstehend soziologische Unter suchung, Stuttgart 1994, S. 19 (im Anschluß an Max Weber [Zitat im Zitat]). De facto entwickelte sich die Habilitation allerdings von der außeralltäglichen und genialen Einzelleistung hin zur zeitintensiven, fachlich hoch voraussetzungsvollen Qualifikation (Schmeiser, Akademischer Hasard, S. 44). 7 Zit. nach Schmeiser, Akademischer Hasard, S. 38. Die Entbehrungen wurden manchem aber durch die Ehe mit einer Frau aus wohlhabender Familie erspart. Im Tausch gegen das gesellschaftliche Ansehen des (künftigen) Professors erhielt dieser durch Mitgift (oder durch einen ständigen Zuschuß zum standesgemäßen Lebensunterhalt) eine materielle Absicherung.
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Als der Münchner Staatsrechtler und Rechtshistoriker Karl von Amira in seinem Eröffnungsreferat beim ersten deutschen Hochschullehrertag 1907 feststellte, »daß es keinen ordentlichen Dozenten gibt, der nicht selbst produziert«,8 gab er jene Berufsauffassung wieder, die sich in Deutschland völlig durchgesetzt hatte.9 Friedrich Paulsen sah in seinem Standardwerk bereits 1902 den »eigentümliche[n] Charakter der deutschen Universität« in der »Einheit von Forschung und Lehre«. Und obwohl er faktische Ausnahmen zugestand, hielt Paulsen fest: Hier gelte »die Voraussetzung: alle Universitätslehrer sind wissenschaftliche Forscher oder eigentliche Gelehrte; und umgekehrt: alle eigentlichen Gelehrten sind Universitätsprofessoren.«10 Deren Bedeutung reichte aber weit über die Universität hinaus. Denn zum einen wurde diese als Spitze des gesamten Bildungssystems begriffen, über der es keine andere Hochschule und kein Aufbaustudium geben dürfe – nachdem sie es Adolf (von) Harnack zufolge schon versäumt hatte, die technischen Fächer zu integrieren und so »ihre universale und führende Stellung« bereits durch die Technischen Hochschulen beeinträchtigt war, sie »sich sozusagen ihr ›Monopol‹ in bedenklicher Weise [hatte] verkürzen lassen«.11 Darüber hinaus argumentierte der Breslauer Georg Kaufmann, ein ausgewiesener Universitätshistoriker, 1913, daß die Universität »nicht bloß Lehranstalt ist, sondern daß sie ein Zentrum des deutschen wissenschaftlichen Lebens ist, daß (…) die Lehrer (…) in ihrer Gesamtheit auf die sie umgebende Geisteswelt einwirken.«12 Der Gießener Theologe Krüger spitzte dies einige Jahre später noch weiter zu: Die »Bestimmung« der Universitäten sei, »als geistige Nervenzentren zu wirken und für die Ernährung der übrigen Organe des Staatswesens Sorge zu tragen«. Die »Pflege der Wissenschaft« als »Forscher« war daher die »höchste, ihn vor Anderen auszeichnende Aufgabe« des Professors.13 Andererseits war die Verpflichtung zur Forschung nicht gesetzlich verankert, sondern nur durch die Selbstkontrolle und die korporativ-autonom erfolgende Kontrolle der Rekrutierung und Zulassung des Nachwuchses gegeben.14 Nachdem die Universitäten Staatsanstalten geworden waren, mußte die mittelalterliche kor8 Verhandlungen des ersten Hochschullehrer-Tages, S. 9. 9 Vgl. auch Theobald Ziegler, Universitäten und Universitätsstudium, S. 18. Vgl. aber gegen die im folgenden angeführten »falschen« »Thesen« Paulsens die österreichische Darstellung deutscher Verhältnisse bei Naumann, Die deutschen Universitäten, S. 19–22 (Zitate 22). 10 Paulsen, Die deutschen Universitäten, S. 5. 11 Harnack, Zukunft des Orientalischen Seminars, Sp. 187, 193–195, Zitat 193. Vgl. zur übergeordneten Position der Universität auch Schumacher, Errichtung einer Auslandshochschule, Sp. 259 f. 12 Verhandlungen des fünften deutschen Hochschullehrertages zu Strassburg (…) 1913. (…), Leipzig 1914, S. 108 (in Kaufmanns Vortrag über Universitätsneugründungen). 13 Krüger, Denkschrift, S. 1. 14 Schmeiser, Akademischer Hasard, S. 42.
174 Hauptstadt – Provinz – Grenze porative Freiheit nun neu gedacht werden und wurde als Freiheit der Forschung und Lehre interpretiert.15 Mit den Besonderheiten der Auslese und des Berufswegs sowie den von ihnen beanspruchten und ihnen zuerkannten Freiheiten erhielten die Professoren innerhalb von Staat und Gesellschaft eine besondere Stellung: Sie beanspruchten eine Führungsrolle, wollten Einfluß nehmen und verstanden sich dabei zugleich als unpolitisch.
Universitäten als geistige Zentren – Professoren als Wegweiser für Volk und Politiker In den ersten beiden Dritteln des 19. Jahrhunderts hatten sich Professoren, angefangen mit Fichte, politisch stark engagiert: publizistisch, auf dem Katheder, in der Paulskirche. Doch als die lange angestrebte Einigung erlangt, das Deutsche Reich geschaffen war, veränderte sich ihre Rolle. Zwar stellten sie weiterhin eine Anzahl von Abgeordneten in den Parlamenten der Bundesstaaten und im Reichstag, doch ging diese zurück – ganz beträchtlich im Vergleich zur Paulskirche, aber auch vom Beginn des Kaiserreichs bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts: im Reichstag z. B. von 17 (1871) und 22 (1874) auf drei (1903). 1912 gehörten ihm wieder acht Professoren an.16 Ob die relativ geringe Zahl aber einem Verzicht auf politisches Engagement entspricht, scheint fraglich, da z. B. bei dieser Wahl 13 weitere Professoren kandidiert hatten, jedoch nicht gewählt worden waren – Angehörige der jüngeren Generation, die dann in den Parlamenten der Weimarer Zeit zum Zuge kam und den Professorenanteil tatsächlich wieder verstärkten. Darüber hinaus scheint es plausibel, daß sich die Aktivitäten, wie schon der geringere Rückgang im Preußischen Landtag andeutet und zumindest für den Wahlkreis Marburg genau belegt ist, auf die regionale und
15 Sie war eine Voraussetzung für die »Durchsetzung des Forschungsimperativs an deutschen Universitäten«. Der Wandel des Wissenschaftsverständnisses war erst um 1880 abgeschlossen. Paletschek, Provinz versus Metropole?, S. 215. S. auch Paletschek, Verbreitete sich ein ›Humboldt’sches Modell‹, S. 86 f.; Baumgarten, Professoren- und Universitätsprofile, S. 115. 16 In der Paulskirche waren 66 der 812 Abgeordneten (8 %) Universitätsprofessoren ge wesen. Alle Daten nach der gründlichsten und reflektiertesten Untersuchung: Bernhard vom Brocke, Professoren als Parlamentarier, in: Klaus Schwabe, Deutsche Hochschullehrer als Elite 1815–1945, Boppard 1988, S. 55–92, hier Tab. S. 70. Brocke erfaßt als Professorenparlamentarier alle, die vor Antritt oder nach Aufnahme des Abgeordnetenmandats als Hochschullehrer tätig waren (S. 60). Leicht abweichende Daten finden sich in verschiedenen anderen Werken, z. B. bei vom Bruch, Öffentliche Meinung, S. 59 (mit A. 5). Die Unterschiede beruhen darauf, daß manche Autoren nur zum jeweiligen Zeitpunkt amtierende Professoren rechnen, manche auch emeritierte, aber nur Universitätsprofessoren etc.
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städtische Ebene verlagerten.17 Trotzdem galten die Professoren als unpolitisch – und die Mehrheit hielt sich auch selbst dafür. »Die Gelehrten können und sollen nicht Politik machen«, schrieb Paulsen 1902.18 Die scheinbaren Widersprüche lassen sich jedoch auflösen; denn vieles, was im Rückblick nur als politische Stellungnahme gedeutet werden kann, erschien den Zeitgenossen als unpolitisch; so insbesondere ihr nationales Engagement.19 In außenpolitischen Fragen, die solchen übergreifenden ›nationalen‹ Anliegen dienten, traten sie zu Hunderten auf: mit Petitionen, Forderungen, Artikeln. Doch dies beschränkte sich auf die Flottenpropaganda 1898–1900 und die Proteste gegen eine angebliche Beleidigung der deutschen Kriegerehre durch den englischen Kolonialminister Joseph Chamberlain 1901.20 »Deutscher Weltpolitik und Expansion wurde hier vorgearbeitet, aber in der Regel wurde dies mit friedlichen Mitteln erstrebt, ohne daß der Krieg dabei ausgeschlossen blieb.«21 Dabei erreichten die Professoren, selbst wenn sie sich auf akademische Publizistik beschränkten, über ihre Schüler schließlich doch eine breitere Öffentlichkeit.22 Wichtiger für die Auflösung der scheinbaren Widersprüche zwischen politischem Engagement und unpolitischem Selbstverständnis ist die von Paulsen selbst der Professorenschaft zugewiesene Aufgabe, »etwas wie das öffentliche Gewissen des Volkes in Absicht auf gut und böse in der Politik, der inneren und der äußeren«, zu sein.23 Das impliziert zwar Überparteilichkeit, aber nicht Politikferne – und eben auch kein Unpolitischsein. Letztlich ist es Ausdruck der beanspruchten Führungsrolle, die Krüger mit seiner Formulierung von den Universitäten als »Nervenzentren« des Staatswesens nur weiter zugespitzt hatte. Gustav von Schmoller hatte 1911 eine Formulierung gefunden, die (in gekürzter Fassung) immer wieder als Beleg für das Selbstverständnis der Professoren an-
17 vom Brocke, Professoren als Parlamentarier, S. 56 f., 66–68. 18 Paulsen, Die deutschen Universitäten, S. 325. 19 Darauf hat schon Wettmann, Heimatfront Universität, S. 41 hingewiesen (auch wenn es an dieser Stelle um Studenten und ihre Verbindungen geht). 20 Rüdiger vom Bruch, Krieg und Frieden. Zur Frage der Militarisierung deutscher Hochschullehrer und Universitäten im späten Kaiserreich, in: Jost Dülffer/Karl Holl (Hg.), Bereit zum Krieg. Kriegsmentalität im wilhelminischen Deutschland 1890–1914. Beiträge zur historischen Friedensforschung, Göttingen 1986, S. 74–98, hier 78–81; detailliert zur Flottenagitation der Professoren sowie zur Beteiligung am ›nationalen‹ Vereinswesen: vom Bruch, Öffentlichkeit, S. 66–91, 428–432. 21 Jost Dülffer, Einleitung: Dispositionen zum Krieg im wilhelminischen Deutschland, in: Dülffer/Holl (Hg.), Bereit zum Krieg, S. 11–19, hier 14. Zum unterschiedlichen Verhalten der Vertreter verschiedener geisteswissenschaftlicher Fächer s. vom Bruch, Krieg und Frieden, S. 84–89. 22 vom Bruch, Krieg und Frieden, S. 87 f. 23 Paulsen, Die deutschen Universitäten, S. 331.
176 Hauptstadt – Provinz – Grenze geführt wird,24 ursprünglich allerdings weniger exklusiv war, indem sie sich erstens auf die Mitglieder des Vereins für Socialpolitik bezog (der weit über die Universitäten hinausreichte)25 und zweitens dessen Erörterungen meinte, also den Prozeß des Suchens, nicht autoritativ verkündete Ergebnisse: »Wir wollen nur durch unsere Diskussionen gleichsam mit der Fackel der Erkenntnis denen voranleuchten, die als Staatsmänner und Beamte, als Partei- und Klassenführer, als Beherrscher der öffentlichen Meinung direkt Politik machen wollen.«26
Dieses Zitat samt dem Beispiel der öffentlichen Wirksamkeit Schmollers selbst, der Mitbegründer des Vereins und bis zu seinem Tod 1917 dessen Vorsitzender war sowie auf Präsentation der Universität Berlin 1899–1917 (also als ›Über parteilicher‹) dem Preußischen Herrenhaus angehörte, dokumentiert am besten die Verlagerung vom parteipolitischen Engagement zur überparteilichen Politikberatung der Professoren.27 Gleichzeitig traten an die Seite dieser Experten aber Hochschullehrer, die Berufspolitiker wurden.28 Dabei stellte der Berliner Historiker Hans Delbrück in seiner Ende 1913 erschienenen Schrift Regierung und Volkswille die Rollen von Beamten, Wissenschaftlern und Abgeordneten, d. h. Vertretern des Volkes, als komplementär dar. Genau auf ihrem Zusammenwirken beruhe die Leistungsfähigkeit des deutschen Systems. Die erste Gruppe definierte er als »organisierte politische Intelligenz«, die Letztgenannten vertraten die »breiten Schichten des Volkes«.29 Auch wenn er einen gewissen konservativen Zug der Beamtenschaft nicht be24 Siehe z. B. vom Bruch, Gelehrtenpolitik, S. 36 (»mit der Fackel der Erkenntnis«); McClelland, Forschungsuniversität, S. 605. 25 S. das Mitgliederverzeichnis in: Verhandlungen des Vereins für Sozialpolitik in Nürnberg 1911, Leipzig 1912 (Schriften des Vereins für Sozialpolitik 138), S. 205–215. 26 Verhandlungen des Vereins für Sozialpolitik 1911, S. 4 (Hervorhebung T. M.). Schmoller grenzte damit die v. a. wissenschaftliche (Publikations-)Tätigkeit des Vereins einerseits von der früheren Beeinflussung der Sozialgesetzgebung ab (die inzwischen auf die Gesellschaft für soziale Reform übergegangen sei, S. 2) und behandelte andererseits das Problem der Unvermeidbarkeit »sittlicher Werturteile« bei der Diskussion sozialer Fragen (S. 3). Dabei bestehe die wissenschaftliche Aufgabe darin, »sie nach ihren psycho logischen Ursachen und historischen Zusammenhängen zu verstehen« (S. 3). Genau genommen, verzichtete er allerdings nicht grundsätzlich auf die politische Aktivität, denn er schrieb: »Praktische Politik zu treiben ist für die Mehrzahl wenigstens der Gelehrten nicht die erste Aufgabe.« (S. 3). 27 S. auch das Zitat vom Bruchs o. S. 127. 28 Andernach, Einfluß der Parteien auf das Hochschulwesen, S. 180. 29 Hans Delbrück, Regierung und Volkswille. Eine akademische Vorlesung, Berlin 1914, S. 177 (Zitat), zum dualistischen System aus legitimer Obrigkeit (»ausgewirkt zu dem regierenden Organismus des Beamtentums und Offizierskorps«) und im Reichstag institutionalisierter Kontrolle 66 und 156, zur Beamtenschaft 141 und 156 f. Das Erscheinungsdatum Ende 1913 nach vom Bruch, Öffentlichkeit, S. 273, wo sich auch eine Zusammenfassung der Schrift und ihrer zeitgenössischen Rezeption findet (271–278).
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stritt, hielt er an ihrer Überparteilichkeit fest.30 Und eben darin entsprach sie der »Wissenschaft«31 bzw. dem nicht nur für Delbrück geltenden Selbstverständnis der Professoren. Auch hinter diesen Überlegungen werden wieder Charisma und Führungsrolle deutlich, welche die Gelehrten (bzw. die Gelehrtenpolitiker) sich selbst zuschrieben oder beanspruchten. Anders als die Volksvertreter waren sie nicht gewählt, fühlten sich aber ›berufen‹, die wirklichen Interessen jenes einfachen Volkes zu vertreten, das sich (ihren Vorstellungen zufolge) nicht selbst artikulieren konnte, insbesondere gegenüber den Beamten, welche die nötigen Reformen dann in die Wege leiteten.32 Diese Rolle übten die Gelehrten hauptsächlich als Publizisten aus. Dabei bedienten sie sich einer Reihe von Organen, die vielleicht eine geringe Auflage aufweisen mochten, aber durch ihre Abonnenten in Führungskreisen eben doch entsprechenden Einfluß hatten und in der allgemeinen Presse häufig zitiert wurden, allen voran die Preußischen Jahrbücher, die, von Treitschke gegründet, seit 1889 Hans Delbrück herausgab. (Ihre Auflage betrug nur 3000.) Schmoller hatte das Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft geschaffen. Das Organ des Kulturprotestantismus, die Christliche Welt, die der Marburger Theologe Martin Rade herausgab, wurde stark von Harnack beschickt und beeinflußt; aber auch seine Berliner Kollegen Julius Kaftan und (ab 1915) Ernst Troeltsch sowie der Gießener Wilhelm Bousset gehörten zu ihren Wortführern. Auch in der von Friedrich Naumann herausgegebenen Hilfe und in den Grenzboten traten immer wieder Berliner (und andere) Professoren hervor.33 Sowohl unter den Abgeordneten als auch unter den publizistisch A ktiven stellten die Juristen, Staats- und Geisteswissenschaftler die Mehrheit, wobei unter den »Argumentelieferanten und Propagandisten des Gemeinwohls« Historiker und Nationalökonomen die Führung übernahmen.34 Wenn sie ihren Anspruch, »die geistige Identität der Nation zu sichern«, aber auch bei universitären Festakten und Feiern der Gesamtgesellschaft formulierten, wollten sie damit zugleich »den Primat des Geistes im ›technischen Zeitalter‹ auch innerhalb der akademischen Fächerhierarchie bekräftigen.«35
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Delbrück, Regierung und Volkswille, S. 183 f. Delbrück, Regierung und Volkswille, S. 5 des gesondert pag. Vorworts. In Anlehnung an McClelland, Forschungsuniversität, S. 608. McClelland, Forschungsuniversität, S. 605 f. Zu den Beiträgern der Christlichen Welt: Matthias Wolfes, Protestantische Theologie und moderne Welt. Studien zur Geschichte der liberalen Theologie nach 1918, Berlin u. a. 1999, S. 52. 34 Daten zu den Fächern bei vom Brocke, Professoren als Parlamentarier, S. 72 f. (Tab. 2): Im Reichstag stellten 1871–1918 die Juristen 37,1 %, die Staatswissenschaftler/National ökonomen 14,5 %, Historiker 9,7 %, Theologen 8,1 %, Philologen 6,4 %, Philosophen 3,2 %. Zitat: vom Bruch, Krieg und Frieden, S. 77. 35 Rüdiger vom Bruch, Gelehrtenpolitik und politische Kultur im Kaiserreich [1986], in: R. v. B., Gelehrtenpolitik, S. 26–44, hier 35.
178 Hauptstadt – Provinz – Grenze Naturwissenschaftler dagegen benutzten ihr Professorenamt kaum zum Aufbau einer politischen Karriere; denn für sie war das Wissenschaftsmanagement wichtiger. In anderen Punkten aber stimmten sie mit ihren Kollegen in den Geisteswissenschaften überein, besonders in der neuhumanistischen Auffassung bzw. Rhetorik von der Zweckfreiheit der Wissenschaft.36
Internationalität der Wissenschaft und Nationalisierung der Universitäten Das (als überparteilich begriffene) nationale Engagement, das sich jährlich wiederholende Stiftungsfest der Universität, der Kaisergeburtstag (der teilweise mit der Erinnerung an die Reichsgründung verbunden wurde),37 dann die Universitätsjubiläen, die sich im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts häuften,38 schließlich 1913 das 25jährige Thronjubiläum Wilhelms II. und die großen Jahrhundertfeiern der Befreiungskriege bewirkten zusammen aber auch eine Militarisierung der Universität. Sie drückte sich nicht so sehr im – ja schon traditionellen – Aufmarsch der Korporationen aus als vielmehr in der Rhetorik der Beschreibungen der Festakte wie auch der dort gehaltenen Reden. Darin wurden nicht nur militärische Begriffe und Bilder auf die Universität und ihre Aktivitäten angewandt, sondern auch der »vertraute Zusammenklang ›Waffen und Wissenschaft‹« (der schon bei Harnack 1909 zu sehen war) durch neue Überlegungen bekräftigt. Die Wissenschaft wurde als Waffe begriffen, die Universität Berlin als »erster geistiger Waffenplatz Deutschlands« gepriesen. Und schließlich wurde dies wieder auf die Kampfbereitschaft im (wirklichen) Krieg zurückbezogen: Der Berliner Rektor, der Theologe Graf Baudissin, gelobte 1913 im Namen der Lehrenden nicht nur, die Studenten »zu tüchtigen Bürgern des Staates in Treue zu Kaiser und Reich« heranzubilden, sondern auch den »Geist der Väter lebendig zu erhalten (…), der bereit ist, auch das Leben einzusetzen, wenn die Zeit käme, die es fordert.«39 Die Studentenschaft selbst schwor, »im Frieden wie im Kriege mit allen Kräften einzustehn [!] für König und Vaterland«.40 36 Lothar Burchardt, Naturwissenschaftliche Universitätslehrer im Kaiserreich, in: Schwabe (Hg.), Hochschullehrer als Elite, S. 151–214, hier 204 f. 37 Am 27. bzw. 18. Januar. 38 München 1902, Greifswald 1906, Freiburg und Gießen 1907, Jena 1908, Leipzig 1909, Berlin 1910 und Breslau 1911. Erfaßt sind damit nur die Feiern zu vollen und halben Jahrhunderten; gelegentlich wurden auch Vierteljahrhunderte gewürdigt, wie in Tübingen 1902 zum 425jährigen Bestehen. 39 Zu Harnack s. o. S. 53. Alles andere nach Maurer, Universitas militans, S. 63–67 (mit Zitatnachweisen). Zur Komplementarität von Universität und Militär s. genauer u. S. 269. 40 So der Mediziner Wilhelm Schauß in der Feier zum Thronjubiläum. In den zit. Worten beschreibt er die Tradition der Studenten, auf der nächsten Seite folgt dann der eigene Schwur (Feier des Fünfundzwanzigjährigen Regierungs-Jubiläums, S. 40 f.).
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Damit mußten die von den Professoren vertretenen Werte des nationalen Engagements einerseits, der Internationalität der Wissenschaft andererseits (zwischen denen spätestens seit der Jahrhundertwende ein Spannungsverhältnis bestand) endgültig in Konflikt geraten. Doch birgt das Gelöbnis der Professoren noch ein zweites zentrales Problem der Selbstdefinition: War die deutsche Universität tatsächlich eine rein wissenschaftliche oder vielleicht auch eine Erziehungseinrichtung? Der 1908 verstorbene Paulsen hatte sie noch 1902 als nicht für die Erziehung zum Patriotismus zuständig erklärt (was aber mit der lex Arons geltend gemacht worden war): »In dem dort gemeinten Sinne wird sie dies nicht als ihre Aufgabe anerkennen können. Sie ist überhaupt nicht Erziehungsanstalt, die Studenten sind nicht Unmündige, sondern Anstalt für wissenschaftliche Forschung und wissenschaftlichen Unterricht; und diesen bietet sie ohne Unterschied Ausländern wie Inländern an.«41
In dieser Hinsicht hatte sich der Lehrkörper, in dessen Namen der Rektor 1913 das Gelöbnis ablegte, also schon weit von Paulsens Position entfernt (die möglicherweise auch zuvor viele nicht teilten42). Im Festgottesdienst zum Berliner Jubiläum 1910 hatte der Dekan der Theologischen Fakultät betont, daß die Universität nicht nur der Wissenschaft, sondern auch »dem Ganzen, d. h. hier dem Volke und Staate« »zu Dienst verpflichtet« sei. Und in Abgrenzung zur »Akademie der Wissenschaften« bestehe ihre Aufgabe als »eine(r) hohe(n) Schule« auch in Lehre und Erziehung. »Ich betone ausdrücklich: nicht bloß unterrichten, auch erziehen.«43 Daß außerhalb der Universität von ihr mehr erwartet wurde als ›nur‹ Wissenschaft, zeigte sich besonders prägnant in der Ansprache des kaiserlichen Statthalters in Elsaß-Lothringen, der selbst einst in Straßburg »Staats- und Rechtswissenschaft«44 studiert hatte. Zwar sei »die Wissenschaft als solche nicht an nationale oder politische oder völkische Grenzen gebunden«, und die Universität dürfe sich nicht »vom internationalen Geistesleben ausschließen«. Doch möge sie »blühen und gedeihen als eine Freistätte ernster Forschung, als eine Pflegestätte treuer Arbeit und als Pflanzstätte Deutscher (!) 41 Paulsen, Die deutschen Universitäten, S. 329 f. 42 Zumindest bezüglich seiner Beförderung zum Ordinarius (die in anderen Fällen durchaus vorkam) konnte er nicht auf seine Kollegen zählen: Nach 15jähriger Tätigkeit als Extraordinarius war er vom Minister gegen den Willen der Fakultät zum Ordinarius befördert worden. Und dabei hatte sich sein nächster Fachkollege Wilhelm Dilthey über seine angebliche »Kaféhausethik« mokiert. Nach vom Brocke, Hochschul- und Wissenschaftspolitik, S. 88. 43 Die Predigt Julius Kaftans findet man in Schmidt, Jahrhundertfeier, S. 19–27, Zitate 22, 24. 44 So seine eigene Reihung! Die offizielle Bezeichnung war »Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät«.
180 Hauptstadt – Provinz – Grenze Sinnesart.«45 In dieser Trias trafen sich also Selbstverständnis der Lehrenden und Ansprüche der Staatsverwaltung.46 Und sie führt zugleich zum Spannungsverhältnis von Patriotismus und Internationalität zurück. Die Wissenschaft galt als konfessionelle und nationale Schranken tran szendierend, gewissermaßen supranational. Das machte etwa der Gießener Rektor beim Jubiläum seiner Universität 1907 deutlich. Und dabei stellte er, in Anknüpfung an die Studenten- und Gelehrtenmigration, den »Austausch, der heute Länder und Völker verbrüdern soll«, als eine spezifische Tradition der Universität, als »unser altes Recht«, dar.47 Mit dem erläuternden Relativsatz verwies er auf eine aktuelle, außerwissenschaftliche Aufgabe – die positiv gedeutet werden kann, aber auch als Hinweis auf zu überwindende Spannungen. In dieselbe Richtung zielte der Deutschbalte Harnack, der seit Jahrzehnten in Deutschland wirkte: 1909 beschwor er in der Wiener Neuen Freien Presse die Aufgabe der Wissenschaft bei der Beilegung der deutsch-englischen Rivalität – denn Literatur und Wissenschaft hätten »diesen beiden Völkern in Geben und Nehmen ein gemeinsames geistiges Dasein geschaffen«. Die Wissenschaft sollte also helfen, »sich gegenseitig besser« zu kennen und zu verstehen, und das »Unkraut« des »Chauvinismus« auszurotten.48 Derselbe Rektor, der bei der Jahrhundertfeier der Befreiungskriege im Februar 1913 in Berlin die Erziehung zur Kampfbereitschaft gelobt hatte, sprach bei der Stiftungsfeier am 3. August über »Nationalismus und Universalismus«: Das Jahr 1913 sei der Erinnerung an Friedrich Wilhelm III. gewidmet »als den nationalen Mittelpunkt der Erhebung des preußischen Volkes«, die mit der Wiederherstellung des preußischen Staates zur »Vorbedingung für die Einigung unseres deutschen Vaterlandes unter Preußens Führung« geworden sei. Doch diese Feier gelte dem »Stifter der Universität als einer Stätte zur Pflege und Ausbreitung der Wissenschaft, die keine nationalen Grenzen« kenne. Ein »allgemeines Humanitätsideal« und »individualistisches Weltbürgertum«, wie es noch zur Zeit der Befreiungskriege existiert habe, als manche »Heroen des Geisteslebens« kein Bedürfnis verspürt hätten, nationale Interessen zu verfolgen, liege der jetzigen Generation fern, auch wenn sie (»wir Modernen«) »in praktischen 45 Stiftungsfest der KWU 1914, S. 4, 5. Vgl. auch die Worte Wilhelms II. 1910 in Berlin (u. S. 184). 46 Vgl. auch die Aussage eines deutschen Professors 1904: »Die deutschen Universitäten sind der Stolz unserer Nation, jetzt wie ehedem gelten dieselben der Nation als sicherer Hort der freien Wissenschaft, als segensreiche Pflanzstätte nicht bloß gründlicher Gelehrsamkeit, sondern auch kernhafter, in Treue und Vaterlandsliebe genährter Gesinnung.« Zit. bei Max Seiling, Das Professorenthum, ›der Stolz der Nation‹?, Leipzig 1904, S. 2 (hier nach Notker Hammerstein, Antisemitismus und deutsche Universitäten 1871–1933, Frankfurt u. a. 1995, S. 15). 47 Zur Erinnerung an die dritte Jahrhundertfeier, S. 34, 41 (Zitat). 48 Adolf Harnack, Deutschland und England, in: A. H., Aus Wissenschaft und Leben. Bd. 1, Gießen 1911, S. 196–203, Zitate 198, 200, 201.
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internationalen Bestrebungen die Trennungen zwischen den Völkern aufzu heben und ihnen allen gemeinsame Ziele zu stecken« suche.49 Die daran anschließende Erörterung, »ob unter den Errungenschaften eines Volkes das national Bestimmte lediglich eine universale Bedeutung, ob es nicht vielmehr auch universalen Charakter erlangen kann,« führte er als Theologe am Beispiel des Volkes Israel durch. Er kam zu dem Schluß, daß die »Erdscholle« und die »Geschichte« einen unentbehrlichen Nährboden für Lebenskraft und Schaffensfreude des einzelnen bildeten, »die allen internationalen Humanitätsbestrebungen fremd und unerreichbar bleiben muß.« So versöhnte er Nationalismus und Universalismus schließlich in einem Stufenmodell: »Nur durch die Bildung der Einzelpersönlichkeiten und deren darauf beruhende Leistungen wird Bildung und Leistung der Nation gehoben. Nur aus der Wechselwirkung der Völker wird die Menschheit als Ganzes gefördert.«50
Das läßt sich durchaus als Widerhall von Paulsens Vorstellung deuten, daß es Aufgabe der Wissenschaft sei, in »der Mannigfaltigkeit der nationalen Bildungen« »das allgemein Menschliche« darzustellen – weil dieses »nur in dem Besonderen konkretes Leben haben« könne. Aber Paulsen hatte dabei an Lessings Diktum erinnert, wonach es Grenzen gebe, »jenseits deren der Patriotismus, ebenso wie der Konfessionalismus aufhört Tugend zu sein«, und vor der »sehr ernsten Gefahr« eines »überreizte(n) Nationalismus« gewarnt.51 Die von Baudissin erwähnten »praktischen internationalen Bestrebungen« hatten sich um die Jahrhundertwende in der Internationalen Assoziation der Akademien konkretisiert, in welcher der wissenschaftliche Austausch und die Zusammenarbeit in gemeinsamen Projekten institutionalisiert wurden.52 Die Zahl internationaler Kongresse und Vereinigungen, die Wissenschaftler aus den Universitäten und Akademien der verschiedenen Länder zusammenführten, war bereits seit der Mitte des 19. Jahrhunderts rasant gestiegen: In seinem letzten Jahrzehnt fanden dreißig Kongresse pro Jahr statt, und es wurden 68 Vereinigungen gegründet; bis 1914 kamen gut 300 weitere hinzu.53 1906 schlug der Berliner Altphilologe Hermann Diels vor, den gerade begonnenen deutsch-amerikanischen Professorenaustausch »auf die Hauptkulturvölker der Welt auszudehnen«, um den einst üblichen »Wechselverkehr der Doktoren und 49 Wolf Wilhelm Graf Baudissin, Nationalismus und Universalismus. Rede zur Gedächtnisfeier des Stifters (…), Berlin 1913, S. 3 f. 50 Baudissin, Nationalismus und Universalismus, S. 5, 24. 51 Paulsen, Die deutschen Universitäten, S. 330 f. 52 Gegründet 1899, erste Generalversammlung 1901. Als knappen Überblick s. SchröderGudehus, Deutsche Wissenschaft und Internationale Zusammenarbeit, S. 43–47. Genauer das Kapitel L’internationalisme des patriotes bei Schroeder-Gudehus, Les Scientifiques et la paix, S. 41–62. 53 Schröder-Gudehus, Deutsche Wissenschaft und Internationale Zusammenarbeit, S. 42 f.
182 Hauptstadt – Provinz – Grenze Scholaren (…) in moderner Umgestaltung zum Segen der Wissenschaft und der Nationen« zu erneuern. (Und dabei, wie beim Studium von Ausländern in Deutschland, dachte er keinesfalls nur an Berlin!)54 Doch zugleich wurden die Ergebnisse der an sich nicht-nationalen Wissenschaft als Leistungen einzelner Nationen gedeutet. Harnack hatte schon im Jahr 1900 beobachtet, daß wissenschaftliche Ergebnisse nun (anders als früher) nach der Herkunft des Forschers als nationale klassifiziert wurden, und zwar sowohl in den Fachzeitschriften als auch in der Tagespresse, weil damit das jeweilige Volk als »führender Kulturträger« dargestellt werden könne.55 Diese Nationalisierung der Wissenschaft schlug sich auch in der Wahrnehmung der seit 1901 vergebenen Nobelpreise nieder: Sie gingen zwar an einzelne Forscher, doch wurden diese als Vertreter ihres Landes verstanden. Wie fragwürdig eine solche Zuordnung ist, mußte eigentlich schon 1903 an Maria/Marie Skłodowska-Curie deutlich werden, die als Polin aus dem russischen Teilungsgebiet (mit dem dortigen Verständnis von Frauenstudium als nationaler Aufgabe!) in Paris studiert hatte und dann weiter dort forschte.56 (Zudem erhielt sie den Preis für Frankreich – zusammen mit Pierre Curie und Henri Becquerel.) »Auf internationaler Bühne gewonnenes Prestige münzten die Preisträger und die jeweilige Öffentlichkeit um in einen nationalen Triumph«. Man betrachtete den Preis als »›Beute‹ im Wettkampf der Nationen um internationale Vorrangstellung«.57 Für den Berliner Rektor Rubner war Wissenschaft »Macht (…) und diese Macht ein Unterpfand der Kraft unserer Nation«.58 Damit wurde Wissenschaft aber auch als Instrument der internationalen Machtpolitik gesehen. Mit ihren geistigen Mitteln sicherten die Gelehrten die deutsche Welt politik ab, ja betrieben selbst Machtpolitik.59 Redner betonten bei Jubiläen gern die nationale Aufgabe aller Universitäten.60 Es bestand Konsens, daß die Wissenschaft und die Universitäten in erster Linie der eigenen Nation und dem 54 Diels, Internationale Aufgaben der Universität, S. 7 (Zitat), 9. 55 S. das ausführliche Zitat aus dem Jahr 1900 bei Metzler, Internationale Wissenschaft und Kultur, S. 55 f. 56 S. dazu Maria Rhode, Studentinnen eines geteilten Landes – Polinnen an europäischen Hochschulen: Forscherinnen, Revolutionärinnen, Migrantinnen?, in: Trude Maurer (Hg.), Der Weg an die Universität. Höhere Frauenstudien vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert, Göttingen 2010, S. 147–168. 57 Metzler, Internationale Wissenschaft und Kultur, S. 59. Vgl. ähnlich, wenn auch etwas zurückhaltender formuliert: Hammerstein, Universitäten und Kriege, S. 517. 58 Rubner, Unsere Ziele, S. 27 f. 59 Sören Flachowsky, Von der Notgemeinschaft zum Reichsforschungsrat. Wissenschaftspolitik im Kontext von Autarkie, Aufrüstung und Krieg, Stuttgart 2008, S. 53. 60 So beim Gießener Jubiläum etwa der Heidelberger Rektor Jellinek (Zur Erinnerung an die dritte Jahrhundertfeier, S. 36), beim Leipziger Jubiläum 1910 der sächsische Kultusminister (Karl Binding, Die Feier des Fünfhundertjährigen Bestehens der Universität Leipzig […], Leipzig 1910, S. 92).
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eigenen Staat zu dienen hätten,61 und so entstand in der internationalen Konkurrenz am Ende ein geistiger ›Weltwettkampf‹.62 Trotzdem blieb das ältere Ideal der übernationalen Wissenschaft und Verpflichtung zur sachbezogenen Arbeit weiter bestehen.63 Allerdings war es in den einzelnen Fächern unterschiedlich stark ausgeprägt. So hatten die aus den Kameralwissenschaften hervorgegangenen Staatswissenschaften, die Rechtswissenschaft und die entstehende Nationalökonomie »bestenfalls beschränkt internationalen Charakter.« Dagegen war das universalistische Ethos bei den Physikern »weitaus ungebrochener« ins 20. Jahrhundert übergegangen. Sie blieben bei ihrer Überzeugung, daß Wissenschaft objektiv sei und supranationalen, nicht kulturell gebundenen Gesetzlichkeiten folge.64 Andererseits trieben die Geisteswissenschaftler gerade wegen der Legitimationskrise ihrer Fächer um 1900 deren nationale Ausrichtung voran, indem sie in Fichte den »wichtigsten deutschen Denker erkannten« und an seinen »emphatischen Begriff des Deutschtums« anknüpften.65 Zu Jubiläen anderer Universitäten sandte man Glückwunschadressen, oft auch Delegierte. Solche Huldigungen konnten aber zugleich zur Selbstdarstellung genutzt werden, etwa wenn die deutschen Universitäten zum 250jährigen Jubiläum der Royal Society eine »gemeinsame eherne Glückwunschtafel« überreichten und später berichteten, »mit welch immer erneutem allgemeinen Beifall bei jeder Erwähnung die deutsche Wissenschaft gefeiert wurde«.66 Bei den eigenen Jubiläen schmückte man sich gern mit einer großen internationalen Gästeschar, die der ›deutschen‹ Wissenschaft und Universität gewissermaßen ihre Aufwartung machte – besonders in Leipzig 1909 und Berlin 1910, aber auch 61 Metzler, Internationale Wissenschaft und Kultur, S. 66, 77; Wettmann, Heimatfront Universität, S. 35; Flachowsky, Von der Notgemeinschaft zum Reichsforschungsrat, S. 52 f. 62 Flachowsky, Von der Notgemeinschaft zum Reichsforschungsrat, S. 53. 63 Hammerstein, Universitäten und Kriege, S. 517. 64 Metzler, Internationale Wissenschaft und Kultur, S. 13, 47. Der ersten Gruppe ordnet Metzler auch die Rechtswissenschaft zu, während beim Berliner Jubiläum die Verleihung juristischer Ehrenpromotionen, z. B. an den Russen Pavel Vinogradov, einst Professor in Moskau, seit 1903 in Oxford, gerade damit begründet wurde, daß »die Geistesarbeit der Rechtswissenschaft alle Reiche umspannt und überall zu einer Verknüpfung der Völker beigetragen« habe (Schmidt, Jahrhundertfeier, S. 129). 65 Ulrich Sieg, Forcierte Nationalisierung als Komplexitätsreduktion. »Deutsche Wissenschaft« in den Geisteswissenschaften zwischen 1900 und 1945, in: Jürgen Reulecke/Volker Roelcke (Hg.), Wissenschaften im 20. Jahrhundert. Universitäten in der modernen Wissenschaftsgesellschaft, Stuttgart 2008, S. 189–205, hier 190. 66 So die Worte des Straßburger Rektors, des Theologen Johannes Ficker, in seinem Jahresbericht für 1912/13, in: Stiftungsfest der KWU 1913, S. 7 (dort auch eine Aufzählung diverser Glückwunschadressen). Vgl. für 1914 die Teilnahme des Rektors an der Einweihung neuer Universitätsbauten in Zürich und beim Jubiläum in Groningen sowie eines anderen Professors an der 300jährigen Gedenkfeier des Erscheinens von Napiers Loga rithmen in Edinburgh, in: Stiftungsfest der KWU 1915, S. 14.
184 Hauptstadt – Provinz – Grenze im kleinen Gießen trat 1907 ein amerikanischer Gelehrter auf, der dort studiert hatte.67 Bei Universitäten wie Berlin und Groningen führte die rege in- und ausländische Beteiligung sogar dazu, daß Ländergruppen jeweils einen Sprecher wählen mußten, der bei der Feier deren gemeinschaftlichen Glückwunsch darbrachte.68 Wie dabei der Internationalismus in die Defensive geriet, wird an den Reden der staatlichen Vertreter am deutlichsten: In Leipzig betonte der sächsische Kultusminister 1909, daß die Universität »nicht nur« als »weihevolle Priesterin (…) das heilige Feuer der Wissenschaft auf ihrem Altar genährt«, sondern »zu allen Zeiten« auch »die Trägerin hehrer vaterländischer Gesinnung« gewesen sei.69 Kam hier die supranationale Komponente allenfalls implizit vor, so erwähnte der Kaiser in Berlin ein Jahr später immerhin, daß »die Wissenschaft Gemeingut der ganzen kulturellen Welt [sei], und ihre Errungenschaften machen heute vor keinem Grenzpfahl mehr Halt«. Doch zugleich ermahnte er die Universität, »auch in alle Zukunft ein Sitz deutscher Sitte und deutscher Art« zu bleiben.70 Ausländische Gäste erkannten das Nationale, Deutsche an, betonten aber eher die internationale, völkerverbindende Wirkung der Universität und deuteten das Jubiläum als »erhabene Gesamt-Feier der ganzen zivilisierten Welt«.71 Deutsche Gelehrte drückten den Gästen zumindest pflichtschuldig ihre Anerkennung aus,72 manche würdigten sie, wie der Berliner Rektor, der Germanist Erich Schmidt, auch ausdrücklich: »Die beliebten Wendungen von deutschem Fleiß, germanischer Tiefe sollen keine Erbpacht bezeichnen, denn solcher Tugenden darf sich auch die von Rußland geführte slawische Gruppe rühmen, und was wir seit langen Jahrhunderten in unsrer Bildung den Romanen danken, wer möchte dies Unermeßliche auf einem Eilmarsch nur von fern andeuten!«73
Dem Altphilologen von Wilamowitz-Moellendorff zufolge schätzten die deutschen Gelehrten ihre ausländischen Freunde sogar eben deshalb, »weil sie anders sind als wir selbst«. Gerade durch das Festhalten am eigenen »Volkstum« 67 Schmidt, Jahrhundertfeier, S. 4 (Einladungen an die meisten europäischen und außer europäischen Universitäten); Binding, Feier, S. 35 (alle zehn russischen Universitäten eingeladen); Zur Erinnerung an die dritte Jahrhundertfeier, S. 54. 68 Zu Berlin s. die Reden der Gruppensprecher in: Schmidt, Jahrhundertfeier, S. 51 ff.; zu Groningen (wo der Petersburger polnische Altphilologe Tadeusz Zieliński die östliche Gruppe der europäischen Staaten repräsentierte) s. Otčet o sostojanii i dejatel’nosti Imperatorskogo Petrogradskogo universiteta za 1914 god, Petrograd 1915, S. 128. 69 Binding, Feier, S. 92. 70 Schmidt, Jahrhundertfeier, S. 38. 71 Zitat aus der Rede des Vertreters der Universität Athen, in: Schmidt, Jahrhundertfeier, S. 62. Vgl. auch die Rede des Vertreters der Universität Tokio 64. 72 S., mit leicht herablassendem Unterton, die Rede des Leipziger Rektors in Binding, Feier, S. 76. 73 Schmidt, Jahrhundertfeier, S. 71.
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diene man »der Menschheit, denn wir wissen, daß die Weltkultur daran hängt, daß sie eine Harmonie von vielen, möglichst vielen Volksindividualitäten bleibt oder wird, während die Uniformierung ihr Tod sein würde.«74 Dem Leipziger Rektor zufolge machte die »gemeinsame Denkarbeit« die Lehrenden der verschiedenen Länder trotz ihrer sprachlichen und konfessionellen Verschiedenheit »notwendig zu Schicksalsgenossen«. Aber indem er seine Universität zum Hort der Internationalität stilisierte, wo man immer die Besten berufen habe, auch »den Schweizer, den Dänen, den Norweger«, nutzte er dies wiederum zur eigenen Überhöhung gegen den »nationalen Fanatismus in Prag, als er an 2000 Studenten, etwa 4/5 der Gesamtzahl auswies«.75 Damit deutete er die Entstehung der Universität Leipzig aus einer spätmittelalterlichen Prager Sezession76 ganz aus der Perspektive des 19. Jahrhunderts – und versuchte seiner deutschen Universität gerade durch ihre postulierte Internationalität vor der einst böhmischen, 1882 geteilten und doch weiterhin von nationalem Hader geprägten Prager einen Vorrang zu verschaffen.77 Der damalige Internationalismus war »nicht altruistisch-menschheitlich«, sondern »vaterländisch bewegt«. Aus ›nationalem Interesse‹ sollte man sich ›international ausbilden‹. Der Leipziger Historiker Karl Lamprecht gehörte sowohl dem Leitungsausschuß des Verbandes für Internationale Verständigung als auch dem Alldeutschen Verband an, konnte »also in dieser schärfsten Zuspitzung [zugleich] Weltbürger und Chauvinist sein.«78 74 Schmidt, Jahrhundertfeier, S. 92 f. 75 Binding, Feier, S. 88 f. Vgl. die Deutung der Leipziger Gründung durch den Universitätsprediger ebenfalls im nationalen Sinn des 19. Jahrhunderts (67). 76 Bis dahin hatte jede der vier (nach Herkunftsregionen definierten) nationes eine Stimme, durch das Kuttenberger Dekret erhielt die natio Bohemica nun drei Stimmen, die anderen zusammen eine. Dies bewirkte die Abwanderung vieler deutscher Studenten und Lehrenden. Dabei erscheinen die Zahlen des Leipziger Rektors korrekturbedürftig. Auf ihrem Höhepunkt in den achtziger Jahren des 14. Jahrhunderts zählte die Universität Prag über 1000 (aber nicht etwa, wie hier impliziert, 2500) Studenten. Nach Z. Stamm, Prag (Praha), in: Boehm/Müller (Hg.), Universitäten und Hochschulen, S. 302–311, hier 305. 77 Heutzutage verkennt man die »erhöhte nationale Aktivität« der Tschechen in der deutschtschechisch-gemischten natio Bohemica des 14./15. Jahrhunderts zwar keineswegs, muß aber hinzufügen, daß sie im wesentlichen nur drei Fakultäten betraf, während die juristische (seit einigen Jahrzehnten eigenständige) auch nach der Verfassungsänderung ihren »übernationalen Charakter« wahren konnte. Diese Einschätzung nach František Šmahel, Die Prager Universität und der Hussitismus, in: Alexander P atschovsky/Horst Rabe (Hg.), Die Universität in Alteuropa, Konstanz 1994, S. 111–128, Zitate 117, 114. Zur Situation im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts knapp Maurer, National oder supranational?, S. 376 f. 78 vom Brocke, Deutsch-amerikanischer Professorenaustausch, S. 162 (in einfachen Anführungszeichen bei vom Bruch nicht gekennzeichnete Zitate von Diels). Allerdings scheint Diels’ Plädoyer, als Ganzes gelesen, nicht auf politische oder wirtschaftliche MachtExpansion zu zielen. Diels, Internationale Aufgaben der Universität, S. 37.
186 Hauptstadt – Provinz – Grenze Nationale Verpflichtung und Internationalität waren nur zusammen – aber das hieß auch: in ihrem Spannungsverhältnis – zu denken. 1910 machte der Berliner Universitätshistoriker Max Lenz eine Verbeugung vor den ausländischen Gästen, die aus »beiden Hemisphären« gekommen seien: »recht zum Zeichen, daß die Einheit und die völkerverbindende Kraft der Wissenschaft niemals so tief, so allgemein empfunden wurden, wie in dem Zeitalter der weltpolitischen Spannungen und der intensivsten Entfaltung nationaler Prinzipien«. Aber nachdem er mit Blick auf die konfliktreiche Gegenwart solchermaßen der Internationalität Tribut gezollt hatte, stellte er die Berliner Universität als deutsche Nationaluniversität dar, als Universität »der Befreiung des Vaterlandes« von der »Geißel des Fremden«,79 als Universität an der Spitze der Nationalbewegung, als Universität der deutschen Einheit.80 (Das griff Max Planck kurz nach Kriegsbeginn wieder auf.81) Der selbst durch bedeutende wissenschaftliche Leistungen ausgewiesene Mediziner Max Rubner82 streifte diese Aspekte beim Antritt seines Rektorats im Herbst des Jubiläumsjahres nur noch. Er rief zwar Schleiermachers Konzeption der Universität als »nationale Gemeinschaft des Wissens« in Erinnerung und wollte andererseits die »hervorragende Stelle« Berlins »in internationaler Beziehung, für das Studium der Ausländer«, nicht missen. Auch gelobte er für die Zukunft, daß die Berliner Universität »Stätte echt nationalen Empfindens bleibe«, rief die Erinnerung an 1813 wach und beteuerte: »und kämen die Zeiten wieder, sie würden kein kleines Geschlecht finden«. Doch das blieb in einer Phase des »Friedens mit aller Welt« noch hypothetisch.83 Im Vordergrund seiner programmatischen Rede, die den Standort der Universität in einem diversifizierten Bildungswesen und einer im Wandel befindlichen Gesellschaft zum Gegenstand hatte (»was an Bewährtem bleibt, und was sich neu gestaltet«84), standen die Idee der Universität und die Spezifika der deutschen und speziell der Berliner Universität: die Verbindung von Forschung und Lehre sowie die dafür nötige(n) Freiheit(en). 79 Lenz, Rede zur Jahrhundertfeier, S. 7. Die beiden Zitate stehen in unterschiedlichen Abschnitten, können aber dem Sinne nach durchaus zusammengedacht werden. 80 Lenz, Rede zur Jahrhundertfeier, S. 8, 6. 81 Bei der Rektoratsübergabe im Herbst 1914 sagte er: »denn so weitherzig sie [die Universität Berlin] auch von jeher ihre Pforten dem In- und Ausland gleichermaßen geöffnet hat, so war sie doch von jeher ihres ganz besonderen nationalen Charakters sich bewußt, eingedenk ihrer Geschichte und eingedenk der älteren Wahrheit, daß ohne nationale Ehre auch die Wissenschaft und der Unterricht nicht gedeihen kann.« (Rektorwechsel 1914, S. 6). 82 Er hatte seit 1891 als Nachfolger Robert Kochs den Lehrstuhl für Hygiene inne, seit 1909 das Ordinariat für Physiologie. Rubner gilt als Begründer der wissenschaftlichen Ernährungsphysiologie, der physikalisch-chemischen, experimentellen Hygiene sowie der wissenschaftlichen Arbeitsphysiologie. 1912 war er Mitgründer, ab 1913 Direktor des KWI für Arbeitsphysiologie. NDB 22 (2005), S. 158 f. (Eberhard J. Wormer). 83 Rubner, Unsere Ziele, S. 4, 19, 28. 84 Rubner, Unsere Ziele, S. 3 f.
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Die Verbindung von Forschung und Lehre und ihre Voraussetzungen Auf dem Hintergrund der »Zersplitterung der Materie in kleine und kleinste Nebenfächer« (die sich in den Neugründungen von Professuren und Instituten ausdrückte, welche vor allem dem Lehrbedarf folgten) sah Rubner die »hohe Aufgabe« der Universität und den »Lebensnerv ihrer Fortentwicklung« in der »Pflege der Wissenschaft in ihrer Gesamtheit«. Ihr Ziel sei das »Zusammenfassen der Tatsachen zu Gedanken«, das aber wohl kaum möglich sei, »wenn nur ein kleines Stück Wissens als Lehraufgabe« diene. Deshalb forderte er, die uni versity extension (also das Wirken in eine breitere Öffentlichkeit) auch inner halb der Universität durch geeignete Vorlesungen für Hörer aller Fächer umzusetzen.85 Obwohl er die Funktion der Berufsbildung keineswegs leugnete, sollte auf der Universität nicht nur reines Fachstudium betrieben werden. Vielmehr schien auf dem aktuellen Stand der Entwicklung der Wissenschaften eine »gegenseitige Befruchtung der Fakultäten« möglich und auch nötig.86 Als einziges Ziel der Forschung galt Rubner das Streben nach »Wahrheit und Erkenntnis«. Die Verkündung wissenschaftlicher Ergebnisse zu verbieten, heiße, sie87 »zur Unwahrheit zu verdammen«.88 (Mit großem Nachdruck, ja Pathos und religiöser Anspielung stellte 1913 auch der ehemalige Straßburger Philosophieprofessor Theobald Ziegler die Universität als Ort »für das professionelle Wahrheitssuchen und Wahrheitssagen« dar.89) Daraus folgte logisch die Forderung nach Freiheit der Forschung und, da Lehre und Forschung verbunden seien, »der produktive Forscher der kompilierenden Gelehrsamkeit gegenüber im akademischen Lehramt weit überlegen,« auch die Forderung nach Freiheit der Lehre. »Da Forschung und Lehramt in einer Hand liegen, so richten sich die Angriffe auf die Forschung vor allem gegen die Universitäten.«90 Ohne Anspielung auf bestimmte Beschränkungen oder Fälle erklärte Rubner solche
85 Rubner, Unsere Ziele, S. 16–18. Auch durch die Verstreuung der Institute und Hörsäle über die Stadt sowie die »Arbeitsfülle« sah er die Einheit gefährdet: »das Band der Universitas wird allzu locker« (19). 86 Rubner, Unsere Ziele, S. 27. 87 Rubner, Unsere Ziele, Zitate S. 6. Der Bezug in »sie zur Unwahrheit zu verdammen« ist nicht eindeutig. In Frage kommen sowohl die Universität als auch die Forschung. 88 Rubner, Unsere Ziele, S. 4. 89 Ziegler, Über Universitäten und Universitätsstudium, S. 26–28, Zitat 27. Ohne Kennzeichnung als Zitat oder Verweis auf die Bibel heißt es 27 f.: »Die Wahrheit wird euch freimachen« (Joh. 8, 32). Und dies wiederum begründet, wie im folgenden bei Rubner, die aus dem Wahrheitsstreben resultierende Forderung nach Freiheit der Forschung und der Lehre. 90 Rubner, Unsere Ziele, S. 5, 8 f.
188 Hauptstadt – Provinz – Grenze Angriffe zur ständigen Begleiterscheinung in der Vergangenheit und erwartete ähnliches auch in Zukunft.91 Seine Rede im Berliner Jubiläumsjahr gehörte genau in den Kontext des sich in dieser Zeit ausbildenden Mythos der Humboldtschen Universität – während der ihm zugrundeliegende Neuhumanismus ja schon vor Humboldt ent wickelt worden war. Diese ›Erfindung einer Tradition‹ diente der Legitimation des eigentlich neuen Ideals der Forschungsuniversität, wie sie sich im 19. Jahrhundert ausgebildet hatte.92 Und da der Forschungsimperativ die Freiheit der Wissenschaft erforderte, mußte die Universität mit dem Staat, seiner Aufsicht und seinen zunehmenden Eingriffen in das Universitätssystem kollidieren. Gegen diese Eingriffe wandten sich Professoren und Privatdozenten der Universitäten und Technischen Hochschulen auf den seit 1907 fast jährlich stattfindenden Hochschullehrertagen. Zwar war deren Schaffung höchst kontrovers, wurde nur von einem kleinen Teil der deutschsprachigen Dozentenschaft unterstützt: 1000 hatten schriftlich ihre Zustimmung zu dem Aufruf bekundet.93 Trotzdem handelte es sich um das breiteste (und allen offenstehende) Diskus sionsforum, das deshalb in Verbindung mit den Stellungnahmen seiner Gegner und den schon referierten zeitgenössischen Aussagen das beste Quellenkorpus für das Selbstverständnis in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg darstellt. Die Initiatoren und Unterzeichner des Aufrufs kamen zwar aus deutschen und österreichischen Universitäten, doch preußische waren kaum darunter. Die einzige Berliner Unterschrift stammte von dem damaligen Professor der Handelshochschule Werner Sombart (der erst elf Jahre später an die Universität berufen wurde). Unter den Unterzeichnern fanden sich der berühmte Münchner (einst Straßburger) Nationalökonom Lujo Brentano, sein Heidelberger Kollege Eberhard Gothein, der Historiker Friedrich Meinecke, der damals seit einem Jahr in Freiburg lehrte (zuvor in Straßburg, erst ab 1914 in Berlin). Aus Straßburg gehörten noch der Philosoph und Pädagoge Theobald Ziegler und der Anglist Emil Köppel dazu, aus Gießen der Romanist Dietrich Behrens und der Historiker Hermann Oncken (der aber im selben Jahr noch nach Heidelberg wechselte). Ihr Anliegen war, angesichts des »Vorgehens der staatlichen Ver waltung« bei Stellenbesetzungen und anderen, gegen die Interessen der Univer91 Zu denken wäre etwa an die lex Arons oder die Nichtzulassung eines Sozialdemokraten zur Habilitation in Jena. 92 S. dazu Paletschek, Verbreitete sich ein Humboldt’sches Modell, S. 100–104, wo sie dies als ›Erfindung einer Tradition‹ zur Legitimation eines tatsächlich neuen Universitätsideals darstellt; Bernhard vom Brocke, Die Entstehung der deutschen Forschungsuniversität, ihre Blüte und Krise um 1900, in: Schwinges (Hg.), Humboldt International, S. 366–401, hier 383 f. 93 Die Zahl nach vom Bruch, Öffentliche Meinung, S. 120. Zieht man die Angaben S. 119 heran, entspräche dies einem knappen Viertel der deutschen Hochschullehrerschaft. Dagegen schätzte Delbrück deren Gesamtzahl auf 9000 (s. u. A. 100) – dann wäre es nur ein Neuntel.
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sitäten getroffenen Entscheidungen, ihre »eigenen«, auch materiellen Interessen als Hochschullehrer und, als Voraussetzung dafür, »die idealen Interessen, [als] deren Hüter« sie sich verstanden, zu vertreten. »In einer Zeit, da alle Stände und Berufe sich zur Wahrnehmung der ihnen an vertrauten Interessen organisieren, kann wohl niemand daran Anstoß nehmen, wenn ein Stand, der von alters her das Recht korporativer Organisation hat, eine Ausbildung dieser Organisation entsprechend den veränderten Zeitverhältnissen auf breiterer Basis sucht.«
Auf dem ersten deutschen Hochschullehrertag in Salzburg 1907 sollte darüber beraten werden, ob eine alle Hochschulen umfassende Organisation geschaffen werden und, falls ja, welche Gestalt sie haben sollte.94 Der wichtigste professorale Publizist der Zeit, der Berliner Historiker Hans Delbrück, veröffentlichte in den von ihm herausgegebenen Preußischen Jahr büchern einen flammenden Artikel gegen diesen Plan.95 Er erkannte in ihm die zeitgenössische Logik, mit einem Zusammenschluß der ›Arbeitnehmer‹ auf den der ›Arbeitgeber‹ (d. h. der deutschen Bundesstaaten) zu reagieren. Doch selbst wenn letzterer (der seiner Einschätzung nach zum Heil der Universitäten wirkte) eine Gefahr wäre: »Was für Maurer und Zimmerleute, Schmiede und Schlosser richtig ist, ist es darum doch noch nicht für Professoren.« Ein »Gewerkverein« sei die richtige Organisation nur für Berufe, in denen »die Individualität keine Rolle spielt«. Bei den Professoren dagegen seien »die allgemeinen Standesfragen in dem Maße mit Personalfragen individuellster Art verknüpft, daß sie sich zu einer öffentlichen Diskussion und Feststellung schlechterdings nicht eignen.« Falls Professoren streiken sollten, würde dies die Wissenschaft mehr zerrütten als jeder staatliche Eingriff. Da sich ein großer Teil der Profes sorenschaft aber ohnehin weigern würde, würde alles doch wieder mit einer Unterwerfung enden und die Hochschullehrer auch noch dem Spott aussetzen. Delbrück baute deshalb auf Selbstkritik und Selbstkorrektur der akademischen Welt.96 Da reine Selbstergänzung mit der Zeit zu geistiger Erstarrung führen, eine rein bürokratische Ernennung die Lehrkörper aber »in Mandarinenkollegien verwandeln« würde, plädierte er für die formelle Ungebundenheit des Ministers bei starkem Einfluß der Fakultäten und jeweiligen Fachgenossen. Aber nicht nur inhaltlich widersprach Delbrück dem Ansinnen. Er bezweifelte auch,
94 Der Aufruf ist, samt Namen der Mitglieder des Vorbereitungskomitees und der übrigen Unterzeichner des Einladungsschreibens, abgedruckt in: Verhandlungen des ersten Hochschullehrer-Tages, S. III-V. 95 Hans Delbrück, Eine Professoren-Gewerkschaft, in: Preußische Jahrbücher 129 (1907), S. 129–142. 96 Als Beispiel nannte er die Abweisung eines Habilitanden in Berlin – den die Universität aber später mit Ehren zum Ordinarius berief.
190 Hauptstadt – Provinz – Grenze daß es »die führenden Männer der deutschen Wissenschaft« seien, die zu dem Hochschullehrertag einluden.97 Immerhin räumte er einem der Unterzeichner des Aufrufs, dem Wiener Rektor Wilhelm Meyer-Lübke, einem methodisch wegweisenden Romanisten aus der Schweiz mit internationaler Karriere,98 Platz in seiner Zeitschrift ein (um in der Nachbemerkung der Redaktion sein eigenes Verdikt dann aber verschärft zu wiederholen). Dabei erklärte Meyer-Lübke die Berechtigung des Appells zum einen aus dem »Großbetrieb« der Wissenschaft (den Harnack zwei Jahre zuvor ja gerade in den Preußischen Jahrbüchern dargelegt hatte): Bei den Akademien habe dies schon zum Zusammenschluß geführt. Zum anderen bezog er sich auf die ›Zufälligkeit‹ der Zusammensetzung der Rektorenkonferenzen, die daher nicht ohne weiteres ›sachlich autoritativ‹ seien. (Damit wandte er zwei Formulierungen Delbrücks gegen den geplanten Hochschullehrertag seinerseits gegen die Rektorenkonferenzen.)99 Doch Delbrück beharrte – gerade mit Verweis auf die Akademieunternehmen, bei denen »ausgewählte kompetente Persönlichkeiten« zusammenarbeiteten – auf der »Verkehrtheit des Unternehmens« eines Hochschullehrertages, zu dem alle kommen konnten, und sprach dem geplanten Ereignis sogar die moralische Berechtigung ab, da die Beteiligung zu gering sei und »die Maßgebendsten« fehlten.100 Aber er begnügte sich keineswegs mit öffentlicher Agitation gegen den geplanten Kongreß, sondern ermunterte im persönlichen Briefwechsel auch einzelne Kollegen, z. B. Oncken, auf das Scheitern des Plans hinzuwirken oder ihn wenigstens »als bloße Gruppenkundgebung [zu] stigmatisieren«.101
97 Neben einigen bedeutenden fand er auffallend viele, die als »inexakte, unzuverlässige Forscher, als Konfusionare, als Schönredner bekannt« seien (Delbrück, Professoren- Gewerkschaft, Zitate S. 130, 136, 133, 137, 138). 98 Lehre in Zürich, Paris, Jena – nach 25 Jahren in Wien ab 1915 schließlich in Bonn (NDB 17, S. 303–304 [W. Theodor Elwert]; ÖBL 6, S. 5). 99 W[ilhelm] Meyer-Lübke, Der deutsche Hochschullehrertag in Salzburg, in: Preußische Jahrbücher 129 (1907), S. 325–332 (Text M-L.s 325–330, Nachwort der Red. 331–332), Zitate von Delbrücks Formulierungen 329. Vgl. bei Delbrück, Eine Professoren-Gewerkschaft, S. 131, 137. 100 Er schätzte die Gesamtzahl der Hochschullehrer im deutschen Sprachraum auf 9000. Unter den 1000 Zustimmenden mußten nach seiner Vermutung die meisten zu den nicht ans »Ziel ihres Strebens« Gekommenen gehören. Einen solchen Kongreß dürfe man aber nur einberufen, wenn man »die entschiedene Mehrzahl und die Maßgebendsten der beteiligten Kreise hinter sich zu haben« hoffen könne. Nachwort der Redaktion zu Meyer-Lübke, Hochschullehrertag, S. 331–332. 101 27.6.1907. Am 21.6.1907 hatte er ihn entgeistert gefragt, wie er nur dazu gekommen sei, zu unterschreiben. »In der Gesellschaft! Mit den historischen Schulungen!!« (beide Briefe zit. bei vom Bruch, Öffentliche Meinung, S. 120 A. 242, Hervorh. i. O. Dort auch Hinweise auf Korrespondenz mit Paulsen, der den Hochschullehrertag ebenfalls ablehnte, und Max Lehmann).
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Bei den Hochschullehrertagen, die trotz Delbrücks Agitation von bedeutenden Gelehrten geprägt wurden,102 versuchten die Teilnehmer, untereinander das zu praktizieren, was sie sich selbst in der Gesellschaft und im Staatswesen zuschrieben: Überparteilichkeit. Konfessionelle und politische Meinungsunterschiede sollten ebensowenig eine Rolle spielen wie wissenschaftliche Fehden: Solange sie »im Dienste höherer Interessen« tagten, sollte »Gottesfrieden« herrschen. Und eben weil es um höhere Interessen ging, lag es ihnen fern, »Frondierungssüchtige gegen den Staat« mobilisieren.103 Sie beanspruchten auch nicht, ein Professorenparlament zu sein, wie ihnen unterstellt worden war, sondern vertraten nur sich selbst.104 Die vom Hochschullehrertag beschlossene Organisation sollte zwei Aufgaben erfüllen: »einmal die notwendigen Reformen des Hochschulwesens nach innen hin vorzubereiten und für ihre selbständige Durchführung zu wirken, zweitens nach außen hin die gemeinsamen Interessen der Hochschulen, insbesondere auch in ihrer Eigenschaft als Selbstverwaltungskörper, wahrzunehmen.«105 Folglich ging es als erstes – und immer wieder – um die Autonomie, die man gerade in den letzten Jahrzehnten durch den Staat beschränkt sah (nicht etwa im Vergleich zu früheren Jahrhunderten – was Delbrück aus dem Aufruf herausgelesen und den Initiatoren als schweren historischen Fehler angekreidet hatte).106 Dabei wurde die Notwendigkeit der Staatsaufsicht grundsätzlich bejaht, da der Staat ja auch die Mittel bereitstelle. Doch die Hochschulen seien »fast bureaukratisiert. Das heißt: nicht mehr Selbstverwaltung der Universitäten, der technischen Hochschulen, unter Staatsaufsicht, sondern Reglementierung durch Regierungskommissare, Reglementierung vom Bureau aus, womöglich in allen Ange legenheiten.«
Diese Beschränkung der Autonomie deutete Karl von Amira in seinem Einleitungsreferat als ersten Schritt zur ›Bürokratisierung‹ der Hochschulen, d. h. »den einzelnen Hochschullehrer« zu behandeln »wie einen beliebigen anderen Staatsbeamten, dem man die täglichen Dienstvorschriften auf Schritt und Tritt mitgibt«. Dabei erschien die Einigung der Hochschulverwaltungen der Bundesstaaten, die Aufstellung gewisser Minimalbedingungen für die Promotion zu fordern, als Präzedenzfall (obwohl ihre Nützlichkeit nicht bestritten wurde!): »Aber wenn man auf einem Gebiete, auf welchem die Autonomie der akademischen Körperschaften von jeher am wenigsten antastbar schien, sie verlet102 vom Bruch, Öffentliche Meinung, S. 118. 103 Aus dem Einleitungsreferat von K. v. Amira (Verhandlungen des ersten Hochschullehrer-Tages, S. 3). 104 K. v. Amira, in: Verhandlungen des ersten Hochschullehrer-Tages, S. 19. 105 Verhandlungen des ersten Hochschullehrer-Tages, S. 53. 106 K. v. Amira, in: Verhandlungen des ersten Hochschullehrer-Tages, S. 4; vgl. Delbrück, Professoren-Gewerkschaft, S. 138 f.
192 Hauptstadt – Provinz – Grenze zen konnte, warum nicht auch auf anderen?« Seit langem gehörten (gelegent liche) Berufungen ohne Befragung der Fakultät zu diesen Einschränkungen.107 Delbrücks Vorschlag, die Behörden sollten sich »bei den ersten Notabilitäten der Wissenschaft« erkundigen, wurde als »Hintertreppenpolitik« und wegen der Gefahr des Intrigantentums zurückgewiesen. Auch die Rektorenkonferenz, mit der »die Bureaukratie selbst scheinbar konstitutionelle Wege betreten« habe, werde immer nur dazu dienen, »den in Wahrheit Verantwortlichen ihre Verantwortlichkeit abzunehmen.« »Nichts wird übrig bleiben als festes Stellungnehmen jedes einzelnen Mannes«, wofür aber jeder die Rückendeckung anderer und die Besinnung auf die Pflichten einer akademischen Körperschaft brauche. Dies solle eine starke (neu zu schaffende) Organisation gewährleisten – der wohl niemand eine Gegenorganisation entgegenzustellen wage.108 Auch bei der Diskussion spezifischer Fragen,109 etwa der Organisation des Promotionswesens110 oder der Neugründung von Universitäten111 spielte das Prinzip der Autonomie immer eine wichtige Rolle. Durch die Einschränkung der Autonomie hatten die Universitäten und Gelehrten dem Aufruf zufolge auch an Ansehen verloren. Doch blieben die Versammelten nicht bei der Kritik an den Behörden stehen, sondern forderten auch immer wieder Selbstkritik. Man dürfe nichts vertuschen! »Man muß vielmehr die Wunden besichtigen und bei sich selber anfangen, wenn man das verlorne Ansehen zurückgewinnen will,«112 und selber Hand anlegen, wo man Mißstände beobachte.113 Schon bei der Gründung ging es, ebenso wie später, immer auch um nötige Reformen der Universität.114 Und dabei galten für die hier Versammelten dieselben Prinzipien, die Rubner 1910 in seiner programma 107 »Das nächste Mal schreibt man dann nicht Minimal-, sondern Maximalbedingungen vor, und das übernächste Mal nimmt man die Erteilung des Doktortitels selbst in die Hand; dann wird der Doktortitel in den Ministerialbureaux verliehen, und man braucht sich dabei bloß auf das Muster von Japan zu berufen.« K. v. Amira, in: Verhandlungen des ersten Hochschullehrer-Tages, S. 8, 10 f. 108 K. v. Amira, in: Verhandlungen des ersten Hochschullehrer-Tages, S. 13 f. 109 Eine Übersicht der Themen der einzelnen Hochschullehrertage, z. T. mit knapper Zusammenfassung des Einführungsreferats oder der Thesen, bei: Hans Gerber, Entwicklungsgeschichte des Hochschulverbandes, in: Mitteilungen des Hochschulverbandes 11 (1963), S. 46–72, hier 62–65. 110 Verhandlungen des fünften Hochschullehrertages, S. 4, 6 (Amiras Thesen und Referat) 23 f., 28 f. (Diskussion dazu), 28–31 (Amiras Stellungnahme zur Diskussion!), 63 (Amiras Schlußwort). 111 Verhandlungen des fünften Hochschullehrertages, S. 93. 112 Verhandlungen des ersten Hochschullehrer-Tages, S. 18. 113 Verhandlungen des fünften Hochschullehrertages, S. 6. 114 S. dazu etwa, mit ganz verschiedenen Gesichtspunkten, die Beiträge des Bonner Orientalisten (und späteren Referenten im pr. KuMi bzw., in der Weimarer Republik, selbst Kultusministers) Becker sowie des Münchner Nationalökonomen Walther Lotz in: Verhandlungen des fünften Hochschullehrertages, S. 149–151 bzw. 154 f.
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tischen Rede hervorhob: das »unbeschränkte Prinzip der freien Forschung« als unabdingbare Grundlage der Universität115 einerseits und ihre nationale Aufgabe andererseits.116 Die Forschungsorientierung zeigte sich etwa an den wiederholten Klagen über das niedrige Niveau deutscher Dissertationen. »Milde gesagt [, seien] 90–95 % der Verewigung durch den Druck nicht wert«.117 Man geniere sich geradezu, einen solchen »Wisch von zwei Bogen mit einer Krankengeschichte oder Paragraphenjurisprudenz« im Tausch gegen die gewichtigen französischen thèses anzubieten.118 Englische und amerikanische Universitäten nähmen es sich ja sogar »heraus, den nämlichen Doktortitel noch einmal zu verleihen«.119 Wenn man sie denn berücksichtigt hätte, hätte übrigens auch die russische Praxis ein Argument für diese Beurteilung des Niveaus deutscher Dissertationen geboten: denn ein in Deutschland Promovierter mußte üblicherweise danach noch den russischen Magistergrad erwerben, wenn er an einer heimischen Universität weiterkommen wollte.120 Auch die Beziehungen zwischen Lehrenden und Studierenden kamen in diesen Beratungen – wie in Rubners Rede und anderen Stellungnahmen der Zeit121 – immer wieder vor, selbst wenn sie nicht das eigentliche Thema waren. Auf dem Weg zum Großbetrieb schienen die Einheit der Wissenschaften und die korporative Gemeinschaft der Lehrenden und Studierenden kaum noch realisierbar. Zwar war das »Konzept einer Lehr- und Lerngemeinschaft«, in der Studierende und Lehrende als Gleichberechtigte miteinander umgingen, nicht Letztere erstere ausbildeten oder gar erzogen, schon unter dem Rektorat Fichtes an seine Grenzen gestoßen.122 Doch die enge Verbindung von Forschung und Lehre gehörte zum Credo deutscher Professoren. Sie war nicht nur das Ideal, sondern wurde als praktizierte Regel betrachtet: Daß in den letzten hundert Jahren fast alle bedeutenden Forscher zugleich Lehrer der Jugend gewesen 115 So der Leipziger Jurist und Vorsitzende Adolf Wach: Verhandlungen des fünften Hochschullehrertages, S. 141. 116 S. die Übereinstimmung der beiden Referenten Karl Bücher und Georg Kaufmann mit sonst ganz unterschiedlichen Ansichten zum Thema »Universitätsgründungen« in: Verhandlungen des fünften Hochschullehrertages, S. 85–103 bzw. 103–110, hier 103. 117 Ziegler, Über Universitäten und Universitätsstudium, S. 111. 118 Verhandlungen des ersten Hochschullehrer-Tages, S. 16 (Zitat); vgl. Verhandlungen des fünften Hochschullehrertages, S. 7, 10–12, 14 f. (alle: v. Amira). 119 Verhandlungen des ersten Hochschullehrer-Tages, S. 16. 120 In Rußland gab es damals drei akademische Grade; der Magister war der zweite. S. Maurer, Hochschullehrer, S. 38. Der berühmte Sprachwissenschaftler Jan Baudouin de Courtenay erwarb 1866 den Magister an der (damals noch polnischen) Universität Warschau, 1870 den deutschen Dr. phil. und wurde 1870 zur Privatdozentur in Sankt Petersburg zugelassen, nachdem er dort noch den russischen Magistergrad erworben hatte. S. dazu seinen Personalbogen (1905): Rossijskij Gosudarstvennyj Istoričeskij Archiv (Sankt Petersburg) 740/21/325, fol. 6–19. 121 Siehe z. B. Ziegler, Über Universitäten und Universitätsstudium, S. 26 f., 55, 81–83. 122 vom Bruch, Vom Humboldt-Modell zum Harnack-Plan, S. 10.
194 Hauptstadt – Provinz – Grenze seien, habe nicht nur zur Blüte der Universitäten geführt, sondern weit über sie hinaus »die Erziehung der Nation zu rastlosem Fortschritt, die Stärke im inter nationalen Wettkampf« bewirkt. Die unmittelbare persönliche Einwirkung, die zu verflachen drohte, habe durch klinischen und Laborunterricht in der Medizin und den Naturwissenschaften, durch Seminare in den Geisteswissenschaften, glücklicherweise »eine Wiederbelebung erfahren«.123 Doch durch die ständig steigende Frequenz öffnete sich, trotz ebenfalls wachsender Privatdozentenschaft und der Einrichtung neuer Extraordinariate, die Schere zwischen der Zahl der Lehrenden und der Studierenden immer weiter, und dies veränderte auch die Qualität der Beziehungen. »Wenn bei einer Operation 400 Studenten herumsitzen, können sie überhaupt etwas von dem sehen, was im Operationssaal vorgeht? (…) Wenn in unseren Hörsälen bei einer Seminarübung 60 bis 100 Studenten herumsitzen, dann können wir diese Leute auch nicht anregen, wir können sie namentlich nicht zum Sprechen bringen.«
Daher mußten dem Straßburger Emeritus Theobald Ziegler zufolge neue Universitäten gegründet werden. Nur so könne es wieder eine »innige Verbindung von Studenten und Professoren« geben.124 Dazu kamen Klagen, daß manche Institutsdirektoren die Beratung ganz auf ihre Assistenten abwälzten.125 Erfahrungen und Ansichten über die Details mochten auseinandergehen, z. B. zur Frage, ob etwa in kleineren Universitäten der Kontakt enger sei:126 das Prinzip der persönlichen Wechselwirkung zwischen Dozenten und Studenten wurde dadurch nur bekräftigt. Und das dafür nötige Vertrauensverhältnis setzte wiederum die Lehrfreiheit im Sinne des »Wahrheitssagens« ohne jegliche Einschränkung voraus.127 Gegensätzlich waren jedoch die Anschauungen zum geselligen Umgang dieser beiden Gruppen. Da die Studentenverbindungen als Männerbünde auf Lebenszeit angelegt waren, trafen sich dort auch die Aktiven mit den sogenannten Alten Herren (unter denen zahlreiche Professoren waren). Zudem hatten die Verbindungen große Bedeutung für die Vorbereitung universitärer Festakte (auch zu nationalen Feier- und Gedenktagen). Und auf den eigenen Kom123 Rubner, Unsere Ziele für die Zukunft, S. 8, 10. 124 Verhandlungen des fünften Hochschullehrertages, S. 123. 125 So berichtet im Eröffnungsreferat von Amira in: Verhandlungen des ersten Hochschullehrer-Tages, S. 17 f. 126 S. dazu Verhandlungen des fünften Hochschullehrertages, S. 125, 137, 138. 127 »Und nicht bloß, wenn wir die Unwahrheit wirklich sagen, sondern schon dann, wenn sie [die Studenten] wissen, daß wir die Wahrheit nicht sagen dürfen oder Grund haben, uns davor zu fürchten und aus äußeren, weltlichen Rücksichten Vorsicht zu üben, erleidet ihr Glaube an uns einen Stoß. So beruht unsere Wirksamkeit und das dafür nötige Vertrauensverhältnis zwischen Lehrern und Schülern, Dozenten und Hörern ganz ausdrücklich auf diesem Grundsatz.« (Ziegler, Über Universitäten und Universitäts studium, S. 26 f.).
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mersen, die sie zu diesen Anlässen veranstalteten, trafen sie im geselligen Kreis wiederum mit ihren Professoren zusammen.128 Amira registrierte 1907 »wenigstens an gewissen Hochschulen« einen Ton, »von dem man nicht sagen kann, daß er den Studenten gegenüber die pädagogisch wünschenswerte Zurückhaltung markiert. Ich meine zu beobachten, man komme ihnen oft allzuweit entgegen, man bewerbe sich allzu leidenschaftlich um sie. Es gibt Dozenten, die veranstalten jedes Semester fidele Kneipgelage mit ihren Hörern, wobei sie dann mit der berühmten Rede paradieren, wie sie sich verjüngt fühlen im Umgange mit den Kommilitonen!«
Da das Protokoll »lebhaften Beifall« verzeichnete, scheinen zumindest die hier versammelten (reformorientierten) Hochschullehrer seine Abneigung geteilt zu haben. Amira zufolge kehrte sich durch solchen Umgang das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler um, weil die Studenten sich nun das Recht des Urteils über ihre Dozenten nahmen und auch Details von deren Ausführungen durch Beifall und Mißfallen zensierten.129 Während die Besucher dieser Kongresse und die (1913) 700 Mitglieder des 1911 gegründeten Vereins Deutscher Hochschullehrer130 die prinzipiellen Vorstellungen von der Einheit der universitas, der Einheit von Forschung und Lehre und des unmittelbaren Verkehrs zwischen Lehrenden und Studierenden mit der Mehrheit der ihnen ferngebliebenen Kollegen teilten, ließen ihre scharfen Ab sagen an staatliche, parteipolitische und aus der Wirtschaft kommende Ver suche zur Beschränkung der Unabhängigkeit der Universität den Hochschullehrertag als berufsständische Abwehrorganisation erscheinen.131
Der ›Stand‹ der Professoren Darüber, daß die Hochschullehrer einen eigenen Stand bildeten, schien man sich aber über alle Fragmentierungen hinweg weitgehend einig zu sein. So lautete nicht nur die Formulierung im Aufruf. Auch ein Soziologe wie Georg Simmel gebrauchte den Begriff ganz selbstverständlich. Als der Vertrag des Initiators und Gründungsrektors der Berliner Handelshochschule Ignaz Jastrow nicht verlängert wurde, die sie tragende Berliner Kaufmannschaft ihm aber Verhandlungen über eine Erneuerung auf anderer Grundlage anbot, schrieb Simmel (als früherer Berliner Kollege, neuerdings Straßburger Ordinarius) ganz selbst verständlich: »Nicht nur um seiner Person, sondern einfach um der Achtung 128 Maurer, Universitas militans, S. 62 f. 129 Amira in: Verhandlungen des ersten Hochschullehrer-Tages, S. 18. 130 vom Bruch, Öffentliche Meinung, S. 118 f.; ausführlicher Auszug aus den Satzungen bei Gerber, Entwicklung des Hochschulverbandes, S. 65–67 A. 50. 131 Einschätzung in der Öffentlichkeit: vom Bruch, Öffentliche Meinung, S. 118.
196 Hauptstadt – Provinz – Grenze seines Standes willen verbietet sich für jeden Hochschullehrer jede Antwort auf diese Unwürdigkeit.« Den grundsätzlichen Unterschied zu anderen Berufen unterstrich Simmel noch damit, daß die Begründung nicht stichhaltig sei, Jastrow übe (als Extraordinarius) ja gleichzeitig eine Lehrtätigkeit an der Universität aus; denn letztere beeinträchtige erstere nicht: »für die akademische Thätigkeit ist der Begriff der ›vollen Arbeitskraft‹ überhaupt nicht anwendbar.«132 Der Vorsitzende des Vereins Deutscher Hochschullehrer, der Leipziger Prozeßrechtler Adolf Wach, hielt die alte Einteilung in »Lehrstand, Nährstand und Wehrstand« nicht mehr für zeitgemäß; denn ein Stand bedürfe der »einigenden Momente«. »Standbildend« wirkten demnach »charakteristische Lebensziele, eigenartige Berufsmomente und damit Lebensinteressen«. Das Lebensprinzip der Hochschullehrer machte er in der »Freiheit der Forschung und Lehre« aus. Es bestimme ihre »Sonderstellung« ähnlich wie die Unabhängigkeit die der Richter. Seinen Ausdruck finde es in der »als unantastbar zu wahrenden Organisation und Autonomie unserer Hochschulen«. Mit der Organisation der Hochschullehrer in dem 1911 gegründeten Verein sei »zum Ausdruck gebracht, daß von einem Stand derselben gesprochen werden darf«.133 Während einerseits also ihre soziale Stellung durch den Modernisierungs- und Professionalisierungsprozeß der anderer sozialer Eliten angeglichen wurde,134 definierten sie sich selbst mit einem traditionellen Begriff und suchten damit der »Nivellierung« der »Unterschiede« zu begegnen.135 Aus dieser Perspektive konnte dann sogar die Verleihung von Auszeichnungen und Titeln durch die Regierung kritisiert werden, weil das nichts koste und dem Streben der »bedientenhaft(en)« Deutschen nach Titeln entgegenkomme,136 während »billige Auszeichnungen« »in den Augen der unkundigen Menge den Gelehrten [in Wirklichkeit doch] in die bureaukratische Hierarchie« einordneten. Gelegentlich würden sie »anständigen Menschen auch aufgedrungen«. Weil die Rangstellung des Hochschullehrers zu niedrig sei, wolle man den einzelnen daraus »emporheben« und mache damit den anderen »die Niedrigkeit 132 Und das wiederum belegte er durch Vergleich mit Harnacks Direktorat der Königlichen Bibliothek, das ja viel »größere Ansprüche an Zeit und Kraft stellt als die paar wöchentlichen Kollegstunden Jastrows an der Universität«. Die Kündigung wegen weiterer Lehrtätigkeit und ohne Beeinträchtigung der anderen erschien ihm »als ein Unikum in der Geschichte der deutschen Hochschulen«. Georg Simmel, Der Fall Jastrow, in: Die Zukunft 23, Bd. 89 (1914), S. 33–36, Zitate 34, 35. 133 Der Stand der Hochschullehrer, in: AR 1 (1912), S. 1–5, Zitate 3, 4, 1. 134 Christian Jansen, Vom Gelehrten zum Beamten, S. 7. 135 Die Begriffe sind aus der Rede Rubners isoliert, wo er als Folge des »Bildungstrieb(s) des deutschen Volkes« und der Popularisierung der Ergebnisse der Forschung einerseits einen »allseitigen Aufschwung unsrer (!) Nation« ausmacht, aber auch eine »oft genug rein äußerliche Nivellierung der geistigen Unterschiede der einzelnen Volksschichten« (Rubner, Unsere Ziele, S. 14). 136 Verhandlungen des fünften Hochschullehrertages, S. 29 (v. Amira).
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ihres Ranges noch empfindlicher«, statt »die Rangstellung des Hochschullehrers selbst« zu heben. Letztlich ziele das darauf, »die Hochschullehrer zu abhängigen Existenzen zu stempeln«.137 Kritisiert wurde auch, daß man meine, dem Publikum die Professoren nur noch mit ihren zusätzlichen Titeln – vom Regierungsrat bis zur Exzellenz – empfehlen zu können. Wenn der ironische Satz »Für einen einfachen Professor gehört schon ein gewisser Mut dazu, sich in diese Gesellschaft hineinzutrauen« auf dem ersten Hochschullehrertag mit »Heiterkeit und Beifall« aufgenommen wurde,138 spricht dies dafür, daß man als Kriterium, das wirklich zählte, nur die wissenschaftliche Leistung – die Voraussetzung der Professur – betrachtete. Dementsprechend wurde über einen der herausragenden Gelehrten der Zeit, den Berliner Altphilologen Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Ritter der Friedensklasse des Ordens Pour le mérite und seit 1910 Wirklicher Geheimer Rat mit dem Prädikat »Exzellenz«, berichtet: »Seinen Studenten gegenüber (…) aber mochte und wollte er immer nur der ›Professor‹, der anregende und fördernde Lehrer, der gütige Freund und Be rater in allen Studien- und Lebensfragen bleiben.«139 Das wirft einerseits zusätzliches Licht auf die Gemeinschaft der Lehrenden und Studierenden, hebt sie aber andererseits von der Gesamtgesellschaft ab, in der Wilamowitz auf den Titel wohl kaum verzichtete. Und weniger bedeutende Gelehrte, wie etwa der Gießener Theologe Krüger, mochten zwar im Prinzip zustimmen, daß Professoren eigentlich nur ihre Amtsbezeichnung führen sollten, aber gleichzeitig fordern, daß wegen der Entwertung des Professoren-Titels durch dessen Verleihung an Oberlehrer eben doch mehr »Charakterisierungen« nötig seien, und beklagen, daß die Verleihung des dafür üblich gewordenen Geheimrattitels zu schematisch angewandt werde (weil nur Dienstzeiten in Hessen und im Ordinariat angerechnet wurden).140 Tatsächlich wurde die Professorenschaft im Kaiserreich in Relation zum restlichen Bildungsbürgertum als eine Art Ersatzadel beschrieben – was sich auch in der Presse verschiedener Richtungen spiegelte, die ihnen und ihren Aktivitäten gegenüber großen Respekt bezeigte.141 Am Anfang des 20. Jahrhunderts registrierte Paulsen »die liebevolle Aufmerksamkeit« seitens der Öffentlichkeit. »Von der Habilitation an wird über ihn [den Universitätsgelehrten] als eine öffent liche und wichtige Persönlichkeit berichtet; bei jeder neuen Stufe, die er erklimmt, wird er dem Publikum in Erinnerung gebracht. Jede Berufung wird an alle Zeitungen 137 Verhandlungen des ersten Hochschullehrer-Tages, S. 12 (v. Amira). 138 Verhandlungen des ersten Hochschullehrer-Tages, S. 5 f. (v. Amira). 139 Rektor Wilamowitz. Kriegswahlen an der Berliner Universität, in: Vossische Zeitung 391, 3.8.1915 MA , S. 2 f., Zitat 2. 140 Krüger, Denkschrift, S. 4 f. Vgl. S. 7 seine analoge Klage über Rangverleihungen (die ebenfalls Leistungen für Hessen voraussetzten). 141 Craig, Scholarship and Nation Building, S. 17 (mit einer Fülle von Nachweisen).
198 Hauptstadt – Provinz – Grenze des Deutschen Reiches telegraphiert, wochenlang ist das deutsche Volk in Spannung, ob er dem Ruf folgen wird, oder ob es gelingt, ihn der Universität, die er mit seiner Gelehrsamkeit schmückte und nun mit seinem Verlust bedroht, zu erhalten.«142
Spiegelt die reichsweite Benachrichtigung selbst vielleicht noch die den Professoren zugewiesene gesellschaftliche Stellung, so zeugt die Wahrnehmung ihrer (vermuteten) Resonanz doch entweder von Selbstüberschätzung oder von einem eigentümlichen Volksbegriff, auf jeden Fall von einer gewissen Realitätsferne. Trotz der Unterschiede nicht nur politischer Art (die innerhalb der Professo renschaft wie in der Gesamtgesellschaft bestanden) und der Gegensätze in der Auffassung von ihrer Stellung in der Gesellschaft (wie sie sich in der Auseinandersetzung zwischen den Initiatoren der Hochschullehrertage und Hans Delbrück niederschlugen) gab es doch eine Reihe von Gemeinsamkeiten im Selbstverständnis der deutschen Hochschullehrer: Die Freiheit der Wissenschaft, die vom Staat und allen Parteien als Prinzip anerkannt wurde, bedeutete für die Lehrenden selbst, daß die Zulassung zur Hochschulkarriere von der politischen Haltung völlig unabhängig sein müsse – während politisch Unerwünschte (d. h. Sozialdemokraten) tatsächlich von der Lehre ferngehalten wurden.143 So sagte etwa Hans Delbrück in seiner Vorlesung über Regierung und Volkswille über Robert Michels, den die Universität Jena nicht zur Habilitation zugelassen hatte, weil dort Privatdozenten der Bestätigung der Regierung bedurften und diese ihm als Sozialdemokraten nicht zuteil würde: »Das war ein sehr bedauerlicher Zwischenfall im deutschen Universitätsleben. Die Freiheit der Wissenschaft verlangt, daß unbedingt alle Parteien zur Habilitation zugelassen werden. Die Fakultäten haben nichts zu konstatieren als die wissenschaft liche Qualifikation und die moralische Unbescholtenheit und sich dann darauf zu verlassen, daß Parteiansichten vermöge der nie rastenden Selbstkritik der Wissenschaft ihre Korrektur finden.«144
Alfred Weber (Universität Heidelberg bzw. deutsche Universität Prag) sprach beim ersten Hochschullehrertag vom »Kulturproblem des demokratischen Sozialismus. Scheiden wir nicht ganze große Elemente der geistigen Bewegung der Nation dadurch aus, daß tatsächlich Leute, die dieser Weltanschauung huldigen – welchem Fache immer sie angehören – heute an den Universitäten kein Unterkommen finden?« 142 Paulsen, Die deutschen Universitäten, S. 221. 143 Andernach, Einfluß der Parteien auf das Hochschulwesen, S. 218: Die neuen Rechts bestimmungen (der lex Arons in Preußen) setzten Schranken entweder für die politische oder die wissenschaftliche Betätigung eines sozialdemokratisch gesinnten Gelehrten. Und dies wirkte normativ auch auf andere Bundesstaaten. S. dazu das folgende Beispiel aus Jena. 144 Delbrück, Regierung und Volkswille, S. 76.
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Diese Auslese bei der Habilitation schließe große Schichten der Bevölkerung aus – und das verkleinere das Reservoir geistiger Kräfte.145 In allgemeinerer Form verteidigte Max Rubner die Freiheit des Denkens »bis in alle Konsequenzen« als Grundlage jeder wissenschaftlichen Entwicklung und verurteilte dementsprechend alle Angriffe auf die Freiheit der Forschung.146 Einig waren sich die Universitätsgelehrten auch darin, daß sie sich als »Sachwalter eines übergeordneten Gesamtinteresses«147 und insofern Vermittler zwischen den gesellschaftlichen Klassen und als »sinnvermittelnde Wertelite«148 verstanden. Damit sprachen sie aber sich selbst zugleich eine Führungsfunktion zu.
Gießen, Berlin, Straßburg: Selbstverständnis und Profil Innerhalb dieses gemeinsamen Rahmens, der auch durch die reichsweite Rekrutierung und ständige Fluktuation des Lehrkörpers aller Universitäten bedingt war, mochten einzelne Züge bei den drei hier im Vordergrund stehenden Universitäten stärker hervortreten. Entsprechend Größe und Standort, standen sich die Universität des Großherzogtums Hessen und jene der Hauptstadt Preußens und des Reichs gegenüber. Auch wenn die Regierung der ersteren ihrer Landesuniversität mehr Bewegungsraum zubilligte als Preußen, sich im späten Kaiserreich bei Berufungen streng an den Vorschlag der Fakultät hielt und die Lehrfreiheit gegen Beeinflussungsversuche und Angriffe einzelner gesellschaftlicher Gruppen verteidigte,149 scheinen zumindest manche Professoren unter dem Status der Provinzuniversität gelitten zu haben. Das beweisen etwa Krügers Forderungen nach stärkerer Berücksichtigung bei Auszeichnungen und Rangverleihungen. Doch auch die Reaktion eines einzelnen auf das vielleicht als Belanglosigkeit erscheinende Verbot von 1907, Totenkränze aus dem Universitätsetat zu finanzieren, deutet in diese Richtung: Durch das Verbot setze der Staat den Professor »unter den Rang des Mimen herab, dem wenigstens die Mitwelt Kränze flicht, was bei uns ganz ausgeschlossen ist.« Wenn man dieser Verfügung schweigend folge, setze man sich in der öffentlichen Meinung aber auch selbst »in ganz unverschuldeter Weise herab«, meinte 1914 der Direktor des Botanischen Gartens Adolf Hansen.150 145 Verhandlungen des ersten Hochschullehrer-Tages, S. 49 f. 146 Rubner, Unsere Ziele, S. 4 f., Zitat 5. 147 Burchardt, Naturwissenschaftliche Universitätslehrer, S. 209. 148 Schwabe, Einführende Bemerkungen, in: Hochschullehrer als Elite, S. 9–25, hier 18 (Zitat), 22. 149 Moraw, Kleine Geschichte, S. 165. 150 Ob er damit unter seinen Kollegen evtl. am Rand stand, ist unklar: Zwar könnte darauf die Tatsache hindeuten, daß der Rektor auf Hansens Intervention nicht weiter einging. Doch könnte die Ursache dafür andererseits auch in der Klarheit der Vorschriften
200 Hauptstadt – Provinz – Grenze Vielleicht wurde die Distanz zum Staat und auch zur Umgebung eventuell noch dadurch verstärkt, daß viele Professoren nicht aus Hessen stammten151 – was die Tätigkeit an einer Einstiegsuniversität auf die Dauer noch unbefriedigender machen mochte. Im Vergleich dazu scheint die Zugehörigkeit zur Universität Berlin auch das Ansehen und Selbstbild ihres einzelnen Mitgliedes gehoben zu haben, denn zumindest für Ordinarien war sie Ausweis ihres persönlichen akademischen Erfolgs, und alle partizipierten an der Aura der Nationaluniversität. Vielleicht erlaubte es vielen gerade diese herausgehobene Position, die Widersprüche so zu versöhnen, daß sie ihre »Burg der Freiheit« unter dem »Schirm der Macht« fanden; denn »Wissen und Handeln, Freiheit und Macht« gehörten für sie zusammen wie »Feuer und Licht, wie Blatt und Blüte, Idee und Erscheinung«.152 Daher beharrten sie prinzipiell auf der Autonomie der Hochschule,153 erkannten aber zugleich an, daß eine völlige Selbständigkeit immer nur dann möglich war, »wenn die obrigkeitliche Gewalt versagte«.154 Nach außen wurde der besondere Status der hauptstädtischen Universität schon durch ihre Abgeordneten im Preußischen Landtag und im Reichstag deutlich155 und durch ihren überproportional hohen Anteil unter den vom Kaiser ernannten Mitgliedern des Herrenhauses.156 Dabei liefen natürlich auch hier scharfe Trennlinien durch den Lehrkörper hindurch: Das wird an Delbrücks Agitation und der Fernhaltung fast aller Berliner von den Hochschullehrertagen deutlich, in deren ersten Ausschuß aber (vielleicht gerade deshalb?) zwei herausragende Berliner Wissenschaftler gewählt wurden: Der Astronom Wilhelm Foerster157 und der Anatom Wilhelm Waldeyer158 (der sich zusammen mit berühmten liberalen Kollegen in den neunziger Jahren an der Unterstützung der Heeresvorlage sowie 1898 und 1903 an Wahlaufrufen zur Kooperation mit der Sozialdemokratie und sogar an der Unterstützung Delbrücks in dessen Disziplinarverfahren wegen seiner Kritik
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bestanden haben. Wissenschaftlich stand Hansen jedenfalls eher abseits der zeitgenössischen Entwicklung der experimentellen physiologischen Botanik. Auch hatte er wenige Schüler: nur vier promovierte er in den 39 Jahren seiner Gießener Tätigkeit (W[ulf] E[mmo] Ankel, Zur Geschichte der wissenschaftlichen Biologie in Gießen, in: Ludwigs-Universität 1607–1957, S. 308–340, hier 317–319. [Adolf] Hansen an VA der LU Gi 10.3.1914, in: UA Gi PrA 2155, fol. 87–88, Zitate 87. Moraw, Kleine Geschichte, S. 163, 166. Max Lenz, Freiheit und Macht, S. 20 und 24. S. dazu o. Kap. II.5. So ebenfalls Max Lenz beim Jubiläum 1910: Schmidt, Jahrhundertfeier, S. 27. Obwohl die Berliner, wenn man ihre Größe bedenkt, im Vergleich zu anderen Universitäten unterrepräsentiert war. McClelland, Forschungsuniversität, S. 589–592. Er war u. a. Mitglied des Kuratoriums der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt und Präsident des Internationalen Komitees für Maße und Gewichte; aber auch Mitglied der Deutschen Gesellschaft für ethische Kultur und der Deutschen Friedensgesellschaft. Verhandlungen des ersten Hochschullehrer-Tages, S. 22.
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an der Germanisierungspolitik beteiligt hatte.159 Außerdem war er Mitglied des Herrenhauses). Doch verweist schon Delbrücks Haltung zu Schleswig-Holstein und Posen darauf, daß sich die Berliner Professoren leichter über die Unterstützung der Außenpolitik als über innenpolitische Fragen einigen konnten. Hier gab es Meinungsverschiedenheiten zur Schulreform, zur Öffnung des politischen Systems für mehr Partizipation, zur Finanz- und zur Verfassungsreform. Und in puncto Behandlung der preußischen Polen standen sich extreme Germanisierer wie Dietrich Schäfer und gemäßigte Verteidiger von Minderheitenrechten wie Delbrück, Paulsen, Wilamowitz-Moellendorff und sogar der Deutschbalte Seeberg gegenüber. Immerhin unterstützten die meisten Reformen, z. B. des Dreiklassenwahlrechts in Preußen, ohne aber das allgemeine und gleiche Männerwahlrecht (das für den Reichstag galt) auch für den Landtag zu fordern.160 Obwohl alle deutschen Universitäten als nationale Institutionen gelten konnten, verstanden zwei der drei sich als Nationaluniversität. Außerdem hatten zwei der drei ein Motto, auf das sie in verschiedener Weise immer wieder rekurrierten – das aber mit Blick auf den Krieg dann zusätzliche Bedeutung erhalten sollte. Das der ältesten, der Gießener, ging auf den Dreißigjährigen Krieg zurück: Litteris et armis ad utrumque parati. Damals sei die Studentenschaft mit einem solchen Kriegsbanner 1621 ausgezogen bzw. 1622 vom Rektor mit einer solchen Fahne für ihren Einsatz bei der Verteidigung der Stadt belohnt worden. Diese beiden Versionen wurden beim Universitätsjubiläum 1907 vorgetragen, die erste vom hessischen Innenminister, der damals eine Plakette überreichte, die zweite von dem Historiker Hermann Oncken in seiner Festrede. Beide aber deuteten damals die Waffen nicht mehr als militärische! Die Plakette zeigte das »Bild des vielgeliebten Landesherrn und eine Jünglingsgestalt, die, mit Waffe und Fackel in den Händen, über ein erlegtes Untier hinwegschreitet«. An das historische Ereignis »sich anlehnend«, wollte sie »den Gedanken künstlerisch verkörpern, wie unserer Jugend die Wissenschaft [!] Wehr und Licht sein soll auf der Bahn zur Erkenntnis und Wahrheit, hinweg über alles Widrige und Niedrige«.161 Oncken zufolge, der damals seit einem Jahr in Gießen wirkte, hatte das Motto schon in den Befreiungskriegen einen »neuen und erhabeneren Sinn« bekommen: »als Wahlspruch, unter dem sich die studentische Jugend im Kampf für Vaterland und Freiheit bewähren sollte.« In Zukunft aber sollten die Waffen gar nicht mehr im »alten buchstäblichen Sinn« verstanden werden, 159 vom Bruch, Öffentliche Meinung, S. 139, 176, 331 A. 144; vom Brocke, Hochschul- und Wissenschaftspolitik, S. 99 f. Waldeyer, nach der Nobilitierung 1916 von WaldeyerHartz, prägte u. a. die Begriffe »Neuron« und »Chromosom«. Sein berühmtester Patient war Kaiser Friedrich III . 160 McClelland, Forschungsuniversität, S. 624. 161 Die Ansprache des Ministers in: Zur Erinnerung an die Dreihundertjahrfeier, S. 14–17, Zitat 17.
202 Hauptstadt – Provinz – Grenze sondern in erster Linie als »Erkenntnis und Forschung und Treue in der Arbeit«. Nur so könne das deutsche Volk in seiner Mittellage im Wettkampf mit anderen Völkern auf Dauer bestehen.162 Wieviel Zustimmung diese Interpretation fand, ist unbekannt. Im Krieg jedenfalls bezog sich die Universität wieder auf die ursprüngliche Bedeutung.163 In Straßburg hatten die Lehrenden der Gründergeneration das Motto L itteris et patriae gewählt: 1881 hatte der Senat vorgeschlagen, es über dem Eingang des im Bau befindlichen neuen Hauptgebäudes einzugravieren. Bismarck hätte lieber die umgekehrte Reihenfolge gehabt, aber nach Auffassung der Straßburger Professoren konnte die Gelehrsamkeit die Interessen der Nation nur dann richtig fördern, wenn sie an erster Stelle stand.164 Im 19. Jahrhundert hatte ja die Hinwendung zum Griechentum auch zur Fundierung des deutschen Nationalbewußtseins beigetragen.165 In Straßburg nun erwiesen sich die Altertumswissenschaften (mit ihrer gut ausdifferenzierten »Fächerarchitektur«) als besonders geeignet, den politischen Willen der nationalen Integration des Reichslands umzusetzen. Sie zogen Studenten aus dem ganzen Reich an, die später als Lehrer für dieses nationale Anliegen eintraten.166 1909 deutete Karl Johannes Neumann in seiner Rektoratsrede »Entwicklung und Aufgaben der Alten Geschichte« das Motto dann auf eigenwillige Weise: Durch die Wissenschaften dem Vaterlande.167 Während diese Interpretation manchem Experten als »grammatikalisch kaum haltbar« gilt, legte der Gießener Althistoriker Laqueur, selbst aus Straßburg gekommen, sie als Deutung eines »geistvollen Mannes« noch den Kollegen und Studenten der Weimarer Republik ans Herz.168 Der Berliner Universität fehlte zwar ein solches patriotisches Motto, doch spätestens seit der Jubiläumsfeier 1910 war sie als Nationaluniversität im Bewußtsein verankert. Zudem wurde 1913 dem glorreichen Beispiel ihrer freiwillig in die Befreiungskriege ziehenden Professoren und Studenten, als »va162 Hermann Oncken, Der hessische Staat und die Landesuniversität Gießen, in: Hermann Oncken, Historisch-politische Aufsätze und Reden. Bd. 1, München u. a. 1914, S. 247– 271, Zitate 271. Die Rede ist im zit. Festbericht nicht enthalten! Zu dieser Rede (und zum Bezug auf dieses Motto im Nationalsozialismus!) s. eingehender Jürgen Reulecke, »Litteris et Armis«. Hermann Onckens Rede aus Anlaß des 300-jährigen Bestehens der Gießener Universität im Jahre 1907, in: Reulecke/Roelcke (Hg.), Wissenschaften im 20. Jahrhundert, S. 17–26. Daß auch der Minister sich darauf bezog, ist Reulecke, der den Festbericht nicht benutzt hat, entgangen. 163 Zur Deutung des Tods der Gefallenen in diesem Sinn s. u. S. 1024. 164 Craig, Scholarship and Nation Building, S. 84 f. 165 S. dazu Walter Rüegg, Die Antike als Begründung des deutschen Nationalbewußtseins, in: Wolfgang Schuller (Hg.), Antike in der Moderne, Konstanz 1985, S. 267–287. 166 Nach Wirbelauer, Alte Geschichte an der KWU, S. 230. 167 Die Rede findet sich in: Stiftungsfest der KWU 1909, S. 21–121 (Text: 23–43, A.: 44–121), Zitat 43. 168 Wirbelauer, Alte Geschichte an der KWU, S. 228 A. 51; Chronik der Hessischen Ludwigs-Universität. Am 1. Juli 1924 vorgelegt von (…) Richard Laqueur, Gießen 1925, S. 16.
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terländische Gesinnung und wissenschaftliche Weltanschauung« »vollständig miteinander verschmolzen« seien, zukunftsweisende Bedeutung gegeben. Der Redner der Hundertjahrfeier, Dietrich Schäfer, versicherte, bei einem erneuten »Daseinskampf« werde die akademische Jugend wieder so handeln, der Studentenvertreter bekräftigte dies und der Rektor, Graf Baudissin, versprach im Namen der Dozenten, die Jugend dazu zu erziehen.169 Die Straßburger verstanden sich quasi als zweite deutsche Nationaluniversität – der Altphilologe Eduard Schwartz betrachtete die eigene, wie die Berliner, als Universität, die »der nationale Gedanke geschaffen« habe.170 Zwar war der Begriff »Reichs-« oder »Bundesuniversität« bereits 1871 aufgetaucht,171 aber nicht zur offiziellen Bezeichnung geworden. Am Anfang des 20. Jahrhunderts wollten Universitätskreise ihn endlich durch Tatsachen bestätigt sehen: 1906 wurde vorgeschlagen, die bislang teils vom Reichsland, teils vom Reich finanzierte Universität ganz auf Reichskosten zu übernehmen.172 Dann könnte die als »nationale Institution« gegründete endlich »in Wirklichkeit Reichsuniversität« werden, schrieb die als Professorenblatt geltende Straßburger Post 1906.173 Das Selbstverständnis des Straßburger Kollegiums war von einem nationalen Sendungsbewußtsein geprägt, welches seinerseits aber von einer freiheitlichen, betont kulturprotestantischen Färbung grundiert war.174 Doch hatte es auch eine kämpferische Note, die im Krieg noch gestärkt wurde.175 Dieser »nationalen Mission« der Universität176 stand im Elsaß am Anfang des 20. Jahrhunderts aber ein ausgeprägter Regionalismus gegenüber, in dem sich mehrere Strömungen unterscheiden ließen. Neben einem sozialkonservativen Provinzialismus, der an der Universität keine Rolle spielte, gab es einen frankophilen Regionalismus, der sich durch die Ausrichtung auf die Region vor allem 169 S. dazu (mit Belegen) Maurer, Universitas militans, S. 65–67. 170 E[duard] Schwartz, Der Krieg als nationales Erlebnis, Straßburg 1914, S. 9. Dazu zählte er außerdem noch Bonn, das ja bekanntlich der Integration des katholischen Rheinlands in den preußischen Staat dienen sollte. 171 Zu Carl Dietzel, Straßburg als Deutsche Reichsuniversität und die Neugestaltung des juristischen und staatswissenschaftlichen Studiums, Frankfurt a. M. 1871, s. Roscher, Kaiser-Wilhelms-Universität, S. 43 f. 172 Als Entschädigung dafür, daß Elsaß-Lothringen durch das neue Erbschaftssteuergesetz mehr geschädigt werde als die anderen ›Länder‹. Ein Bundesstaat im eigentlichen Sinn war Elsaß-Lothringen allerdings nicht. 173 Die Straßburger Universität als Reichsinstitut, in: SP 8.2.1906 MiA, Ausschnitt in: ADBR 103 AL 201. 174 Roscher, Kaiser-Wilhelms-Universität, S. 152; Dehio, Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg, S. 4; Uberfill, Société strasbourgeoise, S. 142 (mit Zitat aus nicht genannter Quelle von 1871). 175 S. dazu die Rede des Rektors beim Stiftungsfest 1916 (u. S. 1122 f.). 176 So der Rechtshistoriker Heinrich Brunner, der sich von Prag aus für die neu zu gründende Universität zur Verfügung stellen wollte, an den Freiherrn von Roggenbach vom 26.12.1871, ausführlich zit. bei Roscher, Kaiser-Wilhelms-Universität, S. 15.
204 Hauptstadt – Provinz – Grenze gegen Germanisierung verteidigen wollte, und schließlich eine Betonung des Elsässertums, das als Bindeglied zwischen Deutschland und Frankreich verstanden wurde. Alle drei weigerten sich, das französische Erbe als fremd zu betrachten. Die von Pierre Bucher herausgegebene Elsässer Illustrirte Rundschau/Revue Alsacienne Illustrée publizierte nicht nur in zwei Sprachen, sondern pflegte auch die französischen Elemente elsässischer Tradition und forderte die Wiedereinführung des Französisch-Unterrichts in den Volksschulen.177 Hier erschienen auch die beiden Schlüsseltexte von Werner Wittich, einem ›altdeutschen‹ Nationalökonomen der Universität.178 Die Bereicherung durch Doppelsprachigkeit und zwei Kulturen, die etwa Helene Bresslau (Schweitzer) sehr bewußt erlebte,179 führte manche Kinder »Altdeutscher« in den Kreis des Jungen Elsaß, und die Professorentöchter Elly (Heuss-) Knapp und Katharina Dehio publizierten sogar in elsässischen Zeitschriften.180 Doch die Vorstellung einer Doppelkultur/double culture stieß sowohl in Deutschland als auch in Frankreich auf Ablehnung. Die Deutschen deuteten sie als Camouflage, welche der Franko philie einen harmlosen Anschein geben solle, in Wirklichkeit aber auf die Separierung von Deutschland hinauslaufe und deshalb ein ›Verbrechen am eigenen Volk‹ sei. Die Franzosen erblickten darin eine Distanzierung von der grande culture und grande patrie.181 Zudem änderten sich kurz vor dem Krieg auch die staatsrechtlichen Rahmenbedingungen: 1911 erhielt das Elsaß eine eigene Landesverfassung mit einem Zweikammernparlament, dem zusammen mit dem Kaiser die Landes gesetzgebung oblag. Gewählt wurde die zweite Kammer (wie der Reichstag, aber im Gegensatz zu den deutschen Landesparlamenten) nach dem allgemeinen gleichen Wahlrecht für Männer. Doch eine wirkliche Gleichstellung mit den Bundesstaaten des Deutschen Reiches erfolgte nicht; denn zum einen waren dem Landtag gewisse Materien entzogen, und der Kaiser besaß ein doppeltes 177 Daneben gab es noch eine national-deutsche Variante, die an der Universität aber keine Rolle spielte: Dabei wurde die elsässische Kultur als die eines deutschen »Stammes« verstanden – und die Betonung des Elsässertums als Bekenntnis zur deutschen Nation. Nach Mollenhauer, Grenzen der Germanisierung, S. 39–42. 178 Wittichs Texte sind dann auch separat publiziert worden: Wittich, Deutsche und französische Kultur; Werner Wittich, Kultur und Nationalbewußtsein im Elsaß, Straßburg 1909. Zur Doppelkultur s. zusammenfassend auch Craig, Scholarship and Nation Building, S. 168–170 und 185–188. 179 1954 schrieb sie in ihrem Lebenslauf, sie »habe im Heranreifen die Berührung zweier Kulturen, die Ausbildungsmöglichkeiten in zwei Sprachen und alles dadurch Gebotene im vollen Bewusstsein der damit gegebenen Bereicherung erlebt.« http://www. albertschweitzer-haus.de/Helene-Schweitzer-Lebenslauf-1954.33.0.html?&type=Helene Schweitzer (2.7.2012). 180 Craig, Scholarship and Nation Building, S. 187. 181 S. dazu genauer Fisch, Nation, ›Heimat‹ und ›petite patrie‹. Als Beispiel für die Deutung der Doppelkultur als »harmlose Maske für den Wiederanschluß des Landes an Frankreich« s. Mutius, Aus dem Nachlaß des ehemaligen Statthalters von Dallwitz, S. 293.
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Vetorecht in der Landesgesetzgebung. Zum zweiten war Elsaß-Lothringen im Bundesrat nicht voll stimmberechtigt. Es blieb ein Reichsland mit dem » bloßen Schein« der Selbständigkeit.182 Wenn die Elsässer »los von Berlin« wollten, bedeutete das jedoch nicht »los vom Reich«, sondern Autonomie. Und diesen »elsässischen Partikularismus« konnte man durchaus als ein »spezifisch deutsches Produkt« verstehen.183 Auf diese Veränderungen – die Entstehung einer neuen regionalen Identität und die partielle Autonomie des Reichslandes – reagierten die Lehrenden der Universität unterschiedlich. Albert Schweitzer, damals Privatdozent der Theologie, hatte 1905 im Vorwort zu seinem (auf französisch geschriebenen und in Leipzig publizierten) Buch über Bach zwei rhetorische Fragen gestellt: Ob die, die in zwei Sprachen lebten und dächten, die Geister, die zwei Kulturen angehörten, nicht für die Wissenschaft und Kunst nötig seien. Und ob sich die Aufgabe der Vermittlung von Kultur und Wissenschaft zwischen Frankreich und Deutschland jenen aus seiner Generation, die mit der französischen Kultur in Kontakt geblieben seien, nicht mehr auferlege als jeder anderen Epoche zuvor.184 Von den etwa zwei Dutzend elsässischen Mitgliedern des Lehrkörpers sympathisierten die aus frankophonen Familien (etwa die Hälfte) mit den frankophilen Unternehmungen Pierre Buchers (dessen Rundschau Elsässer französischer Orientierung, Elsässer deutscher Orientierung und im Elsaß lebende Altdeutsche vereinte).185 Doch »alsacianisierten« sich auch manche Deutsche, und nicht die unbedeutendsten, wie schon 1905 Romain Rolland beobachtet hatte.186 Die meisten von ihnen schlossen sich den Vorstellungen des »Jüngsten Elsaß« an, einer Vereinigung von Schriftstellern und Künstlern, die das Elsaß als künftige Heimstatt einer wahrhaft kosmopolitischen Kultur sahen. Manche Lehrende traten sogar öffentlich für die Vermittlerrolle ein, etwa der Ökonom und Wirtschaftshistoriker Werner Wittich, der die Doppelkultur des Elsaß 182 S. dazu Hans-Ulrich Wehler, Unfähig zur Verfassungsreform, S. 40–46. Zitat: Robert Redslob, Abhängige Länder. Eine Analyse des Begriffs von der ursprünglichen Herrschergewalt, Leipzig 1914, S. 105. 183 C[harles] Scheer, Zum Verständnis der elsässischen Seele, in: Christliche Welt 28 (1914), Sp. 160–162, 179–183, 208–212, hier 210 (auch separat erschienen: Marburg 1914). 184 Falls der deutsche Stil hie und da in seinem Buch durchscheine, möge das sein Freund und treuer Mitarbeiter, der Französisch-Lektor Hubert Gillot, verzeihen – als schicksalhaftes Erbe der Zweisprachigen. »Mais, ne sont-ils pas nécessaires à la science et à l’art surtout, ces esprits qui appartiennent à deux cultures?« Und (über die Vermittlungsaufgabe) als letzter Satz des Vorworts: »(…) cette tâche ne s’impose-t-elle pas aux alsaciens de notre génération qui sont restés en contact avec la culture française, plus qu’à ceux de n’importe quelle autre époque?« (Albert Schweitzer, J. S. Bach. Le musicien-poète, Leipzig 1905, S. VI). 185 Craig, Scholarship and Nation Building, S. 169 f., 175, 180. 186 Romain Rolland, Chère Sofia. Choix de lettres de Romain Rolland à Sofia Bertolini Guerrieri-Gonzaga (1901–1908), Paris 1959, S. 225 (in R.s Brief von Pfingstsonntag 1905, 223–227).
206 Hauptstadt – Provinz – Grenze höchst differenziert analysierte (in der Wahrnehmung der Behörden allerdings propagierte, dafür auch verwarnt wurde und nur ein unbezahltes Extraordinariat erhielt), und der Literaturhistoriker und Dichter Ernst Stadler (als Privat dozent). Andere teilten diese Anschauungen zumindest.187 Die Mehrheit sah darin allerdings die Gefahr, daß die nationale (deutsche) Mission der Universität geschwächt würde – und daß sie selbst, falls das Elsaß volle Autonomie erhalten sollte, von einer Institution des Reichs zur ›Landesuniversität‹ herabsinke. Bezüglich des weiteren Vorgehens teilten sich jedoch die Meinungen: Manche, die ein junger Extraordinarius 1911 als Chauvinisten bezeichnete, waren zwar im gesamtdeutschen Vergleich zurückhaltend oder gar liberal. Doch bezüglich des Elsaß konstatierten sie große ›deutsche‹ Defizite. Einzelne forderten sogar dessen Annexion durch Preußen. Innerhalb der Universität wandten sich diese ›Chauvinisten‹ gegen deren vermeintliche Katholisierung und verliehen Ehrendoktorwürden an Künstler, die die Vorstellung der kulturellen Sonderstellung (oder gar politischen Autonomie) des Elsaß ablehnten. Die Gemäßigten dagegen verwarfen, trotz gleicher Beurteilung der Situation, ihrerseits die Belagerungsmentalität der Chauvinisten und arbeiteten auf eine Annäherung an die elsässische Gesellschaft (und besonders ihre elsässischen Studenten) hin – durch lokalpolitisches Engagement, kulturelle Aktivitäten und Förderung der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Elsaß. War dies lange Zeit vor allem das Anliegen von Privatdozenten, so förderten in den zwei Jahren vor dem Krieg auch einige neuberufene Ordinarien (der Historiker Walter Goetz, der Soziologe Georg Simmel188 und der zurückgekehrte Klassische Philologe Eduard Schwartz) diese Entwicklung. Und schließlich gewann diese gemäßigte Richtung in der Universität die Oberhand.189 In den letzten Jahren vor dem Krieg verlor die Universität sogar ihre protestantische Färbung.190 Das Elsaß als Orientierungspunkt und konnotationsoffener Begriff, der deutsch, französisch oder regional gefüllt werden konnte,191 bot genau die Mög187 Craig, Scholarship and Nation Building, S. 185–187. Wenn er nur von Wittichs »Preisen« der Doppelkultur spricht (187), unterschätzt er dessen analytische Leistung allerdings beträchtlich. 188 Der elsässische Privatdozent Fritz Kiener, der Simmel für den Kreis um Pierre Bucher zu gewinnen suchte, charakterisierte ihn übrigens diesem gegenüber als vom Typ her »le juif berlinois (nicht der großschnauzige)«. Doch werde dieses »kleine Detail« durch Simmels große Güte kompensiert. Nachweise und weitere Details bei Maurer, Diskriminierte Bürger, S. 34 und 88 A. 107. 189 Craig, Scholarship and Nation Building, S. 187–194. Vgl. auch, als Zeitzeuge weniger differenziert, Dehio, Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg, S. 24 f., der betont, daß sich, »von nicht allzuvielen jüngeren Dozenten abgesehen«, die »Professorenschaft instinktmäßig gegen die Autonomie« gewandt habe (25). 190 So Baechler, L’université allemande de Strasbourg, S. 138. 191 Als Grundlage der Stadtplanung und des städtebaulichen Bewußtseins dargestellt bei Annette Maas, Stadtplanung und Öffentlichkeit, S. 272 f.; im Anschluß daran auch Rainer Hudemann, Nationale Konflikte und urbaner Modernisierungstransfer, S. 17 f.
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lichkeit zur Schaffung von Gemeinsamkeit zwischen Einheimischen und Zugewanderten, die man brauchte. Immer wieder identifizierten sich die Redner bei universitären Festakten mit dem Elsaß, das sie nun gerne »unser Land« nannten. Doch läßt sich die Würdigung nicht nur als persönliche Bindung deuten, sondern auch als Form der Aneignung, bei der die Universität im Dienst der deutschen Politik stand, als »Teilglied des Reiches«.192 Das Elsaß gab der Wissenschaft neue Aufgaben auf – nicht nur der Erforschung, sondern auch der Deutung im Sinne der Traditionsbildung (oder Fortführung einer alten Tradition). Diesen Kontext umriß der katholische Philosophiehistoriker Clemens Baeumker in seiner Rede zum Kaisergeburtstag 1912 über den »Anteil des Elsaß an den geistigen Bewegungen des Mittelalters«: »Was heimattreue Männer auch in den Jahren, da Elsaß [!] vom Reiche getrennt war [!], gehütet, was sie so rühmlich erforscht und uns zu weiterer wissenschaftlicher Arbeit übergeben haben, das gewinnt ja neue Bedeutung, seitdem diese Erinnerungen wieder in dem Zusammenhange leben, in dem sie ursprünglich gewachsen sind.«193
Nicht nur die Dissertationen und landeskundlichen Lehrveranstaltungen, sondern auch die gemeinsamen Wanderungen von Studenten (›Altdeutschen‹, Elsässern und Ausländern) und Dozenten verstärkten die Bindung untereinander und an das Land. So sah dies nicht nur ein zugewanderter und 1918/19 wieder vertriebener altdeutscher Professor;194 auch ein elsässischer Pazifist bestätigte es 1914, nach der Zabernkrise, die alte Gräben wieder aufgerissen hatte,195 und wenige Monate vor Kriegsausbruch.196 Doch war kurz vor Beginn des Krieges auch deutlich zu erkennen, wie kontrovers man selbst bei grundsätzlicher Anerkennung der »Doppelkultur« die 192 S. als Beispiele den protestantischen Juristen Otto Mayer, den katholischen Philosophen Baeumker oder den protestantischen Kirchenhistoriker Ficker, allesamt ›Altdeutsche‹: Otto Mayer, Portalis und die Organischen Artikel. Rede zur Feier des Geburtstages (…) des Kaisers, Straßburg 1902, S. 5; Clemens Baeumker, Der Anteil des Elsaß an den geistigen Bewegungen des Mittelalters. Rede zur Feier des Geburtstages (…), Straßburg 1912, S. 6 (»daß eine neue Verfassung unser Land als Teilglied des Reiches der glücklichen Zukunft entgegenführe«); Stiftungsfest der KWU 1913, S. 7 (im Jahresbericht des Rektors Ficker). 193 Baeumker, Anteil des Elsaß an den geistigen Bewegungen, S. 7. 194 Ficker, Die Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg, S. 26. 195 Ein preußischer Leutnant hatte seine Rekruten aufgefordert, bei Auseinandersetzungen mit elsässischen Zivilisten Bajonette gegen diese »Wackes« einzusetzen, und sogar eine Geldprämie dafür ausgelobt. Aber nicht er mußte aus dem Amt scheiden, sondern der Statthalter und der Staatssekretär, weil der Kaiser sie dafür verantwortlich machte, daß die französische ›Hetze‹ im Elsaß solche Wirkung zeige. Der Statthalter, Graf Wedel, hatte gegen den provokatorischen Charakter der Militäraktionen protestiert: Die Zaberner hätten »Anspruch darauf, nicht als Hereros behandelt zu werden«. Alles nach Fisch, Elsass im Kaiserreich, S. 136 f. 196 Scheer, Zum Verständnis der elsässischen Seele, Sp. 211.
208 Hauptstadt – Provinz – Grenze Lage beurteilen konnte: Der Mülhausener Pfarrer Charles Scheer (der auch die Gründung einer Ortsgruppe des 1911 gegründeten Verbands für internationale Verständigung angeregt hatte) erklärte in einer Artikelfolge in der Christ lichen Welt 1914 die Entwicklung seit 1870: Wie sich die Elsässer den »Verzicht auf das alte Vaterland« abgerungen, aber Deutschland nicht als das »Land des Idealismus«, sondern »des Machtstrebens, der kirchlichen Reaktion und der Unkirchlichkeit« erfahren hätten. Zugleich betonte er, daß sie die »Fühlung mit der französischen Kultur« nicht aufzugeben bereit seien, jede kriegerische Auseinandersetzung zwischen Deutschland und Frankreich aber bekämpften und ihre »Aufgabe in der Versöhnung der beiden großen Nationen« sähen. Und da sie demokratisch gesinnt seien, seien sie »bereit, im deutschen Staatswesen mitzuarbeiten an der Verwirklichung der großen liberalen Ideen der deutschen Philosophie«. Das alles war, trotz der Schwere, versöhnlich geschrieben, auch wenn Scheer die »elsässische Seele« im Wartestand sah und als entscheidend für »die Lösung der elsaß-lothringischen Frage« die »sittliche und seelische Kraft Deutschlands« betrachtete: denn man müsse die Elsässer »innerlich gewinnen« durch »Wohlwollen, Achtung vor der Eigenart und der Geschichte, Vertrauen.«197 Auf Bitte des Herausgebers der Christlichen Welt verfaßte der Straßburger Privatdozent Fernand Ménégoz, der hier (anders als offenkundig im Vor lesungsverzeichnis!) seinen Namen auch französisch schreiben durfte, eine Ergänzung. Darin erklärte er, warum der »seelische Angliederungsprozeß des Elsasses an das Reich« – »milde gesagt – ins Stocken geraten« sei: Zum einen sei durch die Zaberner Affäre die Erwartung, ja Grundvoraussetzung, enttäuscht worden, daß die deutsche Presse einen Rechtsbruch nicht »ungesühnt hinnehmen und die volle Wahrheit darüber der öffentlichen Meinung vorenthalten« werde. Zum zweiten sei die Saat der aufgezwungenen preußischen Schule aufgegangen, deren Absolventen nicht mehr in der Lage seien, »jene interessante und nützliche Kultursynthese in sich zu entwickeln«.198 So nehme man den Elsässern ihr Bestes: »die Möglichkeit und Freiheit zu gleichzeitigem und vergleichendem Miterleben der deutschen und französischen Geistesgeschichte«. Und obwohl auch er die Vermittlerrolle betonte, die wirksam werden könne, wenn der »geheime und tiefe Zug der Zeit auf innere Annäherung und gegenseitige Verständigung der Kulturvölker« in den Vordergrund trete, konnte der Privat-
197 Scheer, Zum Verständnis der elsässischen Seele, Sp. 183, 208, 211. 198 Kaum noch jemand könne sich in beiden Sprachen frei ausdrücken, denn der Französisch-Unterricht werde von Lehrern erteilt, die »weniger französischen Sprachgeist« besäßen als ihre Schüler. Außerdem werde jenen durch die Lesebücher ein Bild Napoleons und Frankreichs vermittelt, das diese »entwerte, wenn nicht verächtlich« mache. Fernand Ménégoz, Noch einmal: zum Verständnis der elsässischen Seele, in: Christliche Welt 28 (1914), Sp. 294–299, Zitate 294, 295, 296, 297.
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dozent angesichts der »vierzigjährige[n] innere[n] Leidensgeschichte« der Elsässer nur »mit bangen Gefühlen in die Zukunft blicken«.199 Politische Gegensätze gab es sogar unter den elsässischen Professoren der Katholisch-Theologischen Fakultät: Während der Kirchenhistoriker Ehrhard stark deutsch orientiert war, vertrat Eugen/Eugène Müller/Muller als Landtagsabgeordneter seit 1911 (aber auch später in Frankreich) eine prononciert regionalistische (manche dachten: frankophile) Haltung. Mit seiner ursprünglichen Priorität religiöser Anliegen setzte er sich zwar für eine Politik der Vernunft (und ein Ende der Protestpolitik) ein, doch sein Eintreten für die Doppelkultur mündete im Krieg schließlich in die Denunzierung der Germanisierungspolitik als eines neuen »Kulturkampfes«.200 Obwohl die Vermittlerrolle des Elsaß also einige Anhänger im Lehrkörper und bei Professorenkindern hatte und der Straßburger Ortsgruppe des 1911 gegründeten Verbands für internationale Verständigung mehrere Dozenten der Universität angehörten,201 stand auch jetzt die »nationale Mission« im Vordergrund. Der Historiker Ludwig Dehio, Sohn des Kunsthistorikers und selbst 1913 in Straßburg promoviert, erinnerte sich später als preußischer Archivar daran, wie sich die Universität in den letzten Vorkriegsjahren von unfreundlichen Mächten umzingelt und von der öffentlichen Meinung Altdeutschlands preisgegeben gefühlt habe. »Während das ›Reich‹, das die Universität gegründet, zum unfaßbaren Begriff sich verflüchtigte, nahm das ›Land‹ die festen Konturen eines Bundesstaates an, und das in einem Augenblick, als der Glaube an Deutschlands Stern wankte, die Franzosenfreunde ihr Haupt erhoben und Zweifel auch denjenigen unter den Einheimischen zusetzten, die sich mit der deutschen Herrschaft ausgesöhnt hatten.«202
Als der junge Privatdozent Ernst Stadler mit einer Rede über die deutsche Jugend Unmut in der Brüsseler deutschen Kolonie erregt hatte, sich beurlauben ließ und im Juni 1914 nach Straßburg zurückkehrte, wurde er zum Rektor einbestellt. Dieser machte Stadler (der übrigens der Sohn des ehemaligen ›alt deutschen‹ Kurators war) heftige Vorwürfe, »daß er für die ›francillons‹ gg. die 199 Ménégoz, Noch einmal, Zitate Sp. 298, 299. S. weitere Zitate daraus u. S. 278 f. 200 Zu Ehrhard s. Roscher, Kaiser-Wilhelms-Universität, S. 266f; Baus, Albert Ehrhard. Zu Müller/Muller NDBA 6, S. 2747 f. (mit Irrtum bezügl. des für ein Faktum gehaltenen Rektorats 1917/18). Beide gaben übrigens seit 1908 zusammen die Strassburger Theo logischen Studien heraus. 201 »aber eine große Bewegung konnte es nicht werden«. So »Dr. Weidenreich« in einer Straßburger Gemeinderatssitzung Anfang April 1918. S. das Prot., S. 230 in: ADBR 103 AL 861. Ob es sich bei dem Redner um den Extraordinarius für Medizin Franz Weidenreich handelte und ob dieser Mitglied des Gemeinderats war, konnte nicht geklärt werden. In NDBA und in der vierbändigen Geschichte Straßburgs (Livet/Rapp) kommt der Name nicht vor. 202 Dehio, Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg, S. 24.
210 Hauptstadt – Provinz – Grenze ›germanisateurs‹ Partei ergriffen habe«.203 Die Bindung an das Elsaß, die auch die Altdeutschen entwickelt hatten, konnte also die regional- und nationalpolitische Fragmentierung des Lehrkörpers nicht überwinden.
Schlußbetrachtung So bekannten sich die Angehörigen aller drei Universitäten nicht nur stolz zur Verbindung von Forschung und Lehre, zu einer herausgehobenen Position ihres ›Standes‹ in der deutschen Gesellschaft und zur nationalen Aufgabe, die über die Wissenschaft hinausreichte. Zugleich hatte jede von ihnen ein eigenes Profil, das sich aus ihrer Größe, ihrer staatlichen Einbindung wie aus dem Umfeld gab, welches ihr besondere Förderung angedeihen ließ oder sie vor besondere Probleme stellte. Und alle waren – trotz der nach außen betonten Einheit – in sich stark fragmentiert: nicht nur nach Statusgruppen, sondern entlang hochschulpolitischer, gesellschaftlicher und allgemeinpolitischer Überzeugung.
203 Viel Verständnis fand Stadler aber bei dem für elsässische Probleme offenen Neu ankömmling Simmel. Zitat aus: In Memoriam Ernst Stadler. Nachruf. Die weißen Blätter 2, 1915, 1, S. 122 (nach dem Bericht des Schriftstellers Kasimir Edschmid), hier zit. nach Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 339 f.
7. Veränderte Verhältnisse: Der Kriegsalltag vor Ort Die Unterschiede des Umfelds der drei Universitäten, die schon in ›normalen‹ Zeiten beträchtlich waren, wurden durch den Krieg noch verstärkt. Und dabei begann der Kriegszustand schon, bevor Deutschland Rußland am 1. August 1914 den Krieg erklärte; denn am Mittag des 31. Juli verkündete der Kaiser den »Zustand der drohenden Kriegsgefahr«. Mit dessen Ausrufung setzten der militärische Schutz der Bahnen und Grenzen sowie die Personen- und Postüberwachung im Grenzverkehr ein. Mit der Mobilmachung, die am 1. August begann, ging die vollziehende Gewalt auf die Militärbefehlshaber über: Kommandierende Generäle, Gouverneure und Kommandanten der Festungen, insgesamt 57 im ganzen Reich.1 Ihnen kam nun für alle politischen und (wegen der Versorgung der Truppen) auch einige wirtschaftliche Fragen in ihrem Bereich »überragende Bedeutung« zu. Sie hatten die öffentliche Sicherheit aufrechtzuerhalten, und dazu gehörten sowohl Presse-, Brief- und Telegrammzensur als auch die Überwachung des politischen Lebens (einschließlich der Vereine und Versammlungen). An die Stelle der mobilen Generalkommandos traten nun die immobilen Stellvertretenden Generalkommandos in den einzelnen Armeekorpsbereichen.2 Die Universitäten in Berlin und Straßburg befanden sich am Ort des für sie zuständigen (des III. bzw. XV. Armeebezirks), die Gießener unterstand dem GK des XVIII. Armeekorps in Frankfurt, hatte vor Ort aber noch das Bezirks- und das Garnisonskommando, ebenso wie die Straßburger neben dem Stellvertretenden Generalkommando noch den Gouverneur der Festung, auf den die vollziehende Gewalt überging.3 Straßburg war zuerst Sitz des Oberbefehlshabers der Heeresgruppe A, ab der Vereinigung der Heeresgruppen A, B und C (letztere für Lothringen) zu einer, residierte hier Herzog Albrecht
1 Da in Preußen der kommandierende General durch sein Immediatverhältnis zum Kaiser schon in Friedenszeiten die höchste gesellschaftliche Stellung einnahm, führte die Unterordnung des Oberpräsidenten unter ihn im Krieg nicht zu Spannungen. 2 Wilhelm Deist, Voraussetzungen innenpolitischen Handelns des Militärs im Ersten Weltkrieg [1970], in: W. D., Militär, Staat und Gesellschaft. Studien zur preußisch-deutschen Militärgeschichte, München 1991, S. 103–152, Zitat 130; Details zu Elsaß-Lothringen s. außerdem bei Felix Nelken, Die innere Verwaltung, in: Das Reichsland Elsass-Lothringen 1871–1918, Bd. II /1, S. 169–215, hier 212 f. Als Dokument (für das ganze Reich mit Ausnahme des Kgr. Bayern) auch in: Elsass 1870–1932 IV, S. 306. 3 Zu Gießen: Anderhub, Antoniterkreuz, S. 5, 7. Zu Straßburg s. Bekanntmachung [des Gouverneurs der Festung Straßburg] in: Straßburger Neueste Nachrichten 478, 1.8.1914, Erstes Blatt, S. [1 f.]. Allg. zur (zumindest prinzipiellen) Unabhängigkeit der Festungskommandanten und Gouverneure vom Generalkommando: Deist, Voraussetzungen innenpolitischen Handelns, S. 127.
212 Hauptstadt – Provinz – Grenze von Württemberg, der nun den Oberbefehl über das gesamte Gebiet von ElsaßLothringen hatte.4
Kriegszustand und Erfahrungen in der Grenzfestung Der Kriegszustand ermöglichte überall die Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten. Doch unterschied sich die Lage in der Grenzfestung gravierend von der in den beiden anderen Universitätsstädten. Im Kriegszustand waren hier schon Ansammlungen von mehr als fünf Personen verboten, allerdings wurde »das neue Regiment« anfangs auch in Straßburg »noch nicht so streng gehandhabt.« Trotzdem begriff der junge Jurist, der dies notierte, sogleich, daß »mit einem gewaltigen Ruck die Konstitution aus den Angeln gehoben« und »vormärzliche Zeiten« eingekehrt waren: »Die persönliche Unverletzlichkeit, das Hausrecht, die Garantien der persönlichen Freiheit stark eingeschränkt. Kriegsgerichte auch für bestimmte Verbrechen von Zivilpersonen eingesetzt.«5 Private Briefe durften aus und nach Elsaß-Lothringen nur offen versandt werden – was allerdings, wie man an dem Philosophen und Soziologen Georg Simmel sieht, eine rege Korrespondenz nicht verhinderte. Telegramme konnten nur auf deutsch und nur unchiffriert aufgegeben werden, der private Telefonverkehr wurde eingestellt. Zeitungen unterlagen der Zensur, zwei französische und eine deutsche wurden sogar verboten.6 Die übrigen konnten weiter erscheinen, allerdings unter strenger Vorzensur. Über militärische Maßnahmen und Vorkommnisse durften sie nicht berichten.7 Die regierungsnahe Straßburger Post blieb allerdings relativ verschont; doch erschienen im Krieg (wohl gerade deshalb!) auch von Hansi, dem elsässischen Graphiker, gefälschte und lancierte 4 Elsass 1870–1932 I, S. 227, 338. 5 Bruno Weil, Elsaß-Lothringen und der Krieg, Straßburg u. a. 1914, Zitate S. 4, 5, 6. Weil (1883 Saarlouis – 1961 New York) war seit 1910 Rechtsanwalt beim Landgericht in Straßburg, nach dem Ersten Weltkrieg in Berlin, dort später Geschäftsführer des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens. S. http://archiv.jura.uni-saarland.de/ projekte/Bibliothek/text.php?id=703 (11.3.2013; mit Publikationsliste) sowie Joseph Walk, Kurzbiographien zur Geschichte der Juden 1917–1945, München u. a. 1988, S. 380. Zur umfangreichen Tätigkeit des Kriegsgerichts s. auch Elsass-Lothringen 1870–1932 I, S. 257. 6 Bekanntmachung (wie A. 3); zum Postverkehr: Bekanntmachung Nr. 1 [des Reichspostamts], in: Straßburger Neueste Nachrichten 478, 1.8.1914, Erstes Blatt, S. [2]. Ausführliche Auszüge (nach dem Abdruck beider Bekanntmachungen in SP 876, 1.8.1914 MA) in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 360 f. Bezugnahmen auf die Notwendigkeit, Postkarten bzw. offene Briefe zu schreiben, u. a. S. 378, 404, 644. Amtliche Briefe konnten weiterhin verschlossen abgesandt werden. S. die kleine Korrespondenz, nachdem das Postamt die Annahme eines mit Seminarstempel versehenen und von der Gattin eines Professors eingelieferten Briefes abgelehnt hatte: Rektor an Postdirektor Strb. 23.5.1917; Postüberwachungsstelle XV. Armeekorps an KWU 26.5.1917: ADBR 103 AL 53. 7 Elsass 1870–1932 I, S. 189.
Der Kriegsalltag vor Ort
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Nummern dieser Zeitung, die deutsch aussahen, aber französisches Denken verbreiteten!8 Ab 1915 »verboten sich« in Elsaß-Lothringen auch öffentliche Diskussionen über die Zukunft des Reichslandes (während Memoranden und Petitionen dazu zuhauf in den Kanzleien einliefen). Die Erörterung der staatsrechtlichen Verhältnisse in der Presse war unter Strafe gestellt.9 »Man ahnt doch anderswo nicht, was es heißt, jetzt in der Grenzfestung zu sein«, schrieb Georg Simmel, der erst im gerade ablaufenden Semester nach Straßburg gekommen war und nun »die erschütterndsten Tage« seines Lebens erlebte, zu Beginn des Krieges an einen Berliner Kollegen. »Vielleicht gehen wir fort, um die Festung von unnützen Essern zu entlasten. [Sohn] Hans bleibt [als Arzt] natürlich hier fürs Lazareth. Vorläufig schichten wir unsre (!) Perser teppiche auf, zum Nachtlager für einzuquartierende Soldaten.«10 Straßburg war ja einer der wichtigsten Durchgangspunkte für Material-, Truppen- und Gefangenentransporte, und die Bevölkerung mußte die einquartierten Truppen zunächst auch verköstigen.11 Ob Simmel etwas von den an sich geheimgehaltenen Plänen des Generalstabs zu Ohren gekommen war, in den ersten Wochen nach der Mobilmachung Zehntausende von Bewohnern aus der Festung abzuschieben, oder ob er aus eigenem Antrieb an das Verlassen der Stadt gedacht hatte,12 muß offenbleiben. Weniger als eine Woche später schrieb er: »[W]ir bleiben so lange hier, bis es zweckmäßig ist, die Festung von Zivilisten zu entlasten.«13 Der Nationalökonom Knapp dachte »gar nicht an Fortgehen; hinaus kann man noch lange«; der Strafrechtler Eduard Kohlrausch brachte zwar seine Familie in eine Kleinstadt am Rhein, blieb selbst aber in Straßburg, »wie die meisten«
8 Livet/Rapp, Histoire de Strasbourg IV, S. 392–394. Hansi ist der Künstlername von JeanJacques Waltz (1873–1951), der u. a. L’Histoire d’Alsace racontée pour les petits enfants d’Alsace et de France par l’Oncle Hansi (1912) veröffentlicht hatte und wegen seiner deutschlandkritischen Zeichnungen immer wieder angeklagt war. Im Juni 1914 hatte er sich einer 15monatigen Gefängnisstrafe durch Flucht in die Schweiz entzogen. Von dort aus trat er im Krieg in die französische Armee ein. 9 Elsass-Lothringen 1871–1918 II /1, S. 88 (Zitat), 96 f.; weitere Belege: Simmel, Gesamt ausgabe 23, S. 745. 10 Georg Simmel an Hugo Liepmann 2.8.1914, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 359 f. Hans Simmel, damals Volontärassistent am Pharmakologischen Institut in Heidelberg, war am 29.7. nach Straßburg gefahren, weil er gefürchtet hatte, daß die Festung am ersten Mobilmachungstag gesperrt würde (Erläuterung der Hg. zum vorausgehenden Brief, S. 359). 11 Durchgangspunkt: Schlüter, Reichswissenschaft, S. 388. Zur Einquartierung: Elsass 1870–1932 I, S. 266. Nachdem die Rationierung eingeführt worden war, wurden die Truppen aus eigenen Küchen verköstigt. 12 Dominicus, Straßburgs deutsche Bürgermeister, S. 88 f. Gedacht war an solche Personen, die voraussichtlich der öffentlichen Unterstützung bedürfen würden; das waren – nachdem die Stadtverwaltung eine entsprechende Kartei erstellt hatte – ca. 20.000 Personen. In Metz wurde eine solche Abschiebung tatsächlich durchgeführt. 13 Georg Simmel an Hugo Liepmann 8.8.1914, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 365.
214 Hauptstadt – Provinz – Grenze Kollegen14 – während viele andere Stadtbewohner oder zumindest ihre Familien sich »fluchteilig zu Verwandten in das Innere des Reiches« begaben.15 (Aus der Universität an der Ostgrenze des Reichs ist die Abreise einer ganzen Reihe von Professoren oder zumindest ihrer Familien bekannt.16) Dank der Einlagerung von Vorräten für sechs Monate und mit dem Hinweis auf den Eindruck, den eine solche Maßnahme im In- und Ausland hervorrufen würde, konnte Bürgermeister Schwander die Militärs Mitte August zum Verzicht auf den Evakuierungsplan bewegen. Zur selben Zeit berichtete Simmel über die »Ab geschnürtheit der Grenzfestung«: Man lebte »wie auf einer einsamen Insel, unsre (!) Straße u. ein großer Teil der Stadt ist wie ausgestorben, man sieht nichts sich Bewegendes als Artilleriezüge und Verpflegungskolonnen, dann u. wann rast ein Auto mit einem Offizier hindurch – sonst ist alles totenstill.«17
Nach der Kriegserklärung folgten bald Verhaftungen und Internierungen, offenbar nach bereitliegenden Proskriptionslisten. Betroffen waren damals ca. 400 Bürger des Reichslandes, darunter viele Notabeln und sogar Landtags abgeordnete der Autonomisten. Der Begriff »Schutzhaft« wurde schon nach wenigen Tagen gebräuchlich, während umfassende gesetzliche Bestimmungen, die auch Beschwerde, Verteidigungs- und Berufungsrecht sowie die Entschädigung für zu Unrecht erfolgte Freiheitsbeschränkung regelten, erst 1916 geschaffen wurden. Nach Angaben der Regierung des Reichslandes wurden bis 1. April 1918 1640 (?) Elsässer und Lothringer in Schutzhaft genommen, davon 560 wegen vorangegangener Bestrafung, 1100 aus politischen Gründen. 67 von ihnen saßen im Frühjahr 1918 noch im Gefängnis. Ausgewiesen wurden 1900 Staatsangehörige des Reichslandes, von denen bis 1918 etwa 700 zurückkehrten.18 14 Georg Friedrich Knapp an Marianne Lesser 13.8.1914, abgedruckt in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 365 f. 15 So eine ungezeichnete Zuschrift an: Straßburger Neueste Nachrichten 478, 1.8.1914, Erstes Blatt, S. [3] (in der Rubrik Lokales und Provinziales). 16 Tilitzki, Albertus-Universität Königsberg I, S. 407, 409. 17 Georg Simmel an Ignaz und Anna Jastrow 16.9.1914, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 370 f., Zitat 370. Vgl. Weil, Elsaß-Lothringen und der Krieg, S. 11: Die Bewohner Straßburgs erlebten »den Krieg anders als die Millionen im Reich, fühl[t]en ihn intensiver. (…) der weite Festungsbereich, in dem jetzt militärische Anordnung die Einzelheiten jedes Lebens durchdringt, wirkt eng, und draußen locken wie sonst um diese Zeit die Berge,« notierte der junge Anwalt Ende August 1914. 18 Alan Kramer, Wackes at War: Alsace-Lorraine and the Failure of German National Mobilization, 1914–1918, in: John Horne (Hrsg.), State, Society and Mobilization in Europe during the First World War, Cambridge 1997, S. 105–121, hier 108; Bernard Vogler, Histoire politique de l’Alsace. De la Revolution à nos jours, un panorama des pas sions alsaciennes, Strasbourg 1995, S. 212; Elsass 1870–1932 I, S. 241–245 (mit den Daten der Regierung des Reichslandes, deren Addition die angegebene Gesamtzahl eigentlich
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Straßburg war vom Rest des Reichslandes durch einen Stacheldrahtverhau abgetrennt, und es galt, auch als die Front ab Ende 1914 in etwa 60 km Entfernung erstarrt war, bis 1917 als »bedrohte Festung«.19 Es bestanden detaillierte Paßvorschriften, und die Zureise in die Stadt unterlag strengen Regelungen.20 Studenten durften im Krieg nicht mehr außerhalb der Forts der Festung wohnen; doch konnte der Rektor in Übereinstimmung mit dem zuständigen Dekan Ausnahmen gewähren.21 Sogar Gespräche mit durchreisenden Gelehrten konnten, wenn diese nicht zuvor die nötigen Papiere beantragt hatten, nur auf dem Bahnsteig geführt werden!22 Als der Krieg andauerte und die Situation ungewisser wurde, traf die Landesregierung Vorbereitungen, um den Beamten im »nicht gerade wahrscheinlichen Fall, daß die kriegerischen Ereignisse die Räumung der Festung Straßburg von einem Teile der Einwohnerschaft erforderlich machen sollten«, die Abreise zu ermöglichen. Dafür setzte sie im März 1917 Fragebögen in Umlauf, in denen die Befragten anzugeben hatten, ob sie Richtung Mannheim-Frankfurt oder Karlsruhe-Stuttgart reisen wollten, wie viele Familienangehörige und wie viele Dienstboten sie mitnehmen wollten. (Die Fahrscheine – nach der individuell auszuwählenden Endstation! – sollten bereits bei ihren jeweiligen Behörden für sie hinterlegt werden, so daß sie im Fall der Fälle den Räumungszug unverzüglich besteigen konnten.) Bei der Feststellung sollte »jede Beunruhigung vermieden« werden: »Es handelt sich um Vorbereitungen, wie sie in einer Grenz festung im Kriege geboten sind.« Deshalb gab der Kurator den Fragebogen auch »streng geheim« und »durch besonderen Boten« weiter.23 Die aus der Philosophischen Fakultät überlieferten Antworten belegen, daß nicht nur alte Preußen
um 20 übertreffen würde, S. 244). Diesem Werk zufolge wurden besonders im Kampfgebiet in den ersten Kriegstagen sogar Kinder interniert, aber (wie auch viele Verhaftete) aufgrund der Intervention gerecht denkender Offiziere bald wieder freigelassen. 19 In den ersten Kriegsmonaten war im Elsaß heftig gekämpft worden; das Operationsgebiet erstreckte sich bis nördlich von Colmar. Livet/Rapp, Histoire de Strasbourg IV, S. 391; Elsass 1870–1932 I, S. 192–226, 359. 20 Elsass 1870–1932 I, S. 359; zur Paßpflicht beim Überschreiten der Reichsgrenze und Ausführungsbestimmungen dazu s. Gesetzblatt für Elsaß-Lothringen 9, 19.7.1916, S. 39 ff. Details über die Zureise nach Straßburg u. S. 837–840. 21 Diese Bestimmungen rief der Rektor 1916 in Erinnerung (an Dekan der Phil. Fak. 30.10.1916): ADBR 62 AL 37, unfol. 22 So berichtet es der Straßburger Lehrer und Hörer Simmels Karl (später Charles) Hauter über dessen Begegnung mit Troeltsch: Sie hätten, ca. 20 Minuten auf dem Bahnsteig auf und ab gehend, über Troeltschs Soziallehren gesprochen. Charles Hauter, in: Kurt Gassen/Michael Landmann (Hg.), Buch des Dankes an Georg Simmel. Briefe, Erinnerungen, Bibliographie, Berlin 1958, S. 251–257, hier 254. Gemeint ist: Ernst Troeltsch, Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen. 2 Bde., Tübingen 1912. 23 Min. für E-L an Kurator der KWU Strb. 6.3.1917 (Abschrift); Kurator der KWU 10.3.1917 [an Phil. Fak.]: ADBR 62 AL 38.
216 Hauptstadt – Provinz – Grenze und Wahlstraßburger wie der Altphilologe Schwartz oder der emeritierte Orientalist Nöldeke samt Frau und Dienstmädchen abzureisen gedachten, sondern auch der Elsässer Kiener.24 Ende Oktober 1918 traf die Universität dann selbst Vorbereitungen für den Fall einer französischen Besetzung. Dafür sollten die vor Ort im Militärdienst stehenden Dozenten und Bediensteten, die zur Weiterführung der Kliniken, Institute und Sammlungen gebraucht würden, rechtzeitig daraus entlassen werden (damit sie nicht als Heeresangehörige interniert würden). Die überlieferte Liste umfaßt 60 Namen und 14 Nachträge dazu.25 Einzelne ergriffen aber, als sie im Vorfeld von diesem Plan hörten, bereits selbst die Initiative. So hatte z. B. der Jurist Claudius Freiherr von Schwerin ein »sehr grosses Interesse daran (…), hier bleiben zu können«, und hatte mit dem nicht eingezogenen Direktor des Juristischen Seminars auch abgesprochen, wie das evtl. zu begründen sei: Falls nötig, werde ihm dieser die Leitung des Seminars samt wertvoller Bibliothek übertragen. Tatsächlich wurde Schwerin dann allerdings als Vertreter eines im Felde stehenden Kunsthistorikers reklamiert.26 Wie Universitätsangehörige diese Verhältnisse in der Grenzfestung wahrnahmen, spiegelt sich besonders in Georg Simmels Briefen an Freunde. Noch am 22. Juli 1914 war er ganz selbstverständlich davon ausgegangen, daß er im Oktober zu den geplanten Vorträgen nach Petersburg reisen werde.27 10 Tage später dachte er schon an das Verlassen Straßburgs, weitere zwei Wochen später war dies, durch energisches Handeln der Stadt, aber bereits wieder ad acta gelegt.28 Da er mit den Berliner Freunden in engem Kontakt war, stellte er auch Vergleiche an: »Nach allem, was ich aus Berlin höre, ist das dortige Leben sehr viel weniger durch den Krieg bestimmt, als das Straßburger. Hier in der Grenzfestung riecht es doch offenbar mehr nach Blut«, schrieb er Ende Oktober 1914.29 Schon damals fühlten viele sich durch die Kriegsmonate »auch äußer24 Liste ohne Überschrift in: ADBR 62 AL 38. In einigen Fällen waren nur die Spalten der Familienmitglieder und Dienstboten ausgefüllt. Bei dem Ägyptologen Wilhelm Spiegelberg z. B. lag das vermutlich daran, daß er militärisch eingezogen war (s. Rektor an Stellv. GK [Antwortentwurf] 12.5.1917: ADBR 103 AL 194); Spahn konnte sich evtl. nicht aus der Stadt entfernen, weil er Leiter des von der Stadt geschaffenen Milchamts war (s. dazu u. S. 416 und 505). 25 Kurator an Stellv. GK XV A. K. (…) 8.11.1918 (Entwurf mit Abgangsvermerk): ADBR 103 AL 190. S. dazu auch die Schreiben verschiedener Kliniken ab 1.11.1918 im selben Faszikel. Zur Datierung des Beginns der Überlegungen s. die folgende A. 26 Schwerin an Kurator Strb. 26.10.1918 (mit Vermerk über Erledigung durch Reklamation): ADBR 103 AL 190. S. zu Schwerins früherem Militärdienst u. S. 354. 27 G. Simmel an Margarete von Bendemann 22.7.1914, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 353 f., hier 354. 28 Siehe o. S. 213. 29 G. Simmel an Salomo Friedlaender 26.10.1914, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 440 f., Zitat 441.
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lich verändert u. um Jahre gealtert.«30 Der Altphilologe Schwartz z. B. hatte mit Kriegsbeginn die Arbeit an einer alten Handschrift aufgegeben und sein gesamtes dafür fotografiertes Material samt Büchern in den Keller der Bibliothek geschafft: »(…) schon aus innern [!] Gründen war an eine Fortsetzung der Arbeit nicht zu denken. Ich zweifelte, ob ich sie je würde wieder aufnehmen können.«31 Seine Arbeiten »ruh[t]en deshalb völlig« – jahrelang.32 Nachdem die französische Armée d’ Alsace nach Norden abgezogen und der Frontverlauf erstarrt war, scheint aber eine gewisse Ruhe eingekehrt zu sein, obwohl am Hauptkamm der Vogesen noch bis Ende 1915 heftige Gefechte stattfanden. »Sehr wohltuend empfinden wir die Ruhe u. Gehaltenheit in der Stadt, während es mir aus den Berliner Berichten hervorzugehn [!] scheint, daß man das Große u. Erschütternde der Ereignisse doch schon wieder zu Sensationen mißbraucht«, schrieb Simmel im November 1914.33 In der Korrespondenz des Universitätssekretärs mit einem Extraordinarius im Etappendienst in Belgien34 hatte diese Ruhe im Februar 1915 allerdings eine etwas andere Konnotation: »Dass es Ihnen gut geht, haben wir mit Freude gelesen. Uns geht es ebenso. Man trinkt hier in aller Gemütsruhe seinen gewohnten Abendschoppen, gerade wie wenn gar nichts los wäre. Nur das Interesse nach Neuigkeiten der Zeitungen ist reger als sonst.«35
Doch der »Donner von den Vogesengefechten«, den Simmel an einem Sonntagnachmittag im März auf einer Schwarzwaldwanderung mit seinem Sohn hörte, muß wohl auch in Straßburg zu hören gewesen sein. Ihn zerriß dieser Gegensatz fast: »Daß man solche Spannungen aushalten kann, zwischen diesem stillsten Sonntag Mittag an dem beglücktesten Fleck der Erde u. dem Krachen der Geschütze, die eben menschliche Leiber zerstückelten – daß man die aushalten kann, ohne zu zerreißen, das weiß man, wie manches andre, erst seit diesem Krieg.«
Und nach einem Gedankenstrich fuhr Simmel mit der Beobachtung einer kleinen militärischen Auseinandersetzung über der Stadt fort, die in seiner Schilderung wie ein faszinierendes ästhetisches Spektakel erscheint, obwohl doch auch da mindestens ein Menschenleben in Gefahr war:
30 G. Simmel an Margarete von Bendemann 20.10.1914, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 435. Auf wen genau »uns alle« sich bezieht, ist aus dem Kontext nicht zu klären. 31 Schwartz, Wissenschaftlicher Lebenslauf, S. 16. 32 Schwartz an Hans Lietzmann 16.11.1916, in: Aland (Hg.), Glanz und Niedergang, S. 380. 33 G. Simmel an Hugo Liepmann 9.11.14, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 461. 34 Dabei ging es um dessen Urlaubsgesuch (um als Leiter des Musikwissensch. Seminars zum Semesterschluß einige Aufgaben zu erledigen). 35 [Sebastian] H[ausmann] an Friedrich Ludwig 12.2.1915: ADBR 103 AL 563.
218 Hauptstadt – Provinz – Grenze »Neulich kam wieder ein französischer Ballon über Straßburg, er stand sehr hoch u. glänzte in der Sonne wie ein Stern. Er wurde von hier mit Shrapnells beschossen u. ihre weißen Wölkchen standen freundlich leuchtend unter ihm. Dann ratterte, dicht über uns, einer von unsern Fliegern zu ihm herauf, genau wie ein Raubvogel, der sich auf seine Beute stürzt. Es war nur ein kleines, für uns gefahrloses Episödchen, aber doch ein unvergeßlicher Eindruck.«36
Die Abgeschnittenheit »in diesem abgeschlossenen, von außen eigentlich unzugänglichen Bezirk« ermöglichte ein Leben »in größter äußerer Regelmäßigkeit und Stille«, das daher trotz der Bedrückung auch eine gewisse beruhigende Wirkung hatte37 – und doch immer wieder »eingeengt« erschien.38 In diesem Frühjahr nahmen Simmels auch wieder ihren montäglichen jour fixe auf, den sie schon in Berlin gehalten und im Sommer 1914 auch in Straßburg eingeführt hatten. Seit Kriegsbeginn waren diese Teenachmittage zunächst unterblieben. Die »liebe[n], sympathische[n] u. wertvolle[n] Menschen«, die sie nun um sich versammelten, stammten überwiegend aus dem Kollegenkreis: Dehio, Knapp, Bresslau, Schwartz, Spiegelberg, Klostermann.39 Doch auf Dauer verdrängte der Krieg alles andere. Er brach sogar den »Zauber« des lange erwarteten Frühlings – und die Wirkung der Kunst: »Ich wenigstens habe der Natur gegenüber jetzt das Gefühl: was geht es mich eigentlich an? U. ebenso der Kunst gegenüber, abgesehen von der allerhöchsten.«40 Die Anspannungen der späteren Kriegsjahre werden aus einem Brief des Neutestamentlers und Patristikers Klostermann vom November 1917 deutlich: »Im ganzen geht uns hier der Krieg doch etwas mehr an die Nieren, als anderswo in Deutschland. Nicht nur die Nähe der Front, die uns täglich den Kanonendonner herüberschickt, wenn etwas los ist, und derentwegen wir doch auch nicht zu selten Fliegeralarm haben, hält uns in einer Anspannung, die sich schließlich doch bemerkbar macht. Für uns hier kommen auch die besonderen Sorgen um die Zukunft des Landes und unserer Universität hinzu.«41 36 G. Simmel an Agathe und Hugo Liepmann 23.3.1915, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 506–508, Zitate 507 f. und 508. 37 Zitat: G. Simmel an Margarete von Bendemann 2.5.1915, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 520. Zur Bedrückung und Beruhigung vgl. auch seinen Brief an Hugo Liepmann 25.6.1915 (S. 527 f.): »Das Straßburger Leben, in seinem Festungscharakter u. seiner Abgeschiedenheit von der Außenwelt, hat etwas Klösterliches, die Nähe der Sperrlinien übt einen Druck, wie man ihn im Reich doch wohl nicht fühlt.« (Zitat 527). 38 G. Simmel an Agathe und Hugo Liepmann 12.10.1915: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 563 f., Zitat 564. 39 Zitat: G. Simmel an Margarete von Bendemann 5.3.1915, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 489 f., Zitat 490. Details zum Freundeskreis im Anmerkungsapparat S. 492 f. 40 »Bach u. Beethoven allerdings gehen mich auch jetzt an.« Alle Zitate aus Simmels Brief an Margarete von Bendemann 10.5.1917, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 782 f., hier 783. 41 Erich Klostermann an Hans Lietzmann 11.11.1917, in: Aland (Hg.), Glanz und Elend, S. 390 f., Zitat 391. Zur Frage, ob sich die Geräusche dem Luftlinie 185 km entfern-
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Immerhin konnten sich manche an die nächtlichen Überflüge und gelegent lichen Bombardierungen bald gewöhnen.42 Doch führte Simmel »in der Einsamkeit von Straßburg« auch Anfang 1918 noch »ein stilles Leben mit guten Stunden«; denn nun hatte er bei einer Vortragsreise nach Berlin einen »wahrhaft verhängißvollen Eindruck« von der Reichshauptstadt gewonnen, und es war ihm »ein außerordentlicher Schmerz«, die Stadt, in der er aufgewachsen war, »in dieser Zersetzung, dieser Auflösung ihres organischen Lebens in ein Chaos« zu sehen. In Straßburg dagegen fand er nach der Rückkehr alles »in alter Ordnung«.43 Trotz des äußerlich ruhigen Lebens hatten ihn die Kriegsjahre nach eigenem Empfinden aber »um das Doppelte und Dreifache der normalen Zeitwirkung« altern lassen. »Die Sorge um Deutschland und der Kummer um das verlorene Europa, eines immer um das andere gesteigert, ergeben zusammen eine Last, die vor vier Jahren ebenso unausdenkbar war, wie daß die Tragkraft bisher noch für sie zugereicht hat. Die schlimmste aller Vorstellungen ist, daß dieser Selbstmord Europas zu Gunsten Amerikas den Akt der Weltgeschichte einleitet, in dem sie ihre Wanderung von Osten nach Westen fortsetzt (…)«44
Mit diesen Überlegungen war der Philosoph, der sich im Krieg zunächst nicht auf die Wissenschaft hatte konzentrieren können und immer nach praktischer Betätigung suchte,45 schließlich wieder bei seinem eigenen Metier angekommen.
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ten Verdun zuordnen ließen, mußte die Straßburger Erdbebenstation zunächst passen, da ihre Instrumente nur mit 250facher Vergrößerung arbeiteten, zur Registrierung von Bodenverschiebungen und Schwankungen »so unbedeutender Art, wie sie diese Kriegsereignisse bedingen«, seien jedoch Meßinstrumente mit mindestens 10.000facher Vergrößerung nötig. Doch wurde eine Organisation aller Wetterwarten der Schweiz, Deutschlands und der Niederlande zu einer strengen Beobachtung des Kanonendonners geschaffen, um das »allgemein interessierende wissenschaftliche Problem zu lösen« (Vom Kanonendonner, in: SP 189, 7.3.1916 MiA). So belegt bei dem im SS 1918 nach Straßburg gekommenen Juristen Heinrich Lehmann (Lebenserinnerungen, S. 99). G. Simmel an Agathe und Hans Liepmann 12.1.1918, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 897–899, Zitate 899, 897, 898, 899. Vgl. auch G. Simmel an Anna Jastrow 13.1.1918 (S. 900). G. Simmel an Hermann Graf von Keyserling 25.3.1918, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 926–928, hier 927. S. dazu u. Kap. III .4.
220 Hauptstadt – Provinz – Grenze
Materielle Verhältnisse der Universitätsangehörigen Beamte, denen der Staat mit ihrer Indienstnahme eine lebenslange Absicherung bot, verloren ihre Stellung auch im Krieg nicht. Insofern erging es ihnen besser als manchen Arbeitnehmern, insbesondere berufstätigen Frauen, die zu Kriegsbeginn entlassen wurden. Andererseits stieg ihr Einkommen – im Gegensatz zu dem der Arbeiter – im Krieg zunächst nicht. Und durch den Rückgang der Kaufkraft verarmten höhere Beamte – relativ gesehen – sogar viel stärker als die mittleren und unteren, da Gehaltserhöhungen, als es endlich dazu kam, sozial gestaffelt wurden. Den Stellvertretenden Generalkommandos, die regelmäßig über die Lage der Bevölkerung berichteten, fielen die Beamten früher als Opfer von Not und Verarmung auf als Angestellte.46 Die Lage der Professoren war noch komplizierter, denn sie waren die einzige Kategorie von Beamten, die von wechselnden Einkünften abhängig war47 – und die einzige, die »während des Krieges einen Entfall von Einkommen« hatten (wie es der Berliner Rektor Penck in seinem Jahresbericht ausdrückte).48 Schwankte es schon in Friedenszeiten je nach Hörerzahl, so bedeutete der Krieg für die allermeisten eine gravierende wirtschaftliche Einbuße; denn durch die vielen Einberufungen oder freiwilligen Meldungen schrumpfte die Zahl der Hörer an allen Universitäten und in allen Fächern massiv.49 Dadurch verloren alle Lehrenden Hörgelder und die Prüfungsberechtigten (meist nur Ordinarien) außerdem noch Prüfungsgebühren. Besonders hart getroffen wurden Privatdozenten, die sich – sofern sie nicht eine Assistentenstelle hatten – allein von Hörgeldern (und gelegentlichen Stipendien) finanzieren mußten. Dabei konnten sie ihr Einkommen nun, anders als früher, auch nicht durch (damals normalerweise honorierte) wissenschaftliche Veröffentlichungen aufbessern, weil die Verlage ihre Publikationsaktivitäten ebenfalls reduzierten. Das brachte z. B. den Berliner Zoologen Paul Deegener, der eine kranke, operationsbedürftige Frau und ein kleines Kind hatte, schon im ersten Kriegssemester in Schwierigkeiten. Sein Assistentengehalt von 2200 M. und die außerordentliche Remuneration von 300 M. genügten nicht mehr. Das Ministerium gewährte ihm eine einmalige Zahlung von 600 M.50 46 Jürgen Kocka, Klassengesellschaft im Kriege, Göttingen 1973, S. 73. 47 [Pr. KuMi] Stichwörterliste für den Verwaltungsbericht aus meinen Referaten bei U I: GStAPK I . HA , Rep. 76a, Sekt 1, Tit. I, Nr. 35 Bd. II, fol. 388. 48 Penck, Amtsjahr 1917/18, S. 11. 49 S. dazu u. Kap. II.1. 50 PD Prof. Dr. Paul Deegener an Pr. KuMi 4.11.1914; Pr. KuMi an Kasse der Kgl. Ministerial-, Militär- und Baukommission 2.12.1914. Beide: GStAPK I. HA Rep 76 Va Sekt. 2 Tit. IV Nr. 32 Bd. XVI, fol. 206, 208. Später erhielt er noch zweimal außerordent liche Unterstützungen von je 1250 M (s. GStAPK I. HA Rep 76 Va Sekt. 2 Tit. IV Nr. 32 Bd. XVII, fol. 195, 223).
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221
Zwar erhielten alle Hochschullehrer, die in einem Beamten- oder beamtenähnlichen Arbeitsverhältnis standen, in Preußen ab 1915 wie alle übrigen Beamten sog. Kriegsbeihilfen und Teuerungszulagen, um die sinkenden Realeinkommen auszugleichen.51 Doch wenn das Jahreseinkommen inkl. Hörgeldern 13.000 M. überstieg, wurden die laufenden Zulagen nicht gewährt. Andererseits wurde eine einmalige Zulage 1918 allein nach dem Monatsgehalt bemessen, ohne die Hörgelder zu berücksichtigen – was sich wiederum zuungunsten der Professoren auswirkte.52 In Berlin z. B. kamen für die laufende Zulage nur die allerwenigsten Professoren in Frage: drei Extraordinarien der Theologischen Fakultät, vier der Juristischen, 22 Professoren (darunter auch Ordinarien) der Medizinischen, 23 der Philosophischen Fakultät.53 Im Großherzogtum Hessen hatten nur Beamte, deren Jahresdiensteinkommen unter 4500 M. (und deren zur Einkommensteuer veranlagtes Gesamteinkommen unter 5000 M.) lag, Anspruch auf eine Teuerungszulage. Damit kam sie für Ordinarien also generell nicht in Frage.54 Einem Straßburger Ordinarius wurden 1918 dagegen zusätzlich zu seinem Gehalt von 6500 M. eine »laufende Kriegsbeihilfe im Jahresbetrage von 552,50 M.« und »eine laufende Kriegsteuerungszulage im Jahresbetrage von 400 M.« zugesprochen.55 Daß die Ordinarien durch die soziale Staffelung der Zuschläge relativ ge sehen höhere Einbußen hinnehmen mußten und so eine gewisse Nivellierung des Realeinkommens innerhalb der Hochschullehrerschaft erfolgte,56 ist aber nur die eine Seite der Medaille; denn es gab auch Professoren, die bei ihrer Berufung Hörgeldgarantien erhalten hatten. Diese betrug bei dem berühmten Verfassungsrechtler Anschütz z. B. 10.000 M. pro Jahr. Bis Kriegsbeginn war 51 Wettmann, Heimatfront Universität, S. 120. 52 Rektor und Senat Breslau an Pr. KuMi 27.9.1918: GStAPK I . HA Rep. 76 KuMi Sekt 1, Tit. I, Nr. 35 Bd. III, fol. 47. 53 Verzeichnis der Professoren, die nach ihrem Diensteinkommen für eine Kriegsteuerungszulage in Frage kommen [o. D. ]: GStAPK I . HA Rep. 76 KuMi Sekt 1, Tit. I, Nr. 35 Bd. II, fol. 260. 54 S. gedrucktes Doppelblatt: Die Gewährung von Kriegsteuerungshilfen 29.3.1917: UA Gi Allg. 35. Zum Eingangsgehalt der Ordinarien in Gießen s. o. S. 95. 55 Kurator Strb. an Universitätskasse Strb. 1.12.1918 (!): UA Göttingen Kur 5107, fol. 21. Es handelt sich um die Dienstakte des Internisten Erich Meyer, der ab 1919 Professor in Göttingen war. Sie enthält auch die alte Straßburger Dienstakte. Meyer hatte dem Kurator am 3.9.1918 gemeldet, daß er aus seinem Feldkommando zurückgekehrt sei (fol. 20), erhielt jedoch bis 30.11.1918 noch militärische Bezüge. Der Kurator setzte also das Gehalt fest, nachdem die Franzosen am 22.11.1918 Straßburg eingenommen hatten. Am 3.12. dekretierte der Rektor der Akademie und Inspektor des öffentlichen Bildungswesens die Schließung der deutschen Universität (ADBR 103 AL 53). Zum Plan, die Teuerungszulagen entsprechend dem Vorgehen im Reich und den meisten Bundesstaaten neu zu regeln, dabei aber die besonderen Verhältnisse des Reichslandes zu berücksichtigen, s. SP 537, 26.8.1917 MA . 56 Wettmann, Heimatfront Universität, S. 120.
222 Hauptstadt – Provinz – Grenze sie »niemals praktisch geworden«, da sein Einkommen nach Abzug des der Staatskasse zufließenden Anteils die Garantiesumme immer noch überstieg. Doch im Krieg wurde die Frage akut, und tatsächlich erhielt er vom Ministerium für 1914/15 und 1915/16 die Differenz zwischen den eingenommenen Hörgeldern (von jeweils 6000 M.) und der Garantiesumme. Als er dann einen Ruf nach Heidelberg annahm und die Berliner Universität mitten im Rechnungsjahr verließ, reichte er eine ausführliche Begründung ein, warum sein Hörgeld für das abgelaufene Semester auf 5000 M. aufgestockt werden müsse – und trotz der eigentlich jährlichen Berechnung bekam er diese Differenz nun auch mitten im Krieg.57 Emeriti standen, wie Pensionierten, in Preußen nur 50 % der Teuerungs zulage zu, die nach dem letzten Gehalt bemessen wurde. Und das, obwohl die Entpflichteten ja ohne Hörgeld auskommen mußten, als Kranke oder Alte aber zugleich besondere Nahrung brauchten, die im Krieg nur unter erhöhten Kosten zu erhalten war. Verschiedene Universitäten bemühten sich 1918 vergeblich darum, ihnen die volle Teuerungszulage zu verschaffen.58 In Elsaß-Lothringen waren die Emeriti von der Teuerungszulage ganz ausgeschlossen.59 Besoldeten Assistenten – und zwar ausdrücklich auch Frauen (von denen manche jetzt durch die Abwesenheit der Männer tatsächlich bezahlte statt früher überwiegend nur Volontärs-Assistentenstellen erhielten) – sicherte ihr beamtenähnliches Dienstverhältnis die Teuerungszulagen.60 Dagegen waren Privatdozenten davon ausgeschlossen, da ihnen ja der Beamtenstatus fehlte.61 Und als der Privatdozent und Titularprofessor Paul Deegener seine langjährige Assistentenstelle niederlegte, weil er einen bezahlten Lehrauftrag erhielt, verlor
57 Denn – so sein Argument – auch für sein erstes Berliner Semester, das in der Mitte des Studienjahres lag, waren seine Hörgelder auf die Hälfte der Garantiesumme ergänzt worden. Gerhard Anschütz an Pr. KuMi 1.9.1915; Pr. KuMi an Gerhard Anschütz. Beide: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. IV, Nr. 45 Bd. XI, fol. 3–4, 5. 58 S. die Schreiben der Universitäten Breslau 30.7.1918, Greifswald 5.8.1918, 6.8.1918, Königsberg 24.9.1918. Alle: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 1, Tit. I, Nr. 35 Bd. III, fol. 43, 16, 13, 34v. Antwort des Pr. KuMi an Univ. Berlin 20.8.1918, fol. 13v. 59 S. den Protestbrief der Emeriti Dehio und Bresslau, der in der Sitzung des Straßburger Senats vom 3.12.1917 bekanntgegeben wurde: ADBR 103 AL 118. 60 Pr. KuMi an Kuratoren 16.12.1916: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 1, Tit. I, Nr. 35 Bd. II, fol. 228. S. auch Pr. KuMi an 14.8.1918: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 1, Tit. I, Nr. 35 Bd. III, fol. 11. 61 Pr. KuMi an Kurator Marburg 2.7.1918: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 1, Tit. I, Nr. 35 Bd. III, fol. 1. Dabei ging es um einen Theologen, der zugleich Lektor war. Da er aber keine »Vergütung für Wahrnehmung amtlicher Obliegenheiten« aus dem Lektorenfonds erhielt, sondern aus dem »allgemeinen Zentralfonds entschädigt« wurde, wurde auf ihn die Bestimmung angewandt, »wonach Privatdozenten, auch wenn ihnen ein Lehrauftrag erteilt ist, die Kriegszuwendungen nicht erhalten.« Für einen besonderen Notfall signa lisierte der Minister allerdings Entgegenkommen.
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er damit zugleich die Teuerungszulage!62 Zwar konnten Privatdozenten Stipendien erhalten – doch die in Preußen üblichen 1200 M. pro Jahr (und selbst das mögliche Maximum von 1500 M.) lagen unter dem Lohn des Maschinisten der Universität Berlin, der 1650 M. pro Jahr erhielt und dazu noch freie Wohnung hatte!63 Falls dann – mangels Hörern oder aufgrund eigener Einberufung – auch noch die Hörgelder wegfielen, gerieten Privatdozenten wirklich in Not. Ein 44jähriger Kunsthistoriker, der ein beliebter Lehrer war und, laut Institutsdirektor, im Winter 1915/16 eigentlich 800 M. Hörgelder (zusätzlich zu seinem Assistentengehalt von 1500 M. im Jahr) gehabt hätte, verlor diese Einnahme durch seine Einberufung zum Landsturm als einfacher Trainsoldat. Auch den Unterricht für Prinzessinnen in Potsdam mußte er natürlich aufgeben. (Die Familie lebte dann von der Privatlehrertätigkeit der Frau und Zuschüssen der jüdischen Kaufmannsfamilie, aus der sie stammte.)64 Ähnlich erging es dem Mitherausgeber der seit 1909 erscheinenden Religion in Geschichte und Gegenwart, damals seit zehn Jahren Privatdozent für Kirchengeschichte in Berlin, Leopold Zscharnack. Seine Einberufung zum Heer machte jegliche Nebentätigkeit unmöglich. Obwohl das Stipendium weiterlief und auch die Geschäftsstelle des Evangelischen Bundes, in der er bis zu seiner Einberufung als »wissenschaftliches Mitglied« tätig gewesen war, sein Honorar weiterzahlte, genügte dies nicht, um seine Familie zu ernähren; denn sein Einkommen war fast auf die Hälfte gesunken, während sich die Lebenshaltung gleichzeitig verteuerte.65 Beide erhielten eine Unterstützung.66 Aber schließlich handelte es sich hier auch um 62 Er verwies auf einen seiner Meinung nach gleichgelagerten Fall – was das Ministerium aber zurückwies. Das Argument war (analog zu dem Fall in A. 61) die unterschiedliche Geldquelle. Prof. Dr. [Paul] Deegener an Pr. KuMi 14.5.1918; Pr. KuMi an Deegener 21.8.1918. Beide: GSt APK I. HA Rep. 76 Va Sekt. 2 Tit. IV Nr. 68 D Bd. I, fol. 190–191, 192. 63 Die Vergütung für ihn ist erwähnt in: Kurator Berlin an Pr. KuMi 19.5.1917: GStAPK I. HA Rep 76 Va Sekt. 2 Tit. IV Nr. 32 Bd. XVII, fol. 137. Zum (1875 eingeführten) Maximum: Busch, Geschichte des Privatdozenten, S. 113. 64 Diese Angaben aus dem Schreiben des Direktors des Kunstgeschichtlichen Seminars Adolf Goldschmidt an den Referenten im Pr. KuMi 16.11.1916, der Edmund Hildebrandts Qualifikation als Forscher und als beliebter Lehrer unterstrich und sein Gesuch nachdrücklich befürwortete. Vgl. außerdem Hildebrandts eigene Schreiben vom 20.11.1916 und 20.8.1918, in denen er jeweils über seine Zurücksetzung hinter jüngeren, teils nicht habilitierten Kräften klagte und am Ende nur um eine bescheidene Dauerstelle als Bibliothekar oder Assistent bat, die mit seiner Lehre vereinbar wäre: GStAPK I . HA Rep 76 Va Sekt. 2 Tit. IV Nr. 32 Bd. XVII, fol. 108 f.; 123–125; 248–253. Zu Hildebrandts Gesundheitsschäden aus dem Kriegsdienst und seinem weiteren Leben s. Holger Roggelin, Franz Hildebrandt. Ein lutherischer Dissenter im Kirchenkampf und Exil, Göttingen 1999, S. 21 f. 65 Leopold Zscharnack an Pr. KuMi 10.1.1916: GSt APK I. HA Rep 76 Va Sekt. 2 Tit. IV Nr. 32 Bd. XVII, fol. 35. 66 Auf Zscharnacks Gesuch (wie A. 65) ist eine Zahlungsanweisung für 500 M. vermerkt. Hildebrandt erhielt am 12.12.1916 600 M., am 22.3.1917 600 M. als »einmaliges Stipendium«, am 31.3.1917 300 M. als »außerordentliche Unterstützung«, am 21.1.1918 600 M.
224 Hauptstadt – Provinz – Grenze Privatdozenten, die trotz hoher Qualifikation bei Berufungen nicht zum Zug gekommen waren.67 Insgesamt blieb die Zahl solcher Hilfen in der großen Berliner Privatdozentenschaft aber klein.68 Dabei verweist die Begründung der verteuerten Lebenshaltung auf ein Problem, das im Krieg alle betraf, besonders aber die Großstädter; denn schon im Herbst 1914 wurden Lebensmittel knapper. Bereits im Oktober fehlte reichsweit ein Viertel der Kalorien und ein Drittel des Eiweißes.69 Deutschland war bislang stark von Lebensmittelimporten abhängig, die nun zum großen Teil ent fielen. Außerdem ging infolge von Arbeitskräftemangel, Verlust der meisten (für die Armee benötigten) Zugpferde sowie Mangel an Düngemitteln und Maschinen die einheimische Produktion um 20–25 % zurück. Die unkoordinierte Einführung von Höchstpreisen durch die Reichsregierung bewirkte sprunghafte Veränderungen der Produktion, weil sich die Produzenten den für sie jeweils günstigsten Sektor aussuchten. Die Konsumenten mußten Rationierungen hinnehmen, die jene mit ausreichenden finanziellen Mitteln durch Einkauf auf dem Schwarzmarkt (wo für bewirtschaftete Güter etwa das Doppelte des offiziellen Preises zu zahlen war) auszugleichen versuchten. Da erst im Mai 1916 ein allgemeines Kriegsernährungsamt eingerichtet wurde,70 sind die lokalen Verhältnisse von besonderer Bedeutung. In Berlin traf die angespannte Ernährungslage eine Bevölkerung, die sich in den beiden vorausgegangenen Jahrzehnten stark vergrößert hatte, ohne daß die Agrarproduktion im Umland mitgewachsen wäre. Während des Krieges fluktuierte die Bevölkerung stark; denn Soldaten zogen ins Feld, Zivilisten aufs Land und umgekehrt Menschen von dort in die Rüstungsindustrie. Neben der Preisspirale durch Rückgang der Produktion machten den Berliner Konsumenten auch Spekulation, Rationierung und Schwarzmarkt zu schaffen, und letzterer verhinderte auch, daß der wachsende Konsens, daß alle gleiche Opfer und
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als »einmaliges Stipendium« und am 9.8.1918 nochmals 900 M. als einmaliges Stipendium: GSt APK I. HA Rep 76 Va Sekt. 2 Tit. IV Nr. 32 Bd. XVII, fol. 110, 122, 126, 189, 219. Bei Hildebrandt werden zwei gescheiterte Fastberufungen erwähnt. Nach dem Krieg wurde er 1921 in Berlin nichtbeamteter Extraordinarius, Zscharnack erhielt Ende seines 40. Lebensjahrzehnts noch ein Ordinariat in Breslau. Die beiden Faszikel über »außerordentliche Remunerationen« enthalten zwar viele Fälle, doch waren darunter auch Ordinarien, die diese vor und während des Krieges für ihre »Mitwirkung bei Ausfüllung von Lücken im Lehrkörper« erhielten (z. B. Max Planck 500 M. oder Ernst Troeltsch 1200 M.), aber auch einfaches Universitätspersonal mit kleinen Summen. S. außer dem in A. 63–64 genannten Faszikel auch GStAPK, I . HA Rep 76 Va Sekt. 2 Tit. IV Nr. 32 Bd. XVI (fol. 231: 6.3.15 500 M. an Planck, fol. 247: 9.7.1915 1.200 M. an Troeltsch). Thierry Bonzon/Belinda Davis, Feeding the Cities, in: Jay Winter/Jean Louis Robert (Hg.), Capital Cities at War. Paris, London, Berlin 1914–1919. [Vol. 1], Cambridge 1997, S. 305–341, hier 310. Gustavo Corno, Ernährung, in: Hirschfeld u. a. (Hg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, S. 461–464, hier 461; Martin H. Geyer, Inflation, in: ebd., S. 579–581, hier 581.
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Härten zu ertragen hätten, Wirklichkeit wurde.71 Schon ab Oktober 1914 gab es in Berlin Schlangen vor Bäckereien. Der Verbrauch von Kartoffeln (für die bereits im November 1914 Höchstpreise festgesetzt wurden), betrug im dritten Kriegsjahr noch 70 % des Vorkriegskonsums, von Brot gut 50 %, Fleisch jedoch nur noch 30 % und Butter 20 %. Bald wurde in Berlin die Rationierung eingeführt, die sich bis Ende 1915 auf alle wichtigen Lebensmittel ausdehnte: Milch, Fleisch, Butter.72 Noch weniger als anderswo schafften es die Behörden in der Reichshauptstadt, die Ernährungsprobleme zu lösen; denn sie gingen zögernd und unsystematisch vor, was zu unzähligen, sich teilweise auch widersprechenden Regelungen führte. Diese betrafen nicht nur Produktion, Verteilung und Konsum, sondern z. T. sogar die Zubereitung und schrieben auch fleischfreie Tage vor. Zu ersten ernsthaften Hungerunruhen kam es in Berlin ab Oktober 1915, zu Streiks im Frühjahr 1917 und Januar 1918.73 Der Berliner Mediziner Max Rubner, der als Begründer der wissenschaftlichen Ernährungsphysiologie, der physikalisch-chemischen, experimentellen Hygiene sowie der wissenschaftlichen Arbeitsphysiologie gilt, schrieb nicht nur während des Krieges mehrfach Artikel zu Ernährungs- und Versorgungsproblemen, etwa im Berliner Tageblatt;74 er verfaßte zehn Jahre später auch eine kurze Übersichtsdarstellung über das Ernährungswesen im Krieg. Darin finden sich Angaben über die vorgesehenen Rationen, aber auch über die Praxis der rein mechanischen Distribution, die mittels »Kopfquoten« keineswegs eine gleichmäßige Verteilung erzielt habe. In verschiedenen Städten sei das Gewicht der Bewohner um bis zu 15 % und mehr gesunken, Rubners eigenes sogar um 20,86 %!75 Und das, obwohl er zu den bestverdienenden Professoren der Berliner Universität zählte: Im letzten Friedensrechnungsjahr (1913/14) betrug sein Einkommen knapp 68.000 M., davon waren 38.000 M. Hörgelder und Prüfungs gebühren.76 Rubner beschrieb auch die Wirkung seines Gewichtsverlusts: 71 Bonzon/Davis, Feeding the Cities, S. 307–310, 321. 72 Bonzon/Davis, Feeding the Cities, S. 334 f., zum Verbrauch im dritten Kriegsjahr Tab. S. 317. 73 Bonzon/Davis, Feeding the Cities, S. 335 f., 338. 74 Biogr. Angaben: NDB 22 (2005), S. 158–159 (Eberhard J. Wormer). Artikel: M[ax] Rubner, Die Verdaulichkeit des Gemüses, in: BT 284, 4.6.1916 MA , 2. BL ; Max Rubner, Ungenützte Fettquellen, in: BT 414, 14.8.1916 AA . Während der erste, sehr wissenschaftliche Artikel keine konkrete direkte Nutzanwendung erkennen ließ, fügte Rubner dem Referat selbst initiierter Untersuchungen über Abwässer (1902) den Hinweis an, daß aus Schlick Fett zur Seifenherstellung gewonnen werden könne. 75 Max Rubner, Das Ernährungswesen im allgemeinen, in: F[ranz] Bumm (Hg.), Deutschlands Gesundheitsverhältnisse unter dem Einfluß des Weltkrieges. Zweiter Halbband, Stuttgart u. a. 1928, S. 1–39, hier 13 (Zitat), 21 (Gewichtsangaben). 76 Diensteinkommen des Prof. Rubner Berlin; Kgl. Universitäts-Kasse und Quästur an Pr. KuMi 6.4.1914. Beide: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. IV, Nr. 46 Bd. XX , fol. 352, 351.
226 Hauptstadt – Provinz – Grenze »Außer dem Gefühl des Ungesättigtseins war störend die andauernde Müdigkeit und das Frostgefühl auch bei Temperaturen, die mir sonst durchaus angemessen erschienen. Der Anstieg des Körpergewichts erfolgte später nur langsam beim Aufenthalt im Gebirge, wo es immer noch Milch und Eier in ausreichender Menge gab.«
Seine Darstellung reichte bis zur Berechnung des eigenen Kots – und enthielt auch die Ergebnisse eines Bonner Kollegen, der offenbar Selbstversuche unternahm.77 Rubner zufolge endete »diese Unterernährung für viele Menschen in den Jahren 1914 bis 1918 mit dem Hungertod […], für den man verschiedene irreführende Namen und Ausdrucksweisen wie Schwäche, Marasmus usw. vielfach anwandte.«78 Schließlich berichtete Rubner zehn Jahre nach dem Krieg auch von den Folgen der Erlaubnis, daß »beliebige Personen sich Tiere halten durften«. Sie fütterten diese mit »menschlichen Nahrungsmitteln« und schadeten damit der Versorgung insgesamt.79 Neben der Viehhaltung wurde auch vermehrter Gemüseanbau in der Großstadt beobachtet – ohne daß dies den ständigen Mangel an Grundnahrungsmitteln hätte kompensieren können. Außerdem führte die Jagd nach dem täglichen Brot schließlich zu Beutezügen ins ländliche Umland, was die alten Spannungen zwischen ihm und der Hauptstadt erheblich verschärfte.80 Für beide Versuche, die eigene Ernährungslage zu verbessern, finden sich Beispiele auch im Professorenmilieu: Im Winter 1916/17 fuhr etwa die Gattin des besoldeten Extraordinarius (und künftigen Nobelpreisträgers) Max Born aufs Land, um vielleicht direkt bei Bauern etwas zu ergattern.81 Und Familie Meinecke in Dahlem ergänzte ihre Einkäufe durch Gartenbau und Viehhaltung: Ihr frisch angelegter Garten »wandelte seinen Charakter noch während des Krieges. Nahrung, mehr Nahrung, wurde jetzt die Losung. Der Rasenplatz wurde schließlich in Kartoffelland umgegraben, Gemüse an den Seiten angebaut. Zuletzt wurde noch ein Kaninchenstall hergerichtet und Hühner wurden angeschafft […]. Sogar ein Ferkel wurde auf Zureden eines Nachbarn einmal im Keller gehalten und notdürftig mit Abfällen gefüttert. Beim Schlachten wog es nur 98 Pfund, und die Hälfte davon wurde uns noch von der Fleischkarte abgezogen. Wir machten auch noch ein anderes diesen Nachbarn, der
77 Rubner, Ernährungswesen, Zitat S. 21, Berechnung 25, Bonner Kollege 33. 78 Rubner, Ernährungswesen, Zitat S. 21. 79 Rubner, Ernährungswesen, S. 12. S. dazu auch R. E. May, Einwände gegen Verminderung des Schweinebestandes IV, in: Berliner Klinische Wochenschrift 55 (1918), S. 36–38, hier 37 f., sowie V, ebd. S. 52–54, hier 53 (Anbau von als Klee deklarierten Kartoffeln für die Schweinefütterung). 80 Large, Berlin, S. 137. 81 Nancy Thorndike Greenspan, Max Born – Baumeister der Quantenwelt, München 2006, S. 82.
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Familie des Präsidenten Saenger […] nach. Wir pachteten einen Teil jener Baustellen, die heute längst bebaut sind, […], pflanzten Gemüse und Kartoffeln auf ihnen und führten, während wir abends mit Kannen die Beete begossen, zwischendurch mit Herrn Saenger kriegspolitische Gespräche.«82
Andere versuchten, ihre persönliche Ernährungslage durch Eingaben zu verbessern. So bemühte sich etwa der Romanist Morf im November 1916 um größere Lebensmittelzuteilungen. Das lehnte das Innenministerium zwar ab (und verwies ihn gleichzeitig auf den Beschwerdeweg), doch unterstützte das Kultusministerium Morfs Antrag, den es an den Oberpräsidenten in Potsdam weiterleitete, nachdrücklich.83 Die Folgen der Unterernährung waren den Professoren auch anzusehen. Mehrere Kollegen erlebten den »nicht sehr großen, aber ehedem sehr kräftigen, untersetzten und breitschultrigen« Historiker Michael Tangl damals als »abgezehrt und tief bekümmert«.84 Und der gärtnernde (und durch Kontakte zum Staatsapparat gut informierte) Meinecke stellte über die allgemeine Lage 1917 fest: »Es steht zur Zeit recht schlecht mit der Ernährung – aber wir können zum Glück, wie ich aus bester Quelle höre, unsere Ernährung fürs nächste Jahr sichern, wenn wir das Vieh exclusiv Zug- und Milchvieh radikal abschlachten und zur vegetarischen Ernährung übergehen.«85
Für die Studenten trat die Notwendigkeit des Verzichts noch früher ein. Im Ber liner Tageblatt berichtete ein anonymer Kandidat der Philosophischen Fakultät: »Die sättigenden Portionen vom Frieden sind in allen Restaurants halbiert. Das Doppelte ist zu zahlen. Und die Hälfte auf dem Teller ist nicht die Hälfte. Die Zubereitung gestattet mir nicht, halb satt zu werden. Um satt zu werden, habe ich mindestens zwei kleine Gänge zu bestellen und vier große zu bezahlen. Von 2,50 M. werde ich heute nicht mehr so satt wie olim für 50 Pfennig.«
Statt 70 M. im Frieden benötigte er für seinen Lebensunterhalt (inkl. Zimmer) nun 145 M. Da er diese nicht hatte, sah er nur drei Möglichkeiten: »1. ich koche allein, 2. ich esse in einer Kriegsküche, 3. ich entbehre.« Ersteres wäre eine unzu82 Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 229 f. 83 Morf wohnte im damals noch nicht zu Berlin gehörenden Halensee. Pr. MdI an Pr. KuMi 13.11.1916; Pr. KuMi an Oberpräs. Potsdam 13.12.1916. Beide: GStAPK I . HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. IV, Nr. 61 Bd. XXIV, fol. 286, 287. 84 Aus den Nachrufen des 1921 Verstorbenen von Ernst Perels und Paul Fridolin Kehr zit. bei Schaller, Michael Tangl, S. 270. 85 Meinecke an den Kollegen Willy Andreas 8.7.1917, in: Friedrich Meinecke, Neue Briefe und Dokumente, hg. von Gisela Bock und Gerhard A. Ritter, München 2012 (Werke X), S. 231.
228 Hauptstadt – Provinz – Grenze mutbare Belästigung seiner Wirtin und (besonders durch das Schlangestehen) ein Zeitverlust für ihn, der außerdem zu Lasten seiner Einkünfte ginge, weil er keine Zeit mehr hätte, Geld zu verdienen. Das Essen in der Kriegsküche würde sein Gewissen belasten, da diese für arme Kriegerfamilien, gänzlich Mittellose oder Erwerblose bestimmt war. Blieb nur die dritte Möglichkeit: »Ein rascher Vergleich mit einem Frontsoldaten wirkt aber, wenn man dies bedenkt, beschämend und kräftigend zugleich. Ich weiß kaum mehr, wie Butter oder Belag schmecken …. Gleichviel!«86
Mit diesem patriotisch-heroischen Schluß schien im Frühjahr 1916 für den jungen Mann alles geklärt. Hatten Studierende bislang – im allgemeinem durch festes Abonnement verbilligt – in Restaurants Mittag gegessen, so wurde nun ein »Speisehaus« für sie eingerichtet. Dies in seinem Jahresbericht verkündend, rief Rektor Wilamowitz: »In der Kriegszeit! Das soll uns ein anderer Staat nachmachen!«87 Allerdings hatte dies der Deutsche Studentendienst organisiert. In Zukunft, so der übernächste Rektor im Herbst 1918, müsse sich das die Universität selbst angelegen sein lassen.88 Die Lage in Straßburg unterschied sich von der Berliner beträchtlich. Ende August 1917 schrieb Georg Simmel, »daß wir noch keinerlei Not gelitten haben. In Straßburg sind wir vortrefflich versorgt.«89 Das war, im allgemeinen Rahmen betrachtet, erstaunlich, auf lokaler Ebene aber leicht erklärbar. Die Stadt, die schon seit 1911 in der Lebensmittelversorgung aktiv geworden war und dafür sogar einen Spezialisten von einer überregional tätigen Lebensmittelfirma abgeworben hatte, begann bereits am 28. Juli 1914 mit Vorratskäufen.90 Nachdem in der Grenzfestung viele bereits seit Mitte Juli gehamstert hatten und Ermahnungen der Stadt gegenüber dem Handel ergebnislos geblieben waren, setzte der Gouverneur bereits am 3. August 1914 »Kleinverkaufpreise für Nahrungsmittel« fest und drohte bei Zuwiderhandlung mit »Ladenschließung und Warenbeschlagnahme«.91 Zwar gab es in Straßburg schon im Dezember 1914 Kriegsbrot (dem Kartoffeln oder Kartoffelmehl beigemischt waren), ab Frühjahr 1915 Brotkarten und außerdem Kartoffelknappheit, weil große Gebiete militärisches Operationsgebiet waren, daher nicht bewirtschaftet wurden und 86 Der Haushalt des Studenten im Kriege. Frieden:Krieg = 1:2. Von einem Cand. phil., in: BT 144, 19.3.1916 AA . 87 Rektoratsübergabe an der Berliner Universität, in: BT 530, 16.10.1916 MA . 88 Penck, Amtsjahr 1917/1918, S. 13. 89 Georg Simmel an Margarete von Bendemann 24.8.1917, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 820. Vgl. zur relativ guten Versorgung auch Erich Klostermann an Hans Lietzmann 11.11.1917 in: Aland (Hg.), Glanz und Elend, S. 390 f. 90 Dominicus, Straßburgs deutsche Bürgermeister, S. 85–87. 91 Die entsprechenden Veröffentlichungen in der Straßburger Post sind zusammengefaßt im Briefkommentar in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 368.
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gleichzeitig das Heer für seinen eigenen Bedarf requirierte.92 Doch bald gründete Straßburg eine eigene Getreide- und Mehlbeschaffungsgesellschaft, dann eine Gesellschaft für Volksernährung, in welcher Stadt und Kaufmannschaft auf gemeinnütziger Grundlage zusammenarbeiteten. Dabei gab es eine klare Arbeitsteilung: Beschaffung und Verwaltung der Lebensmittel waren Aufgabe der Kaufleute, die Verteilung Sache der Stadt. Für Milch wurde zunächst ein Liefervertrag mit Basel geschlossen, dann betrieb Straßburg sogar eine eigene Milchwirtschaft, indem die Stadt fast 1300 Kühe kaufte und bei Bauern auf dem Land einstellte. Die Organisation wurde dem Historiker Martin Spahn als Mitglied des Gemeinderats übertragen. Auch wenn die Assistenten der Universität in ihrer Eingabe um eine Zulage im Oktober 1915 von »einer erheblichen allgemeinen und in Straßburg besonders bemerkbaren Teuerung« sprachen: Das Ergebnis all’ dieser organisatorischen Anstrengungen waren Preise, die niedriger lagen als im übrigen Süddeutschland und z. T. sogar unter denen in Frankreich, obwohl dieses im Gegensatz zu Deutschland ja nicht von einer Blockade betroffen war. Die Versorgung übertraf sowohl in der Regelmäßigkeit der Belieferung als auch in Umfang und Vielfalt der Leistungen fast alle anderen deutschen Städte.93 Der wegen seines Leberkarzinoms »Monate hindurch langsam verhunger(nd)e« Simmel ließ im September 1918 seinem Abschiedsbrief an Freunde noch einen Nachsatz folgen: »Damit aus dem Wort Verhungerung nicht ein Schatten auf die Strassburger Verpflegung falle, sei um des Gewissens willen gesagt, dass das Lebensmittelamt mir hier aufs freigiebigste entgegen kommt: ich bekomme so viel Eier & Milch, Haferflocken & Reis, Zwieback & Obst, wie ich nur will. Nur das Fleisch wird knapp werden, was gerade in meinem Fall ungünstig ist […]. Man ist hier sehr gut aufgehoben, die Preise relativ erschwinglich & wir haben noch nie zum Schleichhandel zu greifen brauchen.«94
Studentenküchen waren in Straßburg 1917 noch nicht eingerichtet. Im Mai 1918 zog die Universität dies im Einvernehmen mit der Stadtverwaltung in Erwägung und schickte den Universitätssekretär nach München, um die dortige 92 Elsass 1870–1932 I, S. 274–276. Die Bestimmungen über die Brotkarte nahmen eine ganze Zeitungsseite ein! (Zur Einführung der Brotkarten in Straßburg am 8. März 1915, in: Straßburger Neue Zeitung 66, 7.3.1915, 2. Blatt). 93 Dominicus, Straßburgs deutsche Bürgermeister, S. 89–92; s. auch: Elsass 1870–1932 I, S. 270–272, 282, 285. Zitat aus der Eingabe der Assistenten an den Kurator vom 23.10.1915: ADBR 103 AL 851. Zur weiteren Beteiligung von Professoren an der Organisation s. u. Kap. III .4. 94 Georg Simmel an Agathe und Hugo Liepmann 5.9.1918, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 1006–1008, hier 1007 f. Zum Schwarzmarkt in der Stadt: Livet/Rapp, Histoire de Strasbourg IV, S. 393.
230 Hauptstadt – Provinz – Grenze als vorbildlich geltende Einrichtung zu besichtigen.95 Inzwischen waren nämlich auch in Straßburg die Lebenshaltungskosten für Studenten auf 150–200 M. gestiegen.96 Das in einer ländlichen Umgebung liegende und viel kleinere Gießen scheint es im Ersten Weltkrieg etwas leichter gehabt zu haben.97 Zwar hatte es auch hier ab Ende Juli 1914 Hamsterkäufe gegeben. Und ähnlich wie Straßburg, war Gießen als Durchgangsstation für Truppen- und Verwundetentransporte stark beansprucht und mußte außerdem im Herbst 300 aus Metz evakuierte Bewohner aufnehmen. Dabei stieß die Einquartierung bei der Bevölkerung immer wieder auf Unwillen, und die vorgesehene staatliche Entschädigung dafür blieb unter der angekündigten.98 Im Lauf des Krieges wuchs die Zahl der Soldaten, die sich jeweils in Gießen aufhielt: Da ständig neue eingezogen wurden, war die Kaserne immer gut belegt, mit 600–1200 Soldaten pro Monat, die jeweils 8–14 Tage hier waren. Dazu kamen Landwehrmänner, die dauerhaft in Gießen wohnten: im Herbst 1914 1000, im Frühjahr 1915 2100. Im Herbst 1914 wurde ein Kriegsgefangenenlager eingerichtet, das 1915 mit ca. 12.000 Mann belegt war.99 Dadurch verschärfte sich die Ernährungssituation zusätzlich, während andererseits die Kriegsgefangenen auch eingezogene Arbeitskräfte ersetzten – und sich ein Professor sogar von »einer Anzahl französischer Gärtner, zum Teil aus Paris und Versailles« seinen Garten verschönern ließ.100 Auch in Gießen traten bereits im Herbst 1914 Schwierigkeiten in der Kartoffelversorgung auf, als deren Ursache man aber bewußtes Zurückhalten der Lieferung seitens der Bauern vermutete.101 Andererseits wurde das Essen bei der Abendgesellschaft eines Mediziners noch im Dezember 1915 als »ausgezeichnet«102 gewürdigt. Zwar ist das mit der nötigen Vorsicht aufzuneh
95 Vermerk des Rektors Jost auf: Rektorat München an Rektoren der Universitäten des Deutschen Reichs 23.3.1917; Rektor Strb. an Rektor München 6.5.1918. Beide: ADBR 103 AL 1429. 96 Vorsitzender des Akad. Hilfsbundes (ohne Adressat und Datum [vermutlich Frühjahr 1918], Entwurf): ADBR 103 AL 53. 97 Die Stadtgeschichte (Brake/Brinkmann [Hg.], 800 Jahre Gießener Geschichte) spart die Zeit des Ersten Weltkriegs ganz aus. 98 Sebastian Kircher, »In Treue stark!« – Die Stadt Gießen im Ersten Weltkrieg. Magisterarbeit, Gießen [2012], S. 19 f., 30–32. 99 Diese Angaben verdanke ich einem Vortrag von Dr. Carsten Lind (Oberhessischer Geschichtsverein Gießen 5.3.2014), dessen Text er mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. 100 Franz Servaes, Deutschlands Hochschulen im Kriege. Eine Rundreise. Gießen und Marburg, in: Vossische Zeitung 387, 28.7.1915 AA , S. 2 f., hier 2. 101 Kircher, »In Treue stark«, S. 46–48. Die Veränderung der Ernährungslage wird hier allerdings nicht systematisch und kontinuierlich dargestellt. 102 So der Philosoph Messer über eine Einladung bei dem Mediziner Poppert (zitiert bei Anderhub, Antoniterkreuz, S. 82 A. 28).
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men.103 Aber daß hessischen Beamten (mit einem Einkommen von unter 3000 M.) und staatlichen Angestellten die Erleichterung bei der Kartoffelversorgung erst 1916 gewährt und erst im Januar 1918 auf alle Beamten ohne Gehaltsgrenze ausgeweitet wurde,104 läßt doch vermuten, daß die Schwierigkeiten hier später und weniger gravierend eintraten als in Berlin oder Straßburg.105 Allerdings waren die Preise schließlich so hoch, daß auch Ordinarien einen staatlichen Vorschuß für ihren Wintervorrat gebrauchen konnten. Der Direktor der Universitäts bibliothek, der von militärischen Stellen zur Beobachtung der Stimmung aufgefordert worden war, fand die Lage zwar insgesamt beruhigend, berichtete aber über »starke Unzufriedenheit und Misstimmung« in puncto Lebensmittel versorgung – wobei er allerdings hinzufügte, daß er die Berechtigung der Klagen nicht beurteilen könne.106 Immerhin berechnete der Extraordinarius der Medizinischen Klinik Wilhelm Stepp im Frühjahr 1917, daß aus rationierten Lebensmitteln jedem Gieße ner pro Tag nur 1327 Kalorien zur Verfügung stünden. Zwar könne man dies prinzipiell durch nichtrationierte Lebensmittel, insbesondere Gemüse und andere frei verkäufliche (wie Käse und Fisch) ergänzen; doch ein Kilo Rohgemüse liefere nur etwa 400 Kalorien, so daß sogar für die Gruppe der nicht körperlich Arbeitenden immer noch 700 fehlten. Immerhin habe man es in Gießen, im Vergleich zur »Industriegegend«, »noch relativ gut«. Eine »dauernde Unterernährung weiter Volkskreise« bestehe offenbar noch nicht – sonst be kämen die Ärzte der Klinik und Poliklinik »Fälle von Inanition zu Gesicht«.107 (Eine Berechnung für Berlin kam für dieselbe Zeit pro Erwachsenem und Tag auf 1200 Kalorien aus zugeteilten Lebensmitteln.) Allerdings wurde der von Stepp zugrunde gelegte Nährwert für zu hoch gehalten, und ein angesehener 103 Erstens könnte der Gastgeber bei anderen Gelegenheiten manches eingespart haben, um seine Gäste angemessen zu bewirten. Zweitens könnte auch die Einschätzung selbst nicht nach dem Friedensmaßstab, sondern auf dem Hintergrund der bescheideneren Versorgung in der Kriegszeit getroffen sein. 104 Sie konnten direkt beim Bauern kaufen, die Rechnung den Behörden zur Begleichung vorlegen und dies dann ratenweise über acht Monate durch Abzüge vom Gehalt erstatten. Die Regelung blieb auch 1917 in Kraft (Gh. Staatsmin. an sämtliche Gh. Behörden und Beamte 8.9.1916 und 28.1.1918: UA Gi Allg. 135, fol. 177, 54). 105 In die Richtung einer »gewissen Normalität« deuten auch die Wanderungen des Wanderbunds 1915, während 1917 nur noch eine einzige, 1918 keine mehr registriert wurde (Enke, »Freundschaft giebt der Seele Kraft«, S. 56, 58). 106 Kircher, »In Treue stark«, S. 50. 107 Wilhelm Stepp, Über Probleme der Ernährung im Kriege, in: Medizinische Klinik 13 (1917), S. 1233–1236, hier 1235, 1236 (alle Zitate). Dabei handelte es sich um einen Vortrag, den Stepp laut A. 1 im März 1917 vor Militärärzten in Gießen gehalten hatte. »Inanition« bedeutet Abmagerung auf unter 80 % des Normalgewichts. Zu den neuerdings empfohlenen Rüben bemerkte er, daß sie einen noch geringeren Nährwert als Kartoffeln hätten – man also sechs Pfund Rüben essen müßte, um 900 Kalorien zu gewinnen (1236).
232 Hauptstadt – Provinz – Grenze Wirtschafts- und Sozialstatistiker kam bei Berechnung derselben Mengen auf insgesamt 1410 Kalorien pro Gießener.108 Jedenfalls schritt hier der Neuzeithistoriker Roloff – wie sein Berliner Kollege Meinecke – zur Tierhaltung. Er wohnte im Gebäude der ehemaligen Thurn- und Taxis-Post und nutzte die Stallungen nun für Ziegen.109 Neben der Ernährung war die Heizung das dringendste Problem. In Straßburg z. B. war Familie Simmel im Januar 1918 auf ein geheiztes Zimmer beschränkt.110 In Hessen war auch der Bezug von Brennmaterial (wie der von Kartoffeln) für Beamte erleichtert.111 Hart getroffen wurden aber die Studenten: Nachdem es im Januar und Februar 1917 so schwer gewesen war, das nötige Heizmaterial für ihre Buden zu schaffen, bewilligte die Stadt im folgenden Winter jedem Studenten einen Bezugsschein. Doch hatte man damit natürlich noch nicht die Kohlen! Auf jeden Fall aber sorgte die Gießener UB für warme Räume.112 Daß das Problem auch in der Hauptstadt des Reiches bestand, ergibt sich schon aus dem Aufruf des Rektors Penck an der Jahreswende 1917/18, in dem er jenen, die an der Front kämpften, die gegenüberstellte, die wegen des Mangels an Lebensmitteln und Heizmaterial in der Heimat klagten.113 Zugleich läßt der Gießener Verweis auf die UB als Alternative aber erahnen, daß dies nicht nur ein Problem der einzelnen war.
108 May, Einwände gegen Verminderung des Schweinebestandes IV, S. 36. Bei dem Autor, der im Inhaltsverzeichnis Hamburg zugeordnet wird, handelt es sich offenkundig um Raphael Ernst May (1858–1933). S. zu ihm http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/ may-raphael-ernst (28.3.2014). Zu Berlin wird dort S. 36 der [Königsberger Agronom und Referent im Kriegsmin. Alexander] Backhaus zitiert. Zu ihm: NDB 1 (1953), S. 505 (Wilhelm Meinhold). 109 Volker Press, Gustav Roloff (1862–1952), in: G/M/P II, S. 761–777, hier 769. 110 Eberhard Gothein an Marie-Luise Gothein 16.1.1918, in: Michael Maurer/Johanna Sänger/Editha Ulrich (Hg.), Im Schaffen genießen. Der Briefwechsel der Kulturwissenschaftler Eberhard und Marie Luise Gothein (1883–1923), Köln u. a. 2006, S. 474–476. 111 Gh. Staatsmin. an sämtliche unterstellte Behörden 3.8.1916: UA Gi Allg. 35, fol. 186; Ausweitung 28.1.1918 (fol. 54). 112 Martin Schian, Die Ludoviciana im Jahre 1917, in: Weihnachtsgruß der Universität Gießen an ihre Studenten im Felde, Gießen 1917, S. 18–23, hier 21. Vgl., wie im benach barten preußischen Marburg die Kälte den Altphilologen Theodor Birt vom Schreibtisch ins Bett oder auf die Straße trieb: Andrea Wettmann, Die Kriegstagebücher Theodor Birts, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 44 (1994), S. 131–171, hier 156. 113 Albrecht Penck, An die Berliner Studenten an den Fronten, in: BAN XII (1917/18), S. 13 f. Ausführlicher (mit Zitat) u. S. 320.
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Veränderte Rahmenbedingungen der Institution Besonders akut wurde das Problem im dritten Kriegsjahr. Schon im Sommer 1917 fragte der Straßburger Rektor bei den badischen Nachbaruniversitäten nach, wie denn sie verfuhren, um Heizmaterial zu sparen.114 An den preußischen Universitäten zog man den Beginn der Lehrveranstaltungen im Wintersemester 1917/18 auf den September vor. Doch bewährte sich dies nicht: Man verbrauchte insgesamt mehr Heizmaterial, da man wegen des kühlen Wetters schon im Oktober, nach Ende der Lehrveranstaltungen aber auch im Februar und März das Haupt- und das Aulagebäude heizen mußte, »sollte nicht die Verwaltung stille stehen und Schaden an den Heizungsanlagen erwachsen«.115 Trotzdem ordnete das preußische Kultusministerium auch für 1918/1919 wieder die Verlegung des Wintersemesters an – »ohne Befragen der Universitätsbehörden«.116 Durch die preußischen Beschlüsse gerieten aber auch die anderen Universitäten unter Druck. Sowohl die Gießener als auch das zuständige Ministerium reagierten bereits im Juni 1917 praktisch gleichzeitig auf die preußische Verordnung über die Vorverlegung, die die Professoren Zeitungsberichten entnommen hatten, während die vorgesetzte Behörde möglicherweise vom preußischen Kultusministerium informiert worden war. Obwohl der erste Gießener Berichterstatter auf negative Erfahrungen im Winter zuvor hinwies, sah er für seine Universität keine andere Möglichkeit, als sich der preußischen Entscheidung anzuschließen. Der Senat beauftragte noch einen zweiten Gutachter, die Vor- und Nachteile verschiedener Termine wurden eingehend erörtert und dabei auch badische Überlegungen einbezogen. Das entscheidende Argument brachte der ursprüngliche Berichterstatter allerdings in seinem zweiten Bericht einen Monat später: der Verbrauch des Vorlesungsgebäudes mache nur 2,3 % der gesamten Heizkosten der Universität aus (während 84,75 % auf die Kliniken und weitere 7 % auf sonstige human- und tiermedizinische Institute entfielen). Deshalb war er nun gegen eine Vorziehung des Semesters und wollte statt dessen durch Verlegung von Veranstaltungen in die Wohnungen der Lehrenden Heizkosten einsparen.117 Doch schließlich zogen beide Berichterstatter ihre Voten zurück, und der Gesamtsenat (d. h. die Versammlung der Ordinarien) be114 115 116 117
Rektor Strb. an Prorektoren Heidelberg und Freiburg 19.7.1917: ADBR 103 AL 1429. Penck, Amtsjahr 1917/18, S. 3 f. Prot. der Phil. Fak. 20.6.1918: UA HU Phil. Fak. 35, fol. 117–119v. Ankündigung über Festsetzung des WS für Gießen, falls es keine Einwände gebe (mit Ergänzung, daß in Preußen die gleiche Bestimmung bereits am 17. Mai erlassen worden sei): Gh. MdI an LU Gi 11.6.1918; Vortrag für den Gesamtsenat, erstattet von Dr. Kahle 12.6.1918 (schlägt Beginn am 15.9., nicht, wie Preußen, am 30.9.vor); Rektor Schian an Mitglieder des Gesamtsenats 9.7.1917; Vortrag Kahle für den Gesamtsenat 11.7.1917 (mit Zahlen). Alle: UA Gi PrA 1036, fol. 39, 38, 9, 23–26.
234 Hauptstadt – Provinz – Grenze schloß trotz seiner Bedenken dagegen, die Vorverlegung des Semesters entsprechend den preußischen Terminen zu beantragen. Dies setzte das Ministerium dann auch fest. Anschließend bat der Rektor darum, den großen Hörsaal gar nicht in Betrieb zu nehmen und die Zahl der anderen durch eine »Ordnung für die Benutzung« zu beschränken, die erst nach Beginn der Lehrveranstaltungen, also in Kenntnis der Teilnehmerzahl, erstellt werden sollte.118 Das Heizungsproblem blieb auch über den Krieg hinaus akut und beschäftigte Gremien und Berichterstatter bis 1920.119 Auch die finanzielle Lage der Universitäten verschlechterte sich im Krieg – obwohl die Gründe erst auf den zweiten Blick zu erkennen sind. Das Budget des preußischen Kultusministeriums veränderte sich praktisch nicht: im Vergleich zu den 281 Millionen M. des letzten Friedensjahres wurden im Krieg zwischen 278 und 280 Millionen M. pro Jahr angesetzt. Das ist um so beachtlicher, als die Zivilausgaben des Staates nur noch 2 % betrugen (im Vergleich zu 83 % Kriegsausgaben und 15 % für die Schuldentilgung). Da die Finanzierung des Krieges jedoch hauptsächlich beim Reich lag, wirkte dieser sich auf die ordentlichen Haushalte der Bundesstaaten kaum aus (was analog auch für andere Ressorts galt). Unter den Einnahmen der preußischen Universitäten machten die staatlichen Zuschüsse durchschnittlich 72 % aus, der Rest kam aus Vermögensbesitz, »eigenem Erwerb« wie Immatrikulationsgebühren und Einnahmen der Institute, insbesondere der Kliniken. Bei letzteren stiegen (durch die starke Belegung) Einnahmen wie Ausgaben; doch da die Reichsbehörden die Kosten für die Behandlung Verwundeter nur zögerlich und nicht immer vollständig beglichen, mußten die Universitäten auch von ihrer Substanz zehren. Im übrigen sank der reale Wert der fast gleich gebliebenen staatlichen Zuschüsse wie auch der des Eigenkapitals der Universitäten infolge der Inflation fast auf die Hälfte.120 In Gießen schwankte der Staatszuschuß wesentlich stärker: nachdem er 1914 und 1915 im Vergleich zum letzten Friedensjahr deutlich zurückgegangen war und erst 1916 fast wieder die alte Höhe erreichte, übertraf er sie 1917 um 11,9 % und 1918 um 45 %! Die Einnahmen der Kliniken verdoppelten sich zwar im Lauf des Krieges, lagen aber in allen Jahren deutlich unter deren Ausgaben. Daß sich die studentischen Gebühren zeitweise auf ein Viertel verringerten, bedeutete für die Institution wenig, da dieser Posten in ihrem Haushalt (neben dem minimalen Zuschuß der Stadt) die geringste Rolle spielte.121 Eine Kürzung des 118 Bericht über die Sitzung des Gesamtsenats der Univ. Gießen vom 14.7.1917; Gh. MdI an LU Gi 17.7.1917; Rektor Gi an sämtl. Dozenten 18.7.1917. Alle: UA Gi PrA 1036, fol. 28, 21, 33. 119 S. dazu zahlreiche weitere Dokumente in: UA Gi PrA 1036. 120 Alles nach Wettmann, Heimatfront Universität, S. 149–151. 121 Alles nach der Tabelle »Finanzbewegungen (…) 1913–1918« bei Anderhub, Antoniterkreuz, S. 12.
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Staatszuschusses während des Krieges zogen die Regierung und die Landstände des Großherzogtums nie in Erwägung.122 Der Straßburger Etat hatte in der Gründungszeit der Universität (1876) an 3. Stelle hinter Berlin und Leipzig gelegen, nur Göttingen und Bonn kamen ihm nahe.123 Von Anfang an wurde sie aus dem Haushalt des Reichslandes finanziert, erhielt aber seit 1876 einen (auf 400.000 M fixierten) Reichszuschuß, der damals etwa die Hälfte des Etats ausmachte. (Der imposante Neubau des Hauptgebäudes in den achtziger Jahren wurde allerdings aus Reichsmitteln finanziert.) An der Jahrhundertwende konnte Straßburg mit den anderen Universitäten nicht mehr mithalten, doch Landesausschuß und Regierung von Elsaß-Lothringen waren zu wesentlichen Erhöhungen nicht bereit. 1906 betrug der Etat 1,1 Mio. M., wobei sich die Summe der Reichssubvention seit den siebziger Jahren nicht verändert hatte.124 Eine Erhöhung erhielt die Universität schließlich mit der Einführung der elsaß-lothringischen Verfassung von 1911 (und stand damit, was den Zugewinn an Regierungssubventionen zwischen 1908 und 1914 betrifft, an 3. Stelle). Als im Krieg über die Zukunft des Reichslandes debattiert wurde, meinte Harry Bresslau schon 1915, daß für die Universität sicher ein Anschluß an Preußen das Beste wäre, denn dann würde sie wie Bonn und Göttingen behandelt. Im Juli 1917 bat der Senat um eine beträchtliche Erhöhung des Reichszuschusses (wobei sein Ziel offenbar war, daß die Reichsregierung schließlich die volle Verantwortung für die Universität übernehmen sollte). Dafür erhielt er auch die Unterstützung des Statthalters; einer Professoren-Delegation versprachen hohe Beamte in Berlin Anfang 1918, daß die Förderung der Straßburger Universität nach dem Krieg auf das Niveau der führenden deutschen Universitäten angehoben würde.125 In der Verwaltung bzw. Gremienstruktur der Universitäten brachte der Krieg keine wesentliche Veränderung. Nur in der kleinsten der drei wurde ein neues Gremium geschaffen, doch war es nicht von Dauer. Für Berlin nahm der Minister Ende September zwar eine kleine Änderung des Statuts vor, doch erfolgte sie analog zu anderen Universitäten, in denen er dies teils bei noch vor dem Krieg in Gang gesetzten Statutenänderungen verfügte. Es scheint also keine Kriegsfolge, sondern eher ein kleiner, sozusagen symbolischer Erfolg der Nichtordinarienbewegung gewesen zu sein: Künftig gehörte dem Senat, der aus dem Rektor und dessen Vorgänger, den vier Dekanen sowie fünf gewählten Senatoren aus der Ordinarienschaft bestand, auch ein einziger etatmäßiger 122 Anderhub, Antoniterkreuz, S. 12. 123 Ernst Anrich, Geschichte der Reichsuniversität Straßburg, in: Hochschulführer der Reichsuniversität Straßburg, Straßburg 1942, S. 23–33. 124 Craig, Scholarship and Nation Building, S. 69, 161 f., Finanzierung des Neubaus: Nebelin, Straßburg als Modell der deutschen Hochschulreform, S. 67; Etat 1906: Die Straßburger Universität als Reichsinstitut, in: SP 8.2.1906 MiA, in: ADBR 103 AL 201. 125 Craig, Scholarship and Nation Building, S. 168, 199–201 mit A. 34.
236 Hauptstadt – Provinz – Grenze Extraordinarius an.126 Damit erhöhte sich die Zahl der gewählten Senatoren in Berlin von fünf auf sechs.127 Ansonsten häuften sich zu Kriegsbeginn nur die Gremiensitzungen mehr als sonst, da es einige durch die Ausnahmesituation plötzlich auftretende Fragen (z. B. von sog. Notprüfungen ins Feld ziehender in ländischer oder abreisender ausländischer Studenten) zu regeln galt. So tagte etwa die Berliner Philosophische Fakultät im August 1914 viermal,128 der Senat der Straßburger Universität im ersten Kriegssemester jeden Monat, im ganzen Sommersemester 1915 aber nur ein einziges Mal.129 Die vorübergehende Änderung in Gießen wurde von ihrem Initiator, dem Rektor Samuel Eck, mit der Abwesenheit mehrerer Mitglieder des Engeren Senats begründet; doch scheinen im Lauf der Zeit auch der Aktivitätsdrang und das Geltungsbedürfnis des nächsten Rektors, Robert Sommer, mitgespielt zu haben. Eck konnte sich dem Ministerium gegenüber auf einen Beschluß des Gesamtsenats berufen. Bis 1. November 1914 sollte die neue fünfköpfige Kriegskommission sämtliche Geschäfte der Universität, auch die des Engeren Senats, erledigen.130 Das Ministerium hatte Bedenken, weil eigentlich nur Geschäfte des Gesamtsenats, des Engeren Senats und der Fakultäten dafür in Frage kämen, der Engere Senat aber noch gar nicht beschlußunfähig sei. Auf jeden Fall müsse für eine solche Verfassungsänderung die Genehmigung des Großherzogs eingeholt werden.131 Nach Ansicht des Rektors handelte es sich dagegen um eine Senatskommission für die besonderen Aufgaben der Kriegszeit, auf welche die Satzungen gar nicht berechnet seien. Vom Engeren Senat stünden bereits zwei Mitglieder im Feld, ein weiteres sei im Militärdienst ständig in der Umgebung unterwegs, andere mit Hilfstätigkeiten beschäftigt. Doch wegen der Dringlichkeit der Aufgaben (die Eck dramatisierte132) müßten sie eigentlich ständig erreichbar sein. 126 Der Erlaß vom 25.9.1914 ist abgedruckt in: Chronik der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin für das Rechnungsjahr 1914, Halle 1915, S. 154 f. Zu Göttingen im Juni/Juli 1914 s. Ernst Gundelach, Die Verfassung der Göttinger Universität in drei Jahrhunderten, Göttingen 1955, S. 127. Zu Bonn im September: Karl Th. Schäfer, Verfassungsgeschichte der Universität Bonn 1818–1960, Bonn 1968, S. 147. Vom Bruch, Universitätsreform als soziale Bewegung, S. 85 konstatiert, diese sei durch den Kriegsausbruch gestoppt worden. 127 AV FWU Berlin SS 1914 bis WS 1917/18, jeweils S. 14. 128 S. die Prot. der Sitzungen vom 1.8., 8.8., 15.8., 27.8.1914 in: UA HU Phil. Fak. 34, fol. 269, 270–273, 274–275, 276. Zu den Notprüfungen u. Kap. IV.1. 129 S. die Prot. der Sitzungen vom 18.9., 12.10., 16.11. und 7.12.1914 sowie 11.1., 22.2. und 8.3.1915 in: ADBR 103 AL 115, das Prot. vom 7.6.1915 in ADBR 103 AL 116. 130 Anwesende in der Sitzung des Gesamtsenats am 7. August 1914 [35 von 51 Mitgliedern]; Bericht des Rektors 7.8.1914. Beide: UA Gi Allg. 102, fol. 45, 43. 131 Gh. MdI an Univ. Gießen 11.8.1914: UA Gi Allg. 102, fol. 39–39v. 132 »(…) die durch die Kriegslage entstehenden besonderen Aufgaben und Schwierigkeiten (Überwachung und Beaufsichtigung unserer Räume, Verwendung von dienstfreien Kollegen und anwesenden Studenten zu mancherlei Hilfsarbeit, Sicherung der Angehörigen der Universität, ihrer Frauen und Kinder, gegen Notlagen, u.s.w.)«.
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Ein Nebeneinander des Engeren Senats und dieser Kommission aber würde »die Übersicht« erschweren und zu Kompetenzkonflikten führen. Außerdem solle der eine verbliebene Diener entlastet werden, indem man die Zahl der Botengänge verringere. Wenn die sog. Kriegskommission an die Stelle des Engeren Senats trete, könne durch die »Erfahrung und Tatkraft« ihrer Mitglieder »die Ludoviciana nach menschlichem Ermessen sicher über diese Zeit hinausgeführt« werden.133 Nun genehmigte das Ministerium diese Kommission »zur Unterstützung des Rektors in seiner Amtsführung«.134 Der Gesamtsenat erteilte der (aus dem Rektor und vier Senatoren bestehenden) Kriegskommission die Vollmacht, über den Quästur-Reserve-Fonds im Interesse besonderer, durch den Krieg bedingter Anforderungen zu verfügen.135 Als Eck wegen der Rektoratsübergabe hätte ausscheiden müssen, wählte ihn der Gesamtsenat als Exrektor in die Kommission hinzu.136 Als sich die Amtszeit seines Nachfolgers Sommer zu Ende neigte, beschloß die Kriegskommission, daß ihr der Exrektor qua Amt angehören solle, und erhielt dafür auch das einstimmige Placet des Gesamtsenats.137 Im Oktober 1915 schließlich beantragte der neue Rektor Sievers, daß die Kommission, deren Existenz bislang mehrfach für einige Monate weiter genehmigt worden war, bis Kriegsende amtieren solle. Doch billigte ihr das der Gesamtsenat nur noch bis Ende des Jahres zu – danach sollte der Engere Senat wieder in seine Rechte eingesetzt werden.138 Die Kommission tagte im August und September 1914 insgesamt achtmal (davon dreimal vor ihrer Genehmigung durch das Ministerium!), danach allmählich etwas weniger, ab Januar 1915 noch ca. einmal pro Monat. Dabei traf sie viele kleinere praktische Beschlüsse.139 Der vermutlich kostspieligste war die Bewilligung von ca. 3000 M. aus dem Quästur-Reserve-Fonds für Lazarette in Universitätskliniken,140 also die Verwendung von Universitätsmitteln für Zwecke der Allgemeinheit. Gewiß mag bei einer kleinen Universität durch kriegsbedingte Abwesenheit einiger Mitglieder des Engeren Senats eine ungewohnte Situation entstanden sein. Doch scheinen im Lauf der ersten 15 Kriegs133 Rektor Gi an Gh. MdI 17.8.1914: UA Gi Allg. 102, fol. 40–41v, Zitate 41, 41v. 134 Gh MdI [an Rektorat Gi] 22.8.1914: UA Gi Allg. 102, fol. 36. 135 [Robert] Sommer, Die Kriegstätigkeit der Landes-Universität Gießen. Sonderabdruck aus Nr. 11 und 12 des Gießener Anzeigers vom 14. und 15. Januar 1916 (2 Bl. Folio, unpag.). 136 Bericht des Gesamtsenats an Gh. MdI 24.9.1914: UA Gi Allg. 102, fol. 34. 137 LU Gi (KK)/Sommer 22.7.1915 (mit Vermerk 24.7.1915 über Zustimmung): UA Gi Allg. 102, fol. 25. 138 Antrag Sievers 12.10.1915 (mit hs. Vermerk über tats. Beschluß): UA Gi Allg. 102, fol. 20. Frühere Genehmigungen: Antrag des Rektors an den Gesamtsenat 17.10.1914 (mit weiteren Vermerken 21.12.1914 und 23.4.1915): UA Gi Allg. 102, fol. 24. 139 S. die Prot. in UA Gi Allg. 102, fol. 4–19. Zu den Beschlüssen s. u. die entsprechenden systematischen Abschnitte. 140 Sommer, Kriegstätigkeit.
238 Hauptstadt – Provinz – Grenze monate auch die drei aufeinander folgenden Rektoren allmählich die Neigung entwickelt zu haben, diese Schöpfung zu institutionalisieren und durch die Erweiterung ihrer Zusammensetzung auch ihren eigenen Einfluß zu verstetigen. Doch nach dem Scheitern dieses Plans kehrte man mit einer gewissen Selbstverständlichkeit zur alten Gremienstruktur und Aufgabenverteilung zurück. – Für die längste Zeit der vier Kriegsjahre funktionierten also alle drei Universitäten wie herkömmlich weiter. Ohne Veränderungen der Institution oder des Reglements kam es allerdings zu einem wirklichen Eklat bei der Rektorenwahl in Straßburg 1917: Damals wurde der von der katholischen Fakultät nominierte Kandidat, der Zentrumsabgeordnete im Elsässischen Landtag Eugen Müller/Eugène Muller, übergangen und statt seiner ein protestantischer Theologe zum Rektor gewählt; denn das Plenum hielt Müller für inakzeptabel. Daraufhin gab es in der Lokalpresse wie auch im Landtag Angriffe gegen die Universität. Der Landtag lehnte ihr Budget für das nächste Jahr zweimal ab und ließ es erst beim dritten Versuch knapp passieren.141 Die Begründung, man könne »unter den gegenwärtigen Umständen« zum Rektor einer deutschen Universität unmöglich ein Mitglied einer Partei wählen, »die bis zuletzt den Vaterlandsverräter Wetterle als ihr Mitglied festgehalten hat«, wurde in den Hochschul-Nachrichten, die dessen »Gesinnungslumperei« durchaus bekräftigten, als absurd zerpflückt und einem »Professorenkonventikel« zugeschrieben, »das schon vor dem Kriege die Universität terrorisierte«. Aber ebenso wandte sich der Kommentar gegen Drohungen des Zentrums, im Reichstag die Streichung des Reichszuschusses für die Universität zu beantragen. Der Staatssekretär des Reichsamts des Innern, Karl Helfferich, dagegen bedauerte im Reichstag den Ausgang der Rektorwahl, »zumal dadurch der Anschein konfessioneller Differenzen erweckt worden sei.«142 Der Vorsitzende des Zaberner Bürgervereins, ein katholischer Rechtsanwalt westfälischer Herkunft, forderte den Protestanten auf, das Amt nicht anzunehmen bzw. es wieder niederzulegen, damit die Parität gewährleistet sei, um die alle politischen Parteien wetteiferten. Außerdem legte er den Behörden nahe, gegen die Professoren, die Müller nicht wählten, ein Disziplinarverfahren einzuleiten, weil sie damit den äußeren und inneren Frieden des Reichslands gefährdeten.143 Nichts könnte die Verkennung der universitären Selbstverwaltung deutlicher kennzeichnen als eine solche Aufforderung! 141 Craig, Scholarship and Nation Building, S. 197 f. 142 Wetterlé war im Krieg nach Frankreich gegangen. HN 27 (1916/17), S. 513. 143 Außerdem sollte so der Ehre der katholischen Fakultät und des katholischen Volkes von Elsaß-Lothringen Genugtuung verschafft werden. Auch nachdem er beschieden worden war, daß der neue Rektor bestätigt und seine Eingabe damit gegenstandslos geworden sei, ließ er nicht locker. Er wandte sich an den Statthalter, den Kurator und schließlich an den Landtag. [Richard] Stieve an [Emil Walter] Mayer (Abschrift o. D.); Zaberner Bürgerverein an Ksl. Statthalter Dr. von Dallwitz 12.3.1917; Kurator Strb. an den Vor
Der Kriegsalltag vor Ort
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Der Innenminister des Reichs reagierte also einerseits besorgt, erklärte den Fall aber zugleich für nicht substantiell, wenn nur ein »Anschein konfessioneller Differenzen« den Burgfrieden bedrohte. Doch in Wirklichkeit zeigte sich an diesem Fall, wie die Trennlinien innerhalb der Universität an der Grenze im Krieg stärker geworden waren, nicht nur zwischen Katholiken und Protestanten, sondern auch zwischen politisch unterschiedlich Gesinnten und wohl auch zwischen Altdeutschen und Elsässern. Dadurch geriet die Universität selbst sowohl auf Landes- als auch auf Reichsebene unter Druck. Die Gegensätze, die sich durch stärkere Alsatianisierung und dann durch regionale Identitäten in den Vorkriegsjahren abgeschwächt zu haben, dann zu Kriegsbeginn vielleicht sogar überbrückt zu sein schienen, brachen wieder auf. Der Krieg hatte das Verhältnis von Universität und Gesamtgesellschaft auf eine harte Probe gestellt.
sitzenden des Zaberner Bürgervereins Herrn RA Stieve 26.3.1917; Stieve an Kurator Strb. 2.4.1917; Zaberner Bürgerverein. An den Landtag für Elsaß-Lothringen (I. und II . Kammer je besonders) 18./20.3.1917: Petition gemäß § 16 Absatz 3 der Verfassung vom 31. Mai 1911. Alle in: ADBR 103 AL 71.
III. Die Universitäten im Kriegseinsatz: Zur Priorität der ›Volksgemeinschaft‹
1. Sommer und Herbst 1914: Kriegserwartung – Aufbruchstimmung – Rechtfertigungsbedürfnis Als im Sommer 1914 die Universität Groningen ihr dreihundertjähriges Jubiläum feierte, platzte die Nachricht von der Ermordung des österreichischen Thronfolgers »wie ein Donnerschlag« mitten in eine international zusammengesetzte private Gesellschaft hinein, in der sich der Heidelberger Rektor und Nationalökonom Eberhard Gothein gerade mit dem Petersburger polnischen Altphilologen Tadeusz Zieliński über Homer unterhielt. »In plötzlicher Stille hätten sie einander erblaßt in plötzlichem Wissen angeschaut«.1 Auch wenn dieser Bericht Marie Luise Gotheins gewiß von den langjährigen Sorgen ihres Mannes um Deutschlands Isolierung, seine ungeschickte Außenpolitik und seinen »›dilettantischen‹ Monarchen« gefärbt ist und darin Ahnungen mit tatsächlichen späteren Kriegserfahrungen zusammengeflossen sein mögen, macht die Szene doch deutlich, wie plötzlich und schutzlos die internationale Gelehrtengemeinschaft und die bisher engen deutsch-russischen Wissenschaftsbeziehungen2 von dem einen Monat später begonnenen Krieg getroffen wurden – obwohl er für beide akademischen Gemeinschaften nicht wirklich unerwartet kam. Auch der Archäologe Ludwig Curtius, dem schon im Frühjahr ein Italiener, ein Engländer und ein aus Rußland zurückkehrender Deutscher von einem bevorstehenden Krieg gesprochen hatten, »wußte sofort, daß dieses Ereignis Krieg bedeutete«.3 Und der Berliner Chirurg Wilhelm Waldeyer hatte, als die Kunde von dem Mord nach Berlin kam, »das bestimmte Vorgefühl, daß diese grausige Tat zum Krieg führen werde«.4 1 Gothein, Gothein, S. 251–255, Zitate 255, 253. Gotheins Brief vom 28.6.1914 an seine Frau enthält nichts darüber (Maurer/Sänger/Ulrich [Hg.], Im Schaffen genießen, S. 440 f.). 2 Siehe u. a. den warmen Briefwechsel zwischen Michail Rostovcev und Wilamowitz-Moellendorff, bei Maurer, Weg zur Mündigkeit, S. 60 (zur Situation s. o. S. 132). 3 Curtius, Deutsche und antike Welt, S. 388 f. 4 Und er fährt fort: »wenigstens zum Kriege zwischen Rußland, Serbien und Frankreich einerseits und Österreich-Ungarn im Bunde mit Deutschland andererseits«. Wilhelm von Waldeyer-Hartz, Lebenserinnerungen, Bonn 21921, S. 356.
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Reaktionen auf das Attentat von Sarajevo: Kriegserwartung, Kriegsbereitschaft? Die Kriegserwartung war ein »internationales Phänomen«.5 Doch ist noch keinesfalls ausgemacht, ob es sich im Einzelfall um Kriegsbereitschaft oder Kriegsfurcht handelte. In Deutschland stimmten in jenen Jahren zahllose Reden, auch von Militärführern, auf einen möglicherweise bevorstehenden Krieg ein.6 Und äußerten sich 1913 bei den Gelöbnissen der Universitätsangehörigen zu den 100-Jahr-Feiern der Befreiungskriege und dem Thronjubiläum Wilhelms II. manche auch eher prinzipiell, so erwarteten andere aufgrund der ihnen bedrohlich erscheinenden Lage doch bereits einen Krieg.7 Der Erlanger Rektor sprach 1913 sogar schon von einer »nachgerade chronisch gewordene(n) kriegerische(n) Spannung unserer Zeit«.8 Am eindrücklichsten war die (prinzipielle) Kampf bereitschaft damals bei dem künftigen Berliner (damals noch Freiburger) Professor Friedrich Meinecke, gerade weil er seine Reserviertheit gegenüber Wilhelm II. am offensten angedeutet hatte. »Die eigentlichen Schlachtfelder unserer Zeit liegen noch vor uns, nicht hinter uns.« Doch der versprochene Einsatz galt nicht dem Kaiser, sondern »dem wunderbaren, vielgestaltigen, vielgespaltenen und aus aller Spaltung immer wieder machtvoll zusammenwachsenden Genius unseres Volkes«, mit dem ernsten Entschluß, »für ihn zu leben und zu sterben.« Dabei war der Kaiser – nur – der Führer: »Wir folgen unserem Kaiser auf dem steilen Wege zu den umwölkten Höhen unserer Zukunft.«9 Ein Jahr später schrieb der sich nun schon auf den Wechsel nach Berlin während der Semesterferien vorbereitende Meinecke zwei Tage nach dem Attentat, der serbische Nationalismus habe 5 Jost Dülffer, Kriegserwartung und Kriegsbild in Deutschland vor 1914, in: Michalka (Hg.), Der Erste Weltkrieg, S. 778–798, hier 788. 6 John C. G. Röhl, Wilhelm II. [Bd. III:] Der Weg in den Abgrund 1900–1941, München 2008, S. 1017. 7 Allgemeine Beobachtung bei Anne Marie Freudenberg, Das Jahr 1913 im Spiegel der deutschen Öffentlichkeit, Phil. Diss. (masch.) Göttingen 1948, S. 143, Zitat des Prorektors der TH Charlottenburg S. 74. Als Beispiele s. Hehn, Zur Erinnerung an das fünfundzwanzigjährige Regierungs-Jubiläum (…) Wilhelm II. und an die Jahrhundertfeier der deutschen Freiheitskriege, Würzburg 1913, S. 3–5, 23 f.; und seines Hallenser Kollegen Ferdinand Kattenbusch, Vaterlandsliebe und Weltbürgertum. Rede (…) beim Antritt des Rektorates (…) am 12. Juli 1913, Gotha 1914, S. 4, 23. Als Äußerungen nach Kriegsbeginn s. IMWKT 9 (1914/15), S. 3 (der Hg. Max Cornicelius, ein Privatgelehrter), 27 (der Historiker Otto Hintze), 62 (der Strafrechtler Franz von Liszt). 8 Gustav Specht, Krieg und Geistesstörung. Rede beim Antritt des Prorektorates (…), Erlangen 1913, S. 3. 9 Friedrich Meinecke, Festrede zur Jahrhundertfeier der deutschen Erhebung und zur Kaiserfeier (…) in der Aula der Universität Freiburg i. Br., o. O. o. J., S. 16. Zu seiner kritischen Distanz zum Kaiser s. Maurer, Engagement, S. 158 f.
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»gerade einen der Stifte getroffen, die das österreichische Staatswesen noch zusammenhalten. Mir kommt es wie ein Sturmgewölk eines nahenden Ungewitters vor, wenn man zugleich an die fieberhaften Rüstungen und Stimmungen in Rußland und an die Tragikomödie des deutschen Serenissimus in Albanien denkt.«10
Auch in dieser Situation ist wieder die Distanz zum Herrscher angedeutet (denn der im Frühjahr eingesetzte Fürst von Albanien war ein Vetter des Kaisers).11 Aber das Attentat in Sarajevo hält Meinecke nur für den Vorboten einer größeren Gefahr, die, da sie einer Naturgewalt entspringt, unvermeidlich ist. Grundsätzliche Veränderungen auf dem europäischen Kontinent sieht er schon voraus: den Zusammenbruch des Habsburgerreiches. Wie bei den Gebildeten und der kulturellen Elite generell, so gab es auch bei den deutschen Professoren eine breite »Strömung der Kriegserwartung, die teils fatalistische Züge trug, vielfach aber durchaus positiv besetzt war.«12 Trotzdem war die plötzlich aufblitzende Erkenntnis nur eine von zwei typischen Reaktionen auf das Attentat von Sarajevo. Gerade wegen der Häufung internationaler Krisen, von denen jede einzelne den Krieg schon fast herbeigeführt hätte, und ständiger Aufrüstung13 konnten manche auch dieses Ereignis zunächst als unbedeutend übergehen. Für den späteren Nobelpreisträger Max Born, damals noch Privatdozent in Göttingen, ab Frühjahr 1915 Extraordinarius in Berlin, war 1914 ein Sommer, »wie geschaffen für das Glück der Menschheit. Die Zeitungen spielten ihr übliches Spiel, Intrige und Streit, Rebellion und Mord, Kanonen und Schlachtschiffe. Es gab in Sarajewo einen nicht gerade alltäglichen Mord, gefolgt von mehr als gewöhnlichen Drohungen und Ultimaten. Doch wen kümmerte das? Solche Dinge waren auch früher schon geschehen. Und dann eines Morgens große Schlagzeilen: Generalmobil machung in Rußland, in Frankreich, in Deutschland. Das bedeutete Krieg.«14 10 An Alfred Dove 1.7.1914, in: Meinecke, Ausgewählter Briefwechsel, S. 43 f., Zitat 44. 11 Das Land war als Folge des Balkankriegs von 1912/13 unabhängig und im Frühjahr 1914 ein deutscher Fürst dort inthronisiert worden. Doch waren inzwischen Bauernunruhen ausgebrochen, und bereits Anfang September mußte der Fürst ins Ausland fliehen, da die Großmächte, die seine Kandidatur gestützt hatten, nun mit den militärischen Auseinandersetzungen beschäftigt waren. 12 Wolfgang J. Mommsen, Einleitung: Die deutschen kulturellen Eliten im Ersten Weltkrieg, in: Wolfgang J. Mommsen/Elisabeth Müller-Luckner (Hg.), Kultur und Krieg: Die Rolle der Intellektuellen, Künstler und Schriftsteller im Ersten Weltkrieg, München 1996, S. 1–15, Zitat 7. 13 1913 hatte die größte Heeresvermehrung gebracht, die das Deutsche Reich je gesehen hatte. Holger Afflerbach, »Bis zum letzten Mann und letzten Groschen?« Die Wehrpflicht im Deutschen Reich und ihre Auswirkungen auf das militärische Führungsdenken im Ersten Weltkrieg, in: Roland G. Foerster (Hg.), Die Wehrpflicht. Entstehung, Erscheinungsformen und politisch-militärische Wirkung, München 1994, S. 71–90, hier 73 f. 14 Max Born, Mein Leben, S. 223 f. Auch wenn Born hier die Entwicklung mehrerer Tage in einen zusammenzieht – die russische Mobilmachung erfolgte am 30. Juli, die deutsche
244 Die Universitäten im Kriegseinsatz Der Berliner Mediziner Schweizer Herkunft Wilhelm His lachte einen franzö sischen Kollegen bei der Internationalen Hygiene- und Städteausstellung in Lyon Ende Juni noch aus, als dieser »besorgt fragte: ›Ihr werdet doch keinen Krieg mit uns anfangen?‹«15 Der Kazaner Althistoriker Michail Chvostov, der sich im Juli 1914 zu Forschungszwecken in Deutschland aufhielt, bestätigt diese Wahrnehmung eines trotz des Attentats doch überraschenden Krieges: Bei seinen Gesprächen mit Kollegen in Leipzig und Berlin sowie dem Direktor des Römisch-Germanischen Zentralmuseums in Mainz hatte er nicht den Eindruck, daß sie einen Krieg erwarteten. Nur die Presse hatte Chvostovs Eindruck zufolge gehetzt.16 Dem Berliner Privatdozenten der Kunstgeschichte, Werner Weisbach, der Ende Juli einen Krieg fürchtete, versicherte ein gerade aus Petersburg eingetroffener russischer Freund, das könne gar nicht sein; denn in diesem Fall hätte sein Chef ihn nicht jetzt auf eine mehrwöchige Studienreise entlassen.17 Zwei Tage nach dem österreichischen Ultimatum an Serbien, am selben Tag, als in Petersburg die Unterstützung Serbiens beschlossen wurde, tagte am Samstagnachmittag der Berliner Privatdozentenverein im Senatssaal der Universität. Wegen großer Unruhe wurde die Sitzung abgekürzt, doch stand man danach zusammen und erörterte die Lage. Der Sozialist, Hygiene-Spezialist und Titularprofessor Alfred Grotjahn (der 1919 der SPD beitrat und 1920 ordent licher Professor für Soziale Hygiene wurde) notierte dazu in seinem Tagebuch: »Es wird ganz still, als die Stimme eines jüngeren mir noch unbekannten Privat dozenten hörbar wird, der sich erregt gegen die Forderung des österreichischen Ultimatums an Serbien wendet. Als er geendet hat, erfolgt kein Widerspruch. Da er mir aus der Seele gesprochen hatte, will ich nach seinem Namen fragen, als plötzlich die Tür nach dem Korridor geöffnet wird und man von der Straße Unter den Linden her die Wacht am Rhein singen hört. Wir gingen schnell auseinander. Ich folge einem großen Zuge von Menschen, hauptsächlich aus Studenten und Gymnasiasten bestehend, bis er Lieder singend in die Wilhelmstraße einbiegt.«18
Hier sind also zwei Stimmungen zugleich eingefangen: jener, die die Folgen des Ultimatums fürchteten – und jener, die bereits im Aufbruch begriffen waren:
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und französische am 1. August – entspricht der mitgeteilte Eindruck sicher der dama ligen Wahrnehmung einer schnellen, unerwarteten Veränderung der Situation. His, Die Front der Ärzte, S. 1. S. seinen differenzierten Bericht M[ichail] Ch[vostov], Vpetčatlenija v Germanii naka nune objavlenija vojny, in: Russkie Vedomosti 170, 25.7.[=7.8.]1914, S. 3. Die Autorschaft ist eindeutig belegt in: Godicnyj otčet o sostojanii Imperatorskogo Kazanskogo universiteta za 1914 god, Kazan’ 1915, S. 31 (Auslandsdienstreise 1.7.–1.9.1914), 34 (Veröffentlichung). Werner Weisbach, Geist und Gewalt, Wien u. a. 1956, S. 117. Tagebucheintrag 25.7.1914, in: Alfred Grotjahn, Erlebtes und Erstrebtes. Erinnerungen eines sozialistischen Arztes, Berlin 1932, S. 150; zu seiner raschen Habilitation (zwecks Förderung des neuen Teilfaches) ohne vorausgehende akademische Tätigkeit 141 f. Zur Biographie: NDB 7 (1966), S. 169 (Bruno Harms).
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Sie sangen das Lied, das (eigentlich gegen französische Ansprüche gerichtet) zu einer inoffiziellen Nationalhymne des Kaiserreichs geworden war. Es signa lisiert nicht nur verbal Kriegsbereitschaft (»Es braust ein Ruf wie Donnerhall«, »Durch Hunderttausend zuckt es schnell«) und mündet in einen Schwur (»Wir alle wollen Hüter sein«), sondern mobilisiert die Sänger und Zuhörer durch seinen Marschrhythmus geradezu. Die Privatdozenten, die die Lage bedenklich gestimmt hat, gehen auseinander, die Studenten marschieren bereits.19 In einigen kleineren Universitätsstädten zogen Studenten bereits auf Gerüchte von der Mobilmachung hin, also schon einige Tage vor der Kriegserklärung, singend und mit »Kriegsgeschrei« durch die Stadt.20 Die lange als gesichert erscheinende allgemeine Kriegsbereitschaft und sogar Kriegsbegeisterung ist für Deutschland in den letzten Jahren vielfältig modifiziert worden, etwa durch Lokalstudien oder genauere Analyse von Leitbegriffen.21 Dabei wurde auch die Ambivalenz der Reaktionen herausgearbeitet, das Schwanken zwischen Kampfbereitschaft, Friedenshoffnung und Ungläubigkeit, das »Stimmungsgemisch zwischen nationaler Euphorie und ›Kriegsfurcht‹«. Eine rauschhafte Begeisterung, die alle Deutschen ergriffen hätte, gab es demzufolge nicht. Vielmehr muß nach Bevölkerungsgruppen differenziert werden. Am ehesten ist die Einschätzung einer weitgehenden Kriegsbereitschaft und sogar Kriegsbegeisterung für die gebildeten und intellektuellen Milieus bestehen geblieben. Sie begrüßten das Augusterlebnis als Motor individueller und gesellschaftlicher Erweckung und Erneuerung. Aber auch insgesamt waren ›Gemeinschaft‹ und Einigkeit mehr als ein Produkt der Propaganda. Der Kriegsbeginn war für alle Deutschen eine Zeit intensiven Erlebens und starker Emotionalität.22 19 Von der ›Stimmung der allgemeinen‹ Bevölkerung, die er bei seinen »Krankenbesuchen in den verschiedenen Kreisen« antraf, berichtet Grotjahn in seinen Memoiren, daß man über »das Verhalten der österreichischen Regierung gegenüber der serbischen Antwort auf das berüchtigte Ultimatum geradezu entrüstet« gewesen sei. Von Haß gegen Frankreich habe es »keine Spur« gegeben, doch habe man sich »im unmittelbarsten Vertei digungskrieg gegen den Osten stehend« gefühlt, auch er selbst (Grotjahn, Erlebtes und Erstrebtes, S. 151 f.). 20 S. die Berichte aus der Oberhessischen Zeitung (Zitat) und dem Tagebuch des Marburger Altphilologen Theodor Birt bei Wettmann, Heimatfront Universität, S. 209 f. Ähnliche Berichte bei Martin Biastoch, Tübinger Studenten im Kaiserreich. Eine sozialgeschicht liche Untersuchung, Sigmaringen 1996, S. 228. 21 S. als Beispiele Christian Geinitz, Kriegsfurcht und Kampfbereitschaft. Das August erlebnis in Freiburg. Eine Studie zum Kriegsbeginn 1914, Essen 1998; Jeffrey Verhey, Der »Geist von 1914«. 22 In Anlehnung an Christian Geinitz/Uta Hinz, Das Augusterlebnis in Südbaden. Ambivalente Reaktionen der deutschen Öffentlichkeit auf den Kriegsbeginn, in: Hirschfeld u. a. (Hg.), Kriegserfahrungen, S. 20–35, 26; als Zusammenfassungen des Forschungsstandes auch J. Verhey, Augusterlebnis, in: Hirschfeld u. a. (Hg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, S. 357–360; Jeffrey Verhey, Ideen von 1914, ebd., S. 568 f.; Volker Ullrich, Kriegsbegeisterung, ebd., S. 630 f.
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Das Ausrücken der Studierenden und der Rechtfertigungsdruck nicht eingezogener Dozenten An verschiedenen Universitäten wurde der Unterrichtsbetrieb bereits Ende Juli, also etwa zwei Wochen vor Semesterende,23 eingestellt, da Studenten schon damals abreisten, um bei Kriegsbeginn zuhause zu sein, oder sich freiwillig zum Kriegsdienst meldeten.24 Als konkrete Beispiele können eine kunsthistorische und eine theologische Lehrveranstaltung in Berlin gelten: Werner Weisbachs Seminar kam schon am 30. Juli nicht mehr zustande, weil die militärpflichtigen Studenten angesichts der drohenden (noch nicht verkündeten) Mobilmachung bereits in ihre Heimatorte strebten, um bei der Einberufung rechtzeitig zur Stelle zu sein.25 Das Neutestamentliche Proseminar, das in diesem Semester 69 Teilnehmer zählte, wurde »in der Stunde der Verkündigung der drohenden Kriegsgefahr am 31. Juli 191426 (…) durch eine kurze feierliche Verabschiedung der meist ins Feld ziehenden Mitglieder geschlossen.«27 Adolf von Harnack dagegen hielt vielleicht auch am 1. August noch seine Vorlesung, wenige Stunden vor der um 17.00 verkündeten deutschen Generalmobilmachung.28 (Die Kriegserklärung des Deutschen Reichs an Rußland erfolgte am selben Tag noch.) Eingangs zitierte Harnack Ernst Moritz Arndts Lied, das im Jahr zuvor nicht nur an der Berliner Universität die ganze Festversammlung in Erinnerung an die Freiheitskriege gesungen hatte: »Der Gott der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte, drum gab er Säbel, Schwert und Spieß (dem Mann) in seine Rechte«. Einer studentischen Mitschrift zufolge fuhr Harnack dann fort: »Das ist die höchste Rechtfertigung des Krieges. Er wollte keine Knechte!« Wenn dieser Zustand aber drohe, müsse man in den Krieg ziehen. Nur dann – aber dann auch »mit aller Freude und allem Triumphe«; denn es galt nun, »die Aufgaben, die 23 Die Vorlesungsverzeichnisse enthalten im allgemeinen nur den Vorlesungsbeginn. Doch waren die Lehrveranstaltungen bei Kriegsbeginn noch nirgendwo beendet. In Tübingen z. B. waren sie bis 14.8.1914 geplant (http://www.uni-tuebingen.de/einrichtungen/ verwaltung-dezernate/ii-studium-und-lehre/abteilung-1/informationsbereich-des-studen tensekretariat/alttermine.html). 24 Wettmann, Heimatfront, Universität, S. 90; Biastoch, Tübinger Studenten im Kaiserreich, S. 228. 25 Weisbach, Geist und Gewalt, S. 118. 26 Diese wurde am 31. Juli morgens um 9 Uhr beschlossen, am Mittag bestätigt und am Nachmittag verkündet (Fritz Fischer, Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18, Düsseldorf 1979, S. 80). 27 Chronik der FWU Berlin 1914, S. 50. 28 Fischer, Griff nach der Weltmacht, S. 81. Zu den zeitlichen Widersprüchen zwischen der Datierung in der studentischen Mitschrift, auf der die folgenden Ausführungen beruhen, und dem VV s. Maurer, Engagement, S. 162 f. mit A. 69. Unter den zu Semesterbeginn in BAN registrierten Änderungen findet sich keine für Harnack.
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wir als Volk als eine Schöpfung Gottes auszuführen verpflichtet sind, durch[zu] führen«. Schon deshalb war der bevorstehende für Harnack ein gerechter Krieg. Aber auch die Reaktion des Volkes belege dies: »Ruhig, kräftig und schließlich jubelnd, weil ein unbestimmtes kräftiges Gefühl in jedem wallt, wenn einmal die Losung eines gerechten Krieges da ist«! Darüber hinaus sprach Harnack dem Krieg aber auch eine sittlich läuternde Kraft zu, denn »so viel Kleinliches, Egoistisches fällt ab, nur auf große Gesichtspunkte kommt alles an. Die Einheit der Nation wird ein Bewusstsein, die Einheit der Nation, die alles für ihre Ehre einsetzt, überwiegt alle Gesichtspunkte und das Einzelne.«29
Diese Ausführungen sind nicht nur aufgrund von Harnacks wissenschaft lichem und wissenschaftspolitischem Renommee von Bedeutung, sondern auch, weil er hier den Gedanken der Einheit, der dann im Begriff der »Volksgemeinschaft« eine so große Rolle spielen sollte, vorwegnahm – und weil er dies als Freund und Vertrauter des Kaisers tat, welcher am 4. August im Reichstag den Burgfrieden verkündete. Harnack verfolgte die Sitzung (in der Ehrenloge) mit Begeisterung – und setzte diese wiederum in einen Entwurf für den kaiserlichen Aufruf an das deutsche Volk vom 6. August um.30 Die große Nähe der Studenten- und Professorenschaft zum Militär hatte sich durch die mentale und rhetorische Militarisierung der deutschen Universität in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg noch verstärkt, und 1913 glaubt man bei einigen Rednern fast einen Wunsch zu erkennen, sich militärisch zu bewähren.31 Noch aus dem Rückblick wenige Monate später schien der Kriegsbeginn als Lösung einer angestauten Spannung, obwohl der Ernst der Situation nicht verkannt wurde. Vielmehr war das »drohende Gespenst vor unserer Seele (…) zu voller Wirklichkeit geworden«. Trotzdem: »Hinter uns lag die stürmische Unruhe der letzten Juliwoche. Nun war die heftige Spannung, die alle Gemüter in der Schwebe erhalten hatte, gelöst.« So notierte es im Oktober der Ordentliche Honorarprofessor für Philosophie in Berlin Adolf Lasson.32 Und noch im Januar 1915 hob der Römisch-Rechtler Seckel »das Gefühl der Erleichterung [hervor,] wie bei einem tiefen Atemzug frischer schneidender Luft, als im August die Kriegserklärungen die nicht gesuchte, aber gefundene Sprengung des Schnürleibes und die Aussicht auf neue Möglichkeiten brachten.« Er erklärte sie aus der »gefahrvollen Lage« Deutschlands, die Otto Hintze 1913 an29 Die Mitschrift ist zitiert bei Nottmeier, Harnack, S. 378 und hier aus einer Arndt-Ausgabe um die Worte in Klammern ergänzt. 30 Zu Harnacks Reaktion auf die Reichstagssitzung s. Nottmeier, Harnack, S. 379 f. Den Aufruf findet man in: Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender 30 (1914), München 1917, S. 388 f. 31 S. dazu Maurer, Universitas militans; Maurer, Engagement. 32 Adolf Lasson, Semesteranfang in Kriegeszeit, in: BAN IX (1914/15), S. 2–4, hier 2 (27.10.1914!).
248 Die Universitäten im Kriegseinsatz läßlich des Thronjubiläums des Kaisers gezeichnet hatte und die Seckel »für den Fall der Erhaltung des Friedens« als »Prophezeiung« interpretierte: »Stillstand, Behauptung des errungenen Platzes an der Sonne mit äußerster Kraftanspannung, keine Aussicht auf große Erfolge« (wie sie die ersten 25 Jahre der Regierungszeit gebracht hätten).33 In Straßburg und Gießen gab es bald nach Kriegsbeginn besondere Abschiedsfeiern für die ins Feld ziehenden Studenten: am 2. bzw. 5. August. In Berlin dagegen sprach der Rektor Max Planck am 3. August auf der jährlichen Stiftungsfeier nach seinem wissenschaftlichen Festvortrag davon, daß bereits in den Tagen zuvor viele Kommilitonen die Universität verlassen hätten, »um einer höheren Pflicht zu genügen«34 – offenbar ohne besondere Verabschiedung.35 In Straßburg dagegen hatte der Rektor die ausrückenden Studenten am Sonntagvormittag »zu einer kleinen aber erhebenden« Feier eingeladen, nachdem am Abend zuvor (also am Tag der deutschen Kriegserklärung an Rußland) die Jugend gegen zehn Uhr abends durch die Straßen der Stadt gezogen war: »Studenten, Gymnasiasten, schlichte Burschen im Arbeitskittel, alle vereint in dem gewaltigen Gefühl, dem Herzen Luft zu machen, laut kund zu geben, wie der kaiserliche Ruf zu den Waffen, zur Verteidigung des Vaterlandes gezündet…«.36 Nach dem Zug der künftigen Soldaten, die sich schon am Abend des 1. August spontan zu einer Bildungs- und Standesunterschiede übergreifenden Gemeinschaft formiert hatten, wurde mit der organisierten Verabschiedung am 2. die Pflege der besonderen akademischen Bande demonstriert. Der Direktor der Universitätsbibliothek und Honorarprofessor Georg Wolfram, ein Thüringer, der bereits in Straßburg studiert hatte, empfand bei dieser Abschiedsfeier, »daß eine völlig nationale Einheit in der Studentenschaft geschaffen,« also die frühere
33 Emil Seckel, Über Krieg und Recht in Rom. Rede zur Feier des Geburtstages Seiner Majestät (…), Berlin 1915, S. 4 f. Zur Erleichterung vgl. auch das »Gefühl der Befreiung, wie es der erste Donnerschlag nach lange drückender Gewitterschwüle auslöst«, das der Mediziner Wilhelm (von) Waldeyer(-Hartz) empfand (Lebenserinnerungen, S. 357). Vgl. außerdem: Gustav Roethe, Wir Deutschen und der Krieg, Berlin 1914, S. 5: »Da endlich die Erlösung, die Kunde der Mobilmachung«. 34 Max Planck, Bericht über die Feier zum Gedächtnis des Stifters (…), Berlin 1914, S. 39. 35 Harnacks Tochter schreibt dazu: »Der Stiftungstag der Universität Berlin (3. August) war diesmal der Abschied der Alma Mater von ihren besten Söhnen (…)« (Agnes von ZahnHarnack, Adolf von Harnack, Berlin 2. verbess. Aufl. 1951, S. 345). Auch die jährliche Chronik erwähnt in der Rubrik »Festlichkeiten« keine gesonderte Abschiedsfeier – allerdings gerade in diesem Jahr auch nicht das jährliche Stiftungsfest, das für 1913 noch aufgeführt wurde (Chronik der FWU Berlin 1913, S. 157–160, hier 158; Chronik der FWU Berlin 1914, S. 155 f.). Vgl. aber o. S. 246 die Beobachtung über die Verabschiedung der Mitglieder eines Seminars. 36 Beide Berichte in der Rubrik Lokales und Provinziales, in: Straßburger Neueste Nachrichten 179, 3.8.1914, Zweites Blatt (Hervorhebung i. O.).
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Trennung in ›Altdeutsche‹ und ›Elsässer‹ geschwunden war.37 Dies entspricht der damaligen offiziellen Sichtweise, der allerdings heutige Einschätzungen der Gespaltenheit der elsässischen Gesellschaft entgegenstehen.38 In Gießen scheinen auch Externe an der Feier der Universität teilgenommen zu haben – ganz sicher ist dies aufgrund der doppeldeutigen Formulierung jedoch nicht.39 Zwar hielt Rektor Samuel Eck besondere Aufrufe nicht mehr für nötig, doch solle die Feier dartun, »daß in dieser Stunde Universität und Bürgerschaft eins seien, daß diese Schicksalsstunde alle gleichgemacht habe«. Als Besonderheit des deutschen Volkes hob der aus Rußland stammende Theologe hervor, »daß es gerade in schwerer Zeit und Not brüderlich sich zusammenfinde.« Und er versicherte, daß Gott auch jetzt mit den Deutschen sein werde, »in dieser Zeit, in der wir jauchzend, ja, voll heiliger Freude, spüren, daß der deutsche Geist sich niemals unterdrücken lassen wird.« Dieser verbalen Darlegung einer alle sozialen Unterschiede überwindenden Volksgemeinschaft (hier in der Paraphrase der Lokalzeitung!) folgte die Demonstration in corpore: Auf Vorschlag des Rektors begleiteten die Teilnehmer der Feier den Regimentskommandeur, »die anwesenden Krieger« und die Kapelle unter »vaterländischen Klängen« zur Kaserne. Dort brachte der Rektor ein Hoch auf das Regiment und »seinen Führer« aus, der seinerseits gelobte, »die Lorbeeren der Vorfahren [zu] erneuern«.40 Die Einheit des deutschen Volkes betonte auch der Berliner Rektor Max Planck, sowohl beim Stiftungsfest Anfang August als auch beim Rektoratswechsel Mitte Oktober. Dabei waren schon am 1. August die Geschicke der Universität und der Gesamtgesellschaft aufs engste verwoben: Während der Wahl des neuen Rektors hörten die Ordinarien die Glocken des nahen Doms zum öffentlichen Kriegsgebet läuten und die Ausrufer der ersten Extrablätter die Gene37 G[eorg] Wolfram, Wissenschaft, Kunst und Literatur, in: Elsaß-Lothringen 1871–1918. Eine Vortragsfolge, Frankfurt 1938, S. 75–103, hier 86. Wolfram (s. o. S. 148) war der Gründer des Wissenschaftlichen Instituts der Elsaß-Lothringer im Reich (Frankfurt) und in den dreißiger Jahren Professor in Jena. Weitere Belege dafür, daß das Elsaß zu Kriegsbeginn auf deutscher Seite war, bei Craig, Scholarship and Nation Building, S. 195. 38 Elsass 1870–1932 I, S. 186. 39 »(…) versammelte sich (…) mit den Angehörigen der Universität eine große Anzahl deutscher Männer und Frauen (…)«: Zwar könnten die Universitätsangehörigen hier im Prinzip dieselben Personen wie die »Männer und Frauen« sein (»mit« im Sinne von: »in Gestalt von«). Doch deutet die Fortsetzung des Artikels über die Einhelligkeit der Gedanken aller Deutschen sowie das Einssein von Universität und Bürgertum darauf hin, daß tatsächlich verschiedene Gruppen gemeint waren (Eine akademische Abschiedsfeier für die ins Feld Ziehenden, in: GA 182, 6.8.1914). 40 Wie A. 39. Während die Rede des Rektors hier nur in der Paraphrase der Zeitung wiedergegeben werden kann, handelt es sich bei den Worten des Kommandeurs um die Adaptation eines Zitats aus dem Schreiben des Provinzialdirektors an ihn (Zum Abschied unserer oberhessischen Krieger, in: GA 182, 6.8.1914). S. als knappere Beschreibung der Feier (ohne Redeinhalte) auch Ludwig Grießbauer, Wie ich den großen Krieg erlebte, o. O. o. J. [Gießen 1919], S. 16 (mit Datumsirrtum).
250 Die Universitäten im Kriegseinsatz ralmobilmachung verkünden (vermutlich ca. 19 Uhr, als der Privatdozent Werner Weisbach am Potsdamer Platz die Zeitungsverkäufer und die Menge, die »jubelnde Begeisterungsschreie ausstieß«, beobachtete). »Mit einem Schlage fand sich unser gesamtes politisches und bürgerliches Leben auf eine völlig veränderte Grundlage gestellt. Das deutsche Volk hatte sich wiedergefunden, und in einer Größe, die für Freund und Feind gleich überraschend kam.«41
Dieses Wiederfinden, an das Planck Mitte Oktober erinnerte, hatte er am 3. August mit Blick auf die Ungewißheit der nächsten Zukunft, das Große und Ungeheure, in pathetische Worte gefaßt: Mit seinen Hörern zusammen fühle er, »wie sich (…) alles, was die Nation an physischen und sittlichen Kräften ihr eigen nennt, mit Blitzesschnelle in Eins zusammenballt und zu einer gen Himmel lodernden Flamme heiligen Zornes sich entzündet«.42 Das Bild des unablässig lodernden Feuers nahm er auch im Oktober wieder auf und schrieb es nun einem Blitz zu, also einem unvermeidbaren Naturereignis. Doch auch hier gewann es letztlich positive Kraft: »leuchtend und wärmend«.43 Dadurch, wie schon durch die himmelwärts gerichtete Heiligkeit des Zorns drei Monate zuvor, schien das Feuer die Gefahr zu verlieren. Doch das galt nur für die Gesamtheit, die Nation; denn bis Oktober war bereits der Tod vieler einzelner zu beklagen. Mit der Würdigung der Gefallenen und den Ausführungen über die Pflicht der Überlebenden führte Planck nicht nur den Beitrag der Universität zu den Kriegsanstrengungen vor Augen, sondern belegte auch den Rechtfertigungsdruck, unter dem die Daheimgebliebenen standen (und den er auch ganz persönlich immer wieder spürte44): 41 Rektorwechsel 1914, S. 15 f., Zitat 16; Weisbach, Geist und Gewalt, S. 119. 42 Planck, Bericht über die Feier zum Gedächtnis des Stifters, S. 4. Das schickte er seinem Fachvortrag voraus – entgegen den Erinnerungen von Zeitgenossen, die den Eindruck vermitteln, er habe zunächst nur streng-sachlich über »Dynamische und statistische Gesetzmäßigkeit« gesprochen und sei erst danach mit einigen sparsamen Worten zu dem gekommen, was alle bewegte und worauf die Professoren, Studenten und ihre Familien warteten. Nach Vortrag und Preisverleihung sprach er dann über die ausgezogenen Studenten und die Feinde (S. 39). 43 Das Bild des vergangenen Studienjahres werde durchschnitten »wie mit scharfer Messerschneide (…) seit jenem weltgeschichtlichen Tage, da aus schnell heraufgezogenem Gewölk der Blitzstrahl herniederfuhr und in Millionen deutscher Herzen ein niegesehenes [!] Feuer entzündete, das seither unablässig emporlodert, vieles in der Runde verzehrend, aber auch wieder weit in alle Welt hinaus leuchtend und wärmend« (Rektorwechsel 1914, S. 6). 44 In einem Brief an seinen Sohn Erwin, der als Berufssoldat bereits Anfang August freiwillig an die Front gegangen war, schrieb Planck im September 1914 (aus dem Urlaub in Berchtesgaden): »(…) meine Gedanken sind natürlich unablässig dort, und ich komme mir oft selbstsüchtig vor, wenn ich, während Ihr kämpft und marschiert, hier meinen Leib pflege. Aber helfen kann ich doch nicht, und so suche ich mich zu trösten mit der Überlegung, daß eben jeder nach seiner besten Überlegung seiner Pflicht lebt.« (Zit. bei Pufendorf, Die Plancks, S. 75).
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»Ehre und Ruhm diesen Helden, die freudig, ohne Vorbehalt, ohne Klage, ihr junges hoffnungsreiches Leben für das Vaterland dahingaben; sie haben den köstlichsten Preis sich errungen! Uns aber, die Zurückgebliebenen, mag wohl ein Gefühl wie das des Neides überkommen, daß es uns nicht auch vergönnt ist, unser Bestes, uns selbst, für das höchste aller irdischen Ideale einzusetzen. Und doch wartet der Schar der Überlebenden eine nicht minder hohe Aufgabe; denn sie sind es, die dafür zu sorgen haben, daß das kostbare Blut nicht vergeblich geflossen ist. Um dieser heiligen Aufgabe zu leben, gibt es aber nur ein einziges Mittel, nämlich daß wir arbeiten, ein jeder nach dem Maße der ihm verliehenen Kräfte. Denn jedwede Arbeit, auch die schlichte und bescheidene, birgt ihren Wert in sich selbst, und bringt schon dadurch auch der Allgemeinheit Nutzen (…)«.45
Das Bedauern der »Zurückgebliebenen«, nicht selbst an der Front zu stehen, findet sich in den Reden deutscher Rektoren und Professoren häufig wieder, meist sogar mit demselben Ausdruck wie hier: Es sei ihnen »nicht (‥) vergönnt«.46 Diese Formulierung verwandten sie auch für nichttaugliche Studenten.47 Ob sie sie vielleicht dem Aufruf der Kaiserin vom 6. August entnahmen an die »deutschen Frauen und Jungfrauen und alle, denen es nicht vergönnt ist, für die geliebte Heimat zu kämpfen«, muß offenbleiben.48 Daneben wurde derselbe Gedanke auch noch in diversen stilistischen Varianten geäußert.49 Die Zurück45 Rektorwechsel 1914, S. 16 f. 46 S. als Beispiele den neuen Berliner Rektor, den Juristen Theodor Kipp (Rektorwechsel 1914, S. 21); den Berliner Extraordinarius und Goetheforscher Ludwig Geiger mit seinem Artikel: Was tun? Gedanken eines Zuhausegebliebenen, in: BT 415, 17.8.1914 AA (vgl. auch: Erinnerungen aus großer Zeit [1870], in: BT 576, 12.11.1914 MA); den Berliner Altphilologen Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff in der ersten der »Deutschen Reden in ernster Zeit« (Deutsche Reden in ernster Zeit, in: Volks-Zeitung 409, 28.8.1914, Ausschnitt: GStAPK I . HA Rep 76 Va Sekt. 1 Tit. I Nr. 1 Bd. IV, fol. 40); den Berliner Philosophen Adolf Lasson, Semesteranfang (wie A. 32), S. 3; den Straßburger Rektor, den Mediziner Hans Chiari (Martin Spahn, Bismarck und die deutsche Politik in den Anfängen unseres Zeitalters. Rede, gehalten zur Feier des Geburtstages […] des Kaisers [‥‥], Straßburg 1915, S. 4). 47 S. den patriotischen Appell an diese durch den Juristen Wilhelm Kahl bei der Stiftungsfeier 1914: Planck, Bericht über die Feier zum Gedächtnis des Stifters, S. 42, oder das Begleitschreiben des Leitenden Sekretärs der Christlichen Deutschen Studentenvereinigung bei der Übersendung eines Exemplars der ersten Weihnachtsbroschüre für den Kaiser am 21.12.1914: GStAPK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. I, Nr. 36, fol. 6. Positiv gewendet für die in den Krieg Gezogenen in einem Göttinger Aufruf: Prorector und Senat der Universität 13.1.1915: Kommilitonen! UA Göttingen Sek. 38 (1), unfol. 48 Der Aufruf ist abgedruckt in: Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender 1914, S. 389. 49 Der Herausgeber der Burschenschaftlichen Blätter und nationalliberale Reichstagsabgeordnete Hugo Böttger verwandte z. B. das Partizip »versagt« (Geschäftsführender Ausschuß der Deutschen Burschenschaft. Dr. Hugo Böttger M. d. R. 1.10.1915 [ohne Adressat]: GStAPK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 1, Tit. I, Nr. 37, fol. 121). Zu weiteren Varianten (an anderen Universitäten) s. etwa den Freiburger (Pro-)Rektor, zitiert bei Scherb, »Ich stehe in der Sonne«, S. 89; Die Universität Heidelberg ihren Studenten im Feld. Neujahr 1916, Heidelberg o. J. (1915), S. 7.
252 Die Universitäten im Kriegseinsatz bleibenden jedenfalls waren »bedrückt«; denn der Gedanke, »nicht unmittelbar handelnd, Feinde und Leiden des Krieges abwehrend, mitbeteiligt sein zu dürfen«, war schwer zu ertragen. Manche Professoren hielten es »geradezu für eine Pflichtverletzung (…), wenn man sich nicht zur Front drängte.«50 So hatten die Zurückbleibenden »die tausendmal größere Qual des Zusehens, des Abwartens, des Beiseitestehens im Vaterland durchzukosten«.51 Das Nicht-Dienen erscheint in Plancks Darstellung nicht als Verschonung oder Befreiung, sondern als Verwehren der Chance, sein Leben für das höchste irdische Ideal einzusetzen, den Dienst am Vaterland. Diese Darstellung relativiert aber zugleich die Bedeutung der Wissenschaft, die die Lebensaufgabe der Professoren als Lehrer und Forscher ist. Doch damit die »Zurückgebliebenen« ihr Nichtdienen-›Dürfen‹ überhaupt ertragen können, werden sie erstens als »Überlebende« bezeichnet (was ja eigentlich eine überstandene Todesgefahr impliziert) und zweitens zu Wahrern des Erbes der Gefallenen bestellt: Nur wenn sie diese »heilige Aufgabe« übernehmen, kann deren »Opfer« einen Sinn haben. Allerdings besteht die sakralisierte Aufgabe darin, daß die Zurückgebliebenen ihrer üblichen Tätigkeit nachgehen und ihre Pflichten erfüllen, jeder an seinem Platz. Dies wird dann wiederum als »nicht minder hohe Aufgabe« definiert – obwohl doch vorher der Eindruck einer Stufung vermittelt wurde, bei der dem militärischen Einsatz die »höchste« Würde zukam. Planck knüpfte damit einerseits an den Beginn seiner Amtszeit an, als er im Herbst 1913 nach den Feierlichkeiten zum Jubiläum der Befreiungskriege wieder ein ›normales‹ Semester zu eröffnen hatte und diesem Würde verlieh, indem er es mit den Semestern vor den Befreiungskriegen in eine Reihe stellte: Die damals vorausgegangene »stille (…) Werktagsarbeit« erklärte er zur »Nahrung« der militärischen Leistungen von 1813.52 Gleichzeitig wird an der gewundenen und nicht ganz konsistenten Darlegung zu Kriegsbeginn die Notwendigkeit neuer Sinnstiftung deutlich: Zwar wird jeder Arbeit »ihr Wert in sich selbst« zugesprochen – andererseits ist sie doch nur das »Mittel«, um dem Tod der Gefallenen Sinn zu geben. Wissenschaft und Studium als solchen kam dieser offenbar nicht mehr zu. Der neue Rektor, der Jurist Kipp, rahmte seine wissenschaftliche Antrittsrede im Oktober 1914 mit denselben Gedanken ein – doch indem der »nicht vergönnt(e)« Kriegsdienst etwa eine Stunde Redezeit von dem »Losungswort« für »jede(n) einzelnen« vor ihm sitzenden Hörer entfernt war, »am Werke der Wissenschaft fort[zu]arbeiten und unsere Schuldigkeit [zu] tun an dem Platze, 50 Otto Lubarsch, Ein bewegtes Gelehrtenleben. Erinnerungen und Erlebnisse. Kämpfe und Gedanken, Berlin 1931, S. 296 f., 298. Damals war L., der u. a. im Straßburg studiert hatte und ab 1917 in Berlin wirkte, noch Prof. in Kiel. 51 So der Berliner Arzt und Titularprofessor Carl Ludwig Schleich, Kriegsstimmung, in: BT 434, 27.8.1914 AA . 52 S. Maurer, Engagement.
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an den wir gestellt sind«, war der Rechtfertigungsdruck kaum zu spüren. Obwohl diese Passage direkt auf die Würdigung der »Kommilitonen draußen im blutigen Feld« folgte, erschien die Fortsetzung der wissenschaftlichen Arbeit als Ausdruck eines »Reichtum(s) an Kräften«, der die »Fortführung auch der Friedenswerke« ermöglichte.53 Der Einsatz der Soldaten, die einer »höheren Pflicht« folgten, wurde in eine historische Traditionslinie gestellt und dadurch noch weiter überhöht: »Sie sind freudigen Mutes, wie die Studenten von 1813 und 1870, hinausgezogen«, hatte Max Planck am 3. August den Ton gesetzt.54 Sein Nachfolger, Theodor Kipp, würdigte im Oktober »die wehrhafte Blüte der deutschen Jugend wes Standes immer«, um dann aber besonders »der Tausende deutscher Studenten« zu gedenken, »die, wie 1813 und 1870, so heute zu den erlesensten Scharen der deutschen Streiter gehören.«55 Auch an anderen Universitäten wurde zu Kriegsbeginn das Vorbild von 1813 beschworen – oder die Studenten gar an ihr eigenes Gelöbnis bei der Jahrhundertfeier 1913 erinnert.56 Der Gießener Rektor verstieg sich 1915 zu einem Gedicht über die Besonderheit seiner Universität, das auch diese Traditionslinie noch weiter ausschmückte.57 Als Maßstab halfen die Einsätze von 1813 und 1870 schon bald bei der Würdigung der Leistung von 1914. Sogar auf dem Hintergrund dieser früheren Kriege (und darüber hinaus im weltweiten Vergleich!) erschien die deutsche Geschlossenheit 1914 bemerkenswert.58 Aber selbst wenn die Studenten auf diese Weise hervorgehoben wurden, war ihre Bewertung doch nicht exklusiv. Schon der Gießener Anzeiger schloß aus der akademischen Abschiedsfeier, »wie das Volk (!) den Alten von 1813 nicht nachstehen will«.59 Auch die Studenten selbst bezogen sich auf die Kontinuität der Kämpfer von 1813 und 1870. Besonders stark stellten die Kieler die Parallelen in einem Aufruf an die Kommilitonen an anderen Universitäten und Hochschulen heraus und konstruierten darin auch eine Generationenkette von Urgroßvätern über Väter zu sich selbst.60 Weiterhin wurde diese Linie in den Zeitschriften der Studentenverbindungen hervorgehoben, meist von
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Rektorwechsel 1914, S. 21, 50 f. Planck, Bericht über die Feier zum Gedächtnis des Stifters, S. 39. Rektorwechsel 1914, S. 50. S. ein Zitat aus dem Appell des Bonner Rektors an die Studenten bei Jarausch, Deutsche Studenten, S. 106 sowie den Entwurf des Aufrufs des Göttinger Prorektors Kaufmann mit der Erinnerung an die Feier 1913 in UA Göttingen Sek. 38 (1), unfol. 57 [Robert] Sommer, »Wie’s einst in Gießen war, wie’s ist, daß keiner unsere Stadt vergißt«, in: Gießener Universitäts-Bilderbuch. Liebesgabe für die im Felde stehenden Angehö rigen der Universität Gießen, Gießen 1915, S. 2. 58 Lasson, Semesteranfang (wie A. 32), S. 2. 59 Akademische Abschiedsfeier (wie A. 39). 60 Der Aufruf ist abgedruckt bei Helmut Klein (Hg.), Humboldt-Universität zu Berlin. Dokumente 1810–1918, Berlin 1985, S. 45 f.
254 Die Universitäten im Kriegseinsatz A lten Herren.61 Doch diente 1813 auch zur Markierung der Unterschiede – etwa der veränderten Feindkonstellation. Nicht nur der aus Rußland stammende Eck wies auf den »Angreifer im Rücken, im Osten« hin.62 Allerdings wurden die Feinde selbst in den Aufrufen und Feiern zu Kriegsbeginn kaum als solche dargestellt; sie kamen nur am Rande vor:63 in Plancks Rede am 3. August zwar in scharfen Worten, aber nur als Abstrakta, ohne Bezug auf einen konkreten Kriegsgegner. Im Satz über die ausziehenden Studenten hieß es, daß sich die deutsche Streitmacht rüste, »nach Erschöpfung schier beispielloser Langmut, das scharfgeschliffene Schwert zu führen gegen die Brutstätten der schleichenden Lüge und Hinterhältigkeit«.64 Sogar mit Loyalitätsbeteuerungen ging man sparsam um: Im Vergleich zur Betonung (in Gießen sogar Inszenierung) der Volksgemeinschaft und des besonderen Beitrags der Universität spielten sie kaum eine Rolle. Vielleicht war die Loyalität zu selbstverständlich – und das Kaiserhoch, das der ehemalige Kultusminister Studt in der Berliner Universität am 3. August ausbrachte,65 gehörte ohnehin zu vielen akademischen Feiern, auch wenn es keineswegs obligatorisch war.66 Wichtiger scheint die Bitte um Schutz und Gottes Segen gewesen zu sein, die Planck am Ende seiner Rede zunächst auf den Kaiser, dann (gewissermaßen in einer Klimax) auf »unser teures, unser heißgeliebtes deutsches Vaterland« bezog.67 Ähnlich hatte der Gießener Rektor, ebenfalls in steigernder 61 Siehe z. B. J[oseph] Vaders, Der Krieg, in: ATZ 31 (1914/15), S. 210 f.; [-] Rehtmeyer, Des Geschlechtes von 1813 und unser Wille zum Siege, in: ATZ 32 (1915/16), S. 535 f. 62 Akademische Abschiedsfeier (wie A. 39). Zur Kontinuität des französischen Feindes und den neuen Feinden England und Rußland s. auch den Bericht über den Kriegsvortrag (Harry) Bresslaus: 1813 – 1870 – 1914, in: Der Elsässer 471, 2.11.1914. S. dazu ausführlicher u. S. 547 f. 63 Das entspricht durchaus Beobachtungen aus den Vorkriegsjahren, als die Universität Berlin als »geistiger Waffenplatz« dargestellt worden war – jedoch ohne Bezug auf einen konkreten Feind. Maurer, Universitas militans, S. 65. 64 Planck, Bericht über die Feier zum Gedächtnis des Stifters, S. 39. 65 Planck, Bericht über die Feier zum Gedächtnis des Stifters, S. 41. 66 So kam es etwa beim Thronjubiläum 1913 und sonst bei der Feier des Kaisergeburtstags häufiger vor, doch der Berliner Militärhistoriker Hans Delbrück kam in seiner Rede 1912 ohne es aus (Hans Delbrück, Geist und Masse in der Geschichte. Rede zur Feier des Geburtstages [‥‥] des Kaisers, Berlin 1912). Auch bei der Berliner Feier 1914 bedachte der Redner den Kaiser zwar mit vielen guten Wünschen, brachte jedoch kein Hoch aus (Benno Erdmann, Über den modernen Monismus. Rede zur Feier des Geburtstages [….] des Kaisers, Berlin 1914, S. 33). Außerhalb Preußens wurde das Kaiserhoch manchmal flankiert vom Hoch auf den Landesherrn. S. als Beispiel Hehn, Zur Erinnerung an das fünfundzwanzigjährige Regierungs-Jubiläum (…) Wilhelm II., S. 26. Vgl. die Münchner Rede ohne Hoch: Karl Theodor von Heigel, 1813–1913. Rede (…) bei der Stiftungsfeier der Ludwig-Maximilians-Universität in Verbindung mit der Feier des (…) Regierungs jubiläums (…) des Deutschen Kaisers und mit der Feier zur Erinnerung an die Befreiungskriege, München 1913. 67 Planck, Bericht über die Feier zum Gedächtnis des Stifters, S. 40.
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Reihung, bei Kriegsausbruch an den Großherzog telegraphiert: »Gott schütze unseren Landesherrn, unseren Kaiser, unser herrliches Vaterland, unsere stolze Wehr«, während er bei der Abschiedsfeier für die ins Feld ziehenden Studenten den Segen Gottes für das ganze Regiment erbat.68 Am stärksten wirkte vermutlich überall der gemeinsame Gesang.69 In Berlin schloß die Feier »mit der Volkshymne [!] ›Deutschland, Deutschland über Alles‹, welche aus der Mitte der Versammlung, zuerst von Mitgliedern des Lehrkörpers, angestimmt wurde.«70 Dabei rollten über das »fein gemeißelte Gesicht« des Altphilologen Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, »während er sang, die schweren Tränen«.71 Vier Berliner Professoren und ein alldeutscher General gaben den ausziehenden »Commilitonen« außerdem auch »Geleitworte« in der Zeitschrift des Kyffhäuser-Verbandes der Vereine Deutscher Studenten mit, vermutlich auf deren Bitte. Auch darin spielten die historischen Bezugspunkte 1813 und 1870 eine wichtige Rolle. Mit dem ersten Datum konnten die Studenten schließlich ja auch an die gemeinsam begangene Jahrhundertfeier erinnert werden. (Das geschah außerdem mit einem langen Auszug aus der nun prophetisch wirkenden Rede des gedienten, aber nicht kriegserprobten, damals 37jährigen Berliner Professors und Alten Herrn Otto Hoetzsch auf dem Reichskommers des Verbands 1913.72) Doch im Vordergrund stand der Krieg von 1870/71, der zur Gründung jenes Reichs geführt hatte, welches es jetzt zu bewahren galt: »Reich und Kaiser, das brachten wir heim. Das neiden sie [die Feinde] uns. Um die sen Siegespreis geht’s auch heute wieder. Diesmal seid Ihr an der Reihe. Könnten wir doch an Eurer Seite stehen! Mut und Begeisterung wären die alten, für’s Vaterland zu sterben, fiele uns noch leichter. Aber die Jugend fehlt [uns]. So tretet mit Gott an die Stelle. Unser ganzes Vertrauen geht mit Euch. Wo in der Heimat ein Plätzchen ist, dem Vaterland und Euch zu dienen, wollen wir’s erfüllen. Und zu heiligem Zorn wollen wir [!] Eure Seelen [!] entflammen«,
schrieb der 65jährige Berliner Jurist und Mitglied der Nationalliberalen Partei Wilhelm Kahl, der als »Ritter des Eisernen Kreuzes von 1870/71« unterzeichnete, »[i]m Namen Vieler« den Studenten am Tag der »Schlacht und [des] Sieg[es] bei Wörth« »[z]um Abschied«.73 Mit der Erinnerung an den Krieg der 68 Nach GA 3.8.1914 und 6.8.1914. 69 Zum Gesang in der Gießener Aula und dann auf dem Weg zur Kaserne s. GA 6.8.1914. 70 Planck, Bericht über die Feier zum Gedächtnis des Stifters, S. 42. 71 Zahn-Harnack, Harnack, S. 345. 72 AB 29 (1914/15), Nr. 10 (August 1914), [mit gesonderter Paginierung], unpag. [=S. 2 entspr. S. 162 des Jahrgangs]. 73 Geleitworte, in: AB 29 (1914/15), Nr. 10 (August 1914), [mit gesonderter Paginierung:] S. 4–9 [= S. 163–168 des Jahrgangs], hier 5. Die »Geleitworte« enthalten Texte von Adolph Wagner (S. 4), Wilhelm Kahl (5 f.), Generalleutnant z. D. [Eduard] v. Liebert (6–8), Dietrich Schäfer (8), Gustav Roethe (8 f.). Hervorhebung i. O. gesperrt.
256 Die Universitäten im Kriegseinsatz Reichsgründung konnten die ›Altgewordenen‹ ihren eigenen Kampfeinsatz hervorheben. Indem Kahl die Studenten sogar zu deren Stellvertretern und Nachfolgern machte (»So tretet mit Gott an die Stelle«), wurden diese ihren Lehrern ebenbürtig – nicht in der wissenschaftlichen, aber in der staatsbürgerlichen Funktion. In dieser wollte der Lehrer seinen Schülern sogar »dienen«. Aber letztlich blieb er doch der praeceptor, der ihnen Inspiration und Kampfeswillen einzuflößen versprach. Seine eigenen Kampferfahrungen schilderte Kahl ausführlich, ließ den Patriotismus als elementare Erfahrung erscheinen: In der Silvesternacht 1870/71 drängen gegen Mitternacht alle nach draußen, und da ist auf einmal, »einzeln und leise zuerst, dann immer lauter und brausend zuletzt: Deutschland, Deutschland über alles (….) Keiner weiß, woher das Lied kam. Aber es war eine Naturnotwendigkeit. Nun waren wir Deutsche geworden,« denn die Neujahrsnacht war »die Geburtsstunde des neuen Reichs«,74 das den Bürgern der deutschen Einzelstaaten eine gemeinsame Identität gab. Der preußische neuadlige Generalleutnant Eduard von Liebert, der ebenfalls auf seine Kriegs erfahrungen 1866/1870 zurückgriff,75 malte nicht nur die Bedrohung aus, die »um einer solchen Nichtigkeit willen, um die serbischen Mausefallenhändler und Mordbuben, ganz Europa in Brand« setzte; vielmehr führte er den Hinausziehenden auch – anders, als sonst in dieser Zeit üblich – die neue hochtechnisierte Kampfform vor Augen, die nicht mehr »Mann gegen Mann« stelle und, weil die Schlacht »auf weite Entfernungen durch das Artillerie- und Infanteriegeschoß ausgefochten« werde, »schon die höchsten Anforderungen an die Nerven des Soldaten« stelle, noch bevor er den Feind überhaupt zu sehen bekomme. »Der Verlust an Offizieren, der schon 1870 so bedeutend war, [werde] sich noch ins gewaltige steigern«.76 Dietrich Schäfer, der fast siebzigjährige alldeutsche Historiker, dessen Jahrgang 1870 nicht mehr dienstverpflichtet worden war, der sich selbst aber freiwillig gemeldet hatte, verzichtete an dieser Stelle völlig auf Erinnerungen an den eigenen Kriegsdienst und betonte in seinem kurzen Geleitwort: »Es geht um Sein oder Nichtsein, um unseres Reiches und Volkes Bestand! (…) Der Lehrer, der zu alt geworden ist, selbst die Waffe zu ergreifen, braucht nicht mehr zu ermahnen«, weil der Verein Deutscher Studenten seine Mitglieder ja schon in Friedenszeiten im rechten Geist erzogen habe. »Hier gilt es nicht mehr, die Gesinnung zu festigen; hier gilt es nur noch, des Leibes Kraft zu stützen und zu stärken; die Daheimgebliebenen werden es daran nicht fehlen lassen.«77 74 Geleitworte (wie A. 73), S. 5. Hervorhebung i. O. gesperrt. 75 Später war er Kommandeur der Schutztruppen und kurzzeitig Gouverneur von DeutschOstafrika gewesen. 76 Geleitworte (wie A. 73), S. 7. 77 Geleitworte (wie A. 73), S. 8.
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Ausgerechnet der Germanist Roethe, der 1870 noch zu jung gewesen war, dem es aber in den Beinen zuckte, wenn Soldaten an seinem Hörsaal vorbeimarschierten, verkündete den jungen »Commilitonen«: »Und wahrlich, es ist ein großes Glück für Euer ganzes Leben, daß Ihr Euch einsetzen dürft in jugendlicher Kraft für des Vaterlandes Ehre und Größe«. »Beseligt« fühlten die Deutschen nun, »wie jenes Nationalgefühl uns allen von neuem die Adern schwellt und die Sehnen strafft«, und bei den Studenten des Kyffhäuser-Verbandes war Schäfer zufolge »reine deutsche Art (…) besonders treu gehegt [worden], erkennend und bekennend, ersehend und still heiligend«[!]. Doch nun sei mit dem Bekennen nicht mehr genug getan. »Des echten Mannes wahre Feier ist die Tat«, zitierte der Germanist (aus Goethes Festspiel Pandora, selbstverständlich ohne Quellenangabe!). Dieses Gefordertsein sei eine »Feierstunde in der Alltagswelt mit allen ihren Halbheiten und Kleinlichkeiten!« Roethe fühlte schon »die feurige Lohe« und war der durch den Krieg bevorstehenden Seelenläuterung gewiß. Seine Prophezeiung kleidete er in – im 19. und frühen 20. Jahrhundert vielzitierte – Verse aus einem Gedicht des Grafen Moritz Strachwitz: »›Es wird eine Zeit der Helden sein nach der Zeit der Schreier und Schreiber!‹ Aus dem Heldentum aber erwächst die wahre Blüte des Volkes, der Menschheit. Und Ihr, Commilitonen, dürft Teil haben an diesem Heldentum.«
Das »herrlich Heldenbild«, das den Deutschen des Ersten Weltkriegs vor Augen stand, war Bismarck, dessen 100. Geburtstag im kommenden Frühjahr Roethe ebenso anführte wie Kahl. Bei ersterem sollte der Schöpfer des Reichs auf dessen Verteidiger »zufrieden (….) herniederschauen«,78 bei letzterem wurde mit der Spanne zwischen den beiden Hundert-Jahr-Feiern 1913 und 1915 »die Wegstrecke von der Freiheit zur Einheit« markiert. »Einheit haben und behalten wir. Das hat sich in der Erhebung der jüngsten Tage (…) wunderbar bewährt. Jetzt geht’s wieder um die Freiheit.«79 Andere Korporationsverbände boten nicht solchen Zuspruch von Lehrenden. Daß hier vier Ehrenmitglieder, also Nicht-Bundesbrüder,80 darum gebeten wurden, erklärt sich offenbar aus deren Berühmtheit als Gelehrte bzw. Militär(schriftsteller) einerseits, ihrer gedanklichen Nähe zum völkisch-anti semitischen Kyffhäuser-Verband (die bei den Alldeutschen offenkundig ist) andererseits. Die Kriterien für die Auswahl des Nationalliberalen und Strafrechtsreformers Kahl liegen dagegen weniger auf der Hand. Der Überlegung, damit vielleicht das Kaiserwort bezüglich der Bedeutungslosigkeit von Parteigrenzen, 78 Geleitworte (wie A. 73), S. 9. Das Gedicht »Der Gordische Knoten« in: Moritz Graf Strachwitz, Neue Gedichte, Breslau 1848, S. 21 f., Zitat 22. Zum damals bereits vorbereiteten Bismarck-Jubiläum s. u. Kap. IV.8. 79 Geleitworte (wie A. 73), S. 6. 80 Für die Überprüfung und Information zur Verleihung der Ehrenmitgliedschaft danke ich Marc Zirlewagen.
258 Die Universitäten im Kriegseinsatz d. h. der Einheit, umzusetzen, widerspricht andererseits die Auswahl des (1903 in Ungnade gefallenen) Militärs, der Mitinitiator und Vorsitzender des Reichsverbands zur Bekämpfung der Sozialdemokratie war.81 (Sogar in der Zeitschrift selbst stieß er mit seiner Deutung des Krieges als »großen Kampf[es] zwischen Germanen- und Slawentum« auf Widerspruch.82) Noch früher als bei seinen künftigen Berliner Kollegen schien das ungute Gefühl, aus Altersgründen nicht mehr einberufen worden zu sein, bei Ernst Troeltsch durch, der damals bereits in die Hauptstadt berufen war, aber noch in Heidelberg wirkte: bei seiner Rede in einer von Stadt und Universität gemeinsam einberufenen und laut Lokalpresse von zwei- bis dreitausend Personen besuchten »vaterländischen Kundgebung« in der Stadthalle am 2. August 1914. Laut Zeitungsbericht »frei und vom Augenblick eingegeben« gehalten, wurde sie in überarbeiteter Form83 sowohl in der Frankfurter Zeitung und verschiedenen Lehrerzeitschriften als auch als Separatum verbreitet, das in mindestens 4000 Exemplaren gedruckt wurde.84 Als »Typus der Kriegsrede im Entstehen« und »Beleg für die geistige Mobilmachung« ist sie schon ausführlich interpretiert worden. Dabei sind auch ihre inneren Widersprüche herausgearbeitet worden, etwa daß eine Kriegsrede Troeltsch zufolge analysieren soll, wie die Situation entstanden sei und was aus ihr folge, er selbst aber genau darauf verzichte und eigentlich eine Predigt biete.85 Hier interessiert mehr, wie sich das Ver hältnis von Gelehrten und Gesamtgesellschaft in der Rede ausdrückt. Immer
81 Alle Angaben zu von Liebert nach NDB 14 (1985), S. 487 f. (Horst Gründer). 82 Für ihn ging es nicht nur, wie oben auch aus Schäfers Zuspruch zitiert, »um Sein oder Nichtsein des Deutschen Reichs, sondern um den großen Kampf zwischen Germanenund Slawentum, der schon so lange in der Luft liegt« (Geleitworte [wie A. 73], S. 6). Dem widersprach der Alte Herr Otto Hoetzsch explizit, wenn auch ohne Bezug auf Liebert, in seinem langen Artikel »Zum Sedantag 1914« in: AB 29 (1914/15), S. 174–178, hier 176 f.: »Wir spüren zu stark die eherne Härte der Staatengegensätze, die hier unversöhnbar aufeinander prallen, wir wissen, daß auch die Worte vom Gegensatz des Germanentums und Slawentums, vom Kampfe der Kulturen gegeneinander nichts dafür besagen.« Diese Staatengegensätze erläuterte er dann genauer. 83 Zum Ablauf (mit Troeltschs Rede vorausgehenden Ansprachen des Oberbürgermeisters, der zugleich Honorarprof. der Jur. Fak. war, des Rektors Eberhard Gothein und des Historikers Hermann Oncken) genauer Reichert, Wissenschaft und »Heimatfront«, S. 494–497. 84 Die Auflagenhöhe nach dem Titelblatt des benutzten Exemplars und Überprüfung der deutschen Bibliothekskataloge, die keinen weiteren als diesen (offenbar zweiten) Druck verzeichnen: Ernst Troeltsch, Nach Erklärung der Mobilmachung. Rede gehalten bei der von Stadt und Universität einberufenen vaterländischen Versammlung am 2. Aug. 1914. 3.–4. Tausend, Heidelberg 1914; Zeitschriftenabdrucke nachgewiesen bei Kurt Flasch, Die geistige Mobilmachung. Die deutschen Intellektuellen und der Erste Weltkrieg. Ein Versuch, Berlin 2000, S. 406 A. 2. 85 S. Flasch, Geistige Mobilmachung, S. 36–47 (mit zumindest einem nicht sorgfältig wiedergegebenen Zitat), zitierte Einordnung 42, 46.
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wieder unterstreicht der 49jährige Troeltsch, der 1883/84 seinen einjährig-freiwilligen Militärdienst abgeleistet hatte und seit 1884 Mitglied einer nichtschlagenden Studentenverbindung mit christlichen Idealen und Zielvorstellungen war,86 wie die Gelehrten am Kampf teilnehmen: »Seit gestern sind wir [!] ein Volk in Waffen, dem das Volk der Heimat, die älteren Männer, die Frauen, die Kinder zu Hause die Arbeit besorgt, während alle unsere jugendkräftigen Männer bis auf den letzten im Felde stehen werden.«
Die Losung, die er mehrfach wiederholt, lautet »Zu den Waffen, zu den Waffen!« Dabei bedauert Troeltsch anscheinend, daß er selbst nur das Wort als Waffe führt: »O, könnte der Redner dieser Stunde jedes Wort verwandeln in ein Bajonett, verwandeln in ein Gewehr, in eine Kanone! Könnte er es verwandeln in einen Mann, der ruhig und bieder in der Weise unseres Volkes zu den großen Scharen stieße, als verstände es sich von selbst und als könnte der Strom der Menschen nicht hoch genug schwellen! Aber wir wollen doch auch das Wort nicht verachten, und die, die es führen können, dürfen nicht schweigen in übel angebrachter Scham.«87
Dieser Mann in den besten Jahren, mit mehreren politischen Ämtern und einem gerade ein Jahr alten einzigen Kind, ist nicht mehr kriegsdienstpflichtig – und im Gegensatz zu anderen Kollegen seines Alters und manchen noch älteren kommt er auch nicht auf den Gedanken, sich freiwillig zu melden.88 Daß ihm dabei nicht recht wohl ist, deutet allerdings die erwähnte Gefahr an, »in übel angebrachte Scham« zu verfallen und daher zu schweigen. Die, die das Wort »führen können«, sollen, ja müssen dies tun. Zur Rechtfertigung zieht Troeltsch eine historische Analogie bei: »Der Riesenkampf von 1813 hatte seine Ernst Moritz Arndt, seine Fichte, seine Schleiermacher, und er brauchte sie.« Mit dem nächsten Satz aber springt er schon wieder in seine Gegenwart: »Tausende sehnen sich nach einem klaren Worte über die Situation, wollen wissen, wie sie geworden ist, und verstehen, was aus ihr folgt. Sie wollen eine Losung und ein Bild der nächsten Zukunft für die Phantasie, sie wollen eine Stärkung an Glaube und Vertrauen.«89 86 Drescher, Ernst Troeltsch, S. 27, 31. 87 Troeltsch, Nach Erklärung der Mobilmachung, Zitate S. 3, 6 (Losung), 6 (Bedauern). 88 Biogr. Angaben nach Drescher, Ernst Troeltsch, S. 169–172 (zu den privaten Verhältnissen), 203–209 (zur Tätigkeit als Vertreter der Universität in der Ersten Kammer der Ständeversammlung des Großherzogtums Baden) und Horst Renz, Auf der alten Brücke. Beobachtungen zu Ernst Troeltschs Heidelberger Jahren 1894–1915, in: Renz (Hg.), Troeltsch zwischen Heidelberg und Berlin, S. 9–88, hier 57–62 (Ständekammer). Außerdem saß Troeltsch im Stadtrat und im Landesvorstand der Nationalliberalen Partei. Zum Militärdienst anderer Lehrender s. u. Kap. III .3. 89 Troeltsch, Nach Erklärung der Mobilmachung, S. 6 f.
260 Die Universitäten im Kriegseinsatz Genau dies war Troeltsch zufolge seine und seiner Kollegen Aufgabe: »Ich möchte Geist und Scharfsinn, Klugheit und Schärfe, Feuer und Energie unseres ganzen Gelehrten- und Künstlertums ergossen sehen in flammende, starke, gläubige und mahnende Worte, die den Heeressäulen der Nation voranziehen als Wahrzeichen deutscher Gesinnung, und den Arbeitenden und Harrenden daheim den Mut, die Klarheit und die Arbeitskraft stärken.«90
Damit standen die Gelehrten außerhalb – und indem sie alle anderen zu deren Dienst an der Front und zur Arbeit in der Heimat erst befähigten, in der Bedeutung letztlich auch über ihnen. Zugleich erhielten die Äußerungen der Gelehrten aber quasi sakralen Charakter: »flammende (…) Worte (…) als Wahrzeichen«.91 »Predigen« sollten sie »Tapferkeit und Zuversicht« – wobei es Troeltsch nicht um Berauschung an der »Kriegsromantik« und nicht einmal um die (selbstverständliche) Tapferkeit der Soldaten ging, sondern um die Tapferkeit der »in der Heimat Bleibenden«!92 Der Vergleich mit 1870, als Treitschke den Heidelberger Studenten seine Siegesüberzeugung zugerufen hatte, sie würden die »Kaiserkrone« bringen und er sie »als Bürger eines Deutschen Reiches grüßen«, ließ das aktuelle Kriegsziel zunächst als weniger klar und bestimmt erscheinen. Doch für Troeltsch war es ganz deutlich: »Heute geht es um Sein und Leben, heute geht es um den Hals. So können wir denen, die hinausgehen, nur zurufen: Geht und bringt uns die Dauer und das Leben unseres Vaterlandes wieder!« Daß man ein solches Volk wie die Deutschen nicht erdrücken könne, es einig sei und auch in Zukunft sein werde, gab Troeltsch als Gewißheit aus. Daß die Kämpfer mit der Überzeugung zurückkehren würden, »daß nur eine starke zentrale Leitung und eine geordnete Disziplin den modernen Riesenstaat tragen können«,93 sollte aber nicht, wie geschehen, als Sozialdisziplinierung mißverstanden werden.94 Vielmehr ist der »Sieg der Freiheit (…) nicht nur vom zaristischen Absolutismus, sondern auch der inneren Freiheit des deutschen Bürgers« 90 Troeltsch, Nach Erklärung der Mobilmachung, S. 7. 91 Das Zitat bei Flasch, Geistige Mobilmachung, S. 41 ist dagegen unzulässig verkürzt zu »flammende Wahrzeichen, die den Heeressäulen der Nation voranziehen«. (Andererseits ist es aufschlußreich, wie Flasch Troeltschs Vermeiden der Ausdeutung der biblischen Anspielungen interpretiert: sonst hätte Troeltsch »sagen müssen, daß die anfeuernde Rede der Führer der Nation die Gegenwart Gottes vor den deutschen Heeressäulen verbürge«.) Auch die Zuspitzung bei Schwabe scheint nicht ganz korrekt, da erstens die Worte mit der Institution identifiziert werden und zweitens letztere ja nicht nur aus den Lehrenden bestand: »Die Universität war aufgerufen, (…) wie Troeltsch sich ausdrückte, ›mit gläubigen Worten‹ ›als Wahrzeichen deutscher Gesinnung‹ ›den Heersäulen [!] der Nation voranzuziehen‹.« (Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 21). 92 Troeltsch, Nach Erklärung der Mobilmachung, S. 7 f. 93 Troeltsch, Nach Erklärung der Mobilmachung, S. 10 f. 94 So die Interpretation Flasch, Geistige Mobilmachung, S. 44: »Sie sollten also monarchistischer und militarisierter heimkommen, als sie ausgezogen waren«.
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eine zwar vage, aber keinesfalls mit der Zentralisierung und Disziplinierung zu füllende Andeutung; denn »innere Freiheit« meint gewiß nicht die psychologische Haltung des einzelnen Bürgers, sondern, wie schon der Kontrast zum »zaristischen Absolutismus« als drohender äußerer Gefahr zeigt und die Parallelisierung mit Treitschkes Verheißung 1870 (Reich und Bürger) belegt, ein System:95 das zu bewahrende Reich mit künftig größerer Freiheit seiner Bürger. Die Wirkung dieser »erschütternde[n] Ansprache« bezeugt das Tagebuch des Heidelberger Mediävisten Karl Hampe, der danach »sein Teil« zur Verteidigung des Vaterlandes beitragen wollte: »Wenn jeder seine Pflicht tut, so kann die Nation nicht unterliegen!«96 Damit hatte eine der ersten Professorenreden eine Reihe von Anliegen der kommenden Jahre bereits vorweggenommen: Die Bewahrung der Einigkeit des Volkes, Deutung der Situation und Stärkung der Tapferkeit als Aufgabe der Professoren – aber auch die Bewahrung des Reichs und dessen Reform (zu welcher sich im Lauf des Krieges noch viele Kollegen ›bekehren‹ sollten). Dem widmeten sie sich auf vielfältige, schon häufig dargestellte Weise: mit Kriegspublizistik und Kriegsvorträgen zur Stärkung der Kämpfer und der Daheimgebliebenen, mit Manifesten, die sie an ihre Kollegen im Ausland richteten und schließlich mit ihrer Beteiligung an der Kriegszieldebatte, die sich von der Kontroverse über Annexionen (1915) bis zur Uneinigkeit über die künftige Gestaltung des Reichs (in der zweiten Kriegshälfte) entwickelte.
Die Verteidigung des Reichs mit der Feder: Rechtfertigung der Kriegführung Die Inhalte der Gelehrtenmanifeste vom Herbst 1914 wurden schon häufig dargestellt. Dabei ist vor allem der Aufruf An die Kulturwelt!, der, von 93 renommierten Gelehrten und Künstlern unterzeichnet, die deutschen Truppen gegen ausländische Vorwürfe der Kriegsverbrechen in Schutz nahm, Gegenstand größten Befremdens der Zeitgenossen wie später auch der Forscher gewesen: Unverständlich schien die völlig unkritische Haltung der Gelehrten, fassungs95 Zitat: Troeltsch, Nach Erklärung der Mobilmachung, S. 10; abwegige Interpretation: Flasch, Geistige Mobilmachung, S. 43 f. »Er sah, daß es damit nicht so weit her war, und so verfiel er auf den Begriff der ›inneren‹ Freiheit. (…) Troeltsch sagte nicht, worin diese bestehen sollte, wohl aber, was er als Gegengabe von den zurückgekehrten Soldaten verlangte (…)«. Es folgen die bereits zitierten Partien. 96 Karl Hampe, Kriegstagebuch 1914–1919, hg. von Folker Reichert und Eike Wolgast, München 2004, S. 92 f. (2.8.1914, notiert unmittelbar nach der Versammlung und in Abgrenzung zu der »vielleicht zu schlicht[en]« Rede Gotheins, der »kein Redner [sei], der die Herzen erschüttern könnte«, und zum »sehr klug und mit guter Steigerung« sprechenden Oncken, obwohl dieser »bei solchen Gelegenheiten [einen] etwas hohlen Ton« habe).
262 Die Universitäten im Kriegseinsatz los machte der (angeblich) durch diesen Aufruf verursachte Zusammenbruch der internationalen Gelehrtenrepublik.97 Diesen Text unterzeichneten Gelehrte, die bezüglich der Kriegsziele bald in entgegengesetzten Lagern stehen sollten.98 Mancher Zeitgenosse, sogar der im Nationalsozialismus vertriebene Berliner Kunsthistoriker Werner Weisbach, konnte sich die Unterschriften liberaler und »linksstehender Unterzeichner« nur durch »Druck« von »Regierungsstellen« erklären. Und später konnte er sich offenbar gar nicht mehr vorstellen, daß auch der aus der Schweiz stammende Romanist Morf unterzeichnet hatte – vielleicht aufgrund von dessen baldigem Eintreten für rigorose Wissenschaftlichkeit im Studium durch Absehen von den Kriegsereignissen.99 Ausdrücklich hält Weisbach fest: »Zu denen, welche ihre Unterschrift verweigert hatten, gehörte der Romanist Prof. Heinrich Morf.«100 Die Quellen belegen das Gegenteil: Morf hat sich, zusammen mit einigen anderen Berliner Kollegen – Heusler, von Liszt, Kipp, Riehl –, sogar an den Vorbereitungen des Aufrufs beteiligt. Allerdings hat er sich, zusammen mit dem anderen Schweizer, dem Altgermanisten und Skandinavisten Andreas Heusler, darum bemüht, die zugrundeliegenden Informationen zu hinterfragen bzw. abzusichern.101 Doch auch wenn Morf später bedauerte, hier nicht mehr bewirkt und die Formulierungen nicht stärker abgemildert zu haben – unterschrieben hatte er trotzdem. Daraufhin wurde er nicht nur von den französischen Kollegen isoliert und angegriffen; auch seine Schweizer Landsleute wandten sich von ihm ab.102 Wie Deutschland sich »in dem ihm aufgezwungenen schweren Daseinskampfe« mit Waffen zu verteidigen habe, so mußte es sich nach Auffassung der Unterzeichner des Aufrufs An die Kulturwelt! auch in der begleitenden Propaganda gegen »Lügen und Verleumdungen« der Feinde wehren. In sechs Abschnitten, die alle mit »Es ist nicht wahr« begannen, bemühten sich die Schriftsteller und Gelehrten, die »Entstellungen und Verdächtigungen« zu widerlegen. Deutschland habe den Krieg nicht »verschuldet«, sondern im Gegenteil bis zuletzt »abzuwenden« versucht. »Erst als eine schon lange an den Grenzen lauernde Übermacht von drei Seiten über unser Volk herfiel, hat es sich erhoben
97 S. dazu vor allem vom Brocke, ›Wissenschaft und Militarismus‹, S. 667–679 (mit zahlreichen Nachweisen). 98 Diese Beobachtung ähnlich schon bei Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 23: Sowohl Reinhold Seeberg und Eduard Meyer einerseits als auch Adolf von Harnack und Lujo Brentano andererseits unterzeichneten den Aufruf. 99 Siehe u. S. 899. 100 Weisbach, Geist und Gewalt, S. 127. 101 Ungern-Sternberg/Ungern-Sternberg, Aufruf ›An die Kulturwelt!‹, S. 23–25, 54. 102 Erhard Lommatzsch, Heinrich Morf, in: Archiv für das Studium der neueren Sprachen 142 (1921), S. 78–94, hier 91. Zum Ausbleiben der Glückwünsche zu Morfs 60. Geburtstag s. die Tagebuchnotiz Sudermanns vom 7.12.1914, zit. bei Ungern-Sternberg/UngernSternberg, Aufruf ›An die Kulturwelt!‹, S. 54 A. 159.
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wie ein Mann.« Deutschland habe die Neutralität Belgiens nicht »freventlich« verletzt, sondern nur der von Frankreich und England geplanten Verletzung zuvorkommen müssen, um seine eigene Vernichtung zu verhindern. Allenfalls in »bitterste[r] Notwehr« gegen »Meuchelmörder« hätten deutsche Soldaten »Leben und Eigentum« belgischer Bürger angetastet – als »gerechte Strafe«. Auch in Löwen hätten die deutschen Truppen »durch Beschießung eines Teils der Stadt schweren Herzens Vergeltung üben müssen«, da sie von einer »rasenden Einwohnerschaft« »heimtückisch« überfallen worden seien. Dabei hätten sie aber das Rathaus der Stadt sogar »mit Selbstaufopferung« vor den Flammen bewahrt. Die deutsche Kriegführung mißachte nicht das Völkerrecht. »Sie kennt keine zuchtlose Grausamkeit« – im Gegensatz zu den »russischen Horden«, die Frauen und Kinder »hingeschlachtet« hätten. Abschließend wandten sich die Gelehrten und Künstler gegen die »heuchlerisch[e]« Behauptung der Gegner, sie bekämpften nicht die deutsche Kultur, sondern [nur] den deutschen Militarismus. »Ohne den deutschen Militarismus wäre die deutsche Kultur längst vom Erdboden vertilgt. Zu ihrem Schutz ist er aus ihr hervorgegangen in einem Lande, das jahrhundertelang von Raubzügen heimgesucht wurde wie kein zweites. Deutsches Heer und deutsches Volk sind eins.«
Mit diesem Aufruf wandten sich die Unterzeichner an ihre Kollegen in den neutralen Ländern, die bisher mit ihnen »gemeinsam (…) den höchsten Besitz der Menschheit gehütet« hätten, und forderten sie auf: »Glaubt uns! Glaubt, daß wir diesen Kampf zu Ende kämpfen werden als ein Kulturvolk, dem das Vermächtnis eines Goethe, eines Beethoven, eines Kant ebenso heilig ist wie sein Herd und seine Scholle.«103
Erst der genaue Nachweis, wie dieser Aufruf und der Kreis seiner Unterzeichner zustande gekommen war, machte vor einigen Jahren verständlich, warum sich ausgewiesene Liberale und Kathedersozialisten, in der historisch-kritischen Methode erprobte Philologen und Historiker und sonst auf Verifikation und Falsifikation ihrer Hypothesen setzende Naturwissenschaftler darauf hat103 Text mit Unterzeichnerliste: Faksimile aus dem BT vom 4.10.1914 MiA bei vom Brocke, ›Wissenschaft und Militarismus‹, S. 718; Wiederabdruck bei Hermann Kellermann (Hg.), Der Krieg der Geister. Eine Auslese deutscher und ausländischer Stimmen zum Weltkrieg, Dresden 1915, S. 64–66; Separatum im Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Bestand Preußische Akademie der Wissenschaften, II-XII-31, Bl. 41–42: http://planck.bbaw.de/onlinetexte/Aufruf_An_die_Kulturwelt. pdf; nur der Text bei Klaus Böhme (Hg.), Aufrufe und Reden deutscher Professoren im Ersten Weltkrieg, Stuttgart 1975, S. 47–49; synoptische Darstellung der drei Entwürfe (inklusive der Druckfassung) bei Ungern-Sternberg/Ungern-Sternberg, Aufruf ›An die Kulturwelt!‹, S. 223–230.
264 Die Universitäten im Kriegseinsatz ten einlassen können, einen solchen Text zu unterschreiben: Es handelte sich im Kern um einen Kreis von Männern, die früher im Kampf gegen drohende Zensurgesetze und zur Verteidigung der Freiheit der Künste zusammengewirkt hatten und deshalb glaubten, sich aufeinander verlassen zu können. Daher unterzeichnete eine ganze Reihe von ihnen, ohne den Text zu kennen, einfach auf die (teilweise oder sogar »meist« telegraphische) Aufforderung ihrer Kollegen hin.104 Max Planck z. B. hatte, da er auf Reisen war und man »ihm besondere Dringlichkeit nahe gebracht« hatte, seine Kinder zur Unterschrift in seinem Namen autorisiert. (Das bezeugten Lise Meitner und Albert Einstein.)105 Damit aber übernahmen die Unterzeichner die Verantwortung für ein Vorgehen, das sie nicht kontrollieren konnten und für dessen Beurteilung ihnen auch die Kompetenz fehlte. »An die Stelle des Beweises tr[a]t in diesem Manifest die Überzeugung, der Devise folgend, daß ›nicht kann sein, was nicht sein darf‹.«106 Der im September entworfene, in zehn Sprachen übersetzte und schon an Tausende Kollegen im neutralen Ausland verschickte Aufruf wurde am 4. Oktober auch in allen großen Tageszeitungen des Reichs veröffentlicht.107 Der Chefredakteur des Berliner Tageblatts, Theodor Wolff, der täglich ausländische Zeitungen studierte und zu deren Darstellungen auch Briefe von Auslandsdeutschen und Ausländern erhielt, die bedauerten, »daß wir aufgehört hätten, eine Kulturnation zu sein«, notierte dazu in seinem Tagebuch: »Als Gegenbewegung haben sich nun hier, sehr ungeschickt organisirt, allerlei Vereinigungen gebildet, die ›die Wahrheit in’s Ausland‹ tragen wollen. Lauter Leute, die nichts davon verstehen, sich aber, da sie zu Hause geblieben sind, betätigen oder in den Vordergrund schieben möchten. Die ›Intellektuellen‹ haben einen ›Aufruf an die Kulturwelt‹ ergehen lassen, in dem sie die Garantie dafür übernehmen, daß kein deutscher Soldat einer Schandtat fähig sei. Mit absoluter Bestimmtheit äußern sie sich auch über die Ursprünge des Krieges. Natürlich müssen all’ solche Kundgebungen und Darstellungen unwirksam bleiben u. es wird nur das Gegenteil des beabsichtigten Zweckes mit ihnen erreicht, weil sie von Unkenntnis zeugen und nicht ›la part du feu‹ machen.«
104 So, stark vereinfacht, die Ergebnisse der akribischen Studie von Ungern-Sternberg/Ungern-Sternberg, Der Aufruf ›An die Kulturwelt!‹ Zitat: Hans Wehberg, Wider den Aufruf der 93! Das Ergebnis einer Rundfrage an die 93 Intellektuellen über die Kriegsschuld, Charlottenburg 1920, S. 8. 105 Lorenz Friedrich Beck, Max Planck im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, in: Lorenz Friedrich Beck (Hg.), Max Planck und die Max-Planck-Gesellschaft. Zum 150. Geburtstag (…) aus den Quellen zusammengestellt (….), Berlin 2008, S. 19–33, hier 29. Weitere Beispiele für telegraphische Bitte um Unterschrift ohne vorherige Lektüre des Texts bei Wehberg, Wider den Aufruf der 93!, S. 8 und 38. 106 Ungern-Sternberg/Ungern-Sternberg, Der Aufruf ›An die Kulturwelt!‹, S. 51 (Hervor hebung T. M.). 107 vom Brocke, ›Wissenschaft und Militarismus‹, S. 654.
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Der besser informierte Wolff kannte nicht nur Nachrichten vom deutschen Rückzug an der Marne, sondern auch einen Armeebefehl, den er »nicht an die Oeffentlichkeit gebracht sehen« wollte: zur sofortigen Erschießung von Geiseln, falls nach der Aufforderung zur Abgabe von Waffen solche doch noch gefunden werden sollten. »Unbegreiflich« fand er, »daß die ersten ›Denker‹ Deutschlands Bürgschaft dafür leisten wollen, daß in einem solchen Kriege alles gerecht u. ordnungsgemäß zugegangen, daß in einem Millionenheere, wo auch, wie in jedem, üble Gestalten mitmarschiren, keine Brutalität vorgekommen sei. (…) Der Krieg macht fast alle kritiklos, es ist ein allgemeines Gemeinplätzeln und eine schwammige Gedankenlosigkeit.«108
In seiner Einschätzung, daß der Aufruf kontraproduktiv sei, sah Wolff sich bald bestätigt: »Die deutschen ›Intellektuellen‹« hätten mit diesem Aufruf die »Neutralen nur noch mehr gereizt«. Diplomatischer als in diesem TagebuchNotat drückte er sich in seiner Zeitung aus.109 Daß Wolff sich immer noch auf diesen Aufruf bezog, obwohl inzwischen auch (am 16.10.1914) die Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reichs und am folgenden Tag die Kundgebung der Universitäten des Deutsches Reiches an die Universitäten des Aus lands veröffentlicht worden waren, belegt die überragende Bedeutung des Aufrufs An die Kulturwelt!, die in dessen erlesener Unterzeichnerschar gründete. Schließlich waren darunter nicht nur Direktoren der Kaiser-Wilhelm-Institute, sondern auch acht Nobelpreisträger (d. h. alle noch lebenden deutschen mit einer Ausnahme).110 Die Beobachtung, daß von den 93 Unterzeichnern 58 Professoren und von diesen wiederum 22 Naturwissenschaftler waren,111 könnte zu irrigen Schluß-
108 Theodor Wolff, Tagebücher 1914–1919. Der Erste Weltkrieg und die Entstehung der Weimarer Republik in Tagebüchern, Leitartikeln und Briefen des Chefredakteurs am ›Berliner Tageblatt‹ und Mitbegründers der ›Deutschen Demokratischen Partei‹. Hg. von Bernd Sösemann. Zwei Teile, Boppard 1984, Eintrag vom 8.10.1914, in: I, S. 103–107, hier 104–106. 109 Tagebucheintrag vom 25.10.1914, in: Wolff, Tagebücher I, S. 112 f., Zitat 112. Vgl. dazu BT 26.10.1914 (abgedruckt in A. 4): »Vielleicht hätte eine kurze, unpolemische Erklärung stärker gewirkt.« 110 Wilhelm Röntgen (Physik 1901); Emil von Behring (Medizin 1901); Emil Fischer (Chemie 1902), Adolf von Baeyer (Chemie 1905); Philipp Lenard (Physik 1905), Rudolf Eucken (Literatur 1908; Prof. für Philosophie in Jena); Wilhelm Ostwald (Chemie 1909); Wilhelm Wien (Physik 1911); außerdem von den Schriftstellern Gerhart Hauptmann (Literatur 1912). Folgende Unterzeichner erhielten später den Nobelpreis: Richard Willstätter (Chemie 1915), Max Planck (Physik 1918–1908 war er schon einmal vorgeschlagen gewesen), Fritz Haber (Chemie 1918), Walter Nernst (Physik 1920). Von den noch lebenden deutschen Nobelpreisträgern scheint nur Otto Wallach (Chemie 1910) nicht unterzeichnet zu haben. 111 vom Brocke, ›Wissenschaft und Militarismus‹, S. 658.
266 Die Universitäten im Kriegseinsatz folgerungen führen. Betrachtet man die Fächer genauer, so waren in den 22 »Naturwissenschaftlern« offenbar auch sieben Mediziner und ein Mathematiker eingerechnet. Unter den 36 anderen waren protestantische und katholische Theologen mit 12 Unterzeichnern stark überrepräsentiert – besonders, wenn man bedenkt, wie klein diese Fakultät(en) in jeder Universität war(en).112 Nur schwach vertreten waren die Juristen mit drei Unterzeichnern, etwas stärker die Nationalökonomen bzw. Staatswissenschaftler mit vier. (Da dieses Fach an manchen Universitäten zur Philosophischen, an anderen zur Juristischen Fakultät gehörte, werden sie hier und im folgenden jeweils separat gezählt.) Geisteswissenschaftler im eigentlichen Sinn finden sich in der Unterzeichnerliste 17.113 Offenbar hatte man auf fachliche – und, der zu Kriegsbeginn noch inkludierenden Vorstellung der ›Volksgemeinschaft‹ entsprechend – regionale und konfessionelle Breite geachtet. Neben katholischen Theologen (und anderen katholischen Wissenschaftlern) fanden sich auch einige Juden unter den Unterzeichnern, letztere allerdings nur als Vertreter der Künste.114 Von den hier untersuchten Universitäten war die Berliner als hauptstädtische mit 24 Unterzeichnern besonders stark vertreten, die Straßburger mit dreien relativ schwach, doch die Gießener überhaupt nicht. Dabei waren unter den Berlinern einige gebürtige Ausländer: neben den Schweizern Morf und Heusler und den Österreichern Liszt und Riehl noch der österreichische Anglist Brandl, die Deutschbalten (also gebürtigen russischen Untertanen) Harnack und Seeberg sowie der niederländische Sinologe de Groot. Den Fächern nach entfielen 15 Berliner auf die Philosophische Fakultät (genau hälftig Natur- und Geisteswissenschaftler sowie ein Nationalökonom), vier auf die Medizinische, drei auf die Theologische und zwei auf die Juristische. Die drei Straßburger waren der katholische elsässische Kirchenhistoriker Albert Ehrhard, der 112 Eingerechnet sind hier auch die vier Kirchenhistoriker, da sie zur Theologischen Fakultät gehörten und auch ihrem Bildungsgang nach Theologen waren. Vgl. u. S. 277 f. 113 Außer den hier gezählten enthält die Liste noch einige Unterzeichner, die offenbar ›nur‹ über einen Professorentitel verfügten und ansonsten nicht näher bezeichnet sind, etwa den berühmten Architekten Peter Behrens oder den Schauspieler und Direktor des Deutschen Theaters Max Reinhardt, den Direktor des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe, Justus Brin[c]kmann, sowie den Architekten und Begründer des Grabungswesens Wilhelm Dörpfeld (ehemals Deutsches Archäologisches Institut Athen, bei Kriegsbeginn Berlin). Eine etwas abweichende Auszählung bei Wehberg, Wider den Aufruf der 93!, S. 18. Zumindest in einem Fall liegt dort eine Verwechslung vor: Er führt unter den »5 Kunstschriftsteller[n]« »Alois Brandt« an. Doch belegen sowohl das Faksimile als auch der Nachdruck bei Kellermann, daß es sich um »Alois Brandl, Professor, Vorsitzender der Shakespeare-Gesellschaft, Berlin«, also den Anglisten der Universität handelt. 114 So der Dramatiker Ludwig Fulda, der Maler Max Liebermann, der Schauspieler und Regisseur Max Reinhardt. Fritz Haber, der von Zeitgenossen und Historikern oft ver einfacht als Jude betrachtet wird, war damals schon seit über 20 Jahren Protestant.
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seit 1872 in Straßburg lehrende reformierte Schlesier jüdischer Herkunft Paul Laband (Staatsrechtler) und der der Universität oktroyierte katholische Historiker Martin Spahn. Nur eine einzige Ablehnung der Unterschrift ist gesichert, die des Göttinger Mathematikers David Hilbert. Doch mag es andere gegeben haben.115 Man würde etwa erwarten, daß auch der neunte deutsche Nobelpreisträger zur Beteiligung aufgefordert wurde. So läßt sich bezüglich ›fehlender‹ Prominenter letztlich nicht klären, ob sie nicht gefragt wurden, zu spät antworteten oder ablehnten. Andererseits zogen z. B. der Berliner Astronom Wilhelm Foerster und der Breslauer Mediziner Albert Neisser ihre Unterschrift zurück, sobald sie den Text kennengelernt hatten. Foerster beauftragte später den Völkerrechtler Wehberg, der nach dem Krieg eine Enquête bei den Unterzeichnern durchführte, »zu erklären, daß er den in Rede stehenden Aufruf nicht gebilligt habe und daß seine Unterschrift unter denselben ohne seine ausdrückliche Zustimmung veröffentlicht worden sei«.116 Eine öffentliche Distanzierung brachte Max Planck im Frühjahr 1916 auf den Weg: Er schrieb an einen der größten Physiker jener Zeit, den Leidener Hendrik Antoon Lorentz (der sich zusammen mit einem Norweger und einem Dänen Anfang 1915 darüber geäußert hatte, was sie »der deutschen Wissenschaft verdank[t]en«) und bat ihn, seinen Brief zu veröffentlichen. Lorentzens Vorschlägen entsprechend formulierte er einige Passagen noch um. Den »unzutreffenden Vorstellungen von der Gesinnung der Unterzeichner«, zu denen die Formulierungen Anlaß gegeben hätten, hielt Planck entgegen, daß der Aufruf zur Zeit seiner Abfassung »nichts anders [! habe] bedeuten [können], als einen Akt der Abwehr: vor allem der Verteidigung des deutschen Heeres gegen die wider dasselbe erhobenen bitteren Klagen, und ein erdrückliches [!] Bekenntnis, daß die deutschen Gelehrten und Künstler ihre Sache nicht trennen wollen von der Sache des deutschen Heeres. Denn das deutsche Heer ist nichts anderes als das deutsche Volk in Waffen, und wie alle Berufsstände, so sind auch die Gelehrten und Künstler unzertrennlich mit ihm verbunden.«
Jene Formulierungen zur Schuldlosigkeit der deutschen Soldaten und zur Nichtverantwortlichkeit Deutschlands für den Krieg, die viele auf fehlende Kritikfähigkeit, ja Verblendung hatten schließen lassen, relativierte Planck mit der Andeutung, daß Selbstverständlichkeiten nicht gesondert erwähnt worden seien – und ließ am Ende doch wieder die Nicht-Schuld Deutschlands anklingen: 115 Ungern-Sternberg/Ungern-Sternberg, Der Aufruf ›An die Kulturwelt!‹, S. 27 A 43. 116 Ungern-Sternberg/Ungern-Sternberg, Der Aufruf ›An die Kulturwelt!‹, S. 72; Zitat: Wehberg, Wider den Aufruf der 93!, S. 8.
268 Die Universitäten im Kriegseinsatz »Daß wir freilich nicht für jede einzelne Haltung eines jeden Deutschen, sei es im Kriege, sei es im Frieden, einstehen können, will ich gern noch besonders hervor heben, obwohl ich dies für ebenso selbstverständlich halte, wie, daß wir über die großen Fragen der geschichtlichen Gegenwart nicht schon jetzt im wissenschaftlichen Sinne abschließendes Urteil besitzen. An welchen Stellen die erste Verantwortung für das Scheitern der Friedensbemühungen und für alles angerichtete menschliche Leid einmal haften bleiben wird, das kann nur eine spätere allseitige objektive Prüfung entscheiden, deren Ergebnis wir mit ruhigem Gewissen [!] entgegensehen. Für jetzt ist uns Deutschen, so lange dieser Krieg noch währt, nur die eine Aufgabe gestellt, dem Vaterlande mit allen Kräften zu dienen.«
Daß dies, ebenso wie die »glühende Liebe« zum Vaterland, mit der »Pflege dieser internationalen Kulturgüter« [der geistigen und sittlichen Welt] und der »persönliche[n] Achtung von Angehörigen eines feindlichen Staates« vereinbar sei, betonte Planck ausdrücklich. Außerdem teilte er mit, daß manche seiner Kollegen – er nannte Harnack, Nernst, Waldeyer und Wilamowitz-Moellendorff – seine Auffassung »im wesentlichen« teilten.117 Der Brief wurde im April 1916 im Handelsblad veröffentlicht – und als »Drahtmeldung« von dort dann auch in der Vossischen Zeitung.118 Nach dem Krieg waren weitere Berliner Gelehrte zur öffentlichen Distanzierung bereit, so der Chemiker Emil Fischer und der Strafrechtler Franz von Liszt – allerdings nur, wenn alle (noch lebenden) Unterzeichner sich daran beteiligten. Dagegen wollten der Althistoriker Eduard Meyer und der einstige Berliner, 1914 nach Hamburg berufene Max Lenz auch dann noch an dem Aufruf festhalten.119 Die Zusammengehörigkeit von Heer und Volk verstand sich aufgrund der allgemeinen Wehrpflicht eigentlich von selbst; doch in den Gelehrtenaufrufen wurde ihre ›Einheit‹ geradezu beschworen. An dem in der Erklärung der Hoch schullehrer des Deutschen Reichs noch weiter ausgestalteten Gedanken wurde besonders am Nachsatz deutlich, warum gerade dieses Thema die Lehrenden so umtrieb: »In dem deutschen Heere ist kein anderer Geist als in dem deutschen Volke, denn beide sind eins, und wir gehören auch dazu.« Sie wollten Teil des Ganzen sein und teilhaben an dessen Kampf. Indem Heer und Volk in eins gesetzt wurden, waren quasi auch sie, die zuhause geblieben waren, an der ›eigentlichen‹ Kriegführung beteiligt. Dies wurde untermauert mit den folgenden 117 Der Brief ist in der veröffentlichten Form (samt Varianten des ursprünglichen Entwurfs) abgedruckt bei John L. Heilbron, Max Planck. Ein Leben für die Wissenschaft 1858– 1947, Stuttgart 1988, S. 83. Zu Lorentz’ früherer Stellungnahme s.: Was wir der deutschen Wissenschaft verdanken, in: Vossische Zeitung 1, 1.1.1915, Ausschnitt in: GStAPK Rep 76 V c: Wissenschaft Sekt 1 Tit. 11 Teil VII Nr. 41 Bd. I, fol. 28 f. 118 Abgedruckt bei Wehberg, Wider den Aufruf der 93!, S. 19 f. 119 Zu einer kollektiven Distanzierung wäre auch Max Reinhardt bereit gewesen (alle Belege bei Wehberg, Wider den Aufruf der 93!, S. 10 f.). Zur unmittelbaren Kritik und dem Versuch eines Gegenaufrufs s. u. S. 53.
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Sätzen, die das Ineinandergreifen von militärischer Ausbildung und Wissenschaft herausstellen: »Der Dienst im Heere macht unsere Jugend tüchtig auch für alle Werke des Friedens, auch für die Wissenschaft« (also das, was die Aufgabe der Hochschullehrer war), denn er erziehe zu »selbstentsagender Pflichttreue« und vermittle ihr »das Selbstbewußtsein und das Ehrgefühl des freien Mannes, der sich willig dem Ganzen unterordnet.«120 Diese Parallelität und Komplementarität von Militär und Universität war jedoch kein neuer, vom Krieg eingegebener Gedanke. Vielmehr hatte gerade der Berliner Militärhistoriker Delbrück diese Vorstellung schon seit einigen Jahren kultiviert: 1910 hatte er in der historischen Einleitung zu einem von zwei Generälen herausgegebenen Buch dargelegt, daß es ohne stehendes Heer keinen Nationalstaat und keine moderne Kultur gebe. Der »Soldat, der den Frieden schafft«, war ihm »der unentbehrlichste Träger der Kultur«. 1912 hatte Delbrück im Festakt der Universität zum Kaisergeburtstag dann die Organisationsfähigkeit als notwendige Ergänzung der kriegerischen Tugenden und beide zusammen als Voraussetzung des Sieges definiert. Jede Organisation aber (also auch die militärische) stelle »objektiven Geist« dar. Diese Darlegungen verstand Delbrück als neuen Kommentar zu dem »alten, uns von Kindheit her vertrauten [!] Zusammenklang ›Waffen und Wissenschaft‹«.121 Indem sie Heer und Volk identifizierten, gingen die Hochschullehrer nun einen Schritt weiter. Aber zugleich fungierte das »und wir gehören auch dazu« nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, als Erklärung (oder gar ›Entschuldigung‹) für ihre Rechtfertigung der deutschen Kriegführung im Aufruf An die Kulturwelt!, sondern war Ausfluß ihres eigenen Bedürfnisses nach Zugehörigkeit und Teilnahme. Eingangs hieß es, daß die Lehrenden der Wissenschaft dienten und »ein Werk des Friedens« trieben. Gegen Ende der Erklärung wird dem Heer der Kampf »für Deutschlands Freiheit und damit für alle Güter des Friedens und der Gesittung nicht nur in Deutschland« zugeschrieben. Damit sichert es auch das »Werk« der Gelehrten, das diese durch die supranationale Wissenschaft geschaffen haben. In dieser Konstruktion kämpft das Heer für die Bewahrung der Kultur auch auf internationaler Ebene. Im Aufruf An die Kul turwelt! hatten die Dichter und Gelehrten den Begriff »Militarismus«, der bislang negativ konnotiert gewesen war, im positiven Sinn gebraucht – und ohne Anführungszeichen. Nun, weniger als einen Monat später, waren sie vorsichtiger geworden und sprachen eingangs von »dem, was sie [Deutschlands Feinde] Militarismus nennen« und dem »Geiste der deutschen Wissenschaft« entgegensetzen. Am Ende dann identifizieren sie selbst »de[n] deutsche[n] ›Militaris120 Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches, o. O. o. J., hier zit. nach der deutsch-italienischen Ausgabe, die »Berlin, 23. Oktober 1914« datiert ist. 121 Genaueres und Nachweise bei Maurer, Universitas militans, S. 64 f. Zu »Wehrkraft und Wissenschaft« als zwei Pfeilern der Größe Deutschlands bei Harnack s. o. S. 53.
270 Die Universitäten im Kriegseinsatz mus‹« (nun in Anführungszeichen!), mit »Manneszucht, (…) Treue, (…) Opfermut des einträchtigen freien deutschen Volkes.« Eine positive Resonanz fand der »gemeinsame Protest gegen die Beschimpfung des deutschen Heeres durch die Auslandspresse« in der von Friedrich N aumann herausgegebenen Hilfe. Dort erschien seit Kriegsbeginn parallel zu der von ihm selbst verfaßten »Kriegschronik« die von Gertrud Bäumer verfaßte »Heimatchronik«. Bäumer, selbst in Berlin in Germanistik promoviert, inzwischen Vorsitzende des Bundes Deutscher Frauenvereine, war schon seit 1912 für den Kulturteil der Hilfe zuständig. Sie notierte: »Es ist ganz gut, wenn das militärische und das geistige Deutschland sich zueinander bekennen und das unkundige Geschwätz auch der gebildeten Neutralen von einer Kluft zwischen beiden deutlich Lügen strafen.«122 Kurz danach wurde noch ein dritter Aufruf publiziert: Die Universitäten des Deutschen Reiches an die Universitäten des Auslands. Er trägt zwar die gedruckte Datierung »Im September 1914«, wurde aber erst ab dem 17. Oktober, also später als die beiden anderen, der deutschen Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht.123 Da er von den nun 22 Universitäten – die Frankfurter war soeben eröffnet worden – als Institutionen ausging, mußte erst die Zustimmung aller Senate und Rektoren eingeholt werden. Doch manche Universitäten hatten Bedenken, so Halle, Heidelberg und Jena. Da das Auswärtige Amt aber auf rasches Zustandekommen drängte, gaben sie ihren Widerstand bald auf.124 Wie im Aufruf An die Kulturwelt! ging es auch in diesem Text um die Zurückweisung der ausländischen Vorwürfe. Doch werden diese nicht als kriegsbedingt, sondern als Fortsetzung eines schon Jahre währenden »Feldzug[s] systematischer Lüge und Verleumdung (…) gegen das deutsche Volk und das deutsche Reich« dargestellt. Die deutschen Universitäten wenden sich an die ausländischen als ihre bisherigen Partner und »rufen« jene Gelehrten dort, die Deutschland aus eigener Erfahrung kennen, »zu Zeugen auf, ob [!] es wahr sein kann, was unsere Feinde erzählen [!]«. Schon diese Formulierung belegt, wie ungeschickt der Text formuliert ist. Darüber hinaus aber ist er äußerst weitschweifig, und verschiedene Satz-Ungetüme sind selbst für deutsche Muttersprachler unübersichtlich.125 Deshalb ist die Vermutung geäußert worden, daß sich eine Gruppe von Berlinern Künstlern und Gelehrten zu einem wirkungsvolleren Appell ent122 Friedrich Naumann/Gertrud Bäumer, Kriegs- und Heimatchronik. Bd. 1: August 1914 – Juli 1915. Bd. 2: August 1915 – Juli 1916, Berlin 1916–1917, hier I, S. 76. 123 vom Brocke, ›Wissenschaft und Militarismus‹, S. 656 (mit mehreren die Datierung be legenden Veröffentlichungsnachweisen in A. 8). 124 Grüner, Die Universität Jena während des Weltkrieges, S. 78 f.; zur ursprünglichen Ablehnung des Heidelberger Senats: Jansen, Professoren und Politik, S. 109 f. 125 Die Universitäten des Deutschen Reiches an die Universitäten des Auslands, o. O. o. J. (2 Blätter im Folio-Format); auch unter http://epub.ub.uni-muenchen.de/10680/1/W_4_ Don._8–43_65.pdf (4.1.2012).
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schlossen habe, dessen Ergebnis der Aufruf An die Kulturwelt! sei.126 Dies wird jedoch durch die Chronologie widerlegt. Die Tübinger Initiative für die gemeinsame Erklärung aller Universitäten datiert vom 18. September und wurde z. B. in Gießen am 22., in Berlin am 23. angenommen.127 Damals waren aber sowohl der Aufruf An die Kulturwelt! als auch die Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches schon entworfen.128 Und die Initiative für die Erklärung hatte eine Gruppe von Berliner Professoren (darunter auch Eduard Meyer) am 17. September ergriffen. Wilamowitz hatte sie verfaßt, Dietrich Schäfer organisierte die Unterschriftensammlung.129 Insofern hatten offenkundig Hochschullehrer an verschiedenen Orten zur selben Zeit ähnliche Ideen, die sich nur in der Ausführung deutlich unterschieden. Im Appell der Universitäten des Deutschen Reiches werden nach einem Satz, der sich als Vorform der behaupteten Einheit von Heer und Volk lesen läßt,130 die Adressaten auch noch daran erinnert, »daß unser Heer kein Söldnerheer ist, daß es die ganze Nation vom ersten bis zum letzten umfaßt, daß es von den besten Söhnen des Landes geführt wird, und daß auch zu dieser Stunde in seinen Reihen Tausende aus unserer Mitte, Lehrer wie Schüler, als Offiziere und Soldaten auf russischen und französischen Schlachtfeldern für ihr Vaterland bluten und fallen«.
Damit aber wiesen die zuhause gebliebenen Gelehrten, die diesen Text ver faßten oder annahmen, sozusagen unbeabsichtigt darauf hin, daß sie selbst solche Gefahr nicht zu bestehen hatten. Diese Ungeschicktkeit wurde in den bei126 vom Brocke, ›Wissenschaft und Militarismus‹, S. 656 f. 127 Paletschek, Tübinger Hochschullehrer im Ersten Weltkrieg, S. 87 mit A. 19; Ergebnisprot. der Sitzung der Gießener KK vom 22.9.1914: UA Gi Allg. 102, fol. 8; Ergebnis der Berliner Senatssitzung 23.9.1914: UA HU Phil. Fak. 34, fol. 278. 128 Der Aufruf wurde ab spätestens 13. September vorbereitet, das Redaktionskomitee bearbeitete den Entwurf am 17. und 18. September. Abgesendet wurde der Wortlaut am 19. September vormittags (Ungern-Sternberg/Ungern-Sternberg, Der Aufruf ›An die Kulturwelt!‹, S. 23–26). 129 Ungern-Sternberg/Ungern-Sternberg, Der Aufruf ›An die Kulturwelt!‹, S. 66 mit A. 200. Versandt wurde sie (wohl in Tausenden von Exemplaren, die erst noch gedruckt werden mußten) allerdings etwas später. S. dazu zwei Folio-Blätter (26.9.1914), auf denen die Berliner Unterzeichner die Kollegen der übrigen deutschen Hochschulen um ihre Unterschrift für die Erklärung bitten. Die Berliner Unterschriftenliste stimmt mit der später publizierten überein. Diese zwei Folio-Blätter sind dem Exemplar der Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reichs (NSUB Göttingen 4° Hist. un. VIII, 60 – Geschenk des Herrn Geheimrat Pietschmann) angebunden. Der am Ende stehende Text der Erklärung ist abgetrennt (und offenkundig von Pietschmann eingesandt). 130 »Wenn wir aber mit ansehen sollen, daß die neidische Bosheit unserer Feinde sich nicht schämt, unser Heer und in ihm unser ganzes Volk barbarischer Grausamkeit und sinnloser Zerstörungswut zu beschuldigen, (….) so fühlen wir, denen die Pflege mensch licher Bildung in unserem Vaterland vorzugsweise anvertraut ist, uns verpflichtet, (…), mit einer lauten Verwahrung hervorzutreten.«
272 Die Universitäten im Kriegseinsatz den anderen Texten vermieden. Als Replik auf die ausländischen Vorwürfe war daher der knappste Text, der nur noch den im Ausland gemachten Unterschied zwischen dem Deutschland der Wissenschaft und Kultur und jenem des Militarismus zu widerlegen unternahm, gewiß der schlagkräftigste: die Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reichs. Sogar in Spezialarbeiten zum Weltkrieg oder zur Gelehrtengeschichte wird diese oft mit dem Aufruf An die Kulturwelt! gleichgesetzt oder verwechselt, auch noch in jüngster Zeit – obwohl die Vorgeschichte des Aufrufs mustergültig aufgearbeitet ist und beide Texte auch in neueren Drucken zugänglich sind.131 Doch handelt es sich, auch wenn sie dasselbe Anliegen verfolgen, nicht nur um sehr unterschiedlich aufgebaute und formulierte Texte, im Aufruf konkret und wortreich, in der Erklärung knapp und eher prinzipiell; im Aufruf in einen Appell (oder eine Bitte) mündend, in der Erklärung in eine Beteuerung. Vielmehr könnte auch der Unterzeichnerkreis sich kaum stärker unterscheiden: hatten den Aufruf 93 Vertreter der wissenschaftlichen und kulturellen Elite unterschrieben, so die Erklärung ein großer Teil der gesamten deutschen Hochschullehrerschaft aus insgesamt 53 Institutionen, von der Forstakademie in Eberswalde über die Akademie für Landwirtschaft Weihenstephan, das Kolonialinstitut und Vorlesungswesen Hamburg (wohin gerade zum Sommer 1914 Max Lenz gewechselt war) über die Handelshochschule Mannheim (und eine Reihe anderer Hochschulen der genannten Typen) bis zu den 22 Universitäten. Meist wird hervorgehoben, daß fast die gesamte Professorenschaft unterschrieben habe; es ist von »der überwältigenden Mehrheit der deutschen Universitätsprofessoren« die Rede, von »neun Zehntel[n] aller Hochschullehrer«, erst neuerdings von 70 % im Reichsdurchschnitt.132
131 S. als Beispiele nur Fischer, Griff nach der Weltmacht, S. 133 A. 5; ähnlich auch noch bei Klaus Schwabe, Ursprung und Verbreitung des alldeutschen Annexionismus in der deutschen Professorenschaft im Ersten Weltkrieg, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 14 (1966), S. 105–138, hier 109. In seinem drei Jahre später erschienenen Buch (Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 22 f.) werden die beiden Texte dann (quasi schon selbstverständlich) als zwei unterschiedliche Aufrufe behandelt. Als neuestes Beispiel der Gleichsetzung s. Jens P. Ackermann, Die Geburt des modernen Propagandakrieges im Ersten Weltkrieg. Dietrich Schäfer. Gelehrter und Politiker, Frankfurt u. a. 2004, S. 162 f. Daß jemand eine Dissertation zu einem der aktivsten Kriegspublizisten und Organisatoren schreibt, ohne die grundlegenden Arbeiten von Schwabe und den Ungern-Sternbergs zu kennen, schiene unvorstellbar, hätte man nicht dieses Buch als Beweis vor sich. 132 Zitat: Schwabe, Ursprung und Verbreitung des alldeutschen Annexionismus, S. 109. Bruchzahl: vom Brocke, ›Wissenschaft und Militarismus‹, S. 652; Reichsdurchschnitt: Paletschek, Tübinger Hochschullehrer, S. 88.
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Unterzeichner und Nicht-Unterzeichner Schon für die absoluten Zahlen liegen allerdings unterschiedliche Angaben vor: 3016 Unterschriften zählte die Erklärung laut dem ersten Bericht in den Ber liner Akademischen Nachrichten, 3040 laut Straßburger Neuesten Nachrich ten, 3065 Namen in der französischen und italienischen Fassung (23.10.1914), 3500 Unterzeichner laut einem Vortrag Wilamowitz’ (20.10.1914!), »gegen 4000 Unterschriften« den Erinnerungen Dietrich Schäfers zufolge, »mehr als 4000« laut einer Angabe Delbrücks von 1915.133 Da gerundete Zahlen aus der Erinnerung (sei sie ein Jahr oder ein Jahrzehnt vom Ereignis entfernt) weniger zuverlässig sind als namentliche Listen und auch allein letztere eine Auswertung für die einzelnen Universitäten erlauben, wird im folgenden von der Namensliste der deutsch-italienischen Fassung ausgegangen. Der genaue Anteil der Unterzeichner in den einzelnen Universitäten wurde bisher nur für wenige einzelne Universitäten ermittelt: In Tübingen unterschrieben 60 % des »Lehrkörpers«, in Heidelberg 62 %, in Marburg »durchschnittlich nur noch 62 %«.134 In diesen Vergleichsrahmen sind also die Ergebnisse für die drei hier untersuchten Universitäten einzuordnen. Dabei werden, da die einzelnen Universitäten bei der Aufnahme von Nichthabilitierten bzw. Nichtprofessoren offenkundig unterschiedlich verfuhren, hier nur Privatdozenten, Extraordinarien, Ordentliche Honorarprofessoren und Ordinarien berücksichtigt (einschließlich der Emeriti135). 133 Eine Erklärung deutscher Hochschullehrer, in: Straßburger Neueste Nachrichten 251, 27.10.1914; alle übrigen Nachweise bei vom Brocke, ›Wissenschaft und Militarismus‹, S. 651 f. A. 2. Der Widerspruch zwischen der aus der Namensliste ermittelten und der von Wilamowitz drei Tage früher genannten höheren Zahl könnte sich evtl. daraus erklären, daß Wilamowitz die bis zur Drucklegung weiter gestiegene Zahl einsetzte. S. aber u. 134 Die Zitate verdeutlichen, daß bei diesen Berechnungen vermutlich verschieden vor gegangen wurde. Paletschek gibt nur das Gesamtergebnis, wobei die Gruppe nicht näher definiert ist (mit Emeriti? mit Lektoren?). Jansen legt für den gesamten Lehrkörper eine Tabelle an und errechnet nach der Auszählung die Prozentsätze sowohl für die einzelnen Fakultäten als auch für die Universität insgesamt. Dabei werden auch nebenberufliche und emeritierte Hochschullehrer einbezogen. Wettmann gibt die Zahlen für die einzelnen Fakultäten und spricht davon, daß die Erklärung (im Unterschied zur einstimmigen Unterstützung der Kundgebung an die Universitäten des Auslandes) »durchschnittlich nur noch 62 % aller Stimmen auf sich vereinigen konnte«. Das »durchschnittlich« könnte bedeuten, daß das Ergebnis aus den Prozentsätzen der (sehr unterschiedlich großen) Fakultäten ermittelt wurde und anders aussähe, wenn man die Gesamtzahl aller Hochschullehrer der Universität zugrunde legten würde. Tübingen: Paletschek, Tübinger Hochschullehrer im Ersten Weltkrieg, S. 88; Heidelberg: Jansen, Professoren und Politik, Tabelle S. 400–405, Prozentsatz der Gesamtuniversität 405; Marburg: Wettmann, Heimatfront Universität, S. 218. 135 In Gießen und Straßburg wurden die Emeriti ausdrücklich im PV ausgewiesen; im Berliner wurden sie einfach ohne jeglichen Vermerk in ihrer bisherigen Position weiter auf-
274 Die Universitäten im Kriegseinsatz Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß die Universitäten versuchten, alle ihre Mitglieder zu erreichen und zur Unterschrift aufzufordern. Gerade deshalb ist auf der letzten Seite der Erklärung vermerkt, daß zahlreiche Lehrende nicht hätten unterschreiben können, da sie zu den Waffen gerufen seien.136 Gewiß wurde mancher tatsächlich durch seinen Militärdienst daran gehindert, seine Zustimmung rechtzeitig oder überhaupt einzusenden. So standen etwa die Straßburger Ordinarien Kohlrausch und Jung (von der Juristischen Fakultät) und der Extraordinarius Wilhelm Crönert (von der Philosophischen), die alle drei die Erklärung nicht unterzeichnet hatten, schon seit Kriegsbeginn im Militärdienst. Andererseits leisteten die Historiker Karl Stählin und Walter Goetz, für die dies ebenfalls galt, ihre Unterschrift sehr wohl. Und dabei stand Goetz seit Anfang Oktober im Feld. Auch der Jurist und nationalliberale Reichstagsabgeordnete Fritz van Calker befand sich im Militär, vermutlich im Münchner Garnisonsdienst, als er unterschrieb. Dasselbe gilt (cum grano salis) für den Gießener Mathematiker Engel, der seit Mitte September als Oberleutnant und Kompanieführer beim Landsturm-Ersatz-Infanterie-Bataillon Nr. 49 (Gießen) diente.137 Auch eine ganze Reihe weiterer, im Heer befindlicher Gießener Professoren hatte unterschrieben.138 Andererseits unterzeichnete der Straßburger Internist Erich Meyer nicht, obwohl er, als 40jähriger Stabsarzt der Reserve sofort eingezogen, im Reservelazarett vor Ort diente, also gewiß erreichbar war.139 Der Berliner Ordentliche Honorarprofessor Otto von Schjerning, der Chef des Feldsanitätswesens war, hielt sich zu der Zeit, als die Unterschriften vermutlich gesammelt wurden, in Frankreich auf. Daß er (als Mitglied der Obersten Heeresleitung!) dort erreichbar war, steht außer Zweifel. Aber ob die Universität ihn mit der Unterschrift auch zu ›belästigen‹ wagte (und das Hauptquartier
geführt. S. als Beispiel Wilhelm Sieglin, der laut Asen (Gesamtverzeichnis, S. 187) seit 1914 entpflichtet war, aber in AV FWU Berlin weiterhin als Ordinarius geführt wurde (geprüft bis 1918). 136 Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches, unpag. [S. 28]. 137 Die Information, daß Calker jedenfalls im Januar 1915 und eine ganze Weile danach in München diente, stammt aus: Reinhard Mehring, Carl Schmitt. Aufstieg und Fall, München 2009, S. 27, 75, 81. Nachweise des Militärdienstes der übrigen Genannten u. in Kap. III .3. 138 Dies gilt für den einzigen Theologen im Heer, Krüger, für den Juristen Mittermaier, für den Mediävisten Robert Holzmann, den Forstwissenschaftler Heinrich Weber (allesamt Ordinarien), für den (Pharmazeutischen) Chemiker Karl Feist und den Historiker Ernst Vogt (beide nichtetatisierte Extraordinarien). Dabei ist nicht in allen Fällen zu eruieren, wo genau sie sich etwa im September/Anfang Oktober 1914 befanden. 139 S. dazu in seiner Straßburger Personalakte (die aufgrund seiner Berufung 1919 nach Göttingen dorthin überwiesen wurde) den Personalbogen [1909] (Stabsarzt) sowie Kurator Straßburg an die Kassenverwaltung des Festungslazaretts 25.9.1914: UA Göttingen Kur 5107, fol. 4, 13. S. zu seinem Dienst genauer unten Kap. II.3.
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in Koblenz dies dann weiterleitete), muß offen bleiben.140 Der Internist Wilhelm His war Konsultant bei der Etappeninspektion VIII mit Sitz in Rastenburg (Ostpreußen) und dort für seine Unterschrift offenbar erreichbar.141 Der Kriegsdienst (für den der genaue Einsatzort ohnehin oft nicht zu eruieren ist142) kann die Unterschrift also nur im Einzelfall, aber nicht generell verhindert haben. Einige Gelehrte, die bei Kriegsbeginn auf Kongreßreise waren oder sich schon seit längerer Zeit im (inzwischen evtl. sogar ›feindlich‹ gewordenen) Ausland aufhielten, waren wohl tatsächlich nicht erreichbar. So nahmen aus Berlin der Geograph Penck, der Anthropologe Luschan und der Observator (und unhabilitierte Forscher) der Sternwarte Eugen Goldstein an der dreiwöchigen Tagung der British Association for the Advancement of Science teil, die im Sommer 1914 in Australien stattfand. (Wie üblich, wurde dabei das ganze Land bereist, und die Sitzungen fanden an verschiedenen Orten statt). Luschan war anschließend bis Januar 1915 zu Forschungsreisen, auch nach Indien, beurlaubt, fuhr aber statt dessen in die damals noch neutralen USA weiter und beantragte von dort aus eine Verlängerung seines Urlaubs (zunächst auf unbestimmte Zeit, später bis April 1915).143 Dabei konnten die nicht mehr im militärpflichtigen Alter stehenden Deutschen eigentlich mit einem vom Department of External Affairs des Commonwealth of Australia ausgestellten Paß ausreisen und wurden nach dem Zeugnis eines anderen Berliner Teilnehmers in australischen und britischen Häfen, entsprechend dem zugesicherten safe conduct und der Empfehlung für Schiffspassagen, zuvorkommend behandelt. (Auch während
140 Schjerning hielt sich vom 20.–30.8.1914 im Hauptquartier in Koblenz auf, dann bis 23.9. in Luxemburg. Ab 24.9. war er in Charleville (Frankreich, kurz hinter der belgischen Grenze). Seine weiteren Aufenthaltsorte während des Krieges sind nicht mehr genau zu rekonstruieren (Robin Joppich, Otto von Schjerning (4.10.1853 – 28.06.1921). Wissenschaftler, Generalstabsarzt der preußischen Armee und Chef des deutschen Feldsanitätswesens im Ersten Weltkrieg, Diss. med. Heidelberg 1997, S. 20, 84. 141 Details dazu s. u. in Kap. III .3. 142 So stammt z. B. in der Personalakte van Calkers (ADBR 103 AL 341), die anläßlich seiner Berufung 1895 angelegt wurde, der letzte Eintrag von 1899! Zu seinem Militärdienst s. o. A. 137. 143 Ksl. Genehmigung der Beurlaubung Prof. Felix von Luschans (ohne Schmälerung der Bezüge) 10.6.1914; Generaldirektor der Kgl. Museen an Pr. KuMi 22.12.1914. Vgl. außerdem Luschans eigenen Brief an das Pr. KuMi vom 5.2.1915: Er habe wegen des Krieges seinen Plan, anthropologische Arbeiten in Neuseeland, Neuguinea und Indien zu treiben, aufgeben und von Sydney aus nach »Amerika (…) flüchten« müssen. Unterwegs hatte er einige Wochen lang 600 Schädel und 150 lebende Menschen auf Hawaii ver messen, nun »die Untersuchung von Negermischlingen aufgenommen.« Auf finanzielle Förderung seiner auch für die Lehre wichtigen Forschungen verzichtete er angesichts der derzeitigen Lage, bat aber um Verlängerung seines Urlaubs bis April unter Weiterzahlung der Dienstbezüge. Alle Quellen: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. IV, Nr. 55 Bd. V, fol. 215, 241, 245.
276 Die Universitäten im Kriegseinsatz der Tagung sei man ihnen einfühlsam und mit Respekt begegnet).144 Doch durfte Penck auf der Rückreise weder in Ägypten noch in Malta von Bord gehen, sondern mußte nach London reisen und wurde dort bis 31.12.1914 festgehalten, da man fürchtete, er könne seine ausgiebigen Beobachtungen und Fotografien von Australien dem deutschen Militär zur Verfügung stellen.145 Der Extraordinarius Fritz Jaeger hatte im Frühjahr 1914 eine Reise in die deutschen Kolonien angetreten und befand sich im Herbst 1915 (!) noch immer dort.146 Der Extraordinarius (und »wissenschaftliche Beamte« der Kirchenväterkommission der Preußischen Akademie) Karl Schmidt unternahm mit einem nicht zur Universität gehörenden Kollegen im Frühjahr 1914 eine Expedition zum Katharinen-Kloster auf dem Sinai. Auf dem Rückweg vom Krieg überrascht, mußten sie nicht nur das Expeditionsgut in Suez zurücklassen. Vielmehr verhinderten die Engländer auch die Heimreise, so daß sich Schmidt noch sechs Wochen in Kairo aufhalten mußte und daher frühestens in der zweiten Septemberhälfte nach Berlin zurückkehrte.147 Der Gießener Geograph Erich Kaiser, der erst im Juli 1914 nach Deutsch-Südwestafrika aufgebrochen war, blieb dort gar fünf Jahre.148 Der zum Wintersemester 1914/15 neu als Professor der Philosophischen Fakultät ernannte Theologe bzw. Orientalist Paul Ernst Kahle fiel auf dem 144 Dies berichten zwei Berliner Teilnehmer: der international ausgezeichnete (und dreimal für den Nobelpreis vorgeschlagene) Physiker, unhabilitierte Observator Prof. Dr. E. Goldstein, 20.11.1914, und der Geograph Albrecht Penck in einer Veröffentlichung 1915. Goldstein: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. IV, Nr. 55 Bd. V, fol. 239–241. Zur Biographie s. Klaus Hübner, Eugen Goldstein und die frühe Verwertung der Röntgenschen Entdeckung in Berlin: Eugen Goldstein zum 150. Geburtstag, Berlin 2000, bes. S. 9 f., 37–39. Albrecht Penck, Von England festgehalten. Meine Erlebnisse während des Krieges im Britischen Reich, Stuttgart 1915, S. 24 f. und 28 f. (zur Gastfreundschaft) sowie 59–61 zu seinem Besuch im Department der Äußeren Angelegenheiten (mit Text seines Geleitschreibens). 145 Ausführlich dazu: Penck, Von England festgehalten, S. 84–115 zur Reise von Australien (Abfahrt 14.9.1914) bis zur Ankunft in England (17.10.1914); 116–124 zum Verhör bei der Londoner Kriminalpolizei (durch deren Leiter, der als Mitglied der Geographischen Gesellschaft zugleich die Auskünfte beurteilen konnte und Penck schließlich seine rein wissenschaftlichen, nicht Spionageabsichten bestätigte). S. auch die Nachricht des Stellv. Dir. des Geogr. Instituts an Pr. KuMi 21.11.1914: GSt APK I. HA Rep. 76 V a Sekt. 2 Tit. IV, Nr. 53 Bd. XIV, fol. 144. 146 Dir. des Geogr. Inst. Penck an Pr. KuMi 2.10.1915: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. IV, Nr. 55 Bd. V, fol. 260. 147 Bericht des wissenschaftlichen Beamten Prof. Karl Schmidt über eine Forschungsreise nach dem Katharinenkloster auf dem Sinai, in: Sitzungsberichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften 1915, Nr. IV-VI, Öffentliche Sitzung vom 28. Januar 1915 (=S. 37–130), S. 122–125, hier 124. Ein zweiter Bericht Schmidts enthält zu dieser Frage keine weiteren Informationen (Carl Schmidt/Bernhard Moritz, Die SinaiExpedition im Frühjahr 1914, in: Sitzungsberichte der Preuß. AdW 1926, Philos.-hist. Klasse, Berlin 1926, Nr. VIII, S. 26–34). 148 S. dazu genauer u. Kap. III .3 mit A. 193.
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Rückweg von einer Studienreise im Mittelmeer einem französischen Prisenkommando in die Hände, wurde in Marseille interniert und konnte erst im November nach Gießen kommen und am 1. Dezember seinen Dienst antreten.149 Sie alle unterzeichneten nicht. Es liegt auf der Hand, daß sie während der Unterschriftensammlung nicht erreichbar waren.150 Einige weitere Nichtunterzeichner gehörten zu den seit Jahren im Ausland Lehrenden – und mochten aufgrund von Internierung (wie Horovitz in Indien) oder vielleicht schwieriger Postwege (Ficker in Brasilien) – nicht erreichbar sein.151 Ob dies allerdings auch für Bernhard Groethuysen gilt, dessen Unterschrift ebenfalls fehlt, ist fraglich: Er war am 1. August aus Paris nach Châteauroux gebracht worden, wo er allerdings (im Gegensatz zu anderen Zivilinternierten) nicht im Lager untergebracht wurde, sondern auf eigene Kosten in der Stadt leben konnte. Von dort aus korrespondierte er ausgiebig mit Margarete von Bendemann (Susman) in der Schweiz und brachte so eine Hilfsaktion für die Internierten in Gang, an der auch ihr gemeinsamer Berliner Lehrer Georg Simmel, jetzt in Straßburg, beteiligt war.152 In vielen anderen Fällen ist kein offenkundiger sachlicher Grund für die Nichtunterschrift zu ermitteln: Der Berliner Privatdozent der Theologie Cajus Fabricius z. B. war weder beurlaubt noch im Militärdienst. Auch über mögliche politische Gründe ist nichts bekannt.153 Auf diesem Hintergrund müssen die Ergebnisse sowohl der einzelnen Universitäten als auch der verschiedenen Fakultäten betrachtet werden. Dabei fallen starke Unterschiede ins Auge: Bezogen auf die gesamte Hochschullehrerschaft war die Zustimmung zur Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reichs in Berlin am höchsten: 69,2 %. An zweiter 149 Biogr. Angaben in BBKL III (1992), Sp. 943–945 (Frank Reiniger); zur genauen Da tierung ergänzend: Ludwigs-Universität 1607–1957, S. 467; das Kriegsereignis nach Kahles Bericht vom 2.12.1914: UA Gi PrA 5 (Kahle). Französische Kriegsgefangenschaft und Dienstantritt laut Jahresbericht der Universität, in: Robert Sommer, Krieg und Seelenleben. Akademische Festrede (…), Gießen 1915, S. 23–28, hier 23. Die Internierung ist schon erwähnt bei Anderhub, Antoniterkreuz, S. 30. Davon weicht die Angabe bei Hanisch, Nachfolger der Exegeten, S. 79 ab, der zufolge Kahle in Kairo gefangen genommen und ein Jahr lang interniert worden sei. – Kahle unterzeichnete auch nicht an seinem früheren Wirkungsort Halle. 150 Penck erhielt Post aus Deutschland zum ersten Mal Anfang November, wie im Krieg üblich, auf dem Umweg über ein neutrales Land (Brieflaufzeit ein bis zwei Wochen) (Penck, Von England festgehalten, S. 140 f.). 151 Horovitz kehrte 1915, Ficker 1917 nach Deutschland zurück. S. zu den beiden o. S. 131. 152 Große Kracht, Zwischen Berlin und Paris, S. 80 (mit Auszug aus einem Brief an Margarete Susman vom 20.9.1914). Zahlreiche Erwähnungen der Hilfsaktionen in Simmel, Gesamtausgabe 23, passim (s. Register). 153 Nach Überprüfung des AV FWU Berlin und des detaillierten Verzeichnisses der Kriegstätigkeit der Universitätsangehörigen (s. dazu u. Kap. III .3). Ausführliche Biographie samt wissenschaftlicher Tätigkeit sowie seines Engagements für die NSDAP ab 1932 in: BBKL XVI (1999), Sp. 475–488 (Matthias Wolfes).
278 Die Universitäten im Kriegseinsatz Stelle lag Gießen mit 63,3 %. Am geringsten war die Zustimmung in Straßburg mit nur 56,6 %. Auch der Anteil in den einzelnen Fakultäten unterschied sich. Doch am höchsten war in allen drei Universitäten die Zustimmung der Theologen, oder, genauer gesagt, der protestantischen Theologischen Fakultät: in Berlin und Gießen, die beide keine andere hatten, betrug sie 91,7 % bzw. 100 %, in Straßburg 88,9 %. Die ca. 10 % Unterschied zwischen den dreien sollte man allerdings nicht überschätzen, weil in einer so kleinen Fakultät wie der Gießener mit nur acht Hochschullehrern (sechs Ordinarien und je einem Extraordinarius und Privatdozenten) der einzelnen Stimme beim Zustandekommen des Rekordergebnisses größeres Gewicht zukam. Und andererseits spielte auch bei der größten, der Berliner (mit neun Ordinarien, zwei Ordentlichen Honorarprofessoren, fünf Extraordinarien und acht Privatdozenten), möglicherweise der Zufall eine Rolle: Ob Schmidt unterschrieben hätte, falls er die Möglichkeit dazu gehabt hätte, ist nicht zu eruieren. Nur halb so hoch wie bei den protestantischen Kollegen war dagegen die Zustimmung bei den Straßburger katholischen Theologen: 45,5 %. Selbst wenn man für beide die möglicherweise verzerrende Wirkung des Zufalls und der kleinen Zahl – die protestantische Fakultät zählte damals neun, die katholische 11 Hochschullehrer – berücksichtigt, ist der Unterschied frappant. Beim ersten Blick drängt sich der Eindruck auf, daß die Elsässer nicht, die ›Altdeutschen‹ aber sehr wohl unterschrieben: Bei der protestantischen Fakultät ist der einzige Abweichler Paul Lobstein, der aus einer elsässischen Gelehrtenfamilie stammte und der französischen Kultur mindestens »ebenso eng verbunden« war wie der deutschen.154 In der katholischen Fakultät waren von den sieben Nichtunterzeichnern vier Elsässer, die anderen drei Süddeutsche (darunter ein beurlaubter Privatdozent, dessen Buch auf dem Index stand!).155 Die Gegenprobe ergibt allerdings, daß in der Evangelisch-Theologischen Fakultät auch zwei Elsässer die Erklärung der Hochschullehrer mittrugen: der Ordinarius Gustav Anrich, selbst Pfarrersohn aus dem Unterelsaß,156 und der Straßburger Pfarrer und Privatdozent Fernand Ménégoz, der im Frühjahr 1914 noch gefordert hatte, »in unserem Lande unseren Sitten leben zu können«, dabei mit »unsere[m] Volk« die Elsässer gemeint und gegen die von den Altdeutschen beanspruchte ›Kulturmission‹ im Elsaß die Vermittlungsfunktion der
154 Genauer s. (mit Belegen) o. S. 101 f. A. 73. 155 Elsässer: Albert Ehrhard (der aber den Aufruf An die Kulturwelt! unterzeichnet hatte), Eugen Müller/Eugène Muller, Albert Lang (sämtlich Ordinarien) sowie Franz X. Mathias (Privatdozent, Musikwissenschaftler und Kirchenmusiker); Süddeutsche: die Ordinarien Ignaz Rohr (Schwabe) und August Knecht (Pfälzer) sowie der Privatdozent Friedrich Maier (Badener). Zu Knecht s. BBKL IV (1992), Sp. 122 (Franz Kalde), Beurlaubung nach PV KWU Straßburg; zu Marie-François-Xavier Mathias s. EA 8, S. 5006. 156 BBKL I (1990), Sp. 181 (Friedrich Wilhelm Bautz).
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Elsässer zwischen Deutschland und Frankreich betont hatte.157 Von den vier Unterzeichnern der Katholisch-Theologischen Fakultät stammten zwei aus dem Rheinland, einer von der Mosel (also ebenfalls der preußischen Rheinprovinz), einer aus Oberschlesien.158 Ob ihre Gemeinsamkeit darin bestand, daß sie alle in Preußen sozialisiert waren? Der erste Eindruck, daß Elsässer die Erklärung nicht unterschrieben hätten, Altdeutsche aber doch, läßt sich durch die Überprüfung der Biographien zwar als Tendenz bekräftigen, aber letztlich doch keine eindeutige Trennung in zwei Gruppen feststellen. Am geringsten war in allen drei Universitäten der Anteil der Unterzeichner bei den Medizinern: In Berlin und Gießen hatte jeweils knapp über die Hälfte der Fakultät (55 % bzw. 51,6 %) unterschrieben, in Straßburg sogar weniger als ein Drittel (30,3 %). Und da die Medizinische überall die zweitgrößte Fakultät (mit 31 Hochschullehrern in Gießen, 66 in Straßburg und 202 in Berlin) war, sind diese Zahlen auch deutlich aussagekräftiger. Den zweithöchsten Grad an Zustimmung wies die Philosophische Fakultät auf, für die – um die Vergleichbarkeit mit den beiden anderen Universitäten zu ermöglichen – die Straßburger Philosophische und die MathematischNaturwissenschaftliche hier zusammen als ›Philosophische‹ Fakultät betrachtet werden: In Berlin betrug die Zustimmung 78 %, in Straßburg 70,4 %, in Gießen 65 %. Auch wenn man die beiden Straßburger Fakultäten getrennt betrachtet, bleibt der zweithöchste Rang erhalten, für die eigentlichen ›Philosophen‹ (73,5 %). (Hier fand sich übrigens ein lothringischer Unterzeichner, der mit einer Elsässerin verheiratete Orientalist Joseph Karst.159) Die Mathematiker und Naturwissenschaftler stimmten zu 65,6 % zu und lagen damit zwar etwas niedriger, doch weit über den Juristen und katholischen Theologen. 157 Ménégoz, Noch einmal: zum Verständnis der elsässischen Seele, Zitate Sp. 299, 297, 294. S. genauer o. S. 208 f. Craig, Scholarship and Nation Building, S. 404, A. 8 hat Ménégoz offenbar übersehen (oder nicht für einen Elsässer gehalten), da er von ins gesamt nur zwei »elsässischen« Unterzeichnern spricht: Anrich und dem Orientalisten Josef [ Joseph] Karst. Zu letzterem s. aber u. A. 159! 158 Rheinland: Karl Böckenhoff (Ordinarius für Moraltheologie), Richard Stapper (Ordinarius für Praktische Theologie); Mosel: Hubert Bastgen (Privatdozent); Oberschlesien: Paul Heinisch (Geburtsort und Bildungsgang nach dem Lebenslauf in der Dissertation: Paul Heinisch, Der Einfluß Philos auf die älteste christliche Exegese, Münster 1907). 159 Craig hielt ihn für einen Elsässer (s. o. A. 157). Doch war Karst 1871 in der Familie eines deutschen Gutsbesitzers in Lothringen geboren, hatte in Metz das Gymnasium besucht und mit dem Studium zunächst am dortigen Bischöflichen Seminar begonnen, wechselte aber schon ein Jahr später an die Universität Straßburg. Dort studierte er Philologie (Promotion 1899) und habilitierte sich 1906 (nach zwischenzeitlichen, nur kurzfristigen Tätigkeiten an der UB und im Ministerium für E-L). Ao. Prof. war er seit 1912. Alle Angaben nach Hubert Kaufhold, Ein bisher unbekanntes Manuskript von Joseph Karst über Kirchen und Klöster Georgiens, in: Oriens Christianus 88 (2004), S. 203–232, hier 216–219. Diesen Aufsatz verdanke ich Hermine Buchholz-Nazaryan (Universität Halle-Wittenberg).
280 Die Universitäten im Kriegseinsatz Am stärksten unterschied sich die Haltung der Juristen der drei Universitäten: In Berlin und Gießen lagen sie fast mit den ›Philosophen‹ gleichauf.160 In Straßburg, wo die Juristische Fakultät fast dreimal so groß war (16 Hochschullehrer), unterschrieb nur ein gutes Drittel (37,5 %) die Erklärung. Das ist um so erstaunlicher, als hier die Nationalökonomen zur Juristischen Fakultät gehörten. In Berlin und Gießen, wo ihr Fach jeweils der Philosophischen Fakultät zugeordnet war, trugen sie – als eifrige Unterzeichner – zum hohen Zustimmungsgrad dieser Fakultät bei: Die Ordinarien Adolf Wagner, Gustav von Schmoller, Max Sering, Heinrich Herkner, Ludwig Bernhard; die Extraordinarien Ladislaus von Bortkiewicz (von Geburt ein Petersburger Pole) und Ignaz Jastrow (ein deutscher Jude aus der Provinz Posen) sowie der Privatdozent Heinrich Dade – sie alle unterschrieben in Berlin; in Gießen der Ordinarius (und damals einzige Vertreter des Faches) Skalweit. In der Straßburger Juristischen Fakultät unterzeichnete von den Nationalökonomen nur der aus Göttingen stammende August Sartorius von Waltershausen, der in den siebziger Jahren (als dies Ausweis nationaler Gesinnung war) schon in Straßburg studiert hatte (und nach drei Jahren in Zürich nun bereits seit 1888 hier Professor war).161 Nicht unterschrieben hatten dagegen der Ordinarius Georg Friedrich Knapp, der Extraordinarius Wittich und der Privatdozent Dietrich Preyer. Bei Wittich, dem Wahlelsässer und Schöpfer des Begriffs ›Doppelkultur‹, muß die fehlende Unterschrift als Ausdruck seiner Überzeugung gelten: In einem Krieg zwischen Deutschland und Frankreich konnte er sich wohl kaum den Verteidigern des Militarismus (ob mit oder ohne Anführungszeichen) anschließen. Auch bei Knapp liegt sicher eine Absage vor.162 Preyer, einst preußischer Offizier in Straßburg, hatte sich erst nach einem Unfall dem Studium zugewandt, stand nun aber bereits seit Kriegsbeginn im Heer und war in der Schlacht von Tannenberg verwundet worden.163 Ob er aber ein typisches Beispiel für militärische Verhinderung oder vielleicht gerade wegen eines Lazarettaufenthalts erreichbar und seine fehlende Unterschrift daher besonders aussagekräftig war, ist nicht zu ermitteln. 160 Daß sie sie in Gießen sogar um anderthalb Prozent übertrafen, kann angesichts der kleinen Zahl von nur sechs Hochschullehrern (fünf Ordinarien, ein etatisierter Extra ordinarius) als Zufall gelten. 161 Zur Biographie s. neben dem winzigen Eintrag in NDB 22 (2005), S. 438–439 (s. v. Sartorius von Waltershausen, Freiherren) vor allem Marcel van der Linden/Gregory Zieren, German Political Economy, in: August Sartorius von Waltershausen, German Economy, and American Labor, in: August Sartorius von Waltershausen, The Workers’ Movement in the United States. Hg. von David Montgomery und M. v. d. L., Cambridge u. a. 1998, S. 28–64. 162 S. dazu Genaueres weiter u. in diesem Abschnitt (»Skepsis und Distanz«). 163 Michael Grüttner, Biographisches Lexikon zur nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik, Heidelberg 2004, S. 134; Ergänzung Tannenberg: http://de.wikipedia.org/wiki/ Dietrich_Preyer (21.12.2011).
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Angesichts der insgesamt hohen Zustimmung ist also nicht nach den Gründen für die Unterschrift, sondern eher nach jenen für die Nicht-Unterzeichnung zu suchen. Dabei springt neben der Differenz zwischen den einzelnen Fakultäten sofort der unterschiedliche Grad der Beteiligung der einzelnen Statusgruppen ins Auge: An allen Universitäten war er bei den Ordinarien am höchsten. In Berlin betrug er 90 %, in Gießen 86 %, in Straßburg 77,2 %. Die größere Neigung der ›Etablierten‹ zur Unterzeichnung (oder die eifrigere Werbung um sie!) wird auch durch den hohen Zustimmungsgrad bei den Ordentlichen Honorarprofessoren belegt.164 Relativ gering war dagegen überall die Beteiligung der Privatdozenten.165 In Berlin betrug sie 60,2 % (168 von 279), in Gießen 44,8 % (13 von 29), in Straßburg 29,4 % (20 von 68). Bei dieser Gruppe dürfte der Militäreinsatz die Hauptrolle gespielt haben; denn die meisten Privatdozenten waren im kriegsdienstpflichtigen Alter und wurden stärker als die sich evtl. noch freiwillig meldenden älteren Ordinarien an die Front geschickt.166 Insofern spitzt sich die Frage nach den Gründen der Nichtunterzeichnung auf die Professorengruppe zu. Der für die theologischen Fakultäten gewonnene Befund, daß in Straßburg elsässische und süddeutsche Herkunft oder eine (gewachsene) enge Bindung an das Elsaß die Neigung zur Unterzeichnung der Erklärung abschwächte, scheint auch für jene 32 Professoren plausibel, die außerhalb dieser beiden Fakultäten ihre Unterschrift verweigerten. Zwei waren Elsässer,167 neun Süddeutsche, zwei Schweizer, zwei Österreicher. Vier stammten aus erst im 19. Jahrhundert von Preußen annektierten Gebieten (den Provinzen Hessen-Nassau und Rheinland), neun aus ›altpreußischen Gebieten‹, einer aus Braunschweig und einer aus dem Russischen Reich. Vielleicht hatte auch er, Andreas von Tuhr, schon als Kind nach Deutschland gekommen, eine ›süddeutsche Sozialisation‹; denn er hatte alle diese Jahrzehnte in Baden, Basel und Straßburg gelebt. Aber gerade bei ihm könnte auch die Herkunft aus Petersburg eine Rolle gespielt haben; denn laut Nachruf der Familie traf ihn »trotz durchaus deutscher Sympathien«, der »blutige Streit zwischen dem Vaterland seiner Abstammung und dem seiner Wahl«.168 164 Berlin: 75,9 % (22 von 29); Gießen: 100 % (eine einzige Person!); Straßburg: 100 % (16 von 16). 165 Für die einzige Ausnahme kann wiederum das Gesetz der kleinen Zahl verantwortlich gemacht werden: von den katholischen Theologen in Straßburg unterzeichneten 3 der 8 Ordinarien (37,5 %), aber 2 der 3 Privatdozenten (66,6 %). 166 S. dazu genauer u. Kap. III .3. 167 Nicht zu klären war die Herkunft des Mediziners Heinrich Ehret, der auch in den elsässischen Speziallexika und in BLÄ nicht aufgeführt ist und dessen Dissertation keine Biographie enthält. Den Familiennamen gibt es sowohl im Elsaß als auch in Süddeutschland. 168 Zit. in: http://www.catalogus-professorum-halensis.de/thurandreasvon.html (zuletzt 16.11.2014).
282 Die Universitäten im Kriegseinsatz Von den Nichtelsässern waren (mindestens) drei Preußen sowie der aus Darmstadt stammende ›Wahlelsässer‹ Wittich mit Elsässerinnen verheiratet, mindestens einer war sogar der Frau aus elsässischer Bauernfamilie zuliebe zum Katholizismus konvertiert.169 Auch andere ›untypische‹ Professoren waren darunter: drei deutsche Juden (alle aus Preußen, einer davon aus einer neupreußischen Provinz).170 Einige hatten auch durch jahrzehntelanges Leben und Wirken im Elsaß eine Bindung an das Land entwickelt,171 die den Krieg vor Ort – und das war er im Sommer und Herbst 1914 – als besonderes Unglück erscheinen lassen mußte. Der aus Worms stammende jüdische Mediziner Arnold Cahn z. B. war schon in Straßburg promoviert worden (1881), seitdem dort tätig – und mit dem vielleicht berühmtesten Elsässer, Albert Schweitzer, befreundet. (Die beiden Bresslaus, der jüdische Historiker und Emeritus Harry und sein getaufter Sohn, der Zoologe und Titularprofessor Ernst, hatten dagegen unterschrieben.) Bei manchem hatten sich in dieser Umgebung auch die wissenschaftlichen Perspektiven verändert: Der Rechtshistoriker Wilhelm Sickel z. B. hatte in Straßburg, wo er seit 1888 lehrte, eine ›Romanisierung‹ durchgemacht.172 169 Der Rheinländer Friedrich Ernst Fischer (Medizin; Konversion), der Berliner, aber schon seit 1872 in Straßburg lebende Geologe Ernst Wilhelm Benecke und der Pots damer Musikwissenschaftler Friedrich Ludwig. Daß nicht etwa der Militärdienst Ludwig die Unterschrift unmöglich machte, ersieht man schon daraus, daß er vom Etappendienst in Belgien aus, in dem er sich seit September befand, mit der Universität korrespondierte, damit sie einen etwa 8–10tägigen Urlaub für ihn gegen Semesterende beantrage. (Er wollte die Angelegenheiten des Musikwissenschaftlichen Seminars regeln, dessen Direktor er war, insbesondere die Rechnungsprüfung zum Abschluß des Rechnungsjahrs vornehmen.) Obwohl Universität und Kurator dies befürworteten, wurde es von dem Bataillon ohne Begründung abgelehnt. S. dazu folgende Dokumente: ao. Prof. Ludwig an Rektor 2.1.1915; 1. Landst[urm] Inf[anterie]-Ers[atz]-Bat[aillon]. XV. A[rmee]-K[ommando] an Rektor Strb. 29.1.1915; Ludwig an [Universitätssekretär] 9.2.1915. Alle in: ADBR 103 AL 563. Andererseits unterzeichnete aber der aus dem (ehemaligen) Königreich Hannover stammende Theologe Friedrich Spitta, der seit 1887 in Straßburg lehrte, eine Elsässerin geheiratet und zwei Rufe nach Heidelberg sowie einen nach Göttingen abgelehnt hatte, sehr wohl. Zur Ehefrau: Bopp, Ev. Geistliche III, S. 523. Zu den Rufen: Schreiben der Witwe an den Kurator der Universität Göttingen [wohin Spitta 1919 gegangen war] (o. Name und D. [Eingang: 31.7.1924]: UA Göttingen Kur. PA Friedrich Spitta). 170 Dabei handelte es sich um die Mediziner Wilhelm Alexander Freund (aus Schlesien, als Emeritus in Berlin lebend), Arnold Cahn (aus Worms, pr. Provinz Hessen-Nassau) und Paul Manasse (aus Pommern). 171 Neben Knapp auch der Jurist Laband (der allerdings den Aufruf An die Kulturwelt! unterschrieben hatte), der Musikwissenschaftler Ludwig (beide seit 1872), der Botaniker Hermann Graf zu Solms-Laubach (1872–1879 und wieder seit 1888), Georg Gerland, Mitbegründer der Meteorologischen Landesanstalt (seit 1875). Der Emeritus Franz Peter Bremer hatte 1873 bis zu seiner Emeritierung 1894 in Straßburg gelehrt, lebte aber inzwischen wieder in seiner rheinischen Heimat. 172 Den deutsch-französischen Krieg 1870 hatte er als Freiwilliger mitgemacht und war in seinem Herangehen an die frühmittelalterliche Verfassungsgeschichte zunächst stark
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Unter den Nichtunterzeichnern in Straßburg fällt auch ein Preuße auf, der ganz besonders an der Stadt und Universität hing und nun schon zum zweiten Mal als Professor hier wirkte: der Altertumswissenschaftler Eduard Schwartz. Schon aufgrund seines Faches, dessen Vertreter überproportional am ›Krieg der Geister‹ beteiligt waren, hätte man seine Unterschrift ganz gewiß erwartet – um so mehr, als er zur selben Zeit eine programmatische Rede über den »Krieg als nationales Erlebnis« hielt.173 Doch gilt für ihn dasselbe wie für die meisten anderen Nichtunterzeichner der Erklärung: Sie enthielten sich nicht nur hier, sondern auch bei weiteren kollektiven Äußerungen, besonders in der im Sommer 1915 beginnenden Kriegszieldebatte. Neben jeweils spezifischen Bedenken (beim einzelnen Gelehrten und gegen den jeweiligen Text) mag eine solche eher generelle (wenn nicht gar prinzipielle) Vorsicht des Einzelnen auch den Schlüssel dazu bieten, warum die Schar der Nichtunterzeichner auch an den anderen beiden Universitäten fachlich und politisch bunt war; denn in Berlin wie in Gießen fand sich zwar mancher, der diese Erklärung nicht unterzeichnete, später aber sehr wohl eine annexioni stische Adresse oder eine Mahnung zur Mäßigung der Kriegsziele.174 Doch die Mehrheit der Nichtunterzeichner blieb auch später bei ihrer Distanz zu solchen Aktionen. Von den Berlinern unterzeichneten jene, die schon den Aufruf An die Kultur welt! mitgetragen hatten, auch fast alle die ›allgemeine‹ Erklärung der Hoch schullehrer. Eine Ausnahme machten nur der Chemiker Emil Fischer, der Physiker Walter Nernst und der Mediziner August von Wassermann. Während letztere beiden vermutlich nicht erreichbar, da in militärischer bzw. militärärztlicher Funktion unterwegs waren, ist für Fischer kein Verhinderungsgrund ersichtlich, da er seine kriegsunterstützenden Tätigkeiten offenkundig in seinem Labor ausübte.175 Unter den Berliner Professoren, die, ohne durch irgendwelche Kriegsdienste verhindert zu sein, nicht unterschrieben, fallen am meisten zwei Juristen auf: der beamtete Extraordinarius für Völkerrecht Wilhelm Kaufmann und der von den politischen Entwicklungen seiner eigenen Zeit, des jungen Kaiserreichs geprägt. Seine Romanisierung hatte zwar eher innerwissenschaftliche Gründe – trotzdem lief dies der erwünschten ›Germanisierung‹ zuwider. Dazu genauer Stefan Esders, Verfassungsgeschichte im deutschen Kaiserreich: Wilhelm Sickel (1847–1929), in: Helmut Reimitz/Bernhard Zeller (Hg.), Vergangenheit und Vergegenwärtigung. Frühes Mittelalter und europäische Erinnerungskultur, Wien 2009, S. 129–142, bes. 130, 139. 173 Zum Fach s. (neben Studien desselben Autors zu einzelnen Gelehrten) als Überblick Jürgen von Ungern-Sternberg, Deutsche Altertumswissenschaftler im Ersten Weltkrieg, in: Maurer (Hg.), Kollegen, S. 239–254; zu Schwartzens Verbundenheit mit dem Elsaß o. Kap. II.3, zu seiner Rede Kap. III .6. 174 Diese Namen werden u. in Kap. III .6 genannt. 175 Alle Angaben nach: Die Friedrich-Wilhelms-Universität im Kriege, in: Kipp, Amtsjahr 1914/15, S. 15–43. Dazu genauer u. Kap. III .3.
284 Die Universitäten im Kriegseinsatz Staatsrechtler Hugo Preuß (der – als Vater der Weimarer Reichsverfassung – hier ausnahmsweise gewürdigt wird, obwohl er an der Universität immer Privatdozent blieb). Als Juristen konnten die beiden gegen diesen Text (anders als gegen die Behauptungen des Aufrufs An die Kulturwelt!) eigentlich keine Bedenken haben, wohl aber als Linksliberale, beide später Mitglied der DDP, Kaufmann jüdischer Herkunft und getauft, Preuß sein Leben lang Jude. Von den nichtunterzeichnenden Medizinprofessoren leisteten zu dieser Zeit mindestens sechs keinerlei Beitrag zur Kriegsführung: der schon 79jährige Robert von Olshausen und der 51jährige gebürtige Österreicher Adalbert Czerny (Ordinarius für Pädiatrie), der schon 70jährige Deutschbalte Heinrich Leopold Schoeler (Augenheilkunde), der 55jährige Maximilian Köppen (Nervenheilkunde), der 58jährige Wilhelm Nagel (Gynäkologie) und auch der 51jährige René du Bois-Reymond (Physiologie), sämtlich Extraordinarien. Dabei hatte letzterer doch am 4. September im Berliner Tageblatt »Die Universität im Dienste des Vaterlands« gesehen.176 Von den Professoren der Philosophischen Fakultät enthielten sich, ohne daß sie zu dieser Zeit irgendeiner Kriegstätigkeit nachgingen, die dies verhindert hätte, der (aus gesundheitlichen Gründen schon emeritierte) 59jährige Historische Geograph Wilhelm Sieglin, der 72jährige Chemiker Karl Hermann Wichelhaus (Ordentlicher Honorarprofessor), der erst 32jährige Wirtschafts geograph Alfred Ruehl und der 53jährige Experimentalphysiker Eugen Blasius (beide Extraordinarien). Doch auch von den Kollegen, die einen militärischen, militärärztlichen oder zivilen Dienst in Berlin oder seiner Umgebung ausübten und daher wohl hätten unterzeichnen können, fehlten die Unterschriften des 49jährigen Direktors der Universitäts-Augenklinik Emil Krückmann und einiger Extraordinarien: des 65jährigen Psychiaters Karl Moeli, des 59jährigen Zahnheilkundlers Ludwig Warnekros, des 66jährigen Röntgenologen Emil Grunmach, des 46jährigen Chirurgen Moritz Borchardt, des 66jährigen (aus Warschau stammenden jüdischen) Gynäkologen Leopold Landau, der bereits in Deutschland studiert hatte und 1870 im deutsch-französischen Krieg Hilfschirurg gewesen war.177 Auch der Orientalist Lehmann-Haupt, der bei Kriegsbeginn aus England zurückgekehrt war und sich bis Mitte September als Dolmetscher für Russisch bei der Empfangs- und Erfrischungsstation des Roten Kreuzes im Freihafen zu Stettin nützlich machte, hätte dort ebenso wie auf dem Truppenübungsplatz Zossen, dem er dann als Leutnant des Garde-Landsturm-Bataillons Zossen zugeteilt wurde, erreichbar sein müssen. Ähnliches gilt für den Chemiker Wilhelm 176 René du Bois-Reymond, Die Universität im Dienste des Vaterlandes, in: BT 449, 4.9.1914 AA . 177 Zu Landau s. o. S. 46 f.; außerdem: http://en.wikipedia.org/wiki/Leopold_Landau (18.12. 2011). Zeitgenössische Würdigungen Moelis (zum 70. Geburtstag und im Nachruf) geben dazu keine Hinweise.
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Will als Hauptmann bei einem Landwehr-Ersatzbataillon. Bei ihnen allen steht daher zu vermuten, daß sie wirklich nicht unterzeichnen wollten. Im Feld oder in der Etappe standen dagegen nur wenige der Nichtunterzeichner: der aus Böhmen stammende 56jährige Ordinarius für Innere Krankheiten Friedrich Kraus, möglicherweise auch der ebenfalls 56jährige Honorarprofessor Alfred Goldscheider (der jedenfalls während des ersten Kriegsjahres Generalarzt der VII. Armee wurde), der 41jährige Chirurg Rudolf Klapp, der in einem Feldlazarett wirkte, und vermutlich auch der 39jährige Internist Adolf Bickel, der Stabsarzt bei einer Reservesanitätskompanie war. Nur von diesen wenigen kann man annehmen, daß sie bei der Unterschriftensammlung nicht erreichbar waren. Von den Gießener befanden sich im Wintersemester 1914/15 folgende Nichtunterzeichner im Heer: Die Mediziner Siegfried Garten, Karl von Eicken (beide Ordinarien), Hermann Hohlweg (nichtetatisierter Extraordinarius), der Geograph Wilhelm Sievers, der Agrarwissenschaftler Paul Gisevius, der Geologe Erich Kaiser, der gerade erst nach Gießen berufene Altphilologe Rudolf Herzog, der Historiker Richard Laqueur (sämtlich Ordinarien) und der Chemiker Kurt Brand (nichtetatisierter Extraordinarius).178 Von den drei Medizinern waren Garten und Eicken in dieser Zeit in Feldlazaretten tätig, also möglicherweise nicht erreichbar,179 Hohlweg dagegen offenbar im Gießener Kriegsgefangenenlager eingesetzt.180 Von den Dozenten der Philosophischen Fakultät standen Herzog und Laqueur im Felde,181 bei den anderen ließ sich dies für die fragliche Zeit nicht genau feststellen. Nicht erreichbar gewesen sein dürfte der in Südafrika gestrandete (und dann dort in der »Schutztruppe« tätige) Geograph Erich Kaiser.182 Die übrigen Nichtunterzeichner müßten aber vor Ort gewesen sein: der erst 40jährige Römisch-Rechtler Hans Albrecht Fischer, der noch um vier Jahre jüngere Staats- und Völkerrechtler Hans Gmelin sowie der 35jährige etatisierte Zivilrechtler Leo Rosenberg. Aus der Medizinischen Fakultät kamen der schon 64jährige deutschbaltische Pathologe Eugen Bostroem, der 59jährige Direktor 178 Das Verzeichnis scheint erst etwa in der Semestermitte gedruckt zu sein. Die Datierung 24.12.1914 findet man in Petit am Fuß der Seite der Studierendenstatistik (PB LU Gi WS 1914/15, S. 67). Da eine solche Datierung auch in allen früheren Semestern (jeweils im Juni und Dezember) zu finden ist, scheint der Schluß gestattet, daß die Drucklegung danach erfolgte, auch die Angaben »im Heere« in der Liste der Lehrenden also auf diesem Stand sind. 179 S. Details zu ihnen u. in Kap. III .3. 180 S. seinen Brief an den OB der Stadt vom 12.1.1915, in dem er sich als Experte, der die »Infectionsabteilung unter [sich] habe«, anbot, die Bedenken wegen hygienischer und Seuchengefahren für die Bevölkerung zu zerstreuen: Stadtarchiv Gießen L 283, fol. 45. 181 S. dazu u. Kap. III .3. 182 Keine Angaben über den Chemiker Kurt Brand; Angaben zu Kaiser und den anderen, für letztere allerdings erst für die Jahre 1915 und 1916, s. u. in Kap. III .3.
286 Die Universitäten im Kriegseinsatz der Augenklinik, Adolf Vossius, der 51jährige Internist Fritz Voit (sämtlich Ordinarien), der 47jährige Anatom Bruno Henneberg und der Internist Franz Soetbeer (beide nichtetatisierte Extraordinarien). Aus der Philosophischen Fakultät enthielten sich neben zwei bereits betagten Emeriti183 von den nicht im Militärdienst stehenden der Unterschrift nur der 56jährige Chemiker Karl Elbs und der 47jährige Philosoph August Messer, der einst eine katholische Studentenverbindung mitbegründet hatte, über dieses Milieu (unter Pseudonym) auch einen Roman geschrieben hatte, als junger Lehrer wegen seiner Unangepaßtheit strafversetzt worden war und später – trotz seiner völkischen und sozialistischen Gesinnung – bereits in den ersten Monaten des NS -Regimes als untragbar erschien.184
Skepsis und Ablehnung Öffentliche Kritik von Kollegen oder Schülern ist kaum bekannt. Und daß in der Christlichen Welt, der Zeitschrift des Kulturprotestantismus, die empörte Zuschrift eines Pariser Theologen an einen Marburger Theologen und Unterzeichner des Aufrufs An die Kulturwelt! gedruckt wurde, über den er 1905 seine Pariser Dissertation geschrieben hatte, bestätigt als Ausnahme diese Regel nur.185 Bei dem Nationalökonomen Knapp, der seit mittlerweile 40 Jahren Professor in Straßburg war, mag, wie bei anderen, seine Verwurzelung im Elsaß zur Verweigerung der Unterschrift beigetragen haben; gesichert sind aber seine distanzierten Bemerkungen zum Chauvinismus schon im September 1914 wie auch sein unabhängiges Urteil generell.186 Die Kundgebungen der Kollegen erschienen Knapp wie das »Stammesgeheul der Sioux-Indianer«.187 Das wiederum 183 Dem 77jährigen Chemiker Alexander Naumann und dem 79jährigen Forstwissenschaftler Richard Heß. 184 G/M/P I, S. 645, 648 (Bernulf Kanitscheider); Christian Tilitzki, Die deutsche Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich. Bd. 1, Berlin 2002, S. 49, 384 f., 452 f. und passim. Vgl. zu Messers Philosophie auch: Peter Hoeres, Krieg der Philosophen. Die deutsche und britische Philosophie im Ersten Weltkrieg, Paderborn u. a. 2004, passim. 185 Die Zuschrift von Maurice Goguel an Wilhelm Hermann ist zitiert bei Hammer, Kriegstheologie, S. 63 (Christliche Welt 1914, S. 566). Beim Beleg muß allerdings ein Irrtum unterlaufen sein: Die genannte Seite findet sich in einem Juni-Heft; aber auch in den Nummern ab Oktober konnte dieses Zitat (beim Durchblättern) nicht gefunden werden, ebensowenig in Christliche Welt 1915, S. 566. 186 Hartmut Harnisch, Georg Friedrich Knapp. Agrargeschichtsforschung und sozialpolitisches Engagement im Deutschen Kaiserreich, in: Jahrbuch für Wirtschafts geschichte 1993/1, S. 95–132, hier 100 f. 187 Alfred Dove an Friedrich Meinecke 31.12.1914: »Was die Professoren sonst schreiben, gefällt mir immer weniger, wenn ich auch kaum so weit gehe, wie Knapp, der mir vor-
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kommentierte Meinecke gegenüber dem eigentlichen Empfänger von Knapps brieflicher Äußerung: »Wir schreiben gewiß jetzt auch viel Schund zusammen, aber Knapp sollte einmal die Oxford Pamphlets lesen, ehe er über uns schimpft. Wenn er nicht mitleben kann mit uns, – was ich ihm nicht übel nehme, – sollte er es lieber wie Goethe machen und schweigend unser Huronengebrüll dulden.«188 Öffentlich scheint Knapp wirklich geschwiegen (und damit trotz seiner Einschätzung die kollegiale Solidarität gewahrt) zu haben. Andererseits stimmte Meinecke ja trotz seiner Kritik an Knapp mit diesem zumindest darin überein, daß es sich bei den Protesten um ein Gruppenritual handelte, nicht um reflektierte Äußerungen einzelner. Das macht sein eigenes Verhalten um so rätselhafter: denn sein Name fehlt unter der Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reichs; man findet ihn weder bei der Freiburger noch bei der Berliner Philosophischen Fakultät. Daß er aber nur »zufällig« nicht unterschrieben haben könnte,189 scheidet aus; denn er war Ende August von Freiburg nach Berlin gekommen und traf dort auch schon im September am Donnerstagabend jeweils mit den Fakultätskollegen zusammen.190 Daß man ihn nicht gefragt haben könnte, ist kaum vorstellbar. Andererseits schrieb er selbst aber schon Mitte September an den italienischen Philosophen und Historiker Benedetto Croce ganz in dem Sinn, in dem die Erklärung und der Aufruf An die Kulturwelt! abgefaßt waren: »Wir sind empört über die systematische Verleumdung durch unsere westeuropäischen Gegner, wir haben ein reines Gewissen, denn die Härte unserer Kriegführung ist nur die Antwort auf eine heimtückische und unmenschliche Kriegführung der Gegner. Ein Abgrund des Hasses droht jetzt die europäischen Kulturnationen voneinander zu trennen. Pflicht aller Kulturträger wird es sein, über diesen Abgrund hinweg zu schauen und Gerechtigkeit und Verständnis zu üben nach allen Seiten.«191
Vielleicht fehlten ihm in der Erklärung gerade die Erkenntnis und das Angebot, das er selbst im letzten Satz machte. In seinen Erinnerungen berührt er die Gelehrtenmanifeste nicht einmal.
gestern schrieb: ›Finden Sie nicht, daß die Kundgebungen unserer Kollegen eine starke Aehnlichkeit haben mit dem Stammesgeheul der Sioux-Indianer?‹« In: Alfred Dove, Ausgewählte Aufsätze und Briefe. Bd. II: Ausgewählte Briefe. Hg. von Oswald Dammann, München 1925, S. 298–300, hier 299. 188 Meinecke an Dove 7.2.1915, in: Meinecke, Ausgewählter Briefwechsel, S. 55–57, Zitat 56 f. 189 Diese Möglichkeit impliziert Meineke, Meinecke, S. 240, der im übrigen bestätigt, daß sich zu dieser Frage keine Briefe erhalten haben. 190 S. dazu die Briefe vom 1.9.1914 und 25.9.1914 an Alfred Dove, in: Meinecke, Ausgewählter Briefwechsel, S. 44–46 (hier 44 f.), 47 f. (hier 48): »Auf dem Donnerstag Abend der Fakultät lernt man noch jedesmal [!] neue Berliner Größen kennen (…)«. 191 F. Meinecke an B. Croce 14.9.1914, in: Meinecke, Ausgewählter Briefwechsel, S. 46.
288 Die Universitäten im Kriegseinsatz Im Gegensatz zu Meinecke war Knapps Tochter, die sich im Elsaß ja an den Zeitschriften der ›Doppelkultur‹ beteiligt hatte, mit dem Vater zufrieden: »Gestern haben wir die schön gedruckten Hunderte von Namen deutscher Professoren in gelbem Einband zugesandt bekommen: ›Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reichs‹, auf Englisch übersetzt: ›Vanity fair‹. Wie froh waren wir, daß Du, Werner Wittich, die beiden Webers [Alfred und Max in Heidelberg], Brentano und noch ein paar Leute nicht drin vorkommen. Lieber Papa, soll ich Dir danken oder Dir Vorwürfe machen für mein Erbteil an Skeptizismus, es isoliert einen in diesen Zeiten. Aber zum Glück hat der Theodor etwa die gleiche Dosis.«192
Warum die eigentlich für die Verbreitung im Ausland bestimmte Erklärung Elly Heuss-Knapp und ihrem Mann Theodor Heuss zugeschickt wurde, ist aus dem Brief nicht ersichtlich, läßt sich aus der Assoziation mit einem »Jahrmarkt der Eitelkeiten« aber leicht vermuten. Vernichtender hätte ein Urteil kaum ausfallen können! Im Falle Brentano irrte sich Elly Heuss-Knapp allerdings; zwar nicht formal, aber doch in der Einschätzung; denn der berühmte Münchner Nationalökonom hatte den Aufruf An die Kulturwelt! unterschrieben.193 Mit ihrer eigenen Isolierung deutete sie aber einen möglichen Grund für das Unterzeichnen an: Wer nicht unterschrieb, stand allein, am Rande der Gemeinschaft. Insofern mag, gerade innerhalb einer Korporation, der allgemeine gesellschaft liche Druck eine besondere Rolle gespielt haben. Und das wird durch Knapps und Meineckes Einschätzung der Protestaktionen als Gruppenritual noch unterstrichen. Zudem erleichterten in dieser frühen Phase des Krieges ehrlicher Patriotismus und die Überzeugung, daß Deutschland sich in der Verteidigungsposition befinde, es gewiß, dem Gruppendruck (so er für den einzelnen überhaupt nötig war) nachzugeben. Theodor Wolff, der sich in seinem Tagebuch zunächst entsetzt über die deutschen Gelehrten geäußert hatte, schrieb Mitte November im Berliner Tageblatt: »Bisher haben die meisten Kundgebungen, durch dieses oder jenes Wort, in den neutralen Kulturländern nur neue Diskussionen herbeigeführt, und es ist zur Aufklärung des neutralen Auslandes nun wohl genug, wenn auch nicht immer das Richtige, geschehen.«
Doch er erkannte auch, daß es sich hier um eine Auseinandersetzung zwischen den Deutschen und ihren Kollegen im Ausland handelte, die ja ähnliche Manifeste verfaßten, und daß dabei beide Seiten vereinfachten. Vielleicht als erster
192 Brief vom 26.10.1914, in: Elly Heuss-Knapp, Bürgerin zweier Welten. Ein Leben in Briefen und Aufzeichnungen, hg. von Margarethe Vater, Tübingen 1961, S. 152. 193 Zu Elly Heuss-Knapp s. o. Kap. II.3; Beleg für Brentanos Unterschrift s. A. 98.
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wies Wolff auch auf den Widerspruch hin, in dem diese ungeprüfte Rechtfertigung des deutschen Vorgehens zur wissenschaftlichen Methode stand: »Und hier könnte man, ganz im allgemeinen, die Gegenfrage aufwerfen, ob den Historikern und den anderen Wissenschaftlern, die sonst jedes Tüpfelchen der Erkenntnis auf Dokumentenbergen aufbauen, ihr Material wirklich genügt, und wie viele von ihnen auch nur in der Lage waren, das deutsche Weißbuch, das englische Blaubuch und die russische Aktensammlung der notwendigen vergleichenden Prüfung zu unterziehen.«194
Nicht mit Blick auf die Verletzung des Gelehrten-Ethos, sondern die tatsächlichen Verletzungen und Zerstörungen hatte Hermann Hesse schon vorher in der Neuen Zürcher Zeitung in einer Anspielung auf den Aufruf An die Kultur welt! geschrieben: »Als ob jetzt, wo die Welt in Brand steht, solche Worte vom Schreibtisch irgendeinen Wert hätten.«195 Sogar Hermann Sudermann, der an der Redaktion des Entwurfs mitgewirkt (und die ›Abschlachtung‹ von Frauen und Kindern durch ›russische Horden‹ hineingebracht hatte), mußte privatim schließlich die »verheerend[e]« Wirkung feststellen – die allerdings nicht nur, wie er meinte, auf ungeschickte Übersetzung und den »Haß« der Welt zurückging.196
Flankierende Einzelbemühungen Die kollektiven Erklärungen wurden von den Bemühungen zahlreicher einzelner, auf Kollegen im neutralen Ausland einzuwirken, flankiert.197 Zwei eindrückliche Beispiele aus dem Berliner und dem Straßburger Kollegium mögen genügen: Eine Münchner Professorenwitwe bat den Berliner Anatomen Waldeyer vor ihrer Reise in die USA 1915 um einen ausführlichen Brief über seine Ansichten über die deutschen Kriegsziele (und gegen Annexionen), um ihn dort zur Kenntnis der Öffentlichkeit zu bringen. Der Mediziner erfüllte ihren Wunsch auch, legte aber den Text zunächst dem Auswärtigen Amt vor – und so unterblieb die Publikation.198 Georg Simmel schrieb am 2. Oktober 1914 einen ausführlichen, persönlichen Brief an den Kopenhagener Philosophen Ha194 Hochschullehrer-Denkschriften, in: BT 583, 16.11.1914, wieder abgedruckt in: Wolff, Tagebücher II, S. 759–761, Zitate 760. 195 Hermann Hesse, O Freunde, nicht diese Töne, in: Neue Zürcher Zeitung (3.11.1914), zit. bei Ungern-Sternberg/Ungern-Sternberg, Der Aufruf ›An die Kulturwelt!‹, S. 76 f. 196 Zit. aus seiner Reisenotiz vom 12.12.1914 und einem Brief an seine Frau (aus der französischen Schweiz) vom 13.12.1914 bei Ungern-Sternberg/Ungern-Sternberg, Der Aufruf ›An die Kulturwelt!‹, S. 78; zu einer Rolle bei der Redaktion 23, 57. 197 Marburger Beispiele persönlicher Briefe bei Wettmann, Heimatfront Universität, S. 219. 198 Waldeyer-Hartz, Lebenserinnerungen, S. 360 f.
290 Die Universitäten im Kriegseinsatz rald Höffding, mit dem er früher einmal korrespondiert hatte, um ihn »von der absoluten Falschheit dieses Glaubens«, »dass Deutschland die Veranlassung zu diesem entsetzlichen Kriege gegeben habe«, zu »überzeugen«. Mit eindrück lichen Sätzen und rhetorischen Fragen beteuerte er, daß Deutschland nur »durch die unausweichlichste Notwendigkeit dazu gezwungen« Krieg führe. Die »unsinnigen Anklagen« gegen Deutschland wollte er nicht widerlegen – »bis auf einen, allerdings ganz entscheidenden Punkt«: dem Vorwurf deutscher Barbarei wegen der Beschädigung (nicht Zerstörung, wie er beteuerte!) einiger alter Bauwerke hielt er entgegen: »Aber, um des Himmels willen, sieht man denn nicht die unerhörte Barbarei, die die Franzosen u. die Engländer damit begangen haben, dass sie den alten Kulturboden Deutschlands den russischen Horden preisgeben wollten? In den Städten Kants und Goethes, Humboldts und Hegels hausten heute die Kosaken, wenn es nach den Wünschen der Franzosen u. Engländer gegangen wäre!«
Das Urteil über das ›Recht‹ Frankreichs und Englands, gegen Deutschland Krieg zu führen, wollte Simmel der Geschichte überlassen. Aber über ihr Bündnis mit Rußland könne »es für alle Zeiten nur ein Urteil geben. In hundert Jahren kann u. wird Deutschland dies nicht vergeben und vergessen.« Bei einem Gelehrten, der wenige Monate zuvor noch eine Vortragsreise nach Rußland geplant hatte, kann diese Heftigkeit nur verwundern; doch ist sie nicht ganz untypisch.199 Simmel ermunterte seinen Kollegen ausdrücklich, von diesem Brief »privaten und öffentlichen Gebrauch« zu machen.200 Dem Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Soziologie bot er an, deren ausländischen Mitgliedern die Drucksachen der Süddeutschen Nachrichtenstelle für die Neutralen zu schicken.201 Es waren gerade die alten internationalen Beziehungen der Gelehrten, die ihnen diese Versuche der Einflußnahme ermöglichten.202 199 Schließlich unterschrieb den Satz über die russischen »Horden« im Aufruf an die Kul turwelt! ja auch Wilamowitz, der im Sommer noch so liebenswürdig mit Rostovcev korrespondiert hatte. Gerade die frühere Nähe ließ die Enttäuschung um so heftiger ausfallen: So wie für die russische Intelligencija der frühere Freund zum verachtenswerten Feind (nicht nur Kriegsgegner) geworden war, schlugen auch die deutsch-englischen Beziehungen der Vorkriegszeit in plötzliche Feindschaft um, die ihre Schärfe gerade aus der früheren Freundschaft bezog. Für Rußland: Maurer, Der Krieg der Professoren, S. 181, 200. Für England: Weber, Our Friend »the Enemy«, S. 225, 228 f., 231. 200 Georg Simmel an Harald Höffding 2.10.1914, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 398–400, Zitate 398, 399, 400 (Kommentar 400–403). 201 Simmel an Hermann Beck 7.10.1914, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 403 f. (Die Namen dieser Mitglieder führt der Kommentar S. 405 f. an). 202 In Göttingen kamen z. B. bei der Sammlung von Adressen für solche Gelegenheiten 353 Namen ausländischer Gelehrter zusammen (so daß auf jeden Dozenten, einschließlich der Lektoren, zwei solcher Kontakte entfielen). Cordula Tollmien, Der »Krieg der Geister« in der Provinz – das Beispiel der Universität Göttingen 1914–1919, in: Göttinger Jahrbuch 41 (1993), S. 137–210, hier 140.
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Zu den versandten Briefen, Postkarten, Zeitungen und Drucksachen kamen Veröffentlichungen, wie etwa Georg Simmels im Svenska Dagbladet 1915203 oder Adolf von Harnacks in einer norwegischen Studentenzeitschrift 1916204 und vor allem Vorträge im neutralen Ausland, manche aus Eigeninitiative, andere auf offiziöse Anregung hin. Der Nobelpreisträger für Chemie, Wilhelm Ostwald, z. B. (der sich seit 1906 allerdings nur noch als privater Forscher betätigte) trat in Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt schon im Oktober 1914 in Schweden auf, um für die Idee eines Nordeuropäischen Staatenbundes zu werben.205 Verschiedentlich wurden Reisen in die Vereinigten Staaten ins Auge gefaßt, um für die deutsche Position zu werben, u. a. von Hermann Oncken (Heidelberg), aber auch vom Großen Generalstab (für den Marburger Emeritus Hermann Cohen, der zusammen mit einigen anderen zunächst die Juden in den Vereinigten Staaten aufklären sollte…)206 Auch Georg Simmel, dem wegen eines Satzes im Svenska Dagbladet und eines Satzes im Berliner Tageblatt 1915 ein (letztlich doch für unnötig erachtetes) Disziplinarverfahren wegen anti patriotischer Gesinnung drohte,207 wurde 1917 wieder »von oben her«, d. h. ver203 Dazu Georg Simmel an Hans von Dallwitz 16.8.1915, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 548 f. (sowie Kommentar 549–552). 204 HN 26 (1915/16), S. 323. 205 Ostwald hatte sich bereits mit 53 Jahren, nach einem Jahr als Austauschprofessor an der Harvard University, 1906 emeritieren lassen. Er selbst betont in seinen Erinnerungen zwar seine vergebliche freiwillige Meldung »zu beliebiger Verwendung« (S. 540, vgl. 544), erwähnt sein Engagement in Schweden, wohin er seit langem wissenschaftliche und freundschaftliche Kontakte hatte, allerdings nicht. Diese Information nach dem Kommentar in: Wilhelm Ostwald, Lebenslinien – Eine Selbstbiographie, hg. von Karl Hansel, Leipzig 2003, S. 544 A. 2189. Vgl. auch Inger Schuberth, Schweden und das Deutsche Reich im Ersten Weltkrieg. Die Aktivistenbewegung 1914–1918, Bonn 1981, S. 23. Zu Ostwalds Auftritt in Stockholm, wo er den Krieg zu einem »Organisationskrieg« erklärt und dadurch mit der Legende vom deutschen Verteidigungskrieg auf geräumt habe, s. auch P. Š., Nam pišut iz Stokgol’ma, in: Reč’ 21.10. (3.11.) 1914, S. 2 f. Organisationskrieg meinte dabei die Reorganisation der Menschheit. 206 Oncken: Reichert, Wissenschaft und »Heimatfront«, S. 501. Cohen: Wettmann, Heimatfront Universität, S. 219 f. 207 Der inkriminierte Satz lautete: »Was die Stimmung in Deutschland betrifft, so muss erwähnt werden, dass das tragische Schicksal der genialen französischen Nation tief bedauert wird.« Außerdem wurde aus Simmels Artikel »Europa und Amerika« (in: BT 336, 4.7.1915 MA) moniert: »So unzweifelhaft Deutschland um seiner selbst willen bis zum letzten Mann das Elsass halten muss und wird – weltgeschichtlich ist es ziemlich gleichgültig, ob diese vierzehntausend Quadratkilometer von Elsass-Lothringen (an Umfang und Bevölkerung etwa der vierzigste Teil von Deutschland) deutsch oder französisch sind, fast so gleichgültig, wie ob das Trentino zu Oesterreich oder zu Italien gehört«. (Zu allem: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 549 f.) Nach den Vernehmungen entschied der Statthalter schließlich, daß Simmels Äußerungen keine »deutschfeindliche Gesinnung« zugrunde liege. Doch wurde ihm eröffnet, daß solche Äußerungen für einen »an der hiesigen Landesuniversität tätigen Lehrer unangebracht« seien (Simmel, Gesamt ausgabe 23, Kommentar S. 553 f.).
292 Die Universitäten im Kriegseinsatz mutlich von der Zentralstelle für Auslandsdienst beim Auswärtigen Amt, zu einer längeren Vortragsreise im neutralen Ausland aufgefordert.208
Résumé Die genauere Analyse der Unterschriften unter die Gelehrtenmanifeste des Herbst 1914 führt zu dem Schluß, daß die üblichen pauschalen Aussagen über die hohe Beteiligung relativiert werden sollten. Zugleich belegt sie auch, daß die Ursache für das Fehlen von Unterschriften nicht, wie von den Unterzeichnern (und anderen Zeitgenossen209) behauptet, im Kriegsdienst gesehen werden kann. Dafür gibt es zu viele Beispiele ortsanwesender Gelehrter, die nicht unterschrieben hatten. Außerdem ist auf die Unterschiede zwischen den einzelnen Universitäten, aber auch den verschiedenen Fakultäten zu achten. Zwar wurde schon vor geraumer Zeit darauf hingewiesen, daß es unzulässig sei, aus den veröffentlichten Stellungnahmen einer Gruppe von rede- und schreibfreudigen Professoren auf die Professorenschaft insgesamt zu schließen.210 Auch wurde schon mehrfach auf die stärkere Neigung der Staatswissenschaftler und Historiker aufmerksam gemacht, öffentlich Stellung zu beziehen – und als Kontrast berechnet, daß nur 0,6 % der Kriegspublizisten Naturwissenschaftler gewesen seien.211 Das belegt aber noch keinen Rekord in der Unterstützung der Kriegführung durch die erstgenannten Fächer; denn dagegen spricht schon die noch stärkere Beteiligung der Theologen. Und selbst wenn man deren ›Höchstleistungen‹ teilweise durch die geringe Zahl der Fakultätsmitglieder erklären kann, wird dieser Befund doch durch die Parallelität in allen drei Universitäten und durch die weit überproportionale Beteiligung von Theologen auch am Aufruf An die Kulturwelt! gestützt. Dies wurde bisher aber nicht einmal in Untersuchungen zur Kriegstheologie des Ersten Weltkriegs registriert.212 208 Georg Simmel an Anna Jastrow 30.9.1917, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 834–836, Zitat 834. Die Kommentatoren vermuten, daß es sich um einen vom Bund Deutscher Gelehrter und Künstler der Zentralstelle unterbreiteten Vorschlag von Vorträgen für Skandinavien handelte, für die der Bund auch Simmels ehemaligen Berliner Fakultätskollegen Franz Oppenheimer sowie außerdem Thomas Mann und den Graphiker Fritz Helmuth Ehmcke vorschlug (836 f.). Zu dem genannten Bund s. u. Kap. III .6. 209 Als Beispiel dafür s. Eine Erklärung der Hochschullehrer, in: Straßburger Neueste Nachrichten 251, 27.10.1914. 210 Langewiesche, Universität Tübingen in der Weimarer Republik, S. 368; bezüglich der Kriegszieldebatte ähnlich schon Döring, Weimarer Kreis, S. 52. 211 Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 187; ähnlich Langewiesche, Universität Tübingen in der Weimarer Republik, S. 375; Prozentsatz: Demm, »Enzyklopädie Erster Weltkrieg«, S. 444. 212 Bei Brakelmann, Protestantische Kriegstheologie, S. 73–75 wird zwar der Inhalt des Aufrufs An die Kulturwelt! und der Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reichs
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Besonders gering war die Beteiligung (fachlich) der Mediziner und (statusmäßig) der Privatdozenten. Während dies sich bei ersteren aus dem Bedarf an Ärzten für die Reserve- und Feldlazarette erklärt, resultiert es bei letzteren aus dem weit jüngeren Durchschnittsalter im Vergleich zur Ordinariengruppe. Und natürlich kombinieren sich beide Kriterien für die ›Einberufung‹ bei den Privatdozenten der Medizin, die in Berlin und Straßburg ohnehin sehr zahlreich waren.213 Bei ihnen kann also mit Abwesenheit und zumindest partieller Nichterreichbarkeit gerechnet werden. Andererseits bestätigen die Ergebnisse für die Privatdozenten die Fächerunterschiede noch weiter, denn überall war der Anteil der unterzeichnenden Privatdozenten bei den Medizinern am geringsten: in Berlin betrug er 52,2 %, in Gießen 33,3 %, in Straßburg 13,2 %. Und diese Einzelgruppen beeinflußten ihrerseits auch wieder den Beteiligungsgrad der jeweiligen Universität – da der Unterschied nirgendwo so groß war wie in dieser Fach- und Statusgruppe. Doch selbst bei den Professoren ist im Einzelfall oft nicht zu eruieren, wo sie zu genau der Zeit waren, in der die Unterschriften gesammelt wurden. Deshalb kann aus der Unterschrift oder Nicht-Unterschrift des einzelnen nicht sicher auf seine persönliche Haltung geschlossen werden. Nur wenn er sich ausdrücklich zu der Erklärung äußerte, ist das möglich. Ein Beispiel dafür bietet unter den (hier nicht untersuchten) Privatdozenten der Mediziner Alfred Grotjahn: »Welche Verwilderung! Ich habe es abgelehnt, die Aufforderung zu unterschreiben.«214 In den meisten Fällen sollte man zunächst davon ausgehen, daß sich der Unterzeichner aus patriotischer Gesinnung und in der Annahme, daß Deutschland sich verteidigen müsse, einfach der Mehrheit anschloß oder sogar psychologischem Druck beugte. Dieser ist zwar in erster Linie im Kollegenkreis zu vermuten, doch mag auch die Stimmung weiterer Kreise (wie sie sich etwa in der positiven Resonanz in der Hilfe niederschlug) eine Rolle gespielt haben. Theodor Wolffs Vermutung, daß es sich bei den Gelehrtenaufrufen um eine Kompensation der ›Daheimgebliebenen‹ handelt,215 erhält eine gewisse Unreferiert; auch nennt er fünf (der sechs) protestantischen Theologen, die den Aufruf unterzeichneten. (Übersehen hat er Wilhelm Herrmann). Eine Auswertung der Listen der Erklärung findet aber nicht statt. Hammer, Deutsche Kriegstheologie, hat zwar die unterzeichnenden Theologen unter dem Aufruf ausgezählt, aber daraus keine weiteren Schlüsse gezogen und die Erklärung überhaupt nicht behandelt. 213 In Berlin hatte die Medizinische Fakultät fast so viele Privatdozenten wie die Philo sophische, in Straßburg fast anderthalb mal so viel wie Philosophische (= Geisteswissenschaftliche) und Math.-Nat. zusammen. 214 S. seine Tagebucheintragung vom 5.11.1914, in der er den Schlußsatz der Erklärung so kommentiert, in: Grotjahn, Erlebtes und Erstrebtes, S. 157 f. 215 Siehe o. mit S. 265. Zur Deutung der Professorenpublizistik während des Krieges als Kompensation s. auch Jarausch, Deutsche Studenten, S. 110; vom Brocke, Marburg im Kaiserreich, S. 533; Wettmann, Kriegstagebücher Birts, S. 140, 142; etwas abgemildert in der Formulierung: Jansen, Professoren und Politik, S. 125.
294 Die Universitäten im Kriegseinsatz terstützung durch das vielfache Bedauern über den ›nicht vergönnten« Militärdienst, aber auch eine Äußerung Werner Sombarts genau in dieser Zeit: Für die Nationalökonomen gelte dasselbe wie für »die meisten Wissenschaftler, außer vielleicht den Kriegstechnikern und Strategen (…). Zu geben hatten wir nichts, das der großen Sache unmittelbar hätte dienen können.« Ihre Mitwirkung werde in keiner Richtung benötigt. (Deshalb sah Sombart ihre Aufgabe in der Kriegsdeutung216 – und wurde zu einem aktiven Kriegspublizisten.) Doch die Erklärung der Hochschullehrer hatte er nicht unterschrieben! Das erklärte sich offenbar daraus, daß die Auslandsaufklärung »keine besondere Bedeutung« für ihn hatte;217 denn er fand ja: »(…) auch wenn alle internationalen Zeitschriften eingingen, wenn der Gelehrtenaustausch ein paar Jahrzehnte mal in Wegfall käme: es wäre für uns kein Schade.«218 Die Herkunft aus dem Ausland scheint sich nicht eindeutig ausgewirkt zu haben: Während sich die Schweizer in Straßburg der Unterschrift enthielten,219 unterzeichneten ihre Landsleute in Berlin.220 Auch die Österreicher unterschrieben in Straßburg nicht.221 Möchte man das Ergebnis wegen der geringen Zahlen nicht einfach für zufällig erklären, so könnte sich auch hier der Unterschied zwischen Berlin und Straßburg bestätigen, der schon an den quantita tiven Befunden der Gesamtuniversitäten wie der einzelnen Fächer deutlich war: In Straßburg war ›man‹ zurückhaltender. In Berlin hielten sich unter den ›öster-
216 »die Vorgänge auf der Bühne des Lebens wie der Chor in der antiken Tragödie zu begleiten und die scheinbar sinnlosen Einzeltatsachen in ihrer Zusammengehörigkeit und Zugehörigkeit zu einem Ganzen zu begreifen und zu erklären«. Werner Sombart, Die Volkswirtschaftslehre und der Krieg, in: IMWKT IX (1914/15), Sp. 243–258, Zitate 243, 245; auch in: BAN IX (1914/15), S. 57–62, Zitate 57, 58 (Niederschrift datiert 19.10.1914). 217 So sein Biograph Friedrich Lenger, Werner Sombart 1863–1941. Eine Biographie, München 1994, S. 250 (ohne die Gelehrtenmanifeste zu erwähnen). 218 Werner Sombart, Händler und Helden. Patriotische Besinnungen, München u. a. 1915, S. 136. 219 Neben den genannten zwei Ordinarien (Oesterle und Schulthess) auch zwei Privat dozenten: der Mathematiker Andreas Speiser (aus Basel, Privatdozent in Straßburg 1911–1917, dann Prof. in Zürich) und der Chemiker Paul Ruggli, der seit 1910 Assistent in Straßburg war, sich hier 1913 habilitiert hatte und 1919 Dozent, später Prof. in Basel wurde. Zu beiden s. das Historische Lexikon der Schweiz unter: http://www.hls-dhs-dss. ch/textes/d/D43135.php (für Speiser) bzw. http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D45062. php (für Ruggli) (beide 20.1.2012). 220 Neben vier Ordinarien (Heusler, Hildebrand, His und Morf) auch der Privatdozent der Jur. Fak. Ernst Delaquis, der im Wintersemester als Extraordinarius an die neue Universität Frankfurt a. M. ging. Zu ihm s. http://www.sammlungen.hu-berlin.de/dokumente/ 14792/ (zuletzt 20.1.2012). 221 Der Ordinarius Franz Hofmeister aus Prag, Biochemiker an der Medizinischen Fakultät, und der Extraordinarius für Angewandte Mathematik Richard Edler von Mises aus Galizien. Die Privatdozenten Demeter Ritter von Tabora (aus Czernowitz) und Jakob Parnas (aus Tarnopol) entstammten beide der Med. Fak.
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reichischen‹ Professoren Unterzeichner und Nichtunterzeichner die Waage.222 Daß die Deutschbalten fast alle unterschrieben, kann nach der Russifizierung ihrer Heimat kaum verwundern.223 Ausnahmen machten der Gießener Ordinarius Bostroem und der Straßburger Privatdozent Nicolai Guleke, der, da er in einem Festungslazarett vor Ort arbeitete, gewiß Gelegenheit zur Unterschrift gehabt hätte,224 und auch der deutschbaltisch akkulturierte Russe Schalfejew in Berlin, wo offenkundig auch die Lektoren um Unterschrift gebeten wurden. Der Mathematiker Issai Schur, der bis 1913 und wieder ab 1916 in Berlin wirkte, hielt sich (in Bonn) ebenfalls von der Unterschrift fern. Letztlich wird wohl die Herkunft alleine nicht genügen, um eine Entscheidung für oder gegen die Unterschrift zu begründen. Das macht das Beispiel des überzeugten Elsässers Ménégoz wohl am besten deutlich. Selbst die Situation im Elsaß bewirkte keine klare Einteilung der Unterstützer und Gegner der Aufrufe. Vielleicht ist das auch der Grund, warum es kaum öffentliche Kritik an der Haltung der ›blinden‹ Unterschriftsleistung gab. Allenfalls einige Nichtunterzeichner – und privatim auch Dritte – äußerten sich schon während des Krieges. Doch zusammen mit den öffentlichen Veranstaltungen, also der Verabschiedung der Soldaten und den Reden beim Berliner Stiftungsfest und Rektoratswechsel, ergeben die Protestaktionen doch einen relativ eindeutigen Befund für die Wahrnehmung der neuen Situation in der akademischen Gemeinschaft: Sie zeigen ihre starke Geschlossenheit, was den Patriotismus und die (vermeint liche) Notwendigkeit zur Verteidigung des Reichs betrifft. Darüber hinaus rücken sie ins Bewußtsein, wie stark die Gelehrten nun die Einheit des ganzen Volkes wahrnahmen und als ihre große und bewegende Erfahrung herausstellten. Zugleich aber drohten sie selbst im Vergleich zu den aktiven Kämpfern bei den Verteidigungsanstrengungen ins Hintertreffen zu geraten. Immer wieder beteuerten sie, wie es sie bedrücke, selbst nicht am militärischen Kampf teilnehmen zu können. In dieser Situation erklärten sie einerseits programmatisch die Einheit von Heer und Volk und betonten, daß sie selbst »auch dazu« gehörten. Zugleich werteten manche das, was ihren Beruf ausmachte und was sie auch im fortgeschrittenen Alter noch leisten konnten, zum Kriegsdienst mit dem Wort auf und erklärten es in ihrem Kompensationsbedürfnis sogar zur eigenen Aufgabe, die Kämpfer motivieren zu müssen. Andere, wie Planck, mahnten eher zur Fortsetzung der wissenschaftlichen Arbeit, weil auch diese Dienst am Va222 Unterschrieben hatten der Jurist Liszt, der Historiker Tangl und der Internist Brieger (ao. Prof.); nicht unterschrieben der Pädiater Czerny und der Internist Friedrich Kraus, beide aus Böhmen. Luschans fehlende Unterschrift kann wegen seiner Festhaltung im Ausland nicht berücksichtigt werden. Bei der großen Privatdozentenschaft ist das Ergebnis unklar. Jedenfalls fällt der aus Graz stammende Internist Theodor Brugsch ins Auge. 223 Für Berlin: Harnack, Seeberg, Schiemann; für Straßburg: Dehio, Schmiedeberg. 224 S. seine Dienstakte ADBR 103 AL 404.
296 Die Universitäten im Kriegseinsatz terland sei. Doch läßt sich, wie die hohe Unterstützung auch der Naturwissenschaftler für die Gelehrtenaufrufe belegt, daraus kein Unterschied der Haltung zum Krieg bei Geistes- und Naturwissenschaftlern ableiten. Vielmehr belegen sowohl der militärische Einsatz als auch das Engagement an der ›Heimatfront‹, wie Studenten und Professoren es für ihre Aufgabe hielten, den Kriegseinsatz ihres Landes zu unterstützen.
2. Der Dienst in der Armee I: Studenten als Teil des Volksheeres »Wird schon in Friedenzeiten jedwede genaue Hochschulstatistik durch die offenbar traditionell gebotene und geheiligte Ungleichartigkeit – vielfach auch Unübersichtlichkeit – der einzelnen Personal-Verzeichnisse erheblich beeinträchtigt, so erscheint eine Kriegsstatistik, in Sonderheit eine richtige Bezifferung der academischen Kriegsteilnehmer so gut wie ausgeschlossen. Dafür können allerdings die Hochschulen keineswegs verantwortlich gemacht werden, denn fast mit dem ersten Tag der Mobilmachung sind unsere Studenten zu den Fahnen geeilt. Wer noch nicht im Heeresverband stund [!], aber feldtauglich war, meldete sich als Freiwilliger. Wie unsere Truppen im Kampfe vielfach ›nach vorn durchbrannten‹, so sind unsere Studenten ganz wie 1813 aus der ›Palaestra Studiorum in ampliores proeliorum campos‹ ausgerückt, ohne sich lange um Formalitäten, wie Abmeldungen etc. etc. zu kümmern. ›Das Vaterland in Gefahr‹ – das war ihr vornehmstes Wissen!‹«1
Mit dieser Einleitung eines kleinen Artikels über Academische Kriegsstatistik in den teils als offiziös geltenden oder, in der Sicht anderer Zeitgenossen, sich halbamtlichen Charakter anmaßenden Hochschul-Nachrichten wurde im Frühjahr 1915 einem alten Gravamen neue Bedeutung zugeschrieben: Jetzt war die Unmöglichkeit einer exakten Statistik nicht mehr Folge der Eigenbrötelei der einzelnen Hochschulverwaltungen, sondern Ausweis des patriotischen Eifers der deutschen Studenten, die auf dem Weg ins Feld administrative Vorschriften einfach ignorierten. Zugleich knüpfte der Artikel, wie viele Reden, an das glorreiche Beispiel der Befreiungskriege an, hier mit einer Formulierung aus der (natürlich lateinischen) Rede des damaligen Berliner Rektors August Böckh, die offenbar als allgemein bekannt vorausgesetzt wurde: Vom »Ringplatz der Studien« seien die Studenten auch jetzt wieder »auf die größeren Schlachtfelder« ausgerückt, wobei der Komparativ von amplus nicht nur räumlich (als »weiter« und »ferner« sowie größer in der Fläche), sondern auch im übertragenen Sinne als »bedeutsamer« verstanden werden kann. Damit (wie auch mit dem »vornehmsten Wissen«) wird die bisherige Aufgabe der Studenten, die Wissenschaft, auf einen nachgeordneten Platz verwiesen. In weiteren Berichten desselben Heftes scheint auch die Überwindung der alten Gräben innerhalb der Studentenschaft durch einmütigen Kampf für das Vaterland auf: Die Korporierten beschränkten sich nicht mehr auf die ›Landesvaterei‹ (also die Sprüche bei ihren Trinkgelagen) und Mensur, und die Gegner von Mensur und
1 Academische Kriegsstatistik, in: HN 25 (1914/15), S. 74 f., Zitat 74 (Kursiva i. O. gesperrt).
298 Die Universitäten im Kriegseinsatz Duell führten auf den Schlachtfeldern »Säbel und Karabiner nicht weniger mutig« als jene.2 Die Freiwilligkeit von 1914 kam der Einberufung allerdings nur zuvor; denn inzwischen hatte sich in ganz Deutschland die (im revolutionären Frankreich entstandene und zuerst in Preußen eingeführte) allgemeine Wehrpflicht durchgesetzt. Dabei hatte sich das preußische System einer relativ kurzen Dienstzeit mit anschließendem längerem Reservestatus (und gelegentlichen Reserve übungen) besonders in den Einigungskriegen bewährt und wurde nicht nur im Kaiserreich weitergeführt, sondern auch von verschiedenen anderen europäischen Staaten nachgeahmt.3 Seit 1893 dauerte der Wehrdienst nur noch zwei Jahre. Auf ein Jahr verkürzen konnten ihn junge Männer, die mindestens sechs Jahre eine höhere Schule besucht hatten und sich freiwillig meldeten. Sie durften sich den Truppenteil selbst aussuchen und auch außerhalb der Kaserne wohnen, mußten aber alles (auch ihre Ausstattung) selbst finanzieren. Da sich dies aber keineswegs alle leisten konnten, die aufgrund ihres Bildungspatents Anspruch darauf gehabt hätten, kam die Gruppe der tatsächlichen Einjährig-Freiwilligen durch eine weitere, sozioökonomische Selektion zustande.4 (Allerdings war die Zusammensetzung des Heeres auch insgesamt nicht repräsentativ, da Soldaten vom Lande über-, Arbeiter unterrepräsentiert waren.) Ebenso wie die Gemeinen wurden auch die Offiziere aus den »erwünschten Kreisen« rekrutiert, um eine soziale und gesinnungsmäßige Homogenität des Offizierskorps zu gewährleisten. Zwar war es nicht mehr auf den Adel der Geburt beschränkt, doch wurde bei seiner Verbürgerlichung der »Adel der Gesinnung« ausschlaggebend.5 Ein Einjährig-Freiwilliger konnte nach sechs Monaten Gefreiter werden, nach neun Monaten Unteroffizier. Am Ende des Jahres oder nach ein, zwei Reserveübungen erhielt er das Reserveoffizierspatent, das eine herausgehobene Stellung in der Gesellschaft vermittelte. Für den Zugang zu vielen Berufen wurde es geradezu erwartet, auch wenn es keine formale Voraussetzung dafür war. Studenten hatten also (durch ihr Abitur) sämtlich die Berechtigung zum einjährigfreiwilligen Dienst, machten aber – wegen des finanziellen Aufwands – nicht alle davon Gebrauch. Doch da man Studium und Dienst verbinden durfte (und dies den Eltern die Finanzierung eines weiteren Jahres ersparte), führte dieses
2 Die Beteiligung der Studentenschaft am Krieg, in: HN 25 (1914/15), S. 77 f., Zitat 77 (im Anschluß an Zitate aus der Breslauer Hochschul-Rundschau über die Korporierten). 3 Stig Förster, Militär und staatsbürgerliche Partizipation. Die allgemeine Wehrpflicht im Deutschen Kaiserreich 1871–1914, in: Roland G. Foerster (Hg.), Die Wehrpflicht. Entstehung, Erscheinungsformen und politisch-militärische Wirkung, München 1995, S. 55–70, hier 61. 4 Nachweise bei Maurer, Universitas militans, S. 59 f. mit A. 12. 5 Die zit. Begriffe stammen aus einer Kabinettsordre Wilhelms II. (Förster, Militär und staatsbürgerliche Partizipation, S. 59 f., 66).
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Institut schon als solches zur Veränderung der Universitätsstädte: denn die noch keine hatten, bemühten sich – mit Erfolg! – um eine Garnison.6 Bei der Wehrpflicht gab es aber nicht nur positive wie auch negative soziale Diskriminierung, sondern sie wurde auch bei weitem nicht vollständig umgesetzt; denn die tatsächliche Einberufungsrate betrug in Friedenszeiten nur 51,2 %.7 Obwohl das Deutsche Reich im Juli 1914 nur 10,5 Millionen Wehrpflichtige zählte, hatte es bis zum Kriegsende aber insgesamt 13,25 Millionen Männer unter Waffen. Zwei Millionen der über 13 Millionen Kriegsteilnehmer fielen, 4,2 Millionen wurden verwundet.8 Zu Kriegsbeginn waren in Deutschland alle Männer zwischen dem 20. und dem vollendeten 45. Lebensjahr zum Kriegsdienst verpflichtet; bis zum 28. Lebensjahr gehörten die Diensttauglichen dem Stehenden Heer auch in Friedenszeiten als Aktive oder in der Reserve an, vom 28.–39. als Dienstpflichtige der Landwehr. Im Kriegsfall waren darüber hinaus alle Wehrpflichtigen vom 17.–45. Lebensjahr, die weder dem Heer noch der Marine angehörten, landsturmpflichtig, hatten also an der Verteidigung teilzunehmen und konnten auch zur Heeresergänzung verwandt werden.9 Tatsächlich wurde bereits am 15. August auf kaiserliche Verordnung hin ein Teil der Landsturmpflichtigen zum aktiven Dienst aufgerufen. Allerdings wurden zunächst nur militärisch Ausgebildete eingezogen, darüber hinaus aber ehemalige Offiziere, Ärzte und Tierärzte zur freiwilligen Meldung aufgefordert.10 Doch auch die Nichttauglichen standen unter einem beträchtlichen Druck, wie etwa der Aufruf des Rüdesheimer Verbandes deutscher Burschenschaften belegt (dem, ursprünglich von TH-Studenten gegründet, inzwischen 37 Burschenschaften aus 14 Universitäts- und Hochschulstädten angehörten): »Burschen heraus! Burschenschafter! Das Vaterland hat gerufen! Seid eingedenk unseres Wahlspruches: ›Ehre, Freiheit, Vaterland!‹ Zu den Waffen oder zur freiwilligen Krankenpflege! Burschen heraus!«11 Noch stärker kam der Gruppendruck in der Zeitschrift des Kyffhäuser-Verbands der Vereine Deutscher Studenten zum Ausdruck. Hier wurde an die in der Verbandssatzung festgeschriebene Verpflichtung jedes waffen-untauglichen Mitglieds erinnert, sich 6 Als Beispiel s. Biastoch, Tübinger Studenten im Kaiserreich, S. 193 f. 7 Werner Benecke, Die Allgemeine Wehrpflicht in Russland: Zwischen militärischem Anspruch und zivilen Interessen, in: Journal of Modern European History 5 (2007), S. 244– 263, hier 252. 8 Alles nach Afflerbach, »Bis zum letzten Mann und letzten Groschen?«, S. 76, 78, 88 f. 9 Handbuch der deutschen Militärgeschichte 1648–1939. Bd. 3, Frankfurt 1968, S. 49–51 (Wiegand Schmidt-Richberg). 10 Aufruf: Stadtarchiv Gießen L 259. 11 Zit. bei Werner Basler, Zur politischen Rolle der Berliner Universität im ersten imperialistischen Weltkrieg 1914 bis 1918, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin/Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 10 (1961), S. 181–203, hier 181.
300 Die Universitäten im Kriegseinsatz der freiwilligen Krankenpflege zu widmen, und ausführliche Hinweise zur Meldung bzw. falls nötig, Ausbildung gegeben. Auch diese Tätigkeit war »nicht leicht zu nehmen und verlangt(e) einen vollen Mann.«12 In dieselbe Richtung zielte Professor Kahls Aufforderung beim der Berliner Stiftungsfest am 3. August.13 Generell galt die Zahl der Kriegsfreiwilligen damals als Gradmesser der Begeisterung. Besonders hoch war der gesellschaftliche Druck, sich freiwillig zu melden, in bürgerlich-akademischen Schichten.14 Dabei stand aber der Militärdienst, nicht nur zahlenmäßig, ganz im Vordergrund. So »schämte« sich ein Student »schon fast«, sich »in Zivilkleidern« vor einer Bekannten sehen zu lassen und war ganz erleichtert, als er am 3. August »endlich« seine Einberufung bekam.15 Zudem bildete der militärische Einsatz eine Fortsetzung der studentischen Tradition: nicht nur des Waffentragens in Friedenszeiten, sondern insbesondere der Teilnahme am Krieg seit der antinapoleonischen Erhebung. Dabei ermöglichte es der geringe Anteil an Gefallenen im preußisch-französischen Krieg 1870/71 zudem, die studentische Beteiligung zum Heldenepos zu stilisieren, das bei akademischen Sedanfeiern den nachfolgenden Generationen als leuchtendes Beispiel vorgehalten wurde.16 Sowohl der Bezug auf die früheren Kriege – »Die Geschlechter von 1813 und 1870 sollen uns ihrer würdig sehen!« – als auch die 1913 zu den Hundertjahrfeiern abgelegten Schwüre dienten nun zur Verstärkung des Drucks.17 Möglicherweise wurde er durch das jeweilige spezifische Umfeld noch weiter gesteigert. Der Berliner Oberbürgermeister Wermuth z. B. verkündete am 3. August: »Berlin, die Reichshauptstadt, muß und wird in Opfermut und Selbstzucht voranstehen.«18 Als extremes Beispiel des hohen Mobilisierungsgrades der Studenten kann die (spätere) Selbstdarstellung des Gießener Corps Teutonia gelten: »Geschlossen reiste der aktive CC. ab, um sich gemäß den Gestellungsbefehlen oder freiwillig zu melden. (…) Die Mehrzahl der Aktiven wurde von einem Darmstädter Dragonerregiment als Freiwillige angenommen. Auch Corpsbrüder, die gerade im Ausland weilten, setzten alles daran, in die Heimat zurückzukehren, (…) um sich dem 12 Otto Feußner, Freiwillige Krankenpflege im Kriege, in: AB 29 (1914–1915), gesondert pag. Beilage Mit Gott für Kaiser und Reich!, S. 10 f. 13 S. dazu u. S. 387. 14 Verhey, Augusterlebnis, S. 359; Ullrich, Kriegsbegeisterung, S. 630. Zu Erlangen, wo manche Verbindungen es »für ihre sämtlichen studentischen Angehörigen kurzweg offiziell machten, als Freiwillige einzutreten«, s. Liermann, Friedrich-Alexander-Universität, S. 33; zu Leipzig, Gätke-Heckmann, Universität Leipzig im Ersten Weltkrieg, S. 148. 15 Philipp Witkop (Hg.), Kriegsbriefe gefallener Studenten. 7. erw. Aufl., München (ca. 1929 [© 1928]), S. 7 (Walter Linner, * 1890: »ich gehöre nicht mehr ins friedliche Leipzig«). 16 Jarausch, Deutsche Studenten, S. 106. 17 Zitat aus einer Rede des Bonner Rektors bei Jarausch, Deutsche Studenten, S. 106; Bezüge auf 1913 nachgewiesen bei Maurer, Engagement, S. 162 A. 68. 18 Zit. nach Large, Berlin, S. 130.
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Vaterland zur Verfügung zu stellen. Sogar 70jährige wie Thiel (…), der als Leutnant den Krieg 1870/71 mitgemacht hatte und nun Hauptmann der Landwehr wurde, und andere hochbetagte Corpsbrüder setzten ihre Verwendung im Heeresdienst durch.«19
Doch nicht nur von Studentenverbindungen (hier mit rechter, völkischer, antisemitischer Haltung) wurde der Kriegsdienst zur Selbstdarstellung genutzt, gelegentlich sogar in dramatisierender Weise.20 Auch die Universitäten selbst veröffentlichten die Namen ihrer Kriegsteilnehmer bzw. markierten diese in den weiterhin jedes Semester aufs neue gedruckten Studentenverzeichnissen. Das hatte die Universität Berlin angeregt, und der Kultusminister empfahl es bereits im Oktober 1914 allen preußischen Universitäten.21 Die Universität Gießen, die zumindest während der ersten beiden Kriegssemester keine exakten Angaben über die Zahl ihrer Militärdienst leistenden Studenten hatte, druckte jeweils nachträglich besondere Verzeichnisse (deren erstes durch Befragung von Instituten, Familien und Korporationen sowie aller im Sommer 1914 Immatrikulierten zustande kam). Vermutlich diente es (per Versand) nicht nur als »Gruß der Universität«, sondern auch zur Dokumentation ihrer »geradezu erstaunliche[n] Beteiligung« an den Kriegsanstrengungen.22 Doch mußten diese Verzeichnisse von der zuständigen Militärbehörde freigegeben werden, was für das Wintersemester 1914/15 auch unverzüglich geschah, im Sommer 1915 aber offenbar 19 Corps Teutonia zu Gießen 1839–1935, o. O. o. J. [Gießen 1935], S. 120. 20 Diese findet sich in der zit. Quelle an den hier ausgelassenen Stellen. Zur Haltung der Teutonia s. ihren Ausschluß der »jüdischen Fremdlinge« 1923 und ihre Beteiligung am Kapp-Putsch, in: Corps Teutonia, S. 125 (Zitat), 132 f. 21 Runderlaß vom 22.10.1914 an die Universitätskuratoren sowie Senat und Rektor der Universität Berlin, in: ZBUPr 1914, S. 735. Nur die Universität Berlin ging ab WS 1917/18 vom Druck der Studentenverzeichnisse ab und veröffentlichte nur noch das Verzeichnis des Personals und eine Statistik der Studenten. Die Universität Straßburg druckte jeweils zwei (bzw. drei) Verzeichnisse ab: »Verzeichnis der Studierenden, die dem Rektorat mitgeteilt haben, daß sie Kriegsdienste leisten, und die deshalb beurlaubt (von der Verpflichtung, eine Vorlesung zu belegen, entbunden) sind« (dazu einen »Nachtrag […]«) sowie ein »Verzeichnis der Studierenden, die in dem laufenden Semester neu immatrikuliert worden sind oder ihre Legitimationskarte umgetauscht haben« (s. PV KWU Strb. WS 1914/15, S. 28, 43, 47). Im Berliner Verzeichnis sind »die Namen derjenigen Studierenden, von denen der Universitätsbehörde bekannt geworden ist, daß sie beim Heere stehen« mit einem Sternchen versehen (s. z. B. AV FWU Berlin WS 1915/16, Zitat S. 77). Im Gießener Verzeichnis ist in der Spalte »Wohnung bzw. Aufenthalt« angegeben »Im Heere«). Zu Ehrentafeln für die Gefallenen im Straßburger und Gießener Personal verzeichnis s. u. S. 1121. 22 Zum Verfahren der Herstellung des Verzeichnisses s. [Robert] Sommer, An die im Felde stehenden Angehörigen der Landesuniversität Gießen. Gießen, 5.12.1914 [1 Folio-Blatt, vorhanden in der UB Gießen unter der Signatur A 56500/1 fol. (22a)] (Zitate). Die gedruckte Karte, mit der die Informationen auf der anhängenden Antwortkarte erbeten wurden (adressiert an »Geh. Kirchenrat Prof. Dr. G. Krüger. Oberleutnant und Bezirksadjutant«) in: UA Gi Allg. 106, fol. 12.
302 Die Universitäten im Kriegseinsatz Probleme bereitete. Deshalb erreichte dieses zweite Verzeichnis weder die Studierenden noch die breitere Öffentlichkeit; denn es enthielt nicht nur (wie die Personalverzeichnisse der Universität) die Namen, sondern auch die Funktion, eventuelle Verwundung und den Truppenteil. Letzteres aber erschien der zuständigen Militärbehörde nicht angängig. So wurde das bereits gedruckte Verzeichnis am Ende »lediglich zum Aktengebrauch« bestimmt.23 Auch in Straßburg (und anderswo) kam es zu Nachfragen und Verwarnungen der Militärbehörden, wenn die Universitäten versuchten, die Feldadressen ihrer Studenten zusammenzustellen – weil dadurch die »Geheimhaltung unserer Heeresgliederung« gefährdet werde.24 Doch obwohl sich zahlreiche Studierende an der sogenannten Heimatfront, also im zivilen Bereich, engagierten,25 enthielten die Verzeichnisse nur Angaben über den Dienst bei der Truppe. Auch damit wurde die besondere Bedeutung des militärischen Einsatzes unterstrichen. Immerhin wurden im Berliner Verzeichnis, das, wie an preußischen Universitäten generell, immer nach Geschlechtern getrennte Listen der Immatrikulierten (und nun auch der Kriegsteilnehmer) führte, auch Frauen solchermaßen ausgezeichnet: »Studentinnen, von denen der Universitätsbehörde bekannt geworden ist, daß sie sich zum Zwecke der Hilfeleistung beim Heere befinden«.26 Doch während es eine solche Gruppe von 37–54 Frauen in Berlin in jedem Semester gab, blieb der Einsatz von Straßburger Studentinnen »im Kriegsdienst« das kurze Zwischenspiel einzelner: Eine engagierte sich so über vier Semester hin, in ihrem zweiten taten es ihr drei andere nach, allerdings nur ein Semester lang.27 In Gießen war nie eine 23 Die Teilnahme von Angehörigen der Universität Giessen am Kriege. 2. Ausgabe vom 31. Oktober 1915, Giessen 1915. Mit dem Vermerk »Für S. Magnificenz den Herrn Rektor: Exemplar mit den Ortsangaben, die nach der Verfügung des Gen. Kdos. gestrichen werden müssen« findet es sich in UA Gi Allg. 103. Dort außerdem zwei Exemplare des Verzeichnisses für WS 1914/15: Die Teilnahme von Angehörigen der Universität Gießen am Kriege 1914. Ausg. vom 31. Dezember 1914, Gießen 1915 (mit Stempel »Nr. B 14 frei gegeben am 15.I.1915. Stellv. Generalkommando XVIII Armeekorps. Presseabteilung«). 24 Gouvernement von Straßburg an Rektorat der KWU 18.5.1916: ADBR 103 AL 53. Der Fall ist bereits erwähnt bei Schlüter, Reichswissenschaft, S. 487 A. 1, allerdings unter dem Gesichtspunkt der Zensur, ohne den von den Militärbehörden verfolgten Zweck. 25 S. dazu u. Kap. III .4. 26 Siehe z. B. AV FWU Berlin WS 1915/16, S. 243 (Zitat). 27 Vom SS 1915 bis einschließlich WS 1916/17 stand die Mathematikstudentin Crescentia Hörmann aus Bayern im Kriegsdienst (s. PV KWU Strb. SS 1915, S. 41; WS 1915/16, S. 41; SS 1916, S. 42; WS 1916/17, S. 42). Im WS 1915 leisteten außer ihr folgende drei Frauen »Kriegsdienst«: Die Philologin Frida Andersson aus Westpreußen (S. 29), die Medizinerin Erna Fürstenau aus Straßburg (S. 36), die Philologin Gertrud Weinschenk aus dem Oberelsaß (S. 57). Diese drei sind in den nächsten Semestern weder als Kriegsdienstleistende verzeichnet noch bei jenen, die sich zum Studium zurückgemeldet hatten. Nur Gertrud Weinschenk immatrikulierte sich im Sept. 1917 erneut für das WS 1917/18 (S. 85), fehlte aber im SS 1918 bereits wieder (oder legte damals ihr Examen ab).
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»Kriegsdienst« leistende oder »beim Heere« befindliche Frau registriert.28 Für das gesamte Reich wurde die Zahl der Studentinnen im Sanitätsdienst an der Jahreswende 1916/17 auf 400 geschätzt.29 Geprägt wurde der Einsatz der Universitäten aber vom Bild des jungen männ lichen Kämpfers: »In hellen Scharen verließen nun die Kommilitonen die Universität, um sich zum Waffendienst zu melden.«30 Um das Engagement der drei Universitäten wirklich vergleichen zu können, sollte man die in militärischer Verwendung Stehenden auch nur auf die Zahl der deutschen männlichen Studenten beziehen – denn der unterschiedliche Frauen- und Ausländeranteil verzerrt die Ergebnisse natürlich, wenn man die ›Soldaten‹ auf die Gesamtheit aller Immatrikulierten bezieht, wie dies üblicherweise getan wird.31 Das macht zwar bei einer kleinen Universität wie Gießen, an der es schon traditionell nur wenige Ausländer gab, im Krieg nur noch einzelne, fast keinen Unterschied.32 Auch in Straßburg, das früher wegen seiner guten Ausstattung und unmittelbar vor dem Krieg offenkundig wegen des numerus clausus für Studenten aus dem Russischen Reich in Preußen und Bayern eine große Ausländerkolonie gehabt hatte, studierten nun nur noch einzelne, die im Winter 1914/15 noch 0,6 %, später immer nur 0,1–0,2 % der Studentenschaft ausmachten.33 Doch für die Berliner, die auch in den ersten beiden Kriegsjahren noch 5–6 % und 1917/18 noch knapp 5 % Ausländer zählte,34 verändert die Bezugsgröße das Bild des relativen Engagements durchaus. Auch der im Vergleich zu Gießen und Straßburg hohe Frauenanteil der hauptstädtischen Universität würde sich, selbst wenn man nur die deutsche Gesamtstudentenschaft betrachtete, mindernd auf den Grad ihres Kriegseinsatzes auswirken. Deshalb müssen die Anteile der Studierenden im Kriegsdienst nicht nur auf die jeweilige Gesamtstudentenschaft bezogen, sondern außerdem Männer und Frauen auch getrennt betrachtet werden.
28 Gießen und Straßburg hatten alphabetische Verzeichnisse aller Studierenden (ohne Geschlechtertrennung); zur Registrierung des Kriegsdienstes s. o. A. 21. 29 Die deutschen Studenten und der Krieg, in: Ministerial-Blatt für Medizinalangelegenheiten 17 (1917), S. 23. 30 So blickte Max Planck im Oktober 1914 auf den Kriegsbeginn zurück (Rektorwechsel 1914, S. 16). 31 So z. B. auch bei Anderhub, Antoniterkreuz, S. 9. 32 Solche Berechnungen bei Anderhub, Antoniterkreuz, S. 9. Davon weichen meine Berechnungen auf der Basis der deutschen Staatsbürger nur um 0,1 % (im SS 1916) bis 0,8 % (im WS 1915/16) ab. Eine Ausnahme macht das Sommersemester 1918 mit 1,2 %. 33 Eigene Berechnungen nach den Daten in den Statistiken des Personalverzeichnisses. 34 S. das Diagramm bei Siebe, »Germania docet«, S. 318; vgl. für Gießen 345. Die Daten bei Anderhub, Antoniterkreuz, S. 10 f. sind unvollständig, da er (wie der Vergleich mit den Statistiken in PB LU Gi ergibt) im SS 1915 einen Schweizer, im WS 1915/16 zwei Schweizer und einen Luxemburger, im SS 1916 zwei Schweizer und von SS 1916 bis SS 1918 kontinuierlich einen Studierenden aus »Finnland« übersehen hat.
304 Die Universitäten im Kriegseinsatz Exakt ließ und läßt sich die Zahl der Studenten an der Front nicht ermitteln; das stellten schon die Zeitgenossen fest.35 Ja, nicht einmal die Zahl der im Militärdienst stehenden kann zuverlässig eruiert werden (und dieser Dienst konnte ja auch in der Etappe oder an einem Standort im Reich geleistet werden, unter der Waffe oder in anderer militärischer Verwendung, z. B. im geistlichen oder Sanitätsdienst36). Dazu kam schließlich ein »ständig[er] Wechsel der einzelnen von einer zur andern Tätigkeit« im Heeresdienst, und zwar auch von der Krankenpflege zum Dienst mit der Waffe und umgekehrt.37 Außerdem können nur die den Universitätsbehörden »bekannt geworde n[en]« Fälle38 von (in verschiedener Funktion) beim Heer befindlichen Studierenden dem Versuch, die Anteile von abwesenden und tatsächlich an der Hochschule anwesenden zu bestimmen, zugrundegelegt werden. Zudem wird dies durch die von den Hochschul-Nachrichten schon monierte unterschiedliche Anlage der Verzeichnisse und durch die sich auch während jedes Semesters ständig verändernde Zusammensetzung der Studentenschaft infolge der Einberufungen erschwert. Außerdem waren vermutlich nicht alle eingezogenen Studenten überhaupt an einer Hochschule eingeschrieben39 – denn manche hatten sich im Sommer 1914 mit Blick auf einen geplanten Wechsel vielleicht schon an einer Universität exmatrikuliert, um sich im Herbst an einer anderen zu immatrikulieren. Und während die Zahl der Studierenden herkömmlich und auch weiterhin erst im darauffolgenden Semester »endgültig« festgestellt wurde (weil immer nachträgliche Immatrikulationen zu berücksichtigen waren), geschah dies nicht für die Zahl der Kriegsteilnehmer, die manchmal nach Abschluß der Immatrikulationsfrist, manchmal am Semesterende festgestellt wurde. Außerdem verfuhren auch dabei die einzelnen Universitäten unterschiedlich (und hatten unterschiedliche Stichdaten). Zudem fehlt für Gießen und Straßburg bei den nachträglich Immatrikulierten die Spezifizierung nach Geschlecht und Staatsangehörigkeit, so daß diese Anteile nur für die etwas kleinere Gruppe der beim Ablauf der Immatrikulationsfrist Gemeldeten bestimmt werden können. Bei aller Akribie kann man also für die Beteiligung am Kriegsdienst nur Annäherungswerte erhalten. Übrigens war die damalige, insbesondere preußische Universitätsstatistik so differenziert und kompliziert, daß sich nicht einmal der jeweilige Rektor ohne weiteres darin zurechtfand. So gab der Berliner Jurist 35 Ficker, Bericht II (1915/16), S. 4. Vgl. auch: Die deutschen Studenten und der Krieg. Über die (nur) annähernde Ermittlung s. auch das Schreiben des Pr. KuMi an den Kurator der Univ. Halle [und alle anderen Kuratoren] 22.10.1914: GSt APK Rep. 76 Sekt 1, Tit. I, Nr. 35 Bd. I, fol. 214. Darin lobt er auch ausdrücklich die Anregung, die im Feld oder in der freiwilligen Krankenpflege Stehenden zu kennzeichnen. 36 Ficker, Bericht I (1914/15), S. 3. 37 Ficker, Bericht II (1915/16), S. 4. 38 Zum Beleg s. das ausführlichere Zitat o. in A. 21. 39 So: Die deutschen Studenten und der Krieg.
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Kipp in seinem Bericht für 1914/15 zu niedrige Zahlen an, denn er hatte, wie der Vergleich mit der immer nach einzelnen preußischen Provinzen, anderen Bundesstaaten des Deutschen Reichs und drei Kategorien von Ausland gegliederten Studierendenstatistik belegt, nur die preußischen Kriegsteilnehmer beachtet!40
Die Kriegsteilnehmer der drei Universitäten Trotz der unvollständigen und nicht mehr exakt zu eruierenden Daten soll der ungefähre Umfang der militärischen Kriegsanstrengungen der drei untersuchten Universitäten – jeweils in Relation zu ihrer Gesamtstudentenschaft und zur männlichen deutschen Studentenschaft – verglichen werden.41 Dabei werden immer nur die ordentlichen Studierenden (Immatrikulierte) berücksichtigt, nicht die sonstigen Hörer. Doch waren unter den Immatrikulierten auch solche, die die Universität noch gar nicht gesehen hatten, da im Felde stehenden Soldaten oder deutschen Kriegsgefangenen ab Herbst 1916 auch an preußischen Universitäten die Immatrikulation in Abwesenheit gestattet war. Und diese Genehmigung erwirkte sich nun auch die Straßburger.42 Tendenziell ist überall ein fast ständiger Anstieg des Anteils der Studierenden im Kriegsdienst festzustellen, aber eben nicht ohne Ausnahme: in Straßburg wurde er in den Wintern 1916/17 und 1917/18 jeweils durch einen zeitweisen Rückgang unterbrochen, in Gießen im Sommer 1916. Was oft als allgemeine Tendenz betrachtet wurde, daß nämlich drei Viertel der Studenten (korrekter: der Männer) die Universität faktisch verlassen hätten, um in den Krieg zu ziehen,43 bestätigt sich als durchgehendes Muster nur in Gießen: Dort waren ab dem Wintersemester 1914/15 immer 74,6–78 % der deutschen Studenten40 Kipp, Amtsjahr 1914/15, S. 10 im Vergleich zu: Übersicht über die Zahl der Studierenden (…) im Winter-Semester 1914/15 bis zum Abschluß des Nachtrags (…) im Felde (…) bzw. zum Zwecke der Hilfeleistung beim Heere (…) [als Anhang zur »Endgültigen Feststellung«], in: Nachtrag zum AV FWU Berlin SS 1915, unpag. Deren Tabelle A weist die von Kipp genannten 3062 Studenten als Preußen/Männer aus. Dazu kommen 36 preußische Frauen sowie auf der folgenden Seite 383 männliche und 4 weibliche Angehörige anderer deutscher Staaten. Dasselbe gilt analog für die Daten des SS 1915. 41 S. dazu Tabelle 1 im Anhang S. 1140 f. 42 S. dazu detailliert u. Kap. IV.4. Da nur das Straßburger Verzeichnis diese Gruppe gesondert auswies, muß diese (wie offenbar anderswo auch) nicht nur in die Gesamtzahl der Immatrikulierten einbezogen werden. Vielmehr müssen diese neuen ›Studenten‹, da die Immatrikulation in absentia nur aus dem Felde oder aus der Gefangenschaft möglich war, auch zu den für den Krieg Beurlaubten hinzugerechnet werden. 43 S. zeitgenössisch etwa S[ebastian] Hausmann, Das Frauenstudium im Kriege, in: Die Frau 25 (1917/18), S. 15–24, hier 16: Im Sommer 1917 seien 80,6 % der männlichen Studenten im Krieg. Aus der modernen Literatur Anderhub, Antoniterkreuz, S. 10 (mit Be legen für Jena und Göttingen). Jarausch, Deutsche Studenten, S. 109 gibt (bezogen auf alle Hochschulen) für Sommer 1918 67,8 %.
306 Die Universitäten im Kriegseinsatz schaft beurlaubt (nur im Sommer 1918 waren es knapp zwei Prozent weniger als drei Viertel). Betrachtet man nur die Männer, so betrug der Anteil in Gießen sogar zwischen 76,2 % und 81,9 %.44 In den beiden anderen Universitäten stieg der Prozentsatz, ausgehend von 47,1 % in Berlin und 46,6 % in Straßburg (WS 1914/15), erst allmählich an und erreichte seinen Höhepunkt in Berlin im Winter 1917/18 mit 74,3 % (84,1 % der Männer), in Straßburg im Sommer 1917 mit 73,2 % (76 % der Männer). Doch dieses Bild der offiziellen Statistik, deren Rohdaten sowohl in den Personalverzeichnissen der Universitäten überliefert als auch von dort in das Statistische Jahrbuch für das Deutsche Reich eingegangen sind,45 wird für das erste Kriegssemester durch den Bericht des Straßburger Rektors beim Stiftungsfest im Mai 1915 in Frage gestellt. Danach basiert die Angabe von 1155 Immatrikulierten seiner Universität im Wintersemester (was einen Rückgang um 810, d. h. 41,2 %, im Vergleich zum Sommersemester 1914 bedeutet hätte!) auf dem Stand vom 27. November 1914. Bis dahin hatten nur die in der offiziellen Statistik angegebenen 535 Studenten dem Rektorat mitgeteilt, daß sie Kriegsdienste leisteten. Doch wurden die Immatrikulationen bzw. Rückmeldungen in diesem Wintersemester dann bis Februar (!) fortgesetzt, und gleichzeitig meldeten sich weitere Kriegsteilnehmer aus dem Feld. Demnach betrug die Gesamtzahl der Immatrikulierten am Ende des Wintersemesters 1716.46 Die wirkliche Zahl war für beide Gruppen also wesentlich höher als in der offiziellen Statistik angegeben, vermutlich auch der Anteil der Kriegsteilnehmer an den Immatrikulierten. Vielleicht kehrten manche Studierwilligen zunächst nicht nach Straßburg zurück, solange die militärische Lage unklar war;47 denn erst mit der Stabilisie-
44 Da Anderhub, Antoniterkreuz, S. 9 die Zahl der Studenten in militärischer Verwendung immer auf die Gesamtzahl der Immatrikulierten (inkl. Frauen und Ausländer) bezieht, liegen seine Prozentsätze etwas niedriger. Vier Fünftel der Studierenden stünden im Felde, verkündete der Rektor auch bei der Gründung der Gießener Hochschulgesellschaft Ende Februar 1918: Bericht über die Gründung der Gesellschaft von Freunden und Förderern der Universität Gießen (Gießener Hochschulgesellschaft), Gießen 1918, S. 19. Vgl. auch seine Rede beim jährlichen Festakt der Universität im Sommer: Gisevius, Der Boden als Betriebsmittel, S. 4. Da für das WS 1914/15 für Gießen keine genauen Zahlen vorliegen, wurde als Zahl dafür 900 zugrundegelegt. S. PB LU Gi WS 1914/15, S. 66: »Die Gesamtsumme der im Militärdienst stehenden ist rund 900, die der an der Universität anwesenden ungefähr 300.« 45 Die Berliner und Straßburger Verzeichnisse enthalten Tabellen mit Rohdaten, im Gießener muß die Zahl der Kriegsteilnehmer aus der Namensliste eruiert werden. Als Zusammenfassung s. auch: Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 36 (1915), S. 312–313. 46 Stiftungsfest der KWU 1915, S. 12. 47 Aus Freiburg wurde z. B. berichtet, daß viele Studentinnen im WS nicht an diese Universität zurückkehrten, so daß ihr Verein in ernsthafte Schwierigkeiten geriet (Verein Freiburger Studentinnen. Semesterbericht, in: S IV [1915/16], S. 30 f.). Allgemein von einer Einbuße des weiblichen Vereinswesens an den Grenzuniversitäten berichtet Irmgard
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rung der Front Ende des Jahres begann mit dem Stellungskrieg eine ›ruhigere‹ Phase.48 Außerdem ist zu vermuten, daß viele sog. ›altdeutsche‹ Studenten während der Sommerferien von ihren Heimatorten aus in den Dienst getreten waren, sich deshalb zunächst nicht zurückmeldeten und dann, als die Regelungen der Beurlaubung klar wurden, dem Rektor ihren Militärdienst anzeigten. Dies würde auch den geradezu sprunghaften Anstieg der Zahl und des Anteils der Dienstleistenden unter den Altdeutschen von 188 (57,8 %) im Wintersemester (also bis 27.11.) auf 440 (81,5 %) im Sommersemester 1915 erklären. Da für spätere Semester keine entsprechenden Korrekturen mehr bekanntgegeben (oder aktenkundig) wurden, waren die dann veröffentlichten Zahlen der ›Rea lität‹ wohl näher als im ersten Kriegssemester.49 Doch selbst wenn man das erste Kriegssemester außer Acht läßt, als Regelungen erst gefunden werden und Verfahren sich einspielen mußten, fällt der lange relativ niedrige Anteil der im Kriegsdienst Stehenden an der Berliner Studentenschaft auf: Bis einschließlich Sommersemester 1916 lag er jeweils 10–15 Prozentpunkte niedriger als in Straßburg und 15–26 Prozentpunkte niedriger als in Gießen. Anders gesagt: die Provinzuniversität eines deutschen Kleinstaates war am militärischen Engagement des Reichs viel stärker beteiligt als die sich als deutsche Nationaluniversität verstehende in der Hauptstadt. Die Straßburger dagegen, die an der Grenze des Reichs seit langem ebenfalls eine nationale Aufgabe hatte und sich selbst als ›Reichsuniversität‹ verstand, lag etwa in der Mitte zwischen beiden. Ab der Kriegsmitte verringerte sich der Abstand allerdings: gegenüber Gießen auf 5 bis 1 Prozentpunkte; gegenüber Straßburg gingen die Berliner nun gar in Führung. Dieses Bild verschiebt sich noch weiter, wenn man nur auf die Männer blickt: Dann werden die Unterschiede auch in den ersten Kriegssemestern geringer. Vor allem aber kehrt sich das Grundmuster ab Sommer 1917 um: Das Engagement der Berliner Männer übertraf dann das ihrer Kommilitonen an der Reichsgrenze um 5–10 Prozentpunkte und sogar das der so kriegstüchtigen hessischen ›Provinzler‹ noch um 1–2 Prozentpunkte. Am stärksten aber engagierten sich die sog. altdeutschen Studenten in Straßburg: Sie übertrafen die Männer der beiden anderen Universitäten bis zur Kriegsmitte, fielen im Sommer 1916 (wie das Straßburger Engagement überhaupt) zurück, lagen dann zwei Semester lang in etwa mit den nun militärisch zunehmend stärker werdenden Berlinern gleich auf und fielen in den letzten beiden Kriegssemestern hinter den Männern der beiden anderen Universitäten zurück. Über die Ursachen dieses Musters können nur Vermutungen anMüller, Unsere Kriegssemester 1. Aus dem Verbande der Studentinnenvereine Deutschlands, in: Vor uns der Tag. Eine Gabe deutscher Studentinnen in großer Zeit, Cassel 1916, S. 65–68, hier 66. 48 Das Elsass 1870–1932 I, S. 192–226. 49 Deshalb werden die folgenden Vergleiche nur noch für Sommer 1915 bis zum letzten Kriegssemester (Sommer 1918) angestellt.
308 Die Universitäten im Kriegseinsatz gestellt werden: Die Zahl der altdeutschen Studentensoldaten blieb ab dem zweiten Kriegssemester mit kleineren Schwankungen auf einem insgesamt ähnlichen Stand. Daß der Anteil der ›Kämpfer‹ bei ihnen aber zunächst höher war, könnte sich daraus erklären, daß im 1870/71 ›zurückgewonnenen‹ Elsaß besonders national Gesinnte studierten und dies sogar, wie in den Verbindungen lange propagiert, als ›nationale Pflicht‹ begriffen.50 Vermutlich eilten solche Studenten besonders eifrig zu den Fahnen. Wenn der Anteil der ›Kämpfer‹ innerhalb dieser Gruppe dann allmählich zurückging, mag dies mit einem geringeren Zustrom ins Elsaß zusammenhängen: Die Zahl der immatrikulierten Altdeutschen war im SS 1918, obwohl sie damals während der gesamten Kriegszeit am höchsten war, nur um 14 % höher als 1915 (hatte aber zwischenzeitlich auch Rückgänge zu verzeichnen gehabt!). Die Zahl der Elsässer dagegen war in diesem Zeitraum um 27 % gestiegen. Wenn aber die national Engagierten sich schon freiwillig gemeldet hatten, die übrigen Tauglichen vermutlich allmählich alle eingezogen worden waren und kaum neue Studenten aus ›Altdeutschland‹ hinzukamen, mußte der Anteil der Nichttauglichen unter den ›altdeutschen‹ Immatrikulierten wachsen, folglich jener der Kämpfer zurückgehen. In der elsässischen Gruppe dagegen lag der Anteil der Kämpfer immer deutlich niedriger: 1915/16 20 Prozentpunkte, 1916–18 immer noch 12–16 Prozentpunkte unter dem der ›Altdeutschen‹. Erst im letzten Kriegssemester verringerte sich der Abstand auf gut 6 %. Zwar ist die Relation von Eingezogenen und Freiwilligen nicht bekannt; doch kann vermutet werden, daß der Anteil der Letzteren unter den Elsässern geringer war als unter den Altdeutschen. Auch abgesehen von Fragen des nationalen bzw. regionalen Selbstverständnisses mußte es doch sehr demotivierend wirken, wenn die Offizierslaufbahn Elsässern praktisch verschlossen war.51 Auffallend war dagegen der hohe Anteil der im Kriegsdienst Stehenden in der kleinen Gruppe der Lothringer Studenten. Ab Sommer 1916 übertraf er sogar noch jenen in der ›altdeutschen‹ Gruppe. In diese Richtung wirkten wohl, wie bei den ›Altdeutschen‹, einerseits die national deutsche Gesinnung, andererseits die Entwicklung der Studentenzahlen: Da Lothringen sprachlich (territorial, nicht, wie das Elsaß: sozial) zweigeteilt war, der Schulunterricht teilweise bis zum Ersten Weltkrieg auf französisch erfolgte und gerade im höheren Schulwesen das Französische nur sehr langsam zurückging,52 studierten in Straßburg mit großer Wahrscheinlichkeit nur die deutschen Muttersprachler, die vermutlich auch gesinnungsmäßig stärker deutsch orientiert waren als die Elsässer. Da aber die kleine lothringische Gruppe während des Krieges um 49 % wuchs,53 erhielten die zu Beginn des Krieges ins Feld Gezoge50 S. dazu Möller, Zwischen Wissenschaft und »Burschenherrlichkeit«, S. 231 bzw. o. S. 73 mit A. 56. 51 Wehler, Unfähig zur Verfassungsreform, S. 47. 52 Fisch, Elsass im Kaiserreich, S. 124; Rimmele, Sprachenpolitik, S. 66. 53 Von 104 Studenten im SS 1915 auf 155 im SS 1918.
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nen (im Gegensatz zu den Altdeutschen) auch entsprechenden Nachzug. – Übrigens wurden die Gefallenenstatistiken auch in Elsaß-Lothringen selbst viel beachtet: Die Straßburger Post etwa analysierte die Gefallenenliste auf der Ehrentafel der Universität nach Herkunft,54 und die Landesregierung erstellte selbst Statistiken der aus Elsaß-Lothringen stammenden Soldaten und ließ dafür (über den Straßburger Universitätssekretär) auch Informationen bei allen deutschen Universitäten über dort immatrikulierte und für den Kriegsdienst beurlaubte Studenten aus Elsaß-Lothringen einholen.55 In dem vom Stolz der Waffentragenden geprägten Milieu der deutschen Studentenschaft war der Gruppendruck, sich freiwillig zu melden, noch stärker als in bürgerlich-akademischen Kreisen allgemein. Der besondere Eifer läßt sich sowohl an Soldatengruppen aus den untersuchten Universitäten als auch am Beispiel einzelner Studenten illustrieren: Beleuchtet der Einsatz der Gießener Teutonia die Verpflichtung, ja den Druck, den die Korporationen ihren Mitgliedern auferlegten, so belegen zwei Regimenter der Region auch die quantitative Bedeutung, die die Hochschule selbst hatte: Das Infanterieregiment Kaiser Wilhelm Nr. 116 bekam Mitte Oktober 400 Mann Ersatz, der zum überwiegenden Teil von der Universität Gießen gestellt worden war. In der Schlacht an der Somme eingesetzt, überlebte kaum einer der vielen, erst kurz zuvor an der Front angekommenen studentischen Kriegsfreiwilligen. Auch das I. Bataillon des im August 1915 neu aufgestellten Reserve-Infanterieregiments Nr. 222 setzte sich zu zwei Dritteln aus Gießener kriegsfreiwilligen Studenten und Abiturienten zusammen.56 Aufschlußreicher sind persönliche Berichte einzelner.
Erfahrungen studentischer Kriegsteilnehmer Der 23jährige Heinrich Becker, der in Berlin aufgewachsen war und zunächst auch dort studiert hatte, kehrte am 1. August aus Marburg, wo er die beiden vorausgegangenen Semester verbracht hatte, in die Reichshauptstadt zurück, um sich freiwillig zu melden. Daß der Marburger Völkerrechtler Schücking Bedenken äußerte, Beckers Freundin den Krieg ablehnte und sein eigener Vater ihn »für einen kompletten Wahnsinn« hielt, konnte ihn nicht davon abbringen. Ja, er täuschte sogar, um angenommen zu werden, ausreichende Sehkraft vor (indem er sich die Zahlenreihe merkte, die die vor ihm Getesteten vor lasen). Da er sich früher für sein Studium hatte zurückstellen lassen, erhielt er 54 Die Universität Straßburg im Krieg, in: SP 622, 12.8.1916 MiA, 2. Blatt. 55 KWU Strb. [an alle deutschen Universitäten, hektogr.] 20.7.1915: UA Bonn Rektorat A 50,16 Bd. 1. 56 Anderhub, Antoniterkreuz, S. 38 (auf der Grundlage der beiden Regimentsgeschichten).
310 Die Universitäten im Kriegseinsatz nun ein Schnellausbildung: »Das Pensum, für dessen Behandlung in Friedenszeiten ein halbes Jahr vorgesehen war, mußte in vier Wochen erledigt werden.« Und obwohl sich die allgemeine Stimmung im Herbst schon änderte, wollte er, nachdem er am 1. November zum ersten Mal im Gefecht gewesen war, Offizier werden. »Das entsprang einer natürlichen Reaktion, keiner politischen Entscheidung. Noch bäumte ich mich nicht gegen den Krieg selbst auf, sondern nur gegen das Gefühl, ihm als Soldat absolut handlungsunfähig ausgeliefert zu sein. Ich wollte Verantwortung tragen und in kritischen Situationen für meine Soldaten und mich selbständig entscheiden können,«
schrieb der Sozialdemokrat, Referent der Deutschen Liga für den Völkerbund und, ab 1929, des Preußischen Kultusministeriums in seinem Lebensrückblick.57 Ende August rückte Becker ein, Anfang Oktober kam er an die Front.58 In Dahlem gehörten die studentischen Freiwilligen, die dort einexerziert wurden, zu den ersten Gästen Friedrich Meineckes, der damals gerade nach Berlin berufen worden war.59 Die Erfahrungen der Studenten-Soldaten und der Wandel ihrer Stimmung lassen sich nicht nur in Erinnerungen, sondern auch schon aus zeitgenössischen Dokumenten ablesen. Vom Rausche der anfänglichen Hochstimmung berichtete ein Berliner Student Ende 1916: »Eine Stimmung beherrschte uns alle, so verschieden wir waren: Patriotische Begeisterung, Freude und neugierige Erwartung gegenüber dem kriegerischen Leben, das uns als Feldsoldaten bevorstand. Wir hatten alle nur den einen Wunsch, Taten zu tun als deutsche Soldaten fürs Vaterland (…) In uns allen lebte ein Gefühl nicht nur vom heiligen, sondern auch vom ›frischen, fröhlichen‹ Kriege.«
Diesem Bekenntnis zufolge bot der Krieg für den einzelnen zunächst auch eine willkommene Abwechslung, die aber keineswegs als Kurzweil zu verstehen war, da sie nicht nur vom Denken zum »Erleben« führte, sondern auch zum Handeln im Dienst einer »großen« Aufgabe.60 57 Heinrich Becker, Zwischen Wahn und Wahrheit. Autobiographie, Berlin 21974, Zitate S. 89, 98, 106. 58 Becker, Zwischen Wahn und Wahrheit, S. 95, 100. 59 Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 228. 60 »Manche, wie auch ich, waren zunächst froh, daß der Krieg ihr Studium unterbrochen hatte und sie jetzt aus der engen Studentenbude in die weite Welt, in unbekannte Gegenden führte, aus einem Leben des Erlernens und der Theorien in das des Erlebens und der angespanntesten, einem großen Zweck dienstbaren Tätigkeit.« Helmuth Rogge, Vor Arras [datiert 10.12.1916], in: Rudolf Häpke [Hg.], Vom Studium im Felde. Erlebnisse und Beobachtungen, in: BAN XII (1917/18), S. 15–23, hier 16–19, Zitat 17. Rogge war nach eigener Aussage im Oktober 1914 freiwillig eingerückt (16). Ginge man nach AV FWU Berlin, so würde man dagegen vermuten, daß der ab Ostern 1911 Immatrikulierte
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Die Enttäuschung der großen Erwartungen und Ernüchterung begann jedoch bald: Für Becker war der Krieg bereits im zweiten Jahr kein persönliches Anliegen mehr, auch wenn die »gewohnte Disziplin« die Truppe zusammenhielt. »(…) aber Anteilnahme oder ein ›nationales Pflichtbewußtsein‹ war kaum noch irgendwo zu spüren. Der Gedanke, daß das ›unser‹ Krieg sei, tauchte immer seltener auf.« Seine Ablehnung wuchs, und als er dann die innigen Briefe der Frau eines gefallenen Franzosen las, die zwei Landser gefunden hatten, erkannte er den Irrsinn des Krieges endgültig.61 Zeitgenössische Quellen belegen einen ähnlichen Wandel wie diese Erinnerungen: Ein junger Rekrut aus Berlin schrieb im Juli 1915 aus Belgien, ca. 50 km hinter der Front: »Wir Studenten (…) machen natürlich den Dienst mit wie jeder andere. Vielleicht würden unsere Kommilitonen staunen, wenn sie sähen, was wir im Kartoffelschälen und am Waschtrog leisten. Ja, tempora mutantur, nos et mutamur in illis.«
Seine neue Situation und den Rollenwandel, der damit einherging – als Student mußte er im Feld dasselbe tun wie die einfachen Leute und als Soldat Frauenarbeit leisten, die zuhause undenkbar gewesen wäre – deutete er also mit einer mittelalterlichen Spruchweisheit. Es folgt ein Bericht über öden Offiziers unterricht und abendliches Beisammensein der Studenten (die sich also von den Kameraden separierten!): mit Bier, aber ohne Kneiplieder. In den Berliner Aka demischen Nachrichten stellte er auch die Verbindung zu deren Lesern her: »Wie es da aussehen mag in den Hörsälen, wieviel Kommilitonen noch die Bänke in der heißen Zeit drücken werden oder im Schatten vor der Universität ihren Kater überdenken. Es war eine schöne Zeit. Aber heute tauschen wir nicht mit jenen, obwohl uns die außerordentlich große Hitze tüchtig zusetzt. Das zweite Kriegssemester ist zur Neige gegangen; für die Kommilitonen beginnt eine schöne Zeit. Wir draußen hinter der Front erhalten den letzten Schliff, um reif für unsere große Arbeit zu werden. Aus der Ferne hört man deutlich das Rollen der Geschütze und sieht abends auch das helle Aufflammen der Leuchtkugeln. Das ist der Krieg, von dem man vorher so viel schwatzte, ohne zu wissen, was er in Wirklichkeit bedeuten würde. Die Heimat, die wir frühe verlassen mußten, werden wir erst nach einem ehrenvollen Frieden wiedersehen dürfen – unter einer großen Voraussetzung natürlich. Aber wir Studenten sind frohen Mutes, wie Soldaten es sein müssen. Wenn wir von hier in den Krieg ziehen, wollen wir noch einmal das alte liebe Lied singen: gaudeamus igitur und wie auf der friedlichen Kneipe unsere Säbel zusammenschlagen.«62
zunächst sein Studium abschloß und dann ins Feld ausrückte, denn er wird im WS 1914/15, S. 191 und im SS 1915, S. 190 noch geführt, und zwar ohne Kennzeichnung als im Felde Stehender. Danach kommt er weder in den Verzeichnissen noch im Nachtrag vor, ab SS 1916 dagegen ein Geologie studierender Johannes Rogge. 61 Becker, Zwischen Wahn und Wahrheit, S. 123 (Zitat), 130 f. 62 Paul Plaut, Ein Gruß aus dem Felde, in: BAN IX (1914/15), S. 172.
312 Die Universitäten im Kriegseinsatz Wehmütig denkt er an die Studentenzeit zurück – aber tauschen möchte er nicht mehr mit den Daheimgebliebenen, obwohl die Front näher kommt und der Dienst schwerer ist, als sie es in ihrem unwissenden Reden vom Krieg ahnten. Der Gedanke an den Tod ist präsent, wenn auch nur impliziert in der »einen großen Voraussetzung«. Mit dem »lieben alten« Studentenlied geht er dagegen an: In dieser Situation soll das gewohnte Ritual die Todesangst bezähmen helfen, den Soldaten den »frohen Mut« verschaffen, den sie nicht haben, der existentiellen Not wegen aber haben »müssen«. In dem Versuch, die Kommilitonen zuhause anzusprechen, deutet sich aber noch vor der Fronterfahrung bereits die größer werdende Kluft zwischen Front und Heimat an. Wenige Monate später, im Herbst 1915, schrieb derselbe Autor über den Stellungskrieg und, ausführlich, über den Tod. Sein Freund, ein Theologe, war nach einem herrlichen Sonnenaufgang von einer feindlichen Kugel getroffen worden. Doch auch hier wird das Gefühl wiederum durch Kultur eingehegt: Lange Erinnerungen an Bilder des Todes, die dieser Student der Kameralwissenschaften (nicht Kunsthistoriker!) seit seiner Kindheit im Museum betrachtet hat. Daran schließt sich die Reflexion an, wie man den Tod wohl nach diesem Kriege darstellen werde. »Wie früher wohl kaum, weil die Welt noch nie ein solches Sterben und Morden gesehen hat wie in unserer Zeit.« Von da leitet er zurück zum eigenen Erleben: » (…) mußte zuschauen, wie die letzten Zuckungen durch den Körper gingen, die Gesichtszüge sich verzerrten, bis der letzte Atemzug getan war. Und in diesem Sterben bis zum Erstarren des Körpers, sah ich den Tod, nicht in dem leblosen Leib.« Doch schon im nächsten Satz kehrt er zur Kunst zurück: »Wenn der Künstler ihn darstellen wollte, er müßte, glaube ich, einen Sterbenden malen im Augenblicke des höchsten Todeskampfes.« Der Soldat hat keine Zeit, darüber nachzudenken: Er ist zwar »in vorderster Feuerlinie« nur »ein kleines Glied in dem großen Mechanismus« des Heeres. »Diesem gehört seine volle Kraft und sein Ich, von ihm werden seine Gedanken geleitet. Der Soldat lebt jeden Augenblick voll aus, weil jeder Augenblick ihn und seine Kraft ganz fordert.« Trotzdem ist er kein »Spielball, den der Wirbelwind nach seinem Willen hin- und herwerfen kann«, denn er hat die »große Erinnerung«: an die Liebe, die Heimat, das selbst gesteckte Ziel. In der » große(n) deutsche(n) Heimat (…) gipfelt all unser Fühlen und Denken, dahin geht unser Sehnen. Dafür kämpfen wir diesen Kampf bis zum Siege aus, dafür leben wir, dafür sterben wir.«63 Wenige Monate, nachdem der Student an die Front geschickt wurde, reflektiert er, nach der Schilderung des Schützengrabens, nur noch über den Tod – und versucht mit diesem Schreiben die »Sinngebung des Sinnlosen«.64 63 Paul Plaut, Aus meinem Kriegstagebuch, in: BAN X (1915/16), S. 40–42. Die Datierung auf Herbst 1915 ergibt sich aus dem Inhalt. 64 Die Formulierung entleihe ich dem Titel des Buches, das Theodor Lessing während des Ersten Weltkrieges als Lazarettarzt schrieb, das aufgrund der Zensur aber erst nach dem Krieg erscheinen konnte: Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen, München 1919.
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Und jener andere Student schließlich, der beim Auszug den »frischen fröh lichen« Krieg noch als Abwechslung empfunden hatte, schrieb 1916 unmittelbar im Anschluß an diesen Satz: »Es war noch nicht das eiserne, harte, bittere, zähe, fürchterliche Ringen, das wir später kennen gelernt haben.«65 Um solche einzelnen Zeugnisse besser einzuordnen zu können, würde ein Vergleich helfen. Doch die dafür zur Verfügung stehenden Quellen sind unübersehbar. Auf Aufforderung des Gießener Bibliotheksdirektors Hermann Haupt schon Mitte Juli (!) 1914, die Erfahrungen mit Blick auf eine Geschichte des Krieges zu sammeln, wurden von Burschenschaftlern 55.000–56.000 Briefe eingesandt, oft von Urlaubern überbracht und in Deutschland auf die Post gegeben (also unter Umgehung der Zensur der Feldpost!).66 Eine weitere Sammlung legte der Deutsche Studentendienst an.67 Außerdem veröffentlichten studentische Zeitschriften schon während des Krieges Feldpostbriefe ihrer jeweiligen Verbandsmitglieder. In den Burschenschaftlichen Blättern z. B. bot eine ganze Reihe solcher Briefe in munterem Ton Erlebnisse in der Fremde.68 Daneben standen einzelne Schilderungen in vulgär-infantiler Jugendsprache, die vielleicht die Hilflosigkeit des Schreibers kaschieren sollte.69 Doch kamen auch Berichte vor, die die Grausamkeit und ihre Folgen für die Beteiligten beider Seiten nicht verschwiegen.70 Gelegentlich wurden Abenteuer und Schwere auch –
65 Rogge, Vor Arras (wie A. 60). 66 So Harald Lönnecker in seinem Referat »›Auf in den Krieg, voran zum deutschen Sieg!‹ – Vom akademischen Normal- zum Ausnahmezustand in den Hochschulstädten Göttingen, Braunschweig und Hannover 1914/15« bei der Tagung Kriegsbeginn in Norddeutschland. Zur Herausbildung einer »Kriegskultur«. 1914/15 in transnationaler Perspektive, veranstaltet von der Historischen Kommission für Niedersachen und Bremen (Wilhelmshaven 8.–10.5.2014). Die Sammlung befindet sich heute im BA Koblenz, DB 9: Deutsche Burschenschaft, O. Burschenschaftliche Historische Kommission/Gesellschaft für burschenschaftliche Geschichtsforschung e. V., Kriegsbriefe-Sammlung und - Berichte, 1914–1918 (1934). 67 Sie befindet sich heute im Institut für Hochschulkunde (Würzburg). 68 [-] Riedel, Mit S. M. S. »Puck« nach Libau, in: BB 30/1 (WS 1915/16), S. 10 f.; [-] Goldmann, Wir Barbaren! [Feldpost] 30/1 (WS 1915/16), S. 11 f. In diese Rubrik läßt sich auch ein ordnen: Vom Leben und Treiben russischer Gefangener, in: BB 29/2 (SS 1915), S. 247. 69 »Erst in sichere Aussicht gestellte Fassadenpolitur [Verdreschen] wirkte außerordentlich günstig auf seine Nerven.« Gemeint ist die Androhung gegen den Inhaber eines Modegeschäfts, ihn zu verprügeln (weil er sich über zwei fehlende Zinnlöffel beklagte): [-] Weiß, Russisches, in: BB 30/1 (WS 1915/16), S. 97 f. 70 Siehe z. B. [-] Kuthning, Die russische Dampfwalze, in: BB 29/2 (S-H 1915), S. 223; [Bruno Bollmann], Von den Strapazen in den Karpaten, in: BB 30/1 (WS 1915/16), S. 9 f.; Günther Stecher, Russischer Nachtangriff am Pruth, in: BB 30/1 (WS 1915/16), S. 54 f.; [-] [Laue], Kosaken, in: BB 30/1 (WS 1915/16), S. 72 (Umschreibung, daß beiderseits in die Hände des Feindes Gefallene nicht gefangengenommen, sondern getötet werden). Belege für Kriegsbriefe aus dem Westen (mit Zitatbeispiel) bei Busse, Engagement oder Rückzug, S. 119.
314 Die Universitäten im Kriegseinsatz beides ironisch-camouflierend – verbunden.71 Schließlich wurden mehrfach auch die gesammelten Briefe einzelner publiziert.72 Nicht nur jeder Brief ist quellenkritisch zu betrachten; auch jede dieser Sammlungen verfolgte eigene Intentionen. Wie Feldpostbriefe instrumentalisiert wurden, um bestimmte Vorstellungen zu wecken oder zu bestätigen, belegen nicht nur Abdrucke in den studentischen Verbandszeitschriften, sondern auch die unterschiedlichen Ausgaben der von Philipp Witkop veröffentlichten Sammlung, die in erster Auflage Kriegsbriefe deutscher Studenten hieß, durch die Einschränkung auf Gefallene bald aber »zu einem Ehrendenkmal« für diese ausgestaltet wurde.73 Durch entsprechende Auswahl und Präsentation konnte diese Sammlung binnen weniger als zweier Jahrzehnte zur Verkörperung des ›Volkes‹ stilisiert, als Mahnung zur Völkerversöhnung benutzt, als »Blutzeugen (…) eines neuen Deutschland« (1933) mißbraucht werden.74 Die Auswertung solcher Briefe wäre also ein Projekt für sich! Deshalb sollen hier, gestützt auf die in Witkops späterer Sammlung enthaltenen Briefe von Studenten aus Berlin, Gießen und Straßburg nur einige wiederkehrende Muster und Grundzüge der Entwicklung zusammengefaßt werden. Dabei zeichnet sich kein besonderes Profil für die Studenten-Soldaten einer einzelnen Universität ab. Vielmehr werden die dabei hervortretenden Züge auch bei Einbeziehung weiterer Universitäten bestätigt.75 Die schrecklichen Kampferfahrungen werden in den Briefen drastisch dargestellt – und dies ist offenbar nicht der Auswahl Ende der zwanziger Jahre ge71 [-] [Terkamp], Stellungskrieg in Rußland, in: BB 30/1 (WS) 1915/16, S. 96 f. 72 S. als Beispiele Gustav von Rohden (Hg.), Zwei Brüder. Feldpostbriefe und Tagebuchblätter. 2 Bde., Tübingen 1916–1918; Marc Zirlewagen (Hg.), »Der Krieg ist doch etwas Scheußliches.« Die Kriegsbriefe des Studenten Hermann Reinhold (1893–1940) von der Westfront 1914–1918, Bad Frankenhausen 2009. 73 Philipp Witkop, Kriegsbriefe deutscher Studenten, Gotha 1916; Zitat aus Witkop (Hg.), Kriegsbriefe gefallener Studenten, S. 355 (aus dem dort wieder abgedruckten Nachwort zur 6. Aufl.). 74 Zitat aus der Aufl. von 1933 bei Bernd Ulrich, Feldpostbriefe des Ersten Weltkrieges – Möglichkeiten und Grenzen einer alltagsgeschichtlichen Quelle, in: Militärgeschicht liche Mitteilungen 53 (1994), S. 73–83, hier 77. Genauere Analyse der verschiedenen Auflagen bei Manfred Hettling/Michael Jeismann, Der Weltkrieg als Epos. Philipp Witkops »Kriegsbriefe gefallener Studenten«, in: Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz (Hg.), Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch… Erlebnis und Wirkung des Ersten Weltkriegs, Essen 1993, S. 175–198. 75 Dies gilt insbes. für die Briefe aus der Sammlung des Deutschen Studentendienstes, die bei Wettmann, Heimatfront Universität, S. 391–399 analysiert sind. Dagegen behandelt Busse, Engagement oder Rückzug?, S. 113–117 nur Beispiele aus der Feldpost Göttinger Studenten an ihre Lehrer, in denen die militärische Aktivität knapp berichtet und dann auf das Anliegen der einzelnen übergeleitet, aber nicht deren Erleben geschildert wird. Weitere Belege aus der Erstausgabe von Witkops Band (für Studenten anderer Univer sitäten) werden nachgewiesen u. S. 689 in A. 153.
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schuldet, sondern findet sich auch, bereits für September 1914, in der Ende 1915 erschienenen Erstausgabe, als Schilderung der Schlacht von Tannenberg.76 »Ihr könnt Euch ja gar nicht ausmalen, wie so ein Schlachtfeld aussieht, man kann’s nicht beschreiben, und schon heut’, wo es erst einen Tag hinter uns liegt, schon heut’ will ich’s selbst kaum glauben, daß soviel viehische Barbarei und unsägliches Elend möglich ist. (‥‥) Und jede Truppe, die zur Unterstützung vorgeht, muß kilometerweit durch dieses Chaos hindurch, durch Leichenstank und das riesige Massengrab«,
schrieb der 22jährige aus Bayern stammende Berliner Medizinstudent »Fritz Franke« Anfang November 1915.77 Der gebürtige Magdeburger und Berliner Neuphilologe Kurt Peterson berichtete am 27. Oktober vom nächtlichen Sturmangriff der vorausgegangenen Nacht: »Wie Blei lag alles am Boden und um uns herum heulte und zischte der Tod. In solcher Nacht kann man zum Greise werden. (‥‥) O fürchterliche Minuten! Man fürchtet den Tod und konnte in solchen Stunden den Tod herbeisehnen aus Entsetzen vor dieser Art des Todes.«78
Das Grauen dieses Krieges war den Angehörigen seit Herbst 1914 und – durch die Veröffentlichung solcher Briefe ab Weihnachten 191579 – jedem, der es wissen wollte, bekannt. (Daher ist es auch bei Durchhalteaufrufen immer mit zudenken.) Einem Gießener Philosophiestudenten war es zwei Tage vor Weihnachten 1915 unbegreiflich, »daß man dasteht oder stehen soll, um bei dem Feind auf den Augenblick zu passen, wo man ihn schädigen kann, und nicht [, um] der so viel größeren Offenbarung« des Waldzaubers bei Nacht zu lau-
76 Witkop (Hg.), Kriegsbriefe deutscher Studenten, S. 66–68. 77 Fritz Fran[c]ke, 5.11.1914, in: Witkop (Hg.), Kriegsbriefe gefallener Studenten, S. 91 f., Zitat 91. Der Name wurde korrigiert nach AV FWU Berlin WS 1914/15, S. 111 und SS 1915, S. 111. 78 Kurt Peterson 27.10.1914, in: Witkop (Hg.), Kriegsbriefe gefallener Studenten, S. 110 f., Zitat 110. Genauerer Nachweis des Studienfaches nach AV FWU Berlin WS 1914/15, S. 181. Vgl. auch weitere Beschreibungen von dem Berliner Germanisten Martin Drescher (o. D.; † an den Folgen seiner Verwundung 3.11.1914) und dem Berliner Theologen Paul Boelicke 16.3.1918 vor Verdun; in: Witkop (Hg.), Kriegsbriefe gefallener Studenten, S. 14 bzw. 351 f. Nachweise ihrer Studien in: AV FWU Berlin WS 1914/15, S. 104 und SS 1917, S. 90. 79 Die genauere Datierung des Erscheinens entsprechend dem Nachwort zur 6. Auflage, das auch in der 7. Aufl. enthalten ist: Witkop (Hg.), Kriegsbriefe gefallener Studenten, S. 355. Das vom Titelblatt abweichende Erscheinungsdatum ist aufgrund einer bereits im März 1916 erschienenen Rezension in einer Monatszeitschrift plausibel. Nachweis bei Stephan Fuchs, »Vom Segen des Krieges«. Katholische Gebildete im Ersten Weltkrieg. Eine Studie zur Kriegsdeutung im akademischen Katholizismus, Stuttgart 2004, S. 97 A. 460 und 191 A. 878 (zur Zeitschrift: S. 322). Zur Eliminierung dialogischer Elemente (die an den folgenden Beispielen nicht deutlich wird) s. u. S. 689 A. 155.
316 Die Universitäten im Kriegseinsatz schen.80 Bei einem Germanisten rief der Anblick eines Freundes, den er »jämmerlich zerfetzt am Boden liegen sah«, »Wut über den gräßlichen Krieg« hervor.81 Zwar blieben radikal pazifistische Positionen die Ausnahme,82 doch hatte Kurt Peterson schon zwei Tage vor der oben zitierten Beschreibung seinem Herzen Luft gemacht: »Fluch den wenigen, die ohne in die Schrecknisse des Krieges hineinzumüssen, ihn heraufbeschwören! Vernichtung ihnen allen. Denn es sind Bestien, Raubtiere.«83
Todesbereitschaft – »Für das neue, größere, bessere Vaterland gebe ich gern mein junges Leben«84 – und Gewöhnung an die Todesnähe standen neben einander: Der Straßburger Jurastudent Adolf Stürmer blieb beim Anblick eines gefallenen Kameraden »merkwürdig ruhig und kalt«; »man ist mit dem Gedanken an den Tod innerlich so fertig, man steht mit dem Schicksal auf du und du; man muß hart sein, unerbittlich hart. Aber nachher ist es mir doch zum Bewußtsein gekommen, da ich den Kameraden sehr gern hatte.«85 Manche Studenten schrieben schon vor einer geplanten Schlacht,86 ja sogar beim Ausrücken ins Feld einen Abschiedsbrief, den die Eltern im Fall ihres Todes erhalten sollten. Dieser konnte sogar von Wünschen zum Verhalten der Hinterbliebenen begleitet sein: »So schmerzlich auch mein Tod für Euch sein wird, so bitte ich Euch doch, weiter so aufrecht durch das Leben zu gehen, wie Ihr es bisher getan habt. Ihr könnt noch so vielen nützen und helfen!« schrieb der aus der preußischen Provinz Sachsen stammende Berliner Jurastudent Heinz Marcuse im September zwei Tage vor dem Verlassen Berlins an seine Eltern. Übergeben werden sollte dieser »letzte Gruß« erst nach seinem Tod.87 Der aus Berlin stammende Neuphilologe Ernst Günter Schallert, der seinen Eltern am 10.1.1915 den Tod seines Bruders gemeldet hatte, schrieb ihnen am 27. April für den Fall seines eigenen: 80 Ernst Hoby 22.12.1915, in: Witkop (Hg.), Kriegsbriefe gefallener Studenten, S. 197 (Fach nach: PB LU Gi WS 1914/15, S. 50). 81 Otto Heinebach (!) 22.9.1915, in: Witkop (Hg.), Kriegsbriefe gefallener Studenten, S. 210 f. Laut Witkop handelt es sich um einen am 14.9.1916 seinen Verwundungen erlegenen Berliner Studenten. Fach nach AV FWU Berlin WS 1914/15, S. 124 (Hainebach!). 82 Wettmann, Heimatfront Universität, S. 393. 83 Kurt Peterson 25.10.1914, in: Witkop (Hg.), Kriegsbriefe gefallener Studenten, S. 109 f., Zitat S. 109. Vgl. o. A. 78. 84 So der 20jährige Berliner Geschichtsstudent Heinz [Heinrich] Pohlmann 25.5.1916, in: Witkop (Hg.), Kriegsbriefe gefallener Studenten, S. 156. Vgl. AV FWU Berlin SS 1916, S. 187. 85 Adolf Stürmer 9.8.1916, in: Witkop (Hg.), Kriegsbriefe gefallener Studenten, S. 247 f., Zitat 247. Vgl. AV KWU Strb. SS 1916, S. 58 (imm. seit WS 1913). 86 Pohlmann wie A. 84; Otto Heinebach 18.2.1916, in: Witkop (Hg.), Kriegsbriefe gefallener Studenten, S. 212 f. 87 Alles bei Heinz Marcuse 27.9.1914, in: Witkop (Hg.), Kriegsbriefe gefallener Studenten, S. 239 f. Vgl. AV FWU Berlin SS 1915, S. 164.
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»(…) freut Euch, daß Ihr zwei Söhne geben durftet für das Vaterland!« Einen knappen Monat später fiel er.88 Was die Studenten zum Aushalten motivierte, war oft die Pflicht, vor allem gegenüber dem Vaterland.89 Und diese konnte sogar dazu führen, daß ein Gießener Altphilologe, nachdem zwei seiner Brüder gefallen waren, die Versetzung weg von der Front ablehnte, die seine Mutter bei der Militärbehörde für ihn erwirkt hatte: »Für einen jungen Offizier ist es Ehrensache, in der Front zu bleiben, solange es überhaupt möglich ist. Es ist keine Lieblosigkeit gegen meine Mutter, wenn ich das sage, sondern lediglich die Feststellung, daß die Pflicht gegen die Allgemeinheit die höhere ist. (….) Ich weiß sehr wohl, daß mich wohl alle Leute darum verurteilen werden; aber ich bin mir bewußt, richtig gehandelt zu haben. Meine Brüder sind als Helden in den Tod gegangen – sollte ich mich da verkriechen? Niemals?«90
Hier ging es also nicht ›nur‹ um die »Pflicht gegen die Allgemeinheit«, die er über die Verpflichtung gegenüber seiner Mutter stellte, sondern auch um sein persönliches Ansehen: Er wollte nicht hinter seinen Brüdern zurückstehen. Die Briefe zeigen aber auch, was den Studenten half, die Strapazen zu er tragen: Immer wieder enthalten sie romantische Beschreibungen der Natur oder einer Sternennacht, in der die Erschöpften zur Ruhe kamen.91 Und der Krieg hatte auch »herrliche Augenblicke. Auf dem Marsch genoß ich die ganzen Freuden des Wandervogels. Hoch über Berge marschierten wir, im Tale floß mit reißender Strömung der Dunajec der Weichsel zu, in der Ferne blinkten über den bewaldeten Höhen die Schneeberge der Hohen Tatra.«92
Andere fanden Ablenkung, Trost, Stärkung in der Literatur.93 Der 18jährige Otto Braun, Sohn der Feministin Lily und des sozialdemokratischen Publizisten 88 Beide Briefe in: Witkop (Hg.), Kriegsbriefe gefallener Studenten, S. 75 und 75–77. Vgl. AV FWU Berlin SS 1915, S. 196. 89 Siehe dazu den Brief Marcuses (wie A. 87): »meine heilige Pflicht, für mein Vaterland einzutreten« sowie vom selben Verf. 14.4.1915: Weder »Abenteuerlust« noch »Ehrgeiz« trieben ihn. »Aber dieses verdammte Pflichtgefühl (…)«, in: Witkop (Hg.), Kriegsbriefe gefallener Studenten, S. 241. S. auch den Brief des Berliner Studenten Walther Böhm, der bei Witkop als »stud. phil.« geführt wird, laut AV FWU Berlin WS 1914/15, S. 89 aber Jura studierte, in: Witkop (Hg.), Kriegsbriefe gefallener Studenten, S. 136. 90 Edmund Knoellinger 15.8.1916, in: Witkop (Hg.), Kriegsbriefe gefallener Studenten, S. 339; PB LU Gi SS 1915, S. 56. 91 Siehe Drescher (wie A. 78); Hoby (wie A. 80); Marcuse (wie A. 87); Stürmer (wie A. 85); Paul Boelicke Maiabend 1917, in: Witkop (Hg.), Kriegsbriefe gefallener Studenten, S. 350 (vgl. A. 78). 92 Ernst Günter Schallert 27.4.1915 (wie A. 88), Zitat S. 76. 93 Siehe Drescher (wie A. 78); Heinebach (wie A. 81) sowie den Berliner Neuphilologen Helmut Lorentz 5.4.1916, in: Witkop (Hg.), Kriegsbriefe gefallener Studenten, S. 152 f.
318 Die Universitäten im Kriegseinsatz Heinrich Braun, tadelte sogar seine Kameraden als »Memmen«, als diese schimpften und stöhnten, als sie vor Monaten Gefallenen ihre Erkennungs marken abzunehmen hatten. Als sie dagegen protestierten, sagte er: »›Wenn euer Geist die Verwesung nicht meistert, so meistert sie euren Geist!‹ Das machte tiefen Eindruck. Dann sprach er in die dunkle Nacht Verse der Ilias. Das klang so wundervoll, alles schwieg und lauschte gebannt. Da ging ein Leutnant vorbei, ein sonst blasierter Mensch, und sagte ernst: ›Nur wenige Tote erhalten solchen Grabgesang.‹«94
Anderen, nicht nur Theologen, gab die Religion Halt.95 Ein aus der bayerischen Pfalz stammender Straßburger evangelischer Theologe schrieb sogar: »Was mich gefaßt und ruhig in die Zukunft blicken läßt, ist die Überzeugung, daß in allem und jedem das Schicksal Gott schafft und daß auch das kleinste Weltgeschehen dazu bedacht und bestimmt ist, dem Endziele der Menschheit, dem Reiche Gottes zu dienen.«96
Einem Berliner Kommilitonen (aus Brandenburg) leuchtete »die Verheißung« gar »immer mehr als goldenes Licht der Ewigkeit auf, wie mir das früher niemand klarmachen konnte. Das ist auch so ein unendlicher Gewinn mitten in der Erfahrung des gräßlichsten Todes.«97 Daß der Krieg eine läuternde Wirkung haben könnte, gehörte zu den Hoffnungen, Erwartungen, Rechtfertigungen der Zeitgenossen. Aber es kommt tatsächlich auch in den Kriegsbriefen der Studenten vor. Ein aus dem Rheinland stammender Berliner Kandidat der Medizin schrieb bereits im November 1914: »Ich bin überzeugt, daß man, heil zurückgekehrt, doch ein anderer Kerl geworden ist in jeder Beziehung. Man wird sicher rücksichtsvoller seinen Mitmenschen gegenüber werden, gerade in deren Ausnutzung zum persönlichen Genuß. Das macht schon die Gewohnheit der hier im Kriege so notwendigen Kameradschaft.«98 94 Das alles berichtete sein Freund Kurt Poesler später (o. D.), in: Witkop (Hg.), Kriegsbriefe gefallener Studenten, S. 344 f., hier 344. Otto Braun selbst fiel 1918 mit knapp 21 Jahren. 95 S. den Brief (o. D.) des Germanisten Dr. phil. Johannes Iwer, der (ohne akad. Titel) seit Ostern 1914 in Berlin immatrikuliert war, in: Witkop (Hg.), Kriegsbriefe gefallener Studenten, S. 57. Nachweis der Tübinger (!) Dissertation in Bibliothekskatalogen, der Berliner Immatrikulation in: AV FWU Berlin SS 1914, S. 144 und WS 1914/15, S. 139; Walther Böhm (wie A. 89); Hoby (vgl. A. 80), 3.3.1916, in: Witkop (Hg.), Kriegsbriefe gefallener Studenten, S. 197 f., hier 198. 96 Siegfried Fiesenig 14.9.1915, in: Witkop (Hg.), Kriegsbriefe gefallener Studenten, S. 125; vgl. PV KWU Strb. SS 1915, S. 36. 97 Walter Gottwald 1.12.1914, in: Witkop (Hg.), Kriegsbriefe gefallener Studenten, S. 107 f., Zitate 108. Vgl. AV FWU Berlin SS 1914, S. 123 (in den folgenden Semestern in AV nicht mehr nachgewiesen). 98 Fritz Meese November 1914, in: Witkop (Hg.), Kriegsbriefe gefallener Studenten, S. 88. Meese war erst seit Ostern 1914 in Berlin immatrikuliert (AV FWU Berlin WS 1914/15, S. 165).
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»Ausnutzung« der Mitmenschen »zum persönlichen Genuß« scheint ihm vorher selbstverständlich gewesen zu sein; nun erzog ihn das schiere AufeinanderAngewiesensein zur Rücksichtnahme. Dem Neuphilologen Peterson gingen im Krieg »die Augen auf«. »Man wird ein anderer Mensch. Meinen Eltern werde ich als Neugeborener geschenkt, gereifter, einsichtiger; und insofern mögen diese Schrecknisse ihre Berechtigung haben: eine abgrundtiefe, verwerfliche Ausgeburt der Hölle, aber ein entsetz licher, gründlicher Erzieher der Menschenseele.«99
»[Z]um Manne gereift« fühlte sich auch der Jurist Marcuse, der deshalb »ohne Furcht« der Schlacht an der Somme entgegensah – und doch kamen ihm »wider Willen die Tränen« beim Gedanken an die Eltern.100 Auch wenn diese Briefe natürlich eine besondere Auswahl darstellen, zeugen sie doch von einem Erleben, dem jeglicher Hurra-Patriotismus fremd war. Wenn die ausrückenden Burschenschaftler (noch) keine Zweifel kannten und aus drei Hochschulstädten nur ein einziger vom Krieg ein Gemetzel erwartete,101 wenn sie den Krieg als Mensur mit anderen Mitteln begriffen und sich dem Feind unbeirrt entgegenstellten (so, wie sie es früher mit dem Gegenpaukanten getan hatten), muß das nicht unbedingt als Verharmlosung (oder gar Blindheit) interpretiert werden. Die Deutung des Unerhörten im Rahmen des ihnen Bekannten könnte auch dazu gedient haben, sich das (unerwartete) Massensterben erträglich zu machen.102 Andererseits belegt aber die genaue Analyse der Kriegsbriefe zweier Verbindungen, daß deren Mitglieder sich nicht in eine Schützengrabengemeinschaft integrierten, sondern ihre Verbindungsgemeinschaft aufrechterhielten. Durch die Gemeinschaft der Korporierten und die Erinnerungen an die Universität verdrängten sie gewissermaßen das eigentliche Geschehen – der Krieg wurde für sie »die größte Mensur [ihres] Lebens«.103 (Übrigens wurden geplante Zusammenkünfte oder jours fixes an der Front, etwa in den Burschenschaftlichen Blättern, im voraus bekanntgegeben und da-
99 Peterson (wie A. 83). Und vier Tage später: »Meine Eltern! Ihr sollt einen anderen Sohn wiederbekommen!« (29.10.1914, in: Witkop (Hg.), Kriegsbriefe gefallener Studenten, S. 111). 100 Heinz Marcuse 25.9.1916, in: Witkop (Hg.), Kriegsbriefe gefallener Studenten, S. 241. Vgl. auch A. 87. 101 So Harald Lönnecker auf der Grundlage der Briefe der Burschenschaftler aus Göttingen, Hildesheim und Hannover (wie A. 66). 102 So Harald Lönnecker (wie A. 66). 103 So der Befund von Ute Wiedenhoff, »… daß wir auch diese größte Mensur unseres Lebens in Ehren bestehen werden«: Kontinuitäten korporierter Mentalität im Ersten Weltkrieg, in: Hirschfeld u. a. (Hg.), Kriegserfahrungen, S. 189–207, hier 192 f. Sie hat das Tübinger Corps Franconia (farbentragend, schlagend) und die Verbindung Igel untersucht (nicht farbentragend), die beide das Prinzip der unbedingten Satisfaktion vertraten).
320 Die Universitäten im Kriegseinsatz nach z. T. auch dokumentiert.104) Trotz persönlicher Desillusionierung hielten die Verbindungsstudenten an der Vorstellung fest, durch Kampf zum Sieg zu kommen. »Diese Verhaltensmuster hatten sie mit Ausübung von Mensur und Duellen in der ›Satisfaktionsfähigen Gesellschaft‹ trainiert. Die Korporierten beharrten auf ihrem Weltbild, das allein einen siegreichen Frieden akzeptierte« und kritisierten deshalb die Friedensresolution des Reichstags 1917 heftig.105 Der Tod galt (wie auch an den obigen Zitaten abzulesen) als Auszeichnung, wobei allerdings der Massentod ausgeblendet und der individuelle zum Heldentod eines quasi unversehrten Körpers stilisiert wurde.106 Zwar gab es auch hier Veränderungen bei den einzelnen, doch wurden sie durch die kollektiven Einstellungen quasi wieder neutralisiert.107 Auch in den Burschenschaftlichen Blättern war ab dem zweiten Kriegswinter ein Stimmungswandel zu beobachten, über Widrigkeiten wurde konkret berichtet. Doch führte die daraus resultierende Niedergeschlagenheit nicht zur Kritik an der Kriegführung oder Zweifeln am Sinn des Krieges.108
Die Kluft zwischen Front und Heimat Als »daheimgebliebene(r) akademische(r) Bürger« erkannte der Geograph A lbrecht Penck, dessen Wahl zum Rektor der Rechtshistoriker und Kirchenrechtler Ulrich Stutz als »Sieg der tatkräftigen, preußisch-konservativen Elemente über die Miesmacher und mit dem Parlamentarismus liebäugelnden Liberalen« begrüßte,109 in seinem Aufruf »An die Berliner Studenten an den Fronten« deren Leistungen an der Jahreswende 1917/18 zwar mit »heiße(m) Dank« an. Er betonte dabei auch die »Furchtbarkeit« des Krieges, von der jene, die »schon memmisch jammern, wenn ihr Zimmer nicht ganz warm und ihr Magen nicht mit Friedensfülle beladen ist«, keine Vorstellung hätten. Zugleich forderte er die Soldaten aber zum Durchhalten auf: »Die Wage [!] senkt sich auf unsere Seite. Der Sieg wird unser sein, wenn wir [!] zähe aushalten und uns nicht schwächer geben, als wir sind. Nicht wir dürfen von Frieden sprechen, sondern müssen England zwingen, nach ihm zu verlangen. Bis dahin wird der Krieg dauern. Wir [!] müssen weiterkämpfen für unser deutsches Vaterland und um [!] unser deutsches Volk. Es gilt [!] um unsere Zukunft: ob wir ein leitendes Volk 104 Busse, Engagement oder Rückzug?, S. 118. 105 Wiedenhoff, Die größte Mensur unseres Lebens, S. 198. 106 Wiedenhoff, Die größte Mensur unseres Lebens, S. 200. 107 Wiedenhoff, Die größte Mensur unseres Lebens, S. 204 f. 108 Busse, Engagement oder Rückzug?, S. 120. 109 Stutz war ein gebürtiger Schweizer und nach langer Tätigkeit in Bonn zum Sommersemester 1917 nach Berlin berufen worden. Aus einem Brief an Schulte 2.8.1917 zit. bei Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 181.
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bleiben wollen oder uns ducken unter das Angelsachsentum mit seinen trügerischen Phrasen von Gleichberechtigung und Selbstbestimmungsrecht der Völker (…)«.110
Mit dem internationalen Führungsanspruch und der Ablehnung eines »Duckens« knüpfte Penck an das 1913 gesungene und 1914 von Harnack in Erinnerung gerufene Arndt-Lied an: »Der Gott der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte.«111 Die auch hier (durch den kritischen Blick auf die ›Memmen‹) angedeutete Kluft zwischen Heimat und Front suchte Gottlieb Haberlandt als Festredner beim Kaisergeburtstag Ende Januar 1918 zu überbrücken bzw. zu verwischen, indem er die verschiedenen Wirkungsorte der Universitätsangehörigen quasi zu einer Feiergemeinschaft zusammenfaßte. Die Universität feiere nicht nur in der Aula, sondern »überall, wo Kollegen und Kommilitonen, wo Söhne und Töchter [!] der Alma mater entschlossen und opferfreudig bereit stehen zum Schutze des Vaterlandes.«112 Durch diese Gemeinsamkeit mit den Soldaten werteten die »daheimgebliebenen akademischen Bürger« natürlich zugleich ihre eigene Arbeit auf. Doch die aus dem Feld zurückkehrenden Soldaten konnten die hier immer wieder apostrophierte Gemeinschaft kaum noch empfinden. Etwa zur selben Zeit hieß es in der neuen Zeitschrift Die Hochschule: »Es ist wahr, heute sind die Brüder im Felde von den Vätern in der Heimat weit, weit getrennt. Die Brücken sind oft kaum wiederzufinden: Die Urlaubstage gehen kalt und sinnlos vorbei, und der Soldat freut sich fast, in ›seine‹ Welt zurückzukehren. Aber es gibt noch eine größere Kluft. Das ist die zwischen den Daheimgebliebenen und denen, die der Hölle entronnen, die ersten tastenden Schritte auf dem Heimatboden machen, die das Feuer durchschritten und nun, mit versengten Flügeln, Krüppel, gelandet sind und mit den neuen Augen das Alte bestaunen.«
Die einzeln zurückkommenden »Krüppel« begriffen, daß man sie nicht verstand – und konnten nur noch auf die Rückkehr der anderen Soldaten von der Front hoffen, die ihre Erfahrungen teilten.113 Die Studenten wurden an alle Fronten geschickt, und die professoralen Redner zählten die einzelnen Einsatzgebiete, etwa »im weiten Rußland, in der Ukraine, in Serbien, Siebenbürgen und Rumänien, ja in Asien« gerne 110 Albrecht Penck, An die Berliner Studenten an den Fronten. Neujahrsgruß, in: BAN XII (1917/18), S. 13–14. Kursiva i. O. gesperrt. 111 S. dazu o. Kap. II.1. Zum Führungsanspruch, den Penck aus dem studentischen Kriegsdienst ableitete, s. u. Kap. III .9. 112 Gottlieb Haberlandt, Das Ernährungsproblem und die Pflanzenphysiologie. Rede zur Feier des Geburtstages (…) des Kaisers (…), Berlin 1918, S. 3. 113 Die Fronthochschulfrage [=Zusammenfassung von Zuschriften, hier Zitat eines Ungenannten], in: HS 2 (1918/19), S. 86–95, hier 93. Heft 2, in dem dies enthalten ist, erschien im Mai 1918.
322 Die Universitäten im Kriegseinsatz auf.114 Von den Kriegsverlusten kann nur die Zahl der Gefallenen annähernd exakt wiedergegeben werden, während die der (physisch und psychisch) Kriegsbeschädigten unbekannt ist.
Verluste In Straßburg zählte man bis Kriegsende insgesamt 294 Gefallene, in Gießen 235, in Berlin 997.115 Unter den Straßburger Gefallenen waren 113 Elsässer (38,4 %) und 24 Lothringer (8,2 %). Dabei war der Anteil der Gefallenen in der elsässischen Studentenschaft etwas niedriger als in der lothringischen.116 Setzt man dies in Relation zur Zahl der männlichen Studenten im Sommersemester 1914, so ergibt sich für die Hauptstadt mit 15,7 % der kleinste Anteil, für Gießen der größte (17,1 %), Straßburg lag nur knapp darunter (16,9 %).117 Vergleicht man die Zahl der Gefallenen jedoch mit jener der männlichen Immatrikulierten im Sommer 1918, so war der Beitrag der hauptstädtischen Studenten deutlich ge114 Martin Schian als Hauptredner in: Trauerfeier für die Gefallenen der Ludwigsuniversität in der Neuen Aula am Totensonntag 1919, Gießen o. J., S. 5. Vgl. ähnlich den Neujahrsgruß des Berliner Rektors (A. 110). 115 Namensliste der Straßburger Gefallenen (mit Heimatorten) in: Reden und Ansprachen bei der Enthüllungsfeier der Ehrentafeln für die Gefallenen der Kaiser-WilhelmsUniversität Strassburg im Ehrenhofe der Universität Frankfurt/27. Mai 1927, o. O. o. J. [Frankfurt 1927], S. 19–27; [Jahresbericht 1918/19, in:] Strahl, Unserer Universitäten Zukunft, S. 23; Feier bei der Enthüllung des Denkmals für die im Weltkriege gefallenen Studierenden, Dozenten und Beamte der Universität am 10. Juli 1926 [Berlin 1926], Liste S. 21–35. Helmut Klein (Hg.), Humboldt-Universität zu Berlin. Überblick 1810–1985, Berlin 1985, S. 59 gibt (ohne Beleg!) nur 957 an. 116 Im SS 1914 studierten 887 Elsässer und 175 Lothringer in Straßburg, im SS 1918 1096 Elsässer und 190 Lothringer. Setzt man dazu die Zahl der Gefallenen in Relation, so ergibt sich für die Elsässer 1914 ein Anteil von 12,7 %, für die Lothringer von 13,7 %; 1918 für die Elsässer 10,3 %, für die Lothringer 12,6 %. 117 Für Straßburg konnte die Zahl der männlichen deutschen Studenten allerdings nur ungefähr bestimmt werden. Die Universitätsstatistik verzeichnet nur die Gesamtzahl der Frauen (59), ohne nach Inländerinnen und Ausländerinnen zu unterscheiden. Das Verzeichnis der Studierenden läßt zwar (aus den Vornamen) die Frauen erkennen, nennt aber nicht die Staatsangehörigkeit, sondern das »Domizil« (das von der »Wohnung« unterschieden ist und den Herkunftsort meint). Um nun die Zahl der deutschen Männer zu ermitteln, wurden alle jene, die einen weiblichen Vornamen trugen und einen deutschen Herkunftsort angaben, als Reichsbürgerinnen gezählt. Dabei treten allerdings folgende Unsicherheiten auf: Der französische Vorname Camille, der bei elsässischen Studierenden mehrfach auftaucht, kann männlich oder weiblich sein. Er wurde hier nicht als weiblich gezählt. Die beiden Studentinnen Wera Berg und Ljuba Berg wurden trotz des Domizils Straßburg nicht als Reichsbürgerinnen gezählt, da die Vornamen auf Frauen aus dem Russischen Reich hindeuten und eine Einbürgerung relativ unwahrscheinlich ist. Mit diesen Vorbehalten wurden 40 der von der Statistik ausgewiesenen 59 Studentinnen als Reichsbürgerinnen gezählt.
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ringer als jener der beiden anderen Universitäten: Nun machten die Gefallenen hier ›nur‹ noch 10,3 % aus, während sich ihr Anteil in Straßburg (16,1 %) und in Gießen (16,6 %) nur unwesentlich verringert hatte. Diese veränderte Relation ist offenkundig dem starken Wachstum der Berliner Studentenschaft zuzuschreiben: Von 1914 bis 1918 wuchs sie um 36,7 % (die Zahl der deutschen Männer sogar um 52,8 %). Angesichts der von Semester zu Semester schwankenden und zunächst zurückgehenden Frequenz gibt keiner der punktuellen Bezüge den ›wirklichen‹ Einsatz wieder. Zudem können die bekanntgewordenen Todesfälle ohnehin nur die annähernde Zahl widerspiegeln.118 Trotzdem legt es der Vergleich nahe, daß die kleineren Universitäten proportional schwerere Verluste zu tragen hatten als die hauptstädtische. Betrachtet man allerdings die Schätzungen für die gesamte deutsche Studentenschaft, so erscheint der Beitrag aller drei hier untersuchten Universitäten unterdurchschnittlich. Das sollte vielleicht zur Überprüfung der nur überschlagenen Anteile von einem Fünftel der deutschen Gesamtstudentenschaft (inklusive der ›Techniker‹) oder einem Viertel der gesamten Universitätsstudentenschaft Anlaß geben.119 Doch die großen Verluste, die später auch zur Selbststilisierung dienten, wurden von Zeitgenossen gelegentlich, wenn vielleicht auch nur in tröstender Absicht, durchaus ambivalent gesehen. So schrieb Friedrich Meinecke Anfang Februar 1915: »Die Opfer, die wir bringen müssen, um uns auch nur zu behaupten, greifen doch schon bedenklich tief in unsere Volkskräfte ein. Das Korn wird dünn stehen in der nächsten Generation. Und doch, wenn wir uns nicht mehr so eng auf dem Halse sitzen wie bisher, kann auch manches Talent sich vielleicht rascher und leichter entfalten als bisher. »120 118 S. etwa die fünf weiteren bekannt gewordenen Namen von Gefallenen, nachdem die Gedenktafeln im Mai 1927 enthüllt worden waren (Reden und Ansprachen, S. 27). Sie konnten in die obige Rechnung einbezogen werden – doch hätten ähnlich späte Denkmalssetzungen vielleicht auch für die beiden anderen Universitäten noch zusätzliche Namen zutage gefördert. Der Jenaer Jurist und Prorektor Heinrich Gerland, Sohn des Straßburger Geographen Georg Gerland, sagte sogar: »Hunderte von Namen decken sie [die Tafeln], viele, nur zu viele konnten nicht ermittelt werden und fehlen.« (Reden und Ansprachen, S. 10). 119 Für ersteres s. Jarausch, Deutsche Studenten, S. 109 (16.000 Gefallene; daraus ergibt sich implizit auch, daß die Bezugsgröße die Gesamtstudentenschaft war). Wenn Weber dieselbe Zahl als ein Viertel betrachtet, bezieht er sie offenkundig nur auf die Universitätsstudenten (in denen dann aber noch die Frauen eingerechnet sind!) Thomas Weber, Studenten, in: Hirschfeld u. a. (Hg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, S. 910–912, hier 911. Ebenfalls auf ein Fünftel der »ganzen akademischen Jugend« schätzen Schulze und Ssymank die Zahl der Gefallenen: Friedrich Schulze/Paul Ssymank, Das deutsche Studententum von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart 1931. Vierte, völlig neu bearb. Aufl., München 1932, S. 454 (als Belege nur Beispieldaten für einzelne Universitäten). 120 F. Meinecke an A. Dove 5.2.1915, in: Meinecke, Ausgewählter Briefwechsel, S. 55–57, Zitat 56.
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Schlußfolgerungen Indem Meinecke in diesem Privatbrief seine Sorge um Deutschlands Nachwuchs äußerte und zugleich die besonderen Chancen der Überlebenden oder einfach Verschonten erkannte, nahm er im Vergleich zu den kämpfenden und leidenden Kriegsteilnehmern einen Beobachterstandpunkt ein. Die Historikerin kann in ihrer Außenperspektive aus noch größerer Distanz die Verluste durch Beziffern und Vergleichen quasi noch weiter ›objektivieren‹ und konstatieren, daß – im Vergleich zu ihrer jeweiligen Studentenschaft – die kleine hessische Universität zur Kriegführung am meisten beitrug und am meisten verlor. Aber angesichts früherer (kluger) Analysen zur Verarbeitung des Kriegsgeschehens in Feldpostbriefen121 staunt sie zugleich, wie drastisch-direkt Studenten-Soldaten schon von Beginn des Krieges an ihre Erfahrungen ›nach Hause‹ mitteilten. Und da diese Schrecken spätestens seit Weihnachten 1915 durch Publikation auch allgemein bekannt waren, müssen sie bei professoralen Aufrufen zum Durchhalten immer mitgedacht werden. Das verstärkt die Anmaßung des ›wir‹, mit dem etwa Rektor Penck einen gemeinsamen Kampf der Frontsoldaten und der ›Daheimgebliebenen‹ suggeriert. Solche Appelle konnten also die Kluft, die sich auch unter den Universitätsangehörigen von Anfang an zwischen Front und Heimat öffnete, nur weiter vertiefen.
121 Z. B. Wiedenhoff, Die größte Mensur unseres Lebens.
3. Der Dienst in der Armee II: Der ›vergönnte‹ Militäreinsatz Lehrender In Deutschland standen, so ist in einer Überblicksdarstellung zu lesen, » 10–25 % der Professoren« und »ein noch höherer Anteil« der Nichtordinarien und Privatdozenten im Wehr- und Kriegsdienst.1 Doch diese Spannweite, die vermutlich durch punktuelle Angaben einzelner Universitäten markiert wird, läßt sich kaum durch exakte und kontinuierliche Angaben für alle Universitäten substantiieren.
Schwierigkeiten der Ermittlung – Selbstdarstellung der Universitäten Immer wieder sind solche Versuche sowohl für einzelne Universitäten als auch ganze Bundesstaaten oder das Reich an den fehlenden Quellen gescheitert.2 Auch das Preußische Kultusministerium selbst mußte 1915 im Preußischen Landtag zugeben, daß es keine aktuellen und genauen Angaben über Professoren und Dozenten im Feld machen könne. Immerhin wußte es, daß aus den preußischen Universitäten und Technischen Hochschulen in den letzten Monaten des Jahres 1914 128 Ordinarien, 86 Extraordinarien und 326 Privatdozenten im Feld gestanden hatten. Dazu kamen 273 Assistenten sowie 19 Lektoren und Lehrbeauftragte.3 (Aus den hier untersuchten Universitäten befanden sich Mitte Dezember 1914 »etwa 70« der 526 Berliner Professoren und Dozenten [einschließlich der Lehrbeauftragten] »im Kriegsdienst«, 53 der Straßburger und 35 der Gießener »im Felde«.4) Später wurde man mit der Veröffent lichung von Zahlen zurückhaltender, aus verschiedenen Gründen. So erachtete es das Ministerium im Sommer 1916 im Interesse der Landesverteidigung 1 Rainer A. Müller, Geschichte der Universität. Von der mittelalterlichen Universitas zur deutschen Hochschule, München 1990, S. 89. 2 Wettmann, Heimatfront Universität, S. 116 f.; Paletschek, Tübinger Hochschullehrer im Ersten Weltkrieg, S. 85. 3 Hier nach GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. I, Nr. 17 Bd. V, fol. 314. Laut eigener Angabe des Pr. KuMi hatte er die Zahlen in der Kommission vorgetragen. In der Landtagssitzung selbst wurden sie nicht genannt! S. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten. 22. Leg. II. Session 1914/15. Bd. 7, Berlin 1916, Sp. 8642 (3.3.1915). 4 Die Studentenschaft Deutschlands und Österreichs im Krieg (…). Eine Rundfrage des »Prager Tagblatt«, in: Prager Tagblatt 59, 28.2.1915, Ausschnitt in: UA Gi Allg. 103, fol. 118. Vgl. zu Gießen auch Anderhub, Antoniterkreuz, S. 7: Anfangs leistete ein Drittel der Dozenten Militärdienst, doch kehrte ein beträchtlicher Teil von ihnen dann nach Gießen zurück. Vgl. auch Moraw, Kleine Geschichte, S. 194.
326 Die Universitäten im Kriegseinsatz »unter keinen Umständen als zulässig«, Fragen eines auswärtigen Korrespondenten nach der Höhe der Verluste an Professoren und Studenten zu beantworten.5 Und da, wo die Universitäten selbst Rechenschaft ablegten, oft höchst detailliert, waren militärische und nichtmilitärische Tätigkeit, ja manchmal sogar Einsatz an der Front und in der Heimat nicht klar zu unterscheiden.6 Gern wurden beide zusammengefaßt,7 und die Angabe über die »etwa 70« Berliner »im Kriegsdienst« war sogar mit dem Zusatz versehen »aber auch diese Zahl ist nicht sicher und wechselnd.« Eine exakte Auswertung ist also kaum möglich. Dagegen sprechen nicht nur die Fülle der Fälle und die schon innerhalb eines Jahres wechselnden Betätigungen des einzelnen, die er teils nacheinander, teils auch parallel ausübte. Zusätzlich behindert wird eine solche Auswertung durch die variantenreichen Formulierungen, die es unmöglich machen, Einberufung bzw. Verpflichtung und freiwilligen Einsatz, ehrenamtliche oder bezahlte Nebentätigkeit auseinanderzuhalten und den zeitlichen Umfang der einzelnen Tätigkeiten einzuschätzen; denn manche wurden offenbar mit geringem Zeitaufwand neben der Professur ausgeübt, andere galten schon dadurch als Kriegseinsatz, daß eine Universitätsklinik zum Lazarett umgewidmet wurde, die Krankenversorgung nun also Kriegsarbeit war. Auch der international renommierte 69jährige Spezialist für Magenkrankheiten Carl Anton Ewald, der seit 1888 das Augusta-Hospital leitete und nach Jahrzehnten als Extraordinarius inzwischen Ordentlicher Honorarprofessor war, wurde hier nun Chef des Vereinslazaretts vom Roten Kreuz und gleichzeitig fachärztlicher Beirat des Gardekorps und des III. Armeekorps. Da die Nachrufe auf den 1915 Verstorbenen die Kriegstätigkeit aber nicht einmal erwähnen,8 fragt man sich, ob es sich dabei wirklich um substantielle Ak5 Pr. KuMi an Kuratoren 2.8.1916: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 1, Tit. I, Nr. 35 Bd. II, fol. 160. In Deutschland befindliche Journalisten hätten sich die Informationen allerdings wohl selbst beschaffen können, da die Personalverzeichnisse ja Gefallenenlisten enthielten. Und Angaben für alle deutschen (und österreichischen) Universitäten fanden sich (auf dem Stand vom 15.12.1914) noch im Februar 1915 im Prager Tageblatt (s. A. 4), also einer Zeitung, die in einem verbündeten Land erschien. 6 S. als Beispiel den Bericht über Berlin unten S. 382. 7 So schrieb der Gießener Rektor an Weihnachten 1914 an die Studenten im Feld: »Es ist nicht nur eine überraschend große Zahl Studenten in das Heer eingetreten, sondern auch von den Dozenten und Assistenten stehen nicht wenige im Felde, oder sind zurzeit noch im Lande in militärischer Verwendung.« (Sommer, An die im Felde). Beim jährlichen Festakt 1918 sprach der Rektor einfach vom »ansehnlichen Teil« der Dozentenschaft, der »im Heere« stehe (Gisevius, Der Boden als Betriebsmittel, S. 4). 8 Markierung seines Kriegsdienstes in AV FWU SS 1915, S. 22. Zu den Tätigkeiten: Die Friedrich-Wilhelms-Universität im Kriege, in: Kipp, Amtsjahr 1914/1915, S. 15–43 (künftig: Die FWU im Kriege 1914/15), hier 18. Biogr. Angaben nach: Walter Wolff, Carl Anton Ewald †, in: Medizinische Klink 11 (1915), S. 1117–1118. Dieser wie auch der Nachruf in: Berliner Klinische Wochenschrift 52 (1915), S. 1013 f. erwähnen die Kriegstätigkeit mit keinem Wort! Auch in GUUL 5 findet sich dazu nichts.
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tivitäten oder evtl. nur nominelle Leitungsfunktionen handelte. Außerdem gestattet es die Vielfalt der medizinischen Einrichtungen, an denen Universitätsmitglieder nun wirkten, auch nicht, militärische und zivile Anstalten durchgehend auseinanderzuhalten.9 Da den Berichten der Universitäten also keine genauen Zahlen und Angaben über die Verwendung zu entnehmen sind, dokumentieren sie vor allem die Selbstdarstellung oder Selbstrechtfertigung der einzelnen Gelehrten und des Lehrkörpers insgesamt. Auch dabei ist allerdings Vorsicht geboten: Selbst da, wo über einen Dozenten eine knappe, rein sachlich erscheinende Angabe gemacht wird, sollte man vorsichtig sein, sie für einen korrekten Spiegel der Realität zu halten.10 Trotzdem belegen zahlreiche Fälle die Einsatzbereitschaft der Einzelnen. Einen Vergleich der einzelnen Universitäten ermöglichen nur zwei Quellengattungen, die schlicht das Faktum des Einsatzes registrieren, ohne die Kriegstätigkeiten zu bezeichnen, also die Personalverzeichnisse der einzelnen Universitäten und der alle umfassende Deutsche Universitätskalender. Allerdings wird der Vergleich dadurch erschwert, daß die Universitäten selbst in ihren Personalverzeichnissen unterschiedlich verfuhren: Das Gießener vermerkte hinter den betreffenden Namen »im Heere«; das Straßburger versah die, die »zum Kriegsdienst eingezogen« waren oder »sich freiwillig gemeldet« hatten, mit einem Sternchen, während das Berliner diejenigen »Mitglieder des Lehrkörpers« so markierte, »welche z. Z. durch unmittelbaren oder mittelbaren [!] Heeresdienst verhindert sind, ihre Lehrtätigkeit auszuüben«.11 Bereits durch diese Zusammenfassung wird die Grenze zwischen dem eigentlichen militärischen Einsatz und anderen Diensten verwischt. Dazu kommt – wie bei den Studenten – die mögliche Fluktuation im Lauf der Zeit. Der Deutsche Universitätskalender erschien zwar im Prinzip ebenfalls jedes Semester – im Krieg allerdings mit Ausnahme der Sommer 1917 und 1918.12 Doch lassen sich in manchen Fällen die Angaben des einzelnen Personal verzeichnisses und des Universitätskalenders zumindest zeitlich nicht zur D eckung bringen.13 Ein Lehrender, für den eine entsprechende Angabe im Personalverzeichnis seiner Universität fehlt, kann im Kalender durchaus als im 9 S. dazu die Zusammenstellungen, die jeweils dem Bericht des Rektors über sein Amtsjahr angefügt waren. Für 1914/15 umfaßt sie 29 zweispaltig gedruckte Folioseiten (s. o. A. 8). Die Formulierungsvielfalt gilt auch für die Nachträge und Änderungen zum Vorlesungsverzeichnis, die in BAN veröffentlicht wurden. Siehe u. S. 906 f. 10 S. dazu u. S. 925–928 den Fall Nicolai. 11 Siehe z. B. PB LU Gi SS 1915, S. 8 f. (Krüger, Mittermaier, von Eicken, Opitz); PV KWU Strb. SS 1915, S. 4 (Jung, Kohlrausch, Madelung u. a.); AV FWU Berlin WS 1915/16, S. 16 oder WS 1917/18, S. 16. 12 Deutscher Universitätskalender. Teil 1: Die Universitäten im Deutschen Reich, Leipzig 1914–1918. 13 Siehe u. S. 341 das Beispiel des Gießener Chemikers Karl Schaum.
328 Die Universitäten im Kriegseinsatz Kriegsdienst stehend verzeichnet sein.14 Das mag unterschiedlichen Stichdaten geschuldet sein, könnte aber auch den Wechsel zwischen verschiedenen Tätigkeiten spiegeln.15 Zum Teil ergeben sich aber auch in den Summen der im Kriegsdienst Stehenden beträchtliche Differenzen zwischen beiden Quellen.16 Andere Meldungen, auch solche offiziösen Charakters, lassen sich überhaupt nicht substantiieren, so etwa in den »Nachträgen, Veränderungen und Bemerkungen zum Vorlesungsverzeichnis« der Universität Berlin für das Winter semester 1915/16: »Prof. Dr. Hintze steht im Felde«.17 Das bestätigen weder das Personalverzeichnis noch der ausführlichere Kriegsbericht der Universität noch der Universitätskalender. Im Gegenteil: Während seine bei Kriegsbeginn 30jährige Frau Hedwig Hintze zeitweise beim Roten Kreuz arbeitete (und dafür ihr Studium unterbrach, erst 1924 promoviert wurde und sich 1928 habilitierte),18 wird der 1914 53jährige Otto Hintze in den detaillierten Berichten über die Kriegstätigkeit der Universität19 nie genannt. Trotz dieser vielen Kautelen scheint ein Vergleich möglich; denn da jede Universität bestrebt war, eine möglichst hohe Teilnahme ihrer Mitglieder an den Kriegsanstrengungen zu belegen, heben sich die dargestellten Defizite bzw. ›Makel‹ quasi gegenseitig auf.
14 Siehe z. B. die Gießener Mediziner Siegfried Garten, Rudolf Th. Jaschke, Walter Sulze in Universitätskalender SS 1915 (vgl. dagegen dieselben Namen ohne Zusatz: PB LU Gi SS 1915, S. 9 f.); den Linguisten Hermann Hirt (S. 12). Bei dem Mediziner Hermann Hohlweg, der im Universitätskalender ebenfalls als im Kriegsdienst stehend verzeichnet ist, war vermerkt: »beurlaubt« (S. 10; im WS 1914/15 dagegen »im Heere«). Umgekehrt fehlt aber im Universitätskalender der Tiermediziner Hermann F. Gmeiner, der im Personalverzeichnis (S. 10) als »im Heere« angegeben ist. 15 Erstaunlich ist allerdings, daß der während des gesamten Krieges in Frankreich als Zivilgefangener festgehaltene Berliner Privatdozent Bernhard Groethuysen bis einschließlich WS 1918/19 im Universitätskalender als im Kriegsdienst stehend registriert war. In AV FWU Berlin war er dagegen niemals als im »unmittelbaren oder mittelbaren Heeresdienst« stehend verzeichnet! 16 Zur Auszählung s. u. A. 24. Für WS 1915/16 verzeichnet der Universitätskalender für Gießen 31 Hochschullehrer im Kriegsdienst, das PB LU Gi dagegen 41; für SS 1916/17 37:39, für WS 1916/17 38:31. 17 BAN X (1915/16), S. 8 f., Zitat 9. 18 Peter Th. Walther, Das Gelehrtenpaar Hedwig und Otto Hintze, in: Von der Ausnahme zur Alltäglichkeit. Frauen an der Berliner Universität Unter den Linden, Berlin 2003, S. 98–106, hier 100. 19 Die FWU im Kriege 1914/15; Die Friedrich-Wilhelms-Universität im Kriege während des Jahres 15. Oktober 1915 bis 15. Oktober 1916, in: Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Bericht über das Amtsjahr 1915/16, Berlin 1916, S. 9–19; Die Friedrich-Wilhelms-Universität im Kriege während des Jahres 15. Oktober 1916 bis 15. Oktober 1917, in: Ernst Bumm, Bericht über das Amtsjahr 1916/1917, Berlin 1917, S. 11–22. Im folgenden jeweils als »Die FWU im Kriege« (mit Bezeichnung des Jahres) abgekürzt.
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Überblick Der Universitätskalender wie auch die Personalverzeichnisse der Berliner, Straßburger und Gießener Universität belegen schon auf den ersten Blick einige verallgemeinerbare Tendenzen und Grundbefunde:20 Die Zahl der im Kriegsdienst Stehenden wuchs ständig21 – und das entsprach durchaus der allgemeinen Entwicklung. In Preußen, wo sich über die Hälfte der Universitäten des Deutschen Reichs befand, stieg die Zahl der Hochschullehrer, die wegen ihres Kriegsdienstes keine Lehrveranstaltungen abhalten konnten, von 22 % im Sommer 1915 auf 31 % im Wintersemester 1917/18. Dabei bestanden allerdings beträchtliche Unterschiede zwischen den einzelnen Universitäten.22 Das gilt analog auch für die anderen deutschen Bundesstaaten.23 Von den Hochschullehrern der drei hier untersuchten Universitäten beteiligten sich die Berliner am wenigsten am »unmittelbaren oder mittelbaren Heeresdienst«:24 Ihr Anteil reichte von 21,5 % im Sommer 1915 über 23,1 % im folgenden Semester bis zu maximal 24,6 %. (Genauer gesagt: Von SS 1916 bis SS 1918 lag er immer zwischen 24,4 % und 24,6 %). Von den Gießenern dagegen 20 Als Belege für die folgenden Ausführungen s. die aus den Personalverzeichnissen zusammengestellten Tabellen 2–4 für die drei Universitäten im Anhang S. 1142–1147. 21 Als vereinzelte Ausnahme s. das WS 1915/16, wo die Zahl der im Kriegsdienst stehenden Gießener Lehrenden die höchste der gesamten Kriegszeit war. 22 In Breslau waren im Winter 1917/18 nur 23 %, in Königsberg dagegen 47 % der Lehrenden im Kriegsdienst. Diese wie auch die gesamtpreußischen Zahlen nach Wettmann, Heimatfront Universität, S. 117 f. 23 In Leipzig standen in den einzelnen Kriegsjahren zwischen 22,5 % und 27 % der Lehrenden im Militärdienst, überwiegend Extraordinarien und Privatdozenten. Dabei erlauben die Leipziger Akten keine Unterscheidung zwischen Freiwilligen und Einberufenen (Gätke-Heckmann, Universität Leipzig im Ersten Weltkrieg, S. 149). In Tübingen standen durchschnittlich 40 % im Militärdienst. (In diesem Fall sind auch die Hilfslehrer eingerechnet!). Dabei nahmen durchschnittlich knapp 26 % der Ordinarien, 38 % der Extraordinarien und 71 % der Privatdozenten am Krieg teil (Paletschek, Tübinger Hochschullehrer im Ersten Weltkrieg, S. 85). Vgl. für die gemeinsame Universität der thüringischen Staaten, an der im Durchschnitt aller Kriegssemester 29 % der Lehrenden »im Felde oder anderweitig durch den Krieg in Anspruch genommen« waren, Grüner, Die Universität Jena während des Weltkrieges, S. 5, genaue Aufschlüsselung in Anlage 2, S. 184–187. 24 Für die folgenden Darlegungen wurden als im Kriegsdienst stehend markierte Ordinarien, Extraordinarien und Privatdozenten (aber keine Lehrbeauftragten, Assistenten, Lektoren, Lehrer für Fechten, Tanzen etc.) für die drei Universitäten ausgezählt und der Anteil an der Gesamtzahl dieser drei Gruppen berechnet. Emeriti (zu denen in Straßburg auch emeritierte Extraordinarien gehörten!) wurden, obwohl sie aus Altersgründen weder zum Militär- noch zu dem 1916 eingeführten Vaterländischen Hilfsdienst verpflichtet waren, dabei in die Gesamtzahl einbezogen, da die Berliner Universität sie im Verzeichnis nicht als solche auswies, also eine allgemeine Beschränkung auf die aktiven Professoren nicht möglich war. S. auch u. A. 25.
330 Die Universitäten im Kriegseinsatz standen zwischen 28,4 % (WS 1916/17) und 36,6 % (WS 1915/16) »im Heere«. Am stärksten engagierten sich aber die Straßburger: Hier schwankte der Anteil zwischen 43,1 % im Sommer 1915 und 55,5 % im Sommer 1918. Noch größer würde der Unterschied, könnte man die Zahl der Kriegsteilnehmer in allen Universitäten allein auf die aktiven Professoren (statt auf alle, inklusive der Emeriti) beziehen. Dann wären die Gießener Anteile in den einzelnen Semestern jeweils noch 2–3 %, die Straßburger sogar 4–5 % höher.25 Ganz grob gesprochen, stand also ein knappes Viertel des Berliner, ein Drittel des Gießener und mehr als die Hälfte des Straßburger Lehrkörpers im Kriegsdienst. Einerseits traf dies die kleine und die mittlere Universität aufgrund ihres wesentlich kleineren Lehrkörpers um so härter; andererseits kann man in keiner der Universitäten alle im Kriegsdienst Stehenden als »abwesend« betrachten.26 Insofern könnten die Anteile, wenn man ihrer Berechnung, wie in Berlin, nur die Zahl der an der Lehre Gehinderten zugrunde legte, ähnlicher sein, als es diese Berechnungen es erscheinen lassen. In allen drei Universitäten betrug die Zahl der im Kriegsdienst stehenden Privatdozenten ein Mehr-, in Berlin sogar ein Vielfaches im Vergleich zur Ordinariengruppe.27 Und selbst wenn man den Anteil an der jeweiligen Statusgruppe berechnet, waren die Straßburger Privatdozenten immer zwei- bis dreimal so stark betroffen wie die dortigen Ordinarien. (Der Anteil unter den Privatdozenten schwankte damals zwischen 71,6 % und 83,1 %, der Anteil unter den Ordinarien dagegen ›nur‹ zwischen 23,5 % und 42,9 %.) In Gießen war die Diskrepanz noch größer: Die Privatdozenten standen in den einzelnen Semestern zwischen mehr als doppelt und gut fünfmal so stark »im Heere« wie die Ordinarien: erstere zwischen 57,7 % und 69,2 %, letztere zwischen 12,5 % und 24,5 %. In Ber25 Allerdings ließen sich in Berlin Professoren nur ganz vereinzelt emeritieren: 1915 gab es nur drei! (Wagner, Beharrliche Einheit der Vielfalt, S. 30 und Tab. S. 36). In Straßburg dagegen gab es im SS 1915 15 »emeritierte« Ordinarien und Extraordinarien, in Gießen 6 Ordinarien »im Ruhestand«. Deshalb scheint eine Auswertung, die für Straßburg und Gießen nur die aktiven Hochschullehrer berücksichtigt, der Realität am nächsten zu kommen. Der Anteil der Kriegsdienstleistenden liegt dann in Gießen jeweils 2–3 % über dem im folgenden genannten, in Straßburg sogar 4–5 %. S. dazu genauere Daten in den Tabellen im Anhang. 26 Diese Formulierung verwendet z. B. Wettmann, Heimatfront Universität, S. 118 für die im Universitätskalender angeführten. Doch wird an den im folgenden darzustellenden Beispielen deutlich, daß bei weitem nicht jedes militärische Engagement Abwesenheit von der Universitätsstadt bedeutete. Die Straßburger Universität gab im Universitätska lender immer auch die Theologen an, die laut eigener Auskunft ihre Lehre weiterführten! Dasselbe gilt vermutlich auch für Mediziner, von denen eine ganze Reihe in den Straßburger Festungslazaretten arbeitete. 27 Die folgenden Berechnungen sind für Gießen und Straßburg jeweils nur auf die aktiven Hochschullehrer bezogen! Für Berlin ist der Unterschied zwischen aktivem und Gesamtlehrkörper angesichts der Größe des Lehrkörpers (von nahezu 500 Personen) und der minimalen Zahl von Emeriti (s. A. 25) zu vernachlässigen.
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lin schließlich, wo der Anteil der Kriegsteilnehmer in der Privatdozentenschaft zwischen 29,5 % und 38,3 % lag, war diese statusschwächste Gruppe in den einzelnen Semestern zwischen dreieinhalb- und mehr als siebenmal so stark engagiert wie die Ordinarien. Auch dieser überall relativ hohe Anteil der Privatdozenten entsprach gesamtdeutschen Befunden: In Preußen standen im Winter 1917/18 13 % der Ordinarien, 18 % der Extraordinarien, aber 48 % der Privatdozenten im Kriegsdienst. In Tübingen, wo dies im Durchschnitt aller Kriegssemester für 40 % der Lehrenden galt, reichte die Spanne von 26 % (bei den Ordinarien) bis zu 71 % (bei den Privatdozenten).28 Die starke Beanspruchung der Privatdozenten erklärt sich natürlich in erster Linie aus dem Lebensalter – viele von ihnen waren noch kriegsdienstpflichtig, die meisten Ordinarien dagegen nicht mehr. Das Lebensalter dürfte auch eine wichtige Rolle für den höheren Anteil der Gießener als der Berliner Ordinarien im Heeresdienst spielen; denn in einer Durchgangsuniversität, in der viele ihr erstes Ordinariat erreichten, gehörten dieser Statusgruppe mehr jüngere an als in der Reichshauptstadt, die üblicherweise die Endstation der Karriere war. Gerade deshalb aber sticht der deutliche höhere Anteil der Straßburger Ordinarien (und Extraordinarien!!) ins Auge. Offenbar war in der Grenzfestung bzw. in der Nähe zum Operationsgebiet der Bedarf (oder die Motivation) besonders hoch. Darüber hinaus hatten die Privatdozenten aber auch in ganz anderer Hinsicht Bedeutung für das Gesamtbild der Kriegsleistung jeder Universität. Da ihr Anteil an der Hochschullehrerschaft so unterschiedlich war – in Gießen betrug er ein knappes Viertel, in Straßburg immer zwischen 40 und 43 %, in Berlin um 55 % –, läßt er die geringe Gesamtleistung der Berliner Universität noch stärker hervortreten. Teilweise war aber wohl auch das altersbedingt.29 Offenkundig ist auch die sehr unterschiedliche Beteiligung der einzelnen Fakultäten: An allen drei untersuchten Universitäten standen nur einzelne Theologen und Juristen im Kriegsdienst, dagegen weit mehr Angehörige der überall größten, der Philosophischen Fakultät (also Geistes- und Naturwissen schaftler).30 Am höchsten jedoch waren in Berlin und Straßburg immer die Zahl der Kriegsdienst leistenden Mediziner wie auch deren Anteil am Lehrkörper der jeweiligen Fakultät. (Auch das entsprach gesamtpreußischen Befunden: 28 Wettmann, Heimatfront Universität, S. 121; Paletschek, Tübinger Hochschullehrer im Ersten Weltkrieg, S. 85. 29 Da die Reichshauptstadt vielfältige Arbeitsmöglichkeiten bot und der Privatdozentenstatus (der dort sehr häufig mit einem Professorentitel verbunden war) der freien Berufs tätigkeit durchaus förderlich war, insbesondere bei Ärzten, ist zu vermuten, daß der Anteil älterer Privatdozenten hier höher war als an anderen Universitäten. 30 In den Tabellen im Anhang werden für Straßburg zwar, entsprechend der dortigen Gliederung, Phil. und Math.-Nat. Fakultät getrennt ausgewiesen. Addiert man deren Lehrende aber, so liegt auch diese Gesamtzahl über der aller anderen Fakultäten.
332 Die Universitäten im Kriegseinsatz Der durchschnittliche Anteil der Lehrenden im Kriegsdienst lag in den medizinischen Fakultäten Preußens im Sommer 1915 bei 35 %, im Winter 1917/18 bei 46 % – auch das wiederum bei einer großen Spannweite zwischen den einzelnen Institutionen.31) Nur Gießen, dessen Medizinische Fakultät viel kleiner war als die Philosophische und wo zudem der Anteil der Privatdozenten innerhalb dieser Fakultät geringer war als in den beiden anderen Universitäten, wich von diesem Muster ab. Hier war also – mit Ausnahme des Sommersemesters 1915 – immer die Philosophische Fakultät am stärksten betroffen. Umgekehrt hatte die Berliner Philosophische Fakultät praktisch immer (und im Vergleich mit al len untersuchten Fakultäten!32) den kleinsten Anteil von Mitgliedern im militä rischen Einsatz: je nach Semester zwischen 15,6 % und 21,2 %. Die starke Beanspruchung der Mediziner hatte allerdings nicht ›nur‹ der Bedarf an Ärzten bewirkt, sondern auch eine – in Preußen und anderswo geltende – Bestimmung, daß sich Professoren der Medizinischen Fakultät im Kriegsfall dem Heer zur Verfügung stellen müssen. Diese bei der Berufung unterzeichnete Verpflichtungserklärung wurde üblicherweise jedes Jahr erneuert.33 Daher können nicht alle, die die Altersgrenze überschritten hatten, ohne weiteres als Freiwillige betrachtet werden. Da die Verzeichnisse der Universitäten Berlin und Gießen (im Gegensatz zum Straßburger!) allerdings nicht nach Einberufenen und Freiwilligen unterschieden, andererseits nicht alle (noch) Wehrpflichtigen einberufen wurden, sich manche Nichteinberufenen jedoch freiwillig meldeten, könnte der jeweilige Status allenfalls durch Recherche für jeden Einzelfall geklärt werden. Doch selbst mithilfe der Personalakte ist das oft nicht möglich.34 – Zugleich bedeutete die starke Vertretung der Mediziner unter den Kriegsdienstleistenden, daß ein großer Teil dieser Gesamtgruppe nicht im Waffen-, sondern im Sanitätsdienst stand. Das sieht jedoch nur auf den ersten Blick wie eine Besserstellung im Vergleich zur Gesamtheit der Kriegsdienstleistenden aus; denn die Todesrate war beträchtlich.35 Formal gehörten die noch kriegsdienstpflichtigen Hochschullehrer meist zur Landwehr des zweiten Aufgebots, also jenen, die ihre Dienst- oder Ersatzreservepflicht bereits abgeleistet und das 39. Lebensjahr noch nicht überschritten hatten, oder aber zum Landsturm. Tatsächlich wurden dessen Angehörige ja 31 Wettmann, Heimatfront Universität, S. 117 f. mit weiteren Daten. 32 Das umgangssprachliche »praktisch« im Text ist als Gegensatz zur nominell-exakten Auswertung zu verstehen; denn in einzelnen Semestern stand in einzelnen Fakultäten tatsächlich 0 % der Hochschullehrer im Kriegsdienst. Doch das ergibt sich aus der Sonderstellung der katholischen Geistlichen (Straßburger Fakultät!) sowie der Kleinheit der Gießener Theol. und Jur. Fak. 33 His, Die Front der Ärzte, S. 1. 34 So z. B. die Auskunft der Leiterin des Gießener Universitätsarchivs, Dr. Eva-Marie Felschow, vom 8.1.2012 über den Gießener Chemiker Kurt Brand. S. auch o. S. 275 A. 142 über Calkers Personalakte. 35 S. dazu u. S. 335 f., S. 340.
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bereits Mitte August 1914 zum aktiven Dienst aufgefordert. Und obwohl sie ursprünglich Wachaufgaben in der Heimat und den besetzten Gebieten übernehmen sollten, wurden sie im Lauf des Krieges auch anstelle der Landwehr eingesetzt: im Etappengebiet, zum Grenzschutz, auch an relativ ruhigen Abschnitten der Westfront. Schon aufgrund der Altersstruktur und dieser Bestimmungen ist es also wahrscheinlich, daß die meisten im Waffendienst stehenden nicht an der Front, sondern im Stabs- oder Etappendienst verwendet wurden.36 Von 144 Dozenten und Assistenten der Universität Straßburg, die im vierten Kriegsjahr »Dienste in oder für das Heer« leisteten, trugen nur 43 die Waffe oder wurden als Landsturmpflichtige im Garnisonsdienst verwendet.37 Da also die meisten Zahlen aufgrund der Quellenlage fragwürdig und auch nie zu einem bestimmten Datum für alle Universitäten zu eruieren sind, andererseits schon der Überblick belegt, daß der größere Teil der Lehrenden nicht mit der Waffe diente, soll im folgenden anhand genauer zu beschreibender Beispiele das Spektrum konkreter Einsatzmöglichkeiten aufgezeigt werden. Obwohl vereinzelt auch Mediziner schlicht »steht im Felde« meldeten – so vier von 118 im ersten Jahr irgendeine Form von Kriegsarbeit leistenden Privatdozenten der Berliner Fakultät38 –, wird doch bei fast allen anderen Nennungen deutlich, daß Gelehrte die spezielle Expertise ihres Faches oder sogar besonderen Forschungsgebietes ins Heer (bzw. zu dessen Gunsten) einbrachten, allen voran die Mediziner.
Tätigkeit als Experten im Dienst der Armee: Mediziner Ordinarien und Extraordinarien wurden oft als Konsultanten eingesetzt, die jeweils »rein wissenschaftlich und fachärztlich« für ein ganzes Armeekorps bzw. eine Etappeninspektion zuständig waren,39 die Privatdozenten dagegen im ärztlichen Dienst an der Front oder in Lazaretten. Andere leiteten auch selbst Lazarette. Der Straßburger, gerade zum Ordinarius aufgerückte Internist Erich
36 Wettmann, Heimatfront Universität, S. 116 f. Auch für einzelne Universitäten, die schon einmal genauer in Augenschein genommen wurden, ergab sich, daß die meisten Professoren nicht an der Front Dienst taten. S. für Heidelberg: Jansen, Vom Gelehrten zum Beamten, S. 106 f. A. 26; Reichert, Wissenschaft und »Heimatfront«, S. 497. Für Erlangen: Hans Liermann, Die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen 1910–1920, Neustadt a. d. Aisch 1977, S. 39. 37 Ficker, Bericht IV (1917/18), S. 7. 38 Die FWU im Kriege 1914/15: Philipp Bockenheimer (S. 24), Georg Arndt (26), Karl Stolte (28), Friedrich Lotsch (28). 39 Dies gilt für die beratenden Chirurgen, die beratenden Hygieniker und die beratenden Internisten gleichermaßen. Sanitätsbericht über das Deutsche Heer (…) im Weltkriege 1914/1918. Bd. I: Gliederung des Heeressanitätswesens, Berlin 1935, S. 62, 64.
334 Die Universitäten im Kriegseinsatz Meyer wurde mit seinen 40 Jahren gleich zu Kriegsbeginn zur Landwehr eingezogen. Er war zuerst als Stabsarzt an der Front, wurde aber schon im September als Chefarzt dem Festungslazarett in Straßburg zugeteilt. Später war er als beratender Kliniker in seinem Armeebereich und in der großen Straßburger Garnison tätig. Erst 1918 kehrte er an die Universität zurück.40 Wie wenig man sich bei der generellen Verpflichtung der Medizinprofessoren ihre Verwendung im Kriegsfall überlegt hatte, belegt die Meldung des ›Schweizer‹ Berliners Wilhelm His beim Stellvertretenden Korpsarzt des III. Armeekorps. »Er war in nicht geringer Verlegenheit, da für diesen Fall nicht vorgesorgt war; schließlich kommandierte er mich zum Garnisonlazarett [!] in Tempelhof, wo die Erkrankten unter den einrückenden Mannschaften eingeliefert wurden. Jeden Morgen fuhr ich mit der Straßenbahn anderthalb Stunden nach Tempelhof. In der Charité war wenig zu tun; die meisten Säle waren geleert, der größte Teil der Ärzte zum Heeresdienst eingezogen, Zivilärzte boten sich zur Aushilfe freundlich an. Bald fand sich aber eine neue Aufgabe: die Ausmusterung von Kriegsfreiwilligen. In Haufen strömten sie zu. Wir untersuchten sie gewissenhaft, und wer nicht gerade krumm oder lahm oder offensichtlich krank war, wurde als tauglich erklärt. Hatten wir doch alle keine Ahnung, welche Strapazen ihrer warteten, und war doch ihr Kriegseifer so groß, daß sie, an einer Stelle abgewiesen, sich von Stelle zu Stelle meldeten, bis sie irgendwo Annahme fanden.«
Als His mit diesen Tätigkeiten nicht zufrieden war und beim Feldsanitätschef um Verwendung im Feld bat, sah ihn dieser »etwas erstaunt an und sagte: ›Sie gehören doch gar nicht zu uns.‹ Als ich ihm aber erklärte, wenn er mich nicht brauchen könne, müsse ich als Kriegsfreiwilliger gehen, lachte er und sagte: ›Wir schreiben Ihnen noch.‹«
Am 2. September erhielt His per Telegramm die Ernennung zum Beratenden Inneren Mediziner bei der Etappeninspektion VIII. Da die Herstellung seiner Uniform durch die Armee sechs Wochen benötigt hätte, engagierte er einen privaten Schneider, der »in 48 Stunden alles Nötige tadellos« lieferte. Die Etappeninspektion ›residierte‹ in Rastenburg (Ostpreußen), und His’ Tätigkeit sollte sich ursprünglich auf die ganze Armee im Osten erstrecken. Doch da die Kämpfe von Ostpreußen bis Schlesien reichten, wurde außerdem der benachbarten IX . Armee noch ein Breslauer Professor zugeordnet. Da sich die Kämpfe aber nach Süden verlagerten und dadurch das erwartete Vorrücken nach Ruß-
40 Zusammenfassend nur knapp: Paul Jungmann, Erich Meyer, in: Zeitschrift für Klinische Medizin 106 (1927), S. I–IX , hier III f. S. weitere Details in seiner Personalakte, die nach 1918 in Göttingen weitergeführt wurde: UA Göttingen Kur. 5107, fol. 13, 15, 19v.
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land zunächst hinfällig wurde, blieb His fast ein Jahr in Rastenburg.41 Zeitweise besuchte er auch Korpsbezirke im Innern des Reichs, um »die Fühlung zwischen den Ärzten an der Front und in der Heimat herzustellen«. Nach der Eroberung Warschaus wurde er Beratender Mediziner auch für das Generalgouvernement.42 Schließlich bereiste er im Lauf des Krieges fast alle Fronten: Frankreich, Polen, Ukraine, Türkei, Armenien, Syrien, Palästina. His’ Berliner Kollege August Bier wirkte zuerst als Konsultant der Marinestation der Nordsee, wurde »infolge Untätigkeit der englischen Flotte dort« nach drei Monaten aber als Beratender Chirurg zahlreicher Reservelazarette zurück nach Berlin kommandiert, wo er gleichzeitig die chirurgische Universitätsk linik als Reservelazarett verwaltete, und ging schließlich ab Mai 1915 als Konsultant eines Armeekorps nach Frankreich.43 Der aus Österreich gebürtige Berliner Mediziner Theodor Brugsch leistete 1914 bis 1916 Kriegsdienst als Beratender Internist beim Gardekorps, von 1917 bis 1919 war er (im Dienstgrad eines Stabsarztes) Internist der IX . Armee in Rumänien und wurde mit dem Eisernen Kreuz I. und II. Klasse ausgezeichnet.44 Unter den Ordentlichen Honorar professoren der Friedrich-Wilhelms-Universität waren drei General- bzw. Generalstabsärzte, als höchster der Chef des Feldsanitätswesens, mit dem His zu tun gehabt hatte: Otto von Schjerning.45 Insgesamt waren von der Berliner Medizinischen Fakultät im ersten Kriegsjahr 15 von 20 Ordinarien, 7 von 10 Ordentlichen Honorarprofessoren, 22 von 36 außerordentlichen Professoren und 118 von 135 Privatdozenten laut Jahresbericht der Universität mit Kriegstätigkeiten beschäftigt. Doch im Feld standen davon nur drei Ordinarien, drei ordentliche Honorarprofessoren, ein Extra ordinarius und 48 Privatdozenten. (Und das Personalverzeichnis des Sommersemesters 1915 registriert sogar nur 51 Privatdozenten der Medizin im »unmittelbaren oder mittelbaren Heeresdienst« insgesamt.) Daß der ärztliche Einsatz bei der Armee sehr gefährlich sein konnte (und wie hoch die Universitätsmitglieder selbst gerade dies schätzten), belegt das Beispiel des Privatdozenten Ewald Stier: Als Chefarzt der Sanitätskompanie 2 des Garde-Reservekorps nahm er im ersten Kriegsjahr »in Belgien an der Einnahme von Namur, in Ostpreußen an der Schlacht bei Allenberg, in Südpolen an den Kämpfen in Iwangorod, in Mittelpolen an der Einschließung bei Brzeziny, an
41 His, Front der Ärzte, S. 1–7. 42 His, Front der Ärzte, S. 82–86 (XI . Korpsbezirk), Zitat 82; 86–91 (Warschau). 43 Die FWU im Kriege 1914/15, S. 18. 44 http://www.catalogus-professorum-halensis.de/brugschtheodor.html (16.10.2010). 45 Zu Schjerning s. o. S. 115. Zu den Ord. Honorarprofessoren der Medizin: Die FWU im Kriege 1914/15, S. 18 f. Die beiden anderen waren der Extraordinarius (seit Sommer 1915 Ord. Honorarprofessor) Fedor Krause und Alfred Goldscheider. Zu Krause s. auch Manfred Stürzbecher, in: NDB 12 (1979), S. 700. Zu Goldscheider s. u. S. 365.
336 Die Universitäten im Kriegseinsatz der Masurenschlacht, an den Kämpfen bei Przasnitz [teil]. Bei Namur erhielt er das Eiserne Kreuz II. Klasse, bei Brzeziny das Eiserne Kreuz I. Klasse.«46 In Gießen rückten sowohl der Inhaber des Lehrstuhls für Gynäkologie Erich Opitz als auch vier Assistenten gleich zu Beginn der Mobilmachung ein. Die Klinik überließ Opitz dem militärdienstfreien Oberarzt, einem Medizinal praktikanten und einer fortgeschrittenen Studentin. Er selbst war den Akten nach zunächst in einem Lazarett in Mainz tätig, doch korrigierte er dies später: Er sei beim Festungsbau eingesetzt gewesen, dabei mit seinem Pferd gestürzt und daher felddienstunfähig. Deshalb sei er zunächst leitender Arzt des Festungslazaretts in Mainz gewesen, dann als Oberarzt der Landwehr II im Sanitätswesen angestellt worden und im Januar 1915 schließlich ins Feld gerückt, wo er inzwischen Chefarzt eines Kriegslazaretts sei.47 Auch wenn seine Auskunftsfreudigkeit durch einen Fragenkatalog stimuliert wurde, der der Zusammenstellung der Tätigkeiten der Hochschullehrer diente, ist es doch offenkundig, daß dieser Arzt die Tätigkeit beim Festungsbau bzw. als kämpfender Soldat höher einstufte als die ärztliche. Im Februar 1916, also mit 45 Jahren und dem Ende seiner Dienstpflicht, schied er aus dem Heer aus – doch hatte er sich in einem vertraulichen Schreiben an den Rektor schon im Juni 1915 um Reklamierung bemüht.48 Der Ordinarius für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde Karl von Eicken diente zuerst in einem Feldlazarett, 1916 wurde er zurück nach Gießen in ein Reservelazarett versetzt und übernahm gleichzeitig auch wieder die Leitung seiner Fachklinik.49 Der Privatdozent Alfred Brüggemann wurde als Oberarzt der Reserve sofort ins Feldlazarett einberufen und stand als Chirurg und Spezialist für Ohrenheilkunde in Frankreich vier Jahre an der Front.50 Der 43jährige Gießener Ordinarius für Physiologie Siegfried Garten stellte sich laut Nachruf, da er »trotz kräftigen Körperbaus [nur] landsturmpflichtig war, sofort als freiwilliger Arzt zur Verfügung.« Die ersten beiden Kriegsjahre vergingen »im Wechsel zwischen ärztlicher Tätigkeit in Kriegslazaretten im W esten und Osten und Lehrtätigkeit im Gießener Institut«, bis er 1916 nach
46 Die FWU im Kriege 1914/15, S. 26 (Zitat); 1915/16, S. 13; 1916/17, S. 16 (beide ohne Details). Die Liste der Kriegstätigkeiten der Mediziner nimmt jeweils den (relativ) größten Teil des Berichts ein, von dem Bericht 1914/15 (S. 15–43) z. B. die Seiten 17–29. 47 [Erich] Opitz an Rektor Gi 2.8.1914 und 21.2.1915: UA Gi Allg. 103, fol. 261 bzw. fol. 127–128. 48 Gh. MdI an VA Gi 7.2.1916: UA Gi Allg. 107, fol. 221. S. dazu ausführlicher u. S. 371. 49 Prof. von Eicken an VA Gi 25.6.1916: UA Gi Allg. 107, fol. 218. 50 Nach kurzer Tätigkeit an der unter deutscher Besatzung 1918 wiedereröffneten (und bald wieder geschlossenen) deutschen Universität in Dorpat/Jur’ev/Tartu wurde er bereits an Weihnachten 1918 zum apl. und ao. Professor in Gießen ernannt. Conrad Arold, Alfred Brüggemann, in: G/M/P I, S. 121–130, hier 122.
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Leipzig berufen wurde.51 Konkret bedeutete das verhüllende »Wechsel«, daß er bereits im Frühjahr 1915 an die Universität zurückkehrte, vermutlich wegen der erfolgten Gehaltskürzung (da er dort sein Amt ja nicht weiterversehen hatte).52 Danach stellte er sich nur noch für die Semesterferien zur Verfügung.53 – Von den Gießener Veterinärmedizinern standen zwei der vier Ordinarien bis Kriegsende im Heeresdienst, der erste schon im Wintersemester 1914/15, der zweite ab Sommer 1915.54 Der bei Kriegsbeginn 38jährige außerplanmäßige Extraordinarius für Pharmazeutische Chemie Karl Feist diente während des gesamten Weltkriegs (wie auch schon früher!) als Marineapotheker.55 Die Anforderungen, welcher der Kriegsdienst an die Ärzte stellte, hat der Berliner Extraordinarius Rudolf Klapp, der anfangs selbst sechs Monate in einem Feldlazarett diente, das Eiserne Kreuz erhielt und später fachärztlicher chirurgischer Beirat des Gardekorps war, unmittelbar nach dem Krieg zu sammengefaßt: Man mußte nicht nur manches aus dem medizinischen Alltag zuhause vergessen und Neues hinzulernen, sondern zumindest »nahe hinter der Front (….) auch unerschrockener Soldat sein, man mußte Organisationstalent und Entschlußkraft in den schwierigen äußeren Verhältnissen und unter feindlichem Feuer entwickeln, um möglichst allen Verwundeten zu ihrem Recht zu verhelfen.«
Binnen kurzem wurden diese massenweise antransportiert und erhofften dann von den wenigen oder gar nur einem einzigen Chirurgen »baldige Hilfe, Linderung ihrer Schmerzen und Beseitigung der Lebensgefahr«.56 Auch die Konsultanten hatten beträchtliche Strapazen auf sich zu nehmen, wenn sie diese Tätigkeit mit der Lehre verbanden. Bei dem damals noch Kieler (später Berliner) Pathologen Otto Lubarsch z. B. verging 1916/17 in einigen Monaten kaum ein Tag oder eine Nacht, in denen er »nicht nach stundenlangen Fahrten in unge51 Klingmann, Entwicklung der Physiologie in Giessen, S. 99 (mit Zitat aus einem Nachruf). 52 Zum Einrücken gemeinsam mit einem Privatdozenten: [o. Prof.] S[iegfried] Garten, Bericht des Direktors des physiol. Instituts: UA Gi Allg. 103, fol. 252; Kürzung: Gh. MdI an VA Gi 6.1.1915: UA Gi Allg. 107, fol. 152; Rückkehr: Gh. MdI an VA Gi 12.4.1915: UA Gi Allg. 107, fol. 180. 53 Garten, Dir. des Physiol. Instituts an KK 5.6.1915: UA Gi Allg. 107, fol. 188. 54 Außerdem galt dies auch für den Kreisveterinärarzt, der an der Universität einen Lehrauftrag hatte, sowie die meisten Assistenten. Außer PB LU Gi s. auch Schauder, Veterinär medizin Gießen, S. 137. 55 NDB 5 (1961), S. 63 f. (Walther Awe). Die dort suggerierte Distanz zum NS -Regime sieht im Lichte von Feists Personalakte allerdings etwas anders aus (s. UA Göttingen, wo er seit 1919 persönlicher Ordinarius war: Kur PA Feist, Karl). 56 Rudolf Klapp, Die Chirurgie im Weltkriege, in: Wilhelm Hoffmann (Hg.), Die deutschen Ärzte im Weltkriege. Ihre Leistungen und Erfahrungen, Berlin 1920, S. 1–45, Zitat 2. Klapps Funktionen nach: Die FWU im Kriege 1914/15, S. 20 und dto. 1915/16, S. 11; im Bericht für 1916/17 wird er nicht mehr registriert.
338 Die Universitäten im Kriegseinsatz heizten Eisenbahnabteilen noch bis 12, 1 Uhr nachts Leichenöffnungen aus führen und mit dem frühsten Zug wieder nach Kiel zurückfahren mußte«, ohne Frühstück.57 Die Konsultantentätigkeit mit Residenz beim Armeekorps hat His anschaulich geschildert: Er konnte seine Tätigkeit nicht nur wissenschaftlich produktiv nutzen, sondern hatte im allgemeinen auch günstige Lebensbedingungen.58 Er beschränkte sich nicht auf Lazarettbesuche, sondern hielt es schließlich für notwendig, selbst an die Front zu fahren; zum einen, weil mangels Zeit für gründliche Untersuchungen und aufgrund fehlender Erfahrung fast ausgerottet geglaubte Krankheiten wie Ruhr und Typhus verkannt wurden, zum zweiten, weil der leitende Arzt der Armee nach einer Besprechung auf die Frage, ob die geplanten Hygienemaßnahmen denn praktisch durchführbar seien, erwiderte, das wisse er nicht. Auf die anschließende Frage, warum er nicht nachsehe, hatte er nur die Antwort parat, daß er der Instruktion zufolge da nicht hingehöre. »Wenn was passiert, da heißt’s: was hat der alt Esel da zu suche?« Der über 50jährige His wollte, als »junger Esel«, aber hin und ließ sich die Zustimmung des Armeearztes als »dienstlichen Befehl« bestätigen.59 Da ansteckende Kranke aus dem Front- und Etappenbereich weggebracht und spezielle Seuchenlazarette in der Heimat errichtet wurden, entstand für His »ein Reisedasein, das mich zwischen Front und Heimatgebiet dauernd hin- und herpendeln ließ.« Doch auch in dieser Situation verlor er nicht den Blick für die wissenschaftliche Nutzung: Aus einem dieser Seuchenlazarette, das eine wahre Musteranstalt war, gingen auch Fachpublikationen hervor.60 Während His das Engagement der Lazarettärzte und Schwestern in höchsten Tönen pries, stellte er die für Kriegslazarette61 zuständigen Oberstabs- und Generaloberärzte, »im Kommiß ergraut«, als Menschen dar, welche »die Initiative verloren hatten«, sich weit von der Front entfernt vergnügten, nicht wußten, wie es um ihre Abteilung stand und nicht einmal für die Auszeichnung der ihnen unterstellten Ärzte sorgten.62 Gewiß diente His’ Darstellung auch immer dazu, sein eigenes Engagement herauszustreichen – doch wie sehr er die Leistungen anderer würdigte,
57 Lubarsch, Bewegtes Gelehrtenleben, S. 310. Damit konnte er weniger bekannte Erschöpfungs- und Unterernährungskrankheiten in Lagern militärischer Strafgefangener nachweisen, die die dortigen Sanitätsoffiziere und Offiziere für Simulation hielten. 58 Siehe z. B. seine Unterkunft, die Wohnung eines Brigadegenerals, der selbst bei seiner Brigade war (His, Front der Ärzte, S. 7). Die Mahlzeiten mit Offizieren (in Rastenburger Hotels) boten Geselligkeit, auch wenn es immer an irgend etwas mangelte (S. 7 f.). Zur wissenschaftlichen Nutzung s. u. S. 366. 59 His, Front der Ärzte, S. 18. 60 His, Front der Ärzte, S. 18 f. (Zitat 19) und 24. 61 Diese funktionierten, da die Feldlazarette nicht ausreichten, als »gleichsam stehende Krankenhäuser«. 62 His, Front der Ärzte, S. 13 (Lob der Ärzte), 74 (Lob der Schwestern), 73 (Zitat).
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wird nicht nur an der häufigen Erwähnung der übermenschlichen Anstrengungen der Lazarettärzte deutlich, sondern auch an der Beurteilung der Ärzte auf der Seite des Gegners. Die russischen (die er wohl als Gefangene kennenlernte) fand er – im Gegensatz zu den Feldschern! – gleichgültig und nur auf ihre Bezüge und ihr eigenes Wohlbefinden bedacht. Eine positive Ausnahme stellten nur die deutschbaltischen Ärzte dar – und jüdische Medizinstudenten, die als Freiwillige dienten. Unter ihnen begegnete His auch einigen seiner ehemaligen Studenten wieder.63 Solange er in Ostpreußen stationiert war, reiste er mehrfach dienstlich nach Berlin und konnte dort nicht nur seine Familie wiedersehen. »(D)ie Kollegen, auf Zeitungen angewiesen, empfingen gern jeden, der die frische Luft der Armee mitbrachte und von ihrem Treiben aus eigener Anschauung berichtete. Die mannigfachen Klagen und Beschwerden der Heimat erschienen mir unberechtigt neben dem, was die Soldaten auszustehen hatten, die Arbeit draußen als allein dem Manne angemessen.«64
Ganz nebenbei und indirekt bestätigt His auch die an den Universitäten be obachtete Sehnsucht nach Bewährung – obwohl er hier vielleicht nicht speziell von den Gelehrten spricht: »Für viele, namentlich Reserveoffiziere, war die Kriegszeit, besonders in den ersten Jahren, ein wahrer Jungbrunnen: aus der Eintönigkeit des Daseins, der Enge des Berufs hinaus vor neue abwechslungsreiche Aufgaben gestellt, gewannen sie oft eine Frische und Unternehmungslust wieder, die sie verloren geglaubt hatten. Das haben mir viele versichert.«65
Der teilweise in Deutschland sozialisierte, inzwischen längst eingebürgerte Schweizer verkörperte mit seiner Tätigkeit und vor allem mit seiner Einstellung den »Zusammenklang von ›Waffen und Wissenschaft‹« also aufs beste.66 Genauere Auskunft zu den Arbeitsbedingungen an der Front gibt der ausführliche Bericht eines Assistenten des Pathologischen Instituts in Gießen, den er im Januar 1915 an den Rektor richtete. »Wir haben hier keine ungefährliche Stellung, da wir als Ärzte mit in der Schützen linie tätig sind. Gewiß ist in mancher Hinsicht die ärztliche Tätigkeit hier ein ›Nichts‹ gegen das, was in jedem Lazarett geleistet wird. Jedoch dadurch, daß man allen Gefahren mit ausgesetzt ist, alle Freuden und Leiden des Schützengrabenlebens mit
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His, Front der Ärzte, S. 25. His, Front der Ärzte, S. 63. His, Front der Ärzte, S. 113. Sein 1931 veröffentlichtes Buch Die Front der Ärzte wurde übrigens auch ins Englische übersetzt. Wilhelm His, A German Doctor at the Front, Washington 1933.
340 Die Universitäten im Kriegseinsatz trägt, übt man einen überaus wertvollen moralischen Einfluß auf unsere Helden aus. Sie wissen: – immer ist gleich Hilfe zur Stelle. Ja, es sind wahrlich alle Helden die, die da vorn Tag und Nacht, bei Regen und Wind, bis zu den Knien in Wasser und Schlamm die Wacht halten.«
Wie der bedeutende Konsultant stellte auch dieser Assistenzarzt der Landwehr seine eigene Leistung heraus – ohne die der anderen Ärzte zu schmälern: Jene ist schwerer und anstrengender, seine eigene gefährlicher. Zudem hält sie den Kampfgeist der Soldaten, die noch Größeres leisten, aufrecht. Er selbst wurde beim Verbinden durch den Luftdruck eines geplatzten Geschosses an die Wand geschleudert. Bei einem Durchbruchsversuch der Franzosen mußte er in die vorderste Linie. Und obwohl für das ganze Regiment zu Weihnachten nur sechs Eiserne Kreuze (2. Kl.) zur Verfügung gestellt wurden, bekam er es von seinem »Regimentskommandeur eigenhändig mit Worten der Anerkennung […] umgebunden«.67 Auch hier fehlte nicht die Beschreibung der »Lauf- und Schützengräben[, die] stets voll Wasser oder Schlamm« flossen. »Von dem niederträchtig hülflosen (?), ohnmächtigen Gefühl (…) kann sich der, der es nicht selbst erlebt, keine Vorstellung machen.«68 Daß von den Lazarettärzten (auch ohne direkt an der Front zu sein) nicht wenige ein Opfer ihres Berufs wurden, bestätigen sowohl His als auch die offizielle »Ehrenliste der gefallenen, vermißten, an Verwundung oder Krankheit verstorbenen Sanitätsoffiziere des Deutschen Heeres«. Sie umfaßt 1724 Männer.69 Der gerade zitierte Gießener Assistenzarzt war einer von ihnen;70 zwei Berliner Privatdozenten starben am Infektionen, die sie sich bei Ausübung ihres Berufs an der Front zugezogen hatten, und unter Lubarschs Kieler Kollegen gab es sowohl einen Todesfall durch Infektion als einen durch plötzliches Herzversagen.71
67 Möglicherweise war diese Auszeichnung auch der eigentliche Anlaß seines Schreibens. Ärzte, die das EK hatten, erhielten dazu nämlich außerdem noch das Hessische Sanitätskreuz. Offenbar wünschte er, daß die Universität seine Auszeichnung zu diesem Zweck dem Min. mitteilte (andernfalls hätte er sich selbst bei seinem Bataillon darum bemühen müssen). 68 Fritz Wolff an Rektor Gi [Sommer] 14.1.1915: UA Gi Allg. 103, fol. 140–141. 69 His, Front der Ärzte, S. 113. Die Liste in: Sanitätsbericht, S. 3–28. 70 Er starb im folgenden Jahr »den Heldentod für das Vaterland« (PB LU Gi WS 1916/17, unpag. Vorsatztafel). Der oben angegebene Dienstgrad ist entnommen aus der Totenliste in: Sanitätsbericht, S. 28. Dort ist Wolff der Rubrik »gefallen« (nicht: »an Wunden ge storben«, »an Krankheit gestorben«) zugeordnet. 71 Lubarsch, Bewegtes Gelehrtenleben, S. 304 f. Zu den Berliner Privatdozenten s. u. S. 728.
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Naturwissenschaftler im Experten-Einsatz Der 1914 als Ordinarius nach Gießen berufene Chemiker Karl Schaum, der zugleich Direktor des Physikalisch-Chemischen Instituts war, unterrichtete, da Studenten wegen des Krieges fehlten, zunächst an einem Gießener Gymnasium. Im zweiten Kriegsjahr meldete er sich freiwillig zum Militärdienst und wurde dort als Pionier der Photochemie in einer Abteilung für Fliegerphotographie verwendet: als gemeiner Soldat.72 Andere Freiwillige, so die Berliner Chemiker Wilhelm Will und Walter Nernst, wurden als Spezialisten erst eingesetzt, nachdem sie sich zuvor in ›einfacheren‹ Diensten engagiert hatten: Nernst, der künftige Nobelpreisträger, hatte sich bei Kriegsbeginn als 50jähriger mit seinem Privatauto zum Militärdienst gemeldet und brach am 11. August auf, um Dokumente an die französische Front zu befördern. »Als Offizier des Kaiserlichen Freiwilligen Automobil korps« machte er den Vormarsch fast bis Paris (und dann auch den Rückzug nach Verdun) mit und erhielt das Eiserne Kreuz II. und sogar I. Klasse.73 Will hatte mit seinen 60 Jahren in Frankfurt zunächst eine Kompanie ausgebildet, war bald schon an die Ostfront gegangen, hatte an den Kämpfen bei Tannenberg teilgenommen und nach dem Vorrücken in Polen dort auch im nächtlichen Granatenfeuer gelegen.74 Im November wurde er auf Veranlassung seines Kollegen Emil Fischer aber zurückgerufen, um als einer der führenden Experten an der Versorgung des Heeres mit Munition mitzuwirken (was offenbar auch seinen eigenen Wünschen oder Überlegungen entsprach). Bis Kriegsende gehörte er der Artillerie-Prüfkommission an. Die Zentralstelle für wissenschaftlichtechnische Untersuchungen, die von einer Reihe von Pulver-, Sprengstoff- und Munitionsfabriken geschaffen und seit 1898 von ihm geleitet worden war, stellte er nun ganz in den Dienst der Heeresverwaltung.75 Über Nernsts Tätigkeit nach den zwei Monaten im Automobilkorps ist dem Bericht der Universität nur folgende Andeutung zu entnehmen: »Hierauf wurde er von der Obersten Heeresleitung mit Arbeiten betraut, über die nicht berichtet werden darf, hatte aber inzwischen fortlaufend (!) Gelegenheit, unmittel72 Wolfhart Seidel, Karl Schaum, in: G/M/P II, S. 820–828, hier 822–824; militärischer Status nach Anderhub, Antoniterkreuz, S. 77 A. 13. 73 D. Wahl, Zum 140. Geburtstag von Walther Nernst, in: Galvanotechnik 95 (2004), S. 1886–1890, hier 1889. Zitat: Die FWU im Kriege 1914/15 (wie A. 8), S. 29. Der zeitgenössischen Darstellung zufolge war er »für seinen bei Arras gefallenen Sohn in die Armee eingetreten« (Kriegsarbeit und Kriegsschicksale von Dozenten und Studenten, in: HN 25 [1914/15], S. 75–77, Zitat 75). 74 B[ernhard] Lepsius, Wilhelm Will: Ein Gedenkblatt, in: Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft 54 (1921), S. A204–A268, hier A261 f. 75 Lepsius, Will, S. 262 f. (wie A. 74; mit Auszug eines Briefs an seine Tochter; Zitat s. u.); Friedrich Lenze, Wilhelm Will †, in: Zeitschrift für angewandte Chemie 33 (1920), S. 101 f.
342 Die Universitäten im Kriegseinsatz bar an der Front tätig zu sein.« Tatsächlich war es Nernst, der (mit den Farbenfabriken Bayer) die ersten Versuche zum Einsatz von Giftgas durchführte.76 Hauptsächlich beschäftigte er sich aber mit der Entwicklung und Erprobung von Spreng- und Explosivstoffen und, der Beobachtung seines Kollegen Fischer zufolge sogar »mit ungeheurem Eifer«, chemischer Waffen.77 Ab Herbst 1914 entwickelte er mit der Firma Bayer zusammen eine Schrappnell-Munition mit Reizwirkung.78 Im folgenden Bericht der Universität kam Nernst jedoch gar nicht vor, im dritten Kriegsjahr war er als Vorsteher des Fachausschusses für Physik der Kaiser-Wilhelm-Stiftung für kriegstechnische Wissenschaft angeführt.79 Außerdem war er Mitbegründer des wissenschaftlichen Beirats eines Minenwerferbataillons.80 Der neu nach Berlin berufene Extraordinarius (und spätere Nobelpreisträger für Physik) Max Born meldete sich wenige Tage nach seiner Übersiedlung dorthin im März 1915 freiwillig, als absehbar war, daß er angesichts der großen Menschenverluste trotz seines Asthmas wohl bald einberufen würde. Zunächst wurde er bis zum Ende des Sommersemesters zurückgestellt und konnte seinen Lehrverpflichtungen nachkommen. Als sich Ende Juli aber die Hörsäle fast ganz geleert hatten, endete seine Zurückstellung. Einer Truppe zugeteilt, in der eine Einheit von Physikern und Technikern unter Max Wien Funkgeräte für Flugzeuge entwickeln sollte, erhielt Born zunächst eine Ausbildung, bei der seinem Instruktor die Instrumente allerdings »ein völliges Rätsel blieben«.81 Doch bald gewann der Experimentalphysiker Rudolf Ladenburg, ein Freund aus Borns Breslauer Assistentenzeit, ihn für die Entwicklung eines Schallmeßverfahrens zur Ermittlung der Position von Geschützen. Dafür wurde er in die Artillerie-Prüfkommission versetzt (wo das Projekt zur Schallortung bald auch als »Rettungsaktion für begabte Wissenschaftler« diente, die so vor der Front bewahrt wurden). Hier war er »wissenschaftlicher Hilfsarbeiter«82 bzw. (in der 76 Carsten Reinhardt, Zentrale einer Wissenschaft. Methoden, Hierarchie und die Organisation der Chemischen Institute, in: GUUL 5, S. 575–603, hier 599. 77 Wahl, Nernst, S. 1889; chemische Waffen: Szöllösi-Janze, Fritz Haber, S. 322 (mit Zitat aus Fischers Brief). 78 Maier, Forschung als Waffe, S. 115. 79 Die FWU im Kriege 1914/15, S. 29 (Zitat). Vgl. Die FWU im Kriege 1915/16 (ohne Nennung); Die FWU im Kriege 1916/1917, S. 16. 80 Stefan Wolff, Zur Situation der deutschen Universitätsphysik während des Ersten Weltkrieges, in: Maurer (Hg.), Kollegen, S. 267–281, hier 275, 279. 81 Greenspan, Born, S. 72, 74 f. Vgl. seine eigene Darstellung, die von der freiwilligen Meldung im März nichts berichtet und nur von seinem Anschluß an die Gruppe im Juni spricht (Born, Mein Leben, S. 235 f. mit Zitat). 82 Funktion in der Kommission: Die FWU im Kriege 1916/17, S. 17. Einschätzung der Kommission nach Arne Schirrmacher, Von der Geschoßbahn zum Atomorbital? Möglichkeiten der Mobilisierung von Kriegs- und Grundlagenforschung füreinander in Frankreich, Großbritannien und Deutschland, 1914–1924, in: Matthias Berg/Jens Thiel/Peter Th. Walther (Hg.), Mit Feder und Schwert. Militär und Wissenschaft – Wissenschaft und
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militärischen Hierarchie) »Betriebsleiter (Militärbeamter)«. Eigenen Angaben (auf einem dienstlichen Nachkriegsfragebogen) zufolge nahm er zwar nicht an Gefechten teil, befand sich aber in jedem Kriegsjahr zwei Monate im Kriegsgebiet. (Die endgültige Feststellung bestätigte das allerdings nicht.)83 Dagegen hatte Born es schon im April 1915 abgelehnt, sich an der Gruppe um Fritz Haber zu beteiligen, die »den Gaskrieg vorbereitete«.84 Ob er sich als Freiwilliger an die Front gemeldet hätte, wenn ihn sein Asthmaleiden nicht davon abgehalten hätte,85 muß offenbleiben.86 Über den bei Kriegsbeginn 46jährigen, also nicht mehr militärdienstpflichtigen Haber, Honorarprofessor und Direktor des Kaiser-Wilhelms-Instituts für Physikalische Chemie, hieß es im ersten Bericht der Universität über ihre Kriegstätigkeit lapidar: »steht in militärischer Verwendung«. Im zweiten wurde er als »Vorstand der Zentralstelle des Kriegsministeriums für Fragen der Chemie, mit dem Charakter eines Hauptmanns« registriert.87 Zum Hauptmann war Haber wahrscheinlich erst nach dem ersten Giftgasangriff bei Ypern ernannt und so für seine Entwicklung dieser Waffe belohnt worden. Er hatte sich zu Kriegsbeginn freiwillig gemeldet, in den ersten Kriegsmonaten mit den chemischen Ausgangsstoffen von Munition beschäftigt und sich bald auch der von Krieg, Stuttgart 2009, S. 155–175, hier 168 f. Dies wird bestätigt durch Borns Besänftigung seiner Ängste durch Bewahrung junger Wissenschaftler vor der Front (Greenspan, Born, S. 83). Als weiteres Beispiel eines Berliner Privatdozenten, der für die ArtilleriePrüfkommission reklamiert wurde, s. den Psychologen PD Hans Rupp (der schon ab 1915 für das Heer Versuche durchgeführt hatte, teilweise im Berliner Psychol. Institut): Die FWU im Kriege 1915/16, S. 15. Zu Rupp: Christoph Hoffmann, Wissenschaft und Militär. Das Berliner Psychologische Institut und der Erste Weltkrieg, in: Psychologie und Geschichte 5 (1994), S. 261–285, hier 265 f. – Foto Max Borns in seinem Büro in der Artillerie-Prüfungskommission in: Jost Lemmerich, Max Born, James Franck, der Luxus des Gewissens. Physiker in ihrer Zeit, Wiesbaden 1982, S. 41. 83 S. den von Born als damaligem Göttinger Ordinarius ausgefüllten (auf Matrize vervielfältigten) Fragebogen o. D. sowie Kurator Göttingen an Reichsarchivzweigstelle in Berlin 19.10.1925; beide in seiner Dienstakte in UA Göttingen Kur PA Born, Max, fol. 56, 57. 84 Born, Mein Leben, S. 235 f. Zur Datierung: Greenspan, Born, S. 73. In seinem Rückblick nach dem Zweiten Weltkrieg stellte Born seine Tätigkeit als ›Bodenpersonal‹ bei den Funkern zwar als harmloser dar, doch klingt die Skepsis, ob im Krieg überhaupt irgendeine Tätigkeit harmlos sein kann, ebenfalls an. 85 So die Interpretation von Dieter Hoffmann, Vom Luxus des Gewissens. Max Born und Albert Einstein im Spiegel ihres Briefwechsels, in: Götz Neuneck/Michael Schaaf (Hg.), Zur Geschichte der Pugwash-Bewegung in Deutschland, Berlin 2007 (Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte Preprint 332), S. 7–16, hier 8. 86 Bei Greenspan, Born, S. 76–79 finden sich – trotz Zitaten zu seinem Patriotismus – keine derartigen Andeutungen. Sie legt vielmehr dar, wie er angesichts des persön lichen Leids von Kriegsopfern und Hinterbliebenen bald in ein Dilemma geriet und sich durch die Freundschaft mit Einstein auf eine eher pazifistische (aber nicht öffentlich gemachte) Haltung hinbewegte. 87 Die FWU im Kriege 1914/15, S. 30; dto. 1915/16, S. 14.
344 Die Universitäten im Kriegseinsatz Rathenau gegründeten Kriegsrohstoffabteilung angeboten. Ab Herbst 1914 war er wissenschaftlicher Berater des Kriegsministeriums, leitete dort ab Herbst 1915 die Zentralstelle für Fragen der Chemie, die ein Jahr später zu einer selbständigen Abteilung wurde und schlug 1916 selbst vor, das KWI »militärisch einzurichten«, also der von ihm selbst geleiteten Zentralstelle bzw. Abteilung des Kriegsministeriums zu unterstellen. Es arbeitete dann tatsächlich nur noch für militärische Zwecke und wurde auch der (von Haber geleiteten) Chemischen Abteilung des Allgemeinen Kriegsdepartements unterstellt.88 An den Arbeiten war Haber bis ins praktische Detail selbst beteiligt: Als hervorragender Organisator und Taktiker bestimmte er sogar selbst die Stellen zum Vergraben der Gasflaschen für Angriffe. Und die Kurse zur Schulung zum Umgang mit Gas lagen von der Erstellung der Lehrpläne über die Auswahl der Teilnehmer bis zur Durchführung in den Händen des Personals des KWI für Physikalische Chemie.89 Einerseits ermöglichte es Haber erst seine Ernennung zum Offizier, dauerhaft die Befugnisse eines Abteilungsleiters im Kriegsdepartement auszuüben. Andererseits stieg er aber, obwohl ihm schon aufgrund seiner Universitätsstellung der Rang eines Rates 4. Klasse oder Majors entsprochen hätte, in der militärischen Hierarchie nicht weiter auf.90 In Habers Institut wurden auch James Franck, Otto Hahn, Gustav Hertz und verschiedene andere Physiker und Chemiker als Spezialisten eingesetzt. Dabei führten sie für sie selbst lebensgefährliche Experimente aus. In einem begasten Raum sollten sie Gasmasken und Filtereinsätze prüfen und mußten sich mit der Maske so lange dort aufhalten, bis sie merkten, daß der Filtereinsatz unwirksam wurde – noch ohne genau zu wissen, welche Dosis tödlich wirkte.91 Tatsächlich gab es schon 1915 einen Unfall, bei dem ein Mitarbeiter Habers beim Versuch ums Leben kam, ein anderer die rechte Hand verlor.92 – Der Straßburger Chemiker-Kollege Johannes Thiele arbeitete übrigens, ebenfalls im Rang eines Hauptmanns, an der Entwicklung von Gasmasken.93 Drei Berliner Chemiker – Haber, Nernst und Fischer94 – waren die zentralen Wissenschaftler in der deutschen Kriegsforschung. Dabei vermittelten sie zwischen dem Militär, der Industrie und der Wissenschaft. Jeder der drei leitete eine Abteilung der Kaiser-Wilhelm-Stiftung für kriegstechnische Wissen88 89 90 91
Szöllösi-Janze, Fritz Haber, S. 257, 267 f., 270 f., 333, 338 (Zitat). Szöllösi-Janze, Fritz Haber, S. 329, 336. Szöllösi-Janze, Fritz Haber, S. 331. Jost Lemmerich, Aufrecht im Sturm der Zeit. Der Physiker James Franck 1882–1964, Stuttgart u. a. 2007, S. 66. Zu Franck s. genauer u. S. 353. 92 Szöllösi-Janze, Fritz Haber, S. 272. 93 Militär. Rang lt. PV KWU Strb. SS 1915, S. 8; Tätigkeit: Andrea Sella, Classic Kit: Thiele tube, unter http://www.rsc.org/chemistryworld/Issues/2009/August/ThieleTube.asp (19.10.2010). 94 Die beiden letzten als Ordinarien, der erste an der Universität als Lesendes Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften.
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schaft, die man als Frühform des wissenschaftlich-militärisch-industriellen Komplexes bezeichnen kann.95 Nach dem Krieg gab es verschiedentlich (letztlich aber ungeklärte) Meldungen, daß Haber und Nernst auf einer Liste von Kriegsverbrechern stünden, deren Auslieferung die Alliierten verlangten, um sie vor ein Militärgericht zu stellen.96 Aber auch Fächer wie Astronomie und Meteorologie leisteten ihren Beitrag zur Kriegführung: Der Berliner Astronom Ernst Kohlschütter, der seit 1900 im Dienst der Reichsmarine stand, sich 1909 habilitiert hatte und seit 1914 Ordentlicher Honorarprofessor war, beschäftigte sich im Krieg mit Fragen der Navigation, Instrumentenbeschaffung und Organisation des Marine-Wetterdienstes.97 Der fast 60jährige Physiker und Meteorologe Emil Leß, der 1884 das Berliner Wetterbüro mitbegründet hatte und seitdem leitete, seit 1899 Privatdozent war, wurde wissenschaftlicher (und damit stellvertretender) Leiter des militärischen Wetterdienstes.98 Kein Naturwissenschaftler, aber ein Vertreter der Angewandten Mathematik, der Straßburger Extraordinarius Richard Mises, ein Österreicher jüdischer Herkunft, war als Freiwilliger nur kurze Zeit Pilot der k. u. k. Truppen. Dann hielt er Vorlesungen über Fluglehre für Offiziere und leitete Konstruktion und Bau eines Großflugzeugs.99 Wie ein wissenschaftlicher Experte die Front erlebte, hat – aus mehr als 50jährigem Abstand – Max Born berichtet, der zur Inspizierung der Schall meßeinheiten immer wieder dorthin fuhr. »Als wir in der Nähe der Front ankamen, hörten wir donnerndes Geschützfeuer. Man sagte uns, daß etwas im Gange sei. Es war schwer, ein Auto zu finden; schließlich nahm uns ein Infanteriemajor mit und versprach, uns zu der Schallmeßstation, die wir inspizieren wollten, zu bringen. Ich war immer noch Feldwebel und mußte neben dem Fahrer sitzen. Als wir uns der Front näherten, warnte man uns, durch Dörfer zu fahren, weil der Feind alle bewohnten Orte mit schweren Granaten beschoß. Die zwei Offiziere erklärten, sie hätten keine Zeit für einen Umweg. Doch der Fahrer 95 Reinhardt, Zentrale einer Wissenschaft, S. 599. 96 S. dazu ausführlich und abwägend Szöllösi-Janze, Haber, S. 426–430. 97 NDB 12 (1979), S. 432 (Hans Christian Freiesleben); zur Tätigkeit im Krieg: ftp://ftp.gfzpotsdam.de/home/vst/lau/tsunami/historischesProjekt/6NATIO ~1.DOC (12.10.2010). In: Die FWU im Kriege 1914/15, S. 30 nur: »Dezernent im Nautischen Departement des Reichsmarineamts«. 98 Nach dem Krieg wurde er zum Extraordinarius ernannt. Kriegsarbeit unserer Dozenten, in: BAN IX (1914/15), S. 129 f., hier 130; Die FWU im Kriege 1914/1915, S. 32: »Leiter des Berliner Militärwetterdienstes«. Biogr. Information: Rudolf Werner Soukup/ Andreas Schober, Eine Bibliothek als beredte Zeugin eines umfassenden Wandels des wissenschaftlichen Weltbilds. Teil I: Die Autoren der Werke der Bibliothek des Robert Wilhelm Bunsen in Kurzbiografien, o. O. [Wien] o. J., online: http://www.althofen.at/ AvW_Museum/Materialien/Autoren%20der%20Bunsenbibliothek%20Version%2009.pdf (19.10.2010). 99 NDB 17 (1994), S. 564–566 (Karl Märker).
346 Die Universitäten im Kriegseinsatz grinste und fuhr uns sorgsam über Landstraßen. Unsere Helden, die tief in eine strategische Diskussion verwickelt waren, protestierten nicht, und so erreichten wir sicher unser Ziel. (…) Ich hielt die schlechte Luft im Unterstand nicht aus und legte mich lieber in einen flachen Graben auf einem Hügel, von dem ich kilometerweit die Front überblicken konnte, eine schreckliche Mauer aus Rauch und Feuer, verbunden mit einem höllischen Lärm. Durch einen glücklichen Zufall schlug keine Granate in unserer Nähe ein: doch beobachtete ich mehrere aufregende Luftkämpfe. Auf diese Weise bekam ich die große Schlacht an der Somme zu sehen. Es hat mir völlig genügt. Obwohl ich nicht wirklich zur Militärmaschinerie gehörte, stand ich doch genügend im Bann der Disziplin, um nichts von den natürlichen Reaktionen des menschlichen Geistes zu verspüren; erst später wurde mir klar, daß ich den gräßlichen Massenmord, zu dem der Krieg degeneriert ist, erlebt hatte, und daß nur einen oder zwei Kilometer vor mir Menschen töteten und starben. Dort oben auf dem Hügel hatte ich nur das Gefühl, einem Schauspiel beizuwohnen, etwas, das ich mit all meinen Sinnen aufnehmen mußte, um es nie wieder zu vergessen.«100
Mit der Distanz späterer Analyse (und einem Schuß Ironie) stellt Born seine Erfahrungen ans Licht: Als Rangniedrigster der Reisenden (nämlich noch Unteroffizier) bekommt er den schlechtesten und gefährlichsten Platz im Auto. Etwas sicherer sitzen im Fond die Strategen – die von einem einfachen Fahrer leicht auszutricksen sind, weil sie ganz in ihrem abstrakten Planen aufgehen: »Helden«, die selbst nicht kämpften. Aber gerade an seiner eigenen Reaktion macht Born deutlich, wie im Krieg die übliche Analysefähigkeit der Wissenschaftler ausgeschaltet war. Obwohl er schon längst durch Leiderfahrungen in der Nachbarschaft und durch Einsteins pazifistische Einstellung sensibilisiert war, sich nicht am Gaskrieg beteiligte, verhielt er sich diszipliniert wie ein Soldat, der die Schlacht beobachtet, dabei das Töten und Sterben aber ausblendet. Immerhin: Er gehörte »nicht wirklich zur Militärmaschinerie« – aber er unterstützte sie; denn die Schallmessung, die er erforschte und erprobte, war ja nicht nur zum Schutz der eigenen Soldaten wichtig, sondern auch für die eigentliche Kriegführung.
Praktischer Kriegseinsatz der Theologen und Geisteswissenschaftler Selbst an den Theologen bestätigt sich, daß »vielen der militärisch einberufe nen Dozenten eine ihrer besonder[e]n wissenschaftlichen Facharbeit entsprechende Tätigkeit zugewiesen« wurde.101 Zahlreiche Dozenten dieses Faches wirkten als Militär- oder Hilfsgeistliche. In Straßburg waren es im letzten
100 Born, Mein Leben, S. 240 f. 101 Ficker, Bericht IV (1917/18), S. 8.
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Kriegsjahr gleich 13, davon sieben als Militärpflichtige.102 Der 60jährige aus Lyon stammende Emil Walter Mayer hatte sich, »wie die meisten« seiner Kollegen, der Militärbehörde für den Lazaretteinsatz zur Verfügung gestellt. Sie alle führten dabei vor Ort ihre Lehre weiter. Mayer verband 1917/18 mit Lazaretttätigkeit und Lehre auch noch das Rektorat. (Dabei hatte der Theologe in seinem ganzen Leben bis dahin nur viermal gepredigt und kaum Übung im Halten von Gottesdiensten!)103 Auch Erich Klostermann, bei Kriegsausbruch 44 Jahre alt, erfüllte seine »Pflichten als Lazarettpfarrer« vor Ort und verband im ersten Kriegssemester damit noch das Dekanat.104 Allerdings war die KatholischTheologische Fakultät lange von solchem Kriegseinsatz frei. Erst ab Sommer 1917 waren zwei, ein Jahr später dann vier Theologen Lazarett- bzw. Militärhilfsgeistliche.105 Daß dies allseits als vollgültiger Militärdienst gewertet wurde, belegt noch das Ende: Nach dem Einmarsch der Franzosen 1918 drohten sie auch diesen Professoren, sie »als ehemalige Angehörige des Heeres zu internieren«.106 Der 1912 in Berlin habilitierte Ägyptologe Georg Moeller betätigte sich in Syrien als Dolmetscher im Heeresdienst, der Kunsthistoriker August G risebach, ebenfalls seit 1912 Privatdozent, stand zunächst bis Dezember 1915 als Armierungssoldat im Feld und wurde dann in die Pressezentrale beim Generalgouvernement in Belgien berufen.107 Der 1914 gerade habilitierte Althistoriker (und spätere Erforscher der Weimarer Republik) Arthur Rosenberg wurde im Oktober 1915 ins Kriegspresseamt dienstverpflichtet. Im Herbst 1917 wurde er wirklich zur Armee eingezogen, krankheitsbedingt und auch aufgrund seiner fachlichen und sprachlichen Kenntnisse aber für rückwärtige Dienste. In Nordfrankreich arbeitete er bei der Feldpost. Doch schon ab Februar 1918 kehrte er ins Kriegspresseamt zurück, das ihn reklamiert hatte.108 Angesichts seines späteren politischen Engagements in der KPD und der Komintern wäre sein Anteil an den (anonym erschienenen) Deutschen Kriegsnachrichten von besonderem Interesse, ist jedoch nicht zu klären.109 102 Ficker, Bericht IV (1917/18), S. 8. S. als Beispiel auf dem Antwortblatt der Theol. Fak. (auf: Betrifft Meldung zum vaterländ. Hilfsdienst, o. D.) den Lizentiaten, Pfarrer und Privatdozenten F. Ménégoz: »ich bin als Lazarettgeistlicher militärisch eingezogen.« ADBR 103 AL 193. 103 Emil Walter Mayer [Selbstdarstellung], in: Erich Stange (Hg.), Die Religionswissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstellungen. [Bd. 5], Leipzig 1929, S. 123–158, hier 146–149, Zitat 147. 104 Brief an Hans Lietzmann 24.3.1915, in: Aland (Hg.), Glanz und Niedergang, S. 348 f. 105 Siehe PV KWU Strb. SS 1917, S. 2 f.; WS 1917/18, S. 2 f.; SS 1918, S. 2 f. 106 Erich Klostermann an Hans Lietzmann 9.12.1918, in: Aland (Hg.), Glanz und Niedergang, S. 408. 107 Die FWU im Kriege 1915/16, S. 15. 108 Mario Keßler, Arthur Rosenberg. Ein Historiker im Zeitalter der Katastrophen (1889–1943), Köln u. a. 2003, S. 36–38. 109 Jürgen von Ungern-Sternberg, Deutsche Altertumswissenschaftler, S. 242 f.
348 Die Universitäten im Kriegseinsatz Gelehrte übernahmen auch verschiedene Kontrollaufgaben. Der 54 Jahre alte Straßburger Astronom Bauschinger wurde als Hauptmann der Landwehr bei der militärischen Telegrammüberwachungsstelle in Straßburg tätig – und verband das im Wintersemester 1915/16 mit dem Dekanat der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät.110 Dem aus Liverpool zurückgekehrten 53jährigen Berliner Orientalisten Carl Ferdinand Lehmann-Haupt, der sich freiwillig gemeldet hatte, oblag als Leutnant die Leitung der Postprüfung im Gefangenenlager für Muslime in Zossen, wo er außerdem auch »kriegsgeschichtliche Vernehmungen« der Gefangenen durchführte. Zu einem anderen Militärdienst kam es nicht, da er bald eine Vertretung in Greifswald übernehmen sollte und 1915 ins Osmanische Reich ging.111 Trotz seiner Berufung (zusammen mit einer Reihe weiterer deutscher Gelehrter) nach Konstantinopel, wo die 1900 gegründete Hochschule (Dâr ül-fünûn) zu einer Universität ausgebaut werden sollte, blieb er laut Verzeichnis der Berliner Universität (von der er nur beurlaubt war) bis Kriegsende »im unmittelbaren oder mittelbaren Heeresdienst«.112 Dies ist um so interessanter, als die meisten anderen dorthin Berufenen, darunter mehrere weitere Berliner, Privatdozenten waren und damit nicht nur eine neue Karrierestufe nahmen, sondern – einer Lesart zufolge – auch den Militärdienst aufschieben konnten.113 Lehrende verschiedener Fächer, die zu Kriegsbeginn schon jenseits der 40, aber noch kriegsdienstpflichtig waren, übten nachrichtendienstliche Tätigkeiten aus. Der Berliner Privatdozent der Kunstgeschichte Werner Weisbach war im »Kriegsnachrichtendienst für das Ausland« tätig, in »der Zentralstelle für
110 So seine Antwort (auf losem Blatt mit verschiedenen anderen Antworten aus seiner Fakultät) auf eine Rundfrage des Rektors vom 13.4.1916 bei den Universitätsangehörigen: ADBR 103 AL 194. Bauschinger war im Universitätskalender durchgehend von SS 1915 bis WS 1917/18 als im Kriegsdienst stehend registriert. 111 C.-F. Lehmann-Haupt an Pr. KuMi 23.10.1915: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. IV, Nr. 61 Bd. XXIV, fol. 86 (In dem Brief bat er um eine fünfjährige Beurlaubung nach Konstantinopel). Zitat: Die FWU im Kriege 1914/15, S. 31 (dort auch Angaben über die ersten beiden Kriegsmonate, in denen er als Dolmetscher für Russisch bei der Empfangs- und Erfrischungsstation des Roten Kreuzes im Freihafen S tettin wirkte); dto. 1915/16, S. 14 (bis 15.11.1915 Leiter der Postprüfungsstelle). Zur freiwilligen Meldung und der Greifswalder Vertretung: Lorenz, Lehmann-Haupt, S. 38. Zu den beiden Lagern für Muslime s. bes. Gerhard Höpp, Muslime in der Mark. Als Kriegsgefangene und Internierte in Wünsdorf und Zossen, 1914–1924, Berlin 1997, Kap. 3. 112 L.-Hs. Berufung nach Konstantinopel ist in allen Kurzbiographien erwähnt. S. zu dieser Einrichtung genauer: Klaus Kreiser, Deutsche Professoren am Istanbuler Dârülfünûn (1915–1918), in: Einar Schuler (Hg.), XXIII . Deutscher Orientalistentag (…). Ausgewählte Vorträge, Stuttgart 1989, S. 211–218. Der Artikel enthält keine Angaben über Beziehungen der Hochschule zum Militär. 113 So Fordham, Universities, S. 264.
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Auslandsdienst im Auswärtigen Amt«.114 Allerdings war ihm diese anspruchsvollere Tätigkeit keineswegs von den Behörden zugedacht gewesen, sondern er verdankte sie eigenen intensiven Bemühungen: Da er aufgrund seines Gesundheitszustandes nicht mit einer Einberufung zum Felddienst rechnen konnte, meldete er sich am 4. August beim Generalstab »für irgendeine Verwendung«. »Nur von dem einen Gedanken war ich getragen: das Vaterland ist in Gefahr, es muß gerettet werden.«115 Doch erst im März 1915 besann man sich seiner: Er wurde zu einem Armierungsbataillon, d. h. zu Erd- und Schanzarbeiten einberufen – obwohl er bei seiner Meldung auf »einen Posten hingewiesen [hatte], für den Kenntnis einer fremden Sprache erforderlich sei. Nachdem die Militärbehörde mir darauf (…) geantwortet hatte, daß man von meinem Anerbieten im gegebenen Augenblick Gebrauch machen würde, glaubte ich, auf eine individuellere Behandlung rechnen zu dürfen.« Nun sprach er sofort persönlich im Kriegsministerium vor, wo der zuständige Referent zwar sein Bedauern über das Versäumnis äußerte, zugleich aber erklärte, daß jetzt das General kommando zuständig sei. Daraufhin bemühte sich Weisbachs Schwager um dessen Reklamierung, indem er ihm im Büro Erzberger (das sich der Beeinflussung des Auslandes widmete) eine Anstellung als Übersetzer verschaffte. (Da die Reklamierung jedoch nicht innerhalb der fünf Tage bis zu seiner Gestellung eintraf, wurde Weisbach zunächst nur dadurch befreit, daß drei Unteroffiziere »überzählig« waren. Doch obwohl nur genau drei der Einberufenen von dieser Befreiungsmöglichkeit Gebrauch machen wollten, konnte er nur mit Insistieren auf seiner Reklamierung und Betonung seines Standes und Bildungsgrades, die seiner Auffassung nach die Wahrheit des Gesagten verbürgten, erreichen, daß er tatsächlich befreit wurde.) Nach wenigen Wochen im Büro Erzberger, wo ihm der »Schlendrian und Leichtsinn« zuwider waren und seiner Einschätzung nach nur »minderwertige« Arbeit geleistet wurde, erlangte er, wieder durch die Vermittlung seines Schwagers, »einen Ruf an die soeben beim Auswärtigen Amt begründete ›Zentralstelle für Auslandsdienst‹« als Leiter des Lektorats für die italienische Presse. Er sichtete sie und traf die Auswahl für die Archivierung, nahm an der täglichen Konferenz der Lektoren teil und hatte zu untersuchen, inwieweit die für Deutschland ungünstige Stimmung in Italien durch die frühere alldeutsche Propaganda erzeugt worden war.116
114 Kriegsarbeit unserer Dozenten (wie A. 98), S. 130; Die FWU im Kriege 1914/15, S. 32; dto. 1915/16, S. 15; dto. 1916/17, S. 18. Kurzes Porträt in: Peter Betthausen/Peter H. Feist/ Christiane Fork (Hg.), Metzler-Kunsthistoriker- Lexikon. Zweihundert Porträts deutschsprachiger Autoren aus vier Jahrhunderten, Stuttgart 1998, S. 458–461 (Peter H. Feist). 115 Weisbach, Geist und Gewalt, S. 120. 116 Weisbach, Geist und Gewalt, S. 134–147, Zitate 135, 140, 143 (zweimal). Zu Erzbergers »Büro Berg« s. auch Ungern-Sternberg/Ungern-Sternberg, Der Aufruf ›An die Kulturwelt!‹, S. 137, zur Zentralstelle 149 f., 152 f.
350 Die Universitäten im Kriegseinsatz Zwei Kollegen widmeten sich ähnlichen Diensten: Der bei Kriegsbeginn 42 Jahre alte Privatdozent der Kunstgeschichte Edmund Hildebrandt wurde, nachdem er zunächst über ein Jahr als einfacher Trainsoldat an der Front gestanden hatte, dann ebenfalls in der Nachrichtenabteilung des Auswärtigen Amts, später bei der Zensurstelle der Austauschstation für Kriegsgefangene beschäftigt.117 Der gleichaltrige Jurist Friedrich Karl Neubecker, zunächst Privatdozent, trat als bayerischer Leutnant des Beurlaubtenstandes a. D. im September 1914 wieder freiwillig in den Heeresdienst und war zunächst Erziehungsoffizier in der Potsdamer Kadettenanstalt, wurde dann zum Kriegspresseamt kommandiert und, da er viele Sprachen beherrschte, ab November 1916 schließlich zur Sichtung der erbeuteten russischen, serbischen, italienischen und rumänischen Kriegsakten im Hauptquartier eingesetzt.118 Er blieb, 1916 zum Ordentlichen Honorarprofessor befördert, bis Kriegsende im Dienst.119 – Ein Gießener Strafrechtler wurde wegen seiner Sprachkenntnisse als Gerichtsoffizier einberufen.120 Der Osteuropahistoriker Otto Hoetzsch, seit 1913 Extraordinarius in Berlin, hatte dem Auswärtigen Amt gleich nach Kriegsausbruch seine Dienste als Dolmetscher und Kenner Osteuropas angeboten. Doch hatte man damals keine Verwendung für ihn.121 Deshalb war er als Leutnant der Landwehr a. D. in der Auslandsabteilung des Stellvertretenden Generalstabs der Armee, des späteren Kriegspresseamts, beschäftigt. Im zweiten Kriegsjahr hatte er dort »eine feste Stellung«, im dritten war er »Leiter der Sektion Rußland«.122
117 [Edmund] Hildebrandt an Pr. KuMi 20.8.1918: I. HA Rep 76 Va Sekt. 2 Tit. IV Nr. 32 Bd. XVII, fol. 248–253, hier 251v. Zensurstelle: Die FWU im Kriege 1916/17, S. 17. 118 Klaus-Peter Schroeder, Eine Universität für Juristen und von Juristen. Die Heidelberger juristische Fakultät im 19. und 20. Jahrhundert, Tübingen 2010, S. 419–421. 1918 wurde Neubecker Ordinarius in Heidelberg. Der Status bei Kriegsbeginn und die freiwillige Meldung nach: Die FWU im Kriege 1914/1915, S. 16. Im nächsten Bericht ist er nicht erwähnt, die Datierung auf 1916 nach: Die FWU im Kriege 1916/1917, S. 12. 119 AV FWU Berlin SS 1915-SS 1918. 120 S. Details dazu u. in Kap. IV.1. 121 Uwe Liszkowski, Osteuropaforschung und Politik. Ein Beitrag zum historisch-poli tischen Denken und Wirken von Otto Hoetzsch. 2 Bde., Berlin 1988, hier Bd. I, S. 131. 122 Die FWU im Kriege, S. 31; dto. 1915/16, S. 14; dto. 1916/17, S. 17. Ergänzungen zur Institutionenentwicklung aus Liszkowski, Osteuropaforschung und Politik, S. 131. Demnach umfaßte die von ihm geleitete Sektion »Rußland, Polen, Balkan«.
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›Überflüssige‹ Freiwillige und verhinderte Soldaten Die Dienste mancher gelehrten Freiwilligen wurden allerdings überhaupt nicht in Anspruch genommen.123 Der damals 57jährige Kunsthistoriker und Extra ordinarius Karl (auch: Carl) Frey hielt es schon nach fünf Kriegstagen an seinem Schreibtisch einfach nicht mehr aus, »vielmehr muß ich, gleich meinen Kindern, hinaus, um zu helfen, wo und wie ich kann. Und wenn Euere Excellenz für mich einen Posten wißen – ich dachte daran, Lebensmittel und Liebesgaben unseren braven Truppen nachzuführen –, so wäre ich Euerer Excellenz höchst dankbar. Andernfalls will ich mich dem roten Kreuze zur Verfügung stellen.«124
Offenbar bedurfte man seiner aber nicht.125 Auch ein 48jähriger, ungedienter Extraordinarius der Philosophie wurde abgewiesen.126 Und der damals 47jährige Gießener Veterinärmediziner Wilhelm Pfeiffer, der aufgrund seiner freiwilligen Meldung zunächst zum Führer einer Kraftwagenkolonne bestimmt wurde (während sein Assistent die Klinik leiten sollte!), wurde dann als »überzählig« befunden127 und blieb im regulären Lehramt.128 Ein anderer Freiwilliger, der Gräzist Paul Friedländer, wurde ›nur‹ Kranken pfleger. Das »reinere Glück« wäre zwar der Dienst »mit der Waffe« gewesen; doch war er dafür nicht angenommen worden.129 Als er sich im Frühjahr 1915 erneut dazu meldete, versicherte er zugleich, weiterhin als Krankenpfleger im 123 Der damals noch Bonner (ab 1920 Gießener) Botaniker Ernst Küster meldete sich als Vierzigjähriger zu Kriegsbeginn freiwillig in der Hoffnung, sich »eine Beschäftigung als Bakteriologe sichern zu können«. Doch von seinem Anerbieten wurde nie Gebrauch gemacht, auch später nicht, als er nach etlichen Musterungen für denselben Zweck vor gemerkt worden war (Küster, Erinnerungen, S. 174). 124 Karl Frey an Pr. KuMi 6.8.1914: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. IV, Nr. 61 Bd. XXIII, fol. 301. 125 Im Bericht der Universität (A. 8) ist er nicht erwähnt. 126 Zu Max Dessoir s. u. S. 421 f. 127 [Wilhelm] Pfeiffer an Rektor 17.9.1914: UA Gi Allg. 103, fol. 255 und Prof. Pfeiffer an VA 28.9.1914: UA Gi Allg. 107, fol. 20 (Zitat). 128 Er ist in PB LU Gi nicht als »im Heere« befindlich registriert und fehlt auch im Universitätskalender. 129 S. darüber seinen Brief an seinen Lehrer Wilamowitz vom 6.8.1914: »Graf Castell, dem ich Ihre Empfehlung brachte, musterte mich, fragte nach dem Alter und erklärte mir dann: mit 32 Jahren wüchse man nicht mehr wie die jungen Leute in die Anstrengungen hinein, und ich würde voraussichtlich bald entzweigehn. Dem Roten Kreuz hingegen könnte ich gute Dienste leisten. Es war mir beruhigend, das, was ich im letzten Grunde selber fühlte, von so offenbar kundiger Seite bestätigt zu bekommen, so daß es da keine Selbsttäuschung giebt.« In: William Calder III /Bernhard Huss (Hg.), ›The Wilamowitz in me‹. 100 Letters between Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff and Paul Friedländer (1904–1931), Los Angeles 1999, S. 65.
352 Die Universitäten im Kriegseinsatz Einsatz zu bleiben, falls er wieder abgelehnt werden sollte. Das hielt er für seine »Pflicht.«130 Doch Anfang April wurde er in das Telegraphen-Bataillon 1 aufgenommen und kam im Juni mit einer Fernsprechabteilung ins Feld. Allmählich stieg er so bis zum Offiziersaspiranten auf.131 Doch tatsächlich zum Offizier befördert wurde er nur aufgrund einer Fürsprache seines Lehrers Wilamowitz, durch den auch der (keineswegs untypische) Grund der Nichtbeförderung klar wurde: Friedländer (der schon bei seiner herausragenden Promotion Christ war) entstammte einer jüdischen Familie.132 Auch ein anderer Altphilologe, ebenfalls jüdischer Herkunft, der Byzantinist Paul Maas, betätigte sich als freiwilliger Krankenpfleger, zunächst in Belgien, später bei der deutschen Militärmission in Konstantinopel.133 Ein Straßburger, der anfangs ebenfalls in der Krankenpflege eingesetzt worden war, meldete sich im zweiten Kriegsjahr freiwillig zum Dienst mit der Waffe.134
Heeresdienst im engeren Sinn Unter denen, die eigentlichen Heeresdienst leisteten, nahe der Universität, in der Etappe, an der Front, waren Freiwillige und Einberufene fast jedes Lebensalters. Unter den jüngeren sticht der Physiker James Franck heraus, damals ein 32jähriger Berliner Privatdozent, 11 Jahre später schon Nobelpreisträger. Mit der freiwilligen Meldung wollte er einer möglichen Einberufung zu seinem ehemaligen Bataillon entgehen, einer Funkabteilung, bei der er in der Ausbildung für drahtlose Telegraphie einst auch den (inhaltlich ziemlich unsinnigen) Physikunterricht über sich hatte ergehen lassen müssen. (Allerdings war er infolge 130 Ao. Prof. Paul Friedländer an Pr. KuMi 10.12.1914 und 19.3.1915: GSt APK I. HA Rep. 76 V a Sekt. 2 Tit. IV, Nr. 53 Bd. XIV, fol. 149 und 156 (Urlaubserteilung vom 1.5.1915 auf 149v). 131 Die FWU im Kriege 1914/15, S. 31; Die FWU im Kriege 1915/16, S. 14 (Gefreiter bei einer Fernsprechabteilung im Felde); Die FWU im Kriege 1916/17, S. 17 (Offiziersaspirant). Zum letzten Punkt s. auch seinen Brief an Wilamowitz vom 16.6.1916, in: Calder/Huss (Hg.), ›The Wilamowitz in me‹, S. 89–91, hier 90. 132 Calder/Huss (Hg.), ›The Wilamowitz in me‹, S. XVI . S. auch Friedländers Bitte an Wilamowitz (ohne jegliche Erwähnung des antisemitischen Kontexts) 8.6.1917, ebendort S. 110–112 (hier 110), weitere Informationen dazu in Briefen vom 6.7.1917, S. 114 f. und 15.12.1917, S. 123–125 (hier 124) und Wilamowitz’ Bezugnahme am 12.12.1917, S. 120–123 (hier 123). S. auch Generalmajor Friedrich an Ulrich von Wilamowitz Möllendorf[f] 6.7.1917 (S. 114 f.): F. sei bereits zu einem Reserve-Offizier-Aspirantenkursus vorgesehen gewesen, habe aber wegen Überfüllung nicht teilnehmen können. Er werde nun zur Teilnahme am nächsten kommandiert. 133 Zuletzt war er Zugführer beim Obersten Sanitätsoffizier der Militärmission. Die FWU im Kriege 1914/15, S. 34; Die FWU im Kriege 1915/16, S. 15; Die FWU im Kriege 1916/17, S. 18. Gründliche biogr. und wissenschaftsgeschichtliche Angaben in http:// de.wikipedia.org/wiki/Paul_Maas_(Altphilologe) (27.10.2010). 134 Ficker, Bericht II (1915/16), S. 5.
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eines Reitunfalls damals schon nach wenigen Monaten für dienstuntauglich erklärt worden.) Ab 5. August 1914 wurde Franck im Bezirk Königsberg zum Pionier ausgebildet, im Dezember kam er an die französische Front, im Frühjahr 1915 wurde er Offiziersvertreter. Als er Offizier werden sollte und sein Vorgesetzter ihn fragte, warum er sich nicht taufen lasse, fragte Franck zurück, ob er etwa ein besserer Offizier wäre, wenn er sich gegen seine Überzeugung taufen ließe. (Im Lebenslauf seiner Dissertation hatte er den zeitgenössischen Euphemismus »mosaisch« vermieden und sich als »im jüdischen Glauben erzogen« bezeichnet.) Franck wurde in der Champagne und in Flandern, später in Rußland eingesetzt. Schließlich wurde er an das von Haber geleitete KWI für Physikalische Chemie und Elektrochemie kommandiert.135 Mit Otto Hahn und Fritz Haber überwachte er auch den Einsatz von Giftgas an der Front – und wurde selbst 1917 bei einem Gasangriff verletzt.136 Schon im Juni 1915 war Franck zum Leutnant der Landwehr befördert worden und hatte auch schon im ersten Kriegsjahr das Eiserne Kreuz II. Klasse am schwarz-weißen Band erworben,137 später auch das EK I. Klasse.138 Der spätere Nobelpreisträger Otto Warburg, der nach seinem Chemie studium noch Medizin studiert hatte und damals Privatdozent der Medizinischen Fakultät war, außerdem Abteilungsleiter am Kaiser-Wilhelm-Institut für Biologie, meldete sich als Kriegsfreiwilliger zur Kavallerie, wurde zunächst aber als Arzt eingesetzt, obwohl ihm die Approbation fehlte. Er selbst dagegen schwärmte noch Jahrzehnte später, wie er »in einer der schönsten Uniformen der preußischen Armee bei den Vormärschen in Rußland viele Patrouillen geritten« habe. Nach dem Ende des Bewegungskrieges sei er »Ordonnanzoffizier bei manchem unserer Heerführer« gewesen.139 Die ärztliche Tätigkeit dagegen 135 Lemmerich, Aufrecht im Sturm der Zeit, S. 32 f., 62–66. S. als Quelle auch das sechs teilige Interview, das der Wissenschaftshistoriker Thomas Kuhn und die Nobelpreis trägerin Maria Goeppert-Mayer 1962 mit Franck und seiner zweiten Frau, der Physikprofessorin Hertha Sponer-Franck, führten. Das Transkript findet man unter http:// www.aip.org/history/ohilist/4609_3.html (25.11.2010). 136 S. ein Foto des jungen Franck in einem Unterstand in: Lemmerich, Luxus des Gewissens, S. 39. Weitere Daten nach: http://de.wikipedia.org/wiki/James_Franck (27.10.2010). 137 Die FWU im Kriege, S. 34; dto. 1915/16, S. 15 (immer noch bei einem Pionier-Regiment im Felde). 138 Obwohl er als »Frontkämpfer« zunächst von der Entlassung der jüdischen Beamten aufgrund des »Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« vom 7. April 1933 verschont worden wäre, legte er seine Göttinger Professur »wegen der Einstellung der Regierung dem deutschen Judentum gegenüber« nieder, noch bevor die ersten sogenannten Beurlaubungen erfolgten. Zitat aus seinem Schreiben an den pr. KuMi vom 17.4.1933 (Lemmerich, Aufrecht im Sturm der Zeit, S. 199. Vgl. dort auch sein deutlicheres Schreiben an den Rektor. Zu den Beurlaubungen am 25.4.1933 s. 203). 139 Der Auszug aus dem Tonbandprotokoll von 1966 ist abgedruckt bei: Petra Werner (Hg.), Ein Genie irrt seltener… Otto Heinrich Warburg. Ein Lebensbild in Dokumenten, Berlin 1991, S. 119.
354 Die Universitäten im Kriegseinsatz überging er in seinen Erinnerungen, oder sie war ihm zu dieser Zeit schon entfallen. Zeitgenössischen Äußerungen zufolge (die allerdings auf seine Rückholung nach Berlin hinwirken sollten) wurde er als Ordonnanz eingesetzt, weil er aufgrund seiner Herzbeschwerden nur garnisonsverwendungsfähig war. Immerhin kam er sowohl in die Ukraine als auch nach Nordfrankreich.140 Laut Universitätsbericht stand er als »Vizewachtmeister beim 2. Garde-ReservenUlanen-Regiment im Felde«.141 Andere junge Dozenten, die an der Front dienten, waren etwa der nur 33jährige Gießener Ordinarius für Alte Geschichte, Richard Laqueur, ein gebürtiger Straßburger jüdischer Herkunft, der von Anfang an bei der Feldartillerie war und ein Regiment führte.142 Sein Kollege, der ungediente außeretatmäßige Extraordinarius Ernst Vogt, meldete sich mit seinen 37 Jahren sofort freiwillig und rückte schon am 2. August ein. (Das von der Fakultät damals bereits beantragte kleine Gehalt lehnte das Ministerium am 18. August 1914 dagegen mit Verweis auf einen Sparerlaß und die ohnehin ausreichende Ausstattung der Geschichtswissenschaften ab.) Vogt fiel 1918.143 Ähnliche Beispiele gab es an allen Universitäten. Dagegen läßt sich an dem damaligen Berliner Extraordinarius Claudius Freiherrn von Schwerin ersehen, wie schnell die Einstufung sich ändern konnte: Nachdem kurz zuvor seine Kriegsverwendungsfähigkeit festgestellt worden war, wurde er im November 1915 zur Ausbildung als Grenadier eingezogen. Sein Vater, ein bayerischer Amtsrichter, versuchte vergeblich, den Sohn vor dem Frontdienst zu bewahren und dessen Verwendung bei einer Intendantur, einem Militärgericht oder als juristischer Beistand bei einer Militärverwaltung zu erreichen. Abkommandierung zu einer Verwaltungsbehörde komme nur bei Truppendienstuntauglichkeit in Betracht, hieß es im Februar 1916. Aber bereits einen guten Monat später wurde Schwerin als kriegsdienstuntauglich aus dem aktiven Truppendienst entlassen! Doch änderte sich diese Einschätzung binnen eines halben Jahres schon wieder.144 Der 42jährige Zoologe Jan Versluys, der seit 1907 in Gießen wirkte und inzwischen außeretatmäßiger Extraordinarius war, trat 1915, obwohl noch niederländischer Staatsbürger, in den Landsturm ein (und wurde bald in den Pressestab versetzt). 1916–1918 war er Professor an der unter deutscher Besatzung 140 Petra Werner, Otto Warburg. Von der Zellphysiologie zur Krebsforschung. Biographie, Berlin 1988, S. 136–152. Das Buch enthält zwar eine Reihe von Irrtümern zum Kontext, stellt aber bislang die gründlichste Untersuchung von Warburgs Leben dar. 141 FWU im Kriege 1914/15, S. 28. 142 G/M/P II, S. 590–601 (Hans Georg Gundel), hier 593. Lt. seinem Personalbogen (ADBR 103 AL 537) war er Reserveleutnant des 2. oberelsässischen Artillerieregiments. Kriegs einsatz erwähnt auch bei Anderhub, Antoniterkreuz, S. 80 f. A. 8. 143 Anderhub, Antoniterkreuz, S. 29 f. 144 Wolfgang Simon, Claudius Freiherr von Schwerin. Rechtshistoriker während dreier Epochen deutscher Geschichte, Frankfurt u. a. 1991, S. 15 f. Zu seinem weiteren Kriegs einsatz s. u. S. 418 f.
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vlamisierten Universität Gent (und wurde dafür im Nachkriegsbelgien zunächst zum Tode verurteilt).145 Ein Beispiel für die militärische Verwendung nahe der Universität ist der Gießener Theologe und Kirchenhistoriker Gustav Krüger: Als 52jähriger Leutnant der Reserve übernahm er freiwillig die Überwachung der Bahnlinie Gießen-Lollar und die Adjutantur des Bezirkskommandos, füllte aber gleichzeitig sein Professorenamt weiterhin voll aus.146 Die heimatnahe Verwendung findet sich auch andernorts: Ein 59jähriger Berliner Privatdozent und Titularprofessor, Hauptmann der Reserve a. D., war z. B. ab Kriegsbeginn Etappenkommandant in Brandenburg: der Wirtschaftsund Sozialhistoriker Robert Hoeniger, u. a. Autor einer wichtigen Studie über den Schwarzen Tod, Beiträger jüdischer historischer Zeitschriften, aber auch Mitglied des Ostmarkenvereins, welcher die Ansiedlung Deutscher in der Provinz Posen betrieb. Seine Lehrveranstaltungen fielen aus – die Nachträge zum Vorlesungsverzeichnis notierten »Dr. Hoeniger ist zur Fahne einberufen.« Auch im zweiten Kriegsjahr noch Kommandeur der mobilen Etappenkommandantur des Garde-Reservekorps, wurde Hoeniger dann einen guten Monat lang zur Sicherung und Neuorganisation der Wilnaer Archive und Bibliotheken abkommandiert. Im Dienst des Heeres stand er laut Personalverzeichnis bis 1918.147 Auch manche Ankündigungen von Lehrveranstaltungen durch im Kriegsdienst Stehende deuten auf ›Heimateinsatz‹ hin.148 Die an Gießen beobachtete Mischung aus jüngeren Lehrenden und solchen, die ins Militär eintraten, obwohl sie das wehrpflichtige Alter schon hinter sich hatten, ließe sich durch zahlreiche weitere Beispiele illustrieren: Der erst 1913 berufene, jetzt 32jährige Straßburger Ordinarius für Archäologie August Frickenhaus führte als Vizefeldwebel eine Batterie,149 der hier habilitierte und im Sommer 1914 gerade zum Extraordinarius ernannte 40jährige Altphilologe Wilhelm Crönert wurde als Reserveoffizier sofort einberufen und kehrte erst 145 Er wurde dann jedoch zu zwölfjähriger Zwangsarbeit begnadigt, die er aber ebenfalls nicht ableisten mußte. Er kehrte zwar nach Gießen zurück, wurde aber von der neuen Regierung nicht, wie von der Universität gewünscht, als Ordinarius bestätigt und privatisierte dann in Hilversum, bis er 1925 einen Ruf nach Wien erhielt. Nach: http:// de.wikipedia.org/wiki/Jan_Versluys_(Zoologe) (zuletzt 14.5.2012). 146 Rektor Gi an Gh. MdI 17.8.1914: UA Gi Allg. 102, fol. 40–41, hier 41; zur Verbindung beider Tätigkeiten: Bericht für den VA 14.12.1914: UA Gi Allg. 107, fol. 130. 147 Die FWU im Kriege 1914/15, S. 31; dto. 1915/16, S. 14 f.; Nachweis des Heeresdienstes in AV FWU Berlin SS 1915-SS 1918; Zitat aus den Nachträgen zum VV: BAN IX (1914/15), S. 7–11, hier 9. Zu Hoeniger s. Wolfram Fischer, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte in Berlin, in: Reimer Hansen/Wolfgang Ribbe (Hg.), Geschichtswissenschaft in Berlin im 19. und 20. Jahrhundert: Persönlichkeiten und Institutionen, Berlin 1992, S. 487–516, hier 494 f. Zu seinen Beiträgen zu jüdischen Zeitschriften s. die Datenbank http://www. compactmemory.rwth-aachen.de. 148 S. als Beispiel den Veterinärmediziner Gmeiner (u. S. 732). S. allerdings auch die all gemeine Tendenz, auf jeden Fall anzukündigen (S. 909 f.). 149 Georg Karo, August Frickenhaus †, in: Gnomon 1 (1925), S. 181–184, hier 182.
356 Die Universitäten im Kriegseinsatz 1919 aus englischer Gefangenschaft zurück.150 Zwei Straßburger Historiker, an denen gewissermaßen Berufssoldaten verloren gegangen waren, rückten mit 47 bzw. 49 Jahren ein: die Ordinarien Walter Goetz und Karl Stählin. Ersterer hätte als Einjährig-Freiwilliger, noch nach der Promotion, fast den Offiziersberuf ergriffen, war Reserveoffizier, seit 1910 Major und diente im Ersten Weltkrieg an der Westfront als Bataillonskommandeur, bis er 1915 nach Leipzig berufen und von der dortigen Universität auch reklamiert wurde. So lehrte er dort ab November 1915, doch folgte er im Januar 1917 einer erneuten Anforderung seiner Division und verbrachte fast ein weiteres Jahr an der französischen Front.151 Stählin war tatsächlich Berufsoffizier gewesen und hatte sich zum Studium erst beurlauben und 1899 schließlich pensionieren lassen. Gerade nach Straßburg berufen, hatte er am Tag vor Kriegsbeginn in Heidelberg seine Abschiedsvorlesung gehalten, und meldete sich dort, noch ohne Wohnung in Straßburg, sogleich freiwillig. »Sehr freudig« zog er in seiner bayerischen Uniform ab.152 Als Hauptmann diente er an der Front sowie als Adjutant bei verschiedenen Stäben bis 1917. Das Eiserne Kreuz I. Klasse erwarb er, »als es noch etwas bedeutete«.153 Der bei Kriegsbeginn 50 Jahre alte Reserveoffizier Fritz van Calker kommandierte (im Dienstrang eines Majors) ein Infanterieregiment und wurde mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet.154 Eine ganze Reihe von Professoren trat sogar noch jenseits der 50 in den aktiven Dienst: Der 1913 nach Gießen berufene Ordinarius für Mathematik Friedrich Engel war mit seinen 53 Jahren ab Mitte September 1914 Oberleutnant und Kompanieführer in einem Landsturm-Ersatz-Infanterie-Bataillon. Zwei Jahre später beantragte er die Aufhebung seiner Mobilmachungsbestimmung, um sich wieder der Lehre zu widmen.155 Auch der Altphilologe Karl Strecker, in Berlin Extraordinarius für Mittellateinische Philologie, legte mit 53 Jahren zu Kriegsbeginn »die Feder aus der Hand (…), um für das Vaterland Heeresdienst zu leisten.« Seit Mitte Oktober 1914 war er Kompanieführer und betreute außer-
150 Nachrichten. Altertumskunde, in: Neue Jahrbücher für Wissenschaft und Jugendbildung 2 (1926), S. 621–623, hier 622. Außerdem: http://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm Crönert (11.10.2010). 151 NDB 6 (1964), S. 582–584 (Herbert Grundmann). S. auch Details in Goetz, Aus dem Leben eines deutschen Historikers, S. 14 (Einjähriger), 45, 50. 152 Voigt, Rußland in der deutschen Geschichtsschreibung, S. 166. PV KWU Strb. WS 1914/15, S. 6 gibt noch keine Wohnadresse an. Zitat: Hampe, Kriegstagebuch, S. 103 (7.8.1914). 153 L. Loewensohn, Karl Stählin 1865–1939, in: Slavonic and East European Review 20 (1949/50), S. 152–160, Zitat 153 (Rückübersetzung von Stählins Äußerung aus dem Englischen). 154 http://www.catalogus-professorum-halensis.de/calkerfritzvan.html (8.10.2010). 155 Formular Friedrich Engel: UA Gi Allg. 103, fol. 220; VA Gi an Gh. MdI 23.8.1916: UA Gi Allg. 107, fol. 244. Engel ist bei Anderhub, Antoniterkreuz, nicht erfaßt.
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dem die Verwundetenabteilung.156 Der Gießener Geograph Wilhelm Sievers trat noch als 54jähriger in den militärischen Dienst,157 kehrte aber nach den ersten beiden Kriegssemestern an die Universität zurück.158 Der Berliner Germanist Gustav Roethe, der in seinen Göttinger Jahren am Ende des 19. Jahrhunderts jeweils in Militäruniform zu den Kaisergeburtstagen erschienen war, bestieg im Krieg zunächst auch im Alltag so gekleidet das Katheder. Als sich dann die Hörsäle immer mehr leerten, zog es aber auch ihn (dem schon vor dem Krieg beim Vorbeimarsch der Truppen die Beine gezuckt hatten) hinaus: im Sommersemester 1915, mit 56 Jahren.159 Als Hauptmann der Landwehr war er als Kommandeur der mobilen Bahnhofskommandantur auf verschiedenen Bahnhöfen des französischen Operations- und Etappengebiets tätig.160 Und auch die hessische Landesuniversität konnte sich eines 56jährigen Kriegsteilnehmers rühmen: Der Agrarwissenschaftler Gisevius, der als Reserveoffizier, zuletzt Hauptmann, 1901 seinen Abschied genommen hatte, hatte jährlich seine Bereitschaft erklärt, sich im Mobilmachungsfall zur Verfügung zu stellen und wurde 1914 wirklich eingezogen. 1915 verwaltete er ein Munitionsdepot in Ungarn, 1916 war er Etappenkommandant in Brest-Litowsk. Er kam zurück, als die Universität ihn anforderte, da er für 1917/18 zum Rektor gewählt worden war.161 Vermutlich war dies auch der Grund für die Rückkehr S ievers’ 1915 gewesen, der dieses Amt 1915/16 innehatte.
Zwischenbetrachtung Wie genau man auch zählt, die Personalverzeichnisse und Kriegsberichte der Universität auswertet und mit genaueren Recherchen konfrontiert: Es bleiben immer Rätsel, vor allem in den Angaben selbst. So wird etwa ein Privatdozent der Straßburger Katholisch-Theologischen Fakultät mehrere Semester lang als Divisionspfarrer bezeichnet, aber nicht als im Kriegsdienst stehend markiert. 156 N. Fickermann, Karl Strecker, in: Deutsches Archiv zur Erforschung des Mittelalters 8 (1951), S. 266 f., Zitat 267; Die FWU im Kriege 1914/15, S. 31. 157 P. Claß, Universitätsprofessor Dr. Wilhelm Sievers †, in: Geographischer Anzeiger 23 (1922), S. 1–3, hier 1. Über den konkreten Dienst Informationen weder hier noch bei Anderhub, Antoniterkreuz (der dies gar nicht erwähnt). 158 »Im Heere« verzeichnet nur: PB LU Gi für WS 1914/15 und SS 1915. Dagegen führt ihn der Deutsche Universitätskalender auch noch im SS 1916 und im WS 1916/17 unter den Kriegsdienstleistenden. 159 Julius Petersen, Gustav Roethe. Ansprache bei der Trauerfeier des Ostbundes am 10. Oktober 1926 in der Neuen Aula der Universität Berlin, Leipzig o. J. [1927], S. 11, 34. Nachweis der Vorkriegsreaktion o. S. 44. 160 Die FWU im Kriege 1915/16, S. 14. 161 Alles nach Adolf Stählin, Paul Gisevius, in: G/M/P I, S. 276–286, hier 284 f.
358 Die Universitäten im Kriegseinsatz Dies geschieht erst im Sommer 1917.162 Dasselbe passiert bei einem evange lischen Ordinarius, der zwei Semester als »stellvertretender Lazarettgeistlicher« wirkte und dabei nicht als Kriegsdienstleistender gezählt wurde, wohl aber, als er (quasi ordentlicher) Lazarettgeistlicher war.163 Der elsässische Privatdozent der protestantischen Theologie Ménégoz figurierte zwar ab Winter 1916/17 als Lazarettgeistlicher, war dafür im Gegensatz zu mehreren Ordinarien in derselben Funktion aber nicht als »zum Kriegsdienst eingezogen oder (…) freiwillig gemeldet« registriert. Dies geschah erst ein Jahr später.164 Und weder den vielleicht wichtigsten Entwickler neuer Waffen, Haber, noch den Generalstabsarzt der Armee, Schjerning, registrierte das Berliner Personalverzeichnis als im »unmittelbaren oder mittelbaren Heeresdienst« stehend. Dabei war ersterer inzwischen Hauptmann, letzterer sogar Mitglied der Obersten Heeresleitung.165 Insofern sind alle Auswertungen nur als verzerrte Spiegel der Realität zu betrachten. Zugleich machen die Personalverzeichnisse aber etwas anderes deutlich: Bei den wenigen Ordinarien im Kriegsdienst handelte es sich oft jahrelang um dieselben Personen. Und auch in den anderen Gruppen überwog, bei allen Fluktuationen im Detail, die Zahl der mehrere Semester oder gar Jahre Dienenden. Die Mehrheit der Lehrenden aber blieb von solchen praktischen Kriegserfahrungen verschont.
Erfahrungen in der Ausbildung und an der Front Über seine Ausbildung berichtete Freiherr von Schwerin in einem Brief vom Frühjahr 1917: »Ich bin zur Zeit in einem sogenannten Offiziersaspirantenkurs, ohne dabei Wesentliches zu lernen. Wir treiben den ödesten Kasernenhofdrill und hoffen auf ein baldiges Ende dieses Kurses. Einem denkenden Menschen ist es geradezu unverständlich, wie man in einem Augenblicke, wo alle Kräfte auf die letzten Hoffnungen sich wenden sollten, in solcher Weise (…) zwecklose Dinge treiben kann, wie sie hier Tag für Tag geübt werden.«166
Nicht aus Kriegsgegnerschaft, sondern gerade mit Blick auf die Notwendigkeiten der Kriegführung erschien ihm seine Ausbildung also sinnlos. Den »eigentümlichen Erregungszustand« in der Schlacht schilderte der ehemalige Straßburger Privatdozent Max Wundt (inzwischen Professor in Jena 162 163 164 165 166
PV KWU Strb. WS 1915/16, S. 3 ([Friedrich] Maier); PV KWU Strb. WS 1917, S. 3. PV KWU Strb. WS 1916/17, S. 3; SS 1917, S. 3; WS 1917/18, S. 3. PV KWU Strb. WS 1916/17, S. 3.
Zu Haber s. o. S. 343–345. Joppich, Schjerning, S. 20. Brief vom 25.3.1917, zitiert bei Simon, Schwerin, S. 69.
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und nationalistisch-völkischer Publizist) Anfang der zwanziger Jahre als positive Erfahrung: »(…) er hat nichts Unangenehmes, besonders die ersten Male nicht. Eher überkommt einen eine gewisse Heiterkeit, in dem Bewußtsein, dass nun alles hinter einem liegt und sich die Fragen des Lebens, die einem sonst zu schaffen machen, zur höchsten Einfachheit zusammenziehen … Artilleriefeuer im Graben oder hinter Deckungen nur einfach auszuhalten, wirkt dagegen fast nur deprimierend.«
Auf Dauer war die Stellung im Schützengraben »verblödend«, laugte ihn »moralisch und physisch« aus. Deshalb mußte er sich auch an der Front seinen philosophischen Studien widmen und studierte Hegel.167 An der Front – und sogar schon auf dem Vormarsch – betätigten sich Gelehrte auch als Lehrer ihrer Kameraden: Sie gaben etwa eine kunsthistorische Erklärung der Kathedrale von Reims oder erläuterten die Wirtschafts- und Finanzlage im Krieg. Nicht zuletzt deuteten sie auch das Kriegsgeschehen selbst.168 So hielten sie, wie traditionell zuhause, auch in der Armee an ihrer gesellschaftlichen Führungsfunktion fest. Allerdings deutet manches auch auf Fremdheit und sogar Spannungen zwischen (Berufs-) Offizieren und eingerückten Gelehrten hin. Der Berliner Mediziner Alfred Grotjahn war als Freiwilliger, zunächst »für jegliche militär ärztliche Verwendung«, dann, nach dem Bruch der Neutralität Belgiens, »nur für den Berliner Garnisondienst«, zu Beginn des Krieges mit knapp 45 Jahren noch zurückgewiesen worden, wurde Mitte Dezember 1914 aber doch als Unterarzt des Landsturms eingezogen. Seine Erfahrung belegt, welch’ wichtige Rolle der Rang selbst während des Krieges und trotz der vielbeschworenen Volksgemeinschaft spielte. Grotjahn war einerseits nur Unterarzt, andererseits aber Professor. Sollte er (in der mit Verwundeten und Genesenden überfüllten ucker märkischen Garnisonsstadt Prenzlau) nun an den Offiziers- oder den Unter offizierstisch gesetzt werden? »Der ratlose Stabsarzt atmete auf, als ich ihm erklärte, ich würde am liebsten auf meinem Zimmer zu Mittag essen.«169 Schon wenige Tage nach seinem Eintreffen wurde Grotjahn zudem eröffnet, daß er trotz seines Alters und seiner Stellung als Professor nicht auf eine baldige Beförderung zum Sanitätsoffizier rechnen könne. »Als ich einwandte, daß ich im Besitze eines Qualifikationsscheines zur Beförderung zum Sanitätsoffizier sei, antwortete er, das sei gerade das Schlimme, daß ich trotz dieser Qualifikation 167 Seine unveröff. Erinnerungen werden zit. bei Paletschek, Tübinger Hochschullehrer im Ersten Weltkrieg, S. 103. Wundt war übrigens der Sohn des berühmten Leipziger Psychologen Wilhelm Wundt. 168 Beispiele bei Wettmann, Heimatfront Universität, S. 154. 169 Grotjahn, Erlebtes und Erstrebtes, S. 152 f. (Zitate), 160–162 (letztes Zitat: 162). Zu seiner raschen Habilitation (zwecks Förderung des neuen Teilfaches) ohne vorausgehende akademische Tätigkeit S. 141 f., zu seiner weiteren Kritik an der »Vergewaltigung« Belgiens 158.
360 Die Universitäten im Kriegseinsatz im Frieden keinen Wert darauf gelegt hätte, mich durch Absolvierung der vorgeschriebenen freiwilligen Übungen befördern zu lassen.«170 Nicht (nur) auf seine Leistung im Krieg, sondern auf die aus seinem Handeln bzw. Unterlassen im Frieden erschlossene (militärferne) Gesinnung kam es also an.171 Ebenfalls über Rangfragen, jedoch als persönliche Zumutung, berichtete Max Wundt. »Durch die Ankunft bzw. den Abzug dienstälterer Offiziere wechselte er ständig vom Range des Zug- oder Kompagnieführers zum Adjutanten und zurück.« Ausführlich schreibt er über Konflikte und Eifersüchteleien unter den Offizieren (und besonders mit den Berufssoldaten). Obwohl er selbst von großem Pflichtbewußtsein erfüllt war, kritisierte er nicht etwa die lasche Haltung von Mannschaften, sondern den Karrierismus der Offiziere und ihre Eitelkeit (jedenfalls in der Rückschau).172 Insgesamt galt für ihn: »Der Deutsche verlangt nach einem Führer, zu dessen Einsicht und Willen er Vertrauen hat.« Das beschreibt sowohl die Beziehungen innerhalb der von ihm geführten Kom pagnie als auch das Verhältnis aller gegenüber Hindenburg. »Eine Kompagnie ist ein kleiner Staat«, in dem Unteroffiziere und einfache Soldaten »von gediegenem Charakter« »die natürlichen Organe« des »Willens [des Kompanieführers] in der Wirkung auf die übrigen« waren.173 Die Anerkennung des Könnens jedes einzelnen bedeutete für Wundt gerade nicht Gleichheit, sondern »willig[e]« Unterordnung.174 Diese schien ihm um so nötiger, als die »Leute« angesichts des »unreflektierten Verhalten[s]« »durch fremde Ueberlegung um so leichter zu bestimmen« waren und diesem »nichts aus Eigenem entgegenzusetzen« hatten.175 (Gegen Kriegsende benutzte Wundt diese ›Einsichten‹, um den Reform 170 Grotjahn, Erlebtes und Erstrebtes, S. 161. Auch mancher andere Wissenschaftler konnte die Militärs nur mit einem gewissen Befremden betrachten. Der Heidelberger Ludolf Krehl, der als internistischer Konsultant tätig war, schrieb am 11.9.1914 an seine Frau: »Das Menschliche ist nicht sehr schön hier. Ich bin recht froh, daß ich den Marburger Kollegen Bonhoff und den lieben Kollegen Mangold aus Eßlingen gefunden habe. Das rein Militärische ist gar nichts für mich, das sind wenig feine und wie ich den Eindruck habe, nicht sehr tüchtige Leute.« (Feldpostbriefe von Ludolf Krehl an seine Frau vom September 1914 bis September 1918. Bd. I–II, o. O. (Leipzig) o. J. [1939], hier Bd. I, S. 20). Bei Bonhoff handelte es sich offenkundig um den Marburger Hygieniker Heinrich Bonhoff, dagegen ist mit Mangold wohl nicht der damalige Freiburger Extraordinarius Ernst Mangold gemeint. 171 Vgl. dazu auch die Erfahrung des Gynäkologen Opitz (u. S. 371). 172 Paletschek, Tübinger Hochschullehrer im Ersten Weltkrieg, S. 103 (auf der Grundlage der unveröff. Memoiren des späteren Tübinger Professors). 173 Max Wundt, Sozialpolitische Erfahrungen eines Kompagnieführers, in: Konservative Monatsschrift 75 (1917/18), S. 738–748, hier 739 (erstes Zitat), 742 (Zitate), 745 (Hindenburg). 174 Wundt, Sozialpolitische Erfahrungen, S. 742: Die »Tüchtigen unter unseren Leuten« »wurzeln viel zu fest und sicher in ihrem eigenen Können und Tun, um nicht auch anderes Können und anderes Tun willig anzuerkennen und sich ihm unterzuordnen.« 175 Wundt, Sozialpolitische Erfahrungen, S. 743.
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überlegungen in der Heimat und auf den Kriegsdienst gestützten Demokratisierungsforderungen zu widersprechen.176) Andere Beobachtungen zu Formalien verweisen nicht nur auf die Ungeübtheit verschiedener Gelehrter, sondern auch auf die Distanz, die selbst bei manchen (!) Freiwilligen zum Heer bestand. His hatte in der Schweiz die Rekrutenschule als Artillerist, später die Sanitätsoffiziersschule und ein Manöver mitgemacht. »Einigen meiner Kollegen erging es schlimmer: sie mußten mühsam die Chargen und das Grüßen lernen!«177 James Franck fiel mit seiner Höflichkeit auf. »Man erzählte sich, daß er, als man ihm am ersten Tag einen Zug unterstellte, rief: ›Zug, rechts um – bitte‹, eine Höflichkeit, welche, obwohl sie ganz im Einklang mit seinem Wesen stand, seine Beförderung beträchtlich verzögerte.«178 Franck selbst sah Letzteres anders – denn er fühlte sich, im Gegensatz zur Vorkriegszeit, als Juden (außerhalb Bayerns) keine Chance hatten, Offiziere zu werden, schnell befördert!179 Der Kontakt zur Universität wurde aufrechterhalten, doch er wurde zu einer Kommunikation zwischen zwei Welten. Schon nach zwei Monaten war die Heimat den an der Front Stehenden kaum noch vorstellbar. »Nur wie Wellen in den Vorpostendienst kommen Erinnerungen an unsere Tätigkeit zu mir, als wären wir schon ewig im Krieg, und das alles gehört einer anderen Welt an«, schrieb der Gießener Privatdozent der Germanistik, Arthur Franz (der zuerst zur Belagerungsarmee von Verdun gehört hatte und jetzt an der Nordgrenze der Vogesen stand), Mitte Oktober 1914 an den Rektor. Und doch bezog er auch die Perspektive des Adressaten ein: »Ich hoffe, daß das Semester nun seinen vollen Lauf genommen hat und daß nicht nur Blinde und Lahme die Zuhörerschaften bilden.«180 Als er sich Ende Februar 1915 für das Verzeichnis der Kriegsteilnehmer bedankte, hoffte er, »daß die Zahl der eisernen Kreuze für Glieder der Universität viel größer ist, als die angegebene; denn wie soll das die Universität wissen? Daß eine Reihe der Inhaber sich ›Ritter‹ des eisernen Kreuzes nennen, das führe ich darauf zurück, daß sie im Felde öfter zu Pferde sitzen. In diesem Sinne bin ich seit Ende September auch ›Ritter‹.«
176 Wundt, Sozialpolitische Erfahrungen, S. 746 wird endlich der schon lange vorher zu erahnende Anlaß genannt: der »Kampf um das preußische Wahlrecht«. S. dazu u. S. 588. 177 His, Front der Ärzte, S. 4. 178 Born, Mein Leben, S. 235. 179 Tatsächlich wurden im Ersten Weltkrieg ca. 2000 Juden zu Offizieren befördert. Interview Thomas Kuhn und Maria Goeppert-Mayer mit Franck: http://www.aip.org/ history/ohilist/4609_3.html (25.11.2010). Zu jüdischen Offizieren zusammenfassend: Werner T. Angress, Der jüdische Offizier in der neueren deutschen Geschichte, 1 813–1918, in: Ursula Breymayer/Bernd Ulrich/Karin Wieland (Hg.), Willensmenschen. Über deutsche Offiziere, Frankfurt 1999, S. 67–78 (Erster Weltkrieg: 75 f.). 180 Arthur Franz an Rektor Gi 15.10.1914: UA Gi Allg. 103, fol. 223–224, hier 223.
362 Die Universitäten im Kriegseinsatz Es folgten einige Sätze über Kämpfe, dann kehrte der aus Sachsen gebürtige (und daher in einer sächsischen Einheit dienende) Schreiber zu dem zurück, was ihn mit dem (aus Schlesien stammenden) Adressaten, dem Psychiater Robert Sommer, verband: »Da ich ganz unter Sachsen bin, habe ich fast nichts über Hessen und Angehörige der Universität gehört, ich hoffe das im Frieden nachzuholen.«181 Die Verbindung zur Universität blieb also, nicht nur auf formale Weise, bestehen. Und gerade dieser Brief an einen nicht nur nach Fach, sondern auch nach Fakultät, regionaler Herkunft und Status völlig verschiedenen Kollegen belegt die Identität und Verbundenheit stiftende Wirkung der Institution. Das wird noch mehr an zwei anderen Gießener Kriegsteilnehmern deutlich: Anfang November 1914 hatte der Mediävist Holtzmann an alle Kollegen in der Heimat geschrieben: »Manchmal sehnt man sich ein wenig nach Schreibtisch, Hörsaal und Seminar, aber im Augenblick hat man wohl hier einen grösseren Lehrberuf. Es lebe Deutschland!« Daß die militärische Aufgabe damals wichtiger war als die akademisch-pädagogische, machen nicht nur diese Worte deutlich, sondern auch die Absenderangabe: »Oberleutnant Holtzmann«. Der Professorentitel dagegen fehlte.182 (Das mochte, den zitierten Worten gemäß, seiner eigenen Sichtweise entsprechen, war aber auf jeden Fall auch das formal korrekte Verfahren.183) Wenige Tage später schrieb er zusammen mit dem Direktor der Gießener Kinderklinik: »Endlich haben wir uns gefunden und senden allen Kollegen herzliche Grüsse aus dem Feld.«184 So, wie die Studenten ihre Kommilitonen bzw. Verbindungsbrüder suchten, taten es die Lehrenden mit den Kollegen. Die universitas magistrorum et scholarium wurde auch im Feld – neben oder innerhalb der ›Volksgemeinschaft‹ – aufrechterhalten. Neben solchen, für die Beteiligung an der militärischen Kriegführung allgemein verbreiteten Charakteristika gab es auch Beispiele für verqueres Denken. James Franck wurde von dem Physikerkollegen und Nobelpreisträger 1905, Philipp Lenard, aufgefordert, besonders die Engländer zu schlagen, denn sie
181 Arthur Franz an Rektor Gi 22.2.1915: UA Gi Allg. 103, fol. 123. Als Beispiel für die hier angesprochene Verwendung des »Ritter« s. etwa Robert Holzmann/Hans Koeppe an die Professoren und Dozenten der Universität Giessen [und das] Rektorat der Universität 9.11.1914: UA Gi Allg. 103, fol. 229; Prof. Dr. van Calker an Rektor Gi 12.11.1914: UA Gi Allg. 104, fol. 4. 182 Robert Holtzmann an die Professoren und Dozenten der Universität Giessen [und das] Rektorat der Universität 4.11.1914: UA Gi Allg. 103, fol. 228. Zu Holtzmann s. NDB 9 (1972), S. 562 (Albrecht Timm). 183 Vgl. Ludolf (von) Krehl an seine Frau 1.10.1914: »In einem Dorfe sprach mich auf einmal der Dr. Sonnenschein aus Heidelberg an; man muß die Leute, die mich in so großer Anzahl kennen, fast warnen, mich immer zuerst mit Herrn Geheimrat zu begrüßen, weil das gegen die Form ist.« (Krehl, Feldpostbriefe I, S. 41). 184 Robert Holtzmann/Hans Koeppe an die Professoren und Dozenten (wie A. 181).
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hätten ihn nie korrekt zitiert.185 Der Krieg als Fortsetzung einer wissenschaft lichen Fehde mit anderen Mitteln! Schon Ende des 19. Jahrhunderts hatte Lenard Auseinandersetzungen mit einem englischen Wissenschaftler gehabt – und kurz nach Kriegsbeginn, wie andere auch, seine britischen Auszeichnungen zurückgegeben. Bald schrieb er auch ein antienglisches Pamphlet. In seinem Unverständnis gegenüber der Theoretischen Physik sollte er dann die Experimentelle zu einer ›nordischen‹ Wissenschaft stilisieren und später schließlich einer der Verfechter der ›Deutschen Physik‹ werden.186 Eine ganze Reihe erst kürzlich Berufener verließ ihren neuen Wirkungsort für den Kriegsdienst. Ob ein Zusammenhang zwischen noch nicht erfolgter Integration und freiwilliger Meldung besteht, war nicht zu ermitteln. Wohl aber sticht neben Stählin, der noch nicht Wohnsitz in Straßburg genommen hatte, ein wesentlich herberer Fall hervor: Der 34jährige, aus der Provinz Posen stammende Kunsthistoriker Ernst Heidrich, Autor eines Werkes über Vlämische Malerei (1913), fiel Anfang November 1914 in Belgien. Ende des Sommersemesters als Nachfolger Karl Dehios aus Basel nach Straßburg berufen, konnte er seine Professur dort nicht mehr antreten.187 In einem Nachruf wurde es als Tragik, aber auch als Trost gedeutet, daß er in jenem Lande ruhe, dessen Kunst er sein letztes Buch gewidmet hatte.188 Sogar für den Kontakt über die Front hinweg findet sich im Erfahrungsschatz der drei Universitäten ein eindrückliches Beispiel, hier berichtet von Georg Simmel über den aus Belgien nach Straßburg zurückgekehrten und von dort an die Front eingerückten Germanisten Stadler: »Sagt Ihnen der Name Péguy etwas? Ein junger französischer Dichter, dessen Sachen jetzt als die tiefsten u. bedeutendsten gelten. Sie sind übersetzt von einem Straßburger Privatdozenten, Stadler, mit dem ich im Sommer verkehrte, einem höchst interessanten u. wesentlichen Menschen. Diese beiden lagen sich im Schützengraben gegenüber, auf 20 mtr. Entfernung. Stadler schickte einen Zettel hinüber, den Péguy wohl nicht lesen oder verstehen konnte; er antwortete: Mon ami, je ne vous comprends pas, mais je vous aime. U. nach einigen Tagen waren sie beide gefallen.«189
Leichter als diese gewissermaßen ›regulären‹ Soldaten hatten es Gelehrte, die bei Kriegsbeginn auf Forschungsreise in den »Schutzgebieten« waren und dann 185 Interview Francks (wie A. 135, 179): http://www.aip.org/history/ohilist/4609_2.html (Session II). 186 Biogr. Angaben nach NDB 14 (1985), S. 193–195 (Charlotte Schönbeck); ergänzend: http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/LenardPhilipp/index.html (25.11.2010). 187 Der Elsässer 482, 13.11.1914. 188 Friedrich Rintelen, Nachruf auf Ernst Heidrich, in: F. R., Reden und Aufsätze, Basel 1927, S. 192–205, hier 205 (zuerst in: Basler Nachrichten 47, 22.11.1914). Rintelen, ebenfalls Deutscher, war Heidrichs Nachfolger in Basel, zuvor Privatdozent in Berlin. 189 Simmel an Agathe und Hugo Liepmann 23.3.1915, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 506–508, hier 507.
364 Die Universitäten im Kriegseinsatz dort in Dienst genommen wurden. So wurde der Berliner Geograph Fritz J aeger, der im Auftrag des Reichskolonialamtes unterwegs war, durch den Krieg für fünf Jahre in Südwestafrika festgehalten.190 Zunächst wurde sein expeditionserfahrener jüngerer Begleiter, Anfang Oktober, als »im Schutzgebiet auch der unausgebildete Landsturm eingezogen wurde«, auch Jaeger selbst »als Soldaten eingezogen«. Die Ausbildung und die Felddienstübungen erweiterten seine Kenntnis des Landes, denn er kam in Gebiete, »die uns sonst fremd geblieben wären.« Schließlich machte er als »Heliographist und Meldereiter« auch ein Gefecht mit. »Nachdem [im Juli 1915] der Krieg im Schutzgebiet beendet und das Land von den Engländern [!] besetzt war,191 wurde uns von diesen nicht gestattet, unsere Expedition fortzusetzen und das Kakaofeld zu bereiten. Im übrigen Lande konnten wir meist ziemlich unbehindert reisen.« Und so verschaffte ihnen der fünfjährige Aufenthalt schließlich doch eine »gute Landeskenntnis«, bei der sie allerdings statt der unbesiedelten nun vor allem die besiedelten Gebiete kennenlernten und die »Erfahrungen der Ansässigen« bezüglich Wasser und Landwirtschaft sammelten und auswerteten. Am Ende waren sie mit der Beschreibung »möglichst viele[r] Landschaften« von der geplanten umfassenden Monographie nicht mehr weit entfernt.192 Ganz ähnlich erging es dem Gießener Ordinarius für Geologie und Mineralogie Erich Kaiser: Ende Juni abgereist und mit dem letzten Personendampfer aus Deutschland in Südwestafrika angekommen, mußte er seine kaum begonnenen Studien unterbrechen und als »Offizier in der Schutztruppe« Dienst leisten. Auch ihm ermöglichten zunächst die Aufenthalte an einzelnen Truppenstationen genaue Untersuchungen der Umgebung dieser Orte, später die Bedingungen der Übergabe der deutschen Kolonie an südafrikanische Truppen »eine Tätigkeit im Lande ohne grosse Schwierigkeiten.« Dabei wurde, 190 Er ist sowohl im Deutschen Universitätskalender enthalten als auch in AV FWU Berlin WS 1915/16, S. 35 bis WS 1917/18, S. 35 entsprechend markiert. Zur Biographie: NDB 10 (1974), S. 276 (Carl Troll). Zur verzögerten Nachricht vom Kriegsausbruch s. Fritz Jaeger/Leo Waibel, Beiträge zur Landeskunde von Südwestafrika, Berlin 1920, S. 5. 191 Den Angriff auf die deutsche Kolonie hatte die Südafrikanische Union auf britische Bitte hin unternommen (als britisches Dominion, das durch seine Verfassung ohnehin auf die britische Außenpolitik verpflichtet war). Nach dem Waffenstillstand übernahm Südafrika die Herrschaft über die deutsche Kolonie. 192 Jaeger/Waibel, Landeskunde von Südwestafrika, S. 1 f., 6, Zitate 5, 1, 7, 5, 2. Die Meldung über die Teilnahme am »dortigen Feldzug« auch in: Die FWU im Kriege 1914/1915, S. 31. Unmittelbar nach Kriegsende war die Heimreise nicht möglich, so daß Jaeger weitere Reisen im Land unternahm. Im Frühjahr 1919 wurde dann »eine große Zahl von Deutschen unter Kriegsrecht zwangsweise heimbefördert«, was ihm sehr gelegen kam (obwohl es einen Vertragsbruch darstellte) (S. 14). Bei der Übergabe des Schutzgebietes an die englische Besatzung war nur die »aktive Schutztruppe« interniert worden, während alle anderen Soldaten entlassen wurden und das Recht erhielten, bis zum endgültigen Friedensschluß ihrem Berufe frei nachzugehen (S. 7).
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nicht zuletzt um der »wirtschaftlichen Ausnutzung« seiner Forschungen willen, das (von Anfang an durch verschiedene Diamanten-Gesellschaften unterstützte) Programm wesentlich erweitert.193
Wissenschaftliche Früchte des Kriegseinsatzes Wie diese und natürlich auch die eingangs angeführten medizinischen Beispiele nahelegen, diente der Kriegseinsatz der Gelehrten nicht nur seinem eigentlichen, militärischen Zweck, sondern zeitigte auch Erträge für die Wissenschaft. Zugleich flossen manche Beobachtungen und Erkenntnisse der akademischen Beobachter ihrerseits aber wieder in die Kriegführung ein. Bei seinen vielen Lazarettbesuchen erkannte der chirurgische Konsultant Bier, daß die damals wegen Ledermangel aus Filz, Pappe und anderen Materialien hergestellten Ersatzhelme im Grabenkrieg die Soldaten nicht ausreichend vor schweren Kopfverletzungen schützten. Daher regte er gemeinsam mit einem Professor der Technischen Hochschule Hannover die Entwicklung eines Stahlhelms an, der tatsächlich 1916 eingeführt wurde.194 Der ehemalige Militärarzt, Leiter der III. Medizinischen Klinik der Berliner Universität und ordentliche Honorar professor Alfred Goldscheider stellte als Generalarzt und beratender Internist der 7. Armee »seine großen klinischen Gaben dem Heer zur Verfügung und veröffentlichte seine wertvollen Erfahrungen zum Nutzen der kranken Soldaten«. Er bearbeitete in dieser Zeit vor allem kriegsrelevante Fragen: Typhusdiagnose und -bekämpfung, Tetanus, Wolhynisches Fieber.195 Dafür, wie ein Gelehrter die Zeit im Heer zur Fortführung seiner früheren wissenschaftlichen Arbeit nutzen konnte, gibt der Berliner Internist Friedrich Kraus ein Beispiel, der 1914 bis 1917 Generalarzt der II. Armee in Frankreich war. Seine freien Stunden verbrachte er »mit der Lektüre wissenschaftlicher und philosophischer Werke, die
193 Erich Kaiser, Bericht über geologische Studien während des Krieges in Südwestafrika, Gießen 1920, S. 1–5, Zitate 1, 2 (zweimal). Zur Biographie: NDB 11 (1977), S. 35–36 (Richard Dehm). 194 G. Georig/J[ochen] Schulte am Esch, Zur Erinnerung an August Bier, in: AINS . Anästhe siologie Intensivmedizin Notfallmedizin Schmerztherapie 34 (1999), S. 463–474, hier 467 f. 1932 rief er zur Wahl Hitlers zum Reichspräsidenten auf, 1945 wurde ihm auf Veranlassung einer sowjetischen Militärärztin, die in den zwanziger Jahren in seiner Klinik gearbeitet hatte, sein Gut zurückgegeben und von sowjetischen Bewachern vor Plünderungen geschützt, Nahrung und medizinische Behandlung gewährt (S. 465, 473). 195 Status: Die FWU im Kriege 1914/15, S. 18 sowie 1916/17, S. 12; Zitat: [-] Unverricht, Al fred Goldscheider †, in: Klinische Wochenschrift 14 (1935), S. 663, zu der dort nur angedeuteten Entfernung aus dem Vorsitz der Berliner Medizinischen Gesellschaft als Jude 1933: http://www.berliner-medizinische-gesellschaft.org/Deutsch/BMedG_Geschichte. html (14.10.2010).
366 Die Universitäten im Kriegseinsatz er kistenweise bestellte. Zurück in Berlin, entstand – basierend auf gehaltenen Vorlesungen – Band I der ›Pathologie der Person‹.«196 Die Untersuchungsergebnisse und Erkenntnisse des Internisten und Konsultanten His (wie auch anderer Kollegen in dieser Position) flossen in die ärztliche Fortbildung und in die Wissenschaft ein: durch Vorträge bei Heimat aufenthalten und vor allem durch Publikationen.197 Im Generalgouvernement richtete His sich ein Labor ein, für das er seinen Berliner Assistenten und einen polnischen Zoologen als Mitarbeiter gewann. So konnte er sich, vor allem durch ihre Tätigkeit (während er selbst weiter fachärztlich beratend umherreiste) und die Gespräche mit ihnen, »in die gewohnte wissenschaftliche Arbeit (…) vertiefen«.198 Außerdem organisierte er 1916 den Deutschen Kongreß für Innere Medizin (der üblicherweise in Wiesbaden stattfand) im besetzten Warschau. Dort sollten nur Berichte über »Kriegskrankheiten« erstattet und diskutiert werden. Ausländische Mitglieder der Gesellschaft, auch Schweizer, wurden jedoch »ins besetzte Gebiet naturgemäß nicht zugelassen«. Die perfekte Organisation des Empfangs kontrollierte His »mit der Stoppuhr«: »So konnten 400 Mann eines Sonderzugs in 21 Minuten mit allem versorgt werden.« Die 1000 Teilnehmer wurden von »hundert Krankenpflegern und Genesenden« am Bahnhof in Empfang genommen und betreut, die Verpflegung durch Sonderzuteilungen gesichert, am Ende stand ein »fröhlicher Kommers«. Viele Teilnehmer, die die Heimat nie verlassen hatten, nutzten den Kongreß auch zu touristischen Z wecken199 – wobei sie allerdings in dem »von den weichenden russischen Truppen barbarisch verwüstete[n] Land« mit dem, was die Stadt unter diesen Bedingungen zu bieten hatte, vorlieb nehmen mußten: »Nicht zum Geniessen, zum Arbeiten sind wir zusammengekommen«, betonte His in seiner Eröffnungsrede.200 Zunächst bescheinigte er sich und den Kollegen »mit stolzer Befriedigung«, daß sie die »Probe auf unser Wissen und Können« bestanden hätten; denn trotz des Bewegungskrieges seien Infektionen und Krankheiten im Vergleich 196 Martin Lindner, Die Pathologie der Person. Friedrich Kraus’ Neubestimmung des Organismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Berlin 1999, S. 20. 197 His, Front der Ärzte, S. 81 (Informationsaustausch der Militärärzte in Warschau und Weitergabe in Berlin). 198 His, Front der Ärzte, S. 96. 199 His, Front der Ärzte, 97–101. Zum Tourismus: »Mit lebhafter Teilnahme durchfuhren sie die vielgenannten Schlachtfelder von Lodz und Lowitz, bewunderten die Bauten und Kunstsammlungen Warschaus und besuchten eifrig die großartigen sanitären An stalten, Soldatenheime und was sonst die Gesundheitsfürsorge in diesem gefährdeten Gebiet Mustergültiges geschaffen hatte.« (S. 100 f.) 200 Abgedruckt in: W[ilhelm] His/W[ilhelm] Weintraud (Hg.), Kriegsseuchen und Kriegskrankheiten. Verhandlungen der außerordentlichen Tagung des Deutschen Kongresses für Innere Medizin in Warschau am 1. und 2. Mai 1916, Wiesbaden 1916, S. 8–14, Zitate 14.
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zu früheren »Seuchenverheerungen« gering geblieben, so daß die »Schlag fertigkeit« keines Truppenteils gefährdet worden sei und die Heimat »völlig« habe geschützt werden können.201 Abweichend vom üblichen Procedere des Kongresses, verzichtete His darauf, sein »wissenschaftliches Glaubensbekenntnis« abzulegen und resümierte statt dessen die vom Krieg aufgeworfenen neuen Fragen; denn dieser stelle »von alters her« »einen gesundheitlichen Massenversuch« dar. Der dadurch bewirkte Perspektivwechsel von der Betrachtung des Erregers hin zur »Frage nach der Empfänglichkeit des Einzelmenschen« versprach eine Erweiterung und Vertiefung des praktischen Wissens.202 Insofern, das war zunächst nur impliziert, war die Kriegserfahrung nützlich für die Entwicklung der Medizin. Schon wenig später hieß es in derselben Rede dann explizit, daß der Krieg ein »Heilmittel gegen Kulturschäden« sei, wie »so grundverschiedene Denker wie Jakob Burckhardt und Hellmuth von Moltke übereinstimmend« erkannt hätten. (Damit führte His seine Gedanken über den Zusammenhang von »Überkultur«, Degeneration und Nervosität weiter, für deren Therapie er 1908 den Krieg zwar nicht »als Heilmittel« herbeigewünscht, aber doch einen »Krieg im Frieden« und den »Heeresdienst« als »wahre Gesundschule« empfohlen hatte.203) Jetzt diente der Krieg als Beweis, daß »unser Volk« – der eingebürgerte Schweizer identifizierte sich also mit den Deutschen – nicht der »Entartung, der Erschlaffung anheimgefallen« sei, obwohl »ein Teil Unentwickelter oder Minderwertiger frühzeitig zusammengebrochen« sei. Der Großteil aber habe durchgehalten – und manche im Frieden Anfäl ligen und Besorgten hätten im Felde »Kraft und Ausdauer« verspürt.204 His hatte sich aber nicht nur national integriert – auch die militaristische Deutung sozialer Verhältnisse hatte er sich zu eigen gemacht. Die Kriegsseuchen waren »besiegt[e]« »Feinde«, die mit den Ärzten einen »Separatfrieden« geschlossen hatten. Und die Heil- und Pflegeberufe selbst wurden (nicht nur für die militärpflichtigen Männer) zu militärischen Tätigkeiten umgedeutet: »Hinter unseren Truppen mit ihrem unzerstörbaren Offensivgeist steht eine Defensivarmee von Ärzten, Krankenpflegern und Schwestern.«205 So flossen die Beobachtungen nicht nur in die wissenschaftliche Analyse ein, sondern bestätigten oder transformierten zugleich auch die Deutung des Zeitgeschehens.206
201 Eröffnungsrede (wie Anm. 200), S. 8 f. 202 Eröffnungsrede (wie Anm. 200), S. 10 f. 203 Zu seinem Vortrag von 1908 über »Medizin und Überkultur«, aus dem diese Zitate stammen, s. Eckart, Medizin und Krieg, S. 29–32 (Zitate 30). Den Warschauer Kongreß behandelt Eckart nicht. 204 Eröffnungsrede (wie Anm. 200), S. 11. 205 Eröffnungsrede (wie Anm. 200), S. 9. 206 S. dazu als weiteres Beispiel die Ausführungen des Gießener Gynäkologen Opitz unten in Kap. III .7.
368 Die Universitäten im Kriegseinsatz Aber nicht nur Mediziner, sondern auch andere im Heer dienende Gelehrte konnten verschiedentlich ihre akademischen Beschäftigungen zusammen »mit den nächsten Dienstpflichten« pflegen: in eigener Lektüre, durch Kurse, die sie gelegentlich für die Truppen hielten, aber auch durch Ausgrabungen, die z. B. ein Straßburger Professor im Westen »auf altem Forschungsgebiet (…) in Angriff nahm«.207 Ein Gießener Kunsthistoriker erschloß sich gar ein neues Arbeitsgebiet: Der Extraordinarius Christian Rauch, der als Krankenpfleger einberufen war, wirkte zunächst als Stationsaufseher und Dolmetscher in Gießen, ab Februar 1915 war er dann als Zugführer der freiwilligen Krankenpflege dem Kriegslazarett Douai zugeteilt. Doch im Mai 1917 wurde er »zugleich« kommissarischer Leiter des dortigen Provinzialmuseums. Daraus entstand seine Publikation Aus Städten und Schlössern Nordfrankreichs, die in der Korpsbuchhandlung des XIV. Reservekorps erschien. Später, als er Delegierter des Kaiserlichen Kommissars der freiwilligen Krankenpflege für die 4. Armee und das Marinekorps in Gent, Brügge, Ostende und Seebrügge wurde, eröffnete ihm »die Inventarisation der Denkmäler von Ostflandern (…) einen neuen Arbeits bereich.«208 Roethe befaßte sich als mobiler Kommandant, zunächst eines »kleinen apfelreichen französischen Bahnhofs« in der Champagne, mit Goethes Campagne in Frankreich (in der jener dreißig Jahre nach der Erfahrung in tage buchartigem Stil über seine Teilnahme an den Kriegen gegen das revolutionäre Frankreich berichtete). Als die französische Herbstoffensive 1915 dem kleinen Bahnhof mit den »schönen schattigen Bäumen so arg einheizte, da hat mich Goethes unbeteiligte Kühle geradezu verletzt.« Seine 1918 vollendete und in Druck gegebene »philologische Untersuchung aus dem Weltkriege« widmete Roethe seinen gefallenen Neffen und Schülern, »denen das hohe Glück beschieden war (….) den schönen Tod für König und Vaterland zu sterben.«209 Max Born versuchte zwar in den ersten beiden Jahren bei den Funkern bzw. der Artillerie-Prüfkommission, abends zuhause noch wissenschaftlich zu arbeiten, doch konnte er sich nur durch Vorträge in der Physikalischen Gesellschaft und bei Kolloquien auf dem laufenden halten. 1917 schrieb er an einen Kollegen: »Da ich aber Soldat bin, habe ich keine Zeit zu publizieren.« Immerhin nutzte er schließlich die Zeit in der Kommission auch für eigene Arbeiten mit seinen Schülern. Dies wurde deutlich, als James Franck und ein anderer Physikerkollege eines Morgens unangemeldet ins Dienstzimmer kamen und dort ganz außerdienstliche Auswertungen auf dem Tisch lagen. »Die Physik muß 207 Alles nach Ficker, Bericht II (1915/16), S. 6. 208 Otmar Kerber, Die Kunstgeschichte an der Universität Gießen, in: Ludwigs-Universität 1607–1957, S. 253–266, hier 263. Kerber wertet die Publikation als »ein Zeugnis un voreingenommener, kulturgeschichtlicher Arbeit im Krieg«. 209 Gustav Roethe, Goethes Campagne in Frankreich 1792. Eine philologische Unter suchung aus dem Weltkriege, Berlin 1919, Zitate S. V (Vorwort), 1 f. und III (Widmung).
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nicht für den Krieg arbeiten, sondern man muß den Krieg für die Physik arbeiten lassen.«210 Einen außergewöhnlichen Sprung nach vorn machte Habers Karriere: Sein Institut, das vor dem Krieg fünf Wissenschaftler gehabt hatte, expandierte im Lauf des Krieges auf 150 – und auf 1500 Mitarbeiter insgesamt.211 Dabei scheint ihn nicht in erster Linie die vernichtende Wirkung des Giftgases (und schon gar nicht die nach dem Krieg von ihm betonte angeblich humanere Todesart) motiviert zu haben, sondern die »offensichtliche Faszination, die taktisches Denken und die Möglichkeiten der neuen Kriegstechnik« auf ihn ausübten. Es fesselte ihn, »mit der ihm eigenen ›naturwissenschaftlichen Phantasie‹ Probleme der Kriegführung ›vorauszusehen und auf die Abhilfe zu verfallen, die der Stand der Technik möglich machte.‹ Die traditionelle Kriegstechnik (…) verglich er daher mit einem ›einfachen Damespiel‹: ›Durch die Gaskampfstoffe und ihre Abwehr wird‹ sie [!] zum Schach.‹« Zweifel moralischer oder völkerrechtlicher Art scheint er nicht gekannt zu haben.212 Zugleich entwickelte sich hier eine wachsende Verflechtung von Wissenschaft und Heeresverwaltung,213 die dem schon vor dem Krieg konstatierten »Zusammenklang von ›Waffen und Wissenschaft‹« (Delbrück) gewissermaßen eine institutionelle Grundlage gab. Ab 1916 entfaltete Haber auch eigene Vorstellungen und Initiativen, um den »Zusammenhang (….) zwischen dem Offizier und dem Naturwissenschaftler und Techniker« zum »befruchtenden Ideenaustausch« zu intensivieren.214
Zur ›Rangordnung‹ der verschiedenen Einsatzbereiche An den mitgeteilten Äußerungen verschiedener Fachvertreter – vom Gräzisten Friedländer bis zu herausragenden Naturwissenschaftlern wie Otto Heinrich Warburg oder Max Born (der noch im späten Rückblick die früheren militä rischen Verwendungen hervorhebt) – fällt vor allem die überragende Bedeutung des Militärischen auf, nicht nur vor dem krankenpflegerischen oder medizinischen Einsatz, sondern auch vor dem kriegstechnisch wichtigen wissenschaft lichen. Damals zögerte dem Germanisten Gustav Roethe zufolge niemand, »auch die bescheidenste Kriegs- und Heeresleistung der Erfüllung des gewohnten Friedensberufs überzuordnen,« und das erkannte sogar ein Mediziner an,
210 Das Zitat stammt aus einem 1970 mit Walter Gerlach geführten Interview. Bei Greenspan, Born, S. 84 ist allerdings nicht klar, ob dies Gerlachs Zusammenfassung der Situation wiedergibt oder eine Aussage Borns. 211 Szöllösi-Janze, Fritz Haber, S. 263. 212 Szöllösi-Janze, Fritz Haber, S. 326 f., Zitat 327. 213 Szöllösi-Janze, Fritz Haber, S. 337. 214 Szöllösi-Janze, Fritz Haber, S. 358 f. (mit Zitaten Habers).
370 Die Universitäten im Kriegseinsatz der damit vielleicht sogar innerhalb der so wichtigen Verwundetenversorgung Abstufungen zwischen Lazaretten in der Heimat und »draußen« machte.215 Solche Einschätzungen der militärischen Leistungen nötigten dann andere, wie etwa den Direktor der Gießener Frauenklinik Opitz, zur Rechtfertigung: »Kriegerische [?] Erlebnisse, über die ich besonders berichten könnte, habe ich nicht gehabt. Freilich habe ich aber viel vom Krieg gesehen, bin in unseren Artillerie- Stellungen gewesen, habe eine grosse Zahl Verwundeter gesehen u. gesprochen aber doch selbst nicht an Kämpfen teilgenommen.«216
Dabei könnte man ja durchaus fragen, ob der Einsatz eines Gynäkologen beim Festungsbau (und erst nach seiner Verwundung als Arzt!) die vorhandenen Kräfte wirklich sinnvoll und effektiv nutzte. Die Verbindung solcher Überlegungen mit dem Wunsch einer Rückkehr ermöglichte diese manchem ohne Gesichtsverlust. So schrieb etwa der Berliner Chemiker Wilhelm Will im November 1914 an seine Tochter: »Es ist möglich, daß ich dort noch nützlichere Verwendung finden kann im Hinblick darauf, daß solche Tätigkeit für meine 60 Jahre und meine Erfahrung geeigneter ist als der Felddienst. Freilich möchte ich die Zeit, die seit Kriegsbeginn hinter mir liegt, nicht missen. Es war doch eine große Zeit und wert durchlebt zu werden. Daß mir vergönnt war, hier mitgewirkt zu haben, ist mir ein unersetzliches Glück, und, wenns sein muß, halte ich auch noch weiter aus. Kann ich aber dort gebraucht werden, so bin ich auch dazu gern bereit und im Hinblick darauf, Euch wieder zu sehen, kann ich es mir wünschen.«217
Reklamierung und Unabkömmlichkeit von Universitätsangehörigen Die Anstrengungen von Wills Kampfeinsatz stehen Seite an Seite mit dem »Glück« dieser Erfahrung, dem Wunsch, zur Familie zurückzukehren und dem nur angedeuteten Bewußtsein, daß seine Expertise vielleicht an anderer Stelle besser genutzt werden könnte als im körperlichen Kampfeinsatz. Noch im selben Monat wurde Will auf Veranlassung seines Kollegen zurückgeholt und widmete seine Kräfte dann ganz der Artillerie-Prüfkommission. Der Unterarzt Grotjahn machte schon bald vom Angebot des Ordinarius Carl Flügge, ihn für das Hygienische Institut zu reklamieren, Gebrauch; denn auch wenn ihm der fehlende Offiziersstatus persönlich gleichgültig gewesen wäre, hätte dies 215 So Roethe am 28.1.1915 (also noch vor Antritt seines eigenen Heeresdienstes) in seiner Rede als Vorsitzender Sekretar der Preußischen Akademie der Wissenschaften (Sitzungsberichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften 1915, 28.1.1915, S. 39–79, hier 41). S. das Zitat His’ o. S. 339. 216 [Erich] Opitz an Rektor Gi 21.2.1915: UA Gi Allg. 103, fol. 127 f. 217 Zitiert bei Lepsius, Will, S. 262.
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doch merkliche finanzielle Einbußen bedeutet – was für die Versorgung seiner Familie von Belang war. Und so kehrte er schon nach einem Monat nach Berlin zurück.218 Weniger Glück hatte der Gießener Gynäkologe und Reserveoffizier Opitz, der, wie er dem Rektor »privat und rein persönlich« anvertraute, ja erst nach seinem Sturz vom Pferd wegen der langen Felddienstuntauglichkeit auf eigenen Wunsch Sanitätsoffizier geworden sei: »Nun bin ich aber entsprechend meinem Offiziersrange nur als Oberarzt, nicht mal als Stabsarzt eingestellt worden und zwar, wie ich erst kürzlich erfuhr, weil man mir übel vermerkt hat, dass mir wohl der Sanitätsoffiziersstand früher nicht gut genug erschienen wäre.«
Aufgrund dieses Ranges hatte er nur Leichtverwundete und Leichtkranke zu behandeln – was auch jeder Unterarzt leisten könne. Da könne er doch »zu Hause Besseres fürs Vaterland leisten«; denn in der Frauenklinik liege, wie ihm zugetragen worden sei, manches im argen. Dafür gab er dem Rektor noch den Tip, sich evtl. bei der Oberschwester (nicht dem Oberarzt, dem er die Leitung anvertraut hatte!!) zu erkundigen. Zur Unterstützung seiner Bitte fügte er noch Hinweise auf erfolgreich reklamierte Medizinprofessoren in Freiburg und Greifswald an. Da sein Hauptmotiv offenkundig die in seinen Augen in doppelter Hinsicht nichtadäquate Position war (als Sanitäts- statt als kämpfender Reserveoffizier und dann noch als Ober- statt als Stabsarzt), also ein persönliches Gravamen, beteuerte er allerdings: »Es handelt sich für mich nicht um persönliche Interessen, die haben jetzt zu schweigen.« Vielmehr machte er das Wohl der Patientinnen geltend219 – zunächst aber offenbar vergeblich; denn erst mit dem Ende seiner Militärpflicht wurde er aus dem Dienst entlassen.220 Die Eltern des Berliner Chemikers Otto Warburg hatten bei verschiedenen Heimaturlauben vergeblich versucht, ihren Sohn zu überreden, einer Rekla mation zuzustimmen. Dann gelang dies aber, indem seine Mutter Einstein um die Überzeugungsarbeit bat. Nachdem dies erreicht war, wandte sich der Vater, Leiter der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt und selbst ehemaliger Professor der Berliner Universität, an den Kultusminister. Sein Sohn wolle »um seiner Zukunft halber nach Hause« zurückkehren und »zu Lehrzwecken reklamiert werden«. Auch der Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Biologie, wo Warburg jun. Abteilungsleiter war, befürwortete dies, als der Minister bei ihm nachfragte, und betonte neben der Lehre das Interesse des Instituts 218 Grotjahn, Erlebtes und Erstrebtes, S. 161. 219 Als Privatbrief findet sich das Schreiben an den Rektor auch nicht in den Akten der Universität, sondern in dessen Nachlaß: Opitz an Rektor [Sommer] 11.6.1915 [aus Cortemarck, Westflandern]: UB Gießen/Hss. Abt. NL Sommer Bd. 65, fol. 608–611. 220 Siehe o. A. 48.
372 Die Universitäten im Kriegseinsatz und der Volksernährung (weil Warburg durch seine Versuche neue ausgiebige Nährstoffquellen erschließen könne). Im August 1918 erhielt er zunächst drei Wochen Heimaturlaub und wurde kurz vor dessen Ablauf vom Kriegsministerium (auf Antrag des KWI) als »nicht kv« (kriegsverwendungsfähig) angefordert und in einen sogenannten Heimattruppenteil versetzt. Dadurch wurde es ihm ermöglicht, seine wissenschaftliche Arbeit fortzusetzen.221 Darauf, daß die Reklamierung von wissenschaftlich-technischen Spezialisten relativ leicht gelang, deuten auch die Erfolge anderer Hochschulen hin.222 Dabei scheint im Falle Warburg der prominente Vater das preußische Verfahren etwas variiert zu haben. Üblicherweise richtete die Fakultät das Gesuch um Reklamierung ihrer Angehörigen an den Kultusminister, und dieser leitete es dann zur Entscheidung an das Kriegsministerium weiter.223 Die Straßburger Universität reklamierte offenbar zunächst die am wenigsten zum Einsatz Geeigneten, also die militärisch nicht ausgebildeten Landsturm pflichtigen, und verfuhr dann ebenso mit den Untauglichen, als der Bedarf 1915 wuchs und diese daher einer neuen Musterung unterzogen wurden.224 Auch der Kurator befürwortete dieses Verfahren, denn er hielt es »zur Durchführung eines wenn auch eingeschränkten Lehrbetriebs« für notwendig.225 Die Regierung von Elsaß-Lothringen unterstützte diese Bemühungen ebenfalls. Im Juli 1916 teilte sie dem Kurator mit, daß eine Einziehung der in den Unabkömmlichkeitslisten aufgeführten 1876 und früher geborenen Beamten bis Ende März 1917 nicht erfolgen werde. Und sofern dies in Einzelfällen doch geschehen sollte, möge die Universität dies sofort melden.226 Die Unabkömmlichkeit war aber auch gegeben, wenn jemand der einzige Vertreter seines Faches war: So wurde der Inhaber des Berliner Extraordina riats für Christliche Archäologie und Kirchliche Kunst Georg Stuhlfauth zweimal zurückgestellt. Dabei wurde das erste Mal noch hinzugefügt, daß andernfalls auch die Sammlungen und Bibliothek ohne Verwalter seien. Beim zweiten Mal nahm er eine Vertretung des Faches in Kiel wahr.227 Und danach hatte er
221 Werner, Warburg, S. 146–152. Die Briefe findet man in Werner (Hg.), Genie, S. 120–125, Zitat 122. 222 Zur Unabkömmlichkeitserklärung wichtiger Lehrstuhlinhaber der TH Braunschweig s. Bettina Gundler, Technische Bildung, Hochschule, Staat und Wirtschaft. Entwicklungslinien des Technischen Hochschulwesens 1914–1930. Das Beispiel der TH Braunschweig, Hildesheim 1991, S. 130. 223 Wettmann, Heimatfront Universität, S. 119. 224 S. die entsprechende Bitte des Rektors auf dem am 17.9.1915 weitergeleiteten Gesuch des PD Hans Naumann vom 15.11.(!!)1915 (recte 15.9., da Eingangsstempel 15.9.1915): ADBR 103 AL 190. 225 Kurator an Ministerialabt. des Innern 23.9.1915: ADBR 103 AL 190. 226 Min. für E-L an Kurator Strb. 22.7.1916: ADBR 103 AL 190. 227 Georg Stuhlfauth 21.4.1916: UA HU Theol. Fak. 186, fol. 50.
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das dienstpflichtige Alter hinter sich.228 Analog verfuhr man in Straßburg, wo der Ordinarius für Kunstgeschichte Dehio »wg. Kränklichkeit emeritiert« worden, sein schon berufener Nachfolger Heidrich aber noch vor Dienstantritt gefallen und von den zwei Privatdozenten der eine nun an eine andere Hochschule berufen war, der andere aber im Feld stand. So blieb als einzige Möglichkeit, die Lehre aufrechtzuerhalten, der Honorarprofessor, der im österreichischen Militärdienst stand. Eine Neubesetzung ließ sich damals »nicht ermöglichen«. Daher war auch das Kunstgeschichtliche Institut »allmälig (!) während des Krieges in einen Zustand geraten, der seine Benutzung fast unmöglich macht«. Deshalb wandte sich der Kurator über das Auswärtige Amt in Berlin im November 1916 an das zuständige österreichische Ministerium für Landesverteidigung und erreichte so, daß Ernst Polaczek zunächst für vier, dann immer wieder für drei bis sechs Monate, von seinem Dienst als Landsturmleutnant in einem Ersatzbataillon enthoben wurde.229 – Neben der Reklamierung auf Dauer gab es aber auch eine Reihe kurzfristiger – sei es, um Examina abzuhalten, den Instituts betrieb zu regeln oder evtl. auch ein Institut neu einzurichten.230 Außer den eigentlichen Hochschullehrern wurden auch Assistenten immer wieder (und mit Erfolg) reklamiert. Dabei ging es nicht nur um die Lehre (also das Anliegen der Universität), sondern auch den Bedarf der Gesellschaft. Dies machte etwa der Straßburger Kurator geltend, als er drei kriegsverwendungs fähige Assistenten trotz Anforderung auch weiterhin in der Universität zurückbehalten wollte; denn die beiden »spezialistisch ausgebildeten Assistenten« der »für die Bevölkerung hochwichtigen Frauenklinik« wurden für Operationen und Geburtshilfe »unbedingt benötigt«. (In normalen Zeiten standen dem Klinikdirektor vier Assistenten und außerdem einige Hilfsassistenten zur Ver fügung.) Dabei scheuten die Straßburger auch nicht davor zurück, die Reklamationen »direkt dem Feldsanitätschef« einzureichen; denn dann hatten sie »den besten Erfolg«.231 Und der einzige wissenschaftliche Mitarbeiter der Meteo
228 Biogr. Angaben des 1870 Geborenen: http://www.sammlungen.hu-berlin.de/dokumente/ 43581/ (22.2.2011). 229 Siehe u. S. 915. 230 Als Beispiel für die Regelung der Angelegenheiten des Musikwissenschaftlichen Seminars s. die Bitte, von der Universität aus einen 10tägigen Urlaub für ihn zu beantragen: ao. Prof. [Friedrich] Ludwig an Rektor Strb. 2.1.1915 (aus Belgien): ADBR 103 AL 563. Als Beispiel für die Einrichtung eines Instituts s. die Erläuterungen Paul Friedländers an Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff 3.6.1916: Er war dazu bereit, konnte aber keinen Urlaub dafür beantragen (da er erst im März Urlaub gehabt hatte). Es folgen Erläuterungen über den »langwierigen Weg« eines solchen Antrags (Calder/Huss [Hg.], The Wilamowitz in me, S. 89–91, hier 90 f.). 231 R[udolf] Beneke, Bericht über den III . medizinischen Fakultätentag in Halle a./S. (11. April 1917), o. O. o. J. (Als Ms. gedruckt), S. 15 (Diskussionsbeitrag des Straßburger Pädiaters Bruno Salge).
374 Die Universitäten im Kriegseinsatz rologischen Landesanstalt schien, da auch für den »landwirtschaftlichen Wetterdienst« zuständig, ebenfalls unentbehrlich.232 Der Direktor der Gießener Psychiatrischen Klinik stellte gleich zu Kriegs beginn einen Antrag, ihn selbst (als Klinikleiter und künftigen Rektor) sowie bestimmte Ärzte, Diener, einen Verwalter etc. für unabkömmlich zu erklären, da anders der Klinikbetrieb nicht aufrechtzuerhalten sei. Dies liege im öffent lichen Interesse (und so scheute er sich nicht, die einzelnen je nach Anlaß geradezu gegensätzlich zu klassifizieren und auch einmal einen zu ›übersehen‹).233 Zugleich bot er an, »nervös und geisteskrank gewordene Mannschaften« des XVIII. Armeekorps in seine Klinik aufzunehmen.234 Zwar war Sommer selbst schon 50 Jahre alt, hatte aber im Großherzogtum Hessen offenkundig eine ähnliche Erklärung unterschreiben müssen, wie sie für die Mediziner in Preußen üblich war.235 Mit dem so lange andauernden Krieg und der Notwendigkeit, die Verluste zu kompensieren, fanden jedoch immer wieder Neueinstufungen statt, die die Verwendung in anderer Funktion (etwa statt des Garnisonsdienstes) oder in einem anderen Bereich (also in der Etappe oder im Feld statt in der Heimat) ergaben. Aber immer noch beriefen die Militärbehörden Universitätsangehörige in militärische Stellen (etwa als Garnisonspfarrer) ein, die ihnen gleichzeitig die Fortführung ihrer Lehrtätigkeit gestatteten. Und dies ermöglichte es dann wiederum der Universität, frühere Reklamierungen zurückzuziehen.236 Auf diese Weise konnten beide Seiten – Militär und Universität – ihre Interessen zur Geltung und zu einem gewissen Ausgleich bringen. Auch wenn jemand bei den wiederholten Neumusterungen schließlich garnisons- oder feldtauglich erklärt wurde, konnte er darauf hoffen, daß die Universität ihn reklamierte. Mit Erfolg tat das die Straßburger Philosophische Fakul232 Kurator Strb. an Staatssekr. 17.7.1916: ADBR 103 AL 190. 233 So bat er darum, den Oberarzt Berliner als »einzigen [?] deutschen Assistenzarzt« freizustellen, weil Regensburg als russischer Staatsangehöriger »in wesentlichen Punkten weg(falle)«. Diese Argumentation leuchtet nicht ein: Da Sommer als Eingezogene nur den Assistenzarzt Matthias Heinrich Göring und den als Assistenzarzt an die Universität kommandierten Stabsarzt Karl Long nennt, wäre außer Berliner noch Dr. Ludwig Alefeld im Dienst gewesen, über den zwar nichts Näheres ermittelt werden konnte, dessen Name aber auf eine alte Gießener Familie (also einen Deutschen) hindeutet. Zwei Vorfahren waren (im 17. und 18. Jahrhundert) Professoren der Universität. Alefeld wird auch in allen weiteren Semestern bis zum Ende des Krieges als Assistenzarzt mit Wohnung in der Klinik geführt, nicht als »im Heere«. Ob Sommer ihn absichtlich ›vergaß‹, um die Chancen auf Unabkömmlichkeit für Berliner zu erhöhen? Zur anderen Einschätzung Joseph Regensburgs durch denselben Sommer s. u. S. 752 f. 234 Klinik für psychische und nervöse Krankheiten 2.8.1914: UA Gi Allg. 107, fol. 7–8. (Hier ging es, dem Nachweis der bereits Eingerückten zufolge, tatsächlich um eine Minimalausstattung.) 235 S. dazu Erwin Schliephake, Robert Sommer, in: G/M/P II, S. 895–905. 236 S. als Beispiel Kurator Strb. an Ministerialabt. des Innern 8.12.1917: ADBR 103 AL 190.
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tät zunächst für den elsässischen Privatdozenten und Landeshistoriker Friedrich Kiener 1916, doch im Mai 1917 wurde er schließlich eingezogen. Weitere Reklamierungsbemühungen verliefen zumindest aus seiner Sicht schleppend – erst im Juli wurde er wieder aus der Armee entlassen. Den Germanisten Hans Naumann konnte die Fakultät, trotz ihrer Versuche, überhaupt nicht vor der Einberufung bewahren. Im Wintersemester 1916/17 und Sommer 1917 war er Armierungssoldat, im Winter 1917/18 und im Sommer 1918 als Gefreiter Schriftleiter einer Feldzeitung.237 Im übrigen führten diese Bestrebungen natürlich auch zu wechselnden Verwendungen. So wurde der Berliner Privatdozent der Theologie Leopold Zscharnack, als er als nur garnisonsdienstfähig galt, seitens des Evangelischen Bundes reklamiert, weil in dessen Presse- und Auskunftsabteilung großer Personalmangel herrschte. Als er später wieder felddiensttauglich war, stellte er sich als Militärseelsorger zur Verfügung und wurde zum Etappen- und Lazarettpfarrer in Zabern (im Elsaß) ernannt.238 Im Winter 1915/16 stand er also im Heeresdienst, im Sommer 1916 war er davon befreit, von Winter 1916/17 an aber erneut im Dienst.239 Andererseits konnte ein neuberufener Anglist mit dem Hinweis, daß er ein seit längerer Zeit verwaistes Fach vertrete, das zur Vollständigkeit des Lehrplans und als Prüfungsfach unumgänglich notwendig sei, noch im Frühjahr 1918 zurückgestellt werden, wenn auch befristet und auf Widerruf.240
Organisatorische Regelungen und finanzielle Verhältnisse während des Kriegsdienstes Professoren, die als Soldaten in den Krieg zogen, meldeten sich beim Rektor ab, Direktoren von Universitätskliniken regelten außerdem deren Leitung für die Zeit ihrer Abwesenheit (inklusive Erläuterungen für den Rektor, was zu tun sei, falls auch der Vertreter eingezogen werden sollte).241 Man trug sogar Sorge für die Nachsendung von Dienstpost. So bat z. B. der Gießener Altphilologe R udolph Herzog, Schriftstücke der Universität weiterhin an seine Privat237 Zu den Versuchen s. die Fakultätsprot. 11.11.1916 und 25.11.1916: ADBR 103 AL 120. Zu Kieners Einberufung 1917: Vermerk des Rektors vom 25.4.1917 auf: Stellv. GK an Rektor Strb. 21.4.1917: ADBR 103 AL 194. Zu den weiteren Reklamationsbemühungen: Fakultätsprot. 22.2.1917 (ADBR 103 AL 120); F. Kiener an Sekretär der Univ. 28. Mai [1917] und Kurator an Dekan 27.7.1917: ADBR 103 AL 190. Angaben zur Verwendung Naumanns in: PV KWU Strb. WS 1916/17, S. 8; SS 1917, S. 18; WS 1917/18, S. 8; SS 1918, S. 8. 238 Leopold Zscharnack an Theol. Fak. 22.4.1916 und 20.9.1916: UA HU 186, fol. 46–47 bzw. 53. 239 AV FWU Berlin für die genannten Semester. 240 Kurator Strb. an Ksl. Bezirkskommando 20.2.1918; Entscheidung: Stellv. GK an Ksl. Min. für E-L 9.3.1918: ADBR 103 AL 190 (Rückstellung bis 30.6.1918). 241 Gh. Direktion der Univ.-Frauenklinik [Erich] Opitz an Rektor 2.8.1914: UA Gi Allg. 103, fol. 261.
376 Die Universitäten im Kriegseinsatz adresse zu senden – damals erledigten das ja im allgemeinen Boten der Universität, die den Professoren auch Zirkulare in die Wohnung brachten und sie dort später wieder abholten. Seine Frau sollte diese Post öffnen und (gegebenenfalls zusammen mit Herzogs noch vor Ort befindlichen Kollegen) über die Weiterleitung entscheiden. Für dringende Fälle wollte Herzog dem Rektor baldmöglichst seine Armeeadresse mitteilen. Seine Frau hatte damals bereits eine Vollmacht für sein Bankkonto.242 Daß sich dies keinesfalls von selbst verstand, wird aus dem Merkblatt über die Dienstbezüge der einrückenden Beamten und dem beigelegten Formular deutlich, das – wie Herzogs Meldung – vom zweiten Kriegstag datierte. Dort wurden die Beamten aufgefordert, Angehörigen oder anderen nahestehenden Personen möglichst eine »Generalvollmacht« zu erteilen: »Die Vollmacht kann auch Frauen (insbesondere Ehefrauen) erteilt werden.«243 Die Besoldung der im Heeresdienst stehenden Hochschullehrer war reichsrechtlich geregelt. Einberufene Beamte behielten nicht nur ihre Stelle, auch ihre Dienstbezüge wurden ungekürzt weitergezahlt. Nur die Besoldung der Offiziere und oberen Beamten der Militärverwaltung wurde zu 7/10 auf das Zivileinkommen angerechnet, dieses also entsprechend gekürzt.244 Bei einer ganzen Reihe von Professoren, insbesondere bei Ärzten, war die militärische Besoldung höher als das Zivilgehalt. (Andererseits verloren jene, die nicht vor Ort in Lazaretten dienten, aber möglicherweise Einkünfte aus Privatpraxis.) Je nachdem, wie hoch die Differenz zu dem damals ja individuell ausgehandelten Gehalt war, blieb von letzterem dann evtl. gar nichts auszuzahlen. Doch war das Einkommen trotzdem höher als in Friedenszeiten – ein sehr schlecht besoldeter Extraordinarius bezog nun sogar das Doppelte. Jedenfalls konnten Nichtmediziner für ihren Kriegsdienst quasi mit einer ›Zulage‹ rechnen.245 Das war für ihre Familien gerade angesichts der Inflation und der nicht steigenden Dienstgehälter durchaus von Bedeutung. 242 Rudolf Herzog an Rektor 2.8.1914: UA Gi 103, fol. 262. Abmeldungen des Juristen Mittermaier am 5.9.1914 bzw. des Chirurgen Pfeiffer 17.9.1914 s. fol. 256 bzw. 255. 243 Und dafür mußten sie keine Stempelgebühr entrichten! Die Dienstbezüge der Staatsbeamten und der im Staatsdienst ständig verwendeten Bediensteten während der Mobilmachung 2.8.1914: UA Gi Allg. 107, fol. 4. 244 Wie A. 243. Außerdem: ZBUPr 1914, S. 556–559. Zusammenfassend auch Wettmann, Heimatfront Universität, S. 121 f. 245 S. etwa folgende Beispiele – alle in UA Gi Allg. 107: Siegfried Garten, der als Ordinarius 6550 M Jahresgehalt hatte, bezog als Zivilarzt in einer preußischen Kriegslazarettabteilung 655 M im Monat (also 7860 pro Jahr). Folglich wurden 5502 M. von seinem Zivilgehalt abgezogen. Es blieben also 1048. Dazu kamen 7860, so daß er jährlich 8728 M. zur Verfügung hatte (fol. 160). Karl von Eicken erhielt als Stabsarzt ebenfalls 7860 M. pro Jahr, als Ordinarius aber nur 5050 M. In diesem Fall blieb vom Zivilgehalt nichts übrig, doch hatte er nun 7860 zur Verfügung (fol. 119). Der Regimentsarzt Hans Koeppe (7860 M. pro Jahr) hatte als Extraordinarius nur 3550 M. bezogen und sich damit mehr als doppelt so gut gestellt (fol. 118). Als Beispiel für die Nichtmediziner s. den Indo
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Der Theologe Krüger, ein Kirchenrat mit besonders hohem Zivilgehalt, wehrte sich aber gegen die Anrechnung und wollte beide Gehälter voll beziehen. Das war aus staatlicher Sicht nicht möglich; denn das Gehalt eines Beamten wurde nicht als »Entgelt für geleistete Dienste«, sondern als »standesgemäße Alimentation« betrachtet. Wenn der Beamte jedoch aus einem anderen Dienstverhältnis Mittel zur Bestreitung dieses Lebensunterhalts bezog, erschien die Gehaltskürzung nicht mehr als Unrecht. Die Universität wollte ihren Kollegen trotzdem vor dieser Kürzung bewahren und argumentierte, Krüger sei freiwillig in den Dienst getreten, obwohl er in seiner Zivilstellung unabkömmlich sei. Die vom Staat zugrundegelegte Verordnung beziehe sich aber überhaupt nicht auf unabkömmliche Beamte. Implizit zog die Universität sogar in Zweifel, daß der Staat die Kürzung auf solche Fälle überhaupt anwenden dürfe, glaubte aber, »dies nicht erörtern zu sollen«, und bemerkte nur, daß ihr »in solchen Fällen einer sehr anstrengenden und aufopfernden Doppelwirksamkeit« der Abzug von 7/10 der Kriegsbesoldung »nicht als billig erscheinen würde«, regte also einen (nicht bezifferten) geringeren an.246 Doch das lehnte der Staat ab. Der Antrag sei »in rechtlicher Hinsicht« »nicht begründet«. Zudem sei in den einzelnen Fällen nicht nachprüfbar, ob ein in das Heer eingetretener Beamter seine zivilen Dienstpflichten ausreichend erfüllen könne. Sofern es das aber wäre, wären auch Abstufungen der Gehaltszahlung nötig – und dies sei »praktisch undenkbar«. Außerdem seien in der hessischen Ausführungsverordnung zum Reichsmilitärgesetz amtliche und militärische Dienstleistungen der Beamten völlig gleichgestellt. Daher erscheine der »Heeresdienst gewissermaßen [!] als eine Form amtlicher Pflichterfüllung« – und daraus folge, »dass wegen gleichzeitiger Leistung militärischer und amtlicher Dienste ebensowenig ein doppeltes Gehalt beansprucht werden kann, wie die Zahlung eines erhöhten Gehaltes etwa deshalb gerechtfertigt wäre, weil ein Beamter vielleicht an Wert und Umfang weit über das Durchschnittsmass hinausgehende Dienste leistet.«
Die nicht anrechnungsfähigen 30 % der Militärbesoldung sollten Krüger aber bleiben.247 Sein Zivilgehalt betrug 8850 M pro Jahr, das als Adjutant 3360 M. Folglich wurden ihm 2352 vom zivilen abgezogen, so daß ihm davon 5898 M. blieben.248 Zusammen mit dem Adjutantengehalt kam er also auf 9258 M. Da die Militärbezüge anfangs noch nicht feststanden, wurde das Zivilgehalt zunächst noch weiter voll ausbezahlt – unter dem Vorbehalt, Überzahlungen germanisten Hermann Hirt, dessen Zivilgehalt 6550 M. betrug, das Kriegsgehalt 3360. Davon wurden 2352 auf das Zivilgehalt angerechnet, von dem also 4198 M. blieben. Zusammen mit dem Kriegsgehalt ergab das 7558 M. 246 Bericht für den VA 14.12.1914: UA Gi Allg. 107, fol. 130. 247 Gh. Min. der Finanzen an VA der Uni Gi 6.3.1915: UA Gi Allg. 107, fol. 169–170v. 248 Berechnung für Kirchenrat Krüger: UA Gi Allg. 107, fol. 112.
378 Die Universitäten im Kriegseinsatz zurückzufordern.249 Als das hessische Ministerium das Ende 1914 dann tat, kamen viele Kriegsteilnehmer in finanzielle Schwierigkeiten – obwohl sie vom Gießener Verwaltungsausschuß gewarnt worden waren. Doch dem Staat gegenüber verschwieg letzterer dies in kollegialer Solidarität und bat nur darum, daß die Professoren ihre Rückzahlungen allmählich abtragen dürften.250 Die einzelnen beriefen sich ihrerseits darauf, daß die Universitätsbehörden sich ja bemüht hätten, den Lehrenden diesen Abzug zu ersparen. »Die plötzliche Zahlungsaufforderung hat mich also ganz unvorbereitet getroffen, gerade in dem Zeitpunkt, der für jede Familie der empfindlichste ist [vor Weihnachten!]. Ich kann der Aufforderung nicht nachkommen, da ich das Geld nicht habe«,
schrieb der Altphilologe Herzog. Bei Verrechnung mit dem Januarsold käme er mit 946,50 Mark ins Minus, danach würde dieses zwar jeden Monat geringer – doch erst im Mai flösse der Familie wieder Geld zu. Ob er sich von seinem »Kriegsgehalt« überhaupt »einen nennenswerten Beitrag« für seine Familie absparen könne, sei »ganz unberechenbar und unwahrscheinlich«. (Daran wird zunächst einmal deutlich, daß der Professor und Offizier immer noch in den Kategorien standesgemäßen Lebens dachte.) Die »Härte der Verfügung« machte Herzog daran deutlich, daß die Familien 1914 die volle Steuer für das Zivil- und das Kriegsgehalt hätten zahlen müssen, obwohl letzteres doch eigentlich steuerfrei sei. Außerdem habe der Staat in den »Ferienmonaten« August bis Oktober »und auch im Semester meistens keine Stellvertretungskosten«. Die im Kriegsdienst stehenden Professoren dagegen verlören Kolleggelder und Prüfungsgebühren. Da diese bei Berufungen »von der Regierung als Gehaltsteile in Rechnung gestellt« würden, müsse man das auch in diesem Fall tun, »etwa so, dass die 7/10 des Kriegsgehalts von dem um 1/3 erhöhten [!] Zivilgehalt abgezogen würden.«251 Auch in Preußen sah sich der Kultusminister durch eine Eingabe der Universität Berlin wie auch des Münsteraner Kurators im Dezember 1914 mit der »Unbilligkeit« (so die Berliner) bzw. der »gewisse[n] Härte« der Kürzung der Zivilbesoldung und der Nichtberücksichtigung der Hörgelder und Prüfungs gebühren konfrontiert. Daher schlug der Kultus- dem Finanzminister vor, nur 4/10 der Kriegsbesoldung anzurechnen.252 An letzteren wurden diese Vor249 Gh. Staatsmin. an sämtlich Gh. Behörden und Beamten 22.8.1914: UA Gi Allg. 107, fol. 33. 250 Bericht des VA der Univ. Gi an Gh. MdI 4.1.1915: UA Gi 107, fol. 143 (»trotz unserer Warnungen« ist gestrichen). 251 R. Herzog an VA der Uni Gi 20.12.1914: UA Gi Allg. 107, fol. 148. 252 FWU Berlin an Pr. KuMi 8.12.1914; Kurator Münster an Pr. KuMi 12.1.1915 und Abschrift R. v. Lilienthal 4.12.1914; Pr. KuMi an Pr. Finanzmin. 26.1.1915. Alle: GStA PK I. HA , Rep. 76a, Sekt 1, Tit. I, Nr. 35 Bd. I, fol. 288–289, 290, 291, 296 (Zitat). Es ging dabei also nicht (wie Wettmann, Heimatfront Universität, S. 122 schreibt) um die Anrechnung von »nur vier Prozent ihres Kriegsdiensteinkommens«, sondern um vier Zehntel!
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schläge offenbar von verschiedenen Seiten herangetragen, doch sah er sich »mitten im Krieg« und nach inzwischen halbjähriger Gültigkeit der Bestimmungen zu einer Änderung nicht in der Lage – und machte dafür geltend, daß die Professoren im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen immer noch relativ gut dastünden und daß sie sich inzwischen auch an das Verfahren gewöhnt hätten. Doch wurden die Zuschüsse zu den für alle Etatisierten garantierten Neben bezügen von mindestens 1200 M. weiterhin ungekürzt gewährt.253
Verluste Bereits Mitte Oktober 1914 verkündete Max Planck bei der Übergabe des Rektorats den Tod eines Privatdozenten in der Schlacht von Tannenberg.254 Bis Februar 1915 waren von 1231 eingerückten Dozenten der deutschen Universitäten 22 gefallen.255 Bis Kriegsende verlor die Universität Straßburg einen Ordinarius, drei Privatdozenten und drei andere Angehörige des wissenschaftlichen Personals: einen Oberarzt, einen Assistenten und einen promovierten Hilfsassistenten.256 Die Gießener betrauerte zwei Extraordinarien, einen Privatdozenten und fünf Assistenten (außerdem einen wissenschaftlichen Hilfsarbeiter der UB, einen Assistenzarzt und den »akademischen Turn- und Spielleiter«).257 Im Vergleich dazu hatte die größte deutsche Universität – wie schon bei den Studenten, so auch bei den Lehrenden – relativ geringe Verluste: Im Krieg fielen ein Extraordinarius, sieben Privatdozenten (davon zwei Titularprofessoren), 11 [etatisierte] Assistenten, je ein promovierter Volontärassistent und Hilfsassistent. Dazu kamen zwei Observatoren und zwei promovierte Mitarbeiter der Universitätsbibliothek.258 Daß die Zahl der gefallenen Professoren im Vergleich zu der der Privatdozenten gering war, entsprach ihrer geringeren Kriegsdienstrate sowie auch der Tatsache, daß sie meist nicht an der Front eingesetzt wurden. Bereits während des Krieges wurde der Gefallenen gedacht – und auch ihr Tod wieder zur Auszeichnung der Universität verwandt.259
253 Pr. Finanzmin. an Pr. KuMi 18.2.1915 (Zitat); Pr. KuMi an FWU Berlin 20.4.1915. Beide: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 1, Tit. I, Nr. 35 Bd. II, fol. 18, 21. 254 Rektorwechsel 1914, S. 16. 255 Prager Tagblatt 59, 28. Februar 1915: Ausschnitt in UA Gi Allg. 103, fol. 118. 256 Reden und Ansprachen, S. 19. 257 Die Totentafel ist abgedruckt in: PB LU Gi WS 1918/19, S. I-VI, hier I. 258 Namensliste in: Feier bei der Enthüllung des Denkmals der Universität, S. 35 f. Laut Klein, Humboldt-Universität/Überblick, S. 59 (ohne Beleg) fielen 57 Dozenten, Beamte und Angestellte der Universität. In der hier benutzten, sicher möglichst umfassend eruierten Liste sind es nur 35 Dozenten, Beamte und Angestellte. 259 S. dazu u. Kap. IV.8.
380 Die Universitäten im Kriegseinsatz
Résumé Insgesamt kann eine früher am Beispiel der Universität Heidelberg getroffene Feststellung mit den Befunden der drei hier untersuchten deutschen Univer sitäten untermauert werden: daß »der Drang der Hochschullehrer zu den Waffen geringer war, als basierend auf deren Selbstdarstellung häufig angenommen wird«.260 Allerdings erlaubt der Vergleich dreier Universitäten unterschied lichen Typs auch eine Reihe präzisierender Ergänzungen: Der Anteil der im Heer Stehenden unterschied sich nicht nur, wie zu erwarten, für die einzelnen Statusgruppen; denn natürlich waren schon aus Altersgründen die Privat dozenten stärker betroffen. Vielmehr sind auch zwischen den Universitäten deutliche Unterschiede zu registrieren, wobei die Berliner sich am wenigsten engagierten; das fällt um so mehr auf, als ja auch die Expertentätigkeit im Dienst des Heeres miterfaßt ist und der Anteil der Privatdozenten im Lehrkörper hier der höchste war. Daß dabei überall die Mediziner besonders gefragt waren und die höchste Last trugen, erklärt sich aus ihrer spezifischen Verwendung. Außerdem belegt der Vergleich der Fakultäten aber, daß die geringste ›militärische‹ Beteiligung (im weitesten Sinne!) gerade die Fakultät vorzuweisen hatte, aus der die eifrigsten und breitenwirksamsten Kriegspublizisten kamen: die Ber liner Philosophische. Außerdem zeigen die untersuchten Beispiele, daß der Kriegsdienst, so schwer er gewiß war, den einzelnen auch einen gewissen ›Nutzen‹ brachte; denn eine ganze Reihe von ihnen konnte damit Forschungen verbinden und dadurch ihre wissenschaftliche Reputation erhöhen. Darüber hinaus bot er jenen, die nicht zu den meistverdienenden Professoren gehörten, eine Einkommenssteigerung. Und bei jenen, die am Hochschulort, in der nahen Umgebung oder auch in einer auswärtigen Garnison dienten, kann dies auch nicht als ›Kompensation‹ der Gefahr für Leib und Leben angesehen werden. Im Gegenteil ist damit zu rechnen, daß das patriotische Motiv vielleicht nicht das einzige war, das Gelehrte zur freiwilligen Meldung veranlaßte, sondern auch finanzielle (bei geringverdienenden Extraordinarien evtl. sogar notbedingte) Überlegungen eine Rolle spielten. Schließlich lieferten mündliche Berichte bei Heimataufenthalten, wie sie etwa His den Kollegen erstattete, oder die Briefe an Lehrer, Vorgesetzte oder den Rektor, auch an die Familie,261 durchaus realistische Erfahrungen von der Front. Sie kamen zu den Erfahrungen der Studenten hinzu, die nicht nur als private Einzelzeugnisse, sondern ab Ende 1915 auch als veröffentlichte Sammlun-
260 Jansen, Professoren und Politik, S. 121 f. 261 S. dazu die zwei Bände Briefe des Heidelberger Mediziners Krehl an seine Frau.
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gen die Grausamkeit dieses Krieges belegten. Damit wurde schon bald auch die Kluft zwischen Front und Heimat in der universitas deutlich. Auch wenn die Erkenntnis der eigenen Sicherheit, ja Privilegierung nur selten öffentlich geäußert wurde, mag sie doch dazu beigetragen haben, daß sich die ›Daheimgebliebenen‹ um so stärker an den Kriegsanstrengungen vor Ort beteiligten.
4. Freiwillige Übernahme von Aufgaben in der Heimat: Breite und Exklusivität »Im Interesse der Universität«: die veröffentlichten Berichte Bei der Übergabe des Rektorates am Ende des ersten Kriegsjahres berichtete der scheidende Berliner Rektor, der Jurist Theodor Kipp: »Von unseren akademischen Lehrern stehen nicht wenige im Waffendienst, vom Major bis zum Landsturmmann. Viele nehmen als Ärzte oder in der freiwilligen Krankenpflege und in außerordentlich mannigfaltiger sonstiger Weise mittelbar oder unmittelbar an dem großen Kampfe des Vaterlandes für seine Ehre, seine Freiheit, seine Existenz teil. Die theologische Fakultät hat Feldgeistliche gestellt. Mitglieder der juristischen Fakultät, Volkswirte, sind in den Organisationen des Roten Kreuzes, in sozialer und wirtschaftlicher Fürsorge, in aushelfendem Verwaltungsdienst tätig. Naturforscher und Mathematiker haben für den Sieg der deutschen Waffen durch Erforschung neuer wissenschaftlicher Methoden und Mittel wertvolle Beiträge geliefert. Die Gemeindeverwaltung, der Schulunterricht hat freiwillige Helfer im Kreise der Berliner Hochschullehrer gefunden. Es ist über alle diese Dinge eine Rundfrage unter den Herren Kollegen veranstaltet worden. Die eingelaufenen Antworten sind zu reichhaltig, um auch nur ihrem Hauptinhalte nach vorgetragen werden zu k önnen, zum Teil auch zu geheimen Inhaltes, als daß sie hier oder im Druck bekannt gegeben werden dürften.«1
Diese Sätze könnte so oder ganz ähnlich auch jeder Amtskollege an einer be liebigen anderen deutschen Universität vorgetragen haben, denn sie charakterisieren vor allem die Selbstdarstellung der Universitäten. Dazu gehört das breite Spektrum von Tätigkeiten ihrer Mitglieder, bei dem aber die genaue Grenze zwischen militärischem und nichtmilitärischem Einsatz verwischt wird, exakte Daten nicht einmal für den Dienst in der Armee angegeben sind und sogar der Anteil zwischen »Waffendienst« und Militärärzten offengelassen wird. Zudem wird die Linie von den Ärzten über die freiwillige Krankenpflege in den zivilen Bereich weitergezogen und damit zugleich die Grenze zwischen Front und Heimat verwischt. Indem schließlich auch alle weiteren Tätigkeiten unter »mittelbar oder unmittelbar« subsumiert werden, die folgende Aufzählung wieder mit dem »Feld« beginnt und beim Unterricht in den heimischen Schulen endet, können alle Genannten als Teilnehmer »am großen Kampfe des Vaterlandes für seine Ehre, seine Freiheit, seine Existenz« gelten. Überprüft man diese pauschalen Angaben und vergleicht die Zahl der tatsächlich mit irgendeiner ›Kriegstätigkeit‹ Beschäftigten mit der Gesamtzahl der 1 Kipp, Amtsjahr 1914/15, S. 12.
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Hochschullehrer der einzelnen Fakultäten, so wird – wie schon beim militä rischen Dienst – auch hier klar, daß die Engagierten immer nur einen gewissen Prozentsatz ausmachten, aber keinesfalls, wie von Kipp suggeriert, die Mehrheit. Nimmt man die ziemlich kleine Juristische Fakultät als Beispiel, so war der Anteil zwar hoch: Von 32 Hochschullehrern brachten sich 15 in irgendeiner Weise ein: einer der 11 Ordinarien, einer der drei ordentlichen Honorarprofessoren, fünf der acht Extraordinarien, acht der 10 Privatdozenten. Doch im eigentlichen Heeresdienst befanden sich davon nur ein Honorarprofessor (als stellvertretender Sammeloffizier bei einem Berliner Bezirkskommando) und vier Privatdozenten: Einer war gleich zu Kriegsbeginn in Tannenberg gefallen, einer stand 1915 noch an der Front, zwei bildeten Rekruten aus (davon einer in Potsdam).2 Die Tätigkeiten der anderen aber reichten von der Leitung der freiwilligen Krankenpflege (mit Reisen in verschiedene Kriegsgebiete3) über die Vertretung eingezogener Ministerialbeamter und Arbeit in der städtischen Verwaltung oder diversen Beratungs- oder Fürsorgestellen bis zur Presse auswertung. Bei der kleinsten, der Theologischen Fakultät, betrug der Anteil der Engagierten 40 % (10 von 25 Hochschullehrern), doch nur zwei standen im eigentlichen Heeresdienst: einer seit Ende Juli 1915 als Rekrut, ein anderer als »Feldgeistlicher im Osten bei den Fronttruppen«.4 »Die theologische Fakultät hat Feldgeistliche gestellt« fügt sich in die Aufzählung anderer Funktionen, bei denen der Plural berechtigt war, quasi automatisch ist, ist faktisch aber eine Übertreibung. Zwei weitere Theologen wirkten als Lazarettpfarrer in Berlin – ohne aber im militärischen Dienst zu stehen. Dagegen arbeiteten andere »literarisch«: der Deutschbalte Seeberg »mit der Absicht, Mut und Kraft unserem Volke zu erhalten«, der Neutestamentler und Papyrologe Adolf Deißmann für Adressaten in »Amerika«. Eine »umfangreiche Korrespondenz« dorthin unterhielt auch der 66jährige Hermann Strack, der sich außerdem noch als Spezialist für Jiddisch einbrachte. Ein Ordinarius der Theologen war Vorstandsmitglied der Genossenschaft freiwilliger Krankenpfleger.5 Der Neutestamentler Martin Dibelius (damals noch Privatdozent in Berlin, ab 1915 Ordinarius in Heidelberg) arbeitete ab August 1914 in der Kriegsunterstützungskommission des Berliner Magistrats zunächst als »Bürobeamter«, dann bis März 1915 als »Ermittelungsbeamter«. Eine Vielfalt von Tätigkeiten konnte der bei Kriegsausbruch schon 67jährige Ordentliche Honorarprofessor (ehemalige Breslauer Rektor) Gustav 2 Die FWU im Kriege 1914/15 (s. Kap. III .3 A. 8), S. 16 f. (Riesser, Levy, Helfritz, gefallen: Neubecker). 3 S. dazu u. genauer das Beispiel Kahl. 4 Die Privatdozenten Prof. Zscharnack und Freiherr von Soden (Die FWU im Kriege 1914/15, S. 15). 5 Zu dieser Organisation s. genauer weiter u.
384 Die Universitäten im Kriegseinsatz Kawerau anführen: Er »hat regelmäßig Kriegsbetstunden gehalten, für weib liche stellungslos gewordene Angestellte im kaufmännischen Beruf im Gemeindehaus von St. Petri unentgeltlich Beköstigung beschafft und eine Arbeitsstube eingerichtet, für Näh- und Strickarbeit gewirkt, Gottesdienste in Lazaretten gehalten, Sendungen von Liebesgaben organisiert.«6 Hier handelte es sich also um typische Tätigkeiten eines Geistlichen, die nur durch den Anlaß oder Ort kriegsbezogen waren, außerdem um eine einmalige soziale Aktion, die Kawerau als Propst von St. Petri7 aber vermutlich mit der Unterstützung dieser Gemeinde durchführen konnte. Geht man von der Verpflichtung der Medizinprofessoren aus, sich im Kriegsfall zur Verfügung zu stellen,8 muß es verwundern, daß von den 20 Berliner Ordinarien im WS 1914/15 (bzw. den 19 im SS 1915) nur 15 überhaupt irgendeine Kriegstätigkeit angaben – aber keinesfalls alle eine ärztliche.9 Daher belegen die Angaben der einzelnen Universitätsmitglieder, die auf die »Rundfrage« des Rektors eingingen und sich in Berlin im ersten Kriegsjahr auf 28 zweispaltig eng bedruckte Folioseiten beliefen, vor allem, wie wichtig diese Aktivitäten für sie selbst oder die Universität waren. Besonders deutlich wird dies an der Information über einen Lehrbeauftragten: »Reichs-Militärgerichtsrat Dr. von Schlayer ist in seinem Hauptamt selbstverständlich im engen Zusammenhange mit dem Kriege tätig.«10 Wenn sogar da, wo eigentlich besondere, zusätzliche Leistungen herausgestellt werden sollen, die unmittelbaren Dienstpflichten angeführt werden, muß sich entweder der Patriotismus bis zum Überschwang gesteigert haben oder der gesellschaftliche Druck sehr groß gewesen sein. Ein Privatdozent und Titularprofessor der Physik hatte »in seinem Amte als Mitglied der Normaleichungskommission die durch Heeresdienst in Anspruch genommenen Kräfte mitzuvertreten«.11 Und wenn der Privatdozent der Jurisprudenz Ludwig Laß »bei dem Zustandkommen der Kriegsnotgesetze und Kriegsverordnungen« mitwirkte und »als Vertreter des Reichsamts des Innern im Arbeitsausschuß der Sozialen Fürsorge für Kriegerwitwen und Waisen« tätig war, dürfte es sich um dienstlich an ihn delegierte Aufgaben gehandelt
6 Die FWU im Kriege 1914/15, S. 15. 7 Zur Biographie Kaweraus: BBKL III (1992), Sp. 1268–1271 (Christoph Flegel). 8 Siehe o. Kap. III .3. 9 S. dazu u. die Fälle Waldeyer, Franz und Heffter. 10 Schlayer, der übrigens erst seit 1914 Lehrbeauftragter war, war außerdem in »der Gemeinnützigen Kriegs-Wirtschafts-Aktiengesellschaft [tätig], welche die Verteilung und Verwertung der im feindlichen Gebiete beschlagnahmten Handelsgüter für die inländische Wirtschaft zum Gegenstande hat«; doch als »Vertreter Württembergs im Aufsichtsrat« mußte er dafür wohl nicht viel Zeit opfern (Die FWU im Kriege 1914/15, S. 17). 11 Die FWU im Kriege 1914/15, S. 31 (Bernhard Weinstein). Vgl. auch die Nachricht über den Extraordinarius der Physik, Friedrich Neesen, der zugleich Lehrer an der militärtechnischen Akademie war (S. 30).
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haben, denn hauptamtlich war er Vortragender Rat im Reichsinnenministerium und (seit 1895) Mitglied im Reichsversicherungsamt.12 Noch deutlicher machen die jährlichen Rundfragen der Straßburger Rektoren, wie ernst es den Universitäten mit der Darstellung ihres Beitrags war. Im Frühjahr 1916 bat der Amtsinhaber die Kollegen um Auskunft, »was sie selbst oder ihre Familienangehörigen an Kriegsfürsorge irgendwelcher Art geleistet haben«.13 Dabei sollte möglichst auch über die im Felde stehenden Kollegen berichtet werden. Und zugleich wurden an der ›Heimatfront‹ auch die An gehörigen der Universitätsmitglieder für die Selbstdarstellung der Universität vereinnahmt. 1918 wurden schließlich sogar die Töchter und Witwen verstorbener Professoren gefragt, was sie »im Dienste der Kriegsfürsorge im verflossenen Studienjahre geleistet haben. Es liegt durchaus im Interesse der Universität, dass über diese Seite der Tätigkeit der Universitätsangehörigen eine erschöpfende Übersicht gewonnen wird.« Nicht einmal die Witwe eines Mediziners, der noch an der französischen Universität tätig gewesen, dann Ordinarius der deutschen geworden und bereits 1892 an Typhus verstorben war, wurde verschont! (Tatsächlich war sie zweite Vorsitzende des Vaterländischen Frauenvereins – eine andere Professorenwitwe erste!).14 Anders als die Berliner stellen die publizierten Straßburger Berichte aber nur noch die Tätigkeiten dar, jeweils nach Arbeitsgebieten geordnet. Die Namen derer, die sie ausübten, nennen sie nicht und enthalten schon gar keine Auflistung nach Personen mit deren vielfältigen, auch wechselnden Tätigkeiten. Kleinere Überblicke publizierten die Straßburger gelegentlich auch in der Lokalpresse.15 Insgesamt machen die verschiedenen Berichte, die sich nicht nur der Nachprüfung, sondern auch jeder systematischen Auszählung entziehen, zweierlei deutlich: Der Anteil der tatsächlich im Kampfeinsatz Stehenden war gering. Von den »zu ständigem Dienste im Heere oder für das Heer (…) berufen[en]« 146 Straßburger »Dozenten und Assistenten« standen im zweiten Kriegsjahr nur 35 »eingezogen oder freiwillig, unter der Waffe«. Und es ist klar, daß es sich hierbei in der Mehrheit nicht um Hochschullehrer, sondern um Assistenten handelte. Außerdem leisteten hier, wie in Berlin, manche ihren Dienst »unter
12 Zitate: Die FWU im Kriege 1914/15, S. 16. Biogr. Angaben nach http://www.koeblergerhard. de/Rechtsfaecher/buergerlichesRecht1373.htm (31.5.2011). Auch in AV FWU Berlin wird er nie als »unmittelbaren oder mittelbaren Heeresdienst« leistend erwähnt. 13 Rektor Strb. 13.4.1916 [Rundfrage]; ebenso 24.4.1917; vgl. 7.5.1918: ADBR 103 AL 194. 14 Rektor Strb. (an die Witwen und Töchter verstorbener Professoren) 31.5.1918; (darauf Antwort u. a. von) F. Joessel: ADBR 103 AL 194. Zu Jean Georges Joessel (1868–1892) s. NDBA 19, S. 1808 f. Zu der anderen Professorenwitwe: »Frau Professor Gröber I Vorsitzende des vaterländischen Frauenvereins.« (o. D.): ADBR 103 AL 194. 15 Zu den zusammenfassenden Berichten s. die folgenden A.; zur Presse z. B. SP 28.2.1916, MiA; 12.8.1916 MiA.
386 Die Universitäten im Kriegseinsatz der Waffe« nicht im Felde, sondern in der Garnison.16 Unter der Voraussetzung, daß alle ein Interesse hatten, ihre Unterstützung des Krieges zu dokumentieren und, wie die angeführten Beispiele belegen, sogar die »literarische« Tätigkeit als einschlägig galt, machen die detaillierten Berichte aber zugleich deutlich, daß ein noch kleinerer Teil sich an der Kriegspublizistik beteiligte. Gerade sie stand in der bisherigen Forschung aber im Vordergrund. Auf diesem Hintergrund sollen nun die sonstigen Aktivitäten der Univer sitätsangehörigen an der ›Heimatfront‹ genauer betrachtet werden. Während sie in Gießen und Berlin jeweils Sache der einzelnen waren, wurde in Straßburg dafür eine spezielle Organisation bzw. Koordinierungsstelle geschaffen. Sie sollte die personellen Kräfte der Universität den verschiedenen in Straßburg notwendigen Hilfstätigkeiten zuführen, Anregungen aus dem Universitätskreis weitergeben oder an diesen vermitteln und schließlich auch verwirklichen. Außerdem wurde auf Vorschlag des Kurators ein Komitee der besonderen Fürsorge für die Familien »der im weitesten Sinne zur Universität gehörigen Männer, die zur militärischen Dienstleistung einberufen sind«, gebildet. In beiden Einrichtungen war jeweils auch der Leiter der anderen vertreten, und bald wurden sie zur zentralen Kriegsstelle der Universität zusammengefaßt. Ihr Geschäftszimmer hatte diese im Vorzimmer des Prorektors, außerdem stellte ihr eine Speditionsfirma Räume für die »Feldpakethilfe« zur Verfügung, in der sich außer drei ständig dort Tätigen 15 Damen, »zum größten Teile der Universität und den der Universität nahestehenden Kreisen angehörig«, sowie drei Professoren und ehemalige Studenten nach festem Stundenplan die Aufgaben teilten.17 (Eine Filiale in der Stadt half zudem »weniger im Verkehr und Welt erfahrenen Leuten« beim Versand und erledigte Schreibarbeiten dafür, was wiederum eine Erleichterung für das Postamt darstellte,18 und eine aus dem Baltikum stammende Professorengattin überprüfte die Sendungen an deutsche Gefangene in Rußland.19) Die Universität erbrachte ihren Kriegsbeitrag also offenkundig unter Heranziehung externer Kräfte. Dabei gingen militärischer und ziviler Einsatz Hand in Hand – beides wurde als Engagement der Kriegsstelle dargestellt. Auf ihr Rund 16 Ficker, Bericht II (1915/16), S. 5 f.; vgl. IV (1917/18), S. 7: »Von den 144 tragen 43 die Waffe oder sind als Landsturmpflichtige im Garnisonsdienst verwendet worden.« Die Differenz zu den Zahlen in der Tabelle im Anhang ergibt sich aus den dort nicht berücksichtigten Assistenten – und belegt zugleich, wie hoch deren Anteil an den Kriegsanstrengungen war. 17 Ficker, Bericht (1914/15), S. 7; Bericht II (1915/16), S. 11, 38 f. 18 Ficker, Bericht IV (1917/18), S. 28–30, Zitat 28. Ihre Hauptaufgabe, selbst Pakete ins Feld zu schicken, erfüllte sie z. B. an Weihnachten 1917 mit 700 Sendungen (die aber z. T. aus Mitteln besonderer Geldspenden für diese Aktion gefüllt wurden). Insgesamt verschickte sie in diesem Jahr 1000 Pakete (S. 28). 19 Rektor an Kollegen 7.5.1918 [mit darauf vermerkten Antworten]: ADBR 103 AL 194. Nachweis der Herkunft von Melanie Klostermann (Dünaburg) laut NDB 12 (1979), S. 124 f. (Kurt Aland).
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schreiben hin erboten sich alle noch vor Ort befindlichen Dozenten, soweit sie nicht zum militärischen oder zum ärztlichen Dienste beim Militär einberufen waren, zur Mitarbeit, darunter auch manche, die schon Pflichten beim Roten Kreuz oder als Seelsorger in den Lazaretten übernommen hatten.20 Zwei Tätigkeiten begannen an allen Universitäten schon in den ersten Kriegstagen: die Betreuung Verwundeter und die Gesinnungspflege. Später kamen dazu Spendensammlung und diverse Fürsorgetätigkeiten, schließlich die »Kriegswirtschaft« und der Einsatz spezieller Expertise. Im folgenden soll das Spektrum praktischer Tätigkeiten, geordnet nach Arbeitsgebieten und dabei die einzelnen Universitäten jeweils übergreifend, dargestellt werden.21
Die Pflege Verwundeter: vollwertiger Ersatzdienst und institutionelle Verpflichtung Die Pflege Verwundeter, die auf den ersten Blick als traditionelle caritative Tätigkeit betrachtet werden kann, wurde sowohl von studentischen Vertretern22 als auch von Professoren als vollgültige Alternative zum Militärdienst dargestellt.23 Der nationalliberale Jurist Wilhelm Kahl, damals 65 Jahre alt, appellierte beim Berliner Stiftungsfest am 3. August 1914 an »alle, denen es nicht vergönnt ist, in dieser großen Zeit dem Vaterland mit der Waffe zu dienen«, sich an der »Genossenschaft freiwilliger Krankenpfleger im Kriege vom Roten Kreuz« zu beteiligen. »Liebe Kommilitonen! Wer mit der Waffe Wunden nicht schlagen kann, heile sie mit der Liebe. Nehmen Sie diesen Appell eines akademischen Kriegsveteranen von 1870 freundlich und opferwillig auf.«24 Nicht erst im Krieg bestand ein erheblicher sozialer Druck auf nicht militärtaugliche Studenten, in diese Genossenschaft einzutreten – wer dies versäumte, vernachlässigte nicht nur seine vaterländische Pflicht, sondern schadete auch dem Ansehen seiner Universität.25 20 Ficker, Bericht (1914/15), S. 8. 21 Gesinnungspflege und politische Mobilisierung werden in einem eigenen Abschnitt erörtert. S. dazu Kap. III .6. 22 S. den Aufruf des Rüdesheimer Verbandes deutscher Burschenschaften, zit. bei Basler, Zur politischen Rolle der Berliner Universität, S. 181 (nach BT 3.8.1914). 23 S. als Beispiel den Aufruf der Göttinger Professoren Kaufmann, Brandi, Frölich, Schröder, von Seelhorst: Kommilitonen! UA Gö Sek. 38 (1). 24 Planck, Bericht über die Feier zum Gedächtnis des Stifters, S. 42. Biogr. Angaben nach NDB 11 (1977), S. 21 f. (Klaus Achenbach) und BBKL 15, S. 779–782 (Walter Troxler). 25 S. dazu zehn Jahre vor dem Krieg: Genossenschaft freiwilliger Krankenpfleger im Kriege, in: Akademische Mitteilungen für die Studierenden der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg 22.10.1904: »Die Ausbildungskurse waren leider in den letzten Semestern nur schwach besucht, und wir geben uns der Hoffnung hin, dass die Kommilitonen, an die der Dienst unter der Fahne nicht herantritt, in grösserer Zahl als bisher zum Eintritt
388 Die Universitäten im Kriegseinsatz Tatsächlich hatten sich solche Genossenschaften zuerst im Krieg von 1870/71 gebildet. Bei eigener Wehruntauglichkeit »ihren verwundeten und erkrankten Brüdern« zu helfen, erklärten die freiwilligen Krankenpfleger zur »Ehrenpflicht«. Die Mitglieder dieser Genossenschaften mußten in der Lage sein, sich ohne Entgelt zu verpflichten – während z. B. die freiwilligen Krankenträger, die sich vor allem aus Kriegervereinen, Feuerwehrvereinen, Samaritervereinen rekrutierten und in Friedenszeiten auf Kosten des Roten Kreuzes ausgebildet wurden, im Kriegsfall entlohnt wurden. Die ›Genossenschaftler‹ wurden, ebenfalls bereits im Frieden, 10 Wochen lang ausgebildet und mußten jedes Jahr Wiederholungsübungen absolvieren. Am Anfang des 20. Jahrhundert gehörten den Genossenschaften ca. 3500 junge Männer als ordentliche Mitglieder an. Außerordentliche Mitglieder (die im Kriegsfall für gehobene Verwaltungsaufgaben und als Ärzte eingesetzt wurden) waren Geistliche, Offiziere a. D., Beamte, Kaufleute, Professoren, Gutsbesitzer. Die Genossenschaften freiwilliger Krankenpfleger rekrutierten sich also aus dem gehobenen Bürgertum und hatten vor allem in Universitätsstädten Anklang gefunden. In Berlin gab es (wie in Breslau und Kiel) sogar eine besondere »akademische Gruppe«, die ihre Meldestelle im Universitätsgebäude hatte.26 (Deshalb verwundert es nicht, daß der – offenbar nicht ausgebildete – Heidelberger Mediävist Karl Hampe beim Roten Kreuz »von der Universität (…) Niemand[en]« traf, als er sich als Hilfskrankenträger zur Verfügung stellte.27) Freiwillig war allerdings nur der Beitritt zur Genossenschaft. Danach waren »Befehle pflichtgemäß auszuführen«, während des Krieges konnte man von diesem Engagement nicht zurücktreten. Die freiwilligen Krankenpfleger unter in den Verband freiw[illiger] Krankenpfleger sich melden, damit auch in dieser Richtung unsere Universität den vielen anderen Hochschulen mit starken Krankenpflegerverbänden nicht nachstehe. Es ist dies umso wünschenswerter, als gerade wir in der Südwest ecke Deutschlands der Gefahr einer feindlichen Invasion am meisten ausgesetzt sind.« 26 Paul Rupprecht, Die Krankenpflege im Frieden und im Kriege, Leipzig 51905, S. 397 f.; zur Berliner Meldestelle: Planck, Bericht über die Feier zum Gedächtnis des Stifters, S. 42. Ergänzende Informationen aus: Dieter Riesenberger, Das Deutsche Rote Kreuz. Eine Geschichte. 1864–1990, Paderborn u. a. 2002, S. 111 f., 118, 152 f. (mit einer differenzierteren Statistik!). 27 Hampe, Kriegstagebuch, S. 103 (8.8.1914). Diese ihn sehr anstrengende Tätigkeit übte er lange parallel zu seiner Lehre an der Universität aus – und unterrichtete außerdem am Gymnasium. Hampe, Kriegstagebuch, S. 231 (15.5.1915): »Von 11–1/23 war ich wieder mit einem Verwundetentransport beschäftigt.« S. 255 (17.7.1915): »Morgens von 8–12 ein großer Verwundetentransport (….) Ich habe sehr viel geschleppt (….).« S. 276 (12.9.1915): »Hinterher kann ich selten schlafen, da die Anstrengung des Tragens ziemlich groß ist.« S. dazu außerdem S. 102 f. (8.8.1914), 104 (11.8.1914), 106 (14.8.1914), 107 (18.8.1914), 109 (22.8.1914), 110 (23.8.1914), 112 (25.8.1914), 116 (29.8.1914), 119 (3.9.1914), 121 (7.9.1914), 125 (16.9.1914). Zum Gymnasium S. 124 (15.9.1914), 125 (16.9.1915), 129 (24.9.1915), 133 (2.10.1914), 138 (12.10.1914), 145 (26.10.1914), 147 (30.10.1914), 154 (9.11.1914), 172 (12.12.1914).
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standen den Kriegsgesetzen, dem Militär-Strafgesetzbuch und der MilitärDisziplinar-Strafordnung. Sie trugen zwar im Inland keine besondere Tracht, wohl aber auf dem Kriegsschauplatz, und zwar nach Status gestuft: die Delegierten des Roten Kreuzes und der Ritterorden eine recht prächtige Uniform und Degen, die Träger und Pfleger bescheidenere graue, aber immer noch mit »ein bis drei Sparren von Silbertresse« für die »Führer«.28 Insofern handelte es sich bei der Krankenpflege um ein durchaus militärnahes Engagement, das jenen, denen der Kampf nicht ›vergönnt‹ war, nicht nur den Einsatz für die nationale Gemeinschaft, sondern auch die Wahrung ihrer eigenen Reputation ermöglichte. Schließlich hatte ja auch das Rote Kreuz mit der Hilfe »alle[r] Vaterlandsfreunde« in der Verteidigung »unsere[r] Kultur gegen asiatisches Barbarentum« »eine gewaltige nationale Aufgabe zu erfüllen«,29 keine universalistisch-humanitäre. In gewissem Sinne fügte sich sogar diese caritative Tätigkeit in die schon in den Vorkriegsjahren zu beobachtende Militarisierung ein; denn die freiwillige Verwundetenpflege unterstand nicht nur der Oberleitung der militärischen Sanitätsorganisation, wurde also von einem Kaiserlichen Kommissar und Militärinspekteur überwacht, der sich im Hauptquartier befand, während sein Stellvertreter seine Funktionen in der Heimat ausübte. Vielmehr verwandte das Rote Kreuz für deren Tätigkeiten auch militärische Begriffe: Der Kommissar wurde als »General der Armee der Liebe« bezeichnet, der Vaterländische Frauenverein vom Roten Kreuz als »Armee der Kaiserin«.30 Der 65jährige Kahl ging selbst mit gutem Beispiel voran: Er war seit langem Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses der Genossenschaft freiwilliger Krankenpfleger und des Zentralkomitees der deutschen Landesvereine vom Roten Kreuz. Nun wurde er in die Zentralstelle des stellvertretenden Militärinspekteurs, der für die Leitung der freiwilligen Krankenpflege vom Heimatgebiete aus zuständig war, berufen, nahm aber nicht nur an Sitzungen teil und erstattete Gutachten, sondern begleitete auch Lazarettzüge, führte Krankenpfleger nach Ostpreußen, Frankreich und Belgien, besichtigte Lazarette an der Westfront und wirkte jahrelang in den Semesterferien als Kriegs lazarettdelegierter im Feld,31 nahm also eine herausgehobene Position ein. Im ersten Kriegsjahr beteiligten sich auch einige andere Berliner Hochschullehrer an der freiwilligen Krankenpflege, doch ging dies bald zurück, bis im dritten
28 Rupprecht, Krankenpflege, S. 399–401, Zitat 401. 29 Zitate aus dem Aufruf des Deutschen Roten Kreuzes vom 16.8.1914 bei Riesenberger, Das Deutsche Rote Kreuz, S. 125. 30 Zur Organisation des freiwilligen Krankenwesens s. Wilhelm von Waldeyer-Hartz, Die Sorge für die Verwundeten und Kranken im Felde einst und jetzt. Rede zur Feier des Geburtstages (…) des Kaisers (…), Berlin 1917, S. 28 f. Zitate bei Riesenberger, Das Deutsche Rote Kreuz, S. 126. 31 Zu Kahls Tätigkeit: Die FWU im Kriege 1914/15, S. 16; 1915/16, S. 9; 1916/17, S. 11.
390 Die Universitäten im Kriegseinsatz Kriegsjahr (neben Kahl) nur ein einziger übrig blieb.32 Dabei wurde von fünf Berlinern aber – im Gegensatz zu Straßburg, wo dies für einen beträchtlichen Teil galt – nur einer »dem Heeresdienst zugeführt«.33 Das Ziel der freiwilligen Krankenpflege, durch Delegieren von Sanitätsdiensten an Zivilisten Soldaten für die Front freizubekommen,34 konnte mit diesem Einsatz also nicht wesentlich gefördert werden. Ob dieser Dienst für den einzelnen vielleicht doch nicht so attraktiv war, wie Rhetorik und Ausstaffierung es suggerierten? Andererseits wurden aber auch nicht alle leistungswilligen gebraucht: Als deutsche Ärzte zum Sanitätsdienst aufgefordert wurden und sich der bei Kriegsbeginn 68jährige Anatom Wilhelm Waldeyer zur Verfügung stellen wollte, insbesondere zur Führung von Lazarettzügen, machten die Behörden davon keinen Gebrauch.35 Unklar ist auch, wie groß das Engagement war, sich selbst zu regelmäßiger finanzieller Unterstützung zu verpflichten. An die Lehrenden der Universität Gießen erging ein Aufruf, »sich monatlich von ihrem Gehalte eine gewisse Summe für die Zwecke des Roten Kreuzes abziehen zu lassen«. Doch wessen Aufforderung der Rektor mit diesen Worten in der Kriegskommission verlas (und dann an alle Dozenten weiterleitete), ist unklar. Möglicherweise rührte sie vom lokalen Roten Kreuz her.36 Im wesentlichen scheint sich der Beitrag der Universitäten zur Verwundetenpflege vielmehr auf ihre institutionellen Ressourcen gestützt zu haben. Dazu waren sie allerdings verpflichtet: Für die Umwidmung von Universitätsräumen zu Lazaretten waren auf Ersuchen der Militärverwaltung schon vor dem Krieg feste Pläne gemacht worden, die jetzt nur noch umgesetzt werden mußten. (Generell wurden bei der Mobilmachung im Inland zusätzlich zu den bestehenden Militärlazaretten sofort Reservelazarette errichtet, die transportfähige Ver wundete aus den Feldlazaretten aufzunehmen hatten, um dort Plätze für frisch 32 1914/15: Ord. Honorarprof. Hans Spemann (in Zehlendorf), ao. Prof. Paul Friedländer (in Berlin, später im Feld), PD M. Hartmann (Verwundetentransporte), PD Paul Maas (Belgien), Prof. (PD) G. Rodenwaldt (Zugführer, Delegierter) (Die FWU im Kriege 1914/15, S. 30, 31, 33, 34, 35). 1915/16: Maas (Belgien, Konstantinopel), Rodenwaldt (Großes Hauptquartier) (Die FWU im Kriege 1915/16, S. 15). 1916/17: Maas (Konstantinopel) (Die FWU im Kriege 1916/17, S. 18). 33 Zitat für Straßburg: Ficker, Bericht II (1915/16), S. 4. Der Berliner: Friedländer (Die FWU im Kriege 1915/16, S. 14). Der 47jährige Gießener Strafrechtler Mittermaier, der sich zunächst als Zivilist für freiwillige Dienste zur Verfügung stellen wollte und dabei vor allem an die örtliche Krankenpflege dachte (Anderhub, Antoniterkreuz, S. 46), wurde schon im September zu einem Ersatzbataillon kommandiert (s. dazu o. S. 376 A. 242). 34 Winfried Mönch, Rotes Kreuz, in: Hirschfeld u. a. (Hg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, S. 802–804, hier 802. 35 Waldeyer-Hartz, Lebenserinnerungen, S. 367. 36 3. Sitzung der KK 22.8.1914: UA Gi Allg. 102, fol. 6v-7, hier 6v. Einer der Kollegen wurde beauftragt, dem »Einsender« zu antworten. Bei einer von einer Behörde ausgegangenen Aufforderung wäre dies gewiß erwähnt worden.
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Verwundete freizumachen.37) In Gießen bestand eigentlich nur für drei Kliniken – die Chirurgische, die Innere und die Augenklinik – ein Vertrag mit dem Roten Kreuz über die Umwidmung zum Vereinslazarett. Doch stellte sich dieses geplante Arrangement in kurzer Zeit als unzureichend heraus, so daß auch die Frauen-, die Ohren-, die Haut- und die Psychiatrische Klinik in das Vereinslazarettwesen eingegliedert wurden.38 In Breslau wurden – einem Vertrag von 1893 entsprechend – im Kriegsfalle sogar alle Kliniken der Garnisonsverwaltung als Lazarett zur Verfügung gestellt. Dann stellte die Militärverwaltung – im Einvernehmen mit dem Direktor der Klinik – auch das gesamte ärztliche Hilfspersonal. Genau mit Bezug auf diese früher schon getroffene Regelung wehrte der preußische Kultusminister nun weitere Nutzungsanträge, etwa durch das Rote Kreuz, ab.39 (Dieses war – wie die Ritterorden und die konfessionellen Krankenpflegevereine – zuständig für die gewissermaßen nachgeordneten »Vereinslazarette«, denen Verwundete aus den Reservelazaretten, bald auch direkt vom Kriegsschauplatz, überwiesen wurden.40 Insofern wurde das Rote Kreuz zum »faktischen Teil des militärischen Sanitätswesens«.41) Auch in Berlin wurden sämtliche Kliniken der Universität im Krieg zugleich als Reservelazarette für Verwundete verwendet; außerdem gab es an der Charité 640 Betten für Verwundete.42 Im Vergleich zu den sonstigen Patienten der Universitätskliniken waren die Kriegsverwundeten etwas besser gestellt. Als aus einem solchen Lazarett nachgefragt wurde, ob die Verwundeten »zu Unterrichtszwecken« gebraucht werden dürften, wurde das zwar prinzipiell bejaht – doch nur, falls sie keine Schmerzen hatten und die Heilung dadurch nicht verzögert wurde. Dagegen waren die
37 Rupprecht, Krankenpflege, S. 377, 386; Sanitätsbericht I, S. 167–169. 38 Dies war für einige »durch die vorhandenen Regulative ohne weiteres möglich«, andere wurden zu diesem Zweck jenen Kliniken angegliedert, für die Verträge mit dem Roten Kreuz bestanden. Sommer, Kriegstätigkeit, [S. 1/Sp. 1]. Prüll, Gießens Universitäts mediziner, S. 311. Zur überwiegenden Belegung der Inneren Klinik mit Verwundeten s. auch Cay-Rüdiger Prüll, Der Heilkundige in seiner geographischen und sozialen Umwelt – Die medizinische Fakultät der Universität Gießen auf dem Weg in die Neuzeit (1750–1918), Gießen 1993, S. 59. 39 Pr. KuMi an Kriegsmin. 11.8.1914 (Entwurf); Kurator Breslau an Pr. KuMi 8.8.1914 (über den Vertrag von 1893): GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 1, Tit. I, Nr. 35 Bd. I, fol. 11, 16. Zur Umwandlung von Kliniken in Lazarette in Marburg s. Wettmann, Heimatfront Universität, S. 223. Für Göttingen s. Göttinger Kriegsgedenkbuch 1914–1918, Göttingen 1935, S. 116 f. 40 Rupprecht, Krankenpflege, S. 386 f.; Sanitätsbericht I, S. 169 (Überweisung unmittelbar von der Truppe ab Oktober 1914). 41 Mönch, Rotes Kreuz, S. 804. 42 [Aufzeichnung] Landtagssession 1915: Gegenstand: Einfluß des Krieges auf die Universitäten und Technischen Hochschulen, deren Lehrkörper, Betrieb und Frequenz usw.: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. I, Nr. 17 Bd. V, fol. 313–326, hier 323.
392 Die Universitäten im Kriegseinsatz Patienten der III. Klasse, die dort normalerweise Aufnahme fanden, grundsätzlich verpflichtet, sich zu Lehrzwecken zur Verfügung zu stellen.43 In Berlin wurden den jährlichen Berichten über die Kriegstätigkeit zufolge u. a. die Chirurgische Klinik als Reservelazarett genutzt und auch das Zahnärztliche Institut zu einem solchen umgewandelt;44 doch geht man dem genauer nach, so ergibt sich, daß von den Universitätskliniken die meisten zwar auch verwundete oder kranke Soldaten aufnahmen – sogar die Frauenklinik richtete einen ihrer Pavillons als Lazarett ein –, doch stellten die ›Krieger‹ nur in der Augenklinik 1915 eine knappe Mehrheit der Patienten.45 Doch angesichts des gravierenden Ärztemangels sicherte die Einrichtung der Kliniken als Hilfslazarette ihnen zugleich Assistenten (die dann vom Militär überwiesen wurden).46 Außer den (teilweise) obligatorischen Umwidmungen zu Lazaretten gab es evtl. noch weitere Formen der Aufnahme von Verwundeten. So stellte etwa der Leiter der Männerstation der Psychiatrischen und Nervenklinik der Charité seine Station für Heeresangehörige mit Erkrankungen des Nervensystems zur Verfügung.47 Oder sollte diese Meldung vielleicht nur der Versuch sein, eine ohnehin bestehende Verpflichtung als zusätzlichen Beitrag erscheinen zu lassen? Besonders betroffen war die Poliklinik der orthopädischen Chirurgie. Dort wurde die Dienstzeit verlängert und das Hilfspersonal vermehrt. Da aber alle früheren Assistenten einberufen waren,48 muß es sich wohl um von der Militärverwaltung gestelltes Personal gehandelt haben. In Gießen verband andererseits die Universität am zweiten Kriegstag ihr Angebot, in der Psychiatrischen Klinik, »soweit Platz und Pflegekräfte reichen«, auch Militärpersonen zu behandeln, mit einem Unabkömmlichkeitsgesuch für Ärzte und Angestellte dieser Klinik.49 Sie versuchte also, durch ihren Kriegsbeitrag ihre eigenen Interessen zu wahren und knüpfte ihn sogar an ziemlich einschränkende Bedin43 Pr. KuMi an Kurator Bonn 10.10.1914: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 1, Tit. I, Nr. 35 Bd. I, fol. 186. 44 Die FWU im Kriege 1914/15, S. 18, 20. – Aber Chronik FWU Berlin 1914, S. 92 (bis 1.4.15): 1629 Zivilpatienten neu aufgenommen und 188 aus Vorjahr verblieben. Außerdem 777 Verwundete aufgenommen. 45 Chronik der FWU Berlin 1914 [1.4.1914–31.3.1915], S. 92 (Chirurgische), 93 (Augen klinik), 94 (Frauen-), Innere (94), Ambulatorium für Stimm- und Sprachstörungen (96), Hydrotherapeutische Anstalt (97), Poliklinik für orthopädische Chirurgie (99); Chronik der FWU Berlin 1915, S. 74 (Chirurgie und Augen-), 75 (Frauenklinik: nur noch kostenlose Behandlung armer Soldatenfrauen erwähnt), 75 (Innere), 77 (Ambulatorium), 79 (Hydrotherapie), 79 (Orth. Chirurgie), 81 (Poliklinik für Lungenleidende), 80 (Mechanotherapeutische Anstalt). 46 Beneke, Bericht über den III . medizinischen Fakultätentag, S. 15. 47 Die FWU im Kriege 1914/15, S. 18 (Bonhoeffer). 48 Die FWU im Kriege 1914/15, S. 39. 49 Betreffend Anerkennung der Unabkömmlichkeit eines Teiles des männlichen Personals der Klinik für psychische und nervöse Krankheiten 2.8.1914: UA Gi Allg. 107, fol. 7–8 (mit detaillierter Begründung).
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gungen. Offenbar gab es keine bestehende gesetzliche Regelung dafür wie an den preußischen Universitäten. Zugleich fehlte damit aber auch die Versorgung dieser Lazarette durch Militärärzte. Der Direktor der (damals neuen!) Gießener Hautklinik Albert Jesionek wirkte als Wundarzt und Chirurg, der, da alle Assistenten eingezogen waren, von seiner Frau und den Frauen seiner Freunde unterstützt wurde. (Gleichzeitig war er fachärztlicher Berater des XVIII. Armeekorps, also jenes Verbandes, zu dem die Regimenter des Großherzogtums Hessen gehörten.)50 Auch anderswo halfen einzelne Professoren-Gattinnen ihrem Mann im Lazarett – gelegentlich sogar über Jahre hinweg.51 Mancherorts wurden neben den Kliniken noch weitere Universitätsbauten in Lazarette umgewandelt, in Straßburg sogar das Kollegiengebäude.52 Daß in Erlangen das Schloß (in dem sich Universitätsverwaltung, Bibliothek und weitere Seminarräume befanden) so verwendet wurde, hatte später gravierenden Sanierungs bedarf zur Folge.53 Außer der Verwendung von Räumlichkeiten und Personal für Lazarette unterstützten Mediziner die Verwundetenpflege auch durch Abhaltung von Fortbildungskursen für Ärzte, Mitglieder der Krankenpflege und Angehörige der Universität. In Gießen, wo man damit im August 1914 begann, wurden die Kurse fast gänzlich von Ordinarien bestritten. Schon im Wintersemester ver anstaltete die Fakultät einen zweiten derartigen Lehrgang.54 Ähnliche Kurse fanden auch im benachbarten Marburg statt.55 Neben dem von öffentlichen Einrichtungen erwarteten Einsatz und der militärischen Verpflichtung vieler Mediziner gab es zusätzlich individuelles Engagement, manchmal sogar in Kombination: In Berlin z. B. nahm der Privatdozent und Titularprofessor Paul Straßmann, ein renommierter Spezialist, in seiner modernen privaten Frauenklinik ostpreußische Flüchtlingsfrauen und Auslandsdeutsche unentgeltlich auf und richtete für »Unteroffizierfrauen des 50 Prüll, Gießens Universitätsmediziner, S. 312; Prüll, Der Heilkundige, S. 145; Christian Reiter, Albert Jesionek (1870–1935). Sein Leben und wissenschaftliches Werk zur Tuberkulose der Haut unter besonderer Berücksichtigung der lichtbiologischen Forschung, Gießen 1993, S. 53. 51 Für Straßburg s. das Beispiel des PD und Titularprofessors Hans Landolt (als Zivilarzt) auf der Augenstation des Festungslazaretts I, dann als Chefarzt des Festungslazaretts XVII . Seine Frau war seit August 1914 als seine Assistentin und Hilfsschwester tätig: Antwort auf der Rundfrage des Straßburger Rektors vom 13.4.1916: ADBR 103 AL 194. (Die Angabe zum Status als Zivilarzt nach AV KWU Strb. SS 1915, S. 5). 52 S. den Vermerk des Rektors auf: Stadtkasse Straßburg an Rektorat 2.5.1916: ADBR 103 AL 138, fol. 754. 53 Liermann, FAU Erlangen 1910–1920, S. 35; Erlangen in der Kriegszeit. Ein Gruß der Universität an ihre Studenten, [Erlangen] 1915, S. 6, 12. 54 Prüll, Gießens Universitätsmediziner, S. 315. 55 Wettmann, Heimatfront, S. 223. Dagegen wurden keine Hinweise auf solche Kurse gefunden in den Quellen oder Untersuchungen zu Erlangen, Leipzig, Würzburg.
394 Die Universitäten im Kriegseinsatz Gardekorps Freistellen« ein. Gleichzeitig fungierte er seit dem ersten Kriegsjahr selbst als ordinierender Chirurg im Barackenlazarett auf dem Tempelhofer Feld, einem neu errichteten, hochmodernen Reservelazarett für 1200 Verwundete. (Bei Kriegsbeginn 48 Jahre alt, gehörte er nicht mehr zum Landsturm. Doch wies ihn das Personalverzeichnis ab Winter 1915/16 als im Heeresdienst stehend aus.) Außerdem behandelte er ehrenamtlich die Verwundeten eines Erholungsheims am Wannsee, bildete Helferinnen des Roten Kreuzes aus und hielt Fortbildungskurse für Hilfsschwestern.56 Im Vergleich zu manchen Kollegen, die sich auf beratende Funktionen an Berliner Einrichtungen beschränkten,57 war das Engagement dieses Gynäkologen aus einer jüdischen Arztfamilie ziemlich ausgedehnt und – vor allem durch den Verzicht auf mögliche Einnahmen aus seiner hochmodernen und auch für wissenschaftliche Tätigkeit ausgestatteten Privatklinik – bemerkenswert.58 Bei einem anderen Privatdozenten, dem Begründer der Phoniatrie in Deutschland Hermann Gutzmann, scheint der entgegengesetzte Fall vorzuliegen: Er konnte im Krieg die Bettenzahl seiner Privatklinik für Sprachgestörte (auf 24) verdoppeln. Bald wurden alle Verwundeten und Erkrankten der Armee, die sich im Felde derartige Sprachfehler zugezogen hatten, nach Berlin überwiesen, so daß Gutzmanns »Militärlazarettklinik (…) zu einem Sonderlazarett« wurde. Den entsprechenden Erlaß hatte er selbst angeregt. Deshalb ist zu vermuten, daß die Behörden ihm dies vergüteten, die Umwandlung in ein Lazarett also eine zusätzliche Einnahmequelle für ihn bedeutete. Gleichzeitig leitete Gutzmann (wie bisher) das Universitätsambulatorium für Stimm- und Sprachstörungen sowie eine Abteilung in einem Vereinslazarett des Vaterländischen
56 Die FWU im Kriege 1914/15, S. 21; zu dem Lazarett: Sanitätsbericht I, S. 171 f. Bei Wolfgang Paul Strassmann, Die Strassmanns. Schicksale einer deutsch-jüdischen Familie über zwei Jahrhunderte, Frankfurt a. M. [u. a.] 2006, S. 89 heißt es: »wurde als leitender Chirurg zur zweiten chirurgischen Abteilung des Reservefeldlazaretts auf dem Tempelhofer Feld einberufen«. Ob Privatdozenten im Krieg ähnlich verpflichtet werden konnten wie beamtete Medizinprofessoren, ist unklar. Status des Lazaretts nach: http://denkmal projekt.org/Verlustlisten/vl_4_lothr_ir136_wk1_ersatzbat.htm (19.4.2011) und http:// www.buddecke.de/lange-lebenslauf.htm (19.4.2011). Auf den Status eines Vertragsarztes könnte die Formulierung im Bericht über das dritte Kriegsjahr (»als ordinierender Chirurg … angestellt«) hindeuten (Die FWU 1916/17, S. 13). Zu den zivilen Vertrags ärzten: Sanitätsbericht I, S. 43 f. 57 S. etwa die Medizinprofessoren Rubner, Heffter (kombiniert mit weiterer Experten tätigkeit, s. u.), Hildebrand, Krückmann, Lesser, oder die [Titular-]Professoren [Paul] Schuster und R[ichard] Cassirer, P. Heymann, Rothmann, Helbron. Titular-Prof. Benda war »vertraglich verpflichtet«. Alles nach: Die FWU im Kriege 1914/15, S. 17–29. 58 Biogr. Angaben nach Strassmann, Die Strassmanns, S. 67–72, 80–103. Zu der – mit einem Vorschuß auf sein Erbe erbauten – Klinik, die heute denkmalgeschützt ist, auch http://www.stadtentwicklung.berlin.de/cgi-bin/hidaweb/getdoc.pl?LIST_TPL =lda_list. tpl;DOK_TPL =lda_doc.tpl;&KEY=obj09095908 (14.4.2011).
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Frauenvereins, in dem ebenfalls eine Sonderabteilung für Stimm- und Sprachstörungen eingerichtet wurde.59 Unklar ist, wie lange sich diese beiden Mediziner so breit engagierten: Daß es im zweiten Kriegsjahr zu Straßmann nur noch »ordinierender Chirurg im Barackenlazarett (…)«, zu Gutzmann »Chefarzt einer Lazarettklinik und leitender Arzt einer Abteilung im Vereinslazarett (…)« hieß, könnte durch die neue, standardisierte Gestaltung des Berichts bedingt sein, der nur noch Universitätsmitglieder verzeichnete, »welche im Feld oder sonst in irgendeiner dauernden Stellung für den Krieg tätig sind«.60 Und diese Tätigkeiten führten beide auch im dritten Kriegsjahr weiter, Gutzmann wurde außerdem noch fachärztlicher Beirat beim Gardekorps.61 In wie weit es freiwilligem Einsatz zu verdanken war, wenn z. B. in Straßburg im zweiten Kriegsjahr die Hälfte aller Lazarette unter der Leitung von Universitätsdozenten stand,62 muß offenbleiben. Gewiß erfüllten viele Mediziner ihre militärischen oder sonstigen Verpflichtungen gegenüber dem Staat auf diese Weise. Doch waren die meisten davon nicht beamtete Professoren, sondern Privatdozenten. Als solcher leitete z. B. der bei Kriegsbeginn 47jährige österreichische Reserveoffizier Demeter Ritter von Tabora 1914–1918 das Seuchenlazarett in Straßburg und sorgte dabei (als an Privatpatienten reichlich verdienender Arzt) aus eigener Tasche gut für das Lazarettpersonal und für sich selbst.63 Auch zahlreiche Mitglieder der Berliner Fakultät waren Ärzte in Vereins- oder Reservelazaretten in der Heimat, oft vor Ort, aber auch an der Front, viele in leitender Funktion.64 Der Ordinarius der Gynäkologie Ernst Bumm z. B. leitete jahrelang das Reserve-Lazarett der Ida-Simon-Stiftung, die sich eigentlich einer ganz anderen Aufgabe widmete.65 Im ersten Kriegsjahr wirkten 74 der 134 Privat
59 Die FWU im Kriege 1914/15, S. 24 (Zitat); Chronik der FWU Berlin 1914, S. 96 (Erlaß). Biogr. Informationen: http://www.phoniatrics-uep.org/download/gutzmanns.pdf (18.4.2011), S. 4, 7. Darin scheint die Angabe über ein Extraordinariat aber auf einer irrtümlichen Interpretation des Professorentitels zu beruhen, denn das PV weist ihn während des ganzen Krieges als Privatdozenten aus. 60 Die FWU im Kriege 1915/16, S. 11 (Straßmann), 12 (Gutzmann), 9 (Berichtsgestaltung). 61 Die FWU im Kriege 1916/17, S. 13, 14. 62 Ficker, Bericht II (1915/16), S. 6. 63 Huttmann/Reiner, Seuchenlazarett der Festung Straßburg, S. 87 f., 91. Das Personal wurde wegen der Ansteckungsgefahr zwar isoliert, dabei aber durch Bewegung an der frischen Luft und Flußbädern fit gehalten und kalorienreich ernährt, sogar mit Wein. Die Sanitäter bildeten eine Fußballmannschaft, der Tabora das Dress spendierte. 64 Aber aufgrund der Vielfalt von Bezeichnungen wie auch der im Laufe des Jahres oft mehrfach wechselnden Position ist eine systematische Auszählung und Kategorisierung nicht möglich. 65 Sie wurde ursprünglich zur Unterstützung von Frauen und Mädchen errichtet, die unter chronischen Frauenkrankheiten litten. Einige Jahre zuvor hatte sie auch eine Klinik eröffnet. Die FWU im Kriege 1914/15, S. 18; 1915/16, S. 10; 1916/17, S. 12.
396 Die Universitäten im Kriegseinsatz dozenten in einem Lazarett, ein Drittel von ihnen an der Front (oder vereinzelt im besetzten Gebiet).66 Manche verbanden diese verschiedenen Einsatzmöglichkeiten auch. So war der jüdische Dermatologe und Venerologe Julius Heller, Privatdozent mit Professorentitel, in den ersten beiden Kriegsjahren als ehrenamtlicher Vertrauensarzt der Königlichen Kommandantur Berlin mit der Untersuchung von Zivilgefangenen auf ihre militärische Dienstfähigkeit beauftragt, wirkte hauptsächlich als Abteilungsarzt an einem Reservelazarett und war außerdem ehrenamtlich als leitender Arzt der Röntgenabteilung eines anderen tätig; im dritten Kriegsjahr entfiel nur das erste Engagement; am Ende des Krieges war Heller im Garnisonslazarett tätig.67 Der ebenfalls jüdische Privatdozent für Gynäkologie Ludwig Blumreich war ehrenamtlicher Chefarzt des »Vereinslazaretts Prof. Blumreich im Franziskus-Sanatorium«. Aber obwohl dort »ständig 30 Offiziere und 30 bis 40 Mannschaften untergebracht« waren, benötigte er als Chefarzt vermutlich nicht seine ganze Zeit dafür, sondern konnte sich wohl weiter seiner seit 1909 existierenden Privatklinik widmen.68 Ein anderer Kollege, Rudolf Ehrmann, ebenfalls Jude oder jüdischer Herkunft, wurde als 35jähriger Bataillonsarzt auf dem westlichen Kriegsschauplatz Ende November 1914 verwundet, mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet und nach seiner Wiederherstellung vom Ministerium mit der stellvertretenden Leitung des poliklinischen Universitätsinstituts und der Abhaltung der klinischen Vorlesungen beauftragt. Zugleich war er Chefarzt des dort eingerichteten Vereinslazaretts.69 Der freiwilligen Verwundetenpflege im engeren Sinn standen also weitere und, wie es scheint, stärker verbreitete Tätigkeiten in den Reserve- und Vereinslazaretten des Inlands zur Seite. Dabei wurde die Tätigkeit der Dozenten und Studenten auf diesem Gebiet durch die ihrer Gattinnen und Töchter ergänzt: Gleich zu Kriegsbeginn ließ sich etwa Georg Simmels Frau Gertrud, selbst Malerin und philosophische Schriftstellerin, dafür ausbilden, wusch frisch 66 Die FWU im Kriege 1914/15, S. 20–28. 67 Die FWU im Kriege 1914/15, S. 22; 1915/16, S. 12; 1916/17, S. 14. Zur Biographie: O. Rosen thal, Julius Heller †, in: Dermatologische Zeitschrift 63 (1932), S. 295–297. Zum Garnisonslazarett s. Verhandlungsberichte. Berliner Dermatologische Gesellschaft, in: Archiv für Dermatologie und Syphilis 125 (1918–1920), S. 855–862, hier 856 (Sitzung vom 18.3.19). 68 Die FWU im Kriege 1914/15, S. 23 (Zahlen nur hier!); 1915/16, S. 12; 1916/17, S. 14 (Name des Lazaretts). Information über die Privatklinik nach: Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft 1, S. 154. Judentum lt. http://www.sammlungen.hu-berlin.de/schlag worte/625/dokumente/ sowie Ebert, Jüdische Hochschullehrer, passim (ohne sonstige Detailinformation). 69 Die FWU im Kriege 1914/15, S. 27. Zur Herkunft (und Entzug der Lehrbefugnis 1935): Ebert, Jüdische Hochschullehrer, S. 436 f. A. 27 (mit Fehlinformation bezüglich der Professur 1915: Ehrmann wurde nicht »a.o.«, sondern nur Titularprofessor!). Weitere biogr. Informationen (über Emigration und Ehrmann als Arzt Einsteins): http://www. whonamedit.com/doctor.cfm/460.html (26.5.2011).
Freiwillige Übernahme von Aufgaben in der Heimat
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eingetroffene Verwundete und war auf diese Weise anderthalb Jahre lang so beschäftigt, daß sie erst im Frühjahr 1916 wieder in die geistige Arbeit zurückfand.70 In Berlin durchliefen Max Plancks Töchter eine 20stündige Schnellausbildung; danach durften sie im Lazarett arbeiten. Eine der beiden schloß später eine regelrechte Schwesternausbildung an.71 Hedwig Hintze dagegen betätigte sich beim Roten Kreuz in Aufsichtsfunktion.72
Unterhaltungs- und Bildungsangebot für die Verwundeten Die Straßburger z. B. organisierten bald »Ausgänge mit den Verwundeten«, denn individuelle Spaziergänge hatten »zu Mißhelligkeiten« geführt und waren deshalb verboten worden. Daher wurden die Verwundeten nun »durch vertrauenswürdige Persönlichkeiten ins Freie« geleitet, die Nichtgehfähigen »mit Handwagen oder mit Fuhrwerk« ausgefahren. Das Interesse an der Stadt w ußten die Gelehrten dabei geschickt in belehrende Gespräche zu kanalisieren und führten die Verwundeten auch gelegentlich in Musik- und Vortrags veranstaltungen der Aubette und in Museen; ja einige Professoren ließen sich gar zu gelegentlichen Kinobesuchen verleiten, wobei die Verwundeten sie »listig« in ein bestimmtes Kino lenkten, in dem es auf die Eintrittskarte auch ein Glas Bier gab.73 Später spendierte man ihnen bei Stadtrundgängen eine »Sonntagszigarre«. Vielleicht lockte man damit auch mehr Teilnehmer an, als sonst gekommen wären – es gesellten sich jedenfalls auch Soldaten hinzu – und benutzte dies zur offenen oder indirekten Beeinflussung: So wies man die Verwundeten »auf den Unterschied (…) zwischen der Provinzstadt der französischen Zeit und der großen Hauptstadt, die Straßburg durch die deutsche Herrschaft geworden ist«, hin und kehrte immer wieder »absichtlich (…) in Privathäusern ein«, wo sich die Verwundeten »auch im Gespräche mit den Bediensteten« überzeugen »sollten«, wie selbst die ansehnlichsten Haushalte »auf sparsamste Versorgung angewiesen« waren. Daraufhin beklagten sich die Verwundeten nie mehr über die Verpflegung im Lazarett!74 Die Gelehrten ließen es also nicht bei Bemühungen um die körperliche Genesung verwundeter Soldaten bewenden. »Eine der ersten Sorgen war die um 70 Georg Simmel an Margarete von Bendemann 9.8.1914 und an Hugo Liepmann 11.8.1914; Auszug aus den Erinnerungen des Sohns. Alle: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 367 f., 369, 376. Im Frühjahr 1916 arbeitete sie nur noch einige Stunden pro Woche in einer Kinderlesehalle (Auszug aus einem Brief Gertrud Simmels an Heinrich Rickert vom 22.3.1916, ebd. S. 598). 71 Pufendorf, Die Plancks, S. 72, 94 f.; Heilbron, Max Planck, S. 78. 72 Walther, Das Gelehrtenpaar Hintze, S. 100. 73 Ficker, Bericht (1914/15), S. 19–21. Zur Aubette s. u. S. 549. 74 Ficker, Bericht IV (1917/18), S. 31 (auch zu Führungen in diversen Sammlungen).
398 Die Universitäten im Kriegseinsatz die Bücher in den Lazaretten.« Diese hatten aber bereits »von verschiedenen anderen Seiten Bücher und Schriften bekommen, unter denen schon der erste Blick vieles Unnütze, Unpassende, ja Schädliche erkannte. Die Aufgabe, hier eine Ausmusterung vorzunehmen und unter den Büchern dauernd Ordnung zu halten, legte das Bedürfnis nach besonderen Lazarettbibliothekaren nahe.« Darum kümmerte sich vor allem die Straßburger Universitäts- und Landes bibliothek, und die Kriegsstelle vermittelte ihr dafür Lehrer der höheren Schulen. Sie selbst befaßte sich hauptsächlich mit der »allgemeinen Organisation der Verwaltung der Lazarettbibliotheken«, aber »einige Angehörige der Universität« wirkten auch vor Ort in Lazaretten mit.75 Daß die Tätigkeit für Lazarettbüchereien in den folgenden Kriegsjahren nur noch en passant erwähnt wurde,76 erklärt sich vermutlich daraus, daß das Rote Kreuz ab 1915 den Versand von Kriegsbüchereien auch in die Lazarette bestens durchorganisiert hatte,77 so daß die Professoren kaum noch dafür benötigt wurden. In dem Bemühen, selbst geistige ›Nahrung‹ zu bieten, sparten die Straßburger nicht mit Kritik an dem, was andere schon getan hatten: »die Leute ermüdet, statt erfrischt«, ihnen »zu viel Musik (…) und den einfachen Leuten zu viel schwere Musik« geboten. (In Heidelberg trat der schon als Hilfskrankenträger und Gymnasiallehrer engagierte Mediävist Hampe sowohl im Lazarett als auch im Soldatenheim als Sänger auf!) Aber »noch Anderes war erforderlich. Gerade hier in der Notwendigkeit geistiger Mitteilung mußte die Universität helfend, gebend, ergänzend einsetzen.« Deshalb organisierte sie Lazarettvorträge. »Fachmänner« sprachen über ihr Arbeits- oder Forschungsgebiet oder »aus der eigenen Erfahrung über Selbsterlebtes und Durchdachtes«, in leichter Form über »tiefernst[e]« Fragen. »Wir wollten über Unterhaltung und flüchtige Anregung hinaus stets auch Belehrendes und Erhebendes geben.« »[U]m die Verwundeten nicht zu ermüden«, fand aber in jedem Lazarett durchschnittlich nur alle 8–14 Tage ein Vortrag statt. Insgesamt waren das vom Wintereinbruch bis zum Beginn des Sommersemesters 1915 schon über 200 Vorträge. Dabei hielten manche Redner den ihren 12mal und öfter.78 Im zweiten Kriegsjahr folgten 225 Vorträge in 28 Lazaretten, 10 Soldatenheimen und an anderen Orten. Sie bildeten die »Mitte der Arbeit der Kriegsstelle«, und die Soldaten waren dafür (jedenfalls der offiziellen Darstellung zufolge) so dankbar, daß sie sogar um noch mehr Vorträge baten.79 Die Wirkung reichte aber noch 75 Ficker, Bericht (1914/15), S. 18 f. 76 Ficker, Bericht II (1915/16), S. 9; Bericht IV (1917/18), S. 9. 77 Riesenberger, Das Deutsche Rote Kreuz, S. 131. 78 Ficker, Bericht (1914/15), S. 22–24. Zu Hampes Auftritten: Hampe, Kriegstagebuch, S. 153 (8.11.1914) und 232 (16.5.1915). 79 Ficker, Bericht II (1915/16), S. 24 f., 34. S. auch SP 1.4.1915/Unterhaltungsblatt Nr. 2 mit dem Text eines Vortrags von Prof. G. Ledderhose zur Soldatenunterhaltung in der Aubette: »Die Entwicklung der Kriegschirurgie«.
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weiter. Nach einem Vortrag über den Bildhauer Landolin Ohmacht wollten die Verwundeten beim nächsten Stadtgang dessen Denkmäler aufsuchen, und nach »philosophisch gehaltenen Darlegungen über Volk und Staat« stellten sie »am nächsten Tage durchaus richtig orientierte Fragen«.80 Außerdem wurden die Verwundeten als Multiplikatoren benutzt: Nach Vorträgen über Krieg und Volksernährung erhielten sie ein Blatt, das sie nach Hause schicken sollten.81 Und schließlich ging es den Straßburger Professoren nicht nur um Zeit vertreib (den sich die Verwundeten mit Basteleien schon selber verschafften), sondern um die Rückführung zur Arbeit trotz Behinderung! Zwar konnte die Universität die an sie herangetragene Bitte, die Schwerverletzten für einen neuen Beruf vorzubereiten, nicht erfüllen, weil sich die Adressaten nicht lange genug in Straßburg aufhielten. Doch führte sie sie (mit Hilfe des Vaterlän dischen Frauenvereins!) an Handarbeiten heran, mit denen »Nutzbringendes geschaffen wurde«.82 Im zweiten Kriegsjahr beteiligte sich (!) die Kriegsstelle der Universität an den Kursen für Lazaretthandarbeit und konnte die Hälfte der Verwundeten dafür heranziehen.83 Ab dem dritten Kriegsjahr war davon jedoch nicht mehr die Rede – vermutlich, weil inzwischen sowohl die Beschäftigungstherapie durch das Rote Kreuz in Lazaretten als auch die anschließende Rehabilitation auf breiter Grundlage institutionalisiert waren.84 Die Gießener entwickelten ganz ähnliche Aktivitäten, allerdings erst ab Sommer 1915. Der Rektor, der Bibliotheksdirektor und ein Landgerichtsrat regten Unterricht in den Lazaretten an: in Fremdsprachen, Maschinenschreiben, Buchführung. Neben einer Anzahl von Lehrern beteiligten sich daran auch Dozenten der Universität. Das Echo scheint jedoch weniger positiv als in Straßburg gewesen zu sein: In Gießen fühlten sich die Mannschaftsgrade nicht angesprochen, und ein Jahr nach Beginn der Kurse mußte sich der zuständige Ausschuß sogar fragen, wie man der »gänzlichen Interesselosigkeit der sämtlichen Verwundeten am Unterricht« Herr werden könne.85 Der Marburger Altphilologe Birt, der Blinden und Halbblinden vorlas und zunächst befriedigt ihre Antworten auf seine Fragen registrierte, mußte plötzlich feststellen, daß alle weg waren, weil es Abendessen gab.86 Aus der hauptstädtischen Universität, die ihre Tätigkeiten akribisch für jede einzelne Person registrierte, wurde über solche Aktivitäten dagegen überhaupt 80 Ficker, Bericht (1914/15), S. 30. 81 Ficker, Bericht (1914/15), S. 29. 82 Dabei handelte es sich um Strick-, Knüpf-, Flecht-, Schnitzarbeiten etc. Ficker, Bericht (1914/15), S. 32–35. 83 Ficker, Bericht II (1915/16), S. 21. 84 Riesenberger, Das Deutsche Rote Kreuz, S. 165–167. 85 Sommer, Kriegstätigkeit, Bl. 2; Anderhub, Antoniterkreuz, S. 26 f. (mit Zitat). 86 Und sie hatten sich nicht einmal bei ihm bedankt! (Wettmann, Kriegstagebücher Birts, S. 145).
400 Die Universitäten im Kriegseinsatz nicht berichtet. Außer den fünf freiwilligen Krankenpflegern und einem Theologen, der in Lazaretten Gottesdienst hielt, wirkten nur noch zwei Privatdozenten als Pfarrer in einem Militär- bzw. einem Reservelazarett.87 Aber das war ja Teil des militärischen Dienstes – den sie auf diese Weise ›zuhause‹ in Berlin ableisten konnten! Daß es in Berlin keine Volks- und Weiterbildungsaktivitäten unter Verwundeten gab, ist unwahrscheinlich. Daher stellt sich nur die Frage, warum sich die Hochschullehrer nicht daran beteiligten. Wurden sie nicht benötigt (z. B. weil das Angebot hier ohnehin breiter war als in den kleinen Universitätsstädten) – oder hielten die Vertreter der deutschen ›Nationaluniversität‹ andere Aufgaben für sich für angemessener?
Ausfasernde Kriegsfürsorge: vom Bahnhofsdienst zu Spendensammlungen Durch die Entlassung berufstätiger Frauen, aber auch durch die Abwesenheit (oder den Tod) kämpfender Familienväter entstand im Krieg bald eine neue Bedürftigkeit, der zunächst auf der Grundlage privater Spenden begegnet wurde. Die Koordination lag meist bei Kriegsfürsorgeausschüssen der Gemeinden, in denen private Vereine eng mit der öffentlichen Fürsorge zusammenarbeiteten. Bald mußten die Gemeinden auch den größten Teil der Kosten übernehmen. Zu den Leistungen gehörten Mietbeihilfen, Lebensmittel- und Kleiderspenden, Kinderbetreuung (wenn die Mutter erwerbstätig und der Vater im Krieg war), aber auch die Schaffung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen in Nähund Strickstuben, in denen sogenannte ›Liebesgaben‹ für die Soldaten an der Front hergestellt wurden.88 (Wenn Professorengattinnen in ihren »Nähkränzchen« solche Gaben ehrenamtlich fertigten,89 schmälerten sie also zugleich die Verdienstmöglichkeiten der einfachen, darauf angewiesenen Frauen.) Natürlich wirkte mancher Hochschullehrer an traditionellen Formen der Wohltätigkeit mit – in der Reichshauptstadt etwa der Literaturhistoriker und Theaterwissenschaftler Max Herrmann, der in Verbindung mit dem Nationalen Frauendienst Freitische für Kinder einrichtete (wobei die Initiative vielleicht von seiner Frau, einer promovierten Lehrerin, ausgegangen sein mag).90 Die Univer87 Zu den drei Theologen s. FWU 1914/15, S. 15, zu den fünf Krankenpflegern weiter o. im Text. 88 Alles nach Jeffrey Verhey, Kriegsfürsorge, in: Hirschfeld u. a. (Hg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, S. 640 f. 89 So notierte der Heidelberger Historiker Hampe über seine Frau: »Lotte hat in ihrem Nähkränzchen heute das tausendste fertige Bekleidungsstück für die Soldaten mit Thee und Gebäck gefeiert.« (Hampe, Kriegstagebuch, S. 175 [17.12.1914]). 90 FWU im Kriege 1914/15, S. 32. Biogr. Angaben zu Helene und Max Hermann: http:// de.wikipedia.org/wiki/Helene_Herrmann; http://de.wikipedia.org/wiki/Max_Herrmann_ (Theaterwissenschaftler) (alle 5.5.2011).
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sität als Institution überwies schon drei Monate nach Kriegsbeginn 2400 Mark aus ihrem Senatsfonds an die Stadt als Geschenk für die Familien der Kriegsteilnehmer91 und erbrachte auch Sachleistungen, etwa durch kostenlose Aufnahme von bedürftigen Frauen, deren Männer im Feld standen, oder von Flüchtlingen aus Ostpreußen in ihren Kliniken.92 (Damit erweiterte sie allerdings nicht nur den Kreis ihrer Gratis-Patienten, sondern auch die Demonstrationsmöglichkeiten im klinischen Unterricht.) Ähnlich tätigten die Gießener aus dem Quästur-Reserve-Fonds Sonderausgaben im Umfang von 3000 Mark für Lazarette in ihren eigenen Kliniken.93 In Relation zur Größe der Studentenschaft und des Lehrkörpers war sie also gebefreudiger als die Berliner – um so mehr, als die Dozenten selbst auch noch 1200 M. für den zweiten hessischen Lazarettzug spendeten.94 Sachleistungen erbrachte die Universität etwa durch die Mitwirkung des Hygiene-Instituts bei der Seuchenbekämpfung.95 Einen gewissen Schwerpunkt der Tätigkeit der Straßburger Gelehrten und der dortigen Kriegsstelle bildete der Bahnhofsdienst. Hierbei scheint es sich um eine lokale Spezialität gehandelt zu haben, denn schließlich lag die Stadt auf dem Weg an die Front (und bald für Verwundete von dort zurück). Im ersten Kriegsjahr beteiligten sich am Bahnhofsdienst »22 Herren«, von denen einige aber »aus dem weiteren akademischen Kreise«, also nicht aus der Universität kamen. Dieser Dienst stellte »gerade an die männlichen Arbeitskräfte (…) große Anforderungen« und fiel ihnen auch deshalb schwer, weil sie ihre Vorlesungszeiten damit koordinieren mußten;96 andererseits schien er aber nötig, um jene Dienstleistungen zu verrichten, »die Frauen verwehrt bleiben müssen«. (Doch da der Bahnhofsdienst auf deren Hilfe offenkundig trotzdem nicht verzichten konnte, sorgten 11 weitere Herren in den ersten Kriegstagen, als keine Straßenbahnen fuhren, dafür, daß diese Frauen und Mädchen nachts sicher nach Hause gelangten.)97 In den gedruckten Berichten der Kriegsstelle wird die Bedeutung des Bahnhofdienstes stark herausgestellt. Doch meint die dort erwähnte »von der Universität aus vollzogene Organisation« nur die der »Herren« »neben der (….) ebenfalls schon frühe [!] organisatorisch zusammengefaßten Tätigkeit der Frauen«; denn der Bahnhofsdienst als solcher wurde vom Vaterländischen Frauenverein eingerichtet und vom Roten Kreuz finanziert!98 Der 91 Prot. der Sitzung der Phil. Fak. vom 7.10.1914: UA HU Phil. Fak. 34, fol. 283v. 92 Chronik FWU 1915, S. 75 (Frauenklinik), 78 (Hydrotherapeutische Anstalt). 93 Sommer, Kriegstätigkeit, Bl. 1. 94 Im Jahresbericht zur Jahresfeier am 1.7.1915 nannte Rektor Sommer 2600 M. für »KriegsWohltätigkeit besonders in den Kliniken« und 1200 M. für den Lazarettzug (Sommer, Krieg und Seelenleben, S. 27). 95 Anderhub, Antoniterkreuz, S. 25. 96 Ficker, Bericht (1914/15), S. 13 f. 97 Ficker, Bericht II (1915/16), S. 14; vgl. Bericht (1914/15), S. 17. 98 Die Durchziehenden, in: SP 1040, 16.10.1914. Zitat: Ficker, Bericht (1914/15), S. 14.
402 Die Universitäten im Kriegseinsatz als Verwundeter zurücktransportierte Hallenser Student (und spätere Gießener Chemieprofessor) Hermann Reinhold pries den Straßburger Bahnhofsdienst in den höchsten Tönen: »Wir werden hier ganz rührend verpflegt, man glaubt es gar nicht nach diesen Kriegswochen.«99 Auch nach dem Ende der großen Truppentransporte wurde der Bahnhofsdienst fortgeführt, indem man die Soldaten nachts zu ihren Quartieren begleitete und ihnen tags die Stadt zeigte.100 Doch im zweiten Jahr, als größere bevorstehende Truppentransporte den Professoren nicht einmal mehr mitgeteilt wurden, als wiederholt der gesamte Erfrischungsund Verpflegungsdienst ausgeschlossen und das Betreten der Bahnsteige allen außer Militär- und Eisenbahnbediensteten verboten wurde, mußten sie sich allmählich eine andere Aufgabe suchen. Ende 1915 wurde der Bahnhofsdienst ganz eingestellt.101 Im Gegensatz zu dem quasi-militärischen Dienst der freiwilligen Krankenpfleger handelte es sich hier also tatsächlich um eine durch und durch zivile und traditionell eher weibliche Aufgabe, bei der gerade deshalb jene Aspekte hervorgehoben (aber nicht expliziert) wurden, die nur Männer erfüllen konnten. Und bedenkt man noch, daß im ersten Jahr »neben« jenen 33 Männern ca. 500 Frauen im Bahnhofsdienst tätig waren,102 wird vollends deutlich, wie sehr die Universitätsmitglieder ihren eigenen Anteil herausstrichen. Die Aktivitäten in der Armen- und Flüchtlingsfürsorge wurden, wie schon in den Lazaretten und zunächst auch in der Bahnhofsfürsorge, auch im zweiten Kriegsjahr fortgesetzt; aber auch hier läßt der eher allgemein gehaltene Hinweis einen Rückgang vermuten. Im ersten Jahr hatten, angefordert von der Stadt Straßburg, insgesamt sechs Professoren an der Prüfung der Unterstützungsgesuche in der Armenverwaltung mitgewirkt.103 Sie stammten von Angehörigen von Soldaten, denen nach deren Einberufung der Arbeitslohn des Vaters oder Sohnes fehlte.104 Georg Simmel arbeitete ab Frühjahr 1915 in der Armen fürsorge, wie er zunächst meinte, »für einige Wochen«; doch war er auch noch im Spätsommer jeden Vormittag dort tätig und konnte sich nur am Samstag und Sonntag davon freimachen.105 Ab 1916/17 vermittelte die Kriegsstelle der Universität Straßburg (mithilfe ihrer Vertrauensleute im Elsaß, Baden, Hessen) auch Unterkünfte für »heimatlose Urlauber«, also vor allem solche Soldaten, deren Heimatorte im Oberelsaß französisch besetzt oder in Lothringen geräumt waren, aber auch für Heimatlose aus 99 Und er fuhr fort: »Aber auch viel Elend gibt es hier zu sehen.« Brief vom 1.9.1914, in: Zirlewagen (Hg.), »Der Krieg ist doch etwas Scheußliches«, S. 26. 100 Ficker, Bericht (1914/15), S. 15 f. 101 Ficker, Bericht II (1915/16), S. 15. 102 Zahl: Ficker, Bericht (1914/15), S. 13. 103 Ficker, Bericht (1914/15), S. 9; Bericht II (1915/16), S. 13. 104 Charles Hauter, in: Gassen/Landmann (Hg.), Buch des Dankes, S. 251–257, hier 252. 105 Georg Simmel an Margarete von Bendemann 1.4.1915; an Gottfried Salomon 29.8.1915; an Max Scheler 3.9.1915; alle in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 512 f.; 555; 556.
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anderen Regionen Deutschlands, sogar »aus dem fernsten Osten«. Betont wird nicht nur, daß sie aus »den verschiedensten Ständen« kamen, sondern auch, wie dadurch neue Verbindungen »zwischen den Elsässern und den anderen Deutschen geknüpft« wurden, denn man schickte – aufgrund nur angedeuteter Schwierigkeiten der Unterbringung von Elsässern im Elsaß – zur Beschleunigung und Vereinfachung Nichtelsässer ins Elsaß und die Elsässer anderswohin. Während die Straßburger damit auch auf diesem Gebiet ihre besondere nationale Mission umsetzten, gewannen die ›Gastgeber‹, überwiegend Landwirte, so zusätzliche Arbeitskräfte. In Einzelfällen wurden sogar Familienangehörige (wohl der Oberelsässer ›Evakuierten‹, die auf das übrige Elsaß und das ganze Reich verteilt waren) zusammen mit den Soldaten auswärts untergebracht, um ihnen ein Wiedersehen zu ermöglichen. Das gewünschte Ergebnis wurde erreicht: »(…) alle sind frischer und fester wieder hinausgezogen, ihr schweres Tagewerk weiter zu tun.«106 Schließlich unterstützte die Kriegsstelle auch (aus Frankreich in die Schweiz verbrachte) Militärinternierte, in erster Linie kinderreiche Familienväter oder Söhne, die die einzige Stütze ihrer Eltern waren. Zwar bemühte sie sich, unter diesen Elsässer auszumachen, doch waren solche nur in vereinzelten Fällen »zur Internierung in der Schweiz zugelassen worden«.107 Bei der Fürsorge für Zivilisten ging es nicht um Bedienstete der Universität; denn diese waren – durch feste Bezüge sowie Unterstützungen vom Staat und teilweise auch von der Stadt – ausreichend versorgt.108 Deshalb handelte es sich in Straßburg, ähnlich wie bei bedürftigen Soldatenfrauen und Ostpreußinnen in Berliner Kliniken, vor allem um Armen- und Flüchtlingsfürsorge. Doch auch diese Tätigkeit ging, nachdem die Deutschen Ende 1914 zahlreiche Ortschaften im Oberelsaß geräumt hatten und sich die Frontlinie trotz heftiger Gefechte kaum noch veränderte, im zweiten Kriegsjahr zurück.109 Die Kriegsstelle vermittelte also Kleiderspenden aus akademischen Kreisen in Baden,110 und mehrfach wurden ehemalige Studenten aktiv und regten besondere Spendenaktionen bzw. Sammlungen in breiteren alumni-Kreisen an. So hatte die Universität im November 1914, vier Wochen nach einem von einem Kieler Pastor angeregten Aufruf, bereits 6000 M. für die vom »Krieg geschädigten Bewohner von Elsaß-Lothringen« gesammelt.111 Als allerdings 1915 eine Spendenliste des 106 Zu den Anfängen: Ficker, Bericht III (1916/17), S. 22–24; über die ausgedehnten Aktivitäten seit Frühjahr 1917: IV (1917/18), S. 22–26, Zitate 24, 26. 107 Ficker, Bericht IV (1917/18), S. 26–28 (Zitat 27). 108 Ficker, Bericht II (1915/16), S. 12. Da konnte man als Tätigkeit der Kriegsstelle nur die Hilfe bei Vermittlung der Witwe des verstorbenen Kanzlisten in den städtischen Dienst anführen! S. ähnlich auch Bericht III (1916/17), S. 13 f. 109 Impliziert bei Ficker, Bericht II (1915/16), S. 12. 110 Ficker, Bericht II (1915/16), S. 13. 111 Anregung: Prot. der Senatssitzung vom 12.10.1914: ADBR 103 AL 115; Ergebnis: Rektor Strb. an Kurator 11.11.1914: ADBR 103 AL 140. Vgl. auch Stiftungsfest der KWU 1915, S. 13.
404 Die Universitäten im Kriegseinsatz Krieger-Hilfsbunds in Umlauf gesetzt wurde, erübrigten in der Philosophischen Fakultät nur drei der 29 im Sommer- (bzw. 27 im Winter-)Semester anwesenden Professoren etwas, von denen sich zwei als Rektor und Dekan vermutlich besonders verpflichtet fühlten, als Vorbild zu wirken.112 Trotzdem findet sich eine Reihe kollektiver Spenden: So beteiligten sich z. B. die Straßburger Dozenten 1915/16 »an Sammlungen für die Hilfsaktion deutscher Künstler in Wien, für den Deutschen Studentendienst in Berlin, für Russisch-Polen, für den Verein der Reichsdeutschen in Graz« – zusätzlich zu den Gaben, die sie ihren eigenen Studenten ins Feld schickten, und den Beiträgen zum 1915 gegründeten Akademischen Hilfsbund, der sich um kriegsversehrte Akademiker kümmerte.113 Bei der Weihnachtssammlung des Roten Kreuzes hielt es die Universitätsbibliothek dann für nötig, den geringen bei ihr zusammengekommenen Betrag damit zu rechtfertigen, daß die meisten Mitarbeiter schon anderswo gespendet hätten. Immerhin ergab die Sammlung aber 1440.- M.114 Noch detaillierter ist die Streuung der Gießener Spenden dokumentiert. Immer wieder gingen Aufrufe und Bitten um Unterstützung ein, etwa vom Roten Kreuz.115 Zur Aktivierung der Spender bediente sich die Universität einer 1914/15 weit verbreiteten Form: Sie ließ ein Wahrzeichen nageln, d. h. die Spender kauften Nägel (die je nach Material unterschiedlich teuer waren) und durften diese dann in eine symbolische Figur hineintreiben, bis sie gänzlich ›metallisiert‹ war. Am stärksten war das Eiserne Kreuz verbreitet, aber in Berlin gab es auch einen »Eisernen Hindenburg«. Städte ließen gern ihre Wahrzeichen oder Wappen nageln.116 Die Universität Gießen wählte dafür ihr eigenes Emblem: 112 Deutscher Krieger-Hilfsbund. Sammelliste in Umlauf gesetzt bei (…) Phil. Fak. KWU Strb. [o. D.]. Die Auszählung der anwesenden Ordinarien, Honorarprofessoren, Extraordinarien sowie Emeriti entspr. AV KWU Strb. Entsprechend der Einordnung zwischen den anderen (allerdings losen) Dokumenten stammt die Liste vermutlich vom WS 1915/16. Die Spender waren der damalige Rektor Eduard Schwartz (50 M.), der Dekan Karl Sapper (20 M.) sowie Wilhelm Spiegelberg (sämtlich Ordinarien). 113 Stiftungsfest KWU 1916, S. 9 f. Zum Akademischen Hilfsbund s. genauer am Ende dieses Kapitels. 114 Kaiserl. Universitäts- und Landesbibliothek an Kurator 10.11.1916: ADBR 103 AL 187. Dort auch zusammenfassende Gabenliste. Die Spendenliste der Med. Fak. findet man in 103 AL 1047. Die einzelnen Mitglieder spendeten zwischen 3 M. (Hübener, Stabsarzt) und 50 M. (Schmiedeberg), die meisten 5 M., einige 10, Wollenberg und Erich Meyer je 20. 115 Das Zentralkomitee vom Roten Kreuz, Tag des Poststempels. An die Reichs-, Staatsund städtischen Behörden! UA Gi Allg. 111, fol. 148. 116 Als Kurzinformation: Gerhard Schneider, Nagelungen, in: Hirschfeld u. a. (Hg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, S. 729 f. Als Analyse der zeitlichen und geographischen Verteilung jetzt: Hans-Christian Pust, Kriegsnagelungen in Österreich-Ungarn, dem Deutschen Reich und darüber hinaus, in: Stefan Karner/Philipp Lesiak (Hg.), Erster Weltkrieg. Globaler Konflikt – lokale Folgen. Neue Perspektiven, Innsbruck u. a. 2014, S. 211–224.
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das Antoniterkreuz, das sie seit dem 18. Jahrhundert im Wappen führte117 und das hier nun zwei Anliegen zugleich symbolisieren konnte: die Fürsorge für die Kriegsopfer (da die Antoniter ein Hospitalorden waren) und die Selbstdarstellung der Universität. Mit dieser Aktion brachte sie mehr als 2400.– M. zusammen.118 Daraus vergab sie dann zahlreiche kleine Einzelspenden: So wandte sie z. B. 30 M. für ›Liebesgaben‹ für die Soldaten in den deutschen U-Booten auf.119 Sie unterstützte den Verein für Sanitätshunde, den Verein für Kriegsblinde (50 M.) und den Verein für das Deutschtum im Ausland (mit 60 M., welche der Universität zugleich die Dauermitgliedschaft vermittelten).120 Sie spendete für den Ostpreußischen Unterstützungsverein zu Berlin (um Flüchtlingen die Rückkehr zu ermöglichen) 60 M. und für das Schulschiff Vaterland, das Jungen aus dem Binnenland ermöglichte, Seemann zu werden, 10 M. (Der Situation entsprechend hieß es in dem Spendenaufruf, daß ständig einige der Schiffsjungen zur Marine gingen.)121 Das war zwar der geringste Betrag überhaupt – aber offenkundig scheute sich die Universität, nicht zu reagieren. Als der UB -Direktor vorschlug, für den Verwundeten-Unterricht und die (anscheinend von Professoren erstellte und bisher auch auf deren Kosten versandte) Gießener Beilage zur hessischen Lazarettzeitung 100 M. zu bewilligen, begnügte man sich mit 50 M.122 Für Kriegsgefangene in Rußland spendete die Universität 20 M., für Frankreich 50 M. Mit dem kleineren Betrag reagierte sie auf einen dramatischen Aufruf in der Frankfurter Zeitung vor Einbruch des zweiten Kriegswinters,123 mit dem größeren auf eine Mitteilung des gefangenen Sohnes des Kollegen Eck, die der Vater zum Anlaß nahm, mit einem ver117 Sie hatte den Hauptanteil des Klostervermögens dieses Hospitalsordens erhalten und war damit Rechtsnachfolgerin. 118 Die Aussage über gesammelte 2400 M. wurde getroffen, als die Nagelung »fortgeschritten« und »nahezu beendet« war (Wilhelm Sievers, Die geographischen Grenzen Mitteleuropas. Akademische Rede […], Gießen 1916, S. 27). 119 Aufruf für unsere U.-Boote! (mit Anweisung des Rektors an Universitätssekretär): UA Gi Allg. 111, fol. 141. 120 Sanitätshunde: Gh. Militärkanzlei [Oldenburg; gedruckte Dankeskarte]; Kriegsblinde: Hektogr. Rundschreiben (mit Vermerk des Rektors); Verein für das Deutschtum im Ausland. Aufruf! [undatiert] (mit Vermerk des Rektors): UA Gi Allg. 111, fol. 174, 176, 142. 121 Flugblatt: Ostpreußischer Unterstützungs-Verein zu Berlin (mit Vermerk des Rektors); Marine-Vorbereitungs-Schule. Schulschiff »Vaterland« (hektogr. Brief im August 1915, mit Vermerk des Rektors): UA Gi Allg. 111, fol. 145 f., 134. 122 Haupt (UB) an Rektor Gi: 25.9.1916 (mit Vermerken des Rektors Sievers und des Exrektors Sommer): UA Gi Allg. 111, fol. 63. 123 »Und nun steht der Winter vor der Türe! Der russische Winter! Kalt und erbarmungslos und doppelt gefährlich für die Unseren, deren Natur für solche Kälte nicht gewappnet ist. Für sie muß etwas geschehen!« Ausschuß für Deutsche Kriegsgefangene in Ff. a. M. Zentral-Kriegsfürsorge in Frankfurt a. M. Aufruf, in: Frankfurter Zeitung. Zweites Morgenblatt 273, 2.10.1915, S. 5 (mit angeklebtem Posteinzahlungsschein): UA Gi Allg. 111, fol. 118.
406 Die Universitäten im Kriegseinsatz vielfältigten Schreiben um Unterstützung zu bitten.124 Doch auch die Angehörigen von Soldaten im Feld wurden nicht vergessen – und sowohl den Familien von Angestellten der Universität ein Sonderbetrag zur Beschaffung von Kartoffeln gewährt als auch gleichzeitig 200 M. für Bedürftige zum selben Zweck an die Stadt überwiesen.125 Die letzten beiden Vergleiche deuten schon an, daß sich die Universität zwar dem großen Ganzen verantwortlich fühlte, aber akademischen Kreisen, ihren eigenen Angehörigen oder auch ›nur‹ technischen Mitarbeitern gegenüber doch in wesentlich höherem Maße.126 Damit konnte sie aber zugleich sich selbst in ein helleres Licht rücken. Das galt sogar für das Werk einzelner. Im Juni 1916 schickte der ehemalige Rektor und Psychiater Sommer seinem Amtsnachfolger 50 Exemplare seines Festvortrags vom Vorjahr über Krieg und Seelenleben mit der Bitte, sie an die im Heere stehenden Dozenten und Assistenten zu versenden. Gleichzeitig bat er darum, den von ihm »genagelten Betrag (von 100.–)« an den Verleger zu überweisen.127 Auf diese Weise trat Sommer selbst doppelt hervor: Durch die auffallend großzügige Spende – aber auch durch seine Publikation, die er mithilfe dieser Spende verbreitete. Unter »Kriegswohltätigkeit« faßte die Universität Gießen zunächst aber auch sehr praktische Aufgaben, an denen »zahlreiche Mitglieder des Universitätskreises« mitgewirkt hätten: Neben der Verwundetenpflege nannte Sommer als Ex-Rektor »den gemeinnützigen Gemüsebau, der am Anfang des Krieges [!] von Frauen aus dem Universitätskreis« betrieben worden war.128 Geleistet wurde er aber eben nicht von Angehörigen der Universität. Vermutlich waren die Per sonen »aus dem Universitätskreis« nicht einmal die Frauen und Töchter der Dozenten, sondern eher die der technischen Bediensteten. Daß Dozenten selbst sich am Ernteeinsatz in der Landwirtschaft beteiligten, kam nur ausnahmsweise und vereinzelt zu Kriegsbeginn vor: Der 47jährige Gießener Ordinarius für Philosophie August Messer teilte dem Rektor am 4. August 1914 mit, daß er »bis auf weiteres als beurlaubt gelten möchte, da [er] zur Erntearbeit aufs Land fahre.«129 Max Born, damals noch Privatdozent in Göttingen, aber während des ersten Kriegssemesters auf das neugeschaffene Ex124 Eck, Datum des Poststempels (mit Vermerk des Exrektors Sommer 19.2.1916): UA Gi Allg. 111, fol. 90. 125 Da auf dem Schreiben der erste (hier nicht referierte) Absatz und (versehentlich?) anderthalb Wörter des Punktes 1 (Universitätsbedienstete) gestrichen sind, ist die Interpretation nicht völlig gesichert ([ungezeichnet: Sommer] an Eck 5.8.1915: UA Gi Allg. 111, fol. 135). 126 Dies wird noch deutlicher, wenn man ihre Beziehungen zu ihren Angehörigen im Feld betrachtet. S. (auch zu den dafür gespendeten Beträgen) u. Kap. III .7. 127 Sommer an Rektor Sievers 23.6.1916: UA Gi Allg. 111, fol. 84. 128 Sommer, Kriegstätigkeit, Bl. 3. 129 Messer an Rektor Gi 4.8.1914: UA Gi Allg. 103, fol. 259.
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traordinariat für Theoretische Physik in Berlin berufen, konnte sich »dem Einfluß der Propaganda nicht entziehen« und sah das in seiner Existenz gefährdete Deutschland »für eine gerechte Sache« kämpfen. »Viele meiner Freunde, Kollegen und Studenten wurden einberufen. Ich fühlte mich schrecklich nutzlos und ruhelos. Männer wurden für die Ernte gebraucht. So setzten einer meiner Studenten, Alfred Landé, und ich uns auf unsere Fahrräder und fuhren zu einem Bauernhof nahe der kleinen Stadt Northeim, etwa dreißig Kilometer nördlich von Göttingen. Dort arbeiteten wir vom Morgen bis zum Einbruch der Nacht auf den Feldern und sahen keine Zeitung und keinen Heeresbericht. Doch war das Ganze für einen Bücherwurm, der keine schwere körperliche Arbeit in Sonne und Staub gewohnt war, nicht leicht, und in meinem Fall verursachte der Staub Asthmaanfälle, die meinen nächtlichen Schlaf störten. Am Ende der Woche war ich erschöpft und mußte aufgeben, während Landé weitermachte.«130
Letzterer paßt besser ins allgemeine Bild als die beiden Dozenten; denn Studenten beteiligten sich verschiedentlich in der Landwirtschaft, in Gießen und anderswo. Doch kam es auch vor, daß sich ein Landrat, wie in Marburg geschehen, nach den schlechten Erfahrungen des ersten Kriegssommers, in dem für die Studenten nicht ausreichend gesorgt worden war, im zweiten vergeblich an die Universität um Unterstützung wandte, als er die Ernte gefährdet sah.131 Als (nach guten Erfahrungen mit Düsseldorfern in Schleswig-Holstein) im zweiten Kriegsjahr der Gedanke aufkam, solche »Erntekommandos« vielleicht gar »für die Friedenszeit« ins Auge zu fassen, hatten allerdings sowohl der Vertreter des Kultus- als auch des Landwirtschaftsministeriums Bedenken, und zwar bezüglich der körperlichen Tauglichkeit wie auch der Schwierigkeiten und Kosten »einer angemessenen Unterbringung«. Aus landwirtschaftlichen Kreisen war eine Bitte um Vermittlung solcher Arbeitskräfte jedenfalls nicht an die Behörden herangetragen worden.132 – Die geschilderten Gärtner- und Erntearbeiten hätten die Universitäten aber getrost nicht nur – wie in Gießen – als Teil der »Kriegswohltätigkeit«, sondern als ›kriegswirtschaftliche Maßnahmen‹ präsentieren können. 130 Born, Mein Leben, S. 225. 131 Für Gießen: H. Haupt, Vaterländischer Studenten-Dienst, in: ATZ 32 (1915/16), S. 202– 204, hier S. 203 f. Für Marburg s. eine Versammlung in der Universität (auch Dozenten), nach der sich 68 Studenten und Studentinnen zum Ernteeinsatz meldeten. Allerdings halfen sich die Bauern der Umgebung lieber selbst! (Wettmann, Kriegstagebücher Birts, S. 141; vgl. auch Wettmann, Heimatfront Universität, S. 213 und 328, zur anfänglichen Unterstützung des Kultusministeriums 146). Zur »Heuhilfe« des Nationalen Studentendienstes in Tübingen: Heinrich Getzeny, Der Nationale Studentendienst an der Universität Tübingen, Tübingen 1916, S. 10–12. Zur Heuernte von Studentinnen auf der Schwäbischen Alb s. die agrarromantische Darstellung in: S V (1916/17), S. 61. 132 BB 30/2 (SS 1916), S. 133.
408 Die Universitäten im Kriegseinsatz
Kriegswirtschaft Dieser Begriff bezeichnet eine »›Modifikation der allgemeinen Volkswirtschaft‹«, die durch die vom Krieg bewirkten »Störungen« erzwungen wurde, als alles auf die Bereitstellung eines »Maximums an militärischen Machtmitteln« ausgerichtet war.133 Die genannte Aktivität an der Gießener Universität wurde bald ausgeweitet. In den ersten Kriegsjahren wurden sowohl auf dem Gelände der Nervenklinik (1460m2) als auch der Universitätsbibliothek Rasenflächen in Nutzgärten umgewandelt und dort mit Hilfe von Kriegsgefangenen Kartoffeln, Gemüse und Obst angebaut.134 Als sich im Februar 1916 der UB -Direktor an den Verwaltungsausschuß der Universität wandte, um die Bebauung eines noch verbliebenen Streifens sowie die Zucht von Kleintieren anzuregen, meldeten die angeschriebenen Kliniken und Institute, was sie selbst in dieser Richtung bereits unternommen hatten – sei es zur Beschaffung von Lebensmitteln für ihre eigene Küche, sei es zur Nutzung durch die jeweiligen Diener und ihre Familien.135 In der Nervenklinik wurden im Frühjahr 1916 schließlich Milchziegen und Zuchthasen angeschafft.136 Das Landwirtschaftliche Institut dagegen teilte mit, daß es als ganzes, auch mit seinen Außenversuchen auf Neuland, »im Dienste der Maßnahmen kriegswirtschaftlicher Art« stehe. Der Botanische Garten war nun zu einem großen Teil als Nutzgarten angelegt. Hier schienen evtl. Überlegungen nötig, die Erträge an die Allgemeinheit abzugeben (bzw. zu deren Gunsten zu verkaufen), da die Ernte ja durch Arbeits- und Düngungs kosten des Botanischen Gartens erwirtschaftet war.137 Bereits seit Januar 1915 ergingen Erlasse zwecks Sicherung diverser Rohstoffe. Dabei beteiligten sich die Universitäten an verschiedenen allgemeinen Aktionen. So wurden etwa in den Kliniken Fettabscheider eingerichtet. Die Gießener z. B. erzielten durch den Gewinn und Verkauf von Spülwasserfett
133 S. dazu als Überblick: Hans-Peter Ullmann, Kriegswirtschaft, in: Hirschfeld u. a. (Hg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, S. 220–232, Zitat 220, Zitat im Zitat: Franz Eulenberg 1916. 134 Zusammengefaßt aus folgenden Dokumenten: Durchschrift [Klinikdir. und Exrektor Sommer] an OB Keller 19.3.1916; Gh. Hess. UB Gießen an [Robert] Sommer 4.5.1916; Gh. Direktion der Klinik für psych. und nervöse Krankheiten an VA 12.5.1916; alle in: UA Gi Allg. 115, fol. 17, 19, 29. 135 UB -Direktor Haupt an VA 6.2.1916: Gh. Direktion der Chir. UK an VA 11.5.1916 und Gh. UK für Ohren-, Nasen- und Halskranke an VA 11.5.1916 (Klinikküchen); Hygien. Institut an VA und Gh. Verwaltungsdirektion der Veterinärkliniken an VA 10.5.1916 (Diener). Alle in: UA Gi Allg. 115, fol. 14, 27 und 28, 25 und 26. 136 Gh. Direktion der Klinik für psych. und nervöse Krankheiten an VA 12.5.1916: UA Gi Allg. 115, fol. 29. 137 Direktor des Botan. Instituts Adolf Hansen an VA 19.7.1916: UA Gi Allg. 115, fol. 47.
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1916 einen Erlös von 57,95 M., den die Universität jedoch abführen mußte.138 Und nachdem man zu Kriegsbeginn Metall zunächst großzügig für die Nagelungen verbraucht hatte, folgte man später den Sammelaufrufen für »Sparmetalle«. Außerdem meldeten die Universitäten im Herbst 1918 entsprechend der Aufforderung jene Instrumente und sonstigen Gegenstände an, die sie ent behren konnten. Das war aber z. B. in der Gießener Augenklinik nichts »außer einer defekten Röntgenröhre«.139 Manche anderen Institute hatten noch weniger zu bieten.140 Anfang 1917 hatte man in einer ganzen Reihe von Universitäten sogar überlegt, ob die Amtskette des Rektors der Vaterländischen Goldsammlung zur Verfügung gestellt werden sollte. An der ›Reichsuniversität‹ Straßburg stellte der Senat die Frage Anfang 1917 zurück, da eine solche Aktion ohne Zustimmung des Kaisers »nicht tunlich« und eine von der Universität ausgehende Anregung nicht »zweckmässig« sei.141 Die Gießener stellten ihre Rektoratskette 1916 leihweise (!) zur Verfügung, erwogen im Frühjahr 1917 dann den Verkauf der ältesten Gießener Ketten, die aber, da aus Silber, wenig tauglich erschienen und deshalb doch nicht eingeschmolzen wurden.142 In dieser Frage verfuhren die deutschen Universitäten insgesamt offenbar sehr unterschiedlich: Während die Erlanger beschlossen, die Rektoratskette »vorläufig« nicht abzugeben, verzichteten die Würzburger großzügig auf diese 227 Gramm Gold; der Kunstwert schien ohnehin nicht allzu erheblich. Eine Nachbildung in Stahlbronze oder Nickelstahl sei »kein unwürdiger Schmuck künftiger Rektoren (…) und eine erhebende Erinnerung an unsere große Zeit und an die Würdigung der Reichsnot durch die Universität«!143 Mit dem Verzicht brachte die Universität zunächst ein Opfer zugunsten des großen Ganzen; doch langfristig setzte sich damit die Generation, die den Krieg mitgemacht hatte, selbst ein Denkmal. Doch über die Ablieferung von Materialien hinaus ließen sich auch viele Tätigkeiten der Universitäten als Förderung der Kriegswirtschaft deuten. Das stellte der preußische Kultusminister fest, als er dem Reichsamt des Innern (wo eine wissenschaftliche Kommission eine Gesamtdarstellung der deutschen Kriegswirtschaft vorbereitete) Bericht zu erstatten hatte. Auch an seiner Anweisung wird jedoch klar, daß der Begriff der »Kriegswirtschaft« keineswegs 138 Zunächst hatte es noch geheißen, sie könne ihn als Einnahme verbuchen. Gh. MdI an VA 8.1.1917 und 8.2.1917: UA Gi Allg. 115, fol. 91, 92. 139 Dr. Jess an VA 24.9.1918: UA Gi Allg. 115, fol. 143, 144; s. auch die Aufforderung Gh. Staatsmin. an sämtl. unterstellte Behörden 3.8.1918 in: UA Gi All. 35, fol. 23. 140 Ein astronomisches z. B. vier Messingleuchter (insgesamt 1200 g) und eine Lichtputzschere (30g). Buchner, Würzburg im Weltkriege, S. 56. 141 Prot. der Senatssitzung vom 8.1.1917: ADBR 103 AL 117. 142 Anderhub, Antoniterkreuz, S. 15. 143 Liermann, FAU Erlangen 1910–1920, S. 44; Erklärung des Würzburger Rektors zit. bei Buchner, Würzburg im Weltkriege, S. 55.
410 Die Universitäten im Kriegseinsatz eindeutig war. Deshalb sollten die einzelnen Abteilungen »die gesamte Kriegsarbeit« erfassen, vom Militärdienst der Professoren über die Wiedererrichtung einer polnischen Universität in Warschau und einer deutschen in Dorpat/ Tartu/Jur’ev bis zur Veränderung der Frequenz der Universitäten und der Zahl der Studentinnen, der Frage der Anrechnung des Militärdienstes auf die Stu dienzeit und sogar den Auswirkungen des Krieges auf die wirtschaftliche Lage der Professoren.144 Die finanzielle Mobilisierung der Universitäten kommt in der ministeriellen Auflistung dagegen nicht vor. Dabei hatten manche von diesen zunächst sogar aus eigener Initiative Kriegsanleihen gezeichnet. Der Dekan der Berliner Philosophischen Fakultät hatte 1914 von sich aus 4000 M. aus dem Dekanatsvermögen zur Verfügung gestellt und bat die Fakultät erst nachträglich um die Ermächtigung, die er auch prompt erhielt.145 Die Gießener Universität dagegen mußte im März 1915 vom Staat dazu aufgefordert werden – und fragte daraufhin erst einmal nach der erwarteten Höhe, die mit 100.000 M. angegeben wurde. Tatsächlich zeichnete sie bis April 1917 dann aber 270.000 M. Nun faßte der Rektor als äußerste mögliche Belastung 400.000 M. ins Auge, was der Hälfte des mobilen Vermögens der Universität entsprochen hätte. Das Ministerium dagegen hatte bereits den Grundbesitz der Universität als weiteres Verpfändungsobjekt im Visier. Immerhin blieb der Gießener Universitätsfonds von der sechsten (der im Halbjahresrhythmus aufgelegten) Kriegsanleihe(n) verschont.146 Doch erwartete der Staat nicht nur finanzielle Beiträge von der Institution, sondern auch das Engagement der einzelnen Beamten. Von ihnen forderte er, daß sie sich »innerhalb ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit« beteiligten (auch wenn er das als »Zuversicht« artikulierte). Zugleich wurde ihnen das Zeichnen der Anleihe durch Abzug vom Gehalt und sogar frühere Gehaltsauszahlung für die, »die nicht durch die Vermittelung der Hauptstaatskasse zeichnen wollen«, erleichtert. Außerdem wurden sie aber auch »ersucht«, Werbe versammlungen zu besuchen und sich dort zu melden.147 Auf diese Weise wurde also subtiler Druck ausgeübt. An die Studierenden wurde u. a. mittels Anzeigen appelliert: »Jede bisher gezeichnete Mark hat mitgearbeitet an den bisherigen großen Erfolgen des Heeres. Zeichnet den Enderfolg durch die ›achte‹!« hieß es im April 1918.148 144 Pr. KuMi an Ministerialdirektoren und Abteilungsdirigenten 8.5.1918; Stichwörter liste für den Verwaltungsbericht aus meinen Referaten bei U I: GSt APK I. HA , Rep. 76a, Sekt 1, Tit. I, Nr. 35 Bd. II, fol. 387, 388 u. weitere. 145 Prot. der Fakultätssitzung vom 21.9.1914: UA HU Phil. Fak. 34, fol. 281. 146 Anderhub, Antoniterkreuz, S. 15. 147 Gh. Staatsmin. an sämtliche Gh. Behörden und Beamte 2.9.1916. Betreffend: Die 5. Kriegsanleihe: UA Gi Allg. 35, fol. 179–180, Zitate: 179. Beispiele zum Werbeeinsatz der Professoren für die Kriegsanleihe u. S. 558, 629. 148 S VII (1918/19), S. 12.
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Doch ließ die Bereitschaft dazu im Laufe des Krieges deutlich nach. Als die Professoren und Dozenten der Universität Marburg 1917 vorschlugen, das Einkommen eines Tages geschenkweise für die Kriegsanleihe zur Verfügung zu stellen (und das Geld später, statt es zurückzuerhalten, für einen gemeinnützigen Zweck zu spenden), lehnten die drei hier untersuchten Universitäten alle ab – und soweit bekannt, auch die übrigen, z. B. Königsberg und Würzburg. Die Juristen der letzteren verweigerten sogar eine generelle Stellungnahme der Fakultät, denn die Angelegenheit sei Sache der einzelnen Mitglieder. Die Mediziner begründeten ihre Ablehnung damit, daß man ohnehin jedes Opfer bringe.149 Der Berliner Senat hatte Bedenken, sich an die Universitätsangehörigen zu wenden, da sich jeder schon bisher nach Kräften an Kriegsanleihen und Spenden für wohltätige Zwecke beteilige.150 In Straßburg waren die Meinungen im Senat zwar zunächst geteilt; doch waren auch die Befürworter nur mit gewissen Kautelen zu einer solchen Aktion bereit. Nach einer Rundfrage des Rektors, bei der er von den bereits beschlossenen Ablehnungen in Münster, Rostock, Berlin, Halle, Göttingen, Kiel, München und Freiburg und den zu erwartenden in Gießen und Heidelberg erfuhr, setzte sich diese Auffassung auch bei allen Straßburger Senatsmitgliedern durch. Seine Absage begründete er den Marburgern gegenüber einerseits mit den besonderen lokalen Belastungen, andererseits mit der Ablehnung der übrigen Universitäten, die den beabsichtigten Erfolg ohnehin unmöglich mache.151 Am bemerkenswertesten waren die Breslauer Gegenargumente: Erstens bedeute die zu erzielende Summe nur eine geringfügige Förderung der Kriegsanleihe. Zweitens werde damit zwischen Freiwilligkeit und Zwang moralischer Zwang eingeschoben. Und drittens widerspreche das Ansinnen der sozialen Gerechtigkeit, da das Einkommen eines Tages für Leute mit Vermögen wenig, für die auf Gehalt angewiesenen und unter dem Ausfall von Hörgeldern leidenden Kollegen dagegen eine Härte bedeute.152 Weniger Bedenken als bei der Anregung einer anderen Universität hatte der Straßburger Rektor offenbar, als der Staat (nur zwei Monate zuvor) das Kollegium zur Beteiligung an der U-Boot-Spende aufforderte. Der Bitte, die Sammlung durch geeignete Mitteilung an den Lehrkörper und die Beamtenschaft zu fördern, kam er wie gewünscht nach. Und tatsächlich zahlten die meisten – viele jeweils 10 M., einige 5 M., einzelne 25–60 M. Der Vermerk anderer, daß sie ihre Spende bereits durch die Bank überwiesen hätten, noch überweisen würden 149 Buchner, Würzburg im Weltkriege, S. 58 (auch über Königsberg). 150 Rektor Berlin an Rektor Strb. 18.7.1917: ADBR 103 AL 1429. 151 Rektor Marburg an Rektor Strb. 2.7.1917 (mit 13 Stellungnahmen); Rektor Strb. an Senat 25.7.1917; Rektor Strb. an Rektor Marburg 30.7.1917. Alle: ADBR 103 AL 1429. 152 Rektor Breslau an Rektor Strb. 24.7.1917 (mit ausführlichem Zitat, was er nach Marburg geantwortet hatte): ADBR 103 AL 1429.
412 Die Universitäten im Kriegseinsatz oder schon anderwärts gezeichnet hätten, belegt, daß der Druck, der von der elsaß-lothringischen Regierung über den Kurator und Rektor auf die Professoren ausgeübt wurde, wirkte.153
Wissenschaftliche Expertise im Kriegseinsatz Neben dem finanziellen Beitrag der Institution und ihrer einzelnen Mitglieder kam der Kriegführung insbesondere auch deren Expertise zugute: nicht nur durch Rat, sondern auch durch Tat: Das Hygienische Institut der Universität Berlin z. B. stellte Schutzimpfstoffe her, führte Untersuchungen über Des infektion oder die Vernichtung von Ungeziefer durch. Dabei waren von den 11 Wissenschaftlern nur drei vor Ort, die anderen im Feld. Auch das Pathologische Institut, von dessen 12 Wissenschaftlern sieben »am Kriege teil[nahmen]«, und das Pharmakologische, von dessen vier Wissenschaftlern zwei vor Ort waren, produzierten Impfstoffe.154 Das Gießener Hygiene-Institut wirkte bei der Seuchenbekämpfung in der Region mit und übernahm die hygienische Beratung der Kriegsgefangenenlager, wobei es auch mit neuen Ungezieferbekämpfungsmitteln experimentierte.155 Auch eine ganze Reihe einzelner Dozenten gab solche Tätigkeiten an. In erster Linie waren offenbar die Chemiker als Experten gefragt. Gleich drei Wissenschaftliche Mitglieder bzw. Direktoren von Kaiser-Wilhelm-Instituten156 sowie der Direktor der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt, einer von ihnen Ordinarius, die anderen drei Ordentliche Honorarprofessoren der Berliner Universität, waren kriegswichtig engagiert: Richard Willstätter (KWI für Chemie) war im ersten Kriegsjahr »mit chemischen Arbeiten für militärische Behörden beschäftigt«. Genauer gesagt: Auf Bitte Fritz Habers, der seine Gas 153 Min. für E-L. an sämtliche Kreisdirektoren 15.5.1917; Rektor Strb. 30.5.1917 [drei Blätter mit der Aufforderung und entsprechenden Vermerken der Kollegen]: ADBR 103 AL 53. Ausführl. Auszug aus dem ministeriellen Schreiben in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 797 f. 154 Alle drei: Die FWU im Kriege 1914/15, S. 40, dort für das Pathologische Institut die Namen der im Felde Stehenden, für das Hygienische die der Anwesenden (dazu ist der Direktor Flügge zu zählen, der seine Beirats- und Gutachterfunktionen [s. S. 17] ebenfalls vor Ort ausüben konnte), für das Pharmakologische zwei Namen der im Einsatz Befindlichen. Die Zahl der Angehörigen der drei Institute wurde ermittelt nach: AV FWU Berlin WS 1914/15, S. 62–64. Vgl. dazu auch den Bericht des Pr. KuMi für den Landtag: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. I, Nr. 17 Bd. V, fol. 313–326, hier 326. 155 Anderhub, Antoniterkreuz, S. 25. 156 Der Status eines WM entsprach etwa dem eines Akademiemitglieds, innerhalb der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft war das WM einem Direktor gleichgestellt. Meistens handelte es sich um einen Abteilungsleiter. Von den folgenden war Willstätter (anders, als gelegentlich zu lesen) ›nur‹ WM .
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forschung als Soldat betrieb,157 entwickelte Willstätter binnen weniger Wochen einen Filter für Gasmasken. (1915 erhielt er den Nobelpreis und folgte im zweiten Kriegsjahr einem Ruf nach München.)158 Emil Warburg war in der von ihm geleiteten Physikalisch-Technischen Reichsanstalt »vielfach mit Aufgaben der Heeresleitung beschäftigt«.159 Die Tätigkeiten des Ordinarius Ernst Beckmann (KWI für Chemie) lagen ›nur‹ »im Interesse (!) des Reichsmarineamts, der K öniglichen verkehrstechnischen Prüfungskommission (…) und des Ministeriums für Landwirtschaft, Domänen und Forsten«. Ob sie damit weniger essentiell oder Beckmann bei seinen Angaben vielleicht nur bescheidener bzw. vorsichtiger war, muß dahingestellt bleiben. Emil Fischer schließlich, der Begründer der Organischen Chemie (und, 1902, erste Nobelpreisträger) war »ebenso wie die Abteilungsvorsteher und Assistenten seines Instituts vielfach im Interesse der Kriegsbereitschaft mit Aufgaben beschäftigt«, die die Heeresverwaltung und die Wirtschaft betrafen. Fischer selbst wirkte unter anderem als Sachverständiger für die von Rathenau gegründete Kriegsrohstoffabteilung, erstellte schon Anfang Oktober 1914 eine Denkschrift über die künstliche Herstellung von Salpetersäure und verhandelte darüber auch mit der Industrie. Als seit langem bewährter Wissenschaftsorganisator entwickelte er in den folgenden Jahren eine weitgespannte Tätigkeit auf den verschiedensten Feldern der Roh- und Ersatzstoffwirtschaft.160 Bei den Privatdozenten fand sich eine ähnliche Streuung zwischen militärischen Aufträgen und eigener Initiative, zwischen für die Kriegführung zentralen Tätigkeiten oder solchen, die vielleicht eher im Interesse der Gelehrten selbst als kriegswichtig herausgestellt wurden. Der Titularprofessor der Chemie Arthur Rosenheim, der ein wichtiges privates Forschungsinstitut unterhielt, führte selbst »Untersuchungen in bezug auf Schießpulver, Gasmasken, Salpetersäure im Heeresinteresse« aus oder ließ sie durchführen.161 Sein Fachkollege Paul Köthner arbeitete »im Interesse der Seuchenbekämpfung und für andere Zwecke im Heeresinteresse auf eigene Verantwortung«. Offenkundig hatte niemand ihm einen Auftrag erteilt – ob sich jemand für die Ergebnisse interessierte, ist unbekannt. Köthners letztes (und außer der 58seitigen Habilitationsschrift einziges, zudem populärwissenschaftliches) Fachbuch war 1907 erschie157 Siehe o. Kap. III .3. 158 Die FWU im Kriege 1914/15, S. 30. Die konkrete Tätigkeit nach Szöllösi-Janze, Fritz Haber, S. 342. Willstätter legte seine Münchner Professur 1924 wegen antisemitischer Aktionen gegen ihn selbst und antisemitischen Gesichtspunkten in einem Berufungsverfahren nieder. 1939 emigrierte er. 159 Die FWU im Kriege 1914/15, S. 30. 160 Beide: Die FWU im Kriege 1914/15, S. 29. Konkrete Angaben zu Fischer nach SzöllösiJanze, Fritz Haber, S. 269, 275–277 und passim. 161 Die FWU im Kriege 1914/15, S. 32. Wurde nach dem Krieg ao. Prof., 1933 Entzug der Lehrbefugnis. Asen, Gesamtverzeichnis des Lehrkörpers, S. 162; NDB 22 (2005), S. 68 (Michael Engel).
414 Die Universitäten im Kriegseinsatz nen. Später war er nur noch als Agitator publizistisch aktiv.162 Ihr Kollege Hans Pringsheim war, als der erste Jahresbericht der Berliner Universität veröffentlicht wurde, »seit jüngster Zeit mit chemischer Kriegsarbeit beschäftigt«, während ein anderer Privatdozent bei den Arbeiten des KWI einfach »Hilfe geleistet« hatte.163 Ähnliche Arbeiten führten die Chemiker der Universität auch in den nächsten Jahren aus.164 Zur Eigennitiative bedeutender Wissenschaftler wie Fritz Haber, Emil Fischer, Walther Nernst, die »ahnungslosen Militärs ihre Dienste geradezu aufdrängten,«165 kamen Anfragen von den Behörden. Als das Kriegsministerium im Herbst 1915 für die stellvertretenden Generalkommandos, Bezirkskommandos und Gewerbe-Inspektionen »fachkundige Berater und Hilfsarbeiter« in industriellen und gewerblichen Angelegenheiten benötigte, insbesondere »auf dem Gebiet des Arbeitsnachweises für die Kriegsindustrie« (und sich auch bereiterklärte, als Ersatz für sich nun meldende Gelehrte bereits eingezogene, aber nur garnisons- oder arbeitsverwendungsfähige Dozenten und Assistenten dem Lehrbetrieb wieder zurückzugeben), leitete das Kultusministerium dies erst mit gut zweimonatiger Verzögerung an die Universitäten weiter. Und diese reagierten durchaus unterschiedlich: Der Berliner Rektor teilte das Schreiben der Juristischen und der Philo sophischen Fakultät mit und forderte nach deren (wohl nicht zu den gewünschten Ergebnissen führenden) Beratung alle Dozenten der Theologischen, Juristischen und Philosophischen Fakultät persönlich auf. Schließlich stellten sich sieben Chemiker sowie fünf andere technische oder naturwissenschaftliche Spezialisten für Aufgaben ihres jeweiligen Fachgebietes zur Verfügung sowie je ein Physiker, Chemiker und Jurist für den Arbeitsnachweis. Überwiegend handelte es sich um Privatdozenten.166 Für allgemeine Fragen der Organisation des Arbeitsnachweises wies der Direktor des Staatswissenschaftlichen und Stati stischen Seminars auf den Extraordinarius Ignaz Jastrow hin, bot aber auch sich selbst an (unter der Bedingung, daß er in Berlin eingesetzt werde). Jastrow, der schon im ersten Kriegsjahr als Sachverständiger im Arbeitsnachweis für Kriegsverletzte tätig gewesen war, wurde nun »Vorsitzender des Arbeitsnachweis- 162 Die FWU im Kriege 1914/15, S. 33. Köthner trat bereits mit 48 Jahren 1918 in den Ruhestand und war nach dem Krieg als antisemitischer Agitator aktiv: http://www.catalogusprofessorum-halensis.de/koethnerpaul.html (24.4.2011). Aussage zu seinen Publikationen nach KVK (24.4.2011). 163 Die FWU im Kriege 1914/15, S. 34 (Pringsheim und Lenz). Pringsheim wurde ebenfalls erst nach dem Krieg Professor und mußte 1933 emigrieren. 164 S. für das zweite Kriegsjahr: Die FWU im Kriege 1915/16, S. 15 (die Privatdozenten Marckwald und von Buchka sowie der Titularprof. Neuberg); für das dritte: Die FWU im Kriege 1916/17, S. 17 (PD Marckwald und Titularprof. Byk). 165 Szöllösi-Janze, Fritz Haber, S. 257. 166 Unter den Chemikern war auch ein Extraordinarius, für den Arbeitsnachweis meldeten sich zwei Titularprofessoren und ein Extraordinarius.
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Beirates für Kriegsbeschädigte«. Ein Jurist nannte einen weiteren Extraordinarius, der aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit an der Münchner Akademie für Handels- und Sozialwissenschaften besonders geeignet sei, derzeit aber unter der Waffe stehe (und in diesem Winter als 35jähriger »Landsturmrekrut« ausgebildet wurde): Claudius Freiherr von Schwerin. Doch der übernahm bald eine prestigeträchtigere akademische Aufgabe. Außerdem erlaubten sich einige Professoren aber auch, auf geeignete Persönlichkeiten außerhalb der Universität hinzuweisen.167 Auch andere preußische Universitäten versuchten, ihre Interessen zu wahren, und reagierten zurückhaltend: In Göttingen stellte die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Abteilung der Philosophischen Fakultät eine Personengruppe zusammen. Aber zugleich wandte sich der Dekan seinerseits an das Kultusministerium: Die Gelehrten beanspruchten zwar keine Privilegien, doch nachdem auch ältere zunehmend zum Militärdienst eingezogen und an der Waffe ausgebildet würden, stelle sich die Frage, ob sie nicht »in einer ihrem Können mehr entsprechenden« Weise nutzbringender einzusetzen seien.168 Aber genau das versuchte das Ministerium ja gerade! Die Universität Bonn schließlich spielte den Ball zurück (und gewann auf diese Weise auch Zeit, um so mehr, als das Kultusministerium seinerseits nun wieder beim Kriegsministerium nachfragen mußte): Erst wenn ganz bestimmte Anforderungen benannt würden, könne die Universität entscheiden, ob sie dafür geeignete Hilfskräfte zur Verfügung stellen könne. »Der beste Wille zu helfen ist vorhanden!« beteuerte sie abschließend.169 Lehrende wirkten in den halbstaatlichen Kriegsgesellschaften, die vor allem zur Rohstoffbewirtschaftung geschaffen worden waren, also im Rahmen der Kriegswirtschaft ordnungspolitische Funktion hatten. In Gießen galt das z. B. für den außeretatmäßigen Extraordinarius für Agrikulturchemie Wilhelm Kleberger, der aus gesundheitlichen Gründen nie zum Militär- oder einem militärischen Ersatzdienst herangezogen wurde. Als Sachverständiger unterstützte er eine Reihe von Kriegsgesellschaften, vor allem den Anbau und die Verarbeitung von Ölpflanzen und Flachs betreffend. Doch erhielt er auf diese Weise auch Mittel für die Forschung in seinen Arbeitsgebieten. Ab 1916 war er Leiter der neuge167 Kriegsmin. an Pr. KuMi 31.10.1915; Weiterleitung durch KuMi an Kuratoren der Universitäten sowie Rektoren der THs 3.1.1916; Rektor Berlin an Pr. KuMi 31.1.1916: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 1, Tit. I, Nr. 35 Bd. II, fol. 101, 103, 165. Zur späteren Verwendung Jastrows: Die FWU im Kriege 1914/15, S. 31; 1916/17, S. 17. Zu Schwerins aktueller Verpflichtung: Die FWU im Kriege 1915/16, S. 10; zu seiner späteren Aufgabe s. u. 168 Vermerk des Dekans Sethe 8.1.1916 auf der Weiterleitung des Schreibens des Kriegsmin. an Kuratoren 3.1.1916; Math.-Nat. Abt. der Phil. Fak. 10.1.1916 an die Kollegen (mit hs. Vorschlägen und Stellungnahmen); Dekan Sethe an Pr. KuMi 18.1.1916; alle: UA Gö Phil. II 96. 169 Kuratorium der Rhein. FWU Bonn an Pr. KuMi 4.2.1916: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 1, Tit. I, Nr. 35 Bd. II, fol. 168.
416 Die Universitäten im Kriegseinsatz gründeten Preisprüfungsstelle der Provinz Oberhessen.170 Auf regionaler Ebene tätig war zunächst auch der Nationalökonom August Skalweit. Im Auftrag des Provinzialdirektors von Oberhessen sollte er »die Brotbewirtschaftung in Gang (‥) setzen«, danach die Fleischbewirtschaftung. Er wurde zum Vorsitzenden des Viehhandelsverbandes »ernannt«, 1916 bei einer Sitzung der Hauptfunktionäre der hessischen Kriegswirtschaft vom Präsidenten des neuen Kriegsernährungsamts ›entdeckt‹ und nach Berlin berufen. (Schon während des Krieges und auch später legte er diese Erfahrungen und Erkenntnisse in einer Reihe von Publikationen nieder, konnte also wie Kleberger das kriegswichtige Engagement auch zugunsten seiner eigenen wissenschaftlichen Tätigkeit nutzen.) Zunächst parallel an beiden Orten wirkend, wurde er von der Universität schließlich beurlaubt und kehrte erst zum Sommersemester 1919 dorthin zurück.171 Auf regionaler Ebene folgte ihm der (ebenfalls nicht militärtaugliche) Jurist Leo Rosenberg.172 Ähnliche Aufgaben erfüllten Straßburger Kollegen: der eine organisierte die Beschaffung und Verteilung von Milch, ein anderer leitete das städtische Fleischamt und war zugleich Vorsitzender der Preisprüfungsstelle. Daß sich solche Organisationen dann auch über die Stadtgrenzen hinaus ausdehnten und im gesamten Unterelsaß Nachahmer fanden, war wiederum Vorträgen von Straßburger Professoren zu verdanken.173 Doch gingen diese Aktivitäten ihrerseits auf die gezielte Vorrats- und Ernährungspolitik der elsässischen Regierung und Straßburger Stadtverwaltung zurück.174 Georg Simmel ließ sogar auf eigene Kosten 30.000 Flugblätter zur Aufklärung der Bevölkerung in der Nahrungsfrage drucken und in Schulen verteilen, damit die Kinder sie ihren Müttern mitbrächten, denn er fand den »Leichtsinn und die Einsichtlosigkeit in dieser Hinsicht noch geradezu erschreckend«.175 170 G/M/P I, S. 503–512 (Valentin Horn), hier 506 f. 171 G/M/P II, S. 885–894 (Eberhard Gerhardt), hier 889–893 (mit Zitaten, die vermutlich aus der »Autobiographie« in Familienbesitz stammen). Skalweit ging 1921 an die Landwirtschaftliche Hochschule in Bonn-Poppelsdorf (bedang sich dabei aber die Ernennung zum Honorarprof. der Universität aus), 1923 nach Kiel und 1933 nach Frankfurt a. M. 172 G/M/P II, S. 778–788 (Eduard Bötticher), hier 783. 173 Ficker, Bericht II (1915/16), S. 8; IV (1917/18), S. 11. Nach der Höchstpreisverordnung des Bundesrats vom 28.10.1914 hatte die Landesbehörde eine aus 24 Mitgliedern be stehende Preisprüfungsstelle für E-L eingerichtet (die mit örtlichen Prüfungsstellen und der Reichspreisstelle in Verbindung treten mußte (Elsass 1870–1932 I, S. 272). Bei der im Kriegsbericht erwähnten scheint es sich um die Straßburger (städtische) Stelle zu handeln. 174 S. dazu o. Kap. II.7. 175 Georg Simmel an Heinrich Rickert, 19.2.1915; an Margarete von Bendemann 5.3.1915 (Zitat). Vgl. auch seine Mitteilung an den Rektor auf dessen Rundfrage vom 13.4.1916. Alle: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 487, 490, 631 f. Ohne Namensnennung ist diese Aktivität erwähnt in Ficker, Bericht II (1915/16), S. 7 f.
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In Berlin übernahm der Extraordinarius für Pharmazeutische Chemie ermann Thoms die Nahrungsmittelkontrolle für Steglitz für die Dauer des H Krieges »kostenfrei« (aber offenkundig mit der Ausstattung des von ihm gegründeten Universitätsinstituts).176 Verschiedene andere Berliner waren in diversen Ausschüssen und Kuratorien auf Reichsebene mit Ernährungsfragen beschäftigt177 oder wirkten als Referenten für kriegwirtschaftliche Angelegenheiten.178 Wenn dabei ein Botaniker Obmann im Schiedsgericht für Mehl bei der Reichsgetreidestelle und Vorsitzender der Offiziellen Preiskommission für Gemüsesamen war, mag dies auf den ersten Blick als geringfügiges, nur dem sozialen Druck zu verdankendes Engagement erscheinen. Doch belegt Wittmacks Biographie, daß auf diese Weise ein Experte noch in weit fortgeschrittenem A lter seinen Beitrag zu zentralen Problemen der ›Heimatfront‹ leistete; denn er hatte 1875–1905 die Versuchsstation des Verbands deutscher Müller geleitet, war mittlerweile fast 77 Jahre alt und noch immer als Extraordinarius der Universität und Lehrender der Tierärztlichen Hochschule im Dienst.179 Allerdings fragt sich, ob solche Expertise immer von Nutzen war, etwa wenn der Gießener Psychiater Sommer einen Apparat zur (ziemlich unsanften) Behandlung der funktionellen Taubheit von sog. Kriegsneurotikern entwickelte; ganz zu schweigen von den »Wasserschuhen«, manchmal auch »Wasserski« genannt, die er schon über ein Jahrzehnt vor dem Krieg konstruiert hatte und nun der Obersten Heeresleitung zur Invasion Englands anbot.180 Eine bestimmte längerfristige Tätigkeit zugunsten der Kriegführung oder der Bewältigung der Probleme an der Heimatfront scheint er nicht ausgeübt zu haben – war aber rastlos mit allerlei Ideen und kleinen Projekten zugange.181 Von Expertentätigkeiten in der Heimat wechselten manche Gelehrte auch in die Besatzungsverwaltung. Der Gießener Extraordinarius Werner Friedrich Bruck, dessen ursprüngliche Lehrbefugnis für Botanik 1912 auf Tropische Landwirtschaft erweitert worden war, wurde im Oktober 1914 im Preußischen Kriegsministerium »als Bearbeiter textiler Fragen zunächst ehrenamt176 Die FWU im Kriege 1914/15, S. 30. Thoms gilt als Begründer der wissenschaftlichen Pharmazie in Deutschland. Biogr. Daten auf http://www.sammlungen.hu-berlin.de/ dokumente/17260/ (29.4.2011). 177 Die FWU im Kriege 1916/17, S. 16 (der Botaniker und o. Prof. Haberlandt als Mitglied des Nährstoff-Ausschusses im Reichskriegsamt; ao. Prof. Wittmack [s. u.]). Zu einer ähnlichen Tätigkeit im Vaterländischen Hilfsdienst (Heinrich Dade) s. u. Kap. III .5. 178 Die FWU im Kriege 1915/16, S. 10 (ao. Prof. Köbner). 179 Er war Extraordinarius der Universität, außerdem bis 1913 Prof. an der Landwirtschaftlichen Hochschule gewesen und noch immer Prof. an der Tierärztlichen Hochschule. http://www.sammlungen.hu-berlin.de/dokumente/16666/ (29.4.2011); http://de. wikipedia.org/wiki/Ludwig_Wittmack (29.4.2011). 180 Beschreibung des Apparats (mit Zeichnung) bei Prüll, Gießens Universitätsmediziner, S. 322 f., zu den Wasserschuhen S. 310 (mit Abbildung Sommers darauf!). 181 Zur Anlage des Sportplatzes s. u. S. 813 f.
418 Die Universitäten im Kriegseinsatz lich angestellt«, später Referent im Waffen- und Munitionsbeschaffungsamt (Wumba) dieses Ministeriums182 und schließlich im Oktober 1918 zum Industriereferenten in die Zentralverwaltung des Generalgouvernements Warschau »berufen«. Dort sollte er die »großen deutsch-polnischen industriellen Fragen, namentlich im Hinblick auf die Übergangswirtschaft« bearbeiten und die Vorarbeiten für ein deutsch-polnisches Handelsabkommen leisten.183 Diese und weitere Kriegsaktivitäten sowie die Tätigkeit als Referent im Reichswirtschaftsministerium nach der Revolution benutzte er 1919 – erfolgreich – zur Begründung seines Antrags auf Erweiterung seiner venia auf »Weltwirtschaftslehre«. Und dies sollte ihm wiederum helfen, eine Verwaltungsstelle in Gießen zu finden – denn an der Universität wirkte er ohne Gehalt.184 Tatsächlich erhielt er aber schon im nächsten Jahr einen Ruf auf ein für ihn geschaffenes Ordinariat in Münster.185 Von den Berliner Dozenten bot sich der Völkerrechtler Viktor Bruns schon Mitte September 1914 für die Besatzungsverwaltung an; doch war der Bedarf damals gedeckt – und »[n]ennenswerte russische Gebiete, für deren Verwaltung übrigens Kenntnis der polnischen Sprache erwünscht wäre, haben wir noch nicht besetzt.«186 Später waren mehrere Berliner in Warschau im Einsatz, mindestens zwei von ihnen (neben anderen Tätigkeiten dort) als Hochschulreferenten beim Generalgouverneur. Allerdings blieben der Rechtshistoriker Claudius Freiherr von Schwerin sowie der aus Sankt Petersburg stammende polnische Nationalökonom Ladislaus von Bortkiewicz, beide Extraordinarien, nur wenige Monate. Schwerin war nach der Entlassung aus dem aktiven Militärdienst von Frühjahr bis Anfang Oktober 1916 als Hochschulreferent in der Warschauer Verwaltung tätig, ab Ende Juni gleichzeitig Beisitzer am Bezirksgericht Warschau. Nach erneuter Feststellung seiner Kriegsverwendungsfähigkeit wurde er dann aber dem Bezirkskommando zur Verfügung gestellt. (Aus der Sicht der Zivilbehörden mußten sie ihn freigeben, wenn die Armeeverwaltung ihn anforderte.) Seiner eigenen Auffassung zufolge geschah dies, weil er versucht hatte, »die Entwicklung der Universität Warschau zu einem Institut zu fördern, 182 Zitat: W. F. Bruck an Rektor Gießen 16.4.1915 (Urlaubsgesuch): UA Gi Pr A Phil Nr. 5; Wumba: wie A. 183. 183 Abschrift: Verwaltungschef bei dem GG Warschau an Reichsamt des Innern: UA Gi Phil. K 21. 184 Bruck an Phil. Fak. zu Hd. des Ord. für Staatswissenschaft Skalweit 24.10.1919; Bruck an Dekan 28.12.1919 (Dank). Beide in: UA Gi Pr A Phil 5. 185 Persönliches Ordinariat für wirtschaftliche Staatswissenschaften, Industriewirtschaftsund Weltwirtschaftslehre (nach Lieselotte Steveling, Juristen in Münster. Ein Beitrag zur Geschichte der Rechts- und Staatswiss. Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Münster 1999, S. 385 A. 521). 186 Eingabe des ao. Prof. Viktor Bruns 16.9.1914 (mit zit. Randvermerk): GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. IV, Nr. 45 Bd. X, fol. 201. Zu B. s. NDB 2 (1955), S. 687 (Carl Bilfinger).
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das den Namen einer Universität in unserem Sinne verdiente«, während Rektor und Professoren nur vorgaben, die Verwaltungsanweisungen auszuführen, sie de facto aber unterliefen und es deshalb auch zu »Schiebungen« bei einem Examen gekommen sei.187 Bortkiewicz, der auf Bitte des Reichsamts des Innern vermutlich ab November 1916 »als wissenschaftlich-statistischer Hilfsarbeiter« in der Zivilverwaltung des Generalgouvernements Warschau beschäftigt war, kehrte auf eigenen Wunsch schon Ende Januar 1917 nach Berlin zurück.188 Länger war der Deutschlektor und Leiter der Auskunftsstelle der Berliner Universität Wilhelm Paszkowski »zum Verwaltungschef des Generalgouvernements beurlaubt«.189 Er war schon im Herbst 1915 an den ersten Schritten zur (Wieder-) Errichtung einer polnischen Universität in Warschau beteiligt, später Hochschulreferent beim Generalgouverneur und dann zugleich Inhaber des Lehrstuhls für Germanistik an der 1916 wieder errichteten polnischen Universität (wo er allerdings als Germanisierer angesehen wurde und schließlich den »Anfeindungen weichen« mußte).190 Der Staats- und Völkerrechtler Erich Kaufmann, der als bayerischer Artillerieoffizier schwer verwundet (aber als arbeitsverwendungsfähig nur zurückgestellt) und 1917 nach Berlin berufen worden war, wurde Anfang 1918 »zur Erledigung besonderer mit der Verwaltungstrennung in Zusammenhang stehender staatsrechtlicher Aufgaben« in die Zivilverwaltung des Generalgouverneurs in Belgien berufen. (Mit Zulagen und Entschädigung für das entfallene Hörgeld steigerte sich sein Einkommen dadurch auf das Doppelte: gut 16.000 M.).191 187 Zeitgenössische Nachweise seines Warschauer Verwaltungsdienstes: BAN X (1915/16), S. 45; Die FWU im Kriege 1915/16, S. 10 (im Bericht für 1916/17 nicht mehr erwähnt). Alle weiteren Angaben nach Simon, Schwerin, S. 16 f. (mit Zitat aus seinem Schreiben an den Verwaltungschef beim GG vom 26.10.1916); Sicht der Zivilbehörden: Reichskanzler an Pr. KuMi 29.10.1916: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. IV, Nr. 45 Bd. XI, fol. 42. Zur früheren Einstufung Schwerins s. o. S. 354. 188 Die FWU im Kriege 1916/17, S. 17; Pr. KuMi an Rektor und Senat Berlin 30.10.1916 und 21.2.1917. Beide: UA HU UK B 347, Teil III, fol. 5 und 7. 189 Paszkowski s. BAN X (1915/16), S. 46. 190 Arkadiusz Stempin, Die Wiedererrichtung einer polnischen Universität: Warschau unter deutscher Besatzung, in: Maurer (Hg.), Kollegen, S. 127–145, hier 132, 137, 144 f. (Zitat 145). Zeitgenössische Nachweise: Die FWU im Kriege 1914/15, S. 36 (»zu wissenschaftlichen Diensten berufen«); 1915/16, S. 16 (Hochschuldezernent und Lehrauftrag) sowie 1916/17, S. 19 (nur noch Dezernent). 191 Verwaltungschef für Flandern an Reichsamt des Innern 2.1.1918; Reichskanzler an Pr. KuMi 14.1.1918; Verwaltungschef für Flandern an Staatssekr. des Innern 7.7.1918; Reichskanzler (Reichsamt des Innern) an Pr. KuMi 27.8.1918. Alle: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. IV, Nr. 45 Bd. XI, fol. 135v, 135, 154, 156. – Übrigens war der Heidelberger Historiker Karl Hampe schon 1915 vom Generalgouverneur von Belgien mit einer Denkschrift beauftragt worden, die als Grundlage späterer Verhandlungen dienen sollte. »Der Gedanke, auf diesem Wege mit meiner Wissenschaft (die ich freilich nur als allzu stümperhaft empfinde) nützen zu können, erfüllt mich doch mit Freude!« (Hampe, Kriegstagebuch, S. 264 [10.8.1915]).
420 Die Universitäten im Kriegseinsatz Andere wirkten nicht in einer Dienststelle vor Ort, sondern fuhren nur zur Erfüllung bestimmter Aufgaben in die besetzten Gebiete, so etwa der Berliner Nationalökonom und Agrarwissenschaftler Max Sering, der zwei Jahre zuvor eine Studienreise nach Rußland organisiert und 1913 einen Aufsatzband dazu publiziert hatte.192 Nun nahm er zunächst an »Arbeiten zur Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln« teil und bereiste (als 58jähriger) im Sommer 1915 dann »im amtlichen Auftrage« Kurland, Litauen und Polen. Außerdem war er mit der »wissenschaftlichen Leitung eines Werkes über die deutsche Kriegswirtschaft betraut«, später »Vorsitzender der wissenschaftlichen Kommission des Kriegsministeriums für die geschichtliche und systematische Be arbeitung der Kriegswirtschaft«.193 1917 publizierte er eine Handreichung für die Zukunftsgestaltung der besetzten Gebiete, deren »Befreiung (….) von der großrussischen Gewaltherrschaft und (….) Angliederung an Mitteleuropa« er zum »Kriegsziel« erklärte.194 Nicht im besetzten Gebiet, sondern bei einem Verbündeten Deutschlands erfüllte der Straßburger katholische Theologe und Kirchenhistoriker Hubert Bastgen, damals noch Privatdozent und Titularprofessor, eine ganz besondere Funktion: Er war 1916–1918 »›Sondergesandter der Deutschen Reichsregierung und des Heiligen Stuhls‹, eigentlich aber nur im Auftrag des Zentrumspolitikers Matthias Erzberger, bei dem aus Deutschland stammenden Zaren Ferdinand von Bulgarien in Sofia«. Das Ziel seiner Mission sollte eine Kirchenunion der bulgarisch-orthodoxen Kirche mit Rom werden. Allerdings war er (wohl gerade dafür) von der Universität beurlaubt.195 Natürlich dienten auch Gutachten, die, wie herkömmlich, bei Spezialisten in Auftrag gegeben wurden, zur Unterstützung der Kriegführung. In Straßburg z. B. erstattete ein Professor dem Garnisonsarzt militärrechtliche Gutachten.196 Und die Marine holte schon 1915 die Stellungnahmen von Nationalökonomen und Juristen zum geplanten U-Boot-Krieg ein. In Berlin waren das Max S ering und Heinrich Triepel. Der Öffentlichrechtler hatte keine Bedenken dagegen, da England mit der Seeblockade neue Normen geschaffen habe, die einen »Gegenstoß« rechtfertigten. Von den Neutralen seien dabei keine Schwierigkeiten zu 192 S. dazu o. S. 131 f. Zu seiner damaligen positiven Einstellung gegenüber Russen und gehässigem Denken im Krieg s. u. S. 756. 193 Die FWU im Kriege 1914/15, S. 29; Zitat: 1915/16, S. 14; s. auch 1916/17, S. 16. 194 Max Sering [Hg.], Westrußland in seiner Bedeutung für die Entwicklung Mitteleuropas, Leipzig u. a. 1917, Zitat aus dem detaillierten Inhaltsverzeichnis S. III (entsprechend dem Inhalt und ähnlichen Formulierungen aus Serings Einleitung [S. XIII-XXXII], hier XXVI). 195 Nach BBKL XVIII (2001), Sp. 152–157 (Reimund Haas). Die dortige Frage, ob er tatsächlich vor Kriegsbeginn Extraordinarius geworden sei, läßt sich aus AV KWU Strb. ein deutig verneinen. 196 Ficker, Bericht (1914/15), S. 11.
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erwarten: Da sie sich zur Blockade bequemt hätten, könnten sie billigerweise auch nichts gegen die Gegenmaßnahmen einwenden. Dieses Gutachten trugen dann auch Schmoller und andere Berliner Kollegen verschiedener Fakultäten mit: Die Juristen Gierke und Kahl, der Historiker Schiemann und der Altphilologe Wilamowitz, sogar der Theologe Harnack, der später zum Gegner der Marine-Leitung in der U-Boot-Frage wurde.197 Bei der Denkschrift über die »Wiedereinverleibung [!] der Erzbecken von Briey und Longwy in das deutsche Reichsgebiet [!]«, die der Straßburger Historiker Spahn an Ostern 1918 verfaßte, ging es um eines der schon im Septemberprogramm der Reichsregierung von 1914 benannten Kriegsziele. Allerdings verfaßte Spahn sie im Auftrag zweier Vereine von Eisen-Industriellen zur Unterstützung von deren wirtschaftlichen Interessen und scheute nicht davor zurück, eine historische Kontinuität zu konstruieren, für die er die Fakten »mehr oder weniger willkürlich bereits auf das Ergebnis hin ausgewählt und frisiert« hatte.198 Gefragt war auch die Expertise der Orientalisten: Nicht nur der Offizier im Kriegsgefangenenlager überwachte die Korrespondenz von Muslimen.199 Ein Fachkollege, Gotthold Weil, kontrollierte Post der Kriegsgefangenen, die dem Orientalischen Seminar in Berlin »zur Durchsicht überwiesen« wurde.200 Auch Eugen Mittwoch (damals noch Privatdozent, ab Sommer 1915 Extraordinarius) war »seit Kriegsbeginn mit der Zensur orientalischer Briefe« beschäftigt. Später wurde er sogar Leiter der Nachrichtenstelle für den Orient, die nicht nur Zeitungen und Berichte vom Kriegsgeschehen auswertete, sondern auch eigene Propagandaschriften veröffentlichte, die zu panislamischen Aktionen gegen die westliche Kolonialherrschaft aufriefen. Außerdem gab die Nachrichtenstelle ein Blatt für muslimische Gefangene heraus: al-ğihad!201 Solche Aufgaben nahmen Gelehrte auch an anderen deutschen Universitäten wahr.202 Neben technisch oder naturwissenschaftlich forschender sowie gutachter licher Unterstützung der Kriegsführung, Organisation der Kriegswirtschaft und Besatzungsverwaltung sowie Zensuraufgaben standen psychosoziale und sozialmedizinische Aktivitäten. Doch waren die Grenzen zu den anderen Bereichen, wie das folgende Beispiel belegt, fließend: Der 48jährige Extraordinarius für Philosophie Max Dessoir hatte nie gedient und litt unter schwerer Kurzsichtigkeit. Trotzdem meldete er sich bei Kriegsbeginn zum Militär, wurde 197 In einer Umfrage der Zeitschrift für Völkerrecht stellten sich sogar 20 Spezialisten-Kollegen hinter Triepel. Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 97 f. und 235 A. 22. 198 Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 169 mit 268 A. 18, 187 (Zitat). 199 Siehe o. Kap. III .3 über Lehmann-Haupt. 200 FWU im Kriege 1914/15, S. 35. 201 FWU im Kriege 1914/15, S. 31; Nachrichtenstelle dto. 1916/17, S. 17; dazu: Hanisch, Nachfolger der Exegeten, S. 80–82. 202 Für Göttingen s. Karl Brandi, Die Universität, in: Göttinger Kriegsgedenkbuch, S. 145–153, hier 145.
422 Die Universitäten im Kriegseinsatz aber abgewiesen und stellte sich daraufhin Ministerien und anderen Ämtern zur Verfügung. Daß der auch in Medizin promovierte, auf dem Grenzgebiet von Psychologie und Physiologie sowie außerdem über Ästhetik arbeitende Gelehrte aber im ersten Kriegsjahr »eine wissenschaftlich ertragreiche Studien reise an die Ostfront« machte,203 hatte ein junger Freund und Offizier bewirkt: Im Frühjahr 1915 hatte er sich während seines Urlaubs an Dessoir gewandt und ihm erzählt »von der seelischen Not, die ihn und viele Mitkämpfer draußen befallen hatte; es waren innere Erlebnisse, die weder den Vorgesetzten noch den Feldgeistlichen anvertraut werden konnten: ein unbefangenes Auge mußte sie entdecken, ein nicht gebundenes Nachdenken mußte auf Abhilfe sinnen.« Da der junge Soldat das Ergebnis seiner Gespräche mit Dessoir dem Leiter des Sanitätswesens im Osten mitteilte und dieser es an Ludendorff weitergab, wurde Dessoir ins Große Hauptquartier eingeladen und reiste von dort aus weiter. In Warschau wurde er der Zivilverwaltung zugeteilt und übernahm die Leitung des Feuilletons der deutschen Warschauer Zeitung. Einmal mußte er auch an einer Hinrichtung teilnehmen. Seine Beobachtungen und Vorschläge legte er »teilweise« in einer Veröffentlichung von 1916 nieder: »Kriegspsychologische Betrachtungen«.204 Seit dem zweiten Kriegsjahr registrieren die offiziellen Berichte der Universität, entsprechend der neuen Richtlinie, nur Dauerengagements zu verzeichnen, keine Kriegstätigkeit Dessoirs mehr. Doch seinen Erinnerungen zufolge war er 1916 an der Westfront, wo er als Nichtmilitär am Vormarsch teilnahm, aber auch erlebte, wie der Stab dieser Infanteriedivision »durch einen Volltreffer vernichtet wurde«. Zwei Tage später nahm Dessoir an einem großen Diner teil. Zwischen solchen Extremen pendelnd, war seine »eigentliche Aufgabe«, als »weltlicher Seelsorger und Laienarzt zu dienen«. 1917 schließlich war er bei der Flotte und erkannte dort, wie die »durch keine Häufung von Übungen zu verdeckende Untätigkeit (…) die Gemüter schon fünfzehn Monate vor dem Ausbruch der Revolution vergiftet« hatte. Seine Warnungen, die er dem Reichsmarineamt zugehen ließ, wurden mit der Begründung abgelehnt, er habe »keinen genügenden Einblick gewonnen«. Zum Chef des Amtes konnte er nicht vordringen. Im Herbst 1918 schließlich mußte Dessoir, als er Vorträge in Warschau, Dorpat, Reval und Riga hielt, auch die »Zersetzung im Landheer« erkennen und erwartete einen unglücklichen Ausgang des Krieges.205 Weniger spektakulär war der freiwillige Experteneinsatz im sozialen Bereich: Der (aus gesundheitlichen Gründen vom Militärdienst befreite) Privat203 Zitat: Die FWU im Kriege 1914/15, S. 30. Biogr. Angaben nach: Christian Herrmann, Max Dessoir. Mensch und Werk, Stuttgart 1929, S. 6, 8, und Reichshandbuch, S. 312 f. 204 Leipzig 1916. Seine Funktion wird dort (S. 3) ganz ähnlich wie im folgenden, aber aus der Perspektive der Soldaten formuliert: »in ihren Augen ein Mittelwesen zwischen Geist lichem und Arzt«. 205 Max Dessoir, Buch der Erinnerung, Stuttgart 21947, S. 53–57.
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dozent Walter Kaskel, der bis zu seiner Habilitation 1913 im Reichsversicherungsamt gearbeitet hatte, gründete, zusammen »mit einigen Praktikern, die Kriegsauskunft- und Hilfsstelle für Arbeiter- und Angestelltenversicherung« und leitete sie dann. Das soziale Versicherungsrecht war sein Spezialgebiet, das Arbeitsrecht kam bald hinzu, und in den zwanziger Jahren konnte er diese Gebiete »zu dem Range einer eigenen Rechtsdisziplin« erheben.206 Der Straßburger Ordinarius Salge, für den die Kinderheilkunde »eine eminent soziale Wissenschaft« war und der selbst schon als Assistent eine Säuglingsfürsorgestelle in Berlin geleitet hatte, beteiligte sich an der Kriegskinderfürsorge und leitete die dort »auf dem Lande beinahe ganz fehlende Säuglingsfürsorge unter Vermittlung des Vaterl[ändischen] Fr[auen-] V[ereins] in die Wege«.207 Um die Kinderklinik auch bei der schon erwarteten militärischen Räumung Straßburgs weiter versorgen zu können, schlug er, damals noch Chef eines Straßburger Festungslazaretts, vor, ihn aus dem Militärdienst zu entlassen.208 Die Fürsorge-Expertise erstreckte sich sogar bis in die besetzten Gebiete: Der Berliner Privatdozent und Titularprofessor Leo(pold) Langstein, Leiter des KaiserinAuguste-Victoria-Hauses zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit im Deutschen Reiche, wurde »nach Belgien berufen, um bei den für die Kinderfürsorge notwendigen Arbeiten mit tätig zu sein«. Auch die von ihm geleitete Anstalt beteiligte sich »durch praktische Arbeit weitgehend an den Maßnahmen für die durch den Krieg [!] außerordentlich gefährdete Kinderwelt Belgiens«. Doch
206 Die FWU im Kriege 1914/15, S. 16 (Zitat), vgl. auch 1915/16, S. 10. Zitat aus dem Nachruf von [–] Titze in: Chronik der FWU zu B. April 1928/März 1929, Goslar o. J., S. 6. Vgl. dagegen Angela Klopsch, Die Geschichte der Juristischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin im Umbruch von Weimar, Berlin 2009, S. 183–186, wie die Fakultät noch 1920 verhinderte, daß er ein planmäßiges Extraordinariat erhielt, weil sie bereits wußte, daß der Minister dem Inhaber der Stelle dann ein persönliches Ordinariat verleihen wollte. (Klopsch irrt aber bezüglich des Habilitationsdatums, da Kaskel bereits im SS 1913 als PD im PV geführt wird.) 1912 hatte Kaskel zusammen mit Fritz Sitzler einen fast 500seitigen Grundriß des Sozialen Versicherungsrechts (Berlin 1912) publiziert, der statt einer besonderen Schrift zur Habilitation angenommen wurde. Nach dem Krieg folgten weitere Einführungen und Standardwerke, darunter Arbeits recht (1925), das bis 1957 mehrfach aufgelegt wurde. Biogr. Angaben nach: Dieter G. Maier/Jürgen Nürnberger, 125. Geburtstag des Mitbegründers der Neuen Zeitschrift für Arbeitsrecht Walter Kaskel und des neuzeitlichen Arbeitsrechts in Deutschland, in: Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht 24 (2007), S. 1414–1418, hier 1415. Das Datum seines Ausscheidens aus dem Reichsversicherungsamt (wie auch Informationen über seine Vermögensverhältnisse, die ihm erlaubten, als PD ohne weitere Brottätigkeit zu leben) verdanke ich Dieter G. Maier (19.5.2011). 207 Erstes Zitat aus dem Nachruf Leo Langstein, Zur Erinnerung an Bruno Salge, in: Zeitschrift für Kinderheilkunde 38 (1924), Nr. 6, S. I–IV; Zitat über Kriegstätigkeit aus seiner Notiz auf dem Blatt der Med. Fak. bei der Rundfrage des Rektors vom 13.4.1916: ADBR 103 AL 104. 208 Aufzeichnung Salge 2.11.1918: ADBR 103 AL 190.
424 Die Universitäten im Kriegseinsatz handelte es sich offensichtlich nicht um einen Dauereinsatz dieses Pioniers der Pädiatrie und öffentlichen Wohlfahrt,209 denn in den Berichten der folgenden Jahre war davon nicht mehr die Rede.
Professoren in Aushilfsfunktionen Von jenen, die sich vor Ort nützlich machten, wirkte in Straßburg eine ganze Reihe im Post- und Telegraphenamt: Die Tätigkeiten reichten vom Einsammeln und Sortieren der Post auf dem Bahnhof (wo man bei der Mobilmachung zusätzliche Körbe aufstellen mußte, weil die Briefkästen für die Sendungen der Durchfahrenden nicht genügten) bis zur Prüfung der Telegramme. Im Postamt am Straßburger Bahnhof arbeiteten zu Kriegsbeginn fünf Professoren, im Hauptpostamt dann noch acht weitere. Dazu gehörte auch Georg Simmel, der in seiner Korrespondenz nur meldete, er habe »einen nicht unwichtigen Posten übernommen«.210 Im zweiten Kriegsjahr war im Kriegsbericht der Universität davon allerdings nicht mehr die Rede. Auch für die Telegrammprüfung standen damals wieder mehr Offiziere zur Verfügung, so daß nur noch zwei Straßburger Professoren dort dauerhaft, zwei weitere temporär beschäftigt waren.211 Erst im Frühjahr 1917, als erneut Kräfte benötigt wurden, erinnerte sich das Oberkommando ihrer wieder. Für Berlin wurden, trotz ausführlichster Dokumentation der Kriegstätigkeiten jedes einzelnen, keine Engagements im Post- und Fernmeldewesen nachgewiesen, ebensowenig für Gießen. Anderswo half ein einzelner wohl auch als Briefträger aus, doch eine Zeitungsmeldung über eine Gruppe von Professoren als »Landbriefträger« erwies sich als Ente.212 In Straßburg richtete Simmel einen »freiwilligen Botendienst von Radfahrern« ein.213 209 Die FWU im Kriege 1914/15, S. 24. Angaben zu Langstein in: NDB 13 (1982), S. 613 f. (Manfred Stürzbecher); außerdem: H.-R. Wiedermann, The Pioneers of Pediatric Medicine: Leo Langstein, in: European Journal of Pediatrics 147 (1988), S. 105 (mit Foto). 210 Ficker, Bericht (1914/15), S. 10. Zitat: Georg Simmel an Hugo Liepmann 8.8.1914. Am 11.8.1914 sprach er demselben Empfänger gegenüber von einem »eigenartigen Vertrauensposten« (Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 365, 369). Die Auflösung im Tagebuch von Simmels Nichte, Gertrude Jacobs (laut Kommentar S. 366). 211 Ficker, Bericht II (1915/16), S. 12. 212 S. den Dank der Schwestern vom Roten Kreuz »An die Herrn Professoren der Göttinger Universität jetzige Landbriefträger« (o. D., Poststempel 21.[8. 1914]) und die diplomatische Antwort des Prorektors vom 24.8.1914. Auf einer verwunderten Zusendung (Hamburg 20.8.1914) war vermerkt, daß die Post bisher noch niemanden benötigt habe, aber von der Anregung ggfs. Gebrauch machen werde. Alle Dokumente in: UA Gö Sek. 38 (1). Dazu auch Busse, Engagement oder Rückzug, S. 224 f. (und Faksimile der Anschriftsseite der Postkarte auf dem Buchcover). Zu dem »ehrwürdigen Theologieprofessor als Briefträger« s.: Der vaterländische Kriegshilfsdienst, in: Göttinger Kriegsgedenkbuch, S. 67–74, hier 67. 213 Zitat aus dem Tagebuch seiner Nichte in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 366.
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Was immer »Telegrammüberwachung« genau meinte – der Weg zur Zensur war nicht weit. Und, vermutlich ohne dazu aufgefordert zu sein, übten auch die freiwilligen Posthelfer diese Aufgabe, quasi beiläufig, aus: Daß man den Soldaten auf dem Weg an die Front in Straßburg schließlich keine Postkarten mehr gab, lag nicht nur daran, daß sich im Bahnhofspostamt Briefe und Karten »haushoch« stapelten. Vielmehr hatte man auch festgestellt, daß manche Soldaten »merkwürdige, mißverständliche Nachrichten nach Hause schrieben, z. B.: ›Hier in Straßburg sind wir schon mitten in Feindesland.‹«214 Innerhalb der Wissenschaft fand eine Zensur nur in sehr beschränktem Maße statt – hier vertraute man, nach einem ersten offiziellen Versuch, auf die Selbstkontrolle. Als 1915 eine Beaufsichtigung der wissenschaftlichen Zeitschriften eingeführt wurde, ging es zunächst um technisch-naturwissenschaftliche Kenntnisse (weil z. B. in einer Zeitschrift Details über die Salpeterherstellung der BASF zu lesen waren). Aber obwohl Vertreter des stellvertretenden Großen Generalstabes in einer Besprechung mit Gelehrten, dem preußischen Kultus- und dem Kriegsministerium den »Wunsch nach dauernder Fühlung [äußerten], da die wissenschaftlichen Fragen, welche der öffentlichen Aussprache zu entziehen seien, häufigem Wechsel unterlägen«, wurde keine allgemeine Vorzensur eingerichtet, sondern eine Zentralstelle, der zweifelhafte Manuskripte zugeschickt werden sollten. Sogar das Kriegsministerium war damit zufrieden: »Neue, die Fachliteratur beengende Zensurmaßnahmen werden sich also erübrigen.« Als Experten wurden zunächst verschiedene Ingenieure und TH-Angehörige herangezogen, im weiteren Verlauf aber auch Professoren der Universität Berlin.215 1916/17 waren z. B. der Direktor des KWI für Chemie und Ordinarius der Universität Ernst Beckmann und der Physik-Ordinarius Heinrich Rubens Mitglieder der Fachwissenschaftlichen Zensur-Beratungsstelle des Kultusministeriums.216 Quasi offizielle Funktionen übernahmen Gelehrte auch in den anderen Bereichen, in denen sie sich nützlich zu machen suchten: in der Militärverwaltung, der staatlichen Verwaltung und der Fürsorge sowie als Lehrer in Gymnasien. In Straßburg beteiligten sich einzelne, die selbst nicht im Militärdienst standen, als Mitglieder der Hilfsersatzkommissionen an der Musterung. Auch in diesem Fall, als die Aufforderung, pensionierte höhere Beamte oder auch Professoren zu benennen, vom Minister an den Bezirkspräsidenten und von diesem über 214 Ficker, Bericht (1914/15), S. 10. 215 Ins neutrale Ausland sollte alles geschickt werden dürfen, was in Deutschland selbst veröffentlicht wurde. Zusammengefaßt nach GSt APK Rep 76 V c: Wissenschaft Sekt 1 Tit. 11 Teil VII Nr. 41 Adh. A, Zitate aus dem Prot. der Besprechung über die Durchführung einer Beaufsichtigung der Fachliteratur 23.3.1915 (fol. 16–19) und dem Schreiben des Kriegsmin. an Pr. KuMi 12.3.1916 (fol. 150). 216 Die FWU im Kriege 1916/17, S. 16. Biogr. Angaben: http://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_ Otto_Beckmann; http://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Rubens (beide 6.5.2011).
426 Die Universitäten im Kriegseinsatz den Kurator an die Universität gelangte, befand der Rektor, daß die Mitwirkung im Interesse der Universität liege. Vier Personen wurden gesucht, in der Universität meldeten sich zwei Juristen: Erich Jung und der Dekan selbst, Hermann Rehm.217 In Berlin war der Vorsitzende des Zentralverbandes des deutschen Bank- und Bankiergewerbes, Vorstandsmitglied des Zentralvorstands der Nationalliberalen Partei und Ordentliche Honorarprofessor der Universität J akob Rießer als Hauptmann der Landwehr a. D. »als stellvertretender Sammeloffizier bei dem Bezirkskommando III tätig«. Da es »Sammeloffiziere«, die für das Recycling kriegswichtiger Rohstoffe zuständig waren, erst seit 1916 gab, ist hier wohl die Tätigkeit als »Meldesammeloffizier« gemeint.218 In der Zivilverwaltung wirkten Hochschullehrer auf lokaler wie auch auf staatlicher Ebene.219 Einige Berliner vertraten z. B. Ministerialreferenten oder betätigten sich als »Hilfsarbeiter«, d. h. wissenschaftliche oder fachkundige Mitarbeiter in zentralen Organisationen des Reichs und in Ministerien. Der unbesoldete juristische Extraordinarius Hermann Fürstenau z. B. vertrat – neben seinem Hauptamt im Oberverwaltungsgericht! – zwei zum Heere einberufene Referenten im preußischen Kultusministerium,220 während die Privatdozenten der Philosophischen Fakultät Franz Oppenheimer (Nationalökonom und Soziologe) und Ernst Perels (Historiker und Mitarbeiter der MGH) als »Hilfsarbeiter« im Kriegs- bzw. Reichsmarineamt wirkten. Oppenheimer, der auch erwogen hatte, sich als Arzt zur Verfügung zu stellen (was aber mehrmonatige Wiederholungskurse erfordert hätte, da seine medizinische Tätigkeit damals schon über zwei Jahrzehnte zurücklag) war außerdem noch als Mitglied der Reichsarbeitszentrale und »auf vielfältige andere Weise in volkswirtschaftlichen Angelegenheiten« tätig. Im 1916 geschaffenen Kriegsamt (bzw. der Vorläuferstelle) beobachtete er, wie in Wirtschaftsfragen unerfahrene Offiziere, die aus altem »Junkerhaß« auf den Handel herabsahen, verlustreiche, z. T. auch nie erfüllte Verträge abschlossen. Außerdem war Oppenheimer im zweiten Kriegsjahr auch Vorsitzender des Komitees für den Osten, das die Autonomie der osteuropäischen Juden sichern, damit aber auch der deutschen Kriegspolitik dienen wollte. (Als Professor in Frankfurt war Oppenheimer später u. a. 217 Min. für E-L an Bezirkspräsidenten 30.4.1917 (mit Vermerk über Weiterleitung an Kurator 7.5.1917); Kuratorium an Rektor 8.5.1917 (mit Vermerk über Weiterleitung an Dekan der Jur. Fak. 10.5.1917; mit Vermerk des Dekans 15.5.1917 über Bereitschaft Jungs); Kurator an Bezirkspräs. 24.5.1917 (über Bereitschaft Rehms). Alle: ADBR 103 AL 1430. 218 Zitat: Die FWU im Kriege 1914/15, S. 16; Bedeutungen des Begriffs nach http://www. agw14–18.de/formgesch/formatio_generakom.html (4.5.2011). 219 Für Heidelberg: Reichert, Wissenschaft und »Heimatfront«, S. 499. 220 Die FWU im Kriege 1914/15, S. 16; dto. 1916/17, S. 12. Zu seinem Status an der Universität und seinem Hauptamt s. seine Personalakte: UA HU UK F 182, bes. fol. 4: Pr. KuMi an Rektor und Senat 14.8.1914 (Entbindung von Lehrveranstaltungen, analog für die weiteren Semester bis WS 1918/19: fol. 5–12).
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Doktorvater Ludwig Erhards.)221 In Straßburg war der Spezialist für Biochemie und Physikalische Chemie, Honorarprofessor Karl Spiro, Referent im Kriegs amt, dem die Durchführung des Gesetzes über den Vaterländischen Hilfsdienst oblag. (Institutionell stellte es eine eigentümliche »Mischform aus militärischem Kriegswirtschaftsstab und ziviler Verwaltungsbehörde« dar.) Dort war Spiro auch zuständig für die Leitung des gesamten Arbeitsnachweiswesens, den Verkehr mit Einberufungs-Ausschüssen, Hilfsdienst- und Frauenarbeitsmeldestellen, die Beobachtung und Beeinflussung der Volksstimmung in Fragen des Hilfsdienst- und Notstandsgesetzes.222 Im ersten Kriegsjahr hatte ein Professor in der Steuerbehörde geholfen, die Veranlagung der Wehrsteuer (die in ElsaßLothringen vor dem Krieg noch nicht durchgeführt war) zu berechnen. Eine »besondere Vertrauensmission«, die »damals geheim bleiben« mußte, hatte der Straßburger Bürgermeister den Professoren bei der geplanten (aber schließlich doch unterbliebenen) Evakuierung zu Kriegsbeginn zugedacht: Sie sollten Verhandlungen führen, Anweisungen geben, die zu Evakuierenden geleiten.223 Schließlich ersetzte eine Reihe von Professoren verschiedener Universitäten eingezogene Gymnasiallehrer. Der Straßburger Emeritus Ziegler unterrichtete ab Kriegsbeginn in seinem Wohnort Frankfurt am Main bis zu seinem Tode 1918 an einem Realgymnasium Deutsch, Geschichte und Latein und leitete außerdem 1914–1917 das Pädagogische Seminar. Als der Direktor vom Kriegsdienst zurückkehrte, blieb Ziegler als einfacher Lehrer an der Schule. (In gewissem Sinne schloß sich damit auch ein Kreis, denn ursprünglich war er selbst Gymnasiallehrer gewesen, hatte sich dann als Prorektor des Straßburger protestantischen Gymnasiums habilitiert und schließlich das Ordinariat an der Universität erhalten.)224 Andere Straßburger Kollegen vertraten Gymnasiallehrer zumindest aushilfsweise.225 Der Berliner Ordinarius für Physik Arthur Wehnelt erteilte fast während des ganzen ersten Kriegsjahres Physikunterricht am Gymnasium der Gemeinde Friedenau.226 Der Altphilologe Georg Wentzel, 221 Die FWU im Kriege 1914/15, S. 34; für beide auch 1915/16, S. 15. Zu Perels s. http://www. geschichte.hu-berlin.de/galerie/texte/perels.htm (5.5.2011); zu Oppenheimer http://de. wikipedia.org/wiki/Franz_Oppenheimer (5.5.2011). Zum Komitee für den Osten s. als Standardwerk Egmont Zechlin, Die deutsche Politik und die Juden im Ersten Weltkrieg, Göttingen 1969, S. 116–138, 144–154. Die Überlegung zur ärztlichen Tätigkeit und die Erfahrungen im Kriegsamt nach Franz Oppenheimer, Erlebtes, Erstrebtes, Erreichtes. Erinnerungen, Berlin 1931, S. 225–228, Zitat 228. 222 Organisation und Zuständigkeit der Kriegsamtstelle Strb. i. E. 1.10.1917: ADBR 103 AL 1430. Biogr. Angaben: http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Spiro (5.5.2011). 223 Ficker, Bericht (1914/15), S. 9 (Zitate), 11. Zu dem Evakuierungsplan s. o. S. 213. 224 Artur Buchenau, Theobald Ziegler († 1. Sept. 1918), in: Kant-Studien 23 (1919), S. 503–506, hier 503. 225 Ficker, Bericht IV (1917/18), S. 12. 226 FWU im Kriege 1914/15, S. 29 (ab 1.10.1914). Knappe biogr. Angaben: http://www. sammlungen.hu-berlin.de/dokumente/16682/ (6.5.2011).
428 Die Universitäten im Kriegseinsatz Extraordinarius und (seinem Lehrer Wilamowitz zufolge) »ein Fanatiker der Akribie«, unterrichtete an einem Realgymnasium in Berlin-Schöneberg, der Historiker und Archivar Martin Hobohm, damals Privatdozent, zumindest »eine Reihe von Wochen vertretungsweise«, und zwar neben seiner Tätigkeit in der Zentralstelle für Auslandsdienst beim Auswärtigen Amt. Dort wurde er u. a. mit einer Materialsammlung beauftragt, die den Alldeutschen entgegenwirken sollte. (Später wurde der zu Kriegsbeginn als Freiwilliger ins Heer eingetretene, aus medizinischen Gründen aber schon bald wieder entlassene dann noch Kanonier in Frankreich.)227 Auch in anderen Universitätsstädten wirkten Universitätsprofessoren, z. T. sogar außerhalb ihres Faches, als Gymnasiallehrer.228 Manche brachten »einen anderen Stil« in die Schule: »Es wurde von uns erwartet, daß wir Referate halten konnten; wir bildeten Seminare und lernten, uns eine Meinung zu bilden und zu vertreten«, berichtet die spätere Sozial wissenschaftlerin Elisabeth Flitner.229 Allerdings kommt solche Lehrertätigkeit in den Berliner Berichten im zweiten und dritten Kriegsjahr nicht mehr vor – sie konzentrieren sich nicht nur auf Dauer-, sondern auch ganz auf direkt kriegsförderliche Engagements. Daher fehlen in den späteren Jahren auch die von einigen Gelehrten innerhalb der Universität übernommenen Aufgaben Eingerückter, etwa die Vertretung des Dekans (durch einen selbst schon 78jährigen Kollegen!), die Leitung einer weiteren Klinik (neben der eigenen) oder die Leitung eines Instituts durch einen 50jährigen jüdischen Privatdozenten.230 Bei den Medizinern kam es sogar vor, 227 FWU im Kriege 1914/15, S. 30 (Wentzel), 35 (Hobohm, auch über die zweimalige kurzzeitige militärische Verwendung im ersten Kriegsjahr); dto. 1916/17, S. 19. Zur Material sammlung: Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 119. Ergänzende biogr. Angaben: http://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Wentzel (6.5.2011); Wilamowitz-Moellendorff, Erinnerungen, S. 283 f.; http://www.uni-heidelberg.de/institute/sonst/aj/VERSCHIE/ HOBOHM /vorwort.htm (6.5.2011). 228 In Heidelberg erteilte der Nationalökonom Eberhard Gothein Lateinunterricht in Obertertia und Untersekunda! (Gothein, Gothein, S. 263). Auch vier weitere Professoren unterrichteten dort am Gymnasium (Hampe, Kriegstagebuch, S. 124). In Tübingen waren seit Kriegsbeginn vor allem Privatdozenten an städtischen Schulen tätig (Paletschek, Tübinger Hochschullehrer im Ersten Weltkrieg, S. 99 A. 59). In Freiburg unterrichtete der Zoologe Franz Doflein an einer Oberrealschule Naturkunde (Richard Hesse, Franz Doflein, in: Zoologische Jahrbücher/Abt. für Anatomie und Ontogenie der Tiere 47 [1925/26], S. 191–211, hier 199). 229 Flitner, Frauenstudium im Ersten Weltkrieg, S. 156 (über ihr letztes Schuljahr am Jenaer Realgymnasium für Mädchen mit seinem zuvor »altmodischen Frontalunterricht« [S. 155]). 230 Die FWU im Kriege 1914/15, S. 17, 32: Der 1836 geborene Ordinarius Wilhelm Waldeyer (ab 1916: von Waldeyer-Hartz) führte die Dekanatsgeschäfte fast 10 Monate lang, nachdem der erste Vertreter sie wegen Krankheit hatte abgeben müssen. Der Leiter der Frauenk linik in der Charité (die zusätzlich zur eigenständigen Universitätsfrauen klinik existierte), Karl Franz, übernahm auch noch die Leitung der Chirurgischen Klinik für den im Felde stehenden Kollegen Hildebrand, und behandelte Verwundete
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daß ein Extraordinarius einen im Felde stehenden Assistenten vertrat. Daß ein Privatdozent dasselbe tat, war dagegen weniger bemerkenswert, da Habilitierte oft lange Zeit Assistentenstellen innehatten.231 Wenn im dritten Kriegsjahr einzelne noch neue Engagements übernahmen, fühlten sie sich vermutlich durch den Aufruf zum Vaterländischen Hilfsdienst dazu verpflichtet.232
Das Engagement der Hochschullehrer: Motivation und Deutung Wie diese Tätigkeiten zu deuten sind, klingt schon in einem Brief des Berliner Rektors Max Planck genau eine Woche nach Kriegsbeginn an: Unter den Mitgliedern des Lehrkörpers, »deren überwiegende Mehrzahl im Kriegsdienst weder unmittelbar noch mittelbar Verwendung finden kann, besteht der einmütige Wunsch, ihre Kräfte in der einen oder anderen Weise dem Vaterlande nutzbar zu machen.« Deshalb fragte Planck beim Kultusminister an, ob in seinem Ressort »Bedarf an Arbeitskräften irgend welcher Art, Subalterndienst nicht ausgeschlossen, besteht, welcher aus den Kreisen der Hochschullehrer gedeckt werden könnte.« Dann wollte sich Planck in Verbindung mit den übrigen Berliner Hochschulen bemühen, solche Hilfskräfte zu finden.233 Offenbar agierte er hier ganz von sich aus, denn er berichtete darüber bereits als Faktum – in derselben Fakultätssitzung, in der der Althistoriker Eduard Meyer vorschlug, daß die Professoren sich als Lehrer an höheren Schulen zur Verfügung stellen sollten. Da Meyer sich bereits auf eine Liste dazu bereiter Kollegen berufen konnte,234 erstaunt es, wie wenige dann tatsächlich in die Schulen gingen. Dabei muß offenbleiben, ob der praktische Einsatz hinter der guten Absicht zurückblieb, die Gelehrten evtl. nicht benötigt wurden oder vielleicht nicht willkommen waren. Im Ministerium nahmen verschiedene Leute von Plancks Angebot Kenntnis, doch konkrete Schritte folgten nicht, und am 4. März 1915 wurde es schließlich ad acta gelegt.235 Daß jede noch so kleine Tätigkeit erfaßt wurde, deutet aber zugleich auf den Rechtfertigungsdruck hin, unter dem sich die Daheimgebliebenen fühlten. Dies wird noch dadurch unterstrichen, daß die Straßburger als Adressaten ihrer ge(FWU 1914/15, S. 18). Zu dem Chemiker Willy Marckwald, der die Direktion des Phy sikalisch-Chemischen Instituts übernahm, s. Jüd. Lex. III, S. 1375 und http://www. sammlungen.hu-berlin.de/dokumente/17246/ (6.5.2011). 231 Die FWU im Kriege 1914/15, S. 19 (ao. Wolff) und 28 (PD Kleinschmidt). 232 S. dazu u. Kap. III .5. 233 Rektor Berlin an Pr. KuMi 8.8.1914: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. I, Nr. 17 Bd. V, fol. 327. 234 Prot. der Sitzung der Phil. Fak. 8.8.1914: UA HU Phil. Fak. 34, fol. 270–273, hier 272v-273. 235 S. die Paraphen und den Vermerk auf dem Dokument von A. 233.
430 Die Universitäten im Kriegseinsatz druckten Berichte »alle draußen« ausmachten: »Zuerst und zumeist für sie ist auch dieser Bericht geschrieben.«236 Bei der internen Befragung, die der Publikation vorausging, wird der Druck daran deutlich, daß wirklich alle angesprochen wurden und sich z. B. der Chemie-Ordinarius Thiele, der u. a. an der Entwicklung von Gasmasken arbeitete, im April 1916 zu der Erläuterung genötigt fühlte: »Ich habe, wie auch sonst Jedermann, Beiträge zu den verschiedensten Kriegsfür sorgeeinrichtungen gestiftet. Zu einer besonderen persönlichen Tätigkeit auf dem Gebiete der Kriegsfürsorge fehlte mir die Zeit, da ich seit Kriegsbeginn im Militärdienst stehe.«
1917 notierte er nur noch lapidar: »Hatte mit Kriegsfürsorge keine Berüh rung.«237 Mittlerweile mußte ihm diese Befragung realitätsfern und vielleicht auch anmaßend erscheinen. Der damals 82jährige Orientalist Theodor Nöldeke (der sich erst mit 70 Jahren hatte emeritieren lassen, obwohl das Straßburger Statut das bereits mit 65 Jahren ermöglichte) antwortete 1918: »Bin leider nicht im Stande gewesen, irgend etwas in dieser Angelegenheit zu leisten.«238 Andererseits konnte sich der einzelne durch die Veröffentlichung seiner Tätigkeit den Anstrich größerer Bedeutsamkeit geben, etwa wenn ein Professor meldete, daß er »regierungsseitig (!) mit der Begutachtung bei der Beschlagnahme der Orgelpfeifen als Sachverständiger beauftragt« war.239 Und konnte jemand gar melden, daß seine Tätigkeit der Geheimhaltung unterliege, erschien sie als besonders kriegswichtig. Das mochte bei dem Physiker Nernst, der zudem auch »unmittelbar an der Front« tätig war, vielleicht noch einleuchten. Wenn der Physiologe René du Bois-Reymond dagegen zu Protokoll gab, daß er »im Frühjahr 1915 im Auftrage des Kriegsministeriums Experimente für ein wissenschaftliches Gutachten angestellt« habe,240 klingt das schon fast, als wolle er sich wichtig machen; denn die Notwendigkeit zur Geheimhaltung hätte er wohl, wie Nernst, erwähnt. Fehlte sie aber – warum teilte er dann den Inhalt der Experimente nicht mit? Insgesamt allerdings entfalteten Professoren breite praktische Aktivitäten, die der bislang fast ausschließlich beschriebenen Kriegspublizistik nicht nur an die Seite zu stellen sind, sondern sie wohl noch übertrafen: von der Verwundetenbehandlung durch Mediziner über die Herstellung von Ersatz- und Kampf236 Ficker, Bericht II (1915/16), S. 4. Dazu paßte auch die Form der Publikation: relativ kleine schmale Hefte. 237 Vermerke auf losen Blättern, die offenbar in den einzelnen Fakultäten zirkulierten und jeweils die Antworten einer Reihe von Kollegen enthielten. Der erste Vermerk vom 15.4.1916, der zweite o. D. ADBR 103 AL 194. 238 Notiert auf der Rundfrage des Rektors an die Kollegen 7.5.1918: ADBR 103 AL 194. 239 Die FWU im Kriege 1916/17, S. 16 f. 240 Die FWU im Kriege 1914/15, S. 20.
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stoffen durch Chemiker über die Tätigkeiten in Verwaltung, Post und Schule bis zum breiten Spektrum sozialer und caritativer Aktivitäten. Allerdings vermittelt dies, wie auch die Fülle der Spenden-Zwecke, zugleich den Eindruck der Zersplitterung. Vor allem wird dabei aber immer wieder deutlich, wie die Hochschullehrer geradezu nach Betätigungsmöglichkeiten suchten. Als die Verabreichung von Nahrungsmitteln und Getränken auf dem Straßburger Bahnhof allmählich eingestellt wurde, trachtete die Universität »nach Kräften Ersatz zu bieten« und offerierte den Soldaten, »abgesehen von einer größeren Zahl Zigaretten, an Zigarren 25.000 Stück«, »vortreffliche, sehr ausgiebige«, nach denen bald viel »gefragt wurde«. »Ausreichende Arbeit blieb für uns allmälig (!) am Bahnhofe nicht mehr zu tun«, lautet der folgende Satz! Da sie von den Frauen und den Soldaten der Feldpost getan werden konnte, glaubten die Gelehrten, »daß wir einer unsern Absichten und Kräften entsprechenderen Aufgabe uns zuwenden sollten«. Zum Glück waren da »große und immer wachsende Anforderungen mit der Versorgung der Einsamen im Felde« schon an sie »herangetreten«!241 Im vierten, »schwersten der Kriegsjahre« betonten sie, daß im dritten »jedermann in den Dienst des Vaterlandes eingestellt worden« und nun, im vierten »die Kraft eines jeden aufs stärkste nachhaltig belastet« sei. Da sie sich aber im Kampf mit denen ›draußen‹ nicht vergleichen konnten, ging es hier um »die Ausnutzung aller Mittel und Stoffe, die Verwertung aller Methoden, die Gewinnung neuer Werte«: »Wie im Felde so ist in der Heimat hierin fast Unbegreifliches geleistet worden.«242 Die Tätigkeiten der Professoren wurden vielleicht nicht immer benötigt, aber sie suchten sie aus ihrem ureigensten Bedürfnis heraus: um den so heftig bedauerten Nicht-Einsatz an der Front zu kompensieren. Es galt dafür zu sorgen, »daß das kostbare Blut nicht vergeblich geflossen ist«. Die treue Arbeit, die Planck schon am 3. August 1914 als einziges Mittel zur Verwirklichung dieser »heiligen Aufgabe« angepriesen hatte,243 empfahl auch sein Kollege an der Berliner Handelshochschule – und zwar als »einzige Möglichkeit, nicht allzusehr darunter zu leiden, daß man an unseren großen Kämpfen keinen tätigen Anteil nehmen kann«.244 Der 71jährige emeritierte Pädiater Otto Heubner litt bei der Marneschlacht im September 1914 geradezu körperlich, so daß er einen Liter Magensaft erbrach. Im Dezember hatte er die Hoffnung, als Konsultierender Internist herangezogen zu werden oder einen Lazarettzug zu führen. Doch beides zerschlug sich wieder, so daß er sich in Loschwitz bei Dresden, wohin er sich 241 Ficker, Bericht II (1915/16), S. 15. 242 Ficker, Bericht IV (1917/18), S. 3. Auch im Rückblick bestätigte dieser Berichterstatter, daß sich kaum ein Dozent auf sein wissenschaftliches Werk zurückgezogen habe, sondern alle ihre Kraft in den Dienst der Kriegsstelle der Universität gestellt hätten (Ficker, Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg, S. 31). 243 S. das ausführlichere Zitat o. S. 251. 244 BAN IX (1914/15), S. 26.
432 Die Universitäten im Kriegseinsatz 1913 zurückgezogen hatte, der Hilfstätigkeit vor Ort widmete, u. a. durch Schaffung eines kleinen Lazaretts. »[A]ngesichts der sonstigen Passivität« war diese Hilfstätigkeit für ihn »eine Art Gewissensberuhigung«.245 Diesen Zeugnissen zufolge diente das Engagement also nicht in erster Linie dem »Nutzen« der »Allgemeinheit«, wie es Planck formuliert hatte, sondern dem seelischen Gleichgewicht der Daheimgebliebenen selbst.246 Besonders eindrücklich belegen dies die Briefe Simmels, der wieder und wieder auf seine seelische Not zu sprechen kam. Schon Ende August, als seine »Funktion am Telegraphenamt, die zuerst ziemlich verantwortlich war, (…) diese Qualität mit dem Weiterrücken des Kriegsschauplatzes allmählig« verlor, quälte ihn wieder »das nutzlose Dasitzen«. Für ihn war es »ungefähr das Schwerste, was diese Zeit mir auferlegt«.247 Im Dezember empfand er seine Exi stenz »als etwas recht überflüssiges, obgleich ich natürlich von Anfang an gesucht habe, mich hier u. da nützlich zu machen.«248 Immer wieder beneidete er seinen Sohn, der zunächst als vertraglich verpflichteter Zivilarzt, später als Landsturmpflichtiger im Lazarett arbeitete.249 »Freilich, wer, der überhaupt die Möglichkeit hat, über seine Kräfte zu arbeiten, täte es jetzt nicht? Mir ist es unendlich schmerzlich, daß ich diese Möglichkeit nicht habe – u. trotzdem nachher wahrscheinlich so verbraucht sein werde wie die andern, bei denen es sich lohnte. Der einzige würdige Aufenthalt wäre jetzt der Schützen graben.«250
Dieses Gefühl steigerte sich immer mehr, so daß er schließlich sogar bedauerte, daß sein Sohn nicht einzogen war: »Und dabei empfindet man es doch als einen unwürdigen Zustand, daß man, wenn man schon nicht selbst im Schützen graben liegen kann, nicht ein Kind hingiebt.«251 Gut einen Monat später über245 Otto Heubners Lebenschronik. Hg. von Wolfgang Heubner, Berlin 1927, S. 213 f. 246 S. dazu auch die Notiz Hampes, nachdem er einige Wochen als Krankenträger gewirkt hatte, manchmal aber durch Fehlalarm gerufen wurde, dann wieder gar nicht, weil er zu weit entfernt wohnte: »Hätte ich nur eine Betätigung, von der ich wirklich das Gefühl hätte, mich dem Ganzen nützlich zu machen. Aber vorderhand sind wohl alle geeigneten Posten besetzt. Bald wird’s wohl anders werden. Ob ich etwa am Gymnasium nachher eine Lücke ausfülle? Im Sem[ester] ist das auch nicht ganz leicht.« (Hampe, Kriegstagebuch, S. 109 [22.8.1914]). 247 Georg Simmel an Agathe Liepmann 30.8.1914, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 375 f. 248 Georg Simmel an Edmund Husserl 15.12.1914, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 471. 249 Siehe z. B. Georg Simmel an Margarete von Bendemann 4.9.1914; an Agathe und Hugo Liepmann 12.10.1915; an Margarete von Bendemann 6.12.1916; an Anna Jastrow 17.2.1917: »Hans hat fabelhaft viel zu tun – ein beneidenswertes Loos.« Alle in: Georg Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 378, 563 f., 712, 737; zur formalen Stellung des Sohnes S. 598 (Kommentar). 250 Georg Simmel an Margarete von Bendemann 20.10.1914, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 435. 251 Simmel an Hugo Liepmann 9.11.1914, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 461.
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höhte Simmel den Kriegsdienst geradezu religiös – und empfand sich selbst als Ausgeschlossenen: »Doch ich habe das Gefühl, daß, wer weder selbst hinausgeht noch ein Kind hinausschickt, die Weihe nicht empfangen hat – als wäre er nicht würdig befunden, am Opfer teilzunehmen.«252 Seine Gratulation zum Eisernen Kreuz des Sohnes Georg von Belows begleitete Meinecke mit den Worten: »Unsere Söhne haben jetzt was voraus vor uns; wer aber keine Söhne hat, steht noch hinter dem zurück, der jetzt Söhne dem Vaterlande stellen kann«253 – also z. B. Meinecke selbst, der vier Töchter hatte. Diese Minderwertigkeitsgefühle teilten Kollegen ganz unterschiedlicher Fächer und Auffassungen: Der Marburger Altphilologe Birt beneidete schon am zweiten Kriegstag jeden Bäcker und Briefträger, weil er fürchtete, die anderen könnten ihn »darauf ansehen: was ist der Deutschland nütze?«254 Und der damalige Jenaer (ab 1918 Straßburger) Professor Lehmann, der ungedient war und bei Kriegsbeginn staatlicherseits sofort als Richter am Oberlandesgericht reklamiert wurde, verdrückte sich immer in eine Seitengasse, wenn eine Abteilung Soldaten ins Feld ausrückte.255 Mit den ausführlichen Berichten über die Tätigkeiten ihrer Mitglieder pflegten die Universitäten das Ansehen ihrer Institution in der breiteren Öffentlichkeit und stärkten zugleich auch das korporative Bewußtsein.256 Daß die Nachfrage nach Hilfsangeboten der Universität bald abgeklungen sei,257 kann zwar aus dem vorliegenden Material bestätigt werden. Auch der tatsächliche längerfristige Einsatz scheint in den späteren Kriegsjahren zurückgegangen sein. Nicht aber das Bedürfnis, die eigenen Aktivitäten darzustellen. In beiderlei Hinsicht ist es daher um so aufschlußreicher, daß mehrere Straßburger Mediziner 1916 nur noch über die Tätigkeit ihrer Frauen und Töchter zu berichten hatten, sich selbst aber anscheinend wieder ganz der Wissenschaft widmeten – und daß andere jetzt und in den folgenden Jahren die Rundfrage des Rektors sogar ein-
252 Georg Simmel an Edmund Husserl 15.12.1914, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 471. 253 Meinecke an Below o. D. [November 1914], in: Ausgewählter Briefwechsel, S. 52 f., Zitat 52. 254 Tagebucheintrag 2.8.1914, zitiert bei Wettmann, Kriegstagebücher Theodor Birts, S. 142. 255 Lehmann, Lebenserinnerungen, S. 94 f. 256 Die Heidelberger richteten ein eigenes kleines Lazarett an der Front ein – das aber gar nicht benötigt wurde. Der Historikerkollege Hampe hielt dazu in seinem Tagebuch fest: »Die Heidelberger haben sich darauf versteift, etwas zu machen, was ihren Namen trägt, und haben sich offenbar auch zu sehr gesträubt, nach dem Osten zu gehen. Nun ist die ganze Verbandstation [in Tournai] beschäftigungslos und schluckt nur Geld. Baethgen sagt, er habe die ganze Zeit hindurch einen einzigen Verband angelegt und den an sich selbst, als er sich beim Holzhacken verletzt habe. Sie hätten berechnet, daß jeder Verband etwa auf 300 Mark komme!« Knapp 10 Tage später wurde die Station abgebrochen (Hampe, Kriegstagebuch, S. 198, 203 [12.2. und 21.2.1915]). 257 Über Marburg: Wettmann, Heimatfront Universität, S. 224.
434 Die Universitäten im Kriegseinsatz fach mit »ges[ehen]« abzeichneten.258 Mit dem Fortgang des Krieges und dem geringeren Engagement der Männer wurde der Beitrag der Frauen immer wichtiger. 1917 meldete der 48jährige Extraordinarius für Angewandte Mathematik, Joseph Wellstein, daß er sich »nicht kräftig genug [fühle], [s]ich in [s]einer freien Zeit noch zu betätigen«, konnte aber mehrere Engagements seiner Schwester anführen! Der Jurist Hermann Rehm und der Astronom Julius Bauschinger zeigten – ohne eine derartige Entschuldigung – nur die Aktivität von Frau bzw. Tochter an.259 Der Bericht über das letzte Kriegsjahr hielt sogar fest, daß trotz der inzwischen stark erschwerten Haushaltsführung die meisten »Frauen und Töchter der Universität« sich weiterhin der »allgemeinen Fürsorgetätigkeit« widmeten.260 Bezeichnend erscheint allerdings auch, welche Tätigkeiten nicht in den Berichten der Universität erschienen: die von einigen Universitätsangehörigen geleistete Hilfe für ›feindliche Ausländer‹. Adolf von Harnack unterstützte Fürsorgetätigkeiten nicht nur für Deutschbalten, sondern auch für andere seit Jahrzehnten in Deutschland lebende, nun zu ›feindlichen‹ gewordene Aus länder. Und nach drei Kriegsjahren setzte er durch, daß Russisch-Orthodoxe von Geistlichen ihrer eigenen Konfession betreut werden konnten.261 Sogar der als russophob geltende Osteuropahistoriker Theodor Schiemann kam der Bitte eines ihm politisch fernstehenden Petersburger Kollegen, der auf der Rückreise von Karlsbad in Deutschland interniert wurde, nach und half ihm bei der Ausreise. Nikolaj Kareev, der sich auf russisch an ihn gewandt hatte und dies mit der Kollegialität unter Wissenschaftlern, die »eine Art ›Bruderschaft in Christo‹« sei, begründete, bezeugte noch während des Krieges wiederholt, daß Schiemann auf jede Bitte bereitwillig, in taktvollster Weise und sogar mit Wärme reagiert habe. Auch über diesen Einzelfall hinaus engagierte sich Schiemann in einem Berliner Komitee für gestrandete Russen und wirkte dabei auch mit dem
258 Die internationale 55jährige Kapazität für Vergleichende Anatomie der Wirbeltiere (s. o. S. 130 f.) meldete: »Meine Frau ist im Soldatenheim und in der Kinderlesehalle tae tig. Keibel«. Der 50jährige Zahnmediziner und Anthroposoph Oskar Römer schrieb: »Meine Frau besorgt die Wäsche im Fest. Laz. I und meine älteste Tochter ist Hilfsschwester vom roten Kreuz daselbst. Römer«. Der 57jährige Gynäkologe konnte immerhin melden: »Beide Töchter sind Krankenschwestern, die eine pflegt in der medizin. Klinik. Ich selbst bin bisher Chefarzt eines Lazaretts gewesen, das im Bedarfsfall wieder nach augenblicklicher Schließung in Betrieb genommen werden soll. H[ermann] Freund«. S. das Blatt der Med. Fak. zur Umfrage des Rektors vom 13.4.1916: ADBR 103 AL 194. 259 Auf dem zweiten Blatt der Antworten auf die Rundfrage des Rektors vom Rektor 24.4.1917; das Blatt der Med. Fak. (verblaßter Bleistift auf altem Durchschlagpapier) ist kaum noch zu lesen (ADBR 103 AL 194). 260 Ficker, Bericht IV (1917/18), S. 12. 261 von Zahn-Harnack, Harnack, S. 368.
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Hilfsverein der deutschen Juden zusammen.262 Solche Fürsorge übte man offenkundig eher diskret. Im furor des Nationalismus und Krieges scheint derartige, sich aus der Supranationalität der Wissenschaft wie der christlichen Nächstenliebe ergebende Hilfe nicht als dem Renommee der Universität förderlich erachtet worden zu sein.
Erträge des Einsatzes Experten in herausgehobener Position gewannen Einblicke, die anderen verwehrt blieben: In den Kriegsämtern erfuhr man früher als anderswo von der wirklichen Lage an der Front. Doch das war ein zweifelhaftes Privileg, denn es isolierte zugleich vom heimischen Umfeld: Wenn Skalweit »mit sorgenvoller Stirn« nach Gießen kam, galt er als »Miesmacher«.263 Doch ähnlich wie beim Einsatz in der Etappe oder an der Front ließ sich auch manche Erfahrung aus dem Engagement in der Heimat später (oder sogar schon während des Krieges) für die eigene wissenschaftliche Tätigkeit nutzen. Wie an verschiedenen Beispielen deutlich wurde, konnten Gelehrte auf diese Weise Forschungsmittel aquirieren (Kleberger), das Material für umfangreiche Publikationen gewinnen (Skalweit) oder sogar durch Tätigkeit in diversen Ministerien und der Besatzungsverwaltung die venia legendi für ein anderes Fach erhalten (Bruck). Mediziner trugen ihre Beobachtungen in den Lazaretten in ihren Fachgesellschaften vor und legten sie in diversen Veröffentlichungen nieder – so etwa der Berliner Dermatologe Heller.264 Auch die Patienten, die in den (in das Lazarettwesen integrierten) Universitätskliniken behandelt wurden, boten zusätzliche Forschungsmöglichkeiten, etwa für Dissertationen über Kriegsverletzungen des peripheren Nervensystems (1916), über Kriegsverletzungen und Erkrankungen der Augen (1917) oder auch (25 Jahre später, im nächsten Weltkrieg!) für eine Prognostik von Kopfschußverletzungen. Der Gießener Dermatologe Albert Jesionek konnte als Chefarzt des Vereinslazaretts in seiner Klinik seine schon vor dem Krieg entwickelte Lichttherapie tuberkulöser Hauterscheinungen weiter erproben, nun zur Be262 S. dazu N. [I.] Kareev, Pjat’ nedel’ v germanskom plenu, in: V nemeckom plenu. Moskva 1915, S. 11–20, bes. 14 f., 19 f. Vgl. N. [I.] Kareev, »Ex praeterito spes in futurum«, in: Nevskij al’manach. Žertvam vojny – pisateli i chudožniki, Petrograd 1915, S. 36 f. 263 So, Skalweits ungedruckte Erinnerungen in Familienbesitz zitierend: G/M/P II, S. 892 (Gerhardt). 264 Als Beispiele für Berichte in der Fachgesellschaft s. A. 67. Als Beispiel für eine Publi kation, in der er seine Erfahrungen in Privatpraxis, im Lazarett Eisenbahn-Regiment I und im Garnisonslazarett darstellt, s. Julius Heller, Weitere Mitteilungen über schwere Arsenmelanosen und Hyperkeratosen nach kombinierter Neosalvarsan und Salicyl-Quecksilberbehandlung, in: Archiv für Dermatologie und Syphilis 130 (1921), S. 309–321.
436 Die Universitäten im Kriegseinsatz kämpfung schwerer Wundvereiterungen und des Tetanus (vermutlich aber ohne Erfolg). Allerdings schränkte die späte Einlieferung der Verwundeten in die Klinik die Bewertung (und damit auch den Wert) der Beobachtungen ein.265 Der Psychiater Robert Sommer dagegen, der die Briefe der Soldaten im Feld und die persönlichen Berichte der Verwundeten in der Klinik zur Beschäftigung mit Fragen der Kriegspsychologie nutzte, verarbeitete seine Beobachtungen in seiner Rektoratsrede über Krieg und Seelenleben (die er dann wiederum an die Front schicken ließ). Ähnlich wie der Internist His, verstand auch er den Krieg als »große[n] Experimentator, der die seelische Natur des Menschen zum Vorschein bringt«, unterdrückte Affekte aufdecke und verstärke, geistige Eigenschaften aktiviere.266 Neben einer Vielzahl von Einzelveröffentlichungen, zu denen die Beobachtungen im Krieg Anlaß gaben, entstand auch ein fast monumental zu nennendes Reihenwerk: das Handbuch der ärztlichen Erfahrungen im Weltkriege 1914/18, dessen neun Teile (in 10 starken Quart-Bänden) 1921–1934 erschienen. Darin publizierten fast ausschließlich Universitätsmediziner.267 Von den Berlinern der Kriegszeit waren die Extraordinarien Fedor Krause (Generalarzt) und Rudolf Klapp (Stabsarzt) beteiligt, außerdem der Ordinarius Otto Hildebrand und Privatdozent Fritz Lotsch (später nichtbeamteter Extraordinarius), alle einst Beratende Chirurgen; von den Straßburgern der Extraordinarius O skar Römer (im Krieg Oberstabsarzt und Chefarzt des Kieferlazaretts in Straßburg), danach planmäßiger Extraordinarius, ab 1920 Ordinarius in Leipzig.268 In dem 1934 erschienenen Band IV (Geistes- und Nervenkrankheiten) publizierten die drei (ehemaligen) Berliner Privatdozenten Ewald Stier, Edmund Forster und Franz Kramer, die ersten beiden Ober- bzw. Marinestabsarzt, der dritte fachärztlicher Beirat.269 Unmittelbar karrierefördernd scheinen diese Publikationen allerdings nicht gewesen zu sein. Dem jüdischen Dermatologen Oskar Heller blieb, trotz seines schon vor dem Krieg erschienenen Pionier- und Standardwerks zur Vergleichenden Pathologie der Haut, seiner Tätigkeit im Krieg wie auch der Publikationen danach eine »größere Stätte seiner Wirksamkeit«, die
265 Nachweise für alle Beispiele bei Prüll, Gießens Universitätsmediziner, S. 317–320; zu Jesionek s. auch Reiter, Jesionek, S. 122–124. 266 Zitat aus der erweiterten, separat publizierten Fassung: R[obert]Sommer, Krieg und Seelenleben, Leipzig 1916, S. 14. Vgl. auch über den Krieg »als eine Art weltgeschichtliches Experiment im Gebiet der Völkerpsychologie, oder besser ausgedrückt, der psycholo gischen Anthropologie« (60). Zu His s. o. S. 367. 267 In Bd. 1 (Chirurgie, wie A. 268) fand sich nur ein einziger Autor von außerhalb der akademischen Welt: Reg.-Medizinalrat Dr. med. Curt Heinemann-Grüder. 268 Erwin Payr/Carl Franz (Hg.), Handbuch der Ärztlichen Erfahrungen im Weltkriege 1914/18. Bd. 1: Chirurgie. T. 1, Leipzig 1922. 269 Karl Bonhoeffer (Hg.), Handbuch der Ärztlichen Erfahrungen im Weltkriege 1914/18. Bd. 4 [T. 1]: Geistes- und Nervenkrankheiten, Leipzig 1934.
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Leitung einer Klinik oder zumindest größeren Station versagt,270 aber auch die drei anderen Privatdozenten waren in den zwanziger Jahren nur nichtbeamtete Extraordinarien.271
Freiwilliger Einsatz der Studierenden Auf einen Aufruf des Gießener Rektors vom 10. August 1914 meldeten sich 13 einsatzbereite Studierende.272 In den akribisch geführten Berichten der Universität Berlin über ihre Tätigkeiten zur Unterstützung der Kriegführung kommen die Studenten gar nicht vor – so, als bestünde die Universität nur aus dem Lehrkörper und, quasi als Anhängsel dazu, sonstigen Bediensteten. In Straßburg, wo ebenfalls jede kleinste Aktivität der Dozenten festgehalten wurde, wenn auch nicht namentlich, sondern als Gruppen- oder Gemeinschaftsleistung, wurde über die Tätigkeiten der nicht eingerückten Studenten nur summarisch berichtet: »Wir wissen, daß viele von den später Einberufenen oder den für dienstuntauglich Befundenen in verschiedenen Hilfsarbeiten, beim Transport von Verwundeten, in ärztlicher Mitarbeit, im Lazarettdienst, in der Aushilfe bei der Post usw. tätig ge wesen sind und sich noch jetzt nützlich machen. Aber eine genauere Zahl kann auch für sie nicht angeführt werden, so wenig wie eine genaue Aufweisung ihrer verschiedenen Tätigkeiten.«
Im zweiten Kriegsjahr lautete der Befund ganz ähnlich und wurde – zusammen mit dem regelmäßigen Vorlesungsbesuch – mit der Bewertung versehen: »Die Studierenden (…) haben mit musterhafter Treue die ihnen obliegende Pflicht erfüllt.«273 Auf der Gesamtebene der jeweiligen Universität findet man allenfalls Appelle – aber keine Auskünfte über deren Ergebnisse. Der (vorläufige) Arbeitsausschuß der Berliner Studentenschaft – der auch im Wintersemester 1914/15 noch einmal bestätigt worden war, weil infolge des Krieges die beiden satzungsmäßig vorgesehenen Ausschüsse des AStA nicht konstitutiert werden konnten274 – berief zusammen mit Rektor Kipp für Anfang Dezember 1914 eine Versammlung ein. Hier traten bislang gegensätzliche Gruppen einmütig auf: Corps, Burschenschaften, eine Reihe unterschiedlichster Verbindungen vom antisemitischen Verein Deutscher Studenten bis zum zionistischen Kartell Jüdischer Verbindungen, diverse Verbände vom Deutschen 270 Auch bei seinem Tod war es – seinem Lehrer O. Rosenthal zufolge – noch »einzigartig«. S. den Nachruf in: Dermatologische Zeitschrift 63 (1932), 295–297. 271 AV FWU Berlin WS 1924/25, alle S. 16 (Heller 15). 272 Anderhub, Antoniterkreuz, S. 46. 273 Ficker, Bericht (1914/15), S. 3 f.; II (1915/16), S. 5. 274 S. dazu Kipp, Amtsjahr 1914/15, S. 13 sowie o. S. 71 f.
438 Die Universitäten im Kriegseinsatz Wissenschafterverband als Dachorganisation fachwissenschaftlicher Verbände (deren Mitglieder laut Satzung keine Couleur trugen, aber unbedingte Satisfaktion geben durften) bis zum Deutschvölkischen Akademikerverband, die Freie Studentenschaft und »die Frauenkorporationen« trugen den Aufruf gemeinsam. Und sie benutzten markige Worte: »Deutsche Tatkraft und Ausdauer beweisen der Welt, daß die ›erwünschten‹ Zeiten des Marquis de Brandebourg noch immer nicht gekommen sind« – also der König von Preußen (und inzwischen deutsche Kaiser!) nicht wieder auf den Status eines Markgrafen von Brandenburg reduziert würde; denn: »Starke Deiche, gebildet aus den Körpern unserer Volksgenossen schützen Deutsche Erde gegen feindliche Völkerfluten.« Derweil pulsiere das »Leben unseres Volks mit gleicher Kraft und Wärme«. Nun sollte der »geistige Arbeiter« sich in die »Reihen der Schaffenden für die gemeinsame Sache« einreihen und »die neue Heroenzeit tätig miterleben!« Die Studierenden wurden »zu gemeinsamer Kriegshilfe« für die Verwundeten und alle sonstigen »Nöte, die der Krieg geschaffen hat«, aufgerufen, Zaudernde bei ihrer Ehre gepackt: »Draußen wird an Ertragen und Entbehren Übermenschliches geleistet: Wollt Ihr Euch bedenken, ein wenig unbequeme Arbeit zu tun, ein wenig Freiheit zu opfern, einen zu erübrigenden Groschen zu spenden?«
Zunächst einmal wurden die Kommilitonen auf 4. Dezember zu einer allgemeinen Studentenversammlung eingeladen, bei der »Se. Exzellenz der Wirkliche Geheime Rat Professor D. Dr. Adolf von Harnack« über »diese Dinge« sprechen und sachkundige Kommilitonen dann die Arbeitsgebiete erläutern würden. »Seid Euch Eures Deutschen Volkstums bewußt, Kommilitonen, als einer Verpflichtung!«275 Das wäre, nähme man es wörtlich, sogar mehr als ein Zeugnis des inneruniversitären Burgfriedens, nämlich die Anerkennung der deutschen Volkszugehörigkeit der Juden durch die Völkischen und Antisemiten (und das Bekenntnis jüdisch-nationaler Studenten zum »Deutschen Volkstum«).276 Die angekündige Versammlung fand dann unter »überaus großer Beteiligung« statt – doch wie viele Studierende da waren (oder auch nur der Anteil der Teilnehmer an der Zahl der ortsanwesenden Immatrikulierten), wurde nicht angegeben. Harnack beteuerte, 275 Aufruf!, in: BAN IX (1914/15), S. 45 f. 276 Nach dem Beginn des Krieges hatte die Zionistische Vereinigung für Deutschland dazu aufgerufen zu zeigen, »dass wir stammesstolzen Juden zu den besten Söhnen des Vaterlandes gehören«, und das Kartell Jüdischer Verbindungen hatte hinzugefügt: »Wir vertrauen, daß unsere Jugend, durch die Pflege jüdischen Bewußtseins und körperliche Ausbildung in idealer Gesinnung und Mannesmut erstarkt, sich in allen kriegerischen Tugenden auszeichnen wird.« (Aufrufe auf dem Titelblatt der Wochenzeitung der Zionistischen Vereinigung für Deutschland: Jüdische Rundschau 7.8.1914, S. 343).
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»daß niemand gern zu Hause geblieben sei; daß denen, die nicht mit konnten, das Herz blute, wenn sie an ihre Kommilitonen draußen im Felde dächten. Aber es gibt ein Mittel, um uns über diesen Schmerz hinwegzusetzen, die Arbeit für das Vaterland, und zwar auf dem einzigen uns dafür offenstehenden Wege: Der sozialen Hilfsarbeit.«
Dies sei ebenso eine »Ehrenpflicht (…) wie der Kampf für das Vaterland für alle, die Waffen tragen können«. Das verspreche nicht nur den Bedürftigen Hilfe, sondern diese fördere ihrerseits die Gemeinschaftsbildung: Sie »einigt das ganze Volk zu einem Bunde«. Und der einzelne Helfer erwerbe Menschenkenntnis und Lebenserfahrung und lerne sein eigenes Herz kennen. »Für den Studenten gilt das in ganz besonderer Weise. Er gehört den höheren Ständen an, und: noblesse oblige, er kann die ihm gegebene akademische Freiheit benutzen zu dem besten, was es auf der Welt gibt, der freien Hilfe für andere.«
Die Freiheit des Studiums, d. h. die freie Wahl der Vorlesungen (und das Fernbleiben von ihnen) ermöglichte also die Hilfeleistung – und verpflichtete deshalb in besonderer Weise. Geplant war von studentischer Seite die Schaffung einer Beratungsstelle, die dann die Freiwilligen an die für sie geeigneten Organisationen weiterverweisen konnte. Als Arbeitsgebiete wurden die Fürsorge – sowohl im Rahmen des Nationalen Frauendienstes als auch der Zentrale für private Fürsorge – und die Jugendpflege genannt. Außerdem berichtete eine Studentin über die Tätigkeit des Vollausschusses der Berliner Studentinnen, der schon eifrig für die »Krieger« gestrickt hatte. Als letztes ging es um »direkte Kriegshilfe der Studenten«: »Freiwillige Krankenpflege, Führung Verwundeter, Beschaffung von Lesestoff für Lazarette, Gefangenenfürsorge usw.«277 Der AStA richtete in dieser Zeit eine Kriegshilfskommission ein.278 Daß das Verhältnis zwischen Student und Arbeiter »draußen im Felde« »teils sehr gut, teils noch nicht so ganz erfreulich« war, erfuhren die in der Heimat Verbliebenen aus einem Vortrag auf der Grundlage von Feldpostbriefen. Danach entwarf der Redner »ein anschauliches Bild (…) von der Stimmung unserer Arbeiterbevölkerung in Berlin-Ost, von der anfänglichen schönen Kriegsund Vaterlandsbegeisterung und den darauf folgenden Sorgen und Nöten.«279 Unmittelbar auf den Artikel über diesen Vortrag, den der Akademisch-Soziale Ausschuß veranstaltet hatte, folgte eine Notiz über Studierende, die für die Mitarbeit im Siedlungsheim im Arbeiterviertel Charlottenburgs gesucht wurden. Mindestens einmal pro Woche sollten sie sich an Kindernachmittagen, Ver 277 Bericht über die allgemeine Studentenversammlung in: BAN IX (1914/15), S. 65. Der Bericht mag eine mehr oder weniger genaue Wiedergabe des Gesagten darstellen, enthält aber keine wörtlichen Zitate aus Harnacks Rede. 278 BAN IX (1914/15), S. 74. 279 BAN IX (1914/15), S. 77 f.
440 Die Universitäten im Kriegseinsatz anstaltungen für Erwachsene, Diskussionen mit Arbeitern, fürsorgerischer und volkserzieherischer Arbeit beteiligen. Für jene, »die bereit« waren, dort zu wohnen, konnten »gute Wohngelegenheiten bei Arbeiterfamilien nachgewiesen« werden.280 Ob davon jemand Gebrauch machte? Gruppen- und verbindungsübergreifendes Zusammenwirken, auch speziell dafür geschaffene Organisationen gab es an verschiedenen Universitäten: Die Freiburger Studentenschaft gründete, ähnlich wie die Berliner, einen Kriegsarbeitsausschuß; in Tübingen bildete sich, nach dem Vorbild des Nationalen Frauendienstes, zu dem sich bürgerliche und proletarische Frauenbewegung bei Kriegsbeginn zusammengeschlossen hatten, der Nationale Studentendienst. Darin wirkten jeweils, wie in Berlin, Männer und Frauen zusammen.281 Und neben rein studentischen Zusammenschlüssen oder Kommissionen für Kriegsarbeit gab es auch gemischte, in denen Lehrende und Studierende zusammenwirkten.282 Doch leisteten die bislang bestehenden studentischen Vereinigungen auch separate Beiträge – etwa, indem über 300 Verbindungshäuser dem Roten Kreuz zur Verfügung gestellt wurden.283 (Infolge der Abwesenheit der meisten Männer wurden sie für die bisherigen Zwecke ohnehin kaum benötigt, das eigentliche Verbindungsleben zunächst sogar eingestellt.)284 In den Zeitschriften, die im allgemeinen von den jeweiligen Dachverbänden herausge geben wurden, hatten detaillierte Angaben über die einzelnen studentischen Korporationen jedoch keinen Platz.
Die Aktivitäten der Studentinnen Eine gewisse Ausnahme macht hier die Zeitschrift des Verbands der Studentinnenvereine Deutschlands, Die Studentin; denn sie druckte auch Semesterberichte der Mitgliedsvereine ab. Als sie wegen Papiermangels und gestiegener Kosten nach einem Verbandsbeschluß vom August 1916 auf 8 (statt bislang 10) Nummern pro Jahr reduziert wurde, entfielen diese Berichte allerdings.285 Doch auch in den ersten beiden Kriegsjahren handelt es sich nicht um eine exakte und 280 BAN IX (1914/15), S. 78. Zur Zusammensetzung des Akademisch-Sozialen Ausschusses s. o. S. 72 mit A. 53. 281 Freiburg: Theodor Nauck, Das Frauenstudium an der Universität Freiburg i. Br., Freiburg 1953, S. 41; Scherb, »Ich stehe in der Sonne«, S. 96. Tübingen: Paletschek, Tübinger Hochschullehrer im Ersten Weltkrieg, S. 95 f.; ausführlicher: Getzeny, Der Nationale Studentendienst. 282 Koerner, Auf fremdem Terrain, S. 312 f. (mit Beispielen für verschiedene Orte). 283 Jarausch, Deutsche Studenten, S. 111. S. als Beispiele: Gätke-Heckmann, Universität Leipzig im Ersten Weltkrieg, S. 156; Buchner, Würzburg im Weltkriege, S. 90. 284 Um dies im Detail zu ermitteln, müßte man – sofern sie noch vorhanden sind – die Unterlagen dieser einzelnen Vereinigungen ansehen. 285 Verbandstag 1916, in: S V (1916/17), S. 58.
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vollständige Informationssammlung; dies festzustellen, gebietet nicht nur die Quellenkritik, sondern auch der verbandsinterne Widerspruch gegen die Aufforderung im Sommer und Herbst 1914, die Mitglieder der Einzelvereine nach ihren Aktivitäten zu befragen, um die nächste Nummer der Zeitschrift mit einem Bericht über ihre »Hilfe in der nationalen Sache« »zu einer Art Ehrentafel für den vaterländischen Hilfsdienst (!) der Studentinnen« zu machen. Dagegen wurde eingewandt, daß ein solcher Dienst »Pflicht« sei und zugleich »Liebesarbeit im höchsten Sinne und so muß davon gelten, was von aller Liebestätigkeit gelten sollte: Laß deine linke Hand nicht wissen, was deine rechte tut.« Auch statistisch seien solche Berichte nicht verwertbar, denn in den ersten Kriegswochen habe man »zunächst überall Löcher gestopft« und dabei die Tätigkeit je nach Bedürfnis von Tag zu Tag gewechselt. Außerdem führe es zu Fehlschlüssen, jene, die sich nicht am Hilfsdienst beteiligten, in Hinblick auf die Kriegsleistungen einfach zu ignorieren; denn manche müßten nun gerade wegen des Krieges »aus Gründen der Sparsamkeit« oder um ein anderes Familienmitglied »für den nationalen Dienst freizumachen«, das elterliche Hauswesen versehen. Andere wieder stellten ihre Kraft einer Schule zuerst wohl unentgeltlich zur Verfügung, behielten die Tätigkeit dann aber gegen Entgelt bei, da ihr elterlicher Zuschuß gekürzt werden mußte. »Also keine ›Ehrentafel‹ und keine Statistik!« Wertvoll seien dagegen Berichte über die Erfahrungen bei dieser Arbeit! Genau so hatte es die Schriftleitung, wie sie beteuerte, auch gemeint.286 Da für die Studentinnen die Betätigung in der Heimat in den ersten zwei einhalb Jahren fast die einzige Beteiligung an den Kriegsanstrengungen darstellte, werden die Berichte dieses Verbands unter Berücksichtigung der angeführten Vorbehalte ausgewertet. Zwar erfaßte er mit 20 Vereinen und zu Kriegsbeginn gut 1000 Mitgliedern vermutlich weniger als ein Viertel der damals studierenden Frauen, war aber mit Abstand der größte Studentinnenverband, interkonfessionell und politisch neutral.287 In einer Hinsicht hatte er sich allerdings klar positioniert: Er betrachtete sich als integralen Bestandteil der deutschen Frauenbewegung; und es ging ihm um die »Erfüllung der Pflichten als akademische Bürgerinnen und als deutsche Staatsbürgerinnen« sowie »die gegenseitige Erziehung zu geistig selbständigen echten Frauen«.288 1915 trat der 286 Sie habe die Informationssammlung angeregt, als sie zunächst gar nicht an das Weitererscheinen der Zeitschrift glaubte und dieses Material für die Zeit »nach Friedensschluß« sammeln wollte. Ilse von Arnoldi, Offener Brief an den Vorstand d. V. St. D., in: S IV (1915), S. 3 f.; Antwort des Vorstandes des V. St. D. an den Göttinger StudentinnenVerein, in: S IV (1915), S. 4. 287 In der Gesamtzahl waren nämlich (vermutlich) auch die Altmitglieder enthalten. 1913 hatten dem Verband 20 Vereine angehört (Koerner, Auf fremdem Terrain, S. 207), Anfang 1915 waren es noch 18 (S IV [1915], S. 1). Zu allen vier Verbänden s. o. S. 69–71. 288 Paula Strelitz, Die Geschichte des Verbandes der Studentinnen-Vereine Deutschlands, in: S V (1916/17), S. 58–60; Zitat aus der neuen Fassung des Verbandsprogramms in: Elfriede Dieckmann, Verbandstag 1917, in: S VI (1917), S. 34 f., hier 34.
442 Die Universitäten im Kriegseinsatz Verband auch formell dem Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) bei.289 Sein Berliner Mitgliedsverein gehörte im Krieg dem Ausschuß der Studentinnen für vaterländische Arbeit an290 (der wohl mit dem oben erwähnten Vollausschuß der Studentinnen identisch war). Der Mitgliedschaft im BDF entsprechend, rief der Verband der Studentinnen vereine seine Mitglieder mehrfach zur Mitarbeit im Nationalen Frauendienst auf. Dafür bot dieser ständig viertägige Anleitungskurse.291 Außerdem entschieden sich manche Mitglieder für ein längerfristiges individuelles Engagement, so etwa eine Naturwissenschaftlerin, die zunächst acht Monate als Hilfsschwester des Roten Kreuzes im Hauptlazarett in Königsberg und dann, aufgrund eigener Schwächung durch Influenza, in einem Heim für Flüchtlingskinder in Ostpreußen arbeitete. Dabei hatte sie auf ihrer Station neun Kinder zu betreuen, gab aber (neben der Diakonissin, die geprüfte Lehrerin war) außerdem Unterricht in der Oberklasse der im Heim eingerichteten oder improvisierten Schule.292 Schon dieses Beispiel verweist auf drei Hauptbereiche, in denen die Studentinnen sich betätigten: Verwundetenpflege, Fürsorge und Unterricht. Dazu kam, vor allem zu Kriegsbeginn, noch der Bahnhofsdienst, dem sich ebenfalls sowohl nichtorganisierte einzelne als auch ganze Gruppen widmeten. Für erstere stand die Freiburger jüdische Studentin Margarete Sallis, die sich zunächst (zusammen mit ihrer Mutter) in ihrer Heimatstadt Frankfurt zur Hilfsschwester ausbilden ließ, dann aber durchfahrende Truppen- und Lazarettzüge betreute. Diese nächtliche Tätigkeit kombinierte sie mit der Fortsetzung ihres Studiums (und wechselte anläßlich des Krieges von der Kunstgeschichte zur Nationalökonomie).293 Am Straßburger Bahnhof wirkten nicht nur Universitätsdozenten, deren Tätigkeit die Kriegsstelle so stark herausstellte und dabei mitarbeitende Frauen nur als ihrerseits zu schützend erwähnte, sondern auch Studentinnen. Und durch diese Tätigkeit überwanden diese, »da unten an der Grenze«, auch die eigene Furcht.294 Auch im Reichsinnern widmeten sich Studentinnen der Betreuung durchreisender Soldaten.295 Die Verwundetenpflege war das vermutlich angesehenste, den ›Kriegern‹ am nächsten kommende, in mancher Position auch ähnlich gefährliche Arbeits gebiet. Ein Jahr nach Kriegsbeginn standen etwa 200 (von damals 4570 imma 289 Verbandstag 1915, in: S IV (1915), S. 45. Zur Zusammenarbeit auf lokaler Ebene s. Koerner, Auf fremdem Terrain, S. 318 f. 290 Frieda Stillschweig, Verein studierender Frauen 1908, Berlin, in: S IV (1915), S. 30. 291 S IV (1915), S. 47 (mit Kursprogramm); V (1916/17), S. 34. 292 Käthe Grundt, Seeheilstätte für Kinder bei Lochstädt, in: S IV (1915), S. 48 f. 293 Margarete Sallis-Freudenthal, Ich habe mein Land gefunden. Autobiographischer Rückblick, Frankfurt a. M. 1977, S. 38–41. 294 S. den anschaulichen Bericht von E. S., Kriegstage im Elsaß, in: S IV (1915), S. 1 f. 295 Siehe z. B. mehrere Mitglieder des Münsteraner Studentinnenvereins: S IV (1915), S. 16.
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trikulierten) Frauen im Sanitätsdienst. Meist handelte es sich dabei um Medizinerinnen, und sie waren, wie die männlichen Kommilitonen, von der Universität beurlaubt.296 Typischer waren die freiwilligen Neuangelernten anderer Fächer. Bereits vor dem Krieg hatten die Vertreterinnen des Studentinnenverbands im Leipziger AStA mit ihrer Anregung die Durchführung eines sechswöchigen Helferinnenkurses des Roten Kreuzes bewirkt. Die Absolventinnen waren im Kriegsfalle verpflichtet, sich dem Roten Kreuz »für drei Monate zur Verwendung im Vaterlande zur Verfügung zu stellen«. Alle zwei Jahre mußten sie ihre Kenntnisse in vierwöchigen Wiederholungskursen auffrischen. Der Unterricht war kostenlos, doch die weißen Schürzen mußten die Teilnehmerinnen selbst bezahlen. (In der Ausrichtung auf bürgerliche Adressaten und der Vorbereitung schon in Friedenszeiten entsprachen diese Kurse also den Genossenschaften der freiwilligen Krankenpflege für Männer.) In der Verbandszeitschrift regten die Leipzigerinnen noch vor dem Attentat in Sarajevo an, daß Studentinnenvereine an anderen Universitäten in den Semesterferien ähnliche Kurse einrichten sollten.297 Bald nach Kriegsbeginn gab es aber auch Schnell-Anleitungen: So wurden in Berlin »Damen« in 20 Doppelstunden so weit vorbereitet, »daß sie am Krankenbett dem Vaterland wertvolle Dienste leisten können«. Binnen zwei Wochen hatten sich bereits 3000 Interessentinnen gemeldet,298 in einer Chronik, die Gertrud Bäumer, die Vorsitzende des Bundes Deutscher Frauenvereine, zusammen mit Friedrich Naumann herausgab, war 10 Tage nach Kriegsbeginn sogar schon von 40.000 Meldungen zu den »Samariterkursen« in Berlin die Rede (nur 3000 könnten zunächst berücksichtigt werden).299 Auch zahlreiche Studentinnen ließen sich ausbilden (wobei die genaue Kursform aus den Quellen aber nicht immer deutlich wird). Auch in puncto Verwundetenbetreuung›verschwanden‹ die Straßburger Studentinnen im offiziellen Bericht der Kriegsstelle hinter den Professoren – obwohl letztere sich nur um den Zeitvertreib und die Weiterbildung der Verwundeten kümmerten, die Studentinnen aber um die Krankenpflege: Verschiedene 296 Vom Universitätsstudium der Frau zur Kriegszeit, in: BT 458, 8.9.1915 MA . 297 Elisabeth Albrecht/Martha Denecke, Helferinnenkursus vom roten [!] Kreuz für Studentinnen, in: S III (1914), S. 36 f. (Ausgabe vom 1.6.1914!). 298 Zit. aus der Tempelhofer Zeitung vom 16.8.1914 in der weitgehend kompilierenden (und auch mit Fehlern behafteten) Arbeit von Sabine Hering, Die Kriegsgewinnlerinnen. Praxis und Ideologie der deutschen Frauenbewegung im Ersten Weltkrieg, Pfaffenweiler 1990, S. 31. S. als Beispiel o. (S. 397) die Töchter Plancks. 299 Naumann/Bäumer, Kriegs- und Heimat-Chronik I, S. 7. Dabei handelt es sich um die täglichen Notizen beider, die sie in der von Naumann gegründeten und herausgegebenen Halbmonatsschrift Die Hilfe. Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und geistige Bewegung veröffentlicht hatten. Von einer »Nüchternheit der Tagesaufzeichnung« kann jedoch keine Rede sein, vielmehr wird beklagt, wie »zahllosen Frauen die Unausgefülltheit ihres Lebens mit tatsächlicher Arbeit zur Pein« werde, weil es nicht genügend Möglichkeiten zum Helfen gebe. »Wie niederdrückend für die gezwungen Untätigen!«
444 Die Universitäten im Kriegseinsatz Mitglieder des Straßburger Studentinnenvereins lernten in den Sommersemesterferien pflegen und halfen dann, auch im Winter, im Festungslazarett XIX , das im Universitätsgebäude untergebracht war. Das »Studentinnenzimmer« dort war zum »Operationsraum geworden«.300 Das Verzeichnis der Studierenden weist für dieses Semester drei Frauen nach, die für »Kriegsdienste« oder »als Kriegsteilnehmer« beurlaubt waren.301 Vermutlich waren damit außerhalb der Stadt wirkende gemeint sind. Wie erschütternd selbst der Dienst in einem Lazarett für Leichtverwundete, wo es meist »recht fröhlich« zuging, sein konnte, beschreibt eine Studentin, die acht Monate dort arbeitete, mit der Wiedergabe von Dialogen verwirrter und verstörter Verwundeter. Da die Urlaubsbestimmungen für Soldaten sehr streng gehandhabt wurden, konnten die Verwundeten nicht nach Hause und ver brachten z. T. Monate im Lazarett, das ihnen so zur »Heimat« wurde.302 In der Verwundetenpflege betätigten sich Studentinnen vieler, vermutlich aller deutschen Universitäten.303 Aber gelegentlich wurden auch Zweifel bezüglich der Verwendung an der Front oder in der Etappe geäußert: Ins Feld gehöre »vor allem die Berufsschwester«, meinten die Mitglieder des Göttinger Vereins.304 Wie Studentinnen die freiwillige Krankenpflege verstanden, wird besonders deutlich, wenn man die nicht frauenbewegten betrachtet. Eine Vertreterin des Verbands der Katholischen Studentinnenvereine stellte zwar fest, daß trotz gleichen Strebens und gleicher Mühen von »Student und Studentin« durch die Einberufung der Männer doch tiefgehende Verschiedenheiten deutlich geworden seien. »Mancher mag es weh zumute geworden sein, daß nicht auch sie herausziehen durfte, um ihr junges Leben einzusetzen für das Wohl des geliebten Vaterlandes«. Doch machte »die Besinnung« nicht nur den »Unterschied der Geschlechter« klarer, sondern »deutlicher als je die wundersame Harmonie, die sich aus diesem Zweiklang der Menschheit ergibt.« Dieselbe Begeisterung beseele beide und gebe den einen das Schwert, den anderen die Fahne des Roten Kreuzes in die Hand.305 Hier wurde also die typische Vorstellung der deutschen
300 Straßburg i. Els. im Winter 1914, in: S IV (1915), S. 3. Ob es sich bei dem »Studentinnenzimmer« um einen allgemeinen Aufenthaltsraum der Studentinnen oder evtl. ein dem Verein von der Universität zur Verfügung gestelltes Zimmer handelte, ist unklar. 301 So die Überschriften über der entsprechenden Liste bzw. dem Nachtrag dazu: PV KWU Strb. WS 1914/15, S. 31 (Erna Fürstenau), 44 (Agathe Günther, Crescentia Hörmann). 302 Ilse Peters, »Leichtverwundete«, in: S IV (1915), S. 21–23, Zitate 21, 22. 303 Weitere Beispiele für Mitglieder des Studentinnenverbands findet man in: S IV (1915), S. 16 (Münster), 33 f. (Jena), 57 (Breslau). Ohne Spezifizierung: Scherb, »Ich stehe in der Sonne«, S. 89 (mit Bild einer studentischen Krankenschwester in einem Freiburger Privatlazarett). 304 S IV (1915), S. 31 f., Zitat 32. 305 Gerta Krabbel, Unsere Kriegssemester 3. Verband der Katholischen Studentinnen-Vereine Deutschlands, in: Vor uns der Tag, S. 74–78, hier 74. Zwei Beispiele für Frauen, die
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Frauenbewegung von den gleichwertigen, aber komplementären Rollen der Geschlechter aufgenommen. Eine studentische Johanniterschwester an der Front sah nicht nur die Gleichwertigkeit, sondern sprach von ihrer Freude, »ein Stückchen Soldatenlos teilen zu dürfen«. Indem sie den Schwestern zusätzlich zur eigentlichen Krankenpflege besondere Aufgaben zuwies, die die männlichen Pfleger nicht erfüllen könnten, nämlich für Sauberkeit, Abwechslung, Gemütlichkeit zu sorgen, unterstrich allerdings auch sie neben der Kameradschaft der Geschlechter den Unterschied zwischen ihnen.306 Wenn Studentinnen Unterricht erteilten, ging es hauptsächlich darum, zum Kriegsdienst einberufene Lehrer zu ersetzen. Dabei handelte es sich zum einen um ehemalige Lehrerinnen, die inzwischen auf dem sogenannten Vierten Weg an die Universität gekommen waren307 und aufgrund des Krieges nun in die Schule zurückkehrten. Andererseits wirkten ›reguläre‹ Studentinnen (die nach dem Abitur an die Universität gekommen waren), auch solche, die noch kein Schulpraktikum absolviert hatten, als Hilfslehrerinnen.308 Andere gaben ehrenamtlich Nachhilfestunden.309 (Außerdem widmeten sich Studentinnen der Kinderbetreuung und versahen in verschiedenen Städten Dienst in Kinder horten.310) Darüberhinaus erteilten sie aber auch Verwundeten Unterricht, in Freiburg z. B. in Rechnen, Rechtschreibung und Stenographie. Dazu kamen Vorträge literarischen, naturwissenschaftlichen oder historischen Inhalts.311 Die verbreiteteste Aktivität aber galt dem Versand sogenannter ›Liebes gaben‹. Das unterschied Studentinnen (und Studenten) an sich nicht von anderen Gruppen der Bevölkerung. Sie packten – nicht nur zu Weihnachten – Päckchen und verschickten sie an die Soldaten im Feld. Die Studentinnen führte dies zu fortwährendem Stricken: Bei Mitgliederversammlungen des frauen
bedauerten, keine Männer zu sein, um ihr Vaterland verteidigen zu können, bei Harriet Pass Freidenreich, Female, Jewish and Educated. The Lives of Central European University Women, Bloomington u. a. 2002, S. 32 (mit A. 65). 306 Hanni Giese, Frauenarbeit an der Front, in: Vor uns der Tag, S. 151–155, hier 152, 154. 307 In Preußen wurden ab 1909 Absolventinnen von Lehrerinnenseminaren nach zweijähriger Berufspraxis zum Studium an der Phil. Fak. zugelassen, jedoch nur, um nach sechs Semestern das Examen pro facultate docendi für das höhere Lehramt abzulegen. Die Promotion wurde ihnen verwehrt. 308 Koerner, Auf fremdem Terrain, S. 374 f. 309 S V (1916/17), S. 38 f. (Breslau). 310 Breslau: S IV (1915), S. 57 und V (1916/17), S. 38 f.; Heidelberg: S IV (1915), S. 66 und S V (1916/17): Margarethe Körner, Verein Heidelberger Studentinnen. Semesterbericht W.-S. 1915/16; Jena: S IV (1915), S. 33 f.; allgemein: Minette von Borries, Unsere Kriegssemester 4. Deutsche Christliche Vereinigung Studierender Frauen, in: Vor uns der Tag, S. 79–84, hier 81. 311 Scherb, »Ich stehe in der Sonne«, S. 96. In: S IV (1915), S. 30 f. wird außerdem Geographieunterricht erwähnt; III (1915), S. 59 erwähnt Kriegsunterrichtskurse für Invalide ohne nähere Spezifizierung. Zur Planung solcher Kurse in Breslau s. S IV (1915), S. 38 f.
446 Die Universitäten im Kriegseinsatz bewegten Vereins, von denen z. B. in Berlin im Wintersemester 1914/15 vier statt fanden, mußte »– trotz eifriger Beteiligung an der Diskussion – stets auch der mitgebrachte Strickstrumpf um ein beträchtliches Stück wachsen«.312 Auch bei den mancherorts wöchentlich stattfindenden Vereinsabenden wurde gestrickt.313 In Rostock traten die Strickabende sogar an die Stelle der bisherigen geselligen Abende, und man verzichtete auf alle sonstigen Unternehmungen. Nicht einmal ein Begrüßungsabend zu Semesterbeginn fand statt!314 Gestrickt wurde auch bei Vorträgen315 – und umgekehrt das Stricken mit der eigenen ›Weiterbildung‹ bzw. Beschäftigung mit dem Krieg veredelt, indem eine der Studentinnen den übrigen vorlas.316 Mancherorts scheinen die wöchentlichen Strickabende im ersten Kriegssemester geradezu zur Idylle geronnen zu sein.317 Doch eine Besonderheit war allenfalls die gemeinschaftsbildende Funktion, denn ansonsten strickten »[a]lle deutschen Frauen […], wo es auch sei: in der Tram […] und in Vorträgen.«318 Diese Strickwut (die übrigens keine deutsche Besonderheit war: auch in englischen Colleges tobte ein epidemic of knitting319) erfaßte gleichermaßen die frauenbewegten wie die eher konservativ-völkischen und konfessionellen Vereine. Daher konnte das Stricken – trotz gegensätzlicher Anschauungen – auch zur gemeinschaftlichen Tätigkeit aller Frauen einer Universität werden.320 In Berlin gründeten die Studentinnen (obwohl der frauenbewegte Verein auch dem vom AStA gegründeten Ausschuß für freiwillige Hilfsarbeit angehörte) sogar einen speziellen Wollausschuß. Außerdem gab es aber auch noch einen besonderen Studentinnenausschuß für vaterländische Hilfsarbeit,321 der z. B. in den 312 S IV (1915), S. 30. Allgemein zu den Mitgliederversammlungen der Deutsch-Akade mischen Frauenvereine: Luise Besser, Unsere Kriegssemester 2. Deutscher Verband Akademischer Frauenvereine. D. V. A. F., in: Vor uns der Tag, S. 69–73, hier 71. 313 S IV (1915), S. 25 f. (Bonn) und 32 f. (Heidelberg; mit freier Lektürewahl durch die jeweilige Vorleserin); S. 14 f. (Marburg; fast wöchentliche »gemütliche Abende« mit Stricken und Kriegslektüre). 314 S IV (1915), S. 27. 315 S IV (1915), S. 26 (Breslau). 316 S IV (1915), S. 31 f. (Göttingen). Zum üblichen Nebeneinanander von Lektüre und Stricken in den protestantischen Vereinen s. Borries, Deutsche Christliche Vereinigung Studierender Frauen, S. 81 f. 317 »Wir saßen mit dem Kriegsstrumpf [!] in unserem Vereinszimmer, plauderten, sangen oder lasen uns etwas aus der Kriegsliteratur vor«. S IV (1915), S. 33 f. (Jena). 318 Das beobachtete Gertrud Bäumer schon am 6.10.1914 (Naumann/Bäumer, Kriegs- und Heimatchronik I, S. 66). 319 Zit. nach Thomas Weber, British Universities in the First World War, in: Maurer, Kollegen, S. 75–90, hier 88. 320 Zur Einladung und erfolgreichen Durchführung in Greifswald: S IV (1915), S. 9 und V (1916/17), S. 29; zum Wollkauf aus der Vereinskasse in Münster: S IV (1915), S. 16; zur Woll- und Flanellspende der Kieler Dozenten: S IV (1915), S. 34. 321 Koerner, Auf fremdem Terrain, S. 313 nach S IV (1915), S. 30.
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Semesterferien 1915 298 Paar Strümpfe ins Feld schickte. Nach eigener Darstellung erfüllte diese Sendung sogar einen doppelten Zweck, da die »alten Landstürmer«, die bisher das Gegenteil angenommen hatten, auf diese Weise erfuhren, daß auch »’a Fräulein Doktorscht’« stricken kann. »›Insofern haben Ihre Liebesgaben auch sozial aufklärend gewirkt‹«, berichtete man den Studentinnen aus dem Feld – und diese übernahmen es dann in den Bericht des AStA, in den der Studentinnenausschuß integriert war.322 Im Semesterbericht des Straßburger Studentinnenvereins fehlten solche Nachrichten allerdings. Dort beteiligten sich die Aktiven im Winter 1914/15 an der Pflege im Lazarett, in dessen Verwaltung, bei bakteriologischen Untersuchungen und in der Volksküche.323 Das könnte der Nähe der Front geschuldet sein, auch der kleinen Zahl studierender Frauen (während die 20mal größere Berliner Studentinnenschaft fast notwendigerweise vielfältigere Aktivitäten entfaltete).324 Die Straßburgerinnen dagegen mußten sich, wenn sie ihren Kriegseinsatz möglichst wirksam betreiben wollten, auf das Wichtigste konzentrieren. Andererseits druckte die Straßburger Post im Oktober 1914 das Gedicht einer einheimischen Studentin ab und leitete es mit wohlwollenden Kommentaren zu den »gelehrten Strickerinnen« und dem bewahrten Humor ein.325 Wandten sich die Studentinnen im Winter anderen Tätigkeiten zu? Oder sollten sich hier deutlichere Unterschiede zwischen organisierten und nicht-organisierten Frauen zeigen (denn die Dichterin war nicht Mitglied des Studentinnenvereins!)?326 – Über die Kriegstätigkeit der 26 Gießener Studen tinnen dieses Semesters liegen überhaupt keine Nachrichten vor – was auch darauf zurückzuführen sein dürfte, daß ein Verein dort erst im Sommer 1915 gegründet wurde.327
322 Ausschuß der Studentenschaft der Kgl. Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Bericht für das Sommer-Semester 1915, o. O. o. J., S. 12: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. XII, Nr. 16 Bd. II, fol. 2–9, hier fol. 8v. 323 Straßburg i. Els. im Winter 1914, in: S IV (1915), S. 3. 324 Berlin WS 1914/15: 934 Frauen: Endgültige Feststellung (mit Stand 6.2.1915) als Anhang zu: AV FWU Berlin SS 1915. In Straßburg, für das nur die Daten auf dem Stand vom 27.11. vorliegen, waren im WS 1914/15 45 Studentinnen immatrikuliert, im Sommer 1915 54. Zu den Problemen dieser Statistik s. genauer o. S. 304 f. Da außerdem die Aus länder in der Straßburger Statistik nicht nach Geschlecht unterschieden sind, könnte die wirkliche Zahl deutscher Studentinnen noch etwas kleiner gewesen sein. 325 Strickende Studentinnen, in: SP 1060, 25.10.1914 (mit Die Studentin zur Kriegszeit von Gustel Motsch). 326 Gustel bzw. Auguste Motsch aus Straßburg, die im SS 1914 (PV KWU Strb., S. 65), WS 1914/15 (S. 58) und wieder ab WS 1916/17 in Straßburg immatrikuliert war (S. 76), ist in der Mitgliederliste des Vereins für WS 1916/17 (S V [1916/17], S. 83) und SS 1917 ([Separatum:] Die Studentin. Mitgliederlisten S.-S. 1917, S. 12) nicht enthalten. 327 Zahl der Studentinnen nach PB Gi 1914/15, S. 67 (nicht differenziert nach Inländerinnen und Ausländerinnen). Vereinsgründung: S IV (1915), S. 10.
448 Die Universitäten im Kriegseinsatz Mancherorts beschränkte sich die Kriegshilfstätigkeit offenbar ganz auf das Stricken und Geldsammeln.328 Andererseits bleiben ähnliche Berichte, wie sie sich im ersten Kriegssemester häuften, im Sommersemester 1915 schon fast329 und danach ganz aus. Ob dies bedeutet, daß das Stricken so selbstverständlich wurde, daß es nicht mehr erwähnenswert schien, oder ob die Studentinnen es bald wieder aufgaben, ist daraus allerdings nicht zu erschließen. Jedenfalls war ihnen »der Strickstrumpf« im Krieg bald, anders, als offenbar zuvor, »kein geheimnisvolles Rätsel mehr.« Ob diese Formulierung der Vorsitzenden des frauenbewegten Verbands, einer Berliner Medizinstudentin aus Itzehoe,330 nun eher kokett oder eher selbstironisch war – sie verrät jedenfalls, daß diese typisch weibliche Tätigkeit in einem gewissen Kontrast zu den eigentlichen Zielen des Verbands stand. Und falls sie die Entwicklung damit zutreffend umschrieb, bedeutete das Stricken – zusammen mit der Fürsorgetätigkeit im Nationalen Frauendienst – zumindest eine partielle Rückwendung zu traditionellen Frauenaufgaben. So wurden aus – vielleicht emanzipierten – ›Blaustrümpfen‹ wieder ›weibliche‹ Frauen. Nicht nur auf lokaler Ebene und für die eigene Institution sahen die studierenden Frauen die Fürsorge für die »Einsam[en] im Felde« als ihre Aufgabe an. Die Kriegsstelle der Universität Straßburg leitete einen Aufruf, sich um jene Angehörigen des XV. (also Straßburger!) Armeekorps zu kümmern, die »von keiner persönlichen Fürsorge erreicht werden«, an den Verband der Studentinnenvereine Deutschlands weiter, der ihn samt dem Gedicht eines Mitarbeiters der Universitätsbibliothek »Einsam und unbekannt« abdruckte und dies alles mit dem Satz einleitete »An uns Studentinnen tritt eine neue schöne Aufgabe im Dienste des Vaterlandes heran.«331 Dabei ging es um »Oberelsässer, die ihres Heimatortes für die Kriegszeit verlustig gegangen sind«; denn die Franzosen hielten ab 1915 zwar nur einen winzigen Teil des Oberelsaß besetzt, doch ließen die Deutschen einen größeren Gebietsstreifen hinter der Front räumen: 328 S IV (1915), S. 42 (München). Und wenn etwa die Tübingerinnen ihre Vereinsabende auf Stricken und Kriegslektüre einstellten, so lag das auch daran, daß nur noch halb so viele Mitglieder wie im Sommersemester anwesend waren – und man daher darauf verzichtet hatte, sich als Verein an der öffentlichen Kriegsarbeit zu beteiligen (S IV [1915], S. 17 f. und 44). 329 Eine der raren Erwähnungen betrifft Königsberg, wo im Sommer 1915 nur inaktive und Altmitglieder des Vereins anwesend waren und nur zwei Mitgliederversammlungen stattfanden. Hier lieferten die einzelnen in die Näh- und Strickstube ein. S IV (1915), S. 58. Über die Tätigkeit des Berliner Ausschusses unterrichtet der Semesterbericht des AStA (s. o. A. 322). 330 Zitat: Müller, Unsere Kriegssemester 1, S. 66. Zur Person: S IV (1915), S. 5, 37, 45. 331 Irmgard Müller, An uns Studentinnen; Christian Schmitt, Einsam und unbekannt; Einsam im Felde; alle in: S IV (1915), S. 53 f. Die (mutmaßliche) Identität des Autors bestimmt nach: PV KWU Strb. WS 1915/16, S. 27. Dort wird ein Mitarbeiter dieses Namens als Regierungssekretär der Universitäts- und Landesbibliothek geführt.
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bis Ende 1916 52 Gemeinden und viele Einzelgehöfte mit insgesamt ca. 40.000 bis 50.000 Personen.332 Ende dieses Jahres hieß es in Mitteilungen für die Verbandsvereine kurz vor Weihnachten nur noch ganz allgemein »Adressen von einsamen Soldaten sind gegen Rückporto bei der Schriftleitung der ›Studentin‹ zu erfragen.«333 Die persönlich-einfühlsame Betreuung durch Aufnahme brieflicher Verbindung verstanden die Studentinnen also offenbar in besonderer Weise als ihre Aufgabe. In mancher Darstellung wurde dies geradezu idealisiert und idyllisiert.334 Daß solche »›Päckchen‹-Bekanntschaften«, die man »natürlich hatte«, den Daheimgebliebenen keine realistischen Vorstellungen vom Kriegseinsatz vermittelten, mußte eine junge Lehrerin allerdings schon feststellen, als sie auf dem Weg zu ihrem eigenen Einsatz in Frankreich in der Etappe auf einen Zug mit Rückkehrern von der Front stieß.335 Doch war diese persönliche Zuwendung keine allein den Frauen zugedachte Aufgabe. Die Kriegsstelle der Straßburger Universität widmete sich ihr – aus gegebenem Anlaß – besonders umfassend und ließ, wenn nötig, auch gelegentlich Aufrufe in Tageszeitungen und kirchlichen Blättern drucken: »Gedenket der Einsamen im Felde«. Bis 1918 versorgte sie (mit Unterstützung des Vaterländischen Frauenvereins) fast 14.000 »Einsame«.336 Auch Georg Simmel beteiligte sich daran.337 Zu allen diesen »Vaterlandsdienste[n] (‥‥) in den Lazaretten, im Nationalen Frauendienst, in Vertretung eingezogener Lehrkräfte« kam schließlich auch noch die »im Nachrichtenbureau«.338 Diese Tätigkeit konnte sich sowohl auf eine Stelle der allgemeinen oder inneruniversitären Vermittlung von Nachrichten beziehen als auch auf spezielle Stellen, die Nachrichten über den Kriegs verlauf zusammentrugen. In einer solchen Kriegsnachrichtenstelle der Universität Jena wurden u. a. auch ausländische Zeitungen gesammelt und gesichtet, und diese Arbeit leisteten dort fast ausschließlich Mitglieder des frauenbewegten Studentinnenvereins. Sie legten auch einen Zettelkatalog dazu an, der dann 332 Zitat: Ficker, Bericht IV (1917/18), S. 20. Zum Hintergrund: Elsass 1870–1932 I, S. 225 f., 262 f. 333 An die Verbandsvereine, in: S V (1916/17), S. 65 f., Zitat S. 66. 334 S. etwa die Darstellung der Gattin des Erlanger Zivilrechtlers Paul Oertmann: »Packetchen [!], die in ihrer feinfühligen Zusammenstellung eine ganze Welt von Liebe aus atmeten. (…) Es war, als müßten sie in der Fremde Heimatluft ausströmen. Zwischen der Verpackung war ein Verschen oder ein schlichter Gruß von ungeübter weiblicher Handschrift verschämt eingeschoben.« Lotte Oertmann-Windscheid, Die Frauen im Dienste des Vaterlandes, in: Erlangen in der Kriegszeit, S. 25–28, hier 28. 335 Klara-Marie Faßbinder, Begegnungen und Entscheidungen, Darmstadt o. J. [1961], S. 47. 336 Ficker, Bericht IV (1917/18), S. 20 f. 337 S. das Prot. seiner Befragung durch den Kurator in: Simmel, Gesammelte Werke 23, S. 550. 338 Irmgard Müller, Unsere Kriegssemester 1. Aus dem Verbande der Studentinnenvereine Deutschlands, in: Vor uns der Tag, S. 65–68, Zitat 66. Zur Person: S IV (1915), S. 5, 37, 45.
450 Die Universitäten im Kriegseinsatz mit der Sammlung in die Universitätsbibliothek einging.339 So entstand in Jena eine jener großen Kriegssammlungen, die einst helfen sollten, die Geschichte des Krieges zu schreiben. Die Jenaer, damals die zweitwichtigste hinter Berlin, beruhte zunächst ganz auf freiwilliger Arbeit: U. a. war ein Leseausschuß aus 13 Dozenten der Universität für die Sichtung der aus ganz Thüringen eingelieferten Dokumente zuständig. Das Zeitungsarchiv, für das die Studentinnen arbeiteten, umfaßte (neben 43 deutschen) insgesamt 250 ausländische Titel.340 Die später berühmte Kriegssammlung der Königlichen Bibliothek in Berlin,341 deren Generaldirektor damals Adolf von Harnack war, wurde dagegen von Anfang an professionell betreut, zunächst von einem Bearbeiter, schließlich aber von insgesamt 19 Personen.342 Das »Nachrichtenamt«, in dem ein Mitglied des dortigen Studentinnenvereins arbeitete, war also – trotz der ähnlichen Bezeichnung – ganz anderer Art: Hier handelte es sich nämlich um ein ›Amt‹, das die Presse mit Nachrichten über den Studentenausschuß zu versehen hatte!343 In Straßburg hatte man bereits am 4. August 1914 eine »Landeskriegssammlung der Kaiserlichen Universitäts- und Staatsbibliothek« angelegt, die aber, obwohl sie die drittgrößte Bibliothek Deutschlands war, mit einem Drittel bis der Hälfte von Kräften im Vergleich zu den Leitungsgremien des 1917 gegründeten Jenaer Forschungsinstituts für Geschichte des Krieges auskam. Daher bestritt die Straßburger Bibliothek den Jenaer Anspruch auf Priorität und Vollständigkeit und rief zu Spenden auf, um elsässische Kriegsdrucksachen im Reichsland zu halten.344 So traten die deutschen Universitäten bei allem Patriotismus und bei (oder gerade wegen) aller Ähnlichkeit ihrer Bemühungen auch in Konkurrenz zueinander. Das Spektrum der Kriegsarbeiten der Studentinnen war also breit. Ohne Zweifel am angesehensten war die Pflege verwundeter Soldaten. Und wie das Stricken, so war auch diese als weiblich geltende Tätigkeit geeignet, Vorbehalte gegen ›gelehrte‹ Frauen abzubauen. Die ehemalige Vorsitzende des frauenbewegten Studentinnenverbands, Ruth von Velsen, gewann mit ihrer Schwesterntätigkeit sogar das Wohlwollen eines dezidierten Gegners des Frauen 339 S IV (1915), S. 33 f. 340 S. zu dieser Sammlung Grüner, Die Universität Jena während des Weltkriegs, S. 83–97, hier besonders 85 f., 91, 94. 341 Das war die wissenschaftliche Bibliothek Berlins und Preußens (Ende 1918 in Preußische Staatsbibliothek umbenannt). 342 S. dazu Olaf Hamann, Die Sammlung »Krieg 1914«, in: »Krieg 1914«. Eine Sondersammlung der Staatsbibliothek zu Berlin. Katalog zur Ausstellung, Berlin (1999), S. 7–27, hier 12 f. 343 S V (1916/17), S. 71. S. dazu auch den Semesterbericht des Berliner AStA (wie A. 322), S. 14 (fol. 9v). 344 Fr[iedrich] List, Die Landeskriegssammlung der Kaiserlichen Universitäts- und Landesbibliothek, in: SP 278, 25.4.1917 MA . Der Autor war promovierter Jurist und Biblio thekar der U- und LB.
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studiums.345 Wie bei den Männern, engagierten sich auch hier in erster Linie jene, die es sich leisten konnten. Das belegen etwa die beiden Töchter des Bonner Historikers Friedrich von Bezold, die sich sofort nach Kriegsbeginn vom Studium beurlauben ließen, um sich ehrenamtlich der Krankenpflege zu widmen; mindestens die eine der beiden setzte dies bis Kriegsende fort. Mit ihnen engagierten sich mehrere andere Bonner Studentinnen.346 Das durch ihr späteres Leben und Leiden vielleicht prominenteste Beispiel einer solchen Hilfsschwester war die Philosophin und künftige Karmeliternonne Edith Stein, die als gebürtige Jüdin in Auschwitz ermordet wurde. Sie kehrte unmittelbar vor Kriegsbeginn aus ihrem Studienort Göttingen ins heimische Breslau zurück und war dort »in einer fieberhaften Anspannung (…). ›Ich habe jetzt kein eigenes Leben mehr‹, sagte ich mir.« Erst nach dem Krieg wollte sie sich gestatten, wieder an ihre »privaten Angelegenheiten [zu] denken.« Sie absolvierte einen Krankenpflegekurs für Studentinnen und stellte sich danach »natürlich (…) bedingungslos zur Verfügung.347 Ich hatte ja keinen anderen Wunsch als möglichst bald und möglichst weit hinaus zu kommen, am liebsten an die Front in ein Feldlazarett.« Da sie selbst erkrankt war, wurde sie allerdings erst 1915 eingesetzt, und zwar fünf Monate lang in der Seuchenabteilung eines Lazaretts in Mährisch-Weißkirchen (und trat dort gelegentlichen antisemitischen Äußerungen »mit dem Bekenntnis, ich sei Jüdin«, entgegen).348 345 In den ersten Kriegswochen arbeitete sie offenbar ständig. »Später, als sie nur noch tage weise aushalf und dazwischen ihre Kollegs hörte, ruhte selbst das Auge Geheimrat Gierkes, des erbitterten Gegners studierender Frauen, wohlwollend auf ihr.« So ihre Schwester, Dorothee von Velsen, Im Alter die Fülle. Erinnerungen, Tübingen 1956, S. 140 f. 346 Zu den Schwestern Bezold: Annette Kuhn/Valentine Rothe/Brigitte Mühlenbruch (Hg.), 100 Jahre Frauenstudium. Frauen an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Dortmund 1996, S. 38. S. auch im selben Band Ernst Neukamp, Marie von Bezold, S. 170 f.; zu Margarete Kirchberger: Beate Brandenburg/Astrid Mehmel, S. 156–159, hier 157; zu Christine Straßer: Monika Hinterberger, S. 180 f., hier 180. Das Bonner Personal verzeichnis verzeichnet die Schwestern Gerda und Maria Bezold (und sieben weitere von insgesamt 417 immatrikulierten deutschen Staatsbürgerinnen) im WS 1914/15 als im Dienste des Roten Kreuz beurlaubt; im SS 1915 galt das für 12 von 414 Frauen (Amtliches Personal-Verzeichnis der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn und der Landwirtschaftlichen Hochschule Bonn-Poppelsdorf, Bonn o. J., WS 1914/15, S. 130–140 [Bezold: 131], Statistik S. 154f; SS 1915, S. 126–138, Statistik S. 145 f.). Die Töchter Plancks (s. o. S. 397) gehören nicht hierher, da sie keine Studentinnen waren. 347 Sie wurde während der Ausbildung gefragt, ob sie sich »dem Roten Kreuz zur Verfügung stellen wollte; ob nur für das Festungsgebiet Breslau, für die Heimat oder ganz ohne Bedingung.« (Beleg wie A. 348). 348 Edith Stein, Aus dem Leben einer jüdischen Familie. Das Leben Edith Steins: Kindheit und Jugend, Louvain u. a. 1965, S. 214 f. (Zitat 214), 245 f. (Zitat 246). Sie war dort vom 7.4. bis 31.8.1915 eingesetzt (laut http://de.wikipedia.org/wiki/Hranice_na_Moravě). Eine Abbildung Steins als Studentin und als Schwester findet man auf: http://www. gerechte-der-pflege.net/wiki/index.php/Schwester_Teresia_Benedicta_vom_Kreuz_-_ Edith_Stein (25.8.2011).
452 Die Universitäten im Kriegseinsatz Die Archäologin Margarete Bieber, die 1907 in Bonn promoviert worden war, dann, zeitweise als Stipendiatin des Deutschen Archäologischen Instituts, bis 1914 in Griechenland und Kleinasien geforscht (und jeweils nur den Sommer in Deutschland verbracht) hatte, wirkte 1914/15 als Rot-Kreuz-Helferin zuerst in ihrer westpreußischen Heimat, dann in Berlin (bis sie dort eine Vertretung an der Universität übernahm).349 Da diese Frauen aber nicht Mitglieder des frauenbewegten Verbands waren,350 belegt ihr Beispiel zugleich die Breite solchen Engagements unter den Studentinnen und jungen Akademikerinnen insgesamt. Doch welchen Raum die Kriegsarbeiten im Leben der Mehrheit der Studentinnen einnahmen, läßt sich kaum bestimmen. Zum einen fehlen Angaben über den Umfang der erwähnten Tätigkeiten. Zum anderen erfaßten die Vereine, deren Semesterberichte hier als Hauptquelle dienten, nur einen kleinen Teil der Studentinnenschaft. Und schließlich wurde selbst in manchen von ihnen die Kriegsarbeit mit einem einzigen Satz in einem fast 15zeiligen Semesterbericht abgetan.351 Den Münsteraner Studentinnen gelang es im Sommersemester 1915 »leider« nicht, »als Verein organisierte Kriegshilfsarbeit zu leisten.« In Greifswald verschickte man im Winter 1915/16 noch Pakete ins Feld und spendete für die Nähstube der Kriegerfrauen, doch »sonst bot sich […] keine Gelegenheit zur Betätigung auf dem Gebiet der Kriegshilfe.«352 In manchen anderen Berichten, auch im Berliner für Winter 1915/16, wurde die Kriegsarbeit gar nicht mehr erwähnt.353 In Bonn ging das übliche Leben mit Wanderungen in die Umgebung und Vorleseabenden neben der Kriegsarbeit weiter.354 Die Mitglieder des Straßburger Vereins waren dagegen auch im Winter 1916/17 »sämtlich« so »stark durch Kriegsarbeit in Anspruch genommen«, daß sie im Februar 1917 die Ver-
349 Monika Hinterberger, Margarete Bieber, in: Kuhn/Rothe/Mühlenbruch (Hg.), 100 Jahre Frauenstudium Bonn, S. 140–146, hier 141; Hans Günther Buchholz, Margarete Bieber (1879–1978) / Klassische Archäologin, in: G/M/P I, S. 58–73, hier 59–62. Zu Biebers Tätigkeit an der Universität s. u. Kap. IV.5. Ein noch eindrücklicheres Beispiel wäre die Assistentin Max Plancks, Lise Meitner, die seit 1913 bereits selbst Wissenschaftliches Mitglied der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (und daher nur noch Dozenten vergleichbar) war und von August 1915 bis September 1916 freiwillig als Röntgenologin in Lazaretten der österreichischen Armee arbeitete (Lore Sexl/Anne Hardy, Lise Meitner, Reinbek 2002, S. 54–57). 350 Überprüft anhand der Mitgliederlisten (die generell auch promovierte Altmitglieder erfaßten) für die in Frage kommenden Vereine in: S V (1916/17), S. 73–77. 351 So hieß es etwa im Bericht des Göttinger Studentinnenvereins für SS 1915 lakonisch: »Kriegsarbeit wurde wie im vorigen Semester in verschiedener Weise geleistet«. Das folgte, quasi pflichtgemäß, nach der Information über Versammlungen, Vorträge, literarische Gruppe, Liedergruppe, Turnen und Tennis. S IV (1915), S. 65. 352 S V (1916), S. 3 (Münster) und 29 (Greifswald). 353 S V (1916/17), S. 48 (Berlin). Für München s. S IV (1915), S. 65. 354 S IV (1915), S. 13 (Königsberg) bzw. 25 f. (Bonn).
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sammlungsabende einzustellen beschlossen.355 Es liegt nahe, hier einerseits, wie bei den Dozenten, mit wachsender Kriegsdauer insgesamt einen Rückgang des sich anfänglich fast überstürzenden Engagements zu vermuten. Gleichzeitig weist das Straßburger Beispiel auf die Bedeutung der Nähe zum Kriegsgeschehen für die Aufrechterhaltung solchen Engagements hin.
Der Akademische Hilfsbund: Gemeinsame Anstrengungen aller Universitätsangehörigen? Zwar agierten Dozenten und Studenten bei den meisten der genannten Tätigkeiten getrennt: als einzelne oder zusammen mit anderen als Angehörige bestimmter Gruppen. Doch schon im Frühjahr 1915 schlossen sich Lehrende und Studierende, studentische Verbände sowie alle Universitäten zum Akademischen Hilfsbund zusammen, dessen Aufgabe die Sorge für kriegsbeschädigte Akademiker war. Diese Selbsthilfe schien nötig, da die Behörden die Fürsorge und Versorgung der Opfer immer auf einen von einer Berufsarmee geführten Krieg hin konzipiert hatten, was an der Wirklichkeit des Ersten Weltkriegs jedoch völlig vorbeiging. Die Initiative hatte die Deutsche Burschenschaft ergriffen,356 doch erfolgte der Zusammenschluß »ohne Rücksicht auf das Satisfaktionsund Konfessionsprinzip«,357 also zugunsten aller Studenten und Akademiker. Kurz nach der Gründung, die am 8. April 1915 im Gebäude des Reichstages vollzogen wurde,358 fand sich in den Berliner Akademischen Nachrichten ein Aufruf, in dem die neue Organisation als Zusammenschluß der »Studenten und ihrer Alten Herren« dargestellt wurde. Die meisten verwundeten Akademiker hätten »nach den gesetzlichen Bestimmungen nur geringe Entschädigung, Kriegs- und Verstümmelungszulagen zu erwarten. Ihre Lebenshaltung und wirtschaftliche Lage wird tief herabgedrückt werden. Öffentliche Mittel und Wohlfahrtskassen werden hier durchweg versagen.«
Deshalb wurde der »akademische Mittelstand« zur Selbsthilfe aufgerufen – was die im Krieg gefundene Einheit mit den anderen »Volksgenossen« aber nicht beeinträchtige. Auch nach Friedensschluß werde man mit ihnen zusammen an allen vaterländischen Aufgaben arbeiten. 355 S VI (1917), S. 15. Im SS 1917, als in Straßburg 66 Frauen immatrikuliert waren (PV KWU Strb., S. 91), gehörten dem Verein 14 aktive Mitglieder an (Mitgliederliste [wie A. 326]). 356 S. als zusammenfassenden Überblick Wettmann, Heimatfront Universität, S. 190–197. 357 Die Freiburger Studentenschaft und der Krieg, in: HS 1 (1917), Nr. 2/3, S. 40–43, hier 41. 358 Prot. der Gründungsversammlung des Akad. Hilfsbundes E. V. am 8. April. 1915 im Reichstagsgebäude zu Berlin: UA Gi Allg. 108, fol. 33–41.
454 Die Universitäten im Kriegseinsatz »Wir gönnen jedem Stande und Berufe das Seine und treten für ihre Förderung ein. Uns treiben nicht Standesdünkel und Absonderungswünsche, uns treibt das Gefühl der Pflicht, unsere besonderen Nöte und Sorgen nicht anderen aufzuladen, sondern sie selbst in treuer Gemeinschaft zu tragen.«
Doch wurden nicht nur alle Kommilitonen, sondern auch alle Deutschen im Inund Ausland, »die in unserem akademischen Leben und in den akademischen Berufen einen sehr wertvollen Bestandteil unserer Nation und unserer Kultur erblicken« und »diese Güter« bewahren wollten, zur Mithilfe aufgerufen.359 Bemerkenswert ist daran nicht nur der Versuch, sich in die Volksgemeinschaft zu integrieren und zugleich die eigene Besonderheit zu wahren und gegen antizipierte Einwände zu verteidigen. Angesichts der Vorbereitungen verwundert auch die Darstellung als quasi studentenschaftliche Gründung; denn schnell traten die Rektoren hervor – und zwar nicht als Alte Herren, sondern als Repräsentanten der Universitäten. Zum einen führte der Berliner Rektor (mit dem Heidelberger Historiker Oncken und einigen Oberbürgermeistern) die Unterzeichnerliste eines Aufrufs an, für die noch vor dem Gründungsakt auch andere Rektoren um ihre Unterschrift gebeten wurden: Sie sollten Mitglied des »Ehrenausschusses« werden.360 (Der Gießener, der zunächst Bedenken wegen einer Zersplitterung gehabt hatte, stimmte zu, als er erfuhr, daß Organisationen mit ähnlichen Aufgaben sich schon angeschlossen hatten.361) Zum anderen beschloß der Vorstand bereits vor der offiziellen Versammlung im Reichstag, »die Gründung der Ortsausschüsse in den Hochschulstädten in die Hand der Hochschulen zu legen.«362 Und schließlich hielt der Straßburger Rektor, da es dort offenbar unterschiedliche Auffassungen darüber gab, wie die Universitäten im Hilfsbund mitwirken sollten, eine Konferenz mit den Rektoren der beiden badischen Universitäten sowie der TH Karlsruhe ab und schickte die dort (in Abgrenzung zu einer übersandten Satzung) formulierten »Leitsätze« dann allen anderen deutschen Hochschulen zu »schleuniger Meinungsäusserung«.363 Diese Leitsätze liefen auf eine massive Stärkung der Stellung der Hoch schulen und ihrer Dozenten hinaus: Zum einen sollten »die Hochschulen (oder Dozentenschaften) als solche« dem Hilfsbund beitreten, d. h. als juristische Personen die Mitgliedschaft erwerben. Zugleich müsse die Satzungsbestimmung über die »Studentenschaft an den Hochschulen« klarer gefaßt werden, da die meisten Studentenschaften »nicht die Eigenschaft einer juristischen Person« hätten. Die Ortsausschüsse des Hilfs359 360 361 362 363
Fürsorge für die im Kriege beschädigten Akademiker, in: BAN IX (1914/15), S. 117 f. Akad. Hilfsbund an Rektorat Gi 2.3.191[5]: UA Gi Allg. 108, fol. 4–5. Rektorat Gi an Vorstand des Akad. Hilfsbunds 19.3.1915: UA Gi Allg. 108, fol. 15. Akad. Hilfsbund an Rektor Gi 19.4.1915: UA Gi Allg. 108, fol. 42. KWU Strb. an Rektor Gi 7.6.1915; Leitsätze für die Stellung der Hochschulen gegenüber dem akademischen Hilfsbund (…) aufgestellt in einer Konferenz der Rektoren (….) am 29. Mai 1915: UA Gi Allg. 108, fol. 61; fol. 63–65 (Zitat 65).
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bundes müßten »unter dem vorwiegenden Einfluss der Hochschule« stehen. In Orten, in denen nur eine Hochschule bestehe, sei deren Rektor die Einberufung der Gründungsversammlung zu übertragen. Den Vorsitz des Ortsausschusses solle ein »gewählter dauernder Vertreter der Dozentenschaft« übernehmen. Zwar sahen die Leitsätze auch »Vertreter der Studentenschaft« vor, doch gerieten diese im vorgestellten Modell in die Minderheit.364 Außerdem lud der Straßburger Rektor die »übrigen Rektoren« zu einer Konferenz nach Berlin ein und bat den dortigen Amtskollegen um Bereitstellung eines Raums. Der Römisch- und Zivilrechtler Hans Albrecht Fischer, der das alles im Auftrag des Gießener Rektors begutachtete, hielt zwar die fehlende Rechtsfähigkeit der Studentenschaft nicht für einen Grund, sie von der Mitgliedschaft auszuschließen;365 trotzdem lief seine eigene Argumentation ebenfalls auf eine Nichtvertretung der Studentenschaft als eigenständige Gruppe hinaus: Er wollte nämlich im Akademischen Hilfsbund als ganzem Lehrende und Studierende zu einer Gruppe zusammenfassen, »wie wir das hier in Giessen wollen. Das ist die alte universitas im eigentlichen Sinne (n[ämlich? nota bene?] magistrorum et scholarium, nicht im abgeleiteten Sinne = universitas litterarum). Wenn die Universität Giessen am Verbande teilnimmt, so thut sie das nicht als Dozentenschaft, auch nicht als öffentlichrechtlicher Verband schlechthin (…), sondern die Universität Giessen vertritt die Interessen der Giessener Studenten. Das kann sie nicht mit der gewünschten Intensität, wenn der Ausschuss d. Giessener Studentenschaft noch daneben ordentliches Mitglied des Verbandes ist.«
Im übrigen schlug Fischer vor, daß die Universitäten und sämtliche anderen Hochschulen zusammen im Verhältnis 1:1 vertreten sein müßten, da letztere weniger Dozenten und Studenten hätten als die Universitäten.366 (Auch die Universität Heidelberg wollte für einen größeren Einfluß der Dozenten sorgen – aber eher indirekt.367) 364 »Mitglieder des Vorstandes des Ortsausschusses müssten sein: die Vertreter sämtlicher [!] Altherrenverbände, der Vorsitzende des ärztlichen Fachausschusses, der Vorsitzende des Beratungsausschusses, der Vorsitzende des Werbeausschusses (oder Ehrenausschusses), die Vertreter der Studentenschaft.« (Leitsätze [wie A. 363], fol. 64). 365 Da die Satzung auch die Mitgliedschaft nicht rechtsfähiger Vereine gestattete. 366 [Hans Albrecht] Fischer, Äußerungen über die Leitsätze der süddeutschen Hochschulen betr. den akad. Hilfsbund: UA Gi Allg. 108, fol. 66–66v. 367 Man solle die Universität nicht als solche heranziehen, aber da es sich um eine freiwillige Hilfstätigkeit handele, die Mitgliedschaft auch nicht von Bedingungen abhängig machen. Vielmehr solle man unter den Lehrenden um freiwillige Beiträge werben und auf dieser Grundlage dann als »Dozentenschaft« eintreten (die keine Rechtsfähigkeit brauche und dann dieselbe Stellung wie ein Altherren-Verband habe). Auf einen Vorsitz legten sie keinen Wert. Wenn Vertreter der Dozenten im Vorstand seien, hätten sie genug Einfluß (da ja auch Dozenten verschiedenen Altherrenverbänden und dem ärztlichen Fachausschuß angehörten). Univ. Heidelberg/Akademisches Direktorium an Rektor der KWU Strb. 10.6.1915: UA Gi Allg. 108, fol. 71–73.
456 Die Universitäten im Kriegseinsatz Bei der vom Straßburger Rektor und seinen badischen Kollegen angeregten Konferenz in Berlin fehlte Gießen allerdings – ebenso wie Bonn, Breslau, Greifswald, Königsberg, München, Würzburg. Anwesend waren nur 15 Universitätsrektoren, ferngeblieben also ein Drittel. (Außerdem waren 10 Technische Hochschulen vertreten; es fehlte die Münchner). Bei der Konferenz wurde zwar verschiedentlich betont, daß für die Versorgung der kriegsversehrten Akademiker das Reich in die Pflicht zu nehmen sei, aber der »Anschluß« der Hochschulen an den Hilfsbund letztlich doch einstimmig angenommen, und zwar in »geschlossener Form (entweder als solche, oder die einzelnen Lehrkörper, oder freie Dozentenvereinigungen)«. Dabei hatte der Leipziger Vertreter von einer teilweise ablehnenden Haltung der Kollegen berichtet und dafür u. a. das Definitionsproblem (»Akademiker«) angeführt. »Die Berufsorganisationen werden im allgemeinen die erforderliche Fürsorge für ihre akademischen Standesgenossen übernehmen. Sache der Universitäten bleibt es in erster Reihe, für die Studenten zu sorgen.« Umstritten war die Aufnahme von Handelshochschulen. Der Berliner Arbeitsausschuß (dem die Vertreter von 30 Verbänden angehörten) hatte sich einstimmig dagegen ausgesprochen. Auf der Konferenz wies der Berliner Rektor Kipp »ferner darauf hin, daß ein Beitritt der Hochschulen selbst nicht stattfinden kann. Die Hochschulen mögen den Beitritt der Studentenschaften begünstigen, den Mittelpunkt des Ortsausschusses werden die Dozenten der Hochschule zu bilden haben.«368 Während die Rektoren bezüglich der Führungsrolle der Dozenten also übereinstimmten,369 scheint es in puncto Beitritt der Hochschulen als Institution gegensätzliche Auffassungen gegeben zu haben. In Berlin umfaßte der im Winter 1915/16 gegründete Ortsausschuß alle dortigen Hochschulen.370 Die Ortsausschüsse in Straßburg und Gießen waren nicht nur für die Studierenden ihrer Universität, sondern auch für die aus Elsaß-Lothringen bzw. Hessen gebürtigen an auswärtigen Hochschulen zuständig.371 Die Straßburger hatten den Ortsausschuß als Dozentenverein gegründet, während bei den Gießenern dem zunächst »eingesetzten« Kleinen Ausschuß neben dem 368 Rektorenkonferenz am 19. Juni 1915 [übersandt vom Berliner Rektor]: UA Gi Allg. 108, fol. 79–89, Zitate 86 (Anschluß), 81 (Leipzig), 85 (Berlin). 369 Für eine Verstärkung des Dozenteneinflusses plädierte auch der Freiburger Vertreter. 370 Ergebnis: Wilamowitz-Moellendorff, Amtsjahr 1915/16, S. 7; Erkundungen: Rektor Berlin an die Rektoren (Prorektoren) der Universitäten und THs 13.7.1915: UA Gi Allg. 108, fol. 107. Datierung der Gründung nach: Mitteilungen des Ausschusses der Studentenschaft, in: BAN X (1915/16), S. 52 f., hier 53. 371 Da die TH ihren Sitz in Darmstadt hatte, gab es in Hessen aber zwei Ortsausschüsse – welche die doppelte Zuständigkeit jeweils getrennt für Universitäts- bzw. TH-Studenten umsetzten. Der akademische Hilfsbund, in: SP 862, 14.11.1916 MiA; Rektor TH Darmstadt an Rektor LU Gi 15.12.1915 (mit Vorschlag der eigenen Zuständigkeit für die Studenten und Absolventen der TH sowie die Akademiker in den Provinzen Starkenburg und Rheinhessen); Entwurf eines Antwortschreibens (…) (mit Absendevermerk: 4.1.[?]1916): UA Gi Allg. 108, fol. 199, 200.
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Rektor und zwei Senatoren auch der Vorsitzende des Studentenausschusses angehörte.372 Die Gießener beschlossen den Beitritt zum Hilfsbund tatsächlich als Universität, »(Lehrkörper und Studentenschaft)«, und zahlten, da sie die Festlegung künftiger Jahresbeiträge für zu schwierig hielten, einen einmaligen Beitrag von 1000 M.373 Bei der Ausgestaltung des laut Beitrittserklärung von Ende Juli 1915 bereits vorhandenen (und Mitte Oktober auch anderwärts erwähnten) Ortsausschusses sollten dem Rektor (als Vorsitzendem) dann die fünf Dekane sowie der Vorsitzende des Studentenausschusses und die Vertreter verschiedener Korporationen und Vereine an die Seite gestellt werden.374 Doch meldet der Jahresbericht die Gründung des Ortsausschusses Gießen erst für Frühjahr 1917!375 Oder war dies eine Wiedergründung? Sicher ist jedenfalls, daß Gießen sich – trotz seiner prononcierten Definition als Gemeinschaft der Lehrenden und Studierenden – lange sehr zurückgehalten hatte: Zwar vertrat Fischer die Universität noch bei der Arbeitsausschußsitzung des Hilfsbundes am 24. Oktober 1915 in Berlin.376 Doch danach nahm sie mindestens bis Anfang Januar 1916 keinen Kontakt zum staatlichen Landesausschuß für Kriegsbeschädigtenfürsorge auf und wollte die von der Darmstädter TH vorgeschlagene Gründung eines Landesausschusses des Hilfsbundes auf später verschieben.377 Sie entsandte auch keinen Vertreter zur Sitzung der Ortsausschüsse, die Anfang 1916 als erweiterte Rektorenkonferenz zusammentrat,378 und entschuldigte sich zur nächsten Sitzung am 1.7.1916 mit ihrer Jahresfeier!379 (Diese Prioritätensetzung mußte zwar das Bild der Uni372 Stiftungsfest der KWU 1916, S. 8 f.; LU Gi an Rektor FWU Berlin 20.7.1915: UA Gi Allg. 108, fol. 109. 373 Auszug aus Prot. der KK 24.7.1916 (Zitat); Rektorat an Vorstand des Akad. Hilfsbundes (Entwurf) 27.7.1915 (mit Zustimmung des Vors. des Studentenausschusses 28.7.1915). Beide: UA Gi Allg. 108, fol. 106 (Zitat); 124; zur Vorklärung der Mitgliedsgebühr s. div. Schreiben fol. 75–78. 374 Ortsgruppe Giessen des Akademischen Hilfsbundes/Entwurf; Rektorat der LU Gi an die fünf Fak.n und den Vorsitzenden des VA 22.8.1915; Notiz auf dem Ex. der Phil. Fak. o. D.; alle: UA Gi Allg. 108, fol. 128, 138, 140. Auflistung der bestehenden Orts ausschüsse: Akademischer Hilfsbund, in: BAN X (1915/16), S. 12–14, hier 13. 375 So der Rektor in seinem Jahresbericht für 1916/17: Schian, Volk, S. 20. 376 Niederschrift der Arbeitsausschußsitzung (…) in: Mitteilungen des Akademischen Hilfsbundes Nr. 1, November 1915, S. 1–11, hier 9; vgl. auch die Bitte um Bewilligung der Reisemittel aus einem bestimmten Etat-Titel (Rektor LU Gi an Hess. MdI 13.10.1915): UA Gi Allg. 108, fol. 173–184, hier 177; fol. 161. 377 Entwurf eines Antwortschreibens (…) (mit Absendevermerk: 4.1.[?]1916): UA Gi Allg. 108, fol. 200. 378 Zum Fehlen s. Prot. über die Vertretersitzung der Ortsausschüsse des Akademischen Hilfsbundes an den deutschen Hochschulen (…) in Halle (…) am 6.1.1916, S. 1: UA Gi Allg. 108, fol. 201–203v, hier 201. 379 Rektor der Univ. [Halle ] an Rektoren der deutschen Universitäten (und erweit. Rektorenkonferenz vom 6.1.) 24.6.1916 [Einladung zur Vorbesprechung]; darauf: Antwortentwurf an Rektor Halle 26.6. (mit Absendevermerk 27.6.): UA Gi Allg. 108, fol. 240, 240v.
458 Die Universitäten im Kriegseinsatz versität beeinträchtigen – aber so konnte sie zumindest verschweigen, daß sie noch immer keinen Ortsausschuß gebildet oder dieser die Arbeit bereits wieder eingestellt hatte!) Andererseits scheint die Tätigkeit auch in den beiden anderen Universitäten nicht floriert zu haben. In Berlin monierte der Studenten ausschuß im Mai 1916, daß sich »in den Mitgliederlisten des Ortsausschusses […] viele Studierende noch nicht eingetragen« hätten. Doch »[w]er von uns Studierenden nicht mit der Waffe für unser Vaterland und Volk einstehen kann und darf, hat hier eine Gelegenheit, den Kriegern Dank abzustatten.«380 In Straßburg schrieb der Rektor im November an die Dekane »Ein grosser Teil der Kollegen fehlt leider noch beim Hilfsbund« und appellierte an alle Lehrenden beizutreten.381 In seinem Jahresbericht für 1916/17 teilte er dann mit, daß der Straßburger Ortsausschuß bisher wenig in Anspruch genommen worden sei.382 In manchen Bundesstaaten – so in Württemberg, Mecklenburg und Bayern – bildeten sich akademische Ortsausschüsse »als Glieder der Landes fürsorge«. In deren Auftrag und mit deren Mitteln versorgten sie alle kriegs beschädigten Akademiker, ohne über eigene Mittel zu verfügen.383 Die Berliner Zentrale des Hilfsbundes hatte vier Abteilungen: Berufsberatung (mit Sonderausschüssen für die einzelnen Disziplinen), Stellenvermittlung, Bäder- und Anstaltsfürsorge, Unterstützungen und Darlehen. 1917 waren 120 Organisationen im AHB vertreten, und es bestanden 40 Ortsgruppen. Er wurde vom Gedanken der Individualfürsorge geleitet, die auch nach Auffassung der Zentrale nur dezentral umgesetzt werden konnte. Deshalb sollten Ortsausschüsse »möglichste Selbständigkeit in Anlehnung an gemeinsame Richtlinien« erhalten.384 1917 bearbeiteten Zentrale und Zweigorganisationen über 2500 Fälle.385 Große Unterstützung erfuhr der Akademische Hilfsbund auch vom Deutschen Hilfsbund für kriegsbeschädigte Offiziere und vom preußischen Kultusministerium.386 Schon 1916 trat der AHB auch für die (bislang ausgeschlossene) Beförderung zum Offizier im Landsturm ein (also für Akademiker, die im reiferen Alter eingezogen wurden); denn dies bedeute nicht nur Anerkennung, sondern sichere ihren Hinterbliebenen auch eine Offizierspension und Erziehungsgeld für die Kinder. Dies sei nötig, da Beamte ja zunächst von ihrer vorgesetzten Behörde reklamiert würden, sich also nicht freiwillig Vgl. zum Fehlen auch Prot. über die zweite Vertretersitzung der Ortsausschüsse (…) 1.7.1916 in Berlin (…): UA Gi Allg. 108, fol. 241–242v, hier 241. 380 Mitteilungen des Ausschusses der Studentenschaft, in: BAN X (1915/16), S. 53 f., hier 53. 381 Rektor der KWU an die Dekane [hier Phil. Fak] 14.11.1916: ADBR 62 AL 37. 382 Stiftungsfest der KWU 1917, S. 6. 383 O[tto] Kern (Rektor Halle) als Vors. der erweit. 5. Konf. deutscher Universitätsrektoren an die Zentrale des Akademischen Hilfsbundes 2.2.1916: UA Gi Allg. 108, fol. 207–208v. 384 Alles nach: Fr[iedrich] A. Pinkerneil, Der akademische Hilfsbund, in: HS 1 (1917), H. 1, S. 10–19, hier 15, 13 (Zitat). 385 Akademische Rundschau, in: HS 2 (1918/19), H. 4, S. 170–173, hier 172 f. 386 Pinkerneil, Der akademische Hilfsbund (wie A. 384), S. 17.
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melden und daher im Gegensatz zu Freiwilligen auch keine Beförderung erdienen könnten.387 Die Ausweitung auf alle (nicht nur kriegsbeschädigte) Akademiker, die mancherorts schon 1915 begonnen hatte, wurde bei der 12. Arbeitsausschußsitzung, die im September 1918 in Straßburg stattfand, als dringliche Aufgabe begriffen; denn man rechnete mit der Entwicklung einer Übergangswirtschaft und Verelendung der jungen Akademiker.388 Der Akademische Hilfsbund, dessen Vorsitzender der promovierte National ökonom, langjährige Schriftleiter der Burschenschaftlichen Blätter und nationalliberale Reichstagsabgeordnete Hugo Boettger war,389 verband die praktische Fürsorge für die einzelnen mit einer allgemeinen Interessenvertretung der Akademiker. Sein Geschäftsführer, der nach einer Verwundung aus dem Feld zurückgekehrte und 1916 in Marburg promovierte Historiker Friedrich Pinkerneil, sah im Hilfsbund einen Beleg für das »Gemeinschaftsgefühl« deutscher Akademiker. »Wir haben es ja alle gewußt, daß wir zusammengehörten, denn wir sind eines Geistes Kinder gewesen. Wir haben es nur nicht gewagt, uns über manche kleinlichen Schranken hinwegzusetzen.«390 In den Berliner Akademischen Nachrichten würdigte Reinhold Schairer (der seit 1915 die deutsche Kriegsgefangenenhilfsstelle in Kopenhagen leitete) die Einigung als großen Fortschritt; denn da Burschenschaften und Landsmannschaften (nicht mehr wie ursprünglich Zweckverbände und Genossenschaften wirtschaftlicher und sozialer Art, sondern nur noch) »auf Theorien und Ideen aufgebaut« seien, habe eine »unselige Zerklüftung und Zerspaltung jeder Universitas der Studenten unter sich und der Gesamtheit der Studierenden im Ganzen« jeden Einigungsversuch zunichte gemacht. Nichts aber verbinde mehr als »gemeinsamer Dienst und gemeinsame Arbeit«. Den Hilfsbund würdigte Schairer als »reine Arbeitsorganisation, in der zum ersten Mal in der Geschichte die beiden Teile der Universität, Dozenten und Studenten, sowie dazuhin noch die Gesamtheit aller Deutschen Hochschulen sich zu einer lebendigen und lebensfähigen Organisation« vereinigt hätten.391 Daß diese Einschätzung realitätsgerecht war, darf bezweifelt werden; denn abgesehen von der geringen Aktivität in Straßburg und Gießen und der mindestens bis Frühjahr 1916 schwachen studentischen Unterstützung in Berlin ist 387 Vorstand des Akademischen Hilfsbundes an den Kriegsmin. [4seitige, gedruckte Eingabe]: UA Gi Allg. 108, fol. 219–220v. 388 Akademischer Hilfsbund, in: HS 2 (1918/19), S. 320. Frühere Andeutung: Akademischer Hilfsbund, in: BAN X (1915/16), S. 12–14, hier 14 (»Ehrenpflicht«, auch Anfragen Nichtbeschädigter aus dem Feld zu beantworten). Als weitere und wohl gewichtigere Beispiele s. u. A. 394. 389 Zu ihm s. http://zhsf.gesis.org/ParlamentarierPortal/biorabkr_db/biorabkr_db.php?id= 241 (23.6.2014). 390 Pinkerneil, Der Akademische Hilfsbund (wie A. 384), S. 13. 391 R[einhold] Schairer, Deutscher Studentendienst, in: BAN X (1915/16), S. 23–27, hier 24.
460 Die Universitäten im Kriegseinsatz auch noch die Rollenteilung zu berücksichtigen: »Die Haupttätigkeit lag selbstredend [!] (…) in den Händen der Dozenten, aber auch die Studierenden leisteten, wie gesagt, gute Arbeit.« Dieser Lokalbericht bestätigte aber nicht nur die Führungsrolle der Lehrenden (die diese ja selbst angestrebt hatten), sondern hob auch noch die Frauen hervor, die 30 Lazarette vor Ort besucht hätten, um festzustellen, ob dort Akademiker lägen, und gegebenenfalls deren Wünsche aufzunehmen und weiterzuleiten.392 Daß zwischen Studenten und Dozenten im AHB regelrechte Spannungen bestanden, belegt das Protokoll der Vertretersitzung der Ortsausschüsse, die (als Rektorenkonferenz) Anfang 1916 in Halle tagte. Zum einen war dort kein »Vertrauensmann des Akademischen Hilfsbundes« eingeladen. Zum zweiten beobachteten die Rektoren, daß der Arbeitsausschuß der Zentrale aus ständig wechselnden Vertretern von 30 Korporationen zusammengesetzt sei und sich so ein »Parlament studentischer Korporationen heraus[bilde], welches zur Lösung durchgreifender organisatorischer Fragen unfähig ist.«393 Außerdem sahen sie mit Sorge, daß in manchen Ortsausschüssen auch nicht kriegsbeschädigte Akademiker unterstützt würden und der AHB »die Rolle einer allgemeinen Standesvertretung der Akademiker zu spielen« begonnen habe. Eine solche »Änderung seiner Bestimmung« könne »von seiten der Hochschullehrer nicht anerkannt werden«.394 Der Zentrale teilten sie mit: »Wenn sich in der Zentrale ein Ausschuß bildet für Wahrnehmung studentischer Standesinteressen, welcher, wie es scheint, auch nach dem Kriege die gesamte deutsche Studentenschaft nach dem Vorbilde von Gewerkschaften zusammenschließen will, so müssen die Rektoren der Universitäten und Hochschulen erklären, daß sie diese Bestrebungen nicht unterstützen können. Unsere Studentenschaft ist frei und soll es bleiben; die Rektoren müssen es ablehnen, die Studentenschaft nach korpora tiver Richtung irgendwie beeinflussen zu wollen.«
Auch in der »rein militärischen Frage« der Beförderung von Landsturmleuten zu Offizieren sahen die Rektoren den Arbeitsausschuß der Zentrale über die ursprünglich ins Auge gefaßten Vereinsaufgaben hinausgehen. (Zudem fehle ihm die »Sachkenntnis« dafür.) Schließlich monierten die Rektoren auch die hohen Kosten für die Zentrale, die mit jährlich 20.000 bis 25.000 M. beziffert worden waren und schlugen vor, daß die Ortsausschüsse 400 M. oder 10 % ihrer Einkünfte abführten.395 Kurz und gut: Die Arbeit des Akademischen Hilfsbundes
392 Die Freiburger Studentenschaft und der Krieg. Bericht, erstattet vom Freiburger Kriegsarbeitsausschuß, in: HS 1 (1917), H. 2/3, S. 40–43, Zitat 41. 393 Prot. über die Vertretersitzung der Ortsausschüsse des Akademischen Hilfsbundes (…) in Halle am 6.1.1916, S. 2: UA Gi Allg. 108, fol. 201–203, hier fol. 201v. 394 Wie A. 393, S. 3 (fol. 202). 395 O[tto] Kern (wie A. 383), Zitate S. 2 (fol. 207v) und 3 (fol. 208), Zahlen S. 3–4 (fol. 208–208v).
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war geprägt von Spannungen zwischen Zentrale und Ortsausschüssen sowie zwischen Dozenten und Studenten. In der neueren Forschungsliteratur ist der AHB als erste organisierte Interessenvertretung gedeutet worden, welche die Akademikerschaft einschließlich des noch in der Ausbildung befindlichen Nachwuchses als eigenständigen »Berufsstand« über die Fachgrenzen hinweg bestimmt habe. Damit habe diese Gruppe der in der gesamten Gesellschaft zu beobachtenden Tendenz entspro chen: Infolge verschärfter Verteilungskämpfe seien immer neue Interessenverbände geschaffen worden.396 So wichtig diese Einordnung ist, bleibt sie ohne Hinweis auf die inneren Spannungen doch unvollständig und schreibt dem AHB eine größere Geschlossenheit und damit mehr Gewicht zu, als er wohl hatte. Andererseits machen die Quellen, gerade auch infolge der Formulierungsvarianten, nicht ganz deutlich, warum die Dozenten eine »Standes vertretung der Akademiker« (so das Protokoll der Rektorenkonferenz) bzw. den Zusammenschluß »nach dem Vorbilde von Gewerkschaften« (so das auf diese Konferenz gestützte Schreiben an die Zentrale des AHB) ablehnten. Standesdenken war ihnen vor dem Krieg eigentlich nicht fremd; falls sie es jetzt als Verstoß gegen die im Krieg propagierte ›Volksgemeinschaft‹ monieren wollten, hätten sie deren Wirkung aber wohl überschätzt. Insofern wollten sie die Studenten, wie die letzten zitierten Sätze andeuten, vielleicht doch eher vor einer Art Pflichtgewerkschaft schützen – im selben Geist, in dem manche von ihnen vor dem Krieg eine »Professorengewerkschaft« abgelehnt hatten.397 Das mittelfristige Ziel einer solchen Pflichtgewerkschaft deutet sich evtl. auch in einem Werbeblatt vom Herbst 1916 an, obwohl dieses ganz auf die Hilfe für die kriegsbeschädigten Akademiker zugeschnitten war: als »Dankbarkeit«, ohne welche die Studierenden zuhause es »nicht wert [wären], Erben ihres Opfers zu sein«. Die Aufgabe des AHB war überindividuell und überständisch definiert: dem kriegsbeschädigten »reichsdeutschen Akademiker« »mit allen Kräften und Mitteln zu helfen, damit er seine Kräfte retten kann für seine Arbeit an des Volkes und Vaterlandes Größe«. Doch war in dem Satz »Mitglied des Bundes in irgend einer Form kann und soll jeder Akademiker werden« der obligatorische Charakter deutlich postuliert – wobei die Formen der Mitgliedschaft aber wieder die alte Fragmentierung der Universität in korporierte und Freistudenten reproduzierten.398 Wie anderthalb Jahre zuvor, so beteuerte der 396 Wettmann, Heimatfront Universität, S. 196. 397 Siehe o. S. 189 f. 398 Der Akademische Hilfsbund! [vierseitige, engbedruckte Werbeschrift]: UA Gi Allg. 108, fol. 247–248v, Zitate 247, 247v, 248. Ordentliche Mitglieder konnten Verbände studentischer Korporationen, Einzelkorporationen sowie die jeweils dazugehörige AltherrenVereinigung sein, außerdem Vereine akademischer Berufe. Außerordentliche Mitglieder konnten nichtakademische Vereine und Wirtschaftsverbände, Akademiker oder Studierende sowie sonstige Gönner werden (S. 3 f., fol. 248–248v).
462 Die Universitäten im Kriegseinsatz Hilfsbund erneut, daß ihn »nicht Standesdünkel und Engherzigkeit« getrieben habe, und ergänzte jetzt: »nur die Einsicht, daß wir die Allgemeinheit entlasten können und den besonderen Anforderungen durch die Absonderung besser gewachsen sind.«399 Das Problem der separaten Vertretung eigener Interessen war den Verantwortlichen des Hilfsbunds also von Anfang an bewußt. Daß die »Absonderung« aber sehr wohl als »Dünkel« aufgefaßt werden konnte, belegt der veröffentlichte Briefwechsel zweier Aktivisten unterschiedlicher Richtung. Der aus dem Elsaß stammende Hermann Schüller, Schüler des Philosophen Paul Natorp, ehemaliger Korps- und jetzt (wieder?) Theologiestudent, Gründer der Akademischen Loge in Marburg, inzwischen pazifistisch gesinnt und in der Hochschule mit der Äußerung hervorgetreten, Krieg sei Massenmord,400 schrieb »im Namen von Freunden der Freien Hochschulgemeinde zu Marburg« an den Direktor des Hilfsbundes, den er aus Marburg auch persönlich kannte.401 Schüller dankte Pinkerneil für die Tätigkeit des AHB, die er als »›akademische‹ Gewerkschaftsbewegung« verstand. Doch sah er darin auch »geistige, pädagogisch hemmende Gefahren«. So werde z. B. auf Studententagen »in einem stark geringschätzigen Tone von dem ›gewöhnlichen Arbeiter‹ gesprochen«.402 Außerdem monierte Schüller einen Bericht Pinkerneils vom September 1918, demzufolge der Senat der Universität Jena das Farbentragen verboten habe, »weil Jenenser Arbeiter sich darüber aufgeregt hätten«. Während Pinkerneil das Couleurband zum »Ehrenzeichen«, zu einem »Bekenntnis, das man achten soll«, erklärt und darauf hingewiesen hatte, daß es bei Gefallenen sogar unter der Uniform gefunden worden sei,403 schrieb Schüller dessen Tragen »in dieser Zeit« eine »gefährliche, unsoziale Wirkung« zu. Wenn Pinkerneil diese Gefahren nicht sehe und »gegen Arbeiter angehe, die ihrer Ansicht vom unsozialen Fühlen Jenenser Studenten Ausdruck gegeben« hätten, zeige dies zugleich, »in welchem Geiste die (…) Arbeit« im AHB geschehe. Schüller wollte zwar nichts gegen Pinkerneils »reaktionäre politische Instinkte« sagen, protestierte aber »gegen das unhumane und unsoziale Empfinden«, das in dessen Kommentar zur Farbenfrage zum Ausdruck komme.404 399 Wie A. 398, S. [3] (fol. 248). Zu 1915 s. A. 359. 400 Angaben nach Wettmann, Heimatfront, S. 270, 408. In AV Marburg SS 1916, S. 53 ist er als Ostern 1916 angekommener Theologiestudent verzeichnet (Geburtsort: Sund hausen, E-L). Ebenso WS 1916/17, S. 53; SS 1917, S. 56; WS 1917/18, S. 56. SS 1918 kein Namensverzeichnis der Studenten gedruckt! 401 Offener Brief an Herrn Dr. Pinkerneil und seine Antwort, in: HS 2 (1918/19), H. 7, S. 312–318, Zitat 314, Bekanntschaft 315. Pinkerneil war in AV Marburg WS 1915/16, S. 43; SS 1916, S. 46; WS 1916/17, S. 46; SS 1917, S. 48 und WS 1917/18, S. 48, jeweils als »Kriegsteilnehmer« verzeichnet (ohne den 1916 erworbenen akademischen Grad!). 402 Offener Brief (wie A. 401), S. 312. 403 Fr[iedrich] A. Pinkerneil, Akademische Rundschau, in: HS 2 (1918/19), S. 259–264, alle Zitate 264. 404 Offener Brief (wie A. 401), alle Zitate S. 313.
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In seiner Erwiderung erkannte Pinkerneil die »Gewerkschaftsbewegung der Arbeiter« als seinen »Lehrmeister« in der Sozialarbeit an. Aber gerade weil er »an des Arbeiters Emporkommen ein Interesse nehme, bekenne [er, P inkerneil], wie sehr er [der Arbeiter] der Erziehung bedarf«.405 Nicht das Trinken und Raufen der Korporierten ärgere den Arbeiter an der Studentenmütze, sondern, daß ihr Träger »Repräsentant der besitzenden Klasse« sei. »Das Kulörtragen unterstützt das Standesbewußtsein. Standesbewußtsein aber ist keine Sünde. Das Kulörtragen kann den Standesdünkel fördern«. Und den fand Pinkerneil selbst »ekelhaft«.406 Gewerkschaft verstand er als »organisierte Selbsthilfe« – was in der kommenden Zeit einen besonderen Klang haben werde. Er wünsche, daß der Student dann »wenn er in die Reihe der Akademiker einrückt, im sozialen Kampf seinen Mann stehe (…). Aber auch – daß er es als Akademiker tue.«407 Den AHB könne man durchaus als »Abart« einer »Gewerkschafts bewegung der Akademiker« sehen.408 So eifrig hier zwischen verschiedenen Fragen und Begriffen hin und her gesprungen wurde – deutlich wird jedenfalls, daß der Geschäftsführer des Akademischen Hilfsbundes nur den »Standesdünkel« ablehnte, akademisches »Standesbewußtsein« aber befürwortete – und zur Arbeiterschaft ein gespaltenes Verhältnis hatte: Als »Sozialarbeiter« stellte er sich in puncto Organisiertheit als deren Schüler dar409 – doch kulturell sah er sie als erziehungsbedürftig an. Die ›Volksgemeinschaft‹ des Krieges hatte Pinkerneil das alte Standes- und Überlegenheitsgefühl nicht ausgetrieben. Und die Frage des gemeinsamen Fronteinsatzes streifte er nicht einmal! Vielmehr ging es ihm um das »Recht« des »Akademikerstandes«.410
Schlußfolgerungen: Akademischer ›Stand‹ und Fragmentierung der universitas Das vielfältige Engagement der Hochschullehrer verfolgte zwei Zielsetzungen: dem gefährdeten Vaterland zu nutzen und den ihnen nicht ›vergönnten‹ militärischen Einsatz zu kompensieren, also dem Gefühl der eigenen Überflüssigkeit entgegenzuwirken. Das resultierte aus dem starken Rechtfertigungsdruck und bewirkte eine ausgiebige Selbstdarstellung, und zwar sowohl der Tätigkeiten des einzelnen als auch, durch Sammlung und Publikation der Berichte darüber, der Universität als ganzer. Das Ergebnis war allerdings ein Aktivismus, der zur Zer405 Offener Brief (wie A. 401), Zitate S. 314, 315. 406 Offener Brief (wie A. 401), Zitate S. 315, 316. 407 Offener Brief (wie A. 401), Zitate S. 317. 408 Offener Brief (wie A. 401), Zitate S. 315. 409 Offener Brief (wie A. 401), Zitat S. 314. 410 Auch wenn dieser »mit der sozialen Frage das soziale Gewissen des ganzen Volkes wecken« sollte. Offener Brief (wie A. 401), alle Zitate S. 317.
464 Die Universitäten im Kriegseinsatz splitterung der Finanzmittel und der eingesetzten Kräfte führte und zugleich Arbeitskraft von der Wissenschaft abzog. Dem Bestreben, die Universität als Ganzes ins rechte Licht zu rücken, widersprach allerdings schon das Ausblenden der Tätigkeit der Studierenden in den offiziösen Berichten der einzelnen Universitäten, die ganz auf Lehrende ausgerichtet waren. Dabei erkannten auch die ›daheimgebliebenen‹ Studenten die Pflicht solchen Engagements an, und sie überbrückten zeitweise sogar alte Trennungen zwischen Korporierten und Freistudenten. Zumindest auf AusschußEbene arbeiteten sogar ideologisch gegensätzliche Studentenverbindungen zusammen. Andererseits wirkten auch hier psychische Mechanismen, die den bei den älteren Dozenten beobachteten ganz ähnlich waren. Sogar nichtorganisierte und in der christlichen Studentenbewegung organisierte Studentinnen emp fanden wie die daheimgebliebenen Männer: »Fürwahr, das Bild einer Eleonore Prohaska aus den Freiheitskriegen und das so mancher anderen der damals mitkämpfenden Frauen, etwa zwanzig an der Zahl, verblaßte gegenüber dem, was die eigene Seele durchlebte. Denn es schien leichter, mit hinauszuziehen in Gefahr und Kampf, als still daheim zu bleiben und daneben zu stehen, wenn Deutschlands Söhne mit dem Einsatz ihres Lebens zeigen durften, welcher Geist in ihnen glühte. Deshalb strömten Scharen unserer weiblichen Jugend hin zu den Helferdiensten, um wenigstens in irgendwelchem Kriegsdienst an der Aufgabe fürs große Ganze mitzuarbeiten.«411
Das Bedauern, nicht als Soldatinnen kämpfen zu können, ist um so erstaunlicher, als die Studentinnen selbst mit diversen Tätigkeiten ja die traditionelle Frauenrolle bekräftigten. Gerade weil ihre Tätigkeitsbereiche denen der Hochschullehrer entsprachen – Verwundetenpflege, Fürsorge, Unterricht – ist es um so bemerkenswerter, daß Studierende und Lehrende sie nicht zusammen ausübten. Am ehesten scheint es Ansätze dazu in Straßburg gegeben zu haben, wo eine Kriegsstelle der Universität die Arbeit bündelte und koordinierte. Doch wurde gerade hier besonders deutlich, daß die Universitätsmitglieder in einem größeren Kreis von Bürgern wirkten bzw. die Kriegsstelle nicht nur die Familienangehörigen des Kollegiums, sondern weitere Bürgerkreise heranzog – und dies alles dann als Engagement der Universität ausgab. Dabei wurde jede Anerkennung 411 Eleonore Pro(c)haska diente bis zu ihrer Verwundung, als Mann verkleidet, 1813 als Jäger im Lützowschen Freikorps. Guida Diehl, Neue Anfänge, in: Vor uns der Tag, S. 145–150, Zitat 145. Vgl. auch die Johanniter-Schwester Hanni Giese, Frauenarbeit an der Front, in: Vor uns der Tag, S. 151–155, hier 151: »Wenn es einmal Krieg gibt, gehe ich auch hinaus!« Minette von Borries schrieb, das äußerlich scheinbar wie bisher weitergehende Leben bedeute »für viele ein größeres Opfer, als wenn sie jetzt Gelegenheit hätten, unmittelbar im Dienste des Vaterlandes zu stehn [!] und Großes, Außergewöhnliches zu vollbringen.« (Borries, Deutsche Christliche Vereinigung studierender Frauen, S. 80).
Freiwillige Übernahme von Aufgaben in der Heimat
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für einzelne Helfer »zugleich als Freude und als Ehrung der Hochschule selbst empfunden«.412 Bei ihrer Hilfe nahmen Lehrende wie Studierende (trotz der betonten Bereitschaft zu subalterner Tätigkeit und deren gelegentlicher Verwirklichung) insgesamt eher eine anleitende Rolle ein: als praeceptores der Verwundeten, die sie sich quasi zu erziehen vornahmen. Und wo möglich, wahrte man die soziale Exklusivität (also in den Genossenschaften freiwilliger Krankenpfleger oder den Helferinnenkursen für Frauen). Dies, wie auch die Einbeziehung der Frauen und Töchter der Dozenten, unterstreicht das eigene Selbstverständnis als besonderer Stand. Dieses Sonderbewußtsein klingt auch in der Selbstdarstellung des Akademischen Hilfsbundes an (dessen Führung anderen studentischen Aktivisten zufolge die Arbeiter sogar herablassend, ja geringschätzig ansah) und wird durch deren praktisches Ziel einer besonderen Fürsorge für Akademiker noch unterstrichen. Doch obwohl diese gleichermaßen Studenten, Absolventen und gegebenenfalls auch Dozenten gelten sollte, rivalisierten Korporationen und Professorenkollegien in der Heimat um die Führung des Hilfsbunds. Schon an den Organisationsfragen bei der Vorbereitung wird der fehlende innere Zusammenhalt sichtbar: Gegensätze, besonders zwischen Korporierten und Freistudenten, waren zu Kriegsbeginn letztlich doch nur überdeckt worden, die innere Fragmentierung der universitas blieb weiter bestehen. Schließlich bekräftigten die zivilen Helfer mit ihrer quasi-militärischen Ordnung in den Genossenschaften freiwilliger Krankenpfleger (und deren Aus staffierung bis hin zu Auszeichnungen) wie auch mit dem Bedauern selbst feinsinniger Dozenten und Studentinnen, nicht ins Feld ziehen zu können, den Vorrang des Militärischen. Wie stark dieser ausgeprägt war, zeigte sich in der ›Stufung‹ der Soldaten in der Betreuung der »Einsamen«: Es war nicht einfach, für Soldaten in der Etappe »Versorger zu finden«, denn »fast alle, die Adressen holten, wollten Soldaten der Front versorgen«.413 So erwies sich die deutsche Universität nicht nur durch die Rhetorik der Vorkriegszeit und die Tradition männlicher Verbindungen, sondern als Ganze letztlich als mental militarisiert.
412 Ficker, Bericht II (1915/16), S. 4. 413 Ficker, Bericht IV (1917/18), S. 21.
5. Totale Mobilisierung? Die Pflicht zum ›freiwilligen‹ Vaterländischen Hilfsdienst Obwohl etwa vier Fünftel der Studentenschaft und ein – im internationalen Vergleich – beträchtlicher Teil der Dozentenschaft Militärdienst leistete und von den übrigen sich viele im zivilen Bereich vor Ort, auf einzelstaatlicher oder Reichsebene nützlich zu machen suchten, konnte dieses Engagement ab dem dritten Kriegsjahr den wirklichen Bedarf nicht abdecken. Mit dem Hindenburg-Programm suchte die Oberste Heeresleitung die Rüstungsproduktion zu steigern, indem sie die allgemeine Wehrpflicht durch eine Dienstpflicht ergänzen wollte. Durch Verhandlungen mit der Reichsregierung sowie Diskussion in der Öffentlichkeit und im Reichstag entstand schließlich das Gesetz über den Vaterländischen Hilfsdienst (5.12.1916), zu welchem alle Männer vom vollendeten 17. bis zum 60. Lebensjahr verpflichtet wurden, sofern sie nicht »zum Dienste in der bewaffneten Macht einberufen« waren (§ 1).1 (Das Gesetz trat mit seiner Verkündung, also am 6.12.1916 in Kraft.) Da die Reichsregierung einen zivilen Arbeitszwang abgelehnt hatte, war das Prinzip formaler Freiwilligkeit äußerlich gewahrt. Zunächst wurde »von Fall zu Fall (…) zu einer genau bezeichneten Tätigkeit« aufgefordert, und dies richtete sich »nur [an] diejenigen Personen (…), die gewillt und nach ihren körperlichen und geistigen Fähigkeiten geeignet sind«.2 Genügte deren Zahl aber immer noch nicht zur Deckung des Bedarfs, ergingen gezielte Aufforderungen an einzelne, die sich daraufhin binnen zwei Wochen einen entsprechenden Arbeitsplatz zu suchen hatten. Taten sie dies nicht, sollte ihnen eine Stelle zugewiesen werden (§ 7). Dabei waren die Familienverhältnisse und bisherige Beschäftigung zu berücksichtigen, und die Bezahlung sollte dem Zivildienstpflichtigen samt seiner Familie einen ausreichenden Lebensunterhalt ermöglichen (§ 8). Für Konfliktfälle gab es einen Schlichtungsausschuß (§ 9), in den Betrieben mußte ab einer bestimmten Größe eine Art Arbeitnehmervertretung eingerichtet werden (§ 11). Entgegen der ursprünglichen Konzeption galt nun aber auch die Arbeit in Behörden, behördlichen Einrichtungen, in der Kriegsindustrie, Land- und Forstwirtschaft, Krankenpflege und Kriegswirtschaft (sowie in allen »sonstigen Berufen oder Betrieben, die für Zwecke der Kriegführung oder Volksversorgung unmittelbar oder mittelbar Bedeutung haben«) per se als Vaterländischer Hilfsdienst (§ 2).3 1 Reichs-Gesetzblatt 1916, S. 1333–1339, Zitat 1333. 2 So die Verfügung des Kriegsamts an die stellvertretenden GKs und Kriegsamtstellen vom 19.12.1916, in: Deist (Hg.), Militär und Innenpolitik, Teil I, S. 545 f. (Hervorh. i. O.) 3 Reichsgesetzblatt (wie A. 1), Zitat S. 1333.
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Schließung der Universitäten – oder Heranziehung zum Hilfsdienst? Im Vergleich zum ursprünglichen Plan der OHL , der sogar die »Schließung von Universitäten, Seminaren usw.« ins Auge gefaßt hatte, »soweit es das unabweisbare Bedürfnis der einzelnen Berufe (Ärzte) zuläßt«, bedeutete diese Regelung eine Anerkennung der Tätigkeit der Hochschulen, die ihnen mit dem ursprünglichen Vorschlag implizit verweigert worden war; denn dort hieß es, der Satz »Arbeit für das Allgemeinwohl ist jetzt Pflicht für alle« begründe keinen Anspruch auf Rechte, »sondern ist höchstens ein Grund für die Existenzberechtigung«. Rhetorisch wurde die in Erwägung gezogene Schließung darüber hinaus aber noch als »Gerechtigkeitsakt« verbrämt, »da jetzt nicht wehrfähige Männer und Frauen den im Felde stehenden kämpfenden Studenten usw. den Rang ablaufen und in Zukunft die Stellen wegnehmen.«4 Diese grundlegende Infrage stellung der Universitäten (mit Ausnahme der Medizinischen Fakultäten) war durch die weite Definition des Hilfsdienstes also nicht nur ausgeräumt, sondern die Universitäten konnten mit Fug und Recht behaupten, daß viele ihrer Angehörigen einen solchen Dienst bereits leisteten: nämlich einerseits qua Amt – als Beamte und Lehrende einer behördlichen Einrichtung –, andererseits individuell durch ihre freiwilligen Tätigkeiten im Interesse von Verwundetenpflege, Kriegswirtschaft und -fürsorge etc.5 Aber damit waren die für die Kriegführung einsetzbaren Ressourcen der Universitäten auch ausgeschöpft. Deshalb bemühte sich das preußische Kultus ministerium, die Abziehung weiterer Lehrkräfte und Studenten zu verhindern; denn dies hätte für manche Institution die Einstellung des Lehrbetriebs zur Folge gehabt. Tatsächlich wurde eine solche Anregung (die also dem ursprünglichen Plan Hindenburgs entsprochen hätte) nach dem Inkrafttreten des Hilfsdienstgesetzes sogar in der liberalen Vossischen Zeitung gegeben.6 Außerdem waren Gerüchte über einen vorzeitigen Semesterschluß im Umlauf. Das hing auch damit zusammen, daß damals auf acht Studierende ein Lehrender kam. Unter Kriegsumständen erschien das als »Verschwendung«. Doch die befürchtete Schließung kleinerer Universitäten auf Kosten größerer würde nicht 4 Es gab auch eine analoge Aussage über jene in der Gesamtbevölkerung, die »in Sicherheit daheim sitzen und leider vielfach nur für ihren Gewinn arbeiten«. Chef des Generalstabes des Feldheeres [Paul] von Hindenburg an den Reichskanzler 13.9.1916, in: Erich Ludendorff (Hg.), Urkunden der Obersten Heeresleitung über ihre Tätigkeit 1916/18, Berlin 1920, S. 65–69, Zitate 67, 66. 5 Übrigens hatte auch der Reichskanzler Bedenken gegen die Schließung gehabt, dies aber vor allem mit der Wirkung einer solchen Maßnahme im Ausland begründet – in einer Zeit, in der in von Deutschen besetzten Gebieten (Flandern und Polen) gleichzeitig neue Universitäten errichtet würden (Der Reichskanzler an den Chef des Generalstabes 30.9.1916, in: Ludendorff [Hg.], Urkunden der Obersten Heeresleitung, S. 70–76, hier 73 f.). 6 Wettmann, Heimatfront Universität, S. 145, 104.
468 Die Universitäten im Kriegseinsatz funktionieren, warnten die Burschenschaftlichen Blätter, da Unterbringungsmöglichkeiten und technische Hilfsmittel fehlten, vor allem aber die Ernährungsschwierigkeiten in den Großstädten dagegen sprächen. (Während das letzte Argument im Winter 1916/17 durchaus realistisch war, erscheint der erste Grund nicht überzeugend, da durch die vielen Einberufungen doch eigentlich Tausende von Unterkünften frei sein mußten.) Auch bestimmte Wissenschaftszweige, die (nur?) an den kleineren Universitäten zuhause seien, würden damit stillgelegt.7 In dieser Situation sahen sich im Dezember 1916 verschiedene Universitäten – die Tübinger, Bonner und die erst 1914 eröffnete Frankfurter – genötigt zu erklären, daß sie nicht geschlossen würden. Und der Berliner Rektor, der wieder einmal für alle sprach, fügte sogar noch hinzu, »eine Schließung der Universitäten wird auch in Zukunft unter allen Umständen vermieden werden.« Er kündigte auch schon an, daß die Universitätsbehörden die Angelegenheit selbst in die Hand nehmen würden, um zwischen dem neu eingerichteten Kriegsamt (das die kriegswirtschaftlichen Maßnahmen zentralisieren sollte und auch die Leitung des Hilfsdienstes hatte) und den Studenten zu vermitteln, um für letztere eine adäquate Beschäftigung zu finden. Doch könne der Rektor einen Aufruf zur freiwilligen Meldung erst erlassen, wenn die Zentralstellen die organisatorischen Maßnahmen zur Durchführung des Gesetzes beendet hätten. (In Würzburg dagegen hatten die Professoren bereits an alle körperlich dazu fähigen Studierenden appelliert, sich freiwillig zu melden; und der Jenaer Rektor hatte Assistenten und fortgeschrittene Studenten der Physik und Chemie per Anschlag zum Dienst in kriegswirtschaftlichen Betrieben aufgefordert.)8 Da die Universitäten »behördliche Einrichtungen« waren, standen alle »Dozenten (…) als solche im vaterländischen Hilfsdienst«. »[D]ie Notwendigkeit dieser Maßregel« müsse auch der »Fernstehende« einsehen, wenn er an die Kliniken »sowie an zahlreiche Universitätsinstitute denk[e], die ständig von den Militärbehörden und wirtschaftlichen Behörden mit wichtigen Aufgaben betraut werden.« Die Studenten dagegen unterlagen der Hilfsdienstpflicht.9 Daher sind die beiden Gruppen auch hier prinzipiell getrennt zu betrachten. Doch scheint dieser Unterschied nicht allen beteiligten Behörden und Betroffenen 7 H. B., Studentenschaft und Hilfsdienst, in: BB 31/1 (WS 1916/17), S. 82–84, hier 84. Zu einem anderen Vorschlag, die Studenten an nur zwei Orten zu konzentrieren, und Jastrows Kritik daran als »Konzentrationslager« s. Kriegs- und Uebergangsbetrieb der Hochschulen, in: HN 27 (1916/17), S. 510 f. 8 Hilfsdienst und Universitäten, in: BB 31/1 (WS 1916/17), S. 88 f. Unter Bekanntmachungen der Universitäts-Behörden ist der gesamte Text des Berliner Rektors auch veröffentlicht in: BAN XI (1916/17), S. 25. Bei Grüner, Die Universität Jena während des Weltkriegs, S. 34 f. ist nur ein Aufruf im Januar 1917 erwähnt. 9 Hochschule und Zivildienst, in: HN 27 (1916/17), S. 512 f., hier 512. (Ob mit der ganzen Passage die Ausführungen des Gießener Rektors in einer Versammlung am 18.12.1916 paraphrasiert sind oder nur die prinzipielle Auslegung von § 2 auf ihn zurückgeht, ist unklar.)
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sofort klar gewesen zu sein. Das Ministerium für Elsaß-Lothringen bat den Kurator jedenfalls zwei Tage nach Inkrafttreten des Gesetzes, zwecks rechtzeitiger Ermittlung aller für den Hilfsdienst Verwendungsfähigen, um »Feststellung der nicht kriegsverwendungsfähigen Lehrer und Studierenden«. Dabei sollte auch ihre Entbehrlichkeit, Eignung für andere Tätigkeiten und Bereitschaft dazu angegeben werden. Eine tatsächliche Heranziehung zum Hilfsdienst stehe »zur Zeit [jedoch] nicht in Aussicht«.10 Erst 12 Tage später bat der Kurator die Universität, nun zur Meldung aufzufordern, und gab auch das Verfahren dafür vor: Beim Rektorat sollten Listen für die Studierenden angelegt werden, von den Fakultäten solche unter den Dozenten in Umlauf gesetzt werden. Das Schreiben enthält einen zunächst etwas kryptisch wirkenden Hinweis, daß der Rektor selbst im Einvernehmen mit dem Stellvertretenden Generalkommando für die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät das Erforderliche ja bereits veranlaßt habe. (Als Botaniker war Ludwig Jost zugleich Mitglied dieser Fakultät.) Bei der Medizinischen Fakultät müsse er nicht aktiv werden, da deren Mitglieder »fast sämtlich im Heeresdienst oder als Aerzte an den Universitätskliniken und Anstalten tätig sind und soweit schon im vaterländischen Hilfsdienst stehen.«11 Offenkundig ging also auch der Straßburger Kurator am 20. Dezember 1916 noch nicht davon aus, daß alle Dozenten per se im Hilfsdienst standen. Ob letztere vom Gießener Rektor bereits am 18. Dezember dargelegte Interpretation12 möglicherweise gar nicht in der Absicht des Gesetzgebers lag und erst von den Universitäten in ihrem eigenen Interesse durchgesetzt werden konnte, muß offenbleiben. Der Straßburger Rektor jedenfalls brachte keinen prinzipiellen Einwand vor, sondern stellte lediglich fest, daß für die Dozenten, solange der Lehrbetrieb weitergehe, nur eine nebenamtliche Hilfsdiensttätigkeit in Frage komme. »(…) an eine Schliessung der Universität wird man ja doch wohl schon wegen des Eindrucks im Ausland nicht denken«. Und wie viele der zu Semesteranfang vor Ort gewesenen ca. 580 Studenten (inzwischen ebenfalls) im Kriegsdienst stünden bzw. für den Hilfsdienst in Frage kämen, lasse sich »aktenmässig nicht feststellen«. Deshalb könne er die Studenten nur per Anschlag auffordern, sich zu melden. Dies sei jedoch erst Anfang Januar möglich.13 Genau während der Weihnachtspause scheint sich dann alles geklärt zu haben – und dabei hatte der Straßburger Rektor offenbar sowohl mündlichen Kontakt mit dem Kurator als auch schriftlichen mit seinen Amtskollegen in Berlin, Leipzig und Halle, auf deren Schreiben er Bezug nahm; denn am 28. Dezember teilte er den Senatsmitgliedern mit: 10 11 12 13
Min. für E-L an Kurator 8.12.1916: ADBR 103 AL 193. Kurator Strb. an Rektor Strb. 20.12.1916: ADBR 103 AL 193. Inhaltlich: wie A. 9, Datum nach dem Jahresbericht in: Schian, Volk, S. 20. Rektor Strb. an Kurator Strb. 21.12.1916: ADBR 103 AL 193.
470 Die Universitäten im Kriegseinsatz »Ich bin durchaus der Meinung, dass der Betrieb unserer Universität trotz des Hilfsdienstes aufrecht zu erhalten ist, so lange wir noch Studenten haben; auch der Herr Kurator vertritt diesen Standpunkt. Deshalb erscheint mir die von der Regierung gewünschte Meldung der Kollegen zum Hilfsdienst verfrüht, zumal ja bis heute noch keine Verwendungsmöglichkeit von Dozenten im Hilfsdienst bekannt gegeben worden ist, in der sie wirklich Nützliches leisten könnten.«14
Zwei Tage nach der Senatssitzung am 8. Januar forderte er die Dekane zwar auf, Meldelisten in Umlauf zu setzen, fügte jedoch hinzu, daß den »nach § 2 des Gesetzes bereits im vaterländischen Hilfsdienst« stehenden und daher »zu weiterer Meldung nicht verpflichtet[en]« Dozenten (nur) »die Möglichkeit [!] geboten werden« solle, »sich freiwillig zur Übernahme einer Tätigkeit bereit zu erklären.« Dafür sollten sie die Art ihres Engagements und die »Zeit (…) bzw. Tagesstunden«, in der sie ihm nachgehen könnten, angeben.15 Schließlich meldete er dem Kurator am 20. Januar 1917: »Der Senat ist der Ansicht, dass die Dozenten bereits im Hilfsdienste stehen, da der Betrieb der Universität unter keinen Umständen eingestellt werden sollte.« Zwar seien die Lehrveranstaltungen unterschiedlich stark besucht, doch alle zustande gekommen, und manche Dozenten läsen auch noch für im Kriegsdienst stehende Kollegen. Auch die Zahlen der in Frage kommenden Studenten hatte der Rektor inzwischen ermittelt.16 Referent im Kriegsamt, dem die Durchführung des Hilfsdienstgesetzes oblag, war in Straßburg der Spezialist für Biochemie und Physikalische Chemie, Honorarprofessor Karl Spiro. Er war dort auch zuständig für die Leitung des gesamten Arbeitsnachweiswesens, den Verkehr mit Einberufungs-Ausschüssen, Hilfsdienst- und Frauenarbeitsmeldestellen sowie die Beobachtung und Beeinflussung der Volksstimmung in Fragen des Hilfsdienst- und Notstandsgesetzes.17
Hilfsdienst der Dozenten Die Ermittlungen des Straßburger Rektors ergaben, daß noch ein beträchtlicher Teil der Kollegen mobilisierbar war. Dafür stellte er der Gesamtzahl der Professoren und Privatdozenten drei Gruppen gegenüber, die für den Hilfsdienst nicht in Frage kamen, weil sie entweder im Kriegs- oder schon im Hilfsdienst standen oder zu alt bzw. krank waren. In der Juristischen Fakultät (mit fünf im 14 Rektor Strb. an Senat 28.12.1916: ADBR 103 AL 194. 15 Rektor Strb. an die Dekane 10.1.1917: ADBR 103 AL 194; Prot. der Senatssitzung vom 8.1.1917 (mit den entsprechenden Beschlüssen): ADBR 103 AL 117. 16 Rektor Strb. an Kurator Strb. 20.1.1917: ADBR 103 AL 193. 17 Organisation und Zuständigkeit der Kriegsamtstelle Strb. i. E. 1.10.1917: ADBR 103 AL 1430. Biogr. Angaben: http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Spiro (5.5.2011).
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Kriegsdienst Stehenden und vier aus Altersgründen nicht Pflichtigen) konnten noch vier Kollegen herangezogen werden: drei Ordinarien und ein Extraordinarius. In der Philosophischen standen im Wintersemester 1916/17 von 45 Hochschullehrern 13 im Kriegsdienst, 11 leisteten schon eine als Hilfsdienst zu klassifizierende Tätigkeit, acht waren zu alt oder krank, so daß 13 übrig blieben. In der Naturwissenschaftlichen Fakultät schließlich standen von 31 Kollegen 13 im Kriegsdienst, sechs waren zu alt oder krank. Auf Aufforderung des Generalkommandos hatten sich bereits am 30. November neun Kollegen (und vier Assistenten) für nicht näher spezifizierte Tätigkeiten gemeldet (was auch die erwähnte kryptische Andeutung im Schreiben des Kurators erklärt). Die Dozenten der Evangelisch-Theologischen Fakultät standen alle als Lazarettgeistliche im Kriegsdienst, von den acht Ordinarien und drei Privatdozenten der Katholischen kamen neun für den Hilfsdienst in Betracht. Sie stellten sich ebenfalls alle für die Seelsorge zur Verfügung oder waren dort bereits tätig. (Auch die Seelsorge hatte der Leiter des Kriegsamts, General Gröner, ja unter »behördliche Einrichtungen« subsumiert!) Der 50jährige Ordinarius für Neues Testament (und Kunstkenner) Ignaz Rohr arbeitete außerdem in den Ferien in einem landwirtschaftlichen Betrieb.18 Gezielte Bitten der Behörden an den Lehrkörper sind nur vereinzelt dokumentiert. Doch wird daraus zumindest das breite Spektrum möglicher Hilfsdiensttätigkeiten deutlich. So fragte das Stellvertretende Generalkommando des XV. Armeekorps am 3. Januar 1918 an, »ob einer [!] der noch zum vaterländischen Hilfsdienst verpflichteten [!] Mitglieder der Universität bereit wäre, ehrenamtlich an der Bearbeitung der beim stellv. Generalkommando befindlichen Sammlung von Feldpostbriefen, Tagebüchern usw. teilzunehmen. Es würde sich außer der Besprechung mit der zuständigen Stelle des Generalkommandos um nicht sehr umfangreiche Arbeiten handeln, die im eigenen Hause erledigt werden können.«19
Das Generalkommando hatte also die prinzipielle Freiheit der Dozenten vom Hilfsdienst nicht verstanden und mit der »ehrenamtlichen« Tätigkeit die eigentlich vorgesehene Vergütung ignoriert. Am erstaunlichsten ist aber, daß es bei 18 Rektor Jost an Kurator (Entwurf o. D.): ADBR 103 AL 194. Die hier erwähnten Erläuterungen (mit in Details auch von dem tabellarischen Befund abweichenden Daten) gingen, im Gegensatz zu den Angaben über die Studenten, in das Schreiben des Rektors an den Kurator vom 20.1.1917 (ADBR 103 AL 193) nicht ein. – Biogr. Angaben zu Rohr nach BBKL 8 (1974), Sp. 585–590 (Christoph Schmitt). Ob es sich dabei z. B. um Mitarbeit in einem Familienbetrieb handelte, konnte nicht geklärt werden; R.s soziale Herkunft ist in BBKL nicht angegeben. Zur »Seelsorge« als »behördliche Einrichtung« s. Max von Schulz, Das Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst, Berlin 1917, S. 54 (aus der Reichstagssitzung 29.11.1916). 19 Stellv. GK XV. Armeekorps an Rektor Strb. 3.1.1917: ADBR 103 AL 194.
472 Die Universitäten im Kriegseinsatz der Anfrage nicht um ein dringendes Erfordernis der Kriegführung ging, sondern um die Gestaltung des Bildes eines bestimmten Armeeverbandes für die Öffentlichkeit oder die Nachwelt – vielleicht sogar auf Kosten der aktiven Kriegsanstrengungen? Diese Aufgabe übernahm der 59jährige Altphilologe Eduard Schwartz (dem die psychisch-mentale Anspannung im Krieg eine Konzentration auf seine diffizile philologische Forschung ja unmöglich machte).20 Im April kam das Stellvertretende Generalkommando auf die Tätigkeit von Lehrenden in der Telegrammüberwachung zu Beginn des Krieges zurück. Da sich einige auch jetzt wieder zu diesem ehrenamtlichen Dienst bereiterklärt hätten, bat die lokale Militärführung den Rektor, diese Herren namhaft zu machen. Ob eine solche Erklärung tatsächlich vorlag oder diese Behauptung evtl. als subtiles Druckmittel zu deuten ist, muß offenbleiben. Der Rektor ließ jedenfalls eine Liste zirkulieren, auf der er gezielt nach der Bereitschaft fragte. »Ich würde es im Interesse der Universität dankbar begrüssen, wenn wir einige Hülfskräfte namhaft machen könnten.« Nur vier der 17 Angesprochenen erklärten sich aber schlicht dazu »bereit«, zwei weitere mit gewissen Einschränkungen, hinter einer Gruppe von sieben Namen fand sich die zusammenfassende Antwort: »zur Zeit wegen Arbeitsüberlastung leider nicht möglich«, einem war es »zur Zeit« ohne Begründung (und ohne Bedauern!) unmöglich, ein anderer war verreist, beim dritten stand die Einberufung bevor.21 Der Rektor meldete also die vier ohne Einschränkungen bereiten weiter, strich den durch seine Dekanatsgeschäfte beanspruchten Germanisten Franz Schultz, nannte aber den Soziologen Georg Simmel mit den von diesem selbst angegebenen zeitlichen Einschränkungen (durch Vortragsreisen zugunsten der Kriegsfürsorge). Er schloß mit den Worten: »Falls noch weitere Kräfte erforderlich sein sollten, bitte ich um gefällige Mitteilung, da gegenwärtig noch mehrere Herren in Ferien abwesend sind.«22 Der Rektor wollte also die Universität auf jeden Fall als einsatzbereit darstellen. Doch die örtliche Militärführung gab sich damit noch nicht zufrieden. Unter Bezug auf den Referenten der Kriegsamtstelle Spiro, der auf 20 evtl. noch in Frage kommende Kollegen hingewiesen hatte, fragte sie bei der Universität nach. Der Rektor sah sich dadurch offenbar unter Rechtfertigungsdruck: Er habe »wiederholt eine Rundfrage bei den in Betracht kommenden Mitgliedern 20 Rektor Strb. an Stellv. GK 30.1.1917: ADBR 103 AL 194. Zur Einstellung seiner wissenschaftliche Tätigkeit s. o. S. 217. 21 Zuordnung eines weiteren Namens (zur Siebener-Gruppe?) unklar. Stellv. GK an Rektor 21.4.1917 (mit Vermerk des Rektors 25.4.1917, Liste und Stellungnahmen): ADBR 103 AL 194. 22 Rektor an Stellv. GK 26.4.1917 (Entwurf): ADBR 103 AL 194. Zu Schwartz s. NDB 23 (2007), S. 797–799 (Wolfhart Unte). Zu Simmels Reisen: Simmel an Rektor 25. oder 26.4.1917: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 771 (mit Kommentar). Simmel arbeitete dann tatsächlich wieder – wie zu Kriegsbeginn – einige Stunden pro Woche in der Telegrammüberwachung (Simmel an Anna Jastrow 11.5.1917, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 785).
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des akademischen Lehrkörpers angestellt«. Als Ergebnis konnte er jetzt auf sieben Kollegen hinweisen, die bereit waren, sich mehrmals in der Woche einige Stunden in der Telegrammüberwachung zu betätigen, zwei allerdings nur »versuchsweise.« »Im übrigen bemerke ich, dass die von H. Prof. Spiro aufgestellte Liste nicht mehr zutrifft.«23 Ob der Rektor nur infolge der Beharrlichkeit der Behörden (und der sich entziehenden Kollegen) leicht gereizt reagierte oder ob hinter diesen Bemerkungen andere Spannungen innerhalb des Lehrkörpers standen, ist unklar. Bei Karl Spiro handelte es sich jedenfalls um einen renommierten und höchst produktiven Biochemiker, der es, vermutlich wegen seines Judentums, doch nie zu einer beamteten Professur gebracht hatte, als 50jähriger immer noch die Stelle eines »ersten Assistenten« am Physiologisch-Chemischen Institut bekleidete und sich nur mit dem Honorarprofessoren-Titel der Medizinischen Fakultät schmücken konnte.24 Schließlich mußte der Rektor auf Bitte des Militärs bei den zur Telegrammüberwachung bereiten Kollegen sogar noch die Zeit für eine gemeinsame Anfangsbesprechung ermitteln.25 Am selben Tag, als er diese Angelegenheit regelte, erhielt er die Anfrage des Kriegswirtschaftsamts Elsaß-Lothringen, das einen zweiten Referenten für seine technisch-landwirtschaftliche Abteilung suchte: »Erwünscht ist ein Landwirt von Beruf mit möglichst abgeschlossener Vorbildung, der zugleich mit elsasslothringischen Verhältnissen einigermassen vertraut ist. Absolute Bedingung sind diese Forderungen aber nicht.« Daher bat es um die Adressen von Hilfsdienstpflichtigen oder »studierten Berufslandwirten« oder Naturwissenschaftlern. Der Rektor legte diese Anfrage dem auf Agrargeschichte und Agrarrecht spezialisierten Extraordinarius für Politische Ökonomie, Werner Wittich, vor. Dieser stimmte zu, sich dem Kriegsamt zur Verfügung zu stellen, soweit es seine Zeit erlaube – teilte dies dem Rektor aber erst mit, nachdem er sich mit 23 Dabei hatte der Rektor die Aussage durch Streichung von »ganz« in der endgültigen Fassung deutlich verschärft. Stellv. GK XV. Armeekorps an Rektor Strb. 7.5.1917; Rektor an Stellv. GK 12.5.1917 (Entwurf). Zum Versuch der Mehrheit der Angesprochenen, sich zu entziehen, s. die Vermerke auf dem Schreiben des Rektors an zahlreiche Kollegen vom 9.5.1917 (das wohl im Umlaufverfahren beantwortet wurde). Alle: ADBR 103 AL 194. 24 PV KWU Strb. SS 1917, S. 4, 12. Seine wissenschaftlichen Leistungen und menschlichen Qualitäten werden in selbst für Nachrufe von Verehrern ungewöhnlicher Intensität aufgeführt von: Leon Asher, Karl Spiro †, in: Klinische Wochenschrift 1932, S. 702 f.; Franz Leuthardt, Karl Spiro, in: Kolloid-Zeitschrift 59 (1932), S. 257–263 (mit Schriftenverzeichnis Spiros S. 258–263); H. T. F., Obituary Notice. Karl Spiro, in: Biochemical Journal 27 (1933), S. 1 f. Mehr als die Andeutung, Spiro habe nach der Vertreibung aus dem Elsaß in Deutschland keine Stelle finden können und sich deshalb in die Schweiz gewandt (wo er zuerst bei dem Konzern Sandoz arbeitete und 1921 einen Ruf auf ein Basler Ordinariat erhielt), ist diesen Quellen nicht zu entnehmen. Spiros Konfession ist nachgewiesen in: Jüdisches Lexikon IV/2, Sp. 559. Zur Straßburger Honorarprofessur s. o. Kap. II.3 mit A. 22. 25 Rektor an Prof.s Hofmeister, Henning, Schur, Döderlein, Wellstein 18.5.1917 (mit deren Vermerken): ADBR 103 AL 194.
474 Die Universitäten im Kriegseinsatz dem Anfrager direkt in Verbindung gesetzt hatte.26 Da Wittich aber weder »Berufslandwirt« noch Naturwissenschaftler war und außer der Universität auch verschiedene andere Stellen im Reichsland dieses Schreiben erhielten, scheint auch hier das Anliegen des Rektors, den Beitrag seiner Institution zur Kriegführung zur Geltung zu bringen, ausschlaggebend. Als weitere, dem Hilfsdienst zuzurechnende Tätigkeit, kam im Lauf des Jahres der »Vaterländische Unterricht« dazu, für den im Elsaß früher als anderswo eine besondere Organisation geschaffen wurde.27 Gegen Ende des Jahres wurde die Meldepflicht zum Hilfsdienst verschärft: Nun waren auch die Bediensteten des Reichs, der Einzelstaaten, Orts- und Kirchengemeinden zur Meldung verpflichtet, wenn sie die Wohnung wechselten oder vorübergehend aus dem Dienst ihrer Behörde ausschieden. Von den dafür vorgedruckten Karten, die den Meldepflichtigen das persönliche Aktivwerden ersparen sollten,28 wurden laut Rapport des Kurators vom 24. Dezember (!!) 1917 35 an Universitätsangehörige verteilt und – ausgefüllt – »fristgerecht dem Polizeirevier übergeben«.29 Daß sie innerhalb der Universität nach Fakultäten und Instituten versandt wurden, belegt, wie stark die einzelnen durch die Institution kontrolliert wurden. Sogar manche Ausländer scheinen – vielleicht versehentlich – angeschrieben worden zu sein; denn hilfsdienstpflichtig waren (seit April 1917) nur Angehörige der österreichisch-ungarischen Monarchie.30 Der Privatdozent und Assistent am Chemischen Institut Paul Ruggli gab seine Karte unausgefüllt zurück, weil er als Schweizer Staatsbürger nicht meldepflichtig sei. Doch da er »freiwillig und privatim gern zur Übernahme von Arbeiten bereit« war, wurde ihm zusätzlich »praktischer Unterricht im chemischen Institut« übertragen. Damit ermöglichte der Schweizer die Freistellung eines deutschen Kollegen für den Hilfsdienst. Trotzdem fühlte er sich genötigt, am 18. Dezember 1917 noch hinzuzufügen: »Ich bin gegenwärtig während des ganzen Tages beruflich voll beschäftigt – in etwaigen Freistunden halte ich Vorträge in Lazaretten, – könnte also weitere Arbeiten nur übernehmen, sofern ein Teil meiner gegenwärtigen Tätigkeit fortfiele, was nur im Einverständnis mit Herrn Professor Thiele geschehen könnte.«31 26 Kriegswirtschaftsamt E-L 12.5.1917 [ohne Adressat; über Verteiler]; Wittich an Rektor Strb. 16.5.1917: ADBR 103 AL 194. 27 S. dazu unten Kap. III .6. 28 Die Bekanntmachung vom 13.11.1917 ist abgedruckt in: W[alter] von Bremen, Der Vaterländische Hilfsdienst, Berlin o. J. [1918], S. 24–29, hier 27 (§ 9 Abs. 3) und 25 (§ 4 Absatz 1 Satz 1). 29 Min. für E-L an Kurator 6.12.1917 (mit Vermerk des Kurators 24.12.1917): ADBR 103 AL 193. 30 Die Verordnung ist abgedruckt bei: Bremen, Hilfsdienst, S. 24. Als Erläuterung s. auch Eugen Schiffer/Joh[annes] Junck (Hg.), Der vaterländische Hilfsdienst. Erläuterungen und Materialien, Berlin 1917, S. 11. 31 P. Ruggli an Rektorat Strb. 18.12.1917: ADBR 103 AL 193.
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Gerade weil die Straßburger Äußerungen so ausführlich dokumentiert sind, belegen sie, wie gering das zusätzliche Engagement und vor allem die Bereitschaft der Lehrenden zum Vaterländischen Hilfsdienst war. Dieser Eindruck bestätigt sich beim Blick auf die beiden anderen Universitäten: In Gießen waren es nur einzelne, die sich wie Robert Sommer und Karl Wimmenauer in der Stadtverordnetenversammlung (schon seit der Vorkriegszeit!) oder in neuen zeitbedingten Gremien engagierten: Der Jurist Leist als Leiter der städtischen Preisprüfungsstelle, der Agrikulturchemiker Wilhelm Kleberger als Mitglied des Lebensmittelausschusses der Stadt, beide bereits vor Einführung des Hilfsdienstes in dieser oder verwandten Aufgaben tätig, der Oberbibliothekar der Universitätsbibliothek Karl Ebel in drei Ausschüssen: für Kriegswohlfahrtspflege, für die Lebensmittelversorgung und zur Unterstützung der Familien der Einberufenen.32 Insofern veränderte das Gesetz über den Vaterländischen Hilfsdienst den Beitrag der Lehrenden zur Kriegführung nicht nennenswert: weder quantitativ noch qualitativ. Auch in Berlin (wo der freiwillige Dauereinsatz ja ohnehin zurückgegangen war) übernahmen nur einzelne noch neue Tätigkeiten. So war der Agrar ökonom und Titularprofessor Heinrich Dade Mitglied des Ausschusses zur Förderung der Landwirtschaft beim Kriegsamt und Kriegsernährungsamt und Mitglied des Kuratoriums der Reichsgetreidestelle, des Beirats der Reichsbekleidungsstelle, der Prüfungsstelle und einiger Kriegsausschüsse. (Mehr bewirkt haben dürfte er aber in seiner hauptamtlichen Tätigkeit: Seit über 20 Jahren war er Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landwirtschaftsrates.)33 Der Historiker Walther Vogel wurde Hilfsarbeiter beim Stabe des Kriegsamts.34 Sein Fachkollege Walter Norden übernahm eine Hilfsdiensttätigkeit beim Magistrat – und verlagerte, vielleicht aufgrund dieser Erfahrungen, seinen wissenschaftlichen Schwerpunkt: 1922 wurde er mit Kommunalverwaltungslehre beauftragt und gründete 1928 das Kommunalwissenschaftliche Institut (wurde jedoch 1933 aus rassistischen Gründen entlassen).35 Der Soziologe Alfred Vierkandt wurde nun Hilfslehrer am Schillergymnasium.36 Auch sofern nicht aus32 Anderhub, Antoniterkreuz in Eisen, S. 87 f. A. 47. 33 Die FWU im Kriege 1916/17, S. 17. Biogr. Angaben: Professor Dr. Dade †, in: Zentralblatt des Deutschen Landwirtschaftsrates und der Preußischen Hauptlandwirtschaftskammer 23 (1924), S. 1. Ergänzend: http://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Dade (28.7.2011). 34 Die FWU im Kriege 1916/17, S. 19. Biogr. Angaben: Wolfgang Weber, Biographisches Lexikon zur Geschichtswissenschaft in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Lehrstuhlinhaber für Geschichte von den Anfängen des Fachs bis 1970, Frankfurt u. a. 1984, S. 622 f. 35 Die FWU im Kriege 1916/17, S. 18. Biogr. Angaben: Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, München 1999, S. 244, 371; ergänzend: http:// de.wikipedia.org/wiki/Walter_Norden (28.7.2011). 36 Die FWU im Kriege 1916/17, S. 19. Biogr. Angaben: http://www.sammlungen.hu-berlin.de/ dokumente/6856/ (28.7.2011); Ergänzungen: http://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Vierkandt (28.7.2011).
476 Die Universitäten im Kriegseinsatz drücklich erwähnt, liegt es durch das Geburtsjahr, die Tätigkeit und/oder die Einsatzstelle (Kriegsamt) auf der Hand, daß es sich um Vaterländischen Hilfsdienst handelte. Und der jüngste dieser Privatdozenten der Philosophischen Fakultät wurde dann im letzten Kriegsjahr sogar noch Soldat: der 1870 geborene Walther Vogel. Einer ihrer Kollegen dagegen setzte seine frühere Tätigkeit fort, die nur durch die Reorganisation innerhalb des Kriegsministeriums nun dem neugeschaffenen Kriegsamt zugeordnet war (Franz Oppenheimer).37 Anders als der Heidelberger Mediävist Karl Hampe, der sich während der Vorbereitung des Hilfsdienstgesetzes einen solchen Dienst als Abwechslung fast wünschte,38 hielt sich die Mehrheit der Professoren der Universitäten Berlin, Straßburg und Gießen nach Inkrafttreten des Gesetzes mit ihrem Engagement also eher zurück.
Der Hilfsdienst der Studenten Die Reaktionen der Studierenden scheinen etwas eifriger gewesen zu sein. Schon während der Vorbereitung des Gesetzes ging von der Universität Tübingen (wo bereits seit 1915 ein äußerst aktiver »Nationaler Studentendienst« existierte) die Anregung aus, daß sämtliche Hochschulen gemeinsam auftreten und daher die Universitäten Berlin, Halle (wo damals die Geschäfte der Rektorenkonferenz geführt wurden) und Leipzig einen entsprechenden Aufruf ausarbeiten sollten. Doch das stieß nicht überall auf positive Resonanz. Die Jenaer betonten, daß man den Hilfsdienst tatkräftiger fördern könne, wenn man die Ausführungsbestimmungen abwarte und sich dann rechtzeitig mit den Amtsstellen in Verbindung setze. Erst dann solle sich jede Universität an ihre Studentenschaft wenden.39 Der Leipziger Senat lehnte den Tübinger Vorschlag ab, weil er fürchtete, daß die Abhaltung vom Studium bald einen Mangel an Geistlichen, Ärzten und Lehrern bewirken werde.40 Und sogar der preußische Kultusminister ermahnte die Universitäten anfangs zur Zurückhaltung.41 Ende Dezember legte dann das Kriegsamt das Verfahren fest: Die Meldungen der Studierenden sollten »grundsätzlich durch die Hand« des Rektors weitergeleitet werden, der »sich dabei gleichzeitig über Zweckmäßigkeit und Art der Verwendung« zu äußern
37 Die FWU im Kriege 1916/17, S. 18. Genauer zu seiner früheren Tätigkeit s. o. S. 426. 38 »Uns Universitätsprofessoren wird es zunächst wohl nicht wesentlich betreffen, so gern man vielleicht auch einmal eine Berufsabwechslung hätte« (Hampe, Kriegstagebuch, S. 466 [21.11.1916]). 39 Grüner, Die Universität Jena während des Weltkriegs, S. 32. 40 Gätke-Heckmann, Universität Leipzig im Ersten Weltkrieg, S. 150 f. 41 Sie sollten zunächst weitere Mitteilungen abwarten. Schreiben vom 6.12.1916, also genau vom Tag des Gesetzes! (Wettmann, Heimatfront Universität, S. 146).
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hatte. Außerdem sollten Studierende (und Schüler!) »tunlichst nur an Orten« beschäftigt werden, »wo sich ihrem Bildungsgang entsprechende Lehranstalten befinden, um den jungen Leuten die Gelegenheit zu geben, ihre wissenschaftliche Weiterbildung zu betreiben.«42 Das war offenbar das Ergebnis von Verhandlungen zwischen dem Kriegs- und dem preußischen Kultusministerium. Im Januar riefen die preußischen Rektoren die Studenten auf Anweisung des Kultusministers zwar zur freiwilligen Meldung auf, wiesen aber zugleich darauf hin, daß sie bis zu einer eventuellen Einberufung ihr Studium fortsetzen sollten.43 Auch das sächsische Ministerium, das zunächst keine Notwendigkeit für eine freiwillige Meldung gesehen hatte, änderte seine Haltung und wies die Universität nun an, die Studenten zur Meldung im Rektorat (!) aufzufordern.44 Wie es scheint, folgte es dem von Preußen gesetzten Modell. Auch die Studenten selbst begrüßten das Gesetz allenfalls verhalten. Dies wird besonders deutlich an den Korporationszeitschriften. In den Akademi schen Blättern des Verbands deutscher Studenten (Kyffhäuser-Verband) fand Hans Roeseler in der Ausdehnung »des Dienstes an der Gemeinschaft« zwar einen »erzieherischen Wert«, damit jene, die nicht eingezogen waren, sich nicht nur »um ihre Persönlichkeit und ihr Studium« drehten. Doch er forderte, daß (an die Universität zurückgekehrte) Kriegsbeschädigte nicht ein zweites Mal zur Unterbrechung des Studiums genötigt werden dürften. Und er brachte auch Gesichtspunkte der Effektivität in die Diskussion ein: »Wirklich erfolgreiche Verwendung werden doch nur die älteren Studierenden finden: ältere Techniker, Physiker, Chemiker als Werkmeister usw. in den betreffenden Fabriken, ältere Mediziner als Assistenten, ältere Philologen und Theologen als Hilfslehrer, ältere Juristen und Nationalökonomen als Assistenten im Kriegswirtschaftsleben.«
Alle anderen seien nur beschränkt zu gebrauchen und sollten deshalb weiterstudieren.45 Das programmatische Pendant in den Burschenschaftlichen Blät tern forderte eine »gewisse Zentralisierung und Organisierung«, um »unzweckmäßige Kräfteverschwendung und ein Durcheinander« zu vermeiden. Eine Gesamtorganisation der Studentenschaft (wie sie im Akademischen Hilfsbund schon bestehe) solle zusammen mit dem Kriegsamt ein einheitliches und zielführendes Vorgehen erarbeiten, damit die Studenten da eingesetzt würden, »wo 42 Der Erlaß vom 30.12.1916 ist abgedruckt in: ZBUPr 1917, S. 243; auch bei: Schiffer/Junck (Hg.), Der Vaterländische Hilfsdienst, S. 117. 43 Wettmann, Heimatfront Universität, S. 146 f. Anweisung des Pr. KuMi an die Kuratoren (nicht, wie bei Wettmann behauptet, des Kriegsamtes an die Rektoren) vom 11.1.1917 in: ZBUPr 1917, S. 243 f. 44 Gätke-Heckmann, Die Universität Leipzig im Ersten Weltkrieg, S. 151. 45 Hans Roeseler, Die Zivildienstpflicht und die Studierenden, in: AB 31 (1916/17), S. 262 f., Zitat 262.
478 Die Universitäten im Kriegseinsatz sie dem Vaterland am besten nützen, und wo sie zugleich ihrem Studium und ihrer gewählten Laufbahn am wenigsten entfremdet werden.«46 Ende Januar 1917 wurden die Kriegsamtstellen angewiesen, sich »unter Bezeichnung der Beschäftigung (…), für welche Studierende (…) heranzogen werden sollen«, an die Rektoren zu wenden, damit diese »die geeigneten Kräfte auswählen« können.47 Insgesamt hatten die deutschen Universitäten bis März 1917 »zum Teil aus eigener Initiative, zum Teil auch infolge kriegsministerieller Anregung, das Meldewesen für den vaterländischen Hilfsdienst selbst in die Hand genommen.«48 Der Erlaß des Kriegsamts vom 13. März 1917 kehrte die Regelung von Ende Januar, die er zu »ergänzen« vorgab, um, weil nun die Fähigkeiten oder Persönlichkeiten der einzelnen Freiwilligen der Ausgangspunkt waren, nicht mehr die zu besetzenden Stellen: Die Rektoren legten den Kriegsamtstellen die »durchgeprüften Anmeldungen der Studierenden und Schüler vor«. Auf dieser Grundlage prüften jene dann die Betriebe ihres Bezirks daraufhin, ob mithilfe dieser Studierenden eine Umstellung der Arbeit erfolgen und bisher dafür »reklamierte Kräfte« eingespart, also dem Militärdienst zurückgegeben werden könnten. Die Namen der Freiwilligen, die dann noch übrig blieben, sollten den Zentralstellen übermittelt und von dort auf andere unbesetzte Arbeitsplätze weiterverteilt werden.49 Diese Regelung übernahm dann wiederum das Preußische Kultusministerium und gab sie mit eigenen Erlassen weiter.50 Ende 1917 verfügte das Kriegsamt schließlich, daß Studenten nur nach Anhörung des Rektors zum Hilfsdienst herangezogen werden sollten und ihnen dabei die Möglichkeit zur wissenschaftlichen Weiterbildung gewahrt bleiben müsse.51 Betrachtet man die einzelnen Universitäten, so werden in der Praxis sowohl deutliche Unterschiede als auch gemeinsame Haltungen deutlich: Im preußischen Marburg erhielt der Rektor am 29. Dezember 1916 von der zuständigen Kriegsamtstelle die mündliche Auskunft, daß kein dringender Bedarf an Hilfskräften bestehe, ja die Studenten sogar vor einer unüberlegten Annahme von Hilfsdienststellen gewarnt werden müßten. Einen Tag später empfahl ein Ministerialdirektor dem Rektor sogar, die Studenten »zu bremsen«. Die erste der beiden Nachrichten gab der Rektor in seinem Aufruf vom 2. Januar an die Studenten weiter, ermahnte sie also, eine Anstellung im Hilfsdienst nur nach »sorgfältiger Prüfung« anzunehmen und sich im übrigen, ob sie sich nun schon gemeldet hatten oder erst melden wollten, in einer besonderen Beratungsstelle 46 H. B., Studentenschaft und Hilfsdienst (wie A. 7), S. 84. 47 Der Erlaß vom 26.1.1917 ist abgedruckt bei Schiffer/Junck (Hg.), Der vaterländische Hilfsdienst, S. 136. 48 Vom Kriegshilfsdienst der Studenten, in: BB 31/1 (WS 1916/17), S. 184 f., Zitat 184. 49 Der Erlaß vom 13.3.1917 ist abgedruckt bei Schiffer/Junck (Hg.), Der vaterländische Hilfsdienst, S. 176. 50 ZBUPr 1917, S. 498 f. (10.7.1917). 51 Erlaß des Kriegsministeriums/Kriegsamts vom 3.12.1917, in: ZBUPr 1918, S. 305 f.
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mit täglicher Sprechstunde dafür im Rektorat einzufinden.52 Ein flammender Aufruf läse sich anders… Als die preußischen Universitäten kurz danach die Anweisung erhielten, die Studierenden zum Hilfsdienst aufzufordern,53 verzichtete der Marburger Rektor sogar auf eine weitere Bekanntmachung. Selbst wenn man berücksichtigt, daß die kleine Stadt nur zwei kriegswichtige Industriebetriebe aufzuweisen hatte, erstaunt diese ausgeprägte Zurückhaltung. In dem nur eine halbe Stunde entfernten großherzoglich-hessischen Gießen, dessen Studentenschaft noch um 40 % kleiner war als die Marburger,54 verhielt sich der Rektor, der Theologe Schian, ganz ähnlich wie sein nur ein Jahr jüngerer Marburger Juristenkollege (der im Gegensatz zu ihm allerdings selbst am Krieg teilgenommen hatte und schwer verwundet worden war).55 Zunächst verkündete Schian, ähnlich wie die Rektoren anderer kleiner Universitäten, daß der Lehrbetrieb »unter allen Umständen« ohne Einschränkungen weitergeführt und das Semester nicht vorzeitig beendet werde.56 Hier, wie auch in seinem zur Jahresfeier Mitte 1917 erstatteten Rechenschaftsbericht, war seine Hauptsorge also, daß der Hilfsdienst »anfangs den Fortbestand der Universität während des Krieges überhaupt in Frage zu stellen schien«. Obwohl sich die Zahl der »ihren Studien Obliegenden« tatsächlich »weiter vermindert« hatte, war dies jedoch nicht eingetroffen. Zwar hielt es der Rektor für möglich, daß sich die Wirkung des Hilfsdienstgesetzes nach Semesterende »noch stärker bemerkbar machen« werde. »Aber die Fortführung des Unterrichts ist auch für die letzte Kriegszeit durchaus gesichert; an Schliessung der Universität ist auch nicht entfernt zu denken.« Die Aktivitäten zur Durchführung des Hilfsdienstes streifte er dagegen kaum: Schon am 18. Dezember 1916 hatte Schian in einer allgemeinen Studentenversammlung die Anforderungen des Gesetzes dargelegt, einen baldigen Aufruf an die Studenten angekündigt und versprochen, daß die Universität selbst eine Zentralstelle für deren Meldungen einrichte.57 Später faßte er die Richtlinien dafür, die die Universität mit der Nebenstelle des Kriegsamts in Frankfurt a. M. abgesprochen hatte, zusammen und versandte sie am 2. Februar 1917 mit einem Rundschreiben über das Universitätssekretariat.58 Demnach sollten in 52 Wettmann, Heimatfront Universität, S. 242. 53 S. als Beispiel etwa den Aufruf der Universität Königsberg bei der Immatrikulationsfeier zum SS 1917: In diesem Existenzkampf sei die Wissenschaft eher zweitrangig, daher sollten sich die Studenten dem Vaterländischen Hilfsdienst zur Verfügung stellen (Tilitzki, Albertus-Universität Königsberg, S. 437). 54 Marburg hatte im Wintersemester 1914/15 2078 Immatrikulierte (Wettmann, Heimatfront Universität, S. 379), Gießen 1232. 55 Über Franz Leonhard s. Wettmann, Heimatfront, S. 241 A.172. 56 Anderhub, Antoniterkreuz in Eisen, S. 47 (nach GA 15.12.1916). 57 Studentenversammlung in Gießen über Hilfsdienst und Studentendienst, in: BB 31/1 (WS 1916/17), S. 101 f. 58 Schian, Volk, S. 20.
480 Die Universitäten im Kriegseinsatz Gießen keine Kriegsbeschädigten und keine Studenten höherer Semester zum Hilfsdienst herangezogen werden. Die übrigen Freiwilligen sollten ihren Dienst halbtags oder in den Ferien leisten. Zwangseinziehungen dürfe es nur nach einer Verständigung darüber mit dem Rektor geben. Durch grundsätzliche Aus nahmen für weitere Gruppen schränkte die Universität den Kreis der Infragekommenden bald noch weiter ein: Im April schloß man von den etwa 200 anwesenden Studenten die Mediziner und viele Kriegsversehrte von der Verwendung im Hilfsdienst aus, vorerst auch die 47 Studentinnen. Deshalb rechnete man nicht mit einer größeren Zahl von Verpflichtungen.59 Auch im 48seitigen gedruckten Weihnachtsgruß an die Studenten im Felde (1917) wurde der Hilfsdienst zunächst wieder als möglicher Anfang vom Ende des Universitätslebens dargestellt: »Hunderte unserer Kommilitonen stehen im Felde; wenn nun die letzten noch dem Hilfsdienst zuströmten, wie sollten Vorlesungen und Seminare ihre Besucher finden?« schrieb Schians Amtsnachfolger, der Agronom Gisevius (der selbst zwei Jahre lang Kriegsdienst geleistet hatte). Er lobte dann aber das Einsehen der Militärbehörden und fuhr fort: »Andere Studierende sind selbstverständlich, soweit irgend möglich, in den Hilfsdienst eingetreten; aber es gelang ihnen in vielen Fällen, Hilfsdienst und Studium zu verbinden. Freilich, das kostet doppelte Arbeit. Da ist jetzt mehr als einer [!!], der des Vormittags, vielleicht gar auch noch am frühen Nachmittag in einem der Dörfer der Umgegend von Gießen des Amtes als Lehrer der Schule waltet, und der nachher in angestrengtem Fußmarsch oder mit der Bahn der alten Musenstadt zustrebt, um in den Abendstunden ein paar Vorlesungen zu hören und ein Seminar mitzumachen.«60
Bedenkt man, daß Schian im Sommer 1917, also gut sechs Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes, nur über die vorbereitenden Regelungen gesprochen hatte und in Gisevius’ Bericht im Sommer 1918 vom Hilfsdienst überhaupt nicht mehr die Rede war, kann man nur die Schlußfolgerung ziehen, daß die Gießener Studenten sich nur in geringem Umfang daran beteiligten; denn sonst hätte man den Hunderten im Feld ja stolz die Dutzende von Hilfsdienstleistenden (unter nur 200 anwesenden Immatrikulierten) gegenüberstellen können. Anfang April 1917 verzeichnete eine Gießener Liste jedenfalls nur fünf Studenten im Vaterländischen Hilfsdienst.61 59 Beide Schreiben sind zusammengefaßt bei Anderhub, Antoniterkreuz, S. 47 f. 60 Weihnachtsgruß der Universität Gießen, S. 19. Zum Kriegsdienst des 56jährigen Gisevius s. o. S. 357. 61 Anderhub, Antoniterkreuz, S. 88 A. 51. Seiner Schlußfolgerung, daß »aber damals bedeutend mehr Studenten halbtägig Hilfsdienst geleistet haben« müßten, ist angesichts der obigen Analyse jedoch nicht zuzustimmen. Das Dokument (wie auch die anderen zum Hilfsdienst der Männer erwähnten) konnte, auch mit Hilfe intensiver Bemühungen der Archivleiterin, Dr. Eva-Marie Felschow, nicht gefunden werden. Das genannte Faszikel (bei Anderhub UP 159) trägt nach der Neuordnung des Bestandes die Signatur PrA 1093,
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Der Straßburger Rektor berief die Studenten bereits für den 9. Januar 1917 zu einer Versammlung ein.62 Die Aufforderung zur Registrierung schickte er ihnen am 11. Januar in Form eines gedruckten Formulars zu. Die dabei gewählten Erläuterungen lassen sich evtl. als vorsichtige Distanzierung vom Drängen der Regierung lesen: »Das Ministerium wünscht zu wissen, welche Studierende bezüglich des Vaterländischen Hilfsdienstes in Betracht kommen«, heißt es einleitend. Und am Ende machte er die Studenten darauf aufmerksam, daß es in ihrem »eigenen Interesse lieg[e], wenn Sie jetzt Ihre besonderen Wünsche bezüglich einer etwaigen Verwendung im Hilfsdienste aussprechen können.«63 Doch empfahl der Rektor selbst den Studenten Zurückhaltung bei der Meldung – und zwar in Übereinstimmung mit dem Stellvertretenden Kommandierenden General, der die Auffassung vertrat, sie sollten nicht in subalternen Tätigkeiten beschäftigt werden; es würden sich später gewiß noch andere finden.64 Vermutlich machte der Rektor auch einen entsprechenden Aushang. Er erwarte noch Mitteilungen der Kriegsamtstelle über »passende Verwendung« der Studenten. Der Satz »Hilfsdienstpflichtige Studierende, die sich nicht in die Liste eingetragen haben, werden gebeten dies baldigst zu tun« ist in dem Entwurf sogar komplett durchgestrichen!65 Doch wuchs der Druck hier in Straßburg offenbar bald: Ende Februar sandte die zuständige Kriegsamtstelle der Universität eine Liste der Studierenden, »die noch nicht im Hilfsdienst tätig sind und ersucht[e] um Angabe des Geburtsortes, Geburtsdatums, sowie des Militärverhältnisses in den aufgeführten Rubriken.«66 Am 10. März erwartete der Rektor die »Einziehung (!) unserer Studenten zum Hilfsdienst (…) in der nächsten Zeit«.67 Tatsächlich scheint dies aber nicht in größerem Umfang erfolgt zu sein. Im Sommer richtete der Rektor erneut eine Anfrage an die männlichen Studierenden, ob sie zum militärischen Dienst eingezogen seien oder für den Hilfsdienst zur Verfügung stünden. Aber gleichzeitig regte er bei den Behörden an, Studenten nur in dringenden Fällen vor Beendigung der Vorlesungszeit einzuziehen. So wie er einerseits dem Druck der Behörden entgegenkommen mußte,
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enthält aber nur noch Dokumente zum Vaterländischen Hilfsdienst der Studentinnen. Eine Teilung der ursprünglichen Akte wäre prinzipiell möglich, hätte aber bei der Um signierung registriert werden müssen. Prot. der Senatssitzung vom 8.1.1917: ADBR 103 AL 117. Das dem vom Donnerstag datierten »Brief« anhängende Frageformular sollte bis Montagabend ausgefüllt im Universitätssekretariat zurückgegeben werden. Rundschreiben des Rektors 11.1.1917: ADBR 103 AL 138. Rektor an Kurator 20.1.1917: ADBR 103 AL 193. Entwurf o. D.: ADBR 103 AL 194. Darin werden, ohne Bezug darauf, Bestimmungen aus dem Erlaß vom 30.12.1916 wörtlich wiedergegeben. Außerdem verweist der Bezug auf noch nicht erfolgte Meldung aber wohl auf die bis 15.1. zu erfüllende Aufforderung. Deshalb wird er vermutlich in der zweiten Januarhälfte 1917 entstanden sein. Kriegsamtstelle (…) an Sekretariat der Univ. Strb. 26.2.1917: ADBR 103 AL 194. Rektor Strb. an Senat 10.3.1917: ADBR 103 AL 194.
482 Die Universitäten im Kriegseinsatz fühlte er sich doch andererseits den Studierenden verpflichtet – und der Universität, die ohne jene ihre Existenzberechtigung zu verlieren drohte.68 Daten über die tatsächliche Beteiligung am Hilfsdienst liegen nicht vor. Zwar zielte dieser Dienst, dessen eigentlicher Anlaß in der Kriegswirtschaft lag, stark auf die Rüstungsindustrie, doch kamen nicht nur dem Gesetz nach viele andere Tätigkeiten ebenfalls in Betracht. »(…) im landwirtschaftlichen Betriebe oder im kaufmännischen Geschäfte sind diese Studierenden für den Vater oder als Hilfe des Vaters tätig; da ist einer der Vertreter des Vaters als Gemeindeschreiber, dort hilft ein anderer in einem Progymnasium (‥) und wiederum ein anderer ist Aushilfsschriftleiter bei einer Zeitung. Auch in der Etappe, z. B. in der Forstwirtschaft in Belgien, haben einige Verwendung gefunden. Die in Straßburg eingestellten sind in verschiedenartiger Tätigkeit: bei der Gouvernementsintendantur, beim Polizeipräsidium, Juristen und als Zeichner verwendete Mathematiker bei der Direktion der Reichseisenbahnen; für kaufmännische Büro arbeiten bei der Milch-, Obst- und Gemüsezentrale. Mediziner, auch vorklinische Semester, sind in verschiedenen medizinischen und naturwissenschaftlichen Instituten beschäftigt.«69
Als die Gouvernements-Intendantur für einen bei ihr als »juristischer Hilfsarbeiter« tätigen Gerichtsassistenten Unterstützung mit entsprechender fachlicher Bildung suchte, charakterisierte sie die Tätigkeit als eine Art Weiterbildung bzw. Praktikum. In Frage komme auch ein Student mittleren und höheren Semesters, dem diese Stellung bei den hohen Lebenshaltungskosten ein angenehmes Zubrot biete, jedoch nur ein Kriegsbeschädigter oder Hilfsdienstpflichtiger. Da viele vertrauliche Schreiben zu bearbeiten seien, bilde »unbedingte politische Zuverlässigkeit die erste Voraussetzung.« Nach Meldung auf einen entsprechenden Aushang hin fragte der Rektor beim Dekan der Juristischen Fakultät nach, ob der Willige auch geeignet sei. Tuhrs Eindruck zufolge betrieb dieser sein Studium aber nicht ernsthaft. »Von den älteren Studenten sind die meisten schon im Hülfsdienst beschäftigt.« Doch nannte Tuhr noch zwei tüchtige, für die er aber keine »Garantie« übernehmen könne, weil er sie zu wenig kenne. Schließlich konnten offenbar vier Namen weitergegeben werden; doch nur zwei interessierten sich für die Tätigkeit.70 Zwar galt auch in Berlin die kriegsamtliche Regelung, wonach die Meldung zum Hilfsdienst durch den Rektor erfolgte. Doch richtete hier der Allgemeine Studentenausschuß selbst »eine Meldestelle (…) ein und vermittelte Stellen 68 Rektor Strb. an Kriegsamt Strb. 14.7.1917: ADBR 103 AL 194. 69 Ficker, Bericht IV (1917/18), S. 6. 70 Die Intendantur entschied sich für einen Straßburger, der sich erst im WS 1916 immatrikuliert hatte. Gouvernements-Intendantur an Rektor 18.1.1917 (mit Vermerk des Rektors 22.1.1917 und Antwort Tuhrs); Gouvernements-Intendantur 1.2.1917: ADBR 103 AL 194. [Josef] Peruche ist nachgewiesen in: PV KWU Strb. WS 1916/17, S. 78.
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für die sich Meldenden durch den Rektor Geheimrat Bumm«. Dabei wurde der Hilfsdienst hier als Fortsetzung eines kontinuierlichen und selbst gewählten Engagements dargestellt.71 Tatsächlich hatte der Geschäftsführende Ausschuß der Deutschen Burschenschaft, angeregt durch einen Aufsatz »Vaterländischer Studentendienst« des Gießener Bibliotheksdirektors und begeisterten Burschenschafters Hermann Haupt, schon im September 1915 beschlossen, die Einrichtung eines solchen Dienstes an allen Universitäten zu fördern und die Rektoren gebeten, die Studentenschaft dafür zusammenzuführen. So würde sie zur »Stärkung der inneren Kraft und Geschlossenheit unseres Volkes während des Krieges wirksam beitragen«. Und die Berliner Akademischen Nachrichten druckten Haupts zuerst in den Burschenschaftlichen Blättern erschienenen Artikel in vollem Umfang nach.72 Darin machte er als Aufgaben eines solchen Dienstes die Auffüllung der Lücken im freiwilligen Sanitätsdienst, den Verwundetenunterricht und die Jugendpflege (Vaterersatz!) aus, also Arbeitsbereiche, in denen Studenten schon seit Kriegsbeginn tätig waren, aber auch die militärische Jugenderziehung, die kriegswirtschaftliche Beratungs- und Aufklärungsarbeit sowie den Einsatz in Verwaltungsstellen des Staates, der Städte und der kleineren Gemeinden. Tatsächlich war dies fast alles in den 1916 eingeführten Hilfsdienst integriert bzw. als solcher anerkannt worden (auch wenn das ursprüng liche Anliegen der OHL ja ein anderes gewesen war). In Berlin war die Zahl der freiwilligen Meldungen auf den ersten Blick auffallend hoch: Aus der Philosophischen Fakultät hatten sich bis März 1917 fast 500 »Studenten und Studentinnen« zum Hilfsdienst gemeldet!73 Das war allerdings nur ein knappes Viertel jener Immatrikulierten der Fakultät, die nicht im Kriegsdienst standen (nämlich 1248 Männer und 852 Frauen).74 Dabei kam (laut Burschenschaftlichen Blättern) für sie »in erster Hinsicht der höhere Schuldienst in Betracht«. Es lagen auch »Meldungen an deutsche Auslandsschulen« vor, etwa in Bukarest, wobei jedoch die Beherrschung der jeweiligen Landessprache Voraussetzung war. »Sonst herrscht im allgemeinen Abneigung gegen die Beschäftigung im besetzten Gebiet, denn es liegt die Befürchtung nahe, 71 »In immer steigenden Maße hatte sich die daheimgebliebene Studentenschaft in den Dienst des Vaterlandes gestellt, so daß der Erlaß des Gesetzes über den Vaterländischen Hilfsdienst für sie nichts Neues, sondern den organischen Ausbau des schon Bestehenden bedeutete.« [Heinrich] Dähnhardt, Aus der Arbeit des Ausschusses, in: BAN XI (1916/17), S. 41 f. Der Autor war seit SS 1915 immatrikuliert und studierte »Deutsch« (AV FWU Berlin SS 1917, S. 41 f.). Weitere biogr. Angaben s. u. S. 664, 700 mit A. 201. 72 Vaterländischer Studentendienst [Notiz mit Zitat], in: BAN X (1915/16), S. 9. H[ermann] Haupt, Vaterländischer Studentendienst, in: BAN X (1915/16), S. 9–12. Veröff. auch in: ATZ 32 (1915/16), S. 202–20. Zu Haupt: Hugo Hepding, Herman [!] Haupt †, in: Nachrichten der Gießener Hochschulgesellschaft 11 (1936/37), Nr. 1, S. 3–27. 73 Vom Kriegshilfsdienst der Studenten, in: BB 31/1 (WS 1916/17), S. 184 f., hier 184. 74 Errechnet aus der endgültigen Statistik für WS 1916/17 im Anhang zu: AV FWU Berlin SS 1917.
484 Die Universitäten im Kriegseinsatz daß dabei keine Möglichkeit zum Weiterstudium vorhanden sein könnte.« Aber nicht nur mit dem fachgerechten (und Berufserfahrung sammelnden) Einsatz vertraten die Studenten hier ihre eigenen Interessen. Vielmehr ging es auch um eine angemessene Besoldung. »Jede Arbeit ist ihres Lohnes wert, und zwar eines Lohnes, der den heutigen Schwierigkeiten des Lebensunterhalts entspricht.«75 Diesen Gesichtspunkt konnten die Soldaten im Feld allerdings nicht geltend machen! Daß ein Viertel der Daheimgebliebenen zur Auffüllung der durch die eingezogenen Soldaten entstandenen Lücken nicht genügte, machen die weiteren Aufrufe deutlich: Zu Beginn des Wintersemesters appellierte der Berliner Rektor, nun der Geograph Penck, an die »Kommilitonen!« Das Vaterland brauche jeden: an der Front und »im Heimatheere des Zivildienstes«; und es sei eine »Ehrenpflicht jedes Deutschen (…), sich dem Vaterlande zu stellen, bevor dieses ihn ruft«. »Auch die Meldung von Studentinnen wird entgegengenommen.« Von einer Zurückhaltung war hier nichts mehr zu spüren, auch wenn die Studierenden »ersuch[t]« wurden, die Meldekarten auszufüllen.76 Ein weiterer Aufruf folgte Anfang April 1918 – nun ohne jeden patriotischen Überzeugungsversuch, allein unter Bezug auf das Hilfsdienstgesetz und die Ausführungsverordnung, wonach jeder, der nicht im Heeresdienst stehe, »verpflichtet [sei], sich zum vaterländischen Hilfsdienst zu melden«.77 Über die Reaktion ist nichts bekannt – doch kann dies (angesichts der Kriegsverluste des Archivs) nicht als Hinweis auf mangelnde Resonanz gedeutet werden. Andererseits hatte das Ministerium auch weiterhin das Wohl der Universitäten und ihrer Angehörigen (Dozenten wie Studenten) im Auge: Im Februar 1918 wies es sie ausdrücklich darauf hin, daß nicht kriegsverwendungsfähige Chemiestudenten in der Industrie oder zur Unterstützung von Hochschulprofessoren, die sich mit Aufgaben der Kriegs- und Volkswirtschaft beschäftigten, verwendet werden könnten, ja, daß sogar Rückstellungs- und Versetzungsgesuche berücksichtigt würden, soweit militärische Rücksichten dies gestatteten.78 Und natürlich wurden die Hilfsdienstleistenden ermahnt, sich genaue Bescheinungen über Art, Umfang und Dauer ihrer Dienste geben zu lassen, weil sich die Universitäten um eine Anrechnung dieser Zeit auf das Studium (analog zur Anrechnung des Militärdienstes) bemühten.79
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Vom Kriegshilfsdienst der Studenten, in: BB 31/1 (WS 1916/17), S. 184 f., hier 184. Der Aufruf ist abgedruckt in: BAN XII (1917/18), S. 2. BAN XII (1917/18), S. 46. Pr. KuMi an Rektor TH Berlin, (…) Universitätskuratoren 16.2.1918: UA HU Phil. Fak. 1511, fol. 9. 79 BAN XII (1917/18), S. 35 (Aufforderung). Zur prinzipiellen Haltung der Gleichstellung (hier in Bezug auf Beurlaubung) s. etwa das Schreiben des Straßburger Rektors an den Senat 10.3.1917: ADBR 103 AL 194.
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Hilfsdienst der Studentinnen: Initiativen aus dem Kreis der Frauenbewegten Obwohl der Hilfsdienst nur für Männer verpflichtend war, wurde in den Universitäten in diesem Zusammenhang immer wieder auch an die Studentinnen gedacht, sei es, daß der Rektor sie, wie noch im April 1917 in Gießen, grundsätzlich davon ausnehmen wollte, oder, wie in Straßburg schon im Januar, Männer und Frauen zu getrennten Besprechungen einberief, von letzteren allerdings nur jene, »die geneigt sind, sich freiwillig am Hilfsdienst zu beteiligen«. So hob er zugleich deren wirkliche von der nur scheinbaren Freiwilligkeit der Männer ab.80 In Berlin dagegen hatten die Frauen schon bis März dazu beigetragen, daß sich die Universität einer hohen Freiwilligenzahl rühmen konnte. Sie waren also tatsächlich aktiv, nicht nur, wie in der Denkschrift der OHL , als Negativfolie präsent: Diese hatte nämlich auf die ungerechtfertigte ›Privilegierung‹ weiterstudierender Frauen und nichtmilitärfähiger Männer auf Kosten der Kriegsdienstleistenden hingewiesen. (Im übrigen hatte sie aber auch an die »ungezählte(n) Tausende von kinderlosen Kriegerfrauen, die nur dem (!) Staat Geld kosten« und an die »tausende Frauen und Mädchen« gedacht, »die nichts tun oder höchst unnützen Berufen nachgehen«.) Deshalb müsse »das Kriegsleistungsgesetz auch auf die abkömmlichen Frauen« ausgedehnt werden.81 Die Frage des Hilfsdienstes der Studentinnen ist dabei auch auf dem Hintergrund des in der Frauenbewegung – zuletzt 1912 als Pendant zum männlichen Militärdienst – erörterten »Dienstjahres« zu sehen. Bei den zwei Varianten dieses Vorschlags ging es entweder um den ›organischen Ausbau‹ des Haus haltungsunterrichts mit Blick auf den späteren Privathaushalt oder die Pflicht, auf dem Gebiet der öffentlichen Wohlfahrtspflege tätig zu werden. Aber während der Bund Deutscher Frauenvereine die Einführung damals erst unter der Bedingung der vollen bürgerlichen Gleichberechtigung für wünschenswert gehalten hatte, wurde die Frage im Krieg mit einer Dienstpflicht der Frauen verbunden (und zum Teil auch verwechselt).82 1915 wurde sogar ein besonderer
80 Entwurf des Aushangs 5.1.1917 in: ADBR 103 AL 194. 81 Hindenburg an den Reichskanzler 13.9.1916 (wie A. 4), S. 67. 82 In breiteren Kreisen wurde dabei allerdings eher an eine nur vorübergehend notwendige Tätigkeit gedacht, aus der sich folglich auch keine Rechte herleiten ließen. Die Führerinnen der Frauenbewegung dagegen sahen dies auch jetzt als ersten Schritt zur politischen Gleichberechtigung. Nach Angelika Schaser, Frauenbewegung in Deutschland 1848–1933, Darmstadt 2006, S. 81–84; teilweise identisch schon in: Angelika Schaser, Helene Lange und Gertrud Bäumer, Eine politische Lebensgemeinschaft, Köln u. a. 2000, S. 152 f., 160.
486 Die Universitäten im Kriegseinsatz Bund für Frauendienstpflicht gegründet.83 Da bei einer allgemeinen Dienstpflicht jedoch bald zu viele Dienstpflichtige vorhanden gewesen wären und beim Einsatz in der öffentlichen Wohlfahrtspflege die Arbeitsplätze professioneller Sozialarbeiter(innen) gefährdet hätten, gab es auch vermittelnde Vorschläge derart, daß die »grundsätzliche Verpflichtung aller Frauen, sich durch ihre Arbeit einzuordnen in den Dienst an der Volksgemeinschaft«, sowohl durch ihr Wirken in der Familie als auch durch ihre Leistungen in bestimmten Berufen oder in der Wohlfahrtspflege erfüllt werden könne – und vor der Dienstpflicht zunächst eine »Frauenlehrzeit« einzuführen sei. Mit Blick auf die spätere Regelung des Vaterländischen Hilfsdienstes erscheint dabei bemerkenswert, daß die Arbeit der Hausfrau, der Lehrerin, der Ärztin, der Kranken pflegerin schon an sich als »Vaterlandsdienst« galt und diese Frauen nicht aus ihrer Tätigkeit herausgerissen werden sollten.84 Dienstpflicht und Dienstjahr wurden 1915/16 auch in den Studentinnen vereinen diskutiert, am eifrigsten, wie es scheint, in Berlin. Dort hörten die Kommilitoninnen 1915 Vorträge von Helene Lange, Frieda Duensing und Alice Salomon über »Die Pflichten der Frau als Bürgerin«.85 In Straßburgs Sonder situation, wo auch Studentinnen Versammlungen erst nach militärpolizeilicher Genehmigung abhalten durften, erregte das Thema »Weibliches Dienstjahr, der Krieg und die Frauen« »höheren Ortes Bedenken«, und »der Vereinsabend konnte erst stattfinden, nachdem die Vorsitzende auf der Polizei versichert hatte, daß weder Resolutionen darüber gefaßt noch Diskussionen über die 83 E. Reichel, Vorarbeiten für die Frauendienstpflicht, in: Frauenbildung 15 (1916), S. 415–423, hier 417 f. S. außerdem: Elisabeth Lange, Über das Frauendienstjahr, in: Frauenbildung 14 (1915), S. 270–278 (mit einem konkreten Vorschlag zur Organisation). Zur Breite der Debatte s. das zahlreiche Zeitungs- und Zeitschriftenartikel umfassende Literatur verzeichnis in: Leo J. A. Hohmann/E. Reichel, Die Dienstpflicht der deutschen Frauen. Gekrönte Preisschrift der Mathilde-Zimmer-Stiftung, Berlin 1917, S. 333–361. 84 Auguste Sprengel, Frauendienstpflicht, Frauenlehrzeit, Frauenschule, in: Frauenbildung 15 (1916), S. 423–429, Zitate 425, 427. Zur Frauenlehrzeit s. auch den Artikel eines Alten Herrn der Turnerschaften, der neben praktischer (jedoch nicht unbedingt theoretischer) hauswirtschaftlicher Ausbildung »körperliche Übungen« zur Kräftigung der sonst »blutarmen, unlustigen und launischen« Töchter forderte. Die sozialwirtschaftlichen Gebiete dagegen seien erst dem reifen Menschen zugänglich und sollten deshalb in jeweils mehrwöchigen Kursen erst in späteren Jahren vermittelt werden (J. Krieg, Das Frauendienstjahr, in: ATZ 32 [1915/16], S. 247 f.). Auch die Doyenne der Frauenbewegung, Helene Lange, sah in körperlicher Kräftigung die »nationale Pflicht der künftigen Mutter«, bestand allerdings weiterhin auf den sozialen Aufgaben und sah mit der Erfüllung des »weiblichen Anteil(s) an den Aufgaben des modernen Staates« nun auch die Zeit für die Beseitigung rechtlicher Beschränkungen gekommen. Helene Lange, Die Dienstpflicht der Frau. (Kriegstagung des Allgem[einen] Deutschen Lehrerinnenvereins, Pfingsten 1915), in: Helene Lange, Kampfzeiten. Aufsätze und Reden aus vier Jahrzehnten, Bd. 2, Berlin 1928, S. 165–189, Zitate 177, 173. 85 S IV (1915), S. 51.
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Herbeif ührung des Friedens entstehen würden.«86 Zwar erörterten auch einige andere Vereine dieses Thema,87 doch verwundert es angesichts der Breite der öffentlichen Debatte, daß nicht mehr darüber diskutierten. Während der Vorbereitung des Gesetzes über den Vaterländischen Hilfsdienst bat der Verband der Studentinnenvereine Deutschlands in einer Eingabe an den Reichstag sogar selbst darum, die Pflicht auf die Studentinnen auszudehnen. Gegen die von der Regierung gewünschte freiwillige Hilfsleistung von Frauen machte der Verband geltend, daß die einzelne nicht entscheiden könne, »wo das Vaterland ihre Kraft verwerten kann«. Außerdem seien die meisten nicht in der Lage, »ihr Studium auf unbestimmte Zeit zu unterbrechen, ohne daß durch eine gesetzliche Regelung ihre wirtschaftliche Lage klargestellt wird.« Für den Staat sei die Einbeziehung der Studentinnen von Vorteil: Es stehe »eine feste Zahl von Hilfskräften bestimmter Arbeitsfähigkeit zur Verfügung« (die durch die Matrikeln leicht zu ermitteln seien), außerdem seien die Studentinnen leichter als »durch Beruf und Familie gebundene Frauen« aus dem bisherigen Pflichtenkreis zu lösen. Falls aber die Einführung der Dienstpflicht für Studentinnen nicht möglich sei, bäten sie um Angabe, »ob und wo wir gebraucht werden«. Würden sie nicht benötigt, hielten sie sich für berechtigt und verpflichtet, das Studium fortzusetzen.88 Die drei konfessionell oder politisch ausgerichteten Studentinnenverbände vertraten eine ähnliche Haltung, konnten sich dem schon gesetzten Wortlaut dieser Petition jedoch nicht anschließen. Daher reichten zwei weitere eine eigene ein: der Deutsche Verband Akademischer Frauenvereine und der Verband der katholischen Studentinnenvereine Deutschlands.89 Doch bereits Mitte April 1917 mahnte das Kriegsministerium, »solange genügend Arbeitskräfte am freien Arbeitsmarkt sind, (…) die studierenden Frauen in der Fortsetzung ihrer Berufsausbildung nicht zu unterbrechen, da die
86 S V (1916), S. 39. 87 Göttingen und Heidelberg (S IV [1915], S. 65 bzw. 66), Jena und Leipzig (S V [1916], S. 29 f. bzw. 30), Tübingen und Freiburg (S V [1916], S. 20 f., 28). 88 Abgedruckt in: S V (1916/17), S. 65; auch bei Hildegard Hepelmann, Beiträge zur Geschichte der Frauenarbeit im Weltkriege mit besonderer Würdigung der Verhältnisse im IV. Armeekorpsbezirk Magdeburg, Emsdetten 1938, S. 124. Bericht darüber in: SP 1963, 21.12.1916 MiA. Unzutreffend dabei die Vermutung über die Repräsentativität des Verbands: »es wird nur wenige immatrikulierte Frauen geben, die außerhalb stehen«. 89 Zusätzlich zur Erläuterung der in A. 81 genannten Quelle s. Die Studentin und die vaterländische Hilfspflicht, in: AB 32 (1917/18), S. 25 f.; Conrad/Fiedler, Deutscher Verband Akademischer Frauenvereine, S. 591. In der Selbstdarstellung des katholischen Verbands (Marie Dörner, Verband der katholischen deutschen Studentinnenvereine, in: Doeberl (Hg.), Das akademische Deutschland II, S. 590 f.) wird dessen Eingabe dagegen nicht erwähnt. Vgl. außerdem die Eingabe des Bundes Deutscher Frauenvereine, abgedruckt in: S V (1916/17), S. 66.
488 Die Universitäten im Kriegseinsatz Nachfrage nach gut geschulten Persönlichkeiten, die den Studienabschluß erreicht haben, dauernd steigt und für manche Berufe auch nach dem Kriege ausserordentlich gross sein wird.«
Dabei bezog es sich darauf, daß Universitäten die Frauen direkt zum Hilfsdienst aufgefordert und sogar Ausschüsse zur Arbeitsvermittlung eingerichtet hätten. Künftig sollte eine direkte Vermittlung durch die Universitäten unterbleiben; die Meldungen sich selbst anbietender Frauen sollten über den Rektor, der sich zunächst über die Zweckmäßigkeit und Art der möglichen Verwendung äußern sollte, an die Kriegsämter weitergeleitet werden.90 Andererseits entstanden parallel zur Einführung des Hilfsdienstes spezielle Frauenabteilungen im Kriegsamt, um möglichst viele Arbeiterinnen für die Landwirtschaft und die Industrie zu mobilisieren, obwohl die prinzipielle Ausdehnung auf die Frauen verhindert worden war. Das Kriegsamt war in Kriegs amt (Stab) und Kriegsarbeitsamt untergliedert. Dementsprechend gab es ein Frauenreferat im Kriegsarbeitsamt und eine im Sommer 1917 an das Kriegs amt angeschlossene Frauenarbeitszentrale beim Stab. Letztere war für die begleitende soziale Fürsorge zuständig, sollte also durch Kinderversorgung, Bereitstellung von Wohnungen, Organisation der Ernährung etc. die Arbeit der Frauen ermöglichen bzw. deren negative Folgen kompensieren.91 In den Kriegs amtstellen bei den Generalkommandos der einzelnen Armeebezirke wurden ebenfalls je zwei Abteilungen eingerichtet, die jedoch nur einer Referentin unterstanden, welche beide gemeinsam leitete. Diese Stellen hatten die weiblichen freien Arbeitskräfte zu ermitteln, auf ihre Eignung zu prüfen und schließlich »Angebot und Nachfrage in zweckmäßige Verbindung zu bringen«. War das Ziel die Mobilisierung von Arbeiterinnen für die Rüstungsproduktion, so erhielten andere Frauen dadurch qualifizierte und z. T. leitende Stellen als Organisatorinnen: ca. 1000 im Rahmen des Kriegsamtes,92 etwa 630 als Fabrik pflegerinnen in der Rüstungsindustrie.93
90 Der pr. KuMi gab dies an die ihm unterstehenden Universitäten weiter; doch über das Stellvertretende GK erreichte diese Leitlinie Mitte Juni auch die Straßburger. Kriegs ministerium/Kriegsamt an Pr. KuMi 16.4.1917 (Abschrift). Die Abschrift des Erlasses des Pr. KuMi vom 30.4.1917 wurde mit Schreiben des Stellv. GK des XV. Armeebezirks an den Rektor der KWU Strb. vom 12.6.1917 weitergeleitet. Alle: ADBR 103 AL 145. 91 Bisher hatte der Nationale Frauendienst solche Aufgaben übernommen, jetzt erfolgten sie in staatlicher Regie, wobei der Nationale Ausschuß für Frauenarbeit im Kriege den wirklichen Zweck der ›Fürsorge‹ auch klar bezeichnete. 92 Ursula von Gersdorff, Frauen im Kriegsdienst 1914–1945, Stuttgart 1969, S. 25; Zitat aus den Richtlinien des Kriegsamts zur Organisation der Referate Frauenarbeit vom 3.1.1917, dort abgedruckt S. 125 f. (Zitat 125). 93 Peter Brandt/Franz-Josef Brüggemeier/Dorothee Wierling, Einführungskurs: Deutschland zur Zeit des Kaiserreichs. Kurseinheit 9: Das Kriegshilfsdienstgesetz, Hagen 2001,
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Unter den Referentinnen war eine Reihe von Akademikerinnen, die sich seit längerem in der Frauenbewegung engagierten, insbesondere Nationalökonominnen. Zwei aus der Berliner Universität hervorgegangene Doktorinnen standen nacheinander an der Spitze des zentralen Frauenreferats: Die Leiterin, Marie Elisabeth Lüders, 1912 in Berlin bei Gustav von Schmoller in Staatswissenschaften promoviert (und in der Weimarer Zeit Reichstagsabgeordnete der DDP), bekleidete dabei im Kriegsamt den Rang eines Majors – und berichtete noch Jahrzehnte später in militarisierter Sprache über ihre Arbeit mit dem »Millionenheer der unbekannten Soldatinnen«.94 Als sie ihr Amt Ende 1917 (nach Konflikten mit der Militärführung) niederlegte, folgte ihr die Germanistin Agnes von Harnack.95 Die Referentin für den Bereich des III. Armeekorps (das sein Hauptquartier in Berlin hatte) war Alice Salomon, 1906 in Berlin in Nationalökonomie promoviert und Gründerin einer der ersten Sozialen Frauenschulen Deutschlands (der späteren Fachhochschule für Sozialarbeit).96 Auch Gertrud Bäumer, promovierte Germanistin, Vorsitzende des Bundes Deutscher Frauenvereine und spätere DDP-Politikerin, sowie die in Zürich promovierte Nationalökonomin und Lehrbeauftragte an der Handelshochschule Mannheim, Elisabeth Altmann-Gottheiner, arbeiteten in lokalen Kriegsamtstellen.97 Die Nationalökonomin Frieda Wunderlich, eine Schülerin Franz Oppenheimers, später Professorin am Staatlichen Berufspädagogischen Institut und, in der Emigration, an der New School for Social Research, koordinierte anderthalb Jahre lang im Kriegsamt die Fabrik- und Wohlfahrtsfürsorge für Berlin und Brandenburg.98 Außerdem war die Sozialpädagogin Anna von Gierke,
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S. 56. Insgesamt wurden bis Oktober 1918 ca. 900 Fabrikpflegerinnen eingestellt (MarieElisabeth Lüders, Das unbekannte Heer. Frauen kämpfen für Deutschland 1914–1918, Berlin 1936, S. 188 A. 2). Lüders, Das unbekannte Heer, Zitat S. 177. Vgl. auch »Arbeitsarmee der Frauen für Volk und Vaterland« (S. 181) und bes. S. 9: »Es galt vielmehr die Aufstellung und Inmarschset zung eines riesigen Hilfskorps mit und neben den berufsgeschulten Truppen staatlicher und gemeindlicher Wohlfahrtspflege, so wie der neue Umfang und Inhalt sozialer Bedürfnisse es erforderte. Armee und Reserve mußten aufgeboten werden. Diese Reserve korps gerade aus den Frauen zu stellen, war (…) notwendig, (….).« (Hervorhebungen T. M.). Nachweis des Doktorvaters und des Zweitgutachters Sering in: JHSS 27 (1911/12), Berlin 1913, S. 48. Bianca Schönberger, Mütterliche Heldinnen und abenteuerlustige Mädchen. RotkreuzSchwestern und Etappenhelferinnen im Ersten Weltkrieg, in: Karen Hagemann/Stefanie Schüler-Springorum (Hg.), Heimat-Front. Militär und Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Weltkriege, Frankfurt a. M. u. a. 2002, S. 108–127, hier 117, 120; Gersdorff, Frauen im Kriegsdienst, S. 22 A. 15; Cymorek/Graf, Agnes von Zahn-Harnack, S. 210–212. Zu Agnes (von) Harnack s. o. S. 61 f. Alice Salomon, Charakter ist Schicksal. Lebenserinnerungen, Weinheim u. a. 1983, S. 156 f. Schönberger, Mütterliche Heldinnen und abenteuerlustige Mädchen, S. 111. Theresa Wobbe, Frieda Wunderlich (1884–1965). Weimarer Sozialreform und die New Yorker Universität im Exil, in: Claudia Honegger/Theresa Wobbe (Hg.), Frauen in der Soziologie. Neun Porträts, München 1998, S. 203–225, hier 212.
490 Die Universitäten im Kriegseinsatz Tochter des Berliner Juristen und Rechtshistorikers Otto von Gierke, Leiterin der Kommission für Kinderfürsorge im Frauenreferat.99 Auch in Straßburg war »einer der Töchter der Universität (…) im Kriegsamt das Referat über Frauenversorgung übertragen«. Dabei unterstanden ihr »verschiedene Damen der Universität (…) in der Hilfsdienstmeldestelle für gehobene Frauenberufe«.100 Reichsweit betrug der Anteil der für Sanitäts- und Hilfsdienst beurlaubten Studentinnen im Sommersemester 1917 nur 2,9 % (185 von 6215 immatrikulierten Frauen). Der Straßburger Universitätssekretär, der das Frauenstudium seit langem beobachtete und immer wieder darüber schrieb, erklärte die daraus erhobenen Vorwürfe, die diesen Anteil den 80,6 % im Militärdienst stehenden Studenten gegenüberstellten, für unberechtigt; denn viele Studentinnen leisteten Hilfsdienste etc., ohne ihr Studium dafür zu unterbrechen (d. h. sich be urlauben zu lassen). Noch mehr aber hätten es tatsächlich unterbrochen (sich also exmatrikuliert?101). Und im übrigen wäre ein solcher Vergleich nur zulässig, wenn an die Studentinnen tatsächlich eine Aufforderung ergangen wäre. Das Gegenteil aber sei richtig: an mehreren Universitäten hätten die Rektoren die nicht zum Kriegsdienst eingezogenen Studierenden, also vor allem die Frauen, aufgefordert, sich mit der Meldung nicht zu übereilen!102 Jene engagierten Studentinnen, die in das Hilfsdienstgesetz hatten einbezogen werden wollen und von der Ablehnung ihrer Eingabe enttäuscht waren, versuchten mancherorts, sich selbst zu organisieren. In Jena hielten 125 (von 177 damals 99 1919 gehörte sie als DNVP-Abgeordnete der Nationalversammlung an, wurde aber bereits 1920 aufgrund ihrer Herkunft – die Mutter war Jüdin – nicht mehr aufgestellt. Ab 1925 eine der drei Präsidentinnen des Fünften Wohlfahrtsverbandes (heute Paritätischer Wohlfahrtsverband), ab 1931 Vorstandsmitglied des Bundes Deutscher Frauenvereine, 1933 aus allen Ämtern ausgeschieden. – Diese komplizierte Organisation zur Mobilisierung der Frauen für die Kriegswirtschaft bot auch weitere Gelegenheiten für den Hilfsdienst von Männern. Der damals 52jährige, also nicht mehr wehrpflichtige Berliner Privatdozent der Chemie und Titularprofessor Leopold Spiegel stellte sich freiwillig »der Abteilung Frauen des Kriegsarbeitsamtes zur Verfügung«. Dafür wurde ihm »widerruflich« die »Kriegsstelle eines Referenten« verliehen, mit der Jahreseinkünfte von fast 6600 M. verbunden waren (Gehalt, Wohnungsgeldzuschuß und Kriegszulage zus. 548 1/3 M monatlich) (Kriegsmin. an Pr. KuMi 5.2.1917). Die jährliche Remuneration für seinen Lehrauftrag (1200 M.) wurde ihm daraufhin zunächst entzogen, dann aber wieder gewährt, weil er ihn weiter erfüllte (Pr. KuMi an Kriegsmin. 14.2.1917 und 7.4.1917). Doch bereits nach fünf Monaten wurde ihm vom Kriegsmin. die Referentenstelle wieder genommen (Kriegsmin. an Kgl. General-Militärkasse 15.6.1917). Alle: GSt APK I. HA Rep. 76 V a Sekt. 2 Tit. IV, Nr. 51 Bd. XVII, fol. 78, 79, 91, 101. 100 Damit sind nicht Studentinnen, sondern eine Professorentochter und Professoren gattinnen oder -schwestern gemeint (wie sich aus dem diesem Zitat vorausgehenden Absatz ergibt): Ficker, Bericht III (1916/17), S. 9. 101 Hausmanns vergleichende Formulierungen und Rechtfertigungen der Studentinnen sind auch i. O. etwas verwirrend. 102 Hausmann, Frauenstudium, S. 16 (genaue Prozentsätze), 23 (Vorwürfe und Analyse). Vgl. auch: Die Studentinnen und der Zivildienst, in: SP 962, 21.12.1916 (MiA).
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immatrikulierten) Frauen Mitte Februar 1917 eine Versammlung ab, in der sie über eine Organisation für den Zivildienst berieten. Dabei versuchten sie, sowohl die drei Studentinnenvereine als auch die Nichtorganisierten zusammenzufassen und alle zu ihrem Recht kommen zu lassen, etwa durch Einrichtung geregelter Beschwerdewege. Daß ihr Einsatz mit dem primären Anliegen der Universität kollidieren könnte, erkannten sie. Daher sollte »dem Prorektor gegenüber (…) der Wunsch des Offenbleibens der Universität betont werden«. Aufschlußreich ist, was sich die Studentinnen als »Möglichkeit der Betätigung« vorstellten: »Lehrerin[,] verantwortungsvollere Posten in Militärbüros, bei der Zensur, Dolmetscherin, Chemie, Anstellung in Kliniken«. Sie dachten also an qualifizierte, nicht-manuelle Arbeiten (und entsprachen in dieser Hinsicht den Beobachtungen Gertrud Bäumers, daß die Mehrheit der Frauen Schreibarbeit wünsche und vom wirklichen Bedarf keine Ahnung habe). Immerhin fügten sie hinzu: »Entscheidung der Beschäftigung wird der Kriegsamtstelle überlassen bleiben.«103 Doch wurden sie von der Frauenarbeitszentrale Ende Februar »ernstlich zum Abwarten ermahnt«. Anfang Juli ging dann einer großen Zahl von Studentinnen im Bezirk des IV. Armeekorps (mit dem Sitz des Generalkommandos in Magdeburg) eine Aufforderung zum Hilfsdienst während der Semesterferien zu, der das Hauptgewicht auf die Arbeit in Munitionsfabriken legte. Deshalb wollten die Studentinnen sicher gehen, wenn sie sich nun für die Ende Februar noch als für sie »ungeeignet bezeichnete Arbeit zur Verfügung« stellten und schrieben sowohl an das Kriegsamt in Berlin als auch an die Referentin in Magdeburg. »Handelt es sich dabei im wesentlichen darum, daß die Studentinnen durch ihr Vorbild auch andere zur Arbeit führen oder um die eigentliche Arbeitsleistung?« Und ob auch eine Tätigkeit von vier Wochen in einer Munitionsfabrik erwünscht sei?104 Aus der Antwort wurde deutlich, daß sich die Lage inzwischen grund legend verändert hatte: Hatte die Referentin früher selbst noch an die Mitarbeit der Studentinnen in den Fürsorgestellen und als Lehrerinnen auf dem Land gedacht, so war nun die Fabrikarbeit in den Vordergrund gerückt. (Die anderen Tätigkeiten kämen aber weiterhin für jene in Frage, die »aus irgend welchen Gründen zur Übernahme von Munitionsarbeit nicht bereit« seien.) In der Fabrikarbeit gehe es auch um die »Leistung produktiver Arbeit, da jedes Paar Hände von Nutzen ist«. Insofern wäre es zu begrüßen, 103 Ein Auszug aus dem Prot. ist abgedruckt bei Hepelmann, Beiträge zur Geschichte der Frauenarbeit, S. 124–126. Die Zahl der Immatrikulierten im WS 1916/17 nach Grüner, Die Universität Jena während des Weltkriegs, S. 188. Die Initiative der Studentinnen kommt bei Grüner dagegen überhaupt nicht vor. Zur allgemeinen Reaktion der Frauen auf den Hilfsdienst-Bedarf: Gertrud Bäumer, Aus der Praxis des Frauenhilfsdienstes, in: Die Frau 24 (1916/17), S. 386–396, hier 389. 104 Kommission für freiwillige Hilfsarbeit (…) an die Frauenarbeitszentrale beim Kriegs amt in Berlin 4.7.1917; dto. an die Referentin der Kriegsamtstelle Magdeburg 4.7.1917; beide abgedruckt bei Hepelmann, Beiträge zur Geschichte der Frauenarbeit, S. 126, 127.
492 Die Universitäten im Kriegseinsatz »wenn sich aus dem Feriendienst der Studentinnen bei Bewährung ein dauernder Hilfsdienst unter Unterbrechung des Studiums entwickelte, daneben kommt es aber der Kriegsamtstelle auch sehr auf die Propaganda für Fabrikarbeit in den Kreisen an, die ihr noch fremd und mit Vorurteilen gegenüberstehen.«
Schließlich fielen diese Kreise zahlenmäßig viel mehr ins Gewicht als die Studentinnen selbst. »Munitionsarbeit für Studentinnen als Werbearbeit in diesem Sinne verträgt sich daher auch mit der Verpflichtung auf nur 4 Wochen«. Wegen der erforderlichen Anlernung stelle dies allerdings das Minimum dar »im hiesigen Korpsbezirk (…), wo der erste Versuch (!) gemacht werden soll.« Deshalb veranstaltete die Kriegsamtstelle Magdeburg für die Hallenser Studentinnen eine Besichtigung des Nebenartilleriedepots in Torgau, an der auch Studentinnen aus Jena teilnehmen durften.105 Unmittelbar im Anschluß an die Besichtigung, an der 12 Studentinnen aus Halle, 7 aus Jena und zwei aus Leipzig teilgenommen hatten, wurde deren Vorbildwirkung schon eingesetzt, denn in der Werbeversammlung für die Frauen des Ortes berichteten die Studentinnen von ihren Eindrücken. Außerdem erklärten sich 12 Studentinnen sofort zur Arbeit während der Semesterferien bereit.106 Danach fand erneut eine Studentinnenversammlung in Jena statt, zu der nun 200 Frauen kamen – immatrikuliert waren damals 248 –, aber auch drei Professoren. Eine Teilnehmerin berichtete ausführlich von der Besichtigung, die Hilfsreferentin sprach über die Notwendigkeit der Arbeit von Studentinnen in Munitionsfabriken (während flankierend die Fürsorgevermittlungsstelle auch um studentische Hilfe in den Ferien bzw. studienbegleitend während des Semesters warb). Dafür, daß die Zweifel bezüglich einer möglichen Schädigung der Universität und des wissenschaftlichen Geistes zerstreut werden konnten, war aber wohl die Stellungnahme des Historikers Alexander Cartellieri entscheidend. Er begrüßte die Munitionsarbeit nicht nur, sondern versprach den Studentinnen, »genau wie ihren Kommilitonen im Feld« auch »größte Unterstützung und Entgegenkommen der Professoren bei Wiedereintritt in die wissenschaftliche Arbeit«. Auch seine eigene Tochter werde als Munitionsarbeiterin nach Torgau gehen.107 Insgesamt wurden im Sommer etwa 50 Studentinnen in dem Artillerie-Depot beschäftigt.108
105 Offiziell dazu aufrufen konnte die Magdeburger Stelle sie nicht, da für Jena eigentlich die Kriegsamtstelle Kassel zuständig war. Frauenreferat der Kriegsamtstelle Magdeburg an Dr. Ilse Neumann (Jena) 11.7.1917, abgedruckt bei Hepelmann, Beiträge zur Geschichte der Frauenarbeit, S. 128 f. 106 Hepelmann, Beiträge zur Geschichte der Frauenarbeit, S. 43. 107 Bericht der Hilfsreferentin der Kriegsamtstelle Magdeburg über die Reise nach Jena 20.7.1917, abgedruckt bei Hepelmann, Beiträge zur Geschichte der Frauenarbeit, S. 129 f. 108 Hepelmann, Beiträge zur Geschichte der Frauenarbeit, S. 43, 51.
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Diese Aktion entwickelte sich offenkundig aus dem Zusammenspiel einsatzfreudiger Jenaer Studentinnen und der besonders aktiven Referentin in der Kriegsamtstelle Magdeburg, während die Kasseler in dieser Hinsicht bis zum Sommer 1918 Zurückhaltung übte. Aber obwohl diese Episode den ›Testlauf‹ (»erste[n] Versuch«) für den dann im Herbst folgenden breiteren Einsatz von Studentinnen in der Munitionsindustrie darstellte, ist sie bislang nicht beachtet worden – sowohl Spezialarbeiten über Jena als auch eine umfassend informierte über die preußische Hochschulpolitik und die Universität Marburg erwähnen sie nicht einmal.109 Üblicherweise beginnt die Geschichte des Hilfsdienstes der Studentinnen daher mit dem Aufruf des Kriegsministeriums vom September 1917, und so war es auch an zwei der hier untersuchten Universitäten: in Gießen, wo die Universität selbst die Studentinnen anfangs ausgenommen wissen wollte, und in Straßburg, obwohl der Rektor auch sie schon im Januar 1917 zu einer Besprechung einberief. Nur in Berlin waren sie früher aktiv, wie außer der genannten Zahl aus der Philosophischen Fakultät auch der Gynäkologe Ernst Bumm in seinem Jahresbericht als Rektor für 1916/17 belegt: »Da sich auch unsere Studentinnen in steigender Zahl dem Hilfsdienst zur Verfügung stellten, haben wir Professoren mit Wehmut, aber auch mit Stolz die Bänke unserer Hörsäle sich mehr und mehr leeren sehen.«110 Doch sogar die einzelnen Kriegsamtstellen verfuhren, wie an Magdeburg und Kassel deutlich, sehr unterschiedlich. Dies führte bei den einsatzwilligen Studentinnen zu »Zweifel(n) und Unklarheiten«, deretwegen sich der Verband der Studentinnenvereine Deutschlands, der Deutsche Verband akademischer Frauenvereine, die Deutsch-christliche Vereinigung studierender Frauen und der Verband katholischer Studentinnenvereine ans Kriegsamt wandten: Die Arbeit hätte größere Erfolgsaussichten, wenn jenes »die Gesamtheit der Studentinnen darüber aufklärte, daß und warum ihre Arbeit jetzt gebraucht wird und sie allgemein zur Meldung aufforderte.« Damit fanden sie im Kriegsamt (das ihr Schreiben mit diesen Worten zusammenfaßte) Zustimmung. Der Einsatz der Studentinnen sollte »als Werbemittel« genutzt werden, um »die Heranziehung der bisher nicht erwerbstätigen Frauenkreise zur Munitionsarbeit zu fördern.« Deshalb plante man, die Rektoren aufzufordern, den »Studentinnen mit Ausnahme der Medizinerinnen« einen Aufruf des Kriegsamts zu über109 Grüner, Die Universität Jena während des Weltkrieges; Ursula Martin, Aus der Geschichte des Jenaer Studentinnenvereins, in: Gisela Horn (Hg.), Die Töchter der Alma mater Jenensis. Neunzig Jahre Frauenstudium an der Universität Jena, Rudolstadt u. a. 1999, S. 69–79; Wettmann, Heimatfront Universität. Zu Kassel: Hepelmann, Beiträge zur Geschichte der Frauenarbeit, S. 41. Dagegen paraphrasiert und zitiert Koerner, Auf fremdem Terrain, S. 382–387 die Jenaer Versammlungen detailliert, ohne sie aber auch zu analysieren. Ihr zufolge »liefen diese Anweisungen und Bemühungen zumeist ins Leere«, weil sie zur falschen Zeit erfolgten (S. 387). 110 Bumm, Amtsjahr 1916/17, S. 4.
494 Die Universitäten im Kriegseinsatz mitteln und »sie auch von Seiten der Hochschulen zum Eintritt in die Kriegsarbeit aufzufordern. Die Studentinnenvereine werden im gleichen Sinn auf ihre Mitglieder einwirken.« Zur Vorbereitung eines solchen Aufrufs sollten die einzelnen Kriegsamtstellen den Bedarf in ihrem Bezirk sowie geeignete Betriebe und Meldestellen angeben.111 Einem Schreiben an die Rektoren der Universitäten und Technischen Hochschulen zufolge waren die Studentinnen als »Bahn brecherinnen notwendig« und »besonders geeignet«, um »durch erfolgreiche Überwindung der mit der ungewohnten Arbeit verknüpften Schwierigkeiten den anderen Frauen Mut [zu] machen«, denn sie seien »als geschlossene Frauengruppe erfaßbar und weithin sichtbar. Sie sind zur Arbeitsdisziplin und Selbständigkeit erzogen. Sie sind leicht an die Bedarfsstellen verpflanzbar. Gewöhnt, ihre Arbeit unter höhere Gesichtspunkte zu stellen, werden sie auch unter Schwierigkeiten bei der Arbeit aushalten und in dieser Beziehung durch ihr Beispiel vielleicht auch auf ihre Kameradinnen aus dem Arbeiterstande einwirken.«
Hier wurden also Gesichtspunkte aus der internen Diskussion der Studentinnenvereine aufgenommen und sogar Bewertungen, die den herkömmlichen Argumenten gegen das Frauenstudium diametral zuwiderliefen. Deshalb liegt die Vermutung nahe, daß diese Überlegungen von Referentinnen im Kriegs amt bzw. dessen regionalen Stellen ausgingen, die selbst zu den ersten Akademikerinnen gehörten. (Das Argument der Arbeitsdisziplin als Voraussetzung der Hilfsarbeit hatte z. B. Agnes von Harnack schon 1914 gebraucht.112) Die Rektoren wurden gebeten, den Studentinnen den Aufruf des Kriegsministeriums (durch Aushang und persönliche Zusendung) zu übermitteln und sie mit einem eigenen Schreiben »auch von Seiten der Hochschulen aufzufordern, dem Ruf des Vaterlandes Folge zu leisten«. Die örtlichen Ferienvertretungen der vier Studentinnenverbände seien bereit, bei der Versendung »jede erwünschte Hilfe zu leisten«! Auch dieser vorausgegangene Kontakt zwischen dem Kriegsminis terium und den Studentinnenvereinen verweist auf die Mitwirkung (wenn nicht Initiative!) der Kriegsamtsreferentinnen bei der Vorbereitung der Anwerbung für die Rüstungsindustrie. Schließlich wurde auch in Aussicht gestellt, die Studentinnen »später, wenn ihr Beispiel gewirkt hat, ihrer Vorbildung besser entsprechenden Arbeiten zuzuführen«.113 Das war nicht nur zur Beruhigung
111 Kriegsamt/Kriegsersatz u. Arbeits-Departement [an die Kriegsamtstellen] 28.8.1917, abgedruckt bei Hepelmann, Beiträge zur Geschichte der Frauenarbeit, S. 115 f. 112 Agnes von Harnack, Der Krieg und die Frauen, Berlin 1915, S. 15. Dabei bewährten sich »unsere Studentinnen (…) zum Teil vorzüglich«, andere dagegen »verschwanden« nach »feurigem Anfang« ganz. 113 Kriegsministerium/Kriegsamt (…) [an die Rektoren, vervielfältigt, mit Verteilungsplan] 15.9.1917; für Gießen: UA Gi PrA 1093; für Straßburg: ADBR 103 AL 194; auch abgedruckt bei Hepelmann, Beitrag zur Geschichte der Frauenarbeit, S. 116 f.
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der vielleicht besorgten Professoren gedacht; vielmehr wurden die einzelnen Kriegsamtstellen aufgefordert, die Studentinnen in ihren Karteien besonders zu markieren, um sie bei Verschiebungen auf dem Arbeitsmarkt sofort wieder abzuziehen oder zu versetzen, aber auch bei Umstellung auf andere »Arbeiten (Hilfe bei der Propaganda, soziale Arbeit, Büroarbeit usw.) leicht greifbar« zu haben. Im übrigen dürfe durch Einstellung dieser Freiwilligen kein »Lohndruck« erzeugt werden. Untergebracht werden sollten sie evtl. »in bürgerlichen Privatquartieren«.114 An die Studentinnen wandte sich der Kriegsminister direkt. Dabei legen die von den bisher zitierten Quellen abweichenden Formulierungen nahe, daß er selbst (oder ein hoher Beamter) den Text des Aufrufs formuliert bzw. redigiert hatte. Der von den Kriegsamtsreferentinnen erwähnten »Disziplin« entsprach hier die »Zucht der Arbeit«, die der Minister den Studentinnen bescheinigte, ihr »Aushalten bei der Arbeit« wurde hier zum »Beispiel im Durchhalten«. Das alles erwartete er von ihnen und berief sich dabei auf die von ihnen selbst »oft bekundete Hilfsbereitschaft«. Außerdem wies er darauf hin, daß bereits »viele (…) Kommilitoninnen« der Angesprochenen »erfolgreich und befriedigt in der Rüstungsindustrie« arbeiteten (eben jene, die während des Sommers als Versuchsgruppe angeworben worden waren). Am meisten aber fällt in dem Aufruf das penetrante Duzen auf;115 denn an der Universität siezten sich alle: Lehrende untereinander, Studierende untereinander, und selbstverständlich auch diese Gruppen gegenseitig. An diesen Sprachgebrauch hielt man sich im allgemeinen auch bei Festakten, wenn die »Kommilitonen« angesprochen wurden.116 Wo mit dieser Anrede ein »Ihr/Euch« verbunden wurde, handelte es sich um Situationen, die der Rede eine besondere emotionale Qualität verliehen. Der Theologe sprach pastoral »Gott mit Euch, Ihr Tapferen da draußen«, auch der selbst an der Front gewesene Historiker gebrauchte im Weihnachtsgruß dorthin die vertraulichere Anrede,117 vereinzelt auch ein Rektor, wenn er ›nur‹ an die 114 Kriegsministerium/Kriegsamt (….) [an die Kriegsamtstellen] 15.9.1917, abgedruckt bei Hepelmann, Beitrag zur Geschichte der Frauenarbeit, S. 118. 115 Der Aufruf ist abgedruckt in: Hepelmann, Beitrag zur Geschichte der Frauenarbeit, S. 119 f.; Faksimile in: Es begann vor hundert Jahren. Die ersten Frauen an der Universität Marburg und die Studentinnenvereinigungen bis zur »Gleichschaltung« im Jahre 1934, Marburg 1997, S. 106; originales gedrucktes Exemplar zum Aushang in: UA Gi PrA 1093, fol. 97. 116 S. als Beispiele Lenz, Freiheit und Macht, S. 24; Planck, Bericht über die Feier zum Gedächtnis des Stifters, S. 42; Wilamowitz-Moellendorff, Von der Universität Erreichtes, S. 3; Wilamowitz-Moellendorff, Reden aus der Kriegszeit, H. 4, S. 76. 117 Schian, Volk, S. 3; Walter Goetz, An die Kommilitonen im Feld, in: HS 1 (1917/18), H. 1, S. 7–9. So verfuhren auch manche Rektoren in den Weihnachtsbroschüren für die Soldaten im Feld: R. v. Hippel, unpag. Grußwort, in: Alt-Göttinger Stammbuch. Die Georgia Augusta ihren Angehörigen im Felde. Weihnachten 1916, Göttingen o. J. [1916]; Gedicht Sommers in: Gießener Universitäts-Bilderbuch, S. 23.
496 Die Universitäten im Kriegseinsatz Kriegsleistung der Kommilitonen erinnerte.118 Nicht zuletzt hatte der Kaiser die gesamte Festversammlung der Universität Berlin bei der Jahrhundertfeier der Befreiungskriege mit »Kommilitonen!« und »Ihr/Euch« angesprochen. Doch in allen diesen Reden wurde die emotional-vertrauliche Ansprache sparsam eingesetzt, im Aufruf des Kriegsministers dagegen fand sich »Ihr« und »Euch« in fast jedem Satz. Da jetzt »Frauen aller Stände (…) in die Reihen ihrer Schwestern in die Fabriken treten« sollten, wurde mit dem Duzen eine Gleichheit evoziert, die quasi innerhalb einer Familie unter den Töchtern des eingangs und am Ende des Aufrufs apostrophierten »Vaterlands« bestand. Auf dessen Fürsorglichkeit, ausgeübt von den Frauenreferaten der Kriegsamtsstellen, könnten sich die Frauen verlassen; denn diese kannten die Betriebe und würden ihnen Unterkünfte verschaffen. Das Behütetwerden, das unverheirateten jungen Frauen des Bürgertums zukam, war also garantiert. Doch zugleich wurden sie selbst als Pionierinnen angesprochen, ganz wie es (bezüglich des Studiums) ihrem Selbstbild entsprach: »Studentinnen, geht voran!« Und schließlich wurde ihnen, neben dem üblichen Lohn der Arbeiterinnen, auch eine immaterielle Belohnung versprochen: »Ihr bringt ein Opfer, aber Ihr gewinnt auch. Die Erfahrungen in der neuen Arbeit werden Eueren Blick erweitern, Euch bereichern und schulen fürs Leben!« Da die Person des Ministers auch sprachlich ganz hinter dem »Vaterland« zurücktrat, sollte das Du wohl nicht den Positionsunterschied zwischen ihm und den Adressatinnen markieren, sondern nur den emotionalappellativen Gehalt erhöhen.
Die Reaktion der Universitäten auf den Hilfsdienst der Frauen Während etwa der Aufruf des Heidelberger Rektors »viel Anklang« fand und sich eine größere Anzahl von Studentinnen »gleich zur Arbeit in den Muni tionsfabriken meldete«,119 verstärkten die Rektoren der Universitäten Straßburg und Gießen die Wirkung des ministeriellen Aufrufs nicht. Der Straßburger begleitete die Versendung mit den Worten: »Ich würde mich sehr freuen, wenn die Studentinnen recht zahlreich dem Aufrufe Folge leisten könnten.« Nicht »würden«, sondern »könnten«. Das läßt die Meldung entweder als schwierig erscheinen – oder gestattet sogar die Vorstellung der Unmöglichkeit. Jene, die bereits in der Stadt waren, bat der Rektor erst für den 16.10. zu einer Besprechung. Und wer da verhindert sei, könne sich direkt beim Kriegswirtschafts
118 Albrecht Penck, Die erdkundlichen Wissenschaften an der Universität Berlin. Rede zur Gedächtnisfeier (…), Berlin 1918, S. 44. 119 Zum Beispiel stellten manche von ihnen im benachbarten Mannheim »von 7–3 Uhr Zünder her« (Hampe, Kriegstagebuch, S. 601 [4.10.1917]).
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amt, die Auswärtigen bei anderen Stellen melden.120 Sehr dringlich machte er die Angelegenheit also nicht. Seine Änderungen im Entwurf zu dem Aushang belegen die Abmilderung ebenfalls: An die geäußerte Bereitschaft der Studentinnen, »ihre Arbeitskraft in den Dienst des Vaterlandes zu stellen«, knüpfte er schließlich nicht die »bestimmte Erwartung« (wie er ursprünglich geschrieben hatte), sondern nur die »Hoffnung«. »Alles Nähere, namentlich bezüglich der Meldungen, wird den studierenden Frauen demnächst noch besonders bekannt gegeben werden.«121 Der Hinweis auf die später folgenden Details wie auch der relativ späte Besprechungstermin deuten auf die Zurückhaltung des Rektors, wenn nicht gar eine bewußte Verzögerung des geplanten Einsatzes hin. Diese Interpretation wird durch seine Meldung an den Senat noch bekräftigt: Er habe die »Bekanntmachung an unsere studierenden Frauen gerichtet, worin ich ihnen im allgemeinen hiervon Kenntnis gegeben habe. Im übrigen habe ich mich mit dem Kriegs amt in Verbindung gesetzt, um die richtige Verwendung der weiblichen Arbeitskräfte zu sichern und eine unnötige Inanspruchnahme zu verhüten.«122
Ähnlich könnte man die zunächst ganz anders aussehende Reaktion seines Gießener Kollegen deuten: Zwar wurde der Aufruf an die Studentinnen von dem zuständigen Landesministerium (mit der »Empfehlung die Bemühungen […] zu unterstützen«) erst am 24. September 1917 übersandt, doch hatte der Rektor offenbar schon früher Kenntnis davon und sich bereits zwei Tage zuvor an die Handelskammer gewandt mit der Bitte, bei der Schaffung solcher Arbeitsmöglichkeiten vor Ort behilflich zu sein, damit die Studentinnen einen Teil des Tages dem Studium widmen könnten! Auf diese Weise hätten sie dem Aufruf also formal nachkommen können, ohne die Universität zu verlassen. Doch erhielt er die Antwort, daß die Betriebe Studentinnen nicht in dem gewünschten Maße aufnehmen könnten. Und die Alternative klang eher vage, im Umfang gering, in der Art der Tätigkeit nicht dem Anliegen des Kriegsministeriums entsprechend: »Vielleicht liesse es sich ermöglichen, eine gewisse Anzahl von Studierenden bei den verschiedenen kriegswirtschaftlichen Organisationen, welche von dem Kommunalverband Gießen und von der hiesigen Stadtverwaltung errichtet worden sind, unterzubringen.«123 Auf dem Aushang, der vermutlich am 5. oder 6. Oktober (Freitag bzw. Samstag) erfolgte, war vermerkt, daß die Liste zur Meldung bis 10. Oktober (Mittwochvormittag 11 Uhr!) ausliege.124 120 KWU Strb. im Oktober 1917 [gedrucktes Übersendungsblatt]: ADBR 103 AL 194. 121 Rektor Strb. 3.10.1917 (handschriftlich korrigierter Entwurf): ADBR 103 AL 194. 122 Rektor Strb. an Senat 5.10.1917: ADBR 103 AL 194. 123 Gh. MdI an Gh. Landesuniv. 24.9.1917; Rektor an Gh. Handelskammer 22.9.1917; Gh. Handelskammer Gi an Rektorat 3.10.1917. Alle: UA Gi PrA 1093, fol. 88, 85, 74. 124 Hs. Vermerk auf dem Aufruf »Munitionsarbeiterinnen«: UA Gi PrA 1093.
498 Die Universitäten im Kriegseinsatz (Die Vorlesungen begannen in Gießen, analog zum benachbarten Preußen, in diesem Jahr bereits am 1.10.1917.125) Andererseits sandte die Frauenarbeitsnebenstelle Darmstadt der Kriegsamtstelle Frankfurt dem Rektor eine Woche später eine sehr energisch formulierte Anleitung für das Verfahren und kündigte an, daß sie ihre eigene Referentin schicken werde, falls nach der abzuhaltenden Versammlung nicht genügend Meldungen eingingen. Rektor Gisevius, Agrarwissenschaftler, antwortete darauf ausführlich. Der »Ernst der Lage« sei den Studentinnen deutlich vor Augen gestellt, die Medizinerinnen, entsprechend den »Wünschen und Weisungen« zu einem noch intensiveren Studium angeregt worden. Die Agrarwissenschaftlerinnen fänden im Landwirtschaftlichen Institut und seiner 150 Morgen großen Versuchswirtschaft Betätigung, eine weniger leistungsfähige Gruppe habe in der Kommunalverwaltung Gelegenheit zur Mitarbeit gefunden. »Einerseits ist also für die kleine Zahl hiesiger Studentinnen weitgehendste Gelegenheit zur Mitarbeit im Heimatheer gegeben. Andererseits sind die Studentinnen sämtlich informiert und nehmen an dieser Mitarbeit mit voller Freudigkeit teil.« Und zur Beruhigung der Referentin fügte Gisevius, vielleicht etwas gereizt, hinzu: »Die Angelegenheit werde ich mir auch fernerhin umsomehr angelegen sein lassen, als ich selbst zwei Jahre bis zu meiner Reklamation im Heere – über ein Jahr draußen – tätig war, und als ich die volle Kenntnis von dem Ernst der Lage mitbrachte.«126 Tatsächlich waren also nur alle Frauen »informiert«, aber keineswegs alle im Hilfsdienst tätig. Und offenkundig war keine in der Munitionsarbeit eingesetzt! Zahlen nannte Gisevius nicht. Im Sommersemester 1917 waren in Gießen 54 Frauen immatrikuliert. Die 16 Medizinerinnen waren entsprechend der Anweisung des Kriegsministeriums ausgenommen, Landwirtschaft studierten nur fünf Frauen. »Ein Teil der Studentinnen, der körperlich weniger leistungsfähig ist« kann aber kaum alle 34 Studentinnen der anderen Fächer meinen,127 sondern nur eine, vermutlich kleine, Gruppe von ihnen. Die aufeinander folgenden Rektoren Schian (Theologie) und Gisevius versuchten offenbar beide, den Fraueneinsatz zu verhindern. Im Frühjahr war er noch kategorisch ausgeschlossen worden. Im Herbst, als dies angesichts des Aufrufs des Kriegsministeriums nicht mehr denkbar war, bemühte sich der Rektor, eine lokale Teilzeit-Muni tionsarbeit einzurichten und wich, als die örtliche Industrie nicht kooperierte, auf von ihm selbst in seinem Institut geschaffene Arbeitsmöglichkeiten für die 125 Gh. MdI an Landesuniv. Gi 17.7.1917: UA Gi PrA 1036, fol. 21. 126 Frauenarbeitsnebenstelle Darmstadt bei der Kriegsamtsstelle Frankfurt a/M an Rektor Gi 10.10.1917; Gisevius [an Frauenarbeitsnebenstelle; Antwortentwurf] 13.10.1917: UA Gi PrA 1093, fol. 72 bzw. 73. 127 Die Gesamtzahl der Immatrikulierten nach: PB LU Gi SS 1917, S. 74; die Zusammenstellung der Fächergruppen entsprechend den Vornamen im Studierendenverzeichnis S. 47–73.
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Landwirtschaftsstudentinnen sowie kommunale Einrichtungen aus. Offenbar bemühten sich sowohl die Straßburger als auch die Gießener darum, ihre Studentinnen vor Ort und damit die Universität offen zu halten.128 Ganz anders verhielt sich der Berliner Rektor Ernst Bumm: Er wandte sich nicht erst im Oktober an die Studentinnen, sondern bereits am 22. September – also vier Tage nach dem Aufruf des Kriegsministers. Bei dessen Bekannt machung gab er sich »der Hoffnung hin (…), daß er begeisterten Anklang findet. Die Alma mater erwartet von dem Patriotismus ihrer Töchter, daß alle, die körperlich geeignet sind, sich alsbald melden. Es kommt jetzt nicht darauf an, den Wissenschaften und Künsten obzuliegen, sondern den Krieg zu gewinnen. Daran müssen auch die Studentinnen ihr Teil mithelfen.«
Drei Tage später ging (entsprechend dem vorgezogenen Wintersemester) das Rektorat auf den Geographen Albrecht Penck über, der am 29. September einen »Aufruf zum Vaterländischen Hilfsdienst« an die »Kommilitonen!« erließ. Rhetorisch war er wesentlich zurückhaltender als Bumm eine Woche zuvor: »Auch die Meldung von Studentinnen wird entgegengenommen.« Aber die prinzipielle Aufforderung blieb bestehen, denn er ersuchte »alle Studierenden, die eine Stellung im Hilfsdienste noch nicht angenommen haben«, die entsprechenden Meldekarten bis 20. Oktober abzugeben.129 Immerhin verwundert hier die großzügige dreiwöchige Meldefrist. Studentinnen, die sich freiwillig meldeten, erhielten allerdings immer wieder den Bescheid, daß sie nicht benötigt würden. Die Kriegsamtstelle Magde burg z. B. teilte bereits am 18. Oktober (also genau einen Monat nach dem Aufruf des Ministers und zu einer Zeit, als in Straßburg und Berlin noch die Vorbereitungen zu dessen Umsetzung liefen!) mit, daß sich »im hiesigen Korps bezirk wie auch an anderen Stellen die Dringlichkeit der Angelegenheit insofern verschoben [habe], als ziemlich unvermittelt die sehr starke Nachfrage nach weiblichen Arbeitskräften für die Rüstungsindustrie zurückgegangen ist.«130 Ähnliches wurde damals (und in den folgenden Monaten) auch für andere Regionen gemeldet.131 128 Bei Anderhub, Antoniterkreuz, kommt dieser Ausschnitt des Hilfsdienstes gar nicht vor. Erwähnt werden nur die Zahl der Frauen für November 1917 und die Suche nach Munitionsarbeiterinnen im Mai 1918 (S. 48). 129 Beide Aufrufe sind (wie auch der irrtümlich auf 13.9. datierte des Ministers) abgedruckt in: BAN XII (1917/18), S. 2 f. 130 Hepelmann, Beiträge zur Geschichte der Frauenarbeit, S. 52 f. (mit ausführlichem Auszug aus dem Schreiben). 131 Für Greifswald s. den folgenden Absatz; für Bayern die Bekanntgabe des Bayer. Kriegsmin. an die Studentinnen vom 2.2.1918, abgedruckt bei Gersdorff, Frauen im Kriegsdienst, S. 225.
500 Die Universitäten im Kriegseinsatz Und dies war wiederum Anlaß für grundsätzliche Bedenken, die der Greifswalder Botaniker Franz Schütt gegen den Einsatz der Studentinnen in der Munitionsindustrie vorbrachte.132 Schütt bejahte die Berechtigung der Aufforderung an die Töchter, dem Vaterland »mit Leib und Leben« zu dienen, wenn es ihrer tatsächlich bedürfe (34, 36). Er selbst hatte seine Tochter zuerst der Greifswalder Munitionsfabrik und, nach deren Ablehnung, den Daimler Motor werken angeboten. Von beiden erfuhr er jedoch, daß es einen ›Überfluß‹ an ungelernten Arbeiterinnen gebe (34). Ähnliches berichteten ihm Studentinnen, die sich selbst gemeldet hatten. Als er dies der Fakultät mitteilte, beauftragte diese ihn mit einer Erhebung. Schütts über 30seitige Darstellung wurde vom Dekan der Philosophischen Fakultät an die anderen deutschen Universitäten verschickt und diente auch dort als Grundlage weiterer Diskussionen. Sein Brief an Großbetriebe der Rüstungsindustrie (36–37) sowie Auszüge aus deren Antworten bildeten Teil seiner Darstellung. Daraus ergab sich eine Fülle von Einwänden gegen den Einsatz von Studentinnen in der Munitionsindustrie. In einer Reihe von Betrieben bestand gar kein Mangel,133 in anderen nur gelegentlich (39), oder er konnte durch Zuzug vom Land (38, 41) oder Rückgriff auf Frauen bürgerlicher Stände (54) ausgeglichen werden. Wo aber tatsächlich Mangel herrsche, sei die Zahl der Studentinnen zu gering, um überhaupt ins Gewicht zu fallen (39, 42, 50). Gelegentlich hieß es sogar, sie nähmen Arbeiterinnen das Brot weg und gefährdeten damit den Burgfrieden (44, 46). Umgekehrt wurde aber auch auf die körperliche und sittliche Gefährdung der Studentinnen hingewiesen (44, 51 f., 54). Immer wieder wurde die Zweckmäßigkeit bezweifelt, weil eigentlich ein Mangel an gelernten Arbeitern bestehe (60) und weil die Relation zwischen Opfer und Ertrag nicht stimme (50). (Der Autor hatte den Firmen im Anschreiben die Verzögerung des Studiums und dadurch längere finanzielle Belastung der Eltern vor Augen gestellt.) Sinnvoller würden die Studentinnen in qualifizierter Arbeit eingesetzt, etwa als Ärztinnen in den Lazaretten (45), in den Kriegsämtern (wo dadurch die weniger intelligenten Männer für die Front frei gemacht würden) (51) oder in der Verwaltung besetzter Gebiete (45.) Sie sollten sich besser ihrem gewählten Beruf zuwenden und darin dem Vaterlande dienen (54 f.). Eine Firma in der Rheinprovinz bezeichnete den Einsatz der Studentinnen in der Munitionsindustrie gar als »groben Unfug« (53, 54). Die Diskrepanz zwischen der Anwerbungsaktion und dem tatsäch lichen Bedarf konnte sich Schütt nur aus der Tätigkeit der »Damen« vom Kriegsamt erklären, die im vorigen Jahre »zu ihrem großen Schmerze vom Kriegsministerium zurückgewiesen« worden seien und denen es jetzt »gelun132 Betr.: Dienst der Studentinnen als Arbeiterinnen in Munitionsfabriken [Abschrift ohne Angabe des Autors]: UA Gi PrA 1093, fol. 33–66. In der folgenden Zusammenfassung werden die Blattangaben direkt eingefügt. 133 Wie A. 132, fol. 39, 40, 41, 43, 45, 46 f., 56.
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gen [sei], hineinzukommen«. Die letzte Bemerkung hatte er übrigens bei ihnen selbst aufgeschnappt (59). Er schilderte auch den Auftritt zweier solcher »Damen« in der Universität Greifswald. Bei ihrer Werbung seien sie »vom gynagogischen Standpunkte aus sehr geschickt« vorgegangen, so daß sich die angesprochenen Studentinnen als »Retterinnen des Vaterlandes« hätten fühlen können, während »die offenkun digen Schädigungen und Gefahren (…) glattweg verneint« worden seien (56). Dagegen hätten die Damen versäumt zu beweisen, daß der Mangel ohne die Studentinnen nicht zu lösen und das Reich in seiner Verteidigung gefährdet sei. Sie stützten sich nur auf gelegentlichen lokalen Bedarf – sogar an einer Volksbibliothekarin im Saarland oder einer Apothekenhelferin in Stettin. »[A]ber unsere Studentinnen sind doch keine beschäftigungslosen stellungsuchenden Mädchen, sie sind vielmehr in ihrem Beruf vollwichtig beschäftigt.« (57) Daß sie »gewissermaßen als Sauerteig im Brotteig der übrigen Frauenschaft dienen« sollten, schien ihm als politisches Experiment zwar interessant, aber »von recht zweifelhaftem Wert« (58). Nach Schütts Bericht an die Fakultät beauftragte diese ihn, dem Kriegsminister ihre Zweifel an der Aktion zu vermitteln. Dort war inzwischen schon ein neuer Erlaß in Vorbereitung – aber da der Greifswalder Fakultät auch daran vieles kritikwürdig erschien, erarbeitete sie einen Katalog von Bedingungen für den Arbeitseinsatz der Studentinnen und schickte ihn zusammen mit Schütts Bericht allen deutschen Universitäten. In Gießen z. B. wurden diese Darlegungen vom Dekan der Philosophischen Fakultät (also jener, die als einzige wirklich von der Frage betroffen war) »mit lebhafter Zustimmung« zur »Kenntnis genommen«.134 Der Rektor der Universität Münster dagegen widersprach dem Greifswalder Kollegen und setzte davon ebenfalls alle Universitäten in Kenntnis. Im Münsteraner Korpsbezirk, der im Herzen der Rüstungsindustrie liege, sei der Bedarf außerordentlich groß und werde Anfang 1918 »noch wesentlich steigen«. Die vom Greifswalder Kollegen angeführten gegenteiligen Aussagen rührten daher, daß die Fabriken die gelernten Arbeiter, die meist kriegsverwendungsfähig seien, nur ungern hergäben und sich daher gegen jeden Ersatz sträubten, während die Heeresleitung auf jeden Mann den größten Wert lege. »Die sogenannten Fachoffiziere (also nicht die Kriegsamts-Damen), die unausgesetzt die Industrie bereisen, und in deren Berichte mir auf Wunsch ein Einblick vertraulich gestattet ist, haben überall diese K. V. [kriegsverwendungsfähigen] Leute ›auszukämmen‹, während die Kriegsamts-Damen hierfür Ersatz zu besorgen haben, wobei besonders auf gebildete Hilfskräfte Wert gelegt wird.« Die bisherigen Erfahrungen mit Studentinnen seien »ganz vorzüglich«, und diese berichteten ihrerseits nur günstig über ihre Erfahrungen. Zwar sei für schwere wie leichte Arbeit körper liche Gesundheit erforderlich, doch habe »diese Arbeit gesunden Damen bisher 134 Vermerk Engels vom 15.11.1917 auf der Abschrift (wie A. 132), fol. 33.
502 Die Universitäten im Kriegseinsatz nicht geschadet«, sondern sei »oft sogar körperlich von Vorteil gewesen (…). Schwerst-Arbeit dagegen ist unter allen Umständen ausgeschlossen. Wir haben uns hier von vornherein auf den Standpunkt gestellt, daß jeder Zwang zu vermeiden ist und tunlichst Individualisierung zu gelten hat.« Da der Bedarf in seiner Region nicht gedeckt werden könne, vermittle das Kriegsamt Münster gern Angebote. Über »die richtige und zweckmäßigste Ausführung der kriegs ministeriellen Anordnungen« wache ein Studentinnen-Ausschuß unter Vorsitz des Rektors und »fachmännischem Beirat« eines weiteren Professors, des Chemikers Rudolf Schenck.135 Der neue Erlaß des Kriegsministers vom 3. November 1917 schärfte an gesichts bislang offenbar unterschiedlicher Auslegung (und Handhabung) des Aufrufs vom September den Rektoren die Freiwilligkeit der Munitionsarbeit ein – denn nur, »wenn die Aufnahme der Arbeit freiwillig und freudig aus innerster Ueberzeugung« geschehe, könne ihr Zweck erreicht werden. Zugleich müsse aber daran festgehalten werden, daß die Studentinnen in der Rüstungsindustrie weiterhin »notwendig und erwünscht« seien, besonders auch außerhalb des Korpsbezirks, in dem die Universität liege. Von der »Einsicht und (…) grösseren inneren und äusseren Beweglichkeit« der Studentinnen dürfe er wartet werden, daß sie sich den starken und plötzlichen Schwankungen des Arbeitsmarktes anpaßten. Dabei sollten die Kriegsamtstellen die persönlichen Verhältnisse wie auch für das Semester schon geleistete Zahlungen berücksichtigen. Das solle der enge Kontakt zwischen Kriegsamtstelle (oder lokaler Auskunftsstelle) mit den Studentinnen bzw. einem von ihnen gewählten Ausschuß gewährleisten. Eine »direkte Vermittlung seitens der Universität an Betriebe oder direkte Meldungen der Studentinnen an solche« habe zu unterbleiben. Das Ministerium wies auch auf die bislang gemachten Erfahrungen hin, die die »Zweckmässigkeit« belegt und das Vertrauen auf die »Pionierarbeit« gerechtfertigt hätten. Hervorgehoben wurden noch die gesteigerte (!) Gesundheit der Studentinnen, Zufriedenheit der Arbeitgeber und guten Beziehungen zur Arbeiterschaft. Das Ministerium hoffte nun auf das »allmählich(e) (S)chwinden« der Bedenken und betonte: »Die mit der Studentinnenarbeit gemachten Erfahrungen werden für die an einzelnen Stellen schon begonnene und voraussichtlich bald allgemein notwendige Heranziehung aller Frauen zu kriegswirtschaftlicher Arbeit gute Dienste leisten.« Es bat um Übermittlung von Bedenken, Beschwerden, Anregungen und Angabe der Zahl der »aus Studentinnenkreisen gewonnenen Arbeitskräfte«, möglichst auch der von ihnen übernommenen Arbeit. Am Rand dieses Absatzes vermerkte der Gießener Universitäts 135 Rektor der Westfälischen Wilhelms-Universität an Dekan der Phil. Fak. Greifswald 17.11.1917 (hektograph. Abschrift): ADBR 103 AL 194. Zur Identifizierung des »Kollegen Geheimrats Schenk (!)«: Personal-Verzeichnis der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster WS 1917/18, S. 16.
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sekretär allerdings: »Auf Anordnung Sr. Magnifizenz vorerst wieder z[u] d[en] A[kten]«136 – was auf weitere Zurückhaltung in dieser Universität hindeutet. Parallel dazu wurden die Kriegsamtstellen vom Ministerium aufgefordert, die »Aufklärungsarbeit« weiterzuführen und auch gelegentliche Führungen von Studentinnen durch Rüstungsbetriebe zu organisieren. Die Arbeitsmarktlage gestatte derzeit »eine weitgehende Rücksichtnahme auf die Studierenden«, doch sollten alle Maßnahmen »so getroffen werden, dass eine rasche Heranziehung« bei wieder ansteigenden Bedarf jederzeit möglich sei. Damals bestand er jedoch nur im Gebiet der Kriegsamtstellen Münster und Saarbrücken, denen »aus den Ueberschussgebieten studentische Kräfte zu verschaffen« seien. Aber auch den Mangel an ärztlichem Personal in Krankenhäusern sollten die Kriegs amtstellen durch Vermittlung von Studentinnen klinischer Semester ausgleichen und überhaupt alle anderen Möglichkeiten berücksichtigen, Studentinnen ihren »besonderen Eigenschaften und Fähigkeiten nach zu beschäftigen«.137 Schütt würdigte, daß der neue Erlaß tatsächlich die »Freiwilligkeit der Leistung der Studentinnen« betont habe. Doch komme dies für viele zu spät: »In Folge der heftigen Agitation standen die Studentinnen unter einem schweren gesellschaftlichen Druck, der auch diejenigen zwang, ihre Unterschrift herzugeben, die gar nicht dafür waren. Jetzt fühlen sie sich durch das gegebene Wort gebunden. Von Freiwilligkeit kann da nicht mehr geredet werden.«
Er begrüßte, daß die möglichen Schädigungen mehr berücksichtigt werden sollten, kritisierte aber, daß eine Befreiung nur ›kurz vor Abschluß des Studiums‹ zu wenig sei und »der Uebereifer der Kriegsamtsdamen etwas wirksamer« hätte »gebremst« werden müssen. Noch immer würden die Studentinnen »zu poli tischen Experimenten« gebraucht.138 Während Schütt seinen Bericht Ende November per Telegramm zurück zog,139 versuchte der Gießener Rektor nun, für einen evtl. »plötzlich« eintretenden »starken Mehrbedarf« an hilfsdienstleistenden Frauen vorzusorgen: Es sollte eine »Frauendienst-Fürsorgestelle« dafür eingerichtet werden, die zu leiten eine »Frau Geheimrat Gail« sich bereit erklärt hatte. Dafür sollte nach Gisevius’ Vorstellung die Stadt eine Fürsorgeschwester bereitstellen. Außerdem sollte das Kriegsamt für die Einrichtung von Fürsorgestellen an den Arbeits orten sorgen. Dies begründete er damit, daß die Studentinnen wie die gebildeten Frauen generell auf die neuen Anforderungen nicht vorbereitet seien und ihnen angesichts der langen Arbeitszeit und körperlichen Betätigung keine Zeit 136 Kriegsmin. [an die Rektoren der deutschen Universitäten und Technischen Hoch schulen] 3.11.1917: UA Gi PrA 1093, fol. 7–8v. 137 Kriegsmin. [an die Kriegsamtstellen] 3.11.1917: UA Gi PrA 1093, fol. 30–31. 138 Wie A. 132, fol. 59–60. 139 Telegramm 27.11.1917: UA Gi PrA 1093, fol. 29.
504 Die Universitäten im Kriegseinsatz für die Regelung der Lebensverhältnisse bleibe. Daher sollten sich um Schlafstelle, Kost, Bekleidung also diese neuen Fürsorgeeinrichtungen kümmern. (Arbeiterinnen dagegen könnten auf die Hilfe ihrer Kolleginnen rechnen.) Die Stadt war einverstanden, auch die Frauenarbeitsnebenstelle reagierte zustimmend auf den Plan einer Fürsorgevermittlungsstelle in Gießen (und schwieg zu den erwähnten Stellen am Einsatzort!). Die Gießener Stelle wurde Mitte De zember eröffnet und hielt zunächst zweimal pro Woche am Abend Sprechstunde ab.140
Der Umfang der Hilfstätigkeit der Studentinnen Im Spätsommer oder Herbst 1917, etwa zur Zeit des Aufrufs, waren in Gießen zehn Studentinnen im Hilfsdienst tätig: drei erteilten Schulunterricht, fünf arbeiteten beim Kommunalverband, bei einer war nur »Siegen« vermerkt (was sich vermutlich auf eine von der dortigen Kriegsamtsnebenstelle vermittelte Arbeit bezieht). Außerdem war eine Assistentin verzeichnet, die seit Ostern 1912 am Veterinäranatomischen Institut arbeitete.141 Das Spektrum der in Frage kommenden und zum Teil ausgeübten Tätigkeiten reichte von der Helferin im Pfarrhaus über diverse Schreibarbeiten (für das Lebensmittelamt oder den Direktor der Universitätsbibliothek), Gartenarbeit im Agrarchemischen Institut und Tätigkeit im Kinderhort bis zu Übersetzungsarbeiten im Gefangenenlager. Doch scheinen allen diesen Aktivitäten nur wenige Stunden pro Woche gewidmet worden zu sein (im Kinderhort z. B. zweimal zwei). Insofern waren sie gut mit dem Studium vereinbar. Einmal war sogar vermerkt, daß die Arbeit nur während des Semesters in Frage komme, bei Bezahlung allerdings auch in den Semesterferien.142 Wirklich gesucht wurden dagegen qualifizierte Fachkräfte. So fehlten etwa Fachkundige für Schulzahnkliniken im Rheinland und Westfalen. Deshalb sollten Kandidatinnen der Zahnheilkunde »als Hilfskräfte« eingestellt und mit einer Eingabe an das preußische Kultusministerium auch versucht werden, ihnen die praktische Arbeitszeit auf das Semester anzurechnen. Diese »überaus notwendige vaterländische Hilfsarbeit« sollte mit 300 M. monatlich vergütet werden. Doch diesem (für angehende Zahnärztinnen eigentlich attraktiven)
140 Gisevius an Oberbürgermeister 30.11.1917; Einverständnis der Stadt: Gisevius an Frau Gail (Entwurf o. D.); Frauenarbeitsnebenstelle Darmstadt an Rektor Gi 6.12.1917; Toni Gail an Rektor Gisevius 8.12.1917. Alle: UA Gi PrA 1093, fol. 22–23, 21, 14, 12. 141 Notiz o. D.: UA Gi PrA 1093, fol. 95. Die vermutete Datierung ergibt sich aus der chronologischen Ordnung der Akte (wobei die frühesten Daten der höchsten Paginierung entsprechen). 142 Liste für den Hilfsdienst: UA Gi PrA 1093, fol. 89–90.
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Angebot konnten z. B. Gießener Studentinnen nicht nachgehen, weil man hier keine Zahnmedizin studieren konnte.143 Eine Metallbarometerfabrik in Stuttgart suchte für dringende kriegswichtige Aufgaben »noch eine Anzahl junger studierender Damen mit guten physikalischen und mathematischen Kenntnissen« und bat verschiedene Universitäten um Aushang ihres Aufrufs. Das Anfangsgehalt war – bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 58,5 Stunden! – nur halb so hoch wie für die Zahnmedizinerinnen, doch wurde bei zufriedenstellenden Leistungen baldige Aufbesserung versprochen.144 Wirklich in der Munitionsindustrie eingesetzt wurden Gießener Studentinnen aber erst ab Mai 1918. Damals bat die Kriegsamtnebenstelle Siegen »die Studentinnen, besonders die jüngeren Semester, sich dem Vaterland wenigstens solange zur Verfügung zu stellen, wie der Mangel an weiblichen Arbeitsk räften infolge der Offensive im Westen und der erneuten Anforderung der Landwirtschaft besonders groß ist.« Angefügt war eine Aufzählung der Betriebe. Der Rektor vergewisserte sich nun zuerst, ob die Fürsorgestelle die Vermittlung übernehmen könne und hängte den Text dann, neu geschrieben und durch seinen Hinweis auf diese Meldestelle vor Ort ergänzt, aus. Mit diesem Aufruf wurde starker moralischer Druck auf die Studentinnen ausgeübt; denn es hieß: »Die Studenten, die in großer Zahl im Militär- oder Hilfsdienst dem Vater lande dienen, erwarten, daß auch die Studentinnen einmal etwas für ihr Vaterland leisten.«145 Die Tätigkeiten der Straßburger Studentinnen scheinen etwas stärker im qualifizierten Bereich gelegen zu haben. Allerdings wurden auch hier nur wenige aktiv – vereinzelt schon vor dem Aufruf des Kriegsministers, andere wohl in Reaktion darauf (um den Munitionsdienst zu umgehen). Dies ergibt sich aus den Schreiben, die im Dezember als Reaktion auf den ministeriellen Aufruf beim Rektor eingingen. Eine Studentin der Juristischen Fakultät (zu der ja auch die Nationalökonomie gehörte) arbeitete in der von Prof. Spiro geleiteten Prüfungsstelle für Ersatzmittel,146 eine weitere unter Prof. Spahn in der Abteilung Leistungskontrolle der Unterelsässischen Milchversorgung,147 eine
143 Kriegsamtstelle Münster 27.11.1917 (mit Vermerk über die Antwort am 29.11.1917): UA Gi PrA 1093, fol. 17. 144 G. Lufft Metallbarometerfabrik Stuttgart an Rektorat Strb. 17.12.1917; G. Lufft (…): An die p:p. [!] Studentinnen und Hörerinnen! 15.12.1917; beide: ADBR 103 AL 194; auch in: UA Gi PrA 1093, fol. 9, 11. 145 Kriegsamtnebenstelle Siegen. Abt. Frauen an Rektor Gi 16.5.1918; Kriegsamtnebenstelle Siegen 16.5.1918 (Aufruf); Abschrift des Aufrufs (Matrize; mit Einfügung des Rektors). Alle: UA Gi PrA 1093, fol. 5, 6, 4. 146 L. Gisselbrecht an Rektor Strb. 12.12.1917: ADBR 103 AL 194. Die Fakultätszugehörigkeit der im folgenden genannten Studentinnen wurde, sofern nicht in ihren Schreiben erhalten, aus PV KWU Strb. WS 1917/18 ermittelt. 147 Irene Pinder an Rektor Strb. 1.12.1914: ADBR 103 AL 194.
506 Die Universitäten im Kriegseinsatz dritte war seit August 1917 bei der militärischen Postüberwachungsstelle beschäftigt.148 Eine Studentin der Philosophischen Fakultät (die bereits vier Jahre studiert hatte) war als Oberlehrerin an einer höheren Mädchenschule »angestellt« und sah sich daher nicht imstande, eine andere »kriegswirtschaftliche« Arbeit zu übernehmen.149 Von ihren Fakultätskommilitoninnen war eine seit September für die »Jugendlesehallen verpflichtet« (was die Kriegsamtstelle als Hilfsdienst anerkannt hatte), eine andere arbeitete seit 1. Dezember in der »Kreisdirektion, Abt. Kriegswirtschaftsstelle«.150 Doch neben solchen, bei der Mitteilung bereits seit einigen Wochen oder sogar länger ausgeübten Engagements stand auch die nur einwöchige Beschäftigung einer Mathematikerin bei der Unterelsässischen Milchversorgung im Januar 1918.151 Wie viele Stunden diese Studentinnen pro Woche dafür investierten, ist unklar. Aber jedenfalls scheinen auch sie diese Tätigkeiten mit der Fortsetzung ihres Studiums ver bunden zu haben. Das ergibt sich indirekt auch aus einem Studienortwechsel, der die Folge einer Versetzung im Hilfsdienst war.152 Auch Studentinnen der vorklinischen Semester konnten an medizinischen Instituten Beschäftigung als Hilfskräfte finden. Ende Dezember 1917 sah der Dekan solche Möglichkeiten für elf Personen. »Ob eventuell Bezahlung statt finden kann, vermag ich heute noch nicht anzugeben. Meiner Ansicht nach ist das aber ganz überflüssig, da die genannten Studierenden sehr grossen Nutzen aus der Beschäftigung ziehen könnten.« Einen Monat später konnte er die Namen von vier solcher, durch die Kriegsamtstelle bei medizinischen Instituten angestellten »studierenden Damen« nennen.153 Wenige Tage später waren weitere Erfolge zu melden; denn als die Studentenvertreterin vom Kriegsamt das Angebot für die Beschäftigung von Medizinstudentinnen an Universitäts instituten erhielt, unterrichtete sie diese zugleich auch »von der Notwendigkeit Hilfskräfte in der Erdarbeit einzustellen« – obwohl doch Medizinerinnen laut Aufruf des Kriegsministeriums von solchen fachfremden Einsätzen ausgenommen werden sollten. (In Lothringen wurden damals 1000 Frauen dafür gesucht, bis Spätjahr 1917 hatte man »durch mühsamste Werbearbeit« aber erst 250 gefunden.) Daraufhin meldeten sich von den 13 Medizinerinnen der vorklini148 Margarete Wegener [an Rektor Strb. o. D.]: ADBR 103 AL 194. Zur Anforderung von Studentinnen für die Überwachung der Post der Kriegsgefangenen s. Scherb, »Ich stehe in der Sonne«, S. 99. 149 Gertrud Zorn an Rektor Strb. 16.12.1917: ADBR 103 AL 194. 150 Alice Schlagdenhauffen bzw. Anna Knaudt an Rektor Strb. 19.12.1917 bzw. 15.12.1917: ADBR 103 AL 194. 151 Berta Stockicht an Rektor Strb. 3.1.1918: ADBR 103 AL 194. 152 Eine bisherige Straßburger Medizinstudentin wollte an ihrem neuen Einsatzort Frankfurt Vorlesungen als Gasthörerin besuchen und bat den Straßburger Rektor um Be urlaubung. Kriegsamtstelle Frankfurt a. M. an Univ. Strb. 26.10.1917 (Unterschrift: Erika Griesbach): ADBR 103 AL 194. 153 Dekanat der Med. Fak. Strb. an Rektor 28.12.1917 bzw. 29.1.1918: ADBR 103 AL 194.
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schen Semester sieben für »den Hilfsdienst im eigenen Beruf«. Außerdem waren zwei Studentinnen der klinischen Semester bereit, in den Semesterferien Dienst in Spitälern zu leisten. Die (verheiratete) Sprecherin selbst hatte sich, wie auch die anderen in der Examensvorbereitung befindlichen, nicht gemeldet, aber zuvor drei Monate im Lazarett gearbeitet. Ob weitere einen Hilfsdienst antreten würden, war damals unklar und hing offenbar stark von den materiellen Bedingungen ab; denn mit einer Ausnahme wurden alle unbezahlt beschäftigt – und das stellte die Studentinnen, die nicht aus Straßburg stammten, vor das Problem, auch während der Ferien ein Zimmer mieten zu müssen. (Damals wurden Studentenbuden nicht monatsweise auf Dauer, sondern jeweils für die Vorlesungszeit eines Semesters gemietet.) Immerhin fand eine Colmarerin Arbeit im Spital ihrer Heimatstadt.154 Die erste (undatierte) Liste von in »vaterländischer Hilfsarbeit beschäftigten Studentinnen« umfaßte 11 Personen, davon drei weitere Postüberwacherinnen in Straßburg, aber auch zwei Erdarbeiterinnen im Oberelsaß. Eine Liste vom 12. Februar 1918 enthielt dann (inklusive der Medizinerinnen) 21 Namen. Das war ein gutes Fünftel der 98 im Wintersemester in Straßburg immatrikulierten Frauen.155 Im Jahresbericht der Kriegsstelle der Universität für 1917/18 hieß es: »In den verschiedensten Diensten haben sich unsere Studentinnen bewährt. Dem für Frauen freiwilligen Hilfsdienste, auch schwersten Arbeiten, hat sich eine erhebliche Anzahl unterzogen. Unter der Führung einer schon Promovierten haben einige im Oberelsaß bei Erdarbeiten geholfen, andere bei der Munitionsherstellung.«
Außer den sonstigen oben genannten Aktivitäten wurden einige weitere aufgezählt, etwa die Regelung der »Eierzählung«; doch wurden hier ebensowenig 154 Liane Immermann an Rektor Strb. 4.2.1918: ADBR 103 AL 194 (Familienstatus laut der Selbstbezeichnung »Frau« und dem im PV angegebenen Geburtsnamen). Der Ehemann scheint kein Student gewesen zu sein, denn er kommt im Verzeichnis weder unter den Immatrikulierten noch unter den Gefallenen vor. – Zu den von der Kriegsamtstelle Saarbrücken angegebenen Zahlen über Erdarbeiterinnen s. S VI (1917), S. 54 f. Vermutlich waren bislang keine Studentinnen darunter, sonst wären sie gewiß erwähnt worden. Im Gegenteil war von der Notwendigkeit die Rede, »daß sich auch gebildete Frauen als Vorarbeiterinnen hinausmelden« und so durch ihr Beispiel andere anfeuerten. 155 Verzeichnis der in vaterländischer Hilfsarbeit beschäftigten Studentinnen o. D.; Entwurf [des Rektors] 12.2.1918. Beide: ADBR 103 AL 194. Daten der Immatrikulierten und Hospitantinnen: PV KWU Strb. WS 1917/18, S. 93. (Ob unter den Immatrikulierten Ausländerinnen waren, ist nicht zu ermitteln – da bei den insgesamt vier Ausländern die Frauen nicht getrennt ausgewiesen waren.) Daneben gab es noch 117 Hospitantinnen – doch waren das (zumindest in der Vorkriegszeit) neben Absolventinnen russischer Mädchengymnasien vor allem Frauen des Bürgertums gewesen, die nur einzelne Vorlesungen hörten. S. dazu Trude Maurer, Ein Lehrstück über die Dialektik des Fortschritts. Die Zulassung von Frauen an der Universität Straßburg. Reichsländische Variationen zu einem gesamtdeutschen Thema, in: JUG 16 (2013), S. 9–50.
508 Die Universitäten im Kriegseinsatz wie in den Berichten über die Hochschullehrer exakte Zahlen genannt. Immer ist von »einigen«, »eine[r] größere[n] Zahl« oder »mehreren« die Rede.156 Die Erdarbeiterinnen, die offenbar eine Besonderheit der elsässischen Westfront waren, waren im Straßenbau, aber auch mit Schanzarbeiten und dem Ausheben von Munitionsunterständen beschäftigt. Gebildete Frauen sollten hier dieselbe Funktion erfüllen wie in der Rüstungsindustrie: »das Kriegsschicksal dieser Frauen teilen, sich als die sozial Bevorzugten neben sie stellen, den stumpf und gleichgültig Gewordenen etwas von der Würde ihrer Arbeit einprägen«.157 Andererseits legten schon im November 1917 mancherorts die Studentinnen ihre Arbeit nieder, weil es ein Überangebot an Arbeitskräften gab. Bei Zeiss in Jena z. B. schien ihnen dies wohl nicht nur »im Interesse der Arbeiterschaft (…) unbedingt geboten« (wurde den Studentinnen dann aber vorgeworfen).158 Manche der dort Beteiligten, die aus Marburg dafür angereist waren, monierten nämlich auch, daß dieses »Experiment mit zu großem Kraftaufwand, was Zeit und Geld anbelangt«, unternommen worden sei.159 Der Tübinger Verein rief seine Mitglieder im Dezember auf, wegen der Lage auf dem Arbeitsmarkt nicht in der Rüstungsindustrie zu arbeiten.160 1918 veränderte sich das Bild im Vergleich zu 1917 kaum: Entsprechend den »unvorhersehbaren schwankenden Verhältnisse(n) auf dem Gebiet der Produktion« schwankte auch der Bedarf an zusätzlichen Arbeitskräften. Die intensive Werbetätigkeit wurde fortgesetzt, die Studentinnen blieben verunsichert und beunruhigt. Als z. B. der Rektor der Universität Halle im Juli eine Versammlung der Studentinnen einberief, war das Interesse laut Angabe der Kriegsamtstelle Magdeburg (die die Versammlung initiiert hatte), »matt«. Nur sechs Frauen meldeten sich zum Hilfsdienst. (Immatrikuliert waren damals 192!).161 Für sich genommen, mögen auch die hier für Gießen und Straßburg eruierten Zahlen gering erscheinen; doch im Vergleich zu dem noch während des Krieges genannten Anteil von 3 % für den Hilfsdienst Beurlaubter (!) bzw. 6 %, die bis November 1917 in Stellen vermittelt werden konnten, jeweils bezogen
156 Ficker, Bericht IV (1917/18), S. 6 f. 157 Gersdorff, Frauen im Kriegsdienst, S. 30 (mit Zitat aus: Mitteilungen aus der Arbeit der Frauengruppen beim Kriegsersatz- und Arbeitsdepartement, […], Berlin 1918, S. 22). 158 Ursula Martin, Im Bewußtsein weiblicher Art leben und arbeiten. Frauenstudium und Jenaer Studentinnenverein bis 1918, Jena 1997, S. 20 f. 159 Studentinnen als Munitionsarbeiterinnen, in: Akademisch-Soziale Monatsschrift 1 (1917/18), S. 174–184; 2 (1918/19), S. 20–26 und 49–53, hier 53 (gez. L. G., die Orte sind nur mit M. und J. bezeichnet, die Firma mit Z.). 160 Martin, Im Bewußtsein weiblicher Art, S. 20 f. 161 Meldungen: Hepelmann, Beiträge zur Geschichte der Frauenarbeit, S. 56. Zahl der Immatrikulierten nach der endgültigen Feststellung im Verzeichnis des folgenden Semesters: Vereinigte Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg. Amtliches Verzeichnis der Behörden, Lehrer, Beamten und Anstalten (….) WS 1918/19, Halle 1918, S. 38.
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auf die Studentinnen aller deutschen Universitäten,162 scheint das Engagement der Studentinnen dieser beiden Universitäten fast bemerkenswert. Ähnlich waren die Befunde für Marburg und Freiburg: jeweils ein knappes Viertel der Studentinnen meldete sich zum Hilfsdienst – und dabei bezieht sich die Freiburger Zahl sogar ausdrücklich auf die Munitionsindustrie!163 Insofern sind die zeitgenössischen Angaben, die teilweise auf Schätzungen beruhen, andererseits aber wohl jene Frauen nicht berücksichtigen, die dem Hilfsdienst nur einen Teil ihrer Zeit widmeten, nach einzelnen Universitäten und nach unterschiedlichen Formen des Engagements zu differenzieren. Doch auch dann – oder gerade dann – bleibt die Resonanz insgesamt erstaunlich gering. Werbeaufwand und tatsächlicher Erfolg standen in einem offenkundigen Mißverhältnis: Bis 24.11.1917 hatten sich von etwa 5000 Studentinnen der deutschen Universitäten 300 gemeldet, davon wurden etwa 250 vermittelt. Darin waren auch die Beschäftigten in Bereichen außerhalb der Munitionsindustrie enthalten, die für die Kriegführung unmittelbar relevant waren: bei militärischen Erdarbeiten im Westen, feineren Arbeiten in Schlossereien, optischen Werkstätten, chemischen Labors, bei Bedienung elektrischer Schaltwerke sowie als Aufseherinnen, Kontrolleurinnen, Vorarbeiterinnen.164 Nicht eingerechnet waren aber offenbar die stundenweisen Beschäftigungen, die für Gießen typisch waren (und dessen Viertel im Hilfsdienst engagierter Studentinnen stark relativieren).
Schwache Resonanz – und immer neue Aufrufe Dafür, daß sich so wenige Studentinnen für den Einsatz in der Munitions industrie mobilisieren ließen, gab es eine Reihe von Gründen: Es fehlte, gerade von offizieller Seite, an der notwendigen Organisation. Auch wurde der gute Wille mancher Studentinnen zunichte gemacht, als man keinen Bedarf für sie hatte, weil die Produktion infolge Materialmangels zurückging. Außerdem hätten Appelle am Ende des Sommersemesters 1917 vielleicht mehr Erfolg gehabt als in der Mitte der Semesterferien, als vermutlich der größere Teil der Studen162 3 %: Hausmann, Frauenstudium im Kriege, S. 23. 6 % (errechnet aus den Angaben) bei Hepelmann, Beiträge zur Geschichte der Frauenarbeit, S. 51. 163 In Marburg meldeten sich im Oktober 1917 68 von 351 immatrikulierten Frauen (das entspricht 19,4 %), weitere 27 im November (insgesamt dann also 27 %). Nach Wettmann, Heimatfront Universität, S. 246. In Freiburg meldeten sich nach dem Aufruf 29 Frauen für die Arbeit in der Munitionsindustrie (Scherb, »Ich stehe in der Sonne«, S. 101). Immatrikuliert waren laut offizieller Statistik damals 119: Verzeichnis der Behörden, Lehrer, Anstalten, Beamten und Studierenden der Badischen Universität Freiburg WS 1917/18, Freiburg 1917, S. 116. 164 Daten nach Hepelmann, Beiträge zur Geschichte der Frauenarbeit, S. 51 (aus Unter lagen, die das Kriegsmin. für den Reichstag zusammengestellt hatte).
510 Die Universitäten im Kriegseinsatz tinnenschaft nicht vor Ort war. (Und andererseits hatten die danach an den Studienort zurückgekehrten Frauen sich mit der Anmietung eines Zimmers ja schon wieder finanziell gebunden.) Die Zeitschrift Der Arbeitsnachweis in Deutschland kritisierte Anfang 1918, daß keine Rücksprache mit Arbeitsnachweisen genommen worden war. Dadurch seien die Studentinnen zur falschen Zeit mobilisiert worden und Unruhe entstanden. Deshalb befürchteten diese Experten, daß die Studentinnen solchen Appellen in Zukunft mit Mißtrauen begegnen würden.165 Der Initiator der Sozialen Arbeitsgemeinschaft Berlin-Ost und Gründer der dortigen Nachbarschaftssiedlung, Friedrich Siegmund-Schultze, konstatierte »in weiten Kreisen der Studentinnenschaft (…) eine allgemeine Ent täuschung über die Munitionsarbeit«, welche er auf die dabei gemachten Fehler zurückführte. Die sich schnell ändernden Bedarfsprognosen und Aufrufe hätten schließlich den Verdacht geweckt, »die ganze Aktion für Munitionsarbeit der Studentinnen sei eingeleitet worden, um das Übergewicht der Frauen an den Universitäten zu brechen« – was allerdings schon dadurch widerlegt werde, daß das Kultusministerium »von der Aktion der Kriegsämter gar nicht zuvor unterrichtet worden war.« Der Absicht, durch die Studentinnen weitere Frauen des Mittelstands zu motivieren, widerspreche aber der fehlende Bedarf.166 Die Frage, warum sich nach dem Aufruf des Kriegsministers so wenige meldeten, stellt sich um so mehr, als der Verband der Studentinnenvereine Deutschlands (VStD) seine Mitglieder eindringlich zur Mitarbeit aufgerufen und sie sogar verpflichtet hatte, der Vorsitzenden ihres (jeweiligen lokalen) Vereins ihre Stellungnahme zu dem Aufruf schriftlich mitzuteilen.167 Die Verbandsvorsitzende Elfriede Dieckmann, 1915–1918 Studentin der Mathematik und Naturwissenschaften in Jena und damals mit der Montage von Funkgeräten beschäftigt,168 erinnerte an die wiederholt zurückgewiesene Bereitschaft der Studentinnen. Bislang sei die Fortsetzung des Studiums als »erste Pflicht« und »notwendige Zukunftsarbeit« erklärt worden. »Jetzt aber ist der Augenblick gekommen, da diese Pflicht einer höheren weichen muß«, der eingangs erwähnten »Mithilfe bei der Verteidigung unseres geliebten Vaterlandes«. Doch das war, glaubt man dem Aufruf, (vor allem psychisch) geradezu ein Segen für die Studentinnen selbst: 165 Hepelmann, Beiträge zur Geschichte der Frauenarbeit, S. 52–54. 166 F. S.-S., [Einführung zu:] Studentinnen als Munitionsarbeiterinnen, S. 174–177, Zitate 175, 175 f., 176. 167 Das Rundschreiben vom 22.9.1917 ist abgedruckt bei Hepelmann, Beiträge zur Geschichte der Frauenarbeit, S. 51 f. A. 131. Ohne den Satz über die Erklärungspflicht, ohne Datierung und mit leichten stilistischen Varianten findet man den Aufruf auch in der Verbandszeitschrift (s. A. 169). Die folgende Interpretation bezieht sich auf diesen ver öffentlichten Text. 168 Martin, Im Bewußtsein weiblicher Art, S. 35, 20.
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»Man braucht auch uns! Das wird jede einzelne von uns mit Stolz und Freude er füllen. Wie lange schon leiden viele von uns unter dem Konflikt zwischen dem Wunsch nach einem Leben für diese gewaltige Zeit und der Gebundenheit an die so ganz persönliche Ausbildung.«
Das »auch« zeigt: Sie wollten endlich dazugehören. Sogar jene, die nur durch »schweres Entsagen, oft sogar ein Opfer der ganzen Familie« studieren konnten, nahm die Vorsitzende in die Pflicht und ließ keinen Zweifel: »Nun ist die Frage, ob die Aufgabe [das Aufgeben] des Studiums dem Nutzen entspricht, durch die bittere Notwendigkeit gelöst.« Wie im Aufruf des Kriegsministers, waren die Studentinnen auch hier »zu Pionieren ausersehen«. Nach dem Testlauf in Torgau konnte die Jenaer Studentin sogar guten Gewissens sagen: »Viele von uns haben diese Pionierarbeit schon in den Ferien auf sich genommen. Nun werden alle folgen. In treuvaterländischer (!) Gesinnung, in vollem Bewußtsein für die soziale Verantwortlichkeit und Bedeutung unserer Rüstungsarbeit werden wir diese Arbeit tun. Das wird erwartet von allen Studentinnen, in erster Linie aber von den Mitgliedern des V. St. D.«169
Am Anfang und Ende des Aufrufs stand als offizielle Legitimation des geforderten ungewöhnlichen Engagements also die größere Gemeinschaft des Vater landes und dessen Not, doch im Zentrum das eigene Bedürfnis der Studentinnen. Und wie den Studentinnen unter den Frauen insgesamt, so schrieb die Vorsitzende den Mitgliedern ihres Verbands wiederum eine Führungsrolle innerhalb der Studentinnenschaft zu. Auf die unzulängliche Resonanz, offenbar auch innerhalb des Verbandes, dessen Führung doch ein knappes Jahr zuvor die Ausdehnung der Hilfsdienstpflicht auf die Frauen gefordert hatte, reagierte eine andere Jenaer Studentin, ebenfalls Mathematikerin und Naturwissenschaftlerin, wenige Wochen später mit einem weiteren Appell, der im Verbandsorgan an eben jenem Tag erschien, an dem der Kriegsminister seinem Aufruf vom September einen klärenden Erlaß hinterherschickte. (Daher war der neue Appell wohl noch ohne dessen Kenntnis geschrieben.) Sie nahm die Gedanken der Vorsitzenden auf: »Warum geht es nicht wie ein Aufatmen durch unsere Reihen: ›Endlich, endlich braucht man uns‹? Warum löst sich nicht der schmerzliche Zwiespalt in unserem Inneren (…), daß wir hier weiterkommen in Beruf und Stellung, während die draußen für uns sterben?«
Gertrud Schirmer wußte den Grund: »Wir glauben nicht an die Notwendigkeit!« Sie faltete die Zweifel aus, um dann zuzugeben:
169 Aufruf zur Munitionsarbeit!, in: S VI (1917), S. 33.
512 Die Universitäten im Kriegseinsatz »Ja der Augenblick braucht vielleicht nicht so dringend unsere beiden Hände zur Arbeit. Aber doch ist Not! Das Heimatheer muß (mit) gleichem festen Siegeswillen hinter dem Heere (an) der Front stehen. Und darum müssen wir unsern wollenden Geist hineintragen in die Heimatsarbeit. Und das ist nicht mit Reden gemacht, da braucht es die einfache, selbstverständliche, freudige Tat. Wer spricht da von Opfer? Dieses Deutschland, das uns ruft, hat es uns nicht zu dem gemacht, was wir sind: freie Frauen, die in Ruhe und Sicherheit ihrem Ziel nachstreben?«
Die Studentinnen, die ihre »hehrste Aufgabe darin s[a]hen, des deutschen Volkes geistige Führer zu werden«, mußten im Kampf vorangehen. Gleichzeitig mußten sie sich ihre Anerkennung als »Staatsbürgerinnen« und als Akademikerinnen aber noch erkämpfen: »Auf, auf, jetzt können wir mit der Tat beweisen, in welchem Sinne wir deutsche Staatsbürgerinnen sein wollen, und alle Deutelei an unserem wahren Wollen mit einem Schlage zunichte machen.« Wenn sie schrieb »Ganz Deutschland blickt auf uns«, läßt sich dies natürlich als Selbstüberschätzung abtun. Aber noch mehr verrät es wohl, als wie ungesichert die Studentinnen ihre gesellschaftliche Position empfanden und wie sehr sie sich unter Druck fühlten. »Es geht hier nicht um die eigene persönliche Ehre, es geht um die Ehre der Studentinnen, die sich mit dieser Tat ihre Daseinsberechtigung erkämpfen müssen; es geht um die Ehre aller deutschen Frauen, die im Entwicklungskampf der Kultur Gleich berechtigung neben dem Manne verlangen und mit dieser Tat ihren unbesiegbaren Willen beweisen müssen.«170
Der geforderte Einsatz wurde also nicht in erster Linie durch die Not des Vaterlandes gerechtfertigt, das in diesem »Augenblick« der »Hände« ja gar nicht so dringend bedurfte, sondern durch das Streben der Frauen nach Gleich berechtigung. Diese Forderung sollte durch Vorleistungen untermauert und damit unabweisbar werden. Ähnlich wie auf der allgemeinen Wehrpflicht die Forderungen nach allgemeinen Wahlrecht aufbauen konnten, ähnlich, wie Juden im 19. Jahrhundert den Wehrdienst erfüllen wollten, um als Gleiche behandelt zu werden, also staatsbürgerliche Rechte als Konsequenz aus der Übernahme staatlicher Pflichten zu begründen, wollten auch die Studentinnen den Einsatz für das kriegführende Land nutzen, um ihre eigene Gleichberechtigung und Anerkennung zu erstreiten – denn einstweilen war nicht einmal »ihre Daseinsberechtigung« allgemein akzeptiert.171 (Dies entsprach der Haltung des Bunds Deutscher Frauenvereine, der seine Forderung nach dem aktiven und 170 Gertrud Schirmer, Studentinnen!, in: S VI (1917), S. 41. Angaben zur Person bei Martin, Im Bewußtsein weiblicher Art, S. 37. 171 Eine ähnliche Interpretation für die Strategie der bürgerlichen Frauenbewegung während der Kriegszeit schon bei Koerner, Auf fremdem Terrain, S. 305. Diese Interpretation wird indirekt auch durch die Forderung des aktiven und passiven Frauenwahlrechts in einer Denkschrift des Bundes Deutscher Frauenvereine belegt.
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passiven Wahlrecht für Frauen Ende 1917 mit dem Hinweis versah, daß sie sich dies nun auch verdient hätten.172) Andererseits war bei einer Versammlung im Februar 1917 selbst in Jena, wo diese beiden Autorinnen aktiv waren, die Meinung zu der Frage, welche Rechte aus dem Zivildienst folgten, geteilt gewesen: Manche waren einfach »dankbar, dem Staat helfen zu können, und woll[t]en nicht auf Rechte pochen«.173 Doch Anfang 1918 mußte die Verbandsvorsitzende schon auf das binnen kurzem eingetretene Überangebot an weiblichen Arbeitskräften reagieren. Jetzt würden die Studentinnen, die sich zur Verfügung gestellt hätten, als »dumm« angesehen. »Die Skeptiker und Zauderer triumphieren. Vereinzelte unerfreuliche Vorkommnisse geben aber noch nicht das Recht dazu. Wir müssen energisch dagegen protestieren. Wir wollen nicht, daß die schöne Tat unserer Kommilitoninnen in den Staub gezogen wird. Wir können nicht zugeben, daß sie als die Betrogenen dastehen.«
Doch seien die Opfer nicht vergeblich gewesen, denn zur Zeit der Aufrufe habe der Bedarf wirklich bestanden, und die dann eingetretene Wendung sei nicht abzusehen gewesen. Außerdem sei der Wert der Zusammenarbeit auch in Arbeiterkreisen empfunden worden. In der neuen Situation, in der es jetzt wegen Arbeitslosigkeit zu Verstimmungen komme, sollten die Studentinnen die zuständige Kriegsamtstelle entscheiden lassen und ihre »staatsbürgerliche Einsicht« durch »amtliche Einordnung«, nicht »selbstherrliches Handeln« beweisen. Wenn Elfriede Dieckmann dabei zu bedenken gab, daß die Zahl der Studentinnen in Relation zum Gesamtarbeitsmarkt gering (und ihr Verbleib in der Produktion daher möglich) sei, sah sie die von ihr vertretene Gruppe aber eigentlich schon in eine Verteidigungssituation gedrängt, in der sie ihren vor kurzem noch geforderten Einsatz bereits rechtfertigen mußte. Zugleich hielt sie aber an deren gesellschaftlicher Vorbild-, also Führungsfunktion fest: Evtl. sei es ja erwünscht, daß gehobene Stellen doch von Studentinnen bekleidet würden. Und im übrigen könne bald wieder ein Bedarf eintreten.174 Tatsächlich erging im Sommer 1918 in der Verbandszeitschrift ein neuer Appell, nun vorgetragen von einer Studienreferendarin, die damals Referentin in der Kriegsamtstelle des X. Armeekorps mit Hauptquartier in Hannover war: Wie im vorigen Spätsommer würden die Studentinnen auch nun benötigt, weil das Angebot von Arbeiterinnen in der Rüstungsindustrie nicht ausreiche. Außer Hannover hätten auch die Kriegsamtstellen Magdeburg, Münster und 172 Ute Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung und Neuer Weiblichkeit, Frankfurt 1986, S. 157. 173 Zitiert in dem Protokoll (s. A. 103) bei Hepelmann, Beiträge zur Geschichte der Frauenarbeit, S. 125. 174 Elfriede Dieckmann, An die Verbandsvereine, in: S VII (1918), S. 1–3 (mit Abdruck des Erlasses des Kriegsministeriums vom 3.11.1917).
514 Die Universitäten im Kriegseinsatz Siegen erhöhten Bedarf an weiblichen Arbeitskräften. Wenn sie forderte, diesen Stellen zu vertrauen, daß sie angemessene Arbeit, Unterkunft und Verpflegung vermittelten,175 scheinen allerdings gegenteilige Erfahrungen anzuklingen.
Erfahrungen der Munitionsarbeiterinnen und Urteile über sie In einem sehr differenzierten Artikel in der Frau, dem Hauptorgan der Frauen bewegung, würdigte deren Schriftleitung »das Gefühl der Beschämung, gegenüber den Leistungen und Pflichten der Kommilitonen nichts Vergleichbares darbringen zu dürfen«, als »Maßstab der moralischen Kriegsleistung überhaupt« und forderte zugleich ähnliche Erleichterungen für die studentischen Munitionsarbeiterinnen wie für die jungen Männer im Heeresdienst (also eine Kompensation verlorener Studienzeit).176 In einem anderen Artikel derselben Zeitschrift berichtete eine Studentin, die selbst in der Munitionsindustrie ge arbeitet hatte, über ihre Erfahrungen und hob dabei, quasi als Echo der Aufrufe in der Verbandszeitschrift, das gerade durch diesen Einsatz befriedigte Bedürfnis, gebraucht zu werden hervor, aber auch die Möglichkeit, »durch unmittelbare Leistungen ihre Zugehörigkeit [!] zu Staat, Volk und Vaterland sich verdienen [!] zu können«. Dementsprechend stellte sie diesen Hilfsdienst auch als Pendant zum Militärdienst der Männer dar: in seiner äußeren militärähnlichen Organisation wie im Bewußtsein der Gemeinsamkeit als tragender Kraft.177 Ausführlicher wurden die Erfahrungen in der Verbandspresse dargelegt, und auch Siegmund-Schultzes Akademisch-Soziale Monatsschrift steuerte einige persönliche Schilderungen bei. Die Studentin bot einen »Stimmungsbericht« nach Art eines munteren Schulaufsatzes, der das »Abenteuer, wenn Menschen aus zwei verschiedenen Welten zusammentreffen«, beschrieb,178 und einen Erfahrungsbericht, der stärker die Schwierigkeiten betonte und am Ende in die Einsicht der eigenen Privilegiertheit mündete: Für diese Arbeit, in der man – im Gegensatz zur sonstigen – nicht »die Erfüllung unseres Lebens« sehen könne, sei ein »vollständiges Aufgeben der Persönlichkeit« nötig.179 Die Autorinnen betrachteten ihre Kolleginnen aus der ›anderen‹ Welt teils mit Staunen, teils mit leichtem Befremden, sowohl hinsichtlich ihrer derben Ausdrucksweise als 175 Theodora von Loebell, An die Verbandsvereine, in: S VII (1918), S. 43. 176 Die gebildete Frau in der Munitionsindustrie, in: Die Frau 25 (1917/18), S. 368–372, Zitate 371. 177 Martha Heynacher, Studentinnen in der Munitionsarbeit, in: Die Frau 25 (1917/18), S. 222–225, Zitat 223. 178 Edith Vowinkel, Ein Tag in Torgau, in: S VI (1917), S. 43 f., Zitat 43. Die Autorin war Jenaer Medizinstudentin. 179 Meta Corßen, Munitionsarbeit, in: S VI (1917), S. 44 f., Zitat 44. Die aus Hannover stammende Autorin war Geschichtsstudentin in Berlin (lt. AV FWU Berlin SS 1917, S. 278).
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auch der Beziehungen zwischen den Geschlechtern,180 aber insgesamt doch mit Wohlwollen. Sie betonten die persönliche Bereicherung durch diese Erfahrung, aber auch den Erwerb neuer, u. a. technischer Kenntnisse.181 Die Artikel in den unterschiedlich ausgerichteten Publikationsorganen hoben zum Teil sehr ähnliche Erfahrungen hervor, besonders die Hilfsbereitschaft der Arbeiterinnen (und zum Teil Arbeiter) gegenüber den Neuen, von denen sie in einigen Fällen wußten, daß es sich um Studentinnen handelte (eine nannten sie liebevoll die »Pastersche«, d. h. Pastorentochter).182 Am stärksten aber spricht aus fast allen Berichten die Befriedigung darüber, selbst an der großen Anstrengung aller teilzuhaben: »Jeder von uns ist nur ein kleines Rad in dem großen, lebendigen Organismus, ob er nun näht, wiegt, pinselt, bindet, schleppt. Aber es kommt auf jedes Rad an, es greift eins ins andere.« »Ich gehöre mit dazu.« »Ich gehöre auch dazu.«183 Insofern war die »Munitionsarbeit (…) kein Opfer, das wir Studentinnen unserem Vaterlande bringen. Stolz und froh habe ich mein Semester verschenkt, selig, daß auch ich noch schenken konnte.«184 Doch drückt sich in den Berichten auch die Kluft aus, die noch am harmlosesten formuliert wird, wo den eigentlichen Arbeiterinnen das Verständnis für das Bemühen der Studentinnen um Erhöhung der Arbeitsgeschwindigkeit fehlte; denn jene sahen ihre Arbeit »nur vom Verdienststandpunkt aus«, während die Studentinnen sie als »vaterländische Notwendigkeit« begriffen.185 Deutlicher wird die soziale Kluft, wenn eine Studentin zunächst vom Vorarbeiter berichtet, der »sich durch unser Dasein geehrt fühlte«, und am Ende von der angestrebten Wirkung der Arbeit der Studentinnen auf die Elite der Arbeiterschaft: »Ich glaube, der so viel im Munde geführte moralische und sittliche Erfolg bei der ›Hefe‹ des Volkes kann auch nur da eintreten, wo wirklich fehlende Kräfte ersetzt werden, nicht da, wo vorhandene Kräfte verdrängt werden. Ich persönlich habe gar nicht die eigentliche ›Hefe‹ kennen gelernt. Mein Werkmeister versicherte mir, sie hätten in der Optik die Elite.«186
Friedrich Siegmund-Schultze, der den Mitarbeitern seiner Arbeitsgemeinschaft schon in Friedenszeiten geraten hatte, einmal eine Weile Fabrikarbeit zu leisten, 180 Derbe Ausdrucksweise: Studentinnen als Munitionsarbeiterinnen, S. 180 (E. L.). »Recht trüber« »sittlicher Stand« und Befremden über die ›Handgreiflichkeiten‹ zwischen Männern und Frauen: Studentinnen als Munitionsarbeiterinnen, S. 22, 23 (H. R.) 181 Studentinnen als Munitionsarbeiterinnen, S. 178 (E. B.), 21 (H. R.). 182 Studentinnen als Munitionsarbeiterinnen, S. 179, 180 (Zitat) (E. L.), 183 (H. A.); 21, 22 (H. R.). 183 Vowinkel, Torgau (wie A. 178), S. 43 (zwei Zitate), 44. Vgl. Studentinnen als Munitionsarbeiterinnen, S. 178: »ein kleines, so doch aktives Glied zu sein in der großen Kette der Volksgenossen«. 184 Studentinnen als Munitionsarbeiterinnen, S. 180 (E. L.). 185 Corßen, Munitionsarbeit (wie A. 179), S. 45. 186 Studentinnen als Munitionsarbeiterinnen, S. 50, 53 (L. G.)
516 Die Universitäten im Kriegseinsatz hatte den Eindruck, als sei dieser Einsatz »überhaupt nicht so genau vorbedacht worden, sondern als seien mehr Stimmungsgründe maßgebend gewesen«. Er druckte Berichte sehr unterschiedlicher Art, auch den äußerst kritischen einer Marburger Studentin über die abgebrochene Arbeit in Jena mit dem zuletzt zitierten Urteil über die »›Hefe‹ des Volkes«. Für den Fall, daß beim Einsatz der Studentinnen die Absicht mitgespielt haben sollte, sie möchten die Stimmung der Arbeiterinnen heben, äußerte er massive Bedenken: »Man hätte durchaus nicht alle und jede vom Hörsa[a]l an die Maschine rufen dürfen. Wie man um der Studentinnen willen verpflichtet gewesen wäre, nur gut vorbereitete und vermittelte Einstellungen in die Fabrikarbeit vorzunehmen, so war man um der Arbeiterinnen willen verpflichtet, nicht jede hörsa[a]lmüde oder tatbereite Dame ›zur Aufbesserung der Stimmung‹ Arbeiterin werden zu lassen. Die Arbeiterschaft hat ihre Standesehre so gut oder noch mehr wie die Studentenschaft: Wie sich die Studenten und insbesondere auch die Studentinnen gegen die Zulassung nicht qualifizierter Hörer immer gewehrt haben, so sträuben sich auch die Arbeiter gegen beliebige Einstellung von Elementen, die arbeitsunfähig oder minder fähig sind und trotzdem womöglich auf sie noch herabsehen. Wenn Studentinnen in die Fabrik gehen, ist dies nicht eine Ehre für den Betrieb, sondern eine Erschwernis der Arbeit.« Die »Vertreterinnen der ›herrschenden Klassen‹ [müßten sich] in einer ihnen fremden oder gar feindlich entgegenstehenden Welt bewußt sein, daß ihr persönliches Verhalten aufbauend oder zerstörend wirken kann. Hochnäsiges, schlappes, gleichgültiges, reserviertes, gönnerhaftes Verhalten hat in zahlreichen Fällen schweren Schaden angerichtet. In Spandau und in Torgau ist die Stimmung ganzer Buden und Schichten dadurch verdorben worden. Der auf diese Weise angerichtete Schaden ist viel größer als der durch die Arbeitsleistung gestiftete Nutzen.«
Auch »die soziale Gesinnung« hätte zum Kriterium der Auswahl der Studentinnen gemacht werden müssen.187
Studentinnen als Etappenhelferinnen Doch selbst wenn die Studentinnen als Fabrikarbeiterinnen schon um die Jahreswende 1917/18 zeitweise nicht mehr benötigt wurden, war damit ihr Hilfsdienst auf anderen Gebieten nicht überflüssig geworden. Daher hängte die Kriegsamtstelle in den Marken in der Universität Berlin einen Anschlag aus, mit dem die Leiterin Alice Salomon den Studentinnen dankte, den veränderten Bedarf erklärte und sie um Eintragung für den »Hilfsdienst auf anderen Gebieten (die geistige Schulung verlangen)« bat.188 Damals appellierte diese Stelle auch an 187 Studentinnen als Munitionsarbeiterinnen, S. 174–177, Zitate 176, 176 f., 177. 188 Der Text ist abgedruckt unter dem Titel »Hochschulnachrichten«, in: S VII (1918), S. 27, und innerhalb der Rubrik Nachrichten aus der Universität in: BAN XII (1917/18), S. 36.
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Studentinnen, die bereit waren, in den bevorstehenden Semesterferien drei Monate lang »Vaterlandsdienst als Sekretärinnen, Rechnerinnen, Schreiberinnen u. dgl. in der Etappe zu übernehmen, um damit Soldaten für die Front freizumachen«: Sie sollten sich an die Werbestelle für Studentinnenarbeit beim Ausschuß der Universität189 wenden, welche die Meldungen im Auftrag der Kriegsamtstelle entgegennahm. Doch wurden diese Freiwilligen nachdrücklich darauf hingewiesen, was ihnen bevorstand. Sie mußten sich nicht nur auf drei Monate fest verpflichten, sondern auch »ganz primitive Lebensverhältnisse auf sich nehmen und bereit sein, an einsamen Orten ohne geistige Anregung und ohne Vergnügungen ein arbeitsreiches Leben zu führen. Sie sollen helfen, die Ehre und Würde der deutschen Frau im feindlichen Land zu vertreten. Nur Studentinnen, die aus Vaterlandsliebe ein entbehrungsvolles Leben gleich dem der Männer auf sich nehmen wollen, kommen für diesen Dienst in Frage. Sie werden von der Militärverwaltung in Heimen untergebracht und in jeder Weise vor Schwierigkeiten geschützt.«190
Die Organisation der Etappenhelferinnen, welche Teil der Militäradministration der besetzten Gebiete wurden, lag fast ganz bei Mitgliedern der bürgerlichen Frauenbewegung. Koordiniert wurde der Einsatz von Marie Elisabeth Lüders und Agnes von Harnack. Insgesamt arbeiteten von April 1917 bis November 1918 in den deutschen Armeen 20.000 Helferinnen als Schreibkräfte oder Küchenpersonal im Etappen- und Besatzungsgebiet. Die »Etappe« hatte jeweils eine Heeresgruppe zu versorgen und deren Nachschub zu organisieren. Die Etappeninspektion umfaßte neben den eigentlichen militärischen Dienststellen auch verschiedene Wirtschaftsabteilungen, die die im Lande vorhandenen Rohstoffe, Produkte und Anlagen ausnutzten. Fast 75 % der Frauen arbeiteten im militärischen Bürodienst. Sie ersetzten häufig den Kompanieschreiber und auch den Feldwebel. Dabei blieben sie Zivilistinnen (also Nichtkombattanten) und trugen – im Gegensatz zu ihren ›Kolleginnen‹ bei den Alliierten – auch keine Uniform. Zwar hatten die Frauenreferate sie verlangt, doch war die Erfüllung ihrer Forderung sowohl an Tuchmangel als auch an grundsätzlichen Erwägungen gescheitert. In den Medien und der Öffentlichkeit genossen die 189 Ob damit der Studentenausschuß gemeint ist, der, wie oben erwähnt, die Hilfsdienstmeldungen koordinierte, oder eine spezielle Stelle für Studentinnen, ist unklar. 190 Abgedruckt (nur) in: BAN XII (1917/18), S. 36. Da Koerner sich fast ausschließlich auf die Zeitschrift Die Studentin als Quelle stützt, datiert sie die Etappenarbeit (die sie zudem als etwas anderes als »die HDG [Hilfsdienstgesetz-] Arbeit« zu betrachten scheint, erst ab dem im Sommer 1918 folgenden [weiteren] Aufruf Alice Salomons. Auch hier beschränkt sie sich auf die gekürzte Paraphrase von Artikeln der Studentin, wobei sie den im folgenden herausgestellten moralischen Aspekt (sowohl bezüglich des Geschlechter verhältnisses als auch der Besatzungssituation) völlig übergeht. Dabei kann der fast durchgehend falsche Gebrauch des Konjunktiv II gelegentlich auch zu Mißverständnissen verleiten.
518 Die Universitäten im Kriegseinsatz Etappenhelferinnen einen zweifelhaften Ruf, der sich aus ihrer (im Vergleich zu den Krankenschwestern) sozial niedrigeren Herkunft, ihrem ein Mehrfaches betragenden Gehalt und der engen Zusammenarbeit mit den Soldaten speiste.191 Darauf wird auch in dem zitierten Aufruf angespielt: Nach neun Monaten Praxis solcher Arbeit sollten die Studentinnen helfen, »die Ehre und Würde der deutschen Frau« wiederherzustellen. Alice Salomon bat sogar um einen Abdruck ihres Aufrufs in der Studentin, da dieser Dienst »von den besten Töchtern des Landes geleistet werden sollte«. Tatsächlich war die Zahl derer, »die hinausgehen wollen, um zu dienen«, ihrer Beobachtung zufolge aber »außerordentlich gering (…). Die meisten melden sich, weil sie eine gute Verdienstmöglichkeit erhoffen, oder weil sie von Abenteurerlust getrieben werden.« Um »den Männern draußen bei ihrer schweren Arbeit geeignete Helferinnen« zu schaffen, wurden nun Frauen gesucht, »die aus Vaterlandsliebe zum Dienst bereit sind und die einen starken inneren Halt haben«. Nur sie brächten auch den rechten Ton »für die enge Kameradschaft mit den Männern« mit, der nötig sei, »um die Ehre und Würde der deutschen Frau hochzuhalten«. Davon hänge »unendlich viel (…) für die Zukunft des deutschen Volkes« ab, denn diese Frauen prägten das Urteil und die Gewohnheiten der Männer, mit denen sie zu tun hätten, das Ansehen der Deutschen in den besetzten Gebieten und bei ihrer Rückkehr »die Sitten – oder die Sittenlosigkeit – weiter Frauenkreise«. Neben der Herkunft »aus guten, bürgerlichen Verhältnissen« und »sehr guter Bildung« wurden für die künftigen »Schreiberinnen und Rechnerinnen« auch die »Empfehlungen von Frauenvereinen« verlangt. Im Sommer 1918 mußten sich Interessierte aber nicht mehr, wie im Frühjahr, für drei, sondern für mindestens sechs Monate verpflichten!192 Jene Studentinnen, die tatsächlich Arbeit in der Etappe annahmen, teilten nicht nur die in den Forderungen implizierte Norm, sondern bestätigten auch das von ihr abweichende, in den Äußerungen angedeutete Verhalten der dort bislang aktiven Frauen: Nur Elisabeth Dieckmann, die einen HelferinnenTransport nach Gent und Brügge begleitete, war in ihrer Einschätzung etwas 191 Die freiwilligen Krankenschwestern kamen, ähnlich wie die Krankenpfleger (s. o. S. 388) aus gutbürgerlichen und sogar adligen Familien, die Etappenhelferinnen dagegen aus dem unteren Mittelstand. Und während eine Krankenschwester 0,70 M. pro Tag erhielt, ein Soldat 1 M., brachte es eine Etappenhelferin auf 3–6,50 M. Schönberger, Mütterliche Heldinnen und abenteuerlustige Mädchen; Gersdorff, Frauen im Kriegsdienst, S. 27–30 (sowie – zur genaueren Illustration der Transport-, Wohn-, Disziplinarverhältnisse – die dort genannten Quellen im Anhang). Kleinere Ergänzungen: Hans-Dierk Fricke, Frauen in Uniform – ein Indikator für Emanzipation? Die weiblichen Unterstützungskorps des Ersten Weltkrieges, in: GWU 53 (2002), S. 165–183, hier 178 f. 192 Alice Salomon, Vaterländischer Hilfsdienst in der Etappe, in: S VII (1918), S. 29 f. Salomon selbst berichtet in ihren im amerikanischen Exil Anfang der vierziger Jahre verfaßten Erinnerungen, daß sie erst im September 1918 in Udine erfahren habe, daß »Deutschland gefährdet war« (Charakter ist Schicksal, S. 166).
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milder. Die Frauen seien besser als ihr Ruf; daß sie Umgang mit dem anderen Geschlecht suchten, sei verständlich, und Ausschweifungen würden durch die Heimordnungen verhütet. Die Regelungen waren quasi-militärisch: eine Helferin, die nach 22 Uhr abends zurückkehren wollte, benötigte dafür, wie ein Soldat, einen Urlaubsschein. Allerdings mögen Dieckmanns Eindrücke von der Kürze ihres Aufenthalts und dem für die Helferinnen in Gent requirierten Patrizierhaus beeinflußt gewesen sein, das in deutlichem Kontrast zu den mehrfach in Aussicht gestellten »primitiven Verhältnissen« stand.193 Daher fühlte sich eine seit fünf Monaten in Rumänien tätige Helferin durch Salomons und Dieckmanns Veröffentlichungen geradezu herausgefordert: »(…) nun muß doch eigentlich auch einmal eine, die draußen gewesen ist [was der Verbandsvorsitzenden damit quasi abgesprochen wurde], oder, wie das bei mir zutrifft, noch draußen ist, zu Worte kommen.«
Ihre Einschätzung machte klar, daß es sich mit der Etappenarbeit ähnlich verhielt wie ein Jahr zuvor mit der Arbeit in den Munitionsfabriken: »Absolut genommen, wird die Arbeit der Studentin nicht gebraucht. So ist der Grund, der mich seinerzeit hierher getrieben hat, geschwunden.« Wirklich benötigt wurden gelernte Stenotypistinnen und Buchhalterinnen. »Dagegen ist ein anderer Grund immer wichtiger geworden in meinen Augen. Wir müssen hinaus, damit die deutschen Männer und die Bewohner des feindlichen Landes nicht eine zu häßliche Vorstellung von der deutschen arbeitenden Frau be kommen. Darum sollte jede, die Halt genug hat, um nicht in den allgemeinen Strom hineinzugleiten, herauskommen« [aus der Heimat ins Etappengebiet].
Die Erfahrene warnte aber zugleich vor der großen Sogkraft dieses Stromes: »(…) manch eine, der man es nicht zutraute, ist unversehens drin.« »Etappenluft« sei »ansteckend«. Dagegen war angesichts der Größe des Helferinnenheims (für 150 Frauen!) »der soziale Einfluß, den [die Studentinnen] ausüben könnten, gleich Null.« »Wir sind viel zu wenige hier draußen. Die andern (!) sind in erdrückender Ueberzahl, und der Ruf mit Recht ein schlechter.« Behörden und Kriegsamt seien nur zu »äußerem Eindämmen« imstande, »aber eine wirkliche Besserung könnte nur durch eine Aenderung des Geistes, der in den Mädels steckt, erzielt werden, und dazu müssen eben noch viele andere Elemente her und hier viele abgeschoben werden (!).« Nötig sei eine genauere Auswahl: »sieben, sieben«; das »Abschieben ungeeigneter Elemente« sei dagegen oft unmöglich, weil den Männern diese »Sorte lieber« sei. Gleichzeitig hatte diese Studentin aber die Erfahrung gemacht, wie gut sich das Verhältnis zu den Soldaten im Dienst durch »Scherz und gute Laune« der Helferin entwickeln könne, wofür Mannschaften und Offiziere »geradezu rührend dankbar« seien: »Immer aber 193 Elfriede Dieckmann, Ein Helferinnentransport in die Etappe, in: S VII (1918), S. 30 f.
520 Die Universitäten im Kriegseinsatz ist es natürlich das Mädchen, von dem der Ton abhängt.« Praktische Ratschläge, wie das Abgleiten »in den allgemeinen Strom« zu verhindern sei, hatte sie den dringend erwünschten Kommilitoninnen auch zu geben.194 Ihre Haltung zum Krieg war durch diesen Einsatz realistischer geworden: »Es ist wohl nicht derselbe Idealismus und Patriotismus, den ich hier vertrete, wie ich ihn auf Studentinnenversammlungen in Deutschland vertreten hätte. Es ist alles viel kleiner und realer geworden, aber vielleicht interessiert es doch manch eine, die an ein Herausgehen denkt. Nur machen Sie keine Ferienreise hierher, sondern wenn, dann kommen Sie mit dem Gedanken, ein Semester oder mehr opfern zu wollen.«195
Auch zwei Frauen, die aus jahrzehntelangem Abstand ihre Erinnerungen aufschrieben, hoben die lockere Moral der in der Etappe beschäftigten Frauen hervor: Elisabeth Flitner, die sich nach dem Ende des Sommersemesters 1918 im besetzten Belgien um die bei der Armee beschäftigten Frauen kümmerte, wohnte in Brüssel in einem »luxuriösen Hotel mit pompösem französischen Bett und seidenen Vorhängen. Aber wie ich bald zu meinem Erstaunen herausfand, hatten soldatische Freunde der Mädchen Tag und Nacht freien Zugang.«196 Die Historikerin und Philologin Klara-Marie Faßbinder, die ab Mai 1918 in Frankreich im Einsatz war, mußte »in Anbetracht des allgemeinen Urteils über Frauen da draußen« erst die Ablehnung ihrer Mutter überwinden und stieß gleich bei der Ankunft auf auffällig gekleidete Frauen, die Offiziere in ein Haus zu locken suchten… Dann mußte sie erkennen, daß der Offizier, der eine Studentin für den Vaterländischen Unterricht angefordert hatte, dies offenbar mit persönlichen Hintergedanken verband – und ein anderer der Vater dreier Kinder war, die er mit einer Französin und deren beiden minderjährigen Töchtern gezeugt hatte. Diese Erfahrungen, die Gespräche mit Offizieren und Mannschaften, aber auch mit der Leiterin eines großen Helferinnenheims bestimmten Faßbinders Eindruck: »Das ganze Etappengebiet kam mir immer mehr wie eine Kloake vor, in der unsere Ehre versank.«197 Nicht der Bedarf der Armee (die Not des Vaterlandes) stand also unter den in der Frauenbewegung engagierten oder ihr doch zumindest zuneigenden Studentinnen als Motivation im Vordergrund, sondern die Ehre der deutschen Frau, die sie durch das Verhalten anderer Frauen beschädigt sahen. Daß Faßbinder außerdem den »Kampfgeist der Truppe« und die (1870) von S edan
194 Sie sollten möglichst zu zweit kommen und sich außerdem eine Beschäftigung mitbringen, die sie außerhalb der Arbeit interessiere (geistige Arbeit, Instrument). 195 Anna Marie Chales de Beaulieu, Helferinnenarbeit in der Etappe, in: S VII (1918), S. 38 f. 196 Flitner, Frauenstudium im Ersten Weltkrieg, S. 166. 197 Faßbinder, Begegnungen und Entscheidungen, S. 47–50, 52, 64, Zitate 47, 64. Zu ihrem Status und ihrer Tätigkeit sowie ihrer Entwicklung nach dem Krieg s. genauer u. S. 523 mit A. 213.
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aus »erwachsene« »Einheit Deutschlands« aufrechterhalten wollte,198 war als Mitarbeiterin des Vaterländischen Unterrichts ihre Aufgabe. Alle studentischen Etappenhelferinnen erwähnten den Druck, unter dem sie sich fühlten: Sie sollten ihr Studium unterbrechen, um Soldaten für die Front freizumachen.199 Elisabeth Flitner hatte – in 15 Großstädten! – bereits das ganze Material für ihre Dissertation über die unterschiedlichen Methoden der Kriegsunterstützung gesammelt und gab mit ihrer Meldung schließlich »dem fortgesetzten Druck nach, das Studium zugunsten einer Sozialtätigkeit zu unterbrechen«. Indem sie eine solche ausübte, konnte sie allerdings zugleich für eine damals übliche Berufstätigkeit der Nationalökonominnen Erfahrung sammeln. Sie stellte sich nicht der ›Heimatfront‹ zur Verfügung, sondern ging nach Belgien; denn damit verband sie »insgeheim« die Hoffnung »auf gelegentliche Begegnungen« mit ihrem Mann, dem späteren Pädagogen Wilhelm Flitner, den sie an Weihnachten 1917 geheiratet hatte und »der in Flandern im Einsatz stand«.200 Am deutlichsten ist der Druck bei Faßbinder ausgefaltet: Die leeren Plätze im Hörsaal und noch mehr die Bemerkungen der Fronturlauber »Ihr wißt nicht, wie gut ihr es habt!« bedrückten sie so, daß sie ihr Studium ein Jahr schneller abschloß als üblich. Im einjährigen Referendardienst erhielt sie für eine offenherzige Bemerkung einen (allerdings unberechtigten) Vermerk über ihre fehlende vaterländische Gesinnung. »Wie eine Erlösung traf mich daher die Anfrage einer früheren Kommilitonin, ob ich in den vaterländischen Hilfsdienst eintreten und ins Feld wolle.« Dazu kam noch, daß einer ihrer Brüder verwundet, der andere nur heimatdienstfähig war: »War es nicht geradezu eine Ehrenpflicht wenigstens weiblichen Ersatzdienst zu leisten?« Den Hilfsdienst ihrer Schwester im Landratsamt betrachtete sie jedenfalls nicht als »vollwertige[n] Ersatz«, obwohl auch jene dafür ihr Studium unterbrochen hatte. (Da genügend andere Leute für die Verwaltungsarbeit zur Verfügung standen, kehrte sie übrigens nach einem Jahr an die Universität zurück.)201 Faßbinder ging aus Überzeugung, nicht aus finanziellen Erwägungen zu den Truppen; denn als Ver tretungslehrerin verdiente sie bereits genug.202 Die Etappenhelferinnen hatten den Status von Unterbeamten – waren aber nur, falls sie geübte Maschinenschreiberinnen und Stenographinnen waren, ein voller Ersatz für die bisher in diesen Stellen tätigen Männer.203 Faßbinder dagegen nahm die Stelle eines zur kämpfenden Truppe versetzten Leutnants ein, hatte Offiziersrang und daher Anspruch auf die entsprechenden Ehren bezeugungen (was man, als sie ankam, auch durch Umlauf schon bekannt ge198 Faßbinder, Begegnungen und Entscheidungen, S. 48. 199 Chales de Beaulieu, Helferinnenarbeit, S. 38. 200 Flitner, Ein Frauenstudium im Ersten Weltkrieg, S. 158, Zitate 166. 201 Faßbinder, Begegnungen und Entscheidungen, S. 46 f., 69. 202 Faßbinder, Begegnungen und Entscheidungen, S. 49 f. 203 Dieckmann, Ein Helferinnentransport (wie A. 193), S. 31.
522 Die Universitäten im Kriegseinsatz macht hatte). Wenn sie einen Raum betrat, sprangen die Soldaten auf. Mit ihrem »Behalten Sie doch, bitte, Platz!« gewann sie deren Sympathie und Achtung aber offenbar mehr als mit ihrem Status. Die Mannschaften »ärgerten sich seit langem, daß sie zwei der Helferinnen wegen ihrer guten ›Beziehungen‹ nach oben mit besonderem Respekt begegnen, ihnen Dienste leisten mußten und von oben [herab] behandelt wurden. Was würde das erst geben, wenn nun noch eine Studentin dazukäme!«
Doch Faßbinder legte keinen Wert auf die Demonstration der Standes- und Rangunterschiede und fühlte ohnehin ihre eigene »›militärische Unterlegen heit‹«.204 Die hierarchischen Verhältnisse schildert sie genau und anhand vieler Details: Wenn eine Exzellenz nur anrief, nahm der Soldat am Hörer sofort Haltung an, wurde vom Menschen zum Befehlsempfänger. Auch mußte Faßbinder die Weltfremdheit der Militärführung erkennen: Der Generalquartiermeister, ein Fürst, erfuhr erst von ihr 1918, daß in Deutschland inzwischen auch Frauen studierten, und ein ostpreußischer Major bedauerte sie wegen ihres »Hundelebens« als Studentin.205 (Ihr selbst dagegen war die Studienzeit als großes Glück erschienen!) Der Unterschied zwischen ihrer und der üblichen Stellung von Etappenhelferinnen wurde am Postverkehr deutlich: Solange sie im Schloß wohnte, war sie frei – bei einer (vorgesehenen) Umsiedlung ins Helferinnenheim wäre dagegen alles durch die Zensur gegangen. Also protestierte sie aufgrund ihres Offiziersstatus gegen die Umsiedlung, mit Erfolg! Bis zur Champagne-Offensive im Sommer 1918 führte sie ein Leben, als ob der Krieg weit weg wäre.206 Zwar war schon bei der Anreise, als sie eines entgegenkommenden Zuges ansichtig wurde, erstmals die Erkenntnis der Realität bei ihr aufgeflackert: »Fahle Gesichter, wie ein Zug von Toten. ›Sind die verwundet?‹ fragte ich scheu die Frau Oberin. Flüchtiger Blick. ›Nein. Die kommen aus den Schützengräben.‹ – Eine Faust griff mir nach der Kehle. Sah so die Wirklichkeit des Krieges aus?«
Doch gelang es ihr schnell, wieder die Augen davor zu verschließen, etwa, als sie am 1. Mai 1918 auf dem Schlachtfeld von Sedan (1870) stand, vor Stolz »die Brust geschwellt«: »Von hier aus war die Einheit Deutschlands erwachsen! Und auch jetzt würden wir das alles festhalten, allem Feindlichen zum Trotz! Und ich würde mithelfen, den Kampfgeist der Truppe aufrechtzuerhalten!«207 204 Faßbinder, Begegnungen und Entscheidungen, S. 50. 205 Faßbinder, Begegnungen und Entscheidungen, bes. S. 46, 48, 50, 52 (Zitat), 64, 68. 206 Sie erhielt ein Privatquartier im Ort. Faßbinder, Begegnungen und Entscheidungen, S. 55, 62. 207 Faßbinder, Begegnungen und Entscheidungen, S. 47 f.
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Sie sollte eine Beilage zur Feldzeitung herausgeben und Vorträge für die Offiziere vorbereiten, die diese den Mannschaften zur Stärkung des vaterländischen Gefühls dann zu halten hatten. Bald mußte sie jedoch erkennen, daß auch die Offiziere nicht an den Sieg glaubten, und einmal entfuhr ihr, zum eigenen Erstaunen, sogar selbst eine derartige Bemerkung im Gespräch mit dem Ortskommandanten.208 Als sie es durchsetzen konnte, trotz ihres eigenen Offiziersranges einen erkrankten Unteroffizier zu vertreten, hatte sie den Einsatz von Fahrzeugen zu koordinieren. »Bei dieser Arbeit machte ich die mich niederschmetternde Entdeckung, daß wir zumindest bei der 3. Armee ungefähr blank waren.«209 Auch die Verhältnisse innerhalb der Armee erschütterten sie: Soldaten, die sich eigentlich eine Woche ausruhen sollten, wurden in Felddienstübungen sinnlos herumkommandiert, um sie »geschmeidig« zu erhalten. Als sie aus dem überreichen Nahrungsangebot für die Offiziere den völlig unzureichend versorgten Mannschaften etwas zugänglich machen wollte, stieß Faßbinder auf größte Schwierigkeiten. Ihre Artikel über innere Reformen für die Feldzeitung wurden zurückgewiesen, darunter sogar einer, der auf einem Reichstags beschluß über Ansiedlung ehemaliger Soldaten auf dem Land beruhte.210 Doch wagte sie noch bei ihrem Heimaturlaub Ende September, Anfang Oktober 1918 nicht, ihrem Vater die Wahrheit über die militärische Lage zu sagen.211 Die Haltung der Frauenbewegung setzte Faßbinder um, indem sie die jüngste, 17jährige Helferin vor einer Affäre mit einem in diese verliebten Offiziers anwärter bewahrte.212 Doch was ihre eigentliche Aufgabe anging, war ihr Dienst kontraproduktiv: Sie selbst verlor den Glauben an die Gerechtigkeit der deutschen Sache und den Sieg, im Umgang mit französischen Bauersfrauen und Kindern, denen sie von Anfang an half, auch ihren »Hochmut«, entdeckte »den Wert der andern, die Unsinnigkeit des Abwägens und Gegeneinanderausspielens der Völker« – und wurde nach dem Krieg (als Übersetzerin Paul Claudels) nicht nur zur Mittlerin auf literarischem Gebiet, sondern auch zur Pazifistin und in der frühen Bundesrepublik schließlich zu einem führenden Mitglied der Friedensbewegung.213 208 Faßbinder, Begegnungen und Entscheidungen, S. 51 f. 209 Faßbinder, Begegnungen und Entscheidungen, S. 64 (mit eindrücklicher Schilderung der »Scheinmanöver«). 210 Faßbinder, Begegnungen und Entscheidungen, S. 53, 55, 67 f., S. 64 f. 211 Sie »fand ihn noch so voller Glauben«, daß sie »es nicht übers Herz brachte, ihn [aus seinem »Traum«] zu wecken.« Vielmehr bat sie ihre Mutter, »ihn so langsam auf eine Wendung nicht zum Siege vorzubereiten.« Faßbinder, Begegnungen und Entscheidungen, S. 69. 212 Faßbinder, Begegnungen und Entscheidungen, S. 62. 213 1932/33 2. Vorsitzende des Friedensbundes deutscher Katholiken, wurde sie 1933 bei der Besetzung des Saarlandes durch NS -Deutschland als Lehrerin entlassen. 1953 wurde sie als Dozentin der PH zunächst vom Dienst suspendiert, 1955 in den (wohl nur knapp)
524 Die Universitäten im Kriegseinsatz Im September 1918 begannen Bemühungen, Frauen für ein spezielles Nachrichtencorps auszubilden – für alle Zweige der Übermittlung (Fernsprechwesen, Telegraphie, drahtlose Telegraphie). Auch damit sollten (im besten Fall) Tausende gut ausgebildeter Angehöriger der Nachrichtentruppe für die Front freigemacht werden. Nach Möglichkeit sollten nur Frauen der gebildeten Stände dafür eingestellt werden. Sie mußten sich für mindestens zwölf Monate verpflichten, erhielten ausgesprochen gute Unterkünfte, unterstanden aber dem Militärgesetz. Diese Werbeaktion hatte ebenfalls mehr Erfolg als der Fabrik einsatz, doch der Waffenstillstand verhinderte den Einsatz dieser ersten deutschen Frauen im »Soldatenstand«.214
Weitere Hilfsdiensttätigkeiten Andere, weniger spektakuläre Hilfsdienst-Tätigkeiten leisteten Studentinnen in der Sozialfürsorge und im Bildungswesen. Elisabeth Czapski z. B. hatte sich in ihren ersten beiden Semestern in Berlin 1915/16 (also fast zwei Jahre vor Einführung des Vaterländischen Hilfsdienstes) ihren Studienplan so eingerichtet, daß sie an zwei Wochentagen nur abends Seminare hatte, und arbeitete an diesen von 8–18 Uhr ehrenamtlich im Nationalen Frauendienst. Dabei hatte sie die Familien von Soldaten aufzusuchen, um deren eventuelle Bedürftigkeit zu prüfen. Geleitet wurde diese Bezirksarbeit von Frieda Wunderlich – die die Berichte der Fürsorgerinnen insgeheim auch benotete. Die junge Nationalökonomin erwarb so schon eine gewisse Übung und fand von hier aus auch ihr späteres Dissertationsthema. Aber sie beschränkte sich nicht auf die soziale Fürsorge (die sie später auch in der Betreuung von Etappenhelferinnen ausübte): »Ich hatte ausfindig gemacht, daß ein eingezogener Soldat als Deserteur in der Wohnung versteckt gehalten wurde. So kriegsbesessen waren wir alle damals, daß wir in der Meldung eine patriotische Tat sahen.«215 Ähnliche Tätigkeiten wurden spä-
vorzeitigen Ruhestand versetzt. Die geplante Verleihung des französischen Ordens Palmes Académiques verhinderte Bundespräsident Lübke 1966. Erst unter Heinemann konnte sie ihn 1969 annehmen. Sie starb 1974. Nach http://www.saarland-biografien. de/Fassbinder-Klara-Maria und http://de.wikipedia.org/wiki/Klara_Marie_Faßbinder (beide 29.9.2011). 214 Allerdings gab es 1919 eine weibliche Nachrichtenabteilung des Ostpreußischen Frei willigencorps, die im Bereich des dortigen Armeekorps sowie in den von Deutschen besetzten Gebieten des Baltikums eingesetzt wurde (Gersdorff, Frauen im Kriegsdienst, S. 31–34; s. auch die dazugehörigen Dokumente S. 245–252, 275 f., Zitat 275). Abbildung einer solchen Nachrichtendienstlerin in: Es begann vor hundert Jahren, S. 109. 215 Im Alter dachte sie »daran mit tiefer Scham«. Flitner, Frauenstudium im Ersten Weltkrieg, S. 158. Zu den Qualifikationen von Heimleiterinnen s. die Dienstanweisung vom April 1918 in: Gersdorff, Frauen im Kriegsdienst, S. 227–232, hier 227.
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ter auch als Hilfsdienst ausgeübt, etwa die Betreuung von Kindern aus Familien, in denen der Mann Soldat war und die Frau nun den Lebensunterhalt verdienen mußte.216 Soziale Fürsorge in Belgien leistete eine Jenaer Medizinstudentin (die als solche ja grundsätzlich von Hilfsdiensterwartungen ausgenommen war) vier Wochen lang während der Semesterferien. In ihrem Bericht für die Verbandszeitschrift stellte sie dies als Notwendigkeit angesichts des Versagens des belgischen Roten Kreuzes dar, das sich ausschließlich auf Kranken- und Verwundetenfürsorge konzentriert habe. Tatsächlich handelte es sich aber um die Fürsorge für die Familien nach Deutschland verschleppter Zwangsarbeiter, die dadurch quasi ohne Ernährer waren.217 Im »Heim der jungen Fürsorgeschwestern in Brüssel«, verbrachte sie »schöne Tage«, »wo man so tief die Zusammengehörigkeit als Deutsche fühlte, wie wohl nie in der Heimat«.218 Den Schuldienst, der sowohl für hilfsdienstpflichtige Männer als auch für den freiwilligen Dienst der Frauen in Frage kam, zog z. B. die jüdische Philo sophin (und spätere Karmeliternonne) Edith Stein in Erwägung, die auch schon als Krankenpflegerin gearbeitet hatte.219 Bereits im Dezember 1916 – also lange, bevor Frauen dazu aufgerufen wurden – erwog sie, »in eine Munitionsfabrik oder dergl.« zu gehen.220 Ihre Dissertation hatte sie damals bereits abgeschlossen und war nun unbezahlte Privatassistentin ihres Lehrers Edmund Husserl. Doch daß sie »nichts ›fürs Vaterland‹« tat, »bedrückt[e]« sie zunehmend. Und da die Freiburger Studentinnen sich gerade organisierten, »um sich fakultätenweise geschlossen zu einer möglichst rationellen Verwendung im Hilfsdienst zu melden,« beschloß sie, »auch etwas zu übernehmen, wenn ich in Freiburg Arbeit finden kann«, um dies mit der Tätigkeit für Husserl zu verbinden.221 Da das Ministerium den Studentinnen jedoch geraten hatte zu warten, bis man sie in ihrem jeweiligen Fach verwenden könne, trug Edith Stein sich in die »Listen für Freiburg und den Schuldienst ein, und so wird die Sache wohl nun bei den Akten ruhen. Wenn ich meine Tätigkeit hier nicht für wichtig genug hielte, würde ich mich freilich bei diesem Verfahren nicht beruhigen.« (Zur selben Zeit
216 Scherb, »Ich stehe in der Sonne«, S. 96. 217 »Besonders erstreckt sich unsere Fürsorge auf die Familien aus denen der Vater oder ein Sohn oder Bruder nach Deutschland zur Arbeit abtransportiert worden ist.« 218 Sophia Schiller, Deutsche soziale Fürsorge in Belgien, in: S VI (1917), S. 53 f., Zitat der A. 217: 53, Zitat im Text: 54. 219 Siehe o. S. 451. 220 Edith Stein an Fritz Kaufmann 13.12.1916, in: Edith Stein, Selbstbildnis in Briefen. Erster Teil 1916–1934. Zweiter Teil 1934–1942, Druten/Freiburg u. a. 1976 (Edith Steins Werke VIII), S. 12. 221 »Der Meister meinte allerdings (nach anfänglicher Betroffenheit), ich hätte ihm Arbeit für lange Zeit vorbereitet und könnte nun auch an einen anderen Ort gehen, er wollte es als besonderen Glücksfall betrachten, wenn ich hier bleibe.« Edith Stein an Roman Ingarden 3.2.1917, in: Stein, Selbstbildnis in Briefen, S. 16 f., Zitate 17.
526 Die Universitäten im Kriegseinsatz erwog man, ihr an der Universität »Anfängerübungen« zu übertragen, machte aber zugleich klar, daß sie sich ›aus Prinzip‹ nicht habilitieren könne.)222 Eine Greifswalder Studentin, die ein halbes Jahr lang einen Oberlehrer vertrat und dabei 24 Stunden Erdkunde pro Woche erteilte, unternahm eine Ab wägung zwischen Studium und Hilfsdienst unter der Frage: »Nütze ich dem Vaterland?« Da sie eine unmittelbare Hilfe im Schulbetrieb war, beantwortete sie dies mit »Ja«. Aber auch die Frage, ob sie sich selbst mit Blick auf ihre künftige Berufstätigkeit nutze, mußte sie bejahen. So kam sie zu dem Schluß, daß die Vorteile die Nachteile überwögen, sofern der Hilfsdienst auf eine bestimmte Zeit, etwa ein Semester, beschränkt sei; denn sie gewann neue Gesichtspunkte für das Studium, ein eigenes Urteil über ihre Eignung zum Lehrerberuf und neue Kenntnisse gerade durch das Lehren.223 Die Mobilisierung der Hilfsarbeit nicht aus originärer, sondern von Staat und Militär angeforderter ›Freiwilligkeit‹ hatte durch den nötigen Aufwand auch Rückwirkungen auf die Universität selbst. So organisierten sich die Frauen mancherorts erstmals in größerem Stil: Meist schlossen sich ihre Vereine zu einer »Kommission für den freiwilligen Hilfsdienst von Studentinnen« zusammen. Dadurch näherten sie sich auf Ortsebene an, doch intensivierten sich Kontakte und Zusammenarbeit auch auf Verbandsebene.224 Aus der Hilfsarbeit heraus entwickelte sich an manchen Universitäten eine allgemeine Vertretung der Studentinnen:225 Der Verein, der in Straßburg schon zuvor bestanden hatte, hatte nur einen kleinen Teil der Studentinnenschaft umfaßt. Der Ausschuß, den diese jetzt »anläßlich der Hilfsdienstfrage« wählte, sollte »auch weiterhin als Vertretung der Studentinnen fungieren,« und die Regularien für seine Verstetigung wurden sogleich festgelegt.226 Daß der Münsteraner Studentinnen-Ausschuß, der über die Umsetzung des Aufrufs zur Munitionsarbeit wachte, unter dem Vorsitz des Rektors wirkte, weicht nicht grundsätzlich von früheren studentischen Zusammenschlüssen innerhalb der Universität ab; denn manchmal mußte der Rektor ja auch dem 222 Edith Stein an Roman Ingarden 20.2.1917, in: Stein, Selbstbildnis in Briefen, S. 19 f. 223 Mia Schwarz, Hilfsdienst im Lehramt, in: S VII (1918), S. 6 f. Genehmigung des pr. KuMi für den Unterricht von Studenten höherer Semester in Volks- und Mittelschulen für die Dauer des Krieges in: ZBUPr 1917, S. 417. 224 Hilpert-Fröhlich, »Vorwärts geht es«, S. 46 f. 225 Allerdings führte z. B. in Marburg schon im Februar 1916 der Ausschluß von Frauen aus dem AStA (laut dem neuen, seit WS 1915/16 geltenden Statut) auf Initiative des Verbands der Studentinnenvereine Deutschlands zu einem Zusammenschluß aller Frauen, dem Verband Marburger Studentinnen (der Vereine und Nichtorganisierte umfaßte). Im SS 1918 löste sich dieser auf: Die Studentinnen gründeten einen eigenen AStA! (Koerner, Auf fremdem Terrain, S. 334–336). 226 Zu Beginn jedes Semesters sollte eine Versammlung der Studentinnen stattfinden, dort der Vorstand neu gewählt oder ergänzt werden. Dabei sollte der Vorsitz unter den Fakultäten rotieren (Rektor Strb. an Rektor Marburg 8.1.1918: ADBR 103 AL 1429).
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AStA vorsitzen (um zwischen rivalisierenden Gruppen zu schlichten). Doch mit der Organisation des Hilfsdienstes durch die Universität (die diese durchaus im eigenen Interesse übernahm, ja herbeiführte) wuchsen ihm tatsächlich neue Aufgaben zu, ebenso wie er bei der Koordinierung der Freiwilligen aus dem Lehrkörper zum vermittelnden Glied zwischen staatlichen Behörden und Universität wurde (was in Preußen und in Elsaß-Lothringen ja eigentlich die Aufgabe des Kurators war). Aber genau genommen, war der Rektor noch mehr als das: Gerade im Bestreben, seine Universität möglichst funktionsfähig zu halten, mußte er die staatlichen Anforderungen umsetzen und sie dabei im Sinne der Universität ›zurechtstutzen‹, sei es durch prinzipielle Abwehr der Indienstnahme der Dozenten, Kanalisierung der Hilfsdienstpflicht der Studenten, Beschränkung der freiwilligen Mobilisierung der Studentinnen oder moralischen Druck auf die Dozenten zur freiwilligen Übernahme kleiner Nebentätigkeiten. Dabei kam gelegentlich auch ein durchaus paternalistisches Amtsverständnis zutage, etwa wenn der Gießener Rektor Gisevius von den »unser[er] Obhut anvertrauten Personen« sprach.227
Résumé und Schlußfolgerungen Beim Vaterländischen Hilfsdienst handelte es sich für Männer um eine neue Pflicht, bei der Tätigkeit der Frauen ab 1917 anders, als zu Kriegsbeginn, nicht um originäre, sondern um vom Staat eingeforderte ›Freiwilligkeit‹. Indem die Lehrenden ausgenommen wurden, erlangten die Universitäten zugleich eine prinzipielle Anerkennung ihrer hohen Bedeutung für Staat und Gesellschaft. Und dabei konnten sie in der Anfangsphase des Hilfsdienstes in Preußen und Sachsen die Ansprüche des Staates sogar mit Unterstützung der für sie zuständigen höchsten Landesbehörde abwehren. Andererseits war die Bereitschaft, sich trotzdem zu engagieren, relativ groß. Wenn die Universität die Organisation selbst übernahm, belegt das aber nicht nur ihre Einsatzbereitschaft, sondern vor allem die Fürsorge für ihre Angehörigen. Insofern handelt es sich zwar in gewissem Sinn auch um eine Fortsetzung der Selbstmobilisierung, die schon seit Beginn des Krieges erfolgte; aber jetzt mit umgekehrter Zielsetzung: nicht einer möglichst umfassenden Aktivierung für Kriegszwecke, sondern deren Reduktion. Daß aber der Hilfsdienst einen ganz anderen Charakter hatte als die Wehrpflicht, als deren Erweiterung er ursprünglich gedacht war, ergibt sich nicht nur aus der zeitlichen Beschränkung der Tätigkeit (die von Lehrenden und auch den meisten Studierenden mit ihrer eigentlichen Aufgabe verbunden und daher nur stundenweise ausgeübt wurde), sondern schon aus der unterschiedlichen Regi 227 Gisevius an die Frauenarbeitsstelle, Abteilung I, zu Darmstadt (Entwurf mit Absendevermerk 1.12.1917): UA Gi PrA 1093, fol. 18–20.
528 Die Universitäten im Kriegseinsatz strierung der beiden Einsatzformen in den meisten Universitätsverzeichnissen: Während die Kriegsdienstleistenden – Lehrende wie Studierende – in allen Personalverzeichnissen markiert oder in gesonderten Listen ausgewiesen wurden, kamen offenbar nur einzelne Universitäten auf den Gedanken, auch die ›Freiwilligen‹ des Vaterländischen Hilfsdienstes solchermaßen auszuzeichnen: Im Münchner Verzeichnis trugen sie den Vermerk »V. H.«, im Bonner »Z. D.«, jeweils auch Frauen. (Dort waren außerdem Heeresdienst und Dienst für das Rote Kreuz getrennt ausgewiesen.)228 In Freiburg wurden Kriegsteilnehmer mit einem »K« vor dem Namen gekennzeichnet, alle Frauen (die anderswo in eigenen Listen geführt wurden) waren mit * versehen, einzelne Frauen aber außerdem mit »K«.229 Vermutlich wurden in Freiburg und München allerdings nur die Beurlaubten so gekennzeichnet – die es in Gießen und Straßburg ja ohnehin nicht oder kaum gab. Doch von den drei hier untersuchten Universitäten wies keine die Hilfsdienstleistenden aus.230 In Berlin, wo sich schon bis zum Frühjahr 1917 eine beachtliche Zahl von Hilfsdienstleistenden der Philosophischen Fakultät gemeldet hatten, wurden im Sommer 1917 von den Männern weiterhin nur jene markiert, »die bei dem Heere« standen, von den Frauen jene, die »sich zum Zwecke der Hilfeleistung beim Heere« befanden. Das waren 47 Studentinnen, also knapp 4,1 % von 1151 immatrikulierten Frauen deutscher Staatsangehörigkeit.231 Das können (wie früher) zwecks Krankenpflege beurlaubte Frauen oder aber auch erste Etappenhelferinnen gewesen sein. Dabei handelte es sich um Vertreterinnen aller Fakultäten – nur wenige Medizinerinnen waren darunter. Im Wintersemester, also nach Veröffentlichung des Appells zur Munitionsarbeit, sank der Anteil sogar: auf 3,5 % (44) der (1249 immatrikulierten) deutschen Frauen.232 228 S. als Beispiele Personalstand der Ludwig- Maximilians-Universität München WS 1917/18, München 1918, S. 154: Zickler, Friede; Amtliches Personal-Verzeichnis der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn (….) WS 1917/18, Bonn 1917, S. 158: Maria Acker, Hermine Alberis. 229 S. als Beispiele: Verzeichnis der Behörden Freiburg (wie A. 163), WS 1917/18, S. 13: Ditges, Klara, WS 1918/19, S. 84: Raif, Gertrud. Das »K« ist, etwa im Gegensatz zum Münchner »V. H.«, nirgendwo erläutert und meint (schon weil fast alle studierenden Männer so markiert waren) offenbar alle im Militärdienst Stehenden, aber auch die Hilfsdienst Leistenden. 230 Das Straßburger enthielt weiterhin eine Namensliste der im Kriegsdienst Stehenden und daher von der Universität Beurlaubten. Das Gießener kannte weiterhin nur die Angabe »im Heere« in der Spalte, in der bei den übrigen die Adresse stand. 231 Nach den Statistiken auf dem Stand vom 9.7.1917 (einschließlich der »Übersicht der Zahl der Studierenden […] von denen […] bekannt geworden ist, daß sie Heeresdienst leisten«) in: AV FWU Berlin SS 1917. In der Namensliste sind dagegen nur 39 Frauen mit dem Kriegs-Stern markiert (3,4 %); und im üblichen Nachtrag sind für dieses Semester keine weiteren (nachträglich immatrikulierten) Frauen nachgewiesen. 232 Nach den sonstigen Statistiken auf dem Stand vom 8.11.1917 in: AV FWU Berlin WS 1917/18 (Anhang). Namenslisten der Studierenden wurden im Winter 1917/18 nicht mehr gedruckt.
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Aber selbst wenn man Angaben für alle Hilfsdienstleistenden, auch außerhalb des Heeres, hätte, käme man bei Frauen und Männern nie auf einen auch nur ähnlichen Anteil der irgendeine Form von Kriegsdienst oder Kriegsarbeit Leistenden. Das ist zu bedenken, wenn man die Bemühungen der organisierten Studentinnen, ihren eigenen Einsatz dem der Männer anzugleichen, betrachtet. Diese Rhetorik war ja keineswegs nur beim politisch neutralen, aber frauenbewegten Verband zu beobachten. Auch die Vertreterin der katholischen Studentinnen hatte das gleiche Streben und Mühen von »Student und Studentin« hervorgehoben, auch wenn sie die tiefgreifende Verschiedenheit in der Umsetzung feststellte und dabei das Umsorgen als ureigenstes Gebiet der Frau auswies.233 Dagegen propagierte der neutrale Verband gerade Tätigkeiten, die bislang als unweiblich galten: Arbeit in der Munitionsindustrie und – mindestens vom Einsatzort her – auch die Schreib- und Verwaltungsarbeit in der Etappe, bei der Armee. Im Unterschied zu der Professionalisierungsstrategie, die der Bund Deutscher Frauenvereine verfolgte, wenn er die bisher ehrenamtlich ausgeübte Sozialarbeit und Arbeitsvermittlung zur bezahlten Tätigkeit machte,234 erscheint dies, indem es von den angestrebten akademischen Berufen wegführte, gewissermaßen als Weg der Deprofessionalisierung. Zugleich war der Einsatz in der Munitionsindustrie zumindest mancherorts kontraproduktiv. Auch greift es zu kurz, diesen nur als Beweis vaterländischer Gesinnungstreue zu deuten;235 denn immer wieder wurde die Gemeinschaft mit anderen sozialen Schichten betont. So erlebten die Studentinnen hier dasselbe wie die Männer an der Front. Und genau durch diese ›Volksgemeinschaft‹ und die Tätigkeit gewissermaßen ›unter‹ dem eigenen ›Stand‹ wurden sie den männlichen Kommilitonen gleich. Doch könnte man die Frage der Gleichheit natürlich auch anders stellen: Wurden die Geschlechter (abgesehen von der Frage der prinzipiellen Opposition zwischen Pflicht der Männer und Freiwilligkeit der Frauen) eigentlich innerhalb des Vaterländischen Hilfsdienstes gleich behandelt? Bei der Heranziehung der Männer war die bevorzugte Verwendung in der Universitätsstadt vorgesehen – während Munitions- und Etappeneinsatz, zu denen die Frauen später aufgerufen wurden, nur durch zeitweise Entfernung von ihr oder gar Unterbrechung des Studiums möglich waren. Andererseits ist aber festzuhalten, daß der Gießener und der Straßburger Rektor und der Greifswalder Kritiker der Munitionsarbeit sich um den Einsatz der Frauen vor Ort oder in ihrem jeweiligen Fach bemühten. Andererseits wurden die Marburger Frauen in Munitionsfabriken in Kassel und als Werkstattschreiberinnen bei Zeiss in Jena eingesetzt.236 Auch genossen diese Tätigkeiten bisher wesentlich geringeres Ansehen als die 233 234 235 236
S. genauer o. S. 444. Darauf weist zu Recht Koerner, Auf fremdem Terrain, S. 380, 382 hin. Dies tut Koerner, Auf fremdem Terrain, S. 382 und passim. Wettmann, Heimatfront Universität, S. 245.
530 Die Universitäten im Kriegseinsatz Krankenpflege, gerade weil letztere von bessergestellten Frauen (und Männern) ehrenamtlich ausgeübt wurde. Die Frage, inwieweit hilfsdienstpflichtige Männer Munitionsarbeit leisteten, scheint dagegen bislang gar nicht untersucht worden zu sein. (Aber deren Arbeit hätte vermutlich auch etwas weniger Aufsehen erregt.) Deshalb kann nicht geklärt werden, ob Frauen – nachdem sie ihr Studium drei Jahre lang hatten fortsetzen können und dadurch gewissermaßen privilegiert waren – nun durch Zuweisung dieser Tätigkeiten diskriminiert wurden. Prinzipiell aber kann, da der Eintritt in den Hilfsdienst in der Entscheidung der Frauen selbst lag, wohl kaum von Diskriminierung gesprochen werden. Und der Fall, daß ein Professor den Studentinnen drohte, »sie künftig im Examen schlecht zu behandeln, wenn sie jetzt nicht täten, was verlangt wird«, nämlich in die Munitionsfabrik zu gehen, scheint eine Ausnahme gewesen zu sein.237 Nicht expliziert wurde im allgemeinen auch, warum die Rektoren die Studentinnen verschonen wollten. Wollten sie damit deren Weiblichkeit schützen – oder ging es ihnen in erster Linie um ihre Universität? Letzteres legen jedenfalls die Bemühungen zur Einrichtung von Teilzeit-Hilfsdiensten nahe, die die Fortsetzung des Studiums (und damit die Aufrechterhaltung des Lehrbetriebs) ermöglichen. Zunächst, als es um die Männer ging, wurde den Universitäten eine eher »abwartende Haltung« bescheinigt. Sie hätten vor allem darauf geachtet, daß ihre Studenten »ihren Fähigkeiten und geistigen Anlagen« entsprechend verwendet wurden und »ihre wissenschaftliche Ausbildung so gut wie möglich weiter (…) betreiben« konnten.238 Nimmt man das als Maßstab, wird man beim späteren Einsatz der Frauen mindestens dasselbe, wenn nicht gar eine Verzögerungstaktik in Gießen und Straßburg feststellen. Allerdings läßt sich dies nicht generalisieren; denn der Göttinger und der Marburger Rektor drängten die Frauen sehr, als sie den Aufruf des Kriegsministers zur Munitionsarbeit weitergaben: »Ihr könnt es: Darum müßt Ihr.«239 Falls es unterschiedliche Muster gab, könnte die Größe und Situation der jeweiligen Universität eine wichtige Rolle gespielt haben. Das scheinen die Beispiele Gießen und Straßburg – im Gegensatz zu breiteren Hilfsdienst-Aktivitäten in Berlin – auch zu bestätigen. Doch gehörte Marburg größenmäßig in die 237 Das drohte ihnen der Marburger Romanist Eduard Wechsler laut Birts Tagebucheintrag vom 6.10.1917 an (Wettmann, Kriegstagebücher Theodor Birts, S. 164). 238 Hochschule und Zivildienst (wie A. 9), Zitate S. 512. 239 Marburger Aufruf in: Es begann vor hundert Jahren, S. 108 (Zitat). Das »es« bezog sich syntaktisch zwar auf das Anfeuern und Ermutigen der Frauen anderer Stände durch die Bereitwilligkeit und Zähigkeit der Studentinnen. Doch dies sollte eindeutig in der Munitionsarbeit geschehen. Details zu Göttingen bei Trude Maurer, Integration in die ›Volksgemeinschaft‹ oder Exklusivität? Die Angehörigen deutscher und russischer Universitäten im Ersten Weltkrieg, in: Cornelia Rauh/Arnd Reitemeier/Dirk Schumann (Hg.), Kriegsbeginn in Norddeutschland. Zur Herausbildung einer »Kriegskultur« in transnationaler Perspektive (im Druck), A. 54.
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Kategorie Straßburgs und hatte andererseits um ein Vielfaches mehr Frauen als Gießen (die hier außerdem etwa die Hälfte der anwesenden Studierenden ausmachten, nicht, wie in Gießen, nur etwa ein Viertel).240 Wenn Marburger Studentinnen trotzdem in die Munitionsindustrie geschickt wurden, können die Bemühungen, die Universität offenzuhalten, nicht alleine ausschlaggebend gewesen sein.241 Vermutlich spielten auch Unterschiede zwischen den einzelnen Verantwortlichen mit (was sich ja schon in den nur wenige Tage auseinander liegenden Äußerungen der Berliner Rektoren Bumm und Penck spiegelt). Letztlich verfolgten die Universitäten aber, wie auch die geringe Zahl und der sinkende Anteil der »Heeresdienst« leistenden Frauen in Berlin belegen, in erster Linie ihre eigenen Interessen: Bewahrung der Funktionsfähigkeit der Institution, Ausbildung der Studierenden und Förderung von deren Berufsaussichten. Sogar die Zeitschriften der Korporierten hoben anläßlich der Einführung des Hilfsdienstes ja diese Gesichtspunkte hervor. Mit ihren Aktivitäten bewiesen die Universitäten noch ihren guten Willen, in gewissem Maße an den Kriegsanstrengungen teilzunehmen, aber von einer Vorreiterfunktion kann, im Gegensatz zur Meldung zur Fahne bei Kriegsbeginn, nicht mehr die Rede sein. Das allerdings verstärkt die Frage, die oben schon anklang: Warum pro pagierte die Führung des frauenbewegten Studentinnenverbands Munitionsund Etappenarbeit der Studentinnen, ebenso wie das Kriegsamt bzw. -ministerium? Schließlich bedeutete ja nicht nur die Arbeit der Referentinnen im Kriegsamt und seinen lokalen Stellen, sondern auch die Tätigkeit der von ihnen Vermittelten, wie es Alice Salomon später so prägnant formuliert hat, »wirk lichen Dienst in der Kriegsmaschinerie«.242 Für viele war dies zunächst einmal die Fortsetzung ihres früheren freiwilligen Engagements als einzelne, als Mitglied einer studentischen Vereinigung oder im Nationalen Frauendienst.243 Für die Kontinuität von letzterem zum Engagement im Vaterländischen Hilfsdienst stehen etwa Frieda Wunderlich und Elisabeth Flitner, die beide, wenn auch in ganz unterschiedlicher Position, zunächst im Rahmen des ersteren in der Ber liner Fürsorge tätig waren und später für das Kriegsministerium arbeiteten. Alice Salomon, die den Beginn und die ersten sechs Wochen des Krieges in Irland erlebt hatte, war nach ihrer Rückkehr befremdet, auch von jenen Frauen, die sie bislang als fortschrittlich kannte: Sie waren »ebenso chauvinistisch und militaristisch« wie die Männer. Salomon beteuerte sogar, »keinen Funken natio 240 Zahlen bei Wettmann, Heimatfront Universität, S. 379, 502. 241 Solchen Überlegungen schreibt Scherb (»Ich stehe in der Sonne«, S. 93, 100) die Mahnung des Freiburger Rektors von Below zu, sich nicht übereilt zu melden – obwohl er noch bei seiner Ansprache zur Immatrikulation zu Semesterbeginn die Frauen völlig übergangen, auch aus den genannten Zahlen herausgerechnet hatte. 242 Salomon, Charakter ist Schicksal, S. 157. 243 So gehörten z. B. fast alle Mitglieder des Tübinger Studentinnenvereins dem dortigen Nationalen Studentendienst an. S V (1916/17), S. 20 f.
532 Die Universitäten im Kriegseinsatz naler Begeisterung« in sich gehabt zu haben. Daß sie mit der Annahme der Stelle im Kriegsamt dem »Druck des Arguments, daß jeder, der den Dienst ablehnte, die Reihen der Soldaten schwächte und die Gefahr einer Niederlage vergrößerte«, nachgab, scheint plausibel; nicht jedoch ihre Behauptung »Ich wäre ohnehin wohl bald zwangsverpflichtet worden«; denn eine Zwangsverpflichtung von Frauen gab es im Ersten Weltkrieg nicht. Dagegen sprach sie, wie etwa Faßbinders Erinnerungen und manche Äußerungen des Studentinnenverbands über das Dilemma des Privilegiertseins im Vergleich zu den Männern an der Front nahelegen, mit dem folgenden Satz auch für andere Frauen: »(…) außerdem schien mir der Krieg erträglicher, wenn ich mich mit Arbeit betäubte, das allgemeine Los teilte und ein Teil der Massen würde.«244 »Man brauchte auch« sie! Der Legitimationsdruck, unter dem sich die nicht (mehr) kriegsdienstpflichtigen männlichen Universitätsangehörigen fühlten, hatte also auch die Studentinnen erfaßt. Das Protokoll der Jenaer Studentinnen-Versammlung vom Februar 1917 endet: »(…) nur freiwillige Meldung zum Zivildienst und die darauffolgende Tat soll uns rechtfertigen vor uns selbst, vor unseren Kommilitonen, vor dem Vaterland. Ein jeder trage an seinem Teil dazu bei, daß keine leere Kundgebung daraus werde.«245
Das wurde (wenn vielleicht auch nicht überall bewußt) begleitet von der Vorstellung, daß gleiche Rechte (die die Studentinnen formal ja genossen) auch gleiche Pflichten bedeuteten – und gleiche Pflichten den Anspruch auf völlige Gleichstellung gaben. Letztere fehlte noch, nicht nur innerhalb der Universität in der Studentenvertretung,246 sondern auch in staatsbürgerlicher und in beruflicher Hinsicht: Viele Berufe und Laufbahnen waren den Frauen noch verschlossen – insbesondere der Justiz- und der Kirchendienst. In dieser Perspektive bedeutete die Aufnahme so vieler Akademikerinnen in den Dienst des Kriegsministeriums nicht nur einen Karrierefortschritt für die einzelnen und eine prinzipielle Anerkennung sozialer Arbeit als Profession, sondern, da diese Pionierinnen auch führend im Bund Deutscher Frauenvereine waren, zugleich eine »Institutionalisierung der Frauenbewegung auf höchster Ebene der Kriegführung«.247 Oder aus der Perspektive des Gelehrten und Wissenschafts-
244 Salomon, Charakter ist Schicksal, S. 146 (erstes Zitat), 157. 245 Prot. bei Hepelmann, Beiträge zur Geschichte der Frauenarbeit, S. 124–126, hier 126. 246 S. dazu Koerner, Auf fremdem Terrain, S. 323–336; Marianne Koerner, Preis der Partizipation. Allerdings galt eine ähnliche Benachteiligung auch für andere Gruppen, da überall die Korporierten den AStA dominierten. 247 Zitat (ohne die vorausgehenden Überlegungen): Franka Maubach, Die Stellung halten. Kriegserfahrungen und Lebensgeschichten von Wehrmachthelferinnen, Göttingen 2009, S. 11.
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organisators Adolf von Harnack: »(…) ein Witz der Preußischen Geschichte: die erste Frau in einem Ministerium findet sich im Kriegsministerium!«248 Ob in Kliniken, im Landwirtschaftlichen Institut, als Lehrer und Lehre rinnen, als Verwaltungs- und Sozialbeamtinnen: Studierende konnten im Hilfsdienst praktische Erfahrungen sammeln, die auch ihre beruflichen Chancen verbesserten. Dabei handelte es sich teilweise um unbezahlte Praktika, während andere Stellen mit einer bescheidenen, ausreichenden oder – im Etappendienst – sogar stattlichen Vergütung verbunden waren. Daß die Aufrufe zur Munitionsarbeit und zum Etappendienst auf so geringe Resonanz stießen, mag mit einer gewissen Kriegsmüdigkeit zusammenhängen; aber es erklärt sich auch aus der Diskrepanz zwischen dem, was die Studentinnen mit dem Studium anstrebten, und dem, was im Gegensatz dazu nun von ihnen gefordert wurde: einfachere, sogar manuelle Fabrikarbeit. Zugleich verdeutlicht die geringe Resonanz auch den Abstand zwischen der Führung und den Mitgliedern des neutralen Studentinnenverbands. Beim Einsatz ›im eigenen Beruf‹ waren die Studierenden gewissermaßen im Einklang mit den zu Anfang des Krieges ausgegebenen Parolen, daß die höchste Pflicht der Nichteingezogenen in gewissenhaftem Studium als Pflege der Wissenschaft und Berufsvorbereitung bestehe. Wo die Munitionsarbeit befürwortet wurde, mußte dagegen eine Umwertung stattfinden, wie sie in Bumms Äußerung sogar expliziert wurde, aber auch in Elfriede Dieckmanns Stufung der »höheren« Pflicht zutage tritt. In wie weit dies aber allein aus »treu vaterländischer Gesinnung« und »sozialer Verantwortlichkeit« erfolgte, ist schwer zu bestimmen – und mag ohnehin bei den einzelnen Beteiligten und Gruppierungen verschieden gewesen sein. Dem vaterländischen Pathos des Kriegsministers und Dieckmanns stehen bei Alice Salomon »Vaterlandsdienst« und »Vaterlandsliebe« als Grundlage drastisch formulierter Bedingungen (»primitive Verhältnisse«) ohne große Verheißungen (wie sie der Kriegsminister eingeflochten hatte249) gegenüber. Angesichts ihrer Haltung zum Krieg scheint es deshalb auch nicht ganz zufällig, daß sie ein anderes Anliegen in den Vordergrund stellte: die Ehre der deutschen Frau. Doch bei allen Unterschieden verband die unterschiedlichen Aufrufe der Appell an die Studentinnen als Pionierinnen.
248 Adolf von Harnack an Martin Rade 14.1.1918, zitiert bei Cymorek/Graf, Agnes von Zahn-Harnack, S. 211. Harnack bezog dies auf seine Tochter, doch stünde es eigentlich der Allerersten, Marie Elisabeth Lüders, zu. 249 »aber Ihr gewinnt auch«.
6. Die Spaltung der Gelehrtengemeinschaft im Dienst an der ›Volksgemeinschaft‹: Gesinnungsbildung – Kriegszielkontroverse – politische Organisation Der vielfältige praktische Einsatz von Lehrenden und Studierenden wurde begleitet von Bemühungen, den ›Geist von 1914‹ aufrechtzuerhalten. Zwar diente dies auch zur Motivierung und Förderung solcher Tätigkeiten, doch reichte die Intention noch weiter: Es ging um die Gesamtgesellschaft, ihren Patriotismus und ihre Geschlossenheit, gegründet auf innerer Einheit. Bei der folgenden Untersuchung, welche Anstrengungen die Universitäten auf diesem Gebiet unternahmen, geht es nicht um die Kriegspublizistik, denn diese wurde bezüglich ihrer Inhalte bereits mustergültig analysiert, wenn auch mit starker Konzentration auf die Wortführer.1 Im Vordergrund steht vielmehr auch hier das Verhältnis zwischen Gesamtgesellschaft und Universitäten und dessen spezifische Ausprägung an den einzelnen, hier untersuchten Orten. Da sich die Studenten vor Ort wie auch in ihren Zeitschriften vor allem der Gesinnungspflege im eigenen Kreis widmeten, steht dabei die Professorenschaft im Vordergrund. Untersucht werden ihre öffentlichen Aktivitäten, die zunächst von der Universität als Institution ausgingen, später dagegen von rivalisierenden, ja antagonistischen Gruppen in der Gesamtgesellschaft, denen sich viele Professoren anschlossen und in deren Führung Professoren mitwirkten. Einzelne treten im folgenden allenfalls als Wortführer oder Repräsentanten von Gruppen hervor; in der Hauptsache geht es aber um die Professorenschaft als ganze oder bestimmte Teile davon. In den bisherigen Untersuchungen zur Publizistik dominieren die Berliner.2 Auch hier stehen sie im Vordergrund; denn in der Hauptstadt waren zumindest einige »besser informiert (…) über die treibenden Kräfte als in der Provinz«3 und hatten sogar selbst einen gewissen Einfluß auf Regierungskreise. Im »Mittwochabend«-Kreis, der sich schon bald nach Kriegsbeginn gebildet hatte, verkehrten ja Gelehrte, Abgeordnete und hohe Beamte. Zwei Professoren des »Mittwochabend«, Meinecke und Harnack, wurden gelegentlich von Reichskanzler Bethmann Hollweg zur Beratung herangezogen. Außerdem hatte Harnack auch weiterhin persönliche Begegnungen mit dem Kaiser. Da letzterer sich im Großen Hauptquartier befand, kam es dazu in den ersten drei 1 Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral. 2 Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral; Steffen Bruendel, Volksgemeinschaft oder Volksstaat. Die »Ideen von 1914« und die Neuordnung Deutschlands im Ersten Weltkrieg, Berlin 2003. 3 So Meinecke an seinen ehemaligen Freiburger Kollegen, den Pathologen Ludwig Aschoff, 21.10.1918, in: Meinecke, Ausgewählter Briefwechsel, S. 95–98, Zitat 97.
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Kriegsjahren zwar nur fünfmal, doch tauschte Harnack sich außerdem schriftlich und mündlich mit dem Chef des kaiserlichen Zivilkabinetts, Rudolf von Valentini, aus. Dieser Kontakt wurde nach dem Rücktritt Bethmann Hollwegs Mitte Juli 1917 noch wichtiger. Doch mit der Entlassung Valentinis auf Druck der Obersten Heeresleitung im Januar 1918 standen diesem Kreis »gouvernemental agierender Gelehrter«, von dem mehrere Initiativen – sowohl gegen annexionistische Pläne als auch für eine Reform des preußischen Wahlrechts und zur Verhinderung des uneingeschränkten U-Boot-Krieges – ausgingen, bis zur Ernennung des Prinzen Max von Baden zum Reichskanzler keine gleich gesinnten Partner auf höchster Ebene mehr zur Verfügung.4 Zu bedenken sind auch die Rahmenbedingungen der öffentlichen Äußerungen, um die es im folgenden geht: also zuvorderst die Zensur, die die Erörterung mancher Themen zeitweise ganz verbot und bei anderen entsprechende Zurückhaltung bzw. Umschreibungen erforderte. Außerdem dienten manche Äußerungen nur als Mittel zum Zweck – und können daher nicht grundsätzlich als Ausdruck der Überzeugungen des Redners (bzw. Autors) genommen werden. So besaßen z. B. für den Berliner Historiker Hans Delbrück die »umfassenden Kolonialpläne«, die er »unermüdlich vor seinen Lesern ausbreitete«, 1917 »keine unbedingte Überzeugungskraft mehr.« Trotzdem brachte er sie dem Publikum immer wieder in Erinnerung, um es so von westlichen Annexions wünschen abzulenken.5 Ginge man von den einzelnen aus, um die Haltung der Professorenschaft insgesamt zu ermitteln, hätte man eine Unzahl von Personen zu berücksichtigen, die ihre Einschätzungen und daraus resultierenden Forderungen im Lauf des Krieges auch noch mehrfach änderten.6 Auch das ist an herausgehobenen Persönlichkeiten schon hinreichend verdeutlicht worden: Friedrich Meinecke z. B. schwebte im Herbst 1914 eine Aufteilung Belgiens zwischen Frankreich und den Niederlanden vor, doch ließ er diesen Gedanken bald wieder fallen. Im Frühjahr 1915 wollte er ein »deutsches Protektorat« daraus machen, distanzierte sich im Herbst aber wieder von diesem Gedanken, und plädierte 1917 schließlich für die volle Wiederherstellung der belgischen Souveränität.7 1915 verlangte er 4 Nottmeier, Harnack, S. 406, 447, 453 f., 458. 5 Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 150. Aus diesem Grund wurde in bisherigen Untersuchungen, sofern es um die ›wirklichen‹ Anschauungen der Gelehrten ging, auch ihre Privatkorrespondenz herangezogen, obwohl dies nur für eine kleine Gruppe möglich ist. Das gilt auch für Schwabe (zu seiner Konzeption und ihren Beschränkungen vgl. die Bemerkungen o. S. 3 mit A. 14). 6 Zu Harnacks »Fähigkeit zum Umdenken« s. Hammer, Harnack und der Erste Weltkrieg, Zitat S. 96. 7 Meineke, Meinecke, S. 245 f., 249, 262. Außer diesen ›Hauptstationen‹ der Entwicklung seines Denkens sind, etwa im letzten Vierteljahr 1914, weitere Veränderungen im Detail zu beobachten. S. seine Briefe an Dove vom 25.9.1914 (gegen die Aufteilung Belgiens zwischen den Niederlanden und Frankreich) und 4.11.1914 (Verzicht auf Belgien). Mit einem
536 Die Universitäten im Kriegseinsatz auch: »Rußland soll uns da oder dort Land abtreten ohne Menschen«. Kurland könnte »für uns brauchbar werden als bäuerliches Kolonisationsland, wenn wir die Letten nach Rußland abschieben«.8 1916 wandte er sich allerdings gegen alldeutsche Siedlungspläne und schloß sich später auch Delbrücks Verurteilung der »balto-zentrischen« Politik an.9 Doch war die Umsiedlung von Wolgadeutschen nach Kurland bis Mitte 1918 eine seiner Lieblingsideen, obwohl es ihm insgesamt »in den Fragen der östlichen Kriegszielplanung an einer festen Orientierung fehlte«.10 Und im April 1918 sah er aufgrund der zunächst bemerkenswerten Resultate der Frühjahrsoffensive im Westen »kein[en] Grund mehr, Frankreich zu schonen«.11 Auch Otto Hintze distanzierte sich später von seinen 1915 festzustellenden annexionistischen Neigungen und näherte sich sogar der Idee eines univer salen Völkerbundes an.12 Der Gießener Historiker Gustav Roloff wiederum unterzeichnete 1915 die gegen die Annexionisten gerichtete Eingabe, später aber auch eine Eingabe, die für die »Wiedervereinigung« der baltischen Provinzen mit dem Deutschen Reich eintrat und – mit 20.000 Unterschriften, darunter sowohl liberale als auch alldeutsche Hochschullehrer – im März 1917 dem Reichskanzler übergeben wurde.13 Wie nötig die individuelle (und zeitliche) Differenzierung ist, belegt nicht zuletzt der Gießener Psychiater Robert Sommer.14 Sowohl aufgrund der methodischen Probleme als auch aufgrund der nicht eruierbaren Einstellungen aller Lehrenden der drei Universitäten geht es im »Hubertusburger Frieden«, also der Wiederherstellung des status quo, wäre er im Dezember 1914 zufrieden gewesen. »Aber schöner wär’s doch, wenn wir dem verdammten John Bull noch das Rasiermesser an die Kehle setzen könnten und etwas Volles und Ganzes erstritten.« (an W. Goetz 12.12.1914). Alles in: Meinecke, Ausgewählter Briefwechsel, S. 47 f., 50–52 (hier 51), 54 f. (Zitat 54). 8 Der letzte Teil ist als (nur rhetorische) Frage formuliert: F. Meinecke an W. Goetz 6.5.1915. Vgl. auch F. Meinecke an A. Dove 23.5.1915. Beide in: Meinecke, Ausgewählter Briefwechsel, S. 58 f. (Zitat 59), 61. 9 Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 80, 82. 10 Meineke, Meinecke, S. 251 f. Zu einer detaillierten Darlegung von Meineckes wechselnden Vorstellungen bezüglich der Kriegsziele s. dort 243–263. 11 Äußerung in der Vorstandssitzung des Volksbunds für Freiheit und Vaterland am 5.4.1918 (zit. aus archivalischen Quellen bei Herbert Gottwald, Volksbund für Freiheit und Vaterland (Vf FV), in: Lexikon zur Parteiengeschichte. Die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien und Verbände in Deutschland 1789–1945. 4 Bde., Leipzig (bzw. [als Lizenzausgabe] Köln) 1983–1986, hier Bd. 4 (1986), S. 414–419, hier 414 f. Genau am 5.4.1918 wurde die Offensive allerdings eingestellt. 12 Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 245 A. 163. 13 Unter den 20.000 waren viele Hochschullehrer, aus Berlin u. a. Dietrich Schäfer und der Völkerrechtler Heinrich Triepel, außerhalb Berlins z. B. Alfred Weber. Es fehlten aber aus Berlin Hoetzsch, Delbrück, Harnack, Sering (obwohl zumindest die letzten drei für die Ansiedlung Deutscher in diesen Gebieten waren). Nach Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 81 und 228 A. 44 sowie (für Harnack) Nottmeier, Harnack, S. 423. 14 S. dazu u. S. 572 f.
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folgenden also hauptsächlich um kollektive Aktivitäten und Äußerungen, zunächst um Vortragsreihen, dann Aufrufe, Eingaben, Resolutionen, und dabei nicht nur, nicht einmal in erster Linie um die konkreten politischen Inhalte, sondern auch um Form und Funktion der Aktivitäten sowie ihre Rückwirkung auf die Universität selbst.
Kriegsvorträge der Daheimgebliebenen zur Festigung der ›Volksgemeinschaft‹ Sofort mit Kriegsbeginn setzte, ähnlich wie als praktische Tätigkeit die Verwundetenpflege, im mentalen Bereich die Gesinnungspflege ein. Besonders in der Anfangsphase waren die Gelehrten mit sogenannten Kriegsvorträgen überall rasch bei der Hand und suchten mit ihrer Deutung der neuen Situation in die Gesamtgesellschaft hinein zu wirken.15 Der Jenaer Philosoph und Nobelpreisträger für Literatur Rudolf Eucken z. B. hielt im ersten Kriegsjahr 36 Vorträge an verschiedenen Orten. Immer wieder einmal kam er dafür auch in die Berliner Urania, wo er 1916, als er sie nur noch halbvoll fand, den Stimmungsumschwung registrierte.16 An den hier untersuchten Universitäten fanden bald ganze Vortragsreihen statt; doch lassen der Beginn noch im Spätsommer oder erst im Herbst ebenso wie der jeweilige Initiator, die Zahl der Veranstaltungen und das Themenspektrum zugleich bezeichnende Unterschiede erkennen. In Berlin regte der preußische Altphilologe von Wilamowitz-Moellendorff schon in der Fakultätssitzung eine Woche nach Kriegsbeginn »die Beteiligung von Professoren an volkstümlichen Unterhaltungsabenden durch Vorträge« an.17 Eine Woche später erneuerte der gebürtige Tiroler Alois Riehl diesen Vorschlag und beantragte, dafür einen Ausschuß aus allen Fakultäten zu bilden.18 Tatsächlich begannen die »Deutschen Reden in schwerer Zeit, gehalten von Professoren an der Universität« bereits am 27. August mit einem Vortrag des Initiators.19 Zu den Rednern gehörten Angehörige der verschiedenen politischen Lager wie auch gegensätzlicher Standpunkte in der (erst 1915 öffentlich geführten) 15 Siehe z. B. für Münster Ribhegge, Geschichte der Universität Münster, S. 144 f.; Marburg: Wettmann, Heimatfront Universität, S. 214–216; Heidelberg: Reichert, Wissenschaft und »Heimatfront«, S. 501–503. 16 Rudolf Eucken, Lebenserinnerungen. Ein Stück deutschen Lebens, Leipzig 1921, S. 99 f. 17 Prot. der Fakultätssitzung vom 8.8.1914: UA HU Phil. Fak. 34, fol. 270–273, Zitat 273. 18 Prot. der Fakultätssitzung vom 15.8.1914: UA HU Phil. Fak. 34, fol. 274–275, hier 275. 19 Bericht über den Vortrag Wilamowitz’: Deutsche Reden in ernster Zeit, in: Volks-Zeitung 409, 28.8.1914 (Ausschnitt in: GSt APK I. HA Rep 76 Va Sekt. 1 Tit. I Nr. 1 Bd. IV, fol. 40). Text hier nach: Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Krieges Anfang, in: U. v. W.-M., Reden aus der Kriegszeit [1], Berlin 1915, S. 3–14.
538 Die Universitäten im Kriegseinsatz Diskussion der Kriegsziele: ›Annexionisten‹ (also Unterzeichner der von dem Theologen Reinhold Seeberg verfaßten sogenannten »Intellektuelleneingabe«)20 ebenso wie Gemäßigte, die ihnen (in der Delbrück-Adresse) widersprachen.21 Deshalb fällt es um so mehr auf, daß der Historiker Dietrich Schäfer, der seit langem im Alldeutschen Verband sowie im Ostmarkenverein aktiv war, im Jahr zuvor die Rede beim Festakt der Universität zum 100. Jahrestag der Befreiungskriege gehalten hatte und im weiteren Kriegsverlauf an der Spitze eines neuen Zusammenschlusses scharf gegen die Regierung Bethmann-Hollweg auftreten sollte, in dieser Reihe fehlte.22 Fast alle Reden wurden 1914 und 1915 gehalten. Der Vortrag des Anthropologen österreichischer Herkunft, Felix von Luschan, am 2. November 1915 sollte eigentlich der letzte sein. Da es weder an Zuhörern noch an Rednern fehlte, vermutete Luschan hinter dieser Planung, »daß wir in diesem Kriege gegen eine Welt von Feinden über das Schwere, oder wenigstens über das Schwerste, bereits hinaus sind, und die Sicherheit, daß die Hoffnungen unserer Gegner zuschanden werden, und die Einsicht, daß die schwere Zeit, in der wir leben, auch eine große Zeit ist.«23
Im Februar 1916 folgte aber noch eine allerletzte »Rede«. Die Vorträge fanden nicht in der Aula der Universität, sondern im Verein für Volkswohlfahrt statt und wurden fast umgehend von der Zentralstelle für Volkswohlfahrt und dem Verein für volkstümliche Kurse von Berliner Hochschullehrern publiziert. Mindestens 36 Reden erschienen bald als Separatdrucke.24 Nur die Überlegungen des Staatsrechtlers Gerhard Anschütz über »Zukunftsprobleme deutscher Staatskunst« vom 22. Januar 1915 wurden wegen Zensurbedenken erst 1917 gedruckt, aber auch dann, nach der Proklamation des von den Mittelmächten abhängigen Königreichs Polen, mußten die »Erörterungen über Polen (…) fort gelassen werden«.25 20 Von den im folgenden genannten Rednern unterschrieben im Sommer 1915 folgende Berliner Professoren außer dem Verfasser Reinhold Seeberg selbst diese Adresse: Deißmann, von Gierke, Luschan, Penck, Roethe, Wilamowitz-Moellendorff (Namensliste s. u. A. 184). 21 Zu den Berliner Unterzeichnern der Delbrück-Adresse gehörten außer dem Verfasser selbst von den im folgenden genannten Rednern: Harnack, Anschütz, Herkner, Kahl (s. die Unterzeichnerliste u. A. 198). 22 Rede 1913 in: Feier zur Erinnerung an die Erhebung 1813, S. 5–29. In seinen Erinnerungen, von denen ein starkes Viertel (65 von 237 Textseiten) dem Ersten Weltkrieg gewidmet war, wird die Reihe der Kriegsvorträge der Universität nicht einmal erwähnt (Dietrich Schäfer, Mein Leben, Berlin u. a. 1926). Zu seinen eigenen Aktivitäten s. weiter u. 23 Felix von Luschan, Rassen und Völker, Berlin 1915, S. 34. 24 35 erschienen unter dem zit. Reihentitel. So findet man sie in verschiedenen Bibliothekskatalogen, z. B. unter http://opac.sub.uni-goettingen.de/DB =1/LNG =DU/. Die Eröffnungsrede Wilamowitz’ erschien zwar ebenfalls separat, aber noch ohne den Reihentitel; außerdem später nachgedruckt in seiner eigenen Kriegsreden-Sammlung. 25 Gerhard Anschütz, Zukunftsprobleme deutscher Staatskunst, Berlin 1917, S. 2.
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Die Rednerliste bestand fast ausschließlich aus Lehrstuhlinhabern; nur drei Extraordinarien wirkten mit: der zweite Professor für Osteuropäische Geschichte, Otto Hoetzsch (der aber als Kommentator der Kreuz-Zeitung seit 1913 öffentlich bekannt war und nun zudem im Kriegspresseamt diente), der aus England zurückgekehrte Althistoriker und Orientalist Lehmann-Haupt, und der Pädagoge und Philosoph Ferdinand Jakob Schmidt, der nach langen Jahren als Direktor eines Lyzeums erst 1913 eine Professur erhalten hatte. Der ehemalige Extraordinarius Martin Kirchner dagegen war als Leiter der preußischen Medizinalverwaltung in keiner geringeren Position als die Ordinarien. Die zweite Besonderheit bestand darin, daß die Berliner auch einige auswärtige Kollegen gebeten hatten, in ihrer, der Reihe der deutschen ›Nationaluniversität‹ zu sprechen. Auch dabei handelte es sich um herausgehobene Wissenschaftler: Der Schweizer Kunsthistoriker Heinrich Alfred Schmidt, als Mitarbeiter der Nationalgalerie lange Privatdozent in Berlin, inzwischen Ordinarius in Göttingen, referierte über »Deutschtum und bildende Kunst«.26 Der Breslauer Rudolf Leonhard gehörte »zu den fruchtbarsten Schriftstellern, anerkanntesten Gelehrten und durch seinen anregenden packenden Vortrag zu den beliebtesten Lehrern des Rechts«. Da er zudem 1907/08 Kaiser-Wilhelm-Professor an der New Yorker Columbia University gewesen war,27 beanspruchte er durchaus mit einem gewissen Recht besondere Kompetenzen: »über das so vielen rätselhafte Verhalten Amerikas während des Krieges ein Urteil abzugeben«.28 Der Bonner Germanist Berthold Litzmann war als Biograph und Herausgeber der Werke Ernst von Wildenbruchs, der als Verfasser historischer Dramen und von Schlüsselgedichten des Bismarck-Kults zu den meistgelesenen Schriftstellern der Jahrhundertwende gehörte, geradezu berufen, über »Ernst von Wildenbruch und de[n] national[n] Gedanke[n]« zu sprechen.29 Aus Kiel kam der Ordinarius für Praktische Theologie und Universitätsprediger Otto Baumgarten, ein Vorkämpfer des Kulturprotestantismus, um über den »Krieg und die Bergpredigt« zu referieren.30 Aus München schließlich reiste der Direktor des dortigen Hygiene-Instituts an, der österreichische Mediziner und Biologe Max von Gruber, der auch Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene und Mitglied des Alldeutschen Verbands war.31 26 Biogr. Angaben in: Betthausen u. a. (Hg.), Metzler-Kunsthistoriker-Lexikon, S. 358–360 (Christiane Fork). 27 Deutsche Juristenzeitung 22 (1917), Sp. 108. 28 Rudolf Leonhard, Amerika während des Weltkrieges, Berlin 1915 (29.1.1915). 29 Der erste Band der Biographie war 1913 erschienen, der zweite folgte 1916. Zu Wildenbruchs Bismarck-Lyrik s. Hans Rudolf Wahl, Die Religion des deutschen Nationalismus. Eine mentalitätsgeschichtliche Studie zur Literatur des Kaiserreichs (…), Heidelberg 2002, S. 149–282. 30 Einschätzung nach BBKL I (1990), Sp. 422 f. (Friedrich Wilhelm Bautz). 31 NDB 7 (1966), S. 177 f. (Gernot Rath); ergänzend: http://de.wikipedia.org/wiki/Max_ von_Gruber (25.3.2011).
540 Die Universitäten im Kriegseinsatz Das Fächerspektrum war zwar relativ breit, doch von Textwissenschaftlern dominiert. Praxisbezogene Disziplinen spielten nur eine marginale Rolle: Neben 10 Vorträgen von acht Juristen (Wilhelm Kahl referierte zwischen Oktober 1914 und Juni 1915 dreimal!) standen 16 von geisteswissenschaftlichen Mitgliedern der Philosophischen Fakultät, vier von Theologen sowie zwei von Nationalökonomen.32 Dazu kamen drei Mediziner und der Anthropologe von Luschan, seiner Ausbildung nach ebenfalls Mediziner, außerdem ehemaliger Abteilungsleiter im Völkerkundemuseum, mit seinem Lehrstuhl aber in der Philosophischen Fakultät angesiedelt. Doch referierten auch sie nicht über die während des Krieges anstehenden praktischen Probleme, sondern zwei gewissermaßen über die Metaebene – Gruber zu etwa derselben Zeit, in der der Berliner Nicolai wegen einer anstößigen Vorlesung ähnlichen Titels strafversetzt wurde, über »Krieg, Frieden und Biologie«,33 der Anatom Waldeyer, der auch der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte vorstand, über »Die im Weltkriege stehenden Völker in anthropologischer Betrachtung«. Luschan begriff die »Entartung« als den »sehr viel schlimmeren Feind im Innern«, den es ebenso zu besiegen gelte wie den äußeren.34 Am Ende der Reihe versuchte der Leiter der Medizinalverwaltung, Perspektiven für die Zukunft, den »Wiederaufbau des deutschen Volkes«, aufzuzeigen.35 Von den Reden der Nicht-Naturwissenschaftler galten viele nicht spezifischen Themen, für die sie als Fachleute zuständig waren, sondern umfassenden Fragestellungen, so etwa »Wir Deutschen und der Krieg« des Germanisten Gustav Roethe, »Krieg und Kultur« des Juristen Otto von Gierke, »Krieg und Kulturfortschritt« des Theologen Seeberg oder »Pessimismus und Optimismus im Kriege« des Juristen Wilhelm Kahl. Der Ordentliche Honorarprofessor für Philosophie Adolf Lasson (der sich als »Hüter des […] Gedankenguts des deutschen Idealismus« verstand36) sprach über »Deutsche Art und deutsche Bildung«, sein Fachkollege Schmidt über »Das heilige Vermächtnis unserer gefallenen Helden«. Andere nahmen den Krieg (oder die Nachkriegszeit) aus der Perspektive ihres Fachgebietes in den Blick, etwa der Verfassungsrechtler Anschütz mit »Zukunftsprobleme deutscher Staatskunst«37, der Theologe Deißmann mit »Der Krieg und die Religion«, der Osteuropahistoriker Hoetzsch mit »Der Deutsche Kampf im Osten« und der eingebürgerte polnische Slavist Alexander 32 Da die Nationalökonomen an verschiedenen anderen Universitäten zur Juristischen, in Berlin aber zur Philosophischen Fakultät gehörten, werden sie hier als eigene Kategorie betrachtet. 33 29.5.1915. Zum Fall Nicolai s. u. S. 525–528. 34 Luschan, Rassen und Völker, S. 35. 35 Martin Kirchner, Über den Wiederaufbau des deutschen Volkes nach dem Weltkriege, Berlin 1916. 36 NDB 13 (1982), 678 f. (Friedbert Holz). 37 Vgl. o. S. 538.
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Brückner mit »Der Weltkrieg und die Slawen«. Brandl, der ein Jahr vorher seinen Vortrag »Shakespeare and Germany« in der Royal Academy of Arts noch »zu einer großangelegten Sympathie- und Friedenskundgebung« gemacht und zu Shakespeares 300. Geburtstag 1916 eine Feier geplant hatte, die die »harmonizing power of poetry over distinctions of race« zeigen sollte,38 sprach nun über »Byron im Kampf mit der englischen Politik und die englische Kriegslyrik von heute«. Doch bei all’ diesen so unterschiedlichen Themen ging es immer um die Pflege nationaler Gesinnung bzw. Unterstützung der Kriegführung. Programmatisch deutlich gemacht hatte dies schon der Initiator und erste Redner, Wilamowitz-Moellendorff, mit »Krieges Anfang« am 27. August 1914, also während der vier Tage währenden »Schlacht von Tannenberg«, eine Woche, nachdem die 8. Armee Teile Ostpreußens hatte räumen müssen.39 Trotz mancher Erfolge galt es bereits, »Trauer«, »Angst und Sorge«, »diese schwarzen Schatten (…) zu bekämpfen. Wir müssen in uns ein Feuer erzeugen, das nicht bloß einmal auflodert, wenn es gilt, Hurra zu rufen über einen Sieg, sondern das eine stille, stetige Glut wird, die uns wärmt, auch wenn böse Kunde kommt und schwere Leiden an uns herandringen. Ein solches Feuer in Ihren Herzen zu schüren stehe ich hier.«40
Etwas sachlicher bekräftigte dies zwei Monate später, also während des Versuchs, in der langen Flandern-Schlacht doch noch vor Weihnachten einen entscheidenden Sieg im Westen zu erringen, der neue Rektor, der Jurist Theodor Kipp: »Es sind nicht wissenschaftliche Vorträge, die in diesen Stunden ver anstaltet werden sollen, sondern deutsche Reden.« Sie dienten dazu, sich »durch Betrachtung großer Gegenstände [zu] stärken (…), um durchzuhalten bis zum Siege des Deutschen Reiches über die Welt seiner Feinde.«41 Damit sollten die, die nicht im Felde standen, mobilisiert werden: zur Pflicht erfüllung, zum Einsatz füreinander und zu höchster Opferbereitschaft für Deutschland. Das war der Inhalt von Wilamowitz’ Rede, der zunächst die Aussage des Soldatenlieds aus Schillers Wallenstein korrigierte, daß im Felde jeder »ganz allein« stehe. Aufgrund seiner eigenen Erfahrung 1870/71 versicherte er, »daß der Kamerad, einerlei welchen Grad er bekleidet, für den Kameraden das Leben einsetzt, mit ihm das letzte Stück Brot teilt, und jeder weiß: du kannst dich auf deinen Nächsten verlassen wie auf dich selbst. So soll es auch bei uns zu Hause sein. 38 Bott, Mittelalterforschung oder moderne Philologie?, S. 369. 39 S. genauer: John Keegan, Der Erste Weltkrieg. Eine europäische Tragödie, Reinbek 2001, S. 211–218. 40 Wilamowitz-Moellendorff, Krieges Anfang (wie A. 19), S. 3. 41 Theodor Kipp, Von der Macht des Rechts, Berlin 1914, S. 3. Zur Kriegslage: Keegan, Der Erste Weltkrieg, S. 189–199 und John M. Bourne, Flandern, in: Hirschfeld u. a. (Hg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, S. 489–494.
542 Die Universitäten im Kriegseinsatz Auch hier müssen wir diese Einigkeit, diese Kameradschaft bewähren, auch hier darf es keinen Gegensatz geben von Stand und von Konfession, von hoch und niedrig, gebildet und ungebildet, sondern helfen muß ein jeder dem anderen in seiner Not, und unterordnen muß sich ein jeder dem allgemeinen Besten, tun und leiden, was er an seinem Platz zu tun und zu leiden berufen ist.«42
Manchem jungen Zuhörer, der, wie auch Wilamowitz selbst, lieber draußen im Felde gestanden hätte, schärfte er ein: »(…) wenn er jetzt etwas fürs Vaterland tun will, so lerne er, was er zu lernen hat: das ist seine Pflicht, nicht Lieder singen, Hurra schreien. Alles, was er lernt, lernt er für Deutschland, tüchtig sich zu machen an Leib und Seele. Denn einst wird seine Zeit kommen, wo er dieses, was er kann, einsetzt fürs Vaterland, sei es im Krieg, sei es im Frieden, immer im Fortschritt, immer im Streit.«43
Wilamowitz’ Aufforderung fügt sich in Plancks rektorale Appelle von Anfang August und Mitte Oktober ein.44 Zusammen ergaben sie eine klare Linie: daß jeder an seinem Platz dem Vaterland dienen solle. Jeder hatte sich damit »dem Ganzen ein[-], dem Ganzen unter[zuordnen]«.45 Das galt – im deutschen »Volksheer« (das er, wie viele Redner nach ihm, dem englischen ›Söldnerheer‹ entgegensetzte46) – auch für die Angehörigen der Fürstenhäuser: Daß auch »unsere Kaiserin alle ihre Söhne im Feuer hat«, war »ganz selbstverständlich!«47 Jeder solle auf den anderen, auf die »Gemeinschaft« vertrauen und diese in seinem unmittelbaren Umfeld suchen.48 Wilamowitz endete mit einem Gebet, in dem er jedoch nicht für die »Lieben draußen im Felde« bat. »Wenn’s nötig ist, so sei ihr Leben dahingegeben, aber für unser Deutschland bitten wir, für seine Rettung, für seine Freiheit, für seinen Sieg.«49 42 Wilamowitz-Moellendorff, Krieges Anfang (wie A. 19), erste Strophe des WallensteinLiedes S. 4, Forderungen 5. Zur Gleichheit im Heer s. auch Adolf von Harnack, Was wir schon gewonnen haben und was wir noch gewinnen müssen, Berlin 1914, S. 11 f. Dabei betont er den jederzeit möglichen Rollenwechsel vom Gehorchen zum Befehlen auch der Nichtoffiziere im Notfall. 43 Wilamowitz-Moellendorff, Krieges Anfang (wie A. 19), S. 9. 44 Planck, Bericht über die Feier zum Gedächtnis des Stifters, S. 39; Rektorwechsel 1914, S. 17. 45 Wilamowitz-Moellendorff, Krieges Anfang (wie A. 19), S. 11. 46 Wilamowitz selbst gebrauchte allerdings nicht diesen Begriff, sondern sprach von »angeworbener Mannschaft« (Wilamowitz-Moellendorff, Krieges Anfang [wie A. 19], S. 7). Zum englischen ›Söldnerheer‹ s. etwa Hans Delbrück, Über den kriegerischen Charakter des deutschen Volkes, Berlin 1914, S. 27 (»Söldner«); in den Straßburger Reden: Breßlau, 1813.1870.1914, S. 12 (»gekaufte Söldner, bezahlte oder gezwungene Vasallenvölker und halbwilde Sklaventruppen«); Schwartz, Der Krieg als nationales Erlebnis, S. 8 (ohne den Begriff). 47 Wilamowitz-Moellendorff, Krieges Anfang (wie A. 19), S. 10. Vgl. auch Otto Hoetzsch, Zum Sedantag 1914, in: AB 29 (1914/15), S. 174–178, hier 174. 48 Wilamowitz-Moellendorff, Krieges Anfang (wie A. 19), S. 11. 49 Wilamowitz-Moellendorff, Krieges Anfang (wie A. 19), S. 14.
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Mit der Ausrichtung auf die »Gemeinschaft«, das »Ganze«, »Deutschland« gab Wilamowitz wesentliche, in der Vortragsreihe immer wieder hervorgehobene oder beschworene Orientierungen vor; und obwohl der Begriff selbst nicht fiel, ging es hier um die Stände und Konfessionen übergreifende ›Volks gemeinschaft‹, die auf Einigkeit, Kameradschaft und Füreinander-Einstehen beruhte. Diese ›Volksgemeinschaft‹ unterstrich die Berliner Universität, die doch selbst schon eine ganze Reihe von Rednern aus den verschiedensten Gegenden Deutschlands und Österreichs aufzubieten hatte, durch die Hinzu ziehung auswärtiger Kollegen noch zusätzlich. Sogar an der Anrede der Zuhörer wurde diese Ausrichtung deutlich:50 Sonst übliche Formeln wie »Hochverehrte Versammlung!«,51 »Sehr verehrte Anwe sende!«52 oder »Meine Damen und Herren!«53 waren hier Ausnahmen. In dieser Vortragsreihe war man emphatischer. Die prononcierteste, aber nur einmal gebrauchte Anrede lautete »Teure Freunde des geliebten Vaterlandes«.54 Mehrere Kollegen schlossen sich Wilamowitz an, der mit »Meine lieben Mitbürger!« begonnen hatte, erweiterten dies aber um die »Mitbürgerinnen« und variierten es mit anderen Attributen.55 Häufiger wurden die Zuhörer allerdings markiger apostrophiert, mit »Deutsche Männer und Frauen«,56 etwas höflicher gestaltet in der Reihenfolge »Deutsche Frauen! Deutsche Männer!« oder durch Attribute: »Geehrte Männer, geehrte Frauen!«57 Und schließlich der zeitgemäße Oberbegriff, der markige Töne mit Wertschätzung oder Zuneigung verschmolz: »Teure Volksgenossen« oder »liebe Volksgenossen«.58 Alle emphatischen Anre-
50 Ob einzelne tatsächlich auf jede Anrede verzichteten oder diese nur in der Druckfassung wegließen, kann nicht geklärt werden. Ohne Anrede veröffentlicht sind die Vorträge von Berthold Litzmann, Friedrich Delitzsch, Josef Kohler, Ferdinand Jakob Schmidt. Dabei begann Delitzsch mit einem Psalm-Zitat, Schmidt mit Hyperions Schicksalslied aus Hölderlins Roman Hyperion. 51 So Adolf Lasson (25.9.1914); vgl. auch »Hochgeehrte Versammlung!« bei Max von Gruber (28.5.1915). 52 Heinrich Herkner (25.2.1915); vgl. ähnlich »Hochgeehrte Anwesende!« (Friedrich Meinecke, 12.4.1915 und Felix von Luschan, 2.11.1915). 53 Martin Kirchner (4.2.1916); vgl. auch »Meine verehrten Damen und Herren!« (Reinhold Seeberg, 15.1.1915) bzw. »Meine hochverehrten Damen und Herren!« (Otto Hoetzsch, 5.2.1915). 54 Rudolf Leonhard (29.1.1915); vgl. »Verehrte Landsleute!« (Alois Brandl 12.2.1915). 55 »Meine geehrten und lieben Mitbürger und Mitbürgerinnen!« (Franz von Liszt, 18.11.1914), »Liebe Mitbürger und Mitbürgerinnen!« (Gerhard Anschütz, 22.1.1915), »Werte Mitbürger und Mitbürgerinnen!« (Heinrich Alfred Schmidt, 23.3.1915). 56 Gustav Roethe (3.9.1914), Wilhelm Kahl (9.10.1914; 8.1.1915; 14.6.1915). 57 Theodor Kipp (30.10.1914) bzw. Wilhelm Waldeyer (15.10.1915) [ab 1916 »von WaldeyerHartz«]. 58 In der Reihenfolge: Otto von Gierke (18.9.1914), Hans Delbrück (11.9.1914) und Max Sering (6.11.1914).
544 Die Universitäten im Kriegseinsatz den wurden auch in Kombination mit den traditionellen gebraucht,59 und Adolf von Harnack changierte in seiner Rede zwischen bürgerlich-formellem und pastoralem Ton.60 Ihrer mobilisierenden Funktion entsprechend, mündeten die meisten Vorträge in einen Appell. Daneben standen – seltener – Anrufungen Gottes. Reden, die mit keiner dieser beiden Varianten endeten, waren rar: Sie drückten einen Siegeswunsch oder eine Siegeszuversicht aus,61 ganz vereinzelt auch einen Trost.62 Nur wenige einzelne Schlüsse entziehen sich der Zuordnung zu einer dieser Kategorien.63 Gott wurde um Schutz gebeten,64 aber auch um den Sieg, der »zum Heile unseres geliebten Vaterlandes und zum Heile der Menschheit [!] freie Bahn schafft für die deutsche Kultur«.65 Dem letztgenannten Ziel galten auch mehrere Appelle an die Zuhörer. Sie wurden aufgefordert, die eigene Kulturgemeinschaft zu bewahren oder weiter zu entwickeln, um für die geistigen Aufgaben der Nachkriegszeit gerüstet zu sein66 oder um andere zur Nachahmung aufzufordern – nach einem »end gültigen Sieg unserer Waffen«, der als Voraussetzung für den »Sieg der Menschlichkeit und freier Kulturbewegung« hingestellt wurde. Dafür sollten die Deutschen »jede Last (…) tragen und jedes Opfer (…) bringen«, forderte Adolf Lasson nach dem deutschen Rückzug als Ergebnis der Marneschlacht und während des 59 »Geehrte Anwesende! Mitbürger! Mitbürgerinnen!« (Riehl 23.10.1914); »Hochgeehrte Versammlung! Deutsche Männer und Frauen!« (Adolf Deißmann 12.11.1914); »Hochansehnliche Versammlung! Deutsche Frauen und deutsche Männer!« (Ernst Troeltsch 1.7.1915). 60 »Hochgeehrte Versammlung! Deutsche Brüder und Schwestern!« (S. 3), »meine Damen und Herren« (S. 7), »Meine Freunde und Freundinnen! (S. 10), »meine Brüder und Schwestern« (S. 19). 61 Siegeswunsch: Hoetzsch (5.2.1915); Brückner (5.3.1915); Siegeszuversicht: Waldeyer (15.10.1915); 62 Der Geograph Albrecht Penck (30.4.1915) bezüglich Italiens Abfall vom Dreibund (noch vor seinem Eintritt in den Krieg im Mai 1915!); der Philosophiehistoriker Ferdinand Jakob Schmidt (21.10.1915) mit einem Bibelwort bezüglich der gefallenen Soldaten. 63 Litzmann (26.11.1914) über die zu erwartende Rezeption Wildenbruchs bei den Jüngsten; Meinecke (12.4.1915) mit der Versicherung: »Der Tag wird kommen, wo man Deutschlands Entschluß, den Abwehrkrieg gegen England aufzunehmen und die Freiheit der Meere zu erkämpfen, segnen wird.« (Friedrich Meinecke, Deutsche Kultur und Machtpolitik im englischen Urteil, Berlin 1915, S. 27); der Nationalökonom Heinrich Herkner (26.2.1915) mit dem Wunsch, das »englisch-russisch-französische Länder verteilungssyndikat« müsse einsehen, »daß Gott das Meer nicht nur für England, den Erdball nicht nur für Angelsachsen und Russen geschaffen hat. Nein, Raum für alle hat die Erde, auch für uns Deutsche!« (Heinrich Herkner, Krieg und Volkswirtschaft, Berlin 1915, S. 30). 64 Für den Kaiser und das Vaterland: Gustav Roethe (3.9.1914); Gerhard Anschütz (22.1.1915); für die Zuhörer und den Redner (Delitzsch 15.12.1914). 65 Otto Friedrich von Gierke, Krieg und Kultur, Berlin 1914, S. 27. 66 Alois Riehl, 1813 – Fichte – 1914, Berlin 1914, S. 19 f.
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›Wettlaufs zum Meer‹.67 Gerade die geistige Selbständigkeit gebe dem »schrecklichen Kriege seine höhere Weihe und tiefste Bedeutung.«68 Der Rechtsvergleicher und Rechtsphilosoph Josef Kohler rief dazu auf, den »heiligen Krieg« des »für seine Existenz kämpfenden Islam« zu unterstützen. England, Frankreich und Rußland, die »in die Türkei hineinwüten«, »aus den Angeln« zu heben, sei eine »patriotische Tat«, ja »zugleich unser heiliger Krieg«. Darauf sollte dann die deutsche »Kulturunterstützung« folgen, »um nach allen Seiten hin die Islamstaaten zu heben«.69 Unter Orientalisten gab es damals eine Kontroverse darüber, ob die Muslime mit Verweis auf einen vom Islam vorgeschriebenen ğihād auf die Seite des Deutschen Reiches gezogen werden sollten: Der damalige Bonner Orientalist Carl Heinrich Becker, der als Referent im Preußischen Kultusministerium ab 1917 auch Ordentlicher Honorarprofessor der Universität Berlin (und in der Weimarer Republik preußischer Kultusminister) werden sollte, plädierte dafür.70 Zielten die auf die deutsche Kultur bezogenen Forderungen also zugleich nach innen und nach außen, so galten andere vor allem dem inneren Ausund Aufbau: Pessimismus und oberflächlicher Optimismus sollten bekämpft und statt dessen »das rechte fröhlich-ernste Vaterlandsvertrauen« gewonnen und vertieft werden.71 Die Angesprochenen sollten als Glieder des Volkes ihre Pflicht tun, um dessen Aufstieg zu fördern.72 Es dominierten jedoch andere Appelle: Mehrfach wurden die Hörer zu Treue und Tapferkeit angehalten73 und vor allem, immer wieder, zur Einigkeit, die es aus dem Erlebnis des 4. August zu bewahren und in »das neuerkämpfte, darum neu gewonnene Reich« hinüberzuretten gelte.74 Zum Teil erging diese Aufforderung nur implizit, etwa wenn der 67 Adolf Lasson, Deutsche Art und deutsche Bildung, Berlin 1914, S. 44. Zur Kriegssituation: Keegan, Der Erste Weltkrieg, S. 168–189. Zur Marneschlacht knapper: Jean-Jacques Becker, Marne, in: Hirschfeld u. a. (Hg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, S. 697–699. 68 H[einrich] A[lfred] Schmid, Deutschtum und bildende Kunst, Berlin 1915, S. 41 f. 69 Josef Kohler, Der heilige Krieg, Berlin 1915, S. 15 f. Allgemeiner hatte vom »heiligen Krieg« der Deutschen der Theologe Adolf Deißmann schon im Herbst 1914 gesprochen (Die deutsche Erweckung, in: IMWKT 9 [1914/15], Sp. 115–122, hier 117). 70 Hanisch, Die Nachfolger der Exegeten, S. 79 f. 71 Wilhelm Kahl, Pessimismus und Optimismus im Kriege, Berlin 1915, S. 26. 72 Kirchner, Wiederaufbau des deutschen Volkes, S. 36. 73 Gierke, Krieg und Kultur, S. 27; Franz von Liszt, Von der Nibelungentreue, Berlin 1914, S. 26; mit Versen Ernst Moritz Arndts (zur »schlichten Treue«): Wilhelm Kahl, Dreibund – Treubund. Deutsche Antwort auf Italiens Verrat, Berlin 1915, S. 29. Zur Treue vgl. auch die folgende A. 74 Wilhelm Kahl, Vom Recht zum Kriege und vom Siegespreis, Berlin 1914, S. 22. Er schloß mit Versen aus Max von Schenkendorfs »Frühlingslied an das Vaterland« (das er bereits S. 18 ausführlich zitiert hatte): »Traute deutsche Brüder höret / Meine Worte alt und neu. / Nimmer wird das Reich zerstöret / Wenn Ihr einig seid und treu.« Weitere Appelle, einig zu sein: Leonhard, Amerika, S. 30; C[arl] F[riedrich] Lehmann-Haupt, Der Krieg und das Deutschtum im Auslande, Berlin 1915, S. 42 f.
546 Die Universitäten im Kriegseinsatz Jurist Kipp mit den Zeilen über »Einigkeit und Recht und Freiheit« des Deutschland-Liedes schloß75 oder der Nationalökonom Sering eine Versicherung bzw. ein Gelöbnis in der »Wir«-Form abgab.76 Ernst Troeltsch mahnte zwar ebenfalls, mit allen Mitteln an der Einigkeit und Brüderlichkeit festzuhalten, auf Demagogie zu verzichten, sich gegenseitig zu achten, sich gemeinsam zur Welt des Guten und Echten zu bekennen. Doch (nach Erfolgen und Niederlagen, der Rationierung der Lebensmittel seit Anfang des Jahres, in der auch die Gelehrtenwelt spaltenden Kriegszieldiskussion) paßte er diese Appelle am 1. Juli 1915 der zu erwartenden Realität an: »Wir waren im August ein einig Volk von Brüdern; möchten wir Brüder bleiben, auch wenn die Einigkeit des August vor neuen Lebensfragen nicht dauern kann.«77 Daß mit diesen Vorträgen auch eine gewisse Konsolidierung innerhalb der Universität erreicht wurde, wird an Alexander Brückners Auftritt deutlich. Erst im Krieg hatte er sich, von einem polnischen Emissär dazu bewegt, der Politik angenähert, sich die Mitteleuropapläne und den Gedanken eines von den Mittelmächten zu gründenden polnischen Staates zu eigen gemacht. Im März 1915 vollzog er den »öffentlichen Schulterschluß mit der ›deutschen Kulturwelt‹«, indem er die Mittelmächte von jeder Kriegsschuld freisprach (aber, wie auch einige Deutschbalten und anders als die Mehrheit der Kollegen, nicht in England, sondern in Rußland den Kriegsschuldigen sah).78 Ebenso wie bei der Anrede, wurden auch in den Schlußpassagen die verschiedenen Formen und Inhalte verbunden: Wilamowitz appellierte zunächst an seine Zuhörer: »Und so wollen wir denn hingehen in unser Leben des Tages und tragen und leiden, was Gott uns beschert, tragen und leiden, männlich überwinden, aber menschlich auch«, um dann mit dem bereits zitierten Gebet für Deutschland zu schließen.79 Harnack beteuerte am 29. September: »Heer und Volk sind eins, und der Krieg ist die Probe des Friedens. Hier liegt das Entscheidende. Gott gebe, daß uns dieser Geist erhalten bleibt und wir ihn immer sicherer gewinnen. Dann werden wir es gewiß erleben – sei es über kurz oder lang, wie Gott will –, daß wir zusammentreten und den großen Sieg feiern (…).«
75 Kipp, Von der Macht des Rechts, S. 34. 76 Max Sering, Die Ursachen und die weltgeschichtliche Bedeutung des Krieges, Berlin 1914, S. 36. 77 Ernst Troeltsch, Der Kulturkrieg, Berlin 1915, S. 35. 78 Rhode, Brückner und Baudouin de Courtenay, S. 332–335, Zitat 334. Rhode macht allerdings noch ein zweites Movens in Brückners Auftritt aus: Er behauptete damit auch seinen Platz im akademischen Raum. Daß er die Erklärung der Hochschullehrer des Deut schen Reichs nicht unterschrieben hätte, beruht jedoch auf einem Irrtum. S. dort S. 4. Neben dem Polen Brückner sahen auch baltische Gelehrte im allgemeinen in Rußland den Hauptfeind (Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 26, 29). 79 Wilamowitz-Moellendorff, Krieges Anfang (wie A. 19), S. 14.
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Die Worte, mit denen dieser Sieg zu feiern war, entnahm er dem Schlußchor des Dramas, das Goethe zur Feier des Sieges über Napoleon geschrieben hatte, Des Epimenides Erwachen. Damit war also auch eine Linie vom Befreiungskrieg 1813 zum Weltkrieg 1914 gezogen, der der Philosoph Riehl einen knappen Monat später sogar seinen gesamten Vortrag widmen sollte. Harnack, der Kirchenhistoriker, schloß daran kein Gebet, sondern ein Hoch auf Heer und Kaiser an.80 Und der Satz »Heer und Volk sind eins« fand sich bald auch in der Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reichs.81 Doch die religiösen Anklänge der nationalen Bewegtheit waren auch bei Harnack, wie bei Wilamowitz und in vielen anderen Reden, offenkundig. Mit einem »Amen« schloß jedoch nur der Semitist und Assyriologe Friedrich Delitzsch seine »Psalmworte für die Gegenwart«, nicht etwa der Theologe Baumgarten die Ausführungen über den »Krieg und die Bergpredigt«. Darin bot letzterer eine Orientierung über den Krieg hinaus: auch während des militärischen Konflikts »durch Pflege der Achtung und Liebe für das Menschliche im Gegner an der Brücke [zu] bauen, über die weg die feindlichen Völker einst im Frieden wieder den Weg zueinander finden zum gemeinsamen Bau des Menschheitstempels.« Baumgarten versuchte, die Gegensätze zu versöhnen: die Bergpredigt »tief im Herzen« mit den »kriegerischen Forderungen der nationalen Ethik«. So würden Redner und Hörer »gute Deutsche bleiben in christlicher Gerechtigkeit für fremde Art«.82 In Straßburg regte die Universitätsleitung die Vorträge an – und sie begannen erst Ende Oktober. Darin, ob der Rektor, ein Mediziner, oder der Prorektor, ein Nationalökonom, der Initiator war, widersprechen sich die Quellen. Geleitet wurde die nur sechsteilige Reihe jedenfalls von letzterem: August Sartorius Freiherr von Waltershausen.83 Die Redner waren zwei Historiker, ein Altphilologe, ein Soziologe, ein Chirurg und ein Jurist – zwei davon bereits emeritiert:84 In einer »Stunde der inneren Sammlung« erörterte der Altphilologe Eduard Schwartz eingangs den »Krieg als nationales Erlebnis« und zog dort schon dieselbe Linie von den Befreiungskriegen zum Weltkrieg,85 die der Mediävist Harry Bresslau dann zum Titel des nächsten Vortrags machte: »1813.1870.1914«: Vom »Befreiungskrieg« über die »Einigungskriege« zum »Weltmachtskrieg«, in dem Deutschland die in »mehr als vier Jahrzehnten rastloser und unermüd licher Arbeit gewonnene politische und wirtschaftliche Weltmachtstellung gegen die unnatürliche Verbindung« seiner »Feinde in West und Ost zu behaupten« hatte und zum ersten Male »die ganze deutsche Nation, eingeschlossen die 80 81 82 83
Harnack, Was wir schon gewonnen haben, S. 22. Zu Riehl s. A. 66. Siehe o. S. 269–271 (sowie zu den Unterzeichnern 273–286). Otto Baumgarten, Der Krieg und die Bergpredigt, Berlin 1915, S. 24. Prot. der Senatssitzungen vom 12.10.1914 (Rektor, d. h. Hans Chiari) bzw. 7.12.1914 (Prorektor, d. h. August Sartorius Freiherr von Waltershausen): ADBR 103 AL 115. 84 Die folgende Themenliste nach: Der Elsässer 462, 24.10.1914. 85 Schwartz, Der Krieg als nationales Erlebnis, Zitate S. 1, 4; zu 1870 außerdem 15.
548 Die Universitäten im Kriegseinsatz Elsaß-Lothringer [!], die nach Jahrhunderten der Entfremdung erst in diesem Kriege ihr Deutschtum wiedergefunden haben, in völliger Geschlossenheit unter den Waffen« stand.86 Das hatte auch Schwartz betont: Aus der »Frage, ob deutsch oder wälsch (!)«, war, »statt eines unehrlichen Spiels mit halben Hoffnungen, gebieterischer, blutiger Ernst« geworden: »Der Kaiser rief, und alle kamen; das ist die runde und klare Antwort, die Neudeutschland (!) auf alle Zweifel und Sorgen gegeben hat«:87 Das Elsaß war wirklich deutsch geworden. Der Soziologe Georg Simmel sprach hier (und ähnlich später in Heidelberg und Karlsruhe88) über »Deutschlands innere Wandlung«, der Neuzeithistoriker Martin Spahn – in Anwesenheit des kaiserlichen Statthalters – über den »Gegenwärtigen Weltkrieg und die früheren Entscheidungskämpfe der Großmächte untereinander«,89 Nikolai Guleke, aus Livland gebürtig, aber (wohl eingebürgerter) Preuße,90 über »Die Heilung von Kriegsverletzungen«. Abschließend sollte eigentlich der Emeritus August Sigmund Schultze »Völkerrechtliche Kriegsüberlegungen« anstellen;91 doch sprach statt seiner offenkundig der Ordinarius für Staatsrecht Hermann Rehm über »Völkerkrieg und Völkerrecht«. Er faßte die völkerrechtlichen Bestimmungen zunächst »theoretisch« zusammen, um dann ausführlich die »Praxis des Völkerrechts, d. h. in diesem Krieg (…) seine Verletzungen« darzulegen. Zwar seien auch bei den deutschen Soldaten »da und dort kleine Verstöße« vorgekommen, doch »grobe Verstöße, Roheiten und Grausamkeiten haben unsere Truppen sich nicht zu schulden kommen lassen. Nur im Wege der Repressalie gehen sie über die Grenzen der Völkerrechtsordnung hinaus.« Rehm kam, nicht unerwartet, zu dem Schluß, »daß die deutsche Wehrmacht den Kampf mit rechten, unsere Gegner ihn mit ver brecherischen Waffen führen, wir mit dem, sie wider das Völkerrecht, wir menschlich-ritterlich, sie grausam und brutal«.
Die Ursachen dafür fand er darin, daß Deutschland keinen »Angriffs-, sondern ein[en] Verteidigungskrieg« führte und daß die Staaten der Kriegsgegner »Länder der unkontrollierten Staatsgewalt« seien, nicht nur Rußland, son86 Breßlau, 1813.1870.1914, S. 2, 21. Auch die Österreicher subsumierte er darunter, nur die »Volksgenossen in der Schweiz« und »wenige Volkssplitter links vom Rhein« fehlten. Vgl. auch den Bericht über Bresslaus Vortrag in: Der Elsässer 471, 2.11.1914. 87 Schwartz, Der Krieg als nationales Erlebnis, S. 6. Vgl. auch den Bericht in: Der Elsässer 464, 26.10.1914. 88 S. seine Briefe vom 27.10.1914 und 7.11.1914, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 443 f., 458 f. 89 S. den Bericht in: Der Elsässer 485, 16.11.1914. 90 S. seine Personalakte in ADBR 103 AL 404 (Staatsbürgerschaft als Nachtrag zu seinem Personalnachweis als Assistent); außerdem DBL , S. 277. 91 Mit Ausnahme Gulekes sind alle Vorträge zunächst separat gedruckt und dann 1915 in einem um einen weiteren Vortrag von Schwartz ergänzten Sammelband Straßburger Reden zum Weltkrieg noch einmal zusammengebunden (mit getrennter Paginierung).
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dern aufgrund der »unbeschränkt herrschen[den]« Ministerien auch England und Frankreich. Dagegen mache »die Reinheit [sein]es öffentlichen Dienstes« Deutschland »stark für die Offensive und noch stärker für die Defensive«.92 Wie in Berlin, so fanden auch die Straßburger Vorträge außerhalb der Universität statt, und zwar samstagabends. Der Versammlungsort war eines der kulturellen Zentren der Stadt: die Aubette, jenes einst militärische Gebäude, das in französischer Zeit zuletzt als Kunstmuseum gedient hatte und, nach der Zerstörung von 1870/71 wiederaufgebaut, während des Kaiserreichs das Konservatorium und mehrere große Konzertsäle beherbergte. Da die Wachablösung der Garde dort von Militärmusik begleitet wurde, zog es immer zahlreiche Schaulustige an.93 Auch in Straßburg lag der Schwerpunkt, wie in Berlin, auf der ideologischen Festigung, die kriegspraktische Frage der Versorgung Verwundeter stellte eine Ausnahme dar. Doch war die Reihe ausgesprochen kurz. Auch diese Reden wurden (mit Ausnahme der medizinischen) wie die Berliner zunächst separat gedruckt und dann noch einmal in einem Sammelband zusammengefaßt.94 Trotzdem lassen sie sich nicht in allen Punkten vergleichen – denn die Anreden wurden in der Druckfassung nicht überliefert.95 Die Schlüsse dagegen betonten auch hier die »Einheit«, das »Ganze«, das »Vaterland« – als Über windung des Einzelnen bzw. nach der ›Vernichtung‹ des »alte[n], kleinliche[n] Ich-Leben[s]«.96 Anders als die Berliner, waren die Straßburger Reden aber nicht appellativ formuliert, sondern als Gewißheit: daß Gott die Deutschen nicht verlasse (Schwartz), »›am deutschen Wesen noch einmal die Welt genesen‹« werde, weil Deutschland (nicht England!) für die Freiheit kämpfe (Bresslau) und es für England ein noch stärkerer Gegner sei als Napoleon, den jenes doch nur mit Mühe habe niederwerfen können (Spahn).97 Allenfalls in zwei Reden kann man den Versuch der Mobilisierung erkennen: Bei Schwartz, der die Zuversicht auf Gottes Beistand aus der Erfahrung ableitete, daß dieser bislang immer gewährt worden sei, sofern die Deutschen sich nicht selbst aufgegeben hätten, und dann mit rhetorischen Fragen in der »Stimme der Mutter, der heimatlichen Erde« 92 H[ermann] Rehm, Völkerkrieg und Völkerrecht, Straßburg 1914, theoretischer Teil S. 1–8, Praxis des Völkerrechts im Ersten Weltkrieg 8–44, Ursachen der Differenz zwischen deutscher und alliierter Kriegführung 44–47; Zitate 1, 8, 33, 43 f., 44, 46. 93 Myriam Geyer, La vie musicale à Strasbourg sous l’Empire allemand (1871–1918), Paris 1999, S. 47, 75, 184. 94 Straßburger Reden zum Weltkrieg. Gehalten von den Professoren der Universität Straßburg, Straßburg 1915. 95 Ausnahme: Rehm, Völkerkrieg und Völkerrecht, S. 1: »Meine Damen und Herren!« 96 Zur Einheit und Ganzheit: Georg Simmel, Deutschlands innere Wandlung, Straßburg 1914, S. 14; Einheit und Vaterland: Rehm, Völkerkrieg und Völkerrecht, S. 47 (mit ›Vernichtungs‹-Zitat). 97 Schwartz, Krieg als nationales Erlebnis, S. 15; Breßlau, 1813.1870.1914, S. 25; M[artin] Spahn, Der gegenwärtige Weltkrieg und die früheren Entscheidungskämpfe der Großmächte wider einander, Straßburg 1914, S. 12.
550 Die Universitäten im Kriegseinsatz fortfuhr, sowie bei Rehm, der »Deutschland, Deutschland über alles« ans Ende setzte: als »Trostwort«, »Mahnwort«, »Weckruf zur inneren Läuterung«, aber auch als »Schlachtgesang der Krieger« und »Jubelgesang der Sieger«.98 Dabei wurde die Mobilisierung von Schwartz zugleich zur Überwindung von Sattheit, Niedrigkeit, Gemeinheit stilisiert, welche auch Simmel bewegte.99 Doch sieht man die Formulierung der Schlußpassagen genau an, schimmert unter der Versicherung der Gewißheit immer die Ungewißheit durch oder gar die Notwendigkeit, sich selbst und den Hörern Mut zu machen.100 Die kleine hessische Landesuniversität hielt sich gewissermaßen in der Mitte zwischen den beiden ›Nationaluniversitäten‹. Sie führte, fast wie die Berliner, sowohl im Wintersemester 1914/15 als auch im folgenden Sommer eine Vortragsreihe durch, mit zehn bzw. acht Abenden. Insofern übertraf sie die größere Straßburger Schwester bei weitem. Andererseits wurden (im Gegensatz zu den beiden anderen Universitäten) die hier gehaltenen »kriegswissenschaftlichen« Vorträge nicht gedruckt, obwohl der Rektor mit dieser Bezeichnung ja einen über die Tagesaktualität hinausweisenden Anspruch andeutete.101 Daher ist man für den Inhalt auf die Berichterstattung der Tagespresse angewiesen (die sich im allgemeinen vermutlich auf von den Rednern zur Verfügung gestellte Manuskripte oder Kurzfassungen stützen konnte).102 Aber anders, 98 Schwartz, Krieg als nationales Erlebnis, S. 16; Rehm, Völkerkrieg und Völkerrecht, S. 47. 99 Zum früheren Mammonismus und Materialismus: Simmel, Deutschlands innere Wandlung, S. 6, 7. 100 So soll Spahns Satz »Aber wenn Menschen hoffen dürfen, sind wir des schließlichen Sieges sicher«, natürlich implizieren, daß Menschen immer hoffen dürfen, daß die Hoffnung eine conditio sine qua non menschlichen Lebens ist. Trotzdem kann man das »wenn« auch betonen und damit eine nicht ganz sichere Bedingung darin lesen. Und wenn er eine zum Sprichwort gewordene alte Weisheit abwandelt, wirkt sie zugleich wie ein nötiger Zuspruch: »Wir helfen uns selbst, so wird auch Gott uns helfen.« (Spahn, Der gegenwärtige Weltkrieg, S. 12). Ähnliches wie für Spahns »wenn« gilt auch für das aus Schwartzens Rede Zitierte. In Bresslaus futurischer Versicherung ist gerade das »sicherlich« zu viel. Bei Rehm schließlich deutet die Fülle von Funktionen, die er dem Deutschlandlied zuweist, auf die Notwendigkeit der Stärkung hin. 101 Die Namen der Referenten und Themen für beide Semester findet man bei Sommer, Kriegstätigkeit. 102 Der Bericht über den ersten Vortrag enthält einige saloppe Formulierungen, die vermutlich nicht auf Roloff selbst zurückgehen. Möglicherweise war dies der Grund, der Zeitung später die Redemanuskripte oder Kurzfassungen zur Verfügung zu stellen. Ganz unwahrscheinlich ist es, daß ein Journalist die vielen technischen Details und Zahlen des Vortrags von König mitschreiben konnte (GA 27.11.1914). Zu einer späteren Gelegenheit, bei der der Text direkt an die Presse gesandt wurde, s. den Vermerk auf dem Manuskript der Rede des Rektors zur Bismarckfeier 1915: UA Gi Allg. 1345, fol. 3–3v. In Berlin wurde der Vortrag des Kunsthistorikers Max Georg Zimmermann, Privatdozent an der Universität und zugleich etatmäßiger Prof. an der TH Charlottenburg, am selben Abend, an dem er ihn in der TH hielt, auszugsweise im Berliner Tageblatt schon vorabgedruckt (»Das Volk der Dichter und Denker«, in: BT 486, 24.9.1914 AA).
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als die Berliner und Straßburger, fand diese Vortragsreihe in der Aula der Universität statt, und zwar jeweils am Donnerstagabend.103 Eine weitere Gießener Besonderheit lag in dem ›bunteren‹ Rednerkorps. Hier trat, vor allem im Sommer 1915, auch eine Reihe von nichtetatisierten Extraordinarien und sogar Privatdozenten hervor. Zudem war der Praxisbezug viel stärker ausgeprägt. Gleich im ersten Semester sprach nicht nur der Nationalökonom August Skalweit über den »Krieg und die deutsche Volkswirtschaft«, sondern auch der Chemiker Karl Elbs über »die Entwicklung der chemischen Industrie in Deutschland und England« sowie der Physiker Walter König über »Die Verwendung der Naturkräfte im Kriege«. Auch die Themen der Geisteswissenschaftler und Theologen standen fast durchwegs in einem direkten Bezug zu ihrem Fach. Zusammen mit der Veranstaltung medizinischer Fortbildungskurse gleich ab August 1914 kann man die Kriegsanstrengungen der Gießener Universität vielleicht als stärker praktisch ausgerichtet ansehen (obwohl natürlich auch hier die ideologische Komponente nicht fehlte). Die erste Vortragsreihe eröffnete am 1. Oktober Gustav Roloff, ein Preuße, der in Tübingen und Berlin studiert und, als Schüler von Hans Delbrück und Max Lenz, seit 1909 in Gießen den Lehrstuhl für Neuere Geschichte innehatte. Roloff, der in den neunziger Jahren mit seinem deutschbaltischen Freund, dem späteren Dozenten der Berliner Handelshochschule und Publizisten Paul Rohrbach, bis in den Kaukasus und nach Turkestan gereist war104 und 1915– 1918 jeden Monat einen ausführlichen Bericht über die Kriegsentwicklung in Westermanns Monatsheften publizierte, sprach hier über »Die Entstehung des gegenwärtigen Krieges«. Er hob die »verbrecherische Rolle« hervor, »die England seit Menschengedenken im großen Welttheater spielte« und ging die Haltung und Interessen der wichtigsten Mächte durch.105 Seit Kriegsbeginn hänge nun nicht nur Deutschlands eigenes Geschick und das Österreichs an seinem militärischen Einsatz, »sondern das der Welt. Die Hoffnung ist erblüht, daß nicht Englands kaltherzige Berechnung, sondern germanische Achtung vor Kultur und berechtigter Selbständigkeit künftig ihre [! – die?] Geschicke der Völker bestimmen werde.«106 (Im zweiten Kriegsjahr beurteilte Roloff die britische Vorkriegspolitik allerdings schon ruhiger.107) Daran schloß sich, ähnlich wie in Berlin, ein Vortrag über den »Krieg und die deutsche Kultur« an. Der Philosoph Walter Kinkel, seit langem außeretat103 GA 2.10.1914 (Zeitgeschichtliche Vorträge); GA 12.6.1915. 104 Zu Roloff s. G/M/P II, S. 761–777 (Volker Press). 105 Rußland benutze mit »englischer Hilfe die Orientpolitik als Ablaßventil für die im Innern immer bedrohlicher werdende Gärung«. Die deutsche Politik dagegen habe »dem deutschen Empfinden von dem sicheren, von jeder Angriffslust freien Ruhen in der eigenen Kraft bis zum letzten Augenblick Rechnung getragen.« 106 Zeitgeschichtliche Vorträge, in: GA 2.10.1914. 107 Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 27.
552 Die Universitäten im Kriegseinsatz mäßiger Extraordinarius, war bereits vor dem Krieg für Völkerversöhnung und Toleranz eingetreten und publizierte auch 1915 und 1917 in der Friedens-Warte, einer Zeitschrift für »Völkerverständigung« und »zwischenstaatliche Organisation«. Zugleich neigte er aber zum völkischen Denken.108 Ähnlich widersprüchlich erscheint sein Vortrag im Oktober 1914 – jedenfalls in der von der Tagespresse überlieferten Zusammenfassung. Kinkel begann mit Bemerkungen über die deutsche Begeisterung, erkannte aber, da der Krieg die Menschen zum kritischen Denken zwinge, bereits eine »Umwertung der inneren Güter«. Zwar konnte er den deutschen Idealismus, der die Geschichte als »Vollzug der Gedanken der Menschheit« verstehe, noch klar mit den Auffassungen der Feinde kontrastieren; denn für sie zwinge (umgekehrt) die Welt den Geist in die Fesseln. Doch zwischen dem Respekt vor der Eigenart der anderen (die seinen Ausführungen nach z. B. im »Imperialismus, Merkantilismus und Utilitarismus« der Engländer bestand) und der Durchsetzung des deutschen Idealismus sah Kinkel offenbar keinen Widerspruch. Die Deutschen wollten die Eigenart anderer Völker »nicht vernichten, sondern fruchtbar machen und im übrigen unser Recht, unseren Idealismus durchsetzen.« Die angeblich von der Kriegssituation erzwungene kritische Haltung (die man von einem Philosophen aber ohnehin erwarten würde) vermißt man bei Kinkel selbst jedoch: Die deutsche Regierung werde »mit ihren Darstellungen« einem Grundzug des deutschen Idealismus gerecht: »der Wahrheit«. Deshalb müsse der Sieg den Deutschen sicher sein. Das Bild, mit dem Kinkel dies unterstreichen wollte, scheint allerdings eher ge eignet, Zweifel zu wecken.109 Der Theologe Martin Schian bestätigte in seinem Vortrag über »Die Gerechtigkeit gegenüber unseren Feinden« alle üblichen Vorwürfe – und mahnte doch zugleich, die gegenwärtige Situation zu bedenken (in der keine Nachrichten aus den anderen Ländern vorlägen) und auch die deutsche Vergangenheit (in der die Deutschen ebenfalls noch nicht so gewesen seien, wie sie »Gottlob, jetzt sind«).110 Damit relativierte Schian also die Urteile über andere und über die Deutschen selbst! Sein Kollege Krüger, der über »Die Vaterländische Dichtung« sprach, ging von »Heimat« und »Vaterland« als zwar nicht identischen, aber auch nicht gegensätzlichen Begriffen aus: »Uns Deutschen ist das Vaterland aus der Not der Befreiungskriege erwachsen. Der Preuße; der Hesse, der Sachse besaßen es nicht.« Erst da seien die älteren Ansätze für Vaterlandslieder wieder
108 Zu Kinkel s. Tilitzki, Deutsche Universitätsphilosophie, S. 61, 383, 416, 433f; Hoeres, Krieg der Philosophen, S. 534 f. Die zit. Untertitel der Zeitschrift galten jeweils nur einige Jahre während der Vorkriegszeit. 109 Er stellt eine Parallele zum heimkehrenden Odysseus her, der durch sein Eintreten für Wahrheit und Gerechtigkeit sogar als Bettler die Freier seiner Frau überwunden habe (GA 9.10.1914). 110 GA 23.10.1914.
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zum Tragen gekommen. Obwohl nur Gelegenheitsgedichte, blieben diese Lieder ein ewiger Schatz, weil sie nach der Befreiung von Napoleon die Sehnsucht nach der nichterlangten Freiheit perpetuierten.111 Der Germanist Behaghel deutete den Krieg im mittelalterlichen Epos zwar nur als Hintergrund für den strahlenden Helden. Trotzdem führte er den Hörer zu dem Schluß, daß damals »das menschliche Sinnen und Trachten, soweit es sich mit Kampf und Krieg befaßt, fast dieselben Formen hatte, wie wir es heute erleben.« Dies verband er mit gelegentlichen Seitenhieben auf Deutschlands Gegner, die etwa das Lügen so ausgezeichnet verstünden.112 Die erste Reihe beschloß der Theologe Samuel Eck, der mit großer Empathie über den »Schotten Carlyle, Deutschland und England« sprach. Der berühmte Historiker Thomas Carlyle hatte ja die deutsche Literatur nach England vermittelt sowie Goethe und Schiller übersetzt. Eine Auswahl aus seinem Werk fand in Deutschland gerade während des Ersten Weltkriegs großen Absatz.113 Eck zufolge waren die Beziehungen zwischen dem alten Goethe und dem damals noch jungen Dichter »von größter Innerlichkeit«. Diesen Carlyle114 hielt er nun dem England seiner Zeit als Vorbild entgegen. Zwar spürte er der Frage nach, wie das den Deutschen am engsten verbundene Volk zu deren größtem Feind habe werden können.115 Doch allein durch die Möglichkeit einer so innigen Beziehung großer Geister zeigte er zumindest implizit, daß diese Feindschaft nicht naturgegeben, daher auch überwindbar sei (und bot mit dem »Schotten« im Titel eine Differenzierung, mit der er auch sich selbst gewissermaßen absicherte). Zwischen diese Vorträge zur geistigen Bewältigung des Krieges waren bereits im ersten Kriegssemester einige praxisbezogene eingestreut: Der National ökonom Skalweit betonte die günstige Situation Deutschlands, das wirtschaftlich sogar besser dastehe als die neutralen Länder, weil es mit seinem stark entwickelten inneren Markt kaum exportabhängig und die Rüstungsindustrie keineswegs, wie gelegentlich behauptet, unproduktiv sei. Die Entwicklung zur führenden Wirtschaftsnation verdanke es nicht nur der guten Organisation des Kapitals, sondern vor allem der Wirtschaft (die ihrerseits auf dem deutschen
111 GA 6.11.1914. 112 GA 20.11.1914. 113 Im zweiten Kriegssommer erreichte die Auflage 200.000. http://de.wikipedia.org/wiki/ Thomas_Carlyle (1.4.2011). 114 Carlyle habe Goethes erhabensten und christlichsten Gedanken übernommen, von der Ehrfurcht gegenüber allem, »was über, um und unter uns ist« und sie dem Nützlichkeitsdenken seines eigenen Volkes entgegen gehalten. Nach dem Krieg von 1870 habe er es in den Times zu seinem größten Erlebnis erklärt, daß das »fromme, ernste, tiefe Deutschland« statt des »gestikulierenden Frankreich« zur Königin des Kontinents geworden sei. In seinem Lebensbild Friedrichs des Großen habe Carlyle mit den Worten des Sterbenden seinen Lesern zugerufen: »Eine größere Weisheit als die der Pflicht gibt es nicht.« 115 GA 4.12.1914 (Der Schotte Carlyle, Deutschland und England).
554 Die Universitäten im Kriegseinsatz Schulsystem beruhe: mit Lehrern, die zugleich Unteroffiziere seien!). Am Ende forderte Skalweit, der Bürger dürfe nicht merken, daß der Soldat Krieg führe. Alles müsse weitergehen wie bisher, da Ruhe für das Wirtschaftsleben unabdingbar sei. Nach dem Sieg werde Deutschland die ökonomische Entwicklung der schwächeren Nationen und die Pflege von Handel und Verkehr dann als seine vornehmste Aufgabe betrachten.116 Das beteuerte ausgerechnet der Professor, der am Tag des österreichischen Ultimatums an Serbien beim Stiftungsfest einer studentischen Korporation noch behauptet hatte, Deutschland könne den Krieg, der lang werden würde, nicht gewinnen, aber doch so führen, daß er nicht zu seinem Untergang würde.117 Der Jurist Alexander Leist plädierte in seinem Vortrag über »Das Recht der Zukunft« für eine Reform des Privatrechts, um es für »Sozialpolitik in großem Stil« zu nutzen. Sein Ausgangspunkt war die Notwendigkeit, die gewonnene innere Einigkeit anders als 1870 tatsächlich zu bewahren.118 Die beiden Vorträge von Naturwissenschaftlern bezeichnen gut das Spektrum, in dem man sich das Denken dieser Gruppe vorzustellen hat: Der Chemiker Elbs kontrastierte auf platteste Weise deutsche und englische chemische Industrie. Erstere sei dank der wissenschaftlichen Grundlage und Orientierung erfolgreich, letztere infolge ihrer Ausrichtung auf praktischen, schnell verwertbaren Erfolg ins Hintertreffen geraten. Den einstigen Vorsprung habe sie ohnehin aus Deutschland berufenen Chemikern zu verdanken. »Sodann kann uns die großartige Organisation unserer Farbwerke, die militärische Straffheit des ganzen Betriebs, die in den Händen eines Stabes von wissenschaftlich durchgebildetem Aufsichtspersonal liegt, das jeden Arbeiter sofort richtig einschätzt und verwendet, nicht so leicht nachgemacht werden.«
Englands sittliches Niveau aber sinke durch seine »im großen (!) in Szene gesetzten Patentdiebstähle und andere Schikanen« immer weiter. Damit hatte der Chemiker auf seinem Fachgebiet die Behauptung ›bewiesen‹, die er eingangs aufgestellt hatte: daß England der »widerwärtigste und rücksichtloseste Gegner« sei, nicht für »sittliche Werte«, sondern nur für »wirtschaftliche Vorteile« kämpfe.119 Der Physiker Walter König, der – viel sachlicher – über die »Verwendung der Naturkräfte« referierte, ging davon aus, daß der Krieg »als technisches Pro116 117 118 119
GA 16.9.1914. Zitiert in: G/M/P II, S. 885–894 (Eberhard Gerhardt), hier 889. GA 13.11.1914. GA 30.10.1914. Im Gegensatz zu allen anderen Vorträgen dieser Serie sind die gesamten Ausführungen nach einem einleitenden Satz der Redaktion als Zitat gekennzeichnet. Daß die schließenden Zeichen fehlen, ist wohl dadurch zu erklären, daß Elbs mit einem Zitat endete, so daß dem optischen Eindruck nach die nötigen Zeichen vorhanden waren.
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blem (…) keine Begeisterung wecken« könne, denn er sei letztlich ein Rechen exempel – was schon die Fülle technischer Details und Zahlen des Vortrags plausibel machten. Trotz der gigantischen Fortschritte im Zeitalter der Technik, also der Beherrschung der Naturkräfte, sei es nicht wahrscheinlich, »daß die Naturkräfte die Mitwirkung des Menschen jemals unmöglich machen können, daß also in Zukunft die Steigerung der Waffenwirkungen einen Krieg ausschließen kann.« Da Wille und Geist immer mitwirkten, sei der Krieg »ganz zuletzt ein moralisches Problem.«120 Auf die fachgebundenen, aber doch eher umfassenden Fragestellungen des ersten Kriegssemesters folgte im Sommer 1915 eine stärker spezialisierte Reihe:121 Der Agrarwissenschaftler Wilhelm Kleberger, der seit 1907 das Agrikulturchemische Labor der Universität leitete, nun gerade zum außeretat mäßigen Extraordinarius befördert wurde, als Sachverständiger in einer Reihe von Kriegsgesellschaften mitwirkte und von diesen Forschungsmittel erhielt,122 sprach über »Die Sicherung unserer Volksernährung in der Kriegszeit«. Nach einem kurzen Rückblick (in dem er die Erkenntnis Friedrichs des Großen und Napoleons hervorhob, daß gerade im Krieg die Wirtschaft des eigenen Landes wie auch des Gegners geschützt werden müsse) und einem Vergleich der englischen und deutschen Situation diskutierte er vor allem letztere und kam zu dem Schluß, daß Deutschland bisher gute Erfolge bei der Sicherung der Volks- und Heeresernährung aufzuweisen habe und der Stand der Ernte (Mitte Juni!) zu »besten weiteren Hoffnungen« berechtige.123 Da in einigen Kriegen des 19. Jahrhunderts mehr Soldaten an Seuchen als an Verwundungen gestorben seien, referierte der Zoologe Jan Versluys über »Die Bedeutung der Ungeziefer-Bekämpfung im Kriege«. Auch sein Vortrag endete zuversichtlich, jedenfalls in der lokalen Perspektive: Das Gießener Kriegsgefangenenlager war seit längerer Zeit läusefrei!124 Der Pionier der Photochemie Karl Schaum behandelte in »Photographie und Kriegs-Wissenschaft« zwei Anwendungsgebiete: Aufklärungsarbeit und Ballistik – und wurde als Freiwilliger bald darauf in einer Abteilung für Fliegerphotographie eingesetzt.125 Der außeretatmäßige Extraordinarius für Chirurgie, August Brüning, betonte bei der »Behandlung und Versorgung der Kriegskrüppel« die Pflicht des Staates und der privaten Wirtschaft, Kriegsversehrte, die neue Berufe lernen mußten, einzustellen. Und er schloß mit der Zuversicht, daß es gelingen werde, »aus den Almosen empfangenden miß
120 GA 27.11.1914. 121 Alle weiteren Vortragstitel nach Sommer, Kriegstätigkeit. 122 Zu Militär- oder Ersatzdienst wurde er nie herangezogen. S. G/M/P I, S. 503–512 (Valentin Horn). 123 GA 12.6.1915. 124 GA 19.6.1915. Zu Versluys s. o. S. 354 f. 125 GA 26.6.1915. Zu Schaum s. o. S. 341.
556 Die Universitäten im Kriegseinsatz gestimmten Verwundeten zufriedene Steuerzahler zu machen.«126 Privatdozent Wilhelm Gundermann, langjähriger Assistent und Oberarzt der Chirurgischen Klinik, referierte mit Lichtbildern über »Die Röntgenstrahlen im Dienste der Kriegs-Chirurgie« und demonstrierte auch das Modell einer Röntgenröhre.127 Auf diese fünf naturwissenschaftlichen, auf praktische Anwendung zielenden Referate folgten noch drei zu politischen Themen: Der Oberlehrer am Realgymnasium und außeretatmäßige Professor Josef Collin, Autor eines wichtigen Werkes über den Faust, sprach über »Ernst Moritz Arndts politische Ansichten« und hob dabei dessen »politische Weisheit, treffenden Urteile über die Völker und (…) prophetische Gedanken [hervor], die in diesem Krieg Wirklichkeit geworden sind.«128 Den Abschluß machten zwei Ordinarien: Der Geograph Wilhelm Sievers, damals noch im Heer, widmete sich den »Deutschen Interessen im Stillen Ozean«, der polyglotte Staats-, Verfassungs- und Völkerrechtler Hans Gmelin, der sich ausgiebig mit dem öffentlichen Recht der romanischen Länder beschäftigt hatte, erörterte die »nationalen Verhältnisse in Belgien«.129 Eine Vorverlegung von Sievers’ Vortrag um zwei Tage wurde kurzfristig noch angekündigt,130 doch einen Artikel gab es weder über seinen noch über Gmelins Vortrag. Angesichts der sonstigen regelmäßigen Berichterstattung131 ist zu vermuten, daß der Inhalt der Vorträge zu brisant war und entweder die Behörden eingriffen oder die Universität bzw. Zeitungsredaktion selbst solche Zensur bedenken antizipierten. (Anschütz’ Text wartete damals seit sechs Monaten auf die Publikation!) Mit ihrem »kriegswissenschaftlichen«, an praktischen Fragen orientierten Programm setzten die Gießener also einen ganz eigenen Akzent.
126 So der Titel im Rückblick Sommers, Kriegstätigkeit. Der Bericht in GA 7.7.1915 ist mit »Unsere Kriegsbeschädigten« überschrieben. 127 GA 16.7.1915; minimale biogr. Angaben in Kurznotizen in: Fortschritte der Therapie 5 (1929), S. 203 f.; Langenbecks Archiv für Klinische Chirurgie 267 (1951) (Totenliste). 128 GA 17.7.1915; Position nach: PB LU Gi SS 1915, S. 13; zum Werk s. Bibliothekskataloge (Schreibung des Vornamens: Josef). 129 Biogr. Angaben: G/M/P I, S. 309–317 (Heinhard Steiger), hier S. 310 f. Zu seiner weiteren Tätigkeit im Krieg s. u. Kap. III .5. 130 GA 19.7.1915. 131 Üblicherweise wurden die Berichte am Tag nach den Vorträgen publiziert. Sievers sprach (infolge der Vorverlegung) am 20.7.1915, die Reihe endete mit Gmelins Vortrag am 29.7.1915. (Verlegung wie A. 130, Enddatum nach der Zusammenstellung verkaufter Eintrittskarten in UA Gi Allg. 111, fol. 290).
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Umstände und Ergebnisse der Vortragsreihen Die Resonanz war, der zeitgenössischen Berichterstattung zufolge, groß. Regelmäßig ist von gefüllten Sälen die Rede,132 und die Vorträge brachten »Vielen Erhebung, Trost und Beruhigung«.133 Daher stellt sich die Frage, warum die Berliner Reihe trotz des angeblich auch noch im Oktober 1915 zahlreichen Publikums nicht fortgesetzt, sondern Anfang Februar 1916 nur noch ein einzelner Vortrag ›nachgetragen‹ wurde. Den Anspruch, »volkstümlich« zu sein, der von den Berliner Initiatoren erhoben und in der Straßburger Presseberichterstattung mit dem Hinweis auf »Damen und Herren aller Bevölkerungsklassen« als erfüllt dargestellt wurde,134 wird man nicht auf das ›einfache‹ Volk beziehen dürfen; denn es wurde vorausgesetzt, daß die Zuhörer die unzähligen historischen und literarischen Anspielungen, die zitierten Gedichte und Dramen (wiederer-)kannten.135 Trotz der unterschiedlichen Länge und Konzeption der Reihen treten gewisse inhaltliche Gemeinsamkeiten hervor: Am Anfang stand, fast selbstverständlich, überall ein Vortrag über die Entstehung des Krieges. Darauf folgte eine Überlegung zu Krieg und Kultur.136 Vielfach und in verschiedenen Varianten wurde der Altruismus Deutschlands hervorgehoben, das nicht für seine Interessen, sondern für höhere Werte und Menschheitsaufgaben kämpfe. Daß dabei auch immer wieder die Erinnerungen an 1870 beschworen wurden, läßt sich allerdings nicht nur als Beleg deuten, daß die Professoren keine »konkreten Vorstellungen von den Erscheinungen und Auswirkungen eines modernen Krieges besaßen« und die Erinnerung an jenen Sieg helfen sollte, die Verunsicherung zu überwinden.137 Vielmehr gab es ihnen auch Gelegenheit, an ihre eigene Zeit als Kämpfer zu erinnern – und damit einen den derzeit Kämpfenden gleichen Status zu gewinnen. Alle drei Reihen enthielten, obwohl sie der Selbstbestätigung des krieg führenden Deutschland dienten, gelegentlich auch nachdenkliche Untertöne – sei es in der Nachkriegsperspektive völkerübergreifender Menschlichkeit oder 132 Der Elsässer 464, 26.10.1914; GA 2.10.1914 (Zeitgeschichtliche Vorträge); 23.10.1914 (Die Gerechtigkeit gegenüber unseren Feinden); 4.12.1914 (Der Schotte Carlyle [‥]). 133 So der Leiter der preußischen Medizinalverwaltung am Ende der Berliner Reihe: Kirchner, Wiederaufbau des deutschen Volkes, S. 3. 134 Berlin: Siehe o. A. 17; Straßburg: Der Elsässer 464, 26.10.1914. In der Berichterstattung über die Gießener Vorträge wurde zwar anfangs mehrfach der gute Besuch betont, doch fehlt jeglicher, auch floskelhafte Hinweis auf die Zusammensetzung des Publikums. 135 Zur Resonanz im Felde s. u. Kap. III .7. 136 In Marburg sprach der erste Redner, noch im August, »Über die Kriegslage«, die Kultur scheint nicht Thema geworden zu sein. Ohnehin scheint diese Reihe fast ausschließlich auf praktische Probleme ausgerichtet gewesen zu sein (s. genauer Wettmann, Heimatfront Universität, S. 214 f.). 137 Beides bei Wettmann, Heimatfront Universität, S. 216.
558 Die Universitäten im Kriegseinsatz in quellenkritischen Überlegungen zu Grundlagen der zeitgenössischen Urteile. Die unterschiedlichen Ausformungen der Zuversicht reichten von dem erhofften Sieg über die zu bewahrende Einheit bis zur Abschätzung der weiteren praktischen Entwicklungen. Doch hatten diese Äußerungen immer auch die Funktion, sich selbst und den Hörern Mut zuzusprechen. Mit ihrer von Anfang an auch, in der zweiten Serie überwiegend praktischen Ausrichtung folgte die Gießener Universität der tatsächlichen Entwicklung mehr als die anderen beiden, und mit Bezug auf Ernährungslage und Kriegsanleihen nahm sie in gewisser Weise schon vorweg, was bald auch die staatlichen Instanzen für nötig hielten: die systematische ›Aufklärung‹ der Bevölkerung über wirtschaftliche Zusammenhänge und Erfordernisse.138 Die ›aufklärende‹ und gesinnungsbildende Aktivität der Universitäten und ihrer Mitglieder war aber keineswegs auf diese ›offiziellen‹ Reihen beschränkt. Die Gießener z. B. stellten ihre Aula für mehrere Vorträge zur Verfügung, die der Oberbürgermeister »veranlaßt« hatte und die zum Teil »von Lehrkräften der Universität übernommen wurden«. Auch hier referierte der Nationalökonom Skalweit, und zwar sowohl vor der zweiten als auch vor der dritten Kriegsanleihe. Dem damaligen Rektor zufolge hatten diese Vorträge »sicher dazu beigetragen«, »daß das Ergebnis der Zeichnung auf diese Reichsanleihen in Gießen so günstig« ausgefallen war. Später wurde nicht nur das Kriegs-Sanitätswesen, das ja schon im Sommer 1915 Gegenstand zweier Vorträge war, vom Direktor des Reservelazaretts »unter starker Beteiligung von Dozenten der medizinischen Fakultät weiter« behandelt;139 auch für einen »Vortrag über Kriegsfischkost« war die Aula nicht zu schade.140 Nicht nur der Stadt, sondern auch manchen anderen Veranstaltern überließ die Universität ihre Aula kostenlos, etwa dem Roten Kreuz für einen Vortrag über die Feldpost, oder dem Evangelischen Bund. Auf Bitte des Roten Kreuzes ließ der Rektor dafür sogar Bekanntmachungen in der Universität aushängen. Politische Verbände und Parteien scheinen dagegen generell keine Genehmigung erhalten zu haben: Der Alldeutsche Verband wie auch die Fortschrittliche Volkspartei wurden abschlägig beschieden.141 138 Zu letzterem s. Gunther Mai, »Aufklärung der Bevölkerung« und »Vaterländischer Unterricht« in Württemberg 1914–1918. Struktur, Durchführung und Inhalte der deutschen Inlandspropaganda im Ersten Weltkrieg, in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 36 (1977) [1979], S. 199–235, hier 200, 206 f. 139 Sommer, Kriegstätigkeit. 140 Er wurde von der Stadtverwaltung gemeinsam mit dem Aliceschulverein veranstaltet. Ankündigung in GA 2.7.1915. 141 Gemeinnützige Vereine konnten die Aula prinzipiell kostenlos erhalten, Konzertvereine mußten nur eine mäßige Gebühr zahlen. Zu den Details s. Zweigverein Gießen vom Roten Kreuz an Rektor Sommer 16.3.1915 [Abschrift]: UA Gi Allg. 106, fol. 25 (mit Vermerk des Rektors vom 18.3.1915). Zu den Verweigerungen s. die Prot. der Sitzungen der KK vom 21.12.1914 (Alld.), 18.1.1915 (Ev. Bund), 22.4.1915 (Fortschr. VP): UA Gi Allg. 102, fol. 10, 4, 11v.
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Von den Mitgliedern der Universitäten engagierten sich manche nicht nur in den eigenen Reihen, sondern sprachen auch noch anderswo.142 Außerdem hielten gerade die Aktivsten manche ihrer Reden mehrfach.143 Der große Wissenschaftsorganisator Harnack etwa wiederholte die im September in der Berliner Reihe gehaltene Rede 10 Tage später in Magdeburg.144 Der Altphilologe Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff sprach Anfang September 1914 im Charlottenburger Rathaus gleich zweimal über »Die geschichtlichen Ursachen des Krieges«.145 Beide referierten aber außerdem bei zahlreichen anderen Gelegenheiten, Harnack z. B. schon am 11. August 1914 bei einer deutsch-amerikanischen Sympathiekundgebung. Am 1. Mai 1916 klang in einem Vortrag über den »Kulturkrieg im Weltkrieg« bei der Verteidigung der »Eigenart« und der »Eigentümlichkeiten unserer Kultur« auch eine Ermahnung zum Festhalten an der Internationalität an.146 Drei Monate später versuchte er, »An der Schwelle des dritten Kriegsjahres«, seine Mitbürger weiter zu mobilisieren, damit einst die Geschichte nicht nur von den Soldaten »dort draußen«, sondern auch »von uns in der Heimat künden« könne: »das ganze Land hat bis zuletzt – geschlossen, entschlossen – die Einheit gehalten, die Geduld bewährt, den Siegeswillen durchgesetzt«.147 Wilamowitz sprach am 9. Oktober 1914 in der Aula des Wilhelmsgymnasiums über seine eigenen »Kriegserinnerungen« an 1870.148 142 Der Berliner Germanist Roethe etwa referierte (nach seinem Auftritt Anfang September in der Universitätsreihe) im Oktober im großen Charlottenburger Rathaussaal über »Deutschen Krieg und deutsche Dichtung« von der Frühzeit bis zu den Befreiungskriegen und zwei Wochen später im Festsaal des Künstlerhauses über »Deutsche Soldatenlieder«. Dabei hob er hervor, daß (im Gegensatz zu französischen!) in diesen Liedern der Feind nicht herabgesetzt werde, und fand in manchen einen »studentischen Einschlag«. Wie schon der vorausgegangene literarhistorische Vortrag, mündete auch dieser in »begeisternden Worten für unser Volk in Waffen« (das so den Einzelhelden des Mittelalters entgegengesetzt wurde). S. dazu die Berichte in BT 519, 12.10.1914 AA und 545, 26.10.1914 AA . 143 Penck z. B. hielt »im Winter 1915 vielbeachtete Vorträge« über seine schwierige Rückkehr aus Australien nach Deutschland (Der neue Rektor der Universität. Geheimrat Penck gewählt, in: BT 389, 2.8.1917 AA). 144 Zur Wiederholung der »Rede in schwerer Zeit« in Magdeburg »zum Besten des Nationalen Frauendienstes« s. Adolf von Harnack, Was wir schon gewonnen haben, Vorsatzblatt. 145 Text in: Wilamowitz-Moellendorff, Zwei Reden, S. 15–31. 146 Text vom 11.8.1914 in: Adolf von Harnack, Aus der Friedens- und Kriegsarbeit, Gießen 1916, S. 283–290. Zum 1.5.1916 s. den Bericht in BT 223, 2.5.1916 MA . 147 Text in: Harnack, Aus der Friedens- und Kriegsarbeit, S. 331–348, Zitat 348; zunächst separat: Adolf von Harnack, An der Schwelle des dritten Kriegsjahrs, Berlin 1916, Zitat (mit leicht abweichender Interpunktion) S. 19 f. S. zu dieser Rede ausführlicher u. S. 577 f. 148 Zur aktuellen Perspektivierung dieser Erinnerungen s. Wilamowitz-Moellendorff, Erinnerungen, S. 106 f.: »Ich muß auch die Farben anders abtönen [als damals]; unsere Jugend stand wieder in Frankreich, denen zu Hause sollte das Herz möglichst leicht gemacht werden«. Vgl. also dieselben Erinnerungen mit anderer ›Farbtönung‹ S. 107–126.
560 Die Universitäten im Kriegseinsatz Im November referierte er im großen Festsaal des Zoologischen Gartens über »Militarismus und Wissenschaft« und hatte dabei auch die Kronprinzessin unter seinen Zuhörern. Hier deutete er den Begriff »Militarismus« bereits positiv und betonte die »Verwandtschaft« zwischen der Wissenschaft und dem ArmeeBetrieb: Der Offizier war für ihn »der Hochschullehrer des Volkes«, die Armee »die Volksuniversität«. Schließlich sprach er im Dezember in Steglitz noch über »Heroentum«.149 (Dort hatte Dietrich Schäfer, um »am eigenen Wohnorte die Stimmung aufrechtzuerhalten«, eine wöchentliche Reihe initiiert, selbst den ersten Vortrag gehalten und weitere solcher »vaterländischen« Abende geleitet.150) 1915 ließ Wilamowitz außer seiner Rede zum Antritt des Rektorats im Oktober mindestens fünf weitere (ebenfalls gedruckte) Reden folgen.151 Er setzte diese Tätigkeit, wenn vermutlich auch in reduziertem Umfang, bis Kriegsende fort. 1916–18 beschränkte er sich auf jeweils 1–2 solcher Veröffentlichungen – war mit seinen 68–70 Jahren aber an verschiedenen wissenschaftlichen Reihen für die Truppen in Warschau, Mazedonien und Brüssel beteiligt. Darüber berichtete er dann wiederum zuhause, etwa im November 1917 in der Hochschule für Musik über »Die Balkanvölker«.152 Engagement in der Heimat und in der Etappe waren also gar nicht mehr zu trennen. (Der Gießener Samuel Eck kam mit seinen Kriegspredigten und -vorträgen sogar bis an die Westfront.153) Im Januar 1918 sprach Wilamowitz in der Berliner Philharmonie in einer Versammlung der Vaterlandspartei und noch drei Tage vor der Revolution in Charlottenburg über »Volk in Not«.154 Alle Universitäten legten Wert darauf festzuhalten, wie sehr sich ihre Mit glieder in dieser Form der Unterstützung der Kriegführung engagierten. Die Straßburger Professoren sprachen »auch in weitem Umkreise des Reiches in mehreren Städten« für die »mannigfaltigsten Zwecke: für die Kriegs fürsorge, für den Heimatdienst und zur Aufklärung über Elsaß-Lothringen im Reiche«.155 Unter dem einen Viertel aller Berliner Dozenten, die sich »an der 149 S. die Nachweise in: Michael Armstrong/Wolfgang Buchwald/William M. Calder III, Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff Bibliography 1867–1990, Hildesheim 1991, S. 64 f., zum Vortrag über »Militarismus und Wissenschaft« auch den kurzen Bericht in BT 593, 21.11.1914 AA; Zitate nach der Druckfassung in: Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Reden aus der Kriegszeit. H. 2, Berlin 1915, S. 32–47, hier S. 43, 38. Etwas ausführlicher dazu Maurer, Universitas militans, passim. 150 Schäfer, Mein Leben, S. 166. 151 Nachweise bei Armstrong/Buchwald/Calder, Wilamowitz-Moellendorff Bibliography, S. 66 f. 152 Nachweise bei Armstrong/Buchwald/Calder, Wilamowitz-Moellendorff Bibliography, S. 70, 72. Zu den Etappenkursen s. u. Kap. IV.6. 153 Anderhub, Antoniterkreuz, S. 30. 154 Armstrong/Buchwald/Calder, Wilamowitz-Moellendorff Bibliography, S. 74. Zur Vaterlandspartei s. u. S. 598–608. 155 Ficker, Bericht IV (1917/18), S. 11.
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Front, (…) in der Etappe oder daheim« an der Kriegführung beteiligten, hatte der Berliner Geograph Penck diejenigen, »die [1917/18] da und dort anläßlich des Krieges gesprochen haben«, gar nicht mitgezählt; »denn das tat wohl ein jeder.« Hinter der Front abgeworfene Flugblätter der Kriegsgegner verdächtigten die deutschen Professoren »als Kriegsverlängerer«. Damit aber »ermutigten« sie jene, »mit der geistigen Mobilisierung fortzufahren, denn sie vergewissern uns, daß sie uns fürchten.«156 Da im allgemeinen Eintritt erhoben wurde, dienten diese Vorträge neben der mentalen Mobilisierung auch der Finanzierung anderer Aktivitäten, vor allem der Wohltätigkeit. Der Erlös der Straßburger Reihe, für die Eintritts karten an verschiedenen Vorverkaufsstellen vertrieben wurden, sollte den Verwundeten zugute kommen.157 Die Gießener Überschüsse waren für die Hinterbliebenen gefallener Gießener bestimmt.158 Auch die Einkünfte aus dem Druck der Vorträge wurden später meist noch einer ›guten Sache‹ zugeführt. So war etwa der Reinerlös der »Deutschen Reden in schwerer Zeit« zunächst den »Kriegsbibliotheken des Roten Kreuzes« zugedacht, später der »Nationalstiftung für die Hinterbliebenen der im Kriege Gefallenen«.159 Die »Straßburger Reden zum Weltkrieg« wurden zunächst zugunsten der »Geschädigten«, dann der »Hinterbliebenen der (…) gefallenen Elsaß-Lothringer« verkauft.160 Auch mit ihren Einzelvorträgen unterstützten Professoren caritative Zwecke.161 Der rare Fall einer Dokumentation der finanziellen Ergebnisse rückt diese Vortragstätigkeit aber nicht nur in ein neues Licht, sondern wirft auch weitere Fragen auf. Am Ende der ersten Gießener Serie konnte die Universität der Stadt 800 Mark überweisen.162 Doch im Sommer 1915 blieb, nachdem die Kosten für Eintrittskarten, Anzeigen, Kassierer und Kontrolleur abgezogen waren, nur ein Überschuß von 85,60 M.163 Ob niemand aus dem Kreis der Lehrenden oder Stu156 Penck, Amtsjahr 1917/18, S. 9. Vgl. dazu den Dekan der Gießener Med. Fak., Opitz, mit dem Ziel, »die Köpfe und Herzen des Volkes zusammenzufassen zu einmütigem Siegeswillen, sich nicht verblenden zu lassen von hochtönenden Schlagworten wie Demo kratie, Völkerverbrüderung, Abrüstung« (in: Weihnachtsgruß 1917, S. 8). 157 Zunächst ist vom Roten Kreuz die Rede, dann vom Vaterländischen Frauenverein. Der Elsässer 464, 26.10.1914 (Erlös) und 482, 13.11.1914 (Vorverkauf). Zum Frauenverein verzeichnet das Prot. der Senatssitzung vom 7.12.1914 ein Dankschreiben für das »Ergebnis« der Kriegsvorträge: ADBR 103 AL 115. 158 GA 2.10.1914 (Zeitgeschichtliche Vorträge). 159 Vermerk jeweils auf dem zweiten Vorsatzblatt. 160 So für die Berliner Reden jeweils auf der Innenseite des Umschlagblattes, für die Straßburger auf dem Titelblatt. 161 So hielt etwa Adolf von Harnack seinen Vortrag über den »Kulturkrieg im Weltkrieg« zugunsten der Wohlfahrtspflege der Evangelischen Frauenhilfe. S. den Bericht in BT 223, 2.5.1916 MA . Ein Straßburger Prof. hielt in größeren Städten Vorträge zugunsten der Kriegsgefangenen und Kriegsgeschädigten (Ficker, Bericht II [191/16], S. 9). 162 Sommer, Krieg und Seelenleben, S. 27. 163 S. die Kostenaufstellung in UA Gi Allg. 111, fol. 188.
562 Die Universitäten im Kriegseinsatz dierenden bereit war, diese Funktionen ehrenamtlich zu übernehmen, oder ob die Universität mit der Vergabe dieser Aufgaben vielleicht einen kleinen Beitrag zur Bekämpfung der durch die steigende Arbeitslosigkeit verursachten Not leisten wollte, muß offenbleiben. Daß die bildungsbürgerlichen Hörer, die sich zu Vorträgen der Professoren in die Aula wagten, nicht mehr das Geld für die Eintrittskarten hatten, ist eher unwahrscheinlich. Insofern läßt der Rückgang der Besucherzahlen eine geistige Ermüdung vermuten, die auch durch den »guten Zweck«164 der Mobilisierung von Hilfsgeldern nicht mehr kompensiert werden konnte. Auf jeden Fall deutet das Ergebnis auf einen starken Rückgang des öffentlichen Interesses165 – wobei dessen Ursachen jedoch unklar bleiben: Vielen könnten die Themen des Sommers zu speziell gewesen sein. Ob die Vorträge dann vielleicht zu sachlich, zu wenig erhebend und mobilisierend waren? Diese Änderung könnte mit Vorgaben der Behörden (oder gefürchteten Zensur-Eingriffen) zusammengehangen haben, aber auch Ausdruck jener Rückwendung zur Wissenschaft gewesen sein, von der der Gießener Rektor bei der Jahresfeier der Universität sprach; denn »am leichtesten [war] die Rückkehr zu rein wissenschaftlicher Betätigung bei den Fächern, die durch ihre besondere Art unmittelbar mit den Folgen des Krieges zu tun haben.« Hier wurden nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse auf die neue Situation angewandt, sondern aus letzterer auch »neue Fragestellungen und Probleme« aufgenommen.166 Jedenfalls werfen die Beobachtungen zu den Gießener Vortragsreihen auch Fragen für Berlin auf: Zum einen natürlich, ob die Äußerungen über das weiterhin starke Interesse einer solchen Kassenprüfung standgehalten hätten, und falls ja, ob es vielleicht an engagierten Rednern mangelte, als man im Herbst 1915 faktisch auf eine Fortsetzung verzichtete. (Dann fällt die Steglitzer Reihe jedoch um so mehr auf, die immerhin zwei Jahre lang fortgeführt wurde.167) Schließlich erhebt sich auch die Frage, warum hier kaum Privatdozenten und Extra ordinarien zum Zuge kamen und warum die Berliner auf die Erörterung konkreter Kriegsentwicklungen im großen und ganzen verzichteten.
164 GA 2.10.1914. 165 Zusammenstellungen der verkauften Karten zu den einzelnen Vorträgen findet man in UA Gi Allg. 111, fol. 189 f. Demnach nahmen an den einzelnen Vorträgen des Sommersemesters noch zwischen 30 und 51 Hörern teil. 166 Sommer, Krieg und Seelenleben, S. 2 f. 167 Schäfer, Mein Leben, S. 166: »Die Sache hat sich doch nur durch die beiden ersten Kriegsjahre aufrechterhalten lassen.«
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Kriegszieldiskussion und Spaltung der Professorenschaft 1915: Seeberg-Adresse und Delbrück-Eingabe Daß die in Straßburg und Berlin durchscheinende Ungewißheit bezüglich des weiteren Kriegsverlaufs und das Bangen um den Fortbestand der inneren Einheit die tatsächliche Entwicklung erspürten, zeigte sich spätestens im Laufe des Sommers 1915. Doch belegt die führende Rolle von Berliner Professoren bei der Gründung der Freien Vaterländischen Vereinigung schon im Frühjahr 1915 ihr Bewußtsein der Notwendigkeit, etwas dafür zu tun: Die Idee zu dieser Organisation, die ursprünglich »Vaterländischer Bund« heißen sollte, ging auf den nationalliberalen Abgeordneten Eugen Schiffer in Delbrücks »Mittwochabend«Kreis zurück, dem auch die Verfasser des Gründungsaufrufs entstammten: Die Professoren Delbrück, Kahl und Harnack, der Abgeordnete Schiffer und das Freikonservative Mitglied des Herrenhauses, Fürst Hatzfeldt.168 Die Vereinigung kam nach einer Besprechung von ca. 70 Vertretern unterschiedlichster Berufe, »Stände« und politischer Anschauungen im Reichstag zustande. Von den 69 Erst-Unterzeichnern des (am 10. März 1915 publizierten) Aufrufes entstammten neun der Universität Berlin: Zum Vorsitzenden wählte die Vereinigung den nationalliberalen Juristen Wilhelm Kahl, der nicht nur durch seine breitgefächerten Arbeiten und seine Mitwirkung in der Kommission zur Strafrechtsreform hervorgetreten war, sondern auch als Delegierter der Freiwilligen Krankenpflege im Krieg.169 Außerdem gehörten dazu der Historiker Delbrück, der Theologe Harnack, der Chemiker Fischer, der Jurist R ießer, der Mediziner Waldeyer und gleich drei Nationalökonomen: Herkner, Sering, Wagner. Kurz danach kam noch ein zweiter Mediziner dazu: Ernst Bumm. Neben einigen Professoren anderer Einrichtungen fanden sich unter den Erst-Unterzeichnern aber auch einzelne Künstler (Gerhart Hauptmann und Engelbert Humperdinck), der Reichstagsabgeordnete Matthias Erzberger (Zentrum), Vertreter weiterer bürgerlicher Parteien von den Freikonservativen bis zur Fortschrittlichen Volkspartei, mehrere Großindustrielle (Ernst von Borsig und Carl Friedrich von Siemens), Vorsitzende von Handwerksinnungen, Beamtenverbänden und Arbeitnehmervertretungen, aber auch einer der sogenannten ›Kaiserjuden‹: der Unternehmer, Mäzen und Vorsitzende des Hilfsvereins der deutschen Juden, James Simon.170 Die Neugründung war keine Partei und kein 168 Nottmeier, Harnack, S. 407. 169 S. dazu o. Kap. III .4; zur Breite der wissenschaftlichen Arbeit und sonstigen Aktivitäten: Klopsch, Geschichte der Juristischen Fakultät, S. 71–78. 170 Beispiele für Berufsverbände: Fleischerinnung, Verband der unteren Post- und Telegraphenbeamten, Berliner Lehrerverein und Werkverein der Siemenswerke (Erstunterzeichnerliste in einem vierseitigen, mit gedrucktem Brief an mögliche Interessenten ver-
564 Die Universitäten im Kriegseinsatz Verein, sondern eine Sammlungsbewegung und verstand sich selbst als »Organ der öffentlichen Meinung«. Dessen Hauptzweck sollte der Erhalt und die Förderung der zu Kriegsbeginn gefundenen Einheit und Zusammengehörigkeit der »Reichsgenossen« (!) sein, auch durch Pflege des »deutschen Wesens« und Betonung des »deutschen Volkstums«. Doch enthielt der Aufruf auch – sehr allgemein formulierte – Reformgrundsätze. Tagespolitische Fragen wollte man nicht behandeln, bei der Erörterung der ›großen‹ aber sollte das parteipolitisch Trennende überwunden werden.171 Das zu Kriegsbeginn gefundene Augenmaß »für Fremdes und Deutsches, für Großes und Kleines, für Trennendes und Gemeinsames« sollte gerettet und (für den Fall großer politischer Probleme) ein Rückfall »in die alte Zerrissenheit« unmöglich gemacht werden.172 Die Freie Vaterländische Vereinigung stand loyal zu Reichskanzler Bethmann Hollweg, der diesen Zusammenschluß und Aufruf »mit Freude und Dank« begrüßte.173 Andere, wie etwa der Oberpräsident von Ostpreußen, entdeckten darin dagegen bald eine Gefahr für die bestehende Staats- und Gesellschaftsordnung. Die Einheit der »Reichsgenossen«, welche die rassistische Ausgrenzung ebenso unmöglich machte wie die politische und das gemeinsame Staatswesen betonte, interpretierte Hans Delbrück folgendermaßen: »Wer den Satz ohne jede Rabulistik liest und annimmt, der versteht, daß gemeint ist: Sozialdemokraten, Juden und Polen haben für das Deutsche Reich gefochten und geblutet, dafür soll ihnen der Dank nicht vorenthalten werden und das Reich auch ihnen eine freundliche, nicht von Argwohn umzäunte Wohnung bieten.«174
Es kam Harnack zu, dem preußischen Oberpräsidenten gegenüber klarzu stellen, daß sich die Gleichberechtigung nicht auf »Männer wie Liebknecht« beziehe, die die bestehende Ordnung in Gänze verwarfen. Zwar bestand die FVV jahrelang, doch hatte sie während des gesamten Zeitraums Schwierigkeiten, den Charakter einer Berliner Honoratiorenvereinigung zu überwinden, und abgesehen von dem Vorsitzenden Kahl beteiligten sich die Gelehrten an solchen sandten Blatt: Freie Vaterländische Vereinigung, beides datiert: »Berlin, im März 1915«). Simons Name ohne nähere Angaben. Ergänzung Bumm nach der um einzelne Namen ergänzten Unterzeichnerliste in der Broschüre (s. A. 171). 171 Zur Vorgeschichte und den Absichten s. Wilhelm Kahl, An die Deutschen im Reiche! (Berlin) 1915, S. 3–13; Abdruck des Aufrufs mit Unterzeichnerliste 14–19, Zitate 17, 15 (drei Zitate). 172 Kahl, An die Deutschen im Reiche!, S. 3, 13. 173 Ein langer Auszug aus seiner Antwort auf Kahls Zusendung ist abgedruckt bei Kahl, An die Deutschen im Reiche!, S. 21 f. 174 Politische Korrespondenz, in: Preußische Jahrbücher 160 (1915), hier S. 177–180, Zitat 178. Übrigens hatte Delbrück unterzeichnet, obwohl er die Prämisse der »Zerrissenheit und Verkämpfung vor dem Kriege« nicht teilte. Er habe »die innerste Natur unseres Staatswesens wie unseres Volkstums (…) immer für kerngesund gehalten« (S. 179) und verwies als Beleg auf seine gedruckte Vorlesung »Regierung und Volkswille«.
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Versuchen nicht einmal.175 Ja, Delbrück schloß eine breite Organisation geradezu aus, indem er Versammlungen »nach Art wissenschaftlicher Kongresse, frei und doch wieder einigermaßen umgrenzt« zur öffentlichen Aussprache von Ministern und Parlamentariern und anderen »hervorragenden Persönlichkeiten« als ihre Arbeitsform ansah. Zunächst handelte es sich um eine lokale Berliner Vereinigung.176 Zwar rief sie zur Gründung von Ortsgruppen und Landesverbänden auf, doch scheint es – trotz einer Tagung in Weimar im Juli 1915 – nicht dazu gekommen zu sein.177 Daher sind auch für Straßburg und Gießen keine entsprechenden Zusammenschlüsse belegt. Kriegsziele definierte die Freie Vaterländische Vereinigung nicht. Genau die Debatte darüber führte aber im Sommer 1915 dazu, daß sich die zeitweilige innere Einheit oder zumindest Geschlossenheit auflöste, die der gemeinsamen Überzeugung entsprungen war, daß dem friedliebenden Deutschland ein Verteidigungskrieg aufgenötigt worden sei. Nun nahmen Mitglieder der Freien Vaterländischen Vereinigung bereits entgegengesetzte Positionen ein, so daß der Vorsitzende Kahl Mühe hatte, die Vereinigung auf einem »Mittelkurs am Leben zu erhalten«.178 Schon im Mai 1916 fand ihre letzte Kundgebung statt, wiederum in Berlin. Am deutlichsten – und reichsweit sichtbar – wurden die Gegensätze an der Berliner Universität. Schon kurz nach Kriegsbeginn hatten zunächst der Alldeutsche Verband, dann die Schwerindustrie in Denkschriften weitreichende Annexionsforderungen erhoben und die Regierung selbst im Streben nach einer Hegemonialstellung der Mittelmächte Konsultationen geführt. Den sechs großen Wirtschaftsverbänden (von den Industriellen über den Mittelstand bis zu den Landwirten), die, in einer »Paraphrase« der alldeutschen Denkschrift,179 am 20. Mai beim Reichskanzler ihre Forderungen nach Kolonien sowie territoriale Ansprüche im Westen wie im Osten Europas anmeldeten, folgten bald die Vertreter des Geisteslebens mit einer eigenen, der sogenannten Intellektuellen-Eingabe. Sie hatte von längerer Hand, zunächst ohne größere Resonanz im Kollegenkreis, der Berliner Theologe Reinhold Seeberg vorbereitet. Im Hintergrund standen Alldeutsche und Industrielle, die auf diese Weise den Reichskanzler und die Öffentlichkeit gewinnen wollten, ohne selbst in Erscheinung zu treten. Ein Bindeglied scheint das Alldeutsche Vorstandsmitglied Friedrich Lezius gewesen
175 Nottmeier, Harnack, S. 409 f. 176 Politische Korrespondenz (wie A. 174), Zitat S. 180, zum lokalen Charakter S. 179. 177 Willibald Gutsche, Freie Vaterländische Vereinigung (FVV) 1915–1916, in: Lexikon zur Parteiengeschichte 2 (1984), S. 663–665. Gutsche weist zwar auf die Aufrufe zur Gründung von Ortsgruppen hin, erwähnt aber – im Gegensatz zu den Artikeln über andere Vereinigungen dieser Zeit – keine einzige. 178 Nottmeier, Harnack, S. 409 f. 179 Zitat: Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 70.
566 Die Universitäten im Kriegseinsatz zu sein,180 Kirchenhistoriker in Königsberg, ebenfalls deutschbaltischer Herkunft und seit langem ein Freund Seebergs. In Privatbriefen hatte er schon im September 1914 weitreichende Annexionen samt Entrechtung der Bevölkerung vorgeschlagen. Seeberg selbst genoß großes Ansehen auch außerhalb der Universität und schien deshalb geeignet, eine größere Öffentlichkeit anzuziehen. Der Entwurf der Denkschrift war an zahlreiche Professoren versandt worden und hatte zunächst wenig Unterzeichner gefunden, nicht nur aus Gegnerschaft gegen jegliche Annexion, sondern auch wegen der Spaltung der Annexions willigen über die Frage, ob es Annexionen im Osten, im Westen oder an beiden Fronten geben solle. Bei einer Versammlung im Künstlerhaus in Berlin am 20. Juni hielt Seeberg einleitend ein Grundsatzreferat über die Ethik und Notwendigkeit von Annexionen, anschließend sprachen der Bonner Staatsrechtler Hermann Schumacher über die Kriegsziele, besonders im Westen, der Regierungspräsident von Schwerin über Kriegsziele im Osten und schließlich der Berliner Historiker Dietrich Schäfer über »Unser Volk inmitten der Mächte«. Als »Moralist« der »Machtpolitik« und als »Ideologe« des »Machtinteresses« kam Seeberg auf dieser Veranstaltung eine »priesterliche Weihefunktion« zu, die ihm (seinem kritischen theologischen Interpreten zufolge) selbst aber gar nicht bewußt war. Seeberg ging es um die Anliegen Deutschlands – während er die Interessen der Mitveranstalter der ›vaterländischen Versammlung‹ nicht hinterfragte, obwohl er kurz vor dem Termin die Querverbindung zwischen Schumacher und den Industriellen ›entdeckt‹ hatte.181 Die umfangreiche Denkschrift betonte, daß jetzt »die bloße Abwehr nicht mehr« genüge und man sich »gegen eine Wiederholung eines solchen Überfalles von allen Seiten (…) schützen« wolle. So wurden selbst die ausgedehnten Annexionsansprüche in Ost und West samt der politischen Rechtlosigkeit der anzugliedernden Bevölkerung rhetorisch immer noch defensiv oder zumindest präventiv verbrämt.
180 Als Beleg s. die folgende A., zu den frühen Annexionsvorschlägen Schwabe, Ursprung und Verbreitung des alldeutschen Annexionismus, S. 113 f. Basler, Zur politischen Rolle der Berliner Universität, S. 186 folgt dagegen der Darstellung des Alldeutschen Verbandsvorsitzenden Claß, wonach Seeberg über das Vorstandsmitglied Schäfer gewonnen werden konnte. 181 Brakelmann, Protestantische Kriegstheologie, S. 75–80, Seebergs Charakterisierung 11, Zitate über seine Funktionen bei der Versammlung 78. Es folgt eine Interpretation von Seebergs Rede (81–89). Schäfer gibt zwar seinen eigenen Vortragstitel mit »Deutschland und der Krieg« an (Schäfer, Mein Leben, S. 170), doch ist sie tatsächlich unter dem von Brakelmann angeführten Titel »als Handschrift gedruckt«. Ebenso Reinhold Seeberg, Unsere Kriegsziele. Beide Drucke o. O. o. J. in einem dreibändigen Konvolut der NSUB Göttingen Schriften des Unabhängigen Ausschusses für einen Deutschen Frieden, hier Bd. 1 (laut Eintrag der Bibliothek ein Geschenk von Walter Stahlberg, also dem Sekretär des Ausschusses). Zu Seebergs Wirken außerhalb der Universität s. o. S. 151 f. Zu Lezius s. auch Tilitzki, Albertus-Universität Königsberg I, S. 408 f.
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Damit wollten die ›Intellektuellen‹ dem »feste(n) Wille(n) des deutschen Volkes« Ausdruck geben – denn das sei »Pflicht und Recht derer, die nach ihrer Bildung und Stellung zu geistigen Führern und Vorkämpfern der öffentlichen Meinung berufen sind«.182 Diese Eingabe fand 1347 Unterzeichner, darunter 352 Hochschullehrer,183 also etwa ein Zehntel der gesamten Professorenschaft des Reichs. Aus der Berliner Universität unterschrieben 53 der insgesamt 497 Hochschullehrer (10,7 %): 28 Ordinarien, vier Ordentliche Honorarprofessoren, 15 Extraordinarien und sechs Privatdozenten.184 (Darunter waren auch einige, die die Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reichs nicht unterschrieben hatten.185) Mindestens ein gutes Viertel (28,6 %) der Berliner Ordinarien und ein gutes Sechstel der Extraordinarien (17,6 %) unterstützten also weitgehende Annexionsforderungen.186 Darunter waren neben Seeberg mehrere weitere Theologen (Adolf Deißmann, Karl Holl, Hugo Greßmann), neben Schäfer mehrere weitere Historiker (Kurt Breysig, Otto Hintze, Theodor Schiemann, Michael Tangl), die Altertumswissenschaftler Eduard Meyer und Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, die Juristen Konrad Bornhak, Ernst Heymann, Joseph Kohler, Ferdinand von Martitz, der Nationalökonom Adolf Wagner, eine Reihe von Geisteswissen182 Am leichtesten zugänglich ist die auch als »Seeberg-Adresse« bekannte »Intellektuelleneingabe« in: Böhme (Hg.), Aufrufe und Reden, S. 125–135, Zitate 125, 126. Zu den zugrundeliegenden Vorstellungen s. Seebergs späteren Aufsatz: Östliche und westliche Kultur, in: Deutschlands Erneuerung 1 (1917/18), S. 767–784. 183 Dabei handelte es sich außer um Universitäts- auch um Professoren Technischer und künstlerischer Hochschulen. S. die A. zur dort S. 20–31 abgedruckten Seeberg-Adresse in: Gedanken und Wünsche deutscher Vereine und Verbände zur Gestaltung des Friedens, Berlin o. J., S. 31. (Ein Ex. in dem in A. 181 genannten Konvolut.) Völlig in die Irre führt die Darstellung bei Ackermann, Geburt des modernen Propagandakrieges, S. 174, da er die Seeberg-Adresse und Delbrücks Gegeneingabe (s. u.) in eins setzt! Offenbar kennt er weder die beiden (bei Böhme leicht zugänglichen!) Texte noch die Unterschriftenlisten und deren Auswertung (z. B. für Heidelberg bei Jansen, Professoren und Politik, S. 112–118 und 394–406). 184 Eine Kopie der Unterzeichnerliste aus den Beständen der Universitätsbibliothek Freiburg verdanke ich Christian Jansen. Der 24seitige Druck besteht aus zwei jeweils alphabetisch nach den Familiennamen geordneten Teilen, die vermutlich ursprüngliche und spätere Unterzeichner unterscheiden (S. 1–15: »Die Denkschrift haben unterzeichnet«; 16–24: »Die Denkschrift über die Kriegsziele haben weiterhin noch unterzeichnet«). Die bei Basler, Zur politischen Rolle der Berliner Universität, S. 186 f. angeführten 50 Namen entsprechen genau den im ersten Teil der Liste genannten, von denen allerdings die Schreibung von »Kossin(n)a« und »Koblan(c)k« entsprechend den hier eingefügten Buchstaben zu korrigieren ist. 185 Aus Berlin der Mediziner David von Hansemann (Ord. Honorarprof.), der Jurist Ernst Heymann, der Anthropologe Luschan (der damals noch in den USA gewesen war), der Nationalökonom Wagner (alle o. Profs.), der Musikwissenschaftler Oskar Fleischer (ao. Prof.). 186 Im SS 1915 zählte die Universität 98 Ordinarien und 85 Extraordinarien.
568 Die Universitäten im Kriegseinsatz schaftlern kleinerer Disziplinen und einige Naturwissenschaftler, aber nur drei der 201 Mediziner (1,5 %; ein neugekürter Ordentlicher Honorarprofessor und zwei Extraordinarien). Vermutlich bilden Fächer- und Statusstruktur der Unterzeichner die tatsächliche Gesinnung innerhalb der Universität jedoch nicht exakt ab; denn aus der Memoirenliteratur ist bekannt, daß jeweils einzelne um ihre Unterschrift gebeten wurden (also sicher nicht alle Mitglieder einer Statusgruppe, sondern jene, deren Zustimmung man erwartete).187 Außerdem fragte man aber vermutlich hier, wie auch bei den Gegnern, in erster Linie bei Ordinarien und weiteren renommierten Personen an, um der Eingabe Gewicht zu verleihen.188 Doch gerade, wenn man den Blick nur auf die Ordinarien richtet, fallen gewisse Unterschiede zwischen den Fakultäten auf. Während in der Philoso phischen 31 % dieser höchsten Statusgruppe unterzeichneten (18 von 58), waren es in der Theologischen Fakultät 44,4 % (4 von 9), in der Juristischen 54,5 % (6 von 11) – und in der Medizinischen 0 % (bezogen auf die 19 Ordinarien) bzw. 3,3 % (wenn man die 11 Ordentlichen Honorarprofessoren zu den Ordinarien hinzunimmt). Von den insgesamt 34 Unterzeichnern aus der Philosophischen Fakultät stellten die Geisteswissenschaftler gut 70 %; besonders stark vertreten waren die Historiker mit (auf alle Statusgruppen bezogen) neun bzw. (rechnet man den Vorgeschichtler hinzu) zehn Vertretern. Unter den 18 unterzeichnenden Ordinarien waren aber auch ein Chemiker, ein Astronom, ein Anthro pologe, ein Geograph und ein Nationalökonom. Auch in den anderen Statusgruppen befanden sich einige Naturwissenschaftler oder Ökonomen.189 In diesem Zusammenhang ist die Rolle Friedrich Meineckes, dessen Unterschrift später nicht unter der Eingabe stand, von besonderem Interesse; denn zwei alldeutschen Führern zufolge war Meinecke Mitglied »eines vorbereitenden Ausschusses« innerhalb der Universität (neben Seeberg, Schäfer, Hintze und dem Juristen Otto von Gierke).190 Offenbar war er im Frühjahr 1915 von Schumacher angesprochen worden, als er selbst noch diverse Annexions187 Siehe z. B. Heinrich Claß, Wider den Strom. Vom Werden und Wachsen der nationalen Opposition im alten Reich, Leipzig 1932, S. 395 über die Zusammenstellung von Listen der Anzusprechenden. 188 Belegt ist das Vorgehen, »möglichst viele Unterschriften zu gewinnen, zunächst aber bloß Ordinarien«, für Delbrücks Gegeneingabe. Er wandte sich mit dieser Anweisung an den Gießener Historiker Gustav Roloff (zit. aus dem Briefkonzept bei Döring, Der Weimarer Kreis, S. 25). 189 Unter den drei Ord. Honorarprofessoren der Phil. Fak. waren ein Zoologe und ein Spe zialist für Eisenbahnrecht (!!); unter den acht Extraordinarien ein Pharmazeutischer Chemiker; unter den sechs Privatdozenten ein Botaniker, ein weiterer Pharmazeutischer Chemiker und ein Agrarökonom. 190 Basler, Zur politischen Rolle der Berliner Universität, S. 186 folgt Claß, Wider den Strom, S. 395. Bei Schäfer, Mein Leben, S. 169 ist ebenfalls von einem »am 26. April eingesetzte(n) ›vorbereitende(n) Ausschuß« die Rede.
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Überlegungen hegte. Seiner eigenen Darstellung zufolge hatte er seine Unterschrift aber nur für das Einladungsschreiben zur Versammlung gegeben und es »nicht für nötig [gehalten], die schon entworfene Denkschrift (…) vorher zu lesen«; denn Schumachers Erläuterungen hätten nichts »Verfängliches« enthalten. (Da es für Unterschriftenaktionen damals einen »eingespielte(n) Automatismus zwischen Männern, die sich aufeinander verlassen zu können glaubten«, gab, erscheint dies durchaus plausibel.191) Zudem dachte Meinecke, die Denkschrift solle auf der Versammlung erst noch geprüft werden. Daran nahm er, eventuell wegen einer Krankheit, allerdings nicht teil, sah sich in der Öffentlichkeit jedoch als Unterstützer dargestellt und distanzierte sich deshalb in der Frankfurter Zeitung ausdrücklich davon.192 Diese, gemeinsam mit dem ebenfalls als ›Einlader‹ gewonnenen Heidelberger Historiker Hermann Oncken abgegebene Erklärung nahm Hans Delbrück dann als Beleg für die innere Gespaltenheit der Unterzeichnergruppe; denn viele hätten gewiß wegen der Autorität dieser angeblichen Unterzeichner, »also unter falscher Voraussetzung« unterschrieben.193 Die Implikation, die Veranstalter hätten Meinecke und Oncken als Unterzeichner genannt, erklärten aber jene wiederum zu einer »Irreführung der öffentlichen Meinung«. Als solche seien die beiden (nur) »im Auslande« bezeichnet worden.194 Seebergs Satz »Niemand in Deutschland hat jemals behauptet, daß sie die Adresse unterzeichnet hätten« stand Delbrücks Beobachtung gegenüber, die Meinung, Meinecke und Oncken hätten unterschrieben, sei »in sehr weiten Kreisen (…) verbreitet«. Eben »auf Grund der Autorität dieser
191 S. dazu Ungern-Sternberg/Ungern-Sternberg, Der Aufruf ›An die Kulturwelt!‹, S. 49 (zum Goethebund) und 16, 26, 89 (zu Unterschriften unter den Aufruf, die ohne eigene Lektüre des Textes auf telegraphische Bitte hin gegeben wurden). 192 Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 264. Von einer schweren Bronchitis mit Fieber ans Bett gefesselt, habe er die Denkschrift unaufmerksam gelesen und mit dem Einladungsschreiben an zwei Freunde gesandt. Demselben Irrtum sei Hermann Oncken aufgesessen, der die Erklärung in der Frankfurter Zeitung deshalb mit Meinecke zusammen veröffentlichte. Die Darstellung aus den vierziger Jahren wird jetzt gestützt durch die neue Publikation zeitgenössischer Briefe: Meinecke an Delbrück 24.6.1915 und an Oncken 3.8.1915, in: Meinecke, Neue Briefe, S. 207–209 bzw. 211 f. Die Erklärung Meineckes und Onckens in Frankfurter Zeitung und Handelsblatt 241, 31.8.1915 ist abgedruckt in: Friedrich Meinecke, Politische Schriften und Reden, hg. von Georg Kotowski, Darmstadt 1958. Basler (s. A. 190) zieht weder diesen Text noch die schon 1949 erstmals publizierten Erinnerungen heran. Dazu jetzt weitere Briefe an Oncken vom 19. und 24.8.1915, in: Meinecke, Neue Briefe, S. 213 f., 214 f. 193 [Hans] Delbrück, Die Differenzen über die Kriegsziele hüben und drüben, in: Preußische Jahrbücher 162 (1915), S. 167–169, hier 168. 194 So Seeberg in einer eigenen Richtigstellung in der bürgerlich-nationalen Täglichen Rundschau (11.10.1915), die wiederabgedruckt ist in einer zweiseitigen »Mitteilung« [o. O. o. J.], überliefert in: Schriften des Unabhängigen Ausschusses für einen Deutschen Frieden, hier Bd. 1 (wie A. 181).
570 Die Universitäten im Kriegseinsatz beiden Herren« schwankten einige sogar, ob sie dies ebenfalls tun sollten, und andere hätten es »tatsächlich« getan. »Daß durch diese Irrung der Wert der Unterschriften-Sammlung wesentlich eingeschränkt wird, leuchtet ein.«195 Delbrück hatte den Ursprung der Denkschrift bei den »Herr[e]n Groß industriellen« sofort erkannt – »dafür sollen unsere [!] Arbeiter kämpfen« – und die östlichen Annexionspläne als Hakatismus gebrandmarkt, den inzwischen doch sogar die Regierung aufgegeben habe.196 Bei der Lektüre empört und von Lujo Brentano zu der »patriotische(n) Tat« aufgefordert, »eine Gegenadresse in Szene« zu setzen, hatte er dies getan, und zwar in Zusammenarbeit mit Theodor Wolff vom Berliner Tageblatt und dem ehemaligen Kolonialstaatssekretär Bernhard Dernburg, die selbst ähnliches planten. Die Erstunterzeichner, die andere aufforderten, sich binnen drei Tagen anzuschließen, waren Delbrück, Harnack und Kahl sowie Dernburg und Hatzfeldt.197 Allerdings fand diese Gegeneingabe, vielleicht auch angesichts der Eile, nur insgesamt 141 Unterzeichner. Eine größere Gruppe von ihnen stammte aus dem Umkreis der Freien Vaterländischen Vereinigung. Dem Einwand der geringen Zahl quasi vorbeugend, erklärte Delbrück, »daß nur zufällige Kreise, bei denen Parlamentarier ausgeschlossen wurden, zur Unterschrift aufgefordert worden sind«. Obwohl diese Gegenadresse »mit der Stellungnahme der Preußischen Jahrbücher übereinstimmt[e]«, veröffentlichte er sie dort, vorgeblich »um des Burgfriedens willen«, nicht, wohl aber, nachdem dies in diversen Zeitungen bereits geschehen war, die Unterzeichnerliste. Darauf fanden sich 13 Ordinarien, ein Extraordinarius und ein einziger Privatdozent der Universität Berlin. Aus der Juristischen Fakultät stammten vier, aus der Theologischen ein einziger, aus der Philosophischen 10 – davon allerdings nur drei Geisteswissenschaftler: neben dem Initiator D elbrück Ernst Troeltsch und ein Extraordinarius für Philosophie. Die anderen waren Naturwissenschaftler (4) oder Nationalökonomen (3). (Meinecke dagegen fand diese Adresse zu »matt«.) Außerdem hatten sich u. a. die Juristen Anschütz, Kahl, Kipp und Liszt dahinter gestellt sowie die Nationalökonomen Herkner und Schmoller, der Theologe Harnack, die Naturwissenschaftler Einstein und Planck. Der jüdische Privatdozent für National-
195 Manche hätten ihre Unterschrift auch gegeben, weil ihnen bestimmte Sätze, keineswegs aber der gesamte Inhalt der Adresse, zusagten. Ein solcher Unterzeichner hatte sich sogar selbst in der Presse gemeldet. [Hans] Delbrück, Professor Seeberg, Professor Schäfer, Professor v. Wilamowitz, Professor Hintze, in: Preußische Jahrbücher 162 (1915), S. 360–363. 196 Zitate aus seinen Randbemerkungen bei Schwabe, Ursprung und Verbreitung des alldeutschen Annexionismus, S. 128 f. »Hakatismus« (gebildet aus den Initialen der Gründer des Deutschen Ostmarkenvereins) steht für die Germanisierungspolitik in Posen und Westpreußen durch Ansiedlung Deutscher und Verdrängung von Polen. 197 Nottmeier, Harnack, S. 417–419.
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ökonomie Franz O ppenheimer war möglicherweise gefragt worden, weil er damals schon im Kriegsamt wirkte.198 Diese viel knappere Gegeneingabe199 erinnerte an den ursprünglichen Kriegszweck, der »nicht (…) Eroberung«, sondern Selbstverteidigung Deutschlands gewesen sei: »Erhaltung seines (…) bedrohten Daseins, seiner nationalen Einheit und seiner fortschreitenden Entwicklung.« Da in anderen Eingaben an den Reichskanzler gegen diese Ziele verstoßen werde – näher wurde der Stein des Anstoßes nicht bezeichnet! –, sei von ihnen keine »Stärkung, sondern eine verhängnisvolle Schwächung des deutschen (!) Reiches« zu erwarten. Die Unterzeichner bekannten sich deshalb »zu dem Grundsatz, daß die Einverleibung oder Angliederung politisch selbständiger und an Selbständigkeit gewöhnter Völker (!) zu verwerfen ist.« Die Sicherheit des deutschen Volkes müsse selbstverständlich gewährleistet werden, doch nicht durch Annexionen. Diese widersprächen auch den »leitenden Grundlinien der Reichsschöpfung«, da mit der Aufnahme »nationalfremde[r] Elemente« der »Charakter des Nationalstaates« zerstört würde. (Mit den zitierten Kautelen wurden Annexionen also nicht generell ausgeschlossen, wie etwa der Heidelberger Historiker Karl Hampe meinte,200 sondern nur partiell: »Livland und Polen« von den »Russen« zu »lösen«, hielt auch Delbrück für möglich.201) Auf das »ganze Volk« bezogen sich die Unterzeichner
198 Die Liste findet sich (ohne Überschrift) im Anhang zu dem in A. 193 genannten Artikel in: Preußische Jahrbücher 162 (1915), S. 169–172. Außer den genannten finden sich dort noch der Philosophiehistoriker (und Extraordinarius) Ferdinand Jakob Schmidt, der Mathematiker Schwarz und der Physiker Rubens. Zitat Meineckes aus seinem Brief an Oncken 3.8.1915, in: Meinecke, Neue Briefe, S. 211 f., hier 212. Zu den Verbindungen zur Freien Vaterländischen Vereinigung s. Michael Dorrmann, Eduard Arnhold (1849–1925). Eine biographische Studie zu Unternehmer- und Mäzenatentum im Deutschen Kaiserreich, Berlin 2002, S. 224 f. 199 Die Eingabe ist am leichtesten zugänglich in Böhme (Hg.), Aufrufe und Reden, S. 135–137. 200 »Sie lehnt nun wieder jede Angliederung eroberten Landes so ungeschickt ab, daß ich sie nie unterzeichnen würde. Viel Glück haben die deutschen Gelehrten nicht gerade mit ihrer Politik. ›Si tacuisses‹, kann man von dem ganzen (….) Denkschriftenwesen sagen.« (Hampe, Kriegstagebuch, S. 254 [15.7.1915]). 201 Zitate aus dem Konzept eines Briefes an Oncken vom 9.8.1915 bei Döring, Weimarer Kreis, S. 26. Die Interpretation eines Briefes von Adolf von Harnack ist dagegen umstritten (Belege und weitere Vergleiche der unterschiedlichen Deutung der beiden Lager S. 26–28). Zwei Jahre später explizierte Delbrück selbst die Formulierung auch öffentlich, als er die gesamte Eingabe in seiner Zeitschrift publizierte: Die Ablehnung nur der »Einverleibung (…) politisch selbständiger (…) Völker« habe »in erster Linie« auf Belgien gezielt. »Die Frage der östlichen Völker aber, der Litthauer, Letten und Esthen ist offengelassen. Für mich hat das wahre Ziel Deutschlands immer in der Befreiung und Angliederung der Ostsee-Provinzen und einem großen, mittelafrikanischen Kolonialreich gelegen.« [Hans] Delbrück, Der Kanzlerwechsel – Die Friedensresolution – Lloyd Georges Antwort, in: Preußische Jahrbücher 169 (1917), S. 302–319, hier 307.
572 Die Universitäten im Kriegseinsatz dieser Adresse nur mit der festen Überzeugung, »daß dieser Krieg mit einem vollen Siege Deutschlands enden wird«, beanspruchten ansonsten aber nicht, die Mehrheitsmeinung zu vertreten. Zwar erhielten Seeberg- wie Delbrück-Adresse aus allen Universitäten Unterstützung; doch hatten beide ihre Hauptbasis in der Reichshauptstadt. Das ergibt sich allerdings schon aus der Größe ihrer Universität. Wenn man alle Unterzeichner als Gesamtheit betrachtet, also die ursprünglichen und die bald hinzugekommenen, entsprach auch die Gießener Beteiligung an der SeebergAdresse der Berliner, ja übertraf sie sogar minimal: Insgesamt unterschrieben 12202 von 105 Hochschullehrern (11,4 %): je zur Hälfte etatisierte und nicht etatisierte Gelehrte, davon zwei Nichtunterzeichner der Erklärung der Hochschullehrer.203 Die Zusammensetzung dieser kleinen Schar nach Fakultäten und Disziplinen unterschied sich von der Berliner allerdings deutlich: In G ießen war kein einziger Jurist dabei, dafür stellten hier die Mediziner ein Drittel aller Unterzeichner, ein Sechstel kam aus der Theologischen Fakultät. Innerhalb der Fakultät betrug der Anteil der Unterzeichner bei den Medizinern 12,1 % (vier von 33), bei den Theologen 28,6 % (zwei von sieben). Die Hälfte der Gießener, die sich der Seeberg-Adresse anschlossen, kam aus der Philo sophischen Fakultät; doch war unter diesen sechs (12 % der Fakultät) nur ein Geistesw issenschaftler (Germanist-Mediävist). Daneben standen ein Geograph, ein Chemiker, ein Agrikulturchemiker, ein Zoologe und ein Nationalökonom. Mit der fachlichen Zusammensetzung dieser, wenn auch kleinen Unterzeichnergruppe werden die an Berlin gemachten Beobachtungen also relativiert. Dagegen hatte der Gießener Psychiater und damalige Rektor Robert S ommer, der linksliberal, dabei durch und durch national war, den Militarismus für notwendig hielt und sich stark für die Kriegführung engagierte,204 die Unterschrift abgelehnt, obwohl er ebenfalls für die »Übernahme« einiger Gebiete durch das Reich plädierte: nicht nur östlicher, sondern auch Flanderns.205 Dabei hatten die Initiatoren im Begleitschreiben ausdrücklich darum gebeten zu unterschreiben, auch wenn man nicht jeden Gedanken und jede Formulierung teile; denn »absolute Uebereinstimmung der Beteiligten [sei] unerreichbar«. Sommer vermerkte
202 Die Unterzeichnerliste der Seeberg-Adresse (wie A. 184) weist je sechs Gießener im ersten und im zweiten Teil auf. 203 Der Geograph Wilhelm Sievers (Ordinarius) und der Mediävist Karl Helm (ao. Prof.). Aufschlüsselung nach Status: fünf Ordinarien, ein etatmäßiger Extraordinarius, fünf außeretatmäßige Extraordinarien, ein Privatdozent. 204 Zu seinem Verständnis des Krieges als »großer Experimentator« s. o. S. 436; zur Verwendung von Kriegsgefangenen zum Bau des Schießplatzes s. u. S. 813 f. 205 Darauf hat schon Meyer zum Wischen, »Der Seele Tiefen zu ergründen…«, S. 36 hin gewiesen. Der Begriff »Übernahme« auch in Sommers Brief an Seeberg (s. u. A. 208).
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darauf kühl »Einige Historiker« und »Vorsicht mit den Deutschrussen!«206 Den Text des Aufrufes arbeitete er genauestens durch, vermerkte an manchen Stellen seine Zustimmung, an vielen anderen aber Einwände, z. B. »mehrfach Verwechslung von strategischen Aufgaben und Kriegszielen«. Wo es im Aufruftext um die »Grenzverschiebungen« gegenüber Frankreich ging und »dem von uns übernommenen Teil der Bevölkerung (…) durchaus kein Einfluß im Reiche« eingeräumt werden sollte, fragte Sommer: »Was heißt das? Soll die Bevoelkerung rechtlos sein? Ohne Wahlrecht? Dann muss man Militärprovinzen schaffen«. Gegen den »eigentumsfreie[n], deutscher Besiedlung zugängliche[n] Grenzgürtel«, der »längs der östlichen Grenze Ostpreußens, Posens und Schlesiens, sowie der südlichen Grenze Ostpreußens« geschaffen werden sollte, hatte er aber offenbar nichts einzuwenden. Von Rußland sollte dem Aufruf zufolge als »Kriegsentschädigung« »Siedlungsland« gefordert werden, »zum großen Teil eigentumsfrei. Gegenüber russischer Verwaltungspraxis gar keine unerhörte For derung.« Hier fragte Sommer: »Was heisst das? Sollen die Bewohner nach russischem Muster einfach vertrieben werden?« Tatsächlich hieß es gleich darauf im Aufruf, daß Rußlands selbst ja »große Teile seiner Bevölkerung in entfernte Gebiete verpflanzt [habe]. Die hier vorliegenden Möglichkeiten dürfen nicht nach bescheidenem deutschen Kulturmaßstabe bemessen werden.« Dies kommentierte Sommer: »Sollen wir alle Bewohner umbringen oder verjagen? Wohin«. In seiner Anmerkung zu einer Passage im Schlußabschnitt, wonach die Unterzeichner »dem deutschen Geiste den gesunden Körper« schaffen wollten und beteuerten, daß die »verlangte Erweiterung des nationalen Körpers (…) ihm nicht schaden« werde, verwies Sommer knapp auf das Nationalitätenproblem: »Ein einheitlicher Volkskoerper mit Wallonen, Russen, Polen etc.?«207 Seine Zustimmung und Einwände faßte er in einem Brief an Seeberg zusammen, in dem er noch einen neuen Gesichtspunkt hinzufügte: »Geplante politische Entrechtung der Bevölkerung würde nur Revolutionäre züchten«.208 Delbrücks Gegenadresse unterzeichnete Sommer allerdings ebensowenig. Diese fand vor allem in Freiburg und Göttingen auswärtige Unterstützung; doch aus Straßburg oder Gießen schloß sich niemand an. Für eine Gegeneingabe zur Seeberg-Adresse hatte zwar auch der Gießener Historiker Gustav Roloff Unterschriften zu sammeln versucht und mit Delbrück darüber korre206 UB Gi/Hss.-Abt. NL Sommer Nr. 65, fol. 605–605v. 207 Zitate aus dem Aufruf hier nach dem Abdruck bei Böhme (Hg.), Aufrufe und Reden, S. 125–135, hier 127, 129, 130, 135. Die Kursivierungen bezeichnen Unterstreichungen Sommers in seinem Exemplar. Zitate aus Sommers Notizen in UB Gi/Hss.-Abt. NL Sommer Nr. 65, fol. 669–671v, hier 669, 669v, 670v, 671v. 208 Sommer an Seeberg o. D. (Durchschlag eines maschinenschriftlichen, offenkundig diktierten Briefes mit zahlreichen Tipp- und orthographischen Fehlern einer ungeübten Kraft, z. B. »Akitationsmaterial« oder »tobisch« für »utopisch«): UB Gi/Hss.-Abt. NL Sommer Nr. 65, fol. 665–667, zit. Satz 665v.
574 Die Universitäten im Kriegseinsatz spondiert, doch hatten ihm letztlich die Formulierungen nicht zugesagt.209 Allerdings liegt in der Distanz zur Delbrück-Adresse die einzige Gemeinsamkeit der Gießener und Straßburger; denn letztere zeichneten sich auch in puncto Seeberg-Adresse durch Abstinenz aus: Nur ein einziger Straßburger hatte sie unterschrieben, der aus Westpreußen stammende Romanist Oskar SchultzGora. Das ist insofern besonders bemerkenswert, als die Straßburger Professoren nicht nur in der zeitgenössischen französischen Literatur pauschal als Annexionisten dargestellt werden, sondern ihre Kriegspublizistik und speziell dieser Aspekt auch in der neueren Forschungsliteratur in den Vordergrund gestellt werden.210 Schultz-Gora könnte leicht von dem Anglisten Alois Brandl, der die Seeberg-Adresse selbst unterzeichnet hatte, zur Unterschrift aufgefordert worden sein; denn er war 1900–1904 außerordentlicher Professor in Berlin gewesen und gab mit Brandl zusammen das Archiv für die neueren Sprachen und Literaturen heraus. Die Unterzeichnerlisten beider Eingaben verdeutlichen die grundsätzliche Spaltung der Professorenschaft, die nicht nur durch die Universität und ihre einzelnen Fakultäten, sondern auch mitten durch die einzelnen Fächer ging. Dabei hob Delbrück zunächst noch gelegentlich wichtige Gemeinsamkeiten mit einzelnen, in der Kriegszielfrage oder auch in ihren historischen Anschauungen differierenden Kollegen hervor, etwa als Wilamowitz in seiner Rede beim Antritt des Rektorats »nationale Gesinnung und universale Bildung zu einer Einheit« zusammengefaßt und damit ein »schönes Beispiel solcher höchsten Menschlichkeit in geistvoller Rede« gegeben habe.211 Doch die Distanzierungen waren häufiger und machen die grundsätzliche Spannung innerhalb des Lehrkörpers deutlich. Von den dabei geäußerten Unterstellungen seien als Beispiele nur zwei zitiert: Delbrück, der seine Gegenadresse in der eigenen Zeitschrift nicht veröffentlichte, um »der deutschen Politik [nicht zu] schaden«, »begnüg[t]e [s]ich, die gegnerischen Blätter aufs ernsteste darauf hinzuweisen, daß es nicht wohlgetan ist, Gegensätze, die freilich vorhanden sind, durch Übertreibung noch zu verschärfen und sie gar auf die uns vor dem Kriege nur gar zu geläufige Art zu vergiften, indem man Andersdenkende als moralisch Minderwertige 209 Döring, Weimarer Kreis, S. 49 A. 127. 210 Pfister, L’université de Strasbourg, S. 47; allgemein zur Teilnahme an der Kriegspropa ganda: Craig, Scholarship and Nation Building, S. 196; zu Spahn: Rüdiger vom Bruch, »Militarismus«, »Realpolitik« und »Pazifismus«. Außenpolitik und Aufrüstung in der Sicht deutscher Hochschullehrer (Historiker) im späten Kaiserreich, in: Militär geschichtliche Mitteilungen 39 (1986), S. 37–58, hier 44; genauer s. weiter u. 211 Delbrück, Professor Seeberg (wie A. 195), S. 362. S. dort auch seine Ausführungen über eine Äußerung Dietrich Schäfers über die deutsch-polnische Vergangenheit. Mit der Feststellung, daß die Deutschen mit keinem anderen Volk so wenige Zusammenstöße gehabt hätten, war es jenem offenbar gelungen, »bei leidenschaftlicher patriotischer Gesinnung doch den Kopf kühl zu behalten für die Berechnung dessen, was nützt und was schadet«.
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hinstellt, die Gründe des Verstandes und der Einsicht ersetzt durch Verdächtigungen des Charakters.«212 Indem er die Gegner aber nicht vor einem Abgleiten in ein solches Verhalten warnte, sondern dieses schon feststellte (»nicht wohlgetan«!), sprach natürlich er selbst einen moralischen Tadel aus. Umgekehrt versuchten Seeberg und Schäfer, Delbrücks Adresse zu diskreditieren, indem sie aus deren Unterzeichnerliste die Namen Schücking und Quidde hervorhoben. Dabei beschränkte Seeberg sich in der Täglichen Rundschau auf die Familiennamen, während das Mitteilungsblatt des Schäfer-Ausschusses nachschob, daß beide »führende Männer des Bund ›Neues Vaterland‹« seien.213 Jener Schücking, der eng mit Quidde in dem zu Kriegsbeginn gegründeten pazifistischen Bund zusammenarbeitete, war allerdings der Marburger Staats- und Völkerrechter Walther Schücking, scharfer Kritiker der preußischen Polenpolitik und Mitbegründer des Verbands für internationale Verständigung. Unter Delbrücks Adresse stand jedoch sein Bruder, der damalige Jenaer Extraordinarius für Anglistik, Levin Ludwig Schücking, der (außer durch einen detailreichen Vortrag über den englischen Volkscharakter) in der Kriegspublizistik nicht weiter hervorgetreten zu sein scheint und dem seine Breslauer Kollegen (mit Blick auf den berühmt-berüchtigten Bruder) noch im Herbst 1918 politische Unbedenklichkeit bescheinigten.214 In diesen Gegensätzen aktualisierten und verfestigten sich unterschiedliche politische Richtungen, die bereits in der Vorkriegszeit im Lehrkörper vorhanden gewesen waren. Und da mit der Frage der Kriegsziele auch die Methoden deutscher Machtausübung in den besetzten Gebieten sowie die Haltung der zivilen Reichsleitung, insbesondere dem Kanzler Bethmann Hollweg gegenüber verbunden waren – die ›Annexionisten‹ arbeiteten auf seinen Sturz hin, die ›Gemäßigten‹ (bzw. ›Gouvernemental-Liberalen‹) versuchten, ihn zu stützen –, 212 Delbrück, Die Differenzen über die Kriegsziele (wie A. 193), S. 169. 213 Beides nach: Mitteilung (wie A. 194). 214 S. war 1916 von Jena nach Breslau berufen worden. Die Stellungnahme der Breslauer Kollegen ist (für ein Marburger Berufungsverfahren) referiert bei Wettmann, Heimatfront Universität, S. 370. Bei Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, kommt L. L. Schücking überhaupt nicht vor. NDB 23 (2007), S. 633 f. (Gunta Haenicke) erwähnt allerdings seinen Protest gegen die Kriegspropaganda der Professorenschaft im Ersten Weltkrieg und seine Funktion als Vorsitzender der Schlesischen Abteilung der Deutschen Friedensgesellschaft ab 1918. Den englischen Volkscharakter stellte er, auf einer Fülle von Beobachtungen, gelegentlich auch nur Anekdoten basierend, zwar mit einigen ›negativen‹ Zügen dar. Doch erweisen sie sich bei genauerer Lektüre auch in den jeweiligen Umständen gegründet. Zudem erinnert S. an einer entscheidenden Stelle über die grausame, allein kapitalistischen Erwägungen folgende Kriegführung Englands an allgemeinmenschliche Defizite (»wie gefühlsbefangen sind wir [!] Menschen in unserem Urteil über andere«, S. 19) und prophezeit sogar im Blick auf die im Krieg geforderte Zerstörung Deutschlands einen letztlich anderen Ausgang (Levin L. Schücking, Der englische Volkscharakter, Stuttgart 1915).
576 Die Universitäten im Kriegseinsatz standen sich schließlich zwei feindliche Lager erbittert gegenüber,215 die in der Folgezeit stärkeren Einfluß auf die Öffentlichkeit zu gewinnen suchten und sich dafür auch organisierten.
Deutscher Nationalausschuß für einen ehrenvollen Frieden vs. Unabhängiger Ausschuß für einen Deutschen Frieden Die Anhänger der Seeberg-Adresse arbeiteten zunächst vertraulich weiter, wobei Seeberg schon Ende Juli 1915 als Vorsitzender des Vorbereitenden Ausschusses zurücktrat. Er war aber – zusammen mit den Berliner Kollegen Gierke, Hintze und Eduard Meyer – Mitglied des sich für die Weiterarbeit neu konstituierenden Ausschusses, der unter der Leitung Schäfers stand. (Außerdem gehörten dazu einige Professoren anderer Universitäten, führende Manager der Großindustrie, aber auch das Vorstandsmitglied der Konservativen Partei, Graf Westarp, und der nationalliberale Reichstagsabgeordnete Gustav Stresemann, der zugleich Syndikus des sächsischen Industriellenverbands war). Das Berliner Zentralbüro sammelte die Gesinnungsfreunde in ganz Deutschland, um Redner zu gewinnen, die sofort auftreten könnten, sobald die (bislang ver botene) Kriegszieldiskussion freigegeben würde. Außerdem wollte man auf diese Weise die Lokalpresse beeinflussen. Sog. ›Vertrauensmänner‹ kamen regelmäßig in Berlin zusammen, um die Richtlinien der gemeinsamen Agitation abzustecken. Rundbriefe zu aktuellen Themen (die meist Schäfer selbst verfaßte) verstärkten den Kontakt der Mitglieder untereinander. Unterstützt wurde die moderne Massenagitation durch Geldgeber aus der Industrie.216 Um dieser Tätigkeit entgegenzuwirken, entstand unter der Regie der Reichskanzlei und des Auswärtigen Amtes Anfang Juli 1916 der Deutsche Nationalausschuß für einen ehrenvollen Frieden – als »Komitee zur ›Propaganda der Vernunft‹ (…), damit der Kampf gegen die alldeutschen Verrücktheiten nicht mehr lediglich von linksliberaler Seite geführt« werde (so der Chef des Zivil kabinetts, Rudolf von Valentini). Sein Vorsitzender war der ehemalige Statthalter in Elsaß-Lothringen, Fürst von Wedel. Am 20. Juli 1916 trat der National215 So schon Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 95 (zur Frage der besetzten Gebiete sein ganzes Kap. IV, S. 75–91); auch Döring, Der Weimarer Kreis, S. 12 und 34. Heutzutage scheint sich die Bezeichnung ›Gemäßigte‹ durchgesetzt zu haben, die alternative Bezeichnung verwandte einst Fritz Fischer. 216 Brakelmann, Protestantische Kriegstheologie, S. 99; Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 71, 120, 247 A. 201; Karl-Heinz Schädlich, Der »Unabhängige Ausschuß für einen Deutschen Frieden« als ein Zentrum der Annexionspropaganda des deutschen Imperialismus im ersten (!) Weltkrieg, in: Politik im Krieg 1914–1918. Studien zur Politik der deutschen herrschenden Klassen im ersten (!) Weltkrieg, Berlin 1964, S. 50–65, hier 52 f. (mit Namen der Mitglieder); Heinz Hagenlücke, Deutsche Vaterlandspartei. Die nationale Rechte am Ende des Kaiserreiches, Düsseldorf 1997, S. 73–89.
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ausschuß für einen ehrenvollen Frieden mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit, den – neben verschiedenen Ministern, Diplomaten und leitenden Managern der Großindustrie – auch einige Professoren unterzeichnet hatten, darunter Adolf von Harnack (der hier allerdings als Generaldirektor der Königlichen Bibliothek figurierte). Demnach wollte der Ausschuß vaterländisch gesinnte Männer verschiedener Parteirichtungen vereinen, um einen Frieden zu erstreben, »der sich gleich entschieden fern hält von den Kampflosigkeiten der Friedensmacher um jeden Preis wie von der Unersättlichkeit, die in den Kundgebungen des Alldeutschen Verbandes zutage getreten« seien. Für den 1. August kündigte der Ausschuß Versammlungen in zahlreichen Städten an.217 Dabei traten namhafte Redner auf, unter ihnen auch eine ganze Reihe von Universitätsprofessoren: der Jurist Wilhelm Kahl, die Theologen Adolf von Harnack und Martin Rade (Marburg), die Historiker Hermann Oncken (Heidelberg) und Erich Marcks (München), die Nationalökonomen Gerhart von Schulze-Gaevernitz (Freiburg) und Karl Rathgen (ehemals Marburg und Heidelberg, nun Kolonialinstitut Hamburg), nicht zu vergessen Max Weber.218 Für ihre Ansprachen hatte ihnen die Reichsregierung nahegelegt, Kriegsziele nur in sehr allgemeiner Form zu erörtern, sich auf die innere Einigung zu konzentrieren und »unter keinen Umständen Friedensreden zu halten.« Während die anderen Genannten außerhalb ihres üblichen Wirkungsortes auftraten, sprach Harnack in der Berliner Philharmonie. Er hielt natürlich eine patriotisch-mobilisierende Rede, und sie zeitigte vermutlich die größte Wirkung von allen – doch nicht im gewünschten, sondern im entgegengesetzten Sinn; denn da Harnack die Profitsucht einiger Zweige der Privatindustrie während des Krieges angriff und für die Nachkriegszeit die Bildung gemischter Unternehmungen mit staatlicher Beteiligung voraussagte, erklärten verschiedene Förderer aus der Großindustrie sofort ihren Austritt aus dem Nationalausschuß. Zu weiterer Mitarbeit wären sie nur bereit gewesen, wenn die Reichsleitung auf Harnacks Mitwirken verzichtet hätte – was diese aber ablehnte.219 Die große Resonanz seiner Rede läßt sich schon daran ablesen, daß er in die anschließenden Ferien »3–400 Briefe gesandt erhielt«. »Die tollsten Entstellungen liefen 217 Willibald Gutsche, Deutscher Nationalausschuß für einen ehrenvollen Frieden, in: Lexikon zur Parteiengeschichte 2 (1984), S. 197–200, Zitate 197 und 198. Der Aufruftext vollständig in: Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender (1916 I), München 1921, S. 345 f. (dort nur zwei weitere Professoren, die jedenfalls nicht aus der Universität Berlin stammten). Zu diesem Zitat vgl. auch ein ähnliches in einem Schreiben Wedels an Valentini vom 27.6.1916, zit. bei Nottmeier, Harnack, S. 432. 218 Rednernamen überwiegend nach: Max Weber, Zur Politik im Weltkrieg. Schriften und Reden 1914–1918. Hg. von Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Gangolf Hübinger, Tübingen 1984 (Max Weber Gesamtausgabe Abt. I Bd. 15), S. 649 f. 219 Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 118. Ausführlicher Nottmeier, Harnack, S. 433–436; Zitat aus einem Telegramm Wahnschaffes vom 25.7.1916 S. 433. Nachweis der Rede o. in A. 147.
578 Die Universitäten im Kriegseinsatz mitunter.«220 In dieser Zeit warnte Harnack (in einer öffentlichen Fehde mit einem alldeutschen General) auch davor, daß aus Belgien ein zweites Irland würde, falls die Annexionisten sich durchsetzten. Ob er ähnliche Andeutungen auch in seiner Rede in der Philharmonie machte, läßt sich nicht mehr klären – wurde ihm von seinem Gegner Dietrich Schäfer aber jedenfalls vorgeworfen.221 Nicht nur daran, sondern auch an dem geplanten Aufruf einiger Berliner Kollegen wird die weitere Zuspitzung der Auseinandersetzung zwischen beiden Richtungen deutlich: Am 19. Juli hatten sieben Berliner Professoren einen Text formuliert, den sie an zahlreiche Kollegen aller Universitäten sandten, um (auf vorgedruckten Karten!) deren Zustimmung zu erlangen. Am 27. Juli wurde der Text von verschiedenen Blättern auszugsweise, von der Frankfur ter Zeitung vollständig veröffentlicht: »An unser Volk!« Unterschrieben hatten Otto von Gierke, Wilhelm Kahl, Eduard Meyer, Dietrich Schäfer, Reinhold Seeberg, Adolf Wagner und, als damaliger Rektor, Ulrich von WilamowitzMoellendorff, mit Ausnahme Kahls also lauter Unterzeichner der SeebergAdresse. Mit der Anrede, die zugleich als Titel des Appells gelten muß, lehnten sie sich offenkundig an den Aufruf Friedrich Wilhelms III. von 1813 an, der zur Bildung eines Volksheeres und zahlreicher Freiwilligenverbände geführt hatte (und nicht nur jedem aus seiner Schulzeit bekannt, sondern anläßlich der Jahrhundertfeier der Befreiungskriege auch wieder in Erinnerung gerufen worden war).222 Da die »Erkenntnis der Notwendigkeit des weiteren Ausharrens und Kämpfens nicht mehr herrschende Stimmung des Tages« sei, fühlten sich die sieben Professoren genötigt, daran zu erinnern, daß Deutschland das Schwert 220 Etwa ein Drittel der Zuschriften beantwortete er und vermutete, »daß einige Herrn (!) beschämt sind, daß sie sich so eilfertig getroffen gefühlt haben.« Harnack an Martin Rade 26.9.1916, in: Johanna Jantsch (Hg.), Der Briefwechsel zwischen Adolf von Harnack und Martin Rade. Theologie auf dem öffentlichen Markt, Berlin u. a. 1996, S. 744 f., Zitat 744. 221 In seinen Erinnerungen schreibt er, Harnack habe in der Philharmonie »anläßlich der Verwendung belgischer Arbeiter erklärt, daß Belgien kein neues Irland unter unserer Verantwortung werden dürfe.« Er fährt allerdings fort: »Im Druck der Rede sind diese Stellen nicht wiedergegeben; die Tageblätter brachten sie aber.« (Schäfer, Mein Leben, S. 189). Deshalb geht Schwabes (Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 246 A. 185) mit Bezug auf die Druckfassung vorgebrachter Einwand an der Sache vorbei. BT enthält in der Abendausgabe noch keinen Bericht, am 2.8. (und den Folgetagen) durfte es nicht erscheinen (s. BT 391, 2.8.1916, das nur aus der Verbotsmitteilung in dicken Lettern besteht). 222 Der Aufruf ist abgedruckt in Böhme, Aufrufe und Reden, S. 137–139 (s. aber u. A. 223!). Die Versendung an alle Universitäten nach dem u. zit. Brief Meineckes. Bei Böhme wie auch im editorischen Bericht zu Max Webers Gegenartikel wird der Aufruf mit »Der Wille zum Sieg« betitelt, doch das war offenkundig eine Überschrift, die die Frankfurter Zeitung (206, 27.7.1916, 2. Morgenblatt) ihm gegeben hatte. Den eigentlichen Titel aber bildete, wie aus dem zeitgenössischen Druck zur Einholung von Unterschriften (und der Karte für deren Einsendung) eindeutig hervorgeht, diese Anrede. Diese Fassung in: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. I, Nr. 11 Bd. 3, fol. 82, die Karte fol. 85.
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habe »ziehen müssen« und es deshalb »nicht in die Scheide stecken« dürfe, solange nicht ein Friede gesichert sei, »den auch die Feinde zu halten gezwungen sind. Der ist aber nicht zu erlangen ohne Mehrung unserer Macht, Ausdehnung des Bereiches, in dem unser Wille über Krieg und Frieden entscheidet. Dazu bedarf es sicherer Bürgschaften, ›realer Garantien‹.« Da jedoch die Gegner »nicht friedebereit [sind], so können auch wir nicht von Frieden reden.« Die sieben appellierten: »So wollen wir denn ›durchhalten‹, unverzagt und unerschüttert durchhalten und siegen, weil, wollen wir uns [nicht] selber aufgeben, wir gar nicht anders können.« Der Aufruf endete mit den Worten: »Sei stark deutsches Volk, und Gott wird mit dir sein.«223 Im preußischen Kultusministerium stieß er auf Befremden: Die hier kursivierten Stellen sind in dessen Akten rot unterstrichen. Außerdem wurde, wie weitere Anstreichungen belegen, offenkundig die aufgedruckte Adresse für die Rücksendung der Zustimmung »An die königliche Universität. Berlin C 2« moniert; denn damit mußte ja die Universität als Urheber des Aufrufs gelten. Dem Rektor teilte das Ministerium schließlich aber nur mit, daß der Aufruf vorgelegen habe, es die Angelegenheit jedoch, da er »inzwischen zurückgezogen« worden sei, als »erledigt« ansehe.224 Offenbar hatten zu viele angesprochene Kollegen protestiert, so daß die sieben Initiatoren den Plan der Veröffentlichung aufgaben, noch bevor sich das Ministerium zum Einschreiten genötigt sah. Von den Berliner Kollegen hatte z. B. Delbrück die Unterschrift verweigert, weil ihm der in diesem Text ins Auge gefaßte Sieg auf eine deutsche »Oberherrschaft« hinauszulaufen schien.225 Hintze (der also seit Sommer 1915 die Seite gewechselt hatte) und Meinecke »trommelten« sieben andere Kollegen zusammen – darunter Troeltsch, Planck und den Klassischen Philologen Hermann Diels –, um gegen »die Schäfer-Meyerei« zu protestieren. Diese sieben entsandten Meinecke, Herkner und Hintze als Deputation zu Rektor Wilamowitz, der daraufhin, obwohl er ja selbst unterzeichnet hatte, »sehr gewandt erklärte, daß unser Protest eine neue Lage schaffe, und [er] deutete an, daß er gegen die Veröffentlichung nun wirken werde.« Die ganze Verwirrtheit der damaligen Lage und der Professorenschaft selbst belegt das Beispiel des Verfassungsrechtlers Anschütz: Er hatte sich dem Aufruf bereits angeschlossen, unterschrieb 223 Das hier sinngemäß ergänzte »nicht« fehlt in den zeitgenössischen Drucken und bei Böhme (A. 222, S. 139), ist aber bereits im fünf Jahre später veröffentlichten Nachdruck enthalten: Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender (1916 I), S. 369 f. Man gewinnt hier jedoch den fälschlichen Eindruck, die Professoren hätten den Aufruf selbst publiziert (s. dazu u.). 224 Pr. KuMi an Rektor Berlin 9.8.1916: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. I, Nr. 11 Bd. 3, fol. 82 (Entwurf des Schreibens auf dem Aufruftext) bzw. 86 (Abschrift der Reinschrift). 225 Sein Brief an den Initiator Kahl ist zit. bei Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 234 f. A. 4.
580 Die Universitäten im Kriegseinsatz nach dem Abend bei Hintze dann aber dessen Protest dagegen. »Wir Professoren sind doch vorzügliche Politiker!« kommentierte Meinecke in einem Brief an seine Frau.226 Der Lehrkörper der Universität Heidelberg protestierte gegen den Aufruf entwurf »wegen der gegen den Reichskanzler gerichteten Bemerkungen über mangelnde Siegeszuversicht und mangelnden Willen zum Ausharren« sogar »in corpore«. Dies teilte Max Weber der Frankfurter Zeitung mit, an die der Text nur durch »irgendeine Indiskretion« habe gelangen können. Außerdem übermittelte Weber der Zeitung eine kleine Stellungnahme, die diese als Zuschrift »aus akademischen Kreisen« anonym abdruckte. (Weber hatte aber ausdrücklich versichert, sich »zu deren Autorschaft (…) jederzeit [zu] bekennen«.)227 Im Aufruftext selbst war vom Reichskanzler weder wörtlich noch in Anspielungen, die sich auf eine einzelne Person bezogen hätten, die Rede. Vielmehr wurde die »Erwartung eines nahen Friedens« »weite[n] Kreise[n]« zugeschrieben. Und auch die »Schwäche«, die dem Reichskanzler öffentlich vorgeworfen werde, um seine Stellung zu erschüttern, kam im Text der sieben Berliner nicht vor. Ja, Weber konzedierte sogar, daß der »Schein, als bestehe in Deutschland irgendwo nicht die vollste Entschlossenheit«, bis zu einem die Sicherheit und Ehre des Reichs gewährleistenden Frieden durchzuhalten, »gewiß nicht beabsichtigt«, sondern nur durch »manche Wendungen ermöglicht« sei, aber »sicher entgegen dieser (!) Absicht der Verfasser«. Insofern suchte Weber trotz schärfster Angriffe gegen die »Quertreibereien einer kleinen Klique« (die er nicht mit den Unterzeichnern gleichsetzte)228 die Kollegialität innerhalb der Professorenschaft zumindest formal zu wahren. Wie der Text auf die breitere Öffentlichkeit wirkte, an die die Professoren sich ursprünglich wenden wollten (und die ihn infolge der Veröffentlichung tatsächlich als Aufruf las), belegt Gertrud Bäumers Notiz in der Hilfe: »Eine Reihe von Berliner Universitätsprofessoren veröffentlichen einen Aufruf zum ›Durchhalten‹. Man weiß nicht recht, wer damit ergriffen werden soll. An die Sol daten kann man doch von hinter der Front keine Mahnungen richten wollen, auf die Bevölkerung, die wirklich Not leidet, wirken diese Art Appelle nicht, sie hält eben einfach durch, weil ihr nichts anderes übrig bleibt, mag sich aber nicht dazu von Menschen ermahnen lassen, die naturgemäß die ganze Schwere der Versorgungsnot nicht erfahren. Und wenn man sich an die Oberschichten wendet, so dürfte man von den uns auferlegten Entbehrungen überhaupt nicht reden. Man müßte ihnen ganz etwas anderes sagen, z. B.: Wißt Ihr, daß in Berlin ein sehr, sehr großes Quantum 226 Undatiert, Juli 1916, in: Meinecke, Ausgewählter Briefwechsel, S. 80. 227 Webers Schreiben vom 27.6.1916 ist abgedruckt im editorischen Bericht zu dem in der folgenden A. genannten Artikel in: Weber, Zur Politik im Weltkrieg, S. 131 f., hier 132. 228 Der Berliner Professoren-Aufruf, in: Frankfurter Zeitung 207, 28.7.1916, 1. Morgenblatt; nach: Weber, Zur Politik im Weltkrieg, S. 133.
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der ausgegebenen Fleischkarten nicht eingelöst wird, weil die Leute das Geld dafür nicht haben? Daß Ihr für Euch persönlich ›durchhaltet‹, ist gar nichts, das verdient den Namen kaum. Aber helfen, daß das ganze Volk durchhalten kann, darauf kommt es an.«229
Mit den Fragen nach den Adressaten und den Bemerkungen zu den konkreten Lebensverhältnissen machte Bäumer, die die Autoren beim Wort nahm (und den Text nicht als gegen Bethmann Hollweg gerichtete Waffe deutete), die Kluft deutlich, die zwischen den professoralen Mahnern und der Masse der Bevölkerung bestand. Diese Kluft war aber nicht nur die Folge der besseren materiellen Lage der Oberschicht, sondern auch der Realitätsferne jener Professoren und vor allem ihres Gefühls der moralischen Überlegenheit, das sie mit der Ermahnung an das Volk ausdrückten. Von den Entbehrungen der Oberschicht zu sprechen und damit das »persönliche« Durchhalten herauszustellen, hielt Bäumer für Großsprecherei. Als Reaktion auf die Bildung des Deutschen Nationalausschusses für einen ehrenhaften Frieden organisierten sich nun auch die Annexionisten, die bislang »von einer Vereinsbildung und von einem Namen (…) abgesehen« hatten, »um nicht polizeilicher Anmeldepflicht genügen zu müssen«, öffentlich. Sie bildeten den Unabhängigen Ausschuß für einen Deutschen Frieden, für dessen Spitze Schäfer gern eine Persönlichkeit mit einem ebenso »klingenden Namen« gewonnen hätte, wie Fürst von Wedel ihn dem Nationalausschuß bot. Doch wurde er von der Vertrauensmännerversammlung einstimmig gebeten, die Geschäfte selbst weiterzuführen.230 Der Ausschuß trat zuerst mit einem Aufruf »An das deutsche Volk« heran, der am 23. August 1916 veröffentlicht wurde. Unter den 238 Unterzeichnern finden sich nur 28 Universitäts- und zwei TH-Professoren. Dazu gehörten auch vier der sieben, die ihren eigenen Aufruf kurz zuvor zurückgezogen hatten. (Nicht mehr dabei waren Kahl, Wagner und Wilamowitz.) Den Appell wegen dieser Überschneidung und des ähnlichen Titels als Endfassung des früheren zu betrachten,231 scheint aber nicht angebracht; denn es handelt sich – bei einem Anteil von nur 12,6 % – nicht mehr um einen Professorenaufruf, und der Text wurde zudem völlig neu formuliert. Er erscheint einerseits ›gemäßigter‹, weil die Forderungen sowohl bezüglich der Annexionen im Osten als auch der »realen Garantien« für Belgien als »deutsches (…) Bollwerk« »mit dem Reichskanzler« zusammen erhoben werden, andererseits aber zugespitzt, da die Formulierungen sowohl bei der Darstellung der Situation als auch der notwendigen 229 Naumann/Bäumer, Kriegs- und Heimatchronik II, S. 327 f. (27.7.1916; Hervorhebungen i. O.). 230 Schäfer, Mein Leben, S. 172, 190. 231 Dies tut z. B. Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 234 f. A. 4.
582 Die Universitäten im Kriegseinsatz Handlungen knapper und klarer sind. Nur ein einziger Satz läßt noch die bildungsbürgerlichen Urheber erkennen; doch schon seine Ausfaltung zeigt, daß es um das ganze Volk ging – so wie in der Darstellung der Situation auch von der »Teuerung, die den Armen bedrückt«, die Rede ist. »Mit politischem und wirtschaftlichem Helotentum bedrohen uns die offenen Pläne Englands. Es geht um unser Leben als Volk und Staat, um unsere Kultur und Wirtschaft. (….) Um die gesicherte Arbeit des Landmannes, um die freie Betätigung des Handels, um die Weiterentwicklung der Industrie, und nicht zuletzt um die Erhaltung und Besserung der Lebensbedingungen des deutschen Arbeiters geht unser Kampf. (…) Sei stark, Deutsches Volk! Du kämpfst um Dasein und Zukunft. Hindenburg hat Dir die Losung zugerufen: Nicht durchzuhalten gilt es, es gilt zu siegen!«232
Die Verfasser des neuen Textes scheinen aus der Kritik von verschiedenen Seiten gelernt zu haben, und so war es ihnen durch Berufung auf Kriegszielerklärungen des Reichskanzlers gelungen, auch über den eigenen Kreis hinaus Zustimmung zu gewinnen. Außerdem hatte dieser Aufruf durch die Ausrichtung auf das Wohl der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen auch einen ›sozialen Anstrich‹, der Kritikern wie Gertrud Bäumer den Wind aus den Segeln nehmen mußte. Als Unterzeichner waren von den Berliner Kollegen Theodor Schiemann sowie der Rechtsvergleicher und Rechtsphilosoph Joseph Kohler hinzugekommen, beide bekannte Annexionisten, die schon die Seeberg-Adresse unterzeichnet hatten.233 Aus Gießen waren der Gynäkologe Opitz sowie der Zoologe Johann Wilhelm Spengel dabei. Außer den Straßburgern fehlten noch Gelehrte aus Tübingen und Würzburg; die übrigen deutschen Universitäten waren jeweils mit ein bis drei Unterzeichnern vertreten. Den Erfolg in der breiteren Öffentlichkeit belegt Gertrud Bäumers Eintrag in der Heimatchronik: »Im übrigen spricht man über den Aufruf des Professors Dietrich Schäfer (!) und seine Kriegsziele. Allgemeiner Eindruck, daß man sich die Ziele extravaganter und die Verständigung schwerer gedacht hat, und daß dieser Aufruf eher dafür spricht, die Erörterung frei zu geben, weil deutliche Formulierungen die Einigung mehr fördern als unbestimmte Wendungen, bei denen man sich viel oder wenig denken kann.«234
Der Aufruf des Unabhängigen Ausschusses für einen Deutschen Frieden wurde also wahrgenommen – ›man sprach darüber‹ – und da er den Eindruck erzeugte, 232 An das Deutsche Volk! (= Unabhängiger Ausschuß für einen Deutschen Frieden. Mitteilungen 23.8.1916) (in dem Konvolut Schriften des Unabhängigen Ausschusses für einen Deutschen Frieden [wie A. 181], hier Bd. 1, Nr. 30). 233 An das deutsche Volk! (wie A. 232, Unterzeichnerliste [S. 2–4]). 234 Die Hilfe 22 (1916), S. 563 (unter dem 25.8.1916). Als separate Bände war die Kriegs- und Heimatchronik nur für die ersten beiden Kriegsjahre erschienen.
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daß eine Einigung auf klar umrissene (und insofern auch beschränkte) Kriegsziele möglich sei, erschienen die Annexionisten plötzlich als fast ›gemäßigt‹. In Wirklichkeit unterhielt der Unabhängige Ausschuß enge Kontakte zur dritten Obersten Heeresleitung (unter Hindenburg und Ludendorff) sowie zu den Stellvertretenden Generalkommandos im Reich. Mit Hilfe seiner Vertrauensmänner und einem Kreis von 28 prominenten Wissenschaftlern, die sich für Vorträge zur Verfügung stellten, betrieb er seine Propaganda für den Siegfrieden und Annexionen bis zum Ende des Krieges. Die beiden Gießener Unterzeichner waren besonders eifrige Vertrauensmänner. Der Zoologe Spengel sammelte Unterschriften für einen Aufruf, in dem es hieß »U-Boote heraus! Luftflotte heraus! Kriegsschiffe heraus!« Dabei gaben der Anklang an die korporationsstudentische Parole »Burschen heraus!« und das Pathos – die folgenden sieben Sätze endeten auch alle mit einem Ausrufezeichen, z. B. »Der Feind ist England!« – Spengels Appell schon fast einen lächerlichen Anstrich. Der Gynäkologe Opitz sprach sich Schäfer gegenüber dafür aus, »Kurland und ebenso Estland und Livland« »dem deutschen (!) Reich ein[zu]verleib[en], ohne daß man den dort ansässigen Einwohnern die Rechte und Pflichten von Staatsbürgern gewährt«.235 In solchem Tun ließ sich der Unabhängige Ausschuß auch nicht durch Zuschriften von Frontsoldaten oder Verwundeten beirren, die sich gegen die Siegfrieden-Parole wandten. Schäfer z. B. erhielt auch Briefe von ehemaligen Schülern. Einer versicherte ihm (noch bevor der erste Aufruf publiziert wurde): »Ein weiterer Winterfeldzug wäre für die Sache des Deutschtums ein großes Unglück!!« Immer häufiger sei die Frage zu hören, wofür man eigentlich noch kämpfe. »Was jetzt noch kommt, sei ein Eroberungskrieg und darüber fallen sehr bittere, oft recht bedenkliche Redensarten. Auch muß ich leider sagen, daß innerhalb des Heeres, besonders was die Offiziere anbetrifft, manches wesentlich besser sein dürfte.«236
1917 schrieb ein anderer ehemaliger Schüler Schäfers diesem nicht nur darüber, wie es sich die Offiziere auf Kosten der Mannschaften gutgehen ließen (und Todesdrohungen erhielten!), sondern auch über die von vielen Soldaten daraus gezogenen Schlüsse, daß »die höheren Stände überhaupt (…) Betrüger und Ausbeuter des niederen Volkes« seien und »die deutsche Regierung (…) Mitursache des Weltkrieges«. Schäfers Schüler selbst scheint diese Ansichten aber nicht geteilt zu haben: »Die sozialdemokratische Parole eines Friedens ohne Annexionen und Entschädigungen wird blindlings angenommen, und die ganze Wut der Leute richtet sich gegen die Alldeutschen als die Kriegshetzer und – 235 Schädlich, Der Unabhängige Ausschuß, S. 54–56 (mit ausführlicheren Zitaten aus beiden Quellen 54, 55). 236 C. O. an Dietrich Schäfer 6.8.1916, zit. bei Schädlich, Der Unabhängige Ausschuß, S. 59.
584 Die Universitäten im Kriegseinsatz Verlängerer.«237 Ein Verwundeter der Somme-Schlacht schrieb, auch im Namen von Kameraden, Schäfer an Weihnachten 1916 aus dem Reservelazarett, daß dessen »Artikel in der Unabhängigen Nationalkorrespondenz über unser französisches Kriegsziel« »auf jeden Frontsoldat [!] direkt verbitternd und beleidigend« wirke. Bei solchen, den amtlichen Verlautbarungen widersprechenden Forderungen, sagten die »Kameraden (…), das kann wohl bloß von Leuten aufgestellt werden, die daheim im Sicheren schlafen können, nichts entbehren, denen der Krieg eher Nutzen als Schaden bringt.« Nach der Beschreibung seiner Erfahrungen an der Front fuhr der Verwundete fort: »Ein jeder christlich denkende Mensch müßte ein baldiges Ende dieser furchtbaren Kriegsgreuel herbeiwünschen und nicht durch solche Forderungen die Entbehrungen und Leiden vieler Millionen Menschen vergrößern und verlängern helfen.«
Doch Schäfer antwortete ihm unbeirrt, daß er sich selbst »ein besseres Urteil über den Frieden wie er uns dient, zutraue, als Sie und Ihre Kameraden es haben können. Ich weiß, wie Kriege entstehen, wie sie geführt werden.«238 Der konkreten Erfahrung dieses Krieges setzte Schäfer also seine historischen Kenntnisse und die daraus gezogenen Schlußfolgerungen über Kriege überhaupt entgegen – nicht, um damit auf den Frieden hinzuwirken, sondern auf einen Kriegsausgang mit den gewünschten politischen (und territorialen) Ergebnissen. Nach der Freigabe der öffentlichen Kriegszieldiskussion genau zu dieser Zeit, im Dezember 1916, eröffnete der Unabhängige Ausschuß für einen Deutschen Frieden mit einer Kundgebung im Preußischen Abgeordnetenhaus am 17. Januar 1917 eine großangelegte Propagandaaktion für den sofortigen Beginn eines uneingeschränkten U-Boot-Krieges.239 Als dieser zum 1. Februar tatsächlich erklärt wurde, beflaggte der Gießener Vertrauensmann Spengel vor Be geisterung sein Haus.240 Zunächst waren die Überlegungen zum U-Boot-Krieg ja auf breitere Unterstützung gestoßen: U. a. hatten der Berliner Staats- und Völkerrechtler Heinrich Triepel und der Nationalökonom Max Sering in einem Gutachten für die Marine 1915 die Wirksamkeit und völkerrechtliche Zulässigkeit bestätigt. Und dem hatten sich bei einer Umfrage der Zeitschrift für Völker recht 1915 zahlreiche andere Juristen angeschlossen, darunter auch der Straßburger Staatsrechtler Laband.241 Dagegen hatten die Gemäßigten – unter ihnen Delbrück und als Sachverständiger der Physiko-Chemiker (und künftige Nobelpreisträger) Walter Nernst – in Denkschriften, Artikeln etc. schon das ganze 237 Gustav Zeller an Schäfer 9.7.1917, zit. bei Schädlich, Der Unabhängige Ausschuß, S. 61. 238 Max Hoffmann an Schäfer 25.12.1916 und Schäfer an M. Hofmann 30.12.1916 (Abschrift), ausführlicher zit. bei Schädlich, Der Unabhängige Ausschuß, S. 59 f. 239 Willibald Gutsche, Unabhängiger Ausschuß für einen Deutschen Frieden, in: Lexikon zur Parteiengeschichte 4 (1986), S. 203–206. 240 Anderhub, Antoniterkreuz in Eisen, S. 34. 241 Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 97–103 und 235 A. 22.
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Jahr 1916 hindurch vor dem unbeschränkten U-Boot-Krieg gewarnt. Und durch die gemeinsame Abwehr der Agitation für den unbeschränkten U-Boot-Krieg wurden 1916 auch Friedrich Meinecke (und in Heidelberg Oncken) endgültig in den Kreis Delbrücks (und Webers) hineingezogen. Als die verschärfte Kriegführung dann doch erklärt wurde, versuchten Delbrück, Meinecke und Harnack, die mit der Reichsregierung (Harnack gelegentlich auch mit dem Kaiser) in direktem Kontakt standen, wenigstens eine gleichzeitige Erklärung zu erwirken, daß Deutschland bereit sei, »Belgien in vollem Umfang wiederherzustellen«. Doch die Regierung reagierte nicht einmal darauf, und Meinecke erfuhr, daß sich der Kaiser »sehr ungnädig über diese unbefugte Einmischung seiner Professoren geäußert habe«. Auch Delbrücks weitere Bitte an den Kanzler zu erklären, daß Deutschland den U-Boot-Krieg aussetzen werde, wenn England die Blockade aufhebe, wurde nicht erhört.242 Da sich (aus der Wahrnehmung der Annexionisten) die Kriegführung nicht zu ändern schien, planten diese, eine Delegation ins Hauptquartier zu entsenden, um auf eine Verschärfung des U-Boot-Krieges hinzuwirken. Angeblich waren Vertreter der Konservativen, der Nationalliberalen und des Zentrums zur Teilnahme bereit. Namentlich genannt wurden insbesondere Martin Spahn und Eduard Meyer. Tatsächlich kam die Reise allerdings nicht zustande, weil die Gruppe keinen Passierschein erlangen konnte. Das Scheitern dieses Plans veranlaßte Meyer dann, eine Denkschrift über den U-Boot-Krieg zu verfassen, die der Reichsleitung und »einige(n) Herren im Auswärtigen Amt« übergeben werden sollte. In Wirklichkeit sorgte der Unabhängige Ausschuß für eine wesentlich breitere Verteilung (an Bundesrats-, Reichstags- und Landtagsmitglieder) und machte flankierende Eingaben an den Kaiser und den Reichstag. Erstere trug 30.000, letztere 90.000 Unterschriften. Beide plädierten für »rücksichtsloseste Führung des U-Boot-Krieges«.243 Ähnlich agierte der Ausschuß während der gesamten Zeit, und Schäfer selbst verfaßte eine große Zahl von Denkschriften.244 Eduard Meyer, der seine Stellungnahmen sowohl in der Schriftenreihe des Ausschusses als auch in Zeitschriften und Zeitungen publizierte, erhob im Namen des Unabhängigen Ausschusses »Anklage« (so sein Kollege und politischer Gegner Delbrück) gegen Bethmann Hollweg. »Den Vertretern eines faulen Friedens, der unser ganzes Dasein, unsere wirtschaftliche und politische Existenz als selbständige Nation preisgibt, und unsere Zukunft einem unheilbaren Siechtum überantwortet, bot er die Umgestaltung unseres gesam242 Nottmeier, Harnack, S. 439 f. mit dem Zitattext des Telegramms; Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 277. 243 Schäfer, Mein Leben, S. 181–183; Hagenlücke, Vaterlandspartei, S. 75 f. (mit Zitat aus der Reichstagseingabe). 244 S. sowohl die drei Bände des Konvoluts Schriften des Unabhängigen Ausschusses für einen Deutschen Frieden (wie A. 181) als auch Schäfer, Mein Leben, passim.
586 Die Universitäten im Kriegseinsatz ten Staatswesens, und war bereit, die kraftvolle und schöpferische Stellung der Krone, zu derem (!) Vertreter er bestellt war, zum Opfer zu bringen. (…) So sägte er den Ast ab, auf dem wir sitzen.«245
Meyer zufolge kam Bethmann Hollwegs Reformpolitik also einem Verrat gleich – und damit hatte er alle Deutschen in Gefahr gebracht. Neben diesem wichtigsten Zusammenschluß der Annexionisten und seinen Ortsgruppen gab es weitere, davon unabhängige Organisationen, etwa den von dem Münchner Mediziner (und Berliner Redner 1914) Max von Gruber geleiteten Volks-Ausschuß für rasche Niederkämpfung Englands, der sich ebenfalls im Sommer 1916 konstituierte. Auch hier stand der Alldeutsche Verband im Hintergrund, und die Ziele (sowohl die öffentlichen als auch die dahinter verborgenen) waren dieselben. Die Verflechtung dieser verschiedenen Kreise sieht man schon daran, daß auch der Straßburger Spahn Mitglied des Münchner Ausschusses war und der Berliner Eduard Meyer hier als Gastredner auftrat.246 Umgekehrt waren die regierungsnahen Wortführer der Gemäßigten, Harnack und Delbrück, nach dem Kriegseintritt der USA bereit, den Reichskanzler weiter zu unterstützen, obwohl ihre Vorschläge zur Verhinderung oder mindestens Abmilderung des uneingeschränkten U-Boot-Krieges ignoriert worden waren.247 Fast parallel zur Gründung des Deutschen Nationalausschusses für einen ehrenvollen Frieden war die Sammlung des Materials gegen die Alldeutschen, die der Berliner Privatdozent und Delbrück-Schüler Martin H obohm 1915 in der Zentralstelle für Auslandsdienst im Auswärtigen Amt begonnen hatte, von dort ausgegliedert worden und wurde dann in einem neuen eigenständigen (und nichtamtlichen) Büro unter Hobohms Leitung mit mehreren wissenschaftlichen Mitarbeitern weitergeführt. Wie es in einem von Delbrück verfaßten Werbeschreiben hieß, wollten sie dem Volk die Augen öffnen, daß »die Alldeutschen durch ihre aufreizenden Schriften und deren Wirkung im Ausland eine wesentliche Mitschuld an diesem Kriege tragen«. Da Delbrück das erwünschte überparteiliche Honoratiorenkomitee zur Förderung des Büros nicht zustandebrachte, bat er zwei Kollegen in Kiel und Leipzig, den Theologen Otto Baumgarten und den Historiker Walter Goetz (bis kurz zuvor in Straßburg), um ihre Unterstützung bei der Einwerbung und Verwaltung von Mitteln. Schließlich bildeten Professoren unter den 64 namentlich bekannten 245 Ohne Quellenangabe zitiert in Delbrück, Kanzlerwechsel (wie A. 201), S. 303. Mög licherweise aus Eduard Meyer, Die Politik Bethmann Hollwegs, in: Tägliche Rundschau 360, 17.7.1917, zit. bei Bernd Sösemann, »Der kühnste Entschluß führt am sichersten zum Ziel.« Eduard Meyer und die Politik, in: William M. Calder III /Alexander Demandt (Hg.), Eduard Meyer. Leben und Leistung eines Universalhistorikers, Leiden u. a. 1990, S. 446–483, hier 462 f. A. 62. 246 Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 120 und 248 A. 205. 247 Nottmeier, Harnack, S. 439 f.
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Förderern die stärkste Gruppe. Die Reichsleitung nahm das Angebot zur Bekämpfung der alldeutschen Propaganda zunächst an, wies es aber schon bald wieder zurück. Öffentliche Mittel erhielt das Büro nicht, und Hobohm, der für die Arbeit in der Zentralstelle für Auslandsdienst vom Kriegsdienst freigestellt worden war, wurde nun nicht weiter vom Auswärtigen Amt oder der Reichskanzlei reklamiert und im Frühjahr 1917 eingezogen. Dabei begann die publizistische Offensive damals gerade erst, da Delbrück gefürchtet hatte, durch ein verfrühtes Hervortreten die Öffentlichkeit noch weiter zu spalten. Nun wollte er seinen Schüler und Gießener Historikerkollegen Roloff für die Leitung des Büros gewinnen, doch lehnte dieser ab. Und Hobohm kehrte erst nach seiner Verwundung 1918 wieder dorthin zurück.248 In diesem Jahr gab er eine Flugschriftenreihe, Die Volksaufklärung, wie auch eine Broschürenreihe, Der Tag des Deutschen, heraus.249
Innenpolitische Gegensätze zwischen den rivalisierenden Richtungen Die Gegensätze zwischen den verschiedenen Gruppen, die zunächst vor allem auf den unterschiedlichen Vorstellungen über die Kriegsziele beruhten, ver festigten sich durch die Auseinandersetzungen über innenpolitische Probleme noch weiter. Das betraf die für die Kriegszielfrage so wichtige Zensurpolitik, aber auch das wachsende Mißtrauen gegen die Reichsleitung, die in ihren politischen Leistungen mit den militärischen Erfolgen nicht mithalten konnte. Und während die Annexionisten mit »massendemagogischen Mitteln« arbeiteten, um ihre Ziele durchzusetzen, also die Außenpolitik quasi ›demokratisierten‹, »gaben sich die Gemäßigten gouvernemental«. Die Annexionisten wollten innere Probleme durch außenpolitische Erfolge (d. h. Gebietserwerb) ›lösen‹; dagegen wandten sich die Gemäßigten, die im August 1914 quasi die Verwirk lichung der nationalen Gemeinschaft erlebt hatten, nun der Umsetzung dieser Erfahrung in die Verfassungsstruktur zu.250 Dabei ging es vor allem um die Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts in Preußen. Erste vertrauliche Vorschläge in dieser Richtung hatte schon bald nach Kriegsbeginn der Freiburger Nationalökonom Schultze-Gaevernitz gemacht, Troeltsch und Meinecke hatten 248 Döring, Der Weimarer Kreis, S. 37–40. 249 Einen Titel der Flugschriftenreihe s. u. A. 353. Die ersten sieben Titel der Broschürenreihe, darunter ein 228 S. zählendes Doppelheft Vaterlandspolitik, von Hobohm selbst herausgegeben als »Erste Auswahl aus der Deutschen Korrespondenz«, nach der Werbeanzeige in Nr. 2 (s. u. A. 344). 250 Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 125–130. Zur Anwendung populistischer Mittel bei den Alldeutsch-Konservativen und Ablehnung bei den Gemäßigten zugespitzt auch Boris Barth, Dolchstoßlegenden und politische Desintegration. Das Trauma der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg 1914–1933, Düsseldorf 2003, S. 123.
588 Die Universitäten im Kriegseinsatz damals sogar öffentlich von der Erweiterung der politischen Rechte des deutschen Volkes gesprochen und auf das Wahlrecht angespielt. Delbrück dagegen entwickelte den Plan erst ein Jahr später, als, wie es scheint, neuen Gedanken für das Programm der von seinem Juristenkollegen Kahl geleiteten Freien Vaterländischen Vereinigung. Schließlich wurde die Reform des preußischen Wahlrechts zum wichtigsten Punkt einer vertraulichen Denkschrift über Leitgedanken der künftigen Innenpolitik, die Adolf von Harnack im Sommer 1916 auf Ersuchen des Reichskanzlers verfaßte.251 Max Webers Empfehlungen, die er in einer Reihe von Artikeln ab Frühsommer 1917 publizierte, liefen auf eine Parlamentari sierung des Systems und eine Demokratisierung des Wahlrechts hinaus.252 Doch waren solche Gedanken in der Professorenschaft keineswegs Konsens. Schäfer zufolge war die politische Gleichberechtigung der Staatsbürger der ungeeigneteste Weg zur Auslese der fähigsten Politiker, und der Straßburger Staatsrechtler und Rechtsphilosoph Erich Jung sprach gar von »organisiertem Dilettantismus«. Auch dessen Fakultätskollege Hermann Rehm war ein Reformgegner und erblickte in jeder Konzession bereits einen Schritt zur »Selbstvernichtung« des »monarchischen Prinzips«.253 Und ihr junger, gerade nach Marburg gewechselter Kollege Max Wundt benutzte seine »Sozialpolitische[n] Erfahrungen eines Kompagnieführers«, um »mit größter Entschiedenheit [zu] erklären: Monarchie! Monarchie! und Demokratie – um alles in der Welt nicht!«254 Er begründete dies damit, daß »[d]ie auf der Persönlichkeit beruhende Verfassung […] die dem Deutschen angemessene [sei]. Hier soll jeder an der Stelle stehen, an die ihn seine Einsicht weist und wo er einen Umkreis von Pflichten vorfindet, die seinem Willen angemessen sind. In der monarchisch-ständischen Staatsform sind diese Bedingungen noch immer am besten gewährleistet.«255
Die Liberalen dagegen hatte die erlebte ›Volksgemeinschaft‹ konzessionsbereit gemacht: Da die Sozialdemokraten ihre nationale Haltung bewiesen hatten, konnten sie mit Recht erwarten, daß man ihnen entgegenkam. In diesem Sinne beteiligten sich etwa die Berliner Professoren Meinecke und Anschütz schon 1915 an einem Sammelband über Die Arbeiterschaft im neuen Deutsch land, während man den Namen Dietrich Schäfers dort vergeblich sucht.256 Das 251 252 253 254
Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 130 f. und 251 A. 39, S. 145. Zusammengefaßt bei Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 134–142. Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 151–153, Zitat Jung 153, Zitat Rehm 152. Das sind die Schlußworte seines Aufsatzes: Wundt, Sozialpolitische Erfahrungen, S. 748. Zu seinen Kriegserfahrungen s. o. S. 359–361. 255 Wundt, Sozialpolitische Erfahrungen, S. 747. 256 Analog gehörte von den Historikerkollegen an süddeutschen Universitäten Hermann Oncken zu den Autoren, Georg von Below aber nicht. Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 41 mit 208 A. 238.
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Buch war von Meineckes Freund Thimme, dem (bislang eher national- konservativ orientierten) Bibliothekar des Preußischen Herrenhauses, herausgegeben worden und vereinigte je zur Hälfte Autoren aus der Gelehrtenwelt bzw. der SPD samt Gewerkschaften. Bis spätestens 1917 hatten sich die Lager so weit konsolidiert, daß alle, die gegen die Alldeutschen waren, auch für die Einführung des gleichen Wahlrechts plädierten.257 In seiner Osterbotschaft versprach der Kaiser (als König von Preußen) am 7. April, das Dreiklassenwahlrecht nach Kriegsende aufzuheben. Doch als der Widerstand der »konservativen Elemente« Zweifel weckte, daß dieses Versprechen überhaupt »voll zur Verwirklichung gelangen werde«, veröffentlichten sechs Berliner Professoren zusammen mit Friedrich Thimme, dem Oberbürgermeister von BerlinSchöneberg (nicht von Berlin!) Alexander Dominicus sowie dem Dozenten der Handelshochschule und (bis Sommer 1917) Leiter der Pressekontrolle der Zentralstelle für Auslandsdienst Paul Rohrbach am 30. Juni eine Erklärung zur Wahlrechtsreform. Verfaßt hatte sie Delbrück, und so erschien sie zunächst in seinen Preußischen Jahrbüchern, danach auch im Vorwärts. Die mitunterzeichnenden Kollegen waren Emil Fischer, Adolf von Harnack, Friedrich Meinecke, Walter Nernst und Ernst Troeltsch. Sie forderten, »daß die Regierung dem Landtage unverweilt eine Wahlreform vorlege, die nicht nur das allgemeine, direkte und geheime, sondern auch das gleiche Stimmrecht bringt«.258 Angesichts der Revolution in Rußland und eines bevorstehenden weiteren Kriegswinters, von dem Delbrück eine schwere innere Krise befürchtete, erschien das gleiche Wahlrecht geradezu als »Rettungsmittel«. Ähnlich argumentierte Harnack, daß nur durch Überwindung des »toten Punkts« im Innern auch außenpolitisch etwas erreicht werden könne. Ohne »innere Reformen freiheitlicher Art« werde man keinen Frieden erhalten, sondern der Krieg bis zum Ausbluten einer Partei dauern.259 Im schon eingespielten Schlagabtausch folgte auf die Erklärung der Gemäßigten gut eine Woche später ein Gegenaufruf, unterzeichnet von 22 Berliner Professoren, darunter 16 Namen, die bereits unter der Seeberg-Adresse gestanden hatten. Eine ganze Reihe von (aus unterschiedlichen Gründen) Prominenten war dabei: die Juristen Gierke, Kohler und Triepel, die Altertumswissen257 Döring, Weimarer Kreis, S. 43. 258 Die Erklärung ist (mit diesen Namen) abgedruckt in: Preußische Jahrbücher 169 (1917), S. 156 (innerhalb des Abschnitts: Innere Politik, S. 155 f.); wieder abgedruckt in: Meinecke, Politische Schriften, S. 194 (danach der Beleg zum Vorwärts 179, 3.7.1917). Auch in Gertrud Bäumers Heimatchronik (unter dem 3.7.1917) in: Die Hilfe 23 (1917), S. 451 f. Bäumers Kommentar lautet: »Die Erklärung wird ihren Eindruck darum nicht verfehlen, weil sie die Wahlrechtsreform als eine jenseits der Parteien liegende nationale An gelegenheit hinstellt, eine Notwendigkeit für Deutschland, nicht für irgendein demokratisches Prinzip als solches.« 259 Nottmeier, Harnack, S. 442–444, Zitate aus Delbrücks Brief an Valentini vom 1.7.1917 442, aus Harnacks Denkschrift für den Kanzler vom Juni 1917 443, 444.
590 Die Universitäten im Kriegseinsatz schaftler Meyer und Wilamowitz-Moellendorff, der Theologe Seeberg und der Historiker Schiemann, der Germanist Roethe und der Geograph Penck. Sie forderten eine Verschiebung der Wahlrechtsreform auf die Zeit nach dem Krieg. Aber interessanter als diese Zusammenfassung des Inhalts mithilfe zweier Begriffe, die im Text nicht einmal vorkommen, sind die gewundene Herleitung des Zugeständnisses und die Gründe für die Verschiebung. »Das ganze Volk im Felde und zuhause [habe] eine Reife gezeigt, die seine Berufung zu erhöhter tätiger Teilnahme an der Sorge um die öffentlichen Angelegenheiten rechtfertigt.« Sie plädierten also nicht für das gleiche Wahlrecht, sondern für eine (nicht genauer bestimmte) »erhöhte« aktive »Teilnahme« – und die hatten sich jene, die bisher kein Wahlrecht hatten, weil sie noch ›unreif‹ waren, im Krieg ›verdient‹. Die Unterzeichner hätten es aber für ein »Unglück« gehalten, »die endgültigen Beschlüsse schon während des Kriegszustandes« zu fassen und umzusetzen; denn zunächst müsse die ganze Volkskraft für den »Sieg über den äußeren Feind« eingesetzt werden. Der Versuch einer grundsätzlichen Umgestaltung dagegen würde »inneren Zwist« verursachen (was übrigens bislang auch die Befürworter erwartet hatten260) und damit die »Siegesaussichten schwächen«. »Vor allem wäre es [aber] schwerster Undank«, ohne die Stimmen derer zu entscheiden, deren »Heldentum« solche Beratungen über die Zukunft erst ermöglicht habe. Welche ›Entscheidungen‹ die Soldaten allerdings hätten treffen können, ist unklar – denn eine Änderung der Verfassung lag ja nicht in ihrer Macht. Der letzte Satz schließlich bestätigt die alles dominierende außenpolitische und Sieges-Orientierung: Eine jetzige Änderung würde den »Schein« erwecken, daß das Ausland einen »Einfluß« auf die staatliche Zukunftsgestaltung habe – und dieser wäre eine »nationale Schande«.261 Insgesamt also ein wortreiches Lavieren ohne konkrete Festlegung. Das Ergebnis der beiden Interventionen, der königliche Erlaß vom 11. Juli, läßt sich als Erfolg für die ›drängenden‹ Reformbefürworter deuten; man könnte darin aber auch ein gewisses Entgegenkommen gegenüber den ›Vertagern‹ sehen.262 (Das Berliner Tageblatt dagegen kommen260 Denn sie hatten »zur Vermeidung gar zu harter innerer Kämpfe« die »Verheißungen« der kaiserlichen Osterbotschaft »in Vereinbarung mit den konservativen Elementen« durchführen wollen (Beleg wie A. 259). 261 Döring, Weimarer Kreis, S. 45 f. Den Text (und die Namen der oben Genannten) findet man in: Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender (1917 I), München 1920, S. 679, die vollständige Unterzeichnerliste (laut Döring) in: Germania 314, 10.7.1917 (Eine Erklärung konservativer Gelehrter). In Bäumers Heimatchronik ist dieser Gegenaufruf nicht erwähnt. 262 Der preußische König (also Kaiser Wilhelm II.) ordnete an, dem Landtag einen Gesetzentwurf auf der Basis des gleichen Wahlrechts vorzulegen. Dies spricht, zusammen mit der raschen Reaktion, für die erste Deutung; um so mehr, als die »erhöhte tätige Teilnahme« ja nicht notwendig ein gleiches Wahlrecht meinen muß (auch wenn die Überschrift in dem erst drei Jahre später erschienenen Geschichtskalender lautet: »Kundgebung kons[ervativer] Hochschullehrer für eine Demokratisierung nach dem
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tierte die »befremdlichen Bedenken gegen eine Beschleunigung der Wahlreform« als einen »der Bremsversuche, über die schon am nächsten Tage der Erlaß des Königs (…) glatt hinwegschritt«.263)
Reaktionen auf die Friedensresolution des Reichstags Die Spaltung der Gelehrten war damit keinesfalls überwunden, sondern äußerte sich schon kurze Zeit später erneut – in der Reaktion auf die Friedensresolution des Reichstags, in der die Mehrheitsparteien (also Zentrum, Fortschritt liche Volkspartei und SPD) am 19.7.1917 einen »Frieden der Verständigung und der dauernden Versöhnung der Völker« gefordert und hinzugefügt hatten: »Mit einem solchen Frieden sind erzwungene Gebietserwerbungen und politische, wirtschaftliche oder finanzielle Vergewaltigungen unvereinbar.« Den 216 Unterstützern der Resolution hatten 116 Vertreter der anderen Parteien widersprochen.264 Diese Resolution kam trotz des Sturzes des Kanzlers B ethmann Hollweg und nach Gesprächen mit seinem Nachfolger zustande, der sie (zunächst) auch als Rahmen akzeptierte, innerhalb dessen er seine Ziele verwirklichen könne. Da er in seiner ersten Rede zudem keine Richtungsänderung ankündigte, war Delbrück zufolge »was vor drei Tagen noch Landesverrat war, (…) heute die anerkannte deutsche Politik.«265 Angeblich auf Anregung »außerakademischer Stellen« hin sammelte nun der deutschbaltische Historiker in Tübingen Johannes Haller Unterschriften von Gelehrten als desjenigen »Standes«, der »am wenigsten dem Vorwurf eigennütziger Sonderinteressen ausgesetzt« sei.266 Der Wortlaut sei »zwischen Angehörigen der benachbarten Hochschulen Freiburg, Hohenheim, Straßburg, Stuttgart und Tübingen vereinbart«, hieß es in einem Begleitschreiben, das auch der Presse zugespielt und vom linksliberalen Berliner Tageblatt als auf einer Linie mit der Unterschriftensammlung für die Seeberg-Adresse liegend bewertet
Kriege«). Dagegen schob die Anweisung, daß die Vorlage so rechtzeitig erfolgen solle, daß die nächsten Wahlen bereits nach dem neuen Wahlrecht stattfinden könnten, die Umsetzung auf jeden Fall bis Ende 1918 hinaus, denn die Wahlperiode dauerte bis 15.11.1918, und die Wahlen hatten bislang immer erst nach Ablauf der Wahlperiode stattgefunden. 263 Der neue Rektor der Berliner Universität. Geheimrat Albrecht Penck gewählt, in: BT 389, 2.8.1917 AA . 264 Außerdem gab es 17 Enthaltungen. Wilhelm Ribhegge, Frieden für Europa. Die Politik der deutschen Reichstagsmehrheit 1917/18, Berlin 1988, S. 183–185; zu den Gesprächen mit Michaelis (und dessen sich bald wieder ändernder) Haltung 182 f., 187, 189. 265 Delbrück, Kanzlerwechsel (wie A. 201), S. 303–305, Zitat 305. 266 Nach dem Schreiben, das zur Unterzeichnung aufforderte, zit. bei Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 160.
592 Die Universitäten im Kriegseinsatz wurde.267 Auf diese Weise kam eine Erklärung von 906 Hochschullehrern zustande, die schließlich am 4. Oktober 1917 veröffentlicht werden konnte. Darunter waren die Berliner Juristen Conrad Bornhak, Otto von Gierke, Heinrich Triepel sowie ihre Kollegen Karl von Stengel (München) und Erich Jung (Straßburg). Für sich selbst Unparteilichkeit reklamierend, sprachen sie es der aktuellen »Mehrheit des vor fast sechs Jahren unter völlig anderen Verhältnissen gewählten Reichstages« ab, »gegenüber den heute zur Entscheidung stehenden Lebensfragen den Volkswillen in unzweifelhafter Weise zum Ausdruck zu bringen.« Doch setzten sie ihre Zuversicht in die »berufenen Leiter von Heer und Staat«, »einen Frieden zu erringen, wie ihn Deutschland für sein Leben und Gedeihen braucht«.268 Diese Formulierung ließ viel Interpretationsspielraum und konnte insofern schon bis zur Veröffentlichung der Eingabe unter den Hochschullehrern mehr als zweieinhalbmal so viel Unterzeichner mobilisieren wie die Seeberg-Adresse. In manchen Quellen wurden sogar noch höhere Zahlen genannt: Haller selbst und verschiedene Mitte des Monats erschienene Zeitungen gaben 1100 Unterzeichner an, in den Preußischen Jahrbüchern war sogar von 1300 die Rede.269 Haller gab sich geradezu staatsmännisch zurückhaltend: Er wolle lediglich die Verantwortung in der Friedensfrage bei jenen Stellen wissen, »bei denen sie (…) nach der (…) Verfassung zu liegen« habe – also bei der Reichsleitung, nicht beim Reichstag. Dagegen gingen manche Unterzeichner in ihren eigenen Äußerungen weit über den Erklärungstext hinaus: Einer wollte den Reichstag »zum Teufel jagen«, bei anderen klang der Wunsch nach einer Militärdiktatur an.270 Der Kreis um Delbrück befürchtete infolge dieser Kundgebung einerseits einen weltweiten Prestigeverlust der deutschen Universitäten – der allerdings infolge der früheren Gelehrtenaufrufe, allen voran An die Kulturwelt!, längst eingetreten war271 –, andererseits auch eine Schwächung jener Minderheitsgruppen der öffentlichen Meinung im Ausland, die zu einem baldigen Friedens 267 Die Agitation gegen die Reichstagsmehrheit. Ein Rundschreiben der Universitäten, in: BT 473, 16.9.1918 MA . Beim Abdruck handelt es sich um ein Rundschreiben des Göttinger Rektors vom 10.9.1917, in dem der Wortlaut der Erklärung (und zwar genau der auch im folgenden zitierten) und das Begleitschreiben zit. sind. Da in Göttingen selbst schon eine »Kundgebung zur Stärkung der berufenen Reichsleitung geplant gewesen« sei, legte er »allen Kollegen dringend ans Herz (…), die vorgelegte Erklärung zu unterzeichnen«. Die hektograph. Stellungnahme des Senats der Univ. Halle-Wittenberg zur Rede W ilsons (10.9.1917) in: UA Göttingen Sek. 38 (1). 268 Abgedruckt (mit Zahl und Kommentar der Kölnischen Zeitung) in: Schulthess’ Euro päischer Geschichtskalender (1917 I), S. 842 f.; allein der Text auch in: Böhme (Hg.), Aufrufe und Reden, S. 184 f. 269 Döring, Weimarer Kreis, S. 46 mit A. 117 (Zeitungen); Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 265 A. 247 (Preußische Jahrbücher). 270 Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 161. 271 vom Brocke, »Wissenschaft und Militarismus«; Maurer, Der Krieg der Professoren.
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schluß bereit seien, und bemühte sich deshalb um eine Gegenkundgebung. Troeltsch schrieb damals an seinen Marburger Theologen-Kollegen Martin Rade: »Die Deutschenfreunde im Ausland bitten uns fortgesetzt um Äußerungen deutscher Intellektueller, die gegen den Krieg aufs Messer und für vernünftige Besonnenheit eintreten.« Daher wollte der Delbrück-Kreis pro Universität etwa ein bis zwei Unterzeichner für die geplante Gegenkundgebung finden. Tatsächlich kam aber nur eine recht sperrige Erklärung von 49 Berliner Professoren zustande, die sie zudem an den Reichskanzler richteten.272 Darin bezogen sie sich allerdings nicht mehr direkt auf die Reichstagsresolution, hinter die man bei künftigen Friedensverhandlungen Delbrück zufolge ohnehin nicht mehr zurückkonnte,273 sondern auf eine frühere sowie auch zwischenzeitliche Friedensinitiativen und die Antwort des Reiches darauf: »Wir unterzeichneten Professoren an der Universität Berlin halten es, um entgegen gesetzten Bestrebungen nicht allein das Wort zu lassen, für unsere patriotische Pflicht, Euer Exzellenz zu erklären, daß uns die kaiserliche Friedensbotschaft vom 12. Dezember 1916 und die jetzt auf die päpstliche Note vom Deutschen Reich und seinen Bundesgenossen erteilten Antworten eine geeignete Verhandlungsgrundlage zu geben scheinen, um einen die Sicherheit, die Ehre und eine große nationale Zukunft Deutschlands gewährleistenden Frieden zu erreichen.«274
Unter den Unterzeichnern dieser knappen Erklärung275 dominierten wie schon bei der Delbrück-Adresse (und im Gegensatz zu den Annexionisten) nicht die Geisteswissenschaftler: 11 Medizinern, 17 Naturwissenschaftlern und drei Nationalökonomen standen nur 14 Geisteswissenschaftler, zwei Juristen und zwei Theologen zur Seite. Die bedeutendsten Unterzeichner waren (aus heutiger Perspektive) der Nobelpreisträger für Chemie Emil Fischer sowie mehrere künftige Nobelpreisträger: Albert Einstein, Max Born, Walther Nernst. Max Planck allerdings, der 1915 die Delbrück-Adresse unterzeichnet hatte, fehlte nun. Unter den Geisteswissenschaftlern sind Delbrück, Harnack, Hintze, M einecke, 272 Die Koordination der Unterschriftensammlung oblag dabei übrigens Hobohm. Döring, Weimarer Kreis, S. 47. Zum Versuch Meineckes, Hermann Oncken und durch ihn Eberhard »Gothein oder einen anderen bekannten Namen« für die geplante Gegenerklärung zu gewinnen, s. Meinecke an Oncken 23.9.1917, in: Meinecke, Neue Briefe, S. 232 f. 273 Delbrück, Kanzlerwechsel (wie A. 201), S. 304. Das schloß allerdings Gebietsveränderungen nicht völlig aus. S. dazu im Detail S. 307 f. (über Kurland und Livland sowie afrikanische Kolonien). 274 Nur der Text in: Böhme (Hg.), Aufrufe und Reden, S. 185; mit den Namen einiger Unterzeichner (fünf Geisteswissenschaftler, ein Jurist, ein Mediziner!) in: Schulthess’ Euro päischer Geschichtskalender (1917 I), S. 921. 275 Einige von ihnen hatten 1914 die Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches nicht unterzeichnet: Siegmund Gabriel (OHP, Chemiker), Adolf Rambeau (ao., Literaturwissenschaft), Wilhelm Traube (ao. Chemie), Johannes Orth (Medizin), Karl Franz (Medizin), Karl Moeli (ao., Medizin), Wilhelm Nagel (ao., Medizin).
594 Die Universitäten im Kriegseinsatz Troeltsch hervorzuheben, aber auch der Erneuerer der Ägyptologie Adolf Erman. Als Juristen waren Liszt und Kipp vertreten, der bedeutendste Mediziner war von Waldeyer-Hartz. Neun Unterzeichner hatten einst den Aufruf An die Kulturwelt! unterstützt.276 Drei hatten zwei Jahre zuvor noch die SeebergAdresse unterschrieben: der Chemiker Ernst Beckmann (Direktor eines KWI), der Historiker Otto Hintze und der Astronom Hermann Struve. Die Zahl 49 versuchte Delbrück als Erfolg darzustellen: denn Hallers »herumgeschickt[e]« Erklärung sei »allmählich von 1300 Hochschullehrern aller Art« unterzeichnet worden – das sei »noch nicht ein Viertel der Gesamtzahl«. Die 49 Berliner »ordentlichen und außerordentlichen Professoren« bildeten ebenfalls »ein Viertel der Gesamtzahl und das bedeutet, da die Anhänger jener Partei sich viel leichter zu einer Unterschrift bewegen lassen als diese, die entschiedene Mehrzahl.«277 Mit den leicht abwertenden Formulierungen, seiner eigenwilligen Berechnung für Berlin278 und der unterschiedlichen Gewichtung des Unterzeichnungsaktes versuchte Delbrück sein im Vergleich zum ursprünglichen Plan klägliches Ergebnis als Erfolg darzustellen. Am 12. Dezember 1916 hatte der Kanzler im Reichstag die Alliierten zu Friedensverhandlungen aufgefordert. Woodrow Wilson hatte das Angebot allerdings mit einer Forderung nach der Offenlegung der Kriegsziele zurückgewiesen.279 Indem die Professoren nun von der »kaiserlichen Friedensbotschaft« sprachen, blendeten sie den von ihnen lange unterstützten, inzwischen aber gestürzten Bethmann Hollweg aus, machten mit dem Bezug auf den Kaiser ihr Anliegen aber zugleich über ihre eigenen politischen Kreise hinaus zustimmungsfähig. Am 1. August 1917 hatte dann der Papst, übrigens auf eine Anregung Wilhelms II. bei einem Treffen mit dem päpstlichen Nuntius hin, die kriegführenden Mächte zu einem Frieden ohne Annexionen und Reparationen aufgefordert und damit einen Vorschlag gemacht, der fast der Reichstags resolution entsprach. Während die Reichsregierung noch zögerte und die britische und französische Antwort zumindest die Möglichkeit zu Verhandlungen 276 Emil Fischer, Wilhelm Foerster, Adolf von Harnack, Andreas Heusler (Germanistik), Theodor Kipp, Franz von Liszt, Heinrich Morf, Walther Nernst, Wilhelm von WaldeyerHartz. 277 [Hans] Delbrück, Die innere Krisis und die auswärtige Politik, in: Preußische Jahr bücher 170 (1917), S. 303–310, Zitat 306. »diese Partei« bezieht sich auf die Vaterlandspartei. Dazu s. weiter u. 278 Die Universität zählte im WS 1917/18 100 Ordinarien, 89 Extraordinarien und 23 Ord. Honorarprofessoren. Darauf bezogen, entsprächen 49 Unterzeichner 22,2 %, also ebenfalls ›noch nicht ein Viertel der Gesamtzahl‹. Läßt man die Honorarprofessoren unberücksichtigt, erhält man 25,9 %. Viele von letzteren dürften aber in der Berliner Gesellschaft und Öffentlichkeit eine gewichtigere Rolle gehabt haben als mancher nicht etatisierte Extraordinarius. 279 Dabei nahm er auch schon die etwas spätere Konzeption eines »Friedens ohne Sieg« vorweg.
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offenhalten wollten, lehnte Präsident Wilson die Note ab und forderte zunächst eine Demokratisierung Deutschlands und Österreich-Ungarns. Zu diesen beiden Friedensinitiativen hatten inzwischen – im Januar und im September 1917 – bereits alle deutschen Universitäten gemeinsam Stellung genommen: »Das erste Mal, als des Kaisers ausgestreckte Friedenshand schnöde zurückgewiesen worden war, wandten sie sich mit dem Gelöbnis unverbrüch licher Treue an Seine Majestät.«280 In Wirklichkeit hatten sie allerdings nicht direkt auf Wilsons Antwort (vom 18.12.1916!) reagiert, sondern auf den Aufruf des Kaisers vom 12. Januar 1917 hin, in welchem dieser, nachdem die Feinde »die Maske [hätten] fallen lassen« und die »Niederwerfung Deutschlands« planten, das Volk nicht nur zum Durchhalten aufrief, sondern die erwünsche Re aktion gewissermaßen prognostizierte: »Hellflammende Entrüstung und heiliger Zorn werden jedes deutschen Mannes und Weibes Kraft verdoppeln, gleichviel ob sie dem Kampf, der Arbeit oder dem opfer bereiten Dulden geweiht ist.«281
Daraufhin schlug der Berliner Rektor vor, auf die »feindlichen Anmassungen und Vernichtungspläne« mit einer »Huldigungsadresse« zu reagieren, die »Hingebung bis zum Aeussersten gelobt« und dem Kaiser nicht nur als Telegramm zugesandt, sondern am 27. Januar auch bei der »Geburtstagsfeier in der Aula« verlesen werden sollte.282 Tatsächlich einigten sich die deutschen Universitäten auf eine solche Adresse, die aber im Vergleich zum Entwurf einige wichtige Änderungen enthielt. Daraus wird deutlich, daß sich keine Universität hatte ausschließen können, aber vielleicht doch manche Gelehrte ihren Einsatz mehr aus Pflichtgefühl denn aus persönlichem Bedürfnis versprachen. Unklar ist vor allem ein Einschub, daß alle »nur mehr eine Wissenschaft, nur ein Ziel« eine. Wollten manche angesichts der inneren politischen Gegensätze die Einheit im wissenschaftlichen Streben betonen – oder wird damit der gesamte Einsatz der Wissenschaft auf das Ziel des Sieges ausgerichtet, ja Wissenschaft und Kampf gar gleichgesetzt? Der Schluß wurde jedenfalls pathetischer gestaltet, indem man statt »wie unsere Kommilitonen« nun »getreu« ihrem »deutschen Sinne« handelte. Deren Parole »Mit Gott für König und Vaterland« war, mit angepaßter Titulatur, ohnehin von Anfang an Bestandteil des Gelöbnisses.283 Bei der zweiten gemeinsamen Aktion beschlossen die Rektoren der deutschen Universitäten anläßlich der (für sie) »unerhörten Sprache des Präsiden 280 So der Berliner Rektor in seinem Jahresbericht: Bumm, Amtsjahr 1916/17, S. 7. 281 Abgedruckt in: Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender (1917 I), S. 24 f. 282 Rektor der Berliner an die Rektoren der übrigen deutschen Universitäten 17.1.1917 und 24.1.1917 (letztes Zitat): UA Gi PrA 1387, fol. 76, 77. Zur Feier des Kaisergeburtstags vor und in dem Krieg s. den entsprechenden Unterabschnitt u. in Kap. IV.8. 283 Die hier kursivierten Worte wurden nach dem Zirkulieren des Entwurfs eingefügt. Endfassung: UA Gi Pr A 1387, fol. 78; der Entwurf fol. 75. Ausführlich zit. u. S. 1089.
596 Die Universitäten im Kriegseinsatz ten der Vereinigten Staaten« bei der Zurückweisung der päpstlichen Note einen Aufruf »an die Studenten und die akademischen Kreise«.284 Die Initiative dazu ging wiederum vom Berliner Rektor aus, der zunächst bei seinen Kollegen an den anderen Universitäten nach ihrer prinzipiellen Bereitschaft fragte und dann, als sie zustimmten, einen Entwurf versandte, den fast alle Universitäten ohne jegliche Änderung annahmen. Nur zwei erbaten minimale sprachliche oder Verfahrens-Korrekturen.285 In dem Aufruf an »die jungen und die alten Kommilitonen« (also die Studierenden und die akademischen Kreise überhaupt) deuteten sie die amerikanische Reaktion als Versuch, »die Fackel der Zwietracht zwischen uns zu werfen« – nachdem die »geeinte Kraft« der Deutschen allen Stürmen der drei Kriegsjahre »siegreich Trotz« geboten habe. Gegen diese »unerhörte Anmassung« erhoben sie »Einspruch«: »Regierung und Volk zu trennen und dadurch unsere Macht zu brechen, wird niemals gelingen!« Deshalb sollten alle Studierenden und Absolventen aufs neue ihre Treue bekennen und sich für Kaiser und Reich einsetzen, die »unzertrennlich« die »Bürgen deutscher Einigkeit und Größe« sowie »eines siegreichen Friedens« blieben, für welchen schon so viele gestorben seien.286 Dieser Aufruf wurde nicht nur an den Schwarzen Brettern der Universitäten angeschlagen und der Presse übergeben, sondern auch dem Kaiser, dem Reichskanzler, dem Reichstagspräsidenten sowie Hindenburg als Oberbefehlshaber. Für Kanzler Michaelis war der Aufruf »in würdigster Wahrung großer Traditionen« verfaßt; der Kaiser nahm davon »mit besonderer Befriedigung Kenntnis«. Hindenburg beteuerte gar, er sei ihm »aus der Seele geschrieben«.287 Während die Universitäten über ihre Reaktion auf Wilsons Note noch korrespondierten, hatte der Reichskanzler am 19. September endlich auch auf die päpstliche Note reagiert und noch einmal die alte Friedensliebe des deutschen Kaisers und die »unheilvolle Verkettung von Ereignissen« herausgestellt, die zum Krieg geführt habe. Außerdem beteuerte er wortreich die Übereinstimmung mit den Friedensvorstellungen des Papstes und die Bereitschaft Deutschlands, durch Etablierung internationaler Schiedsverfahren und Abrüstung eine friedliche Welt herzustellen, auf die dieses durch seine geographische Lage und wirtschaftlichen Bedürfnisse besonders angewiesen sei.288 Angesichts dieser Erklärung hatte der Kreis um Delbrück offensichtlich schon gehofft, Haller könnte die geplante Erklärung vielleicht aufgeben. Aber für den Fall, daß er sie 284 So der Berliner Rektor in seinem Jahresbericht: Bumm, Amtsjahr 1916/17, S. 7. 285 Diese Informationen vor allem nach den drei Rundschreiben des Berliner Rektors vom 10., 15. und 25.9.1917, alle in: ADBR 103 AL 1429. 286 Der Text bei Bumm, Amtsjahr 1916/17, S. 8; der Entwurf (von dem nur noch ein Wort geändert worden war) in: ADBR 103 AL 1429. Mit Änderung der Interpunktion auch in: Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender (1917 I), S. 815 f. 287 Abschriften ihrer Dankschreiben in ADBR 103 AL 1429. 288 Abgedruckt in: Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender (1917 I), S. 801 f.
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doch veröffentliche, bereitete man eine eigene Gegenerklärung vor289 – die dann allerdings auch noch der zur gleichen Zeit vorbereiteten gemeinsamen Adresse aller Universitäten Rechnung tragen mußte. Diese Rücksichtnahme erklärt wohl das spröde und vorsichtige Schreiben der 49 Berliner an den Reichskanzler von Mitte Oktober, 10 Tage nach der Veröffentlichung der von Haller initiierten Erklärung, die so viele Kollegen unterschrieben hatten wie seit der Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reichs im Oktober 1914 keine andere mehr. Einerseits scheinen die Adresse der Rektoren vom Januar 1917 und ihr Aufruf Ende September auf eine große Einmütigkeit unter den deutschen Univer sitäten zu deuten. Diese zeigte sich im Herbst in der raschen Zustimmung zu der geplanten Aktion und dann auch zum Entwurf. Und außer Berlin hatte mindestens eine weitere Universität, die Hallenser, dieselbe Idee gehabt.290 Andererseits belegte aber die kurz darauf veröffentlichte, von Haller initiierte Erklärung und die bald folgende ›Gegeneingabe‹, daß von Einigkeit in der Professorenschaft keine Rede sein konnte. Außerdem regte sich z. B. in Straßburg Skepsis, als die Universität Breslau bereits am 1. Oktober eine weitere Erklärung abgab und die anderen Universitäten aufforderte, es ihr nachzutun. Sie beteuerte darin ihren Glauben an den Sieg und Durchhaltewillen des deutschen Volks und ihre »Hoffnung, daß alle offenen und dunklen Bestrebungen, welche geeignet sind, die deutsche Siegeszuversicht und den deutschen Willen zu erschüttern, als Versündigung am Vaterlande anerkannt werden.«291 Diese Erklärung war also nicht gegen ausländische Mächte gerichtet, sondern nach innen. Vermutlich war das auch der Grund für die Skepsis; denn genau das mußte ja die am Anfang des Krieges und gerade erneut beschworene Einheit gefährden. Als der Straßburger Rektor Mayer dem Senat den Hallenser Vorschlag vorlegte, schrieb der Botaniker und Prorektor Ludwig Jost dazu: »Meines Erachtens leiden wir am meisten darunter, daß so viel den ›Ueberzeugungen Ausdruck verliehen (!)292 wird und daß jede Kundgebung der einen Seite eine Reizung der anderen Seite bewirkt. Deshalb möchte ich vorschlagen, wir verschliessen unsere Ueberzeugung im Herzen.«
Dem pflichteten alle seine Senatoren-Kollegen bei.293 289 S. dazu den Brief Troeltschs an Martin Rade vom 23.9.1917, zit. bei Döring, Weimarer Kreis, S. 47 A. 119. 290 Rektor und Senat Halle an Rektoren der Universitäten und THs 10.9.1917: ADBR 103 AL 1429. Der Hallenser Vorschlag stammte also vom selben Tag wie der Berliner! 291 Rektor und Senat der Schles. FWU Breslau an Rektoren der deutschen Universitäten und THs 1.10.1917: ADBR 103 AL 1429. 292 Die Schließungszeichen für das Zitat im Zitat fehlen oder sind im Falz des Faszikels hinter »verliehen« verborgen. 293 Notiz auf dem in A. 291 genannten, am 11.10. dem Senat vorgelegten Schreiben. Auch der Senat der 1914 gegründeten Universität Frankfurt nahm Hallers Unterschriftenbitte
598 Die Universitäten im Kriegseinsatz Hätte es noch eines letzten Beweises für die Gespaltenheit der deutschen Professorenschaft bedurft, die auch durch den sozialen Loyalitätsdruck und den staatlichen Charakter der Universität nicht überwunden werden konnte, so lieferten ihn diese gegensätzlichen Haltungen der Breslauer und Straßburger Gremien.
Weitere Polarisierung durch Verfestigung der Spaltung: Vaterlandspartei vs. Volksbund für Freiheit und Vaterland Inzwischen war ja am 2. September, also am Sedantag, der an den entscheiden den Sieg 1870 erinnerte, die Deutsche Vaterlandspartei gegründet worden, die sich – trotz des Namens – als überparteiliche Bewegung verstand. Letztlich stellte sie eine »Mischung aus politischen Verbänden und außerparlamentarischer Opposition« dar.294 Sie hatte kein Programm, sondern (offiziell) nur ein einziges – außenpolitisches – Ziel: den Siegfrieden; auf dem Weg dahin aber vielleicht doch auch ein innenpolitisches: die »faktische Diktatur der OHL auch politisch abzustützen«295. Dabei standen die Mäßigung der Vaterlandspartei in der Öffentlichkeit (die besonders im ersten Aufruf hervorgekehrt wurde) und ihre innere Radikalität in starkem Kontrast. Zwar behauptete sie im ersten Aufruf vom 9. September 1917, daß »weite Kreise des Deutschen Volkes (…) mit der Stellungnahme der gegenwärtigen Reichstagsmehrheit zu den wichtigsten Lebensfragen des Vaterlandes nicht überein[stimmten].« Doch enthielt sie sich zunächst weiterer Angriffe und stellte statt dessen die Einigkeit in den Vordergrund. Innenpolitische Streitfragen und Verfassungsänderungen sollten bis zum Ende des Krieges vertagt werden. Entsprechend ihrer Beschränkung auf ein einziges Ziel stellte die Partei auch keine Kandidaten für den Reichstag auf und versprach, sich nach Kriegsende wieder aufzulösen. Ihr spiritus rector und Motor war zwar Wolfgang Kapp (der künftige Putschist), doch hatte Dietrich Schäfer schon am Gründungsaufruf mitgewirkt, obwohl das Ereignis in Königsberg stattfand und »ostpreußische Männer« den Aufruf unterzeichneten. Außerdem wurde er Mitglied des zehnköpfigen Parteivorstands. Zudem stellte sein Unabhängiger Ausschuß (der separat weiterbestand) seine Vertrauensmänner in ganz Deutschland für die Parteiarbeit zur Verfügung. Auch der All-
nur kühl zur Kenntnis und wies die Anregungen aus Halle und Breslau als »durch die Ereignisse überholt« dankend ab (Paul Kluke, Die Stiftungsuniversität Frankfurt am Main 1914–1932, Frankfurt a. M., 1972, S. 176). 294 Bruendel, Volksgemeinschaft oder Volksstaat, S. 289. 295 Forts. des Zitats: »mit dem Ziel den Reichstag aufzulösen«. So Dirk Stegmann in seiner Rezension von Hagenlücke, Vaterlandspartei, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 47 (1999), S. 952 f., hier 953.
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deutsche Verband leistete anfangs Hilfestellung beim organisatorischen Aufbau (doch entwickelte sich bald ein Konkurrenzverhältnis zwischen beiden). Den Sedantag hatte übrigens der Historiker der Universität Berlin, inzwischen aber Hamburger Professor, Max Lenz ins Spiel gebracht, als man im Vorfeld bei ihm als möglichem Vorsitzenden eines zunächst geplanten Bismarck-Bundes sondierte.296 Auch der Ort Königsberg sollte durch damit verbundene histo rische Assoziationen vermutlich mobilisierend wirken: Dort hatte sich der Kurfürst von Brandenburg 1701 selbst zum »König in Preußen« gekrönt, und das Datum war 170 Jahre später zum Datum der Reichsgründung genommen worden. Dort hatte General Yorck zusammen mit den ostpreußischen Landständen 1813 die Landwehr geschaffen und in seiner Ansprache an die Stände Sieg oder ehrenvollen Tod versprochen. Mit einer Postkarte zur Jahrhundertfeier der Befreiungskriege war 1913 daran erinnert worden.297 Und nun fand die Gründungsversammlung der Vaterlandspartei genau im Yorck-Saal der Ostpreußischen Landschaft statt!298 Außer Schäfer war eine Reihe weiterer Professoren maßgeblich an der Vaterlandspartei beteiligt: Aus Berlin noch Eduard Meyer, Reinhold Seeberg, U lrich von Wilamowitz-Moellendorff, aus Freiburg Georg von Below, aus Halle der Historiker Richard Fester, aus Leipzig ein weiterer Historiker, Erich Brandenburg, aus Münster der Linguist Otto Hoffmann, als einer der wenigen Vertreter des Zentrums schließlich der Freiburger Historiker Heinrich Finke. Im Reichsausschuß vertreten waren außerdem der Breslauer Althistoriker W alter Otto, der Freiburger Psychiater und Neurologe Alfred Hoche, der Würzburger Theologe Franz Kiefl – und zwei Gießener: der Direktor der UB und Kirchenhistoriker Hermann Haupt sowie der Gynäkologe Opitz. Auch auf der örtlichen Ebene der Universitätsstädte und in den Landesverbänden spielten Professoren eine wichtige Rolle, etwa in München, Freiburg, Göttingen oder 296 Hagenlücke, Vaterlandspartei, bes. S. 89 (Vertrauensleute des Unabhängigen Ausschusses), 151 (Sedantag), 161 (erster Aufruf), 352 und 359 (Verhältnis zum Alldeutschen Verband); Text des Aufrufes in Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender (1917 I), S. 783–785, Zitat 783. Dort außerdem S. 782 f. ein Telegramm an den Kaiser und 783 an Hindenburg sowie jeweils die Antwort beider. 297 Die »Jahrhundert-Postkarte«, die die beiden Jahreszahlen am linken und rechten äußeren Rand trug, zeigt ein Monumentalgemälde von Ludwig Dettmann, darunter Yorcks Worte: »Ich hoffe, die Franzosen zu schlagen, wo ich sie finde – – ist die Übermacht zu gross, nun, so werden wir ehrenvoll zu sterben wissen.« http://museum.zib.de/sgml_ internet/img_disp.php?img=pk000425&width=600 (30.9.2014). 298 Bei Hagenlücke, Vaterlandspartei, S. 148 f., 154 wird zwar Kapps ursprüngliche Absicht, die Bewegung von den Hansestädten aus in Gang zu bringen, besprochen, aber die Frage nach der Wahl Königsbergs nicht einmal gestellt. Völlig abwegig erscheint die Klassifizierung einer »Hinterzimmer-Gründung in Königsberg«, aus der erst Dietrich Schäfer mit seinem Organisationstalent »eine große Bewegung« gemacht habe (Ackermann, Geburt des modernen Propagandakrieges, S. 233).
600 Die Universitäten im Kriegseinsatz Marburg.299 Für die gezielte Werbearbeit unter den Studenten bediente sich die Vaterlandspartei eines besonderen, von Haupt verfaßten Flugblattes, das die Gründung akademischer Ortsgruppen anregen sollte.300 Außerdem stellte er als alter Burschenschafter in deren Verbandszeitschrift die Gründung der Vaterlandspartei als »wahre Erlösung« in einer Situation äußerster Zuspitzung zwischen den Vertretern einer Neuorientierung und Demokratisierung Deutschlands einerseits und den »Anhänger[n] des alten Preußentums« andererseits dar. Als Beleg dafür, daß sie die von ihr geforderte »innere Einigkeit« auch tatsächlich bewirkte, führte Haupt einen Gießener sozialdemokratischen Stadtrat an, der zweiter Vorsitzender der Ortsgruppe war.301 Unter den Gebildeten stieß die Vaterlandspartei auf große Zustimmung. Sie war eine ausgesprochen bürgerliche Partei, und die Arbeit vor Ort wurde vor allem von Lehrern und Geistlichen geleistet.302 Ihre Unterstützung unter den Gelehrten belegen nicht nur die in Führungspositionen engagierten, sondern auch die Unterschriften unter Hallers Erklärung gegen die Reichstagsmehrheit, welche von einem Viertel bis einem Drittel aller Hochschullehrer mitgetragen wurde. Gelegentlich wird sogar behauptet, daß »die Mehrheit der deutschen Hochschullehrer und Gymnasiallehrer (…) der Bewegung nahe« gestanden habe. Das geschieht aber ohne Beleg303 – und ist aufgrund der unscharfen Formulierung zugleich schwer widerlegbar. Die genauen Proportionen lassen sich für die Lehrkörper der meisten Universitäten nicht ermitteln; denn dafür bedürfte es der Mitgliederlisten der Ortsgruppen der Partei.304 Allein die Addition zufällig in diversen Quellen 299 Die Zusammensetzung der Leitungsgremien nach Hagenlücke, Vaterlandspartei, S. 165– 167; zu Professoren in der Münchner Ortsgruppe, die zugleich führend im Landesverband waren, S. 229 und 236. Einige weitere dort nicht genannte Namen nach Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 161 f. und nach Dirk Stegmann, Die Erben Bismarcks. Parteien und Verbände in der Spätphase des Wilhelminischen Deutschlands. Sammlungspolitik 1897–1918, Köln u. a. 1970, S. 505 A. 366a. Zur Göttinger Ortsgruppe (mit über 1000 Mitgliedern und dem Theologen Carl Mirbt als Vorsitzendem): Cordula Tollmien, Die Universität Göttingen im Kaiserreich, in: Rudolf von Thadden/Günter J. T rittel (Hg.), Göttingen. Geschichte einer Universitätsstadt. Bd. 3: Von der preußischen Mittelstadt zur südniedersächsischen Großstadt 1866–1989, Göttingen 1999, S. 357–393, hier 389 f.; zur Marburger Ortsgruppe: Wettmann, Heimatfront Universität, S. 371–374. 300 Empfehlenswerte Schriften, in: Mitteilungen der Deutschen Vaterlands-Partei Nr. 16, 10.6.1918, S. 4 (freundl. Mitteilung von Dirk Stegmann 13.11.2011). 301 [Hermann] Haupt, Die Deutsche Vaterlandspartei, in: BB 32/1 (WS 1917/18), S. 114 f. Dieser Artikel wurde in den Mitteilungen der Deutschen Vaterlands-Partei 7, 4. März 1918, S. 1 nachgedruckt (Mitt. von Dirk Stegmann 1.11.2011). 302 Hagenlücke, Vaterlandspartei, S. 185, 187. 303 Ribhegge, Frieden für Europa, S. 191. 304 S. selbst für Marburg, wo eine Mitgliederliste vorliegt, die vorsichtige Formulierung »und zahlreiche andere Professoren der Universität zählten zu ihren mehr oder weniger aktiven Mitgliedern« (Wettmann, Heimatfront Universität, S. 372). Im Nachlaß Kapp,
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genannter Einzelner erlaubt keinen Rückschluß auf deren Stärke in der Professorenschaft.305 Ohnehin handelt es sich dabei im allgemeinen um Funktionsträger oder Referenten bei von der Partei organisierten Veranstaltungen. Für Berlin sind außer den schon erwähnten noch die Theologen Friedrich Mahling und Karl Holl, die Juristen Heinrich Triepel und Erich Kaufmann, der Histo riker Otto Hoetzsch und der Mediziner Otto Lubarsch zu nennen (der zum Wintersemester 1917/18 hierher kam) sowie der Kustos des Instituts und Museums für Meereskunde, zugleich Sekretär des Unabhängigen Ausschusses für einen Deutschen Frieden, Walter Stahlberg.306 Hier, wo es in den verschiedenen Stadtteilen 68 eigene Ortsgruppen und über ihnen einen Berliner Landes verband gab, bildete sich außerdem eine eigene studentische Ortsgruppe der Vaterlandspartei (daneben auch eine weitere im damals noch selbständigen Charlottenburg, wo sich die TH befand). Zu den ersten Professoren, die sich für Vorträge dort zur Verfügung stellten, gehörten Wilamowitz und Roethe. Ähnliche studentische Ortsgruppen gab es damals auch in München, Halle, Heidelberg, Jena, Marburg, Greifswald und Dresden (TH).307 Im Elsaß wurde zwar die Gründung eines eigenständigen Landesverbandes der Vaterlandspartei verboten, doch war Straßburg eine der nur drei Städte des Reichslandes, in denen eine Ortsgruppe existierte.308 Vertrauensmann für Elsaß-Lothringen war der Direktor der Universitätsbibliothek und Honorarder dafür am ehesten in Frage käme, sind laut Dirk Stegmann (Hamburg) keine Ortsmitgliederlisten enthalten; das Vaterland-Jahrbuch 1919 verzeichnet nur die Führung der Ortsgruppen. 305 Die fünf von Jansen (Professoren und Politik, Tabelle S. 394–397) für Heidelberg gefundenen Professoren sind aus der Nennung in der Tagespresse oder Erwähnung in (Auto-) Biographien als Parteianhänger bekannt (Eugen von Jagemann, Friedrich von Duhn, Alfred von Domaszewski, Arnold Ruge, Julius Ruska). Der Schluß, dies seien alle (wie bei Jansens Berechnung S. 119 impliziert) ist aber nicht zulässig. Dirk Stegmann hat außer diesen weitere neun gefunden: Georg Beer, Moritz Cantor, August Horstmann, Arthur von Kirchenheim, Philipp Lenard, Friedrich Preisigke, Ernst Wilke, Max Wilms, Ernst Anton Wülfing. Ich danke ihm für diese mündl. Information vom 3.11.2011 (und konnte alle Namen im PV der Universität Heidelberg verifizieren). 306 Diese Namen verdanke ich Dirk Stegmann. Nachweis von Stahlbergs akademischer Funktion AV FWU Berlin WS 1917/18, S. 50. In dieser Funktion war er zugleich der Redakteur der periodisch (1 [1907] – 18 [1932]) erschienenen Reihe Meereskunde. Samm lung volkstümlicher Vorträge zum Verständnis der nationalen Bedeutung von Meer und Seewesen. 307 Einige Orte nach Haupt, Deutsche Vaterlandspartei (wie A. 301), S. 114, ergänzt durch Schulze/Ssymank, Das deutsche Studententum, S. 460; Pressenachweise zur studentischen Ortsgruppe in Berlin bei Fordham, Universities, S. 249 A. 70; die Vortragenden nach Basler, Zur politischen Rolle der Berliner Universität, S. 194 A. 94. Die allgemeinen Informationen über Berlin verdanke ich Dirk Stegmann (Mail vom 10.11.2011). Zu den Münchner Verhältnissen s. genauer u. S. 647–649. 308 Die beiden anderen waren Metz und Colmar. Hagenlücke, Vaterlandspartei, S. 245 A. 88.
602 Die Universitäten im Kriegseinsatz professor für Südwestdeutsche Geschichte sowie Bibliothekswesen Georg Wolfram. Außerdem gehörten der Partei noch der Jurist Erich Jung, der Altphilologe Eduard Schwartz und der Historiker Martin Spahn an.309 Zugunsten der Partei exponierte sich auch der Pädagoge Ziegler,310 der als Emeritus an einem Frankfurter Gymnasium wirkte. Eine studentische Ortsgruppe der Vaterlandspartei gab es in Straßburg nicht.311 In Gießen bekannten sich Anfang November 1917 29 Professoren zur Vaterlandspartei. Die Gründungsmitglieder hatten auch mit dem Theologen Schian gerechnet; doch dieser hatte den Beitritt abgelehnt.312 Namentlich bekannt sind außer Haupt und Opitz noch der Zoologe Johann Wilhelm Spengel, der außer etatmäßige Extraordinarius für Chemie Hans Freiherr von Liebig sowie der Geograph Sievers, der auch 1. Vorsitzender der Ortsgruppe war.313 Da offenkundig Hochschullehrer von unterschiedlichem Status erfaßt waren, müssen die 29 Parteianhänger auf die Gesamtzahl aller Professoren bezogen werden. Bei 49 Ordinarien, 30 Extraordinarien und 2 ordentlichen Honorarprofessoren im Wintersemester 1917/18 entspricht dies einem Anteil von 35,8 %. (Sollte »Professoren« entsprechend dem umgangssprachlichen Gebrauch alle Hochschullehrer meinen, also auch die 25 Privatdozenten umfassen, entsprächen die 29 Parteimitglieder einem Anteil von 27,4 %). Dies als Folie zu nehmen, um die angeblich größere Liberalität der Heidelberger Universität zu belegen,314 ist aber nicht zulässig – um so weniger, als bei dem Vergleich ja nur eine Minderheit der tatsächlichen Heidelberger Mitglieder berücksichtigt wurde.315 Innerhalb des fast 600 Mitglieder zählenden Gießener Ortsvereins der Vaterlandspartei gab es eine studentische Ortsgruppe, der die ortsanwesenden Mitglieder der Gießener Burschenschaft geschlossen beigetreten waren. Insgesamt umfaßte die studentische Gruppe Anfang Februar 1918 fast 50 Mitglieder,316 also etwas weniger als ein Fünftel der damals tatsächlich studierenden Immatri 309 Diese Namen verdanke ich, ebenso wie die Bestätigung für Meinecke, Dirk Stegmann (Hamburg). 310 Roscher, Die Kaiser-Wilhelms-Universität, S. 151. 311 Antwortentwurf (12.2.1918) auf einer entsprechenden Anfrage des Münchner Rektors an alle Universitäten 9.2.1918: ADBR 103 AL 1429. 312 Anderhub, Antoniterkreuz, S. 34 f. (Daten aus einer Nachricht des GA vom 19.11.1917). 313 Diese Informationen verdanke ich Dirk Stegmann (Hamburg). 314 »Wenn auch kaum Zahlen über die Parteipräferenzen in den Lehrkörpern anderer Universitäten vorliegen, so spricht doch ein Einzelwert wiederum für die Heidelberger Liberalität: Im um etwa ein Drittel kleineren Gießener Lehrkörper bekannten sich 29 Personen zur Vaterlandspartei – fast sechsmal so viele wie in Heidelberg.« (Jansen, Professoren und Politik, S. 119). 315 Und dies gilt schon allein wegen der Probleme der Ermittlung und faktischen Unmöglichkeit, alle zu finden. Zu den von Jansen berücksichtigten fünf (und weiteren neun!) s. o. A. 305. 316 H., Gießen, in: BB 32/1 (WS 1917/18), S. 122.
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kulierten.317 Auch in Tübingen und Göttingen schlossen sich die Studenten, wie in Gießen, dem allgemeinen Ortsverein an.318 Insgesamt zählte die Vaterlandspartei ca. 450.000 Einzelmitglieder, doch waren ihr außerdem zahlreiche nationalistische Organisationen in corpore an geschlossen. Der große Zulauf sowie der gesellschaftliche Druck, ihr beizutreten, riefen allerdings auch die Gegenreaktion des andersgesinnten Teils der Gelehrtenschaft hervor. Den Druck veranschaulichte Meinecke mit der temperamentvollen Einleitung eines Artikels vom November 1917 in der Hilfe: »Eines meiner Kinder erlebte es kürzlich in der Schule, daß die Lehrerin fragte, welche der Väter der Vaterlandspartei angehörten. So weit also geht die Benebelung gutherziger patriotischer Menschen schon, daß sie es für eine selbstverständliche Pflicht halten, zum Eintritt in die Vaterlandspartei ebenso aufzufordern, wie man zum Zeichnen von Kriegsanleihe und zur Hergabe von Goldschmuck auffordert. Es ist Zeit, mit der Vaterlandspartei Fraktur zu sprechen.«319
Meinecke entdeckte den »Gutgläubigen« die Absichten hinter der Propaganda: Wenn man gegen die Reichstagsmehrheit »eifer[e]«, um sie zu »sprengen«, so werde beim Erfolg »auch die Wahlreform auf die Sandbank geraten.« Damit war er auch schon bei den Finanziers: »Und das sollte ein Zufall der Situation sein, daß gerade die konservativen und schwerindustriellen Gegner einer durch greifenden Wahlreform sich der Vaterlandspartei so liebevoll annehmen?« Meineckes gesamte weitere Analyse basierte auf dem Zusammenhang von Innen- und Außenpolitik, die »untrennbar miteinander verschmolzen« seien. »Es ist ein ganz gefährliches Experiment, das deutsche Volk auf die Bahn der Eroberungspolitik führen zu wollen. Und das wollen nicht nur die Alldeutschen, das will auch die Vaterlandspartei, die doch nur den von den Alldeutschen gebrauten Trank etwas versüßt und gemildert und mit harmloserer Etikette versehen hat.«
Gerade die Überzeugung, der Weltkrieg sei »ein aufgedrungener[r] Vertei digungs- und Selbstbehauptungskrieg«, habe den Deutschen »den herrlichen moralischen Schwung« verliehen und damit die »unerhörte Spannkraft, mit der das deutsche Heer und Volk die Riesenlast der Weltgegnerschaft und alle durch sie verursachten namenlosen Opfer getragen« habe.320 Wer daran rüttele, stürze »den Baum unserer Kraft!« 317 Von 1321 immatrikulierten Deutschen standen 1033 im Feld, vor Ort waren also 288. 50 Mitglieder entsprächen also 17,4 %. 318 Haupt, Deutsche Vaterlandspartei (wie A. 301), S. 114. 319 Friedrich Meinecke, Vaterlandspartei und deutsche Politik, in: Die Hilfe 23 (1917), S. 700–702 (danach auch alle folgenden Zitate; der Artikel ist in der Werkausgabe [Meinecke, Politische Schriften] nicht enthalten). 320 Meinecke selbst gebraucht für »Heer und Volk« zusammen ebenfalls den Singular, wohl in Fortführung der 1914 propagierten Einheit beider.
604 Die Universitäten im Kriegseinsatz »Die Eroberungs- und Gewaltpolitik der Konservativen, Alldeutschen und Vaterlandsparteiler muß genau, wie das einst im System Napoleons I. geschah, auslaufen in eine Zurückdrängung der politischen Freiheitswünsche der Nation, in die Auf richtung eines despotischen Militarismus.«
Zwar werde nicht jeder Anhänger »die Militärdiktatur sich wünschen, die den Reichstag nach Hause schickt – aber die sachliche Konsequenz treibt sie dazu hin.« Doch »mit der Hervorkehrung ihrer reaktionären Ziele« könnten sie nicht denselben Erfolg erzielen wie mit der »anscheinend hochpatriotischen Devise« deutscher Machtsteigerung. Darin eben zeige sich »die stärkere Hebelkraft der auswärtigen Fragen«. Wenn die so gewonnenen Anhänger erst lange genug die reaktionäre Tagespresse gelesen hätten, würden sie »weich und widerstandslos auch gegen die innerpolitischen Ziele ihrer neuen Bundesbrüder«. Diese Entwicklung habe er selbst während des Krieges bei Gebildeten leider oft genug beobachtet. Nur »Verständigungsfriede und freiheitliche Neuordnung zusammen also ergeben erst die richtige Spannung des Bogens, der den scharfen Pfeil auf unsere Feinde entsenden soll.«321 Meineckes Einschätzungen stimmten weitgehend mit denen Max Webers überein, der (schon Ende September) im Widerstand gegen die für die Zukunft des Vaterlands essentielle innenpolitische Neuordnung ebenfalls das zentrale Anliegen der Vaterlandspartei gesehen hatte; denn nach einer solchen Neuordnung werde das Schicksal des Reiches nicht mehr »in der Hand jener Demagogen liegen, deren unverantwortlich lärmendes Gebaren« dazu beigetragen habe, daß sich fast die ganze Welt gegen Deutschland verbündet habe. Sie hätten »den Namen des Vaterlandes zu einer demagogischen Parteifirma herab[ge] würdig[t]«. »Die Nation aber wird zwischen Vaterland und ›Vaterlandspartei‹ zu wählen wissen.«322 Auch den alldeutschen Ursprung der Partei beurteilten Meinecke und Weber ähnlich. Letzterer sprach einem Zeitungsbericht zufolge von den »Alldeutschen, die sich heute Vaterlandspartei heißen – schon der Name ist eine Unverschämtheit!«323 Allein die Bezeichnung ›Vaterlands‹-
321 Was auf den ersten Blick aussieht wie das völlige Ignorieren der neuen hochtechnisierten Kriegführung und Massentötung, ergibt sich aus einem eingangs gebrauchten, der nordischen Mythologie entlehnten Bild: »Diejenigen braven, gutgläubigen Patrioten, die da meinen, es handele sich jetzt nur um die unmittelbaren Kriegsziele und nicht um die gesamte Neugestaltung unseres inneren wie äußeren politischen Daseins, um die Gesamtheit unserer Lebensfragen, – die gleichen dem blinden Hödur, dem ein schlauer Verführer die verderbliche Waffe in die Hand drückt, um den Baldur eines neuen, besseren Lebenstages für Deutschland zu töten« (S. 700). 322 Max Weber, Vaterland und Vaterlandspartei, in: Weber, Zur Politik im Weltkrieg, S. 322–326, hier 325 f. (zuerst in Münchner Neueste Nachrichten 494, 30.9.1917, S. 1 f.). 323 Webers Auftritt in einer von der SPD initiierten »Volksversammlung« in München am 5.11.1917 ist nicht im Redetext überliefert, sondern in vier Berichten Münchner Zei
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Partei verriet ja schon, daß Andersdenkende nicht als politische Gegner, sondern als ›innere Feinde‹ betrachtet wurden.324 Hochschullehrergruppen aus mindestens zwei Universitäten veröffentlichten Erklärungen gegen die Vaterlandspartei: aus Heidelberg am 22. Oktober und aus Gießen knapp vier Wochen später. Doch auch die Kundgebung der 49 Berliner für den Verständigungsfrieden sollte, zumindest Delbrück zufolge, als solche verstanden werden. Dementsprechend wurde der Text auch in einem Abschnitt seiner regelmäßigen politischen Korrespondenz in den Preußischen Jahrbüchern publiziert, der der Vaterlandspartei galt. Eine Partei sei per se das Gegenteil von Einigkeit und eine »Deutsche Vaterlandspartei« »von vornherein eine blutige Beleidigung« aller Staatsbürger, die das Heil des ihnen ebenso teuren Vaterlands auf anderem Wege suchten. »Nichts konnte die Einigkeit, die uns für die Fortführung des Krieges so bitter nottut, tiefer schädigen, das öffentliche Leben in Deutschland mehr in Wirrsal bringen und vergiften, als (‥) die Gründung dieser Partei«.325 In der Erklärung von 32 Heidelberger Hochschullehrern gegen die Vater landspartei finden sich Max Webers Einwände wieder. Sie veröffentlichten sie zunächst als Inserat in den beiden Lokalzeitungen, dann wurde sie von der Frankfurter Zeitung im redaktionellen Teil übernommen. Die Unterzeichner wandten sich dagegen, daß der Schriftführer der Heidelberger Ortsgruppe, ihr Kollege Julius Ruska (nichtetatmäßiger Extraordinarius für Orientalistik), in einem Rundschreiben alle Ordinarien und die Honoratioren der Stadt zum Beitritt aufgefordert hatte. Sie wiesen zum einen den »Anspruch« der Partei zurück, »einen besonders vaterländisch gesinnten Teil des Volkes zu vertreten«; denn darin sahen sie »eine Sprengung der Einheit«, wie sie trotz aktueller Streitigkeiten »seit dem 4. August 1914« bestehe. Außerdem wandten sie sich gegen den Satz »Auch Heidelberg, einst die Hochburg vaterländischen Sinnes, darf nicht zurückbleiben«, denn sie erkannten darin die »Anmaßung, daß die vaterländische Gesinnung (…) nach dem Maßstab des Anschlusses an die DVP zu bemessen sei.« Der Aufruf schloß mit dem Satz: »Wir kennen keine ›Vaterlandspartei‹, sondern nur ein allen Parteien gemeinsames Vater
tungen. Das Zitat aus: Münchner Neueste Nachrichten 562, 6.11.1917, nach: Max Weber, Gegen die alldeutsche Gefahr, in: Zur Politik im Weltkrieg, S. 724–727, Zitat 726. Der Name als »Unverschämtheit« auch im Bericht der Münchner Post 258, 6.11.1917, S. 4 f. (im Wiederabdruck S. 730 f., Zitat 730). Vgl. auch den Bericht in: München-Augsburger Abendzeitung 576, 6.11.1917, S. 2: »Die Alldeutschen haben jetzt eine Metamorphose vollzogen und nennen sich Vaterlandspartei« (im Wiederabdruck S. 728 f., Zitat 728). Informationen über diese (und eine abgesagte frühere) Versammlung nach dem Editorischen Bericht, S. 720–723. 324 Bruendel, Volksgemeinschaft oder Volksstaat, S. 278. 325 Delbrück, Innere Krisis und auswärtige Politik (wie A. 277), S. 305.
606 Die Universitäten im Kriegseinsatz land.«326 Auch wenn die Initiatoren und Verfasser dieser Erklärung nicht bekannt sind, liegt eine (direkte oder indirekte) Mitwirkung Max Webers auf der Hand. Daß der Anteil derer, die sich öffentlich gegen die neue Partei wandten, in Heidelberg so hoch war, dürfte sich demnach nicht allein aus der liberalen Tradition und einem generellen Angriff der »anti-intellektuelle[n] Rechte[n]« auf den Gelehrtenstand erklären,327 sondern in erster Linie aus dem lokalen Anlaß, der den Vorwurf eines nachlassenden Patriotismus zumindest implizierte, wenn nicht suggerierte. In Gießen unterschrieben knapp vier Wochen später 19 Hochschullehrer ebenfalls eine öffentliche Erklärung gegen die Vaterlandspartei. Sie wurde zunächst in der Lokalzeitung publiziert, dann aber durch den »Korrespondenten« des Berliner Tageblatts auch überregional zur Kenntnis gebracht. Wie in Heidelberg, wurde auch hier die Reaktion durch »das bevorstehende öffentliche Hervortreten der Vaterlandspartei« vor Ort hervorgerufen. Und auch hier betonten die Unterzeichner, daß sie selbst »verschiedenen politischen Parteien« sowie »allen Fakultäten« der Universität angehörten. Wie die Heidelberger, sahen auch diese Gießener die Einheit gefährdet. Doch beriefen sie sich dabei nicht auf die künftige Entwicklung, sondern auf die seit der Neugründung beobachtete: »Wir verkennen nicht, daß die Vaterlandspartei von patriotischen Absichten geleitet wird, müssen aber ihre Tätigkeit, die, wie die Erfahrungen der letzten Wochen zeigen, durch Vermehrung der inneren Erregung nicht den Parteifrieden, sondern den Partei kampf gefördert hat, als dem öffentlichen Wohle schädlich bezeichnen.«328
Unterzeichnet hatten neun Vertreter der Philosophischen Fakultät (darunter vier Naturwissenschaftler), vier Juristen, drei Theologen, zwei Humanund ein Tiermediziner.329 Acht der 19 waren relativ neu im Gießener Kollegium, also erst 1912–1917 durch Berufung, Habilitation oder Ernennung zum nichtetatisierten Extraordinarius kooptiert worden.330 Doch mit ihnen zusam326 Die Gelehrtenerklärung ist abgedruckt in Weber, Zur Politik im Weltkrieg, S. 768. Zum vorausgegangenen Aufruf (mit Zitaten) s. den Editorischen Bericht S. 767 f. Position Ruskas nach: Personal-Verzeichnis der Ruprecht-Karls-Universität WS 1917/18, Heidelberg 1917, S. 12. Hampe notierte, daß von den 32 Unterzeichnern »etwa zwei Drittel jüdisch« seien und bedauerte es nach einer »sehr maßvoll[en]« »Vaterlandsversammlung« »doch nicht zu fehlen« (Hampe, Kriegstagebuch, S. 609, 22.10.1917). 327 So Jansen, Professoren und Politik, S. 117, der den Aufruf zum Beitritt offenbar nicht kannte. 328 Gießener Hochschullehrer gegen die Vaterlandspartei, in: BT 591, 19.11.1917 MA (Hervorhebung i. O.). 329 Dabei handelte es sich um 13 Ordinarien, einen Ordentlichen Honorarprof., zwei eta tisierte Extraordinarien, zwei nichtetatisierte und einen Privatdozenten. 330 Die Berufungen betrafen den Indogermanisten Hermann Hirt und den Zivilrechtler Leo Rosenberg (beide 1912), den Rechtshistoriker (und Enkel Droysens) Rudolf Hübner und den Öffentlich-Rechtler Hans Gmelin (1913), den Physiko-Chemiker Karl Schaum
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men unterschrieben diese Erklärung Professoren, die seit über einem Jahrzehnt in Gießen wirkten – der Tiermediziner Paul Martin (1901), der Kriminalist Wolfgang Mittermaier (1903), der Theologe Samuel Eck und der Philosoph August Messer, auch der nichtetatisierte Extraordinarius für Philosophie Walter Kinkel (alle 1904), der Physiker Walter König (1905), der Dermatologe Albert Jesionek (1906, ebenfalls nicht etatisiert), der Internist Fritz Voit (1907) – und nicht zu vergessen der Kirchenhistoriker Gustav Krüger, der bereits über ein Vierteljahrhundert in Gießen wirkte (1891)! Der Initiator dieser Erklärung, der Historiker Roloff,331 stand gewissermaßen zwischen den ›Neuen‹ und den schon länger Eingesessenen: Der Delbrück-Schüler, der mit dem Berliner ›Führer‹ der gemäßigten Professoren in ständigem Kontakt war, lehrte seit 1909 in Gießen. Eine ähnliche Brückenfunktion hatte im Status-Sinne der Physiker Karl Uller.332 Unter welchem Gesichtspunkt man die Unterzeichner auch betrachtet – Fach, Status, Anciennität –, sie bildeten in jeder Hinsicht eine heterogene Gruppe, und mit Mittermaier und Krüger waren auch zwei Kriegsteilnehmer darunter. An Repräsentativität fehlte es der Gruppe vor allem deshalb, weil von den Fakultäten die Medizinische333 und von den Statusgruppen die Privat dozenten kaum vertreten waren. Doch wenn die Unterzeichner der ›Gegen-‹Erklärung im Vergleich zu 29 Kollegen, die die Vaterlandspartei unterstützten, als Minderheit erscheinen, ist zu bedenken, daß vermutlich beide Seiten Sympathisanten hatten, die sich in kei ner Form öffentlich bekannten. Zudem exponierte man sich mit einer namentlichen und veröffentlichten Stellungnahme stärker als mit dem Beitritt zur Ortsgruppe einer Partei. Deshalb sind die Zahlen für Unterstützer und Gegner nicht wirklich vergleichbar. Straßburger und Berliner scheinen – anders als ihre Heidelberger und Gießener Kollegen – als Gelehrtengruppe der Vaterlands
(1914), den Theologen und Religionshistoriker Wilhelm Bousset (1916). Der Meteorologe Richard Assmann, der bis 1914 Direktor des Aeronautischen Observatoriums in Reinickendorf gewesen war, lehrte seit seiner Pensionierung als Ord. Honorarprof. in Gießen. Der Philosoph Reinhard Strecker, bisher Direktor einer Höheren Mädchenschule in Friedberg, hatte sich gerade erst 1917 habilitiert (und sollte nach dem Krieg zwei Jahre lang Kultusminister [SPD] im neuen Volksstaat Hessen werden). Zu Assmann http://de.wikipedia.org/wiki/Richard_Aßmann (4.11.2011) (Schreibung des Namens in BT (s. A. 328) und im Gießener PV: Assmann; zu Uller: http://www.karl-uller.de/index. html (4.11.2011); http://de.wikipedia.org/wiki/Reinhard_Strecker (4.11.2011). 331 Nachgewiesen bei Döring, Weimarer Kreis, S. 49. 332 Er war zwar schon 1905 mit Walter König (einem anderen Mitunterzeichner) als Assistent nach Gießen gekommen, hatte seit seiner Habilitation 1908 als Privatdozent an der Fakultät gelehrt, doch die ›Beförderung‹ zum nichtetatisierten Extraordinarius erst 1916 geschafft. 333 Sie zählte in diesem Semester 32 Hochschullehrer (11 Ordinarien, fünf etatisierte und drei nichtetatisierte Extraordinarien sowie 13 Privatdozenten).
608 Die Universitäten im Kriegseinsatz partei nicht entgegengetreten zu sein.334 Doch führte der Berliner Kopf der ›Gemäßigten‹, Hans Delbrück, die Auseinandersetzung mit der Partei sowohl durch separate Schriften als auch in seinen Preußischen Jahrbüchern weiter – und genoß dabei zumindest Meineckes Schützenhilfe. Eine Reihe von Kritikern, allen voran Meinecke, Delbrück und Weber, enga gierten sich bald in einer Gegengründung: dem Volksbund für Freiheit und Vaterland. Die Idee eines Zusammenschlusses von Nationalliberalen mit den christlichen Gewerkschaften, Anhängern des Zentrums, der Fortschrittspartei sowie Sozialdemokraten sei aber älter als die Vaterlandspartei und von einem Freikonservativen ausgegangen, betonte Meinecke im Februar 1918 in der Straßburger Post: von dem Herausgeber der Halbmonatsschrift der Reichsund Freikonservativen Partei Das neue Deutschland, Adolf Grabowsky.335 Tatsächlich gab es bereits im Frühjahr 1917 in der Gesellschaft für soziale Reform und im Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften Überlegungen zu einem Zusammengehen. Doch in der von Meinecke erwähnten Konstellation schlossen sich die verschiedenen Gruppen erst mehr als zwei Monate nach dem Auftreten der Vaterlandspartei zusammen. Den Auftakt für die Gründung des Volksbundes bildete eine Versammlung am 14. November 1917 in Berlin, auf der zwei Reichstagsmitglieder und Gewerkschaftsführer, Johannes Giesbert (für die christlichen Gewerkschaften) und Gustav Bauer (für die sozial demokratische Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands), sowie Friedrich Meinecke sprachen.336 Ihr gemeinsames Ziel war ein Verständigungsfrieden und eine »freiheitliche Neuordnung Deutschlands«. Die offizielle Gründung folgte am 4. Dezember im Preußischen Abgeordnetenhaus – auch das (wie beim politischen Gegner) wohl ein mit Bedacht gewählter Ort. Grundlage der Tätigkeit des Volksbundes war, 334 Zwar ist in der Literatur gelegentlich von einem Aufruf gegen die Vaterlandspartei die Rede. Doch scheint dies mit der oben zit. Eingabe an den Reichskanzler gleichgesetzt oder verwechselt zu werden; denn darin geht es ja um die Friedensinitiativen, und die Stellungnahme der Reichsleitung wird gebilligt. Dagegen enthält sie kein Wort über die Vaterlandspartei, die folglich damit allenfalls implizit kritisiert werden konnte. Auch andere Autoren, die von einer Berliner Erklärung gegen die Vaterlandspartei mit 49 Unterzeichnern sprechen, beziehen sich offenbar auf diese Stellungnahme, z. B. Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 162. Etwas differenzierter: Döring, Weimarer Kreis, S. 46 f.: Statt einer »Kundgebung« in der »geplanten breiten Form« sei »nur eine Petition von 49 Berliner Professoren an den Reichskanzler« zustande gekommen. Auch Dirk Stegmann hat (am 3.11.2011 mündlich) bestätigt, daß er weder in den gedruckten Quellen (einschließlich Durchsicht der Berliner Zeitungen!) noch in den Archivalien auf eine solche Erklärung gegen die Vaterlandspartei gestoßen sei. 335 Friedrich Meinecke, Volksbund und Vaterlandspartei, in: SP 75, 10.2.1918 MA . Auch in: Meinecke, Politische Schriften, S. 222–226. 336 Manche Passagen seiner Rede sind mit dem drei Tage später in der Hilfe gedruckten Artikel identisch.
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wie es in seiner ersten Veröffentlichung hieß, die »untrennbare Verbindung von innerer und äußerer Politik«. Bereit war dieser Bund »zum versöhnenden Frieden (…) mit jedem Gegner, der ihn haben will, zum Kampfe entschlossen gegen jeden Feind, der unser Dasein und unsere Ehre antastet«. Er baute auf den großen Wirtschaftsverbänden auf, »also auf der deutschen Kraft, die dem breiten Volke entstammt«, Gewerkschaften jeder Richtung, aber auch Verbänden niederer Beamter und einem Verein der Kaufleute. Doch »rechnet[e] der Volksbund [auch] auf das geistige Deutschland« der »Einzelpersönlichkeiten«. Die darauf folgenden Sätze verweisen direkt auf die hier skizzierten Auseinandersetzungen zurück: »Der Intelligenz, die bisher im Kriege wenig bedeutet hat und wenig bedeuten konnte, weil sie politisch fast völlig ohne Fühlung war mit der Masse der Nation, und weil sie deshalb ideologische, nicht praktische Politik trieb, bietet sich hier sogar ein besonders wichtiges Betätigungsfeld«
– als ausgleichender Vermittler zwischen den verschiedenen Wirtschaftsgruppen und Verbänden! »Damit aber ist das geistige Deutschland berufen, dem Frieden der Nation unschätz bare Dienste zu leisten, ja einen dauerhaften Burgfrieden überhaupt erst zu ermög lichen.«337
Aus der Perspektive der Gewerkschaften und des Mittelstands läßt sich diese Passage als Kritik, aus jener der dem Volksbund angehörenden Gelehrten als Selbstkritik verstehen. Die »Intelligenz« ist Teil der »Nation«, steht aber deren »Masse« oder dem »breiten Volke« als etwas anderes und bislang von ihm Getrenntes gegenüber. Die in den Reden der Berliner Gelehrten beschworene Bewahrung der Gemeinschaft wurde so, nachdem der Burgfriede längst ge brochen war, erneut zur aktuellen Aufgabe. Dafür aber wiesen beide Seiten der »Intelligenz« eine bedeutende Rolle zu. Vorsitzender des Volksbunds war Ernst Francke, ein von Lujo Brentano promovierter Nationalökonom, Herausgeber der Zeitschrift Soziale Praxis und Mitbegründer (sowie Generalsekretär) der Gesellschaft für soziale Reform, die (durch korporative Zugehörigkeit ganzer Organisationen) 1918 4,5 Millio337 Alle Zitate aus: Um Freiheit und Vaterland. Erste Veröffentlichung des Volksbundes für Freiheit und Vaterland, Gotha 1918 (darin Geleitwort des Vorsitzenden E[rnst] Francke S. 5 f.; ungezeichnetes Vorwort Um Freiheit und Vaterland! 7–9), Zitate S. 8, 7, 6, 8, 9. Der Aufruf war auch in verschiedenen Tageszeitungen sowie in der Hilfe veröffentlicht (Nachweise im Editorischen Bericht, in: Weber, Zur Politik im Weltkriegs, S. 770 f.). Die Datierungen nach: Gottwald, Volksbund für Freiheit und Vaterland, S. 414 f. Zu einer Vorbesprechung zwischen sozialdemokratischen und christlichen Gewerkschaften sowie Mittelstandsverband am 25. Oktober 1917 s. Hagenlücke, Vaterlandspartei, S. 362 f.
610 Die Universitäten im Kriegseinsatz nen Mitglieder hatte. Für seine Leistungen wurde ihm der Professorentitel verliehen (der sich offenbar mit dem Namen aufs festeste verband, wie man an Meineckes ein Vierteljahrhundert später geschriebenen Erinnerungen ablesen kann).338 Dem siebenköpfigen Vorstand gehörte außerdem Ernst Troeltsch an, dem 16köpfigen Arbeitsbeirat die Historiker Meinecke und Oncken (Heidelberg) sowie der Nationalökonom Herkner (Berlin). Zu den Mitgliedern des Ausschusses zählten die Berliner Professoren Delbrück und Liszt sowie der Privatdozent der Universität (und Professor der Handelshochschule) Hugo Preuß, einige weitere Professoren anderer Universitäten (Brentano in München, Anschütz und die Brüder Weber in Heidelberg sowie der ehemalige Straßburger Walter Goetz, nun in Leipzig, der seit September 1917 vom Staatssekretär des Auswärtigen, Kühlmann, mit der Aufklärungsarbeit für einen Verständigungsfrieden beauftragt war). Aus Straßburg war nur der erfolgreiche elsässische Bürgermeister (und künftige Statthalter) Rudolf Schwander dabei, jedoch kein dort wirkender Gelehrter.339 Als ›einfache‹ Mitglieder traten im Januar 1918 aber auch Harnack und Waldeyer-Hartz bei.340 Im Mai 1918 zählte der Volksbund 1000, im Oktober 2800 Einzelmitglieder; doch umfaßte er durch die korporative Mitgliedschaft der Gewerkschaften und diverser Beamten- und Angestelltenverbände insgesamt vier Millionen Deutsche.341 Sozial war er sehr heterogen, und da sich einige Mitgliedsorganisationen zudem schon bald wieder zurück zogen, blieb ihm der Erfolg versagt.342 Geschwächt wurde er aber auch durch interne Gegensätze über das Vorgehen: Während die eine Gruppe (mit Delbrück als Sprecher) für einen rücksichtslosen Kampf gegen die Vaterlandspartei eintrat, sprach sich die andere Gruppe (mit Francke an der Spitze) aus taktischen Gründen dagegen aus.343 Auf der ersten Mitgliederversammlung am 7. Januar 1918, ebenfalls im Preußischen Abgeordnetenhaus, entwickelte Ernst Troeltsch das Programm aus dem 338 Biogr. Angaben nach: NDB 5 (1961), S. 325 f. (Klaus-Peter Hoepke). Weder das PV der Berliner Universität noch der Handelshochschule kennen (im WS 1917/18) einen Lehrenden Francke. Die Auszeichnung des Publizisten mit dem Professorentitel erwähnt Ludwig Heyde, Zu Ernst Franckes zehntem Todestag, in: Soziale Praxis 40 (1931), Sp. 1681–1686. 339 Listen der Funktionsträger in: Um Freiheit und Vaterland, S. 46 f. Zu Walter Goetz’ Tätigkeit, die zunächst als seine Privatinitiative erscheinen mußte, s. Goetz, Aus dem Leben eines deutschen Historikers, S. 50–53. In dieser Funktion gab er auch ein Buch heraus: Walter Goetz (Hg.), Deutschland und der Friede, Leipzig 1918. 340 Nottmeier, Harnack, S. 450 A. 304. 341 Gottwald, Volksbund für Freiheit und Vaterland, S. 414. 342 Stegmann, Bismarcks Erben, S. 509–511. 343 Hagenlücke, Vaterlandspartei, S. 368. Dagegen stellt Gottwald, Volksbund für Freiheit und Vaterland, S. 416 mit einem Zitat des Generalsekretärs des Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften Deutschlands die Übereinstimmung einiger beteiligter Organisationen in Kriegszielfragen mit der Vaterlandspartei heraus.
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grundlegenden »und« des Namens: »Freiheit und Vaterland, keines gegen das andere, eines durch das andere und eines für das andere.« Die Forderung des allgemeinen gleichen Wahlrechts auch für Preußen begründete er dabei nicht prinzipiell-theoretisch, sondern »praktisch-realistisch«. Und einen »weltwirtschaftlich orientierte[n] Vertragsfriede[n]« sah er »als den Sieg (…), der das Reich endgültig behauptet und festigt«.344 Dafür seien in der »moderne[n] Staatenwelt (…) neben den nötigen Machtsicherungen« auch der »Vertragswille und das Vertrauen« nötig. Und diese setzten »bei nahendem Ende« des Krieges eine »Demobilisierung der Geister« voraus. Sie sei in allen Ländern nötig und müsse auf Gegenseitigkeit beruhen. »Aber sie kommt in dem ungeheuren Grausen vor der Zerstörung unserer ganzen geistigen, sittlichen und religiösen Europa-Existenz überall von selbst. Sie muß nur auch als Pflicht und Rettungsweg grundsätzlich begriffen werden«, und zwar im obigen Sinn, nicht als »Sentimentalität und allgemeine[r] Pazifismus«.345
Diese in Zuversicht verpackte (und mit einem leichten moralischen Appell ver bundene) Einsicht war um so bemerkenswerter, als Troeltsch selbst 1914 ja zu den eifrigsten Mobilisierern gehört hatte. Für ihn allerdings war das kein Widerspruch, sondern die quasi gegebene Entwicklung.346 Und er ging damit weiter als die Befürworter des Verständigungsfriedens bisher. Natürlich erntete er Widerspruch – am ausführlichsten von dem jungen Leipziger (1912 promovierten) Philosophen Hans Volkelt,347 der »›Pflicht und Rettungsweg‹« darin sah, der Demobilisierung der Geister »zu wehren«, da in einer Zeit größter deutscher Erfolgsaussichten348 die »starre Verständigungsdoktrin« nicht nur die »Zukunftswirkung der blutigen Arbeit unserer Krieger« beeinträchtige, sondern diese selbst erschwere.349 344 Ernst Troeltsch, Der innere Zusammenhang der politischen Forderungen, in: Von deutscher Volkskraft. Zweite Veröffentlichung des Volksbundes für Freiheit und Vaterland, Gotha 1918, S. 6–21, zum »und« als »Hauptsache« 11, Zitate 21, 11, 18, 19. 345 Troeltsch, Der innere Zusammenhang der politischen Forderungen (wie A. 344), S. 19. 346 »Wie man am Anfang des Krieges von einer Mobilisation der Seele gesprochen hat, so spricht man mit Recht bei nahendem Ende von einer Demobilisierung der Geister.« (S. 19, Kursive i. O. fett). 347 Er war der Sohn des Leipziger Philosophieprofessors Johannes Volkelt und entwickelte sich später zu einem führenden NS -Pädagogen. 348 Während Volkelt die »militärische Initiative (…) an allen Fronten so fest wie nie zuvor in den Händen der Mittelmächte« sah, konstatierte er bei Troeltsch eine »Unterwertung des militärischen Erfolges, die (…) im Volksbund gepflegt werden soll«. Hans Volkelt, Demobilisierung der Geister? Eine Auseinandersetzung vornehmlich mit Ernst Troeltsch, München 1918, Zitate S. 55, 60. 349 Volkelt, Demobilisierung der Geister?, Zitate S. 75 (zweimal), 71 (zweimal, alle Kursiva i. O. gesperrt). Ihn besorgten vor allem die praktischen Wirkungen der »Propaganda der milderen Gesinnung«, die »mit psychologischer Notwendigkeit anders verstanden« werde, als sie gemeint sei. Zudem habe »die Abrüstung der Geister auf der Seite der Mit telmächte ungleich früher eingesetzt und ungleich weiter um sich gegriffen als auf der Seite
612 Die Universitäten im Kriegseinsatz Von allen, auch den Verständigungspolitikern, forderte Volkelt eine »Versteifung unserer seelischen Haltung«.350 Nur in etwa einem Drittel der deutschen Universitätsstädte scheint eine Ortsgruppe des Volksbundes existiert zu haben. Aus Gießen z. B. berichtete Roloff seinem Lehrer Delbrück, daß die Neigung der Kollegen zur Gründung nicht besonders groß sei; denn diese nationalkonservativen Herren lehnten die allzu große Nähe des Volksbundes zur (liberalen) Frankfurter Zeitung ab.351 Trotzdem kam in Gießen, anders als in Straßburg, eine Ortsgruppe zustande. Von den übrigen deutschen Universitätsstädten scheinen nur Breslau, Frankfurt, Göttingen, Heidelberg, Leipzig und München eine Ortsgruppe gehabt zu haben.352 Diese nun auch in festere Organisationen gegossene Lagerbildung gab der Kriegszieldebatte gewissermaßen eine neue Grundlage. So veröffentlichte etwa Hans Delbrück in Martin Hobohms Flugschriftenserie Die Volksaufklärung 1918 eine »Auseinandersetzung mit der deutschen Vaterlandspartei« unter dem Titel »Wider den Kleinglauben«. »Das ganze Programm ist ein fortlaufender Widerspruch gegen sich selbst«: Organisiert als Partei, verstehe sich der Zusammenschluß doch als überparteilich. Er strebe nach Einheit und säe Zwietracht. Und gerade der Hinweis, daß die Reformen »zu innerem Zwist Veranlassung« gäben, beweise, daß es »zweifelhaft« sei, ob sie dann tatsächlich durchgeführt würden. Viel ausführlicher diskutierte Delbrück aber die Kriegsziele. Vor allem wandte er sich gegen die Forderung der Vaterlandspartei, daß Deutschland die Oberherrschaft über Belgien behalten müsse, und gegen ihre »Unglücksprophezeiung«, daß es ohne Kriegsentschädigung keine wirtschaftliche Zukunft habe. Da die Kraft eines Staats auch auf seiner Kreditwürdigkeit beruhe, untergrabe die Partei genau damit die deutsche Zukunft.353 der Rumpfentente«. Daher stünden »Verständigungsverlangen« und »Siegeswillen« in den verfeindeten Lagern »etwa [im] Verhältnis der umgekehrten Proportion«. Der Rest seiner Betrachtung galt dem »Beweis«, welch’ »schwere Gefahr« schon »für das bloße Durchhalten« das »Wuchern der milderen Gesinnung« bedeute (Zitate S. 13, 12, 36 f. [alles gesperrt], 38 [dreimal], 41 [zweimal]). 350 Volkelt, Demobilisierung der Geister?, S. 77 (gesperrt). 351 G/M/P II, 761–777 (Volker Press), hier S. 766 f. Ähnlich schon (mit Quellenangabe: drei Briefe R.s 1917 und 1918) Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 162 und 266 A. 263. Dort heißt es nur lapidar: »R. nennt allerdings ein Verhältnis von 19 zu 12 zugunsten des Volksbundes.« Wer die 31 Angesprochenen waren, bleibt unklar. Außerdem fällt die Übereinstimmung mit der Zahl der Unterzeichner des Aufrufs gegen die Vaterlandspartei auf. 352 Die Ortsgruppen sind aufgezählt bei Gottwald, Volksbund für Freiheit und Vaterland, S. 416. Der im März 1918 gegründeten Göttinger Ortsgruppe gehörte allerdings nur ein einziger Hochschullehrer an (Tollmien, Universität Göttingen im Kaiserreich, S. 390 f.). 353 Hans Delbrück, Wider den Kleinglauben. Eine Auseinandersetzung mit der deutschen Vaterlandspartei, Jena 1918, Zitate S. 6, 15.
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Aus dieser Stellungnahme entspann sich dann eine Auseinandersetzung mit dem Freiburger Historiker Georg von Below. Dieser wandte sich gegen den »Kern« von Delbrücks »Polemik«, der Friede könne nur gegen die Alldeutschen erreicht werden, und die darin implizierte Gleichsetzung von Vaterlandspartei und Alldeutschen. Nur im Wunsch nach einem »starken Frieden« stimmten beide Gruppen überein, nicht dagegen in den Details. Die innenpolitische Neutralität der Vaterlandspartei unterstrich Below mit dem Beitritt von Mitgliedern aller bestehenden Parteien, einschließlich Sozialdemokraten. Eben weil sie die Einmischung in die innere Politik ablehne, könne sie nicht für eine Änderung des preußischen Wahlrechts eintreten; doch wende sie sich auch nicht dagegen.354 »Die Forderungen, die die Vaterlandspartei erhebt, sind maßvoll und gerecht. Sie sind die einfache Voraussetzung einer gedeihlichen Entwicklung Deutschlands und die beste Gewähr eines längeren Friedens. Verlängert wird der Krieg durch immer wiederholte Friedensangebote, die uns als schwach und eines Friedens bedürftig erscheinen lassen.«355 Den Vorwurf der Kriegsverlängerung gab Below also an Delbrück zurück, ähnlich auch die Beschuldigung, Zwietracht zu säen, und – verschärft – die Charakterisierung als »Philister«.356 In dieser Auseinandersetzung wurde – auf beiden Seiten – nicht nur mit Beleg-Zitaten, sondern auch mit Unterstellungen und Insinuationen gearbeitet. Als Delbrück in seinen Preußischen Jahrbüchern diese Replik Belows ›ausein andernahm‹, erinnerte er mit Recht an seinen eigenen Hinweis schon im September 1915, daß der Kaiser bei einer möglichen Eroberung Kurlands »alte deutsche Städte wie Mitau und Riga (…) so wenig herausgeben kann, wie 1871 Straßburg«. Auch in der »Hohlheit des Begriffs ›des Selbstbestimmungsrechts der Völker‹« stimmten sie beide überein, versicherte Delbrück. Daß er, Delbrück, der Vaterlandspartei aber zutraue, nur um der Kriegsentschädigung willen das Blutvergießen noch ein Jahr fortzusetzen, sei »eine glatte Unwahrheit. In Wirklichkeit habe ich deutlich genug gesagt, daß ich der Vaterlandspartei eine solche Frivolität nicht zutraue.«357 Nein, das hatte er nicht gesagt, vielmehr, rhetorisch geschickt, eine Serie von Fragen gestellt, die dem Leser die Schluß354 Georg von Below, Das gute Recht der Vaterlands-Partei. Eine Antwort an H. Delbrück, Berlin 1918, Zitate S. 3, zur ›Überparteilichkeit‹ und den inneren Reformen 14–16. 355 Below, Das gute Recht der Vaterlands-Partei, Zitat S. 8. Bei den in Frage stehenden Punkten ging es um Kurland, das (von der Partei abgelehnte) Selbstbestimmungsrecht der Völker und die Notwendigkeit von Kriegsentschädigungen. 356 Below, Das gute Recht der Vaterlands-Partei, S. 14 (indirekter Zwietrachtvorwurf gegen Delbrück), 16: »Den ›Philister‹ aber geben wir ihm kräftig zurück«. Immerhin hatte Delbrück (Wider den Kleinglauben, S. 22) noch von der »Politik des patriotischen [!] Phi listers« gesprochen. 357 [Hans] Delbrück, Prof. v. Below als Vorkämpfer der Vaterlandspartei, in: Preußische Jahrbücher 172 (1918), S. 126–129, Zitat 126.
614 Die Universitäten im Kriegseinsatz folgerung nahelegten, daß die Forderungen der Vaterlandspartei – vielleicht unbedacht – auf weiteres Blutvergießen hinausliefen.358 Er selbst unterstellte Below, das Gegenteil vom Gesagten zu behaupten (oder, wie in puncto Baltikum, zu suggerieren) und bezichtigte ihn sogar der Nichtbeachtung des Konjunktivs. Damit zog er, ohne dies ausdrücklich zu sagen, auch dessen Professionalität in Zweifel – denn schließlich sollte ein Historiker Texte genau lesen und interpretieren können. Andererseits würdigte er ihn auf der folgenden Seite als »angesehene[n] Gelehrte[n], der sich (….) erhebliche Dienste erworben hat«. Er sei nicht nur »kenntnisreich, sondern auch in der gelehrten Welt bekannt als ein sehr gewandter Polemiker. Die Vaterlandspartei konnte keinen Besseren gegen mich vorschicken. Er hat ein Vierteljahr Zeit gehabt, aber schlechterdings nichts, was auch nur der Dis kussion wert wäre, gegen mich vorzubringen vermocht. Ich bin so kühn, daraus zu schließen, daß meine Beweisführung tatsächlich unwiderlegbar ist.«
Delbrück stellte Below also als einen Großen dar, um diese Einschätzung schließlich zusammenfallen zu lassen und dadurch am Ende selbst noch grö ßer dazustehen. Die Rechtschaffenheit der eigenen Methoden der Auseinander setzung und die Gewißheit, selbst Recht zu haben, unterstrich er mit einem Angebot zur Erleichterung des Lese-Vergleichs: Hobohm hatte als Herausgeber der Sammlung Volksaufklärung angeboten, Belows Antwort an Delbrück mit zu versenden, wenn die Schrift des letzteren bestellt würde. (Die Vaterlands partei verteilte ihre Schriften kostenlos, die Schriften des Büros Hobohm dagegen mußten bezahlt werden.)359 Und im Berliner Tageblatt entlarvte Hobohm Below quasi flankierend als Verleumder des Kaisers, indem er dessen Worte vom Friedensangebot als »sittliche Tat« Belows Charakterisierung dieses Angebots als »Flaumacherei« gegenüberstellte, das die Deutschen im Falle der Annahme »bankerott hinterlassen hätte«. Die Worte des Kaisers stellten »die deut sche Meinung von der Sache« dar – das andere sei »die alldeutsche«.360 Mit seiner Stellungnahme in den Preußischen Jahrbüchern konnte Delbrück hoffen, viele Gelehrte in ganz Deutschland zu erreichen; denn die Jahrbücher lagen nicht nur in den Zeitschriftenzimmern der Bibliotheken, sondern wohl auch in den Professorenzimmern der Universitäten aus. Aber diese Auseinandersetzung zog noch weitere Kreise, denn sie wurde auch in der Tagespresse 358 »Sollen wir, wenn wir es so weit gebracht haben werden, daß man uns den Frieden auf der Basis des status quo ante anbietet, das Blutvergießen noch ein Jahr fortsetzen mit der Aussicht, uns am Ende dieses Jahres die 48 Milliarden, die wir mittlerweile ausgegeben haben, wieder erstatten zu lassen? Ja, ist das Geld auch nur einen einzigen Monat weiteren Kämpfens wert? Wagt die Deutsche Vaterlandspartei diese Frage mit ja zu beantworten?« Delbrück, Wider den Kleinglauben, S. 17. 359 Delbrück, Below als Vorkämpfer der Vaterlandspartei (wie A. 357), S. 126–128, Zitat 128. 360 Martin Hobohm, Die »unglückliche Flaumacherei«, in: BT 313, 21.6.1918 AA .
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zur Kenntnis gebracht, etwa im Berliner Tageblatt,361 sowie in den Alldeutschen Blättern und auch im Größeren Deutschland, der von Paul Rohrbach und Ernst Jäckh herausgegebenen Wochenschrift für deutsche Welt- und Kolonialpolitik weitergeführt. Außerdem hatten diese und andere Auseinandersetzungen auch Beleidigungsprozesse zwischen politischen Gegnern zur Folge, insbesondere zwischen Hobohm und Below sowie auch zwischen dem Kieler Theologen Baumgarten und Below.362 Trotzdem gab es sogar kurz vor Kriegsende noch einmal einen Einigungs versuch, der auf Veranlassung des preußischen Kultusministers Schmidt-Ott in der Königlichen Bibliothek stattfand. Als Moderator hatte er deren Direktor Harnack gewonnen.363 Bei der Besprechung zwischen führenden Vertretern der Vaterlandspartei, des Unabhängigen Ausschusses für einen deutschen Frieden und des Volksbundes für Freiheit und Vaterland trafen am 10. Oktober 1918 – neben Tirpitz, Kapp und einigen anderen – die Professoren Schäfer, Meyer, Seeberg und (der Kustos mit Professorentitel) Stahlberg auf der einen sowie der Kollege Troeltsch und weitere Mitglieder des Volksbunds für Freiheit und Vaterland auf der anderen Seite aufeinander. Doch über den Kernsatz der geplanten Entschließung »Die gegenwärtige Lage macht die nationale Einheitsfront unseres Volkes zur Lebensfrage« konnten sie keine Einigung erzielen.364 Nicht nur Tirpitz, sondern auch Schäfer wies den Appell, sich der Parlamentarisierung anzuschließen, zurück: Die Vaterlandspartei setze sich nur für eine starke Außenpolitik ein und könne »unmöglich« die Forderung annehmen, sich »hinter die Regierung und jede ihrer Handlungen« zu stellen.365 SchmidtOtt sollte, wie seine Kollegen in den anderen Bundesstaaten, ein letztes Auf gebot psychologisch vorbereiten – mit dem Schlachtruf »Hurra Heimat, dir sterben wir«.366 Doch schon über den Zeitpunkt für das Aufgebot konnten sich die Beteiligten nicht einigen. Während Tirpitz und Schäfer es für sofort geboten 361 Hans Delbrück gegen Georg von Below. Ein Historikerstreit, in: BT 362, 18.7.1918 MA (mit Abdruck eines Schreibens der Freiburger Fakultät an Delbrück und dessen Replik in den Preußischen Jahrbüchern). 362 Kurt Töpner, Gelehrte Politiker und politisierende Gelehrte. Die Revolution von 1918 im Urteil deutscher Hochschullehrer, Göttingen u. a. 1970, S. 130 f. (mit Anmerkungen). 363 Nottmeier, Harnack, S. 459. Vorausgegangen war eine Besprechung am 8.10. im Ministerium (Friedrich Schmidt-Ott, Erlebtes und Erstrebtes. 1860–1950, Wiesbaden 1952, S. 162). 364 Das Sitzungsprot. ist abgedruckt bei Günter Brakelmann, Der deutsche Protestantismus im Epochenjahr 1917, Witten 1974, S. 297–308, Zitat 299. 365 Ausführlicher zit. aus einem Artikel Schäfers über dieses Treffen in der Süddeutschen Zeitung 114, 3.5.1919, bei Töpner, Gelehrte Politiker, S. 197. Diese Formulierungen sind im Vergleich zu den im Prot. festgehaltenen Äußerungen Schäfers umgangssprach licher, aber auch noch etwas zugespitzt. 366 Eine gute Zusammenfassung der Sitzung bei Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 171–173; Zitat aus dem Prot. bei Brakelmann, Protestantismus 1917, S. 298.
616 Die Universitäten im Kriegseinsatz hielten, fürchteten die Vertreter des Volksbunds, daß dies die deutschen Friedensbemühungen diskreditieren könnte. Und während die Vertreter der Vaterlandspartei und des Unabhängigen Ausschusses für einen Deutschen Frieden vor einer vorzeitigen Räumung Belgiens warnten und die Fortsetzung des U-Boot-Krieges forderten, stand für den Volksbund die innere Entwicklung Deutschlands im Vordergrund. Dabei wurden nicht nur die gegensätzlichen Standpunkte verdeutlicht, sondern auch gegenseitige Vorwürfe erhoben. Das Zusammengehen schien ausschließlich für eine letzte Verteidigungsanstrengung möglich.367 Im Ergebnis waren laut Troeltsch, »die Gegensätze, die bisher bestanden, unverändert dieselben (…). Aber im Falle der äußersten Not können wir uns doch wieder treffen«. Das Friedensbedürfnis sei aber so groß, »daß die Revolution so gut wie sicher eintreten würde, wenn die Tür zum Frieden wieder zugeworfen würde«.368 10 Tage nach dem Scheitern dieses Einigungsversuches (und als etwa Meinecke längst von dem bevorstehenden Waffenstillstandsgesuch wußte369) erließ die Berliner Professorenschaft (fast) »einmütig« einen Aufruf »an das deutsche Volk«, den Gustav Roethe (knapp zwei Wochen vorher und noch gegen den Versöhnungsfrieden gerichtet) angeregt, Ernst Troeltsch schließlich (schon in einem anderen Sinn) verfaßt und den Kollegen in einer von Rektor Seeberg einberufenen Dozentenversammlung vorgelegt hatte. Wie brüchig diese Einigkeit war, belegt der vorausgehende Ausbruch des Sprachwissenschaftlers Wilhelm Schulze »gegen die Flaumacher«.370 »Wir lassen alle Gegensätze der Anschauungen verstummen und stellen uns bewußt und fest in den Dienst der sich anbahnenden neuen politischen Ordnung und der sie vertretenden Regie rung.« Die »geschlossene innere Einheit«, welche die Professoren forderten, sei »der einzige uns übriggebliebene Weg (…), auf dem die unerschöpflichen innersten Kräfte unseres Volkes zu allseitiger äußerster Anspannung entfesselt werden können, damit uns das Vaterland, Kaiser und Reich, unversehrt erhalten bleibe« und die »Bahn des Fortschritts offen«. Dramatischer hätte die Situation kaum sein können – denn ohne eine solche umfassende und äußerste Anstren367 S. als Beispiel Schäfers Äußerung »Wir sind dagegen bereit für den erhofften Fall, daß die Oberste Heeresleitung zur nationalen Verteidigung aufruft, einheitlich mit jedem andern zur Unterstützung dieses Aufrufs und zur Schaffung des nationalen Abwehr willens zu wirken, und wir sind für diesen Fall unserer Leute auch völlig sicher.« Aus dem Prot. bei Brakelmann, Protestantismus 1917, S. 301; vgl. auch Meyers Aussage 305. 368 Aus dem Prot. bei Brakelmann, Protestantismus 1917, S. 305. 369 Laut seinen Erinnerungen ging ihm bereits Ende September 1918 »privatim« eine solche Nachricht zu (Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 230). Ludendorff hatte einen Waffenstillstand am 29.9.1918 gefordert, am 3.10. richtete die Reichsleitung ein solches Ersuchen an den amerikanischen Präsidenten. 370 Die Information über Initiator und Verfasser nach Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 171 und 269 A. 29; zur Dozentenversammlung (mit Zitat Schulzes) Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 298 f. Zitatbelege aus dem Aufruf s. nächste A.
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gung war offenbar sogar der Bestand des Reichs gefährdet. Und diese Situation brachte nun, wie es Troeltsch eine Woche vorher nur als letzte vage Hoffnung für möglich gehalten hatte, das Zusammengehen der Gegner zustande. Vermutlich waren einzelne Formulierungen als Signal an die verschiedenen Parteien und Lager gedacht, um diese fragile Einigung zuerst auf Universitätsebene und dann darüber hinaus zu ermöglichen. Daß sich die Professoren mit dem unterzeichnenden Rektor Seeberg an der Spitze ausgerechnet auf »das tapfere Wort« aus dem letzten Aufruf der SPD beriefen und es selbst »nicht besser ausdrücken« konnten, hätte noch eine Woche zuvor niemand erwarten können: ›Mit einem Frieden der Vergewaltigung, der Demütigung und der Verletzung seiner Lebens interessen wird sich das deutsche Volk nie und nimmer abfinden.‹ Zugleich war mit der Definition des Vaterlandes als »Kaiser und Reich« der Weg zu einer Republik aber ausgeschlossen. Nicht nur der letzte Satz »Und Gott wird mit uns sein«, sondern fast das letzte Drittel war durchzogen von religiös aufgeladenen Worten – »freudig leiden und entbehren«, »bezeugen«, »Wahrhaftigkeit«, »Zuversicht und Hoffnung«.371 Die Interpretation dieses Aufrufes im Sinne eines letzten Aufgebots wird bestätigt durch einen Brief Meineckes vom Tag nach dem Beschluß, an dem er schrieb: »Wir müssen auch (…) die Gesinnung des heroischen Endkampfes jetzt allenthalben wecken und wachhalten, um bis zuletzt so stark zu bleiben wie irgend möglich.« Mit dieser Gesinnung sollte aber auch »auf den Geist der Front« gewirkt werden, »die jetzt so lange wie irgend möglich noch standhalten muß«. Meinecke selbst hatte eine Woche zuvor die Ausdehnung der Wehrpflicht bis zum 60. Lebensjahr angeregt. Eine »reine ideologische Ehrenpolitik« lehnte er ab. Sofern die Deutschen die Möglichkeit behielten, »als selbständiges Volk weiter zu existieren und wieder zu Kräften zu kommen«, dürften »bloße Ehrenpunkte« nicht vom Friedensschluß abhalten (auch nicht die Auslieferung der Kriegsflotte). So dächten »hier alle vernünftigen Köpfe, die sich von der Epidemie der Vaterlandspartei frei gehalten haben«. »Aber wenn uns ein Helotenda sein zugemutet wird, dann wollen wir alle, alle miteinander sterben.« In seinem damals bereits geschriebenen Artikel für die Hilfe war dieser Gedanke stärker mobilisierend ins Positive gewendet und auf Zuversicht gestimmt. Mit dem Aufruf war die Berliner Universität Meinecke zufolge zunächst allein vorgegangen, »um rasch zu handeln«; doch »in neuen Lagen« kämen weitere Schritte in Betracht, »auch ein gemeinsames Vorgehen aller Universitäten.«372 371 Der Text bei Böhme (Hg.), Aufrufe und Reden, S. 236 f. In einfachen Anführungszeichen das SPD -Zitat. 372 Meinecke an L. Aschoff 21.10.1918 (wie A. 3), Zitate S. 95–97. Vgl. Friedrich Meinecke, Deutschland und der Friede, in: Die Hilfe 24 (1918), S. 506–508. (Diese Nummer erschien am 24.10., Meinecke nimmt in seinem Brief bereits auf den Artikel Bezug.) »So mancher von uns möchte heute, einzeln sich fühlend, lieber sterben, als in einem gedrückten und gedemütigten Dasein der Nation weiter existieren. Aber der Gedanke
618 Die Universitäten im Kriegseinsatz In seiner regelmäßigen »Politischen Korrespondenz« in den Preußischen Jahrbüchern bewertete Hans Delbrück den Aufruf als »Beweis, wie mächtig die Strömung ist, die uns fortreißt in eine neue Zeit«. »Die Berliner Universität ist wohl zuweilen die geistige Leibgarde der Hohenzollern genannt worden. Wenn ein solches Kollegium sich jetzt einmütig in den Dienst der neuen Ordnung der Dinge stellt, einer Regierung, deren wesentliche Stütze die Sozialdemokratie ist, und sich ausdrücklich auf einen Satz aus dem sozialdemokra tischen Parteiaufruf beruft, so ist das mehr als ein Zeichen der Zeit, es ist ein poli tisches Ereignis.«373
Zumindest ein Kollege trat aber öffentlich gegen diesen Aufruf auf: der Völkerrechtler jüdischer Abstammung Wilhelm Kaufmann, seit 1908 Extraordinarius, seit 1912 auf einer etatisierten Stelle, im September 1918 vom Kaiser zum Geheimen Justizrat ernannt.374 Ausgerechnet im Vorwärts brachte Kaufmann nun seine Bedenken vor: Seine Haltung zur Fortsetzung des Krieges werde von der Schuldfrage bestimmt. Doch wie diese zu beantworten sei, erklärte er nicht ausdrücklich. Auf diese Weise konnte er aber sowohl die Anerkennung der deutschen Verantwortung als auch die Mäßigung der künftigen Sieger fordern.375 Die Einigkeit wurde aber auch von Kollegen, die den Aufruf formal unterstützten, untergraben: Auf einer Studentenversammlung, die eine Einigung auf nationaler Grundlage erreichen wollte, traten am selben Tag die Professoren Schäfer, Roethe und Wilamowitz auf. Dabei stellte sich Schäfer zwar (wie im Aufruf) hinter die Regierung, redete aber gleichzeitig von der »Schmach« der Wilsonschen Bedingungen, nannte den Völkerbund eine »Phrase« und jeden, der anderer Auffassung war, einen »politischen Ignoranten«.376
an Kinder und Ahnen und an die unsterblichen Güter der Volksgemeinschaft richtet uns wieder auf und macht uns stark und froh zu dem Entschlusse, zu wirken und zu kämpfen, solange es Tag um uns ist. Irgendwelcher Segen wird der Nation aus dieser Gesinnung und ihrer Bewährung auf jeden Fall entspringen.« (S. 507). In: Meinecke, Politische Schriften, nicht enthalten. 373 Hans Delbrück, Der militärische Umschlag. – Prinz Max Reichskanzler (….), in: Preußische Jahrbücher 174 (1918), S. 281–298, Zitate 285. 374 Klopsch, Geschichte der Juristischen Fakultät, S. 148 A. 544. 375 Falls die Gegner den Krieg unternommen hätten und ohne Rücksicht auf die Gerechtigkeit führten, müsse er fortgesetzt werden. Falls jedoch deren Behauptung stimme und die Hauptschuld auf die Deutschen falle, müßten die Verantwortlichen sofort aus dem öffentlichen Leben ausscheiden und die deutsche Regierung den Gegnern echte Sicherheiten bieten. Diesen erwachse dann die Verantwortung, »im Siege gerechtes Maß [zu] halten und die Anforderungen der notwendigen Völkergemeinschaft auf Erden [zu] wahren.« Eine Gegenerklärung, in: Vorwärts 22.10.1918, Ausschnitt in: GStAPK I . HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. I, Nr. 11 Bd. 3, fol. 138. 376 Mitteilung von studentischer Seite (als Anhang zu: Eine Gegenerklärung, in: Vorwärts 22.10.1918 [wie A. 375]).
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Bemühungen um die Stärkung des Durchhaltewillens: der Bund deutscher Gelehrter und Künstler Auch nach der Spaltung in gegensätzliche, ja verfeindete Lager (ab 1915) stellten sich Angehörige beider Seiten weiterhin (zumindest formal) gemeinsam in den Dienst der Kriegführung. Im Herbst 1914 war ein Kulturbund deutscher Gelehrter und Künstler gegründet worden, mit dem möglicherweise eine Idee von 1913 verwirklicht wurde. Damals hatte der Leiter des neugegründeten Deutschen Auslandssekretariats (zur Beeinflussung der Presse v. a. in Skandinavien) verschiedenen Professoren die Gründung einer Vereinigung Deutscher Gelehrter zu Auslandsvorträgen vorgeschlagen. Daß sich drei Monate nach Kriegsbeginn dann Gelehrte und Künstler zusammenschlossen, scheint auf mehrere parallele Impulse zurückzugehen. Sie kamen auch von dem Architekten Peter Behrens und seinen Anhängern im Deutschen Werkbund; außerdem erhoffte sich der Historiker Karl Lamprecht, mithilfe der neuen Organisation einen Teil seiner Planung einer deutschen Kulturpolitik im Ausland verwirklichen zu können. Das geht aus mehreren seiner Briefe an den Berliner Mediziner Wilhelm (von) Waldeyer(-Hartz) hervor, unter dessen Vorsitz der Kulturbund zustande kam. Und daß Waldeyer zugleich Sekretar der Physikalisch-Mathematischen Klasse der Preußischen Akademie der Wissenschaften war, vernetzte die neue Organisation auch dorthin.377 Die Unterzeichner des Aufrufs An die Kulturwelt! waren ausdrücklich zum Beitritt aufgefordert worden und überwogen in den Leitungsgremien zunächst auch.378 Trotz der personellen Überlappung und parallelen Tätigkeit (in der Einwirkung auf das neutrale Ausland) war der Kulturbund aber eine von den Initiatoren des Aufrufs unabhängige Einrichtung. Anfang Dezember 1914 hatte er 193 Mitglieder, ein Jahr später schon ca. 900. Seiner ersten Satzung zufolge sah er seine Aufgabe darin› »für die Vertreter von Kunst und Wissenschaft des neutralen Auslandes unwahre Berichte über das Verhalten Deutschlands richtigzustellen und die von unseren Kriegsgegnern begangenen Verletzungen des Völkerrechts und der Menschlichkeit zu beleuchten«. Von der Berliner Universität gehörten außer Waldeyer auch sein Fakultätskollege August von Wassermann, die Juristen Anschütz und von Liszt, sowie aus der Philosophischen Fakultät Planck und Roethe zum inneren Kreis.379 Doch ab Sommer 1916 trat die Propaganda im Innern des Reichs in den Vordergrund – als »Werbe-Arbeit« einer »neutralen Stelle«, wie W[alther] Rathenau 377 Jürgen Kloosterhuis, »Friedliche Imperialisten.« Deutsche Auslandsvereine und auswärtige Kulturpolitik 1906–1918, Frankfurt a. M. u. a. 1994, S. 346 und 348 A. 4, zum Auslandssekretariat 429 f. 378 Sogar die typographische Gestaltung der Mitgliederliste weist dorthin zurück. 379 Ungern-Sternberg/Ungern-Sternberg, Aufruf ›An die Kulturwelt!‹, S. 153–161 (Zitat 158).
620 Die Universitäten im Kriegseinsatz es in einer Besprechung des Kulturbundes mit zahlreichen Behördenvertretern ausdrückte. Auch wenn diese vom Kulturbund selbst ausging,380 scheint als erstes die Heeresleitung durch Vermittlung des Kriegspresseamts den Kontakt gesucht zu haben, nachdem General von Falkenhayn im Mai 1916 gefragt hatte ›Wo blieben unsere Gelehrten und Dichter?‹381 Vom Kulturbund waren sieben Persönlichkeiten vertreten, darunter Waldeyer und Planck. Nach langen vorausgegangenen Überlegungen, »wie der Geist des deutschen Heeres auf das deutsche Volk in der Heimat zu übertragen sei«, begrüßte der Vertreter des Generalstabes die Absicht des Kulturbundes, einen »ähnlichen Zweck zu verfolgen, (‥) mit Dank«. Er sah nämlich »trotz großer Erfolge« vor allem »Kleinmut«. Er schlug auch vor, »einzelne Mitglieder des Kultur-Bundes bei Frontreisen selbst Eindrücke sammeln zu lassen«. Neben einem hauptberuflichen Leiter sollten Mitarbeiter aus den Kriegervereinen und der Frauenbewegung, bei der Presse, unter Parlamentariern, Geistlichen etc. gewonnen werden. »Zu alledem sind keine großen Mittel erforderlich sondern bloß Organisation und Anregung«, meinte der Vertreter des Generalstabs, erntete aber Widerspruch vom Innenministerium. Sudermann stellte fest: »Der Kultur-Bund hat bereits im vergangenen Jahre [1915] ähnliche Aufgaben geleistet, hat aber als Auditorium nur die gebildete Mittelschicht gehabt, nicht das ganze Volk.« Gerade hier dachte der Schriftsteller den Universitäten eine besondere Rolle zu: »Der Weg zum Volke kann nur durch ›Reden‹ gefunden werden. Hierfür sind Redner notwendig, die z. T. aus hervorragenden Persönlichkeiten aller Berufsstände bestehen werden, z. T. aber erst in Rednerschulen herangebildet werden müssen. Als solche kommen die Universitäten in Frage, die in diesem Sinne bereits verständigt worden sind. Zu jedem Gau muß in seiner Sprache gesprochen werden. Der rednerische Stoff muß gesammelt und in einem Buche festgelegt werden, wie dies bereits zu anderen Zwecken vom Reichsamt des Innern geschehen. Dieses Buch muß bis zum Herbst fertig sein.«
Ob die Universitäten nur die rhetorische Ausbildung übernehmen sollten oder auch ihre Angehörigen selbst nach einem vorgegebenen inhaltlichen Leitfaden Reden halten sollten, wird hieraus nicht deutlich. Der Vertreter des General stabes definierte die Aufgabe vor allem als Gegenwirkung gegen den Einfluß des Kriegsgegners, der »die deutsche Heimatstimmung« schwächen wolle. Trotz Sudermanns Vorschlag sollte aber nicht der Eindruck aufkommen, »daß es sich um offizielle Propaganda handelt (….) Freie Männer wollen freiwillig diese 380 Prot. der Sitzung vom 24.6.1916 in: Wilhelm Deist (Hg.), Militär und Innenpolitik im Weltkrieg 1914–1918. 2 Teile, Düsseldorf 1970, hier Teil I, S. 313–318. Danach alle folgenden Zitate dieses Abschnitts. 381 Walter Nicolai, Nachrichtendienst, Presse und Volksstimmung im Weltkrieg, Berlin 1920, S. 114.
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Arbeit leisten.« Waldeyer beschränkte sich auf zwei knappe, sachliche Interventionen. Beide Male betonte er, zunächst als Frage, dann als Resumé formuliert, die praktischen Notwendigkeiten: Finanzierung, Leitung, Büro und Herstellung des Kontakts zur Reichsleitung. Der vermutlich erste solcherart gestaltete Abend fand am 3. Juni 1916 im Hauptsitzungssaal des Reichstags statt und sollte Waldeyers Eröffnungsworten zufolge zeigen, daß die »Machenschaften« der »Feinde«, nämlich das militärisch unbesiegbare Deutschland auszuhungern, »matt und wirkungslos« seien.382 Es sprachen zwei Berliner Ordinarien, der Physiker Walter Nernst (über »Unsere Industrie«) und der Mediziner Max Rubner (über »Unsere Ernährung«), außerdem der Jenaer Philosoph und Literaturnobelpreisträger Rudolf Eucken (»Der Geist im Lande«) und der 1912 durch eine Trilogie über den Deutsch- Französischen Krieg von 1870/71 bekannt gewordene Schriftsteller Walter Bloem, der nach Kampfeinsätzen nun die Feldpressestelle im Generalstab leitete (»Der Geist im Heere«). Der Mobilisierungscharakter ist deutlich am Vortrag Rubners abzulesen. Während der Begründer der Ernährungsphysiologie in diesem Sommer im Berliner Tageblatt zwei völlig sachlich-wissenschaftlich gehaltene Artikel zur Ernährung veröffentlichte, sprach er hier feurig-diffamierend über Deutschlands Gegner, um dann »die einfache Überlegung der allen bekannten Tatsachen« folgen zu lassen, sein Publikum »nicht mit Zahlen und statistischen Überlegungen [zu] behelligen«. Bei aller Härte des Alltags könne »ein schlechter Friede« keineswegs »besser [sein] als schlechte Ernährung«. »Wie würden wir bestehen, wenn die Feldgrauen zurückkehren müßten, weil wir mit der Kost unzufrieden sind, wie würde man denen ins Auge sehen können, die ihr Blut und Leben zu opfern bereit sind, wenn wir in unserem Willen, durchzuhalten, schwankend wären. Wie würden unsere Nachkommen über ein Geschlecht urteilen, das der Magensorgen wegen das Höchste der Nation opfert! Wir haben den Sieg in Händen und lassen ihn uns auch um einen solch niedrigen Preis nicht entreißen.«383
Nernst sprach ganz anders, stellte ausschließlich die Leistungen der deutschen Industrie dar und kam zu dem Schluß, daß die Deutschen »beruhigt in die Zukunft blicken« konnten. Doch da die »Wiederkehr normaler Zeiten vielleicht noch in weiter Ferne« liege, sei »energische Weiterarbeit« nötig.384 382 Deutsche Volkskraft nach zwei Kriegsjahren. Vier Vorträge hg. vom Bund deutscher Gelehrter und Künstler (Kulturbund), Leipzig u. a. 1916, S. 1 f. 383 Max Rubner, Unsere Ernährung, in: Deutsche Volkskraft nach zwei Kriegsjahren, S. 2–12, Zitate 5 (zur Anlage des Vortrags), 11. Zur Darstellung der Feinde s. bes. über Rußland 3, über England und Frankreich 4 f. Zu Zeitungsartikeln mit wissenschaft licher Darlegung ohne konkrete Nutzanwendung s. o. S. 225. 384 Walther Nernst, Der Krieg und die deutsche Industrie, in: Deutsche Volkskraft nach zwei Kriegsjahren, S. 12–23. Der Vortrag wurde außerdem bereits im Juli-Heft der IMWKT 10 (1915/16), Sp. 1191–1208 gedruckt.
622 Die Universitäten im Kriegseinsatz Ab 1. August 1916 wurde das Arbeitsprogramm des Kulturbunds im Auftrag des Preußischen Innenministeriums durch den konservativen Politiker Heinrich von Gleichen-Rußwurm koordiniert. Den Satzungen der nun in »Bund deutscher Gelehrter und Künstler« umbenannten Organisation zufolge gehörten zu den Tätigkeiten im Inland, die bis 1918 den Schwerpunkt gebildet zu haben scheinen: »1. Wahrung und Stärkung des deutschen Bewußtseins; 2. Förderung von Wissenschaft und Kunst; 3. Arbeit für die nationale Zukunft (Jugendarbeit).« Diese Ziele suchte der Kulturbund durch publizistische Agitation, Vorträge und Filmvorführungen zu erreichen. Dafür gab er eine eigene Zeitungskorrespondenz Zeit- und Streitfragen heraus, betreute die reich illustrierte Zeitschrift Kriegerehrungen (12 Nummern 1917–1919) mit Artikeln über Denkmäler, Soldatenfriedhöfe, Heldenhaine und publizierte die Reihe Um Deutsch lands Zukunft (10 Hefte 1916–1921).385 Da der Reichskanzler Zahlungen jedoch ablehnte (weil die Verwendung der vorhandenen Fonds für politische Propagandazwecke im Inland nicht vorgesehen sei), war die beabsichtigte umfangreiche Tätigkeit des Kulturbundes »zunächst im wesentlichen lahmgelegt«.386 Neben einem Preisausschreiben »für kleinere Kriegs- und Kriegerdenk mäler«, das den »Kunstgedanken für weiteste Schichten des Volkes in den kleinen Städten und auf dem flachen Land« verbreiten und zugleich den Künstlern helfen sollte,387 entwickelte der Bund eine rege Vortragstätigkeit, an der sich auch renommierte Gelehrte beteiligten. So sprachen z. B. der Berliner Theologe Deißmann über den religiösen Ertrag des Krieges und der Altertumswissenschaftler Meyer (mehrfach!) über »Probleme der Gegenwart«.388 Von Oktober 1916 bis Mai 1917 hatte der Bund in verschiedenen Städten des Reichs und vor Truppen in Frontnähe 52.280 Zuhörer.389 Im Sommer 1917 reagierte er auf den Kriegseintritt der USA und Wilsons Botschaft an den Kongreß mit einer programmatischen Vortragsreihe über die »Deutsche Freiheit«, die im preußischen Abgeordnetenhaus stattfand. Angeregt hatte sie der Nationalökonom Sering.390 385 Kloosterhuis, Friedliche Imperialisten I, S. 347 (mit Zitat), 345 (Publikationen). Inhalt und Gestaltung nach eigener kursorischer Durchsicht der 10 Hefte. 386 So der Vertreter des Generalstabs (der die besprochene Sitzung auf einer halben Seite zusammenfaßte): Nicolai, Nachrichtendienst, S. 114. 387 Bund deutscher Gelehrter und Künstler (Kulturbund), Preisausschreiben für kleinere Kriegs- und Kriegerdenkmäler, Berlin o. J., Zitate S. 1. Die Datierung auf 1916 ergibt sich aus der Erwähnung des Preisausschreibens in zeitgenössischen Fachzeitschriften (Internet-Recherche). Unter den 8000 eingegangenen Zeichnungen fand sich auch »eine erfreuliche Anzahl guter und reifer Arbeiten«. Max Kutschmann, Der Wettbewerb des Bundes deutscher Gelehrter und Künstler, in: Krieger-Ehrungen 1917, 1, S. 9–11, Zitat 9. 388 Barth, Dolchstoßlegenden, S. 119 f. 389 Uwe Barrelmeyer, Der Krieg, die Kultur und die Soziologie. Georg Simmel und die deutschen Soziologen im Ersten Weltkrieg, in: Sociologia Internationalis 32 (1994), S. 163–190, hier 166 mit A. 7. 390 Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 285.
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Dort referierten Harnack, Meinecke, Sering selbst, Troeltsch und Hintze. Wilsons Behauptung, Deutschland werde »von einer autokratischen Regierung beherrscht«, die »unverantwortlich« sei, »alle Rücksichten auf Menschlichkeit und Recht beiseite geworfen [habe] und Amok« laufe, sei die »anmaßendste und heuchlerischste Kundgebung, die seit den Tagen Napoleons I. das Oberhaupt einer Großmacht an ein anderes Volk gerichtet hat«, hieß es in Harnacks Vortrag.391 Meinecke wandte sich gegen Wilsons (implizite) Gleichsetzung von Demokratie und Freiheit, die das deutsche Kaiserreich als Land der Unfreiheit und folglich der Befreiung bedürftig erscheinen ließ. Er setzte der behaupteten Untertänigkeit den deutschen Genossenschaftsgeist entgegen, auf den ein »Volksstaat« gegründet werden könne. Dabei bestritt er keinesfalls, daß die »Idee der patriarchalischen Obrigkeit« und später des »reglementierenden Polizeistaats« einen Typus des »leidsam gehorchenden Untertanen« hervorgebracht habe; doch sah er die Wurzel dieser Entwicklung in einem Übermaß an föderalem Freiheitstrieb, also der deutschen Kleinstaaterei. Dies aber habe Deutschland zugleich »ohnmächtig gegen das Ausland« und damit äußerlich unfrei gemacht.392 Vor allem ein Satz zog Meinecke Kritik und Gegnerschaft zu: »Wir wollen in Preußen nicht mehr von Junkern und Korpsstudenten regiert sein – auch nicht von solchen, setze ich hinzu, die sich ihnen innerlich angeglichen haben, und deren Zahl leider größer ist als die Zahl der geborenen Junker.«393
Als wesentliches Charakteristikum »deutscher Freiheit« erscheint in den verschiedenen Vorträgen immer wieder die Verbindung von Freiheit und sozialer Sicherheit. »Der Demokratie westlicher Prägung wird eine eigene Form von Demokratie, der Volksstaat, entgegengestellt, die dem deutschen Volkscharakter eigentümlicher sei und die aufgrund einer historischen Sonderentwicklung ihre dem Nationalcharakter angemessenste Form in einer aufgeklärt-paternalistischen Monarchie finde.«394 Hintze, der sich hauptsächlich mit außenpoli 391 Adolf von Harnack, Einleitungsworte, in: Die deutsche Freiheit. Fünf Vorträge, Gotha 1917, S. 1–13, Zitate aus Wilsons Erklärung (nach der Übersetzung deutscher Zeitungen) S. 2, Harnacks Wertung 3. 392 Friedrich Meinecke, Die deutsche Freiheit, in: Die deutsche Freiheit, S. 14–39, Zitate 18, 19. 393 Meinecke, Die deutsche Freiheit (wie A. 392), S. 32. In seinen Erinnerungen schreibt er über die »recht scharfe[n] Worte«: »Wer sie im Zusammenhang liest, wird finden, daß nicht Haß, sondern Sorge mir jene Worte eingab.« (Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 285). In der Tat finden sich unmittelbar vor der zit. Stelle Bemerkungen über die »unvergeßliche[n] Dienste« des Junkertums, ergänzt um solche über seinen »harten Egoismus und seine rücksichtslose Herrschsucht« (Meinecke, Deutsche Freiheit, S. 32). 394 Eine eindringliche Analyse der Reihe findet sich bei Hans Jörg Schmidt, Die deutsche Freiheit. Geschichte eines kollektiven semantischen Sonderbewusstseins, Frankfurt 2010, S. 97–105, Zitat 104. Eine weitere Zusammenfassung, die stärker konkrete Beobachtungen aus den einzelnen Vorträgen hervorhebt, findet sich bei Barth, Dolchstoß legenden, S. 120 f.
624 Die Universitäten im Kriegseinsatz tischen Aspekten beschäftigte, fand Deutschland nicht nur frei von Eroberungsgelüsten, sondern verstieg sich sogar zu der Behauptung: »Wir kämpfen aber nicht nur für unsere eigene Freiheit, wir kämpfen zugleich auch für die Freiheit Europas, ja für die Freiheit der Welt.«395 1918 umfaßte der Bund 1100 Mitglieder. Dem Ehrenpräsidium gehörte neben Waldeyer selbst eine Reihe renommierter Berliner Kollegen an (Harnack, Riehl, Wilamowitz). Im Vorstand waren der Mediziner Rubner und der TheologePhilosoph Troeltsch vertreten, im Geschäftsführenden Ausschuß Franz von Liszt und Max Planck, aber auch der Extraordinarius Max Dessoir.396 Mit ihnen zusammen saßen in diesen Gremien u. a. Gerhart Hauptmann und Max Liebermann (Ehrenpräsidium), Thomas Mann und Hermann Sudermann, sowie die Universitätskollegen Hermann Oncken und Erich Marcks (Ausschuß). Kontakte zu »gleichstrebenden Kräften« in der Donaumonarchie pflegte der Kulturbund über die Reichsdeutsche Waffenbrüderliche Vereinigung.397 1915 gegründet, wollte sie laut Satzung das Bündnis mit Österreich-Ungarn »in dem gesamten deutschen Volke lebendig« halten, die Kenntnis der Verhältnisse der Donaumonarchie vermehren und die wirtschaftliche wie politische Annäherung fördern.398 Im Gegensatz zu den Annexionisten verfolgte sie dabei eine Mitteleuropa-Konzeption. Vor allem durch wirtschaftliche Annäherung sollte dieser Raum enger zusammengeschlossen und deutscher Führung unterstellt werden. Die Aktivitäten begannen im Frühjahr 1915 mit einer Sammlung für österreichisch-ungarische Soldaten. Im Dezember 1915 stellte Friedrich Naumann bei einer öffentlichen Veranstaltung der RWV in Berlin seine Mitteleuropa-Konzeption vor.399 Der Vereinigung gehörten viele angesehene Wissenschaftler an, ihrem Präsidium Adolf von Harnack und Walter Nernst.400 In Gießen war der damalige Rektor, der Psychiater Robert Sommer, der Waffenbrüderlichen Vereinigung offenkundig bald persönlich beigetreten und hatte auch die Mitgliedschaft der Universität als Körperschaft erwogen. Die Vereinigung begrüßte dies ausdrücklich, so daß Sommer dem zuständigen Kollegen vorschlug, aus den Mitteln für die Kriegswohltätigkeit 30 M. als Mitgliedsgebühr bereitzustellen. Eck hatte keine Bedenken dagegen, denn »[d]ie Beträge sind in erster Linie für Liebesgaben an die verbündeten Truppen bestimmt«.401 395 Otto Hintze, Imperialismus und Weltpolitik, in: Deutsche Freiheit, S. 114–169, Zitate 114. 396 Namensliste der Gremien (mit zahlreichen weiteren Namen) bei Kloosterhuis, Fried liche Imperialisten I, S. 345. 397 Kloosterhuis, Friedliche Imperialisten I, S. 347. 398 Reichsdeutsche Waffenbrüderliche Vereinigung. Satzungen, in: UA Gi Allg. 111, fol. 158. 399 Herbert Gottwaldt, Reichsdeutsche Waffenbrüderliche Vereinigung (RWV) 1915–1918, in: Lexikon zur Parteiengeschichte 3 (1985), S. 663–666. Zur Mitteleuropakonzeption s. u. S. 1072–1074. 400 Kloosterhuis, Friedliche Imperialisten II, S. 504 f. 401 Deutsche Waffenbrüderliche Vereinigung an Rektor Gi 17.7.1915 (mit Vermerken von Sommer 23.7.1915 und Eck 24.7.1915): UA Gi Allg. 111, fol. 153.
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Als ein Frankfurter dann die Gründung eines Ortsausschusses in Gießen vorschlug (und 21 Mitglieder, darunter vier Professoren der Universität, namentlich nannte), trat die Vereinigung an Sommer mit der Frage heran, ob er den Vorsitz übernehme oder wen er dafür empfehlen könne. Sommers Reaktion war eindeutig: Da die Universität die Mitgliedschaft erlangt habe, solle deren Rektor den Vorsitz des Ortsausschusses übernehmen.402 Dabei ging es ihm um die Führungsrolle der Institution, denn sein eigenes Rektorat war damals schon abgeschlossen. In Straßburg dagegen gab der Prorektor im Senat zwar einen Überblick über die bisherige Entwicklung, doch trat die Universität als Institution der Reichsdeutschen Waffenbrüderlichen Vereinigung nicht bei. Immerhin war der Senat damit einverstanden, »dass der Rektor die einzelnen Dozenten zum Beitritt auffordert«.403 Einem besonderen Historikerausschuß der Waffenbrüderlichen Vereinigung, der sich der Behandlung des »Werdegang[s] der Österreichisch-Ungarischen Monarchie« an Hochschulen und höheren Lehranstalten sowie der Förderung der entsprechenden »Fach- und Schulliteratur« annehmen sollte, gehörte eine ganze Reihe von Universitätshistorikern an.404 In Berlin war Friedrich Meinecke, der damalige Herausgeber der Historischen Zeitschrift, offenbar von Adolf von Harnack zur Mitwirkung aufgefordert worden.405 Neben diesen beiden waren 1917 auch Eduard Meyer und Otto Hoetzsch dabei, aus Straßburg der Bibliotheksdirektor und Landeshistoriker Wolfram – aus Gießen allerdings trotz der Existenz der Ortsgruppe offenbar niemand. Von anderen wichtigen Historikern der Zeit gehörten aus Göttingen Karl Brandi, aus Heidelberg Hermann Oncken, aus München Erich Marcks dem Historikerausschuß an.406
Vaterländischer Unterricht für die Zivilbevölkerung Da angesichts der Verschlechterung der Lebensbedingungen die bisherige Kontrolle öffentlichen Unmuts nicht mehr genügte, stellten staatliche Behörden ab Frühjahr 1916 Überlegungen zur Beeinflussung der Bevölkerung an, die in Ziel und Mitteln den späteren Vaterländischen Unterricht vorwegnahmen. (Teil davon war wohl auch die Wendung an die Gelehrten und Künstler.) In Würt402 Reichsdeutsche Waffenbrüderliche Vereinigung an Geheimrat [Sommer] 4.10.1915; Sommer an den Vorstand der Reichsdeutschen Waffenbrüderlichen Vereinigung 9.10.1915: UA Gi Allg. 111, fol. 153–156 bzw. 157. 403 Prot. der Senatssitzung vom 8.11.1915: ADBR 103 AL 116. 404 Der Historiker-Ausschuß der Reichsdeutschen Waffenbrüderlichen Vereinigung, An die Historiker Deutschlands, in: Historische Zeitschrift 118 (1917), S. 375 f. 405 Meinecke hatte zwar eine erste Zusammenkunft verpaßt, erklärte sich aber zur weiteren Mitarbeit bereit. M. an Harnack 13.6.1916, in: Meinecke, Neue Briefe, S. 220 f. 406 Namen unter dem Aufruf (wie A. 404).
626 Die Universitäten im Kriegseinsatz temberg forderte das Innenministerium im Februar 1917 das Stellvertretende Generalkommando auf, militärische Redner für die Inlandspropaganda zur Verfügung zu stellen.407 Im Sommer schließlich übernahm die Heeresleitung die Federführung und erließ »Leitsätze für die Aufklärungsarbeit unter den Truppen«. Diese Propaganda zur Weiterführung des Krieges, bis der »Vernichtungswille unserer Feinde gebrochen und Sicherheit für die wirtschaftliche Weiterentwicklung geschaffen« sei,408 wurde ab September 1917 als »Vaterländischer Unterricht« bezeichnet und bald auch auf die Heimat ausgedehnt.409 Auf Einladung des Kriegspresseamts fand vom 7.–10. August 1917 eine große Aussprache der mit Propaganda betrauten zivilen und militärischen Stellen statt (einschließlich der Aufklärungsoffiziere der Stellvertretenden Generalkommandos). Unter den fast 200 Teilnehmern waren sowohl ein Vertreter des Kulturbundes als auch ein Exponent des Unabhängigen Ausschusses für einen deutschen Frieden. »Aufklärungs-« bzw. »Propagandatätigkeit« (die Begriffe wurden offenkundig synonym verwandt) sollten »die Bevölkerung immer wieder zu neuem Durchhalten anspornen« und »ihre Zuversicht festigen«.410 Im März 1918 wurde schließlich auch eine Zentralstelle für Heimataufklärung geschaffen, die dem Auswärtigen Amt unterstand und im Gegensatz zwischen Oberster Heeresleitung und ziviler Reichsleitung die Haltung der letzteren einnahm, also für einen Verständigungsfrieden und gegen übermäßige Annexionen eintrat. Doch erst im Oktober 1918 wurde die gesamte Propaganda beim Reichskanzler zentra lisiert und dann in Zentrale für Heimatdienst umbenannt.411 Zu ihrem Beirat gehörte auch der Bund deutscher Gelehrter und Schriftsteller.412 Doch waren auf diesem Gebiet einzelne Bestandteile des Reichs schon vorausgegangen: Zunächst war die Universität Straßburg (in Anknüpfung an ihr reiches Angebot in Lazaretten) im Sommer 1916 vom Oberkommando der Armeeabteilung A gebeten worden, Vorträge an deren Frontabschnitt zu halten. Sie stellte ein Programm mit sechzig Vorträgen zu sieben Themenbereichen
407 Zu Bayern und Preußen s. Mai, »Aufklärung der Bevölkerung«, S. 206 f., zu Württemberg 211. 408 Die Leitsätze sind abgedruckt in: Deist (Hg.), Militär und Innenpolitik II, S. 841–848, Zitat 845. 409 Zur Anknüpfung an den traditionellen Vaterländischen [Geschichts-]Unterricht in der Armee Mai, »Aufklärung der Bevölkerung«, S. 230. 410 Auszüge aus dem Prot. in: Deist (Hg.), Militär und Innenpolitik II, S. 848–855, Zitate 849 bzw. 851 (Begriff), 849 (Aufgabe). 411 Johannes Karl Richter, Die Reichszentrale für Heimatdienst. Geschichte der ersten politischen Bildungsstelle in Deutschland und Untersuchung ihrer Rolle in der Weimarer Republik, Berlin 1963, S. 17–28. Als Kurzinformation auch Susanne Brandt, Zentralstelle für Heimataufklärung, in: Hirschfeld u. a. (Hg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, S. 975 f. 412 Kloosterhuis, Friedliche Imperialisten I, S. 349 A. 17.
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auf,413 wobei jeder Redner jeweils mit einem Vortrag die Front entlangreiste. Insgesamt wurden in drei Monaten von sieben Rednern 84 Vorträge gehalten. Zwar erlebten sie bei ihren Hörern »so atemlose Spannung« wie nie zuvor, doch mußte das Programm aufgrund der militärischen Lage dann eingestellt werden.414 Ende Mai 1917 erhielt die Universität die vom Stellvertretenden Generalkommando des XV. Armeekorps an verschiedene Behörden gerichtete Aufforderung, sich an der allgemeinen Volksaufklärung und positiven Beeinflussung der öffentlichen Meinung zu beteiligen. Dafür sollte eine besondere Organisation geschaffen werden. Dem Hauptausschuß des »Heimatdienstes«415 (der im Juni 1917 nach dem Vorschlag des Ministeriums für Elsaß-Lothringen zusammengesetzt wurde) gehörten Vertreter vieler Institutionen an (von der Armee über das Israelitische Konsistorium bis zur Zentralstelle für ländliche Wohlfahrt- und Heimatpflege), auch der Rektor der Universität.416 Schon im Juni wurde diesen Institutionen als Vorbild für die »Aufklärung bei der Truppe unter Zuziehung der Zivilbevölkerung« ein Bericht des Obmanns für die Truppenaufklärung übermittelt. Mit seiner Programmfolge aus Musikstücken, Vortrag (nicht länger als eine Stunde!), noch einmal Musikstücken und schließlich patriotischem Marsch am Schluß sei es ihm immer gelungen, mehrere Hundert Zivilpersonen zu erreichen.417 Zum Repertoire der Einflußmittel gehörten auch Unterhaltungsabende, Theateraufführungen, Feldpredigten.418 Gelegentlich fanden solche Veranstaltungen auch in der Aula der Universität statt.419
413 Vaterländisches, Fremde Länder und Völker, Vergangenheit und Gegenwart, Soldatisches in der Vergangenheit, Deutsche Kunst und Dichtung, Technik und Wirtschaft, Elsaß-Lothringen. Als Redner hatten sich – neben diversen Praktikern – ab Herbst 1916 der Geograph Sapper, die Historiker Stählin, Spahn und Bresslau, die Theologen Ficker, Mayer und Naumann sowie der Philosoph Otto von der Pfordten bereiterklärt. 414 Von den Professoren waren Sapper (Länder und Völker Österreich-Ungarns), F icker (Reise nach Brasilien), Stählin (Weltgeschichte des letzten Zeitalters), Naumann (Theodor Körner) tatsächlich zum Zuge gekommen. Der Universitätssekretär Hausmann hatte über »Weihnachten in der bildenden Kunst« gesprochen. Ficker, Bericht III (1916/17), S. 44–53, das Programm 46–49, Zitat 51. 415 Stellv. GK XV. Armeekorps 30.5.1917/Betr. Volksaufklärung: ADBR 103 AL 53. 416 S. die hektograph. Liste als Beilage zu: Stellv. GK XV. Armeekorps an Rektor Strb. 12.6.1917: ADBR 103 AL 194. Nach Livet/Rapp, Histoire de Strasbourg IV, S. 393 kon stituierte sich der Heimatdienst nach Kriegsausbruch »schnell«. Den Universitätsakten zufolge scheint es sich dagegen um die neugeschaffene Institution zu handeln. 417 Stellv. GK XV. Armeekorps 20.6.1917/Korpsbefehl: ADBR 103 AL 53. 418 Anne Lipp, Meinungslenkung im Krieg. Kriegserfahrungen deutscher Soldaten und ihre Deutung 1914–1918, Göttingen 2003, S. 70. 419 In der Nachbarschaft des in A. 415 genannten Schreibens findet sich ein anderes, in dem diese militärische Stelle für die Überlassung der Aula für die Darbietung eines Hofschauspielers dankt (Stellv. GK XV. Armeekorps an Rektor 24.8.1917). S. außerdem Hauptmann Stumpf an Rektor 25.5.1918 (Bitte um einen Hörsaal für 80–100 Hörer für einen Vortrag über Flachfeuer). Beide: ADBR 103 AL 53.
628 Die Universitäten im Kriegseinsatz Im Dezember 1917 organisierte der Heimatdienst, der seiner Selbstdarstellung zufolge »die Aufrechterhaltung der Stimmung zwecks Durchhaltens durch Aufklärung, Beratung und Hülfeleistung zu erreichen sucht[e]«, einen viertägigen Lehrgang, für den die Stadt Straßburg 30 Teilnehmer zu stellen hatte. Der ebenfalls dazu aufgeforderte, in Lyon aufgewachsene Rektor Emil Walter Mayer meldete »Ich werde gerne an der Veranstaltung teilnehmen, soweit es mir meine sonstigen Verpflichtungen gestatten«.420 Ob dies als freudige Zustimmung oder eher als ausweichende Reaktion zu deuten ist, muß offenbleiben. Doch hätte der damals für das Rektorat übergangene elsässische Kollege der KatholischTheologischen Fakultät wohl nicht mit »gerne« geantwortet.421 Die Universität jedenfalls unterstützte den Heimatdienst auch weiterhin: Verschiedene Professoren hielten im Rahmen seiner Veranstaltungen Vorträge.422 Ähnliches war in anderen Universitäten zu beobachten. In Jena z. B. wurden von den neun Vorträgen eines »Lehrgangs für vaterländischen Unterricht« fünf von Universitätsprofessoren aus Jena (4) und Halle (1) gehalten.423 Inwiefern diese historischen, juristischen und nationalökonomischen Vorträge für Multiplikatoren – die Teilnehmer waren überwiegend Lehrer und Pastoren – die Stimmung der Bevölkerung zu beeinflussen vermochten, ist allerdings unklar.424 Beim Stellvertretenden Generalkommando des in Kassel stationierten XI. Armeekorps wirkte neben der Jenaer auch die Marburger Universität mit, die, ähnlich wie die Straßburger, auch schon im Vorfeld der ab 1917 forcierten Propaganda-Aktivitäten beteiligt gewesen war.425 Zwar hat es den Anschein, daß die Professorenschaft im Lauf der Zeit in ihrem Engagement zurückhaltender wurde; denn im Oktober 1918 war – trotz ausdrücklicher Aufforderung des Dekans an die einzelnen – nur noch ein gutes 420 Elsaß-Lothringischer Heimatdienst. Kreisausschuß Straßburg-Stadt 5.11.1917 (Zitat); Stellv. GK 25.10.1917 [mit umfangreichem Verteiler]; Rektor an Stellv. GK 31.10.1917 (Zitat). Alle: ADBR 103 AL 194. Zu Mayer s. o. S. 104. 421 Zu Eugène Muller s. o. S. 238. 422 Ficker, Bericht IV (1917/18), S. 11. 423 Dazu kam der ehemalige Breslauer Ordinarius für Nationalökonomie, später Hochschulreferent des Kultusministeriums und als Pensionär nun Jenaer Honorarprof. Ludwig Elster. Biogr. Angaben nach: vom Brocke/Krüger (Hg.), Hochschulpolitik im Föderalismus, S. 400. 424 Das Programm ist, mit ähnlicher Skepsis bewertet, abgedruckt bei Reinhard Höhn, Die Armee als Erziehungsschule der Nation. Das Ende einer Idee, Bad Harzburg 1963, S. 559 f. Dieses Werk des im Nationalsozialismus prominenten Staats- und Verwaltungsrechtlers besteht überwiegend aus Paraphrasen und sehr ausführlichen Zitaten der herangezogenen Quellen. Bei Grüner, Die Universität Jena während des Weltkriegs, kommt der Vaterländische Unterricht nicht vor. 425 Außerdem diente ein Marburger Kirchenhistoriker ab April 1917 als Aufklärungs offizier beim Stellv. GK des XIII . (Württembergischen) Armeekorps. Wettmann, Heimatfront Universität, S. 334–336. Zur Verbreitung belehrenden Materials für die Unterrichtsoffiziere der Westfront s. Faßbinder, Begegnungen und Entscheidungen, S. 59.
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Viertel der Ordinarien der Berliner Philosophischen Fakultät bereit, sich am Vaterländischen Unterricht für die Zivilbevölkerung zu beteiligen. Oder sollte man sich angesichts der militärischen Lage in der zweiten Oktoberhälfte vielleicht eher wundern, daß immer noch ein Viertel die Weiterführung des Krieges unterstützen wollte? Jedenfalls schien dies offenbar ausreichend, so daß die Fakultät davon absah, auch die Extraordinarien und Privatdozenten aufzufordern.426 Wie sie sich diese Tätigkeit vorstellten, muß – angesichts der schlechten Berliner Quellenüberlieferung – allerdings offenbleiben. Aus anderen Universitäten dieser Zeit wird zwar ebenfalls eine Beteiligung der Hochschullehrer gemeldet, doch reduzierte sie sich bei näherer Betrachtung auf die Organisation von Vorträgen (auch Externer) in der Universität.427 Am aktivsten scheinen die Straßburger gewesen zu sein; denn in seinem letzten Bericht konnte der Theologe Ficker melden: »Insgesamt erreichen die Vorträge, die durch die Kriegsstelle in diesem Jahre [1917/18] hindurchgegangen [!] sind, die Zahl 500.« Ficker stellte diese Tätigkeit sehr ausführlich dar, ohne dabei allerdings nach Einsatzbereichen zu trennen: Lazarette, diverse Truppenteile, verschiedene »Organe des Heimatdienstes in Straßburg und im weiteren Umkreise«. Und von den Rednern waren, so weit in Listen zur Illustration verschiedener Themenbereiche Namen genannt wurden, die meisten nicht Hochschullehrer. Auch Redakteur, Landesgeologe, Stadtbibliothekar fanden sich darunter, und hinter den vielen Namen mit Professoren-Titel dürfte sich eine Reihe von Gymnasialprofessoren verbergen. Der Universitätssekretär Dr. Sebastian Hausmann z. B. hielt den Soldaten des Truppenübungsplatzes Oberhofen einen vierstündigen politisch-nationalökonomischen Kursus über das Deutsche Reich. »Für die 7. und die 8. Kriegsanleihe hat derselbe eine Reihe von Vorträgen in Straßburger Lazaretten (!), Soldatenheimen und vor Ersatzbataillonen im Elsaß gehalten und außerdem (mit ungefähr 15 Reden) wieder eine ausgedehnte Werbereise in ganz Süddeutschland ausgeführt.« Seine dabei gemachten Beobachtungen über die Wirkung des »Werbematerials der Reichsbank« meldete die Kriegsstelle der Straßburger Universität dann an die »zuständige Stelle« weiter. Angesichts des gesteigerten Interesses, aber auch »der in den weitesten Kreisen, auch im Elsaß selbst, bestehenden Mangelhaftigkeit der Kenntnis vom Reichs426 Die Aufforderung findet man in: Abt. für vaterländischen Unterricht und Vorträge beim Oberkommando in den Marken an Rektor Berlin 10.10.1918: UA HU Med. Fak. 294, fol. 164; das Ergebnis der Phil. Fak. im Sitzungsprot. vom 31.10.1918: UA HU Phil. Fak. 35, fol. 135. Es meldeten sich 17 von 60 (d. h. von 51 Ordinarien und 9 Ord. Honorar professoren) (Bestand des SS 1918). 427 Wettmann, Heimatfront Universität, S. 334–336 (mit Erwähnung des Danks an die Universitäten Jena und Marburg und einer Bilanz des Marburger Rektors). In Tübingen hatten sich auf Anfrage des Ministeriums Ende 1916 18 Dozenten bereit erklärt, an der Inlandspropaganda mitzuwirken. Doch ob sie sich tatsächlich beteiligten, war laut Paletschek, Tübinger Hochschullehrer im Ersten Weltkrieg, S. 94 nicht festzustellen.
630 Die Universitäten im Kriegseinsatz land« wurde der elsässisch-lothringische Schwerpunkt in der Vortragstätigkeit noch verstärkt.428 Für den umfassenden Lehrgang des Heimatdienstes, der im Dezember 1917 »unter außerordentlich großer Beteiligung in Straßburg abgehalten« wurde, schlug die Kriegsstelle auf dessen Bitte die Redner vor: Der prominenteste war wohl das ehemalige Reichstagsmitglied Martin Spahn (»Deutschlands Stellung in der Welt«), dazu kamen zwei Honorarprofessoren: der aus Böhmen stammende Direktor der Straßburger Gemäldegalerie Ernst Polaczek (»Deutsche Kunst im Elsaß«) und der Direktor der Universitäts- und Landesbibliothek Georg Wolfram (»Elsaß-Lothringen alte deutsche Erde«) sowie der Extraordinarius Werner Wittich (»Elsaß-Lothringen als Glied der deutschen Volkswirtschaft«). Außerdem sprachen der Universitätssekretär und der Stadtbibliothekar. Zum Abschluß führten der Dombaumeister und der Kirchenhistoriker Ficker durch das Münster. Ähnlich wie die Marburger Kollegen hielten aber auch die Straßburger daran fest, »daß der einzelne sich auf das Gebiet beschränkte, das er wirklich beherrscht.« Das begründeten sie allerdings nicht mit ihrem eigenen wissenschaftlichen Anspruch, sondern mit der volkspädago gischen Wirkung: »Nicht nur wegen der wirksamen Vermittelung geistiger Güter. Auch um der Er hebung der Stimmung willen, die uns das letzte und höchste Ziel war, und die auf die Dauer doch nur gewonnen wird, wenn die ganze Persönlichkeit mit ihrem Gegenstand innerlich verwachsen ist und gewissermaßen mitschwingt.«
Um eben dieser Stimmung willen hatte man auch »die Pädagogie der Rede nicht vergessen« und vieles nur wohldosiert vermittelt: »In Wirklichkeit war die scheinbar nebensächliche Bemerkung die Hauptsache, und das ruhige Hervorleuchtenlassen des Ewigen, des sittlichen Ideals oder des Vater landes als großen Hintergrundes, schuf uns die froh erhabene Stimmung, die wir haben wollten und haben mußten.«429
Das vaterländische Engagement der Straßburger erschöpfte sich aber nicht in Bekenntnissen oder Proklamationen. Vielmehr hatte die Universität auch im eigenen Haus die Gesinnung zu kontrollieren, und gelegentlich beanspruchten einzelne sogar ein gesellschaftliches Aufsichtsrecht für die Institution. 1917 wies die Regierung des Reichslandes alle Einrichtungen, so auch die Universität, an zu prüfen, ob es in öffentlichen Gebäuden »Darstellungen und Sinnbilder« gebe, die – ohne bedeutenden künstlerischen oder historischen Wert zu besitzen –
428 Ficker, Bericht IV (1917/18), S. 33–46, Zitate 34 (zur Zahl), 35 (zu Hausmann), 37 f. (zur fehlenden Landeskenntnis). 429 Ficker, Bericht IV (1917/18), S. 45 f., Zitate 46.
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geeignet seien, französische Erinnerungen wachzuhalten.430 Und im Herbst 1918 regte der Dekan der Philosophischen Fakultät, der Pädagoge und Philo sophiehistoriker Arthur Schneider an, daß sich der Rektor die »Beaufsichtigung (!!) der Zeitungsredaktionen« über die die Universität betreffende Berichterstattung ausbedinge. Doch das schien dem Zivilrechtler Andreas von Tuhr unmöglich, da die Zeitungen unabhängige Wirtschaftsunternehmen seien.431
Folgen der politischen Spaltung: Zerstörung der kollegialen Beziehungen Wie sich die Unterschriftenkampagnen, Aufrufe und Gegen-Erklärungen sowie die schließlich erfolgte organisatorische Zusammenfassung in zwei ›Lager‹ auf die Beziehung der Kollegen innerhalb der Universität auswirkte, läßt sich allenfalls an einzelnen Beispielen illustrieren. Sie belegen sowohl den von Meinecke (in der Schule) beobachteten Druck als auch die zeitweilige Attraktivität der vaterländischen Sammlungsbewegung (oder die Verwirrung der ›Verführten‹): So gehörte in Berlin etwa auch der seit Wintersemester 1916/17 dort wirkende Rechtsphilosoph Rudolf Stammler, der sich für rechtsstaatliche Zustände engagiert hatte und dessen Ideal der Sozialdemokrat Gustav Radbruch noch 1926 als das einer »Gemeinschaft frei wollender Menschen« würdigte, der Vaterlandspartei (und später der Deutschnationalen Volkspartei als ihrer Nachfolgerin) an.432 Sogar der junge Privatdozent Arthur Rosenberg, ein Schüler Eduard Meyers und während des Krieges selbst ein »Gefolgsmann Hindenburgs«, ließ sich der Vermutung mancher Historiker zufolge für kurze Zeit von der Vaterlandspartei ›verführen‹, bevor er sich Ende 1918 der USPD, 1920 der KPD anschloß und später zu dem berühmten Erforscher der Weimarer Republik wurde.433 Auch wenn Rosenberg selbst 1928 in seinem Buch über die Ent430 Staatssekretär an die vier Ministerialabteilungen und den Ksl. Oberschulrat 17.3.1917 [mit einem Vermerk des Staatssekretärs an den Kurator der Universität]: ADBR 103 AL 1429. 431 Allerdings hätten sich bei früheren Verhandlungen die Redaktionen der bürgerlichen Zeitungen (mit Ausnahme des dem Zentrum nahestehenden Elsässers) bereit erklärt, selbst bei der Universität zurückzufragen, falls sie bei Artikeln irgendwelche Bedenken hätten. Dekan der Phil. Fak. an Rektor Strb. 16.9.1918; Rektor Strb. an Dekan der Phil. Fak. 16.10.1918: 103 AL 1425. 432 Bruendel, Volksgemeinschaft oder Volksstaat, S. 302. 433 Die Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reichs hatte er 1914 unterschrieben. Die Formulierung von der Verführung nach Michel Humbert, La Romanisation de l’Italie, de Beloch à Rudolph, in: Hinnerk Bruhns/Jean-Michel David/Wilfried Nippel (Hg.), Die späte römische Republik. La fin de la république Romaine. Un débat FrancoAllemand d’histoire et d’historiographie, Rom 1997, S. 143–160, hier 155 (ohne Beleg). Francis L. Carsten stützt seine Vermutung, daß Rosenberg Ende 1917 der Vater-
632 Die Universitäten im Kriegseinsatz stehung der deutschen Republik beteuerte, er sei vor der Revolution nicht Mitglied einer Partei oder Organisation gewesen, bleibt zu bedenken, daß er sich 1917 noch »bemühte (….), seinem Lehrer und dessen Ansichten zu folgen«434 – und Meyer war eben eines der prominenten Mitglieder sowohl des Unabhängigen Ausschusses als auch der aus diesem hervorgegangenen Vaterlandspartei.435 Ein Sinneswandel in der entgegengesetzten Richtung scheint bei dem Straßburger Altphilologen Eduard Schwartz stattgefunden zu haben. Noch im Herbst 1916 lud er Meinecke, den er aus seiner ersten Straßburger Wirkungsphase kannte, zu einem Vortrag ein, um »die maßvollen Ideen der Bethmannschen Politik zu verbreiten. Ich wohnte bei ihm, und wir sind uns vorher und nachher nie wieder so nahegekommen wie damals. Humanität und Nationalität war noch unser gemeinsamer Grundakkord. Ein Jahr darauf ist er umgefallen. Die Reichstagsresolution machte ihn wütend, und er trat, wenn ich nicht irre, der Vaterlandspartei bei.«436
Meinecke irrte nicht! Auch aus Gießen ist ein ähnlicher politischer Seiten wechsel wie bei Schwartz bekannt: Der Direktor der Universitätsbibliothek Haupt hatte sich von der Fortschrittlichen Volkspartei abgewandt, als diese von Annexionsforderungen auf einen Verständigungsfrieden umgeschwenkt war, und agitierte nun für die Vaterlandspartei.437 In der Berliner Philosophischen Fakultät kam es schon infolge des Streits über die Kriegsziele 1915 zum Bruch zwischen Friedrich Meinecke auf der einen und Dietrich Schäfer samt Eduard Meyer auf der anderen Seite. Dabei hatte gerade Schäfer Meineckes Berufung im Sommer 1914 unterstützt, während Delbrück dagegen gewesen war. Und bei Meyer war Meinecke noch im W inter 1914/15 zu Gast gewesen. Angesichts der »Göttinger Clique« (Wilamawitz, Roethe, Wilhelm Schulze, Heinrich Lüders), welche die Fakultät dominierte, und der »Schäfermeierei« (!) schlossen sich andere ab 1915 enger zusammen, insbesondere der »Vierbund« von Meinecke, Hintze, Troeltsch, Herkner.438 Meinecke richtete einen regelmäßigen Sonntagsspaziergang ein, damit sie sich landspartei beigetreten und bis zum deutschen Zusammenbruch Mitglied geblieben sei, auf mündliche Äußerungen eines Freundes von Rosenberg im Exil Jahrzehnte später. F rancis L. Carsten, Arthur Rosenberg als Politiker, in: Geschichte und Gesellschaft. Festschrift für Karl R. Stadler (…), Wien 1974, S. 267–280, hier 268. 434 So sein gründlicher Biograph: Keßler, Rosenberg, S. 39 f., Zitat 40. 435 Vielleicht handelte es sich auch im Fall Rosenbergs, wie bei manchem anderen, nicht um formale Mitgliedschaft, aber doch geistige Nähe zur Vaterlandspartei. Oder er nahm das Selbstverständnis der Vaterlandspartei als Sammlungsbewegung auch später noch ernst. 436 Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 287. Zur früheren Begegnung S. 148, 156. (Meinecke kam 1901 nach Straßburg, Schwartz wurde 1902 wegberufen.). 437 Anderhub, Antoniterkreuz, S. 34. 438 Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 241 (zur Berufung), 250 (Zitate).
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austauschen konnten.439 Auch politisch wirkten die vier dann zusammen: bei der Intervention gegen den geplanten »Aufruf an unser Volk« 1916 und im Volksbund für Freiheit und Vaterland. Die Kluft zwischen den Berliner Kollegen wurde so tief, daß sie nicht einmal mehr in der Fremde zum Essen an einem Tisch Platz nahmen.440 Im Frühjahr 1918 sprach Wilamowitz bei den Hochschulkursen in Brüssel davon, wie die Altertumswissenschaftler »mit Glaube, Liebe und Hoffnung für die Macht und Ehre unseres Vaterlandes eingetreten sind (…). Von den Vertretern der neuesten Geschichte [könne er das] leider vielfach nicht« sagen. Dafür forderte Meinecke über den Dekan Genugtuung – und erhielt sie durch Wilamowitz’ Erklärung, er habe den Vertretern der Neueren Geschichte nicht das Nationalgefühl abgesprochen. Außerdem wandte Meinecke sich (da die Kränkung in einer vom Kultusministerium geförderten Zeitschrift publiziert war), wegen dieser »Ehrenangelegenheit« sogar an den Minister, um seine »öffentliche Ehre« wiederherzustellen.441 (Privat hatte Wilamowitz Meinecke sogar schon 1915 als »Miesmacher« bezeichnet.442) Die Spaltung wirkte sich aber nicht nur auf die kollegialen Beziehungen aus, sondern beeinflußte auch die privaten Beziehungen zu Nachbarn443 und Kollegen. Gewiß, manche politischen Gegner blieben weiterhin befreundet, Meinecke z. B. mit Below und mit dem Münchner Kollegen Marcks und letzterer wiederum mit seinem Schüler Veit Valentin444 (dem auf Belows Betreiben in Freiburg die venia legendi entzogen wurde). Mit ehemaligen Straßburger Kollegen, die er in Tournai wiedertraf, konnte Meinecke, trotz politischer Unterschiede, den alten Umgangston bewahren, wenn auch manchmal wohl nur durch Ausklammerung dieser alle bewegenden Fragen: 439 Weisbach, Geist und Gewalt, S. 174. Gelegentlich stießen auch auswärtige Gelehrte dazu, etwa Alfred Weber. 440 Zum Umgang der verfeindeten Kollegen bei den Hochschulkursen in der Etappe s. u. S. 1002. 441 Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Volk und Heer in den Staaten des Altertums, in: IMWKT 12 (1917/1918), Sp. 667–688, hier 686; Meinecke an den Dekan der Phil. Fak. 2.10.1918 (in: Meinecke, Neue Briefe, S. 237 f., Zitat 237; Erläuterungen zum Schreiben an den Minister in A. 2 dazu). Außerdem: Meinecke an den Dekan 6.10.1918 (ebd. S. 238). 442 In einem Brief an Eduard Norden vom Juli 1915 (offenbar o. D., datiert durch Norden). S. William M. Calder III /Bernard Huss (Hg.), »Sed serviendium officio…«. The Correspondence between Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff and Eduard Norden (1892–1931), Hildesheim 1997, S. 130. 443 Als Beispiel für die Beeinträchtigung nachbarlicher Beziehungen durch die politische Kluft s. Meineckes Gespräche beim Gemüseanbau (Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 229 f.). Zum Gemüseanbau s. o. S. 226 f. 444 Alle diese Hinweise in Barth, Dolchstoßlegenden, S. 122 f. S. als Beispiel für den Umgangston auch Meinecke an Below 26.3.1917 und 11.10.1921, in: Meinecke, Ausgewählter Briefwechsel, S. 89 und 103.
634 Die Universitäten im Kriegseinsatz »Der Erste, den ich traf, war natürlich Bruder Martin [Spahn] aus Straßburg, mit dem man ganz unbefangen über Nichtigkeiten sprach. Dann erschien auch bald Bresslau, ewig jung und quick wieder, und mit ihm und Troeltsch und Gundolf aus Heidelberg verplauderte ich die Abendstunden.«445
(Spahn vertrat bereits seit 1914 annexionistische Auffassungen.) Vielleicht fiel es mit Kollegen anderer Universitäten, die man von einem früheren gemeinsamen Wirkungsort her kannte, ja leichter, die alten Beziehungen quasi auf der alten Grundlage weiterzuführen, ohne die aktuellen Entwicklungen einzubeziehen. Wie politische Gegnerschaft zunächst verunsicherte und mittelfristig freundschaftliche Beziehungen beeinträchtigte, läßt sich an den Briefen des Berliner Kirchenhistorikers Karl Holl an seinen Jenaer Kollegen Hans Lietzmann ab lesen. Am Jahresende 1915 dachte Holl »wieder bloß an Krieg und Sieg, aber auch an die vielen Arbeitsgenossen, die nun fehlen.« Anfang 1917 schrieb er: »Ich denke, wir stehen im Jahr 1917 nicht anders zueinander als 1916. Wenn nur 1917 den deutschen Frieden bringt.« Ende September fragte er im Nachsatz zu einem kurzen Brief: »Sind Sie schon Mitglied der Vaterlandspartei?« Am Ende des Jahres war er »bewegter als sonst. Der Krieg hat so viele Freundschaften aufgelöst; ich wenigstens stehe so manchem meiner früheren Freunde mit dem Gefühl gegenüber, daß ich mich nie mehr so wie einstmals mit ihm werde finden können.«
Politisch aber hoffte Holl »trotz all der niederschmetternden Eindrücke« noch Ende Oktober 1918 auf ein »Aufwachen des Geistes von 1813«.446 Für manchen, etwa den Göttinger Altphilologen Richard Reitzenstein, brach mit der Erkenntnis der politischen Kluft zwischen befreundeten Kollegen eine Welt zusammen. Ende September 1917 schrieb er an Meinecke: »Wenn sie [!] entsetzt sind über den Nebel, in dem ich stecke, so ich über die Hoffnungslosigkeit, die aus Ihrem Briefe spricht und mich anzustecken droht. Ich möchte dann nicht mehr leben.«447 Der 76jährige Straßburger Nationalökonom Friedrich Knapp lehnte im Januar 1918 jedes Gespräch über Krieg und Kriegsfolgen ab.448
445 Meinecke an seine Frau 10.12.1917, in: Meinecke, Ausgewählter Briefwechsel, S. 92 f., Zitat 93. 446 Holl an Lietzmann 30.12.1915, 30.1.1917 (Hervorh. i. O.), 30.9.1917, 31.12.1917, 23.10.1918, in: Aland (Hg.), Glanz und Niedergang, S. 366, 385, 389, 393, 406. Zu Lietzmann s. BBKL 5 (1993), Sp. 46–54 (Hans-Udo Rosenbaum). 447 Richard Reitzenstein an Friedrich Meinecke, 29.9.1917, zit. bei Barth, Dolchstoßlegenden, S. 125 f. 448 So berichtete es sein Heidelberger Kollege Eberhard Gothein in einem Brief an seine Frau (Gothein, Gothein, S. 276).
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Folgen der politischen Spaltung: Verhinderung wissenschaftlicher Karrieren Die politische Spaltung des Lehrkörpers wirkte sich aber auch auf die Verhandlung von Fakultätsangelegenheiten aus. Gelegentlich galt die Unterstützung der Vaterlandspartei sogar als Ausweis der Zuverlässigkeit in Berufungsverfahren.449 In einigen Fällen be- oder verhinderte die Spaltung des Lehrkörpers auch die Karriere einzelner:450 Als sich der akademische Außenseiter Gustav Mayer, der sich nach langer journalistischer Tätigkeit über ein Jahrzehnt als Privatgelehrter der Geschichte der Arbeiterbewegung gewidmet hatte, in Berlin habilitieren wollte, um nach dem Krieg auch eine öffentliche Wirkungsmöglichkeit als Historiker zu haben, wurden alle Schritte sorgfältig erwogen und mit verschiedenen renommierten Befürwortern abgeklärt. Das Habilitationskolloquium mußte 1917 aber um über ein halbes Jahr verschoben werden, weil zunächst Mayer im Auftrag der Reichsregierung eine Konferenz der II. Internationale zur Frage der Beendigung des Krieges in Stockholm beobachtete und danach die Mehrzahl der Kommissionsmitglieder zu Vorträgen an die Westfront reiste. In der Zwischenzeit verstarb Mayers vielleicht versiertester Befürworter, Gustav von Schmoller. Seinen Vortrag widmete der Habilitand (im Januar 1918) einem ideengeschichtlichen Thema des 18. Jahrhunderts, gab den Gegnern aber, indem er jeweils nur knapp antwortete, die Gelegenheit, besonders viele Fragen zu stellen. Diese galten jedoch nicht dem Inhalt des Vortrags, auch nicht ideengeschichtlichen Zusammenhängen, sondern diversen Sach-Themen – bis zurück ins Mittelalter. Da »der Umfang« seines »historischen Wissens« nicht genüge, verweigerten Schäfer und dessen Anhänger, die in der Kommission über eine knappe Mehrheit verfügten, Mayer die venia legendi. Sofort sprachen Meinecke, Herkner und Hintze dem ›Durchgefallenen‹ ihre »Entrüstung« aus.451 Der Münchner Historiker Erich Marcks, der damals gerade in Berlin weilte, bot Mayer an, dessen Habilitation in München in die Wege zu leiten. Er erkannte, »wie groß die 449 Siehe dazu die Berufung Matthias Gelzers nach Straßburg (u. S. 744 f). 450 Ein erster pauschaler Hinweis auf die folgenden drei Fälle schon bei Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 181. Allerdings trifft die zusammenfassende Bezeichnung »Dozenten« für Mayer nicht zu, da er bislang ja nur Forscher war und die Lehrbefugnis erst erwerben wollte. 451 Gustav Mayer, Erinnerungen. Vom Journalisten zum Historiker der deutschen Arbeiterbewegung, Zürich u. a. 1949, S. 283–286, Zitate 286; genauere Darstellung und Analyse: Gottfried Niedhart, Mayer versus Meyer. Gustav Mayers gescheiterte Habilitation in Berlin 1917/18, in: Armin Kohnle/Frank Engehausen (Hg.), Zwischen Wissenschaft und Politik. Studien zur deutschen Universitätsgeschichte. Fs. für Eike Wolgast zum 65. Geburtstag, Stuttgart 2001, S. 329–344.
636 Die Universitäten im Kriegseinsatz Spannung innerhalb der [Berliner] Fakultät unter der Einwirkung des Krieges« geworden war, und meinte, »daß die Alldeutschen mit Freude die Ge legenheit (…) ergriffen haben, um Meinecke und mit und in ihm den ›Kühlemännern‹ [!] ein Bein zu stellen.«452 (Der Diplomat Richard von Kühlmann war seit August 1917 Staatssekretär im Auswärtigen Amt und hatte an der Bildung der neuen Reichsleitung, der auch Vertreter der Mehrheitsparteien des Reichstags angehörten, mitgewirkt). Mayer selbst vermutete, daß auch die »Abneigung gegen den Outsider, vielleicht auch den Juden und den Mann, der gegen die ›Vlamenromantik‹ geschrieben hatte«, mit im Spiel war.453 (In letzterem Punkt hatten der gescheiterte Habilitand und sein vehementester Gegner, Dietrich Schäfer, explizit gegensätzliche Standpunkte vertreten – wobei Mayer aufgrund seiner mehrjährigen Arbeit in Belgien aber über die größere Landeskenntnis verfügte.454) Meinecke hätte die nun vorgeschlagene Habilitation Mayers in München gerne gesehen, weil dann »eine andere Fakultät die Berliner desavouiere«.455 Gewiß wurde auch in diesem Fall der »politisch-ideologische Kampf« zwischen beiden Lagern »innerhalb der Fakultät, oft bei Habilitationen, als eine Art Konfliktsublimierung ausgetragen«. Daß sich dabei aber der »Antagonismus der reaktionären Historiker« nicht »gegen die wissenschaftliche Persönlichkeit. Mit großer Wahrscheinlichkeit auch nicht gegen den Juden« gerichtet habe,456 vermag nicht zu überzeugen. Wer die Äußerungen des mächtigsten
452 Gustav Mayer an Gertrud und Karl Jaspers 10.1.1918, in: Gottfried Niedhart (Hg.), Gustav Mayer. Als deutsch-jüdischer Historiker in Krieg und Revolution 1914–1920. Tagebücher, Aufzeichnungen, Briefe, München 2009, S. 415 f., hier 415. Gertrud Jaspers war Mayers Schwester. 453 Mayer an das Ehepaar Jaspers 6.1.1918, bei Niedhart (Hg.), Deutsch-jüdischer Histo riker, S. 411–413 (Zitat 413). 454 Dietrich Schäfer hatte in einem Flugblatt Die Vlamen und wir die Frage »für weitere Kreise besprochen« (Schäfer, Mein Leben, S. 215). Mayer war Korrespondent der Frankfurter Zeitung in Brüssel gewesen. Während des Krieges hatte er sich für die Tätigkeit dort zur Verfügung gestellt, arbeitete in der Zivilverwaltung des Generalgouvernements Belgien zunächst in der Pressezentrale und war dann mit der Sichtung diplomatischer Akten und Abfassung von Denkschriften betraut. In der von Grabowsky herausgegebenen Zeitschrift der Reichs- und Freikonservativen Partei hatte er die »Flamenromantik« kritisiert und festgestellt, daß – infolge zweier »auf romanischem Boden geborene[r] Geistesströmungen«, nämlich Gegenreformation und Französische Revolution – »die Seelen beider Völker«, der Deutschen und der Flamen, »einander gegenwärtig unendlich ferner [seien] als ihre Sprachen«, nur die kleine, einflußlose Gruppe der Jungflamen deutschfreundlich: Gustav Mayer, Flamenromantik, in: Das neue Deutschland 4 (1916), S. 349–351. 455 Mayer an das Ehepaar Jaspers 10.1.1918, in: Niedhart (Hg.), Deutsch-jüdischer Histo riker, S. 415 f., Zitat 415. 456 So Pawliczek, Akademischer Alltag, Zitate S. 456, 460.
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dieser Gegner über einen anderen Gelehrten berücksichtigt,457 wird den Faktor Antisemitismus nicht außer Acht lassen können.458 Der ›Fall Valentin‹ spielte sich zwar in Freiburg ab, fand aber an den Universitäten und in der Presse reichsweite Aufmerksamkeit.459 Auch von dem Ber liner Fachkollegen Delbrück wurde er in dessen Preußischen Jahrbüchern mehrfach kommentiert und als bezeichnend für die politisch-moralische Lage der Gelehrtenwelt gedeutet. Der frischgebackene Titularprofessor (und bedeutende Erforscher der Revolution von 1848) Veit Valentin hatte 1916 den Wortführer der Annexionisten in Freiburg, Georg von Below, provoziert, indem er ihm seinen Artikel über einen führenden Alldeutschen zusandte (den Below als Angriff auf sich selbst verstand, weil er vom selben ›Geist‹ war wie der Kritisierte): »[Ernst] Graf Reventlow als Geschichtsschreiber«. Valentin verglich die erste Auflage von »Deutschlands auswärtige Politik 1888–1914« (1914) mit der dritten, völlig neu bearbeiteten von 1916 und kam zu dem Schluß: »[D]er Geist und die Art des Publizisten hat das Ziel und den Charakter des Geschichtsschreibers vernichtet.« Aus einer »guten, gründlichen Arbeit« sei mittels »historiographischer Demagogie« »eine systematische Irreführung« geworden.460 Anders als Max Weber bei inhaltlich ganz ähnlichen Angriffen, verzichtete Valentin allerdings auf die »kanonisierten Formen der Nationalrhetorik« und jegliche »Absicherungs-Chiffren von ›Pflicht und Schuldigkeit‹ und ›Ehre‹«. An Valentin wurde nun ein Exempel statuiert. Für Below, damals auch Rektor,461 stand am Anfang Valentins Schrift über die belgische Frage – und rückblickend bezeichnete er den Fall als »Episode« im innenpolitischen Kampf zwischen Bethmann 457 Als Max Weber Georg Simmel für eine Professur in Heidelberg vorgeschlagen hatte und der badische Kultusminister Dietrich Schäfer um eine Äußerung bat, schrieb dieser unter anderem: »Ob Prof. Simmel getauft ist oder nicht, weiß ich nicht, habe es auch nicht erfragen wollen. Er ist aber Israelit durch und durch, in seiner äußeren Erscheinung, in seinem Auftreten und seiner Geistesart.« Daß mit scheinbarer political correctness das Wort »Jude« vermieden wird, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß es hier gerade um ein in der antisemitischen Publizistik verbreitetes Judenbild geht. Beleg und weitere Beobachtungen bei Maurer, Diskriminierte Bürger, S. 32 f. 458 Pawliczek verwirft den Faktor, wie zitiert, im Fall Mayers, obwohl sie selbst Schäfers Stellungnahme zu Simmel zitiert (Akademischer Alltag, S. 317) und auch vermutet, daß hier »eine Verknüpfung des antisemitischen Bildes mit dem Antagonismus gegenüber der Soziologie als einem ›jüdischen Fach‹ eine Rolle« gespielt habe. Genau so könnte man cum grano salis auch bezüglich Mayers argumentieren, der sich als Historiker der Arbeiterbewegung mit einem als jüdisch diffamierten Gegenstand beschäftigte. 459 Cymorek, Below, S. 265 f. (mit Nachweis eines Briefes des Heidelberger Nationalökonomen Eberhard Gothein an Meinecke und Zitat aus der Stellungnahme Grabowskys im freikonservativen Neuen Deutschland). 460 Veit Valentin, Graf Reventlow als Geschichtsschreiber, in: Preußische Jahrbücher 165 (1916), S. 243–252, Zitate 244, 243, 251 (zweimal). 461 Da der Landesherr rector magnificentissimus war, war Below formal nur Prorektor, faktisch aber stellte er, von den Kollegen gewählt, die eigentliche Universitätsspitze dar.
638 Die Universitäten im Kriegseinsatz Hollweg und Admiral Tirpitz.462 Below warf Valentin – wohl gemerkt, wegen dessen Kritik an einem völkischen Publizisten! – einen Mangel an korporativer Gesinnung vor und brachte die Fakultät dazu, ihm »einstimmig die schärfste Mißbilligung« auszusprechen und ihn zum Verzicht auf die venia legendi aufzufordern (obwohl der Dekan Valentin zunächst versichert hatte, nach seiner Ansicht habe die Fakultät keinen Anlaß, »sich mit diesem rein privaten Verwürfnis zu beschäftigen«). Dabei stand nämlich noch ein anderes Problem im Raum.463 Inzwischen hatte nämlich der Herausgeber der Süddeutschen Monatshefte Paul Coßmann einen Beleidigungsprozeß gegen Valentin angestrengt (weil dieser behauptet hatte, Admiral von Tirpitz, bis März 1916 Oberbefehlshaber der Marine, habe in der U-Boot-Debatte mit falschen Zahlen operiert). Das Ministerium hielt zwar das Verhalten eines »junge[n] Gelehrte[n] einem älteren Ordinarius« gegenüber (»dem er auf Parteivoreingenommenheit beruhende Urteilslosigkeit« vorwerfe) für »keineswegs angemessen«, mißbilligte aber auch »entschieden« »die Maßlosigkeit« der Angriffe von Belows auf Valentin in seiner Beschwerdeschrift. Dieser Fall biete keinen »ausreichenden Anlaß« zum Entzug der venia. Inzwischen hatte Below Valentin aber außerdem öffentlich vorgeworfen, sich ohne berechtigte Gründe der Militärpflicht entzogen zu haben bzw. (wohl durch die Arbeit für das Außenministerium) sich entziehen zu lassen haben. Das Ministerium hielt den Vorwurf für »unbegründet« und konnte nicht verstehen, daß von Below »es für seine staatsbürgerliche Pflicht gehalten hat, die mit dem Kampfe der Meinungen in keinem Zusammenhang stehende Militärpflicht Valentins zum Gegenstand öffentlicher Erörterungen zu machen.« Falls es Anlaß zur Stellungnahme gegen Valentin gegeben hätte, hätte Below die Fakultät anrufen sollen, statt »einen Fakultätsgenossen« öffentlich anzugreifen.464 Schließlich hielt es das Ministerium nicht für nötig, den beiderseitigen Beschwerden Belows und Valentins weiter nachzugehen, da sie sich durch Valentins Ausscheiden aus der Fakultät ohnehin erledigen würden. Da Valentin früher erklärt hatte, er werde bei einem ungünstigen Prozeßausgang auf die venia verzichten, forderte ihn das Ministerium nach dem Urteil465 dazu auf. Daraufhin erbat er sich eine Beurlaubung, bis er sich an einer anderen Fakultät habe habilitieren können.466 Für den Entzug der venia, der auf Antrag der 462 Ich folge hier der Darstellung von Cymorek, Below, S. 263–267, Zitate 26, 264. 463 Die Schreiben des Dekans an Valentin vom 18.10.1916 und zuvor vom 28.8.1916 sind abgedruckt in: Felix Rachfahl (Hg.), Der Fall Valentin. Die amtlichen Urkunden. Im Auftrage der Philosophischen Fakultät zu Freiburg i. Br., München u. a. 1920, S. 43 f., 3 f. 464 Erlaß des Bad. KuMi an Phil. Fak. Freiburg 15.11.1916, in: Rachfahl (Hg.), Der Fall Valentin, S. 54–56, Zitate 55 f. 465 Er mußte alle gegen Coßmann vorgebrachten Äußerungen zurücknehmen sowie die Kosten des Verfahrens tragen. 466 Bad. KuMi/Hochschulreferent Schwörer an Valentin 9.12.1916; Valentin an Schwörer 15.12.1916; beide in: Rachfahl (Hg.), Der Fall Valentin, S. 83 f.
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Fakultät durch das Ministerium zu geschehen hatte, boten die Prozeßa kten diesem eine ausreichende Grundlage. Doch sah es in Belows »Person, wie in der Sachlage, in dem Vorgehen des Professors Coßmann und in den Rücksichten, die in der Kriegszeit vielfach geübt werden, Gründe dafür«, Valentin den Verzicht »durch Verschiebung der Entscheidung zu erleichtern«.467 Es gewährte ihm Aufschub bis zum Ende des Sommersemesters 1917, um freiwillig auf die venia zu verzichten.468 Der Erlaß, der nur Valentin zugestellt und der Fakultät zur Kenntnis gegeben war, war wenige Tage später in der Presse zu lesen. Da die Veröffentlichung auf eine Mitteilung Belows an einen Berliner Freund zurückging, sprach ihm das Ministerium eine »ernste Mißbilligung« wegen »Verletzung des Amtsgeheimnisses« aus.469 Am 13. Mai 1917 verzichtete Valentin, mittlerweile als Telegraphist im Felde stehend (»vor Ypern«), auf die venia. Seine Bitte, ihm zu erklären, wie das Schreiben des Kultusministeriums, »mit politischen Zuspitzungen versehen«, an die Presse gelangen konnte, beantwortete die Fakultät damit, daß sie keine Veröffentlichung veranlaßt habe und weitere Erörterungen darüber ablehne.470 In einer Auseinandersetzung zwischen zwei Angehörigen unterschiedlichen Status und unterschiedlicher politischer Gesinnung, die nach der ursprüng lichen Auffassung des Dekans gar nicht Angelegenheit der Fakultät war, hatte diese aber bald, wie von Below gewünscht, agiert. Und dieser hatte sich nicht gescheut, Valentins staatsbürgerliche Pflichterfüllung in Zweifel zu ziehen, weil er vom Dienst bei der militärischen Postüberwachung ins Auswärtige Amt gewechselt war. Ja, in dieser Situation zog Below sogar Valentins akademische Qualifikation in Zweifel, in dem er in einem langen Promemoria auch schrieb: »Hervorragende Leistungen hat er nicht aufzuweisen. Aber er hat seine sechs Jahre abgesessen und hat einiges geleistet, so daß der Vorschlag [ihn zum Titularprofessor zu machen] nicht unberechtigt war.«471 Nach den gültigen Bestimmungen genügte dies allerdings nicht!472 Insofern desavouierte Below in seinem Eifern gegen Valentin auch seine eigene Fakultät und damit sich selbst. Am Ende mußte sich die Fakultät (die in Freiburg nur aus Geisteswissenschaftlern bestand!) sogar vom Ministerium durch Interpretation von Zitaten aus den 467 Erlaß des Bad. KuMi an Phil. Fak. Freiburg 15.1.1917, in: Rachfahl (Hg.), Der Fall Valentin, S. 87–91, Zitate 91. 468 Erlaß des Bad. KuMi an Prof. Valentin 5.2.1917, in: Rachfahl (Hg.), Der Fall Valentin, S. 98 f. 469 Ministerialerlaß an Professor von Below 3.3.1917, in: Rachfahl (Hg.), Der Fall Valentin, S. 111 f., Zitat 112. 470 Valentin an Phil. Fak. Freiburg 13.5.1917, in: Rachfahl (Hg.), Der Fall Valentin, S. 118 f. (Reaktion der Fakultät 119 A. 2). 471 Promemoria des Professors v. Below 7.10.1916, in: Rachfahl (Hg.), Der Fall Valentin, S. 21–33, Zitat 28 f. 472 Siehe die Erinnerung des Ministeriums im Erlaß vom 15.11.1916 (wie A. 464), S. 56.
640 Die Universitäten im Kriegseinsatz Alldeutschen Blättern vorführen lassen, wie man Texte liest.473 – Valentin fand nach dem Krieg zwar eine Anstellung im Reichsarchiv, aber nie mehr eine Position an einer Universität.474 Below wurde in dieser Auseinandersetzung auch von seinem Berliner Gesinnungsgenossen Eduard Meyer unterstützt. Entsprechend instruiert, nahm dieser sich in einem Artikel der Süddeutschen Monatshefte über die »Vorgeschichte des Weltkrieges« auch Valentin vor und sprach ihm die »Befähigung für selbständige geschichtliche Arbeit« ab. Die Gegenseite sprang Valentin bei: Für Delbrück wurde der Fall zum Sinnbild für neue Methoden und ein neues Stadium des Kampfes; doch knüpfte er zunächst an Belows Darstellung und Verfahrenweise in der Auseinandersetzung um die Vaterlandspartei an: Hinter dem langen Hin und Her über den Abdruck eines Briefes von Belows vermutete er als »Zweck« die Verwirrung der Leser, damit sie dies nur noch als unwichtige persönliche Auseinandersetzungen verstünden. Außerdem warf Delbrück Below wiederum diverse Falschinformationen und Fehldeutungen bzw. sogar dem Wortlaut widersprechende Wiedergabe seiner eigenen (Delbrücks) Aussagen vor. Daran schloß er die Bemerkung, daß die Freiburger Universität Valentin »wegen gewisser Unkorrektheiten, die er sich als Publizist hatte zu Schulden kommen lassen«, zum Verzicht auf die venia bewegt habe. Doch das seien »wahre Bagatellen« gewesen im Vergleich zu Belows Umgang mit Texten. »Mir scheint, wenn Recht und Gerechtigkeit noch in der Welt sind, so sollte die Freiburger Philosophische Fakultät sich ermannen und Herrn Professor Valentin seine venia jetzt zurückgeben.«475 Als die Freiburger Fakultät daraufhin eine Berichtigung einsandte, der zufolge nicht Unkorrektheiten als Publizist, sondern der Coßmann-Prozeß die Ursache gewesen sei, konterte Delbrück, man könne darüber streiten, ob die Verfehlungen, um die es in diesem Prozeß gegangen sei, »publizistischer Natur waren oder sonst etwas«. Dann überführte auch er, wie zuvor schon das Ministerium, die Fakultät mangelnden Textverständnisses: Sie habe die Ironie seines Vorschlages überhört; denn da es ihm fernliege, Below die venia zu entziehen, müsse diese Valentin um ›des Rechts und der Gerechtigkeit willen‹ jetzt zurückgegeben werden. Daß ein Konflikt zwischen Below und Valentin die Wurzel von dessen Konflikt mit der Fakultät sei, erwähnte 473 Es ging um die Beschuldigung der Entziehung aus der Militärpflicht. Das sei zwar, wie von der Fakultät vorgebracht, gegen das Auswärtige Amt gerichtet gewesen, enthalte aber auch (!) eine Spitze gegen Valentin (der sich durch Arbeit für das Auswärtige Amt der »Unbequemlichkeit des Postdienstes« habe entziehen können). (Bad. KuMi 15.1.1917, in: Rachfahl [Hg.], Der Fall Valentin, S. 87–90, hier 88). 474 Nur durch Lehraufträge an der Berliner Handelshochschule und der Hochschule für Politik konnte er mit Studenten im Kontakt sein. 475 [Hans] Delbrück, Zur Charakteristik Professor Georgs von Belows, Vorstandsmitglied des Alldeutschen Verbandes und Mitglied des engeren Ausschusses der Vaterlandspartei, in: Preußische Jahrbücher 172 (1918), S. 434–439, Zitat 437.
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Delbrück nur und rief dann noch die bekannte Verletzung des Amtsgeheimnisses in Erinnerung, die erst den »Hauptschlag gegen Herrn Valentin in der Presse« ermöglicht habe. (Das genügte allerdings völlig, um die Gefahr deutlich zu machen, die auch der Korporation drohte, wenn ein politisch mißliebiger Kollege durch Denunziation ausgeschaltet werde.) Kurz informierte Delbrück auch über den Hobohm-Below-Prozeß, in dem Below zugegeben hatte, daß die Klage gegen Hobohm nicht einmal auf einer Information des Büros der Vaterlandspartei, sondern allein auf seiner eigenen ›Kombination‹ beruhe. Delbrück gestand zwar ein, daß Hobohm Below »sehr scharf angefaßt« habe, doch schließlich werfe Below selbst ja »jedem seiner Gegner, bei dem er irgend einen Irrtum findet, böse Absicht, Fälschung, Handeln wider besseres Wissen« vor. Genau diesem »Typus« aber gelte sein, Delbrücks, Kampf. Alle idealistischen Bewegungen liefen Gefahr, von »Fanatikern« verunstaltet zu werden, so auch der deutsche Nationalgedanke durch die Alldeutschen. Der Fanatismus aber wolle »den Gegner nicht verstehen, sondern ihn vernichten, physisch und moralisch.« Aus seiner alldeutschen Gesinnung habe sich »auch ein Gelehrter« zu charakterlichen Verdächtigungen des politischen Gegners hinreißen lassen und sogar dazu, diesem gar nicht geäußerte Ansichten unterzuschieben. (Damit war, wenn auch nur implizit, noch einmal der Gelehrte, der die Methoden seines Faches verraten hatte, vorgeführt.) Ihm, Delbrück, gehe es dabei nicht um den Kampf auf »diese(m) persönlichen Gebiet«, sondern um den Kampf gegen die »Vergiftung unseres politischen Lebens«,476 also um das Gemeinwohl.477
Studentische Beteiligung an der Gesinnungspflege Der andere Teil der universitären Gemeinschaft, die Studierenden, war auf dem Gebiet der Gesinnungsbildung viel weniger engagiert. Zwar gab es, im Kleinen der Wendung der Gelehrten an die Kollegen im neutralen Ausland vergleichbar, Aufrufe, persönlich an ausländische Kommilitonen zu schreiben und deutsches Informationsmaterial beizulegen; denn als Dank für die »stets gerne« gewährte Gastfreundschaft erwartete man nun »Verständnis für unsere Worte und unsere Lage«.478 Doch im allgemeinen ging es um die Wirkung innerhalb des eige nen Kreises (nicht in die Gesamtgesellschaft hinein wie bei den Professoren).
476 [Hans] Delbrück, Die Freiburger Fakultät zu dem Streit v. Below – Valentin, in: Preußische Jahrbücher 173 (1918), S. 116–118, Zitate 116 f., 118. 477 Zur Auseinandersetzung mit dem Fall nach der Revolution s. Albert Malte W agner, Der Fall Valentin und die »Hochschuldämmerung«, in: Das neue Deutschland 7 ( 1918–1919), S. 438–440 sowie: Nachwort der Redaktion, S. 440. 478 Aufruf des Studentischen Luftflottenvereins, wiederabgedruckt in: BAN IX (1914/15), S. 52.
642 Die Universitäten im Kriegseinsatz Das geschah hauptsächlich in den studentischen Zeitschriften und Vorträgen der diversen Vereinigungen. Die Akademische Rundschau, also das Organ der Freistudentenschaft, begründete ihr Weitererscheinen nicht nur mit »äußeren Gründen« (also den »regelmäßigen Lauf sämtlicher Betriebe«, auch der Drucke reien, des Buchhandels etc. aufrechtzuerhalten), sondern führte noch wichtigere »innere Gründe« an: »Ward nicht eben erst das Gedächtnis des Jahres 1813 gefeiert? Was gab jener großen Zeit die Größe, wenn nicht die Durchgeistigung des nationalen Kampfes! Dieses Mitstreitertum des Geistes darf heute nicht fehlen.«
Die Zeitschrift wollte also den ganz unterschiedlich am Krieg Beteiligten – »als Kombattanten, im Sanitätsdienst, in sonstiger Hilfstätigkeit, als Fortführer derjenigen Arbeiten des Friedens, die nicht verlassen werden dürfen« – helfen, den »Fortbestand ihrer ideellen Gemeinschaft« aufrechtzuerhalten.479 Den ersten Artikel schrieb der Historiker Karl Lamprecht, der schon häufig in freistudentischen Kreisen aufgetreten und dann sogar zu ihrem Protektor gewählt worden war:480 »Geistige Mobilmachung«. Vermutlich in der vierten Kriegswoche sah Lamprecht die Deutschen durch die Feinde bereits »zum Weltmachtsvolk proklamiert«. Die innere Entwicklung der Nation deutete er als »Mündig sprechung« (ähnlich wie beim Individuum durch Firmung oder Konfirmation), sah wegen des »Stockens« der »Kulturelemente des Westens« eine zentrale Rolle der Germanen unter deutscher Führung voraus und definierte ihre Aufgabe als »Abwehr russischer Barbarei«.481 In den Akademischen Blättern des Kyffhäuser-Verbandes publizierten – als dessen Alte Herren – mehrere Professoren, gelegentlich Dietrich Schäfer, Reinhold Seeberg, allen voran aber der Leitartikler der Kreuz-Zeitung und Berliner Osteuropahistoriker Otto Hoetzsch. Neben anderen Beiträgen schrieb er zu Gedenktagen des Reichs (Sedantag 1914, Reichsgründungstag 1917) und zum »Kriegsneujahr 1916« bzw. 1918. In diesen Aufsätzen legte er in aller Ausführlichkeit seine Analyse des Kriegsverlaufs dar. Da er erkannte, daß »mit historischen Rückblicken (…) ebensowenig gedient« sei wie mit allgemeinen Durchhalteappellen, die »sich durch übermäßigen Gebrauch« »etwas ab[griffen]«, erblickte er seine Aufgabe darin, »Klarheit [zu schaffen], wohin und auf wel-
479 In Sachen der »Akademischen Rundschau«, in: AR 2 (1913/14), S. 562. 480 Wipf, Studentische Politik und Kulturreform, S. 34. Zur Regelung eines Konflikts mit der Freistudentenschaft als Rektor in Leipzig 167–169. 481 K. Lamprecht, Geistige Mobilmachung, in: AR 2 (1913/14), S. 563–565. Die Datierung ergibt sich aus dem Bezug auf »Lüttich, Luneville und Mülhausen« im ersten Abschnitt, denen er »die besten Hoffnungen« entnimmt. Tannenberg ist dagegen noch nicht genannt. Der Aufsatz wurde gekürzt wieder abgedruckt in: Die Post 426, 8.9.1914 (Ausschnitt in: GStA PK I. HA Rep 76 Va Sekt. 1 Tit. I Nr. 1 Bd. IV, fol. 42).
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che Ziele wir durchhalten müssen.«482 An der Jahreswende 1917/1918 sah er sich zwar in seinen Analysen bestätigt: »›Die Welle von Tannenberg erreichte das Zarenschloß im März 1917‹, als Frucht unserer Siege brach die russische Revolution aus, die ein Werk Hindenburgs und Ludendorffs ist.« Ähnliche mittelfristige Erfolge prophezeite er dem U-Boot-Krieg. Doch er ließ keinen Zweifel daran, daß »die letzte Phase des Krieges (…) wie bei jedem Wettbewerb die äußerste Kraftanstrengung erfordert« und konnte »noch nicht über das Ende des Krieges hinaussehen«. Die Abwägungen mündeten in den Appell, nicht nur den glorreichen Heerführern und Truppen zu danken, sondern »an unserem Teile jeder alles mit[zu]tun, was dazu dient, die militärische Frucht dieses Riesen ringens politisch sicherzustellen für die Machtstellung des künftigen deutschen Weltreiches.«483 Neben den Artikeln der Alten Herren (etwa auch des Christlich-sozialen Reichstagsabgeordneten und späteren Mitbegründers der DNVP, Reinhard Mumm, diverser Pfarrer und zahlreicher unbekannter Promov ierter) traten die eigenen Beiträge der Studenten ganz zurück – was in der ›Lebensgemeinschaft‹ der Korporierten vermutlich gar nicht als Manko empfunden wurde und zudem auch dem allgemeinen Profil dieser Zeitschrift entsprach, die sich mehr allgemeinen politischen Fragen des Deutschtums als den studen tischen Angelegenheiten widmete. Ganz anders in den Burschenschaftlichen Blättern: Dort standen auch bezüglich des Krieges die Auswirkungen auf die Studenten, ihre Organisationsform, das Studium (und die nötigen Reformen) im Vordergrund. Sogar die abgedruckten Feldpostbriefe sind allenfalls indirekt als gesinnungsbildend einzustufen, insofern sie immer wieder in munterem Ton interessante Erlebnisse darboten484 (und so, getreu dem alten englischen Motto Join the army and see the world, vielleicht für den Militärdienst ›werben‹ konnten). Doch wurde dies von anderen Schilderungen konterkariert.485 In den Vereinen der Studentinnen wurden, besonders bei den regelmäßigen Treffen und Strickabenden, auch die Kriegsvorträge auswärtiger Professoren gelesen, im Marburger Verein im Winter 1914/15 z. B. die Deutschen Reden der Berliner Professoren, aber auch Texte von (Houston Stewart) Chamberlain.486 Allerdings scheint dies bald wieder zurückgegangen zu sein. Immerhin bewie-
482 AB 29 (1914/15), S. 174–178; AB 30 (1915/16), S. 327–329; AB 32 (1917/18), S. 174 f.; AB 31 (1916/17), S. 258 f., Zitate 259. 483 AB 32 (1917/18), S. 174 f. 484 [-] Riedel, Mit S. M. S. »Puck« nach Libau, in: BB 30/1 (WS 1915/16), S. 10 f.; [-] Goldmann, Wir Barbaren! [Feldpost], in: BB 30/1 (WS 1915/16), S. 11 f. In diese Rubrik läßt sich auch einordnen: Vom Leben und Treiben russischer Gefangener, in: BB 29/2 (SS 1915), S. 247. 485 Siehe dazu o. S. 312, 315. 486 S IV (1915), S. 14.
644 Die Universitäten im Kriegseinsatz sen die Studentinnen ihre deutsche Gesinnung mittels der Orthographie: Sie zupften »Scharpi«!487 Doch beschäftigten sich die Vereine weiterhin in Vorträgen mit der Zeitlage: Von sechs des Wintersemesters 1914/15 galten in München zwei dem Krieg.488 In Greifswald referierte im Sommer 1915 eine Studentin über das »Deutschtum in den baltischen Provinzen«.489 Eine Göttinger Studentin rief ihre Verbandsschwestern reichsweit dazu auf, im »geistigen Ringen um das Deutschtum« Position zu beziehen.490 Auch aus der Fachpresse bereiteten die Vereine Veröffentlichungen zum Zeitgeschehen für die eigenen Mitglieder auf. So enthielt die erste Nummer der Studentin 1916, auf der Titelseite beginnend, die Zusammenfassung eines Artikels des Jenaer Neurologen Schultz im Neuro logischen Zentralblatt über Feindschaftsgefühle im Kriege. Die Medizinerin referierte dessen (eigentümliche) Ideen zu sozial und ethnisch-kulturell bedingter Prädisposition zur Feindschaft und ließ das Ganze in einen Absatz über die Siegesmotivation, welche die Deutschen aus Feindschaftsgefühlen bezögen, und ihre inhärente, Frieden schaffende Ritterlichkeit münden.491 Als die Erfolgsschriftstellerin Gabriele Reuter in einem Artikel der Vossischen Zeitung bei der »studierenden weiblichen Jugend« 1915 eine »entschiedene Abneigung« gegen »kämpfende« Mitarbeit in der Frauenbewegung und Undankbarkeit gegenüber deren Führerinnen, die das Studienrecht erkämpft hätten, diagnostizierte, machten die Studentinnen dagegen u. a. geltend, daß die soziale Frage und »unter dem Eindruck des großen Krieges« die »deutsche Politik« mehr in ihr Bewußtsein gedrungen seien. Gerade dabei wurde die gesinnungsmäßige Distanz zur vorausgegangenen Generation deutlich:
487 Die Tübinger, die im Winter beim Stricken noch »Kriegsliteratur« vorgelesen hatten (»gute Vorträge, Leitartikel und gelegentlich auch Feldpostbriefe«), beschränkten sich im Sommer 1915 schon auf einen »Brief Chamberlains« und begleiteten ihre Kriegshandarbeit ansonsten mit der Lektüre der Odyssee und des zeitgenössischen Schrift stellers Max Eyth. S IV (1915), S. 18 und 59. Zu nicht kriegsbezogener Lektüre im SS 1915 vgl. auch den Bericht des Bonner Vereins in S IV (1915), S. 59. 488 Richard Sexaus Lesung aus seinen Novellen und Grete Schulz’ Bericht über ihre »Kriegserlebnisse in Ostpreußen«. S IV (1915), S. 42. 489 S IV (1915), S. 65. Eine andere Vortragende referierte aber auch über »Bevölkerungs verhältnisse in Indien«. 490 Margarete Hackmann, Die deutsche Studentin und das Deutschtum, in: S V (1916/17), S. 24 f. 491 »Daß die Deutschen von Feindschaftsgefühlen von Sieg zu Sieg geführt werden, beweist uns die Stärke derselben, ihr weiteres Verhalten, namentlich gegenüber der Zivilbevölkerung zeigt aber, daß sie es sich an dem Sieg über den bewaffneten Gegner genügen lassen und daß bei ihnen friedliche Gefühle bald wieder die Oberhand gewinnen.« Irmgard Müller, Feindschaftsgefühle im Kriege, in: S V (1916/17), S. 1–2, Zitat 2. Ob es sich dabei um die Wiedergabe der Ausführungen des Neurologen oder die Schlußfolgerung der Autorin selbst handelt, ist aus dem Text nicht zu erschließen.
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»Manche Ideale unsrer (!) Vorkämpferinnen sind uns fremd geworden. Uns hält das einseitige, das internationale, teilweise auch das demokratische ihrer politischen Tendenzen fern (…)«.492
Seine deutsche Haltung setzte der Verband der Studentinnenvereine auch in die Tat um: Als er im Frühjahr 1915 eine Einladung zu dem Frauenkongreß in Den Haag erhielt, lehnte er die Teilnahme an internationalen Kongressen für die Dauer des Krieges »aufs schärfste« ab. Der in den beigefügten »Grundsätzen zum Frieden« »ausgesprochenen Gesinnung« konnte er »in keinem Punkte zustimmen«.493 Die Ablehnung der Studentinnen entsprach der Haltung der deutschen Frauenbewegung: 28 Feministinnen, die an dem Kongreß teilnahmen, wurden nicht nur in der allgemeinen Presse kritisiert, sondern im Einvernehmen mit dem Vorstand des Bundes Deutscher Frauenvereine von Gertrud Bäumer mit einem Bann belegt: Mit verantwortlicher Mitarbeit in der deutschen Frauenbewegung sei das Engagement in der Frauenfriedensbewegung unvereinbar.494 Neben dieser Gesinnungspflege im eigenen Kreis – d. h. im Verein und in der Universität – beteiligten sich einzelne Studentinnen aber auch an der ideo logischen Erziehung anderer: Klara-Marie Faßbinder war »Referentin für den Vaterländischen Unterricht« bei den Kraftfahrtruppen in Frankreich geworden, obwohl sie sich während ihres Referendariats in Köln (1917/18) mit ihrem Protest gegen alldeutsche Äußerungen der Vaterlandspartei einen Vermerk über mangelnde vaterländische Gesinnung eingehandelt hatte,495 wovon die zuständigen Stellen aber offenbar nichts wußten. Ihr Beispiel belegt, daß die Studentenschaft durch die Agitation der Vaterlandspartei ebenso gespalten war wie die Professorenschaft. Sowohl das Organ der Burschenschaften als auch das des Kyffhäuser-Verbandes der Vereine Deutscher Studenten (V. D. St.) riefen dazu 492 Siehe dazu Idamarie Soltmann, Zur Führerschaft der Intelligenz. Antwort an Gabriele Reuter [aus der Zeitschrift Die Frauen-Bewegung wieder abgedruckt], in: S V (1916/17), S. 35 f. (danach das Zitat Reuters); Zum Artikel »Zur Führerschaft der Intelligenz«, in: S V (1916/17), S. 42–44; Zitat aus der der langen Zuschrift von Hanna Zeitschel für den Studentinnenverein Jena. 493 Gefordert wurde dort ein Waffenstillstand und Bekanntgabe der Bedingungen für einen Friedensschluß durch die beteiligten Seiten sowie die künftige Beilegung von Konflikten durch Schiedsgerichte und Vergleich. Der Krieg bedeute »die Verneinung jeglicher Zivilisation und jeglichen Fortschrittes« und sei nur »unter der Herrschaft einer Massenpsychose« möglich. Die Frauen erklärten ihn »für einen Wahnsinn«. Internationaler Frauenkongreß 1915, in: S IV (1915), S. 23. Dieser Aspekt der Haltung des Studentinnenverbands wird von Koerner überhaupt nicht berücksichtigt, obwohl diese Zeitschrift ihre Hauptquelle ist. 494 Herrad-Ulrike Bussemer, Der Frauen Männerstärke. Geschlechterverhältnisse im Krieg (1914–1918), in: Rolf Spilker/Bernd Ulrich (Hg.), Der Tod als Maschinist. Der industrialisierte Krieg 1914–1918, Bramsche (1998), S. 190–201, hier 195 f. 495 Faßbinder, Begegnungen und Entscheidungen, S. 46.
646 Die Universitäten im Kriegseinsatz auf, der Vaterlandspartei beizutreten, ersteres eher indirekt, letzteres ganz direkt. In den Burschenschaftlichen Blättern empfahl ein Autor die Vaterlandspartei als Gemeinschaft aller »die deutsche Zukunft freudig Bejahenden«, doch wies die Redaktion in einer Fußnote darauf hin, daß auch in ihren Kreisen »die Meinungen über die Vaterlandspartei geteilt« seien.496 In den Akademischen Blättern hatte zuerst ein Mitglied mit Bezug auf deren Satzung, wonach sie »alle vaterländischen Kräfte ohne Unterschied der sonstigen [!] Partei« zusammenfassen wolle, zum Beitritt aufgerufen; denn »zu diesen vaterländischen Kräften gehören doch wir V. D. St.er in erster Reihe.«497 Daran knüpfte dann ein Pastor und Alter Herr an, der zugleich Kritik an der Vaterlandspartei ausräumte. Der Name sei unglücklich, denn sie sei ja eigentlich keine Partei und hätte besser »Deutscher Vaterlands-Bund« geheißen. Der Vorwurf, sie marschiere in alldeutschen Bahnen, sei »böswillige Entstellung«. Da sie dieselben Ziele verfolge wie der Kyffhäuser-Verband, nämlich (wie es in dessen Satzung hieß) »Klärung und Kräftigung des Nationalbewußtseins«, »sollte es Ehrenpflicht für jeden V. D. St.er sein, der D. V. P. beizutreten.« Außer den einzelnen sollten auch die Vereine Mitglieder werden, »soweit sie es nicht schon sind«.498 Doch gab es auch schon früh Widerspruch gegen die neue Partei, der sich allerdings nicht wirklich formieren konnte. Ausgerechnet in Heidelberg, von wo auch der erste Protest von Professoren gegen die Partei ausging, unterschrieben bereits im Herbst 1917 auch 135 Studenten einen Aufruf. »Wir verwahren uns gegen die Anmaßung der deutschen [!] Vaterlandspartei und ähnlicher Strömungen, Sonderinteressen mit dem Wort ›vaterländisch‹ zu decken und zu schützen. Wir wissen, daß unsere Kultur von keiner fremden Macht erdrückt werden kann, verwerfen aber auch den Versuch, andere Völker mit unserer Kultur zu vergewaltigen. Statt Machterweiterung, Vertiefung der Kultur, die Menschheitssittlichkeit zum Inhalt hat! Statt geistloser Organisation, Organisation des Geistes. Wir erklären weiter, daß wir Achtung empfinden vor all den Studenten in fremden Ländern, die gegen die unfaßbare Sinnlosigkeit und Entsetzlichkeit der Kriege sowie gegen die Militarisierung protestieren.«
Mit der Versendung des Schreibens an andere Universitäten wollten sie auch die dortigen Kommilitonen und Kommilitoninnen mobilisieren, offen zu allen Gegenwartsfragen Stellung zu nehmen und sich zu gemeinsamer Aktion zu entschließen.499 Aufruf und Begleitschreiben, die zumindest in Göttingen 496 Sie gebe den »Aufruf« also »wieder, ohne sich mit allem, was darin enthalten ist, einverstanden zu erklären.« [-] Schwarzenberger, Vom Sinn der Zeit, in: BB 32/1 (1917/18), S. 50–52, Zitat und Fn. S. 51. 497 Ernst Blind, Deutschlands letzte und größte Not, in: AB 32 (1917/18), S. 155 f., Zitat 156. 498 Pastor [-] Hennius, Die Vereine deutscher Studenten und die Vaterlandspartei, in: AB 32 (1917/18), S. 163. 499 Der Aufruf ist abgedruckt in: Studentische Jugendbewegung, in: Die Frauenbewegung 23 (1917), S. 69 f.
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einen ähnlichen Appell hervorriefen,500 gingen von einer etwa 10–15köpfigen Gruppe von Studenten aus, die sich von Max Webers jour fixe kannten. Dazu gehörte auch Ernst Toller, jener junge Dichter (und künftige Dramatiker), der als Kriegsfreiwilliger an der Front zum Pazifisten geworden war und, nach seinem physischen und psychischen Zusammenbruch, als nicht mehr Kriegsverwendungsfähiger weiterstudieren durfte.501 Nachdem er bei einer Tagung über »Das Führerproblem im Staat und in der Kultur« im Herbst 1917 Max Weber kennengelernt hatte, war Toller zum Wintersemester von München nach Heidelberg gewechselt. Der Freundeskreis trat nun öffentlich für den Münchner Pädagogen und Pazifisten Friedrich Wilhelm Förster ein und wandte sich in diesem Zusammenhang auch »gegen die Grundsätze« der Vaterlandspartei. Dabei stellte er die zitierten »kultursittlichen Forderungen« auf.502 Die Universität leitete ein Disziplinarverfahren gegen den »Hauptbeteiligten« Toller ein; mehrere Unterzeichner wurden vom Stellvertretenden Generalkommando des regionalen Armeekorps aus Heidelberg ausgewiesen. Toller selbst, damals im Krankenhaus, ging nach Berlin, wo er bei dem Reichstagsabgeordneten Georg Gothein Hilfe gegen das Vorgehen der Militärbehörden suchte (und Kurt Eisner kennenlernte, mit dem er später in der Münchner Räterepublik zusammenwirkte).503 Der Ausschuß der Heidelberger Studenten distanzierte sich öffentlich von »diesen Bestrebungen« eines »ganz kleinen Kreises Heidelberger Studierender unter Führung eines gewissen Ernst Toller«.504 Immerhin entsprachen 135 Unterzeichner aber 17,5 % der anwesenden Studenten.505
500 Studentenschaft und Vaterlandspartei, in: BB 32/1 (WS 1917/18), S. 91. 501 »In verschiedenen Seminaren auftauchend und wieder verschwindend, diskutierte mit uns leidenschaftlich Ernst Toller.« Flitner, Frauenstudium im Ersten Weltkrieg, S. 164. Alle übrigen Belege s. folgende A. 502 Das Ganze ist zum ersten Mal klar aufgearbeitet und von einer zweiten Aktivität T ollers in dem damals gegründeten Kulturpolitischen Bund der Jugend Deutschlands unterschieden (während beides sonst miteinander verbunden, teilweise auch verwechselt oder gleichgesetzt wird) von: Christa Hempel-Küter/Hans-Harald Müller, Ernst Toller. Auf der Suche nach dem geistigen Führer. Ein Beitrag zur Rekonstruktion der ›Politisierung‹ der literarischen Intelligenz im Ersten Weltkrieg, in: Literatur, Politik und soziale Prozesse. Studien zur deutschen Literatur von der Aufklärung bis zur Weimarer Republik, Tübingen 1997, S. 78–106, hier 88–97. 503 Disziplinarverfahren: Jansen, Professoren und Politik, S. 112; Vorgehen gegen die Mitglieder des Bundes nach Hempel-Küter/Müller, Ernst Toller, S. 94 und 97 f. Vgl. auch die (dramatisierte und nicht nur hier literarisch ausgestaltete) Selbstdarstellung bei Ernst Toller, Eine Jugend in Deutschland, Reinbek 1962 u. ö., S. 60–62. 504 Studentenschaft und Vaterlandspartei (wie A. 500); laut Hempel-Küter/Müller, Ernst Toller, S. 94 A. 86 zuerst in: Heidelberger Tageblatt 298, 18.12.1917. 505 Laut Personal-Verzeichnis der Ruprecht-Karls-Universität WS 1917/18 (wie A. 326), S. 101 hatten in diesem Semester 770 (der 2657 immatrikulierten) Studenten Lehrveranstaltungen belegt.
648 Die Universitäten im Kriegseinsatz In München führten im Winter 1917/18 sowohl der Fall Förster als auch die Gründung einer studentischen Gruppe der Vaterlandspartei zur Polarisierung, während die Masse der Studentenschaft zuvor allgemeinstudentischen Aktivitäten gegenüber eher gleichgültig gewesen zu sein scheint. Dabei überschnitten sich die Kreise der Anti-Försterianer und Vaterlandsparteiler zwar, deckten sich aber nicht, da auch manche Gegner von Försters politischer Haltung den Grundsatz der Lehrfreiheit in Frage gestellt sahen, als andere dessen Entfernung aus dem Lehramt forderten. Eigentlich ließen die Satzungen der Universität politische Parteibildungen innerhalb der Studentenschaft nicht zu – doch der Syndikus der Universität, der dem Vorstand der Münchner Ortsgruppe der Vaterlandspartei angehörte, protegierte die studentische Ortsgruppe. Bei einer allgemeinen Studentenversammlung Ende Januar 1918 wurde nicht nur die Verletzung der Satzungen durch die schiere Existenz der Gruppe kritisiert, sondern es gab auch »eine heftige Anklage (…) gegen ihre Werbe- und Kampfmethoden, die eine Meinungsäußerung Andersgesinnter in sachlicher Diskussion ausschließe.« Doch wurde schließlich eine allgemeine Resolution verabschiedet und auch von Vertretern der Vaterlandspartei unterzeichnet, »den Senat um der Gerechtigkeit willen zu ersuchen, auch politisch anders denkenden Studenten den Zusammenschluß zu gestatten«. Bei dieser Versammlung trat auch »der ausgewiesene Heidelberger Student« Toller auf. Die Mehrheit gewährte ihm per Abstimmung Rederecht – und verlängerte es mit neuen Abstimmungen alle sieben Minuten! Nach dieser Versammlung beantragten auch Anhänger des Volksbundes für Freiheit und Vaterland die Genehmigung einer studentischen Ortsgruppe, zogen ihren Antrag aber bereitwilligst zurück, als die Gruppe der Vaterlandspartei wenige Tage nach Semesterschluß »auf eine Entschließung des Senats hin aufgelöst« wurde.506 Im Frühjahr 1918 »ereifert[en]« sich Studenten dann sowohl in Aufrufen als auch in Studentenzeitschriften und der Tagespresse über die Vaterlandspartei.507 In Göttingen wandte sich die Studentenschaft mehrheitlich gegen deren agitatorisches Wirken (ihre Ortsgruppe zählte mehr als 1000 Mitglieder) und trat für einen Verständigungsfrieden ein (bei dem allerdings die Zukunft des Deutschen Reiches Vorrang vor anderen Interessen haben müsse).508 In Marburg führten die Zwischenrufe einiger Studenten auf einer öffentlichen Versammlung der Vaterlandspartei sogar zu einer grundlegenden Veränderung des Studentenausschusses; denn als »Rädelsführer« wurde ein Vertreter der Akademischen Freischar ausgemacht 506 Alles nach Margarete Latrille, Vom akademischen Burgfrieden in München, in: HS 2 (1918–1919), S. 72–75, Zitate 74, 75 (mit eindrücklicher Schilderung der gegensätzlichen Wahrnehmung Tollers bei verschiedenen Teilen der Studentenschaft). 507 Einige weitere außer den hier ausgewerteten Beiträgen nennt Hermann Schüller, Aus der akademischen Bewegung, in: HS 2 (1918/19), 1, S. 39–44, hier 41–43, Zitat 41. 508 Tollmien, Die Universität Göttingen im Kaiserreich, S. 390 (mit Zitat aus Göttinger Tage blatt 10.1.1918).
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und wegen dieses »unstudentischen Verhaltens« aus dem Studentenausschuß ausgeschlossen. Aus Protest traten sowohl die Freischar als auch die Freistudentenschaft und die Akademische Vereinigung aus dem Studentenausschuß aus, der dann als reiner »Korporationsausschuß« weitergeführt wurde.509 Die Berliner Anhänger der Vaterlandspartei strebten im Sommersemester 1918 einen Bund deutschnationaler Studenten an, wie er in München im Mai zustande gekommen war. Ein solcher Bund in Königsberg erhielt von der Zentrale der Vaterlandspartei 1000 Mark.510 Das Münchner Beispiel legt nahe, daß solche »Bünde« als Ersatz für verbotene oder gar nicht erst zugelassene studentische Gruppen der Vaterlandspartei dienten (denn letztere fanden »bei den akademischen Behörden geteilte Aufnahme«511). Als eine Berliner Studentenversammlung am 20. Oktober 1918 eine Organisation ›zur einheitlichen Sammlung der Studentenschaft auf nationaler Grundlage‹ ins Leben rief, wandten sich Kommilitonen mit einem Protest an die Presse. Sie hatten den Eindruck einer »nationalistisch-chauvinistischen Veranstaltung«. Zwar habe es auf Anfrage geheißen, man unterscheide keine Parteien, doch habe das Ganze nach Vaterlandspartei und Alldeutschem Verband ›gerochen‹.512 Diesen immer noch zum Kampf bereiten Kommilitonen standen andere entgegen, die Versammlungen »wider einen etwaigen Aufruf der Regierung zum letzten Kampf« abhalten wollten.513 Wie der Lehrkörper, so war also auch die Studentenschaft gespalten, wurde aber wie ersterer auf die individuelle Betätigung beschränkt: eine organisatorische Verankerung der Vaterlandspartei innerhalb der Universität wurde nicht geduldet.
Résumé Die Bemühungen der Professoren, die patriotische Gesinnung zu stärken, durchliefen während des Krieges verschiedene Stadien und nahmen dabei unterschiedliche Formen an: Auf die Gelehrtenaufrufe des Herbstes 1914 folgte die ›Aufklärung‹ und mentale Mobilisierung der (gebildeten) Gesellschaft durch Vortragsreihen während der ersten beiden Kriegssemester. Nur die Straßburger waren mit ihren sechs rasch aufeinander folgenden Vorträgen in dieser Hinsicht zurückhaltender. Im Sommer 1915 gingen die Gelehrten dann einen Schritt weiter, indem sie mit Teilen der Gesellschaft zusammen Kampagnen zur Bestimmung der Kriegsziele betrieben. Schon damals spaltete sich die Pro 509 Wettmann, Heimatfront Universität, S. 410 (mit Quellenzitaten). 510 Mündl. Mitteilungen von Dirk Stegmann 11.11.2011. 511 Zitat: Schulze/Ssymank, Das deutsche Studententum, S. 460. 512 Mitteilung von studentischer Seite (wie A. 376). 513 Ausführliches Zitat aus einem Brief des Berliner Rektors Seeberg an seine Frau vom 5.11.1918 bei Brakelmann, Protestantische Kriegstheologie, S. 201 f.
650 Die Universitäten im Kriegseinsatz fessorenschaft in zwei Lager, deren Angehörige öffentlich hervortraten und sich, besonders nach der Freigabe der Kriegszieldiskussion, auch gegenseitig angriffen. Nachdem diese heftigen Auseinandersetzungen zunächst von informellen Zusammenschlüssen vorangetrieben wurden, organisierten sich die Annexionisten und die sogenannten Gemäßigten (welche Annexionen aber keinesfalls prinzipiell ablehnten) in zwei Bewegungen, deren eine eine Überparteilichkeit beanspruchende Partei war, während die andere sich als Bund bezeichnete, damit größere Heterogenität signalisierte, aber vielleicht auch eine engere Bindung der Mitglieder untereinander.514 Beide Organisationen verstanden sich als Vereinigung von Patrioten und führten das Vaterland programmatisch in ihrem Namen, der Volksbund in charakteristischer Kombination mit seiner innen politischen Reformorientierung auf die »Freiheit« hin. Doch selbst wenn es den Annexionisten im Spätherbst 1917 noch einmal gelang, ca. 1000 Gelehrte zu einer Unterschrift gegen die Friedensresolution der Reichstagsmehrheit zu bewegen, wird neben der im Verlauf der Jahre zu nehmenden Polarisierung doch auch deutlich, daß sich nach dem ersten, in vermeintlicher Selbstverteidigung wurzelnden Überschwang der Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reichs nur noch eine Minderheit von ihnen auf ein Programm festlegen wollte. Was die ›schweigende Mehrheit‹ dachte, bleibt also auch nach dem Studium der Unterzeichnerlisten verschiedener Eingaben offen. Der Kieler Soziologe (nach damaliger Terminologie Nationalökonom) Ferdinand Toennies sprach von einem »ideellen Bürgerkrieg«, der in Deutschland ausgebrochen sei, und eine Reihe öffentlicher wie insbesondere auch vertrau licher Äußerungen belegen, daß man dem politischen Gegner nicht einmal mehr als Kollegen den subjektiv guten Glauben zubilligte, sondern – auf beiden Seiten! – nur noch den Feind des Vaterlands in ihm sah. Daß man »das Ende des Burgfriedens auch auf den Universitäten« erst auf 1917 datieren sollte,515 leuchtet jedoch nicht ein. Schon mit den Aufrufen 1915 und den ihnen folgenden Auseinandersetzungen war er gebrochen worden. Die Kriegsvorträge ordneten sich ein in die aktive Pflege ›vaterländischen Geistes‹, die 1914/15 noch gänzlich privaten Kreisen überlassen war, da den staatlichen Instanzen eine gezielte Propaganda zugunsten der Kriegführung nicht erforderlich schien und sie sich zunächst auf Überwachung und Kontrolle, also Zensur, Rede- und Versammlungsverbote beschränkten.516 Die Univer sitäten handelten hier parallel zu Kirchen, Frauenorganisationen oder auch 514 Ersteres etwa wie beim Bund deutscher Gelehrter oder dem Bund deutscher Frauenvereine, letzteres wie bei den Lebensbünden der Korporationen, denen viele Gelehrte ja angehörten. 515 Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 165 (mit Zitat) und 267 A. 275 (mit Beispielen). 516 Mai, »Aufklärung der Bevölkerung«, S. 202.
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speziell gegründeten Ausschüssen, ihre einzelnen Mitglieder auch in Ver bindung mit diesen. Einer Aufforderung zu solcher Tätigkeit bedurfte es nicht, und zunächst waren die Themen und Inhalte der Vorträge auch nicht mit den zuständigen Militärbehörden abgestimmt. Erst Anfang 1915 wiesen jene auf die Genehmigungspflicht hin. Hinter der eigenen Initiative der Gelehrten steckte der »Anspruch, die Zeitbedürfnisse zu erkennen und mit ihren Fachkenntnissen darauf zu reagieren«. Ihr Ziel war die ›Aufklärung der Bevölkerung‹, die allerdings zur Aufrechterhaltung des ›vaterländischen Geistes‹ und der Opferbereitschaft beitragen sollte. Insofern ging es nicht um rein sachliche Information,517 und auch mit einem kritischen Impetus hatte ›Aufklärung‹ nichts zu tun, viel dagegen mit der Vermittlung von Notwendigkeiten. Neben der Selbsteingliederung (nicht, wie gelegentlich zu lesen, »Einbeziehung«518) der Institution Universität in den Mobilmachungsprozeß dienten diese Vorträge auch dazu, die »Geschlossenheit der Korporation als vorbildhaft für die gesamte Gesellschaft nach außen zu dokumentieren«. Der auf dem Beispiel Marburg beruhenden Interpretation mit weiterreichendem Geltungsanspruch, »daß die Professoren nur selten aus der Universität heraustraten, um die Bevölkerung zu erreichen (…), (…) daß sie vielmehr selbstverständlich davon ausgingen, daß die Menschen in die Hörsäle kommen würden«,519 kann jedoch nicht zugestimmt werden; denn Berlin und Straßburg belegen ja, wie die Hochschullehrer sowohl für die Reihe der »Professoren der Universität« als auch für ihre Einzelvorträge ›in die Stadt‹ gingen. Und in Marburg könnte – wie in Gießen – die Aula einfach der größte zur Verfügung stehende Saal gewesen sein.520 Warum diese Vortragsreihen – zumindest in Berlin entgegen dem ursprünglichen Plan – ab Sommer 1915 nicht fortgesetzt werden konnten, ist aus der vorstehenden Untersuchung klar ersichtlich (obwohl in den Quellen nicht explizit belegt): Wenn man sich über die Kriegsziele nicht einig ist, kann man auch kein gemeinsames Programm mehr aufstellen. Den Verzicht könnte man allerdings auch positiv deuten: Indem man nicht eine Reihe mit Vertretern der unterschiedlichen Richtungen konzipierte, wurde die Universität als solche von dem politischen Streit freigehalten. Die Gelehrten hielten Vorträge auch weiterhin, doch als einzelne und außerhalb der Universität. Denkbar ist auch, daß die Gründung des Kriegspresseamtes im Herbst 1915 die Einstellung der Berliner Reihe mitbewirkte, da dieses die bestehenden ca. 4200 Vortrags
517 Wettmann, Heimatfront Universität, S. 214; Wettmann, Kriegstagebücher Birts, S. 143. 518 So Wettmann, Heimatfront Universität, S. 216. 519 Wettmann, Heimatfront Universität, S. 216. 520 Für Gießen wird dies bestätigt durch den Leiter des Stadtarchivs Dr. Ludwig Brake, demzufolge sonst allenfalls das Stadttheater in Frage gekommen wäre, während der Sitzungssaal eines Hotels – schon aufgrund seiner Lage – diesen Gebäuden im Zentrum nicht vergleichbar war (Mail vom 12.4.2011).
652 Die Universitäten im Kriegseinsatz assoziationen ja auf sein Material verpflichten wollte.521 Wahrscheinlicher ist jedoch die erste Interpretation. Letztlich heißt dies aber, daß die Gelehrten die selbstgestellte Aufgabe, den Geist von August 1914 aufrechtzuerhalten, nicht einmal im engsten Kreis erfüllen konnten. Daß sich später »die geistige Auseinandersetzung zwischen der ›Vaterlandspartei‹ und dem ›Volksbund‹ in den Konferenzen der Hochschulen und höheren Schulen« abspielte,522 darf bezweifelt werden – nicht nur, weil dieser Behauptung die Belege fehlen. Vielmehr standen sich die Gegner hauptsächlich in der Öffentlichkeit gegenüber, sozusagen virtuell in der Presse, doch gelegentlich auch ganz direkt bei Diskussionsveranstaltungen.523 Und sie traten nun nicht mehr auf, um ihre persönlichen Einsichten anderen zugänglich zu machen oder ihre eigenen Anschauungen zu verbreiten, sondern als Exponenten der beiden Lager: die bedeutendsten gelehrten Wortführer der Gemäßigten etwa in der Freiheits-Reihe im Abgeordnetenhaus 1917, Wilamowitz in einer Versammlung der Vaterlandspartei in der Berliner Philharmonie im Januar 1918 (und noch drei Tage vor der Revolution in Charlottenburg).524 Darüber hinaus wirkten Vertreter beider Seiten auch als Ratgeber der zivilen und militärischen Führung – und bekämpften dabei auch den Einfluß der jeweils anderen Seite, der eigenen Kollegen. Man könnte sogar vermuten, daß gerade der »Dissens innerhalb der Kollegenschaft (…) zur Abstinenz bei der (…) politischen Stimm abgabe« mittels Manifesten und Eingaben führte.525 Doch kann eine solche Interpretation ihrerseits nicht substantiiert werden, da nach dem Herbst 1914 offenkundig nie mehr alle Hochschullehrer zu einer solchen Aktion aufgerufen wurden. Das könnte man zwar aus der Einsicht in unüberbrückbare politische Gegensätze herleiten – doch scheint auch die inneruniversitäre Hierarchie die Auswahl der um ihre Unterschrift Gebetenen beeinflußt zu haben. Auch das aber heißt wiederum, daß die angestrebte ›Volksgemeinschaft‹ sogar im eigenen Kreis verfehlt wurde. Zwar kamen die Wortführer der beiden Lager in Berlin ganz am Ende des Krieges wirklich noch einmal zusammen, um über ein mögliches letztes Aufgebot zu beraten. Doch auch da vertagten sie sich bis zu einer noch dringenderen Notwendigkeit – als der Krieg eigentlich schon längst verloren war. Erst in dieser Situation fand sich das Kollegium noch einmal zu einem gemeinsamen Appell zusammen – der aber selbst von den Unterstützern nicht eingehalten wurde. Schon zu diesem Zeitpunkt formulierte Meinecke die Einsicht, »daß unsere Intellektuellen und der größte Teil der Pro521 Jeffrey Verhey, Krieg und geistige Mobilmachung, in: Wolfgang Kruse (Hg.), Eine Welt von Feinden. Der Große Krieg 1914–1918, Frankfurt 1997, S. 176–183, hier 178. 522 So Ribhegge, Frieden für Europa, S. 192. 523 S. als Beispiel für Marburg Wettmann, Heimatfront Universität, S. 373. 524 Armstrong/Buchwald/Calder, Wilamowitz-Moellendorff Bibliography, S. 74. 525 Dies tut z. B. Döring, Weimarer Kreis, S. 52.
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fessoren durch Unkenntnis (!) und mißleiteten Idealismus furchtbar gesündigt haben am Ganzen.«526 Zwar war die aufgezeigte Spaltung in Berlin am sichtbarsten, weil sich die Wortführer beider Seiten in der Hauptstadt des Reichs konzentrierten und hier auch im Rampenlicht standen. Ganz deutlich war sie aber auch in Gießen, als einem der ganz wenigen Orte, in denen sich ein Teil der Professorenschaft öffentlich gegen die Vaterlandspartei aussprach. Daß diese Gegensätze auch in Straßburg bestanden, wird schon am Beispiel des Historikers Spahn und des Nationalökonomen Knapp deutlich.527 Ersterer vertrat bereits zu Beginn des Krieges annexionistische Positionen und machte diese auch noch 1918 geltend, während sich letzterer schon 1914 der Erklärung der Hochschullehrer verweigerte und 1918 nicht einmal mehr unter vier Augen mit einem auswärtigen Fachkollegen über den Krieg sprechen wollte. Doch die Intensität des Gegen satzes und die Stärke der beiden Lager sind für Straßburg auch nicht annähernd zu bestimmen. Da dort der zeitgenössische Chronist den freiwilligen praktischen Kriegseinsatz zwar detailliert beschrieb, aber nicht namentlich einzelnen Aktivisten zuordnete und die Straßburger auch die großen Petitionen kaum unterzeichneten, wurde die innere Spaltung der Professorenschaft dort nach außen kaum sichtbar. Insofern wahrte die gefährdeteste der drei Universitäten die Einheit (zumindest formal und nach außen) also am besten. Auf indirekte Weise wurde der politische Gegensatz auch innerhalb der Universität ausgetragen, wenn sich in wissenschaftlichen Fragen wie etwa einer Habilitation die Gruppen von Befürwortern und Gegnern mit den politischen Lagern deckten. Außerdem wird daran deutlich, wie umgekehrt das akademische Amt – und sei es ›nur‹ das eines Ordinarius – in einer akademischen Veranstaltung (Habilitationskolloquium) benutzt werden konnte, um politisch (oder aus anderen nichtwissenschaftlichen Gründen) Unerwünschte von der Universität fernzuhalten. Mag dies im weitesten Sinne noch in den Spielraum des Koopta tionsprinzips fallen, so war Belows Vorgehen gegen einen jüngeren Kollegen mit abweichenden Auffassungen ein eindeutiger Mißbrauch seines Rektoramtes. Auch wenn die Universitäten als solche (abgesehen von der Stellungnahme gegen Wilson) in den politischen Auseinandersetzungen kaum auftraten, nutzten doch zahlreiche Mitglieder ihre fachliche Reputation und ihre (schon an den Titeln »Prof.« und »Geheimrat« abzulesende) amtliche Position. Um den politischen Gegner zu treffen, warfen sie ihm direkt oder indirekt auch Verletzung der akademischen Gepflogenheiten oder fachliche Inkompetenz bzw. Nachlässigkeit vor. Umgekehrt mochte mancher über die politischen Aktivitäten eines wissenschaftlich bedeutenderen Kollegen spotten, wie es der Marburger 526 Meinecke an L. Aschoff 21.10.1918 (wie A. 3), S. 97. 527 Auf den Gegensatz und auch auf diese beiden Personen hat schon Craig, Scholarship and Nation Building, S. 197 hingewiesen, ohne dies aber näher auszuführen.
654 Die Universitäten im Kriegseinsatz Altphilologe Birt tat, wenn er die Annexionsforderungen des »Philologen trompeters« Wilamowitz damit kommentierte, daß Professoren doch gar nicht beurteilen könnten, welche Gebiete Deutschland brauche.528 Neben allen Verunsicherungen, die die Ausnahmesituation des Krieges hervorrief, hatten also auch menschliche Schwächen weiterhin Einfluß auf die kollegialen Beziehungen – und strapazierten sie noch mehr als in Friedenszeiten. Die von ihnen propagierte Gemeinschaft verfehlten die Professoren nicht nur in der Nation, sondern auch in der eigenen Korporation und Gelehrtenrepublik.
528 Dies hielt Birt selbst aber keineswegs von eigener und z. T. sogar selbstfinanzierter Kriegspublizistik ab. Zit. bei Wettmann, Kriegstagebücher Birts, S. 143.
7. Unterstützung der Kämpfer durch die Daheimgebliebenen: Die Kluft zwischen Front und ›Heimatheer‹ in der universitas Schon Mitte Oktober 1914 war dem Gießener Privatdozenten Arthur Franz, damals auf Vorposten an der Nordgrenze der Vogesen, die Universität als »eine andere Welt« erschienen.1 Aber während sich die Studenten und Hochschullehrer an der Front die alma mater immerhin noch in Erinnerung rufen konnten, fehlte den Daheimgebliebenen im allgemeinen wohl eine auch nur annähernd adäquate Vorstellung vom Alltag an der Front: nicht nur vom Sterben, sondern auch vom Leben. Das war jedoch nicht allein ihren idealisierten Vorstellungen ritterlichen Kampfes (aus der Verbindungswelt der Studenten), den eigenen Erfahrungen der Lehrenden im Krieg von 1870/71 und dem Übergehen publizierter Feldpostbriefe mit Schilderungen des Grauens2 geschuldet, sondern auch der verbreiteten Ausblendung der schweren Erlebnisse aus den Feldpostbriefen der Soldaten, die die Angehörigen in der Heimat nicht beunruhigen wollten – und es auch nicht sollten; denn sie sparten solche Schilderungen nicht nur aus persönlicher Einfühlung in die dadurch zu besonderer Hilflosigkeit und Verlassenheit ›verurteilten‹ Adressaten aus, sondern zumindest teilweise auch auf Anweisung von Vorgesetzten bzw. Kommandostellen. Schließlich sollten sie mit ihren Mitteilungen von der Front ja auch die Siegeszuversicht in der Heimat aufrechterhalten. Die von ihnen angerichtete Zerstörung dagegen wurde sogar auf Postkarten dargestellt, gewissermaßen als Trophäe vorgezeigt. Die Einhaltung der Vorschriften wurde nicht zuletzt mittels der Zensur der Feldpost überwacht: Auch ihre privaten Briefe mußten die Soldaten offen einliefern. Umgekehrt erhielten Soldatenfrauen Anleitungen, was und wie sie zu schreiben hatten.3 Mit Kriegsbeginn hatten sich »die Lebens- und Erlebniswelten« der Frauen, der Untauglichen und nicht mehr Militärdienstpflichtigen (welche an der Universität bleiben konnten) und der Mehrheit der Studierenden und jüngeren Lehrenden (die in den Krieg ziehen mußten) also »abrupt« getrennt.4 Dies wurde noch dadurch verstärkt, daß sich in der Korrespondenz »beide Seiten wie auf Verabredung ›tapfer‹« äußerten, ihre (auch in der Heimat) bedrückenden Er fahrungen und bangen Erwartungen verschwiegen. »Die Soldaten beschrieben ihren Tagesablauf im Unterstand, ihre Kameraden und ihren Einsatz so, als 1 Siehe o. S. 361. 2 Siehe o. S. 315 f. sowie weitere Belege u. in A. 153. 3 Bernd Ulrich, Die Augenzeugen. Deutsche Feldpostbriefe in der Kriegs- und Nachkriegszeit 1914–1933, Essen 1997, S. 148, 157, 163. 4 Zitat (nur in bezug auf Frauen und ins Feld Ziehende): Koerner, Auf fremdem Terrain, S. 314.
656 Die Universitäten im Kriegseinsatz ob es sich um Abenteuer handle, bei denen man sich bewähren müsse, denen man gewachsen sei.« So erinnerte sich Elisabeth Flitner (deren Liebster und – ab Weihnachten 1917 – Ehemann seit Kriegsbeginn im Feld stand) Jahrzehnte später.5
›Literarische Liebesgaben‹ der Universitäten für ihre Angehörigen im Feld Doch bemühten sich die Universitäten sehr, neben ihrer Beteiligung an der allgemeinen Kriegsfürsorge6 den Kontakt zu ihren Studierenden und Kollegen im Feld aufrechtzuerhalten. Neben Amtsgeschäften (etwa bezüglich Prüfungen oder der Anrechnung der Militärbezüge auf das Zivilgehalt der Dozenten) und dem individuellen Briefwechsel zwischen Lehrenden und manchen ihrer Schüler gehörten dazu auch regelmäßige Aktionen der Institution: Sie versandte an ihre Angehörigen speziell zusammengestellte ›Liebesgaben‹, immer wieder Veröffentlichungen der Universität und auch speziell für die Angehörigen im Feld konzipierte Schriften. Außerdem gab es gelegentlich besondere Veranstaltungen für Verwundete oder Heimaturlauber. Zu diesen Bemühungen der einzelnen Hochschulen trat schon 1915 ein mit diesen zusammenwirkender zentraler ›Studentendienst‹ hinzu. Alle drei Universitäten versorgten ihre Angehörigen im Feld mit regelmäßig erscheinenden Publikationen. So schickten die Gießener z. B. den Dozenten im Frühjahr 1915 das Vorlesungsverzeichnis für das kommende Semester per Feldpost zu.7 Die Berliner ließen ihren Angehörigen im Feld ab 1915 Festreden und Jahresberichte zukommen.8 Die Straßburger versandten den Bericht über die Feier zu Bismarcks 100. Geburtstag im Frühjahr 1915 und die Berichte über das jährliche Stiftungsfest an alle Kriegsteilnehmer. 1916 begleitete der Rektor, der Botaniker Ludwig Jost, dies mit den Worten, »daß wir, Ihre Lehrer, Sie nicht vergessen haben, und daß wir stolz auf Sie sind und dankbar für all die gewaltigen Taten der Tapferkeit, bei denen Sie in so hervorragender Weise mitgewirkt haben. Wie freuen wir uns auf den Tag, an dem die Friedensglocken läuten und wir Sie als Sieger wieder an unserer Hochschule begrüßen dürfen. – Bis dahin harren Sie aus!«9 5 Flitner, Frauenstudium im Ersten Weltkrieg, S. 165. 6 S. dazu o. Kap. III .4. 7 Als Beleg s. den Dank dafür: Prof. Feist an Rektor Gi 14.3.1915 [aus Kiel]: UA Gi Allg. 103, fol. 116. 8 Zum Geleit!, in: BAN XI (1916/17), S. 35 f., hier 35. Zum ›ausgelagerten‹ Versand s. weiter u. in diesem Kap. 9 1915: Stiftungsfest der KWU 1916, S. 8 f.; das Begleitblatt für den Versand des Berichts über das Stiftungsfest 1916: Liebe Kommilitonen! (Juli 1916): ADBR 103 AL 53. Zu den
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In dieser Situation war die Haltung der Lehrer gegenüber den Schülern von einer merkwürdigen Ambivalenz geprägt: einerseits Dankbarkeit, andererseits Erwartungsdruck. Die pauschale Anerkennung von Leistungen aller Soldaten, in denen die der (ohnehin nur kollektiv angesprochenen) Schüler quasi aufgingen, mag der Wirklichkeit angemessen sein – aber in Verbindung mit der negierenden Floskel (statt der positiven Beteuerung »wir denken an Sie«) reduziert sie die Bedeutung der Angesprochenen zugleich. Dies wird durch die eingeschobene, an sich völlig überflüssige Apposition, die an das ursprüngliche Ver hältnis von Absender und Adressaten erinnert, noch verstärkt.10 Außer diesen herkömmlichen Publikationen, mit denen die Universität die Abwesenden sozusagen nachträglich und virtuell an ihren Gemeinschafts ritualen teilhaben ließ, schuf sie aber auch neuartige, speziell für jene bestimmte Veröffentlichungen. Besonders zu Weihnachten versandte sie regelmäßig solche ›Liebesgaben‹ (z. T. als Beilage zu sonstigen). In Gießen beteiligten sich »die Mitglieder und Freunde der Universität« 1914 an den Sammlungen von Liebesgaben für das dortige Infanterieregiment 116; außerdem regte das Rektorat eine Sammlung für das Bischweiler-Regiment an, mit dem viele Studenten als Kriegsfreiwillige ausgezogen waren. Zuerst wandte man sich an die Universitätskreise und dann, gemeinsam mit dem Komitee der Eltern, an die Öffentlichkeit. Als Ankündigung des »Eisenbahnwagen[s] mit Kisten und Paketen« verschickte der Rektor ein zweispaltiges Folioblatt An die im Felde stehenden Angehörigen der Landesuniversität Gießen. Geschmückt war es am oberen Rand mit Eichenblättern (die wohl den erhofften Sieg andeuten sollten) und dem Antoniterkreuz. Die im Felde Stehenden wurden in dem langen, eng gesetzten Text fast nur perspektivisch einbezogen – ihnen würde man nach der Rückkehr den neu anzulegenden (vom Rektor selbst initiierten) Sportplatz zeigen können, die von ihnen erbetenen Auskünfte würden »einen interessanten Beitrag [!] zur Geschichte unserer Studentenschaft im Kriege bilden«. Immerhin waren »bei der Sammlung viele Züge von persönlicher Anhänglichkeit ›an unsere Studenten‹ hervorgetreten.« Und so hoffte der Rektor, daß die Gaben jene »zu Weihnachten in die Heimat versetzen« und ihnen »den Geist und das Bild unserer lieben Universitätsstadt sowie die Studentenfreundlichkeit ihrer Bewohner recht vor Augen stellen« würden. In Anknüpfung an den von der Obersten Heeres leitung geschaffenen Langemarck-Mythos, dem zufolge Tausende junger Männer mit dem Deutschland-Lied vorwärts (d. h. fast immer in den Tod) gestürmt wären, beteuerte der Rektor,
erwähnten Feiern s. u. Kap. IV.8. Unklar ist, welche Straßburger »Universitätsschriften« (evtl. Dissertationen?) später »nicht« mehr »geschickt« werden durften (s. Ficker, Bericht IV [1917/18], S. 19). 10 Vgl. eine ähnliche Apposition auch im unpag. Grußwort des Göttinger Rektors Robert von Hippel in: Alt-Göttinger Stammbuch.
658 Die Universitäten im Kriegseinsatz »daß dies Aeußerungen des einheitlichen Geistes sind, der unsere ganze junge Mannschaft und besonders auch Euch beseelt, wir wissen, daß Ihr in dem alten kampf frohen Geiste der Gießener Studentenschaft lebt und handelt: Literis [!] et armis ad utrumque parati!«11
Dabei waren die zitierten Passagen ganz auf die Studenten ausgerichtet, obwohl der Rektor doch die »liebe[n] Kollegen und Kommilitonen« ansprach. Zudem informierte er die Adressaten aber hauptsächlich über die Aktivitäten der Daheimgebliebenen und rückte damit vor allem letztere ins rechte Licht. Noch deutlicher wurde diese Selbstbezüglichkeit in der ›Liebesgabe‹ des folgenden Jahres, dem Gießener Universitäts-Bilderbuch, das überwiegend Gebäude zeigte, für das 18. und 19. Jahrhundert auch einige Studentenszenen – also die Welt der Daheimgebliebenen. Der Band wurde von einer gereimten Widmung des Rektors eingeleitet »Wie’s einst in Gießen war, wie’s ist, daß keiner unsere Stadt vergißt«.12 1916 sandte die Universität den Kriegsteilnehmern zu Weihnachten Bücher, aber offenbar keine eigens für sie geschaffene Schrift.13 Eine solche gab es jedoch ein Jahr später, mit Grußworten aller Dekane und kurzen belehrenden, auch (eher vordergründig) nachdenklichen Texten von sechs Gießener Professoren, u. a. über »Die Strategie des Weltkriegs« (von dem Historiker Roloff), »Geographie und Weltpolitik« (von dem Geographen Sievers) und »Wilsons Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Deutschen R eiches« (von dem Staats- und Völkerrechtler Gmelin).14 Von den Dekanen reflektierte der Gynäkologe Opitz, der selbst bis Februar 1916 im Dienst des Heeres ge standen hatte, über die »Kämpfe« in der »Entwicklungsgeschichte« und überall »im bestehenden Leben«: »Selbst jedes Einzelleben muß sich im Kampfe durchsetzen unter Vernichtung anderer: Leben heißt töten. Der uns aufgezwungene Krieg ist nichts anderes als der bittere Kampf der Minderwertigen gegen den Höherstehenden«, also gegen »deutsche Überlegenheit auf fast allen Gebieten menschlicher Tätigkeit«.
11 An die im Felde stehenden Angehörigen der Landesuniversität Gießen [als Einzelblatt in der UB Gießen unter A 56500/1 fol. (22a)]. Der o. kursivierte Text i. O. in Antiqua (im Gegensatz zur Fraktur des Gesamttextes). Als weitere zeitgenössische Bezugnahmen auf Langemarck s. auch den Artikel: Kriegsvorlesung, in: BT 128, 10.3.1916 MA , 3. Beibl. Der Autor sieht im Hörsaal (der nichtgenannten Universität) »die ganz hohen Ziffern der Regimenter, in denen Deutschlands Jungmannschaft im Herbst 1914 in den Geschoßhagel von Langemarck hineinstürmte und siegend oder sterbend ihr heiligstes ›Deutschland über alles‹ sang.« Außerdem u. S. 1088 (Rede des Berliner Rektors 1917). 12 Gießener Universitäts-Bilderbuch, Zitat S. 2. 13 Schian, Volk, S. 20; Details in UA Gi Allg. 110, fol. 90–124: Geplant waren Bücher im Wert von ca. 1 Mark. Finanziert werden sollten diese Geschenke aus Spenden der Professoren, Mittel aus dem T-Fonds (s. o. Kap. III.4) sowie Spenden des »Sonderbunds« (s. o. S. 96 A. 44). 14 Weihnachtsgruß der Universität Gießen, S. 24–28, 29–33, 34–43.
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»Natur- und Menschheitsgeschichte lehren das Gleiche: stets muß Kampf sein, der die Vorbedingung der Entwicklung zu höheren Stufen ist.«15
Die Einordnung in die (auf spezifische Weise gedeutete) Naturgeschichte mochte als Trost für die Studenten gedacht sein, als Sinngebung des ihnen im Fronta lltag nun vielleicht sinnlos Erscheinenden – wichtiger erscheint hinsichtlich der weiteren Entwicklung aber die damit intendierte Förderung der Kampfmotivation und schließlich die Bekräftigung des Überlegenheitsgefühls, die (analog zum Sozialdarwinismus der Zeit) einen ›Völkerdarwinismus‹ aufscheinen ließ, demzufolge die Deutschen die Tüchtigsten waren. Auch die Worte des Theologen irritieren: Ob es wirklich ein Trost für die im Felde Stehenden war, daß die Lehrenden angesichts der leeren Hörsäle nicht um die Gefallenen trauern wollten, weil dieses Blut doch »so freudig gegeben wurde«? Auch daß die Lehrenden sich nicht quasi selbst bedauern wollten, weil sie »noch« keinen »Ersatz« sahen, zeugt von wenig Einfühlung in die Adressaten.16 Ganz anderer Art waren die Weihnachtsgaben der Universität Straßburg: Drei Jahre hintereinander versandte sie jeweils eine neue Sammlung Alte[r] liebe[r] Lieder für unsere Soldaten zum Weihnachtsfeste des Kriegsjahres 1914 (1915, 1916). Doch dieses kleine, in jede Uniformtasche passende Heft verteilten die Straßburger in Lazaretten ebenso wie an ihre eigenen Studierenden. Im zweiten Jahr ließen sie 105.000 Exemplare drucken!17 Schon daraus ergibt sich, daß sie das Liederbuch nicht allein für ihre Studenten, ja nicht einmal nur für Studenten überhaupt konzipierten. Die »Weihnachtslieder aus Kriegszeiten des deutschen Volkes«, welche das dritte Heft umfaßte, waren ganz auf Friedenssehnsucht gestimmt. Das galt gerade auch für die Texte aus den Befreiungskriegen, wo den studentischen Lesern hier ein ganz anderer Arndt entgegentrat als in dem am Anfang des Krieges in Berlin zitierten Lied vom »Gott der Eisen wachsen ließ«. Und mit einer Bitte Friedrich Rückerts um das Ende der Zwietracht und die Wiederkehr brüderlichen Zusammenlebens in Gottes großem Haus klang es geradezu versöhnlich aus. Nur im Widmungsgedicht der Straß-
15 Erich Opitz, Liebe Kommilitonen!, in: Weihnachtsgruß der Universität Gießen, S. 8–10, Zitate 9. Der Satz über den aufgezwungenen Kampf wird, nicht ganz korrekt, auch schon zit. bei Anderhub, Antoniterkreuz, S. 32. 16 »Aber darin doch sind wir wieder einig, daß wir um dies Blut nicht klagen und trauern, das so willig, so freudig gegeben wurde: von dem, das aus unseren Reihen ge flossen ist, wissen wir, daß es so war. Und dann wollen wir dennoch mit den Opfern zu rechnen anfangen? Nur sorgend nach dem Ersatz ausschauen, den wir noch nicht sehen?« Samuel Eck, Hoffnung, in: Weihnachtsgruß der Universität Gießen, S. 44–47, Zitat 46. 17 Ficker, Bericht I (1914/15), S. 31; II (1915/16), S. 35. Die Beschreibung der Hefte nach Autopsie (s. folg. A.).
660 Die Universitäten im Kriegseinsatz burger Kriegsstelle kamen »Glaubensritterschaft« und der heilige Christ als »Held und Friedenskönig« vor, aber selbst hier ging es nicht mehr um das An feuern der Adressaten, sondern nur noch um Trost für sie.18 Ähnlich versorgte auch eine Reihe anderer Universitäten ihre Angehörigen in der Etappe und an der Front mit Aufmerksamkeiten aus der Heimat. Die Göttinger Weihnachtsgaben entsprachen sogar in Zuschnitt und Ausrichtung der Gießener Folge: 1915 ging es um Deutung und Legitimierung des Krieges, 1916 folgte das Alt-Göttinger Stammbuch (mit Ansichten der Universitätsstadt und ihrer Umgebung sowie Stammbuch-Sprüchen zahlreicher Dozenten für die Studenten), 1917 gab es einen »bunten, raschgepflückten Strauß aus dem reichen Garten der Vergangenheit unserer Universität«.19 Aber anders als in Gießen, wo man den Ausschnitt aus der ›literarischen‹ Produktion der Lehrenden 1917 ganz aktualitäts- und kriegsbezogen gestaltete, rückte das Thema »Krieg« in Göttingen »inhaltlich immer weiter in den Hintergrund«. Da der damit verbundene Aufwand erheblich war, ist die Versendung dieser ›Liebesgaben‹ wohl mit Recht als Zeichen der Sorge und Verbundenheit der Lehrenden mit ihren Schülern »über ihre offiziellen Pflichten hinaus« gedeutet worden. Außerdem steckte darin aber eine gute Portion Selbstbestätigung, insofern die Lehrenden die Meldungen vieler Studenten als Kriegsfreiwillige als Ergebnis ihrer »Erziehungsarbeit« deuten konnten. Und letzteres war auch für ihr eigenes »Ansehen und Selbstverständnis notwendig«.20 Doch auch damit sind noch nicht alle Implikationen dieses Handelns erfaßt. Die Spezifik der Gießener und Göttinger Haltung wird erst deutlich, wenn man sie mit den Weihnachtsgaben weiterer Universitäten vergleicht: Für die Freiburger von 1915 etwa wirkten Vertreter der verschiedensten Gruppen zusammen: neben Professoren (welche in Gießen und Göttingen jene Schriften ja alleine bestritten, um nicht zu sagen ›monopolisierten‹) trugen auch einzelne Studenten und vor allem Studentinnen kleine Prosatexte, Gedichte sowie Zeichnungen dazu bei. Nicht zuletzt aber kamen hier auch Kriegsteilnehmer selbst zu Wort. (Ob sie davon wußten, daß ihre Briefe aus dem Feld veröffentlicht wurden, ist allerdings nicht zu ersehen). Gewiß, auch dies alles war affirmativ – dazu bestimmt, die Empfänger in ihrer Kampfmotivation zu bestärken (bis hin zum Brief eines ausländischen Studenten, der sich freiwillig gemeldet hatte und nun »für die deutsche Kunst, für die deutsche Lebensanschauung, für
18 Alte liebe Lieder für unsere Soldaten zum Weihnachtsfeste des Kriegsjahres 1916, Straßburg (1916), Texte Arndts und Rückerts am Ende des unpag. Heftchens, das Widmungsgedicht »An unsere Soldaten« auf dem Vorsatzblatt. 19 Die Georgia Augusta ihren Angehörigen im Felde. Weihnachten 1915, Göttingen [1915]; Alt-Göttinger Stammbuch; Stimmen aus zwei Jahrhunderten der Georgia Augusta. Weihnachtsgabe 1917 für ihre Angehörigen im Felde, Göttingen 1917, Zitat S. III . 20 So Busse, Engagement oder Rückzug, S. 111–113, Zitate 111, 113.
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die deutsche Kultur« kämpfte).21 Doch anders als in Gießen und Göttingen, wo die Lehrenden daheim den Studenten im Feld gegenübertraten, repräsentierten die Freiburger Autoren die ganze universitas, vor Ort und im Feld.22
Bemühungen von Instituten, Studentenvertretung, Verbindungen Im Unterschied zu den kleineren und mittleren Universitäten scheint die hauptstädtische nie eine Weihnachtsgabe für alle ihre Kriegsteilnehmer zustande gebracht zu haben. Es ist nicht einmal klar, ob sie es überhaupt versuchte. An geregt wurden solchen Aktivitäten mehrfach, jedenfalls im Institutsrahmen. Und selbst da stießen sie z. T. auf Bedenken: In der Theologischen Fakultät schlug im November 1914 der »ausgewiesene Praktiker« Friedrich Mahling23 dem Dekan ein Schreiben an alle Dozenten vor, damit sie sich gegenseitig über eingegangene Feldpostbriefe informierten. Außerdem möge man jedem Theologiestudenten »einen Weihnachtsgruß ins Feld« schicken »(ich denke mir etwa einen der gehaltenen Vorträge), den Angehörigen der Gefallenen aber einen besonderen Gruß ins Haus.« Der Dekan (und ehemalige Rektor), Wolf Graf Baudissin, der dies prinzipiell begrüßte, aber nur für »partiell« ausführbar hielt, ließ den Vorschlag zwar zirkulieren, doch nur bei der »engeren Facultät«, den Ordinarien (und war verärgert, daß der Pedell ihn, offenbar auf irrtümliche Anweisung eines Ordinarien-Kollegen hin, auch einem Extraordinarius gebracht und dieser dazu Stellung genommen hatte. Daraufhin hatte Baudissin »dann das weitere Herumgeben bei Nichtordinarien inhibiert«). Bemerkenswert ist vor allem die Überlegung Harnacks, die »theologische Studentenschaft [sei] ja eine sehr fluktuierende [‥] und [könne] nur zum kleineren Teil zu ›Berlin‹ gehörig angesehen werden«. Deshalb solle man sich evtl. auf die den einzelnen Fakultätsmitgliedern persönlich bekannten Studenten beschränken – er selbst kannte »leider nur 2 (…) im Felde«. Nach dem Umlauf schlug der Dekan tatsächlich letzteres vor. Evtl. könne man einen Gruß der Fakultät hinzufügen – doch nur, wenn man sich vorher auf eine gemeinsame Formulierung dafür geeinigt habe. 21 Unsern Kommilitonen! Weihnachtsgruß 1915! Die Freiburger Hochschule, (Freiburg 1915), Zitat S. 36. Zur Aufrechterhaltung der Kampfmotivation s. dort z. B. auch Maria Aß, Freiburg, S. 7–9, bes. 9. 22 Scherb, Ich stehe in der Sonne, S. 96 erweckt den Eindruck, als hätten Studentinnen am »alljährliche[n] ›Weihnachtsgruß‹« mitgewirkt, führt jedoch bibliographische Angaben nur für den auch hier zitierten an. Dem Titel nach zu urteilen (Autopsie leider nicht möglich), war der zwei Jahre später versandte anders konzipiert: Lothar Heffter, Weihnachtsbrief des Prorektors der Alberto-Ludoviciana zu Freiburg in Br. an die Kommilitonen im Felde, Freiburg 1917. 23 Biographie und Zitat: BBKL V (1993), Sp. 555–557 (Klaus-Gunther Wesseling). Zu M.s Engagement in den Theologischen Lehrgängen in der Etappe s. u. S. 1023.
662 Die Universitäten im Kriegseinsatz »Gegen die Übersendung einer Rede bin ich meinerseits entschieden, da diese wie ein Programm der Facultät angesehen werden könnte. (….) In dieser Angelegenheit, die über die vorgeschriebenen Aufgaben der Facultät hinausgeht, kann nicht nach Majoritäten entschieden werden.«
Dies ließ er wiederum nur unter den »Mitgliedern der Hochwürdigen Fac[ultät]« zirkulieren, und zwar ausdrücklich »nach der Anciennität«. Nun prägte der 75jährige, aber noch lehrende Emeritus Paul Kleinert mit seiner Stellungnahme auch die weiteren: »(…) das Anziehende und Gute des Gedankens, die Studierenden der Facultät nach Art eines Familienzusammenhangs anzusehen und zu behandeln«, sei nur in einer kleinen Landesfakultät möglich. Deshalb plädierte (unter Anführung weiterer Argumente) auch er dafür, nur in Kontakt zu jeweils persönlich bekannten einzelnen zu treten. Der Deutschbalte Seeberg, der bald noch in ganz anderer Weise kriegs-aktiv werden sollte, votierte ebenfalls für persönliche Einzelschreiben, brachte aber doch die Verbindung »zu irgendeinem gemeinsam-privaten Vorgehen« ins Spiel. Ähnlich äußerte sich Mahling. Nach dieser Abstimmung im zweiten Umlauf unternahm die Fakultät schließlich gar nichts – und der Dekan gab den Vorschlag am 8.12.1914 zu den Akten.24 Manche Professoren scheinen die Vorschläge aber in ihrem eigenen Bereich umgesetzt zu haben. So stand die Neutestamentliche Abteilung des Theologischen Seminars (die Adolf Deißmann leitete) in »lebhaftem Briefverkehr mit den zahlreichen im Felde stehenden früheren Mitgliedern«.25 Das Englische Seminar sandte an ungefähr 70 Mitglieder im Feld oder in Lazaretten »Liebesgaben, Zeitungen und namentlich geeignete englische Lektüre«.26 Ob andere Seminare und Institute ähnlich verfuhren wie diese beiden und nur zu bescheiden waren, dies als besondere Kriegstätigkeit aufzulisten, muß offenbleiben.27 Neben diesen von einzelnen Lehreinrichtungen ausgehenden Initiativen standen eigene der Studentenschaft. Allerdings begannen diese in Berlin ziemlich spät. Erst 1916 scheint ein Hilfsausschuß für die Kommilitonen im Felde (als Unterausschuß des AStA) gebildet worden zu sein, der als Anlaufstelle für jene dienen sollte, »die vielleicht in Berlin weiter keine Verbindung haben«. Warum diese sich aber ausgerechnet »mit Fragen betr. Studium, Examen usw.« 24 Alles nach UA HU Theol. 96, fol. 3–6. Darauf u. a. Mahling an Dekan o. D. (fol. 3); Dekan 24.11.1914 (fol. 3–3v, mit Zitat), 27.11.1914 (fol. 4–5v, mit Zitaten) und 8.12.1914 (fol. 6); H[arna]ck 25.11.1914 (fol. 4 mit Zitat); Kleinert (fol. 5v, mit Zitat); Seeberg (fol. 5v-6, mit Zitat); Mahling (fol. 6, mit Zitat). 25 Die FWU im Kriege 1914/15 (s. o. S. 326 A. 8), S. 37. S. auch Chronik der FWU 28 (1914), S. 52. 26 Die FWU im Kriege 1914/15, S. 38. 27 Im folgenden Jahr berichtete das Theologische Seminar in der Rubrik »Wissenschaftliche Anstalten« gar nichts mehr, das Englische nur noch den Felddienst eines Assistenten und zweier Diener. (Die Tätigkeit der Direktoren war unter der Rubrik der jeweiligen Fakultät aufgelistet.)
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an den studentischen Ausschuß wenden sollten, ist unklar. Wären dafür nicht die Fakultäten die richtige Adresse gewesen? Immerhin konnten die im Felde Weilenden auch »Bitten in irgend welcher persönlichen Angelegenheit« an den Hilfsausschuß richten.28 Am Ende des Sommersemesters 1916 ging der AStA dann selbst auf die ›draußen‹ zu: »Der Ausschuß der Studentenschaft hat ein ›Sendschreiben an die Kommilitonen im Felde‹ erlassen [!].« Neben einem Gruß des Rektors und einem allgemeinen Artikel des Juristen Kipp über studentische Organisation enthielt es »alles für die feldgrauen Kommilitonen Wissenswerte über das Arbeiten, das Leben und Treiben an der Alma Mater, ferner einen Hinweis auf den ›Akademischen Hilfsbund‹ und auf den ›Hilfsausschuß für die Kommilitonen im Felde‹.«29 Dieses Schreiben wurde an »etwa 1000 Adressen« versandt: »mehr waren uns damals nicht bekannt geworden«.30 Anfang April 1917, also zum Sommersemester, brachte der Berliner AStA seine »1. Kriegsnummer« heraus (als Heft der Berliner Akademischen Nachrich ten, die von der Amtlichen Akademischen Auskunftsstelle der Berliner Universität herausgegeben wurden, aber seit 1916 »zugleich [als] amtliches Blatt« des Ausschusses der Studentenschaft galten). Hier rechtfertigte er auch den späten Beginn seiner Bemühungen um die Kommilitonen im Feld: Während andere Universitäten »schon seit geraumer Zeit die Verbindung mit den feldgrauen Kommilitonen aufgenommen hätten«, habe man sich dazu in Berlin angesichts »der großen Zahl von Kriegsteilnehmern, die es zu ermitteln galt, außerstande« gesehen. Zudem sei der AStA, der ja erst kurz vor Kriegsbeginn seine Tätigkeit aufgenommen habe, »zunächst noch lange Zeit, wie leicht erklärlich, mit Organisationssorgen beschäftigt« gewesen. Dann sei die Beschaffung der Feldanschriften auf mancherlei Schwierigkeiten gestoßen. Doch nachdem der Ausschuß Anfang Dezember 1916 mit einem neuen Vorstand sein drittes Geschäftsjahr begonnen habe, sei er »mit Eifer« ans Werk gegangen; denn der neue Vorstand »hielt es für eine der dringendsten Aufgaben, mit den feldgrauen Kommilitonen eine regelmäßige Verbindung anzubahnen«.31 »Anbahnen« – 1917! Immerhin war aber der spezielle Hilfsausschuß schon unter dem vorheri28 Mitteilungen des Ausschusses der Studentenschaft, in: BAN X (1915/16), S. 60–62, Zitate 60. Die Datierung ergibt sich 1. aus dem Fehlen früherer Nachrichten (sowohl hier als auch in den archivalischen Quellen zum Studentenausschuß), 2. aus folgenden Formulierungen: »Der Hilfsausschuß (…) möchte eine Stelle der Universität sein (…)«. Und offenbar hatte er es im Juni 1916, als dies veröffentlicht wurde, nötig, seine Existenz erst noch bekannt zu machen: »Der Hilfsausschuß richtet daher an alle Kommilitonen die Bitte, auf dieses Amt des Ausschusses bei Nachrichten ins Feld hinweisen zu wollen.« 29 Nachrichten aus der Universität, in: BAN XI (1916/17), S. 20 (Veröffentlichung vom 26.11.1916). Zur Datierung des Versands s. die folgende Anmerkung. Obwohl dieses »Sendschreiben« (einmal hieß es in der Notiz auch »Sendbrief«) sicher gedruckt war, konnte es bibliographisch nicht ermittelt werden. 30 Zum Geleit! in: BAN XI (1916/17), S. 35 f., hier 35. 31 Zum Geleit!, in: BAN XI (1916/17), S. 35 f.
664 Die Universitäten im Kriegseinsatz gen Vorstand gegründet worden, der allerdings im Mai 1916 »noch immer eine rege Mitarbeit der Studierenden an seinen Zielen [vermißt hatte], den Studenten, die im Heeresdienste tätig sind, die in Lazaretten weilen oder sich in Gefangenschaft befinden, nach Möglichkeit zu dienen.«32 Der neue Vorstand wollte den Kommilitonen nicht, wie in den üblichen ›Liebesgaben‹, »lediglich gute geistige Kost (‥) verabreichen«, sondern zur Erörterung studentischer Fragen anregen, die jene früher beschäftigt hätten und »manchen wohl noch immer quälen und beunruhigen. Daß Ihr draußen nur die Schädigung seht, die der Krieg Eurem Studium zugefügt hat, ist nur zu begreiflich, und wir verstehen sehr wohl, daß die meisten von Euch mit banger Sorge in die Zukunft schauen. Diese Auffassung aber ist nicht objektiv und kann es auch gar nicht sein, wie Ihr zugeben werdet. Darum wollen wir hier einmal den düsteren Bildern, die Ihr Euch von der Zukunft macht, einige hellere Lichter aufsetzen. Daß diesen Schilderungen, die aus der Feder von früheren Kriegsteilnehmern stammen, der Vorwurf der Schönfärberei erspart bleibe, hoffen wir zuversichtlich.«33
Der AStA-Vorsitzende Heinrich Dähnhardt, Sohn eines Vizeadmirals (und 1917 Mitbegründers der Vaterlandspartei), hatte im August 1914 das Notabitur abgelegt und ab September als Kriegsfreiwilliger in Ostpreußen, Polen und Rußland gedient. Infolge eines Gelenkleidens, das zu einer Gehbehinderung geführt hatte, war er allerdings aus dem Heer entlassen worden und studierte seit 1915 in Berlin Germanistik und Geschichte.34 Vorsitzender des Hilfsausschusses für die Kommilitonen im Felde war ein 1908 in Berlin promovierter Biologe, der auch Physik studiert und im Krieg möglicherweise als Lehrer an der Be obachter- und Fliegerschule der Flieger-Ersatz-Abteilung Köln gewirkt hatte.35 Ob diese Kriegsbiographien der beiden Unterzeichner den 1917 seit Jahren im Feld stehenden die allenfalls herablassende Einfühlung und die Zurechtweisung 32 Mitteilungen des Ausschusses der Studentenschaft, in: BAN X (1915/16), S. 52–56, Zitat 53. 33 Zum Geleit! (wie A. 31), S. 36. 34 Ausführliche Information über das Mitglied des Deutsch-Völkischen Studentenverbands bei Alexander Hesse, Die Professoren und Dozenten der preußischen Pädagogischen Akademien (1926–1933) und Hochschulen für Lehrerbildung (1933–1941), Weinheim 1995, S. 224–226. Zu Dähnhardts weiterem Werdegang s. u. S. 700 mit A. 201. 35 In AV FWU Berlin ist Prochnow nicht zu finden, war also wohl kein Assistent dort. Doch stellt die Dissertation jedenfalls die Verbindung zur Universität her. Biogr. Angaben im Lebenslauf seiner Dissertation: Oskar Prochnow, Die Abhängigkeit der Entwicklungsund Reaktionsgeschwindigkeit bei Pflanzen und poikilothermen Tieren von der Temperatur, (Guben 1908), S. 40. Die genannte Kriegsfunktion wird dem laut bibliograph. Anzeige (in: Geographischer Anzeiger. Blätter für den geographischen Unterricht: 18 (1917), S. 44) promovierten Autor der folgenden Schrift zugeordnet: Oskar Prochnow, FliegerWetterkunde. Kurz gefaßte Darstellung der Physik des Luftmeeres und der Wetterkunde in Beziehung zum Flugwesen, Mannheim 1916.
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bezüglich fehlender Objektivität leichter erträglich machten, sei dahingestellt. Außer der Diskussion studentischer Fragen sollte dieses Kriegsheft den Kommilitonen im Feld aber zeigen, »wie sich der Universitätsbetrieb trotz der starken Verminderung der Teilnehmer und des großen Zudranges des weiblichen Elementes, der übrigens draußen auch oft überschätzt wird, in den alten Bahnen weiterbewegt, und wie überall noch die Kraft vorhanden ist, neue Einrichtungen von bleibendem Werte zu schaffen.«
Zu Ergänzungen und Berichtigungen der Artikel wurden die Kommilitonen im Feld ausdrücklich aufgefordert.36 Im selben Heft berichtete Dähnhardt noch ausführlicher über die Arbeit des AStA, die durch die stets wachsende Zahl der Einberufungen und den häufigen Wechsel der Mitglieder immer schwieriger werde. Zwar ging es auch darum, was der AStA für die Kommilitonen im Feld getan hatte, doch wesentlich ausführlicher schrieb er über die Arbeit zugunsten der Studierenden vor Ort. Aber »in immer steigendem Maße hatte sich die daheimgebliebene Studentenschaft [auch] in den Dienst des Vaterlandes gestellt« und der Ausschuß eine Meldestelle für den Hilfsdienst eingerichtet. Dadurch habe die Studentenschaft gezeigt, »daß sie mit ihren Kommilitonen im Felde Schulter an Schulter [!] ohne Ermüdung weiter kämpfen [!] wollte«.37 Daß der neue Vorstand die Studierenden in der Heimat allerdings erfolgreicher zur Hilfe für die Kommilitonen im Feld mobilisiert hätte, ist nicht zu erkennen; denn in den weiteren Nummern berichteten die Berliner Akademischen Nachrichten nicht mehr von dieser Tätigkeit. Neben dem Rektorat, einzelnen Einrichtungen der Universität und der Gesamtvertretung der Studentenschaft38 beteiligten sich an der ›Betreuung‹ der Kommilitonen im Kriegsdienst schließlich auch spezielle Gruppen. Korporationen und ihre regionalen Teilverbände versandten eigene Grüße und ›Liebesgaben‹ an die Front und regten die dortigen Mitglieder zu Briefen und Berichten an. Mit einem »Tannenzweiglein aus dem Garten des Korporationshauses« und einem »Schleifchen in Korporationsfarben«39 wurde die Verbundenheit unterstrichen, aber natürlich auch eine separate Identität gestärkt. Die Akademi schen Blätter, das Verbandsorgan des Kyffhäuser-Verbandes (der Vereine Deutscher Studenten), wurden den Mitgliedern ins Feld gesandt und (zumindest von manchen) dort besonders intensiv gelesen. Dabei widmeten sie sich einerseits wie bisher allen Bereichen von Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Religion – betrieben aber zugleich gezielte Förderung des Durchhaltewillens. Je länger aller36 Zum Geleit! (wie A. 31), S. 36. 37 [Heinrich] Dähnhardt, Aus der Arbeit des Ausschusses, in: BAN XI (1916/17), S. 41–42. 38 In Berlin wurde sie während des Krieges nicht gewählt, sondern trat nur in einem von benannten Vertretern der Korporierten und der Nichtkorporierten beschickten Engeren Ausschuß zusammen. 39 Buchner, Würzburg im Kriege, S. 71.
666 Die Universitäten im Kriegseinsatz dings die Daheimgebliebenen über Paukbetrieb und Frühschoppen berichteten und dabei noch über die »›nur‹ 3 Glas Bier« »stöhn[t]en«,40 um so mehr wuchs auch hier die Gefahr einer Entfremdung. In der Organisation des Verkehrs mit den eigenen Mitgliedern verfuhren andere Verbände ähnlich, etwa die Sängerschaft Arion, die einen Kriegsausschuß gründete und den gesamten Briefwechsel mit den im Heeresdienst stehenden Mitgliedern über die Arionen-Zeitung abwickelte. (Solche Kriegszeitungen stellten auch viele Einzelverbindungen anderer Verbände zusammen.41) Auch mit einem neuen Ritus suchten die Arionen die Verbindung aufrecht zu halten: Die in der Heimat Verbliebenen trafen sich am Samstagmorgen um 10 Uhr und sangen ihr Bannerlied. Bundesbrüder an der Front bemühten sich, genau zu dieser Zeit an Arion zu denken, um so ein »geistiges Band« zu knüpfen.42 Die Studentinnen beteiligten sich an den allgemeinen sozialen Diensten für Studierende, die in Berlin von eben jenem AStA organisiert wurden,43 dessen Vorsitzende das argwöhnisch beobachtete Wachsen des »weiblichen Elements« relativierten. Dazu gehörte auch die Versorgung der Kommilitonen im Heer. Doch reichten die Aktivitäten der Studentinnen weit über diese gesamtstudentische Vertretung hinaus und wurden im wesentlichen von ihren eigenen Vereinen organisiert. Andererseits wurden diese gelegentlich auch von der Universitätsleitung herangezogen. In Jena forderte Rektor Alexander Cartellieri den (interkonfessionellen und frauenbewegten) Verein auf, »bei der Weihnachtsspende der Universität zu helfen«; denn alle im Dienst des Vaterlandes stehenden Studierenden sollten ein Päckchen erhalten. Dafür sammelten die Mitglieder des Studentinnenvereins zunächst Spenden in der Universität, schrieben dann die Adressen und packten ca. 1000 »Paketchen«, von denen jedes »neben Schokolade, Zigaretten und Lebkuchen ein Liederbuch und die im Druck erschienene Rede des Rektors zu Beginn des Semesters enthielten; ein kleiner Tannenzweig gab dem Ganzen ein weihnachtliches Gepräge.« Die Auf40 Marc Zirlewagen, »Um unseres deutschen Volkes Sein oder Nichtsein« – Der Kyffhäuser-Verband der Vereine Deutscher Studenten im Ersten Weltkrieg, in: Zirlewagen (Hg.), »Wir siegen oder fallen«, S. 223–312, hier 270–273, Zitat aus der Zuschrift eines Mitglieds, das deshalb »Präventivzensur« forderte, 272 f. 41 Über die Göttinger Verbindungen s. Marie-Bénédicte Daviet-Vincent, Die »Logik der Ehre« 1914–1918. Göttinger Studentenverbindungen im Ersten Weltkrieg – Zeugnisse aus Feldpostbriefen und Kriegszeitungen, in: Zirlewagen (Hg.), »Wir siegen oder fallen«, S. 123–138, hier 131 f. Von den Vereinen Deutscher Studenten versandten dagegen nur wenige eigene Kriegszeitungen (Zirlewagen, Der Kyffhäuser-Verband im Ersten Weltkrieg, S. 271), vermutlich, weil das Organ des Gesamtverbands so stark entwickelt war (allerdings von den Feldpostbriefen dann nur eine kleine Auswahl abdrucken konnte). 42 Harald Lönnecker, »O deutsches Schwert und deutsches Lied« – Sängerschafter im Ersten Weltkrieg, in: Zirlewagen (Hg.), »Wir siegen oder fallen«, S. 139–204, hier 164–170, Zitat (aus der Festschrift zum 75jährigen Bestehen 1924) 169. 43 Koerner, Auf fremdem Terrain, S. 313.
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forderung des Rektors hatte allen Mitgliedern »sehr große Freude« gemacht44 – offenbar erblickten sie darin eine Anerkennung. Tatsächlich wurde auf diese Weise aber eine Aktion der gesamten Universität an die Frauen delegiert. Auch die christlichen Studentinnenvereine widmeten sich dieser Tätigkeit (oft als Beitrag zu Unternehmungen des parallelen männlichen Verbands), doch sie ergänzten sie um eine andere, die ohnehin im Mittelpunkt ihrer Gemeinschaft stand, aber nun neu ausgerichtet wurde: das Gebet; denn sie verstanden es nun »geradezu als konkrete Schützenhilfe für ihre an der Front kämpfenden Kommilitonen: ›Wir können durchs Gebet einer müden Schlachtenreihe den Rücken stärken; wir können durch unsere Gebete die Engel, die starken Helden, auf das Schlachtfeld herabbeten und die Macht der Finsternis verscheuchen … Laßt uns mehr Gebetsgemeinschaft haben in unseren Kreisen. Jeder Kreis sollte so eine Kraftstation sein, von wo die Gebetskräfte bis an alle Fronten gelenkt werden. Wir müssen zusammen eine Mauer bilden um unsere Brüder.‹«45
»Als Vestalinnen des deutschen Geistes« wollten auch die Studentinnen zum Krieg beitragen.46 Neben die Verbindungen ins Feld traten Veranstaltungen für Verwundete oder Heimaturlauber. Dies kam aber nicht nur den Eingeladenen zugute, sondern auch der ›großen Sache‹ – denn eine Kaffeerunde des Berliner Studentinnenvereins für Verwundete mündete bei der Bekanntgabe eines neuen Sieges in den (mobilisierenden) Gesang des Deutschlandliedes47 – und den einladenden Studentinnen selbst: »Der schönste gesellige Abend des Winters war das Weihnachtsfest für verwundete Kommilitonen, die in großer Zahl der Einladung g efolgt waren.«48
44 S IV (1915), S. 12. Nomineller Rektor war damals noch der Großherzog von Sachsen- Weimar-Eisenach, Cartellieri deshalb offiziell Prorektor. Beleg für die Rede u. in A. 171. 45 Hilpert-Fröhlich, »Vorwärts geht es«, S. 42 f., Zitat im Zitat aus: Deutsche Christliche Vereinigung Studierender Frauen – Vierteljährliche Nachrichten 4, Nr. 3, April 1915, S. 17. 46 Zitiert bei Hilpert-Fröhlich, »Vorwärts geht es«, S. 42 aus: Deutsche Christliche Vereinigung Studierender Frauen – Vierteljährliche Nachrichten 4, Nr. 4, Juli 1915, S. 9. 47 S IV (1915), S. 39. Lt. Semesterbericht SS 1915 waren an diesem Tag 12 Verwundete zu Gast (S. 51). 48 S V (1916), S. 55 (Semesterbericht WS 1915/16 des Vereins studierender Frauen Berlin). Auch die erwähnte Kaffeeeinladung, die sich bis in den Abend hinzog, gehörte »zu den hübschesten Veranstaltungen« des ohnehin »sehr abwechslungsreichen Sommersemesters« (wie A. 47).
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Spirituelle Betreuung der Kommilitonen im Feld Neben den Initiativen der einzelnen Universitäten, ihrer Einrichtungen und diverser Gruppen von Studenten bildete sich bald auch eine zentralisierte Organisation zur Pflege der Verbindung mit den Soldaten im Einsatz wie auch mit den kriegsgefangenen Studenten aus. Sie ging aus der 1897 gegründeten Deutschen Christlichen Studentenvereinigung (DCSV) hervor, einem erweckungsund gemeinschaftsbewegten Zusammenschluß des protestantischen Bildungsbürgertums.49 »Die DCSV ist keine Korporation. Sie ist ein inneres Band. Ihr Charakteristikum ist nicht die Organisation, sondern die Bewegung.«50 So Georg Michaelis, damals Unterstaatssekretär (und 1917 für dreieinhalb Monate Reichskanzler), der seit 1913 den Vorsitz hatte. Der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung konnten Mitglieder aller Korporationen ebenso wie Nichtkorporierte angehören. Sie war also interkorporativ. Statt ihr Büro, wie anfangs erwogen, wegen der Abwesenheit der Studenten zu schließen, erweiterte sie ihre Tätigkeit ab Herbst 1914: Auf die Bitte von Studenten im Feld, die Soldaten geistig nicht verkümmern zu lassen, bemühte sie sich ab November 1914 um eine erste Weihnachtsgabe für alle im Kriegsdienst befindlichen Kommilitonen und schaffte es tatsächlich, 40.000 Exemplare der »Deutschen Weihnacht« ins Feld zu schicken.51 Die gesamte Organisation baute der Generalsekretär des DCSV Gerhard Niedermeyer auf, ein 35jähriger promovierter Philosoph und Philologe, der wegen seines Gesundheitszustandes nicht einmal für den Lazarettdienst akzeptiert wurde.52 Bald stand ihm ein ganzes Büro mit neun Mitarbeitern und »weiteren 15 Büroangestellten« zur Seite. Neben der an alle Studenten gerichteten Weihnachtsgabe schickte die Vereinigung seit Kriegsbeginn alle drei Wochen die »evangelische Monatsschrift« Die Furche ins Feld, die sie in ihrer Denkschrift für die Behörden allerdings als allgemeine studentische Zeitschrift klassifizierte, außerdem Die Kleine Akademische Feldpost, also das Mitteilungsblatt der 49 S. dazu Hong, Die Deutsche Christliche Studenten-Vereinigung. 50 Georg Michaelis, Für Staat und Volk. Eine Lebensgeschichte, Berlin 1922, S. 412. 51 Zur Tätigkeit des Deutschen Studentendienstes s. als Überblick Wettmann, Heimatfront Universität, S. 163–173. Knapper, aber mit anderen Details: Hong, Deutsche Christ liche Studenten-Vereinigung, S. 138–142; als zeitgenössische Zusammenfassung: Samuel Baudert, Kriegsjahre, in: Hans Lilje (Hg.), Militia Christi. Vom Wirken des Evangeliums in der studentischen Welt, Berlin 1928, S. 183–194 (Hilfsbitten im Herbst 1914: S. 184; evtl. im Anschluß an Michaelis, Für Staat und Volk, S. 412 f.). 52 Grundlegende biogr. Daten im Lebenslauf seiner Erlanger Dissertation: Gerhard Niedermeyer, Sören Kierkegaard’s philosophischer Werdegang, Leipzig 1909; vergebliche Meldung bei Kriegsausbruch: Michaelis, Für Staat und Volk, S. 412. Michaelis deutet an, daß sich die DCSV und Niedermeyer wegen dessen Überschreiten der »schlichten, christlichen, selbstlosen Richtlinien« später »trennen mußte[n]«.
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eigenen Vereinigung, sowie wöchentlich 2000 Predigten und »Zeugnisse eines alten Soldaten« an Divisionspfarrer und Krankenträger. Allein an »literarischen Liebesgaben« versandte sie bis Juli 1915 165.000 Exemplare. (Bis Kriegsende sollten es über 370.000 werden.) Außerdem versorgte die DCSV ausländische Kriegsgefangene in Deutschland mit Lesestoff (um im Gegenzug die Einfuhr von Lektüre für deutsche Kriegsgefangene, insbesondere nach Rußland zu ermöglichen) und plante die Einrichtung von Soldatenheimen an der Ostfront.53 Im Krieg bemühte sich die DCSV nun um eine überkonfessionelle Aus richtung,54 was sich auch in der baldigen Hinzuziehung eines katholischen Vertreters in den Ausschuß zur Versendung von Liebesgaben an Studenten und Dozenten niederschlug. Führend waren darin allerdings die Berliner protestantischen Theologieprofessoren Deißmann und Seeberg.55 Auch sozial ging die Deutsche Christliche Studentenvereinigung über den eigenen Mitgliederkreis hinaus, indem sie sich den Kameraden ihrer Mitglieder (und damit auch »manchem schlichten Feldgrauen«) zuwandte.56 Eigentlich strebte sie eine Versorgung der Studierenden und Akademiker an und wurde vermutlich erst durch den ausdrücklichen Wunsch des Preußischen Kultusministeriums, auch für andere Kriegsgefangene zu sorgen,57 dazu angeregt, die Büchereien für einen breiteren Interessentenkreis zu gestalten und die gerade zitierten Bemerkungen in ihren (undatierten) Rückblick auf das erste Kriegsjahr aufzunehmen. Bei der Einrichtung von Büchereien für deutsche Kriegsgefangene überschritt man schließlich sogar noch die konfessionell-christliche Ausrichtung, indem auch zwei Rabbiner hinzugezogen und in die »Religiöse Abteilung« der 53 Denkschrift über die Kriegsarbeit der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung vom August 1914 bis Ende Juli 1915: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. I, Nr. 36, fol. 17–35, Zitat zum Büro fol. 33, versandte Schriften fol. 19 f., Gesamtbilanz fol. 27. Die Mitteilungen der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung wurden von August 1914 bis Dezember 1918 in Die kleine akademische Feldpost umbenannt (unter Beibehaltung der bisherigen Numerierung). Hong, Deutsche Christliche Studenten-Vereinigung, S. 117 A. 43. Dort S. 139 A. 25 auch die Daten für die literarischen Liebesgaben bis Kriegsende. 54 Die allgemeine Bezeichnung als »überkonfessioneller und interkorporativer Zusammenschluß von Studenten« (Wettmann, Heimatfront Universität, S. 163) scheint mir angesichts des Titels der Verbandszeitschrift und vor allem der vorliegenden Analyse Hongs (s. A. 49) aber nicht treffend. 55 S. Denkschrift (wie A. 53), fol. 23. 56 Denkschrift (wie A. 53), fol. 22. 57 S. dazu den Antrag auf eine Beihilfe: Ausschuß zur Versendung von Liebesgaben an Dozenten und Studenten an Pr KuMi 30.8.1915: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. I, Nr. 36, fol. 42–43. Auf fol. 43 der Vermerk: »Die Fürsorge auf gewisse Gruppen von Kriegsgefangenen zu beschränken, halte ich nicht für richtig. Auch Nichtakademiker würden gern gute deutsche Bücher in ihrer Gefangenschaft lesen.« (Chappuis). Die Antwort lautete dann etwas diplomatischer: Pr. KuMi an Ausschuß (…) 5.9.1915 (fol. 49–49 v).
670 Die Universitäten im Kriegseinsatz geplanten »Hauptbücherei« neben 33 »evangelischen Büchern« 21 katholische und fünf jüdische aufgenommen wurden. Auch im dafür zuständigen Ausschuß zur Versendung von Liebesgaben an kriegsgefangene deutsche Akademiker standen drei Berliner an der Spitze: der Jurist Kipp, der Altphilologe Wilamowitz und der Mediziner Bumm58 (denen diese Funktion offenbar durch ihr Rektoramt 1914/15–1916/17 zugewachsen war). Der Versand nach (und aus) Rußland wurde über das neutrale Dänemark (und Norwegen) abgewickelt und wurde nach der Februarrevolution von 1917 dadurch erleichtert, daß die russischen Behörden »eine Anzahl von Gefangenenlagern und die Namen ihrer Insassen bekannt[gaben], von denen niemand bisher wusste.«59 Bis Mitte 1917 hatte der Ausschuß zur Versendung von Liebesgaben an kriegsgefangene deutsche Akademiker 24.478 Pakete abgesandt – aber für nur 2617 eine Empfangsbestätigung erhalten.60 Neben dieser Zentrale bemühten sich weiterhin auch die Heimatuniversitäten um ihre eigenen kriegsgefangenen Mitglieder – in Straßburg etwa die Kriegsstelle, die ihnen speziell erbetene Bücher besorgte und zusandte.61 Sie spendeten aber außerdem für diese zentralen Ausschüsse, die Gießener etwa aus ihrem T-Fonds.62 Doch auch hier wirkte sich der Berliner Führungsanspruch gegenüber anderen deutschen Universitäten und Hochschulen aus: Als der Leipziger Rektor 1915 vorschlug, die Sammelstelle für den Bücherversand an Kriegsgefangene nach Leipzig zu verlegen (das damals ja das Zentrum des Buchund Verlagswesens war), richtete der zentrale (faktisch Berliner) Ausschuß
58 Ausschuß zur Versendung von Liebesgaben an kriegsgefangene deutsche Akademiker. Hauptbücherei für die deutschen Kriegsgefangenen, (München) o. J. [1916], S. 5 (Rabbiner), 21–23 (Rel. Abt.). (Die gesamte Schrift ist enthalten in GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. I, Nr. 36 als fol. 134). Da die Zusammenstellung dieser 300 Büchereien aus jeweils 325 Werken noch längere Zeit benötigte, waren einstweilen »Notbüchereien« vorausgesandt worden, und jetzt wurde eine »Zwischenbücherei« von 137 Titeln geplant, alles jeweils in 300 Exemplaren. S. dazu auch BAN X (1915/16), S. 62–64. 59 Ausschuß zur Versendung von Liebesgaben an Kriegsgefangene Deutsche Akademiker zur Errichtung von Lagerbüchereien für deutsche Kriegsgefangene 4.7.1917 [ohne Adressat, hektogr.]: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. I, Nr. 36, fol. 120–125, hier fol. 122. Belege für Norwegen s. A. 62. 60 Ausschuß (….) an die deutschen Hochschulen 14.4.1917 (Unterz.: Kipp): GStAPK I . HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. I, Nr. 36, fol. 132–133, hier fol. 132v. 61 Ficker, Bericht IV (1917/18), S. 19. 62 Hektograph. Aufruf mit fünf Unterschriften (zwei Ministerialbeamte, Rektor der Universität bzw. der TH Berlin, Prof. Wilamowitz-Moellendorff) mit Bitte um Spenden von Büchern und Geld; Ausschuß zur Versendung von Liebesgaben an kriegsgefangene deutsche Akademiker an die Universität Gießen 7.10.1915 (Dank für 20 M.); beide: UA Gi Allg. 111, fol. 130 bzw. 129. Mineralog. Institut Kristiania an Universität Gießen 15.6.1916 (Dank für Überweisung von 50 M.); vgl. Goldschmidt an Gundel 9.6.1916 (Erläuterungen über Abwicklung des Versands; Abschrift); beide: UA Gi Allg. 111, fol. 66, 65.
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einen Appell an alle deutschen Rektoren, um dies zu verhindern.63 Schließlich kam es aber zu einer Aufgabenteilung: Die Leipziger Sammelstelle versorgte die Gefangenen in Frankreich, der Berliner Ausschuß jene in England, Rußland und Japan.64
Der deutsche Studentendienst und die Liebesgaben deutscher Hochschüler Die verschiedenen Tätigkeiten und Ausschüsse wurden 1915 im Deutschen Studentendienst 1914 zusammengefaßt, dessen Bezeichnung wohl in Anlehnung an den »Geist von 1914« gewählt wurde, den die neue Organisation erhalten und bewahren sollte.65 Hatte sich die Deutsche Christliche Studentenvereinigung zunächst auf Spenden gestützt und dann (mit Erfolg) an das Preußische Kultusministerium um Beihilfen gewandt, so erhielt der Deutsche Studentendienst schließlich auch Mittel von der Reichsregierung und von Krupp.66 Der Dienst ging zwar vom Ziel der »geistigen Fürsorge« für die Akademiker aus – der »Pflege des kostbarsten Schatzes, den die Nation der Vernichtung aussetzte, nämlich der akademischen Bildung vieler tausend Hochschüler«. Doch entsprechend der selbstgestellten Aufgabe, den »Geist von 1914« festzuhalten, konnten die Akademiker »nicht bloß Gegenstand des Dienstes sein«, sondern mußten »selbst zum Dienste aufgerufen werden, und zwar immer mehr zum Dienst am ganzen großen Volksheer«. Genau damit rechtfertigte eine der Führungspersönlichkeiten, der Greifswalder Theologe Karl Dunkmann, es, daß der Dienst zuerst ihnen selbst galt. Sie sollten also die »causa movens« sein.67 Grundlage der Arbeit war eine Kartothek der im Felde Stehenden, die anfangs 36.000, 1918 sogar 50.000 Personen umfaßte. Um die Schwierigkeit der Ermittlung von Feldadressen zu illustrieren (über die alle Universitäten klagten), genügt es, den Arbeitsumfang für Berlin anzuführen: Um die Anschriften der Angehörigen der Universität Berlin sowie der TH Charlottenburg zu eruieren (durch Nachfrage bei den Familien, die z. T. selbst erst ermittelt werden mußten), benötigten »fünf Damen« acht Wochen ununterbrochener Arbeit. Und aufgrund der ständigen Veränderungen blieb der Aufwand zur Führung der Kartei immer hoch. Der Studentendienst richtete auch eine Feldpoststelle 63 Ausschuß zur Versendung von Liebesgaben an kriegsgefangene deutsche Akademiker 8.11.1915: An die Herren Rektoren der Deutschen [!] Universitäten und Hochschulen! UA Gi Allg. 111, fol. 125. 64 Grüner, Die Universität Jena während des Weltkrieges, S. 50. 65 So Wettmann, Heimatfront, S. 166 mit Bezug auf K[arl] Dunkmann, Der Deutsche Studentendienst 1914, in: IMWKT 12 (1917/18), Sp. 687–702, hier bes. 689. 66 Basler, Zur politischen Rolle der Berliner Universität, S. 185. 67 Dunkmann, Der Deutsche Studentendienst, Zitate Sp. 687, 688, 689, 690.
672 Die Universitäten im Kriegseinsatz ein: für die Reaktionen der Soldaten auf die Zusendungen und um das »Bedürfnis nach Aussprache« zu befriedigen. Daraus erwuchs dann eine Beratungsstelle, für deren Leitung das Kultusministerium den 1914 nach Münster an die neugegründete Protestantisch-Theologische Fakultät berufenen Karl Heim freistellte, der erst 1918 zu seiner Lehrtätigkeit zurückkehrte. Zur Beantwortung das Studium betreffender Fragen arbeitete die Beratungsstelle mit den Dozenten und der Amtlichen Auskunftsstelle der Universität Berlin sowie auch dem Kultusministerium zusammen.68 Im Herbst 1917 wurde außerdem eine Zentrale der Berufsberatung für Akademiker geschaffen, deren Co-Direktor Dunkmann war (der dieses Engagement möglicherweise aus kriegsfernen Gründen suchte, sich aber – nach seiner nicht ganz freiwilligen vorzeitigen Emeritierung69 – auf der Grundlage dieser Erfahrung zum Soziologen entwickelte und in den zwanziger Jahren zunächst das Institut, dann auch die Zeitschrift für angewandte Soziologie gründete). Zusätzlich zu den erwähnten Bibliotheken (und den Periodica der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung) schuf der Studentendienst auch eine eigene Zeitschrift: Ab August 1916 erschien Deutsche Studentenarbeit in Feld und Heimat, die aber schon 1917 durch Die Hochschule als »studentische Feldzeitschrift« abgelöst wurde. An der Ostfront und im Vorderen Orient richtete er im Auftrag der OHL auch Soldatenheime ein, in denen neben Verpflegung allabendliche Kulturveranstaltungen geboten wurden.70 Die Fürsorge für Gefangene mußte man »mit automatischer Notwendigkeit« auf »das gesamte kämpfende Heer« ausdehnen, denn »hier gingen« die Akade68 Dunkmann, Der Deutsche Studentendienst, Sp. 691–696, Zitate 691, 692. Zum Leiter und den universitären›Informanten‹ der Beratungsstelle: [Karl] Heim, Der Deutsche Studentendienst von 1914, in: BAN XI (1916/17), S. 55 f. Zu Heims Biographie s. BBKL II (1990), Sp. 661–664 (Friedrich Wilhelm Bautz) und ergänzend für die Kriegszeit http:// de.wikipedia.org/wiki/Karl_Heim_(Theologe) (8.2.2012). 69 Wegen außerehelicher Beziehungen, bei denen er sich nach Angaben seiner Frau mit einer Geschlechtskrankheit infiziert und diese auf sie übertragen hatte, sowie des öffentlich ausgetragenen Streits darüber leitete die Fakultät im April 1918 ein Disziplinarverfahren gegen ihn ein: Aufgrund dieser Beschuldigungen habe er sich »der Achtung, des Ansehens und des Vertrauens, die sein Beruf erfordern«, unwürdig gezeigt. Im Juli bat er dann selbst um Emeritierung, die ihm unter der Bedingung gewährt wurde, daß er seinen Wohnsitz aus Greifswald weg verlege. Gleichzeitig wurde das Disziplinarverfahren mit einem Verweis eingestellt. Für die Informationen aus der Greifswalder Personalakte (UA Greifswald PA 323) bin ich Dr. Dirk Alvermann und vor allem Marianne Schumann verpflichtet. Die Angaben in BBKL XVI (1999), Sp. 405–408 (Matthias Wolfes) und auch NDB 4 (1959), S. 199 (Gerhard Lehmann), wonach er 1917 von seiner Professur zurück getreten sei bzw. diese Laufbahn aufgegeben habe, sind also entsprechend zu präzisieren. 70 Dunkmann, Der Deutsche Studentendienst, Zitat Sp. 693, Soldatenheime 700 f. Außerdem zu den Zeitschriften: Heinrich Grißhammer, Der deutsche Studentendienst von 1914 und seine Literatur, in: Wingolfs-Blätter 37 (1917/18), Sp. 40–44, hier 43. Sp. 41 A. auch weitere Angaben über versandte Zeitschriftenhefte (135.000 bis Ende 1916); kleine Schriften, Volksbücher und Predigten: 519.250 Exemplare.
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miker »in der Masse der anderen Gefangenen unterschiedslos unter«. Ziel dieser Tätigkeit war, »den geistigen Zusammenbruch der Gefangenen zu verhüten und sie zugleich vor feindlicher Propaganda zu schützen«.71 Als Ergebnis aller dieser Bemühungen entstand nicht nur »ein Riesennetz schönster Feldbeziehungen, ein System von tausend und abertausend Lebensadern«, sondern auch ein riesiges Wirtschaftsunternehmen, in dem vier GmbHs, darunter ein eigener Verlag (Die Furche), »einheitlich geleitet« zusammenarbeiteten – mit 150 Angestellten in Berlin und 500 außerhalb, in Soldatenheimen, Gefangenenlagern etc. Der Jahresumsatz betrug 1917 30 Millionen Mark.72 (Die Zentraleinkaufstelle der für die Soldatenheime nötigen Marketenderei wurde übrigens in Michaelis’ »Dienstwohnhaus« untergebracht, so daß er, der im Krieg ja auch die allgemeine Lebensmittelversorgung organisierte, jeden Tag einen Blick in den Betrieb werfen und wöchentliche Mitarbeiterbesprechungen abhalten konnte.73) Drei Berliner Gelehrten, den ehemaligen Rektoren Kipp und Wilamowitz sowie dem Rektor der TH Thierry, bot ihre Mitwirkung im Ausschuß zur Versendung von Liebesgaben an kriegsgefangene deutsche Akademiker im Frühsommer 1917 den Anlaß zu einer einwöchigen Reise nach Kopenhagen, um dort dem dänischen Ausschuß und seinen Mitarbeitern den Dank zu überbringen – nach dem Hungerwinter 1916/17 sicher zugleich ein willkommener Ausflug in ein besser versorgtes Land. Neben den eigenen verteilte der zentrale Ausschuß zur Versendung von Liebesgaben an Dozenten und Studenten aber auch die Gaben einzelner Hochschulen. So schickte die Kriegsstelle der Straßburger Universität zu Weihnachten 1915 30.000 ihrer (in diesem Jahr 105.000!) Weihnachtsliederbücher an den Ausschuß, um dies »zuerst unsern Straßburgern, dann aber möglichst allen Dozenten und Studenten im Felde als Geschenk der Universität Straßburg darzubieten.«74 Die Berliner Universität bediente sich des Ausschusses, um ihre Festreden und Jahresberichte an möglichst viele ihrer Studenten zu verschicken, denn schließlich hatte der Ausschuß ja die umfassendste Anschriftensammlung.75 Da für Studenten ein Gruß ihrer »Heimatuniversität« »immer eine ganz besondere Freude« sei, hatte der Ausschuß zur Versendung von Liebesgaben die einzelnen Universitäten dazu eingeladen, seinen Sendungen auf seine Kosten eine besondere 4seitige Beilage als Gruß der jeweiligen alma mater beizulegen, 71 Dunkmann, Der Deutsche Studentendienst, Sp. 697 f. 72 Dunkmann, Der Deutsche Studentendienst, Zitat Sp. 696, Bilanz 702. 73 Michaelis, Für Staat und Volk, S. 415 f. (auch mit Details über den Abbau der Lager im Einsatzgebiet beim sich abzeichnenden Zusammenbruch). 74 Ficker, Bericht II (1915/16), S. 36. Das 1914 erstellte Weihnachtsliederbuch diente dagegen dem gemeinsamen Singen in den Lazaretten und war damals außerdem in einer Auflage von 30.000 weiterer Exemplare auf Wunsch der Militärgeistlichkeit für das XV. (also Straßburger) Armeekorps gedruckt worden (Ficker, Bericht I [1914/15], S. 31). 75 Zum Geleit! (wie A. 31), S. 35.
674 Die Universitäten im Kriegseinsatz und das tat eine ganze Reihe von ihnen tatsächlich. Der Straßburger Rektor Eduard Schwartz z. B. nutzte dies, um den Studenten im Feld einen langen Brief zu schreiben, in dem er sie auf dem laufenden hielt über Frequenz und Kriegsstatistik, die Aufgabe der Daheimgebliebenen erläuterte, die im Felde Stehenden bezüglich der Wiederaufnahme des Studiums beruhigte und ihnen die Stellung der Akademiker in der ›Volksgemeinschaft‹ erläuterte.76 Nach Einschätzung von Wilamowitz leistete der Studentendienst »Großes, kaum Glaubliches«.77 Und Deißmann überhöhte dies ins Religiöse: »Hatte er den Kämpfern das Schwert des männlichen Ethos geschliffen, so reichte er den Versehrten und Schmachtenden Balsam und Manna, indem er ihnen mit Hilfe grosser Zentralen unsres geistigen Schaffens die Kräfte edelster Heimatkunst vermittelte.«78
Dabei bezog sich Deißmann ausdrücklich auf zwei der (vermutlich) fünf bis dahin als »Liebesgaben deutscher Hochschüler« erschienenen »Kunstgaben«, die »Ludwig Richter-« sowie die »Moritz von Schwind- und Karl-SpitzwegMappe«.79 Die erste enthielt 24 auf Pappe aufgeklebte, meist 9 × 14 cm große Drucke von Zeichnungen Richters, die der damals 38jährige Kunsthistoriker und Kustos der Nationalgalerie Berlin (selbst Graphiker und Maler) Guido Joseph Kern in seiner vorangestellten handschriftlichen Erläuterung folgendermaßen zusammenfaßte: »Das deutsche Haus, der deutsche Wald und das deutsche Märchen, das beide verklärt«. Aus diesen Blättern spreche »frommer, kindlicher Glaube (…), ein heiteres und unverdorbenes Gemüt, Treuherzigkeit und stille Zufriedenheit«. Zwar sei diese Welt »kleinbürgerlich«, doch umschließe sie »unsere heiligsten Empfindungen. Unsere heißesten Wünsche auch und unsere Hoffnungen, dass der Geist, aus dem die Schöpfungen dieses Meisters hervorgegangen, weithin Wurzel schlage in unserem Volke: ihm zum Heile und zur Wehr dem Feinde!«
76 Der Brief vom 6.12.1915 [im Druck irrtümlich 1916] in: Stiftungsfest der KWU 1916, S. 71–74. Zum letztgenannten Aspekt s. u. Kap. III .8. Allgemeine Beobachtung zur Nutzung dieser Versandmöglichkeit: R. Schairer, Deutscher Studentendienst, in: BAN X (1915/16), S. 23–27, hier 26. 77 So als Rektor in: Wilamowitz-Moellendorff, Bericht über das Amtsjahr 1915/16, S. 7. 78 Evangelischer Wochenbrief 21.2.1917, S. 5: GStAPK Rep 76 V c: Wissenschaft Sekt 1 Tit. 11 Teil VII Nr. 40 Bd. I, fol. 460–462v, hier 460. 79 Die einzelnen Bände tragen im allgemeinen kein Erscheinungsjahr und werden in den verschiedenen Bibliothekskatalogen unterschiedlich datiert. Band 3 scheint erst 1917 oder 1918 erschienen zu sein, nach den höheren Nummern der Reihe. Die umfassendste Titel- (und Bestandsliste) findet sich (über KVK) in: hbz-Verbundkatalog.
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Der »Geist« dieser Zeichnungen, also die Ruhe und Friedlichkeit, die sie ausstrahlten, sollte den »Streitern in Feindesland« offenbar das zeigen, was es zu schützen galt, und sie damit mobilisieren. In ihrer Entschlossenheit wollte wohl auch Unterstaatssekretär Michaelis die Empfänger bestärken, doch enthielt er sich in seinem ebenfalls handschriftlichen Grußwort jeder expliziten Bezugnahme auf den Krieg: »Je tiefer wir in dem Boden wurzeln, in dem wir geboren sind, desto höhere Bahnen kann unser Geist wandern, desto fester wird unser Herz.«80 Die Bilder der nächsten Kunstgabe entstammten ebenfalls der Romantik: Die Mappe enthielt »Je 6 farbige Blätter nach [!] Karl Spitzweg und Moritz von Schwind«, außerdem vier einfarbige »nach« Schwind, alle aus Münchner Sammlungen. Das »beschreibende Verzeichnis der Bilder« hatte der Schweizer Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin verfaßt, der damals Professor in München war. Abgesehen von Schwinds »Rübezahl« mit seinem riesigen Knüppel, strahlten alle Bilder Frieden und Heimeligkeit aus und wurden von Wölfflin auch ganz bild-immanent erläutert. Auch der Münchner Rektor, der katholische, aus einer westfälischen Kaufmannsfamilie in Brandenburg stammende Mediävist Hermann von Grauert, enthielt sich in seinem Grußwort an die »Liebwerte[n] Kommilitonen!« jeglicher mobilisierender Äußerung – obwohl er im Krieg durchaus für eine Expansion Deutschlands eintrat.81 Er interpretierte diese Bilder als Ausdruck von »ausgeprägte[m] Familiensinn, tiefwurzelnde[r] Heimatliebe und sonnige[m] Humor«, die »zu allen Zeiten und unter allen Kulturvölkern erhebende und führende Weltmächte gewesen« seien. Eine Differenz zu anderen Nationen wird nur in einem kurzen, nicht-konfrontativen Absatz angedeutet: »Moritz von Schwind und Karl Spitzweg sind solche gottbegnadete [!] Künstler, welche der Menschheit [!] geschenkt, doch vornehmlich zu unseren Herzen, zu unserer Seele sich den Eingang öffnen.« Grauerts Hauptanliegen war das Wohl der Kommilitonen im Feld und die Beziehung zu ihnen. »Möge es Euch beschieden sein, mit leuchtenden, liebewarmen Augen das Vaterland wieder zu schauen! Ihr seid unsere Hoffnung. Wir harren Eurer in treuem Gedenken!«82 Wie diese beiden Kunstgaben, zeigten auch die Göttinger Stiche vom Anfang des 19. Jahrhundert und sogar ein den Gelehrten80 Teure Heimat in der Ferne, sei gegrüßt! 24 teils unbekannte Handzeichnungen Ludwig Richters aus dem Besitz der K. Nationalgalerie in Berlin, [Berlin u. a.] 1916 (Liebesgaben deutscher Hochschüler. Kunstgabe 1). In etwas anderer Form war dies auch schon 1915 erschienen in der ›Hauptreihe‹ (Liebesgaben deutscher Hochschüler 7). Die Informationen über Kern nach: Carl Blechen. Mit Licht gezeichnet. Das Amalfi-Skizzenbuch (…), Berlin 2009, S. 21; Anja Eichler/Hartwig Lüdtke (Hg.), Kunst und Kommunikation. Die Kunstsammlung der Museumsstiftung Post und Telekommunikation, (Heidelberg 2006), S. 210–212 (mit drei Bildern K.s). 81 BBKL XXX (2009), Sp. 518–522 (Ansgar Frenken). 82 Moritz von Schwind und Karl Spitzweg, Bilder der Heimat, (Berlin) [1916] (Liebesgaben deutscher Hochschüler. Kunstgabe 2).
676 Die Universitäten im Kriegseinsatz Sentenzen vorangestelltes zeitgenössisches Aquarell (das vermutlich von einer Familienangehörigen des Rektors stammte) das Zuhause als Idyll.83 Der Theologe Dunkmann schrieb den Kunstmappen eine ungeheure Wirkung zu: »Auf dem dunklen Hintergrund des rauhen Kriegshandwerks und seiner erschütternden Erlebnisse wirkte das schlichte Bild mit seinem friedlichen, seelenvollen Inhalt wie ein Zauberstab, der den nach geistiger Nahrung hungernden Akademiker in eine andere neue [?] Welt versetzte.«84 Die achte »Liebesgabe deutscher Hochschüler« wurde (im Herbst 1916) ziemlich genau in der Kriegsmitte zusammengestellt und vereinte alle genannten Möglichkeiten des Kontakts: Massenhafte, zentrale Versendung, um jeden Studenten im Feld zu erreichen, Organisation durch den Deutschen Studentendienst und Beteiligung aller Hochschulen, die jeweils durch ihr Siegel und ein handschriftliches Grußwort ihres Rektors mit den Studierenden Kontakt aufnahmen. Die Briefform, die individuelle Handschrift,85 der Name des Rektors machten jeden ›Gruß‹ zu einem quasi persönlichen Dokument. Doch diese Blätter waren als Faksimiles zu einem Bändchen von 64 Seiten zusammengefaßt – jeder Schreiber richtete sich also nicht nur an die ›eigenen‹ Studenten, sondern an alle. Gewiß, (fast) alle Beiträge suchten, den Soldaten im Felde »Aufmunterung zu Kampf und Sieg« zu geben, und waren, wie schon die Deutsche Weih nacht 1914, von dem »Glaube[n] an die Sendung« Deutschlands getragen. Doch mit diesen Selbstverständlichkeiten ist wenig gesagt;86 denn im Vergleich der Texte zeigt die Sammlung Deutsche Zukunft87 sehr unterschiedliche Blicke der Daheimgebliebenen auf die Kriegserfahrungen ihrer Studenten. Die bescheidenste Variante wählte der Straßburger Rektor, der Botaniker Ludwig Jost (der einige Monate zuvor die eigenen Studenten noch so ambivalent angesprochen hatte): »Den im Felde stehenden Kommilitonen sendet die Kaiser-Wilhelm-Universität ihre herzlichsten Grüsse und Wünsche!«88 Mehrere Kollegen dagegen benötigten zwei Briefbogen, um ihre »Grüße« auszu83 Alt-Göttinger Stammbuch; Stimmen aus zwei Jahrhunderten der Georgia Augusta (eingeklebtes Aquarell mit einem Blick aus dem Wald auf die Stadt von Agnes [?] Simon). 84 Ob Dunkmann dafür Zeugnisse aus dem Feld vorlagen oder er sich eine solche Wirkung nur austräumte, muß aber offenbleiben. Dunkmann, Der Deutsche Studentendienst, Sp. 692. 85 Von fast kindlicher lateinischer Currentschrift über regelmäßige deutsche Schrift und Mischformen aus beiden bis zum gedrängten deutschen Buchstaben-Geknäuel Georg von Belows ist alles vertreten, auch ausgesprochen individuelle ästhetische Ausfor mungen. 86 So die Besprechung der Schriften durch Grißhammer (»z. Zt. im Felde«), Deutscher Studentendienst und Literatur, Zitate Sp. 42, 41; zustimmend zit. bei Wettmann, Heimatfront Universität, S. 164 (die das Büchlein selbst aber nicht ausgewertet zu haben scheint). 87 Deutsche Zukunft. Grüsse der deutschen Hochschulen an ihre Bürger im Felde auf das Jahr 1917, Berlin 1917. 88 Deutsche Zukunft, S. 60.
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drücken.89 Doch nur der Straßburger Rektor beschränkte sich ganz auf diesen offiziellen Zweck. Alle anderen versuchten, den Studenten Perspektiven zu vermitteln (aufzudrängen?). Diese mündeten – fast notwendig – in einen Sieg, der, unterschiedlich formuliert, als Hoffnung, aber auch als erwartete Leistung erscheint.90 Besonders drastisch drückte die Erwartung der Berliner Rektor, der Gynäkologe Bumm aus, der seinen Brief eigentlich mit der Innigkeit begonnen hatte, mit der sowohl die leibliche Mutter als auch die alma mater ihre Söhne »draußen in Kampf und Not« umfingen. Doch gab es für Bumm »nur ein Gebot: Die Herzen hart und jede Faser unserer Kraft für den Sieg und fürs Vaterland.« Den Übergang vom sanft-zugewandten Anfang zu diesem markigen Schluß bewältigte Bumm mit der Erklärung, »daß Ihr die große Zeit Eures Lebens lebt, nie in der Geschichte der Menschheit hat ein Volk solche Leistungen vollbracht, nie wird gleiches wieder sein!«91 Die (sogar für die Zukunft) postulierte Einzigartigkeit hatte die von Bumm aufgestellte Maximalforderung zu legitimieren, die in letzter Konsequenz ja auch den Tod jedes Angesprochenen einschloß, die Auslöschung seiner Persönlichkeit. Einige andere Grußworte waren dagegen gerade auf die Entwicklung der Persönlichkeit ausgerichtet: Der Erlanger Rektor, der Altphilologe und Rechtshistoriker Bernhard Kühler, der selbst als 55jähriger 1914 in den Krieg gezogen war und bis 1916 daran teilgenommen hatte, beschränkte sich auf die Wiedergabe eines Zitats aus einer Vorlesung Fichtes (als Inhaber des Lehrstuhls für Philosophie in Erlangen 1805) Über das Wesen des Gelehrten. Darin stellte jener die akademische Freiheit als Mittel vor, »sich selbst rathen zu lernen, wo die äußere Vorschrift ihn verläßt, über sich selbst wachen zu lernen, wo kein anderer über ihn wacht, sich selbst antreiben zu lernen, wo es keinen äußeren Antrieb mehr giebt, und so für seinen künftigen hohen Beruf sich zu stärken und zu befestigen.«92 Kein Wort vom Kriege. Gewiß ließen sich alle diese Forderungen aber auch darauf übertragen – und bei der schon im Frieden gepflegten militärischen Gesinnung der Studenten sowie der erklärten Verwandtschaft von Waffenhandwerk und Wissenschaft mochte das auch naheliegen. Doch dies blieb den Angesprochenen selbst überlassen. Für den Germanisten Victor Michels, den damaligen Jenaer Rektor, war der Krieg die Zeit, »in der die Seelen auf ihren Goldgehalt geprüft werden«, und er wünschte den Studenten, daß ihnen die schwere Zeit als »inneren Gewinn das Selbstgefühl« bringe, für 89 So die Rektoren der Universitäten Bonn (S. 12 f.) und Rostock (40 f.), der Tierärztlichen Hochschule Berlin (10 f.), TH Breslau (16 f.), Bergakademie Clausthal (18 f.), TH Dresden (20 f.); alle in: Deutsche Zukunft. 90 S. außer dem folgenden Berliner Beispiel auch die Grußworte der Rektoren der Universitäten Breslau (S. 15), Greifswald (25), Heidelberg (29), Königsberg (32), Marburg (36), Rostock (40 f.), Tübingen (44), München (57). 91 Deutsche Zukunft, S. 6. 92 Deutsche Zukunft, S. 23.
678 Die Universitäten im Kriegseinsatz »echt befunden zu werden im Leben wie im Tode«.93 Der Würzburger Pathologe Martin Benno Schmidt vermittelte ihnen die Zuversicht, daß ihre Kenntnisse zwar verdorrt sein mögen, doch der Krieg dafür das Pflichtgefühl gestärkt, den Ernst vertieft und den Idealismus gesteigert habe. Aus diesen »Wurzeln« könnten nach der Heimkehr neue Blüten treiben. Die zuhause Verbliebenen wollten dann dafür sorgen, den Heimkehrern »das Wiederanknüpfen an die Friedensarbeit leicht« zu machen.94 Diese Einfühlung und die damit verbundene Zusicherung von Hilfe waren vermutlich das, was die Studenten benötigten und was durch die Selbstbeschränkung der Rolle der Daheimgebliebenen am ehesten glaubhaft war – während die von dem Jenaer Kollegen verkündete ›Echt heitsprüfung‹ nur als Anmaßung begriffen werden kann. Andere sprachen von der »Deutschen Zukunft«, die doch das Thema des Grußbandes war, nur im allgemeinen95 oder benutzten (gewiß als bekannt vorausgesetzte) Goethe-Worte nur als Floskel, die mit ebensolchen floskelhaften Hoffnungen gefüllt wurden.96 Glaubhafter wirkten da vermutlich die »schwerste[n] Zukunftssorgen«, die der Rostocker Klassische Philologe Johannes Geffcken den Krieg auftürmen sah. Er stellte den Studenten im Feld keinerlei Kompensation für den »edlen Jugendgenuß«, um den sie »betrogen« seien, in Aussicht, sondern nur neue ernste Arbeit nach dem Krieg. »Aber die neue eiserne Jugend Deutschlands wird auch diesen Kampf, dem wir Alten nicht mehr gewachsen sein werden, siegreich zu Ende führen.« Mit der »eisernen Jugend« bezog sich Geffcken auf eine Bezeichnung der Kämpfer von 1813 und versicherte den Adressaten, daß »in weit höherem Sinn« sie heute so zu bezeichnen seien.97 Der Tübinger Jurist Wilhelm Blume gab für die Zukunftsaufgaben eine klare Rollenteilung vor – die alte: Sich in den »Dienst der inneren Erneuerung Deutschlands« zu stellen, sei die Aufgabe der angesprochenen Studenten, sie anzuleiten, die der daheim gebliebenen Lehrer.98 Der Breslauer Zoologe Willy Kükenthal sah »eine neue Zeit anbrechen«, in der »alt und morsch gewordenes« zusammenbrechen werde. »Unsere Hochschulen sind dazu berufen dieser Bewegung die leitenden Gedanken zu geben.« 93 Deutsche Zukunft, S. 31. 94 Deutsche Zukunft, S. 45. 95 Der Greifswalder Physiker Gustav Mie vom Kriegsziel der »glücklichen Zukunft unseres Vaterlandes« und eines dauerhaften »glücklichen Friedens«, der Heidelberger Orientalist Carl Bezold von einem »größeren, herrlichen« Deutschland« (Deutsche Zukunft, S. 25 bzw. 29). 96 S. den Gruß des Münchner Botanikers Karl Ritter von Goebel, in dem er »Wir heißen Euch hoffen« (jedoch ohne Bezug auf das Gedicht »Symbolum«) füllte mit: Sieg, Frieden, »All das Gute und Schöne, das der Jugend im Leben noch bevorsteht« und »vor Allem die Zukunft unseres Volkes!« (Deutsche Zukunft, S. 57). 97 Deutsche Zukunft, S. 40 f. 98 Die Aufgaben selbst sah er im Wachhalten der sittlichen Kräfte, die der Krieg zur Geltung gebracht habe, dem Ausschneiden der »fauligen Stellen«, die er bloßgelegt, und dem Heilen der Wunden, die er geschlagen habe (Deutsche Zukunft, S. 44).
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Das Leben der Studentenschaft werde einen »vertiefteren Inhalt bekommen«, doch wünschte er ihr, daß »der formlose Frohsinn erhalten bleiben möge«.99 Die »deutsche Zukunft« hatten die verschiedenen Rektoren also unter schiedlich gefüllt, vor allem auf das ganze Vaterland, vereinzelt auch auf die Universität bezogen.100 Verschiedentlich wurde den Studenten die Überlegenheit Deutschlands versichert – die auf überlegener wissenschaftlicher Bildung und überlegener sittlicher Kraft« beruhe.101 Sah der Marburger Literaturhistoriker Ernst Elster Deutschland als die Nation, der die Führung in der Kulturwelt zukomme, so sollten die Studenten »da draußen« eine ähnliche Rolle gegenüber ihren »Brüdern« an der Front einnehmen, das Gefühl des Stolzes auf Deutschland bei ihnen wecken und beleben.102 Der Altphilologe Hans von Arnim schließlich, Rektor der neuen Frankfurter Universität, versicherte den Studenten durch Interpretation eines griechischen Zitats, daß die Vaterlandsverteidigung einen Sinn an sich darstelle: »nach dem Erfolg und Ausgang« brauchte man mit dieser Haltung gar nicht zu fragen.103 In diesem Spektrum, dessen Extreme der knappe formelle Gruß des Straßburger Botanikers Jost und die harten Forderungen des Berliner Gynäko logen Bumm markierten, nimmt der Zuspruch des Gießener Theologen Martin Schian eine besondere Stellung ein: »Ihr habt draußen einen harten Kampf. Glaubt uns: unsere Seelen kämpfen ihn mit. Unser eigentliches Leben leben wir ja jetzt mit Euch. Eure Last ist unsere Last, Eure Lust unsere Lust. Und Eure siegreiche Heimkehr soll unseres Lebens Höhe werden!«104
Schian betonte die Gemeinsamkeit und die Verbundenheit: die Daheimgebliebenen kämpfen im Geiste mit. Aber er läßt auch die Befürchtung erkennen, 99 Deutsche Zukunft, S. 15. 100 Die internationale Dimension berücksichtigte dagegen nur Georg von Below, der als einziger auch die Kriegsursachen ansprach, bei denen er, obwohl er die eigentlich »sehr komplizierten Gegensätze« im Vorübergehen andeutete, doch nur die nationale Komponente herausstrich. Man müsse das »Deutschtum in allen seinen Ausprägungen verteidigen« und künftig die auf »nationale Beziehungen« gegründeten »Sympathien« für Deutschland stärker berücksichtigen (Deutsche Zukunft, S. 24). 101 So der Göttinger Strafrechtler Robert von Hippel, in: Deutsche Zukunft, S. 53. Ähnlich Ernst Elster (s. A. 102): »Bildung des Geistes, des Gemüts und des Willens«, für die Deutschland »in diesem Wendepunkt der Geschichte gegen eine Welt der Lüge und Niedertracht« kämpfe. 102 Deutsche Zukunft, S. 36. Ohne eine solche Überlegenheit zu explizieren, zählte dagegen der Leipziger (aus Kurland stammende) Internist Adolf Strümpell Werte auf, für die in der langen Geschichte der Menschheit gekämpft worden sei: Glaube, Freiheit, Vaterland, nationales Dasein, Ehre, Heiligkeit des Herdes. Ihm kam es auf die allgemeine Schlußfolgerung an, daß allein der Kampf für Ideale die höchste Leistung ermögliche (Deutsche Zukunft, S. 33). 103 Deutsche Zukunft, S. 50. 104 Deutsche Zukunft, S. 51.
680 Die Universitäten im Kriegseinsatz daß ›die draußen‹ das nicht wahrnehmen. Daher äußert er, wie die deutschen Schriftsteller und Gelehrten zwei Jahre früher gegenüber den Feinden, die inständige Bitte »Glaubt uns«. Doch machte er die Bürde der Studenten (trotz des beteuerten Mittragens) noch schwerer; denn wenn sie nicht als Sieger zurückkehren, erschwert dies nicht nur die Zukunft des Vaterlandes, sondern zerstört auch die Lebensperspektive ihrer Lehrer. Die Beziehung zwischen Front und Heimat ist auch das eigentliche Thema des in einen »deutschen Weltfrieden« mündenden Grußes des Königsberger Handels- und Versicherungsrechtlers sowie Rechtshistorikers Julius von Gierke: Es geht um das gegenseitige »treuste Gedenken«, das mit der Versicherung untermauert wird, »daß wir hier mit der gleichen Unerschütterlichkeit und der gleichen Siegeszuversicht durchhalten, wie Ihr, bis Euer Schwert uns den machtvollen Frieden erkämpft haben wird.«105 Gerade weil hier von derselben grundsätzlichen Haltung die Rede ist wie bei Schian – das Leben in der Heimat wird zum uneigentlichen Leben –, tritt der Unterschied im Handeln um so deutlicher hervor: Die ›draußen‹ kämpfen körperlich, die ›drinnen‹ mußten nur mental »durchhalten«. Die Gleichsetzung durch Implikation – »jede Faser unserer (!) Kraft für den Sieg und fürs Vaterland« – im Gruß des Berliner Rektors Bumm dagegen mußte, zu Ende gedacht, auf die im Feld Stehenden als Anmaßung wirken. Vermessen und anmaßend war auch, daß der zuhause Gebliebene (wenn auch zugleich ein Reserve lazarett leitende) denen draußen, im Schützengraben erklärte, was sie erlebten: »die große Zeit Eures Lebens«. Viele Grüße wirkten oberflächlich erhebend; ihre Implikationen waren in der Zusammenwirkung dagegen geeignet, die im Felde Stehenden nicht zu stärken, sondern eher zu verunsichern.
Kontakte aus dem Feld in die Heimat Am besten dokumentiert ist die Reaktion auf die allererste »Liebesgabe deutscher Hochschüler«, die die Deutsche Christliche Studentenvereinigung im Dezember 1914 als Deutsche Weihnacht in 30.000 Exemplaren versandte; denn dem Buch war eine »Feldpostkarte. An die Schriftleitung der ›Deutschen Weihnacht‹« beigelegt, die 10.000 Empfänger mit ihren Kommentaren zurück sandten. Im Februar 1915 dokumentierte ein 48seitiges Heft (mit Äußerungen von ca. sechs Empfängern pro Seite) die Reaktion.106 Die Weihnachtsgabe enthielt (außer diversen Grußworten) zwanzig kurze Aufsätze, überwiegend von 105 Deutsche Zukunft, S. 32. 106 Deutsche Weihnacht. Eine Liebesgabe deutscher Hochschüler, o. O. o. J. [Berlin 1914] (im Exemplar der NSUB Göttingen die Karte eingeklebt zwischen S. 102 und 103). Daten über Versand und Rücklauf: Der deutsche Student im Felde. Ein Echo auf die erste Liebesgabe deutscher Hochschüler, Cassel o. J. [1915], S. 5.
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Professoren. Darunter waren allein sieben Theologen,107 aber auch der emeritierte Marburger Philosoph Hermann Cohen (jetzt Dozent an der Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums) oder der 1914 gerade nach München berufene Philosoph und Pädagoge Friedrich Wilhelm Foerster (Sohn des Berliner Astronomen), der im weiteren Verlauf des Krieges zum Pazifisten wurde.108 Das soziale und politische Spektrum wurde durch einige andere Autoren noch verbreitert – von dem österreichischen Schriftsteller Peter Rosegger über den Pfarrer und Gründer der Sozialen Arbeitsgemeinschaft Berlin-Ost Friedrich Siegmund-Schultze bis zu dem Generalleutnant von Stein und dem rassistisch-antisemitischen, vom Kaiser geschätzten Publizisten Houston Stuart Chamberlain. Grußworte des preußischen Kultusministers, des Reichskanzlers Bethmann Hollweg, des Generals Graf Zeppelin und des ehemaligen Reichskanzlers von Bülow verliehen dem Band zusätzliche Prominenz. Die Adressaten konnten sich schon allein durch das Zusammenwirken so vieler bekannter Persönlichkeiten geehrt fühlen, wobei aufgrund der Heterogenität zugleich jeder ›seinen Vertreter‹ finden konnte. Aus den hier untersuchten Universitäten war allerdings nur die Berliner vertreten – mit Aufsätzen des Theologen Adolf Deißmann (über das erste Kriegssemester), Grüßen der »hellenischen Muse« mit Zwischentexten des Altphilologen Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, einer Art von Andacht des Theologen Reinhold Seeberg sowie einer fiktiven, Treitschke in den Mund gelegten Rede von Theodor Schiemann.109 Eröffnet wurde der Band mit der quasi programmatischen Erkenntnis der ›Volksgemeinschaft‹ im Beitrag des gerade nach Hamburg gewechselten Berliner Universitätshistorikers Max Lenz über den »deutschen Gott«. Entgegen der bislang postulierten »Umwertung aller Werte« hatte der Kriegsausbruch Lenz zufolge gezeigt, »welch ein tiefer Fonds von Gottesfurcht in unserem Volk, in allen seinen Schichten, ob hoch oder niedrig, Professor, Bauer oder Arbeitsmann, Christ oder Jude, Katholik oder Protestant, lebendig geblieben ist.« »Demut, Treue, Gehorsam, Nächstenliebe, Pflichterfüllung bis aufs Äußerste und ein unzerstörbarer, stürmisch vorwärts drängender Glaube an den Sieg der gerechten Sache« seien allen Konfessionen gemeinsam. Das Erlebnis der Treue wäre sogar dann wertvoll, wenn die »deutsche Nation ausgelöscht werden sollte«. Doch dieser rein rhetorischen Überlegung folgt gleich die Beteuerung: »Aber wir brauchen uns ja nicht zu ängstigen. 107 Sechs protestantische, ein katholischer. Einer der Protestanten war nicht Professor, sondern Superintendent in Posen. 108 1920 mußte er wegen massiver Bedrohungen durch die extreme Rechte die Universität verlassen und gehörte 1933 zu den ›verbrannten‹ Autoren. Kurzbiographie in: BBKL XVII (2007), Sp. 445–451 (Bernhard Josef Stalla). X 109 Adolf Deißmann, Das Kriegssemester, S. 12–19; Reinhold Seeberg, Einst und jetzt, S. 97–104, beide in: Deutsche Weihnacht. Nachweise für die übrigen Beiträge s. in den folgenden A.
682 Die Universitäten im Kriegseinsatz Wir werden siegen, weil wir siegen müssen: Weil Gott die Seinen nicht verlassen kann.«110 Schiemann ging es um »zündende Worte tiefer Begeisterung und stolzer Zuversicht«,111 während andererseits Wilamowitz nicht nur sicher war, daß die Studenten im Feld der Anfeuerung (…) nicht« bedurften, sondern als »alte[r] Professor, (…) alte[r] Soldat« aufgrund seiner eigenen Kriegserfahrung von 1870 wußte, daß »in einer stillen Stunde die Muse« Trost spenden konnte. Und wenn er die Vorstellungen der Griechen erläuterte, wie »das freundliche Brüderpaar, Schlaf und Tod« den Gefallenen »in sorglichem Fluge in die Heimat« zurücktrügen, wo »seine Seele nicht nur Frieden finde, sondern stützend und segnend über dem freien Heimatland schwebe«, klang das zunächst wie eine Beschönigung, war aber als – ebenfalls selbsterfahrener – Trost gedacht, denn Wilamowitz’ ältester Sohn Tycho, Altphilologe wie der Vater, war bereits Mitte Oktober 1914 südlich von Warschau gefallen.112 Auch wenn die Auswahl der veröffentlichten Reaktionen wahrscheinlich nicht repräsentativ ist und dabei ein gewisses Bedürfnis der Initiatoren bzw. Organisatoren der Weihnachtsgabe nach Bestätigung eine Rolle gespielt haben dürfte, sind viele Äußerungen ziemlich aufschlußreich. »Ich las und las«, schrieb ein Theologiestudent; ein Kommilitone unbekannten Faches hatte seine letzte Kerze für die Lektüre geopfert und das Buch binnen einer Nacht ausgelesen.113 Der Dritte lag in der Nacht »sieben Stunden auf Horchpatrouille. Morgens um 6 Uhr vergaß ich Regen und Hunger und las … welche Wohltat für den Geist!« Ein anderer dagegen dosierte sich den Genuß: »In stillen Stunden nehme ich das Büchlein vor und lasse einen Aufsatz auf mich wirken. So hab ich’s immer noch nicht ausgelesen, noch birgt es so für mich ungehobene Schätze.«114 Immer wieder wurde diese geistige ›Liebesgabe‹ für viel wichtiger erklärt als die materiellen.115 Und nur ausnahmsweise geschah dies, weil von den Genußmit110 Max Lenz, Der deutsche Gott. Erste Kundgebung deutscher und österreichischer Historiker, in: Deutsche Weihnacht, S. 7–11, Zitate 9, 10 (zweimal). 111 Theodor Schiemann, Erinnerungsworte an und von Heinrich von Treitschke, in: Deutsche Weihnacht, S. 115–122, Zitat 121. 112 Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Ein Gruß der hellenischen Muse, in: Deutsche Weihnacht, S. 20–27, Zitate 20, 25. Zur Biographie und komplizierten Vater-Sohn-Beziehung s. William M. Calder III /Anton Bierl, The Tale of Oblomov. Tycho von Wilamowitz-Moellendorff (1885–1914), in: Eikasmós 2 (1991), S. 257–283, hier 259–261. 113 F. H. bzw. O. R., beide in: Student im Felde, S. 10. 114 H. A. bzw. K. R., beide in: Student im Felde, S. 20. 115 E. F., Ingenieurswissenschaften, Unteroffizier: Tabak, Wollsachen, Genußmittel (S. 27); R. F., Student der Germanistik und Geschichte: »reichlich mit Würsten, Stollen und anderen leiblichen Genüssen erfreut« (22); G. T.-W., Offiziersstellvertreter: »Man hat uns mit Wollsachen und Eßwaren überschüttet, unvernünftig überschüttet« (22); R. S., Feldunterarzt [also Medizinstudent]: Dank für die »›nichtwollene‹ Liebesgabe« (21); A. R., Ingenieurswissenschaften zu den »ewigen Tabaksliebesgaben«, derer man »bald müde« wurde (21). Alle in: Student im Felde.
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teln vielleicht nicht die beste Qualität an die Front gesandt wurde.116 Vielmehr war die Lektüre offenkundig ein geistiges Bedürfnis der Soldaten. »Ein Buch im Schützengraben ist besser denn den Tornister voll Essen.« »Schlimmer noch als der Hunger nach einem guten Stück Wurst ist der Hunger nach der gewohnten geistigen Nahrung.«117 Mehrere Empfänger sprachen sogar von ihrem »Heißhunger« danach, »denn das eintönige Warten und Wachen kann ja Menschen, die geistig zu arbeiten gewohnt sind, schier umbringen«.118 Daran hätten die Absender all’ der anderen Liebesgaben nicht gedacht.119 Welche Bedürfnisse die Lektüre im einzelnen erfüllen sollte, wird aus den Reaktionen ebenfalls deutlich. Ein »krasser Notmulus«, also der Absolvent eines zu Kriegsbeginn vorgezogenen Abiturs, der noch gar nicht immatrikuliert war, hoffte, daß diese Lektüre ihm »wohl noch den Geist etwas ermuntern und erheben wird aus unserem nassen Maulwurfsleben hier«.120 Manchem mußte die Lektüre das Gespräch ersetzen: »Ich habe bisher allein mich mit meinen Gedanken herumgeschlagen, ich habe gleichsam in geistiger Abstinenz von fremden Gedanken gelebt; denn ernste Zeitungen oder gleichgesinnte Kameraden sind selten hier im Regiment. Da ist’s wie eine Auffrischung gewesen, wie ein Ton aus einer versunkenen Welt, all die guten Worte ernster Menschen.«121
Weil passende Gesprächspartner fehlten, konnten »gute Bücher (…) ein Heiligtum werden«.122 Das »schlummernde« Denken wurde durch die Lektüre wieder geweckt,123 der Leser vor der »geistigen Versumpfung« bewahrt.124 Und das konnte die Zeitungslektüre offenbar nicht leisten – man hatte kaum etwas 116 »Während man sonst für uns an der Front das schlechteste für gerade gut genug hält – ich denke mit Schauer an die Liebeszigarren – wird uns hierin einmal ein ganzer Genuß geboten.« (A. R., Student der Arch[itektur? Archäologie?], in: Student im Felde, S. 12). 117 Sanitätsunteroffizier F. G. bzw. Dr. phil. R. G., in: Student im Felde, S. 21, 24. 118 F. H. (erstes Zitat); Student der politischen und Handelswissenschaften H. E. (zweites Zitat); beide in: Student im Felde, S. 20, 22. Vgl. auch den Studenten der Germanistik und Geschichte T. G. (22). 119 G. T.-W. bzw. R. F. (vgl. A. 115), beide in: Student im Felde, S. 22, 22 f. 120 M. S., in: Student im Felde, S. 11. 121 K. R. (vgl. A. 114), in: Student im Felde S. 19 f. 122 Jurastudent T. R., in: Student im Felde, S. 21. 123 Fahnenjunker K. z. F., in: Student im Felde, S. 11. Was der Einsender mit der Selbst bezeichnung meint, ist unklar, da im Kaiserreich der Begriff »Fahnenjunker« eigentlich für angehende Berufsoffiziere benutzt wurde. Dazu paßt natürlich auch »meine Zeit im Felde«, doch erweckt die Einsendung trotzdem eher den Eindruck, sie stamme von einem Studenten. Vgl. auch den Theologiestudenten K. W.: »Im Schützengraben brauchen wir geistige Nahrung, neue Gedanken, wenn auch der Krieg, der große Lehr meister, ungeheuere Eindrücke auf uns einstürmen läßt und wir den Ewigen zu uns selber reden hören.« (S. 26). 124 Dragoner P. A. S., Dr. phil., in: Student im Felde, S. 23.
684 Die Universitäten im Kriegseinsatz anderes als »Zeitungskitsch oder mehr oder weniger gute Witzblätterstücke«: »Endlich mal etwas anderes zu lesen als die aufhetzenden Artikel der Tagespresse, als die berühmten ›Kriegsromane‹ und ›Novellen‹.«125 Anderes gab es (in dieser frühen Phase des Krieges) offenbar nur, wenn die einzelnen Soldaten sich selbst darum bemühten.126 In einer Unter-Einheit, der »fast ausschließlich Studenten aller Semester und Fakultäten« angehörten, las man in dienstfreien Stunden und besprach Gelesenes auch. Jeder hatte einige klassische, in der Schule durchgenommene Werke dabei; ein Kommilitone hatte aus dem Heimaturlaub sogar »einen halben Zentner Bücher und Schriften literarischen und philosophischen Inhalts mitgebracht, so daß wir eine förmliche Leihbibliothek begründen konnten.« Bei der gemeinsamen Lektüre war man inzwischen von Zeitungsaufsätzen und Flugschriften zu größeren Werken übergegangen, eine Gruppe erarbeitete sich lesend und diskutierend sogar das Werk des Jenaer Philosophen und Nobelpreisträgers von 1908, Rudolf Eucken, Sinn und Wert des Lebens (1908).127 Ein künftiger Ingenieur regte die »Versendung kleiner Schriften – Reclamhefte oder ähnliche Bändchen« an.128 Ein Student der philosophischen Fakultät fürchtete, daß die Weihnachtsgabe »eine einmalige Erscheinung« sei, und fragte: »Läßt sich nicht wenigstens für die Dauer des Feldzuges eines dauernde Quelle der Unterhaltung, der Mitteilungen von ›Mitkämpfern‹ hier draußen und Erwiderungen unserer Hochschullehrer daraus gestalten?« Es ging also um den Austausch gerade mit den nicht vor Ort, im eigenen Schützen graben Anwesenden, um die Aufrechterhaltung der Kommunikation, freilich für diesen Studenten auch um »deutsche Art, d. h. ›Innigkeit und Erhabenheit‹.« Deshalb meinte er, der Titel Deutsche Weihnacht könnte auch für eine Serie erhalten bleiben, da dieses »wie kein anderes Volksfest eben Sinnbild für deutsche Art« sei.129 Direkte Repliken auf einzelne Texte des Bandes liefert die gedruckte Auswahl allerdings nur wenige. Der preußische Kultusminister von Trott zu Solz hatte dem Band in eigener Handschrift eine Strophe aus einem – wohl allen Empfängern bekannten – alten Lied vorangestellt, das inzwischen in die Lieder 125 Cand. phil. W. R. (erstes Zitat) bzw. Leutnant der Reserve F. B., in: Student im Felde, S. 22, 12. Vgl. auch Student der phil. Fak. und Offiziersstellvertreter H. N.: »Die Stimmen aus dem geistigen Hauptquartier [!] sind mir und vielen sicher lieber als Zeitungsnachrichten.« (25) Andererseits konnte die Freude, »wenn der verödete Geist mal wieder was anderes hat«, auch mit der Bitte um »Lustiges« verbunden sein: »Das fehlt uns hier.« (A. P., med.; 29). 126 T. G. (wie A. 118); der Ingenieursstudent W. W., in: Student im Felde, S. 22 bzw. 28. 127 Sanitäter G. S., in: Student im Felde, S. 27. Zum Lektürebedürfnis und gemeinsamer Besprechung (hier allerdings von Büchern Chamberlains!) vgl. auch Zirlewagen (Hg.), »Der Krieg ist doch etwas Scheußliches«, S. 46 (14.1.1916) und 51 (15.2.1916). 128 Unteroffizier G. F., in: Student im Felde, S. 27. 129 G. D., in: Student im Felde, S. 23.
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bücher verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und Organisationen eingegangen war, 1856 auch ins Allgemeine Deutsche Kommersbuch. Bei den Studenten war das Absingen mit einem festen Ritual zum Herumreichen der Schläger (auf die alle ihre Mützen aufspießten) verbunden. Von Trott schrieb den Studenten nun die Strophe über den Opfertod ins weihnachtliche ›Stammbuch‹.130 Fast makaber liest sich die völlig naiv-aufrichtig formulierte Bestätigung eines Jurastudenten: »Der Titelspruch vom Herrn Minister ist auch voll der meine, des Akademikers Devise. Bei dem Stiftungsfest meiner Burschenschaft sang ich es mit meinem lieben Leibfuchs, darauf ein Kuß, und er eilte sich umkleiden in Feldgrau und hinaus ins Feld. Nun ist er den schönen Tod fürs Vaterland gefallen.«131
Ohne direkten Bezug auf Trotts Widmung bestätigten andere Leser die Kampfbereitschaft bis zum Tod, sei es mit Bezug auf die (damals noch nicht als »alte Lüge« diskreditierten) Worte aus Horaz’ Carmina,132 oder durch die Reverenz eines gefallenen Majors vor den Studenten.133 Dem Text des Leipziger lutherischen Theologen Ludwig Ihmels verschaffte einer der Leser zusätzliche Resonanz. Seine Auslegung über den Satz des Jo hannes-Evangeliums (3, 1) »Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeiget, daß wir Gottes Kinder sollen heißen«, war mit »Deutsche Weihnacht« überschrieben. Ein Ingenieursstudent las diese Predigt zur Weihnachtsfeier mit Christbaum und Punsch im Unterstand vor: »Es war eine schönere, tiefer wirkende Weihnacht als manche in der Heimat, besonders wenn man, wie wir, ein furchtbares Granatfeuer gut überstanden hat.«134 Daß Ihmels am Schluß auch den Tod ansprach und ihn nicht als Ende, sondern als Augenblick der Ruhe und
130 »Hab und Leben dir zu geben / sind wir allesamt bereit, sterben gern zu jeder Stunde, / achten nicht der Todeswunde, wenn das Vaterland gebeut.« (Hier nach: Deutsche Weihnacht, S. 3). Das mit den Worten »Alles schweige alles neige« beginnende Lied wird auch oft als »Landesvater« betitelt, obwohl die auf den Monarchen bezogenen Strophen des älteren (und Ende des 18. Jahrhunderts umgedichteten) Liedes inzwischen entfallen waren. S. dazu Friedhelm Golücke, Studentenwörterbuch. Das akademische Leben von A bis Z, Graz u. a. 1987, S. 277 f. Text des gesamten Liedes u. a. unter http://de.wikisource. org/wiki/Allgemeines_Deutsches_Kommersbuch:65 (13.2.2012). 131 R. M., in: Student im Felde, S. 16. 132 W. D., phil.: »Doch wir halten durch bis zum endgültigen Siege, eingedenk des alten Römerwortes: Dulce et decorum est pro patria mori.« In: Student im Felde, S. 29. Im Gedicht des damals 24jährigen, eine Woche vor Kriegsende gefallenen Wilfred Owen Dulce et decorum est (1917/18) wird der Spruch als The Old Lie bezeichnet. 133 H. C., rer. pol.: »Unser seliger Major (…) sagte vor der Schlacht bei Wytschaete, als einer die bunte Sammlung des Bataillons rügte: Die Aktiven haben die Erfahrung, die Landwehrleute die Ruhe und unsere Freiwilligen, die Studenten, die Begeisterung. Und mit dem Hurra der Begeisterung haben wir gesiegt.« In: Student im Felde, S. 30. 134 A. R., in: Student im Felde, S. 14.
686 Die Universitäten im Kriegseinsatz sogar als Heimkehr deutete, scheint die Soldaten nicht befremdet, sondern erfüllt zu haben.135 Doch während einem Politikwissenschaftler das ganze Buch »von der ersten bis zur letzten Zeile eine einzige Andacht« war, das »über den furchtbar schweren Werktagsdienst in den Schützengräben zu höherer Betrachtung der Dinge« hinwegtragen konnte, kritisierte ein weiterer Leser, daß die theologische Fakultät zu breit vertreten sei. Er hätte gern »mehr Aufsätze von unseren Volks wirtschaftlern« darin gesehen.136 Und während Max Lenz sich für die Bezeichnung der Anhänger eines ewigen Friedens als »bleichsüchtige Narren« Kritik einhandelte, weil doch Kant selbst ein Anhänger des ewigen Friedens gewesen sei,137 traf Hermann Cohens Abhandlung »Vom ewigen Frieden« auf doppelte Zustimmung. Cohen nahm den kämpfenden Studenten die »Gewissensangst«, daß sie »gegen das Ideal des ewigen Friedens« verstoßen könnten: »In der Gerechtigkeit unserer Sache bringt ihr dem ewigen Frieden die Verwirklichung herbei.«138 Damit stärkte Cohen einen Chemiestudenten »unvergleichlich« und vermittelte einem Theologen, der schon bei ihm studiert hatte, »die Gewißheit, daß wir hier draußen mit unseren todernsten Gedanken nicht alleinstehen«.139 Diese Bemerkungen verweisen auf die zweite Funktion der universitären ›Liebesgaben‹: Sie regten nicht nur zur geistigen Tätigkeit an, sondern hielten gerade dadurch die Verbindung aufrecht zwischen den an der alma mater Verbliebenen, die sich weiter lehrend oder studierend der Wissenschaft widmeten, und jenen, die diese Tätigkeit unterbrechen mußten. »Aus Schlamm und Regen« schrieb ein Theologiestudent: Das Büchlein »bildet eine Brücke zwischen den Kommilitonen daheim und [!] mit uns, die wir mit hinausziehen konnten.«140 Ein anderer Theologe urteilte: »D[eutsche] W[eihnacht] zeigt aufs neue, daß die akademische Jugend, wenn auch gespalten in kleine Sonderinteressen, ge135 Er hatte geschrieben: »Einen stillen Augenblick gebe auch euch unser Gott, so oder anders. Und dann geht hin und tut die furchtbare Arbeit weiter, die wir euch nie, nie vergessen wollen. Tut sie im Gottes Namen, bis daß ihr heimkommen dürft, will’s Gott zu uns, oder – ins lichte ewige Vaterhaus.« [Ludwig] Ihmels, Deutsche Weihnacht, in: Deutsche Weihnacht, S. 92–96, Zitat 95 f. 136 H. S. (Zitat) bzw. C. R., in: Student im Felde, S. 26 (Zitat), 24. 137 A. B., in: Student im Felde, S. 29 (mit einem Zitat aus Kant) gegen: Lenz, Der deutsche Gott (wie A. 110), S. 8 (Zitat). 138 Hermann Cohen, Vom Ewigen Frieden, in: Deutsche Weihnacht, S. 41–48, Zitate 42 und 47. Der Text findet sich auch in: Hermann Cohen, Werke. Bd. 16: Kleinere Schriften V. 1913–1915, hg. von Hartwig Wiedebach, Hildesheim u. a. 1997, S. 311–318, Zitate 313 und 318. Dazu, wie Cohen die Diskrepanz zwischen den Kriegsereignissen und seiner eigenen Orientierung an Kants Idee des ewigen Friedens »zu eskamotieren« »versuchte«, siehe Hoeres, Krieg der Philosophen, S. 530. 139 R. M. (Chemiker) bzw. O. F. (Theologe), in: Student im Felde, S. 27 bzw. 35. O. F. bezog sich in dieser Äußerung auf »die Worte Foersters und Heims und meines alten philo sophischen Lehrers Cohen«. 140 F. B., in: Student im Felde, S. 24 f.
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meinsam empfindet in der großen heiligen Sache des Vaterlandes.«141 Die durch diese Einheit zusammengeschlossene Gruppe war also, obwohl erst das patriotische Anliegen sie zusammenschweißte, einerseits viel enger umgrenzt als die durch Staatsangehörigkeit definierte der Heeresangehörigen; andererseits reichte sie aber zugleich über letztere hinaus: einer der Dankenden freute sich, »daß man auch an uns Österreicher gedacht hat, die im Reiche studieren«. Die Kommilitonen waren also zugleich Bundesgenossen: »Neben meinem Regiment kämpfen die Deutschen. Lieb Vaterland, kannst ruhig sein, ob an der Donau, ob am Rhein.«142 Das Entscheidende war die akademische Gemeinsamkeit, die auf einer kulturellen aufbaute. Über die Aufrechterhaltung dieser Gemeinschaft hinaus dienten die Weihnachtsgabe und die Korrespondenz aber auch deren Selbstbestätigung: »(…) und doch habe ich selten so sehr gefühlt, wie innerlich verwachsen man mit seinem akademischen Dasein ist, als hier beim Lesen der … Aufsätze, und wieviel Pflichten und Aufgaben einem daraus gerade hier erwachsen«, schrieb ein Jurastudent aus dem Feld.143 Ein Deutscher, der bereits in Oxford und Paris studiert und von dort den Eindruck mitgebracht hatte »Wie sind wir doch reich!«, fand dies durch die Weihnachtsgabe bestätigt.144 Deren Lektüre führte (jeden falls in Gedanken) wieder »in den Kreis zurück, der bis jetzt unser Leben einnahm«.145 Doch diese Gemeinschaft beruhte keineswegs nur auf Bildung und Wissenschaft, sondern auch auf dem militärischen Einsatz als Teil des studentischen Selbstverständnisses seit dem 19. Jahrhundert. Einer der Studenten war stolz, in »dieser großen Zeit« »Mitkämpfer« zu sein und nun das zu erfüllen, »was ich Seiner Majestät, unserm siegreichen erhabenen Herrscher am 17. Juni 1913 [also bei der Feier der 25jährigen Thronbesteigung Wilhelms II. im Jubiläumsjahr der Freiheitskriege] im Namen der Berliner Studentenschaft geloben durfte, die deutsche Studentenschaft sei allzeit treubereit.«146 141 M., in: Student im Felde, S. 15. 142 O. R., in: Student im Felde, S. 10. 143 S., in: Student im Felde, S. 24 (zweite Auslassung i. O.!). 144 J., in: Student im Felde, S. 11 f. 145 A. S., med., in: Student im Felde, S. 27. 146 S., Feldunterveterinär, in: Student im Felde, S. 18. S. dazu: Feier des Fünfundzwanzigjährigen Regierungsjubiläums, S. 40 f. (Ansprache des stud. med. Wilhelm Schauß): »Die akademische Jugend hat es allezeit [!!] für die heiligste Pflicht gehalten, im Frieden wie im Kriege mit allen Kräften einzustehn [!] für König und Vaterland, und wiederholt im Laufe des verflossenen Jahrhunderts haben tausende in treuer Erfüllung dieser Pflicht Blut und Leben dahingegeben.« (S. 40). »Dem erhabenen Schirmherrn und un ermüdlichen Förderer der Künste und Wissenschaften gelobt die Studentenschaft Berlins in alter deutscher Treue: in ernstem Fleiße (…) an den Werken der Kulturarbeit (…) zu arbeiten (…)! Treue bis in den Tod unserm Kaiser und König und seinem ganzen Königlichen Hause!« (41).
688 Die Universitäten im Kriegseinsatz »Ist es doch gerade die akademische Jugend, die im Verhältnis dem Vaterlande die meisten Soldaten schenkt, Soldaten aus edelstem Material. Diese Kämpfer für Ehre, Freiheit, Vaterland sind uns freiwillige Schützer ihrer Ideale des Deutschtums. Sieg ihren Waffen!«
schrieb ein Unteroffizier.147 Nicht nur ihre hohe Zahl, sondern ihr freiw illiger Einsatz für gemeinsame (alle Deutschen einschließende) Werte machte die Studenten besonders schätzenswert. Auf diese Weise wurde die binnen-akade mische Gemeinsamkeit wieder an das große vaterländische Anliegen zurückgebunden. Und der Gedanke der alles überwölbenden ›Volksgemeinschaft‹, den Lenz im ersten Aufsatz des Bandes schon konkret ausformuliert hatte, wurde im »Ruf aus Berlin-Ost« noch einmal aufgenommen. Der Gründer der Sozialen Arbeitsgemeinschaft appellierte an die Studenten an der Front: Die Freundschaft, die sie in ihrer Siedlung »im kleinsten Maßstabe an einigen E cken« verwirklicht hätten, sei jetzt »Gemeingut der Gesamtheit geworden«. Doch seit der November (1914!) »seinen Zoll von der Begeisterung des Anfangs« nahm, beobachtete Siegmund-Schultze, daß »die alten Gegensätze (…) wieder aufeinander(stießen)«. Deshalb richtete er an die, die »im Felde die Einigkeit halten« konnten, den Appell: »Helft uns durch euer Beispiel, durch euer Aushalten und Zusammenhalten!« Wenn nach dem Krieg Tausende von Studenten den Arbeitern die an der Front gewonnene Freundschaft auch weiterhin hielten, dann würde ihr Felddienst auch für die »Heimat das Große« bewirken, das sie erhofften.148 Dies griff einer der dankenden Studenten der Jurisprudenz und Kameral wissenschaft auf – vermutlich ohne die Nachbarschaftssiedlung zu kennen oder auch nur von ihr gehört zu haben: »Teilen Sie bitte Herrn F. Siegmund-Schultze aus Berlin O mit, daß wir Brüderschaft mit Arbeitern halten werden bis in den Tod!«149 Zu späteren ›Liebesgaben‹ liegen keine gesammelten Stellungnahmen mehr vor. Ob der Grund vielleicht die zu grauenhaften, in manchen Feldpostbriefen geschilderten Erfahrungen waren? Schließlich lagen trotz Zensur (die natürlich nur stichprobenhaft sein konnte) und trotz der eingangs erläuterten Zurückhaltung vieler Soldaten gegenüber ihren Liebsten inzwischen neben Andeutungen auch konkrete Beschreibungen der modernen Kriegserfahrung vor, sogar gedruckt. Schon im Frühjahr 1915 war in den Reaktionen aus dem Felde auf die Deutsche Weihnacht in dem nur knapp zwei Seiten umfassenden Abschnitt über »Student und Tod«, dessen fünf Stellungnahmen alle auf einem ›guten‹, 147 W. H., in: Student im Felde, S. 17. 148 F[riedrich] Siegmund-Schultze, Ein Ruf aus Berlin-Ost, in: Deutsche Weihnacht, S. 152–154. Zur Nachbarschaftssiedlung von Studenten und Arbeitern s. o. S. 72. 149 G. D., in: Student im Felde, S. 31. Auf die obige Vermutung deutet die distanzierte Formulierung, aber auch die Fachbezeichnung »Kameralwissenschaft«, die vermuten läßt, daß dieser Student selbst nicht in Berlin studierte.
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glaubensgestärkten Ton endeten, zu lesen: »Da hielt der Tod blutige Ernte unter den Tapfersten unserer Kameraden. Heute müßte man eigentlich, wenn man den Tod darstellen wollte, ihn hinter einem modernen Maschinengewehr sitzend abbilden.«150 Dieser noch relativ abstrakten Einsicht war zu Weihnachten 1915 der erste von Witkops Bänden studentischer »Kriegsbriefe« gefolgt,151 der – neben gelegentlichen kriegsbejahenden Passagen152 – auch Beschreibungen enthielt, deren Drastik noch heute ›unter die Haut‹ geht.153 Hätte man Reaktionen auf spätere Liebesgaben sammeln und publizieren wollen, hätte man solche Erfahrungen und Erkenntnisse zumindest als ›Hintergrund‹ berücksichtigen müssen – oder sich (bei der Beschränkung auf Dank und Freude) durch die reine Selbstbestätigung unglaubhaft gemacht. Ob in der direkten Feldpost, welche die Universitäten und einzelne Pro fessoren154 von ihren Studenten erhielten, ähnliche Schilderungen wie die zitierten (meist vermutlich an die Familie gerichteten155 und dann publizierten) enthalten sind, müßte in jedem Einzelfall geprüft werden. Der Gießener Germanist Otto Behaghel z. B. empfing schon bis Dezember 1915 etwa 150 Karten und Briefe aus dem Feld,156 der Jenaer Historiker und Rektor des ersten Kriegssemesters, Alexander Cartellieri, erhielt im Laufe des Krieges 564 Feldpostbriefe 150 E. B., in: Student im Felde, S. 41. 151 Zur vom Titelblatt abweichenden Datierung des Erscheinens s. o. S. 315 mit A. 79. 152 In der einfachsten Form: »den schönsten Tod (…), den ein deutscher Jüngling finden kann« (Kurt Lommatsch, 28.10.1914, in: Witkop, Kriegsbriefe deutscher Studenten, S. 15 f., Zitat 15). Zur »Idee des ›heiligen und gerechten Krieges‹, des Volkskrieges« s. Eduard Friedberg 30.10.1914 (S. 18 f., Zitat 19). Stolz, mitkämpfen zu dürfen: Rudolf Fischer, 18.11.1914 (24 f.). 153 S. neben den Zitaten von Studenten aus Berlin, Straßburg und Gießen (o. S. 315 f.) folgende Briefe: Wilhelm Spengler 30.8.1914; Lothar Dietz »Nov. 1914«; Walt[h]er Harich 26.9.1914 (Korrektur entsprechend der Schreibung des Namens in späteren Briefen. Bei dem Autor handelt es sich um den 1914 promovierten Germanisten, der in den zwanziger Jahren als Literaturhistoriker und Romancier bekannt wurde); Fritz Klatt 16.10.1914; alle in: Witkop, Kriegsbriefe deutscher Studenten, S. 7–13; 21–24, hier 21 f.; 66–69; 71–74. 154 Hinweis auf die (von ihr offenbar nicht ausgewertete) Kriegskorrespondenz zweier Tübinger Professoren bei Paletschek, Tübinger Hochschullehrer im Ersten Weltkrieg, S. 100 mit A. 62. 155 Schon in dieser ersten Auswahl wurden die Briefe ihres dialogischen Charakters beraubt und entpersonalisiert, indem Anrede und Grußformeln weggelassen und durch Streichungen der Bezugnahme auf die Adressaten die Beziehungen zu ihnen meist nicht einmal mehr zu erahnen sind. S. dazu Uwe-K. Ketelsen, »Das ist auch so ein un endlicher Gewinn mitten in der Erfahrung des gräßlichsten Todes«. Arbeit an der Biographie: Philipp Witkops Sammlung von studentischen Briefen aus dem Ersten Weltkrieg, in: P etra Josting/Jan Wirrer (Hg.), Bücher haben ihre Geschichte (…), Hildesheim u. a. 1996, S. 51–61, hier 55 f. 156 Anderhub, Antoniterkreuz, S. 85 A. 15. Ob Anderhub diese vollständig durchgesehen hat, ist aus dem Text nicht zu entnehmen. Die wenigen Bemerkungen S. 40 und 85 A. 13 machen dies aber eher unwahrscheinlich.
690 Die Universitäten im Kriegseinsatz und -karten von 108 Absendern.157 Ein Infanterist aus der Berliner Universität berichtete, daß er seinem akademischen Lehrer (vermutlich Delbrück) von Zeit zu Zeit »eine Art Rechenschaftsbericht« sandte; denn dieser hatte ihm geschrieben, der Einsatz sei »für den Historiker ein praktisches Jahr ohnegleichen«.158 Die an die Institution gerichteten Schreiben waren eher formeller oder repräsentativer, (oberflächlich) sogar munterer Natur. So sandten zu Ostern 1915 23 Berliner kriegsfreiwillige Theologen ihrer Fakultät »in dankbaren Gedanken und deutscher Treue einen Ostergruß aus dem Felde mit dem Wunsche: Vivat academia, vivant professores, vivat membrum quodlibet«. Nun zögerte Dekan Baudissin, der im November 1914 noch Bedenken gehabt hatte, von der Fakultät aus auf die Studenten im Felde zuzugehen, nicht: Er beantwortete das Schreiben »sofort nach Zustellung im Namen der Fakultät mit Grüßen und Wünschen« und ließ es mit dieser Information dann in der gesamten Fakultät, auch bei den Privatdozenten, zirkulieren.159 Bei der Universität Gießen liefen auf die Zusendungen zu Weihnachten (1914?) zahlreiche Karten und Briefe ein, die sie »den Angehörigen besonders auch unserer Studenten« im Universitätssekretariat zur Einsichtnahme auslegte. In der zur Bekanntmachung konzipierten Mitteilung wird als Beispiel folgende Feldpostkarte zitiert: »Am Weihnachtsabend beim brennenden Baum haben wir Giessener Studenten – Leibkompagnie 116 – mit kriegsmässigen Feldbechern und Kochgeschirrdeckeln auf unsere ewig geliebte Alma mater Ludoviciana einen donnernden Salamander gerieben.«
Es folgten Namen von Mitgliedern zweier Verbindungen. Die Zusendung diente also zur Bewahrung einer kleineren Binnengemeinschaft innerhalb der größeren ›Volksgemeinschaft‹ der Kämpfenden. Ein daheimgebliebener Lehrender kommentierte zufrieden: »Der Geist unserer Studenten lebt noch im Feld.«160 157 Marcus Müggenburg, Der Erste Weltkrieg in den Feldpostbriefen Jenaer Studenten, in: Zeitschrift für Thüringische Geschichte 63 (2009), S. 235–258, hier 235 A. *. Zu dieser Fülle von Zusendungen trug einerseits seine Organisation von Liebesgaben der Universität und zusätzliche private Versendung an seine eigenen Schüler bei, andererseits der Aufbau des Kriegsarchivs, der auch mit einem Aufruf zur Sammlung von Feldpost briefen verbunden war und zu zusätzlichen Sendungen an ihn führte (238 f. mit A. 18). 158 Eberhard Faden, Mein Geschichtsstudium im Felde, in: BAN XII (1917/18), S. 19–23, hier 20. 159 Meenen (Belgien) 5. April 1915 [mit 23 Unterschriften]; Dekan der Theol. Fak. Baudissin 27.4.1915; beide: UA HU Theol. 96, fol. 17, 16. 160 Herrn [?] Sekretär (o. D.): UA Gi Allg. 105, fol. 44. Die Vermutung, daß es sich um eine Pressemitteilung für den GA handelt, ergibt sich aus dem Beginn des Textes (»Landes Universität« [!]) und dem Stil der Mitteilung. – Eine ähnliche Mitteilung des Rektors an die Universitätsangehörigen vom 15.3.1915 könnte sich auf denselben Anlaß beziehen und war, wohl mit Blick auf Ostern, mit der Aufforderung zu weiteren Gaben verbunden (UA Gi Allg. 106, fol. 21.)
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Aber selbst wenn in den Schreiben der Studenten an die Universitäten und einzelne ihrer Professoren Schreckensschilderungen wie die oben zitierten gänzlich gefehlt haben sollten, konnten die Professoren, die jede Nachricht vom Kriegsschauplatz voller Spannung und Unruhe erwarteten, die Kriegsliteratur lasen und sogar ihre wissenschaftliche Arbeit dem Kriegsengagement nachordneten, eine Sammlung wie die Witkops kaum übergehen – um so mehr, als diese 1916 in zweiter Auflage (6.–8. Tausend) erschien161 und damit fast das Dreifache der in akademischen Kreisen so viel gelesenen Preußischen Jahrbücher erreichte. Und sogar wenn viele Schreiber über den wirklichen Kampfeinsatz schwiegen (zur Schonung des Adressaten, aber auch aufgrund einer individuellen Ausdrucksbarriere), war sowohl aus den Briefen an die Familie162 als auch aus den Briefen an Rektor Cartellieri der Gegensatz zwischen der tradierten Vorstellung des Kampfes und dem hochtechnisierten Massenkrieg, der die Soldaten nicht zu Helden machte, sondern sie »gleichsam zu Material herabwürdigte«, schon in den ersten Kriegswochen deutlich.163 Im übrigen hatten viele Professoren ja auch selbst Söhne im Feld.164 Insofern konnten, ja mußten sie über die
161 Ketelsen, »Das ist auch so ein unendlicher Gewinn«, S. 51. 162 Beispiele in den verschiedenen Editionen Witkops. 163 Müggenburg, Feldpostbriefe Jenaer Studenten, S. 246 (Kontrast), 250 f. (Schweigen), 256 (Zitat). 164 Beispiele für Berlin: Der Semitist Jakob Barth hatte drei Söhne im Feld, einer fiel (Rudolf Leszynski, Jakob Barth, in: Allgemeine Zeitung des Judentums 78 [1914], S. 537–538, hier 538). Ein Sohn des Ägyptologen Adolf Erman fiel 1916 (Bernd U. Schipper, Adolf Erman (1854–1897). Leben und Werk, in: Bernd U. Schipper [Hg.], Ägyptologie als Wissenschaft. Adolf Erman [1854–1937] in seiner Zeit, Berlin 2006, S. 1–26, hier 13). 1916 fiel auch ein Sohn Max Plancks (Beck, Max Planck im Kaiserreich, S. 23). Beide Söhne des Physikers Walter Nernst fielen im Krieg (D. Wahl, Zum 140. Geburtstag von Walther Nernst, in: Galvanotechnik 95 [2004], S. 1886–1890, hier 1889). Der Sohn des Gynäkologen Paul Strassmann fiel mit 22 Jahren (Strassmann, Die Strassmanns, S. 90). Zu dem schon im Herbst 1914 gefallenen Sohn Wilamowitz’ s. o. A. 112. Der Sohn des Berliner Honorarprofessors Jakob Rießer, Privatdozent Otto Rießer (Königsberg), diente freiwillig als Landsturmarzt, wurde aber Ende 1915 wegen seiner schon lange vor dem Krieg bestehenden Schwerhörigkeit entlassen. Nur dank der Bemühungen seines Vaters gelang es ihm, 1917 noch einmal als Freiwilliger angenommen zu werden. Er war dann Bataillonsarzt in Wilna. Nach Anna Bębenek-Gerlich, Bioergographie des Pharmakologen Otto Riesser (1882–1949). Diss. med. dent., Münster 2009, S. 27–30 nach http://repositorium.uni-muenster.de/document/miami/acae7b91-81da-4775-950f11b4a7ab8a28/diss_bebenek_gerlich.pdf (12.7.2014). – Der Straßburger Astronom Bauschinger hatte zwei Söhne im Feld, einer war bis Frühjahr 1916 schon gefallen (s. B.s Antwort auf die Rundfrage des Rektors 13.4.1916: ADBR 103 AL 194). Der Kunsthistoriker Georg Dehio hatte 1916 zwei Söhne und einen Schwiegersohn in Krieg und Gefangenschaft (Betthausen, Georg Dehio, S. 292). Der Altphilologe Eduard Schwartz hatte drei Söhne im Feld, von denen zwei fielen (Schwartz, Wissenschaftlicher Lebenslauf, S. 17). Der Sohn des Straßburger Chirurgen (Friedrich) Ernst Fischer fiel an der Westfront (Emil Fischer, Aus meinem Leben, Berlin 1922, S. 55).
692 Die Universitäten im Kriegseinsatz neue Qualität dieses Krieges orientiert sein, wenn sie ab 1916 weitere literarische ›Liebesgaben‹ Grüße ins Feld sandten, insbesondere die Grüße der deutschen Rektoren zur Deutschen Zukunft 1917. Die Haltung der Studenten zur publizistischen Tätigkeit ihrer Professoren ist unklar, denn es liegen nur wenige, aber gegensätzliche Äußerungen vor. Die Beobachtung, daß sich in den Feldpostbriefen zwar keine konkreten Stellungnahmen dazu fänden, doch viele Bemerkungen der Studenten verdeutlichten, »daß ihnen die Kriegspublizistik ihrer akademischen Väter in der Regel ebenso fremd blieb wie deren Beteiligung an der Kriegszieldiskussion«,165 scheint daher in dieser apodiktischen Form nicht haltbar. Nicht nur die ›daheimgebliebenen‹ Professoren behaupteten, daß die Berliner Reden in schwerer Zeit, wie ihnen »versichert« worden sei, an der Front »von Hand zu Hand« gingen und »mit besonderem Genuß gelesen« würden.166 Ein Germanistikstudent, der im Oktober 1914 als Kriegsfreiwilliger ins Feld gezogen war und in der Artillerie in Frankreich diente, hielt seine geistige Disziplin durch Tagebuchschreiben und »durch Lektüre des Wertvollsten [aufrecht], was über Ursprung, Entstehung, Art und Sinn des Krieges, über die Forderungen und Aufgaben, die er unserem Volk für Gegenwart und Zukunft stellt, in der Heimat in Abhandlungen und Zeitschriften gesagt wurde.« Im Dezember 1916 erinnerte er sich daran, »wie ich manche der ›Deutschen Reden in schwerer Zeit‹ unserer Hochschullehrer auf Telephonwache nachts in den Lehmhöhlen und Unterständen vor Arras (späterhin auch im Lazarett) gelesen habe.«167 Der 33jährige Extraordinarius Paul Friedländer, der 1915 schließlich doch noch als Soldat eingerückt war, erhielt am 22. Oktober ein Heft mit Kriegsreden seines Lehrers Wilamowitz: »Ich las sie gleich in der Nacht, als ich stillen Stationsdienst an meinen Apparaten hatte, und danke Ihnen nun herzlich für die Gabe, den Genuß und Ihr fortgesetzt freundliches Gedenken.«168 Schon Anfang November 1914 verband ein Offizier des 116. Infanterieregiments, dem auch viele Gießener Studenten angehörten, den Dank der »Leute und Offiziere« für erhaltene Liebesgaben mit Wünschen für die nächste Sendung. Dazu gehörten neben »Schuhschmiere (Schweinefett)«, Streichhölzern und Taschenmessern auch »kleine Zusammenstellungen 165 Wettmann, Heimatfront Universität, S. 394 (ohne Belegbeispiele). 166 Und deshalb forderten sie 1915 ausdrücklich dazu auf, die Reden an die Front zu versenden. Alles auf dem linken Vorsatzblatt zu Leonhard, Amerika während des Weltkrieges. 167 Rogge, Vor Arras (wie S. 310 A. 60), S. 18. S. in der genannten A. auch Angaben zu seinem Studienverlauf. 168 Friedländer an Wilamowitz-Moellendorff 23.10.1915, in: Calder/Huss (Hg.), ›The Wila mowitz in me‹, S. 74–77, Zitat 75. Daß es sich dabei um das »vierte Heft« der Kriegs reden handelte, ist aber unwahrscheinlich; denn dieses enthielt die Rede zum Antritt des Rektorats, die am 15. Oktober gehalten wurde. Falls es tatsächlich um dieses Heft ging, müßte das Heft wohl schon vorher gedruckt worden und dann unmittelbar nach dem Halten verschickt worden sein.
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über den Krieg (patr[iotischer] Lesestoff)«.169 Allerdings gab es auch ganz andere Stimmen, die auf die Dauer vermutlich in den Vordergrund traten. So schrieb ein Student seiner Verlobten im Januar 1916: »Um Gottes willen keine Kriegserzeugnisse und -erlebnisse, die ja doch zu 99 Prozent von Leuten geschrieben sind, die nicht vorne waren.«170 Trotzdem war die Versendung der Reden der Professoren an die Studenten im Feld an verschiedenen Universitäten üblich.171 Mit fortschreitendem Krieg trat ein anderes Bedürfnis in den Vordergrund. Der Gießener Student der Neueren Philologie Georg Friedrich Lucius, der im Sommersemester 1914 sein Studium begonnen hatte und seit Wintersemester im Heeresdienst stand, »schiel[t]e« Ende Dezember 1917 nach der Universität: »Das lange Zeit Soldat sein, der Mangel intensiver geistiger Beschäftigung besonders wird eine neue Strapaze.«172 Ein Assistent der Gießener Juristischen Fakultät hatte schon zwei Jahre vorher gehofft, daß der Krieg »in abseh barer Zeit ein Ende« finde, »sonst wird man für einen bürgerlichen Beruf noch ganz untauglich.«173 Insofern benötigten nicht nur die Kriegsgefangenen Fachlektüre, sondern auch die im Felde stehenden. Der Berliner Extraordinarius Friedländer, der mit verschiedenen Kollegen im Briefkontakt stand, antwortete seinem Lehrer Wilamowitz, der ihn nach Wünschen gefragt hatte, daß er »besondere« nicht habe. »Vielleicht schicken Sie mir dies oder jenes Gedruckte kleineren Umfangs, z. B. Separata, die Sie entbehren können.«174 Studenten baten ihre Lehrer, ihnen ihre früher gewählten Dissertationsthemen weiterhin zu reservieren.175 Vordergründig zielten alle diese Überlegungen auf die Fortsetzung bzw. den Abschluß des Studiums, den »bürgerlichen Beruf«. Doch impliziert diese praktische Zukunftsperspektive auch das Ausblenden des Todes – die Studenten dachten sozusagen über diese Bedrohung hinweg oder an ihr vorbei. 169 Der Text der Feldpostkarte ist publiziert in: GA 6.11.1914. 170 Zirlewagen (Hg.), »Der Krieg ist doch etwas Scheußliches«, S. 46 (Hermann Reinhold 14.1.1916). 171 Für Marburg: Wettmann, Heimatfront Universität, S. 329. Die Jenaer scheinen ihre stark besuchten »Kriegsberichtsabende« nicht gedruckt zu haben. Aber sie versandten (neben Kriegsliedern und anderen ›aufbauenden‹ Schriften wie Bismarck und Treitschke auch Cartellieris Rede in einer Studentenversammlung Ende Oktober 1914: Alexander Cartellieri, Der Krieg und die wissenschaftliche Arbeit (…), Jena 1914. Zu den Abenden: Grüner, Die Universität Jena während des Weltkrieges, S. 96; zum Versand von Cartellieris Rede S. 40. 172 Zit. aus seinem Brief an Behaghel bei Anderhub, Antoniterkreuz, S. 85 A. 13. Angaben zum Studium nach: PB LU Gi WS 1914/15, S. 55 und WS 1917/18, S. 62. 173 Rudolf Ruth an Rektor Sommer 22.11.1915, zit. bei Anderhub, Antoniterkreuz, S. 85 A. 13. 174 Friedländer an Wilamowitz-Moellendorff 30.11.1915, in: Calder/Huss (Hg.), ›The Wilamowitz in me‹, S. 78–80, Zitat 80. 175 Anderhub, Antoniterkreuz, S. 40.
694 Die Universitäten im Kriegseinsatz Insofern handelte es sich bei diesen Bitten auch ganz existentiell um eine Überlebensperspektive und die unausgesprochene Furcht, schon ›aufgegeben‹ oder ›abgeschrieben‹ zu sein.
Funktion und Wirkung der Beziehungen ins Feld Gewiß, die Universitäten haben den Krieg zwar kaum in technischer und rüstungsw irtschaftlicher Hinsicht fördern können; doch sie haben »an der Konstruktion kriegsbejahender Sinnwelten mitgewirkt und dazu beigetragen, den Willen und die Kraft zum Durchhalten« zu stärken. Dieser »kriegsaffirmative Einsatz« hatte, wie jede Kriegsfürsorge, kriegsverlängernde Wirkung – und diese war (im Sinne einer Förderung des Sieges) auch durchaus beabsichtigt. Gegenüber den Angehörigen der eigenen Institution bewirkten sie dies vor allem mittels der versandten ›Liebesgaben‹.176 Doch damit ist bei weitem noch nicht alles über die Funktion und Bedeutung der von der Heimat aus gestalteten Beziehungen ins Feld gesagt. Zunächst ist festzuhalten, was der Dekan der Gießener Theologen, Gustav Krüger, im Weihnachtsgruß 1917 schrieb: »Mit Euren Leibern deckt Ihr uns und Euer Vaterland. Und unsere Dankesschuld wächst täglich und stündlich.«177 Hatten bisher die Lehrenden diese jungen Männer angeleitet und geführt, so wurden sie nun zu selbst zu deren Schützlingen. Damit war die herkömmliche Rollenverteilung umgekehrt. Der Berliner Theologe Deißmann stellte die Mehrheit der Dozenten, die zuhause wirkte, jenen gegenüber, die im Felde tätig waren: als militä rische Helden, als Feldgeistliche und als Ärzte. Und dort wurden die Studenten »Augenzeugen« dieser Leistungen ihrer Lehrer. »Vergleichen die Zurückgebliebenen mit solchen Begegnungen von deutschen Dozenten und Studenten auf den Kampfgebieten ihr eigenes Kriegssemester, so sehen wir uns degradiert. Wir leisten ja was wir können an indirekter Kriegshilfe durch Organisationsarbeit und Pflege oder durch Wort und Schrift, aber wir fühlen uns im ganzen doch recht außeretatmäßig: die am Feind stehen, sind die Ordentlichen.«178
Man hätte es kaum schärfer ausdrücken können: »degradiert«! Die Ordinarien, die nicht nur gegenüber den Studierenden, sondern auch gegenüber allen Kollegen eine privilegierte Stellung hatten, innerhalb der Universität für und über jene entscheiden konnten, sahen sich durch den Krieg aus dieser Position ge176 Wettmann, Heimatfront Universität, S. 151 (Zitate), 170. 177 Weihnachtsgruß der Universität Gießen, S. 4. Vgl. ähnlich den Juristen Mittermaier: »Dankbar denken wir an Sie, die heute noch mit der Gewalt der Waffen unser Recht, Leben und Ehre, Haus und Hof im Vaterland schützen, und an alle, die schon in so großer Schar Gesundheit, Blut und Leben für unser Reich geopfert haben.« (S. 6). 178 Deißmann, Das Kriegssemester (wie A. 109), S. 14 f.
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worfen. (Da die Hierarchie innerhalb der Universität aber erhalten blieb, wurde mit dieser von Deißmann so scharf markierten Umkehrung zugleich etwas über die durch den Krieg schwindende Bedeutung der Universität ausgesagt.) Da aber die Mehrheit der Studenten im Feld stand und jene anderen Lehrenden vor Augen hatte, mußten sich die Daheimgebliebenen ganz besonders anstrengen (»wir leisten ja was wir können«) – ohne doch mithalten zu können. Die Konsequenz war, daß die »im Felde vielleicht oft unterschätzte Kriegs arbeit hinter der Front« (genauer gesagt: zuhause, nicht etwa in der Etappe, die ja auch »hinter der Front« lag) um so ausführlicher dargestellt wurde.179 Und das galt gleichermaßen für die Lehrenden wie die Studierenden, sei es nun der Berliner AStA oder ein Studentinnenverein. Dieser Bedeutungsunterschied zwischen Heimat und Front wurde noch dadurch unterstrichen, daß die eigenen ›Liebesgaben‹ der Universitäten die Heimat als Idylle darstellten, vor allem durch das Bildmaterial über das 18. und 19. Jahrhundert, aber auch in verbalen Schilderungen.180 Nicht nur der Gieße ner Gynäkologe Opitz freute sich im Stellungskrieg über das UniversitätsBilderbuch »mächtig in dem Gefühle, dass es doch noch was Anderes giebt« als »das Grauen der Kämpfe«.181 Daß die mit der Darstellung der Universitätsstädte angestrebte emotionale Wirkung (welche die Bindung festigen sollte) tatsächlich erzielt wurde, belegt der Brief einer Medizinstudentin, die im besetzten Lille als »Unterarzt« in der Kommandantur arbeitete: Die Zeichnungen riefen das »reizende Städtchen mit den vielen trauten Winkeln und Plätzchen vor die Seele, dass man, das Kriegserleben vergessend, hineinträumt in die selige Studienzeit«.182 Doch damit wurde die ohnehin bestehende Kluft zwischen Front und Heimat noch vertieft – und mußte ihrerseits rhetorisch überbrückt werden. Zu diesem Zweck stellten die Daheimgebliebenen ihre Betätigung als dem Dienst an der Front verwandt bzw. gleichwertig dar. In der einfachsten Form geschah dies als Parallelisierung. Am Ende des Gießener Universitäts-Bilderbuchs dichtete Rektor Sommer 1915: 179 S. außer der o. in Kap. III .4 ausführlich dargestellten Tätigkeit der drei hier untersuchten Universitäten z. B. auch die Freiburger (Unsern Kommilitonen, S. 4–7, Zitat 4). 180 Für letzteres s. als Beispiel Erlangen, zit. bei Blessing, Universität Erlangen im Ersten Weltkrieg, S. 92. Vgl. außerdem Blessing, Universität im Krieg, S. 55. Als weitere Beispiele für Liebesgaben, die die Universität bildlich darstellten, s. Leipzig, das 1916 zum ersten Mal eine eigene Liebesgabe publizierte (Gätke-Heckmann, Universität Leipzig im Ersten Weltkrieg, S. 150), und Würzburg, das 1916 als Ostergabe drei Zeichnungen mit Gruß des Rektors und Gedichten eines Professors sowie des Archivdirektors ins Feld schickte und zwei Jahre später eine Auswahl Würzburger Kunstdenkmäler (Buchner, Würzburg im Kriege, S. 47–49). 181 Opitz an Rektor [Sommer] 11.6.1915 (aus Cortemarck, Westflandern): UB Gießen/Hss. Abt. NL Sommer Bd. 65, fol. 608–611 (hier S. 5 des Briefes). 182 Langer Auszug aus ihrem Brief bei Buchner, Würzburg im Weltkriege, S. 49.
696 Die Universitäten im Kriegseinsatz »Kommilitonen! hört mein Wort: Im Schützengraben kämpft Ihr dort, Doch Arbeit gibt’s auch hier am Ort. – Ein jeder trägt wohl seinen Teil: Der Ludoviciana Heil!«183
Dabei sollte der Heilswunsch für die beide Gruppen umfassende universitas die Unterschiede vergessen machen, und Sommer scheute sich nicht, in seiner »akademischen Festrede« über »Krieg und Seelenleben« vernünftiges Wirtschaften und Aufrechterhaltung des Betriebs als Teilnahme am »Verteidigungskampf« darzustellen.184 Der Berliner Rektor Penck suchte an der Jahreswende 1917/18 die Parität durch Bezug auf gemeinsame Werte zu fundieren: Der Kameradschaft an der Front stellte er die ältere »Kameradschaft« an der Universität zur Seite, in der alle als Kommilitonen für ein hohes Gut kämpften (das er dann für die einzelnen Fakultäten durchdeklinierte). Er schloß: »Kämpft Ihr draußen mit den Waffen gegen den Feind, so kämpfen wir daheim gegen das Gift der Verleumdung, das er gegen uns ausspritzt, gegen die Lüge, die er verbreitet, gegen gleißnerische Ideen, die er ausstreut, um Leichtgläubige zu fangen. Wir alle kämpfen für Freiheit und Recht, und wir alle leben und sterben für das Vaterland.«185
Beim Versuch, die Unterschiede des Kampfes und Todes einzuebnen, wurden die Professoren zuhause zum »Heimatheer«,186 ein Begriff, der in Gießen ja zusätzlich noch durch das Motto der Universität Litteris et armis plausibilisiert werden konnte. Die Gleichstellung von »Frontheer und (…) Heimatheer« schien Rektor Gisevius zu Weihnachten 1917 aber offenbar immer noch nicht ausreichend, und so fügte er hinzu: »Viele von uns heute in der Heimat Tätigen waren mit Ihnen oder vor Ihnen draußen.«187 Der Rektor und die Dekane, die 183 Gießener Universitäts-Bilderbuch, S. 23. Die letzte Zeile ist gesperrt gedruckt. 184 Sommer, Krieg und Seelenleben, S. 19: »Auch die Psychologie der Verschwendung hat durch diesen Krieg eine eigenartige Erweiterung erfahren. Das Geldausgeben für vernünftige Zwecke, ja sogar für die eigne [!] Lebensführung ist für die Besitzenden eine soziale Pflicht geworden. Die Erhaltung der Friedensbetriebe trotz aller durch den Krieg bedingten Schwierigkeiten und die Organisation der nationalen Arbeit erscheint als dringendste Notwendigkeit, so daß auch wir in der Heimat Zurückgebliebenen an dem großen Verteidigungskampf teilnehmen.« 185 Albrecht Penck, An die Berliner Studenten an den Fronten, in: BAN XII (1917/18), S. 13 f., Zitat 14. Kursiva i. O. gesperrt. 186 Als Beleg für Straßburg s. u. S. 703. 187 Weihnachtsgruß der Universität Gießen, S. 3. »Litteris et armis, ad utrumque parati. Nach diesem unserem Wahlspruch leben wir jetzt alle im Dienste des Vaterlandes, ob wir dem Frontheere oder dem Heimatheere angehören.« Vgl. auch die Selbstbezeichnung als »Kampfgenossen« (in einem anderen Sinn als in Friedenszeiten) im Schreiben des Würzburger Rektors zu Ostern 1916: Ihren Studenten zum Gruss! Die Universität Würzburg, [Würzburg] 1916, unpag.
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diese Aufsatzsammlung mit jeweils eigenen Grußworten einleiteten, hatten tatsächlich alle im Ersten Weltkrieg im Kriegsdienst gestanden.188 Gemeint war der Satz aber vermutlich in einem umfassenderen Sinn: Mit denen, die »vor« den Studenten »draußen« gewesen waren, sollten wohl nicht nur jene bezeichnet werden, die am Anfang des Weltkrieges noch Militärdienst geleistet hatten, vielleicht vor den jüngsten der 1917 angesprochenen Studenten, sondern auch alle jene, die schon 1870/71 im Feld gewesen waren. Zu Weihnachten und Neujahr versprachen die Angehörigen des »Heimatheeres« nun, in Gedanken in »treuer Kameradschaft« bei den Kämpfern »draußen« zu sein – und wollten »diese Kameradschaft Hand in Hand und Auge in Auge in [der] Aula bei der Friedensfeier erneuern«.189 Zwar stellte der Dekan der Mediziner der »Arbeit der Daheimgebliebenen« das »ungleich Schwerere und […] Furchtbare« gegenüber, das »vom Heere im Kampfe gegen die tückischen Feinde und die Unbilden der Natur ertragen werden muß«; aber erstens springt hier schon die unpersönliche Passivform statt einer direkten Anrede der Studenten als Kämpfer ins Auge, und zweitens folgte die eigene Identifikation mit den Kämpfenden gleich im nächsten Absatz, wo von »unsere[m] Schwert« und »unseren Waffenerfolgen« die Rede war.190 Schließlich machte der Theologe Schian in seinem Überblick über das ablaufende Jahr sogar die Lehre zum »Kriegsdienst«, und obwohl er einen relativierenden Vergleich mit dem tatsächlichen Kriegsdienst einschob, setzte er die Linie der Angleichung dann fort: »Ihr haltet durch; wir wollen es auch tun. Es wird auch uns nicht immer leicht. Nun schon durch sieben Semester vor zwei oder drei Hörern lesen: das ist auch ein Kriegsdienst. Er ist doch noch leichter als der Eure. Die alma mater Ludoviciana hält tapfer durch.«191
So konnte Gustav Krüger, der ja 1914–1916 selbst noch (in der Heimat) freiwillig gedient hatte,192 bei der Feier zur Begrüßung der Heimkehrer aus dem Feld 1919 schließlich alle Universitätsangehörigen als »Waffenbrüder« betrachten: »Nicht nur, daß hier rechts und links von mir unter Euren Lehrern manch Einer (!) sitzt, den wie Euch das Schlachtengetümmel umbraust und die Kugeln umzischt ha188 Die einzige Ausnahme: Für den juristischen Dekan (der wegen eines Herzfehlers nicht am Krieg teilnehmen konnte) schrieb stellvertretend Wolfgang Mittermaier, der selbst zwei Jahre lang im Einsatz gewesen war. S. zu den Aktivitäten der einzelnen o. Kap. III .3, zum juristischen Dekan: G/M/P I, S. 309–317 (Heinhard Steiger), hier S. 311. Gmelin wurde später noch vorübergehend für den Einsatz in Belgien zivildienstverpflichtet. 189 Weihnachtsgruß der Universität Gießen, S. 3. 190 Weihnachtsgruß der Universität Gießen, S. 8 (Erich Opitz). 191 Martin Schian, Die Ludoviciana im Jahre 1917, in: Weihnachtsgruß 1917, S. 18–23, Zitat 23. 192 PB LU Gi verzeichnet bis einschließlich SS 1916 »im Heere«. Zu den Details s. o. Kap. III .3 mit A. 146, 247–248.
698 Die Universitäten im Kriegseinsatz ben. Ich glaube noch mehr sagen zu dürfen: wir sind alle Waffenbrüder gewesen in diesem Kriege. Wir haben alle nicht nur gebangt und gesorgt für unser Vaterland, wir haben auch gearbeitet und gekämpft, jeder in seiner Weise, so wie es ihm Gott ge geben hat. Aber freilich nicht in dem besonderen Sinn wie die Mehrzahl derer, die ich hier vor mir sitzen sehe.«193
Der Begriff »Waffenbruder«, der sowohl Bündnispartner als auch Kampfgenossen und nicht zuletzt die Mitglieder waffentragender Korporationen bezeichnete, ja letztlich auch »Kommilitonen« assoziieren läßt, war hervorragend geeignet, fast alle Universitätsangehörigen zu umfassen, und mit der ›gottgegebenen Weise‹ konnte der Theologe die Unterschiede zwischen ihnen weiter abmildern. Ausgeschlossen wurden durch diese Rhetorik, die natürlich dazu diente, die tatsächlich entstandene Kluft zwischen Front und Heimat zu überbrücken, jedoch die Studentinnen. Sogar eine Formulierung im Göttinger Stammbuch, die auf den ersten Blick nur von der Aufrechterhaltung des Kontakts durch Übersendung dieses Büchleins handelte, zielte unterschwellig auf die Gleichstellung von Frontheer und ›Heimatheer‹: »Ist es uns noch nicht vergönnt, Weihnachten 1916 im Frieden zu feiern, so soll die Heimat zu Euch in’s Feld ziehen.«194 In der allgemeinen Vorstellung war die Front männlich assoziiert, die Heimat weiblich.195 Dem versuchten die Daheimgebliebenen zu entgehen, indem sie ihre Worte so wählten, daß sie quasi am Kampf teilhatten, ja sich selber zu Kämpfern stilisierten. Das gilt für den Berliner AStA (»Schulter an Schulter … kämpfen«) ebenso wie für die christlichen Studentinnen, die ihre »Gebetskräfte an alle Fronten« lenkten, fast wie Geschosse. Auch wenn sie die eigentliche Kampfmetapher vermieden, stellten sie sich, als »Mauer« um die Soldaten, mindestens als deren Beschützer dar.196 Wie wichtig diese Assoziation mit den Kämpfern für die Daheimgebliebenen war, wird nicht zuletzt an der Fürsorge für die »Einsamen im Feld« deutlich; denn »fast alle, die Adressen holten, wollten Soldaten an der Front versorgen.« Dabei gab es immer mehr Anfragen auch aus der Etappe, wo manche »jahrelang am selben Orte saßen, viele weit weg vom Verkehre an einsamen Orten in der Ebene, im Gebirge«: in Ersatzbataillonen, Lazaretten, Werkstätten,
193 Den letzten Satz führte er dann noch weiter aus, so daß die Heimkehrer wieder in den Mittelpunkt rückten und auch die besondere Schwere ihres Dienstes und der Dank, den die in der Heimat Verbliebenen ihnen schuldeten, gebührend gewürdigt wurden. Be grüßungs-Feier für die aus dem Felde heimgekehrten Studierenden in der Neuen Aula der Ludwigsuniversität am 9. März 1919, Gießen o. J., S. 5. 194 Alt-Göttinger Stammbuch, unpag. (zweite Seite des dreiseitigen Grußworts des Rektors R. v. Hippel). Hervorhebung T. M. 195 Christa Hämmerle, »Habt Dank, Ihr Wiener Mägdelein…«. Soldaten und weibliche Liebesgaben im Ersten Weltkrieg, in: L’homme 8 (1997), S. 132–154, hier 135. 196 Belege s. o. A. 37 und 45.
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Pferdelazaretten. Mit den Namen von Frontsoldaten zusammen wurden dann auch ihre »genommen«197 – doch sie allein erfüllten die Bedürfnisse der Fürsorgewilligen offenbar nicht. Gerade daß die Daheimgebliebenen die Teilnahme am militärischen Kampf als den wertvollsten Beitrag zum Krieg verstanden und versuchten, ihre eigene Tätigkeit (implizit) als dem ähnlich oder gar adäquat darzustellen, ermöglichte es ihnen aber auch, die Kommilitonen im Feld zu noch größerem Einsatz anzuspornen. Der Aufruf des Berliner Rektors Penck zur Jahreswende 1917/18, in dem er versichert hatte, daß alle Universitätsangehörigen für Freiheit und Recht kämpften, für das Vaterland lebten und stürben, endete mit einem quasidarwinistischen Appell in diesem »Kampf ums Dasein«: »Wir müssen weiterkämpfen für unser deutsches Vaterland und um unser deutsches Volk. (…) Wie in der Natur, so kann auch im Völkerleben nur der Starke bestehen. Auf denn, mitstreitende Kommilitonen, für Kaiser und Reich! Für Deutschlands Größe, für unseres Volkes Zukunft!«198
Nach dem langen auf Gleichstellung zielenden Text, der in das »Wir müssen weiterkämpfen« mündete, waren die angesprochenen Kommilitonen an der Front nur noch die ›Mitstreiter‹ – aber zugleich wurde ihnen mit der Formel»für Kaiser und Reich« (die Schäfer in seiner Rede über die Befreiungskriege 1913 ja zum Pendant für deren Parole »für König und Vaterland« erklärt und zur Grundlage für die Schwüre von Rektor und Studentenvertreter gemacht hatte) der militärische, lebensbedrohliche Part zugewiesen. Knapp einen Monat später dankten am Ende eines Studentenabends »Professoren und Studenten« den Kommilitonen auf einer (möglicherweise sogar für diesen Zweck hergestellten) »mit dem Bilde des Aulagebäudes geschmückten Feldpostkarte« für ihre ›herrlichen Leistungen‹. Vor allem aber wurden sie zu weiteren Taten aufgefordert: »Herrlicheres steht Euch noch bevor, durch endgültigen Sieg den Frieden zu erzwingen. Glückauf Euch unermüdlichen Streitern, Euch opferbereiten Helden Heil!«199 Wie die Kommilitonen im Feld diese Durchhalteparole auffaßten, ist nicht belegt. Allerdings sind die häufigen Bitten um Fachlektüre als Indiz für die Ablehnung der Kriegspublizistik und der damit verbundenen Durchhalteappelle gedeutet worden.200 Sogar die Reaktionen in der Heimat waren gespalten: Der 1915 wegen einer Lähmung aus dem Heer entlassene AStA-Vorsitzende Dähnhardt war im September 1917 als versuchsweise kriegsverwendungsfähig erneut 197 Ficker, Bericht IV (1917/18), S. 21. 198 Penck, An die Berliner Studenten an den Fronten (wie A. 185), S. 14. 199 Die Anregung auch dazu gab Rektor Penck: Studentenabend, in: BAN XII (1917/18), S. 33. 200 Wettmann, Heimatfront Universität, S. 164. Allerdings ist dieser Wunsch seinerseits, wie oben gezeigt, ein Überlebensmittel im Frontalltag.
700 Die Universitäten im Kriegseinsatz einberufen worden und meldete sich nach der Ausbildung bei der Fußartillerie im Januar 1918 freiwillig an die Front.201 Hier kamen Selbstverständnis und im Appell des Rektors ausgesprochene Erwartung völlig zur Deckung. Erst gegen Ende des Krieges traten Studenten mit direkter Kritik an ihren Professoren hervor. »Wenn Sie sich berufen fühlen, gehen Sie mit Ihrem LehrerCollegium in den Schützengraben, sonst kommen sie [!] später vor den Volksgerichtshof, Sie feiger Schuft. Feld-Grau«, lautete eine anonyme Postkarte Ende Oktober 1918. Und am Schwarzen Brett konnte man in Leipzig lesen: »Die Herren Professoren werden aufgefordert, sich als Freiwillige an die Front zu melden und dort das Vaterland zu verteidigen.«202 Auch in Berlin waren die Studenten unruhig und wollten Versammlungen abhalten. Dazu schrieb Reinhold Seeberg: »Das muß man verbieten, denn es kommt nichts dabei heraus, wie jeder sieht.« Am 5. November kommentierte er den Plan von Studenten, Versammlungen gegen einen »etwaigen Aufruf der Regierung zum letzten Kampf« zu organisieren: »Der Mensch ist im Grunde genommen ein jammervolles Geschöpf.«203 Die universitas selbst, die am Anfang des Krieges so einig schien, hatte sich in seinem Lauf trotz der intensiven Pflege der Beziehungen also gespalten – und zwar nicht nur zwischen Heimat und Front, sondern auch vor Ort. Zunächst allerdings war die Gemeinschaft durch das intensive Engagement für die im Feld Stehenden gestärkt worden: Auf diesem neuen Betätigungsfeld waren die in der Universitätsstadt verbliebenen Studierenden und Lehrenden in einen engeren Kontakt gekommen als zuvor. Aber auch zwischen Heimat und Front wurde durch den Versand der Schriften »und auch durch allerlei Liebesgaben (….) eine so innige Verbindung hergestellt, wie sie im Frieden kaum hätte entstehen können,« behauptete die Deutsche Christliche Studentenvereinigung, als sie im August 1915 vom Preußischen Kultusministerium Mittel beantragte.204 Allerdings war das Engagement der Daheimgebliebenen an den einzelnen Universitäten unterschiedlich ausgeprägt. Während die Gießener mit eigenen Schriften und eigenen Aktivitäten ihre eigene Studentenschaft pflegten, kümmerten sich die Straßburger in erster Linie um die eigene, aber mit dem Versand ihrer Liederbücher von Anfang an auch um die gesamte deutsche Studen201 1919 war er in Hamburg beim Kampf gegen die revolutionären Unruhen beteiligt, 1920 unter General von Lettow-Vorbeck am Kapp-Putsch. Später Referent im national sozialistischen Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung und – nach der Entnazifierung als »Mitläufer« – Journalist der WELT (bis 1954), dann Leiter der Pädagogischen Arbeitsstelle des Deutschen Grenzvereins. Nach Hesse, Professoren der preußischen Pädagogischen Akademien, S. 224 f. 202 Beides zitiert bei Gätke-Heckmann, Universität Leipzig im Ersten Weltkrieg, S. 155. 203 Beide Briefe an seine Frau zitiert bei Brakelmann, Protestantische Kriegstheologie, S. 201 A 22 b und 22 c. 204 Denkschrift (wie A. 53), fol. 21.
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tenschaft. So setzten sie die traditionelle ›nationale Mission‹ ihrer Universität gewissermaßen aus der Friedens- in die Kriegszeit fort. Dabei fällt, von dem ab Kriegsmitte auf Friedenssehnsucht gestimmten Liederbuch bis zum Gruß des Rektors in der gesamtdeutschen Weihnachtsgabe 1916 die Zurückhaltung der Straßburger auf, die sich pathetischer (und in Berlin wohlfeiler) Mobilisierungsappelle enthielten. Von den Berlinern wurden dagegen manche Lehrenden im Institutsrahmen aktiv, andere besetzten gleich die maßgeblichen Positionen in den auf Reichsebene agierenden Ausschüssen, während die Mehrheit sich von der Beziehungspflege jenseits des individuellen Lehrer-SchülerKontakts ferngehalten zu haben scheint. Besonders deutlich fällt auch das sehr späte Tätigwerden des Berliner AStA auf – und die Kritik, die er dann seinerseits am mangelnden Engagement der in Berlin weilenden Studierenden übte. Das alles bestätigt eine zeitgenössische Beobachtung, wonach sich »die Beziehungen zwischen den Kleinstadt-Universitäten« und ihren Studierenden im Feld »viel inniger« gestalteten als bei ihren Großstadt-Schwestern.205 Wenn sich die Universitäten – neben ihrem allgemeinen Kriegsengagement – so intensiv um ihre eigenen Angehörigen bemühten, entsprach das durchaus dem generellen Muster: Auch Firmen oder einzelne Gewerbe sorgten in erster Linie für die ›Eigenen‹.206 Ganz analog zu den Universitäten bemühte sich der Direktor der Königlichen Bibliothek Harnack um die im Felde stehenden Mitarbeiter und erreichte damit auch eine engere Bindung der »Daheimgebliebenen« untereinander: Jeden Samstagmorgen – also in der Dienstzeit – versammelten sich alle Mitarbeiter, er selbst hielt eine Ansprache zur Kriegslage und ließ die eingetroffenen Feldpostbriefe verlesen und sonstige Nachrichten über die Kriegsteilnehmer austauschen. Laut Auskunft seiner Tochter gab es dabei keine Rang- oder Bildungsunterschiede, so daß es sich um eine Arbeits- wie auch um eine (damals ja als ständeübergreifend verstandene) ›Volksgemeinschaft‹ handelte.207 In welchem Verhältnis der Einsatz der Universitätsangehörigen für die ›Volksgemeinschaft‹ und ihr traditioneller Führungsanspruch standen, soll abschließend im folgenden Kapitel geklärt werden.
205 Feldgrüße der Hochschulen, in: BB 31/1 (WS 1916/17), S. 22 f., Zitat 22. 206 So stellten etwa Druckereien, als sie Frauen zuließen, zunächst die Ehefrauen ihrer zum Heer eingezogenen Drucker ein. Die Frau 24 (1916/17), S. 304. 207 Zahn-Harnack, Harnack, S. 347.
8. Résumé: Dienst am Vaterland und gesellschaftlicher Führungsanspruch Nur einen Monat nach Kriegsbeginn zog der Extraordinarius für Physiologie René du Bois-Reymond im Berliner Tageblatt schon ein erstes Résumé: Führende Männer des öffentlichen Lebens hätten sich freiwillig als Gemeine gemeldet und das glänzendste Beispiel dabei Berufsarten gegeben, »die sonst sich einer Ausnahmestellung erfreuen: die Träger der geistigen Entwicklung unseres Volkes, die Männer der Kunst und Wissenschaft«. Allein 226 Hochschullehrer der Universität hätten sich »teils freiwillig, teils pflichtmäßig in den Dienst des Vaterlandes gestellt, also fast die Hälfte der Gesamtzahl«, manche sogar, »um mit der Waffe ihre Pflicht als Verteidiger des Vaterlandes im eigentlichsten Sinne zu erfüllen.« Dabei sei dies für sie doch viel schwerer als für andere, die an »gewerbliche« Arbeit gewohnt seien; und auch ihr Gefühlsleben sei entwickelter. Doch nähmen sie diese »Vorzugsgründe nicht für sich in Anspruch«.1 Man könnte das Herkömmliche und das Neue kaum besser verbinden als mit dieser Formulierung: Ihrem Selbstverständnis nach bildeten die Gelehrten eine besondere Kategorie, die eigentlich Anspruch auf Privilegien hätte – doch in der gegebenen Situation verzichteten sie (von sich aus) darauf. (Für den Chronisten selbst verzeichnen die Annalen der Universität übrigens auch in den kommenden Jahren keinerlei mittel- oder langfristige Tätigkeit im Dienste der Krieg führung, auch nicht als Konsultant des Heeressanitätswesens oder in den Lazaretten vor Ort.2) Ganz anders blickte der Leiter der Kriegsstelle der Universität Straßburg (der Theologe und Kirchenhistoriker Johannes Ficker) zu Beginn des Sommersemesters 1915 auf die ersten acht Kriegsmonate zurück. Und das betraf nicht nur den Ton, sondern die Perspektive: »Wir sind dankbar, daß wir haben helfen können, wenn auch oft nur mit rasch vorübergehendem und geringem Dienste. Aber wir haben in allem den Ruf des Vaterlandes und die Stimme unseres Volkes gehört und wir haben mit unmittelbarer Gewalt in tiefster Bewegung erfahren, daß auch die Hochschule bis ins innerste und ganz mit dem ganzen Volke verwachsen ist, daß sein Erleben auch ihr Erleben, seine Not ganz ihre Not ist – wie hätte sie nicht alles, was sie hatte und konnte, mit ihm teilen müssen!« 1 René du Bois-Reymond, Die Universität im Dienste des Vaterlandes, in: BT 449, 4.9.1914 AA . Damit sei der von seinem Vater 1870 »als ein Bild hingeworfene Satz« von der Universität als dem Leibregiment der Hohenzollern fast »in die Wirklichkeit verkehrt«. 2 Zu seinen Experimenten für ein wissenschaftliches Gutachten im Frühjahr 1915 s. o. S. 430.
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Ihren Einsatz hatten die Straßburger zugleich als Dank verstanden für »die große Zeit, die uns Ein (!) Reich gegeben und der diese Hochschule ihre Neugründung und ihre besondere Verknüpfung mit des Reichs Geschicken verdankt«. Und sie hatten ihn geleistet in der »Zuversicht, daß jedes Opfer (‥‥) das fester zusammenfügt (…) was die eherne Bürgschaft der Zukunft unseres Vaterlandes bleibt: die innere Einheit unseres gesamten Volkes.«3 Selbst wenn man den Gestus der Bescheidenheit für pastorale Rhetorik hält: nicht um die Besonderheit der Gelehrten ging es hier, sondern um ihre Integration in das deutsche Volk. Aber zugleich wird an den Formulierungen deutlich, daß keine Verschmelzung zustande kam, sondern »Hochschule« und »Volk« letztlich doch zwei getrennte Einheiten blieben. Die Tätigkeiten der Gelehrten stellte Ficker zwar, wie üblich, in aller Ausführlichkeit dar, wertete sie in der Gesamtschau aber nicht als besondere Leistung, sondern als notwendigen und bescheidenen Beitrag. Mit der Zeit verstanden sich die Straßburger dann als »Teil des Heimatheeres (…), das hinter dem kämpfenden Heer mitkämpft«, denn die Universität hatte sich »von Anfang des Krieges an […] unter das Gebot der allgemeinen Diens[t]pflicht gestellt«.4 Mit dem Stolz ging zwar ein Teil der früheren Bescheidenheit verloren, doch auch jetzt war die Universität integraler Teil eines größeren Ganzen. Noch im Frühjahr 1918 stellte Ficker fest: »Es ging von Anfang an um unser ganzes Volk, um seine militärische und politische, wirtschaftliche und geistiges Existenz.« Und im Rückblick auf die Mobilisierung aller, auch der geistigen Kräfte, machte er ein bisher ungekanntes »Ineinandergreifen der Kräfte« aus. Doch verriet er, vermutlich unbewußt, zugleich, daß das, was die Zukunft garantiere, noch nicht vollkommen war: denn das »volle äußere und innere Zusammenarbeiten aller Kräfte« war (nur) »in mächtigem Fortschreiten«5 begriffen. Auf dem Hintergrund der innenpolitischen Spaltung klang das allerdings schon fast beschwörend. Wesentlich knapper resümierte ein Mitglied einer christlichen, dem Anspruch nach nichtkonfessionellen (aber doch stark protestantisch geprägten) Studentenverbindung 1917 die »vornehmste Erfahrung« des Krieges: »Not und Arbeit können Menschen von sich ausschließenden Grundgegensätzen zu einem Werke zusammenschließen.«6 Ging es in den beiden anderen Fällen um die implizite Aufrechterhaltung bzw. bewußte Transzendierung der bisherigen
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Ficker, Bericht I (1914/15), S. 36. Ficker, Bericht III (1916/17), Zitate S. 70, 4. Ficker, Bericht IV (1917/18), S. 60. Grißhammer, Studentendienst und seine Literatur, Sp. 43. Der Autor war nicht Student an einer der drei untersuchten Universitäten. Internet-Recherchen förderten zwar einen hessischen Pfarrer gleichen Namens in den fünfziger und sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts zutage sowie einen Kirchenkritiker Ende der neunziger. Mindestens letzterer kann aber mit dem zitierten Autor wohl nicht identisch sein.
704 Die Universitäten im Kriegseinsatz Standesgrenzen im Krieg, so im letzten um die Überwindung religiöser und weltanschaulicher Unterschiede. In wie weit die Nichtigerklärung bisheriger Ab- und Ausgrenzungen durch den Kaiser und das anfängliche Erlebnis der Gemeinschaft, das die Professoren verstetigen wollten, den weiteren Kriegserfahrungen standhielt, soll im folgenden anhand der Darstellung (insbesondere Formulierungen) der Beteiligten, der praktischen Tätigkeiten und institutionellen Beziehungen geprüft werden. Dabei geht es um die Stellung der Universitätsangehörigen in der ›Volksgemeinschaft‹. Diese ist auf der Folie ihres bisherigen Selbstverständnisses zu sehen, demzufolge die Universitäten die Grundlage des gesamten Kultur- und Geisteslebens bildeten, »geistige Nervenzentren« darstellten, ja als öffentliches Ge wissen der Nation fungierten.7 Gewiß geben manche Briefe aus der Kriegszeit Zeugnis »von herzerquicken der Kameradschaftlichkeit«, so etwa der des Berliner Jura-Studenten Kurt Schlenner. »[D]ie allgemeine Kameradschaft, die durch das ganze deutsche Heer geht«, bewirke, »daß jeder jeden ›Du‹ nennt.« Und Schlenner selbst erkannte in der »persönliche[n] Kameradschaft von Mann zu Mann, unter denen, die fortwährend aufeinander angewiesen sind«, auch gelegentlich »den wunderhellen Kern in der unscheinbaren Außenseite manches anderen. Das schönste Beispiel hierfür ist mir mein lieber Kamerad G., ein Zweijähriger.8 Der Mann sieht wirklich furchtbar dämlich aus, und sein Benehmen ist unbeholfen und anspruchslos, und doch verdanke ich seiner kameradschaftlichen Hilfe unendlich viel. Und in langen Gesprächen im Schützengraben und Quartier, die mir mit die schönsten Stunden des Krieges verschafft haben, habe ich ihm auf den Grund der Seele schauen dürfen und habe gesehen, was für ein Ringen und Streben in dem Mann ist, und wie er den weitaus meisten von denen, die sich gebildet nennen, himmelhoch überlegen ist.«9
Diesem Zeugnis zufolge stellten also Reinheit des Charakters und kameradschaftliche Hilfe zwischen dem Studenten und seinem Kameraden ohne höhere Bildung echte, ständeübergreifende Gemeinschaft her. Auch die Chance, »wirkliche Bildung« von nur formaler zu unterscheiden, hoben manche hervor, wenn sie den sozialen Abstand zwischen sich und den Kameraden vermerkten.10 7 S. dazu o. Kap. II.6 A. 15 (Krüger 1916), A. 25 (Paulsen 1902). 8 Also jemand, der nicht mindestens sechs Jahre eine weiterführende Schule besucht hatte, was ihn zum »Einjährig-Freiwilligen« gemacht hätte. 9 Brief vom 9.12.1914, abgedruckt in: Witkop (Hg.), Kriegsbriefe deutscher Studenten, S. 26–28, Zitate 26, 27 f.; auch abgedruckt (mit Angaben zu Universität und Fach) in: Witkop (Hg.), Kriegsbriefe gefallener Studenten, S. 26 f., Zitate 26, 27. 10 Rohden, Zwei Brüder I, S. 4 (11.9.1914): »Ich habe mich ausgezeichnet eingelebt in das derbe Treiben der Kaserne, es ist mir sogar ganz angenehm, daß ich unter den 9 Leuten der Stube der einzige ›Gebildete‹ bin. Da kommt dann heraus, wer wirkliche Bildung besitzt.« (Hervorh. i. O. gesperrt).
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Doch manche Erfahrung wies auch in eine andere Richtung: Wer von traditionellen Vorstellungen vom Status der Akademiker ausging, den ergriff – trotz der beschworenen Einheit – eine gewisse Befremdung angesichts der Zumutungen des Dienstes. Das wurde schon bei der Ausbildung der Freiwilligen deutlich.11 Ähnliches wiederholte sich bei den Organisatoren des Vaterländischen Hilfsdienstes, die den studentischen Munitionsarbeiterinnen die tägliche Versorgung abnehmen zu müssen glaubten. Die Lebens- und Sittlichkeitsvorstellungen anderer Frauen riefen bei den studentischen Etappenhelferinnen ein gewisses Befremden hervor.12 Unter den Kriegsdienstleistenden zeigte sich der Abstand schon in der Bezeichnung der Kameraden: Der Student Hermann Reinhold, Mitglied des Kyff häuser-Verbands der Vereine Deutscher Studenten und damals Leutnant der Reserve, ging am Heiligabend 1915 in der vorderen Linie nach einer Feier in der »ganz reizenden Weihnachtsecke« des Offiziersquartiers später noch in den Unterstand, wo die »Leute« seines Zugs »in dem dunklen Loch« lagen, las ihnen »das Weihnachtsevangelium« vor, sang »Stille Nacht« mit ihnen und sprach »einige passende Worte«.13 Einige Tage später konnte er »die Leute […] kaum bändigen«, als sie nach neun Tagen in den Schützengräben über die Ablösung vor Freude jauchzten. Im Waldlager bereitete er am folgenden Tag dann eine »Weihnachtsfeier für die Leute« vor.14 Gewiß, »Leute« bezeichnet im nächstliegenden Sinn jeweils die Gemeinen – aber schon die Formulierung verweist auf den sozialen Abstand, erst recht, wenn man diese Sätze mit Äußerungen über die eigenen Gewohnheiten bzw. Rituale und den Umgang mit Offizieren und Ärzten im Armeedienst vergleicht.15 Gerade auch wegen der Fürsorglichkeit des Sprechers, wird man an das Verhältnis von Gesinde und Gutsherrn erinnert. Noch deutlicher wurde das ein Jahr später: Wieder organisierte Reinhold zunächst eine Weihnachtsfeier für die Mannschaften, bei der »die Leute zum Bierfassen« mit ihren Kochgeschirren antraten und er eine Pause anordnete, sobald die Hälfte aufgebraucht war. Danach folgte er mit den anderen Offizieren einer Einladung zum Regimentsstab.16 Der Gegensatz »wir« (Offi11 S. für Gießen Grießbauer, Wie ich den großen Krieg erlebte, S. 18: »Da sah man einen Korpsstudenten mit einem Besen den Kasernenhof scheuern, einen Lehramtskandidaten den Mülleimer ausleeren und dergl. mehr, alles im Dienste des Vaterlandes.« 12 S. dazu o. S. 504, 518, 520. 13 Zirlewagen (Hg.), »Der Krieg ist doch etwas Scheußliches«, S. 43 f., Zitate 43. 14 Zirlewagen (Hg.), »Der Krieg ist doch etwas Scheußliches«, S. 44 (28.12.1915) und 44 f. (29.12.1915), Zitat 44. Für das folgende Weihnachten s. 26.12.1916 (S. 81). 15 Reinhold selbst hatte sich für die Rückkehr von den neun Tagen im »Dreck« im benachbarten Ort bereits ein Bad bestellt (29.12.1915, S. 44). Dafür, wie Bad und Casinobesuch zum Ritual wurden, s. 16.2.1916 (S. 51). Zum »kleine[n] Weinfrühstück« der Offiziere jeweils am ersten Tag im Waldlager, s. 16.2.1916 (51), zum Weinfrühstück an Ostern 24.4.1916 (56). Alles in: Zirlewagen (Hg.), »Der Krieg ist doch etwas Scheußliches«. 16 Zirlewagen (Hg.), »Der Krieg ist doch etwas Scheußliches«, S. 81 f. (26.12.1916).
706 Die Universitäten im Kriegseinsatz ziere) und »die Leute«, der viele Briefe Reinholds an seine Braut strukturierte,17 wurde durch die Position, die seine eigenen Tätigkeiten ihm in dieser Kon stellation gaben (»bändigen«, vorlesen, anordnen) noch unterstrichen: der zivilisatorisch und kulturell Überlegene ordnete und gestaltete die Verhältnisse der anderen. Auch in der Kriegführung selbst schrieb gar mancher Soldat aus der Universität seiner Gruppe eine besondere Bedeutung zu: »Wenn Ihr nur wüßtet, eine wie große Rolle in diesem Kriege der akademisch Gebildete spielt! Idealismus, Pflichteifer, Heldenmut, Begeisterung: sie gehen besonders von unserer geistigen Jungmannschaft aus. Nicht nur der Militarismus, sondern gerade unsere tiefe geistige Kultur sind die Träger unseres Erfolges. Während der aktive Offizier im Kriege seinen Beruf sieht, sind wir reine, uneigennützige Idealisten, steht bei uns über all dies [!] die Idee des ›heiligen und gerechten Krieges‹, des Volkskrieges. Glaubt mir, zur Erhaltung der Disziplin, zur Beflügelung der Stimmung und der Energien sind wir, die Leutnants und Unteroffiziere der Reserve, unendlich viel wert.«
So wie man in der Wissenschaft (seit Schiller) »Brotgelehrte« und »philosophische Köpfe« unterschied,18 klassifizierte der junge Mediziner auch die Offiziere: für die Berufsoffiziere war der Krieg einfach ihr Metier, für die einberufenen oder freiwilligen Studenten und jungen Wissenschaftler aber eine höhere Aufgabe, die Idealismus erforderte und der sie mit Begeisterung nachkamen. Damit inspirierten sie auch andere – und sorgten zugleich (wie der ›Bändiger‹ der ›Leute‹) für Disziplin. Genau damit aber, so seine Behauptung, verhalfen sie den deutschen Truppen zum Erfolg. Blieb mit dem ›Volkskrieg‹ einerseits der Bezug auf die Mobilisierung des Ganzen erhalten, so schrieb der Autor innerhalb dieses Rahmens doch seiner Gruppe die entscheidende Rolle zu.19 17 S. als ›allgemeines‹ Beispiel: Zirlewagen (Hg.), »Der Krieg ist doch etwas Scheußliches«, 6.7.1916, S. 61. 18 Friedrich Schiller, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? Eine akademische Antrittsrede, in: Schillers Werke. Nationalausgabe. Bd. 17, Weimar 1970, S. 359–376. 19 Der Schreiber exemplifizierte dies an zwei Kameraden: dem »kleine[n] Mikulicz-Radetzki«, damals noch Student, später an den NS -Sterilisationen beteiligter Gynäkologieprofessor, und einem Privatdozenten der Geschichte, der nun »Gott sei Dank (…) zum Vizewachtmeister befördert« wurde, also in einen Unteroffiziersrang mit Portepee. Eduard Friedberg 30.10.1914, in: Witkop (Hg.), Kriegsbriefe deutscher Studenten, S. 18 f., Zitate 19. Zu Felix Mikulicz-Radecki s. NDB 17 (1994), S. 499 (Volker Zimmermann). Der Privatdozent Lessing war vermutlich Kurt Lessing in Bern (nach Minerva 24 [1914/15], S. 164). Der Autor selbst, der über letzteren schreibt (»Mediziner wie ich«), war ein in Süddeutschland aufgewachsener Preuße, promoviert 1913 in Freiburg (s. Eduard Friedberg, Ein klinischer und pathologisch-anatomischer Beitrag zur Kenntnis des Kapsel stars, Freiburg 1913, S. 19). Publikationen von 1920–1922 zufolge war er damals Assistent in Freiburg, vermutlich an der Kinderklinik.
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Für beide Haltungen – den sozialen Abstand zu den ›einfachen‹ Leuten (verbunden mit Herablassung, gelegentlich auch Geringschätzung) und den Führungsanspruch innerhalb der ›Volksgemeinschaft‹ – finden sich in privaten und öffentlichen Äußerungen von Studenten und Dozenten zahlreiche Beispiele, bis hin zu den Formulierungen miles vulgaris und gar plebs im Tagebuch des Marburger Altphilologen Birt.20 Die besondere Rolle im »Volkskrieg« war schon in der Ansprache des Münsteraner Rektors, des Historikers Spannagel anläßlich der Mobilmachung vorformuliert; denn dieser sei »kein roh gewaltsam Handwerk« mehr, sondern entfessele besonders bei den Gebildeten »die höchsten ethischen Kräfte in der Brust«.21 Der Berliner Theologe Deißmann bestätigte in seinem Evangelischen Wochenbrief 1917: »Der rechte Student im Feld weiss sich verantwortlich auch für den schlichten Mann an seiner Seite.«22 In der »Seite« klingt noch die durch den Burgfrieden im »Volkskrieg« postulierte Gleichheit an – doch wird mit der Verantwortung zugleich die Vorstellung der Führung evoziert. Sein Kollege Penck untermauerte dies im Aufruf an die Studenten an den Fronten am Ende dieses Jahres: der Krieg habe sie zu Führern gemacht und damit auch ihre künftige Stellung bestimmt.23 Im Gießener Weihnachtsgruß sah sie der Geograph Sievers als »Träger der künftigen Weltpolitik unseres Volkes«, der Dekan der Theologen knüpfte an die Erkenntnis sogleich eine Mahnung: Die Deutschen seien »kein Herrenvolk, sondern ein Führervolk«, und wandte dies auch auf das ungleiche Verhältnis innerhalb des Volkes an: »So vertrauensvoll unser Volk aufschaut zu seinen Führern, so sehr haßt es die Herren.« Gerade, weil sie »draußen mit dem Volk zusammen ware[n], […] in seine Seele schauen« durften, seien die studentischen Kämpfer wichtig »im neuen deutschen Vaterland«.24 Daß solche Ermahnungen nötig waren, hatte ja der 1915 geplante Aufruf »An unser Volk« gezeigt, in dem eine Gelehrtengruppe eine quasi-monarchi-
20 So sprach er am 1.12.1917 von den Vorträgen eines Kollegen in Etappenkursen »für den miles vulgaris« und stellte am 13.10.1918 fest: »Ich schwöre auf den Wert der humanistischen Bildung, und die Plebs will sie nicht.« Beides zit. bei Wettmann, Kriegstagebücher Theodor Birts, S. 160, 170. 21 Zit. bei Ribhegge, Geschichte der Universität Münster, S. 145. 22 Evangelischer Wochenbrief von Professor D. Adolf Deissmann, Universität Berlin, Neue Folge. Nr. 1/2, 21.2.1917, S. 6, in: GSt APK Rep 76 V c: Wissenschaft Sekt 1 Tit. 11 Teil VII Nr. 40 Bd. I: 1914–1917, fol. 460–462v, hier 462v. 23 »Ihr, die ihr alle in der Mannschaft gedient habt und größtenteils zu Führern geworden seid, ihr werdet auch nach dem Kriege Führer unseres Volkes sein, nicht, weil ihr über dem Volke steht, sondern weil ihr in ihm wurzelt und euch als Glieder unseres Volkes fühlt, unseres herrlichen, tapferen und tüchtigen, treuen und willigen deutschen Volkes, das nach guten Führern lechzt.« Penck, An die Berliner Studenten an den Fronten (S. 696, A. 185), S. 14 (Hervorh. i. O. durch Sperrung). 24 Weihnachtsgruß der Universität Gießen, S. 33 (Sievers), 5 (Krüger).
708 Die Universitäten im Kriegseinsatz sche Haltung gegenüber dem Volk einnahm.25 Die Grundhaltung der Führerschaft blieb aber auch bei den sich dann ausbildenden gegensätzlichen Lagern erhalten, angefangen von der Seeberg-Adresse, der zufolge es »Pflicht und Recht« der »nach ihrer Bildung und Stellung zu geistigen Führern und Vorkämpfern der öffentlichen Meinung« Berufenen sei, dem Volkswillen Ausdruck zu verschaffen, über den Nationalausschuß für einen ehrenvollen Frieden, zu dessen Aufgabe Harnack in der konstituierenden Sitzung die »Belehrung des Deutschen Volkes« über die Realität erklärte, bis zum Volksbund für Freiheit und Vaterland, demzufolge nur das »geistige Deutschland« einen »dauerhaften Burgfrieden« ermöglichen könne.26 Doch wurde die Führungsrolle keineswegs auf die militärischen Kämpfer beschränkt. Herbert d’Oleire, ein Burschenschafter aus einer Berliner Hugenottenfamilie, der im Krieg mehrfach ausgezeichnet und wahrscheinlich schwer verwundet war, 1916 in Jura promoviert wurde, stellte Anfang 1917 fest: »Der Stand, der zu allen Zeiten pro patria lebte, hat es als selbstverständliche Pflicht angesehen, auch im Kriege anderen Vorbild zu sein.« Das »Opfer [zu] bringen und seinem eigentlichen Arbeitsgebiet [zu] entsagen«, sei selbstverständlich gewesen, auch das »›Wache schieben‹ und Kasernen schrubben«. Doch mit der Dauer des Krieges ändere sich die Aufgabe des Akademikers. Jetzt wachse ihm eine »Aufgabe wahrhaft akademischer Art« zu: die restlose Erfassung und kluge Bewirtschaftung der Lebensmittel.27 Damit konnte zugleich die Tätigkeit der Daheimgebliebenen aufgewertet werden. Der Straßburger Altphilologe Eduard Schwartz hatte schon in seiner Weihnachtsbotschaft als Rektor 1915 von der Führungsrolle der studentischen Kämpfer, deren sich die »Alten« zuhause »würdig« erweisen sollten, damit jene nicht umsonst gefallen seien, geschickt auf die Universität als Ganze übergeleitet: »Um den Krieg siegreich zu beenden, muß unser Volk seine Spannkraft nicht nur erhalten, sondern verdoppeln und verdreifachen; das kann die Gesamtheit nur, wenn die besten Einzelnen dafür einstehen, und die Universitäten haben darin voran zugehen, wie immer, wenn an das Gewissen des Volkes Forderungen gestellt werden.«
Mit dem unmittelbar darauf folgenden Satz rechtfertigte Schwartz dann wieder die Fortsetzung der eigenen Tätigkeit: »So treiben wir unsere Arbeit weiter, um elastisch zu bleiben und nicht eingetrocknet zu sein, wenn Ihr heimkehrt.«
25 Siehe o. S. 578 f. 26 Seeberg-Adresse, in: Böhme (Hg.), Aufrufe und Reden, S. 125–135, Zitate 126; Harnack zit. bei Nottmeier, Harnack, S. 433; Volksbund: Um Freiheit und Vaterland, S. 9. Zu Harnacks Rede in einer Versammlung am 1.8.1916 s. o. S. 577 f. 27 Herbert d’Oleire, Heimataufgaben unserer Akademiker, in: HS 1 (1917), H. 7, S. 21–27, Zitate 22. Ausführliche biogr. Informationen verdanke ich Dr. Harald Lönnecker (Bundesarchiv Koblenz). S. auch die Dissertation und biogr. Angaben in JHSS 32 (1916), S. 91.
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Angesichts der vielen Gefallenen waren die »Alten« nun »doppelt dafür verantwortlich, daß die Wissenschaft in Deutschland nicht ausstirbt, damit Deutschland seinen Wert für die Menschheit behalte.«28 Vom einzelnen über den »Stand« bis zur Institution wurde die Führungsrolle der Universitätsangehörigen also wieder und wieder unterstrichen und auch bei den Feiern für die Gefallenen in Gießen wie in Berlin betont.29 Dabei wurden Vergangenheit (»zu allen Zeiten«), gegenwärtige Bewährung und künftige Stellung nicht nur im Sinne einer Kontinuität, sondern auch eines Anspruchs und seiner Rechtfertigung verbunden. Bildlich wurde die eigentümliche Rolle immer wieder als »Salz« gefaßt – und damit zugleich religiös überhöht, weil wohl (fast) jeder Zeitgenosse, jedenfalls christlicher Konfession, das Bild aus dem Matthäus-Evangelium (5, 13) assoziierte, in dem Jesus seine Jünger als das »Salz der Erde« anspricht. Der Straßburger Schwartz erinnerte daran, daß der Krieg »die Vorrechte auf[hebe], auch die des akademischen Bürgers; aber vergeßt nicht, daß Ihr des Heeres Salz seid und daß echte Bildung ein Adel ist, der verpflichtet.«30 Der Dekan der Gießener Theologen Krüger entwickelte direkt aus dem nur noch als Anspielung vorhandenen und schon auf Deutschland beschränkten biblischen Bild heraus die Führungsposition in der Gesellschaft: »Ihr seid ja unsere Hoffnung. Ihr sollt das Salz der deutschen Erde werden. Ob Ihr da draußen als einfache Musketiere im Schützengraben liegt oder schweren Arbeitsdienst verrichtet, ob Ihr als Unteroffiziere oder Leutnants Befehle austeilt oder empfangt: Offiziere seid Ihr alle, sollt Ihr sein, Ihr deutschen Akademiker, das kommende Geschlecht bedarf Eurer Führung.«31
Schon der Kriegsdienst allein machte die Akademiker, ganz unabhängig vom militärischen Rang, also zu »Offizieren« – und so wurde ihre herkömmliche gesellschaftliche Führungsrolle gerade durch den zeitweise die sozialen Unterschiede einebnenden Dienst (und die gebrachten Opfer32) noch untermauert. 28 Der Brief des Rektors an die Studenten im Feld vom 6.12.1915 [im Druck irrtümlich 1916] ist abgedruckt in: Stiftungsfest der KWU 1916, S. 71–74, Zitat 72 f. Zur Elastizität s. auch seine Rektoratsrede vom Mai 1915 (u. S. 1067). 29 Trauerfeier für die Gefallenen der Landesuniversität, S. 4 (Rektor Kalbfleisch), 15 (Schian); Trauerfeier der Universität Berlin für ihre im Weltkrieg gefallenen Angehörigen, Berlin 1919, S. 14 (Rektor Seeberg). 30 Wie A. 28, S. 73 f. 31 Weihnachtsgruß der Universität Gießen, S. 4. 32 Außer den zitierten Ausführungen d’Oleires s. z. B. in der Gießener Jahresfeier 1919 die Begründung des Führungsanspruchs damit, daß die Universitätsmitglieder auch mehr zu leiden hätten als andere (Strahl, Unserer Universitäten Zukunft, S. 3 f.). Außerdem spielt der Begriff »Opfer« natürlich immer eine zentrale Rolle, wenn von den Gefallenen die Rede ist. Siehe z. B. im Bericht des Rektors bei der Jahresfeier 1917, in: Schian, Volk, S. 19–27, hier 22.
710 Die Universitäten im Kriegseinsatz Bei der Begrüßung der aus dem Krieg Heimkehrenden hielt Krüger 1919, obwohl damals weder Rektor noch Dekan, die Ansprache und knüpfte die verschiedenen Fäden nun zusammen: Die an die Universität Zurückkehrenden sollten alles abtun, »was von Herrenwesen in Euch ist« – und ermahnte ins besondere die Verbindungen, »studentische Unsitten [nicht] wieder einzufüh ren«.33 Krüger, der selbst Mitglied der nichtschlagenden, von protestantischen Theologen dominierten Verbindung Wingolf war und sich für diese Äußerung gegenüber dem Studentenausschuß rechtfertigen mußte, meinte damit die Trinksitten, die Auswüchse des Mensurenwesens, die Neigung zu luxuriösem Auftreten, studentischen Hochmut.34 Wer diese Unsitten wieder aufleben lasse, habe »die Aufgabe, Führer des Volks zu sein, noch nicht begriffen.« »Wer seinem Volk ein Führer sein will, der muß […] auch Fühlung mit ihm halten.« Krüger hätte sich einen Kaiser im Volksstaat gewünscht. Da dieses Ideal jedoch nicht zu verwirklichen sei, betonte er eine Pflicht, die aus der Anerkennung der Demokratie erwachse: für die Rechte der Sozialaristokratie im »Sinne der natürlichen Gesellschaftsordnung als einer Auslese der Besten« einzutreten. Echte Sozialaristokraten hätten ihre Stellung um der Gesamtheit willen, und Krüger wollte »in jedem« der Angesprochenen »den Auserlesenen sehen.« »Salz der neuen deutschen Erde« könnten sie aber nur ohne Vorurteile akademischer und politischer Art sein.35 Auf diese Weise wurde mit der Integration in die Volksgemeinschaft und dem Verzicht auf akademische Privilegien im Krieg die Führungsstellung der Akademiker in der Gesellschaft also nicht beseitigt, sondern neu untermauert. Und da die Universitätsangehörigen den vermeintlichen Sieg ihrer eigenen Leistung im Krieg sowie ihrer Institution zuschrieben, konnten sie für diese auch weitere Förderung einfordern. In der Gründungsversammlung der Gesellschaft von Freunden und Förderern der Universität Gießen Ende Februar 1918 (!) sagte der Agrarwissenschaftler Gisevius, damals Rektor: »Der Geist, der von unseren Universitäten ausging, hat unser ganzes Volk durchdrungen. Diese geistige Kraft hat uns auf dem Schachbrett des Weltkrieges die Partie gewinnen lassen. (…) Die geistige Kraft des ›Volkes der Denker‹ [!] wird uns auch in der nächsten Zukunft stark dazu machen, alle kommenden Aufgaben zu lösen. Sind es doch interessante Aufgaben, zu deren Lösung Erfindungsgabe und kluge Berechnung, strategisches wie taktisches Können gehört. Da blickt unser Volk auf unsere Universitäten als auf die Stätten hin, in denen einerseits in emsiger Forscherar33 Begrüßungs-Feier, S. 9. 34 S. dazu die Abschrift seines Briefes an den Vorsitzenden des Ausschusses der Studentenschaft 24.3.1919: UA Gi PrA 1382. Seine eigene Mitgliedschaft (die weder in BBKL noch in G/M/P I, S. 550–565 erwähnt wird) nach http://de.wikipedia.org/wiki/Gießener_ Wingolf (5.3.2012). 35 Begrüßungs-Feier, S. 9, 19, 11 f.
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beit das geistige Rüstzeug für unsere Nation geschmiedet wird. Andererseits sollen wir in unserer Lehrtätigkeit auf allen Gebieten tüchtige und gutgeschulte Führer des Volkes heranbilden.«36
Dieser Darstellung zufolge waren also die Universitäten nicht Teil des Mobilisierungsprozesses, sondern dessen Initiatoren – und wollten ihn nun in die Zukunft hinein verlängern. Indem sie in dem erwarteten »internationalen Wirtschaftskampf« für die »Neurüstung« sorgten und die Geisteswissenschaften die geistig-kulturelle Selbstbehauptung gewährleisteten,37 sicherten sie auch ihre eigene Zukunft und Stellung – dank der neugeschaffenen Fördergesellschaft nicht nur durch die Mittel des Staates, sondern auch durch Zuwendungen aus der Wirtschaft und Gesellschaft. So wurde der Führungsanspruch der Institution, der sich etwa in Gießen im Anspruch des Rektors auf den Vorsitz im Ortsausschuß der Waffenbrüderlichen Vereinigung gezeigt hatte,38 in die Zukunft gerettet.39 Den Führungsanspruch artikulierten die Universitätsangehörigen aber nicht nur verbal. Vielmehr dokumentierten sie ihn auch durch ihr Verhalten. Die Bereitschaft, zeitweise den eigenen Status und die bisherigen Privilegien hintanzustellen und sich als Gleicher für das große Ganze einzusetzen, zeigte sich vor allem am Anfang, besonders bei den Kriegsfreiwilligen, aber auch bei der Anfrage Plancks als Rektor, wo sich die Gelehrten selbst nützlich machen könnten, »Subalterndienst nicht ausgeschlossen«.40 Doch scheint es im zivilen Bereich an der ›Heimatfront‹ nicht zur Übernahme von Tätigkeiten weit unter der eigenen Qualifikation gekommen zu sein. Die Lehrtätigkeit an Gymnasien gehörte ja gewissermaßen noch zum Nachbarbereich der Universität, wo schon in Friedenszeiten auch mancher Privatdozent oder unbesoldete Extraordinarius seinen Lebensunterhalt verdiente. Und selbst solche Engagements kamen während des Krieges bei Ordinarien nur vereinzelt vor. Ansonsten versuchten die Dozenten doch, ihre Spezialkenntnisse im Dienste der Kriegführung einzusetzen, als naturwissenschaftliche bzw. technische Experten, als Ärzte und Konsultanten, als Organisatoren der Versorgung.41 36 Bericht über die Gründung der Gießener Hochschulgesellschaft, S. 20. In der ausgelassenen Stelle heißt es: »Wir haben dem Gegner bereits die Königin genommen und werden nun auch den König matt setzen, so viele Türme, Springer und Läufer er auch noch vorzuschieben hat.« 37 Zitat aus der Rede des Vorsitzenden, Justizrat Grünewald, in: Bericht über die Gründung der Gießener Hochschulgesellschaft, S. 7–18, hier 14 (Zitat) und 13 (zu den Geisteswissenschaften). 38 Siehe o. S. 624 f. 39 Zur Wiederholung dieser Gedanken in der Jahresfeier am 1. Juli s. Gisevius, der Boden als Betriebsmittel, S. 15. 40 Siehe o. S. 429. 41 S. die Details o. in Kap. III .4.
712 Die Universitäten im Kriegseinsatz Nur in der freiwilligen Krankenpflege wurde eine wirkliche Egalisierung gefordert – dies allerdings schon in den Richtlinien, die den Freiwilligen bei der Ausbildung vor dem Krieg vermittelt wurden. »Jede Dienstleistung, mag sie noch so niedrig erscheinen, ist ehrenwert und willig zu übernehmen, da sie kranken Kameraden erwiesen wird. Auch dem Krankenpfleger werden diese Dienste geleistet werden, wenn er krank oder verwundet ist.«42
In gewissem Sinn wurde diese Egalisierung aber durch die Uniform der Krankenpfleger und das Bewußtsein, daß sich in den Genossenschaften nur Leute zusammengefunden hatten, die sich dieses ehrenamtliche Engagement leisten konnten, kompensiert. Der 54jährige katholische Moraltheologe Anton Koch (1913/14 Rektor der Universität Tübingen!), dem der Heidelberger Internist Ludolf von Krehl (selbst Konsultant) als einfachem Krankenträger im Feld begegnete,43 scheint ein Einzelfall gewesen zu sein und blieb auch in den hier untersuchten Universitäten ohne Parallele. Unter den Professoren waren freiwillige Krankenpfleger ohnehin rar, aufgerufen wurden zu dieser Tätigkeit die dienstunfähigen Studenten.44 Wie diese sich dann tatsächlich verhielten, ist kaum zu klären. Doch lassen zumindest die jährlichen Berichte der Straßburger Kriegsstelle eine gewisse Herablassung der Gebildeten erkennen. Als sie Modellierbögen verteilten, fand »nicht nur der naiv kindliche Sinn unserer Leute […] ein freundliches Feld, auch die Freude am Spiel und am Gestalten«, und die beigefügten Beschreibungen gaben »nützlichste Belehrung.«45 Mit der Bildungsabsicht – etwa durch die Lazarettvorträge – wurde die geistige Überlegenheit der Helfer und der soziale Abstand zu ihren Schützlingen demonstriert und so indirekt wiederum die Führungsrolle betont. Die Lazarettvorträge waren »eine einzige Gelegenheit für die Hochschule, zu der großen Schar unserer Volksgenossen unmittelbar treten, lebendig auf sie einwirken zu können«.46 Es ging also nicht nur um die unmittelbare Hilfe für die Verwundeten, sondern auch darum, sie zu bilden und vermutlich auch ihre Gesinnung zu beeinflussen.
42 Rupprecht, Krankenpflege, S. 398 (mit Verweis auf das Unterrichtsbuch für Lazarett gehilfen). 43 Krehl, Feldpostbriefe I, S. 31 f. Zur Biographie Krehls (württ. Personaladel 1904) s. NDB 12 (1980), S. 733 f. (Helmut Wyklicky), zur Biographie Kochs BBKL 4 (1992), Sp. 202 f. (Klaus-Gunther Wesseling). 44 Siehe o. Kap. III .4. Als Beispiel für die (ebenfalls höchst seltene) Krankenträgertätigkeit neben der Professur s. dort den Heidelberger Mediävisten Hampe (S. 388). 45 Und zwar Belehrung »in der Völkerkunde, in deutscher Landeskunde und den verschiedenen Typen des deutschen Bauernhauses, in der deutschen Geschichte und Kultur geschichte der verschiedensten Zeiten und einer Reihe von Baudenkmälern«. Ficker, Bericht II (1915/16), S. 22. 46 Ficker, Bericht I (1914/15), S. 22.
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Dieselbe Haltung fand sich übrigens auch bei den Studentinnen, bei denen man infolge der weiblichen Sozialisation vielleicht eine ›reinere‹ Hilfs- und Fürsorgetätigkeit erwartet hätte. Als Pflegerin wollte eine Studentin den Verwundeten der unteren Schichten auch »geistige Kraft (…), das Bewußtsein der Größe unsrer [!] Zeit« mitgeben; denn sie hatte sich eine Äußerung aus der Christlichen Freiheit zu eigen gemacht, wonach »nicht die Kanonen und nicht die Zahl der Bajonette« den Sieg bewirkten, sondern »der Geist, der auch in den Männern des Kriegs weht«.47 Und wenn das Kriegsministerium die Studentinnen als Vorbild für Arbeiterinnen in die Munitionsindustrie rief, bestätigte es damit deren Selbstbild als Pionierinnen und »geistige Führer« (!) des deutschen Volkes.48 Indem die Kriegsstelle der Universität Straßburg ständig Externe zur Mit arbeit heranzog – vom Vaterländischen Frauenverein, in dem dann die Witwen zweier Professoren präsidierten, bis zum Gymnasialprofessor und Dom herrn49 –, nahm sie auf lokaler Ebene quasi selbstverständlich eine Führungsposition ein (ähnlich wie die Gießener in der Waffenbrüderlichen Vereinigung). Das Spannungsfeld zwischen der Integration der Universitätsangehörigen in die ›Volksgemeinschaft‹ und ihrem Sonderbewußtsein belegt die Tätigkeit des Deutschen Studentendienstes: Zunächst auf die Fürsorge für die eigene Gruppe und deren besondere Bedürfnisse ausgerichtet, wurde er, sobald er staatliche Mittel erbat, auf das Bedürfnis aller Soldaten hingewiesen und erfaßte dann in der Arbeit für Gefangene fast notwendigerweise alle.50 Wer schließlich die Einrichtung von Soldatenheimen durch diesen Dienst erlebt hatte, der wußte, »daß das Wort von der Führerschaft der Studenten und Gebildeten keine Phrase zu sein braucht«.51 Die nicht vollständige, aber zeitweise (zumindest in den Vorstellungen der Zeitgenossen) weitgehende Egalisierung der Staatsbürger im Krieg war nur möglich, weil sie auf eine gemeinsame Aufgabe bezogen war: die Verteidigung des Vaterlands. Und da diese unmittelbare Aufgabe zugleich als höchste galt, waren auch bisher bevorzugte Gruppen bereit, ihre Privilegien (zumindest für die Kriegszeit) hintanzustellen. Die Neuordnung der Prioritäten, ja neue Hierarchie der Tätigkeiten mag nicht verwundern bei einem Mann wie dem Germanisten Roethe, dem in seinem Hörsaal schon in Friedenzeiten die Beine beim Vorbeimarsch der Soldaten gezuckt hatten. Aber bei einem Gelehrten wie Troeltsch überrascht sie doch: Anfang September 1914 stellte er fest, daß die Federn der Gelehrten ruhten, 47 Ilse Peters, »Leichtverwundete«, in: S IV (1915), S. 21–23, eigene Zitate 22, Zitate aus der Christlichen Freiheit 22 und 23. 48 Siehe o. S. 496, 512. 49 Professorenwitwen s. o. S. 385; Gymnasialprofessoren und Domherr: Ficker, Bericht IV (1917/18), S. 35 f. 50 Siehe o. S. 672 f. 51 R. Schairer, Deutscher Studentendienst (Schluß), in: BAN X (1915/16), S. 35–37, Zitat 36.
714 Die Universitäten im Kriegseinsatz »weil jeden die Zwecklosigkeit und Überflüssigkeit der Wissenschaft erschüttert in einem Moment, wo es um Sein und Leben geht, und wo auch jeder Forscher lieber in Reih’ und Glied die Flinte in der Hand halten möchte als in geistvollster Originalität die Feder.« Gut einen Monat nach seiner Heidelberger Mobilmachungsrede, in der er schon bedauert hatte, daß er nur das Wort führte statt eines Bajonetts, begriff er sich selbst erneut mit ein (was fast grotesk wirkt, weil seine Feder ja offenbar emsig war). Er prophezeite allerdings, daß diese »Lähmung« vorübergehen werde und die zeitweise Zurückdrängung der »Hypertrophie eines rein wissenschaftlichen, lediglich erklärenden und objektiv ordnenden Geistes« der geistigen Entwicklung nicht schaden werde.52 In der Sitzung der Berliner Akademie zum Kaisergeburtstag 1915 sagte Roethe in seiner Ansprache als Vorsitzender Sekretar: »Wenn zur Stunde niemand unter uns zögert, auch die bescheidenste Kriegs- und Heeresleistung der Erfüllung des gewohnten Friedensberufs überzuordnen, so geschieht es aus der Überzeugung heraus, daß auch die geistige Zukunft unseres V olkes, ja unseres Einzeldaseins daran gebunden ist, daß wir in Ehren und in ungebrochener Einheit aus diesem Kampfe hervorgehn [!].«53
Beide Redner, der sich weiter der Publizistik und Wissenschaft widmende (und 1915 in Berlin einen größeren Wirkungskreis dafür findende) Troeltsch wie auch der zum Sommersemester freiwillig einrückende Roethe waren sich darin einig, daß dies ein zeitlich begrenzter Zustand sein würde, der zudem dem Schutz aller anderen Güter (also auch der Wissenschaft) diente. Doch wurde diese Sichtweise durch die Bezeichnung des Kriegsdienstes als »höherer Pflicht« (Planck Anfang August 1914) in den Reden der Professoren und Rektoren auch innerhalb der Universität selbst verbreitet, vielleicht mit zunehmender Kriegsdauer noch verstärkt – etwa wenn Bumm als Rektor 1917 die Studentinnen mit der Bemerkung in die Munitionsindustrie schickte, es komme jetzt nicht auf die Wissenschaft, sondern den Sieg im Krieg an.54 Und es fand bei den An gesprochenen nicht nur Resonanz, sondern stieß auf dieselbe Haltung, die sich z. T. sogar in denselben Formulierungen äußerte.55 Diese verbreitete Relativierung der Bedeutung der Wissenschaft wirft die Frage auf, wie sich das Leben in der Universität selbst, in erster Linie die Lehre, in dieser Zeit gestaltete.
52 Ernst Troeltsch, Der Krieg und die Internationalität der geistigen Kultur, in: BAN IX (1914/15), S. 22–25, Zitat 23 (zuerst in: IMWKT 9 [1914/15], Sp. 51–58, Zitat 54). 53 Seine Ansprache in: Sitzungsberichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften 1915/1, S. 39–46, Zitat 41 (Sitzung vom 28.1.1915 = S. 39–79). 54 Planck: o. S. 248; Bumm: o. S. 499. 55 S. die Aufforderungen des Studentinnenverbandes o. S. 510 f. (auch mit der Vorstellung der »höheren« Pflicht).
IV. Sekundäre Aufgaben: Studium und Lehre im Krieg
Mit der raschen Rekrutierung oder freiwilligen Meldung der Mehrheit der Studenten und eines Teils der Professorenschaft warf die Mobilmachung bald die Frage nach der Zukunft der Universität und, ohne daß dies ausdrücklich artikuliert worden wäre, der in ihr Zurückbleibenden auf. In den ersten beiden Monaten stand offenbar sogar die Befürchtung der Schließung im Raum,1 und auch einige Gießener Juristen hatten im August den Eindruck, daß sich für die wenigen verbleibenden Hörer »der Betrieb der Vorlesungen und Übungen ›nicht lohne‹« – wovon sich der Dekan freilich distanzierte und umgekehrt sogar eine Erweiterung des Angebots anregte.2 Beschlossen wurde die Fortsetzung des Lehrbetriebs in den einzelnen Bundesstaaten des Deutschen Reichs zu verschiedenen Zeiten; besonders früh, schon vier Wochen nach Kriegsbeginn, von den für die GesamtUniversität Jena zuständigen Regierungen der vier thüringischen Staaten.3 Anfang September folgte dann Preußen, dessen Minister verlauten ließ: »Um mehrfach aufgetretenen Zweifeln zu begegnen, weise ich darauf hin, daß im bevorstehenden Wintersemester die Hochschulen ihre Lehrtätigkeit selbstverständlich aufzunehmen haben. Wie im Jahre 1870/71 trotz des Krieges Vorlesungen und Uebungen gehalten [worden] sind, so muß auch der Lehrbetrieb im nächsten Winter fortgesetzt werden, wenn auch vielleicht hier und da in beschränktem Umfang.«4
Mit dem Bezug auf den preußisch-französischen Krieg, auf den sich ja die Studenten bei ihrem Kriegseinsatz beriefen, wurde hier zugleich eine parallele Tradition der Fortsetzung des Studiums und der Lehre begründet. 1 So hatte man etwa in Erlangen zunächst befürchtet, daß »nun alles im Lande stillstehen müsse« (wie der Rektor im Jahresbericht festhielt). Zitiert nach Blessing, Universität Erlangen im Ersten Weltkrieg, S. 90. Der Aufsatz enthält aber keine Angaben über eine eventuelle Regelung durch das zuständige Ministerium. 2 [Dekan der Jur. Fak.] Mittermaier an KK 21.8.1914: UA Gi Allg. 1532. Zu seiner Anregung s. u. Kap. IV.4. 3 D. h. die Gh. Sächsische (für Sachsen-Weimar-Eisenach) und die Herzoglich Sächsische (für Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Coburg-Gotha). Grüner, Die Universität Jena während des Weltkrieges, S. 11. 4 Pr. KuMi an Kuratoren 9.9.1914 (Abschrift vom 10.9.1914) in: UA Göttingen Sek. 38 (1). Auch zitiert bei Wettmann, Heimatfront Universität, S. 225 (mit einigen Abweichungen, die möglicherweise auf Versehen oder Korrekturen beim Abschreiben durch die Göttinger und Marburger Beamten zurückgehen).
716 Studium und Lehre im Krieg Fast gleichzeitig entschieden wurde die Frage in Gießen. Dort hatte das Großherzogliche Ministerium mit Hinweis auf die im Felde stehenden »Lehrkräfte und Studierende[n]« und die Verwendung von Räumen der Universität für militärische Zwecke dieser »empf[o]hlen«, sich zu äußern, »ob, wann und unter welchen Beschränkungen der Betrieb« »eröffnet« werden könne.5 Der Rektor bejahte dies grundsätzlich, aber doch mit gewissen Vorbehalten:6 Ob und welche Vertretungen nötig seien, werde man prüfen; doch außerdem werde es »voraussichtlich manchen Kliniken an Unterrichtsmaterial fehlen«. Daher bat er gleichzeitig um die Genehmigung, Lehrende von der Abhaltung einzelner Veranstaltungen zu entbinden, selbst wenn die Mindestzahl an Hörern vorhanden sei, oder sogar eine Einschränkung der Stundenzahl zu gestatten. Außerdem wollte die Universität den Beginn der Lehrveranstaltungen um ca. zwei Wochen verschieben.7 Sein Amtsnachfolger betonte zu Weihnachten gegenüber den Kommilitonen im Feld dann, wie die Lehrenden »von vornherein entschlossen« gewesen seien, den Lehrbetrieb aufrecht zu erhalten.8 (Dabei kann man die Emphase, wie auch die implizierte Gesamtheit – »wir Lehrenden« – als vielleicht unbewußten Versuch lesen, die früheren Zweifel vergessen zu machen.) In Straßburg endlich beschloß der Senat am 18.9.1914 (also 10 Tage nach dem preußischen Ministererlaß, gut eine Woche nach der Antwort des Gießener Rektors) auf Antrag des Dekans der Mediziner, Robert Wollenberg, dagegen einstimmig, »dass die Universität zu der durch das Universitäts-Statut vorgeschriebenen Zeit ihren Unterricht eröffnen wird.«9 An eine Verschiebung des Semesterbeginns oder gar Reduzierung des Angebots dachte hier offenbar niemand. Im Gegensatz zu den Statuten mancher anderen Universität wiesen die Satzungen der drei hier untersuchten ihnen keine außerwissenschaftlichen und außerfachlichen Aufgaben zu, die Gießener und Straßburger beschränkten sich sogar ganz auf Formalien (während die Berliner immerhin »die allgemeine und besondere wissenschaftliche Bildung« und die Vorbereitung auf den höheren Staats- und Kirchendienst nannte).10 Doch die Erziehung der studentischen Jugend zu Charaktertüchtigkeit, idealer Gesinnung und Vaterlandsliebe, die 5 Gh. MdI an Gh. LU Gi 4.9.1914: UA Gi Allg. 1532. 6 Im Gegensatz zu der bei Anderhub, Antoniterkreuz, S. 16 vertretenen Auffassung, der Rektor habe die Anfrage »sofort und uneingeschränkt« bejaht. 7 [Rektor] an Gh. MdI 10.9.1914: UA Gi Allg. 1532. Zum Beginn s. u. S. 816. 8 Sommer, An die im Felde [zu Weihnachten 1914]. 9 Prot. der Senatssitzung vom 18.9.1914: ADBR 103 AL 115. 10 Statuten der Universität zu Berlin, Teil I, § 1. Ohne Zweckbestimmung oder Aufgaben umschreibung der Universität: Verfassung der Landes-Universität Gießen [1911], o. O. 1911 (= Satzungen der Universität Gießen. Erster Teil. Nr. 1), in: UA Gi PrA 24 (ebenso der Vorgänger, das Statut über die Organisation der Landes-Universität Gießen [1879], in: Satzungen der Universität Gießen. Erster Teil, Gießen 1904); Statut für die Kaiser-WilhelmsUniversität Straßburg.
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das Jenaer Statut von 1907 (zusätzlich zur Förderung und Pflege der Wissenschaften) ausdrücklich nannte,11 verstanden auch die Professoren der anderen Universitäten als ihre Aufgabe – was sie zuletzt besonders klar bei den Jubiläumsfeierlichkeiten der Freiheitskriege bewiesen hatten.12 Sowohl aus der ursprünglichen Berliner Aufgabenstellung als auch der impliziten oder (wie in Jena) expliziten Erweiterung ergab sich für die Lehrenden (und die Selbstverwaltungsgremien) die Pflicht, die Funktionsfähigkeit der Universität zu bewahren, um Nachwuchs für die akademischen Berufe im Staats- und Kirchendienst auszubilden und diesen auch im umfassenderen Sinn (charakterlich und gesinnungsmäßig) für die Zukunft zu rüsten. Dies schien nötig als »Ersatz« für die Gefallenen, aber auch von Bedeutung für die Wissenschaft selbst, damit sie »in Deutschland nicht ausstirbt, damit Deutschland seinen Wert für die Menschheit behalte« (!).13 Daß es bei diesem Universitätsbetrieb nicht unbedingt um konkrete Erfolge ging, machte ein Artikel des Straßburger Althistorikers Karl Johannes Neumann Anfang Oktober über das bevorstehende »Wintersemester der deutschen Universitäten« deutlich. Es komme nicht auf die Zahl an, »wir lesen eben für die, die da sind. (…) Das Entscheidende ist jetzt nicht das Ergebnis der Arbeit, sondern, daß überhaupt und ohne Unterbrechung die tägliche Arbeit auf den Universitäten geleistet werde. Darin liegt der moralische Wert des Wintersemesters unserer deutschen Universitäten.«
Dabei kam Straßburg – wie anderen Universitätsstädten, die »selber vom Feinde bedroht sind« – eine besondere Aufgabe zu, denn nur, wenn auch dort gelesen werde, sei »die moralische Leistung und der moralische Eindruck des WinterSemesters« am größten. Königsberg schien bereits außer Gefahr, Breslau könne »nur noch durch eine ungünstige Wendung der Kämpfe in Galizien und Polen« gefährdet werden, und für beide habe der preußische Kultusminister die Entscheidung ja schon getroffen. Die Gefahr eines »belagerten Straßburg«, in dem »natürlich [!] kein Kolleg gelesen werden« könne,14 sei durch den Sieg in der Schlacht von Metz (20.–22.8.1914) voraussichtlich ebenfalls auf Dauer abgewendet. Zwar seien die Schwierigkeiten hier »besonders groß, aber wohl auch nicht unüberwindlich«. Durch diese Bemerkungen und den Vergleich mit den anderen Universitäten wurde die Leistung der Straßburger Lehrenden noch 11 Grüner, Die Universität Jena während des Weltkrieges, S. 8. 12 Maurer, Engagement, bes. S. 154, 159 f. 13 So der Straßburger Rektor zu Weihnachten 1915 an die Studenten im Feld. Das Schreiben ist abgedruckt in: Stiftungsfest der KWU 1916, S. 73. Zitat: »(…) es wird lange währen, bis ein Ersatz nachwächst«. 14 Wieso eigentlich nicht? Für Vorlesungen z. B. im besetzten Lille s. François Condette, »In deutscher Hand«. Die Universität Lille unter deutscher Besatzung, in: Maurer (Hg.), Kollegen, S. 107–126.
718 Studium und Lehre im Krieg gesteigert, der zitierte Satz über die Belanglosigkeit der Hörerzahl noch einmal in ortsspezifischer Form wiederholt und weitergeführt: »von Wert aber ist es, daß überhaupt in Straßburg gelesen werde, daß die Kaiser-Wilhelms-Universität auch im Kriegsjahre nicht schließe.«15 Der vorgeschobene Posten, »die geistige Grenzfeste«,16 mußte gehalten werden! Und genau das unterschied die mittelgroße Universität an der Reichsgrenze von der kleinen hessischen, in der die Lehrenden zunächst eine Verschiebung des Semesters, Reduzierung des Angebots und sogar des Deputats erwogen. Doch auch dort besann man sich bald auf die Sicherung der Kontinuität: »während des Krieges die Organisation der Friedensarbeit festzuhalten und die Vergangenheit in die Zukunft überzuleiten.«17 Andererseits sollte, wenn die »Hälfte« des männlichen Personals – hier war also vor allem an die Privatdozenten und Assistenten zu denken! – »plötzlich« fehle, die »Mehrleistung« der übrigen verdeutlicht werden, »so daß jedenfalls auch die Zurückgebliebenen in hohem Grade an der durch den Krieg bedingten Arbeit teilgenommen haben«.18 Damit wurde eine Komplementarität und fast schon Gleichwertigkeit der Weiterarbeit in der Universität mit dem Dienst an der Front hergestellt. In der Rektoratsrede des Berliner Mediziners Bumm 1916 gewannen die vor Ort Verbliebenen (die bislang ja immer die Kämpfer beneidet hatten) schließlich sogar die größere Bedeutung: »Bei langen Kriegen, wo der Feind ringsum steht, (…) kommt am Ende alles auf die Kraft und die Ausdauer des heimat lichen Lebens an«.19 Die »unbeirrte Aufrechterhaltung« der Lehre »ohne Rücksicht auf die Frequenz« wurde zu einer »hochpatriotische[n] Tat von großem moralischem Wert« erklärt.20 So behielt die Pflicht zum beharrlichen Studieren, Lehren und Forschen, die Planck schon im August und Oktober 1914 betont hatte, auch in den Reden der folgenden Jahre ihren Platz.21 (Nur) der regelmäßige Vorlesungsbesuch ermöglichte die Weiterexistenz der Universität, und 15 Karl Johannes Neumann, Das Wintersemester der deutschen Universitäten, in: SP 1021, 8.10.1914. Die A. der Red., daß inzwischen ja die Eröffnung der Universität zum 18.10. bekanntgegeben worden sei, läßt darauf schließen, daß der Artikel vermutlich einige Zeit vor dem Publikationsdatum verfaßt wurde – oder die Bestätigung des Senatsbeschlusses besonders lange Zeit währte. Hervorh. und wechselnde Schreibweisen für WS i. O. 16 Dieser Begriff für die Universitäten Straßburg, Königsbergs und Breslau in: Academische Kriegsstatistik, in: HN 25 (1914/15), S. 74 f., Zitat 74. 17 So der Gießener Rektor Sommer zu Weihnachten 1914: An die im Felde. 18 So nach seinem Rektoratsjahr: Sommer, Kriegstätigkeit. 19 Auch das war natürlich noch Selbstrechtfertigung, leitete aber zugleich zu Bumms eigentlichem Thema über: Bumm, Bevölkerungsproblem, S. 5. 20 Wie A. 16. 21 Außer Bumm s. z. B. auch Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Rede beim Antritt des Rektorates der Berliner Universität (1915), in: Wilamowitz-Moellendorff, Reden aus der Kriegszeit 4, S. 3–26, hier 5; Wilamowitz-Moellendorff, Von der Universität Erreichtes, S. 4 (1916).
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deshalb wurden z. B. die Gießener Dozenten im April 1915 von der Kriegskommission »nochmals« aufgefordert, ihre Veranstaltungen »unter allen Umständen« abzuhalten.22 Anlaß dazu gab offenbar der äußerst schwache Besuch mehrerer.23 Doch zu den »durch Geschlecht oder körperliche Schwäche« vom Kriegsdienst Zurückgehaltenen kamen bald jene, die als Kriegsbeschädigte von der Front zurückkehrten.24 Daß die Universitäten offenblieben, war nun auch deren »berechtigte Forderung«;25 denn neue Schließungsgerüchte tauchten, wie diese Forderung kurz vor Einführung des Hilfsdienstes, immer wieder auf. Die Dozenten der kleinsten der drei Universitäten, die zugleich aber den höchsten Anteil von Kriegsteilnehmern hatte, wurden »oft mit der Frage bestürmt«, ob ihre Hochschule schließen werde. Doch auch zu Weihnachten 1917 konnte der Gießener Theologe Schian feststellen: »Das wichtigste ist dies: Die Universität lebt nach wie vor.«26
22 Allgemein: Ficker, Bericht II (1915/16), S. 5. Zitat: Prot. der KK vom 22.4.1915: UA Gi Allg. 102, fol. 10v. 23 S. dazu u. S. 906. 24 Wilamowitz-Moellendorff, Rede beim Antritt des Rektorates (wie A. 21), S. 5. 25 Hans Roeseler, Die Zivildienstpflicht und die Studierenden, in: AB 31 (1916/17), S. 262 f. 26 Martin Schian, Die Ludoviciana im Jahre 1917, in: Weihnachtsgruß der Universität Gießen, S. 18–23, hier 18.
1. Die Veränderungen des Lehrkörpers im Krieg Größe und Struktur Als vermutlich wichtigste Voraussetzung für die Arbeit der Universitäten im Krieg sind die Veränderungen in der Zusammensetzung ihres Lehrkörpers zu betrachten. Diese zu ermitteln, erfordert einen beträchtlichen Aufwand – und kann doch keine völlig exakten Ergebnisse liefern. Zwar veröffentlichten alle drei Universitäten ihre Personalverzeichnisse – zumindest für die Lehrenden – bis einschließlich Sommersemester 1918.1 Allerdings sind die Angaben offenkundig nicht fehlerfrei – und auch nicht immer mit den Mitteilungen in den Jahresberichten des Rektors in Einklang zu bringen.2 Zudem spiegeln die Verzeichnisse nur den Stand bei Drucklegung (also nach Ablauf der Immatrikulationsfrist!), der sich im Lauf des Semesters noch ändern konnte – in Einzelfällen sogar, ohne überhaupt je in den gedruckten Verzeichnissen erfaßt zu werden.3 1 Das Berliner allerdings (das vorher über 300 Seiten stark war) enthielt ab WS 1917/18 keine Namenslisten der Studierenden mehr, sondern nur noch eine Studierenden-Statistik; und im WS 1918/19 mußte man sogar auf das Verzeichnis der Lehrenden verzichten und beschränkte sich auf eine 8seitige Zusammenstellung: Wichtigere Veränderungen welche im Lehrkörper der Universität während des Sommer-Halbjahrs 1918 (bis einschließlich 21. November) eingetreten sind, Berlin 1918. Die Gießener publizierten auch in diesem Semester noch ein vollständiges Verzeichnis, das Straßburger erschien nicht mehr, da die deutsche Universität ja kurz nach Semesterbeginn geschlossen wurde. 2 Dies gilt übrigens für alle drei Universitäten. Für den in PV KWU Strb. SS 1914 enthaltenen Privatdozenten Hermann von Voss z. B., der bis einschließlich SS 1913 als Assistent des Zoologischen Instituts, ab WS 1913/14 als Privatdozent der Math.-Nat. Fakultät geführt wurde (und sich laut Zoologischer Anzeiger 43 [1914], S. 288 1913 in Straßburg habilitiert hatte), findet sich ab WS 1914/15 keine Information mehr, auch nicht im Jahres bericht des Rektors (Stiftungsfest der KWU 1915). Andererseits wird dort (S. 10) ein PD der Kinderheilkunde, Prof. Dr. Vogt, erwähnt, der auf die venia verzichtet habe. Doch kommt dieser Name mit einer solchen Fachzuordnung im Personalverzeichnis nie vor. Dort findet sich (SS 1914, S. 20) nur ein II. Ass. der Botanik, später jedoch nicht mehr! Dem Bericht des Berliner Rektors zufolge »schieden« »aus der Philosophischen Fakultät die Privatdozenten Dr. Ernst Levy und Professor Dr. Ferdinand Karsch« aus (Kipp, Amtsjahr 1914/15, S. 7). Doch gab es einen Privatdozenten Levy (bei dem es sich um einen Amtsrichter a. D. handelte) nur in der Jur. Fak., und zwar auch weiterhin. In der Phil. Fak. dagegen gab es (bis WS 1914/15) einen Privatdozenten Ernst Lewy (lt. AV FWU Berlin WS 1914/15, S. 19 bzw. 38). Offenbar handelte es sich im Bericht des Rektors um diesen. Zur Ursache seines Ausscheidens s. u. 3 Der Berliner Chemiker (Dr. phil., Dr. ing.) Karl Liebermann ist im SS 1914 und ebenso im WS 1914/15 als Extraordinarius verzeichnet; allerdings war er wenige Wochen vor seinem Tod am 26.12.1914 noch zum Ord. Honorarprof. ernannt worden (Kipp, Amtsjahr 1914/15, S. 5).
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Unter diesen Vorbehalten sind also die folgenden Angaben zu betrachten: Obwohl sie exakt erscheinen, stellen sie doch nur Annäherungen an die genauen Daten dar. Trotz dieser Vorbehalte werden Unterschiede zwischen den drei untersuchten Universitäten aber schon allein durch den Vergleich deutlich. Betrachtet man zunächst die Gesamtzahl der Professoren und professorablen (d. h. Privat-) Dozenten, so konnte die kleinste Universität während des Krieges einen Zuwachs von fast 5 % verzeichnen: Hatten hier im Sommersemester 108 Lehrende dieser Kategorien gewirkt, so gehörten dem Lehrkörper im Sommersemester 1918 113 Dauermitglieder an.4 Die anderen beiden Universitäten dagegen schrumpften im Lauf des Krieges: die Berliner um 2 %, die Straßburger sogar um gut 11 %. Hinter dieser Gesamtbilanz steht allerdings eine wesentlich größere Fluktuation, deren Ursachen Berufungen von oder nach außen, interne Beförderungen, Todesfälle und Habilitationen waren. In Gießen schieden während der Kriegssemester 1914–1918 17 Personen aus dem Lehrkörper aus (bezogen auf die Ausgangszahl vom SS 1914: 15,7 %), 22 kamen neu hinzu (20,3 %). 10 neuberufene Ordinarien traten in dieser Zeit ihre Professur an (17,85 %.) Im gleichen Zeitraum schieden allerdings 12 Ordinarien aus: neun durch Wegberufung, drei Ruheständler durch Tod. Außerdem wurde der niederländische Extraordinarius Versluys ordentlicher Professor an der unter deutscher Besatzung niederlandisierten Universität Gent.5 Mit diesem hohen Anteil von Berufungen erwies sich Gießen auch im Krieg als typische Durchgangs-Universität. Außer den Ordinarien kamen als ›Neue‹ noch je ein etatisierter und ein nichtetatisierter Extraordinarius sowie 10 Privatdozenten hinzu. Damit war die Zahl der Habilitationen in diesem Zeitraum zweieinhalb mal so hoch wie der Verlust an Privatdozenten; denn nur vier Privatdozenten schieden in dieser Zeit aus: einer erlag seinen Verwundungen in einem Feldlazarett bei Lille, zwei wurden wegberufen, der vierte schließlich zog aus Gießen weg und verzichtete auf die venia legendi.6 Allerdings erschienen vier der
4 Die in den Gießener Verzeichnissen ebenfalls angeführten Vertreter werden hier nicht berücksichtigt, da sie in den Statistiken der anderen beiden Universitäten nicht erfaßt sind. 5 S. genauer o. S. 354 f. 6 Der Gefallene: Kurt Vogel von Falckenstein (nach Centralblatt für Mineralogie, Geologie und Paläontologie 1915, S. 96); Berufungen: der Zoologe Reinhard Demoll (TH Karlsruhe) und der Physiologe (Ernst) Siegfried Becher (Rostock). Der Oberlehrer a. D., Prof. Dr. Karl Noack, verzichtete auf die Lehrbefugnis und ging nach Freiburg (Titel laut PB LU Gi SS 1914, S. 13; Weggang nach dem Jahresbericht des Rektors in: Sommer, Krieg und Seelenleben, S. 23). Noack hatte in Gießen einst ein Seminar für Physiklehrer eingerichtet (nach Kathryn M. Olesko, German Models, American Ways. The ›New Movement‹ among American Physics Teachers, 1905–1909, in: Henry Geitz/Jürgen Heideking/Jurgen Herbst (Hg.), German Influences on Education in the United States to 1917, Cambridge u. a. 1995, S. 129–155, hier 131.
722 Studium und Lehre im Krieg 10 ›Neuen‹ schon im Wintersemester 1914/15 im Verzeichnis, hatten sich also wahrscheinlich noch vor dem Krieg, im Sommersemester, habilitiert.7 In der Mitteluniversität Straßburg, die aufgrund ihrer Schrumpfung das andere Extrem repräsentierte, schieden 42 der im Sommer 1914 anwesenden 171 Hochschullehrer aus (24,6 %), während nur 32 (18,1 %) durch Berufung oder Habilitation hinzukamen. Dabei handelte es sich um 10 neue Ordinarien, vier Extraordinarien (16 %), zwei Honorarprofessoren und 15 Privatdozenten. Die Ordinariengruppe wurde also um 14,5 % Zugänge von außerhalb ergänzt, die der Extraordinarien um 16 %, die der Privatdozenten um 22 %. Die tatsächliche Zusammensetzung der ersten beiden Gruppen veränderte sich allerdings noch stärker, da zu den Neuen (wie in Gießen) noch eine Reihe intern Beförderter kam. Die Habilitationen entsprachen genau der Zahl der ausgeschiedenen Privatdozenten: 15. Dabei waren die Gründe des Verlusts sehr unterschiedlich: Fast die Hälfte (sieben) erhielt einen Ruf nach außerhalb, vier verstarben (davon zwei gefallen), zweien wurde als feindlichen Ausländern die venia legendi entzogen.8 Der Elsässer protestantische Theologe Ménégoz verzichtete zum 1.4.1918 selbst auf seine Lehrbefugnis,9 das Ausscheiden des Zoologen Hermann von Voss im Wintersemester 1914/15 bleibt unklar.10 In den letzten drei Kriegssemestern schrumpfte die schon in den ersten verkleinerte Zahl neuer Privatdozenten noch weiter.11 Daß der Philosophischen Fakultät ab Februar 1917 »Habilitationen […] während des Krieges im allgemeinen nicht [mehr] tunlich« schienen,12 war aber vermutlich nicht die Ursache dafür; denn dort hatte sich spätestens seit Sommer 1915, vermutlich aber bereits seit Kriegsbeginn, niemand mehr habi
7 Während das Berliner PV (AV FWU Berlin WS 1914/15) laut Titelblatt am 21.11.1914 abgeschlossen wurde, das Straßburger am 27.11. (PV KWU Strb. WS 1914/15, S. 69), enthält das Gießener keine Angabe. Bei einer auf der jeweils letzten Seite des Gießener Verzeichnisses winzig eingedruckten Zahlenkette könnte es sich um Druckdatum und Auflage (in allen Semestern seit WS 1910/11: 950) handeln. Dann wäre das Gießener Verzeichnis am 24.12.1914 gedruckt (in den Vorjahren jeweils zwischen 4. und 8.12., im WS 1910/11 am 28.11.1910), also vermutlich später als die beiden anderen abgeschlossen worden. 8 Zu Mandelstam und Papalexi s. genauer u. Der Privatdozent der Medizin wurde als Gefallener registriert, war aber einer »tückischen Seuche« erlegen. 9 Stiftungsfest der KWU 1918, S. 11. 10 Trotz ausgiebiger Recherche wurde keine Nachricht gefunden. Vgl. o. S. 720 A. 2. 11 Im WS 1914/15 tauchen in PV KWU Strb. noch fünf neue (zumindest teilweise wohl schon im SS 1914 habilitierte) Privatdozenten auf, im SS 1915 1, im WS 1915/16 3, im SS 1916 2, im WS 1916/17 ebenfalls 2, im SS 1917 keiner, im Winter 1917/18 und Sommer 1918 je einer. 12 Anlaß war offenbar ein konkreter Fall, der in dem geänderten Prot. der Sitzung vom 2.2.1917 noch durchscheint. Dort hieß es zunächst: »Eine bevorstehende Habilitation des Dr. Bauermeister und überhaupt von Kriegsteilnehmern (…)«. Durch Streichung und Ergänzung wurde daraus der Satz: »Habilitationen erscheinen während des Kriegs im allgemeinen nicht tunlich.« Prot. in: ADBR 103 AL 121.
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litiert.13 Die meisten Habilitationen entfielen auf Mediziner, einzelne auf Juristen und Angehörige der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät. Somit war der Rückgang in den letzten drei Kriegssemestern eindeutig von der Medizinischen Fakultät ›verursacht‹, in der damals keine einzige Habilitation mehr stattfand. (Aber da immer mehr Ärzte eingezogen wurden und allenfalls noch einzelne – oder Frauen, die sich damals noch nicht habilitieren durften – den Dienst in den Kliniken vor Ort versahen, hatte auch faktisch niemand mehr Zeit und Gelegenheit zur Habilitation.14) Insgesamt verkleinerte sich die Gruppe der Privatdozenten im Lauf des Krieges um 7,4 %, was außer durch Abgänge und rückläufige Habilitationen auch durch fünf Beförderungen zum Extraordinarius verursacht wurde. Deren Gruppe, die in Straßburg mit 25 Mitgliedern schon im Sommer 1914 relativ klein war, sich aber bei Kriegsende nur um eine Person (4 %) vermindert hatte, fluktuierte in diesen vier Jahren besonders stark, weil zu den Beförderungen aus dem eigenen ›Nachwuchs‹ vier Berufungen (wohl auf etatisierte Extraordinariate) kamen und sieben Straßburger (28 %) ausschieden, davon drei durch Wegberufung und zwei durch Tod, jedoch keiner gefallen. In einem Fall ist der Grund des Ausscheidens unbekannt. Schließlich stach – wie in Gießen der Zoologe Versluys – hier der Jurist Mayer hervor; denn seit 1900 habilitiert und vergeblich auf einen Ruf wartend, legte der seit der Geburt evangelische Jurist jüdischer Abstammung 1916 sein nichtetatisiertes Extraordinariat nieder und ging ins besetzte Wilna, wo er bis 1918 als Militärstaatsanwalt wirkte. (Das Militärstrafrecht war seit langem einer seiner Arbeitsschwerpunkte.)15 Die größte Einbuße war bei den Ordinarien zu verzeichnen: Diese Gruppe verkleinerte sich um 18 % (von 69 auf 56), und zwar noch stärker als durch Wegberufung (sieben) durch Tod (neun) und andere persönliche Ursachen (zwei). Und dabei überwogen gerade auch in den letzten drei Semestern die sechs Todesf älle die anderen Ursachen deutlich. Ansonsten lag bei dem Physiologen
13 Der Historiker (Gustav) Adolf Rein (der ab 1933 als Staatskommissar und ab 1934 als Rektor die Gleichschaltung der Universität Hamburg besorgte) taucht im Verzeichnis des WS 1914/15 erstmals auf. Da seine Habilitation im Bericht des Rektors für das Amtsjahr 1914/15 erwähnt wird, fand sie nach dem 1.5.1914 statt (Stiftungsfest der KWU 1915, S. 10). 14 S. als Beispiel PV KWU Strb. SS 1918, S. 14–17. Die im Kriegsdienst Stehenden sind mit einem Asterisk markiert, Assistentinnen findet man in der Frauenklinik, der Kinder klinik und in der Augenklinik. 15 1919 erhielt er einen Ruf auf ein etatmäßiges Extraordinariat in Frankfurt. Den skizzierten Zusammenhang sieht sein Biograph Sascha Ziemann, Max Ernst Mayer (1875– 1923). Materialien zu einer Biographie, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 4 (2002/2003), S. 395–425, hier 397 f. (nach der Internetfassung: http://www.jura.unifrankfurt.de/ifkur1/neumann/Lehrstuhlteam/Ziemann/publikationen/ziemann_memayer _jbjurzeit4_2003.pdf (14.5.2012).
724 Studium und Lehre im Krieg Richard Ewald eine schwere Erkrankung vor,16 der Schweizer Pharmazeut Otto Oesterle kehrte in sein Heimatland zurück.17 Die beiden Berufungen führten den Schweizer Semitisten Schulthess ebenfalls in die Heimat zurück, den katholischen Theologen Ignaz Rohr nach Tübingen.18 Umgekehrt kamen aber gerade im Winter 1917/18 und im Sommer 1918 sechs der 10 neuen Ordinarien der gesamten Kriegszeit nach Straßburg. Trotz der Verkleinerung des gesamten Straßburger Lehrkörpers kann von einer Absetzbewegung, die unter den schwierigen Verhältnissen der Festungsstadt vielleicht nahegelegen hätte, also keine Rede sein; denn Berufungen und Todesfälle hielten sich (mit je 17) genau die Waage, und dabei überwogen unter den Ordinarien die Todesfälle die Berufungen, während in den anderen Statusgruppen die Verluste durch Berufung (also Aufstieg!) größer waren. – Erst wenige Tage vor Beginn der Waffenstillstandsverhandlungen (8.11.) und der Revolution wirkte die ungewisse Zukunft auf die Entscheidung eines einzelnen ein: Der Jurist Andreas von Tuhr, der 1917 einen Ruf nach Kiel noch abgelehnt hatte, nahm Anfang November 1918 einen Ruf nach Halle an.19 Dorthin ging auch – aber erst nach seiner Ausweisung – der Theologe Ficker, den ein Jahr zuvor ein Ruf noch nicht an diese Universität hatte locken können.20 Der Berliner Lehrkörper, der bei Kriegsende um 10 Personen (2 %) kleiner war als im Sommer 1914, hatte, im Unterschied zu den beiden anderen, in der Führungsgruppe der Ordinarien keine Einbuße zu verzeichnen, sondern ein kleines Plus von vier Personen (4,1 %). Rechnet man die Ordentlichen Honorarprofessoren, deren Zahl sich von 29 auf 38 (also um 31 %) erhöhte, und die drei Lesenden Mitglieder der Akademie der Wissenschaften hinzu, so wuchs diese Führungsgruppe um 16 Personen, d. h. 12,7 % (von 126 auf 142). Doch stellten die Letztgenannten nicht nur quantitativ einen Zugewinn dar: Mit Albert Ein-
16 S. den Nachruf von Martin Gildemeister, Julius Richard Ewald, in: Zeitschrift für Sinnesphysiologie 53 (1922), S. 123–128. 17 Oesterle kehrte in sein Heimatland zurück, obwohl kein Ruf vorlag. Er wurde zunächst Leiter des wissenschaftlichen Labors einer Firma. S. den Nachruf: V. K., Prof. Dr. Otto A. Oesterle (1866–1932), in: Mitteilungen der Naturforschenden Gesellschaft Bern 1932 (1933), S. 157–159. 18 Zu Schulthess: Hanisch, Die Nachfolger der Exegeten, S. 206; Rohr: BBKL 8 (1994), Sp. 585–590 (Christoph Schmitt). 19 SP 608, 4.11.1918 MiA (mit der Begründung der ungewissen Zukunft der Universität!). Obwohl Tuhr damals Rektor war, bat er wenige Tage später um sechs Wochen Urlaub, da ohnehin keine Lehrveranstaltungen stattfänden (A. v. Tuhr an Kurator Strb. 14.11.1918). Der Kurator gewährte ihm angesichts der politischen Verhältnisse jedoch nur drei Wochen, war aber bereit, »diesen Urlaub zu verlängern, wenn das den Umständen nach angängig ist« (15.11.1918; beide Dokumente: ABDR 103 AL 71). 20 Einen »ehrenvollen Ruf« nach Halle meldete SP 177, 15.3.1917 MA (in der Rubrik »Von der Universität«).
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stein und dem Orientalisten F. W. K.21 Müller bereicherten ab Sommer 1915 zwei Jahrhundertgelehrte den Lehrkörper.22 Ihnen folgte ein Jahr später der Archäologe Hans Dragendorff, der für sein Fach ebenfalls methodisch Bahnbrechendes geleistet hatte.23 Alle Verluste unter den Ordinarien und Ordentlichen Honorarprofessoren entstanden durch Tod – mit je einer Ausnahme in beiden Gruppen: Der Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Chemie, Honorar professor der Universität und Nobelpreisträger von 1915, Richard Willstätter, ging 1916 nach München. Der Verfassungsrechtler Gerhard Anschütz kehrte im selben Jahr nach Heidelberg zurück, woher er nach Berlin berufen worden war. Kein einziger der 14 neuen Ordinarien war aus dem Kollegium vor Ort in diese Position gelangt (was in den beiden anderen, kleineren Universitäten immerhin in Einzelfällen vorkam24). Wie Gießen seinen Durchgangscharakter, so bewahrte Berlin also seine Bedeutung als Endstation von Karrieren. Im Unterschied zu den Ordinariaten, die als Spitzenpositionen quasi wie eine Auszeichnung an speziell Rekrutierte vergeben wurden, wurde man in die Berliner Extraordinariate und auch in Ordentliche Honorarprofessuren (ebenso wie an den anderen beiden Universitäten) überwiegend hausintern befördert. Das galt für zehn im Krieg kreierte Honorarprofessoren (im Vergleich zu sechs neu hinzugekommenen), und formal für sieben der 14 Extraordinarien, die diesen Status erreichten. Doch auch zwei der ›Neuen‹ zählten – als Observator der Königlichen Sternwarte und ehemaliger Extraordinarius der Universität, nunmehriger Professor der TH Charlottenburg25 – quasi zum eigenen Nachwuchs. Noch mehr galt dies für einen aus Bonn nach Berlin »versetzten« jüdischen 21 Friedrich Wilhelm Karl – offenbar wurden im allgemeinen aber nur die Initialen gebraucht. 22 Zu Müller s. die Kurzbiographie und ausführliche wissenschaftliche Würdigung durch Desmond Durkin-Meisterernst, in: http://www.iranicaonline.org/articles/mueller-fried rich-w-k (Version vom 20.7.2004, eingesehen am 15.5.2012). Die Einschätzung nach dem Zitat des Sinologen Erich Haenisch: »Ein ganz Großer ist mit F. W. K. Müller dahingegangen, wie ihn ein Jahrhundert der Forschung nur einmal schenkt, ein Universalist, ›ein anderer Humboldt‹, wie man ihn wohl einmal nannte.« (nach: http://de.wikipedia.org/ wiki/Erich_Haenisch (15.5.2012). 23 NDB 4 (1959), S. 99 f. (Heinz Kähler). 24 In Gießen mit seinen im SS 1914 und im SS 1918 je 56 Ordinarien (inkl. Emeriti) wurden zwei Extraordinarien (der etatisierte Jurist Rosenberg und der nicht etatmäßige Mediziner Jaschke) zu Ordinarien befördert, in Straßburg mit seinen 69 bzw. 56 Ordinarien nur der Jurist Erich Meyer. 25 Robert Pschorr hatte, im Herbst 1913 berufen, die Professur an der TH Charlottenburg zum 1.4.1914 angetreten, war aber seit Kriegsbeginn im militärischen Dienst, zuletzt als Leiter der Flugabwehrschule. Biogr. Angaben in den Nachrufen von P. Duden bzw. K. A. Hoffmann, in: Angewandte Chemie 43 (1930), S. 245–246 bzw. Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft 63 (1930), Serie A, Nr. 4, S. 108–110. Bei Asen, Gesamtverzeichnis, S. 152, wird er als 1913 ausgeschieden registriert, ohne die Neuaufnahme zu erwähnen. Zu dem Observator s. A. 27.
726 Studium und Lehre im Krieg Extraordinarius der Mathematik.26 Der Fall belegt allerdings – wie in ganz anderer Weise auch der unhabilitierte Observator, der gleichwohl ein wissenschaftlicher Pionier war –,27 wie schwer hier die Grenze zwischen Hausbeförderung und Berufung hochqualifizierter Externer gelegentlich zu ziehen ist.28 Da jedoch für den Wandel des Kollegiums in erster Linie die neu hinzu gekommenen und die ausgeschiedenen Kollegen von Belang sind, soll es auch im Berliner Fall in erster Linie um sie gehen. Aus der Gruppe der Extraordinarien, die hier 1914 fast gleich stark war wie die der etatmäßigen Ordinarien (93 im Vergleich zu 97), schieden ebenfalls die meisten durch Tod aus: 14 von 19, darunter nur ein Gefallener. Vier wurden nach auswärts berufen. Ein Franzose wurde als ›feindlicher Ausländer‹ entlassen.29 Die sieben neu hinzugekommenen bildeten ein buntes Häuflein, aus dem der Physiker und künftige Nobelpreisträger Max Born (bislang Privatdozent in Göttingen) und der Ordinarius der Breslauer TH Alfred Stock hervorstechen, ein Schüler Emil Fischers, der eigentlich als Abteilungsleiter ans Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie nach Berlin kam und fünf Jahre später auch dessen Direktor wurde.30 Offenkundig erhielt er an der Universität als Abteilungsleiter nicht denselben Status wie der Direktor des KWI, Richard Willstätter, der Ordentlicher Honorarprofessor war. Bei den übrigen fünf Neuzugängen handelte es sich vermutlich nur in zwei Fällen um von der Fakultät wirklich gewünschte und gezielt herbeigeholte Personen – neben dem erwähnten jüdischen Mathematiker ein Vertreter der an der Universität neu eingerichteten ungarischen Philologie.31 Dagegen wurde ein Orthopäde vom Ministerium nach Absage zweier Plazierter – trotz seiner wegweisenden wissenschaftlich-therapeutischen Erfolge – schließlich gegen den Willen der Fakultät berufen.32 26 S. dazu u. S. 741. 27 Der Observator der Sternwarte war Paul Guthnick. S. zu ihm H. Schmidt, Prof. Dr. Paul Guthnick – ein Pionier der lichtelektrischen Sternphotometrie in: http://www.bav-astro. de/rb/rb2007–2/104.pdf (16.5.2012). 28 Das gilt möglicherweise ebenso für manchen neuen Honorarprofessor, der in anderer Funktion in Berlin wirkte. Als Beispiel s. den (seit 1904 beamteten, vorher freien) Mitarbeiter der Preußischen Akademie der Wissenschaften Friedrich Freiherr Hiller von Gaertringen (OHP ab SS 1918), damals der »namhafteste Vertreter der griechischen Epigraphik in Deutschland« (laut NDB 9 (1972), S. 155 f. [Ulrich Schindel]). 29 S. dazu unten den besonderen Abschnitt über die ausländischen Dozenten. 30 http://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Stock (10.5.2012) und ergänzend Szöllösi-Janze, Haber, S. 444 f. 31 Robert Gragger, zunächst Oberrealschullehrer in Budapest, seit 1912 dort Professor an der Hochschule für die Ausbildung der Bürgerschullehrer, wurde 1916 auf die neu geschaffene Professur für Ungarische Philologie berufen und Direktor des Ungarischen Instituts. Nach http://www.ostdeutsche-biographie.de/gragro76.htm (15.5.2012). 32 Hermann Gocht (1869–1938) wurde von einzelnen ihrer Mitglieder geradezu diskreditiert (wobei zumindest einer der Wortführer sich damit aber einen Konkurrenten vom Hals halten wollte). Gocht konnte in Berlin auch nie die Errichtung einer Orthopä
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Auf die Gruppenstärken vom Sommersemester 1914 bezogen, machte der Anteil der Neuberufungen bei den Ordinarien 14,5 % aus, bei den Extraordinarien nur 7,5 %. Bei den Privatdozenten blieb der Zuwachs – 40 Personen, das entspricht 14,5 % – etwas hinter der Zahl der Ausgeschiedenen (43) zurück. Habilitationen erfolgten an allen Berliner Fakultäten. Die Medizinische, die von der Abwesenheit von Ordinarien am stärksten betroffen war (da solche oft als Konsultanten ins Kriegsgebiet gingen), hatte schon früh beschlossen, »Habilitationen in den Fächern, deren Vertreter in Berlin anwesend sind, auch während des Krieges zuzulassen«. Doch war sie grundsätzlich bereit, sich einem allgemeinen (d. h. reichsweiten) Moratorium der Medizinischen Fakultäten anzuschließen.33 Dazu kam es aber offenbar nie, und in anderen Fächern (oder auf den Hochschulkonferenzen der deutschen Bundesstaaten) wurde dies anscheinend gar nicht erwogen. Aber auch in Berlin war die Zahl der Neu habilitierten im Verzeichnis des ersten Kriegssemesters (mit 12) am höchsten – und zum größten Teil vermutlich noch der Zeit vor Kriegsbeginn zu verdanken. Einzelne der Frischgekürten kamen kaum dazu zu lehren: schon nach zwei Semestern fanden sich ihre Namen in der Gefallenenliste.34 Insgesamt wurden die Verluste in 19 Fällen durch Tod verursacht (davon sechs Gefallene), in 21 durch Berufung nach auswärts. Doch erscheint angesichts dieser Ursachen-Analyse die zufriedene Feststellung des Rektors Penck im Rückblick auf das Amtsjahr 1917/18 etwas befremdlich: »ein stetiger Zuwachs an Privatdozenten gleicht mehr als aus, was durch Berufungen an andere Hochschulen gezogen« – die Verstorbenen und Gefallenen blendete eben jener Rektor, der an der Jahreswende 1917/18 noch so wortreich zum Einsatz »in diesem großen Kampf ums Dasein« aufgefordert hatte, einfach aus.35 Und dabei war die Zahl der tatsächlichen Opfer des Kriegseinsatzes mit Sicherheit höher als die der Gefallenen. Im übrigen vermitteln mehrere Beispiele den Eindruck, daß die Klassifizierung als Gefallener nicht ganz konsistent war. Schon während des ersten dischen Klinik durchsetzen, und das an einigen anderen Universitäten bereits durch (persönliche) Ordinariate etablierte Fach erreichte diesen Status hier erst 1927. Alles nach Karl Max Einhäupl/Detlev Ganten/Jakob Hein (Hg.), 300 Jahre Charité – im Spiegel ihrer Institute, Berlin u. a. 2010, S. 225 f. Übrigens war das Ministerium, obwohl es selbst ihn ausgesucht hatte, Gochts finanziellen Wünschen gegenüber taub (als er, anderthalb Jahre nach seiner Ernennung, zu seinen 5000 M. Jahresgehalt eine Aufbesserung um 50 % wünschte, da ihm keine Zeit für Privatpraxis blieb): Gocht an Pr. KuMi 23.5.17: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. IV, Nr. 46 Bd. XXI, fol. 206). 33 Sitzung der Med. Fak. vom 21.11.1916: UA HU Med. Fak. 40, fol. 2. 34 So für Robert Jentzsch, der im SS 1917 zum ersten Mal genannt wurde und im SS 1918 bereits wieder fehlte. Auch der im WS 1917/18 erstmals genannte Franz Sobernheim war später in der Gefallenenliste enthalten (s. die Gefallenenliste in: Feier bei der Enthüllung des Denkmals, S. 35). 35 Zitat über den Zuwachs: Penck, Amtsjahr 1917/1918, S. 7; Zitat aus dem Aufruf: Penck, An die Berliner Studenten an den Fronten (S. 696 A. 185), S. 14.
728 Studium und Lehre im Krieg Kriegssemesters verstarb ein Privatdozent an einer »tückischen Krankheit«, die er sich »in kriegsdienstlicher Tätigkeit, bei Untersuchungen in einem Gefan genenlager« zugezogen hatte. Er wurde später sogar im Verzeichnis der Gefallenen geführt.36 Im Amtsjahr 1916/17 zogen sich zwei Berliner Privatdozenten »im Dienste des Vaterlandes an der Front bei der Ausübung ihres ärztlichen Berufes […] tödliche Infektionen zu«, doch nur einer erschien in der Gefallenenliste.37 Auch ein landsturmpflichtiger Neurologe verstarb 1918 »infolge von Erkrankung im Felde«, wurde jedoch nicht ins Gefallenenverzeichnis aufgenommen.38 Zu Tod und Berufung kamen ein ungeklärter Fall sowie der Verzicht zweier Privatdozenten auf die Lehrbefugnis. Von diesen zog sich der jüdische Finnougrist Ernst Lewy, der sich vergeblich um ein etatisiertes Extra ordinariat bemüht und nur eine einmalige Remuneration erhalten hatte, in 36 Zitat: Kipp, Amtsjahr 1914/15, S. 4; Gefallenenliste in: Feier bei der Enthüllung des Denkmals, S. 35. Zu dem Internisten und Bakteriologen Jochmann s. NDB 10 (1974), S. 448 (Manfred Stürzbecher). 37 Zitat betr. Friedrich Fromme und Artur Pappenheim: Bumm, Amtsjahr 1916/17, S. 4. Fromme erscheint in der 1724 Namen umfassenden Ehrenliste der gefallenen, vermißten, an Verwundung und Krankheit verstorbenen Sanitätsoffiziere des Deutschen Heeres (in: Sanitätsbericht I, S. 3–28, hier 8). Als Todesursache ist »Grippe« angegeben. Beide Privatdozenten standen seit 1914 im Dienst, Fromme als Stabsarzt der Reserve, Pappenheim als Assistenzarzt der Landwehr (also ebenfalls im militärischen Kriegsdienst) (Die FWU im Kriege 1914/15, S. 26, 28. Im folgenden Bericht ist nur noch Fromme erwähnt: Die FWU im Kriege 1915/16, S. 13. Im Bericht für 1916/17 fehlen beide! Der Deutsche Universitätskalender erfaßt beide von SS 1915 bis einschließlich WS 1916/17, also bis zu ihrem Tod, P.s am 31.12.1916, F.s am 23.1.1917). Pappenheim war in einem Seuchenlazarett in Russisch-Polen eingesetzt und verstarb bei einem Heimaturlaub. Er selbst hielt seine Erkrankung noch für Influenza, da erst im weiteren Verlauf der Erreger der von ihm Behandelten identifiziert wurde. Tatsächlich war Pappenheim ein Opfer des Fleckfieber (Typhus). S. dazu (die in einigen universitätsspezifischen Angaben ungenaue) medizinische Dissertation: Ricarda Dinser, Der Beitrag Artur Pappenheims zur Hämatologie um die Jahrhundertwende, Diss. med. Bochum 2001, S. 17–19 (unter: http://www-brs.ub.ruhr-unibochum.de/netahtml/HSS/Diss/DinserRicarda/diss.pdf [17.5.2012]). Die dort berichtete Vermutung aus dem Interview eines Medizinhistorikers mit einem leitenden Mitarbeiter einer Schweizer Pharma-Firma, der zur Zeit von P.s Tod allerdings noch ein Schüler war, daß Pappenheim wegen der Nichtunterzeichnung des Aufrufs An die Kulturwelt! gew issermaßen in das Seuchenlazarett strafversetzt worden sei, ist nicht plausibel. Denn zum einen ist es unwahrscheinlich, daß Pappenheim überhaupt dazu aufgefordert wurde. Er hatte zwar wissenschaftlich und als Organisator (zweier schließlich doch nicht zustande gekommener) internationaler Hämatologenkongresse ein gewisses Renommee, doch keinen den Unterzeichnern vergleichbaren Status. Im übrigen hat er eindeutig die Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reichs (S. 4) unterzeichnet, deren Grundgedanke dem des Aufrufs ja durchaus vergleichbar war. 38 Zitat zu Max Lewandowsky: Penck, Amtsjahr 1917/18, S. 7. Sanitätsbericht I, S. 16 führt ihn als »landsturmpflichtigen Arzt«. Die Todesursache ist nicht angegeben. Zur Stat istik und den verschiedenen Kategorien von Todesfällen (und Gefangennahme) unter den kriegsteilnehmenden Ärzten s. Sanitätsbericht I, S. 30 f.
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sein Haus in Franken zurück, da er das Leben in Berlin ohne Stelle nicht finanzieren konnte.39 Ingesamt hatten sich im Berliner Lehrkörper, der sich bis zum Sommer 1918 nur geringfügig verkleinert hatte, die Proportionen im Lauf des Krieges zugunsten der Führungsgruppe verschoben: Dadurch, daß sich die Gruppen der Ordinarien und Ordentlichen Honorarprofessoren vergrößert, die der Extra ordinarien und Privatdozenten dagegen vermindert hatten,40 wuchs der Anteil ersterer etwas (von 25,5 % auf 28,7 %), während der der Nichtordinarien zurückging. Dies mag auch mit der Altersstruktur, dementsprechender Kriegsdienstpflicht und Todesrisiko der einzelnen Gruppen zusammenhängen. Daher läßt sich in dem Ergebnis, auch aufgrund der vielfältigen Veränderungen, insbesondere der zahlreichen Todesfälle, die hinter dieser Bilanz stehen, kein Versuch zur gezielten Veränderung der Struktur erkennen. Doch von der nominellen Größe des Lehrkörpers wichen das vor Ort anwesende und vom anwesenden sogar noch das einsatzfähige Kollegium deutlich ab.
39 Er erscheint nicht mehr im PV des SS 1915. S. zu den Vorgängen seine (auf eine per sönliche Vorsprache hindeutende) Visitenkarte mit darauf notierter Anweisung zur Remuneration: GSt APK I. HA Rep 76 Va Sekt. 2 Tit. IV Nr. 32 Bd. XVI, fol. 224. Zu seinem Ausscheiden s. seinen Brief an das Ministerium vom 30.1.1915 und dessen Antwort vom 12.2.1914 (mit weiteren Vermerken des zuständigen Bearbeiters über die gegensätzlichen Beurteilungen von Lewys Arbeiten): GSt APK I. HA Rep. 76 V a Sekt. 2 Tit. IV, Nr. 51 Bd. XVI, fol. 342, 343. Über den Entomologen Ferdinand Karsch (1853–1936), der Dozent an der Landwirtschaftlichen Hochschule und Privatdozent an der Universität war, liegen außer der summarischen Erwähnung seines Ausscheidens (in: Kipp, Amtsjahr 1914/15, S. 7) keine offiziellen Nachrichten vor (Asen, Gesamtverzeichnis, S. 93 führt ihn als Honorardozent und – beim Ausscheiden 1915 – Museumsbeamten an). Karsch, der als erster über die Homosexualität bei Tieren (und außerdem über die Homosexualität bei fremden Völkern) schrieb, tat Hergemöller zufolge »alles, um seiner akademischen Karriere zu entfliehen«. Bernd-Ulrich Hergemöller (Hg.), Mann für Mann. Biographisches Lexikon zur Geschichte von Freundesliebe und mannmännlicher Sexualität im deutschen Sprachraum. Teilband 1, Berlin 2010, S. 630 f., wo die Aufgabe der Lehrtätigkeit (und damit der Verzicht auf den Professorentitel [beides wohl an der Landw. Hochschule]) schon auf die neunziger Jahre, vor der Hinwendung zu den Forschungen über die Homosexualität datiert wird. Den Titel »Privatdozent« habe er damals behalten. 40 Ordinarien: + 4,1 %; Ordentliche Honorarprofessoren: + 31 %. Extraordinarien: -9,7 %; Privatdozenten: -6,2 %.
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Der kriegsbedingte Dozentenmangel Als das erste Kriegssemester begann, standen 66 (der im Sommersemester 513) Dozenten der hauptstädtischen Universität im Feld,41 also 12,9 %. Doch mit der Dauer des Krieges stieg der Bedarf der Militärbehörden an neuen Soldaten, Offizieren und Militärärzten. Diesen Interessen der Heeresverwaltung standen aber jene der Kultusverwaltung entgegen: den Lehrbetrieb der Universitäten aufrechtzuerhalten.42 Bei der Abwägung räumte sogar das preußische Kultusministerium der militärischen Seite Priorität ein, definierte aber zugleich, in welchem Umfang die eingeschränkte Lehre aufrechtzuerhalten sei: »in dem Maße (….), daß die Studierenden Gelegenheit haben, an den für ihre Ausbildung und für die Ablegung der Prüfungen wichtigsten Vorlesungen und Übungen teilzunehmen.« Schließlich wurde ja Ersatz für die vielen Nachwuchsakademiker benötigt, die im Kampf- oder Sanitätseinsatz zu Tode gekommen waren. (Teil-) Fächer, »die für das Studium und die sich daran anschließenden Prüfungen unentbehrlich sind«, mußten gelehrt werden; doch genügte pro Fach ein Lehrender (der, falls in kleinen Fächern der einzige Dozent im Kriegseinsatz war, auch von einer anderen Universität dorthin abgeordnet werden konnte). Nicht studiengangs- bzw. prüfungsrelevante Veranstaltungen mochten »an der einen oder anderen Universität während der Kriegsdauer ganz ausfallen«. Da nach einheitlichen Gesichtspunkten verfahren werden sollte und den Fakultäten selbst der Überblick über die Vertretungsmöglichkeiten fehle, hatten sie sich mit jedem Reklamierungsanliegen an den Kultusminister zu wenden, keinesfalls direkt an die Militärbehörden! Er entschied dann über Unabkömmlichkeit oder Abkömmlichkeit der einzelnen Dozenten.43 Außer auf die im Kampf- (oder Sanitäts-) Einsatz stehenden Kollegen mußten die Universitäten aber auch auf manchen verzichten, der seine bisherige Lehre als Privatdozent oder Extraordinarius mit einer anderen Tätigkeit selbst finanziert hatte. Der Berliner Jurist Otto Köbner z. B. war Geheimer Admira litätsrat und Vortragender Rat im Reichsmarineamt. Im April 1915 wurde er von seiner Verpflichtung zur Abhaltung von Lehrveranstaltungen entbunden, um sich ganz den dienstlichen Aufgaben im Reichsmarineamt zu widmen.44 Außerdem fehlten jene Lehrenden, die sich bei Kriegsbeginn auf Tagungs- oder 41 Beleg für die Kombattanten: Naumann/Bäumer, Kriegs- und Heimatchronik I, S. 74. Beleg für SS 1914 o. S. 112 A. 136. Da Naumann/Bäumer nicht nur die Hochschullehrer berücksichtigen, wurde hier auch die Gesamtzahl – anders als im Abschnitt über den Militärdienst – aller Lehrenden als Vergleichsgröße gewählt. 42 So schon Wettmann, Heimatfront Universität, S. 118, 144. 43 Pr. KuMi an die Universitätskuratoren 25.6.1915: UA Göttingen Sek. 38 (1). 44 Entwurf der Verfügung 27.4.1915: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. IV, Nr. 55 Bd. V, fol. 250 (sowie Antrag fol. 249 und analoge Verfügung für WS 1915/16, fol. 262).
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Forschungsreise im nunmehr feindlich gewordenen Ausland befunden hatten, in Berlin also der Geograph Penck und der Anthropologe Luschan, in Gießen der Theologe bzw. Orientalist Kahle und der Geologe Kaiser, allesamt Ordinarien und für prüfungsrelevante Lehrveranstaltungen zuständig. Während die ersten drei 1915 wieder zur Verfügung standen, mußten die Gießener mit ihrem ohnehin kleinen Lehrkörper auf Kaiser bis Kriegsende verzichten. Außerdem fehlten die Berliner Extraordinarien Jaeger (Geographie) und Schmidt (Koptologie).45 Neben diesen kriegsbedingten bestanden auch die herkömmlichen Ursachen für den Ausfall von Lehrenden weiter fort. Beides zusammengenommen, konnte an einzelnen, auch nicht-medizinischen Fakultäten zu einem ganz gravierenden Mangel führen. So standen von den Professoren der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät in Straßburg (die im Sommersemester 1917 laut Personalverzeichnis neun Ordinarien, einen Extraordinarius und einen Emeritus zählte und außerdem zwei Vakanzen aufwies) acht (!) nicht zur Verfügung – und von den drei tatsächlich Einsetzbaren waren der Ordinarius Knapp und der Extraordinarius Wittich Nationalökonomen! Zwei der acht ›Ausgefallenen‹ waren durch ihren Militäreinsatz verhindert: Kohlrausch, der »seit Beginn des Krieges im Heeresdienst« stand, und van Calker, der »der Universität einerseits durch sein Reichstagsmandat, andererseits durch Militärdienst seit Jahren entrückt« war. Die anderen konnten aufgrund von Alter oder Krankheit nicht lehren bzw. waren inzwischen verstorben.46 Da die Verluste unter den Lehrenden im letzten Kriegsjahr noch »schwerer und zahlreicher« waren als zuvor, stellte der Chronist 1918 fest: »Einzelne Fakultäten sind (…) geradezu zusammengeschmolzen. Noch niemals ist der Lehrkörper so klein gewesen.«47 Der Mangel unter den eigentlichen Hochschullehrern setzte sich in der Gruppe der Assistenten und Hilfskräfte fort. Schon Mitte Oktober, also unmittelbar vor dem üblichen Beginn der Lehrveranstaltungen (der in Straßburg 1914 auf den 19.10. gefallen wäre) mußte ein Chemieprofessor bereits zum zweiten Mal einen Vertreter für die Assistententätigkeit suchen: Bisher hatte er als Vertretung für seinen Vorlesungsassistenten den Hilfsassistenten (einen Examenskandidaten) vorgesehen, doch war nun auch dieser gemustert und für einsatzfähig befunden worden. Aber die militärische Priorität erkannte auch dieser Professor an:
45 S. die Belege o. in Kap. III .1 und Kap. III .3. 46 Kurator Strb. an Kurator Jena 6.8.1917: ADBR 103 AL 254. Van Calker, der bereits seit Kriegsbeginn im Militärdienst stand (PV KWU Strb. 1914/15, S. 3 f.), kommandierte als Major ein Infanterieregiment und wurde mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse sowie verschiedenen österreichischen und bulgarischen Orden ausgezeichnet. http://www. catalogus-professorum-halensis.de/calkerfritzvan.html (8.10.2010) 47 Ficker, Bericht III (1917/18), Zitate S. 3, 4.
732 Studium und Lehre im Krieg »Da es mir nicht angängig scheint, wegen einer Vorlesung einen Mann der Waffe zu entziehen, so stelle ich den ergebensten Antrag, die Reklamation für Herrn Kleu[c]ker dahin einzuschränken, dass er nur für die Zeit bis zu seiner Einberufung zum Waffendienst vom Arbeitsdienst befreit wird, den er jetzt als Landstürmer auszuüben hat. Sollte Herr K. dann während des Semesters zur Waffe einberufen werden, so wird sich bis dahin vielleicht eine andere Möglichkeit ergeben, ihn zu ersetzen.«48
Bei den Versuchen, einen im Militärdienst stehenden Kollegen zu reklamieren, also an die Universität zurückzuholen, stand, wie beim skizzierten Aus gangspunkt des Problems, wiederum Interesse gegen Interesse. Der Gießener Strafrechtler Mittermaier konnte seinen Dienst für das Heer bei einem Ersatzbataillon ab September 1914 zunächst mit der Lehre an der Universität verbinden; doch im Januar 1916 wurde er »als Gerichtsoffizier nach Gent zum Heere einberufen«. Als die Universität ihn für das Sommersemester zurückrufen wollte, weil sonst die Übungen zum Strafprozeß nicht abgehalten werden könnten und deshalb die Juristische Fakultät geschlossen werden müßte, erklärte das Militär ihn aufgrund seiner Flämisch- und Französischkenntnisse seinerseits für unabkömmlich. Kurzfristig sei kein Ersatz für ihn zu finden. Erst Ende Oktober 1916 wurde Mittermaier aus dem Heeresdienst entlassen.49 In einem anderen Fall, dem des Veterinärmediziners Hermann Friedrich G meiner, verlief die Bewegung in umgekehrter Richtung: Nachdem er zunächst in einem preußischen Armeekorpsbereich tätig gewesen war, ließ er sich in den regionalen versetzen, um gleichzeitig an der Universität sein Fach versehen zu können. So wurde er Consultierender Veterinär für innere Krankheiten und Seuchen für die gesamten Pferdedepots und Regimenter der Garnison in Darmstadt. Dabei gestattete ihm das Generalkommando, anderthalb Tage pro Woche in Gießen zu sein, »sodaß ich an diesen Tagen Klinik und Unterricht abzuhalten in der Lage bin. Ausserdem werde ich auch ab und zu an anderen Tagen mich hier meiner Klinik noch widmen können«.50 (Das änderte sich aber schon ein halbes Jahr später wieder, denn ab November 1915 diente Gmeiner in Warschau.51) Generell setzte sich die Universität Gießen schon seit dem zweiten Mobil machungstag bis weit ins dritte Kriegsjahr hinein für die Unabkömmlichkeit verschiedener Dozenten ein. Und da sie dabei zunächst so erfolgreich war, vermutete einer ihrer Professoren (irrtümlicherweise) sogar, daß alle Ordinarien 48 Chem. Institut der KWU Strb. an Kurator 15.10.1914: ADBR 103 AL 191. 49 Mittermaier an Rektor Gi 5.9.1914; Gh. MdI an Rektor Gi 28.1.1916 (Zitat). Beide: UA Gi Allg. 103, fol. 256 bzw. 36; Gh. MdI an VA Gi 3.11.1916: UA Gi Allg. 107, fol. 252. 50 Rektor an Gh. MdI 15.4.1915; Stabsveterinär Universitätsprof. Dr. Fritz Gmeiner an KK 15.5.1915 (Zitat). Beide: UA Gi Allg. 103, fol. 83, 81. 51 Anderhub, Antoniterkreuz, S. 80 f. A. 8.
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für unabkömmlich erklärt seien.52 Am gravierendsten aber war wohl der Mangel in der Medizinischen Fakultät. Der Gießener Dermatologe z. B. mußte ganz ohne Assistenten auskommen, arbeitete selbst als Wundarzt und Chirurg und ließ sich von seiner Frau und Frauen seiner Freunde unterstützen. Schließlich war der Ärztemangel so groß, daß man 1916 sogar über eine Schließung des Universitätsklinikums nachdachte.53 Doch dazu kam es hier ebensowenig wie anderswo; denn das hätte sich ja auch gravierend auf die Ausbildung weiterer Ärzte ausgewirkt. Daß – vermutlich überall – die meisten Ärzte im Kriegsdienst standen, läßt sich im Straßburger Personalverzeichnis schon im Wintersemester 1915/16 für alle Kliniken nachweisen.54 Daß die Lehre trotzdem weiter fortgesetzt wurde, ist nur dadurch zu erklären, daß die Medizinprofessoren und auch viele Privatdozenten ihren Dienst in den Lazaretten vor Ort leisteten55 und einige Assistentinnen aushalfen. Auch außerhalb der Medizin, wo schließlich, statt der im Felde befindlichen Assistenten, manche Direktoren selbst in der Klinik wohnten, um eine geordnete Krankenversorgung aufrechtzuerhalten,56 litten ganze Fächer oder Teilfächer unter dem Kriegseinsatz ihrer Lehrenden. In der Gießener Geschichtswissen schaft, die gerade 1912/13 mit der Berufung Laqueurs erst ihr drittes Ordinariat erhalten hatte, fehlte außer diesem und dem Extraordinarius Vogt auch noch der Inhaber des Mittelalter-Lehrstuhls Holtzmann, so daß nur der Neuzeithisto riker Gustav Roloff vor Ort blieb. In der Klassischen Philologie fehlten Rudolf Herzog, der gerade 1914 erst aus Basel nach Gießen gekommen war, gleich zu Kriegsbeginn einrücken mußte und im Stellungskrieg in den Argonnen verwundet wurde (so daß er danach bis Juni 1918 in der Festung Ulm Dienst leistete57), außerdem die Privatdozenten Hugo Hepding und Wilhelm Gundel. Daher war im Wintersemester 1914/15 nur der Ordinarius Karl Kalbfleisch anwesend, der mit seinen 46 Jahren zu Kriegsbeginn das wehrpflichtige Alter gerade überschrit52 Anderhub, Antoniterkreuz, S. 16 (mit Nachweisen aus einem Privatbrief des zuständigen Ministerialreferenten an den Rektor vom 3.8.1914 und aus dem NL Messer: S. 76 f. A. 6 ). 53 Prüll, Gießens Universitätsmediziner, S. 312. 54 Überall waren der Direktor (Professor) und die Mehrzahl der Assistenten als Kriegsdienstleistende markiert; in der Psychiatrischen und Nervenklinik sogar alle! Immerhin war einer von ihnen, der eigentlich Oberarzt in einem Westfälischen Regiment war, zur Klinik »kommandiert«. PV KWU Strb. WS 1915/16, S. 14–17, Zitat 17. Vgl. auch die An gaben zum SS 1918 o. S. 720 mit A. 21. 55 Siehe o. S. 393–395 sowie für Theologen S. 347. 56 Gisevius, Der Boden als Betriebsmittel, S. 16. 57 G/M/P I, S. 400–406 (Egert Pöhlmann), hier 403. Im Dezember war er wegen einer Erkrankung im Feld vorübergehend in Gießen anwesend: Herzog an VA 20.12.1914; Enddatum: Rektor an Gh. MdI 20.4.1918; beide: UA Gi Allg. 107, fol. 148, 278. Die Bemerkung im Nachruf, daß »der national gesinnte Mann voll Stolz als Offizier an der Front« gestanden habe, erweist sich also als übertreibende Vereinfachung: Helmut Berve, Rudolf Herzog, in: Jahrbuch der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1953, S. 165–168, hier 167.
734 Studium und Lehre im Krieg ten hatte.58 So kann es nicht verwundern, daß die Universität die Entscheidung, sich freiwillig zu melden, ab Januar 1915 nicht mehr ihren einzelnen Mitgliedern überlassen wollte. Wer dies vorhatte, sollte zunächst die Genehmigung der Universität oder des Ministers einholen.59 In Berlin war die ältere Abteilung der Germanistik betroffen, da längere Zeit sowohl der Ordinarius Gustav Roethe als auch der Extraordinarius Hermann Schneider und der Privatdozent Arthur Hübner Militärdienst leisteten. (Erst nach ihrer Rückkehr bat der dann 66einhalb Jahre alte Extraordinarius Max Roediger um seine Entpflichtung.)60 Hübner war mit 30 Jahren Ende 1915 einberufen worden, wurde – entgegen den Erwartungen – auch nach einer Verwundung wieder an die Front geschickt, zum zweiten Mal verwundet, außerdem einmal verschüttet. Ein Jahr nach der Rückkehr und Wiederaufnahme seiner Lehrveranstaltungen wurde er zum Extraordinarius ernannt – doch blieb er bis Kriegsende im Militärdienst.61 Schneider erscheint in den Berichten der Universität über ihre Kriegstätigkeit überhaupt nicht, obwohl er im Personalverzeichnis für Winter 1915/16, im Deutschen Universitätskalender dagegen für Sommer 1916 als im Kriegsdienst stehend geführt wird. Die ständige Veränderung des Lehrkörpers und ihres Hilfspersonals, die mit diesen Beispielen angedeutet ist, machte die Fortsetzung der Lehre in v ielen Fällen zu einer Herausforderung und erforderte eine große Flexibilität. Neben der grundsätzlichen Unabkömmlichkeit für diverse Professoren gab es auch zeitweise Reklamierungen für Tätigkeiten an der Universität, insbesondere Examina, was dann auch bei der Prüfungsplanung berücksichtigt werden mußte.62
58 Anderhub, Antoniterkreuz, S. 17. Zu Kalbfleisch s. NDB 11 (1977), S. 47 f. (Hans Georg Gundel). 59 Beschluß der KK vom 18.1.1915: UA Gi Allg. 102, fol. 4v. Für Leipzig vgl. Gätke-Heckmann, Universität Leipzig im Ersten Weltkrieg, S. 149: Die Genehmigung mußte seit 1888 beim KuMi eingeholt werden, wurde aber regelmäßig erteilt. 60 Roediger schreibt, die ersten beiden seien »nun« zurückgekehrt. Doch führt das Personalverzeichnis Roethe nur bis einschließlich SS 1916 – und Schneider sogar nur im WS 1915/16 als im Heeresdienst stehend. Das »nun« ist also allenfalls als Beschreibung des Zustands der Wiederanwesenheit, nicht als Zeitpunkt der Rückkehr zu verstehen. S. Max Roediger an Pr. KuMi 27.3.1917; Pr. KuMi an Max Roediger 11.4.1917: GStAPK I. HA Rep. 76 Va KuMi Sekt. 2 Tit. IV Nr. 68 B Bd. I, fol. 13 und 14v. S. zu Roediger auch u. Kap. IV.3. Zu Roethes Dienst s. o. S. 357. 61 Zur Verwundung und Erwartung der Verwendung im Garnisonsdienst: Die FWU im Kriege 1915/16 (s. o. S. 326 A. 8), S. 16; zur erneuten Verwendung an der Westfront: dto. 1916/17, S. 19. Nachweis des Militärdienstes nach AV FWU Berlin. Weitere Angaben: NDB 9 (1972), S. 719–720 (Hans Neumann). 62 S. als Beispiel einen Privatdozenten der Phil. Fak. Gi, der Mitte Februar 1917 meldete, daß er zwischen 15.3. und 1.4. versetzt würde und in den ersten beiden Wochen an seinem neuen Platz kaum beurlaubt werden könne. [Hermann] Meyer an Universitätssekretariat 17.2.1917: UA Gi Allg. 103, fol. 23.
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Weiter erschwert wurde die Lehre durch Vakanzen und die Schwierigkeiten der Rekrutierung neuer Lehrender während des Krieges.
Berufungsverfahren: Praktische Probleme und außerwissenschaftliche Anforderungen Das eindrücklichste Beispiel dafür, wie der Krieg ganz direkt in die Neu besetzung von Professuren eingriff, liefert der Straßburger Lehrstuhl für Kunstgeschichte. Georg Dehio wurde mit dem Ende des Sommersemesters 1914 auf eigenen Antrag emeritiert.63 Zu diesem Zeitpunkt war sein »Wunschnach folger« bereits berufen: der nur 34jährige Ernst Heidrich aus Posen, in Berlin promoviert und habilitiert, seit 1910 Professor in Basel. Und im Gegensatz zu früheren Rufen nach Prag und Marburg hatte er den Straßburger auch an genommen. Für das Wintersemester hatte er eine Vorlesung über Spätgotik und Renaissance angekündigt. Doch nach Kriegsausbruch meldete er sich freiwillig – und fiel Anfang November 1914.64 Erst 191865 wurde Wilhelm Pinder be rufen, der allerdings, ein Jahr zuvor von Darmstadt nach Breslau gewechselt, ebenfalls im Kriegsdienst stand. Da Dehios Professur seit 1914 praktisch verwaist sei, bat die Fakultät sofort darum, Pinder bis Ende Februar 1919 zu beurlauben (und dafür zum Ersatzbataillon zu versetzen). So sollten die Lehre und die Ordnung der Kunstsammlung66 ermöglicht werden.67 Ob der Antrag erfolgreich war, ist nicht belegt. Jedenfalls kündigte Pinder für das Wintersemester zwei Vorlesungen und ein Seminar an.68 Der durch den Krieg wachsende Dozenten- und Nachwuchsmangel verzögerte seinerseits wiederum die Berufungsverfahren bzw. den Dienstantritt Neuberufener. Da die Straßburger Juristische Fakultät fast völlig von Dozenten entblößt war, bat der Kurator seinen Jenaer Kollegen darum, von der drei monatigen Kündigungsfrist eines Berufenen abzusehen. Doch hielt der Sachwalter der thüringischen Interessen dagegen, daß auch in Jena auf drei von sechs Professuren nicht gelehrt werde und die beiden Privatdozenten im Felde stünden. Wenn aber die Regierung auf der Kündigungsfrist bestand, war trotz der 63 Stiftungsfest der KWU 1915, S. 9 (1.10.1914!). In einem späteren Schreiben behauptet der Kurator (an Kommando des Inf. Reg. Nr. 143 10.8.1918) sogar, daß der Lehrstuhl seit 1.8.1914 verwaist sei (ADBR 103 AL 190). 64 NDB 8 (1969), S. 254 (Hans Jantzen); A. E. Brinckmann, Ernst Heidrich †, in: Der Cicerone. Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers und Sammlers 6 (1914), S. 660; Betthausen, Dehio, S. 265. 65 Zur Lehre in den Semestern dazwischen s. genauer u. S. 913–915. 66 Sowie bereits ab 1. September die nötigen Vorarbeiten dazu. 67 Phil. Fak. an Kurator Strb. 25.6.1918; Kurator an Kommando des Inf. Reg. Nr. 143 10.8.1918. Beide: ADBR 103 AL 190. 68 VV KWU Strb. WS 1918/19, S. 26.
736 Studium und Lehre im Krieg Berufung im Juli 1917 ein Dienstantritt zum Wintersemester unmöglich. Im übrigen war das Ansinnen aber ohnehin zu früh formuliert, denn der Berufene selbst hatte sich noch Bedenkzeit erbeten. Tatsächlich kam Heinrich Lehmann erst zum Sommersemester 1918 nach Straßburg.69 Der Mangel führte auch dazu, daß die Vorschlagslisten nicht mehr immer drei Kandidaten enthielten. Als die Straßburger im Sommer 1918 Listen für zwei Extraordinariate vorlegten, enthielt die eine drei Privatdozenten, die andere überhaupt nur eine Persönlichkeit, weil die aufgrund ihrer wissenschaftlichen Leistungen eigentlich an zweiter und dritter Stelle zu nennenden infolge des Krieges noch keine Gelegenheit gehabt hätten, Lehrerfahrung zu sammeln.70 Die auch in Friedenszeiten übliche Praxis, daß sich die Hochschulreferenten zunächst untereinander verständigten, wenn sie eine Berufung aus dem Territorium des anderen ins Auge faßten, wurde auch im Krieg fortgesetzt: Sie wollten wissen, ob die bislang zuständige Behörde Bedenken dagegen hatte und (mit Blick auf die anstehenden Berufungsverhandlungen) welches Gehalt der Wunschkandidat bisher bezog. Über diese Auskünfte hinaus erhielten sie dann evtl. auch sofort die Antwort, daß man versuchen werde, den Umworbenen zu halten.71 Das erfuhren auch die Straßburger, als sie den 1914 nach Göttingen (und von dort zum Sommersemester 1917 nach Bonn) gegangenen Orienta listen Littmann zurückberufen wollten. Sie hofften, mit ihm den Vorrang Straßburgs vor anderen Universitäten wieder zu sichern und in der geplanten neuen Auslandskunde auch von Littmanns praktischer Orientkenntnis zu profitieren. Nur wenn man Straßburg wieder auf die Höhe seiner Gründungszeit hebe und zum wissenschaftlichen Zentrum mache, könne es seine »nationale Aufgabe erfüllen, deren Wichtigkeit durch den Krieg mehr als genug erwiesen ist.« Das sei auch ein »dringendes Reichsinteresse«. Und die Kollegen konnten »fest erwarten«, daß Littmann den Ruf annehmen werde, da »sein Herz immer an Straßburg gehangen« habe. Doch scheiterte dieser Plan daran, daß das Preu ßische Kultusministerium zunächst Schwierigkeiten signalisierte und dann sogar »dringend anheimstell[t]e«, von der Berufung Abstand zu nehmen.72 Schließlich ist, ganz abgesehen von spezieller Antrags- und Überzeugungsrhetorik (wie sie hier im »Reichsinteresse« kulminierte), auch zu bedenken, daß es in solchen Verfahren und Berufungsverhandlungen immer wieder persön liche Unterredungen gab, deren Inhalt nicht überliefert ist. Der aus Leipzig 69 Kurator Strb. an Kurator Jena 6.8.1917; Kurator Jena an Kurator Strb. 8.8.1917: ADBR 103 AL 254. S. auch Heinrich Lehmann an Kurator Strb. 8.8.1917 und 15.8.1917: ebd. Zur Vorsprache, bei der er dieses offenbar vorgebracht hatte, s. u. A. 75. 70 Rechts- und Staatswiss. Fak. Strb. an Statth. 5.6.1918: ADBR 103 AL 254. 71 S. als Beispiel: Bayer. KuMi an Pr. KuMi 29.7.1918: GSt APK I. HA Rep. 76 Va Sekt. 2 Tit. IV Nr. 68 D Bd. I, fol. 214. 72 Phil. Fak. Strb. an Statth. 27.6.1917 (Zitate); C. H. Becker an Kurator Strb. 7.7.1917; Pr. KuMi an Kurator 21.7.1917 (Zitat); alle: ADBR 103 AL 266.
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in die Reichshauptstadt berufene österreichische Klassische Archäologe Franz Studniczka besah sich erst detailliert die Berliner Sammlungen, prüfte Raum und Lichtverhältnisse und meldete sich dann (zwischen Weihnachten und Neujahr!) beim Hochschulreferenten im Ministerium an, um seine Forderungen zu erörtern.73 Der deutschbaltische Tübinger Historiker Johannes Haller suchte den Straßburger Kurator in dessen Urlaubsdomizil im Schwarzwald auf. Beide lehnten den Ruf dann übrigens ab.74 Neben den allgemeinen hatte die Universität Straßburg bei den Beruf ungen noch ihre speziellen Probleme (die, in ihrer einfachsten praktischen Ausprägung, schon hinter Hallers Fahrt auf den Kniebis standen: Um nach Straßburg zu kommen, hätte er eine besondere Zureiseerlaubnis für die Festungsstadt bei dem für seinen Wohnort zuständigen Generalkommando beantragen müssen75). Während des Krieges war es schwer, hervorragende Kräfte in Straßburg zu halten. Sie gingen lieber an benachbarte (und andere) Universitäten.76 Verluste aber wogen hier schwerer als anderswo: »Denn nach Straßburg in dieser Zeit Ersatz zu bekommen, ist mit großen Schwierigkeiten verbunden.«77 An ihren heimischen Universitäten hatten nach Straßburg Berufene keine starke Verhandlungsposition, weil man sich dort der Unsicherheit der Lage im Elsaß im Kriege und der Ungewißheit der weiteren Entwicklung bewußt war. Aber andererseits hatte Straßburg auch nicht genug zu bieten, um diese Nachteile zu kompensieren. Der junge Freiburger Ordinarius Friedrich Brie übernahm 1915/16 zwei Semester lang und erneut im Sommer 1917 einen Lehrauftrag in Straßburg, um den dortigen erkrankten Anglisten (teilweise) zu vertreten, und wurde nach dessen Tod dorthin berufen. Eine Woche später schrieb er: »Hätten wir Frieden, wäre die Annahme des Rufes wohl schon erledigt. Jetzt liegt die Schwierigkeit in der unsicheren Entwicklung der politischen Verhältnisse und damit auch der Zukunft der Universität Strassburg.«
73 S. dazu die Korrespondenz in GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. IV, Nr. 61 Bd. XXIV, fol. 125–132 und 136–137, bes. Studniczkas Schreiben an den Ministerial referenten vom 24.12., 27.12. und 29.12.1915 (fol. 131, 132, 136 f.). 74 S. den Berufungsvorschlag Phil. Fak. Strb. an Statth. 22.5.1917; Haller an Kurator 11.7.1917. Beide: ADBR 103 AL 266. 75 Dies erklärte der Kurator einem aus Jena Berufenen, der die Genehmigung dann erst in letzter Minute erhielt und dem Kurator seine Ankunft nicht mehr vorher telegraphisch, sondern erst aus dem Straßburger Hotel mitteilen konnte: Kurator an Heinrich Lehmann 24.7.1917; Lehmann an Kurator 1.8.1917. Beide: ADBR 103 AL 254. 76 Math.-Nat. Fak. Strb. an Senat 6.6.1917: ADBR 103 AL 1425. Anlaß des Schreibens war die Befürchtung, daß Elsaß-Lothringen evtl. kein eigenständiges Reichsland bleibe, sondern einem anderen Bundesstaat angegliedert werde. Um den Status einer unter anderen Landesuniversitäten zu vermeiden, solle sich der Senat jetzt um Übernahme (oder wenigstens materielle Absicherung) durch das Reich bemühen. 77 Ficker, Bericht IV (1917/18), S. 4.
738 Studium und Lehre im Krieg Doch da man ihm weder eine Hörgeld-Garantie noch eine künftige Gehaltsaufbesserung zusagte, lehnte er acht Tage später ab.78 Aus denselben Gründen schlug im selben Monat Haller den Ruf nach Straßburg aus.79 Andererseits konnte ein Württemberger Jurist genau die Verknüpfung von akutem Mangel in Straßburg mit seinem eigenen Engagement für die deutsche Sache für sich persönlich nutzen: Er handelte bei seiner Berufung aus Basel nach Straßburg zuerst ein weit höheres Gehalt als vorgesehen aus – und kombinierte im Sommersemester 1918 dann die beiden Professuren, was ihm den Titel eines Kaiserlichen Geheimen Justizrats einbrachte. Für das Wintersemester 1918/19 war dasselbe Arrangement vorgesehen.80 Zugleich blieb die Diskriminierung einheimischer Gelehrter aber bestehen, ja wurde nun noch offenkundiger. Während des Krieges scheint es keine be sonderen Bemühungen mehr gegeben zu haben, den Lehrkörper durch Elsässer zu ergänzen.81 (Immerhin waren aber unter den wenigen neuen im Krieg Habi litierten zwei Einheimische, ein Elsässer und ein Lothringer.82) Und den Staatsund Völkerrechtler Robert Redslob, dem Kurator und Kollegen bei seiner Berufung nach Rostock 1913 die Gewißheit mitgegeben hatten, ihn (nach diesem quasi-obligatorischen Karriereabschnitt an einer ›altdeutschen‹ Universität) so bald wie möglich zurückzuberufen, überging man während des Krieges gleich zweimal. Erst, als er sich selbst beim (Mitte Oktober 1918 ernannten) ersten elsässischen Statthalter darüber beschwerte und bat, ihn auf die vakante Professur für Staatsrecht zu ernennen, wurde dieser Vorschlag aufgegriffen und in 78 Friedrich Brie an Dekan der Phil. Fak. Strb. 21.7.1917 (Zitat) und 29.7.1917: ADBR 62 AL 38. Zur Vertretung 1917 s. (im selben Faszikel) die Briefe vom 2.5., 5.5. und 10.5.1917 an den Dekan; zur Vertretung 1915: F. Brie an Dekan der Phil. Fak. Strb. 9.12.1915 und 28.3.1916: ADBR 62 AL 36. Zu den Verhandlungen mit dem badischen Hochschul referenten, der auf die mangelnde Attraktivität Straßburgs im Krieg hinwies: Friedrich Brie an Kurator Strb. 20.7.1917 und 27.7.1917: ADBR 103 AL 266. 79 Kurator Strb. an Dekan Phil. Fak. 19.7.1917: ADBR 103 AL 38. 80 Erwin Ruck, der 1913 als Privatdozent aus Tübingen nach Basel berufen worden war, hatte dort bis 1953 den einzigen Lehrstuhl für öffentliches Recht inne. Aufgrund seiner »Arbeit in der deutschen Propaganda und schweizerischen Presse« sowie im Vorstand diverser deutscher Vereine in der Schweiz wünschten der deutsche Botschafter in Bern und der deutsche Generalkonsul in Basel seinen Verbleib dort, ebenso wie (vermutlich aus akademischen Gründen) die Basler Regierung, die ihm die parallele Lehre in Straßburg gestattete. S. dazu den Briefwechsel in: ADBR 103 AL 254, insbes. Erwin Ruck an Kurator Strb. 19.1.1918 (Zitat) und 9.2.1918 (Dank für finanzielle Zusage); Militärpolizeimeister der Festung Strb. an Kurator 22.3.1918 (Genehmigung zur wöchentlichen Einreise in den Festungsbereich); Ruck an Kurator 8.8.1918 (Bitte um Passierschein für das WS nach demselben Modus; Titel). 81 So Craig, Scholarship and Nation-Building, S. 197. 82 Der Chemiker Ernst Weitz aus Pfirt im Oberelsaß und der Mediziner Bernhard Möllers aus Metz, der allerdings an der Kaiser-Wilhelm-Akademie in Berlin studiert hatte und ab 1913 als Sanitätsoffizier bei einer Einheit in Straßburg diente, wo er sich 1915 habilitierte.
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der Ministerialkonferenz besprochen. Falls das Gehalt für einen Lehrstuhl im Etat frei sei, sollten Verhandlungen mit Redslob begonnen werden. Dieser hatte für seine Bitte nicht nur seine Qualifikation als Argument angeführt,83 sondern auch die Parole »Das Elsass gehört den Elsässern« (die hier aber immer »principiell« übergangen worden seien!). Deshalb sei seine Ernennung nun »ein Gebot der Gerechtigkeit«.84 Redslobs Fall ist aber nicht nur wegen der herkömmlichen Diskriminierung der Elsässer, sondern gerade auch durch die prinzipielle (und in der Welt aka demischer Mobilität deplazierte) Begründung seiner eigenen Forderung zugleich ein Beispiel für außerwissenschaftliche Gesichtspunkte bei Berufungsfragen. Tatsächlich spielten solche sowohl in Berliner als auch in Straßburger Verfahren eine Rolle – und da stößt man auch in der Hauptstadt wieder auf Redslob (ohne andererseits die von ihm behauptete Diskriminierung als El sässer in Straßburg auch konkret belegen zu können). Als die Berliner die durch Anschützens Rückberufung nach Heidelberg freigewordene Professur wiederbesetzen wollten, überging das Ministerium die eingereichte Liste, denn es wollte jüngere Kandidaten. Die Fakultät ging nun ganz geschickt vor, indem sie zunächst alle zur Verfügung stehenden auflistete und nach bestimmten Kriterien in Gruppen einteilte. Jene, die dann überhaupt noch in Frage kamen, schied sie einzeln wieder aus, so daß sie am Ende an der eigenen Liste festhalten konnte. Bei der Erörterung der Kandidaten wurden auch nichtwissenschaftliche Einwände geltend gemacht. Über Redslob hieß es dort, »daß er durch seine Verheiratung in nahe Verbindung mit den Kreisen der elsaß-lothringischen Protestler gekommen ist und seiner Vorliebe für französisches Wesen in bedenklicher Weise Ausdruck verliehen hat.« Der Münchner Ordinarius Karl Rothenbücher schien »im bayerischen Boden so fest verankert zu sein, daß auch deshalb seine Berufung an die größte preußische Universität nicht rätlich sein möchte.« Den Marburger Ordinarius Walther Schücking schätzten die Berliner Juristen wissenschaftlich wesentlich höher als die anderen ein. Sie bescheinigten ihm »in die Tiefe dringende Forschung und sicheres Urteil«. Auch seine neueren Schriften zum Völkerrecht, die sich in den Dienst der pazifistischen Idee stellten, seien »alle anregend und gedankenreich«, hätten aber 83 Er habe über die elsässische Verfassung gearbeitet, drei Jahre als Privatdozent in Straßburg und sechs Jahre als Ordinarius in Rostock gelehrt sowie vier große staats- und völkerrechtliche Werke verfaßt, die alle Staatsrechtslehrer Deutschlands positiv beurteilt hätten. 84 »Ich habe es damals getan [die Heimat verlassen, um den Ruf in Rostock anzunehmen], weil der frühere Curator Ecxellenz Back und die meisten Professoren der Facultaet mir ausdrücklich versprochen oder klar in Aussicht gestellt haben, dass ich nach Straßburg zurück berufen würde.« Robert Redslob an Statth. von E-L 28.10.1918: ADBR 103 AL 266. Darauf auch die zwei Vermerke über die weitere Behandlung des Falles.
740 Studium und Lehre im Krieg »wegen ihres extremen Standpunktes und des leidenschaftlichen Tons (…) vielfachen und berechtigten Widerspruch erfahren. So sehr wir auch die charaktervolle Überzeugungstreue ihres Verfassers anerkennen, so bestimmt müssen wir es doch als ausgeschlossen betrachten, daß eine in so hohem Maße agitatorisch tätige Persönlichkeit im gegenwärtigen Augenblick durch eine Berufung nach Berlin ausgezeichnet werde.«
Bei einem »hervorragend begabten Kandidaten«, dem sie auch zutrauten, seine Lehre auf das von ihm bisher nicht bearbeitete Kirchenrecht auszudehnen, bezweifelten sie schließlich, daß es erwünscht sei, »daß das Kirchenrecht in Berlin von einem ordentlichen Professor katholischen Bekenntnisses – der allerdings von klerikalen Neigungen frei ist – vertreten würde.«85 In dem komplizierten weiteren Verfahren, in dem das Ministerium die ein gereichte Liste erneut ablehnte, einen eigenen Kandidaten präsentierte und die Fakultät dafür durch das Angebot, eine zusätzliche jüngere Kraft heranzu ziehen, gewinnen wollte, kam es noch zu einer denkwürdigen Charakteri sierung des Kandidaten für die Parallelbesetzung, der seit 1913 Ordinarius in Königsberg und außerdem bayerischer Reserveoffizier war: Erich Kaufmann »ist jüdischer Descendenz, aber evangelischer Konfession.« Da er auch in Berlin studiert hatte, kannte man ihn in der Fakultät, wo der (wohl vom Ministerium beauftragte) Autor dieser Aufzeichnung sich ebenfalls umgehörte hatte. Bei Nuancierung der Einschätzung erschien Kaufmann insgesamt jedenfalls als konservativ, dabei politisch aber eher zurückhaltend. »Er sei eine positiv gerichtete Natur und alles andere als ein liberaler Jude. Seine jüdische Abstammung macht sich in keiner Weise geltend. Philosophisch sei er Hegelianer, national fühle er sich durchaus als Preuße.«86
Obwohl die Universität Berlin eine Reihe von Österreichern, Schweizern und Deutschen aus außerpreußischen Regionen in ihrem Kollegium hatte, spielten neben der selbstverständlich erwarteten nationalen Gesinnung also auch landsmannschaftliche Prägung und Konfession der Kandidaten eine Rolle und wurden sorgfältig registriert, selbst wenn sie kein Hindernis darstellten. Und in einer Fakultät, deren wenige Ordinarien beträchtlichen Anteil an den Deut85 Jur. Fak. Berlin an Pr. KuMi 19.7.1916: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. IV, Nr. 45 Bd. XI, fol. 9–18v. 86 Zur politischen Haltung heißt es: »[O. Prof. Otto von] Gierke bezeichnet ihn als politisch konservativ, ohne daß er dem äußersten rechten Flügel angehörte, er sei politisch vorsichtig und zurückhaltend. In seinem Buche über ›Clausula rebus sic stantibus‹ hat er durch sein offenes Bekenntnis zum militärischen Machtgedanken und der Kriegsentscheidung den Unwillen der Pazifisten erregt. [O. Prof. Heinrich] Triepel charakterisiert ihn als Gegenstück zu Anschütz. Politisch sei er etwas freikonservativ zu nennen, früher sei er rechts-nationalliberal gewesen.« Prof. Dr. Erich Kaufmann [undat., ungez. Aufzeichnung]: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. IV, Nr. 45 Bd. XI, fol. 71.
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schen Reden in schwerer Zeit gehabt hatten, war ein Pazifist undenkbar, selbst wenn er wissenschaftlich bestens ausgewiesen war. Doch stellten bei alledem fremde Herkunft und jüdische Konfession kein absolutes Hindernis für eine Berufung an die Universität der Reichshauptstadt dar. In der Philosophischen Fakultät erhielt im Sommer 1916 der im weißrussischen Mogilev geborene Issai Schur, der in Kurland das Gymnasium besucht hatte und wohl zumindest sprachlich nicht als osteuropäischer Jude wahr genommen wurde, ein Extraordinariat. Er war bereits in Berlin promoviert und habilitiert, hatte sich danach taufen lassen und wurde nun aus Bonn zurückberufen.87 Allerdings gelang dies erst nach mehreren vergeblichen Versuchen. Im Februar 1915 hatte er auf Platz 1 für ein neues Extraordinariat gestanden. Nach dem Verweis auf die Begründung für einen früheren Vorschlag, Schur als Ordinarius (!) zu berufen, hieß es: »Wir sind sicher dieser bescheidene Mann, der sich in Bonn wissenschaftlich etwas vereinsamt fühlt, wird, wenn er auch schon lange ein Ordinariat verdient hat, auch einem Rufe als Extraordinarius nach Berlin Folge leisten. Er steht jetzt auf der Höhe seiner Kraft. Eine ganze Anzahl von jüngeren (und auch von älteren) Forschern betrachtet ihn als den gegebenen und selten versagenden Ratgeber, wenn sie in einer wissenschaftlichen Untersuchung auf Schwierigkeiten stossen, an deren Überwindung sie verzweifeln.«88
Doch das Ministerium berief einen Berliner Privatdozenten. Erst ein weiterer Versuch im Herbst 1915 hatte Erfolg, mit Schurs Berufung zum Extraordinarius zum 1. April 1916.89 Allerdings war diese »nachhaltige Unterstützung« der Fakultät für einen (gebürtigen) Juden einmalig.90 Bei einem anderen Berliner Absolventen, dem von Roethe promovierten Friedrich Gundolf, war es dagegen das Ministerium, das die Berufung nach Berlin in die Wege leitete und vier Gutachten einholte. Der Theologe Harnack sprach sich (trotz kleinerer Bedenken) geradezu enthusiastisch dafür aus, »dieses 87 Bereits 1904 hatte ihn die Berliner Fakultät zum Extraordinarius vorgeschlagen, seit 1913 war er das in Bonn. 1914 wollten ihm die Berliner ein neu zu gründendes Ordinariat übertragen, was das Ministerium aber ablehnte. 1915 schlugen sie vor, ihm ein planmäßiges Extraordinariat zu übertragen und erhielten dafür 1916 endlich die Zustimmung des Ministeriums, das aber einen erneuten Ordinariatsvorschlag im selben Jahr wieder ablehnte. Alles nach Pawliczek, Akademischer Alltag, S. 91 f. A. 61. 88 Phil. Fak. Berlin an Pr. KuMi 18.2.1915: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. IV, Nr. 61 Bd. XXIV, fol. 26–28, Zitat 26v. 89 Phil. Fak. Berlin an Pr. KuMi 16.10.1915: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. IV, Nr. 61 Bd. XXIV, fol. 99–100. Außerdem den Briefwechsel zwischen Schur und dem Ministerium fol. 101, 103. 90 Zu seinem weiteren Weg (vergebliche Vorschläge für ein Ordinariat Ende 1916 und im Herbst 1917 sowie schließlich die Berufung zum persönlichen Ordinarius 1919) s. Pawliczek, Akademischer Alltag, S. 345 f. (Zitat 346).
742 Studium und Lehre im Krieg grosse Talent oder besser diesen tiefen und reichen Menschen (….) an unsere Universität [zu] ziehen – die grösste ist für ihn gerade gut genug.«91 Dagegen mischte Roethe vielen anerkennenden Worten nicht nur Zweifel, sondern geradezu vernichtende Bedenken bei. Oberflächlich betrachtet, erscheint Gundolfs Judentum darin nicht als Hindernis, obwohl es ausdrücklich erwähnt92 und mit der konsequenten Verwendung des Geburtsnamens Gundelfinger ständig in Erinnerung gehalten wird.93 In die daran anschließenden Überlegungen streute Roethe sogar Gundolfs Würdigung als Mensch ein. Und während in anderen Fällen die Fertigstellung eines Werkes als Argument für einen Kandidaten angeführt wurde,94 schmiedete Roethe die Anerkennung für jenes Werk, das die Berufungsidee des Ministers ausgelöst hatte und das die Gutachter Harnack und Rickert begeistert aufnahmen, zu einer Waffe gegen Gundolf um: »Dass er in dieser Kriegszeit sein Goethebuch vollenden konnte, imponiert mir sehr: Es erweist das freilich bei dem noch jungen Manne zugleich eine Fähigkeit sich dem Leben gegenüber zu isolieren, die mir doch gemischte Gefühle erweckt.«
Dies im Februar 1917 und dazu über Gundolf zu schreiben, war infam. Denn inzwischen hatte – nach endlosen Vorwürfen der Antisemiten, daß sich die Juden vor dem Militäreinsatz drückten – nicht nur die berüchtigte ›Judenzählung‹ im deutschen Heer stattgefunden; Gundolf selbst befand sich damals »seit längerer Zeit in der Nähe von Verdun« im Kriegseinsatz, wo er, seinem Heidelberger 91 Adolf von Harnack an [den Referenten im Pr. KuMi und ab WS 1916/17 Fakultätskollegen] C. H. Becker 18.1.1917: GSt APK I. HA Rep. 76 Va KuMi Sekt. 2 Tit. IV Nr. 68 B Bd. I, fol. 3–5v (Zitat 5). 92 »Unzweifelhaft ist Gundelfinger eine interessante, geistvolle und anziehende schriftstellerische Persönlichkeit. Das Gesuchte und oberflächlich Geistreiche, das bei jüdischen Literarhistorikern so häufig stört, fehlt bei ihm ganz; eher verrät sich sein Judentum in der Neigung zu ästhetisch-psychischem Construiren und Sublimieren. Dieser Trieb gibt auch der Darstellung zuweilen etwas Mühsames und Gekünsteltes; im Ganzen aber verdient diese in ihrer ausdrucksvollen und fesselnden, oft sehr eigentümlichen Stärke volle Anerkennung.« Gustav Roethe an C. H. Becker 25.2.1917: wie A. 91, fol. 6–8 (dieses und die im Text folgenden Zitate fol. 7v). 93 Schon sein erstes literarisches Werk publizierte er unter dem Namen »Friedrich Gundolf« (Fortunat, o. O. [Berlin] 1903). Doch die gleichzeitig gedruckte Dissertation und einige weitere wissenschaftliche Werke erschienen unter dem Namen Gundelfinger (auch noch die Habilitationsschrift 1911). Zunächst parallel, dann ausschließlich verwendete der Germanist »Friedrich Gundolf«, was allerdings »kein eigentliches Pseudonym« war, sondern auch »bürgerlich legitimiert« wurde. Clemens Neutjens, Friedrich Gundolf. Ein biobibliographischer Apparat, Bonn 1969, S. 4 A. 1. 94 Im Berufungsvorschlag für eine andere germanistische Professur, bei der besonders die Dialekte berücksichtigt werden sollten, hieß es über Arthur Hübner, daß er als Mitarbeiter des deutschen Wörterbuchs, obwohl im Militärdienst, eine Lieferung des Buchstaben G abgeschlossen und eine andere »inmitten der Kriegszeit nahezu druckfertig« gemacht habe. Phil. Fak. an Pr. KuMi 18.6.1917: GSt APK I. HA Rep. 76 Va KuMi Sekt. 2 Tit. IV Nr. 68 B Bd. I, fol. 33.
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Kollegen Heinrich Rickert zufolge, »zuerst mit Erdarbeiten und dann bei der Post beschäftigt« wurde.95 Der vierte Gutachter stützte im wesentlichen (aber ohne antisemitischen Seitenhieb) das Urteil Roethes, der Gundolfs Arbeitsweise als »nicht streng methodisch, sondern höchstens suggestiv« charakterisiert hatte. Daher »wage« er »nicht, ihn, für eine eigentliche literaturhistorische Fachstelle, etwa gar für ein Ordinariat (…) an einer Universität zu empfehlen.«96 Roethe siegte nicht nur hier, sondern auch beim nächsten Berufungsversuch vier Jahre später, als sich die ganze Fakultät diesem Urteil anschloß und Gundolf zur Lehre der Wissenschaft für ungeeignet erklärte.97 Daß nationale und konfessionelle Gesichtspunkte auch bei Straßburger Berufungen eine Rolle spielten, belegen zum einen verschiedene Gutachten, etwa über Johannes Haller. Die Fakultät würdigte u. a. dessen Kriegspublizistik, in der auch seine baltische Herkunft die Stellungnahmen beeinflusse, und schloß daraus, daß Haller gerade für die (bevorstehende) Nachkriegszeit ein Gewinn sei.98 In dem juristischen Berufungsverfahren mit einer reinen Privatdozentenliste wurden, nachdem der Erstplazierte abgesagt hatte, die Stärken des Zweitplazierten durch weitere Argumente gestützt: Dazu gehörten außer einem Besuch in dessen Vorlesung auch seine Konfession: »nebenbei bemerkt auch katholisch«. Angesichts der bisherigen Diskriminierung der Elsässer konnte im Sommer 1918 die Berufung eines Dozenten der Mehrheitskonfession die Verhältnisse vielleicht etwas entspannen. Aber die Äußerung muß wohl auch im Zusammenhang mit einer Meldung über den einzigen Kandidaten auf dem anderen, gleichzeitigen Berufungsvorschlag gesehen werden, über den man bei der Einreichung noch keine näheren Informationen gehabt hatte; über ihn hieß 95 Heinrich Rickert an C. H. Becker 5.2.1917 (wie A. 91, fol. 9–10, Zitat 10). 96 Für Roethe s. den Beleg in A. 92 (Hervorh. i. O.). Daß das Künstlertum und Faszinierende Gundolfs Lehre beeinträchtigen werde, meinte auch der Leipziger Ordinarius Albert Köster: »dass seine Schüler zwar weite Ausblicke, aber keine ganz solide Methode gewinnen«. Albert Köster an C. H. Becker 7.2.1917 (wie A. 91, fol. 11). Zu dem ersten Berufungsverfahren s. auch Jörg Judersleben, Philologie als Nationalpädagogik. Gustav Roethe zwischen Wissenschaft und Politik, Frankfurt a. M. u. a. 2000, S. 273 f. 97 Zu den Gutachten von 1916 auch, mit weniger und teilweise anderen Zitaten, Pawliczek, Akademischer Alltag, S. 332 f. (sowie 332–337 über die weitere Entwicklung, Bewertung und einen zusätzlichen Grund für die Ablehnung der Fakultät 1920, nachdem Gundolf eine herabsetzende Bemerkung über ein Buch Wilamowitz’ gemacht hatte). Bei den Gutachten von 1916 entgeht Pawliczek nicht nur die gezielte antisemitische Spitze des Militaristen Roethe, sondern auch der Tenor des Urteils Kösters. 98 »Auch für den Elsässer Boden mit der Fülle seiner nach dem Krieg doppelt schweren Probleme würde Hallers Berufung in den Augen vieler einen Gewinn bedeuten. Die Universität selbst dürfte sich zu solcher Erwerbung ganz besonders beglückwünschen.« Phil. Fak. Strb. an Statth. 22.5.1917: 103 AL 266. Haller war zwar zunächst zur Annahme des Rufes bereit, wollte nach den Verhandlungen die günstigen materiellen Bedingungen in Tübingen aber nicht zugunsten einer ungewissen Zukunft aufgeben (an den Kurator 11.7.1917).
744 Studium und Lehre im Krieg es jetzt unter anderem »mosaischer Konfession«.99 Drei Tage später gab das badische Kultusministerium die beruhigende Auskunft, daß der Vater des Katholiken bereits im Ostmarkenverein gewesen sei. »(…) auch der Sohn ist politisch in gleicher Richtung stark interessiert. Seine nationale Gesinnung ist zweifellos durchaus einwandfrei.«100 Bei einem aus der Schweiz stammenden, in Sachsen eingebürgerten Anglisten hoben die Straßburger schon im Berufungsvorschlag seinen praktischen Einsatz für Deutschland hervor: Er stehe im deutschen Militärverhältnis und sei außerdem als auswärtiger ehrenamtlicher Mitarbeiter des Kriegspresseamtes in Berlin tätig.101 Neben der Berücksichtigung der Gesinnung seitens der Fakultät scheint es, sofern man die Vorgeschlagenen nicht schon persönlich kannte, regelmäßig auch eine entsprechende Anfrage bei den bisher für sie zuständigen Behörden gegeben zu haben:102 »Unter den hiesigen politischen Verhältnissen ist es von besonderer Wichtigkeit, dass der neu zu berufende Professor in Bezug auf seine nationale Gesinnung durchaus einwandfrei ist«, schrieb der Straßburger Kurator an den preußischen Hochschulreferenten anläßlich des Vorschlags Pinder für die Dehio-Nachfolge. Und obwohl der Erstplazierte in der Alten Geschichte, der Schweizer Matthias Gelzer in Greifswald, bereits in seinem Lebenslauf den von seiner Familie besonders gepflegten »Zusammenhang mit dem deutschen Geistesleben« und die Fakultät das deutsche Selbstverständnis seines Großvaters (!) hervorgehoben hatte, wollte sich der Kurator auch über ihn bei Becker vergewissern. Dieser zog seinerseits erst Erkundigungen über beide bei den zuständigen Kuratoren ein, konnte aber über Pinder »keine abschließende Auskunft erhalten«, da dieser erst kurz zuvor aus Hessen nach Preußen berufen worden war und »seitdem in militärischer Verwendung« stand. Becker fügte hinzu: »Ich kann mir nicht denken, daß irgend welche Bedenken vorliegen.« Die Greifswalder dagegen würden Gelzer nur ungern ziehen lassen, zudem das Ehepaar auch gesellschaftlich eine Bereicherung sei. »Gelzer gibt sich äußerlich durchaus als Schweizer, ist aber sogar der Vaterlandspartei beigetreten und hat in Gesprächen politische Ansichten geäußert, die man bei uns als konservativ bezeichnen würde. Jedenfalls hat er sich deutsch-nationaler bewährt, als mancher reichsdeutsche Professor. Der Kurator glaubt die in dieser Hinsicht gestellten Fragen vorbehaltlos bejahen zu dürfen.«103 99 Rechts- und Staatswiss. Fak. Strb. an Kurator 14.7.1918: ADBR 103 AL 254. 100 Bad. KuMi an Kurator Strb. 17.7.1918: ADBR 103 AL 254. 101 Phil. Fak. Strb. an Statth. von E-L 15.11.1917: ADBR 103 AL 266 (über Bernhard Fehr). 102 Außer den beiden folgenden Beispielen s. auch weitere Anfragen: Kurator Strb. an Pr. KuMi 11.7.1918 (bezüglich Levys); Kurator Strb. an Bad. KuMi 11.7.1918 (bezüglich Merks). Beide: ADBR 103 AL 254. 103 Phil. Fak. Strb. an Statth. von E-L 25.1.1918 (Berufungsvorschlag mit Zitat aus dem Lebenslauf); Kurator Strb. an Becker im Pr. KuMi 12.2.1918; Becker (Pr. KuMi) an Kurator Strb. 4.3.1918; alle in: ADBR 103 AL 266. Becker scheute sich also offenbar auch nicht,
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Beide wurden ernannt: Gelzer zum 1. Oktober 1918, Pinder schon etwas früher.104 Da die Fakultät im Berufungsvorschlag nicht nur Gelzers ›Deutschtum‹ betont, sondern zugleich den Wunsch zurückgestellt hatte, jemanden zu gewinnen, der die römischen Altertümer der Gegend erschließen und damit »eine weitere Verbindung der Universität mit dem speziellen Landesinteresse« herstellen könnte, läßt sich bis ins Detail hinein die Priorität des deutschen (Reichs-) Interesses verfolgen.105 Doch wurden umgekehrt die Belange des Landes eingesetzt, wenn sie dem eigenen Interesse der Universität dienen konnten: Um den 1915 (als Nachfolger von Karl Lamprecht) nach Leipzig berufenen Walter Goetz in Straßburg zu halten, bemühte sich die Universität (allerdings vergeblich) um die Schaffung einer Historischen Kommission für Elsaß-Lothringen.106 Die Betonung der nationalen Gesinnung bot allerdings auch Gelegenheit zur Denunziation. Noch vor Antritt seiner Straßburger Tätigkeit meldete der Basler Jurist und Propagandist der deutschen Sache dem Kurator vertraulich, daß ein deutscher Kollege in Basel »kein den deutschen Interessen entsprechendes Verhalten gezeigt hat und offenbar mehr romanisch als germanisch orientiert« sei.107 Beim Umgang mit ›feindlichen‹ Ausländern im Lehrkörper war der nationale Gesichtspunkt nicht nur ein Kriterium neben den wissenschaftlichen, sondern das ausschlaggebende. Es entschied, wie an den Straßburger Privatdozenten aus dem Russischen Reich und dem Berliner Extraordinarius aus Frankreich schon deutlich wurde, per se über deren Ausschluß. Doch neben den Hochschul lehrern im engeren Sinn wurde davon auch die typischste Ausländergruppe getroffen, die Lektoren der modernen Fremdsprachen, und die Assistenten ausländischer Herkunft. Unter Kriegsbedingungen wirkte sich die Überbetonung des Nationalen gelegentlich sogar gegen Ausländer aus neutralen Staaten aus.
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die im vorletzten Satz enthaltene Spitze gegen die Liberalen (die vermutlich vom Greifswalder Kurator stammte) weiterzugeben. Ernennung G.s: Rektor der KWU an die Dekane 19.9.1918: ADBR 103 AL 1429. Zu Pinder s. o. S. 735. Berufungsvorschlag wie A. 103. S. dazu das Faszikel ADBR 103 AL 1443. Ruck an Kurator Strb. 24.1.18 (»vertraulich«): ADBR 103 AL 254. Dabei ging es um Heidrichs Nachfolger in Basel, Friedrich Rintelen. Anlaß war eine Zeitungsnotiz, wonach Rintelen einen Ruf nach Straßburg abgelehnt habe. Baslers deutsche Kollegen waren jedoch der Meinung, daß es diesen Ruf gar nicht gegeben habe.
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Der Umgang mit ausländischen Dozenten und Assistenten Schon die Art der Bekanntmachung deutet auf den unterschiedlichen Umgang der einzelnen Universitäten mit diesem offenkundig neu auftretenden Problem hin. (Im Unterschied zum Kriegsdienst der Studenten und zur Fortsetzung der Lehre konnte hier nicht auf 1870/71 rekurriert werden, da zu Beginn des Preußisch-Französischen Krieges noch vereinbart wurde, Zivilisten des Kriegsgegners weiterhin ohne Restriktionen im Lande leben oder ohne Behinderung ausreisen zu lassen.108) Im Jahresbericht des Gießener Rektors (der jeweils beim Stiftungsfest am 1. Juli vorgetragen wurde) hieß es 1915 schlicht: »Die Lektoren Prof. Dr. Thomas und Montgomery schieden mit Beginn des Krieges aus dem Verbande der Hochschule aus.«109 Der Berliner Rektor ging in seinem Bericht auf diese Frage gar nicht ein, während die damals noch jährlich er scheinende Chronik110 nur meldete: »Entlassen sind als Angehörige feindlicher Staaten: der Professor Dr. Haguenin und die Lektoren Harsley und Delmer.«111 Der Straßburger Rektor erwähnte die ehemaligen Kollegen und Lektoren in seinem Jahresbericht (anläßlich des Stiftungsfestes am 1. Mai) weder im Abschnitt über die personellen Veränderungen noch in den Passagen zum Kriegs einsatz der Universität oder zum »Betrieb der Universität in Unterricht und Forschung«;112 eine eigenständige Chronik erschien hier ebensowenig wie in Gießen. So sind diese Vorgänge also zwischen dem camouflierenden (oder vielleicht als Schonung gedachten?) ›Ausscheiden‹ und der ›Entlassung‹ genauer zu erörtern. Beim Ausschluß angestellter Lehrender scheint – anders als bei den Studenten113 – Preußen vorangegangen zu sein. Den ersten Schritt tat allerdings nicht das Kultusministerium, sondern das Ressort für Landwirtschaft, Domänen und Forsten, dem die Landwirtschaftlichen Hochschulen unterstanden. Am 19. August untersagte es nämlich nicht nur die Neuaufnahme von Studierenden aus den Ländern der Gegner, sondern ordnete auch an: »Alle Angestellte (Assistenten pp.), die einem im Kriege mit uns oder unseren Bundesgenossen 108 Im weiteren Verlauf des Krieges gab es allerdings zweimal Ausweisungen größerer Gruppen von Deutschen aus Frankreich. Nach Jörg Nagler, Nationale Minderheiten im Krieg. »Feindliche Ausländer« und die amerikanische Heimatfront während des Ersten Weltkriegs, Hamburg 2000, S. 51 f. 109 Sommer, Krieg und Seelenleben, S. 24. 110 Die letzte, 1916 erschienene, galt dem »Rechnungsjahr 1915« (vom 1.4.1915–31.3.1916): Chronik der FWU 29 (1915). 111 Chronik der FWU 28 (1914), S. 9. 112 Jahresbericht in: Stiftungsfest der KWU 1915, S. 3–16, hier 9–11 (»Personalverände rungen«), 13 (Kriegseinsatz), 15 f. (Zitat 15). 113 S. dazu genauer u. Kap. IV.2.
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befindlichen Staat angehören, sind alsbald zu entlassen.«114 Das preußische Kultusministerium folgte am 30.8. und bestimmte für die ihm unterstehenden Lehranstalten (einschließlich der Universitäten), daß Angehörige mit Deutschland im Krieg befindlicher Staaten ferner nicht zur Lehre zuzulassen seien. Privatdozenten sei das Halten von Vorlesungen »bis auf weiteres« zu untersagen, Assistenten zu entlassen.115 An beamtete Professoren mußte hier dagegen nicht gedacht werden, da sie mit ihrer Ernennung üblicherweise die Staatsbürgerschaft jenes deutschen Bundesstaates erhielten, in dem sich ›ihre‹ Universität befand. Bezüglich der Privatdozenten interpretierte die Frankfurter Zeitung den Erlaß wohl treffend: »An eine vollständige Entziehung der venia legendi ist demnach vorläufig nicht gedacht.« Aber sie stellte auch fest, daß die Entlassung »besonders einige Lektoren fremder Sprachen und die Assistenten englischer Staatsangehörigkeit, die ihre ganze wissenschaftliche Arbeit in Deutschland geleistet haben, recht hart« treffe.116 Das hessische Ministerium regelte die Frage für seine Landesuniversität am 8. September analog und bestimmte ergänzend, daß Verträge mit Dozenten, die gegen Vergütung lehrten, »alsbald zu dem erstzulässigen Termin zu lösen« seien.117 Die Straßburger folgten weitere zehn Tage später. Dort beschloß der Senat auf Vorschlag des Rektors: »Den Dozenten, die russischer Staatsangehörigkeit sind, wird einstweilen die venia legendi entzogen; ebenso haben die Lektoren für Französisch und Englisch einstweilen ihre Lehrtätigkeit einzustellen«.118 Bemerkenswert scheint hier, daß nicht die Landesregierung eine Regelung traf, sondern das universitäre Selbstverwaltungsorgan einen Beschluß faßte, der ganz konkret auf die vorhandenen Lehrenden zielte, diese aber nicht beim Namen nannte, sondern ihre Funktion bezeichnete. Ob dies dem Schutz des Individuums dienen oder den Gegnern die Persönlichkeit gerade absprechen sollte, läßt sich aus dem knappen Protokolltext nicht erschließen. Und da in derselben Sitzung der Beschluß, den Lehrbetrieb zu dem im Statut vorgesehenen Termin aufzunehmen, einstimmig gefaßt wurde, läßt das fehlende Abstimmungsergebnis für den Ausschluß vermuten, daß es dabei Enthaltungen oder Gegenstimmen gab. Ohnehin war der Senat nicht komplett, da die Dekane von 114 Min. für Landwirtschaft, Domänen und Forsten an Rektor der Landw. Hochschule Berlin [und Direktoren anderer landw. Hochschulen) 19.8.1914: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 1, Tit. I, Nr. 35 Bd. I, fol. 55. 115 Erlaß des Pr. KuMi 30.8.1914: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 1, Tit. I, Nr. 35 Bd. I, fol. 59. Abschrift auch in UA HU Med. Fak. 306, fol. 14. Der Erlaß ist nach dem in Göttingen eingegangenen Exemplar vollständig abgedruckt bei Siebe, »Germania docet«, S. 314. 116 Ausländische Hochschullehrer in Preußen, in: Frankfurter Zeitung 17.9.1914, Ausschnitt in: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 1, Tit. I, Nr. 35 Bd. I, fol. 128. 117 Gh. MdI an LU Gi 8.9.1914: UA Gi Allg. 1350, fol. 189. Das Lehrverbot ist pauschal erwähnt schon bei Anderhub, Antoniterkreuz, S. 8. 118 Prot. der Senatssitzung vom 18.9.1914: ADBR 103 AL 115.
748 Studium und Lehre im Krieg drei Fakultäten fehlten. Unter den anwesenden vier gewählten Senatoren war auch der selbst aus dem Russischen Reich stammende Dehio. Auch die anderen deutschen Bundesstaaten trafen ähnliche Regelungen, wobei nicht immer auszumachen ist, ob Preußen ihnen dabei als Vorbild diente oder sie von sich aus analog verfuhren.119 Immerhin wurden vereinzelt Ausnahmen gemacht, an der preußischen Universität Bonn z. B. für den aus Petersburg stammenden Ornithologen und Zoologen Alexander Koenig, der das heute berühmte Forschungsmuseum gestiftet und einige Monate vor Kriegsbeginn schon angeboten hatte, es als »fundierte [also mit eigener Finanzierung ausgestattete] wissenschaftliche Anstalt« der Universität anzugliedern. Außerdem war Koenig dem Rektor zufolge »mit allen Fasern seines Denkens und Fühlens auf der Seite unseres Vaterlandes und seiner heiligen Sache« und hatte in den ersten beiden Kriegsmonaten bereits reichlich für deutsche Kriegsaufgaben gespendet. Der Kurator, der Koenigs »innigste Verehrung« für das »Preußenland« und dessen König bestätigte, bescheinigte ihm »schwerwiegende Gründe finanzieller Art« für die Bewahrung der russischen Staatsangehörigkeit. Koenig, der seit seinem 10. Lebensjahr in Deutschland lebte, durfte seine Privatdozentur behalten – ließ sich aber im selben Jahr doch einbürgern.120 Anders erging es den beiden Straßburger Privatdozenten (und späteren Mitgliedern der sowjetischen Akademie der Wissenschaften), den Physikern Leonid Mandelstam [Leonid Isaakievič Mandel’štam] aus Mogilev und Nikolaus Papalexi [Nikolaj Dmitrievič Papaleksi] aus Simferopol’. Mandelstam war von der Universität Odessa wegen der Beteiligung an Studentenunruhen relegiert worden und nach Straßburg gekommen, weil ein Onkel hier eine Assistentenstelle bei dem Anatomen und Anthropologen Gustav Schwalbe hatte; Papalexi 119 Anlaß der Korrespondenz war offenkundig Badens frühzeitiger Ausschluß der Studenten aus den Staaten der Kriegsgegner (s. dazu u. Kap. IV.2). Ein Erlaß bezüglich der Privatdozenten folgte am 7.9. Die Stellen der Lektoren wurden in Baden »unter Einhaltung der vertragsmäßigen Kündigungsfrist« gekündigt (Bad. Min. des Kultus und Unterricht an Pr. KuMi 11.9.1914: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 1, Tit. I, Nr. 35 Bd. I, fol. 133–134). Daß in Jena eine generelle Regelung getroffen wurde, ist unwahrscheinlich, denn von dort wurde nach Berlin berichtet, daß der Französisch-Lektor entlassen sei, für den Englisch-Lektor noch erörtert werde, »ob er nicht die Reichsangehörigkeit erworben und das englische Indigenat verloren hat.« Der Kurator der Gh. und Herzogl. Sächs. Gesamt-Univ. an Pr. KuMi 14.9.1914, ebd., fol. 136. (Bei Grüner, Die Universität Jena während des Weltkrieges, findet sich dazu nichts.) Die ausländischen Lektoren der Universität Leipzig, deren Vertrag »zufällig am 30. dieses Monats ablief«, hatten die Stadt bereits verlassen, als der Zuständige Mitte September über Zulassungsregelungen berichtete. Sächs. KuMi an Geheimrat Schwoerer [im Bad. KuMi] 15.9.1914: ebd., fol. 140. 120 Rektor der Univ. Bonn an Pr. KuMi 5.9.1914: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 1, Tit. I, Nr. 35 Bd. I, fol. 97–97v (mit Stellungnahme des Kurators fol. 97v und Randvermerk des Min. persönlich über die Genehmigung auf fol. 97). Lt. NDB 12 (1980), S. 332 f. (Ludwig Gebhardt) nahm er 1914 die mecklenburgische Staatsangehörigkeit an. (Außer einem Haus in Bonn besaß er ein Gut in M.).
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dagegen hatte mit dem Studium sofort in Berlin begonnen und war nach einem Semester nach Straßburg gewechselt. Hier hatten die beiden sich kennen gelernt – und arbeiteten dann die nächsten viereinhalb Jahrzehnte zusammen. 1902 bzw. 1904 waren sie in Straßburg promoviert worden. Mandelstam war seit 1904 Assistent und hatte sich 1906 habilitiert, Papalexi 1911.121 Beide kooperierten offenbar gut mit dem österreichisch-jüdischen Adligen von Mises und blieben später auch als sowjetische Wissenschaftler noch mit ihm in Verbindung.122 Mandelstam hatte 1913 auf Vorschlag der Fakultät den Professorentitel erhalten, jedoch ohne Verleihung der Staatsbürgerschaft. (So war man in analogen Fällen auch mit einem orthodoxen Österreicher aus der Bukowina und einem Amerikaner verfahren; Mandelstam wurde also nicht als Jude diskriminiert.) Dem Antrag war eine ausgesprochen günstige Beurteilung beigefügt, sowohl in wissenschaftlicher als auch in didaktischer Hinsicht.123 Papalexi galt am Anfang des Krieges offenbar noch als eine für den Universitätsbetrieb wichtige Person, wobei die fremde Staatsangehörigkeit sogar als diesen Anspruch stützendes Kriterium verwandt wurde: In einer Liste der von der Universität als unabkömmlich erachteten Dozenten erscheint auch »Papalexi Nicolaus Ruße«.124 Den Senatsbeschluß über den einstweiligen Entzug ihrer venia teilte der Rektor den ›russischen‹ Privatdozenten brieflich mit, zwar »ergebenst«, aber knapp und ohne Anrede.125 Die an die Straßburger Anschrift gerichtete Post kam al121 Herkunft und Qualifikationsschritte nach den Personalakten: ADBR 103 AL 581 (Mandel stam) bzw. 103 AL 640 (Papalexi). Papalexi erwähnt außer der etatmäßigen Assistentenstelle Mandelstams noch eine ihr vorausgehende Tätigkeit als Privatassistent des Physikers Braun seit 1903. Einiges Persönliche in: Alexander A. Pechenkin, Les recherches radio-physiques de Leonid I. Mandelstam, in: Crawford/Ohlff-Nathan (Hg.), La science sous influence, S. 73–76, hier 73; weitere Informationen aus: N. D. Papaleksi, Kratkij očerk žizni i naučnoj dejatel’nosti Leonida Isaakoviča Mandel’štama, in: Uspechi fizičeskich nauk 17 (1945), Nr. 2, S. 143–158, nach: http://ufn.ru/ufn45/ ufn45_2/Russian/r452a.pdf (17.5.2012); S. M. Rytov, Nikolaj Dmitrievič Papaleksi, in: Uspechi fizičeskich nauk 31 (1947), S. 429–446, nach: http://ufn.ru/ufn47/ufn47_4/ Russian/r474a.pdf (17.5.2012). Dauer des Studiums in Berlin korrigiert nach der Vita in der Dissertation: N. Papalexi, Ein Dynamometer für schnelle elektrische Schwingungen, [!] Theorie und Versuche, Leipzig 1904, unpag. (= S. 19). 122 Pechenkin, Les recherches de Mandelstam, S. 75 f. 123 Das Patent in der Personalakte (ADBR 103 AL 581), Antrag und Beurteilung: Math.- Nat. Fak. der KWU an Kurator 3.6.1913; zum Vorbehalt bezüglich der Staatsbürgerschaft Kurator an Statth. 20.10.1913 (mit Verweis auf die beiden anderen Fälle): ADBR 103 AL 227. 124 Papalexi ist in der ersten, 38 Personen (davon 29 Professoren und Privatdozenten) umfassenden Liste nicht enthalten, wohl aber in einer weiteren, die 55 Personen enthält. Hervorh. i. O. durch Unterstreichung: ADBR 103 AL 190. 125 Rektor der KWU Strb. an PD Prof. Dr. Mandelstam 18.9.1914: »Ich teile Ihnen ergebenst mit, dass der akademische Senat in seiner Sitzung vom 16. September folgenden Beschluss gefasst hat: den Dozenten, die russischer Staatsangehörigkeit sind, wird einstweilen die venia legendi entzogen.« (ADBR 103 AL 581); Vermerk auf Papalexis Personalakte mit Bleistift: »die venia legendi einstw. entzogen 18/IX .14« (ADBR 103 AL 640).
750 Studium und Lehre im Krieg lerdings zurück,126 denn beide waren längst von sich aus abgereist: Ende Juli fuhren sie zusammen bis Halle. Dort teilten sich ihre Wege, denn Papalexi begab sich nach Petersburg, Mandelstam mit seiner Familie nach Odessa, wo sie genau am Tag der Kriegserklärung eintrafen.127 Auch der Berliner Extraordinarius Émile Haguenin hatte Deutschland verlassen, längst bevor die ›Ausländerfrage‹ des Lehrkörpers offiziell geregelt wurde. Ansonsten unterschied sich sein Fall von dem der beiden Kollegen aus dem Russischen Reich aber beträchtlich. Der Franzose war zunächst Professor am Seminar für Orientalische Sprachen gewesen und dann 1901, gegen den Willen der Fakultät, vom Ministerium parallel dazu zum Extraordinarius der Universität ernannt worden, um dort vier Stunden pro Woche über französische Sprache und Literatur zu lesen. Die Bestallung galt jeweils für dieselbe Frist wie sein Vertrag mit dem Seminar (zunächst bis 1904, später jeweils um ein Jahr verlängert). Dementsprechend war auch er nicht eingebürgert worden.128 Möglicherweise war Haguenin, mehr Literaturkritiker als Gelehrter und charakterlich den Erinnerungen eines anderen Berliner Extraordinarius zufolge ein »windiger Geselle«, obzwar voller Verehrung deutschen Geistes, der Fakultät auch nicht solide genug.129 Haguenin kehrte am 3. August nach Frankreich zurück. Seine Wirtschafterin hatte er erst durch eine Karte von der Grenze aus benachrichtigt. Sein Gehalt sollte an ein Ehepaar in Charlottenburg ausgezahlt werden. Doch wies das Ministerium die Universitätskasse an, die Zahlungen Ende August 1914 einzustellen, und verlängerte Haguenins Vertrag nicht. Der Philosophischen Fakultät wurde dies offenbar nur zur Kenntnis gegeben,130 ohne daß 126 Der Brief an Mandelstam (s. A. 125) ist mit Poststempel und dem Vermerk »Geprüft und zu befördern« versehen. Auf der Rückseite trägt der Umschlag den Vermerk »z. Zt. Odessa Rußland Elten [Helten?] 18/9«. 127 Papaleksi, Kratkij očerk žizni Mandel’štama, S. 152; Rytov, Papaleksi, S. 433. Papalexi spricht von eiliger Abreise nach dem Schluß der Vorlesungen; doch kann es sich dabei nicht um das offizielle Ende der Lehrveranstaltungen handeln. Mandelstam reiste laut Einwohnermeldekartei am 27.7.1914 aus Straßburg ab (AMS 602 MW 466). Auf Papalexis Einwohnermeldekarte ist keine Abreise vermerkt. Er hatte sich am 30. März 1914 nach Poltava ab-, aber nicht, wie sonst üblich, nach der Rückkehr wieder angemeldet. Die letzte Eintragung schließt daher direkt an die Poltavareise an: »da aus dem Festungsbereich Straßburg ausgewiesen bei Anmeldung Abt. I«. 128 Pr. KuMi an Émile Haguenin 12.10.1901 (hier Abschr. an Rektor und Senat): UA HU UK H 41, fol. 1, Verlängerungen fol. 10–24. S. genauer o. S. 120. Zum Seminar für Oriental. Sprachen s. o. S. 153 f. 129 Dessoir, Buch der Erinnerung, S. 57 (zur Berufung) und 187 (Zitat). 130 E. Haguenin an die Kasse der Handelshochschule 2.8.1914 (mit Vollmacht für Prof. Otto Doeltz und Frau Prof. Ida Doeltz); Pr. KuMi an Rektor und Senat der FWU Berlin 10.9.1914: UA HU UK H 41 Teil II, fol. 7 bzw. 25. Polizeipräs. an Pr. KuMi 11.8.1914; Pr. KuMi an Universitätskasse 3.9.1914; beide: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. IV, Nr. 61 Bd. XXIII, fol. 257 bzw. 262. Prot. der Fakultätssitzung vom 21.9.1914: UA HU Phil. Fak. 34, fol. 281.
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sie daran mitwirken konnte oder mußte. Während des Krieges blieb Haguenin brieflich mit dem Berliner Extraordinarius Max Dessoir (von dem die ambivalente Charakterisierung stammt) in Kontakt und traf ihn auch einmal in Bern, wo Haguenin eigener Darstellung zufolge »die Propaganda gegen Deutschland leite[te] und dennoch fortf[uhr], das wahre Deutschland zu lieben.«131 Nach dem Krieg (als es noch nicht wieder eine französische Botschaft gab) war Haguenin übrigens Leiter einer »Informations-Mission« ohne diplomatischen Status (d. h. einer Gruppe von Deutschlandspezialisten), die für die franzö sische Regierung Berichte und Lageeinschätzungen verfaßte und Kontakt zu Erzberger aufnahm. Dies trug dazu bei, daß die deutsche Regierung schließlich den Versailler Vertrag unterzeichnete – und stieß in der deutschen Öffentlichkeit z. T. auf empörte Stellungnahmen.132 Haguenin war also eine schillernde Figur – denn dem preußischen Kultus- war er einst vom französischen Unterrichtsministerium empfohlen worden, und der Leiter der Abteilung Kunst und Wissenschaft133 und spätere Kultusminister Schmidt(-Ott) hatte ihm zu Kriegsbeginn nicht nur die Heimkehr nach Frankreich ermöglicht, sondern ver mittelte während Haguenins Berner Tätigkeit auch dessen Korrespondenz mit seinen Angehörigen in den besetzten Gebieten.134 Wendet man sich den Lektoren zu, ergibt sich ein anderes Bild: Das Innen ministerium des Großherzogtums Hessen hatte bereits am 14. August er wogen, ob auf die Tätigkeit von Privatdozenten, Assistenten, Lektoren »verzichtet werden muß und ihre Beziehungen zur Hochschule zu lösen sind.« Die Universität sollte zunächst angeben, »inwieweit die mit einzelnen Funktionären abgeschlossenen privatrechtlichen Verträge alsbald gelöst werden können«.135 Doch statt der vorgesetzten Behörde die erbetenen Informationen zur Verfügung zu stellen, nahm die Universität die Sache gleich selbst in die Hand136 – und verfuhr dabei mit den einzelnen Personen offenbar unterschiedlich: Sie strich die beiden Lektoren und einen Assistenten der Medizinischen Fakultät aus dem Russischen Reich aus ihrem Personalverzeichnis und beantragte sofort die Entlassung des Englisch-Lektors Marshall Montgomery zum 1.10. Dem aus 131 Dessoir, Buch der Erinnerung, S. 58 (wiedergegeben in der Formulierung D.s!). 132 S. dazu Peter Claus Hartmann, Die Mission Haguenin im Frühjahr 1919. Ein schwieriges Kapitel deutsch-französischer Beziehungen, in: Wolfgang Elz/Sönke Neitzel (Hg.), Internationale Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert. Festschrift für Winfried Baumgart (…), Paderborn u. a. 2003, S. 217–228. Als Beispiel für die Kritik daran s. Freiherr von Lesner MdR, Graf Brockdorff-Rantzau und das Friedensdiktat, in: Deutsche All gemeine Zeitung 21.2.1921 MA , in: UA HU UK H-41 Teil II. 133 Diese bestand eigenständig neben der Hochschulabteilung. 134 Schmidt-Ott, Erlebtes und Erstrebtes, S. 149. 135 Gh. MdI an LU Gi 14.8.1914: UA Gi Allg. 1350, fol. 196. 136 Auf dieses vorauseilende Handeln hat bezüglich der Studenten bereits Siebe, Ausländische Studierende in Gießen, S. 35 hingewiesen. S. jetzt auch Siebe, »Germania docet«, S. 344 (mit pauschalem Hinweis auch auf die Betroffenheit der Dozenten S. 346).
752 Studium und Lehre im Krieg Belgien stammenden Lucien Thomas könne jedoch erst zum 1.4.1915 gekündigt werden. Für ihn setzte sich die Universität zudem besonders ein: Da sie »seiner Gesinnung völlig gewiss zu sein glaub[t]e«, bat sie das Ministerium, »die Entwickelung der Dinge in Belgien abwarten zu wollen ehe eine Entscheidung getroffen wird.«137 Rektor Eck (der selbst aus Petersburg stammte) bestätigte auch die Schwierigkeiten, die dem Klinikdirektor aus einer Kündigung des Assistenten aus dem Russischen Reich erwüchsen, regte aber die Rückbeorderung eines an der Heilund Pflegeanstalt Goddelau tätigen einheimischen Assistenten in die Klinik an, um Joseph Regensburg dann mit vierwöchiger Frist zu kündigen.138 Dieser war ein erfahrener Arzt, der 1899 nach 9semestrigem Studium bereits in Philosophie promoviert worden war und nach seinem Medizinstudium und der zweiten Promotion 1909 in Berlin zunächst an der Hessischen Heil- und Pflegeanstalt in Alzey gearbeitet hatte. Seit 1911 war er Assistent an der Gießener Klinik für Psychische und nervöse Krankheiten.139 Der Klinikdirektor (und künftige Rektor) Sommer hatte gleich zu Kriegsbeginn Regensburgs Zimmer in der Klinik »unter Clausur gesetzt und Herr[n] Dr. Regensburg unter Aufsicht gestellt«, außerdem eine Durchsuchung bei seiner in einer Pension wohnenden Frau veranlaßt. (Regensburg wurde, wie russische Studenten, von manchen der Vergiftung des Trinkwassers verdächtigt.) »Beide Personen sind nach ergebnisloser Durchsuchung der Sachen und polizeilichem Verhör auf freiem Fuss entlassen worden.« Auf dieser Grundlage hatte Sommer dann darum gebeten, Regensburg im Dienst zu belassen. Um »Insulten« gegen sie »vorzubeugen« und sie »unter Aufsicht zu stellen«, hatte er außerdem dessen »stark nervös erregte Frau am 3. August als freiwillige Pensionärin in die Klinik aufgenommen«. Außerdem hatte er dem Ehepaar verboten, das Klinikgelände zu verlassen – und suchte dafür (über den Rektor) um die Genehmigung des Ministeriums nach. Dies hielt der Rektor für unnötig, bekräftigte aber den ›Hausarrest‹, »da sie sonst sowohl gegen sich selbst wie gegen die Klinik eine unerwünschte Erregung hervor
137 Bericht des Rektors an Gh. MdI 27.8.1914: UA Gi Allg. 1350, fol. 191. 138 Wie A. 137. Zu den gleichzeitig gestrichenen Studenten s. u. S. 772. 139 Der Rabbinersohn Regensburg stammte aus Kurland, also jener Provinz des Russischen Reichs, die nicht zum Ansiedlungsrayon gehörte und in der die Juden stark deutsch akkulturiert waren. Nach der philosophischen Promotion hatte er sich noch einige Jahre weiter den Geisteswissenschaften gewidmet (vielleicht auf eine akademische Karriere gehofft?), bevor er 1904 mit dem Medizinstudium begann. Berufstätigkeit nach Sommer (wie A. 141); zur Biographie s. den Lebenslauf in seiner Dissertation (die er S. 5 A. * als »zweiten Abschnitt einer größeren Monographie über die Psychosen des Wochenbettes« bezeichnete): Joseph Regensburg, Beitrag zur Ätiologie der Puerperalpsychosen, Diss. med. Berlin 1909, S. 48. Der Promotionsakte zufolge wurde er mit dem Gesamtergebnis »sehr gut« promoviert (Prot. der mündl. Prüfung 24.7.1909); Diplom 6.8.1909: »dissertationem eximiam«: UA HU Med. Fak. 756, fol. 57–64, hier 59, 64.
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rufen könnten.«140 Als das Ministerium dann die Entlassung ausländischer Assistenten erwog, untermauerte Sommer Regensburgs Ungefährlichkeit nicht nur durch die von den Militärbehörden vorgenommene Untersuchung, sondern auch durch dessen Herkunft: »Regensburg ist Jude und stammt aus dem Baltenlande, er ist zwar der Staatsangehörigkeit nach Russe, aber nach meiner Überzeugung nicht der Gesinnung nach.« Sommer sprach sich im Gegenteil dafür aus, ihm die deutsche Approbation zu erteilen – unter der Bedingung, daß er sich bald naturalisieren lasse.141 (Tatsächlich wurden 1915 mehr Juden aus Osteuropa eingebürgert als im Jahrzehnt davor, doch dann kehrten die deutschen Behörden zur Verweigerungspolitik zurück – sogar gegenüber jenen Familien, deren Söhne im Krieg freiwillig Dienst in den deutschen Truppen leisteten.142 Daß Regensburg einen Einbürgerungsantrag stellte, ist unwahrscheinlich, denn seine Frau reiste schon im September nach Rußland aus, und er selbst war auch 1916, als er noch einmal kurzfristig nach Gießen kam, noch »Russe«.143) Am 8.9.1914 verfügte das hessische Ministerium schließlich das schon im August ins Auge gefaßte Lehrverbot für Ausländer aus den kriegführenden Staaten und ergänzte, daß Verträge mit Dozenten gegen Vergütung »alsbald zu dem erstzulässigen Termin zu lösen« sowie Assistenten zu entlassen seien.144 Das geschah auch mit Regensburg, der in den weiteren Verzeichnissen und Akten nicht mehr erscheint. Wie die Trennung zwischen der Universität Gießen und dem Lektor Mont gomery genau erfolgte, ob er, wie viele andere Ausländer, bereits kurz vor Kriegsbeginn abgereist war, ist nicht dokumentiert. Im September wies das hessische Ministerium auf seine Bitte jedenfalls noch die Vergütung für die im Sommersemester abgehaltenen Kurse an – bei der Filiale einer Bank in Gießen.145 Montgomery hatte die Universität Oxford mit dem Magistergrad absolviert, 140 Sommer an Rektor 5.8.1914 (mit Entwurf des Schreibens des Rektors an Sommer 7.8.1914): UA Gi Allg. 1350 (in diesem Teil unfol.). Bericht über den Verdacht (ohne Namensnennung): Grießbauer, Wie ich den großen Krieg erlebte, S. 16 (»Namentlich die angebliche Vergiftung des Trinkwassers durch russische Studenten, bezw. Assistenten der Universität, hatte die Stadt in große Aufregung versetzt.«). 141 Sommer an Rektor 25.8.1914: UA Gi Allg. 1350 fol. 207. 142 Knapp zur Vorkriegszeit: Trude Maurer, Ostjuden in Deutschland 1918–1933, Hamburg 1986, S. 308 f., zum gebrochenen Versprechen im Krieg S. 42. Zum ersten Kriegsjahr: Dieter Gosewinkel, Einbürgern und Ausschließen. Die Nationalisierung der Staats angehörigkeit vom Deutschen Bund bis zur Bundesrepublik Deutschland, Göttingen 2001, S. 330. 143 Seine Frau ging am 26.9.1914 »nach Rußland«, seine eigene Abreise ist nicht vermerkt (Einwohnermeldekarte mit Datum des Zuzugs 14.5.1911). 1916 kam er aus Wilna und reiste zwei Tage später wieder dorthin ab (weitere Einwohnermeldekarte mit Datum des Zuzugs 15.3.1916). Beide: StA Gi PSK . 144 Gh. MdI an LU Gießen 8.9.1914: UA Gi Allg. 1350, fol. 189. 145 Gh. MdI an LU Gi 11.9.1914 (Bitte um Bestätigung der Kurse); Phil. Fak. Gi 18.11. [9.?] 1914; Gh. MdI an Hauptstaatskasse 7.9.1914 (Bank); alle: UA Gi PrA 1005, fol. 10, 11, 13.
754 Studium und Lehre im Krieg war seit 1908 Lektor in Gießen (und seit 1912 hier auch als Student registriert). 1910 hatte er eine in zeitgenössischen Rezensionen vielbeachtete Sammlung von phonetischen Transkriptionen klassischer Texte des 19. Jahrhunderts vorgelegt, 1912 eine Sammlung von sechs Essays bedeutender Persönlichkeiten über so ziale und politische Probleme Großbritanniens herausgegeben. Auch später blieb er als Philologe tätig: Als Lecturer, dann Reader in German an der Universität Oxford publizierte er noch Bücher über Hölderlin (1923) und die GoetheZeit (1931 posthum). Er verstarb 1930.146 Einen stärkeren Rückhalt in der Universität scheint der 34jährige Französisch-Lektor aus Belgien gehabt zu haben: Lucien(-Paul) Thomas. Er war bereits vor Beginn des Krieges in seine Heimat abgereist.147 Als die Universität ihm schließlich im November 1914 die Kündigung schickte, distanzierte sie sich schon durch den Verweis auf die Regierungsverfügung und die gewählte Formulierung von ihrer eigenen Handlung: »sind wir genötigt, Ihnen Ihre Stelle als Lektor der französischen Sprache an unserer Landes-Universität auf den 1. April 1915 zu kündigen.«148 Doch Rektor Sommer ging sogar noch weiter und schrieb Thomas einen persönlichen Brief, in dem er die Kündigung nicht nur bedauerte, sondern auch die Hoffnung auf Thomas’ »Wiedereintritt, den wir sehr wünschen«, im nächsten Frühjahr ausdrückte. »Sie haben sich hier so gute Position verschafft, dass unsere besten Wünsche Sie und Ihre Frau Gemahlin begleiten.« Sommer sprach den Lektor mit Professorentitel voller Respekt als »hochgeehrten« Kollegen und, indem er auch die beiden Ehefrauen gedanklich einbezog, zugleich freundschaftlich-vertraut an.149 Anfang Januar 1915 übermittelte dann der Ordinarius für Romanistik, der Thomas 1905 nach Gießen gebracht hatte, auch jetzt im (privaten) Briefwechsel mit ihm stand und zur Entgegennahme von dessen Vergütung bevollmächtigt war, dessen Bitte: Thomas wollte, falls eine Kündigung anstehe (denn er hatte diese noch nicht erhalten!), für etwa eine Woche nach Gießen kommen, um seine Wohnung aufzulösen. Die Universität unterstützte dies gegenüber der deutschen Besatzungsverwaltung, bei der sich Thomas die Genehmigung holen mußte.150 Zugleich drückte der Rektor schon Anfang Januar gegenüber dem Ministerium die Hoffnung 146 Informationen aus Internet-Recherchen in Bibliothekskatalogen (Nachweise über KVK), Titelblättern seiner Veröffentlichungen und Internet-Recherchen unter Google Books (mit Rezensionen). Lebensdaten und Position nach einer Nachrufnotiz in: Archives néerlandaises de phonétique expérimentale 6 (1931), S. 171. 147 Bericht der Phil. Fak. Gi (für das Ministerium) 18.11.[9.?]1914: UA Gi PrA 1005, fol. 11. Voller Vorname und biogr. Angaben (auch im folgenden Text) aus: Nouvelle Biographie Nationale. Bd. 7, Bruxelles 2003, S. 341 f. S. auch die Einwohnermeldekarte mit Zuzug 20.3.1905 (StA Gi PSK : »Im August 1914 angeblich nach Frankreich« [!]). 148 Rektorat Gi an Prof. Dr. Thomas 21.11.1914: UA Gi PrA 996, fol. 41. 149 Rektorat Gi an Prof. Thomas 24.11.14: UA Gi PrA 996, fol. 49. 150 Nachdem das Kündigungsschreiben zurückgekommen war, hatte die Universität sie auch schon als postalische Vermittlung genutzt.
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aus, daß ein Weg gefunden werde, »um Herrn Professor Thomas in seiner Tätigkeit an der Landesuniversität zu belassen.«151 (Einem ehemaligen Studenten zufolge war er »ein Gelehrter von jugendlichem Temperament, Witz und spritziger Rednergabe«.152) Das Ministerium hielt im Februar allerdings »eine Entschließung über Thomas’ Wiederberufung für verfrüht«153 – während die Fakultät, die »großen Wert auf [dessen] Wiedergewinnung« legte, fast zur gleichen Zeit versuchte, den Rektor zu einer Demarche beim Ministerium zu bewegen. Sollte dies nicht genehmigt werden, müsse ein Vertreter für Thomas (und für Montgomery) bestellt werden.154 Thomas lehrte nach seiner Rückkehr nach Belgien zunächst am Lyzeum seiner Heimatstadt Lüttich, ab 1920 an der Univer sität Brüssel – als renommierter Romanist und Komparatist. Das Gießener Lektorat für Englisch übernahm im Sommersemester 1914/15 ein Deutscher, der bis zum Krieg eine Professur in Belfast innegehabt hatte. Doch war von Anfang an klar, daß die Fakultät nach Kriegsende wieder einen Muttersprachler anstellen wollte. (Der deutsche ›Kriegslektor‹ unterbrach diese Tätigkeit dann zwecks Vertretung eines erkrankten Gießener Germanisten und übte sie danach erneut bis zum Winter 1918/19 aus.)155 Während seiner germanistischen Vertretungstätigkeit ersetzte ihn ein Deutschamerikaner, der in Basel, Berlin und Frankfurt studiert hatte, aber Deutschland nach dem Kriegseintritt der USA verließ (und später Ordinarius in Basel wurde).156 Das Französisch-Lektorat wurde ab Ostern 1916 mit dem Schweizer Lizentiaten Otto Kluth wiederbesetzt.157 Das Gegenbeispiel zu den Bemühungen der Gießener um ihren Französisch-Lektor bietet der Fall des Berliner Englisch-Lektors Fred Harsley: Der bei Kriegsbeginn 52 Jahre alte Harsley war seit 1890, also fast sein ganzes Berufsleben, an der Universität der deutschen Hauptstadt tätig.158 In vollendetem 151 152 153 154 155
Bericht des Rektors an das Ministerium 5.1.1915: UA Gi PrA 1005, fol. 14. Bach, Studentisches und wissenschaftliches Leben, S. 203. Gh. MdI an LU Gi 19.2.1915: UA Gi PrA 1005, fol. 15. Phil. Fak. Gi an Rektor 25.2.1914: UA Gi PrA 996, fol. 50. Max Freund. Nach PB LU Gi SS 1916 bis WS 1918/19. [Wilhelm] Horn Antrag an die Phil. Fak. Gi 9.3.1915 (mit Hinweis auf Nachkriegszeit) und Abstimmung der KK : UA Gi PrA 1650, fol. 61 f. und 63. Zur Vertretung: Rektoratsberichte in Sommer, Krieg und Seelenleben, S. 24; Sievers, Geographische Grenzen, S. 26; Schian, Volk, S. 23. 156 Biogr. Angaben zu Henry Lüdecke nach: Franz-Rutger Hausmann, Amerikanistik und Anglistik im »Dritten Reich«, Frankfurt 2003, S. 9 A. 1. 157 Sievers, Geographische Grenzen, S. 26. Seine Dissertation enthält keinen Lebenslauf, doch spricht er im Vorwort von »nous Suisses« (S. 3). Daß es sich um den Gießener Lektor handelt, ergibt sich auch aus dem auf dem Titelblatt genannten Titel »Licencié ès lettres« und paßt zu den Angaben im Vorwort (Beginn der Diss. 1912, Materialsammlung in Berlin): Otto Kluth, Carl Spitteler et les sources de son génie épique, Thèse (…) pour obtenir le grade de Docteur ès lettres, Génève 1918. 158 Vertragsbeginn nach Asen, Gesamtverzeichnis, S. 70. Geburtsdatum 1862 aus dem Verbundkatalog der britischen Bibliotheken.
756 Studium und Lehre im Krieg Deutsch und höflicher Form wandte er sich Anfang Oktober an den Dekan der Philosophischen Fakultät, um ihm seine Lehrveranstaltungen anzukündigen und zugleich mitzuteilen, daß eine Reise nach Deutschland derzeit noch nicht möglich sei. Außerdem fügte er ein privates Schreiben bei, in dem er seiner Hoffnung Ausdruck gab, daß es dem Sohn des Dekans gute gehe und dies auch weiterhin so sein möge. Der Dekan, der Nationalökonom Sering, antwortete darauf, daß feindliche Ausländer auf Verfügung des Ministers keine Lehrveranstaltungen halten dürften und der Lektor deshalb aus der Liste der Lehrenden getilgt sei. Den ursprünglichen Zusatz über den Militärdienst seines Sohnes hatte er wieder gestrichen. Auch die Unterschrift korrigierte er aus einer mehr persönlichen (mit Initial des Vornamens) in eine rein amtliche Form – und redete Harsley, der ihn als »Lieber Professor Sering!« angesprochen hatte, mit »Sehr geehrter Herr Harsley!« an. (Harsley, der den Angaben seines College von 1900 zufolge einen Ph. D. hatte, figurierte im Berliner Verzeichnis nur als M. A.) Der gestrichene persönliche Zusatz gibt Aufschluß über Serings Haltung: »Mein Sohn steht gegen Ihre sauberen Verbündeten, die Russen, im Felde. Er bestätigt mir die entsetzlichen Mordbrennereien, welche diese in ganz Ostpreussen verübt haben. Er kämpft jetzt in Russland selbst und wird die Freunde Englands vollends zerschmettern helfen.«159
Gehässigkeit und Vernichtungswille (»zerschmettern«) als Antwort auf die menschliche Anteilnahme des englischen Lektors, der sogar in der Ferne daran gedacht hatte, daß Serings Sohn im kriegsdienstpflichtigen Alter war. Und ein persönlicher Angriff auf Harsley, auch wenn er sich inhaltlich gegen »die Russen« richtete: »Ihre sauberen Verbündeten«, als hätte der Lektor selbst das Bündnis geschlossen. Im übrigen schrieb dies jener Mann, der 1913 noch betont hatte, daß Rußland und Deutschland »aufeinander angewiesen [seien] und (…) das dringendste Interesse daran [hätten], diese Beziehungen zu pflegen.« Sein damaliges Urteil über die Russen als »ein wohlbegabtes Volk von ungebrochener Kraft« hatte Sering mit Hinweisen auf ihre Landwirtschaft, ihr Handwerk und die russische Kunst unterstrichen.160 Der zweite Englisch-Lektor, der Australier Frederic Sefton Delmer, zunächst Lektor in Königsberg, war seit 1902 in Berlin tätig (wo er schon in den neun159 Fred Harsley an Dekan Phil. Fak. Berlin 7.10.1914; Fred Harsley an Prof. Sering 7.10.1914; Phil. Fak. Berlin an Harsley 14.10.1914. Alle: UA HU Phil. Fak. 1447, fol. 99a, 99b, 99e. Der Nachweis des Ph. D. nach: The Owens College, Manchester. A Brief History of the College and Description of its Various Departments, Manchester 1900, S. 134, 135. Nach: http://www27.us.archive.org/stream/owenscollegemanc00hartuoft/owenscollege manc00hartuoft_djvu.txt (20.5.2012). 160 Sering, Rußlands Kultur und Volkswirtschaft, Zitate S. III, IV. Zu der von Sering ge leiteten Studienreise s. o. S. 131 f.
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ziger Jahren als Studierender die Aufmerksamkeit des Kunsthistorikers Hermann Grimm gewonnen hatte). Im Gegensatz zu Harsley war er offenbar nicht ausgereist – und wurde als ›feindlicher Ausländer‹ dann in Ruhleben interniert (wo sich zeitweise 4000 Briten, anfangs nur Engländer, später auch Personen aus den dominions befanden). Doch kam er 1915 frei und wurde 1917 im Rahmen eines Gefangenenaustauschs zwischen den verfeindeten Mächten nach England ›repatriiert‹. (Nach dem Krieg kehrte er als Journalist nach Deutschland zurück).161 Die Fakultät stellte bald einen Antrag auf Ersatz, weil das Fach durch den Krieg »noch wichtiger« geworden sei. So wurde auf ihren Vorschlag ein deutscher Oberlehrer verpflichtet.162 Dagegen lehnte die Fakultät das ministerielle Angebot eines amerikanischen Lektors ab – sie wollte sich für den Krieg mit einem »Provisorium begnügen«. Ob sie evtl. auf die Rückkehr der altbewährten Lektoren nach Kriegsende hoffte? Als zweiter Englisch-Lektor wurde 1918 ein Deutscher bestellt, der in Amerika studiert und dort auch als assistant gearbeitet hatte.163 Der zweite Französischlektor (neben dem Extraordinarius Haguenin) setzte seine Tätigkeit nicht nur fort, sondern trat auch für die deutsche Sache ein. Eugène Pariselle war also kein ›feindlicher Ausländer‹, sondern vermutlich deutscher Staatsbürger: 1856 in Altenburg geboren, hatte er das Gymnasium zum Grauen Kloster in Berlin besucht sowie die Universitäten Berlin, Rom und Halle, wo er 1883 auch promoviert worden war. Lektor in Berlin war er seit 1894.164 Pariselle hatte 1914 die Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reichs unterschrieben und übersetzte 1917 (unter dem Pseudonym François Parny) eine Erzählung von Karl May ins Französische, die einerseits (als Separatum) für französische Kriegsgefangene bestimmt war, andererseits als Fortsetzungstext in Zeitungen in den von Deutschen besetzten Gebieten erschien 161 Alle Angaben zur Person nach der Biographie des Nachlaßverwalters, der Bibliothek von New South Wales: http://acms.sl.nsw.gov.au/item/itemdetailpaged.aspx?itemid=91068 (20.5.2012). Die Datierung des Berliner Lektorats (dort 1901) hier nach Asen, Gesamtverzeichnis, S. 35. Zum Lager Ruhleben: Christoph Jahr, Zivilisten als Kriegsgefangene: Die Internierung von »Feindstaaten-Ausländern« in Deutschland während des Ersten Weltkrieges am Beispiel des »Engländerlagers« Ruhleben, in: Rüdiger Overmans (Hg.), In der Hand des Feindes. Kriegsgefangenschaft von der Antike bis zum Zweiten Weltkrieg, Köln u. a. 1999, S. 297–321, bes. 303. 162 Morf an [Pr. KuMi] 5.11.1914 (Zitat); Pr. KuMi an Oberlehrer Michael 23.11.1914 (sowie für spätere Semester 12.2.1915, 10.2.1916). Alle: UA HU Phil. Fak. 1447, fol. 99 f., 100 (sowie 102, 122). 163 Engl. Seminar Berlin an Pr. KuMi 7.7.1918; Pr. KuMi an Bröker 12.7.1918. Beide: UA HU Phil. Fak. 1447, fol. 214, 215. 164 http://www.luise-berlin.de/kalender/tag/jul31.htm (14.12.2011). Als Geburtsdatum ist hier 31.7.1856 angegeben, bei Asen, Gesamtverzeichnis, S. 145 dagegen 31.5.1856. Dissertation: Eugène Pariselle, Über die Sprachformen der ältesten sicilianischen Chroniken, Halle a. S. 1883.
758 Studium und Lehre im Krieg und die Franzosen an ihre frühere Feindschaft mit England erinnern sollte.165 An der Universität vermittelte Pariselle »ein fehlerfreies, wenngleich etwas starres und altmodisches Französisch«, während es Max Dessoir in Haguenins Vorlesungen vorkam, »als ob man in der Sorbonne saß und der erlesenen Sprache eines hochgebildeten Parisers lauschte.«166 Pariselles Kontrakt wurde 1916 und 1918 um jeweils zwei Jahre verlängert. Erst 1924 schied er aus dem Dienst aus – mit 68 Jahren offenkundig aus Altersgründen.167 Daß das Ministerium allein nach dem Kriterium der Staatsangehörigkeit entschied, wird an dem eingebürgerten Schalfejew und an zwei Juden klar, die mit den Kriegsgegnern Deutschlands aller Wahrscheinlichkeit nach nicht sympathisierten, auch wenn (oder gerade weil) sie diesen Staaten angehörten. Als wegen Schalfejews Erkrankung der Russisch-Unterricht im Sommer 1915 teilweise ausfallen mußte und im Wintersemester gar nicht erst begann, schlug Brückner der Fakultät einen russischen Juden als Vertreter vor. Der junge Mann hatte sein Studium in Berlin unterbrochen und unterrichtete an der Berlitz School, arbeitete an einer Grammatik des Russischen und plante eine slavistische Dissertation. Er hatte sich sogar zur unentgeltlichen Aushilfe während Schalfejews Erkrankung bereiterklärt und wurde auch von Wilamowitz als »durchaus tüchtig« eingeschätzt. Doch der Minister lehnte ab, obwohl der Kandidat bereits die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt hatte: »Feindliche Ausländer können zur Ausübung des Unterrichts an einer Universität grundsätzlich nicht zugelassen werden.«168 Dies hielt der Minister so konsequent durch, daß er dem Rumänisch-Lektor Tiktin, einem gebürtigen Deutschen, inzwischen aber in Rumänien eingebürgert, nach dem Kriegseintritt Rumäniens den 1912 er teilten Lehrauftrag entzog.169 Daß andererseits die offiziell kühle, tatsächlich aber gehässige und chauvi nistische Haltung Serings 1914 kein Einzelfall war, belegen Auseinandersetzungen zwischen dem Lektor der nordischen Sprachen, Johannes Neuhaus, und 165 Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reichs, S. 5. Zur May-Übersetzung: Sigbert Helle, Aus dem Zeitungsarchiv der Karl-May-Gesellschaft. Le Corsaire – Robert Surcouf – Ein Kaper – Der Kaperkapitän, in: KMG -Nachrichten Nr. 157, III . Quartal 2008, S. 14–16 (15: Faksimile der Gazette des Ardennes). 166 Dessoir, Buch der Erinnerungen, S. 187. 167 Zu den Verlängerungen: Prot. der Fakultätsversammlung 30.5.1916 und 2.5.1918: UA HU Phil. Fak. 1447, fol. 151 bzw. Phil. Fak. 35, fol. 101–107, hier fol. 101v. Ende der Tätigkeit: Asen, Gesamtverzeichnis, S. 145. 168 A. Brückner an Rektor FWU Berlin o. D. (mit Vermerk: 20.11 [?] an Schiemann und Zitat Wilamowitz’); Brückner an Dekan der Phil. Fak. 2.12.1915; Schiemann an Dekan 20.11.1915; Dekan an Pr. KuMi 20.12.1915 (Entwurf; mit biogr. Informationen über Rogalsky); Pr. KuMi an Dekan Phil. Fak. Berlin (Zitat). Alle: UA HU Phil. Fak. 1447, fol. 115–116, 117–118, 119, 120, 121. 169 Pr. KuMi an Phil. Fak. Berlin 18.10.1916: UA HU Phil. Fak. 1447, fol. 162. Details zu Tiktin s. o. S. 119 mit A. 183.
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dem Dekan des Jahres 1916. Und hier geht es nicht mehr um feindliche Ausländer, sondern um den Staatsangehörigen eines neutralen Landes. Der Dekan, der Meteorologe Gustav Hellmann, gab dem seit (der Gründung dieses ersten Lektorats für nordische Sprachen in Deutschland) 1906 in Berlin tätigen Neuhaus seine Ankündigung zurück und forderte, daß auch der erste Satz des Texts deutsch sein müsse. Neuhaus (der im – bei seiner Geburt bereits preu ßischen – Nordschleswig geboren, aber dänischer Staatsbürger war) berief sich dagegen auf »das Prärogativ des fremden Lektors in allen Ländern […], seine Anschläge in der Muttersprache machen zu dürfen«. Für den Fall, daß der Dekan »diese beleidigende Massregelung des nordischen Volkstums« aufrecht erhalte, drohte der Lektor mit dem Protest der nordischen Mächte bei den vorgesetzten Instanzen – und wandte sich schon binnen weniger als einer Woche selbst mit einer Beschwerde an das preußische Kultusministerium. Der Dekan müsse doch gewußt haben, daß Neuhaus während des Krieges im Dienste der deutschen Sache und sogar für den deutschen Generalstab gewirkt habe.170 Im nächsten Brief drohte Neuhaus ihm dann schon, daß die diplomatischen Vertreter wegen der »den nordischen Völkern angetanen Brusqierung« beim Reichskanzler vorstellig werden könnten – und erinnerte daran, daß Deutschland doch um die nordischen Völker werbe.171 Schließlich übergab Neuhaus die Angelegenheit dem Kaiser (auf dessen Entscheidung er seine Anstellung letztlich zurückführte) und sagte seine Lehrveranstaltungen ab, bis dieser entschieden habe. Dabei nannte er den Studenten als Grund ausdrücklich einen »Konflikt« zwischen dem Lektor und dem Dekan.172 In einem weiteren, nunmehr privaten Brief an den Dekan »als Menschen« erklärte er dessen Vorgehen für ein »Verbrechen an Deutschland«; denn es könnte »das Entsetzli[chste?] herbeiführen (…), wenn man allgemein im Norden erfährt, dass die Beamten hier ohne Rücksicht auf die Regierung eigenen gehässigen Gefühlen nachgehen«.173 Indem er darauf hinwies, daß er sich mit Dankesbriefen des deutschen Admiralsstabs die Rückkehr nach Dänemark erschwert habe, charakterisierte er sich selbst als aufrechten Menschen: ein Mann müsse das ernten, was er gesät habe – und kündigte, da die Fakultät auf der »Ausmerzung [des Dänischen] auf dem Anschlage« be170 Johannes Neuhaus an Dekan der Phil. Fak. Berlin, GR Hellmann 4.4.1916 (Zitat): Johannes Neuhaus an Pr. KuMi: Beschwerde (….) 10.4.1816. Beide: UA HU Phil. Fak. 1447, fol. 133, 135. Geburtsort Hadersleben lt. handschriftlichem Zusatz im Ex. des UA HU von: Asen, Gesamtverzeichnis, S. 139. Dänische Staatsbürgerschaft nach: Andreas Åkerlund, Mellan akademi och kulturpolitik. Lektorat i svenska språket vid tyska universitet 1906–1945, Uppsala 2010, S. 48. 171 Johannes Neuhaus an Dekan der Phil. Fak. 11.4.1916: UA HU Phil. Fak. 1447, fol. 136. 172 Neuhaus an Dekan der Phil. Fak. 5.5.1916; Neunordische Sprachen [o. D.]: UA HU Phil. Fak. 1447, fol. 137, 140. Daß der Kaiser seine »Anstellung« »bewirkt« habe, schreibt Neuhaus im nächsten Brief an den Dekan: 10.5.1916 (ebd. fol. 145). 173 Neuhaus an Hellmann 6.5.1915: UA HU Phil. Fak. 1447, fol. 143–144.
760 Studium und Lehre im Krieg harre, seinen eigenen »Abzug« an.174 Als die Anfragen der Studenten sich häuften, wies Neuhaus den Dekan in einem weiteren Schreiben wegen der unterlassenen Bekanntmachung zurecht – doch fand dieser den Aushang nach eigener Aussage erst vier Tage nach dieser Beschwerde vor, habe ihn aber mit seinem Sichtvermerk sofort weitergegeben.175 Der Kultusminister stellte sich hinter den Dekan: Dieser sei »berechtigt [gewesen], die Abfassung des Anschlages in deutscher Sprache in vollem Umfange zu verlangen«. Außerdem rügte er Neuhaus für das »Unangemessene seines Tons«. Inzwischen hatte dieser den Aushang tatsächlich auf deutsch abgefaßt.176 Offenbar sah er nun ein, daß er keine Aussicht auf Erfolg hatte, und schrieb einen Monat später aus Kopenhagen, daß die nordischen Universitäten sich an den Dekan wenden würden, um eine Ver ständigung herbeizuführen.177 Die Interpretation dieser bizarren Episode leidet zunächst daran, daß nur die Schreiben des Lektors überliefert sind, keine Antworten des Dekans. (Möglicherweise provozierte gerade dessen geschäftsmäßiges Schweigen den Lektor noch mehr.) Darüber hinaus steht im Hintergrund aber Neuhaus’ Eindruck, daß die Fakultät die Einrichtung des Lektorats abgelehnt und ihn von Anfang an als »eine lästige Hilfskraft« behandelt habe.178 Das mußte die Lösung jedes Problems zwischen ihm und der Fakultät erschweren. Tatsächlich hatte es solche Spannungen seit der Einrichtung des Lektorats gegeben, die von Althoff ohne jegliche Beteiligung der Fakultät betrieben worden war. Deshalb wurde es von ihr zwar prinzipiell begrüßt, doch die Besetzung mit Neuhaus von Anfang an abgelehnt, auch weil der Dänisch-Unterricht bereits durch den Extraordinarius und Altgermanisten Heusler vertreten war (und diesem durch Neuhaus’ didaktisch modernere Unterrichtsgestaltung und landeskundliche Ausrichtung Konkurrenz erwuchs). Möglicherweise standen außerdem »nationale Animositäten« als Nachwirkungen des deutsch-dänischen Krieges hinter der Ablehnung von Neuhaus’ erster Veranstaltung über Bevölkerungs- und Sprachverhältnisse. Später, unmittelbar vor dem Krieg, stieß allerdings seine pro-deutsche Interpretation der Sprachgeschichte (in einer Vorlesung über Jütland) auf den Widerspruch des Fachvertreters. In dieser Situation hatte Neuhaus schon einmal (vergeblich) die Rückkehr nach Kopenhagen versucht. Bereits damals fürchtete er, der sich aufgrund der Umstände seiner Ernennung durchaus als »politischen Vermittler zwischen Dänemark und Deutschland begreifen« konnte, 174 Lektor Neuhaus an Dekan der Phil. Fak. 10.5.1916: UA HU Phil. Fak. 1447, fol. 145/148. 175 Angesichts der sonstigen Antwortfristen innerhalb der Universität erscheint eine so verzögerte Übermittlung allerdings wenig wahrscheinlich. Neuhaus an Dekan der Phil. Fak. 12.5.1916; Notiz des Dekans. Beide: UA HU Phil. Fak. 1447, fol. 146, 147. 176 Pr. KuMi an Lektor Johannes Neuhaus (Privatadresse!) 26.5.1916: UA HU Phil. Fak. 1447, fol. 149 (mit Vermerk betr. Neufassung der Ankündigung). 177 Neuhaus [an Dekan] 13.6.1916: UA HU Phil. Fak. 1447, fol. 150. 178 So in der Beschwerde an den Minister (wie A. 170).
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ein »›Opfer der Politik‹« zu werden.179 Auf diesem Hintergrund erscheint einerseits die (seinem Gefühl der Zurücksetzung entspringende) Schärfe von Neuhaus’ Scheiben verständlicher. Andererseits könnte man aber auch die Haltung des Naturwissenschaftlers im Dekanat als Versuch einer durchaus sachbezogenen Zurückhaltung, ja Neutralität im innerdisziplinären Streit der Philologen verstehen. Doch tritt gerade dann die prinzipielle Frage, ob im Krieg nur Deutsch als Ankündigungssprache verwandt werden soll, um so schärfer hervor. So macht der Fall in erster Linie die Kompliziertheit der Analyse inner universitärer Verhältnisse deutlich, in die – nicht nur in diesem Fall – auch die hierarchischen Beziehungen zwischen Lektor und Professor sowie frühere Spannungen zwischen den Beteiligten und anderen Angehörigen der Fakultät hineinspielen.180 In Straßburg »verschwand« der Lektor für Französisch, Hubert Gillot, bereits am 26. Juli »in aller Stille«181 – aus den offiziellen Darstellungen und Akten sogar quasi spurlos. Sein Name wurde (im Gegensatz zu dem »beim Ausbruch des Krieges gestrichen[en]« »Mr. Woodall«) nicht einmal anläßlich der Bestallung seines Nachfolgers erwähnt.182 Dabei war Gillot nicht nur seit 1901/02 Lektor an der Universität, sondern zugleich auch ein produktiver Wissenschaftler. Zuletzt hatte er mit seiner »republikanischen Gelehrsamkeit« Anfang 1914 eine 600seitige Untersuchung über die Querelle des anciens et des modernes in Frankreich vorgelegt, die sich auf einer zweiten Ebene auch als Rechtfertigung des neuen französischen Lehrplans mit Betonung der modernen Sprachen und Naturwissenschaften lesen ließ.183 Außerdem hatte er Albert Schweitzers (von Charles Widor angeregtes!) französisches Buch über Bach redigiert, wofür Schweitzer ihm als »Freund und treuem Mitarbeiter« dankte.184 Vermutlich war Gillot, dessen Heimatstadt Langres ohnehin an der Eisenbahn-Hauptlinie Mülhausen – Belfort – Paris lag, selbst rechtzeitig abgereist. Während des Krie179 Alles nach Jutta Hoffmann, Nordische Philologie an der Berliner Universität zwischen 1810 und 1945. Wissenschaft – Disziplin – Fach, Frankfurt am Main u. a. 2010, S. 232–238, Zitate S. 234, 237. Hoffmann, deren Arbeit wissenschaftsgeschichtlich ausgerichtet ist, faßt den dargelegten Streit in 12 Zeilen zusammen (S. 237 f.). 180 So stand etwa der Lektor Harsley mit dem Fachvertreter Brandl ebenfalls »auf Kriegsfuß« (nach Dessoir, Buch der Erinnerung, S. 187). 181 So der Inhaber des Romanistik-Lehrstuhls Oskar Schultz-Gora am 15.12.1915 auf dem Schreiben des Dekans der Phil. Fak. vom 3.12.1915 über die Wiederbesetzung der Stelle. Schultz-Gora zufolge war eben durch die Abreise ohne (die vertragliche vor gesehene) Kündigung mit einer Frist von drei Monaten »eo ipso sein Verhältnis zu uns gelöst« (ADBR 62 AL 39). 182 Stiftungsfest der KWU 1916, S. 11. Über James Woodall konnte trotz ausgiebiger Be mühungen nichts in Erfahrung gebracht werden. 183 Martha Hanna, The Mobilization of the Intellect. French Scholars and Writers during the Great War, Cambridge/Mass. u. a. 1996, S. 48 f. 184 Schweitzer, Bach le Musicien-Poète, S. VI .
762 Studium und Lehre im Krieg ges war er offenbar zeitweise – aber ziemlich erfolglos – im militärischen Informationszentrum in Réchésy tätig, das von dem bei Kriegsbeginn nach Frankreich gegangenen Pierre Bucher geleitet wurde.185 Vermutlich stammte von Gillot auch ein Plan für die künftige Gestaltung des Hochschulwesens im Elsaß für eine Stelle des Kriegsministeriums in Belfort.186 Nach dem Krieg scheint er Professor der französischen Universität Straßburg geworden zu sein. Ganz konform mit dem Senatsbeschluß, war von den drei Straßburger Fremdsprachenlektoren im WS 1914/15 nur noch der italienische im Personalverzeichnis enthalten. Doch im Sommersemester 1915 fehlte auch er. Ob er nach dem Kriegseinstritt Italiens (23.5.1915) ausgeschlossen wurde oder die Universität und Straßburg bereits vorher verließ, ist nicht zu ermitteln.187 Doch fand man ab diesem Zeitpunkt allmählich Ersatz für die Entlassenen – in allen Fällen durch Initiativbewerbungen der künftigen Stelleninhaber: Ab Sommer 1915 war Max Christa »mit der provisorischen Vertretung des englischen Lektorats beauftragt«, und dies blieb auch so bis zum Ende der deutschen Universität. Ende der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts war er Lehrer am Anglo-German College in Brixton gewesen.188 Insgesamt hatte er über zwanzig Jahre in England gelebt, war Mitglied des Königlichen Präzeptorenkollegiums in London und hatte zuletzt in Stuttgart eine »Ausländerschule« geleitet, die »leider infolge des Krieges eingegangen« war.189 Lektor für Italienisch war ab Winter 1915/16 ein junger österreichischer Romanist (der später Professor in Deutschland und im Nationalsozialismus an der Reichsuniversität Straßburg wurde): Friedrich Schürr, der damals an einer Schule in Triest italienische Muttersprachler in Italienisch unterrichtete.190 Schließlich kam im Sommer 1916 Paul Gautier als Lektor für Französisch dazu, ein Lothringer, der in Straßburg und München studiert und im Sommer 1915 in Straßburg das Staatsexamen abgelegt hatte, aber bereits seit 1914 am Kolonialinstitut in Hamburg tätig war. »Französisch 185 Bucher beklagte sich, daß Gillot ein »Tolpatsch« sei und immer daneben liege, einfach »unerträglich«. (»Gillot est le même, gaffeur, toujour à côté de la question, insuppor table! Je ne voudrais pas le garder indéfiniment.«) Brief Buchers an seine Gattin, zitiert bei Gisèle Loth, Un rêve de France. Pierre Bucher. Une passion française au cœur de l’Alsace allemande 1869–1921, Strasbourg 2000, S. 225. 186 Das vermutet Craig, Scholarship and Nation Building, S. 203 (Begründung: S. 406 A. 47), der ansonsten außer der französischen Staatsbürgerschaft (S. 179) keinerlei Informationen über Gillot bietet. 187 PV KWU Strb. SS 1915 wurde am 31.5.1915 abgeschlossen!! (S. 80). 188 Zitat: PV KWU Strb. SS 1915, S. 8 (und gleichlautend in allen weiteren Semestern). Frühere Funktion nach: Englische Studien 12 (1889), S. 479. 189 M. Christa (Stuttgart) an Univ. Strb. 26.9.1914: ADBR 62 AL 35 (dort und in 62 AL 36 weitere Dokumente zur Übertragung der Stellvertretung!). 190 Friedrich Schürr, k. k. Supplent a. d. Staatsoberrealschule in Triest an Dekanat der Phil. Fak. Strb. 26.7.1915: ADBR 62 ADL 26. Zu seiner weiteren Karriere: NDB 23 (2007), S. 648 f. (Frank-Rutger Hausmann).
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und Deutsch« waren ihm »gleich geläufig, das eine als Muttersprache, das andere als Vatersprache.191 1918 wurde er (zunächst probeweise) »Hilfsarbeiter im Auswärtigen Amt« und ab Februar 1919 Französisch-Lektor der Universität Berlin.192 Parallel zur Entlassung ausländischer Lehrkräfte wurde auch über Fälle ausländischer Wissenschaftler entschieden, die sich damals gerade in Deutschland befanden. Die Anfragen betrafen vor allem Angehörige nationaler Minderheiten des Russischen Reichs. Dabei wurde verschiedentlich auch beim Reichskanzleramt nachgefragt, das einerseits eine gleichmäßige Behandlung anstrebte, andererseits aber Rücksicht auf Einzelne zu nehmen bereit war und deshalb – wenn man die einzelnen Antworten isoliert betrachtet – zu scheinbar gegensätzlichen Empfehlungen gelangte. Doch lassen sie sich nach sorgfältiger Abwägung für Herbst 1914 dahingehend zusammenfassen, daß man zwar keine Regelungen für Armenier, Deutschbalten oder Finnländer193 als Gruppen treffen wollte, aber ihre Angehörigen bei Prüfung des Einzelfalls durchaus zu schonen bereit war. Damit bewahrten sich die Behörden zugleich eine »möglichste Freiheit« in ihren Entscheidungen.194 Außerdem wird an den Nachfragen deutlich, daß man sich außerhalb Preußens durchaus an diesem orientierte. Da die vorher jährlich stattfindenden Konferenzen der Hochschulreferenten der deutschen Bundesstaaten aber (nach dem letzten Friedenstreffen am 3./4. Juli 1914) erst im September 1916 wieder stattfanden, wurden diese Fragen erst dort gestreift (und auch das eher im Sinne einer Orientierung vor weiteren Regelungen). Nun ging es um die Habilitation von Ausländern. In Preußen entschieden darüber bislang die Fakultäten, nun wurde erwogen, die Zulassung von Ausländern als Privatdozenten von der ministeriellen Genehmigung abhängig zu machen. Die Umfrage nach der Bedingung in den anderen Bundesstaaten ergab, daß man in Hessen bisher wie in Preußen verfuhr, während in 191 S. seinen Lebenslauf o. D.: ADBR 62 AL 36. 192 Phil. Fak. Berlin an Pr. KuMi 20.1.1919; Pr. KuMi an Paul Gautier 20.2.1919 (Zitat). Beide: UA HU Phil. Fak. 1447, fol. 222, 224. »[P]robeweise (….) zur Dienstleistung in das auswärtige [!] Amt einberufen«: Kurator an Dekan der Phil. Fak. 5.5.1918: ADBR 62 AL 39. In der Nachricht (s. A. 182) über die Einstellung neuer Lektoren wird er als »Dr. Gautier« bezeichnet, doch ist der akademische Grad im PV nie enthalten und auch in JHSS 1913–1915 keine Diss. nachzuweisen. 193 Die Bewohner des Großherzogtums – Finnen und Finnland-Schweden – waren, obwohl es eine gewisse Autonomie genoß, ja russische Untertanen. 194 S. die Antwort des Reichskanzleramtes an das Sächs. Min. der Ausw. Angelegen heiten vom 30.9.1914, wobei es zugleich die Zulassung eines Finnländers zur König lichen Bibliothek genehmigte. Ähnlich genehmigte das Pr. KuMi am 2.4.1914 der Universität Berlin, einen Dozenten für Alte Geschichte an der Univ. Helsingfors (wie es scheint, deutscher oder schwedischer Kultur) zum Institut für Altertumskunde zu zulassen. Beide Schreiben in: GSt APK I. HA , Rep. 76a, Sekt 1, Tit. I, Nr. 35 Bd. I, fol. 162 bzw. 169.
764 Studium und Lehre im Krieg Bayern alle Privatdozenten der königlichen Bewilligung bedurften und in allen anderen Bundesstaaten das Ministerium die Genehmigung erteilte.195 Bezüglich der Berufung von Ausländern als Professoren wollten die Vertreter der preußischen Universitäten künftig Doppelstaatsbürgerschaften vermeiden und daher bei der Berufung den Erwerb einer deutschen Staats- und (damit) der Reichsangehörigkeit ausschließen. Dagegen plädierte der Vertreter Bayerns dafür, mit Blick auf »die enge Verbindung des Hochschullehrers mit Land und Leuten seines Wirkungskreises eher« den »Verzicht auf die Ausländereigenschaft zu fordern«.196 In Bayern, wo die Lektoren üblicherweise »etatsmäßige Staatsbeamte (Assistenten mit Beamteneigenschaft)« waren und nach dreijähriger Dienstzeit eingebürgert wurden, hatte das Kultusministerium ihnen auch im Krieg die Lehrtätigkeit »nur dann verbieten [wollen], wenn sich irgend welche Anhaltspunkte dafür bieten sollten, daß sie sich mehr als Angehörige ihres Geburtslandes denn als deutsche Reichsangehörige fühlen.«197 Der Englisch-Lektor in Erlangen übrigens, der seit 1910 die bayerische Staatsangehörigkeit besaß und sich den Landesverhältnissen angepaßt hatte, war trotzdem Ende Juli 1914 ausgereist. 1915 publizierte er ein Buch über seine mehr als 10jährige Deutschlanderfahrung, die ihn zu der Überzeugung geführt hatte, daß die Deutschen England als eingefleischten Feind (inveterate enemy) betrachteten und haßten – und auf den Tag hofften, an dem es gebrochen und erniedrigt werde.198 Insbesondere bei den Lehrern und der Professorenschaft hatte er nur »bittere Abneigung oder im besten Falle schwelendes Mißtrauen« gefunden.199 Er selbst übrigens bezeichnete die Deutschen immer wieder als Teutons.200 Ob sich solche Äußerungen durch Druck zum Verzicht auf die ursprüngliche Staatsbürgerschaft hätten verhindern lassen?
Schlußbetrachtung An die Stelle der Verunsicherung im Spätsommer 1914, als noch niemand mit jahrelangem Krieg rechnete, und bei manchen Professoren und sogar einzelnen Behörden Zweifel auftraten, ob man die Universitäten zum Wintersemester öffnen sollte, trat bald die Entschlossenheit, die Lehre fortzusetzen. Dies lag nicht 195 Prot. der Tagung in Rothenburg o. T. (22./23.9.1916), in: vom Brocke/Krüger (Hg.), Hochschulpolitik im Föderalismus, S. 299–314, hier 308. 196 Wie A. 195, S. 309. 197 [Bayer. Kumi] an Pr. KuMi 15.9.1914: GSt APK I. HA , Rep. 76a, Sekt 1, Tit. I, Nr. 35 Bd. I, fol. 142. 198 Thomas F. A. Smith, The Soul of Germany. A Twelve Years Study of the People From Within. 1902–1914, London 1915, S. X, XV (Zitat). 199 Smith, The Soul of Germany, S. 31. 200 Als Substantiv oder Adjektiv u. a. bei Smith, The Soul of Germany, S. IX , 17, 21, 339, 341.
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nur im Interesse der Institution selbst, sondern auch der meisten ihrer vor Ort anwesenden Mitglieder, die andernfalls ihre eigene Aufgabe und Selbstrecht fertigung verloren hätten. Aber schon mittelfristig machte der Krieg selbst es notwendig, neue Vertreter der akademischen Berufe auszubilden. Vor dieser Aufgabe standen allerdings überall reduzierte Lehrkörper. Einzelne Fakultäten waren durch eine unglückliche Kombination des kriegsbedingten mit dem üblichen Verlust kaum noch arbeitsfähig. Überall aber war die Medizin besonders betroffen – wobei allerdings gerade in dieser Fakultät am ehesten die Möglichkeit bestand, parallel zum Kriegseinsatz als Sanitäts offiziere oder Vertragsärzte in Lazaretten vor Ort oder in der Region die Lehre weiterzuführen. In manchen Kliniken war, schon altersbedingt, das Problem der fehlenden Assistenten noch gravierender als das der Direktoren. Der Krieg erschwerte es auch, die aufgetretenen Vakanzen zu besetzen – weil ein (kleinerer) Teil des Nachwuchses ihm zum Opfer fiel, ein größerer infolge des Kriegsdiensts keine Lehrerfahrung erwarb und weil zumindest Straßburg mit fortschreitender Kriegsdauer seine Attraktivität verlor: von der einstigen Sonnenterrasse des Reichs wurde es zum Grenzposten mit ungewisser Zukunft. Quantitativ spielte die Entlassung bzw. der Ausschluß ausländischer Dozenten eine geringere Rolle, weil Professoren mit der Ernennung üblicherweise eingebürgert wurden (nur vereinzelt auch Lektoren, generell allein in Bayern). Aber gerade durch die Entlassung oder Verdrängung ausländischer Lektoren boten sich deutschen Nachwuchsphilologen zusätzliche Chancen, und manche nutzten sie beherzt. Außerdem läßt sich an den ›Ausgeschiedenen‹ der Umgang mit ausländischen Mitgliedern des Lehrkörpers studieren. Alle hier untersuchten Lektoren und Privatdozenten wirkten seit langem an ›ihrer‹ deutschen Universität, sogar die kürzeste Tätigkeit (Montgomerys) dauerte mittlerweile schon sechs Jahre. Außerdem fällt auf, daß an zwei der drei Universitäten Professoren, die selbst aus dem Russischen Reich stammten und eingebürgert waren, mit dieser Frage befaßt waren (als Rektor in Gießen, als Senatsmitglied in Straßburg). Ob sie allerdings eine die Kollegen eher schützende Rolle spielten (wie es, gegenüber Studenten, etwa von dem Göttinger Chemiker Tammann belegt ist201), oder deren Ausschluß förderten, wird aus den Quellen nicht klar. Dabei war die Haltung zu dieser (im Gegensatz zur studentischen) neuen ›Ausländerfrage‹ der deutschen Universitäten insgesamt höchst unterschiedlich. Doch differierte sie nicht nur zwischen den verschiedenen Universitäten, sondern sogar in ein- und derselben. Die Gießener vollzogen den vom Ministerium nur erwogenen Ausschluß in vorauseilendem Gehorsam und verhielten sich zugleich einem einzelnen Lektor gegenüber hilfsbereit, ja unterstützend. Das 201 Trude Maurer, Weder Kombattanten noch Kommilitonen. »Feindliche Ausländer« in einer deutschen Universitätsstadt während des Ersten Weltkriegs, in: JUG 8 (2005), S. 185–210, hier 194 f.
766 Studium und Lehre im Krieg läßt sich auch nicht einfach mit dem Rektoratswechsel erklären; denn derselbe Rektor, der für die Löschung der Lektoren aus dem Verzeichnis verantwortlich war (und sich darüber wohl mit der Kriegskommission abgestimmt hatte), hatte ja zuvor die Weiterbeschäftigung eines aus dem Russischen Reich stammenden Assistenten befürwortet. Und sein Nachfolger, der sich bei der formellen Kündigung des Vertrags gegenüber dem Französisch-Lektor zugleich von diesem Schritt distanzierte, war zuvor zwar auch für diesen Assistenten ein getreten, aber nicht aus humanitären Erwägungen, sondern in seinem eigenen Interesse als Klinikdirektor. (Dagegen sollte er später gegen die weitere Zulassung von Studenten aus den ›Randvölkern‹ des Russischen Reichs votieren.202) Die Berliner setzten dagegen die ministerielle Anweisung einfach um – und bei den Straßburgern, die als letzte einen Beschluß faßten, ist ein entsprechender Fingerzeig zu vermuten, auch wenn er nicht zu dokumentieren ist. Doch bedeutete der Ausschluß keinen generellen Abbruch des Kontakts zwischen den Vertriebenen (oder schon vorher selbst dem Druck der Ereignisse Gewichenen) und allen Mitgliedern des Lehrkörpers. Vielmehr ist – für Berlin wie für Gießen – eine Weiterführung der persönlichen Korrespondenz einzelner belegt, sogar eine Begegnung im neutralen Ausland. Doch prägte dies nicht die Atmosphäre der Universität. Diese wurde vielmehr ›deutscher‹; denn im formalen Detail (Ankündigung) wie in der personellen Ausstattung trat an die Stelle des Fremden (in Sprache und Person) das Eigene. Noch deutlicher wird diese Homoge nisierung, wenn man die Studentenschaft betrachtet.
202 S. dazu u. Kap. IV.2.
2. Die Studentenschaft vor Ort: »Dienstuntaugliche, Kriegsbeschädigte und studierende Damen«1 Die Vorstellungen von den deutschen Universitäten im Ersten Weltkrieg werden vom Bild der Verödung der Hörsäle und dem ihm zugrundeliegenden Zitat von der fausta infrequentia geprägt. Auch damit stellten die Zeitgenossen ihre Universität in die ruhmvolle Tradition der Befreiungskriege; denn diese Formulierung, die schon beim Berliner Jubiläum 1910 mehrfach in Erinnerung ge rufen worden war, hatte einst der Altphilologe August Böckh geprägt, als er das (natürlich lateinische) Vorwort zum Vorlesungsverzeichnis (Index lectionum) des Wintersemesters 1814/15 schrieb.2 Dagegen signalisieren die Zahlen der Immatrikulierten nur in der ersten Hälfte des Weltkriegs einen (teilweise wohl nur nominellen) Rückgang, am stärksten im ersten Kriegssemester.3 Da die Eingerückten als beurlaubt galten und sich regelmäßig ein neuer Jahrgang immatrikulierte, wuchs die Gesamtzahl weiter an. Davon zu unterscheiden ist jedoch die geringe Zahl der tatsächlich vor Ort anwesenden Studierenden, die eben jenen Eindruck ›ruhmvoller Verödung‹ hervorrief – wobei der Ruhm aber nicht ihnen, sondern den abwesenden Kommilitonen zu verdanken war! Schon das läßt ahnen, wie unangenehm, wenn nicht heikel die Situation der ›Daheim gebliebenen‹ war. Im letzten Friedenssemester, im Sommer 1914, zählten alle deutschen Universitäten zusammen 60.225 Immatrikulierte, im Herbst 1918, als der Waffen stillstand geschlossen wurde, waren es 76.690.4 Doch tatsächlich anwesend 1 Begriffe aus den Erinnerungen des Rostocker Anatomen Dietrich Barfurth, zitiert bei Antje Strahl, Rostock im Ersten Weltkrieg. Bildung, Kultur und Alltag in einer Seestadt 1914–1918, Berlin 2007, S. 58. 2 In Äußerungen über die Berliner Universität im Ersten Weltkrieg: Seckel, Über Krieg und Recht, S. 44; Theodor Kipp, Der Staat und die Jugend. Rede zur Gedächtnisfeier des Stifters (…), Berlin 1916, S. 34; anläßlich des Berliner Universitätsjubiläums: Lenz, Rede zur Jahrhundertfeier, S. 7; Schmidt, Jahrhundertfeier, S. 49. 3 Damals hatten sich Studienortwechsler z. T. schon exmatrikuliert, aber noch nicht an einer neuen Universität immatrikuliert. Zu der dann getroffenen Regelung s. u. S. 834. Daten bei Titze, Datenhandbuch I/1, S. 29 (Tabelle): WS 1914/15: 52.563. Mit WS 1916/17 wurde das letzte Friedenssemester nicht nur erreicht, sondern übertroffen: 60.958. 4 Titze, Datenhandbuch I/1, S. 29. Vgl. für 1914: Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 36 (1915), S. 312 f. Die Tabelle enthält auch die Kaiser-Wilhelm-Akademie für militärärztliches Bildungswesen (mit 506 Studenten) und die Akademie in Posen (mit 386 Hörern). Wenn man diese Gruppen abzieht, erhält man 60.235 (!) an Universitäten Immatrikulierte. (Außerdem sind dort auch die Gasthörer enthalten, wodurch sich die Gesamtzahl der »zum Hören von Vorlesungen berechtigten« auf 68.272 erhöht.)
768 Studium und Lehre im Krieg waren im ersten Kriegssemester nur ca. 18.000 Männer und 3800 Frauen, im Sommer 1916 etwa 12.900 Männer und 5265 Frauen,5 ein Jahr später 11.244 Männer und 6013 Frauen.6 Auch für die hier untersuchten Universitäten konnten entsprechende Zahlen ermittelt werden; doch ist dabei – wie für die Gesamtzahl – zu bedenken, daß selbst die ›Anwesenden‹ »vielfach nur über einen Teil des Semesters [vor Ort waren], da Einberufung zum Militärdienst oder seit dem WS [1916/17] auch zum Vaterländischen Hilfsdienst erfolgte«.7 Schließlich ist für den Vergleich zu berücksichtigen, daß die einzelnen Universitäten nicht wirklich dasselbe erfaßten: Für Berlin enthalten die Statistiken bis Winter 1916/17 genaue Daten jener Studierenden, die tatsächlich Veranstaltungen belegten. Für die Zeit danach finden sich zwar noch Angaben in den Jahresberichten des Rektors; doch sind diese nicht eindeutig.8 Die Gießener Rektoren gaben dagegen nur die ungefähre Zahl der Ortsanwesenden an – doch liegt immerhin eine 1919 angefertigte handschriftliche Statistik vor, wie viele Studierende in den einzelnen Kriegssemestern Lehrveranstaltungen belegten.9 Insofern ist der Anteil der tatsächlich Studierenden für diese beiden Universitäten gut zu vergleichen. Die Straßburger dagegen erfaßten nur
5 WS 1914/15 und SS 1916: Das Universitätsstudium in Deutschland im vierten Kriegs semester, in: BAN XI (1916/17), S. 24. Die Daten für das SS 1915 (in: HN 26 [1915/16], S. 286) sind unklar. Der Formulierung nach handelt es sich bei den 12.000 Anwesenden um »Studierende«, das war auch damals der Oberbegriff für Männer und Frauen. Der Kontext läßt allerdings vermuten, daß nur Männer gemeint sind. Außerdem scheint es hier um alle Hochschulen, nicht nur die Universitäten zu gehen. 6 Statistisches, in: HN 27 (1916/17), S. 658. Hier ist zwar von »eingeschrieben« die Rede, doch ergibt sich aus dem Vergleich mit der ebenfalls genannten Zahl für das erste Kriegssemester, daß es sich um die anwesenden Studenten handeln muß. 7 Zitat: Stiftungsfest der KWU 1917, S. 9. 8 S. zu den folgenden Ausführungen Tabelle 5 im Anhang. Im Winter 1916/17 wurde zum letzten Mal neben den »vorläufigen« Daten für das laufende Semester die »Endgültige Feststellung« für das vorausgegangene Semester publiziert. Danach wurde die Praxis zweimaliger Veröffentlichung wegen Papiermangels aufgegeben. Außerdem waren keine Belegdaten mehr enthalten. Im Jahresbericht des Rektors Bumm für 1916/17 finden sich Angaben über »Studenten«, womit vermutlich nur die Männer gemeint waren. Das ergibt sich nicht nur aus der Formulierung, sondern auch aus dem Vergleich mit den früheren Zahlen (weil zu den 1915/16 jeweils gut 2000 männlichen Vorlesungsbesuchenden jeweils über 1000 weibliche kamen). Der Jahresbericht des Rektors Penck für 1917/18 enthält Angaben, die möglicherweise beide Geschlechter umfassen, da zuvor von »Studierenden« die Rede ist. 9 Die handschriftliche Statistik wurde 1919 für das Statistische Reichsamt angefertigt (UA Gi Allg. 103, fol. 2). Allerdings sind im Statistischen Jahrbuch für das Deutsche Reich entsprechende Tabellen weder im Jahrgang 1919 noch 1920 zu finden. Gedruckt sind nur die Statistiken der Immatrikulierten und der »wegen Kriegsdienstleistung vom Belegen von Vorlesungen befreit[en]« Studierenden (in der Rubrik Unterrichtswesen; für die Universitäten: 40 [1919], S. 191–211).
Die Studentenschaft vor Ort
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»ortsanwesend[e]«.10 Daß vermutlich nicht alle Anwesenden tatsächlich Lehrveranstaltungen besuchten, ergibt sich schon daraus, daß etwa für Berlin im ersten Kriegssemester 47,1 % aller Immatrikulierten im Kriegsdienst standen, aber nur 48,2 % Lehrveranstaltungen belegten. Demnach verbleiben bis zu 4,7 %, für die weder das eine noch das andere gilt.11 Trotz aller dieser Vorbehalte ergibt sich für die einzelnen Universitäten ein klares Bild, das sie auch deutlich voneinander abhebt. Zwar blieb auch mit Blick auf die tatsächlich Studierenden die Reihenfolge von größter, mittlerer und kleinster der drei erhalten. Doch daß die Berliner Dozenten im Winter 1914/15 mehr als zwölfmal so viele Hörer fanden wie die Gießener Kollegen (während die Zahl der Immatrikulierten nur das Sechseinhalbfache betrug), verweist auf grundlegende Unterschiede. Die im Frieden drittkleinste der deutschen Universitäten hatte im ersten Kriegssemester in ihren Lehrveranstaltungen nur noch 305 Studierende sitzen, erreichte den Tiefpunkt (mit 232) im Winter 1915/16, hatte aber ganz ähnliche Zahlen auch in mehreren anderen Semestern aufzuweisen. Im Sommer 1917 fiel Gießen sogar hinter die in Friedenszeiten kleinste Universität, Rostock, zurück, die damals 271 anwesende Immatrikulierte zählte – Gießen dagegen nur 235!12 Und das, obwohl die Rostocker Immatrikuliertenzahlen weit unter den Gießener lagen.13 Bis zum Kriegsende befanden sich die Anwesendenzahlen beider dann auf demselben Niveau. Erst im Sommer 1918 überwanden die Gießener wieder die 300-Marke und hatten dank eines sprunghaften Anstiegs sogar 390 wirkliche Hörer. Daß sich eine Volluniversität (die dank der Veterinärmedizinischen sogar mehr Fakultäten hatte als andere) mit dieser Frequenz am Rande der Existenzfähigkeit bewegte, liegt auf der Hand. Die größte, die Berliner Universität registrierte dagegen in fast allen Semestern über 3000 wirklich Studierende, nur im Sommer 1915 10 Die im PV enthaltene Statistik erfaßt jeweils die zu Beginn des Semesters ortsanwesenden Studenten; im Verzeichnis des folgenden Semesters sind dann die Gesamtzahlen der Anwesenden im vorausgegangenen enthalten. Auf letztere stützen sich die folgenden Aussagen. 11 Möglicherweise hatten sich aber auch manche Kriegsteilnehmer noch nicht bei der Universität gemeldet. Dem Bericht des Rektors zufolge konnte man die genannten Daten »teils nach unmittelbaren Nachrichten, teils im Wege der Berechnung« (!) »mit an nähernder Gewißheit feststellen« (Kipp, Amtsjahr 1914/1915, S. 10). 12 WS 1917/18: Gießen 243 Anwesende/Rostock 230; SS 1918 Gießen 390 Anwesende/ Rostock 379. In der ersten Kriegshälfte übertraf Gießen Rostock dagegen stärker, als die Zahlen (jeweils nur für WS) bei Strahl (Rostock im Ersten Weltkrieg, S. 56) glauben machen könnten, da sie (ohne weitere Differenzierung) auch die Gasthörer einbezieht! Da diese als nicht vollberechtigte Studierende aber überall getrennt registriert wurden, werden sie auch hier nicht berücksichtigt. Die hier präsentierten Zahlen wurden errechnet aus: Verzeichnis der Behörden, Lehrer, Beamten, Institute und Studierenden der Uni versität Rostock, WS 1914/15 – SS 1918, Rostock 1914–1918. 13 Siehe z. B. WS 1914/15: Gießen 1232/Rostock 820; WS 1915/16: Gießen 1203/Rostock 783; WS 1916/17: Gießen 1266/Rostock 847; WS 1917/18: Gießen 1353/Rostock 951.
770 Studium und Lehre im Krieg fiel die Zahl auf gut 2600.14 Aber auch da erschienen der neuimmatrikulierten Elisabeth Czapski die »Vorlesungen und Seminare gut besucht«.15 In Straßburg waren zwischen 476 (im Winter 1915/16) und 689 (Winter 1914/15) Studenten anwesend, zu Beginn des Sommersemesters 1918 (für das infolge der Liquidierung der deutschen Universität im Spätherbst keine endgültigen Zahlen mehr erschienen) noch 556. Betrachtet man die Relation zwischen tatsächlich Studierenden (oder An wesenden) und Immatrikulierten, so erreichten sowohl Gießen als auch Straßburg den Tiefpunkt im Sommer 1917: mit 17,7 % bzw. 26,8 %. Ausgerechnet für dieses Semester liegen für Berlin jedoch überhaupt keine Daten vor. Die Spannbreite des Anwesenden-Anteils war beträchtlich. In Berlin reichte er in den zuverlässig dokumentierten Semestern von 48,2 % (im ersten) bis nur 33,4 % (im zweiten Kriegssemester) – und evtl. sogar 31,3 % im letzten,16 in Straßburg von 40,2 % im ersten bis 26,8 % im sechsten (SS 1917), in Gießen von 24,8 % im ersten bis zu 17,7 % im sechsten. Auch in dieser Hinsicht blieb die Rangordnung der drei Universitäten also gleich: Die Reichshauptstadt hatte den höchsten Anteil an Weiterstudierenden, Gießen den geringsten. Dabei bewegte sich der Berliner Anteil zwei Jahre lang zwischen 33,4 % und 37,5 % (Durchschnitt 35,9 %), der Gießener drei Jahre lang zwischen 17,7 % und 22,3 % (Durchschnitt: 21,4 %). Die Schwankungen in Straßburg waren dagegen größer: in den drei Jahren der Gießener Spanne zwischen 26,8 % und 36,2 % (Durchschnitt 32,4 %). Zwar erklären sich diese Prozentsätze der Anwesenden in erster Linie aus dem militärischen Einsatz (also Fehlen) der meisten männlichen Studenten, doch wirkten auch die Zahlen von Ausländern und Frauen darauf ein. Daher müssen diese beiden Gruppen hier ausführlicher betrachtet werden.
14 Ob es sich im Winter 1917/18 wirklich um nur 2556 insgesamt Veranstaltungen Belegende handelte, oder dies allein die Männer bezeichnet, muß offen bleiben. (Auf jeden Fall bleibt, wenn man Kriegsdienstleistende und Veranstaltungsbesucher addiert [ zusammen 10.167], eine Differenz von 632 ungeklärten Fällen zu der von ihm angegebenen Zahl der 10.799 Immatrikulierten. Für Sommer 1918 gab der Rektor 3434 Veranstaltungsbesucher an. Dazu kommen 7536 Kriegsdienstleistende. Das ergibt mit 10.970 zwei Personen mehr als die Gesamtzahl von 10.968 »Studierenden«. Penck, Amtsjahr 1917/1918, S. 9. 15 Ihr Fach war die Nationalökonomie, doch besuchte sie auch geisteswissenschaftliche Vorlesungen. Flitner, Frauenstudium im Ersten Weltkrieg, S. 157. Elisabeth Czapski (verh. Flitner) studierte (laut AV FWU Berlin) SS 1915 und WS 1915/16 in Berlin. 16 Zu den Erwägungen bezüglich der dieser Berechnung zugrundeliegenden Zahlen s. o. A. 8, 10.
Die Studentenschaft vor Ort
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Ausländische Studenten Hatten vor dem Krieg 4750 Ausländer an deutschen Universitäten studiert, so waren es im Winter 1914/15 nur noch 1438 und im Sommersemester 1915 1302.17 Damit war ihr nomineller Anteil von 7,7 % auf 2,7 % der Immatrikulierten gesunken. Doch nicht nur die Gesamtzahl hatte sich drastisch reduziert, sondern auch die Zusammensetzung grundsätzlich verändert. Von den 2669 Angehörigen späterer ›Feindstaaten‹ waren 1915 nur noch 62 ›Russen‹, fünf Italiener, zwei Engländer und ein Belgier verblieben, wobei die sogenannten Russen vor allem Personen deutscher Abstammung waren.18 Wie dieses Beispiel eines zeitgenössischen Presseberichts schon belegt, wurden die ausländischen Studierenden infolge des Krieges nun in unterschiedliche Kategorien eingeteilt: in Gegner, Neutrale und Verbündete. Die Streichung nunmehr ›feindlicher Ausländer‹ aus den Matrikellisten fand bald nach Kriegsbeginn überall statt,19 wenn auch nicht zum selben Zeitpunkt. Aber sie erfolgte überall in Verbindung mit dem Ausschluß der ausländischen Privatdozenten und angestellten Assistenten. Dabei ging, zunächst unbeachtet, das traditionell liberale Baden voran, dessen Ministerium die Universitäten Freiburg und Heidelberg sowie die TH Karlsruhe bereits am 4. August »ersuch[te]«, »alsbald sämtliche etwa noch dort immatrikulierte russische, auch deutschrussische, serbische und französische Studierende in der Matrikel zu streichen. Das Betreten der Universitäts-Institute ist ihnen sofort aufs strengste zu untersagen.« Am 15. August dehnte Baden diesen Erlaß auf die Angehörigen aller Feindstaaten aus.20 In der Zwischenzeit war auch Bayern gefolgt, das am 7. August zunächst russische, serbische und montenegrinische Staatsangehörige ausgeschlossen hatte, während die wenigen Bürger anderer Feindstaaten, die sich auch früher »nicht so lästig gemacht« hatten, vorübergehend verschont blieben, bald aber ebenfalls ausgeschlossen wurden. Die Preußische Gesandtschaft in Bayern gab dies an das Preußische Ministerium des Äußeren weiter, das dem Kultusressort am 18. August eine Abschrift schickte. Noch schneller war allerdings ein preußischer Generalmajor, der mit der Empfehlung, ebenso zu verfahren, eine Zeitungsnotiz direkt an den Kultusminister schickte.21 17 Ausländer an deutschen Universitäten im ersten Kriegssemester, in: BT 214, 28.4.1915 MA; Ausländer an deutschen Universitäten im zweiten Kriegsjahr, in: BT 499, 30.9.1915 MA . 18 GA 10.12.1915, zit. bei Siebe, Ausländische Studenten in Gießen, S. 36. 19 Siebe, »Germania docet«, S. 298. 20 Zusammenfassung: Bad. KuMi an Pr. KuMi 11.9.1914 (als Reaktion auf Übersendung von dessen Erlaß): GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 1, Tit. I, Nr. 35 Bd. I, fol. 133–134; Abschrift des bad. Erlasses vom 4.8.1914: fol. 135. Obwohl Siebe, »Germania docet«, S. 352–360 Heidelberg als Fallstudie genau untersucht, gibt sie kein Datum. 21 Die genaue Datierung nach Buchner, Würzburg im Weltkriege, S. 45. S. aber inhaltlich genauer: Freiherr von Rheinbaben Generalmajor z[ur] D[isposition] an Pr. KuMi 11.8.1914; Kgl. Pr. Gesandschaft in München an Min. der ausw. Angelegenheiten 12.8.1914 (Zitat;
772 Studium und Lehre im Krieg Im Vergleich zu den beiden süddeutschen Staaten waren die hier untersuchten Universitäten alle Nachzügler: also Gießen, das, gewissermaßen vorauseilend, schon nach der Anfrage des Ministeriums, ohne dessen Anweisung abzuwarten, Ausländer am 25. August ausschloß, Berlin (wie ganz Preußen) am 30. August, Straßburg am 18. September.22 Dabei war die Behandlung allerdings keinesfalls einheitlich, nicht einmal sogenannter deutschstämmiger Ausländer. So forderten etwa die offiziösen Hochschul-Nachrichten »Naturalisierte und Annektierte können unmöglich gleich behandelt werden wie Nationalfeinde«, da Deutsche im Ausland, auch die in fremden Staaten eingebürgerten, und »die auf deutschen Schulen gebildeten, mit deutschem Wesen vertrauten Ausländer« »unsere besten Kulturpioniere« seien.23 Dagegen wollte z. B. der badische Kultusminister zunächst konsequent allein nach der Staatsbürgerschaft verfahren, doch kamen ihm offenkundig bald Zweifel, und so regte er eine Abstimmung der deutschen Einzelstaaten über eventuelle Ausnahmen an.24 Doch der Versuch einer Vereinheitlichung für das ganze Reich und die Festlegung privilegierter Gruppen scheiterte schließlich an Preußen. Zwar hatte man dies auch dort erwogen, aber nach gründlicher Erörterung verworfen. Das Ministerium bestand darauf, daß in jedem Einzelfall »die persönlichen Verhältnisse und die politischen Gesichtspunkte erwogen werden« müßten. »Entscheidend wird immer sein, ob wir ein Interesse daran haben, die Ausnahme einzugestehen.«25 Am strengsten scheint Braunschweig verfahren zu sein. Die dortige Unterrichtsverwaltung machte nicht einmal für einen Deutschbalten »germanischen Empfindens« eine Ausnahme und sah daher für Vereinbarungen mit anderen deutschen Staaten keine Perspektive.26 Da der Reichskanzler am 21. Oktober den preußischen Erlaß schließlich den übrigen Bundesstaaten mitteilte und um eine überall gleiche Behandlung der Notiz über Abschrift); [Bayr. KuMi] an Pr. KuMi 15.9.1914. Alle in: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 1, Tit. I, Nr. 35 Bd. I, fol. 54, 57, 142. 22 Belege s. o. S. 747. Zu Gießen außer dem S. 752 in A. 137 genannten Bericht an den Minister vom 27.8.1914 auch die mit 25.8.1914 datierte Liste der aus dem Studenten verzeichnis Gestrichenen in: UA Gi Allg. 1350, fol. 206. In Heidelberg nahm die Univer sität die Exmatrikulation bereits am 5.8. vor und erteilte zugleich Hausverbot (Jansen, Professoren und Politik, S. 109 – ohne Beleg). 23 HN 25 (1914/15), S. 106. 24 Bad. KuMi an Pr. KuMi 11.9.1914: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 1, Tit. I, Nr. 35 Bd. I, fol. 133 f. 25 Pr. KuMi an den bad. Kultusreferenten [und an andere Hochschulverwaltungen] 25.9.1914: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 1, Tit. I, Nr. 35 Bd. I, fol. 143. 26 In diesem Fall handelte es sich um einen Assistenten der TH, doch ist in dem Schreiben ausdrücklich vom selben Standpunkt bezüglich Studierender die Rede: [Paul] Albrecht [Herzoglich Braunschweigische Unterrichtsverw.] an [den badischen Hochschulreferenten Victor] Schwoerer 21.9.1914: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 1, Tit. I, Nr. 35 Bd. I, fol. 178.
Die Studentenschaft vor Ort
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Frage bat, folgten deren Regierungen diesem Beispiel, behielten sich grundsätzlich jedoch die Gewährung von Ausnahmen vor.27 Auch die Rektoren waren in dieser Frage zunächst unsicher. Als etwa der Rostocker seine Amtskollegen zu den Balten befragte, antwortete der neue Gießener Rektor Sommer (der ja seinen eigenen Mitarbeiter aus dem damals von Deutschen noch nicht besetzten Kurland hatte hergeben müssen!) im Oktober 1914, diese müßten als Bewohner der russischen Ostseeprovinzen ebenfalls gestrichen werden, bei Deutschstämmigkeit sei jeweils der Einzelentscheid des hessischen Ministeriums einzuholen.28 Bereits ab 1915 dachte man an Re gelungen des Ausländerstudiums für die Nachkriegszeit und an die Festsetzung reichseinheitlicher Anforderungen. Bei einer Besprechung auf der Rektorenkonferenz 1916 wurde auch die von dem Freiburger Rektor vorgetragene Überlegung der Einteilung in favorisierte und grundsätzlich abzulehnende Gruppen von jenen, die überhaupt dazu Stellung nahmen, unterstützt. Dabei war man allerdings geteilter Meinung, welche Gruppen bevorzugt werden sollten: Der Leipziger Rektor schlug die Balten, der Berliner die Studenten aus Finnland vor. Ein Beschluß wurde aber nicht gefaßt, und auch die nächste, erst im März 1918 tagende Rektorenkonferenz formulierte keine gemeinsamen Richtlinien, sondern überließ die Initiative übergeordneten Instanzen.29 1915 machten die ›Gegner‹ noch 5,4 % der ausländischen Studenten an deutschen Universitäten aus, die Kommilitonen aus dem verbündeten ÖsterreichUngarn dagegen nun 40,2 %.30 Auch die Verteilung der Ausländer innerhalb des Reichs veränderte sich: Während die Großstadtuniversitäten Berlin, L eipzig, München eine starke relative Zunahme verzeichneten, gingen die Anteile von Königsberg, Göttingen, Straßburg, Freiburg und Heidelberg stark zurück.31 Die insgesamt massive Reduktion der Ausländergruppe wird allerdings nur in den Personalverzeichnissen und der Statistik deutlich. Bezieht man ihre Zahl da 27 So die Antwort eines leitenden Beamten des Reichsinnenministeriums im Reichstag am 31.10.1916 auf die Anfrage des Nationalliberalen Ernst Bassermann nach den Grundsätzen der Zulassung von Angehörigen des feindlichen Auslands. S. Verhandlungen des Reichstags. XIII . Legislaturperiode. II. Session. Stenographische Berichte Bd. 308, Berlin 1916, S. 1939. 28 Siebe, Ausländische Studenten in Gießen, S. 36 A. 1. Das entsprach genau dem Erlaß, in dem es hieß: »Liegen im Einzelfall besondere Gründe für eine Ausnahme vor, wie z. B. bei Studierenden deutscher Herkunft, so ist uns Vorlage zu machen.« (Gh. MdI an Univ. Gi 8.9.1914: UA Gi Allg. 1350, fol. 189). 29 Die Kultusverwaltungen der Einzelstaaten dagegen einigten sich immerhin darauf, die Anerkennung ausländischer Zeugnisse aus den Universitäten in die Ministerien zu verlegen. Siebe, »Germania docet«, S. 310–313 (zur Debatte im Preußischen Landtag, bei der der konservativen Vorstellung eines »berechtigten deutschen Egoismus« auch Zentrum und Nationalliberale beipflichteten, 312 f.). 30 Siebe, »Germania docet«, S. 302 mit A. 54–56. 31 Ausländer im zweiten Kriegsjahr (wie A. 17).
774 Studium und Lehre im Krieg gegen nicht auf die der Immatrikulierten insgesamt, sondern auf die der anwesenden Studierenden, dann war ihr Anteil ebenso groß wie vor dem Krieg!32 Vermutlich waren zum Zeitpunkt des Erlasses des preußischen Ministers Ende August, also einen Monat nach Beginn des Krieges, noch »241 Russen, 22 Serben, 2 Belgier, 2 Montenegriner, 1 Engländer« an der Berliner Universität anwesend, die anderen, also mehr als die Hälfte der ›Russen‹ und praktisch alle Engländer und Iren, schon abgereist.33 So hatten viele reagiert, als sich die Lage Ende Juli zuspitzte; manchen war auch nach Kriegsbeginn noch die Ausreise in die Schweiz geglückt, in Göttingen z. B. mit Max Borns Hilfe einem im Frühjahr promovierten russischen Mathematiker Anfang September und einem polnischen Physik-Studenten aus der Ukraine Ende Oktober.34 Doch vielen Studenten aus dem Russischen Reich fehlten für die Rückreise (oder gar einen Auf enthalt in der Schweiz!) die Mittel.35 In Berlin erfolgte die Umsetzung rasch und rigoroser, als vom Minister vorgegeben; denn bei ihm hieß es ja nur, »immatrikulierten Studierenden« aus den Ländern der Kriegsgegner könne »der Besuch der Vorlesungen nicht ferner gestattet werden, und Neuaufnahmen solcher Studierender finden nicht statt«.36 Doch der bereits zum künftigen Rektor gewählte Jurist Kipp, der den damals in Berchtesgaden im Urlaub weilenden Rektor Planck vertrat,37 konkretisierte dies in einer »Bekanntmachung« folgendermaßen:
32 Siebe, »Germania docet«, S. 303, 305. Im Sommer 1916 betrug er 7,8 % der Anwesenden, im Winter 1916/17 sogar 8,6 % (während er, bezogen auf die Immatrikuliertenzahl sogar leicht sank: von 2,5 % auf 2,4 %). 33 Diese Vermutung stützt sich auf den Vergleich der in den zitierten BAN als »im Sommer […] noch immatrikuliert« angegebenen (s. u. A. 44) mit den Daten des PV. Die »Vorläufige Feststellung« bzw. »Endgültige Feststellung« geben für das SS 1914 folgende Zahlen: Rußland 542 bzw. 503; Serbien 38 bzw. 37; Belgien 2; Montenegro 2; Großbritannien und Irland 31 bzw. 27. Außerdem gab es als nunmehr ›feindliche Ausländer‹ auch Franzosen, die in BAN gar nicht genannt sind: 8 bzw. 6. 34 Details, auch zur Korrektur von Borns Erinnerungen, daß sie dies den meisten ›Russen‹ ermöglicht hätten, bei Maurer, Weder Kombattanten noch Kommilitonen, S. 192, 200, 208. 35 L[ev] Klejnbort, Molodež’ i vojna, in: Sovremennyj mir 1914, Nr. 11, S. 62–74, hier 64. Er begründet die fehlenden Abreisemöglichkeiten damit, daß der erste Kongreß russischer Studenten in Karlsruhe 1913 gezeigt habe, daß ihr Monatsbudget meist nicht über 30, z. T. sogar nur 15 Rubel betragen habe. 36 Abdruck des Ministererlasses bei Siebe, »Germania docet«, S. 314. 37 Zum Urlaub: Pufendorf, Die Plancks, S. 74–76. Meist benannte der Rektor einen seiner Vorgänger als Stellvertreter. S. als Beispiel zwei nur jeweils dreitägige Abwesenheiten des Rektors Max Lenz 1911/12 und die Benennung Rubners (Rektor 1910/11) bzw. Wilhelm Kahls (Rektor 1908/09) in: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. III, Nr. 1 Bd. 7, fol. 20, 21. Als Wilamowitz 1916 für drei Wochen Urlaub erbat, benannte er zwei Vertreter und sorgte außerdem dafür, selbst immer rasch erreichbar zu sein, um notfalls zurückkehren zu können (fol. 167).
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»Die noch an der Friedrich-Wilhelms-Universität immatrikulierten oder als Hörer zugelassenen Angehörigen der mit dem Deutschen Reich Krieg führenden Staaten: Belgien, Grossbritannien, Frankreich, Japan, Montenegro, Russland, Serbien werden von dem akademischen Bürgerrecht, von der Teilnahme an allen Vorlesungen, Einrichtungen und Anstalten der Universität ausgeschlossen. Das Betreten sämtlicher Universitätsgebäude ist ihnen verboten. Aus den Listen der Universität werden sie gestrichen. Fortan finden Angehörige der genannten Staaten weder als Studierende noch als Hörer an der Universität Aufnahme.«38
Von [Gast-]»Hörern« war im Erlaß gar nicht die Rede gewesen. Und es war dort weder der Ausschluß von »allen (…) Einrichtungen« gefordert noch das ge nerelle Verbot, Universitätsgebäude zu betreten. Daher fragt es sich, ob man im Rahmen dieses Erlasses nicht vielleicht jenen, die (als Männer im dienstpflichtigen Alter) nach Beginn des Krieges nicht mehr ausreisen konnten, in der Universitätsbibliothek (oder zumindest mit ausleihbaren Büchern) ein Selbst studium hätte gestatten können (wie es mancherorts tatsächlich geschah).39 Diese Frage stellt sich um so mehr, als die Königliche Bibliothek bereits vor dem 10. August »Russen, Engländer, Franzosen und Serben« von der Benutzung ausgeschlossen hatte.40 Ob die Universität, statt die letzte Zuflucht zu bieten, vielleicht sogar diesem Vorbild folgte? Auch dafür war ja einer der Ihren verantwortlich: Harnack. Und beide Bibliotheken befanden sich im selben Gebäude.41 Oder handelte Kipp gerade im Sinne des Ministeriums, setzte mit der zitierten Maßnahme vielleicht eine im Gespräch vor Ort gefallene Interpretation der Verfügung um? Innerhalb der Philosophischen Fakultät war die Haltung unterschiedlich. Der Dekan Max Sering (den ein Bure bereits um Hilfe zur Fortsetzung des Studiums gebeten hatte) begrüßte die Anlehnung von Buren, Indern und Balten an 38 UA HU Med. Fak. 307, fol. 14v (auf der Rückseite der Abschrift des Erlasses). S. dasselbe zusammenfassend auch Prot. der Sitzung der Phil. Fak. 10.9.1914: UA HU Phil. Fak. 34, fol. 279 f. 39 Indirekte Indizien, daß dies geschah, liegen für Göttingen vor. S. Trude Maurer, Fremde, Feinde – oder Freunde? Studenten und Gelehrte aus dem Russischen Reich in Göttingen vom späten 19. Jahrhundert bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, in: Göttinger Jahrbuch 54 (2006), S. 89–112, hier 106 mit A. 95. Für die Nutzung der Gießener UB durch einen dort internierten Rabbiner aus dem Russischen Reich s. u. S. 787 f. 40 Berliner Volks-Zeitung 11.8.1914 (Auszug), in: Ruth Glatzer, Das Wilhelminische Berlin. Panorama einer Metropole 1890–1918, (Berlin 1997), S. 379. 41 Da beide Lesesäle unmittelbar nebeneinander lagen, prägte der frühe Ausschluß der Ausländer aus der Staatsbibliothek die Entscheidung über die UB möglicherweise nicht nur als Vorbild, sondern schuf auch gewisse faktische Zwänge. Die Einweihung der neuen Königlichen Bibliothek hatte schon im März 1914 stattgefunden. Doch erst im August wurde sie zum ersten Mal für die Allgemeinheit geöffnet, worüber der in A. 40 zit. Artikel berichtet. Ansonsten s. 325 Jahre Staatsbibliothek Berlin, S. 140 (LS der Kgl. Bibl.), 144 (LS der UB).
776 Studium und Lehre im Krieg Deutschland. Dagegen warnte der Germanist Roethe davor, »allzu leicht moralische Bürgschaften für Angehörige fremder Staaten zu übernehmen, man habe in einzelnen Fällen böse Erfahrungen gemacht.«42 Schon kurz danach wurden die Angelegenheiten der ausländischen Studenten an die Immatrikula tionskommission delegiert, die allerdings vom 12-köpfigen Senat eine allgemeine Direktive erhielt, »dass rigoros verfahren werden müsse, doch soll grundsätzlich der Antrag auf weitere Zulassung gestellt werden für Studierende von deutscher Abstammung deren ganzer Lebensgang beweise, dass sie zu uns gehören; ferner für Angehörige von fremden Ländern, deren Befreiung wir anstreben wie Finnland und Russisch Polen.«43
Tatsächlich waren im ersten Kriegswinter noch einige Ausländer anwesend und erregten einiges Aufsehen, sowohl in der Presse als auch bei Personen, die in Schreiben an den Rektor ihrer »Verwunderung darüber Ausdruck« gaben. Deshalb wurde in den Berliner Akademischen Nachrichten, also der vom AStA herausgegebenen und zugleich von den Universitätsbehörden für offizielle Bekanntmachungen genutzten Zeitschrift, dargelegt, daß der Ministerialerlaß Ausnahmen ja vorgesehen habe. Daher seien im Winter »noch immatrikuliert 26 Russen, 1 Engländer, 1 Belgier, Serben und Montenegriner sind verschwunden. Der in der Statistik als Engländer Aufgeführte hatte seine Einbürgerung als Deutscher beantragt und steht längst im deutschen Heere. Das gleiche gilt von einigen der sogenannten Russen; im übrigen handelt es sich bei den Ausnahmen großenteils um Persönlichkeiten, die seit vielen Jahren in Deutschland ansässig sind; ferner um Balten, Polen, Finnländer usw., also um Angehörige der unterdrückten Nationalitäten. Der Zulassung ist in jedem Falle eine sorgfältige Untersuchung vorausgegangen.«44
Insgesamt studierten im ersten Kriegssemester an der Berliner Universität schließlich 28 Männer und vier Frauen aus dem Russischen Reich.45 Zwar lassen sich nur drei Viertel von ihnen im Namensverzeichnis ermitteln, weil einige vermutlich erst nach Abschluß des Nachtrags Anfang Dezember 1914 (wieder-) aufgenommen wurden. Doch können auch daraus Rückschlüsse auf die Zulassungspraxis der Universität gezogen werden, selbst wenn in den Akten nur wenige Ausnahmegesuche erhalten sind.46 Tatsächlich fand sich unter den ›Russen‹ 42 Prot. der Sitzung der Phil. Fak. 10.9.1914: UA HU Phil. Fak. 34, fol. 279 f. 43 Außerord. Senatssitzung vom 23.9.1914: UA HU Phil. Fak. 34, fol. 278. 44 Feindliche Ausländer an der Universität, in: BAN IX (1914/15), S. 90 (30.1.1915). Die im Zitat genannten Zahlen entsprechen der »Vorläufigen Feststellung« im gedruckten PV. Zu den endgültigen Zahlen s. den weiteren Text. 45 So die »Endgültige Feststellung« im Anhang zu: AV FWU Berlin SS 1915. 46 Siebe, die auch die o. zit. Konkretisierungen des Ministererlasses nicht erwähnt, stellt nur fest, daß »die eingesehenen Akten (…) keine Hinweise auf Ausnahmen« enthalten, ver-
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eine Reihe von Studierenden mit unauffälligen oder häufig gar deutschen Namen wie Heinrich Kossmann, Paul Neumann, Georg Wenzel oder Erica Goetz, über die sich nichts Näheres ermitteln ließ. Letzteres gilt sogar für zwei Adlige, Ernst Robert Freiherrn von Mohs und Waldemar von Schmidt, die sich im Wintersemester 1914/15 für Jura bzw. Neuere Philologie immatrikulierten.47 Bereits am 19.9.1914 genehmigte das preußische Ministerium die Fortsetzung des Studiums für Eugen von Grosschopff, der seit Herbst 1913 immatrikuliert und »zwar russischer Staatsangehöriger, aber deutscher Abstammung« war. Schon einige Tage früher hatte es gestattet, daß Ernst Bernewitz »bis auf weiteres in der Sternwarte wohn[e] und dort wissenschaftliche Arbeiten ausführ[e].«48 Als R igaer Pfarrerssohn war Bernewitz ein typischer Vertreter der deutschbaltischen Bildungsschicht, ebenso wie Ernst von Berg, Sohn eines Dozenten am dortigen Polytechnikum. Beide waren erst zum Studium (der Astronomie bzw. der Philosophie, Naturwissenschaften und Slavistik) 1910 bzw. 1912 nach Deutschland gekommen und wurden 1917 bzw. 1916 promoviert.49 Weniger typisch erscheint der Lebenslauf von Harald Cosack, der nach dem Abschluß an der russifizierten Dorpater Universität Oberlehrer für Deutsch in Taškent gewesen war, anderthalb Jahrzehnte nach seinem Berliner Studium Anfang der dreißiger Jahre Lektor für Russisch in Breslau und nach dem Zweiten Weltkrieg schließlich Professor für Osteuropäische Geschichte in Rostock wurde.50 Stehen sie also für die »deutsche Abstammung«, so belegen andere Fälle, daß dies nicht das einzige und vermutlich nicht einmal das Hauptkriterium war, sondern daß es genügte, wenn der »ganze Lebensgang« dokumentierte, daß diese Studenten »zu uns gehören«. Das ist an einer Reihe jüdischer Studenten abzulesen: Alexander Schlesinger aus Sankt Petersburg, der 1903 nach Deutschland gekommen war und 1913 in Charlottenburg sein Abitur abge-
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mutet aber, daß es solche auch in Berlin gegeben habe (»Germania docet«, S. 322). Zu einzelnen solcher Gesuche s. u. A. 48. Weitere solche Beispiele: Hans Wollheim (Jura seit WS 1913/14; nicht zu verwechseln mit dem Internisten gleichen Namens, der offenbar als Hans Feist-Wollheim 1913 in Berlin promoviert wurde), Theodor Bergmann (nicht identisch mit dem Berliner Rabbinersohn und Kommunisten gleichen Namens). Pr. KuMi an Rektor und Senat der Univ. Berlin 19.9.1914 bzw. an Dir. der UniversitätsSternwarte 13.9.1914: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 1, Tit. I, Nr. 35 Bd. I, fol. 124 bzw. 115. S. die Lebensläufe in: Ernst Bernewitz, Die Polhöhe von Babelsberg nach Beobachtungen am Zenitteleskop 1914–1915, Berlin 1917 (unpag.); Ernst von Berg, Die ältere russische Komödie, Berlin 1916, S. 64. In den dreißiger und vierziger Jahren arbeitete er an der in der Ostforschung engagierten Publikationsstelle in Dahlem. DBL , S. 150 f.; außerdem: http://cpr.uni-rostock.de/ metadata/cpr_professor_000000002745 (21.6.2012). Dabei weichen die Daten der Graduierung und einzelner Karrierestationen geringfügig ab.
778 Studium und Lehre im Krieg legt hatte, konnte sich weiter der Jurisprudenz widmen.51 Helene Eliasberg aus Riga, die die Höhere Töchterschule in Berlin besucht und dann in einer preußischen Studienanstalt die Reifeprüfung abgelegt hatte, studierte weiter Medizin und wurde im Januar 1916 Medizinalpraktikantin an der UniversitätsKinderklinik der Charité.52 Ihr Vertreibungsschicksal im Nationalsozialismus teilte Victor Jollos, der schon als Kleinkind nach Deutschland gekommen und 1910 in München in Zoologie promoviert worden war, seit 1912 Assistent in Robert Kochs Institut, 1914 ein Zweitstudium der Medizin begann.53 Der vermutlich prominenteste Berliner Kriegsstudent aus dem Russischen Reich war Isaak Tschemerinsky, der schon die Dresdener Kreuzschule, dann das dortige Konservatorium besucht hatte und sich in Berlin nun der Mathematik und Physik widmete (nachdem er zu Kriegsbeginn interniert war). Unter seinem 1919 angenommenen Namen Arkadi Maslow sollte er später der Theoretiker des linken Flügels der KPD und – mit seiner Lebensgefährtin Ruth Fischer – zeitweise Führer der Berliner Parteiorganisation werden.54 Einzelne solcher deutsch akkulturierter Juden aus dem Russischen Reich waren bereits in Deutschland 51 Promoviert wurde er 1917 in Göttingen. S. den Lebenslauf in: Alexander Schlesinger, Die rechtliche Natur des Actiendividendenscheins, Göttingen 1917, S. 56. Seine Konfession erwähnt er nicht, doch die Vermutung jüdischer Herkunft wird – über den Namen des Vaters (Jacob Schlesinger) hinaus – insbesondere durch den Vornamen der Mutter (Frume) bestätigt. 52 In den USA wurde die 1936 aus Deutschland Vertriebene schließlich Associate Professor. Lebenslauf in: Helene Eliasberg, Die Konstitution der Säuglinge in ihrer Bedeutung für das Problem der Sommersterblichkeit, Berlin 1917 (tats. Promotion erst 1919 [lt. Korrektur auf dem Titelblatt und JHSS!]). Zur späteren Karriere (u. a. Lehre in Fortbildungskursen für Ärzte in Leningrad und dann, ebenfalls in der ärztlichen Fortbildung, am Kaiserin-Friedrich-Haus in Berlin) s. Samuel Z. Levine, Helene Eliasberg, in: Cornell University Faculty Memorial Statement, unter: http://ecommons.library.cornell.edu/ handle/1813/17813 [20.6.2012]). 53 Doch obwohl Jollos 1925–1929 Professor in Kairo war und danach ein Forschungslabor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Biologie leitete, konnte er sich in den USA nicht mehr dauerhaft etablieren. S. außer dem Lebenslauf (in: Victor Jollos, Dinoflagellanten studien, München 1910, unpag.) den Nachruf von R. A. Brink, Dr. Victor Jollos, in: Science 94 (1941), Nr. 2438, S. 270–272. Offenbar handelt es sich um den Sohn des russischen Publizisten und Abgeordneten der ersten Staatsduma Grigorij Borisovič Iollos, der selbst schon in Deutschland studiert hatte, 1890 hierher übersiedelte, aber 1905 als Chef redakteur der liberalen Russkie Vedomosti wieder nach Moskau ging und 1907 auf offener Straße von Nationalisten ermordet wurde. Grigorij B. Iollos war jüdischer Herkunft und wird in der Evrejskaja Ėnciklopedija des führenden russischen Lexikonverlags BrokgauzĖfron als Jude bezeichnet (zugänglich über: http://ru.wikisource.org/wiki/ (21.6.2012). Dem Namen nach scheint er aber getauft gewesen zu sein. Die russische Wikipedia erwähnt die jüdische Herkunft nicht, deutet aber durch »rußländisch« an, daß es sich nicht um einen ethnischen Russen handelte (http://ru.wikipedia.org/wiki/ [21.5.2012]). Victor Jollos selbst war seinem Lebenslauf zufolge »evangelischer Konfession«. 54 Nach Kritik (aus der Komintern) wegen »ultralinker Abweichung« wurde er jedoch aus der KPD ausgeschlossen. NDB 16 (1990), S. 356 f. (Hermann Weber).
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geboren, so etwa Erwin Stückgold und vielleicht auch Oskar Lubowski, der spätere Hausarzt Leni Riefenstahls.55 Daneben wurden, wie es scheint, auch einzelne Polen aufgenommen, als Angehörige jener Völker, deren »Befreiung« die Deutschen anstrebten.56 Übrigens immatrikulierte sich außer Jollos, der seine Assistentenstelle vermutlich wegen des Ausschlusses ›feindlicher Ausländer‹ verlor, auch ein anderer Doktor, und zwar ein aus Petersburg stammender Balte, im Herbst 1914 erneut, sogar für dasselbe Fach, in dem er 1913 in Berlin promoviert worden war: Hermann Bernhard.57 Ob der Studentenstatus im Krieg etwa eine gewisse Verbesserung der Situation versprach, vielleicht sogar die Befreiung aus dem Internierungslager ermöglichte? Immerhin handhabte die Polizei in einer anderen preußischen Universitätsstadt, Göttingen, die Meldekontrollen gegenüber Studenten im Vergleich zu anderen ›feindlichen Ausländern‹ viel großzügiger, und zwar mit ausdrücklicher Unterstützung des Regierungspräsidenten.58 Daß die Universität Berlin sich insgesamt an ihre eigenen Leitlinien hielt, ergibt sich aus dem Ausschluß der meisten anderen ›feindlichen‹ Studenten, die nicht deutscher Abstammung und keine ›Bildungsinländer‹ waren, so etwa Simon Wolpert, »mos[aischer] Konf[ession]« aus Astrachan’, der seit 1909 in Berlin und Würzburg studiert hatte, dann aber »als feindlicher Ausländer [s]ein Studium unterbrechen« mußte und »erst im S. S. 19 (…) von neuem immatriculiert« wurde. Ebenso erging es Awrum Torkanowsky aus Žitomir, 55 In seinem Lebenslauf nennt Erwin Stückgold die Konfession nicht, doch deuten Name und Beruf des Vaters (Kaufmann Isaak Stückgold) auf die jüdische Herkunft hin (Erwin Stückgold, Über den Einfluß von interkurrenten fieberhaften Krankheiten [….] auf den Verlauf der Syphilis […], Gräfenhainichen [1920], unpag.). Wie verschiedene andere, in den zwanziger Jahren nur in abstract-Form gedruckte Dissertationen enthält auch die von Oskar Lubowski keinen Lebenslauf: Der Serumkalkspiegel bei Asthenie, o. O. (Leipzig) 1923. Lubowski war seit SS 1914 in Berlin immatrikuliert und dabei als »Vaterland« immer »Rußland« angegeben. Das Titelblatt des Dissertationsauszugs gibt als Herkunft »aus Berlin« an. Sonstige Recherchen (World Biographical Information System) blieben erfolglos. Riefenstahl erwähnt ihn nur für die frühen dreißiger Jahre, ohne auf sein weiteres Schicksal einzugehen: Leni Riefenstahl, Memoiren, München u. a. 1987, S. 178, 194. 56 Diese Herkunft ist zu vermuten für Isidor Dobranicki (Jura seit WS 1913), evtl. Jos. Scholkowsky (Philosophie seit WS 1913). (Izydor und Józef sind gebräuchliche polnische Vornamen, Eindeutschungen der Schreibweise slavischer Namen waren bei der Immatrikulation und auf den Titelblättern von Dissertationen üblich.). 57 »Meiner Nationalität nach bin ich Balte.« Geboren und aufgewachsen in Petersburg als Sohn des Direktors des Konservatoriums und erblichen Adligen August Bernhard, war Hermann Bernhard nach dem ersten Semester 1905 wegen der Schließung der Petersburger Universität zur Fortsetzung des Studiums nach Deutschland gekommen. S. den Lebenslauf in: Hermann Bernhard, Ueber das Methylaethylpropylaminoxid, Berlin 1913, S. 46 f. 58 Bei Jahr, Zivilisten als Kriegsgefangene, findet sich dazu nichts. Zu Göttingen: Maurer, Weder Kombattanten noch Kommilitonen, S. 205 f.
780 Studium und Lehre im Krieg der 1912–14 in Berlin studiert hatte.59 Dabei konnten mindestens die Medizinstudenten Deutschland als Ersatz für eingezogene Ärzte einigen Nutzen bringen: Ilja Wolpert aus Riga z. B. arbeitete zuerst in der international renommierten (privaten) Poliklinik für Nervenkranke von Hermann Oppenheim, dann in einer ebenfalls privaten Nervenheilanstalt und, sobald er ab Mai 1918 (als Kurländer verstärkt zugelassen wurden) sein Studium fortsetzen konnte, gleichzeitig als stellvertretender Unterarzt in der Charité.60 Auch Eugen Grosschopff figurierte, als er 1920 endlich promoviert wurde, bereits als »Arzt aus Berlin«.61 In Berlin, wo der Anteil der Ausländer im SS 1914 bei 15,2 % aller Immatrikulierten gelegen hatte, betrug er im Wintersemester nur noch 5,4 %, erreichte ein Jahr später mit 6 % das Kriegsmaximum und lag im Sommer 1918 nur noch bei 4,6 %.62 Ganz anders sah es bei den anwesenden Studenten aus.63 Dabei unterschied sich die Zusammensetzung an der Berliner Universität durchaus vom Reichsdurchschnitt: Die Studenten aus dem verbündeten ÖsterreichUngarn stellten nur knapp 30 % (statt gut 40 %) aller Ausländer, die aus dem Russischen Reich 10,7 %. Aus anderen ›Feindstaaten‹ stammten dagegen wirklich nur einzelne (zwei Männer aus England und drei aus Italien, eine einzige Frau aus Belgien). Der Anteil der ›Feinde‹ (60) an der Gesamtzahl der Ausländer (505) betrug somit 11,9 % (war also gut doppelt so hoch wie unter den Berliner Immatrikulierten und auch doppelt so hoch wie im Reichsdurchschnitt). Wahrscheinlich stammte die Mehrzahl von ihnen aus deutschsprachigen Regionen 59 S. die Vitae in den Auszügen aus den Dissertationen: Simon Wolpert, Über chronisch verlaufende luetische Haut- und Knochenaffectionen und ihre Differentialdiagnose gegenüber tuberkulösen Affectionen, Berlin 1920, unpag. (Zitat); Awrum Torkanowsky, Osteomyelitis der platten Knochen, Berlin 1921, unpag.; Studienverlauf Wolperts nach: JHSS 36 (1920), S. 285. 60 Lebenslauf in: Ilja Wolpert, Beitrag zur Kenntnis der metastasierenden Amyloidtumoren, Berlin 1920, unpag. W. schreibt, er habe »in der Poliklinik für Nervenkranke von Herrn Prof. Dr. Cassirer« gearbeitet, doch leitete der Privatdozent Richard Cassirer diese Klinik erst nach Oppenheims Tod 1919. Zuvor war er dort aber seit langem als Arzt tätig. Zu Oppenheims Niederlegung seines Lehramts (als Privatdozent und Titularprofessor) 1902 s. Pawliczek, Akademischer Alltag, S. 374–377. S. außer diesem Beispiel auch Simon Wolpert (»arbeitete praktisch in vielen Kliniken«, wie A. 59). 61 Lt. Titelblatt der Dissertation, die nur als zweiseitiger Auszug ohne Lebenslauf gedruckt wurde: Die Behandlung der Trigeminus-Neuralgie, Berlin 1920. 62 Zum SS 1914 s. o. S. 64 mit A. 26, zur Kriegsentwicklung die Graphik bei Siebe, »Germania docet«, S. 318. 63 Zugrundegelegt sind hier (für die Gesamtzahl, die Anwesenden und die Ausländer) jeweils die Daten der »Endgültigen Feststellung« für das SS 1916 (abgedruckt im Verzeichnis für WS). In: HN 26 (1915/16), S. 290 finden sich die aktuellen Angaben aus dem SS , auf die sich auch Siebe, »Germania docet«, S. 320 A. 124 stützt (die die Zahlen irrtüm licherweise jedoch auf WS 1915/16 bezieht). Auf dieser Grundlage ist der Ausländeranteil mit 11,5 % berechnet.
Die Studentenschaft vor Ort
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oder Familien. Nach einem Erlaß des preußischen Kultusministers von Oktober 1915 wurden ja auch Studierende aus den besetzten Gebieten, die als Deutsche galten, akzeptiert. (Anlaß scheint die Besetzung Kurlands durch deutsche Truppen am 1.8.1915 gewesen zu sein.)64 Aber zugleich war unter den Studierenden aus Österreich-Ungarn sicher auch eine Reihe von Slaven und Magyaren.65 Die Studierenden aus nichteuropäischen Ländern stellten in Berlin im Sommer 1916 17,6 % der Ausländer. Davon waren die meisten Amerikaner, nur 6,5 % aller Ausländer kamen aus Asien und Afrika. Zwar veränderte sich mit dem Kriegsverlauf auch der Status einzelner Staatsangehörigengruppen. So wurden Italiener und Rumänen jeweils mit dem Eintritt ihres Landes in den Krieg ausgeschlossen.66 Andererseits wandte man das Prinzip, ›feindliche Ausländer‹ zu streichen, nach dem Kriegseintritt der USA auf deren Staatsangehörige nicht an!67 Doch die bedeutsamste Veränderung – sowohl mit Blick auf die Zusammensetzung der ausländischen Studentenschaft vor dem Krieg als auch auf die nunmehr angestellten Überlegungen – war die Proklamation des Königreichs Polen durch die Mittelmächte am 5.11.1916. Schon wenige Tage danach meldeten sich Interessenten von dort, um an deutschen Universitäten zu studieren. Deshalb machte der preußische Kultusminister gegenüber dem Reichskanzler geltend, daß vor dem Krieg »an den preußischen Universitäten über 1000 Russen [studiert hätten], von denen der größte Teil aus russisch-polnischen Juden bestand[en]« habe. Zwar erkannte der Minister deren Diskriminierung in der Heimat an, fügte aber hinzu, daß »dieser übermässige und ungesunde Zudrang« die Stimmung gegen das Studium der Ausländer hervorgebracht habe. Wenn sie nun nicht mehr als Feinde ausgeschlossen werden könnten, müsse darauf hingewirkt werden, daß sie in die in Polen aufzustellende Armee einträten; denn man könne sie nicht besser 64 Siebe, »Germania docet«, S. 314 f. 65 Die Statistik der Studierenden aus Österreich-Ungarn ist nach »ehemaligem deutschen Bundesgebiet«, Galizien und Bukowina, Ungarn, Siebenbürgen und »sonstige österreichische Länder« aufgeschlüsselt, das »Bundesgebiet« auch weiter nach seinen Bestandteilen. Doch sind daraus natürlich keine Rückschlüsse auf die Nationalität der einzelnen möglich, da z. B. die Gruppe aus Böhmen Deutsche oder Tschechen, die relativ starke ungarische auch Slovaken oder Deutsche einschließen kann. (Im WS 1915/16 kamen 43 von 129 [35,8 %], im WS 1915/16 35 von 131 [26,8 %] der Studenten aus der Doppelmonarchie aus dem ungarischen Teil.) 66 Dafür hätte im Prinzip der umfassend formulierte Erlaß genügt; trotzdem folgte in Gießen noch ein spezifisches Verbot. Siebe, »Germania docet«, S. 348. Bezüglich des hier ebenfalls genannten Bulgarien liegt bei Siebe allerdings ein Irrtum vor, da Bulgarien erstens ein Verbündeter Deutschlands war und es zweitens bei den Bestimmungen des angeführten Dokuments um die Beurlaubung (eines im Heeresdienst befindlichen bulgarischen Studenten) geht. 67 Siebe, »Germania docet«, S. 315. Auch der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu China blieb ohne Konsequenzen für deren Staatsangehörige.
782 Studium und Lehre im Krieg stellen als deutsche Studenten.68 Zwar erwartete der Verwaltungschef des Generalgouvernements als Ergebnis der Zulassungsverweigerung eine gewisse Mißstimmung; doch unterstützte er die Stellungnahme des Kultusministers nachdrücklich (und mit weniger diplomatischen Formulierungen). Er fügte nur hinzu, daß kein Druck zwecks Eintritt in das Heer ausgeübt werden dürfe, und schlug außerdem vor, aus Polen stammende, derzeit in Deutschland befindliche Studenten des ersten bis dritten Semesters an die Universität Warschau zu verweisen (die die Deutschen ein Jahr zuvor als polnische wiedereröffnet hatten; daher waren die fortgeschrittensten Studenten nun im dritten Semester).69 Als Ergebnis dieser Überlegungen behielt der preußische Kultusminister es sich selbst vor, Antragsteller aus dem neuen Königreich zuzulassen. Insgesamt wurden während des Krieges (bis einschließlich Wintersemester 1918/19) rund 500 Ausländer an der Universität Berlin neu aufgenommen, von denen einer Stichproben-Auswertung zufolge die meisten, nämlich 14 %, aus Bulgarien kamen (das ja im Oktober 1915 auf Seiten der Mittelmächte in den Krieg eingetreten war), während die Studenten aus den Gebieten des – am Ende: ehemaligen – Russischen Reiches mit 12 % die zweitgrößte Gruppe stellten.70 Dabei wuchs die Zahl der Studierenden aus »Rußland« in Berlin stetig an: von 32 im Winter 1914/15 auf 72 im Sommer 1918. Seit Winter 1916/17 wurde auch »Polen« gesondert ausgewiesen – mit zunächst 15, im Sommer 1918 28 Studierenden. Betrachtet man nicht nur die neu immatrikulierten, sondern alle Ausländer, so stieg der Anteil der ›Russen‹ und ›Polen‹ an dieser Gruppe kontinuierlich von 13,6 % im Winter 1916/17 bis 19,7 % im Sommer 1918.71 Da in der Berliner Statistik Kurland und die Ukraine, die mit dem Frieden von BrestLitowsk aus dem Verband des Russischen Reiches ausschieden, nicht gesondert ausgewiesen werden, sind Studenten von dort in der Zahl der ›Russen‹ zu vermuten. In der kleinen hessischen Universitätsstadt versetzten in den ersten Kriegstagen (ähnlich wie anderswo!) Gerüchte über »die angebliche Vergiftung des Trinkwassers durch russische Studenten, bezw. Assistenten an der Universität 68 Pr. KuMi an Reichskanzler 13.11.1916 (Abschrift): UA Gi Allg. 1350, fol. 81–81v. 69 Verwaltungschef bei dem Generalgouvernement Warschau an den Staatssekr. des Innern Berlin 9.12.1916 (Abschrift): UA Gi Allg. 1350, fol. 82. Zur Schließung der russischen Universität und anschließenden Polonisierung s. Arkadiusz Stempin, Die Wiedererrichtung einer polnischen Universität: Warschau unter deutscher Besatzung, in: Maurer (Hg.), Kollegen, S. 127–145. 70 Siebe, »Germania docet«, S. 317. Sie hat als Stichprobe 100, also ein Fünftel, ausgewertet, allerdings zeitlich nicht differenziert (s. das Ergebnis als Graphik S. 319). Zur Überlegung über die tatsächliche Staatsangehörigkeit s. u. S. 784 die Darlegungen zu Kurland und der Ukraine. 71 Für WS 1916/17 berechnet nach der »Endgültigen Feststellung« (Anhang zu AV FWU Berlin SS 1917), für SS 1918 nach der »Übersicht« im laufenden Semester (da die »Endgültige Feststellung« nicht mehr erschien).
Die Studentenschaft vor Ort
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(…) die Stadt in große Aufregung«.72 Der Gedanke, daß die Feinde ihre »Waffen« gegen Deutschland bei ihrem Studium an deutschen Universitäten geschmiedet hätten, »indem ihre Söhne vorzugsweise die Berufe studierten, denen im Krieg besondere Bedeutung zukommt, nämlich Medizin und Naturwissenschaften«, fand sich in der Gießener Lokalpresse ebenso wie zuvor schon in der überregionalen.73 Daß in dieser Vorstellung sogar die Heilkunde zu einer gezielt hergestellten Waffe umgedeutet wurde, läßt sie geradezu grotesk erscheinen, erst recht angesichts des früheren Stolzes auf die internationale Attrak tivität der deutschen Universitäten. Eine heutige Einschätzung, daß in Gießen der »Aderlaß an ausländischen Studenten« eine der Ursachen des Studentenmangels gewesen sei,74 läßt sich allerdings nur als Übertreibung interpretieren; denn dafür hatte die kleine hessische Universität einfach zu wenige ausländische Studierende. Immerhin ist ein Kontrast insofern festzustellen, als von den 33 ›Russen‹ des Sommers 1914 (16 Mediziner, 16 Studenten der Philosophischen Fakultät, ein Jurist) im Winter 1914/15 niemand mehr immatrikuliert war.75 Und in der Statistik der Studierenden fehlte die bis zum letzten Friedenssemester übliche »Übersicht nach Staaten und Fakultäten« nun ganz! Das Namensverzeichnis belegt noch neun Ausländer: drei Bulgaren und je einen Studenten aus Österreich-Ungarn, Rumänien, dem Osmanischen Reich, Italien, der Schweiz und Luxemburg. Auf diesem Niveau (8–10) bewegte sich die Zahl der Ausländer fast während der gesamten Kriegszeit. Nur im Sommer semester 1918, als u. a. fünf Türken und sechs Kurländer in Gießen studierten, zählte man 16.76 Neu immatrikuliert wurden hier während des Krieges insgesamt 30 Aus länder. Davon stammten zwar 10 aus (ehemaligen) Gebieten des Russischen Reichs, doch handelte es sich bei ihnen überwiegend um Balten sowie einen Ukrainer und einen Finnen. Die meisten von ihnen wurden erst im Sommer
72 Grießbauer, Wie ich den Krieg erlebte, S. 16. Zwar habe sich die Befürchtung als haltlos erwiesen, habe aber durchaus »Gute[s]« bewirkt, indem sie die Bevölkerung »auf das Ausländertum an deutschen Universitäten« aufmerksam gemacht habe. In Göttingen z. B. gingen Gerüchte über Brunnenvergiftung und gar eine versuchte Brückensprengung »von Mund zu Mund«. Kriegsausbruch, in: Göttinger Kriegsgedenkbuch, S. 51–54, hier 53 (gestützt auf Erinnerungen des Superintendenten C. Mirow). 73 Aus GA 10.12.1915 (Drittes Blatt) zit. bei Siebe, »Germania docet«, S. 299. Sie verweist auf eine fast wortgleiche Äußerung in: Das Ausländerstudium an den Universitäten im zweiten Kriegsjahr, in: Frankfurter Zeitung 16.9.1915 (Zweites Morgenblatt). Dieser Artikel findet sich als Ausschnitt auch in: UA Gi Allg. 1350. 74 Zitat: Prüll, Gießens Universitätsmediziner, S. 314. 75 Die Zahl 33 ergibt sich, wenn man in der Statistik des SS 1914 die 32 Studierenden aus Rußland und 1 Stud. aus Finnland addiert. 76 Die Daten für WS 1914/15 so auch in der (für andere Semester nicht immer korrekten!) Tabelle bei Anderhub, Antoniterkreuz, S. 10 f. Vgl. dazu o. S. 83 mit A. 110.
784 Studium und Lehre im Krieg 1918 aufgenommen und kamen aus Kurland.77 Sie kamen nach Gießen (wie z. B. auch nach Göttingen78) also genau in jener Zeit, als das schon seit 1915 von deutschen Truppen besetzte Kurland durch den Friedensvertrag von Brest-Litowsk bereits aus dem russischen Staatsverband ausgeschieden war und sein Schicksal von Deutschland »im Benehmen« mit der Bevölkerung des Landes entschieden werden sollte79 – und nachdem der (von Deutschbalten dominierte) Landesrat Anfang März Wilhelm II. die Herzogskrone von Kurland angeboten hatte.80 Die deutsche Militärverwaltung betrachtete Kurland als künftiges deutsches Siedlungsland, und führende Kreise auch der deutschbaltischen Ritterschaften waren damals bereit, »sich unter dem Denkschema der ›Ostkolonisation‹ dem ›Militärstaat Ludendorffs zu verschreiben‹.«81 Auch der Ukrainer kam im Sommersemester 1918 aus einem bereits unabhängigen Staat.82 Ihn und die Kur länder als »Studierende aus dem Russischen Reich« zu betrachten,83 führt also zu Mißverständnissen und entspricht auch nicht mehr ihrem formal-recht lichen Status zum Zeitpunkt ihrer Immatrikulation. Prägend für Gießen ist daher – gerade im Kontrast zu Berlin – das Fehlen russischer Staatsbürger im ersten und (von dem seit WS 1915/16 in Gießen studierenden Finnländer abgesehen84) auch in allen weiteren Kriegssemestern, also – bis zum Studienbeginn des ersten Kurländers im WS 1917/18 – auch der Deutschbalten! Und dabei gestattete doch auch der hessische Ministererlaß Ausnahmen für »Studierende deutscher Herkunft«! Der Ausschluß ›feindlicher Ausländer‹ scheint also konsequent umgesetzt worden zu sein (worauf auch das Fehlen jeglicher Briten und Franzosen hindeutet). Doch ähnlich wie etwa in Göttingen, wo eine ganze Gruppe rußländischer Studierender und Nachwuchswissenschaftler während des Krieges in der Stadt lebte, obwohl sie von der Uni-
77 Siebe, »Germania docet«, S. 346, 351. Zur zeitlichen Staffelung und genauerer Angabe s. die Tabelle bei Anderhub, Antoniterkreuz, S. 10 f. (Angaben für SS 1918 auch anhand PB LU Gi überprüft). 78 Maurer, Weder Kombattanten noch Kommilitonen, S. 207. 79 Der Vertrag von Brest-Litowsk leicht zugänglich auf der Homepage des Deutschen Historischen Museums: http://www.dhm.de/lemo/html/dokumente/brest/index.html (11.6.2012). 80 Außerdem hatte im April der Vereinigte Landesrat der baltischen Provinzen beschlossen, beim deutschen Kaiser für die Unterstellung der Provinzen unter den Schutz des Deutschen Reiches zu plädieren. 81 Michael Garleff, Die Deutschbalten als nationale Minderheit in den unabhängigen Staaten Estland und Lettland, in: Gert von Pistohlkors (Hg.), Deutsche Geschichte im Osten Europas. Baltische Länder, Berlin 2002 (aktualis. Neuausgabe), S. 452–547, hier 455–469, Zitat 465 (mit Zitat im Zitat: Arved von Taube). 82 Die Unabhängigkeitserklärung datiert vom 12.1.1918. Dies mußte die russische Sowjet republik im Frieden von Brest-Litowsk am 3.3.1918 anerkennen. 83 So Siebe, »Germania docet«, S. 346 (ohne Begründung). 84 Guy Oern – dem Namen nach scheint er also kein Finne gewesen zu sein (PB LU Gi SS 1918, S. 67).
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versität ausgeschlossen waren,85 gab es auch in Gießen noch zarische Unter tanen. Und auch hier fanden sie, wie in Göttingen, die Unterstützung mancher ihrer Dozenten. Den ersten Antrag auf Wiederzulassung stellte im Herbst 1914 ein aus Russisch-Polen gebürtiger Katholik, der aber bereits die höhere Schule und zwei Semester lang auch die TH im galizischen Lemberg besucht hatte, dessen Eltern inzwischen in Krakau lebten und der sich deshalb nach eigener Darstellung »fasst [!] zu den österreichischen Bürger[n] zählen« konnte. Doch Rektor Sommer wies ihn mit der kühlen Bemerkung ab, »dass Sie infolge der allgemeinen Verfügung [!] des Grossh. Ministerium gestrichen werden mussten und Ausnahmen von Seiten der Universität nicht gemacht werden können.«86 Daß die Haltung des Lehrkörpers in dieser Frage aber keineswegs einheitlich war, wird an den Auseinandersetzungen um eine Doktorandin aus Kurland deutlich (wobei auch hier, wie so oft, persönliche Animositäten zwischen den Beteiligten eine gewisse Rolle gespielt zu haben scheinen). Cäcilie Katzenel sohn aus Libau hatte seit Winter 1909 in Gießen studiert und im Sommersemester 1914 eine Dissertation zur Vorkorrektur (»privatim«) eingereicht, die ihr Betreuer, der etwas unangepaßte Philosoph Messer, grundsätzlich gebilligt hatte, an der er aber noch einige Änderungen wünschte. Mit dieser Begründung erbat sich die von der Universität bereits aus der Matrikel gestrichene Doktorandin eine Ausnahme, schickte jedoch eine andere, noch wichtigere vorweg: »1) bin ich Baltin (Kurländerin) und der Sprache, Erziehung und Gesinnung nach – Deutsche.«87 Ihr Doktorvater glaubte ihr Gesuch »warm befürworten zu sollen«, wobei er sich ausdrücklich auf die Ausnahmemöglichkeiten der hessischen Verfügung für Studierende deutscher Herkunft bezog, und bekräftigte ihr ›Deutschtum‹ mit Nachdruck. Außerdem bat er um die Genehmigung, sie an den Sitzungen seines Seminars teilnehmen zu lassen.88 Die Kriegskommission lehnte es am 9. November 1914 jedoch ab, diesen Antrag an das Ministerium weiterzuleiten, da »kein Grund zur Befürwortung« vorliege.89 Am 10. November bat Messer den Rektor um »Schutz gegen den vorläufig unbekannten
85 Zur Zusammensetzung der Gruppe und ihren Aufenthaltsbedingungen s. Maurer, Weder Kombattanten noch Kommilitonen. 86 Witold Bendetson an Rektorat Gießen 24.9.1914 (Zitat); Witold Bendetson an Prof. Ludwig Schlesinger 8.10.1914 (Wiederholung der Bitte); Rektor Sommer an Witold Bendetson 5.10.1914 (Zitat; Entwurf mit Absendevermerk 13.10.1914): UA Gi Allg. 1350, fol. 200, 201, 203. 87 Cäcilie Katznelsohn an Phil. Fak. Gießen, im Nov. 1914: UA Gi Allg. 1350, fol. 188. Schreibung des Namens nach diesem Brief. Dem entspricht auch: PB LU Gi SS 1914, S. 52 (mit Angabe des Studienbeginns). In einigen weiteren zit. Quellen (und dementsprechend bei Siebe, »Germania docet«, S. 348) Schreibung ohne h. 88 Prof. Dr. Messer: Vortrag 7.11.1914 (mit Zusatz Behaghels 9.11.1914): UA Gi Allg. 1350, fol. 187. 89 Sitzungsprot. 9.11.1914: UA Gi Allg. 102, fol. 9.
786 Studium und Lehre im Krieg Studierenden, der fähig ist, gegen seinen Lehrer bei der Polizei eine anonyme Denunziation einzureichen«, und beantragte »ein Ermittlungsverfahren gegen den unbekannten Urheber.« Dabei gehe es ihm nicht um dessen Bestrafung, sondern nur darum, »daß mein Philosophisches Seminar von einem Mitglied rein gehalten werde, das einer so niedrigen – nach meinem Gefühl wenigstens: so niedrigen – Handlungsweise fähig ist. Müßte ich mir sagen, daß ein solcher Mensch anwesend ist, so könnte ich unmöglich die höchsten ethischen Probleme, die ich darin [?] zu behandeln habe – ich interpretiere Kants Kritik d[er] pract[ischen] Vernunft – mit der Offenheit be sprechen, wie sie mir durch die Idee der deutschen Universität und ihrer Lehrfreiheit gefordert erscheint.«90
Rektor Sommer wies Messers Annahme, der Denunziant stamme aus seinem eigenen Hörerkreis, als »beleidigend für unsere Studentenschaft« zurück. Die trotz des ministeriellen Verbots von Messer »gestattete Anwesenheit der genannten Russin« sei auch außerhalb von dessen Hörerkreis »mit Protest besprochen worden« und der Briefschreiber deshalb in weiteren Kreisen zu suchen.91 Wenige Tage später sah Messer mit Rücksicht auf seine »angegriffenen Nerven« von einer weiteren Verfolgung der Angelegenheit ab und zog sich für die nächste Zeit auch aus den Gremien zurück.92 Seine Bitte, ihn für Senats- und Kommissionssitzungen zu entschuldigen, mag zwar formal mit diesem Gesundheitszustand begründet sein, war aber vermutlich auch als Protest gegen die schroffe Haltung des Rektors gedacht – und vielleicht auch einer Verunsicherung durch die unklare Rolle des Germanisten Otto Behaghel, der Grauen Eminenz der Fakultät (wenn nicht der Universität) zuzuschreiben; denn dieser hatte genau am 9.11. auf Messers Vortrag vermerkt, daß er sich dessen »warmer Empfehlung« anschließe. Andererseits behauptete der Rektor einige Tage später, die laut Protokoll vollständig anwesende Kriegskommission (deren Mitglied Behaghel war) habe den Antrag einstimmig abgelehnt.93 Doch scheint sich die Fakultät am 11. November selbst noch an das Ministerium gewandt zu haben – und erhielt am 24. die Resolution, daß die Verfügung über den Ausschluß ›feindlicher Ausländer‹ sinngemäß auch auf Promotionen anzuwenden sei und für Cäcilie Katzenelsohn keine Ausnahme gemacht werden könne.94 Darauf verließ ihre am 21. Oktober 1914 aus Karlsruhe nach Gießen zugezogene Mutter und mit ihr vermutlich auch die (auf ihrer polizeilichen Meldekarte als ehemalige Gießener Studentin eingetragene) Tochter Cäcilie die 90 91 92 93 94
Messer an Rektor 10.11.1914: UA Gi Allg. 1350, fol. 174. Rektorat Gi an Messer 13.11.1914: UA Gi Allg. 1350, fol. 173 (mit Abgangsvermerk 14.11.). Messer an Rektor Gi 18.11.1914: UA Gi Allg. 1350, fol. 172. Wie A. 88 und A. 91. Gh. MdI an Phil. Fak. Gi 24.11.1914: UA Gi Allg. 1350, fol. 186.
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Stadt Anfang Dezember 1914.95 Auch hat diese kein Promotionsverfahren an einer anderen deutschen Universität abgeschlossen.96 Später lehnte die Kriegskommission die Bitte des in der Schweiz promovierten Israel Rabin, der während des Krieges nicht ausreisen durfte und – nach einigen Monaten in Frankfurt – nun auf eigenen Wunsch in Gießen interniert war, ab, sich hier zu immatrikulieren oder wenigstens Vorlesungen zu hören dürfen. Dabei hatte der »Rektor der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums« in Odessa wichtige Fürsprecher: Ein Schweizer Kollege hatte ihn dem Gießener Alttestamentler und Hauptvertreter der Religionsgeschichtlichen Schule, Hermann Gunkel, empfohlen. Zunächst war es darum gegangen, Rabin Zutritt zur Universitätsbibliothek zu gewähren, wogegen laut Bibliotheksordnung nichts sprach und wofür trotzdem die Genehmigung des Ministeriums eingeholt wurde.97 Im Sommersemester wollte Rabin dann an einer von dem neuberufenen Orientalisten Kahle geplanten Übung teilnehmen, die dieser auf Bitte eines Kollegen und einiger Studenten »privatim – ausserhalb der angekündigten Kollegs« abhalten wollte, aus praktischen Gründen (vermutlich wegen der nötigen Bücher) aber in seinem Seminar für Semitische Sprachen. Kahle selbst hatte offenbar gegen diesen »verständigen Mann« keine Einwände. Doch mit Berufung auf den »früheren unangenehmen Fall« Katzenelsohn wurde Kahle zu einer Besprechung beim Rektor gebeten und sollte vorher die Akten dazu einsehen.98 Schließlich ersuchte Rabin im September 1915 darum, Vorlesungen hören zu dürfen. Wieder hatte er die Unterstützung seines ersten Befürworters, der ihn inzwischen »als einen (für einen Rabbiner) geistig hochstehenden und wissenschaftlich durchaus interessierten Mann [kennengelernt hatte], den in seinen wissenschaftlichen Plänen zu unterstützen der Univer sität zukommt«. Rabins politische Gesinnung hatte er in vielen Gesprächen 95 Meldekarte »Katzenelsohn Sosé« in der Personenstandskartei (Stadtarchiv Gießen); dieselben Daten unter »Katzenelson [!] Dr. Nisson Ehefrau Sosé« in der Polizeikartei (Stadtarchiv Gießen). Als Datum des Wegzugs mit unbekanntem Ziel ist der 9.12.1914 angegeben, als Datum der Abmeldung aber »? (XII .16)« bzw. in der Polizeikartei: 2.12.1916. Der Ehemann bzw. Vater lebte die ganze Zeit in Libau (Kurland, Russ. Reich). 96 JHSS wurde (da für 1927 [!] noch der Abschluß eines 1914 eingeleiteten Promotions verfahrens nachgewiesen ist) bis einschließlich 1928 geprüft: ohne Ergebnis. Auch KVK weist keine Dissertation oder sonstige Publikation nach. Dem einzigen Hinweis, der sich im Internet finden läßt, wäre im Schwedischen Reichsarchiv nachzugehen. Zu dem 1927 beendeten Verfahren s. u. S. 888. 97 I. Rabin an Rektor Gi 14.12.1914 (als Ergänzung nach persönlicher Vorsprache); H. Gunkel an Rektor Gi [] XII .1914; Rektorat an [Bibl.-Dir.] Haupt 12.12.1914 (mit dessen Vermerk über Nutzungs- und Ausleihbedingungen: Kaution); Rektor Gi an Gh. MdI 19.12.1914; Gh. MdI an Univ. Gi 19.1.1915: UA Gi Allg. 1350, fol. 166, 164, 167, 163, 162. Außerdem fol. 165 die Visitenkarte Rabins. Zu Gunkel: BBKL II (1990), Sp. 395–396 (Friedrich Wilhelm Bautz). 98 Prof. Kahle an Rektor 14.5.1915; undat. Bleistiftentwurf der Antwort: UA Gi Allg. 1350, fol. 156, 157.
788 Studium und Lehre im Krieg kennengelernt: Es sei »die wohlbekannte, die die meisten Juden des Ostens teilen und die aus den furchtbaren Juden-Verfolgungen in Russland wohl begreiflich ist.« Mit Verweis auf den schon zitierten Artikel der Frankfurter Zeitung fügte G unkel hinzu: »Auch kann es keinem Zweifel unterliegen, dass gerade die Juden zu den ›unterdrückten Volksteilen‹ in Russland gehören.« Aber obwohl er sich auch persönlich für Rabin verbürgte, lehnte die Kriegskommission – nach von Behaghel geforderter (aber nicht dokumentierter) mündlicher Besprechung – ab.99 (Offenbar lernte man Rabins wissenschaftliche Leistungen aber trotzdem schätzen: Unmittelbar nach dem Krieg bekam er eine Assistentenstelle am Gießener Seminar für Orientalische Sprachen!100) Gegenüber einem jüdischen Studenten kam der von Gunkel als Argument zu Rabins Gunsten verwandte Minderheiten- und Verfolgten-Status allerdings nicht zum Tragen.101 Und Rabins Gelehrtenstatus benutzte Sommer später als Einwand gegen das Gesuch eines ehemaligen Studenten der TH Darmstadt, der ebenfalls in Gießen zivilinterniert war, eine elektrotechnische Zeitschrift aus dem UB Bestand benutzen zu dürfen. Sommer fürchtete, damit einen Präzedenzfall für andere hier lebende »Russen« zu setzen. Die Fakultät legte den Antrag immerhin dem Ministerium vor, brachte dabei allerdings die mögliche Spionagegefahr ins Spiel, die die vorgesetzte Behörde jedoch nicht beunruhigte: Die Korrespondenz der Internierten werde ohnehin überwacht.102 Nach der Proklamation des Königreichs Polen gingen auch in Gießen einige Anträge von dort ein, doch wurden sie regelmäßig abgelehnt.103 Dabei folgten die Gießener der Bitte des hessischen Ministeriums, das sich seinerseits auf die in Berlin und Warschau angestellten Überlegungen stützte und diese auch der Landesuniversität zur Kenntnis gab. Wie der preußische Kultusminister behielt auch der hessische Zuständige die Zulassung der einzelnen sich selbst vor.104 Obwohl sich die Situation in Berlin und Gießen also sowohl bezüglich des Anteils der Ausländergruppe als auch ihrer Zusammensetzung stark unter99 Israel Rabin (aus Bad Ems) an Rektor Gi 28.9.1915 (mit Stellungnahme Gunkels 4.10.1915, Überweisung an die KK 4.10. durch Rektor Sievers und Bemerkung »Bh.«s auf der Rückseite). UA Gi Allg. 1350, fol. 116–117, 156, 157. [Ergebnis-]Prot. der Sitzung der KK vom 11.10.1915: UA Gi Allg. 102, fol. 16. 100 PB LU Gi WS 1918/19, S. 23. 101 Stud. med. Benzion Mazkewitsch an Rektorat Gießen 11.3.1916 (aus Eisenach) (mit Vermerk über die Ablehnung): UA Gi Allg. 1350. 102 B. Suler an Verwaltung der UB Gi 8.10.1915 (mit Vermerk eines nicht identifizier baren Lind 11.10.1915 und Zustimmung von vier Mitgliedern der KK ; Notiz Sommers 14.10.1915; Vermerk des Rektors 25.10.1915); Univ. Gi (KK) an Gh. MdI 25.10.1915; Gh. MdI an Univ. Gi (KK) 11.11.1918. Alle: UA Gi Allg. 1350, fol. 123–124, 121, 120. 103 S. die Dokumente zu Anatol Schneeberg, Mowscha (Moses) Rosenthal und Jakob Kut: UA Gi Allg. 1350, fol. 90–94, 86–90, 85. 104 Gh. MdI an Univ. Gi 4.5.1917 und Verweis darauf am 8.5.1917 (bei sich kreuzendem Antrag): UA Gi Allg. 1350, fol. 80; fol. 85.
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schied, könnte man sie im Vergleich mit Straßburg fast noch in einer Gruppe zusammenfassen; denn immerhin hatten beide Universitäten noch ausländische Studenten, die unter den Anwesenden einen ähnlichen Teil ausmachten wie vor dem Krieg. In Straßburg dagegen, wo im Sommer 1914 8,9 % der Immatrikulierten Ausländer gewesen waren, studierten statt jener 175 im Winter nur noch 7. Sie bildeten zwar noch ein gutes Prozent der Anwesenden, doch mit ihrer sinkenden Zahl (die zwischen zwei und fünf schwankte), gingen sie in der Gesamtstudentenschaft immer mehr unter. Ohnehin handelte es sich, abgesehen vom Winter 1914/15, fast nur um Schweizer und Österreicher. Im Elsaß, wo der Besuch der Universität nun »erschwerter [war] als an einer anderen Hochschule«,105 gab es während des ganzen Krieges keine Studierenden aus dem Russischen Reich mehr – obwohl diese im Sommer 1914 noch 72,6 % aller Ausländer gestellt hatten!106 Und Studenten aus Übersee, von denen in den letzten vier Semestern vor dem Krieg jeweils zwischen sieben und 14 (im Sommer 1914: neun) in Straßburg studiert hatten, fanden sich auch nicht mehr ein. War vor dem Krieg Gießen die ›deutscheste‹ der drei Universitäten, so kam dieses Prädikat nun der Universität an der Grenze zu – nicht wegen der nationalen Gesinnung ihrer Angehörigen, sondern weil der Zuzug in die Festung schon für Angehörige verbündeter Staaten schwierig war (und bald ja sogar für Reichsangehörige besondere Bescheinigungen nötig waren): Ein Student aus Lemberg hatte »Schwierigkeiten«, nach Straßburg zurückzukehren und wollte deshalb in Heidelberg studieren – worauf diese Universität, offenbar irritiert durch seine ungarische (nicht österreichische) Staatsangehörigkeit, in Straßburg nachfragte. Hier hatte man gegen seine Rückkehr nichts einzuwenden, doch hielt der Sekretär es für möglich, daß er »als Ausländer seitens des Militärs hier Schwierigkeiten findet«. Tatsächlich kehrte der Mediziner, der seit Wintersemester 1913/14 in Straßburg studiert hatte, auch in den folgenden Semestern nicht dorthin zurück.107
Der Anteil der Frauen in der Studentenschaft Wurde der Personenbestand der Universitäten – von Assistenten, Lektoren und Privatdozenten bis zu den von ihnen Unterrichteten – durch den Ausschluß der ›feindlichen Ausländer‹ deutscher, so verloren sie mit der Masse der ins Feld ziehenden Studenten zugleich die Adressaten (und die personelle Grundlage) der 105 Ficker, Bericht IV (1917/18), S. 4. 106 Alles zusammengestellt nach den Statistiken der einzelnen Semester. 107 Univ. Heidelberg an Sekretariat Univ. Strb. 6.11.1914; Universitätssekr. Strb. an Univ. Heidelberg 10.11.1914: ABDR 103 AL 1432. Zum Studium von Sigismund Baracz s. PV KWU Straßburg SS 1914, S. 30.
790 Studium und Lehre im Krieg spezifisch-männlichen, in Rhetorik und Riten auch militärisch beeinflußten Sozialisation. Dabei bewirkte die quantitative Verschiebung zugunsten der erst wenige Jahre zuvor als vollberechtigte Studierende zugelassenen Frauen, wie ein zeitgenössischer Beobachter meinte, einen »völligen Wandel der Physiognomie« der Universität.108 Zu Beginn des Krieges war etwa die Hälfte, am Ende zwei Drittel der Studierenden deutscher Hochschulen eingezogen.109 Und mancher Zeitgenosse mochte, wie der Göttinger Rektor, resigniert ausrufen »O academia!«, wenn er feststellte, daß in den Hörsälen zwar immer noch »fleißiges Leben« herrsche, aber »wohl 75 vom Hundert Frauen dort heute die Regel« seien.110 Kämpfende Männer (und ihre daheimgebliebenen Fürsprecher) befürchteten eine Feminisierung der akademischen Berufe.111 Eine Überprüfung der Daten kann diese Szenarios jedoch nicht bestätigen: Daß die Zahl der regulär immatrikulierten Frauen allmählich anstieg – nur im ersten Kriegssemester ging sie leicht zurück –, kann nicht verwundern. Trotzdem machte die Vermehrung um 56,7 % binnen vier Jahren natürlich großen Eindruck. Die Zahl deutscher (!!) Studentinnen wuchs von 3876 im Sommer 1914 auf 6073 im Sommer 1917.112 Doch dies war natürlich nicht die Folge des Krieges, sondern der wachsenden Zahl von Abiturientinnen; denn da sich Mädchen-Gymnasien und (in Preußen) Studienanstalten erst kurz zuvor stärker verbreitet hatten, gab es erst jetzt jährlich größere Absolventinnengruppen. Dieser Anstieg der Studentinnenzahl hatte schon in den letzten Vorkriegs jahren begonnen; allerdings fiel er wegen der Abwesenheit der meisten Männer nun viel stärker auf. Außerdem war er an den einzelnen Universitäten sehr unterschiedlich – wobei in absoluten Zahlen die ohnehin bei weitem über die meisten Studentinnen verfügende an der Spitze lag, während sich anteilmäßig die Steigerungen bei den kleinen Universitäten stärker auswirkten. Andererseits fand auch hier eine innerdeutsche Umverteilung statt: Während manche süddeutschen Universitäten von Frauen im Krieg weniger besucht wurden, gewannen vor allem preußische hinzu.113 In Berlin, wo im Gegensatz zum Winter davor und zum gesamtdeut-
108 109 110 111 112
Buchner, Würzburg im Weltkriege, S. 44. Jarausch, Deutsche Studenten, S. 109. H. Th. Simon, »Zum Geleit!«, in: Stimmen aus zwei Jahrhunderten, S. III-XI, hier IV. S. dazu u. S. 1041 f. Zusammengestellt bei Hausmann, Frauenstudium, S. 19 (auch für die dazwischen liegenden Wintersemester). Dazu kamen die Ausländerinnen, im SS 1914 252, im WS 1914 nur noch 96, im Sommer 1917 142 (S. 18). 113 Für den Rückgang werden Freiburg und München genannt, als preußischer ›Gewinner‹ vor allem Berlin, Bonn, Kiel, Marburg, Münster und Halle (Vom Universitätsstudium der Frau zur Kriegszeit, in: BT 458, 8.9.1915 MA). Bei ersterem lag das v. a. an der un sicheren Grenzlage und Bombardierung, während die Gründe bei München nicht offenkundig sind.
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schen Trend die Zahl der Frauen im ersten Kriegssemester anstieg,114 nämlich auf 970, wuchs sie bis Sommer 1918 dann weiter auf 1198, also um 23,5 %; in Straßburg von 45 auf 82 (82 %), in Gießen von 26 auf 90 (246 %).115 Dabei spiegeln diese Angaben den Anstieg insofern nicht korrekt, als im Winter davor sowohl in Berlin (1322!) als auch in Straßburg (98) die Zahl der Frauen deutlich höher war als im Sommer 1918. Berlin gehörte zu den typischen Winteruniversitäten, wo eine höhere Immatrikuliertenzahl in der kalten Jahreszeit der Regel entsprach. Trotzdem ist es bemerkenswert, daß im Sommer 1918 die Zahl noch um 10 niedriger lag als ein Jahr zuvor. Eigentlich wäre mit einem neuen Abitu rientinnenjahrgang ja ein deutlicher Anstieg zu erwarten gewesen. In Straßburg, wo es in den Vorkriegsjahren – im Unterschied etwa zu der Sommeruniversität Freiburg – kein ausgeprägtes Differenz-Muster der Semester gab, könnte der Rückgang im Sommer 1918 auf die immer unsicherer werdende Situation des Elsaß zurückzuführen sein. In Gießen verlief die Steigerung zunächst kontinuierlich, erst zwischen Winter 1917/18 und Sommer 1918 kam dann ein Sprung von 60 auf 90 (50 %), der an dem exorbitant erscheinenden Ergebnis wesentlichen Anteil hatte. Setzt man die Zahl der Frauen in Relation zu der der anwesenden Studierenden, ergeben sich für die drei untersuchten Universitäten zwar unterschiedliche Muster – doch selbst der Gipfelpunkt des weiblichen Anteils ist nur gut halb so hoch, wie das Schreckbild des Göttinger Rektors glauben machen wollte. In Berlin war im ersten Kriegssemester ein knappes Viertel der Anwesenden (23,6 %) weiblichen Geschlechts, in den kommenden Semestern bewegte sich ihr Anteil unregelmäßig zwischen 31 und 34 %, nur im Winter 1917/18 betrug er 40,5 %. In Gießen machten die Frauen zunächst nur 8,5 % der Studierenden vor Ort aus, dann einige Semester lang 12–14 %, um im Winter 1916/17 ein knappes Fünftel zu erreichen (19,1 %) und sich in den letzten Kriegssemestern auf einem knappen Viertel zu stabilisieren. Auch hier lag der Höhepunkt im Winter 1917/18 (24,3 %).116 In Straßburg war die Ausgangslage ähnlich wie in Gießen (7,3 % im Winter 1914/15), doch die Steigerung des Anteils geringer: mit 15,9 % erreichte er seinen Höhepunkt ebenfalls im Winter 1917/18.117 114 Im WS 1913/14 betrug sie 859, im SS 1914 802 (nach: AV FWU Berlin). Die Einschätzung, daß die im letzten Friedenswinter »etwas« zurückgegangene Zahl der Frauen nun »ein wenig« gestiegen sei, läßt sich aus der jeweils endgültigen offiziellen Feststellung also nicht bestätigen. Die von einem Berliner Extraordinarius gegebene Erklärung könnte jedoch auch für den deutlichen Anstieg gelten: Frauen studierten in ihrem ersten Semester üblicherweise außerhalb, im Krieg dagegen blieben sie wegen der unruhigen Zeiten und der Unsicherheit des Reiseverkehrs in Berlin (Ludwig Geiger, Das Kriegssemester an der Berliner Universität, in: BT 635, 14.12.1914 AA). 115 Errechnet nach den absoluten Zahlen in den Personalverzeichnissen. 116 Im Sommer 1917 und 1918 jeweils 23 %. 117 SS 1915 bis WS 1916/7 zwischen knapp 11 % und gut 12 %, SS 1917 14,1 %, SS 1918: 14,7 %.
792 Studium und Lehre im Krieg Versucht man, die unterschiedlichen Muster auf eine Kurzformel zu bringen, so stellten die Frauen in Berlin während des Krieges etwa ein Drittel der tatsächlichen Hörerschaft, in Gießen arbeiteten sie sich ganz allmählich zu einem knappen Viertel vor, in Straßburg dagegen nur zu einem knappen Sechstel. Damit sticht Straßburg auch vom Reichsdurchschnitt stark ab, der im Sommer 1917 35,1 % betrug; Gießen lag mit 23 % ebenfalls darunter. Für Berlin fehlen ausgerechnet für dieses Semester Zahlen der Anwesenden – einem Zeitgenossen zufolge lag die hauptstädtische Universität jedoch über dem Durchschnitt.118 Überall aber hatten die Frauen schon rein quantitativ Bedeutung für die Fortführung des Lehrbetriebs. Bedenkt man etwa, daß Gießen im Winter 1917/78 nur 243 Studierende zählte, so traf der Gießener Theologe Schian den Nagel auf den Kopf, als er den Kommilitonen zu Weihnachten 1917 ins Feld schrieb: »Die studierenden Frauen endlich füllen manche Lücken, die sonst allzu klaffend hervorträten.«119 Die damals 59 Frauen fielen wirklich ins Gewicht! Dabei hatte man in Gießen 1910– 1913 die Frauen bei den Einladungen zu Universitätsveranstaltungen noch ganz übersehen120 und der Rektor im Januar 1916 erneut (nur) die »Herren (!) Commilitonen zu einer allgemeinen (!) Studentenveranstaltung« eingeladen!121 Und das, obwohl die Frauen damals immerhin 14,2 % der Anwesenden stellten! Ulrich von Wilamowitz hatte schon zwei Jahre früher beim Antritt seines Rektorats die Bedeutung der Frauen für die Aufrechterhaltung der Lehre sogar an der großen Berliner Universität eingestanden (wenn auch nicht so unverblümt wie Schian): Trotz der Mehrheit der im Feld befindlichen würden »doch so viele Lernbegierige durch Geschlecht oder körperliche Schwäche zurückgehalten, daß der Unterricht nicht stillstehen darf«.122 Im Sommer 1918 schrieb der Berliner Theologe Holl einem Kollegen in Jena: »Auf Ihre Zahlen können Sie stolz sein. Bei uns geht’s nicht so hoch. Berlin ist ja im Sommer immer schwach und jetzt wegen der knappen Ernährung besonders gefürchtet.«123 Die Zahl der Anwesenden lag damals nur so hoch wie die Zahl derer, die in einem Winter drei Semester zuvor Vorlesungen belegt hatten (3432 im Vergleich zu 3426), obwohl
118 Reichsdurchschnitt und Aussage über Berlin: Hausmann, Frauenstudium, S. 16. 119 Schian, Die Ludoviciana im Jahre 1917, in: Weihnachtsgruß 1917, S. 18. 120 Noch 1910 und 1913 wurden z. B. in Gießen mit einem Schreiben »an die gesamte Studentenschaft« »sämtliche Herren Studierenden« zum Festakt der Universität eingeladen (UA Gi PrA 1215, fol. 8; PrA 1216, fol. 1). 1914 hatte der Universitätssekretär das wiederum geschrieben, radierte es dann aber aus und übermalte die Leerstelle mit einem eleganten Schweif (PrA 1217, fol. 2). 121 Rektor Gi 19.1.1916 (Einladung zur Versammlung am 24.1.1916): UA Gi Allg. 106, fol. 4. Dort sollte es – mit einem Referat des Bibliotheksdirektors Haupt – um einen »vaterländischen Studentendienst« gehen. 122 Wilamowitz-Moellendorff, Rede beim Antritt des Rektorates, S. 5. 123 Holl an Lietzmann 7.5.1918, in: Aland (Hg.), Glanz und Niedergang, S. 398.
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die Zahl der Immatrikulierten um 1.500 gestiegen war. Deshalb war es wichtig, daß auch die Zahl der anwesenden Frauen auf dem Niveau der drei Semester zuvor Vorlesungen hörenden Frauen lag (1161 im Vergleich zu 1168) – um so mehr, als die Zahl der immatrikulierten Frauen ja gesunken war (von damals 1258 und im unmittelbar vorhergehenden Semester sogar 1322 auf 1198). Wie viele von den Anwesenden dann tatsächlich Lehrveranstaltungen belegten, ist für die letzten Kriegssemester aber unbekannt. Auch die Zusammensetzung der Studentinnenschaft hatte sich geändert. Selbst ohne den Krieg wäre sie schon durch die steigende Zahl einheimischer Abiturientinnen deutscher geworden. Aber zugleich studierten nun kaum noch Ausländerinnen an deutschen Universitäten: in Gießen und Straßburg keine einzige, selbst in der Zeit, als Studierende aus Polen und Kurland zugelassen wurden.124 Nur Berlin zog auch während des Krieges immer ausländische Frauen an: zwischen 36 im ersten Kriegssemester (im Vergleich zu 42 im Sommer 1914) bis 76 im Sommer 1918. In den ersten beiden Kriegsjahren kam gut die Hälfte von ihnen aus Österreich-Ungarn, später ging deren Anteil zurück, und im letzten Kriegsjahr stellten die Bulgarinnen die größte Fraktion. Aber in jedem Semester waren auch einige Frauen aus dem Russischen Reich darunter (zwischen vier 1914/15, acht im Winter 1916/17 und sechs im Sommer 1918).
Soldaten und Verwundete Im Mai 1915 schrieb der Berliner Mediävist Michael Tangl an seinen Kollegen Harry Bresslau in Straßburg: »Das Semester begann, wie zu erwarten stand: in Urk[undenlehre] II 1 Buckliger, 1 Lahmer, 5 Herzkranke, 1 Nierenkranker und 4 Damen.«125 Ob durch diese Aufzählung auch die »Damen« als Studierende quasi ›zweiter Wahl‹ charakterisiert werden sollten (obwohl die Männer, mit denen sie in einem Atemzug genannt wurden, eigentlich doch nur militärisch untauglich waren), braucht hier zunächst nicht zu interessieren; denn über ihr Studienverhalten und ihre Leistungen liegen ja auch explizite Äußerungen vor.126 Doch belegt die genaue Benennung der verschiedenen Untauglichkeitsursachen mehr als nur den hohen gesellschaftlich-moralischen Druck, Soldat zu werden: diese Art, über die weiterstudierenden Männer zu reden, sie als »nur
124 Da die Statistiken dieser beiden Universitäten nur die Zahl jeweils aller Frauen angeben und die Ausländer nicht nach Geschlechtern differenziert werden, wurden für diese Aussage die Namensverzeichnisse durchgesehen. Unklar bleibt in Straßburg ein einziger Fall, da die eine brasilianische Person im WS 1917/18 trotz mehrfacher Durchsicht nicht gefunden wurde. 125 Zit. bei Schaller, Tangl, S. 262. 126 S. dazu u. Kap. IV.4.
794 Studium und Lehre im Krieg Blinde und Lahme« abzutun,127 war schon bald zum Stereotyp geworden. Die Abwertung jener, die nicht im Militäreinsatz standen, wird sogar in feuilletonistischen Skizzen, etwa des Berliner Tageblatts, deutlich: Der Extraordinarius der Karlsruher TH Willy Hellpach, der selbst zunächst an der Front war, dann Nervenlazarette leitete (und in der Weimarer Zeit badischer Kultusminister wurde) beobachtete in einer Freiburger Weinstube einen fülligen Mann, den er zunächst für »eine gesättigte Hinter-der-Front-Existenz« hielt – nur um dann zu erfahren, daß dieser mehrfach schwer verwundet war und sich mit dem Wein über den »Schonungsstumpfsinn« hinwegtröste und »in die Hoffnung hinüber[träume] (…) doch noch irgendwie mal wieder kriegsverwendungsf ähig zu werden.«128 Schon im ersten Kriegssemester kam zu den chronisch Kranken also eine andere Kategorie studierender Männer hinzu: jene, die von der Front zurückkehrten und die aufgrund ihrer Verwundung besondere Aufmerksamkeit verdienten, ja Verehrung genossen. Der Berliner Theologe Deißmann berichtete schon zu Weihnachten 1914 von Verwundeten unter seinen Hörern, die bereits an die Front zurück strebten!129 Ab Sommer 1915 gab es Bestrebungen, verwundeten oder kranken Kriegsteilnehmern eine Verlegung in Universitäts- oder THStädte zu ermöglichen und sie während ihrer Rekonvaleszenz dort vorhandene Unterrichtsmittel nutzen zu lassen.130 Allerdings sollten nicht etwa Männer, die in Etappenlazaretten behandelt werden konnten, zwecks Studienmöglichkeit in die Heimat verlegt werden. Vielmehr schränkte der preußische Kriegsminister dies auf solche Verwundeten ein, deren Wiederherstellung zur Felddienstfähigkeit nicht zu erwarten war oder deren Genesung längere Zeit erforderte.131 Immerhin setzten auf diese Weise manche Verwundeten während ihres Lazarettaufenthalts in der Heimat ihr Studium fort132 oder hörten wenigstens »nach alter Weise einmal ein Kolleg«.133 127 S. dazu das Zitat eines Privatdozenten an der Front (Mitte Oktober 1915) o. S. 361. Noch vor Beginn des ersten Kriegssemesters hatte der Königsberger Historiker Otto Krauske in einem Brief an seinen Kollegen Albert Brackmann vom 4.10.1914 gefragt: »Wer wird denn diesen Winter zu unseren Füßen sitzen? Wir dürfen höchstens auf einige Reichskrüppel und etliche Fräulein rechnen.« (zit. bei Tilitzki, Albertus-Universität Königsberg, S. 411). 128 Willy Hellpach, In der Weinstube beim Münster, in: BT 173, 3.4.1916 AA . 129 Deißmann, Das Kriegssemester, S. 18. 130 (Rektor Gi) Sommer an alle Dozenten 17.7.1915: UA Gi Theol N 9. 131 Wettmann, Heimatfront Universität, S. 137. 132 S. das Gesuch des Unteroffiziers Wilhelm Rehmann an die Honorarien-RevisionsKommission der Universität Gießen um eine verminderte Studiengebühr, da er im bereits laufenden Semester ›einsteige‹, mit Vermerk des Mitglieds der Kommission [Julius] Geppert 16.5.1916: UA Gi Allg. 1343, fol. 178. R. war seit SS 1914 in Gießen immatrikuliert und studierte Geschichte (PB LU Gi SS 1916, S. 62). 133 Schian, Die Ludoviciana im Jahre 1917, in: Weihnachtsgruß 1917, S. 18.
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Gelegentlich konnte eine Universität auf diese Weise auch neue Studenten g ewinnen. Während ab September 1915 zunächst alle in Gießen eingeschriebenen Studenten aus den Lazaretten des Großherzogtums diese Studiermöglichkeit erhielten, wurde dies im Dezember auf alle in den hessischen Lazaretten befindlichen Studenten ausgedehnt.134 Ernst Gerstenmaier, der nach dem Verlust seines rechten Arms in ein Gießener Reservelazarett gebracht worden war, hatte im Winter 1916/17 dort studiert, »während der akademischen Ferien seine Studien fortgesetzt und (…) eine größere Arbeit begonnen«. Als er dann im Frühjahr nach Darmstadt verlegt wurde, wandte sich der Dekan der Theologischen Fakultät an das zuständige Regiment und bat darum, Gerstenmaier nach Gießen zurückzuverlegen, da dies »im Interesse seiner wissenschaftlichen Aus bildung dringend wünschenswert« sei. So altruistisch, wie er klingt, war dieser Vorschlag allerdings nicht. Natürlich lag es angesichts des Tiefstandes studentischer Präsenz – von 119 Immatrikulierten der Theologischen Fakultät hatten im WS 1916/17 nur 21 Lehrveranstaltungen belegt – auch im Interesse der Institution selbst, diesen ihr quasi zugefallenen Studenten nicht an eine andere Universität zu verlieren; denn daß der Einarmige nicht mehr eingezogen würde, war klar – und so stimmte das Regiment umgehend seiner Beurlaubung »bis zum Abschlusse seines Rentenverfahrens« zu.135 Tatsächlich wurde Gerstenmaier im Sommersemester unter den Immatrikulierten verzeichnet (mit Eintrittsdatum WS 1916/17!) und studierte mindestens bis Wintersemester 1919/20 in Gießen.136 Neben der Rekrutierung zusätzlicher Hörer oder neuer Studenten aus den Lazaretten stand – ähnlich wie in Friedenszeiten beim Dienstjahr der Ein jährig-Freiwilligen – die Verbindung von Studium und Militärdienst: Die Universität Straßburg war froh, daß sich neben (fast nur noch aus der Region stammenden) Abiturienten, die nicht sofort militärisch verwendet wurden, immer wieder Garnisonsdienstfähige oder zur militärischen Ausbildung hierher kommandierte Studenten bei ihr immatrikulierten (auch wenn bzw. gerade weil die Zahl der ›Neuen‹ im Sommer 1917 nur ein Sechstel im Vergleich zum Sommer 1914 betrug). Und mit zunehmender Ausweitung der militärischen Rekrutierung waren ihr auch jene willkommen, die nicht einmal garnisonsdienst fähig waren, aber »arbeitsverwendungsfähig beim Militär«, etwa im Postdienst oder in militärischen Schreibstuben. Doch auch damit betrug die Zahl der ortsanwesenden Studenten (je nach Fakultät) nur zwischen etwas mehr als einem 134 Anderhub, Antoniterkreuz, S. 39 (nach GA 15.12.1915). 135 Theol. Fak. Gi an das Artillerie-Regiment 25/Immobile Ersatz-Abteilung Darmstadt 2.4.1917; II. Ersatz-Abteilung [des] Feldartillerie-Regiments Nr. 25 an den Dekan der Theol. Fak. Gi 5.4.1917: UA Gi Theol. N 9. Daten für Hörer und Beurlaubte in der handschr. Statistik (wie A. 9). 136 Nachweise in PB LU Gi WS 1916/17 (noch nicht enthalten!) bis WS 1919/20. Danach wurden die Namenslisten der Studierenden nicht mehr veröffentlicht.
796 Studium und Lehre im Krieg Drittel und weniger als einem Siebtel im Winter 1917/18 und sogar einem Elftel im Sommer 1918; denn ein Teil der Hilfsdienstpflichtigen (und der freiwilligen Hilfsdienst leistenden Frauen) war ja auch nicht wirklich vor Ort, sondern im Einsatz außerhalb. Schließlich achteten mit zunehmender Kriegsdauer auch die militärischen Vorgesetzten selbst darauf, daß studierende Soldaten »die Gelegenheit, Vorlesungen zu hören, nicht ungenutzt lassen«.137 Im Herbst 1918 bat der Rektor der Universität Straßburg das Stellvertretende Generalkommando sogar, jenen Studenten, die Militärdienst in der Garnison leisteten, »Urlaub für die Stunden« der Vorlesungen zu gewähren. Die Überwachungsstelle des XV. Armeekorps z. B. ermöglichte dies 16 ihrer Angehörigen. Dazu verhalf vielleicht auch, daß das Stellvertretende Generalkommando die Lehrveranstaltungen quasi als Pflicht der Studenten darstellte.138 Übrigens scheinen die Universitäten durch auswärts im Vaterländischen Hilfsdienst wirkende Studentinnen nicht nur Hörerinnen verloren, sondern ihrerseits gelegentlich auch solche gewonnen zu haben.139
Auswirkungen auf Lehrende und Studierende Der geringe Anteil tatsächlich am Studienort anwesender Studenten näherte sich mancherorts zeitweise also der kritischen Grenze. Das bedeutete zunächst eine finanzielle Einbuße für die Institution; denn die Beurlaubten brauchten keine Auditoriengelder und Bibliotheksgebühren (in Berlin 5 bzw. 2,50 M. pro Semester, in Straßburg 4 bzw. 2 M.) zu zahlen – und natürlich kein Hörgeld, das in Berlin für »rein theoretische Privatvorlesungen« 5 M. pro Semesterwochenstunde betrug, bei Veranstaltungen mit schriftlichen Arbeiten, Experimenten, Operationen oder Demonstrationen bis zu 120 M. für den Kurs. Dazu kamen für Naturwissenschaftler und Mediziner die Institutsgebühren (5 M.) und evtl.
137 Ficker, Bericht IV (1917/18), S. 5 f. (zur Folge für den Stundenplan s. u. S. 817). Zu den Frauen s. das Zitat Bumms o. S. 493. 138 Der Brief des Rektors selbst ist nicht überliefert. Im zit. Brief des Stellv. GK an diverse militärische Dienststellen vom 12.10.1918 ist die Rede von »Urlaub für die Stunden, in welchen sie Vorlesungen zu hören haben (!)«. Zit. Antwort: Überwachungsstelle XV. Armeekorps an Stellv. GK XV. A.-K 19.10.1918. Beide: ADBR 103 AL 53. 139 S. das Beispiel von Erika Griesbach o. S. 506 A. 152. Eine Münchner Studentin, die ihren Hilfsdienst im Februar 1918 in der Chirurgischen Klinik Straßburg antreten und sich für SS 1918 auch dort immatrikulieren wollte (stud. med. Jeanne Zink, München, an Sekretariat der Univ. Strb. 13.12.1917: ADBR 103 AL 194), erscheint im Studierendenverzeichnis nicht. Ob sie sich gegen Ende des Krieges doch nicht mehr immatrikulierte oder evtl. gar nicht in Straßburg war, ist nicht zu klären. Das Münchner Studierendenverzeichnis (WS 1917/18, S. 154) verzeichnet zum Zeitpunkt des Briefes eine Johanna Zink, geb. in Frankfurt a. M., mit bayerischer Staatsangehörigkeit.
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Praktikumsgebühren.140 Das Hörgeld floß den Dozenten zu, doch zog die Universität davon eine Hebegebühr ab (in Berlin 2 %).141 Außerdem erlitt sie natürlich eine Einbuße durch die geringe Zahl von Neuimmatrikulationen, weil in den ersten Kriegssemestern viele Abiturienten direkt ins Heer eintraten. Damit entgingen den Berlinern pro potentiellem Studenten 18 M., den Straßburgern 20 M.142 Im Vergleich zu den staatlichen Zuschüssen und den Einnahmen aus dem (auch durch die Beanspruchung als Lazarette wachsenden) Klinikbetrieb (die z. B. in Gießen zwischen 1913 und 1916 auf das Doppelte stiegen) fiel die Verringerung der Einnahmen aus Gebühren auf ein gutes Fünftel (1913/1915) bzw. ein starkes Viertel (1913/1917) für die Institution allerdings nur wenig ins Gewicht.143 Für den einzelnen sah das jedoch anders aus. Wenn Schian als Professor für Praktische Theologie in Gießen sieben Semester lang jeweils nur vor zwei oder drei Hörern las, dann hatte das Hörgeld (das in einer Fakultät mit 119 Studenten und sieben Dozenten auch in Friedenszeiten relativ bescheiden gewesen wäre) nur noch symbolischen Charakter für ihn. Das erklärt bis zu einem gewissen Grad auch seine eigene Einordnung dieser Tätigkeit als »Kriegs dienst«144 – vermutlich, um die Einsatz- und Opferbereitschaft zu unterstreichen. Auf diesem Hintergrund versteht man auch, daß die Gießener Philo sophische Fakultät und beide Berichterstatter im Senat (ein Pharmakologe und ein Zivilrechtler) Bedenken hatten, Verwundeten und Kriegsbeschädigten generell eine Hörgeldermäßigung, gar auf Dauer, zu gewähren. Zur Begründung wiesen sie auf die ohnehin vorhandene finanzielle Einbuße aller Lehrenden hin. Daß diese Kriegsteilnehmer über Jahre kostenlos studieren könnten, schien den Dozenten unvorstellbar, obwohl es ihnen eine »Ehrenpflicht« war, sie zu fördern. »Es steht nicht ohne weiteres fest, dass es den kriegsbeschädigten Studierenden durchweg schwerer fallen wird, die Honorare zu bezahlen als den Dozenten, auf die Honorare zu verzichten«, konstatierte der Jurist Leist.145 140 Mitteilungen für die Studierenden der Universität Berlin, in: VV FWU Berlin SS 1917, S. 5–7, hier 7; Anmeldungsbuch [der KWU Straßburg] in: ADBR 103 AL 138, fol. 820. Für Gießen waren die Gebühren (die im VV nicht genannt werden) für diese Zeit leider nicht zu ermitteln (und Angaben für 1923 können kaum zum Vergleich herangezogen werden). Für die Bemühungen danke ich Dr. Eva-Marie Felschow (UA Gießen). 141 Kgl. Universitäts-Kasse und Quästur an Pr. KuMi 6.4.1914: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. IV, Nr. 46 Bd. XX , fol. 351. 142 Berlin: wie A. 140; Straßburg: Gedrucktes Formular der KWU (für die Immatrikulation in Absentia): ADBR 103 AL 138, fol. 826. Studienortwechsler zahlten bei der Neuimmatrikulation an beiden Universitäten nur die Hälfte. 143 S. die Tabelle mit Einnahmen und Ausgaben bei Anderhub, Antoniterkreuz, S. 12. 144 S. das volle Zitat o. S. 697. 145 Anlaß war eine Anfrage des Landesausschusses für Kriegsbeschädigtenfürsorge bezüglich des Studiums der Landwirtschaft (um auf dieses die im Krieg eingeführte Kostenfreiheit des Unterrichts an Landwirtschaftsschulen auszudehnen). Zunächst nahm der
798 Studium und Lehre im Krieg (Bei allen diesen Berechnungen – mit nominell unveränderten Gehältern und Gebühren – ist schließlich auch die Geldentwertung während des Krieges zu bedenken.146) Georg Simmel, dessen Vorlesungen in Berlin großen Zuspruch genossen hatten, notierte im Januar 1915 für Straßburg: »Die Universität ist verödet, mein Kolleg ist – was schon ein unerwarteter Erfolg ist – von 46 Studenten belegt.«147 Zu Beginn des Sommersemesters 1916 berichtete er dann nach Berlin: »Ich will froh sein, wenn ich am Mittwoch ein Dutzend Hörer finde.«148 Dabei ging es ihm offenkundig nicht um materielle Fragen: Als nichtbeamteter Extra ordinarius hatte er in der Hauptstadt zwar kein Gehalt, aber 7000–8000 M. Hörgelder gehabt und außerdem »Honorare für gewisse ausserakademische Leistungen« bezogen, die jedoch an die dortige Stellung geknüpft waren!149 Im Elsaß bezog er ein Gehalt von 8000 M. – nachdem er von sich aus auf eine Hörgeldgarantie verzichtet hatte!150 (So stellte er sich als Straßburger Ordinarius finanziell insgesamt also schlechter denn als nichtbeamteter Extraordinarius in Berlin.) Der 1916 zurück nach Heidelberg gehende Anschütz konnte sogar für die erste Hälfte des angefangenen Rechnungsjahres dank seiner Garantie den Hörgeldausfall kompensieren, indem er argumentierte, daß ihm ein solcher ja in den Berufungsverhandlungen auch für das erste Semester zugesagt worden war.151 Dabei nahm Anschütz den Ruf nach Heidelberg aber an, obwohl er gerade erfahren hatte, daß der dortige Rechtshistoriker seine Vorlesung vor einem einzigen Studenten und dessen Hund hielt (denn nach langem Schwanken Direktor des Lwsch. Instituts dazu Stellung, dann die Phil. Fak. (auf Bitte des Rektors) auf diesen Bericht, schließlich auch der Gesamtsenat der Universität. S. dazu: Bericht des Direktors des Lwsch. Instituts an die Landesuniv. 3.2.1916; Rektorat Gi an Phil. Fak. 4.2.1916 (mit Vermerken verschiedener Fakultätsmitglieder darauf sowie Ergebnis der schließlich abgehaltenen Sitzung vom 12.2.1916); Bericht des Senatsreferenten [Julius] Geppert für den Gesamtsenat; [Bericht des Senatsreferenten Gerhard Alexander] Leist 22.2.1916 (Zitate). Alle: UA Gi Allg. 1352, fol. 9–10, 4, 5–6, 7. 146 S. in der Tabelle bei Anderhub, Antoniterkreuz, S. 12 das Gesamtpreisniveau für die einzelnen Kriegsjahre (das im Vergleich zu 1913 = 100 % 1918 202 % betrug). 147 Simmel an Heinrich Rickert, 16.1.1915, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 481 f., hier 482. Vor Semesterbeginn war er noch unsicher gewesen, ob sich überhaupt einige Hörer finden würden (an Margarete von Bendemann, 27.10.1914, S. 443). 148 Simmel an Anna Jastrow 1.5.1916, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 649. 149 Zu seinen Berliner Einkünften s. die Auskunft des pr. Hochschulreferenten Ludwig Elster an den Straßburger Kurator 1913 nach dessen Anfrage wg. der beabsichtigten Berufung (Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 256) sowie Simmel an Kurator Strb. 22.12.1913 (Zitat, S. 258). 150 Simmel an Kurator Strb. 22.12.1913; Kurator Strb. an Simmel 12.1.1914. Beide in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 258, 271 f. 151 Anschütz an Pr. KuMi 1.9.1916; Pr. KuMi an Anschütz 14.9.1916. Beide: GStAPK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. IV, Nr. 45 Bd. XI, fol. 3–4, 5. S. auch o. S. 221 f.
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vertraute er schließlich darauf, daß dies eine vorübergehende Kriegserscheinung sei)!152 Der Nationalökonom Sering versuchte bei Antritt einer Stelle im Kriegsministerium sogar, den Hörgeld-Ausfall kompensieren zu lassen, obwohl er überhaupt keine Hörgeld-Garantie besaß! Die beteiligten Ministerien fanden schließlich einen Weg, der Sering (welcher 1913 8000, 1914 noch 5400 M. Hörgeld eingenommen hatte) für die Zeit im Kriegsamt mit insgesamt 15.100 M. ein höheres Gesamteinkommen sicherte als im Vorjahr.153 Neben der Masse derer, die sich durch den Krieg im wesentlichen auf ihr Fixgehalt reduziert fanden,154 und den wenigen Bestverdienern mit Hörgeldgarantie stand schließlich noch die Gruppe der Privatdozenten und unbesoldeten Extraordinarien, die ganz auf das schwindende Hörgeld, außeruniversitäre Nebenverdienste oder, sofern sie eingezogen waren, auf ihre Militärbesoldung angewiesen waren. Nur wenige Privatdozenten erhielten Stipendien.155 In dieser Situation des Studenten- und daraus folgenden Hörgeldmangels inserierte die Universität Straßburg reichsweit in Tageszeitungen, um neue Hörer zu gewinnen.156 Neben den materiellen Konsequenzen des Studentenmangels für die Dozenten zeitigte auch die veränderte Zusammensetzung der Studentenschaft vor Ort unliebsame Folgen. So deutet – zusätzlich zu den zitierten Äußerungen aus Privatbriefen – das Schreiben des Straßburger Rektors an die Studenten im Feld zu Weihnachten 1915 (das, für alle zugänglich, auch im Jahresbericht veröffentlicht wurde) auf neue Spaltungen hin. Die 449 Anwesenden genügten, »um den Unterrichtsbetrieb weiterzuführen, und darauf kommt es jetzt allein an. Ohne denen das Herz schwer machen zu wollen, denen ihr Körper die Ehre der Waffe nicht gegönnt hat,« hob der Altphilologe Schwartz den Studiereifer der Ver wundeten hervor, »die die große Zeit draußen gereift hat: Sie lassen von den heimkehrenden Kommilitonen das Beste erwarten.«157 Was als Trost für die im Felde Stehenden gedacht war, die aufgrund der langen Entwöhnung von
152 Folker Reichert/Eike Wolgast, Einleitung, in: Hampe, Kriegstagebuch, S. 11–90, hier 68 (mit Zitat aus A.s Brief in A. 205). 153 Pr. Kriegsmin. an Pr. KuMi 21.7.1916; Pr. KuMi an Pr. Kriegsmin. 26.7.1916 und 1.11.1916. Alle: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. IV, Nr. 61 Bd. XXIV, fol. 244, 246, 247. 154 S. als Beispiel für die Einbußen die Universität Kiel, wo sich die jährlichen Hörgeld einnahmen der Professoren von 5000–6000 M. bei den meisten auf das gesetzlich garantierte Mindestmaß von 1200 M. reduziert hatten (Schreiben vom 6.5.1918, zit. bei Klopsch, Geschichte der Juristischen Fakultät, S. 86). 155 Wettmann, Heimatfront Universität, S. 121 f. 156 S. die Rechnungen der Annoncen-Expedition Daube & Co vom 17.4.1916 und 14.10.1916 (für dreimalige Inserate in einigen großen Zeitungen und einmalige in einer Reihe weiterer): ADBR 103 AL 138, fol. 757, 796. Vgl. außerdem den Abdruck des Vorlesungs verzeichnisses in Der Elsässer und Straßburger Post fol. 767, 851a. 157 Veröffentlicht in: Stiftungsfest der KWU 1916, S. 71–74, Zitat 72.
800 Studium und Lehre im Krieg geistiger Arbeit um ihre Studierfähigkeit fürchteten,158 mußte, auch wenn das Gegenteil gesagt wurde, auf die übrigen wie eine Deklassierung wirken. Noch stärker polarisierend wirkte der wachsende Frauenanteil unter den Anwesenden, der schon im ersten Semester ins Auge stach. Zwar sollte eine halb scherzhafte Bemerkung des Berliner Theologen Deißmann über die Strickenden, die »das trauliche Zeitalter unserer Mütter und Großmütter leise zurückgezaubert« hätten, vermutlich beruhigend und versöhnend wirken,159 ebenso wie die Betonung des weiblichen Hilfsdienstes durch den Berliner Rektor einige Jahre später160 oder eine Straßburger Beobachtung, die, wie das zitierte Bekenntnis Schians, die Notwendigkeit der Frauen für den Universitätsbetrieb belegte: »(…) vielen Vorlesungen sicherte auch der Fleiß unserer Studentinnen und Hörerinnen einen festen Stamm«.161 Allmählich hatten sich die Dozenten daran gewöhnen müssen, daß sich, wie Meinecke schon bei der Aushebung des jüngeren Landsturms Ende 1914 feststellte, »der Betrieb noch mehr« »feminisiert[e]«.162 Doch anders sah es bei den Studenten im Feld aus. Manche (oder viele?) nahmen das Studium der Frauen als Bedrohung ihrer eigenen Zukunftschancen wahr und reagierten entsprechend.163
Schlußüberlegungen Zu Beginn des Sommersemesters 1917 versuchte der damalige Berliner AStAVorsitzende und ehemalige Kriegsteilnehmer, den Kommilitonen im Feld die »Wirklichkeit« der »Universität der Kriegszeit« nahezubringen. Die »drangvoll fürchterliche Enge« früherer Semesteranfänge sei passé.
158 Siehe u. a. Wettmann, Kriegstagebuch Birts, S. 151. Zu den Befürchtungen des Historikers Hermann Aubin s. den Brief seiner Frau an den Kollegen Kaehler, zit. bei Eduard Mühle, Weltkriegserlebnis an der galizisch-polnischen Ostfront 1914/15. Zur Wahrnehmung des Ostens in Feldpostbriefen des Ostforschers Hermann Aubin, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 51 (2002), S. 529–575, hier 571 A. 98. 159 Unter dem Drittel oder Fünftel der sonstigen Zahl Neuimmatrikulierter seien »ver hältnismäßig mehr Kommilitoninnen als sonst. (Ganz im Vertrauen: sie haben in der Fürsorge für die Krieger auch das Stricken jetzt wieder gelernt, und so, mitten im Kriegswinter, mit fleißigen Fingern das trauliche Zeitalter unserer Mütter und Großmütter leise zurückgezaubert.)« Deißmann, Das erste Kriegssemester, S. 17. 160 Bumm, Amtsjahr 1916/17, S. 4. S. das Zitat S. 493. 161 Ficker, Bericht III (1916/17), S. 4. 162 Meinecke an W. Goetz 12.12.1914, in: Meinecke, Briefwechsel, S. 54 f., Zitate 55. Elisabeth Flitner erinnert sich an den Herbst 1917 in Heidelberg, daß es in den Seminaren »nur noch wenige männliche Teilnehmer [gab], als Gäste manchmal verwundete Soldaten« (Flitner, Frauenstudium im Ersten Weltkrieg, S. 164). 163 S. dazu u. Kap. IV.7.
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»Die Zahl der Studenten ist sehr zusammengeschmolzen und verschwindet beinahe [!] fast [!] neben der der Studentinnen. In den meisten Vorlesungen hat das weib liche Geschlecht bei weitem die Oberhand. Nur wenige Studenten haben ihr Studium während der Kriegszeit ununterbrochen durchführen können, auch junge Semester sind nur in geringem Maße zu finden. Der größte Teil wird von Kriegbeschädigten oder wieder Entlassenen gestellt, unter denen man viele mit dem schwarzweißen oder einem anderen Bande geschmückt erblickt. Und manch erblindeter oder einarmiger Kommilitone drückt dem früher so fröhlichen Leben den ernsten Stempel des Krieges auf.«164
Auf den ersten Blick entspricht dieses Ensemble dem (im Titel dieses Abschnitts) zitierten Eindruck des Rostocker Professors. Tatsächlich aber werden hier die Hörer aus dem nicht-kriegsverwendungsfähigen ›Rest‹ zur Gruppe der ›Hochleister‹ umgedeutet: Die Untauglichkeit wird ganz ausgeblendet, bei den Kriegsteilnehmern dagegen mit der Auszeichnung – am schwarz-weißen Band wurde das Eiserne Kreuz getragen – ihr Erfolg und mit dem Verlust von Sehkraft oder Körpergliedern ihr Opfer für diesen Einsatz hervorgehoben. Die Studentinnen werden nicht als »Damen« (die vielleicht nur einem Zeitvertreib frönen) dargestellt, sondern neutral (als »weibliches Geschlecht«) und in den (auf die zitierten) folgenden Sätzen den im Hilfsdienst Engagierten gleichgestellt: »Studenten und Studentinnen«. Daß sie aber in den Lehrveranstaltungen »bei weitem die Oberhand« hätten, wird durch die Statistik nicht gedeckt, und daß dies auf die »meisten Vorlesungen« zutraf, ist auch unwahrscheinlich, da in allen drei Semestern, die Anteil am Jahr »1916« hatten, von den jeweils 3100 bis 3400 Berliner Studierenden, die Veranstaltungen belegten, zwei Drittel Männer waren! Hier scheint dieselbe perspektivische Verzerrung wie bei dem Göttinger Rektor vorzuliegen.165 Wirklich gemeinsam ist beiden Darstellungen die völlige Ausblendung der Ausländer. Weder wird deren (weitgehendes) Fehlen registriert noch die veränderte Zusammensetzung dieser Studierendengruppe im Vergleich zu früher erwähnt, obwohl zu dieser Zeit in Berlin über 500 Ausländer studierten, die folglich ein Sechstel der Anwesenden ausmachten! Zwar entsprach der Ausländeranteil dem früheren, doch mental wurde die Universität der Hauptstadt quasi zu einer rein deutschen Universität! Das gibt Anlaß, den Ausschluß der Studenten aus den Staaten der Kriegsgegner noch genauer in den Blick zu nehmen. Schließlich ist er nicht durch ihren möglichen militärischen Dienst ›auf der anderen Seite‹ zu erklären, da ja 164 [Heinrich] Dähnhardt, Die Berliner Universität im Jahre 1916, in: BAN XI (1916/17), S. 42 f. 165 Die einzige andere Erklärung würde eine sehr starke Fluktuation während jedes einzelnen Semesters bedeuten, so daß zu jedem Zeitpunkt im Lauf eines Semesters weniger als die Hälfte jener Männer, die Veranstaltungen belegt (und dafür bezahlt) hatten, an wesend gewesen wäre.
802 Studium und Lehre im Krieg auch Frauen ausgeschlossen wurden und Männer im wehrfähigen Alter ohnehin nicht ausreisen durften. Zudem ging der Ausschluß der feindlichen Ausländer an den Universitäten der erst im Oktober beginnenden Internierung voraus. Als gänzlich Außenstehender könnte man fragen, ob das Weiterstudium der in Deutschland Festgehaltenen nicht für beide Seiten hätte sinnvoll sein können (für die ausländischen Studenten, um eine sinnvolle Beschäftigung zu haben, für die Lehrenden, um ihr Hörgeld ein wenig aufzubessern). Dem stand allerdings die Angst vor Spionen entgegen, die sich in den ersten Kriegstagen in verschiedenen Universitätsstädten gerade gegen Studenten aus dem Russischen Reich wandte.166 In Gießen schürte sogar der Bibliotheksdirektor sie durch einen Artikel; doch wiegelte die Universität ab, als daraufhin das Ministerium nachfragte.167 Darüber hinaus weist die Verweigerung des Studiums (nicht nur der für die Kriegführung wichtigen naturwissenschaftlichen und technischen Fächer!) aber darauf hin, daß der einzelne Angehörige aus dem Staat eines Kriegsgegners (obwohl man ihn ja aus Friedenszeiten kannte!) nun als ›Feind‹ wahrgenommen wurde. Allerdings ging die Initiative zum Ausschluß, soweit dies aus den Akten zu erkennen ist, nicht von den Universitäten selbst aus, sondern von den staat lichen Behörden, denen sie unterstanden. Insofern ist es wiederum von Interesse, wie die verschiedenen Universitäten darauf reagierten. In manchen wurden alle Studierenden aus dem Russischen Reich ausgeschlossen, so etwa in Bonn oder Gießen, in anderen blieben auch im Winter 1914/15 noch einige immatrikuliert: über 30 in Berlin, zwei in Marburg, einer in Königsberg, vier in Jena, einer in München.168 Dieser Befund läßt verschiedene Deutungen zu: Man könnte daraus schließen, daß nicht einmal die preußischen Universitäten gleich verfuhren. Doch könnte dieser Eindruck, der sich auf die quasi reinstatistische Frage der Staatsangehörigkeit stützt, täuschen; denn die Verbliebenen könnten ja sämtlich Nichtrussen aus dem Russischen Reich gewesen und insofern der Ausschluß der ›wirklichen‹ Feinde doch umgesetzt worden sein. Zudem belegt das Gießener Beispiel, daß eine Frau aus dem Russischen Reich faktisch an der Universität weiterstudierte, auch wenn sie aus der Matrikel und dem Studierendenverzeichnis gestrichen war. Schließlich sind die Abreise vor Kriegsbeginn und mögliche Umzüge in größere Städte (wo evtl. mehr Hilfe oder Kontakt zu Landsleuten zu erwarten war) zu bedenken. Hier könnten nur genauere Untersuchungen über die einzelnen Universitäten weiterführen. Auf 166 Für Göttingen s. Maurer, Weder Kombattanten noch Kommilitonen, S. 191; zu einem Gerücht über den angeblichen Sabotageakt einer russischen Studentin in Freiburg (durch die versuchte Sprengung der Höllentalbahn in den nahegelegenen Schwarzwald) s. Geinitz, Kriegsfurcht und Kampfbereitschaft, S. 164. Nur nachträglich erwähnt wird die anfängliche »Spionenhetze« bei Hampe, Kriegstagebuch, S. 112 (25.8.1914). 167 Siebe, »Germania docet«, S. 350. 168 Weill, Étudiants russes en Allemagne, S. 128.
Die Studentenschaft vor Ort
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jeden Fall belegt der Vergleich aber, daß die drei hier untersuchten Universitäten sich in das allgemeine Muster einfügten – schon insofern, als für dieses jede Variante zwischen dem kompletten Ausschluß, dem nur formalen und der genehmigten Fortsetzung des Studiums denkbar ist. Ohne den Ausschluß grundsätzlich anzuzweifeln, verwandten sich mehrfach einzelne Lehrende für ihnen bekannte Studierende oder sogar Promovierte. Dem gegenüber verhielt sich der Gießener Rektor mit Verweis auf den Präzedenzfall jeweils mahnend, die dortige Kriegskommission ablehnend. Eine einheitliche Linie ›der‹ Universität gab es also nicht einmal vor Ort. Darüber hinaus ist aber an dem Verhalten des Gießener Rektors Sommer zu erkennen, daß Entscheidungen selbst ein- und derselben Person nicht immer prinzipiellen Erwägungen folgten: denn Sommer, der seinen eigenen ärztlichen Mitarbeiter behalten wollte, verweigerte der Doktorandin aus demselben deutschbaltisch-jüdischen Milieu die Teilnahme an einem Seminar der Philosophie und die Fertigstellung ihrer Dissertation. Offenbar stellte er als Klinikdirektor zu Kriegsbeginn die Interessen seiner Klinik über andere Erwägungen und folgte später als Rektor der staatlichen Regelung besonders streng. Da diese ihm aber Ausnahmen für Studierende deutscher Kultur gestattet hätte, stellt sich auch bei Sommer die Frage, ob dieser Ausschluß vielleicht seinen eigenen Vorstellungen durchaus entsprach. Im Herbst 1918 jedenfalls lehnte er die Zulassung von Studierenden aus »östlichen Randvölkern« zumindest für die Medizinische Fakultät ab, da dies den in den klinischen Vorlesungen demonstrierten verwundeten und erkrankten Soldaten nicht zuzumuten und zudem die Lage in den Herkunftsländern zu ungewiß sei. (Dadurch, daß er für Studierende deutscher Muttersprache jedoch eine Ausnahme machen wollte, wird seine Ablehnung gegenüber Cäcilie Katzenelsohn aber um so unverständlicher).169 Daß die Zulassung von Ausländern auch für offizielle Stellen letztlich keine Prinzipienfrage, sondern gewissermaßen ein Instrument der Kriegsführung war, ergibt sich aus den Ausnahmen für die unterdrückten Nationalitäten; denn dabei ging es nicht um humanitäre Gründe, sondern man hoffte (ähnlich wie bei der kurzzeitig verfolgten Insurgierungspolitik unter den osteuropäischen Juden170), dadurch Spannungen zwischen ihnen und ihrer Staatsmacht zu verstärken oder hervorzurufen. Mit dieser Absicht erlaubte das Deutsche Reich ja auch indischen Studenten (im Gegensatz zu denen aus anderen britischen Kolonien und dominions), weiterhin an deutschen Hochschulen zu studieren.171 Die Interessen der Ausgeschlossenen und auch der unmittelbar vor Kriegsbeginn aus ›eigener‹ Initiative Ausgereisten nahmen diplomatische Vertretungen 169 [Sommer] an Med. Fak. 7.10.1918: UA Gi Allg. 1350, fol. 58. 170 Zechlin, Die deutsche Politik und die Juden, S. 116–125. 171 Weber, Studenten, S. 911. Vgl. diese (taktische) Überlegung schon bei einem Göttinger Professor in den allerersten Kriegstagen zugunsten seines indischen Studenten bei Maurer, Weder Kombattanten noch Kommilitonen, S. 204.
804 Studium und Lehre im Krieg neutraler Staaten wahr, für die russischen Untertanen insbesondere Spanien, aber auch die USA und vereinzelt Schweden. Soweit ersichtlich, beantworteten die Universitäten die Bitten um Auskünfte, Bescheinigungen von Prüfungen etc. bereitwillig.172 So hatten es jene Lehrenden und Studierenden, die in den Kriegsjahren tatsächlich an der Universität verblieben, schon aufgrund einer stark verkleinerten und zudem nach Geschlecht und kultureller Prägung veränderten Zusammensetzung der Studentenschaft mit neuen Arbeitsbedingungen zu tun. Weiterhin wurden diese aber auch durch räumliche Einschränkungen, verlegte Semesterund Veranstaltungszeiten sowie neue Zulassungsregelungen verändert.
172 S. eine Reihe solcher Schreiben an die KWU Strb. und deren Antworten in: ADBR 103 AL 52. Vgl. auch Embajada de España an Dekan der Med. Fak. Berlin 6.1.1915: UA HU Med. Fak. 294. Für Jena s. Grüner, Universität Jena während des Krieges, S. 17 f.
3. Veränderte Arbeitsbedingungen Der Krieg hatte nicht nur die in der Universität einander gegenüberstehenden und miteinander arbeitenden Gruppen verkleinert und in ihrer jeweiligen Zusammensetzung verändert. Er beanspruchte, wie am Engagement an der ›Heimatfront‹ schon deutlich wurde, auch Gebäude der Universität und nutzte an allen drei Orten ihre Kliniken als Lazarette. Schließlich erforderten sowohl die sich verstärkenden Sparzwänge als auch die Rekrutierung neuer Hörer (aus den Dienstleistenden vor Ort) auch Variationen in der herkömmlichen Zeitstruktur. Doch noch bevor die Notwendigkeit aller dieser äußeren Anpassungen an die neuen Verhältnisse deutlich wurde, zeigte sich bei den Lehrenden vor Ort eine innere, psychisch-mentale Beeinträchtigung durch den Krieg.
Kriegsgetriebenheit und »Kriegspassivität« Der Heidelberger Mediävist Karl Hampe, der am 2. August 1914 begonnen hatte, Tagebuch zu führen, verwandte am 15. den größten Teil des Tages auf die Durchsicht einer Dissertation: »Leicht ist das nicht in dieser Zeit.«1 Denn offenkundig waren Hampes Gedanken fast ständig beim militärischen Geschehen: der Kriegsverlauf an den verschiedenen Fronten füllt den größten Raum des Tagebuchs, und am Sonntag, der »immer eine lange Zeitspanne ohne Nachricht« war, wartete Hampe jedes Mal schon »sehr gespannt« auf die am Montag endlich wieder erscheinende Zeitung.2 Die professionelle Beschäftigung im engeren Sinn mußte dem Zeitgeschehen weichen, auch wenn dieses dann wiederum zu historischer Lektüre führte: Am 26. August begann Hampe, sich wegen Belgiens »Schicksal« mit der Geschichte des Landes zu beschäftigen und besorgte sich Henri Pirennes vierbändige Geschichte. »Ein Versuch, mich mit dem 13. Jahrhundert abzugeben und handschriftliche Konjekturen zu machen, erschien mir doch zu absurd. Vielleicht geht es mit einem aktuellen Thema besser.« In den folgenden Wochen las Hampe tatsächlich diese (damals nur bis 1648 führenden) 2200 Seiten ›belgischer‹ Geschichte und ergänzte diese Lektüre durch ein englisches Werk über die neuere Zeit. »Die Zukunft Belgiens wird vielfach mündlich erörtert; es scheint doch gut, daß man das Problem auch einmal historisch betrachtet«.3 1 Hampe, Kriegstagebuch, S. 106 (15.8.1914). 2 Hampe, Kriegstagebuch, S. 150 (1.11.1914). 3 Hampe, Kriegstagebuch, S. 113 (26.8.1914, Zitat); 117 (1.9.1914), 121 (8.9.1914), 122 (9.9.1914), 128 (21.9., Abschluß der Lektüre des 1. Bandes), 131 (27.9.1914), 135 (7.10.1914),
806 Studium und Lehre im Krieg Doch selbst diese fachnahe, aber von der Tagesaktualität motivierte Lektüre war nur eine Begleiterscheinung von Hampes Kriegsengagement, das der 45jährige doch nicht so effektiv einbringen konnte, wie er es sich wünschte: Von »Verwaltung, Bank, Sparkasse« wurde er nicht gebraucht und fand auch als Krankenträger und Geschichtslehrer kein ihn wirklich befriedigendes Engagement.4 Wie sehr ihm der persönliche Einsatz ein Bedürfnis war, zeigen zwei Eintragungen im Abstand von zwei Monaten: Am Anfang des Krieges schrieb er: »Ich hätte gern angemessene Tätigkeit, in der ich wirklich nützen könnte. Ein Historiker taugt nicht recht für die Geschichte der Gegenwart!« Und als er nach der Taufe seiner kleinen Tochter mit einer befreundeten Familie und einem weiteren Gast den Nachmittag und Abend in gemütlicher Runde verbrachte, hatten er und seine Frau hinterher »ein sehr leeres Gefühl. Man hatte den Nachmittag doch nichts geleistet, fühlte sich faul und unnütz, und der Gedanke an unsre ringenden und leidenden Krieger lastete auf uns doch fast unerträglich. Eine Reihe so müßiger Tage, und man wäre jetzt fast in Verzweiflung.«5
Er brauchte diese außeruniversitären Betätigungen also mindestens so sehr für sich selbst, wie er sie für das Wohl der Soldaten und zur Unterstützung der Kriegführung einsetzte. Seine Vorlesung im Wintersemester eröffnete Hampe »mit einer Ansprache, in der [er] der Lage und Gefallenen gedachte. Es wird einem sauer, wieder ins Mittelalter zu steigen« – obwohl er mit seiner Hörerzahl zufrieden war.6 Die Mitteilungen über die zwei am 3. November begonnenen Lehrveranstaltungen machen vier Zeilen des 26zeiligen Eintrags dieses Tages aus, fast genau so sehen die Proportionen des nächsten aus (4:23). Und dies war keinesfalls eine Eigenart Hampes. Auch im Kriegstagebuch des Marburger Altphilologen Birt traten Wissenschaft und Universitätsbetrieb ganz in den Hintergrund.7 Akademische Kontroversen wurden nun manchem Gelehrten »gleichgültig«, wenn er nicht
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138 (12.10.1914: liest ab dem Anfang des »Abfalls der Niederlande« [von Spanien] »mit wachsendem Interesse), 139 (liest darüber seiner Frau vor), 143 (24.10.1914: Abschluß des 4. Bandes), 148 (30.10.1914; englisches Werk und Zitat). Zitat: Hampe, Kriegstagebuch, S. 101 (6.8.1914). Zu den seinen beiden tatsächlichen Tätigkeiten s. o. S. 388 und S. 432 A. 246 sowie S. 428 A. 228. Hampe, Kriegstagebuch, S. 102 (7.8.1914) und 135 (6.10.1914). Hampe, Kriegstagebuch, S. 151 (3.11.1914). Wettmann, Kriegstagebuch Birts, S. 162. Nicht die Wissenschaft, aber das persönliche Leben und die (auch außerfachliche) Lektüre spielen eine größere Rolle im Tagebuch (bzw. der daraus veröffentlichten Auswahl) von Alexander Cartellieri, Tagebücher eines deutschen Historikers. Vom Kaiserreich bis in die Zweistaatlichkeit 1899–1953. Hg. v. Matthias Steinbach u. Uwe Dathe, München 2014.
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gar »das Interesse an der Wissenschaft« überhaupt verlor.8 Friedrich Meinecke schrieb damals einem Freiburger Freund und Kollegen: »Eigentlich sollte ich (…) beim Kolleg sitzen, aber ich kann es nicht lassen, in Politik und Krieg zu leben. Ich versuche es eben mit einem Aufsatze über den Charakter der Erhebungen von 1813, 1848, 1870 und heute. Mag man dabei auch über heute mehr mit dem Herzen, als mit dem kritischen Verstande schreiben, es ist eben halt Bedürfnis.«9
Später, in seinen während des Zweiten Weltkrieges geschriebenen Erinnerungen, bestätigte Meinecke die Zweitrangigkeit der Lehre hinter dem Kriegs engagement (in seinem Fall einer ausgedehnten Publizistik), auch wenn er aus der Distanz von drei Jahrzehnten den persönlich-psychischen Anteil an dieser Veränderung der Prioritäten ausblendete: »(…) der Lehrberuf stand nicht mehr im Mittelpunkte der täglichen Arbeit, aber behauptete neben dem neuen Mittelpunkte doch seinen auskömmlichen Platz«.10 Noch stärkere Worte als Hampe sechs Wochen zuvor fand der Neu-Straßburger Georg Simmel im Dezember 1914, obwohl er wie jener mehr Studenten hatte als erwartet: »(…) ich fühle innerhalb dieser ungeheuren Schicksale meine Existenz als etwas recht überflüssiges, obgleich ich natürlich von Anfang an gesucht habe, mich hier u. da nützlich zu machen.«11
Noch im März 1915 schrieb er an eine Vertraute: »Seit dem Krieg ist meine Fantasie gelähmt, jeder Gedanke ist von der Schwere des deutschen und europäischen Schicksals so beladen, daß er nicht vorwärts kommt. Dennoch darf man keine andre [!] Stimmung aufkommen lassen, als unbedingte Entschlossenheit, u. darf der Sehnsucht, wieder einmal ›leichte Füße‹ zu spüren, keinen Raum geben.«12
Am selben Tag teilte er einem Kollegen mit: »Im übrigen will ich [neben den Bemühungen um Aufklärung über die Ernährungsfrage] den Versuch machen, meine Arbeiten wieder aufzunehmen, bin mir aber über den Erfolg sehr zweifelhaft«;13 denn er hatte »für ›Europa‹ gearbeitet« und geglaubt, »ein Euro8 Zitate aus einem Brief des Mediävisten und Privatgelehrten Ferdinand Güterbock (Berlin) an Hampe 22.6.1915, zit. bei Reichert, Wissenschaft und »Heimatfront«, S. 499. Dort mehrere weitere Belege für solchen Wandel der Haltung. 9 Meinecke an A. Dove, in: Meinecke, Ausgewählter Briefwechsel, S. 50–52, Zitat 51. 10 Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 245. 11 Simmel an Edmund Husserl 15.12.1914, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 471. Zu seinen Tätigkeiten, u. a. in der Telegraphenzensur, s. o. Kap. III .4. 12 Simmel an Margarete von Bendemann 5.3.1915, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 489 f., hier 490. 13 Simmel an Heinrich Rickert 5.3.1915, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 494.
808 Studium und Lehre im Krieg päer zu sein – darum nicht weniger ein guter Deutscher.« Doch »vor den Trümmern von Europa« sah er auch einen großen Teil seiner eigenen Lebensarbeit vernichtet.14 Sein Straßburger Kollege, der über die Tätigkeit der Kriegsstelle der Universität berichtete, verallgemeinerte am Ende des zweiten Kriegsjahres die an Hampes, Meineckes und Simmels Äußerungen abzulesende neue Rangordnung der Tätigkeiten. Zunächst betonte er, daß die Professoren nicht wesentlich weniger zu tun hätten als früher, da die Vorbereitung einer Lehrveranstaltung für wenige Hörer ja ebenso aufwendig war wie für eine größere Zahl. »Aber die eigene wissenschaftliche Tätigkeit trat doch bei allen zurück, die diese erschütternde Zeit persönlich erfahren, in der Stimmung des inneren Miterlebens und mit der praktischen Nötigung bestimmter Aufgaben.«15
Zwar beteiligte sich nur eine Minderheit der Professoren an der Kriegspublizistik. Und auch von jenen, die sich an der ›Heimatfront‹ praktisch engagierten, kehrten die meisten über kurz oder lang zu ihrer Lehrtätigkeit zurück (sofern sie ihren Kriegseinsatz nicht ohnehin mit dem Amt verbanden). Doch die psychische Belastung durch den Krieg war offenbar auch für die, die keine Kombattanten waren, hoch (wenn auch aus ganz anderen Gründen als für jene). Als der Berliner Germanist Roediger im Alter von 66 und einem halben Jahr den Minister um Entpflichtung ersuchte, begann er seine Begründung mit dem Satz: »Die Kriegszeit, die jeden erregt und angreift, hat mir in besonderem Maße Sorgen und Unruhe gebracht und dadurch den für wissenschaftliche Arbeit nötigen Kraftaufwand gesteigert«. Seine Bitte, die er gern schon mit Vollendung des 65. Jahres vorgebracht hätte, hatte er aufgeschoben, solange drei Fachkollegen im Militärdienst standen.16 Den Gegenpol auf dem Wahrnehmungs- und Verhaltensspektrum bildeten jene, die sich ganz auf die Wissenschaft konzentrierten, wie etwa der Berliner Historiker Michael Tangl. Zunächst schien er sich noch stärker in diese zu versenken, wenn nicht in sie zu fliehen. Doch obwohl ein Teil seiner Lehrveranstaltungen ausfiel, er also mehr Zeit für die Forschung gehabt hätte, kam er seinen Organisations- und Editionsaufgaben für die Monumenta Germaniae Historica monatelang gar nicht mehr nach, so daß Harry Bresslau sich deshalb schließ14 Dies alles in einem Brief über das französische Revanche-Denken! Simmel an Friedrich Curtius 16.3.1915, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 501–503, hier 503. 15 Ficker, Bericht II (1915/16), S. 7. 16 Nach der Rückkehr zweier bat er im Frühjahr 1917 zunächst um Beurlaubung für das Sommersemester und wollte danach nur noch nach dem Maß seiner eigenen Kräfte lehren – was er auch tatsächlich bis zu seinem Tod Ende Februar 1918 tat. Urlaubsgesuch des Prof. Roediger an Pr. KuMi 27.3.1917: GSt APK I. HA Rep. 76 Va KuMi Sekt. 2 Tit. IV Nr. 68 B Bd. I, fol. 13. Kurzbiographie unter: http://www.sammlungen.hu-berlin.de/ dokumente/16738/ (8.7.2012). Zu den Kollegen s. o. S. 734.
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lich an einen Kollegen wandte. Dieser bat um Verständnis für seinen »kriegs nervösen« Freund und fügte hinzu: »Die Untätigkeit Tangls steht auch keineswegs vereinzelt; vor kurzem bekam ich einen Brief, der fast daßelbe [!!] Ersuchen um Vermittlung enthielt gegenüber einem Gelehrten, der vor dem Kriege als einer der schneidigsten und flottesten Arbeiter bekannt war. Ich könnte noch andere Fälle von Kriegspassivität anführen.«17
Andererseits konnten jene, die in der Wissenschaft aufgingen, bei den Kriegserregten sogar ein gewisses Befremden hervorrufen. Mißbilligend schrieb Birt über einen solchen Historiker, der aus dem Schützengraben (und anschließender Büroverwendung) an die Universität zurückgekehrt war, er sei »der reine Gelehrte und Aktenspürhund«.18 Wenn die Wissenschaft, die bisher den Lebensinhalt der Gelehrten gebildet hatte, vielen in den ersten Kriegsmonaten zweitrangig erschien, wurde auch der Sinn des Lehrens und Studierens infragegestellt, war zur Fortsetzung der Arbeit mehr nötig als Max Plancks Appell, daß jeder an seinem Platz seine Pflicht zu tun habe.19 Die Akademische Rundschau, Zeitschrift der Freistudentenschaft, fragte deshalb einige führende Philosophieprofessoren: »Welchen Sinn hat jetzt Studium und Wissenschaft?« Das gemeinsame Ergebnis der Neukantianer Paul Natorp (Marburg) und Wilhelm Windelband (Heidelberg) sowie des Pädagogen Eduard Spranger (Leipzig) könnte man dahingehend zusammenfassen, daß das Studium nun einen »noch viel tieferen, umfassenderen« (Natorp) bzw. »doppelten Sinn« habe (Spranger).20 Dem lag ihrer aller Überzeugung zugrunde, daß Kriegführung und Wissenschaft aufs engste verbunden seien; denn zum einen diene der Kampf der Soldaten ja der »Sicherung der Kulturarbeit« (Natorp) bzw. war umgekehrt die Lebendigerhaltung der »großen Überlieferungen unserer geistigen Geschichte« die Vorbedingung des Aufbaus »ein[es] neue[n] Europa (…) auf den Trümmern des alten« (Windelband).21 Zum anderen betonten sie auch die Bedeutung der Wissenschaften für die Kampffähigkeit, sei es als »geistige Rüstung« (Natorp) oder als mathematisch-technischnaturwissenschaftliche Grundlage der angewandten Kampfmittel (Spranger).22 17 Schaller, Tangl, S. 262, 269–271, Zitate (aus einem Brief des Berliner Rechtshistorikers Emil Seckel an Harry Bresslau 4.2.1917) 270, 271, der kursivierte Begriff i. O. unterstrichen. 18 Wettmann, Kriegstagebuch Birts, S. 161 f., Zitat 162. 19 Siehe o. S. 251. 20 Paul Natorp, Welchen Sinn hat jetzt Studium und Wissenschaft?, in: AR 3 (1914/15), S. 3 f., Zitat 3; Wilhelm Windelband, Welchen Sinn hat jetzt Studium und Wissenschaft?, ebd., S. 5 f.; Eduard Spranger, Welchen Sinn hat es, jetzt zu studieren?, in: AR 3 (1914/15), S. 142–146, Zitat 143. 21 AR 3 (1914/15) (wie A. 20), S. 3, 5. 22 AR 3 (1914/15) (wie A. 20), S. 3 (Zitat), 143.
810 Studium und Lehre im Krieg Der nunmehr »doppelte« Sinn des Studiums bestand Spranger zufolge darin, daß die »Zurückgebliebenen« nicht in dem »unendlichen Schmerz« ihrer »Kriegsuntüchtigkeit« versanken, sondern eine »produktive Erfahrung ihres Lebens« daraus machten; zum zweiten, daß der Krieg den Geistes- und Sozialwissenschaftlern »ein so unerhörtes Material unmittelbarster Anschauung, (‥) ein so sichtbares Experiment größten Stiles« bot, daß sie erst jetzt »wirkliche Geschichte (‥) erleben« (!!), ökonomische Zusammenhänge erkennen, die Bedeutung einer nationalen und internationalen Rechtsordnung erfassen könnten. Und das führe sie zu den »letzten Fragen des Lebens«, dem »Sinn des Weltgeschehens«. So sollte der Krieg »eine Erneuerung und Läuterung des Daseins aus dem Urquell des Geistes selbst« bringen. Dazu aber waren jene nötig, die den »Geist lebendig« hielten.23 In der »Kriegsuntüchtigkeit« klingt wiederum die Zweitrangigkeit der nichtmilitärischen Existenz an, die es zu kompensieren galt. Die höchsten Güter durch Nichtstudieren »verkommen [zu] lassen«, würde nachträglich nicht nur die Vorwürfe des Barbarentums rechtfertigen, sondern die Kommilitonen, »die nicht mitdurften«, zu »Fahnenflüchtigen« machen! Durch Mitarbeit an der »geistigen Rüstung« jedoch wurde man »auch ein Kämpfer für das Vaterland«, ja vollbrachte sogar eine größere Leistung: »Sterben fürs Vaterland ist ›süß und ehrenvoll‹ – leben und selbstlos, unermüdet sinnen und schaffen für es – anspruchsloser, doch schwerer«. (Natorp)24 Nicht nur kürzer als diese drei, sondern auch ohne deren gewundene Versuche, die zurückgebliebenen Studenten und Dozenten auf eine Stufe mit den Kombattanten zu heben, schrieb der Freiburger Professor für Philosophie und Pädagogik, Jonas Cohn, ein promovierter Naturwissenschaftler, als Philosoph ebenfalls Neukantianer. In gedanklicher Strenge formulierte er zwei »Obersätze«, aus denen dann jeder je nach Lage »Antwort auf die Frage, ob er sich jetzt der Wissenschaft hingeben darf und soll«, erhielt: »Wissenschaft ist an sich wertvoll, in ihrem Werte also unabhängig von Zeit und Zeitumständen. Doch können die nächsten Pflichten, die uns der Augenblick auferlegt, auch Diener und Jünger der Wissenschaft hindern, sich ihr in dieser Zeit zu widmen.«
»Der Sorge um den Sieg und der Sorge um Verwundete« mußte Cohn zufolge alles nachstehen. »Wen aber nicht diese Pflichten, sondern nur die erregten Ge23 Alle Zitate AR 3 (1914/15) (wie A. 20), S. 143 f. Der nicht sehr genau formulierte Text Sprangers lautet: »Und hinter allem stehen schließlich die letzten Fragen des Lebens: wie nahe es [!] zusammenhängt, daß das, wofür man lebt, dasselbe ist, wofür man auch zu sterben vermag. Der Sinn des Weltgeschehens ist aufgerollt, und das Problem der Vorsehung findet seine Antwort darin, daß man aus jeder gegebenen Situation das Beste gestalte, was man ihr aus reinem Herzen und mit höchster Anspannung der sittlichen Kräfte zu geben vermag.« (144). 24 Alle Zitate AR 3 (1914/15), S. 3, zur Rechtfertigung der Lügen über die Deutschen als »kulturfeindliche Barbaren« 4.
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fühle an geistiger Arbeit hindern [!], der soll sich besiegen.« (Das klingt fast wie ein Seitenhieb gegen Kollegen, die sich in den ersten Kriegsmonaten nicht mehr zu ihrer üblichen Arbeit fähig fühlten.) Denn er schuldete »sich selbst die Weiterbildung seines Geistes, dem Vaterland und der Menschheit die Erhaltung und Mehrung geistiger Güter auch in schweren Tagen«. Der als Jude geborene Cohn (der zeitweise Katholik war25) illustrierte dies mit zwei Beispielen: dem Theologen Schleiermacher, der unter französischer Besatzung in Halle an seiner Schrift über den ersten Paulus-Brief an Timotheus arbeitete, und mit einem deutschen Offizier, der sofort einen Archäologen aus der nahen Universitätsstadt zur Auswertung kommen ließ, als man beim Ausheben eines Schützengrabens auf prähistorische Gräber stieß. Am Ende stand eine klare Antwort, in der der jüdische Gelehrte mit dem christlichen Bauer eine ›Volksgemeinschaft‹ der Pflicht bildete: »Aber wie der Landmann in Ostpreußen die verwüsteten Felder umpflügt und ansät, so sollen wir, geschützt durch unsere tapferen Brüder, auch im Kriege das uns anvertraute Feld der Wissenschaft bestellen.«26
Ausquartierung: die Verlegung der Lehrveranstaltungen Eine Straßburger Studentin hat die veränderten Verhältnisse des ersten Kriegswinters (die dann zwei Jahre so blieben) anschaulich beschrieben: »Auf dem Universitätsgebäude weht die weiße Fahne mit dem Roten Kreuz, und auf der Eingangstür steht geschrieben: Festungslazarett XIX. Der Pförtner hat sich in einen Unteroffizier verwandelt, und wo man früher Limonade und Schinkenbrötchen erstand, ist jetzt ein Wachtlokal. Dazu riecht es überall in den Gängen nach Chloroform und Soldaten, und im Lichthof sind die Pulte und Bänke aus den Sälen aufgestapelt. Verwundert und harmlos geht man, wie gewohnt, ins Seminar und findet blau-weiß überzogene Soldatenbetten darin; in der Mitte eine Pflegerin, die gerade Butterbrote austeilt, und die ganze mathematische Weisheit ruht unwichtig und vergraben in den Wandschränken. Das Studentinnenzimmer ist Operationsraum geworden. Aber auch in die veränderte Umgebung findet man sich rasch hinein. Die Vorlesungen sind in den naturwissenschaftlichen Instituten und Seminarräumen, die meistens unbelegt sind. Man kann jetzt in Straßburg ebensogut studieren wie sonst.«27 25 Er konvertierte, trat später aber wieder aus der Kirche aus. Die Daten sind nicht bekannt. Margret Heitmann, Jonas Cohn: Philosoph, Pädagoge und Jude. Gedanken zum Werdegang und Schicksal des Freiburger Neukantianers und seiner Philosophie, in: Walter Grab/Julius H. Schoeps (Hg.), Juden in der Weimarer Republik, Stuttgart u. a. 1986, S. 179–199, hier 182, 196 A. 13. 26 Jonas Cohn, Welchen Sinn hat jetzt Studium und Wissenschaft?, in: AR 3 (1914/15), S. 6. 27 Straßburg i. Els. im Winter 1914, in: S IV (1915), S. 3.
812 Studium und Lehre im Krieg Die Straßburger Universität war also mehr vom Krieg beansprucht als die Berliner und Gießener: Waren dort (nur) die Kliniken zugleich Reservelazarette,28 so mußte hier auch der größte Teil des Hauptgebäudes, in dem üblicherweise die Vorlesungen der Philosophischen und der Juristischen Fakultät stattfanden, zur Verfügung gestellt werden: als Festungslazarett. Damit hatten Militärs auch die Kontrolle über das Gebäude. Die Verlegung der Vorlesungen in Seminarräume war angesichts der ver kleinerten Hörerzahl durchaus möglich. Außerdem standen einige Hörsäle in Instituten zur Verfügung, die ja ganz in der Nähe des palastartigen Haupt gebäudes ebenfalls neu errichtet worden waren und mit ihm einen Campus bildeten: im Psychologischen, Geologisch-Mineralogischen und im Botanischen. Am Tag, an dem der Lehrbetrieb eigentlich hätte beginnen sollen, bat der Dekan der Philosophischen Fakultät die Kollegen, ihre Veranstaltungen in dafür vorbereitete Pläne einzutragen. Georg Simmel reservierte sich den Hörsaal im Botanischen Institut für je eine Stunde Vorlesung am Mittwoch und am Samstag und hielt Übungen »ausschließlich in [s]einer Wohnung« ab.29 Der Dekan der Juristisch-Staatswissenschaftlichen Fakultät wollte ursprünglich um Räume im Ministerialgebäude (also dem Sitz der ›Regierung‹ von Elsaß-Lothringen) bitten, wurde aber vom Senat gebeten, zunächst abzuwarten, »ob sich das Bedürfnis nach weiteren Räumen einstellt.«30 Schließlich lasen die Juristen alle im Juristischen Seminar (das über drei Räume verfügte), Geisteswissenschaftler außer in den genannten fremden Instituten auch im Alten Schloß und im Bezirks archiv, den Naturwissenschaftlern und Medizinern dagegen standen in ihren Instituten und Kliniken weiterhin ihre eigenen Hörsäle zur Verfügung.31 Nur ganz allmählich gewann die Universität einzelne Räume von den Militärs zurück: Irgendwann während des zweiten Kriegsjahres kam ihr der erste Garnisonsarzt »soweit entgegen«, daß er ihr »im allgemeinen Kollegiengebäude wenigstens den Senatssaal mit Nebenräumen wieder zur Verfügung stellte«, und ihre Mitglieder waren dafür »sehr dankbar«.32 Im Dezember 1916 wurde das Lazarett aufgehoben und das Kollegiengebäude von den Militärs geräumt.33 Trotzdem wurden weiterhin einzelne Hörsäle als Bade- und Operationsräume genutzt, der Fechtsaal als Lazarettküche.34 Aber die Aula war frei! Am 28 S. dazu o. S. 391–393. 29 Georg Simmel an Albert Thumb, nach dem 19.10.1914, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 430. Dort auch Referat und Zitate des Rundschreibens des Dekans (430 f.). 30 Prot. der Senatssitzung 12.10.1914: ADBR 103 AL 115. 31 Die Universität und der Krieg, in: SP 1190, 18.12.1914 MiA. 32 Stiftungsfest der KWU 1916, S. 14. 33 Prot. der Sitzung der Phil. Fak. 15.11.1916: ADBR 103 AL 121. Vgl. auch Prot. der Senatssitzung 4.12.1916: ADBR 103 AL 117 (beide auch zur inneruniversitären Neuverteilung von Räumen). 34 Kurator an I. Garnisonsarzt der Festung Strb. 17.11.1916; Rektor an Dekane [hier Phil. Fak.] 22.11.1916. Beide: ADBR 62 AL 37.
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27. Januar 1917 konnte die Universität den Kaisergeburtstag zum erstenmal »wieder in ihrem eigenen Heim« feiern.35 Offenkundig zogen aber nicht alle Dozenten in die Hörsäle des Hauptgebäudes zurück, denn Simmel las bis in die letzte Kriegszeit im »Amphittheater« des Botanischen Instituts.36 Auch die Verlegung von Lehrveranstaltungen in Privatwohnungen blieb bis zum Kriegsende üblich.37 Andererseits wurden 1918 verschiedene militärische Fortbildungen in den Räumen der Universität durchgeführt, etwa ein Vortrag über Flachfeuer oder Lehrgänge für Raum- und Luftbildmessung.38 Aber auch die Kriegsamtstelle (die sich um die Mobilisierung der Frauen für den Vaterländischen Hilfsdienst kümmerte) wollte für einen Vortrag über »Kinderschutz und Frauen arbeit« die Aula nutzen.39 Ähnlich, wenn auch durch die Lage im Landesinnern weniger zugespitzt, war die Raumnutzung in Gießen: Als man in der ersten Septemberhälfte 1914 überlegte, ob der Lehrbetrieb im Wintersemester wie geplant wieder aufgenommen werden sollte, konnte man noch konstatieren, daß die Zahl der »für Zwecke des Kriegs in Anspruch« genommenen Universitätsräume gering sei.40 Doch später wurden auch hier immer mehr Kliniken zu Lazaretten, während ihnen aufgrund des allgemeinen, durch die Einziehung der Mediziner entstandenen Ärztemangels zugleich immer mehr zivile Patienten zuströmten.41 Auch in Gießen fanden viele Lehrveranstaltungen in Privatwohnungen statt, etwa die des Juristen Leo Rosenberg.42 Das Spezifische der hessischen Universität war jedoch die Anlage eines Universitäts-Sportplatzes im Krieg. Geplant wurde er zwar schon vorher, auch das Geld für das Gelände war vom Innenministerium bereits im Februar 1914 bewilligt worden; doch tatsächlich angelegt wurde er erst im Frühjahr 1915 unter Verwendung russischer Kriegsgefangener – und dann nicht nur zur Verbesserung der Gesundheit der Studenten genutzt, sondern auch für Übungen im Schießen und Handgranatenwerfen, die der Psychiater Robert Sommer, der Initiator des Gartens, leitete (und von Mitgliedern des Schützenvereins durch35 Stiftungsfest der KWU 1917, S. 10. Zu den Festakten s. genauer u. Kap. IV.8. 36 Auszüge aus den Erinnerungen von Karl (Charles) Hauter in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 431 (Zitat). Karl, später Charles Hauter, war ein elsässischer Theologe (1888–1981), der damals Deutsch und Religion am protestantischen Gymnasium unterrichtete, später Dozent an der französischen Universität Strasbourg wurde (s. NDBA 3 [1989], S. 1458 f., wo allerdings der Einfluß Simmels fälschlich Hauters Studienzeit zugeordnet wird, in der Simmel noch gar nicht in Straßburg war). 37 Ficker, Bericht IV (1917/18), S. 6. 38 Hauptmann Stumpf an Rektor Strb. 25.5.1918; Heeresgruppenkommando Herzog Albrecht/ Kommandant des Hauptquartiers an Rektor Strb. 2.9.1918. Beide: ADBR 103 AL 53. 39 Kriegsamtstelle an Rektor Strb. 2.10.1918: ADBR 103 AL 53. 40 Rektor Gi an Gh. MdI 10.9.1914: UA Gi Allg. 1532. 41 Prüll, Gießens Universitätsmediziner, S. 311 f. 42 Zu Rosenberg und allgemein: G/M/P II, S. 783 (Bötticher).
814 Studium und Lehre im Krieg führen ließ).43 Vielleicht verwirklichte Sommer, der beim preußisch-franzö sischen Krieg noch ein Kind gewesen war und auf seinen Wunschberuf Marineoffizier wegen seiner Kurzsichtigkeit hatte verzichten müssen, auf diese Weise auch persönliche militärische Ambitionen.44 Da wegen der Abwesenheit so vieler Studenten kein Platz für Ballspiele benötigt wurde, wurden allerdings neun Zehntel der Fläche zunächst zum Anbau von Kartoffeln genutzt, die wiederum zugunsten des Platzes verkauft wurden.45 Kriegsspezifisch scheint schließlich auch die Bezeichnung, weil Sommer den Begriff »Sport« (den er selbst bislang auch verwandt hatte) nicht mehr benutzen sollte – obwohl er nach Einholung sprachwissenschaftlicher Auskünfte erläuterte, daß im Englischen (woher der Begriff doch kam) spurt und sport nicht verwandt werde. Nunmehr sprach er von »Spiel« und »Wettkampf« und betrachtete diese auch als Vorbereitung auf gewisse Teiltätigkeiten der Kriegführung.46 Am unspezifischsten erscheint die Berliner Situation: Natürlich wurden die Kliniken, wie lange vorher bestimmt, im Krieg als Lazarette genutzt.47 Doch von Nutzung anderer Gebäude dafür ist nicht die Rede, auch nicht von kriegsbedingter Verlegung von Lehrveranstaltungen in Privatwohnungen. Und ob, wie im Herbst 1914 vorgesehen, nicht genutzte Gebäude der Universitäten und Hochschulen (wie auch anderer Bildungsanstalten) tatsächlich zur Unter bringung kriegsgefangener Offiziere genutzt wurden,48 läßt sich nicht feststellen. Insofern scheint der Lehrbetrieb in der Hauptstadt, wo auch der Anteil der Anwesenden am höchsten war, am ›normalsten‹ verlaufen zu sein. Die zunehmende Verlagerung von Lehrveranstaltungen in Privatwohnungen war auch in anderen Universitätsstädten zu beobachten.49 Dagegen scheint die Belegung des Kollegiengebäudes mit Verwundeten wie in Straßburg sehr selten gewesen zu sein.50 Hier, in der Nähe der Front waren »die Anforderungen an die 43 Alles nach: [Robert] Sommer, Der Turn- und Spielplatz der Universität Gießen, in: Das Schulhaus 18 (1916), S. 224–231. 44 Er hatte während des Studiums ein halbes Jahr als Freiwilliger gedient und den Rest der Dienstzeit nach Abschluß schon als Militärarzt absolviert (Meyer zum Wischen, »Der Seele Tiefen zu ergründen…«, S. 2, 4). 45 Sommer, Kriegstätigkeit. Zum Verkaufserlös s. S[ommer] an das Gh. Universitäts-Rentamt 28.12.1915; Sommer an Gh. Kreisamt 31.7.1916; Der Oberbürgermeister der Stadt Gießen an VA Gi 5.8.1916. Alle: UA Gi PrA 2472, fol. 196, 213, 212. 46 Robert Sommer, Die körperliche Erziehung der deutschen Studentenschaft, in: Zeitschrift für Schulgesundheitspflege 29 (1916), S. 393–409, hier 400, 395. 47 Siehe o. Kap. III .4. 48 S. die Aufforderung, solche Räume zu benennen: Pr. KuMi an Universitätskuratoren, Rektoren der THs und Kgl. Klosterkammer in Hannover 30.10.1914: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 1, Tit. I, Nr. 35 Bd. I, fol. 224. 49 Für Marburg s. Wettmann, Kriegstagebuch Birts, S. 163; für Erlangen: Liermann, FAU Erlangen 1910–1920, S. 43. 50 Außer für Straßburg ist die Nutzung des Kollegiengebäudes als Lazarett nur für Erlangen belegt. Siehe o. S. 393.
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Pflege der Verwundeten vielleicht größer« als anderswo, wie der Althistoriker Neumann schon im Frühherbst vermutet hatte.51 Eher nutzte man anderswo die Schulen als Lazarette und trat die Hörsäle an Schüler ab.52 Weiter erschwert wurde die Situation ab der Kriegsmitte durch den Kohlenmangel. Nach Weihnachten 1916 mußte in Gießen die Universitätsbibliothek deshalb mehrere Male geschlossen werden. Im folgenden Winter verteilte man die Räume erst nach Semesterbeginn, als die Zahl der Hörer feststand, um so möglichst wenige Hörsäle beheizen zu müssen.53 Da aber im Januar und Februar 1917 viele Studenten ihre Zimmer nicht hatten heizen können, gewährte ihnen die Stadt im folgenden Winter Bezugsscheine. Da dies jedoch nicht garantierte, daß sie wirklich Kohlen zur Verfügung hatten, wurden in diesem Winter dann in der Bibliothek und dem Vorlesungsgebäude einige Räume geheizt, um Dozenten und Studenten warme Arbeitsplätze zu bieten.54 Die Straßburger fragten im Sommer 1917 bei den benachbarten Universitäten in Freiburg und Heidelberg nach, wie denn sie Heizkosten sparten.55 Für die preußischen Universitäten gab das Kultusministerium im Sommer 1917 detaillierte Anweisungen. Daraus geht auch hervor, daß man schon bisher den klinischen Unterricht oft am Krankenbett abhielt und so Heizkosten für die Hörsäle sparte.56
Kriegsbedingte Semesterzeiten »Selbstverständlich« hätten die Hochschulen im bevorstehenden Wintersemester ihre Lehrtätigkeit wieder aufzunehmen, hatte der preußische Kultusminister Anfang September verlauten lassen.57 Der jeweilige Vorlesungsbeginn war in den Statuten der einzelnen Hochschulen festgelegt.58 Demnach wäre er 1914 51 Karl Johannes Neumann, Das Wintersemester der deutschen Universitäten, in: SP 1021, 8.10.1914. 52 Für Freiburg s. Unsern Kommilitonen, S. 4; für Würzburg: Buchner, Würzburg im Weltkriege, S. 55. In Heidelberg wurde die Volksschule als Lazarett genutzt und zog selbst in das neue Kollegiengebäude, während die Lehrveranstaltungen der Universität im alten Gebäude stattfanden (Hampe, Kriegstagebuch, S. 141, 20.10.1914). In Göttingen nutzte man außer den Kliniken andere Krankenhäuser und Verbindungshäuser für kleinere Lazarette (Göttinger Kriegsgedenkbuch, S. 116 f.). 53 Schian, Volk, S. 20; Rektor Schian an sämtliche Dozenten 18.7.1917: UA Gi PrA 1036, fol. 33. 54 Schian, Die Ludoviciana 1917, S. 21; Gisevius, Boden, S. 16. 55 Rektor Strb. an Prorektor Heidelberg und Freiburg 19.7.17: ADBR 103 AL 1429. 56 Pr. KuMi an Kuratoren etc. 23.7.1917: GSt APK I. HA Rep 76 Va Sekt. 1 Tit. I Nr. 1 Bd. IV, fol. 96–97v. 57 S. das ausführlichere Zitat o. S. 715. Aufgenommen wird dieses »selbstverständlich« auch von Immanuel Birnbaum, Die deutschen Universitäten im Kriege, in: AR 3 (1914/15), S. 163–167. 58 In Straßburg begann das Wintersemester am 3. Montag im Oktober (Statut für die Universität Straßburg, § 79), in Berlin und Gießen am Montag nach dem 14. Oktober. Doch
816 Studium und Lehre im Krieg in Berlin und Straßburg auf den 19. Oktober, in Gießen auf den 26. Oktober gefallen. In Berlin begann man das neue Semester auch tatsächlich wie üblich: Am 15. Oktober erfolgte die feierliche Übergabe des Rektorats. Anschließend begann man, obwohl damals 66 Dozenten im Feld standen,59 den Lehrbetrieb – zumindest zeitlich – wie vorgesehen.60 Die Gießener dagegen baten das Ministerium schon in der ersten Septemberhälfte um Genehmigung für die Verlegung des Vorlesungsbeginns auf den 30. Oktober.61 Das war ein Freitag! Man könnte vermuten, daß dieser Termin mit Blick auf den darauf folgenden Reformationstag gewählt wurde; denn die in der Reformationszeit entstandene Universität Gießen war ja lange die einzige lutherische Universität im Westen des Heiligen Römischen Reiches gewesen, so daß die Pflege dieser Identität nahelag – um so mehr, als Luther auch als Verkörperung des Deutschen stehen konnte.62 Doch die Quellen geben keinerlei Hinweise in diese Richtung. Vielmehr lautete der ursprüngliche Vorschlag des Pharmakologen Geppert, am 3. November zu beginnen, was dann ein Kollege mit der Bemerkung »nominell am 30. October« versehen hatte. Und dieser Termin wurde vom Ministerium auch tatsächlich festgesetzt.63 In Straßburg hielt man noch Anfang Oktober am geplanten Termin fest: Das Semester sollte am 19. Oktober beginnen, der erste der vier Immatrikulationstermine der 21. sein.64 (Üblicherweise geschah die Immatrikulation in den ersten vier Semesterwochen jeweils mittwochs um 12 Uhr.) Und während letzterer tatsächlich so stattfand,65 wurde der Beginn der Lehrveranstaltungen zumindest in der Philosophischen und der Juristischen Fakultät auf den 3. (bzw. 2.) November verschoben. Am Tag des ursprünglich geplanten Beginns informierte der Philosophische Dekan die Kollegen über diesen Beschluß sowie auch darüber, daß sie »sowohl hinsichtlich der Stunden wie
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der Beginn der Vorlesungen war in Gießen für den »auf den Semester-Anfang folgenden Montag« vorgesehen (Statuten der Universität zu Berlin VIII /§ 14 bzw. Ferienordnung der Universität Gießen [1882], in: Satzungen der Universität Gießen, S. 29). Naumann/Bäumer, Kriegs- und Heimatchronik I, S. 74 (15.10.1914) (mit der Angabe der Zahl); Namensliste in: Nachträge, Veränderungen und Bemerkungen zum Vorlesungsverzeichnis für das Winte[r]semester 1914/15 (BAN IX [1914/15], S. 7–11, Meldung über die Feier 7. Genauer zur Rektoratsübergabe s. o. S. 250 f. In: Nachträge (wie A. 59) ist von einer Verlegung des Veranstaltungsbeginns keine Rede. [Rektor] an Gh. MdI 10.9.1914: UA Gi Allg. 1532. Lt. VV LU Gi WS 1914/15, S. 1 war »Beginn der Immatrikulation: 19. Oktober/Beginn der Vorlesungen: 26. Oktober«. S. dazu die Feier des Reformationsjubiläum u. S. 1109 f. Julius Geppert an Rektor 7.9.1914 (mit Zusatz von anderer Hand); Rundschreiben des Rektors an die Kollegen 26.9.1914. Beide: UA Gi Allg. 1532 (s. auch A. 61). SP 1021, 8.10.1914 als Anmerkung zu Neumanns Artikel (s. A. 51); so auch schon in VV KWU Strb. WS 1914/15, S. II . Dort wird – im Gegensatz zu Gießen – nicht nach Beginn der Vorlesungen und Beginn der Immatrikulation unterschieden; insofern ist unklar, ob der Beginn der Lehrveranstaltungen für den ersten Tag des Semesters (19. Oktober) oder eine Woche später, wie in Gießen, vorgesehen war. Von der Universität, in: SP 1057, 24.10.1914, MA .
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der Themen der Vorlesungen nicht an das Vorlesungsverzeichnis des W. S. gebunden sind, damit sie die Freiheit haben, ihre Vorlesungen und Übungen ganz nach den Bedürfnissen der Studierenden einzurichten.«66 Daß in Berlin dann auch der Sonntag eifrig als Veranstaltungstermin genutzt wurde, hat aber offenkundig nichts mit dem Krieg zu tun, denn das war z. B. im Sommersemester 1913 genau so. Und es galt für die Dozenten aller F akultäten, einschließlich der Theologischen. Die Veranstaltungen waren über den ganzen Vormittag verteilt, in der Medizin fand eine ganze Reihe sogar am Sonntagnachmittag statt. In den anderen Fakultäten kam das, wie auch ein Termin um 7 Uhr morgens, nur vereinzelt vor. Offenbar wurde also nicht einmal von den Theologen eine bestimmte Zeit für den Gottesdienst freigehalten.67 In Gießen und Straßburg dagegen beendete man vor wie während des Krieges die Vorlesungswoche am Samstag um die Mittagszeit. Nur Exkursionen fanden auch am Samstagnachmittag und am Sonntag statt.68 Zumindest in Straßburg wurden, »mit Rücksicht auf die Feldgrauen«, die das Studium mit dem Dienst vor Ort verbanden, in der zweiten Kriegshälfte aber mehr Lehrveranstaltungen am Abend angeboten bzw. zu ihren Gunsten auf diese Zeit verlegt.69 Außerdem wurden hier anteilmäßig wohl mehr Veranstaltungen mit der Bemerkung »in noch zu bestimmender Stunde« angekündigt. Das mochte mit dem starken anderweitigen Engagement der Dozenten oder ihrer bevorstehenden Dienstverpflichtung zusammenhängen, vielleicht aber auch mit Raumproblemen oder Ungewißheit über die zu erwartende Hörerzahl. Jedenfalls kam es im Krieg auch in verschiedenen anderen Fakultäten vor, während es 1913 ein Spezifikum der medizinischen Kurse (meist praktischer Art) gewesen war. Und vermutlich standen alle diese Ankündigungen an allen drei Universitäten unter dem Vorbehalt, der im Straßburger Verzeichnis für SS 1917 am Ende der Ankündigungen der Theologischen Fakultät folgte: »Im Falle der Fortdauer des Krieges werden die Abänderungen des vorstehenden Verzeichnisses zu Beginn des Sommersemesters am schwarzen Brett bekannt gegeben werden.«70
66 Dekan der Phil. Fak.: An alle Kollegen 19.10.1914, auszugsweise abgedruckt in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 430 f. Zu den Juristen s. die Mitteilung des Nationalökonomen Knapp an seine Tochter Elly Heuss-Knapp vom 20.10.1914, ebd. S. 431. Der 3. Nov. 1914 war ein Dienstag, bei Knapp ist als Vorlesungsbeginn der 2. angegeben. 67 Im WS 1917/18 z. B. hielten aus der Theol. Fak. die Professoren Baudissin, Harnack, Mahling, Strack, Runze sowie die Lizentiaten Lüttge und Freiherr von Soden am Sonntag vormittag Vorlesung. 68 Der Kirchenhistoriker Ficker veranstaltete im SS 1917 am Samstagnachmittag »Ausflüge zum Studium kirchlicher Denkmäler«, der Extraordinarius Emil Hannig »Botanische Exkursionen«, die Samstag oder evtl. Sonntag stattfinden konnten (VV KWU Strb. SS 1917, S. 2, 31). 69 Ficker, Bericht IV (1917/18), S. 5 f. 70 VV KWU Strb. SS 1917, S. 5.
818 Studium und Lehre im Krieg Mit dem Kohlemangel ab Kriegsmitte trat aber eine weitere Veränderung ein: durch Verlegung des Wintersemesters. Als erster Bundesstaat scheint Baden dies erwogen und den anderen Universitäten mitgeteilt zu haben: Beginn des Semesters (also wohl der Immatrikulationsfrist) 24. September, Beginn der Lehrveranstaltungen 1. Oktober. Und dabei sollten die Weihnachtsferien (die ja in die kälteste zu erwartende Zeit fielen) verlängert oder das Semester sogar früher geschlossen werden.71 Zur Erörterung wurden in Gießen zwei Berichterstatter eingesetzt, wobei wegen Verhinderung beim Besprechungstermin schließlich sogar drei Stellungnahmen vorlagen, die das Problem aufs gründlichste durchdachten: Der badische Vorschlag sei unzweckmäßig, da er die kälteste Jahreszeit von Mitte Januar bis Ende Februar nicht vermeide. Als Alternative schlug der Jurist Rosenberg vor, noch etwas früher zu beginnen und – bei Kürzung um eine Vorlesungswoche – das Semester zu Weihnachten zu beenden.72 Der Theologe Kahle hatte genau den Verbrauch der einzelnen Einrichtungen studiert und dabei festgestellt, daß 84,75 % des gesamten Kohlebedarfs der Universität auf die Kliniken entfiel, weitere 7 % auf sonstige human- und tiermedizinische Einrichtungen, nur 2,3 % auf das Vorlesungsgebäude. An den beiden erstgenannten Posten wie auch bei Verwaltung und Universitätsbibliothek sei ohnehin nichts einzusparen. Wenn man Rosenbergs Vorschlag folge, könne man zwar 2 % des Gesamtbedarfs einsparen. Doch könnte die Vorverlegung (die vielleicht nicht alle Studierenden rechtzeitig bemerkten) den Unterrichtsbetrieb stören oder manche sogar »überhaupt abhalten (…) davon, nach Giessen zu gehen«. Diese Gefahr mußte die kleine hessische Universität natürlich besonders fürchten! Deshalb schlug Kahle vor, eine Verlegung nur in Erwägung zu ziehen, »wenn die überwiegende Mehrzahl der Universitäten des Deutschen Reichs, insbesondere der benachbarten preussischen Universitäten [also Marburgs und des neuen Frankfurts], ähnliche Maßnahmen treffen würden.« Die überhaupt zu erzielende Einsparung könne auch mit Verlegung der Vorlesungen in die Wohnungen der Professoren (die in den meisten Fällen möglich sei) sowie in Auditorien der Instituten, Kliniken und den Vortragssaal der UB geleistet werden.73 Inzwischen verschickte die hessische Regierung Einsparungsrichtlinien an alle Behörden inkl. der Universität, die mit einer scharfen Ermahnung endeten.74 Und noch bevor der Gießener Senat die gründ lichen Vorträge erörterte, ordnete die preußische Regierung die Verlegung des 71 Gh. MdI an Univ. Gi 3.7.1917: UA Gi PrA 1036, fol. 6. 72 Rektor Schian an Mitglieder des Gesamtsenats 9.7.1917 (mit Votum Rosenbergs): UA Gi PrA 1036, fol. 9. 73 Vortrag Kahle für den Gesamtsenat 11.7.1917: UA Gi PrA 1036, fol. 23–26. 74 Man erwarte genaue Befolgung. »Andernfalls haben es sich die Behörden selbst zu zuschreiben, wenn sie im kommenden Winter unter den unangenehmen Folgen etwaiger Versäumnis leiden müssen.« (Gh. MdI 12.7.1917 an sämtliche unterstellte Behörden: UA Gi PrA 1036, fol. 2).
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Semesters für ihre Universitäten an, so daß in Berlin die Immatrikulation am 17. September, die Lehrveranstaltungen am 1. Oktober begannen und das Semester am 2. Februar 1918 endete. Damit entstand ein Sachzwang, dem sich der Gießener Senat trotz der Bedenken dagegen beugte: Die Berichterstatter zogen ihre Anträge zurück, in einem neuformulierten und einstimmig angenommenen bat der Senat die hessische Regierung, dieselbe Verlegung wie in Preußen anzuordnen.75 Wieder einmal hatte die kleine Landesuniversität trotz berechtigter Einwände keine andere Wahl, als sich dem größten deutschen Bundesstaat anzupassen – und dem offenkundig bereits gedruckten Vorlesungsverzeichnis, das den Beginn der Immatrikulation noch für 15. und den Vorlesungsbeginn für 22. Oktober vorgesehen hatte, wurde ein roter Zettel beigelegt, daß die Veranstaltungen schon am 1. Oktober begännen, eine noch frühere Anwesenheit jedoch nicht nötig sei (da die Termine für die Immatrikulation bzw. den Umtausch der Ausweise angepaßt würden).76 Preußen erließ bald noch detaillierte Richtlinien zur Einsparung, die neben der Reduzierung der Zahl der benutzten Hörsäle und Klinikräume auch eine frühere Schließung der Seminare (statt um 22 um 18 oder 19 Uhr) und ein früheres Ende des Vorlesungsbetriebs am Abend vorsahen. Soweit Labors und Kliniken von der Militärverwaltung mitgenutzt bzw. mit Verwundeten belegt würden, sei von dieser die Beschaffung der Kohlen zu »erbitten«.77 Bis in die Tagespresse hinein wurden diese Maßnahmen diskutiert – zuweilen allerdings ohne ausreichende Sachkenntnis.78 Doch auch in Straßburg folgte man dem preußischen Beispiel und verlegte den Vorlesungsbeginn auf 1.10.1917 vor.79 Die bayerischen Universitäten dagegen folgten einem eigenen Rhythmus: Sie begannen noch früher und schlossen bereits vor Weihnachten, so wie auch der Gießener Berichterstatter Kahle und die Universität Tübingen den badischen Vorschlag interpretiert hatten.80 Die verordnete Verlegung bewährte sich tatsächlich nicht. Da es im Oktober kälter war als sonst, mußte man früher heizen und verbrauchte z. B. in Berlin in diesem Winter sogar mehr Kohlen als üblich; denn im Februar und März 75 Bericht über die Sitzung des Gesamtsenats der Univ. Gießen vom 14.7.1917: UA Gi PrA 1036, fol. 28. Berliner Semestertermine nach: VV FWU Berlin WS 1917/18, S. 1. 76 Exemplar mit einem solchen Einlegezettel z. B. in der UB Göttingen. 77 Pr. KuMi an Kuratoren etc. 23.7.1917: GSt APK I. HA Rep 76 Va Sekt. 1 Tit. I Nr. 1 Bd. IV, fol. 96–97, Zitat 97v. 78 Z. B. mit dem Vorschlag, vom 10. Dezember bis 20. Januar die Vorlesungen ganz einzustellen (ohne etwa die vorgeführte Differenzierung nach Gebäuden und Fachbereichen zu bedenken) und mit der Behauptung, das ergebe für alle Universitäten zusammen eine stattliche Einsparung. S. Tägl. Rundschau 475, 17.9.1917: GSt APK I. HA Rep 76 Va Sekt. 1 Tit. I Nr. 1 Bd. IV, fol. 106. 79 Prot. der Senatssitzung o. D. [wohl in den Semesterferien Sommer 1917]: ADBR 103 AL 118. 80 Liermann, FAU Erlangen, S. 43; Buchner, Würzburg im Weltkriege, S. 56. Erwähnung Tübingens im Bericht Kahles (wie A. 73, fol. 25).
820 Studium und Lehre im Krieg mußte für die Verwaltung auch weiterhin geheizt und in den übrigen Gebäuden Schäden an den Heizungsanlagen verhindert werden. Zudem bedeutete die verkürzte Ferienzeit in Verbindung mit der eifrigen Arbeit in den folgenden Monaten eine »große Abspannung und Ermüdung« bei Studenten und Dozenten. Trotzdem ordnete das Ministerium im Sommer 1918 dieselbe Maßnahme auch für den bevorstehenden Winter an.81 Doch nun versuchte Straßburg, sich mit den benachbarten badischen Universitäten zu verständigen.82
Mangel an technischem und Verwaltungspersonal Gelegentlich stößt man in den Akten der Universitäten auf den Versuch, Diener, Mechaniker und Verwaltungsbeamte aus dem militärischen Dienst zurückzuholen (zu ›reklamieren‹) oder, besser noch, von vornherein für ›unabkömmlich‹ anerkennen zu lassen. Sehr vorausschauend handelte in dieser Hinsicht der Gießener Psychiater Sommer: Am 2. August 1914, als bereits zwei Angestellte der Verwaltung und fünf Pfleger aus seiner Klinik eingezogen waren, bat er darum, den Verwalter nicht einzuberufen, denn er vereine die Funktionen von Kassierer, Ökonom, Hausverwalter, Bürovorsteher, und da auch der dritte Schreiber in den nächsten Tagen eingezogen werde, bleibe sonst nur noch ein Lehrling. Den »älteren Heizer« brauche man »auch als Reparaturhandwerker« (und im übrigen habe er früher einen »Anfall von Geistesstörung« gehabt!). Unabdingbar schienen ferner der Gärtner und mindestens sechs der 16 Pfleger.83 Daß einer der zwei Universitätsdiener schon in den ersten Kriegswochen eingerückt war, hatte zur Folge, daß das Hauptgebäude der Gießener Universität im Winter semester nur von 9–12 Uhr geöffnet war; denn der Diener mußte auch als Bote dienen (also etwa die Umläufe herumtragen, von einer Professorenwohnung zur anderen).84 Doch wurde dann nicht, wie ins Auge gefaßt, ein neuer Universitätsdiener eingestellt, sondern der alte kehrte aus dem Heer zurück.85
81 S. dazu Prot. der Sitzung der Phil. Fak. Berlin 20.6.1918: UA HU Phil. Fak. 35, fol. 117 sowie Penck, Amtsjahr 1917/18, S. 3 f. (Zitat 4). Zum früheren Heizen auch in Gießen s. Schian, Die Ludoviciana im Jahre 1917, in: Weihnachtsgruß 1917, S. 21. 82 Prot. der Senatssitzung 17.6.1918: 103 AL 118; Rektor Strb. an Rektoren Freiburg und HD 18.6.1918: ADBR 103 AL 1429. 83 Betreffend Anerkennung der Unabkömmlichkeit eines Teiles des männlichen Personals der Klinik für psychische und nervöse Krankheiten 2.8.1914: UA Gi Allg. 107, fol. 7–8. Zum Antrag auf Unabkömmlichkeit des Direktors und des Oberarztes s. o. S. 374. 84 Zu seinen Botengängen (als Argument für die Reduktion der Verwaltungsgremien und daher Schaffung einer KK): Rektor Gi an Gh. MdI 17.8.1914; zur Beschränkung der Öffnungszeiten: Prot. der Sitzung der KK 3.10.1914; beide in: UA Gi Allg. 102, fol. 40–41v, hier 41 und fol. 8–8v, hier 8. 85 Vgl. die Angaben zu Georg Keilig in: PB LU Gi WS 1914/15 und SS 1915, jeweils S. 7.
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In Straßburg versahen im Winter, als die Diener des Mineralogischen Instituts wie auch der Geologischen Landesanstalt eingezogen waren, deren Frauen und der nur für den Winter eingestellte Heizer diese Dienste. Wenn letzterer nun zum Frühjahr wieder entlassen wurde, drohte den Instituten, ohne Boten für »Geschäftsgänge in der Stadt« und ohne Portier zu bleiben. Daher sollte der älteste der drei Diener, der in den Festungssanitätsmannschaften in Kehl diente, reklamiert werden.86 Der Diener des Physiologisch-Chemischen Instituts war zunächst zurückgestellt; denn nur er verstand es, die komplizierten Wasser-, Gas- und elektrischen Anlagen zu betreiben. Außerdem galt er, als »alleiniger männlicher Bewohner des Instituts« als Garant für dessen Sicherheit. Außerdem war er »dauernd« bei den »Untersuchungen über die Verwertung des Schlachtblutes als Nahrungs- bzw. Futtermittel beschäftigt.« Seine Einberufung hätte den Abbruch der Arbeiten zur Folge. Mit dieser Argumentation gelang es tatsächlich, ihn auch noch über den Sommer 1915 zu behalten (da die Arbeiten auch in der vorlesungsfreien Zeit fortgeführt wurden). Doch dann forderte die Militärverwaltung, daß ein anderer, nicht felddiensttauglicher Mann eingearbeitet würde. Am 21. Oktober 1915 mußte der Diener Friedrich Mandel ein rücken.87 Zu Unzuträglichkeiten verschiedener Art führte es, daß nun die Frau des Pförtners dessen Dienst versah. Einerseits war die Schließung des Kollegiengebäudes über Mittag den (vor Ort) im Heeresdienst stehenden Studenten nicht zuzumuten. Andererseits wurde ein Samstagabend eingetroffenes Telegramm (über das Begräbnis des Emeritus Ziegler in Frankfurt) dem stellvertretenden Oberpedell erst am Montagmorgen weitergegeben – und damit eine Teilnahme an der Beisetzung unmöglich gemacht.88 Auch die Lehre wurde durch die Einziehung des technischen Personals gefährdet. Für den Diener des Botanischen Instituts war zwar im Herbst 1914 schon eine Beurlaubung bewilligt worden. Doch da er sie bis 30. November noch nicht hatte antreten können, schloß der Ordinarius Jost an diesem Tag, also vier Wochen nach Aufnahme des Lehrbetriebs, seine Vorlesungen und Übungen. Für die vier katholischen Theologen, den Historiker Spahn und den Philo sophen Simmel sollte der Gärtner Zimmermann die Hörsäle, die sie in diesem Institut benutzten, herrichten. 86 Direktor des Mineral. und Petrograph. Instituts Bücking an Kurator 26.3.1915: ADBR 103 AL 191. 87 Dir. des Physiologisch-Chemischen Instituts Hofmeister an Kurator 11.6.1915 (alle Zitate); Stellv. GK XV. Armeekorps an Kurator 22.6.1915 und 9.8.1915; Kurator an Dir. des Physiologisch-Chemischen Instituts 18.9.1915 (mit Vermerk über Einrücken). Alle: ADBR 103 AL 191. Übrigens gab es einen weiteren Diener Robert Mandel im Physiologischen Institut (PV KWU Strb. SS 1915, S. 12, 13). Ein dritter, im Register genannter Eugen Mandel ist im PV nicht zu finden. 88 Das Telegramm hätte sofort dem Universitätssekretär übergeben werden müssen, der seinen Dienst aber offenkundig ebenfalls nicht korrekt versah. Kurator Strb. an Rektor 10.9. und an Dekan 14.9.1918: ADBR 62 AL 39.
822 Studium und Lehre im Krieg »Da aber Zimmermann eine ungeübte Hilfskraft ist und insbesondere mit der elektrischen Beleuchtung des grossen Hörsaals nicht vertraut ist, andererseits ich selbst mich nicht weiter um solche Dinge kümmern kann, wie ich es jetzt 10 Tage lang thun musste, so erkläre ich dass ich jede Verantwortung ablehene [!], wenn durch minder sachgemässe Behandlung des Motors oder der Heizanlage Schädigungen eintreten sollten.«89 Außerdem regte Jost an, die Vorlesungen der genannten sechs Kollegen in andere Institute zu verlegen. Diese Drohung war offenkundig erfolgreich; denn der Diener kehrte – durch Vermittlung eines anderen Professors – zurück, und dabei war sein Urlaub nicht begrenzt.90 (Doch im Mai 1915 wurde das Botanische Institut in seiner Funktionsfähigkeit erneut stark eingeschränkt: Ein Gehilfe verließ die Universität, weil er im städtischen Dienst besser bezahlt wurde, ein anderer wurde wenige Tage später eingezogen.91) Im Herbst 1915 drohte der Anatom Keibel für den Fall, daß der Diener Oskar Hubert eingezogen werde, mit der Einstellung seiner Vorlesung: denn jener sei der einzige, der sich im Bestand von Tausenden von Präparaten auskenne.92 Mit seiner Einziehung wäre also die Ausbildung von Ärzten gefährdet gewesen. Und tatsächlich hatte Keibel mit seiner Drohung Erfolg: Der bislang nur zurückgestellte Diener wurde während des ganzen Krieges nicht eingezogen, wohl aber der andere und zeitweise auch einer der beiden Hilfsdiener.93 In Gießen wurde die Arbeit des Chemischen Labors bedroht, als der eingezogene, aber zunächst im Ersatzbataillon vor Ort dienende und gelegentlich oder für Abendstunden beurlaubte Diener in eine andere Einheit versetzt wurde. Damit war »die Heranbildung junger Chemiker, Ärzte, Apotheker, Lehrer« gefährdet, die angesichts der langen Kriegsdauer jedoch »eine unabweisbare Pflicht für die Zukunft [war], wenn nicht später das gesamte Wirtschaftsleben des Volk ins Stocken kommen soll[te]«. Deshalb bat der Rektor um die Rückversetzung »des Schäfer« nach Gießen.94 Ob er Erfolg hatte, ist nicht festzustellen. Da solche Bediensteten im Gießener Verzeichnis nur summarisch aufgeführt wurden, der Heeresdienst aber nur für die namentlich Genannten verzeichnet 89 Das Schluß-E ist im ansonsten masch. Text angefügt, ohne das überflüssige E zu streichen; Hervorhebung i. O. durch Unterstreichung. Dir. des Botan. Inst. Jost an Kurator Strb. 30.11.1914: ADBR 103 AL 191. Ein Gärtner Zimmermann ist im PV weder für WS 1914/15 noch für SS 1915 genannt. 90 Nachfrage des Kurators vom 19.12.1914 und Antwort Josts vom 23.12.1914 auf der in A. 89 genannten Quelle. 91 Daher bat der Direktor nun um Reklamation eines bestimmten Gärtners: Bot. Inst. der Univ. (Jost) an Kurator 5.5.1915: ADBR 103 AL 191. 92 Keibel an Kurator Strb. 7.10.1915: ADBR 103 AL 191. 93 Eine Antwort ist nicht überliefert. S. jedoch PV KWU Strb. für alle Kriegssemester (jeweils unter: Anatomisches Institut). 94 Rektor an Landsturm-Infanterie-Ersatzbataillon 5.7.1916 (Entwurf mit Absendevermerk): UA Gi Allg. 103, fol. 25.
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war, läßt sich für Gießen nicht feststellen, wie viele von dem insgesamt 367 Personen umfassenden nichtwissenschaftlichen bzw. dem nichtwissenschaftlichen männlichen Personal in militärischer Verwendung stand (denn fast 60 % der nichtwissenschaftlichen Beschäftigten waren in Gießen Frauen).95 Auch in den anderen beiden Universitäten scheitert man mit diesem Versuch: Das Straßburger Verzeichnis nennt zwar die Hebammen der Frauenklinik, sogar namentlich, gibt aber keine Zahlen von Schwestern und Pflegern dieser wie auch der übrigen Kliniken. In Berlin schließlich fehlen Angaben über Schwestern und Pfleger ebenfalls. Die Diener, Maschinisten und Pförtner sind wie in Straßburg und im Gegensatz zu Gießen zwar namentlich genannt, doch ohne Vermerk über militärische Verwendung! (Oder wurden die militärisch verwendeten – im Gegensatz zu Ärzten und Assistenten – vielleicht gar nicht genannt oder gar entlassen?). Mit dieser unterschiedlichen Anlage der Verzeichnisse scheitert aber nicht nur der Versuch, die drei Universitäten zu vergleichen. Auch für jede einzelne läßt sich nicht feststellen, wie stark der Lehr- und Klinikbetrieb, der aufgrund der wenigen überlieferten Beispiele jeweils dramatisch gefährdet erscheint, durch die Einberufung des nichtwissenschaftlichen Personals tatsächlich eingeschränkt war.
Résumé Der Alltag der Universität veränderte sich durch den Krieg beträchtlich: Ein Teil ihrer Gebäude stand ihr nicht mehr zur Verfügung. Lehrveranstaltungen mußten in kleinere, auch weniger repräsentative Räume und sogar Privat wohnungen verlegt werden. Stärker beeinträchtigt wurde der Lehr- und Verwaltungsbetrieb aber durch die Abwesenheit eines Teils des technischen und Hilfspersonals, das z. T. durch gänzlich Ungeschulte ersetzt wurde. Daß Dozenten selbst diese Tätigkeiten längerfristig übernahmen, war trotz der immer wieder beteuerten Bereitschaft, alles zugunsten der Kriegführung zu tun, offenkundig unvorstellbar. Die Rangordnung innerhalb der Universität wurde nicht angetastet. Noch mehr als räumliche und technische Einschränkungen dürfte aber die mentale Inanspruchnahme der Lehrenden durch den Kriegsverlauf und ihre patriotische (Selbst-) Mobilisierung die Qualität der Lehre verändert haben.
95 Diese Daten nach Anderhub, Antoniterkreuz, S. 7, der den Anteil je nach Semester mit 5 % bis maximal 8 % berechnet, aber selbst auf die geringe Aussagekraft dieser Berechnung hinweist (S. 9).
4. Veränderte Zulassungsbedingungen, verkürzte Studiengänge, Prüfungserleichterungen: Zum Verhältnis von akademischen Anforderungen, militärischem Einsatz und politischen Rahmenbedingungen Nicht erst die deutsche Kriegserklärung am 1. August und die am selben Tag begonnene Generalmobilmachung, sondern schon die Verhängung des Kriegszustandes am 31. Juli wirkte sich umgehend auf die akademischen Verhältnisse aus, als erstes auf die Prüfungen. Das betraf sowohl das Abitur, das den Zugang zur Universität gewährte, als auch die inneruniversitären Examina. Dabei ging Elsaß-Lothringen voraus, doch folgten Preußen und Hessen in den allerersten Kriegstagen. Und da es sich beim Abitur um eine staatliche Prüfung handelte, machten den ersten Schritt zur Absenkung der Anforderungen überall Behörden. Zunächst ging es darum, dem Militär zu ermöglichen, die jungen Männer einzuziehen, bzw. letzteren, sich freiwillig zu melden – und ihnen dabei trotzdem den bevorstehenden Schulabschluß und mit dem Reifezeugnis ein späteres Studium zu ermöglichen. Doch schon bald ergaben sich aus den ad hoc getroffenen Regelungen neue Probleme, weil die einzelnen Bundesstaaten unterschiedlich verfuhren und dadurch eine starke Ungleichbehandlung der Kriegsteilnehmer entstand, aber auch die Studienberechtigung (und Studien befähigung!) im herkömmlichen Sinne in Frage gestellt war.
Notreifeprüfungen In Elsaß-Lothringen gestattete die Landesregierung bereits am 31. Juli eine abgekürzte Abiturprüfung für Primaner im Wehralter. Da jedoch zu Beginn der Mobilmachung auch schon der Landsturm aufgerufen wurde, bezog man bereits am 2. August auch die landsturmpflichtigen Unterprimaner in diese Regelung ein – und sogar jene Hospitantinnen der Oberprima, die nachweisen konnten, daß sie in die freiwillige Krankenpflege eintreten wollten.1 Der preußische Kultusminister verfügte am 1. August, »sogleich die Reifeprüfung« für jene Schüler abzuhalten, die sich mindestens im dritten Halbjahr der Prima befanden (also in die Oberprima versetzt waren) und entweder durch Militär papiere ihre Einberufung oder ihre freiwillige Meldung (samt Zustimmung 1 Min. für E-L an Direktoren der Gymnasien und Oberrealschulen 2.8.1914: ADBR 103 AL 143.
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ihrer Väter) nachweisen konnten. Oberprimaner im vierten Halbjahr mußten nur eine mündliche Prüfung ablegen, die übrigen eine schriftliche und »in möglichst kurzer Frist« danach eine mündliche.2 Die Schulabteilung des hessischen Innenministeriums, die am 3. August folgte, sah die Notprüfungen zwar für denselben Personenkreis, jedoch nur in mündlicher Form vor. Geprüft werden sollten die Fremdsprachen, Mathematik und Geschichte. Im Unterschied zur bisherigen Praxis mußte bei der Prüfung kein Regierungsvertreter anwesend sein. An dessen Stelle trat der Direktor, der in Zusammenarbeit mit den Lehrern der Prima auch über die Zulassung der einzelnen entschied. Lag diese vor, konnte sich der Prüfling auch an einer anderen als der bisher besuchten Schule zur Prüfung melden.3 Hier war offenbar an jene gedacht, die sich – mitten in den Schulferien – in der Sommerfrische befanden oder bereits auf dem Weg zu ihrem Truppenteil waren. Diese Bestimmung machte deutlich, daß es in allererster Linie um die schnellstmögliche Mobilisierung aller erreichbaren jungen Männer ging. Diesem Ziel wurden die bisherigen schulischen bzw. akademischen Anforderungen untergeordnet. Nachdem der Kriegsminister die in der Etappe dienenden freiwilligen Krankenpfleger »als freiwillig in das Heer aufgenommen« erklärt hatte, gewährte der preußische Kultusminister die Möglichkeit der Notreifeprüfung im September 1914 auch ihnen.4 Dem schloß sich Elsaß-Lothringen einen Monat später an.5 Allerdings rechnete damals noch niemand mit einem jahrelangen Krieg. Insofern veränderte sich mit dessen Andauern auch die Wahrnehmung dieser Bestimmungen. Dabei war das Grunddilemma dasselbe, das der bayerische Vertreter bei der Konferenz der Hochschulreferenten 1916 bezüglich der Anrechnung von Kriegsdienst auf die Studienzeit formulierte: Man wollte den Kriegsteilnehmern »tunlichst entgegenkommen«, doch »im öffentlichen Interesse« trotzdem »eine allseitige gründliche Fachausbildung« vermitteln.6 Wer in das Heer oder die Marine eintrat, erhielt sein Zeugnis Ende 1914, wer sich beim Roten Kreuz betätigte, dagegen erst am Ende des Schuljahres. Da das eigentliche Ziel die militärische Schlagkraft war, wurden Frauen schon bald von der Notreifeprüfung ausgeschlossen. Einer Gießener Professorentochter, die davon Gebrauch gemacht hatte, wurde im November 1914 mitgeteilt, daß ihr Notreifezeugnis nur gelte, wenn sie ihre Krankenpflegetätigkeit bis zum Ende des Schuljahres (also bis Ostern 1915) fortsetze und wenn es dabei um die Pflege 2 Pr. KuMi an die Kgl. Provinzialschulkollegien 1.8.1914, in: ZBUPr 1914, S. 496 f. 3 Gh. MdI/Abt. für Schulangelegenheiten an sämtl. unterstellte Behörden 3.8.1914 (Abschrift): UA Gi Allg. 1344, fol. 64. 4 Pr. KuMi an die Provinzialschulkollegien 22.9.1914, in: ZBUPr 1914, S. 641 f. 5 Notreifezeugnisse und Immatrikulation in absentia [undat. masch. Aufzeichnung/Chronologie]: ADBR 103 AL 143. 6 Prot. der 16. Hochschulkonferenz, Rothenburg o. T. 1916, in: vom Brocke/Krüger (Hg.), Hochschulpolitik im Föderalismus, S. 299–314, hier 300.
826 Studium und Lehre im Krieg verwundeter Krieger gehe (was als Teilnahme an der Landesverteidigung gewertet wurde).7 Doch schon im Dezember 1914 versagte das hessische Innenministerium den Notreifezeugnissen von Schülerinnen die Gültigkeit generell. Dasselbe galt für Notabiturienten, die nicht in Heer oder Marine eingetreten waren bzw. für die Dauer des Krieges volle Beschäftigung als Krankenpfleger gefunden hatten. Daraufhin versuchte der Gießener Rektor Sommer, solchen jungen Männern eine Brücke zu bauen, indem er Kollegen bat, sie in den in ihren Kliniken eingerichteten Vereinslazaretten zur Vollbeschäftigung anzunehmen, damit ihr Reifezeugnis Gültigkeit behielt.8 Im März 1915 genehmigte das hessische Ministerium zwar für den Sommer erneut »Kriegsreifeprüfungen«, doch nur zwecks Eintritts ins Heer bzw. in die Marine oder Krankenpflege in der Etappe, nicht im Heimatgebiet. Dafür mußte der Prüfling auch die Etappendienstfähigkeit nachweisen, sich für die Dauer des Krieges verpflichten und bereits von einer Sanitätskolonne zur Ausbildung angenommen sein.9 Auch in Elsaß-Lothringen wurde einer Klarstellung des Oberschulrats (also der Regierung) zufolge die »zeitweilige Tätigkeit im Dienste des Roten Kreuzes oder vorübergehender Aufenthalt beim Landsturm ohne Waffe […] nicht als gleichwertig mit dem Eintritt bei einem Truppenteile angesehen«. Daher behandelte die Universität einem Senatsbeschluß gemäß die Notreifezeugnisse der Frauen sowie jener jungen Männer, »die nicht wirklich Kriegsdienste ge leistet haben, als nicht ausreichend für die Zulassung zur Immatrikulation.«10 Damit vollzog sie allerdings nur die Beschlüsse der Regierung nach, die anregte, solche ›Notabiturienten‹ allenfalls in die sog. Kleine Matrikel als Hörer aufzunehmen.11 Auch in Preußen reagierte man im Herbst 1914 bereits auf Unbedachtheiten bei der Einführung der Notprüfungen – und auf Versuche, diese zu mißbrauchen. Zwar galt das Notreifezeugnis »in bezug auf die Berechtigungen« als voll7 Allg. Regelung: Gh. MdI/Abt. f. Schulangelegenheiten an sämtliche unterstellte Direktionen: 24.11.1914; Professorentochter: Gh. MdI/Abt. für Schulangelegenheiten an Prof. Henneberg 11.11.1914. Beide: UA Gi Allg. 1344, fol. 52, 53. 8 Betr. Notreifeprüfungen, Darmstadt 18.12.1914 (Abschrift); Rektorat an Direktoren der als Vereinslazarette verwendeten Kliniken 31.12.1914. Beide: UA Gi Allg. 1344, fol. 47 bzw. 46. 9 Hess. Landesverein vom Roten Kreuz an Zweigverein Gießen 8.5.1915 (mit Verfügung des Gh. MdI/Abt. Schulangelegenheiten vom 18.3.1915): UA Gi Allg. 1344, fol. 41. 10 Notreifezeugnisse und Immatrikulation in absentia (wie A. 5): ADBR 103 AL 143. Prot. der Senatssitzungen vom 12.10.1914 und (nach Zirkulieren der Akten über Notreifeprüfung als Bekräftigung des Beschlusses) vom 16.11.1914: ADBR 103 AL 115. S. außerdem: KWU Strb. an Rektor Gi [hektogr.] 14.10.1914: UA Gi Allg. 1344, fol. 56. 11 Stellungnahme der Regierung: 3.10.1914: ADBR 103 AL 38 (und Original in 103 AL 143); Veröffentlichung der Erklärung des Ministeriums in der Straßburger Korrespondenz Nr. 86: 10.10.1914 lt. Aufzeichnung [Andreas] von Tuhr [für den Rektor] 8.11.1916: ADBR 103 AL 143.
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gültiges Abitur.12 Doch schon einen Monat später, als sich junge Männer damit immatrikulieren wollten, stellte der Kultusminister klar, daß diese Prüfungen eingeführt worden waren, um ihnen »den Eintritt in das Heer zu ermöglichen« (nicht, um jetzt ihr Studium zu beginnen) und daß dabei die Militärtauglichkeit habe nachgewiesen werden müssen. Wer sich zu Beginn des Wintersemesters 1914/15 immatrikulieren wollte, konnte also nur »aus irgend welchen Gründen zurückgekommen« sein oder sich bislang »ohne Erfolg« um den Eintritt in das Heer oder den Sanitätsdienst in der Etappe bemüht haben. Zwar scheine es angesichts »der großen Begeisterung, mit welcher die Abiturienten […] dem Rufe des Vater landes gefolgt sind, […] nicht angezeigt, in jedem einzelnen Falle eingehend nachzuprüfen, ob die [nötigen] Voraussetzungen vorliegen«. »Die Immatrikulationskommission kann sich aber für ermächtigt halten, Gesuche, welche erkennen lassen, daß ein Mißbrauch vorliegt, zurückzuweisen.«13
Je länger der Krieg dauerte, um so mehr trat jedoch die entstandene Ungleichheit hervor: einerseits der verschiedenen Jahrgänge innerhalb Preußens, andererseits der Angehörigen verschiedener Bundesstaaten des Deutschen Reichs. Im Januar 1916 wandte sich daher der Ausschuß der Väter der Kriegsprimaner an das Preußische Abgeordnetenhaus und forderte, den bei Kriegsbeginn ins Heer eingetretenen Unterprimanern das Reifezeugnis nun (da ihre Klassen kameraden das reguläre Abitur ablegten) ohne Prüfung zu erteilen. Er begründete das mit der »heillosen Verwirrung«, die die Erlasse des preußischen Kultusministeriums angerichtet hätten, und der dreifachen Ungerechtigkeit, die sich daraus ergebe: denn im August 1914 durften zwar sitzengebliebene Unterprimaner wie Oberprimaner eine Notreifeprüfung ablegen, nicht jedoch die an Ostern 1914 in die Unterprima versetzten, die »zum großen Teile besser qualifiziert« gewesen seien. Zwar wurden letztere im Sommer 1915 nach einjährigem »Kriegsgraus« und »ungeheuren Strapazen« zur Notreifeprüfung zugelassen und bestanden, sofern sie dafür Urlaub erhielten, alle; denn diese Prüfung sei nur eine »Farce« gewesen. Doch die meisten hätten den nötigen Urlaub nicht erhalten. Zu Männern geworden, sollten diese dann nach ihrer Rückkehr aus dem Krieg zunächst noch einmal ein halbes oder ein ganzes Jahr die Schule besuchen, z. T. sogar »mit Knaben zusammen, die inzwischen im sicher behüteten Vaterlande in die Prima aufgerückt sind«. (Sofern sich mindestens sechs »Krieger« meldeten, waren allerdings Sonderkurse für sie vorgesehen!) Doch nach 12 Pr. KuMi an Herrn M. N. zu N. 25.10.1914, in: ZBUPr 1914, S. 737. 13 Pr. KuMi an den Kurator zu N. 23.11.1914, in: ZBUPr 1914, S. 737 f. Vgl. ein ganz ähn liches Schreiben wenige Tage später (also noch vor der Veröffentlichung des erstgenannten): Pr. KuMi an Provinzialschulrat Winter 26.11.1914: GSt APK PK I. HA , Rep. 76a, Sekt 1, Tit. I, Nr. 35 Bd. I, fol. 257 f.
828 Studium und Lehre im Krieg jahrelanger Abwesenheit könnten sie sich das Primapensum nicht in sechs Monaten aneignen. Daher fragten ihre Väter, »warum die Krieger, die Urlaub nicht erlangen konnten, mit einem Zeitverlust von 6 oder 12 Monaten für ihren Patriotismus bestraft werden sollen« und es nach dem Kriege nicht weiterhin solche Notprüfungen geben werde.14 Genau auf solche Bedingungen einigten sich die deutschen Bundesstaaten im März 1916. Danach konnten Kriegsteilnehmer, die vor ihrem Einrücken mindestens in die Untersekunda versetzt worden waren, nach der Rückkehr eine Sonderprüfung ablegen, benötigten dafür aber – je nach der Dauer ihres früheren Schulbesuchs – eine »Mindestzeit der Vorbereitung für die Prüfung« zwischen sechs Monaten (für in die Unterprima Versetzte) und anderthalb Jahren (für in die Untersekunda Versetzte).15 Ein solches Abkommen war nötig, da der (oft sogar) mehrfache Wechsel des Studienorts damals gang und gäbe war und es damit quasi einen Zugzwang gegenseitiger Anerkennung auch der Notreifeprüfung, nicht nur, wie bisher, des regulären Abiturs gab. Allerdings hatten die zuständigen Ministerien Bayerns und Württembergs schon im Januar 1916 erwogen, im Sommer dieses Jahres den 1914 in die Unterprima versetzten und seitdem im Felde stehenden Schülern das Reifezeugnis ohne Prüfung zu erteilen16 (also genau das tun, was die Väter der preußischen Unterprimaner-Soldaten forderten). Dagegen wandte sich der Senat der Straßburger Universität – und gab seine einmütige Entschließung vom 22. Mai 1916 nicht nur den anderen deutschen Universitäten zur Kenntnis, sondern auch der Presse. Die Zuerkennung des Reifezeugnisses an vorzeitig Abgegangene ohne jegliche Prüfung hielt er für »verhängnisvoll«. Die Universität könne die sich daraus ergebenden Aufgaben »beim besten Willen« nicht erfüllen, und den jungen Männern selbst würden dadurch nur »trügerische Aussichten« eröffnet.17 Als Württemberg und Bayern ihren einstigen Unterprimanern die Zeugnisse 14 Petition des Ausschusses der Väter der Kriegsprimaner 16.1.1916 an das Pr. Haus der Abgeordneten.: UA Gi Theol N 9. Zur Farce der Notprüfungen s. u. S. 873. Ein Erlaß, der die Bestimmung für Rückkehrer enthält, konnte in ZBUPr nicht gefunden werden. Ein Erlaß dieses Datums (23.10.1915, ZBUPr 1915, S. 729 f.) behandelt zwar Notreifeprüfungen und erwähnt auch »Nichtschüler, die früher höhere Lehranstalten« besucht, die Unterprimareife spätestens Ostern 1914 erreicht und am Krieg teilgenommen hätten. Auch sie könnten sich zu Notprüfungen melden. Von erneutem Schulbesuch ist dort jedoch keine Rede!! 15 Vereinbarung der Regierungen der deutschen Bundesstaaten 7.3.1916, in: Bestimmungen über die Reifezeugnisse von Kriegsteilnehmern [gedruckt, 2 S.], Abschnitt A: UA Gi Allg. 1344, fol. 30–30v, hier 30. 16 Württ. Min. des Kirchen- und Schulwesens 31.1.1916; Bayer. Staatsmin. 5.2.1916. Beides als Abschrift in: UA Gi Allg. 1343, fol. 135, 136. 17 Angenommen mit 13 Stimmen bei einer Enthaltung. Prot. der Senatssitzung vom 22.5.1916: ADBR 103 AL 117; KWU Strb. (hektogr.) an Rektor Gi 20.6.1916: UA Gi Allg. 1344, fol. 35. Abgedruckt unter: Straßburger Stadtnachrichten. Von der Universität, in: SP 414, 26.5.1916 MiA; außerdem in: Universität Straßburg, in: AB 31 (1916/17), S. 61.
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dann ins Feld sandten, wandten sich die Straßburger erneut an die anderen Universitäten; denn auf den württembergischen Zeugnissen war vermerkt, daß die Inhaber damit an württembergischen und bayerischen Hochschulen sowie an der Universität Straßburg aufgenommen und zu den württembergischen Staatsprüfungen zugelassen würden. Bezüglich der übrigen deutschen Hochschulen schwebten noch Verhandlungen. Dazu stellten die Straßburger klar: »Die Universität Strassburg war schon wenig erfreut über die hier im Lande August 1914 ausgegebenen Notreifezeugnisse, deren Besitzer wir leider [!] nicht von der Immatrikulation ausschliessen konnten. Ein weiterer Zuwachs solcher Immaturen ist uns durchaus unerwünscht und wir wollen alles versuchen, sie uns vom Halse zu schaffen.«18
Sie wandten sich aber auch an die Regierung, mit der man sich einig gewesen sei, daß Elsaß-Lothringen den bayerischen »Weg« nicht beschreiten werde. Nun habe die Universität aus der Presse erfahren, daß bei ihr ungeprüfte Kriegs primaner aufgenommen würden. Diese Entscheidung über ihren »Kopf (…) weg« müsse sie als »sehr peinlich empfinden«. Die erbetene »Aufklärung« erhielt sie von der Regierung jedoch erst nach zweieinhalb Monaten und nach nochmaliger Erinnerung:19 Es handele sich um eine Vereinbarung Elsaß-Lothringens mit Bayern und Württemberg, damit die Landeskinder »im nationalen Interesse (…) während ihrer Studienzeit über den Gesichtskreis ihrer engeren Heimat hinausblicken.« Wegen der ablehnenden Haltung verschiedener Bundesstaaten, insbesondere Preußens, gegenüber den elsässischen Notreifezeugnissen sei die Anerkennung der württembergischen und bayerischen Zeugnisse »als Gegenleistung« nötig gewesen. Angesichts des weitgehenden Entgegenkommens der Universität Straßburg sogar gegenüber den Inhabern von Notreifezeugnissen, »die nicht als Kriegsteilnehmer anzusehen sind, da sie dem Heere entweder überhaupt nicht oder nur ganz vorübergehend angehört haben«, seien der Regierung etwaige »Bedenken« der Universität »ausgeschlossen« erschienen.20 Gegensätzlicher könnten Selbst- und Fremdeinschätzung der Haltung der Universität also kaum sein: 1914 hatte sie die von der Landesregierung verfügten Notreifeprüfungen und auch die Anpassung des Personenkreises an die preußischen Bestimmungen akzeptiert, sah diese Art von Prüfung aber zumindest inzwischen sehr kritisch – und mußte sich vom Ministerium sagen lassen, sie hätte solche Abiturienten in großem Umfang zugelassen, ja sogar einen von 18 Daher baten sie um Auskunft, wie sich die anderen Universitäten bisher zu den elsässischen Notreifezeugnissen verhalten hätten und wie sie sich zu den neuen bayerischen und württembergischen zu verhalten gedächten. KWU Strb. [Rundschreiben, hier] an Rektor Gießen 17.7.1916: UA Gi Allg. 1344, fol. 34. 19 KWU an Min. für E-L 25.7.1916 (Zitat) und 5.10.1916: ADBR 103 AL 38. 20 Min. für E-L an Rektor Strb. 10.10.1916: ADBR 103 AL 38.
830 Studium und Lehre im Krieg dieser Erleichterung eigentlich ausgeschlossenen Personenkreis begünstigt. Dabei hatte sie 1915 die Immatrikulation zweier Inhaber solcher Zeugnisse, die inzwischen wieder die Schule besuchten, abgelehnt; denn dadurch hätten diese »tatsächlich das Notreifezeugnis ausser Kraft gesetzt« und seien »nach ihren augenblicklichen Schulerfolgen zu beurteilen«.21 Sowohl das lange Schweigen der Behörden als auch der Ausschluß der Universität von den Verhandlungen mit den anderen Bundesstaaten deuten auf Spannungen zwischen der auf ihren Rechten und ihrer Satzung bestehenden Universität und der Regierung hin. In einem Schreiben an diese legte der Rektor im Auftrag des Senats die Sicht ausführlicher dar. Da die Universität ja direkt dem Reich unterstellt war, bat sie den Kurator, ihre Stellungnahme auch dem kaiserlichen Statthalter vorzulegen: Die Immatrikulation von Schülern, die nur sieben Klassen besucht hätten, widerspreche den Statuten der Universität und sei daher nur mit kaiserlichem Dispens möglich. Daß auch die elsässischen Notreifezeugnisse in die Prima Versetzten und sogar Obersekundanern erteilt worden seien, habe die Universität bei ihrer Zustimmung 1914 nicht gewußt, sondern erst nachträglich aus einzelnen Fällen erschlossen; denn im Schreiben des Oberschulrats sei nur von »abgekürzter« Prüfung die Rede gewesen. Immerhin seien aber alle diese Zeugnisse »auf Grund einer ›Prüfung‹ ausgestellt«, während die nunmehr in Frage stehenden »auf Grund der Beteiligung am Felddienst erteilt worden« seien. Zudem gehe es nun um eine beträchtliche Ausweitung des Personenkreises; denn bislang sei dieser schon durch Ablehnung der Immatrikulation in absentia beschränkt gewesen. Doch diese lasse sich künftig voraussichtlich nicht mehr aufrechterhalten. Schließlich beanspruchte der Senat sogar, im Interesse der Not abiturienten selbst zu handeln, wenn er ihre Immatrikulation ablehne; »denn viele von diesen Schülern, die schon in vorgerückterem Alter standen, würden unter normalen Verhältnissen niemals das Reifezeugnis erlangt haben.« Nun würden nicht nur trügerische Hoffnungen bei ihnen geweckt, sondern sie würden auch »eine schwere Belastung zunächst für unsere Universitäten und später für unser ganzes Volk bilden«.22 Im Gespräch mit dem Kurator verzichtete der Rektor schließlich auf die Vorlage dieses Schreibens beim Statthalter. Der Regierung wurde es jedoch zugesandt.23 Genau in dieser Zeit erklärte der Oberschulrat die 1914 stattgehabte Not prüfung eines jungen elsässischen Juden für ungültig – was man als nachgetragenen Beleg für die Behauptung eigentlich nicht legitimierter Immatrikulationen deuten könnte. Salomon Picard hatte sich am 2. August 1914 freiwillig gemeldet, war daraufhin am 3. August zur Notreifeprüfung zugelassen worden 21 Prot. der Senatssitzung vom 8.11.1915: ADBR 103 AL 116. 22 Rektor Strb. an Min. für E-L/Oberschulrat o. D. [18.10.1916] (Abschrift; Datierung nach der Antwort [s. A. 25]); Rektor Strb. an Kurator 23.10.1916: ADBR 103 AL 38. 23 Vermerk des Verzichts 2.11.1916 auf dem Schreiben an den Kurator 23.10.1916 (wie A. 22). Die Zustellung an die Regierung ergibt sich aus deren Antwort (s. u. A. 25).
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und hatte sie bestanden. Doch bereits am 11. August war er als »dienstunbrauch bar« wieder aus dem Heer entlassen worden. Daraufhin hatte er sich im November 1914 an der Universität Straßburg immatrikuliert. Nun, zwei Jahre später, wies der Oberschulrat den Gymnasialdirektor an, das Zeugnis einzuziehen, weil es als ungültig anzusehen sei. Doch machte jetzt die Universität von dem großen Ermessensspielraum Gebrauch, den (nach der Interpretation des Zivilrechtlers Andreas von Tuhr, der damals zugleich Syndikus war) 1914 sowohl die Erklärung der Regierung als auch der Senatsbeschluß durch ihre unbestimmten Formulierungen gelassen hatten: Tuhrs Auffassung zufolge war jede der Behörden »in der Ausübung ihres Ermessens unabhängig von der anderen. Insbesondere konnte die Entscheidung des Rektors nicht davon abhängen, ob der Oberschulrat ein Reifezeugnis später als gültig anerkennen werde. Das würde eine unserem Statut unbekannte bedingte Immatrikulation bedeuten.« Da die Entscheidung des Rektors innerhalb des vom Senat gesetzten Rahmens liege, sei sie »formell gültig«. Picard habe die »Eigenschaft eines Studenten erworben« und auch durch spätere Nichtanerkennung seines Reifezeugnisses seitens des Schulrats nicht verloren. Daher könne er nicht aus der Matrikel gestrichen werden. Doch da er bei der Zulassung zum Staatsexamen später ein von der zuständigen Behörde anerkanntes Zeugnis benötige, empfahl die Universität ihm, die Reifeprüfung in seinem eigenen Interesse zu wiederholen. Tatsächlich teilte der Rektor dem jungen Mann mit, »daß er bei uns immatrikuliert bleibt«. Dieser wiederum kündigte an, Anfang Dezember 1916 die Abiturprüfung abzulegen, und studierte jedenfalls bis einschließlich Sommer 1918 an der Universität Straßburg Mathematik.24 Erst drei Wochen nach dieser Entscheidung der Universität beantwortete die Landesregierung deren inzwischen mehr als sieben Wochen zurückliegendes prinzipielles Schreiben: Ein kaiserlicher Dispens sei zur Immatrikulation der bayerischen und württembergischen Notabiturienten nicht nötig, da die Satzung nur bestimme, daß die Reifezeugnisse der Straßburger Studenten von einer staatlich anerkannten, neunstufigen Schule ausgegeben sein müßten: »Das Statut sagt nichts über die erforderliche Dauer des Besuchs (!) dieser Schulen, nichts über die Form der Erwerbung des Zeugnisses, (…)«. Zudem könne die Universität jenen Inhabern solcher Notreifezeugnisse die Immatrikulation 24 Min. für E-L/Oberschulrat 31.10.1916; Aufzeichnung [Andreas] von Tuhr [für den Rektor] 8.11.1916 (mit Vermerk des Rektors Jost 13.11.1916 über sein Gespräch mit Picard; Hervorh. i. O.); Rektor Strb. an Direktor des Oberschulrats 16.11.1916. Alle: ADBR 103 AL 143. Die Herkunft Picards nach PV KWU Strb. WS 1914/15, S. 60. Hier ist das Immatrikulationsdatum wie in der Aufzeichnung Tuhrs mit 11.11.1914 angegeben, ab PV SS 1915, S. 71 (bis einschl. SS 1918 immer) mit 4.11.1914. Picard (1896–1983) veröffentlichte später (zusammen mit einem Co-Autor) ein Gedenkbuch für die jüdische Gemeinde seines Heimatorts Grussenheim (wo Anfang des 20. Jahrhundert über ein Drittel der Bevölkerung Juden waren) (nach div. Internetquellen).
832 Studium und Lehre im Krieg nicht versagen, die »das vollgültige Abgangszeugnis einer anderen Universität deutscher Zunge« vorlegten (also z. B. zunächst eine bayerische oder württembergische Universität bezogen hätten). Im übrigen werde es sich wohl um eine »recht beschränkte« Zahl handeln. (Zugleich betonte die Regierung erneut das »deutsch-nationale Interesse« als Ursache dieses Abkommens.)25 Damit wird auch klar, warum der Kurator dem Statthalter die Stellungnahme der Universität nicht vorlegte: Wenn dieser selbst das Abkommen geschlossen hatte, war es sinnlos, sich an ihn als ›Berufungsinstanz‹ gegen eine vermeintliche Entscheidung der Landesregierung zu wenden. Auf den Staatssekretär machte der daraufhin erfolgte Senatsbeschluß, also »das tatsächliche Nachgeben[,] einen grösseren Eindruck (…) als die Betonung des prinzipiellen Standpunktes«. Zwar habe er sich nicht auf eine Erklärung eingelassen, daß Angelegenheiten der Universität von der Regierung nicht ohne deren Anhörung behandelt werden könnten. Immerhin sei aber sein Bestreben zu erkennen, »ohne sich für die Zukunft zu binden doch der Universität eine Freundlichkeit zu sagen«.26 Zwar betonte der Senat noch einmal seinen prinzipiellen Standpunkt, erklärte sich aber bereit, ihn zu einer Zeit, in der »so viele schwere Fragen die Nation bewegen«, zunächst nicht weiterzuverfolgen und die württembergischen und bayerischen Notabiturienten zuzulassen. Er hoffte jedoch auf eine der Auffassung der Universität entsprechende Regelung »nach Herstellung normaler Verhältnisse«. Dabei verwandte die Universität die Ungültigerklärung von Picards Zeugnis nun als Argument in ihrem Sinn; denn damit habe der Oberschulrat (dem es dabei doch um den nicht zustande gekommenen Kriegsdienst gegangen war!) »ausgesprochen, dass die wissenschaftliche Bildung der Notabiturienten nicht die der normalen Abiturienten« sei!27 So errichtete man mit Rücksicht auf das nationale Anliegen mühsam eine Fassade beiderseitigen Entgegenkommens – und beharrte doch auf dem jeweils eigenen Standpunkt. Dabei konnte der Dissens zwischen der Universität, die die Erfordernisse einer ausreichenden Vorbildung in den Vordergrund stellte, und der Landesbehörde, der es um den Kriegseinsatz und die politische Sozialisation der jungen Elsässer in ›Altdeutschland‹ ging, aber nur mühsam verdeckt werden. Nach der ersten reichsrechtlichen Regelung vom März 1916 folgte ein Jahr später die nächste, die durch den bayerisch-württembergischen Sonderweg nötig geworden war: Demzufolge wurden für die bereits im Heer Stehenden als Reifezeugnisse, welche der (reichsrechtlich geregelten) Prüfungsordnung für Ärzte genügten, die nach mindestens einjährigem Besuch der Prima ausgestellten angesehen, und zwar sowohl die durch Notprüfungen erworbenen als auch die in Bayern und Württemberg ohne Prüfung ausgestellten. Nicht aner25 Min. für E-L/Oberschulrat an Rektor Strb. 8.12.1916: ADBR 103 AL 143. 26 Rektor Strb. (Jost) an Senat 15.1.1917: ADBR 103 AL 143. 27 KWU an Staatssekretär 20.1.1917 (Entwurf): ADBR 103 AL 143.
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kannt wurden dagegen die Zeugnisse, die dort (ohne) und 1914 in Elsaß-Lothringen (mit Prüfung) den in die Unterprima Versetzten ausgestellt worden waren. Solche Kriegsprimaner mußten vor der Zulassung zur ärztlichen Prüfung noch eine Kriegsreifeprüfung ablegen, durften dies aber ohne weiteren Schulbesuch tun. Wer künftig ins Heer eintrat, konnte ein Reifezeugnis (auch in Bayern und Württemberg) nur aufgrund bestandener Notreifeprüfung erhalten.28 Nach dieser Klärung konnten bayerische, württembergische und elsässische Unterprimaner zwar weiterhin in anderen Bundesstaaten studieren, denn man folgte der Regel, daß ein Nichtstaatsangehöriger üblicherweise mit dem Zeugnis zugelassen wurde, das in seinem Heimatland genügte. Doch wurden diese Studenten in den anderen Bundesstaaten nicht zu den reichs- oder landesrechtlich geregelten (Staats-)Prüfungen zugelassen. Dies regelte das Großherzogtum Hessen bereits im September 1917, Preußen im Januar 1918.29 – Nach der Revolution wurden in Preußen auch »Kriegsteilnehmer, die Versetzung nach der Unterprima (!!) erreicht haben«, zum Studium zugelassen – unter der Bedingung, daß sie vor dem Staatsexamen, also im Laufe des Studiums (!), »die (Kriegs-) Reifeprüfung« ablegten.30
Immatrikulation in absentia In ihren Überlegungen zur Anerkennung der Notabiturienten 1916 hatten die Straßburger auch auf die Immatrikulation in absentia hingewiesen, von der sie eine Verschärfung des Problems erwarteten. Herkömmlich erfolgte die Immatrikulation ja persönlich, durch Handschlag des Rektors. Mancherorts trugen sich die künftigen Studenten auch eigenhändig in die Matrikel (und evtl. zusätzlich in das Fakultätsalbum) ein.31 Doch als Ende September 1916 die deutschen Hochschulreferenten zu ihrem ersten Kriegstreffen zusammentraten, war die Immatrikulation (ebenso wie die jedes Semester fällige Erneuerung des 28 Vereinbarung der Regierungen der deutschen Bundesstaaten 21.3.1917, in: Bestimmungen über die Reifezeugnisse von Kriegsteilnehmern (wie A. 15), Abschnitt B: UA Gi Allg. 1344, fol. 30–30v. 29 Hessen: Bestimmungen des Gh. MdI 26.9.1917, in: Bestimmungen über die Reifezeugnisse von Kriegsteilnehmern (wie A. 15), Abschnitt C: UA Gi Allg. 1344, fol. 30–30v, hier 30v. 30 Erlaß des Pr. KuMi vom 29.11.1918: UA Bonn Rekt A 16,1, III Bd. 2: Immatrikulationen. Generalia SS 1914–1919. 31 Zur eigenhändigen Einschreibung in Leipzig s. Gätke-Heckmann, Universität Leipzig im Ersten Weltkrieg, S. 159. Vgl. auch Gießen: »Die Immatrikulation erfolgt durch den Rektor (…), nachdem der Angemeldete sich in das Verzeichnis der Studierenden und in das Album seiner Fakultät eingetragen hat.« Bestimmungen über den Besuch der LandesUniversität Gießen (1904), in: Satzungen der Universität Gießen. Zweiter Teil: Satzungen für die Studierenden, Gießen 1904, S. 3–14, hier S. 4 (§ 6).
834 Studium und Lehre im Krieg Ausweises) studierenden Kriegsteilnehmern angeblich »an allen deutschen (…) Hochschulen mit Ausnahme von Rostock« auf schriftlichem Weg oder durch Vertreter, also in absentia gestattet.32 Doch hatten sich manche Universitäten dazu erst spät bereit erklärt. Der Gießener Rektor dagegen hatte bereits im Herbst 1914 im Heer Stehende aufgrund der Bescheinigung über die Notreifeprüfung »ohne Weiteres« immatrikuliert; denn den Satzungen zufolge war er berechtigt, »auch Bewerber zuzulassen, die sich durch andere Zeugnisse über Unbescholtenheit und wissenschaftliche Vorbildung ausweisen.«33 Außerdem hatte die Kriegskommission diese neue Immatrikulationsmöglichkeit schon am 22. September beschlossen.34 Im Personalverzeichnis waren diese Studierenden mit einem Asterisk markiert – aber das geschah in Gießen auch herkömmlich mit deutschen Studierenden, die aufgrund des Ermessensspielraums des Rektors, d. h. ohne die nach reichsrechtlichen oder hessischen Prüfungsvorschriften erforderlichen Zeugnisse immatrikuliert waren.35 Auch eine preußische Universität hatte offenbar noch vor Beginn des ersten Kriegssemesters angeregt, die im Felde stehenden Kriegsfreiwilligen zu immatrikulieren. Doch lehnte der Minister dies ab, »weil sie das Studium tatsächlich nicht beginnen können«. Daher komme eine Immatrikulation in Abwesenheit, die der Satzung der Universität und ihren Vorschriften für die Studierenden widerspreche, nicht in Frage. Das dahinterstehende Problem der Anrechnung dieses Semesters erkannte er aber sehr wohl: »Eine andere Frage ist es, inwieweit der Kriegsdienst bei der Zulassung zu Prüfungen, auf welche das akademische Studium vorbereitet, zu berücksichtigen sein wird. Dies muß späteren Erwägungen der beteiligten Stellen vorbehalten bleiben.«36 Immerhin ergänzte der Minister auf Antrag einer weiteren Universität schon bald, daß mit Blick auf den geplanten Wechsel an eine andere Universität vollzogene Exmatrikulationen rückgängig gemacht werden könnten, »weil dieser Zweck infolge Ausbruchs des Krieges nicht erreicht werden kann.«37
32 Prot. der 16. Hochschulkonferenz (1916) (wie A. 6), S. 303. 33 Rektor Gi an Rektoren Strb. und Rostock 29.1.1915: UA Gi Allg. 1344, fol. 42. Er zitiert damit die Bestimmungen über den Besuch der Landes-Universität Gießen (wie A. 31), S. 3 (§ 2). »Andere« bezieht sich dabei auf die Hauptbestimmung: »Zur Immatrikulation wird zugelassen, wer die zum Abschluß des gewählten Studiums gemäß reichsrechtlichen oder hessischen Prüfungsvorschriften erforderlichen Zeugnisse über seine Vorbildung für die Hochschule besitzt.« 34 Prot. der Sitzung der KK 22.9.1914: UA Gi Allg. 102, fol. 8. 35 Rektor Gi an Rektoren Strb. und Rostock 29.1.1915: UA Gi Allg. 1344, fol. 42. S. als Beispiele PB LU Gi WS 1914/15, S. 41 (die Namen Aff, Attig und Aubel) und zum Vergleich SS 1914, S. 40 (Arendt) oder WS 1913/14, S. 41 (Bert). 36 Pr. KuMi an Universitätskurator zu N. 13.10.1914, in: ZBUPr 1914, S. 736. 37 Pr. KuMi an Universitätskurator zu N. 26.10.1914, in: ZBUPr 1914, S. 736 f.
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Auch der für Rostock zuständige Justizminister von Mecklenburg-Schwerin und der Statthalter in Elsaß-Lothringen (der bis 1914 preußischer Innenminister gewesen war) lehnten die Immatrikulation in Abwesenheit ab. Dabei hatte der Straßburger Senat sie als vom Statut nicht erlaubt angesehen, gerade deshalb aber beim Statthalter dessen Änderung beantragt – und zwar in Kenntnis der ablehnenden Haltung Preußens und entgegen dem Votum des damaligen Syndikus Wilhelm Kisch, der alle für die Immatrikulation sprechenden Gründe nicht für ausreichend hielt, den »verwickelten Apparat einer Statutenänderung in Bewegung zu setzen.« Statt dessen plädierte er für eine praktische Regelung, die in der Befugnis des Rektors liegen sollte: die Immatrikulationsfrist möglichst weit (der Theologe Gustav Anrich sekundierte: bis 30. Januar 1915!) auszudehnen, um auch evtl. erst spät aus dem Feld eintreffenden einzelnen die Aufnahme noch zu ermöglichen. Doch der Statthalter stützte sich bei seiner Entscheidung auf die Ausführungen des preußischen Kultusministers, bei dem er auch seinerseits zunächst angefragt hatte!38 An den Universitäten der übrigen deutschen Staaten wurde die Immatrikulation in absentia aber schon 1914 eingeführt. Neben der Befürchtung, »das Semester, oder, wenn der Krieg solange [!] dauern wird, auch noch ein zweites zu verlieren«, wurde als Argument dafür offenbar »vielfach auch« vorgebracht, »daß sie namentlich bezüglich des Verkehrs mit den Offizieren und Unteroffizieren nicht als Studenten behandelt werden, als junge Männer, die als Angehörige der gebildeten Kreise legitimiert sind«. Das hielt ein anonym bleibender Autor der Straßburger Post allerdings »nicht für stichhaltig«; denn wenn ein junger Mann bisher Student gewesen sei, mache die Formalie keinen Unterschied.39 Damit war die Frage für die Schulabgänger aber noch ungelöst. Doch dauerte es bis zur nächsten Änderung nun fast zwei Jahre. Und dann gab allem Anschein nach das Schicksal der Kriegsgefangenen den Ausschlag, zumindest insofern, als es das entscheidende Argument bereitstellte. Am 20. September 1916, also zwei Tage vor Beginn der erwähnten HochschulreferentenKonferenz, genehmigte der preußische Kultusminister, »daß im Felde stehende Kriegsteilnehmer sowie deutsche Kriegsgefangene auf Antrag in Abwesenheit immatrikuliert werden können. Hierbei wird vorausgesetzt, daß der vorgeschriebene Nachweis der Schulbildung geführt wird. Die Immatrikulation erfolgt mit der Maßgabe, daß die förmliche Verpflichtung durch den Rektor nachgeholt wird, wenn der Studierende zurückkehrt und sein Studium beginnt.«40 38 Rektor Strb. an Syndikus 30.10.1914; darauf Gutachten des Syndikus [Wilhelm] Kisch o. D. und Rektor an Senatoren 3.11.1914 (sowie Äußerungen aller 12 Senatoren); Pr. KuMi an Statthalter in E-L 26.11.1914; Kurator an Rektor Strb. 1.12.1914; Rektor Strb. an Kurator 7.10.1915. Alle: ADBR 103 AL 143. 39 Also nach der Exmatrikulation wegen eines geplanten Studienortwechsels. Die Univer sität und der Krieg, in: SP 1190, 18.12.1914 MiA. 40 Pr. KuMi an die Universitätskuratoren 20.9.1916, in: ZBUPr 1916, S. 531 f.
836 Studium und Lehre im Krieg Da damit »Straßburg neben Rostock jetzt die einzige Universität [blieb], an der diese Immatrikulation der im Felde stehenden Studierenden nicht zulässig« war, beriet der Straßburger Senat die Frage erneut und wandte sich noch einmal an die Regierung: »Für den ganzen akademischen Studiengang kommt die Immatrikulation in Ab wesenheit nicht in Frage, wohl aber ist es gewiss, dass es den im Felde stehenden Studenten und namentlich den in Kriegsgefangenschaft geratenen deutschen Akademikern nach mehr als einer Richtung äusserst vorteilhaft ist, wenn sie nachweisen können, dass sie an einer deutschen Universität immatrikuliert sind. Der Senat hat daher einstimmig beschlossen, der hohen Regierung wiederholt den Antrag zu unterbreiten, dass auch für unsere Universität Strassburg diese ›Immatrikulation in Abwesenheit‹ für die Dauer des Krieges durch Kaiserliche Verordnung eingeführt werde.«41
Der Senat blieb also bei »seinem prinzipiellen Standpunkt« betreffs der Unzulässigkeit dieses Verfahrens und der Unerwünschtheit der Statutenänderung, beantragte aber aufgrund der Zeitumstände einen »Dispens«.42 Und der Statthalter genehmigte die Änderung seiner früheren Verfügung, ausdrücklich zwecks Verbesserung der Lage Kriegsgefangener. Dabei lehnte er sich im weiteren ganz an die Formulierungen des preußischen Kultusministeriums an.43 Einen kaiserlichen Dispens holte er dagegen nicht ein.44 Die Anlehnung an Preußen scheint dem Statthalter (und der Reichskanzlei!) genügt zu haben. Ende 1916 wurde die Immatrikulation in absentia auch in Straßburg eingeführt. Und mit der Erklärung Rostocks zur einzigen Ausnahme scheint man das bei der Hochschulreferentenkonferenz Ende September schon antizipiert zu haben – sofern man das bei diesem Treffen nicht vertretene Reichsland nicht einfach vergessen hatte.45 Die Straßburger Post, die den »Wunsch« nach einer solchen Regelung im Interesse der Kriegsgefangenen schon »mehrfach« ausgesprochen hatte, registrierte den »landesherrlichen Erlaß« mit Befriedigung.46 Und der Rektor, der 41 Rektor Strb. an Kurator 26.10.1916: ADBR 103 AL 143 (Hervorh. i. O. durch Unter streichung). 42 Prot. der Senatssitzung vom 16.10.1916: ADBR 103 AL 117. 43 Statth. in E-L an Kurator 1.12.1916: ADBR 103 AL 143. 44 Das war vermutlich der Grund für eine Aktennotiz des Rektors, daß der Statthalter zwar »nicht berechtigt [sei], diese Verfügung zu erlassen« und er selbst »diese Tatsache (…) mit dem Syndikus besprochen [habe]. Irgend eine Konsequenz nicht gezogen. Immatrikulation in absentia eingeführt.« Rektor Strb. 19.12.1916: Aktenvermerk zu dem Schreiben des Statthalters betr. Immatrikulation in absentia: ADBR 103 AL 143. 45 Elsaß-Lothringen war bei fast allen Konferenzen vertreten. Nur 1902, 1914 (Anfang Juli, also nicht kriegsbedingt) und 1916 fehlte es. 1918 war es wieder vertreten. Gründe sind weder in den Prot. noch in der Einführung der Editoren angegeben. S. die Prot. bei vom Brocke/Krüger (Hg.), Hochschulpolitik im Föderalismus. 46 Straßburger Stadtnachrichten. Die Immatrikulation in Abwesenheit, in: SP 927, 9.12.1916 MiA.
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sich mit Fragen über Formalien des Vorgehens an das Stellvertretende Generalkommando wandte, erhielt von diesem eine Bestätigung des Zusammenhangs: Da einer Vereinbarung mit Frankreich zufolge Gefangene aus geistig arbeitenden Berufen von schwerster körperlicher Arbeit befreit bleiben sollten, werde eine Bescheinigung ihrer Vorbildung immer wichtiger.47 Ein möglicher Nutzen der Immatrikulation in absentia für die Universität selbst wurde nirgends thematisiert. Doch konnte sie damit zwar nicht die Zahl der anwesenden, wohl aber der nominellen Studenten steigern und damit ihre eigene Attraktivität belegen. Umgekehrt hatte sie durch die lange Verweigerung dieser Möglichkeit wohl auch einige potentielle Studenten verloren.48 Ab Sommersemester 1917 wurden die in Abwesenheit Immatrikulierten im Straßburger Personalverzeichnis dann jeweils in einer eigenen Liste aufgeführt. Damals waren es 72. Die ersten hatten sich am 8., 11., 12. Dezember 1916 immatrikuliert, einige im Januar, die meisten später. Sie stammten aus Straßburg, dem Unter-Elsaß und Lothringen.49 So trieb man wenigstens die Landeskinder nicht (mehr) in andere deutsche Staaten; denn schließlich gab es für das Studium in der Hauptstadt des Reichslands ohnehin schon genug andere Hürden.
Beschränkung der Zureise in die Festung Straßburg Der Entschluß, in Straßburg zu studieren, wurde für mögliche Interessenten sicher auch dadurch erschwert, daß dafür eine besondere Zureiseerlaubnis in die Grenzfestung nötig war.50 So stieß etwa ein ungarischer Student, also der Angehörige eines verbündeten Staates, nach der Rückkehr aus den Semesterferien im Herbst 1914 auf Schwierigkeiten – und ging nach Heidelberg.51 Im Sommersemester 1915 mußten junge Leute, die dort das Studium aufnehmen wollten, dem Universitätssekretariat außer ihren »Reise- und Abgangs zeugnisse[n]« noch folgende Unterlagen übersenden: »1. einen von der zuständigen Heimatbehörde ausgestellten Reisepaß mit abgestempelter Photographie, 2. eine Bescheinigung des für ihren Wohnsitz zuständigen Ge neralkommandos, dass ihrem Aufenthalt in Straßburg keine Bedenken entgegenstehen. Daraufhin wird ihnen der Reisepaß mit der Erlaubnis zur Zureise vom Sekretariat 47 Rektor Strb. an Stellv. GK 20.9.1917; Stellv. GK an Rektor Strb. 21.9.1917. Beide: ADBR 103 AL 143. 48 So teilte z. B. ein Studienwilliger Ende Februar 1917, nachdem er die Zulassung endlich erhalten hatte, mit, er habe sich inzwischen in Bonn immatrikuliert, da er nicht mehr mit der Berücksichtigung seines Gesuchs gerechnet habe. Martin Cohn an KWU Strb. 24.2.1917: ADBR 103 AL 143. 49 PV KWU Strb. SS 1917, S. 87–90. 50 Siehe o. S. 215. 51 Siehe o. S. 789.
838 Studium und Lehre im Krieg zugeschickt. Schon früher Immatrikulierte sind von der Einholung einer besonderen Zureiseerlaubnis nur dann befreit, wenn sie im Besitze eines vom Polizeipräsidium in Straßburg ausgestellten Reisepasses mit abgestempelter Photographie sind.«52
Nur wenn man bedenkt, daß bis zum Ersten Weltkrieg – außer für russische Untertanen – nicht einmal für die Einreise ins Deutsche Reich Pässe benötigt wurden und auch die sofort zum 1. August 1914 neu eingeführten Bestimmungen zunächst nur forderten, sich bei der Einreise aus dem Ausland auszuweisen, kann man erahnen, welche Erschwerung des Studiums in Straßburg die neuen Bestimmungen bedeuteten.53 Denn hier ging es ja um Genehmigungen für deutsche Staatsbürger innerhalb des Reichs! Doch für den Festungsbereich galten eben besondere Paßvorschriften.54 Wer dies auf sich nahm, dem winkte allerdings nicht nur der »Vorteil einer besonderen Stille und Arbeitsruhe«, sondern er vollbrachte als »nicht im Felde Stehende[r]« mit dem Studium in Straßburg auch »eine patriotische Tat«, die »der Stärkung des deutschen Gedankens in dem Grenzlande dient«!55 Auch in den folgenden Jahren war offenkundig immer eine besondere Zu reiseerlaubnis nötig. Georg Simmels Nichte Gertrud Jacobs, preußische Staatsbürgerin, aber in Sankt Petersburg geboren und aufgewachsen, hatte im Sommer 1914 in Freiburg studiert, war dann für zwei Semester nach Berlin gegangen, hatte im Winter 1915/16 in Straßburg studiert, danach wieder ein Semester in Berlin und wollte zum Winter 1916/17 nach Straßburg zurückkehren, um hier ihre Dissertation abzuschließen.56 Im Oktober 1916 schrieb der Straßburger Rektor deshalb an den Militärpolizeimeister: »Die Erteilung der Zureiseund Aufenthaltserlaubniss [!] wird wärmstens befürwortet.«57 Gertrud Jacobs wohnte in diesem Semester bei Simmels und wurde im März 1917 als Kunst historikerin bei Georg Dehio promoviert.58
52 Von der Universität, in: SP 261, 14.4.1915 MiA. Diese Bestimmungen sind weder in diesem noch in den folgenden Semestern im VV enthalten! 53 Ab Dezember 1914 mußte man sich auch bei der Ausreise aus dem Reich ausweisen, und 1916 wurde die zunächst nur temporäre Paßpflicht schließlich institutionalisiert. Thomas Claes, Paßkontrolle! Eine kritische Geschichte des sich Ausweisens und Erkanntwerdens, Berlin 2010, S. 55–57. 54 Elsass 1870–1932 I, S. 359. 55 So der Schluß nach dem Abdruck der (o. A. 52 aus SP zitierten) Mitteilungen in: BT 194, 17.4.1915 MA . Ob es sich dabei um einen Kommentar des BT oder des Straßburger Rektorats handelt, das um Abdruck der Mitteilung gebeten hatte, ist nicht klar. 56 AV FWU Berlin WS 1914/15, S. 246; dto. SS 1915, S. 246; dto. SS 1916, S. 258; PV KWU Strb. WS 1915/16, S. 66; dto. WS 1916/17, S. 72. S. dazu auch Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 341 (Freiburg). 57 Rektor Strb. an Militärpolizeimeister Strb. 23.10.[19]16: ADBR 103 AL 53. 58 Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 737, 738, 742–744 (Promotion). In ihrem ersten Straß burger Semester hatte sie im selben Haus wie Simmels, aber bei einem anderen Vermieter
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Im allgemeinen waren die nötigen Befürwortungen eher sachlich-formelhaft abgefaßt und scheinen erst nach dem Eintreffen ausgestellt worden zu sein. Dies läßt vermuten, daß die eigentliche Zureise nach Einsendung der Papiere an die Universität zunächst allein aufgrund von deren Bestätigung und mit deren ›Erlaubnis‹ erfolgte und die erst anschließend bei der Polizei eingeholte Genehmigung (trotz anderslautender Bitte) tatsächlich (nur noch) der Aufenthalts erlaubnis galt.59 Wenn inzwischen der Passierschein abgelaufen war, benötigten auch aus den Ferien zurückkehrende Studenten erneut eine Zureisegenehmigung.60 Und obwohl Straßburg ›nur‹ bis 1917 als »bedrohte Festung« galt,61 war offenbar noch im Sommer 1918 ein besonderer Antrag der Universität nötig, um die Zureise für Studierende zu erleichtern (namentlich für Kriegsbeschädigte und ehemalige Gefangene, was aber vermutlich als am ehesten überzeugendes Argument hinzugefügt wurde). Deshalb bat der Senat den Rektor, sich »nach näherer Erkundigung persönlich mit den Militärbehörden in Beziehung« zu setzen.62 Dabei scheint er am Ende des Krieges auch einen gewissen Erfolg gehabt zu haben: Im Vorlesungsverzeichnis für das Wintersemester 1918/19 erschien zum ersten Mal überhaupt (!) eine Mitteilung über die Prozedur, die im Vergleich zu früher tatsächlich etwas vereinfacht erscheint: »Für die Studierenden, die die Universität Straßburg neu beziehen, vermittelt das Rektorat die Zureise- und Aufenthaltserlaubnis bei der zuständigen Militärbehörde. Die Studierenden brauchen an das Rektorat nur ihre Studienpapiere einzusenden, sowie die Bescheinigung ihres Generalkommandos, daß ihrer Zureise kein Bedenken entgegensteht.«63
Kurz nach Beginn dieses Semesters wurde die Universität allerdings von der nach 47 Jahren in die Stadt zurückkehrenden französischen Staatsmacht geschlossen. Auch für Elsässer war während des Krieges zumindest zeitweise eine Ge nehmigung für die Zureise in ›ihre‹ Hauptstadt nötig, z. B. aus dem ca. 30 km entfernten, nördlich von Straßburg, also nicht im Operationsgebiet liegen-
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gewohnt. Zwei Tage nach dem Rigorosum reiste sie bereits wieder nach Berlin ab. S. die Einwohnermeldekarte AMS 602 MW 323. S. als Bsp. die Befürwortung des nächsten Rektors für die Kölnerin Bertha Veithen: Rektor Strb. 15.5.1917: ADBR 103 AL 53. Nachweis des Erfolgs: PV KWU Strb. SS 1917, S. 84 (regulär imm. am 2.5.1917). Gertrud Jacobs wohnte laut AMS (wie A. 58) bereits seit 16.10. bei Simmels, obwohl der Rektor erst am 23.10. an die Militärpolizei schrieb (Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 738). Befürwortung des Rektors für Tilly Sieveking 26.4.1918: ADBR 103 AL 53. (Der Passierschein war am 31.3.1918 abgelaufen). Elsass 1870–1932 I, S. 359. Prot. der Senatssitzung vom 17.6.1918: ADBR 103 AL 118. VV KWU Strb., WS 1918/19, S. I (= Titelblatt).
840 Studium und Lehre im Krieg den Bischweiler.64 Sogar das Hin- und Herfahren zwischen dem Heimat- und dem Studienort verursachte Schwierigkeiten, ja gefährdete das Studium. Peter Judlin stammte aus Colmar, das im planmäßig abgesperrten und durch einen hohen Drahtverhau eingezäunten Operationsgebiet des Ober-Elsaß lag, wo während des ganzen Krieges große Nervosität herrschte. Bis Sommer 1916 unterstand es dem als harter und unnachgiebiger Soldat bekannten General Gaede.65 Judlin hatte zwar von den Militärbehörden die Erlaubnis erhalten, zum Studium nach Straßburg zu gehen, in den Semesterferien nach Hause zurückzukehren und sich zum nächsten Semester dann wieder nach Straßburg zu begeben. Doch nachdem er schon während des Sommersemesters 1915 mehrfach zwischen beiden Städten hin und her gefahren war, wies ihn die Mobile Etappen-Kommandantur darauf hin, daß »ein erneutes Gesuch zur ›Wiederaufnahme der Studien in Straßburg‹ abschlägig beschieden« würde. Der Rektor (der Altphilologe Schwartz) befürchtete aufgrund dieser Mitteilung, daß »den im Operationsgebiet Ansässigen von nun ab das Studium in Straßburg überhaupt untersagt werden« solle. Deshalb wandte er sich mit seinem Zweifel an einer »so rigorose[n] Massregel« direkt an Gaede (den er an ihre Bekanntschaft aus Schwartzens Zeit als Professor in Freiburg erinnerte) und erhielt die Auskunft, daß zwar das Studium möglich sei, nicht aber das »häufige« Hin- und Herreisen, wie es bei Judlin registriert worden war.66
Notprüfungen für Universitätsabsolventen I: Staatsexamina Die Rahmenbedingungen des Studiums wandelten sich aber nicht nur durch die erleichterte Zulassung – Notreifeprüfung und Immatrikulation in Abwesenheit –, sondern auch durch neue Modalitäten für dessen Abschluß. Auch diese Veränderungen setzten bereits mit Beginn des Krieges ein. Dabei ging es in erster Linie um die Staatsprüfungen, und deshalb wurden zunächst die Behörden aktiv: Bereits am 2. August wies der preußische Kultusminister die Technischen Hochschulen an, für die ausrückenden Studierenden noch vor ihrem Eintritt in die Armee oder Marine abgekürzte Diplom64 S. als Beispiel eine Frau, die offenbar nur als Gasthörerin kommen wollte. Dies ergibt sich daraus, daß Simmel ihr zunächst die Genehmigung zum Hören seiner Vorlesung ausstellte und dann der Rektor um die Zureiseerlaubnis bat. Simmel an Susanne Weill, Bischweiler 15.4.17; Bescheinigung des Rektors Rektor Strb. für Susanne Weill 20.4.1917; beide: ADBR 103 AL 53. Im VV ist sie nicht erwähnt, was aber nicht gegen ihre erfolgte Zureise spricht, da Gasthörer/innen dort nie namentlich geführt wurden. 65 Also bis zu dessen Tod. Elsass 1870–1932 I, S. 226 f. 66 1. Mobile Etappen-Kommandantur XIV. Armeekorps Colmar an Peter Judlin (Briefstempel des Durchlaß-Amtes 6.7.1915); Rektor Strb. an Generalleutnant Gaede/ArmeeOberkommando Colmar 13.7.1915; Armee-Abt. Gaede an KWU 25.7.1915. Alle: ADBR 103 AL 52.
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Vor- und Diplom-Hauptprüfungen abzuhalten.67 Zwei Tage später wandte er sich bezüglich der Mediziner und Zahnmediziner an die Universitäten. Da es sich dabei um reichsrechtlich geregelte Prüfungen handelte, ermächtigte der Innenminister die Vorsitzenden der Prüfungskommissionen telegraphisch, nicht nur für Studierende mit abgeschlossenem Studium, sondern auch für im letzten Semester stehende »unverzüglich abgekürzte Prüfungen (Notprüfungen) nach pflichtmäßigem Ermessen abzuhalten. Diese müssen alle Prüfungsfächer umfassen, dürfen aber nur einen, längstens zwei Tage dauern.« Das Praktische Jahr wurde den Absolventen sogar erlassen! Wer bestanden hatte, sollte sofort ein Interimszeugnis mit dem Vermerk erhalten, daß die Erteilung der Approbation beantragt sei. Anspruch auf diese Vergünstigung hatten nicht nur zum Heer Einberufene, sondern auch Kandidaten, die sich »für die Dauer des Krieges der Medizinalverwaltung zur Verfügung« stellten.68 Neben Human- und Zahn- galt dies auch für Tiermedizin sowie Pharmazie – und selbstverständlich im ganzen Reich. Von den nicht heeresdienstpflichtigen bzw. -fähigen Kandidaten wurde erwartet, daß sie sich den Behörden zur Verwendung an solchen Orten zur Verfügung stellten, an denen eine Verstärkung des entsprechenden Personals nötig sei.69 Durch die Notprüfungen und den Wegfall des Praktischen Jahres gewann Deutschland zu Kriegsbeginn sofort etwa 2000 zusätzliche Ärzte.70 Außerdem konnten Medizinstudenten aber schon ohne Abschluß zu Feldunterärzten ernannt werden, sofern sie nach der ärztlichen Vorprüfung mindestens zwei (klinische) Semester ordnungsgemäß studiert und entweder bereits in der Friedenszeit ein halbes Jahr mit der Waffe gedient oder während des Krieges eine mindestens sechswöchige militärische Ausbildung durchlaufen hatten.71 Tatsächlich konnte diese bei Bedarf aber auch noch weiter verkürzt werden. Ab August 1915 konnte sogar ein halbes Jahr Heeressanitätsdienst an Stelle eines klinischen Semesters angerechnet werden, ab Januar 1916 sogar ein Jahr für zwei Semester!72 Die zur ersten juristischen (d. h. Referendars-) und zur Großen Staatsprüfung (dem Assessorexamen) zugelassenen und nun einberufenen Kandidaten sollten laut Anweisung des preußischen Justizministers vom 1. August 1914 auf Antrag die Gelegenheit zur Notprüfung erhalten. Bestand ein Kandidat nicht, so 67 Pr. KuMi an die Rektoren der THs 2.8.1914, in: ZBUPr 1914, S. 484. 68 Pr. KuMi an die Universitätskuratoren und die Med. Fak. der Univ. Berlin 4.8.1914, in: ZBUPr 1914, S. 485. S. den entsprechenden Bundesratsbeschluß vom 1.8.1914 in: Zentralblatt für das Deutsche Reich 42 (1914), S. 446. 69 Dies wurde ihnen bei Aushändigung des Interimszeugnisses »zu Protokoll« eröffnet. Bekanntmachung 7.8.1914, in: Zentralblatt für das Deutsche Reich 42 (1914), S. 461. 70 [Martin] Kirchner, Ärztliche Friedenstätigkeit im Kriege, in: C[urt] Adam (Hg.), Kriegsärztliche Vorträge, Jena 1915, S. 7–34, hier 24. 71 Kriegsbestimmungen für Mediziner, in: BAN IX (1914/15), S. 133 f. 72 Sanitätsbericht I, S. 46.
842 Studium und Lehre im Krieg galt sein Versuch als nicht unternommen. Doch die Notprüfung selbst durfte er nicht wiederholen. Den Kuratoren wurde diese allererste kriegsbedingte Prüfungsänderung jedoch erst am 5. August, den meisten Universitäten also noch etwas später mitgeteilt.73 Für die Referendarsprüfung, die üblicherweise von einer aus zwei Praktikern und zwei Professoren gemischten Kommission ab genommen wurde, entfiel nun die sechswöchige Hausarbeit, so daß nur die (erst 1908 eingeführte) Klausur und die mündliche Prüfung zu absolvieren blieben.74 Von den Referendaren wiederum unterzogen sich allein in Berlin noch mehr als 700 in einem Notexamen der Großen Staatsprüfung, 300 von ihnen fertigten auch noch eine Klausurarbeit an. Dabei wurden – unter dem Vorbehalt, den Dienst später nachzuweisen – nicht nur Einberufene zugelassen, sondern auch solche Kandidaten, die ins Heer eintreten »oder sonst der Landesverteidigung dienen wollen«.75 Zweifellos der wichtigste dieser Erlasse betraf die medizinischen Prüfungen, mit denen kurz vor dem Examen Stehenden die Wahrnehmung ärztlicher Stellen im Heer und in der Flotte ermöglicht werden sollte. Doch waren die Vorschriften »in der Eile« »unklar« formuliert. Daher gab es gelegentlich Meinungsverschiedenheiten über den Prüfungserfolg. Dabei wurde ohnehin nur theoretisch geprüft. So war z. B. der damalige Kieler Kommissionsvorsitzende, ab 1917 Berliner Ordinarius, Otto Lubarsch der Meinung, »daß bei einer derartig erleichterten Prüfung« zumindest alle Teilfächer »restlos« bestanden sein müßten und erklärte daher einige Prüflinge für gescheitert. Das führte allerdings nur dazu, daß kaum noch ein klinischer Kollege das Urteil »ungenügend« gab und daß in einem Fall sogar der Minister gegen Lubarschs Votum entschied, so daß »dadurch tatsächlich die ›Notprüfung‹ zu einer leeren Form wurde, die man sich hätte ersparen können.« Statt dessen hätte man Lubarschs Ansicht zufolge den kurz vor der Prüfung Stehenden zur Wahrnehmung militärärztlicher Stellen einfach eine Approbation ohne Prüfung für die Dauer des Krieges erteilen sollen.76 In der vom Leiter des Deutschen Studentendienstes Niedermeyer herausgegebenen Zeitschrift Die Hochschule bewertete Pinkerneil die Notprüfungen 1917 positiv – und zwar nicht nur deshalb, weil die Professoren Tag und Nacht geprüft und sich sogar die Termine hätten vorgeben lassen, damit die Kandidaten noch vor dem Ausrücken ihre Examina ablegen konnten. Vielmehr sah er darin auch eine bessere Prüfungsmethode. In den mündlichen Prüfungen sei 73 Justizmin. an die Oberlandesgerichtspräsidenten 1.8.1914; Begleitschreiben des Pr. KuMi an die Kuratoren und die Jur. Fak. der Univ. Berlin 5.8.1914: ZBUPr 1914, S. 486, 585. 74 Ina Ebert, Die Normierung der juristischen Staatsexamina und des juristischen Vor bereitungsdienstes in Preußen (1849–1934), Berlin 1995, S. 111, 113, 173, 298. 75 Die Notprüfung der Juristen, in: BT 415, 17.8.1914 AA . 76 Lubarsch, Bewegtes Gelehrtenleben, S. 299.
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es mehr auf Verständnis als auf Kenntnisse angekommen, und so hätten gerade der Verzicht auf Paukerei und die »von Examensballast freigebliebenen Köpfe« es ermöglicht, leicht ein Bild davon zu gewinnen, wer »würdig war, das Zeugnis der Reife zu erhalten«.77 Eben weil er diese Einschätzung der Situation teilte, kam Lubarsch für die medizinischen Prüfungen aber zu einem anderen Ergebnis als der Geisteswissenschaftler Pinkerneil: »Frisch, fromm, fröhlich und frei, in dem Bewußtsein, daß mehr einer Form genügt werden solle, und ein Vaterlandsverteidiger nicht durch die Strohhalme von Prüfungen behindert werden dürfe, gingen die Prüflinge in die Prüfung so wie sie nach eben beendetem Sommerhalbjahr in die Ferien hatten eilen wollen. Und so konnten die Prüfer ihre und anderer Universitäten Schüler sozusagen ohne Bekleidungsstücke vor sich sehen und erkennen, was ihnen fest beizubringen gelungen war. Das Ergebnis war im allgemeinen kein erfreuliches. Es war doch nur ein geringer Teil der Prüflinge, von dem man den Eindruck gewann, daß sie mit Verstand und offenen Sinnen dem Unterricht gefolgt und wenigstens einen Teil davon verarbeitet und zu eigenem geistigen Besitztum gemacht hatten. Viele versagten ganz, manche hatten Kenntnisse, die aber im wesentlichen äußerliche Gedächtnisbestandteile waren.«78
Ein weiteres Problem dieser überstürzt eingeführten Erleichterungen war, daß Bummelanten, die schon lange nicht mehr ordentlich studierten, die Gelegenheit nutzten, um ohne größere Anstrengung doch noch einen Abschluß und die Approbation zu erwerben. So fand schließlich im Januar 1915 eine Konferenz der Vorsitzenden aller medizinischen Prüfungskommissionen statt.79 Nun wurde die Ermächtigung zur Notprüfung für Medizin wieder aufgehoben und statt dessen für das Frühjahr 1915 (bis 31.3.!) eine »außerordentliche ärztliche Prüfung (Kriegsprüfung)« gestattet, die im Vergleich zur herkömmlichen ebenfalls gekürzt, dabei aber wesentlich ernsthafter als die Notprüfungen zu Kriegsbeginn war. Den detaillierten Bestimmungen zufolge enthielt dieses Examen nun auch praktische Teile, und sobald ein Teilfach nicht bestanden war, wurde die gesamte Prüfung abgebrochen. Alle Prüfungen folgten unmittelbar aufeinander und mußten innerhalb von 10 Tagen absolviert werden.80 Auch in dieser Runde von Sonderprüfungen wurde von den Kandidaten erwartet, daß sie sich der Allgemeinheit zur Verfügung stellten. In Straßburg wurden damals 10 Mediziner geprüft, von denen einer nicht bestand. Unter den 77 Fr[iedrich] A[ugust] Pinkerneil, Akademische Rundschau, in: HS 1 (1917/18), Nr. 5, S. 3–11, hier 4. Zu Pinkerneil s. o. S. 459. 78 Lubarsch, Bewegtes Gelehrtenleben, S. 299. 79 Lubarsch, Bewegtes Gelehrtenleben, S. 298, 300. 80 Bekanntmachung des Stellvertreters des Reichskanzler 28.1.1915; Bestimmungen über eine außerordentliche ärztliche Prüfung (Kriegsprüfung); Pr. KuMi an die Universitätskuratoren und die Med. Fak. Berlin 5.2.1915 (Übersendung). Alle in: ZBUPr 1915, S. 272 f., 273–277, 272.
844 Studium und Lehre im Krieg übrigen war Andreas Wetzel, der im April 1911 mit dem Studium begonnen hatte. Ihm wurde nun nicht (wie ein halbes Jahr zuvor bei den Notprüfungen in Preußen) bei der Aushändigung des Zeugnisses, sondern schon bei der Zulassung zur Prüfung eine verpflichtende Erwartung ausgesprochen, also quasi zur Bedingung gemacht: »dass Sie sich im Falle des Bestehens der Prüfung dem Herrn Bezirkspräsidenten in Colmar zur ärztlichen Versorgung des Münstertals zur Verfügung stellen«. Da Wetzel aus Münster im Ober-Elsaß stammte, konnte er sozusagen in seiner Heimat dienen. Andererseits war diese Teil des Operationsgebiets, und gerade in Münster hatten im Februar 1915 heftige Kämpfe stattgefunden. Warum man Wetzel diese Bedingung aber überhaupt stellte, ist unklar; denn er befand sich im Wintersemester ohnehin im Kriegsdienst, war also offenbar nach dem 10. Semester eingerückt.81 Möglicherweise war er inzwischen selbst erkrankt oder verwundet und wurde deshalb in die zivile Verwendung überführt. Allerdings wurde auch diese Form der Kriegsprüfung schon Ende April 1915 wieder aufgehoben. Künftig sollten die ärztlichen Prüfungen wieder entsprechend den Bestimmungen der Prüfungsordnung von 1901 abgehalten werden, aber ohne jede Verzögerung; schließlich sei es bei einzelnen Kommissionen ja auch in Friedenszeiten schon möglich gewesen, die Prüfungen in vier bis fünf Wochen zu absolvieren. In den einzelnen Abschnitten sollten die Examina möglichst unmittelbar hintereinander abgelegt werden, die Kandidaten die Prüfungsbogen für mehrere Abschnitte gleichzeitig erhalten und an Tagen, an denen eine klinische Prüfung beendet sei, noch eine theoretische angesetzt werden. Dafür sollten Medizinstudenten im 10. Semester bis zum Abschluß der ärztlichen Prüfung vom Kriegsdienst zurückgestellt werden, maximal sechs Monate nach dem Ende des Semesters.82 Im Gegensatz zu den medizinischen Not- und Kriegsprüfungen blieb die anfangs getroffene Regelung für Juristen während des gesamten Krieges gültig. Und dabei bescheinigte die preußische Justizverwaltung den »Notreferendaren«, daß die Leistungen auf dem früheren Niveau geblieben seien – obwohl manche ihr Examen doch nach Monaten im Unterstand ablegten.83 Genauere Auswertungen der jährlichen Berichte aus historischer Distanz belegen dagegen, daß die Ergebnisse der juristischen Notexamina im Schnitt sogar deutlich über den langjährigen Mittelwerten lagen. Insbesondere die Mißerfolgsquote war deutlich geringer. Waren 1914 in Preußen 15,9 % der 2362 Prüflinge durch-
81 Kandidatenliste: [Zusammenstellung ohne Überschrift]: März 1915; Min. für E-L an cand. med. Andreas Wetzel 20.3.1915 (Zitat). Beide: ADBR 103 AL 1249. Herkunft: PV KWU Strb. WS 1914/15, S. 58. 82 Kriegsbestimmungen für Mediziner, in: BAN IX (1914/15), S. 133 f. 83 Pinkerneil, Akademische Rundschau (wie A. 77), S. 5.
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gefallen, so waren es bei den 497 Notprüfungen 1915 nur 6,4 %.84 Dabei wirkten damals und in den folgenden Jahren allerdings sehr verschiedene Faktoren zusammen: so wurden die Rücktritte schwächerer Kandidaten von der Prüfung in der Statistik gar nicht mehr berücksichtigt, aber auch die Prüfer waren nachsichtiger, und schließlich trugen in der zweiten Kriegshälfte zu dem Erfolg auch besondere Ergänzungs- und Wiederholungskurse für Kriegsteilnehmer bei.85 Den vorletzten Punkt sah ein Verwundeter allerdings anders – und machte dies im Spätsommer 1916 in den Burschenschaftlichen Blättern auch öffentlich. Inzwischen wurden junge Männer ja sogar für einige Monate beurlaubt, um das Examen abzulegen. Doch der (frischgebackene?) Referendar stellte mit Befremden fest: »Es wird ungefähr (!) dasselbe verlangt wie in Friedenszeiten.« Und er fragte: »Kann man denn von den Leuten, die zwei Jahre lang in Not und Tod draußen ge legen haben und für das deutsche Vaterland geblutet und entbehrt haben, dasselbe oder auch nur annähernd dasselbe verlangen, wie von einem Menschen, der semesterlang vorher ohne jegliche Aufregung und Unterbrechung sich zu seinem Examen ruhig vorbereiten kann? Die bei jeden (!) mehr oder weniger angegriffenen Nerven können nicht so arbeiten, wie man gerne möchte.«
Dazu kam noch, daß die Studentinnen aufgrund der geringen Frequenz besonders gute Studienbedingungen hätten und optimal vorbereitet seien: »(…) die Frauen verderben die Preise«, zitiert er einen feldgrauen Kommilitonen. Natürlich müsse nun nicht »jeden (!) Kriegsteilnehmer das Examen gegeben werden«. Doch forderte der junge Referendar in seinem Text von nur einer (allerdings zweispaltigen) Seite insgesamt dreimal, »daß im unbedingten Interesse unserer feldgrauen Kommilitonen ein ganz anderer Maßstab im Kriegsexamen angelegt werden muß, als es bis jetzt häufig geschehen ist.«86 Künftige Ärzte, von denen viele ja ohnehin bereits als Feldunterärzte oder Feldhilfsärzte tätig waren, erhielten ab Juni 1916 von den Militärbehörden Urlaub, um in einem verkürzten 10. Semester das Studium abzuschließen und unmittelbar danach das Staatsexamen abzulegen. Diese Entscheidung reagierte nicht nur auf den Bedarf des Heeres, sondern auch auf die Versuche jener Heeresangehörigen, die in der Heimat stationiert waren, gleichzeitig ihr Studium fortzusetzen. Wenn sie in einer Universitätsstadt in Garnison standen, 84 Allgemeine Beobachtung: Ebert, Normierung der juristischen Staatsexamina, S. 299. Zahlen: Klopsch, Geschichte der Juristischen Fakultät, S. 88. 85 Ebert, Normierung der juristischen Staatsexamina, S. 300. 86 Martin Burmeister, Kriegsexamen, in: BB 30/2 (SS 1916), S. 188 f. Die beiden anderen Male inhaltlich gleich, aber mit anderen Formulierungen. Ob Burmeister selbst ein Betroffener war, geht aus dem Text nicht hervor. Jedenfalls schmückte er sich mit dem Titel »Referendar« und befand sich damals »verwundet in Kiel«. Zur Agitation gegen die Studentinnen im Namen der Kriegsteilnehmer s. u. S. 1043 f.
846 Studium und Lehre im Krieg war dies ein leichtes. Andere wurden dafür sogar zeitweise in Universitätsstädte kommandiert. Das verschaffte ihnen jedoch Vorteile gegenüber den Angehörigen des Feldheeres. Doch wurden von letzterem – entgegen den geltenden Bestimmungen! – manche auf einige Wochen oder Monate beurlaubt, um ihr Studium fortzusetzen, wieder andere beendeten es während eines Heimat urlaubs nach Erkrankung oder Verwundung. Dabei wurde ihnen z. T. schon nach zweimonatigem Studium ein Semester bescheinigt. Zur »Ungerechtigkeit« innerhalb der Gruppe der Wehrpflichtigen kam daher auch noch die unzulängliche »Vorbereitung für die verantwortungsvolle selbständige ärztliche Tätigkeit«. Zudem erlangten »die bevorzugten Studierenden außer dem beruflichen Vorteil gleichzeitig auch u. U. erhebliche militärärztliche Vorteile durch Beförderungsmöglichkeiten«. Dies war nach Ansicht der Heeresverwaltung unhaltbar. Und den in Garnison stehenden konnte man den Besuch von Vorlesungen oder Kursen in dienstfreien Stunden ebensowenig verbieten wie Vergnügungen. Da aber nach den geltenden Bestimmungen das Belegen einer (im allgemeinen: Privat-) Vorlesung genügte, um das Semester anzurechnen, war das (in der Marine mit Erfolg durchgesetzte) Beurlaubungsverbot im Landheer leicht zu umgehen. Anfang 1916 hatte die Heeresverwaltung die Beurlaubung fortgeschrittener Semester zum Examen noch für unmöglich gehalten, weil diese im Sanitätsdienst fehlen würden und ein solches Entgegenkommen im Vergleich zu den Angehörigen anderer Berufe zudem ungerecht sei. Daher hatte sie damals gefordert, daß der Vorlesungsbesuch im Heere Stehender nicht als Semester angerechnet werden dürfe.87 Das Reichsamt des Innern hatte sogar einen entsprechenden Bundesratsbeschluß angeregt, war damit aber bei manchen Bundesstaaten auf Bedenken gestoßen, die ihrerseits im Reichsamt des Innern Resonanz fanden. So wünschte dieses nun, daß jenen Medizinstudenten, denen nur das letzte Semester fehlte, durch »planmäßig geordnete Beurlaubung« Studienabschluß und Prüfung ermöglicht würden.88 Die erste Gruppe von Kandidaten, die mindestens neun Semester absolviert hatten, wurde zum 15. Juni 1916, die nächste zum 1. November beurlaubt,89 jeweils für drei Monate (zwei Monate Studium + ein Monat Prüfungsphase). Sie sollten noch nachträglich für das Sommersemester immatrikuliert werden und die medizinischen Fakultäten sich ihrer ganz besonders annehmen; denn der Heeresverwaltung werde deren Beurlaubung »nicht leicht«.90 Ab März 1917 erhielten einen solchen Urlaub jene, die bis zum 8. Semester studiert hatten. 87 Rundschreiben des Kriegsmin. 31.1.1916: ADBR 103 AL 38. 88 Reichskanzlei/Reichsamt des Innern 7.2.1916; RK an Regierungen [der deutschen Bundesstaaten und E-Ls] 13.6.1916. Beide: ADBR 103 AL 38. 89 Medizinisches Studium und Kriegsdienst, in: BB 30/2 (SS 1916), S. 173. Zum zweiten Termin s. auch Min. für E-L an Kurator Strb. 16.10.1916: ADBR 103 AL 38. 90 Pr. KuMi an Kuratoren 10.6.1916 (Abschrift; in ZBUPr nicht gedruckt): ADBR 103 AL 38.
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(Dabei wurde ihr Kriegsdienst als ein weiteres Semester angerechnet – womit das zu absolvierende ebenfalls ihr 10. war.) Einbezogen wurden auch jene, die nur durch parallel zum Kriegsdienst oder als Verwundete absolviertes Studium auf acht Semester kamen. Da eine Hinausschiebung auf 1. Mai (den damals üblichen Semesterbeginn) nicht möglich sei,91 mußten die Professoren für diese Gruppe also einen besonderen Kurs während der Semesterferien einrichten. Schließlich wurde auch jenen, die in Friedenszeiten vier Semester (unter Anrechnung des Militärsemesters als Einjährig-Freiwillige) vollendet hatten, eine Beurlaubung zur Ablegung der ärztlichen Vorprüfung ermöglicht. Für die, die aus militärischen Gründen verhindert waren, wurde auch in diesem Fall eine zweite Gelegenheit geschaffen.92 In den Ferienkursen wechselten sich die drei ›hessischen‹ Universitäten Marburg, Gießen und Frankfurt ab – kooperierten also über die Staatsgrenzen hinweg. Da diese Kurse für die Lehrenden besonders aufwendig waren,93 schlugen die Gießener vor, im Heer stehende Mediziner künftig nur noch in den Semesterzeiten zu beurlauben. Außerdem baten sie darum, solche Kurse den betroffenen Lehrenden mindestens einen Monat vorher anzukündigen – und nicht, wie im Winter 1918 geschehen, wenige Tage vorher.94 Über den eigentlichen Studienabschluß hinaus erfüllten die Kurse für Feldunterärzte allerdings noch weitere Funktionen: Zum einen sollten sie diese für den Sanitätsdienst bei der Truppe fortbilden, zum anderen den Kriegs teilnehmern durch Ablegung des Staatsexamens aber, wie oben mit den »militärärztlichen Vorteilen« angedeutet, auch die Beförderung in den Offiziersrang ermöglichen.95 Auch diese Regelung produzierte aber neue Ungleichheiten: Bei Anrechnung von Kriegsdienst als Studienzeit konnte – bei gleichzeitiger Nutzung des verkürzten 10. Examenssemesters – die Approbation früher erlangt werden als in Friedenszeiten, jedenfalls von jenen, die erst im Herbst 1911 oder Frühjahr 1912 mit dem Studium begonnen hatten und für die das Kurzsemester ab März 1917 das kommende Sommersemester ersetzen sollte. (Bei den anderen stellte sich dieses Problem nicht, da die verkürzten Examenssemester ja erst 1916 eingeführt wurden.) Dies wollte das Reichsamt des Innern, dem vom zuständigen badischen Ministerium ein entsprechender Fall vorgelegt worden war, verhindern; schließlich war ja bei der Klärung der Anrechnung von Kriegsdienst als 91 Reichskanzlei/Reichsamt des Innern an Statth. in E-L 30.12.1916; Erläuterungen zur Anrechnung: Reichskanzlei/Reichsamt des Inn. 25.1.1917 und 10.2.1917 (ohne Adressat). Alle: ADBR 103 AL 38. 92 Min. für E-L an Kurator Strb. 21.12.1916: ADBR 103 AL 38. 93 Da etwa das Material für die Praktika dann schwerer zu beschaffen sei als während des Semesters. 94 Aufzeichnung Strahl 18.2.1918: UA Gi Allg. 1343, fol. 18–18v. 95 Wettmann, Heimatfront Universität, S. 232.
848 Studium und Lehre im Krieg Studienzeit das Prinzip aufgestellt worden, daß diese nicht zu einem früheren Abschluß des Studiums als in Friedenszeiten führen dürfe. Das konnte aber auch mit der neuen Regelung erreicht werden, indem jedes Semester schematisch als sechs Monate währendes veranschlagt wurde. Ohnehin hatte sich nach Angaben des Preußischen Innenministeriums, das dafür ebenfalls konsultiert wurde, »bei den ärztlichen Prüfungen der Feldunterärzte pp. gezeigt, daß deren medizi nische Vorbildung durch die Teilnahme am Kriege doch merklich gelitten hat. Die angehenden jungen Ärzte haben darum allen Anlaß, in der ihnen noch verbleibenden Zeit bis zur Approbationserteilung sich wenigstens durch Befestigung ihrer praktischen Kenntnisse für die spätere selbständige Ausübung des ärztlichen Berufs vorzubereiten.«
Aus diesen Gründen hatte man in Preußen den im Frühjahr 1917 Geprüften, je nach Beginn ihres Studiums im Herbst 1911 oder Frühjahr 1912, die Approbation erst für Herbst 1917 oder Frühjahr 1918 in Aussicht gestellt.96 Der ehemalige Berliner Extraordinarius Martin Kirchner, der die Medizinalabteilung des Preußischen Innenministeriums leitete, wies die Prüfungskommissionen auch zur Strenge bei der Anrechnung von Studium während des Garnisonsdienstes an. Anlaß war der Fall eines zu den Prüfungen zugelassenen Feldunterarztes, der sich während der ersten drei klinischen Semester überhaupt nicht am Studienort aufgehalten, »sondern die Universität von seinen zum Teil weit entfernten militärischen Dienstorten aus nur an 1 bis 2 Tagen in der Woche aufgesucht« hatte. Bei Meldungen, in denen für dieselbe Zeit sowohl Kriegsdienst als auch Studium bezeugt sei, sollten die Kommissionen den Sachverhalt »nötigenfalls auch durch Einforderung militärbehördlicher Ausweise« genau feststellen.97 Doch auch die in Kurzsemestern vermittelte Prüfungsvorbereitung stieß in Fachkreisen auf Kritik. Mit Blick auf den 1917 bevorstehenden III. Fakultätentag der Mediziner versandte die Kommission für die Ärztliche und Zahnärztliche Vorprüfung an der Universität Halle den Kollegen an anderen deutschen Universitäten einen Bericht des Pathologen Rudolf Beneke. Was die Kriegsteilnehmer vor dem Krieg in den vorklinischen Fächern gehört hätten, hätten sie inzwischen vergessen, was sie in den achtwöchigen Kursen lernen könnten, vermittle keine gründliche Vorbildung. Daher trügen die Examina den Charakter einer »Notprüfung« (die man ja 1915 wieder abgeschafft hatte!), mit der weder dem Prüfling noch dem Staat gedient sei. Vielmehr befürchtete Beneke hier 96 Gh. Badisches Ministerium des Gh. Hauses, der Justiz und des Auswärtigen an Reichsamt des Innern 30.7.1917 (Abschrift); Pr. MdI 5.9.1917 (Anschrift). Beide: ADBR 103 AL 32. 97 [Leiter der Medizinalabt. im Pr. MdI Martin] Kirchner an den Vorsitzenden der ärzt lichen Prüfungskommission (Abschrift): ADBR 103 AL 32.
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weiteres »Überhandnehmen der Kurpfuscherei«, die durch den Krieg ohnehin schon »ins Ungemessene« steige. Für die, die ihr Studium unterbrochen hätten, sei zur Vorbereitung auf die Vorprüfung mindestens ein Semester zuzüglich der Ferienzeit nötig (bzw. für das Staatsexamen ein Jahr). »Die Verwendung als Feldhilfsärzte kann nicht als ausreichende Vorschule angesehen werden.« Falls man dagegen wie bisher verfahren wolle, müsse man bei der Vorprüfung auf die naturwissenschaftlichen Fächer und bei der ärztlichen Prüfung auf manche Teilfächer (wie Gynäkologie, Kinderheilkunde, Gerichtsmedizin sowie die »klinischen Nebenfächer mit Ausnahme der Haut- und Geschlechtskrankheiten«!) verzichten und deren Nachholen bei der Approbation zum Zivilarzt nach dem Krieg verbindlich machen. Die »Überhastung in der Lehre« und »Herabsetzung der Prüfungsansprüche« erklärte Beneke aus der Tatsache, daß andere Gebildete für militärische Leistungen befördert werden könnten, Mediziner aber nur aufgrund fachlicher! Doch indem man ihnen mit den Kurzsemestern die Möglichkeit zum Avancement verschaffe, beschwöre man »schwere Schäden für die Ausbildung der Kandidaten, für die Stellung ihrer Lehrer als der Vertreter strenger Wissenschaft, und für das Schicksal der zukünftigen Patienten, (‥) also unser ganzes Volksgesundheitswesen« herauf. Grundsätzlich sollten Medizinstudenten deshalb (künftig) erst nach der abgelegten Vorprüfung eingezogen werden. (Das Studium dafür könne man, unter Einbeziehung der Ferien, von bisher fünf auf drei Semester kontinuierlicher Arbeit zusammendrängen.) So könnten sie als Feldunterärzte »alsbald gute Dienste leisten«. Später könnte dann eine zweite geschlossene Periode wissenschaftlicher Ausbildung von noch einmal anderthalb Jahren folgen.98 Auf dem Medizinischen Fakultätentag im April 1917 waren allerdings nicht alle Universitäten vertreten. Während der Gießener und Tübinger Delegierte aber nur fehlten, weil sie in letzter Minute verhindert waren, und die Bonner Fakultät immerhin ein schriftliches Votum übersandte, hatten die Berliner eine Teilnahme offenbar nie geplant. Von den drei hier untersuchten Universitäten war also nur die Straßburger vertreten, wie fast alle anderen durch einen De legierten, den Pädiater Salge.99 Mit den Zweimonatskursen und anschließenden Prüfungen hatte man unterschiedliche Erfahrungen gemacht, z. B. »gute« in Frankfurt, »keineswegs so schlechte« in Kiel, »sehr schlecht[e]« in Marburg.100 Und man war sich auch nicht darüber einig, wie die nötige »Fortbildung der 98 R[udolf] Beneke [undatierte, gedruckte Denkschrift]; Übersendung: Kommission für die ärztl. und zahnärztl. Vorprüfung der Universität Halle-Wittenberg [ohne spezifischen Adressaten] 12.2.1917. Beide: UA Gi Allg. 1343, fol. 93–95, Zitate 93 (dreimal), 94v, 95 (viermal), 94. Die Denkschrift auch als »Rundschreiben Beneke« in: Beneke, Bericht über den III . medizinischen Fakultätentag, S. 26–29. 99 Nur Breslau schickte zwei Delegierte, die gastgebenden Hallenser waren mit sechs Professoren vertreten. Beneke, Bericht über den III . medizinischen Fakultätentag, S. 3. 100 Beneke, Bericht über den III . medizinischen Fakultätentag, Zitate S. 11, 10, 11.
850 Studium und Lehre im Krieg Kriegsteilnehmer« zu organisieren sei.101 So scharf, wie es der Göttinger Ver treter, der Hygieniker Hans Reichenbach, und die Bonner Fakultät forderten, trat man nach außen schließlich nicht auf: »Die Fakultäten sollten eventuell die Prüfungen ganz ablehnen und dieselben der Militärverwaltung überlassen und gegen die derzeitige Art der Behandlung in diesen Dingen ohne vorherige Befragung Einspruch erheben.«102 Aber immerhin einigte man sich auf eine Eingabe an den Reichskanzler, um ihm »die schweren Bedenken gegen die Schäden zu unterbreiten, die mit der zu kurzen und überstürzten Ausbildung der Kriegsteilnehmer für die Zulassung zu der ärztlichen Vorprüfung und Prüfung verbunden sind.« Und man bat ihn, die medizinischen Fakultäten durch die zuständigen Ministerien der Bundesstaaten zur Mitteilung ihrer Erfahrungen und »etwa nötige[r] Abänderungsvorschläge« auffordern zu lassen.103 Dieses Minimum an Gemeinsamkeit verdeckte einerseits die Differenzen und markierte, angesichts der Bestrebungen der Akademien für praktische Medizin, die Fortbildung der Kriegsteilnehmer an sich zu ziehen, den Anspruch der Universitäten, sich »die Mitarbeit [!] an der Fortbildung nicht aus der Hand winden zu lassen«.104 Zugleich verzögerte diese Bitte um zentral eingeleitete Erhebung eines föderalen Meinungsbildes aber nicht nur den Klärungsprozeß, sondern noch mehr die intendierten Maßnahmen einer verbesserten Ausbildung. Auch der Juristische Fakultätentag stellte Anfang Januar 1917 Überlegungen an, wie man den Zeitverlust der Kriegsteilnehmer zumindest teilweise kom pensieren könnte. Grundsätzlich war er allerdings dagegen, die Studienzeit auf weniger als sechs Semester zu reduzieren. (Das war die damals in Preußen geltende Mindeststudienzeit für Jura, die ein bis zwei Semester geringer war als in den meisten anderen Bundesstaaten.) Doch falls sie von den Behörden trotzdem für notwendig gehalten werden sollte, schlug er für jedes ausfallende Semester einen achtwöchigen Kurs während der Semesterferien vor. Außerdem müsse 101 S. dazu die Diskussion in: Beneke, Bericht über den III . medizinischen Fakultätentag, S. 5–14 sowie die zugrundeliegenden Vorschläge aus Freiburg (17), Heidelberg (22 f.), Marburg (23–26). 102 Beneke, Bericht über den III . medizinischen Fakultätentag, S. 10 f. (Zitat Reichenbachs). Vgl. in der schriftlichen Bonner Stellungnahme (34): Bei einer (offenbar erwogenen) weiteren Kürzung der Vorbereitungszeit der Beurlaubten könnten es die Lehrenden »nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren (…), die gesetzmäßig erforderlichen Praktikanten- und Vorlesungsscheine auszustellen«. Die Bonner hielten eine Abkommandierung zu Beginn des Semesters für nötig, an dessen Ende dann die Prüfungen stehen könnten. Sie baten »nochmals ernstlich, beim Kriegsministerium darauf zu dringen, dass es entweder sich diesem Standpunkt anschliesst oder auf die weitere Abkommandierung von Feldunterärzten zwecks Ablegung des Examens verzichtet.« 103 Das Schreiben an den Reichskanzler vom 11.4.1917 ist abgedruckt in: Beneke, Bericht über den III . medizinischen Fakultätentag, Zitate S. 12. 104 Beneke, Bericht über den III . medizinischen Fakultätentag, S. 13. S. dazu ausführlicher das Referat des Hallenser Internisten Ad[olf] Schmidt (S. 31 f.).
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man den Kriegsteilnehmern mit verkürztem Studium nach dem ersten Examen in besonderen Kursen (an oder mit den Universitäten) Gelegenheit zur Schließung ihrer Lücken geben. Bei der Berechnung der Verkürzung müsse auch die (durch die Notreifeprüfung) eingesparte Schulzeit und der sonst in Friedenszeiten fällige Militärdienst berücksichtigt werden. Der Hauptanteil der Zeitersparnis sei nicht im Studium, sondern in einer Abkürzung der praktischen Vorbereitungszeit zu erbringen.105 Für die Geistes- und Naturwissenschaftler, die Gymnasiallehrer werden wollten, sah es lange ganz anders aus als für Mediziner und Juristen; denn im Gegensatz zu »alle[n] andere[n] akademischen Berufsgruppen« hatten sie nur ein Staatsexamen zu bestehen. Deshalb stellte Pinkerneil noch im Sommer 1917 in der Hochschule fest: »Da ist es nicht angängig, daß die Prüfungsanforderungen erheblich herabgemindert werden. Das klingt hart, sehr hart und viele, sehr viele trifft es schwer, daß dieser Zustand nicht abzuändern ist. Mancher hat dabei schon gehört, daß [in Preußen] eine neue Prüfungsordnung, welche die bisherigen Bedingungen verschärft, demnächst veröffentlicht werden und in Kraft treten soll. Zu deren Beruhigung sei gesagt, daß das ominöse Schriftstück noch nicht so bald veröffentlicht werden und daß sein Inhalt auf die jetzt im Felde befindlichen Philologen wohl nicht zutreffen wird. Man versteht durchaus die Sorge unserer Philologen, die ohne Zweifel das schwerste Examen ablegen müssen. Alle Prüfungs-Kommissionen haben es sich zur Pflicht gemacht, ›unter Berücksichtigung der Umstände‹ zu prüfen, mehr Verständnis als Examenswissen zu fordern. Von der Intensivierung des Studiums ist zu erwarten, daß unsere Studenten der philologischen Fächer so schnell wie möglich zu ihrem Ziele gebracht werden.«106
Vor allem konnte man kaum auf die (einzige) schriftliche Hausarbeit verzichten. Die erwähnte neue Prüfungs- und die neue Ausbildungsordnung waren aber, als Pinkerneils »Akademische Rundschau« im August 1917 erschien, tatsächlich bereits erlassen, doch trat die Prüfungsordnung, abgesehen von den sofort geltenden äußeren Bestimmungen und der neuen Freiheit der Fächerkombination, tatsächlich erst am 1.4.1920 in Kraft, die Ausbildungsordnung am 1.4.1918.107 Mit letzterer wurde auch für das höhere Lehramt eine zweite Staatsprüfung eingeführt, die Prüfung also in eine fachliche (nach dem Studium) und eine erst am Ende der zweijährigen (nun auch veränderten) Vorbereitungsphase 105 Erleichterungen für Akademiker, die am Kriege teilgenommen haben, in: BAN XI (1916/17), S. 47–50, hier 48. Zur Mindeststudienzeit: Ebert, Normierung der juristischen Staatsexamina, S. 99. Der Juristische Fakultätentag wandte sich gegen eine Herab setzung der Studiendauer auf fünf oder gar vier Semester! 106 Pinkerneil, Akademische Rundschau (wie A. 77), S. 8. 107 Beide Ordnungen vom 28.7.1917 veröffentlicht in: ZBUPr 1917, S. 613–647 bzw. 648–655 (zum Inkrafttreten S. 647 und 655).
852 Studium und Lehre im Krieg stehende pädagogische aufgegliedert. (Mit diesem Schritt folgte Preußen Bayern und Württemberg. Bei den Prüfungsordnungen hatte es dagegen den Weg gewiesen, da es als erstes einen einheitlichen Befähigungsnachweis für alle Gymnasiallehrer eingeführt hatte; die anderen deutschen Bundesstaaten waren dann bis zum Ersten Weltkrieg gefolgt.)108 Zwar konnte ab Mai 1916 auch Lehramtskandidaten – wie den Medizinern – eine gewisse Zeit ihres Kriegsdienstes auf die Vorbereitungszeit angerechnet werden;109 doch wirkliche Erleichterungen für die Prüfung wurden ihnen erst im November 1917 gewährt: Das Examen wurde zunächst auf die wissenschaftliche Fachprüfung beschränkt, und dabei sollte die »Aufgabe« für die (weiterhin nicht zu umgehende) »häusliche Facharbeit« so gestellt werden, daß sie in vier Wochen zu erledigen war. Die Absolventen der Fachprüfung erhielten eine vorläufige Bescheinigung und konnten den Vorbereitungsdienst beginnen. Die sogenannte »allgemeine Prüfung«, die nun (wie in der neuen Prüfungsordnung!) auf Philosophie beschränkt werden sollte, konnten sie noch während des Vorbereitungsdienstes ablegen und erhielten das Lehramtszeugnis erst nach deren Bestehen. Die Aufgabe für die zweite schriftliche Arbeit sollte bald nach dem Bestehen der Fachprüfung gestellt und vor der Meldung zur allgemeinen Prüfung abgegeben werden. »Bei der Prüfung von Bewerbern, die zur Ablegung der Prüfung aus dem Felde beurlaubt werden, sind die Schwierigkeiten, die sie zu überwinden haben, zu berücksichtigen.« Sofern die Kandidaten bereits promoviert waren, waren die Ergebnisse jenes Examens »nach Möglichkeit auch für die mündliche Lehramtprüfung mitzubewerten«. (Da die Promotion bis ins 19. Jahrhundert der übliche Studienabschluß war, legten viele auch jetzt noch das Staatsexamen erst danach ab.) Am Ende stand dann die Pädagogische Prüfung, für die schon die neue Prüfungsordnung galt.110
108 Die in Preußen schon seit 1890 bestehende zweijährige Vorbereitungsphase (in der dem bisherigen Probejahr noch ein Seminarjahr vorgeschaltet worden war) wurde nun zu zwei Seminarjahren mit praktischem Unterricht an zwei Schulorten transformiert. S. dazu als allgemeinen Überblick: Hartmut Titze, Lehrerbildung und Professiona lisierung, in: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Bd. IV: 1870–1918, München 1991, S. 345–370, hier 346–350; genauer, insbesondere zur Ausbildungsordnung: HansHeinrich Mandel, Geschichte der Gymnasiallehrerbildung in Preußen-Deutschland 1787–1987, Berlin 1989, S. 53–80, hier 54–60. 109 S. dazu den folgenden Unterabschnitt. 110 Pr. KuMi an Provinzialschulkollegien 5.11.1917, in: ZBUPr 1917, S. 760 f. (auch in: BENK III, S. 65 f. und in: F[riedrich] Klee, Kriegsdienst und vaterländischer Hilfsdienst der Staatsbeamten, Berlin 1919, S. 34 f.). Zur Beschränkung auf Philosophie s. die Prüfungsordnung von 1917 (wie A. 107, § 8, S. 617).
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Die Anrechnung des Kriegsdienstes auf Studienund Vorbereitungszeit Mit der Dauer des Krieges wurde nicht nur die Frage immer drängender, wie man die seit langem im Felde stehenden jungen Männer, die ihr Studium unterbrochen hatten, zum Examen führen oder jene, die mit einer abgebrochenen Schulbildung an die Universität kamen, überhaupt studierfähig machen könne. Vielmehr ging es auch darum, daß sie nach dem langen Kriegsdienst (mit dem 1914 niemand ›gerechnet‹ hatte) nicht noch mehr Zeit verlieren dürften. Ohnehin schienen sie gegenüber den untauglichen Kommilitonen (und den stu dierenden Frauen) ›benachteiligt‹. Dazu kamen für sie (bzw. ihre Familien, die ihnen das Studium ermöglichten) aber auch finanzielle Probleme. Daher wurde eine prinzipiell schon im Januar 1915 getroffene Entscheidung in den folgenden Jahren bekräftigt und in der Anwendung weiter ausdifferenziert: Kriegsdienst als Ausbildungszeit anzuerkennen. Die erste Regelung betraf die Mediziner und war daher eine reichsrecht liche. Kriegsdienst wurde künftig »bis zur Dauer eines halben Jahres auf die für die Zulassung zur ärztlichen Vorprüfung oder zur ärztlichen Prüfung vorgeschriebene Studienzeit angerechnet«. Bis die Prüfungsordnung entsprechend geändert war, wurde der Reichskanzler ermächtigt, zusammen mit der zuständigen Landeszentralbehörde die Anrechnung in den »vorkommenden« (also Einzel-) Fällen zu bewilligen. Und jene, bei denen keine Anrechnung auf die Mindeststudienzeit erfolgte, konnten den Kriegsdienst auf das Praktische Jahr anrechnen lassen. Darüber entschieden ebenfalls der Reichskanzler und die zuständige Landeszentralbehörde gemeinsam.111 1916 wurde dies dahingehend präzisiert, daß nur für die Anrechung des Kriegsdienstes auf das Praktische Jahr eine medizinische Betätigung nötig war. Die Anrechnung auf die Studienzeit dagegen konnte für jede Form des Kriegsdienstes gewährt werden! Das galt im übrigen auch für Studentinnen, die Kriegsdienst leisteten. Der für das Praktische Jahr sonst nötige Nachweis einer viermonatigen vorzugsweisen Beschäftigung mit Inneren Krankheiten wurde nicht gefordert, aber zugleich Vorsorge getroffen, »daß möglichst allen, namentlich aber den älteren im Kriegsdienste stehenden Medizinstudierenden gleichmäßig Gelegenheit zur Beschäftigung mit inneren Krankheiten sowie auch zur Weiterbildung auf den Sondergebieten gegeben« werde.112 Auf diese Weise versuchte man offenkundig, den aktuellen Bedarf – schließlich brauchte man die 111 Bekanntmachung betreffend Anrechnung des Kriegsdienstes auf die medizinische Ausbildungszeit 19.1.1915, in: Zentralblatt für das Deutsche Reich 43 (1915), S. 10. Auch in: BENK I, S. 49 f. 112 Pr. KuMi an die Universitätskuratoren und die Med. Fak. Berlin 15.5.1916, in: ZBUPr 1916, S. 415 f., Zitat 416.
854 Studium und Lehre im Krieg Mediziner ja eher für die Behandlung von Verwundungen! – mit dem einer umfassenden Ausbildung (auch für die ›Zivilmedizin‹ der Nachkriegszeit) in Einklang zu bringen. Als im Sommer 1916 die Hochschulreferenten der deutschen Bundesstaaten tagten, legte Bayern einen ausgearbeiteten Vorschlag zur Regelung des Studiums der Kriegsteilnehmer vor, der sowohl Prüfungen betraf (die nach Bedarf auch in kürzeren Abständen als bisher vorgenommen werden sollten) als auch die Gestaltung des Studiums für eine Übergangszeit und die Anrechnung des Kriegsdienstes. Dieser sollte nach bayerischen Vorstellungen bis zur Dauer eines Jahres angerechnet werden, sofern die jeweilige Mindeststudienzeit nicht so kurz sei, daß sie dies unzweckmäßig erschienen ließ.113 Zudem sollte nach bayerischer Vorstellung die Anrechnung in allen Bundesstaaten gleich geregelt und auch auf jene Studiengänge angewandt werden, die nicht reichsrechtlicher Regelung unterlagen.114 Tatsächlich traf der Bundesrat Anfang 1917 eine entsprechende Entscheidung für Mediziner (sowie auch für Zahnmediziner, Tiermediziner und Pharmazeuten): Für die Studienzeit bis zur ärztlichen Vorprüfung und danach bis zur ärztlichen Hauptprüfung konnten je sechs Monate Kriegsdienst angerechnet werden, insgesamt also maximal ein Jahr. Soweit dies aber nicht geschah, konnte er auf das praktische Jahr angerechnet werden.115 Bemerkenswert sind die detaillierten Ausführungsbestimmungen Preußens dazu: »Als Kriegsdienst gilt jede Art von Dienst im Heere, in der Marine oder in der Schutztruppe, mag er mit oder ohne Waffe, im Felde oder in der Heimat geleistet sein.« Das gleiche galt auch für die Krankenpflege, sofern sie »auf Grund einer auch für den Etappendienst übernommenen Verpflichtung erfolgt.« Und besonders bemerkenswert: Diese Anrechnung war »in gleichem Maße (…) auch bei den weib lichen Studierenden statthaft«.116 Hier ging es also noch nicht um den Vaterländischen Hilfsdienst, sondern um jene ca. 400 Studentinnen, die (als Schwestern) Sanitätsdienst im Heer taten.117 Juristen, die in Preußen ein vierjähriges Referendariat zu absolvieren hatten, durfte der Kriegsdienst bis zu einem Jahr 113 Das lief darauf hinaus, jenen, die nur sechs Semester studieren mußten – in Bayern Vermessungsingenieure und Landwirte – gar keine Reduktion zu gewähren, den Lehramtskandidaten mit sechssemestrigem Studium und einjährigem Vorbereitungsjahr nur ein Semester. 114 S. dazu das Prot. der Hochschulreferentenversammlung in Rothenburg 22./23.9.1916 sowie die Anlage dazu, in: vom Brocke/Krüger (Hg.), Hochschulpolitik im Föderalismus, S. 299–310 (hier 300 f.) und 311–314. 115 Bekanntmachung, betreffend die Anrechnung des Kriegsdienstes auf die Ausbildungszeit der Studierenden der Medizin (….), in: Zentralblatt für das Deutsche Reich 14 (1917), S. 64. 116 Pr. KuMi an die Universitätskuratoren 16.3.1917, in: ZBUPr 1917, S. 346–348, hier 347 f. Auch bei Klee, Kriegsdienst der Staatsbeamten, S. 37–40. 117 Siehe o. S. 303.
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darauf angerechnet werden.118 Analog wurde die Vorbereitungszeit für Lehramtskandidaten verkürzt: statt (seit Mai 1916) auf anderthalb ab Januar 1917 sogar auf ein Jahr (sofern die Kandidaten mindestens ein Jahr im Heeresdienst gestanden hatten).119 Quasi im Vorlauf zu diesen Regelungen über eine Verkürzung der Aus bildung war 1915 zunächst Lehramtskandidaten, die aus dem 1913 begonnenen Probejahr heraus in den Krieg gezogen waren, die Anstellungsfähigkeit mit 1.10.1914 zugesprochen und dann eine ähnliche Regelung für alle übrigen »nach Beendigung des Krieges« in Aussicht gestellt worden.120 Und schließlich wurde Kriegsteilnehmern in Preußen ihr Dienst nicht nur auf ihr Studium, sondern (worauf die Vordatierung der Anstellungsfähigkeit schon hindeutete) auch auf ihre spätere Dienstzeit angerechnet. Das galt auch für solche, die als Schüler oder Studenten ins Heer eintraten und deren Beamtenverhältnis erst danach begründet wurde.121 Daher erstaunt es um so mehr, daß aus Elsaß-Lothringen, das doch in vieler Hinsicht jeweils dem preußischen Beispiel folgte, noch Anfang Februar 1917 gemeldet wurde, daß für die Anrechnung beim Lehramt für höhere Schulen weder von Regierungsseite Verfügungen getroffen noch von der Prüfungskommission angeregt worden seien. Auch für Theologen und Juristen existierten keine Bestimmungen.122 Ähnliche Anrechungsfragen stellten sich natürlich für den Vaterländischen Hilfsdienst. Schon bei der Vorbereitung des Gesetzes hatten die Militärbehörden ins Auge gefaßt, daß den Studierenden der Technischen Hochschulen die Zeit, die sie »draußen in ganz bestimmten Betrieben verbringen, in irgend118 Klopsch, Geschichte der Juristischen Fakultät, S. 89. Der Gesetzestext (vom 9.4.1917) in: Klee, Kriegsdienst der Staatsbeamten, S. 18 f. Zur Verteilung der Vorbereitungszeit auf die verschiedenen Stationen (Amtsgericht, Landgericht, Rechtsanwalt, Staatsanwaltschaft) s. Über die Abkürzung des juristischen Vorbereitungsdienstes für Kriegsteil nehmer, in: AB 32 (1917/18), S. 40. 119 Dabei sollte der Bestimmung von 1916 zufolge das erste, also das Seminarjahr möglichst ganz absolviert und das zweite, das Probejahr, gekürzt werden, doch in besonderen Fällen konnte das Provinzialschulkollegium auch anders entscheiden. Pr. KuMi an die Provinzialschulkollegien 16.5.1916, in: ZBUPr 1916, S. 418 (auch in BENK III, S. 10–14; dort in den Fußnoten auch die Erlasse von Februar und Sept. 1915 bezüglich vorgezogener Anstellungsfähigkeit); Pr. KuMi an die Provinzialschulkollegien 22.1.1917, in: ZBUPr 1917, S. 251. Beide Verfügungen auch in: Klee, Kriegsdienst der Staatsbeamten, S. 32 f. 120 S. die Runderlasse des Pr. KuMi an die Provinzialschulkollegien vom 23.2.1915 bzw. 4.9.1915, in: ZBUPr 1915, S. 437 f. bzw. 684 f. Analog wurden jene, die vor dem Aus rücken noch das Staatsexamen bestanden hatten, nachträglich zu Seminarkandidaten ernannt. S. die Runderlasse des Pr. KuMi an die Provinzialschulkollegien vom 16.4.1915 und – verallgemeinernd für die Dauer des Krieges – 16.1.1916 (ZBUPr 1915, S. 489 bzw. 1916, S. 244 f.; auch in: BENK III, S. 12 f. A. 4 und *). 121 Die Grundsätze für Preußen vom 17.6.1916 (drei Wochen nach dem grundsätzlichen Erlaß des Kaisers vom 27.5.1916 ) in: Klee, Kriegsdienst der Staatsbeamten, S. 1 und 6 f. 122 Kurator Strb. an Rektor Leipzig 12.2.1917 (Entwurf): ADBR 103 AL 1429.
856 Studium und Lehre im Krieg einer Weise auf das Studium zur Anrechnung kommt. In ähnlicher Weise haben wir natürlich auch zu den Universitäten Stellung genommen.«123 Tatsächlich geregelt wurde die Anrechnung des Hilfsdienstes aber erst nach dem Ende des Krieges: Der Bundesrat gab die Richtlinien für Mediziner, Pharmazeuten und Nahrungsmittelchemiker vor – und der preußische Minister übertrug dies dann auch auf die Philosophischen (bzw. Naturwissenschaftlichen) Fakultäten. Wer also durch »Veranlassung oder durch Vermittlung der Universität« eine Beschäftigung im Hilfsdienst aufgenommen oder eine seine Berufsausübung fördernde Tätigkeit ausgeübt hatte, dem konnte die Zeit im Hilfsdienst auf die Studienzeit angerechnet werden. Daß man nicht generell jede Hilfsdiensttätigkeit anrechnete, erläuterte der preußische Kultusminister damit, daß es sich dabei oft um gut bezahlte Arbeit gehandelt habe, die darüber hinaus Männern die Zurückstellung vom Heeresdienst erwirkt habe. Daher ging es »namentlich um Fälle, in denen sich weibliche Studierende auf Veranlassung der Militärbehörden und durch Vermittlung der Universität oder Hochschule für den vaterländischen Hilfsdienst zur Verfügung gestellt haben und alsdann unter Unterbrechung ihres Studiums zum Teil der Rüstungsindustrie oder anderen kriegswichtigen Betrieben, z. B. der Eisenbahn, zugeführt worden sind.«124
Notprüfungen für Universitätsabsolventen II: Änderungen im Promotionsverfahren125 So schnell wie die Staatsbehörden Entscheidungen für Juristen und Ärzte trafen, tat es die Berliner Philosophische Fakultät auch bezüglich der Promotion ihrer Studenten. Um dieses Entgegenkommen richtig einschätzen zu können, sollte man sich die Gepflogenheiten ihres Promotionsverfahrens vergegenwärtigen. Die Rigorosa fanden am Donnerstag im Senatssaal statt, und zwar jeweils mehrere gleichzeitig, »in kleinen Gruppen disloziert«, bevor am Abend im selben 123 So der Chef des Kriegsamtes, Gröner, in der Reichstagssitzung vom 30.11.1916. S. Verhandlungen des Reichstags. XIII . Legislaturperiode. II. Session. Bd. 308, Berlin 1916, S. 2197–2277, hier 2215 f., Zitat 2216. Die irrtümlichen Angaben bei Max von Schulz, Das Gesetz über den Vaterländischen Hilfsdienst, Berlin 1917, S. 55 (Sitzung vom 29.11., S. 2115) sind entsprechend zu korrigieren. 124 Pr. KuMi an Kuratoren 16.1.1919: ZBUPr 1919, S. 252–254, Zitate 252 (Bundesrat), 253 (Pr. KuMi). – In den Gymnasien wurde der Hilfsdienst übrigens auf die Versetzung, etwa von Obersekunda nach Unterprima, angerechnet (A[lfred?] Gercke, Wissenschaftlicher Unterricht an der Front, in: IMWKT 13 [1918/19], Sp. 81–96, hier 83). 125 Ulrich Rasche, Geschichte der Promotion in absentia. Eine Studie zum Modernisierungsprozess der deutschen Universitäten im 18. und 19. Jahrhundert, in: Rainer Ch. Schwinges (Hg.), Examen, Titel, Promotionen. Akademisches und staatliches Qualifikationswesen vom 13. bis zum 21. Jahrhundert, Basel 2007, S. 275–351 reicht nur bis ca. 1900, behandelt also die Entwicklung im Ersten Weltkrieg überhaupt nicht.
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Saal die Philosophische Fakultät ihre Sitzungen abhielt. Dort wurde dann von der ganzen Fakultät über die Prüfungen abgestimmt, nach dem Votum der Prüfer. Von den fälligen Promotionsgebühren erhielten die Sedecim, also die 16 ältesten Professoren der Fakultät, den größten Anteil.126 Daß die »Skala der Prädikate bei den verschiedenen Professoren verschieden« war, galt als quasi selbstverständlich. Doch in Berlin durfte ein durchgefallener Kandidat »gleich im nächsten Semester wiederkommen, wo er dann nach einigem unwissenschaftlichen Einpauken den zu Mitleid geneigten Examinatoren zu genügen pflegt«. (Andere Universitäten handhabten die Wiederholung z. T. wesentlich strenger!) Um 1905/6 sagte ein »keineswegs unfleißiger Kommilitone« zu Tycho von Wilamowitz-Moellendorff (dem Sohn des Altphilologen): »[I]ch werde doch nicht so dumm sein und den Doktor bei den Philologen machen. Da muß ich wer weiß wie lange an der Dissertation sitzen. Ich gehe ein Semester zu N. N. in die Übungen, lasse mir eine Schlacht geben, dann geht es gleich im nächsten Semester ganz glatt.«127
Das zielte auf Hans Delbrück,128 der bei Kriegsbeginn gerade Dekan war! Nach den Beobachtungen des 1910 nach Berlin berufenen Botanikers Gottlieb Haberlandt stellten die Universitäten Wien und Graz »an die Doktoranden entschieden höhere Ansprüche« als die Berliner »und wahrscheinlich auch (…) andere reichsdeutsche Universitäten«, denn in Österreich schrieb die Prüfungsordnung zwei getrennte Rigorosa vor, ein zweistündiges im Haupt- und einem Nebenfach und ein einstündiges in Philosophie. »In letzterem prüft in Berlin ein einziger Examinator, und auch der nur etwa 20 Minuten lang.« So kam es jedes Jahr mindestens einmal vor, daß »sehr guten, ja ausgezeichneten Leistungen in Haupt- und Nebenfächern ein erbarmungsloses ›ungenügend‹ in Philosophie« gegenüberstand.129 (Andererseits gehörte an einigen anderen 126 Dies diente – vor der Einführung eines allgemeinen Emeritierungsalters – gewisser maßen als Entschädigung für zurückgehende Kolleggelder, als eine Art »aufgesparte Altersrente«. Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 249. 127 Alles nach Wilamowitz-Moellendorff, Erinnerungen, S. 295 f. Wilamowitz erwähnt auch, daß sich manche Professoren mit ihren Kandidaten in ihr Zimmer zurückzogen und die Prüfungen unter vier Augen abhielten. Obwohl das Buch laut Titel 1914 endet, bezieht es in diesem Abschnitt auch die Nachkriegszeit ein. Daher ist nicht klar, welcher Zeit genau diese Beschreibung gilt. Eigene Zimmer hatten während des Kaiserreichs allenfalls Ordinarien, im allgemeinen aber nur Institutsdirektoren. 128 S. dazu ganz ähnlich die ungedruckten Erinnerungen von Alexander Cartellieri, zit. bei Matthias Steinbach, Des Königs Biograph. Alexander Cartellieri (1867–1955). Historiker zwischen Frankreich und Deutschland, Frankfurt u. a. 2001, S. 278. 129 Haberlandt, Erinnerungen, S. 181. Haberlandt war gegen die Aufspaltung der Phil. Fak. in eine geistes- und eine naturwissenschaftliche. Im Prinzip stimmte er auch einer obligatorischen Philosophieprüfung für alle zu, hätte aber bei Verzicht darauf als Alternative die Verleihung eines naturwissenschaftlichen Doktorgrades gesehen.
858 Studium und Lehre im Krieg preußischen Universitäten überhaupt keine Prüfung in Philosophie zum Rigorosum.130) In der kritischen Sicht auf die Berliner Promotionen waren sich der ungarländische Botaniker und der preußische Altphilologe also einig. Letzterer betonte im Rückblick aber (im Vergleich zur »sträflichen [allgemeinen] Nachsicht« in den ersten Nachkriegsjahren): »[B]ei uns ist nur den Kriegsteilnehmern die Rücksicht zuteil geworden, auf die sie Anspruch hatten.«131 Schon in einer Sitzung am 1. August 1914, also wohl nach der Mobil machung, die während der Rektorwahl um ca. 19 Uhr bekannt wurde, erklärte sich die Philosophische Fakultät damit einverstanden, daß »Kandidaten, welche das Doktorexamen bestanden haben, zur Promotion nicht persönlich zu erscheinen brauchen, wenn sie zum Heer oder zur Kriegsflotte eingezogen werden. Auch können in geeigneten Fällen Notprüfungen stattfinden.«132 Wer den Vorschlag gemacht hatte, ist dem Protokoll nicht zu entnehmen – der Dekan Hans Delbrück oder evtl. der Rektor? Jedenfalls zeigte sich bereits am Tag der Mobilmachung die Bereitschaft, auf eine altehrwürdige Tradition zu verzichten (denn üblicherweise leistete der Doktorand bei der eigentlichen Promotion nach Abschluß aller Prüfungen einen Eid) und auch für die rasche Durchführung der Prüfungen ad-hoc-Regelungen zu finden. Schon eine Woche später waren 18 Notprüfungen durchgeführt (davon zwei Wiederholungsprüfungen!), dazu fünf weitere unter dem Vorbehalt, daß die noch im Begutachtungsprozeß befindlichen Dissertationen angenommen würden. Zwei weitere Prüfungen wurde »als nicht geschehen« deklariert: Im ersten Fall schien die Arbeit auf dem damaligen Stand nicht akzeptabel, im zweiten hätte sie »zwar zur Not angenommen werden« können, doch mußte »die mündliche Prüfung wegen mangelnder Leistungen abgebrochen werden«. Inzwischen hatte der Dekan von sich aus bereits unbemittelten Kandidaten, die ins Feld zogen, den Erlaß der Prüfungsgebühren in Aussicht gestellt und Wohlhabenden, die die Summe gerade nicht zur Verfügung hatten, Stundung gewährt. Diese Verfügungen billigte die Fakultät im Nachhinein und erteilte ihrem Primus zudem Vollmacht, bei weiteren Notprüfungen nach eigenem Ermessen zu verfahren. Zudem beschloß sie, die Gebühren, die »den Sedecim aus den Notprüfungen zufliessen würden, der dem Roten Kreuz angegliederten Genossenschaft freiwilliger Krankenpfleger im Kriege zu überweisen.«133 130 Annette Vogt, Findbuch (Index-Book). Die Promotionen von Frauen an der Philo sophischen Fakultät von 1898 bis 1939 und an der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät von 1936 bis 1945 der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin (…), [Berlin] 1997 (Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte. Preprint 57), S. X A. 15 (über Bonn, Breslau, Göttingen und Halle). 131 Wilamowitz-Moellendorff, Erinnerungen, S. 296. 132 Prot. der Fakultätssitzung vom 1.8.1914: UA HU Phil. Fak. 34, fol. 269. Zum Zeitpunkt s. o. S. 249 f. 133 Prot. der Fakultätssitzung vom 8.8.1914: UA HU Phil. Fak. 34, fol. 270–273, hier 272–272v.
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Möglicherweise fanden die weiteren Notprüfungen nicht alle vor der Fakultät statt. Vermutlich richteten sich die Professoren auch hier (wie von Pinker neil beobachtet) nach den Terminen der Ausrückenden; denn eine weitere Woche später berichtete der Dekan (in der dritten an einem Samstag stattf indenden Sitzung) über 10 stattgehabte Notprüfungen (darunter eine Wiederholung und das Rigorosum einer Frau): »Die Prüfungen dieser Herren [!] sind besonders protokolliert«. Wie sehr die Fakultät zu einem Entgegenkommen bereit war, belegt der Fall eines Staatswissenschaftlers, der bereits zweimal durchgefallen war und dessen (auf ein ärztliches Attest gestütztes) Gesuch die Fakultät in ihrer Sitzung vom 30.7.1914 noch aus prinzipiellen Gründen abgelehnt hatte. Als der Betreffende, inzwischen als Kriegsfreiwilliger in ein Infanterieregiment eingetreten, nun darum bat, ihn zum Rigorosum zuzulassen, sprachen sich »seine Examinatoren sämtlich« dafür aus, und die Fakultät genehmigte den Antrag – obwohl es in ihrer Promotionsordnung zur mündlichen Prüfung doch ausdrücklich hieß: »Zweimalige Wiederholung ist ausgeschlossen.«134 Die Teilnahme des Prüflings am Krieg veränderte die Haltung der Fakultät also ins Gegenteil. Sie war nicht nur bereit, von den geltenden Regelungen abzugehen, sondern auch ihre eigene, nur zwei Wochen zuvor getroffene Entscheidung zu revidieren.135 Als Reaktion auf Fragen bzw. Anträge der Kandidaten traf die Fakultät in den allerersten Kriegswochen auch weitere Entscheidungen zum Verfahren: So mußte ein Doktorand, der Schopenhauers Vorlesungen edierte, die vor geschriebene Zahl der Pflichtexemplare nicht vom ganzen Manuskript abliefern, sondern nur von der Einleitung.136 Der Antrag einer Frau, zum Notexamen zugelassen zu werden, da sie für die Ausbildung der freiwilligen Kriegskrankenpflege angenommen war, wurde zur Prinzipienfrage im Verhältnis mit dem Kultusministerium. Jenes hatte nämlich »ein Bedürfnis Notdoktorprüfungen für Frauen abzuhalten, nicht anerkannt«. Doch »(d)a es sich hier um eine Angelegenheit der Selbstverwaltung handelt, soll lediglich aus diesem Grunde (!!) der Frau Hildebrandt die Zulassung nicht versagt werden.« Die Fakultät beschloß
134 Prot. der Fakultätssitzung vom 15.8.1914: UA HU Phil. Fak. 34, fol. 274 f. Promotionsordnung der Phil. Fak. in: Max Baumgart, Wegweiser zur Erlangung akademischer Würden. Grundsätze und Bedingungen der Erteilung der Doktor- und LizenziatenWürde (….). Nach amtlichen Quellen (…), VI . durchgesehene und vermehrte Aufl., Berlin 1905, S. 206–210, Zitat 209. Daß die Fakultät bis 1914 keine neue Promotionsordnung erhielt, ergibt die Durchsicht des entsprechenden Faszikels, das außerdem die »Promo tionsbestimmungen« (also die Zusammenfassung der Promotionsordnung für Kandidaten) enthält (mit derselben Regelung): UA HU Phil. Fak. 196, fol. 58. 135 Ob die Kriegsteilnahme aber auch fehlende wissenschaftliche Leistung kompensieren konnte, könnte allenfalls ein stenograph. Prot. aller drei Prüfungen belegen. 136 Prot. der Fakultätssitzung vom 15.8.1914: UA HU Phil. Fak. 34, fol. 274 f.
860 Studium und Lehre im Krieg allerdings, die Doktorandin erst nach Abschluß des Pflegekurses und der endgültigen Zulassung zum »Samariterdienst« zu prüfen.137 Zur selben Zeit befreite sie einen Studenten, der mehrfach als felddienst untauglich abgelehnt, dann aber doch zum Landsturm einberufen worden war und gerade einen Ausbildungskurs beim Roten Kreuz machte, von der Prüfung im »naturwissenschaftlichen und mathematischen Nebenfach«, nachdem seine Arbeit durchgesehen war und er auch die mündliche Prüfung im Hauptfach bestanden hatte. Sein entsprechendes Gesuch hatte er damit begründet, daß er drei Semester krank gewesen und nun nicht darauf eingerichtet sei. Tatsächlich wurde es von zwei Professoren befürwortet und dann von der Fakultät bewilligt, »weil es sich um eine Notprüfung handle«. Möglicherweise versuchten auch hier einige Studenten, die Kriegssituation zu einer persönlichen Prüfungsentlastung auszunutzen; denn schon in der nächsten Sitzung erklärte der Dekan mit Bezug auf diesen jungen Kunsthistoriker, »dass er in künftigen analogen Fällen trotz dieses Beschlusses Kandidaten zur Notprüfung nicht zulassen werde, welche obwohl landsturmpflichtig, nicht zur Dienstleistung im Heere herangezogen sind und beim Roten Kreuz sich zwar gemeldet haben, aber noch nicht endgiltig in den Pflichtverband aufgenommen worden sind«. Dabei läßt eine Korrektur im Text vermuten, daß Delbrück selbst möglicherweise beabsichtigt hatte, Felddienstuntaugliche generell von den Notprüfungen auszuschließen.138 Erschien die (nur aus prinzipiellen, den Status der Korporation betreffenden Überlegungen zugelassene) Studentin durch das Aufschieben der Notprüfung also zunächst benachteiligt, deutete sich mit diesem Beschluß zumindest eine Gleichbehandlung der in der Krankenpflege Tätigen an. Als weitere Möglichkeit des Entgegenkommens ist der Antrag der Fakultät zu werten, in einem anderen Einzelfall beim Ministerium einen Dispens von der mindestens sechssemestrigen Studienzeit zu erwirken. Hierbei handelte es sich um einen 35jährigen Staatswissenschaftler, der »als Fahnenträger die inter nationale Expedition nach China mitgemacht und sich durch Tapferkeit vor dem Feinde ausgezeichnet«, dann in der Marine gedient hatte, wegen Krankheit jedoch ausgeschieden war und sich nun freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet 137 Pr. KuMi an Univ. Berlin 11.8.1914: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 1, Tit. I, Nr. 35 Bd. I, fol. 13; Prot. der Fakultätssitzung vom 27.8.1914: UA HU Phil. Fak. 34, fol. 276– 276v, Zitat 276v. Das Prot. spricht von »Anna Hildebrandt«, in AV FWU Berlin SS 1914, S. 260 sind nur eine Geschichtsstudentin Elisabeth und eine Nationalökonomin Else (beide aus Hessen-Nassau) zu finden, erstere seit 1909 in Berlin immatrikuliert, letztere erst seit 1913, aber mit einer viel niedrigeren Matrikelnummer. Im AV für WS 1914/15 (S. 245) ist nur noch letztere enthalten. Sie hatte im März 1915 Rigorosum (JHSS 32 [1916], S. 242). 138 Prot. der Fakultätssitzung vom 27.8.1914: UA HU Phil. Fak. 34, fol. 276–276v, Zitat 276v; Prot. der Fakultätssitzung vom 10.9.1914: UA HU Phil. Fak. 34, fol. 279–280v, Zitat 279. Gestrichen und ergänzt war die Formulierung »als felddienstuntauglich anzusehen sind«.
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hatte.139 Die Teilnahme an der Bekämpfung des Boxeraufstands und das fortgeschrittene Lebensalter bildeten also die Grundlage, um wenige Wochen nach Kriegsbeginn bereits auf ein reguläres Studium als Voraussetzung der Promotion zu verzichten. Insgesamt scheinen die ›Notpromotionen‹ auf die ersten Kriegswochen beschränkt gewesen zu sein. Schon ab Mitte September versiegen die Nachrichten darüber in den Berliner Fakultätsprotokollen. Der Beschluß über den Verzicht der Sedecim auf die Gebühren daraus wurde bald mehrfach modifiziert: Es sollte nur um die Gebühren gehen, die tatsächlich für nach dem 2.8. abgelegte Notprüfungen eingingen. Bis 27. August konnten der Krankenpflege immerhin 3380 M. übermittelt werden. Da von 50 Prüflingen aber nur drei auch die zweite Rate der Prüfungsgebühren gezahlt hatten, schlug der Dekan vor, die Spende grundsätzlich auf die erste Rate zu beschränken. Schließlich wurde eine Kommission eingesetzt und deren Empfehlungen von der Fakultät angenommen: Der Betrag wurde auf 5000 M. begrenzt, was immer noch deutlich über der Gesamtsumme der ersten Rate lag. Die Differenz sollte vorläufig aus den Bar beständen ergänzt und nach dem Krieg aus der dann fälligen zweiten Rate gedeckt werden. Dabei sollten nicht nur die Sedecim, sondern alle Professoren auf Gebühren aus den Notprüfungen verzichten (und nur noch die Dekans- und Rektorgebühren erhoben werden). So führte die Berliner Philosophische Fakultät schließlich insgesamt 5175 M. an die Krankenpflege ab.140 Ähnlich verfuhr übrigens die Universität Straßburg mit den Gebühren aus den ärztlichen Notprüfungen (also Staatsexamina) zu Kriegsbeginn: Sie führte sie an die Hilfskasse zur Linderung von Kriegsnot in Ärztekreisen ab.141 Von den anderen beiden Universitäten ist nur aus der Straßburger eine einzige Anfrage bezüglich einer Notpromotion überliefert (die sich aber durch Einberufung des Doktoranden und gleichzeitig vernichtende Beurteilung der Dissertation von selbst erledigte).142 Die Gießener Kriegskommission, die ja speziell 139 Prot. der Fakultätssitzung vom 10. Sept. 1914: UA HU Phil. Fak. 34, fol. 279–280v, hier 280–280v. 140 Prot. der Fakultätssitzungen vom 15.8.1914 (fol. 274–275, hier 275), 27.8. (fol. 276–277, hier 276v), 10.9. (fol. 279–280, hier 279), 21.9.1914 (fol. 281–282, hier 281). Alle: UA HU Phil. Fak. 34. 141 S. den Dank des Verbands der Ärzte Deutschlands zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen an den Dekan der Med. Fak. Strb. 27.3.1915 (Dank für 1072,50 M): ADBR 103 AL 1043. 142 Der Kandidat der Theologie Max Pohl bat am 7.12.1914 darum, zu einer philos. Diss. zugelassen zu werden, und sandte zugleich die Promotionsgebühren ein. Am selben Tag erhielt er bei der Musterung die Nachricht, daß er voraussichtlich Ende Dezember zum Sanitätsdienst eingezogen würde. Daraufhin bat er um eine möglichst baldige Prüfung. Die Fakultät faßte den 19.12.1914 ins Auge. Doch erbat der Kandidat am 14.12. wegen seiner sofortigen Gestellung die Diss. und Gebühren zurück (Max Pohl an Phil. Fak. Strb. 7.12.1914 sowie zwei Telegramme 8.12.1914 und 14.12.1914). Der
862 Studium und Lehre im Krieg zur Klärung aktueller und akuter Fragen gegründet wurde, erörterte eine solche Frage nie. Auch in Jena, Marburg, Erlangen und Leipzig, für die teils knappe, teils ausführliche Überblicke über die Kriegszeit vorliegen, scheint es solche Initiativen, wie sie die Berliner Philosophische Fakultät ergriff, nicht gegeben zu haben.143 Möglicherweise fanden zu Kriegsbeginn aber trotzdem beschleunigte Examina statt, wie etwa für Heidelberg belegt.144 In den folgenden Jahren kam es dann an allen Universitäten zu gewissen Anpassungen des Promotions verfahrens an die Kriegszeit. Nachdem sich eine preußische medizinische Fakultät an den Kultusminister gewandt hatte, stellte dieser fest, daß auf die Ablieferung der vorgeschriebenen Anzahl von Exemplaren der gedruckten Dissertation und die »Ableistung des Doktoreids« nicht verzichtet werden könne. Allerdings könne »bei den im Felde stehenden Doktoranden ausnahmsweise die Unterschreibung der Eidesformel als genügend« angesehen werden.145 Doch bald wurden Graduierungen vollzogen, bei denen der Promovierte gar keinen Eid mehr leisten konnte. Der Dekan der Berliner Philosophischen Fakultät Hans Delbrück regte schon im Dezember 1914 an, Gefallenen, die das Rigorosum bestanden hatten, aber noch nicht promoviert worden waren, »die Doktor-Würde noch im Grabe« zuzuerkennen.146 Doch erst im Sommer 1915 wurden die ersten Diplome für gefallene Doktoranden ausgestellt und auch in der Presse darüber berichtet.147 Nachdem der Kultusminister dies zunächst Ende Mai 1915 für die philosophische, juristische und medizinische Fakultät einer (der Marburger) Universität genehmigt hatte, weitete er es Anfang Juni auf alle preußischen Universitäten aus: Er gestattete, das Andenken der gefallenen oder ihren Wunden erlegenen Dok rientalist Karl Frank (Privatdozent) empfahl der Fakultät auf der Grundlage einer verO nichtenden Kritik, die Arbeit »in Bausch und Bogen abzulehnen«, der Semitist Friedrich Schulthess schloß sich dem Erstgutachter »in allem Wesentlichen« an (beide Gutachten 13.12.1914). Daraufhin lehnte die Fakultät die Arbeit einstimmig ab (alle Dokumente: ADBR 62 AL 35). 143 Nach den Studien von Grüner, Die Universität Jena während des Weltkrieges; Wettmann, Heimatfront Universität; Blessing, Universität Erlangen im Ersten Weltkrieg; Blessing, Universität im Krieg; Liermann, FAU Erlangen 1910–1920; Gätke-Heckmann, Universität Leipzig im Ersten Weltkrieg. Auch Jarausch, German Students (der einiges Material über die Univ. Bonn verwendet) berichtet nicht von ähnlichen Phänomenen. 144 Reichert/Wolgast, Einleitung, S. 69. S. dazu als Beispiel den unten dargestellten Fall Ries. Dagegen könnte sich die Bemerkung von Theodor Birt (s. u. mit A. 207) auf die vom Kultusministerium angeordneten Staatsexamina beziehen. 145 Pr. KuMi an den Kurator zu N. 28.10.1914; Abschrift an die übrigen Kuratoren 10.12.1914; beide in: ZBUPr 1915, S. 270. 146 Prot. der Fak.sitzung vom 7.1.1915: UA HU Phil. Fak. 34, fol. 295v. 147 Auf Presseberichte Bezug nimmt bereits eine Notiz des Gießener Dekans [Gustav] Roloff vom 13.6.1915 auf einer entsprechenden Anregung des Altphilologen ([Karl] Kalbfleisch an Dekan der Phil. Fak. 7.6.1915): UA Gi Allg. 1346, fol. 45–47, hier 45. S. auch Berlin Phil. Fak. Prot. 25.7.1915: UA HU Phil. Fak. 34, fol. 320.
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toranden durch Ausfertigung eines Doktordiploms zu ehren. Auch durften die Fakultäten für die vorgeschriebene Drucklegung Erleichterungen bewilligen oder ganz darauf verzichten, bei Ärzten auch auf den Nachweis der Approbation. »Es wird sich empfehlen, in dem Doktordiplom zum Ausdruck zu bringen, daß es sich um die Ehrung eines im Felde Gefallenen handelt.« Als Muster empfahl er ein zu diesem Zweck von der Berliner Philosophischen Fakultät ent worfenes Diplom.148 In Gießen stellte der Altphilologe Karl Kalbfleisch im Sommer 1915 einen ähnlichen Antrag. Sein Kandidat hatte im Juli 1914 das Rigorosum mit »sehr gut« bestanden, war dann als Kriegsfreiwilliger eingerückt und im November seinen Verwundungen erlegen. Ob seine Dissertation veröffentlicht werden könne, schien fraglich. Kalbfleisch regte nun an, in der nächsten Fakultätssitzung die Ausstellung eines Diploms in solchen Fällen zu erörtern. Der Dekan, der Historiker Gustav Roloff, holte daraufhin zunächst Auskünfte bei der Berliner Philosophischen Fakultät ein und erfuhr, daß dort nicht auf den Druck verzichtet wurde. Da in Berlin die Doktorurkunde auf Antrag und auf Kosten der Angehörigen ausgefertigt wurde, ergab sich für die Gießener daraus allerdings die Frage, ob nicht die in Hessen bereits bei der Zulassung zur Prüfung gezahlte Gebühr erstattet werden müsse, falls kein Diplom ausgestellt würde.149 Der Gießener Rektor holte dann, vor der Behandlung im Senat, die Stellungnahme der übrigen Fakultäten ein, um möglichst »ein[en] einheitliche[n] Antrag für alle« zu stellen. Die Mediziner waren einverstanden – mit den nötigen, auf ihr Fach bezogenen Anpassungen. Die Theologen reagierten zunächst gar nicht, während die Juristen noch keine Gefallenen zu beklagen hatten und es deren Dekan »widerstrebt[e]«, Vorsorge für einen solchen Fall zu treffen.150 Doch fand die Philosophische Fakultät im Senat Unterstützung bei dem vom Rektor als Gutachter bestellten Juristen, und den daraus hervorgegangenen Antrag genehmigte das zuständige Ministerium schon bald.151 Mit Bezug darauf versuchte der Rektor noch einmal, die übrigen Fakultäten zu ähnlichen Regelungen zu bewegen. Doch nur die Mediziner schlossen 148 Pr. KuMi an Kurator in N. 21.5.1914 und Abschrift an alle Kuratoren 4.6.1915, in: ZBUPr 1915, S. 580. Diese Bestimmungen auch referiert in: Doktorpromotion nach dem Tode, in: Kölnische Zeitung 18.7.1915, 2. MA . Daß es sich um Marburg handelt, geht aus der hektograph. Fassung des Erlasses vom 4.6.1915 hervor (UA HU Med. Fak. 307, fol. 18; Text des Musterdiploms fol. 19–19v; zum Inhalt s. u. S. 866 mit A. 163–164). 149 [Karl] Kalbfleisch an Dekan der Phil. Fak. Roloff 7.6.1915 (mit dessen Notiz darauf 13.6.1915): UA Gi Allg. 1346, fol. 45–47. 150 Rektor Gi an Dekan der Jur. Fak. 16.7.1915 (mit dessen Vermerk darauf vor Weiter leitung an die Fakultätsmitglieder); zur Stellungnahme der Med. Fak. am 24.7.1915: Vortrag für die Med. Fak. erstattet von Dr. Strahl 23.10.1915; zur Stellungnahme der Juristen und Theologen: Rektor Gi an Med. Fak. 5.8.1915. Alle: UA Gi Allg. 1346, fol. 53, 38–39, 36. 151 Vortrag für den Gesamtsenat erstattet von Dr. jur. H. A. Fischer; Gh. MdI an Landes univ. 30.7.1915. Beide: UA Gi Allg. 1346, fol. 42/50, 41.
864 Studium und Lehre im Krieg sich an, während die Juristen weiterhin abwarten wollten und die Frage für die Theologen (wohl aus absehbarem Doktorandenmangel152) »nicht in Betracht« kam. Beide wollten jedoch den Philosophen und Medizinern, die auf Behandlung der Frage im Senat verzichten wollten, keine Schwierigkeiten in den Weg legen, obwohl dies dem in den Promotionsordnungen vorgesehenen Verfahren für Änderungen widersprach.153 Schließlich genehmigte das Ministerium solche Promotionen post mortem auch für Mediziner und Tiermediziner in Hessen.154 In Straßburg wollte der Vater eines Gefallenen seinem »Sohne, der sich so sehr auf sein Doktorexamen gefreut hatte, diese Ehrung« erwirken: Das Staatsexamen hatte er mit »sehr gut« bestanden und dann als Assistent des Gynäko logen Fehling in Groningen und Wien Röntgenbilder auswerten (und daraus zugleich seine Dissertation machen) sollen. Kurz nach Beendigung der Arbeit in Groningen begann der Krieg, der junge Mann meldete sich sofort freiwillig als Feldunterarzt – und wurde bei einem Granatenangriff getötet.155 Obwohl nach der Straßburger Promotionsordnung der Kandidat mit der Dissertation »die Befähigung« beweisen mußte, »selbständig wissenschaftlich zu arbeiten« (während das Staatsexamen ja ›nur‹ theoretische Kenntnisse und praktische Diagnosen forderte), und die Promotionsordnung kategorisch bestimmte »Eine Promotio (!) in absentia findet unter [k]einen Umständen statt«, zog der Rektor Erkundigungen bei anderen Universitäten ein; denn Ende 1915 wußte man offenbar, daß bereits eine Reihe von Gefallenen nach dem Tod promoviert worden war, und so entstand ein gewisser Druck. Aus Gießen,156 Jena157 und 152 1914 und 1915 wurde in Gießen nur jeweils ein Theologe promoviert, 1916 und 1917 gar keiner. Nach JHSS 30 (1914)–33 (1917). 153 Rektorat Gi an Med. Fak. 5.8.1915; Rektor Gi an Jur. Fak. 1.11.1915 (und analog an Theol. Fak.); Theol. Fak. an Rektor Gi 10.11.1915. Alle: UA Gi Allg. 1346, fol. 36, 12 (mit Äußerungen darauf 13), 10. Das Schreiben an die Theol. Fak. in: UA Gi Theol. O 10, unfol. Für Änderungen schrieben alle Gießener Fakultäten einen Antrag an den Gesamtsenat vor, der ihn dann mit seinem Gutachten dem Ministerium unterbreitete. S. die Promotionsordnungen in: Baumgart, Wegweiser zur Erlangung akademischer Würden, S. 10–15 (Theol. Fak.), hier 15; 76–80 (Jur. Fak.), hier 80; 136–142 (Med. Fak.), hier 141; 225–230 (Phil. Fak.), hier 229. 154 Rektor Gi an Gh. MdI 2.12.1915; Gh. MdI an Landesuniversität 7.12.1915: UA Gi Allg. 1346, fol. 8, 4. 155 Ober-Telegr. Sekretär Karl Rudhardt an Kuratorium KWU Strb. 29.9.1915: ADBR 103 AL 1225. 156 KWU Strb. an Rektor (Gießen) 17.11.1915 (mit Vermerk der Antwort): UA Gi Allg. 1346, fol. 9–9v. Promotionsordnung der medizinischen (!) Fakultät der Universität Straßburg i. Els., Straßburg [1913], Zitate S. 1: ADBR 103 AL 31 (bei Baumgart, Wegweiser, S. 188–192 nur die ältere Ordnung, in diesem Punkt identisch). 157 Grüner, Die Universität Jena während des Weltkrieges, S. 15. Da er nur die Archiv signaturen, nicht aber die Schriftstücke selbst bezeichnet, kann nur vermutet werden, daß er sich auf diese Straßburger Anfrage bezog.
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verschiedenen preußischen Universitäten erfuhren die Straßburger nun, daß der in Frage stehende Antrag keine Aussicht auf Erfolg hätte. Dort mußten Prüfung und Dissertation bestanden sein.158 Allerdings hatten bis Ende 1915 außer den Berlinern nur die Marburger von der Promotion post mortem Gebrauch gemacht. Die Göttinger Juristische Fakultät z. B. fertigte statt einer solchen Promotionsurkunde »Erinnerungsblätter« aus, die Mediziner waren mit der Promotion post mortem gar nicht einverstanden.159 Obwohl der Vater nach fast vier Monaten wieder nachfragte, wartete die Universität Straßburg noch die Rektorenkonferenz in Halle ab, auf deren Tagesordnung die Promotion post mortem inzwischen auch stand. Dort wurden dann einheitliche Richtlinien für alle Universitäten beschlossen – und der Vater entsprechend ablehnend beschieden.160 Dieser Regelung zufolge mußte die Dissertation eingereicht und angenommen, das Rigorosum bestanden sein. Von der Drucklegung könne unter Umständen abgesehen werden. Ein Anspruch auf nachträgliche Promotion bestehe aber auch bei Erfüllung beider Anforderungen nicht.161 In der Straßburger Philosophischen Fakultät wurde 1918 ein Gefallener promoviert, nachdem die Angehörigen 200 Exemplare der gedruckten Dissertation eingereicht hatten.162 Die Diplome für die nach ihrem Tod Promovierten waren in Sprache, Format und Graphik recht unterschiedlich gestaltet: zwischen A 2 mit lateinischem Text bei den Berliner Philosophen und A 3 mit deutschem bei ihren Gießener Kollegen. Und während die Berliner Titel und Orden von Rektor und Dekan aufführten, begnügten sich deren Gießener Pendants mit ihrem eigenen Doktorgrad. Außerdem war auf der Berliner Urkunde der Schriftgrad nach Amt und Würden fein gestuft: vom Monarchen über Rektor und Dekan bis hinunter zu dem Doktoranden. Die Gießener Mediziner-Urkunde entsprach im Format zwar der Berliner, in der Gestaltung jedoch der der eigenen Philosophischen Fakultät: Mit Verzicht auf alle Auszeichnungen der universitären Amtsträger – und sogar auf Großbuchstaben. Dabei ist aber die Formel »für das Vaterland gefallen« nicht nur, wie vom großherzoglichen Ministerium angeregt, in den 158 Für die Berliner, für die ein solcher Fall bislang hypothetisch war, kam die Promotion eines Gefallenen nur in Frage, »wenn eine fertige und von der Fakultät für genügend befundene Dissertation vorliegt.« Med. Fak. Berlin an Rektor der FWU 9.2.1916 (Entwurf): UA HU Med. Fak. 397, fol. 22–22v. 159 Alles lt. dem Göttinger Universitätsrichter [Otto] Wolff 11.12.1915, teilweise auf eine Auskunft des Pr. KuMi gestützt (Vermerk auf KWU Strb. an den Rektor [‥] 17.11.1915): UA Göttingen Sek. 38 (1). 160 Rektor an Kurator Strb. 26.1.1916 (auf dessen Überweisung [24.1.] der Nachfrage des Vaters vom 21.1.); Kurator an Carl Rudhardt 18.2.1916. Beide: ADBR 103 AL 1225. 161 Randvermerk des Rektors auf dem ersten Schreiben Rudhardts (wie A. 155) 14.2.1916. 162 Da der Dekan eine generelle Regelung vermißte, stimmte die Fakultät seinem Vorschlag zu, nach dem Präzedenzfall einer früher vollzogenen Promotion post mortem zu verfahren. Dekan Schneider an die Mitglieder der Phil. Fak. 5.10.1918 (mit 16 zustimmenden Unterschriften): ADBR 62 AL 39.
866 Studium und Lehre im Krieg Urkundentext aufgenommen, sondern tritt bei den Medizinern (als eigene Zeile und in größerer Schrift als die Namen der darüber stehenden Amtsträger) besonders hervor. Hier, wie auf der Urkunde der Berliner Philosophen, kommt dem ›Heldentod‹ größeres Gewicht zu als dem Titel der Dissertation.163 Was die graphische Gestaltung schon andeutet, stellt die Berliner Formulierung ganz klar: Der Promovierte hat zwar eine wissenschaftliche Leistung vollbracht, die wie herkömmlich in der Urkunde auch mit dem Titel der Dissertation genannt wird, aber eigentlich verdient er als ein für das Vaterland Gefallener Ruhm, welcher jedes »Lob« übertrifft. Also – so die Implikation – auch die üblichen Dissertations-Prädikate cum laude, magna cum laude, summa cum laude!164 Die Verwendung der Sprachen unterschied sich nicht nur zwischen den verschiedenen Universitäten, sondern veränderte sich auch während des Krieges. In Straßburg z. B. wurden noch 1915 die Doktordiplome aller Fakultäten lateinisch ausgefertigt (während man für die Immatrikulationsurkunden damals schon »seit einer Reihe von Jahren« auf das Deutsche übergegangen war).165 Doch scheinen während des Krieges verschiedene Universitäten eine Änderung erwogen zu haben. (Das belegt schon die Tübinger Rundfrage, welche die zitierte Antwort provozierte.) Aus einer ähnlichen Reaktion zweieinhalb Jahre 163 Das größere Gewicht ergibt sich in der Berliner Urkunde aus der größeren und fetteren Schrift der Passage, in der das mortvvs pro patria steht, in der Gießener daraus, daß die Worte »den für das Vaterland gefallenen Medizinalpraktikanten« eine eigene, durch Leerzeilen darüber und darunter besonders abgehobene Zeile einnehmen. Bei den Gießener Philosophen ist die Dissertation im Gegensatz zum Tod immerhin als eigene Zeile hervorgehoben, wenn auch nicht in größerer Schrift. S. die Promotionsurkunden für Konrad Hoffmann (Berlin, 1.6.1915), Joseph Lippert (Gießen, 8.10.1915), Ernst Pantel (Gießen 24.12.1915). Alle in: UA Gi Allg. 1346, fol. 49, 28, 14. Die Unterschiede im Format zwischen Phil. und Med. Fakultät in Gießen waren vor und während des Krieges die gleichen (freundl. Auskunft von Eva-Marie Felschow, UA Gießen). 164 PRO PATRIA MORTVVS GLORIAM MERUIT OMNI LAUDE POTIOREM . Für die Bestätigung der Interpretation der lateinischen Formel danke ich Fidel Rädle (Göttingen). Die Prädikate lauteten nicht an allen Universitäten gleich, doch die Berliner hatten auch damals diese (heute allgemein üblichen) Formulierungen (s. Promotions-Ordnung für die Medizinische Fakultät der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, o. O. o. J. [1909], S. 4–5: UA HU Med. Fak. 306). 165 Die Dissertationen selbst wurden dort üblicherweise auf deutsch verfaßt. Aber in manchen Fakultäten kam als Alternative auch Latein in Frage, für Altphilologen war es verpflichtend. S. Promotionsordnung der Med. Fak. Strb. (wie A. 156), S. 1 und Promotionsordnung der philosophischen (!) Fakultät der Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg, o. O. o. J. S. 2. Außerdem konnten alle Fakultäten ausnahmsweise auch eine andere Dissertationssprache zulassen. Zur Sprache der Urkunden s. den Vermerk auf einer Anfrage aus Tübingen an die Rektorate der deutschen Universitäten 12.7.1915: ADBR 103 AL 1432. Die älteren Promotionsordnungen bei Baumgart, Wegweiser zur Erlangung akademischer Würden, S. 37–39 (Ev. Theologie: ohne Sprachbestimmung für die Diss., CV muß lateinisch verfaßt sein), 51–55 (Kath. Theologie: Latein oder Deutsch), 104 f. (Jura: Latein oder Deutsch), 188–192 (Medizin: Deutsch), 268–270 (Phil. Fak.: Deutsch oder Latein, für Altphilologen nur Latein), 281–283 (Math.-Nat. Fak.: Deutsch).
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später ergibt sich, daß in Straßburg inzwischen die Mathematisch-Naturwissen schaftliche und die Medizinische Fakultät das Deutsche verwandten, doch da der Rektor von den anderen Fakultäten jeweils nur ein [lateinisches] Diplom, von diesen beiden aber »ein zweites Exemplar in deutscher Sprache« beifügte, ist nicht klar, ob sie die beiden Sprachen nun parallel verwandten (und falls ja, nach wessen Wahl) oder ob das Deutsche das Lateinische bei ihnen bereits generell ablöste.166 Auch gibt es keine Hinweise auf einen Zusammenhang mit (im Krieg verbreiteten) Versuchen, die deutsche Sprache von Wörtern fremder Herkunft zu ›reinigen‹. Mehr als diese stark symbolische Formalie beschäftigte alle Universitäten der bisher überall vorgeschriebene Druck der Dissertation. Dabei betrug die Zahl der abzuliefernden Pflichtexemplare zwischen 140 (an der Evangelisch-theologischen Fakultät Straßburg) und 250 (an der Juristischen Fakultät Berlin).167 Durch den im Krieg auftretenden und sich zunehmend verstärkenden Papiermangel war diese Bedingung jedoch schwer zu erfüllen – und so geriet auch der eigentliche Promotionsakt (bzw. die Aushändigung der Urkunde) in Gefahr. Ab April 1916 wurde Papier im Deutschen Reich zentral und zwangsbewirtschaftet.168 Im Lauf des Sommers 1917 wurde das Quantum, das jeder Verlagsbuchhandlung zugeteilt wurde, um 45 % gekürzt; denn zwei Drittel des Papiervorrats benötigte die Armee, in das restliche mußten sich Zeitungen, papierverarbeitende Industrie und Verlagsbuchhandel teilen. »Die Not auf dem Papiermarkt« war also »katastrophal«.169 Im September 1917, als den Aufforderungen zur Papierersparnis in vielen Bereichen entsprochen wurde, in den Universitäten dem Vernehmen nach aber Dissertationen und ähnliche Publikationen »immer noch in alter Weise aufgelegt« wurden, erklärte es die Reichskanzlei für »ohne weiteres angängig (…), den Druck bis auf eine Zeit zu verschieben, in der wieder mehr Papier zur Verfügung steht.« Und auch wenn die zuständige hessische Landesbehörde nicht sicher war, ob die »Unterstellung des Herrn Reichskanz166 Rektor Strb. an Rektor Breslau 7.12.1917: ADBR 103 AL 1429. Ein halbes Jahr zuvor hatte der Dekan der Mediziner den Rektor informiert, daß man für eine demnächst bevor stehende Ehrenpromotion das Diplom auf deutsch »und in einer den gegenwärtigen typographischen Ansprüchen entsprechenden künstlerischen Form abzufassen« beschlossen habe (Dekan der Med. Fak. an Rektor Strb. 23.6.1917: ADBR 103 AL 1425). Das lateinische Diplom für Moschko Scheinermann (s. u.) findet sich in ADBR 62 AL 35. 167 Angaben für die einzelnen Universitäten und Fakultäten findet man (auf dem Stand von 1905) bei Baumgart, Wegweiser zur Erlangung akademischer Würden, die genannten Beispiele S. 38 bzw. S. 60 A. *. 168 Heinz Schmidt-Bachem, Aus Papier. Eine Kultur- und Wirtschaftsgeschichte der Papier verarbeitenden Industrie in Deutschland, Berlin 2011, S. 210 f. 169 So ein Verleger, der darunter natürlich auch litt und deshalb beim Dekan der Berliner Theol. Fak., deren akademische Predigten er druckte, anfragte, ob dieser evtl. durch amtliche Empfehlung eine Bewilligung erwirken könne (Verlagsbuchhandlung Martin Warneck an Dekan der Theol. Fak. Berlin 22.11.1917: UA HU Theol. Fak. 96, fol. 67).
868 Studium und Lehre im Krieg ler für die [jeweiligen] Verhältnisse« zutreffe, erinnerte sie doch an ihre eigenen Ermahnungen, »jegliche Veröffentlichung im Druck (auch im Umdruck) zu vermeiden, die irgendwie unterlassen oder verschoben werden kann.«170 In Baden hatte der Kultusminister den Druck von Dissertationen sogar schon Anfang August 1917, also vor der Ermahnung des Reichskanzlers, für derzeit »unerwünscht« erklärt und die Fakultäten ermächtigt, die Promotion auch ohne diese zu vollziehen.171 In Preußen hatte die Breslauer Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät beantragt, die Promotion schon vornehmen zu dürfen, »wenn der Kandidat durch ein bindendes Versprechen unter Hinterlegung einer Summe die Drucklegung [der Dissertation] nach dem Kriege garantiert«. Dieses Gesuch überwies das Kultusministerium an die Universität Berlin, wo es der Rektor an die Philosophische Fakultät weiterleitete, die nach eingehender Diskussion (!) eine Kommission einsetzte.172 Diese arbeitete für eine solche Promotion mit Verschiebung des Druckes genaue Bedingungen aus: Die Dissertation mußte vom Hauptgutachter als vollkommen druckfertig bezeichnet und ein solches Exemplar bei der Fakultät hinterlegt werden. Die gedruckte Fassung mußte spätestens zwei Jahre nach Friedensschluß abgeliefert werden, andernfalls würde das Recht zur Führung des Titels aberkannt. Vor der Promotion aber müsse eine kurze Inhaltsangabe (im Umfang von mindestens zwei Druckseiten Oktav) mit Hervorhebung der neuen Resultate eingeliefert werden, und zwar in der Anzahl der bisher abzuliefernden Pflichtexemplare der Dissertation. (Die Information der wissenschaftlichen Öffentlichkeit und die Kontrolle durch sie sollten also gewahrt werden.) Spätere Änderungen im Text des hinterlegten Exemplars müßten vor dessen Druck genehmigt werden.173 Die Berliner selbst waren allerdings nicht geneigt, so vorzugehen. Die Me dizinische Fakultät beschloß im Oktober 1917, vorerst am Druck der Dissertationen festzuhalten, aber die Zahl der Pflichtexemplare (von 230) auf 200 zu reduzieren.174 Und während die Philosophische Fakultät der neuen Frankfurter Universität nach den von der größeren Berliner Schwester erarbeiteten Regeln verfahren wollte, blieb auch diese selbst beim Druck des Volltexts. Doch reduzierte sie im Januar 1918 ebenfalls die Zahl der (bislang 258) Pflichtexemplare: 170 Gh. MdI an Uni Gi 7.9.1917 (hier nach Abschrift an Theol. Fak. 13.9.1917): UA Gi Theol. O 10. Vgl. auch die gemeinsamen detaillierten Anweisungen verschiedener preußischer Ministerien an alle untergebenen Behörden über die »Sparsamkeit im Papierverbrauch« vom 6.7.1917, in: ZBUPr 1917, S. 574–576. 171 Bad. KuMi an Eng. Senat der Uni Heidelberg 6.8.1917 (Abschrift): ADBR 103 AL 1031. 172 Prot. der Sitzung der Phil. Fak. 4.10.1917: UA HU Phil. Fak. 35, fol. 53–55, hier 55. 173 Prot. der Sitzung der Phil. Fak. 18.10.1917: UA HU Phil. Fak. 35, fol. 63–65, hier 65. S. auch die Mitteilung der Phil. Fak. Berlin an [alle dt.] Phil. Fak. [hektograph.] 22.10.1917: ADBR 62 AL 38. 174 Prot. der Sitzung der Med. Fak. 23.10.1917: UA HU Med. Fak. 40, fol. 15.
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Künftig sollten nur noch 40 Exemplare für die Ordinarien und 110 (v. a. zum Tausch) für die Universitätsbibliothek gedruckt werden. Dagegen sollten den Kollegen der anderen Fakultäten und »unseren Extraordinarien« keine Belege mehr zugesandt, sondern 20 Exemplare zur Einsicht beim Oberpedell ausgelegt werden. Dabei zog die Fakultät in Erwägung, das »Autorreferat« nach dem Krieg (offenkundig zusätzlich) obligatorisch zu machen.175 Vom Druck solcher abstracts (bzw. »Thesen«) machte in allen drei Universi täten nur eine einzige Fakultät Gebrauch: die Berliner Theologische für ihre drei Lizentiaten-Dissertationen 1918.176 Aber das tat sie nicht erst jetzt, sondern auch schon vor den offiziellen Anordnungen zum Papiersparen – und beim Lic. theol, handelte es sich ohnehin nicht um ein exaktes Pendant des Doktorgrades (welcher seinerseits von den Berliner Theologen nur honoris causa vergeben wurde).177 Alle übrigen Berliner Fakultäten ließen auch 1917 und 1918 weiterhin vollständige Dissertationen drucken. Dabei unterschieden sich diese im Umfang allerdings stark, auch innerhalb der einzelnen Fakultäten. Der geringste betrug 8 Seiten (bei einer Berliner medizinischen Dissertation des Jahres 1918), der höchste 194 (bei einer Gießener agrarwissenschaftlichen 1917).178 Das bedeutete, daß man zumindest bei der Berliner Medizinischen Fakultät die eigenen, in diesem Punkt ohnehin nicht strikten, »Promotionsbestimmungen« großzügig handhabte; denn diese forderten eine Dissertation im Umfange von »in der Regel zwei Druckbogen«! Das verfehlte 1917 und 1918 allerdings eine ganze Reihe neuer Doktoren!179 Andere Fakultäten machten andere Kompromisse. Das zuständige hessische Ministerium verfuhr wie das badische und folgte sogar weitgehend dessen Wortlaut.180 Doch hatte die Gießener Philosophische Fakultät Bedenken, von der Möglichkeit einer Verschiebung des Drucks Gebrauch zu machen; denn die Kosten könnten nur für den aktuellen Zeitpunkt ermessen werden, nicht 175 Prot. der Sitzung der Phil. Fak. 15.11.1917 (Frankfurt) bzw. 31.1.1918. Beide: UA HU Phil. Fak. Nr. 35, fol. 76–78 (hier 76v) bzw. 98–100 (hier 98v-99). Bisher 258: Nach den »Promotionsbestimmungen« (wie A. 134). 176 Nach Durchsicht von JHSS 33 (1917) und 34 (1918). 177 Zu den Bestimmungen: Baumgart, Wegweiser zur Erlangung akademischer Würden, S. 1–5, hier 4. Zur Praxis der »Thesen« s. JHSS 30 (1914), S. 17; 31 (1915), S. 22 und 32 (1916), S. 19. 178 Trotz des Drucks 1917 erfolgte die Promotion allerdings erst 1918. Eine 12seitige Diss. findet sich z. B. auch in der Phil. Fak. Straßburg 1918. Alles nach Durchsicht aller Fakultäten der drei untersuchten Universitäten in JHSS für 33 (1917) und 34 (1918). 179 Medizinische Fakultät der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Promotionsbestimmungen gültig seit 9.6.1914, S. 2: UA HU Med. Fak. 306, unfol. Am Anfang des Jahrhunderts waren zwei Druckbogen vorgeschrieben gewesen! (Baumgart, Wegweiser zur Erlangung akademischer Würden, S. 114). Für alle Beispiele s. JHSS 33 (1917) und 34 (1918). Zwei hatten nur 14 Seiten. 180 Gh. MdI an Univ. Gi und TH Darmstadt 11.10.1917 (Abschrift): UA Gi Theol. O 10.
870 Studium und Lehre im Krieg j edoch für die Zeit nach dem Krieg. Außerdem sei es schwer, einem Doktor (der die Arbeit später nicht drucken ließ) die Befugnis zur Führung des Titels wieder zu entziehen, ja möglicherweise sogar, überhaupt seine Adresse ausfindig zu machen. Daher wollte die Fakultät vor Ablieferung der gedruckten Exemplare lieber gar keine Promotionsurkunde ausstellen und sich mit einer Bescheinigung begnügen. Eine ähnliche Haltung nahm die benachbarte Marburger Fakultät ein.181 Die Gießener Mediziner konnten ab Oktober 1917 den Betrag für den Druck hinterlegen, und dem schlossen sich (nach der Billigung des Ministeriums) die Veterinärmediziner und Rechtswissenschaftler an. Schließlich gab ab Mai 1918 auch die Philosophische Fakultät ihren Promovierten temporäre Zeugnisse, die sie zum Führen des Titels berechtigten, ihre Gültigkeit aber drei Jahre nach Kriegsende verlieren sollten, falls die Dissertation dann noch immer nicht gedruckt vorliege.182 Das Ministerium billigte dies kurz darauf generell.183 Trotzdem wurden auch 1917 36 medizinische und 26 philosophische Gießener Dissertationen gedruckt, 1918 je 17.184 Allenfalls ein Teil der neuen Dok torenschaft scheint also von der Verschiebung des Drucks Gebrauch gemacht zu haben. Auch in Straßburg reagierten die Fakultäten verschieden, als der Kurator der Universität die Ermahnung des Reichsamts des Innern und den noch früheren badischen Erlaß übersandte und anregte, wie dort zu verfahren. Die Philo sophische erklärte, daß sie die Drucklegung der Dissertationen bereits seit Kriegsbeginn auf ein Jahr nach dessen Ende verschoben habe – allerdings finden sich auch im Dekanatsjahr 1917/18 immer wieder Nachweise für die Ab lieferung gedruckter Exemplare.185 Die Medizinische Fakultät erklärte sich für die Verschiebung des Drucks (unter der Voraussetzung, daß die Summe zu dessen Sicherung hinterlegt werde) – und verfuhr nun auch tatsächlich so.186 Schließlich durften manche Dissertationen aber aufgrund von Zensur vorschriften ohnehin nicht gedruckt werden, da die Militärbehörden fürchteten, daß die Feinde das know-how der Deutschen zum Kampf gegen sie verwenden könnten. Deshalb wurden die Fakultäten ab Sommer 1917 ermächtigt, 181 Rektor Gi an Theol. Fak. 13.11.1917 (über Beschluß der Phil. Fak. vom 7.11.1917): UA Gi Theol. O 10. 182 Anderhub, Antoniterkreuz, S. 44. 183 Gh. MdI an Univ. Gi 13.5.1918: UA Gi Theol. O 10. 184 Nach JHSS 33 (1917) und 34 (1918). 185 Phil. Fak. Strb. an Rektor 22.11.1917: ADBR 103 AL 1031. Nachweise für Ablieferungen in: ADBR 62 AL 38. 186 Med. Fak. Strb. an Kurator 17.11.1917: ADBR 103 AL 1031. S. als Beispiel die »Duplicat-Quittung« vom 1.5.1918 für Margarete Schaper: 300 M. »Sicherungssumme für den Druck der Promotionsschrift« (zuzüglich zu den 315 M. Promotionsgebühr): ADBR 103 AL 1256.
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den Autoren von Dissertationen kriegspolitischen Inhalts den Doktortitel ohne Drucklegung zu verleihen.187 Neben dem Druck der Dissertationen sollte zwecks Papierersparnis aber auch der Druck der Urkunden beschränkt werden. In Berlin z. B. erhielt bislang jedes Mitglied der Fakultät ein Exemplar der großformatigen Urkunde jedes Promovierten – und mancher gebrauchte den sich (bei über 200 Promotionen pro Jahr allein in der Medizinischen Fakultät) schnell ansammelnden Vorrat dann als Schreibpapier! Der Berliner Pädiater Otto Heubner z. B. hatte die Diplome zerschnitten, um darauf seine Lebenschronik aufzuzeichnen!188 Und in Straßburg nutzten zumindest im Krieg »alle« sie nur als Umschläge oder zum Verpacken von Paketen!189 Bei dieser Sparmaßnahme gingen Hessen und Elsaß-Lothringen Preußen voran. Im Großherzogtum forderte das Ministerium, »die Zahl der zu druckenden Doktordiplome (…) auf das notwendigste Mass« zu beschränken. Die Festsetzung des Minimums überließ es zwar den Fakultäten, regte aber zugleich an zu prüfen, »ob nicht das Format der Diplome verkleinert werden kann und ob nicht die zu treffende Neuordnung für Zahl und Grösse der Diplome als dauernde Massnahme auch für die Zeit nach dem Kriege zu treffen ist.«190 Daraufhin ordnete der Dekan der Theologischen Fakultät die Reduzierung von bisher 100 (!!) auf 20 Exemplare an: Der Universitätssekretär »Erle glaubt, damit auskommen zu können. Die Herren der Fakultät erhalten je einen Abzug.«191 Sofern man den Extraordinarius und den Privatdozenten mitrechnete, zählte die Fakultät damals sieben »Herren«! Die Straßburger Mathematische und Naturwissenschaftliche Fakultät begnügte sich nun sogar mit 15 – statt bisher 50 – Exemplaren der Promotionsurkunde.192 Das genügte, wenn man für den Promovierten selbst ein Exemplar berücksichtigt, nur für die Ordinarien (damals 9), Emeriti (2) und Honorarprofessoren (2). Dann blieb genau noch ein Exemplar übrig – für den Rektor? Oder vielleicht für die Auslage, damit die 7 Extraordinarien und 8 Privatdozenten sich auch informieren konnten? Und wie stand es mit der UB? Die Philosophische Fakultät beschloß wenige Tage später, »einstweilen« auf die bisher gelieferten Diplome 187 Liermann, FAU Erlangen, S. 43. Weitere Details über universitäre Veröffentlichungen und Zensur s. u. in Kap. IV.5. 188 Wolfgang Heubner, Vorbemerkung, in: Heubners Lebenschronik, S. III-VII, hier IV. Zahl der Promotionen im Studienjahr 1913/14: 234 (Rektorwechsel 1914, S. 12). 1914 betrug sie (trotz der fünf Kriegsmonate) immer noch 195 (nach JHSS 30 [1914], S. 209–241). 189 »Wenn das Papier auch jetzt minder ist, so ist es doch Papier; und wir alle benutzen dasselbe doch nur zu Umschlägen, Paketen etc., von Sammeln ist keine Rede.« So der Mediziner Hermann Fehling an den Rektor 13.10.1917, Abschrift (für die Phil. Fak.): ADBR 62 AL 38. 190 Gh. MdI an Univ. Gi und TH Darmstadt 11.10.1917: UA Gi Theol. O 10. 191 Vermerk des Dekans Krüger o. D. auf dem Schreiben des MdI (wie A. 190): Den Herren Kollegen. 192 Math.-Nat. Fak. Strb. 5.11.1917: ADBR 103 AL 124.
872 Studium und Lehre im Krieg zu verzichten und wünschte deren Verkleinerung. Im Dezember 1917 setzte sie dann eine Kommission ein, um dafür Format und Gestaltung festzulegen. Diese tagte im Januar 1918 zweimal, brachte auch einen Entwurf (mit verkürztem, aber immer noch lateinischem Text) zustande, doch die Fakultät vertagte den Beschluß darüber!193 Sieht man von den auf Berlin beschränkten ›Notpromotionen‹ der ersten Kriegswochen und der möglichen Verschiebung der Publikation auf die Nachkriegszeit wegen Papiermangels ab, so scheinen die Anforderungen an eine Promotion im wesentlichen gleich geblieben zu sein. Eine formale Änderung gab es nur für Juristen, von denen an den meisten preußischen Universitäten außer einer Dissertation und einer mündlichen Prüfung bislang auch eine Disputation gefordert worden war. Ab Anfang 1916 wurde darauf offiziell verzichtet – zunächst offenbar auf Antrag der Berliner Fakultät, dann aber sofort auf die anderen preußischen Universitäten ausgeweitet.194 Nur in einem Einzelfall sprach sich die Berliner Medizinische Fakultät im Mai 1918 dafür aus, einem Stabsarzt die Promotionsurkunde ohne Druck seiner Dissertation auszuhändigen – denn deren Manuskript war beim »Russeneinfall« in Ostpreußen verbrannt.195 Ende 1916 kursierte unter Medizinern das Gerücht, wonach »den älteren Kandidaten der Medizin das Doktordiplom nach Einreichung ihrer schriftlichen Arbeit ohne mündliche Prüfung (…) zugestellt« werde, doch ergab die Nachfrage einer Fachzeitschrift beim Ministerium, daß dies auf einem Irrtum (bzw. Wunschtraum) beruhte.196 Diese Nachricht verweist darauf, daß neben den formalen Bestimmungen des Verfahrens schließlich auch die praktische Handhabung zu betrachten ist. Da die zahlreichen Dissertationen der verschiedensten Fächer aller drei Universitäten und die Gutachten dazu nicht überprüft werden können, geht es dabei vor allem um die mündlichen Prüfungen.
193 Prot. der Phil. Fak. vom 10.11. und 8.12.1917; Prot. der Kommission für die Neuein richtung des Doktordiploms vom 8.1. und 17.1.1918; Prot. der Phil. Fak. vom 19.1.1918. Alle: ADBR 62 AL 38. 194 S. Pr. KuMi an Jur. Fak. Berlin 23.3.1916 und an Kuratoren 24.3.1916, in: ZBUPr 1916, S. 358. Allerdings kannten außer der Berliner nur fünf weitere der insgesamt neun pr. jur. Fakultäten die Erfordernis einer öffentlichen Disputation (s. dazu Baumgart, Wegweiser zur Erlangung akademischer Würden, für Berlin S. 59, Bonn 65, Breslau 67, Greifswald 83, Kiel 92, Königsberg 93). Dagegen gab es keine Bestimmung dazu in der Marburger (96 f.) und der Münsteraner (101 f.). Ausdrücklich nicht erforderlich war eine Disputation in Göttingen (81). 195 Sitzung der Med. Fak. Berlin vom 14.5.1918: UA HU Med. Fak. 40, fol. 18–18v, hier 18v. 196 BAN XI (1916/17), S. 29 f. (mit Bezug auf eine Anfrage der Ärztlichen Mitteilungen).
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Das Verhalten der Prüfer im Krieg In einem zeitgenössischen Drama Die Notprüfung ermahnt der Direktor eines Gymnasiums, der innerhalb von fünf Wochen schon zum dritten Mal ad hoc eine schriftliche Prüfung für ausrückende Primaner ansetzt, die Kollegen: »Und noch eins, meine Herren: Nicht zu schwer.«197 Ob das Stück je aufgeführt wurde, ist unbekannt. Doch allein seine Publikation verweist darauf, daß man mit diesem Thema auf Käufer hoffen konnte, eine aktuelle Frage ansprach. Was die Universitäten angeht, hätte es der Ermahnung zur Milde allerdings nicht bedurft. Schon die Situation selbst erzwang sie geradezu angesichts der »Aufregungen, die sich der studentischen Jugend in den ersten Tagen der Mobil machung bemächtigte[n]. Tag für Tag waren Notexamina abzuhalten; es fiel nicht leicht, aus den aufgeregten und verstörten Kandidaten auch nur ein paar zusammenhängende Worte hervorzulocken.«198
Zwar liegen nur wenige zeitgenössische Äußerungen zum Prüferverhalten vor – doch weisen sie alle in diese Richtung. Der Erlanger Zivilrechtler Paul Oertmann fragte 1915 in einer Betrachtung des Lebens in der Kriegszeit nur rhetorisch, ob er die (übliche) Formulierung von der »gestrengen Kommission« durch »milde« ersetzen solle.199 Schon in den zu Kriegsbeginn verkürzten Prüfungen selbst lag ja ein milderes Verfahren beschlossen, das die fehlende Vorbereitungszeit kompensieren sollte, und dasselbe zeigte sich gelegentlich bei einer Zulassung, die nach den geltenden Bestimmungen eigentlich gar nicht möglich gewesen wäre. Solches Handeln entgegen den bislang geltenden Normen findet sich aber auch bei einzelnen. Der Gießener Psychiater Sommer etwa, der so großen Wert auf die Kriegsertüchtigung der Studenten legte und dies auch bei der Behandlung Kriegsgeschädigter zum obersten Kriterium machte, war im Examen, »zumal zu alten Kriegsteilnehmern«, nicht nur »sehr mild«. Er verließ auch schon einmal während der Prüfung kurz den Raum – so daß der Kandidat dort mit einem Buch allein blieb, das bei der zur gerade gestellten Frage passenden Ab bildung aufgeschlagen war.200 In seinem Tagebuch zeigt der Heidelberger Historiker Hampe, wie sehr er am Schicksal eines Studenten (den die Fakultät schon als Bummelanten kannte) teilnahm und ihm weiterhalf. 197 Werner Frey [Johannes Gebhardt?], Die Notprüfung. Ein ernstes Spiel aus großer Zeit, Leipzig 1915, S. 14. 198 Küster, Erinnerungen, S. 174. 199 Paul Oertmann, Erlanger Juristenleben in der Kriegszeit, in: Erlangen in der Kriegszeit, S. 8–11, hier 10. 200 Erwin Schliephake, Robert Sommer, in: G/M/P II, S. 895–905, hier 901.
874 Studium und Lehre im Krieg »Herr Ries ist leider, wie wir schon erwarteten, bei den Stendaler Husaren nicht genommen worden, möchte nun rasch ein Doktorexamen machen. Carl Neumann, unser Dekan, sagte mit Recht, ein solcher Krieg habe kommen müssen, um ihn zum Doktorexamen zu bewegen.«201
Erst, daß er bei einem Eliteregiment nicht angenommen worden war, ließ es dem Sohn eines Berliner Musikverlegers mit einem Gut in Hinterpommern offenbar angeraten erscheinen, sich vor dem Ausrücken mit einer anderen Truppeneinheit noch einen akademischen Titel zu verschaffen.202 Eine Woche nach dieser Notiz seines Lehrers Hampe traf Ries nach vierzigstündiger (!) Fahrt von Berlin aus in Heidelberg ein. »Er denkt sich die Sache wohl noch etwas leichter, als sie ist; aber trotz seiner mangelhaften präsenten Kenntnisse wird er kaum durchfallen.«203 Das Ergebnis stand also schon vor der Prüfung fest – doch der Kandidat war so schlecht, daß der Prüfer nichts riskieren wollte und ihn auch noch selbst darauf vorbereitete: »Abends hatte ich noch Ries notdürftig für das Examen einzupauken; ein schweres Stück, da er völlig herunter ist.« Auch am folgenden Tag widmete sich Hampe dieser Aufgabe noch einmal.204 Nach der Prüfung, »zusammen mit einem anderen Kriegsfreiwilligen«, notierte Hampe nur lakonisch: »Es ging recht gut.«205 Als Ries auf dem Weg vom Heimaturlaub an die Front 15 Monate später seinem Doktorvater seine Aufwartung machte, bestätigte sich der ursprüngliche Eindruck: »geistig ohne besonderen Hunger«. Aber ansonsten hatte der Krieg den jungen Mann offenbar gestärkt, denn er war »frisch und männlich«.206 Der allgemeine Druck, die Studenten ohne Sorgen um ihren Abschluß in den Krieg ziehen zu lassen, ist auch bei dem Marburger Altphilologen Theodor Birt zu erkennen. Am 6. August 1914 notierte er in seinem Tagebuch: »(…) es melden sich jetzt noch eine Masse Leute zum Notexamen und eine ganze Anzahl scheint dabei vornehmlich auf unsre [!] Nachsicht zu rechnen. Das geht zu weit. Man kann nicht jedem zum Abschied ein gutes Zeugnis in den Tornister stecken.«
Zu einer unbedingten Milde (»Gelindigkeit à tous [!] prix«) war er jedenfalls nicht bereit.207 Doch daß mit zunehmender Kriegsdauer das Entgegenkommen der oft mit Bedauern, ja dem Gefühl, unnütz zu sein, zuhause Verbliebenen 201 Hampe, Kriegstagebuch, S. 105 (12.8.1914). Überflüssige Trennung stillschweigend korrigiert. 202 Zum Gut: Hampe, Kriegstagebuch, S. 743 (25.9.1918). Weitere biogr. Angaben im Re gister S. 991. 203 Hampe, Kriegstagebuch, S. 108 (19.8.1914). 204 Hampe, Kriegstagebuch, S. 113 (25.8.1914: Zitat; 26.8.1914). 205 Hampe, Kriegstagebuch, S. 114 (27.8.1914). 206 Hampe, Kriegstagebuch, S. 326 (25.11.1915). 207 Wettmann, Kriegstagebücher Theodor Birts, S. 141 (6.8.1914).
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gegenüber jenen, die die Sache Deutschlands verfochten, fast notwendig wuchs, ist auch an einer Reaktion Birts abzulesen. Im Sommer 1918 ließ er bei einem Doktoranden, der vor dem Krieg schon einmal durch die mündliche Prüfung gefallen war, »pflichtgemäß Milde walten«; schließlich wußte er doch, wie sich der Kandidat im Schützengraben zusammen mit zwei Kameraden, die dann vor seinen Augen gefallen waren, auf das Examen vorbereitet hatte.208 Die Erwartung der Kriegsteilnehmer selbst, ja ihr Anspruch auf Milde äußerte sich schon während des Krieges in der studentischen Presse.209 Sie bildete auch den Hintergrund für die Bemerkungen des Gießener Theologen Gustav Krüger zu den Prüfungen in seiner Begrüßungsrede für Heimkehrer. Er sprach die Situation derer an, die lernen wollten und denen dies in der »Hast der Stunde« doch schwerfiel, weil ihnen »ein graues Gespenst« über die Schulter schaute. »Examen heißt es und dräut mit fürchterlicher Gebärde.« Bannen könne man es durch »ein gutes Gewissen. Freilich muß jeder Prüfung durch Andere eine Selbstprüfung vorangehen.« Doch sollten die Kandidaten dabei ihre »Zulänglichkeit oder Unzulänglichkeit« nicht an den »Einzelkenntnissen« messen, die sie »rasch zusammengerafft [hätten], um sie eben so rasch wieder zu vergessen.« Von solchen »Zufälligkeiten« machten ihre Lehrer ihr Urteil nicht abhängig! »Wo wir den ernsten Willen zur Arbeit haben beobachten können, da wird uns dieser Wille auch als Tat erscheinen dürfen, denn er bietet in sich selbst die Gewähr, daß, wer ihn bewiesen hat, auch im Beruf nicht rosten wird.«210
Mit dieser Ansprache unterstrich Krüger zwar die Notwendigkeit, sich wieder ganz ernsthaft den Studien zu widmen; zugleich aber stellte er den Kriegs heimkehrern eine auf das Wesentliche ausgerichtete Prüfung in Aussicht: Nicht auf Detailkenntnisse würden die Lehrer sehen, sondern auf die Haltung der Prüflinge – und darauf bauen, daß diese sich auch dereinst im Beruf weiter bilden (»nicht rosten«) würden. Insofern wurde hier das, was schon bei den Examina während des Krieges verschiedentlich geäußert worden war, auch weiterhin als Richtschnur ausgegeben. Den »Willen […] als Tat« zu nehmen, kann man aber durchaus als Versprechen der Milde deuten.211 Dies mochten die Hörer noch stärker empfinden, wenn sie Krügers Schreiben an die Kommilitonen
208 Wettmann, Kriegstagebücher Theodor Birts, S. 151 (4.6.1918). 209 Siehe o. S. 845 die Forderungen Burmeisters (mit A. 86). 210 Begrüßungs-Feier, S. 7 f. 211 Damit interpretiere ich diese Passage anders als Heinrich Steitz, der sie in seinem Artikel über Krüger folgendermaßen zusammenfaßt: »Der Lehrer erläuterte seinen Schülern, daß sie – auch in der mißlichen Lage, in die sie durch den Krieg gekommen waren – in der Prüfung Wissen nachweisen müßten. Nur so erlangten sie die Grundlage für die Ausübung des erwählten Berufes.« (G/M/P II, S. 563).
876 Studium und Lehre im Krieg zu Weihnachten 1917 noch im Kopf hatten. Damals war er auch schon auf die Schwierigkeit eingegangen, »noch einmal die Bänke [zu] drücken«, hatte sich aber vor allem mit dem »Geist« beschäftigt, in dem sie an ihre Aufgaben herangehen sollten. »Das Können will ich als selbstverständlich voraussetzen.«212 Eine solche Bemerkung fehlte 1919 ganz! Allerdings weist dieser apodiktische Satz auf eine generelle Spannung hin: zwischen der praktizierten Milde und einer prinzipiellen Haltung, die auch die Konsequenzen zeitweiliger Nachsicht bedachte. In den Überlegungen zur Anrechnung des Kriegsdienstes auch auf die Mindeststudienzeit der künftigen Gymnasiallehrer war für die Berliner Philosophische Fakultät im Sommer 1917 »bei aller billigen Rücksicht auf die Berufslaufbahn der Kriegsteilnehmer doch in erster Linie die Erwägung maßgebend, daß in einer Herabminderung der notwendigen für die Abschlußprüfung zu stellenden Anforderungen eine schwere, lange fortwirkende Schädigung der verschiedenartigsten staatlichen Berufszweige läge; es muß im Hinblick auf unsere geistige Zukunft vermieden werden, daß die den Einzelnen gewährten Benefizien das Wohl der Gesamtheit beeinträchtigen.«
Der Erleichterung für die einzelnen Studenten, die sie gar nicht anzweifelte, stellte die Berliner Philosophische Fakultät also die Folgen für die Gesellschaft entgegen, die sich aus mangelnder Ausbildung der Ärzte, Richter, Lehrer ergäben. Aber darüber hinaus sah sie auch die (bislang als führend angesehene) internationale Stellung Deutschlands gefährdet, die ihrer Interpretation zufolge nicht (oder nicht unmittelbar!) auf seiner Wirtschaft als führende Industriemacht und nicht auf seiner militärischen Stärke gegründet war, sondern auf seiner Kultur.213 Daher kritisierte sie »das ununterbrochene Rütteln an den Grundlagen unserer wissenschaftlichen Erziehung« und die »oberflächliche Abrichtung für das praktische Leben«. Deshalb trat sie – als Alternative zur Anrechung des Kriegsdienstes – für eine spezifische Förderung der Kriegsteilnehmer »innerhalb der gesetzlichen Studienzeit« ein.214 Eine ähnliche Haltung nahm die Universität Straßburg ein: Dort hielten alle Fakultäten an ihren herkömmlichen Anforderungen fest: Keine war bereit, Kriegssemester auf die erforderliche Studienzeit anzurechnen. Entweder hatten sie keine derartigen Bestimmungen getroffen und auch nicht in Aussicht gefaßt oder, wie die Philosophische und Evangelisch-Theologische, sogar expli-
212 Gustav Krüger, in: Weihnachtsgruß der Universität Gießen, S. 4 f. 213 Damit unterstrich die Fak. natürlich auch die eigene Bedeutung – nicht zu unrecht, da ja auch industrieförderliche Naturwissenschaften wie Physik und Chemie dazugehörten! 214 Phil. Fak. Berlin an Pr. KuMi 4.6.1917. Warum die Fak. so spät Stellung nahm, ist unklar. Die Anfrage des Ministeriums datierte schon vom Januar: Pr. KuMi an Universitäts kuratoren etc. 24.1.1917; beide in: UA HU Phil. Fak. 112, fol. 180a-182 (hier180a-180av) bzw. 177–177v.
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zit abgelehnt. Und nur letztere fügte hinzu, daß sie bei Kriegsteilnehmern im Examen aber durchaus Rücksicht nehme.215 Die Gießener Haltung in dieser Frage ist, was die Motive betrifft, nicht zu klären – vor allem deshalb, weil eine Sitzung mit dem zuständigen Ministerialreferenten persönlich vor Ort stattfand und nicht protokolliert ist. Allerdings läßt sich festhalten, daß in der Phase vor der Erstellung des Entwurfs zur Anrechnung des Kriegsdienstes die Prüfungskommissionen für Lehramtskandidaten, Theologen und Forstleute bereit waren, mehr Kriegssemester anzurechnen, als das Ministerium schließlich für billig hielt, während die Agrarwissenschaftler (für Landwirtschaftslehrer) strenger waren und sich die Vorstellungen der Juristischen Prüfungskommission mit der des Ministeriums deckten.216 Im Gegensatz zu den Straßburgern waren sie (mit Ausnahme der Agrarwissenschaftler) aber alle zu einer Anrechnung von Kriegssemestern auf die Studienzeit bereit! Ebenso prinzipiell verhielten sich die Straßburger bezüglich der Promotion,217 bei der sie herkömmlich besonders streng waren. Darüber hatte Walter Goetz 1913 auf dem fünften deutschen Hochschullehrertag berichtet, der die »Reform des deutschen Promotionswesens« ausführlich diskutiert hatte: Die Straßburger Studenten arbeiteten im allgemeinen ein bis zwei Jahre an einer Dissertation, manche noch länger. Keine hatte weniger als drei Druckbogen, die meisten umfaßten 100–150 Seiten.218 Vermutlich bezog Goetz sich hauptsächlich auf die geisteswissenschaftlichen Arbeiten. In den letzten beiden Kriegsjahren jedenfalls gab es auch bei Straßburger Medizinern und Juristen einige Dissertationen, die deutlich unter dem früher üblichen Drei-Bogen-Minimum lagen.219 Andererseits stellt sich die Frage, wie sich die im konkreten Einzelfall (sogar in Straßburg) zur ›Rücksicht‹ gegenüber Kriegsteilnehmern neigenden Prüfer gegenüber Ausländern verhielten. Bezeichnend scheinen wiederum die Beobachtungen des Heidelberger Historikers Hampe bei zwei parallel stattfindenden Rigorosa am 3. August 1914. »Nebenan ein Archäologe, der rasch noch vor dem Aufbruch zum Kriege sein Examen machte und summa cum laude bestand.« Der Dekan »beglückwünschte« ihn »doppelt«: »zum Examen und zur Ehre der Kriegsteilnahme«! Hampes eigener »Kandidat war ein Amerikaner, der eigentlich nur bestand, weil er einer befreundeten Nation angehörte. Als Russe wäre
215 Kurator Strb. an Rektor Leipzig 12.2.1917 (Entwurf): ADBR 103 AL 1429. 216 Entwurf. Betr.: Anrechnung von Kriegsdienst als Studiensemester 23.5.1917; s. dazu die Korrespondenz betr. der Besprechung in Gießen: Gh. MdI an Rektor Gi 29.5.1917; [Rektor] Sch[ian] an die Vorsitzenden der sechs Prüfungskommissionen 14.6.1917; Gh. MdI an Univ. Gi 25.6.1917. Alle in: UA Gi Allg. 1343, fol. 50–52 (insbes. tabell. Übersicht 51–51v), 37, 39, 38. 217 Entwurf 23.5.1917 (wie A. 216). 218 Verhandlungen des fünften deutschen Hochschullehrertages, S. 3–84, hier 58. 219 Nach JHSS 33 (1917) und 34 (1918).
878 Studium und Lehre im Krieg er kaum durchgekommen.«220 Deutlicher hätte man die aktuell-politischen Einflüsse auf die Bewertung einer Prüfung kaum ausdrücken können!
Kriegspromotionen von Ausländern Nicht nur ausrückende deutsche Soldaten, auch ausländische Studenten wollten trotz (oder gerade wegen) des Kriegsbeginns noch examiniert werden.221 Dabei handelte es sich in den allermeisten Fällen um Mediziner. Nach der Annahme der Dissertation durch die Fakultät gingen ihrer Promotion noch langwierige mündliche Prüfungen voraus: Da Ausländer im allgemeinen kein medi zinisches Staatsexamen ablegten, mußten sie ein Rigorosum absolvieren, das jenem entsprach. Sie wurden also sowohl theoretisch in acht (Berlin) bis elf Fächern (Straßburg) geprüft, als auch praktisch, indem sie Diagnosen stellen und Behandlungen empfehlen mußten (mit schriftlichem Bericht dazu). Schon deshalb dauerten ihre Verfahren wesentlich länger als die von Inländern, bei denen normalerweise das Staatsexamen vorausgesetzt wurde und die Kandidaten nach Annahme der Dissertation nur noch ein mündliches Kolloquium zu bestehen hatten (das in Berlin drei Kernfächern, in Straßburg hauptsächlich dem Fach der Dissertation galt).222 Solche Prüfungen, für die die Kandidaten schon bei der Meldung 240–450 M. Promotionsgebühr bezahlt hatten,223 zogen sich immer über mehrere Wochen, manchmal auch Monate hin. Die Prüfungen fanden während des ganzen Jahres statt, doch häuften sie sich jeweils gegen Ende des Semesters (da in der vorlesungsfreien Zeit keine Examina stattfinden sollten).224 In der Berliner Medizinischen Fakultät wurden am 4., 5., 11.–15. August und 7. September 1914 noch zahlreiche Verfahren von Promovenden aus dem Russischen Reich, die inzwischen zu ›feindlichen Ausländern‹ geworden waren, abgeschlossen.225 1914 waren im Mai und Juni nur insgesamt sechs junge Medi 220 Hampe, Kriegstagebuch, S. 99 (3.8.1914). 221 Dieser Aspekt wird bei Siebe, »Germania docet«, überhaupt nicht behandelt. Im Kapitel über den Ersten Weltkrieg geht es nur um den Ausschluß der ›feindlichen‹ und die Neuimmatrikulation anderer Ausländer. 222 Promotions-Ordnung für die Med. Fak. Berlin (wie A. 164); Promotionsordnung der med. (!) Fakultät Straßburg (wie A. 156). 223 240 M.: Promotionsordnung der phil. (!) Fak. Straßburg (wie A. 165), S. 5: 450 M.: Promotionsordnung der med. (!) Fak. Straßburg (wie A. 156), S. 6. 224 Formuliert auf der Grundlage der Analyse von über 100 Promotionsakten (1905–1914) der Berliner Med. Fak. für das Projekt ›Russische‹ Doktorinnen deutscher Universitäten sowie der Durchsicht der Promotionslisten in: Chronik der FWU Berlin 27 (1913) – 28 (1914). 225 Am einfachsten findet man die Namen in der (bis Frühjahr 1916) jährlich publizierten Chronik der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität, welche die Promovierten,
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ziner aus dem Russischen Reich in Berlin promoviert worden, im Juli waren es 8 (davon 5 am 28. und 31.!), im August 22. Und während sonst zwischen dem Rigorosum und dem Tag der Promotion226 meist eine bis drei Wochen vergingen (in denen auf Kosten des Promovenden Dissertation und Urkunde gedruckt wurden), lagen diese Daten nun in allen Fällen dicht beieinander und fielen in einer ganzen Reihe sogar auf denselben Tag, und zwar schon Ende Juli 1914.227 Dabei fanden die jeweils acht Berliner Prüfungen nun jeweils binnen eines knappen Monats statt. Das galt sogar für eines von zwei Verfahren, die schon im Frühjahr begonnen hatten.228 Ende Juli/Anfang August aber ballten sich die Termine geradezu. Wie sehr sich alle um eine Beschleunigung bemühten, ergibt sich aus den vom Dekan festgesetzten Fristen für die einzelnen Prüfungen und deren tatsächlichem Datum: Zwar ließ er den Prüfern üblicherweise 7–8 Tage, innerhalb deren sie ihren Teil des Examens abnehmen konnten, doch schöpften diese das jetzt kaum noch aus.229 Und so hatte ein Kandidat sogar drei Prüfungen an zwei aufeinanderfolgenden Tagen zu bestehen.230 In dieser Zeit scheinen vereinzelt sogar Assistenten im Auftrag des eigentlich bestimmten Ordinarius Examina abgenommen zu haben. Oder sollten sie etwa nur die Formulare
nach Fakultäten geordnet, jeweils chronologisch für das vom 1.4.–31.3. dauernde »Rechnungsjahr« auflistet. Das Jahresverzeichnis der an Deutschen Universitäten (…) erschienenen Schriften (JHSS) ist nach Fakultäten und innerhalb der Orte dann alphabetisch nach Namen geordnet. 226 In JHSS ist dieses Datum mit »Annahme der Dissertation« bezeichnet; doch erfolgte diese, wie die Akten, belegen, wesentlich früher. Das in JHSS genannte Datum entspricht in Wirklichkeit dem auf dem Titelblatt der gedruckten Diss. genannten Datum der »Promotion«. Dasselbe wird auch für Straßburg bestätigt, wo es in der Diss. von Joseph Ludwinowsky (Ueber die Verwendung der Kohlenhydratkuren zur Entzuckerung, Straßburg 1914) heißt »gedruckt mit der am 23.7. erteilten Genehmigung der med. Fak.« Laut JHSS fand das Rigorosum am 23.7.1914 statt; die dort verzeichnete »Annahme der Dissertation« am 30.7.1914 stellt also ebenfalls den Tag der Promotion dar. 227 Zweimal auf den 22., zweimal auf den 31. Juli. Sucher Cytronberg und Wolf Sawidowitsch (22.7.); Salkind Jawitsch und Judel Salomonowitsch (31.7.1914). 228 S. die Promotionsunterlagen von Lea Filintel und Morduch Grinstein, beide: UA HU Med. Fak. 812, fol. 76–88 bzw. 116–130. Während Lea Filintel pro Monat etwa eine Prüfung ablegte, absolvierte Grinstein alle zwischen 13. und 31.7. Sein Wunsch, bereits im Mai zugelassen zu werden, wurde abgelehnt, da das SS 1914 erst sein 10. Studiensemester war und dessen Abschluß die Voraussetzung für die Zulassung zur Prüfung. 229 S. als Beispiel die Verfahren von Jeheskel Atscharkan und Itzik Lipschütz. Atscharkans Termin für die Innere Medizin war für 30.7. bis 8.8. vorgesehen; abgenommen wurde die Prüfung am 2.8. Der Dekan bat den Pathologen Orth am 4.8., die Wiederholungsprüfung für Lipschütz (der am 8.7. durchgefallen war) bis 11.8. vorzunehmen, doch fand sie bereits am 5.8. statt. S. die Promotionsunterlagen der beiden in: UA HU Med. Fak. 813, fol. 42–55 bzw. 81–94. 230 Leib Poller absolvierte zwei Prüfungen am 31.7. und eine weitere am 1.8.1914. S. UA HU Med. Fak. 812, fol. 153–165.
880 Studium und Lehre im Krieg (wegen deren Fehlens im Prüfungsraum oder Zeitdruck des Ordinarius) ausgefüllt haben?231 Schließlich setzte der Dekan, damals der Leiter der Ohrenklinik der Charité, Adolf Passow,232 Prüfungen auch ganz knapp an, am 13. auf spätestens 15. und dann sogar am 14. auf spätestens 15. August. Dabei stellte er die Ausführung aber, wohl um nicht unkollegial zu sein, ins Ermessen des Examinators.233 Sogar Wiederholungsprüfungen beraumte er zunächst nach einem guten, dann schon nach einem knappen Monat, schließlich nach nur gut zwei Wochen an. In den letzten beiden Fällen stellte er es aber dem Kollegen anheim, »ob er prüfen will oder nicht«.234 Und auch bei den Wiederholungsprüfungen gewährte er den Prüfern zunächst zwar, wie üblich, ca. eine Woche Spielraum, in den letzten Semestertagen terminierte er schließlich aber ganz knapp: am 14. bis zum »15.8. incl[usive]«, allerdings »[u]nter Vorbehalt«. Der aufgeforderte Kollege erfüllte die Bitte noch am selben Tag!235 Um den Abschluß der Verfahren solchermaßen zu beschleunigen, mußten sich also Prüfer wie Kandidaten sehr anstrengen. Dabei baute der Dekan den Kandidaten gewissermaßen eine Brücke, um ihr Verfahren noch abzuschließen, ließ den Kollegen (in den meisten Fällen) formal die Wahl, ob sie so kurzfristig prüfen wollten, übte aber gelegentlich auch mora 231 Unterzeichnet hat das Prüfungsprot. Atscharkans (wie A. 229) der Ass. der II. Med. Klinik der Charité, Stabsarzt Dr. Döhrer, für den eigentlich beauftragten Internisten Friedrich Kraus. Die Gründe sind unklar, in die Armee trat Kraus jedenfalls erst am 28.8.1914 ein (s. seine Personalakte: UA HU UK K 304, fol. 13). Außerdem Stabsarzt Heinemann (im Auftrag des Chirurgen Otto Hildebrand) im Verfahren von Alexander Rossels am 10.8.1914 (UA HU Med. Fak. 813, fol. 82–96). Und im Gegensatz zu manchen anderen Assistenten waren diese beiden nicht habilitiert (AV FWU Berlin SS 1914, S. 56, 57). Die Vornamen der Assistenten fehlen in AV generell. 232 Passow, ursprünglich (auch seiner Ausbildung nach) Militärarzt, seit 1896 Professor (zunächst in Heidelberg), strebte seit Jahren die Zusammenlegung von Otologie und Laryngologie an, konnte das aber gegen die Laryngologen, die gerade erst die Anerkennung als Prüfungsfach erlangt hatten, nicht durchsetzen. Erst 1922 wurden die Kliniken vereinigt. S.: O. Wagener, Adolf Passow †. Nachruf, in: Archiv für Ohren-, Nasen- und Kehlkopfkunde 115 (1926), S. I–IV. 233 Siehe die Akten von Eliasar Grinberg (UA HU Med. Fak. fol. 151–163, hier 153) und, für die knappste Frist, Jacob (Jankel) Wengeroff (UA HU Med. Fak. 815, fol. 37–48, hier 39). 234 Lew Sirota hatte die erste Prüfung in Pathologie am 4.7., die Wiederholung am 8.8.1914 (UA HU Med. Fak. 814, fol. 98–112, hier 102, 101.) Dabei hatte der Dekan die Frist am 7.8. bis 14.8. festgesetzt. Für Lipschütz s. A. 229. Zeilik Brind hatte sich der Patho logieprüfung am 11.7. vergeblich unterzogen und wiederholte sie am 5.8. mit Erfolg (UA HU Med. Fak. 813, fol. 104–119). Auf Nuchim Borissowskis ersten Versuch am 22.7. folgte der zweite, erfolgreiche, am 8.8. (UA HU Med. Fak. 813, fol. 53–66, Zitat 55). Bei Mowscha Brumberg waren die entsprechenden Termine 23.7. und 5.8. (UA HU Med. Fak. 814, fol. 29–43). Ohne Vermerk über die dem Prüfer freigestellte Entscheidung: Promotionsakte von Leiba Rokach: UA HU Med. Fak. 814, fol. 121–134, hier 131. 235 S. die Promotionsunterlagen von Jeremias Kohan (UA HU Med. Fak. 814, fol. 165–178, Zitat 176).
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lischen Druck aus. Als er am 17. August den Gynäkologen Karl Franz (der diese Kandidatin am 14. bereits in seinem eigenen Fach examiniert hatte) aufforderte, Esther Alpert in Chirurgie zu prüfen, setzte er ihm zwar keine Frist, vermerkte aber auf dem Rand: »Da es die letzte Station ist, die Frl. A. noch zu bestehen hat, erscheint mir eine Ausnahme gerechtfertigt.« Dabei sollten den Fakultätsstatuten zufolge in der Ferienzeit (die am Sonntag, 16. August, begonnen hatte) keine Prüfungen abgehalten werden. Tatsächlich fand diese Prüfung aber erst am 2. September statt.236 Doch es gab noch andere Unregelmäßigkeiten: Eine Prüfung bei Franz, die der Dekan am 31. Juli auf spätestens 8. August festgesetzt hatte, wurde erst am 15. August abgehalten. Den Promotionseid hatte der Kandidat aber bereits am 14. abgelegt, und auf diesen Tag lautete auch seine Promotionsurkunde – die der am 2. September geprüften Esther Alpert auf 15. August!237 Oder sollte man annehmen, daß in diesen Fällen das Prüfungsprotokoll jeweils erst einige Tage (bzw. sogar Wochen) nach dem Examen unterzeichnet wurde? Daß dies gelegentlich vorkam, scheint ein Schreiben des Dekans an das Ministerium zu belegen. Oder wurde dies vielleicht zum Schutz der Beteiligten nur vorge spiegelt?238 Selbst in diesem Fall aber hätte Esther Alperts letzte Prüfung nach dem offiziellen Datum ihrer Promotion gelegen! Am größten war das Entgegenkommen der Medizinischen Fakultät gegenüber Elias Silbermann und Chaim Wilenkin. Laut Titelblatt ihrer Disser tationen und Chronik der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität, die dies allerdings nicht im Rechnungsjahr 1914/15, sondern, als Nachtrag, erst im folgenden meldete, wurden die beiden am 7. September 1914 promoviert. Im Jahresverzeichnis der Hochschulschriften sind sie sogar erst 1920 zu finden.239 Ihre Verfahren wirbelten schließlich einige Unstimmigkeit mit dem Ministerium auf – und als deren Folge auch das Verbot weiterer Promotionen ›feind licher‹ Ausländer. Am 10. September wandten sich die beiden in (bis auf wenige Worte) gleichlautenden Gesuchen an das Ministerium mit der Bitte, die Aushändigung ihres Doktordiploms, das der Dekan bereits unterzeichnet habe, zu genehmigen; denn diese werde »angeblich auf Erlass des Herrn Ministers« verweigert. 236 Promotionsunterlagen: UA HU Med. Fak. 815, fol. 57–71, hier 60. 237 S. die Promotionsunterlagen von David Piontnitzki: UA HU Med. Fak. 815, fol. 16–29, hier 18. 238 S. das u. erwähnte, angeblich mehrere Tage nach dem Examen Wilenkins unterzeichnete Prüfungsprot. 239 Chronik der FWU 29 (1915), S. 18; JHSS 36 (1920), S. 276 bzw. 284, jeweils mit dem Zusatz »[Nachträgl. gel(iefert)]«. Die Vitae der Dissertationen geben dazu keine weiteren Aufschlüsse. Die Namensunsicherheit bei Wilenkin ergibt sich aus dem Titelblatt (»B. Wilenkin«), das im Widerspruch steht zum Lebenslauf (»Chaim Wilenkin«). »Chaim« auch in der Chronik, »B.« wird in JHSS (und dementsprechend in einigen Bibliotheks katalogen) als »Berka« aufgelöst.
882 Studium und Lehre im Krieg Dadurch aber würden sie in ihrer Existenz schwer geschädigt; denn russische Staatsangehörige, die sich als Ärzte legitimieren könnten, durften laut Bekanntmachung der Berliner Kommandantur Deutschland verlassen, und so sei es tatsächlich auch bei ihren »bis zum 15. August« promovierten Landsleuten gewesen. Sie aber würden durch das fehlende Diplom daran gehindert, hätten andererseits aber keine Mittel mehr, weiter in Deutschland zu bleiben.240 Daraufhin zog das Ministerium die Medizinische Fakultät zur Rechenschaft,241 und so berichtete Passow: »Die beiden Antragsteller haben alle Erfordernisse der Doktorpromotion voll erfüllt. Es handelt sich nur noch um die Aushändigung der bereits fertigen Doktordiplome (…)«. Für den Fall, daß das Ministerium an der »Form der Diplome« »Anstoss« nehme, schlug Passow vor, eine vom Dekan unterschriebene Bescheinigung auszustellen, »die etwa folgendermassen lauten könnte: Dem X wird bescheinigt, dass er nach einem Studium von 10 Semestern auf deutschen Hochschulen das Examen rigorosum bestanden hat und zum Doctor medicinae an der medizinischen Fak. der Friedrich Wilhelms-Universität promoviert ist. – Das Diplom kann zur Zeit nicht ausgehändigt werden; Herr X hat das Recht, sich Dr. med. zu nennen.«242
Aus der Formulierung, daß die Petenten die »Erfordernisse der Doktorpromotion« erfüllt hätten, schloß das Ministerium, »daß der Promotionsakt selbst noch nicht vorgenommen worden ist«, es also keineswegs »nur um die Aushändigung der Doktordiplome« gehe. Also könne die Fakultät auch keine Bescheinigung erteilen, daß die beiden promoviert seien und sich »Dr. med.« nennen dürften. Die Bescheinigung müsse sich vielmehr darauf beschränken, daß die beiden 10 Semester an deutschen Universitäten studiert und das Doktorexamen bestanden hätten. Außerdem wurde dem Dekan gestattet, weiteren 29 Promovenden, deren Verfahren unterbrochen worden waren, weil sie noch »2 und mehr Stationen« des Prüfungswegs zu absolvieren hätten, während der Ferienzeit aber nicht geprüft werde, Bescheinigungen über ihre Studienzeit auszustellen. Doch das Ministerium, das erst durch den als Begründung dienenden Hinweis der Petenten auf deren nach Kriegsbeginn promovierten Kommilitonen darauf aufmerksam geworden war, forderte nun einen »schleunigen Bericht (…), um wieviele Promotionen es sich dabei handelt, wann diese stattgefunden haben, und wann das Examen rigorosum von den Promovenden abgelegt worden ist. Ferner ist anzugeben, wann die Kandidaten Wilenkin und Silber240 Elias Silbermann an Pr. KuMi 10.9.1915; Chaim Wilenkin an Pr. KuMi 10.9.1915. Beide: UA HU Med. Fak. 307, fol. 8–9 (Zitat 9) bzw. 10–11. 241 Das Schreiben ist nicht überliefert, weil es mit der Antwort (s. folgende A.) »urschriftlich (…) zurückgereicht« wurde. 242 [Dekan der Med. Fak.] Passow an [Pr. KuMi] 14.9.1914 (Entwurf): UA HU Med. Fak. 307, fol. 5.
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mann selbst das Examen rigorosum abgelegt haben; im Falle einer Wiederholungsprüfung würde auch das Datum der ersten Doktorprüfung mitzuteilen sein.243
Die Fakultät bestätigte nun zwar die Promotion von Russen, deren Verfahren vor Beginn des Krieges eingeleitet worden waren, nannte trotz der expliziten Frage danach aber nicht die Zahl der Promovierten!244 »Die Kandidaten Silbermann u. Laskin,245 welch letzter nachträglich auch um Erteilung des Diploms bittet, hatten am 1. August alle Teile des Examens erledigt, waren aber in der Pathologie durchgefallen. Der Kandidat Wilenkin scheint [!] erst in den ersten Tagen des August die 8. Station absolviert zu haben, da Herr [Name unlesbar] das Zeugnis […]… 16. [oder 11.?] datiert hat, aber erst einige Tage nach dem Examen zur Ausstellung die Zeit gefunden haben soll. Da alle 3 Kandidaten nur in Pathologie durchgefallen waren, Silbermann u. Wilenkin allerdings zweimal, so glaubte der mitunterzeichnete Examinator der Pathologie in Anbetracht dieses Umstandes Nachsicht üben und die Candidaten den 7. und 8. Sept. nochmals prüfen zu dürfen. Sie haben nun bestanden, und da sie auch alle drei ihre Dissertationen haben drucken lassen, so befürworten wir, daß diese 3 Kandidaten ausnahmsweise noch promoviert werden dürfen und ihre Diplome erhalten.«246
Nun mußte sich die Fakultät vom Ministerium an ihre eigene Satzung erinnern lassen, wonach Teilprüfungen des Rigorosums frühestens »nach 2 bis 4 Monaten« wiederholt werden und Doktorprüfungen generell »nur innerhalb der amtlichen Dauer des Studiensemesters« stattfinden dürften. »Das den Kandidaten Wilenkin und Genossen gezeigte Entgegenkommen war danach nicht statthaft und hätte um so mehr unterbleiben sollen, als es sich um An gehörige eines Staates handelte, der gegen uns Krieg führt.«
Da sie nicht promoviert seien, könne ihnen das Diplom nicht ausgehändigt werden – und eine Promotion in der vorlesungsfreien Zeit sei unstatthaft. Ihre Gesuche seien also »derzeit« abzulehnen (woraufhin noch einmal der Feind-
243 Pr. KuMi an Med. Fak. Berlin 24.9.1914: UA HU Med. Fak. 307, fol. 6; das Zitat über die 29 unterbrochenen Verfahren wie A. 242. 244 »(…) daß Russen, die noch während der Dauer des Sommersemesters d. J., vor dem 15. August mit ihrem Anfang Juli begonnenen Examen rigorosum fertig wurden, von dem Herrn Dekan promoviert wurden u. auch, nach Ablieferung der vorgeschriebenen Anzahl Dissertationsabdrucke, das Diplom ausgehändigt erhielten. Die Promotion fand statt.« (wie A. 242). 245 [Jankel] Laskin. Laut AV FWU Berlin studierte er seit Ostern 1912 hier. Doch ist seine Promotion weder in der Chronik noch in JHSS nachzuweisen. Auch der KVK weist keine Dissertation nach, weder mit dem Vornamen »Jankel« noch mit »J« (evtl. für die deutsche/polnische/russische Form Jakob/Jakób/Jakov). 246 [Entwurf des Berichts] 29.9.1914 auf dem Schreiben des Ministers (wie A. 243, hier fol. 6v). Der Mitunterzeichner wäre demnach der Pathologe Johannes Orth.
884 Studium und Lehre im Krieg Status hervorgehoben wurde).247 Mit einem Telegramm aus Örebro (Schweden), das am 8. Oktober in Berlin einging, bedankten sich Wilenkin, Silbermann und Laskin aber: »geheimrat orth charite berlin senden ihnen unser gruss und dank für ihre gerechtigkeit und entgegenkommen hoffen in der zukunft von ihnen vieles lernen zu können laskin london silbermann wilenkin +«248
Die Ausreise war ihnen also doch gelungen, und, wie die Meldung in dem 1916 erschienenen Chronik-Band vermuten läßt, auch die Promotion. Wie das geglückt war, bleibt das Geheimnis der Beteiligten, auch ob sich der Dank an Orth (bei dem übrigens viele Studentinnen und Studenten aus dem Russischen Reich durchfielen!249) auch darauf oder ›nur‹ auf die Wiederholungsprüfungen bezog. Schließlich ist die Bedeutung von »London« mitten unter den Kandidaten namen ebenfalls unklar.250 Was übrigens die Promotion in den »Universitätsferien« betrifft, so genehmigte der Minister sie für Inländer, die eingezogen seien oder sich »mit Urlaub« in Berlin befänden, 10 Tage nach seinem letzten Schreiben in der causa Wilenkin et al.251 Die Promotion feindlicher Ausländer dagegen hatte er bereits eine Woche später generell untersagt. Falls gewichtige Gründe in Einzelfällen eine Ausnahme nahelegten, sei seine Genehmigung einzuholen.252 Aber wie hatte der Minister, der diesem Runderlaß zufolge bis dahin davon ausgegangen war, daß nach Kriegsbeginn keine ›Feinde‹ mehr promoviert worden seien, dann überhaupt die Aushändigung der Doktordiplome untersagen können, worauf sich Wilenkin und Silbermann ja von Anfang an beriefen? Noch im Verbot des Studiums und der Immatrikulation (vom 30. August) war dazu ja nichts enthalten. Doch dem Juristen Kipp, der den in der Sommerfrische weilenden Rektor Planck vertrat, war es damals »folgerichtig« erschienen, »daß auch Promotionen feindlicher Ausländer zur Zeit nicht stattfinden dürfen«. Deshalb fragte er beim Kultusministerium nach – und bewirkte genau damit, daß die Urkunden der letzten Kandidaten nicht mehr ausgehändigt werden konnten. Diese Promotionsverfahren anzuhalten, scheint auch seine Absicht 247 Pr. KuMi an Med. Fak. FWU Berlin 4.10.1914: UA HU Med. Fak. 307, fol. 7. 248 UA HU Med. Fak. 307, fol. 11a. 249 Wie A. 224. 250 Eine vorher vereinbarte Chiffre für eine bestimmte Nachricht? Oder ihr tatsächlicher Aufenthaltsort, von dem aus sie evtl. jemanden anderen gebeten hatten, aus dem neutralen Schweden zu telegraphieren? Oder der Aufenthaltsort Laskins (in Abweichung von Örebro für die beiden anderen)? 251 Und tatsächlich stammten in dieser Angelegenheit alle Schreiben von ihm selbst! Pr. KuMi an Med. Fak. 14.10.1914: UA HU Med. Fak 307, fol. 16. 252 Pr. KuMi an Kuratoren 27.9.1914/Abschrift an Med. Fak. Berlin: UA HU Med. Fak. 307, fol. 15. Der Runderlaß wurde in ZBUPr nicht veröff.
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gewesen zu sein; denn er informierte von sich aus die Medizinische Fakultät über seine Nachfrage und bat sie, bis zur vom Hochschulreferenten versprochenen Klärung binnen weniger Tage keine weiteren Promotionen mehr zu vollziehen.253 In der Theologischen und der Juristischen Fakultät der Hauptstadt wurden 1914/15 überhaupt keine russischen Untertanen promoviert, in der Philo sophischen nur drei: ein vermutlich russischer Chemiker im Mai, ein russischer Kunsthistoriker am 24. Juli, ein deutschbaltischer Historiker Ende Februar 1915. Doch die beiden letztgenannten Promotionen lassen keinerlei Rückschlüsse zum Verhalten der Fakultät gegenüber Ausländern im (bzw. angesichts eines drohenden) Krieg(es) zu; allenfalls läßt sich vermuten, daß Graf Suboff [Zubov] aus Sankt Petersburg, der über den vielleicht wichtigsten Architekten seiner Heimatstadt, Carlo di Giovanni Rossi, geschrieben hatte, den Druck seiner Dissertation wegen des drohenden Krieges nun beschleunigte – denn das Rigorosum hatte er bereits ein Jahr zuvor bestanden. Und Bernhard Thies aus Dünaburg, der über ein russisches historisches Thema gearbeitet hatte, gehörte ohnehin jener Kategorie von Ausländern an, für die besondere Ausnahmen vorgesehen waren. So konnte er in aller Ruhe im November 1914 sein Rigorosum ablegen und Ende des Wintersemesters die gedruckte Arbeit abliefern.254 In den beiden anderen untersuchten Universitäten fand nach Beginn des Krieges nur noch jeweils eine einzige Promotion eines Studierenden aus dem Russischen Reich statt.255 Und dabei gab es in Gießen nicht einmal im Juli andere ›Russen‹. In Straßburg dagegen legte – wie in Berlin – an der Medizinischen Fakultät eine ganze Reihe jüdischer Studierender aus dem Russischen Reich im Lauf des Juli die (letzten) Prüfungen ab: Zwei Frauen beendeten sie am 5. bzw. 7. Juli256, drei Männer und eine weitere Frau am 23. (also am Tag des österreichischen Ultimatums an Serbien!) und 24. Juli. Sie erhielten ihre Urkunden zwischen dem 23. und 30. Juli.257 Auch wenn diese Verfahren bei Beginn der sog. Julikrise vermutlich längst in Gang waren, deuten diese knappen Fristen (in denen noch der Druck bewerkstelligt wurde) auf Eile hin. Am offenkundigsten ist dies bei der letzten Promotion: Anna Kramer bestand am 1.8. die letzte Teilprüfung des Rigorosum und reiste am 2.August aus Straßburg ab.258 Dabei wurde in drei Fällen ein bereits gedruckter oder in Druck befindlicher 253 Rektor der FWU an [Dekan Med. Fak.?] 8.9.1914: UA HU Med. Fak. 307, fol. 12. 254 Nachweise für beide: Chronik der FWU Berlin 28 (1914), S. 31, 36. 255 Alle im folgenden genannten Doktoren wurden ermittelt aus der Durchsicht von JHSS 30 (1914) jeweils für alle Fakultäten beider Universitäten. 256 Sara Aronstamm; Sascha Rafaelsohn (Geschlecht laut vita in der gedruckten Dissertation). 257 David Rutenburg, Jankel-Nussin Schapiro, Malka Feigin, Joseph Ludwinowsky. (Zur Interpretation der Datierung s. A. 226.) 258 JHSS datiert die »Annahme der Dissertation« (die in Wirklichkeit ja allen Promotionsprüfungen vorausgehen mußte, so daß das dafür angegebene Datum normalerweise den Tag der Promotion bezeichnete) auf 31. Juli, das Rigorosum auf 1. August. Abreise nach der Einwohnermeldekarte in: AMS 602 MW 396.
886 Studium und Lehre im Krieg Aufsatz vorgelegt. Das läßt auf die Qualität der Dissertationen schließen, die die Doktorväter in Zeitschriften unterbrachten (von deren Fahnen dann offenkundig die eigentlichen Dissertationsexemplare mit besonderem Titelblatt und vita erstellt wurden). David Rutenburgs war bereits in einer im Mai 1914 ausgegebenen Fachzeitschrift erschienen,259 Sascha Rafaelsohns erschien am 13. August, als sie selbst längst abgereist war, in einer medizinischen Wochenschrift, die danach wegen des Krieges bis April 1915 pausierte!260 Daß sich der formelle Abschluß von Moschko Scheinermanns Promotionsverfahren in der Philosophischen Fakultät so lange hinzog, könnte (aufgrund materieller Schwierigkeiten) ebenfalls kriegsbedingt sein. Im Dezember 1913 hatte er die Gebühr bezahlt und mit dem Gesuch seine Dissertation eingereicht, die am 15. bzw. 20. Januar 1914 begutachtet wurde.261 Die umfangreiche experimentalpsychologische Untersuchung, für die sich sowohl sein Mentor als auch einige Kommilitonen als Versuchspersonen zur Verfügung gestellt hatten, erschien bereits 1914 als eigener Band in dem von seinem Doktorvater Gustav Störring gegründeten und (mit-) herausgegebenen Archiv für die gesamte Psychologie.262 Da das Rigorosum am 24.1.1914 stattfand, die Promotion offiziell aber erst am 16.2.1915 erfolgte,263 wartete Scheinermann zunächst vermutlich den Druck des Buches ab und hatte dann wohl wegen des Krieges Schwierigkeiten, der Universität die Pflichtexemplare zuzustellen;264 denn er selbst war zusammen mit seiner im Januar 1914 ebenfalls in Straßburg promovierten Frau im Februar 1914 nach Rußland zurückgekehrt.265 (Ob evtl. auch der Wechsel des 259 David Rutenburg, Über die Netzhautreizung durch kurzdauernde Lichtblitze und Lichtlücken, in: Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 48 (1913/14), H. 4 (lt. Umschlagtitel »ausgegeben im Mai 1914«), S. 268–284. Separat mit eigenem Titelblatt und angehängtem Lebenslauf: Straßburg 1914. 260 Sascha Rafaelsohn, Über die Häufigkeit der intraocularen Tuberkulose, in: Fortschritte der Medizin 32 (1914; nach der Pause als 32 [1914/15] weitergeführt), Nr. 33 (13.8.1914), S. 268–284. Separatdruck: Langensalza 1914 (s. auch A. 256). Rigorosum: 7.7., Pro motion: 21.7. (JHSS). Abreise laut Einwohnermeldekarte (AMS 602 MW 587): 8.7.1914. Die Promotionsordnung enthält keine Bestimmung über den Vollzug der Promotion. Das Beispiel Rafaelsohn scheint nahezulegen, daß, anders als in Berlin, kein eigentlicher Promotionsakt (der die Anwesenheit des Promovenden erforderte) stattfand. 261 S. die Promotionsakte: ADBR 62 AL 35. 262 M[oschko] Scheinermann, Das unmittelbare Behalten im unermüdeten und ermüdeten Zustande unter besonderer Berücksichtigung der Aufmerksamkeitsprozesse, Berlin u. a. 1914, S. 134 (Dank). 263 Datum vermerkt auf dem Promotionsgesuch (ADBR 62 AL 35), ebenso in JHSS 31 (1915), S. 396. 264 Verwirrung stiftet nur der Aufkleber auf den Tauschexemplaren der gedruckten Dis sertation, wonach die Dissertation am 24.1.1913 (!) angenommen worden sei – doch handelt es sich dabei vermutlich um einen einfachen Druckfehler. 265 S. die Einwohnermeldekarte von Moschko Scheinermann, auf der auch seine Frau Wera (geb. Bernhardt) vermerkt ist: AMS 602 MW 650. Zu ihrer Promotion: JHSS 30 (1914), S. 475.
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Doktorvaters nach Bonn und die Auseinandersetzungen um seine Nachfolge zur Verzögerung beigetragen haben, war nicht zu klären.)266 In Gießen wurde während des Krieges eine einzige Frau aus dem Russischen Reich promoviert, und zwar in Medizin am 13. August 1914. Eine Gießener Besonderheit lag darin, daß das Promotionsgesuch nicht nur in der Fakultät zirkulierte, sondern nach seiner dortigen Annahme auch noch dem Rektor und dem Kanzler vorgelegt werden mußte (die dagegen Einspruch erheben konnten) und der Rektor dann dem Dekan die venia promovendi erteilte. Die Gebühr von 470 M. für nicht-approbierte Mediziner war nach der Zulassung fällig.267 Die aus Riga stammende Soscha Wolpe legte am 31. Juli 1914 das Rigorosum ab, am 13. August wurde das Verfahren förmlich abgeschlossen. Ihr Doktorvater war der Deutschbalte (mit schwedischen Wurzeln) Eugen Bostroem, der selbst schon in Deutschland studiert hatte und seit 1883 Ordinarius für Pathologie in Gießen war. Wolpe selbst hatte ihre ganze Studienzeit (seit 1908) in Gießen verbracht und kurz vor dem Examen geheiratet.268 Ab Herbst dieses Jahres hielt man sich in Gießen an die Entscheidung des Ministeriums anläßlich der Auseinandersetzung um Cäcilie Katzenelsohn, wonach der Ausschluß ›feindlicher Ausländer‹ sinngemäß auch auf Promotionen anzuwenden sei.269 Mit Bezug auf diesen Präzedenzfall sah sich der Rektor auch nicht imstande, die venia promovendi für zwei »Russinnen« (aus der Ukraine und Kurland) zu erteilen, die am 13. Juni, also noch vor dem Attentat in Sarajevo, ihr Prüfungsverfahren abgeschlossen hatten und am 5. Januar 1915 die Pflichtexemplare ihrer Dissertation ablieferten.270 Der Rektor (und Kanzler) stellte dem Dekan anheim, die Anträge bis Kriegsende ruhen zu lassen oder 266 Störring hatte bereits Ende September 1913 einen Ruf nach Bonn angenommen und die dortige Professur am 1.4.1914 angetreten. Zu Störring (allerdings nur bis zur Berufung nach Zürich 1902, mit kurzem Ausblick) s. H. Steinberg/U. Künstler, Vor 100 Jahren erschienen die »Vorlesungen über Psychopathologie….« von Gustav Wilhelm Störring. Ein Rückblick auf seine frühen Jahre, in: Fortschritte der Neurologie und Psychiatrie 68 (2000), S. 243–249. Zu den Auseinandersetzungen um seine Nachfolge s. o. S. 106 f. Weitere Informationen über M. Scheinermann konnten nicht gefunden werden, weder im KVK noch im Internet (auch nicht in der polnischen Schreibung seines Namens: Szajnerman). 267 Promotionsordnung der Med. Fak. Gießen in: Baumgart, Wegweiser zur Erlangung akademischer Würden, S. 136–142. 268 Unter ihrem Geburtsnamen Leikin ist sie zuletzt in PB LU Gi WS 1913/14, S. 54 eingetragen (im SS 1914 weder als Leikin noch als Wolpe). Daten zur Promotion: JHSS 31 (1915), S. 293. Biographie Bostroems in: G/M/P I, S. 99–104 (Helmut Faber). 269 Gh. MdI an Phil. Fak. Gi 24.11.1914: UA Gi Allg. 1350, fol. 186. Zum Fall Katzenelsohn s. o. S. 785–787. 270 Nach den Promotionsakten von Anna Umanska und Rogate Werpe: UA Gi Med. Prom. 2336 bzw. 2339. Zur Gießener Besonderheit der Beantragung der venia promovendi beim Kanzler (dessen Amt damals der Rektor ausübte) nach Abschluß des Verfahrens s. Baumgart, Wegweiser zur Erlangung akademischer Würden, S. 139.
888 Studium und Lehre im Krieg das Einverständnis für eine Vorlage der Akten beim Ministerium zu erteilen.271 Darauf scheint dieser verzichtet zu haben. Dem stimmten die Mitglieder der Medizinischen Fakultät zu, auch der Doktorvater Bostroem. Er schlug aber vor, daß der Dekan nach der Erteilung der venia promovendi »das Datum der bestandenen Prüfung im Diplom, etwa in folgender Weise, vermerken [möge]: auf Grund am … Juli 1914 bestandener Prüfung nach Veröffentlichung ihrer Schrift usw.« Die Ausstellung des Doktordiploms schien also akzeptiert, und es sollte (mindestens nach dem Wunsch des Doktorvaters) auch den Grund der Verzögerung andeuten.272 Warum aber verzichtete er (wie auch der Dekan) auf eine Vorlage beim Ministerium, die man ja leicht damit hätte begründen können, daß das gesamte Prüfungsverfahren über sechs Wochen vor dem Krieg, noch vor dem Mord in Sarajevo, abgeschlossen war – und die beiden Frauen, nachdem sie auch noch den Druck bewerkstelligt und finanziert hatten, nur erhielten, was ihnen zustand? Tatsächlich lagen (und liegen) die beiden Dissertationen ja gedruckt vor, doch gelangte nur die eine in das Jahresverzeichnis der Hochschulschriften, und auch das erst 1927: mit dem Publikationsdatum 1914, das auch auf dem Titelblatt der offenkundig unveränderten Schrift steht, und der Bezeichnung als »Med. Diss. vom 8.2.1927« (die sie auch in einer Reihe von Bibliothekskatalogen trägt)!273 Dabei hatte sich Anna Umanska schon kurz vor Kriegsende um die Ausstellung des Diploms bemüht: Der Vorsteher der Armen-Kommission von Charlottenburg bat die Universität Gießen am 3. November 1918, das Diplom für Frau Uman ska auszustellen und an seine Adresse zu schicken, damit er es an sie weiterleiten könne. Dieser Bitte kam die Universität nicht nach. Am 2.2.1927 wandte sich Umanska aus Char’kov selbst an die Universität und ersuchte um Ausfertigung und Zusendung des Diploms. Dazu war die Universität auch bereit, bat zunächst aber um die Gebühren für die Ausstellung des Diploms. Diese konnte Umanska vermutlich nicht aufbringen – oder vielleicht war der Brief der Universität in die ukrainisch-sowjetische Stadt auch verlorengegangen. Jedenfalls brach der Briefwechsel ab, und die Promotionsakte trägt den Vermerk »Diplom wurde nicht ausgestellt«.274 Rogate Werpes Spuren verlieren sich dagegen ganz.275 271 [Rektor] an Prof. Strahl 12.1.1915: UA Gi Allg. 1350, fol. 185; auch in Med. Prom. 2336. 272 Die Zustimmung der Fakultät erfolgte im Umlaufverfahren, bei Bostroem mit dem zitierten zusätzlichen Vermerk. UA Gi Med. Prom. 2336. 273 Das erkennt man schon am einleitenden Forschungsüberblick (»Mehrere in den letzten Jahren bekannt gegebene klinische Beobachtungen…«, S. 5) in Verbindung mit dem Literaturverzeichnis, dessen jüngste Titel von 1913 stammen. Offenbar war das Titelblatt völlig korrekt, wurde also die 13 Jahre alte Dissertation angenommen: Anna ChanaGolda Umanska, Ueber die blasenförmige Vorwölbung des angeboren verschlossenen vesikalen Harnleiterendes, Gießen 1914. 274 UA Gi Med. Prom. 2336. 275 Sie wandte sich später nicht mehr an die Universität. Im Internet findet man eine einzige Eintragung: ihre Dissertation bei Google-Books.
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Angehörige neutraler und verbündeter Staaten wurden nicht nur immatrikuliert und promoviert;276 man machte für sie im Promotionsverfahren sogar ge legentlich Ausnahmen. So erklärte die Philosophische Fakultät Berlin die Zulassung eines Bulgaren, der in Archäologie promoviert werden wollte, im Mai 1915 (als sowohl die Mittelmächte als auch die Entente sich noch um das Land bemühten) für zulässig, obwohl er ›nur‹ eine Oberrealschule abgeschlossen hatte und weder über Latein- noch Griechisch-Kenntnisse verfügte. Daß er eine Dissertation zur Ur- und Frühgeschichte schreiben wollte, erleichterte der Fakultät den Verzicht auf die Anforderung vermutlich. Allerdings ist es zu dieser Arbeit offenbar nicht mehr gekommen, da der junge Mann bald darauf verstarb.277 Die Richtlinie, daß ›feindliche Ausländer‹ an einer deutschen Universität nicht studieren (und gar promoviert werden) sollten, blieb dagegen überall bestehen – wurde aber auf Amerikaner nach dem Kriegseintritt der USA nicht angewandt!278 Allerdings änderte sich im Lauf des Krieges die Zuordnung einzelner Nationalitäten. Im Dezember 1917, also ein Jahr nach der Proklamierung des Königreichs Polen durch die Mittelmächte und ein Vierteljahr nach der Einsetzung eines Regentschaftsrates zur eigenständigen Leitung von Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung des Königreichs, billigte die Berliner Philosophische Fakultät das Gesuch eines polnischen Juden um Zulassung zur Promotion. Auch das Ministerium stimmte zu. Den Ausschlag gab vermutlich, daß er – bis zum Ausschluß feindlicher Ausländer 1914 – lange in Berlin studiert hatte279 (während man ja die Neuimmatrikulation von Studenten aus diesem Gebiet gering zu halten bestrebt war). Allerdings scheint er die Dissertation nicht abgeschlossen zu haben.280 Im Fall eines Deutschbalten, der 1916 Privatdozent in Petersburg (und Lehrer an der Schule der deutschen Petri gemeinde dort) gewesen war, war die Fakultät nicht nur zur Zulassung zur 276 S. als Beispiele die Promotionen mehrerer Bulgaren und zweier Ägypter in der Med. Fak, (Chronik der FWU 1915, S. 18 f. bzw. 19, 21) oder dreier Amerikaner und eines Rumänen in der Phil. Fak. (Chronik der FWU 1915, S. 25). 277 Sitzung der Phil. Fak. Berlin 6.5.1915: UA HU Phil. Fak. 34, fol. 9–10, hier 10 (Tschilingirow!). Anastas Tschilingirav (!), Studienfach Archäologie, aus Bulgarien, wird zum ersten Mal in AV FWU Berlin WS 1913/14, S. 255 genannt, dann bis WS 1915/16, S. 226. Kein Nachweis in JHSS (bis 1920) und KVK . Tod erschlossen aus der Widmung im Buch seines Bruders: St[ilijan] Tchilinghiroff, Le Pays de la Morava (….), Berne 1917, S. 3. 278 Siehe o. S. 781. 279 Prot. der Fakultätssitzungen vom 20.12.1917 und vom 2.5.1918: UA HU Phil. Fak. 35, fol. 88v, 104v. Rosenblatt war (laut AV FWU Berlin WS 1913/14, S. 202) seit WS 1910 immatrikuliert. Daher ist unklar, wie die Fak. auf 13 Berliner Semester kommt: ob er also vor 1910 an einer anderen Universität und noch davor ebenfalls in Berlin studiert hatte (was insgesamt also mindestens 14 Studiensemester ergäbe) oder ob sie die Zeit seit WS 1910 rechnete (was genau 13 Semester ergäbe), obwohl Rosenblatt seit WS 1914/15 nicht mehr im Verzeichnis der Studierenden erschien, auch nicht im SS 1917 (ab WS 1917/18 wurde nur noch das Verzeichnis der Lehrenden gedruckt). 280 Kein Nachweis in KVK !
890 Studium und Lehre im Krieg Promotion bereit, sondern rechnete auch sein Studium an der russifizierten Universität D orpat (Jur’ev) voll an. Allerdings starb er schon wenige Tage später.281 Hier stimmten also die offizielle Politik der Ausnahmen für Angehörige der deutschen Minderheit und die eigene Haltung der Fakultät überein. Als dagegen in Straßburg Rektor Tuhr (der aus Petersburg gebürtige Jurist) das Immatrikulationsgesuch eines jungen Mannes aus Kurland an die Medizinische Fakultät weiterleitete, betonte er, daß man bisher immer »an dem Grundsatze festgehalten [habe], Ausländer dann zu immatrikulieren, wenn sie auch in ihrer Heimat zur Immatrikulation an der Universität berechtigt sind.« Er fügte allerdings hinzu: »Im vorliegenden Falle wäre für die Immatrikulation natürlich noch die besondere Zustimmung der Regierung erforderlich.« Ob dies nur eine sachliche Feststellung war oder er die Fakultät auf die Ablehnungsmöglichkeit hinweisen sollte, ist unklar. Jedenfalls sprach sich diese gegen die Immatriku lation »des Herrn Moses Kalun aus Hasenpot [!]« aus, »bevor die Regierung die Frage der Immatrikulation von Kurländern entschieden hat.«282 Warum die Fakultät, die die Promotionsverfahren ihrer jüdischen Studenten aus dem Russischen Reich im Juli 1914 noch zügig abgeschlossen hatte, nun so zurückhaltend war, muß offen bleiben. Oder ob sie sich wirklich ganz formell an den Beschluß des Senats vom September 1914 hielt, ›feindliche Ausländer‹ nicht zu immatrikulieren und auf die diesbezügliche Neuklassifizierung der Kurländer durch die Obrigkeit wartete? Obwohl das in der Oberschicht (auch der jüdischen!) kul turell deutsch geprägte Gebiet damals unter deutscher Besatzung stand und Überlegungen einer Anbindung an das Deutsche Reich im Raum standen? Generell scheinen 1918 außenpolitische Gesichtspunkte eine wichtige Rolle gespielt zu haben. Manchmal ersuchte das preußische Kultusministerium sogar seinerseits die Universität um wohlwollende Prüfung des Promotions gesuchs eines Angehörigen einer Minderheit des – nach den zwei Revolutionen von 1917 – mittlerweile zerfallenden Russischen Reichs, etwa eines Georgiers im Herbst 1918. (Und er erhielt auch tatsächlich die Zustimmung der betroffenen Berliner Philosophischen Fakultät.)283 281 Sitzung der Phil. Fak. 11.7.1918: UA HU Phil. Fak. 35, fol. 121–124, hier 123v. Biogr. Angaben zu Hugo Semel in DBL , S. 724. In seinen eigenen Beiträgen zu dem von ihm im Mai 1918 herausgegebenen Bändchen über die Universität Dorpat sah er zwar die Russifizierung kritisch, widersprach aber jenen Deutschbalten, die aus diesem Grund russischen Lehrenden die wissenschaftliche Qualifikation einfach bestritten. Hugo Semel (Hg.), Die Universität Dorpat (1802–1918). Skizzen zu ihrer Geschichte von Lehrern und ehemaligen Schülern, Dorpat 1918, S. 178. 282 v. Tuhr (Rektor) an Dekan Med. Fak. Strb. 1.5.1918; Dekan der Med. Fak. Strb. an Rektor 7.5.1918: ADBR 103 AL 143. 283 Prot. der Sitzung der Phil. Fak. Berlin 31.10.1918: UA HU Phil. Fak. 35, fol. 134–137, hier 137. Dagegen hatte das Ministerium selbst kurz zuvor die Zulassung eines rumänischen Juden zur Promotion wieder rückgängig gemacht, nachdem die Fakultät die Dissertation bereits angenommen hatte (Prot. der Sitzung der Phil. Fak. Berlin vom
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Promotionsbilanz »Die Zahl der Prüfungen und Promotionen ging stark zurück«, stellte der Gießener Rektor beim Stiftungsfest 1916 über das zweite Kriegsjahr fest.284 Diese Erfahrung machten alle Universitäten. Der genaue Vergleich wird aber dadurch erschwert, daß ihre Erhebungszeiträume differierten.285 Deshalb wird dem Vergleich hier das bürgerliche Kalenderjahr zugrunde gelegt, nach dem auch das Jahresverzeichnis der Hochschulschriften eingerichtet war. So betrachtet, ging die Zahl der Promotionen 1915, also im ersten Jahr, das von Anfang bis Ende vom Krieg geprägt war, in der medizinischen und philosophischen Fakultät im Vergleich zu 1914 überall auf weniger als die Hälfte zurück.286 (Und dabei waren ja schon die Zahlen von 1914 – trotz der Notpromotionen – infolge des Krieges gesunken.287) In der theologischen und juristischen waren die Doktorandenzahlen ohnehin kaum nennenswert.288 Die weitere Entwicklung verlief dann unterschiedlich: Während in Straßburg und Gießen bei Medizinern, Geistes- und Naturwissenschaftlern 1916–1918 ein weiterer Rück10.10.1918: UA HU Phil. Fak. fol. 130–133, hier 131v.). Und das, obwohl die Mittelmächte mit Rumänien am 7. Mai Frieden geschlossen hatten und es ihrer Verwaltung unterstand! Allerdings scheint es dem Ministerium in diesem Fall wirklich um die formalen Voraussetzungen gegangen zu sein, denn es hatte die Zeugnisse des Betreffenden zur Nachprüfung eingefordert. 284 Sievers, Grenzen Mitteleuropas, S. 25. 285 Die Berliner Chronik druckte Promotionslisten der einzelnen Fakultäten jeweils für das Rechnungsjahr ab (1.4.–31.3.), stellte ihr Erscheinen aber im Frühjahr 1916 ein. Das Gießener Verzeichnis reichte, entsprechend dem Bericht des Rektors zur Jahresfeier am 1.7., jeweils vom 1.7.–30.6., das Straßburger vom 1.5.–30.4. 286 Med. Fakultäten: Berlin: 195 (1914) – 83 (1915); Straßburg 60 (1914) – 26 (1915); Gießen (wenn man nur die Humanmedizin betrachtet): 50 (1914) – 22 (1915). Tiermedizin: 32 – 13. Phil. Fakultäten: Berlin: 171 – 91: Gießen: 68 – 33. Ausgerechnet der Straßburger Fall (für den aus Vergleichsgründen Phil. und Math.-Nat. Fakultät zusammengefaßt werden müssen) bleibt unklar: 1914 hatten beide Abteilungen (die in JHSS durch einen feinen Strich separiert, aber beide unter »Phil. Fak.« erscheinen) zusammen 46 Promotionen aufzuweisen (32+14). 1915 finden sich 23, aber nur geisteswissenschaftliche Themen. Ob die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät in diesem Jahr gar niemanden promovierte, die Meldung an JHSS unterblieb oder dort in die »Phil. Fak.« aufzunehmen vergessen wurde, ist nicht zu klären. 287 So hatte die Berliner Med. Fak. 1913/14 234 Promotionen aufzuweisen, 1914 195. Daten für 1913/14: Rektorwechsel 1914, S. 12. Daten für 1914: Auswertung von JHSS 30 (1914). 288 In den theol. Fakultäten gab es überall nur vereinzelte Promotionen (zudem teils zum Dr. theol., teils zum Lic. theol.), in der Jur. Fak. Berlin 1913/14 nur 3, 1914 4, 1915 und 1916 noch weniger, 1917 und 1918 gar keine. Für Gießen trifft die Halbierungsbeobachtung auch auf die Jur. Fak. zu (1914: 14, 1915: 7, danach 8, 4, 1). In Straßburg, wo es 1914 die größte Zahl juristischer Promotionen gab (24), war die Entwicklung sehr unregelmäßig, mit einem Fallen auf ein Sechstel (1915: 4), einem hohen Anstieg 1916 (19), dann erneutem Fallen (5, 4).
892 Studium und Lehre im Krieg gang zu registrieren war und dies auch für die Philosophische Fakultät (also Geistes- und Naturwissenschaftler) in Berlin galt, gab es bei den Medizinern dort in der zweiten Kriegshälfte wieder einen Anstieg.289 Man könnte hier zunächst einen Zusammenhang mit dem Medizinerbedarf vermuten und der daraus resultierenden Beurlaubung eingezogener Studenten zum Abschluß des Studiums und Ablegung des Staatsexamens. Doch blieb in dieser sehr kurz bemessenen Frist wirklich keine Zeit zur Erstellung auch nur einer bescheidenen medizinischen Dissertation – und die Militärbehörden, die die Studenten zwecks Staatsexamens beurlaubt hatten, hatten an der Promotion gewiß kein Interesse. In Gießen und Straßburg waren solche Steigerungen ohnehin nicht zu beobachten.
Schlußüberlegungen Im Laufe des Krieges wurde in den einzelnen deutschen Bundesstaaten eine Fülle unterschiedlicher Erleichterungen gewährt, um Gymnasiasten möglichst bald in die Armee aufnehmen zu können und ihnen gleichzeitig den späteren Weg an die Universität offenzuhalten, Medizinstudenten als Feldunteroder Hilfsärzte dem Sanitätsdienst an der Front und in der Etappe zuzuführen, schließlich all’ jenen, die seit Jahren auf diese Weise ihren Dienst taten, die dafür ›verlorene‹ Zeit zu kompensieren: Der Staat führte Notreifeprüfungen ein oder gewährte das Reifezeugnis gar ohne Prüfung, er rechnete ein Teil des Kriegsdienstes auf die Mindeststudienzeit an oder erließ einen (am Ende beträchtlichen) Teil des Vorbereitungsdienstes für Lehrer und Justizbeamte. Einen Konsens über diese Maßnahmen gab es unter den Zeitgenossen nicht: Für das Festhalten an den Prüfungen sprach, daß die höhere Schule auf die Hochschule vorbereiten müsse und deren Niveau nicht sinken dürfe; daß es schließlich gleichzeitig »ausgereifte« Absolventen gebe, denen »die feldgraue Schale« auch nicht weiterhelfe und man den Anfängen der Niveausenkung wehren müsse. »Für eine warmherzige Liberalität« wurde dagegen angeführt, »daß die in der Sonne [!] der Kriegserfahrungen gewonnene Reife des Lebens wertvoller sei als das scholastische Wissen im Schatten der Schulstube«. Gerade der Krieg habe ja die Leistungen junger Männer, die bisher in diesem Alter noch als »linkische, tölpelhafte dumme Jungen« gegolten hätten, und ihre Fähigkeit zur Menschenführung belegt.290 In dieser bildhaften Gegenüberstellung des Breslauer Altphilologen Alfred Gercke, der vor seiner akademischen Karriere selbst einige Jahre Lehrer gewesen war, ist schon die kritische Haltung mancher Universitäts 289 1916: 88, 1917: 116, 1918: 160. 290 Beide Positionen referiert bei Gercke, Wissenschaftlicher Unterricht an der Front, Sp. 83.
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mitglieder zu erkennen. Gercke, der über Vorbereitungskurse für Abiturprüfungen in der Etappe berichtete, fand die Milde der dort »selbst vielfach [f]eldgraue[n]« Prüfenden »gewiß statthaft«. Aber er fügte hinzu: »Für den eigentlichen Beruf wäre dagegen eine Erleichterung des Zuganges durch falsche Nachsicht ohne Zweifel ein verhängnisvoller Fehler, der nicht nur Untüchtigen auf Kosten Tüchtiger Einlaß schaffen, sondern auch ungeheuren sachlichen Schaden stiften könnte«.
Ob es dies, was laut Gercke »zum Glück kein Mensch« wollte,291 tatsächlich nicht gab (oder ob das erlassene Praktische Jahr der Ärzte, das verkürzte Referendariat der Juristen und die eventuell mögliche Kürzung auch des »Seminarjahres« der angehenden Lehrer292) die Berufsbereitung nicht doch schmälerten, sei dahingestellt. Deutlicher als bei den Staatsexamina, wo der Staat die entscheidende Instanz war und für die Studenten als künftige Staatsdiener gewissermaßen eine vorgezogene Fürsorgepflicht ausübte (während die Professoren als Staatsbeamte die Prüfungen mit durchzuführen hatten), läßt sich deren Sicht des Verhältnisses von akademischer Leistung und patriotischem Einsatz klären, wenn man die von ihnen in eigener Regie organisierten universitären Examina betrachtet. Die für Berlin so gut dokumentierten Notpromotionen gingen ja, auch wenn sie dem allgemeinen Entgegenkommen gegenüber künftigen Soldaten seitens der Landes- und Reichsbehörden entsprachen, aus der eigenen Initiative der Philo sophischen Fakultät hervor. Und diese behauptete die Notpromotion als Prä rogative der Selbstverwaltung sogar gegenüber dem Ministerium, als dieses eine solche Prüfung für Frauen für nicht angängig hielt. Dabei zeigen mehr als die Beschleunigung und Abkürzung des Verfahrens die Entscheidungen über spezielle Einzelfälle, wie sich in dieser Zeit die Prioritäten verschoben und manche herkömmliche akademisch-wissenschaftliche Anforderung dem Kriegsdienst weichen oder durch ihn ersetzt werden konnte – am deutlichsten am Verstoß gegen die eigene Promotionsordnung bei der Zulassung eines durchgefallenen Kandidaten, nur weil er nun in den Krieg ziehen wollte. Eindeutig drückten sich die Kompromisse bei den wissenschaftlichen Anforderungen und der höhere Wert (oder die dringendere Aufgabe) des Dienstes für das Vaterland in der Gestaltung und Formulierung der Promotionsurkunden für Gefallene aus, selbst wenn sich keine eindeutige, an allen Universitäten gehandhabte Richtlinie daraus ableiten läßt. Andererseits stellt gerade die Promotion post mortem diese Reihenfolge wieder in Frage: Welchen Sinn hatte ein Doktortitel, wenn das Leben verloren war? Und wenn eine solche mit Blick auf die Hinterbliebenen geschah: Genügte der ›Heldentod‹ nicht? War nicht er die höchste Ehre? Bedurfte das Gefallenen291 Wissenschaftlicher Unterricht an der Front, Zitat Sp. 85. Siehe dazu genauer u. Kap. IV.6. 292 Siehe o. A. 119.
894 Studium und Lehre im Krieg Gedenken der Promotion? Oder wurde damit den Universitätsabsolventen in der Masse der Gefallenen aus derselben, aber nur scheinbar egalisierenden ›Volksgemeinschaft‹ wiederum ein besonderer Platz eingeräumt? Auf letzteres deutet am stärksten der Versuch von Angehörigen hin, den gefallenen Sohn allein aufgrund seines Staatsexamens (ohne Prüfung und Dissertation) zum Doktor »ernennen« zu lassen. Dieser Zuspitzung konnten die deutschen Universitäten, denen dieses Problem von der Straßburger vorlegt wurde, allerdings nicht folgen. Die sich vollziehende Umwertung zeigte sich bei den im eigenen Interesse argumentierenden Kriegsteilnehmern, die an die Stelle von Kenntnissen und Fähigkeiten die durch den Militärdienst erworbene Reife setzen wollten,293 ebenso wie bei vielen ihrer Lehrer, von denen mancher dieses Prinzip sogar öffentlich anerkannte. Am prägnantesten drückte es der Altphilologe von Wilamowitz-Moellendorff, selbst Vater eines gefallenen gelehrten Sohnes, aus, als er im Preußischen Herrenhaus 1918 versicherte, daß die jungen Männer, die im Krieg, dem »Vater von allen guten Dingen«, ihre Kraft bewiesen hätten, das auch zu Hause wieder beweisen würden. »Das Wissen wird sich [!] schon nachher finden.«294 Allerdings fallen bei dem allen doch auch die Unterschiede zwischen den einzelnen Universitäten ins Auge. Von den drei untersuchten scheint die Straß burger die strengste gewesen zu sein: Notabiturienten ließ sie nur gezwungenermaßen zu, fast als letzte genehmigte sie die Immatrikulation in absentia. Von der Anrechnung des Kriegsdienstes auf die Studienzeit wollte sie nichts wissen, und in den Prüfungsanforderungen nahm sie keine Änderung vor. Allerdings war sie bereit, in der Beurteilung der Kandidaten die erschwerte Prüfungssituation zu berücksichtigen (also wohl auch eine gewisse Milde walten zu lassen). Erst im Zuge der reichsweiten Koordinierung gingen die Straßburger gewisse Kompromisse ein, die von staatlicher Seite gefordert wurden. (Und diese ihrerseits lehnte sich, wie auch die hessische, die bezüglich Gießens ohnehin auch die benachbarte Marburger Universität im Blick behalten mußte, meist an das preußische Vorbild an.) Obwohl die Universitäten ihr eigenes Vorgehen oft untereinander abstimmten und ihre Vertreter auf Hochschullehrer- und Fakultätentagen gemeinsame Probleme berieten, wurden auf den zwei während des Krieges stattfindenden Konferenzen der staatlichen Hochschulreferenten mögliche Änderungen im Promotionsverfahren nicht einmal angesprochen. Und das, obwohl sie in Fragen der Staatsexamina doch eine allgemeine Angleichung verfolgten, ob293 S. außer dem oben zit. Burmeister (A. 86) auch: Die Notlage der älteren Studenten, in: BB 31/2 (SS 1917), S. 7. 294 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Herrenhauses, Session 1916/18, 35. Sitzung (10.7.1918), Sp. 1129 f., hier zit. nach Wettmann, Heimatfront Universität, S. 135. Vgl. diese Haltung implizit auch in der oben zit. Rede des Gießener Theologen Krüger.
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wohl diese eigentlich Sache der einzelnen Bundesstaaten waren. Doch die ›Aus sparung‹ der Promotion war völlig system-konform, ja logisch, da die Promotionsordnung in den Bereich der Selbstverwaltung gehörte – und das nicht einmal der jeweiligen Universität, sondern ihrer einzelnen Fakultäten. Dabei stellt sich allerdings auch die Frage, wie sehr man das Verhalten der einzelnen Fakultäten zu konkreten Fragen (bzw. ihre Zustimmung zu Vorschlägen des Dekans oder Rektors) für typisch für sie nehmen soll – und wie sehr eine Stellungnahme von der jeweiligen personellen Konstellation abhing: in erster Linie vom aktuellen Inhaber des Dekanats, in zweiter Linie von der Position des Kollegen, der seine (oder seiner Schüler) Anliegen vertrat. Konkret gesprochen also, ob auch ein anderer Dekan als der Militärhistoriker Delbrück in der Berliner Philosophischen Fakultät sofort mit Kriegsbeginn ein abgekürztes Promotionsverfahren vorgeschlagen hätte. Und ob auch ein anderer Rektor als der Gießener Sommer den Vollzug der Promotion in lange vor Kriegsbeginn abgeschlossenen Verfahren verweigert hätte – um so mehr, als ein weiteres, am 13. August abgeschlossenes Verfahren ja offenkundig noch zur Aushändigung der Urkunde führte. Mit der letzten hypothetischen Frage rücken schließlich auch noch die Abschlüsse ausländischer Studierender ins Blickfeld. Obwohl sie quantitativ nur in Berlin von Bedeutung waren, lassen auch die Entscheidungen über vereinzelte Fälle Rückschlüsse auf die Haltung der Dozenten ihren Studierenden gegenüber zu. Eine Grundsatzdebatte, ob man feindliche Ausländer promovieren soll, scheint es nicht gegeben zu haben. Eher scheinen die Verfahren, wie die zahlreichen Berliner und einzelne Gießener, mit einer gewissen Selbstverständlichkeit zu Ende geführt worden zu sein. Im Fall der beiden beim ersten Versuch gescheiterten jungen Männer aus dem Zarenreich wird sogar ein bewußtes Entgegenkommen ihrer Lehrenden (sowie der gesamten Fakultät, die dem zustimmen mußte) deutlich. Sowohl in Preußen als auch in Hessen war es die staatliche Behörde, die, sobald sie das Weiterstudium der ›feindlichen Ausländer‹ unterbunden hatte, auch noch den Fortgeschrittensten den Abschluß verwehrte. Offen bleiben muß dagegen die Frage nach dem Verhalten der Straßburger, weil nicht nur keine Promotionen zu Beginn des Krieges gefunden wurden, sondern nicht einmal eine Andeutung der Frage in den Fakultätsprotokollen. Ob es ›einfach‹ keine Prüfungswilligen gab oder manche vielleicht rechtzeitig abreisten? Zwar hätten sie es von hier aus extrem weit gehabt, um (wie die Privatdozenten Mandelstam und Papalexi) noch in ihr Heimatland zurückzu kehren; andererseits lagen deutsch- und französischsprachige Universitäten in der (absehbar) neutral bleibenden Schweiz aber vor der Haustür. Wie unterstützende, formal korrekte oder abwehrende Haltungen gegenüber ›feindlichen Ausländern‹ innerhalb der einzelnen Universitäten verteilt waren, ist aus den Quellen nicht ersichtlich. Doch handelt es sich bei den entgegen kommenden Prüfern fast durchwegs um Mediziner, während ein Berliner Jurist
896 Studium und Lehre im Krieg deren Bestrebungen durchkreuzte. Ähnlich führte in Leipzig die Medizinische Fakultät eine Reihe von Verfahren zu Ende und vollzog die Promotion noch am Tag, an dem das Rigorosum stattfand.295Andererseits beschloß die Philosophische Fakultät dort am 25. August, die noch im Gange befindlichen Promotionsverfahren feindlicher Ausländer für ungültig zu erklären und keine weiteren Meldungen mehr anzunehmen.296 Auch am Beispiel der Gießener Doktorandin, die ihr Mentor noch an Lehrveranstaltungen teilnehmen lassen wollte, zeigten sich gegensätzliche Auffassungen innerhalb der Universität, am deutlichsten abzulesen an der schroffen Haltung des Rektors Sommer (der aber ausgerechnet Mediziner war – und dessen Fakultät ihrerseits das Gesuch offenbar unterstützte!).297 Prüft man abschließend die Motive der Lehrenden für die Befürwortung von Prüfungserleichterungen, so leuchtet das von dem Hallenser Pathologen Beneke für die Mediziner angedeutete sofort ein: daß die im Heer als Unterärzte dienenden Studenten Beförderungen nur durch Nachweis fachlicher Leistungen erbringen konnten. Mittels Prüfungserleichterungen konnten sie die Benach teiligung gegenüber den Waffendienst leistenden Kommilitonen überwinden – und die Militärverwaltung, die dringend medizinisches Personal brauchte, konnte sie durch das Zugeständnis mehrmonatiger Beurlaubung für den Studienabschluß in ihrem Dienst halten; denn den Übertritt zum Waffendienst konnte sie nur den Studenten der Kaiser-Wilhelms-Akademie verwehren, deren Aufgabe die Ausbildung von Militärärzten war, welche »die Kriegserfahrungen im Sanitätsdienst für ihren Lebensberuf brauchten.«298 Beförderung hätte einen höheren Rang und damit eine gehobene Position bedeutet. Wie wichtig das den im Sanitätsdienst stehenden Medizinstudenten war, zeigt sich schon an der Verwendung des Titels »Feldarzt«, den es offiziell gar nicht gab; denn neben den Sanitätsoffizieren gab es ausgebildete Ärzte, die (als Landsturmpflichtige, als Ärzte der Ersatzreserve oder als vertragliche Zivilärzte) im Feld standen – und, als dies berichtet wurde, nur Feldunterärzte.299 295 S. die Fälle von Leiser-Anschel Gindenburg, Pinchas Horowitz, Moses Rabinowitsch, S[chmul] G[reimann] Rosenberg, Moses Seidenberg und Abraham Wodjanoj, die alle am 3. August 1914 geprüft und promoviert wurden (nach JHSS [1914], S. 384, 386, 391, 392, 395, 397). 296 Beschluß ausführlich zit. bei Jens Blecher, Vom Promotionsprivileg zum Promotionsrecht. Phil. Diss., Leipzig 2006, S. 210. 297 Siehe o. S. 785–787. 298 Sanitätsbericht I, S. 46. 299 Das wurden Medizinstudenten, die das 7. Semester vollendet hatten, ein halbes Jahr beim Militär gedient hatten (um die zweite Hälfte des einjährig-freiwilligen Dienstes später als approbierter Arzt abzuleisten) und auf eigenen Antrag für den Mobil machungsfall als Unterärzte vorgemerkt waren. Im Frieden mußten Unterärzte dagegen neben dem Dienstzeugnis, das ihnen die Befähigung zum Vorgesetzten bescheinigte, auch über die Approbation verfügen.
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Erst im Frühjahr 1916 wurde, auf »vielseitig geäußerten Wunsch nach weiteren Beförderungsmöglichkeiten hin«, der Dienstgrad des Feldhilfsarztes eingeführt (für den ein Feldunterarzt nach sechsmonatigem Dienst »für die Dauer [sein]er Verwendung im Kriegssanitätsdienst« dem Kaiser vorgeschlagen werden durfte).300 Die Lehrenden, von denen viele selbst das Gefühl des Ungenügens ertragen mußten, weil sie nicht im Militärdienst standen, waren also gerne bereit, ihre Schüler, die die ›Verteidigung‹ der Heimat (samt der Universität und ihrer Lehrenden) übernahmen, im Streben nach Belohnung dafür zu unterstützen – selbst wenn dafür Entgegenkommen im wissenschaftlichen Bereich nötig war. Die im Prüfungsverfahren immer wieder beobachtete Erleichterung für militärisch Engagierte und ihre besondere Auszeichnung vor anderen (etwa in den Promotionsurkunden Gefallener) deutet darauf hin, daß die verbreitete und von Max Planck schon zu Kriegsbeginn so vehement vertretene Forderung, daß jeder an seinem Platz seine Pflicht tun sollte, noch keine Gleichwertung der unterschiedlichen Tätigkeiten bedeutete. Sogar in der Zulassung zu Notprüfungen wurde noch differenziert zwischen jenen, die Waffendienst leisteten, und den Krankenpflegern! Trotz Festhaltens an gewissen Standards – keine Promotion ohne Prüfung! – und an der herausgehobenen Position der Akademiker in der ›Volksgemeinschaft‹ war eine Adjustierung im Gange, die für die Bestimmung des Status des einzelnen das Gewicht der akademischen Leistungen zugunsten militärischer reduzierte. Damit schmälerte sie aber zugleich die Bedeutung der Institution Universität für die Gesellschaft und die Bedeutung der Wissenschaft selbst.
300 Sanitätsbericht I, S. 45 f., Zitat 46.
5. Das Lehrangebot für die Studentenschaft vor Ort: Wandel des Inhalts und der Veranstaltungsformen? Fortsetzung der Lehre in den ›alten Bahnen‹? Zweieinhalb Monate nach Beginn des Krieges erklärte der neue Berliner Rektor Theodor Kipp, ein Zivil- und Römisch-Rechtler, bei seinem Amtsantritt programmatisch: »Wir werden unsere Vorlesungen halten über alle Gegenstände, deren wissenschaftliche Pflege und Lehre in dem Plane der Universität liegt. Aber die Gedankengänge des Krieges werden unsere Lehre durchtränken«.1 Eine ähnliche Äußerung hat ein moderner Historiker als Aufgeben der Vorstellung von der wertfreien Wissenschaft gedeutet.2 Der 52jährige Kipp aber, dessen »äußerste Sachlichkeit des Wortes und der Haltung« und »vollendete Selbstzucht« kein geringerer würdigte als der Staatsrechtler Rudolf Smend,3 dürfte damit eher gemeint haben, daß die Dozenten ihre wissenschaftlichen Aufgaben im vollem Umfang weiterführen wollten, dabei aber selbst im Banne der Zeitereignisse stünden. Eine Äußerung seines 82jährigen Kollegen Adolf Lasson, Ordentlicher Honorarprofessor für Philosophie, macht diesen gedanklichen Zusammenhang plausibel: Für sie, denen der Frontdienst nicht ›vergönnt‹ war, galt »dieselbe hohe Aufforderung, diese anders geartete Arbeit in derselben edlen Gesinnung zu leisten, in der unsere Brüder draußen tätig sind. Dienst des Vaterlandes ist auch unsere Aufgabe hier« – für den »Fortschritt der Wissenschaft« und die »wissenschaftliche Ausbildung der Persönlichkeit«. Der Schluß seiner langen Überlegungen läßt sich zwar als der Situation entspringende Selbstrechtfertigung lesen, knüpfte aber an die Vorkriegstradition an: »Auch wir hier an der Stätte der Wissenschaft halten die deutsche Fahne hoch und pflegen deutsches Wesen in ernster, stetiger Arbeit.«4 Die Erziehung zum Patriotismus war keine Neuerung des Krieges, sondern gehörte seit langem zu den Aufgaben der Universität. Ob Lassons neun Stunden Lehre – dem Vorlesungsverzeichnis nach drei Veranstaltungen streng wissenschaftlichen Zuschnitts – in diesem Winter anders ausfielen als sonst, ist unbekannt.5 Doch in derselben Fakultät eröffnete der ge1 Rektorwechsel 1914, S. 22. Zur Begründung und seiner Rede über die »Kriegsaufgaben der Wissenschaft« s. u. S. 1068 f. 2 Jarausch, Students, Society, and Politics, S. 397. Wem die dort referierte Äußerung zu zuschreiben ist, wird aus der dazugehörigen A. nicht klar. 3 http://www.hu-berlin.de/ueberblick/geschichte/rektoren/kipp (27.9.2012). 4 Adolf Lasson, Semesteranfang in Kriegeszeit, in: BAN IX (1914/15), S. 2–4, Zitate 3, 4. 5 Logik und Erkenntnistheorie; Allgemeine Geschichte der Philosophie; Glauben und Wissen. Nach: VV FWU Berlin WS 1914/15, S. 117.
Lehrangebot für die Studentenschaft vor Ort
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bürtige Schweizer Morf, der zu den »gefeiertsten« Dozenten der Universität Berlin gehörte und dessen Vorlesungen im Auditorium maximum stattfanden, sein Kolleg zur französischen Literatur des 18. Jahrhunderts am 29.10.1914 (also etwa einen Monat, nachdem er den Aufruf An die Kulturwelt! unterzeichnet hatte) mit der Ermahnung, sich im Hörsaal vom Kriegsgeschehen abzuwenden und zu »leidenschaftsloser« wissenschaftlicher Beschäftigung zu »zwingen«. Sein Fach gehöre ja zu jenen, die durch den Krieg »am schwersten heimgesucht« seien, und in der »Respublica litterarum«, die aus den Menschen eigentlich »Weltbürger einer Civitas Dei« mache, tobe nun der »Weltbürgerkrieg«. Dabei berief Morf sich auf den ersten Satz der Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reichs: ›Wir (…) dienen der Wissenschaft und treiben ein Werk des Friedens.‹ Das einzige Ziel der Wissenschaft aber sei Wahrheit, und im Streben danach dürfe nichts um moralischer oder sonstiger Ziele willen ausgespart oder verändert werden. Das legte Morf seinen Studenten in den Worten seines eigenen Lehrers, Gaston Paris, dar, mit denen jener französische Patriot 1870 seine Vorlesung im von Deutschen belagerten Paris begonnen hatte: Patriotismus habe nichts mit der Wissenschaft zu tun: »›Die Lehrstühle sind keine Tribünen.‹« Und wenn man die Wissenschaft in allen Ländern so betreibe, entstehe über den feindlichen Vaterländern ein gemeinsames Vaterland, das Pendant einer Civitas Dei.6 In einer Zeit, in der »1870« regelmäßig zur militärischen Mobilisierung benutzt wurde, verwandte Morf es als Vorbild in seinem Appell zugunsten der ›reinen‹ Wissenschaft. Was er forderte und Lassons Ankündigungen vermuten lassen, scheinen zwei weitere Philosophen-Kollegen praktiziert zu haben: Ein elsässischer Hörer Simmels bezeugt: »Der Krieg und die mit ihm zusammenhängenden Begebenheiten fanden in den Vorlesungen kaum Erwähnung. Die Themen waren die, die man bei solchen Gelegen heiten anzutreffen gewohnt war. Der Vortrag fügte sich streng den Linien der philosophia perennis ein, so wie Simmel sie sah.«7
Und der Jenaer Rudolf Eucken, der 1908 »aufgrund seines ernsten Suchens nach Wahrheit« und für die Entwicklung (sowie gelungene Darstellung) einer »idealen Weltanschauung« den Nobelpreis für Literatur erhalten hatte, betont in seinen Erinnerungen, daß er in seinen philosophischen Übungen »sowohl die Bedeutung der französischen Philosophie als die der englischen in ihren Hauptwerken zusammenhängend behandelt [habe]; keiner der Teilnehmer hat davon etwas gemerkt, daß wir politisch in einem harten Kampfe mit jenen Völkern 6 Heinrich Morf, Civitas Dei, in: IMWKT 9 (1914/15), Sp. 487–494, Zitate 490 (zweimal), 487, 489 (dreimal), 492. Zu Morf als Lehrer: Bott, Mittelalterforschung oder moderne Philologie?, S. 354 (mit Zitat von Erhard Lommatzsch). 7 Hauter, in: Gassen/Landmann (Hg.), Buch des Dankes, S. 252.
900 Studium und Lehre im Krieg standen« – obwohl Eucken selbst doch nicht nur den Aufruf An die Kulturwelt! unterzeichnet hatte, sondern (zusammen mit Ernst Haeckel) bei der Anklage Englands vorangegangen war und sich auch weiterhin mit einer »Flut von Aufrufen, Briefen, Büchern, Artikeln und Vorträgen« an der Kriegspublizistik beteiligte.8 Der Heidelberger Mediävist Hampe dagegen begann seine Vorlesungen mehrfach mit Kriegsnachrichten und deutete bei Verkündung eines Sieges sogar an, daß seinem eigenen Gefühl an einem solchen Tag eine Beendigung der Vorlesung entspreche. Dafür erntete er große Zustimmung, so »daß [er] wirklich abbrach, obwohl die Kollegen lasen«.9 Läßt der Nachsatz sein Verhalten auch als Ausnahme erscheinen, so bildet dieses Zeugnis doch einen Gegenpol zu Morfs Forderung und – zusammen mit den zitierten Erinnerungen – ein Spektrum möglicher Gestaltung der Lehre. Schon der Berliner AStA urteilte im Rückblick auf das Wintersemester 1916/17, also die Kriegsmitte, daß sich der »Universitätsbetrieb« in »den alten Bahnen« weiterbewege. Und dies bestätigten Studentenhistoriker, die selbst noch Zeitgenossen waren.10 Auch neuere Untersuchungen zu einzelnen Universitäten konnten kaum eine thematische Veränderung der Lehre entdecken, allenfalls eine gewisse Aktualisierung durch Ergänzung um Beispiele aus dem Krieg. Die preußische Kultusverwaltung, die für die Hälfte aller deutschen Universitäten zuständig war, drang jedenfalls nicht auf eine Neuausrichtung. Allerdings war das auch nicht nötig, weil die Universitäten von sich aus ihre Kapazitäten dort einsetzten, wo ein spezifischer Bedarf bestand und die Anpassung daran wiederum Vorteile für sie selbst versprach.11 Für manchen Dozenten nahm die Lehre jetzt allerdings (zumindest zunächst) nur den zweiten Platz unter seinen Aufgaben ein – hinter der Kriegspublizistik und Vortragstätigkeit,12 evtl. auch hinter seinem praktischen Engagement, auf jeden Fall aber hinter seinem »inneren Miterleben« dieser »erschütternden Zeit«.13 Für die Gesamt universität wurde sie aber zunehmend wieder wichtiger. Das spiegelt sich insbesondere in den Jahresberichten: Hatten sie früher mit Veränderungen im Lehrkörper begonnen, so gingen die Berliner Rektoren 1917 und 1918 – nach dem üblichen Hinweis auf das »gewaltige Geschehen«, angesichts dessen »nur weni-
8 Eucken, Lebenserinnerungen, Zitat S. 100 f. Zu seiner Kriegspublizistik s. Hoeres, Krieg der Philosophen, S. 122 f., 215–226, Zitat 216. 9 Hampe, Kriegstagebuch, z. B. S. 158 (16.11.1914); 343 (10.1.1916); Zitat: 163 (26.11.1914). 10 Zum Geleit!, in: BAN XI (1916/17), S. 35 f., Zitat 36; Schulze/Ssymank, Das deutsche Studententum, S. 453. 11 Blessing, Universität im Krieg, S. 55 (Erlangen); Wettmann, Heimatfront Universität, S. 250 f., 142 f. (Marburg und allgemein). 12 Aus dem Rückblick s. das Zitat Meineckes o. S. 807; zeitgenössisch s. Wettmann, Kriegstagebücher Theodor Birts, S. 162. 13 Ficker, Bericht II (1915/16), S. 7.
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ges (…) wichtig genug« erscheine, um »öffentlich hervorgehoben zu werden« – zuerst auf die Statistik der Lehre ein. Der Betrieb wurde aufrechterhalten, das war wirklich wichtig!14
Der Umfang der Lehre im Krieg Infolge der Einberufung der Studierenden und des militärischen Einsatzes einer ganzen Reihe von Lehrenden waren manche Abteilungen deutlich reduziert. Gravierend traf das allerdings nur kleine Universitäten wie Gießen. Hier lagen manche Fächer ganz brach, weil sie, wie etwa die Mineralogie, ohne einen einzigen Dozenten blieben oder ihnen, wie der Forstwissenschaft schon seit Kriegsbeginn, die Hörer fehlten.15 Andererseits lehrte auch in Straßburg durch eine unglückliche Kombination der Umstände fast kein Professor der Juristischen Fakultät, obwohl von den acht dort ausgefallenen nur zwei im militärischen Dienst standen.16 Betrachtet man dagegen die Universität der Hauptstadt, so fehlten – trotz der imposanten Berichte über ihre Kriegstätigkeit! – in drei der vier Fakultäten kaum Lehrende. »Durch unmittelbaren oder mittelbaren Heeresdienst an der Ausübung der Lehrtätigkeit verhindert« war bei den Theologen während des ganzen Krieges kein einziger Professor und jeweils nur 1–2 der 5–8 Privatdozenten. In der Juristischen Fakultät traf es nicht einen der 11–12 Ordinarien, nur einen von drei bis sechs Ordentlichen Honorarprofessoren, 1–2 der 6–8 Extraordinarien, 2–4 der 9–10 Privatdozenten. Und in der publizistisch so aktiven Philosophischen Fakultät dienten nur jeweils 1–3 der 58–60 Ordinarien, durchgehend zwei der 16 Ordentlichen Honorarprofessoren, 3–8 der 40–50 Extraordinarien und 26–41 der 110–123 Privatdozenten. In diesen drei Fakultäten war also nur die Tätigkeit der Privatdozenten deutlich eingeschränkt, und zwar um ca. ein Viertel bis ein Drittel.17 Doch war unter diesen Verhinderten mancher, der mit seinem »mittelbaren« Heeresdienst auch weiterhin im sicheren Berlin wirkte, aber trotzdem verhindert war zu lehren.18 Anders sah es in der Medizinischen Fakultät aus: Dort fehlten ein Fünftel bis ein Viertel der 20 Ordinarien, meist ein Viertel der Ordentlichen Honorarprofessoren und etwa ein Zehntel der Extraordinarien (nur in den ersten beiden
14 Bumm, Amtsjahr 1916/17, S. 3 (Zitat). Vgl. auch Penck, Amtsjahr 1917/18, S. 3 f. (Die Informationen über den Lehrkörper folgten erst gegen Schluß.). 15 Schian, Volk, S. 20; Dir. des akad. Forstinst. an VA 8.2.1916: UA Gi Allg. 107, fol. 223. 16 Siehe o. S. 731. 17 Die Daten sind übersichtlich für alle Kriegssemester und alle Fakultäten zusammen gestellt in: Statistisches Jahrbuch der Stadt Berlin 34 (1915–1919), Berlin 1920, S. 703. 18 S. den Vortragenden Rat im Reichsmarineamt Otto Köbner (o. S. 730) oder den Leiter des militärischen Wetterdienstes Emil Leß (o. S. 345).
902 Studium und Lehre im Krieg Kriegssemestern jeweils mehr19). Wirklich stark betroffen waren die 131–138 Privatdozenten, da sie als Ärzte benötigt wurden und aufgrund ihres Alters überwiegend als Wehrpflichtige eingezogen werden konnten. Von ihnen konnten jeweils zwischen 43 (nur im ersten Kriegssemester!!) und 56 nicht lehren. Von dieser Gruppe fehlten der Universität also bis zu 42 % – und zwar als Dozenten wie auch als Ärzte!20
Vertretungen Die ausgefallenen Ordinarien wurden teils durch Kollegen der eigenen Fakultät, teils durch Heranziehung auswärtiger Privatdozenten vertreten. So hielt z. B. in Berlin der 64jährige Privatdozent Albert Köhler, der selbst im Oktober 1914 als Generaloberarzt und Reservelazarettdirektor wieder in den aktiven Dienst (vor Ort) getreten war, im Winter- und Sommersemester außerdem klinische Vorlesungen, die eigentlich der 56jährige, nun im Felde stehende Ordinarius und Chirurg Otto Hildebrand angekündigt hatte.21 Drei Vorlesungen des als Konsultant bei den Truppen umherreisenden Direktors der Inneren Klinik His übernahm im Sommersemester 1915 der 37jährige Privatdozent Friedrich Gudzent zusammen mit je einem Assistenten dieser Klinik, die vierte zusammen mit einem Extraordinarius, der selbst Direktor der Lungenklinik war. Im Wintersemester hatte Gudzent selbst noch an der Westfront im Felde gestanden – und wohl deshalb im Vorlesungsverzeichnis eintragen lassen »zeigt später an«. Im Januar 1915 war er verwundet worden, inzwischen aber wiederhergestellt. Mitte April war er nach Berlin zurückberufen und mit der Leitung der I. Medizinischen Klinik beauftragt worden.22 Auch an anderen Universitäten vertraten die noch Anwesenden das Fachgebiet eingerückter Kollegen mit, »um Lücken des Unterrichts zu vermeiden und den Universitätsbetrieb in den wesentlichen Punkten möglichst unverändert zu lassen«.23 In der Gießener Medizinischen Fakultät wurde dem Professor für Veterinäranatomie Paul Martin 1916 vertretungsweise auch die Leitung des Physiologischen Instituts übertragen. Er las (wie wohl schon einmal im ersten 19 Ein Viertel bzw. 40 % der neun bis zehn Ord. Honorarprofessoren; ein Sechstel der Extraordinarien. 20 Rohdaten wie in A. 17. 21 Die FWU im Kriege 1914/15 (wie S. 326, A. 8), S. 22. 22 Nachträge, Veränderungen und Bemerkungen zum Vorlesungsverzeichnis für das Wintersemester 1914/15, in: BAN IX (1914/15), S. 7–10, hier 8 (»Dr. Gudzent steht zurzeit im Felde«); Nachträge, Veränderungen und Bemerkungen zum Vorlesungsverzeichnis für das Sommersemester 1915, in: BAN IX (1914/15), S. 114–116, hier 114. Identifikation der Assistenten nach AV FWU Berlin. Angaben zu G.s Kriegstätigkeit: Die FWU im Kriege 1914/15, S. 27. 23 Sommer, Kriegstätigkeit, S. 2.
Lehrangebot für die Studentenschaft vor Ort
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Kriegssemester) nun Physiologie für Human- und Veterinärmediziner gemeinsam und war auch Prüfer in beiden Vorprüfungen.24 Bei den Veterinärmedizinern selbst vertrat der Direktor der Chirurgischen Klinik auch die beiden Kollegen der Medizinischen und der Poliklinik.25 Der Historiker Gustav Roloff, der bis dahin über das 19. Jahrhundert und zuletzt (1913) eine Geschichte der europäischen Kolonisation seit der Entdeckung Amerikas publiziert hatte, hielt im Krieg zweimal eine Überblicksvorlesung über die »Deutsche Geschichte von der Urzeit bis zum Untergang des alten Reichs (1806)«, jeweils mit vier Wochenstunden.26 Der Althistoriker Laqueur wurde durch den Altphilologen Kalbfleisch vertreten.27 So wurde die Ausdifferenzierung der Fächer (die sich aus der Spezialisierung innerhalb der einzelnen Wissenschaften ergeben hatte) im Krieg in der Lehre also partiell wieder aufgehoben. Zwar bedeutete dies eine Mehrbelastung jener Lehrenden, die neben eigenen Veranstaltungen auch noch abwesende Kollegen ersetzten,28 bot ihnen andererseits aber auch die Gelegenheit, ihr Einkommen zu steigern.29 Das preußische Ministerium, das im Sommer 1915 genaue Richtlinien für Vertretungen eingeführt hatte,30 entschied dabei gelegentlich über die betroffenen Universitäten hinweg, etwa, als es den Berliner Extraordinarius und Spezialisten für Christliche Archäologie Georg Stuhlfauth mit der Vertretung der Kirchengeschichte in Kiel beauftragte (was ihm zusätzlich zu seinem Berliner Gehalt eine Vergütung von 2000 M. einbrachte, von der er allerdings auch die Fahrtkosten bestreiten mußte). Die Fakultät beklagte sich darüber beim Ministerium, denn Stuhlfauths Spezialfach bedürfe in Berlin »angesichts der 24 Schauder, Veterinärmedizin, S. 138 (für 1916!). Anhand des VV ist dies (für WS 1915/16 – WS 1916/17) nicht nachzuvollziehen. Möglicherweise übte Martin diese Vertretung im SS 1917 aus, wo unter der Humanmedizin für »Physiologie I (Ernährung)« und »Physiologische Übungen (Praktikum)« im VV eingetragen ist: »Nachfolger von Dr. Trendelenburg« (VV LU Gi SS 1917, S. 8). Das hatte aber mit dem Krieg nichts zu tun; der erst 1916 nach Gießen berufene T. ging bereits 1917 nach Tübingen (Schian, Volk, S. 22). Zum ersten Kriegssemester s. Bericht des Dir. des Physiol. Instituts Garten: UA Gi Allg. 103, fol. 252. 25 Kanzler Gi an VA 18.12.1915: UA Gi 107, fol. 211. 26 VV LU Gi SS 1915, S. 24 (Zitat); VV 1917, S. 23 im Titel leicht variiert: »Deutsche Geschichte im Überblick vom ersten Auftreten der Germanen in der Geschichte bis zum Untergang des alten Reichs (1806)«. Hinweis darauf schon bei Gundel, Geschichts wissenschaft, S. 225. 27 Gundel, Geschichtswissenschaft, S. 239. 28 So auch in Mecklenburg-Schwerin: Antje Strahl, Rostock im Ersten Weltkrieg, S. 57. Als konkretes Beispiel s. den Bonner Botaniker Küster, der drei Semester lang auch die Lehrund Prüfungsverpflichtungen des als alter Soldat einberufenen Johannes Fitting übernahm (Küster, Erinnerungen eines Botanikers, S. 174). 29 Außer dem im nächsten Absatz folgenden Beispiel s. auch die Remunerationen für Planck und Troeltsch S. 224 mit A. 68. 30 Siehe o. S. 730.
904 Studium und Lehre im Krieg Bedeutung, die die Archäologie innerhalb der Philologie gewinnt, zumal mit Rücksicht auf den Vorsprung der katholischen Wissenschaft, den es hereinzuholen gilt [!], einer besonders sorgsamen Pflege.« Und nun, da es weniger Studenten gebe, hätte Stuhlfauth endlich die nötige Zeit zur Pflege der Sammlungen! Eben deshalb hatte die Fakultät den (bei Kriegsbeginn schon 44jährigen) für unabkömmlich erklärt. Wohl um ihrer Erwartung, daß die auswärtige Vertretung sich auf ein Semester beschränke, noch mehr Gewicht zu verleihen, bezweifelte sie im Schreiben an den Minister außerdem noch Stuhlfauths Eignung für das zu vertretende Fach.31 In Wirklichkeit scheint sie aber vor allem ihr eigenes wissenschaftliches Interesse verfolgt zu haben. Der Vertretungsbedarf beschränkte sich aber nicht auf Ordinariate. Damit die experimentellen Übungen im Fach Psychologie nicht ausfallen mußten, holte die Berliner Philosophische Fakultät zur Vertretung eines anderen (zum österreichischen Militärdienst einberufenen) Privatdozenten aus der neuen preußischen Universität Frankfurt a. M. Max Wertheimer, der sich dort 1912 (noch an der Akademie für Sozialwissenschaften) mit seinen Experimentellen Studien über das Sehen von Bewegung habilitiert hatte und als (Mit-) Begründer der Gestaltpsychologie gilt.32 Der Nobelpreisträger für Chemie (1902), Emil Fischer, der sich schon vier Jahre lang von der Vorlesung über Anorganische Experimentalchemie hatte befreien lassen, sie zum Winter 1914/15 aber eigentlich wieder aufnehmen wollte, ließ sich nun wiederum partiell vertreten. Seinen erneuten Antrag begründete er im Oktober 1914 mit dringenden Kriegserfordernissen, für welche er seine Expertise einsetze – und der Minister erteilte ihm die Befreiung »gern«.33 Als der Abteilungsvorsteher, der Fischer bisher vertreten hatte und dies auch weiterhin tat, nach auswärts berufen wurde, fand sich ein neuer interner Vertreter – denn »die Beschaffung von Munition oder von Nahrungsmitteln für Mensch und Tier«, an denen Fischer mitwirkte, waren »dringendere Sorgen denn je geworden«. Für das Ministerium war diese Vertretung kostenneutral, da Fischers Einschätzung zufolge die Hörgelder eine aus reichende Vergütung für den beauftragten Extraordinarius darstellten.34 31 Pr. KuMi an Stuhlfauth 1.11.1915; Theol. Fak. Berlin an Pr. KuMi 22.11.1915. Beide: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. IV, Nr. 44 Bd. VIII, fol. 48, 62 f. 32 Phil. Fak. Berlin an Pr. KuMi 7.7.16; Pr. KuMi an Max Wertheimer 25.8.1916: GStAPK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. IV, Nr. 61 Bd. XXIV, fol. 243. Wertheimer blieb 1916–1922 PD in Berlin, wurde dann unbesoldeter Extraordinarius und erhielt 1928 eine Besoldung. 1929 wurde er auf ein Ordinariat in Frankfurt berufen und emigrierte 1933 in die USA , wo er zur New School of Social Research in New York gehörte. S. dazu u. a. Pawliczek, Akademischer Alltag, S. 220 f. 33 Emil Fischer an Pr. KuMi 9.10.1914 und Pr. KuMi an Emil Fischer 15.10.1914: GStAPK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. IV, Nr. 61 Bd. XXIII, fol. 270, 272 (Befreiung); 34 Im Winter zuvor (also 1915/16) hatte die Vorlesung 150 Hörer gehabt. Emil Fischer an Pr. KuMi 26.9.1916; Pr. KuMi an Fischer 10.10.1916: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. IV, Nr. 61 Bd. XXIV, fol. 251, 253 (Genehmigung).
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Die kleine hessische Universität stand während des Krieges in einem ständigen Austausch von Vertretern mit der benachbarten preußischen in Marburg.35 Doch holten sich die Gießener auch einen Privatdozenten von weiter her, um den zum Kriegsernährungsamt beurlaubten Nationalökonomen Skalweit zu vertreten.36 Und sie konnten sogar einen ehemaligen Persönlichen Ordinarius, der sein Amt 1910 wegen der unerquicklichen Verhältnisse in der Fakultät niedergelegt hatte, für die Leitung der 1913 endlich errichteten HNO -Klinik gewinnen.37 Ob es tatsächlich auch, wie gelegentlich geplant, zu Vertretungen durch unhabilitierte Praktiker kam – einen Schlachthofdirektor für die Tiermedizin 1914/15, einen Bergrat für die Geologie im Sommersemester 1917 –,38 läßt sich nicht mehr klären. In den entsprechenden Jahresberichten der Rektoren wurde über Vertretungen jeweils nur ganz pauschal gesprochen. Allenfalls könnte eine Bemerkung über die »Veränderungen« in der Abhaltung von Kollegien, »die im allgemeinen zu einer Verstärkung des praktischen Unterrichts geführt haben«,39 auch dies ab- bzw. verdecken. Andererseits könnte sich diese Formulierung aber auch auf den stärkeren Einsatz von Assistenten in klinischen Vorlesungen beziehen (wie bei den Berliner Vertretungen von His). Im übrigen legten die Gießener in den zeitgenössischen Darstellungen Wert darauf, daß sie ihrerseits auswärtige Vertretungen übernahmen.40 Nach dem Tod des Frankfurter Kollegen im Herbst 1916 lehrte der Geograph Sievers sogar drei Semester lang parallel auch dort.41 Doch wurde es zunehmend schwerer, Vertreter zu finden – besonders vermutlich an der Reichsgrenze, wohin sogar ein Ruf vielen nun nicht mehr attraktiv genug erschien. In Straßburg wurde ab 1916 ein kranker Ordinarius von seinem langjährigen ersten Assistenten vertreten. Als auch dieser dann seine militärische Einberufung erhielt, konnte die Medizinische Fakultät keinen Vertreter finden und schlug deshalb im Spätherbst 1917 vor, den Einberufenen für zwei bis drei Wochen zu beurlauben, um ein Praktikum abzuhalten, das für die Zulassung zur ärztlichen Vorprüfung vorausgesetzt wurde. Statt, wie bisher 35 Sommer, Krieg und Seelenleben, S. 24; Sievers, Grenzen Mitteleuropas, S. 26; Gisevius, Boden als Betriebsmittel, S. 16. 36 Götz Briefs aus Freiburg. Nach Schian, Volk, S. 23. 37 Sievers, Grenzen Mitteleuropas, S. 26 f. Zu Ernst Leuterts Dienstzeit in Gießen s. kurz Prüll, Der Heilkundige, S. 124–128, ausführlicher zur Verweigerung des Klinikneubaus durch das Ministerium und mangelnder Unterstützung seitens der Fakultät: Katrin Heidemann, Ernst Hermann Max Leutert (1862–1928). Vertreter der Otologie in Gießen (1901–1910), Gießen 2000, S. 214–228. Seine Kriegsvertretung wird dort nur erwähnt (244 f.). 38 Anderhub, Antoniterkreuz, S. 18 f. 39 So über das erste Kriegsjahr: Sommer, Kriegstätigkeit, S. 2. 40 Schian, Volk, S. 20; Gisevius, Boden als Betriebsmittel, S. 16. 41 P. Claß, Universitätsprofessor Dr. Wilhelm Sievers †. Ein Nachruf, in: Geographischer Anzeiger 23 (1922), Sonderbeilage 1, S. 1–3, hier 2.
906 Studium und Lehre im Krieg üblich, zweimal wöchentlich, sollte es in diesem Fall täglich stattfinden.42 Die Erprobung dieses Vertretungsmodells erledigte sich jedoch vermutlich schon dadurch, daß der Betreffende in diesem Semester als Vorsteher der Physikalischen Abteilung des dortigen Physiologischen Instituts nach Berlin wechselte.43 Doch konnte man sich gelegentlich auf Professoren der Nachbaruniversität Freiburg stützen.44
Die tatsächliche Lehre: Prüfungsrelevante Vollständigkeit? Welche Lehrveranstaltungen tatsächlich stattfanden, läßt sich kaum feststellen; denn die Fakultäten baten auch die im Felde stehenden Kollegen regelmäßig um ihre Meldung.45 Den Ankündigungen im Vorlesungsverzeichnis zufolge wurde das Lehrangebot in Gießen während des Krieges nicht wesentlich reduziert;46 doch deuten schon die wiederholten Ermahnungen der Kriegskommission, die Lehrveranstaltungen auf jeden Fall abzuhalten,47 darauf hin, daß selbst unter den Anwesenden die Neigung bestand, eine Vorlesung oder Übung, die nur wenige Teilnehmer angezogen hatte, ausfallen zu lassen. Weiter vermindert wurde das tatsächliche Angebot durch die Absagen der neu in den Militär- oder Sanitätsdienst Eingetretenen oder – trotz Reklamation – nicht an die Universität Zurückgekehrten. In der Hauptstadt benötigten die Aktualisierungen des Vorlesungsverzeichnisses, die die Berliner Akademischen Nachrichten regelmäßig druckten, nun deutlich mehr Platz als in den Semestern vor dem Krieg. Und als der Umfang zum Winter 1915/16 wieder abnahm, fanden sich fast nur noch die Formulierungen »fällt aus«, »steht im Felde« »liest nicht«48 – im Gegensatz zur
42 Das Dekanat wandte sich an die Regierung, damit diese für die Anerkennung eines solchen Kurses sorge: Med. Fak. der KWU Strb. an Min. für E-L 17.11.1917: ADBR 103 AL 35. 43 Dabei blieb er allerdings PD. S. AV FWU Berlin WS 1917/18, S. 26, 61; ebenso SS 1918, S. 26, 61. Zur Biographie s. auch (in diesem Punkt nicht korrekt, da er als ao. Prof. bezeichnet wird): http://saebi.isgv.de/biografie/Martin_Gildemeister_(1876–1943) (3.5.2012). In Straßburg erscheint er zwar im WS 1917/18 und im SS 1918 noch im alphabetischen Register, nicht mehr allerdings im eigentlichen Verzeichnis. Und beim Physiol. Institut ist ausdrücklich vermerkt: »Erster Assistent vacat« (PV KWU Strb. WS 1917/18, S. 13). 44 S. das Beispiel Friedrich Brie o. S. 737 f. 45 Für Gießen und andere Universitäten: Anderhub, Antoniterkreuz, S. 18. 46 So Anderhub, Antoniterkreuz, S. 20. 47 Siehe o. S. 719. 48 »(…) ist wegen Krankheit verhindert zu lesen« bildete da schon eine seltene Ausnahme. S. die Rubrik Nachträge und Veränderungen zum Vorlesungsverzeichnis (…) bzw. Nachträge, Veränderungen und Bemerkungen (…) für WS 1913/14 in: BAN VIII (1913/14), S. 4–5 (2 Spalten) und 17 (1 Spalte); für SS 1914 in: BAN VIII (1913/14), S. 160–162 (2 Spalten) und 176 (Drittelspalte); für WS 1914/15 in: BAN IX (1914/15), S. 7–10 (6 Sp.), 25 (halbe Spalte) und 39 (Viertelspalte); für SS 1915 in: BAN IX (1914/15), S. 114–116 (5 Spalten)
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Vorkriegszeit und auch den ersten beiden Kriegssemestern, als man noch viele Detail-Änderungen des Themas, des Termins, der Sprechstunden bekanntgab. Andererseits lassen sich keinesfalls alle mit dem Krieg in Verbindung gebrachten Ausfälle auf Militärdienst zurückführen. Auch hier finden sich wieder ungenaue Formulierungen, wie etwa »ist wegen kriegsdienstlicher Beschäftigung verhindert, Vorlesungen zu halten« und, am auffälligsten, »liest nicht während des Krieges«.49 Während ersterer, der mittlerweile 69jährige jüdische Gynäkologe Landau, seit Kriegsbeginn Chefarzt eines Reservelazaretts war, ist für den – damals 47jährigen – Anthropologen Friedenthal, der seine Lehrveranstaltungen pauschal absagte, eine Kriegstätigkeit nur bis Februar 1915 belegt.50 Nicht zuletzt macht auch die schon im Herbst 1914 in Gießen und Straßburg erteilte Erlaubnis, die Vorlesungen »ganz nach den Bedürfnissen der [verbliebenen] Studierenden« zu kürzen oder auf andere Themen überzuwechseln,51 deutlich, daß die Ankündigungen der Vorlesungsverzeichnisse nicht der Lehre entsprechen, die dann tatsächlich stattfand.52 Das gilt selbst für eine Universität, deren Vorlesungsverzeichnis – im Gegensatz zu den hier untersuchten – einen Nachweis von Ausfällen sowie (für den Fall der Demobilisierung von Lehrenden) bedingte Ankündigungen enthielt.53 Insofern sind Beteuerungen im ersten Kriegsjahr, daß der Lehrbetrieb »im vollen Umfang« stattfinde,54 für alle drei Universitäten cum grano salis zu nehmen. Ohnehin wurde das Angebot allmählich eingeschränkt, bis es dann in den Berichten der Rektoren für 1916/17 hieß,
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und 129 (knappe Spalte); für WS 1916/16 in: BAN X (1915/16), S. 4–6 (zwei Sp.; Zitate) und 8–9 (zweieinhalb Sp.); für SS 1916 in BAN X (1915/16), S. 45–47 (2 Sp.) und 56 (eineinviertel Sp.). Nachträge, Veränderungen und Bemerkungen zum Vorlesungsverzeichnis für das Sommer-Semester 1917, in: BAN XI (1916/17), S. 70–73, Zitate 71 (Landau, Friedenthal). Zu Landau s. Die FWU im Kriege 1914/15, S. 19; dto. 1915/16, S. 11; dto.1916/17, S. 13. Zu Friedenthal: Die FWU im Kriege 1914/15, S. 19 (Seuchenarzt in einem Reservelazarett in Spandau, Abkommandierung zur Pflege Fleckfieberkranker in Cottbus, eigene Erkrankung, erneute Tätigkeit in Spandau; Austritt »aus dem Militärverhältnis (‥), da keine Seuchenkranken vorhanden waren«). In den Berichten der nächsten Jahre wird Friedenthal nicht mehr erwähnt. Zu Friedenthal s. (ohne speziellen Kriegsbezug) Veronika Lipphardt, Biologie der Juden. Jüdische Wissenschaftler über »Rasse« und Vererbung 1900–1935, Göttingen 2008, S. 202–204 u. passim. Für Gießen s. o. S. 716. Für Straßburg: Rundschreiben des Dekans der Phil. Fak. vom 19.10.1914, auszugsweise zit. in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 430 (Zitat), Volltext: ADBR 62 AL 35. Nach einer Meldung der SP 1051, 21.10.1914 MiA ersuchte »auch die katholisch-theologische Fakultät die Studierenden, die in der Lage und gewillt sind, die Vorlesungen zu besuchen«, dem Dekan anzuzeigen, »welche der angekündigten Vor lesungen sie hören könnten«! So auch schon Anderhub, Antoniterkreuz, S. 19. Göttinger Kriegsgedenkbuch, S. 146 f. So in Straßburg im Sommer 1915 (SP 261, 14.4.1915, MiA, 2. Blatt). Vgl. ähnlich auch schon zum WS 1914/15, als das Hauptgebäude mit Lazaretten belegt war: Stiftungsfest der KWU 1915, S. 15 f.
908 Studium und Lehre im Krieg daß »wenigstens in allen Hauptfächern der Lehrbetrieb, wenn auch vielfach mit Einschränkungen, doch jedenfalls überall so aufrecht erhalten [worden sei], daß ein geordnetes Studium möglich war«.55 Auch an den Berliner Vorlesungsverzeichnissen ist zu sehen, daß die Zahl der angebotenen Vorlesungen und Übungen bis 1917 kontinuierlich zurückging und – je nach Fakultät – erst im Winter 1917/18 oder im Sommer 1918 wieder anstieg.56 Für diese Universität sind aber auch genaue Zahlen der tatsächlich zustande gekommenen Veranstaltungen überliefert. Dabei machten letztere in den einzelnen Semestern zwischen 58 % (WS 1914/15) und 67 % (WS 1917/18) aus. Ausgefallen waren also zwischen 33 % und 42 % der angekündigten Ver anstaltungen. Zwar waren die meisten Veranstaltungen im Vorlesungsverzeichnis als privat ausgewiesen und kosteten Hörgebühr,57 nur wenige waren öffentlich, einige privat und gratis. Doch unter denen, die tatsächlich stattfanden, bildeten die öffentlichen zwischen 38 % (im Sommer 1918) und 42 % (im Wintersemester 1914/15 und Sommer 1915). Dieser Anteil hatte sich im Vergleich zu den letzten beiden Vorkriegssemestern also nur unwesentlich verändert,58 während auch nicht im Kriegsdienst Stehende und nicht an der ›Heimatfront‹ En gagierte ihre Privatvorlesungen gelegentlich ausfallen ließen.59 Da die Berliner Universität keine bedingten Ankündigungen kannte, wirkt ihr Angebot auf den ersten Blick immer sehr groß. Im Winter 1915/16 z. B. kündigten insgesamt ›nur‹ 51 der damals 484 Hochschullehrer60 keine Veranstaltung an. Davon befanden sich 18 laut Vorlesungsverzeichnis im »unmittel baren oder mittelbaren Heeresdienst« und vermerkten teilweise »zeigt später an«, wohl in der Hoffnung, noch zum Semesterbeginn an die Universität zurückzukehren. 17 andere aber stellten eine spätere Meldung ohne Angabe eines 55 Für Straßburg: Stiftungsfest der KWU 1917, S. 9 (Zitat). Vgl. ganz ähnlich für Berlin: Bumm, Amtsjahr 1916/17, S. 3. 56 Statistisches Jahrbuch der Stadt Berlin 34 (1915–1919), S. 703. 57 Die allermeisten Vorlesungen waren privat, d. h. es war pro Semesterwochenstunde ein Honorar von 5 M. für theoretische Vorlesungen zu entrichten, für eine vierstündige Vorlesung also 20 M. pro Semester; eine einstündige kostete allerdings 10 M. In den Textwissenschaften war eine Reihe von Übungen oder Seminaren als gratis ausgewiesen. Generell aber waren für Veranstaltungen, die mit schriftlichen Arbeiten, Experimenten, Operationen und Demonstrationen verbunden waren, höhere Hörgebühren zu entrichten als für die sog. »theoretischen«, nämlich bis zu 120 M. pro Semester (nach: VV FWU Berlin WS 1914/15, S. 7). 58 Im Detail s. die Tabelle im Anhang, die für die Ankündigungen die Statistik der Stadt Berlin übernimmt, für die tatsächlich zustande gekommenen privaten und öffentlichen Veranstaltungen die Angaben in den Jahresberichten der Rektoren. 59 Außer dem impliziten Beleg durch die Gießener Ermahnungen (A. 47) s. auch das genau dokumentierte Beispiel des bei Kriegsbeginn 48jährigen Extraordinarius Breysig, der nie im Militärdienst stand und auch in den Berichten über die Kriegstätigkeit der Universität Berlin nie genannt ist (u. S. 916). 60 Einschließlich zweier Lesender Mitglieder der Akademie der Wissenschaften.
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Grundes in Aussicht. Laut Kriegsbericht der Universität standen sieben von ihnen (in unterschiedlichen Funktionen) im Feld,61 drei andere wirkten in Lazaretten in der Etappe oder der Heimat.62 Offenkundig gab es also kein einheit liches Verfahren und nicht einmal innerhalb der Medizinischen Fakultät, deren Privatdozenten zwei Drittel der später Anzeigenden stellten,63 Vorgaben, wie die Meldungen zu gestalten seien. Dementsprechend antworteten manche sachlichknapp »zeigt später an«, während andere den eigenen Kriegseinsatz herausstellten, indem sie sich als »zur Zeit im Felde« eintrugen. Drei gaben »militärischen Dienst« als Grund für ihr lehrfreies Semester an,64 insgesamt 13 konstatierten schlicht »liest nicht«. Aber auch von ihnen unterstützten in dieser Zeit, wie andere Quellen belegen, einige den Kriegseinsatz.65 Unter jenen, die auf eine spätere Anzeige verwiesen, sticht Bernhard Groethuysen heraus, nicht nur als Intellektueller »zwischen Berlin und Paris«, der 1932 schließlich nach Frankreich emigrierte und als deutscher wie auch als französischer Denker gelten kann, sondern zunächst durch sein Kriegsschicksal: »Dr. Groethuysen ist als Zivil gefangener in Frankreich; wird später anzeigen«, hieß es in den Vorlesungsverzeichnissen von Sommer 1915 und Winter 1915/16. Danach erscheint dieser Satz nicht mehr – aber auch keine Ankündigung einer Lehrveranstaltung; denn bis zum Ende des Krieges blieb Groethuysen interniert.66 Insgesamt aber kündigte man in Berlin, sofern man nicht schon im Felde stand oder sich in einem sonstigen, absehbar längeren Kriegseinsatz befand, zunächst einmal Lehrveranstaltungen an – und konnte diese dann, in den Berliner Akademischen Nachrichten, immer noch absagen.
61 Die medizinischen PD Eckert (Stabsarzt in einem Feldlazarett), Lotsch (»im Felde«), Leonor Michaelis (Landsturmarzt), Rumpel (Konsultant im Feld), Stier (im Dienst der Sanitätskompanie im Feld), Warnekros (diverse Einsätze im Feld). Dazu kam aus der Phil. Fak. der Physiker James Franck, der ursprünglich als Kriegsfreiwilliger eingerückt und im Fronteinsatz gewesen war, inzwischen aber zur Entwicklung neuer Kampfstoffe an ein KWI abkommandiert (s. o. S. 344, 352 f.). 62 Ludwig Jacobsohn (Reservelazarett, also Heimat), Levinsohn, Lewandowsky. 63 11 von 17, dazu auch ein medizinischer Extraordinarius. 64 Der Extraordinarius für Chemie Will sowie die PD Gehrcke und Maas. Ersterer hatte zunächst ein Bataillon geführt und diente inzwischen in der Artillerieprüfungskommission, der Physiker Gehrcke leitete die Röntgenstation im Lazarett in Czersk, der Altphilologe Maas diente als freiwilliger Krankenpfleger in Belgien (FWU im Kriege 1914/15, S. 30, 32, 34). 65 Der Ord. Honorarprof. Rießer (stellvertretender Sammeloffizier), der medizinische Extraordinarius Borchardt (Leiter eines Lazaretts und Konsultant), der Ord. Honorarprof. der Phil. Fak. (und zweiter Direktor des KWI für Biologie) Hans Spemann (Zoologie) (in den Semesterferien nach dem WS Krankenpfleger), der PD für Physik Pohl (»funkentelegraphische Angelegenheiten« in der Verkehrstechnischen Prüfungskommission). 66 VV FWU Berlin SS 1915, S. 45; WS 1915/16, S. 46; SS 1916, S. 45 f.; WS 1916/17, S. 43 f. Zu G.s Internierung s. o. S. 277 und 328 A. 15.
910 Studium und Lehre im Krieg Überhaupt kein rechtes Bild läßt sich davon gewinnen, wie die Lehre in Gießen wirklich aussah; denn anders als in Berlin, machten die Rektoren in ihren Jahresberichten keine genaueren Angaben über die Zahl der tatsächlich gehaltenen Veranstaltungen, und offenkundig führten auch die Fakultäten keine Aufstellungen darüber.67 Dabei wies das Vorlesungsverzeichnis (das auf dem Tiefpunkt im Winter 1916/17 nur 13,3 % weniger Veranstaltungen enthielt als im Sommer 191468) zwar ausdrücklich darauf hin, welche Dozenten (bei Drucklegung!) im Feld standen – doch sie alle kündigten trotzdem Lehrveranstaltungen an! Für die Ordinarien wurde gelegentlich ein bestimmter Vertreter benannt, meist aber hinter den Namen nur pauschal versichert »Für eventuelle Vertretung ist gesorgt.« Das gilt auch für einen etatisierten Extraordinarius. Dagegen blieben die Ankündigungen der Privatdozenten – manche mit, manche ohne Zeitangabe – ohne weitere Erläuterung. Wer sich für ihre Lehrveranstaltungen interessierte, mußte damit rechnen, daß sie bei Semesterbeginn schließlich doch abgesagt wurden. So kündigten die Hochschullehrer der Philosophischen Fakultät (ohne Lektoren) für den zweiten Kriegswinter insgesamt 168 Lehrveranstaltungen an. Die Lehrenden von 30 Veranstaltungen standen im Feld, aber obwohl am Ende eine pauschale Versicherung folgte, daß »nach Möglichkeit für Vertretung gesorgt werde, sodass eine Unterbrechung des Unterrichts in den betreffenden Fächern nicht« eintreten werde,69 wurde nur hinter der Hälfte dieser Veranstaltungen eine Aussicht auf Vertretung gegeben. Andererseits scheint das Angebot für den zweiten Kriegswinter nicht besonders gefährdet gewesen zu sein, wenn voraussichtlich nur 15 der fast 170 angekündigten Veranstaltungen ausfallen mußten. Doch abgesehen davon, daß zwischen dem Druck des Vor lesungsverzeichnisses am Ende des vorausgehenden Semesters und dem Beginn der Lehrveranstaltungen ja noch weitere Dozenten eingezogen werden konnten, muß natürlich auch geprüft werden, wie sich die zu erwartenden Defizite auf die einzelnen Fächer dieser Fakultät verteilten. Einige konnten demnach hoffen, im zweiten Kriegswinter gar nicht betroffen zu werden: Philosophie und Pädagogik, Botanik und Zoologie, Geographie, Archäologie, Vergleichende Indogermanische Sprachwissenschaft, Semitische Philologie, Neuere Philologie (Germanistik und Anglistik, in der Romanistik war nur eine landeskundliche Veranstaltung ›bedroht‹); andere Fächer mußten nur auf sehr spezielle Lehrveranstaltungen verzichten: Mathematik und Physik,70 Chemie und Mine 67 Das hat auch die Leiterin des Gießener Universitätsarchivs bestätigt (Mail von Dr. EvaMarie Felschow vom 12.10.2012). 68 SS 1914: 332, WS 1916/17: 288. Nach der Auszählung der angekündigten Veranstaltungen bei Anderhub, Antoniterkreuz, S. 20. 69 Alles nach VV LU Gi WS 1915/16, S. 3–28, darin die Veranstaltungen der Phil. Fak. (zu der auch Land- und Forstwirtschaft gehörten) 14–28. 70 Meteorologische Optik; Beugungstheorie der optischen Instrumente; Ballistik.
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ralogie,71 Land- und Forstwissenschaft.72 Die »Kunstwissenschaft« war, je nach Perspektive, gar nicht oder durch die angekündigte Vertretung des einzigen Fachvertreters, der bei Drucklegung im Felde stand, besonders gravierend betroffen. In der Klassischen Philologie war das Angebot einerseits größer als in anderen Fächern, andererseits wurde das Spektrum aber auch stärker eingeschränkt: Zwar sollte einer der beiden Ordinarien den anderen, im Feld stehenden vertreten. Doch die drei (ziemlich spezialisierten) Veranstaltungen der beiden Privatdozenten würden wohl ausfallen müssen. Dem Umfang ihres Angebots nach war auch die Geschichtswissenschaft wohl nur unwesentlich eingeschränkt; denn die zwei im Felde stehenden Ordinarien (für Alte Geschichte und Mittelalter) sollten ja vertreten werden, so daß nur die von einem nichtetatisierten Extraordinarius angekündigte Geschichte der deutschen Kaiserzeit von 911 bis 1250 auszufallen drohte. Der Neuzeitler Roloff war anwesend, und die von dem Staatsrechtler Gmelin angekündigte Vorlesung über die Verfassungsgeschichte der wichtigsten Staaten Europas seit 1815, die für Hörer aller Fakultäten gedacht war, bot eine willkommene, auch unter dem Fach »Geschichte« genannte Ergänzung. Insgesamt konnte man also davon ausgehen, daß wirklich alle Fächer studiert werden konnten, wenn auch evtl. ›nur‹ bei Vertretern, und daß das Angebot insbesondere in allen für den Lehramtsstudiengang wichtigen Fächern im Winter 1915/16 ausreichte. Andererseits waren in anderen Semestern andere Fächer betroffen: Obwohl er der einzige Fachvertreter war, hatte der Geograph S ievers in den ersten beiden Semestern im Heer gestanden.73 Ob seine Lehre ausfallen mußte oder er vor Ort diente und die angekündigten Veranstaltungen und Sprechstunden tatsächlich abhielt, läßt sich aus den Akten nicht klären.74 Selbst aus der Medizinischen Fakultät standen im Winter 1915/16 nur zwei von 11 Ordinarien »im Felde«, und zwar der Gynäkologe und der HNO -Spezia list. Die drei etatisierten Extraordinarien waren alle vor Ort, von den sieben Kollegen ohne Stelle immerhin fünf (nur einer stand im Feld, ein weiterer war beurlaubt), von den neun Privatdozenten allerdings nur zwei (sechs im Feld, 71 Experimentelle Elektrochemie; Technologie der Farbstoff- und Heilmittelzwischen produkte; Pharmazeutisch-chemische Präparate. 72 Forsteinrichtung nach Hessischer Vorschrift; Einführung in die exakte Erblichkeits forschung. 73 Siehe o. S. 357. 74 Das am Ende des ersten Kriegswinters für das SS gedruckte VV enthielt noch keinerlei Angaben über Dozenten »im Felde« oder (wie es dann im erst während des SS gedruckten PV ohne Unterscheidung von Feld- und Garnisonsdienst hieß) »im Heere«. Laut VV LU Gi SS 1915, S. 15 kündigte Sievers für Montag und Freitag (10.45–11.00 Uhr) Sprechstunden im Geograph. Institut an. Das war die Zeit jeweils im Anschluß an seine Vor lesung. Weitere Lehrveranstaltungen sollten am Dienstagabend, Mittwochnachmittag und Samstagvormittag stattfinden (S. 22). Auch aus der Personalakte läßt sich die Frage seines Kriegsdienstes nicht klären (Auskunft von Dr. Eva-Marie Felschow 18.1.2012).
912 Studium und Lehre im Krieg ein weiterer beurlaubt). Die beiden Ordinarien wurden vertreten durch einen Privatdozenten bzw. den Vorgänger des Lehrstuhlinhabers.75 Während einige Privatdozenten recht spezielle Lehrveranstaltungen ankündigten, hätte das Lehrangebot eines anderen dagegen gerade während des Krieges gewiß dem Bedarf entsprochen: »Allgemeine Chirurgie« (Anton Thies). Dasselbe galt für »Frakturen und Luxationen« sowie »Verbandkurs« des Extraordinarius August Brüning.76 (Ob das ›große‹ Thema für Thies vielleicht karriereförderlich war? Im während des Semesters gedruckten Personalverzeichnis erscheint er bereits als Extraordinarius.) Beide blieben allerdings bis zum bitteren Ende »im Heere«, und Thies fiel gegen Ende des Krieges durch eine Fliegerbombe.77 Ab Sommer 1916 enthalten die Gießener Vorlesungsverzeichnisse bei den Veranstaltungen der Medizinischen Fakultät keinerlei Hinweise mehr auf Vertretungen und Abwesenheiten (während die dann Selbständige Veterinärmedizinische sowie die Philosophische noch auf Vertretungen hinwiesen). Alle Ordinarien waren aus dem Krieg zurück, dagegen zusätzlich zu Thies und B rüning noch ein etatisierter Extraordinarius ins Heer gegangen (Koeppe) und, als dieser zum Winter 1917/18 zurückkehrte, ein weiterer unbesoldeter Kollege (Soetbeer), während fünf (der dann acht) Privatdozenten durchgängig in militärischer Verwendung standen. Welche Veranstaltungen des ausgebreiteten Lehrangebots jedes Semesters angesichts der Abwesenheit von Assistenten und vielen Studierenden dann tatsächlich zustande kamen, läßt sich wegen der fehlenden Buchführung darüber aber nicht mehr rekonstruieren. Im Vergleich zum benachbarten preußischen Marburg, wo 1917/18 96,9 % der Hochschul lehrer der Medizin Kriegsdienst leisteten,78 müßte das Angebot der kleinen hessischen Landesuniversität also ziemlich attraktiv gewesen sein. Doch der tatsächliche Unterschied wird vermutlich wesentlich geringer gewesen sein, da, wie die Beispiele über den Kriegseinsatz der Berliner und Straßburger belegen,79 nicht zu erwarten ist, daß alle Marburger ihren Kriegsdienst tatsächlich außerhalb der Universitätsstadt leisteten. Das aber wird bei solchen Berechnungen und daran anknüpfenden Ausführungen stillschweigend vorausgesetzt. Doch daß der medizinische Lehrbetrieb tatsächlich mit nur vier von 42 Hochschullehrern aufrechterhalten80 worden wäre, ist nicht anzunehmen.
75 Siehe o. A. 36–37 sowie VV LU Gi WS 1915/16, S. 11 A. *. 76 VV LU Gi WS 1915/16, S. 10. 77 Brüning erscheint noch im Verzeichnis des WS 1918/19 als »im Heere«. Zu Thies: Prüll, Der Heilkundige, S. 83. Zu den anderen Angaben s. PB LU Gi (SS 1916-WS 1918/19) passim. 78 Wettmann, Heimatfront Universität, S. 118. 79 Siehe o. Kap. III .3. 80 So Wettmann, Heimatfront Universität, S. 230 (nach Auszählung der Angaben der Personalverzeichnisse).
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In anderen Fällen wird, sozusagen umgekehrt, das Angebot ganzer Universitäten81 oder einzelner Fächer während des Krieges als ziemlich vollständig präsentiert und dabei die Diskrepanz zwischen angekündigten und tatsächlich abgehaltenen Veranstaltungen zu wenig berücksichtigt. So kann man über die Straßburger Kunstgeschichte lesen, daß – nachdem Dehios zum Wintersemester 1914 berufener Nachfolger Anfang November gefallen war – Robert Hedicke, Ernst Polaczek und Paul Hartmann die Lehre versehen und so dem Institut »zu einem geregelten, bis zum letzten Semester 1918/19 aufrechterhaltenen Betrieb« verholfen hätten.82 Außerdem kündigte auch noch der Archäologe August Frickenhaus Vorlesungen über antike Kunst an. In Wirklichkeit standen diese vier Dozenten jedoch alle im Kriegsdienst, zwei fast durchgehend, der dritte bis zu seiner Wegberufung in der Kriegsmitte.83 Und sie taten auch nicht in Straßburg Dienst: Frickenhaus wurde bereits vor Beginn des ersten Kriegssemesters verwundet, verbrachte dann ca. zwei Monate bei seinen Eltern in Elberfeld und kehrte ins Feld zurück. An Weihnachten 1915 stand er »in der ersten Linie« und vermutete, daß Ankündigungen für das Sommersemester 1916 zwecklos seien, und auch an Weihnachten 1916 befand er sich noch im Feld.84 Im Sommer 1917 tat er Dienst in Mainz, von wo aus er auch an einem Berufungsverfahren mitwirken sollte. (Doch erhielt er die dafür beantragte Reisegenehmigung zu spät.) Im Dezember 1917 wollte die Fakultät ihn reklamieren, wählte ihn (vielleicht zu diesem Zweck?) auch in die Kommission zur Neugestaltung der Doktordiplome – aber offenbar vergeblich.85 Während sich, wie in Gießen, im systematisch gegliederten Vorlesungs verzeichnis für die meisten Semester Ankündigungen aller dieser Dozenten (mit Ausnahme des Emeritus) finden, teils mit Zeitangabe, teils nur mit dem Vermerk, daß die Stunde noch zu bestimmen sei, so steht in der angehäng81 Dieser Eindruck entsteht auch bei Anderhub, Antoniterkreuz, S. 20 (obwohl er S. 18 auf die generelle Ankündigung aller hinweist). 82 Betthausen, Dehio, S. 265. 83 Der Ordinarius Frickenhaus und der PD Hedicke schon im WS 1914/15 (S. 6, 7), der PD Prof. Hartmann seit SS 1915 (S. 8), ab SS 1916 auch der Honorarprof. Polaczek (S. 8). Hartmann war ab WS 1916/17 an der TH Darmstadt tätig, Polaczek und Frickenhaus scheinen in diesem Semester nicht mehr im Heeresdienst gestanden zu haben (S. 7), doch ist letzterer schon im SS 1917 wieder als im »Kriegsdienst« stehend registriert. Vgl. zu letzterem aber außerdem die folgenden Ausführungen. 84 Frickenhaus an den Dekan der Phil. Fak. 18.10.1914: ADBR 62 AL 35; dto. 19.12.1915 (Zitat): ADBR 62 AL 36. Zu Weihnachten 1916 s. u. S. 915. 85 Frickenhaus an Phil. Fak. 12.7.1917 (noch keine Genehmigung) und (Telegramm) 13.7.1917 (zu spät erhalten). Im Brief vom 12.7. bat er um eine Verschiebung der Sitzung: Voraussichtlich werde er sich 24.–27.7. wieder in Straßburg aufhalten. Und so teilte dies der Dekan am 13.7.1917 auch den Kommissionmitgliedern Dehio, Spahn und Simmel mit. Prot. Phil. Fak. 8.12.1917 (Wahl); Prot. 1. Sitzung der Komm. für die Neueinrichtung des Doktordiploms 8.1.1918 (Frickenhaus nicht anwesend); Prot. 2. Sitzung (…) 17.1.1918 (anwesend). Alle: ADBR 103 AL 38.
914 Studium und Lehre im Krieg ten Kurzauflistung nach Fakultäten und Statusgruppen, hinter dem Dozenten namen oft ein Zusatz, der im Hauptteil fehlt: z. B. bei Hedicke für Sommer 1915 »wird später anzeigen« oder im Winter 1916/17: »z. Zt. im Kriegsdienst, wird u. U. lesen«.86 Dehio selbst hielt im Sommersemester 1915 nicht, wie angekündigt, noch einmal eine Vorlesung, sondern beschränkte sich damals und später auf ge legentliche Besuche im Institut.87 Der einzige Kunsthistoriker, der im Sommer 1915 noch Veranstaltungen durchführte, war Polaczek: eine einstündige Vor lesung am Donnerstagabend über »Malerei und Plastik im Elsass« und »Kunstgeschichtliche Übungen (Rembrandts Zeichnungen)« am Freitagvormittag.88 Im folgenden Winter gab es sogar nur eine einstündige Vorlesung, Polaczeks »Deutsche Künstler des 19. Jahrhunderts«.89 Im Sommersemester 1916 lag die Kunstgeschichte völlig brach.90 Auch zu Beginn des Wintersemesters 1916/17 war von den eigentlichen Dozenten der Kunstgeschichte kein einziger vorhanden, denn von den beiden Privatdozenten war einer nach auswärts berufen, der andere stand im Feld,91 der Honorarprofessor Polaczek diente inzwischen als Landsturmleutnant in einem Ersatzbataillon seiner österreichisch-böhmischen Heimat.92 Die Ankündigungen des Vorlesungsverzeichnisses waren also für das ganze Fach Absichtserklärung geblieben!
86 In den letzten beiden Semestern des Krieges hieß es nur noch: »wird u. U. später ankündigen.« Ähnliche Hinweise auf bedingte Lehre oder vielleicht noch folgende Ankün digungen finden sich auch bei den anderen Dozenten: Für Frickenhaus wird eine mögliche spätere Ankündigung im SS 1916 und im WS 1916/17 in Aussicht gestellt, während die Ankündigungen für WS 1917/18 und SS 1918 mit der Kautel »wird u. U. lesen« ver sehen sind. Diese findet sich auch für Polaczek für WS 1916/17. Hartmann kündigte für WS 1916/17 noch drei Veranstaltungen mit »u. U.« an, gehörte dann im Winter aber schon nicht mehr zur Universität Straßburg. 87 Die Behauptung Betthausens, Dehio, S. 265, Dehio habe noch einmal eine Vorlesung gehalten, könnte sich zwar auf VV KWU Strb. SS 1915, S. 18 stützen (»Geschichte der deutschen Kunst bis zum Ende der Stauferzeit, zweistündig, 12–1 Uhr«, ohne Angabe der Wochentage), wird aber widerlegt durch die Zusammenstellung auf: Phil. Fak. der KWU Strb. 21.5.1915, S. 4: »Dehio liest nicht.«: ADBR 62 AL 36. 88 Phil. Fak. der KWU Strb. 21.5.1915, S. 3. S. außerdem die Vermerke Hartmanns (2) und Frickenhaus’ (3), sie läsen nicht. 89 Phil. Fak. der KWU Strb. 22.11.1915, S. 1. Vgl. Hartmann: »Ich habe wegen Militärdienst keine Vorlesungen gehalten« (3). 90 Vorlesungen und Übungen an der philosophischen (!) Fakultät im Sommersemester 1916 (ADBR 62 AL 37), S. 4: »Frickenhaus im Kriegsdienst »; ebenso Polaczek; S. 5: ebenso Hartmann; S. 6: ebenso Hedicke. 91 [Robert] Hedicke an Dekan der Phil. Fak. 3.6.16 (»Im Felde«) mit inhaltlicher Abgrenzung einer seiner Ankündigungen von der eines Kollegen und gleichzeitigem Zweifel, daß es »zur Ausführung kommt«: ADBR 62 AL 37. 92 Ernst Polaczek an Dekan Phil. Fak. 9.4.1916: ADBR 62 AL 36 (daher könne er die angekündigten Veranstaltungen nicht abhalten). S. auch o. S. 373.
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In dieser Situation beantragte der Straßburger Kurator dann bei den österreichischen Behörden Polaczeks Freistellung; denn sonst könnten in der Kunstgeschichte gar keine Vorlesungen gehalten werden. Außerdem sei das »wertvolle Kunstgeschichtliche Institut« inzwischen in einen Zustand geraten, der es fast unbenutzbar mache.93 Tatsächlich erwirkte er damit Ende November Polaczeks Enthebung vom Landsturm (bis Ende März 1917). (Und so verfuhr man dann auch in den folgenden Semestern.)94 Zu Weihnachten 1916 widmete Dehio den ersten Band seiner Geschichte der deutschen Kunst seinen »Söhnen in Krieg und Gefangenschaft«, darunter ausdrücklich auch seinem Schwiegersohn Frickenhaus.95 Allerdings begann im Dezember der gerade zurückgekehrte Polaczek noch drei Lehrveranstaltungen – und auch der Archäologe Frickenhaus gab zwei Veranstaltungen zu Protokoll.96 In den letzten beiden Kriegssemestern blieben von dem immer kleiner werdenden Angebot als Veranstaltungen, auf die die Studenten wirklich rechnen konnten, nur die des Honorarprofessors Polaczek übrig: zwei Vorlesungen und eine Übung (insgesamt fünf Wochenstunden). Als vollständiges Angebot wird man das gewiß nicht betrachten können und auch kaum als »geregelten (…) Betrieb«. Tatsächlich las Polaczek im Winter 1917/18 dann sogar nur eine einzige einstündige Vorlesung (öffentlich und gratis): »Rom in der Renaissance«. Für Frickenhaus und Hedicke vermerkte die Zusammenstellung der Veranstaltungen, die tatsächlich statt gefunden hatten, nur noch: »nicht gelesen«.97
Lehrbefreiung trotz Dozentenmangel? Obwohl ein Teil der Kollegen abwesend war, ließen sich einzelne Gelehrte von der Lehre befreien, auch ohne durch Militärdienst oder sonstiges kriegsbezogenes Engagement verhindert zu sein, und nutzten dies für ihre Forschung. Allerdings fanden sich solche Beispiele nur für die Berliner Philosophische Fakultät, die, wie gezeigt, unter kriegsbedingter Abwesenheit am wenigsten litt. Der 93 Kurator Strb. an K. K. (!) österreichisch-ungarische Botschaft in Berlin zur gefälligen Weitergabe an das K. K. Kriegsministerium in Wien 19.10.1916: ADBR 103 AL 647. 94 K. u. K. (!) oesterreichisch-ungarische Botschaft an Kurator Strb. 27.11.1916; Phil. Fak. an Kurator Strb. 26.2.1917; Kurator an k. u. k. Oesterr.-Ungar. Botschaft in Berlin (…) 3.3.1917; Min. für E-L an Kurator Strb. 20.9.1917; AA an Statth. in Strb. 15.1.1918 (bis 30.6.1918 enthoben). Alle: ADBR 103 AL 647. Genauer o. S. 373. 95 Betthausen, Dehio, S. 292. Das Buch erschien aber erst Berlin u. a. 1919, s. dort S. III . 96 Phil. Fak. der KWU Strb. an sämtliche Herren Dozenten 7.12.1916 (mit angehängter Liste samt Eintragungen), S. 5 (Polaczek), 4 (Frickenhaus). S. außerdem S. 6: »Hedicke: im Kriegsdienst«. In dem am 15.12.1916 abgeschlossenen PV KWU Strb. sind Frickenhaus und Polaczek tatsächlich nicht als im Kriegsdienst stehend markiert. 97 Vorlesungen und Uebungen der phil. (!) Fak. im Winter-Semester 1917/17, S. 5, 3, 7: ADBR 62 AL 38.
916 Studium und Lehre im Krieg Historiker Breysig beantragte die Befreiung im Herbst 1914 für eine seiner geplanten Veranstaltungen, die Privatvorlesung, weil der spezielle Kriegsfahrplan ihm die rechtzeitige Ankunft (aus Potsdam) unmöglich machte, ein späterer Termin sich aber mit den Veranstaltungen von Fachkollegen überschnitten hätte. Im Sommer 1915 argumentierte er dann, daß für die vierstündige Privatvorlesung wegen des Krieges nur wenige Hörer zu erwarten seien – und bekam wieder die Erlaubnis. Auch jetzt wollte er die Zeit für die Forschung verwenden und machte dies dem Minister durch Hinweis auf deren Inhalt schmackhaft: Mit einer Studie zur Außenpolitik bis zum Beginn des Krieges wollte Breysig auch »neue Gesichtspunkte« für dessen »geschichtliche wie politische Bedeutung« gewinnen. Daß ihm beide Anträge aber nicht leicht fielen, zeigen seine gewundenen Rechtfertigungen.98 An Kriegsgefangenen erforschten der Indogermanist Wilhelm Schulze und der Indologe Heinrich Lüders gemeinsam Himalayasprachen. Nachdem er bereits mehrere Monate daran gearbeitet hatte, ließ sich Lüders im Sommer semester 1917 dafür von der Lehre freistellen. Er, der 1895–1899 selbst am Indian Institute in Oxford gearbeitet hatte, begründete das gerade auch mit der Entwicklung des Krieges: »Ausserdem wird sicherlich deutschen Gelehrten während der nächsten Jahrzehnte überhaupt keine Gelegenheit wieder geboten werden diese Sprachen zu studieren, die von den Engländern bisher kaum beachtet und daher so gut wie unbekannt sind, obwohl sie sowohl für den Linguisten wie für den Kulturhistoriker das grösste Interesse beanspruchen können.«99
Ein Jahr später reisten Lüders und Schulze gemeinsam ins Gefangenenlager der Inder nach Rumänien und wurden beide zunächst bis 1. Juni von der Lehre befreit, auf Antrag – »da die Temperaturverhältnisse die Fortführung« gestatteten – dann weiter bis 1. Juli. Im Sommer sollten diese Gefangenen nach Göttingen verlegt werden. Da sie jedoch nicht, wie geplant, am 1. August, sondern erst Anfang September eintrafen, verlängerte Lüders am 28. Oktober 1918 auch seinen Antrag auf Lehrbefreiung dementsprechend: nicht nur bis Ende Oktober, sondern bis Ende November 1918; denn in »anbetracht der politischen Verhältnisse« durfte er »nicht [mehr] hoffen (…), die Arbeit in den nächsten Uni versitätsferien fortsetzen zu können«.100 Seinem Kollegen Schulze schien die 98 Curt Breysig an Pr. KuMi 7.10.1914; Pr. KuMi an Curt Breysig 14.10.1914: GStAPK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. IV, Nr. 61 Bd. XXIII, fol. 68, 69; Curt Breysig an Pr. KuMi 7.4.1915; Pr. KuMi an Curt Breysig 14.4.1915: ebd. Bd. XXIV, fol. 8, 9. 99 H. Lüders an Pr. KuMi 17.4.1917: GStAPK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. IV, Nr. 55 Bd. VI, fol. 1. 100 H. Lüders an Pr. KuMi 28.10.1918: GStAPK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. IV, Nr. 55 Bd. VI, fol. 15. Zusammenfassung nach den zitierten und folgenden weiteren Dokumenten: Pr. KuMi an Lüders (Entwurf) 23.4.1917 (fol. 1v); Wilhelm Schulze an Pr. KuMi
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Forschung in dieser Situation schon sekundär. Er teilte dem Minister bereits einen Tag später mit, daß er seinen Urlaub eigenmächtig abgebrochen habe, »als ich Präsident Wilsons zweite Note [vom 14.10.1918]101 zu Gesicht bekam. Ich hatte alsbald die Überzeugung, daß in diesen Tagen jeder Mann an seinen Platz gehöre, um wenigstens in seinem Kreise, sei er noch so klein, mitzuhelfen, daß das persönliche und nationale Ehrgefühl noch erhalten« bleibe, das durch die »Wühlarbeit aller Decompositionselemente ertötet worden« sei.102
Für Schulze war am Kriegsende – wie zu Kriegsbeginn für viele andere – die Forschung wieder hinter die nationale Aufgabe zurückgetreten. Auch der Romanist Morf und der Anglist Alois Brandl, die sich beide schon lange mit Dialektstudien beschäftigten, gingen während des Krieges in Gefangenenlager, um diese Arbeiten dort fortzusetzen. »In 14 Lagern habe ich so in den Jahren 1917–1918 eine Arbeit des Friedens mitten im Kriege getan,« erinnerte sich Brandl später.103 Die ethische Frage seiner Forschungen streifte Brandl in seinen 20 Jahre später veröffentlichten Erinnerungen nur am Rande: »Wer nicht in das Grammophon sprechen wollte, blieb unbehelligt.«104 Alle diese Engagements waren Teil eines großen Unternehmens: Ab 1915 zog die Königlich Preußische Phonographische Kommission in geheimem Auftrag durch vierzig Kriegsgefangenenlager, um mit den dort gesammelten Beispielen ein Archiv der Idiome und Musikstile aufzubauen. Der von dem Berliner 20.3.1918 (fol. 6) und Pr. KuMi an Univ.kasse 30.3.1918 (fol. 6v); H. Lüders an Pr. KuMi 19.3. und 23.231918 (fol. 10 bzw. 8); Pr. KuMi an Lüders 13.6.1918 (Entwurf) (fol. 10v). 101 Im Notenwechsel nach Deutschlands Ersuchen um einen Waffenstillstand (mit Annahme von Wilsons 14-Punkte-Programm vom Januar 1918) präzisierte Wilson die Bedingungen. Da er nur einer demokratisch legitimierten Regierung Frieden in Aussicht stellte, war darin auch die Abdankung des Kaisers impliziert. 102 W. Schulze an Pr. KuMi 29.10.1918: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. IV, Nr. 55 Bd. VI, fol. 14. 103 Durch das genaue Hinhorchen wurde überall »ein merkwürdiges Schwanken« deutlich, nicht die erwartete »feste Redeform eines Dorfes«, und so löste sich »der ganze alte Dialektbegriff in eine Illusion auf.« 104 Brandl, Zwischen Inn und Themse, S. 325–328, Zitate 327 und (letztes) 328, Abb. des schreibenden Gelehrten (mit Stehkragen!) zwischen Kriegsgefangenen und deutschen Wachen in einem Raum des Gefangenenlagers Wunsdorf zwischen S. 328 und 329. Ein Foto, wie Wilhelm Doegen, ein Oberlehrer, Pionier der Verwendung von Schallplatten für den Sprachunterricht und Initiator der Kommission (später Direktor der ent sprechenden Abteilung an der Preußischen Staatsbibliothek), und Alois Brandl von »englischen« Kriegsgefangenen in ihrer Baracke in Quedlinburg mit five o’clock tea bewirtet werden, in: Wilhelm Doegen, Kriegsgefangene Völker. Bd. I: Der Kriegsgefangenen Haltung und Schicksal in Deutschland, Berlin 1921, Tafel 59 nach S. 260. Mit dieser Einladung bedankten sich die Gefangenen dafür, daß Doegen ihnen nach zwei Jahren im Lager die Erlaubnis verschafft hatte, (nur in Begleitung eines Dolmetschers) einmal einen Spaziergang außerhalb machen zu dürfen. Zu Morf und Brandl auch: Bott, Mittelalterforschung oder moderne Philologie? S. 357, 369.
918 Studium und Lehre im Krieg Psychologen Carl Stumpf geleiteten Kommission gehörten insgesamt 30 Philo logen, Anthropologen und Musikwissenschaftler an. (Stumpf selbst war im Sommer 1916 von der Lehre freigestellt.) Das Ergebnis für das »Stimmen museum der Völker« waren 1659 Platten und 1022 Sprachwalzen. Außerdem wurde die Gefangenen auch fotografiert und mancherorts anthropologisch vermessen.105 So untersuchte z. B. Egon von Eickstedt, der seit 1913 in Berlin Geographie studierte, auf Initiative und im Auftrag des Berliner Anthropologen Luschan als Sanitätsunteroffizier insgesamt 1784 Personen in 15 Lagern, u. a. die 76 Sikhs im »Halbmondlager« (für muslimische Gefangene) – und machte nach dem Krieg daraus seine (Frankfurter naturwissenschaftliche) Dissertation.106 (Später wurde Eickstedt einer der führenden Anthropologen und Rassengut achter im Nationalsozialismus.)
Inhaltliche Veränderungen des Angebots Soweit bisher, d. h. an einer bayerischen und einer preußischen Universität, beobachtet, wurde das Lehrangebot inhaltlich kaum verändert, nicht um neue große, auf den Krieg bezogene Themen ergänzt. »Lediglich Beispiele aus der Welt des Krieges aktualisierten allenthalben das Gewohnte«.107 Auch die preußische Kultusverwaltung ergriff »praktisch keine Maßnahmen in Richtung einer Mobilmachung des Lehrbetriebes für die Kriegführung« und übte keinen nennenswerten Einfluß zur Anpassung der Lehrinhalte an Kriegsfragen aus. Aber das sei wegen der Eigeninitiative der Universitäten auch nicht nötig gewesen.108 Vorlesungen etwa über Militärkirchenrecht und Schiffshygiene, wie sie anderswo beobachtet wurden, stellen gewissermaßen eine kriegsbezogene Auswahl von Aspekten herkömmlicher Fächer dar, andere, wie »Kriegs- und Friedens orthopädie«, »Kriegspathologie« vielleicht auch nur eine aktualisierende Akzentuierung des traditionellen Angebots.109 Ähnliche Anpassungen gab es auch in den hier untersuchten Universitäten. Der bei Kriegsbeginn schon 78jährige 105 Jochen Hennig/Udo Andraschke (Hg.), Weltwissen. 300 Jahre Wissenschaften in Berlin, München 2010, S. 164 f. (Katalogteil, div. Autoren). Ergänzend: Stimmen der Völker. Das Berliner Lautarchiv, in: Theater der Natur und Kunst. Katalog (…), Berlin 2000, S. 117–128, hier 118 (Doegen), 123–125 (Gefangenenlager). Stumpfs Freistellung: KuMi an Stumpf/Abschrift an Rektor und Senat 13.3.1916: UA HU UK 126 II, fol. 9. 106 Darin kam er zu dem Schluß, daß die Sikhs keine eindeutigen Rassenmerkmale aufwiesen. Dirk Preuß, Anthropologe und Forschungsreisender. Biographie und Anthro pologie Egon Freiherr von Eickstedts (1892–1963), München 2009, S. 19–27. 107 Für Erlangen: Blessing, Universität im Krieg, S. 55 (Zitat); für Marburg: Wettmann, Heimatfront Universität, S. 142, 250 f. 108 Wettmann, Heimatfront Universität, S. 142 f. (Zitat), 251. S. auch S. 900. 109 Diese Themen nach Buchner, Würzburg im Weltkriege, S. 45.
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Anatom Wilhelm Waldeyer, der im praktischen Einsatz nicht gebraucht wurde, gab bald »topographisch-anatomische Lehrkurse für Ärzte mit besonderer Berücksichtigung der Kriegschirurgie, sowie derartige Übungskurse für ältere Studierende, die zum baldigen Ausrücken für den Feldsanitätsdienst bestimmt waren«. Ob er dies zusätzlich zu seinem umfangreichen Lehrangebot in der Universität leistete – denn emeritieren lassen hatte er sich noch nicht! – oder ob dies der Inhalt seiner ähnlich (aber ohne Benennung dieser spezifischen Zielgruppe) lautenden Veranstaltungen war, ist nicht festzustellen.110 Wenn es in der neueren Literatur heißt, für eine »konsequente Ausrichtung des Lehrbetriebes der Universitäten z. B. auf die Neuerungen der ›Kriegsmedizin‹« habe »es nicht nur an finanziellen Ressourcen« gefehlt, sondern angesichts des Kriegsdienstes »auch an dem dafür nötigen Lehrpersonal«,111 scheint wieder die un realistische Annahme zugrunde zu liegen, daß Kriegsdienst die Lehre grundsätzlich ausgeschlossen habe. Das preußische Ministerium habe sich mit einzelnen, spezifischen Anweisungen begnügt. So erhielten die Universitäten im Februar 1915 über die Kuratoren die Aufforderung, die »Krüppelfürsorge« stärker zu berücksichtigen als bisher (worauf z. B. die Universität Marburg mit der Erteilung eines Lehrauftrags an einen Privatdozenten reagierte).112 Kriegsmedizin
Tatsächlich finden sich Kriegsbezüge am häufigsten in der Medizin: So wurden die in Berlin für WS 1914/15 ohnehin angekündigten »Medizinischen Tages fragen« nun (und auch später) »mit besonderer Berücksichtigung der Kriegs medizin« erörtert.113 Das Angebot zur Kriegschirurgie, das auch herkömmlich in der Lehre seinen Platz hatte, wurde vorübergehend ausgeweitet: Statt zwei Veranstaltungen im letzten Friedenssemester 1914 gab es ein Jahr später fünf, davon eine für Kriegschirurgie der Kiefer und Zähne. Neben den beiden früheren widmeten sich nun drei weitere Dozenten diesem Aufgabenbereich. Doch schon in den nächsten Semestern wurde das Angebot wieder auf zwei (Winter 1915 und Sommer 1916) bzw. drei (Sommer 1917 bis Sommer 1918) reduziert.114 Auch Vertreter anderer medizinischer Teilfächer kündigten kriegsspezifische Lehr110 Zitat: Waldeyer-Hartz, Lebenserinnerungen, S. 367 f. Zu den Lehrveranstaltungen s. etwa VV FWU Berlin SS 1915, S. 21 (Topographische Anatomie) und 22 (Leitung spezieller anatomischer Arbeiten, für Geübtere). Lehrveranstaltungen dieses Titels wieder holen sich jedes Semester. 111 Wettmann, Heimatfront Universität, S. 142. 112 Universitätsgeschichtlich stellte dies einen Schritt zur Etablierung der Orthopädie als eigenständige Teildisziplin dar. Wettmann, Heimatfront Universität, S. 255. 113 ao. Prof. Karl Posner (BAN IX [1914/15], S. 8; Zitat); VV FWU Berlin WS 1917/18, S. 28. 114 VV FWU Berlin SS 1915, S. 34 f.; WS 1915/16, S. 35 f.; SS 1916, S. 34; WS 1916/17, S. 33; SS 1917, S. 31; WS 1917/18, S. 32; SS 1918, S. 33.
920 Studium und Lehre im Krieg veranstaltungen an: Orthopäden,115 Neurologen (im Winter 1915/16 zunächst einer, später drei),116 ein HNO -Spezialist (Sommer 1917 und Sommer 1918),117 zwei Ophtalomologen,118 zwei Internisten.119 Im Sommer 1918 kamen dazu Lehrveranstaltungen über Kriegsseuchen und Seuchenbekämpfung im Felde, sowohl für Mediziner als auch für Hörer aller Fakultäten.120 Daß die Zahl der Veranstaltungen im Sommer 1915 etwas höher war und im Winter 1915/16 erstmals Kriegsorthopädie dazu kam, könnte eine Reaktion auf die Aufforderung des preußischen Kultusministers darstellen. Wirklich nötig war diese in Berlin allerdings nicht, da sowohl die Kriegschirurgie als auch die orthopädische Chirurgie hier auch in Friedenszeiten schon gelehrt wurden. Im übrigen gaben die meisten Dozenten in den kriegsspezifischen Veranstaltungen wohl ihre Erfahrungen und Einsichten aus ihrer Tätigkeit in Lazaretten weiter;121 einer war früher Regierungsarzt in Kamerun und Medizinalreferent des Schutzgebiets gewesen.122 Entgegen den bisherigen Vermutungen könnte also die Kriegstätigkeit, und sei es im zivilen Vertragsverhältnis, die Lehre nicht geschwächt, sondern im Teilfach Kriegsmedizin sogar verstärkt haben. Dabei fällt auf, daß es sich überwiegend um Privatdozenten sowie einzelne außerordentliche Professoren handelte. Doch insgesamt widmete sich nur ein Bruchteil der Hunderte von in Berlin jedes Semester angekündigten medizinischen Lehrveranstaltungen Kriegsproblemen. Noch geringer erscheint der kriegsspezifische Anteil in Straßburg, selbst wenn man das insgesamt viel kleinere Lehrangebot in Rechnung stellt – 107 im Vergleich zu 392 medizinischen Veranstaltungen in Berlin (SS 1915).123 Dort bot der Titularprofessor Nikolai Guleke im Winter 1915/16 und erneut ein Jahr später (aber nicht mehr zum Winter 1917/18!) als zweistündige Lehrveranstaltung
115 VV FWU Berlin WS 1915/16, S. 36 (Wollenberg); WS 1917/18, S. 33. 116 VV FWU Berlin WS 1915/16, S. 34 (PD Franz Kramer); SS 1916, S. 33; WS 1916/17, S. 32 (auch die PD Richard Cassirer und Paul Schuster); SS 1917, S. 30; WS 1917/18, S. 21; SS 1918, S. 31. 117 VV FWU Berlin SS 1917, S. 34; SS 1918, S. 36. Im Semester dazwischen war PD Heinrich Haike »verhindert zu lesen« (WS 1917/18, S. 90). 118 VV FWU Berlin WS 1917/18, S. 35 (PD Wilhelm Meisner) und SS 1918, S. 36 (ao. Prof. Paul Silex). 119 VV FWU Berlin WS 1915/16, S. 30 (PD Hermann Strauß); WS 1917/18, S. 28 (PD Johannes Plesch). 120 VV FWU Berlin SS 1918, S. 28 (Fritz, eigentlich Friedrich Meyer), S. 38 (Bruno Heymann). 121 Belege für diese Tätigkeiten in: Die FWU im Kriege 1915, S. 11–13 für Silex, Strauß, Schuster, Cassirer, Haike, Meisner (»im Felde«), Plesch (»Stabsarzt […]«). Für Bruno Heymann kann dies nur vermutet werden, da im Kriegsbericht der Vorname nicht angegeben ist und es zwei Privatdozenten der Medizin mit dem Nachnamen Heymann gab. 122 VV Berlin SS 1918, S. 28 (Albert Plehn). 123 Jeweils ohne Zahnmedizin.
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»Kriegschirurgie« an.124 In den vier Jahren vor dem Krieg war dieses Thema, anders als in Berlin, im Lehrplan dagegen nie aufgetaucht. Neben Allgemeiner Chirurgie kamen dort als Spezialitäten nur Nierenchirurgie und orthopädische Chirurgie sowie bei Guleke selbst mehrfach Bauchchirurgie vor. In den neuen Lehrveranstaltungen konnte Guleke die Erfahrungen weitergeben, die er seit Kriegsbeginn im Straßburger Festungslazarett gesammelt hatte; denn dort hatte ihm die Militärverwaltung die Leitung der Chirurgischen Abteilung übertragen. Möglicherweise förderte dies sogar seine Universitätskarriere; denn die Fakultät erwähnte es in ihrem Berufungsvorschlag für ein Extraordinariat im Januar 1916 – und tatsächlich war Guleke im Sommer 1916 bereits außerordentlicher Professor.125 Der preußische Sanitätsoffizier Bernhard Möllers, der 1904– 1913 bei Robert Koch gearbeitet und sich dann, als Hygieniker des XV. (d. h. elsässisch-lothringischen) Armeekorps 1915 in Straßburg habilitiert hatte, bot sein Spezialgebiet ab Sommer 1916 dann jedes Semester an: »Ausgewählte Kapitel der Militärhygiene«. Gleichzeitig führte er seine militärärztliche Tätigkeit weiter.126 Im Winter 1917/18 kündigte der Inhaber des Lehrstuhls für Hygiene und Bakteriologie, der ebenfalls aus der militärmedizinischen Kaiser-Wilhelm-Akademie und anschließender Assistententätigkeit bei Robert Koch hervorgegangen und nun seit Jahren Oberstabsarzt und beratender Hygieniker war, parallel selbst eine dreistündige Vorlesung über sein Fachgebiet »unter Berücksichtigung der Kriegsverhältnisse« an.127 Ein Kollege, Hans Dietlen, Titularprofessor und im Krieg ebenfalls Stabsarzt, bot im Sommer 1916 »Röntgendiagnostik und -technik mit besonderer Berücksichtigung der Kriegsverletzungen« an.128 1917 gab er mit Guleke zusammen einen Kriegs-chirurgischen Röntgen-Atlas heraus. 124 VV KWU Strb. WS 1915/16, S. 15; WS 1916/17, S. 15. Die Sommersemester waren dagegen jeweils seiner »Speziellen Chirurgie der Bauchorgane« gewidmet: SS 1916, S. 15; SS 1917, S. 15. Für WS 1917/18 (S. 15) und ebenso 1918/19 (S. 16) bot er jeweils »Allgemeine Chirurgie« (Mo, Mi, Frei, je einstündig) und »Kleine Chirurgie mit praktischen Übungen« (Mi, zweistündig) an. 125 1918 erhielt er einen Ruf nach Marburg, 1919–1951 war er Ordinarius und Klinikdirektor in Jena. Dekanat der Med. Fak. Strb. an Kurator 24.1.1916: ADBR 103 AL 404. Status im SS 1916 nach PV KWU Strb. SS 1916, S. 5. Weitere Laufbahn: NDB 7 (1966), S. 304 (Hans Ulrich Schulz). 126 Ankündigungen: VV KWU Strb. SS 1916, S. 12; WS 1916/17, S. 11; SS 1917, S. 11; WS 1917/18, S. 10; SS 1918, S. 11. In PV KWU Strb. erscheint ab WS 1916/17 der Zusatz: »Stabsarzt und Bataillonsarzt des Flieger-Bataillons Nr. 4, Hygieniker beim Korpsarzt XV. Armeekorps« (S. 6), später in gekürzter Fassung: »Stabsarzt und Korpshygieniker« (SS 1917, S. 6). Zur Biographie s. BLÄ II, Bd. 4, S. 1055 f. 127 VV KWU Strb. SS 1916/17, S. 10. Als »Oberstabsarzt und beratender Hygieniker bei der Etappen-Inspektion 7. A.« erscheint er in PV KWU Strb. SS 1915, S. 4; später als »Oberstabsarzt und beratender Hygieniker beim XV. A.-K.«, also dem Straßburger Armeekorps. Zur Biographie: http://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Uhlenhuth (30.1.2013). 128 VV KWU Strb. SS 1916, S. 13. Als Stabsarzt geführt SS 1915 bis SS 1918 (PV KWU Strb., jeweils S. 6).
922 Studium und Lehre im Krieg In Gießen dagegen, wo es im Sommer 1915 64 Lehrveranstaltungen gab, tauchte die Kriegschirurgie überhaupt nie auf, obwohl eine solche Ergänzung des herkömmlichen Lehrangebots im Krieg ohnehin nahelag und mit Blick auf den Ärztemangel und die Heranziehung von Studenten als Hilfsärzte wohl auch nötig war. Selbst wenn die als Militärärzte Tätigen (wegen ihrer anderen fachlichen Spezialisierung) nach der Rückkehr nicht für die Lehre der Chirurgie geeignet sein mochten, hätten doch die Chirurgen vor Ort wohl neue Erfahrungen sammeln können, da ja mehrere Universitätskliniken, darunter die Chirurgische, vertragsgemäß in Vereinslazarette umgewidmet wurden. Daher kann das gänzliche Fehlen der Kriegschirurgie in Gießen nur erstaunen. Daß im Sommersemester 1915 »Grundzüge der Orthopädie und Massage« angeboten wurden, war keine Reaktion auf Kriegsbedürfnisse; denn das las August Brüning seit Jahren in jedem Sommersemester (und bot im Winter meist Unfallmedizin an).129 Eine Ergänzung war hier also gar nicht nötig; im Gegenteil: Brüning konnte mit seiner Spezialisierung nun besonders hervortreten (und sprach ja auch in der öffentlichen Vortragsreihe über die »Kriegskrüppel«).130 Zwar verzeichnet der Deutsche Universitäts-Kalender ihn durchgehend als im Kriegsdienst stehend, und im Vorlesungsverzeichnis findet sich hinter seinem Namen sogar meist der Zusatz »im Heere«. Das scheint allerdings nicht zu bedeuten, daß er von Gießen abwesend war; denn in den Akten über die Einberufung taucht sein Name nie auf!131 Sein ›Heeresdienst‹ bestand offenkundig in der Fortsetzung seiner Arbeit in der zum Lazarett umgewidmeten Chirur gischen Klinik. Als wirklich neu erscheinen im Gießener Lehrangebot nur Kurse für freiwillige Krankenpflege und Kriegssanitätswesen, die der Psychiater (und ehemalige Rektor) Robert Sommer für Hörer aller Fakultäten anbot, und auch das erst ziemlich spät: vom Sommer 1917 bis Winter 1918/19, jeweils am Freitagabend, einstündig.132 Insofern kann das Urteil einer kleinen Studie über die Gießener Medizinische Fakultät hier nicht bestätigt werden: »Die Lehre in Kriegszeiten« sei »nicht bloß eine Weiterführung des bisher Eingeübten, sondern eine Erweiterung des Lehrkanons durch die Aufnahme kriegsmedizinischer Themen« gewesen.133 Begründet wird das allerdings mit Veranstaltungen, die außerhalb des eigentlichen akademischen Unterrichts lagen: zum einen den Fortbildungskursen für Ärzte zu Beginn des Krieges, zum anderen den Vorträgen der Mili-
129 Erst als PD, seit 1912 als nichtetatisierter Extraordinarius: VV LU Gi SS 1911-SS 1915, jeweils S. 10. 130 Siehe o. S. 555 f. 131 UA Gi Allg. 103 (Teilnahme von Universitätsangehörigen am Kriege) und Allg. 107 (Dienstbezüge einberufener Professoren). 132 VV LU Gi SS 1917, S. 11; WS 1917/18, S. 14; SS 1918, S. 14; WS 1918/19, S. 15. 133 Prüll, Gießens Universitätsmediziner, S. 315.
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tärärzte bzw. Konsultanten im Kriegsgebiet oder gar in der Gefangenschaft.134 Doch das veränderte das eigentliche Lehrangebot der Universität eben nicht! Die wirkliche Neuheit im Gießener Lehrangebot haben alle bisherigen Studien dagegen übersehen: Die Aufklärung über Geschlechtskrankheiten für Hörer aller Fakultäten
In Berlin wurde dies auch zuvor schon regelmäßig angeboten; denn es handelte sich offenkundig um ein ernstes Problem der Volksgesundheit: Laut Befragung verheirateter Ärzte hatten 99 % von diesen vorehelichen Geschlechtsverkehr gehabt, davon drei Viertel mit Prostituierten, 17 % mit Dienstpersonal. 52 % dieser Ärzte hatten sogar selbst einmal eine Geschlechtskrankheit gehabt!135 Im Krieg wurde die früher schon angebotene ›Aufklärung‹ stark erweitert. Dabei meinte »Studierende aller Fakultäten« im damaligen Sprachgebrauch allerdings nicht, wie heute, beide Geschlechter; denn das Thema lautete (wie früher) »Hygiene des männlichen Geschlechtslebens«.136 Alternierend dazu bot ein anderer Dozent »Die Geschlechtskrankheiten, ihre Gefahren und ihre Verhütung« an, doch liegt es nahe, daß auch er sich nur an Männer richtete;137 denn im Winter 1915/16 gab es erstmals auch eine »Vorlesung für studierende Frauen aller Fakultäten«: über »Die Bedeutung der Geschlechtskrankheiten für die Familie«.138 In der zweiten Kriegshälfte bot die Berliner Universität jedes Semester drei bis vier solcher Vorlesungsreihen für Studierende aller Fakultäten an.139 In Straßburg hielt Alfred (bzw. Philippe-Alfred) Wolff, der als Polizeiarzt und Wissenschaftler ein ausgewiesener Experte in der Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten war, für die Studierenden auch im Krieg, wie schon vorher jedes Semester, eine kleine, aus nur drei Vorträgen bestehende Reihe »Über die Gefahren der Geschlechtskrankheiten«, und zwar privatissime und gratis. Da er im April 1916 jedoch verstarb, wird die auch für diesen Sommer angekündigte Reihe damals vermutlich nicht stattgefunden haben. Das Modell sollte auch »der neu zu berufende Professor« im nächsten Winter übernehmen; doch
134 Zu den Fortbildungsreihen zu Kriegsbeginn s. o. S. 393; zur Tätigkeit im Kriegsgebiet u. Kap. IV.6; zur Gefangenschaft: Prüll, Der Heilkundige, S. 140. 135 E[mil] Meirowsky/A[lbert] Neisser, Eine neue sexualpädagogische Statistik, in: Zeitschrift für Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten 12 (1911/12), S. 342–366 und 385–404, hier 349 f. bzw. 354. Befragt wurden 300 Ärzte, es antworteten insgesamt 90 (S. 342), auf den ersten Fragenkomplex antworteten 87, auf den zweiten 77. 136 VV FWU Berlin SS 1915, S. 40 und SS 1916, S. 40: Hygiene des männlichen Geschlechtslebens, für Studierende aller Fakultäten (Karl Posner). 137 VV FWU Berlin WS 1915/16, S. 40 und WS 1916/17, S. 39. 138 VV FWU Berlin WS 1915/16, S. 41 und SS 1916, S. 40 (PD Julius Heller). Im SS 1914 und WS 1914/15 keine derartigen Veranstaltungen. 139 VV FWU Berlin WS 1916/17, S. 39; SS 1917, S. 35; WS 1917/18, S. 37; SS 1918, S. 37 f.
924 Studium und Lehre im Krieg das Vorlesungsverzeichnis der beiden darauffolgenden Semester enthält keine derartige Veranstaltung mehr. Erst im Sommer 1918 kündigte ein Privatdozent und Titularprofessor »Die Geschlechtskrankheiten« an, und zwar 4–6 Stunden im Semester, »publice (für Hörer aller Stände [!])«.140 Anders als die Berliner, veranstalteten die Straßburger also nie einen ganzsemestrigen Vortragszyklus. Für die Gießener dagegen war solche Aufklärung eine Neuerung des Krieges. Zwar hatte es in den allerletzten Friedenssemestern gelegentlich auch medizinische Vorlesungen für Studierende aller Fakultäten gegeben; doch da ging es um »Alkoholismus und Antialkoholbewegung«, zweimal nacheinander um »Experimentelle Psychologie und Psychopathologie« und schließlich um »Tropenhygiene und Tropenkrankheiten«!141 Die »Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten« für »Studierende aller Fakultäten« führte der etatisierte Extraordinarius Jesionek, der für Mediziner jedes Semester »Poliklinik [oder: Klinik] der Haut- und Geschlechtskrankheiten« anbot, aber erst im Sommer 1917 ein und machte sie dann zu einer regelmäßigen Veranstaltung, die er auch über das Kriegsende hinaus beibehielt.142 Offenkundig war ein Bedarf entstanden. Der liberale Theologe Martin Rade schrieb (aus Marburg) seinem Berliner Kollegen von Harnack: »Ich stände viel froher zum Kriege, wäre die Sittlichkeitsfrage nicht. Das alkoholische u[nd] sexuelle Übel nimmt rasend zu, u[nd] die Offiziere bleiben ihr Beispiel schuldig. Das schreiben mir immer wieder solche, die Ausnahmen sind.«143
Die Verstärkung der Aufklärung darüber in Berlin bzw. Neueinführung in Gießen könnte sowohl allgemeine als auch universitätsspezifische Gründe haben: In diesem Krieg rechnete man mit einer Zunahme der Geschlechtskrankheiten, wie man sie in früheren schon beobachtet hatte. Daher waren Experten – nicht 140 VV KWU Strb. WS 1914/15, S. 18; SS 1915, S. 18; WS 1915/16, S. 17; SS 1916, S. 17; WS 1916/17, S. 17 (Zitat); SS 1918, S. 17 (Zitat). Biogr. Informationen aus dem Nachruf seines II. Assistenten V[ictor] Mentberger, Alfred Wolff †, in: Archiv für Dermatologie und Syphilis 122 (1915–1918), S. 874–876; außerdem (mit der rhetorischen Frage, ob er als bewußter Elsässer erst 1913 zum Ordinarius befördert worden sei): EA 12, S. 7803. 141 In der Reihenfolge der Nennungen: VV LU Gi WS 1911/12, S. 8; WS 1912/13, S. 11 und SS 1913, S. 11; WS 1913/14, S. 9. 142 VV LU Gi SS 1917, S. 12; WS 1917/18, S. 14; SS 1918, S. 14 etc. Dies scheint weder in der bisherigen Literatur zur Universität im Krieg (Anderhub, Antoniterkreuz) noch zur Geschichte der Medizin in Gießen erwähnenswert: weder bei Prüll, Der Heilkundige, S. 143–146 (im Kapitel über das Teilfach) noch bei Prüll, Gießens Universitätsmediziner (also im Spezialaufsatz über den Krieg), auch nicht bei Georg Herzog (Red.), Zur Geschichte der Akademie für Medizinische Forschung und Fortbildung (Medizinische Fakultät), in: Ludwigs-Universität 1607–1957, S. 31–95 (zum Teilfach 67 f.). 143 Rade an Harnack 15.5.1915, in: Jantsch (Hg.), Der Briefwechsel zwischen Harnack und Rade, S. 726.
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nur mit Blick auf das Leid der einzelnen und ihrer Familien, sondern vor allem auch mit Blick auf die Volksgesundheit – um eine möglichste Eindämmung bzw. Verhinderung der Infektionen bemüht. Daß dies auch zu einem wichtigen öffentlichen Thema wurde, belegt eine Schrift des Breslauer Dermatologen und Sozialhygienikers Albert Neisser (der 1879 den Erreger der Genorrhoe entdeckt hatte), die in der großen Reihe »Politischer Flugschriften« Der Deutsche Krieg erschien. Daraus wird aber zugleich deutlich, daß Neisser und andere diese Situation nutzen wollten, um ihr Spezialfach endlich im Medizinstudium und vor allem im Prüfungskanon des Staatsexamens zu verankern.144 Mit einer Ausweitung des akademischen Unterrichts konnte man also einerseits auf die eigenen Studenten, die ja auch bald ins Feld ziehen (und dort noch mehr als bisher gefährdet) würden,145 vorbeugend einwirken bzw. die Studentinnen, die in der Sozialfürsorge tätig waren, zur entsprechenden Einwirkung auf die ›Kriegerfrauen‹ befähigen.146 Zugleich aber unterstrich eine solche infolge des Krieges nötige Ausweitung die Wichtigkeit des eigenen Teilfachs im universitären Kanon. Der Fall Nicolai
Die größte Neuerung im Lehrangebot hätte die Veranstaltung eines Mediziners werden können, die in Berlin vom Sommer 1915 bis Winter 1916/17 jedes Semester angekündigt wurde. Der Privatdozent und Titularprofessor Georg Nicolai, der mit seinem Lehrer Friedrich Kraus zusammen 1910 das erste und lange Zeit maßgebliche Lehrbuch über das EKG veröffentlicht und in den vorangegan genen Semestern neben seinen medizinischen Fachveranstaltungen jeweils auch eine einstündige Vorlesung zu eher gesellschaftlich-kulturellen Fragen gehalten hatte,147 wollte nun über den »Krieg als biologische(n) Faktor in der Entwicklung der Menschheit« lesen.148 Doch konnte er diese Ankündigung nie ein ganzes Semester lang umsetzen. Vermutlich begann er die Vorlesung im Lauf die-
144 Albert Neisser, Der Krieg und die Geschlechtskrankheiten, Stuttgart u. a. 1915, S. 10, 35. 145 Zu ›Angebot‹ und ›Nachfrage‹ sexueller Befriedigung der Heeresangehörigen s. Neisser, Der Krieg und die Geschlechtskrankheiten, S. 11–15. 146 Zur Gelegenheitsprostitution arbeitslos gewordener Frauen s. Neisser, Der Krieg und die Geschlechtskrankheiten, S. 16–18, zur ›Verführung‹, die an die daheimgebliebenen Ehefrauen durch Massenansammlungen von Männern in den Garnisonsstädten herantrete, 18 f., zur Ansteckung der Ehefrauen durch ihre infizierten Männer und drohender Unfruchtbarkeit 25–27. 147 Spiel und Sport in ihrer Beziehung zu Gesundheit und Kultur (VV FWU Berlin SS 1913, S. 41); Gehirn und Seele (WS 1913/14, S. 24); Biologie als Grundlage der Kultur (SS 1914, S. 24); Gehirn und Seele (WS 1914/15, S. 34). 148 VV FWU Berlin SS 1915, S. 23; WS 1915/16, S. 24; SS 1916, S. 23; WS 1916/17, S. 23; zu Nicolai: NDB 19 (1998), S. 203 f. (Bernhard vom Brocke).
926 Studium und Lehre im Krieg ser vier Semester auch nur zweimal wirklich. Nicolai, der auf der Rückreise von einem internationalen Kongreß in Lyon den furor der Mobilmachung in Belfort beobachtet hatte, war als 40jähriger Ungedienter nur landsturmpflichtig, doch als verheirateter Arzt mußte er zu Kriegsbeginn nicht damit rechnen, wirklich dazu einberufen zu werden. Als Spezialist stellte er sich aber (gegen den Rat Kraus’) freiwillig zur Verfügung und wurde mit einem Zivilkontrakt Chefarzt der Herzstation im Lazarett auf dem Tempelhofer Feld, wo er über vier Assistenten verfügte. Daneben konnte er seine Lehrtätigkeit und Privatpraxis weiterführen. Den Aufruf An die Kulturwelt! wollte er mit einem Aufruf an die Europäer beantworten, beließ ihn aber, da er nur drei weitere Unterzeichner fand (darunter Einstein), zunächst in der Schublade. Zu Beginn der angekündigten Vorlesung fanden sich im Sommer 1915 ca. 60 Hörer ein; doch kurz danach wurde Nicolai aus Tempelhof in die westpreußische Festung Graudenz versetzt, und zwar ins Seuchenlazarett – wofür er nun wirklich kein Spezialist war! Als er protestierte, wurden »dienstliche Gründe« geltend gemacht, doch ließ ein alter Generalarzt der Garde die wahre Ursache durchblicken: Er müsse nur seine ›anstößige‹ Vorlesung einstellen… Zwar wurde Nicolai bald wieder gemäß seiner wirklichen Qualifikation eingesetzt: als beratender Arzt für Herzkrankheiten im Gebiet des XVII. Armeekorps (Danzig). Doch eine Denunziation wegen »antinationaler« Äußerungen – Nicolai hatte die Verletzung der belgischen Neutralität, die Versenkung des amerikanischen Schiffes Lusitania und den Giftgaskrieg als ebenso verbrecherisch wie idiotisch bezeichnet – wurde er bald in ein Lager für russische Kriegsgefangene in der Tucheler Heide (in Westpreußen) versetzt. Mit seiner eigenen Behandlung (in der Klinik des Internisten und Fakultätskollegen Brugsch) und zahlreichen Protesten und Eingaben konnte er dies zwar um ein halbes Jahr hinauszögern, in dieser Zeit auch wieder seine Lehrveranstaltungen an der Universität aufnehmen und sich um die Publikation des geplanten Buches bemühen, zu welchem er die Notizen für die geplante Vorlesung ausarbeiten wollte: Die Biologie des Krieges. Einzelne Kapitel wurden in der expressionistischen Zeitschrift Aktion veröffentlicht, doch die Gesamtpublikation scheiterte an einem staatlichen Verbot. Kurz nach dem Eintreffen in Tuchel wurde Nicolai zwar nach Danzig zurückbeordert, doch als er das Verbot politischer Äußerungen mit der Erklärung beantwortete, als Zivilist sei er nicht der militärischen Disziplin unterworfen, forderte ihn der Kommandeur auf, sofort den Fahneneid abzulegen. »Nicolai lehnte ab: Erstens gebe es keinen gesetzlichen Präzedenzfall für Eideszwang im Falle von Zivilärzten; zweitens verbiete ihm sein Gewissen, einen Eid zu leisten, der die Zustimmung zum Kriege bedeute; und drittens beweise die Plötzlichkeit der Forderung, daß sie nichts anderes als Schikane sei.« Nicolai wurde nun seiner Stellung enthoben, unter Ausgehverbot gestellt, dann als Gemeiner zum Landsturm eingezogen und als Militärkrankenwärter im Festungslazarett
Lehrangebot für die Studentenschaft vor Ort
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Graudenz eingesetzt.149 Der Kriegsbericht der Universität für 1915/16 kleidete diesen Abschnitt der Entwicklung in die Worte: »Prof. Nicolai, bis zum 1. April dirigierender Arzt in Graudenz, seitdem zum Dienst mit der Waffe eingezogen in Danzig.«150 »Dienst mit der Waffe« war gewiß respektabler als »Krankenwärter«; ob man diese Darstellung allerdings als Schonung des gemaßregelten Kollegen oder Aufrechterhaltung des Renommees der Universität deuten soll, muß offenbleiben. Im Sommer 1916 kündigte das Kriegsministerium Nicolais Assi stentenstelle an der Charité. Die Lehrbefugnis behielt er aber und kündigte auch im Wintersemester noch einmal die inkriminierte und andere Vorlesungen an.151 Ab dem Sommer 1917 verzeichnete ihn das Vorlesungsverzeichnis aber nur noch im Kurzregister der Veranstaltungen mit der Bemerkung »z. Z. im Felde«.152 Doch davon konnte keine Rede sein! Nicolai tat seinen Dienst als Gemeiner nicht auf dem Kriegsschauplatz, sondern im Reich. In seiner anderthalbjährigen Dienstzeit wurde er zunächst mit dem Linieren von Blanco-Heften beschäftigt, dann mit der Überprüfung von Rechnungen und Krankengeschichten (wobei er in ersteren Irrtümer, in letzteren unstatthafte Eintragungen fand), schließlich im Bakteriologischen Labor. Dabei mußte er auch wie ein Gemeiner in der Kaserne leben und sich verköstigen lassen. Doch die Aufforderung, den Fahneneid zu leisten, um dann wieder als Arzt eingesetzt zu werden, wies er zurück. Diese Zeit war von zahlreichen Eingaben, Protesten und zwei Kriegsgerichtsverfahren bestimmt: das erste wegen Vergehens gegen das Pressegesetz (er hatte einen Teil der Biologie des Krieges als Broschüre mit dem Einverständnis des Berliner Astronomen Wilhelm Förster unter dessen Namen drucken lassen) und gegen das Gesetz über den Belagerungszustand (wegen der bevorstehenden [!] Veröffentlichung seines Buches in der Schweiz); das zweite wegen Beleidigung und Bedrohung seiner Vorgesetzten. Beide endeten mit relativ milden Urteilen.153 Nachdem Nicolai auf seine Anträge, aus Danzig wegzukommen, und auch auf die Intervention des sozial demokratischen Abgeordneten Davidsohn hin, noch in das entlegene Eilenburg versetzt worden war (wo er wieder mit Linieren beschäftigt wurde), floh er im Mai 1918 nach Berlin und von dort schließlich im Juni mit einem Militär 149 Wolf Zuelzer, Der Fall Nicolai, Frankfurt a. M. 1981, S. 19–39 (Zitate aus den Quellen 27, 30, Zitat Zuelzers 38). Ob es sich bei dem von Zuelzer in seiner Paraphrase verwandten »anstößig« ebenfalls um ein Quellenwort handelt, ist unklar. Zum Abraten des Chefs: Bernhard vom Brocke, Wissenschaft versus Militarismus: Nicolai, Einstein und die »Biologie des Krieges« [Überarb. Fassung], in: Carl von Ossietzky. Kurt Tucholsky. Georg Friedrich Nicolai. Eine Dokumentation (…), Oldenburg 1987, S. 65–124, hier 74. 150 Die FWU im Kriege 1915/16, S. 12. 151 Zur Kündigung und den Auseinandersetzungen mit seinem Lehrer Kraus darüber s. Zuelzer, Fall Nicolai, S. 180–188. 152 VV FWU Berlin SS 1917, S. 90; WS 1917/18, S. 94; SS 1918, S. 94. 153 Zusammengefaßt nach Zuelzer, Fall Nicolai, S. 159–179, 189–212.
928 Studium und Lehre im Krieg flugzeug nach Dänemark; denn sein Versuch, das Kriegsministerium mit der Androhung zu erpressen, sich ins Ausland abzusetzen, war gescheitert.154 In seiner Biologie des Krieges stellte Nicolai die Überzeugungen seiner (namentlich genannten!) Kollegen155 – etwa von der Überlegenheit der ›germanischen Rasse‹ – als Pseudodarwinismus dar, deutete ihre Auffassung von der Kulturmission der Deutschen und ihre moralische Verunglimpfung der Feinde als Chauvinismus und führte dies alles auf ein altes tierisches Erbe zurück! (Dabei war er selbst keinesfalls frei von Rassismus gegenüber nichteuropäischen Völkern.) Doch Nicolai beschränkte sich nicht auf die Kritik an aktuellen Erscheinungen, sondern zielte auf eine natur- und menschheitsgeschichtliche Analyse des Krieges und einen Weg zu dessen Überwindung. Und dabei sah er die eigentlichen Ursachen des Krieges in keinem der von den kriegführenden Mächten angeführten Gründe, sondern in dem »greisenhaften Verlangen des alternden Europa nach aufrüttelnder Emotion, im Aufeinanderprallen der Nationalismen und Imperialismen«.156 Auch wenn Nicolais Gedanken zu Beginn seiner Vorlesung gewiß noch nicht so weit ausgearbeitet waren wie in dem später erschienenen Buch, ist schon aus diesen wenigen Bemerkungen klar, daß dafür auf einem deutschen Katheder damals kein Platz war. (Immerhin konnten noch während des Krieges einige Rezensionen des verbotenen Buches, auch in der Tagespresse, erscheinen.157) Jura und Nationalökonomie
Bei den Juristen scheint der Krieg das Vorlesungsangebot kaum beeinflußt zu haben: Ob es in Berlin zu Beginn inhaltliche Änderungen gab, läßt sich nicht eruieren, weil die Juristische Fakultät ihre Aktualisierungen zum Vorlesungsverzeichnis nicht, wie die anderen, in den Berliner Akademischen Nachrichten veröffentlichte, sondern einen eigenen Sonderdruck herausgab.158 Ohnehin 154 Zuelzer, Fall Nicolai, S. 215–233. Als Nicolai nach dem Krieg die Lehre wiederaufnehmen wollte, hatte er nicht mehr die Rückendeckung seiner Fakultät; die Ernennung zum Extraordinarius erfolgte gegen deren ausdrückliches Votum. Nationalistische Studenten organisierten tumultuarische Proteste gegen den »Deserteur«. 1920 entzog der Senat Nicolai in einem einstimmigen Beschluß wegen Fahnenflucht und moralischer Unwürdigkeit die venia legendi. Zwar machte das der preußische Kultusminister sofort rückgängig, doch da die Berliner alle anderen Universitäten des deutschsprachigen Raums benachrichtigte, hatte Nicolai hier keine Berufungschance mehr (vom Brocke, Wissenschaft versus Militarismus, S. 79–94). Er verbrachte den Rest seines Lebens in Süd amerika, als Arzt und Professor. 155 Von den Berlinern: Harnack, Roethe, Lasson, außerdem Haeckel und Eucken sowie die Schriftsteller Hauptmann und Dehmel. 156 Alles nach vom Brocke, Wissenschaft versus Militarismus, S. 94–102, Zitat 97. 157 vom Brocke, Wissenschaft versus Militarismus, S. 72, 100, 102 f. 158 Mitgeteilt in BAN IX (1914/15), S. 7–11, hier 8.
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angekündigt waren zum Wintersemester »Praktische Übungen im Militärstrafrecht und -verfahren (einschließlich des Disziplinarstrafrechts), für Juristen und Offiziere«. Darüber las der Militärgerichtsrat Max von Schlayer, der an der Universität einen Lehrauftrag hatte und auch in Friedenszeiten Veranstaltungen über Militärgerichtsverfassung und Militärstrafprozeßrecht abhielt. Im Sommer 1915 erörterte er das »Kriegsstrafrecht«, im Winter das »Militärstrafrecht und (daran anschließend) Grundzüge des Militärstrafverfahrens«, im Sommer 1916: »Militärstrafgerichts-Verfassung und -Verfahren (unter Berücksichtigung der Kriegsfragen)«, alles jeweils ein- oder zweistündig.159 Er behielt also seinen üblichen Zyklus bei und paßte diesen an die Situation an. In der zweiten Kriegshälfte hieß es über Schlayer immer nur »zeigt später an« – doch ob er dann überhaupt noch Zeit für Lehrveranstaltungen fand, ist fraglich; denn inzwischen war er Senatspräsident beim Reichsmilitärgericht.160 Im Sommer 1918 jedenfalls nahm der Privatdozent Karl Klee das Militärstrafverfahren in seine vierstündige Strafprozeß-Vorlesung auf.161 Anpassungen an die Kriegszeit gab es auch im Völkerrecht, wo der preußisch-konservative 76jährige Ordinarius Ferdinand von Martitz, der in diesem Semester auch die Seeberg-Adresse unterzeichnete, unter den »Ausgewählten Lehren des Völkerrechts« im Sommer 1915 (und ebenso 1917 und 1918 später) »insbesondere Seekriegsrecht« behandelte.162 In allen diesen Fällen wurden also schon herkömmlich abgehaltene Veranstaltungen nur situationsspezifisch ergänzt oder akzentuiert. Bei den Straßburger Juristen dagegen waren nicht einmal solche Kriegs bezüge zu erkennen. Und in Gießen findet sich nur einmal eine Vorlesung für Hörer aller Fakultäten: Der junge Öffentlichrechtler Hans Gmelin las im Sommer 1915 (einstündig) über »Völkerrechtliche und staatsrechtliche Fragen im gegenwärtigen Krieg«.163 Wegen seines Herzfehlers nicht militärtauglich, aber vorübergehend als Experte in Belgien zivildienstverpflichtet, wandte sich der historisch interessierte und vielsprachige Jurist im weiteren Kriegsverlauf im Rahmen des neuen Orient-Interesses noch einmal einem damals ganz un gewöhnlichen Thema zu.164 In größerem Maße fanden sich kriegsbezogene Lehrangebote bei den Nationalökonomen, die in Berlin und Gießen zur Philosophischen, in Straßburg zur Juristischen Fakultät gehörten. Statt der noch in Friedenszeiten für den Winter 159 VV FWU Berlin WS 1914/15, S. 20; SS 1915, S. 19; WS 1915/16, S. 20; SS 1916, S. 19. 160 Die zit. Meldung in: WS 1916/17, S. 79; SS 1917, S. 75; WS 1917/18, S. 78; SS 1918, S. 78. Die Statusänderung zuerst in: AV FWU Berlin SS 1917, S. 19; ab dem folgenden Semester auch im VV. 161 »Strafprozeß, unter Berücksichtigung des Militärstrafverfahrens« (VV FWU Berlin SS 1918, S. 19). 162 VV FWU Berlin SS 1915, S. 19; ebenso SS 1917, S. 18 und SS 1918, S. 19. 163 VV LU Gi SS 1915, S. 6 (und noch einmal angezeigt im Abschnitt für Historiker: S. 24). 164 S. zum Kontext u. S. 941.
930 Studium und Lehre im Krieg angekündigten Vorlesung über »Das englische Kolonialreich« las ein Berliner Extraordinarius »Weltwirtschaft und Weltwirtschaftspolitik mit besonderer Berücksichtigung des Krieges«.165 Ein 1915 Habilitierter bot im Sommer 1917 »Nahrungswirtschaft im Kriege« an.166 Franz Oppenheimer ließ sich Zeit: Erst im Winter 1917/18, also nach dreijähriger Tätigkeit in der Reichsarbeitszentrale und im Kriegsamt, trug der Titularprofessor für Nationalökonomie wohl seine dort gewonnenen Einsichten »Zur Soziologie und Ökonomik des Weltkrieges« vor.167 Ignaz Jastrow las im Winter 1915/16 »Kriegswirtschaft und Kriegsverwaltung«, ein Jahr später erweiterte er vermutlich dieselbe Vorlesung auf die Probleme der Nachkriegszeit.168 Standardvorlesungen adaptierte er offenkundig an die Kriegssituation: zur Verwaltungswissenschaft oder zur Praktischen Verwaltungswissenschaft sowie zur Praktischen Nationalökonomie.169 Das war auch generell die häufigste Variante: nicht Wahl kriegsspezifischer Themen (bzw. Austausch der angekündigten), sondern allgemeine Themen, die nun »unter Berücksichtigung« oder »unter besonderer Berücksichtigung« des Krieges konzipiert wurden, etwa zur »Finanzwissenschaft« oder »Nationalökonomie I (Agrar-, Gewerbe-, Sozialpolitik)« (beide Sering),170 »Praktische[n] Nationalökonomie« (Herkner),171 zu »Geldwesen und Währungspolitik« (PD Ernst Wagemann), »Geld im Frieden und im Krieg« (ao. Prof. Ladislaus von Bortkiewicz)172 oder zur »Deckung des deutschen Lebensbedarfs in Friedensund Kriegszeiten« sowie zur »Deutsche[n] Sozialpolitik vor und während des Krieges« (beide von dem Titularprofessor Waldemar Zimmermann, der dem Volkswirtschaftlichen Beirat des im Januar 1915 gegründeten Kriegsausschusses für Konsumenteninteressen angehörte).173 Dagegen bedurfte es nicht des Krieges, um eine Veranstaltung über »Russische Industrie und Finanzen« anzukündigen. Dafür genügte der Industrialisierungsprozeß, den der ehemalige Finanz-, dann Premierminister Sergej Vitte forciert hatte. Zudem hatte der selbst aus Livland stammende Ordentliche Honorarprofessor Karl Ballod neben allgemeinen Veranstaltungen auch in Friedenszeiten schon ›russische‹ Themen 165 166 167 168 169 170 171 172 173
BAN IX (1914/15), S. 11 (Gottfried Zoepfl). VV FWU Berlin SS 1917, S. 50. VV FWU Berlin WS 1917/18, S. 52. Zu seiner Kriegstätigkeit s. o. S. 426 f. VV FWU Berlin WS 1915/16, S. 57; WS 1916/17, S. 54 (Wirtschafts- und Verwaltungs
probleme in und nach dem Kriege). VV FWU Berlin SS 1917, S. 50; WS 1917/18, S. 52; SS 1918, S. 51. VV FWU Berlin WS 1915/16, S. 56; WS 1916/17, S. 54. VV FWU Berlin WS 1915/16, S. 56. VV FWU Berlin SS 1916, S. 55; SS 1917, S. 50. VV FWU Berlin WS 1915/16, S. 57; SS 1916, S. 55. Zu Zimmermanns Biographie: http://de.wikipedia.org/wiki/Waldemar_Zimmermann (21.1.2013). Zum Kriegsausschuß: Dieter Schuster, Chronologie der deutschen Gewerkschaftsbewegung von den Anfängen bis 1918, Bonn 2000 (nur elektronisch: http://library.fes.de/fulltext/bibliothek/ tit00148/00148toc.htm [21.1.2013]).
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angekündigt.174 Und mit »Rußland in Europa und Asien« tat er das auch weiterhin.175 Dabei dauerte der Richtungsstreit in der Berliner Nationalökonomie auch während des Krieges an. Deshalb legten die Dozenten der Hauptvorlesungen ihre Veranstaltungen absichtlich auf dieselbe Zeit, »so daß sich die Studenten entscheiden mußten, ohne die Möglichkeit des Vergleichs zu haben.«176 Für Straßburg ist auch in diesem Fach, wie schon in der Rechtswissenschaft, nur Fehlanzeige zu melden! Im Vorlesungsverzeichnis finden sich immer nur systematische Überblicksvorlesungen allgemeiner Art, von denen verschiedene aber durchaus Anknüpfungspunkte boten, falls man über den Krieg sprechen wollte: ob »Allgemeine Volkswirtschaftslehre«, »Praktische Nationalökonomie« oder Knapps mehrfach vorgetragene Vorlesung »Über Kolonien«. Sonstige ständig wiederholte Standardthemen waren »Über Geldwesen« und »Finanzwissenschaft«. Ein ausdrücklicher Gegenwartsbezug findet sich erst im Sommersemester 1918 bei dem erstmals lehrenden Privatdozenten Richard Krzymowski, der in seiner Vorlesung zur »Landwirtschaft Deutschlands« deren »Entwicklungsgang und gegenwärtigen Zustand« erörtern wollte.177 Ob Knapp und Wittich in ihren jeweils gemeinsam veranstalteten »Nationalökonomischen und statistischen Übungen« Material aus der aktuellen Situation verwandten oder ob diese beiden Dozenten, die dem publizistischen Kriegseinsatz ihrer Kollegen so kritisch gegenüberstanden, sich gerade deshalb auch in der Lehre von den Tagesfragen, welche die Gemüter erhitzten, fernhielten, ist nicht zu eruieren. In Gießen bat Skalweit im Herbst 1914 darum, seine angekündigte Vorlesung über »Die innere Kolonisation und Politik der Grundbesitzverteilung in den großen Reichen« abzusetzen, da sie »im Augenblick durchaus unzeitgemäß« schien; denn dieses Thema hätte einerseits die Auseinandersetzungen um die deutsche Bodenreform berühren müssen,178 andererseits natürlich auch die seit Jahrzehnten betriebene Ansiedlung von Deutschen in Westpreußen und Posen. Beides hätte den damals propagierten Burgfrieden gefährdet. Im Sommer 1917 vermittelte Skalweit, der inzwischen seit Jahren auf lokaler und Reichsebene als Experte tätig war, Hörern aller Fakultäten die »Organisation der deutschen Kriegswirtschaft« (einstündig).179 Jetzt hielt auch der Agronom Kleberger eine seiner Standardvorlesungen, »Pflanzenernährungslehre und Düngerlehre« 174 VV FWU Berlin SS 1914, S. 59: Wirtschaftsstatistik; Die russische Agrarfrage; WS 1914/15, S. 58: Verkehrswesen und Verkehrspolitik; Rußland in Asien. Biogr. Daten: Asen, Gesamtverzeichnis des Lehrkörpers, S. 7. »Russ. Agrarfrage« bot er wieder im SS 1916 (S. 55) an. 175 VV FWU Berlin SS 1915, S. 56; WS 1915/16, S. 56. 176 Flitner, Frauenstudium im Ersten Weltkrieg, S. 158. 177 VV KWU Strb. SS 1918, S. 8. Dort auch S. 7 f. die anderen genannten Themen, die sich so fast jedes Semester wiederholten. 178 So weit nach Anderhub, Antoniterkreuz, S. 21. 179 VV LU Gi, SS 1917, S. 21.
932 Studium und Lehre im Krieg (»Agrikulturchemie, I. Teil«), »unter besonderer Berücksichtigung der Kriegswirtschaft«. Infolge der englischen Blockade war Deutschland von der Salpeter einfuhr abgeschnitten, und wegen des Fehlens von Stickstoffdünger hatte es in den beiden Vorjahren einen Ernteausfall von einem Drittel gegeben. Um den wirtschaftlichen Zusammenbruch zu verhindern, benötigte man aber die volle Ernte. Auch Klebergers »Fütterungslehre« war an die Situation adaptiert: »Die Kriegsfutterstoffe und ihre Verwendung«. Daneben stand in diesem Semester eine dritte Kriegsvorlesung: über »Fleisch- und Milchversorgung und Erzeugung in der Kriegszeit«.180 Nach der Wiederholung dieser Themen in den folgenden beiden Semestern bot er 1918 aber auch eine einstündige Vorlesung für Hörer aller Fakultäten (und wohl auch für die Stadtbevölkerung) über »Die Aufbewahrung der Nahrungsmittelvorräte in der Kriegszeit« an.181 Nichts könnte deutlicher auf die Verschärfung der Ernährungslage im Lauf des Krieges und die Situation nach dem Hungerwinter 1917/18 hinweisen als die genannten Vorlesungen für die Fachstudenten und schließlich für die Allgemeinheit. Fächer der Philosophischen Fakultät
In der Philosophischen Fakultät fehlten bei den Naturwissenschaftlern Kriegsbezüge in der Themenwahl fast gänzlich. In Berlin kündigte nur der 55jährige Titularprofessor der Astronomie (und Dozent der Militärtechnischen Akademie) Adolf Marcuse zweimal eine einstündige Vorlesung »Die Naturwissenschaft im Dienste des Krieges, mit Lichtbildern« an; und auch das erst im Winter 1915/16 und im Sommer 1916.182 In Gießen bot ein Privatdozent einmal »Aeronautische Meteorologie, mit besonderer Berücksichtigung des Krieges« an.183 In Straßburg vermißt man ein solches Einsprengsel gänzlich. Bei den Geisteswissenschaftlern fanden sich kriegsbezogene Lehrangebote vor allem bei Historikern und Philosophen. Dabei kann man bei den Historikern zahlreiche Bezüge auf den Krieg, den Dozenten und Hörer damals erlebten, vermuten, auch ohne daß er im Titel der Lehrveranstaltungen ausdrücklich genannt wurde. Sogar ein aktuelles Thema wie »Die Weltmächte der Gegenwart (historisch, geographisch, statistisch)« des 1914 habilitierten Walther Vogel lag mit der erläuternden Ausfaltung ganz im herkömmlichen Themenhorizont.184 Doch selbst wenn Veranstaltungsthemen diesem entsprachen, kann man sich kaum vorstellen, daß in einer Übung über den »Ursprung des Krieges von 1870/71« nicht auch der damals gegenwärtige Krieg gedanklich einbezo180 Alle genannten Vorlesungen VV LU Gi, SS 1917, S. 22 f. Zum Düngermangel im Krieg: Szöllösi-Janze, Haber, S. 274, 290. 181 VV LU Gi, WS 1917/18, S. 27; SS 1918, S. 27, 37. 182 VV FWU Berlin WS 1915/16, S. 50; SS 1916, S. 47. 183 VV LU Gi SS 1915, S. 19. 184 VV FWU Berlin SS 1915, S. 59.
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gen worden wäre; denn schließlich wurden in Reden und Publizistik ja ständig Verbindungen zwischen beiden hergestellt.185 Im übrigen hatte der 1914 erst habilitierte Dozent schon Jahre vorher ein von völkisch-nationalistischer Ideologie geprägtes Weltbild entwickelt.186 Doch wenn er im Winter 1915/16 »Die geistige Bewegung um 1814 und 1914« behandelte,187 deutete dies per se noch nicht auf eine rechte politische Position hin; denn diese Traditionslinie war Gemeingut jener Zeit. So hatte ja auch Friedrich Meinecke mit seiner Publizistik zu Kriegsbeginn versucht, die deutsche Kriegspolitik in die Traditionen der deutschen Geschichte seit den Befreiungskriegen einzuordnen und dabei den Aufbruch von 1914 als letzte einer Folge großer nationaler Erhebungen gedeutet.188 Im Sommer 1915 bewegte er sich, wie viele Kollegen in Berlin und anderswo,189 in die Zeitgeschichte hinein: Doch obwohl »Das deutsche Staatsleben und die Weltpolitik seit 1871« nach einer Handreichung zum Verständnis des Weltkrieges aussieht, ging diese Veranstaltung auf eine bereits 1913 eingegangene Verpflichtung zurück: Meinecke hatte schon 1911 (auf die Bitte eines Publizisten) ein Gutachten für das Projekt einer historisch-praktischen Einführung in das Staatsleben der Gegenwart erstellt und die Arbeit 1913 dann selbst übernommen.190 Die Vorlesung im Sommer 1915 bildete dazu gewissermaßen die »historische Herleitung politischer Gegenwartsfragen«191 und war, vermutlich kriegsbedingt, um die außenpolitische Dimension ergänzt. Zwar veröffentlichte Meinecke zwei »Einführungskapitel einer historisch-politischen Einführung in das öffentliche Leben der Gegenwart« noch im Krieg. Doch als Ganzes kam die Publikation (wegen Differenzen mit dem Initiator) schließlich nicht zustande.192 Um so mehr fällt auf, daß Meinecke seinen üblichen Vorlesungszyklus dann nicht bis zur Gegenwart heranführte: Im Sommer 1916 las er über das Zeitalter der Französischen Revolution und der Befreiungskriege (während der 185 VV FWU Berlin SS 1915, S. 61 (Friedrich Wilhelm Wolters). 186 Zu Friedrich Wilhelm Wolters, der zum Kreis um Stefan George gehörte und selbst kein Homosexueller war, s. den gründlichen Artikel in: Hergemöller (Hg.), Mann für Mann II, S. 1295 f. 187 VV FWU Berlin WS 1915/16, S. 60. 188 So die zusammenfassende Interpretation von Wolfgang J. Mommsen, Bürgerliche Kultur und künstlerische Avantgarde. Kultur und Politik im deutschen Kaiserreich 1870 bis 1918, Berlin 1994, S. 118. 189 Paletschek, Tübinger Hochschullehrer im Ersten Weltkrieg, S. 86. Für Onckens zusätzliche Ankündigung zu Kriegsbeginn in Heidelberg s. Hampe, Kriegstagebuch, S. 142 (22.10.1914). 190 Meinecke, Neue Briefe, S. 183 A. 1 und 488 A. 2. 191 Meinecke, Neue Briefe, S. 218 A. 2. 192 Friedrich Meinecke, Grundzüge unserer nationalen Entwicklung bis zur Aufrichtung des neuen Reiches, in: IMWKT 10 (1915/16), Sp. 901–932 (Zitat 901) und 1069–1092; Friedrich Meinecke, Reich und Nation seit 1871, in: IMWKT 11 (1916/17), Sp. 907–952 (gleichlautendes Zitat 907) und 1097–1116. Zum Scheitern s. o. A. 190.
934 Studium und Lehre im Krieg Extraordinarius Richard Schmitt letzteren seine ganze Vorlesung widmete),193 doch mit der europäischen Geschichte im Zeitalter Bismarcks schloß Meinecke seinen Zyklus im Sommer 1917 ab, um im folgenden Semester wieder mit der Renaissance zu beginnen.194 Das letzte Vierteljahrhundert, also die unmittelbare Vorgeschichte des Krieges, klammerte er offenbar bewußt aus, hielt sich also gerade in einer Zeit, in der er sich politisch äußerte,195 mit wissenschaftlichen Aussagen zurück. Hatte Meinecke diese Vorlesung wie angekündigt gehalten, also Monate vor der in dieser Zeit aktuellen Kriegszieldebatte geplant, so reagierte sein Kollege (und Gesinnungsgenosse), der Militärhistoriker Hans Delbrück, offenkundig aus der Situation heraus: Mitten im Winter 1915/16 kündigte er eine neue, am 13. Januar beginnende einstündige öffentliche Vorlesung an: »Geschichte der neueren Strategie von Gustav Adolf bis auf die Gegenwart«.196 Delbrück hatte sich im Laufe des Jahres 1915 ja immer entschiedener für eine Verständigung mit England ausgesprochen und sah das Ziel des Krieges in der Erhaltung des bestehenden politischen Gleichgewichts auf dem Lande und der Eroberung des Gleichgewichtes auf See. Doch konnte er seine (den Alldeutschen entgegengesetzten) Gedanken wegen Burgfrieden und Zensur meist nur in seiner Korrespondenz erörtern.197 Deshalb stellt sich die Frage, ob er in Verbindung mit seinen militärhistorisch-strategischen Darlegungen vielleicht auch seinen Studenten diese Gedankengänge vermitteln wollte. Dabei war die Heranführung eines Themas »bis zur Gegenwart« offensichtlich das Historiker-Pendant zur »Berücksichtigung des Krieges« bei den Nationalökonomen; denn so verfuhren auch die beiden Osteuropahistoriker Schiemann (»Geschichte Europas von 1878 bis zur Gegenwart«) und Hoetzsch (über die geistigen Strömungen Rußlands »bis zur Gegenwart«) und auch Richard Hoeniger mit seinem »Deutschtum im Ausland«, über das er bereits im Sommer 1909 gelesen hatte. (Der Titularprofessor der Universität und Professor der Handelshochschule gehörte dem Geschäftsführenden Vorstand des Vereins für das Deutschtum im Ausland an.)198 Andere Themen, von denen aus sich leicht eine Verbindung zum Weltkrieg herstellen ließe, waren die »Geschichte der Welt des Islam im Hinblick auf die Gegenwartsfragen« oder »Die Geschichte des Kriegswesens seit der 193 Beide: VV FWU Berlin SS 1916, S. 58. 194 VV FWU Berlin SS 1917, S. 52; WS 1917/18, S. 54 sowie SS 1918, S. 53 (Gegenreformation und 30j. Krieg). 195 S. dazu o. Kap. III .6 passim. 196 BAN X (1915/16), S. 18. 197 Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 59 f. 198 Alle Ankündigungen: VV FWU Berlin WS 1915/16, S. 60. Zu Hoeniger: Gerhard Weidenfeller, VDA , Verein für das Deutschtum im Ausland; allgemeiner Deutscher Schulverein (1881–1918). Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Nationalismus und Imperialismus im Kaiserreich, Bern u. a. 1976, S. 303, 338, 465 A. 63.
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Renaissance«, von den Privatdozenten Andreas Walther bzw. Martin Hobohm angeboten.199 Doch hier gilt dasselbe wie in der Medizin: In der Fülle historischer Lehrveranstaltungen – in Berlin gab es z. B. im Sommersemester 1915 40 Vorlesungen und 30 Übungen, im Winter 1916/17 38 bzw. 26200 – waren dies nur Einsprengsel im traditionellen Kanon. Von den Philosophen hielt in Berlin der 40jährige Ernst Cassirer (damals noch Privatdozent) im Winter 1914/15 statt seiner angekündigten »Einführung in die Erkenntniskritik« eine Vorlesung über den »Deutschen Idealismus von Leibniz bis Hegel«.201 Der 82jährige Adolf Lasson, »der sich als Hüter des philosophischen Gedankenguts des deutschen Idealismus verstand«, bot zu Beginn des ersten Kriegssemesters zusätzlich »De(n) Beruf des deutschen Volkes« an, vermutlich auch im Sinne seiner »Berufung«. Ein Jahr später sprach er über »Staat, Volk, Vaterland«.202 Ein junger Kollege, der Rickert-Schüler und Neukantianer Friedrich Kuntze (*1881), kündigte für zwei Sommer hintereinander (jeweils neben der »Geschichte des deutschen Idealismus«) »Die philosophischen Konstruktionen des Deutschtums durch die Denker des 19. Jahrhunderts« an. Doch man kann davon ausgehen, daß diese Veranstaltungen weder 1915 noch 1916 stattfanden, da Kuntze schon seit dem ersten Kriegsjahr als Hauptmann bei der reitenden Abteilung eines Artillerie-Feldregiments im Dienst stand und erst im dritten zum Kriegsministerium abkommandiert wurde.203 Aber auch im Winter 1916/17 und Sommer 1917 meldete das Vorlesungsverzeichnis noch: »z. Z. im Felde« und stellte nur für das erste dieser beiden Semester eine eventuelle spätere Ankündigung in Aussicht.204 Erst ab Winter 1917/18 bot Kuntze, der seine kriegsphilosophischen Überlegungen aus dem Schützengraben heraus im Kunstwart, der Zeitschrift des kultur reformerischen Dürerbunds, plaziert hatte,205 wieder jeweils mehrere Veranstaltungen an, im Winter frühmorgens, im Sommer am Abend,206 so daß er sie 199 VV FWU Berlin WS 1915/16, S. 60, 61. 200 VV FWU Berlin SS 1915, S. 58-61; WS 1916/17, S. 56–59 (Dabei waren unter den Vorlesungen zwei Colloquien, die privatissime angeboten wurden: Martin Hobohm über »Hauptprobleme der neueren Geschichte vom Ausgang des Mittelalters bis zum Dreißigjährigen Kriege« und der Titularprofessor und hauptamtliche MGH-Mitarbeiter Adolf Hofmeister über »Quellen zur frühtürkischen und spätbyzantinischen Geschichte«). 201 BAN VIII (1914/15), S. 25. 202 BAN IX (1914/15), S. 39; VV FWU Berlin WS 1915/16, S. 45. Zitat: NDB 13 (1982), S. 678 f. (Friedbert Holz). 203 VV KWU Strb. Berlin SS 1915, S. 44, 45; SS 1916, S. 44. Kurzbiographie: NDB 13 (1982), S. 305 f. (Friedbert Holz). Zum Kriegsdienst: FWU im Kriege 1914/15, S. 34 f.; 1915/16, S. 15; 1916/17, S. 18. 204 VV FWU Berlin WS 1916/17, S. 118; SS 1917, S. 112. 205 Friedrich Kuntze, Kriegs-Philosophie aus dem Schützengraben, in: Der Kunstwart 29 (1916), H. 4, S. 151–156. – S. dazu auch Hoeres, Krieg der Philosophen, S. 472 f. 206 VV FWU Berlin WS 1917/18, S. 116; SS 1918, S. 117.
936 Studium und Lehre im Krieg wohl mit dem Dienst im Ministerium verbinden konnte. Offenkundige Kriegsbezüge könnten allenfalls in der »Philosophie der Gegenwart« Platz gefunden haben. Ansonsten konzentrierte sich Kuntze auf sein eigentliches Fach, die Philosophiegeschichte. Der Straßburger Titularprofessor Max Wundt (* 1879), der im August 1914 einberufen worden war und im Januar an die Front kam, wo er Hegel las, um nicht »geistig zu Grunde [zu] gehen«, kündigte für die Hörer ›zuhause‹ im Winter 1917/18 und im Sommer 1918 (neben einer weiteren Veranstaltung) dagegen gerade »Philosophie des Krieges« an.207 Doch auch diese Vorlesungen konnten wohl nicht stattfinden, da sich der im Sommersemester zum Marburger Extraordinarius berufene noch immer »im Felde« befand.208 Auch der Gießener Kollege Oswald Weidenbach (*1876), der wie seine beiden Generationsgenossen seit 1914 im Kriegsdienst stand, bot Reflexionen darüber an: Vom Sommer 1915 bis Sommer 1918 kündigte er (mit Ausnahme des Sommer 1917) jedes Semester »Philosophie des Krieges« an. Aber da er bis in den Winter 1918/19 hinein Dienst leistete, wurde wohl auch diese Vorlesung nie gehalten.209 Dagegen wüßte man gerne, wie der Philosophiehistoriker Ferdinand Jakob Schmidt, der nicht mehr kriegsdienstpflichtig war und für den in den ersten drei Jahren auch kein sonstiges Kriegsengagement belegt ist, der aber engen Kontakt zu Delbrück hatte und zahlreiche Artikel zu den Preußischen Jahrbüchern beisteuerte, im Sommer 1918 seine »Übungen über Fichtes Reden an die deutsche Nation«210 gestaltete. In der Germanistik, die man, wie die Geschichte, ebenfalls zu den ›Gesinnungsfächern‹ zählen könnte, finden sich in den angekündigten Themen kaum Hinweise auf den Krieg. Man kann sie sich zu einzelnen Veranstaltungen allerdings leicht hinzudenken! Natürlich kann der Gießener außeretatmäßige Extraordinarius, der in der öffentlichen Vorlesungsreihe über Arndts politische Ansichten gesprochen und eine Linie zum Weltkrieg gezogen hatte, auch in seiner »Geschichte der deutschen Lyrik im 18. und 19. Jahrhundert« (im Winter 1915/16) ähnliche Verbindungen hergestellt haben.211 Deutlicher war da die 207 VV KWU Strb. WS 1917/18, S. 20; SS 1918, S. 20. Zitat aus seinen unveröffentlichten Erinnerungen nach Paletschek, Tübinger Hochschullehrer, S. 103. 208 Im Straßburger PV des SS 1918 fehlt er bereits, im Marburger ist er allerdings noch nicht enthalten. Der Aufsatz Wundt, Sozialpolitische Erfahrungen, ist noch »Von Prof. Dr. Max Wundt, Marburg, z. Zt. im Felde« gezeichnet. Für WS 1918/19 kündigte Wundt dann auch in Marburg (neben einer dreistündigen Vorlesung zur Geschichte der antiken Philosophie) wieder »Philosophie des Krieges« an (einstündig, öffentlich, unentgeltlich). S. Philipps-Universität Marburg. Verzeichnis der Vorlesungen. Winterhalbjahr 1918/19, Marburg 1918, S. 20. 209 VV LU Gi SS 1915, S. 17; WS 1915/16, S. 17; SS 1916, S. 17; WS 1916/17, S. 17; WS 1917/18, S. 21; SS 1918, S. 21. Zum WS 1918/19: PB LU Gi, S. 12. 210 VV FWU Berlin SS 1918, S. 42. 211 VV LU Gi WS 1915/16, S. 27.
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Ankündigung des Straßburger Privatdozenten Anton Henrich: »Patriotische Dichtung der Deutschen in alter und neuer Zeit« (Sommer 1915), mittwochs und samstags morgens um 8 Uhr, also in einer Randstunde und wohl auch auf Nichtgermanisten zielend.212 Doch bestand das Lehrangebot beider Universitäten insgesamt aus sachlichen Themen, meist mit (chronologisch oder systematisch orientiertem) Überblickscharakter. Selbst für Berlin, wo z. B. Roethe kriegsaffine Aspekte seines Faches in öffentlichen Kriegsvorträgen behandelte, gilt dasselbe. Im Sommer 1915 las er z. B. »Ausgewählte Kapitel deutscher Grammatik« und ließ allenfalls in der nach dem politischen Hintergrund datierten »Geschichte der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts seit den Befreiungskriegen« im Winter 1917/18 gewisse aktuelle Anknüpfungspunkte erwarten.213 »Die deutsche Heldensage« war nur eine unter einer ganzen Reihe von Veranstaltungen des kurzzeitigen Berliner Dozenten Hermann Schneider. Und daß er sie sonntags von 11–13 Uhr anbot, muß auch nicht bedeuten, daß er damit über den Universitätskreis hinaus auf Stadtpublikum zielte; denn auch ein germanistisches Proseminar hatte er im Semester zuvor am Sonntagmittag abgehalten. Im übrigen ging Schneider schon 1915 nach Tübingen,214 so daß die Veranstaltung vermutlich gar nicht stattfand. Am ausgiebigsten widmete sich dem Zusammenhang von Krieg und Literatur der Extraordinarius Ludwig Geiger, dessen germanistisches Hauptgebiet (neben weiteren in der Kulturgeschichte und Geschichte) die Goethe-Philologie war. Von Sommer 1915 bis Winter 1918/19 kündigte er insgesamt fünfmal eine zunächst zweistündige, dann einstündige Lehrveranstaltung »Deutsche Kriege und deutsche Dichtung« an.215 Bei den Geographen bot der 30jährige Privatdozent Johannes Spethmann, der im August 1914 auf einem Fort bei Graudenz als Pionier Dienst getan hatte, dann aber wegen Krankheit entlassen worden war, im Winter 1915/16 eine »Länderkunde der Kriegsschauplätze« an. Inzwischen war er Schriftleiter der Wochenschrift des Ostens. Im dritten Kriegsjahr wirkte er dann als »wissenschaftlicher Hilfsarbeiter in der kartographischen Abteilung des stellvertretenden Generalstabes in Berlin«. Veranstaltungen zu den Kriegsschauplätzen bot er erst 1917/18 wieder an, nun als Vorlesung und begleitende »Übungen«.216 In den dazwischenliegenden Semestern hatte er sich immer, z. T. neben weiteren Veranstaltungen, der »Länderkunde des Norddeutschen Tieflandes« gewidmet, 212 VV KWU Strb. SS 1915, S. 25. 213 VV FWU Berlin SS 1915, S. 66; WS 1916/17, S. 68. 214 VV FWU Berlin WS 1915/16, S. 67; SS 1915, S. 67. Schneider hatte erst 1914 einen Lehrauftrag, 1915 ein Extraordinariat in Berlin erhalten. Alles nach Asen, Gesamtverzeichnis des Lehrkörpers, S. 176. 215 VV FWU Berlin SS 1915, S. 67; WS 1915/16, S. 68 (nur noch einstündig); WS 1916/7, S. 64; SS 1918, S. 61; WS 18/19, S. 61. 216 VV FWU Berlin WS 1915/16, S. 63 und 1917/18, S. 57, 58. Informationen zu seiner Kriegstätigkeit in: Die FWU im Kriege 1914/15, S. 35; 1915/16, S. 16; 1916/17, S. 18 (Zitat).
938 Studium und Lehre im Krieg also jeweils eine Vorlesung gehalten und dazu Exkursionen, im Sommer 1918 jedoch nur Übungen angeboten.217 In Straßburg, wo – nach dem Tod des in der Lehre so nachhaltig wirkenden Honorarprofessors und international renommierten Erdbebenforschers Emil Rudolph (1915) – der Lehrstuhlinhaber Karl Sapper das Fach allein vertreten mußte, ist erst gegen Ende des Krieges ein Einfluß auf das Lehrangebot zu erkennen – der inhaltlich aber in den Kontext der damals geförderten Auslandsstudien gehört.218 In Gießen fand sich als Kriegsspezialität nur die »Geographie des Türkischen Reichs« im Sommer 1916. Doch sie gehört, obwohl der Ordinarius Sievers schon in den Semestern davor neben seinen hauptsächlich systematischen Veranstaltungen gelegentlich auch solche über bestimmte geographische Räume gehalten hatte,219 nicht in diese Abfolge von Territorien, sondern in den Kontext der infolge des Krieges veränderten Orientalistik. Orientalistik
Gerade in diesem Fach schlug sich der Krieg an der Berliner Universität vielleicht am deutlichsten nieder: Hatten die hauptstädtischen Orientalisten sich bis zum Sommer 1914 ganz auf Arabisch, Islamkunde sowie Assyrisch und Syrisch konzentriert, so trat ab Sommer 1916 Türkisch hinzu und wurde zum festen Bestandteil des Lehrangebots. Zwar hatte es am Seminar für Orientalische Sprachen seit dessen Einrichtung 1887 Türkisch-Kurse gegeben – doch diente dieses der praktischen Ausbildung von Überseebeamten, nicht der Bildung von Akademikern. Daß es kein Promotionsrecht hatte,220 müßte man gar nicht wissen; denn sein Status wurde schon an der Plazierung am Ende des Berliner Vorlesungsverzeichnisses deutlich, nach dem Verzeichnis der Lehrveranstaltungen der Universität selbst und dem Register dazu, direkt vor dem »Turn- und Tanzunterricht«. Daß im Sommer 1916 türkischer Sprachunterricht, Textlektüre, auch eine Veranstaltung über »Ausgewählte neutürkische Klassiker« in das Lehrangebot der Universität aufgenommen wurden, im Sommer 1917 die Lektüre türkischer Gesetzestexte dazu kam und Carl Heinrich Becker, der bisherige Bonner Orientalist, der seit 1916 Vortragender Rat im Kultusministerium und seit diesem Semester nun Ordentlicher Honorarprofessor der Universität war, eine »Einführung in das Verständnis der heutigen Türkei« gab, bedeutete, daß diese Studien nun in den akademischen Lehrkanon aufgenommen waren. 217 VV FWU Berlin SS 1916, S. 60, 61; 1916/17, S. 59 (Länderkunde von Asien), 60 (Länderkundliche Exkursionen in Norddeutschland); SS 1917, S. 55, 56; SS 1918, S. 56. 218 S. dazu u. einen besonderen Abschnitt. 219 VV LU Gi SS 1916, S. 21. In den drei bis vier Jahren davor hatte Sievers zweimal über Hessen gelesen, je einmal über Afrika und Südamerika (jeweils als Kontinent), einmal den Teil I einer Vorlesung über Asien. 220 S. dazu o. S. 153 f. und Hanisch, Nachfolger der Exegeten, S. 40–45.
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Unterstrichen wurde der wissenschaftliche Charakter der neuen Türkisch-Studien noch durch komparatistische Lehrveranstaltungen: So behandelte der junge Privatdozent und Mitarbeiter der Staatsbibliothek Gotthold Weil das Kazan’-Tatarische vergleichend mit dem Osmanisch-Türkischen, während Friedrich Wilhelm K. Müller, der als Lesendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften erst im Sommer 1915 zum Lehrkörper hinzugestoßen war, eine »Erklärung buddhistisch-türkischer Texte mit Benutzung der chinesischen Versionen« gab.221 Außerdem wurde der Status des neuen Angebots gewiß auch dadurch gehoben, daß die Veranstaltungen zum Türkischen in ganz erheblichem Ausmaß von dem Doyen der Berliner Orientalisten abgehalten wurden, dem über 70jährigen Inhaber des Lehrstuhls für semitische Sprachen und Ordentlichen Mitglied der Akademie der Wissenschaften Eduard Sachau.222 Hatte das Türkische zu Beginn des Krieges nur in Kiel einen Schwerpunkt in der Orientalistik gebildet, weil dort, am Sitz des Weltwirtschaftsinstituts, neuerdings ein ausgewiesener Turkologe den Lehrstuhl innehatte (während Türkisch anderswo jeweils nur mit Lehrauftrag vertreten war), so baute die hauptstädtische Universität im Krieg ihr Lehrangebot aus und eröffnete 1918 schließlich sogar eine Turkologische Abteilung im Ungarischen Institut.223 Carl Heinrich Becker hatte schon bei seiner Berufung zum Ordinarius in Bonn für die Einrichtung eines Seminars plädiert, das auch die Geschichte und Gegenwart des Orients vermittelte (und dies mit wirtschaftlichen und politischen Interessen, nicht zuletzt des rheinischen Industriegebiets, begründet).224 Als Anfang November 1914 das Osmanische Reich auf deutscher Seite in den Krieg eingetreten war und der Kalif kurze Zeit später den ğihād (›heiligen Krieg‹) ausgerufen hatte, hatte Becker, der sich selbst als großen »Gegner der sogenannten Islam-Politik« in Friedenszeiten bezeichnete, dies im Kampf um die Existenz ausdrücklich befürwortet – und damit zunächst eine Kontroverse mit einem niederländischen Kollegen ausgelöst, die in eine Debatte unter deutschen Kollegen übergegangen und Ende 1915 in das Résumé des (emeritierten) Straßburger Orientalisten Nöldeke gemündet war: Die Hauptsache sei es, »die Muslime für uns günstig zu stimmen oder vielmehr die osmanische Monarchie als mächtigen Staat zu erhalten.« Flankiert wurde die Kriegspartnerschaft nicht 221 VV FWU Berlin SS 1916, S. 68 f. (mit Weils Veranstaltung; WS 1916/17, S. 68; SS 1917, S. 63 (Beckers Veranstaltung) und 65 f.; SS 1918, S. 64 (mit Müllers Veranstaltung). 222 Zu den genannten Dozenten s. außer den Kurzbiographien bei Hanisch, Nachfolger der Exegeten, S. 210, 198, 204 zu Müller auch die ausführliche wissenschaftsgeschichtliche Würdigung durch Desmond Durkin-Meisterernst in: http://www.iranicaonline.org/ articles/mueller-friedrich-w-k (Version vom 20.7.2004, eingesehen am 15.5.2012); zu Sachau: http://www.sammlungen.hu-berlin.de/dokumente/16724/ (21.10.2011). 223 Hanisch, Nachfolger der Exegeten, S. 50 (Vorkriegszeit und Kiel), 91 (Ungarisches Institut). 224 Hanisch, Nachfolger der Exegeten, S. 49.
940 Studium und Lehre im Krieg nur von der Ausbildung türkischer Schüler und Handwerker in Deutschland,225 sondern auch von der Pflege der Sprache und Kultur des Bündnispartners. Dies zeigte sich, allerdings in verschiedener Weise, auch in den beiden anderen Universitäten: In Straßburg hatte Enno Littmann auch im Winter 1913/14 schon eine Einführung in das Türkische gehalten. Im Winter 1915/16 tat dies, ebenfalls zweistündig, der Privatdozent Karl Frank. Im Sommer 1916 bot er außerdem Türkische Lektüre und Übungen an, im Winter Übungen für Fortgeschrittene und eine Übersicht über die moderne türkische Literatur. Außerdem wurde Türkisch hier nun aus dem Umfeld der Orientalistik gelöst und im Vorlesungsverzeichnis ans Ende der modernen Philologien gestellt, sozusagen als praktisch wichtige Sprache.226 Herkömmlich war die Orientalistik in Straßburg ja sozusagen eine Klassische Philologie. Jetzt aber wurde eine Professur für modernes Türkisch eingerichtet – und der Privatdozent Frank im Juni 1916 zum außerordentlichen Professor ernannt. Als sich die Unabkömmlichkeit des 35jährigen nicht mehr mit der Fortführung der Lehre in seinem ursprünglichen Fach Assyriologie begründen ließ, machte der Kurator Ende August 1916 geltend, daß Frank das neue Fach im Winter 1915/16 und im Sommer 1916 »vor zahlreichen Zuhörern, besonders Ärzten, Offizieren und anderen Militär personen gelesen« habe. Würde er eingezogen, könnten die Kurse für modernes Türkisch im folgenden Winter nicht abgehalten werden. Da an ihnen aber wohl »auch militärischerseits« Interesse bestehe, bat der Kurator das Stellvertretende Generalkommando darum, Frank »gegebenenfalls (…) in Straßburg zur Einstellung« zu bringen und ihm damit die Möglichkeit zu geben, die Kurse fortzuführen.227 Frank stellte sich auch als Dolmetscher für Türkisch (was aber zunächst nicht benötigt worden zu sein scheint) und dann für die Telegrammüberwachung zur Verfügung. Im Mai 1917 wurde er aber schließlich doch »als Soldat eingezogen«.228 Ab August 1917 wurde er an die Dolmetscher-Schule Berlin kommandiert, danach war er in der Abteilung Orient des Stellvertretenden Generalstabs in Berlin tätig.229 Die für Winter 1917/18 und Sommer 1918 angekündigten Kurse (im ersten Semester einen Anfänger- und einen Lektürekurs, im Sommer nur noch einen dreistündigen Anfängerkurs)230 hielt er nicht ab – für Sommer 1918 hieß es in den Unterlagen der Fakultät sogar: »im Felde
225 226 227 228
Hanisch, Nachfolger der Exegeten, S. 80 (mit Zitat), 83 f. VV KWU Strb. WS 1913/14, S. 21; SS 1916, S. 20, 22; WS 1916/17, S. 25; SS 1917, S. 24. Kurator an Stellv. GK des XV. Armeekorps 31.8.16: ADBR 103 AL 190. Das gab der Rektor an, als das Stellv. GK nach Inkrafttreten des Hilfsdienstgesetzes weitere Lehrende für den Telegrammdienst suchte: Rektor an Stellv. GK 12.5.1917 (Entwurf); Rektor an Stellv. GK 18.5.1917 (Zitat): ADBR 103 AL 194. 229 http://w w w.tuerkischdeutsche-literatur.de/uebersetzer-details/items/43.html (24.1.2013). 230 VV KWU Strb. WS 1917/18, S. 24; SS 1918, S. 24.
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liest nicht«.231 Nur aufgeworfen werden kann die Frage, ob Franks Befreiung vom Militärdienst vielleicht ein wichtiger Gesichtspunkt für die Schaffung der neuen Professur war. Jedenfalls fällt auf, daß er später offenbar ganz zu seinem ursprünglichen Fach zurückkehrte und »die Einengung seines wissenschaftlichen Interessenkreises auf das Babylonisch-Assyrische« ein Problem für die Studenten darstellte.232 In Gießen tauchte Türkisch, wie in Berlin, im Vorlesungsverzeichnis zwar erstmals im Sommer 1916 auf; tatsächlich hatte die Lehre aber schon im Wintersemester davor begonnen. Damals hatte der neue Orientalist Kahle in seinen offenbar nachträglich in der Tagespresse angekündigten Türkisch-Einführungskursen 70 Hörer (auch von außerhalb der Universität) gehabt.233 Im Sommer 1916 setzte er den Kurs fort, während eine neue Einführung von einem (allerdings im Heere befindlichen) Privatdozenten angekündigt wurde sowie Türkische Schreib- und Leseübungen für Anfänger von einem noch nicht namentlich benannten Lektor. (Doch war Mehmed Ali Bey zu Semesterbeginn offenbar eingetroffen und gehörte bis einschließlich Sommersemester 1919 zum Gießener Lehrkörper.) Gleichzeitig boten verschiedene andere Fächer einstündige Vorlesungen an: »Die wichtigsten Krankheiten im vorderen Orient«, »Das moderne Staatsrecht und der Islam«, »Deutschlands Wirtschaftsinteressen im Orient«, »Geschichte des Osmanischen Reiches«, »Der moderne Islam (Scheria [!]-Gesetz, Derwischtum, Heiligenverehrung)«. Hatte es früher in Gießen nur Vergleichende Indogermanische Sprachwissenschaft und Semitische Philologie gegeben, so waren diese Veranstaltungen nun unter die gemeinsame Überschrift »Orientalische Philologie und Kultur des islamischen Orients« gestellt.234 Im folgenden Semester wurde das relativ breite Sprachangebot (jeweils für Anfänger und Fortgeschrittene, dazu Lektürekurse und Sprechübungen) fortgeführt und noch von Einführungen in die Literatur und Religion begleitet.235 Doch danach wurde das neue Fach allmählich wieder auf eine Philologie reduziert und hieß ab Winter 1917/18 einfach »Orientalische Philologie« (mit den schon früher gelehrten semitischen Sprachen, dem Türkischen, Persischen und Sanskrit).236 An der generell zu beobachtenden Einführung des Türkischen während des Krieges nahmen die untersuchten Universitäten also auf je eigene Weise teil und erfüllten dabei nicht nur die Interessen ihrer eigenen Studenten. Auch in 231 Vorlesungen und Uebungen an der phil. (!) Fak. im Winter-Semester 1917–18: ADBR 62 AL 38 (»nicht gelesen«); dto. Sommer-Semester 1918 (Zitat): ADBR 103 AL 39. 232 Das Zitat (nach Anne Christine Nagel, Die Philips-Universität im Nationalsozialismus – Dokumente zu ihrer Geschichte, Stuttgart 2000, S. 324) findet sich bei Hanisch, Nachfolger der Exegeten, S. 135. 233 Anderhub, Antoniterkreuz, S. 22 (nach GA 15.10.1915 und 16.11.1915). 234 VV LU Gi SS 1916, S. 26 f. 235 VV LU Gi WS 1916/17, S. 24 f. 236 VV LU Gi SS 1917, S. 25; WS 1917/18, S. 33; SS 1918, S. 33 f.
942 Studium und Lehre im Krieg Marburg, wo solche Kurse im Winter 1915/16 zunächst auf Bitten Verwundeter im Reservelazarett eingeführt worden waren, wurden sie dann auch von Offizieren des dort stationierten Jägerbataillons, aber auch interessierten (und nicht immatrikulierten) Frauen besucht. Der Antrag des Lehrstuhlinhabers auf einen achtwöchigen Türkeiaufenthalt (um sich selbst die nötigen Sprach- und Landeskenntnisse anzueignen!) wurde allerdings abgelehnt. Vielmehr erhielt der muttersprachliche Gießener Lektor ab Winter 1916/17 einen vierstündigen Lehrauftrag auch für Marburg.237 Auch die Freiburger Orientalisten bekamen 1916 einen Lektor für Türkisch. Doch in den zwanziger Jahren fanden die Kurse im allgemeinen kein Interesse mehr, und die Lektoren wurden entlassen oder ihre Lehraufträge nicht mehr verlängert.238 Erweiterung des Sprachangebots
Neben dem Türkischen wurden während des Krieges einige andere neuere Sprachen ins Lehrangebot aufgenommen, vor allem slavische: In allen drei Universitäten kam neu das Bulgarische hinzu, in Gießen und Straßburg vorübergehend auch Polnisch. Das »Altbulgarische (Altkirchenslavische)« war in Gießen schon früher als Teil der Sprachwissenschaft gelehrt worden. Im Winter 1916/17 kamen aber Neubulgarisch (und Russisch) hinzu, im Sommer 1917 Polnisch. Während sich Bulgarisch und Russisch bis Kriegsende hielten, entfiel Polnisch schon nach dem ersten Semester wieder, dafür gab es nun, aber ebenfalls nur einmal, »Litauische Grammatik und Texte«.239 In Straßburg wurde Bulgarisch im Winter 1915/16 ins Lehrangebot aufgenommen, im Sommer 1916 gab es dann neben einem (weiteren) Einführungs- auch einen Fortgeschrittenenkurs.240 Den Lehrauftrag für Bulgarisch erhielt ein 1903 in Erlangen promovierter Jurist aus Bulgarien (der inzwischen Handelsschuldirektor war), doch jeweils nur für ein Semester. Zuvor zog die Universität Erkundigungen über ihn bei der bulgarischen Botschaft ein, im Winter 1916/17 beim Militärpolizeimeister. Kurz darauf kündigte er selbst an, im Sommer 1917 keine Kurse mehr zu halten.241 Dabei bestand Interesse nicht nur an der Universität: Die Einrichtung der Kurse wurde »namentlich in militärischen Kreisen« dankbar begrüßt, und tatsächlich fanden Türkisch, Bulgarisch und Polnisch in Straßburg »außerordent237 Wettmann, Heimatfront Universität, S. 253. 238 Hanisch, Nachfolger der Exegeten, S. 91 f. (über Gießen, Freiburg, Leipzig, Halle); zur Einrichtung des Freiburger Lektorats S. 48. 239 VV LU Gi WS 1916/17, S. 25; SS 1917, S. 25; WS 1917/18, S. 34; SS 1918, S. 34. 240 Beginn: Dekan der Phil. Fak. Strb. an Rektor 10.12.1915: ADBR 62 AL 36; VV KWU Strb. SS 1916, S. 25. 241 Zu Raphael Caleb: JHSS 18 (1902/03), S. 64 und SP (wie A. 242). Anfragen: Légation de Bulgarie an Dekan. Phil. Fak. Strb. 2.12.1915: ADBR 62 AL 36. Ende: Caleb an Dekan 13.12.1916: ADBR 62 AL 37.
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lich große Beteiligung […] zumeist seitens unserer Feldgrauen, deren viele von auswärts dafür hereinkamen.«242 Doch scheint das Interesse bald zurückgegangen zu sein, denn im Winter 1916 kam nur noch ein Anfängerkurs zustande,243 und ab Sommer 1917 fehlt Bulgarisch im Lehrangebot. Wie schon beim Türkischen ging es auch beim Bulgarischen um die Sprache eines Bündnispartners. Daß Polnischkurse in Straßburg noch vor der Schaffung des Königreichs Polen durch die Mittelmächte stattfanden, ist bemerkenswert. Andererseits wurden sie offenbar so kurzfristig eingeführt, daß sie nur in der Tagespresse angekündigt wurden und wegen ihrer Einstellung nach einem Semester im Vorlesungsverzeichnis nie vorkamen.244 In Berlin nutzte der Slavistik-Professor Alexander Brückner die Überlegungen nach dem Tod des bisherigen Russisch-Lektors Schalfejew, um für einen Ausbau der Slavistik zu werben – und begründete dies zeitgemäß: »Die Natur der Dinge bringt es ja mit sich, daß Rußland trotz aller Deutschenhetze die normalen Beziehungen zu seinem Instruktor und Vorbild wird wieder aufnehmen müssen. Wie sich auch Polens Schicksale entscheiden mögen, eines bleibt sicher, daß Bereich und Geltung der polnischen Sprache auf dem uns nächstliegenden Gebiete sich ganz ungemessen steigern werden. Der Bund der Zentralmächte würde ohne Einbeziehung der Balkanhalbinsel ein Torso bleiben, und auf dem Balkan überwiegen die Slawen weit die stammfremden Elemente.«
Da man nicht alles auf einmal unternehmen könne, sich die Pläne eines südslavischen Königreichs nun zerschlagen hätten und die Führungsrolle »dem soliden, ökonomischen, fleißigen Bauernvolk der Bulgaren« zufalle, solle man zunächst ein Lektorat für dessen Sprache errichten. Doch versäumte der gebürtige Pole Brückner es nicht, auf die »Millionen polnische Untertanen« (Preußens) hinzuweisen, wobei er sich allerdings selbst, politisch korrekt, in »Untertanen polnischer Zunge« verbesserte.245 Die Fakultät unterstützte Brückners Plan und bat das Ministerium zunächst um Einrichtung eines Lektorats für Bulgarisch, das allerdings erst zum Sommersemester 1918 zustande kam.246 Vorlesungen zur polnischen Literaturgeschichte hielt Brückner regelmäßig, auch fanden immer Übungen zur polnischen Quellenlektüre für Osteuropahistoriker statt – 242 Von der Universität, in: SP 334, 28.4.1916 MiA, Zweites Blatt (Zitat); Ficker, Bericht II (1915/16), S. 7. 243 Caleb an Dekan der Phil. Fak. 28.11.16: ADBR 103 AL 1425. 244 Erwähnt sind sie in der Tageszeitung (wie A. 242). 245 Aufzeichnung Brückners o. D.: UA HU Phil. Fak. 1447, fol. 129–130. Bott, Mittelalter forschung oder moderne Philologie?, behandelt den Weltkrieg überhaupt nicht, obwohl der Aufsatz laut Titel bis 1918 reicht. 246 Und auch das offenbar zu knapp, um im VV noch Veranstaltungen anzukündigen. (Dort werden sie erstmals WS 1918/19, S. 63 aufgeführt.) Dekan der Phil. Fak. Berlin an Pr. KuMi 5.5.1916; Pr. KuMi an Dr. Dimiter Gawriysky (Sofia) 22.2.1918; beide: UA HU Phil. Fak. 1447, fol. 128, 192.
944 Studium und Lehre im Krieg regelrechte Polnisch-Sprachkurse könnten sich aber allenfalls hinter Brückners »Slawische[n] Übungen« verborgen haben, die er jedes Semester, jeweils am späten Sonntagnachmittag privat und gratis anbot.247
Ein neues Fach: Auslandskunde Erste Überlegungen
1912/13 war im Zusammenhang mit dem 25jährigen Jubiläum des Berliner Orientalischen Seminars, dem Balkankrieg und dem Ausbau des Hamburger Kolonialinstituts in Kreisen der Wissenschaft eine Erweiterung des Lehrangebots des Orientalischen Seminars diskutiert worden; den Plan, es zu einer »Akademie für den Auslandsdienst« mit zusätzlichen Abteilungen für Wirtschaft und Recht auszubauen, hatte der Greifswalder Extraordinarius für Öffentliches Recht Heinrich Pohl schon 1908 als Gerichtsreferendar publiziert und erneuerte ihn nun in einer ausführlichen Schrift. (Dabei war die Rechtsabteilung seiner Konzeption zufolge eine »nationale Völkerrechtshochschule«.)248 Der Zentrumsabgeordnete Erzberger und sein nationalliberaler Kollege Bassermann brachten die Idee einer Auslandshochschule als »Reichsanstalt«249 sogar in den Reichstag ein und fanden eine große Mehrheit für eine Resolution, die den Reichskanzler um eine Denkschrift dazu bat. Dem trat der Rektor der Berliner Handelshochschule mit einem entsprechenden Plan für seine eigene Institution entgegen. Unter den verschiedenen Reichsbehörden war die Notwendigkeit einer Auslandshochschule umstritten. Das Preußische Kultusministerium dagegen hielt wegen der Überfüllung der akademischen Berufe eine ausländische, insbesondere überseeische Tätigkeit für wünschenswert und sah darin auch eine Möglichkeit zur »Ausbreitung deutscher Kultur«.250
247 S. als Beispiel VV FWU Berlin SS 1914, S. 74 (dort noch »Slawische grammatische Übungen«) oder SS 1918, S. 63. Die Frage war auch mit H[einz] Pohrt, [Aleksander Brückner] Der Hochschullehrer der Berliner Universität, in: Zeitschrift für Slawistik 25 (1980), S. 170–175 nicht zu klären. Darüber keine Informationen bei Bott, Mittelalterforschung oder moderne Philologie?, die nur Brückners literaturhistorische Forschungen erörtert. 248 Heinrich Pohl, Die deutsche Auslandshochschule, Tübingen 1913; zu seinem Artikel von 1908 in der Neuen Preußischen Zeitung s. S. 1–12; Referat diverser Artikel zum Orientalischen Seminar 1912/13 S. 15–24; Zitate 8 (1908) und 35 (1913). Zu Pohl: 200 Jahre Wirtschafts- und Staatswissenschaften an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen: Leben und Werk der Professoren; die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Tübingen und ihre Vorgänger (1817–2002). Bd. I, Stuttgart 2004, S. 454–457. 249 Verhandlungen des Reichstags. XIII . Legislaturperiode. I. Session. Bd. 289, S. 4756. 250 Guido Müller, Weltpolitische Bildung und akademische Reform. Carl Heinrich Beckers Wissenschafts- und Hochschulpolitik 1908–1930, Köln u. a. 1991, S. 141–147, Zitat aus dem Brief des Pr. KuMi August v. Trott zu Solz an das Auswärtige Amt 27.10.1913: 145.
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In dieser Diskussion wies der Urheber der Idee einer Auslandshochschule, der sie noch immer in erster Linie als Institution zur Ausbildung der deutschen Auslandsbeamten sah, den als kostengünstiger geltenden Vorschlag zurück, diese Aufgaben den Universitäten zu überweisen. Erstens komme ein solcher Ausbau höchstens an einzelnen in Frage. Zweitens könnten wirtschaftliche und politische Interessen wie auch eine möglichst vollkommene Ausbildung am besten durch die Zusammenfassung aller einschlägigen Disziplinen und Lehrkräfte in einer Sonderhochschule verwirklicht werden. Aber nicht nur für künftig im Ausland wirkende Reichsbeamte, sondern auch für Politiker und Journalisten könne sie eine Bildungsstätte sein und damit das »Niveau politischer Bildung« erhöhen.251 Zugleich ermögliche sie Offizieren, Ingenieuren, Missionaren, Lehrern als »Pionieren deutscher Kultur« den Erwerb der nötigen Kenntnisse.252 Zu den Bildungsinhalten dieser Auslandshochschule zählte Pohl auch die an den Universitäten noch nicht etablierte »neueste Geschichte«, »Vorlesungen über die jüngste weltpolitische Entwicklung«.253 Anders als das Orienta lische Seminar, sollte sie aber eine wirkliche Hochschule mit Promotionsrecht sein und dementsprechend auch keine Direktorialverfassung haben, sondern Rektor und Senat sowie einen Lehrkörper aus Professoren und Privatdozenten, die sich von der »Tätigkeit eines Repetitors« fernzuhalten hätten.254 Trotz der Bildungshoheit der Bundesstaaten sollte die Hochschule eine Reichsanstalt sein, da die Wahrung der Auslandsinteressen grundsätzlich Sache des Reichs sei – und ebenso wie die deutschen Auslandsschulen sollte auch sie einer noch zu schaffenden Unterrichtsabteilung des Auswärtigen Amts unterstellt werden.255 Von den dann vom preußischen Kultusminister beauftragten vier Gutachtern scheint nur einer, der Nationalökonom Gustav von Schmoller, das Projekt einer Auslandshochschule begrüßt zu haben (die allerdings nicht, wie das Orientalische Seminar, einem Philologen, sondern einem Völkerrechtler, Staatswissenschaftler oder Kolonialpolitiker unterstellt werden sollte).256 Der ehemalige Berliner Titularprofessor Karl Helfferich, inzwischen Vorstandsmitglied der Deutschen Bank und Mitglied des Zentralausschusses der Reichsbank, dagegen warnte davor; denn die theoretische Ausbildungszeit sollte nicht noch verlängert werden, und eine »selbständige Auslandshochschule« für die gründlichere praktische Vorbildung zu schaffen, »wäre offensichtlich verfehlt«. Statt dessen 251 Pohl, Deutsche Auslandshochschule, S. 46 f. 252 Pohl, Deutsche Auslandshochschule, S. 50 f. 253 Pohl, Deutsche Auslandshochschule, S. 57. 254 Pohl, Deutsche Auslandshochschule, S. 59–61, Zitat 59. 255 Pohl, Deutsche Auslandshochschule, S. 52–54, 62. 256 Zu Schmoller s. Müller, Weltpolitische Bildung, S. 148 (nach einer archival. Quelle). Müllers Interpretation von Helfferichs Reaktion (»zeigte sich an einer Auslandshochschule sehr interessiert«, S. 148) kann ich nach der Lektüre des gedruckt vorliegenden Textes dagegen nicht teilen. Siehe u.
946 Studium und Lehre im Krieg sei ein »sachgemäßer Ausbau« der bestehenden Einrichtungen »in seinen Wirkungen durchdringender«.257 Adolf von Harnack, der erfahrene Wissenschaftsorganisator, plädierte für eine Integration des Orientalischen Seminars in die Universität Berlin, die dabei zugleich umstrukturiert werden sollte; denn eine separate Auslandshochschule, die entsprechend groß sein müßte, würde hohe Kosten verursachen und den Universitäten qualifizierte Lehrende entziehen. Dies aber würde, wie die Konzeption des Auslandsstudiums als Aufbaustudiengang, die Universität zu einer Hochschule zweiter Ordnung machen. Um die Philosophische Fakultät, die bislang 53–54 Lehrstühle und ca. 60 Extraordinariate hatte, nicht noch weiter zu vergrößern, sollte die Universität künftig in sechs (statt bisher vier) Fakultäten untergliedert werden. Die vierte wäre die Naturwissenschaftliche, die fünfte eine Fakultät für Altertumswissenschaften (inklusive der Orientalistik), die sechste eine »Fakultät für Kunde des Mittelalters und der Neuzeit (inkl. ihrer Sprachen«).258 Auch der vierte Gutachter, der Bonner Nationalökonom Hermann Schumacher, sprach sich für die »systematische« Ausgestaltung der »Verbindung« des Orientalischen Seminars zur Universität aus, die sich ja bereits »lose herausgebildet« habe. Das sei nötig, um einerseits den Staatsbeamten außerhalb des Mutterlandes die ›höchste Bildung, die ihr Vaterland bietet‹, zukommen zu lassen und andererseits die Universität vor einem Abzug der besten Kräfte an die Auslandshochschule zu bewahren. Statt einer Auslandshochschule sollten mehrere, nach Sachgebieten getrennte Institute geschaffen werden, zumindest ein Koloniales und ein Orientalisches, besser noch weitere: Die Leiter der einzelnen Institute sollten (wie beim schon existierenden Institut für Meereskunde) Universitätsmitglieder sein. Den Institutsfächern sollte, »sobald sie wissenschaftlichen Anforderungen entsprechen«, immer mehr Eingang in die Universitätsvorlesungen verschafft werden. Zugleich müsse sich die Universität selbst mehr der »Weltwirtschaft und Weltkultur« widmen.259 Trotz einer weiteren Initiative 257 Karl Helfferich, Hochschulbildung und Auslandsinteressen [1914], in: IMWKT 12 (1917/18), Sp. 1–16, Zitate 13, 14. Zur damaligen Position: NDB 8 (1969), S. 470–472 (Karl Erich Born). 258 Die Professuren für Nationalökonomie würden ausgegliedert, die drei Philosophie professuren sollten auf die vierte bis sechste Fakultät verteilt werden. Zusätzlich sollten ständige fakultätsübergreifende Kommissionen für wichtige Fragen der Wissenschaft, der Lehre und Berufsausbildung geschaffen werden. Harnack trug damit eine schon länger erwogene Reform der Fakultätsgliederung vor. Harnack, Über die Zukunft des Orientalischen Seminars [1913], zur älteren Grundsätzlichkeit seiner Überlegungen Sp. 199, Zitate 191, 197 f. 259 Schumacher, Errichtung einer Auslandshochschule [1914], Zitate S. 262 (Verbindung), 260 (Qualifikation der Beamten), 274 (Niveau der Vorlesungen), 275 (Aufgabe der Universität). Dabei stellen die Zitate zur Beamtenqualifikation und zur Weltorientierung der Universität Zitate externer Quellen dar (im ersten Fall des Anspruchs an englische
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der Budget-Kommission des Reichstags konnte die umstrittene Frage der Auslandshochschule bis zum Beginn des Weltkriegs aber nicht geklärt werden.260 Die Diskussion über Sinn und Zweck einer solchen Gründung fand vor dem Hintergrund einer Fülle bereits bestehender kleiner Einrichtungen zur Förderung der Auslandstätigkeit statt, zu denen z. B. das Deutsche China-Institut, das Deutsch-Südamerikanische Institut, das Deutsche Institut für ärztliche Mission (Tübingen) etc. gehörten. Von wissenschaftlicher Bedeutung waren davon bislang nur das Institut für Seeverkehr und Weltwirtschaft in Kiel sowie das Kolonialinstitut in Hamburg. Neben der Förderung der wirtschaftlichen Interessen und der Unterstützung der Tätigkeit von Deutschen im Ausland dienten diese Institute auch »der Förderung des deutschen Gedankens in der Welt«.261 Die Wiederaufnahme der Pläne im Krieg
Abgesehen von der publizistischen Initiative eines einzelnen Russisch-Dozenten des Orientalischen Seminars 1915, wurde die Frage erst im Frühjahr 1916 wieder aufgegriffen, einmal am Ort des Kolonialinstituts in Hamburg, einmal im Preußischen Landtag, wo ein Zentrumsabgeordneter den alten Antrag erneuerte. Nun nahm das Abgeordnetenhaus eine modifizierte Fassung an und forderte einen »besseren Ausbau des Studiums der Verhältnisse fremder Länder (…) im Anschluß an bestehende Hochschulen oder andere Einrichtungen«, verzichtete aber auf eine eigenständige Auslandshochschule. In einer Besprechung mit dem Hamburger Bürgermeister und dem bayerischen Kultusminister erklärte Ministerialdirektor Schmidt-Ott vom preußischen Kultusministerium die Auslandsstudien zur Sache der Bundesstaaten. Das Orientalische Seminar sollte zu einem Auslandinstitut mit Aufgaben in Forschung und Lehre bei und zugleich neben der Philosophischen und Juristischen Fakultät der Universität Berlin ausgebaut werden, wobei Schmidt-Ott hoffte, auf diese Weise »vielleicht auch eine Modernisierung der Universität herbeizuführen«.262 Eine Konferenz der preußischen Rektoren zur Auslandskunde scheiterte allerdings am Widerstand des Berliner Rektors Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff. Schmidt-Ott beauftragte nun den Leipziger Philosophen und Pädagogen Eduard Spranger Kolonialbeamte, im zweiten aus einer Reichstagsrede des Reichskanzlers). Die Interpretation Müllers (»Eingliederung der Auslandshochschule in die Berliner Universität«) scheint zu ungenau (Weltpolitische Bildung, S. 149). 260 Müller, Weltpolitische Bildung, S. 152 f. 261 Dem Beobachter des deutschen Hochschulwesens Salvisberg erschien dies als eine »mannigfaltige, von echt nationaler Begeisterung und gesundem völkischem [!] Fühlen getragene Bewegung«. [Paul] von Salvisberg, Deutsche Kulturarbeit im Ausland. III . Academische Auslandsstudien und deutsche Weltpolitik, in: HN 23 (1913/14), S. 275–279, Zitate 276, 279. 262 Müller, Weltpolitische Bildung, S. 153–157, Zitate aus den Quellen 154, 156.
948 Studium und Lehre im Krieg sowie den Bonner Orientalisten Carl-Heinrich Becker mit Gutachten über die Auslandsstudien. Kurz danach wurde Becker das »Hauptreferat für Auslandshochschulen« übertragen, und er arbeitete eine Denkschrift für das Preußische Abgeordnetenhaus aus.263 Bereits für 1917 stellte das Kultusministerium neue Lehraufträge in den ordentlichen Haushalt ein: für Geographie und Landeskunde bestimmter Länder mit besonderer Berücksichtigung der Wirtschaftsgeographie, für ausländisches Recht, Wirtschaftskunde des Auslandes und weltwirtschaftliche Beziehungen, Geschichte, Religion und Kulturgeschichte fremder Völker, außenpolitische Zeitgeschichte und fremde Sprachen. Schon hier waren einigen Universitäten geographische Schwerpunkte zugeordnet: Den slavischen Gebieten sollte man sich in Königsberg und Breslau widmen, den nordischen in Kiel, romanischen in Bonn. »Für eine bessere Kenntnis der großen politischen zeitgeschichtlichen Ereignisse« sollte dagegen überall gesorgt werden, allerdings durch Ausbau des Bestehenden und allenfalls gewisse Ergänzungen bei den Lehrkräften. Das Auswärtige Amt dagegen hielt die bisherigen Einrichtungen in Berlin und Hamburg für die Ausbildung deutscher Offiziere, Beamter (des Kolonialamtes, der Reichspostverwaltung) und Lehrer für ausreichend. Doch ging es Becker und dem Preußischen Kultusministerium darüber hinaus auch um »die wirksame Betätigung deutschen Geistes im Auslande«. Entsprechend dem Vorschlag des Vermittlers aus dem Reichskolonialamt überließ das Auswärtige Amt die Initiative zur Förderung der Auslandsstudien schließlich dem Preußischen Kultusministerium. Der preußische Finanz minister bewilligte allerdings nur 30 % der beantragten Mittel für Lehraufträge, zwei Drittel der Bibliotheksmittel, keinerlei Reisestipendien.264 Aus Beckers Reaktion darauf wird der Wandel von der ursprünglichen Forderung nach einer »Verbesserung der Auslandskenntnis« zu einer »Revision der durch die Universitäten zu [v]ermittelnden allgemeinen Bildung« deutlich.265 Becker zufolge hatte nämlich gerade »der Krieg mit seinen falschen Beurteilungen« klar gemacht, daß künftig »jeder akademisch Gebildete (…) etwas von der sozial-ethischen Entwicklung fremder Völker wissen« müsse. Und diese Bildung sei nicht Aufgabe der Fachhochschulen, sondern »der Universitäten, auf denen die Leute heranwachsen, die später in Staat und Verwaltung den Ausschlag geben und die unsere Bildungsideale in unsere Kinder pflanzen. (…) Die Hebung der Auslandsstudien ist eine Frage der allgemeinen Bildung.«
263 Müller, Weltpolitische Bildung, S. 157 f. (mit Irrtum im Beleg: Felix Klein war kein Berliner, sondern ein Göttinger Mathematiker). 264 Müller, Weltpolitische Bildung, S. 159–161, Zitate aus der Etatanmeldung 159 und aus Schmidt-Otts Schreiben an das Auswärtige Amt 160. 265 So die Deutung des Finanzmin. in seinem Schreiben an Pr. KuMi 2.12.1916, zit. bei Müller, Weltpolitische Bildung, S. 162.
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Im Januar 1917 legte der Kultusminister dem Preußischen Landtag schließlich Beckers »Denkschrift über die Förderung der Auslandsstudien« vor.266 Indem sie aus der Stellungnahme des Kultusministers von Februar 1914 genau diese Punkte hervorhob, bekräftigte sie Beckers Grundauffassung von den Auslandsstudien als Aufgabe der allgemeinen Bildung, die an den Universitäten zu leisten sei. Gleichzeitig rief sie aber auch die politischen und ökonomischen Zusammenhänge immer wieder ins Bewußtsein. Diese Bildung sei notwendig, weil »Preußen und dann das Reich« nicht mehr nur »eine kontinentale Großmacht«, sondern »in die weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Zusammenhänge« hineingewachsen seien.267 Der Begriff »Weltmacht« fällt zwar nicht, aber genau darum geht es, wie man sowohl an der Darstellung der Aufgaben (erneut nur leicht camoufliert) als auch an mancher Reaktion in der Fachpresse sehen kann.268 Deshalb genügten das Orientalische Seminar und auch das (infolge der »Verflechtung Deutschlands in die Weltwirtschaft«) 1908 gegründete Hamburger Kolonialinstitut nicht mehr. Außerdem untermauerte die Denkschrift die Notwendigkeit der Auslandsstudien mit dem Krieg, der »die Bedeutung der Frage für Deutschland mit elementarer Wucht« erneut offenbart habe.269 Drei Aufgaben wies die Denkschrift den Auslandsstudien zu: 1. »die wissenschaftliche Auslandskunde«, 2. die praktische Schulung von Beamten und privaten Akteuren für den Auslandsdienst, 3. die »Weckung außenpolitischen Interesses und Verständnisses in der Hei mat«.270 266 Müller, Weltpolitische Bildung, S. 162–164, Zitat aus der Antwort an den Finanzmin. vom 29.11.1916 162 (Hervorh. i. O.). Weitere Zusammenfassungen dieser Denkschrift (mit anderen Akzentuierungen als im folgenden) bei Müller, Weltpolitische Bildung, S. 163–168 und Wettmann, Heimatfront Universität, S. 202–204. 267 Die Denkschrift des preußischen Kultusministeriums über die Förderung der Auslandsstudien [kompletter Text], in: IMWKT 11 (1916/17), Sp. 514–532, Zitat 514, Anknüpfung an die Rede des Kultusministers 1914: 515 f. Auch abgedruckt als Anlage zum Bericht des Reichskanzlers in: Verhandlungen des Reichstags. XIII . Legislaturperiode. II. Session. Bd. 320. Anlagen zu den Stenographischen Berichten, Berlin 1914/18, S. 1266–1272 (Zitat 1266, Anknüpfung 1267). 268 Paul von Salvisberg stellt in seinem Bericht über die Auslandsstudien fest, daß die Hochschulen im Krieg auf der Höhe der Entwicklung geblieben seien und alles dafür Nötige in ihre Lehrpläne aufgenommen hätten, um »der akademischen Jugend, als der Zukunft des Landes, dasjenige Wissen zu vermitteln, das der Weltmachtstellung Deutschlands angepasst ist.« Paul von Salvisberg, Das Auslandsstudium auf deutschen Hochschulen und seine praktische Förderung durch eine kulturpolitische Arbeitsgemeinschaft, in: HN 28 (1917/18), S. 729–736, Zitat 729. 269 Denkschrift des preußischen Kultusministeriums, Zitate Sp. 516, 517 (Verhandlungen des RT XIII /II /320, S. 1267). 270 Denkschrift des preußischen Kultusministeriums, Sp. 517 (Verhandlungen des RT XIII / II /320, S. 1367).
950 Studium und Lehre im Krieg Nötig sei eine »Erziehung zum Weltvolk« durch Erweiterung der Bildungs inhalte. Dies sollte dann zur Schaffung des »unentbehrlichen Resonanzbodens für die Arbeit der deutschen wirtschaftlichen und kulturellen Vorkämpfer im Ausland« führen. Dafür sei eine Erweiterung der bisher vorwiegend literarischkünstlerisch ausgerichteten Bildung sowie der militärischen und Beamtenausbildung (»die Ideen von Weimar und die Zucht von Potsdam«) durch staatswissenschaftliche, wirtschaftliche, juristische und politische Kenntnisse nötig, denn: »Unser Feld ist die Welt.«271 Der letzte Satz war übrigens das Motto der Hamburger Reederei Hapag, die damit ihrerseits einen alten Hanseatenspruch abgewandelt hatte – kurz nachdem der Kaiser verkündet hatte »unsere Zukunft liegt auf dem Wasser«.272 Das den Zeitgenossen vermutlich aus Reklameanzeigen bekannte Motto der Hapag verwies schon auf die wachsende Verflechtung durch Migration (von Auswanderern, aber auch entsandten Reichsbeamten oder privaten Angestellten) und die damit verbundenen wirtschaftlichen Interessen nicht nur der Schiffahrtsgesellschaft. Im Namen eines preußischen Ministers ausgesprochen, gewann dieses Motto jedoch auch machtpolitische Konnotationen. Nun hieß es, die Zentralisierung in einer einzigen Reichsanstalt (also einer Auslandshochschule) verbiete sich schon deshalb, weil hinter der deutschen Kulturpolitik im Ausland »das Bildungsideal eines ganzen Volkes« stehen müsse (und das Bildungswesen, was nicht erwähnt wurde, eben Sache der Einzel staaten war). Die Auslandsstudien müßten an »allen Stellen, wo unsere akademische Jugend ihre Bildung erwirbt«, betrieben und dabei die Gewichtung der Komponenten den einzelnen Bundesstaaten überlassen werden. Preußen jedenfalls müsse alle drei pflegen, doch sei die Hebung der außenpolitischen Bildung am wichtigsten, weil dafür bisher weniger getan worden sei als für Wissenschaft und Fachschulung.273 Indem Becker die »allgemeine Auslandsbildung« aber mit dem Krieg begründete und sie als Recht der Soldaten darstellte, machte er diese »staatsbürgerliche Erziehung« auch den anderen deutschen Staaten verbindlich: »Die großen allgemeinen Fragen der Zeitgeschichte und der Weltwirtschaft müssen in Zukunft überall regelmäßig gelehrt werden, nicht nur in Berlin, schon einfach aus dem Grunde, weil die aus dem Schützengraben heimkehrende akademische Jugend
271 Denkschrift des preußischen Kultusministeriums, Zitate Sp. 520, 521, 520 (Verhandlungen des RT XIII /II /320, alle Zitate S. 1268). 272 Albert Ballin hatte damit Ehrgeiz und Pflicht des Unternehmens ausgedrückt und das Motto in großen goldenen Lettern an der Fassade des 1903 eingeweihten neuen »Geschäftspalasts« anbringen lassen: (Susanne Wiborg/Klaus Wiborg), 1847–1997. Unser Feld ist die Welt. 150 Jahre Hapag-Lloyd, Hamburg 1997, S. 118 f. 273 Denkschrift des preußischen Kultusministeriums, Sp. 522 (Verhandlungen des RT XIII / II /320, S. 1268 f., Zitat 1268).
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ein Recht darauf hat, die Ursachen des Krieges wie seine weltgeschichtliche Bedeutung in wissenschaftlich vertiefter Form vorgetragen zu bekommen.«274
Zugleich wollte Becker damit aber das nationale Bewußtsein stärken: indem die Auslandsstudien »das geistige Interesse von der einseitigen technischen Handhabung des Rüstzeugs zum Broterwerb (….) wieder zu den großen Zusammenhängen einer nationalen Kultur zurückführen und gerade durch den Kontrast mit dem [!] Ausland dem gebildeten Deutschen die Werte seiner vaterländischen Kultur zum Bewußtsein bringen.«275
Praktisch sollte man an bestehende Schwerpunkte anknüpfen, so daß sich jede Universität einem bestimmten Gebiet der Auslandskunde zu widmen hätte.276 Berlin aber sollte »keine Sondernote entwickeln«, sondern als größte Universität des Reichs zusammen mit den anderen Berliner Hochschulen, das »Gesamtgebiet der Auslandsstudien« kultivieren. (Bisher gaben sie bereits ein gemeinsames Vorlesungsverzeichnis für kolonialwissenschaftliche Vorlesungen heraus.) Wenn Becker sich außerdem überlegte, daß einzelne Universitäten »zu Mittelpunkten einer besonderen Fachausbildung für die von ihnen gepflegten Gebiete« würden und sich aus dieser »Ordnung nach Kulturkreisen« »im Laufe der Zeit neue Organisationsformen entwickeln« könnten, so wurde er zum Vorläufer dessen, was man nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst vor allem in den USA, dann auch in Europa als area studies betrieb, die interdisziplinär angelegt waren. (Dieser Ansatz wird hier beschrieben, ohne daß die Begriffe fallen). In dieser »Gliederung (…), die den alten Wissenschaften nichts nimmt, aber zu neuen Zusammenfassungen führt«, sah Becker die Chance, die Wissenschaft davor zu bewahren, »in Spezialstudien zu zerfallen«.277 Einige Monate später sprach er davon, die »historisch überkommenen Disziplinen« durch »Querschnitte durch die parallele Gliederung des Aufbaus unserer Wissenschaft« neu zu ordnen.278 Er verband die Überlegungen zur Konzeption der Auslands studien also zugleich mit Gedanken einer Universitätsreform. Für die Beschaffung der nötigen Fachliteratur (durch sachverständige Einkäufer, die auch alte Quellenwerke finden könnten) sowie die Vergabe von Lehraufträgen sollten »Männer der Praxis« herangezogen werden, ohne daß sie »dem Lehrkörper der Universitäten eingereiht« würden. Dabei sollten die Einzelvorträge und Vorlesungen auch für weitere Kreise geöffnet werden. Zusätz 274 Denkschrift des preußischen Kultusministeriums, Sp. 524, 525, 524 (Verhandlungen des RT XIII /II /320, S. 1269). 275 Denkschrift des preußischen Kultusministeriums, Sp. 527. 276 Neben den obigen waren außerdem noch die Niederlande erwähnt (ebenfalls für Bonn). 277 Denkschrift des preußischen Kultusministeriums, Sp. 526, 525, 526, 527 (Verhandlungen des RT XIII /II /320, Zitate S. 1269, letztes: 1270). 278 Zu der Besprechung s. u. S. 956–959; Zitat nach Müller, Weltpolitische Bildung, S. 185.
952 Studium und Lehre im Krieg liche feste Stellen waren für Berlin, Bonn und Münster vorgesehen: für Berlin ein Extraordinariat für orientalische Hilfswissenschaften, das die PhilologieProfessuren »nach der Realienseite hin ergänzen« sollte, sowie ein Lektorat für Bulgarisch (das aber ja schon beantragt war!); für Bonn ein Lektorat für Spanisch. Für Münster aber sollte zu den Lehrstühlen für Missionskunde und Religionsgeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät ein weiterer für die Kunde des christlichen Orients kommen; denn nach der Einführung der »türkischen Kurse für den islamischen Orient« sei es »nur billig«, »auch den christlichen Orient zum Gegenstand unserer akademischen Arbeit zu machen.« Flankierend sollte in der Philosophischen Fakultät ein Orientalisches Seminar begründet werden.279 Diese Konzeption, die nach inhaltlich-fachlichen Gesichtspunkten entworfen zu sein scheint, war zugleich aber auch politisch klug austariert, um im Preußischen Landtag eine möglichst große Mehrheit für die Idee zu gewinnen. Daß die Denkschrift einen Schwerpunkt auf den Orient legte, ergab sich nicht, wie man denken könnte, aus Beckers eigenem Fach, sondern aus der Kriegskonstellation (mit dem Osmanischen Reich als Verbündetem) und antwortete zugleich auf den Antrag der Konservativen, die im Herrenhaus eine besondere Förderung der Orientalistik beantragt hatten. Daß die relativ junge Universität Münster mit einer zusätzlichen Professur und einem Seminar bedacht werden sollte, stellte andererseits ein Entgegenkommen gegenüber dem Zentrum dar.280 Im Landtag fand diese Denkschrift große Zustimmung, obwohl (oder weil) die verschiedenen Parteien den darin enthaltenen Gedanken von der ›Politisierung der Jugend‹ ganz unterschiedlich deuteten.281 Der Minister baute in der Debatte die drei genannten Aufgaben zu einem achtteiligen Katalog aus, indem er die praktischen Voraussetzungen der »Wirkung auf die Heimat« (Schaffung eines Nachrichtenwesens) und der »Wirkung auf das Ausland« (Beeinflussung der öffentlichen Meinung, »wirtschaftliche Propaganda«, »Kulturpolitik«) sowie »die Pflege des Deutschtums im Ausland« hinzufügte.282 279 Denkschrift des preußischen Kultusministeriums, Sp. 528–532, Zitate 528, 528, 531, 532 (Verhandlungen des RT XIII /II /320, Zitate S. 1270, 1271). 280 Müller, Weltpolitische Bildung, S. 165. 281 »Das politische Denken muß geschult, der junge Deutsche muß politisiert werden. Nicht als ob man ihn einschwören wollte auf gewisse Parteidogmen, nein, er soll gerade durch die Beschäftigung mit dem Ausland, durch das Verständnis für die Weltstellung und die Weltaufgaben Deutschlands hinausgeführt werden über die Fragestellung der heimischen Parteipolitik.« (Denkschrift des preußischen Kultusministeriums, Sp. 521 f.). Die Debatte darüber ist kurz zusammengefaßt bei Müller, Weltpolitische Bildung, S. 168–172. Die darauf bezüglichen Passagen aus den Reden der Abgeordneten sind nach den Stenographischen Protokollen zusammengestellt in: Die Auslandsstudien im preußischen Landtag (I), in: IMWKT 11 (1916/17), Sp. 769–820 (69. Sitzung, 28.2.1917) und (II), Sp. 897–906 (70. Sitzung, 1.3.1917). 282 Die Auslandsstudien im preußischen Landtag I, Sp. 769–779, hier 774 f.
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Andererseits mahnte das Auswärtige Amt, das (aufgrund einer Anfrage im Reichstag) eine Denkschrift für den Reichskanzler verfaßte, im März 1917 gerade wegen der Kriegssituation zur »Zurückhaltung« bei der »Absteckung der Richtungen und Aufgaben dieses Studiums und der Auswahl der dazu einzuschlagenden Wege«. Für die im Ausland arbeitenden Deutschen genügten die bestehenden Einrichtungen; für die Einrichtung einer wissenschaftlichen Auslandshochschule dagegen fehle ausreichendes Lehrpersonal, aber auch eine entsprechende Hörerzahl. Zudem spreche das föderale Bildungswesen gegen die Errichtung einer solchen Reichsanstalt, die den schon bestehenden Einrichtungen der Einzelstaaten auch keine Konkurrenz machen dürfe. Die Denkschrift schloß also mit dem Verzicht des Reichs auf eine Gründungsinitiative und verwies auf den bereits begonnenen Ausbau der bestehenden Anstalten in Preußen.283 Trotzdem verfolgten die Kultusministerien und Universitäten verschiedener Bundesstaaten den Ausbau der Auslandsstudien in beide Richtungen weiter, die praktische und die wissenschaftliche. In der Umsetzung des wissenschaftlichen Parts standen den Vorstellungen Beckers jene Eduard Sprangers entgegen, der seine Denkschrift (wegen Krankheit) trotz des früher erteilten Auftrags erst nach der von Becker verfaßten schrieb. Sie war zwar mit diesen preußischen Grundlinien kompatibel, aber sowohl inhaltlich-wissenschaftlich als auch organisatorisch durchdachter und zugleich detaillierter ausgefaltet. Spranger hinterfragte auch die Formulierung ›das Ausland‹, die ihn an die Bezeichnung aller »Fremdvölker« als »Barbaren« durch die Griechen erinnerte: »Wenn wir vom ›Ausland‹ reden, verfahren wir gleich egozentrisch.«284 Bisher habe man »England und Frankreich und Rußland im strengen Sinn so wenig gekannt wie Amerika, Japan und die überseeischen Kolonialländer«. Auch lebende Sprachen seien wie die Klassische Philologie gelehrt worden.285 Von dieser »einseitigen Herrschaft des philologischen Gesichtspunktes« müsse man das Auslandsstudium befreien.286 »Verstehen, nicht angesam283 Verhandlungen des Reichstages. Anlagen. XIII . Legislaturperiode. II. Session, Berlin 1914/18, Bd. 320, Nr. 663, S. 1262–1266, Zitat 1263. 284 Eduard Spranger, Denkschrift über die Einrichtung der Auslandsstudien an deutschen Universitäten, in: IMWKT 11 (1916/17), Sp. 1025–1064, hier 1044. 285 Diese Beobachtung scheint durchaus treffend – auch wenn die im ausgehenden 19. Jh. maßgeblichen Forschungskonzepte (indoeuropäischer Sprachvergleich, Textphilologie des europäischen Mittelalters, historische Grammatik), der moderne Sprachunterricht der Anglistik mit Konversationsgruppen und Debattierklassen sowie die Wende in der Berliner Romanistik mit der Berufung des Literaturhistorikers »von internationalem Rang und ebenso brillanten Linguisten« Morf 1910 dabei ausgeblendet werden. S. dazu Bott, Mittelalterforschung oder moderne Philologie? S. 341, 344, 354–357 (Beschäftigung Morfs mit lebenden Mundarten und mit Literaturgeschichte), Zitat 357, 366 f. (Englischunterricht). 286 Spranger, Denkschrift über die Einrichtung der Auslandsstudien, Sp. 1032, 1034 f. (Zitat 1035).
954 Studium und Lehre im Krieg melte Sachkunde, ist das Ziel des ›wissenschaftlichen‹ Auslandsstudiums.«287 Sprangers Ansatz richtete sich jeweils auf »eine einzelne Kultur als historischpolitisch-geistige Individualität«. Die methodischen Konsequenzen waren, von einer »unteilbaren Ganzheit der Kultur« auszugehen, die Studien historisch zu fundieren und sie auf die »geographisch-soziologische Totalität« der jeweiligen Kultur auszurichten.288 Daher sollte jede Auslandshochschule nur einen Kulturkreis zum Gegenstand haben, diesen aber »in unerreichbarer Vorzüglichkeit« pflegen. Auf diese Weise sollten an ihr die besten Kenner der betreffenden Kultur als Dozenten zusammenwirken und der an ihr interessierte Hörerkreis sich konzentrieren.289 Mit Becker war Spranger sich darin einig, daß der geeignete Ort dafür, trotz der erstrebten praktischen Wirkung, die Universität sei: wegen des geschulten Blickes und des Objektivitätspostulats ihrer Angehörigen, wegen der Wirkung der Auslandsstudien auf Studenten verschiedener Fächer, auch im gemeinschaftsstiftenden Sinn, am wichtigsten aber, weil eine zu fördernde Kulturangelegenheit »in ihrer höchsten Gestalt zum Leben gebracht werden« müsse; »dann entfaltet sie sich nach unten und in die Breite von selbst durch die fortzeugende Kraft, die in jeder wahrhaft ernsten Geistesarbeit liegt.«290 Wie Spranger die Kulturkreise den einzelnen Universitäten zuordnete, überrascht in mindestens zwei Fällen: Nicht an Göttingen, das aufgrund der Per sonalunion zwischen England und dem Königreich Hannover einen englischen Sammelschwerpunkt hatte, dachte er beim Kulturkreis-Institut für England, sondern – angesichts der »weltgeschichtlichen Auseinandersetzung mit der englischen Welt- und Seemacht« – an Kiel: als Mittelpunkt des politischen Seeverkehrs und wegen der Nähe zum Hamburger Kolonialinstitut, das mit dem Kieler Institut für Weltwirtschaft in engem Zusammenhang stehe. Und obwohl es in Berlin bereits ein Seminar für osteuropäische Geschichte und Landeskunde gab, schlug Spranger für das Rußland-Institut Königsberg oder Breslau vor, da beide einer »Belebung« bedürften. Letzteres könne wegen seiner »Nähe zu Österreich« außerdem auch von dort Besucher anlocken. Für Berlin blieben immer noch »drei wichtige Kulturkreise«, für die es »bereits die wesentlichsten Anfänge« habe: das Amerika-Institut und das Orientalische Seminar. Dabei sollte letzteres die Grundlage für zwei Institute bilden: einerseits für den Islam oder »den näheren Orient einschließlich Indien«, andererseits für Ost asien. Leipzig, wo Bulgarien und Rumänien bereits Seminare unterhielten, könnte sich dem Balkan widmen. Der französischen Kultur könne man »in 287 Spranger, Denkschrift über die Einrichtung der Auslandsstudien, Sp. 1047. 288 Spranger, Denkschrift über die Einrichtung der Auslandsstudien, Sp. 1047 f. 289 Spranger, Denkschrift über die Einrichtung der Auslandsstudien, Sp. 1027 f. (Zitat 1027). 290 Spranger, Denkschrift über die Einrichtung der Auslandsstudien, Sp. 1039–1041 (Zitate 1040, 1041).
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Bonn, vielleicht sogar in Straßburg eine Stätte schaffen«.291 Insgesamt spielte die Anknüpfung an Vorhandenes aber kaum eine Rolle; »[d]enn in Wahrheit ist an den meisten Universitäten noch so gut wie gar nichts da.«292 Sprangers für die Struktur der deutschen Universitäten empfindlichster Vorschlag aber betraf das Verhältnis der Kulturkreis-Institute zu ihnen: Um sie in eine oder mehrere Fakultäten »mit unterzustecken«, sei der Gegenstand für deren Grenzen zu umfangreich und zu eigenartig, um die nötige Angleichung zu erreichen. Stellte man diese Professuren aber (wie bisher das Orientalische Seminar) neben die Universität, erhielten sie einen zweitrangigen Charakter. Daher bleibe als einziger Weg, die Auslandsstudien als eigene Fakultät einzurichten. Das bilde zwar eine historische »Anomalie«, doch sprenge das Neue »oft die alten Formen«; und außerdem würde diese Fakultät »in sich eine geschlossenere, echtere Einheit bilden (…) als manche der alten Fakultäten.« Im Vergleich zu den bestehenden sollte sie die facultas superior sein, in die man erst nach einem abgeschlossenen Fachstudium eintreten könne (obwohl andererseits nicht nur »Vollakademiker« dort ihr Aufbaustudium, sondern auch auslandserfahrene Praktiker ihre Fortbildung erhalten sollten). Durch die Einteilung in Trimester sollte außer dem gezielten Studiengang auch die mehrfache Rückkehr zu kürzeren Fortbildungsphasen ermöglicht werden.293 Sprangers Überlegungen waren also viel klarer auf konzeptionelle und methodische Fragen ausgerichtet als Beckers. Und zugleich hätte die vorgeschlagene Umsetzung noch stärker als jene in die bestehenden Strukturen eingegriffen, eine Reform der Universität erfordert. Während in Sprangers Kulturkreis-Instituten jeweils mehrere Fachwissenschaftler als Team zusammenwirken sollten, wollte Becker die bestehenden Seminare ausbauen und einen »universalistischen« Direktor an ihrer Spitze sehen, der als »Spezialist für ein bestimmtes Gebiet (…) nicht nur philologische (…), sondern auch staatswissenschaftliche, historische und geographische Kenntnisse« benötige.294
291 Spranger, Denkschrift über die Einrichtung der Auslandsstudien, Sp. 1051–1054, Zitate 1052 (Kiel), 1053 (Breslau, Königsberg), 1054 (Berliner Institute), 1054 (Bonn/Straßburg). Während Spranger Berlin als Standort des Rußland-Instituts explizit ablehnte, erwähnte er Göttingen als mögliches England-Zentrum nicht einmal. 292 Zitat Becker: Denkschrift des preußischen Kultusministeriums, Sp. 527. 293 Spranger, Denkschrift über die Einrichtung der Auslandsstudien, Sp. 1055–1059, Zitate 1055 (zweimal), 1056 (zweimal), 1057, 1059. 294 Der Begriff »universalistisch« in der Zusammenfassung der Denkschrift bei Müller, Weltpolitische Bildung, S. 172–176, hier 175. Die übrigen Zitate aus: Denkschrift des preußischen Kultusministeriums, S. 527.
956 Studium und Lehre im Krieg Die neuen Auslandsstudien in Berlin, Straßburg und Gießen
Eine gute Woche nach der Publikation von Sprangers Denkschrift fand im Preußischen Kultusministerium eine Besprechung von dreien seiner eigenen Vertreter mit zehn Berliner Professoren statt: den beiden Dekanen der Juristi schen und der Philosophischen Fakultät (Heinrich Triepel, Eduard Norden), einem weiteren Juristen (Ernst Heymann) und drei weiteren Philologen (Morf, Brandl, Sachau), einem Nationalökonomen (Herkner), einem Geographen (Penck), einem Historiker (Hintze) sowie dem Physiker Nernst. Vermutlich kannten sie Sprangers Denkschrift bereits, da die vom früheren Hochschulreferenten gegründete Internationale Monatsschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik auch weiterhin vom Kultusministerium gefördert wurde und die Debatte über das Auslandsstudium ausführlich dokumentierte. Doch während bei der Sitzung der Beckersche Vorschlag einleitend noch einmal zusammengefaßt wurde, findet sich auf Sprangers Denkschrift kein Hinweis. Trotzdem macht die Diskussion deutlich, wie die Positionen innerhalb einer Universität und sogar innerhalb derselben Fakultät differierten, ja entgegengesetzt waren. Dabei drehte sich die Debatte überhaupt nicht um die Definition der Kulturkreise. Anders als Spranger, der (für Europa) das Studium von Nationalkulturen als Individualitäten vorsah, faßte Becker diese in »Hauptkulturkreise« zusammen, von denen er sechs ausmachte: »1. die germanische Welt incl. Deutschtum im Ausland, 2. die angelsächsische Welt, 3. die lateinische Welt, 4. osteuropäische Welt incl. Ungarn und Bulgarien, 5. die orientalisch-asiatische Welt, 6. die primitiven Völker incl. der Kolonialfragen.«
War die westliche Welt (inkl. Nordamerikas) also nach Sprachfamilien gegliedert, so wurden in den übrigen drei Kulturkreisen jeweils Angehörige mehrerer Sprachfamilien zusammengefaßt. Während der welterfahrene Sachau (der im Gegensatz zu einigen anderen Orientalisten auch selbst im Orient gereist war und sogar als Berater am Bau der Bagdadbahn mitgewirkt hatte) ähnlich wie Spranger für Berlin die besondere Pflege Nordamerikas (im Zusammenhang mit dem Amerika-Institut), der englischen Kolonialgründungen und Ostasiens anstrebte, plädierte der Geograph Penck, der ihm bezüglich der USA zustimmte, gleichzeitig für das Studium Südamerikas und des Russischen Reichs als hauptstädtische Aufgaben.295 295 Besprechung über die Auslandsstudien mit Mitgliedern der phil. und jur. Fak. im Ministerium am 9.6.1917: GSt APK I. HA 76 Va KuMi Sekt. 2 Tit IV Nr. 69, fol. 1–12, Zitat fol. 1 f., Sachaus Empfehlungen fol. 5, Pencks fol. 7. Die Besprechung ist (ohne die hier
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Ansonsten ging es aber um prinzipiell-konzeptionelle und vor allem um organisatorische Fragen. Dabei sprach sich der Dekan der Juristen explizit gegen die (von Becker formulierten) Leitlinien des Kultusministeriums aus: In der Juristischen Fakultät werde »schon zu viel in Querschnitten gearbeitet, und er verspreche sich von der Vertiefung der Auslandsstudien gerade die Herausbildung starker senkrechter Forschungslinien. Das allgemeine Staatsrecht sei schon vergleichend, gebraucht würden Spezialvorlesungen.« Sein Fakultätskollege Heymann fragte, für wen die Vorlesungen eigentlich bestimmt sein sollten. »Studenten verwirrt das fremde Recht.« Er schlug vor, bereits ausgebildete Juristen (Referendare, Assessoren) für diese Spezialstudien heranzuziehen und ihnen Gelegenheit zu Auslandsreisen zu geben. Im Juli 1914 hatte die Juristische Fakultät übrigens für ein großes Auslandsinstitut plädiert, in dem juristische Hauptabteilungen für Völkerrecht, internationales Recht, Kolonialrecht, ausländisches Recht vorgesehen sein sollten.296 Auch bei den Philologen standen die eigenen fachlichen Angelegenheiten im Vordergrund, obwohl sie sprachlich-regional ihren Vorkriegsvorschlag, Extraordinariate für Japanisch, Tibetisch, Türkisch und Malai-Polynesisch einzurichten, nicht mehr aufgriffen. Der Romanist Morf ging »von einer gewissen Skepsis gegenüber dem Vorhandensein eines lateinischen Kulturkreises aus [und] betont[e] scharf die Sprache als Grundlage jeder Auslandsforschung. Er befürchtet[e] die Gefahr des Dilettantismus bei allen diesen Auslandsbestrebungen« und mißtraute vor allem der Vergleichenden Literaturgeschichte. »Die Auslandsstudien müssten in der Sprachgeschichte [!] verankert werden, die allerdings zu einer Kulturgeschichte auszubauen sei.« Der Anglist Brandl sekundierte: Er lehnte die Vergleichende Literaturgeschichte ebenfalls ab und erklärte die Einrichtung von Extraordinariaten für romanische und englische Realien für wünschenswert.297 Dem Nationalökonomen Herkner zufolge waren in seinem Fach sowohl die großen systematischen als auch einzelne Spezialvorlesungen schon bisher vergleichend. Für letztere sah er nun eine Erweiterung vor, wobei die betreffenden Dozenten dafür, »dass sie ihre Zeit statt auf grosse geldbringende Vorlesungen auf solche monographische Vorlesungen verwendeten«, allerdings entschädigt werden müßten, etwa in Form von Kolleggeldgarantien.298 Der Geograph Penck freute sich, daß sein Fach bei diesen Erörterungen in den Hintergrund treten könne, da es die Geographie »nicht mit Kulturkreisen, sondern mit den natürlichen [!] Verhältnissen der Länder zu tun habe.« Doch gute Sprachkenntnisse bräuchten folgende ›egoistische‹ Interpretation) auch zusammengefaßt bei Müller, Weltpolitische Bildung, S. 185–192 (dabei irrtümliche Einordnung Nordens als Chemiker. Es handelt sich um den Klassischen Philologen). 296 Besprechung über die Auslandsstudien 9.6.1917 (wie A. 295), fol. 4 (Triepel, Heymann), 2 (Vorkriegsstellungnahme). 297 Besprechung über die Auslandsstudien 9.6.1917 (wie A. 295), fol. 5 f. 298 Besprechung über die Auslandsstudien 9.6.1917 (wie A. 295), fol. 6 f.
958 Studium und Lehre im Krieg auch die Geographen….299 Alle bekräftigten also letztlich die Ausgestaltung ihres Faches in seiner bisherigen Ausrichtung, ohne auf die neuen, von Becker formulierten Aufgaben der »politischen Erziehung«300 für die Studentenschaft insgesamt und der praktischen Ausbildung von Experten für den Auslandsdienst einzugehen. Bei dem Historiker Hintze sieht das nur auf den ersten Blick anders aus. Er plädierte für ein interdisziplinäres »Arbeitsinstitut für moderne Staatenkunde«, weil dazu »viel mehr« gehöre als das, was der moderne Historiker beherrsche: neben Fremdsprachen nämlich auch nationalökonomische und juristische Kenntnisse. Doch war auch das (jedenfalls für ihn) keine Neuerung, da er seit Jahren damit beschäftigt war, durch Vergleich »der Staatensysteme und allgemeinen Verfassungsgeschichte eine wissenschaftliche begründete Propädeutik der Staatenkunde zu schaffen.« Aber »leider scheine in Deutschland eine neue Wissenschaft nur ausserhalb der Universitäten aufkommen zu können«. Den Dilettantismus fürchtete Hintze, im Gegensatz zu den Kollegen, nicht, denn »auf jedem neuen Gebiet sei der bahnbrechende Forscher doch zunächst Dilettant«. »(A)lle Wissenschaft habe mit Dilettantismus angefangen, und derartige Bücher seien meist die gedankenreichsten.«301 In seinem Schlußwort knüpfte Becker genau daran an und betonte »besonders das Ziel der politischen Bildung der gesamten Studentenschaft«. Die »Spezialstudien« seien dagegen »mehr als Nebenprodukt der Hauptaufgabe gedacht.«302 In den organisatorischen Fragen widersprachen sich aber auch Kollegen, die inhaltlich dieselbe Position vertraten. Da es in Berlin im Gegensatz zu anderen Universitäten nicht um das Studium eines einzelnen Kulturkreises ging, kam die in Bonn gefundene Lösung, die dann auch andernorts als Vorbild diente, nämlich eine Kommission aus Vertretern der Philosophischen und Juristischen Fakultät zu bilden, die Einzelvorträge und Vorlesungen der Universität zum Schwerpunkt initiierte und koordinierte, für die Reichshauptstadt nicht in Frage. Vielmehr plädierte das Ministerium einleitend für die Angliederung der diversen Kulturkreisstudien an die bestehenden Seminare. Dem schloß sich auch der Nationalökonom Herkner an (obwohl er zugleich die Vereinigung für Staatswissenschaftliche Fortbildung zum geeigneten Träger der Auslands studien erklärte). Brandl stützte das zumindest indirekt, indem er berichtete, was in seinem Seminar bisher geschehen sei. Sachau und Penck dagegen sprachen sich trotz der Zurückweisung von offizieller Seite für das Bonner Modell aus. Weitgehend einig scheint man sich gewesen zu sein, daß die Fakultäten 299 Besprechung über die Auslandsstudien 9.6.1917 (wie A. 295), fol. 7. 300 Die hier zunächst als analytischer Begriff benutzte Formulierung findet sich auch schon in den Quellen, zumindest knapp 10 Jahre später: Robert Gragger, Das Ungarische Institut an der Universität Berlin, in: Weltpolitische Bildungsarbeit, S. 47–58, hier 47. 301 Besprechung über die Auslandsstudien 9.6.1917 (wie A. 295), fol. 9 f., Zitate 9, 10. 302 Besprechung über die Auslandsstudien 9.6.1917 (wie A. 295), fol. 11.
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als Träger der Auslandsstudien nicht in Frage kämen.303 Nur der Dekan der Juristen fand, »die Fakultät müsse im Mittelpunkt der Organisation stehen; sie decke sich auch mit dem Seminar, für dessen Ausbau Mittel in grösster Menge (!) erwünscht seien.« Ähnlich sprach Brandl davon, daß das Englische Seminar zwar schon eine gute Bibliothek habe, aber seine Räume zu eng seien. Auch Penck war gegen die Einrichtung einer Auslandsbibliothek und für die Verstärkung der Seminarbibliotheken. So verriet sich also auch hier quer durch die Fakultäten und Fächer wieder das Hauptstreben, durch das vom Ministerium propagierte Auslandsstudium die bestehenden Einrichtungen zu fördern. Nicht zuletzt waren sich die Vertreter der Universität Berlin weitgehend darin einig, daß sie keine neuen, »dauernden Lehraufträge für Aussenstehende« für das neue Fach wollten: Assistenten ja, Praktiker für Einzelvorträge ebenfalls, doch ansonsten seien auch für spezielle Gebiete »Hauptlehrkräfte« an der Universität bereits vorhanden.304 Die Hauptsache scheint für alle der Ausbau ihrer Bibliotheken gewesen zu sein. Letztlich ging es ihnen wie Spranger vor allem um die wissenschaftliche Seite – im Gegensatz zu Beckers politisch-pädago gischem und praxisorientierten Ansatz. Von der Umsetzung der in dieser Besprechung gemachten Erkenntnis, daß es zur Hebung des Auslandsstudiums weniger auf das Organisieren als auf die eigene Arbeit ankomme, sind nur Brandls Erfahrungen mit einem vierstündigen »Kolleg über modern-englische Auslandskunde« bekannt, die im Vorlesungsverzeichnis unter dem Titel »Modern-englische Literatur und Kultur (Victorianisches Zeitalter)« figurierte.305 In seinem Bericht darüber machte Brandl nicht nur die Mühsal – »Durch zwei Monate kampierte ich auf der Kgl. Bibliothek« – deutlich, sondern auch den wissenschaftlich-methodischen und pädagogisch-didaktischen Gewinn. Zwar sei die Geschichte für den Philologen »immer nur eine Hilfswissenschaft«, doch gerade auf dem Grenzgebiet zwischen Kultur- und Literaturgeschichte sei neues »eigentliches Wissen« zu gewinnen. Brandl hatte das erste Drittel des Semesters einem Überblick über die »Gebiete der geistigen Arbeit« gewidmet (Religionsgeschichte, Entwicklung der Wissenschaften, besonders Philosophie, Bildungswesen, Bildende Kunst, Recht und Politik), die »volkswirtschaftlichen und rein zivilisatorischen Dinge« dagegen ausgeklammert.
303 Explizit äußerten dies Herkner, Penck und Hintze. 304 Besprechung über die Auslandsstudien 9.6.1917 (wie A. 295), passim, alle Zitate fol. 3 (Triepel, Heymann, Triepel). 305 Alois Brandl: Erfahrungen mit einem Kolleg über modern-englische Auslandskunde, 4.2.1918: GSt APK I. HA 76 Va KuMi Sekt. 2 Tit IV Nr. 69, fol. 13–16; VV FWU Berlin WS 1917/18, S. 62. In das Weltkriegskapitel seiner Erinnerungen (Zwischen Inn und Themse) hat die universitäre Lehre keinen Eingang gefunden.
960 Studium und Lehre im Krieg »Die literarhistorischen Persönlichkeiten wurden mir selber durch den kulturhistorischen Hintergrund viel verständlicher; ihre Gruppierung klarer, ihre Wirkung begreiflicher. Seit langem habe ich durch kein Kolleg soviel gelernt. Ich werde nie mehr über die Literatur irgend einer Periode lesen, ohne einen ähnlichen Abriss der Kultur voran zu schicken. Die verstärkte Pflege der Realien wird der englischen Philologie nicht schaden, sondern sie methodisch fördern. Der alte Christian Heyne in Göttingen hatte recht, wenn er die Altertümer von vornherein auf das Programm der klassischen Philologie setzte, und nichts anderes bedeutet die Auslandskunde für den Neuphilologen.«306
Sogar den Einsatz neuer Medien erprobte Brandl: Lichtbilder wirkten, wenn sie die ganze Stunde lang genutzt und nicht nur »eingestreut« würden, »vertiefend«, der Film diene als »teilweiser Ersatz der Auslandsreise«. Die Studenten hatten, bei der Ankündigung »auf einer Seminarkneipe«, allerdings zunächst verschreckt reagiert, denn sie fürchteten eine zusätzliche Belastung.307 Als »Musterinstitut der Auslandskunde« wurde bei der Konferenz der deutschen Hochschulreferenten in Berlin Ende September 1918 das Ungarische Institut der Universität Berlin präsentiert. Dabei sei es entstanden, »ohne daß es dem preußischen Staat erhebliche Mittel gekostet hätte«.308 Allerdings war dieses Extraordinariat für Ungarische Sprache und Literaturgeschichte bereits im ersten Kriegsetat bewilligt und die Professur im August 1916 besetzt worden. Insofern war es also weder zeitlich noch der zunächst traditionell philologischen Konzeption nach ein Erfolg dieser aktuellen Kampagne. Allerdings wurde es rasch ausgebaut, noch im November 1916 durch Angliederung eines Seminars, im Dezember 1917 entsprechend der Denkschrift des Kultusministers durch Ausweitung des Arbeitsgebiets auf Geschichte, Länder- und Völkerkunde, Rechtsund Staatswissenschaft, Volkswirtschaft, Kunst. Doch waren diese Teilfächer zunächst nur durch Spezialisten im Wissenschaftlichen Beirat vertreten. Das Lehrangebot bestand bis WS 1920/21 ganz aus Veranstaltungen zu Sprache und Literatur, die anderen genannten Gebiete kamen nur in »Referaten« zum Tragen.309 Und andererseits fand die Professur bei ihrer Gründung auch nicht überall Zustimmung; denn schon damals forderten manche, daß sie in einen Lehrstuhl für Südosteuropäische Geschichte umgewandelt werden solle.310 Was das 306 Brandl, Erfahrungen (wie A. 305), Zitate fol. 13 (zweimal), 14, 15. 307 Brandl, Erfahrungen (wie A. 305), Zitate fol. 15 (Medien), 14 (Studenten). Zu Brandls Bericht über die Arbeit der Studenten s. u. IV 7. 308 Prot. der Tagung vom 26.–28.9.1918, in: vom Brocke/Krüger (Hg.), Hochschulpolitik im Föderalismus, S. 334–344, hier 338. 309 Das Ungarische Institut an der Universität Berlin, in: Ungarische Jahrbücher 1 (1921), S. 59–65, hier 59 f. (Erweiterung), S. 62 f. (Liste der Lehrveranstaltungen), S. 63 (Zitat). Damit sind offenkundig studentische Referate gemeint, da im weiteren dann von den »geplanten öffentlichen Vorträgen« die Rede ist (die ab Nov. 1919 stattfanden). 310 Vermischte Nachrichten von reichsdeutschen Hochschulen, in: HN 26 (1915–16), S. 323–325, hier 323.
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Ungarische Institut zum Vorbild für andere machte, war offenkundig die weitgehend externe Finanzierung: seine »Bestände [waren] im wesentlichen aus ungarischen Stiftungen geflossen, und für seinen Betrieb hat sich eine Gesellschaft der Freunde gebildet, die unter dem Ehrenvorsitz des preußischen und ungarischen Kultusministers entstand. In glücklicher Weise wurde hier das ungarische Propagandabedürfnis dem deutschen Lern- und Forschungsbedürfnis nutzbar gemacht.«311 Der Inhaber der Professur war Robert Gragger, 1887 geboren, zunächst Oberrealschullehrer in Budapest, seit 1912 Professor an der Hochschule für die Ausbildung der Bürgerschulprofessoren und selbst Ungar.312 In den Verwaltungsrat der Fördergesellschaft hatte das Preußische Kultusministerium den damaligen Dekan der Juristischen Fakultät Heymann und den Altphilologen Wilamowitz entsandt, die Universität Berlin ausgerechnet den damaligen Rektor Penck (der als Geograph doch froh war, daß die auf Kulturen ausgerichteten Auslandsstudien mit seinem Fach nichts zu tun hätten!).313 Im August 1917 veranschlagte Becker als Etat für die Auslandsstudien in Preußen, d. h. für neue Professuren, Lektorate und Lehraufträge 420.000 Mark. Dafür hatte er die umfangreichen, von den verschiedenen Fakultäten gestellten Anträge schon erheblich gekürzt! Inhaltlich forderte er besonders eine »intensive Beschäftigung mit den Problemen des Ostens«. Dafür solle in Königsberg eine »wirkliche Hochburg« geschaffen werden, denn nach dem Krieg sei die »so schwer getroffene Ostmark« dazu berufen, stärker als früher »kulturell auf den slawischen Osten einzuwirken«, und dazu gehöre in erster Linie »eine genaue Kenntnis der dortigen Kulturbedingungen«. Für Berlin folgte Becker Hintze, regte also die »Schaffung einer Arbeitsstätte für allgemeine Staatenkunde« als »Mittelpunkt für die allgemeine Erforschung und den Erwerb außenpolitischer Bildung« an. Die preußische Finanzverwaltung bewilligte einige Lehraufträge für Sprachen, auch das Ungarische Institut in Berlin, genehmigte aber die Einrichtung von Osteuropa-Instituten in Königsberg und Breslau nur in reduziertem Umfang und lehnte das Institut für Staatenkunde in Berlin ganz ab.314
311 Wie A. 310. 312 Biogr. Angaben: http://www.ostdeutsche-biographie.de/gragro76.htm (15.5.2012); bei Asen nur Lebensdaten. Zum Selbstverständnis s. seine Antwort im Personalbogen (der Lautabteilung der Preußischen Staatsbibliothek Berlin) 1924 auf die Frage »Welchem Volksstamm angehörig?«: »Ungar«. http://www.sammlungen.hu-berlin.de/dokumente/ 8795/ (3.3.2013) 313 Dem wissenschaftlichen Beirat (der vom Verwaltungsrat gewählt wurde) gehörte Penck ebenfalls an, außerdem einige weitere Berliner Professoren. Gesellschaft der Freunde des Ungarischen Instituts E. V. Berlin, in: Ungarische Jahrbücher 1 (1921), S. 65–73 (mit Satzung), Zusammensetzung des Verwaltungsrats S. 70 f., Zusammensetzung des Wiss. Beirats 72 f. 314 Alles nach Müller, Weltpolitische Bildung, S. 196–198.
962 Studium und Lehre im Krieg In Straßburg, wo man Anfang Februar 1917 die preußische Denkschrift erhielt und am 13. März die des Auswärtigen Amtes,315 scheint man sich etwas früher als an den preußischen Universitäten um die Organisation der Auslandsstudien bemüht zu haben; denn der Plan zu dem später auch auswärts als Vorbild betrachteten interfakultären Bonner Ausschuß stammt vom 26. März 1917. In Straßburg aber hatte eine Kommission der Philosophischen Fakultät am 24. März schon ihre zweite Sitzung abgehalten316 (und befand sich damit etwa im Gleichschritt mit den badischen Nachbaruniversitäten Heidelberg und Freiburg).317 Bereits am 31.3. stimmte die Philosophische Fakultät den Anträgen der Kommission zu. Dazu gehörten u. a. ein energischer Anschluß an die preußischen Bestrebungen sowie die Planung allgemeiner Vorlesungen zur Kenntnis des Auslandes und Pflege des politischen Verständnisses in jedem Semester.318 Der Rektor leitete eine baldige Behandlung im Senat in die Wege – und wäre evtl. sogar zu einer Sondersitzung bereit gewesen.319 Tatsächlich scheint die Frage vom Senat aber erst Mitte Juni behandelt worden zu sein. Damals setzte er eine Kommission ein, der pro Fakultät ein Vertreter sowie der Direktor der Universitäts- und Landesbibliothek angehören sollten.320 Inzwischen hatte der Kurator den Historiker (und ehemaligen Reichstagsabgeordneten) Martin Spahn zu einer Denkschrift aufgefordert, die dieser auch binnen weniger Tage vorlegte.321 Seine Überlegungen, ebenso wie die einer weiteren, darauf aufbauenden Denkschrift, waren von einer eigentümlichen Verbindung von globaler Ausrichtung, nationaler Bedeutung der Straßburger alma mater und Legitimierung der Pläne durch die lokale Spezifik geprägt. 315 Pr. KuMi an Statth. in E-L 8.2.1917; Auswärtiges Amt an Statth. in E-L 13.3.1917; beide: ADBR 103 AL 860. 316 Datierung Bonn nach Müller, Weltpolitische Bildung, S. 183. Prot. der Kommission für Auslandsstudium 2. Sitzung 24.3.1917: ADBR 103 AL 859. 317 Diese wurden Mitte Februar vom Bad. KuMi zu Vorschlägen für die Auslandsstudien aufgefordert und reichten diese – vermutlich nach ähnlichen Vorberatungen in den Fakultäten, wie im folgenden für Straßburg dargestellt – Ende Mai bzw. Anfang Juni ein. S. dazu Müller, Weltpolitische Bildung, S. 201 f. 318 Prot. der Kommission für das Auslandsstudium [der Phil. Fak. Strb.] 2. Sitzung 24.3.1917: ADBR 103 AL 859; Prot. der Sitzung der Phil. Fak. Strb. 31.3.1917: ADBR 103 AL 121. 319 Er antwortete dem Dekan am 5.4.1917 (ADBR 103 AL 858) und teilte mit, daß er den Antrag sofort nach Ostern – das war 1917 der 8. April – bei den Senatoren zirkulieren lasse und ihn dann zur endgültigen Besprechung auf die Tagesordnung der ersten Senatssitzung setzen wolle. Indem er hinzufügte, daß eine besondere Senatssitzung notwendig sei, falls eine frühere Erledigung nötig sei, gab er zu erkennen, daß er prinzipiell auch zu einem Sondertermin bereit war. 320 Prot. der Senatssitzung 18.6.1917: ADBR 103 AL 118. 321 Martin Spahn (auf Briefbogen: Bürgermeisteramt Strb. Lebensmittelamt. Abt. Milchamt) an [Bezirks-] Präsident [des Unter-Elsaß] 30.5.1917: ADBR 103 AL 860. Bezirkspräsident Pöhlmann (bis 1917) war seit Januar 1917 Kurator der Universität. Spahn spricht von dessen Aufforderung am Samstag, das wäre der 26.5.1917 gewesen.
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Spahn zufolge hatte der Krieg es den Universitäten zur »dringlichen Aufgabe gemacht«, mehr als bisher die Voraussetzungen der Außenpolitik zu erforschen und den akademischen Nachwuchs sowie breitere Hörerkreise gründlicher in sie einzuführen. Damit knüpfte er an die preußische Denkschrift an, setzte aber Straßburg sofort von deren Vorgabe ab, daß die einzelnen Universitäten jeweils bestimmte Länder bzw. Regionen pflegen sollten; denn irgendwo müsse die Außenpolitik »auch in ihren Zusammenhängen Gegenstand der wissenschaftlichen Arbeit« sein. »Dafür ausersehen zu werden, wird die Straßburger Universität vor allen anderen deutschen Universitäten den Anspruch erheben dürfen. Die auswärtige Politik ist Sache des Reiches, und unsere Universität allein ist von den deutschen Universitäten als Reichs-Universität gegründet worden. Durch die Zuweisung der lockenden Aufgabe würde ihr dieser Charakter gleichsam aufs neue bestätigt werden. Strassburg wird auch umso eher den Wettbewerb mit den Nachbaruniversitäten bestehen, die sämtlich schon jetzt im Kriege nach neuen Betätigungsgebieten für sich und ihre Studenten ausschauen, und seinem Studium einen frischen Reiz verleihen können.«322
Damit bekräftigte Spahn den Sonderstatus seiner Universität und wollte zugleich ihre Attraktivität durch Profilierung steigern.323 Für die Beteiligung der einzelnen Fächer waren hier andere Überlegungen maßgebend als in Berlin, wo sich der Geograph Penck fernhalten zu können glaubte und der Historiker Hintze als Einzelkämpfer auftrat, weil seine Kollegen zu rankeanisch ausgerichtet seien. Spahn hielt nämlich »an erster Stelle ein Zusammenwirken der Erdkunde und der neueren Geschichte« für nötig. Doch um den Stand der allgemeinen Geistesbildung in jedem Volke würdigen zu können, müßten auch die philologischen Wissenschaften, besonders die neuere deutsche [!?] Literaturgeschichte sowie die Philosophie und Theologie die Arbeiten unterstützen. Außerdem sollten Volks- und Weltwirtschaftslehre, Finanz- und Kriegswissenschaften, Politik, Staats- und Völkerrecht beteiligt werden. Ganz besondere Dienste könnte den Auslandsstudien aber die bislang noch nicht mit eigenem Lehrstuhl in Straßburg vertretene Soziologie leisten (Simmel hatte einen Lehrstuhl für Philosophie inne). Dann legte Spahn detailliert dar, wieviel Kompetenz schon im bisherigen Lehrkörper vorhanden sei. Dabei wies er (ohne Namensnennung!) besonders auf die Vorlesungen seines Kollegen Stählin über russische und englische Geschichte sowie auf seine eigenen zur Geschichte der öffentlichen Meinung und des Parteienwesens hin. Doch deklinierte er auch (mit Namen!) die möglichen Beiträge von Altphilo 322 Denkschrift über die Errichtung eines Instituts für auswärtige Politik auf der KaiserWilhelms-Universität zu Strassburg [Entwurf mit zahlreichen hs. Korrekturen], S. 1: ADBR 103 AL 860. 323 Zu denken wäre bei dem Vergleich vor allem an Freiburg und Heidelberg, auch Tübingen.
964 Studium und Lehre im Krieg logen, Theologen und Juristen zu den Auslandsstudien durch. Bei der Berufung neuer Ordinarien solle man künftig auf die Bedürfnisse des Vorlesungsplans unter dem Gesichtspunkt der Außenpolitik Rücksicht nehmen. Lehren solle man aber nicht nur die Theorie der Außenpolitik, sondern auch Kurse »über die praktischen Dinge, mit denen es die äußere Politik zu tun hat, ins Auge« fassen. Doch um einen festen Kern zu schaffen, um den sich alle weiteren Einrichtungen dann kristallisieren könnten, müsse man sofort ein Institut mit Übungs-, Bibliotheks- und Leseräumen errichten! Dafür sollten v. a. private Mittel eingeworben werden, wofür Spahn die Situation im Frühling 1917 besonders günstig schien – »wo der Ausgang des Krieges festzustehen scheint, aber der Friede noch nicht die wirtschaftlichen Dispositionen der Kapitalisten bestimmt«! Während die Anfangsfinanzierung (Kauf eines Hauses!) Mäzene übernehmen müßten, solle es sich später durch Mitgliedsbeiträge (von Personen und Institutionen) tragen und vom Reich bezuschußt werden. Zu Direktoren sollten die Vertreter der Geographie und Neueren Geschichte berufen werden (womit Spahn vermutlich sich selbst meinte). Nachdem er einzelnen Mitgliedern des vorhandenen Lehrkörpers so viel Aufmerksamkeit gewidmet hatte, stellte er die strukturellen Vorzüge Straßburgs erst ganz am Ende heraus: »Straßburg ist von je ein Brenn- und Schnittpunkt der gesamten Innereuropäischen [!] Entwicklung gewesen. Dem Institut wird die günstige Lage der Stadt für die vergleichenden Forschungen, die es zu treiben hat, zugute kommen. Die Bevölkerung unseres Landes neigt nicht von Natur dazu, ihren Gesichtskreis auf den von ihr bewohnten schönen, aber schmalen Boden einzuschränken. Zumal der Elsässer ist seit vielen Menschenaltern gerne in die weite Welt hinausgezogen. Das Institut wird seine natürliche Vorliebe dafür vertiefen und ihn dadurch auch zu einem besseren Verständnisse befähigen. Der Krieg hat unsere Nation gelehrt, wie bedauerlich die Vernachlässigung des Studiums der auswärtigen Politik in Deutschland wirkte. Nicht zum wenigsten hat sich das Versäumnis an der Westfront [!] des Reichs in den letzten Jahren vor [!] dem Kriege gerächt. Hier an der Westfront empfiehlt sich darum auch mit der Besserung zuerst und aufs nachdrücklichste zu beginnen.«324
Eine zweite Denkschrift (von Ende Juli) griff einige dieser Gedanken auf, war aber viel systematischer angelegt und stärker zielorientiert. Vermutlich stammte sie ebenfalls von Spahn; das legt nicht nur die inhaltliche Ähnlichkeit nahe (bei stark gestraffter Darstellung ohne Personaldetails), sondern auch eine gewisse Insider-Kenntnis, die Spahns politischen Verbindungen zu verdanken sein dürfte.325 Diese Fassung widmete sich vor allem der Organisationsstruk324 Denkschrift über die Errichtung eines Instituts für auswärtige Politik (wie A. 322), Zitate S. 5, 9 f.: ADBR 103 AL 860. 325 Die endgültige Feststellung der Denkschrift lag laut Prot. einer undatierten Senats sitzung (in der vorlesungsfreien Zeit nach dem SS 1917 oder im WS 17/18) bei dem Rektor und Professor Spahn (ADBR 103 AL 118).
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tur des Instituts und den Vorbereitungsarbeiten zu dessen Errichtung. Bestehen sollte es aus fünf Abteilungen – neben der Geographischen, Historischen, Rechtswirtschaftlichen und Volkswirtschaftlichen (von der evtl. noch zwei weitere für Verkehrswesen und Sozialpolitik abzuzweigen seien) sollte es auch eine Kriegswissenschaftliche haben! (Letztere entfiel in dem genaueren offiziellen Konzept später aber wieder.) Zunächst sollte eine vorbereitende Kommission aus Vertretern der »nächstbeteiligten Fakultäten« und geeigneten Persönlichkeiten außerhalb der Universität ernannt und – wie in Bonn – mit 2000 M. ausgestattet werden. Ihre Aufgaben bestanden vor allem darin, die Satzung zu formulieren und die Finanzierung in die Wege zu leiten. Dabei wies die Denkschrift besonders auf im Krieg ungenutzte Mittel des Reichsetats für deutsche wissenschaftliche Einrichtungen im Ausland oder Zuschüsse zu internationalen Einrichtungen hin. Die Stärkung Straßburgs im Wettbewerb mit anderen deutschen Universitäten wurde noch mit dem »Zufluss an Studenten, Hörern und Mitarbeitern« unterstrichen, der durch solche Auslandsstudien zu erwarten sei. Im dritten Kriegsjahr, als die Zahl der Immatrikulierten zwar allmählich wieder gestiegen war, aber immer noch um 250 niedriger lag als im Sommer 1914,326 war dies vermutlich ein wichtiges Argument. Die im Juni eingesetzte Kommission schloß sich der Auffassung von der speziellen Aufgabe Straßburgs an und wollte die Universität zugleich »in den Gesamtbetrieb des Auslandsstudiums« eingliedern. Dafür und zwecks eines gelegentlichen Austauschs der Kräfte sollte die Regierung des Reichslandes mit der preußischen und den Regierungen der übrigen Bundesstaaten in Kontakt treten.327 Neben dem eigenen systematischen Bereich (statt eines sprachlich-kulturellen Sondergebiets) unterschieden sich die Straßburger Pläne von denen anderer Universitäten aber auch durch die Einbindung der öffentlichen Verwaltung sowie die gezielte und möglichst breite Heranziehung von Mäzenen. Dazu nahm der Kurator Kontakte zu den Bezirkspräsidenten auf, damit diese nicht nur die vorgeschlagenen Persönlichkeiten für unbedenklich erklärten, sondern auch Mittel bereitstellten.328 Von Seiten der Universität sollten dieser Kommission seinem Vorschlag zufolge neben dem Rektor (dem evangelischen Theo logen Emil Walter Mayer) und den Dekanen der Philosophischen und der Juristischen Fakultät (damals der Germanist Schultz und der Zivilrechtler von Tuhr) der Geograph Sapper, die Historiker Stählin und Spahn, der National326 1742 im Vergleich zu 1959. 327 Rektor der KWU Strb. an Senat 27.7.1917: ADBR 103 AL 859; nach dem entsprechenden Beschluß des Senats: Rektor an Kurator Strb. 10.8.1917 und Kurator an Statth. von E-L 20.8.1917. Zum späteren Entwurf ohne Kriegswissenschaften: Die wissenschaftliche Anstalt für Auslandspolitik an der Universität Straßburg i. E. Alle: ADBR 103 AL 860. 328 Kurator Strb. an Bezirkspräsident [Lothringens] Frhr. von Gemmingen und Bezirkspräsident [Heinrich] Dieckhoff [Oberelsaß] 14.10.1917; Freiherr von Gemmingen an Kurator Strb. 18.10.1917; Dieckhoff an Kurator 25.10.1917. Alle: ADBR 103 AL 860.
966 Studium und Lehre im Krieg ökonom Sartorius von Waltershausen, die Mediziner Uhlenhuth und Wollenberg, der evangelische Theologe Nowack und sein katholischer Kollege Ehrhard sowie der UB -Direktor und Landeshistoriker Wolfram angehören. Unter den 14 Vertretern der drei Bezirke Elsaß-Lothringens waren zwei Landtagsabgeordnete, ein Bezirkspräsident, ein Vertreter des Straßburger Bürgermeisters, der Präsident der Handelskammer des Unterelsaß sowie eine Reihe von Kommerzien- und Bergräten.329 Bei der regionalen Wirtschaft stieß der Plan auf Interesse: Eines der außer universitären Kommissionsmitglieder, ein Kommerzienrat aus der (protestantischen) elsässischen Industriellenfamilie Schlumberger, gab zu bedenken, daß das Kieler Institut für Seeverkehr und Weltwirtschaft ähnliche Ziele verfolge wie das geplante Straßburger, seine Fördergesellschaft aber bereits 4000 Mitglieder zähle, die jährlich einen Mindestbeitrag von 100 M. entrichteten. Sogar die Handelskammer Mülhausen war der Fördergesellschaft des Kieler Instituts beigetreten und hatte aus dessen Publikationen den Eindruck, daß seine Arbeiten »von grossem Nutzen insbesondere für Handel und Industrie« seien.330 Ein anderer Industrieller und Landtagsabgeordneter stand einer Firma vor, die ca. 20 Werke hatte, auch in England, Belgien, Frankreich, Italien und den USA . Durch die »intensive Zusammenarbeit an Ort und Stelle mit den einzelnen Direktionen« hatte er auch »weitgehenden Einblick in die sozialen und ökonomischen Verhältnisse« der verschiedenen Völker gewonnen. Allerdings nahm gerade dieser welterfahrene Manager vermutlich nie an den Sitzungen teil, weil die Fabrikanlage im Elsaß zerstört war und er sich nun überwiegend in einem Werk bei Stettin aufhielt.331 Der vorbereitende Ausschuß tagte auch noch im Sommer 1918.332 Der Bezirk Unterelsaß sagte noch vor der für März geplanten Gründung der Gesellschaft der Freunde einen Zuschuß zu; Reich, Land und Stadt stellten einen solchen in Aussicht.333 Zur Finanzierung der laufenden Ausgaben hatte 329 Kuratorium der KWU Strb. an Rektor 9.11.1917: ADBR 103 AL 859. Dort finden sich auch Bereitschaftserklärungen verschiedener Professoren, sich an der Kommission zu beteiligen. 330 E. A. Schlumberger (Mülhausen) an [Otto] Pöhlmann 18.12.1917: ADBR 103 AL 860. Zur Industriellenfamilie: NDB 23 (2007), S. 114–116 (Bernard Vogler). Kommerzienratstitel: Kuratorium der KWU an Rektor 9.11.1917: ADBR 103 AL 859. 331 Prof. Dr. E. Bronnert an Kurator KWU Strb. 22.12.1917: ADBR 103 AL 860. Da genau für dieses Datum die erste Sitzung vorgesehen war, konnte der Elsässer Emil(e) David Bronnert, der zur Mitarbeit bereit war, sich aber während des Krieges nicht längere Zeit in Straßburg aufhalten konnte, offenkundig nicht teilnehmen. Auf dem Brief ist vermerkt: »Strassburg den 3 Januar 1918 bis auf weiteres z[u] d[en] A[kten]«. 332 17.9.1918: Auszug aus dem Stenogramm des Arbeitsausschusses für das Institut für Auslandspolitik. Sitzung im Bürgermeisteramt vom 3. Juli 1918: ADBR 103 AL 860. 333 Die an der Kaiser Wilhelms-Universität zu Strassburg i. E. geplante wissenschaftliche Anstalt für Auslandspolitik [5seitige, enggedruckte Werbeschrift, vermutlich zur Gewinnung von Mitgliedern für die geplante Fördergesellschaft], S. 4: ADBR 103 AL 860.
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Spahn in seiner ersten Denkschrift – nach dem Vorbild anderer wissenschaft licher Institute – einen Jahresbeitrag von 100 M. für Einzelpersonen und 250 M. für Gesellschaften vorgesehen.334 Im Frühjahr 1918 wurde der Bedarf für die Erstausstattung des Instituts (inkl. Grundstock der Bibliothek und Kartensammlung) auf 75.000 M. beziffert, der Jahresetat auf 152.400. Zwei Großindustrielle aus der Region hatten bereits je 100.000 M. gestiftet, der Straßburger Gemeinderat bewilligte Anfang April 1918 einstimmig einen laufenden Zuschuß von 15.000 M.,335 der Bezirk Unter-Elsaß 20.000, weil er die wirtschaftliche Bedeutung der Auslandsstudien anerkannte.336 Der Bezirk Ober-Elsaß (der – nach Kampfhandlungen am Anfang des Krieges – auch weiterhin gravierenden Beschränkungen unterlag) tat sich angesichts der »durch die Kriegslage geschaffenen ungünstigen Finanzverhältnisse« mit einer Zusage dagegen schwer.337 Einer der beiden Großförderer, technischer Leiter und Mitinhaber einer bedeutenden Straßburger Metallfirma, der auch der Vorbereitungskommission angehörte, stellte zusätzlich einen größeren Jahresbeitrag in Aussicht, um dem Institut am Anfang eine stetige Entwicklung zu sichern.338 Eine Firma mit Sitz in Duisburg – Straßburg – Mannheim erhöhte ihre Zusage von zunächst 20.000 M auf 100.000, wollte angesichts der ungewissen politischen Entwicklung aber keine größeren Jahresverpflichtungen eingehen.339 Offenbar war Martin Spahn in dieser Angelegenheit reichsweit werbend unterwegs, z. B. beim »Industrieclub Düsseldorf«,340 und konnte eine namhafte Zuwendung z. B. von der Deutschen Erdöl-Aktiengesellschaft in Berlin erlangen, die ihn außerdem mit 334 Denkschrift über die Errichtung eines Instituts für auswärtige Politik (wie A. 322), S. 7: ADBR 103 AL 260. 335 Prot. über die Sitzung des Gemeinderats vom 5. April 1918, S. 228–231, hier S. 29. Zu einem der beiden Spender aus der Industrie s. u. A. 338. Dagegen kann mit dem zweiten nicht Raab & Karcher gemeint sein, weil diese Firma ihren Beitrag erst Ende April auf 100.000 erhöhte (s. A. 339). 336 Bezirkspräsident des Unter-Elsaß an Kurator Strb. 10.3.1918: ADBR 103 AL 859. 337 Der Bezirkspräsident wollte sich zwar darum bemühen, rechnete aber mit »erheblichen Schwierigkeiten«. (Ksl. Bezirkspräs. des Ober-Elsaß an Kurator 19.3.1918: ADBR 103 AL 859). 338 Eugen Jacobi an Kurator Strb. 9.3.1918: ADBR 103 AL 861. Zur Person s. NDB 10 (1974), S. 236 f. (Franz Lerner); zum Unternehmen (das dort irrtümlich als Wolf, Netter und Jacobi erscheint und sich später u. a. auf Bibliotheks- und Archivausstattung spezia lisierte) s. http://de.wikipedia.org/wiki/Wolf_Netter_&_Jacobi (21.2.2013). 339 Dr. jur. W. Huber [Mitinhaber der Firma Raab & Karcher, s. o.] an Jacobi 6.4.1918 (Jahresbeiträge); Dr. Huber an [Bürgermeister] Schwander 27.4.1918 (Erhöhung). Beide: ADBR 103 AL 861. 340 Nach seinem Vortrag dort wollte die Phoenix-Aktiengesellschaft die Förderung der Straßburger Auslandsstudien zwar auf ihre Tagesordnung setzen, gab Spahn aber zu bedenken, daß sie sich bereits stark für die Universität Bonn engagiere und die Förderung der Straßburger Universität in erster Linie Aufgabe der lothringischen und Saar-Industrie sei. Phoenix. Aktien-Gesellschaft für Bergbau und Hüttenbetrieb Hauptverwaltung Hoerde (Westfalen) an Prof. Martin Spahn: ADBR 103 AL 861.
968 Studium und Lehre im Krieg einer Empfehlung an eine weitere Firma ausstattete.341 Daneben fanden sich kleinere Spenden, etwa von der Niedersächsischen Bank und vom Fürsten zu Schaumburg-Lippe.342 Doch kamen auch Ablehnungen, nicht nur von Industriebetrieben, die sich schon für andere Aktivitäten engagierten,343 sondern sogar von der Stadt Mülhausen. Ihr fehlten einerseits die Mittel; andererseits vertrat sie aber auch die Auffassung, daß die Finanzierung in erster Linie Sache des Reichs und des Landes sei.344 Vereinzelt gelang es aber, ein zunächst ablehnendes Unternehmen noch umzustimmen.345 Trotz mancher Absagen und Bedenken waren schließlich 390.000 M in Bareinnahmen und 345.000 M. in Wert papieren für das zu gründende Institut zusammengebracht.346 Der Heranziehung außeruniversitärer Experten für die Vorbereitung und regionaler Mittel für die Finanzierung stand das Versprechen gegenüber, daß das geplante Institut »der elsässischen Bevölkerung praktische Dienste« leisten werde. Außer der geistigen und sozialen Förderung und politischen Bildung werde es sich »der einheimischen Volkswirtschaft bezw. der Staats- und Selbstverwaltung, der Presse und dem Unterrichtswesen in wichtigen Fällen zu besonderen Informationen zur Verfügung halten.«347 Im Winter 1918/19 sollten Dozenten der Universität samstags abends Vorträge halten, »die mit dem Arbeitsgebiet des Instituts für Auslandspolitik in Beziehung stehen« (was ihnen selbst auch Nebeneinkünfte bescherte, denn die Vorträge sollten von der Gesellschaft zur Förderung dieses Instituts honoriert werden).348 Diese Zusammenarbeit der Wissenschaft mit »Männern der Tat« erfolgte aber keineswegs selbstlos um der nationalen Aufgabe willen, die die Universität »in der Südwestecke des Reiches« zu erfüllen hatte, indem sie »die deutsche Wis-
341 Sie stellte ihm Ende Mai 1918 (einmalig) 120.000 M. zur Verfügung und empfahl ihn an die Kaliwerke weiter, die auch Anlagen im Ober-Elsaß hatten. Deutsche Erdöl-Aktiengesellschaft Berlin an Prof. Spahn 27.5.1918: ADBR 103 AL 859. 342 Jeweils 5000 M. Niedersächs. Bank an Pöhlmann 23.3.1918; Kabinettschef (…) des reg. Fürsten zu Schaumburg-Lippe an [Kurator] Pöhlmann 22.3.1918. Beide: ADBR 103 AL 861. 343 Bergwerks-Actien Gesellschaft Consolidation an Kurator [!], Prof. Dr. Spahn [!] 30.4.1918. Der Leiter des Elsässischen Textilausschusses sah Schwierigkeiten, obwohl er das Projekt stark befürwortete: Elsässischer Textilausschuss an Oberbürgermeister Schwander 23.4.18. Beide: ADRB 103 AL 861. 344 Bürgermeister der Stadt Mülhausen an Kurator Strb. 2.5.1918: ADBR 103 AL 861. 345 Adler & Oppenheimer, Lederfabrik A.-G. an Kurator Strb. 8.4.1918 (Ablehnung); Ksl. Universitätskasse an Kurator Strb. 1.5.1918 (Einzahlung von 20.000 M.). Beide: ADBR 103 AL 861. 346 Kaiserliche Universitätskasse Strb. Fonds für die Errichtung eines Instituts für Aus landspolitik in der Universität Straßburg [1918, o. D.]: ADBR 103 AL 861. 347 Redetext [undatiert, Autor unklar]: ADBR 103 AL 860. 348 Rektor Strb. an Dekane 22.7.1918: ADBR 62 AL 39 (mit der Bitte, Dozenten undThemen bis Semesterende zu benennen).
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senschaft auf eine hervorstechende Art« vertrat.349 Vielmehr wollten die Straßburger Geisteswissenschaftler damit ihren bisher als den Naturwissenschaften nicht adäquat empfundenen Beitrag zur Kriegführung kompensieren und zugleich ihre eigenen Disziplinen fördern: »Die Vertreter der Naturwissenschaften und Heilkunst haben sich längst gewöhnt, mit den führenden Männern unseres wirtschaftlichen wie sozialen Lebens in stetem Verkehre und gegenseitigem Austausch zusammenzuarbeiten. Soviel [!] Früchte daraus auch schon im Frieden reiften, der volle Wert der Zusammenarbeit für unser deutsches Vaterland ist erst durch den gegenwärtigen Krieg ans Licht gekommen. Wenn die Geisteswissenschaften dem Vaterlande in schwerer Stunde noch nicht ebenso unbestrittene und augenfällige Dienste zu leisten vermochten, ist die Ursache nicht zuletzt darin zu suchen, daß sie bisher keine gleich enge Verbindung mit den Männern der Tat fanden.«350
Durch die Beiträge von Industrie, Handel und Wirtschaft sei es nun ermöglicht worden, die übernommene Aufgabe »von vornherein auf der festen Grundlage einer wissenschaftlichen Forschungsanstalt zu organisieren«. So komme es nun auch in den Geisteswissenschaften zur Zusammenfassung jüngerer Kräfte und der Erlangung »ebenbürtiger (!) Mittel«. »Beides verheißt ihnen eine Förderung ihrer Methode, durch die sie auf eine wesentlich schnellere und vielseitigere Entwicklung als bisher rechnen können.« Indem sich die Straßburger auf die in Preußen geltenden Richtlinien bezogen, obwohl sie ihnen ja gar nicht unterlagen, und sich wie Berlin ein alle Sprachräume übergreifendes systematisches Arbeitsgebiet wählten, stellten sie sich mit der Hauptstadt gewissermaßen auf eine Stufe: als »Reichsuniversität«351 bzw. zweite deutsche National universität. Gleichzeitig galt es, das neue Institut gegen die Konkurrenz bestehender zu etablieren. Als im Sommer 1918 im Reichstag eine Reform der Diplomatenausbildung angeregt wurde, fürchtete die Straßburger Vorbereitungskommission sofort, daß das Hamburger Kolonialinstitut diesen Nachwuchs an sich zu ziehen versuche. Deshalb sollte der Kurator durch die elsässisch-lothringische Regierung darauf hinwirken, daß in die Kommission für die Diplomatenausbildung auch ein Vertreter des Reichslandes im Bundesrat hinzugezogen würde. Doch alle diese auf die Eröffnung des Instituts im Wintersemester 1918/19 zielenden Vorbereitungen erledigten sich durch den weiteren Kriegsverlauf. Am 349 Die an der Kaiser Wilhelms-Universität (…) geplante wissenschaftliche Anstalt (wie A. 333), Zitate S. 2, 4. 350 Die an der Kaiser Wilhelms-Universität (…) geplante wissenschaftliche Anstalt (wie A. 333), alle Zitate S. 1. 351 Die an der Kaiser Wilhelms-Universität (…) geplante wissenschaftliche Anstalt (wie A. 333), Zitate S. 2.
970 Studium und Lehre im Krieg 15. November, eine Woche vor Einmarsch der Franzosen in Straßburg, vermerkte der Kurator auf diesem Schreiben »Zu den Akten!«352 In der Lehre bis Kriegsende schlugen sich die Bestrebungen nur in einer Seminarveranstaltung des Geographen Sapper nieder, der (obwohl als Geograph und Ethnologe selbst Spezialist für Mittelamerika) im Sommer 1918 »Das Deutschtum im Ausland« erörterte.353 Mit Blick auf die drohende Rückwanderung von Auslandsdeutschen als Kriegsfolge war 1917 in Stuttgart ein »Museum und Institut zur Kunde des Auslandsdeutschtums und zur Förderung deutscher Interessen im Ausland« gegründet worden, zu dessen Wissenschaftlichem Beirat Sapper gehörte. Da bei einer zu großen Zahl von Rückwanderern in Deutschland nicht genug »Lebensraum und (…) Arbeitsmöglichkeiten« zur Verfügung stünden, andererseits durch die Abwanderung der Deutschen in ihren bisherigen Wohnländern, wo sie »Pioniere des Deutschtums« gewesen seien, auch Stützpunkte für den deutschen Handel verloren gingen, mußte Sapper zufolge einerseits eine möglichst große Zahl dort zurückgehalten, andererseits für die übrigen »in der Heimat das Nest einigermaßen bereitet« werden.354 Im Vergleich zu den umfangreichen Erörterungen und Planungen in Berlin und Straßburg, wo man die Auslandsstudien jeweils zur Profilbildung und Stärkung der eigenen Sonderstellung nutzen wollte, erscheint der Gießener Befund fast als Fehlanzeige. Im Sommer 1918 meldete die Lokalzeitung, daß sich die im Frühjahr gegründete Hochschulgesellschaft (zur Förderung der Universität) auch die Förderung des künftigen Auslandsstudiums als Aufgabe gestellt habe.355 Für das Wintersemester 1918/19 strebte die Universität an, »das Auslandsstudium, für dessen Bedeutung uns der Krieg so recht die Augen geöffnet hat, zu vertiefen«. Dafür bot die Hochschulgesellschaft einige Einzelvorträge an, während die Universität in ihrem Vorlesungsangebot künftig jedes Semester ganze Kulturkreise im Zusammenhang behandeln wollte – und zwar für Hörer aller Fakultäten. In diesem Winter begann sie mit dem englischen. Für ins gesamt acht Themenbereiche waren je 3–5 Stunden vorgesehen.356 Alles zusammen ergab dann eine zweistündige Ringvorlesung am Freitagabend, an der die Fachvertreter der Geographie, Neueren Geschichte, Theologie etc. jeweils ih352 Sartorius von Waltershausen an Kurator Strb. 27.6.1918: ADBR 103 AL 860. 353 VV KWU Strb. SS 1918, S. 26. Zu Rudolph s. den Nachruf von R. Langenbeck in: Geo graphische Zeitschrift 21 (1915), S. 481–483, der ihm »einen nachhaltigen Einfluß auf die studierende Jugend« zuschreibt. 354 Karl Sapper, Das Deutschtum im Auslande, in: SP 537, 26.8.1917 MA , Zweites Blatt. Zur Biographie auch: NDB 22 (2005), S. 435 f. (Michaela Schmölz-Häberlein). 355 Anderhub, Antoniterkreuz, S. 56 (mit Beleg: GA 1.7.1918). Anderhub selbst fragt nur: »Zeichnete sich hier ein Umschwung der Universität gegenüber dem Ausland ab?« Den Hintergrund, daß die Auslandsstudien damals reichsweit Thema der Erörterung von Kultusverwaltungen und Universitäten waren, und die Vorgeschichte in der Vorkriegszeit scheint er nicht zu kennen. 356 Prof. Dr. Skalweit, Auslandsstudium an der Universität Gießen: UA Gi PrA 1039, fol. 1.
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ren Bereich erläuterten.357 Auch auf der Konferenz der Hochschulreferenten der deutschen Bundesstaaten Ende September 1918 wurden für Gießen nur die Aktivitäten der Hochschulgesellschaft und die »allgemeine Auslandsbildung durch die vorhandenen Lehrkräfte« registriert.358 Der Einordnung, daß die hessische Landesuniversität verspätet und nur mit einem Minimalprogramm reagiert habe, läßt sich allerdings entgegenhalten, daß Gießen im Sommersemester 1916 immerhin mehrere einstündige Vorlesungsreihen über den Orient abgehalten hatte und damit jenen Universitäten, die erst auf die Initiative des Preußischen Kultusministeriums hin aktiv wurden, zuvorgekommen war. Andererseits unterstreicht dies noch den Gießener Ansatz, wie er ab Herbst 1918 praktiziert werden sollte: Hier ging es offenbar nicht um ein vertieftes Studium eines Kulturkreises, das die Universität auch zur wissenschaftlichen Profilbildung hätte nutzen können, sondern allein um die Erfüllung einer allgemeinbildenden Aufgabe. Doch stellte das Vorlesungsverzeichnis im Nachsatz zu dieser Ringvorlesung für spätere Semester besondere Vorlesungen zur neueren englischen Geschichte und Kunst in Aussicht. Allerdings scheint es bei der Ankündigung geblieben zu sein. Die Vorlesungsverzeichnisse der nächsten fünf Semester weisen weder eine Veranstaltung zur neueren englischen Geschichte noch zur englischen Kunst auf, weder für Fachstudenten noch für Hörer aller Fakultäten. Für letztere wurde noch ein einziges Mal eine ähnliche Ringvorlesung angeboten: über Frankreich im Sommer 1919.359 Bilanz gegen Kriegsende
Bei der Konferenz der Hochschulreferenten wurde auch der Stand kurz vor Kriegsende deutlich. An den preußischen Hochschulen waren überall besondere Komitees für Auslandsstudien eingerichtet worden. Neue Stellen und Lehraufträge hatten vor allem die Universitäten Königsberg und Breslau erhalten, letztere u. a. auch eine Fachprofessur in der Juristischen Fakultät (für »slawisches Recht«). Doch wie in Straßburg kam auch hier der größere Teil der Mittel nicht aus der Staatskasse, sondern aus privater Initiative, d. h. der Wirtschaft, 357 VV LU Gi WS 1918/19, S. 33. 358 Prot. der Tagung vom 26.–28.9.1918 (wie Anm. 308), S. 344. 359 VV LU Gi SS 1919, S. 40. Gelegentlich finden sich im VV einstündige Vorlesungen auf englisch oder französisch. Doch im Sommer 1919 waren sowohl die über Rousseau als auch die über Modern English Poetry noch mit N. N. angekündigt (VV LU Gi SS 1919, S. 41). Da im Winter 1919/20 nur noch »Vortrag in französischer Sprache« angekündigt wurde, ebenfalls mit N. N. (S. 44), im Sommer 1920 dann zwar ein französischer Vortragender, erstmals mit Namen, aber wieder kein englischer, ist zu vermuten, daß diese Veranstaltungen gar nicht zustande kamen. Als Lektoren für Englisch und Französisch sind bis (mindestens) WS 1923/24 in den Vorlesungsverzeichnissen immer Deutsche genannt.
972 Studium und Lehre im Krieg sowie von Landes- und Kommunalbehörden. Auf diese Weise war in Breslau ein gut dotiertes Osteuropa-Institut entstanden.360 In Königsberg, wo man an das 1916 gegründete Institut für Ostdeutsche Wirtschaft anknüpfte, wollte man sich auf das europäische Rußland und das diesem vorgelagerte Ost(mittel)europa konzentrieren. Schon im Winter 1917/18 fand in der Philosophischen Fakultät eine ganze Reihe entsprechender Lehrveranstaltungen statt, sogar von Naturwissenschaftlern (insbesondere über Rohstoffe und Pflanzengeographie). Doch ließ man die vorgesehene Fundierung dieser Auslandsstudien durch ein neues Fach »Politik« gänzlich unberücksichtigt.361 In Heidelberg und Freiburg verfuhr man dagegen ungefähr wie in Gießen, zielte also auf die Weckung eines allgemeinen außenpolitischen Interesses, ohne einen eigenen regionalen oder Kulturschwerpunkt zu bilden. Als Besonderheit kamen hier zu den üblichen Vorlesungen aber zweiwöchige Kompaktkurse in den Semesterferien hinzu. Die Tübinger Universität ergänzte das Angebot der Theologischen und der Staatswissenschaftlichen Fakultät jeweils um einen fachlichen Schwerpunkt: Missionskunde bzw. Wirtschaftskunde des Auslands.362 In München wirkten die drei Hochschulen zusammen, also Universität, TH und Handelshochschule, und boten – außer allgemein orientierenden Vorlesungen – mit 21 Lehraufträgen für »Sondervorlesungen und -Übungen« (davon acht auf dem Gebiet der Naturwissenschaften, Technik und Landwirtschaft) sowie Lektoraten für sieben Sprachen eine Ergänzung ihres Lehrangebots, an der alle Studierenden dieser Einrichtungen teilnehmen konnten, auch wenn sie bei den beiden anderen stattfanden. Den regionalen Schwerpunkt der Münchner bildeten der Balkan und der Nahe Osten.363 Dabei hatten bayerische Nationalliberale und Sozialdemokraten ein Balkan- und Vorderasieninstitut 1915/16 noch vergeblich gefordert. Die Münchner Universität und Hochschulen, die dies abgelehnt hatten,364 ließen sich offenbar erst durch den reichsweiten Zugzwang dazu bewegen. Dieser hatte im Januar 1918 schließlich auch eine Denkschrift des bayerischen Kultusministeriums hervorgerufen, die sich in der Formulierung der dreifachen Aufgabe und sogar in der Begründung mit dem Recht der heimkehrenden Soldaten ganz an die preußische anlehnte. Aus finanziellen Gründen hatte Bayern – nachdem es von allen drei Landesuniversitäten Vorschläge eingeholt hatte! – das Auslandsstudium aber auf München beschränkt und dabei in der Denkschrift die gerade skizzierten Maßnahmen bereits vorgesehen. 360 Prot. 26.–28.9.1918 (wie A. 308), S. 335–337. Zu Frankfurt, Greifswald (wo ein Nordisches Institut mit »bescheidenen« Mitteln gegründet worden war) und Halle (wo die Regierung zur Unterstützung der Orientalistischen Bibliothek verpflichtet werden konnte), 337 f. 361 Tilitzki, Albertus-Universität Königsberg, S. 468–471. 362 Prot. 26.–28.9.1918 (wie A. 308), S. 339, 342. 363 Prot. 26.–28.9.1918 (wie A. 308), S. 340–342. 364 Müller, Weltpolitische Bildung, S. 202 f.
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»Für Bayern (….) kommen nach seiner Lage und seinen Beziehungen in erster Reihe die eine geographische, historische und kulturelle Einheit darstellenden, an das mittelländische Meer angrenzenden Länder in Betracht und von diesen zunächst mit Rücksicht auf den Großschiffahrtsweg der Donau die südosteuropäischen Länder sowie Vorderasien.«
Das Angebot könne später evtl. auf andere Mittelmeerländer ausgedehnt werden. »Rußland soll vorerst außer Betracht bleiben.«365 Diese Auslandsstudien sollten möglichst bald nach dem Krieg (!) ins Leben gerufen werden, »weil unter den Kriegsteilnehmern, die den Balkan und Vorderasien näher kennen gelernt haben, manche eine Lebensstellung in diesen Ländern anstreben werden.«366 Ebenfalls auf Südosteuropa ausgerichtet waren die Bestrebungen in Leipzig, wo bereits im Wintersemester 1917/18 ein Südosteuropa- und Islam-Institut begründet worden war. Beteiligt waren außer den Philologien ein Neuzeithistoriker und ein neuberufener Professor für Islamkunde. Außerdem waren Lehrstühle für Osteuropäische Geschichte und Südosteuropäische Wirtschaftspolitik ins Auge gefaßt. Daneben war aber auch ein neues, etatisiertes Extraordinariat für Flämische und nordniederländische (!) Sprache und Literatur eingerichtet worden. Für die Zeit nach Friedensschluß plante die Universität Leipzig außerdem ein eigenes Kolonialinstitut. An der TH Dresden sollte semesterweise jeweils ein anderer Kulturraum behandelt werden.367 Schon bei der Einteilung der Kulturkreise war mehrfach das Auslandsdeutschtum erwähnt worden. Diesem Sondergebiet wollte sich die Universität Marburg widmen, die außerdem, ähnlich wie die benachbarte Gießener, zwei allgemeinbildende Ringvorlesungen über »ausländisches Volkstum und sein staatliches, wirtschaftliches und geistiges Leben« organisierte. Die erste, »Über das moderne Frankreich«, fand im Mai und Juni 1918 statt und trug der Universität (gerade wegen ihres zu wissenschaftlichen Herangehens, statt die »Schwächen und Blößen der Gegner« freizulegen) Kritik von einem anonymen Mitarbeiter des Kriegspresseamts ein. Von der zweiten, »Belgien in Vergangenheit und Gegenwart« (Winter 1918/19) kam, offenbar infolge der politischen Wirren bei Kriegsende, nur noch der erste Termin zustande.368 Den Forschungsschwerpunkt Auslandsdeutschtum wählte die Universität Marburg aus, weil sie mittels Stipendien seit langem enge Beziehungen zu den Auslandsdeutschen in Ungarn pflegte und außerdem ein Marburger Professor mittels einer Ge365 Denkschrift über Förderung der Auslandsstudien an den bayerischen Hochschulen, abgedruckt in: vom Brocke/Krüger (Hg.), Hochschulpolitik in Föderalismus, S. 359–367, beide Zitate 363. 366 Denkschrift über Förderung der Auslandsstudien an den bayerischen Hochschulen (wie A. 365), S. 366. 367 Prot. 26.–28.9.1918 (wie A. 308), S. 343 f. 368 Alles nach Wettmann, Heimatfront Universität, S. 259–262.
974 Studium und Lehre im Krieg dächtnisstiftung zur Erinnerung an seinen gefallenen Sohn »Einrichtungen zur Pflege des ost- und südosteuropäischen Auslandsdeutschtums« schaffen wollte. Das Institut für das Deutschtum im Ausland, für das die Marburger 10.000 M. (im Vergleich zu den Straßburgern also einen ziemlich geringen Betrag!) zusammengebracht hatten, bestand zunächst als eingetragener Verein. Die erste Veranstaltung fand allerdings erst im Winter 1919/20 statt. Auch hier handelte es sich also um Fortführung bzw. Weiterentwicklung vor dem Krieg begonnener Aktivitäten. Ob die Universität dabei mehr im Sinne eines »Schutz[es] gegen alle andrängende Unsachlichkeit« (etwa von Seiten der Annexionisten) handelte oder eher die Propagierung einer »konfliktfreien ›Volksgemeinschaft‹« zur Ablenkung von innen- und sozialpolitischen Fragen betrieb, liegt jenseits dieser Untersuchung.369
Schlußfolgerungen Keine Universität entwickelte ein neues, umfassend auf den Krieg bezogenes Programm ihrer Lehre; alle erweiterten ihr Sprachen- und wissenschaftliches Angebot, vor allem mit Blick auf das Osmanische Reich, in geringerem Umfang auch auf Österreich-Ungarn hin. In beiden Fällen ging es also um die Pflege der Beziehungen zu Bündnispartnern im Krieg. Daher waren diese Ergänzungen, soweit sie über das Sprachenangebot hinausreichten, auch nicht von langfristig-nachhaltiger Wirkung. Aus ihrem bisherigen Angebot entwickelten zwei der drei untersuchten Universitäten ihre anwendungsbezogene Spezialität (die an den anderen gänzlich fehlte) situationsbezogen weiter oder bauten sie aus: Die Berliner das Militärstrafrecht, die Gießener die Landwirtschaft. Eine Rückwirkung des Kriegseinsatzes auf die Lehre gab es besonders in der Medizin und in der Nationalökonomie: Gerade die Dozenten, die in Lazaretten oder Kriegsämtern wirkten, boten kriegsbezogene Fachveranstaltungen an. Doch im Vergleich zum Gesamtangebot jeder Universität waren diese inhaltlichen Ergänzungen gering. Bei dem so ausführlich diskutierten »Auslandsstudium« handelte es sich nicht um eine Neuerung, sondern um die Wiederaufnahme einer vor dem Krieg nicht mehr abgeschlossenen Diskussion, die durch die Kriegserfahrungen zwar aktualisiert, von Universitätsseite aber nicht um wesentliche neue Aspekte erweitert wurde. Ministerialreferent Becker verband damit für die Geisteswissenschaften dagegen die Absicht, die sich durch zunehmende Spezialisierung immer weiter auseinanderentwickelnden Disziplinen wieder stärker zusammenzuführen und verfolgte dabei einen modernen, zukunftsweisenden Ansatz, 369 Alles nach Wettmann, Heimatfront Universität, S. 262–268, Zitate 266 (aus einem Artikel eines Berliner Oberlehrers und Historikers) bzw. 268 (Wettmann).
Lehrangebot für die Studentenschaft vor Ort
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nämlich interdisziplinäre area studies zu betreiben. Zugleich ging es ihm aber um eine Schärfung des politischen Bewußtseins der Studenten – somit um eine Erziehungsaufgabe der Universität über ihre wissenschaftliche Tätigkeit hinaus. Wenn aber durch Kontrast des »Auslands« zum »Deutschtum« zugleich das Bewußtsein für die eigene Kultur geschärft und gekräftigt werden sollte, war, überspitzt gesagt, nicht Völkerverständigung, sondern Nationalerziehung das Ziel! Im übrigen war die Komplementarität von »Weltvolk« und Nationalbewußtsein als Grundfigur auch schon im Vorkriegsbewußtsein vorhanden, als die Internationalität der Universitäten ja nicht um ihrer selbst willen gepriesen wurde, sondern als Ausweis der Stärke Deutschlands diente. Die ihnen jetzt vom Ministerium gestellte Aufgabe des Auslandsstudiums faßten die einzelnen Universitäten ganz unterschiedlich auf: als Beitrag zum studium generale für Hörer aller Fakultäten oder als vertieftes Fachstudium (für das mancherorts sogar neue Fachprofessuren eingerichtet wurden). In erster Linie nutzen sie sie aber pragmatisch zum Ausbau und zur Profilierung der bestehenden Einrichtungen. Dagegen führten die damit einhergehenden organisatorischen Überlegungen – schließlich hatte Harnack 1913 schon den Gedanken einer neuen Fakultätsgliederung damit verbunden – ebensowenig zu einer Reform der Universität wie Beckers methodischer Neuansatz. Daß Experten nun – teils im Zuge der Förderung der Auslandsstudien, teils ihnen vorgreifend – in (meist nur einstündigen) Vorlesungen für Hörer aller Fakultäten Orientierungswissen offerierten, führte zu einer gewissen Stärkung der allgemeinbildenden Funktion der Universität. In Gießen wurden diese Veranstaltungen im Sommer 1918 für Nichtfachstudenten in einer besonderen Rubrik des Vorlesungsverzeichnisses zusammengefaßt. Das weist auf das im allgemeinen erst später institutionalisierte studium generale voraus. Doch ging man auch in manchen Fachveranstaltungen (etwa zum Militärrecht) und im neuen Angebot des Türkisch-Unterrichts sogar über den Kreis der Studierenden hinaus und öffnete die Universität Offizieren und der (gebildeten) Stadtbevölkerung. Dabei dürfte es sich, ähnlich wie bei den öffentlichen Vortragsreihen zu Kriegsbeginn, um eine den Universitäten durchaus willkommene Aufgabe gehandelt haben; denn trotz des Fehlens der meisten Studenten bot es ihnen eine gewisse Wirkungsmöglichkeit. Und indem diese über die Universität hinaus zielte, bestätigte sie zugleich das Selbstverständnis der Gelehrten, der Gesamtgesellschaft Orientierung zu vermitteln.
6. Fröhliches Studentenleben und Aufschließen der »Himmelstür zum Zeitlosen«: Hochschulkurse für Soldaten im Kriegseinsatz Noch mehr als im Lehrbetrieb vor Ort wurde die allgemeinbildende Funktion der Universität in Hochschulkursen für Soldaten gestärkt, die seit Herbst 1916 in den Etappengebieten des Westens, dann auch des Südostens und Ostens und schließlich an der Universität Straßburg selbst stattfanden. Während Lehrende aller drei Universitäten als Dozenten zu solchen Kursen reisten, war als Institution nur die elsässische involviert. Auch in diesem Bereich bedeutete die Nähe zur Front also eine zusätzliche Belastung. Glaubt man jenen zeitgenössischen Autoren, die erst für solche Kurse plädierten, sie dann organisierten sowie damals und später darüber schrieben, war der Anlaß für diese Erweiterung der Lehrformen die lange Kriegsdauer, die bei den ›feldgrauen‹ Studenten hatte Sorgen aufkommen lassen. Dabei ging es nicht nur darum, daß sie zu viel Zeit verloren; vielmehr fürchteten sie auch, nach der langen Unterbrechung gar nicht mehr zum Weiterstudium fähig zu sein. Aus der Perspektive der Universitäten wie auch des Gemeinwesens mußte man allmählich mit »einer ungenügenden Zahl richtig durchgebildeter Führer« rechnen, d. h. dem Fehlen von Nachwuchs für die akademischen Berufe und die gesellschaftlichen Führungspositionen.1 Die erste Anregung zu dem neuen Hochschultyp scheint der Artikel eines Münchner Germanisten über »Kriegsfürsorge für Akademiker« gegeben zu haben, der von der Verbitterung der kämpfenden Studenten über die ihnen »angerechneten«, aber doch »mehr oder minder fiktiven Semester« berichtete und vorschlug, auch gesunde (so wie bisher schon verwundete) Studienanfänger oder mittlere Semester für ein Vierteljahr an ihre Heimathochschule zu beurlauben und außerdem an geeigneten Orten in der Etappe Hochschulkurse einzurichten, an denen ein »enzyklopädischer Überblick über bestimmte Fach 1 Insbesondere Paul Ssymank hat in einer ganzen Reihe von Artikeln die Entwicklung des Etappenhochschulwesens beschrieben. Die wichtigsten überblicksartigen (die sich untereinander und auch mit weiteren kleineren überschneiden): Das deutsche Etappenhochschulwesen, in: DK 35 (1918/19), S. 266–268; Aus der Frühzeit des Etappenhochschulwesens, in: Neue Jahrbücher für Pädagogik 22 (1919), S. 69–75; Das deutsche Etappenhochschulwesen im Weltkriege, in: Berliner Hochschul-Nachrichten. Monatsschrift für akademisches Leben 16. Semester 1926/27, H. 2, S. 14–16 (Zitat 15); H. 3, 22–23; H. 4, 32–33; H. 5, 42–44; H. 6, 52–53; Die Bedeutung der Straßburger Kriegshochschulkurse, in: Die Grenzboten 74 (1918 IV), S. 65–68. S. außerdem: Fritz Hoeber, Fronthochschulen, in: HS 1 (1917), H. 11/12, S. 14–27; Gercke, Wissenschaftlicher Unterricht an der Front. In der neueren Literatur wurde dieser Aspekt der Universitätsgeschichte eingehender bisher nur von Wettmann, Heimatfront Universität, S. 153–162 behandelt.
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wissenschaften und vor allem ein auf die Kriegslage zugeschnittener Führer durch die Fachliteratur [gegeben werden sollte], der dem Hörer für die weitere Dauer des Krieges eine geeignete Auswahl für eine fortdauernde Fachlektüre« ermögliche. Als geeignete Etappenorte nannte er Lille, Gent und Warschau.2 Der Posener Studienrat Paul Ssymank, der einst in der freistudentischen Bewegung aktiv gewesen war und dann in der Debatte über die Gründung einer sog. Ostmarkenuniversität in Posen für eine Reformuniversität plädiert hatte, die die klassischen vier Fakultäten mit einer Volkshochschule vereinen sollte,3 griff diesen Gedanken auf. Schon einen Monat später schlug er in der Lothringer Zeitung eine Kriegshochschule in Metz vor, also frontnah, aber innerhalb des Reichs statt in besetzten Gebieten. Während der Metzer Bürgermeister und das Armeeoberkommando zustimmten und bereits eine Beratung anberaumten, lehnte der Gouverneur von Metz es ab, die Kurse in der Stadt abzuhalten. Doch wurde die Vorbereitung fortgesetzt, dabei aber statt Ssymanks Plan all gemeinerer Vorlesungen »unter Ausschluß von Theologie und reiner Technik« ein regelrechtes Fachstudium vorgesehen, das die ›Dekane‹ der sieben vorgesehenen ›Fakultäten‹ (darunter zwei theologische, eine naturwissenschaftliche und eine veterinärmedizinische) organisieren sollten. Die Oberleitung lag jedoch bei einem Militär, das Sekretariat versah Ssymank. Um nicht zu viele Soldaten gleichzeitig von der Front abzuziehen, sollten die einzelnen Fakultäten aber nicht nebeneinander, sondern nacheinander tagen, und aufgrund der Kriegsentwicklung begannen auch nur die beiden medizinischen zum geplanten Termin Anfang September 1916, während die übrigen vertagt wurden. Die Dozenten kamen fast durchwegs »aus der Heimat«, nicht von der Front, weil nur so ein geordneter Ablauf gesichert werden konnte. Dafür konnte diese Heeresgruppe, die damals in Französisch-Lothringen operierte, die Hochschullehrer der oberrheinischen Universitäten Freiburg, Straßburg und Heidelberg relativ leicht an ihrem Etappenhauptort versammeln. (Aber auch Halle, Jena, München, Frankfurt hatten Dozenten dorthin gesandt.) Insgesamt trugen an der Etappenuniversität Conflans 90 Dozenten vor, darunter auch der Berliner Jurist von Liszt und vier Angehörige der Straßburger Philosophischen bzw. Juristischen Fakultät, u. a. der Philosoph Georg Simmel und der Staatsrechtler Hermann Rehm. Auch der Ex-Straßburger Historiker Walter Goetz war beteiligt. Die einzelnen Kurse, die tatsächlich alle Fakultäten (inkl. beider theologischer) und Abteilun2 Dr. Otto Maußer, Kriegsfürsorge für Akademiker, in: Frankfurter Zeitung 85, 26.3.1916, hier zit. nach Ssymank, Aus der Frühzeit, S. 69 f.; auch (vermutlich exakter) zit. bei Wettmann, Heimatfront Universität, S. 153 f. 3 Zu Ssymank s. Marek Podlasiak, Paul Ssymank – Chronist der deutschen Studentengeschichte, in: JUG 5 (2002), S. 171–183, auch unter http://www.burschenschaftsgeschichte. de/pdf/podlasiak_paul_ssymank.pdf (17.4.2013). Ssymank gründete 1920 das Hochschularchiv der deutschen Studentenschaft (Göttingen, heute Institut für Hochschulkunde Würzburg).
978 Studium und Lehre im Krieg gen (inkl. der naturwissenschaftlichen und einer separaten ingenieur-technischen) umfaßten, zählten 20–30 Studierende, wurden aber von bis zu 50 Hörern besucht. Neben dem wissenschaftlichen wurde auch das gesellige studentische Leben gepflegt: Fast jeden Abend ergab sich eine »meist recht gemütliche Kneipe«, bei der Studenten und Dozenten zusammen die alten Burschenlieder sangen. Außerdem wurden drei »große festliche Kommerse« veranstaltet, bei denen zweimal sogar der Führer der Armeeabteilung anwesend war.4 Damals befürworteten das Bayerische wie auch das Preußische Kultusministerium die Veranstaltung ähnlicher zweiwöchiger Kurse, doch lehnte die Oberste Heeresleitung zunächst ab, da sonst auch andere Berufsstände ähnliche Fortbildungswünsche äußern könnten. Noch im März 1917 bezeichnete sie solche Kurse als »militärisch unerwünscht«.5 Doch in seinem sog. Bildungserlaß vom 1.10.1917 empfahl Generalquartiermeister Ludendorff dann selbst die Einrichtung von Hochschulkursen für alle Heeresangehörigen an sämtlichen Frontabschnitten; denn mit Blick auf die Nachkriegszeit müsse die »Liebe zum Beruf« erhalten werden. Doch sollten die Kurse »nicht einseitig fachwissenschaftlich« gehalten sein, sondern »allen geistig strebenden Persönlichkeiten« zugute kommen.6 Es ging also nicht mehr nur um die wissenschaftlich-technische Vorbereitung für die akademischen Berufe, sondern um das geistige Leben im allgemeinen. Alle Kurse außer dem ersten in Conflans, der allein für Studierende und Studierte bestimmt gewesen war, richteten sich also auch an gebildete Nichta kademiker, schon um die Akademiker nicht zu sehr zu begünstigen. (So jedenfalls die Darstellung der dort engagierten zeitgenössischen Autoren.) Dies umfaßte zwei Aufgaben: populärwissenschaftliche Fortbildung (im Sinne der Vermittlung von Allgemeinbildung) und »fachliche (…) in den einzelnen geistigen und technischen Berufen«. Für zwei wissenschaftliche Sekretäre solcher Hochschulkurse bedeutete diese Verbindung eine Verwirklichung schon vor dem Krieg angestrebter Reformvorstellungen: die an keinerlei Berechtigung gebundene (sie weder voraussetzende noch vermittelnde) Volkshochschule (Ssymank) oder das Ideal der »Begabten-Hochschule« (Hoeber).7 Aus den Akten der Militärbehörden stellt sich diese Kursänderung anders dar; denn zum einen war schon für das in Aussicht gefaßte Personal nicht mehr 4 Hauptsächlich: Ssymank, Aus der Frühzeit. Zur Rekrutierung aus den süddeutschen Universitäten: Hoeber, Fronthochschulen, S. 17. Zahl der Straßburger: Ficker, Bericht III (1916/17), S. 7. Die beiden Namen nach dem Programm der zweiten Kursreihe (23.– 25.22.1916), bei der parallel die Phil. und die Jur. Fak. tagten, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 707 f. Der dort nicht erwähnte Liszt, der also beim ersten Juristischen Kurs mit gewirkt haben muß, nach Ssymank, Aus der Frühzeit, S. 74. 5 Ssymank, Etappenhochschulwesen im Weltkriege, S. 22. 6 Generalquartiermeister, Großes Hauptquartier, 1.10.1917: ADBR 103 AL 124. 7 Schulze/Ssymank, Das deutsche Studententum, S. 456 f.; Hoeber, Fronthochschulen, S. 16, 18 (Zitate).
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in erster Linie dessen wissenschaftliche Qualifikation ausschlaggebend. Vortragen sollten »entsprechend vorgebildete« Persönlichkeiten der Armee-Oberkommandos und nur da, wo diese nicht vorhanden waren bzw. untereinander ausgetauscht werden konnten, sollten Dozenten aus der Heimat herangezogen werden (wofür der Bund deutscher Gelehrter und Künstler schon seine Bereitschaft erklärt habe).8 Außerdem war die oberste Maxime der Kriegshochschulkurse, den Geist der jungen Soldaten anzuregen, so daß sie aus den Kursen »neue Zielbewußtheit (…) und Entschlossenheit« gewinnen. Und das diente – angesichts der Kriegsmüdigkeit – in erster Linie dem militärischen Interesse.9 Diese Kurse sollten also die notwendige Mobilisierung der moralischen und personellen Ressourcen fördern, und dabei griff man auf die Gelehrten zurück, weil die bisher für den Vaterländischen Unterricht eingesetzten Militärs nicht ausreichend qualifiziert erschienen und ihre Tätigkeit zudem unter dem stark belasteten Verhältnis zwischen Offizieren und Mannschaften litten. Diese beiden »Hauptursachen für die Wirkungslosigkeit des Vaterländischen Unterrichts« sollten die Hochschulkurse nun beseitigen.10 Nur so erklärt sich die Kehrtwende der 3. Obersten Heeresleitung zwischen März und Oktober 1917 und die von ihr verfügte Ausweitung über den Kreis der Studenten und Studierten hinaus. Bei der Durchführung kam es zu gewissen Unstimmigkeiten zwischen Militär- und Zivilbehörden. Der Kriegsminister sah als seinen eigenen Part die Ermittlung des Bedarfs und Weiterleitung an das Kultusministerium sowie die Freistellung der im Militäreinsatz befindlichen Hochschullehrer. Als er dem preußischen Kultusminister aber schrieb, daß die Kosten (für Raummiete, Honorare, Reise- und Verpflegungskosten der Dozenten) von den zivilen Stellen getragen werden sollten, da es ja um eine »Fortbildung für den Zivilberuf« gehe, war der Adressat verstimmt – vermutlich schon deshalb, weil er erst in einem so späten Stadium herangezogen wurde und bis dahin Informationen wohl nur aus der Presse erhalten hatte. Er antwortete erst fünf Monate später (nachdem die beiderseitigen Referenten ihre mündlichen Verhandlungen abgeschlossen hatten, aber die Kursserie des vierten Kriegswinters auch schon beendet war). Die Finanzierung lehnte das Kultusministerium ab, dafür habe es keine Mittel. Zudem sei zur geistigen Versorgung der im Felde stehenden Jugend das Reich verpflichtet. Zur beratenden Mithilfe dagegen wollte der Kultusminister Mitarbeiter freistellen und Professoren beurlauben. Die Brüsseler Hochschulkurse fand er »ganz ausgezeichnet eingerichtet«, andere dagegen »weniger glücklich«, da den Veranstaltungen die notwendige Gemeinsamkeit der Grundidee und des wissenschaftlichen Aufbaus gefehlt habe. Falls sich der Krieg noch länger hin8 Bildungserlaß Ludendorffs (wie A. 6). 9 Barrelmeyer, Krieg, Kultur und Soziologie, S. 176 (Zitat aus: Mitteilungen aus dem besetzten Gebiet des Westens 30, 15.3.1918). 10 Barrelmeyer, Krieg, Kultur und Soziologie, S. 177 f. (Zitat aus der Münchner Diplom arbeit von Horst Nietmann 1978).
980 Studium und Lehre im Krieg ziehe, sollten sich die militärischen Kommandostellen vor der Veranstaltung solcher Kurse im Kultusministerium beraten lassen. Doch scheint es zu einer engeren Zusammenarbeit von Kriegs- und Kultusministerium nicht mehr gekommen zu sein.11 Auch fehlte eine zentrale Koordinierungsstelle für die Aktivitäten an den verschiedenen Fronten.12 Ab Herbst 1917, also im Lauf des letzten Kriegsjahres, wurden zahlreiche Hochschulkurse organisiert: zwei in Prilep (Mazedonien) im September 1917 und März 1918, fünf in Bukarest von September 1917 bis Mai 1918, drei in Wilna im Herbst 1917 und Januar 1918 und anschließend noch einer in Riga, drei in Fourmies in Nordfrankreich (weitere geplante fanden wegen der beginnenden Offensive nicht mehr statt), drei im Winter 1917/18 in Arlon (Arel) in der belgischen Provinz Luxemburg, fünf im wallonischen Tournai (Doornik), vier in Brüssel im März bis Mai 1918. Ebenfalls im März 1918 begannen in Warschau Kurse in drei Abteilungen, im Sommer und Frühherbst 1918 folgten schließlich noch Kurse in Kiev und Char’kov sowie zwei in Minsk.13 Parallel dazu fanden im Winter 1917/18 an der Universität Straßburg zweiwöchige Hochschulkurse für dorthin beurlaubte Soldaten statt. Im folgenden werden zunächst einige Etappenkurse vorgestellt, an denen Dozenten aus Gießen, Straßburg und Berlin beteiligt waren und von denen die vorliegenden Quellen eine gewisse Anschauung gewähren, um dann die Motivation der Dozenten und die Erfahrungen der Studierenden zu erörtern. Danach werden die aus diesem Rahmen herausfallenden Straßburger Kurse und abschließend die »Lehrgänge für Feldgeistliche« analysiert.
Die Kurse in Arlon, Prilep und Bukarest In Arlon nutzten die Kursteilnehmer das Provinzialgebäude nicht nur als Auditorium, sondern auch für den »stimmungsvollen Abschlußkommers (…), für dessen äußeres Gewand die Kgl. Etappenkommandantur in vorbildlicher Weise gesorgt hatte«. Den fehlenden »Universitätshof und Wandelhalle« ersetzte der angrenzende Park, so daß »schüchtern erst, dann aber impulsiv und stark ein Gefühl der Zusammengehörigkeit« erwuchs. Den philologisch-historischen Kurs leitete der Berliner Extraordinarius (und Abteilungsleiter bei den Monumenta Germaniae Historica) Karl Strecker, der auch selbst über Wesen und Entwicklung der lateinischen rhythmischen Dichtung vortrug. Zwar herrschte in 11 Alles nach Wettmann, Heimatfront Universität, S. 160 f., die die Akten des Pr. KuMi ausgewertet hat. 12 Ssymank, Das deutsche Etappenhochschulwesen, S. 267. 13 Zusammengestellt nach Ssymank, Etappenhochschulwesen im Weltkriege. Vgl. auch (weniger vollständig) Gercke, Wissenschaftlicher Unterricht an der Front. Weitere Quellen zu einzelnen Kursen s. in den folgenden A.
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Arlon ein »unakademischer Zwang«, alle Vorlesungen zu hören, doch war dies (dem Bericht eines schon promovierten Leutnants zufolge) »den Hörern bei der meist langen Entwöhnung von geistiger Arbeit ebenso erwünscht wie heilsam«. Beim Abschlußkommers ermahnte Strecker die Hörer, »allem Drängen der Zeit zum Trotz über Brotstudium und Examensfragen nicht den Dienst am Heiligtum der reinen Wissenschaft zu vergessen, getreu der Mahnung Cäsar Flaischlens: ›Unsere Losung sei und bleibe, nie im Alltag aufzugehn!‹«14 Noch befremdlicher als in Belgien müssen die studentischen Aktivitäten in Prilep in Serbisch-Mazedonien15 gewirkt haben, denn hier bildete die größte Moschee den Hörsaal. Ihre Vorhallen wurden sogar zu Schlaf- und Wohnräumen für die Studenten ausgebaut!16 Die Vergnügungen fanden auf dem umfriedeten Vorplatz der Moschee statt, wo Bänke und »einige Fässer deutschen Bieres [bereitstanden]. Durcheinander sitzen Akademiker, Studenten und Professoren, jeder vor seinem Tonkrug und seinem hektographierten Liederbuch. Krüge und Bücher hat die Heeresverwaltung eigens zu diesem Zweck herstellen lassen,« berichtete der damals 69jährige Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff nach seiner Rückkehr. Die Militärbehörden unterstützten also die Wiederbelebung studentischer Bräuche in der Etappe – und hielten sich selbst zugleich rücksichtsvoll fern.17 Bei der Betrachtung von Dias zur Dürer-Vorlesung (in einem Schuppen am Stadtausgang von Prilep, der als Kino eingerichtet war) ließ der Projektor »Dürers Melancholie, (…) seinen Ritter zwischen Tod und Teufel hell erscheinen, und die Jünger der Wissenschaft, die jetzt zugleich Milites christiani sind, schauen mit leuchtenden Augen die Gestalten, in denen sich das Wesen ihres eigenen Lebens verkörpert.«
Ganz gleich, wie man diese Charakterisierung der christlichen Soldaten im Gegensatz zu den muslimisch-türkischen, die gerade vom Balkan weichen mußten, deuten will: als metaphorischen Gebrauch für die Streiter Christi wie in der Antike oder als konkrete Bezeichnung wie bei den mittelalterlichen Rittern – 14 Alles nach: Lt. Dr. [-] Weise, Stimmungsbericht über den III . Hochschulkurs der 5. Armee in Arel vom 23.1.–5.2.[19]18, in: HS 2 (1918/19), S. 125 f. Cäsar Flaischlen war ein zeitgenössischer Schriftsteller und Lyriker. 15 Mazedonien war im Frieden von Bukarest 1913 unter Griechenland, Serbien und Bulgarien aufgeteilt worden. S. auch u. S. 982 über die Kriegsentwicklung. 16 Mazedonien, in: ATZ 34 (1917/18), S. 213. Es handelt sich dabei um den Bericht eines Verbandsbruders, der drei Stunden nach der Ankunft telegraphisch wieder zu seiner Batterie zurückbeordert wurde. 17 Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Vortragskurse in Mazedonien, in: Der Tag 494, 28.9.1917 AA . In seinen Erinnerungen wurden die »Krüge« dann auf ein realistischeres Format zurechtgestutzt: Die Heeresverwaltung hatte »primitive Töpfchen als Seidel gebrannt, Bier beschafft und sogar ein kleines Kommersbuch gedruckt« (WilamowitzMoellendorff, Erinnerungen, S. 275). Alle weiteren Zitate nach dem zeitgenössischen Zeitungsartikel.
982 Studium und Lehre im Krieg auf jeden Fall bewirkt Wilamowitz’ schillernde Anspielung eine religiöse Über höhung des Soldatentums. Die Vorträge waren ihm zufolge so gelegt, »daß jeder nach Belieben alles oder doch so viel er wollte hören konnte.« (Den angekündigten Regularien nach mußte dagegen jeder täglich vier der fünf »nur während der kühlen« Tageszeit angebotenen Vorlesungsstunden hören!18) Die didaktische Schlußfolgerung lag für Wilamowitz auf der Hand: »Da kommt’s auf die Stoffe wenig an: Der Geist war das Entscheidende, und er war überall der Geist der freien, echten Wissenschaft. Immer redete der deutsche Professor, wie er reden soll; wie der einzelne hieß, ist ganz einerlei.«
Einer (ursprünglich an die Vossische Zeitung gerichteten) studentischen Zuschrift zufolge zitierte Wilamowitz, der »Griechische Poesie auf griechischem Boden« angekündigt hatte, Homer nicht nur, sondern trug die »Sage« »in eigener – Dichtung möchte ich sagen« vor. »Das war unsagbar schön.« Manche Dozenten hatten diesem Bericht zufolge ihr Thema zu speziell gewählt und boten dem Nichtfachmann daher weniger, andere hatten die »Grenzen vielleicht zu weit gezogen und mußte[n] deshalb den Kollegen im Geiste leicht enttäuschen. Aber was will das besagen gegenüber dem unermeßlichen Genuß, den wir vom Ganzen hatten (…) Der Ruf unserer Meister, vor allem ihres unbestrittenen Führers Wilamowitz, bürgte dafür, daß wir niemals auf das Niveau von Ferienkursen für Ausländerinnen und andere höhere Töchter hinabsanken.« [!]19
Bei zu speziellen Themen könnte man etwa an die Stereophotogrammetrie des Privatdozenten Fritz Klute denken, andere waren immerhin recht konkret auf die Situation zugeschnitten, etwa das »Wesen der sommerlichen Darmstörungen, speziell in Mazedonien« von Generaloberarzt Prof. Dr. Ludolf Brauer oder »Die Chemie des Stickstoffs, speziell für landwirtschaftliche und Kriegszwecke« des Berliner Physico-Chemikers Walter Nernst. (Der dritte Berliner in Mazedonien war Gustav Roethe, der über »Deutsche Heldensage, Nibelungenlied und neuere Nibelungendichtung« referierte.) Doch sprach hier auch ein Bulgare (Wilamowitz’ Bericht nach der Rückkehr zufolge ein »wohlunterrichteter und sympathischer […] Politiker«, in seinen Erinnerungen wurde er dagegen zum »Gelehrten«). Im Krieg hatten die beteiligten Mächte ja versucht, die erst 1913 erfolgte Teilung Mazedoniens wieder zu ihren Gunsten zu revidieren: Im Oktober 1915 hatte Bulgarien Serbisch-Mazedonien besetzt, im Frühjahr 1916 drang es zusammen mit den Mittelmächten in Griechisch-Mazedonien ein und okku18 Wie A. 16. 19 Feldhochschule in Monastir, in: BB 32/1 (WS 1917/18), S. 10 (aus der Vossischen Zeitung übernommene Zuschrift). Es handelt sich, den erwähnten Namen der Vortragenden nach, um die Kurse von Prilep. Warum sie in der Überschrift nach dem ca. 50 km entfernten Monastir/Bitola verlegt werden, ist unklar.
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pierte den ganzen Osten des Landes. So lernten auch die anwesenden deutschen Professoren etwas über die Geschichte Bulgariens und die Erweckung bulgarischen Nationalgefühls.20 Insgesamt handelte es sich in Prilep im September 1917 um einen Kurs wissenschaftlicher Vorlesungen, der der strengen Fakultäts einteilung aber entbehrte. Eine zweite Reihe folgte, wiederum ohne Fakultätsgliederung, im März 1918, und Zar Ferdinand erhoffte sich davon sogar eine Förderung der deutsch-bulgarischen Kulturgemeinschaft. Anschließend hielten sechs Dozenten, darunter Nernst und der Straßburger katholische Kirchenhistoriker Ehrhard (in diesem Fall vermutlich wegen seiner byzantinistischen Forschungen), auf Einladung des Verbandes bulgarischer Gelehrter, Schrift steller und Künstler, noch Vorträge in Sofia.21 Im Gegensatz zu diesen Kursen waren die fünf Bukarester nach Fächergruppen getrennt, auch wenn sie als Teile eines größeren Ganzen, einer umfassenden Bildungsarbeit geplant wurden. Sie wandten sich in erster Linie an Studierende, doch auch an Akademiker mit abgeschlossener Hochschulbildung, und zwar nicht nur an die Deutschen, sondern auch an die Angehörigen der verbündeten Staaten: Österreicher, Bulgaren, Türken, Schweizer und einen Griechen, zusammen 2747 Hörer. Insgesamt lehrten dort 107 Dozenten, von denen 45 in Bukarest stationiert waren, 22 aus dem übrigen Armeegebiet kamen und 40 aus der Heimat. Darunter waren Professoren aus Wien und Czernowitz, aber auch der Gießener Internist Franz Soetbeer (Extraordinarius) und der Berliner Privat dozent für Chemie Walter Schoeller. Doch standen neben Hochschullehrern auch einige Praktiker und Parlamentarier, etwa Friedrich Naumann.22 Ein Amtsgerichtsrat, der damals als Hauptmann beim Verwaltungsstab der Militärverwaltung in Rumänien diente, berichtete über den ersten Kurs (25. November bis 7. Dezember 1917), daß von den etwa 1000 Teilnehmern ca. 300 junge Studenten gewesen seien, »die anderen als Hörer« teilgenommen hätten (vermutlich Akademiker mit längst abgeschlossener Ausbildung). »Auch etwa 60 weibliche Teilnehmer waren darunter« (vermutlich Krankenschwestern, da die Arbeit als Etappenhelferinnen erst im Frühjahr 1918 begann). Anders als die beiden vorgestellten Kurse fanden die Bukarester in einem akademischen Rah20 Im Programm hieß das: »Dr. Georgieff: Kulturelle und politische Kämpfe Neubulgariens«. Das Programm von insgesamt 14 Vorträgen findet sich in dem in A. 16 angeführten Artikel. Zu Wilamowitz s. A. 17. 21 Ssymank, Etappenhochschulwesen im Weltkriege, S. 43. Von den Vortragsreisenden in Sofia sind bei Ssymank nur die Nachnamen (ohne Fächer!) angegeben. Daß es sich tatsächlich um den Straßburger Theologen handelte, konnte dank der freundlichen Hilfe des UA Bonn geklärt werden (wo Ehrhard später Professor war): Ehrhard an Kurator Strb. 17.5.1918: UA Bonn PA 1682. 22 Ssymank, Etappenhochschulwesen im Weltkriege, S. 32 f.; Auszug aus der Namensliste der Dozenten in: Von den Hochschulkursen in Bukarest, in: BB 32/1 (WS 1917/18), S. 74. Dort ist zwar von »Rainer Soetbeer (Gießen)« die Rede, doch muß das auf einem Irrtum beruhen, da es in Gießen damals nur Franz Soetbeer gab.
984 Studium und Lehre im Krieg men statt: sie wurden im Universitätsgebäude nicht nur eröffnet, sondern auch abgehalten. Das Beiprogramm war stattlich: Es umfaßte nicht nur eine Stadtführung, sondern auch einen Ausflug in die Ölfelder bei Campina, der veranschaulichte, »wo und wie das Öl, Benzin und Petroleum für unsere U-Boote, Autos und Lokomotiven gewonnen wird«; an manchen Tagen waren für die Kursteilnehmer Freiplätze in Theatern und Konzerten reserviert. Als ständiger Aufenthaltsort diente das Haus des Vereins der Reichsdeutschen, wo nach der Eröffnungsfeier und am letzten Abend auch gemütliche Zusammenkünfte von Dozenten und Hörern stattfanden sowie in der Kursmitte ein allgemeiner Kommers, für den »reichlich und gutes Bier zur Verfügung gestellt war«. Generalfeldmarschall von Mackensen war sowohl bei einem Einzelvortrag am ersten Kurstag als auch beim Kommers anwesend. Zu dessen Abschluß gedachte er »seiner eigenen ehemaligen Hallenser Studienzeit, aus der heraus er 1870 ins Feld zog. Er erinnerte sodann an einen Kommers, den 1813 vor der Schlacht bei Leipzig Offiziere und Studenten der Blücherschen Armee in Halle abgehalten haben, und wies darauf hin, daß der gegenwärtige Kommers insofern noch bedeutungsvoller sei, als er in der Hauptstadt eines eroberten Landes abgehalten würde. Er erinnerte dann weiter daran, daß einst der General von Yorck 1813 beim Vorbeimarsch der märkischen Freiwilligen seine Mütze abgenommen habe, und führte aus, daß auch er in Gedanken oft vor unseren jungen Soldaten seine Mütze abgenommen habe, wenn er gesehen und gehört hätte, wie die kaum der Schule entwachsenen Jünglinge sich vor dem Feind geschlagen hätten. Wenn auch Moltke, Schlieffen usw. den Führern die Waffen geschliffen hätten, zu siegen, das Material dazu hätte doch unser Volk in Waffen gestellt.«23
So bestätigte die militärische Leitung die Selbstdarstellung der militärischen Tradition deutscher Studenten.
Die Funktion der Kurse An dieser Ansprache, wie auch schon an dem in Arlon erlebten Zusammengehörigkeitsgefühl oder an Wilamowitz’ Bemerkungen über die milites Christiani wird deutlich, daß die Aufrechterhaltung der Studierfähigkeit der Teilnehmer und damit ihre Vorbereitung auf die spätere Berufstätigkeit zwar den Anlaß gaben und ein Ziel der Kurse darstellten, daß diese aber zugleich weitere Funktionen erfüllten. Offenkundig ging es auch darum, nach langen Kriegsjahren angesichts der inzwischen eingetretenen Kriegsmüdigkeit die Kampf23 Amtsgerichtsrat [-] von Hirschfeld, Hochschulkurse in Bukarest, in: DK 34 (1917/18), S. 401 f., Referat von Mackensens Ansprache S. 402. Ergänzend: Von den Hochschul kursen in Bukarest (wie A. 22) (Besuch des ersten Vortrags).
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motivation aufrechtzuerhalten. Im März 1918 hieß es in der Kriegszeitung der VII. Armee: »(…) jeder Soldat fühlt, wofür er kämpft; nach einem solchen Kursus weiß er es auch«.24 Vermittelt werden sollten dort also auch die Werte, die in diesem Krieg verteidigt würden. Der Breslauer Philosoph Eugen Kühnemann sah eine der Aufgaben darin, den Nichtakademikern zu zeigen, daß die deutschen Soldaten ihre ganze Kraft dafür einsetzen müßten, »daß der deutsche Geist auf Erden bleibe und siege«.25 Damit knüpfte Kühnemann (der 396 Vorträge in den USA gehalten hatte, um die Öffentlichkeit zugunsten der Deutschen zu beeinflussen!) direkt an die Vorstellungen vom Beginn des Krieges an, daß dieser notwendig sei, um die deutsche Kultur zu schützen und zu bewahren. Der zitierte Amtsgerichtsrat schloß seinen Artikel mit Überlegungen, die sich in verschiedenen Varianten auch in anderen zeitgenössischen Darstellungen finden: »Welches Volk wird uns das je nachmachen! Im vierten Jahre eines Krieges, in dem fast die ganze Welt gegen uns aufgestanden ist, um uns zu zerschmettern, finden wir in einem eroberten Land dicht hinter der Front noch Zeit und Kräfte, für die geistige Weiterbildung unserer unter den Waffen stehenden akademischen Jugend zu sorgen«!26
Für zeitgenössische Beobachter belegten also die Kurse selbst die Einzigartigkeit und Höhe dieser Kultur. Nach der Auseinandersetzung mit den Vorwürfen des Militarismus von seiten der Gegner zu Beginn des Krieges dienten sie Ssymank nun als Beleg dafür, »daß der im Auslande vielgescholtene preußisch-deutsche Militarismus die wissenschaftliche Bildung nicht hemme oder gar ertöte, vielmehr im Bunde mit ihr vorwärtsschreite – zum Heil unseres ganzen deutschen Volkes.«27 Noch stärker spitzte Wilamowitz den Gedanken zu: »Nirgends wäre so etwas denkbar als unter der Herrschaft des deutschen Militarismus; es ist so recht eine Erscheinung, an der man erkennt, welcher Geist ihn beseelt.«28 Eduard Meyer schließlich überschrieb seinen Bericht über den geisteswissenschaftlichen Kurs in Tournai einfach mit »Vom deutschen Militarismus«.29 Wilamowitz’ Artikel, der die Erfahrungen der angereisten Dozenten und der in Mazedonien stationierten Studenten-Soldaten geradezu als Idylle dar24 Zit. bei Wettmann, Heimatfront Universität, S. 160. 25 Aus seinem Artikel in der Vossischen Zeitung zit. bei Wettmann, Heimatfront Univer sität, S. 158. 26 Hirschfeld, Hochschulkurse in Bukarest (wie A. 23), S. 402. Zu Kühnemann (dessen Vortragsmarathon in einen Zusammenbruch und Sanatoriumsaufenthalt mündete) s. Sieg, Forcierte Nationalisierung, S. 191, 193. 27 Ssymank, in: Der Tag 21.7.1918, zit. nach Wettmann, Heimatfront Universität, S. 158. 28 Wilamowitz-Moellendorff, Vortragskurse in Mazedonien (wie A. 17). 29 [Eduard Meyer] Vom deutschen Militarismus, in: Süddeutsche Monatshefte 15/2 (1918), S. 428–430.
986 Studium und Lehre im Krieg stellte, schilderte sowohl die Wissenschaftsliebe der Soldaten (mit ihren »leuchtenden Augen«) als auch ihren Kampfgeist; denn er konnte »diese hochgewachsenen schönen Jünglinge« beobachten, wie sie einem Dorf zu Hilfe eilten, das schwarze französische Soldaten in Brand gesetzt hatten: »In allen kein anderer Gedanke als die Freude, aus den Ruhequartieren aufgescheucht zu sein, um endlich einmal wieder an den Feind zu kommen.« Wilamowitz brachte also einen »erhebenden Eindruck« nach Hause: »Derselbe Geist der Frische, der Kraft, der selbstsicheren Männlichkeit.« Damit illustrierte er, was Delbrück 1913 den »Zusammenklang ›Waffen und Wissenschaft‹« genannt hatte.30 Aber er knüpfte auch an seine eigene Gleichsetzung von Heer und Volk in der Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches an (die auch Meyer in seinem Text wieder aufnahm31) – und ging mit der Schlußfolgerung doch weiter als zuvor: »Unser Heer ist unser Volk. Was unser Heer und seine Führer wollen, das ist der wahre Wille unseres Volkes.«32 Die entscheidende Rolle hatte hier nicht mehr das Volk – vielmehr wurden die Beschlüsse der militärischen Führung dadurch gerechtfertigt, daß sie mit dem Willen des Volkes gleichgesetzt wurden. Zumindest für manche Dozenten diente ihre Mitwirkung an diesen Hochschulkursen also auch zur Bestätigung ihrer früheren Auffassung vom Weltkrieg als Kulturkrieg und damit letztlich zur Selbstbestätigung. Das Zusammenspiel von Wissenschaft und Militär bildete aber auch ganz praktisch die Grundlage dieser Kurse; denn sie wurden als Belohnung für »hervorragende Frontleistungen« gewährt – diese also zum maßgeblichen Kriterium für die Auswahl der Kursteilnehmer gemacht.33 In militärischer Hinsicht stellten die Kurse – oder zumindest die Etappenuniversität Conflans – ebenfalls eine Ausnahmeerscheinung dar; denn dort leiteten »Felddekane« die einzelnen Fakultäten, die (im Gegensatz zu militärischen Einrichtungen!) das Recht weitestgehender Selbstverwaltung genossen.34 Allerdings war dies vermutlich eine sehr kurzfristige Erscheinung; denn in den Beschreibungen der späteren Kurse fehlt nicht nur der Begriff des Dekans. Vielmehr waren durch die Zusammenfassung von Fächergruppen (die einerseits kleiner waren als die traditionellen Fakultäten, andererseits aber die Fakultätsgrenzen auch überschreiten konnten) ja auch die organisatorischen Grundlagen verändert. Für die Kurse in Warschau im Frühjahr 1918 z. B. war dem Berliner Botaniker Gottlieb Haberlandt die Organisation der naturwissenschaftlichen Vorträge übertragen, und er zog 30 Delbrück, Geist und Masse, Zitat S. 22. Genauer s. o. S. 269. 31 »In ihnen [den Hochschulkursen] offenbart sich der wahre Geist des deutschen Militarismus, und er ist kein anderer als der Geist des deutschen Volkes und der deutschen Kultur« ([Meyer], Vom deutschen Militarismus, S. 430). 32 Wilamowitz-Moellendorff, Vortragskurse in Mazedonien (wie A. 17). 33 Zitat aus der Frontzeitung der VII . Armee und dessen Interpretation bei Wettmann, Heimatfront Universität, S. 160. 34 Ssymank, Das deutsche Etappenhochschulwesen, S. 267.
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dafür nicht nur Berliner Kollegen, sondern auch Referenten aus anderen Universitäten heran: den Physiologen Max Rubner (Unterzeichner des Aufrufs an die Kulturwelt), den Physiker Heinrich Rubens, den Botaniker Carl Correns (Direktor des KWI für Biologie), sämtlich Berlin, den Zoologen Valentin Haecker (Halle), den Botaniker Hans Winkler (Tübingen).35 Insofern scheint es immer noch eine vom Militär relativ unabhängige Auswahl der Dozenten gegeben zu haben, während für ein gremienartiges Agieren ohne die sonstigen Fakultätsaufgaben wie Lehrplanung, Organisation der Prüfungen, Berufungs wesen, ganz abgesehen von der Kürze der Zeit, kein Anlaß vorlag. Einen Zusammenklang, ja eine Verschmelzung von Wissenschaft und Militärischem findet man sogar noch in der Bilanz der Warschauer Kurse, denen Ssymank zehn Jahre später den »Charakter einer großen wissenschaftlichen Heerschau [!] [zuschrieb], die darauf berechnet war, im slavischen Auslande Eindruck zu machen«. Dem deutschen Generalgouverneur Hans von Beseler zufolge sollten sie »Achtung vor deutschem Können, deutschem Fleiß und Streben in Polen (…) mehren und Vorkämpfer für unsere spätere Friedensarbeit (…) schaffen.36 Ähnliches erwartete man von den »großen, glanzvollen Paraden [!] deutscher Wissenschaft, zu denen man die Kriegshochschulkurse in Prilep (…), in Tournai, in Bukarest, in Brüssel (…) ausgestaltet hat«. Sie sollten »dazu dienen, die Bedeutung und den Ruhm des deutschen Geisteslebens im Ausland zu vergrößern und zu erhalten und damit den deutschen Einfluß zu stärken.«37 Glaubt man Wilamowitz, so taten die Deutschen viel für Mazedonien: »Als Herren des Landes gebieten die Bulgaren, und wir erkennen das natürlich an. Demnach kann unser Heer nicht schalten wie in erobertem Lande. Und doch bringt es ihm die Kultur: der Krieg wirkt hier als Träger des wirtschaftlichen Fortschritts. Wir bauen Straßen, die ersten, seit Rom für sein Heer, ohne jeden Gedanken an die Sorge für die Eingeborenen, die große Straße von Durazzo nach Saloniki anlegte.«
Auch in dieser Beziehung war der Krieg für Wilamowitz also ein Kulturkrieg. Und an dieser Sicht hielt er auch in der Rückschau fest.38 Bestätigt wurden das Kultur- und Zivilisationsgefälle und die Rolle Deutschlands als Kulturträger bzw. Lehrer, trotz häufiger Differenzierungen in dem Text, auch in dem ausführlichen Mazedonien-Buch, das der Freiburger Zoologe Franz Doflein als 35 Haberlandt, Erinnerungen, S. 215. 36 Ssymank, Etappenhochschulwesen im Weltkriege, S. 43 (Zitat Ssymank und Zitat v. Beseler). 37 Ssymank, Straßburger Kriegshochschulkurse, S. 66; ähnlich Paul Ssymank, Eine Vorläuferin der humanistischen Fakultät, in: Die Studentenschaft. Wochenschrift für akademisches Leben und studentische Arbeit 5 (1921/22), Nr. 2, S. 5–6, hier 5. 38 Zitat: Wilamowitz-Moellendorff, Vortragskurse in Mazedonien (wie A. 17). Rückschau: »(…) es ist ohne Zweifel ein gutes Gedächtnis, in dem wir stehen werden.« (WilamowitzMoellendorff, Erinnerungen, S. 276).
988 Studium und Lehre im Krieg Ergebnis seines neunmonatigen Forschungsaufenthalts »im Gefolge des deutschen Heeres« 1921 veröffentlichte; denn das Preußische Kultusministerium hatte nach der Besetzung Serbisch-Mazedoniens (mit handfesten militärischen und ökonomischen Interessen im Blick) eine große Expedition auf den Weg gebracht, die das Land erkunden und möglichst genau beschreiben sollte, die Makedonische Landeskommission (Malako). (Ihre Arbeiten wurden aber auch von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und vom Badischen Kultus ministerium finanziell unterstützt.)39 Bei den Lehrenden, aber auch bei einem Organisator der Kurse wie dem Kunsthistoriker Fritz Hoeber, stand die Wissenschaft selbst ganz im Vordergrund, also nicht das eher praktische Ziel der Erhaltung der Studierfähigkeit oder gar der Kompensation des Zeitverlusts auf dem Weg in den Beruf (die für ihre Hörer mindestens ebenso wichtig waren). Als wissenschaftlicher Sekretär der Kurse in Tournai betonte Hoeber, daß es um eine universale Problemstellung gehe, nicht um die Fülle materieller Details. Das Angebot der »Front hochschulen« charakterisierte er folgendermaßen: »1. die eigentümliche Problematik der Wissenschaft als logische Einführung, 2. der Stand der Wissenschaft als Überblick über ihr Tatsachenmaterial, 3. die neuesten wissenschaftlichen Errungenschaften als Hinweis auf künftige Ent wicklungsmöglichkeiten«.40
Wilamowitz bestätigte nicht nur den wissenschaftlichen Geist der Kollegen, selbst nach zweijährigem Dienst an der Front, sondern schrieb über die Studenten: »Satt trinken soll sich ihre Seele wieder einmal an dem Lebenswasser der Wissenschaft«. Damit war letzterer nicht nur die traditionelle Priorität vor der Berufsausbildung gesichert, sondern sie wurde auch überhöht: Sie bot »Lebenswasser« – zum Weiterleben, zum Überleben oder, im Angesicht des Fronttods, evtl. zum ewigen Leben? Franz Eulenburg, der Leipziger Extraordinarius für Nationalökonomie, der heutzutage vor allem durch seine Studien über den »wissenschaftlichen Nachwuchs« (also die Probleme der stellungslosen Habi litierten) bekannt ist, schilderte seine Erfahrung folgendermaßen: »Man empfand das Eigenartige der Veranstaltung, das Erhebende des Augenblickes: Wissenschaft der Heimat gegen die Abstumpfung des Stellungskrieges, Geist gegen den Kampf mit der Materie. Probleme der Wissenschaft behandelt man, während we39 Franz Doflein, Mazedonien. Erlebnisse und Beobachtungen eines Naturforschers im Gefolge des deutschen Heeres, Jena 1921, S. VI (zu Baden und Bayern). Zur Malako allgemein: Stefan Troebst, »Macedonia heroica«. Zum Makedonierbild in der Weimarer Republik, in: S. T., Das makedonische Jahrhundert. Von den Anfängen der nationalrevolutionären Bewegung bis zum Abkommen von Ohrid 1893–2001, München 2007, S. 111–173, hier 121 f. 40 Hoeber, Fronthochschulen, S. 21.
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nige Kilometer davon der Feind steht, dem Worte des Lehrers folgt man, während der Geschützdonner zu den Hörern herüberdringt.«41
Sowohl die Ausrichtung auf die Wissenschaft als auch die psychisch-moralische Wirkung stellte Eulenburg also deutlich heraus. Das Erhebende nahm ein Jahr später der Warschauer Generalgouverneur von Beseler auf. Im Vorwort zu einer Sammlung auf seine Veranlassung 1916/17 gehaltener wissenschaftlicher Vorträge schrieb der selbst promovierte Generaloberst, daß sie »den in schwerem und oft eintönigem Dienst Ermüdenden [deutschen Heeresangehörigen] geistige Anregung und Erfrischung (…) gewähren« sollten. Den Lesern in der Heimat aber sollten sie zeigen, »daß auch im Kriegsleben die deutsche Sehnsucht nach den lichten Höhen geistigen Lebens nicht erstirbt«.42 Und Hoeber hätte es »eine offenbare Versündigung gegenüber unserem hochbegabten deutschen Volk« gefunden, diese »niemals wiederkehrende Gelegenheit zu wissenschaftlicher Fortbildung breitester Massen, wie sie gerade die Fronthochschulen pflegen wollen, ungenutzt vorübergehen zu lassen«. Zwar wird mit letzterem die Funktion als Volkshochschule in den Blick gerückt; andererseits schlagen aber sowohl Beselers als auch Hoebers Äußerung den Bogen zurück zur deutschen Besonderheit, zum Kulturkrieg und der daraus abgeleiteten Kampfmotivation. Zugleich bildete die Betonung des Deutschen die Brücke zur Erwartung der Militärs, für die diese Hochschulkurse eine Vertiefung des »Vaterländischen Unterrichts« bedeuteten.43 Umgekehrt konnten manche Professoren ihre Erfahrungen in den verschiedenen Etappen- und besetzten Gebieten wiederum in Kriegspublizistik umsetzen und »der Heimat ein ganz anderes Bild des Lebens und Treibens unserer Truppen (…) dar(‥)bieten, als es gemeinhin umgeht«.44 Mit diesem Informations- und Erfahrungsvorsprung untermauerten sie erneut ihre eigene Deutungskompetenz.
41 Franz Eulenburg, in: Vossische Zeitung 9.1.1917, zit. (ohne Quellenangabe) bei Ssymank, Etappenhochschulwesen im Weltkriege, S. 52; auszugsweise (mit Quellenangabe) auch bei Wettmann, Heimatfront Universität, S. 157. 42 Wissenschaftliche Vorträge gehalten auf Veranlassung (…) des Herrn Generalgouverneurs Generalobersten v. Beseler in Warschau in den Kriegsjahren 1916/17, Berlin 1918, S. III . Sein Doktortitel im Vorwort des Organisators und Herausgebers der Vorträge, Wilhelm Paszkowski (S. V). 43 Wettmann, Heimatfront Universität, S. 159. 44 [-] Kittel, Der erste Hochschulkurs in der Ukraine, in: Tägliche Rundschau 23.9.1918, zit. bei Wettmann, Heimatfront Universität, S. 157. S. etwa die oben angeführten Zitate aus den Zeitungsveröffentlichungen von Wilamowitz und Kühnemann, aber auch Eulenburg.
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Die Motivation der Dozenten Manchen Professoren bot die Beteiligung an den Hochschulkursen oder der großangelegten wissenschaftlichen Erkundung einer bisherigen terra incognita auch die Gelegenheit zu eigenen wissenschaftlichen Studien und sich daraus ergebenden Veröffentlichungen. Doflein, der sein Standquartier am Sitz des Oberkommandos der Heeresgruppe in Üsküb (Skopje) im Labor eines ehemaligen bulgarischen Schülers nehmen konnte und sich dort auch mit weiteren bulgarischen Wissenschaftlern anfreundete, legte 1920 eine kleine Schrift über ein Spezialthema aus seinem engeren Fachgebiet vor und im folgenden Jahr, gerade weil die Auswertung des im Rahmen der Makedonischen Landeskommission Gesammelten viele Jahre beanspruchen würde, einen opulent mit Zeichnungen und sogar eigenen Aquarellen ausgestatteten Band, in welchem Landesbeschreibung im Stil eines aufmerksamen Reisenden mit Kapiteln aus der Zoologie abwechselten; denn Doflein wollte die »Buntheit der Landschaften, die Bewegtheit der Vorgänge« beschreiben, solange sie »ungealtert« in seinem Bewußtsein hafteten.45 Der Heidelberger Nationalökonom Eberhard Gothein beteiligte sich im Januar 1918 an den Hochschulkursen in Straßburg, danach an den Etappenkursen in Arlon und später in Bukarest.46 Überall nutzte er, wie seine Briefe belegen, die Gelegenheit zu ausführlichen Fachgesprächen und Erkundungen vor Ort. Doch vor allem bei der letzten Reise, die ihn über Budapest nach Bukarest und von dort schließlich nach Wien führte, waren die Vorträge (seiner Frau zufolge) »nur ein Mittel, um den Stand der Volkswirtschaft in den verschiedenen Ländern zu studieren«.47 Neben den hehren (patriotischen und wissenschaftlichen) Motiven lassen die Erfahrungen der Professoren allerdings auch willkommene Begleiterscheinungen dieses Einsatzes für die Wissenschaft und die Gesinnungsbildung erkennen. Zum einen lernten sie so, besonders auf dem Balkan, ihnen unbekannte Länder und Gegenden kennen. Der Germanist Roethe etwa schrieb einem Freund nach der Rückkehr aus Prilep: »Das Durcheinander der verschiedenen Völker, von denen uns sowohl die Türken wie die Bulgaren in Prilep die Honneurs ihrer Art erwiesen, die herrliche Landschaft, die 45 Doflein, Mazedonien, S. V (Zitat), 256 f. (zum Standquartier). Die Schrift von 1920 galt den mazedonischen Ameisen. 46 Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 892; Gothein, Gothein, S. 276–281. Die neue Biographie Gotheins behandelt diese Aktivitäten, abgesehen von dem ausführlich referierten Straßburger Vortrag, leider nicht eingehender (Summarische Bemerkung: Maurer, Gothein, S. 282; Straßburger Vortrag 299–302). 47 Gothein, Gothein, S. 281 (Zitat); Briefe in: Maurer/Sänger/Ulrich (Hg.), Im Schaffen genießen, S. 474–484.
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am Ochrida-See an Italien gemahnt, auf den Berghöhen der Babuna-Plana und des Goldenen Apfels ganz alpenhaft wirkt, die bunte Pracht orientalischer Farben (…) Das Ganze war ausgezeichnet arrangiert, man war sehr freundlich und dankbar und auch mit Autos bis an die Grenze des Zulässigen freigebig, so dass wir viel zu sehen bekommen haben.«48
Aber auch Tournai mit seiner »Kathedrale, dem Belfried, den romanischen Häusern und vielen anderen Baudenkmälern« verhalf als Stadt wie durch das Zusammensein mit Studenten und Kollegen manchen zu »zehn oder vierzehn schönen Tagen«.49 Bei Gothein gingen, zumindest auf der Reise nach Südosten, »geistige Anspannung«, »das sofortige Verarbeiten, beständige Neuaufnehmen, damit alles zum Gesamtbild sich schließe« und »das ausgezeichnete Leben« Hand in Hand. Sein »gute[r] Appetit bei den Diners« war angesichts der Ernährungslage in Deutschland (und seinen eigenen Hungererfahrungen schon seit Ende 1916) auch nicht verwunderlich.50 Und das galt keineswegs nur für ihn und seine ausführlich beschriebenen Reisestationen Budapest und Wien, sondern auch für die Etappenkurse selbst und generell. Meinecke etwa schrieb seiner Frau im Dezember 1917 aus Tournai über die »Offiziersverpflegungsanstalt, wo man ausgezeichnet ernährt wird«, und Wilamowitz berichtete dasselbe aus Prilep. Noch »köstlicher und bekömmlicher als die doch so gute und reichliche deutsche Kost, die wir an den Offizierstafeln fanden«, waren allerdings die Landesgerichte, die die deutschen Professoren etwa bei einem Fest bekamen, das die Stadtverwaltung für sie gab.51 Dagegen ging es in Warschau, zumindest bei der Einladung zum Generalgouverneur, »spartanisch einfach zu, nur der Kaffee und die trefflichen Zigarren ließen nichts zu wünschen übrig.« Doch dafür entschädigten sich die Berliner Haberlandt und Rubner dann bei einem Ausflug in die örtlichen Konditoreien. Anschließend »[drangen sie] bis ins Ghetto (…) vor und erstanden hier zu sehr mäßigen Preisen allerlei schmackhafte und nützliche Sachen für den heimischen Haushalt.« Auch von den Militärbehörden wurden sie mit solchen Geschenken bedacht: »Zum Abschied wurde jedem von uns ein kleiner Schinken nebst einigen anderen guten Dingen überreicht, und so wurden wir von unseren Frauen nach der Heimkehr doppelt freudig 48 Gustav Roethe an Edward Schröder 27.9.1917: NSUB Göttingen Cod. Ms. E. Schröder 871 Nr. 4712, fol. 1. 49 Küster, Erinnerungen eines Botanikers, S. 178. 50 »Du würdest über meinen guten Appetit bei den Diners etwas entsetzt sein. Aber eine solche Kur würde Dir bei Deiner Unterernährung auch sehr gut bekommen«, schrieb er am 7.3.1918 aus Budapest an seine Frau (Maurer/Sänger/Ulrich [Hg.], Im Schaffen genießen, S. 482). Am 12.12.1916 schrieb er an seinen Bruder: »Wir leiden hier positiv Hunger.« (Es folgt eine genaue Aufzählung der faktischen Wochenration.) Maurer, Gothein, S. 281 (mit weiterem Zitat aus dem Sommer 1918). 51 Meinecke, Ausgewählter Briefwechsel, S. 93; Wilamowitz-Moellendorff, Vortragskurse in Mazedonien (wie A. 17). Als weiteren Beleg s. u. A. 108.
992 Studium und Lehre im Krieg empfangen.«52 Schließlich war für diese Tätigkeit auch ein besonderes Honorar vorgesehen,53 das in Zeiten spärlicher Hörgelder wegen der Abwesenheit der meisten Studenten und gleichzeitiger Inflation gewiß eine willkommene Ergänzung des gesunkenen Einkommens bildete (auch wenn die Professoren selbst ihr Engagement gern als »Ehrenpflicht« darstellten54). Doch sollte man auch die Strapazen einer solchen Reise nicht vergessen, besonders für einige Endsechziger (wie Wilamowitz) oder gar den 72jährigen Rudolf Eucken. Neben solchen für alle geltenden Annehmlichkeiten boten diese Einsätze den Einzelnen auch Gelegenheit, ganz persönliche Bedürfnisse zu befriedigen. Gothein etwa nutzte die Kurse in Straßburg und Arlon 1918, das Grab seines 1914 gefallenen Sohnes zu suchen.55 Für Gustav Roethe, der wegen der Vakanz in der Neueren Deutschen Philologie ab 1913/14 gezwungen worden war, pro Semester eine Vorlesung für Frauen zu öffnen, war es »eine wahre Wohltat einmal wieder zu Männern zu sprechen«.56
Die Gestaltung der Kurse Die Vorlesungswochen in der Etappe wurden nicht für den Studiengang angerechnet, und es konnte sich dabei auch nicht um eine gezielte Vorbereitung auf das Examen handeln. Vielmehr dienten sie dazu, »sich in seinen geistigen, wissenschaftlichen, technischen Beruf wieder nach langer Kriegsunterbrechung einzuleben und sich mit dessen grundlegenden Problemen aufs neue vertraut zu machen. Was er [der Student] hier lernt, kommt, ohne jede prak tische Nebenabsicht, lediglich seiner ganz persönlichen Höherbildung zugute!«57
Betrachtet man allerdings das Programm einer Fachgruppe, etwa der Geisteswissenschaften vom 3.–16. Dezember 1917 in Tournai, stellt sich die Frage, ob die postulierte Grundlinie universaler Problemstellung nicht doch durch eine Fülle von Details zugeschüttet wurde. Angeboten wurden insgesamt 168 Stunden in 15 Fächern, davon 27 in Philosophie, 27 in »Deutscher Sprache und 52 Haberlandt, Erinnerungen, S. 215. 53 S. das Schreiben des Kriegsmin. an das Pr. KuMi o. S. 979 f. Ob es, da das KuMi die Finanzierung ablehnte, wirklich dazu kam, ist unklar. 54 Der Breslauer Kühnemann wird zit. bei Wettmann, Heimatfront Universität, S. 157. 55 Gothein, Gothein, S. 259. S. die Beschreibung der langwierigen, aber vergeblichen, sowohl von der deutschen Armee als auch dem örtlichen Pfarrer unterstützten Suche, in: Maurer/Sänger/Ulrich (Hg.), Im Schaffen genießen, S. 476 f. (Brief an seine Frau vom 30.1.1918). 56 Gustav Roethe an Edward Schröder, 27.9.1917, in: Dorothea Ruprecht/Karl Stackmann (Hg.), Regesten zum Briefwechsel zwischen Gustav Roethe und Edward Schröder. Zweiter Teilband, Göttingen 2000, S. 774. Zu Roethes Haltung zu den Studentinnen s. o. S. 62. 57 Hoeber, Fronthochschulen, S. 21.
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Literatur« (de facto nur Literatur- und Geistesgeschichte, keine Sprachwissenschaft), 24 in Geschichte des Mittelalters und der Neueren Zeit, 9 in Alter Geschichte, 10 in Archäologie, 12 in »Romanischen Sprachen« (nur Literatur und Geistesgeschichte), 7 zur »Englischen Sprache« (Literatur, Landeskunde, Sprachwissenschaft), 6 zur »Erdkunde« (!!) etc. Üblicherweise umfaßte eine Vorlesung vier Stunden, doch reichte das Spektrum von einer bis zu acht. Nur eine Stunde bot etwa ein Museumsdirektor über »Das Tierleben der Tiefsee« an, acht benötigten z. B. der katholische Kirchenhistoriker Albert Ehrhard für »Die geistige Kultur des Mittelalters unter besonderer Berücksichtigung der thomistischen Philosophie« oder der Bonner Staatsrechtler Philipp Zorn für seine unter »Geschichte« eingeordnete Vorlesung »Der deutsche Staatsgedanke und der Weltkrieg«.58 So wird jeder Teilnehmer, wie immer er auswählte und kombinierte, eine Fülle unterschiedlicher Themen gehört haben. Daß die zahlreichen Dozenten dies vorher irgendwie untereinander abgestimmt haben könnten, erscheint angesichts des Fächerspektrums und der Vielzahl von Herkunftsorten ausgeschlossen.59 Manche der Berliner Beteiligten agierten ja schon innerhalb ihrer eigenen Fakultät gegeneinander, wie am gescheiterten Habilitationsverfahren Gustav Mayers abzulesen ist: Der Neuzeithistoriker Meinecke trat als Gutachter für ihn ein, der Althistoriker Eduard Meyer führte mit Dietrich Schäfer zusammen »die Ablehnungsfront an«.60 Außer diesen beiden kamen aus der Berliner Philosophischen Fakultät noch der Psychologe Max Dessoir, der Theologe (und Religionsphilosoph) Ernst Troeltsch, der Romanist Heinrich Morf, der Germanist Gustav Roethe und der Musikwissenschaftler Max Friedländer; aus Straßburg neben Albert Ehrhard der Philosoph Georg Simmel (6 Stunden über »Philosophische Weltanschauungen«, 2 Stunden über »Probleme 58 Das genaue Programm findet man in Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 865–867. Vgl. auch [Meyer,] Vom deutschen Militarismus, S. 429: »Der ganze Tag von morgens 9 bis abends 7 Uhr war, abgesehen von der Mittagspause, vollbesetzt, sehr oft sogar doppelt. Die meisten Vorlesungen umfaßten 4 Stunden und suchten entweder einen umfassenden, die Hauptmomente hervorhebenden und die Gedanken aufs neue anregenden Überblick über ein großes Gebiet zu geben oder aber einen begrenzten Stoff von allgemeiner Bedeutung eingehend zu behandeln«. 59 In dem Geisteswissenschaftlichen Kurs lehrten 32 Dozenten (unter denen zwei keine eigentlichen Hochschuldozenten waren: ein Düsseldorfer Museumsdirektor und der wissenschaftliche Sekretär und Kunsthistoriker Hoeber, der Vorträge über Tournai und über die Stellung der Baukunst in der Kultur der Gegenwart hielt sowie Führungen durch die Altstadt veranstaltete). Sie kamen aus 14 Orten (bzw., wenn man die beiden Genannten nicht berücksichtigt, aus 12 Hochschulen). Entsprechend wäre Cornelißens Angabe »21 Hochschullehrer von 9 Hochschulen« zu korrigieren (Christoph Cornelißen, Politische Historiker und deutsche Kultur. Die Schriften und Reden von Georg v. Below, Hermann Oncken und Gerhard Ritter im Ersten Weltkrieg, in: Mommsen (Hg.), Kultur, S. 119–142, hier 125 A. 27). [Meyer], Vom deutschen Militarismus, S. 429 spricht von 25 Dozenten aus neun Hochschulen. 60 Niedhart, Mayer versus Meyer, Zitat S. 329. S. genauer o. S. 635–637.
994 Studium und Lehre im Krieg der gegenwärtigen Kultur« und 1 Stunde über »Goethes Liebe«61), der Mediävist Harry Bresslau (4 Stunden »Einführung in die historische Quellenkritik mit besonderer Berücksichtigung des Mittelalters«) und der Neuzeithistoriker Martin Spahn (3 Stunden »Grundfragen der Großmachtpolitik« und 1 Stunde über »Die Bedeutung der Presse als Geschichtsquelle«). Ein Gießener Dozent war in Tournai nicht vertreten. Die Veranstaltungstypen umfaßten – wie an den Heimatuniversitäten – Vorlesung und Übung, letztere gab es aber nur vereinzelt. So boten in Tournai nur der Romanist und Anglist, einer der Germanisten und von den Historikern Bresslau und Meinecke eine (jeweils zweistündige) Übung an. Für seine eigene über Rankes »Große Mächte« hatte Meinecke genügend Exemplare der Insel-Ausgabe besorgt, so daß er jedem Teilnehmer ein Exemplar aushändigen konnte.62 Didaktisch sollte der – an den »deutschen Friedenshochschulen« längst übliche – Grundsatz befolgt werden, »den sich aus dem Ort und der Landschaft gleichsam von selbst ergebenden Lehrstoff, die in idealen Zuständen und realen Einrichtungen sich darbietenden Lehr- und Lernmöglichkeiten so vollständig wie nur möglich auszunutzen.«63 Mit den Kursen waren also immer Führungen zu künstlerischen, historischen, aber auch industriell bedeutsamen Stätten verbunden.64 Manchem Historiker unter den Dozenten wie auch unter den Teilnehmern diente auch die jeweilige Stadt selbst schon als Anschauungs material für sein Fach. »Das gab einen merkwürdigen Akkord historischer Erinnerungen, wenn man auf der Scheldebrücke [in Tournai] stand oder auf dem Marktplatz zu dem gewaltigen Belfried hinaufsah. Alter Merowingerboden, spätmittelalterliche Stadtherrlichkeit (…)«, heißt es in Meineckes Erinnerungen.65 Allerdings wurden die Beobachtungen gelegentlich auch von aktueller Parteinahme und Gegnerschaft gefärbt, etwa, wenn ein promovierter Leutnant vom belgischen Arel (Aarlen/Arlon) mit seinem »leider immer mehr der Ver welschung verfallenen Volkstum« berichtete.66 Neben der langen Entwöhnung von geistiger Arbeit bildete, nachdem außer Conflans alle Kurse auch Nichtstudierten offenstanden, die unterschiedliche Vorbildung der Teilnehmer ein gewisses Problem. Wenn die Professoren den Eifer und die interessierte Aufmerksamkeit der Hörer lobten, mochte das evtl. 61 Küster berichtet, daß er (den ihm aus gemeinsamer Berliner Studienzeit bekannten) Simmel in Tournai leider verpaßt, aber noch »an den Straßenecken« Plakate mit der An kündigung seiner »Vorträge (…) ›Goethe und die Frauen‹« gesehen habe (Küster, Erinnerungen eines Botanikers, S. 179). 62 Angebot: Wie A. 58. Meineckes eigene Initiativen: Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 286 f. 63 Hoeber, Fronthochschulen, S. 23. 64 Ssymank, Etappenhochschulwesen im Weltkriege, S. 22. 65 Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 286. 66 Weise, Stimmungsbericht, S. 126. Arel ist der deutsche (und luxemburgische) Name der Stadt, Aarlen der niederländische.
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Rückschlüsse darauf erlauben, daß sie diese Haltung in der Friedenszeit vermißt hatten.67 Es könnte aber auch Ausdruck der Überraschung sein, daß diese Haltung nach bald drei Jahren des Schützengrabendaseins an der Westfront überhaupt noch möglich war – oder daß dieses Interesse Hörer aufbrachten, die in regulären Lehrveranstaltungen nicht vor ihnen gesessen hätten. In der Rückschau aus der Nachkriegszeit finden sich gelegentlich auch gegenteilige Äußerungen. Der Berliner Anglist Brandl etwa, der in Warschau »unserer Garnison durch anschauliche Vorträge über Shakespeare eine geistige Auffrischung bereiten sollte«, fand das »[g]ut gemeint; nur nahm damals der Vormarsch auf Amiens alles Interesse gefangen.«68 Inwieweit die angereisten Dozenten ihre Vorlesungen im gewohnten Stil halten konnten, ist nicht abzuschätzen. Jedenfalls berichtete Meinecke seiner Frau über seine 4stündige Vorlesung über die »Wiedergeburt der preußischen Monarchie im Anfang des 19. Jahrhunderts«: »Im Kolleg habe ich den Ton völlig ändern müssen und aus dem Vortrag eine zwanglose Plauderei machen müssen, was mir auch viel lieber ist. So geht’s hier fast allen.«69 Daß bei den Soldaten ein anderer Zugang nötig war als an einer Universität in Friedenszeiten, an der die Studenten sich (wenn sie wollten) ganz auf ihr Fachstudium konzentrieren konnten, belegt auch das kleine Buch, in das die Beteiligung des Jenaer Juristen Justus Wilhelm Hedemann an Kursen in Mazedonien, Flandern und bei Verdun schließlich mündete: Bunte Bilder aus der Rechtswelt. Ein Lesebuch für die jungen Juristen im Felde. Es war nicht wie ein Lehrbuch aufgebaut, sondern Hedemann erläuterte darin einfache Fragen anschaulich an Beispielen, vor allem aus dem Kriegsalltag.70 Sein Büchlein endete mit einem pathetischen Gedicht an die Studenten (in erster Linie an die Burschenschafter unter ihnen), die er anfeuerte und zum Durchhalten ermunterte.71 Doflein schrieb eine »zoolo gische Feldvorlesung« für seine Studenten nicht nur als Zeichen seiner »Anhänglichkeit und (…) Sehnsucht« nach ihnen, sondern auch, um sie mit einem Problemkomplex bekanntzumachen, der »nach dem Krieg von größter Bedeutung« sein würde: »die Verluste, die uns der Krieg an Männern gebracht hat, zu ersetzen«.72 Als Biologe stellte er zwar die Fortpflanzung der Tiere dar, ließ aber mit der Bemerkung, daß die »Kranken und Schwachen (…) unter natürlichen 67 So Wettmann, Heimatfront Universität, S. 161. 68 Brandl, Zwischen Inn und Themse, S. 329. 69 Meinecke an seine Frau 13.12.1917, in: Meinecke, Ausgewählter Briefwechsel, S. 93 f. Zu seinem Thema s. das Programm (wie A. 58, S. 866). 70 Alles nach: Christine Wegerich, Die Flucht in die Grenzenlosigkeit. Justus Wilhelm Hedemann 1878–1963, Tübingen 2004, S. 23 f. 71 Abdruck bei Wegerich, Hedemann, S. 23 f. 72 Franz Doflein, Die Fortpflanzung, die Schwangerschaft und das Gebären der Säugetiere. Eine zoologische Feldvorlesung für meine im Feld stehenden Studenten, Jena 1917, Zitate S. 51, 3, 4.
996 Studium und Lehre im Krieg Verhältnissen« davon ausgeschlossen blieben, schon in den ersten Absätzen die Stoßrichtung erkennen.73 Und die Schrift mündete in einen langen, eindringlichen Appell an die »Kommilitonen!« Von ihnen hänge »Glück und Gedeihen Deutschlands« ab. Daher müßten sie die auf ihnen »lasten[de]« Verantwortung bedenken und »geschlechtlich gesund aus dem Krieg zurückkehren«. Dabei sollten die »wissenschaftlichen Erkenntnisse« sie leiten74 – und die moralischemotionale Grundlage für die zu bewirkende Entschlossenheit bildete die eindringliche Anrede des Lehrers, sein Vertrauen, die Gemeinschaft, die er mit seinen zitierten Worten zwischen sich und seinen Lesern herstellte. Die »vom herkömmlichen Universitätsbetriebe abweichende Vortragsart«, die in den Etappenhochschulen »vonnöten« war, bildete für manchen Dozenten »ein wertvolles hochschulpädagogisches Praktikum, das vielleicht auch für den Friedensbetrieb wertvoll sein konnte«.75 Immerhin scheinen die Hörer den nötigen Eifer mitgebracht zu haben. Darauf deutet ihre Nutzung der Bibliothek in Tournai hin: »Eine vorzüglich geschaffene Auswahl der wichtigsten Werke, Handbücher und Zeitschriften steht den ganzen Tag offen, und zu allen Stunden saß das Lesezimmer gedrängt voll von feldgrauen Studenten, die jeden Augenblick ausnutzten, um die schon fast verlorene Fühlung mit der Wissenschaft wiederzugewinnen.«76
Adolf von Harnack beteiligte sich an den Etappenhochschulen in Warschau, Brüssel und Bukarest. In Warschau sprach er im Frühjahr 1917 über »Die morgenländische und die abendländische Kultur«, deren Wettstreit weit über den »Gegensatz zweier Kirchen« hinausreiche. Für Harnack stand »die Welt geschichte auf dem Spiel«, denn es gehe »um die Frage, wer herrschen soll in Europa«.77 Damit spitzte er die Denkfigur des »Kulturkriegs« gewissermaßen auf den Gegensatz zwischen germanisch-lutherischer und russisch-orthodoxer 73 74 75 76 77
Doflein, Die Fortpflanzung, S. 5. Doflein, Die Fortpflanzung, S. 51–54, Zitate 52, 53 (dreimal). Ssymank, Etappenhochschulwesen im Weltkriege, S. 23. [Meyer,] Vom deutschen Militarismus, S. 430. Adolf von Harnack, Die morgenländische und die abendländische Kultur, in: Wissenschaftliche Vorträge in Warschau, S. 29–36, Zitate 31, 33. (Obwohl S. 30 ausdrücklich vermerkt ist, daß es sich bei diesen Texten um »Inhaltsangaben« in der Deutschen Warschauer Zeitung vom 20. und 21. April 1916 handelte und im Text immer von Harnack in der dritten Person gesprochen wird, sind sie in dem vorliegenden Band als »von Adolf von Harnack« ausgewiesen.) S. auch HN 26 (1915/16), S. 323: Im norwegischen Studentenblatt Minerva versuchte Harnack »in einem Aufsatz über den Krieg[,] das Verständnis der von so eigenartiger Neutralität beseelten Norweger dafür zu wecken, dass sie sich rüsten für den Tag, wo sie ihre germanisch-lutherische Existenz gegen das russische oder britische Imperium zu behaupten haben werden. In der neuen Universität Warschau sprach Harnack in den Osterferien in sinnverwandter Weise über westeuropäische Kultur.«
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Kultur zu. In der vierten Bukarester Vortragsreihe, in der innerhalb von 14 Tagen ca. 240 Vorlesungsstunden stattfanden, sprach er – nach Angaben seiner Tochter – im Rahmen der Abendvorträge vor 2000 Zuhörern über »Weltkrieg und Christentum«. An seine Frau schrieb er darüber: »Die Situation war wirklich erhebend und ergreifend, und ich änderte sehr bald meinen Redeplan und sprach vor diesem Auditorium aus dem Herzen.«78 Für diese allgemeinen, d. h. nichtfachwissenschaftlichen Vorträge, die an die »Volksvorlesungen« der Friedenszeit anknüpfen konnten, sollte dasselbe Durchschnittsniveau gelten wie dort: »in der Höhe des geübten Lesers eines ernsthaften Feuilletons einer guten, größeren Tageszeitung«. Eine »Niveau-Erniedrigung«, um auch »den letzten Hinterwäldler und Halbanalphabeten, der sich natürlich auch noch im deutschen Heer – freilich weit weniger als in dem feindlichen – findet«, »mit[zu]schleppen«, gehe dagegen auf Kosten der Gesamtheit und der Würde des Vortrags selbst. »Erscheint es doch stets durchaus im Sinne der zu fordernden wissenschaftlichen Autorität, wenn ein gewisser Rest des Vorgetragenen sich nicht sogleich dem spontanen Verstehen leichthin erschließt, sondern erst durch längeres, ernstlich sich mühendes Nachdenken, durch geistige Selbsttätigkeit erobert werden muß.«79
Zeitlich könnte Hoeber dies durchaus als Ergebnis der Kurse in Tournai formuliert haben, deren wissenschaftlicher Sekretär er war. Und tatsächlich zeigten diese Kurse, die inhaltlich in erster Linie für Akademiker in Betracht kamen, aber allen Heeresangehörigen offenstanden, »zum ersten Mal das Bild einer voll ausgebauten Volkshochschule«.80 Dann legt die Warnung allerdings die Vermutung nahe, daß es in Tournai mit den Nichtakademikern gewisse Schwierigkeiten gegeben haben könnte – die man in einer Zeit, in der man den Soldaten jahrelange Entbehrungen und Strapazen abforderte und gleichzeitig die Volksgemeinschaft propagierte, aber besser nicht konkret ansprach. Neben der geistigen Förderung bildete das gesellige Beisammensein das zweite, vermutlich ebenso wichtige Element der Hochschulkurse in der Etappe. Überall entwickelte sich »ein dem Friedenstreiben verwandtes akademisches Leben mit Becherklang und Kommersgesang«.81 Bei Eduard Meyer heißt es 78 v. Zahn-Harnack, Harnack, S. 366 (Brief vom 15.4.1918). Die Gesamtstatistik der fünf Kurse weist 2747 Hörer aus. Da die Kurse nacheinander stattfanden, ist es unwahrscheinlich, daß bei Harnacks Vortrag tatsächlich ca. 2000 Hörer dieser Kurse anwesend ge wesen sein könnten. Entweder hat die Biographin eine Angabe falsch bezogen – oder es fanden sich sehr viele nichtregistrierte Hörer aus den lokalen Garnisonen der verbündeten Truppen ein. 79 Hoeber, Fronthochschulen, S. 24. Die hier kursivierten Formulierungen i. O. gesperrt. 80 Ssymank, Das deutsche Etappenhochschulwesen, S. 267. 81 Zitat hier über Conflans (Ssymank, Etappenhochschulwesen im Weltkriege, S. 23). Vgl. auch Ssymank, Aus der Frühzeit, S. 74: »Das ganze deutsche Kommersleben schien auf französischen Boden verpflanzt«.
998 Studium und Lehre im Krieg über die Kurse in Tournai sogar: »Den Höhepunkt der beiden Wochen bildete der große allgemeine Kommers«. Damit möglichst viele Dozenten daran teilnehmen konnten, fand er in der Mitte des Kurses statt (weil manche offenkundig nur zu ihren eigenen 4–6 Vorlesungsstunden anreisten). Daran wird deutlich, daß der Kurs auch die Verbindung zwischen Heimat und Front innerhalb der universitas stärken sollte.82 In Tournai geschah dies, anders als in Prilep, in einem deutschen Vorstellungen von Gemütlichkeit entsprechenden Rahmen, in einem »großen Festsaal (‥), den eine deutsche Brauerei schon in Friedenszeiten angelegt und in geschmackvoller Weise als ›Alt-Tournai‹ ausgeschmückt hatte«. Doch auch die Verbindung zwischen Armee und Universität konnte damit gestärkt werden. Anders als aus Prilep berichtet, nahmen in Tournai aber auch andere »Offiziere der Etappe bis zur Exzellenz hinauf [teil], die ihn [den Kommers] mit einer warmgehaltenen durchdachten Ansprache eröffnete und bis weit in die ›Fidelitas‹83 hinein aushielt«. Meyer betonte den Genuß ohne Verlust der Selbstbeherrschung – und interpretierte ihn als typisch deutsch. Doch auch die Ambivalenz der Stimmung ist eingefangen: »In flotter Weise, wechselten ernste, die tiefe Bedeutung des Moments zum Ausdruck bringende, mit humoristischen Reden, Gesangvorträgen [!] feldgrauer Künstler, Jodlerquartetts u. a., und durchweg herrschte die echtdeutsche Stimmung eines großen Studentenkommerses, der die Stunde in jugendlicher Lebensfreude vollauf genießt und doch die Grenzen wohl einzuhalten weiß. Wohl nie ist Baumbachs Lied ›Heute ist heut‹ mit so tiefer, die Stimmung voll zum Ausdruck bringender Bedeutung und mit so gewaltiger Wirkung gesungen worden, als hier von diesen jugendkräftigen Männern (…)«84
Gerade weil der Tod drohte, wurde das Leben so genossen. »(…) morgen vielleicht erklingt Sterbegeläut«, heißt es in der letzten Strophe dieses 1882 entstandenen Liedes, das kein spezifisch studentisches war, sondern in viele Lieder bücher – für Artilleristen bis zu Wandervereinen – eingegangen und somit Gemeingut war.85 Die wissenschaftlichen Studien und das Studentenleben zusammenfassend, hatte Georg Simmel als Teilnehmer am Kriegshochschulkurs in Conflans schon 1916 geschrieben: 82 Auch der Altphilologe Johannes Geffcken betonte diese Funktion: »Wie beweglich [!] waren für uns die ersten Augenblicke eines Kommerses, den wir mit unseren Studenten abhielten.« Sein Bericht ist wiedergegeben in: Kriegshochschule hinter der Front, in: BB 31/2 (SS 1917), S. 137. Zu Meyer s. folg. A. Bei Küster, Erinnerungen eines Botanikers, S. 179 f. nur die Erwähnung eines »reichlichen Kommers«: »(‥) und nach dem großen Trunk fuhren die Professoren wieder heim ins Reich«. 83 Für »Fidulität«, den nichtoffiziellen, zwangloseren zweiten Teil eines Kommerses. 84 [Meyer,] Vom deutschen Militarismus, S. 430. 85 Text und Nachweise für Liederbücher: http://www.volksliederarchiv.de/text2588.html (25.4.2013).
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»Ein fabelhafter Eindruck, die Platonische Ideenlehre vorzutragen, während die Kanonen von Verdun herüberdröhnen! Den jungen Leuten, die aus dem Tod kommen u. in den Tod gehn [!] u. dazwischen auf 14 Tage ein harmlos heiteres Studentenleben führen, aus der furchtbaren Wirklichkeit die Himmelstür zum Zeitlosen aufzuschließen, daß sie von einem Luftzug von dorther umweht werden. U. doch etwas ganz Märchenhaftes ist auch diese feldgraue Welt im Feindesland, wo jeder begegnende Zivilist nur ein Professor sein konnte.«86
Auch der im Krieg selbst vom Drang mitzumachen und dem Bedrücken, nicht gebraucht zu werden, erfüllte Philosoph und Soziologe bestätigt also die Verbindung von Wissenschaft und studentischer Geselligkeit, sogar von Wissenschaft und Waffenklang. Er überhöht die Wissenschaft (»Himmelstür zum Zeitlosen«) noch stärker als die bereits zitierten Kollegen. Und doch läßt er mit seinen Formulierungen zugleich das Gespenstische ahnen: Eine ganz vom Militär beherrschte Welt und die Kürze der Atempause zwischen langen Phasen der Todesgefahr.
›Volksgemeinschaft‹ in der Fremde? Alle diese Kurse fanden in Feindesland oder doch, wie in Mazedonien, in von den Deutschen mitbesetzten Gebieten statt. Dort und auf den Reisen dorthin bekamen die Dozenten manches zu sehen, was den anderen Daheimgebliebenen verschlossen war, gewannen z. B. wie Eberhard Gothein ein realistischeres Bild der Etappe (wo die Existenz des Heeres mehr auf dem dort Hergestellten als auf dem aus der Heimat Zugesandten beruhte), und konnten auch die Ergebnisse der Kriegführung in Augenschein nehmen. Gothein beschrieb (in Privatbriefen) etwa die Verwüstung und Abholzung der Wälder durch die Deutschen – und schloß doch mit seiner »Bewunderung für die deutsche Organisation«.87 Zumindest einzelne lehnten aber einen angebotenen Ausflug »in die zerstörten Gebiete hinter der Feuerlinie« ab.88 Doflein registrierte während seines langen Aufenthalts in Mazedonien genau, wie sich die Deutschen dort verhielten, äußerte die Kritik an den eigenen Truppen aber erst drei Jahre nach Kriegsende öffentlich. Zwar bestätigte er – trotz deutlicher Differenzierungen – letztlich Wilamowitz’ Darstellung vom großen zivilisatorischen 86 G. Simmel an Margarete von Bendemann 24.11.1916, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 709 f., hier 709. 87 Zitat (aus dem Brief an Marie-Luise Gothein vom 31.1.1918), in: Maurer/Sänger/Ulrich (Hg.), Im Schaffen genießen, S. 478; zur Wahrnehmungsdifferenz zwischen Etappe und Heimat 2.2.1918 (S. 479). 88 So ein Bonner Extraordinarius beim anschließenden Naturwissenschaftlerkurs in Tournai (Küster, Erinnerungen eines Botanikers, S. 179). Zu Meineckes Annahme dieser Einladung s. u. mit A. 94.
1000 Studium und Lehre im Krieg Rückstand der Bulgaren und der Lehrerrolle der Deutschen. Doch finden sich auch Bemerkungen zu deren herablassender Haltung und ihrer (im Gegensatz zur Lernbegier der Bulgaren) fehlenden Lernbereitschaft (etwa, was die Landessprache anging).89 Umgekehrt gab Wilamowitz später die im Krieg nötige Zurückhaltung gegenüber den Verbündeten auf und sprach vom »Terrorismus« der Bulgaren (wie zuvor der Serben).90 Doch wird man sich die Deutschen bei den Hochschulkursen (abgesehen von evtl. daran beteiligten Verbündeten) meist ›unter sich‹ vorstellen müssen. Die Dozenten waren ja oft nicht einmal für die gesamte Kursdauer, sondern nur wenige Tage in der Etappe anwesend. Entweder fanden die Kurse in kleinen Orten statt (wie jene, die nach Conflans benannt wurden, tatsächlich aber in zwei kleinen Orten außerhalb abgehalten wurden). Oder sie glichen einem Heerlager. Meinecke schrieb damals an seine Frau: »Tournai wimmelt natürlich von Feldgrauen. 10000 Mann sollen hier liegen, jeder dritte Mensch auf der Straße ein Soldat.«91 Während der Kurse waren alle mit der Lehre, der Vorbereitung dafür,92 dem »allgemeinen kollegialen Hospitieren«, das sich »zu einem erfreulichen Brauch« entwickelte,93 dem regelmäßigen abendlichen Beisammensein bzw. Kommersen und offiziellen Einladungen beschäftigt. »Heute sind wir beim Etappeninspektor eingeladen, morgen ist große Ausfahrt ins ganze Etappengebiet und Besichtigung aller ihrer Anlagen, übermorgen (Sonnabend) halte ich die Übung noch ab und fahre nachmittags nach Brüssel (…)«,
berichtete etwa Meinecke aus Tournai. Am Abend des 9. Dezember angekommen, hatte er vermutlich am 10. (an dem er über die Vorbereitung berichtete) seine »erste Kollegstunde« gehalten und reiste bereits am 15. wieder ab.94 Gerade weil die Deutschen also weitgehend unter sich blieben, stellt sich die Frage, ob sie die angestrebte Volksgemeinschaft, die durch die große Kluft zwi89 Doflein, Mazedonien, S. 278, 282. 90 Wilamowitz-Moellendorff, Erinnerungen, S. 275 f. 1917 konnte man davon allenfalls etwas zwischen den Zeilen erahnen, wenn er einerseits nach einer Einladung beim Mufti voraussah, »daß die unschuldigen guten Leute gar bald von ihrem ererbten Besitze nach Asien weichen würden, und man fühlte, sie ahnten ihr Schicksal.« Als Lehre aus dem Vortrag des Bulgaren nahm er mit: »(…) die Serben hatten hier wirklich nichts zu suchen.« 91 Meinecke, Ausgewählter Briefwechsel, S. 92 f., hier 93 (10.12.1917). 92 S. Meinecke im gerade zitierten Brief über die Zentralheizung in der Villa eines Tuchfabrikanten, »die ich jetzt bei der Vorbereitung zur ersten Kollegstunde sehr angenehm empfinde«. Zu Gotheins Vorbereitungen auf seine Vorträge unterwegs s. seine Briefe an seine Frau am 31.1.1918 (aus Virton), 2.2.1918 (aus Sedan), 27.3.1918 (aus Wien), in: Maurer/Sänger/Ulrich (Hg.), Im Schaffen genießen, S. 478, 480, 482. 93 So Geffcken, in: Kriegshochschule hinter der Front, in: BB 31/2 (SS 1917), S. 137. 94 An seine Frau 13.12.1917 und 10.12.1917, in: Meinecke, Ausgewählter Briefwechsel, S. 93 f. (Zitat 94) und S. 92 f. (Zitat 93).
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schen Front und Heimat immer stärker in Frage gestellt wurde, vielleicht bei den Hochschulkursen verwirklichen konnten. Auf den ersten Blick scheint das gelungen, denn der schon zitierte Amtsgerichtsrat berichtete aus Bukarest (wo sich 1000 Teilnehmer zusammengefunden hatten): »Es gab keinen Unterschied von Chargen, sie bildeten eine einzige ›academia militans‹.«95 Dort hatte Generalfeldmarschall von Mackensen für die Teilnehmer und die Dauer der Hochschulkurse verfügt, daß »alle militärischen Rangunterschiede beiseite gestellt sein« sollten.96 Hoeber hob diese Egalisierung noch während des Krieges von früheren Zeiten ab, als sich nur die »Führer« neben den militärischen auch geistigen Interessen hätten widmen könnten, während eine solche Betätigung nun »Führern wie Untergebenen sämtlicher Dienststufen gleichmäßig nahe« liege.97 Ssymank sprach rückblickend sogar von einem »stark demokratischen Zug« des Etappenhochschulwesens.98 Im engeren Sinn, d. h. bei den Lehrveranstaltungen, mag es eine gewisse Egalität der Studenten in allen diesen Kursen gegeben haben. Doch schon bei der Verpflegung setzten sich die militärischen Unterschiede wieder durch: Von den Hörern wurden die Mannschaften, wenn auch »mit allerlei Zulagen aus besonderen Mitteln«, aus eigener Feldküche verpflegt, die Offiziere dagegen aus der Offiziersspeiseanstalt.99 Gewiß, in Friedenszeiten lebten die Studenten, je nach ihrem Geldbeutel, auch unterschiedlich. Hier jedoch trat, trotz der betonten Egalisierung durch das Kursangebot an Nichtakademiker, eine Ungleichheit auf, die weder akademisch noch ökonomisch begründet, aber militärisch selbstverständlich war. (Ob die Bukarester Kurse vielleicht eine Ausnahme bildeten, ist unklar.100) Die Dozenten aßen selbstverständlich mit den Offizieren – auch wenn sie selbst es, wie z. B. Friedrich Meinecke, nie zu diesem Status gebracht hatten.101 Im Professorenkreis erfuhren manche wohl durchaus die Überwindung früherer Abgrenzungen. Der Jenaer Philosoph (und Träger des Literaturnobel preises 1908) Rudolf Eucken schrieb über die Hochschulkurse in Brüssel im Frühjahr 1918: 95 Hirschfeld, Hochschulkurse in Bukarest (wie A. 23), S. 401. 96 Alfred Geiser, Feldgraue Hochschulkurse in Bukarest, in: Daheim 54 (1917/18), S. 1140. 97 Hoeber, Fronthochschulen, S. 15. 98 Ssymank, Vorläuferin der humanistischen Fakultät, S. 5. 99 Mazedonien (wie A. 16). 100 Bei Hirschfeld, Hochschulkurse in Bukarest (wie A. 23), S. 401 heißt es nur: »Jeder erhielt beim Eintreffen ein angemessenes Quartier angewiesen, und in einem Restaurant waren mittags und abends genügend Mahlzeiten sichergestellt.« 101 Selbstverständlichkeit: s. o. A. 51. Meinecke war 1887 nach drei Wochen Rekrutendienst für untauglich erklärt und entlassen, 1888 der Ersatzreserve zugeteilt worden. (Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 88; Lebensstationen Friedrich Meineckes, in: Meinecke, Neue Briefe, S. 57–76, hier 58). In Tournai befand sich die Offiziersverpflegungsanstalt, das »Rheingold«, direkt gegenüber der Kathedrale (s. seinen A. 91 zit. Brief an seine Frau).
1002 Studium und Lehre im Krieg »(…), wir Professoren bildeten einen Freundeskreis, den die gemeinsame Aufgabe eng verband. Wohltuend berührte auch das freundschaftliche Zusammengehen der katholischen und der protestantischen Gelehrten. Die gemeinsame Aufgabe des Vaterlandes hielt alle eng zusammen.«102
Andererseits hatten sich bis zum Winter 1917/18, als die meisten Hochschulkurse stattfanden, die politischen Gräben vertieft. Das wird besonders an den in Tournai beteiligten Berliner Geisteswissenschaftlern deutlich. Meinecke berichtete seiner Frau darüber: »Troeltsch schimpft sich aus auf Tournai und die Großkäuze Ed[uard] Meyer und Roethe, die hier an der langen Tafel das große Wort führen, während wir daneben am kleinen Tischchen eine sehr behagliche Fronde bilden. (…) Mit Bresslau geht’s im alten Tone weiter, wir verstehen uns politisch leidlich, aber nicht vollständig, und er wills nicht Wort [!?] haben, daß er mal weniger weiß. Na, das kann man alles mit Humor auffassen. Littmann, der auch hier ist, hält sich merkwürdig kühl und hält zu Ed[uard] Meyer.«103
Roethe hatte offenbar weniger »Humor«, denn er schrieb an einen Kollegen (als Fußnote zu den guten Wünschen für »alle braven Deutschen« im neuen Jahr): »Du glaubst nicht, was für eine klägliche Rolle da draußen Meinecke und Tröltsch [!] spielten, die man unbegreiflicherweise auch aufgefordert hatte.«104
Trotz dieser Gegensätze untereinander erfuhren diese Dozenten ihre Tätigkeit »draußen« aber als befriedigend, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Roethe empfand die »Stimmung (‥) wahrhaft herzerquickend, von jener ernst heiteren Zuversicht, wie man sie sich irgend wünschen möchte. Wie ist es nur möglich, daß dasselbe Volk, das dieses Heer zu stellen vermag, ein so jämmerliches Diplomatengesindel in die Welt setzt, wie es aus diesen kläglichen Friedensbedingungen für Russland spricht.«105 102 Eucken, Lebenserinnerungen, S. 103. 103 Meinecke, 13.12.1917 an seine Frau, in: Ausgewählter Briefwechsel, S. 93 f., Zitat 94. Der Göttinger Orientalist Enno Littmann war einst in Straßburg Meineckes Kollege gewesen. Er scheint – im Gegensatz zu anderen alten Bekannten – die persön lichen Beziehungen nun nach den politischen Überzeugungen ausgerichtet zu haben. Zu »Großkäuze« vgl. auch Troeltschs Ausdruck »Großkopfete«, berichtet in Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 286. Zu den alten Bekannten s. auch o. S. 634. 104 Gustav Roethe an Edward Schröder 28.12.1917: NSUB Göttingen Cod. Ms. E. Schröder 871 Nr. 4747, fol. 1v (das Satz-Zitat auch in: Ruprecht/Stackmann [Hg.], Regesten zum Briefwechsel Roethe – Schröder, S. 776). 105 Wie A. 104. Auch in Prilep hatten sich für ihn die Landeseindrücke »mit den sehr erfreulichen Eindrücken, die das Leben im Heere Gott sei Dank auf Schritt und Tritt hervorbrachte«, vereint (wie A. 48).
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Meinecke dagegen erschienen die wohlseparierten Kollegenbezirke im Rückblick weniger »behaglich«, als er sie seiner Frau gegenüber dargestellt hatte, denn er fühlte sich (mit Troeltsch und dem Germanisten Gundolf) von Meyer und Roethe »mit Mißtrauen (…) angesehen«. »Aber unseren feldgrauen Jünglingen gegenüber fühlten wir uns ganz frei und erlöst von dem unseligen Hader um die Kriegsziele, der uns Ältere auseinanderhielt.«106 Dabei weist die Tischgemeinschaft mit Gundolf auf einen weiteren Grund für die Vertiefung der Kluft innerhalb der Berliner Professorenschaft zurück: dessen umstrittene und schließlich gescheiterte Berufung nach Berlin.107 Andererseits behielt ein Bonner die Tafelrunde beim Kurs der Naturwissenschaftler in Tournai »nicht nur der ungewohnten, nahrhaften Verpflegung, sondern namentlich des angenehmen kollegialen Tones wegen, der an ihr herrschte, in bester Erinnerung«.108 Auch aus den Erfahrungen der Studenten werden Gräben deutlich, die an der Verwirklichung der ›Volksgemeinschaft‹ zweifeln lassen. Auf Aufforderung der Hochschule, einer neuen reformorientierten Zeitschrift, hin teilten Leser ihre Erfahrungen mit. Ein Jura-Student beschrieb, wie in der Armee die Gebildeten in zwei Klassen zerfielen, die in verschiedenen Welten lebten: »Was nützt es uns, wenn die Fronthochschulen bestehen, wir aber nicht hinein kommen können. Die Kompagnie- und Batterieführer lassen die Leute nicht gehen. Was liegt denen (größtenteils wenigstens!) an dem geistigen Wohl und Wehe ihrer Leute. Sie kennen nicht die Not, in der wir leben, sie können sich ihre Bibliothek mitnehmen. Wenn dann auch uns mal Gelegenheit geboten wird, einige Zeit in geistiger Gemeinschaft mit anderen zuzubringen, dann verwehren sie es uns.«
Das verschärfte das Problem der langjährigen »Öde« noch; denn die Verweigerung einer tatsächlich bestehenden Möglichkeit »schmerzt (‥) doppelt, die Hoffnungslosigkeit nimmt uns gänzlich den Mut.« Nach Angaben der Redaktion, die nur eine kleine Auswahl im Wortlaut ver öffentlichte und viele andere verallgemeinernd zusammenfaßte, ging aus zahlreichen Zuschriften hervor, daß die Hochschulkurse nur wenigen Akademikern zugänglich gemacht wurden. Der zitierte Einsender votierte dafür, daß die Entscheidung über die Beurlaubung »nicht in die Hände der Unterführer (Komp[agnie] und Bat[terie]) gelegt werden« dürfe, sondern »einfach höheren Ortes befohlen werden« müsse. Bei einem anderen (der offenbar ähn liches im Sinn hatte) scheint noch eine zusätzliche Kluft auf: zwischen Etappe und Front. »Die bestehenden Hochschulkurse in der Etappe sind alle ganz gut und schön, es fehlt aber der Zwang für die Heeresleitung, ihre Akademiker und sonst geistig-interes106 Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 286. 107 Siehe o. S. 741–743. 108 Küster, Erinnerungen eines Botanikers, S. 179.
1004 Studium und Lehre im Krieg sierte Berufsangehörige dahin zu entsenden. Sonst bleibt die Fronthochschule [!] nur ein unendlicher Vorzug der Etappensoldaten.«
Die Redaktion zog daraus den Schluß, daß nun möglichst schnell »die willkür lichen Eingriffe der Unterführer auszuschalten« seien und die Sache »etwa durch ständige Divisionsbefehle« geregelt werden müsse.109 Auch die zahlreichen Begründungen, was solche Hochschulkurse den Teilnehmern geben könnten oder sollten, deuten darauf hin, daß diese im Kriegs einsatz die Gemeinschaft, nach der sie suchten, nicht fanden. Viel war da von der Vereinsamung an der Front die Rede. Deshalb stand das Verlangen nach Austausch auch im Zentrum der Einsendungen. Das »Gespenst des geistigen Hungers« stehe nun »überall groß da«, hieß es. Der Herausgeber, der die Zuschriften auswertete, erkannte auch in den Augen jener, die von der Front auf Heimaturlaub kamen, das, was man sonst bei gefangenen Tieren hinter den Stäben ihres Käfigs sehe: »Stumpfheit oder Wildheit, beides mit Sehnsucht gemischt. Es ist die Seelennot, die Not des inneren Menschen«. Die Betroffenen hatten aber auch eine ganze Reihe konkreter Vorschläge: Da sollten sich Dozenten und Studierende an ihrem Frontabschnitt zu wissenschaftlichen Besprechungen »in möglichst zahlreichen Zirkeln zusammenfinden«. Ein anderer wollte, daß »Studenten oder (!) Lehrer von daheim mit ihren Kommilitonen aus den Gräben zusammenkommen und (…) Fichtes Bestimmung des Gelehrten lesen«. Ein Dritter stellte sich den Austausch mit den Professoren eher schriftlich vor: Die einzelnen Hochschulen sollten einen Aufsatz drucken und dazu Fragen stellen, die die Frontsoldaten dann bearbeiten und an die Dozenten einsenden konnten, um von diesen einen Kommentar dazu zu erhalten.110 (Als Beispiel für den »Hunger« der Soldaten nach geistiger Nahrung können auch Anfragen einzelner Studenten bei Gelehrten dienen.111) Aber auch eine Gegenstimme kam ausführlich zu Wort. Zwar leugnete auch sie keinesfalls die Einsamkeit »im Dunkeln« des Schützengrabens ohne befriedigende Aufgaben und ohne jemanden, mit dem man sich aussprechen konnte, sondern beschrieb sie selbst. Doch hatte sich dieser Soldat durch Korrespondenz und individuelle Lektüre selbst helfen können. Erst hatte er Goethe »in allen seinen Werken« auf sich »wirken lassen« und sich danach mit sozialpolitischen Studien beschäftigt. Das empfahl er auch den »Vereinsamten«.
109 Alles in: Die Fronthochschulfrage, in: HS 2 (1918/19), S. 86–95, hier 88 (Mai 1918!). 110 Wie A. 109, S. 89, 90, 88 f. 111 So schrieb ein ihm unbekannter Student an den Heidelberger Mediävisten Hampe nach der Lektüre von dessen Deutscher Kaisergeschichte (2. Aufl. 1912) und bat ihn um Literaturangaben zu Heinrich VI ., »der ihn zur dramatischen Gestaltung reize. Ein Zeichen für den literarischen Hunger, der doch manche überkommt« (Hampe, Kriegstagebuch, S. 184, 7.1.1915).
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»Wenn sie dann 150 Mann ihrer Kompanie vor sich haben, die als Glieder des deutschen Volkes und Vertreter aller seiner Stände ihr Interesse erwecken, dann dürfte es hoffentlich mit ihrer Einsamkeit zu Ende sein.«
Seinem Verständnis nach zeugte Vereinsamung im Feld von »unangebrachtem geistigen Hochmut«. Er betonte die »Volkseinheit« mit jenen, die nicht die Gelegenheit gehabt hatten, an anderes als das Nächstliegende zu denken. Doch das bedeutete auch für ihn nicht, sich auf ihre Stufe zu stellen. Vielmehr sollte man »das Tüchtige, Unverdorbene, Gesunde am kleinen Mann kennenlernen« und herausfinden, wo »und wie man später mit der Hebung der Masse anzufangen hat.«112 Der Anspruch auf die spätere zivile Führungsaufgabe blieb also auch in dieser Verbindung zwischen Lektüre und Zuwendung zu den ungebildeten Ständen erhalten. Anderen gelang diese aber offenbar nicht: »Wir wollen also lebendige Beziehungen von Du und Du; wir haben uns ja bald totgelesen hier draußen, bei dem Mangel an Sich-Aussprechen-Können.« Sie brauchten »zeitweise Gemeinschaft mit Menschen gleicher Seelenlage«, um die »Seelen wieder lebendig zu machen« und für »neue Perioden der Vereinsamung« zu stärken.113 Ein Autor, der die Schaffung der »Fronthochschulen« als »Reaktion der fortschrittlichen Behörde« auf dieses Problem verstand, mahnte zugleich: »Nicht ein fachwissenschaftliches Institut braucht der Einsame, sondern einen Menschen, einen Freund, einen Führer: einen Geistigen. Die Fronthochschule mag Basis sein für den ›weltlichen Seelsorger‹.114 Die Gefahr des Mittels droht. Nicht Lehrer brauchen wir, sondern lebendige, innerlich junge Menschen. Schaffen wir doch anstelle einer Fronthochschule zuerst einmal die Hochschule in der Heimat, für die Rudolf Leonhard (….) in ›Sezession der Universität‹ wirbt. Erst eine solche Tat könnte eine wirklich wertvolle Fronthochschule schaffen.«115
Rudolf Leonhard hatte damals eine freie Hochschule vorgeschlagen, die neben einer Universität in derselben Stadt bestehen sollte116 und an der v. a. bislang vernachlässigte, aber auch traditionelle Themen unterrichtet würden und die Dozenten dabei – neben Kenntnissen – vor allem ihre eigene Erfahrung und ihr Erlebnis mit dem jeweiligen Thema in die Vorlesung einbringen würden, also z. B. »eine Vorlesung über Erkenntniskritik, in der (…) ein Erkennender – 112 Wie A. 109, S. 91. 113 Wie A. 109, S. 92, 93. 114 In der Zeitschrift Die Tat hatte Eugen Diederichs im Spätsommer 1917 den Vorschlag gemacht, neben den kirchlich bestellten auch weltliche Seelsorger an die Front zu schicken, um vereinsamten geistigen Menschen, die sich der Kirche entfremdet hatten, geistigen Trost in der ihnen zugänglichen Form zukommen zu lassen (nach Fritz Klatt, Zur Ergänzung des Fronthochschulgedankens, in: HS 1 (1917), Nr. 9/10, S. 62 f., hier 62). 115 Hermann Rück, Zum Fronthochschulgedanken, in: HS 2 (1918/19), Nr. 1, S. 45 f. 116 Schließlich dachte man bei dem allerdings nie verwirklichten Projekt an Heidelberg.
1006 Studium und Lehre im Krieg im Kolleg! – aus seinen Qualen aufschreit!« »Wir werden uns mit den Studenten befreunden, dass die Leiter öder Seminare erblassen vor so viel Hingabe.« Diese Sezessions-Universität, die nicht auf Examina ausgerichtet war und keinerlei Berechtigungen verleihen würde, sollte die Universitätsbildung also erneuern und radikalisieren.117 Als Voraussetzung für die Fronthochschule hätte sie aber zunächst eine gewisse Vorlaufzeit benötigt – und damit das akute Problem der geistige Nahrung suchenden Soldaten zunächst perpetuiert. Zugleich lief der Vorschlag, statt der Fronthochschule zunächst eine solche Sezessionsuniversität in der Heimat zu gründen, gerade nicht auf eine gemeinsame Bildung verschiedener Teile der ›Volksgemeinschaft‹ hinaus, sondern auf eine elitäre Abgrenzung; denn der Autor schloß mit den Worten: »Ich grüße alle, die unter der Idee eines akademischen Ordens stehen, die zum Bund der Geistigen gehören.«118 Dagegen ging ein anderer Soldat, der sich schon verschiedentlich mit dem Gedanken der »Volkshochschule« auseinandergesetzt hatte, auf die »Feldhochschule« ein, die »nicht den höheren Gebildeten (!) etwas sein« wolle, »sondern den Vorwärtsdrängenden aus dem ungelehrten Volke«. Als Gemeinsamkeit machte er aus: »Auch wir lehnen das Dozentenwesen ab, wie überhaupt alle intellektualistischen Bildungsversuche. Alle sogenannten ›Vorträge‹ sollen eigentlich nichts weiter sein als ein Zünder geistiger Gemeinschaft. Wichtiger als das Vorgetragene ist uns die Aussprache, wichtiger als die Aussprache im Saal die zwischen Einzelnen in der Stille der Bude und auf dem einsamen Ausflug.«119
So unterschiedlich die verschiedenen Einsender auf die Aufforderung, sich zum Gedanken der Fronthochschulen zu äußern, reagierten, so deutlich wird dabei doch, daß es zwar ein allgemeines Streben nach Gemeinschaft und Austausch untereinander gab, daß dies aber keinesfalls bei allen der umfassenden ›Volksgemeinschaft‹ galt, sondern selbst diejenigen, die sie anstrebten, die Trennung in Gebildete und Ungebildete, auch in verschiedene Stände, nie aus dem Auge verloren. Zugleich ist der größere Zusammenhang zu erkennen, in den auch die Etappenhochschulen gehörten: die university extension, die in Deutschland zum bereits vorhandenen, aber noch nicht umgesetzten Gedanken der Volkshochschule geführt hatte. Indem der zuletzt zitierte Beitrag sich gegen »durchreisende Dozenten« wandte und die Arbeit lieber ganz auf »die beiden Leiter der 117 Rudolf Leonhard, Die Sezession der Universität, in: Das Ziel. Aufrufe zu tätigem Geist, München u. a. 1916, S. 135–140, Zitate 137, 139. Leonhard arbeitete bei der weiteren Vorbereitung mit Gustav Landauer zusammen (der damals mit Martin Buber neue Konzepte der Erwachsenenbildung entwickelte). S. dazu Kirsten Steffen, Haben sie mich gehasst? Antworten für Martin Beradt (1881–1949), Schriftsteller, Rechtsanwalt, Berliner jüdischen Glaubens, Oldenburg 1999, S. 187–189. 118 Wie A. 115, S. 46. 119 Wie A. 109, S. 94.
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Gemeinschaft (den Unterrichtsoffizier und seinen Mitarbeiter)« bauen wollte, zeigte er aber zugleich die Verbindung zwischen den Etappenhochschulen und dem Vaterländischen Unterricht auf.
Die Hochschulkurse in Straßburg An den Straßburger Hochschulkursen, die in der zeitgenössischen Sekundärliteratur als bedeutende universitätsgeschichtliche Neuerung dargestellt wur den,120 läßt sich die Verflechtung von wissenschaftlicher Weiterbildung und Vaterländischem Unterricht sowie die Rolle des Militärs bei den Kursen besonders klar belegen. Schon zehn Tage nach Ludendorffs Bildungserlaß wandte sich eine Armeeabteilung der Heeresgruppe Herzog Albrecht an das Oberkommando des Armeebezirks und schlug vor, die von Ludendorff für die Etappe vorgeschlagenen Kurse in Straßburg abzuhalten, da im Armeebereich keine geeigneten Orte vorhanden seien. Für die »meist bodenständigen Divisionen (…) entstammenden Studierenden, die jahraus jahrein in den schlechten lothringischen Dörfern liegen, [würde] es schon eine Anregung bedeuten, vorübergehend in eine Grossstadt zu kommen. Auch liesse sich die Sache im Anschluss an die Universität Strassburg leichter und wirkungsvoller darstellen.«
Genauere Vorschläge, und zwar nicht nur zur Organisation, sondern auch zur Konzeption hatte der stellvertretende Leiter des Vaterländischen Unterrichts bereits ausgearbeitet. Für die dem Heer angehörenden Studierenden müßten besondere Kurse eingerichtet werden, denn ein zufälliger Ausschnitt aus dem größeren Ganzen (also wohl aus den regulären Vorlesungen) wäre kaum von Nutzen. Die Universität Straßburg sollte ersucht werden, Sonderkurse auch für Studierende der Landwirtschaftlichen, Technischen und Handelshochschulen einzurichten. Dabei sollten jeweils mehrere Fächer für einen Kurs zusammengelegt werden, also etwa Theologen, Philologen und Historiker. Und da man nicht alle Studierenden eines Faches gleichzeitig beurlauben könne, solle man die Kurse wiederholen (bzw. für jede Fachgruppe zwei Kurse, gegliedert nach Studienphasen) einrichten. Als Dozenten empfahl dieser Experte des Vaterländischen Unterrichts Hochschullehrer aus der eigenen Armeeabteilung, »weil diese Fühlung mit den im Heere stehenden Studenten haben und wissen, welche Art wissenschaftlicher Darbietung für die Studierenden an der Front zweckmäßig ist.« Schließlich betonte er auch, daß nicht nur (!) allgemein anregende oder orientierende Vorträge, sondern »in sich geschlossene Teilgebiete einer bestimmten Fachwissenschaft« präsentiert werden sollten; denn die Studenten 120 Siehe u. S. 1021.
1008 Studium und Lehre im Krieg seien daran interessiert, wieder mit »Problemen ihrer Wissenschaft in Berührung zu kommen«. Auch didaktischen Rat wußte der Unterrichtsoffizier: Nach Möglichkeit sollte man keine Vorlesungen halten, »sondern nach der Art der auf den Universitäten üblichen sogenannten Seminar-Übungen, konversatorisch (…) verfahren«.121 In wie weit sich die Dozenten, die dafür keine Extravergütung erhielten,122 freiwillig oder unter einem gewissen Druck an diesen Extravorlesungen beteiligten, läßt sich nicht eindeutig klären. Ludendorff hatte bei seinem Erlaß an Professoren gedacht, die sich »seiner Zeit« beim Kriegsministerium um die Erlaubnis zur Abhaltung von Vorträgen an der Front »beworben« hatten.123 Der Dekan der Straßburger Theologen, Erich Klostermann, schrieb an einen Kollegen und Duzfreund in Jena, man könne »nie auf 8 Tage voraus wissen, was man zu tun haben wird. Erst haben wir im letzten Moment den Beginn der Vorlesungen auf den 1. Oktober verschieben müssen; dann haben wir uns zu Aufklärungsvorträgen vor den Verwundeten wie überhaupt vor den Soldaten bereiterklären müssen; jetzt wieder (…) wird unserer Universität ange tragen, 14tägige Sonderkurse für die Studierenden der uns benachbarten Heeres gruppen zu halten. Sehr schön, und wir tun es natürlich mit Freuden.«124 (Doch die wissenschaftliche Arbeit leide darunter.)
Ende Oktober hatte der Dekan der Philosophischen Fakultät an die Kollegen geschrieben: »Nach dem Vorgange von Freiburg [wo solche Kurse für Techniker und Ingenieure veranstaltet wurden] werden auch die Kollegen an unserer Universität sich gewiß gerne bereiterklären, die Kurse ehrenamtlich zu halten; eine etwaige andere Ver fügung bleibt der militärischen Kursleitung überlassen.«
Ein gewisser moralisch-kollegialer Druck war mit diesem Schreiben also gegeben. Also stellte man sich aus vaterländischem Engagement zur Verfügung, durfte aber ganz leise doch auf ein Honorar hoffen. Der Kurs der Philosophischen Fakultät sollte zwar (ursprünglich) erst nach Weihnachten stattfinden; doch war sie mit jeweils zwei allgemeinbildenden Vorlesungen auch an allen anderen Kursen beteiligt.125 Von 24 Dozenten, die das Zirkular abzeichneten, erklärten sich 14 zur Mitwirkung bereit, darunter die Historiker Bresslau, 121 Armeeabt. A an Oberkommando der Heeresgruppe Herzog Albrecht 10.10.1917: ADBR 103 AL 124. Ausführliche Zitate daraus auch im Kommentar zu dem in A. 126 zitierten Brief des Dekans. 122 Siehe u. A. 132. 123 Wie A. 6. 124 Erich [Klostermann] an Hans Lietzmann 11.11.1917, in: Aland (Hg.), Glanz und Niedergang, S. 390. 125 Das Schreiben ist abgedruckt in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 855 f., Zitat 855.
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Stählin und Spahn (sowie der als UB -Direktor tätige Wolfram), der Altphilologe Eduard Schwartz, der Romanist Schultz-Gora, der Germanist und Dekan Franz Schultz, der Geograph Sapper, die Philosophen Arthur Schneider und Simmel.126 Insgesamt fanden im Wintersemester 1917/18 in Straßburg fünf zweiwöchige Kurse statt: der erste für Rechts- und Staatswissenschaftler (d. h. National ökonomen), der zweite (nun doch vorgezogen) für verschiedene Fächer der Philosophischen Fakultät, der vierte für Naturwissenschaftler und Mathematiker (sowie parallel dazu ein Sonderkurs für Mediziner). Der zweite und fünfte Kurs waren dagegen nicht fachlich ausgerichtet, sondern allgemeinbildend.127 Die Lehrpläne, sowohl als thematische Übersicht als auch als Stundenplan gedruckt, wurden den Teilnehmern jeweils bei der Ankunft in Straßburg ausgehändigt. Die Teilnahme an den Lehrveranstaltungen war »zwingend«, denn nachdem die sich freiwillig meldenden Interessenten ausgewählt waren, wurden sie zu den Kursen »kommandiert«. Und dort galt der Vorlesungsbesuch als »Dienst«.128 Der erste Kurs war sehr überschaubar: Unterricht montags bis donnerstags von 10–12 und von 16–19 Uhr, freitags eine, samstags zwei Stunden weniger. Dafür fanden an diesen Tagen Führungen durchs Münster und durch die Zoologische Sammlung der Universität statt. Die Teilnehmer mußten an allen Fachvorlesungen und täglich an mindestens vier Vorlesungsstunden (sowie an der Münsterführung und am »Bierabend«) teilnehmen. Im ersten Kurs war gegen diese Verpflichtung verstoßen worden. Indem die Heeresgruppe erwartete, daß sie beim zweiten »nicht gezwungen« werde, den Vorlesungsbesuch zu kontrollieren, drohte sie natürlich genau dies an! Das wäre hier allerdings schon etwas schwieriger gewesen, weil das Angebot für die Philosophen, Historiker und Philologen wesentlich größer (94 statt 54 Stunden) und komplexer war, dazu jeweils über den ganzen Tag verteilt. Vorgesehen war eine Einteilung in zwei Gruppen; aber außerdem tagten in Sonderkursen gleichzeitig noch die Theologen (mit 38 Stunden für die katholische und 34 für die evangelische Fakultät, die übrigen Stunden sollten die Teilnehmer den allgemeinbildenden Vorlesungen widmen). Die meisten Veranstaltungen galten Themen des herkömmlichen Kanons, doch waren auch einige kriegsbezogene darunter: »Kriegsarchäologie« (2 St.) und 126 Nachgewiesen im Kommentar zu Simmels Brief an den Dekan 25.10.1917, in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 857. 127 S. dazu die (teilweise im folgenden auch noch einzeln aufgeführten) Programme und sonstigen Schreiben in ADBR 103 AL 124. Die Vorschläge der Dozenten der Med. Fak. Straßburg für Kurse für Mediziner Anfang 1918 findet man in 103 AL 1047 (Dekan an Med. Fak. 22.12.1917, mit eingelegten Antworten). 128 Zusammengefaßt aus: 3. Hochschulkursus der Heeresgruppe Herzog Albrecht an der Universität Straßburg 8.1. bis 21.1.1918 (zwei Zitate); 2. Hochschulkursus der Heeresgruppe Herzog Albrecht an der Universität Straßburg 5.12. bis 18.12.[19]17 (letztes Zitat). Beide: ADBR 103 AL 124.
1010 Studium und Lehre im Krieg »Vom Kämpfen und Sterben, orientalische, griechische, römische und germanische Sitte und Kunst« (2 St.!) behandelte der Archäologe, »Die Anfänge des englischen Imperialismus« fand ein Dozent bei Cromwell (3 St.), Spahn behandelte Deutschlands Außenpolitik seit 1871. Der 1914 nach Straßburg berufene Leipziger Pfarrer Gottfried Naumann erörterte die »Bedeutung des Weltkriegs für die Aufgaben der Kirche«.129 Im allgemeinbildenden Teil des Kurses für Mathematiker und Naturwissenschaftler las Stählin, der im Fachkurs für die Philosophische Fakultät vier Stunden Einführung in die russische Geschichte geboten hatte, zwei Stunden lang über die »Vorgeschichte des Krieges (seit 1890)«.130 Als der Dekan im Oktober 1917 rundgefragt hatte, hatte Stählin neben der vierstündigen Neuesten Geschichte (1871–1914) noch drei weitere Themen zur Auswahl gestellt, damit aber offenbar nicht das Interesse der militärischen Veranstalter getroffen: Renaissance, Englische Geschichte (je vierstündig) »oder 2–3 Stunden über Geschichte Elsaß-Lothringens.«131 Da hatte offenkundig auch seine nachträgliche Erläuterung zu seinen Einträgen in das »eilige Zirkular« nicht geholfen: »Die els-loth. [!] Geschichte ist im Rahmen der gesamteuropäischen Geschichte gedacht und würde sich deshalb, und weil Elsaß-Lothringen im Mittelpunkt der Kriegsund Friedensfragen von heute steht, wohl besser zu einer allgemeinen Vorlesung eignen, als es an sich den Anschein hat.«
Für die allgemeinbildenden Kurse, die nicht nur für Akademiker bestimmt waren, sondern für »Militärpersonen jeden Dienstgrades mit höherer Schulbildung«, suchte das Oberkommando der Heeresgruppe Albrecht zur Entlastung des Straßburger Kollegiums auch Dozenten von außerhalb. Die insgesamt 50 Vortragsstunden sollten dem Thema »Deutscher Staat und deutsche Kultur« gelten, dabei »ein allgemein verständliches, geschlossenes Bild deutschen Wesens und deutscher Eigenart und ihres Wirkens in Staat und Kultur geben«. 16 Themenfelder (von »Deutscher Kunst« über »Deutschen Handel« und »Preußens Ende, Preußens Wiedergeburt« bis zu »Kultur und Machtstaat im neuen Deutschland«) waren vorgeschlagen, die die Adressaten ihren eigenen Schwer129 Die katholischen Theologen wichen von den allgemeinen Vorgaben insofern ab, als sie in drei regulären Vorlesungen dieses Semesters in der Zeit der Kurse ein abgeschlossenes Thema erörtern wollten und nur drei Sonderkurse (mit insgesamt 14 Stunden) für die Kriegsteilnehmer vorsahen. Lehrplan des 1. Hochschulkursus der Heeresgruppe Herzog Albrecht (….) (19. November bis 2. Dezember 1917); 2. Hochschulkursus (wie A. 128) (Zitate). Beide: ADBR 103 AL 124 (mit Vermerk über Verteilungsplan und Aushändigung bei Ankunft). 130 Lehrplan des 4. Hochschulkursus der Heeresgruppe Herzog Albrecht (….) (1. bis 14. Februar 1918): ADBR 103 AL 124. 131 Dekan der Phil. Fak. Strb. an Kollegen 25.10.1917; Stählin an Dekan der Phil. Fak. 27.10.1917: ADBR 103 AL 38.
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punkten entsprechend modifizieren oder ersetzen konnten. Kosten für Reise, Unterkunft und Verpflegung würden übernommen, aber kein Honorar gezahlt.132 Die auswärtigen Historiker warb die militärische Leitung von sich aus an, wobei den Straßburgern auch noch geraten wurde, jenen den Vortritt zu lassen und sich selbst auf die beiden allgemeinbildenden Kurse zu verteilen. Das führte sogar dazu, daß einzelne nicht wie gewünscht zu Wort kamen.133 Unmittelbar nach Ablauf der Meldefrist potentieller Dozenten erging ein weiterer gedruckter Rundbrief, vermutlich an die ausgewählten. Er bestimmte die Grundlinien nun genauer. Durch Darstellung der Gegenwart (»Querschnitt […] durch die heutige Deutschheit«) sollten »Richtlinien« entworfen und »Forderungen« gestellt werden »für das Leben des einzelnen und der Gesamtheit im neuen Deutschland«. Die »Eingliederung und Funktion« der einzelnen Lebensgebiete und Organisationszweige im staatlichen Gesamtorganismus seien zu veranschaulichen. Das »geschlossene Gesamtbild heutiger deutscher Art und deutschen Wirkens«, das sich daraus ergeben sollte, werde auch »schon der Einleitungsvortrag in den Hauptzügen darstellen«. Erwartet wurde die »bereitwillige Unterordnung der Herren Vortragenden unter diesen Leitgedanken«.134 Unter den 24 Referenten hielten sich Straßburger und Auswärtige ungefähr die Waage. Besagten Eröffnungsvortrag bestritt ein Oberleutnant, bevor dann der erste Professor, ein Nichtstraßburger, zwei Stunden lang über die »Entwicklung des deutschen Nationalbewußtseins« referierte.135 Beim zweiten allgemeinbildenden Kursus blieben die meisten Themen gleich, doch war der Bereich Wirtschaft und Sozialpolitik erweitert, stärker konkretisiert und auf Straßburg bezogen. Entfallen waren einige abstraktere Vorträge (z. B. Gothein über »Wissenschaft und Kultur«), auch Simmels »Einheit und Zwiespalt in Goethes Weltbild« war durch »Germanischer und klassisch-romanischer Stil« ersetzt.136 Dabei hatte die Heeresgruppe schon für den ersten Kurs den Goethe-Vortrag vermutlich als den zugänglicher erscheinenden gewählt, denn als Alternative hatte Simmel damals »Schopenhauer und Nietzsche« angeboten. Im Gegen132 Gedrucktes zweiseitiges Briefformular: Oberkommando der Heeresgruppe Albrecht 24.11.1917: ADBR 103 AL 124. 133 So der Dekan der Phil. Fak. an Hans Kaiser, den Direktor des Bezirksarchivs und Honorarprof. für historische Hilfswissenschaften, 10.12.1917 (»Konzept«): ADBR 62 AL 38. Auch Bresslau sei zum Bedauern des Dekans für den Januar-Kurs nicht zum Zuge gekommen. 134 Gedrucktes Blatt: Oberkommando der Heeresgruppe Herzog Albrecht 6.12.1917: ADBR 103 AL 124. 135 Lehrplan des 3. Hochschulkursus der Heeresgruppe Herzog Albrecht (…) (8. Januar bis 21. Januar 1918) [mit Stundenplan im Anhang]: ADBR 103 AL 124. Der Redner ist nicht zu identifizieren, da der Vorname fehlt und sein Beitrag auch nicht in den aus den allgemeinbildenden Kursen hervorgegangenen Sammelband (s. u.) aufgenommen wurde. 136 Lehrplan des 5. (und letzten 2. allgemein-bildenden) Hochschulkursus der Heeresgruppe Herzog Albrecht (…) (16. Februar bis 1. März 1918): ADBR 103 AL 124.
1012 Studium und Lehre im Krieg satz zu anderen Kollegen wollte er zwar nur einstündig reden, bat aber darum, seinen Termin so zu legen, daß kein anderer Vortrag unmittelbar anschließe, weil ein »ganz unverhältnismäßiger Gewinn an Verständniß u. Vertiefung zu erreichen« sei, wenn er sich nicht exakt an die 45 Minuten halten müsse.137 Möglicherweise entsprach Simmels in dem Goethe-Vortrag entwickelter Katalog von Handlungsanweisungen, nämlich Sinn zu erzeugen, Werte zu bewahren, das Heil zu suchen und das Recht durchzusetzen, nicht den propagandistischen Erwartungen der Heeresleitung an die Kriegshochschulen. Denkbar ist aber auch, daß der Vortrag wegen seiner philosophischen Sublimierung138 die Hörer nicht wirklich erreicht hatte. Die Straßburger Hochschulkurse, die diese Universität von den anderen abheben, entstanden also nicht aus deren eigener Initiative, sondern wurden vom Militär angeregt. Die Universität wurde von außen dafür eingespannt – doch entsprach die Tätigkeit durchaus dem bisherigen eigenständigen Engagement des Kollegiums, das jahrelang eine weitgespannte Vortragstätigkeit, insbesondere für Verwundete, entwickelt hatte. Offenbar nahm die Universität nicht einmal an der detaillierten Vorgabe für den allgemeinbildenden, die »Deutschheit« ins Zentrum rückenden Kurs Anstoß, weil dies ganz auf ihrer eigenen patrio tischen Linie lag. Allerdings wichen diese Kurse beträchtlich von dem ab, was man herkömmlich unter universitärer Lehre verstand: Zumindest bei den allgemeinbildenden waren Thema und Erkenntnisziel vorgeschrieben – es fehlte also nicht nur die Lehrfreiheit, sondern es handelte sich dabei auch nicht um Wissenschaft im eigentlichen Sinne; denn diese erfordert nicht nur die Freiheit des Fragens, sondern ist (nach Humboldt) als immer unabgeschlossener Prozeß zu verstehen. Daß die anfangs von einem Unterrichtsoffizier geforderte dialogische Form umgesetzt wurde, darf bezweifelt werden. Und zwar nicht, weil die Programme immer von »Vorlesungen« sprachen (denn das war damals einfach das Synonym für »Lehrveranstaltung«); sondern in erster Linie deshalb, weil die meisten Themen sich aufgrund ihrer Spezifik und der Kürze der Zeit (1–4 Stunden) gar nicht dazu eigneten, allmählich im Gespräch entwickelt zu werden – um so weniger, als die Studenten aus dem Feld ja nicht mit detaillierten Vorkenntnissen für die Fülle der bei jedem Kurs angebotenen Themen anreisen konnten. Andererseits rückte die Vortragsform die allgemeinbildenden Kurse zusätzlich zu ihrem
137 Zitat: Simmel an Dekan Phil. Fak. KWU Strb. 25.12.1917. Das Alternativangebot nach dem Kommentar dazu. Beides in: Simmel, Gesammelte Werke 23, S. 891 f. Dort ist – wegen der Aktenüberlieferung der Phil. Fak. – offen gelassen, ob die Heeresleitung sich »überhaupt für Simmels Angebot entschieden hat«. Doch durch den zitierten Lehrplan (A. 136) ist es belegt. 138 So Barrelmeyer, Krieg, Kultur und Soziologie, S. 178 (mit Analyse eines Simmel-Textes von 1915 zu diesem Goethe-Thema).
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inhaltlichen Schwerpunkt auch formal näher an den Vaterländischen Unterricht (bei dem keinerlei Diskussion vorgesehen war139). Daß es sich nicht um universitäre Lehre im eigentlichen Sinn handelte, ergibt sich auch schon aus der von den Militärs immer wieder benutzten Bezeichnung »Lehrgang«.140 Die Anwesenheitspflicht, die für »kommandierte« Soldaten selbstverständlich war, widersprach der Lernfreiheit der Studenten. Und die Eröffnung der einzelnen Hochschulkurse jeweils durch Offiziere der Heeresgruppe, von denen einer bei den beiden allgemeinbildenden Kursen sogar den inhaltlich richtungsweisenden Vortrag hielt,141 kann man als Novum der Universitätsgeschichte betrachten – aber auch als Kriterium, das gegen den universitären Charakter dieser Veranstaltungen sprach. Das Programm der ersten beiden Kurse wurde abgerundet durch Münsterund Altstadtführungen (jeweils mit vorausgehendem Vortrag). Bei den beiden allgemeinbildenden Kursen fanden außerdem Führungen zu den Themen »Industrie« und »Handwerk« statt, etwa durch die Wirtschaftsbetriebe der Stadt Straßburg, durch Kriegsküchen, durch Industrie- und Hafen-Anlagen. Der fünfte (allgemeinbildende) Kurs unternahm außerdem einen Sonntagsausflug zur Hohkönigsburg, welche Schlettstadt 1899 dem Kaiser geschenkt hatte. Die überragende Bedeutung, die er ihr bei der Einweihung 1908 zugewiesen hatte, entsprach ganz dem Thema des allgemeinbildenden Kurses: »Möge die Hohkönigsburg hier im Westen des Reiches, wie die Marienburg im Osten, als ein Wahrzeichen deutscher Kultur und Macht bis in die fernsten Zeiten erhalten bleiben.«142
Bei den Kursen für Naturwissenschaftler und Mediziner scheinen solche Führungen nicht vorgesehen gewesen zu sein. Das mag auch mit den Experimenten und klinischen Veranstaltungen zusammenhängen, die mehr Zeit erforderten als rein verbaler Frontalunterricht (und deren Vorbereitung bereits die Verschiebung dieses Kurses auf die Zeit der Semesterferien erfordert hatte). Sie
139 Hans Thimme, Weltkrieg ohne Waffen. Die Propaganda der Westmächte gegen Deutschland, ihre Wirkung und ihre Abwehr, Stuttgart 1932, S. 196 f. 140 Z. B. Oberkommando der Heeresgruppe Herzog Albrecht an Gouvernement Strb. 4.1.1917; Oberkommando (…) 15.12.1917: 3. Hochschulkursus; Telegramm 19.10.1918; alle: ADBR 103 AL 124. 141 Für die Eröffnung des 2. Hochschulkurses durch den Generalquartiermeister s. das Programm (wie A. 128); für die Einleitung zum 3. und 5. s. deren Programme (wie A. 135 und A. 136). 142 Zit. bei Herzogin Viktoria Luise, Im Glanz der Krone, Göttingen u. a. 31968, S. 316. Die Burg hatte der Kaiser (überwiegend auf Kosten des Reichslandes) restaurieren lassen. Details zur Tagesexkursion (Abfahrt 5.20, Rückkehr 23.18, Militärtransport, Nachzügler auf eigene Kosten): Oberkommando Heeresgruppe Herzog Albrecht: Für Schwarzes Brett 21.2.1918: ADBR 103 AL 124.
1014 Studium und Lehre im Krieg erstreckten sich ohne längere freie Zeit am Mittag (in der sonst die Führungen stattfanden) jeweils über den ganzen Tag. Vom (formalisierten oder freien) Austausch, nach dem die vereinsamten Studenten im Feld so sehr verlangten, war hier nicht die Rede. Doch sollten die Kurse auch eine gemeinschaftsbildende Funktion erfüllen. Am Ende des ersten fand ein Abschiedsessen aller Teilnehmer im Militärkasino statt. Dazu wurden auch der Rektor der Universität und die beteiligten Dozenten eingeladen. Bis auf zwei nahmen alle an.143 In den späteren Kursen gab es nur noch gemeinsame »Bierabende«. (In der Einladung an die Dozenten und den Aushängen wurde verschiedentlich hinzugefügt: »kein« bzw. »ohne Abendessen«). Die Teilnahme daran war »für Kursusteilnehmer Dienst.« Weitere »gemeinsame gesellschaftliche Veranstaltungen« waren »nicht geplant«, ihre Organisation durch die Teilnehmer selbst den Militärbehörden aber »sehr erwünscht«.144 Allerdings bestand ab dem dritten Kurs jeweils ein offenbar doch von den Organisatoren eingerichteter (und im voraus bekanntgegebener) »gemeinsamer Stammtisch« im »Bier-Restaurant ›Münchener Kindl‹«.145 Waren die Dozenten beim Gemeinschaftsabend anfangs fast alle anwesend,146 so ging ihre Teilnahme im Februar zurück. Zwar beteiligten sich von denen des medizinischen Sonderkurses fast zwei Drittel, doch von den Dozenten des mathematisch-naturwissenschaftlichen nur gut die Hälfte (darunter auch Geisteswissenschaftler des allgemeinbildenden Teils).147 Als der Rektor daraufhin mitteilte, daß auch die Dozenten der früheren Kurse willkommen seien, wollte nur einer von 23 teilnehmen. (10 waren verhindert, krank oder verreist, 8 zeichneten den Umlauf nur als »gesehen« ab.)148 Als die Heeresgruppe schließlich den Anschlag für die letzte Gemeinschaftsveranstaltung an den Rektor weiterreichte, verband sie damit die »Bitte, es möchten zu diesem letzten Bierabend eine größere Anzahl Vor tragende, auch von den früheren Lehrgängen, erscheinen.« Der Rektor gab dies 143 Die Ausnahmen waren der Dombaumeister (mit Bezug auf seinen gerade gefallenen Sohn) und der Zoologe Ludwig Döderlein. Oberkommando der Heeresgruppe Herzog Albrecht an Rektor KWU Strb. 15.11.1917; Rektor an Oberkommando (…) 27.11.1917. Beide: ADBR 103 AL 124. 144 2. Hochschulkursus (wie A. 128); »kein/ohne Abendessen«: Oberkommando der Heeresgruppe Herzog Albrecht 7.1.1918 (für den 3. Kurs); 8.2.1918: Fürs Schwarze Brett (für den 4. Kurs): ADBR 103 AL 124. 145 3. Hochschulkursus (wie A. 128); 4. und 5. (letzter) Hochschulkursus der Heeresgruppe Herzog Albrecht an der Universität Straßburg: ADBR 103 AL 124. 146 Im dritten Kurs waren von der Universität 13 Dozenten angemeldet – das entsprach ihrem Anteil in diesem etwa zur Hälfte von auswärtigen Kollegen mitbestrittenen Kurs. Vermerk auf der Rückseite von: Oberkommando der Heeresgruppe Herzog Albrecht 7.1.1918: ADBR 103 AL 124. 147 S. die Vermerke auf dem Original und den Abschriften von: 8.2.1918 »Fürs Schwarze Brett«: ADBR 103 AL 124. 148 Rektor der KWU Strb. 12.2.1918: ADBR 103 AL 124. Die Unterschrift Wittichs hat keinen Beisatz, muß vermutlich auch als »gesehen« interpretiert werden.
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allerdings erst zwei Tage nach Eingang an die Kollegen weiter – und auch nicht als Bitte (die natürlich als Aufforderung zu verstehen gewesen wäre), sondern mit den Worten »freundlichst eingeladen«. Insgesamt sagte schließlich nur ein knappes Drittel zu. Die anderen waren (mit oder ohne »leider«) »verhindert« oder zeichneten den Umlauf einfach nur ab, so daß der Rektor nach zusätz lichen Bemühungen schließlich nur 15 Kollegen anmelden (und gewisse Hoffnungen auf die Anwesenheit zweier weiterer wecken) konnte.149 Unterbringung, Versorgung, Postempfang in Straßburg waren bis ins kleinste Detail durchorganisiert.150 Dabei konnten die einzelnen Teilnehmer über ihre Verpflegung (durch das Militär im Soldatenheim oder selbständig mittels Lebensmittelkarten) zwar selbst entscheiden (wobei für letzteres trotz Zuschüssen aber eine eigene Zuzahlung fällig war). Doch obwohl beim 3. Kurs nicht nur 100, sondern alle Teilnehmer »volle Feldverpflegung« erhalten konnten, war das Soldatenheim in erster Linie für Mannschaften, die Gouvernementsküche für Mannschaften und Unteroffiziere gedacht.151 Offiziere sollten namentlich gemeldet werden und konnten selbstverständlich ihre Burschen mitbringen, die dann ebenfalls versorgt wurden.152 Für die Sonntage konnte Urlaub gewährt werden, ab dem dritten Kurs erhielten die Unteroffiziere und Mannschaften an Wochentagen »ohne besonderen Antrag Stadturlaub bis 12° [!] nachts«.153 Daß der Zustrom aus dem Front- und Etappengebiet auch gewisse hygienische Probleme verursachte, ergibt sich aus den Vorschriften für den 4. und 5. Kurs: »Die Truppenteile sorgen für ordnungsmäßige vorherige Entlausung der Kommandierten.«154 Daß die Heeresleitung aus den früheren Kursen jeweils Konsequenzen für spätere zog, ist nicht nur aus der kaum verhüllten Androhung von Anwesenheitskontrollen ersichtlich. Auch bei der Auswahl der Teilnehmer lernte sie hinzu. Zwar waren die beiden allgemeinbildenden Kurse für »Militärpersonen 149 Oberkommando der Heeresgruppe Herzog Albrecht 22.2.18: Für Schwarzes Brett! (mit Eingangsstempel 23.2., Vermerk des Rektors 25.2. und Unterschriften sowie zwei weiteren Blättern mit Unterschriften); [Zusammenfassung des Rektors:] 1.3.1918. Beide Dokumente: ADBR 103 AL 124. Georg Simmel hielt am 28.2. einen öffentlichen Vortrag, am 1.3. reiste er zu zwei Vorträgen in die Niederlande (Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 913–915 [Kommentare]), war also wirklich verhindert. 150 Für den Postempfang z. B. nicht nur die Verteilung, sondern auch die Hinterlegung beim Pedell, falls ein Teilnehmer nicht anwesend war, oder die Verwendung des Soldbuchs als Postausweis für die Entgegennahme von Einschreiben, Wertsendungen und Post anweisungen. S. als Beispiel: 2. Hochschulkursus (wie A. 128). 151 2. Hochschulkursus; 3. Hochschulkursus (beide wie A. 128). 152 Oberkommando der Heeresgruppe Herzog Albrecht 11.11.1917: ADBR 103 AL 124. 2. Hochschulkurs (wie A. 128). 153 Der Sonntagsurlaub war dabei durch einen gewählten Teilnehmer für alle gesammelt zu beantragen. S. 3. Hochschulkursus (wie A. 128). 154 4. und 5. Hochschulkursus (wie A. 145).
1016 Studium und Lehre im Krieg jeden Dienstgrades mit höherer Schulbildung« bestimmt, tatsächlich scheinen aber Teilnehmer mit mittlerer Bildung sowie Lehrer »aller Arten« (die Volksschullehrer wurden damals ja noch an nichtakademischen Seminaren ausgebildet) und Unterrichtsoffiziere stark vertreten gewesen zu sein.155 Darunter beim ersten wohl auch eine Reihe (zumindest aus Sicht der Militärs) Ungeeigneter. In der Ausschreibung des zweiten wurde daher ein schon früher enthaltener Satz fett gedruckt und durch entsprechende Erläuterungen begründet: »Vorbedingung ist, daß nur solche Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften kommandiert werden, deren Bildungsgrad und Interessenkreis einen nutzbringenden Besuch dieses Lehrgangs versprechen. Der 3. (erste allgemeinbildende) Kurs hat gezeigt, daß die Auswahl der Kursteilnehmer nicht immer mit der erforderlichen Sorgfalt erfolgt ist, daß andererseits die Wirkung des Lehrgangs auf selbständige und aufnahmefähige Hörer sehr tief ist. In diesen letzteren Fällen ist ein mittelbarer vaterländischer und allgemein-bildender Einfluß der Kurse auch auf die Truppe [!], zu denen [!] solche Teilnehmer mit frischer Anregung zurückkehren, mit Bestimmtheit zu erwarten. Die Teilnahme der Unterrichtsoffiziere ist dringend zu empfehlen.«156
Hier wird ganz deutlich, daß zumindest die allgemeinbildenden Kurse in erster Linie zur Stärkung des vaterländischen Bewußtseins der Teilnehmer dienen sollten, damit diese ihrerseits als Multiplikatoren unter den kriegsmüden Truppen in der Etappe und an der Front dienen konnten. Das Oberkommando der Heeresgruppe Albrecht war mit den Kursen, an denen über 1000 »feldgraue Hörer« teilgenommen hatten, zufrieden, fand durch die drei »Fachhochschulkurse« die Liebe zum Beruf und das Vertrauen in die persönliche Eignung dazu gestärkt und wertete die beiden allgemein-bildenden Kurse (unter Berücksichtigung der Schwierigkeiten der »Kulturarbeit« im Krieg) als »vollen Erfolg«.157 Direkt nach Abschluß versprach es sich davon, daß sie »die Kampfkraft und den inneren Wert der Truppe unmittelbar stärken helfen. Schon darin allein liegt ihr hoher vaterländischer Wert.« Es dankte dem Rektor und dem gesamten Lehrkörper, ohne die der Erfolg nicht möglich gewesen wäre – schrieb aber die Entfaltung der »ganz besonderen und nachhaltigen Bildungsarbeit« letztlich der Heeresgruppe selbst zu!158 155 Anforderung: 3. Hochschulkursus (Zitat); Realität: Deutscher Staat und Deutsche Kultur. Auf Grund an der Kaiser-Wilhelms-Universität in Straßburg bei Hochschullehr gängen der Heeresgruppe gehaltener Vorträge hg. von der Heeresgruppe Herzog A lbrecht, Straßburg 1918, S. VII (Zitat). 156 4. und 5. Hochschulkursus (wie A. 145). Kursivierter Satz i. O. fett. 157 Alle Zitate: Deutscher Staat und Deutsche Kultur, S. VII . Zur Leistung der Fachkurse: wie folg. A. 158 »Daß die Heeresgruppe in Straßburg eine ganz besondere und nachhaltige Bildungsarbeit hat entfalten können, dankt sie in erster Linie der Straßburger Kaiser-WilhelmsUniversität. Ohne die aufopfernde, stets bereite und verständnisvolle Mitarbeit des
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Eine Auswahl der Vorträge der beiden allgemeinbildenden Kurse wurde 1918 von der Heeresgruppe als Buch publiziert. Den Militärs galt es als »ausgezeichnetes Lehrmittel für den vaterländischen Unterricht«.159 Zwar hatten »Raumrücksichten« (d. h. Papiermangel) dazu geführt, daß »die Heeresgruppe hier nur Männer sprechen [ließ], an deren ernstem Willen, allein dem Vaterlande zu dienen, kein Zweifel obwalten kann«.160 Trotzdem sollte man aus dem Fehlen einzelner Vorträge nicht auf die Unterstellung mangelnder nationaler Gesinnung161 seitens der Heeresgruppe schließen; denn neben Simmels Texten vermißt man auch Gotheins Vortrag über »Die Neuorganisation der deutschen Wirtschaft«, »Deutsche Wohnungspolitik nach dem Kriege« des Tübinger Nationalökonomen Carl Johannes Fuchs oder »Deutsche Musik bis Beethoven« des Straßburger Extraordinarius für Musikwissenschaft Friedrich Ludwig.162 Insgesamt vermitteln die Texte des Sammelbandes den Eindruck einer eher sachlichen als ideologisch aufgeladenen Darstellung, sind aber natürlich von der epochenspezifischen Wahrnehmung geprägt. Ausgesprochen mobilisierende Töne flossen in Stählins »Nähere Vorgeschichte des Weltkriegs 1908/09–1914« ein, in dem er diesen als »Ergebnis des imperialistischen Zeitalters, des Zeitalters der Weltpolitik und der Weltwirtschaft der Großmächte« bezeichnete. »Deutschlands Politik aber läßt sich überhaupt nicht als richtiger Imperialismus bezeichnen,« denn Deutschland brauche und wolle nur »Absatzgebiete, die offene Tür« – und werde sich im Krieg nun hoffentlich ein mittelafrikanisches Kolonialreich schaffen.163 Den Weltkrieg betrachtete Stählin als »die furchtbarste Tragödie aller Zeiten«. Am Ende gab er eine historische Einordnung, die an der Deutung als Verteidigungskrieg festhielt, diesen durch die historische Parallele aber zugleich als Präventivkrieg legitimierte – und Deutschland eine Verbesserung seines Status in Aussicht stellte (denn schließlich war Preußen durch den Siebenjährigen Krieg ja zur fünften Großmacht Europas aufgestiegen).
159 160 161 162
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Rektorats und des gesamten Lehrkörpers wäre der erzielte große Erfolg nicht erreicht worden.« Oberkommando der Heeresgruppe Herzog Albrecht an Rektor KWU Strb. 4.3.1918: ADBR 103 AL 124. Zitat aus einer Besprechung der Leiter des Vaterländischen Unterrichts an der Westfront am 27./28.6.1918 im Kommentar der Herausgeber in: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 892. Heeresgruppe Albrecht, Vorwort, in: Deutscher Staat und Deutsche Kultur, S. VIIf., Zitat VIII . So angedeutet bei den Herausgebern seiner Werke: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 892. Deshalb scheint es müßig, über die ›wahren‹ Gründe für das Fehlen von Simmels beiden Vorträgen zu spekulieren. Themen der Vorträge (jeweils ohne Vornamen und Orte) in: Lehrplan des 3. Hochschulkurses (wie A. 135). Zu den möglichen Gründen für die Nichtaufnahme des Vortrags über Goethe s. o. S. 1011 f. Karl Stählin, Die nähere Vorgeschichte des Weltkriegs 1908/09–1914, in: Deutscher Staat und Deutsche Kultur, S. 106–128, Zitat 106. Die – sozusagen weitere – Vorgeschichte des Krieges (die Zeit von 1890–1908) behandelte im selben Band (89–105) der Bonner Privatdozent und Titularprofessor Justus Hashagen.
1018 Studium und Lehre im Krieg Zudem schien die Wende zum Guten schneller zu kommen als während des 7jährigen Krieges: »Wir aber führen einen Verteidigungskrieg, wie Friedrich der Große den dritten schlesischen. Und wie ihm nach sieben furchtbaren Kriegsjahren, so beginnt sich für uns im vierten das schwere Dunkel zu lichten. Abgesehen von den feindlichen Balkanstaaten hat Italien für seinen Treubruch die Strafe ereilt und jetzt ein Gottesgericht sondergleichen den Koloß auf tönernen Füßen im Osten gestürzt. Mit verdoppelter Gewalt wird sich das deutsche Unwetter über den Westen entladen. Frankreich, an England versklavt, zittert als dritter der Großstaaten vor unseren herrlichen Waffen. Sie, meine Herren, haben den schönsten Beruf: Geschichte zu machen, hinter die Geschichte, die wir Ihnen vortrugen, das große Punktum zu setzen, den deutschen Endsieg.«164
Stählin konnte mit diesem Vergleich, der Analyse der Lage nach dem Zusammenbruch der italienischen Front in der 12. Isonzo-Schlacht Ende Oktober 1917 und den beiden russischen Revolutionen dieses Jahres sowie dem appellativen Schluß die Hörer vermutlich am ehesten mobilisieren; denn schließlich hatte sich der pensionierte Berufsoffizier als fast fünfzigjähriger Ordinarius 1914 noch selbst freiwillig gemeldet und bis 1917 gedient, auch an der Front.165 Mit Bezug auf den Erfolg dieser Kurse im Winter 1917/18 und die häufige Nachfrage meldete die Straßburger Post am 1. Oktober 1918, daß das Oberkommando auch im bevorstehenden Winter solche veranstalte, nun sogar sieben (statt wie im Vorjahr fünf)! Die »tiefgreifende und nachhaltige« Wirkung bezog die Zeitung ganz auf die Teilnehmer und ihr weiteres Studium bzw. Berufsleben, denn die Kurse boten nicht nur »Anregungen« und »Auffrischung halb oder ganz vergessener Kenntnisse«, sondern zeigten ihnen auch, »daß sie tatsächlich jederzeit in der Lage sind, trotz der langen Unterbrechung ihrer Studien diese mit Erfolg wieder aufzunehmen. Daß dies psychologisch von der größten Bedeutung ist, liegt auf der Hand. »166
Bei der vorausgegangenen Besprechung der Militärs standen dagegen ganz andere Gesichtspunkte im Vordergrund: Wie im Vorjahr wollte man fachwissenschaftliche und allgemein-bildende »Lehrgänge« abhalten, dabei letztere allerdings ›vermehren‹, von ersteren (nur) »einzelne besonders interessierende«
164 Stählin, Nähere Vorgeschichte des Weltkriegs (wie A. 163), Zitate S. 117, 127 f. 165 Im zweiten allgemeinbildenden Kurs (16.2.–1.3.1918) war dieser Vortrag aus dem ersten (8.1.–21.1.1918) nicht mehr enthalten. Doch war der Grund dafür (wie auch für das Fehlen von Sappers »Das Deutschtum im Ausland«) ganz praktischer Natur. Beide waren zu der Zeit »verreist« (Oberkommando der Heeresgruppe Herzog Albrecht an Rektorat Straßburg 4.1.1918: ADBR 103 AL 124). 166 Hochschulkurse für Kriegsakademiker, in: SP 538, 1.10.1918 MA .
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wiederholen.167 Parallel sollten (wie im Vorjahr) an der TH Karlsruhe technische und an der Universität Freiburg fachwissenschaftliche Kurse abgehalten werden. Dabei wurde das Spektrum noch um Forstwissenschaft an der TH und kaufmännische Kurse an der Handelshochschule Mannheim ergänzt. Außerdem sollten nun aber auch in Freiburg allgemeinbildende abgehalten werden. Insgesamt wurde der Schwerpunkt also auf diese verlagert. Die gesinnungsbildende Intention, die für das Vorjahr vor allem zu erschließen war, wurde nun ganz offenkundig: denn erstens sollte »im Anschluß an den ersten allgemeinbildenden »Lehrgang« in Straßburg ein »2–3 tägiger Lehrgang für Unterrichts-Offiziere« stattfinden. Deshalb sollten am ersten Kurs »möglichst viele U[unterrichts-] O[ffiziere]« teilnehmen (was die Chancen anderer Interessenten natürlich stark verminderte!). Zweitens konnte aber für die allgemeinbildenden Kurse von der sonst geltenden Voraussetzung höherer Schulbildung abgesehen werden, wenn »Militärpersonen« ohne diese »nach Ansicht ihrer Vorgesetzten und insbesondere auch der der Unterrichts-Offiziere der Divisionen besonders geeignet [waren], den Inhalt der allgemein-bildenden Lehrgänge im vaterländischen Geiste nutzbringend auf die Truppe zu übertragen.«168 Und schließlich sollte im allgemeinbildenden Teil des ersten Fachkursus (für Juristen und Nationalökonomen) auch ein Vortrag über den Vaterländischen Unterricht stattfinden, gehalten von dem Bonner Privatdozenten für Geschichte (und späteren nationalsozialistischen Wissenschaftsfunktionär) Walter Platzhoff, der als Sanitäter im zweiten Kriegsjahr mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden war.169 Da die »Kommandierung zu den Hochschullehrgängen in gewissem Sinne eine Bevorzugung der Militärpersonen mit höherer Schulbildung darstellt und häufig auch als solche empfunden« werde, waren weitere Veranstaltungen »hinter der Front besonders erwünscht«, die Militärpersonen ohne höhere Schulbildung »in gleicher Weise Erholung bieten«.170 Offenbar gab es im Heer also einen gewissen Unmut über die Förderung der Akademiker. Daß Initiative, Konzeption und Organisation der Hochschulkurse wiederum beim Militär und nicht bei den beteiligten Universitäten lagen, wurde in dem Schreiben deutlich herausgestellt. Dabei reagierte die Leitung der Heeresgruppe nach eigener Aussage auf die Bitte der Armeen, welche die Einrichtung solcher Kurse als »dringendes Bedürfnis« ansahen.171 Die Anteile der einzelnen Armee167 Oberkommando der Heeresgruppe Herzog Albrecht (gez.: Chef des Generalstabs Heye) 2.9.1918: ADBR 103 AL 124, unpag. u. unfol, hier S. 1. 168 Wie A. 167, S. 2. 169 Lehrplan des 1. Hochschulkursus der Heeresgruppe Albrecht [1918]: ADBR 103 AL 124. Biogr. Angaben des ohne Vornamen und Ort angeführten Redners: http://de.wikipedia. org/wiki/Walter_Platzhoff (6.5.2013). 170 Wie A. 167, S. 4, 2. 171 Heeresgruppe Albrecht an KWU Strb. 3.9.1918: ADBR 103 AL 124.
1020 Studium und Lehre im Krieg abteilungen dieser Heeresgruppe an den Kursen wurde nun genau fixiert. Die Verpflegungszuschüsse wurden jetzt nach Rang festgelegt: zwischen 1 Mark für Unteroffiziere und Mannschaften über 1,50 für Portepee-Unteroffiziere und Unterbeamte bis zu 3,50 M. für Offiziere und Beamte. Einen Entlausungsschein hatten nur Mannschaften und Unteroffiziere mitzubringen. Zumindest außerhalb des Hörsaals konnte also von Gleichheit keine Rede sein. Auch die allgemeine Verschlechterung der Lage schlug sich in einer Änderung nieder: In der Ausschreibung wurden drei Mittelstandsküchen nachgewiesen, in denen je 50 Teilnehmer ihre Verpflegung erhalten konnten.172 1917 war noch von Hotels die Rede gewesen! Indem auswärtige Referenten ihre Vorträge in Straßburg und Freiburg möglichst »gleichzeitig oder kurz hintereinander« hielten, sollten vermutlich die Kosten reduziert werden.173 Eine Woche vor Beginn des ersten Kurses wies der von der Medizinischen Fakultät alarmierte Rektor die Heeresgruppe darauf hin, daß der Kurs angesichts der damals grassierenden Spanischen Grippe eine erhebliche Ansteckungsgefahr berge, und schlug vor, daß das Gutachten des Armeehygienikers eingeholt werde. So verschob die Heeresgruppe den Kurs zunächst »bis auf weiteres«.174 Ende Oktober wurde als neuer Termin 9.–21. Dezember festgesetzt, vermutlich, um alle Plätze wirklich zu füllen; die bislang geringe Zahl von Meldungen führte das Oberkommando auf unzulängliche Bekanntmachungen zurück.175 Doch im Dezember hatten deutsche Truppen in Straßburg schon nichts mehr zu suchen. Daß der Andrang zu Kursen in Mannheim besonders stark war, widerlegt einerseits die Vermutung unzulänglicher Bekanntgabe und zeigt andererseits, daß das Bedürfnis der Soldaten selbst eher ein fachliches als ein vaterländisch-ideologisches war. Immerhin hatte dies zur Folge, daß drei weitere solcher kaufmännischen Kurse für Januar und Februar 1919 angekündigt wurden. Durch Berücksichtigung dieser Korrespondenz zwischen Universität und Heeresgruppe nehmen sich die Straßburger Hochschulkurse etwas anders aus als in der öffentlichen Darstellung vor allem Paul Ssymanks. 1918, also nach Abschluß der ersten Serie, schrieb er ihnen in den Grenzboten bereits universitätshistorische Bedeutung zu. Zunächst stellte er sie als pädagogisch-didaktische Lösung des Gerechtigkeits- bzw. Gleichbehandlungsproblems dar; denn durch die Kombination von »streng fachwissenschaftlichen« und »populär-wissenschaftlich« ausgestalteten allgemeinbildenden Kursen hätten sie das Problem beseitigt, daß manche Dozenten in ihren auf ein rein akademisches Publikum 172 1. Hochschulkursus der Heeresgruppe Herzog Albrecht an der Universität Straßburg [24.10.1918–6.11.1918]: ADBR 103 AL 124. 173 Wie A. 167, S. 1. 174 Rektor an Oberkommando der Heeresgruppe Herzog Albrecht 17.10.1918; Telegramm der Heeresgruppe (…) an die KWU Strb. 19.10.1918: ADBR 103 AL 124. 175 Oberkommando der Heeresgruppe Albrecht 27.10.1918: ADBR 103 AL 124.
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zugeschnittenen Vorlesungen keine Rücksicht auf die nichtakademischen Hörer genommen und andere das Niveau ihrer Vorträge zu sehr herabgedrückt hätten, um sie letzteren zugänglich zu machen. Die Kombination hielt er deshalb für »entwicklungsgeschichtlich bedeutend« und zukunftsweisend, für eine sogar »vom rein hochschulpädagogischen Standpunkte« bedeutungsvolle Neuschöpfung. Daraus könnte man eine den Universitäten anzugliedernde »allgemeine Vorlesungsabteilung« für im Berufe stehende Akademiker und »geistig vorwärtsstrebende Nichtakademiker« entwickeln zur Vermittlung der Forschungsergebnisse mit Konzentration auf einen (semesterweise wechselnden) gedanklichen Mittelpunkt.176 Später unterstrich Ssymank das, indem er sie als »praktische Durchführung« des von Götz von Selle propagierten Gedankens einer »humanistischen Fakultät« deutete.177 Bei alledem stellte er die Kurse als Ergebnis der Zusammenarbeit von Heeresgruppe und Universität dar, so daß unter dem mehrfach gebrauchten »man« beide als Einheit erschienen (auch wenn bei Abwägen jedes einzelnen Wortes die militärische Initiative noch zu erkennen ist). Erst nach ausführlichen Darlegungen aller dieser Leistungen für die Kriegsteilnehmer streifte Ssymank auch noch kurz die vom »rein mili tärischen Gesichtspunkte« wichtige »Bereicherung und Vertiefung« des Vater ländischen Unterrichts.178 Die (zumindest) ambivalente Haltung, die sich in Klostermanns Brief179 oder auch im Fernbleiben vieler Dozenten von den späteren Bierabenden ausdrückte, klingt in dieser Erfolgsdarstellung nicht einmal an. Doch wird die Zurückhaltung auch von der den Dozenten zugedachten Auszeichnung seitens des Militärs noch befördert worden sein. Schon im Januar 1918, also mitten in der ersten Kursreihe, teilte der Rektor den Dekanen mit, daß das Armee-Oberkommando beabsichtige, für die Dozenten »eine Auszeichnung zu beantragen, mit dem Beifügen, dass es sich nur um eine geringfügige Auszeichnung handeln könne«. Der Rektor war gebeten worden, Gesichtspunkte zur »Auswahl der vorzuschlagenden Herren« zu formulieren. Doch dazu sah er selbst sich ebensowenig in der Lage wie die von ihm befragten Dekane.180 In diesem Punkt waren sich die Vertreter aller sechs Straßburger Fakultäten offenbar ganz einig. An gesichts der Entwicklungen der letzten Vorkriegsjahre kann man aber nicht davon ausgehen, daß es sich hier noch um eine prinzipielle Ablehnung staatlicher Auszeichnungen handelte.181 Deshalb ist die Ursache der Zurückweisung entweder in der Auffassung zu vermuten, daß alle beteiligten Dozenten eine Auszeichnung gleichermaßen verdient hätten, oder in einer Kränkung durch das 176 177 178 179 180 181
Ssymank, Straßburger Kriegshochschulkurse, Zitate S. 66 (dreimal), 67, 68, 67. Ssymank, Vorläuferin der humanistischen Fakultät. Ssymank, Straßburger Kriegshochschulkurse, Zitate S. 66, 67 (zweimal). Siehe o. S. 1008. Rektor (an Dekane) 15.1.1918 (mit Vermerk aller Dekane!): ADBR 103 AL 124. Siehe o. S. 111.
1022 Studium und Lehre im Krieg Angebot einer nur »geringfügigen«. Andererseits verlieh die Philosophische Fakultät ihrerseits dem Oberkommandierenden der Heeresgruppe, Herzog Albrecht von Württemberg, ein Ehrendoktorat. Diesen Antrag hatten der damalige Dekan F. Schultz, der Altphilologe Schwartz, die Historiker Bresslau, Stählin und Spahn, der Geograph Sapper sowie die Philosophen Simmel und Arthur Schneider gestellt. Sie begründeten ihn damit, daß »der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Herzog Albrecht unser Land vom Feinde schützend, uns im Operationsgebiete die wissenschaftliche und akademische Tätigkeit seit Jahresfrist gewährleistet hat; ferner damit, daß S. Kgl. Hoheit durch die Einrichtung der Kurse für Heeresangehörige sich um das geistige Leben an der Front ein besonderes Verdienst erworben hat.«182
Albrechts Auffassung nach verkörperte sich in der Verleihung »der Geist gemeinsamer Arbeit von Heimat und Heer, der Universität und Heeresgruppe während der Hochschullehrgänge vereinigte«.183
Theologische Lehrgänge für Feldgeistliche Schließlich verdient noch eine weitere Sonderform der Etappenkurse Erwähnung. Zwar kann man sie nicht im strengen Sinn als Hochschulkurse bezeichnen; denn die Initiative ging, anders als bei jenen, weder von Hochschulen noch vom Militär aus. Auch war das Ziel nicht, den Studenten im Feld eine Auffrischung ihrer Studienbemühungen zu gestatten bzw. den gebildeten Teil der oft kriegsmüden Soldatenschaft im vaterländischen Sinn zu motivieren. Doch insofern Theologieprofessoren die Dozenten stellten und zu den Hörern auch Kandidaten und Studenten der Theologie gehörten, rundeten diese »Lehrgänge« das Angebot gewissermaßen ab. Außerdem war Reinhold Seeberg der Leiter dieser Kurse.184 1916 hatte sich ein Feldgeistlicher an den Central-Ausschuß für die Innere Mission gewandt mit der Frage, ob dieser nicht, wie früher, einen apologe tischen Kurs veranstalten könne, an dem auch die Feldprediger teilnehmen könnten; denn der Krieg hatte viele neue Fragen bei ihnen aufgeworfen. Da es aber ausgeschlossen schien, eine größere Zahl von Geistlichen von der Front oder der Etappe in die Heimat zu beurlauben, organisierte die Innere Mission Theologische Kriegslehrgänge in den besetzten Gebieten, und zwar in Warschau, Wilna und – gedrängter und mit kleinerem Programm – in Brüssel. 182 Antrag an die Phil. Fak. 6.1.1918: ADBR 103 AL 38. 183 Oberkommando der Heeresgruppe Herzog Albrecht an Rektor 4.3.1918: ADBR 103 AL 124. 184 Brakelmann, Protestantische Kriegstheologie, S. 13.
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Abgesehen von einem der Direktoren der Inneren Mission, waren die neun Referenten, die (für 10 Vorträge) »im Heeresgefolge« und mit der violetten Armbinde der Feldprediger reisten, alle Professoren, davon vier Berliner: Deißmann, Holl (der zwei Vorträge hielt), Seeberg und Mahling.185 Obwohl Holl über den dreißigjähren Krieg und die Befreiungskriege in ihrer Bedeutung für die Frömmigkeit des Volkes bzw. die kirchengeschichtliche Entwicklung sprach und der Annexionist Seeberg über »Deutsche Religion und deutsches Christentum«, waren die Vorträge alle theologisch-pastoral bzw. kirchengeschichtlich gehalten.186 Von kriegspraktischen Fragen der Seelsorger veranlaßt war Mahlings Referat über Sexualität und »christliche Sittlichkeit«; denn »tapfere todesmutige Männer, die (…) ihr Leben für das Vaterland eingesetzt« hätten, seien »doch nicht zu bewegen gewesen (…), in sittlicher Zucht sich selbst zu beherrschen«. Einen Zusammenhang zwischen Sexualität, Sittlichkeit und Ehre sähen sie nicht – und brächten damit die Pfarrer, die das Gegenteil zu begründen versuchten, in eine echte »Not«. Hier übte der seit langem der Sozialdiakonie verpflichtete, auch selbst in einem Berliner sozialen Brennpunkt wirkende, dabei den »in die Prostitution verflochtenen Männern und Frauen« gegenüber christlichmilde Mahling187 auch Kritik an den »besonderen Notmaßregeln« während des Krieges, welche sich vor allem gegen die Schutzmittel vor sexuell übertragenen Krankheiten richtete. Zwar war sein Bedenken ein anderes,188 doch mußten seine Ausführungen auf die Hörer als Kritik an der Praxis der deutschen Armeen wirken, den Soldaten solche Schutzmittel zu verabreichen und sogar von Militärärzten überwachte Bordelle einzurichten.189 185 [Gerhard] Füllkrug, Vorbereitung und Gestaltung der Kriegstagungen, in: G. F. (Hg.), Theologischer Lehrgang für die feldgraue Geistlichkeit in Ost und West, Leipzig 1918, S. 1–13, Zitat 4; Referenten: VI . 186 Füllkrug (Hg.), Theologischer Lehrgang, Seebergs Vortrag S. 44–68; Abstracts von Holls Vorträgen 39–44; ausgearbeitet in dem bereits vor dem Sammelband erschienenen Separatum: Karl Holl, Die Bedeutung der großen Kriege für das religiöse und kirchliche Leben innerhalb des deutschen Protestantismus, Tübingen 1917. 187 »Den in die Prostitution verflochtenen Männern und Frauen wollen wir die Hand reichen, um sie wieder zur Erkenntnis ihrer Menschenwürde zurückzuführen und sie so von den Banden loszulösen, in denen sie gefangen sind.« [Friedrich] Mahling, Die geschlechtliche Sittlichkeit, ein notwendiger Bestandteil der christl[ichen] Sittlichkeit, in: Füllkrug (Hg.), Theologischer Lehrgang, S. 69–92, Anlaß-Zitate 69, Zitat zur Prosti tution 87. In Brüssel sprach über dieses Thema nicht Mahling, sondern der Tübinger Professor für praktische Theologie und Ethik Paul von Wurster (Füllkrug, Vorbereitung und Gestaltung der Kriegstagungen, S. 11). 188 Nämlich daß diese Mittel zugleich empfängnisverhütend wirkten und daher die »Gefahr« bestehe, daß sie auch beim ehelichen Geschlechtsverkehr angewendet würden, was den Geburtenrückgang noch weiter steigere (Mahling, Geschlechtliche Sittlichkeit, S. 87). 189 S. dazu Lutz Sauerteig, Sexualität, in: Hirschfeld u. a. (Hg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, S. 836–838.
1024 Studium und Lehre im Krieg In der Diskussion wurde auch das Dilemma artikuliert, »daß es selbstverständliche Pflicht sei, in den Predigten die Siegeszuversicht der Soldaten zu stärken und daß darin vor allem auch die Vorgesetzten die Aufgabe der Predigt sähen, während doch unsere Frömmigkeit sich auch auf den Fall einrichten müsse, daß Gott unserem Volke den Sieg versage. Demgegenüber wurde von einem Feldpfarrer erklärt: Ihm sei es an der Gleichartigkeit der Passion des deutschen Volkes mit derjenigen des Herrn fast [!] felsenfest gewiß, daß es auch seinen Ostersieg in seinem Schicksal nacherleben werde.«190
Doch in einer platten Weise die Todesbereitschaft zu fördern, war nicht die Sache dieser Redner.191 Trotzdem wurden diese Kurse auch von den deutschen Behörden und Militärs geschätzt. Das belegen die Auszeichnungen Seebergs, der 1917 das »Verdienstkreuz für Kriegshilfe« erhielt und im April 1918 (wie ca. 13.000 andere Deutsche) das Eiserne Kreuz 2. Klasse für Nichtkombattanten.192
Schlußfolgerungen Aus den beiden ›Nationaluniversitäten‹ Berlin und Straßburg nahmen zahl reiche Professoren an den Hochschulkursen in der Etappe teil, aus Gießen möglicherweise nur ein einziger, der erwähnte Soetbeer. Außerdem kam der Theologe Samuel Eck mit seinen Predigten und Vortragsreisen bis an die Westfront.193 Aus Berlin engagierten sich in solchen Kursen Haberlandt, Rubner, Harnack, Holl, Schoeller, Brandl, Wilamowitz, Schiemann, Meyer, Roethe, Meinecke, Troeltsch sowie (vor und unmittelbar nach seiner Berufung an die
190 Aus der Zusammenfassung der Diskussion zu [Emil] Pfennigsdorf, Kriegsfrömmigkeit und Evangelium, in: Füllkrug (Hg.), Theologischer Lehrgang, S. 104–110, Zitat 109. 191 Tilitzki zufolge sollten sie die Soldaten von ihrer »Fixierung auf den ›Wunsch, nur am Leben zu bleiben‹ (…) lösen und stattdessen ihre Opferbereitschaft im Sinne von ›Dein Wille geschehe‹ (‥) stimulieren.« (Tilitzki, Albertus-Universität Königsberg, S. 443 nach dem Vortrag von [Alfred] Uckeley, Evangelium und Kriegsfrömmigkeit, in: Füllkrug [Hg.], Theologischer Lehrgang, S. 111–122). Doch die hier zitierten Worte Uckeleys (S. 115) charakterisieren nur den Gegensatz der Hoffnung der Soldaten und der all gemeinen Funktion des christlichen Gebetes, während seine eigene Darlegung dem Ziel galt, »Sündenerkenntnis und dadurch Unheilsgewißheit zu erwecken« (S. 117). 192 Also das »Eiserne Kreuz zweiter Klasse am weißen Bande mit schwarzer Einfassung«. Brakelmann, Protestantische Kriegstheologie, S. 13 und 141 A. 10 (wo ein Feldpropst das Eiserne Kreuz als Auszeichnung für die Tätigkeit in diesen Lehrgängen bezeichnet). Zur Gesamtzahl der Ausgezeichneten: Ansgar Reiß/Frank Wernitz (Hg.), Das Eiserne Kreuz 1813–1870–1914. Geschichte und Bedeutung einer Auszeichnung, Wien 2013, S. 402 (hier nach http://de.wikipedia.org/wiki/Eisernes_Kreuz_am_weißen_Bande [19.8.2014]). 193 Anderhub, Antoniterkreuz, S. 30 (mit pauschalem Beleg: NL Eck in der UB Gießen).
Hochschulkurse für Soldaten im Kriegseinsatz
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Universität) Sombart.194 Die Berliner mochten schon aufgrund der Größe des Lehrkörpers mancherorts überwiegen; doch vermutlich wurden sie auch als »Zelebritäten«195 und nicht zuletzt wohl als bekannte Kriegspublizisten zu solchen Kursen eingeladen. Aus Straßburg waren an den Etappenkursen mindestens Bresslau, Spahn, Rehm, Simmel, Ehrhard und der Emeritus Ziegler beteiligt (der sich dort das schwere Leiden zuzog, welchem er 1918 erlag196). Vermutlich gehörten in beiden Universitäten aber noch weitere Kollegen zu diesem Kreis.197 Manche von ihnen traten mehrfach an verschiedenen Orten in Ost und West auf, so etwa Roethe oder Doflein (der sich nicht nur in Mazedonien, sondern auch in Tournai und Warschau beteiligte198), während Simmel 1916 in Conflans, 1917 in Brüssel und außerdem auch in den Hochschulkursen vor Ort in Straßburg aktiv war.199 Meinecke, der »kein großer Redner war« und »verhältnismäßig selten für solche Vortragsreisen in Anspruch genommen« wurde, schrieb im Rückblick nach fast dreißig Jahren und aus der durch neue Erfahrungen veränderten Perspektive: »Es war damals ein unruhiges Hin- und Herreisen der Professoren durch das Reich und in alle Etappengebiete des Westens, Ostens und Südens, um Vorträge zu halten und Seelenatzung, soviel an ihnen lag, den verlangenden Hörern zu geben. Jetzt, im zweiten Weltkriege, ist das alles straff zentralisiert und mit einer Farbe überstrichen. Damals sah es aus wie die bunten Herbstfarben des alten geistigen Deutschlands, Welkendes, Abblühendes und eben Aufblühendes nebeneinander. Viel Illusion und viel Kitsch, aber bewußt oder unbewußt war das Grundgefühl, daß Freiheit und Mannigfaltigkeit des Geistes zu den Gütern gehörten, die uns niemand rauben dürfe, – am wenigsten ein innerer Feind.«200 194 Sombart, der 1916 von der Fakultät auf Platz 1 der Berufungsliste gesetzt, zunächst aber vom Ministerium übergangen worden war, erhielt schließlich 1918 eine »ordentliche Professur für wirtschaftliche Staatswissenschaften« (Ernennung 4.2.1918). Er referierte Ende 1917 in Tournai und im März 1918 in Warschau (Lenger, Sombart, S. 255 f., 251). Schiemann nahm zumindest an den Warschauer (Einzel-) Vorträgen teil und sprach dort über »Katharina II. Eine Charakteristik« (Wissenschaftliche Vorträge in Warschau, S. 113–136). 195 Tilitzki konstatiert z. B. für den Kurs im April 1918 in Riga, daß nur zwei Königsberger dort auftraten, »während man im übrigen Berliner Zelebritäten wie Dietrich Schäfer, Ulrich v. Wilamowitz, Alois Riehl, Erich Marcks (bis 1922 noch München), Reinhold Seeberg und natürlich Eduard Meyer für standesgemäßer erachtete« (Tilitzki, AlbertusUniversität Königsberg, S. 431). 196 Artur Buchenau, Theobald Ziegler († 1. Sept. 1918), in: Kant-Studien 23 (1919), S. 503–506, hier 503. 197 Da nur die Programme einiger solcher Kurse exemplarisch ausgewertet werden konnten, ist mit weiteren Beteiligten zu rechnen. 198 Küster, Erinnerungen eines Botanikers, S. 178. 199 Die Einladung nach Brüssel ist erwähnt in seinem Brief an Anna Jastrow 30.9.1917: Simmel, Gesamtausgabe 23, S. 834–836, hier 834. 200 Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 287.
1026 Studium und Lehre im Krieg Trotz der kritischen Töne überwiegt (durch den Vergleich mit der national sozialistischen Truppenbetreuung quasi ›natürlich‹) das Positive. Von gegensätzlichen Erwartungen scheint hier nichts durch. Dabei könnte doch nichts stärker als der Begriff »Seelenatzung« darauf hinweisen, daß die Gründe und Motive der unterschiedlichen Gruppen von Beteiligten ganz verschieden waren. Für die ›feldgrauen Studenten‹ ging es um Studium und Berufsausbildung, auch den geistigen Austausch; die Dozenten wollten ihnen in erster Linie die Wissenschaft (wieder) zugänglich machen und sich patriotisch betätigen (wußten dabei aber die materiellen und immateriellen Gewinne für sich selbst durchaus zu schätzen). Für die Heeresleitung dagegen kam es in erster Linie auf die in der aktuellen Situation militärisch verwertbaren (und notwendigen!!) Erträge an, also die Steigerung der Einsatz- (und Kampf-) Bereitschaft, für welche geistige und Berufsbildung eher das Mittel zum Zweck denn ein Wert in sich selbst waren. Dafür hatte sie die Anregungen von Armeeangehörigen, die schon vor dem Krieg hochschulpolitisch und pädagogisch engagiert waren, aufgegriffen und unter ihrer eigenen Regie umgesetzt. Dabei wurde die militärische Ordnung auch auf die akademische Lehre in der Etappe übertragen. Zwar ist auch das eine in universitätsgeschichtlicher Perspektive bedeutsame Neuerung – doch nicht in dem Sinn, wie vor allem Ssymank, aber auch Hoeber es darstellten: nicht als Reform der Universität durch Öffnung für breitere Kreise ohne die bislang obligatorischen Bildungspatente, sondern als Übergreifen des Militärs in den Bereich der Universität: die Konzeption und Durchführung der Lehre, wie sie in den Straßburger Kursen schließlich ganz offenkundig wurde. Wesentliche Elemente der deutschen Universitätstradition mußten für diese Hochschulkurse aufgegeben werden: die Freiheit der Lehre (zumindest in den Straßburger allgemeinbildenden Kursen) und des Lernens (durch die überall praktizierte Anwesenheitspflicht). Ausdrücklich gefördert dagegen wurde mit den Kommersen das traditionelle Studentenleben, wodurch die Gemeinschaft der Männer betont und Männlichkeit großgeschrieben wurde. Auf diesem Weg – durch ideologische Beeinflussung (in den allgemeinbildenden Teilen) und Bestätigung herkömmlicher (üblicherweise mit Kampfritualen verbundener) Verhaltens weisen – sollte der Kampfgeist wieder gestärkt werden. Doch mangels entsprechender Quellen entzieht sich unserer Kenntnis, wessen ›Rechnung‹ bei diesen Kursen am besten aufging.
7. Gewandelte Beziehungen in der universitas Am 15. Oktober 1914 sagte der Berliner Jurist Kipp beim Antritt seines Rektorats: »Wir, denen es nicht vergönnt ist, an dem heiligen Streite tätigen Anteil zu nehmen, beginnen die Friedensarbeit des Wintersemesters. Wir können es; denn der Stand der deutschen Heere gewährt uns den mächtigen Schutz, ohne den wir nicht daran denken dürften, den Werken der Wissenschaft nachzugehen. Wir müssen und wollen es; denn eine kleine Schar von Studenten und Studentinnen wartet unserer, denen wir unsere Lehre und Förderung mit derselben Freudigkeit und Treue zu gewähren schuldig und gewillt sind, wie dem um vieles größeren Kreise, den wir vor uns zu sehen gewohnt waren. Das Gesetz der großen Zahl, von deren schwingenverleihender Kraft ein geistvoller Redner in den Tagen unserer Jahrhundertfeier eindrucksvoll sprach, kommt uns in diesem Winter nicht zu Hilfe; aber wir werden Ersatz dafür in der innigeren Berührung finden, die zwischen Lehrern und Schülern in kleinem und kleinsten Kreise sich entwickelt.«1
In diesen Worten deuten sich schon mehrere Aspekte der veränderten Beziehungen an: Für die Lehre fehlte den Dozenten der Elan, den eine große Hörerschaft vermittelte. Deshalb bedeutete sie unter den veränderten Bedingungen eine Anstrengung, zu der die Lehrenden zwar entschlossen waren (»schuldig und gewillt«), die aber kompensiert werden mußte. Deshalb sprach Kipp mit der Hoffnung auf eine Intensivierung der Beziehungen im kleinen Kreis sich und den Kollegen Mut zu. Doch auch die Beziehungen zu den Abwesenden, die Teil des Schutz gewährenden Heeres waren, wandelten sich, obwohl dies hier, nach zweieinhalb Kriegsmonaten, noch nicht explizit angesprochen ist. Darüber hinaus veränderten sich im Krieg aber auch die Beziehungen der Studierenden untereinander.
Schützer und Beschützte: die veränderten Beziehungen zwischen Lehrenden und Studierenden Das Fehlen der im Kriegsdienst stehenden Studenten wurde überall als gravierend wahrgenommen, und doch wirkte es sich je nach Größe der Universität unterschiedlich aus. So hatte der 1911 aus Graz nach Berlin berufene Botaniker Haberlandt zunächst festgestellt:
1 Kipp, Kriegsaufgaben der Rechtswissenschaft, S. 22 f.
1028 Studium und Lehre im Krieg »Die Berliner Verhältnisse brachten es mit sich, daß ich mit den Studierenden nur in den praktischen Übungen in näheren Verkehr trat und mich fast ausschließlich mit den Doktoranden beschäftigte.«2
In einer so großen Universität wurden die Hörerkreise im Krieg also über schaubarer, in mittleren und kleinen aber bewegten sie sich gelegentlich an der Untergrenze der Praktikabilität. Einen Erlanger Juristen plagte schon 1915, als statt des früheren halben oder ganzen Hundert nur ein Dutzend Hörer kamen, »die praktische Vorstellung vom absolut leeren Raume«.3 In Gießen waren 1917 ein bis zwei Hörer in einer Vorlesung »keine Seltenheit« (obwohl andere »auch jetzt noch keine ganz geringe Hörerzahl« aufwiesen).4 Aber auch im größeren Straßburg wurden damals verschiedene Vorlesungen in die Wohnungen der Dozenten verlegt.5 Im November 1917 berichtete der protestantische Neutestamentler Klostermann aus der Universität an der Grenze: »Zuhörer wenig: 7 in den Korintherbriefen und 6 im Seminar.«6 Diese Verkleinerung bewirkte in der Tat eine Veränderung der Lehre, wie sie Kipp gleich zu Kriegsbeginn ins Auge gefaßt hatte: »Vielfach wurden die Vorlesungen zu Privatissima und, nicht zu ihrem Schaden, zu Kolloquien.«7 Als die Zeitschrift der Freistudentenschaft im Winter 1914/15 drei Philosophie professoren fragte »Welchen Sinn hat jetzt Studium und Wissenschaft?«, streifte der Heidelberger Wilhelm Windelband auch den Vorteil der geringen Hörerzahl: »Ja, vielleicht erfahren wir wieder einmal den Segen eines engeren Zusammenarbeitens von Dozent und Student, das der Massenbetrieb der Hochschulen mehr und mehr beeinträchtigt hat.«8 Dabei hatte Windelband vor seiner Berufung nach Heidelberg in Straßburg und Freiburg gelehrt, und sogar Berlin war in seiner Studienzeit in den sechziger Jahren, noch keine Massenuniversität gewesen.9 Gerade deshalb verweist seine Äußerung – ebenso wie Stellungnahmen auf den Hochschullehrertagen10 – darauf, daß der starke Anstieg der Studen2 Haberlandt, Erinnerungen, S. 180. 3 Paul Oertmann, Erlanger Juristenleben in der Kriegszeit, in: Erlangen in der Kriegszeit, S. 8–11, Zitat 10. 4 Schian, Die Ludoviciana im Jahre 1917, in: Weihnachtsgruß der Universität Gießen, S. 18–23, hier 19. 5 Ficker, Bericht III (1916/17), S. 6. 6 Klostermann an Hans Lietzmann 11.11.1917, in: Aland (Hg.), Glanz und Niedergang, S. 390 f., hier 390. 7 Ficker, Bericht III (1916/17), S. 4. 8 Wilhelm Windelband, Welchen Sinn hat jetzt Studium und Wissenschaft?, in: AR 3 (1914/15), S. 5 f., Zitat 6. 9 1860 hatte es 1422 Studenten, also so viel wie die kleinen Universitäten am Anfang des 20. Jh. (Daten 1810–1860 nach Heinz-Elmar Tenorth, Studenten, Studium und Lehre, in: GUUL 1, S. 209–267, hier 213). 10 Siehe o. S. 194 sowie Verhandlungen des fünften Hochschullehrertages, S. 156 (Theologen), 145 (Massenpromotion und ihre Folge: Arbeit nach Schema).
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tenzahlen in den Vorkriegsjahrzehnten nicht nur als Erfolg, sondern auch als Problem erlebt wurde. Nun wurden die persönlichen Beziehungen zwischen Dozenten und Lehrenden an kleinen und mittleren Universitäten (wieder?) gestärkt.11 Die daheimgebliebenen Studenten studierten offenbar eifriger als in Friedenszeiten. Der Berliner Ludwig Geiger berichtete im Dezember 1914, »daß die Zuhörer regelmäßig erscheinen, um mit Aufmerksamkeit und Hingebung den Worten des Lehrers zu lauschen«.12 Durch größeren Eifer suchten sie »ihre Dozenten den Verlust der größeren Hörerzahl, den Nimbus glänzend belegter Vorlesungen verschmerzen zu lassen«.13 Der Gießener Exrektor ergänzte dies um die nach zwei Seiten hin geübte Rücksichtnahme: »Die wenigen (…) müssen immer zur Stelle sein, wenn sie nicht den Dozenten im Stich lassen oder ›den‹ Mithörer in Verlegenheit bringen wollen. So entwickeln sie denn einen unheimlichen Fleiß. Erst recht gilt das von den Seminarbesuchern. Sie müssen immer vorbereitet sein, immer Rede und Antwort stehen.«14
In den Textwissenschaften führte die Verkleinerung der tatsächlich anwesenden Studierendenschaft also zu einer Intensivierung. Das galt ebenso für die Veranstaltungen in Labors und Kliniken. Der durch technische Einrichtungen und die Bindeglieder von Assistenten, Famuli und Demonstrationen geprägte »Großbetrieb«, der die Entstehung dauerhafter persönlicher Beziehungen verhinderte, machte wieder dem »Kleinbetrieb« Platz, »der unmittelbaren persönlichen Unterweisung am Krankenbett, im chemischen Arbeitssaal, am Leichentisch und Mikroskop«. Dies führte auch zu größerer Konzentration der Studenten, die nicht mehr von einem Institut und einer Klinik zur nächsten hetzten, sondern ihre gesammelte Aufmerksamkeit auf einige Teilfächer richteten.15 Nicht ohne Einfluß bleiben konnte auch die zeitweise Anwesenheit von Frontsoldaten nach Verwundungen oder während ihres Urlaubs. Dazu kam die Korrespondenz mit Studenten, durch die Professoren an deren Erfahrungen im Feld teilhatten. »Einer solchen Zuhörerschaft mußte man anders begegnen, als das vor dem Kriege im ruhigen Fluß der Dinge üblich war.« Um sie zu »pac11 Zu Jena s. den 1918 nach Straßburg gegangenen Lehmann (Lebenserinnerungen, S. 95); zu Erlangen den Bericht des Rektors (vermutlich 1917, zit. bei Liermann, Friedrich-Alexander-Universität, S. 42): Durch die geringen Hörerzahlen sei das Verhältnis zwischen Dozenten und Studierenden hier »noch enger und vertraulicher geworden (…) als (…) schon in Friedenszeiten«. 12 Ludwig Geiger, Das Kriegssemester an der Berliner Universität, in: BT 635, 14.12.1914 AA . 13 Oertmann, Erlanger Juristenleben (wie A. 3), S. 10. 14 Schian, Die Ludoviciana im Jahre 1917 (wie A. 4), S. 19. 15 So berichtet von dem späteren Berliner, damals noch Kieler Ordinarius Lubarsch (Beweg tes Gelehrtenleben, S. 301 f.).
1030 Studium und Lehre im Krieg ken«, mußte man »das [G]anze«, das Wesentliche vor sie hinstellen.16 Die Anwesenheit solcher Kriegsteilnehmer machte aber auch schon äußerlich die neuen Trennlinien in der universitas deutlich. Viele Studenten besuchten – und manche Dozenten hielten – die Lehrveranstaltungen jetzt »in des Königs Rock«.17 Damit trat äußerlich eine gewisse Egalisierung von Lehrenden und Studierenden ein, doch wurde damit – trotz der Abwesenheit so vieler Männer – zugleich die Männlichkeit der deutschen Universität unterstrichen.18 Im Krieg standen sich in Lehrveranstaltungen also nicht mehr nur, wie herkömmlich, ein Dozent und (wenige oder viele) Hörer gegenüber, sondern zugleich Soldaten und Zivi listen. Erstere waren die Beschützer, letztere die Beschützten. »Mit Euren Leibern deckt Ihr uns und Euer Vaterland. Und unsere Dankesschuld wächst täglich und stündlich,« schrieb der Dekan der Gießener Theologen, Krüger, der selbst als Adjutant der Bezirkskommandantur in der Heimat diente, 1917 ins Feld. Der Jurist Mittermaier sekundierte, zwar etwas weniger emphatisch, dafür ausführlicher.19 Besonders drastisch stellte der Würzburger Rektor den Wandel der Professoren von »Führern« ihrer jugendlichen »Kampfgenossen« (Kommilitonen!) in Friedenszeiten zu deren Schützlingen im Krieg dar. Es sei nun wieder wie einst in »Urgermanentagen«: »Die ganze Jungmannschaft steht draussen vor dem Feind und wir Alten sind nur mehr darum Kampfgenossen, weil wir zu Hause, in der Wagenburg, mit den Frauen und den jungen Kindern um Heil und Sieg flehen, weil wir durch unsere Liebe den Brand in Eurer Seele noch höher lohen machen wollen.«20
Selbst in dieser Ausmalung konnte der Rektor nicht darauf verzichten, das eigene Flehen und die Aufstachelung zum Weiterkämpfen als »Kampf genossen[schaft]« zu deuten (und damit die Rollenumkehrung wieder halb zurückzunehmen)! Das neue Verhältnis hatte aber noch eine weitere Dimension. Die Lehrer wurden nicht nur zu Schützlingen ihrer Studenten, sondern auch zu deren 16 So interpretiert Agnes von Zahn-Harnack (Harnack, S. 349 f.) die Entscheidung ihres Vaters Adolf, im WS 1916/17 noch einmal »Das Wesen des Christentums« zu lesen. 17 [Heinrich] Dähnhardt, Die Berliner Universität im Jahre 1916, in: BAN XI (1916/17), S. 42 f. (Zitat); S. auch das Beispiel der Heidelberger Medizinstudentin (u. S. 1033). Zu Tübingen: Paletschek, Tübinger Hochschullehrer, S. 86. 18 Zu Gustav Roethe s. anschaulich o. S. 357. 19 »Dankbar denken wir an Sie, die heute noch mit der Gewalt der Waffen unser Recht, Leben und Ehre, Haus und Hof im Vaterland schützen, und an alle, die schon in so großer Schar Gesundheit, Blut und Leben für unser Reich geopfert haben.« (Mittermaier, Liebe Kommilitonen!, in: Weihnachtsgruß der Universität Gießen, S. 6 f., hier 6; Gustav Krüger, Liebe Kommilitonen!, ibid., S. 4 f., hier 4). Zu Krügers Militärdienst s. o. S. 355. Mindestens im Herbst 1916 übte er diesen Dienst noch aus (s. Rektor Gi an Innenmin. 14.10.1916 mit Befürwortung von Krügers Urlaubsbitte: UA Gi PrA Theol 4). 20 Ihren Studenten zum Gruss!, unpag.
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Schülern. Das schrieb der Jurist Mittermaier den Gießener Studenten im Feld 1917: Mit ihren Erfahrungen sollten sie »die Daheimgebliebenen« »beleben«, die darin von ihnen »lernen« wollten.21 Der Heidelberger Rektor Gothein hatte den Studenten schon beim Ausmarsch Anfang August 1914 zugerufen: »Und wenn ihr einst als Sieger wiederkehrt, möget ihr Jungen uns Alte lehren!« Im November nahm er das in seiner Rektoratsrede wieder auf und fuhr fort: »Ihrer viele werden nicht wiederkehren. Die leuchtenden Augen haben sich geschlossen auf immer. Aber von ihrem Grabe lehren sie uns! Sie lehren uns die alte ewig große Wahrheit, dieses Leben nicht höher zu schätzen, als es verdient; sie lehren uns, daß das Leben seinen Wert erhält, weil wir es erhabenen Zielen weihen, weil wir es opfern können.«22
Diese Fortführung bis zur letzten Konsequenz formulierte Gothein unter dem Eindruck der Nachricht vom Tod seines Sohnes im Einsatzgebiet, nach zwei monatiger Ungewißheit über dessen Schicksal23 – und machte diesen Tod, indem er ihm einen Sinn gab, sich selbst erträglich, den Tod generell den Adressaten seiner Rede (also künftigen Soldaten ebenso wie den Vätern schon im Felde stehender). Damit wendete er das, was er im langen ersten (sozialpsycholo gischen) Teil seiner Rektoratsrede schon allgemein formuliert hatte, zu einem persönlichen Appell.24 Darauf, daß trotzdem nicht alles zum besten stand, läßt eine Versammlung am 18. Mai 1917 schließen, die alle Glieder des Lehrkörpers sowie sämtliche Stu21 »Kommilitonen! Große Aufgaben harren unser aller! Sie bringen dazu neue Kräfte mit herein, da Sie fest im Charakter, den Ernst der Zeit voll erkennend, den Kampf gegen das Schlechte nicht scheuend, ruhig die Verhältnisse erwägend, hoffnungsfroh und mit stillem, pflichterfüllendem Idealismus heimkehren zur einfachen, oft drückenden Tages arbeit. Beleben Sie damit die Daheimgebliebenen; wir wollen von Ihnen darin lernen, unsere Erfahrungen mit Ihnen austauschen und mit Ihnen zusammen für unser Vaterland arbeiten.« (wie A. 19, S. 7). 22 Eberhard Gothein, Krieg und Wirtschaft. Akademische Rede zur Erinnerung an den zweiten Gründer der Universität (…) am 21. November 1914 (…), Heidelberg 1914, S. 110. 23 Situation: Gothein, Gothein, S. 258. Reichert, Wissenschaft und »Heimatfront«, S. 495 zitiert die Rede nicht nach diesem offiziellen Text, sondern nach der Heidelberger Zeitung. Die dort zit. Passage, wonach »das Wort? Nichts! Die Tat (…) alles« sei, ist in dem 100seitigen Text (der vermutlich eine Erweiterung einer ohnehin langen Rede darstellt) nicht zu finden. 24 Im Vortrag heißt es: »Darum ist die eigentliche Tugend des Krieges der Opfermut, aber nicht als gestaltloser Trieb, der doch nur ein dumpfer Drang zur Selbstvernichtung, zum Aufgeben des eigenen Selbst ist, wie es in gebundenen Volksseelen und befangenen Religionen eine dunkle Macht äussert, sondern als die helle, heroische Tugend, die ein Höheres über das eigene Ich setzt und diesem allein einen unbedingten Wert beimisst, die es fühlt und sicher weiss, dass der Wert des Lebens nur darin besteht, es für dieses Höhere hingeben zu können.« (Gothein, Krieg und Wirtschaft, S. 10 f.; Hervorh. i. O.).
1032 Studium und Lehre im Krieg dierende zusammenrief und der Die Hochschule einen mehr als dreiseitigen ungezeichneten Bericht widmete – ohne allerdings die Universität, an der die Versammlung stattfand, zu bezeichnen! Schon daraus wird deutlich, daß es sich beim Thema »Dozent und Student« um eine Frage handelte, die alle Universitäten anging. Daß die Versammlung von beiden Seiten schwach besucht war, könnte man zwar vielleicht auch als Zeichen dafür deuten, daß es ihrer nicht bedurfte, also eigentlich alles in Ordnung war. Doch dagegen sprechen die belauschten Unterhaltungen vor Beginn, die kaum auf »irgendeinen positiven Erfolg« hoffen ließen, da die Erwartungen zu verschieden waren. Die anwesende Dozentenschaft hörte zu, schwieg aber – und verminderte sich im Lauf der Sitzung. Um den »allgemeinen Wünschen nach innigerer Annäherung der beiden Parteien« zum Erfolg zu verhelfen, plädierten manche Studenten für gesellschaftlich-gesellige Maßnahmen; andere dagegen brachten spezifische Vorschläge zur Gestaltung der Lehrveranstaltungen vor, die man den (gerade auch von der Hochschule propagierten) Plänen zur Hochschulreform zuordnen würde. »[V]on weiblicher Seite« wurde den Dozenten »im Tone persönlicher Gereiztheit (‥) ihr passives Verhalten und gleichzeitig den Abwesenden, die es leider nicht vernahmen, ihr Ausbleiben vorgeworfen.«25 Schon das Fehlen eines Großteils der Studenten und die noch gewachsene Bedeutung des Militärischen – Auftreten in Uniform, Apostrophierung der im Felde Stehenden als Beschützer und Lehrer der übrigen – deuten darauf hin, daß der Krieg fast notwendigerweise auch die Beziehung der Geschlechter innerhalb der Universität beeinflußte. Nicht zuletzt weist darauf auch die gerade zitierte Passage hin, in welcher die Beiträge der Studentinnen nicht einer der beiden Gruppen von Vorschlägen zugeordnet, sondern quasi nach Geschlecht aussortiert wurden. Zudem ließ der Autor die Studentinnen als inkompetent erscheinen: denn sie nahmen allgemeine Probleme persönlich (statt sie zu erörtern) und verhielten sich mit ihrem Tadel an Abwesende unzweckmäßig und unproduktiv. Letzterer wurde durch das eingeschobene »leider« zugleich noch ridikülisiert. Dabei ließen die Evozierung gängiger Stereotype (›hysterisch‹) und die Pauschalisierung dieses Verhalten zugleich als ›typisch weiblich‹ erscheinen.26
25 Dozent und Student, in: HS 1 (1917/18), Nr. 6, S. 22–25, Zitate 22 (zweimal), 23. BAN enthält keinen Hinweis auf eine solche Versammlung. 26 Die Pauschalisierung liegt in der Passivkonstruktion mit der Beifügung »von weiblicher Seite«. Beim Vergleich mit dem weiter u. vorgestellten Artikel könnte man Hans Roeseler (der tatsächlich immer wieder in der Hochschule schrieb) als Autor vermuten.
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»der Feind, den wir bekämpfen«: Die Studentin Veränderte Beziehungen zwischen Männern und Frauen in der Universität Eine ehemalige Heidelberger Medizinstudentin berichtete im Rückblick: »Zwischen zwanzig oder dreißig Mädchen saß ein unglückliches männliches Wesen, meist ein Soldat auf Urlaub … Auch die Lehrer trugen Uniform. In den Labors gestalteten sich die Beziehungen zwischen Studentinnen und Lehrern schwierig, da die Uniformen den traditionellen Konflikt noch verstärkten.«27
Im Vergleich zur Friedenszeit waren die Proportionen zwischen Studentinnen und Studenten also umgekehrt. Doch die Beziehungen zu den Lehrenden wurden noch komplizierter – und keineswegs nur durch die Uniform. Dabei hätten die Dozenten – mit Blick auf ihre Hörgelder – doch froh sein müssen über die steigende Zahl von Studentinnen, die zumindest einen Teil des Hörgeldausfalls kompensieren konnte. In Berlin waren im ersten Kriegswinter knapp 30 % der Anwesenden Frauen, in ganz Preußen 25 %.28 (Dabei waren allerdings auch die Gasthörer/innen mitgezählt!29) Zwar differierte der Anteil sowohl in den einzelnen Universitäten als auch von Semester zu Semester. Doch wurde der (entsprechend der wachsenden Zahl von Abiturientinnen und der ständig ausgeweiteten Einberufung junger Männer) im Lauf des Krieges stets steigende Frauenanteil überall, meist irritiert, registriert. Die Verbandszeitschriften, insbesondere die Burschenschaftlichen Blätter, beobachteten seit langem nicht nur die Frequenz generell und die Zahl der in Deutschland studierenden Ausländer, sondern auch die Entwicklung des Frauenstudiums. Schon ein Jahr nach Kriegsbeginn registrierten sie einen »star27 Unpubl. Erinnerungen von Henriette Necheles, Reminiscences of a German-Jewish Phy sician, zit. bei Marion A. Kaplan, Jüdisches Bürgertum. Frau, Familie und Identität im Kaiserreich, Hamburg 1997, S. 201 f. 28 Berechnet nach den Daten, die der Pr. KuMi für eine Landtagssitzung 1915 vorbereitet hatte. Berlin: 8035 Immatrikulierte, davon 4344 im Feld, also 3691 Anwesende, davon 1101 Frauen. Preußen: 28.879 Immatrikulierte, 16.128 im Feld oder beim Roten Kreuz, also 12.751 Anwesende, davon 3221 Frauen. Aufzeichnung: Landtagssession 1915 [undat., ungez.], in: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. I, Nr. 17 Bd. V, fol. 313–326, hier 317 f. 29 Aus der vom Minister allerdings nicht erwähnten Berücksichtigung aller »zum Hören der Vorlesungen [B]erechtigt[en« erklärt sich die Abweichung von den Angaben oben in Kap. IV.2 (wo jeweils nur die Immatrikulierten gezählt sind). Bei den Unterlagen des KuMi wird dieser Unterschied nicht gemacht! Die endgültige amtliche Statistik weist 8098 Berechtigte, davon 6854 immatrikulierte Männer und 970 immatrikulierte Frauen sowie 1241 zum Hören berechtigte Männer und 152 zum Hören berechtigte Frauen aus. Quelle: Endgültige Feststellung WS 1914/15, als Anhang zu: AV FWU Berlin SS 1915 (Zitat).
1034 Studium und Lehre im Krieg ken Aufschwung«30 – und berichteten im letzten Kriegsjahr über die Warnung des preußischen Kultusministers vor dem zunehmenden Frauenstudium, da im Schulbereich bereits eine »Überfüllung« eingetreten sei. (Das versahen sie mit einem Kommentar der Frauenrechtlerin Helene Lange, die darin ihre Warnung vor der Zulassung der Frauen aus den Lehrerinnenseminaren, ohne Abitur, bestätigt fand.)31 Der (bereits seit 1905 nicht mehr lehrende) Freiburger Historiker Dove32 erblickte darin geradezu ein Signum der Zeit, wenn er 1915 in einem Privatbrief von den »Tagen der Weiberkollegien und Jungferndissertationen« schrieb.33 Der Göttinger Rektor rief 1917 ungläubig-befremdet aus: »In unseren Hörsälen ist noch viel fleißiges Leben, freilich sind wohl 75 vom Hundert Frauen dort heute die Regel. o academia!«34 Besonders deutlich zeigt sich die Verunsicherung an der Wahrnehmung der Situation in Freiburg, die mit den tatsächlichen Zahlenverhältnissen nicht übereinstimmte. Pro Semester waren jeweils 500–600 Immatrikulierte anwesend, davon ein Viertel Frauen. Doch schon in der Äußerung des Rektors Ende 1915 klang, trotz korrekter Angabe, daß die »Majorität (…) noch in Männerhänden« sei, das Bedauern über die veränderten Zahlenverhältnisse durch. Im Gedicht eines Kommilitonen hieß es damals: »Ich sitze im Kollegium Und blicke so im Kreis herum, Und Alle, Alle, die da kamen, Es waren nichts als Damen – Damen.«35
Später, als Frauen in den Hörsälen dann 40 % ausmachten, schrieb der Rektor die »stattliche Höhe von 30 und mehr« Hörern in manchen Vorlesungen aber allein der Rückkehr von Kommilitonen aus dem Felde zu. Als sein Nachfolger Below die Frequenz seit Kriegsbeginn erläuterte, berücksichtigte er überhaupt nur die männlichen Immatrikulierten!36 30 Studierende Frauen, in: BB 30/1 (WS 1915/16), S. 56 (mit Daten über Neuimmatrikulation, die mit der Zahl der ausgebliebenen Ausländerinnen und ca. 200, »derzeit nicht eingeschriebenen [?] in öffentlichen Diensten« stehenden Studentinnen verrechnet werden). 31 Warnung vor dem Frauenstudium, in: BB 32/2 (SS 1918), S. 25. 32 Dove hatte sich nach einem Schlaganfall emeritieren lassen, erholte sich aber bald und übernahm 1907 erneut den Vorsitz der Badischen Historischen Kommission, den er schon 1901–1905 innegehabt hatte (Carl Arnold Willemsen, Alfred Dove 1844–1916, in: Bonner Gelehrte. […] Geschichtswissenschaften, Bonn 1968, S. 254–259, hier 259). 33 An den Mediävisten und Kirchenhistoriker Heinrich Finke 13.4.1915, in: Dove, Aus gewählte Briefe, S. 302 f., hier 303. Vgl. die Äußerung des Münchner Theoretischen Physikers Arnold Sommerfeld, in seinem Kolleg säßen »fast nur Weiber«. Zit. bei Wolff, Deutsche Universitätsphysik während des Ersten Weltkrieges, S. 268. 34 H. Th. Simon, Zum Geleit!, in: Stimmen aus zwei Jahrhunderten, S. III–XI, hier IV. 35 Beide Zitate nach Scherb, »Ich stehe in der Sonne«, S. 92. 36 Scherb, »Ich stehe in der Sonne«, S. 93.
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Am genauesten spiegelt sich die Entwicklung einer einzelnen Universität im Bewußtsein des Heidelberger Mediävisten Karl Hampe, der zu Beginn jedes Semesters die Zahl der Teilnehmer seiner Lehrveranstaltungen in seinem umfangreichen Kriegstagebuch festhielt. Anders als die zitierten Kollegen, notierte er die Relation meist ganz sachlich: zunächst oft die Hälfte, dann zwei Drittel, und wenn er hinzufügte »unerhörter Prozentsatz Damen« (nämlich 11 von 16, also 68,8 %) war das schon eine Besonderheit, aber keineswegs abfällig. Auch als im Seminar von 28 Teilnehmern 19 Frauen waren (67,9 %), erregte das nur sein Staunen. Nachdem er im Sommer 1916 für die Gesamtuniversität »3/4 Frauen« festgehalten hatte, scheint ihm deren starker Anteil so selbstverständlich geworden zu sein, daß er fast nie mehr Angaben zur Geschlechterproportion in seinen eigenen Veranstaltungen machte. Allenfalls notierte er als Besonderheit: »Die Zahl der zurückgekehrten Kriegsbeschädigten wächst allmählich.«37 Daß die »Damen« gewissermaßen nur der ›Ersatz‹ waren, könnte man vielleicht einer Bemerkung über die geplante Entsendung des Historikerkollegen Oncken in die USA durch die Reichsregierung entnehmen. Das sei »eine schöne Aufgabe, die wohl locken kann und einen andern [!] Lebensinhalt giebt, als hier vor einigen Damen und Reichskrüppeln Vorlesungen zu halten.« Doch enthalten Hampes dem allgemeinen Sprachgebrauch entsprechenden Formulierungen »Damen« und »Reichskrüppel« keine spezifische Abwertung. Eher sind sie als Hinweis darauf zu verstehen, daß sich der verkleinerte Hörerkreis vor allem aus zwei Sondergruppen zusammensetzte. Nicht ihretwegen, sondern im Vergleich zu der höheren politischen Aufgabe erschien Hampe, dessen Tagebuch ganz von Notizen zum Kriegsverlauf dominiert war, die Lehre als zweitrangig. Andererseits war er sich der Bedeutung der Frauen für die Aufrechterhaltung des Lehrbetriebs bewußt: »Da, wo keine Studentinnen als Ersatz einspringen, namentlich bei den Juristen, ist der Besuch doch sehr schwach.« Ein Professor habe seinen einzigen Hörer sogar daran gehindert, seinen Hund hinauszu schicken, da er lieber vor zweien als vor einem lese…38 Hampes Veranstaltung zur Paläographie zählte nur vier Hörer, »da die Studentinnen dies Fach meiden, als nicht phantasiemäßig und nicht examensmäßig«.39 Und trotz einer leicht an37 Heidelberg hatte im SS 1914 2668 immatrikulierte Studierende gehabt (wobei die Zahl der Frauen nicht ausgewiesen wurde!). Hampe, Kriegstagebuch, S. 151 (3.11.1914); 170 (10.12.1914; neue Einberufungen, Überwiegen der »Damen«); 227 (3.5.1915, über WS 1914/15 und SS 1915); 228 (5.5.1915; Zitat über sein Seminar); 325 (23.11.1915); 326 (24.11.1915); 391 (8.5.1916, Zitat über die Universität insgesamt – ohne Angaben über seine eigenen Veranstaltungen); 456 (31.10.1916; Gesamtzahl seiner Vorlesung ohne Angabe zu Frauen); 457 (22.11.1916; ebenso); 544 (7.5.1917; pauschale Schätzung ohne Erwähnung der Frauen); 545 (9.5.1917; »zwei Drittel Damen!«); 685 (1.5.1918; nur Gesamtzahl seiner Veranstaltungen und Zitat); 688 (8.5.1918; noch weiter gestiegene Zahl – aber ohne Angabe zu Frauen). 38 Hampe, Kriegstagebuch, S. 355 (9.2.1916). 39 Hampe, Kriegstagebuch, S. 151 (4.11.1914).
1036 Studium und Lehre im Krieg klingenden Einschränkung (»nur daß«) und gelegentlicher kritischer Bemerkungen gegen den weiblichen Teil der Bevölkerung40 begriff er nach fast drei Kriegsjahren gut, welcher Segen für ihn selbst in der wachsenden Studentinnenzahl (und in der relativ sicheren Lage der Stadt) lag: »Unsre [!] Universität ist für die Zeitverhältnisse wieder erstaunlich gut besucht, nur daß die Studentinnen entschieden die Mehrheit allenthalben erlangt haben. Aus ganz Deutschland kommt man nach dem harten Winter hierher, um sich in der prachtvollen Natur zu erholen. Freiburg wird wegen der Fliegerangriffe, Straßburg als beschränkende Festung gemieden; in Frankfurt soll Küntzel erkrankt sein. So habe ich im Hauptkolleg etwa dieselbe Zahl wie im Winter.«41
Sogar mancher großen und mittleren Universität boten die Studentinnen die Gewähr, daß der Lehrbetrieb regulär fortgesetzt werden konnte.42 Und in Gießen schrieb Martin Schian: »Die studierenden Frauen endlich füllen manche Lücken, die sonst allzu klaffend hervorträten.«43 Scharfe Stellungnahmen gegen die Studentinnen waren für Hampe daher eher ein Anlaß zur Kritik an deren Urheber: »Der Semesterbesuch soll sich gut anlassen, natürlich noch mehr Studentinnen als früher. Das hat dem stark pathologischen Privatdozenten Ruge bereits Anlaß zu einer schriftlichen Philippika an die Fakultät gegeben, in der er den Verfall der alten Zucht und Ordnung beklagt.«44
Doch war ein derartiger Ausfall wohl allenfalls als universitätsöffentlicher singulär. In Privatunterlagen kam er auch andernorts vor. Der Marburger Altphilologe Birt fand die Studentinnen »schwach im Denken, Wissen und 40 Als er anläßlich des Nachtbackverbots von Dienstmädchen berichtete, die auf Weizenbrötchen zum Frühstück nicht verzichten wollten, schrieb er: »Die Bevölkerung, namentlich der weibliche Teil, ist zu borniert und will sich nichts abgehen lassen.« (Hampe, Kriegstagebuch, S. 193, 31.1.1914). 41 Hampe, Kriegstagebuch, S. 544 (7.5.1917). 42 Siehe z. B. Chronik der Universität Bonn 1915, S. 1: »In manchen Vorlesungen überwogen die Studentinnen bei weitem und trugen so ihr Teil dazu bei, daß der akademische Unterricht allseitig aufrecht erhalten werden konnte.« Aus dem Rückblick für Göttingen: »Wären die Frauen nicht gewesen (…), so hätte die Universität vielleicht vor der Notwendigkeit einer vorübergehenden Schließung stehen können.« (Götz Selle, Die GeorgAugust-Universität zu Göttingen 1737–1937, Göttingen 1937, S. 331). Bonn hatte im SS 1914 4518 immatrikulierte Studenten (davon 399 Frauen), Göttingen 2733 (davon 216 Frauen). 43 Martin Schian, Die Ludoviciana im Jahre 1917, in: Weihnachtsgruß der Universität Gießen, S. 18. 44 Hampe, Kriegstagebuch, S. 543 (5.5.1915). Der Hg. konnte den Text weder im Universitätsarchiv noch in Ruges Nachlaß finden (S. 543 A. 193). Arnold Paul Ruge war bis 1920 Privatdozent für Philosophie in Heidelberg, danach freier Schriftsteller, später Archivar in Karlsruhe (Hampe, Kriegstagebuch, S. 992).
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Können« und war am Ende des Semesters froh, wenn sich »der Ziegenstall leert[e]«.45 Seiner Einschätzung nach senkte »die Masse Weiber« das Niveau. Aber er warf den Frauen auch genau das vor, was man von ordentlichen Studenten eigentlich erwartet: daß sie seine Vorlesung regelmäßig und jeweils bis zum Ende hörten: »Ich erlebe Widerwärtiges im Colleg; die 5 Studentinnen weichen nicht vom Platze, obgleich die krassesten Unanständigkeiten im Catull (…) zur Sprache kommen.«46 Die Implikation, daß sie aus Taktgefühl den Raum hätten verlassen müssen, führt allerdings zur Frage nach dem Taktgefühl des Herrn Professor. Benutzte vielleicht er die »Unanständigkeiten«, um das Schamgefühl der Frauen zu verletzen und sie dadurch zu vertreiben? Für Friedrich Meinecke war die Situation ebenfalls ungewohnt, vielleicht sogar befremdlich; doch belegt seine Bemerkung über die Beteiligung der Studentinnen zugleich deren besonders intensive Auseinandersetzung mit den zu interpretierenden Texten: »Mein Kolleg ist noch männerleerer wie der Saalestrand.47 C[irca] vier Fünftel Weib lichkeit in beiden Vorlesungen und im Seminar, und die Frauenzimmer bei der Quellenkritik voller weiblicher Spitzfindigkeit, die einen zur Verzweiflung bringen kann, weil sie so schwer zu widerlegen ist.«48
Jahrzehnte später blickte der alte Meinecke ganz ambivalent auf diese Situation zurück. Nun schien ihm die Lehre durch die geringe Hörerzahl erleichtert (!), da »die Hochflut der Studierfräuleins erst in den letzten Kriegssemestern beängstigend wurde. Ich gedenke ihrer aber doch wieder mit besonderem Danke, nicht nur wegen des bei ihnen selbstverständlichen Fleißes und der Empfänglichkeit für meine Lehrweise, sondern auch, weil wieder (…) manche menschlich-freundschaftlichen Beziehungen daraus erwuchsen. Richtige Blaustrümpfe habe ich unter meinen Schüle rinnen im engeren Sinne eigentlich nie gehabt.«49
So waren bei Meinecke Anerkennung für die Studienleistungen und mensch lichen Qualitäten aufs engste mit Frauen-Stereotypen verquickt. In ihrer Verbindung weisen die Beobachtungen zur geringen Hörerzahl und dem Arbeitsverhalten der Frauen auf die veränderte Betreuungssituation hin, von der die Studentinnen im Krieg profitieren konnten. Tatsächlich bestätigte eine Examenskandidatin Anfang der zwanziger Jahre, nachdem sie die Tätig-
45 Zit. bei Wettmann, Kriegstagebücher Theodor Birts, S. 163, 164 (17.5.1915 und 30.7.1915). 46 Zit. bei Wettmann, Kriegstagebücher Theodor Birts, S. 164 (8.4.1917 und 2.6.1917). 47 Wohl Anspielung auf das Volkslied »An der Saale hellem Strande«, in dem es in der zweiten Strophe heißt: »Zwar die Ritter sind verschwunden,/Nimmer klingen Speer und Schild; (…)«. 48 F. Meinecke an A. Dove 23.5.1915, in: Meinecke, Ausgewählter Briefwechsel, S. 61. 49 Meinecke, Autobiographische Schriften, S. 245 f.
1038 Studium und Lehre im Krieg keiten im Dienste des Vaterlandes und die Versorgungsprobleme aufgezählt hatte: »Und wer studierte und studieren konnte (…), der fand in dreiviertelleeren Hörsälen, Seminaren und Instituten reichlich Stoff zu guter Ausbildung, ungestörtes Arbeiten für sich selbst, intensive Anstrengung in den Übungen und Kolloquien. Denn um jeden Einzelnen konnten die Professoren sich kümmern.«50
Auch die Germanistin Kät(h)e Hamburger, die ihr Studium im Sommer 1917 in Berlin begann, berichtete Jahrzehnte später über den »relativ geordnete[n] Gang« ihrer akademischen Ausbildung«, weil der Krieg »für die nicht im Felde stehenden Studenten das ruhige Studium nicht beeinträchtigte«.51 Dem Tagebuch einer Berliner Physikerin ist zu entnehmen, wie aufmerksam Studentinnen in den Kriegsjahren von den Professoren behandelt wurden, wie intensiv diese ihre Arbeiten mit ihnen besprachen.52 Doch war dies kein Privileg der Frauen (auch wenn manche Kreise dies bald so darstellen sollten): Gute Erfahrungen in dieser Hinsicht machten auch Männer, etwa der künftige Nobelpreisträger für Chemie Karl Ziegler.53 Im Verhältnis der Studierenden untereinander scheint der Krieg zunächst eine gewisse Normalisierung gebracht zu haben. Zwar waren die »Formen zwischen Herren und Damen« an jeder Universität verschieden, doch konnte man sich nach Darstellung der Studentin mit der nötigen Natürlichkeit und Un befangenheit »schnell hineinfinden«. Die Warnung, sich nicht einschüchtern zu lassen, deutet allerdings mögliche Komplikationen an.54 War das Frauenstudium vorher teils noch ridikülisiert, teils als etwas Besonders betrachtet, an manchen Universitäten sogar regelrecht abgelehnt worden,55 so wurde die Studentin in den unmittelbaren Vorkriegsjahren doch immer weniger als »etwas Extravagantes oder ›Nicht-ganz-in-die-Ordnung-passendes« gesehen. Der Medizinerin Käte Frankenthal zufolge, die 1909–1913/14 in Kiel, Heidelberg, Erlangen, München, Wien und Freiburg studierte, wurden die jungen Frauen von den
50 E. P. cand. phil., Die wirtschaftliche Lage der Studentinnen, in: Die Frau 29 (1921/22), S. 107–115, hier 116. 51 Käte Hamburger, Rede beim Empfang im Senatssaal, in: Johannes Janota/Jürgen Kühnel (Hg.), Ehrenpromotion Käte Hamburger (…). Dokumentation, Siegen 1980, S. 35–39, hier 35 f. Nachweis ihres Studienbeginns: AV FWU Berlin SS 1917, S. 283 (»Käthe«). 52 Vogt, Vom Hintereingang zum Hauptportal?, S. 109 (über Gabriele Rabel). 53 Sein Beispiel bei Wettmann, Heimatfront Universität, S. 381. 54 Rahel Plaut, Einige Ratschläge für die ersten Semester junger Medizinerinnen, in: S V (1916/17), S. 67–69, hier 68. 55 Zu Witzen in einer Würzburger Studentenzeitung s. Heike Hessenauer, Studentinnen vor 1939 – Eine Fallstudie zur Entwicklung des Frauenstudiums, in: Dickmann/SchöckQuinteros (Hg.), Karrieren und Barrieren, S. 315–327, hier 322. Zur Besonderheit ohne offene Feindschaft in Freiburg: Scherb, »Ich stehe in der Sonne«, S. 70, 74.
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Studenten damals »kameradschaftlich behandelt.«56 Karen Danielsen (die spätere Psychoanalytikerin Karen Horney), die ab 1906 in Freiburg, dann in Göttingen, ab 1909 in Berlin studierte und beim Staatsexamen 1911 bereits ein, bei der Promotion 1915 zwei Kinder hatte, schildert den Umgang zwischen Studentinnen und Studenten ebenfalls als »kameradschaftliche« Beziehung, und die gemeinsame Leichensektion mit einem Kommilitonen liefert auch den konkreten Beleg dafür.57 In zeitgemäß pathetischen Worten bestätigt diese Haltung die Schatzmeisterin des Berliner Studentinnenvereins und (ab WS 1915/16) Vor sitzende des Verbands der Studentinnenvereine Deutschlands: »Wir haben die große Zeit empfunden wie jede deutsche Frau; es kam der Abschied von Brüdern und guten Kameraden, es kamen die ersten Trauerbotschaften. Wenn wir der Krieger draußen gedachten, so stieg vor unserem Geiste manches Gesicht auf, das wir sonst im Hörsaal sahen. Ein festes, kameradschaftliches Band verknüpfte uns mit denen, die hinausgezogen waren, um als lebende Mauer Deutschland gegen das Eindringen der Feinde zu schützen.«58
Doch im Krieg konnte sich die Kameradschaft nur noch auf die frühere Erfahrung in der Universität beziehen; denn die im Felde stehenden Studenten waren nun ja die Beschützer der Daheimgebliebenen. Eine Pfarrerstochter und spätere Kommunistin, damals Mathematik- und Physikstudentin, berichtete später über die tiefe Erschütterung durch die Schlacht bei Langemarck (obwohl sie die »nationalistischen Illusionen« der Kämpfer nicht übersah): »denn es waren unsere Gefährten, die dort ihr Leben ließen.«59 Den kameradschaftlichen Umgang vor Ort noch zu Beginn des Krieges belegt die »fortgesetzte, fast pausenlose Diskussion mit anderen Studenten. Jede auftauchende Frage wendeten wir im Gespräch hin und her und suchten uns gegenseitig die Zusammenhänge klar zu machen.« Zwar nahm die Autorin dieser Erinnerungen durchaus unterschiedliches Studienverhalten wahr: Die Veranstaltungen in Berlin waren 1915/16 »trotz des Krieges (…) gut besucht, Vorlesungen vorwiegend von Männern, Seminare von Frauen«. Da aber beide Typen ein gemischtes Auditorium hatten und sie selbst an beiden teilnahm, 56 Käte Frankenthal, Jüdin, Intellektuelle, Sozialistin. Lebenserinnerungen einer Ärztin in Deutschland und im Exil, Frankfurt u. a. 1985, S. 30 (Zitat), Studienorte 21–34 passim. 57 [Karen Horney] The Adolescent Diaries of Karen Horney, New York 1980, S. 184 (Brief an ihren Freund vom 13.1.1907) und 173 (Sektion; undat. Brief an ihren Freund, Nov. 1906). 58 Müller, Unsere Kriegssemester 1, S. 65. 59 Marie Torhorst, Pfarrerstochter – Pädagogin – Kommunistin. Aus dem Leben der Schwestern Adelheid und Marie Torhorst. Hg. von Karl-Heinz Günther, Berlin 1986, S. 21. Marie Torhorst studierte damals in Bonn, später auch ein Semester in Göttingen. Zu zeitgenössischen Bezugnahmen auf Langemarck s. o. S. 12 mit A. 55. (Heeres bericht), S. 657 f. mit A. 11 (Grußworte des Gießener Rektors zu Weihnachten 1914) sowie u. S. 1088 f. mit A. 137 (Rede des Berliner Rektors 1917).
1040 Studium und Lehre im Krieg schließt die Beobachtung über diskutierende »Studenten« hier wohl beide Geschlechter ein.60 Gelegentlich wird auch noch von kameradschaftlicher Hilfe berichtet, etwa, daß die Soldaten, die vorübergehend zum Studium beurlaubt waren (oder ihren Lazarettaufenthalt dafür nutzten), den Frauen etwas aus ihrer Militärverpflegung abgaben.61 Doch angesichts ausbleibender Siege verschärften sich gegen Ende des Krieges die politischen Gegensätze auch in der Studentenschaft.62 Die individuellen Beziehungen von Männern und Frauen vor Ort veränderten sich insofern, als es kaum Gelegenheit zum persönlichen Kennenlernen gab, da alle festlichen Veranstaltungen entfielen. Vielleicht fand eine Studentin einmal, wie Elisabeth Czapski 1915 in Berlin, eine in ein Tannhäuser-Zitat ge kleidete »zarte Huldigung« auf ihrer Visitenkarte vor, die sie (wie damals üblich) an ihrem Platz im Hörsaal befestigt hatte.63 Die Beziehungen zwischen jenen an der Front und den in der Heimat Verbliebenen wurden jedoch durch fehlende Offenheit belastet. In Feldpostbriefen lasen Frauen das, was Klara-Maria Faßbinder auf ihrer Fahrt durch das Kampfgebiet verschreckte, nicht.64 Die Korrespondenzpartner spielten sich nämlich, »wie auf Verabredung«, gegen seitig Tapferkeit vor: »Die Soldaten beschrieben ihren Tagesablauf im Unterstand, ihre Kameraden und ihren Einsatz so, als ob es sich um Abenteuer handle, bei denen man sich bewähren müsse, denen man aber gewachsen sei. Wir in der Heimat verrieten nichts von dem Mangel an Nahrung, Heizung und warmer Kleidung und auch nicht andeutungsweise, daß jeder von uns ›in kummervollen Nächten auf seinem Bette weinend saß‹, sondern schilderten den Alltag ohne Sentimentalität.«65
Mit Blick auf jene, die ihr Studium wegen ihres Kriegsdiensts unterbrechen mußten, erlegten sich gerade die Mitglieder des an die Frauenbewegung an gelehnten Verbands der Studentinnenvereine Deutschlands Zurückhaltung bei der Verfolgung ihrer eigenen Interessen auf: Sie äußerten Verständnis für die »Erbitterung« der aus dem Krieg Zurückkehrenden gegen die »Glücklicheren« und wollten ihnen nicht in Kampfhaltung entgegentreten, sondern den »Stachel 60 Das entspricht auch ihrem Sprachgebrauch in diesem Text. Flitner, Frauenstudium im Ersten Weltkrieg, S. 157. 61 Berichtet von Necheles, in: Kaplan, Jüdisches Bürgertum, S. 202. 62 So über Heidelberg Flitner, Frauenstudium im Ersten Weltkrieg, S. 164, 166. S. zur Auseinandersetzung in Heidelberg damals o. S. 646 f. 63 Flitner, Frauenstudium im Ersten Weltkrieg, S. 160. »›Tannhäuser‹, Akt III, Wolfram: ›Elisabeth, darf ich Dich nicht geleiten?‹ Ich bemühte mich nicht, den Schreiber ausfindig zu machen. Er hatte offensichtlich bei einer anderen Vorlesung auf meinem Platz gesessen.« 64 Zu Faßbinders Einsatz im Vaterländischen Unterricht s. die Zitate o. S. 522. 65 Flitner, Frauenstudium im Ersten Weltkrieg, S. 165.
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aus der Seele (…) ziehen, anstatt ihn tiefer hinein zu stoßen.«66 Durch den Dienst der Männer an der Front, während sie selbst ungehindert weiterstudieren konnten, schien ihnen dies geboten.67 Auch innerhalb der Studentenschaft wollten sie den »Burgfrieden« halten, die Situation nicht zur Erlangung von Rechten benutzen, die ihnen die im Felde Stehenden eigentlich »bestritten«.68 Insofern ließen diese Frauen eine Chance absichtlich ungenutzt. Das entsprach allerdings dem angestrebten gleichberechtigten Status und war insofern nur konsequent: Kommilitonen – Waffenbrüder – kämpfen nicht gegeneinander (und zumindest im Krieg unterließen das die konkurrierenden Richtungen der männlichen Studentenschaft ja tatsächlich). Doch der Verzicht der Frauen erstreckte sich sogar auf Forderungen, welche die Chancen der Männer gar nicht vermindert hätten. So verschob der Breslauer Studentinnenverein 1915 die Erneuerung seines Antrags auf Anstellung einer Kassenärztin für Studentinnen auf die Zeit »nach Beendigung des Krieges«.69 Während die Vossische Zeitung forderte, den Frauen neue Möglichkeiten in den akademischen Berufen zu eröffnen, da sie im Krieg auf so vielen Gebieten ihre Fähigkeiten bewiesen hätten und auch nach dessen Ende gebraucht würden, waren diese selbst bemüht, »jeden Schritt zu vermeiden, der den Eindruck erwecken könnte, als wollten [sie] die Zeit, da die Männer im Felde stehen, ausnützen, um eigene Vorteile (…) zu erzwingen.«70 Das mag auch damit zusammenhängen, daß sich die studierenden Frauen spätestens seit 1916 erneut unter Rechtfertigungsdruck sahen, nachdem der langjährige Journalist Adam Röder (der selbst sein Studium nicht abgeschlossen hatte71) mit einem infamen Artikel in der von ihm gegründeten Süddeutschen Conservativen Correspondenz eine neue Debatte über das Frauenstudium in Gang gesetzt hatte. Ihm zufolge fielen »die weiblichen ›Berechtigten‹« »in Heuschreckenschwärmen (…) über die deutschen Universitäten her«. »Während sich draußen die Elite der deutschen Männerschaft vor dem Feind verblutet, be setzen daheim die Weibchen die Kollegienbänke, um die gelehrten Berufsarten zu feminisieren.«72 Der Gegensatz könnte nicht drastischer konstruiert werden: 66 Lucie Jacobi, Unsere Studentinnenvereine – allerhand Nachdenkliches, in: S V (1917), S. 11–13, Zitat 12. 67 Hanna Zeitschel [für den] Studentinnenverein Jena, Zum Artikel »Zur Führerschaft der Intelligenz«, in: S V (1916), 43 f. 68 Viktoria Klarhorst, Die Antis, in: S VI (1917), 20 f., Zitate 20. Zum Begriff »Burgfrieden« vgl. auch den von Zeitschel (A. 67) erwähnten »Waffenstillstand«. 69 Noch am Ende des SS hatte der Verein, da er die Gründe der Ablehnung nicht akzeptierte, beschlossen, den Antrag im WS zu erneuern. S. die Semesterberichte in: S IV (1915), S. 57 f. und V (1916), S. 38 f. (Zitat). 70 Vossische Zeitung 577, 10.11.1916, zit. nach Wettmann, Heimatfront Universität, S. 126. 71 In der Weimarer Zeit wurde er Zentrumsabgeordneter des Reichstags. Zu seinem Studium s. die biogr. Angaben in: Reichstagshandbuch. III . Wahlperiode, Berlin 1925, S. 336. 72 A[dam] R[öder], Konsuln, habt acht, in: Süddeutsche Conservative Correspondenz 37, 12.5.1916, S. 10.
1042 Studium und Lehre im Krieg die Studenten als tapfere, opferbereite Elite des deutschen Volkes, die Frauen als Insekten (was durch »Weibchen« ja noch bekräftigt wird), die alles kahlfressen. Die Rolle, die Röder ihnen zudachte, war – entsprechend dem natürlichen Gesetz der Arbeitsteilung – die der Gebärerin, während er dem Mann die geistige Aktivität zuschrieb. Sein Artikel wurde u. a. in den Akademischen Blättern des Kyffhäuser-Verbandes der Vereine deutscher Studenten aufgegriffen. Dort ging Hans Roeseler (der bald auch häufig in der Hochschule schrieb) in seinem Artikel über »Frauenstudium und Krieg« von der erschreckenden Zahlenrelation aus, wonach »jeder dritte ›Student‹ eine Frau« sei! Doch referierte er dann sofort Röder (allerdings ohne das entmenschlichende Zitat!) und danach noch ein (ungenanntes) Mitglied der Heidelberger Universität. Erst nachdem er mehr als eine Spalte lang Statistiken, andere Artikel und Autoritäten wiedergegeben und auch die Rechtslage (daß das Abitur zum Studium berechtige) sowie die wirtschaftliche Notwendigkeit vieler junger Frauen, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen, anerkannt hatte, kam er zum eigentlichen Kern: Die wiederholte Äußerung, daß den Kriegsbeschädigten der ›Weiberbetrieb nicht passe‹, sei »wahr und berechtigt«, »solange die heute übliche höhere Mädchenschulbildung auf die Berechtigung zum Hochschulstudium hinarbeitet«. Roeseler selbst kritisierte zwar ›nur‹ das Studium, das »der Mode folgend, aus Langeweile, aus Sport« betrieben werde. Und dabei argumentierte er sogar mit dem (postulierten) Wohl der Frau selbst (deren Kräfte dem Studium nicht gewachsen seien und die, nach all den Anstrengungen, in dem »gewaltigen Kampf« mit dem Mann nach dem Krieg diesem doch weichen müsse – sich also vergeblich angestrengt hätte). Um das zu vermeiden, schlug Roeseler eine Änderung der Schulbildung vor, die »auch weibliche Anlagen und Instinkte pflegen und weiterausbauen« (!) solle, so daß die Frauen zu den sozialen Berufen hingeleitet würden. Auf diese Weise sollten »der gebildeten erwerbenden Frau angemessene Stellen« geschaffen werden.73 Immerhin druckten die Akademischen Blätter die Entgegnung einer Ber liner Mathematikstudentin aus Schlesien, die selbst Mitglied einer ungenannten »Verbindung« (aber jedenfalls nicht des Vereins studierender Frauen) war.74 Mehr noch als um die »Verteidigung« der Studentin bemühte sich Hertha Kurth um »Verständnis« für sie: Die »wirkliche« Studentin habe andere Beweggründe als »Mode«, »Langeweile« und »Sport« (die sie als Motive zum Besuch von Vor lesungen aber bestätigte!). Sowohl ihre eigene zweieinhalbjährige »Praxis als Lehrerin« als auch die Zahl der Abschlüsse widerlegten Roeselers Behauptung, daß das Ziel der höheren Mädchenschule für den »Durchschnitt« nicht 73 Hans Roeseler, Frauenstudium und Krieg, in: AB 31 (1916/17), S. 162 f. 74 Identifikation der Autorin nach: AV FWU Berlin (wo sie zuerst WS 1912/13, S. 287, zuletzt WS 1916/17, S. 274 registriert war). Im Mitgliederverzeichnis des Vereins Studierender Frauen (1908) Berlin für WS 1916/17 (abgedruckt in: S V [1916/17], S. 73 f.) ist sie nicht enthalten. Zitat: s. A. 75.
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erreichbar sei. Die geringere körperliche Leistungsfähigkeit bestätigte Kurth, gab aber die Doppelbelastung studierender Frauen in den Großstädten zu bedenken: von ihnen werde ein schneller Studienabschluß und gleichzeitig Mithilfe im Haushalt der Eltern erwartet, während diese den Söhnen »oft ein oder mehrere Bummelsemester« zugestünden. Doch das eigentliche »Ideal jeder Frau, auch jeder Studentin« sei, »einmal glückliche Gattin und Mutter zu werden«, und auch ohne Berufstätigkeit sei eine studierte Frau eine bessere Gefährtin des Mannes und Erzieherin der Kinder. Die Möglichkeiten der sozialen Frauenberufe (die zum Teil allerdings erst durch den Krieg geschaffen worden seien) bestritt sie nicht, ließ aber dahingestellt, »ob sie (…) immer gesünder sind als das Studium«.75 Roeseler selbst erklärte diese Darlegung zu einer wertvollen Ergänzung und betonte noch einmal, er habe nur auf den ungeheuren Zuwachs »aufmerksam (‥) machen«, aber nicht das Frauenstudium generell angreifen wollen, ja dieses sogar bewußt vermieden. »Hier liegt die Gefahr der Feminisierung der Hochschule vor, eine Gefahr, die notwendig eintreten muß, wenn wissenschaftliche Vorlesungen vor einem Auditorium gehalten werden, das jetzt seit zwei Jahren zu 5/6 [!] aus Frauen besteht!«
Unterderhand wurden hier aus einem Drittel der Studierenden (in seinem ursprünglichen Artikel) fünf Sechstel! Bezüglich des Familienideals war Roe seler sich mit Hertha Kurth einig und sah im »Sinken der Heiratsmöglichkeit« überhaupt den »Kernpunkt der ganzen Frauenfrage«. »Wenn alle Frauen heiraten könnten, würde wir keine Frauenfrage, würden wir keine Studentinnen haben!« Die von Kurth eingebrachten Gesichtspunkte zur »sozialen Lage« begrüßte er. Doch »die allgemein-akademischen Schwierigkeiten« erblickte er in der Examensorientierung der Studentin, die sich »gewissermaßen Scheuklappen anleg[e]«, »ohne eine wirklich allgemein-akademische Erziehung, ohne den gewaltigen selbsterzieherischen Einfluß der akademischen Freiheit und ihrer Überwindung kennen zu lernen.« Trotz der für berechtigt erklärten Abwehr der Kriegsteilnehmer im ersten Artikel und der ›frisierten‹ Statistik in dieser Erwiderung gab Roeseler sich (und dem Kyffhäuser-Verband) nun den Anschein, die Frage »nicht mit dem Blicke des durch weibliche Konkurrenz in seiner Existenz bedrohten Mannes«, sondern nur im Interesse des größeren Ganzen zu behandeln: »der Wissenschaftlichkeit unserer Hochschulen, der sozialen und nationalen Gefahren, die ein unmäßig gesteigertes Frauenstudium in sich birgt«.76 Der Autor des ungefähr zur selben Zeit erschienenen Artikels »Kriegs examen« der Burschenschaftlichen Blätter, der für Kriegsteilnehmer Prüfungserleichterungen und bevorzugte Anstellung forderte, war da ehrlicher (über75 Herta Kurth, Frauenstudium und Krieg. Eine Entgegnung, in: AB 31 (1916/17), S. 190. 76 (Ohne Überschrift in:) AB 31 (1916/17), S. 190 f.
1044 Studium und Lehre im Krieg trieb den Frauenanteil aber ebenfalls in geradezu grotesker Weise und richtete am Ende ebenfalls den Blick auf das größere Ganze): »Für die Studentinnen ist die Kriegszeit nicht nur [nicht?] nachteilig, sondern von großem Vorteil, weil ihnen fast ausschließlich [!] jetzt die Seminarien, Bibliotheken, Praktikantenstellen usw. zur Verfügung stehen. (…) Ein sehr großer Teil der Studentinnen, die im gleichen Semester mit Kommilitonen im Felde sind, machen natürlich vor diesen das Staatsexamen, und werden nachher mit allen Mitteln versuchen, eine feste Anstellung zu erhalten. Dadurch aber wird die Überfüllung der akademischen Berufe zum Teil so bleiben, wie sie es vor dem Kriege gewesen ist, zum größten Nachteile unserer feldgrauen Kommilitonen, die es wahrlich verdient haben, daß sie erst einmal nach Beendigung des Krieges gefördert werden. – Ob es für unseren Staat sehr von Vorteil ist, wenn nach dem Kriege, wenigstens anfangs, die akademischen Berufe zum großen Teil von Frauen besetzt sind, bleibt dahingestellt und wird von mir stark bezweifelt.«77
Verschärft wurden die Angriffe auf die Studentinnen und ihre behauptete Besserstellung mit der Einführung des obligatorischen Vaterländischen Hilfs dienstes. Roeseler begrüßte es für den Kyffhäuser-Verband nun, »daß alle diejenigen Studierenden, die bisher, aus welchen Gründen es immer sei, noch nicht den erzieherischen Wert des Dienstes für die Gemeinschaft an sich erfahren haben, nun endlich auch zur Mitarbeit am Dienst für das Vaterland herangezogen werden, daß alle die, deren Leben auch mitten im Weltenbrand sich einzig und allein um ihre Persönlichkeit und ihr Studium drehte, durch den Hilfsdienst aus diesen egozentrischen Gedankenkreisen herausgerissen werden.«
Auch wenn dies hier noch nicht konkretisiert ist, handelt es sich offenbar um zwei verschiedene Gruppen, bei deren erster eine Vielzahl von Gründen möglich ist, während die zweite (die auch eine Untergruppe der ersten sein könnte) allein vom Egoismus bestimmt wird. Im zweiten Teil des Artikels plädiert Roeseler dann dafür, daß die älteren Semester weiterstudieren sollen, »schon um der schon fast ganz zur Frauenhochschule gewordenen Universität die letzten männlichen Hörer zu erhalten und der völligen Feminisierung der deutschen Hochschule Einhalt zu tun.« Daß der Verband der Studentinnenvereine selbst um »pflichtgemäße Heranziehung der weiblichen Kräfte zum Hilfsdienst« gebeten hatte, erklärte Roeseler daraus, daß »es mit der Freiwilligkeit der Arbeit fürs Vaterland von seiten unserer [!] Studentinnen bisher doch arg haperte. Rund 85 % der Studenten stehen im Dienst fürs Vaterland, dieser gewaltigen Ziffer stehen rund ganze 4 % der Studentinnen gegenüber, die ihre 77 Martin Burmeister, Kriegsexamen, in: BB 30/2 (SS 1916), S. 188 f. Zu den Forderungen bezügl. der Kriegsteilnehmer s. o. S. 845.
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Dienste dem Vaterlande anboten. Diese Zahlen beweisen auf neue [!], daß die deutsche Studentin einzig und allein individualistisch interessiert ist, daß ihr die notwendige Erziehung im Gemeinschaftssinne fehlt! Das Examen und nur das ist das Ziel der Studentin, auf das sie hinarbeitet.«78
»Die Studentin« rühme sich gar, den wissenschaftlichen Betrieb der Hochschulen überhaupt aufrechtzuerhalten. Als Beleg zog Roeseler die Akademischen Frauenblätter heran, die allerdings – was er tunlichst verschwieg – nur das unregelmäßig erscheinende Organ des Grazer Studentinnenvereins darstellten.79 Wieder erntete er Widerspruch, dieses Mal von einer Berliner Germanistin (aus der preußischen Rheinprovinz), die Mitglied des Deutschen Verbands Akademischer Frauenvereine war, also jenes 1914 in Münster gegründeten Zusammenschlusses, dessen Ziel es war, »das Deutschtum in den Kreisen der weiblichen Studentenschaft zu pflegen«, der sich eng an Codices und Bräuche der männlichen Verbindungen anlehnte und, wie der Kyffhäuser-Verband, prinzipiell keine jüdischen Mitglieder duldete: Else Homann.80 Sie wies auf die Eingaben an den Reichstag auch ihres sowie des katholischen Studentinnenverbandes hin und begründete dieses Engagement ausdrücklich gegen den Vorwurf bislang fehlenden Einsatzes für das Vaterland mit dem »Pflichtgefühl und Arbeitswillen« der Studentin, ihrer Eignung und der seit langem »erwünschten« »Inanspruchnahme«. Roeselers Statistik wies sie mit der ihres eigenen Verbandes zurück, wonach sich am Anfang des Krieges »weitaus der größte Teil« zur Verfügung gestellt habe. Doch dann sei ihnen aufgrund des »dauernden Überangebot[s] weiblicher Hilfskräfte« »die Wiederaufnahme des Studiums als vaterländische Pflicht bezeichnet worden«. Aber auch nun, 1917, seien 60 % der Verbandsmitglieder neben dem Studium mit Hilfsarbeit beschäftigt. Den Vergleich von militärischem Einsatz und weiblicher Hilfsarbeit wies sie aber prinzipiell zurück: »Zu beachten ist dabei außerdem, daß die freiwillige Arbeit der Studentinnen und die zwangsweise des Studenten nicht mit dem gleichen Maß gemessen werden dürfen, daß der im Felde stehende Student dort etwas unbedingt Notwendiges leistet, während die freiwillige Mitarbeit der Studentin oft genug von andern übernommen werden könnte, und daß vor allen Dingen die Kriegsschicksale in sehr vielen Familien die Studentin gerade im engsten Kreis vor ganz neue Aufgaben gestellt haben, die ihren Kommilitonen fast immer ganz fernbleiben. 78 Hans Roeseler, Die Zivildienstpflicht und die Studierenden, in: AB 31 (1916/17), S. 262 f., Zitate 262. Zur Klärung solcher Vorwürfe s. die Analyse des Straßburger Universitätssekretärs o. S. 490. 79 Wie A. 78, S. 262 f., Zitat 262. Nachweis der Zeitschrift: KVK . 80 Herkunft und Fach nach: AV FWU Berlin WS 1916/17, S. 270. Verbandsmitgliedschaft nach ihren eigenen Angaben (s. A. 81). Zum Verband: Huerkamp, Bildungsbürgerinnen, S. 145 (mit Zitat aus den Statuten).
1046 Studium und Lehre im Krieg Die Mitarbeit aller [!] Studentinnen bei gemeinsamer von der Universitätsbehörde oder den Organisationen angeregter Liebestätigkeit ist jedem, der sich mit studen tischen Angelegenheiten beschäftigt hat, zu bekannt, als daß hier noch ein Wort darüber zu sagen wäre.«
Roeseler hielt Homann in seiner Replik zunächst eine Erläuterung aus der Studentin über die unterschiedlichen Eingaben entgegen und suggerierte, sie habe eine falsche Behauptung über eine »gleichzeitige gemeinsame Eingabe« aufgestellt. Dann wies er die Gegenüberstellung der beiderseitigen Statistiken zurück und zwar nicht nur wegen der (offenkundigen) Unvergleichbarkeit einer umfassenden mit einer nur einen kleinen Ausschnitt betreffenden, sondern auch aus Prinzip: Man könne nur die von den Universitäten (für den Militär- oder zivilen Einsatz) beurlaubten (also gänzlich dem Studium entzogenen) berücksichtigen. Und das Zahlenverhältnis in Homanns Verband ändere nichts an »der negativen [!] Beteiligung der studierenden Frauen an vaterländischer Arbeit für die Gemeinschaft«. Die Formulierung von der »›zwangsweisen‹ Arbeit« des Studenten aber erklärte Roeseler zu einer »fast ans Beleidigende grenzende[n], anmaßende[n] Behauptung«, die die »stolze Tatsache außer acht läßt oder übersehen will«, daß sich die Studenten »allen andern voran (….) freiwillig zu den Waffen« gedrängt hätten. »Wir Studenten, die wir im Felde waren, sehen in der Aufrechterhaltung des Hochschulbetriebes durch Frauen keine nationale Pflicht, sondern sehen in dem über mäßigen Frauenstudium eine Gefahr. Nicht eine Gefahr für uns. Dazu sind wir noch Mannes genug, die weibliche Konkurrenz auszuhalten, aber eine Gefahr für unsere ganze Kultur (…) Und deshalb kämpfen wir gegen die Studentin. Sie ist schlechthin der Feind, den wir bekämpfen, dessen unheilvollen Einfluß für unsere Kultur wir einzudämmen uns verpflichtet haben.«81
Nun waren die Fronten also klar – zumindest für den Kyffhäuser-Verband. Aber sie verliefen nicht entlang politischer Trennlinien, wie gerade die Entgegnung auf das Mitglied eines ähnlich gesinnten Verbandes zeigt, sondern strikt nach Geschlecht!82 Dabei rief Roeseler die Professoren als Zeugen für seine Haltung an (obwohl diese doch betont hatten, daß Frauen bei ihrem Studium bleiben sollten!83) und verdrehte die »Liebestätigkeit« (d. h. die Fürsorge für die Soldaten im Feld) zu studentischer Organisationsarbeit, um diese dann als weibliche Interessenvertretung zu deuten. Am meisten verblüfft aber, daß ein Autor, der 81 Die Studentin und die vaterländische Hilfspflicht, in: AB 32 (1917/18), S. 25 f. [zwei Beiträge von Else Lotte Homann und Hans Roeseler]. Alle Hervorh. in Zitaten i. O. 82 Aus »Raummangel« werde die Einsendung »etwas verspätet« abgedruckt und müsse auch von weiterer Erörterung dieser Frage »einstweilen« abgesehen werden. 83 Siehe o. Kap. III .5.
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mit seinen festen Rollenvorstellungen die Lebensaufgabe der Frau in Ehe und Familie sah, ein der männlichen Rolle entsprechendes Kriegsengagement von ihr forderte. Anläßlich der bereits erwähnten Warnung des preußischen Kultusministers 1918 hielt Friedrich August Pinkerneil, der in der von dem Gründer des Hilfsbundes herausgegebenen Hochschule regelmäßig die »Akademische Rundschau« verfaßte, zunächst die Leistungen der Frauen fest: Sie hätten sich in manchen akademischen Berufen ein »Heimatrecht geschaffen« und »durchaus bewährt«. Und es gebe mehr »ernsthaft strebende Studentinnen (…) als manche wissen wollen«. Aber ihnen diene man gerade damit, daß man die Probleme herausstelle, die das Studium als »Mode« schaffe (über das von WilamowitzMoellendorff im Preußischen Herrenhaus gesprochen hatte). In einem anderen Abschnitt der »Rundschau« (»Semesterschluß«) hatte Pinkerneil zwei Seiten vorher außerdem suggeriert, daß Frauen den Studienort nach anderen als akademischen Gesichtspunkten wählten, also eifrig in Marburg, Tübingen und Greifswald studierten, weil dort Fleisch- und Fettkarten günstiger zu erhalten seien… Immerhin gestand er im Abschnitt über das Frauenstudium aber ein, daß gerade der Krieg »so vielen Hundert unserer deutschen Mädchen den Weg zur Hochschule gewiesen hat«. Mehr als die Hälfte »würde gern Studium und Ehrgeiz dahinwerfen, um den eigentlichen Beruf der Frau erfüllen zu können. Die ihre Männer werden sollten, liegen draußen verscharrt und die es werden könnten, denken mit Sorgen an die wirtschaftlichen Verhältnisse der Zukunft, die es ihnen nicht einmal gestatten, allein durchzuhalten.«
Pinkerneil sagte einen scharfen Konkurrenzkampf zwischen Männern und Frauen in den akademischen Berufen voraus, und an die eingangs zitierte Anerkennung schloß er den Satz an: »Den Auserlesenen unter ihnen stehen [!] wir das Recht des freien Wettbewerbes, das Recht des Nebenunsarbeitens zu, der großen Masse müssen wir es wehren.« Diese Männer betrachteten also die akademischen Berufe als ihre Domäne, zu der sie (obwohl selbst ja wohl nicht alle ›Auserlesene‹!) nur die besten Frauen als Konkurrentinnen zulassen wollten; denn wenn man alle zuließe, würden diese sich dadurch eine Stellung schaffen, daß sie »Männerkräfte unterbiete[n]«. Und in dem dann sich ergebenden »gewerkschaftlichen Kampf« müsse die Frau unterliegen. Indem die männ lichen Akademiker ihr den Zutritt verwehrten, gaben sie also noch vor, sie zu schützen! Gegen Ende forderte Pinkerneil dann dazu auf, »so klardenkend und ehrlich sein«, jenen Frauen ›einen‹ Erwerb zu ermöglichen, mit dem sie (anstelle ihrer gefallenen Brüder oder Gatten) die Familie ernähren könnten. Doch mündete die knapp dreiseitige Darlegung in eine Passage, in der die Männer, die eigentlich ihre Privilegien bewahren wollten, als Verteidiger höherer Wert auftraten:
1048 Studium und Lehre im Krieg »Aber das heiligste Gut, über das wir Akademiker zu wachen haben, die Ehre unserer Hochschule und die Achtung vor der Leistung, zu der ihre Erziehung führt, wollen wir schirmen mit allen Kräften, und wer unter den Frauen es mit profaner Hand anzutasten wagt, der spüre die Härte unseres Kampfes und seine rücksichtslose Schärfe.«84
Die Kriegsteilnehmer schützten also nicht nur die daheimgebliebenen Lehrer und Mitstudierendenden; vielmehr stellten sie sich (und alle Männer!) auch als Beschützer der Universität dar vor jenen, die sich an ihr vergreifen wollten! Als sie sich nach ihrem Etappendienst und der anschließenden Rückführung von Frauen aus der Kriegsindustrie ins zivile Leben 1919 endlich an die Fertigstellung ihrer Dissertation machte, stieß Elisabeth Czapski, inzwischen verheiratete Flitner, zum ersten Mal auf »Frauenfeindschaft«.85 Berichte anderer Studentinnen bestätigen diese Erfahrungen.86 Der Krieg hatte also in den Beziehungen zwischen den Geschlechtern innerhalb der Universität neue Spannungen bewirkt, und zwar gerade weil er die herkömmlichen Geschlechterrollen verstärkte: der Studenten im Feld (was Todesgefahr bedeutete), der Studentinnen bei pflegender und Fürsorgetätigkeit zuhause (was nun als ungeheure Bevorzugung erschien).
Der Feind auf dem Papier: die Wiederbelebung der Debatte über das Ausländerstudium Das Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg war von Widersprüchen im Verhältnis zu ausländischen Kollegen und Studenten geprägt: Einerseits war in Straßburg von gemeinsamen Wanderungen der Professoren mit ihren einheimischen, ›altdeutschen‹ und ausländischen Studenten die Rede, und beim Gedenken an die Verstorbenen im Jahresbericht des Rektors wurden selbstverständlich auch Ausländer, etwa ein jüdischer Mediziner aus Riga, als »Kommilitonen« verstanden.87 Berliner Rektoren bekannten sich im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts in ihren programmatischen Reden mehrfach zur Internationalität der Wissenschaft und zur Förderung des Austauschs,88 und noch im ersten Kriegs-
84 Fr[iedrich] A[ugust] Pinkerneil, Akademische Rundschau, in: HS 2 (1918/19), S. 259–264, Zitate 262, 263, 262, 253, 263 f.; Bemerkungen zu den Fleischkarten S. 260. Zu Pinkerneils Biographie s. o. S. 459, 462 A. 401. 85 Flitner, Frauenstudium im Ersten Weltkrieg, S. 167 (über Jena). 86 S. weitere Beispiele bei Maurer, »Studierende Damen«, S. 91 f. 87 Wanderungen: Ficker, Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg, S. 26; Totengedenken: Stiftungsfest der KWU 1914, S. 13 (Faiwitsch Dolgopolsky). 88 Siehe o. S. 181 f. und 186.
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winter ließ das Kultusministerium eine Werbeschrift über die Berliner Universität ins Englische übersetzen.89 Andererseits hatte es in der unmittelbaren Vorkriegszeit aber eine heftige Debatte über das Ausländerstudium gegeben, die sich vor allem gegen die zahlenmäßig dominierende Gruppe, die ›Russen‹ richtete (unter denen wiederum Juden die Mehrheit stellten). Schließlich hatten die jahrelangen Klagen deutscher Studenten (samt eines ›Klinikerstreiks‹ in Halle) und die zunächst durch Nachfragen des Ministeriums den Universitäten nahegelegte Zulassungsverschär fung 1913 zu dem gegen die ›Russen‹ gerichteten Numerus Clausus an preu ßischen Universitäten geführt.90 Zu Kriegsbeginn hatte sich die Spionenfurcht bzw. -hysterie in verschiedenen Universitätsstädten gegen ›russische‹ und andere ›feindliche‹ Studenten gewandt, und nach vorübergehender Festsetzung mußten Männer im wehrpflichtigen Alter in Deutschland bleiben, ohne doch weiterstudieren zu können.91 Wie sich ihre Beziehungen zu Deutschen gestalteten, ist selbst dort, wo in einem Ausnahmefall sowohl die Universitäts- als auch die Polizeia kten (Überwachung!) und die Einwohnermeldekarten überliefert sind, kaum zu eruieren und das Wenige jedenfalls nicht zu verallgemeinern.92 Die Frage der Beziehungen zwischen deutschen Studierenden und Ausländern an der Universität stellte sich kaum noch praktisch: Das Gießener Personalverzeichnis enthielt im Sommer 1915 nur noch acht Ausländer,93 und auf ungefähr diesem Niveau blieb die Zahl bis zum Kriegsende. In Straßburg waren es noch weniger: zwischen zwei und fünf pro Semester. Engländer und ›Russen‹ waren an beiden Universitäten überhaupt nicht mehr vertreten.94 In der Reichshauptstadt gab es letztere zwar noch – Sommer 1915: 48! –, doch handelte es sich dabei überwiegend um Rußlanddeutsche und Deutschbalten (die nicht als ›wirkliche Ausländer‹ und schon gar nicht als ›Feinde‹ galten). Angesichts dieser Befunde verwundert es nicht, daß sich in den Quellen, wenn man von der Gießener Denunziation im November 1914 absieht,95 kaum Nachrichten über die Beziehungen zwischen einheimischen und ausländischen Studenten finden. 89 90 91 92
Siehe o. S. 65. Siehe o. S. 65. Zum Ausschluß noch vor Semesterbeginn s. o. Kap. IV.2. Zu Göttingen s. Maurer, Weder Kombattanten noch Kommilitonen; sowie ergänzend (zum Leben in einer Fremdenpension und freundschaftlichen Kontakten zur Besitzerfamilie): Maurer, Fremde. 93 Diese hatten folgende Staatsangehörigkeit: Bulgarien: 1, Luxemburg: 3, »Türkei«: 1, »Oest.-Ung.«: 1 (eine solche Staatsangehörigkeit gab es allerdings nicht: nur eine österreichische oder eine ungarische!), Schweiz: 1, Rumänien: 1 (zusammengestellt aus der Namensliste, eine Statistik enthält das Verzeichnis nicht!). Siebe, Ausländische Studenten in Gießen, S. 37 gibt (ohne Beleg) nur sieben an. 94 Siehe o. S. 789. 95 Endg. Feststellung für SS 1915 in: AV FWU WS 1915/16. Zusammensetzung s. o. S. 776 f., 780 f.
1050 Studium und Lehre im Krieg Ein breit dokumentierter Fall in Berlin ist vor allem deshalb von Interesse, weil er sich erstens jahrelang hinzog und zweitens der deutsche Student dann mit Erfolg die Kriegsentwicklung benutzte, um seine eigene Relegation abzuwenden! Der junge deutsche Jude Erwin Brand hatte einen rumänischen Mitstudenten gerügt, weil dieser so laut gesprochen und mit dem Stock auf den Garderobentisch gehauen hatte. Die Aufforderung zu einer Aussprache lehnte er ab, forderte aber 10 Tage später dann selbst eine solche. Als der Rumäne sie verweigerte und sich auf Aufforderung hin auch nicht entschuldigen wollte, schlug ihm der deutsche Kommilitone ins Gesicht. Der Senat bestrafte ihn nun mit »Entfernung« von der Universität, wogegen Brand aber Berufung einlegte. Da er dem Termin vor dem Universitätsrichter fernblieb, bei erneuter Aufforderung wieder nicht erschien und beim dritten Mal schließlich, in den Karzer geführt, vom dortigen Freigang nicht zurückkehrte, sammelten sich insgesamt drei Disziplinarvergehen an. Doch da Brand im Sommer 1915 als Kriegsfreiwilliger in Dienst trat, zog sich die Angelegenheit hin. Ab Sommer 1917 war er – wegen Krankheit aus dem Feld zurückgekehrt – in Greifswald immatrikuliert und dann im Herbst, als er an seine Berufung erinnerte, als Feldunterarzt im Reservelazarett Stralsund tätig. Nun bat er in seiner »Eigenschaft als Feldzugsteilnehmer, auf [s]eine Disziplinarstrafe den Gnadenerlaß Seiner Majestät des Königs anzuwenden«. Außerdem wies er darauf hin, daß der von ihm »tätlich beleidigte Kommilitone Angehöriger eines nunmehr [!] feindlichen Staates (Rumäne)« sei. So benutzte er den Krieg und die weit über ein Jahr nach seinen Verfehlungen eingetretene politische Konstellation, um die akademische Disziplinarangelegenheit zu seinen eigenen Gunsten zu entscheiden. Und tatsächlich hatte er Erfolg! Der Senat milderte die Strafe Ende 1917 zur »Androhung [!] der Entfernung der Universität« ab. Zwar sei das ursprüngliche Urteil gerechtfertigt gewesen, doch lasse Brands gute Führung im Heeresdienst vermuten, daß er sich bei der Fortsetzung seines Studiums ein »tadelloses Verhalten angelegen sein lassen« werde!96 Brand, der – nach einem Studium der Medizin und der Chemie, als einer der letzten Studenten Emil Fischers – 1921 von Max Bergmann in Berlin in Chemie promoviert wurde, war zwei Jahre lang dessen Mitarbeiter am neuen KWI für Lederforschung in Dresden und emigrierte 1922 in die USA, wo er ein bedeutender Forscher und Wissenschaftsorganisator wurde.97 96 Neben weiteren v. a. nach folgenden Dokumenten zusammengefaßt: Akad. Senat der FWU Berlin 3.3.1915 (ursprünglicher Vorfall und Urteil) und Senat 5.5.1915 (Konfession; weitere disziplinarische Verfehlungen); Erwin Brand an Pr. KuMi 18.5.1915 (Berufung), 24.7.1915 (Kriegsfreiwilliger; Bitte um Verlängerung zur Einreichung der schriftlichen Begründung) und 30.11.1917 (Krankheit, Immatrikulation in Greifswald und weitere Tätigkeit als Feldunterarzt, Zitat); Beschluß 14.12.1917. Alle: GSt APK I. HA Rep 76 Va Sekt. 2 Tit. XII Nr. 3, Bd. XIV, fol. 5–6; 7–8; 1; 23–24; 48 (Zitat); 50 (Zitate). 97 Zur Promotion s. JHSS 39 (1923), S. 35. Zur weiteren Entwicklung s. den Nachruf von Orr E. Reynold/Jesse P. Greenstein, Erwin Brand: 1891–1953, in: Science 119 (1954), S. 144 f.
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Mit Feinden hatten die deutschen Studierenden in der Universität schon deshalb nichts mehr zu tun, weil mit dem Kriegseintritt der verschiedenen Länder deren Angehörige ja vom Universitätsbesuch ausgeschlossen wurden. Um so erstaunlicher ist es, daß die sogenannte Ausländerfrage auch in diesen Jahren an den Universitäten erörtert wurde – und der Krieg sogar einen zusätzlichen Grund dafür bot. Bereits in der am 11. Oktober 1914 erschienenen Nummer der Medizinischen Klinik rechtfertigte der gebürtige Österreicher und Professor der Prager Deutschen Universität Anton Elschnig angesichts des »Angriff[s], den Japan auf das Deutsche Reich unternimmt«,98 den erfolgten Ausschluß der Japaner aus deutschen Universitäten; denn das japanische Volk verdanke »das, was es jetzt ist«, also sowohl den geistigen Aufschwung als auch seine militärische Stellung, »der Unterweisung und Förderung« in deutschen Bildungseinrichtungen. Zwar sei die künftige Behandlung der Angehörigen der übrigen Staaten noch nicht abschließend zu klären; doch in Kulturstaaten hafte auch das Individuum bis zu einem gewissen Grade für das Vorgehen der Regierung, »also Briten, Franzosen, Belgier«. (Das Russische Reich zählte Elschnig offenkundig nicht zu den Kulturstaaten.) Den Kongressen und Fachgesellschaften müsse nach dem Krieg der »Stempel der ›Internationalität‹« genommen werden, auch wenn dies gewisse materielle Einbußen bedeute. Die Beschränkung auf die Angehörigen jener Länder, mit denen die Deutschen »in ehrlichem Frieden leben können«, führe nicht zur »Inzucht«. Auf jeden Fall müßten Deutschland und Österreich künftig zusammen und einheitlich handeln.99 Auch für Johannes Orth, den Nachfolger Virchows an der Universität Berlin, waren die materiellen Vorteile, die Deutschland aus dem Studium von Ausländern an seinen Universitäten entstanden, nicht maßgeblich. Doch gab er, von der Zeitschrift zu einer Stellungnahme aufgefordert, so vieles zu bedenken, daß dies wie ein entschiedener Widerspruch zu Elschnigs Auffassung wirkte. Keine Nation könne sich wissenschaftlich von anderen isolieren; denn damit würde sie sich selbst schaden. Auch sei Deutschland bisher nicht nur der Gebende, sondern zugleich auch der Nehmende gewesen. Und »japanischer Fleiß« habe »mit deutschem Geiste zusammen der deutschen Medizin und damit der ganzen Welt die wertvollsten Errungenschaften geschenkt«. Als Beispiel erinnerte er an einen kürzlich von einem Japaner erbrachten Nachweis des Charakters der Paralyse. Zudem gab Orth zu bedenken, wie schnell die Allianzen wechselten: 98 Da Deutschland das Ultimatum, binnen einer Woche seine Bereitschaft zu erklären (!), alle Schiffe aus chinesischen und japanischen Gewässern abzuziehen, hatte verstreichen lassen, erklärte Japan ihm am 23. August 1914 den Krieg. Am 2. September erreichten japanische Truppen die deutschen Pachtgebiete um Tsingtau, die laut Ultimatum an Japan hätten übergeben werden sollen. Elschnigs Artikel (s. A. 99) wurde vier Wochen vor der deutschen Kapitulation am 7. November 1914 veröffentlicht. 99 [Anton] Elschnig, Ist die kosmopolitische Richtung in der Medizin noch existenzberechtigt?, in: Medizinische Klinik 10 (1914 II), S. 1577 f.
1052 Studium und Lehre im Krieg Japaner und Russen, die einander 10 Jahre zuvor bekriegt hätten, seien jetzt Verbündete. Da Deutschland Weltmacht bleiben (bzw. im schlimmsten Fall wieder werden) wolle, müsse es mit der ganzen Welt in Berührung bleiben. Und am leichtesten seien Beziehungen in der Wissenschaft wiederherzustellen! Orth argumentierte also nicht ethisch-moralisch, sondern mit dem deutschen Interesse. Die Frage, ob man Unterschiede zwischen den Völkern machen solle, bejahte er: Vorrang hätten immer die Angehörigen des eigenen Landes. Und er belegte dies mit seinem eigenen Beispiel: Mit Ausnahme eines einzigen Österreichers habe er nie einem Ausländer eine bezahlte Assistentenstelle gegeben. Darüber hinaus habe er zwar Angehörige diverser Nationen als Volontärassistenten gehabt, doch nie einen Reichsdeutschen zugunsten eines »Fremden« zurückgewiesen!100 Als die Burschenschaftlichen Blätter dies noch im selben Semester aufgriffen, verallgemeinerte ihr (schon drei Jahre zuvor promovierter) Autor Otto Beyreis die letzte beruhigende Behauptung großzügig auf »alle unsere Lehrer«. Andererseits behauptete er aber, daß »die deutsche Höflichkeit verhüten [werde], daß jemals ein Ausländer hinter einen Deutschen zurückgesetzt wird.« Damit war sozusagen eine Parität erreicht bzw. in der Konkurrenzsituation: ein Patt hergestellt. Dieses wendete er mit seinen Forderungen nun zugunsten der Deutschen. Bei steigender Studentenzahl nehme die Wirkung des Unterrichts ab. Eine relativ gute Dozenten-Studierenden-Proportion bessere die Situation nicht, weil sich alle Hörer bei jenen drängten, deren Vorlesungen Prüfungsstoff seien: Bumm, Franz, Bier, Orth u. a.101 Beyreis forderte also einen »vernünf tigen Numerus clausus, der insbesondere scharf ist bei allen praktischen Übungen und Kursen«. Für Ausländer sollten »Extra-Kurse« eingerichtet werden. Dagegen sollten alle für das Examen vorgeschriebenen Veranstaltungen nur Deutschen und Österreichern zugänglich sein.102 Mit den zwei Stellungnahmen in einer Zeitschrift jenes Faches, das in den Universitäten bis dahin den stärksten Ausländerzustrom zu verzeichnen hatte, war bereits vor Beginn des ersten Kriegssemesters die Debatte eröffnet – und wurde von einem jungen Absolventen durch konkrete Vorschläge für die Zukunft bald ins Praktische gewendet. In diesen drei Texten waren bereits alle Be100 J. Orth [ohne gesonderte Überschrift], in: Medizinische Klinik 10 (1914 II), S. 1578. 101 Mit dieser Aufzählung und dem Wörtchen »wir« erweckte Beyreis den Eindruck, er sei selbst ein Berliner Student. AV FWU Berlin WS 1914/15 verzeichnet aber keinen Studenten Beyreis, und der S. 87 registrierte Walter Beyreiß war Theologe. Der Autor dieses Artikels war dagegen in Kiel promoviert worden und hatte nur dort sowie in Freiburg studiert. Identifizierung nach der Vita in der Dissertation Otto Beyreis, Katatonie in Schüben, Kiel 1911 sowie einer Schrift über die Burschenschaft (1928), was die Verbindung dieses Otto Beyreis zu BB bekräftigt. 102 [Otto] Beyreis, Die Ausländerfrage an unseren Hochschulen, in: BB 29/1 (WS 1914/15), S. 200 f.
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obachtungen und Argumente enthalten, die mit gewissen Variationen auch in anderen Beiträgen immer wieder auftauchen sollten. Den Undank der Ausländer faßte ein nicht zu identifizierender Prof. Dr. Heuser in der Akademischen Turnzeitung in folgenden Varianten zusammen: »Die Japaner, die fast alles von uns gelernt haben, vor allem auch auf militärischem Gebiet (heißen sie doch ›die Preußen des Ostens‹), haben uns als Zeichen ihrer Dankbarkeit wie Wegelagerer überfallen, Gelehrte feindlicher Länder, die in Deutschland studiert haben, also wenigstens einen Teil ihres Wissens Deutschland verdanken, haben nach Kriegsausbruch die deutsche Wissenschaft geschmäht und des Schmarotzertums bezichtigt, und die zahlreichen jüngeren Leute, die bei uns sich Kenntnisse in den Natur- und technischen Wissenschaften und in der Medizin erworben haben, verwenden diese Kenntnisse jetzt zu unserem Schaden.«103
Daß sich Deutschland mit den Ausländern Konkurrenz heranziehe, war dabei noch der mildeste Einwand. Mit diesem Argument wurde in verschiedenen allgemeinen und studentischen Zeitschriften der bayerische Kultusminister von Knilling zitiert, der forderte, die Japaner »für alle Zeit« von deutschen Universitäten auszuschließen, da sie das Gastrecht »schnöde mißbrauch[t] und bei ihren Doktorarbeiten Mogeleien getrieben« hätten.104 Daß Deutschland mit seiner Hochschulbildung die Ausländer erst zum Angriff auf es instand gesetzt habe, wurde besonders an den Studenten der Technischen Hochschulen illustriert. Der Extraordinarius für Chemie an der TH Stuttgart Paul Rohland hatte in der Täglichen Rundschau berichtet, daß die Zusammensetzung deutscher Sprengbomben keinesfalls ein Fabrikgeheimnis sei, da »in unseren Hörsälen und Laboratorien (…) die theoretische und praktische Grundlage auch für die Herstellung« von Sprengstoffen vermittelt werde. Im übrigen seien die theoretischen Kenntnisse dieser Art »in tausend Lehrbüchern enthalten« und würden in jeder Hochschule jedes Landes gelehrt. Daraus folgerte er aber nun nicht, daß man die Ausländer auch weiterhin zulassen könne – sondern warf die Frage auf, warum sie nach Deutschland kämen, wenn sie dasselbe billiger und bequemer zuhause erhalten könnten. Deshalb wäre es »töricht« und »gefühlsduselig«, Ausländer aus feindlichen Ländern nach dem Krieg wiederum zuzulassen; denn damit werde Deutschlands Vorsprung, den es sich »durch methodische Behandlung und Fleiß« erarbeitet habe, wieder verkürzt. Heuser, der dies zitierte und referierte und selbst hinzufügte, daß die meisten Ausländer »vorzugsweise Berufe [studierten], die in der Kriegswissenschaft eine hervorragende Rolle spielen: Maschinenbau, Schiffsbau und Schiffsmaschinenbau«, dehnte die
103 Prof. Dr. [-] Heuser, Auslandsstudenten, in: ATZ 33 (1916/17), S. 141. 104 Bericht mit dem Interview in einem »Münchner Blatt« aus den Alldeutschen Blättern übernommen in: AB 31 (1916/17), S. 237.
1054 Studium und Lehre im Krieg Ausschlußforderung dann auf »sämtliche« Wissenschaften aus.105 Die Konzentration der Ausländer in den für die Kriegführung relevanten Fächern wurde immer wieder erwähnt, und dabei wiesen der Gießener Anzeiger ebenso wie die überregionale Frankfurter Zeitung (da sie offenkundig nicht die THs, sondern die Universitäten im Blick hatten) besonders auf »Medizin und Naturwissenschaften« hin.106 Doch wurde die Debatte in Tageszeitungen, Fachzeitschriften und studentischen Verbandsorganen nicht nur von solchen allgemeinen, an die Kriegsentwicklung anknüpfenden Überlegungen gespeist, sondern gelegentlich auch aus lokaler Unzufriedenheit, die dann aber der allgemeinen Diskussion weiteren Auftrieb gab. In Göttingen protestierte die Vertretung der Studentenschaft dagegen, daß an einer Veranstaltung des Mathematikers David Hilbert im Juni 1915 drei russische Staatsangehörige teilnahmen. Obwohl der Rektor sehr diplomatisch reagierte (und dabei auch auf die erlaubten Ausnahmen hinwies), kam es zu einer längeren Korrespondenz und zahlreichen Zeitungsveröffent lichungen über die »Ausländerei« in Göttingen (wo nach Prüfung der Einzelfälle im Ministerium insgesamt neun ›feindliche Ausländer‹ zugelassen worden waren). Auch die Frage ausländischer Assistenten (zu der die Beschäftigung einer »Finnländerin«, also russischen Staatsangehörigen, als Hilfsassistentin Anlaß gab) wurde bis 1909 zurück aufgerollt.107 Einiges aus den Universitäts interna gelangte damals auch in die auswärtige und überregionale Presse.108 Schließlich wollten die Göttinger die deutsche Studentenschaft um eine gemeinsame Eingabe bei den Ministerien bitten, die besonders rigorose Forderungen enthielt. U. a. sollte das Studium an einer deutschen Universität künftig nur Ausländern mit dem Reifezeugnis einer deutschen höheren Lehranstalt gestattet werden! Wer dieses nicht hatte, sollte eine Prüfung in den Hauptfächern ablegen. In den ersten vier Semesterwochen sollten Arbeitsplätze in Labors etc. deutschen Studierenden vorbehalten sein etc.109
105 Heuser, Auslandsstudenten (wie A. 103). »P. Rohland-Stuttgart« identifiziert nach dem Nachruf in: Chemiker-Zeitung 40 (1916), S. 497. 106 Das Zitat der beiden Zeitungen bei Siebe, »Germania docet«, S. 299. S. außerdem: Die Ausländer an den Technischen Hochschulen zur Kriegszeit, in: BB 29/2 (SS 1915), S. 54; P. Niemann, Die Ausländer an deutschen Hochschulen, in: AR 5 (1916/17), S. 324–328, hier 326. 107 In diesen sechs Jahren waren 11 Ausländer als bezahlte Assistenten in Göttingen beschäftigt. Andererseits hatte der Physiker Voigt zu Kriegsbeginn nicht nur den Russen Baron Freedericksz entlassen, sondern dies sogar für einen Schweizer (also Neutralen!) angeregt. Die »Finnländerin« war übrigens mit einem Deutschen verlobt! 108 Dabei wurde gleichzeitig auch die Lehrtätigkeit eines italienischen Lektors und die Tätigkeit eines Göttinger Professors im lokalen Kriegsgefangenenlager moniert. S. dazu genauer Maurer, Weder Kombattanten noch Kommilitonen, S. 204 f. 109 UA Göttingen Sek. 558 (6), fol. 73.
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Veranlaßt von einer Zuschrift der Göttinger Studentenvertretung, die zur Unterzeichnung ihrer »Leitsätze zur Ausländerfrage« aufforderte, formulierte der Ausschuß der Berliner Studentenschaft nach mehrere Sitzungen währenden Diskussionen schließlich eigene; denn den Berlinern gingen die Göttinger »zu weit«. Die Berliner Leitsätze wurden von allen im dortigen Studentenausschuß vertretenen Gruppen mit Ausnahme des zionistischen Kartells Jüdischer Verbindungen und »eines verschwindend kleinen Teiles der Nichtkorporierten« getragen.110 Sie sahen zwar eine der deutschen adäquate oder mindestens im Heimatland zum Studium berechtigende Vorbildung sowie für Mediziner die Ablegung der ärztlichen Vorprüfung vor Beginn der klinischen Studienphase vor. Doch hatte das Preußische Kultusministerium – nach der früher liberalen Ausländerzulassung – 1914 ja bereits selbst die Vorschriften für die Studierenden dahingehend geändert, daß auch Ausländer eine den Inländern gleichwertige Vorbildung besitzen mußten. (Und letztere war seit langem das Reifezeugnis einer neunjährigen höheren Schule.)111 Doch in allen anderen Punkten wollten die Berliner Studierenden die Ausländer deutlich benachteiligen. Sie schlugen also einen generellen Numerus clausus für jedes Herkunftsland vor, der als Prozentsatz aller Immatrikulierten des vergangenen Semesters festgesetzt werden sollte, aber bei den Ausländern auch die Gasthörer umfassen sollte. (Faktisch hätte das wohl eine Verschärfung des 1913 in Preußen eingeführten NC für Studenten aus dem Russischen Reich bedeutet). Außerdem sollten Ausländer höhere Gebühren und Hörgelder als Deutsche sowie zusätzlich einen besonderen Semesterbetrag zahlen und besondere Ausweise erhalten. Das Belegen von Lehrveranstaltungen sollte ihnen erst eine Woche nach Vorlesungsbeginn gestattet werden und in Veranstaltungen mit Demonstrationen die ersten vier Reihen für deutsche Staatsbürger reserviert sein. Als Assistenten und Famuli sollten Ausländer nur zugelassen werden, falls keine Deutschen vorhanden seien. Ein Wahlrecht zur Studentenvertretung wollten die Berliner ihnen nicht zubilligen. Zur Promotion (bzw. bei den Theologen Lizentiatsprüfung) sollten Ausländer nur mit Genehmigung der Fakultät zugelassen werden. Damit war ihnen das grundsätzliche Recht auf einen Studienabschluß praktisch verwehrt, da zum Staatsexamen in der Regel ohnehin nur deutsche Staatsangehörige 110 Zur Frage des Studiums der Ausländer an den preußischen Hochschulen, in: BAN X (1915/16), S. 54–56, Zitate 54. Die detaillierten »Leitsätze zur Frage der Ausländer an deutschen Hochschulen« folgen S. 55 f. Sie sind auch abgedruckt (ohne die Bewertung der Göttinger Leitsätze) in: Die Ausländerfrage an preußischen Hochschulen, in: AB 30 (1915/16), S. 400 f. 111 Mitteilung in der Fakultätssitzung der FWU Berlin 7.10.1914: UA HU Phil. Fak. Nr. 34, fol. 283 f., hier 283. Die erwähnte Neufassung der Vorschriften für die Studierenden von 1870/1905 ist in ZBUPr 1914 und 1915 nicht enthalten und wird auch bei Siebe nicht erwähnt. Zur früheren Entwicklung der Anforderungen an Ausländer s. Maurer, Auslese und Abschreckung, S. 222–226 sowie Siebe, »Germania docet«, S. 44 f. und 172 f. (Preußen), 90 f. und 244 (Gießen), 99 f. und 262 (Heidelberg).
1056 Studium und Lehre im Krieg zugelassen wurden. Der Selbstdarstellung des Berliner Ausschusses zufolge entsprangen diese Regeln »kein[em] durch den Krieg entfachten Haß gegen das Ausland. Einer Überspannung nationaler Begriffe halten wir uns geflissentlich fern. Die ruhige, nüchterne Betrachtung der Zustände vor dem Kriege« habe zu dieser Auffassung geführt, deren »Ziel (‥) nicht der Kampf gegen das Ausland [sei], sondern die Sicherstellung einer unbehinderten Erziehung der deutschen Studenten zu wissenschaftlich gebildeten deutschen Persönlichkeiten.«112 Zu diesen im Mai 1916 veröffentlichten Leitlinien nahm Rektor von Wilamowitz-Moellendorff in seiner Rede »Von der Universität Erreichtes und Er hofftes« bei der Stiftungsfeier im August Stellung. »Der Ausländer hat auf das staatliche Institut keinen Anspruch. Wir haben ihn mit der größten Weitherzigkeit zugelassen und erfahren, daß Mißbrauch getrieben ward. Da muß also eine Schranke gezogen werden, wo immer, wie in den technischen Wissenschaften, etwas gelehrt oder gezeigt wird, was sich auch einmal gegen uns anwenden läßt. Aber wo diese Gefahr nicht besteht, sollen wir danach handeln, daß nicht nur die deutsche Wissenschaft davon Vorteil hat, wenn Ausländer sie suchen kommen, sondern auch die Achtung vor deutschem Wesen am besten durch seine Kenntnis begründet wird. Ich habe Angehörige ziemlich aller Nationen in meinen Vorlesungen und meinem Hause gehabt, einen französischen Priester noch bis zum Kriegsausbruch: ich wollte, ich könnte ihr Zeugnis aufrufen. Daß die Ausländer, selbstverständlich nur solche mit hinreichender Vorbildung und mit der Kenntnis unserer Sprache, für ihre Zulassung etwas Besonderes zahlen, ist billig; aber auch da wird man den Ausländern deutscher Zunge, wie den Deutschschweizern, eine Vorzugsstellung einräumen. Ich sage das in Hinblick auf Wünsche, die der Ausschuß unserer Studentenschaft vorgetragen hat, weil ich der Meinung bin, daß das Urteil der Studentenschaft in ihren eigenen Sachen bedeutendes Gewicht hat, und weil ich es als einen großen Fortschritt begrüße, daß nunmehr bei uns eine Vertretung besteht, die im Namen der Studentenschaft sprechen kann.«113
Entscheidend ist nicht nur das, was hier, verbunden mit einer Respektsbezeugung vor dem Studentenausschuß, gesagt wurde, sondern noch mehr das Ungesagte: denn angesichts der oben referierten Richtlinien kann man Wilamowitz’ Äußerung nur als Ablehnung eines Numerus clausus und wohl auch der speziellen Belegfristen und Sitznachteile deuten. Wie schon in den Vorkriegsjahren zeigte sich an der Reaktion des Göttinger wie des Berliner Rektors also auch jetzt, daß die Professoren Ausländern gegenüber liberaler waren als die Studenten. Auch von Gießen, wo schon im Herbst 1914 eine Denunziation die weitere Teilnahme einer jüdischen Studentin deutscher Kultur aus Kurland an 112 Zur Frage des Studiums der Ausländer (wie A. 110), Zitate S. 54 f. 113 Wilamowitz-Moellendorff, Von der Universität Erreichtes, S. 21 f.
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einem Seminar ihres Doktorvaters unmöglich gemacht hatte,114 ging eine spezielle Verschärfung der Ausländerdebatte aus: Der Bibliotheksdirektor Hermann Haupt begnügte sich nämlich nicht mit Überlegungen zu ›feindlichen Ausländern‹, sondern wandte sich dagegen, daß die Zulassung von Ausländern aus neutralen Ländern »durchgehends [!] als Selbstverständlichkeit« betrachtet werde. Im Januar 1916 forderte er in den Burschenschaftlichen Blättern, »daß jeder Ausländer in der Kriegszeit völlig Bürgschaft dafür bieten muß, daß er mit den hier gewonnenen Kenntnissen nicht Waffen gegen uns schmieden hilft«. Da die neutralen Ausländer vom vertrauten Umgang mit inländischen Studenten nicht ferngehalten werden könnten, bestehe die Gefahr, daß sie Nachrichten über militärische Einrichtungen und Truppenbewegungen übermittelten; denn schließlich könne »ein ausländischer Studierender sich ungleich freier und unbeobachteter bewegen wie jeder sonstige Ausländer«. Zwar könne man jetzt noch keine für die Nachkriegszeit gültigen strengeren Bestimmungen festlegen, doch dürfe man die »Säuberung unserer Hörsäle von gefährlichen und lästigen Elementen« nicht versäumen.115 Nachdem eine Reihe von Lesern ihre Hoffnung geäußert hatte, daß diese Warnung auch weitere Kreise erreiche, wurde Haupts Artikel im Juni 1916 in einer Tageszeitung nachgedruckt.116 Das beunruhigte nun das für die Universität zuständige Innenministerium, weil die Leser daraus ja auf die Universität zurückschließen würden. Es forderte also beim Rektor einen Bericht über die Zahl ausländischer Studenten an und fragte, ob Umstände bekannt seien, die diese Befürchtungen rechtfertigten.117 Haupt betonte nun, daß in der ursprünglichen Veröffentlichung sein Name nicht in der Überschrift (!), Titel und Wohnort gar nicht genannt gewesen seien. Die Auffassung, daß diese ohne sein Wissen im Nachdruck hinzugesetzten Daten Rückschlüsse über Gießen nahelegten, konnte er nicht bestätigen, da verschiedene von ihm Befragte gar nicht auf diesen Gedanken gekommen seien; schließlich sei ja »allgemein bekannt«, daß Gießen »nur in verhältnismässig geringem Masse von Ausländern besucht zu werden pflegt«. Anlaß seines Aufsatzes sei vielmehr die Tätigkeit zur »Aufklärung der öffentlichen Meinung im neutralen Auslande über Ursachen und Verlauf des Krieges« gewesen. Die Korrespondenz mit zahlreichen Angehörigen neutraler Staaten sowie mit der Zentralstelle für Auslandsdienst in Berlin und der Presseabteilung des Auswärtigen Amtes hätten »ein weitgehendes Misstrauen gegen die Gesinnungen jener Kreise unserem Vaterlande gegenüber« erzeugt. 114 Siehe o. S. 785 f. 115 Ausländer als Studierende an den deutschen Hochschulen, in: BB 30/1 (WS 1915/16), S. 154 f. Darunter folgt erstens der gezeichnete Beitrag von Hermann Haupt (S. 154), zweitens das ausführliche Referat des Artikels eines »Dr. Jenny« im Tag (S. 154 f.). 116 So Haupts eigene (rechtfertigende) Darstellung in: Hermann Haupt an Rektor LU Gi 3.7.1916: UA Gi Allg. 1350, fol. 78–79. 117 Gh. MdI an LU Gi 21.6.1916: UA Gi Allg. 1350, fol. 76.
1058 Studium und Lehre im Krieg Daraus habe er dann den Schluß gezogen, daß es »höchst bedenklich« sei, Studierenden aus dem neutralen Ausland während des Krieges »ohne genaueste Prüfung ihrer Vertrauenswürdigkeit« Zutritt zu den Hochschulen zu gewähren. Seine Versuche, solche Studierenden für die Aufklärungsarbeit zu gewinnen, seien ohne Erfolg geblieben. Als einziges konkretes Beispiel führte er einen Luxemburger an, der sich 1915 »gehässig« über Deutschland geäußert und außerdem auch noch versucht habe, am Zaun des Lagers Gespräche mit Kriegsgefangenen anzuknüpfen. Zwar belegten diese Beobachtungen noch nicht seine »Gemeingefährlichkeit«, genügten aber, um eine strengere Überwachung der Ausländer anzuregen. Gerade die Zahl der Luxemburger habe sich seit Kriegsbeginn verdoppelt! Zwar habe er, Haupt, von »allgemeinen Betrachtungen« Abstand genommen, es angesichts der Warnungen vor feindlichen Spionen aber für seine »vaterländische Pflicht« gehalten, seine aufgrund seiner »besonderen Erfahrungen gewonnene Ueberzeugung« von den drohenden Gefahren »nicht zu verhehlen«. Haupt hoffte, dadurch den einen oder anderen »als Student verkappte[n] feindlich[en] Sendling verscheucht« zu haben, und regte eine völlige Sperrung der Hochschulen für Ausländer während des Krieges an.118 Der Rektor berichtete dem Minister, daß im Sommer 1916 nur ein einziger neutraler Ausländer an der Universität Gießen anwesend sei, ein Schweizer als Assistent der chirurgischen Veterinärklinik. »[A]ls solcher [sei er] sehr beschäftigt und so genügend überwacht, dass über seine Gesinnung ausreichende Klarheit« bestehe. Die drei anderen neutralen Ausländer, die das Personalverzeichnis dieses Semesters aufführe, befänden sich bereits nicht mehr an der Universität. Einer sei nach seiner Promotion nach Berlin gegangen, der zweite habe sein Studium aufgegeben, der dritte sei nach Hause zurückgekehrt. »Gegen die Genannten lag kein Verdacht vor, auch hat Herr Geh. Hofrat Haupt keine Klage gegen sie erhoben.«119 Mit diesem Schlußsatz des Rektors scheint die causa Haupt beendet gewesen zu sein.
Schlußfolgerungen Sowohl bezüglich der studierenden Frauen als auch der Ausländer wurden also alte Anliegen wiederaufgenommen und herkömmliche Befürchtungen und Forderungen nun mit den besonderen Verhältnissen und (vermeintlichen) Erfordernissen der Kriegs- und Nachkriegszeit neu untermauert. Auch wenn Ausländern und Frauen die Studienmöglichkeit nicht grundsätzlich abgesprochen 118 Zumindest dürfe man sie nur »nach Nachweis ihrer völligen Vertrauenswürdigkeit« zulassen (wie A. 116). 119 Rektor LU Gi an MdI 7.6. [recte: 7.7.] 1916: UA Gi Allg. 1350, fol. 77. Das korrekte Datum wird auch durch den Absendevermerk bestätigt.
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wurde, nutzten die Kreise innerhalb der Studentenschaft, die ihnen schon zuvor ablehnend gegenübergestanden hatten, die Gelegenheit, auf eine Reduktion des Studiums dieser Gruppen hinzuwirken. Während dafür angesichts der Abwesenheit der meisten männlichen Studierenden und der wachsenden Zahl von Abiturientinnen in puncto Frauenstudium ein augenfälliger Anlaß gegeben schien, wurde die Debatte über die Ausländer dagegen trotz deren faktischer Abwesenheit geführt; denn der Krieg hatte ja einen massiven zahlenmäßigen Rückgang dieser Gruppe (v. a. durch Ausschluß sogenannter ›feindlicher‹ Ausländer!) zur Folge. Es ging also keineswegs nur um die aktuellen Verhältnisse, sondern vielmehr um die Einhegung des Frauenstudiums und die Verhinderung des Ausländerzuzugs in der Zukunft. Zwar gab es auch bei manchen Professoren und den vorgesetzten Staatsbehörden Bestrebungen zur Beschränkung des Ausländerstudiums – doch die eigentlichen Gegner der gleichberechtigten Zulassung waren, wie früher, die Studenten. Wesentliche Neuerungen brachte der Krieg in diesen beiden Bereichen nicht. Ganz anders sah es mit dem Verhältnis von Lehrenden und Studierenden aus: Mit Bezug auf den Wahlspruch eines Gelehrten, der noch den 30jährigen Krieg erlebt hatte, extra academiam vivere non est, schrieb der Erlanger Theologe und Rektor Richard Heinrich Grützmacher 1915: »Uns ist die harte Notwendigkeit auferlegt, jetzt schon ein drittes Semester extra academiam vivere. Denn das gilt auch für die (…) Zurückgebliebenen. Verstand man unter universitas ursprünglich die Gesamtheit und die Gemeinschaft der Lehrenden und der Lernenden und trifft diese Auffassung noch heute für das innerste Wesen der Universität zu, so ist ein akademisches Leben im Vollsinn jetzt unmöglich.«
Den Gelehrten fehle »die Rezeptivität wie die Kritik in gefüllten Hörsälen«, den »gereiften Männern (‥) die Erfrischung und der Sporn, die ihnen aus der Zusammenarbeit mit der Jugend (…) erwachsen.«120 Die kleinen Universitäten entbehrten also (in doppelter Bedeutung) der ›kritischen Masse‹. Ähnlich wie in Erlangen muß man sich die Verhältnisse in Gießen vorstellen, wo manche Veranstaltungen weniger als eine Handvoll Hörer hatten. In großen Universitäten, allen voran Berlin, gab es zwar weiterhin einen (sowohl der Zahl der Veranstaltungen als auch der Teilnehmer nach) beträchtlichen Lehrbetrieb. Trotzdem bewirkte der Krieg auch hier eine grundlegende Veränderung: Da er als Gefährdung des – nach Auffassung der Zeitgenossen sich verteidigenden – Vaterlandes erfahren wurde, hatte der militärische Schutz Priorität, denn nur unter dieser Voraussetzung war auch eine Fortsetzung der Lehre, des Studiums und der Forschung möglich. Und so wurden diese nicht nur unter den Tätigkeiten der Professoren auf den zweiten Platz verwiesen (jedenfalls der Bedeutung, wenn auch nicht dem Zeitaufwand nach); vielmehr wurden 120 Erlangen in der Kriegszeit, S. 3.
1060 Studium und Lehre im Krieg auch die Beziehungen der Lehrenden und Studierenden umgekehrt: Die ehemaligen ›Führer der Jugend‹ wurden zu Schützlingen ihrer Schüler, quasi von ihnen abhängig. Selbst die aktivsten Kriegspublizisten (wie etwa WilamowitzMoellendorff) konnten sich da immer nur als Hilfskräfte des Kriegsgeschehens sehen – was nicht nur ihren Platz in der gesellschaftlichen Rangordnung minderte, sondern auch in Relation zu ihren bisherigen Schülern oder, genauer gesagt, dem kämpfenden Teil der Studentenschaft. Insofern ging die Kluft zwischen Front und Heimat auch mitten durch die universitas.
8. Akademische Selbstdarstellung: Festakte – Jubiläen – Ehrenpromotionen und Gefallenengedenken im Krieg Wenn das normale Leben der Universität darin besteht, daß sie »ihrer Arbeit lebt, ihre Feste feiert und um ihre Verluste trauert«, so blieb dies, anders als Max Planck es im Oktober 1914 wohl erwartete,1 auch während des Krieges erhalten. Gewiß gab es viele Modifikationen; und im Vergleich zur Vorkriegszeit, als beim Rektoratswechsel einzelner verstorbener Kollegen und Kommilitonen zu gedenken war, wuchs die Zahl der zu betrauernden Universitätsmitglieder ins bis dahin Unvorstellbare. Doch die Grundstruktur von Arbeiten – Feiern – Gedenken blieb auch während des Krieges bestehen. Wenn aber das »Feste-Feiern (…) einem existentiellen Bedürfnis nach Besinnung und Neuansatz, nach Demonstration von Sein und Leitung entspricht, so führt die Frage nach dem, was und wie gefeiert wird, zweifellos in die Mitte der Wesensstruktur (…) einer Gemeinschaft, einer Institution«.2
Die regelmäßigen Universitätsfeiern und ihre äußere Gestaltung Überall wurde jährlich mindestens ein großer Festakt zur universitären Selbstvergewisserung begangen und ein weiterer, bei dem sich die Universität in die nationale Gemeinschaft einfügte. In Berlin existierten sogar zwei feste ›Selbstfeiern‹: am 3. August zum Gedächtnis des Stifters und am 15. Oktober zur Übergabe des Rektorats. Jeder Berliner Rektor hielt im Laufe seines Amtsjahres also zwei große Reden. Feiern zum Rektoratswechsel waren den preußischen Universitäten in ihren Statuten sogar ausdrücklich vorgeschrieben. Doch als das Ministerium ihnen wegen des vorverlegten Wintersemesters und der daher vorgezogenen Immatrikulationsfrist 1917 »mit Rücksicht auf die Zeitverhältnisse« gestattete, auf die Feier zu verzichten, hielten die Berliner die ihre trotzdem wie
1 Seine Erwartung ist im Imperfekt des Originaltextes erhalten und in der Bemerkung, daß dies der Universität seit dem letzten Rektoratsjahr »noch fast volle zwei Semester vergönnt« gewesen sei: Rektorwechsel 1914, S. 6. 2 Laetitia Boehm, Der »actus publicus« im akademischen Leben. Historische Streiflichter zum Selbstverständnis und zur gesellschaftlichen Kommunikation der Universitäten [1972], in: Gert Melville/Rainer A. Müller/Winfried Müller (Hg.), Geschichtsdenken – Bildungsgeschichte – Wissenschaftsorganisation. Ausgewählte Aufsätze von Laetitia Boehm (‥‥), Berlin 1996, S. 675–693, Zitat 676.
1062 Studium und Lehre im Krieg gewohnt ab.3 Auf die Beibehaltung dieses Festaktes legten sie also großen Wert. Und dabei hätten sie ihn ja, da die Rektoratsübergabe in diesem Jahr schon zwischen dem 1. August und dem 30. September erfolgen konnte, ohne weiteres mit dem Stiftergedächtnis am 3. August zusammenlegen können – so, wie der Rektoratswechsel in Straßburg laut Statut von 1875 als »feierlicher Act« am Stiftungstag (1. Mai) in der Aula stattfand und in Gießen Jahresbericht und Rektoratsrede immer mit dem Jahresfest der Universität am 30.6. oder 1.7. verbunden wurden.4 Doch in Berlin sprach am 3. August 1917 der Gynäkologe Bumm als Rektor »Über das Frauenstudium«, und am 25. September hielt der Geograph Penck seine »Rede zum Antritt des Rektorates« »Über politische Grenzen«. In der Reichshauptstadt war der Rektoratswechsel herkömmlich eine nur universitätsöffentliche Angelegenheit: Die »Tabula invitatoria, welche der Senat zu dem Ehrentage seines neuen Rektors aussendet, [wandte] sich nur an die Lehrer, von der Akademie und der Universität, und an die Kommilitonen«.5 In Gießen dagegen waren, seit es 1909 seine neue Aula (und damit mehr Platz) erhalten hatte, »außer den geladenen Gästen«, zu denen immer Offiziere der Garnison gehörten, auch »andere Freunde der Universität« ohne besondere Einladung »willkommen«.6 Die Mitte zwischen der Berliner Abgeschlossenheit und der weiten Gießener Offenheit hielt Straßburg, wo regelmäßig sowohl die Spitzen der Militär- als auch der Zivilverwaltung anwesend waren.7 1915 findet sich allerdings auch in Berlin ein zumindest erweiterter Kreis von Notabeln: außer dem Kultusminister auch hohe Beamte, der Oberbürgermeister etc.8 Überall muß man sich diese Feiern, bei denen der scheidende Rektor den Jahresbericht erstattete und der neue seine Antrittsrede hielt, ausgesprochen lang vorstellen. In Straßburg, wo der Festakt auf das fröhliche Zechen der Mainacht folgte, ließ das (zumindest in Friedenszeiten) immer wieder einmal einen der Chargierten, die sich in vollem Wichs im Halbrund aufgestellt hatten, »blaß und blässer« werden und schließlich »mit seinen Waffen rasselnd zu Boden« stürzen …9 Neben diesen akademischen Festtagen stand als ebenfalls jährlich wiederkehrender nationaler der Geburtstag des Kaisers am 27. Januar. Doch änderte sich im Krieg sowohl die Hierarchie der Feiertage als auch ihre Gestaltung. 3 Pr. KuMi an Kuratoren 14.7.1917: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. III, Nr. 1 Bd. 7, fol. 183. 4 Statut für die Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg, § 24. 5 Lenz, Freiheit und Macht, S. 3 (mit der Betonung: »noch heute«). 6 1909: Für den Gießener Anzeiger! [Entwurf einer Zeitungsnotiz o. D.]: UA Gi PrA 1214, fol. 65. Für 1919 s. den Entwurf einer ebensolchen Notiz [ohne Vermerk]: UA Gi PrA 1220, fol. 2. 7 S. für die Kriegszeit die Berichte über die Stiftungsfeiern in SP 309, 1.5.1915; 343, 2.5.1916 MA; 235, 2.5.1918 MA . Allgemein: Wollenberg, Erinnerungen eines alten Psychiaters, S. 110. 8 Rektoratsübergabe Berlin, in: BT 528, 15.10.1915 AA . 9 Wollenberg, Erinnerungen eines alten Psychiaters, S. 111.
Akademische Selbstdarstellung
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Außerdem begingen die Universitäten aber auch jetzt Gedenktage bzw. Jubiläen mit besonderen Feiern, insbesondere 1915 den 100. Jahrestag von Bismarcks Geburt und 1917 die Vierhundertjahrfeier der Reformation. Auf die Festessen wurde im Lauf des Kriegs meist verzichtet. In Gießen, wo die Jahresfeier üblicherweise aus »Vormittags Festakt in der Aula, nachmittags Festmahl, Konzert und Tanz« bestand, beschränkte man die offiziellen Feiern schon 1915 auf den Festakt.10 (Aber immerhin gab es am Nachmittag eine »zwanglose Zusammenkunft von Dozenten- und Hörerschaft im Universitätsgarten«.11) Als aber 1917 der zuständige Innenminister und der Hochschulreferent beide den Festakt beehrten, forderte der Rektor die Lehrenden auf, ihnen in einem Gasthaus beim Essen Gesellschaft zu leisten. Da es auf Wunsch des Ministers jedoch nicht den Charakter eines Festessens tragen sollte, mußten sich die Herren nach dem Festakt (im Frack) zunächst umziehen – und außerdem je zwei Fleischmarken mitbringen (was natürlich zu Lasten der Mahlzeiten in der Familie ging). Auch das könnte den Wunsch zur Beteiligung gedämpft haben. Wegen der zunächst zu gering erscheinenden Zahl von Anmeldungen übte der Rektor mit einer weiteren Rundfrage einen gewissen moralischen Druck auf die Kollegen aus.12 Die örtlichen Zeitungen berichteten über die Feiern der Universitäten, wobei die Texte zumindest in Gießen in der Universität selbst, möglicherweise sogar im voraus, verfaßt und der Redaktion eingereicht wurden. Doch war es vermutlich in den anderen beiden ähnlich. An allen drei Orten erschienen die Artikel noch am selben Tag in der Abendausgabe oder am nächsten Morgen.13 Die offi10 Zitat: Prot. der Sitzung des Engeren Senats 12.6.1909: UA Gi PrA 1214, fol. 67 (mit dem Zusatz: »in der seitherigen Weise«). 1915: Prot. der Sitzung der KK 31.5.1915: UA Gi Allg. 102, fol. 12. Der Preis für das Festmahl lag 1908 bei 5 M. (Festmahl zur Jahresfeier der Universität am 1. Juli 1908: UA Gi PrA 1214, fol. 3), also an der Obergrenze der Kosten städtischer Festmähler zum Kaisergeburtstag (3,50–5 M.). S. dazu Monika Wienfort, Kaisergeburtstagsfeiern am 27. Januar 1907. Bürgerliche Feste in den Städten des Deutschen Kaiserreiches, in: Manfred Hettling/Paul Nolte (Hg.), Bürgerliche Feste. Symbolische Formen politischen Handelns im 19. Jahrhundert, Göttingen 1993, S. 157–191, hier 171. 11 Jahresfeier der Universität, in: GA 2.7.1915. 12 Rektor Gi an die Herren Dozenten des Gesamtsenats 26.6.1917; Rektor an Herrn Prof. Dr. [einzusetzender Name] 28.6.1917. Beide: UA Gi PrA 1219, fol. 5, 6. Vgl. auch Rektor Schian an den Engeren Senat 15.6.1917 (Entwurf), fol. 40. 13 Als Beispiel für die Verfasserschaft der Universität s. die Durchschrift des Berichts mit dem undatierten Vermerk: »Zur gefälligen Verwendung in Ihrer gesch[ätzten] Zeitung, die am 1. Juli Abends (!) erscheint« [vermutlich 1916]: UA Gi PrA 1218, fol. 77. Zu vermuten ist eine Verfasserschaft in der Berliner Universität für den im folgenden angeführten Bericht schon deshalb, weil die »jugendfrischen Gestalten in Cerevis und Schläger« vermißt werden. Diese Bewertungen würde man von einem BT-Korrespondenten eigentlich nicht erwarten. Zwar könnte man die fehlenden Attribute der Korporierten aufgrund des folgenden Satzes über die Kunst des Fechtens und Schlagens, die jene nun an anderer Stelle erproben, noch für ironisch halten, doch wird der erste Satz durch
1064 Studium und Lehre im Krieg ziellen (universitätseigenen) Berichte über die Festakte und die dabei gehaltenen Reden wurden, auch im Krieg, üblicherweise binnen kurzem gedruckt.14 Zumindest in Berlin wurden sie an die Studierenden zunächst kostenlos verteilt,15 und vielleicht übersandten nicht nur die Straßburger ihre gedruckten Reden und Festberichte an alle Kriegsteilnehmer.16 Allerdings wies der preußische Kultusminister 1916 an, den Papierverbrauch einzuschränken, und untersagte den Universitäten die Verwendung staatlicher Mittel für den Druck »von Programmen, Festschriften, Festreden (…)«.17 Trotzdem erschienen die Berliner Reden zur Übergabe des Rektorats und zum Kaisergeburtstag weiterhin ebenso im Druck wie die Dokumentation der Feier des Reformationsjubiläums 1917. In Straßburg dagegen, das sonst ja in vielem dem preußischen Vorbild folgte, hatte der Kurator einen Monat zuvor der Universität gerade 6000 M. zur Bestreitung der Geschäftskosten des Rektorats angewiesen, wozu er ausdrücklich auch die Kosten des Stiftungsfestes und der Feier zum Kaisergeburtstag zählte.18 Trotz kriegsbedingten Mangels wurden die Feiern und ihre Dokumentation also letztlich im traditionellen Rahmen fortgesetzt. Dabei vermitteln die gedruckten offiziellen wie auch die Zeitungsberichte immer das Bild der Geschlossenheit und eines ruhigen Ablaufs. Archivdokumente zeigen dagegen, welche Schwierigkeiten auch schon in Friedenszeiten dafür zu überwinden waren bzw. welche Spannungen und Konflikte in den gedruckten Fassungen ausgeblendet wurden.19
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»jugendfrisch« eindeutig positiv konnotiert. Als Beispiele für den Bericht noch am selben Tag s.: Die Rektoratsübergabe an der Berliner Universität, in BT 528, 15.10.1915 AA sowie: Das Stiftungsfest der Universität, in: SP 309, 1.5.1915. S. als Beispiel: Von der Universität, in: SP 801, 12.7.1914 (über den soeben erschienenen Bericht über das Stiftungsfest am 1.5.1914 – mit Ansprache des Statthalters, Rede des Rektors und Jahresbericht der Universität). BAN X (1915/16), S. 4 [Rektoratsübergabe] und 25 [Kaisergeburtstag 1916]. Über die Bismarckfeier 1915 und das Stiftungsfest dieses Jahres s. den Bericht des Rektors über das abgelaufene Jahr in: Stiftungsfest 1916, S. 8 f. Pr. KuMi an Kuratoren 20.7.1916, in: ZBUPr 1916, S. 490. Allerdings wurde diese Regelung durch den Papiermangel des Krieges nur ›begünstigt‹; denn schon herkömmlich druckten nur manche Universitäten die Reden auf Staatskosten, und bereits 1913 hatte der Finanzminister es prinzipiell abgelehnt, für Universitäten, die dafür bisher keine staatlichen Mittel erhalten hatten, solche künftig zu gewähren. Außerdem hatte er gefordert, alle Universitäten gleich zu behandeln. Also wurden nun einige derartige Anträge jeweils mit dem Hinweis negativ beschieden, daß auch bei den bisher finanzierten die Einstellung der Mittelzuweisung geplant sei. Das Pr. KuMi zögerte dies aber lange hinaus, u. a. mit einer Rundfrage, wieviel denn dafür ausgegeben werde. S. dazu Pr. Finanzmin. an Pr. KuMi 3.2.1913 und 17.8.1915 (Bitte um endgültige Entschließung); Pr. KuMi an die Kuratoren 29.11.1915: GStA PK I. HA Rep 76 Va Sekt. 1 Tit. I Nr. 8, fol. 55, 73, 74 sowie diverse Bescheide passim. Kurator Strb. an Rektor Strb. 13.6.1916: ADBR 103 AL 138, fol. 752. S. dazu o. S. 81 f. die Ausführungen über den Kaisergeburtstag in Straßburg 1912–1914.
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Durch den Krieg veränderte sich zunächst das Äußere der Feiern, am stärksten in Straßburg; denn dort wurde das Kollegiengebäude als Lazarett verwendet und sogar der Vorsaal der Aula mit Verwundeten belegt. Daher wurden das jährliche Stiftungsfest, die Feiern zum Kaisergeburtstag sowie zu Bismarcks 100. Geburtstag 1915 und 1916 in die Aubette verlegt.20 Dabei hielt man allerdings möglichst an den traditionellen Formen fest. Damit die herausgehobene Sitzordnung des Lehrkörpers gewahrt wurde, mußte in der Aubette das Podium vergrößert werden (wofür die Stadt der Universität zum Kaisergeburtstag 136 M. und zum Stiftungsfest 53,50 M. berechnete). Außerdem aber wurden für den Lehrkörper Polstersessel aus der Universität in die Aubette und zurück transportiert, wofür noch die Kosten für einen Möbelwagen und zwei Packer anfielen.21 Auf dem allgemeinen Niveau des Saales saßen in den vorderen Reihen (sozusagen dem Lehrkörper zu Füßen) die Ehrengäste, dahinter die »Damen«, für die sogar spezielle Eintrittskarten gedruckt wurden.22 Zum Kaisergeburtstag 1916 war in Straßburg nicht nur der Oberbefehlshaber von Falkenhausen erschienen, sondern »wohl die ganze Generalität«, außerdem der Statthalter und »die Spitzen der Zivilbehörden«, der Bischof und der Bürger meister. »Den Saal füllten wie üblich seit dem Kriege, der die Studenten ins Feld entführte, vornehmlich Damen.«23 Die beiden anderen Universitäten konnten wie in Friedenszeiten ihre Aula nutzen. Dabei fanden die Berliner Feiern teils in der alten, teils in der neuen Aula statt.24 In letzterer nahmen Redner immer wieder Bezug auf das hinter ihnen hängende Monumentalbild von Arthur Kampf, das dieser 1913/14 im Auftrag der Universität gemalt hatte: Es zeigte Fichte, also den ersten Rektor der Universität, am Ende der letzten seiner Reden an die deutsche Nation.25 Damit
20 Für Kaisers und Bismarcks Geburtstag 1915 (mit Begründung): Spahn, Bismarck, S. 3. Zur Aubette o. S. 549. 21 Podium: Stadtkasse Straßburg an Rektorat 2.5.1916 (Kaisergeburtstag); Rektor der KWU Strb. 23.8.1916 (Stiftungsfest [Aufzeichnung mit Zahlungsvermerk]); Sessel: Internationales Möbel-Transport-Unternehmen Seegmüller & Co. an Sekretariat der KWU Strb. 2.5.1916. Alle: ADBR 103 AL 138, fol. 754, 772, 756. 22 Diese Sitzordnung ergibt sich (implizit) aus der Korrespondenz 1916. Eintrittskarten der Damen: ADBR 103 AL 138, fol. 808v. 23 Kaisergeburtstagsfeiern in Straßburg, in: SP 75, 28.1.1916 MA . 24 Festakt zum Kaisergeburtstag 1915: alte Aula (nach: Ausschuß der Studentenschaft der Kgl. Friedrich-Wilhelms-Universität. Bericht für das Winter-Semester 1914–15, in: BAN IX [1915], S. 122–126, hier 125); Bismarckfeier 1915: neue Aula (Chronik 1915, S. 132). Für die Rektoratsübergaben 1914 (Chronik 1914, S. 156) und 1915 (Chronik 1915, S. 132) wird der Ort nicht erwähnt! Die Chronik (1915, S. 133) erwähnt auch nicht den Ort des Kaisergeburtstags 1916, doch fand diese Feier lt. Tagespresse (mit Bildquellen!) in der neuen Aula statt (Graf, Philosophisch reflektierte Kriegserfahrung, S. 232 f.). 25 Zur Entstehung und Einordnung (mit zeitgenössischen Zeitungsquellen) s. Gangolf Hübinger, Gelehrte, Politik und Öffentlichkeit. Eine Intellektuellengeschichte, Göttin-
1066 Studium und Lehre im Krieg hatte die Universität ihre Leistung in den Befreiungskriegen, die sie schon bei der Hundertjahrfeier 1913 herausgestellt hatte, noch weiter unterstrichen. Auch jetzt wurde daraus wieder die Verpflichtung abgeleitet, sich diesem Vorbild entsprechend zu verhalten: »Das Bild über uns, das daran erinnert, wie vor 100 Jahren in der Zeit der tiefsten Erniedrigung des Vaterlandes an den Universitäten der Geist der Wiedergeburt und Erhebung gehegt, gepflegt und großgezogen wurde, ist wie eine Mahnung.« Darauf aufbauend konnte Rektor Bumm dann »die alten Ideale des deutschen Volks, die Ideale vieler akademischer Generationen: Kaiser und Reich« beschwören und die Kommilitonen ermahnen: »die zwei sollen uns eines sein und alles!«26 Auch wenige Wochen vor dem Zusammenbruch bezog sich Reinhold Seeberg beim Antritt seines Rektorats noch darauf.27 Vermißt wurde in allen drei Städten das traditionelle festliche Bild, das sich sonst aus der Farbenpracht der Bänder, Mützen und Fahnen der Korporierten und ihrer im Vollwichs erscheinenden Chargierten ergab.28 Der Gießener Rektor Sievers verstärkte diesen Eindruck des Mangels noch durch die ausdrückliche Erwähnung von Feldgrau und »gedämpfter Stimmung« bei der Jahresfeier 1916.29 Gelegentlich sah man sogar beim feierlichen Einzug der Professoren neben den Talaren der verschiedenen Fakultäten Militäruniformen, etwa bei der Berliner Rektoratsübergabe 1916: »Unter Fanfarenklängen, die Pedelle in roten Mänteln mit vergoldeten Stäben voran, schritten die Professoren mit ihren verschiedenfarbigen Amtstrachten in feierlichem Zuge in den Saal. Den Schluß bildeten zwei junge Privatdozenten in Uniform, von denen der eine das Eiserne Kreuz trug.«30
In dieser Situation betonte der Einzug in Militäruniform nicht nur den eigenen Kriegseinsatz, sondern hob die inneruniversitären Distinktionen gewisser
26 27 28 29 30
gen 2006, S. 227 f. Differenzierte Einordnung Kampfs in: NDB 11 (1977), S. 90 f. (Otto Zirk). Eine farbige Abb. des inzwischen zerstörten Gemäldes findet man unter: http:// www.google.de/imgres?imgurl=http://www.fichtekrefeld.de/uploads/pics/43e75c0fc5. jpg&imgrefurl=http://www.fichtekrefeld.de/ueber-uns/tradition/geschichte/fichte/&h= 236&w=600&tbnid=PNbPqOsjjlu XBM :&zoom=1&docid=Xg3jCUs-JzLQCM&ei=rTiIVJ GnOMnGPam7gMgM&tbm=isch&iact=rc&uact=3&dur=5440&page=1&start=0&ndsp =20&ved=0CCIQrQMwAA (11.3.2015). Beim Kaisergeburtstag 1917 nach der Rede seines Mediziner-Kollegen von WaldeyerHartz (Waldeyer-Hartz, Die Sorge für die Verwundeten, S. 35). S. dazu S. 1078. Das Stiftungsfest der Universität, in: SP 309, 1.5.1915; Stiftungsfest der Universität, in: SP 343, 2.5.1916 MA; Das Stiftungsfest der Universität, in: SP 235, 2.5.1918 MA . Für Berlin s. das Zitat o. S. 1063 A. 13. Sievers, Grenzen Mitteleuropas, S. 1. Rektoratsübergabe an der Berliner Universität. Geheimrat Bumm über den Geburtenrückgang, in: BT 530, 16.10.1916 MA .
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maßen auf, indem er ihnen eine andere an die Seite stellte: Die Privatdozenten, die in Berlin keinen Talar tragen durften, erschienen im Krieg in einer nun noch wichtigeren ›Amtstracht‹.31 (Allerdings sah man manchmal auch »unter dem dunklen Talar (…) die feldgraue Uniform« hervorblitzen.32) Zugleich wurde die besondere Feierlichkeit der Situation aufrechterhalten, indem die Pedelle mit den Szeptern voranschritten.33 In Gießen wurden die Szepter seit 1909 nur noch auf einem Tisch in der Aula niedergelegt. Doch 1918 sollten auch hier die Universitätsdiener sie dem einziehenden Lehrkörper wieder vorantragen.34 Über die Straßburger Praxis liegen keine Informationen vor. In die zu diesen Anlassen gehaltenen Reden waren, wie in die öffentlichen Kriegsvorträge, viele Zitate aus der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts als ›Belege‹, Mahnungen oder Aufmunterungen eingeflochten, die den Hörern damals so vertraut waren, daß man sie ohne die Namen der Dichter anführen konnte.
Die Reden zum Rektoratswechsel zwischen zurückhaltender Unterstützung des Krieges und pathetischer Mobilisierung Auch während des Krieges blieben die Antrittsreden im wesentlichen wissenschaftliche Vorträge aus dem Fach des jeweiligen Amtsinhabers. Der Straßburger Altphilologe Eduard Schwartz erklärte zu Beginn seines Rektoratsjahrs sogar, daß auch die wissenschaftliche Betrachtung eine Kriegsaufgabe sei, da sie der Bewahrung der »inneren Widerstandskraft und Elastizität« diene. Um der Beschützer »draußen« willen gelte es, »das deutsche Königreich des Geistes ungeschmälert zu erhalten«, »die »geistigen Güter unsres Vaterlandes zu schirmen und zu mehren«.35 Zwar waren bei Stiftungs festen und Rektoratswechseln auch früher schon häufiger patriotische Bezüge hergestellt worden, die dem jeweiligen ›Land‹ oder dem ganzen Reich
31 Zur Frage der Talare s. o. S. 96. 32 Die Feier der Universität, in: BT 49, 27.1.1915 AA , 1. Beiblatt. 33 Oder waren die »Stäbe« evtl. Ersatzstücke? Doch für die Goldsammlung taugten die Szepter eigentlich nicht, da sie aus Silber und nur vergoldet waren. Zur Beschaffenheit und Herkunft der ursprünglich Prager, dann Erfurter Szepter, die nach der Auflösung der Universität Erfurt 1816 im Jahre 1818 der Universität Berlin übergeben wurden, s. http:// www.ub.hu-berlin.de/literatur-suchen/sammlungen/kustodie/universitaetsinsignien/ szepter (10.6.2013). 34 Prot. über die Sitzung des Engeren Senats (…) 31.5.1909: UA Gi PrA 1214, fol. 36. 1918: Bericht über die Sitzung des Engeren Senats (…) 30.5.1918: UA Gi PrA 1219, fol. 82. 35 Ed[uard] Schwartz, Über den hellenischen Begriff der Tapferkeit, in: Stiftungsfest der KWU 1915, S. 79–100, hier 83.
1068 Studium und Lehre im Krieg galten;36 doch nun scheinen solche Stellungnahmen jedem Rektor ein Bedürfnis gewesen zu sein – und galten jetzt natürlich dem Krieg und dem (ganzen) Vaterland. Sowohl um die patriotischen Äußerungen, mit denen die Reden nun regelmäßig ›eingerahmt‹ wurden, als auch um den ›Kriegsgehalt‹ der Fachvorträge bei den Festakten soll es im folgenden gehen. Als Beispiel wird der erste Vortrag zunächst etwas ausführlicher vorgestellt: Ausnahmsweise nicht als Vertreter der Führungsanspruch erhebenden Nationaluniversität, sondern bedingt durch das in der Satzung festgelegte Datum der Rektoratsübergabe ging Mitte Oktober 1914 der Berliner Jurist Theodor Kipp voran. Seinen Vortrag begann er mit dem Rückblick auf seine Wahl in der Stunde der Mobilmachung, schloß das Bedauern über den versagten Militärdienst und die intensivierte, von den Gedankengängen des Kriegs durchtränkte Lehre im kleineren Kreis an37 und begründete dies mit der Ergriffenheit aller durch das Geschehen: »Denn niemand ist, dessen ganzes Innere nicht beständig von den großen Ereignissen bewegt würde, die uns umbrausen, von dem Riesenkampf, in dem die Existenz, die ganze Zukunft des deutschen Volkes und Vaterlandes auf dem Spiele steht, und der Türen sind viele, durch die solche Gedanken einströmen in die Gebiete der Wissenschaft. Jede Wissenschaft wenigstens, deren Gegenstand der Mensch ist, empfängt von dem gewaltigen Erlebnis der Völker, in dem wir stehen, eine unendliche Fülle von Anregungen (…)«.38
36 Für Gießen s. die Reden zu den Jahresfeiern 1910–1914: Hans Strahl, Anatomische Methodik, Gießen 1910, S. 3 (Land); Johannes Biermann, Die Gründe der Zweifelhaftigkeit rechtlicher Ergebnisse, Giessen 1911, S. 3 (nur pauschale Verbeugung vor dem Großherzog als Rektor magnificentissimus, Regierung und Ständen [= Landtag]); Walter König, Die Lebensgeschichte des Äthers, Giessen 1912, S. 3 (»unserem kleinen Hessenlande«); Samuel Eck, Rechtfertigungsglaube und Geschichte, Giessen 1913, S. 3 (Reich und »unser kleines geliebtes Hessen«); Samuel Eck, Gedanke und Persönlichkeit, Gießen 1914, S. 4 (Dank an Rektor magn., Regierung und Stände). – Für Straßburg s. die Reden zum Stiftungsfest 1911–1914: Albert Ehrhard, Das Christentum im Römischen Reiche bis Konstantin. Seine äußere Lage und innere Entwicklung, in: Stiftungsfest 1911, S. 21–68 (ohne jeglichen aktuellen oder patriotischen Bezug); Johannes Ficker, Die Anfänge der akademischen Studien in Straßburg, in: Stiftungsfest 1912, S. 25–74, hier 25 (zum 40. Gründungstag der Universität impliziter Bezug auf die Reichsgründung: »große Zeit«); A[ugust] Sartorius Freiherr von Waltershausen, Begriff und Entwicklungsmöglichkeit der heutigen Weltwirtschaft, in: Stiftungsfest 1913, S. 63–85, hier 84 (Reich); H[ans] Chiari, Über Regeneration, in: Stiftungsfest 1914, S. 59–71, hier 59 (»Vaterland«). 37 Siehe o. S. 898. 38 Theodor Kipp, Kriegsaufgaben der Rechtswissenschaft, in: Rektorwechsel 1914, S. 19–51, Zitat 22. Zum letzten Aspekt vgl. auch die Rede Martin Schians in Gießen 1917 (Schian, Volk, S. 3).
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Demgemäß gab Kipp – nach zweieinhalb Kriegsmonaten – einen geradezu enzyk lopädischen Überblick über »Kriegsaufgaben der Rechtswissenschaft«, der vor allem dem neuen Rechtsstoff galt und abschließend den durch den Krieg gestellten neuen Aufgaben.39 In den vorausgeschickten allgemeinen Über legungen zog Kipp, der kurz zuvor den Aufruf An die Kulturwelt! unterschrieben hatte und später mit Unterstützung der Delbrück-Adresse und der Eingabe an den Reichskanzler zu den Gemäßigten gehören sollte, eine Parallele zwischen Kriegsberichterstattung und gerichtlicher Beweiswürdigung, die man durchaus als Ermahnung zum kritischen Umgang mit den Nachrichten lesen könnte: Er empfahl die Lektüre als »Gelegenheit (….) zur stillen Erprobung der Regeln der gerichtlichen Beweiswürdigung, wie der mit ihnen wesensgleichen Grundsätze historischer Kritik. Man muß die Kunst suchen, sowohl zu würdigen, was eine Nachricht sagt, wie was sie nicht sagt, und zu finden, was sie unfreiwillig verrät.«
Von seinen insgesamt 30 Textseiten widmete Kipp außer den beiden ersten auch die beiden letzten der eigenen Erfahrung bzw. der Haltung zum Krieg: Frieden werde das deutsche Volk nicht aus Kampfesmüdigkeit schließen, denn es führe Krieg, um mindestens für ein halbes Jahrhundert den Frieden zu sichern, um Deutschland »vor der Machtgier der russischen Dynastie und den Strebungen des Panslawismus, vor der Habsucht und dem Neide Englands, (…) vor der verletzten Eitelkeit und dem Revanchedurst Frankreichs (…) das Recht [zu] sicher[n], dessen Bestreitung die letzte Ursache der Feindseligkeit gegen uns ist, das Recht, das einige und große Volk zu sein, das wir sind.«
Nicht nur durch diesen (selbst-)gerechten Anspruch, sondern auch durch die Leistungen der Heere sah Kipp die »Zuversicht befestigt, daß der endgültige Sieg in dem gigantischen Ringen« bei Deutschland und Österreich-Ungarn liegen werde.40 In den meisten der 13 Antrittsreden (denn in Berlin fielen fünf Rektoratswechsel in die Kriegszeit!) wurde nicht nur durch die Umrahmung, sondern schon mit der Themenwahl ein Bezug zum Krieg hergestellt: Ähnlich wie Kipp lieferte auch der Gießener Robert Sommer einen Überblick über den Einfluß des Krieges auf sein Fach, also die Psychiatrie und beobachtende Psychologie, 39 Kipp erörterte das Vertragsrecht (inkl. Arbeitsrecht und Schuldnerfragen), Familienrecht (inkl. Vormundschaftsrecht), sowie das allgemeine Notverordnungsrecht. Als Kriegsaufgaben machte er die Mitarbeit an den Vorschriften zu sachgemäßer Anwendung, die Suche nach dem Zusammenhang zwischen neuen Vorschriften und überkommenem Rechtsschatz sowie die Überprüfung alter Theorien und Streitfragen aus. 40 Kipp, Kriegsaufgaben (wie A. 38), S. 49 f.
1070 Studium und Lehre im Krieg und dessen zeitspezifische Aufgaben: »Krieg und Seelenleben« (1915).41 Dabei hatte er auch Erkenntnisse für die militärische Verwendung der Wehrpflichtigen und über die Besserung leichter nervöser Störungen durch den Kriegs einsatz zu bieten.42 Gleichzeitig verwandte er sich (auch durch seine Gutachten) für einen gezielten Einsatz von Menschen mit stärkeren nervösen Störungen, welche diese einerseits schützten, es aber zugleich ermöglichten, »jeden dienstfähigen Mann für die schwierigen Aufgaben dieses Krieges« zu verwenden.43 Auch Reden, die nicht den Krieg im Titel führten, waren von ihm inspiriert: Den Gießener Martin Schian beschäftigten die Zusammenhänge seines Forschungsbereichs, der Praktischen Theologie, »mit dem ungeheuren Kriegs erleben«, und so ging er 1917 in »Volk, Religion, Kirche« von der 1914 erlebten Einheit und dem »Burgfrieden« zwischen den Konfessionen aus, um die Fragen der »Volkskirche« und der »Volksreligion« zu erörtern.44 Der Straßburger Altphilologe Eduard Schwartz schlug mit dem »Hellenischen Begriff der Tapferkeit« 1915 »eine Brücke« »zwischen dem Hellenentum und unserer unmittelbaren Gegenwart«,45 und sein Nachfolger, der Botaniker Ludwig Jost, untersuchte den »Kampf ums Dasein im Pflanzenreich«, »(…) weil auch wir im Kampfe stehen, und weil unser ganzes Denken auf Kampf eingestellt ist.« Die »Berührungspunkte mit dem gewaltigen Weltkrieg« mußte er nicht suchen: »Analogien drängen sich ja auf Schritt und Tritt auf«.46 Er begann sogar mit der aktuellen Situation der Hörer, um erst nach den menschlichen Erfahrungen auf die Pflanzen zu kommen, die gerade deshalb von Interesse waren, weil sie nicht »die friedfertigen Geschöpfe« seien, als die die Dichter sie schilderten. 41 Der Überblick reichte von der Vorbeugung gegen Geschlechtskrankheiten (die später Paralyse auslösen) als Aufgabe der prophylaktischen Psychologie über Betrachtungen zur Wirkung des Krieges bis zur »Psychologie des Schießens«, d. h. Beobachtungen des optisch-motorischen Vorgangs, um »die besonderen Fehler des Einzelnen zu erkennen und zu beseitigen« (was Sommer auf dem Universitätsgelände beim Schießunterricht für Studenten ja auch selbst durchführte), bis zur Enttarnung von Spionen als Aufgabe der Beobachtenden Psychologie (womit man die geschehenen »falschen Anschuldigung[en]« und die »Massenhysterie« aufgrund von Gerüchtbildungen in manchen kriegführenden Ländern hätte vermeiden können [Sommer, Krieg und Seelenleben, Zitate S. 13, 14, 18]). 42 Der »verbreiteten Meinung von der Kriegsscheu der Nervösen« widersprach er, weil sich hinter solchen Fällen in Wirklichkeit eine schon lange bestehende, aber von Kriegsfreiwilligen (!) verschwiegene Epilepsie verborgen habe. Leichte nervöse Störungen, die auf die frühere »ungesunde« Lebensweise zurückgingen, habe der Krieg trotz der Strapazen gebessert, weil er »viel günstigere physiologische Verhältnisse« schaffe. 43 In der Landwehr, z. B. im Büro und Lazarettdienst, also Aufgaben, die sie nicht, wie der Fronteinsatz, dauerhaft erwerbsunfähig machten. Sommer, Krieg und Seelenleben, Zitate S. 10. 44 Schian, Volk, Zitate S. 3, 5. 45 Schwartz, Über den hellenischen Begriff der Tapferkeit (wie A. 35), S. 84. 46 Ludwig Jost, Der Kampf ums Dasein im Pflanzenreich, in: Stiftungsfest der KWU 1916, S. 97–125, hier 122.
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Im Gegenteil habe jede einzelne Pflanze »einen ungleich schwereren Kampf als wir, denn weitaus die meisten Individuen werden in diesem Kampf vernichtet, und nur einzelne unter tausenden oder hunderttausenden kommen zu Blüte und Frucht, hinterlassen Nachkommen.«47 Kriegsfolgen betraf die Erörterung des »Bevölkerungsproblems«, des schon lange begonnenen Geburtenrückgangs, durch den Berliner Gynäkologen Ernst Bumm. Dabei diente die Beobachtung, daß bei langen Kriegen »alles auf die Kraft und die Ausdauer des heimatlichen Lebens« ankomme, zugleich zur Rechtfertigung der ›Daheimgebliebenen‹, und am Ende drückte Bumm die Hoffnung aus, daß die »Last des Kinderreichtums von Arm und Reich« wieder gern getragen werde, weil die »gewaltige Erschütterung durch den Krieg« auch zu einer »Läuterung von den Schlacken« führe, »die eine allzu üppig und einseitig sprossende Kultur in der Volksseele« habe entstehen lassen – und damit zu einer Abkehr vom »krassen Materialismus« der Vorkriegszeit.48 Daß die Antrittsreden zweier Geographen, »Die Grenzen Mitteleuropas« in Gießen 1916 und »Politische Grenzen« in Berlin 1917, in den Kontext der Kriegszieldiskussion gehörten, liegt auf der Hand.49 Ohne expliziten Kriegsbezug in der Begründung ihrer Themenwahl kamen nur die beiden letzten Straßburger Redner aus – ein protestantischer Theologe mit seiner Rede »Über Religion und Moral« und ein Jurist, der sich mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch beschäftigte50 – sowie der jeweils letzte Kriegsrektor in Gießen51 und Berlin. Letzterer sprach über »Politik und Moral«. Aber gerade bei ihm war der Zeitbezug besonders stark, und mit der Erinnerung, daß der Rektor beim Amtsantritt über »den Zusammenhang seines besonderen Arbeitsgebietes mit den allgemeinen Interessen der Wissenschaft oder der Zeit« (!) spreche, ersparte er sich die nähere Begründung einfach. Reinhold Seeberg hielt weder eine theologische noch eine kirchenhistorische Fachrede. Sein eigentliches Thema war vielmehr die »verschiedenartige Auffassung des Verhältnisses von Politik und Moral bei den Hauptgegnern des Weltkrieges, bei den Deutschen und bei den Angelsachsen«.52 Sein eigenes Verständnis läßt sich in dem Satz zusammenfassen: »Der Staat kann und soll also nichts anderes erstreben als ein Zusammenwirken seiner Glieder zum Zweck der Erhaltung und Ordnung des Lebens eines Volkes«. Und daraus folgt dann: 47 Jost, Der Kampf ums Dasein (wie A. 46), S. 97 f. 48 Bumm, Bevölkerungsproblem, Zitate S. 5, 23 f. 49 Sievers, Grenzen Mitteleuropas; Albrecht Penck, Über politische Grenzen. Rede zum Antritt des Rektorates (…), Berlin 1917. 50 E. W. Mayer, Über Religion und Moral, in: Stiftungsfest der KWU 1917, S. 101–120; A[ndreas] von Tuhr, Grundlagen und Ausbau des bürgerlichen Gesetzbuchs, in: Stiftungsfest der KWU 1918, S. 89–111. 51 Siehe u. S. 1075. 52 Engere fachliche Bezüge kamen nur in der Verwurzelung dieser Anschauungen im Luthertum bzw. im »Anglocalvinismus« (Reinhold Seeberg, Politik und Moral. Rede beim Antritt des Rektorates […], Berlin 1918, Zitate S. 10, 14) zur Sprache.
1072 Studium und Lehre im Krieg »Er muß Entbehrung, Not und Tod über Personen und Generationen verhängen, um Leben und Kraft des Volkes zu erhalten. Wer das unmoralisch nennen will, der vergißt, daß der Staat nicht die einzelnen Menschen als solche, sondern das Volk als Einheit zum Gegenstand seines Wirkens hat.«53
Damit waren auch die Ansprüche des Staates an den einzelnen im Krieg gerechtfertigt. Auf dessen Deutung lief Seebergs Rede letztlich hinaus; denn er stellte bei Deutschen und Angelsachsen nicht nur einen unterschiedlichen Freiheitsbegriff fest: Während es letzteren um die Freiheit vom Staat gehe, seien die Deutschen »frei im Staat«. Vielmehr fand er auch den ›eigentlichen‹ Grund des Weltkriegs: Es handele »sich zuhöchst um den Gegensatz zweier ganz verschiedener politischer Systeme und um eine verschiedene Anwendung der Moral auf das öffentliche Leben«.54 Manches in den Kriegsbetrachtungen, die die Vorträge ein- und ausleiteten, wiederholte sich in mehreren Reden: So stellten auch hier manche den schon bekannten Bezug zu den Befreiungskriegen her.55 Auch die bei dem Gynäkologen angeklungene »Läuterung des Volkslebens durch den Krieg« findet sich schon zuvor, in der allerersten Rektoratsrede.56 Konkrete Kriegsziele wurden in den Reden nicht explizit erörtert. Das liegt natürlich auch daran, daß lange keine öffentliche Debatte darüber gestattet war. Wie man gerade in dieser Situation trotzdem zur Erörterung beitragen konnte, verdeutlicht die Rede des Gießener Geographen Sievers über die Grenzen Mitteleuropas: Nach Ausführungen über die gute Kooperation zwischen Militärbehörden und Universität steckte er mit der Bezeichnung des gemeinsamen Ziels beider auch gleich das Anliegen seines Vortrags ab: »Sicherung Deutschlands gegen die Begierden unserer Nachbarn, die Erhebung Mitteleuropas zum bestimmenden Faktor im Kreise der Nationen.« Das präzisierte er einige Minuten später noch als »die Gründung eines Verbandes von Staaten der Mitte Europas zur Sicherung gegen die peripherischen in politischer, militärischer und wirtschaftlicher Hinsicht.«57 Bethmann Hollweg hatte ja schon in seinen »Aufzeichnungen über die Richtlinien unserer Politik bei Friedensschluß«, also dem sog. Septemberprogramm von 1914, einen mitteleuropäischen Wirtschaftsverband unter deutscher Führung zum Kern seiner Nachkriegsordnung gemacht. Hatte diese Idee angesichts militärischer Rückschläge zunächst noch beiseite gesetzt werden müssen, so entwickelte Generalstabschef von Falkenhayn sie
53 Seeberg, Politik und Moral, Zitate S. 11, 21. 54 Seeberg, Politik und Moral, S. 31–35, Zitate 34, 35. 55 So bei Kipp, Kriegsaufgaben (wie A. 38), S. 26 f. S. außerdem die Reden von WilamowitzMoellendorff und Seeberg. 56 Kipp, Kriegsaufgaben (wie A. 38), S. 48. 57 Sievers, Grenzen Mitteleuropas, Zitate S. 2, 3.
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nach dem Sieg der Mittelmächte über Serbien im Herbst 1915 zum Staatenbund weiter, der auf einem starken deutsch-österreichischen Bündnis gegründet sein sollte. Friedrich Naumanns Mitteleuropa vom Oktober 1915, das diesen Vorschlag vor allem ökonomisch und historisch begründete, war die meistverbreitete Kriegszielschrift überhaupt. 1915/16 erlebte sie eine Reihe von Auflagen und mindestens zwei Volksausgaben. Naumann strebte als erstes einen Zusammenschluß Deutschlands, Österreichs und Ungarns an, doch der auf jeden Fall größer gedachte End-Bund war nicht genau bestimmt und wurde, wie die Konzeption, dem weiteren Kriegsverlauf angepaßt. Grundsätzlich war dabei einerseits eine deutsche Vorherrschaft vorgesehen, andererseits sollte es eine gewisse Öffnung gegenüber allen Nachbarn und deren Sprachen geben, und er forderte (im Abschnitt über die preußischen Polen) eine »Loslösung vom Germanisierungszwang«.58 Eine »Selbstregierung aller Stämme und Nationa litäten« sah Naumann aber nicht vor.59 Im Februar 1916 hatte er auch einen Arbeitsausschuß für Mitteleuropa gegründet, an dem Vertreter von Wissenschaft (Max Weber), Wirtschaft und Politik (Erzberger) teilnahmen. Mitte Juni 1916 stellte der Publizist Ernst Jäckh, der seit Jahren eine osmanische Renaissance propagierte, für ein deutsch-türkisches Bündnis eintrat und im Krieg in E ugen Mittwochs Nachrichtenstelle für den Orient arbeitete, dem »kleineren Mitteleuropa im Sinne Friedrich Naumanns« ein »größere[s] ›Mitteleuropa‹« ent gegen, das auch Bulgarien und die Türkei einschließen sollte, weil »die deutsche Not und Notwendigkeit südostwärts, (…) die balkanisch-orientalische Notwendigkeit (….) nordwestwärts« weise.60 »Als politischer Vierbund« schien es Jäckh »bereits eine fertige Tatsache«.61
58 Friedrich Naumann, Mitteleuropa, Berlin 1915, Zitat S. 75. Eine gute Zusammenfassung unter Einbeziehung früherer und paralleler Äußerungen sowie der zeitgenössischen Rezeption gibt: Jürgen Frölich, Friedrich Naumanns »Mitteleuropa«. Ein Buch, seine Umstände und seine Folgen, in: Rüdiger vom Bruch (Hg.), Friedrich Naumann in seiner Zeit, Berlin u. a. 2000, S. 245–267. S. auch http://www.deuframat.de/europaeisierung/europader-regionen/die-mitteleuropaidee-und-die-mitteleuropaplaene-im-deutschen-reich/ friedrich-naumann-und-die-mitteleuropaidee.html (3.1.2014). Speziell zu professoralen Vorläufern des Vorschlags sowie der Reaktion auf Naumanns Schrift in der Professorenschaft s. Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 63–68. 59 Friedrich Naumann, Bismarck und unsere Weltpolitik [1914], in: Friedrich Naumann, Werke. Bd. 4: Schriften zum Parteiwesen und zum Mitteleuropaproblem, hg. von Theodor Schieder, bearb. von Thomas Nipperdey und Wolfgang Schieder, Köln u. a. 1964, S. 449–453, hier 453. 60 Ernst Jäckh, »Mitteleuropa« als Organismus, in: Deutsche Politik 1 (1916), S. 1065–1071, Zitate 1065 und 1067. 61 So in seiner im selben Jahr erschienenen Broschüre: Das größere Mitteleuropa, Berlin 1916, S. 6.
1074 Studium und Lehre im Krieg Sievers, dessen Rede in die Hochblüte dieser Diskussion62 fiel, entwarf sozusagen das Territorium (oder, da er etwa für die Ostgrenze zwei Varianten vorschlug:63 mögliche Territorien) dieses Staatenbunds. Durch die Gleichzeitigkeit eines »der grossartigsten« Ereignisse, »die wir Menschen überhaupt zu erleben vermögen«, nämlich des »Beginn[s] des Rückgangs eines der grossen Weltreiche«, Großbritanniens, hatte er die aktuellen Chancen einer Neuordnung im deutschen Sinn noch unterstrichen. Dann behandelte er die möglichen Grenzziehungen im Westen, Osten, Süden, Norden aber so detailliert und sachlichtrocken, daß man sich die Wirkung der Rede allein aufgrund dieses Textes nicht vorzustellen vermag. Nur einmal noch kommt, in der Mitte des Vortrags, eine klare Stellungnahme vor. Da keines der möglichen Kriterien – physikalische, historische, bevölkerungspolitische, nationale – tauge, um Mitteleuropa eindeutig zu begrenzen, hielt Sievers fest: »Wir werden also eine mittlere Grenzlinie aufsuchen müssen«, um solche »Unsicherheit« zu vermeiden.64 Abschließend wies Sievers, der im Jahr zuvor die annexionistische Seeberg-Adresse unterzeichnet hatte, selbst auf die politische Bedeutung seiner Aussagen hin: Indem er betonte, daß die Kriegszieldiskussion nur »bevorzugten, wenn auch nicht immer sachkundigen Personen« gestattet sei und er selbst deshalb die Frage, ob das von ihm umrissene Mitteleuropa »auch den nationalen Forderungen entspricht, die sich für uns aus dem Kriege ergeben müssen«, »hier nicht beleuchten« dürfe,65 bot er den Hörern Stoff und Anreiz zum Gespräch nach dem Festakt. Die Einschätzung der jeweiligen Lage, die in einer Reihe von Rektorats reden angedeutet wurde,66 reichte von einer dramatischen Darstellung (wie bei dem Gynäkologen Bumm 1916) bis zur scheinbar positiven bei seinem Nachfolger Penck ein Jahr später: »Jede neue Welle wirft unsere deutschen siegreichen Heere tiefer in Feindesland und schiebt die Grenzen deutscher Macht hinaus.« Im September 1917, also nach dem Hungerwinter 1916/17, dem Rücktritt Bethmann Hollwegs im Sommer, der sog. Friedensresolution der Reichstagsmehrheit, Pencks eigener Unterzeichnung einer Erklärung gegen eine Beschleunigung der preußischen Wahlrechtsreform und der Gründung der Vaterlandspartei, als die innere Gespaltenheit Deutschlands immer deutlicher wurde, konstatierte er im »Feindeslager« sogar einen [die Deutschen beruhigenden]
62 Zwar propagierte Naumann selbst die Mitteleuropa-Idee noch bis 1918, doch von offizieller Seite wurde der Plan nach Einwänden Österreichs bereits im Herbst 1916 aufgegeben. 63 Sievers, Grenzen Mitteleuropas, S. 14 f. 64 Sievers, Grenzen Mitteleuropas, S. 14. 65 Sievers, Grenzen Mitteleuropas, S. 24. 66 Zur besonderen Lage Straßburgs als »Grenzfestung«, in der die Universität auf den »tapferen Schutz« ihrer »feldgrauen Gäste und Angehörigen« angewiesen war, s. Schwartz, Über den hellenischen Begriff der Tapferkeit (wie A. 35), S. 82 f.
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»Notschrei nach einer Zurückdrängung der deutschen Grenzen«!67 Für den Friedensschluß forderte er, selbst wenn der status quo ante das Ergebnis sein sollte (womit er die schwierige Lage indirekt doch anerkannte!), als Kompensation für die Verluste der Deutschen in Feindesländern »was notwendig ist als Lebensraum für unser deutsches Volk, daß wir einen Kolonialbesitz erhalten, groß und reich genug, um uns mit den unentbehrlich gewordenen Rohstoffen der Tropen zu versehen.« Das sei keineswegs Machtstreben, sondern »Notwendigkeit«, »Mindestmaß«.68 Mitte 1918 betonte der Agrarwissenschaftler Gisevius, der bezüglich seiner Themenwahl nicht auf den Krieg einging, eingangs nicht nur die Priorität des militärischen Interesses, sondern mobilisierte mit seinen Kommentaren zur Kriegsentwicklung die letzten Reserven: »Schon sind einige unserer Gegner mit ihrem Volksorganismus zusammengebrochen und haben mit uns im Osten Frieden geschlossen«. Das deutsche Volk aber werde wegen seiner »gesunden Nerven« länger durchhalten. Und mit Blick auf die Vorbereitungen für die aus dem Feld zurückkehrenden Studenten sprach der aus Ostpreußen Stammende von »geistiger Mobilmachung unseres Hessenvolkes«!69 Zum Durchhalten aufzufordern und Siegeszuversicht auszudrücken, gehörte zu allen diesen Reden,70 auch wenn es von Jahr zu Jahr schwerer wurde. Manchmal war dafür allerdings ein überraschender argumentativer Sprung notwendig. So verließ der Botaniker Jost an dieser Stelle das Gebiet der Biologie: Weil der Ausgang des Kriegs von den »Kulturtaten eines Volkes« abhängig sei (die er als »Wertmesser des inneren Wesens« verstand), konnte ein Land wie Deutschland, das »im eroberten Land neue Hochschulen gründet«, nur siegen: »So handelt kein Volk, das dem Untergang nahe ist.« Dabei bot die Universität Straßburg, die ja selbst »von einem siegreichen Volk nach hartem Kampf begründet« worden war,71 gewissermaßen die Gewähr dafür, daß solche Universitätsgründungen erneut den Sieg verhießen. Ganz abgesehen von den Prämissen dieser Argumentation, war allerdings auch ihre Tatsachenbasis schmal: Nur in Warschau, wo die Russen den Lehrbetrieb im Sommer 1915 aufgegeben hatten,72 hatten die deutschen Besatzer bereits eine polnische Universität (wieder)errichtet. Die zweite ›Neugründung‹, Gent, befand sich dagegen noch im Planungs
67 Penck, Über politische Grenzen, S. 3. Seine Stellungnahme zur Wahlrechtsreform nach: Der neue Rektor der Berliner Universität. Geheimrat Albrecht Penck gewählt, in: BT 389, 2.8.1917 MA . 68 Penck, Über politische Grenzen, S. 31. 69 Gisevius, Der Boden als Betriebsmittel, Zitate S. 4, 3. 70 So sah sich Kipp zweieinhalb Monate nach Kriegsbeginn durch die Leistungen der Heere in der »Zuversicht befestigt, daß der endgültige Sieg in dem gigantischen Ringen« bei Deutschland und Österreich-Ungarn liegen werde (Kriegsaufgaben, S. 49 f.). 71 Jost, Der Kampf ums Dasein (wie A. 46), S. 124 f. 72 Um ihn ab Herbst dann in Rostov am Don fortzusetzen.
1076 Studium und Lehre im Krieg stadium: Dort wurde die bestehende (französischsprachige) Universität erst später vlamisiert. Dabei war Jost kein Kriegstreiber, eher im Gegenteil: Wie fast alle Straßburger hatte er keine Kriegszieladresse unterschrieben, sondern nur, wie reichsweit die meisten, die Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reichs zu Beginn des Krieges. Er würdigte es sogar »als gewaltige Kulturtat des Menschengeschlechts«, »daß der Kriegszustand kein dauernder ist, wie in der Natur«.73 Bei gleichzeitigem Festhalten am Ideal des Friedens und der Anerkennung der (implizit: gemeinsamen) Leistung des »Menschengeschlechts«, die Permanenz des Krieges (als Vernichtungsstreben unter Nationen) beseitigt zu haben, legitimierte gerade Josts scheinbar wissenschaftliche Herleitung der ›Naturnotwendigkeit‹ des Krieges nicht nur den Krieg an sich, sondern (rein logisch gesehen) sogar den »Vernichtungskampf« der Feinde gegen Deutschland! Bei aller Unterstützung der Kriegsanstrengungen schien also immer noch gelegentlich auch eine gewisse Nachdenklichkeit durch. Der Gießener Theologe Schian setzte sich in seiner Rektoratsrede mit der »deutschen Frömmigkeit« und dem »völkischen Glauben« sogar kritisch auseinander, auch wenn er letztlich damit endete, daß »volkskirchlich arbeiten« müsse, »wer sein Volk lieb« habe.74 Das eindrücklichste Beispiel für die Verbindung von Nachdenklichkeit und Mobilisierung gibt einer der eifrigsten Kriegspublizisten jener Zeit, Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, der sich mit seiner Rektoratsrede im Oktober 1915 den Krieg als solchen vorgenommen zu haben schien (»In den zweiten Kriegswinter«). Doch behandelte er in Wirklichkeit die Internationa lität der Wissenschaft, die Unterbrechung dieser Beziehungen durch den Krieg und – über die gedankliche ›Brücke‹ der Berliner Universitätsgründung – abschließend noch die 500jährige Herrschaft der Hohenzollern in den Marken, also das Preußen-Jubiläum.75 Bei seiner Würdigung der Internationalität der Wissenschaft hob Wilamowitz zunächst die deutschen Leistungen hervor, um dann aber auch jenen Völkern seinen Dank abzustatten, »die vor uns und neben uns die Wissenschaft gefördert haben«. Noch einmal ließ er die Lebhaftigkeit des internationalen Austauschs, etwa in der Athener Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts, erstehen. Es sei »eine Herzensfreude« gewesen, »das einträchtige Zusammenarbeiten zu sehen«. »Soll nun all dieses zertrümmert sein?«76 Seine Generation werde die Erneuerung der Harmonie wohl nicht 73 Jost, Der Kampf ums Dasein (wie A. 46), S. 123 f. Alle Hervorhebungen i. O. 74 Schian, Volk, S. 18. 75 Sofern man nicht die originale Universitätsausgabe (Berlin 1915) zur Verfügung hat, kann eine Konfusion dadurch entstehen, daß Wilamowitz sie in seine Redensammlung nur als »Rede beim Antritt des Rektorates der Berliner Universität« aufgenommen (Reden aus der Kriegszeit 4, S. 3–26), den Obertitel der Universitätsveröffentlichung aber für eine andere Rede verwandt hat (27–45). 76 Wilamowitz-Moellendorff, In den zweiten Kriegswinter, Zitate S. 6 f., 8.
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mehr erleben, und dies sei »ein schwerer persönlicher Verlust, aber nichts ist zu schwer, wenn es das Vaterland fordert. Allein das fordert das Vaterland nicht, daß Lieb und Treu wie ein böses Unkraut ausgerauft werde«. Die persönliche Freundschaft werde er den Kollegen im feindlichen Ausland »im Herzen« bewahren. Und wenn die »ebenso heilige Liebe zum Vaterlande« nicht mehr Leib und Seele in Anspruch nehme, werde die Liebe zur Wissenschaft die Gelehrten wieder zusammenführen.77 Aufgrund dieser Einschätzung wandte sich Wilamowitz auch gegen eine geistige Einengung, wie er sie bei den »andern« beobachtete, die nun keine deutschen Bücher mehr läsen… Von seinen Hörern forderte er nicht nur die Fortsetzung der Beschäftigung mit den europäischen Literaturen, sondern sogar deren Ausweitung in den nordischen und slavischen Bereich.78 Bei der Würdigung der Leistungen der derzeitigen Feinde hob W ilamowitz die »auf dem Boden der alten Kultur« stehenden Romanen als »Vermittler und Lehrmeister« für die Germanen hervor. »Wahre Wissenschaft«, die er der »rhetorischen Putzkunst« entgegenstellte, aber sei die Schöpfung und weitere Aufgabe der Deutschen, auch der Studenten.79 So brachte er auch im Krieg noch die Anerkennung fremder Kulturleistungen mit der Priorität und Höherwertigkeit deutscher in Einklang. Bei der Würdigung der Hohenzollern stellte Wilamowitz Wilhelm II. mit seinen Söhnen im Felde in eine Reihe mit Friedrich II. 1756 und Friedrich Wilhelm I. 1813. Nun genügte »die akademische Gemessenheit nicht« mehr, zu der er, Wilamowitz, sich in seiner Rede bis dahin »gezwungen« hatte. »Das Herz ist zu voll. Der Professor genügt nicht: der Mann will sein Recht, der Preuße.« Im Vergleich zu jenen, die »dazu verdammt [seien] hier zu sitzen«, seien die Kämpfenden »draußen« und sogar »die, welche für König und Vaterland den Tod gefunden haben«, »die Glücklichen«. Wie ernst es ihm mit dieser Einschätzung war, belegt die Anrufung seines Sohnes Tycho, der, selbst ein junger Gelehrter, genau ein Jahr vor dieser Rede gefallen war, als Zeugen. »Ich weiß es, er stimmt ein, sie stimmen alle ein, die Lebenden und die Toten, in den Vers des preußischen Dichters, mit dem wir den Lästerungen der Feinde die Antwort geben: in Staub mit allen Feinden Brandenburgs. Keine Schonung, keine Gnade, bis sie wirklich im Staube liegen.«
Wilamowitz benutzte also den Tod seines eigenen Sohnes und das daran anknüpfende (allen Hörern bekannte und nur durch den mittigen Druck markierte) Zitat aus Kleists Prinz von Homburg zur Mobilisierung der Zuhörer 77 Wilamowitz-Moellendorff, In den zweiten Kriegswinter, Zitate S. 9, 10. 78 Doch grenzte er dies gegen Moden wie etwa die oberflächliche »Engländerei« vor dem Krieg ab, die in Tennis-Spielen und five o’clock tea bestanden habe. Wilamowitz-Moel lendorff, In den zweiten Kriegswinter, Zitate S. 11, 13. 79 Wilamowitz-Moellendorff, In den zweiten Kriegswinter, Zitate S. 18.
1078 Studium und Lehre im Krieg für die Sache des Vaterlands: zum einen, indem er das kurze Zitat durch seinen konkretisierenden Appell noch verschärfte, zum anderen durch die Aufforderung zum gemeinsamen Sang des Preußenliedes, als »Gelöbnis, dem Kaiser und dem Reiche Treue zu halten (…) im Leben und im Tode.«80 Die letzte Zeile dieses Liedes forderte ja dazu auf, den König (»stark und mild«) mit dem eigenen Leben zu verteidigen (»Und jedes Preußen Brust sei ihm ein Schild«).81 Gesteigert wurde die mobilisierende Wirkung der Worte noch durch den Marsch rhythmus der Melodie. Seeberg verwandte 1918 zur Mobilisierung ein berühmtes Kirchenlied: »Wachet auf, ruft uns die Stimme«. Verstärkt wurde sie dann mit dem Verweis auf die großen Meister, die »einst bei uns« (an der Universität Berlin) gewirkt hätten: »von Fichte und Schleiermacher bis auf Treitschke und Wagner«. »Dazu rufen uns auf die vielen von unseren Brüdern, die ihr Blut auf fremdem Boden vergossen haben. Märtyrer der Freiheit und der Kultur der Welt waren sie, denn noch heute gilt das stolze Wort, das der Mann auf dem Bilde hinter mir [Fichte] soeben auszusprechen sich anschickt: ›Es ist kein Ausweg: wenn ihr versinkt, so versinkt die ganze Menschheit mit, ohne Hoffnung einer einstigen Wiederherstellung‹«. Mit diesen Schlußworten aus der 14. Rede an die deutsche Nation stellte Seeberg den Weltkrieg erneut in eine Parallele zu den Befreiungskriegen, ließ mit dem großen Denker zugleich den ersten Rektor der Berliner Universität die Toten der Gegenwart ehren und diese, wie Wilamowitz, gewissermaßen an die Zuhörer appellieren. Seeberg schloß mit »Weiheworten«, die das Fortschreiten (»ungeschrecket dringen wir vorwärts«) wie auch das dafür zu bringende Opfer überhöhten (»Stille ruhn oben die Sterne und unten die Gräber«).82 Daß die Mobilisierung Aufgabe der Universität war, verwies allerdings ihre herkömmliche Aufgabe, die Wissenschaft auf den zweiten Platz. Am deutlichsten machte das der Geograph Penck, der damit vom triumphalistischen Anfang seiner Rede zu einem realistischen Ende gelangte: »Es ist kein leichter Winter, dem wir entgegengehen. Jeder weiß, ob Lehrender oder Studierender, daß seine Kraft heute in erster Linie dem Vaterlande und in zweiter der Wissenschaft gilt.«83
80 Wilamowitz-Moellendorff, In den zweiten Kriegswinter, S. 22 f. 81 Ursprünglicher Text (1830) und Ergänzung (1851) unter http://www.volksliederarchiv. de/text1892.html (3.1.2014); http://de.wikipedia.org/wiki/Preußenlied hat noch eine davor eingeschobene Strophe, die »Düppel« erwähnt, also Gefechte um die Düppeler Schanzen in den deutsch-dänischen Kriegen (1848, 1849, 1864). 82 Seeberg, Politik und Moral, Zitate S. 36 f. Die »Weiheworte unseres Dichters« entstammen den Strophen 2 und 3 aus Goethes Symbolum, die als Schluß komplett abgedruckt sind. 83 Penck, Über politische Grenzen, S. 32.
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Alle Rektoren unterstützten die Kriegführung, doch die Redner der exponiertesten Universität, die Straßburger, taten dies trotz ihres engen inhaltlichen Bezugs auf den Krieg zurückhaltender als die anderen. Die Gießener dagegen, die schon in Friedenszeiten die engen Beziehungen zwischen Universität und Militär herausgestellt hatten und die (von den drei Universitäten) den höchsten Anteil von Studenten im Kriegsdienst aufwiesen, betonten dieses Zusammenwirken stärker und konkreter als die beiden anderen. Am pathetischsten aber klangen die Appelle der Berliner Rektoren – also jener Universität, die in den ersten beiden Kriegsjahren im Anteil der Militärdienst leistenden Studenten hinter den beiden anderen zurückstand. Mag das auch Zufall sein – kein Zufall war es, daß bei den vier Berliner Wahlen der Kriegszeit drei Rektoren gewählt wurden, die die annexionistische Adresse vom Sommer 1915 unterzeichnet hatten. Nur in der Medizinischen Fakultät, die 1916 an der Reihe war, hatte sie kein einziger Ordinarius unterschrieben.84
Die Feier des Kaisergeburtstags im Krieg: Friedensherrscher und Vorbild der Pflichterfüllung und des Dienstes Neben den universitären Anlässen jährlicher Festakte stand der Kaisergeburtstag am 27. Januar, der gewissermaßen die alte Tradition der Akademien und Universitäten fortsetzte, dem Landesherrn auf diese Weise zu huldigen. Einstmals war dies ein »Ehrenvorrecht« für sie gewesen, doch mit der Reichsgründung wurde der Kaisergeburtstag »ein allgemeines, politisches« Fest.85 Die Universitäten Berlin und Straßburg begingen es jährlich mit einem eigenen Festakt und einer Festrede, die anschließend gedruckt wurde. Und zu dieser Gelegenheit wurden auch in Berlin – offenkundig nach einer festen Liste – Externe eingeladen.86 Die Aufgabe einer solchen Feier hatte der Straßburger evangelische Theologe Julius Smend in seiner Rede 1911 erbaulich, aber nicht ganz eindeutig folgendermaßen umrissen: »Vaterländischen Erinnerungen und Hoffnungen gehört der Tag des Kaisers. Wir wollen die einen in uns erwecken, um dadurch die anderen zu vertiefen und zu stärken.«87 In Gießen dagegen hatte die Uni84 Und von den übrigen Lehrenden nur ein Extraordinarius und drei Privatdozenten. 85 So der Straßburger Kunsthistoriker Georg Gottfried Dehio, Denkmalschutz und Denkmalpflege im neunzehnten Jahrhundert. Rede zur Feier des Geburtstages (…) des Kaisers (…), Strassburg 1905, S. 3. 86 Einladungsliste erwähnt in: Rektor Berlin an Pr. KuMi 7.10.1915: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. I, Nr. 11 Bd. 3, fol. 48. 87 Vermutlich meinte er, daß durch die Erinnerungen die Hoffnungen vertieft und gestärkt werden sollten; daß man das Wort »erwecken« aber eher mit »Hoffnung« verbindet, macht den Satz uneindeutig. Im übrigen ging es vielleicht nicht nur um Verstärkung
1080 Studium und Lehre im Krieg versität den Tag in der Vorkriegszeit zusammen mit den Vertretern der Behörden, der Bürgerschaft, und Angehörigen des Offizierskorps mit einem Bankett begangen, bei welchem der Rektor jeweils die Kaiserrede hielt.88 (Solche Fest essen zum Kaisergeburtstag waren in vielen Städten üblich.89) Während die beiden ›Nationaluniversitäten‹ diesen Feiertag also als separate akademische Gemeinschaft begingen, reihte sich die Spitze der hessischen Landesuniversität in die bürgerliche Gratulantenschar ein, bekam dort – als Redner – aber einen besonderen Platz zugewiesen (oder hatte ihn gar selbst beansprucht). Doch beging die Universität üblicherweise den Geburtstag des Großherzogs. Und da der Kaiser (als preußischer König) für die Berliner zugleich der Landesherr war und die Straßburger direkt dem Reich unterstand (das der Kaiser verkörperte), verhielten sich bezüglich des Geburtstags ›ihres‹ jeweiligen Monarchen alle drei Universitäten letztlich gleich. Am 27. Januar 1915 hielt die Gießener Universität erstmals einen eigenen Festakt ab, bei dem sowohl der Kaisergeburtstag als auch die Reichsgründung gefeiert wurden. Dieser Plan wurde aber offenbar ziemlich kurzfristig entwickelt,90 denn erst am 9. Januar fragte der Rektor zunächst beim Ober bürgermeister und den Spitzen der Landesbehörden nach, ob ein solches Festessen wieder angezeigt erscheine – nachdem man es am Geburtstag des Großherzogs bereits hatte ausfallen lassen. Zunächst wurde außer Gottesdiensten auch noch die übliche Festvorstellung im Stadttheater (deren Ertrag dieses Mal den Familien gefallener Gießener zugute kommen sollte) in Erwägung gezogen, aufgrund eines allgemeinen kaiserlichen Erlasses wenige Tage vor dem 27. jedoch gestrichen.91 Möglicherweise fiel erst jetzt die Entscheidung der Universität zu einem eigenen Festakt; jedenfalls ergingen die Einladungen vermutlich erst am 22.1. (also genau dem Tag, an dem die Absetzung der Theatervorstellung bekanntgegeben wurde): die erste Annahme datiert vom 23.1.1915.92 Die Dozen-
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der Hoffnungen, sondern auch der Bindung an das Vaterland, der vaterländischen Gesinnung. Julius Smend, »Dem Volke muß die Religion erhalten werden«. Rede zur Feier des Geburtstages Sr. Majestät des Kaisers (…), Straßburg 1911, S. 3. Vgl. auch Wilhelm Wiegand, Das politische Testament Friedrichs des Großen vom Jahre 1752. Rede zur Feier des Geburtstages (…), Straßburg 1908, S. 29: Es gehe um die Erneuerung des Gelübdes unwandelbarer Treue zu Kaiser und Reich zusammen »mit allen unseren Volksgenossen«. Die Feier von Kaisers Geburtstag und der Reichs-Gründung, veranstaltet am 27. Januar 1915 an der Universität Gießen, Gießen 1915, S. I. Wienfort, Kaisergeburtstagsfeiern. Zu dem ganzen Vorgang s. fast das gesamte Faszikel UA Gi PrA 1387. S. dazu das Schreiben des Rektors an den Bürgermeister, den Präsidenten des Land gerichts und den Provinzialdirektor von Oberhessen (9.1.1915, Entwurf mit Absende vermerk), deren Antworten (alle vom 11.1.1915) sowie das Schreiben des Oberbürgermeisters vom 22.1.1915 über die Absetzung der Theatervorstellung. Alle: UA Gi PrA 1387, fol. 2–6. Gh. Provinzialdirektor an Rektor und Kriegsausschuß [KK] Gi 23.1.1915: UA Gi PrA 1387, fol. 7. (Vgl. auch die Antwort des OB vom 25.1.1915: fol. 8).
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ten wurden sogar erst am 25.1.1915 benachrichtigt. Bei der Feier sollte es keinen gemeinsamen Einzug geben – und als Garderobe war nur der Gehrock vorgesehen.93 Eingangs spielten die vereinigten Posaunenchöre »Ein’ feste Burg ist unser Gott«, danach folgte eine kurze Ansprache des Rektors, die in ein Kaiserhoch mündete, woraufhin die ganze Versammlung mit Posaunenbegleitung »Heil dir im Siegerkranz« sang. Nach dem Festvortrag sang man gemeinsam das Deutschlandlied, dem zum Abschluß noch der Posaunenchor mit »Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre« folgte.94 Im Elsaß hatte der Kaisergeburtstag in der einheimischen Bevölkerung lange wenig Resonanz gefunden, ja war auf offenen oder zumindest passiven Widerstand gestoßen. Zunächst hatte er eher den Charakter eines Verwaltungsaktes gehabt und sich dann zum »Beamtenfesttag« der Altdeutschen entwickelt, doch schließlich galt die Beteiligung daran als Indikator für die Akzeptanz der Eingliederung des Elsaß in das neue Reich – so wie umgekehrt die Verweigerung als Opposition gegen den deutschen Nationalstaat gedeutet wurde.95 Für die Universität war der Kaisergeburtstag Teil ihrer nationalen Mission. Sie beging ihn seit der Thronbesteigung Wilhelms II.96 In der Stadt fanden außerdem jeweils Paraden und Festgottesdienste in der evangelischen und der katholischen Garnisonskirche sowie in der Synagoge statt,97 dazu Gottesdienste für die Zivilbevölkerung im (katholischen) Münster und der (lutherischen) Neuen Kirche, im Krieg 1915 und 1916 auch ein »Feldgottesdienst auf dem Kleberplatz«.98 In Berlin war 1915 »die Studentenschaft zum erstenmal seit langen Jahren wieder offiziell dadurch vertreten, daß der gesamte engere Ausschuß an dem Festakt in der alten Aula teilnahm«.99 In Straßburg, wo es seit 1911 keinen Studentenausschuß mehr gab und sogar verschiedene Kaiserkommerse in den Vorkriegsjahren an Unstimmigkeiten innerhalb der Studentenschaft gescheitert waren,100 wurde, anders als in Berlin, nicht einmal die Aufstellung von Chargierten im Festsaal erwähnt.101 Im ersten Kriegsjahr vermißte man in der Stadt 93 Rektor Gi an Dozenten 25.1.1915; Offizielle Einladungskarte (mit Kleidervorschrift). Beide: UA Gi PrA 1387, fol. 11, 17. 94 Die Feier von Kaisers Geburtstag, S. I–III . 95 S. dazu Günter Riederer, Feiern im Reichsland. Politische Symbolik, öffentliche Festkultur und die Erfindung kollektiver Zugehörigkeiten in Elsaß-Lothringen, Trier 2004, S. 54–73. 96 Livet/Wackermann, Université, S. 7482. 97 S. dazu das Faszikel ADBR 103 AL 188a. 98 Kaisergeburtstag in Straßburg, in: SP 77, 28.1.1916 MA , 2. Blatt (mit ausführlicher Beschreibung des Gottesdienstes in der Synagoge); für 1915: Kaisers Geburtstag in Straßburg, in: Straßburger Neue Zeitung 28, 28.1.1915, S. 2–3. 99 Ausschuß der Studentenschaft/Bericht (wie A. 24), S. 125. 100 S. dazu o. S. 80–82. 101 Als Beispiel für Berlin s. A. 32, für Straßburg A. 23 (Kaisergeburtstag) und A. 7 (Stiftungsfest: jeweils schwacher Besuch).
1082 Studium und Lehre im Krieg nicht nur den Zapfenstreich am Vorabend, sondern auch »die übliche Studentenauffahrt an der Universität«. Aber auch die einzelnen »Vereine, Korporationen usw. konnten diesmal den Festtag nicht in gewohnter Weise begehen, da alle Vereinshäuser, viele Hotels usw. in Lazarette umgewandelt« waren.102 Doch die offizielle Feier wurde offenbar stark ausgebaut. In der Dokumentation der Vorkriegsfeiern erscheint immer nur der Text der Festrede. Doch in der Senats sitzung vom Dezember 1914 regte der Psychiater Wollenberg für den 27.1.1915 eine »grössere nationale Feier« an, und es wurde ein kleiner Ausschuß dafür eingesetzt.103 Dieser entwickelte offenbar den in allen folgenden Kaiserfeiern gleichen Ablauf: Eingangs ein Orchesterstück (1915 und 1916 die Ouvertüre zu Beethovens Ballett Die Geschöpfe des Prometheus, 1917 die Ouvertüre zu Mozarts Clemenza di Tito, 1918 ein Marsch aus der Zauberflöte), dann eine kurze Ansprache des Rektors, die in ein Kaiserhoch und die anschließend gemeinsam gesungene Kaiserhymne mündete, danach der wissenschaftliche Festvortrag und am Ende das gemeinsam gesungene Deutschlandlied.104 Bemerkenswert erscheint auch der Reigen der Straßburger Festredner, über deren Auswahl allerdings nichts bekannt ist: In den vier Kriegsfeiern sprachen zwei Katholiken und zwei Protestanten, zwei Elsässer und zwei Altdeutsche: 1915 der katholische Altdeutsche Martin Spahn, 1916 der protestantische Elsässer Gustav Anrich, 1917 der aus Westpreußen stammende, aber schon in Straßburg promovierte (und immer hier und im benachbarten Freiburg wirkende) protestantische Franz Keibel, 1918 schließlich der katholische Elsässer Albert Ehrhard. Im Krieg, als auch im Elsaß der gesellige Teil des Kaisergeburtstags weitgehend entfiel, sollte der 27. Januar laut Straßburger Correspondenz zu einem Tag »ernster Selbstprüfung« werden, und in den Feiern ging es vor allem um den Kaiser selbst und die Verbindung des Herrscherhauses mit dem Elsaß.105 In der Universität standen natürlich auch jetzt die wissenschaftlichen Vorträge im Vordergrund, die aber nicht nur von den Festrednern selbst, sondern außerdem noch vom jeweiligen Rektor patriotisch umrahmt wurden. Eduard Schwartz etwa hob den Namen der nach Wilhelm I. benannten Uni versität 1916 102 Kaisers Geburtstag in Straßburg, in: Straßburger Neue Zeitung 28, 28.1.1915, S. 2–3, Zitate 2, 3. 103 Prot. der Senatssitzung vom 7.12.1914: ADBR 103 AL 115. 104 Zusammengestellt aus den vier gedruckten Feierberichten, die jeweils unter dem Namen des Festredners und des Titels seines Vortrags publiziert wurden: Spahn, Bismarck; G ustav Anrich, Deutsche und französische Kultur im Elsaß in geschichtlicher Beleuchtung. Rede (…) zur Feier des Geburtstages (…) des Kaisers (…), Straßburg 1916; Franz Keibel, Über experimentelle Entwicklungsgeschichte. (…), Straßburg 1917; Albert Ehrhard, Die Stellung der Slawen in der Geschichte des Christentums. (…), Straßburg 1918. 105 Zitiert bei Riederer, Feiern im Reichsland, S. 74.
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»als ein mahnendes [!] Zeichen [hervor], daß ihr Geschick unauflöslich mit dem Fürstengeschlecht verbunden ist, das dies alte deutsche Land und diese alte deutsche Hochschule nach langer Verwälschung [!] der geeinten Nation wiedergeschenkt hat.«106
1916 und 1917 sollten auf Geheiß des Kaisers im ganzen Reich keine Veranstaltungen üblicher Art (also wohl Bankette) mehr stattfinden, sondern nur noch kirchliche Feiern, Festakte in Schulen, Universitäten und sonstigen Hochschulen.107 1918 verbat er sich (mit Rücksicht auf den Telegraphenbedarf für militärische Zwecke) sogar Glückwünsche.108 Trotzdem fand in Berlin am Vorabend ein »Studentenabend« statt (zu dem der Rektor die Kommilitonen, aber auch die Dozenten eingeladen hatte). Dort erinnerte der Germanist Roethe an verschiedene preußische Könige und schloß mit einem Hymnus auf Hindenburg und Ludendorff. Wilamowitz-Moellendorff wies »auf den Zusammenhang von militärischer Zucht und Pünktlichkeit mit wissenschaftlicher Tüchtigkeit« hin.109 Dieser Gedanke, den der Militärhistoriker zum Kaisergeburtstag 1912 eingehend erörtert hatte,110 wurde nun – nicht nur in Berlin111 – bereits einer neuen Studentengeneration nahegebracht. Die Themen der Festvorträge waren den Fächern der Festredner entsprechend vielfältig, nur drei direkt auf die aktuelle Situation zu beziehen: In Gießen sprach der Rechtshistoriker Rudolf Hübner über »Deutschlands Einheit und Einigkeit in Heer und Staat«, in Straßburg 1916 der Kirchenhistoriker Anrich über »Deutsche und französische Kultur im Elsaß in geschichtlicher Beleuchtung«, in Berlin 1917 der (frisch geadelte) Anatom Wilhelm von WaldeyerHartz über »Die Sorge für die Verwundeten und Kranken im Felde einst und jetzt«. Gewissermaßen als Vorgeschichte der Einheit im Krieg ist außerdem auch Spahns Rede über »Bismarck und die deutsche Politik in den Anfängen unseres Zeitalters« (1915) zu verstehen. In der Gießener Feier 1915 konnte als Parallele zum Weltkrieg nur der »Kampf des preußischen Staates unter Friedrich dem Großen gegen die ihn umgebenden europäischen Großmächte« ausgemacht werden, womit jener im siebenjährigen Krieg (der aus heutiger Perspektive ja als erster ›Weltkrieg‹ gelten kann) zur Vormacht im alten Reich geworden sei. Aber während der Herrscher damals erst danach in »langjähriger Friedensarbeit sein Werk« gefestigt habe,
106 Anrich, Deutsche und französische Kultur, S. 4. 107 Präsident des Staatsministeriums Berlin an Pr. KuMi 15.1.1916 und 17.1.1917/Abschrift an Statth. in E-L: ADBR 103 AL 188a. 108 Präsident des Staatsministeriums an Statth. 11.1.1918: ADBR 103 AL 188a. 109 BAN XII (1917/18), S. 33. 110 Siehe o. S. 269. 111 S. etwa die Rede des Königsberger Historikers (und späteren Vordenkers der nationalsozialistischen Ostforschung) Albert Brackmann zum Kaisergeburtstag 1915, zitiert bei Tilitzki, Albertus-Universität Königsberg, S. 419.
1084 Studium und Lehre im Krieg sei es in der Gegenwart umgekehrt: Wilhelm II. habe sich zunächst »den Namen des Friedenskaisers verdient, bevor dieser große Krieg über Deutschland hereinbrach«.112 Damit hatte Rektor Sommer, vermutlich bereits in Kenntnis des folgenden Redetextes, den Ton gesetzt; denn Hübner ging ebenfalls vom Weltkrieg aus, den er als historisch notwendige »Entscheidungsstunde für unser Volk« und als »bisher höchsten Gipfelpunkt seines staatlichen Daseins« apostrophierte,113 und stellte die »deutsche Einheit und Einigkeit« zuerst als militärische dar, dann als staatsrechtlich-politische, beide als quasi in mehreren Stadien gewachsen.114 Ziemlich genau in der Mitte seines Vortrags machte er den Weltkrieg als die Erfüllung des Vermächtnisses Friedrichs des Großen aus. »Und wenn der König in dem (…) politischen Testament von 1752 (….) an seine Nachfolger die Worte richtet: ›Wenn die Ehre des Staates euch zwingt, den Degen zu ziehen, dann falle auf eure Feinde der Blitz und Donner zugleich‹, so ist keine glänzendere Nutzanwendung dieses Rates denkbar als die Erstürmung Lüttichs im vorigen August.«115
Und am Ende seines kürzeren zweiten Teils über die staatsrechtlich-politische Einheit des deutschen Volkes, in dem Hübner die ungewöhnliche verfassungsrechtliche Konstruktion des Kaiserreichs darstellte, welche »begriffliche Gegensätze« »zusammenschweißt[e] – »föderalistische und unitarische, monarchische und demokratische«116 – führte er ebenfalls wieder Friedrich den Großen und Wilhelm II. zusammen; denn daß der König der erste Diener des Staates sei, habe sich auch letzterer in seiner Thronrede 1888 zur »Richtschnur« gemacht. 112 Die Feier von Kaisers Geburtstag, S. II. 113 [Rudolf Hübner] Deutschlands Einheit und Einigkeit in Heer und Staat, in: Die Feier von Kaisers Geburtstag, S. 1–29, Zitate 2, 3. 114 Die militärische also vom Kantonssystem Friedrich Wilhelms I. als »erste[m] Schritt zur allgemeinen Wehrpflicht, ja als erstem Schritt zum modernen Staatsbürgertum« (10), verbunden mit der Schaffung eines (allerdings nur anfangs) egalitären Offizierskorps, über die allgemeine Wehrpflicht in Preußen und die Militärreformen Wilhelms I., die »Aufteilung des Feldherrntums unter mehrere Personen« (21) bis zur ›Erweiterung‹ (17) des preußischen Heeres zum deutschen im Norddeutschen Bund und im Deutschen Reich. Mit dem kollektiven Feldherrntum meinte er den König, der 1866 selbst an die Spitze trat, aber einen Staatsmann und einen Chef des Generalstabs neben sich hatte. 115 Die Feier von Kaisers Geburtstag, S. 1–29, Zitat 13. Warum Hübner in dieser Situation gerade die Einnahme der Stadt Lüttich (4.–7. August, während die umliegenden Forts noch bis 16. August Widerstand leisteten) als glänzendes Beispiel hinstellt, bleibt unklar. Zwar war es die erste größere Kriegshandlung, und inzwischen war die Westfront ja im Grabenkrieg erstarrt. Doch waren gleich damals auch einige Fehleinschätzungen deutlich geworden – und schließlich im August bei Tannenberg ein wesentlich größerer Sieg erzielt worden. 116 Darstellung der staatsrechtlich-politischen Einheit in: Die Feier von Kaisers Geburtstag, S. 22–27, Zitate 24.
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Die »Eigenart« des preußischen Staates und der »deutschen Monarchie«, welche sie zu einer »eigene[n] Stufe in der staatlich-gesellschaftlichen Entwicklung der Menschheit« (!) mache, liege darin begründet, daß die großen Preußenkönige (Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II.) ihrem Staatswesen das eingepflanzt hätten, was »in letzter Linie deutsches Wesen und deutscher Charakter war«.117 Seit der Proklamation des Burgfriedens wisse sich »das ganze deutsche Volk mit seinem Kaiser eins (…) in jener friderizianischen Staatsgesinnung.« »Wir Deutschen alle ohne Ausnahme fühlen und wissen uns heut (!) mehr wie je im Dienste des Staates, im Dienste des Vaterlands.«118 In den Reden andernorts spielte die 1913 zu seinem Thronjubiläum beschworene Friedensliebe des Kaisers,119 die schon damals kein Widerspruch zur ebenfalls beteuerten Kampfbereitschaft gewesen war, zunächst keine Rolle mehr. Der Römisch-Rechtler Emil Seckel nahm 1915 sogar Hintzes Befürchtung von 1913, daß die jahrzehntelange Friedenszeit zu Stillstand führe, auf, beschrieb die Erleichterung nach der Kriegserklärung120 und erinnerte die Studenten an ihre Gelöbnisse bei der Jahrhundertfeier der Befreiungskriege.121 Der Kaiser war nicht nur der »geliebte Führer des deutschen Volkes«, sondern wurde als »oberster Herr unserer Heerscharen«122 geradezu religiös überhöht. In Straßburg pries ihn der Altphilologe Schwartz 1916 sogar als »ruhmvolle[n] Enkel des ruhmvollen Geschlechts, das das im alten Reich rostig gewordene deutsche Schwert blank gehalten und neu geschliffen« habe. Nun stelle er die Einheit Deutschlands »siegreich einer feindlichen Welt entgegen«.123 Erst 1917 gedachte man in Straßburg und Berlin wieder des Friedenskaisers – denn im Dezember 1916 hatten die Mittelmächte dem amerikanischen Präsidenten ja ein Friedensangebot unterbreitet (das allerdings mit so weitreichenden Forderungen verknüpft war, daß es kaum annehmbar erscheinen mußte, also wohl eher auf die deutsche Öffentlichkeit zielte). Der Straßburger Botaniker Jost, der im Mai 1916 den Kampf ums Dasein erörtert hatte, erinnerte in der Einleitung der Feier 1917 daran, wie der Kaiser im Juli 1914 versucht habe, den ungeheuren Weltenbrand im Keime zu ersticken. Das Friedensangebot »im Bewußtsein der Kraft seines Volkes und der Unbesiegbarkeit seiner Armee« würdigte er als »sittliche Tat«.124 Auch der Berliner Rektor gedachte, nachdem der Festredner Waldeyer das von den Feinden ausgeschlagene Friedensangebot erwähnt und sie für alle weiteren Opfer verantwortlich gemacht hatte, 117 118 119 120 121 122 123 124
Die Feier von Kaisers Geburtstag, alle Zitate S. 27. Die Feier von Kaisers Geburtstag, S. 28. Nachweise bei Maurer, Engagement, S. 159. S. ausführlich o. Kap. III .1. Zu 1913: Maurer, Engagement, S. 160. Seckel, Über Krieg und Recht, S. 5, 45 (Zitat). Anrich, Deutsche und französische Kultur im Elsaß, S. 4. Keibel, Experimentelle Entwicklungsgeschichte, S. 4.
1086 Studium und Lehre im Krieg der Friedensbereitschaft wieder – doch eigentlich nur als Grundlage weiterer Mobilisierung: »Des Kaisers Friedenshand ist zurückgestoßen, der Krieg ohne gleichen, der im dritten Jahr über die Völker Europas rast, geht weiter, ein tiefes Atemholen noch – und der Endkampf beginnt«.125
Ein, wie es scheint, echter Friedenswunsch stand nur am Ende der Berliner Kaisergeburtstagsrede 1918, als der Botaniker Haberlandt über »Das Ernährungsproblem und die Pflanzenphysiologie« sprach. »Der feste Wille durchzuhalten, sich, weil es sein muß, mit weniger Nahrung zu begnügen, wird von der unerbittlichen Physis nicht ebenso gelohnt und gewürdigt, wie von unserem nationalen Stolz und Ehrgefühl.«
Daher war die Ernährung im Krieg zum biologischen »Grundproblem größtmöglicher physischer und seelischer Kraftentfaltung, für den einzelnen sowohl wie für die ganze Nation« geworden.126 An ihm konnte man die »Wechselwirkung zwischen der Lösung praktischer Aufgaben und der Stellung theoretischer Probleme« erkennen: Indem die Wissenschaft »von ihrer einsamen Höhe herabgestiegen« war und »werktätig eingegriffen [hatte] in die Praxis unserer Volksernährung«, hatte sie ihre Dankesschuld dem Staat gegenüber abgetragen und selbst »wieder neue Anregungen und Impulse für die rein theoretische Forschung empfangen«. Dieser wollte sie »nach dem furchtbaren Kampf ums Dasein, den unser Volk jetzt siegreich zu Ende führt«, in ihrer »altgewohnte[n], ewig junge[n] Friedensarbeit« wieder nachgehen. Dafür wünschte Haberlandt dem Kaiser zunächst, daß er »das Schwert, das er zum Heile Deutschlands gezogen hat, wieder aus der Hand« legen und wieder das werden könne, was er bis zum »Ausbruch des Weltkrieges« immer gewesen sei: »der Kaiser, der allen Werken des Friedens wohlwollend und gnädig gesinnt ist, der sie pflegt und fördert, sie schirmt und schützt – der Friedenskaiser!«127 Seine kurze Bemerkung über den zu erwartenden Sieg scheint nur noch eine Pflichtübung gewesen zu sein, längere Ausführungen über die wissenschaftliche Arbeit und deren Förderung durch den Kaiser sowie der ganze, dem Frieden geltende Schlußabsatz Haberlandts eigentlichem Anliegen entsprochen zu haben. In Straßburg, wo die Feier 1918 ganz in Theologenhänden lag, würdigte der Rektor, der Protestant Emil W. Mayer, den Kaiser als Verkörperung der »ganzen Wehrkraft des deutschen Volkes« und als »Schirm- und Schutzherr unserer Universität (…) auch im Kriege«.128 Der Katholik Albert Ehrhard, der als 125 Waldeyer-Hartz, Die Sorge für die Verwundeten, S. 31 (Friedensangebot), 34 (Zitat des Rektors). 126 Haberlandt, Das Ernährungsproblem, S. 4. 127 Haberlandt, Das Ernährungsproblem, S. 28 (kursivierte Worte i. O. gesperrt). 128 Ehrhard, Slawen in der Geschichte des Christentums, S. 3.
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Kirchenhistoriker und Byzantinist über »Die Stellung der Slawen in der Geschichte des Christentums« sprach, begründete sein Thema damit, daß seit den Balkankriegen 1912/13 »der slawische Osten die Fackel schwang, die fast ganz Europa in Brand steckte«, aber Rußland und die Balkanstaaten auch am stärksten erschüttert habe. Er sah die Feier »schon im Zeichen des kommenden Friedens« und drückte seine Hoffnung auf eine baldige Einigung der Völker Europas aus, in dem Bewußtsein, »daß sie nicht berufen sind, sich mit den blutigen Waffen zu bekämpfen, sondern sich gegenseitig zu ergänzen und in einem dauernden Verhältnis des Gebens und Empfangens miteinander zu stehen«.129 Von allen Straßburger Rednern sprach Ehrhard am pathetischsten, allerdings in einem kirchlich-religiösen Duktus. Seiner Diagnose der Entstehung des Krieges steht eine Reihe anderer Bezüge auf diesen zur Seite. Spahn hatte sich 1915 damit begnügt, daß nun jener Krieg da sei, »mit dem Bismarck von der Stunde an rechnete, da er das Reich aufrichtete, für den wir aber noch mehr als ein volles Menschenalter hindurch im Frieden unsere Kräfte vervielfachen und sammeln durften.«130 In Berlin interpretierte am selben Tag Seckel die »Wiedergeburt der Nation« in den Befreiungskriegen nach dem »Gottesgericht« von 1806 als »sichtbare[n] Beweis, daß Gott mit uns war und mit uns ist«. Aus solchen »greifbaren Tatsachen der Vergangenheit« sollte sich die deutsche Jugend »den im Feuer bewährten Schild des Glaubens« schmieden.131 Troeltsch, der, wie die anderen, ein Jahr später nur am Anfang und Ende über die Gegenwart sprach, deutete den Krieg »als Krise par excellence, als extrem verdichtete, intensivierte Zeit, in der die überkommenen Ordnungen des Lebens sich zugunsten einer noch ungewissen, aber hereinbrechenden neuen Lebensgestalt auflösen.« Darauf reagierte er in seiner Forschung und Lehre mit einer »Intensivierung des Versuchs, Strukturen historischer Sinnbildung freizulegen«, und begann bereits während des Krieges, »›historische Dinge‹ nicht mehr in einer« nationalen Perspektive zu beurteilen, sondern »europäisch«.132 Diesen Beobachtungen steht allerdings der Text seiner öffentlichen Rede entgegen, in der Troeltsch durch die Krise der Gegenwart eine »tiefere, innere Wesensverschiedenheit der europäischen Völker offenbart« fand und daraus folgerte, »daß die Neugestaltungen der Zukunft sehr stark unter diesem Sondercharakter stehen werden«. Eine »Wiederverbindung der Völkergemeinschaft« sei nötig, aber: »Die deutsche Zukunft werden wir daher doch vor allem als deutsche betrachten und gestalten 129 Ehrhard, Slawen in der Geschichte des Christentums, Zitate S. 5, 46. 130 Spahn, Bismarck, S. 26. Nur bezüglich der Sozialpolitik macht er noch eine Anspielung (s. dazu u. S. 1095). 131 Seckel, Krieg und Recht in Rom, S. 6. 132 So die Interpretation von Graf, Philosophisch reflektierte Kriegserfahrung, S. 238, 247, 252.
1088 Studium und Lehre im Krieg müssen.«133 Nur das »vor allem« deutet an, daß es noch andere Gesichtspunkte gab. Noch wichtiger scheint vielleicht, daß Troeltsch bereits anderthalb Jahre nach Kriegsbeginn von der Verantwortung des »gegenwärtigen Geschlecht[s]« für die Zukunft sprach.134 Der Straßburger Anatom und Embryologe Keibel enthielt sich 1917 des Kriegskommentars praktisch ganz, auch wenn er betonte, als Naturforscher könne er den »Kampf, den unser Volk jetzt durchzukämpfen« habe, zwar nicht mit wissenschaftlichen Mitteln erfassen, aber als Mensch dazu Stellung nehmen – nämlich in ehrfurchtsvoller Bewunderung der sittlichen Mächte, welche ihm da entgegenträten. In der »Pflicht« und dem »heißen Begehren«, »diesen sittlichen Mächten und Forderungen« genüge zu tun, leuchte der Kaiser »als ein Vorbild« voran.135 In der (zumindest verbalen) Siegesgewißheit und den Mobilisierungsappellen war der Universität eine besondere Rolle zugedacht. Der Berliner Gynäkologe Bumm stellte als Rektor 1917 fest: »Nicht die Materie entscheidet den endgültigen Sieg, sondern der Geist, der die Völker beseelt.« Die deutschen Universitäten, die »aus dem Geiste unseres Volkes« hervorgegangen seien, verbänden mit dem »Gelöbnis der Hingebung, das sie heute dem Kaiser dargebracht haben« den Aufruf an alle, die je an einer Universität gewesen seien, »nicht nur durch das Wort, sondern durch das Beispiel und die Tat den Geist des Volkes zu stählen für den großen Endkampf«. Und die erste Strophe des Deutschlandlieds, deren gemeinsames Singen in Berlin und Straßburg immer den abschließenden Höhepunkt der Kaisergeburtstagsfeiern markierte, war den Universitätsangehörigen »doppelt hehr und heilig« geworden, »seitdem unsere Studentenregimenter – blutjung, aber furchtlos und stolz – vor Ypern damit in den Tod gegangen sind.«136 Hier lieferte Bumm wohl eine der frühesten Zuspitzungen des bald nach der Schlacht von Langemarck bei Ypern entstehenden und bereits von den Zeitgenossen kultivierten Langemarck-Mythos auf Studenten.137 Das hier ebenfalls erwähnte »Gelöbnis der Hingebung« bezog sich auf ein Telegramm, das die deutschen Universitäten 1917 zum Geburtstag des Kaisers gemeinsam an ihn gerichtet hatten. Idee und Entwurf stammten von der Universität Berlin. Bei deren Rundfrage waren alle Universitäten sofort bereit mit133 Ernst Troeltsch, Über Maßstäbe zur Beurteilung historischer Dinge. Rede zur Feier des Geburtstages (…) des Kaisers (…), Berlin 1916, S. 48. Das Foto auf dem Einband des vorliegenden Buches zeigt Troeltsch bei dieser Rede in der Berliner Aula vor dem Gemälde Kampfs. 134 Troeltsch, Maßstäbe zur Beurteilung historischer Dinge, S. 4. 135 Keibel, Experimentelle Entwicklungsgeschichte, S. 28. 136 Schlußwort des Rektors in: Waldeyer-Hartz, Sorge für die Verwundeten, S. 35. 137 Später wurde dies so selbstverständlich, daß Theodor Heuss sogar bei der Diskussion über das Deutschland-Lied als Nationalhymne der Bundesrepublik von den »Studentenregimentern« bei Langemarck sprach… (Theodor Heuss an Konrad Adenauer 24.1.1952, in: Theodor Heuss, Der Bundespräsident. Briefe 1949–1954, hg. von Wolfgang Becker u. a., Berlin 2012, S. 307–310, hier 309). Zu dem Mythos s. o. S. 12 mit A. 55.
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zumachen. Doch wurde der ursprüngliche Entwurf dabei noch geändert. Die Universitäten huldigten dem Kaiser nicht, wie die Berliner vorgeschlagen hatten, »in flammender Begeisterung«, sondern »in alter Treue verbunden«.138 Das klang ernster, zuverlässiger – aber auch weniger entschieden. Insbesondere konnte die Verbundenheit aber nicht nur auf den Kaiser bezogen werden, sondern auch einfach auf das Verhältnis der Universitäten untereinander. Oder sollte man in der Änderung eher die Beständigkeit erkennen, die länger währte als die im August 1914 aufgeflammte Begeisterung? »Für uns, Professoren und Studenten, alt und jung, gibt es nach des Kaisers Botschaft an das deutsche Volk nur (mehr eine Wissenschaft, nur) ein Ziel: Alle Kraft gesammelt, jede Faser gestrafft, den Sieg zu erringen. Getreu dem deutschen Sinne, der unsere Kommilitonen vor hundert Jahren beseelte, geloben wir: Was wir sind, was wir haben, Wissen und Können, Blut und Gut für Kaiser und Vaterland.«139
Die mit der Klammer bezeichnete Erweiterung, die allen Dienst für den Krieg zugleich zur Wissenschaft erklärte, kam ebenfalls als Ergebnis der Rundfrage hinzu. Nach der Ablehnung des Friedensangebots durch die Alliierten hatte sich der Kaiser zunächst an Heer und Marine gewandt, dann an das deutsche Volk. Im erstgenannten Erlaß wies Wilhelm »den feindlichen Regierungen allein die schwere Verantwortung für alle weiteren Opfer zu« (was in Waldeyers Rede nachhallte) und prophezeite (bzw. forderte), daß die Soldaten »in der gerechten Empörung« über den »Frevel« der Feinde und im Willen zur Verteidigung des Vaterlands und einer glücklichen Zukunft »zu Stahl« würden.140 Das deutsche Volk verpflichtete er in seiner Kundgebung gleichsam beschwörend: »Hellflammende Entrüstung und heiliger Zorn werden jedes deutschen Mannes und Weibes Kraft verdoppeln, gleichviel ob sie dem Kampf, der Arbeit oder dem opferbereiten Dulden geweiht ist.«141 Während die beiden Nationaluniversitäten wie schon vor dem Krieg den Kaisergeburtstag regelmäßig begingen und zur Beteuerung ihrer Ergebenheit sowie ihrer Unterstützung der Kriegsanstrengungen nutzten, veranstaltete die Gießener nach der Feier von 1915 in den folgenden Jahren weder zum Geburtstag des Kaisers noch des Großherzogs (der sich wie ersterer bei den Truppen befand) 138 Rektor der FWU Berlin an Rektor [Gi] 17.1.1917, 18.1.1917 (Übersendung des Entwurfs) und 24.1.1917 (Nachricht vom einstimmigen Einverständnis). Alle: UA Gi PrA 1387, fol. 76, 74, 77. Entwurf und endgültige Fassung fol. 75, 78. Die Univ. Strb. erklärte sich (an die Universität Berlin 20.1.1917) mit dem Entwurf einverstanden (ADBR 103 AL 1429). 139 Der komplette Text ist abgedruckt in: Waldeyer-Hartz, Sorge für die Verwundeten, S. 33. Zum ursprünglichen Entwurf s. A. 138. 140 Erlaß des Kaisers an Heer und Marine, 5.1.1917, abgedruckt in Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender 58 (1917) I, S. 5. 141 Kundgebung des Kaisers an das deutsche Volk 12.1.1917, abgedruckt in: Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender 58 (1917) I, S. 24 f.
1090 Studium und Lehre im Krieg einen eigenen Festakt.142 Die kriegstüchtige Universität begründete also keine neue Feiertradition zur Verkörperung dessen, wofür sie kämpfte: das Reich. Andererseits wurde dieses im ersten Kriegsjahr zum 100. Geburtstag des Reichsgründers aber überall als Höhepunkt der deutschen Geschichte gewürdigt:
Die Hundertjahrfeiern des Geburtstags des Reichsgründers: Bismarck als Verkörperung »deutschen Geistes« und der Weltkrieg als sein Vermächtnis Aus dem jährlichen Rhythmus herausgehobene, sorgfältig ausgestaltete ›nationale‹ Feiern wurden 1915 anläßlich von Bismarcks 100. Geburtstag abgehalten. Seit langem gab es in der Studentenschaft einen regelrechten Bismarck-Kult, und zu Kriegsbeginn hatten einige Professoren den ins Feld ziehenden Studenten dessen »herrlich Heldenbild« zur Orientierung vor Augen geführt. Zu Lebzeiten des ehemaligen Reichskanzlers hatten Studenten jährliche »Huldigungsfahrten« an seinen Kurort Bad Kissingen unternommen, an seinem Geburtstag marschierten vor seinem Schloß in Friedrichsruh 6000–8000 Korporierte auf. Nach seinem Tod rief ein Ausschuß zur Errichtung sog. Bismarck-(Feuer-) Säulen auf, auf denen (nach dem Vorbild von Sachsen und Normannen, welche ihre gefallenen Helden so geehrt hatten) Bismarck-Feuer entzündet werden sollten, die »von Berg zu Berg die Nacht erhelle[n]«.143 Da Bismarcks Geburtstag (1. April) noch in die Semesterferien und manchmal auch in die Karwoche fiel, hatte sich für das studentische Gedenken die Sonnwende etabliert. Allerdings gelang es nicht, wie die Heidelberger Studentenschaft angeregt hatte, daraus einen dies academicus mit offizieller akademischer Feier in der Aula zu machen; nur zwei von 21 Universitätsleitungen signalisierten vorsichtiges Interesse daran.144 1895, zu Bismarcks 80., hatten sich die Universitätsrektoren zu einer gemeinsamen Geburtstagsadresse zusammengefunden, welche eine 22köpfige Dele142 Das geht aus der Replik des Gießener Rektors Schian 7.11.1916 auf eine Anfrage aus München zur Praxis der Kaisergeburtstagsfeiern in der Friedens- und der Kriegszeit hervor: Rektorat der Univ. München an Rektor Gi 3.11.1916 (mit Antwortentwurf): UA Gi PrA 1387, fol. 73. 143 Hans-Walter Hedinger, Bismarck-Denkmäler und Bismarck-Verehrung, in: Ekkehard Mai/Stephan Waetzoldt (Hg.), Kunstverwaltung, Bau- und Denkmal-Politik im Kaiserreich, Berlin 1981, S. 277–314, hier 294 (mit Zitat aus dem Aufruf); Norbert Giovannini, Paukboden, Barrikaden und Bismarck-Kult. Heidelberger Studenten 1800–1914, in: Karin Buselmeier/Dietrich Harth/Christian Jansen (Hg.), Auch eine Geschichte der Universität Heidelberg, Mannheim 1985, S. 123–139, hier 136 f. Zur Anknüpfung bei Kriegsbeginn s. o. S. 257 (mit Zitat). 144 Hans-Jörg Eitel, Akademischer Bismarck-Kult an der Universität und in der Stadt Leipzig, in: von Hehl (Hg.), Sachsens Landesuniversität, S. 75–114, hier 87.
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gation überbrachte. Allerdings weckte der erste Entwurf des Initiators und damaligen Berliner Rektors, des schwäbischen Theologen Otto Pfleiderer, einen »peinlichen Eindruck«, etwa in Straßburg. Dabei differierten die Ansichten nicht nur bezüglich der Gewichtung von allgemeinen und politischen Leistungen Bismarcks und seinem Verhältnis zu den Universitäten, sondern auch bezüglich des anzuschlagenden Tons.145 Der akademische Bismarck-Kult war Teil eines umfassenderen allgemeinen. Von den insgesamt über 700 BismarckDenkmälern jeglicher Art, die bis 1914 in Planung waren, wurden mindestens 500 tatsächlich geschaffen.146 Seit Bismarcks 70. Geburtstag waren zweimal Sammlungen von Kernworten erschienen, zu denen 1915 eine neue hinzu kam: Mit Bismarck daheim und im Felde.147 Für die Feiern zum 100. Jahrestag der Geburt hatte die Studentenschaft mit den Vorbereitungen noch vor dem Attentat von Sarajevo begonnen. Sie plante eine spezielle Zeitschrift, Das Bismarck-Jahr, in der »Persönlichkeit und Werk« von Autoren dargestellt werden sollten, die sich seit langem mit Bismarck beschäftigten. Gewonnen hatten die Studenten dafür u. a. zwei renommierte Historiker, die bereits Ende Juni 1914 die erste Nummer an die Universitäten des Deutschen Reichs verschickten: Max Lenz (den ehemaligen Berliner, nun Hamburger Professor) und Erich Marcks in München.148 Doch auch die einzelnen Universitäten bereiteten, z. T. von langer Hand, Feiern vor. Darüber hinaus gab es auch monatelange Versuche, eine gemeinsame Feier bzw. Ehrung zu organisieren. Die Initiative ging vom Breslauer Rektor aus, der ursprünglich nur vorgeschlagen hatte, daß alle Universitäten ihre Feier am selben Tag begehen sollten. Er stieß damit zwar auf Resonanz, doch gingen die Termin- und Gestaltungswünsche auseinander. U. a. wurde empfohlen, die Feier erst nach dem Ende des Krieges abzuhalten; aber auch die Niederlegung von Kränzen durch die Rektoren an Bismarcks Grab gehörte zu den Optionen.149 Einige Uni145 Eitel, Akademischer Bismarck-Kult, S. 77–79 mit ausführlichen Zitaten und zeitgenössischem Bericht zum Auftreten der 22 Rektoren S. 84. 146 Bismarck – Preussen, Deutschland und Europa. Ausstellungsdokumentation, Berlin 1991, S. 474; s. auch die Karte S. 472 f. 147 Kernworte Bismarcks 1847–1885. Festgabe zur Jubelfeier des Reichskanzlers, Leipzig 1885; Kernworte unseres Alt-Kanzlers, Berlin [1893]; Mit Bismarck daheim und im Felde. Kernworte aus seinen Briefen und Reden, Berlin-Lichterfelde 1915. 148 [Rundschreiben zum Versand dieser Nummer:] M. Lenz/E. Marcks, Hamburg und München Ende Juni [!] 1914: UA Gi Allg. 1345, fol. 110. Über den Gang dieses (durch den Krieg verzögerten) Unternehmens berichten die beiden Herausgeber in dem daraus hervorgegangenen Sammelband, zu dem aus dem Berliner Kollegium die Historiker Otto Hintze und Friedrich Meinecke sowie der Nationalökonom Adolph Wagner, aus dem Straßburger der Historiker Martin Spahn und der Pädagoge Theobald Ziegler bei trugen. Ein Gießener war nicht dabei. S. Max Lenz/Erich Marcks, Das Bismarck-Jahr. Eine Würdigung Bismarcks und seiner Politik in Einzelschilderungen, Hamburg 1915. 149 Rektor Breslau [an alle Rektoren] 14.12.1914 bzw. 16.1.1915: UA Gi Allg. 1345, fol. 107, 106.
1092 Studium und Lehre im Krieg versitäten planten eine eigene Feier für den 10. Mai (den die Jenaer als Tag des Frankfurter Friedens 1871 vorgeschlagen hatte): München, Breslau, Frankfurt, Marburg, Münster.150 Würzburg plante zwar keine Feier, war aber bereit, sich auf Aufforderung an größeren Veranstaltungen zu beteiligen. Rostock wollte »die Bismarckfeier mit der bisher üblichen studentischen Sonnenwendfeier dahin [‥] verbinden, dass diese Feier einen allgemeinen akademischen Charakter tragen soll.«151 Da sich die Universitäten weder über das Datum noch die Form einer gemeinsamen Feier einigen konnten, sich aber eine »Übereinstimmung« bezüglich einer gemeinsamen Kranzniederlegung in Bismarcks Mausoleum in Friedrichsruh anbahnte, beantragte die Universität Leipzig, »diese Huldigung als die eigentliche gemeinsame Veranstaltung aller deutschen Universitäten« zu betrachten und Halle als Anregerin oder Kiel als nächstgelegene Universität als »Vorort« (und weiteren Organisator) zu wählen.152 Dazu war eine ganze Reihe von Universitäten bereit – manche aber nur unter der Bedingung, daß sich alle Universitäten daran beteiligten.153 Doch Berlin klinkte sich aus, da es auch »nach wiederholter Erwägung bei dem Beschlusse verblieben« war, am 1. April eine eigene akademische Feier zu veranstalten, und der Rektor daher »verhindert« sei.154 Wegen des erwähnten Vorbehalts war das Vorhaben für den Hallenser Rektor damit gescheitert, und er teilte die Einstellung seiner Bemühungen mit.155 Doch nahm er den »Faden der Verhandlungen« wieder auf, als die Straßburger unter der Bedingung zustimmten, daß sich die Mehrheit deutscher Universitäten zur Teilnahme entschließe, und die Königsberger dies als gangbaren Weg unterstützten. Er schlug nun statt des 1. April den 31. März vor: So könne man den Gründonnerstag umgehen und ermögliche auch dem Berliner Rektor die Teilnahme. (Friedrichsruh lag direkt an der Bahnstrecke Hamburg-Berlin.) Außerdem gerieten die Rektoren so nicht »zwischen die Abordnungen (…), die von verschiedenen Seiten her am 1. April voraussichtlich Friedrichsruh be-
150 Rektorat München 26.1.1915; Universität Jena 9.2.1915 (mit Nachrichten über die Nachfolger), beide an alle deutschen Universitäten: UA Gi Allg. 1345, fol. 101, 85. 151 Rektorat Würzburg 1.2.1915; Rektor Münster 6.2.1915 – jeweils an alle deutschen Universitäten; Univ. Rostock an Rektorat Gi 6.2.1915. Alle: UA Gi Allg. 1345, fol. 98, 94, 95. 152 Univ. Leipzig an Rektor (Gießen [u. a. Universitäten]) 18.2.1915: UA Gi Allg. 1345, fol. 79. 153 Bis 20.2.1915 hatten Bonn, Breslau, Greifswald, Göttingen, Halle, Kiel, Marburg, Freiburg, Leipzig, Rostock, Würzburg zugesagt (Rektor Breslau an Rektor Halle 20.2.1915 [mit Abschriften an alle Rektoren]): UA Gi Allg. 1345, fol. 82. Zu der genannten Bedingung: Prorektorat Erlangen 16.2.1915 und Rektor Jena 19.2.1915, beide an Rektoren sämtlicher deutscher Universitäten [künftig: an alle Rektoren]: UA Gi Allg. 1345, fol. 88, 85. 154 FWU Berlin an Rektor (Gießen [u. a. Universitäten]) 20.2.1915: UA Gi Allg. 1345, fol. 81. 155 Rektor Halle an alle Rektoren 24.2.1915: UA Gi Allg. 1345, fol. 72.
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suchen werden«156 – hatten also eine exklusive Veranstaltung, konnten das Interesse ganz auf sich ziehen und sich in der Presse als erste Huldiger würdigen lassen. Allerdings sah sich der Berliner Rektor, weil ja bis zum letzten Moment Entscheidungen für die eigene Feier getroffen werden müßten, trotzdem nicht zur Teilnahme in der Lage und schlug vor, daß Halle und Kiel alle übrigen Universitäten vertreten sollten – oder sich sonst doch zumindest einzelne vertreten lassen könnten. Die Heidelberger und Münchner wollten sich auf ihre eigene Feier beschränken und sich nur an den Kosten für den Kranz beteiligen; denn Süddeutsche hätten für die Huldigungsreise fast eine ganze Woche benötigt.157 In der Zwischenphase, in der die gemeinsame Aktion zu scheitern schien, beschloß der Straßburger Senat in einer allein dafür einberufenen Sitzung, daß die Universität auf jeden Fall an der Kranzniederlegung festhalte und notfalls »Strassburg für sich allein vorgehen« müsse.158 Die tatsächliche Gestaltung des schließlich doch zustande gekommenen gemeinsamen Auftritts bereitete den Teilnehmern aber noch einiges Kopfzerbrechen. Der Vorschlag, pro Universität auch drei studentische Vertreter mitzunehmen, scheiterte, weil etwa Straßburg (und Halle) keinen Studentenausschuß hatten und die Wahl daher zu Komplikationen in der Universität führen würde. Münster dagegen befürchtete, daß infolge Einberufung am Ende einer oder zwei der drei Bestimmten nicht zur Verfügung stehen könnten.159 Die Gießener Studentenschaft wiederum wollte gern drei Teilnehmer benennen – doch teilte der Rektor dem Hallenser Kollegen schließlich seine Zustimmung zu allen Punkten (einschließlich des Verzichts auf eine studentische Beteiligung) mit.160 Die schwierige Frage des passenden Anzugs – »Gehrock und hoher Hut oder Frack mit Orden oder Talar und Kette« – sollte erst entschieden werden, wenn der Kieler Rektor die Verhandlungen mit der Familie Bismarck geführt hätte: »Wenn wir am Vorabend und ganz in unserem Kreise die Huldigung vollziehen, erscheint mir eine der beiden ersten Arten angemessen, und
156 KWU Strb. an Rektor (Gießen [u. a. Rektoren]) 25.2.1915; Prorektor Königsberg an Rektor Halle (Abschrift an alle Rektoren) 27.2.1915; Rektor Halle an alle Rektoren 4.3.1915: UA Gi Allg. 1345, fol. 70, 66, 61. 157 FWU Berlin an Rektor Halle 8.3.1915 (Abschrift); Univ. Heidelberg an Rektor (Gießen [u. alle Rektoren]) 9.3.1915; Rektor München an Rektor Kiel 15.3.1915 (Abschrift). Alle: UA Gi Allg. 1345, fol. 46–47, 45, 36. 158 Prot. der Senatssitzung vom 8.3.1915: ADBR 103 AL 115. Offenbar war damals das Schreiben des Hallenser Rektors vom 4.3. (A. 156) in Straßburg noch nicht eingegangen. 159 Fehlender Studentenausschuß: Strb. und Halle (beide wie A. 156); Einberufung: Rektor Münster an Rektor (Gießen [u. a. Rektoren]) 22.2.1915 (fol. 80); ohne Begründung: Königsberg (wie A. 156), Breslau (wie A. 153) und Rektor Kiel an Rektor Leipzig 26.2.1915 (Abschrift an alle Rektoren) (fol. 69). Alle Quellen: UA Gi Allg. 1345. 160 Ausschuß der Gießener Studentenschaft an Rektor o. D. (Eingang 26.2.); Rektorat Gi an alle Rektoren 12.3.1915. Beide: UA Gi Allg. 1345, fol. 60, 38.
1094 Studium und Lehre im Krieg wir könnten dann ohne Pedelle nach Hamburg bzw. Friedrichsruh fahren.«161 Umgehend und dezidiert reagierte der Münsteraner Rektor auf die genannten Alternativen: »Ich möchte mich entschieden gegen die Mitnahme des Rektormantels bezw. Talars aussprechen – wegen des schlichten Ernstes der Feier und der erhöhten Verkehrsschwierigkeiten in unserer Zeit. Da wir aber wohl doch nicht ganz in unserem Kreise sein werden, erscheint mir die Anlegung der Kette zweckmäßig und würdig; ein Pedell kann dabei entbehrt werden.«162
»[D]a es sich um eine offizielle Vertretung der Universität bei feierlicher Gelegenheit« handele, hielt der Gießener Rektor die Amtskette ebenfalls für »angebracht«.163 Das Programm sah schließlich nur einen halbstündigen Aufenthalt zwischen Ankunft und Abfahrt des Zuges vor, falls keine Einladung ins Schloß zum Frühstück erfolge. Falls doch, werde man wohl etwa zwei Stunden in Friedrichsruh sein. Als Anzug waren Frack, weiße Krawatte, Orden, hoher Hut, weiße Handschuhe vorgesehen – und genau das zeigt auch eine Fotografie. Bei einigen meint man auch die Amtskette zu erkennen.164 Der Hallenser Rektor, der Mathematiker August Gutzmer, deutete in seiner Ansprache den Weltkrieg und den Geist, in dem er auf deutscher Seite geführt werde, als eine einzige großartige Huldigung an Bismarck, nicht mit jubelnden Worten, sondern mit sieghafter Tat! Den Kommilitonen und Kollegen im Feld sandte er treue Grüße und heiße Wünsche. Und schließlich gelobte er im Namen aller Rektoren, »die uns anvertraute akademische Jugend auch künftig zu bilden in dem Geiste echter Wissenschaft und im Geiste nationaler Gesinnung, der sich in dieser Zeit so herrlich offenbart und bewährt«.165 Wie zum Thronjubiläum des Kaisers zwei Jahre zuvor hatten die Universitäten auch im Krieg schließlich zu einer gemeinsamen Aktion gefunden, obwohl die Vorbereitungen wiederum durch den Berliner Anspruch auf eine Sonderstellung erschwert worden waren. Und auch wenn sich der Ausschluß der
161 In Hamburg wollte man sich treffen, und die Universität Leipzig hatte vorgeschlagen, bei dieser Gelegenheit – als Ersatz für die Rektorenkonferenzen der Friedenszeit – auch eine Besprechung durchzuführen. Rektor Halle 4.3.1915 (wie A. 156). Im Krieg fiel die amtliche preußische Rektorenkonferenz 1915–1917 aus; die außeramtliche deutsche fiel 1915 und 1917 aus, fand 1916 aber statt; 1918 fanden beide statt (vom Brocke/Krüger [Hg.], Hochschulpolitik im Föderalismus, S. 391). 162 Rektor Münster an Rektor Halle-Wittenberg 6.3.1915: UA Gi Allg. 1345, fol. 62. 163 Wie A. 160. 164 Programm für die Bismarckfeier: UA Gi Allg. 1345, fol. 31. Foto: Müller, Geschichte der Universität, S. 132. 165 Alles nach dem Zeitungsbericht in: Beilage zu Nr. 153 der Hamburger Nachrichten (31.3.1915 AA): UA Gi Allg. 1345.
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Studenten zumindest teilweise darauf zurückführen läßt, daß sie mancherorts keine geregelte Vertretung aller Gruppen zustande brachten, weist beides zusammen doch auf Risse innerhalb der universitas hin, die durch die ›Volks gemeinschaft‹, in die sich damals alle zu integrieren behaupteten, offenbar nicht geschlossen werden konnten. Zugleich belegt die detaillierte Auseinandersetzung über Kleidung und Insignien, daß die Distinktion auch im Krieg gewahrt wurde, selbst wenn man bereit war, gewisse Abstriche zu machen (und so die Mitreise der Pedellen ›einzusparen‹). Darüber hinaus dokumentiert das die Wahl des früheren Termins flankierende Argument (obwohl dieser formal als Kompromiß zugunsten des Berliner Rektors erschien), daß die Rektoren Exklusivität innerhalb der Gratulantenschar für angemessen hielten und damit indirekt, wie herkömmlich, auch einen Führungsanspruch erhoben. Schließlich brachte der Krieg auch bezüglich der Erziehungsfunktion der Universität keinen Wandel, sondern verbürgte quasi deren Notwendigkeit und erschien durch die Freiwilligenmeldungen als Beglaubigung ihres Erfolgs. Bei der Bismarck-Würdigung der einzelnen Universitäten ging Straßburg insofern voran, als dort Martin Spahn ja schon seine Rede zum Kaisergeburtstag »Bismarck und [der] deutsche[n] Politik in den Anfängen unseres Zeit alters« widmete. Er behandelte die Jahre 1878 und 1879 als »Schwelle« des neuen Zeita lters, wobei es Bismarck darum gegangen sei, »mit der Ordnung der Reichsfinanzen eine bessere staatliche Fürsorge für die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Bevölkerung zu verbinden, Reichspolitik und nationales Wirtschaftsleben in einen organischen, sich gegenseitig fördernden Zusammenhang zu bringen.«166 Dafür habe er durch den Berliner Kongreß und das Bündnis mit Österreich-Ungarn, die Deutschland vom jahrzehntelangen außenpolitischen Druck befreiten,167 die Grundlage bereitet, dafür habe er die Reichs finanz- und die Eisenbahnpolitik, die Wirtschafts- und Sozialpolitik konzipiert. Letztere (die die Kräfte des »werdende[n] vierte[n] Stand[es]« gehoben und dadurch Deutschlands »Aufstieg zur Weltwirtschaft« beschleunigt habe) erfuhr in Spahns Rede eine ausgesprochen positive Bedeutung, weil sie die Deutschen quasi kriegstauglich gemacht habe: »Wir alle aber sind durch die Sozialpolitik dazu erzogen worden, in der Zeit der Prüfung ruhig und einig zusammenzuhalten, die Selbstbeschränkung und Anpassung zu üben, deren es für unser Vaterland bedarf, um diese schweren Monate der nochmaligen, hoffentlich rasch vorübergehenden und letzten Einengung der deutschen Volkswirtschaft und Politik auf Mitteleuropa mit unversehrtem Lebenstriebe zu überdauern.«168
166 Spahn, Bismarck, Zitate S. 5, 7. 167 Spahn, Bismarck, S. 11–16. 168 Spahn, Bismarck, Zitate S. 23.
1096 Studium und Lehre im Krieg Dabei wurde die britische Blockade der Nordsee, die einen Rohstoffmangel für die deutsche Wirtschaft verursachte und bald auch die Lebensmittelversorgung beeinträchtigen sollte, jedoch nicht ausdrücklich erwähnt. Vielmehr rückte Spahn hier, wie im Gesamturteil, daß Bismarck »unserm Volke mit der Einheit das Zutrauen zu sich selbst wiedergab«, immer das Positive in den Vordergrund. Am selben Tag (11.1.1915), an dem der Straßburger Senat das Programm für diesen Kaisergeburtstag gebilligt hatte, beschloß er – einstimmig – auch einen Festakt zu Bismarcks 100. Geburtstag. Den 1. April hielt er als Datum für wünschenswert, konnte aber die Bedenken dagegen nachvollziehen und wollte erst das Ergebnis der Breslauer Rundfrage zu der Anregung, alle am selben Tag zu feiern, abwarten.169 Im Februar wurde der Festakt (gegen einige Gegenstimmen) beschlossen und einstimmig auf 31.3. gelegt.170 Der Bürgermeister stellte wieder einmal die Aubette zur Verfügung, und die Polizei genehmigte die Gedenkfeier.171 An dieser Notwendigkeit (wie an der Überschneidung von Beschlüssen infolge der verlängerten Brieflaufzeit (und wohl -kontrolle) zeigt sich die aktuelle Sondersituation dieser Universität in der Festung Straßburg. Aber mehr noch als »jeder Bürger des Deutschen Reiches« war sie Bismarck »für immer zum größten Danke« verpflichtet, weil sie »zum größten Teile [ihm] ihre Existenz« verdankte. Er habe den Rat gegeben, hier »im neugewonnen Reichsland eine friedliche Eroberung zu beginnen, eine Hochburg Deutscher Wissenschaft aufzurichten, um die Gemeinschaft des Staates zu besiegeln und neu zu begründen durch die Gemeinschaft Deutschen Geistesleben[s]«. So Rektor Hans Chiari, ein gebürtiger Österreicher beim vormittäglichen Festakt, der mit dem Schlußsatz aus Beethovens Symphonie Eroica eingeleitet wurde.172 Auf die Ansprache des Rektors folgte die Festrede Harry Bresslaus. Der preußisch-jüdische Mediävist stellte Bismarck nicht nur als Gründer des Reiches dar, sondern bot eine quellengesättigte Untersuchung von dessen preußischer und deutscher Gesinnung. Dabei arbeitete er heraus, daß letztere schon früh vorhanden und nur im Gefolge der »Barrikade 1848« kurz unterbrochen (also keine Rückprojektion in Bismarcks Memoiren) gewesen sei. Auf den aktuellen Krieg kam Bresslau nur eingangs und in den allerletzten Sätzen zu sprechen. »Unsere heldenmütigen Krieger« betätigten ihren Dank, indem sie »Blut und Leben hingebungsvoll einsetz[t]en«, um das von Bismarck geschaffene Werk »gegen Feinde aus aller Welt« zu schützen.173 Und Bresslau schloß nach einer sachlich-akribischen Prüfung der Quellen mit pathetischen Sätzen, die 169 170 171 172
Prot. der Senatssitzung 11.1.1915: ADBR 103 AL 115. Prot. der Senatssitzung 22.2.1915: ADBR 103 AL 115. KWU an Dekan Phil. Fak. 10.3.1915: ADBR 62 AL 35. Die akademische Gedenkfeier des 100. Geburtstages des Fürsten Bismarck am 31. März 1915, Straßburg 1915, S. 4. 173 Akademische Gedenkfeier, Zitate S. 13, 5.
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Österreichs (von Bismarck bezweifelte) Bundestreue und die einmütige Erhebung »unser[es] eigene[n] Volk[es]« würdigten, »um den Schatz, den Kaiser Wilhelm und Bismarck uns hinterlassen haben, zu wahren und zu mehren. Bismarcks Genius zieht unseren Heeren voran; möge sein Geist auch über den Männern schweben, die nach siegreichem Kriege einen ehren- und ruhmvollen Frieden zu schließen haben werden.«
Bresslau schloß mit einem Hoch auf Bismarck, auf den Kaiser und das Reich. Anschließend intonierte das Orchester »Deutschland, Deutschland über alles«. »Alle weiteren Veranstaltungen« (Kommers? Festmahl?) mußte sich die Universität »in Anbetracht der Kriegszeit (…) leider (…) versagen«.174 Zwar erscheint auch hier der Krieg als Erfüllung von Bismarcks Vermächtnis, doch im Vergleich zu der Rede, die der Altphilologe Wilamowitz-Moellendorff am nächsten Tag in Berlin hielt, war dies nur dezent angedeutet. Wilamowitz dagegen stellte – vor Kampfs Fichte-Bild in der Neuen Aula175 – gleich eingangs in und durch Bismarcks Würdigung eine Verbindung zwischen Befreiungskrieg, Einigungskrieg und Weltkrieg her: Für den während des »letzten Akt[s] der großen Tragödie« geborenen sei der Kanonendonner des Weltkriegs das »Festgeläute« zum 100. Geburtstag. Der »große Deutsche (….), dessen Genialität ihren Glanz über die zweite Hälfte des Jahrhunderts werfen sollte[,] (…) erhob Deutschland zu einer Weltmacht durch Blut und Eisen und setzte dann diese Macht jahrzehntelang für die Erhaltung des euro päischen Friedens ein.«
Mit »Blut und Eisen« griff Wilamowitz Bismarcks eigene, den Zuhörern gewiß geläufige Worte während des Verfassungskonflikts 1862 auf176 und unterstrich damit quasi die Notwendigkeit des Krieges. Die Möglichkeit, zur »Behauptung seiner Stellung einen Krieg (…) führen [zu] müssen, ganz wie Preußen den Siebenjährigen Krieg«, habe Bismarck ja auch selbst schon angedeutet. »Er wird es sicherer erwartet haben, als er es aussprechen mochte, eben um seiner Friedensliebe willen. Nun stehen wir in dem Kampfe (…)«.177 Und »der Rauch aus ihren [der Studenten!] Gewehren ist dem alten Helden ein wohlgefälligeres Dankopfer
174 Akademische Gedenkfeier, Zitate Bresslaus S. 32, Schlußmusik und Veranstaltungs verzicht S. 4. 175 J. K., Der Bismarck-Tag, in: BT 169, 2.4.1915 AA . 176 »Nicht durch Reden oder Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden – das ist der große Fehler von 1848 und 1849 gewesen – sondern durch Eisen und Blut.« Zit. nach Wilhelm Böhm [Hg.], Fürst Bismarck als Redner. Bd. 2: Der Mini sterpräsident v. Bismarck-Schönhausen 1862 –1866, Berlin u. a. 1885, S. 12. 177 Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Feier des hundertjährigen Geburtstages des Fürsten Bismarck (…) am 1. April 1915, Berlin 1915, alles S. 3.
1098 Studium und Lehre im Krieg als aller Weihrauch preisender Rede«.178 So verstärkte der professorale Redner das enge Band zwischen der Studentenschaft und Bismarck und überhöhte letzteren mit »Dankopfer« und (rhetorischem) »Weihrauch« quasi ins Göttliche. Wilamowitz bot ein facettenreiches Porträt der Persönlichkeit und ihrer Entwicklung vom Preußen zum Deutschen. Bemerkenswert für einen Wissenschaftler ist – gerade wegen seiner Verehrung Bismarcks – die Feststellung, daß jener nicht wissenschaftlich gedacht habe. Politik sei »keine Wissenschaft, sondern Kunst«.179 Abschließend lenkte Wilamowitz zurück zum Krieg, in dem man »getrost im Vertrauen auf Deutschlands Macht und Recht« »auf neue Opfer und Leiden« gefaßt sein müsse. »[D]as allen gemeinsame Heimatsgefühl, Staatsgefühl, die Liebe zu Deutschland und all dem Hohen und Heiligen, was für uns in diesem Namen liegt,« gebe ihnen Kraft und beseitige die Ranges-, Bildungs- und politischen Unterschiede.180 Wilamowitz forderte die »Kommilitonen« auf: »[L]ernen Sie ihn kennen und lieben, versenken Sie Sich [!] in seine Seele, auf daß er Ihnen mitteile, was jeder mit ihm teilen kann, sein Gottvertrauen, seine Königstreue, seine Hingabe an das Vaterland. Die Universität eröffnet Ihnen den Zugang zur Wissenschaft. Wissenschaft ist nicht eines Staates, nicht eines Volkes. Der versündigt sich an ihr, der sie ihres übernationalen, überirdischen Wesens entkleiden will. Aber was wir Sie jetzt vor allem lehren müssen, ist, was wir jetzt selbst an uns erfahren. Was unser Leben füllte, was uns das Köstlichste war, die Arbeit an der Wissenschaft, ist uns nun fast unmöglich geworden, weil unsere Seele nur dem einen Gedanken an das Vaterland Raum gibt. Der Bismarck in uns, das Deutschtum ist stärker selbst als die Wissenschaft. Wir können Sie nichts Besseres lehren, als Sie auf den großen Mann hinweisen, der es noch viel eindringlicher lehrt: Deutschland, Deutschland, über alles, über alles in der Welt!«181
Bismarck war als »Deutschtum« Teil eines jeden Deutschen geworden. Und wichtiger noch: Damit wurde die Wissenschaft, die bislang Priorität hatte, auf den zweiten Platz verwiesen. Durch diese Rangordnung konnte Wilamowitz sogar am Prinzip der Internationalität der Wissenschaft festhalten, ohne daß dieses dem Deutschtum im Wege stand. Daß sein Schlußwort nicht kühl auf die Mobilisierung der Hörer berechnet war, sondern seinem eigenen Fühlen entsprach, belegt der Bericht des Berliner Tageblatts, wonach Wilamowitz die Be-
178 Wilamowitz-Moellendorff, Feier des hundertjährigen Geburtstages, S. 4. 179 Wilamowitz-Moellendorff, Feier des hundertjährigen Geburtstages, S. 21 (Entwicklung zum Deutschen), 6 (Zitat). 180 Wilamowitz-Moellendorff, Feier des hundertjährigen Geburtstages, S. 21. 181 Wilamowitz-Moellendorff, Feier des hundertjährigen Geburtstages, S. 22.
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merkung, daß in der Kriegszeit die Arbeit an der Wissenschaft fast unmöglich geworden sei, »mit vor Rührung fast erstickter Stimme sprach«.182 An diesem Festakt nahmen der Kultusminister, zwei Staatssekretäre und ein Unterstaatssekretär, weitere hohe Beamte des Ministeriums, Generaloberst v. Kessel, der Präsident des Preußischen Abgeordnetenhauses, der Polizeipräsident, der Hofprediger und der Bürgermeister teil. Eingeleitet wurde die Feier mit einem Marsch aus Händels Oper Scipio (über den römischen Feldherrn, der Karthago eroberte) sowie einer Intrada (aus einer Suite) von Melchior Franck. Während dieser Orchesterdarbietung zogen die Professoren feierlich ein. Nach Wilamowitz’ Rede sang man das »Nationallied«, also wohl »Deutschland, Deutschland über alles«,183 und abschließend wurde noch Beethovens »Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre« gespielt.184 Neben ausführlichen Darstellungen des Festakts und Referat der Rede im Berliner Tageblatt und in der Deutschen Warte gab es auch Kritik: Die konservative Deutsche Tageszeitung monierte, daß Wilamowitz Bismarcks Verhältnis zur Wissenschaft »nicht richtig und zugleich zu ungünstig für ihn auffaßt«.185 In Gießen hatte man mit der Vorbereitung einer als »Pflicht« begriffenen »großen akademischen Bismarck-Feier« noch vor Kriegsbeginn angefangen. Ende Juli 1914 hatte Rektor Eck dafür einen Ausschuß benannt, dem er selbst vorsaß. Im Januar 1915 fand eine gemeinsame Sitzung mit dem Ausschuß der Studentenschaft statt.186 Diese Beratung ergab, daß der 1.4. »ungeeignet«, der 182 J. K., Bismarck-Tag (wie A. 175). 183 Die beiden wichtigsten ›Nationallieder‹ waren damals »Die Wacht am Rhein« und Hoffmann von Fallerslebens »Lied der Deutschen«, dessen Titel im Krieg allgemein mit »Deutschland, Deutschland über alles« angegeben wurde (Dietrich Helms, »Das war der Herr von Hindenburg«. Mythenbildung und informelle Propaganda in der deutschen Musikproduktion des Ersten Weltkriegs, in: Stefan Hanheide/Dietrich Helms/ Claudia Glunz/Thomas F. Schneider [Hg.], Musik bezieht Stellung. Funktionalisierungen der Musik im Ersten Weltkrieg, Göttingen 2013, S. 63–100, hier 84, 68). Dem Kontext entsprechend dürfte hier das Deutschlandlied gemeint gewesen sein, vermutlich nicht die Preußenhymne, die bei Veranstaltungen des Reichs als Kaiserhymne anstelle einer eigentlichen Nationalhymne gesungen wurde. 184 Der Festakt in der Universität, in: Deutsche Warte 92, 4.4.1915 (genaue Liste der Ehrengäste, Intrada von Franck). Ausschnitt in: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. I, Nr. 11 Bd. 3, fol. 27; vgl. J. K., Bismarck-Tag (wie A. 175) (mit Darstellung des Einzugs, erwähnt als Musik aber »Entrada von Schütz«). 185 Die Zeitung war das offizielle Organ des Bunds der Landwirte. Sie meinte, daß Wilamowitz’ positiv gemeinte Belege sich faktisch gegen Bismarck wendeten. Dabei bezieht sie sich offenkundig auf den Satz »Sie [unsere Arbeit] ist ihm die graue Theorie geblieben, die er kaum anders ansah als Onkel Bräsig und mancher praktisch tüchtige Landwirt die Agrikulturchemie.« (Wilamowitz-Moellendorff, Feier des hundertjährigen Geburtstages, S. 6). P. B., Bismarck und die Wissenschaft, in: Deutsche Tageszeitung 9.4.1915. Ausschnitt in: GSt APK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. I, Nr. 11 Bd. 3, fol. 28. 186 Rektor Eck an Mitglieder des Gesamtsenats 27.7.1914; Rektorat an Mitglieder des Ausschusses 12.1.1915. Beide: UA Gi Allg. 1345, fol. 109, 108.
1100 Studium und Lehre im Krieg 1.5. »mit Rücksicht auf Beginn des Semesters und die studentischen Korporationen nicht empfehlenswert« sei (was offenbar auf die üblichen Folgen der Maifeiern anspielte). »Falls die politischen Verhältnisse es erlauben, soll an dem bisher üblichen Fackelzug der Studentenschaft an einem Abend in der Zeit der Sonnenwende festgehalten und die sonstige akademische Feier damit organisch verknüpft werden.« Man dachte an einen Festakt in der Aula mit Vortrag eines Historikers. Anschließend sollte der Studentenausschuß vom Senat empfangen werden und ein Fackelzug von der Universität zur Bismarck-Säule ziehen. Nur die Frage eines Kommerses (der im Krieg wohl nicht ganz passend schien) wurde noch »offengelassen«.187 Im Februar lud dann der Oberbürgermeister den Rektor zur Besprechung einer allgemeinen Feier zu Bismarcks 100. Geburtstag ein.188 Diese fand am Vorabend des Jahrestags, also am 31. März, im Gießener Stadttheater statt, wo von der Bühne »aus Blattgrün und Goldlorbeer der wuchtige Kopf des Eisernen Kanzlers« die Festversammlung anblickte. Es gab viel Musik: Zunächst sang ein aus den ganz Jungen und den Alten von 14 Gießener Chören gebildeter »Massenchor« »Theodor Körners herrliche Hymne an den Schlachtenlenker«. Nach der Ansprache des Oberbürgermeisters, die in das Hoch auf Kaiser und Reich mündete, sang die ganze Versammlung die »Nationalhymne« (also wohl »Heil Dir im Siegerkranz«). Es folgte (wohl wieder vom Chor) das von den Soldaten bevorzugte »O Deutschland hoch in Ehren« »mit seinem packenden Rhythmus und dem anfeuernden Schlusse: Haltet aus im Sturmgebraus«, nach der Festrede noch »Geibels Lied auf Vaterlandes Schönheit, Sitte und Art« und als Abschluß der Krönungsmarsch aus der Oper Die Folkunger von Edmund Kretschmer.189 Die Festrede hielt der aus Rußland stammende Theologe Samuel Eck (der im Vorjahr die Vorbereitungen der Universitätsfeier in die Wege geleitet hatte) und vermied dabei, wenn man dem Berichterstatter des Gießener Anzeigers glauben darf, all’ jenen Schwulst, in dem dieser selbst schrieb; denn Eck »ging in weitem Bogen all dem geräuschvollen Glanze [!] aus dem Wege, der sich bei der Betrachtung von Bismarcks ruhm- und ehrenumprangter Gestalt so leicht in Wort und Anschauung stiehlt.«190 Auch Eck zeichnete ein Lebensbild, in dem er 187 Rektorat der LU Gi an Rektor der Univ. [offen; offenkundig Entwurf eines Rundschreibens an alle deutschen Universitäten als Antwort auf die Breslauer Umfrage] 24.1.1915: UA Gi Allg. 1345, fol. 105 (fol. 102 dass. mit kleinen stilistischen Korrekturen). 188 OB der Stadt Gießen an Rektor 13.2.1915: UA Gi Allg. 1345, fol. 89. 189 Welches Gedicht damit gemeint war, konnte anhand seiner Werkausgabe nicht geklärt werden. Laut NDB 6 (1964), S. 139 f. (Adalbert Elschenbroich) gibt es 3600 Vertonungen von Geibels Gedichten. 190 Die Bismarckfeier in Gießen, in: GA 77, 1.4.1915, Zweites Blatt. S. als besonders charakteristisches Beispiel auch den Beginn des Artikels: »Die Blüte des Volkes gräbt [!] den Namen des Reichsschmiedes [!] draußen mit ihrem Schwert [!!] und unter dem Opfer ihres Herzblutes von neuem und mit gigantischerem Ausdruck [!], als ein Wort es sagen kann, in den Gang der Geschichte [!] ein, (…)«.
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die ihm wichtigen Charakterzüge hervorhob, etwa, daß Bismarck durch seinen Willen zum Glauben fand. Und dessen berühmten Ausspruch »Wir Deutschen fürchten Gott und sonst nichts auf der Welt« interpretierte der Theologe natürlich, indem er die erste Satzhälfte betonte: »Denn wir Deutsche fürchten Gott, und dann brauchen wir sonst nichts zu fürchten.« Vor allem aber stellte Eck Bismarck als planvollen und erfolgreichen Macher dar. »Er, der Stockpreuße, wird Preußens König zum Kaiser machen, um Deutscher zu werden.« Eck, der als Offenbacher Pfarrer auch ein fast 200seitiges Buch über Goethe geschrieben hatte, rief diesen quasi zum Zeugen für seine Charakterisierung Bismarcks an. »Über allem Grübeln die Tat. Diese Weissagung Goethes realisierte er«, berichtete der Gießener Lokalreporter. Selbstverständlich zog auch Eck eine Verbindung zwischen Bismarck und dem Weltkrieg. »Die Weltgeschichte« habe der Feier »den Stil« gebracht, den »Festordner (…) vertreten. In dem Stil allein, der dem Gewaltigen ziemt, stellt sie ihn vor alle Völker der Erde auf die Bühne des Weltkrieges: Es soll das Werk den Meister loben. Und Millionen Fäuste krampfen sich in Wut, daß er unser war, wir aber blicken in heißer Liebe zu ihm denn Er hat uns ein 1914/15 geschenkt und ermöglicht.«
Zwar spricht in diesen Worten nicht Eck selbst – doch belegen sie zumindest, wie seine Rede bei entsprechender Neigung aufgefaßt und von der Lokalzeitung einer breiteren Öffentlichkeit vermittelt wurde. In dieser Perspektive ist der Weltkrieg keine Katastrophe, kein Leid für Millionen, sondern ein ›Geschenk‹ für die Zeitgenossen und eine Inszenierung der Weltgeschichte zum Preise Bismarcks… Eck erinnerte an die 1913 aufgeworfene Frage, ob Gleiches wie 1813 noch einmal möglich sei. »Wir staunten, daß dieselbe Sehnsucht, die gleiche Hingabe wieder in Flammen emporloderten.« Inwiefern es aber »heute anders als damals« war, erschließt sich dem Leser nicht.191 Im Sommer folgte dann der geplante Festakt von Lehrkörper und Studentenschaft. Als Gäste nahmen daran der Rektor der neuen Universität Frankfurt, der Provinzialdirektor, der Oberbürgermeister und der Bezirkskommandeur teil. Rektor Sommer rekapitulierte die Vorgeschichte der Feier mit dem sich anbahnenden »nationale[n] Wettstreit zwischen den beiden Gruppen«. Doch was durch den Krieg dann zunächst in den Hintergrund gedrängt worden sei, sei gerade durch ihn »zu riesiger Gestalt« gewachsen. Das Datum der Feier (25.6.), das man schon im Wintersemester festgelegt hatte, interpretierte Rektor Sommer nun als gutes Omen: »Lemberg ist zurzeit der Sonnenwende gefallen und jetzt feiern wir unser Bismarckfest!« Man pries das »wahrhafte Genie« als »das Urbild deutschen Geistes!«192 Der Vorsitzende des Ausschusses der Studen191 Denn es folgt der Satz: »Zwischen 1813 und 1914 stand die Zeit von 1870/71, stand Bismarck.« (Wie A. 190). 192 Akademische Bismarckfeier, in: GA 26.6.1915.
1102 Studium und Lehre im Krieg tenschaft, ein Mathematiker und Naturwissenschaftler, der schon am Ende seines Studiums stand,193 rückte die im Feld stehenden Kommilitonen in den Mittelpunkt der Feier, die er »dem Gedächtnis derer [zu] weihen« aufforderte, »die kämpfend für die Freiheit des Vaterlandes den Heldentod in Feindesland starben, treu dem Gelöbnis (…) ›litteris et patriae ad utrumque parati‹«, das sie bei früheren Feiern am Bismarckturm abgelegt hätten und das ja auch das Motto der Gießener Universität war.194 Der Neuzeithistoriker Gustav Roloff bot in seiner Festrede eine »von keinerlei Äußerlichkeiten (…) geschmückte« streng historische Würdigung von Bismarcks Lebenswerk. Gerade damit ließ er aber »die ungeheure, übermenschliche Verantwortung, die der Kanzler vor dem Weltgericht zu tragen berufen war«, um so leuchtender hervortreten. Ebenso wie Ecks Vortrag einige Monate zuvor blieb auch dieser ungedruckt und ist nur aus der zeitgenössischen Lokalberichterstattung bekannt, wo er als ausgezeichnete Ergänzung des Eckschen verstanden wurde. Bei Roloff scheint die Überwindung äußerer Gegner und innerer Widersacher im Vordergrund gestanden zu haben, indem er sie zu Verbündeten gemacht (Österreich) und für sein Werk gewonnen habe (Zentrum und Sozialdemokraten), welches sie nun verteidigten. In Roloffs Vortrag scheint der Kriegsbezug auf das Minimum, daß die Feinde Bismarcks Werk zerstören wollten und daß ehemalige innenpolitische Gegner es nun verteidigten, reduziert gewesen zu sein. Am Ende der Feier gedachte der Rektor noch der glänzenden militärischen Leistungen und brachte Hochs auf das Heer, den Kaiser und den Landesherrn aus, so daß auch diese Versammlung in das Deutschland-Lied mündete. Diese eigene Feier der Universität drei Monate nach der allgemeinen dokumentiert die Festigung der eigenen Gemeinschaft, bei einer gewissen Abgrenzung nach außen.195 In Berlin zeigten sich anläßlich der allgemeinen Bismarck-Feiern noch andere Risse innerhalb der Hochschulwelt und der ›Volksgemeinschaft‹: Für die Feier vor dem Reichstagsgebäude saß dem Festkomitee der Staatssekretär des Innern Clemens von Delbrück vor. Knapp zwei Wochen vor der Feier bat der Berliner Korporierte und Theologiestudent (vermutlich fortgeschrittenen Semesters) Adolf Kurtz, als Vertreter des Studentenausschusses der Universität und sechs weiterer Berliner Hochschulen zu der Vorbesprechung zugelassen zu werden. Für den Fall der Ablehnung dieser 193 Wilhelm Flörke (im Zeitungsbericht nur »Floerke«). Identifikation nach PB LU Gi SS 1915, S. 47 (immatrikuliert seit SS 1911). 194 Akademische Bismarckfeier (wie A. 192; Kursive i. O. gesperrt). Die Texte beider Reden waren der Lokalzeitung vorher zugegangen, und sie hielt sich an den Wortlaut. Typoskript der Ansprache von Rektor Sommer mit hs. Korrekturen und Vermerk der Bitte an »Floerke«, ein Exemplar seiner Ansprache an den Gießener Anzeiger zu schicken; Ansprache des Vorsitzenden des Ausschusses der Gießener Studentenschaft (auf dem Briefpapier des Ausschusses). Beide: UA Gi Allg. 1345, fol. 3–3v, 2–2v. 195 Letztere wurde noch deutlicher in der Gießener Gefallenenehrung (s. u.).
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Bitte beantragte er, daß 150 Chargierten die Teilnahme an der Feier genehmigt werde. Dabei möge man berücksichtigen, daß diese auf Wunsch des Rektors auch an der Bismarckfeier der Universität teilnehmen (beide Termine sich also nicht überschneiden) sollten.196 Fast drei Monate nach der Feier am BismarckDenkmal protestierte der Zentralausschuß der Berliner Studentenschaft (jetzt ohne die der Universität!) aber gegen die Regelung und den tatsächlichen Ablauf der Feier. Einem Erlaß zufolge hatten nur Studenten im Wichs teilnehmen dürfen. Offenbar sei es der Festleitung weniger auf die Beteiligung der Studentenschaft an sich als auf die »Hebung des äußeren Bildes der Feier« angekommen, die Studenten also nur als Dekoration benutzt worden. Einem Zeitungsbericht zufolge lockte das Schauspiel – von 19–21 Uhr kreuzten sich die Lichtkegel von fünf Scheinwerfern immer wieder – Massen von Zuschauern aus den benachbarten Stadtvierteln an. Eigentlich hatten während des Gesangs von Knabenchören 150 Studenten an dem Denkmal vorbeimarschieren sollen; doch hielten viele Festteilnehmer die Feier mit der Kranzniederlegung der Behörden für beendet und schoben sich zwischen das Denkmal und die Studentenschaft, um diese Kränze zu betrachten. Nun mußte sich pro Hochschule je ein Vertreter, »durch die Reihen der Festteilnehmer hindurchzwängen«, um den Kranz der Studentenschaft am Denkmal niederzulegen. Dadurch sei der studentische Zug »vollkommen zerrissen« worden. Künftig werde sich der Zentralausschuß der Berliner Studentenschaft nur noch an Feiern beteiligen, für die ihm strikte Einhaltung der Festordnung zugesichert werde.197
Das Reformationsjubiläum 1917: Luther, der ›deutsche Recke‹ Das nächste große nationale Jubiläum war der 400. Jahrestag von Luthers (damals noch für eine gesicherte Tatsache gehaltenem) Anschlag seiner Thesen an der Wittenberger Kirche. Die Tradition der Reformationsjubiläen reichte bis 1617 zurück, und seit 1667 wurden sie sogar in 50jährigem Abstand begangen. Ursprünglich kirchliche Identitätsfeiern, hatten sie sich im 19. Jahrhundert zu Bürgerfesten entwickelt, an denen auch Katholiken teilnahmen. Die Univer 196 Adolf Kurtz an den Staatssekr. des Innern Staatsmin. Dr. Delbrück 18.3.1915: GStAPK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. I, Nr. 11 Bd. 3, fol. 23–23v. Die Korporationszugehörigkeit ergibt sich aus der Unterschrift mit Zirkel. Die Person wurde identifiziert nach AV FWU Berlin SS 1915, S. 153. Da Kurtz seit WS 1915/16 eingeschrieben war, aber die Matrikelnummer 351 trug, war er damals vermutlich an die Universität Berlin zurückgekehrt, an der er früher schon einmal studiert hatte. 197 Zentralausschuß der Berliner Hochschulen an Pr. MdI 22.6.1915: GStAPK I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. I, Nr. 11 Bd. 3, fol. 44–45. Das Schreiben für sechs Hochschulen trug fünf Unterschriften, davon nur zwei mit Zirkel. Bericht über »Das Bismarck-Denkmal im Licht der Scheinwerfer« in: J. K., Der Bismarck-Tag (wie A. 175). Ohne Details auch schon kurz erwähnt bei Basler, Zur politischen Rolle der Berliner Universität, S. 200.
1104 Studium und Lehre im Krieg sitäten, die von Anfang an neben das »klassische Festlokal« Kirche getreten waren, gingen im 19. Jahrhundert von lateinischen zu deutschen Jubiläumsreden über, »weil mehr Echtheit des Gefühls gefordert war«.198 1830 etwa nutzte Hegel als Rektor der Berliner Universität das Gedenken zum 300. Jahrestag der Übergabe der confessio Augustana, um die bürgerliche Freiheit zum Erbe der Reformation zu erklären. So konnten künftig auch »recht konkrete Bürgerrechte zu den Jubelterminen eingeklagt werden«. Im ausgehenden 19. Jahrhundert wurde »das Luthergedenken« dann »zur Feier des vermeinten deutschen National charakters«. Der Erwartungshorizont war also schon damals nicht mehr primär religiös.199 Das Jubiläum 1917 fand in einem Stimmungstief statt: nach der monate langen Schlacht um Verdun 1916 und der Erfahrung des Hungerwinters 1916/17, der die Versorgung im Frühjahr 1917 auf einen Tiefstand geführt hatte. Die Vorbereitungen des Jubiläums hatten schon Jahre vor dem Krieg begonnen. Doch nun wurde die große Feier in Wittenberg kurzfristig abgesagt und auf 1918 verschoben. Daher wurde die Veröffentlichungsflut zum Charakteristikum dieses Gedenkjahres. Sie vermittelt »allerdings weniger den Eindruck von Stille und Selbstbesinnung als den eines übergroßen Lärms.« An der populären wie der gehobenen Reformationspublizistik beteiligten sich auch die Professoren. Von den Berliner Theologen wirkten daran zumindest Holl, T roeltsch und S eeberg mit; Harnack verfaßte sogar die Festschrift der Stadt zu diesem Anlaß (»für die evangelischen Schulen« und, seiner eigenen Hoffnung nach, auch für Erwachsene). Doch auch der Historiker Dietrich Schäfer erhob seine Stimme. Das Thema »Luther und der Krieg« wurde, wie unter anderem an Karl Holl zu sehen ist, 1917 übrigens viel zurückhaltender erörtert als in den ersten Kriegsjahren. Das am häufigsten behandelte Thema dieses Jahres war »Luther und Deutschland«, so etwa in den Schriften des Berliner Theologen S eeberg, des Germa nisten Roethe, ihres ehemaligen Historikerkollegen Lenz und des Münchner Historikers Marcks.200 Seeberg, der schon 1914 über »Christentum und 198 Alles nach Johannes Burkhardt, Reformations- und Lutherfeiern. Die Verbürger lichung der reformatorischen Jubiläumskultur, in: Dieter Düding/Peter Friedemann/ Paul Münch (Hg.), Öffentliche Festkultur. Politische Feste in Deutschland von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg, Reinbek 1988, S. 212–236, hier 212 f., 219–221, Zitate 220, 219. 199 Burkhardt, Reformations- und Lutherfeiern, S. 224–226, Zitate 224, 225. 200 Gottfried Maron, Luther 1917. Beobachtungen zur Literatur des 400. Reformationsjubiläums, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 93 (1982), S. 177–221, hier 177, 179 (Zitat), 182 f., 187, 190 f. Zitat Harnacks: Adolf von Harnack, Martin Luther und die Reformation. Festschrift der Stadt Berlin zum 31. Oktober 1917, Berlin 1917, S. 4. Gustav Roethe sprach in Hamburg, Nordhausen und Berlin über: D. Martin Luthers Bedeutung für die deutsche Literatur (in: Gustav Roethe, Deutsche Reden, Leipzig [1927], S. 134–171). Natürlich mündete auch diese Rede in aktuelle Überlegungen und schloß »Das Reich muß uns doch bleiben!« (S. 171).
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Germanentum« reflektiert hatte, schrieb nun, die Reformation sei »das deutsche Verständnis des Christentums«. Für ihn war sie dadurch erstanden, daß »der Deutsche am Christentum sucht, wessen seine Geistesart bedarf, und daß er daher allmählich das lateinische Verständnis des Christentums ausscheidet«.201 Und sogar Harnack schrieb, daß unter einem spanischen Kaiser Luther »den deutschen Geist erweckt« habe, »der durch Selbständigkeit und Freiheit, freilich erst nach einer langen Entwicklung, auch zur Einheit kommen sollte.«202 Er bezeichnete ihn als »Führer des Volkes«, »Vater« und »Urbild« der Deutschen.203 Auch sein Theologenkollege in der Philosophischen Fakultät Troeltsch sah in Luthers Wesen das Deutsche zwar mächtig hervortreten, hielt es jedoch (wie implizit auch Harnack) nicht für die Hauptsache. Das sei vielmehr »seine religiöse Predigt in ihrer Bedeutung für die Seele überhaupt und für die Gemeinschaft der Seelen, wo immer in aller Welt [!] sie im Glauben und Aufblick zu dem Herrn der Kirche sich treffen«.204 Der Gießener M artin Schian erörterte ausgerechnet 1917 in seiner auch als Artikel publizierten Rektoratsrede Bedenken gegen die »deutsche Frömmigkeit« und den »völkischen Glauben«.205 Für ihn stand das Reformationsgedächtnis unter einem ›Dennoch‹. Das Jahr eigne sich schlecht zum Jubeljahr. »Dennoch werden wir feiern (…) Aber es wird ein stilles Feiern werden, ein Feiern in ernster Selbstbesinnung und ernster Rück- und Vorschau.« Die Absage der Wittenberger Feier erschütterte Schian.206 Der Reformationstag selbst fiel dann mit dem Rücktrittsgesuch des im Juli erst ernannten, bewußt protestantischen Reichskanzlers Michaelis zusammen, was Schian regelrecht bestürzte.207 Immerhin hatte er im Laufe des Jahres beobachtet, daß in breiten Schichten des Katholizismus die Empfindung lebendig war, »daß der evangelische Volksteil sein gutes Recht habe, seinen Luther zu feiern«.208 Doch legte umgekehrt der Burgfrieden, der am Anfang des Krieges ja auch zwischen den Konfessionen eingetreten war, den protestantischen Festred201 Zitiert bei Maron, Luther 1917, S. 193 f. (aus: Zeitschrift für Kirchengeschichte 1917). 202 Hätte es nicht diesen Kaiser und die politische Unfähigkeit der »evangelischen Fürsten und Magistrate« gegeben, »so wäre Deutschland durch die Reformation, für die das ganze Volk vorbereitet war, schon im 16. Jahrhundert zu kirchlicher und geistiger Selbständigkeit gelangt«. Harnack, Luther, S. 51. 203 Harnack, Luther, S. 53. Vgl. auch zusammenfassend S. 63: »Unter allen echten und großen Deutschen ist er der echteste und größte.« 204 Ernst Troeltsch, Ernste Gedanken zum Reformationsjubiläum, in: Deutscher Wille (Des Kunstwarts einundreißigestes Jahr) 31/1 (1917/18), S. 87–91, Zitat 88. 205 Siehe o. S. 1076; Beleg für den Artikel gleichen Titels (in: Deutsch-Evangelisch 8 [1917]) bei Maron, Luther 1917, S. 198. 206 Zitat: Deutsch-Evangelisch 8 (1917), S. 135, zit. bei Maron, Luther 1917, S. 179. Dort auch Beleg aus Deutsch-Evangelisch 8 (1917), S. 329 zur Erschütterung. 207 Maron, Luther 1917, S. 208 f. 208 Zitiert bei Maron, Luther 1917, S. 210.
1106 Studium und Lehre im Krieg nern auch eine gewisse Zurückhaltung auf. Dies galt um so mehr, als bei einer Besprechung der Berliner Studentenschaft im Juli 1917 katholische Studenten Einspruch gegen eine Lutherfeier der Universität erhoben hatten und darin von Burschenschaftern unterstützt worden waren. Ein Journalist der Kölnischen Volkszeitung, die dies wegen der Wahrung des Burgfriedens nicht umgehend publik machen wollte, wandte sich (als bedeutendste überregionale katholische Zeitung Deutschlands) mit den studentischen Protestargumenten aber an den Hochschulreferenten im Preußischen Kultusministerium: Die Universität sei »ein paritätisches, staatliches Institut, an dem Katholiken und Juden und Nichtgläubige gleichen Rechts seien wie Protestanten.« Eine Lutherfeier der Universität verletze die religiösen Gefühle der Katholiken. Denkbar sei eine Feier evangelischer Akademiker und Professoren in der Aula, aber nicht als Veranstaltung der Universität. Doch sei eine solche den Studenten zufolge »von oben verlangt« worden. Dem widersprach der Hochschulreferent: Die Universität befolge damit die »Übung (…), die durch die Lutherfeier von 1883, die Melanchthonfeier von 1897 und die Calvinfeier von 1909 traditionell gegeben« gewesen sei. Im übrigen habe der Senat den Beschluß unter Vorsitz eines katholischen Rektors gefaßt.209 Solche Überlegungen machen auch manche Äußerung beim Jubiläum selbst verständlicher. Harnack empfahl den Protestanten sogar, von den Katholiken, »unsre[n] Brüdern«, zu lernen, »vor allem von ihrer Anhänglichkeit an ihre Kirche und ihrer Opferwilligkeit«.210 Manche protestantischen Universitäten – wie Erlangen, Halle-Wittenberg, Marburg, Greifswald – hielten einen eigenen Festakt in der Aula ab. Universitäten in katholischer Umgebung veranstalteten einen Festakt der EvangelischTheologischen Fakultät – so etwa Breslau und Straßburg –, oder beschränkten sich gar auf einen öffentlichen Vortrag. In Freiburg z. B. referierte der Historiker Below über »Die Bedeutung der Reformation für die politische Entwicklung«.211 Von den drei hier im Mittelpunkt stehenden Universitäten hielten die Berliner und die Gießener einen universitären Festakt ab, der in Berlin vom Akademischen Senat veranstaltet und in dessen Auftrag von der Theologischen Fakultät vorbereitet wurde, während in Gießen die Fakultät ihn beantragt und der Senat 209 Kölnische Volkszeitung und Handelsblatt (Dr. Hans Eisele) an Hochschulreferent des Pr. KuMi 27.7.1917; Hochschulreferent des Pr. KuMi an Dr. Hans Eisele 11.9.1917; GSt APK beide: I. HA Rep. 76 KuMi Sekt 2, Tit. I, Nr. 11 Bd. 3, fol. 98–99, 101. Zur Kölnischen Volkszeitung s. Andreas Burtscheidt, Die Geschichte der Kölnischen Volkszeitung: www.rheinische-geschichte.lvr.de/themen/Das Rheinland im 20. Jahrhundert/ Seiten/Koelnische Volkszeitung.aspx (28.1.2014). 210 Harnack, Luther, S. 3. 211 S. die Rundschreiben der protestantischen Universitäten Erlangen, Halle-Wittenberg, Marburg und Greifswald an sämtliche deutschen Rektoren (4.–24.8.1917): UA Gi PrA 1376, fol. 64, 68, 69, 65; der Universitäten Breslau und Straßburg fol. 66–67, der Universität Freiburg 16.10.1917, fol. 63.
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ihn dann einstimmig beschlossen hatte.212 Beide wurden auch in eigenen Universitätspublikationen dokumentiert, während zwei Straßburger Reden zur Reformation in einer theologischen Reihe erschienen. Im Jahresbericht des Rektors wurde der dortige Festakt der Evangelisch-Theologischen Fakultät in der Aula aber nur mit einem Satz erwähnt.213 Mit ihrem Wechsel von Musik und Ansprachen ähnelte die Gestaltung der Feiern jenen zum Kaisergeburtstag und zum Bismarck-Gedenken, wobei aber ein Werk Luthers quasi dazugehörte. In Berlin war es eine von ihm kom ponierte Motette, in Gießen stand am Ende das Lied Ein’ feste Burg, das im Ersten Weltkrieg nicht nur ein »Schutz- und Trutzlied« war, sondern zu den wichtigsten »Kampfliedern des preußisch-protestantischen Deutschlands« gehörte.214 Daneben präsentierte der studentische Chor in Berlin zwei Gesänge aus dem 16. und 18. Jahrhundert (Bach!), und am Anfang stand ein Präludium für Bläserchor, das Max Bruch speziell für diesen Festakt komponiert und der Friedrich-Wilhelms-Universität gewidmet hatte. Ausgeführt wurde es von »Königlichen Kammermusikern«.215 Obwohl in Berlin betont wurde, daß als »Schmuck« nur »die aufgeschlagene Bibel« auf der Cathedra inferior gelegen habe, ließ man es also an prächtiger Umrahmung der Feier in der »von Professoren, Studenten und Bürgern überfüllten Großen Aula« nicht fehlen! Die Bedeutung des Anlasses wurde auch durch die Ehrengäste unterstrichen, zu denen der Kultusminister »mit seinen Räten«, der geistliche Vizepräsident des Oberkirchenrats und Oberhofprediger, der Präsident des Kammergerichts, der Kommandant von Berlin gehörten.216 Auch in Gießen war eine »zahlreiche Fest versammlung aus der Bürger- und Beamtenschaft« erschienen, darunter auch der Garnisonskommandeur, der einige Tage später noch nach einem Druck der Rede fragte, die er gern »genauer durchstudier[en]« wollte.217 Außerdem waren überall auch die Angehörigen der Dozenten eingeladen.218 212 Reformationsfeier der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin am 31. Oktober 1917, Berlin 1917, S. 3; Gustav Krüger, Der Genius Luthers. Akademische Rede gehalten zur vierten Jahrhundertfeier der Reformation am 31. Oktober 1917 in der Neuen Aula der Universität, Gießen o. J., S. 3. 213 Zwei Straßburger Reden zur Reformationsjubelfeier, Leipzig 1918; Stiftungsfest der KWU 1918, S. 12. 214 Helms, Informelle Propaganda in der deutschen Musikproduktion, S. 72 (Zitat aus zeitgenössischem Musikkatalog); Editorial, in: Musik bezieht Stellung, S. 8–12, Zitat 10. 215 Reformationsfeier der FWU Berlin, S. 4, 34; das Gießener Programm auf der gedruckten Einladungskarte: UA Gi PrA 1376, fol. 1. 216 Reformationsfeier der FWU Berlin, S. 41 A. (Schmuck), 3 (Publikum). 217 Reformationsfeier der Universität, in: GA 31.10.1917; Garnisonskommandeur an Rektor Gi 3.11.1917: UA Gi PrA 1376, fol. 42. Vgl. dort auch die Einladung an die Bürgerschaft in den beiden Lokalzeitungen: GA 254, 29.10.1917, Zweites Blatt, und Oberhessische Volkszeitung 255, 30.10.17 (fol. 45, 43). 218 Beleg für Gießen: Gisevius, Der Boden als Betriebsmittel, S. 8; für Straßburg: Dekan Schultz an Kollegen der Phil. Fak. 29.10.1917: ADBR 62 AL 38.
1108 Studium und Lehre im Krieg In allen drei Festakten waren die Reden ganz theologisch gehalten. Trotzdem war die Gießener von einem starken Bezug auf den Krieg geprägt und stellte den ›deutschen Luther‹ heraus, während der letztgenannte Aspekte in Straßburg völlig fehlte und Johannes Ficker, der dort auch in dieser Zeit noch als »un ermüdlicher« Leiter der Kriegsstelle wirkte, in seinem kirchenhistorisch-theologischen Vortrag über »Luther 1517« nur in einer allgemein-poetisierenden Weise auf den Krieg anspielte.219 (Übrigens wiederholte er diese Rede in der Freiburger Ludwigskirche am 4. November, so daß der dortige historisch-politische Vortrag Belows doch nicht das letzte Wort zur Reformation blieb.220) In Berlin kam Karl Holl in seiner Festrede über Luthers Auffassung der Religion (in der er das zeitgenössische Verständnis aus der Antike über die Scholastik herleitete und auch nach der Art der Frömmigkeit und ihren Defiziten fragte) erst in den beiden Schlußsätzen auf die ›deutsche Frage‹ zu sprechen, aber auch dies in einer religionsspezifischen Variante: »Ist diese Auffassung der Religion in auszeichnendem Sinne deutsch? Ist Luthers Religion die deutsche Religion?« Er beantwortete seine Fragen positiv: »Deutsch ist gewiß daran der Mut, persönliche Verantwortung zu tragen, die Entschlossenheit, aufs Letzte zu gehen, der gleichmäßige Sinn für das Heldische wie für das Zarte, die Kraft der Zusammenschau, die alles durchstrahlende Herzenswärme, auch die Eckigkeit und der Hang zur Schwermut, der erst durch den Druck des Gewissens sich zur Tat bewegen läßt.«
Auf diese Weise bestätigte Holl das deutsche Selbstbild, insbesondere auch in seiner zeitspezifisch-heldischen Komponente. Doch im allerletzten Absatz fiel dann der Theologe dem ›Deutschen‹ wieder ins Wort; denn es »wäre doch ebenso Selbstüberhebung von unserer Seite wie Herabsetzung Luthers, wenn wir ihn für uns allein in Anspruch nehmen wollten.« Schon in den ersten Jahren der Reformation habe sein Wort in anderen Ländern die »Gemüter« geweckt. Das bestätige, »daß Luthers Deutung der Religion, wie sie aus dem Innersten geschöpft war, so auch den Menschen als Menschen ergreift. Luther gehört nicht nur uns, er gehört der Menschheit an. Und darum sind wir der getrosten Zuversicht, daß sein Werk der Menschheit bleiben wird.«221 219 »Uns umrauschen die schwarzen Fittiche eines furchtbaren, ungeheuren Geschehens, das alles menschlichen Begreifens spottet und das alle unsere gewohnten Maßstäbe zerbricht.« Daran knüpfte er direkt die Hoffnung, »daß doch in uns mit dem Neubewußtwerden großer Erinnerungen die Kraft des Charakters sich erneue, die mit dem Einsetzen des ganzen Lebens gerade durch das Schwerste und Unbegreifbare sich emporheben läßt zu dem unbedingten Wirkenlassen des Ewigen.« (Zwei Straßburger Reden, S. 26; Zitat über seine Tätigkeit nach Stiftungsfest der KWU 1918, S. 6). 220 Erwähnt im Vorspann zu den Anmerkungen, S. 27. Demzufolge war der Vortrag im Vergleich zum gedruckten Text auch gekürzt, vor allem in den Zitatteilen. 221 Rede Holls in: Reformationsfeier der FWU Berlin, S. 5–33, alle Zitate 33.
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Am markigsten präsentierte den ›deutschen Luther‹ der Gießener Theologe Gustav Krüger, der sich mit 52 Jahren noch als Kriegsfreiwilliger gemeldet hatte und den Militärdienst in der Heimat mit der Lehre verband, der keine annexionistischen Forderungen erhoben hatte und weniger als drei Wochen nach dieser Reformationsfeier eine Erklärung gegen die Vaterlandspartei unterzeichnen sollte. 100 Jahre früher hatte die ihrem Ursprung nach reformatorische Universität Gießen mit Rücksicht auf katholische Angehörige des Lehrkörpers und der Studentenschaft auf die Reformationsfeier verzichtet! Und auch 1917 wollte Krüger »nicht sprechen als Glied der evangelischen Kirchengemeinschaft, zu der ich mich mit Freuden bekenne. Ich habe zu sprechen als Mitglied der Hochschule«, deren zuständiges Gremium den Beschluß zur akademischen Feier einstimmig gefaßt hatte. Daher erörterte Krüger die »Reformation als besonders bedeutsame[n] Abschnitt unserer Volksgeschichte«, der »ohne Rücksicht auf konfessionelle Bedenken gewürdigt werden« müsse, aber auch, »ohne kon fessionelle Empfindlichkeiten aufzustören«, gewürdigt werden könne.222 Als Ausgangspunkt seiner weiteren Erörterungen nahm Krüger das Diktum des geistigen Vaters (aber nicht Mitglieds!) der Altkatholiken und Vordenkers der Ökumene, des 1871 exkommunizierten Münchner Theologen (und Rektors der Universität) Ignaz (von) Dollinger: »Hätte es keinen Luther gegeben, Deutschland wäre doch nicht katholisch geblieben.« In Luther, den Krüger nicht als mit der Reformation identisch betrachtete, sah er »etwas vom Genius unseres Volkes verkörpert«. »Seine Seele ist unseres Volkes Seele.«223 Zwar verstand er die Glaubensspaltung auch als Spaltung der Nation, sah aber nicht Luther als Schuldigen dafür, sondern »diejenigen, die den Karren der deutschen Nation weiterzuschieben berufen waren, allesamt, Fürsten, Staatsmänner, Geistliche. Es war das Verhängnis der Nation, daß in der Zeit, da sie sich erstmalig reckte zu künftiger Größe, an ihrer Spitze ein Fremder stand, dem von echtem deutschen Blut kein Tropfen in den Adern rollte, und weiter, daß sich unter den deutschen Fürsten keiner fand«, der »deutschem Wesen in Staat und Kirche zum Durchbruch zu verhelfen« imstande gewesen sei:224 »Er zerbricht das Joch; hoch aufgerichtet, frei den Nacken, steht der Recke da, kein Heiliger, ein Ketzer, wenn je einer gewesen ist, aber ein Ketzer von Gottes Gnaden.«225
Der Glaube, den Luther lebendig gemacht habe, sei zeitlos, auch Habakuk, Paulus und Augustin hätten ihn gekannt. Durch seine religiöse Tiefe habe er schnelle Verbreitung gefunden 222 Krüger, Genius Luthers, S. 3 f. 223 Krüger, Genius Luthers, Zitat Döllingers S. 5, Bewertung Luthers S. 8. Zu Döllinger s. BBKL 1 (1990), Sp. 1344–1347 (Friedrich Wilhelm Bautz). 224 Krüger, Genius Luthers, Glaubensspaltung S. 5, Zitat »Genius« 8, Zitate zur Schuldfrage 9 f. 225 Krüger, Genius Luthers, S. 12.
1110 Studium und Lehre im Krieg »weithin über die Grenzen unseres Vaterlandes hinaus. Mit seiner Aufrichtigkeit, seiner Demut, seiner Glaubenszuversicht und seinem Gottvertrauen ist Luther zum Roland seines Volkes geworden. Er hält an seinem Volk die Wacht, wie der Riese am Rathaus zu Bremen.«226
Der der Reformation zugrundeliegende Glaube war Krügers Überzeugung zufolge also überzeitlich und übernational, ebenso ihre Wirkungen. Doch ein Deutscher hatte die Reformation (und damit die Rückkehr zu diesem Glauben) ausgelöst – und war damit zugleich zum Beschützer seines eigenen Volkes geworden. Ohne den übernationalen Charakter des christlichen Glaubens zu leugnen, konnte Krüger die Reformationsfeier auf diese Weise entkonfessionalisieren und nationalisieren. Wie diese Rede aufgenommen wurde, ist kaum zu ermitteln. Allerdings ging ihr eine Ansprache des Rektors (des Agrarwissenschaftlers Gisevius) voraus, die die Wirkung ganz in eine, die nationale Richtung zu lenken versuchte: »So verliert sogar die Persönlichkeit Luthers für uns den konfessionellen Charakter und seine universelle historische Bedeutung, sein unleugbarer Einfluss auf unser Deutschtum treten dafür in den Vordergrund«. Und »[w]ie unsere Feldgrauen draussen sich gelegentlich zur Erbauung alle zusammen finden, gleichgültig welcher Konfession der Prediger bei einem Feldgottesdienst angehört, so finden wir uns hier als Heimatheer alle vereinigt«.
Im »Gefühl unserer Volksgemeinschaft« schwänden alle anderen Unterschiede. Auch Luthers Lied Ein’ feste Burg erhielt im Zusammenhang des Krieges eine neue Bedeutung: Es »klingt heute dem kämpfenden Deutschen nicht als konfessionelles Kampflied in den Ohren, sondern es passt in seiner markigen Melodie und in seiner kampfmutigen Weise für uns alle, wenn wir die Worte hören: ›Lass fahren dahin, sie habens kein Gewinn, das Reich muss uns doch bleiben.‹«227
Gewiß, der Text des Liedes, der ganz von militärischer Metaphorik geprägt ist, lädt zur Instrumentalisierung ein, und bereits seit den Befreiungskriegen wurde es national aufgeladen. Aber die Umdeutung des himmlischen in das Deutsche Reich erscheint doch als grobe Profanierung. Die vom Rektor gebotene Deutung wurde mit einem weiteren ungezeichneten Artikel des Gießener Anzeigers, der nur allgemein als »Reformationsfeier 1917« überschrieben war, noch verstärkt. Auch wenn es dabei nicht ausdrücklich um die Feier der Universität ging (aber
226 Krüger, Genius Luthers, S. 15. 227 Der Redetext des Rektors ist als Manuskript erhalten in UA Gi PrA 1376, fol. 52–53 und komplett abgedruckt in: Reformationsfeier der Universität, in: GA 31.10.1917.
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auch nicht konkret um eine andere!), so wurden die Gedanken Krügers und Gisevius’ hier noch weiter zugespitzt: »Von der Schwärmerei der Weltverbrüderung hat uns der Weltkrieg gründlich ernüchtert; er hat uns gelehrt, mit gesundem Stolz uns dankbar darauf zu besinnen, was Gott der deutschen Art vor andern vorausgegeben hat«
– und das habe sich bei niemandem vollkommener verkörpert als bei Luther. Allerdings heißt es in dem offenkundig von einem Pfarrer oder Theologen verfaßten Artikel auch: »Nie hat Luthers unbestechlicher Wahrheitssinn und tiefe Gewissenhaftigkeit die Vermischung von Weltreich und Gottesreich geduldet.«228 Daran, daß die Entkonfessionalisierung wirklich gelang, wecken neben den Berliner studentischen Bedenken im Vorfeld auch die Wiedereinrichtung des protestantischen Universitätsgottesdienstes und des Amtes des Universitätspredigers in Gießen Zweifel. Die theologische Fakultät hatte im Mai beschlossen, einen entsprechenden Antrag beim Senat zu stellen. Dieser stimmte im Juni zu, wobei er ausdrücklich erklärte, daß der »außerkonfessionelle Charakter der Universität als solcher davon nicht berührt« werde, und daß der Senat bereit sei, »Anträgen zur Förderung des religiösen Lebens von Studierenden, die einer anderen oder keiner Konfession angehören, das gleiche Wohlwollen entgegen zu bringen«. Der Versuch, die geplanten akademischen Gottesdienste in den städtischen Kirchen abzuhalten, scheiterte an deren Einspruch. So wurde dafür schließlich die Aula gewählt.229 Zum ersten Mal fand ein akademischer Gottesdienst dort am 4.11.1917 zum Gedächtnis der Reformation statt.230 Fehlte in der eigentlichen Reformationsfeier der Straßburger Fakultät die in Gießen dominierende, in Berlin immerhin angedeutete ›deutsche‹ Kom ponente, so präsentierte ein weiteres Fakultätsmitglied, der Kirchenhistoriker Gustav Anrich, in jener Kirche, in der bis 1913 (als er nach Afrika ging) der Elsässer Albert Schweitzer gepredigt hatte, »Die Straßburger Reformation«. An228 Reformationsfeier 1917, in: GA 31.10.1917. 229 S. dazu das ganze Faszikel UA Gi PrA 1094, bes. Ev.-theol. Fak. an Rektor Gi 20.5.1917 (fol. 119); Bericht für den Gesamtsenat 19.6.1917 (fol. 114–115, mit historischem Rückblick); Bericht über die Sitzung des Gesamtsenats 23.6.1917 (fol. 113, Zitate); Pfarrkollegium an Prof. Schian 2.10.1917 (fol. 102–104); Bedenken des Ministeriums, dafür staatliche Mittel zur Verfügung zu stellen: Gh. MdI [an Uni Gi] 23.4.1918 (fol. 70–72). 230 Universitätsgottesdienst, in: GA 258, 2.11.1917, Zweites Blatt (Einladung auch an Bürger der Stadt!); Gisevius, Der Boden als Betriebsmittel, S. 17. Daß der Gottesdienst bereits im Juni 1917 erneuert worden sei (so Anderhub, Antoniterkreuz, S. 22), ist also zumindest ungenau. Nach Weihnachten waren Gottesdienste – aufgrund von Einquartierungen in der Aula! – zunächst nicht mehr möglich, doch wurden sie am 20.2.1918 wiederaufgenommen (Schian an die Mitglieder des Ausschusses für den Univ.-Gottesdienst, o. D.; Ausschuß für den Universitätsgottesdienst: Den Angehörigen der Universität. Beide: UA Gi PrA 1094, fol. 46, 43).
1112 Studium und Lehre im Krieg rich, der in diesem Wintersemester samstags eine öffentliche Vorlesung über die »Reformationsgeschichte Straßburgs« hielt, bot hier vermutlich ein Kondensat (oder zumindest eine Skizze) dieses Kollegs und arbeitete damit zugleich die Bedeutung Straßburgs für die allgemeine Reformationsgeschichte heraus. Die Reformation verstand er als »den Gipfel (…) in Straßburgs Geistesleben wie in dessen Einfluß und Bedeutung für die Umwelt bis über Deutschlands Grenzen hinaus«.231 Dazu gehörte die »bedeutsame Schöpfung« des »originalen Straßburger« deutschen evangelischen Gottesdienstes mit Gottesdienstordnung, Gebeten, Tonsätzen und Katechismen, ein wöchentlicher Gottesdienst größtmöglicher Schlichtheit, hinter dem das Kirchenjahr ganz verblaßte.232 Mit der Gründung des Gymnasiums sei auch der Grund für die spätere Hochschule (also die Vorläuferin der Universität) gelegt und dadurch das gesamte Bildungswesen geprägt worden.233 Darüber hinaus aber habe Straßburg eine führende Stellung in Oberdeutschland gehabt und, da Calvin hier drei Jahre verbracht hatte, bis nach Genf ausgestrahlt, wo er die Straßburger Gottesdienstordnung einführte. Straßburg selbst habe sich dann aber dem Luthertum geöffnet und dem Schweizer Calvinismus gegenüber abgeschlossen.234 So konnte der gebürtige Elsässer Anrich Straßburg eine herausgehobene Stellung und Besonderheit zuweisen und doch die Einbindung in das Deutsche Reich (die er befürwortete) damit in Einklang bringen. In allen drei Universitäten fanden zum Jubiläum auch Ehrenpromotionen der theologischen Fakultät statt: Neben Gelehrten, z. T. auch anderer Fakultäten, und Kirchenbeamten ehrte man auch Pfarrer.235 In Gießen, wo die Fakultät am Reformationstag 1915 Bethmann-Hollweg zum Ehrendoktor gemacht hatte, legte man 1917 den Schwerpunkt auf die Ehrung von Geistlichen in Gemeinde und Schule.236 In Berlin entschied man auch im Krieg entsprechend den traditionellen Kriterien doctrina und pietas, also der »wissenschaftliche[n] und [der] persönliche[n] Tüchtigkeit innerhalb des Gesamt gebietes der theologischen Forschung und des religiös-praktischen Lebens. Und es entspricht unserer Auffassung von der Stellung der Religion im Geistesleben der 231 Gustav Anrich, Die Straßburger Reformation, in: Zwei Straßburger Reden, S. 43–70, Zitat 45. 232 Anrich, Straßburger Reformation, S. 55–57, Zitat 55. 233 Anrich, Straßburger Reformation, S. 58–60. Das 1538 gegründete Gymnasium (das Anrich »Gymnasium und Hochschule zugleich« nennt, S. 60), wurde 1566 zur Akademie und 1621 zur Universität erhoben. 234 Anrich, Straßburger Reformation, zur Rolle in Oberdeutschland S. 60–66, zur Ausstrahlung in die Schweiz 68 f. 235 Reformationsfeier der FWU Berlin, S. 35–41; Stiftungsfest der KWU 1918, S. 9. Die Straßburger verlieh damals Eduard Schwartz das theologische Ehrendoktorat. 236 1915: Rosenberg, Die Universität Gießen, S. 31; Anderhub, Antoniterkreuz, S. 34; 1917 (Zitat): Reformationsfeier der Universität, in: GA 31.10.1917.
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ation, daß wir den Umkreis der doktorwürdigen praktischen Verdienste weit zu N ziehen pflegen, das Gesamtgebiet der charitativen [!] und sozialen Arbeit mehr und mehr einbeziehend.«
Unter den zehn Promotionen stand die Forschung ganz am Rande, auch wenn der aus diesen Gründen geehrte Privatdozent der Fakultät (nun Lazarettpfarrer an der Westfront) als erster Ehrendoktor genannt wurde. Daneben standen zwei Pfarrer und der Präsident des Brandenburgischen Konsistoriums, die beiden Geschäftsführer der (unterschiedlich ausgerichteten) protestantischen sozial politischen Verbände, zwei Missionare, ein stiller Privatgelehrter und schließlich der Berliner Oberbürgermeister, da auch »das ganze gewaltige Problem der Brotversorgung unseres Volkes« im Krieg »die Weihe einer, sagen wir ruhig religiösen Angelegenheit« erhalten habe.237 Der Marburger Martin Rade fand diese Berliner »Doktorierungen (…) sehr interessant und gut!«238 Vermutlich beziehen sich auch die »nicht unerheblichen Extraanstrengungen des Reformationsjubiläums«, die der Straßburger Theologe Klostermann in der Kollegenkorrespondenz erwähnt,239 auf die dort vorgenommenen Ehrenpromotionen, zu denen ja zunächst eine Auswahl und dann auch laudationes nötig waren; denn in der Feier selbst trat Klostermann nicht auf. Auch wenn der Krieg in den Begründungen gelegentlich vorkam – als eigenes Engagement wie bei dem Berliner Privatdozenten und dem Oberbürgermeister oder als Gelegenheit zu bissigen Bemerkungen über die Feindstaaten bei den Missionaren – erscheinen die theologischen Ehrenpromotionen zum Reformationsfest im Vergleich zu vielen anderen im Krieg vollzogenen geradezu streng an den herkömmlichen Kriterien ausgerichtet. Anders war das bei den »Kriegsdoctoren«, den »gewissermaßen sub Auspiciis der stahlgepanzerten Minerva im Kanonendonner promovierten siegreichen Schlachtenlenker[n] und Kriegsdenker[n]«.240
237 Rede Deißmanns, in: Reformationsfeier, S. 35–41, Zitate 36, 40. 238 Rade an Harnack 2.11.1917, in: Jantsch (Hg.), Briefwechsel Harnack und Rade, S. 749 f. Die Herausgeber erläutern, daß 1917 Heinrich Pachali zum Lic. theol. promoviert worden sei. Aber die Bemerkung, die schließlich von Doktoren redet (also einem anderen Grad und mehreren Personen), bezieht sich offenkundig auf diese Ehrenpromotionen. 239 Klostermann an Hans Lietzmann 11.11.1917, in: Aland (Hg.), Glanz und Niedergang, S. 390. 240 Die Ausländerfrage. Kriegsdoctoren und Kriegsvorträge, in: HN 25 (1914/15), S. 106.
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Promotionen zur Würdigung des Kriegseinsatzes Solche Promotionen fanden »bei Freund und Feind!« statt: »Neben dem durchgeistigten Kopf eines Dr. v. Stein und der Kraftgestalt des Doctor-Feldmarschalls v. Hindenburg der Glasgower ›Lord- und Mordrector‹ Poincaré und die Dorpater Ehrendoctoren Nikolai Nikolajewitsch mit dem Serbenpeter!« Mit solcher Verve präsentierte die erste derartige Meldung, die im Gegensatz zur sonstigen Praxis auch nicht die auszeichnende Hochschule nannte, das Thema:241 sogar die Meldungen über Ehrenpromotionen waren Teil der geistigen Kriegführung. Herkömmlich war das Ehrendoktorat in erster Linie an Träger vergeben worden, die sich um die Wissenschaft verdient gemacht hatten, darunter auch Fürsten und Staatsmänner, die Hochschulen und deren wissenschaftlichen Betrieb gefördert hatten.242 An den zehn preußischen Universitäten hatte es im Vierteljahrhundert vor dem Krieg (1888–1923) insgesamt 1045 Ehren promotionen gegeben, also durchschnittlich 40 pro Jahr, wobei sich diese aber zu Jubiläen häuften. In Berlin z. B. waren zum hundertjährigen Bestehen 1910 85 solcher Doktoren kreiert worden.243 Auch im Krieg setzten die Universitäten Berlin, Gießen und Straßburg solche ›normalen‹ Ehrenpromotionen fort: vom Berliner Direktor der Singakademie über den Metzer Lyzeumsdirektor, den Gießener Geheimen Schulrat, Straßburger Bürgermeister und Straßburger Kurator bis zum Berliner Konsistorialrat und Pfarrer der Kaiser-WilhelmGedächtniskirche.244 241 Wie A. 240 (Kursive i. O. gesperrt). Hermann von Stein war Generalquartiermeister und wurde von der Universität Halle insbesondere für seine Heeresberichte ausgezeichnet (wie A. 242, S. 9). 242 Otto Lerche, Kriegsehrendoktoren, in: AR 5 (1916/17), S. 8–13, hier 8. Im Gegensatz zu regulären scheinen Ehrenpromotionen bisher nicht eingehender untersucht zu sein. Zu den regulären s. mehrere Beiträge in dem Band Rainer Ch. Schwinges (Hg.), Examen, Titel, Promotionen. Akademisches und staatliches Qualifikationswesen vom 13. bis zum 21. Jahrhundert, Basel 2007. 243 HN 25 (1914/15), S. 107 (nach Vossische Zeitung). 244 Seiner Funktion als Bibliographie gemäß finden sich die Ehrenpromotionen nicht in JHSS . Sie werden üblicherweise aber in den Jahresberichten des Rektors (bzw. wo und solange sie existierte, in der Chronik) aufgelistet. Für Gießen s. etwa die Ehrenpromotion eines Geheimen Oberschulrats oder eines Verlagsbuchhändlers durch die Phil. Fak. (Schian, Volk, S. 29; Gisevius, Der Boden als Betriebsmittel, S. 27), für Straßburg die Promotion des Kurators Back durch die Ev.-Theol. Fak. (zu seinem 80. Geburtstag: Stiftungsfest 1915, S. 9) oder des aus dem Elsaß stammenden Schriftstellers und Wortführers der sog. Heimatkunstbewegung Friedrich Lienhard durch die Phil. Fak. (Stiftungsfest der KWU 1916, S. 15); für Berlin die Promotion des Geheimen Konsistorialrats und Pfarrers der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche durch die Theol. oder des Direktors der Singakademie durch die Phil. Fak. (Wilamowitz-Moellendorff, Amtsjahr 1915/16, S. 6 f.).
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Doch in Berlin standen diese Ehrendoktoren 1915 ganz im Schatten der militärischen Führer. Schon 100 Jahre früher hatte die Universität in den Befreiungskriegen nicht nur den Staatskanzler Fürst von Hardenberg, sondern auch den Generalfeldmarschall Fürst von Blücher ausgezeichnet.245 1915 promovierte die Philosophische Fakultät im März den Abteilungschef der Eisenbahnabteilung im Großen Generalstab Wilhelm Groener für die reibungslose Abwicklung des Aufmarsches bei Kriegsbeginn, so daß diese nicht nur den militärischen Anforderungen genügte, sondern auch Handel und Wandel fort gesetzt werden konnten;246 im Mai ihren ehemaligen Studenten, jetzt Major im Generalstabe, Max Bauer, der an der Konstruktion der 42 Zentimeter-Mörser hervorragenden Anteil hatte.247 Im Juni und Juli machte die Juristische Fakul tät den Minister der öffentlichen Arbeiten Paul von Breitenbach und den Präsidenten der Kaiserlichen Reichsbank Rudolf Havenstein zu Doktoren beider Rechte, um sie für »die Herstellung und Erhaltung der verkehrstechnischen und finanziellen Kriegsbereitschaft Deutschlands zu ehren«. Havenstein besaß damals bereits die philosophische Ehrendoktorwürde einer anderen Univer sität.248 Ebenfalls im Juli ehrte die Philosophische Fakultät den Chef des Generalstabes des Feldheeres Erich von Falkenhayn und den Generalquartiermeister Hugo Freiherrn Freytag von Loringhoven und sandte dafür sogar eine Delegation ins Große Hauptquartier.249 Der Deutschbalte Freytag, der in seinen jungen Jahren in der russischen Armee gedient hatte, war inzwischen nicht nur preußischer Offizier, sondern auch Kriegswissenschaftler und wurde im folgenden Jahr in den Orden pour le mérite aufgenommen.250 Falkenhayn, der im Herbst 1914, damals noch Kriegsminister, für Verhandlungen mit Rußland plädiert hatte (weil er in einem Mehrfrontenkrieg keine Siegeschance sah), wurde vermutlich nicht dafür, sondern für seine militärischen Erfolge 1915 (in der Masurenschlacht und in der Schlacht von Gorlice-Tarnów, die zur russischen Räumung Galiziens geführt hatte) ausgezeichnet.251 Beide Anträge hatte übrigens der damalige Dekan Hans Delbrück gestellt, und zwar für Falkenhayn zusammen mit Wilamowitz-Moellendorff, für Freytag zusammen mit Meinecke!
245 Planck, Bericht über die Feier zum Gedächtnis des Stifters, S. 40. 246 Alle auch im Weiteren genannten Daten und Vornamen nach: Chronik der FWU Berlin 29 (1915), S. 17; die Begründung nach Lerche, Kriegsehrendoktoren (wie A. 242), S. 11 f. 247 HN 25 (1914/15), S. 210; Lerche, Kriegsehrendoktoren (wie A. 242), S. 12. 248 Zitat: HN 25 (1914/15), S. 210; zu beiden auch Lerche, Kriegsehrendoktoren (wie A. 242), S. 11. 249 HN 25 (1914/15), S. 210. 250 www.orden-pourlemerite.de/mitglieder/hugo-freiherr-von-freytag-loringhoven?m= 4&u=3 (5.2.2014). 251 S. die ausführlichen Angaben zu seiner Tätigkeit im Krieg in NDB 5 (1961), S. 11– 15 (Friedrich Frhr. Hiller von Gaertringen) und in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, S. 467–469 (Holger Afflerbach).
1116 Studium und Lehre im Krieg Theodor Schiemann äußerte damals »Bedenken, ob der Beschluß nicht verfrüht sei«, ließ sie nach einer Erläuterung aber wieder fallen.252 Allerdings gingen die Berliner in diesem Fall nicht voran, sondern folgten mit solchen Ehrungen (wenn auch mit weniger triftigen Gründen) dem Vorbild der Universität Königsberg. Schon Mitte September 1914, also nach der Schlacht von Tannenberg und der ersten Schlacht an den Masurischen Seen, hatten dort alle vier Fakultäten Hindenburg zu ihrem Ehrendoktor gemacht: »als […] unsterbliche Zier des Vaterlandes, der die Moskowiterscharen zerstreut, geschlagen und niedergekämpft, und damit Ostpreußens Heimatflur der deutschen Kultur zurückgegeben und der feindlichen Barbarei entrissen« habe. Auch andere Universitäten, z. B. Breslau, folgten mit der Ehrung Hindenburgs und Ludendorffs,253 Breslau zeichnete außerdem Generaloberst Remus von Woyrsch aus, der zunächst »Schlesiens Söhne im Waffenhandwerk geübt und sie dann mit vielen Kommilitonen Breslaus dem Feind entgegengeführt« hatte;254 und die Universität Greifswald promovierte den Eroberer Antwerpens, General der Infanterie Hans von Beseler, den Sohn eines Greifswalder Staatsrechtlers.255 Die Philosophische Fakultät Freiburg verlieh die Ehrendoktorwürde Hans Gaede, der vor seiner Reaktivierung im Krieg eine wichtige Rolle im städtischen Kulturleben gespielt und dann »mit seiner Armee die ganze Gegend des Oberrheins dauernd geschützt und dadurch die Fortsetzung des Studiums in Freiburg ermöglicht« hatte.256 Und noch 1918 ernannte die Freiburger Medizinische Fakultät Ludendorff (damals Stellvertreter Hindenburgs und faktisch Kopf der Obersten Heeresleitung) wegen der in seinem Wesen verbundenen »höchsten ärztlichen Eigenschaften« (!) und in Würdigung seiner Verdienste um die »Wiedergewinnung der durch ihre altverdiente medizinische Fakultät hochberühmten Universität Dorpat« zum Ehrendoktor.257 Dem Muster Königsbergs und Freiburgs folgte auch die Straßburger Universität: Ihre Philosophische Fakultät zeichnete Ende 1915 Generaloberst Ludwig von Falkenhausen für »seine trefflichen und geistvollen Bücher« aus, mit denen 252 Prot. der Sitzung der Phil. Fak. 22.7.1915: UA HU Phil. Fak. 34, fol. 319. 253 Zitat: Lerche, Kriegsehrendoktoren (wie A. 242), S. 9. Dabei handelt es sich wohl (wie S. 10 nahelegt) um Lerches Übersetzung oder Paraphrase der lateinischen Promotions urkunden. Datierung nach Tilitzki, Albertus-Universität Königsberg, S. 408. Hinden burgs Stabschef Ludendorff erhielt Ende September nur von der Phil. Fak. ein Ehrendoktorat. 254 Lerche, Kriegsehrendoktoren (wie A. 242), S. 10. 255 Chronik der Kgl. Univ. Greifswald für das Jahr 1914/15, Greifswald 1915, S. 68. 256 Zitat: Lerche, Kriegsehrendoktoren (wie A. 242), S. 9. Biogr. Information: DBA III [Mikrofiche-Edition] 227/297–301. 257 Die ihm zugeschriebenen ärztlichen Eigenschaften waren »Wirklichkeitsblick, weise Schätzung des Erreichbaren, Fähigkeit zum Erwarten des richtigen Augenblicks und durchgreifende Entschlossenheit«. Die Urkunde wird ausführlich zitiert bei Hofer, Medizin, Krieg und Politik, S. 177.
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er im Frieden die »Kriegskunst« gefördert habe und für die Abwehr der Feinde von den elsässischen Grenzen im Krieg. Ähnlich wie Gaede hatte auch er sich reaktivieren lassen und den Schutz der Reichslande zwischen Metz und den Vogesen übernommen.258 In seinem Dankesschreiben bestätigte der nichtstudierte Offizier, der auch als Militärschriftsteller bekannt war, Delbrücks Vorstellung vom »Zusammenklang ›Waffen und Wissenschaft‹« aufs trefflichste: »Kriegführung und Wissenschaft zu verbinden ist der leitende Gedanke meines Lebens und Wirkens gewesen. Der gegenwärtige Krieg hat aller Welt offenbar gemacht, daß die eherne Macht der deutschen ›Barbaren‹ auf der engen Verbindung mit deutscher Wissenschaft und deutscher Geistesarbeit beruht. Daher empfinde ich die Verleihung des Doktorgrades nicht als äußerliche Auszeichnung meiner Person, sondern als einen beziehungsreichen Vorgang, der in erhebender Weise erkennen läßt, daß die Vertreter der Wissenschaft sich eins fühlen mit dem gewaltigen Schaffen dieses Krieges.«259
Mit dem Fortschreiten des Krieges wurde die Universität Berlin, wie auch andere, in dieser Hinsicht offenbar zurückhaltender. Zwar promovierte sie immer noch Militärs oder im Kriegsdienst Stehende, doch für andere als militärische Leistungen: General von Strantz z. B. erhielt diese Würde von der Juristischen Fakultät in Anerkennung der von ihm hinter der Front eingerichteten Hochschulkurse, die Theologische Fakultät zeichnete einen Konsistorialrat für seine Tätigkeit als Feldpfarrer im Osten aus.260 Auch die mit Ehrenpromotionen insgesamt sparsam umgehende Universität Straßburg zeichnete noch einmal einen Militär aus, Herzog Albrecht von Württemberg, aber ebenfalls für die Förderung der Hochschulkurse für Soldaten.261 Als einzige der drei untersuchten Universitäten gewährte die Gießener, deren Studenten und Dozenten sich selbst so eifrig am Kriegsdienst beteiligten, nie einem Militärführer eine akademische Auszeichnung262 – es sei denn, man würde den Kriegseinsatz des Großherzogs als Ursache für dessen Auszeichnung betrachten. Jedenfalls registrierte das Personalverzeichnis, in dem auf das Titelblatt immer eine besondere Seite mit dem Namen und den Titeln des Rector magnificentissimus folgte, nun jedes Semester »Im Heere« (obwohl Ernst Lud258 Zitate aus der Begründung: Eine Ehrung für Generaloberst Frhrn. v. Falkenhausen, in: SP 968, 20.12.1915 MiA, Zweites Blatt. Nur Erwähnung der Ehrenpromotion (ohne Angabe von Gründen) in: Stiftungsfest der KWU 1916, S. 15, und in: HN 26 (1915/16), S. 291. Biographie und militärische Aufgabe im Krieg: NDB 5 (1961), S. 11 (Hermann Gackenholz). 259 General-Oberst und Oberbefehlshaber der Armee-Abteilung Falkenhausen an Dekan der Phil. Fak. Strb. 20.12.1915: ADBR 103 AL 36. 260 HN 27 (1916/17), S. 514. 261 S. dazu o. S. 1022. 262 So Anderhub, Antoniterkreuz, S. 30.
1118 Studium und Lehre im Krieg wig nur vom 15.8.1914 bis 30.3.1915 durchgehend im Feld war und dort »eigentlich nur als Zuschauer geduldet« wurde. Danach verbrachte er die meiste Zeit in der »Heimat«, um sie »moralisch hochzuhalten« und »die Regierung fest mit ihr [zu] veranker[n]«.)263 Oder sollten die Theologen, die ihn auszeichneten, etwas von seinen Versuchen gewußt haben, 1916 über Mittelsmänner Friedensfühler nach Rußland auszustrecken? (Selbst ein Enkel von Queen Victoria, war er durch seine Schwester mit dem Zaren verschwägert.)264 Der Jahresbericht gibt mit der Situation der Auszeichnung einen viel trivialeren, dem Brauch entsprechenden Grund: Der Landesherr feierte sein 25jähriges Thronjubiläum, und eine Delegation aus Rektor und allen Dekanen überbrachte die Glückwünsche.265 Und da er einen philosophischen und einen juristischen Ehrendoktor bereits seit langem führte,266 war jetzt offenkundig die Theologische Fakultät mit der Auszeichnung an der Reihe.
Gefallenengedenken während des Krieges Zur Selbstdarstellung der Universitäten gehörten nicht nur Daten und Berichte über ihren Beitrag zur Kriegführung, sondern auch über ihre Verluste. Dies mochte in erster Linie gewiß dem Gedenken an die Gefallenen dienen; doch zugleich wurde durch das Opfer des Lebens der einzelnen auch die Einbuße der Universitäten unterstrichen, deren verbliebene Angehörige Kommilitonen und Kollegen verloren. Dabei gingen Trauer und Stolz überall Hand in Hand. Dies vermittelte der jeweilige Rektor mit Ansprache und Bericht auf dem jährlichen Festakt und legte es bald danach auch gedruckt vor. Die Bekanntgabe der Opfer wurde ergänzt durch Pläne zur Verstetigung ihres Andenkens. Als erste der drei Universitäten sah sich die Berliner beim Rektoratswechsel Mitte Oktober mit dieser traurigen Aufgabe konfrontiert. Am Ende seines Berichts über die Entwicklung der Universität in seiner Amtszeit konnte Planck damals noch nicht einmal die Zahl der im Feld stehenden Studierenden nennen – und so blieb es auch für die Gefallenen bei einer bildhaften Erwähnung 263 Später verbrachte er nur noch zweimal 5–7 Wochen im Feld, ansonsten jeweils einige Tage. Zitate: Großherzog Ernst Ludwigs Erinnerungen, in: Erinnertes. Aufzeichnungen des letzten Großherzogs Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein, hg. von Eckhart G. Franz, Darmstadt 1983, S. 19–162, hier 147 f. Genaue Daten für seine Aufenthalte im Feld S. 200 f. A. 180–182. 264 NDB 4 (1959), S. 163 f. (Ludwig Clemm). 265 Schian, Volk, S. 19. 266 Jeweils auf dem Rektorblatt des PB genannt. Mit der Ehrenpromotion zur Dreihundertjahrfeier 1907 würdigte die Phil. Fak. Ernst Ludwigs Förderung der Künste (s. den Text der Promotionsurkunde in: Manfred Knodt, Ernst Ludwig. Großherzog von Hessen und bei Rhein. Sein Leben und seine Zeit, Darmstadt 1978, S. 243).
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ohne Zahlen und Namen. Nur ein Lehrender konnte als Individuum gewürdigt werden, doch in das ehrende Gedenken wurden alle Gefallenen einbezogen: »Schon haben sich die Schlachtfelder von dem Blute unserer Braven gerötet. So wurde auch der Privatdozent der juristischen Fakultät […] Karl Kormann […] in der Schlacht bei Tannenberg von der tödlichen Kugel getroffen. Ehre und Ruhm diesen Helden, die freudig, ohne Vorbehalt, ohne Klage, ihr junges hoffnungsreiches Leben für das Vaterland dahingaben; sie haben den köstlichsten Preis sich errungen!«267
Damit war nicht nur das Grundmuster für die künftigen Berliner Feiern gesetzt, sondern auch die fast durchgehend positive Bewertung des Kampftodes, die Planck konkretisierte, als wäre er dabeigewesen. Namentlich wurden bei den Berliner Feiern immer nur die gefallenen oder im ärztlichen Dienst ums Leben gekommenen Lehrenden erwähnt. Die Studenten kamen – ab 1915 – nur als Zahl vor. In den ersten 15 Kriegsmonaten waren es 234,268 also zu viele, um in der Veranstaltung alle Namen zu verlesen. Doch wurden die Totenlisten der Dozenten und Studenten nun im Jahresbericht des Rektors gedruckt, wo sie einerseits viel weniger Raum einnahmen als die Nachrichten über das Kriegsengagement der (lebenden!) Lehrenden, andererseits aber durch die dicke schwarze Umrandung dieser Seiten und ein vorangestelltes Blatt, das nur ein Eisernes Kreuz im Lorbeerkranz zeigte und das Berichtsjahr angab, optisch besonders hervorgehoben waren.269 Im Bericht des Rektors blieb es Jahr für Jahr bei der Nennung der aktuellen Zahl und ihrer Addition zum Gesamtverlust. Der Eindruck einer ungleichen Würdigung von Dozenten und Studenten wurde noch dadurch verstärkt, daß die Universität Berlin die militärischen Auszeichnungen lebender Studierender, wiederum im Gegensatz zu den Dozenten, nicht bekanntgab, »weil wir damit vielen ein Unrecht tun würden, über die wir nichts wissen.«270 Dieser Verzicht ist um so bemerkenswerter, als der Rektor des Vorjahres ausdrücklich zur Mitteilung der Auszeichnungen auf gefordert hatte – und es der nunmehrige wiederholte.271 Ob man die Kriegsauszeichnungen vielleicht nicht aus Noblesse verschwieg, sondern weil sie zu rar schienen, muß offenbleiben. Auf jeden Fall wurden die Hörer mit der zitierten Formulierung ermuntert, sich die Zahl der tapferen Helden möglichst groß vorzustellen.
267 Rektorwechsel 1914, S. 16. 268 Kipp, Amtsjahr 1914/15, S. 6. 269 S. die Listen in: Kipp, Amtsjahr 1914/15, S. 47–54; Wilamowitz-Moellendorff, Amtsjahr 1915/16, S. 21–28; Bumm, Amtsjahr 1916/17, S. 23–27; Penck, Amtsjahr 1917/18, S. 17–22. Zur breiten Darstellung der Tätigkeiten der Dozenten s. o. Kap. III .4. 270 Wilamowitz-Moellendorff, Amtsjahr 1915/16, S. 8 271 Kipp, Amtsjahr 1914/15, S. 11; Wilamowitz-Moellendorff, Amtsjahr 1915/16, S. 8.
1120 Studium und Lehre im Krieg Beim Rektoratswechsel am 25. September 1918, also siebeneinhalb Wochen vor Ende des Krieges, nannte Rektor Penck insgesamt 753 gefallene Studenten. (Später sollte die Gesamtbilanz 997 lauten!272) Auch er berichtete, wie vier Jahre vorher Planck, was allenfalls ein Mitkämpfer hätte wissen können – oder eben nur eine beschönigende Floskel war, und maß den Verlust am angestrebten Ziel: »Sie gingen alle mutig in den Tod, das Vaterland zu schützen, und uns [!] erscheinen die dargebrachten Opfer an Intelligenz und geistiger Kraft für dieses Ziel nicht zu hoch.«273
Hier verschwand der einzelne ganz hinter der Bilanz des Abstrakten, das die Universität (›wir‹) verloren hatte. Auf Institutsebene sah es anders aus. Hier gedachte man der Gefallenen sofort. So berichtete der Theologe Deißmann schon in der Liebesgabe deutscher Hochschüler 1914: »Im alten Arbeitsraum bei den hohen Bücherbrettern meldet, bis dereinst Ehrentafeln und Bildnisse der Gefallenen die Werkstatt dauernd schmücken werden, ein knapper Anschlag den Heldentod des Wackeren. Gedenken wir alsdann in der nächsten Sitzung dankbar und treu des Gefallenen, so wissen wir, daß dieses Dahinrinnen junger akademischer Edelkraft nicht vergeblich war, sondern dem höchsten irdischen Ziele diente: ›pro patria‹ schreiben wir im Geist auf die schlichten Holzkreuze unserer Studentengräber in Flandern und Polen.«274
So wurde der Toten nicht nur gedacht, sondern auch eine Gemeinschaft mit ihnen hergestellt, in welcher sich die Überlebenden auch selbst eine Rolle gaben, indem sie die Leistung der Toten würdigten.275 Zugleich überhöhten sie deren Tod, wie es schon Planck getan hatte und Wilamowitz es in derselben Weihnachtsgabe fortführte: »Nicht jedem, wir wissen es, ist solche fröhliche Heimkehr [wie von Euripides besungen] als Lohn der Mühen beschieden; mancher der Besten wird auf ewig in der fremden Erde gebettet. Doch nein. So sollen wir das nicht ansehen. Dem widerspricht der schöne Glaube der Hellenen. Wer für das Vaterland in der Ferne den Heldentod stirbt, dem sendet der hohe Himmelsherr das freundliche Brüderpaar, Schlaf und Tod; die nehmen den Gefallenen auf, tragen ihn in sorglichem Fluge in die Heimat zurück und betten ihn im Ehrengrabe, auf daß seine Seele nicht nur Frieden finde, sondern schützend und segnend über dem freien Heimatlande schwebe.«276 272 273 274 275
Feier bei Enthüllung des Denkmals, S. 35. Penck, Amtsjahr 1917/18, S. 14 f., Zitat 15. Deißmann, Kriegssemester, S. 18. Dabei steht das quasi-natürliche, unwillkürliche »Dahinrinnen« der Kraft allerdings in einem merkwürdigen Kontrast zum aktiven »Heldentod« des einzelnen. 276 Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Ein Gruß der hellenischen Muse, in: Deutsche Weihnacht, S. 20–27, Zitat 25.
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Mit dieser freundlichen Vorstellung, die dem Gefallenen virtuelle Heimkehr (und damit Geborgenheit) versprach und seinem Tod einen Sinn gab, spendete Wilamowitz nicht nur den angesprochenen »Kommilitonen, Kameraden!« im Feld Trost, sondern auch sich selbst – war doch sein eigener Sohn Mitte Oktober an der Ostfront gefallen. Außer in den einzelnen Seminaren wurden die Namen der Gefallenen »zunächst« auch »in der großen Halle der Universität öffentlich« verzeichnet,277 »auf schlichter Tafel im Laubgewinde […], bis es möglich sein wird, nach sieg reicher Beendigung des Krieges die Namen aller unserer Helden, die auf dem Felde der Ehre gestorben sind, in dauernder und würdiger Form der Nachwelt zu überliefern«.278 Schon im Frühjahr 1915 hatten sich die deutschen Universitäten darüber verständigt, wie sie ihrer gefallenen Angehörigen gedenken wollten: Die Universität Freiburg brachte dazu einen Antrag bei der deutschen Rektorenkonferenz ein. Heidelberg, ihre badische Nachbaruniversität, hatte beschlossen, eine »Gedenktafel von unvergänglichem Material« zu schaffen. Darauf sollten auch die aufgenommen werden, die sich am Ende des Sommersemesters exmatrikuliert hatten, dann aber nicht mehr dazu gekommen waren, sich an einer anderen Universität zu immatrikulieren.279 So verfuhren praktisch alle Universitäten.280 Die Breslauer schlugen vor, außerdem auch jene aufzunehmen, die am Schluß des Sommersemesters 1914 ihr Studium mit dem Examen abgeschlossen hatten.281 Am spätesten antworteten die Berliner, die aber wie die meisten anderen verfuhren. Anläßlich der Rundfrage beschlossen das auch die Gießener, verschoben die Frage einer Ehrentafel aber auf später.282 Den ersten Schritt zu einer solchen Ehrung aber hatten, noch vor dieser Rundfrage, die Straßburger getan; denn sie stellten bereits dem Personalverzeich nis des Wintersemesters 1914/15 eine schwarzumrandete »Ehrentafel der Kaiser Wilhelms-Universität Straßburg« voran, die auf zwei Seiten drei Dozenten und 19 Studenten des Sommersemesters 1914 verzeichnete, die »den Heldentod für unser Vaterland (…) erlitten« hatten. (So verfuhr auch Gießen ab Sommer 1915.)283 In den weiteren Semestern bis zum Ende der Straßburger deutschen
277 Wilamowitz-Moellendorff, Amtsjahr 1915/16, S. 8. 278 Kipp, Amtsjahr 1914/15, S. 11. 279 Antrag der Univ. Freiburg i. Br. für die deutsche Rektorenkonferenz: UA Gi Allg. Nr. 1345, fol. 111. 280 S. die Mitteilungen der Universitäten München (29.1.1915), Würzburg (2.2.1915), Erlangen (4.2.1915), Münster (6.2.1915), Marburg (10.2.1915), Leipzig (11.2.1915), Jena (18.2.1915), Bonn (19.2.1915), Halle (24.2.1915), Heidelberg (27.2.1915). Alle: UA Gi Allg. 1345, fol. 100, 97, 96, 94, 92, 91, 86, 83, 76, 68. 281 Rektor der Universität Breslau an alle Universitäten 22.2.1915: UA Gi Allg. 1345, fol. 78. 282 Kgl. FWU Berlin an alle Rektoren 11.3.1915; Vermerk des Beschlusses der KK [Gi] 22.2.1915 auf dem Antrag der Univ. Freiburg: UA Gi Allg. 1345, fol. 39 f., 111. 283 PV KWU Strb. WS 1914/15, S. III–IV; GB LU Gi SS 1915, S. 1–2.
1122 Studium und Lehre im Krieg Universität wurden jeweils alle seit Kriegsbeginn Gefallenen aufgeführt.284 Auch beim Stiftungsfest wurden zunächst die Namen aller Gefallenen verlesen, erst ab 1917 nur noch die des gerade abgelaufenen Berichtsjahres. Für die eigentliche Ehrentafel beschloß der Senat bereits im Februar 1915 (als Gießen diese Frage noch aufschob) einstimmig, unvergängliches Material zu verwenden. Zu klären war aber noch die Frage, wer dabei »zu den Angehörigen der Universität zu rechnen« sei. Der Physiologe und Senator Richard Ewald z. B. wollte »die zu einer Klinik abkommandierten Militärärzte nicht« einbeziehen.285 Das sahen andere aber offenbar anders. Ein Militärarzt, der bereits seit Sommersemester 1913 an das Institut für Hygiene und Bakteriologie abkommandiert war und schon 1914 fiel, wurde zwar auf der ersten »Ehrentafel« nicht geführt (obwohl er innerhalb des Personalverzeichnisses bereits als »gefallen« registriert war!), erschien aber auf der folgenden – zusammen mit einem inzwischen gefallenen Buchhalter der Universitätskasse. Ab Sommersemester 1915 war die Straßburger Liste also nicht mehr in »Lehrer der Universität« und »Studierende« unterteilt, sondern sie begann mit den »Angehörigen der Universität«, zu denen auch die Genannten gerechnet wurden, und wurde nach einem Komma mit »dann die Studierenden« fortgesetzt. Als »Angehörige« der Universität galten in Straßburg also auch die Bediensteten der Verwaltung und die technischen Angestellten bis hin zum Diener des Pathologischen Instituts.286 Das erste Stiftungsfest »muß[te]« Rektor Hans Chiari »naturgemäß beginnen mit der Klage über die großen Verluste«. Doch seine Reflexion führte sofort von »tiefer Wehmut« über den »Trost […], daß dieselben den Heldentod für das Vaterland erlitten haben, also den schönsten Tod, den es überhaupt gibt« »zum höchsten Ruhme«, zu der sie damit der Universität verhalfen!287 Den Schutz und die Förderung der Universität durch die Militärbehörden deutete sein Nachfolger Eduard Schwartz als Festigung der alten Tradition, welche »die Wissenschaft als eine wichtige Bundesgenossin des deutschen Staates und Heeres« schätze. Daraus leitete er die Pflicht ab, die der Universität Straßburg288 noch stärker als anderen obliege, und gedachte derer, die einen »ruhmvollen Tod erlitten« hatten, »in schwerer stolzer Trauer«. Wenn er dann ankündigte, auf die dauerhafte Ehrentafel auch jene aufzunehmen, »die in den letzten Jahren vor dem Krieg die summi honores erworben hatten und noch in einer gewissen Ver-
284 Ab SS 1915 unter der Überschrift »Von den Angehörigen der Universität sind auf dem Felde der Ehre gefallen«. 285 Senatssitzung 22.2.1915: ADBR 103 AL 115. 286 Er wurde erst im SS 1918 angeführt. Bis dahin war der »Regierungssekretär Leo Goerger, Buchhalter bei der Universitätskasse«, der einzige Gefallene dieser Kategorie. 287 Stiftungsfest der KWU 1915, S. 8. 288 Als »Grenzfestung deutscher Bildung und Gesittung an gefährdeter kampfumtobter Stelle« (Stiftungsfest der KWU 1916, S. 4).
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bindung mit der Universität standen«,289 bekräftigte er damit nicht nur das separate Gedenken für die Gefallenen der eigenen Institution, sondern belegte auch konkret, daß die Universität sich zu ihrem eigenen Ruhme mit möglichst vielen Gefallenen schmücken wollte. In den letzten beiden Kriegsjahren relativierten die Rektoren das üblicherweise Berichtete, indem sie mit den Gefallenen begannen. Dabei ließ der Botaniker Jost die individuelle Dimension des Leides wenigstens kurz aufscheinen, indem er Klage und Stolz mit den Eltern und Geschwistern teilte.290 Seinem Nachfolger, dem protestantischen Theologen Mayer, bescherten die Antworten auf die zur Vorbereitung der späteren akademischen Ehrung der Kriegsteilnehmer versandten Fragebogen eine »ergreifende Lektüre«.291 Auf die Verkündung der Auszeichnungen verzichteten die Straßburger, ohne dies aber (wie die Berliner) besonders hervorzuheben. Da bei den Festakten dieser beiden Universitäten zunächst der scheidende Rektor seinen Bericht erstattete und dann, nach der Amtsübergabe, der neue seine Antrittsrede hielt, ist es durchaus bezeichnend, daß die Straßburger ihren Jahresbericht jeweils mit dem Gefallenengedenken begannen, die Berliner aber erst gegen Ende darauf zu sprechen kamen. Gießen ist damit schwer zu vergleichen, denn bei seiner Jahresfeier folgte der Bericht erst nach der Festrede des Rektors – wenn manche Zuhörer vermutlich schon etwas ermüdet waren. So erwähnten die Rektoren die Kriegssituation auch schon in ihren Reden. Gerade damit wird aber die ›Positionierung‹ der Gefallenen um so aufschlußreicher. Als 11 Monate nach Kriegsbeginn die erste Jahresfeier stattfand, waren bereits 65 Gießener Dozenten und Studenten gefallen.292 Doch das erfuhren die Hörer erst gegen Ende des Berichts (und der Feier)! Zuerst, also zu Beginn der Rede über »Krieg und Seelenleben«, ließ sich Rektor Sommer (der Förderer der paramilitärischen Ausbildung!) zunächst über die Bedrohung der Universität durch den Krieg und den erfolgreich verhinderten Stillstand aus, bevor er dann die »gewaltige Ernte« des Todes zumindest erwähnte. Am Ende proklamierte er die (unter den deutschen Universitäten ja schon prinzipiell geklärte) »Schaffung eines dauernden Denkmales« zur wichtigen Aufgabe der Universität.293 Sein Nachfolger 289 Stiftungsfest der KWU 1916, S. 3 f., 8. 290 Stiftungsfest der KWU 1917, S. 6, 3. 291 Stiftungsfest der KWU 1918, S. 6. Vermutlich ist damit der Fragebogen in ADBR 103 AL 138, fol. 785 (mit gedruckten Begleitschreiben o. D. fol. 784) gemeint. Ein ausführ licherer früherer Fragebogen hatte nach Auffassung des Gouvernements von Straßburg gegen die bestehenden Zensurvorschriften verstoßen, doch war es bereit, auf die Beschlagnahme zu verzichten, sofern der Inhalt bis Kriegsende geheimgehalten werde. Dabei ging es vor allem darum, dem Feind keine Rückschlüsse auf die deutsche Heeresgliederung zu ermöglichen. S. dazu Gouvernement von Straßburg an Rektorat der KWU 18.5.1916; Erklärung des Rektors 28.5.1916; Gouvernement an Rektorat der KWU 4.6.1916; Entwurf der Antwort dazu Juni 1916 (o. D.). Alle: ADBR 103 AL 53. 292 Sommer, Krieg und Seelenleben, S. 27 f. (Die Rede umfaßt S. 1–22, der Bericht 23–28.) 293 Sommer, Krieg und Seelenleben, S. 2, 28.
1124 Studium und Lehre im Krieg Sievers erwähnte die »schweren Lücken«, die der Tod gerissen habe, etwas früher und mit tiefer Dankbarkeit; im Bericht stellte er die Liste der in diesem Jahr 54 Toten ans Ende, um sie abschließend zu würdigen: »in herber Trauer und mit tiefer Wehmut, aber auch mit Stolz (…), mit Bewunderung (…) und mit höchster Achtung vor der Art, wie sie es verstanden haben aus dem Leben zu gehen« (!).294 Erst der Theologe Schian schaffte es, im ersten Absatz seiner Rede über die vor ihm Sitzenden »hinweg in die weiten Fernen« zu den »Kommilitonen in der wogenden Brandung des heißen Abwehrkampfes« zu blicken, um festzustellen: »Manch einer ist auf dem Felde der Ehre geblieben, von uns allen ehrlich betrauert.«295 Doch welche Zweifel mußten mit dem »ehrlich« zerstreut werden? In seinem nach der Rede folgenden Bericht rückten die 45 Gefallenen weiter nach vorne als bei den Vorgängern, und Schian beteuerte: »Wir denken ihrer, so oft wir die Tafeln in der Vorhalle des Vorlesungsgebäudes sehen, die sie alle verzeichnen.« Den Äußerungen der Trauer und der Mahnung an künftige Studierende, die »auch für sie in Not und Tod, in Kampf und Sieg« Gegangenen nicht zu vergessen, ließ er noch ein Gedicht des zum Protestantismus konvertierten Mönches aus Böhmen, nunmehrigen Pädagogen und Schriftstellers in Chemnitz, Anton Ohorn, folgen, das mit den Worten endete: »Gefallen für das Vaterland! Nichts Grösseres lässt sich sagen.«296 Gisevius schließlich hatte 1918 zunächst den Minister und seinen Hochschulreferenten zu begrüßen, sich für die Gründung der Hochschulgesellschaft zu bedanken und kam so erst, wie einst Sommer, nach anderthalb Seiten auf den Krieg – ohne allerdings die Gefallenen zu erwähnen. Das tat er erst im Bericht, und dort brachte er ihren »Heldentod für das Vaterland« in direkte Verbindung mit dem Wahlspruch der Universität Armis et litteris ad utrumque parati. Nach der Verlesung der Namen versicherte der Rektor: »Wir geloben als die Lebenden, auszuhalten und durchzuhalten bis zum siegreichen Kriegsende.«297 Mußte Straßburg 1917 feststellen, daß bis dahin ca. ein Zehntel der 1914 der Universität angehörenden Studenten gefallen war, so war dies in Gießen bereits 1916 der Fall – während Berlin diesen Anteil erst im Herbst 1918 erreichte.298 Die Würdigung der Gefallenen in Gießen mit jener in Straßburg und Berlin zu vergleichen, fällt auch deshalb schwer, weil Gießen bereits im Januar 1915 eine Broschüre über die Kriegsteilnahme veröffentlicht hatte und zur Zeit des 294 Sievers, Grenzen Mitteleuropas, S. 1, 30. (Die Rede umfaßt S. 1–24, der Bericht 25–31). 295 Schian, Volk, S. 3. (Die Rede umfaßt S. 3–18, der Bericht 19–27). 296 Schian, Volk, S. 22. 297 Da die Anwesenden vor der Verlesung der Namen ausdrücklich aufgefordert werden, sich zu erheben, stellt sich die Frage, ob man in den Vorjahren sitzenblieb oder das Aufstehen selbstverständlich war. Gisevius, Der Boden als Betriebsmittel, Zitate S. 18, 19. (Die Rede umfaßt S. 3–15, der Bericht 16–24). 298 Straßburg: Stiftungsfest der KWU 1917, S. 5; Gießen: Sievers, Grenzen Mitteleuropas, S. 29; zu Berlin s. o. S. 1120.
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Jahresfestes im Sommer bereits eine zweite plante.299 Das zweite Verzeichnis, das Ende 1915 fertig war, enthielt dann auch die Namen der Gefallenen und der Ausgezeichneten – allerdings wurde nur der interne Gebrauch gestattet, da die dort genannten aktuellen Orte des Kriegseinsatzes wegen militärischer Bedenken nicht bekanntgegeben werden durften.300 Bei den vorläufigen Tafeln, die alle Universitäten aufgestellt zu haben scheinen, fand man in Gießen außer jenen eichenen »mit Laubgewinde und Schleifen gezierte[n]« für die Gefallenen auch eine für die durch Orden Ausgezeichneten, die absichtlich »etwas anders gehalten« wurde, um Verwechslungen zu vermeiden.301 Für den Lehrkörper wurde die ganze Fülle von Auszeichnungen im Jahresbericht aufgezählt: außer dem Eisernen Kreuz auch die Dekorierungen der einzelnen Bundesstaaten, Militär-Sanitätskreuz, Rot-Kreuz-Medaillen und das Allgemeine Ehrenzeichen für Kriegsverdienste. Diese Auszeichnungen waren nach ihrer Bedeutung, die jeweiligen Träger dann nach Status geordnet: Dozenten, Beamte, Angestellte jeweils namentlich, für die studentischen Träger nur die Gesamtzahl. Der entscheidende Unterschied zu Straßburg war jedoch die Beschränkung des Personenkreises der Ehrentafeln entsprechend dem ursprünglichen Verständnis von Universität: »Als Angehörige der Universität betrachten wir nur Dozenten und Studierende.« Handschriftlich waren nach den Dozenten noch »Assistenten« eingefügt.302 Als die Gießener Ende 1916 ein Album mit Fotos und den wichtigsten Personalien der Gefallenen »auf einzelnen Gedenkblättern« planten, wollten sie auch die Angestellten einbeziehen.303 Ab Winter 1916/17 verfuhren sie im Vorlesungsverzeichnis schließlich wie die Straßburger: Sie verzeichneten in der Ehrentafel auch Bedienstete, und zwar im Anschluß an die Gruppe der Lehrenden, und die Überschrift lautete sogar für alle zusammen auf »Angehörige unserer Universität«.304 Ob Gießen durch das Vorgehen ande299 Die Teilnahme von Angehörigen der Universität Gießen am Kriege 1914. Ausg. vom 31. Dezember 1914, Gießen 1915. Genaue Datierung: Sommer, Krieg und Seelenleben, S. 23. 300 Die Teilnahme von Angehörigen der Universität Giessen am Kriege. 2. Ausgabe vom 31. Oktober 1915, Giessen 1915. Exemplar mit hs. Vermerken über beschränkte Verwendung in: UA Gi Allg. 103. 301 [Univ. Gi] an Rektor der Kgl. Tierärztl. Hochschule Hannover 27.10.1915 [Durchschrift]: UA Gi Allg. 1345, fol. 8 (zu dessen Anfrage vom 25.10.1915, fol. 7). 302 Wie A. 299. 303 Rektor Gi (Sievers) an Peter Wenner 17.11.1916: UA Gi Allg. 1356. 304 Ob vorher vom technischen Personal niemand gefallen war, ist nicht sicher auszu machen. Im Jahresbericht 1914/15 (Sommer, Krieg und Seelenleben, S. 27 f.) wurden gefallene Studenten und Dozenten namentlich aufgeführt, im Jahresbericht 1915/16 (Sievers, Die geographischen Grenzen Mitteleuropas, S. 29 f.) nur Studenten. Erst im Jahresbericht 1916/17 (Schian, Volk, S. 21) kamen auch ein Schreibgehilfe am Universitäts-Rentamt sowie ein Heizer und Maschinist dazu. Ersterer findet sich bereits in: PB LU Gi WS 1916/17, zwei unpag. und faktisch ungezählte Blätter zwischen Titelblatt und S. 3, am Ende der Lehrenden und Assistentengruppe: »Hildebrandt, Karl, Schreibgehilfe
1126 Studium und Lehre im Krieg rer Universitäten oder gar allgemeine Beratungen unter einen gewissen Druck geraten war, muß offenbleiben.305 Als Gemeinsamkeit ist also die durchwegs erhebende Würdigung des Heldentods festzuhalten, die natürlich dem Bedauern, daß es den Rednern selbst nicht ›vergönnt‹ war, am Krieg teilzunehmen, korrespondiert. Trotzdem fragt es sich, inwieweit hier echte Überzeugung, Tradition (dulce et decorum est pro patria mori) oder nur Floskelhaftigkeit (bzw. gesellschaftlicher Druck) den Ausschlag gab. Gemeinsam war allen Universitäten auch, daß sie in ihren gefallenen Angehörigen zugleich sich selbst ehrten. Dabei schien es völlig selbstverständlich, daß sie ihrer Gefallenen separat gedachten. Da Berufsverbände und größere Wirtschaftsbetriebe ähnlich verfuhren, kann dies allerdings nicht überraschen – um so weniger, als bei den Universitäten die Selbstdarstellung ohnehin seit langem Teil ihrer Existenz war. Verwundern muß nur zweierlei: der Berliner Verzicht auf Publikation der Auszeichnungen, der, in Verbindung mit der niedrigen Gefallenenzahl die Vermutung nahelegt, daß die hauptstädtische Universität auch in der Quote der Dekorierten hinter anderen Universitäten zurückstand, und die unterschiedliche Definition der Universitätsangehörigen: Während die Straßburger von Anfang an auch Verwaltungsbeamte aufnahmen,306 kam diese Überlegung den Gießenern, nach zunächst kategorischer Ablehnung, erst 1916 mit Blick auf das geplante Album. Im Jahresbericht wurden Gefallene aus dem Verwaltungs- und technischen Personal erstmals 1917 erwähnt.307 Die Berliner blieben bis zum Ende bei der herkömmlichen Auffassung von Universität als Gemeinschaft der Lehrenden und Studierenden. (Nur in der ersten Totenliste war der Hausverwalter der Universitätsgebäude genannt, in der dritten ein Bibliotheks-Sekretär.308) Erst als 1926 ein Denkmal errichtet wurde, war die Demokratisierung so weit gediehen, daß im Verzeichnis der Gefallenen auch die »Arbeiter« und »Hilfsdiener« der Universität erschienen. Im Krieg dagegen blieb die so viel beschworene Volksgemeinschaft auf das große Ganze beschränkt. Innerhalb der Universität existierte sie dagegen nicht. am Univ.-Rentamt«; letzterer im Verzeichnis des SS 1917. In PB Kriegsnotsemester Frühjahr 1919 und SS 1919 waren die Gefallenen der ersten Kriegssemester offenbar nach Todesdatum geordnet, so daß dieser Schreibgehilfe weiter oben zu stehen kam, es folgte auch ein »Heizer und Maschinist«. 305 Eine entsprechende Korrespondenz wurde nicht gefunden. Publikationen über andere Universitäten berühren die Frage der Behandlung der verschiedenen Statusgruppen nicht. Gelegentlich wird die Ehrung der gefallenen Studenten erwähnt: Grüner, Die Universität Jena während des Weltkrieges, S. 7; Wiedenhoff, Größte Mensur unseres Lebens, S. 199 f. (über die Kriegszeitungen der einzelnen Korporationen). 306 Der im SS 1915 registrierte Buchhalter war bei Druck des Verzeichnisses des WS noch am Leben. 307 Schian, Volk, S. 21 (ein Schreibgehilfe des Universitätsrentamts und ein Heizer am Physikalischen Institut). 308 Kipp, Amtsjahr 1914/15, S. 47; Bumm, Amtsjahr 1916/17, S. 24.
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Schlußüberlegungen309 In allen diesen Ritualen – von den universitätseigenen Feiern über die gesamtdeutschen Jubiläen bis zur Totenehrung – verbanden sich die Integration der Universitätsangehörigen in die nationale Gemeinschaft und deren Kriegs anstrengungen mit der Selbstdarstellung. Dabei bestätigt sich von der Sitzordnung bei den Feiern (und besonders dem dafür in Straßburg getriebenen Aufwand310) bis zur Gestaltung des Gefallenengedenkens die herausgehobene Position, ja Exklusivität, die die Gelehrten sich selbst zudachten. Aber während die Straßburger die Standesgrenze innerhalb der postulierten Volksgemeinschaft zumindest für die Toten der eigenen Institution aufhoben und die Berliner sie immerhin aufweichten, hielten die Gießener sie bis zur Kriegsmitte aufrecht. Konfessionelle Unterschiede verloren weiter an Bedeutung. In Straßburg wurden beide Bismarck-Reden von Angehörigen konfessioneller Minderheiten gehalten,311 in Gießen und Berlin beschloß der Senat die Feier des Reformationsjubiläums unter einem katholischen Rektor, während die katholischen Studenten bei ihrer Ablehnung der Feier zu diesem Anlaß in Berlin sogar die Zustimmung von Burschenschaften erhielten. Wie bei den auf die Gesamt gesellschaft zielenden rednerischen und publizistischen Aktivitäten ging es den Universitätsangehörigen also auch hier um die Bewahrung der im August 1914 erfahrenen Einheit. Aber gleichzeitig macht die Analyse der Reden wie die Gestaltung der Feiern und des Gefallenengedenkens deutlich, daß diese nicht zu einer Einebnung der Unterschiede führte, ja daß eine alle umfassende Einheit nicht einmal innerhalb der Universität gelang. So beeinträchtigte die alte Fragmentierung innerhalb der Studentenschaft in Korporierte und Nicht korporierte, die zu Kriegsbeginn überwunden schien, mancherorts auch weiterhin die Festgestaltung (und damit die inneruniversitäre Einheit). Und mit der ›Sortierung‹ der Gefallenen hielten die Universitäten am alten akademischen Maßstab für einen Dienst fest, der eigentlich als Staatsbürger (oder Angehöriger der ›Volksgemeinschaft‹) erbracht wurde.
309 Da in den einzelnen Unterabschnitten dieses Kapitels bereits Résumés gezogen wurden, werden hier nur noch einige übergreifende Punkte erwogen. 310 Zwar wurde damit auch etwas zugunsten der lokalen Arbeitnehmer getan. Da man das Geld für den Transport der Möbel, Druck der Einlaßkarten für Damen etc. allerdings auch für andere Zwecke hätte einsetzen können, war für diese Aufrechterhaltung der überlieferten Formen wohl in erster Linie das Selbstverständnis der Professoren entscheidend. 311 Die Katholiken waren zwar im Elsaß keine Minderheit – aber auf Reichsebene. Außerdem läßt sich »Minderheit« auch im Sinne eines minderen Status verstehen – was trotz formaler Gleichberechtigung auch für die Juden und die jüdische Religion galt.
1128 Studium und Lehre im Krieg Der Krieg war allgegenwärtig. Fast alle Redner bemühten sich, den Durchhaltewillen und die Siegeszuversicht aufrechtzuerhalten, obwohl dies von Jahr zu Jahr schwieriger wurde. Dabei legten die Berliner, deren Studenten und Lehrende sich militärisch weniger beteiligten als die der beiden anderen Universitäten, das größte Pathos an den Tag, während das frontnahe Straßburg, das auch als Lazarettstadt besonders gefordert war, sich am stärksten zurückhielt. Bezüglich des Kriegsverlaufs blieb man bei den Feiern aber überall bei allgemeinen Bemerkungen über Siege, Erfolge, Erwartungen. Von Waffen war wenig die Rede, und wenn sie erwähnt wurden, dann waren es Schwerter, nicht Bomben und Gas. Sie kamen also nur als bildlicher Ausdruck vor – quasi literarisch verarbeitet (oder verbrämt) statt in realistischer (und brutaler) Analyse. Daß Äußerungen über den konkreten Kampf fehlten, läßt sich nicht damit erklären, daß die Daheimgebliebenen daran ja keinen Anteil hatten; denn in floskelhaften Bemerkungen zum Tod der Kämpfer fanden die Redner ja (zumindest anfangs) trotzdem quasi-zeugenhafte Formulierungen, die in Wahrheit allerdings eine Fiktion darstellten. Da sah man Helden vor sich, die ihr Leben edelmütig opferten und dadurch quasi unsterblich wurden – nicht Menschen, die verreckten. Das, was ihnen durch Briefe (oder Erfahrungen der Mediziner) vom Grauen des Krieges zur Kenntnis kam, scheinen die Redner ausgeblendet zu haben. Vielleicht konnten sie überhaupt nur deshalb das Durchhalten fordern. So gesehen, dienten diese Feierrituale nicht nur der Selbstbehauptung der universitären Gemeinschaft bei gleichzeitiger Integration in die ›Volksgemeinschaft‹, sondern sie hatten auch etwas Beschwörendes, mit dem diese sich das Ungeheuerliche buchstäblich vom Leibe hielt.
V. Zum »Zusammenklang [von] ›Waffen und Wissenschaft‹«: Eine Schlußbetrachtung zur universitas in der ›Volksgemeinschaft‹
»Man muß die Kunst suchen, sowohl zu würdigen, was eine Nachricht sagt, wie was sie nicht sagt, und zu finden, was sie unfreiwillig verrät.«
Was der am 1. August 1914 – unter dem Kriegsgeläut der Glocken des Berliner Doms – gewählte Rektor der Universität beim Antritt seines Amtes im Oktober seinen Hörern bezüglich der »Nachrichten vom Kriegsschauplatz« riet,1 wurde auch hier versucht. Das trotz vieler Lücken reiche Material ist ausgebreitet und am Ende jedes Abschnitts zusammenfassend interpretiert. Die Schlußbetrachtung bietet daher keine weitere Zusammenfassung, sondern gilt zwei übergreifenden Fragestellungen: dem Verhältnis von »Wehrkraft und Wissenschaft«2 und dem Verhältnis von Universität und ›Volksgemeinschaft‹.
»Wehrkraft und Wissenschaft« Das häufig beschriebene und von heute aus ungläubig bestaunte Engagement der Gelehrten und Studenten zugunsten der Kriegführung kam keineswegs überraschend, sondern war das Ergebnis langer mentaler Vorbereitung: In der Schule hatten im späten Kaiserreich Aufgewachsene zum Kaisergeburtstag häufiger den Sang an Aegir gehört, den der Kaiser selbst gedichtet und komponiert hatte. Am lieblichsten war die Musik dort, wo es hieß »führ uns in Feindesland«.3 1918 eröffnete dieser Sang das Jahresfest der Universität Gießen.4 1913 hatte im Festakt zur Erinnerung an die Befreiungskriege in der Berliner Universität die ganze Versammlung Ernst Moritz Arndts »Der Gott der Eisen wachsen ließ« gesungen, und Harnack zitierte genau diese Zeilen in seiner Vorlesung unmittelbar vor der Kriegserklärung.5 Lieder aus den verschiedenen 1 Kipp, Kriegsaufgaben der Rechtswissenschaft, S. 25, 14. Zu Kipps Wahl s. o. Kap. III .1 mit A. 41. 2 S. das Harnack-Zitat o. S. 53. 3 Anzuhören (und im dazugehörigen Booklet nachzulesen) auf der CD der Berliner Hymnentafel, Preussens Klang und Gloria (Melisma 1981). 4 Einladung zur Jahresfeier 1918: UA Gi PrA 1219, fol. 43. 5 Siehe o. S. 246 f.
1130 Zum »Zusammenklang [von] ›Waffen und Wissenschaft‹« Kriegen Preußens bildeten im Repertoire von Schulchören, Studentenverbindungen, Männergesangsvereinen das »Rückgrat«.6 In Denkschriften (wie Harnacks 1909) und Reden (wie Delbrücks zum Kaisergeburtstag 1912) wurden »Wehrkraft und Wissenschaft« als tragende Säulen deutscher Größe und Macht apostrophiert, der »von Kindheit an vertraute Zusammenklang ›Waffen und Wissenschaft‹« immer wieder in Erinnerung gerufen.7 Darüber hinaus hatte jede der drei hier untersuchten Universitäten selbst eine besondere Beziehung zum Vaterlands- und Waffendienst: Das Motto der Gießener trug den Studenten nicht nur die Pflege der Wissenschaft, sondern auch ständige Kampfbereitschaft auf (armis et litteris). Im Straßburger kamen die Waffen zwar nicht explizit vor, waren aber im Dienst am Vaterland mit zudenken (litteris et patriae). Und auch die Berliner mußten mangels eines Mottos keineswegs passen. Vielmehr hielten sie in Reden zum Jubiläum 1910 oder zur Hundertjahrfeier der Befreiungskriege 1913 die Erinnerung an den Einsatz der Freiwilligen aus der Studenten- und Dozentenschaft wach und verstetigten dieses Andenken auch durch das neue Gemälde von Fichtes letzter Rede an die deutsche Nation in der neuen Aula. Nicht zuletzt bestand auch eine personelle Verflechtung zwischen Universität und Armee – und zwar nicht nur, weil aufgrund der allgemeinen Wehrpflicht auch die meisten Professoren einst ihren Dienst abgeleistet hatten (und viele von ihnen dann Reserveoffiziere blieben), sondern auch, weil einzelne (wie der Historiker Karl Stählin und der Nationalökonom Dietrich Preyer in Straßburg) ehemalige Berufsoffiziere oder (wie der Psychiater Robert Sommer in Gießen) verhinderte Militärs waren. Außerdem war auch mancher Professorensohn (wie z. B. Max Plancks) Berufsoffizier, viele andere Reserveoffiziere, im Krieg also im Einsatz gefährdet oder, wie etwa der Sohn des Altphilologen Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, schon bald gefallen. So läßt sich das Zusammenwirken von Wissenschaft und Militär von den Reden der Vorkriegszeit über die Gelehrten-Manifeste zu Kriegsbeginn bis zu den Hochschulkursen in der Etappe verfolgen, wobei die Formulierung des Straßburger Altphilologen Schwartz von der Wissenschaft als »Bundesgenossin« von Staat und Heer (1918) noch als neutral, ja zurückhaltend gelten kann, während in der Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reichs (1914) oder in der Rede Wilamowitz’ auf einem Studentenabend auch eine gegenseitige Ertüchtigung expliziert wurde.8 Letzteres hallte auch in der Denkschrift des preußischen Hochschulreferenten über das geplante Auslandsstudium (1917) wider. Die »Ideen von Weimar und die Zucht von Potsdam« (bei welcher man natürlich den »Soldatenkönig« und seinen Sohn assoziiert: Friedrich Wilhelm I. und 6 Helms, Informelle Propaganda in der Musikproduktion, S. 67 f. 7 Delbrück, Geist und Masse, S. 22. Ausführlicher s. o. S. 269. 8 Schwartz: S. 1122; Erklärung der Hochschullehrer: S. 268 f.; Wilamowitz: S. 1083.
Zum »Zusammenklang [von] ›Waffen und Wissenschaft‹«
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Friedrich II.) wollte er in der Beamten- und Offiziersbildung durch staatswissenschaftliche, ökonomische, politikwissenschaftliche und juristische Kenntnisse ergänzen.9 Wie zahlreiche Äußerungen aus der Kriegszeit belegen, erfüllte der »Zusammenklang ›Waffen und Wissenschaft‹« die Angehörigen der Universitäten über (fast) alle politischen Grenzen hinweg.10 Studenten und auch Lehrende mußten also zu Kriegsbeginn nicht mobilisiert werden, sondern sie wurden von sich aus aktiv, meldeten sich freiwillig, denn »Heer und Volk« waren »eins«, wie Adolf von Harnack Ende September in seinem Beitrag zu den Deutschen Reden in schwerer Zeit programmatisch verkündete und wie es bald auch in der Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reichs hieß.11 Die (militärische!) Selbstmobilisierung erfaßte sogar einzelne Studentinnen: »Neulich setzte mir aber eine allen Ernstes auseinander, sie sehe nicht ein, warum sie nicht auch im Notfall mit der Flinte dienen sollten«, berichtete Friedrich Meinecke im November 1914 aus Berlin.12 Zu Kriegsbeginn bestätigten sogar Universitätsphilosophen die enge Verbindung von Kriegführung und Wissenschaft und deuteten die Wissenschaft als »geistige Rüstung«. Durch Mitarbeit daran bewahrte man nicht nur die Güter, für welche die ›draußen‹ kämpften, sondern man wurde »auch ein Kämpfer«.13 Im »Zusammenklang« von Waffen und Wissenschaft, der bislang auf Gleichrangigkeit gründete, wiesen die Äußerungen der Kriegszeit nun ersteren Priorität zu. Ein kämpfender Mediävist sah in seinem Kriegsdienst sogar den » grösseren Lehrberuf«!14 Und wenn die Universitäten möglichst viele ihrer Studenten auf die Gefallenentafeln aufnahmen, auch ehemalige, ehrten sie nicht nur deren Andenken, sondern erhöhten auch das Renommee der Institution. Im Krieg rangierte das Heer vor der Wissenschaft, und zwar nicht nur faktisch-praktisch, sondern auch ideologisch – so daß Wilamowitz schließlich erklären konnte, der Wille des Heeres sei der Wille des Volkes.15 Daß die Wissenschaft hinter dem Kriegsengagement an zweiter Stelle stand, wurde schon im öffentlichen Zyklus der Berliner Universität klar: Die Redner wollten keine »wissenschaftliche[n] Vorträge (…), sondern deutsche Reden« halten, erklärte derselbe Rektor, der die Hörer zwei Wochen vorher zu kritischem Umgang mit den Rechtsquellen wie den Kriegsnachrichten aufgefordert hatte.16 Noch an der 9 10 11 12 13 14 15 16
S. 849 f. Als Ausnahme s. etwa den Mediziner Nicolai (o. S. 925–928). Harnack: S. 546; Erklärung: S. 547. Meinecke an A. Dove 4.11.1914, in: Meinecke, Ausgewählter Briefwechsel, S. 50–52, Zitat 50. Der Sprung vom Singular zum Plural i. O. Zur Erinnerung an militärischen Dienst von Frauen in den Befreiungskriegen s. o. S. 464 mit A. 411. Siehe o. S. 809 f. Siehe o. S. 362. Siehe o. S. 986. Siehe o. S. 541.
1132 Zum »Zusammenklang [von] ›Waffen und Wissenschaft‹« quasi-militärischen Organisation und Ausstattung der Genossenschaften läßt sich das höhere Prestige des Waffendienstes freiwilliger Krankenpfleger ablesen. Auch die Ehrenpromotionen zur Würdigung militärischen oder administrativ-technischen Kriegseinsatzes, der (abgesehen von Königsberg im August 1914) nicht speziell zugunsten der verleihenden Universität erfolgte, bestätigen, daß die Leistungen für die ›Volksgemeinschaft‹ nun so wichtig waren wie früher (auch nicht-wissenschaftliche) Leistungen für die Universität. Ja, in den Notprüfungen zu Beginn des Krieges wurde den Kandidaten nicht nur inhaltlich weniger abgefordert als in regulären Examina; sogar eine Wiederholung, die den geltenden Bestimmungen zufolge unzulässig war, konnte aufgrund des Kriegs einsatzes gestattet werden. Später forderten Kriegsteilnehmer sogar selbst eine Senkung der Prüfungsanforderungen für Soldaten, womit die Wissenschaft sogar in ihrem ureigensten Bereich auf den zweiten Platz verwiesen wurde. Die ›Kriegsuntüchtigen‹17 trugen schon allein dadurch, daß sie ›daheim bleiben‹ mußten, ein schweres Los, gerieten unter Rechtfertigungsdruck. Die neue Nachrangigkeit der Wissenschaft minderte auch die Bedeutung des einzelnen noch weiter. Beides trieb viele zu rhetorisch-publizistischem und praktischem Engagement zugunsten der Kriegführung, bis hin zum Aktionismus. Im Versuch, die alte Gleichrangigkeit von ›Waffen und Wissenschaft‹ zu erhalten, wurden bald militärische Begriffe auch auf das Engagement an der Heimat-›Front‹ übertragen und dieses damit aufgewertet: Die hier Aktiven verstanden sich als »Heimatheer«.18 Nachdem zu Kriegsbeginn an den verschiedenen Universitäten die Parole ausgegeben worden war, daß man dem Vaterland am besten diene, wenn jeder an seinem Platz seine Aufgaben erfülle,19 wurden dann umgekehrt die, die ihr Studium vernachlässigten, zugleich zu »Fahnenflüchtigen«.20 Bei alledem waren aber die Gelehrten nicht so blind-nationalistisch, wie es – infolge der Konzentration auf Aufrufe und Kriegszielpublizistik – bislang schien. Auch wenn die Prioritäten klar waren, das Vaterland vor der Wissenschaft rangierte, das Deutschtum vor dem Supranationalen, fiel die Umsetzung dieser Überzeugung selbst einem der eifrigsten Kriegspublizisten nicht immer leicht. Wilamowitz sprach (mindestens) zweimal öffentlich mit Wehmut von der Internationalität der Wissenschaft, und auch einige andere erinnerten schon in den Vortragsreihen der einzelnen Universitäten daran.21 War die Verbindung einstweilen auch unterbrochen, so konnte von der von Stefan Zweig behaupteten Leugnung fremder Kulturen22 doch keine Rede sein. Theologen mahnten damals in Berlin und Gießen, die Beschränktheit der Information und 17 18 19 20 21 22
Siehe o. S. 810. Siehe o. S. 696. Siehe o. S. 251; 542. Siehe o. S. 810. Implizit (am Beispiel Goethe/Carlyle): S. 553; Wilamowitz: S. 1076 f. und 1098 f. S. das Eingangszitat in der Einleitung.
Zum »Zusammenklang [von] ›Waffen und Wissenschaft‹«
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die Notwendigkeit künftiger Versöhnung zu bedenken.23 Später erinnerten in den Reformationsfeiern Theologen, die das Deutschtum Luthers herausstellten, abschließend selbst daran, daß dies in der Bedeutung der Reformation doch nicht das Entscheidende sei.24 Trotz großen ›vaterländischen‹ Einsatzes behielt eine gewisse Nachdenklichkeit also auch weiterhin ihren Platz in der deutschen Universität.25 Praktisch umgesetzt wurde die Verbindung von »Wehrkraft und Wissenschaft« in den Hochschulkursen in der Etappe 1916–1918. In gewisser Hinsicht kann man sogar von einer zeitweiligen Fusion sprechen, sowohl faktisch – indem im ersten dieser Kurse »Felddekane« eingesetzt wurden – als auch sprachlich-mental, indem diese Kurse als »wissenschaftliche Heerschau« verstanden wurden, die der Bevölkerung der besetzten Gebiete die deutsche kulturelle Überlegenheit vorführen sollte.26 Obwohl es in dem »Zusammenklang« auch gewisse Dissonanzen gab (indem die Oberste Heeresleitung solche Kurse zunächst generell, ein Gouverneur vor Ort die Abhaltung in seinem Bereich ablehnte), festigten sie auch die Verbindung zwischen Militärs und Akademikern. Vor allem aber förderten diese Kurse wohl den Zusammenhalt der Akademiker untereinander. Andererseits führte die militärische Organisation aber auch dazu, daß das Verhältnis der Akademiker zu den anderen Heeresangehörigen auf den Prüfstand kam: Zum einen erschienen Kurse nur für Akademiker als schwer zu rechtfertigendes Privileg (was aber vermutlich nicht der wahre Grund für die Ausweitung des Teilnehmerkreises war).27 Zum anderen aber bewirkte die militärische Rangordnung die unterschiedliche Behandlung akademisch ›Gleicher‹ bei Unterbringung und Versorgung. – Das führt zur zweiten übergreifenden Fragestellung:
Universität und ›Volksgemeinschaft‹ Angesichts der hohen, geradezu charismatischen Bedeutung der Professur28 war es schon erstaunlich, daß die Gelehrten während des Krieges den Militär dienst durchwegs als »höhere« Aufgabe anerkannten.29 Innerhalb der Gesamt23 Siehe o. S. 552 und 547. 24 Siehe o. S. 1108–1111. 25 S. auch für Heidelberg Weber, Our Friend »The Enemy«, S. 225 f. (gestützt auf Hampes Tagebuch). 26 S. dazu Zitate o. S. 986, 987. 27 Jener ist eher in der notwendigen Stimmungsverbesserung auch anderer Gebildeter und ihrer Multiplikatorenfunktion im Rahmen des Vaterländischen Unterrichts zu vermuten. 28 Siehe o. Kap. II.6. 29 Zu den Dozenten s. o. S. 1131. Zur »höheren Pflicht« der studentischen Kriegsteilnehmer s. S. 248 (M. Planck).
1134 Zum »Zusammenklang [von] ›Waffen und Wissenschaft‹« gesellschaft hatten sie herkömmlich die Unabhängigkeit ihres ›Standes‹ betont, der sich zwar durchaus elitär definierte, aber als über den Klassen stehend zugleich als Mittler zwischen ihnen begriff. Die Vorstellung, daß dieser Stand keine eigenen Interessen verfolge, findet sich auch während des Krieges und diente damals zur Rechtfertigung politischer Vorstöße.30 Nun reihten sich die Universitätsgelehrten rhetorisch ganz und manche auch praktisch in die stände- und konfessionenübergreifende ›Volksgemeinschaft‹ ein: Max Planck bot als Berliner Rektor Hochschullehrer sogar zu »Subalterndiensten« an (ohne daß dies allerdings von den Behörden genutzt worden wäre!), und einzelne Professoren waren sich selbst als einfache Krankenträger nicht zu schade.31 Typischer ist aber die Wahrung sozialer Exklusivität in den Genossenschaften freiwilliger Krankenpfleger. Wenn die Dozenten allerdings betonten »Heer und Volk« seien »eins und wir gehören auch dazu«,32 dann bezieht sich dies auf beide Glieder der Aufzählung. Damit reihten sich die ›Daheimgebliebenen‹ implizit zugleich ins Heer ein! Ähnlich freuten sich die Wortführerinnen der Studentinnen, als der Kriegsminister sie in die Munitionsindustrie rief, daß auch sie nun dazugehörten, man auch sie brauchte. Andererseits bedeutete die Integration in die ›Volksgemeinschaft‹ aber keine Akzeptanz prinzipieller Egalität. Es findet sich nicht nur gelegentliches Bedauern oder gar Gekränktheit des einzelnen bei Verwendung unterhalb der eigenen Qualifikation.33 Vor allem gingen die Gelehrten bis zuletzt davon aus, daß sie dem Volk Orientierung zu geben hätten und diese auch gehört werde. Darin waren sich – über die Grenzen der gerade auch in puncto Kriegsziele gespaltenen Lager hinweg – praktisch alle einig.34 Ihre Kompetenz zur Deutung des Krieges untermauerten jene, die in den Etappenkursen lehrten, gegenüber dem ›Publikum‹ zuhause auch mit dieser Erfahrung. Doch sogar mancher, der nie (oder erst später) dorthin kam, maßte sich an, seine an der Front kämpfenden Schüler über diesen Krieg zu belehren oder ihn ihnen sogar als Echtheitsprobe ihrer Seele vorzustellen.35 Den Führungsanspruch untermauerten die Gelehrten 30 S. als Beispiel Johannes Haller in seiner Unterschriftensammlung für eine Erklärung von Hochschullehrern gegen die Friedensresolution der Reichstagsmehrheit 1917 (o. S. 591 f.). 31 Planck: S. 429; Krankenträger in der Heimat: Karl Hampe (S. 388 mit A. 27), im Feld (S. 712). 32 Siehe o. S. 268. 33 Sogar beim Einsatz als Militärarzt. S. als Beispiel den Gießener Gynäkologen Opitz S. 371. 34 S. insbes. S. 616, 617. 35 Belehrung: S. 584 (Dietrich Schäfer, der sich als Dozent erst 1918 am Kurs in Riga beteiligte: Tilitzki, Albertus-Universität Königsberg, S. 431). Echtheitsprobe: S. 677 f. (Victor Michels, Jena, der bei Kriegsbeginn das kriegsdienstpflichtige Alter überschritten hatte, war laut Internationalem Germanistenlexikon II, S. 1223 f. 1914–1916 Gastprofessor an der Yale University. Sein Gruß als Rektor der Universität Jena ist am 30.10.1916 ge- und unterschrieben).
Zum »Zusammenklang [von] ›Waffen und Wissenschaft‹«
1135
mit der 1870 von dem Berliner Mediziner Emil Dubois-Reymond geschaffenen Bezeichnung der Universität Berlin als »geistiges Leibregiment der Hohenzollern«, die der gemäßigte Delbrück 1918 (wenn formal auch nur referierend) wiederaufnahm.36 Und wie der Offizier für seine Truppe Verantwortung trage, seien die Studenten ihrem Volk verpflichtet, mahnte einer der Studentenführer.37 Gerade mit der Integration in die ›Volksgemeinschaft‹ während des Krieges untermauerte er so ihren Führungsanspruch für die Zukunft. Daher verwundert es auch nicht, daß innerhalb der Universitäten keine ›Volksgemeinschaft‹ entstand. Obwohl sie sich in praktischer Hinsicht durchaus ihres technischen und Verwaltungspersonals annahmen, wurde die universitas weitgehend im herkömmlichen Sinn als Gemeinschaft der Lehrenden und Studierenden begriffen, das übrige Personal jedoch (etwa im Totengedenken) erst allmählich als Teil der Universität. Aber selbst durch die eigentliche universitas gingen Risse. Sie waren zum einen durch die unterschiedlichen Erfahrungen von Front und Heimat verursacht und wurden durch die Durchhalteappelle der ›Daheimgebliebenen‹, ihre belehrende und gelegentlich sogar prüfende Haltung gegenüber den Soldaten noch vertieft. Darüber hinaus bewirkten vor Ort aber gerade auch die politischen Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich des Krieges weitere Spaltungen. Das Spannungsverhältnis zwischen Integration in die ›Volksgemeinschaft‹ und Aufrechterhaltung des Führungsanspruchs ist an der ›jüngsten‹ Gruppe von Universitätsangehörigen besonders deutlich zu beobachten: den erst wenige Jahre zuvor regulär zugelassenen Studentinnen. Wie die älteren, nicht mehr kriegsdienstpflichtigen Professoren beteuerten auch sie, daß sie ebenfalls dazu gehörten, und wollten dies mit ihrem Einsatz beweisen. Und wie die Professoren und Studenten innerhalb der deutschen Gesellschaft, so beanspruchten sie unter den deutschen Frauen die Führungsrolle (die sie zunächst – als Vorbild – mit ihrem Kriegseinsatz ausfüllen wollten). Insofern hatten sich die Studentinnen voll in die Universität (bzw. den Akademiker-›Stand‹) integriert – obwohl die Kluft zu den männlichen Studierenden durch den Krieg zugleich vergrößert wurde. Während das Engagement der Studentinnen mit der Arbeit in der Muni tionsindustrie und in der Etappe 1917/18 eine ernsthaftere Form annahm, gingen die Aktivitäten der Gelehrten und der Universität insgesamt in der zweiten Kriegshälfte allerdings zurück. Hatten sie sich zunächst eifrig selbst angeboten, so wurden sie in der zweiten Kriegshälfte von den Behörden herangezogen, um die Stimmung zu verbessern, für die Kriegsanleihe zu werben oder zum Vaterländischen Unterricht beizutragen. Doch wirkten sie hier mancherorts eher or36 S. 618 (Delbrück schreibt »Leibgarde«; zum Beleg der ursprünglichen Formulierung s. S. 25 mit A. 12). 37 Getzeny, Der Nationale Studentendienst, S. 4.
1136 Zum »Zusammenklang [von] ›Waffen und Wissenschaft‹« ganisierend als selbst ›aufklärend‹. Dabei scheint es mindestens in Straßburg insistierender Nachfragen des Rektors bedurft zu haben, um genügend Kollegen zum Engagement zu bewegen.38 Und der Bericht des Berliner Rektors für das Amtsjahr 1917/18 enthielt überhaupt keine Dokumentation der »Kriegstätigkeit der Friedrich-Wilhelms-Universität« mehr! So entsteht der Eindruck, daß sich die Gelehrten in der zweiten Kriegshälfte auf einen ›pflichtgemäßen‹ Anteil an den Kriegslasten beschränkten. Schon beim Vaterländischen Hilfsdienst war – abgesehen von den Aufrufen des neutralen Studentinnenverbands an seine Mitglieder – mehr Zurückhaltung als Engagement zu beobachten. Und den Einsatz der Studentinnen trachteten manche Rektoren sogar zu beschränken. Für die Reduzierung des Engagements (nicht nur der Frauen) gaben offenbar die Bewahrung der Funktionsfähigkeit der Institution, die Ausbildung der Studierenden und Förderung von deren Berufsaussichten den Ausschlag.
Vergleiche Die genaue vergleichende Betrachtung bestätigt zwar manches, was auch anderswo schon beobachtet wurde. Gleichzeitig fördert sie ganz neue Beobachtungen zutage (etwa die weitgehende Abstinenz der Straßburger bei kollektiven Stellungnahmen oder die Versuche mancher Universitäten, die Frauen dem Vaterländischen Hilfsdienst quasi zu entziehen). Insbesondere führt sie bei jedem der untersuchten Aspekte zur Differenzierung, nicht nur zwischen den drei untersuchten Universitäten,39 sondern unter Einbeziehung der Ergebnisse weiterer Universitäten auch systematisch. Das Ergebnis ist vor allem ein deutlicher Kontrast zwischen den beiden ›Nationaluniversitäten‹: Die Straßburger erwies sich – trotz ihrer spezifischen nationalen Mission! – in jeder Beziehung als zurückhaltender als die Berliner. Hier waren der Anteil der Unterzeichner der Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches von allen drei Universitäten am niedrigsten und die Reihe der Kriegsvorträge der Universität am kürzesten. Spätere Manifeste, insbesondere die Kriegszielerklärungen, unterzeichneten keine Straßburger mehr, und auch bei Erklärungen für oder gegen die Vaterlandspartei hielten sie sich ganz zurück. Ihre praktischen Aktivitäten zur Unterstützung der Kriegführung wußten sie dabei durchaus ähnlich wie die Berliner herauszustellen – ließen sie aber, obwohl sie sich stärker engagierten als die Berliner, anders als jene als Leistung der gesamten Universität, nicht namentlich genannter Einzelpersönlichkeiten erscheinen. Und obwohl auch sie die Kriegführung in ihren Festakten prinzi
38 S. die ausführlichen Belege für Straßburg. 39 Deshalb wird auch hier wiederum auf die Résumés der einzelnen Abschnitte verwiesen.
Zum »Zusammenklang [von] ›Waffen und Wissenschaft‹«
1137
piell unterstützten, waren die dortigen Appelle und Äußerungen vergleichsweise gemäßigt. Ganz anders die Berliner: Ihre Gelehrten beteiligten sich von allen dreien am wenigsten an der Kriegführung, was um so aussagekräftiger ist, als ja nicht nur die militärische, sondern auch die militärärztliche und die Expertentätigkeit im Dienst des Heeres erfaßt wurden. Gleichzeitig engagierten sie sich politisch aber am stärksten, traten publizistisch und mit Kriegsvorträgen für die Stadtöffentlichkeit besonders stark hervor – und waren in ihren Durchhalteappellen, besonders bei Festakten, am pathetischsten. Zugleich beanspruchte die Berliner unter den deutschen Universitäten eine Sonder- (d. h. Vorrang-) Stellung, die (wie schon 1913 beim Thronjubiläum Wilhelms II.) während des Krieges sogar die gemeinsame Bismarck-Ehrung der anderen fast scheitern ließ. Von allen drei Universitäten setzte die kleinste den »Zusammenklang ›Waffen und Wissenschaft‹« am klarsten um; denn die Gießener hatten den höchsten Anteil an Studenten im Militärdienst und (proportional) die größten Verluste. (Beim Engagement der Dozenten standen sie nur an zweiter Stelle – was aber wohl durch die hohe Zahl von Straßburger Medizinern vor Ort, d. h. in den Lazaretten der Festung zu erklären ist.) Zugleich engagierten sich die Gießener in den Kriegsvorträgen ebenso stark wie die Berliner: über zwei Semester hinweg, dabei auf einer breiteren Dozentenbasis und, als Besonderheit, mit auch praktisch ausgerichteten kriegswissenschaftlichen Vorträgen. Bei der Unterzeichnung von Kriegszielmanifesten waren die Gießener aber relativ zurückhaltend, und 1917 bezog gerade hier, in der überschaubaren Stadtgesellschaft, wo man damit mehr Aufsehen erregte und sich evtl. Feinde schuf, ein beträchtlicher Teil des Lehrkörpers gegen die Vaterlandspartei Stellung. Die Gießener machten ihrem Motto »Armis et litteris ad utrumque parati« also alle Ehre. Und was die Gelehrtenkorporation an der Grenze als Vorschlag Bismarcks einst abgelehnt hatte, tat sie nun freiwillig selbst: Sie kehrte zur Beschreibung ihres Engagement sogar die Reihenfolge in ihrem Motto um: Die Straßburger erfüllten ihre Aufgaben »getreu ihrem Wahlspruch: ›Patriae et litteris‹.«40 (Damit lieferten sie zugleich einen expliziten Beweis für die Nachrangigkeit der Wissenschaft im Krieg.) Vergleicht man nicht die Gesamtkorporationen, sondern die Fakultäten, so erweisen sich die Mediziner in ›politischer‹ Hinsicht und an allen drei Universitäten als zurückhaltender als die Vertreter anderer Fakultäten. Dies gilt sowohl für die Beteiligung an den Gelehrtenaufrufen zu Kriegsbeginn als auch für die Kriegszieldiskussion ab 1915. Doch auch in den Erklärungen gegen die Vaterlandspartei 1917 waren sie unterrepräsentiert. Andererseits sollte man, angesichts des schon mehrfach konstatierten Eifers der Geistes- und Sozial
40 Stiftungsfest der KWU 1915, S. 16.
1138 Zum »Zusammenklang [von] ›Waffen und Wissenschaft‹« wissenschaftler,41 nicht übersehen, daß prominente Naturwissenschaftler nicht nur ihre Unterschrift unter den Aufruf An die Kulturwelt! setzten, sondern sich auch im Bund der Gelehrten und Künstler in der vom Staat gewünschten ›Aufklärung‹ und Stimmungslenkung engagierten, die wohl treffender als Propaganda zugunsten der Kriegführung zu bezeichnen wäre. Zum Führungskreis des Kulturbundes gehörten Max Planck sowie die Mediziner Wilhelm (von) Waldeyer(-Hartz) und August von Wassermann, zu den Referenten auch Walter Nernst. Im übrigen sollte man aber vor allem den praktischen Beitrag der Naturwissenschaftler zur Kriegführung (von der Forschung in der Artilleriekommission über den Gaskrieg bis zur Entwicklung von Stahlhelm und Gasmaske) nicht unterschätzen. Trotzdem bleibt das weit überproportionale Engagement der Geistes- und Sozialwissenschaftler sowie Juristen in der Kriegszieldebatte und Publizistik eine Tatsache. Ja, die Berliner Philosophische Fakultät liefert sogar den Beleg dafür, daß jene, die sich am wenigsten praktisch zugunsten der Kriegführung engagierten, besonders lautstark ihre Stimme erhoben und die Feder als Waffe führten. Auf diese Weise demonstrierten sie, denen der Kampf mit Gewehren, Granaten, Gas ›nicht vergönnt‹ war, daß auch sie ›dazugehörten‹.
41 Langewiesche, Universität Tübingen in der Weimarer Republik, S. 385 (allgemein); Paletschek, Tübinger Hochschullehrer im Ersten Weltkrieg, S. 87 f. (für Tübingen und allgemein); Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, S. 187 (allgemein).
Anhang
Tabellen
Tab. 1: Kriegsteilnahme deutscher Studierender Berlin immatr. Deutsche
davon im/ beim Heer1
%
M%
F%
WS 1914/15
7399
3485
47,1
53,3
4,3
SS 1915
7389
3776
51,1
57,8
5,7
WS 1915/16
7935
4668
58,8
67,7
5
SS 1916
8085
4877
60,3
68,8
4,2
WS 1916/17
8900
5742
64,5
73,9
4,2
SS 1917
9634
6960
72,2
81,5
4,1
WS 1917/18
10245
7611
74,3
84,1
3,5
SS 1918
10460
7536
72
79,9
3,3
Straßburg immatr. Deutsche
davon im Heer
%
M %
als Prozentsatz der AD
Els.
Loth.
WS 1914/15
1148
535
46,6
48,5
57,8
42
44
SS 1915
1537
1026
66,5
69,34
81,5
55,9
77
WS 1915/16
1492
1028
68,9
71,4
81,5
59,6
77
SS 1916
1622
1163
71,7
76,1
78,4
65,1
84,7
WS 1916/17
1717
1134
66
68,8
72,3
60,1
81,1
SS 1917
1740
1275
73,2
76
82
66,5
84,4
WS 1917/18
1854
1242
67
70,7
73,3
61,6
77,8
SS 1918
1906
1351
70,9
74,1
73,8
67,4
81,6
2
3
Tabellen
1141
Gießen immatr. Deutsche
davon im Heer
%
M %
WS 1914/15
1206
ca. 900
74,6
76,2
SS 1915
1168
903
77,3
79,5
WS 1915/16
1169
910
77,8
80,1
SS 1916
1203
904
75,1
77,6
WS 1916/17
1234
929
75,3
78,3
SS 1917
1304
1007
77,2
80,6
WS 1917/18
1321
1033
78,2
81,9
SS 1918
1487
1089
73,2
78
Abkürzungen: M Männer F Frauen AD ›Altdeutsche« (s. dazu o. S. 32) Anmerkungen: 1 Männer »im Heer«, Frauen »beim Heer« 2 Auf dem Stand vom 27.11.1914 (s. dazu o. S. 306 mit A. 46) 3 Auf dem Stand vom 27.11.1914 (s. dazu o. S. 306 mit A. 46) 4 Im SS 1915 leisteten vier Straßburger Studentinnen Kriegsdienst, von WS 1915/16 bis einschl. WS 1916/17 jeweils eine (s. dazu o. S. 302 A. 27).
1142 Anhang Tab. 2: Kriegsdienst des Gießener Lehrkörpers Aktive Hochschullehrer (nach Statusgruppen) OP
Kriegsdienst
%
AOP
Kriegsdienst
%
HP
SS 1915
53
13
24,5
22
7
31,89
2
WS 1915/16
50
15
30
28
10
35,7
2
SS 1916
50
12
24
28
9
32,1
2
WS 1916/17
47
6
12,8
28
8
28,6
2
SS 1917
48
6
12,5
29
10
34,5
2
WS 1917/18
49
7
14,3
30
11
36,6
2
SS 1918
51
7
13,7
31
11
35,5
2
Kriegsdienstleistende als Anteil aller aktiven Hochschullehrer (also ohne Emeriti) nach Fakultäten Ev. Theol.
%
Jur.
%
Med.
%
Davon PD
SS 1915
7/1
14,3
6/1
16,7
34/12
35,3
9/5
WS 1915/16
7/1
14,3
6/1
16,7
35/13
37,1
9/5
SS 1916
7/1
14,3
6/1
16,7
36/12
33,3
10/5
WS 1916/17
7/–
0
6/–
0
36/11
30,6
8/5
SS 1917
7/–
0
6/–
0
36/11
30,6
8/5
WS 1917/18
7/–
0
5/–
0
36/12
25
8/5
SS 1918
8/–
0
6/–
0
35/12
34,3
8/6
Tabellen
1143
Kriegsdienst
PD
Kriegsdienst
%
Gesamt
Kriegsdienst
%
mit Emeriti
%
0
26
15
57,7
104
35
33,7
110
31,8
0
25
16
64
105
41
39
112
36,6
0
26
18
69,2
106
39
36,8
112
34,8
0
26
17
65,4
103
31
30,1
109
28,4
0
25
16
64
104
32
30,8
110
29,1
0
25
16
64
106
34
32,1
112
30,4
0
24
15
62,5
108
33
30,6
113
29,2
%
Philos.
%
Gesamt (ohne Emeriti)
55,6
57/21
36,8
104/35
55,5
57/26
45,6
105/41
50
57/25
43,9
106/39
62,5
54/20
37
103/31
62,5
55/21
38,2
104/32
62,5
58/22
37,9
106/34
75
59/21
35,6
108/33
1144 Anhang Tab. 3: Kriegsdienst des Berliner Lehrkörpers Alle Hochschullehrer (mit Emeriti) (nach Statusgruppen) OP1
Kriegsdienst
%
AOP
Kriegsdienst
%
HP
SS 1915
98
8
8,2
89
10
11,2
31
WS 1915/16
96
8
8,3
88
9
10,2
29
SS 1916
97
8
8,2
90
8
8,9
28
WS 1916/17
97
5
5,2
90
10
11,1
28
SS 1917
100
5
5
90
9
10
31
WS 1917/18
100
5
5
90
11
12,2
33
SS 1918
101
5
5
84
13
15,5
38
Kriegsdienstleistende als Anteil aller Hochschullehrer (mit Emeriti) nach Fakultäten Ev. Theol.
%
Jur.
%
Med.
%
SS 1915
23/1
4,3
32/3
9,4
200/65
32,5
WS 1915/16
23/2
8,7
31/3
9,7
196/60
30,6
SS 1916
23/1
4,4
31/5
16,1
198/65
32,8
WS 1916/17
23/2
8,7
31/5
16,1
196/64
32,7
SS 1917
23/2
8,7
34/6
17,6
194/62
32
WS 1917/18
21/2
9,5
33/6
18,2
195/64
32
SS 1918
20/–
0
34/6
17,6
192/64
33,3
Anmerkungen: 1 Inklusive Emeriti 2 In der Gesamtzahl sind jeweils 2 (im WS 1917/18: 3) Lesende Mitglieder der Akademie der Wissenschaften enthalten, für die hier keine eigene Spalte geschaffen wurde.
Tabellen
Kriegsdienst
PD
Kriegsdienst
%
Gesamt2
Kriegsdienst
%
%
7
21,6
278
82
29,5
498
107
21,5
5
17,2
269
90
30,4
484
112
23,1
5
17,9
270
99
36,7
487
120
24,6
4
14,3
267
99
37,1
484
118
24,4
5
16,1
264
101
38,3
487
120
24,6
5
15,2
260
98
37,7
486
119
24,5
5
13,2
256
95
37,1
482
118
24,5
Privatdoz.
%
Philos.
%
Gesamt
%
138/51
37
243/38
15,6
498/107
21,5
135/51
37,8
234/47
20,1
484/112
23,1
138/56
40,6
235/49
20,9
487/120
24,6
137/56
40,9
234/47
20,1
484/118
24,4
134/54
40,3
236/50
21,2
487/120
24,6
134/55
41
237/47
19,8
486/119
24,5
131/55
42
236/48
20,3
482/118
24,5
1145
1146 Anhang Tab. 4: Kriegsdienst des Straßburger Lehrkörpers Aktive Hochschullehrer (nach Statusgruppen) OP
Kriegsdienst
%
AOP
Kriegsdienst
HP
Kriegsdienst
SS 1915
68
16
23,5
22
13
59
9
1
WS 1915/16
65
19
29,2
22
12
54,5
9
1
SS 1916
62
21
33,9
23
14
60,9
9
2
WS 1916/17
62
21
33,9
25
15
60
9
1
SS 1917
59
22
37,3
25
16
64
9
1
WS 1917/18
57
24
42,1
24
17
70,8
9
1
SS 1918
56
24
42,9
24
16
66,6
9
1
Jur.
%
Med.
%
Straßburg Kriegsdienstleistende als Anteil der aktiven Hochschullehrer (also ohne Emeriti) nach Fakultäten Kath. Theol.
%
Ev. Theol.
%
SS 1915
11/–
0
10/–
0
14/4
28,6
62/54
WS 1915/16
11/–
0
9/5
55,6
14/4
28,6
62/51
SS 1916
11/–
0
10/7
70
14/5
35,7
59/50
WS 1916/17
11/–
0
10/7
70
13/5
38,5
64/55
SS 1917
10/2
20
10/7
70
12/4
25
64/55
WS 1917/18
11/3
27,3
10/9
90
11/4
36,4
62/50
SS 1918
11/5
45,5
9/8
88,9
14/4
28,6
61/50
Tabellen
%
PD
Kriegsdienst
%
Gesamt
Kriegsdienst
11,1
67
48
71,6
166
78
11,1
67
48
71,6
163
22,2
67
49
73,1
11,1
67
55
11,1
65
11,1 11,1
1147
mit Emeriti
%
47
181
43,1
81
49,7
179
45,3
161
86
53,4
174
49,4
82,1
163
92
56,4
176
52,3
54
83,1
158
93
58,9
170
54,7
65
51
78,5
155
93
60
169
55
62
50
80,6
151
91
60,3
164
55,5
%
Privatdoz.
%
Philos.
87,1
38/36
94,7
40/10
82,3
38/35
92,1
84,7
37/34
85,9
%
%
Math.-Nat.
%
Gesamt
25
29/11
37,9
166/78
37/9
24,3
30/12
37,5
163/81
91,9
36/12
33,3
29/12
41,3
161/86
39/37
94,9
36/11
30,6
29/14
48,3
163/92
85,9
39/36
92,3
34/12
35,3
28/13
46,2
158/93
80,6
38/33
86,8
33/13
39,4
28/14
50
155/93
82
38/33
86,8
33/12
36,4
24/12
50
152/91
1148 Anhang Tab. 5: Studienstatistik Berlin Zahl der Imm.
Veranst. belegten
WS 14/15
7824
3775
48,2 %
SS 15
7793
2603
33,4 %
WS 15/16
8439
3161
37,5 %
SS 16
8590
3125
36,4 %
WS 16/17 6.2.
9409
3426
36,4 %
SS 191717
10126
2139
21,1 % (?)1
WS 1917/18
10769
2556
23,7 % (?)2
SS 1918
10968
3434
31,3 % (?)3
Anmerkungen: 1 Laut Bumm, Amtsjahr 1916/17 belegten 2139 »Studenten« Veranstaltungen. Da der Satz davor sich nur auf die Studenten »an den Fronten« bezieht, sind auch hier vermutlich nur die männlichen Studenten gemeint. In den Berichten davor wurden die Zahlen immer für Männer und Frauen getrennt angegeben. Hier scheinen die Frauen zu fehlen. 2 Laut Penck, Amtsjahr 1917/18, S. 9 belegten 2556 »Studierende« Veranstaltungen. Der Prozentsatz gilt, sofern diese Männer und Frauen umfaßten. Die Gesamtzahl der Immatrikulierten gibt Penck mit 10799 an, während in der »Übersicht« (in AV FWU Berlin WS 1917/18) 10769 genannt sind. 3 Laut Penck, Amtsjahr 1917/18, S. 9 zählte die Universität 10968 »Studierende«, Vorlesungen belegten 3434 . Quelle bis einschl. WS 1916/17: AV FWU Berlin (jeweils nach der »Endgültigen Feststellung« im folgenden Semester). Da ab WS 1917/18 nur noch gekürzte Verzeichnisse und keine »endgültige[n] Feststellung[en]« mehr erschienen, sind für die folgenden Semester (unklare) Daten aus den Berichten der Rektoren übernommen (s. Anmerkungen!).
Tabellen
1149
Gießen Imm.
Veranst. belegten
WS 14/15
1232
305
24,8 %
SS 15
1183
264
22,3 %
WS 15/16
1203
232
19,3 %
SS 16
1231
266
21,6 %
WS 16/17
1266
246
19,4 %
SS 17
1331
235
17,7 %
WS 17/18
1353
243
18 %
SS 18
1519
390
25,7 %
Quellen: Zahl der Immatrikulierten nach PB LU Gi (jeweils nach der Feststellung im folgenden Semester). Belegdaten: Handschriftliche Statistik (1919): UA Gi Allg. 103, fol. 2.
Straßburg Immatrikulierte
Anwesende endg.
Anteil
Beginn:
WS 1914/15
1716
689
620
40,2 %
SS 1915
1542
524
516
34 %
WS 1915/16
1494
476
466
31,9 %
SS 1916
1627
479
464
29,4 %
WS 16/17
1720
622
586
36,2 %
SS 1917
1742
500
467
26,8 %
WS 17/18
1858
673
616
36,2 %
SS 1918
1908
556
29,1 %
Quelle: PV KWU Strb. (Zahl zu Semesterbeginn nach dem nominellen Semester, Zahl am Ende des Semesters in der Statistik des folgenden integriert).
Abkürzungen
[-]
markiert fehlende Vornamen in bibliographischen Angaben oder fehlende Tagesangabe in Daten AA Abendausgabe AB Akademische Blätter ADBR Archives Départementales du Bas-Rhin (Strasbourg) AMS Archives de la Ville et de la Communauté Urbaine de Strasbourg AR Akademische Rundschau. Zeitschrift für das gesamte Hochschulwesen und die akademischen Berufsstände ATZ Akademische Turnzeitung AV Amtliches Verzeichnis des Personals und der Studierenden BAN Berliner Akademische Nachrichten BB Burschenschaftliche Blätter BBKL Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon BENK Bekanntmachungen und Erlasse betreffend Notprüfungen während des Krieges BLÄ II Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte aller Zeiten und Völker. 2. Aufl. BLÄ 50 Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte der letzten 50 Jahre BT Berliner Tageblatt DBL Deutschbaltisches Biographisches Lexikon DK Deutsche Korpszeitung EA Encyclopédie de l’ Alsace E-L Elsaß-Lothringen FWU Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin FWU VV FWU Verzeichnis der Vorlesungen GA Gießener Anzeiger Gh. Großherzog, Großherzoglich(e/r/s) Gi Gießen GK Generalkommando G/M/P Gundel/Moraw/Press (Hg.): Gießener Gelehrte GSt APK Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (Berlin) GUUL Geschichte der Universität unter den Linden HN Hochschul-Nachrichten HU Humboldt-Universität (Berlin) HS Die Hochschule i. O. im Original JHSS Jahresverzeichnis der an den Deutschen Universitäten und Technischen Hochschulen erschienenen Schriften JUG Jahrbuch für Universitätsgeschichte KK Kriegskommission (der Universität Gießen) KuMi Kultusminister(ium) KVK Karlsruher Virtueller Katalog KWI Kaiser-Wilhelm-Institut KWU Kaiser-Wilhelms-Universität
1152 Anhang LU
Ludwigs-Universität (Gießen) Lwsch. Landwirtschaft/Landwirtschaftlich(e/r/s) MdI Minister(ium) des Innern MA Morgenausgabe MiA Mittagsausgabe Min. für E-L Ministerium für Elsaß-Lothringen NDB Neue Deutsche Biographie NDBA Nouveau dictionnaire de biographie alsacienne NL Nachlaß o. D. ohne Datum (undatiert) ÖBL Österreichisches Biographisches Lexikon PB Personalbestand [ab WS 1916/17: Personenbestand] [der Gh. Hessischen Ludwigs-Universität Gießen] PD Privatdozent(en) Pr. Preußisch(e/r/s) Prot. Protokoll PV Personalverzeichnis S Die Studentin SAM Straßburger Akademische Mitteilungen SP Straßburger Post SS Sommersemester Statth. Statthalter Strb. Straßburg TRE Theologische Realenzyklopädie UA Universitätsarchiv UK Universitätsklinik VV Verzeichnis der Vorlesungen VA Verwaltungsausschuß WM Wissenschaftliches Mitglied (der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft) WS Wintersemester ZBUPr Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen zit. zitiert
Quellen und Literatur
Archive Universitätsarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin (UA HU) Bestände: Jur. Fak. Med. Fak. Phil. Fak. Theol. Fak. Universitätskuratorium (UK)
Universitätsarchiv der Justus-Liebig-Universität Gießen (UA Gi) Bestände: Allg(emein) Präsidialabteilung (PrA) Phil(osophische Fakultät) Theol(ogische Fakultät) Jur(istische Fakultät)
Archives Départementales du Bas-Rhin (Strasbourg) (ADBR) Bestände: 27 AL I: Statthalter 62 AL: Dekanat der Philosophischen Fakultät 103 AL: Universität Straßburg
Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (Berlin) (GStAPK) Bestände:. I. HA Rep. 76 Kultusministerium I. HA Rep 76 Va I. HA Rep 76 Vc Wissenschaft
Stadtarchiv Gießen Einzelne Faszikel (L 259, 269, 281, 283, 284) Personenstandskartei Polizeikartei
Archives de la Ville et de la Communauté Urbaine de Strasbourg (AMS) Einwohnermeldekartei (602 MW)
1154 Anhang
Zeitschriften und Zeitungen (1914–1918) AB Akademische Blätter ATZ Akademische Turnzeitung BAN Berliner Akademische Nachrichten BB Burschenschaftliche Blätter BT Berliner Tageblatt DK Deutsche Korpszeitung GA Gießener Anzeiger [nur zu ausgewählten Daten] HN Hochschul-Nachrichten HS Die Hochschule IMWKT Internationale Monatsschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik
S
SAM SP
ZBUPr
Die Studentin Straßburger Akademische Mitteilungen Straßburger Post Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen
Nachschlagewerke [AV FWU] Amtliches Verzeichnis des Personals und der Studierenden der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. SS 1914–SS 1918. Asen, Johannes: Gesamtverzeichnis des Lehrkörpers der Universität Berlin. Bd. I: 1810–1945. Leipzig 1955. [BBKL] Bautz, Friedrich Wilhelm/Bautz, Traugott (Hg.): Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon. 35 Bde. Hamm u. a. 1975–2014. Betthausen, Peter/Feist, Peter H./Fork, Christiane (Hg.): Metzler-Kunsthistoriker-Lexikon. Zweihundert Porträts deutschsprachiger Autoren aus vier Jahrhunderten. Stuttgart u. a. 1998. [BLÄ II] Hirsch, August (Hg.): Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte aller Zeiten und Völker. 5 Bde. u. Ergänzungsbd. 2. durchges. und erg. Aufl. Berlin u. a. 1929–1935. [BLÄ 50] Fischer, Isidor (Hg.): Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte der letzten fünfzig Jahre. 2 Bde., Berlin 1932–1933. Bopp, Marie-Joseph: Die evangelischen Geistlichen und Theologen in Elsass und Lothringen von der Reformation bis zur Gegenwart. 3 Bde. Neustadt a. d. Aisch 1959–1965. Deutscher Universitätskalender. Teil 1: Die Universitäten im Deutschen Reich. Leipzig 1 914–1920. Encyclopédie de l’Alsace. 12 Bde. Strasbourg 1982–1986. Golücke, Friedhelm: Studentenwörterbuch. Das akademische Leben von A bis Z. Graz u. a. 1987. Grüttner, Michael: Biographisches Lexikon zur nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik. Heidelberg 2004. [G/M/P] Gundel, Hans Georg/Moraw, Peter/Press, Volker (Hg.): Gießener Gelehrte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 2 Bde. Marburg 1982. Hergemöller, Bernd-Ulrich (Hg.): Mann für Mann. Biographisches Lexikon zur Geschichte von Freundesliebe und mannmännlicher Sexualität im deutschen Sprachraum. 2 Teilbde. Berlin 2010.
Quellen und Literatur
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Hirschfeld, Gerhard/Krumeich, Gerd/Renz, Irina/Pöhlmann, Markus (Hg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Paderborn u. a. 2003. [JHSS] Jahresverzeichnis der an den Deutschen Universitäten und Technischen Hochschulen erschienenen Schriften 29 (1913) 34 (1918). Berlin 1914–1919. Jüdisches Lexikon. Ein enzyklopädisches Handbuch des jüdischen Wissens in vier Bänden. Bd. I–IV/2. Berlin 1927–1930. König, Christoph (Hg.): Internationales Germanistenlexikon 1800–1950. 3 Bde. Berlin u. a. 2003. Lenz, Wilhelm (Hg.): Deutschbaltisches Biographisches Lexikon 1710–1960. Köln u. a. 1970. Lexikon zur Parteiengeschichte. Die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien und Verbände in Deutschland 1789–1945. 4 Bde. Leipzig (bzw. als Lizenzausgabe Köln) 1983–1986. Nachtrag zum Amtlichen Verzeichnis des Personals und der Studierenden der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin für das Winterhalbjahr [resp. Sommerhalbjahr]. Berlin 1914 ff. [NDB] Neue Deutsche Biographie. Bisher 25 Bde. Berlin 1953–2013. [NDBA] Nouveau dictionnaire de biographie alsacienne. 49 Bde. Strasbourg 1982–2007. [ÖBL] Österreichisches Biographisches Lexikon. Bisher 14 Bde. Graz u. a. 1954–2012. [PB LU Gi] Personalbestand [ab WS 1916/17: Personenbestand] der Großherzoglich Hessischen Ludwigs-Universität zu Gießen SS 1914-SS 1918. Gießen 1914–1918. [PV KWU Strb.] Kaiser Wilhelms-Universität Straßburg. Personalverzeichnis SS 1914-SS 1918. Straßburg 1914–1918. Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft. Das Handbuch der Persönlichkeiten in Wort und Bild. 2 Bde. Berlin [1930-]1931. Seidler, Eduard: Jüdische Kinderärzte 1933–1945: Entrechtet, geflohen, ermordet. Basel 2007. Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge 30 (1914)-34 (1918). München 1917–1922. [TRE] Theologische Realenzyklopädie. 36 Bde. Berlin 1977–2004. Weber, Wolfgang: Biographisches Lexikon zur Geschichtswissenschaft in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Lehrstuhlinhaber für Geschichte von den Anfängen des Fachs bis 1970. Frankfurt a. M. u. a. 1984.
Gedruckte Quellen und Literatur Nicht in die Bibliographie aufgenommen wurden die zahlreichen Nachrufe auf einzelne Gelehrte in zeitgenössischen Fachzeitschriften sowie Dissertationen, aus denen nur die vita des Autors benutzt wurde. Sollte man einen dieser Titel nachträglich noch einmal suchen, findet man ihn durch Überprüfung der im Register für diese Persönlichkeit angeführten Seiten. Zeitgenössische Artikel aus den durchgesehenen Periodica (s. Liste o.) werden im Literaturverzeichnis nur ausnahmsweise gesondert aufgeführt, sofern ein Artikel in mehreren Kapiteln vorkommt und dann mit Kurztitel zitiert wird. Rückbezüge auf einen Artikel innerhalb der einzelnen Abschnitte werden durch Verweis auf die Anmerkung mit den vollen bibliographischen Angaben hergestellt. Für die alphabetische Einsortierung der Titel ohne Autor oder Herausgeber bleiben die Artikel am Titelanfang unberücksichtigt (auch im Englischen und Französischen). Ackermann, Jens P.: Die Geburt des modernen Propagandakrieges im Ersten Weltkrieg. Dietrich Schäfer. Gelehrter und Politiker. Frankfurt a. M. u. a. 2004. Afflerbach, Holger: »Bis zum letzten Mann und letzten Groschen?« Die Wehrpflicht im Deutschen Reich und ihre Auswirkungen auf das militärische Führungsdenken im Ersten Weltkrieg. In: Foerster (Hg.): Die Wehrpflicht, S. 71–90.
1156 Anhang Akademische Feier des Regierungsjubiläums Sr. Majestät des Kaisers Wilhelm II. am 12. Juni 1913. Straßburg 1913. Die akademische Gedenkfeier des 100. Geburtstages des Fürsten Bismarck am 31. März 1915. Straßburg 1915. Aland, Kurt (Hg.): Glanz und Niedergang der deutschen Universität. 50 Jahre deutscher Wissenschaftsgeschichte in Briefen an und von Hans Lietzmann (1892–1942). Berlin u. a. 1979. Alt-Göttinger Stammbuch. Die Georgia Augusta ihren Angehörigen im Felde. Weihnachten 1916. Göttingen o. J. [1916]. Anderhub, Andreas: Das Antoniterkreuz in Eisen. Zur Geschichte der Universität Gießen während des Ersten Weltkriegs. Gießen 1979. Andernach, Norbert: Der Einfluß der Parteien auf das Hochschulwesen in Preußen 1848– 1918. Göttingen 1972. Angress, Werner T.: Der jüdische Offizier in der neueren deutschen Geschichte, 1813–1918. In: Ursula Breymayer/Bernd Ulrich/Karin Wieland (Hg.): Willensmenschen. Über deutsche Offiziere. Frankfurt a. M. 1999, S. 67–78. Ankel, W[ulf] E[mmo]: Zur Geschichte der wissenschaftlichen Biologie in Gießen. In: Ludwigs-Universität 1607–1957, S. 308–340. Anrich, Ernst: Geschichte der Reichsuniversität Straßburg. In: Hochschulführer der Reichsuniversität Straßburg. Straßburg 1942, S. 23–33. Anrich, Gustav: Deutsche und französische Kultur im Elsaß in geschichtlicher Beleuchtung. Rede (‥) zur Feier des Geburtstages (‥) des Kaisers (‥). Straßburg 1916. Armstrong, Michael/Buchwald, Wolfgang/Calder III, William M.: Ulrich von WilamowitzMoellendorff Bibliography 1867–1990. Hildesheim 1991. Arold, Conrad: Alfred Brüggemann. In: G/M/P I, S. 121–130. Bach, Adolf: Studentisches und wissenschaftliches Leben in Gießen vor 50 Jahren. In: Nachrichten der Gießener Hochschulgesellschaft 33 (1964), S. 191–216. Baechler, Christian: L’Université allemande de Strasbourg et l’Alsace-Lorraine (1872–1918). In: Les Universités du Rhin Supérieur, S. 131–141. Baeumker, Clemens: Der Anteil des Elsaß an den geistigen Bewegungen des Mittelalters. Rede zur Feier des Geburtstages (…). Straßburg 1912. Barrelmeyer, Uwe: Der Krieg, die Kultur und die Soziologie. Georg Simmel und die deutschen Soziologen im Ersten Weltkrieg. In: Sociologia Internationalis 32 (1994), S. 163–190. Barth, Boris: Dolchstoßlegenden und politische Desintegration. Das Trauma der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg 1914–1933. Düsseldorf 2003. Basler, Werner: Zur politischen Rolle der Berliner Universität im ersten imperialistischen Weltkrieg 1914 bis 1918. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin/Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 10 (1961), S. 181–203. Baudert, Samuel: Kriegsjahre. In: Hans Lilje (Hg.): Militia Christi. Vom Wirken des Evangeliums in der studentischen Welt. Berlin 1928, S. 183–194. Baudissin, Wolf Wilhelm Graf: Nationalismus und Universalismus. Rede zur Gedächtnisfeier des Stifters der Berliner Universität (…). Berlin 1913. Bäumer, Gertrud: Aus der Praxis des Frauenhilfsdienstes. In: Die Frau 24 (1916/17), S. 386–396. Baumgart, Max: Wegweiser zur Erlangung akademischer Würden. Grundsätze und Bedingungen der Erteilung der Doktor- und Lizenziaten-Würde (‥). Nach amtlichen Quellen (…). 6. durchges. u. vermehrte Aufl. Berlin 1905. Baumgarten, Marita: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert. Zur Sozialgeschichte deutscher Geistes- und Naturwissenschaftler. Göttingen 1997. Baumgarten, Marita: Professoren- und Universitätsprofile im Humboldt’schen Modell des 19. Jahrhunderts. In: Schwinges (Hg.): Humboldt international, S. 105–130. Baumgarten, Otto: Der Krieg und die Bergpredigt. Berlin 1915.
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Register
Die Register wurden nicht mechanisch erstellt. Daher findet man in ihnen auch Seiten angaben, an denen die Personen oder Orte nicht namentlich, sondern mit einer Umschreibung erwähnt sind. So erscheint etwa der »Kaiser« (S. 81 A. 101) im Register als »Wilhelm II.«, der Straßburger »Universitätssekretär« (S. 39, S. 80) als »Hausmann, Sebastian«. Oder das »Reichsland« (S. 33) im Register unter »Elsaß-Lothringen«. Grundsätzlich sind zum Text auch die jeweiligen Anmerkungen zu beachten, in denen sich häufig weitere Informationen finden. Nennungen in Anmerkungen werden daher (mit dem Zusatz »A«) nur erfaßt, wenn Person oder Ort im dazugehörigen Haupttext nicht genannt sind. Umgekehrt werden Leser manchmal über die Fußnote, wo der Name erwähnt ist, in den Haupttext geschickt.
Namensregister Die zeitgenössische Schreibung einer Reihe von Namen schwankte (insbesondere bei k/c, ß/ ss, Umlauten). Außerdem wurden ausländische Namen üblicherweise eingedeutscht (Alexander statt Aleksander) und manches standardisiert (Hermann statt Herman). Die Schreibung hier folgt grundsätzlich den Personalverzeichnissen der einzelnen Universitäten bzw. bei Absolventen dem Titelblatt der Dissertation. Daher weicht sie gelegentlich von der in anderen Quellen oder in der Sekundärliteratur ab (die aber evtl. in Zitaten zu finden ist). Bei ausländischen Namen (und eventuellen Parallelformen deutscher) findet sich im Register bei der Transliteration bzw. Parallelform ein Verweis auf die hier benutzte Form. Albrecht, Herzog von Württemberg 211 f., 1007, 1010, 1016, 1022, 1117 Alefeld, Ludwig 374A Alpert, Esther 881 Althoff, Friedrich 52–54, 106, 113, 118, 118 f.A, 128, 140 f., 159–162, 760 Altmann-Gottheiner, Elisabeth 489 Amira, Karl von 173, 191, 191A, 195 Andersson, Frida 302A Anrich, Gustav 278, 279A, 835, 1082 f., 1111 f. Anschütz, Gerhard 118, 221, 538, 538A, 540, 543 f.A, 556, 570, 579, 588, 610, 619, 725, 739, 798 Arndt, Ernst Moritz 79A, 246, 259, 321, 545A, 556, 659, 936, 1129 Arndt, Georg 333A Arnim, Hans von 679
Arons, Leo 159, 163 Aronstamm, Sara 885A Aschoff, Ludwig 1034 Assmann, Richard 607A Atscharkan, Jeheskel 879 f.A Aubin, Hermann 800A Auguste Viktoria (deutsche Kaiserin) 251, 542 Augustin 1109 Bach, Adolf 83A, 97A Bach, Johann Sebastian 205, 218A, 761, 1107 Back, Otto 41A, 147, 1114A Backhaus, Alexander 232A Baden, Max von 535 Baethgen, Friedrich Jürgen Heinrich 433A
1192 Anhang Bäumer, Gertrud 270, 443, 489, 491, 580–582, 589A, 645 Baeumker, Clemens 110A, 207, 207A Baeyer, Adolf von 143, 265A Baldur (Figur aus der nord. Mythologie) 604A Ballin, Albert 950A Ballod, Karl 930 Barfurth, Dietrich 767A Barth, Jakob 691A Bassermann, Ernst 773A, 944 Bastgen, Hubert 279A, 420 Baudissin, Wolf Graf 152, 163A, 178, 180 f., 203, 661, 690, 817A Baudouin de Courtenay, Jan 193A Bauer, Gustav 608 Bauer, Max 1115 Baumbach, Rudolf 998 Baumgarten, Otto 9A, 539, 547, 586, 615 Bauschinger, Julius 348, 434, 691A Bayer (Farbenfabrik) 342 Becher, Siegfried 721A Becker, Carl Heinrich 192A, 545, 938 f., 948, 950 f., 955–959, 961, 975 Becker, Heinrich 309–311 Beckmann, Ernst 413, 425, 594 Becquerel, Henri 182 Beer, Georg 601A Beethoven, Ludwig van 218A, 263, 1082, 1096, 1099 Behaghel, Otto 97, 97A, 138A, 168, 180, 552, 689, 786, 788 Behrens, Dietrich 188 Behrens, Peter 266A, 619 Behring, Emil von 265A Below, Georg von 51, 433, 531A, 588A, 599, 613–615, 633, 637–641, 653, 676A, 679A, 1034, 1106, 1108 Benda, Karl 394A Benecke, Ernst-Wilhelm 109A, 282A Benedikt XV. 594 Beneke, Rudolf 848, 896 Benjamin, Walter 67, 67A Benrath, Henry (Pseudonym für Albert H. Rausch) 27A, 84 Berg, Ernst von 777 Bergmann, Ernst von 130 Bergmann, Max 1050 Bergmann, Theodor 777A Berliner, Kurt 374A
Bernewitz, Ernst 777 Bernhard, Hermann 779 Bernhard, Ludwig 280 Beseler, Georg 56 Beseler, Hans von 987 f., 1116 Bethmann Hollweg, Theobald von 125 f., 154, 467A, 534 f., 538, 563, 575, 581, 585 f., 591, 594, 622, 637 f., 681, 1072, 1074, 1112 Bey, Mehmed Ali 941 Beyreis, Otto 1052 Beyreis, Walter 1052A Bezold, Carl 678A Bezold, Friedrich von 451 Bezold, Gerda von 451 Bezold, Maria von 451 Bickel, Adolf 285 Bieber, Margarete 452 Bier, August 335, 365, 1052 Binding, Karl 184A, 185 Birt, Theodor 232A, 399, 433, 654, 707, 806, 809, 874, 1036 f. Bismarck, Otto von 19, 140, 202, 257, 539, 599, 693A, 934, 1063, 1065, 1083, 1087, 1090–1102, 1107, 1127, 1137 Blasius, Eugen 284 Bloem, Walter 621 Blücher, Gebhard Leberecht von 1115 Blume, Wilhelm 678 Blumreich, Ludwig 396 Bockenheimer, Philipp 333A Böckenhoff, Karl 279A Böckh, August 297, 767 Böhm, Walther 317 f.A Boelicke, Paul 315A, 317A Böttger, Hugo 251A, 459 du Bois-Reymond, Emil s. Dubois-Reymond, Emil du Bois-Reymond, René 284, 702 Bonatz, Paul 32A Bonhoeffer, Karl 50, 128 Bonhoff, Heinrich 360A Borchardt, Moritz 284, 909A Borissowski, Nuchim 880A Born, Max 51, 226, 243, 342 f., 345 f., 368 f., 406, 593, 726, 774 Bornhak, Konrad 567, 592 Borsig, Ernst von 563 Bortkiewicz, Ladislaus von (frühere Schreibung: Bortkewitsch) 121, 129, 280, 418 f., 930
Register
Bostroem, Eugen 95, 285, 295, 887 f. Bousset, Wilhelm 177, 607A Brackmann, Albert 794A, 1083A Brahms, Johannes 129 Brahms, Otto 49 Brand, Erwin 1050 Brand, Kurt 285, 285A, 332A Brandi, Karl 387A, 625 Brandenburg, Erich 599 Brandenburg, Kurt 47 Brandl, Alois 266, 266A, 541, 543A, 574, 761A, 917, 917A, 956–960, 995, 1024 Brauer, Ludolf 980 Braun, Ferdinand 73A, 143, 749A Braun, Heinrich 318 Braun, Lily 317 Braun, Otto 317 Breitenbach, Paul von 1115 Bremer, Franz Peter 109A, 282A Brentano, Lujo 121, 140, 188, 262A, 288, 570, 609 f. Bresslau, Ernst 282 Bresslau, Harry (zeitgenössisch auch: Breßlau) 34, 105–107, 109A, 110, 145, 218, 222A, 235, 282, 547, 549, 550A, 627A, 634, 793, 808, 809A, 994, 1002, 1008, 1011A, 1022, 1025, 1096 f. Bresslau, Helene (ab 1912: Schweitzer, Helene) 34, 39, 204 Breysig, Kurt 567, 908A, 916 Brie, Friedrich 737, 906A Briefs, Götz 905A Brieger, Ludwig 295A Brinckmann, Justus 266A Brind, Zeilik 880A Bronnert, Emil(e) David 966A Bruch, Max 1107 Bruck, Werner Friedrich 417, 435 Brückner, Alexander (Aleksander) 3A, 121, 129, 540 f., 544A, 546, 943 Brüggemann, Alfred 336 Brüning, August 555, 912, 922 Brugsch, Theodor 295A, 335, 926 Brumberg, Mowscha 880A Brunner, Heinrich 203A Bruns, Viktor 418 Buber, Martin 1006A Bucher, Pierre 204 f., 206A, 762 Buchka, Karl von 414A Bücher, Karl 193A
1193
Bülow, Bernhard von 125, 681 Bumm, Ernst 131, 395, 483, 493, 499, 531, 533, 563, 595 f., 670, 677, 679 f., 714, 718A, 768A, 800A, 901A, 1052, 1062, 1066, 1071, 1074, 1088 Burckhardt, Jakob 367 Burgess, John 52A Burmeister, Martin 845A Byk, Alfred 414A Cahn, Arnold 105, 109A, 282, 282A Calker, Fritz van 39, 102, 110, 274, 275A, 332A, 356, 731 Calvin, Johannes 1106, 1112 Cantor, Moritz 601A Carlyle, Thomas 553, 1132A Cartellieri, Alexander 492, 666, 689, 691, 693A, 806A, 857A Cassirer, Ernst 935 Cassirer, Richard 394A, 920A Catull 1037 Chales de Beaulieu, Anna Marie 520A Chamberlain, Houston Stewart 643, 681 Chamberlain, Joseph 175 Chiari, Hans 251A, 547A, 1096, 1122 Chopin, Frédéric 27A Christa, Max 762 Chvostov, Michail М. 244 Claß, Heinrich 566A Claudel, Paul 523 Claußen, Peter 115A Cohen, Hermann 291, 681, 686 Cohn, Jonas 810 f. Collin, Joseph 556 Corinth, Lovis 67 Correns, Carl 987 Corßen, Meta 514A Cosack, Harald 777 Coßmann, Paul 638 f. Croce, Benedetto 287 Crönert, Wilhelm 274, 355 Cromwell, Oliver 1010 Curie, Marie 182 Curie, Pierre 182 Curtius, Ernst 43 Curtius, Ludwig 171 f., 241 Cytronberg, Sucher 879A Czapski, Elisabeth (ab 1917: verh. Flitner) 71A, 428, 521, 524, 531, 770, 1040, 1048 Czerny, Adalbert 121, 284, 295A
1194 Anhang Dade, Heinrich 280, 417A, 475 Dähnhardt, Heinrich 483A, 664 f., 699, 801A Dallwitz, Hans von 73A, 164A Danielsen, Karen (später: Horney, Karen) 1039 Davidsohn, Georg 927 Debenedetti, Santorre 102A Deegener, Paul 220, 222 Dehio, Georg Gottfried 103, 144, 218, 222A, 691A, 735, 744, 748, 838, 913–915, 1079A Dehio, Katharina 204 Dehio, Karl 363 Dehio, Ludwig 110, 149, 209 Dehmel, Richard 928A Deißmann, Adolf 152, 383, 538A, 540, 544 f.A, 567, 622, 662, 669, 674, 681, 694 f., 707, 794, 800, 1023, 1120 Delaquis, Ernst 294A Delbrück, Clemens von 1102 Delbrück, Hans 43, 50, 71A, 126–129, 162 f., 176 f., 188A, 189–192, 198, 200 f., 254, 269, 535, 536A, 538, 543A, 551, 563 f., 568A, 569 f., 571A, 573–575, 579, 584–589, 591–594, 596, 605, 608, 610, 612–614, 618, 632, 637, 640 f., 690, 858–860, 862, 934, 936, 986, 1115, 1117, 1130, 1135 Delitzsch, Friedrich 543 f.A, 547 Delmer, Frederic Sefton 119A, 746, 756 Demoll, Reinhard 721A Dernburg, Bernhard 570 Dessoir, Max 351A, 421 f., 624, 751, 758, 993 Dettmann, Ludwig 599A Dibelius, Martin 383 Dieckmann, Elfriede 510, 513, 533 Dieckmann, Elisabeth 518 f. Diederichs, Eugen 1005A Diels, Hermann 181, 579 Dietlen, Hans 921 Dietz, Lothar 689A Dilthey, Wilhelm 179A Dobranicki, Isidor 779A Döderlein, Ludwig 1014A Doegen, Wilhelm 917A Dörpfeld, Wilhelm 266A Doflein, Franz 428A, 987, 990, 999, 1025 Dolgopolsky, Faiwitsch 1048A
Döllinger, Ignaz (seit 1886: von Döllinger) 1109 Domaszewski, Alfred von 601A Dominicus, Alexander 38A, 589 Dove, Alfred 1034 Dragendorff, Hans 725 Drescher, Martin 315A, 317A Droysen, Johann Gustav 56, 606A Dubois-Reymond, Emil 702A, 1135 Duensing, Frieda 486 Dürer, Albrecht 981 Duhn, Friedrich von 601A Dunkmann, Karl 671 f., 676 Ebel, Karl 475 Eck, Samuel 169, 236 f., 249 f., 254, 405, 552, 560, 607, 624, 752, 1024, 1099–1101 Eckert, Johannes 909A Ehmcke, Fritz Helmuth 292A Ehret, Heinrich 281A Ehrhard, Albert 81, 130 f., 165 f., 209, 266, 278A, 966, 993, 1025, 1082, 1086 f. Ehrhard, Ludwig 427 Ehrmann, Rudolf 396 Eicken, Karl von 285, 327A, 336, 376A Eickstedt, Egon von 918 Einstein, Albert 128, 264, 346, 371, 396A, 570, 593, 724 f., 926 Eisner, Kurt 647 Elbs, Karl 286, 551, 554 Eliasberg, Helene 778 Elschnig, Anton 1051 Elster, Ernst 679, 679A Elster, Ludwig 628A Enckendorff, Marie-Luise (Pseudonym für Gertrud Simmel) 40 Engel, Friedrich 274, 356 Erdmann, Benno 162 Erle, Wilhelm 871 Erman, Adolf 162, 594, 691A Ernst Ludwig, Großherzog von Hessen und bei Rhein 137A, 168, 255, 1080, 1089, 1117 f. Erzberger, Matthias 154, 420, 563, 751, 944, 1073 Eucken, Rudolf 265A, 537, 621, 684, 899, 928A, 992, 1001 Eulenburg, Franz 95, 988 f., 989A Eulenburg, Philipp zu 48 Euripides 1120
Register
Ewald, Carl Anton 326 Ewald, Richard 724, 1122 Eyth, Max 644A Fabricius, Cajus 277 Falkenhausen, Ludwig von 1065, 1116 Falkenhayn, Erich von 620, 1072, 1115 Faßbinder, Klara-Marie 520–523, 532, 645, 1040 Fehling, Hermann 864 Feigin, Malka 885A Feist, Karl 274A, 337 Feist-Wollheim, Hans 777A Ferdinand von Bulgarien 420 Fester, Richard 599 Fichte, Johann Gottlieb 174, 183, 193, 259, 677, 936, 1004, 1065, 1078, 1097, 1130 Ficker, Johannes 81 f., 149, 183A, 207A, 277, 627A, 629 f., 702 f., 724, 817A, 1108 Ficker, Martin 131 Fiesenig, Siegfried 318A Filintel, Lea 879A Finke, Heinrich 599 Fischer, Emil 53, 265A, 268, 283, 341 f., 344, 413 f., 563, 589, 593, 594A, 726, 904, 1050 Fischer, Friedrich Ernst 282A, 691A Fischer, Hans Albrecht 285, 455, 457 Fischer, Ruth 778 Fitting, Johannes 903A Flaischlen, Cäsar 981 Fleischer, Oskar 567A Flitner, Elisabeth s. Czapski, Elisabeth Flitner, Wilhelm 521 Flörke, Wilhelm 1102 Flügge, Carl 370 Foerster, Friedrich Wilhelm 681 Foerster, Wilhelm 200, 267, 594A, 647 f., 927 Fontane, Theodor 128 Forster, Edmund 436 Franck, James 344, 352 f., 361 f., 368, 909A Franck, Melchior 1099 Francke, Ernst 609 f. Francke, Fritz 315 Frank, Karl 940 f. Frankenthal, Käte 1038 Franz, Arthur 361, 384A, 655 Franz, Karl 428A, 593A, 881, 1052 Franz Ferdinand (österreichischer Erzherzog) 241
1195
Freedericksz, Vsevolod 1054A Freund, Hermann 105, 434 Freund, Max 755A Freund, Wilhelm Alexander 104 f., 109A, 282A Frey, Karl (auch: Carl) 351 Freytag von Loringhoven, Hugo Freiherr von 1115 Frickenhaus, August 355, 913, 914A, 915 Friedberg, Eduard 706A Friedenthal, Hans 907 Friedländer, Paul 351 f., 369, 373A, 390A, 692 f., 993 Friedrich II. (der Große) von Preußen 553A, 555, 1018, 1077, 1083–1085, 1130 f. Friedrich Wilhelm I. von Preußen 1077, 1084A, 1085, 1130 Friedrich Wilhelm III. von Preußen 180, 578 Frölich, Gustav 387A Fromme, Friedrich 728A Fuchs, Carl Johannes 1017 Fürstenau, Erna 302A, 444A Fürstenau, Hermann 426 Fulda, Ludwig 266A Gabriel, Siegmund 593A Gaede, Hans 840, 1116 f. Gail, Antonie (Toni) 503 Garten, Siegfried 285, 336 f., 376A Gautier, Paul 762 Geffcken, Johannes 678, 998A Gehrcke, Ernst 909A Geibel, Emanuel 1100 Geiger, Ludwig 251A, 937 Gelzer, Matthias 635A, 744 George, Stefan 933A Geppert, Julius 816 Gercke, Alfred 892 Gerland, Georg 109A, 282A, 323A Gerland, Heinrich 323A Gerstenmaier, Ernst 795A Gierke, Anna von 489 f. Gierke, Julius von 680 Gierke, Otto Friedrich von 421, 451A, 490, 538A, 540, 543 f.A, 568, 576, 578, 589, 592, 740A Giesbert, Johannes 608 Giese, Hanni 445A Gildemeister, Martin 906A
1196 Anhang Gillot, Hubert 102A, 205A, 761 Gindenburg, Leiser-Anschel 896A Gisevius, Paul 285, 326A, 357, 480, 498, 503, 527, 696, 710, 711A, 1075, 1110 f., 1124 Gleichen-Rußwurm, Heinrich von 622 Gmeiner, Hermann Friedrich 732 Gmelin, Hans 285, 556, 606A, 658, 697A, 911, 929 Gocht, Hermann 726A Goebel, Karl Ritter von 678A Goerger, Leo 1122A Göring, Matthias Heinrich 374A Goethe, Johann Wolfgang von 23, 257, 263, 287, 290, 368, 547, 553, 678, 994, 1004, 1011, 1101, 1132A Goetz, Erica 777 Goetz, Walter 3A, 107, 206, 274, 356, 495A, 586, 610, 745, 877, 977 Goldscheider, Alfred 285, 335A, 365 Goldschmidt, Adolf 223A Goldstein, Eugen 276A Goldstein, Felix 275 Gol’dgammer, Dmitrij A. 79A Gothein, Eberhard 70A, 188, 241, 258A, 261A, 593A, 634A, 990–992, 999, 1000A, 1011, 1017, 1031 Gothein, Georg 647 Gothein, Marie Luise 241 Gottwald, Walter 318A Grabowsky, Adolf 608 Gragger, Robert 726A, 961 Grauert, Hermann von 675 Gressmann, Hugo 152, 567 Griesbach, Erika 506A Grimm, Hermann (heute: Herrman) 757 Grinberg, Eliasar 880A Grinstein, Morduch 879A Grisebach, August 347 Gröner, Wilhelm 471, 1115 Groethuysen, Bernhard 114, 277, 909 de Groot, Johann (Jan) Jakob 122, 266 Grossschopff, Eugen von 777, 780 Grotjahn, Alfred 244, 245A, 293, 359, 370 Gruber, Max von 539 f., 543A, 586 Grützmacher, Richard Heinrich 1059 Grundt, Käthe 442A Gudzent, Friedrich 902 Günther, Agathe 444A Gütherbock, Ferdinand 807A Guleke, Nicolai 103, 295, 548, 548A, 920 f.
Gundermann, Wilhelm 556 Gundel, Wilhelm 733 Gundelfinger, Friedrich s. Gundolf, Friedrich Gundolf, Friedrich 634, 741–743, 1003 Gunkel, Hermann 787 f. Gustav Adolf von Schweden 934 Gutzmann, Hermann 394 f. Gutzmer, August 1094 Haber, Fritz 10, 115, 129, 265A, 266A, 343–345, 353, 358, 369, 412, 414 Habakuk 1109 Haberlandt, Gottlieb 53A, 321, 417A, 857, 986, 991, 1024, 1027, 1086 Haeckel, Ernst 900, 928A Haecker, Valentin 987 Händel, Georg Friedrich 1099 Haguenin, François Émile 120, 746, 750, 757 f. Hahn, Otto 128, 344, 353 Haike, Heinrich 920A Haller, Johannes 591 f., 596 f., 600, 737 f., 743, 1134A Hamburger, Käthe 1038 Hampe, Karl 261, 388, 398, 400A, 419A, 432 f.A, 476, 571, 606A, 712A, 805 f., 808, 873, 877, 900, 1004A, 1035 f., 1133 f.A Hannig, Emil 817A Hansemann, David von 567A Hansen, Adolf 199 Hansi (Pseudonym für Jean-Jacques Waltz) 212 Hapag (Reederei) 950 Harden, Maximilian 56A Hardenberg, Karl August von 1115 Harich, Walther 689A Harnack, Adolf (ab 1914: von Harnack) 43, 50, 53–55A, 61, 94, 107, 120, 125–130, 134, 138, 151 f., 173, 177 f., 180, 182, 190, 196A, 246 f., 262A, 266, 268, 291, 295A, 321, 421, 434, 438, 439A, 450, 533 f., 536A, 538A, 544, 547, 559, 561A, 563, 570, 571A, 577 f., 585 f., 588 f., 593, 594A, 610, 615, 623–625, 661, 701, 708, 741 f., 775, 817A, 924, 928A, 946, 975, 996 f., 1024, 1030A, 1105 f., 1129–1131 Harnack, Agnes (ab 1914: von Harnack, ab 1919: von Zahn-Harnack) 61 f., 489, 494, 517, 533A, 1030A
Register
Harsley, Fred 119A, 746, 755–757, 761A Hartmann, Max 390A Hartmann, Paul 913, 914A Hashagen, Justus 1017A Hatzfeldt, Hermann Fürst von, Herzog zu Trachenberg 563, 570 Haupt, Hermann (heute: Herman) 313, 405A, 408, 483, 599 f., 602, 632, 792, 1057 f. Hauptmann, Gerhart 49, 265A, 563, 624, 928A Hausmann, Sebastian 39, 80, 217A, 229, 490A, 627A, 629 Hauter, Karl (später: Charles) 215A, 813A, 899A Havenstein, Rudolf 1115 Haydn, Joseph 129 Hedemann, Justus Wilhelm 995 Hedicke, Robert 913–915, 914A Heffter, Arthur 384A, 394A Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 64, 290, 359, 936, 1104 Heidrich, Ernst 363, 373, 735 Heim, Karl 672 Heinebach, Otto 316 f.A Heinemann, Gustav 524A Heinemann-Grüder, Curt 436A Heinisch, Paul 279A Helbron, Josef 394A Helfferich, Karl 238, 945 Helfritz, Hugo 383A Heller, Julius 923A Heller, Oskar 435 f. Hellmann, Gustav 759 f. Hellpach, Willy 794 Helm, Karl 572 Helmholtz, Hermann (ab 1883: von Helmholtz) 56A Henneberg, Bruno 286 Henrich, Anton 937 Hepding, Hugo 733 Herkner, Heinrich 121, 280, 538A, 543 f.A, 563, 570, 579, 610, 632, 635, 930, 956–958, 959A Herrmann, Max 400 Herrmann, Wilhelm 293 Hertz, Gustav 344 Herzog, Rudolf 285, 375 f., 378 Heß, Richard 286A Hesse, Hermann 289
1197
Heubner, Otto 431, 871 Heuser (Prof. Dr.; Vorname unbekannt) 1053 Heusler, Andreas 262, 266, 294A, 594A, 760 Heuss, Theodor 33A, 288, 1088A Heuss-Knapp, Elly s. Knapp, Elly Heymann, Bruno 920A Heymann, Ernst 567, 567A, 956 f., 961 Heymann, Paul 394A Heyne, Christian Gottlob 960 Hilbert, David 267, 1054 Hildebrand, Otto 294A, 394A, 428A, 436, 880A, 902 Hildebrandt, Anna 859 Hildebrandt, Edmund 223 f.A, 350 Hildebrandt, Karl 1125A Hiller von Gaertringen, Friedrich Freiherr 726A Hindenburg, Paul von 467, 582 f., 596, 599A, 631, 643, 1083, 1114, 1116 Hintze, Hedwig 128 f., 328, 397 Hintze, Otto 56A, 128, 247, 328, 536, 567 f., 576, 579 f., 593 f., 623, 632, 635, 956, 958, 959A, 961, 963, 1085, 1091A Hippel, Robert von 495A, 679A Hirt, Hermann 377A, 606A His, Wilhelm 244, 275, 294A, 334 f., 338, 340, 361, 366 f., 380, 436, 902, 905 Hitler, Adolf 365A Hobohm, Martin 428, 586 f., 593A, 612, 614, 641, 935, 935A Hoby, Ernst 316–318A Hoche, Alfred 599 Hoeber, Fritz 978, 988 f., 993A, 997, 1001, 1026 Hödur (Figur aus der nord. Mythologie) 604A Höffding, Harald 289 f. Hölderlin, Friedrich 543A, 754 Hoeniger, Richard 934 Hoeniger, Robert 355 Hörmann, Crescentia 302A, 444A Hoetzsch, Otto 255, 258A, 350, 536A, 539 f., 543 f.A, 601, 625, 642, 934 Hoffmann, Max 584A Hoffmann, Otto 599 Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich 1099A Hofmeister, Adolf 935A Hofmeister, Franz 294A
1198 Anhang Hohlweg, Hermann 285 Holl, Karl 116, 567, 601, 634, 792, 1023 f., 1104, 1108 Holtzmann, Robert 274 A, 362 Homann, Else 1045 f. Homer 241 Horaz 685 Horney, Karen s. Danielsen, Karen Horovitz, Joseph 131, 277 Horowitz, Pinchas 896A Horstmann, August 601A Hubert, Oskar 822 Hübener, Heinrich 404A Hübner, Arthur 734, 742A Hübner, Rudolf 606A, 1083 f., 1084A Humboldt, Alexander von 725A Humboldt, Wilhelm von 53, 58, 149, 188, 290, 1012 Humperdinck, Engelbert 563 Husserl, Edmund 525 Ihmel, Ludwig 685 Immisch, Otto 132 Iollos, Grigorij Borisovič 778A, 779 Iwer, Johannes 318A Jacobi, Eugen 967A Jacobs, Gertrud 838, 839A Jacobson, Ludwig 909A Jäckh, Ernst 615, 1073 Jaeger, Fritz 276, 364, 731 Jagemann, Eugen von 601A Jaschke, Rudolf Theodor von 725A Jaspers, Gertrud 636A Jaspers, Karl 636A Jastrow, Ignaz 195, 196A, 280, 414, 468A, 930 Jawitsch, Salkind 879A Jellinek, Georg 182A Jentzsch, Robert 727A Jesionek, Albert 393, 435, 607, 924 Joachim, Joseph 128 Jochmann, Georg 728A Joessel, Jean George 385A John Bull (fiktive Figur zur Personifikation Großbritanniens) 536A Jollos, Victor 778 Jost, Ludwig 469, 597, 656, 676, 679, 821 f., 1070, 1075 f., 1085, 1123 Judlin, Peter 840
Jung, Erich 274, 327A, 426, 588, 592, 602 Kaehler, Siegfried A. 800A Kaftan, Julius 152, 177, 179A Kahl, Wilhelm 251A, 255–257, 300, 383A, 387, 389 f., 421, 538A, 540, 543A, 545A, 563–565, 570, 577 f., 581, 588, 774A Kahle, Paul Ernst 276, 731, 787, 818 f., 941 Kaiser, Erich 276, 285, 364, 731 Kalbfleisch, Karl 733, 863, 903 Kalun, Moses 890 Kampf, Arthur 1065, 1097 Kant, Immanuel 263, 290, 686, 786 Kapp, Wolfgang 598, 599A, 615 Kareev, Nikolaj I. 434 Karsch, Ferdinand 720A, 729A Karst, Joseph 279, 279A Kaskel, Walter 423 Katzenelson, Cäcilie 785–787, 803, 887 Kaufmann, Eduard 253A, 387A Kaufmann, Erich 419, 601, 740 Kaufmann, Georg 173, 193A Kaufmann, Wilhelm 283 f., 618 Kawerau, Gustav 383 f. Keibel, Franz 130, 434A, 822, 1082, 1088 Keil, Bruno 145 Kern, Guido Joseph 674 Kessel, Gustav von 1099 Kiefl, Franz 599 Kiener, Friedrich (Fritz) 146 f., 206A, 216, 375 Kinkel, Walter 551 f., 607 Kipp, Theodor 162, 251A, 252 f., 262, 305, 382 f., 437, 454, 456, 541, 543A, 546, 570, 594, 663, 670, 673, 774 f., 884, 898, 1027 f., 1068 f., 1072A, 1129 Kirchenheim, Arthur von 601A Kirchner, Martin 539, 543A, 557A, 848 Kisch, Wilhelm 835 Klapp, Rudolf 285, 337, 436 Klatt, Fritz 689A Kléber, Jean-Baptiste 77 Kleberger, Wilhelm 416, 435, 475, 555, 931 f. Klee, Karl 929 Klein, Felix 141, 948A Kleinert, Paul 662 Kleinschmidt, Johannes 429A Kleist, Heinrich von 1077 Kleucker, Ernst 732
Register
Klostermann, Erich 218, 347, 1008, 1021, 1028, 1113 Klostermann, Melanie 386A Klute, Fritz 982 Kluth, Otto 755 Knapp, Elly (ab 1908: Heuss-Knapp) 33, 39, 204, 288 Knapp, Georg Friedrich 33, 140, 168, 213, 218, 280, 282A, 286–288, 634, 653, 731, 931 Knecht, August 278A Knilling, Eugen von 1053 Knoellinger, Edmund 317A Koblanck, Alfred 567A Koch, Anton 712 Koch, Robert 186A, 778, 921 Köbner, Otto 417A, 730, 901A Köhler, Albert 902 Koenig, Alexander 748 König, Walter 550A, 551, 554, 607, 607A Koeppe, Hans 362, 376A, 912 Köppel, Emil 188 Köppen, Maximilian 284 Körner, Theodor 1100 Köster, Albert 743A Köthner, Paul 413 Kohan, Jeremias 880A Kohler, Josef 543A, 545, 567, 582, 589 Kohlrausch, Eduard 213, 274, 327A, 731 Kohlschütter, Ernst 345 Kollwitz, Käthe 49 Kormann, Karl 1119 Kossinna, Gustaf 567A Kossmann, Heinrich 777 Kraepelin, Emil 172 Kramer, Anna 885 Kramer, Franz 436, 920A Kraus, Friedrich 285, 295A, 365, 880A, 925 f. Krause, Fedor 335A, 436 Krauske, Otto 794 Krehl, Ludolf (ab 1904: von Krehl) 360A, 712 Kretschmer, Edmund 1100 Krückmann, Emil 284, 394A Krüger, Gustav 31, 96, 169, 172 f., 175, 197, 199, 274A, 327A, 355, 377, 552, 607, 694, 697, 707A, 709 f., 875, 894A, 1030, 1108, 1110 f. Krupp (Firma) 671 Krzymowski, Richard 931
1199
Kühler, Bernhard 677 Kühlmann, Richard von 610, 636 Kühnemann, Eugen 985, 989A, 992A Kükenthal, Willy 678 Küster, Ernst 351A, 903A, 994A, 999A Kuntze, Friedrich 935 Kurth, Hertha 1042 f. Kurtz, Adolf 1102 Laband, Paul 105, 267, 282A, 584 Ladenburg, Rudolf 342 Laforgue, Jules 42A Lamprecht, Karl 155, 185, 619, 642, 745 Landau, Leopold 46, 284, 907 Landauer, Gustav 1006A Landé, Alfred 407 Landolt, Hans 393A Lang, Albert 278A Lange, Helene 486, 486A, 1034 Langstein, Leo(pold) 123, 423 Laqueur, Richard 202, 285, 354, 733, 903 Laskin, Jankel 883A, 884, 884A Laß, Ludwig 384 Lasson, Adolf 247, 251A, 540, 544, 898 f., 928A, 935 Laue, Max von 129 Lazarus, Adolf 46 Ledderhose, Georg 398A Lehmann, Heinrich 37, 219A, 433, 736 Lehmann, Max 190A Lehmann, Rudolf 158, 161 Lehmann-Haupt, Carl Ferdinand Friedrich 131, 284, 348, 421A, 539, 545A Leist, Gerhard Alexander 475, 554, 797 Leistikow, Walter 67 Lenard, Philipp 265A, 362 f., 601A Lenel, Otto 109A Lenz, Max 56, 68, 160, 163, 186, 200A, 268, 551, 599, 681, 686, 688, 774A, 1091, 1104 Leonhard, Rudolf 539, 543A, 545A, 1005 f. Leß, Emil 345, 901A Lesser, Edmund 394A Lessing, Gotthold Ephraim 181 Lessing, Kurt 706A Lessing, Theodor 312A Lettow-Vorbeck, Paul von 700A Leutert, Ernst 905A Levinsohn, Georg 909A Levy, Ernst 383A, 720A Levy, Sigmund 99A, 109A
1200 Anhang Lewandowsky, Max 728A, 909A Lewy, Ernst 728 Lezius, Friedrich 565 Liebermann, Karl 720A Liebermann, Max 67, 266A, 624 Liebert, Eduard von 256, 258A Liebig, Hans Freiherr von 602 Liebig, Justus 96A, 136 Lienhard, Friedrich 1114A Lietzmann, Hans 634 Linner, Walther 300A Lipschütz, Itzik 879A List, Friedrich 450A Liszt, Franz von 127, 132, 162, 262, 266, 268, 295A, 543A, 570, 594, 610, 619, 624, 977 Littmann, Enno 131, 144, 736, 940, 1002 Litzmann, Berthold 539, 543 f.A Lobstein, Paul 100 f.A, 278 Long, Karl 374A Lorentz, Helmut 317A Lorentz, Hendrik Anton 267 Lotsch, Friedrich 333A, 436, 909A Lotz, Walther 192A Louis XV. 37 Lubarsch, Otto 337, 340, 601, 842 f., 1029A Lubowski, Oskar 779 Lucius, Georg Friedrich 693 Ludendorff, Erich von 422, 583, 616A, 643, 784, 1007 f., 1083, 1116 Ludwig XV. s. Louis XV. Ludwig, Friedrich 217A, 282A, 373A, 1017 Ludwinowsky, Joseph 885A Lübke, Heinrich 524A Lüdecke, Henry 755A Lüders, Heinrich 632, 916 Lüders, Marie Elisabeth 489, 517, 533A Lüttge, Willy 817A Luschan, Felix von 275, 295A, 538, 538A, 540, 543A, 567A, 731, 918 Luther, Martin 816, 1103–1112, 1133 Maas, Paul 352, 390A, 909A Mackensen, August von 984, 1001 Madelung, Otto Wilhelm 327A Mahling, Friedrich 601, 661 f., 817A, 1023 Maier, Friedrich 278A, 358A Manasse, Paul 282A Mandel, Eugen 821A Mandel, Friedrich 821 Mandel, Robert 821A
Mandelstam, Leonid (russ.: Mandel’štam, Leonid Isaakovič) 103, 722A, 748 f., 895 Mangold, Ernst 360A Mann, Thomas 292A, 624 Marcks, Erich 577, 624 f., 633, 635, 1025A, 1091, 1104 Marckwald, Willy 414A, 429A Marcuse, Adolf 932 Marcuse, Heinz 316, 317A, 319 Martin, Ernst 146 Martin, Paul 607, 902 Martitz, Ferdinand von 567, 929 Maslow, Arkadi 778 Mathias, Franz X. 278A Maurenbrecher, Max 68 Mauthner, Fritz 128 May, Karl 757 May, Raphael Ernst 232A Mayer, Emil Walter 104, 347, 597, 627A, 628, 1071A, 1086, 1123 Mayer, Erich 105, 221A Mayer, Gustav 635 f., 637A, 993 Mayer, Max Ernst 105, 723 Mayer, Otto 39A, 109A, 111, 207A Mecum, Heinrich Anton 30 Meese, Fritz 318A Meinecke, Friedrich 16, 32, 40, 51 f., 55, 106–109, 111, 117A, 127 f., 144, 163, 188, 226 f., 232, 242 f., 287 f., 310, 323 f., 433, 534–536, 543 f.A, 568–570, 579 f., 585, 587–589, 593, 593A, 603 f., 608, 610, 616 f., 623, 625, 631 f., 633A, 635 f., 652, 800, 807 f., 933, 991, 993–995, 1000 f., 1003, 1024 f., 1037, 1091A, 1115, 1131 Meisenheimer, Jakob 115A Meisner, Wilhelm 920A Meitner, Lise 129, 264, 452 Melanchthon, Philipp 1106 Menegoz, Fernand (korrekt: Ménégoz) 101, 208, 209A, 278, 295, 358, 722 Ménégoz, Louis Eugène 101 Messer, August 230A, 286, 406, 607, 785 f. Metternich, Klemens Wenzel Lothar von 23 Meyer, Eduard 162, 262A, 268, 271, 429, 567, 576, 578, 585 f., 590, 599, 615, 622, 625, 631 f., 640, 985 f., 993, 997 f., 1002 f., 1024, 1025A Meyer, Erich 274, 333 f., 404A, 725A Meyer, Friedrich (Fritz) 920A Meyer-Lübke, Wilhelm 190
Register
Michaelis, Georg 596 f., 668, 673, 675, 1105 Michaelis, Leonor 909A Michels, Robert 198 Michels, Viktor 677, 1134A Mie, Gustav 678A Mikulicz-Radecki, Felix 706A Minkowski, Oskar 39A Mirbt, Carl 600A Mises, Richard Edler von 105, 294A, 345, 749 Mittermaier, Wolfgang 274A, 327A, 376A, 390A, 607, 694A, 697A, 732, 1030 f. Mittwoch, Eugen 421, 1073 Moeli, Karl 284, 593A Möller, Bernhard 738A, 921 Moeller, Georg 347 Mohs, Ernst Robert Freiherr von 777 Moltke, Helmuth Johannes Ludwig von 367, 984 Mommsen, Theodor 54, 56, 125, 128 f., 155 Montgelas, Maximilian von 23 Montgomery, Marshall 746, 751, 753, 755, 765 Morf, Heinrich 50 f., 227, 262, 266, 294A, 594A, 899, 917, 956 f., 993 Motsch, Auguste (Gustel) 447A Mozart, Wolfgang Amadeus 1082 Müller, Eugen (auch: Eugène Muller) 209, 238, 278A Müller, Friedrich Wilhelm Karl 725, 939 Münster, Sebastian 147A Müntzer, Désiré 77A Muller, Eugène s. Müller, Eugen Mumm, Reinhard 643 Munch, Edvard 49 Musset, Alfred de 27A Nagel, Wilhelm 284, 593A Napier, John 183A Napoleon Bonaparte 208A, 547, 549, 552, 555, 604, 623 Natorp, Paul 462, 809 Naumann, Alexander 286A Naumann, Friedrich 177, 270, 443, 624, 983, 1073 Naumann, Gottfried 627A, 1010 Naumann, Hans 375 Naunyn, Bernhard 109A Necheles, Henriette 1033A Neesen, Friedrich 384A
1201
Neisser, Albert 267, 925 Nernst, Walther 265A, 268, 283, 341 f., 344 f., 414, 430, 584, 589, 593, 594A, 621, 624, 691A, 956, 982 f., 1138 Neubecker, Friedrich Karl 350, 383A Neuberg, Karl 414A Neuhaus, Johannes 758–760 Neumann, Karl Johannes 202, 717, 815, 874 Neumann, Paul 777 Nicolai, Georg Friedrich 327, 540, 925–928, 1131A Niedermeyer, Gerhard 668, 842 Nietzsche, Friedrich 1011 Nikolai Nikolajewitsch (russ. Nikolaj Nikolaevič; Großfürst von Rußland) 1114 Nikolaus II. (russ. Zar) 1118 Noack, Karl 721A Nöldeke, Theodor 109, 144, 166, 216, 430, 939 Norden, Eduard 118, 956 Norden, Walter 118, 475 Nowack, Wilhelm 966 Oern, Guy 784A Oertmann, Paul 449A, 873 Oertmann-Windscheid, Lotte 449A Oesterle, Otto 724 Ohnmacht, Landolin 399 Ohorn, Anton 1124 d’Oleire, Herbert 708 Olshausen, Robert von 284 Oncken, Hermann 188, 190, 201, 258A, 261A, 291, 454, 569, 577, 585, 588A, 593A, 610, 624 f., 933A, 1035 Opitz, Erich 327A, 336, 367A, 370 f., 561A, 582 f., 599, 602, 658, 695, 1134A Oppenheim, Hermann 780 Oppenheimer, Franz 292A, 426, 476, 489, 571, 930 Orth, Johannes 583A, 1051 f. Ostwald, Wilhelm 69, 123, 265A, 291 Otto, Walter 599 Owen, Wilfred 685A Pachali, Heinrich 1113A Papalexi, Nikolaus (russ.: Papaleksi, Nikolaj D.) 103, 722A, 748 f., 895 Pappenheim, Artur 728A Paris, Gaston 899 Pariselle, Eugène 119A, 757 f.
1202 Anhang Parnas, Jakob 105, 294A Parny, François (Pseudonym für Pariselle, Eugène) 757 Passow, Adolf 880, 882 Paszkowski, Wilhelm 419 Paulsen, Friedrich 14, 158, 160, 173, 175, 179, 181, 190A, 197, 201 Paulus (Apostel) 1109 Peabody, Francis G. 56A Péguy, Charles 363 Penck, Albrecht 220, 228A, 232, 275 f., 276 f.A, 320 f., 324, 484, 496A, 499, 531, 538A, 544A, 559A, 561, 590, 696, 699, 699A, 707, 727, 731, 768A, 901A, 956–959, 959A, 961, 963, 1062, 1071A, 1074, 1078, 1120 Perels, Ernst 426 Peter I. von Serbien 1114 Peterson, Kurt 315 f., 319 Pfeiffer, Wilhelm 351, 376A Pfleiderer, Otto 1091 Pfordten, Otto von der 627A Phoenix-Aktiengesellschaft 967A Picard, Salomon 830–832 Pietschmann, Richard 271A Pinder, Wilhelm 735, 744 Pinkerneil, Friedrich August 459, 462 f., 842 f., 851, 859, 1047 Piontnitzki, David 881A Pirenne, Henri 805 Planck, Erwin 250A, 1130 Planck, Max 50, 56, 72A, 128 f., 186, 224A, 248–250, 252 f., 254, 264, 265A, 267 f., 295, 303A, 379, 397, 429, 431 f., 443, 451A, 542, 570, 579, 593, 619 f., 624, 691A, 711, 714, 718, 774, 809, 884, 897, 903A, 1061, 1118–1120, 1130, 1133A, 1134, 1138 Platon 999 Platzgoff, Walter 1019 Plaut, Paul 311 f.A Plehn, Albert 920A Pletnev, Petr A. 26A Plesch, Johannes 920A Poesler, Kurt 318A Pohl, Heinrich 944 f. Pohl, Max 861A Pohl, Robert 909A Pohlmann, Heinz [Heinrich] 316A Poincaré, Raymond 1114
Polaczek, Ernst 103, 103A, 105, 373, 630, 913–915, 914A Poller, Leib 879A Poppert, Peter 230A Posner, Karl 919A, 923A Preisigke, Friedrich 601A Preuß, Hugo 115, 284, 610 Preyer, Dietrich 280, 1130 Pringsheim, Hans 414 Prochnow, Oskar 664A Prohaska, Eleonore 464 Pschorr, Robert 725A Quidde, Ludwig 575 Raab & Karcher (Firma) 967A Rabel, Gabriele 1038A Rabin, Israel 787 Rabinowitsch, Moses 896A Radbruch, Gustav 631 Rade, Martin 177, 577, 593, 924, 1113 Rafaelsohn, Sascha 885A, 886 Rambeau, Adolf 593A Ranke, Leopold (ab 1865: von Ranke) 43, 56A, 963, 994 Rathenau, Walther 42A, 344, 413, 619 Rathgen, Karl 577 Rauch, Christian 368 Rausch, Albert H. 27A Redslob, Edmund 101 Redslob, Robert 101 f., 738 f. Regensburg, Joseph 374A, 752 f. Rehm, Hermann 98A, 110, 426, 434, 548, 550, 588, 977, 1025 Rehmann, Wilhelm 794A Reichenbach, Hans 850 Rein, Gustav Adolf 723A Reinhardt, Max 266A, 268A Reinhold, Hermann 402, 705 f. Reitzenstein, Richard 634 Rembrandt Harmenszoon van Rijn 914 Reuter, Gabriele 644 Reventlow, Ernst Graf 637 Reye, Theodor 109A Richter, Ludwig 674 Rickert, Heinrich 742 f., 935 Riefenstahl, Leni 779 Riehl, Alois 262, 266, 537, 544A, 547, 624, 1025A Ries, Robert 862A, 874
Register
Rießer, Jakob 383A, 426, 563, 691A, 909A Rießer, Otto 691A Rintelen, Friedrich 363A, 745A Rodenwaldt, Gerhard 390A Röder, Adam 1041 f. Roediger, Max 734, 808 Römer, Oskar 434A, 436 Röntgen, Wilhelm 143, 265A Roeseler, Hans 477, 1032A, 1042–1046 Roethe, Gustav 44, 62, 66, 248A, 257, 357, 368 f., 538A, 540, 543 f.A, 559A, 590, 601, 616, 618 f., 632, 713 f., 734, 741–743, 776, 928A, 937, 982, 990, 992 f., 1002 f., 1024 f., 1083, 1104 Rogge, Helmuth 310A, 313A Roggenbach, Franz Freiherr von 203A Rohland, Paul 1053 Rohr, Ignaz 278A, 471, 724 Rohrbach, Paul 551, 589, 615 Rokach, Leiba 880A Roland 1110 Rolland, Romain 205 Roloff, Gustav 232, 536, 550A, 551, 568A, 573, 587, 607, 612, 658, 863, 903, 911, 1102 Rosegger, Peter 681 Rosenberg, Arthur 347, 631, 632A Rosenberg, Leo 285, 416, 606A, 725A, 813, 818 Rosenberg, Schmul Greimann 896A Rosenblatt, Leib 889A Rosenheim, Arthur 413 Rossels, Alexander 880A di Rossi, Carlo Giovanni 885 Rostovcev, Michail I. (Rostovtzeff) 132, 241A, 290A Rothenbücher, Karl 739 Rothmann, Max 394A Rubens, Heinrich 425, 571A, 987 Rubner, Max 50, 182, 186 f., 187A, 192 f., 196A, 199, 225 f., 394A, 621, 624, 774A, 987, 991, 1024 Ruck, Erwin 738A Rudolph, Emil 938 Rückert, Friedrich 659 Ruehl, Alfred 284 Ruge, Arnold Paul 601A, 1036 Ruggli, Paul 103, 103A, 294A, 474 Rumpel, Oskar 909A Runze, Georg 817A Rupp, Hans 343A
1203
Ruska, Julius 601A, 605 Rutenburg, David 885A, 886 Ruth, Rudolf 693A Sachau, Eduard 939, 956, 958 Saenger, Konrad 227 Salge, Bruno 373A, 423, 849 Sallis, Margarete (später: Sallis-Freudenthal) 442 Salomon, Alice 486, 489, 516, 518 f., 531, 533 Salomonowitsch, Judel 879A Salvisberg, Paul von 947A, 949A Samelson, Siegfried 105 Sand, George 27A Sapper, Karl 404A, 627A, 938, 965, 970, 1009, 1018A, 1022 Sartorius von Waltershausen, August 40 f.A, 82, 280, 547, 966 Sauerbruch, Ferdinand 50 Sawidowitsch, Wolf 879 Schäfer, Dietrich 117A, 201, 203, 256 f., 273, 536A, 538, 560, 566–568, 574A, 575 f., 578, 581–585, 588, 598 f., 599A, 615, 616A, 618, 632, 635 f., 637A, 642, 699, 993, 1025A, 1104, 1134A Schairer, Reinhold 459 Schalfejew, Peter 119, 130, 295, 758, 943 Schallert, Ernst Günter 316, 317A Schapiro, Jankel-Nussin 885A Schaum, Karl 327A, 341, 555, 606A Schaumburg-Lippe, Adolf II. Fürst zu 968 Schauß, Wilhelm 178A Scheer, Charles 207A, 208 Scheinermann, Moschko 867A, 886, 887A Schenk, Robert 502 Schenkendorf, Max von 545A Schian, Martin 322, 479 f., 495A, 498, 552, 602, 679 f., 697, 709A, 719, 792, 797, 800, 1036, 1063, 1068A, 1070, 1076, 1090A, 1105, 1124 Schiemann, Theodor 55 f., 121, 126, 130, 295A, 421, 434, 567, 582, 590, 681 f., 934, 1024, 1116 Schiffer, Eugen 563 Schiller, Friedrich 541, 553, 706 Schiller, Sophia 525A Schirmer, Gertrud 511 Schjerning, Otto von 115, 274, 275A, 335, 358 Schlayer, Max von 384, 929
1204 Anhang Schleich, Carl Ludwig 252A Schleiermacher, Friedrich 160, 186, 259, 811, 1078 Schlenn, Kurt 704 Schlesinger, Alexander Schlieffen, Alfred von 777, 984 Schlumberger, E. A. 966 Schmidt, Erich 56A, 184 Schmidt, Ferdinand Jakob 539 f., 543 f.A, 571A, 936 Schmidt, Heinrich Alfred 539, 543A Schmidt, Karl 276, 278, 731 Schmidt, Martin Benno 678 Schmidt, Waldemar von 777 Schmidt-Ott, Friedrich 52A, 615, 751, 947 Schmiedeberg, Oswald 103, 295A, 404A Schmitt, Carl 39 Schmitt, Richard 934 Schmoller, Gustav (ab 1908: von Schmoller) 107, 125, 140, 149, 175–177, 280, 421, 489, 570, 635, 945 Schneider, Arthur 631, 1009, 1022 Schneider, Hermann 734, 937 Schoeler, Heinrich Leopold 284 Schoeller, Walter 983, 1024 Scholkowsky, Jos[eph] 779A Schopenhauer, Arthur 859, 1011 Schraer, Schmuel 76A Schröder, Edward 387A Schrödinger, Erwin 129 Schücking, Levin Ludwig 575 Schücking, Walther 309, 575, 739 Schüller, Hermann 462 Schürr, Friedrich 762 Schütt, Franz 500, 503 Schulthess, Friedrich 103, 724, 862A Schultz, Franz 472, 965, 1009, 1022 Schultz, Johannes Heinrich 644 Schultze, August Sigmund 109A, 548 Schultz-Gora, Oskar 574, 761A, 1009 Schulz, Grete 644A Schulze, Wilhelm 616, 632, 916 f. Schulze-Gaevernitz, Gerhart von 577, 587 Schumacher, Hermann 566, 568, 946 Schur, Issai 295, 741 Schuster, Paul 394A, 920A Schwalbe, Gustav 748 Schwander, Rudolf 38A, 214, 610 Schwartz, Eduard 94, 109, 145, 203, 206, 216–218, 283, 404A, 472, 547–550, 602,
632, 674, 691A, 708, 717A, 799, 840, 1009, 1022, 1067, 1070, 1082, 1085, 1112A, 1122, 1130 Schwarz, Hermann Amandus 571A Schwarz, Mia 526A Schweitzer, Albert 34 f., 36A, 77, 148, 205, 282, 761, 1111 Schweitzer, Helene s. Bresslau, Helene Schwerin, Claudius Freiherr von 216, 354, 358, 415, 418 Schwind, Moritz von 674 f. Seckel, Emil 247 f., 809A, 1085, 1087 Seeberg, Reinhold 8, 9A, 120, 130, 151 f., 162, 201, 262A, 266, 295A, 383, 538, 540, 543A, 565f-569, 573, 575 f., 578, 590, 599, 615–617, 642, 649A, 662, 669, 681, 700, 708, 1022–1024, 1025A, 1066, 1071 f., 1072A, 1078, 1104 Seeler, Wilhelm von 130 Seelhorst, Conrad von 387A Seidenberg, Moses 896A Selle, Götz von 1021 Semel, Hugo 890A Sering, Max 131, 280, 420, 536A, 543A, 546, 563, 584, 622 f., 756, 758, 775, 799, 930 Sexau, Richard 644A Shakespeare, William 541, 995 Sherwood, Clarence 65A Sickel, Wilhelm 282 Sieglin, Wilhelm 274A, 284 Siegmund-Schultze, Friedrich 72, 510, 514 f., 681, 688 Siemens, Carl Friedrich von 563 Sieveking, Tilly 839A Sievers, Wilhelm 237, 285, 357, 556, 572A, 602, 658, 707, 792, 905, 911, 938, 1066, 1071A, 1072, 1074, 1124 Silbermann, Elias 881, 884 Silex, Paul 920A Simmel, Georg 1A, 40, 105–107, 132, 164, 195 f., 206, 210A, 212–214, 215A, 216– 219, 228 f., 232, 277, 289, 291, 363, 396, 402, 416, 424, 432, 432A, 433, 449, 472, 548, 550, 637A, 798, 807 f., 812 f., 821, 838, 899, 913A, 963, 977, 993, 994A, 998, 1009, 1011 f., 1015A, 1017, 1022, 1025 Simmel, Gertrud 40, 218, 232, 396 Simmel, Hans 213 Simon, Heinrich Theodor 1034
Register
Simon, James 563 Sirota, Lew 880A Sitzler, Fritz 423A Skalweit, August 280, 416, 435, 551, 553 f., 558, 905, 931 Skłodowska-Curie, Maria s. Curie, Marie Smend, Rudolf 898, 1079, 1080A Sobernheim, Franz 727A Soden, Hans Freiherr von 383A, 817A Soetbeer, Franz 286, 912, 983, 1024 Solms-Laubach, Hermann Graf zu 109A, 282A Sombart, Werner 50, 188, 294, 1025 Sommer, Robert 30, 132, 137, 236 f., 326A, 362, 374, 401A, 406, 417, 436, 475, 536, 572 f., 624 f., 657, 695 f., 718A, 753 f., 773, 785 f., 788, 803, 813 f., 820, 826, 873, 896, 922, 1069, 1084, 1123 f., 1130 Sommerfeld, Arnold 1034A Spahn, Martin 39, 40A, 106, 110, 141 f., 142A, 216A, 229, 267, 421, 505, 548 f., 550A, 585 f., 602, 627A, 630, 634, 653, 821, 913A, 962–965, 967, 994, 1009 f., 1022, 1025, 1082 f., 1087, 1091A, 1095 f. Spannagel, Karl 707 Specht, Gustav 242A Speiser, Andreas 103, 103A, 294A Spemann, Hans 390A, 909A Spengel, Johann Wilhelm 582–584, 602 Spengler, Wilhelm 689A Spethmann, Johannes 937 Spiegel, Leopold 490A Spiegelberg, Wilhelm 216A, 218, 404A Spiro, Karl 105, 427, 470, 472 f., 505 Spitta, Friedrich 165A, 282A Spitzweg, Karl 674 f. Sponer-Franck, Hertha 353A Spranger, Eduard 809, 947, 954, 956, 959 Sprengel, Johann Wilhelm 136 Ssymank, Paul 977 f., 985, 1001, 1020 f., 1026 Stadler, Albert 209 Stadler, Ernst 131, 206, 209, 210A, 363 Stählin, Karl 132, 274, 356, 363, 627A, 963, 965, 1009 f., 1017 f., 1022, 1130 Stahlberg, Walter 566A, 601, 615 Stammler, Rudolf 631 Stasjulevič, Michail M. 26 Stein, Edith 451, 525 Stein, Hermann von 681, 1114
1205
Stengel, Karl von 592 Stepp, Wilhelm 231 Stepun, Fedor (Steppuhn, Friedrich) 58, 84 Stier, Ewald 335, 436, 909A Stock, Alfred 726 Stölzel, Adolf 127 Störring, Gustav 107A, 886, 887A Stolte, Karl 333A Strachwitz, Moritz Graf von Strack, Hermann 383, 817A Strahl, Hans 709A Strantz, Hermann von 1117 Straßmann, Paul 393, 395, 691A Strauß, Hermann 920A Strauss, Richard 49 Strecker, Karl 356, 980 Strecker, Reinhard 607A Stresemann, Gustav 576 Strümpell, Adolf 679A Struve, Hermann 121, 594 Studniczka, Franz 89A, 737 Studt, Conrad von 254 Stücklen, Gerta 70A Stückgold, Erwin 779 Stürmer, Adolf 316, 317A Stuhlfauth, Georg 903 f. Stumpf, Carl 918 Stutz, Ulrich 116, 320 Suboff, Valentin 885 Sudermann, Hermann 289, 620, 624 Sybel, Heinrich von 55 Szagunn, Ilse 70A Tabora, Demeter Ritter von 104, 294A, 395 Tammann, Gustav 765 Tangl, Michael 130, 227, 295A, 567, 793, 808 f. Thiele, Johannes 344, 430, 474 Thierry, George Henry de 673 Thies, Anton 912 Thies, Bernhard 885 Thimme, Friedrich 589 Thomas, Lucien 746, 752, 754 f. Thoms, Hermann 417 Thrämer, Eduard 99A, 109A Tiktin, Hariton (Heimann) 119A, 758 Tirpitz, Alfred 615, 638 Toennies, Ferdinand 650 Toller, Ernst 647 f. Torhorst, Marie 1039A
1206 Anhang Torkanowsky, Awrum 779 Traube, Wilhelm 593A Treitschke, Heinrich von 177, 260 f., 681, 693A, 1078 Trendelenburg, Wilhelm 903A Triepel, Heinrich 420, 536A, 584, 589, 592, 601, 956 f. Troeltsch, Ernst 152, 215A, 224A, 258–260, 260A, 544A, 546, 570, 579, 587, 589, 594, 610, 611A, 615–617, 623 f., 632, 634, 713 f., 903A, 993, 1002 f., 1024, 1087 f., 1088A, 1104 f. Trott zu Solz, August von 163A, 681, 684 f. Tschemerinsky, Isaak 778 Tuhr, Andreas von 103, 281, 482, 631, 724, 831, 890, 965, 1071A Twain, Mark 42A Uhlenhuth, Paul 921A, 966 Uller, Karl 607 Umanska, Anna 888 Valentin, Veit 5A, 633, 637–641 Valentini, Rudolf von 535, 576 Veithen, Bertha 839A Velsen, Dorothee von 451A Velsen, Ruth von 450 Versluys, Jan 95, 354 f., 555, 721, 723 Victoria (Königin von Großbritannien und Irland) 1118 Vierkandt, Alfred 475 Viktoria Luise 560 (Prinzessin von Preußen) Vinogradov, Pavel G. 183A Virchow, Rudolf 46 f., 125, 151, 1051 Vitte, Sergej Ju. 930 Vizetelly, Henry 44A Vogel, Walther 475 f., 932 Vogel von Falckenstein, Kurt 721A Vogt, Ernst 274, 354 Voigt, Woldemar von 1054A Voit, Fritz 286, 607 Volkelt, Hans 611 Voss, Hermann von 720A, 722 Vossius, Adolf 286 Vowinkel, Edith 514 f.A Wach, Adolf 193A, 196 Wagemann, Ernst 930 Wagner, Adolf 125, 127, 131, 280, 563, 567, 567A, 578, 581, 1078, 1091A
Waldeyer, Wilhelm (ab 1916: von WaldeyerHartz) 127, 200, 241, 248A, 268, 289, 384A, 390, 428A, 540, 543 f.A, 563, 594, 610, 619–621, 624, 919, 1083, 1085, 1089, 1138 Wallach, Otto 265A Walther, Andreas 935 Waltz, Jean-Jacques 213A Warburg, Emil 115, 413 Warburg, Otto Heinrich 353, 369, 371 Warnekros, Ludwig 284, 909A Wassermann, August (von) 53, 283, 619, 1138 Weber, Alfred 109A, 198, 288, 536A, 610, 633A Weber, Heinrich 274A Weber, Max 159, 288, 577, 580, 585, 588, 604–606, 608, 610, 637, 637A, 647, 1073 Wedel, Karl Graf von (ab 1914: Fürst von Wedel) 207A, 576, 581 Wedel, Stephanie Gräfin von 108 Wehberg, Hans 267 Wehnelt, Arthur 427 Weidenbach, Oswald 936 Weidenreich, Franz 209A Weil, Gotthold 421, 939 Weil, Bruno 212A, 214 Weinscheck, Gertrud 302A Weisbach, Werner 244, 246, 250, 262, 348 f. Weiß, Bernhard 152 Weitz, Ernst 738A Wellstein, Joseph 434 Wengeroff, Jacob (Jankel) 880A Wentzel, Georg 427 Wenzel, Georg 777 Wermuth, Adolf 128, 300 Werner, Anton von 49 Wertheimer, Max 904 Westarp, Kuno Graf von 576 Wetterle, Émile 238 Wetzel, Andreas 844 Wichelhaus, Karl Hermann 284 Widor, Charles 761 Wien, Max 342 Wien, Wilhelm 11A, 265A Wiegand, Wilhelm 148A, 1080A Wilamowitz-Moellendorff, Tycho von 682, 857, 1077, 1130 Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von 45A, 123A, 129, 156, 184, 197, 201, 228,
Register
241A, 251A, 255, 268, 273, 290A, 352, 421, 428, 537, 538A, 541–543, 546 f., 559 f., 567, 574, 578 f., 581, 590, 599, 601, 618, 624, 632 f., 652, 654, 670, 673 f., 681 f., 692 f., 718A, 743A, 758, 774A, 792, 857A, 894, 947, 961, 981 f., 984–988, 989A, 991 f., 999, 1024, 1025A, 1047, 1056, 1060, 1072A, 1076–1078, 1083, 1097–1099, 1115, 1120 f., 1130 f. Wildenbruch, Ernst von 539, 544A Wilenkin, Chaim 881, 881A, 884 Wiles, Frederick William 126A Wilhelm I. (deutscher Kaiser) 139A, 1082, 1097 Wilhelm II. (deutscher Kaiser) 40 f., 48 f., 53–55, 54 f.A, 81A, 111, 118, 123, 142A, 163, 178, 184, 207A, 211, 242 f., 247 f., 254, 254 f., 298A, 496, 534, 547, 585, 589, 594 f., 599A, 614, 618, 687, 704, 759, 784, 917A, 950, 1013, 1050, 1077, 1079–1086, 1088 f., 1094, 1097, 1100, 1129, 1137 Wilke, Ernst 601A Will, Wilhelm 284 f., 341, 370, 909A Willstätter, Richard 115, 265A, 412, 412Af., 725 f. Wilms, Max 601A Wilson, Woodrow 595 f., 618, 622 f., 653, 658, 917, 1085 Wimmenauer, Karl 30, 475 Windelband, Wilhelm 809, 1028 Winkler, Hans 987 Witkop, Philipp 314, 691 Wittmack, Ludwig 417, 417A Wittich, Werner 35, 204 f., 206A, 280, 282, 288, 473, 630, 731, 931, 1014A Wodjanoj, Abraham 896A Wölfflin, Heinrich 675 Wolff, (Philippe-)Alfred 923 Wolff, Fritz 340A Wolff, Max 429A
1207
Wolff, Otto 865A Wolff, Theodor 264 f., 288 f., 293, 570 Wolfram, Georg 148, 248, 602, 625, 630, 966, 1009 Wollenberg, Robert 36 f., 108, 404A, 716, 920A, 966, 1082 Wollheim, Hans 777A Wolpe, Soscha 887 Wolpert, Ilja 780 Wolpert, Simon 779 Wolters, Friedrich Wilhelm 933A Woodall, James 102A, 761 Woyrsch, Remus von 1116 Wülfing, Ernst Anton 601A Wulff, Oskar 115A Wunderlich, Frieda 489, 524, 531 Wundt, Max 3A, 358–361, 588, 936 Wundt, Wilhelm 359A Wurster, Paul von 1023A Yorck von Wartenburg, Ludwig Graf von 599, 984 Zahn-Harnack, Agnes von s. Harnack, Agnes (von) Zedlitz-Trützschler, Robert 55A Zeitschel, Hanna 645A Zeller, Gustav 584A Zeppelin, Ferdinand Graf von 681 Ziegler, Theobald 109, 134, 187 f., 194, 427, 602, 821, 1025, 1038, 1091A Zieliński, Tadeusz 133, 184A, 241 Zimmermann, Max Georg 115A, 550A Zimmermann, Waldemar 930 Zink, Jeanne 796A Zoepfl, Gottfried 930A Zorn, Philipp 993 Zorn von Bulach, Hugo Freiherr 147 Zscharnack, Leopold 223, 224A, 375, 383A Zweig, Stefan 1, 1132
1208 Anhang
Geographisches Register Da dieses Register vor allem dazu dient, weitere deutsche Universitäten in den Vergleich einzubeziehen, die regional vielfältige Herkunft des Lehrkörpers jeder Universität und die internationale Verflechtung der Universitäten zu dokumentieren, werden auch Orts- und Nationaladjektive so aufgelöst, als wären dort der Ort oder das Land genannt. Wo also im Text »ein amerikanischer Professor« (S. 23) oder »rußländische Studierende« (S. 76 A. 73) erwähnt sind, erscheint im Register »USA« bzw. »Russisches Reich«. Die für einen Professor gärtnernden französischen Kriegsgefangenen (S. 230) werden als Gefangene aus Frankreich verstanden, und auch die »französische Perspektive« (S. 24) wird im Register unter »Frankreich« erfaßt. Berlin, Gießen und Straßburg bleiben in diesem Register unberücksichtigt. Nicht auf genommen wurden die Bezeichnungen von (späteren) Stadtteilen. Abessinien 144 Ägypten 276, 889A Afrika 781, 938A, 1111 Albanien 243 Aligarh (Indien) 131 Allenberg 335 Altenburg 119A Amiens 995 Antwerpen 1116 Arlon (Arel/Aarlen) 980 f., 984, 990, 994 Armenien 335, 763 Arras 692 Asien 781 Astrachan’ 779 Athen 103, 131A, 184A, 266A, 1076 Auschwitz 451 Australien 276A, 559A Bad Kissingen 1090 Baden (Großherzogtum) 33, 146 f., 233, 281, 259A, 402 f., 454, 456, 744, 748A, 771 f., 794, 818, 820, 847, 868–870, 962, 988, 1121 Balkan 560, 943, 954, 972 f., 990, 1018, 1073, 1087 Baltikum 95, 103, 119–121, 129 f., 132A, 266, 284 f., 295, 339, 524A, 536, 546, 551, 614, 737, 743, 753, 763, 772 f., 775–777, 779, 783–785, 803, 887, 1049, 1115 Basel 122, 229, 294A, 363, 363A, 473A, 644, 735, 738, 745, 755 Bayern 65, 119, 302A, 303, 315, 361, 458, 499A, 740, 764 f., 771, 818, 828 f., 831–833, 852, 854, 918, 947, 972 f., 978, 988, 1053
Belfast 755 Belfort 761 f., 926 Belgien 1, 14, 263, 282A, 311, 335, 347, 352, 359, 363, 373A, 389, 419, 423, 482, 521, 525, 535, 556, 571A, 578, 581, 585, 612, 616, 636 f., 697A, 752, 754 f., 771, 774A, 775 f., 780, 805, 909A, 926, 929, 966, 973, 981, 1051 Berchtesgaden 250A, 774 Bern 122, 706A, 738A, 751 Birmingham 131A Bischweiler 840 Böhmen 103A, 121, 185, 295A, 630, 914, 1124 Bonn 5, 25, 29, 41, 72, 99, 101A, 139, 141, 143, 203A, 226, 235, 236A, 253A, 295, 320, 351A, 415, 416A, 446A, 451 f., 456, 468, 528, 539, 545, 644A, 677A, 725, 736, 741, 748, 790A, 802, 849 f., 858A, 887, 903A, 938 f., 946, 948, 952, 955, 958, 965, 967A, 993, 999A, 1017A, 1039A, 1092A, 1121A Brandenburg (preuß. Povinz) 43, 46, 318, 489, 675, 1113 Brasilien 277 Bratislava 122 Braunschweig 772 Breslau 119, 121, 141, 143, 173, 178A, 222A, 224A, 329A, 334, 383 f., 391, 411, 445 f.A, 456, 539, 575, 597, 599, 612, 628A, 677A, 678, 717, 718A, 735, 777, 849A, 858A, 868, 892, 925, 948, 954, 961, 971 f., 985, 1091 f., 1092A, 1096, 1106, 1116, 1121 Brest-Litowsk 357, 782, 784 Briey 421 Brixton 762
Register
Brügge 368, 518 Brüssel 131, 209, 525, 560, 633, 636A, 755, 979 f., 987, 996, 1000 f., 1022, 1023A, 1025 Brzeziny 335 Budapest 726A, 961, 990 f. Bukarest 483, 980, 983, 987, 990, 996 f., 1001 Bukowina 749 Bulgarien 420, 731A, 782 f., 793, 889, 889A, 942, 954, 982 f., 990, 1000, 1073 Cambridge 7A, 52A Campina 984 Champagne 353, 368, 522 Char’kov 888, 980 Châteauroux 277 Chemnitz 1124 Chicago 42 China 860 Christiania (heute Oslo) 131A Clausthal 677A Colmar 215A, 507, 601A, 840, 844 Conflans 977 f., 986, 994, 998, 1000, 1025 Cortemarck 371A Côte d’Azur 32 Cottbus 907A Czernowitz 14A, 983 Czersk 909A Dänemark 42, 120, 267, 670, 673, 759 f., 928 Dahlem 51–53, 310 Danzig 926 f. Darmstadt 27, 167, 282, 300, 456A, 457, 498, 732, 735, 795, 913A Den Haag 645 Deutsches Reich 20 f., 24, 30 f., 36, 39, 46, 48, 51 f., 60, 61, 63, 74, 107, 153, 157–159, 174, 198–201, 204–209, 211, 219, 219A, 229, 241, 241A, 243, 243A, 246, 256, 262, 278–281, 290 f., 291A, 293, 299, 305, 307, 325, 326A, 329, 450, 456, 536, 542–546, 549, 551–553, 557, 560, 564, 571–573, 583, 592 f., 595, 616, 629, 671, 687, 715, 760, 772, 775 f., 803, 827, 838, 867, 890, 917A, 949, 953, 968, 1067, 1069, 1072 f., 1075, 1081 f., 1084 f., 1084A, 1086 f., 1090, 1096–1098, 1099A, 1100, 1112, 1115, 1127A, 1129 Deutschland (allgemein) 554, 987, 1095, 1104, 1106, 1112 Deutschland (Bundesrepublik) 1088A
1209
Deutsch-Südwestafrika 276, 364 Dorpat (estn.: Tartu; russ.: Jur’ev) 87, 95A, 120 f., 130 f., 336A, 410, 422, 777, 890, 1114, 1116 Douai 368 Dresden 431, 601, 677A, 778, 973, 1050 Dünaburg 885 Düppeler Schanzen 1078A Düsseldorf 407, 967 Duisburg 967 Dunajec 317 Durazzo 987 Eberswalde 272 Edinburgh 183A Eilenburg 927 Elberfeld 913 Elsaß (allgemein) 964, 1081 Elsaß (kult. Landschaft; Teil des Reichslandes Elsaß-Lothringen) 6A, 21, 23–25, 32–35, 36A, 37, 40, 46, 73 f., 76, 78, 100–102, 108 f., 110, 140–142, 142A, 147 f., 203 f., 206–210, 215A, 239, 249, 266, 278 f., 281 f., 286, 302A, 308, 322, 402 f., 416, 448, 508, 628 f., 738 f., 762, 789, 839, 914, 1082 f., 1111 f., 1117, 1127A Elsaß-Lothringen (Reichsland) 25, 31, 33, 33A, 35, 39–42, 46, 72 f., 77, 93, 98–100, 106, 110, 146, 150, 167, 167A, 179, 202 f., 205 f., 208, 212–215, 218, 222, 235, 238, 291A, 309, 372, 403, 412, 416, 416A, 427, 450, 456, 462A, 469, 473 f., 473A, 527, 548, 560 f., 576, 627, 630, 737, 737A, 745, 812, 824–826, 829 f., 832 f., 835–837, 855, 871, 921, 965, 968 f., 1010, 1013A, 1096 England 44, 61A, 65, 119, 126, 158, 193, 254A, 263, 276A, 289 f., 290A, 320, 335, 362 f., 364, 417, 420, 539, 542, 544A, 545 f., 549, 551, 553 f., 575, 583, 585 f., 594, 671, 756, 764, 771, 776, 780, 899 f., 916, 934, 953 f., 955A, 963, 966, 970 f., 1018, 1049, 1069 Erfurt 1067A Erlangen 4, 7, 82, 120, 171, 333A, 393, 393A, 409, 677, 695A, 715A, 764, 814A, 862, 873, 900A, 918A, 942, 1028, 1029A, 1038, 1059, 1106, 1121A Eßlingen 360A Estland 583 Europa 219, 1086 f., 1097
1210 Anhang Finnland 83A, 303A, 763, 773, 776, 783 f. Flandern 12A, 353, 368, 371A, 467A, 521, 541, 995 Fourmies 980 Franken 729 Frankfurt a. M. 109, 122, 131, 139, 142A, 160, 211, 215, 249A, 294A, 341, 426 f., 442, 468, 479, 498, 506A, 597A, 602, 612, 679, 723A, 755, 787, 818, 847, 849, 868, 904 f., 918, 972A, 977, 1036, 1092 Frankreich 23 f., 29, 31, 34 f., 37 f., 102A, 104, 119, 140, 147A, 149, 158, 182, 193, 204–206, 208 f., 208A, 213A, 221A, 229 f., 238A, 241A, 243 f., 244 f.A, 262 f., 271, 274, 279 f., 290, 291A, 298, 300, 335, 341, 347, 353 f., 357, 365, 368, 389, 402 f., 405, 428, 520, 535 f., 544A, 545, 549, 553A, 559A, 573, 594, 671, 692, 726, 750 f., 762, 771, 774A, 775, 784, 808A, 837, 899, 909, 953, 966, 971, 973, 1018, 1051, 1056, 1069 Freiburg 5, 10A, 11A, 21, 58A, 72, 99 f., 109, 117A, 122, 127, 131A, 139, 141, 165, 171, 178A, 188, 287, 291, 306A, 411, 428A, 440, 442, 445, 456A, 487A, 509, 525, 528, 573, 587, 591, 599, 637, 639, 660, 695A, 706A, 721A, 737, 771, 773, 790A, 791, 794, 802A, 807, 810, 815, 815A, 838, 840, 850A, 905A, 906, 942, 962, 963A, 972, 977, 987, 1008, 1019, 1028, 1034, 1036, 1038 f., 1052, 1082, 1106, 1108, 1116, 1121 Friedberg 607A Friedrichsruh 1090, 1092, 1094 Galizien 121, 294A, 717, 785, 1115 Genf 1112 Gent 14A, 355, 368, 518 f., 721, 732, 977, 1075 Glasgow 1114 Goddelau 752 Göttingen 7, 10, 12A, 20, 26A, 99, 109, 121 f., 141, 144, 163, 221A, 235, 236A, 243, 251A, 253A, 267, 274A, 280, 282A, 290, 319A, 353A, 387A, 391A, 406 f., 411, 415, 424A, 444, 446A, 451 f., 487A, 495A, 530A, 539, 573, 592A, 599, 603, 612, 625, 634, 644, 646, 648, 660, 679A, 736, 779, 783A, 784 f., 790 f., 801, 802 f.A, 815A, 850, 858A, 865, 872A, 916, 948A, 954, 955A, 960, 977A, 1034, 1036A, 1039, 1039A, 1054 f., 1092A
Gorlice-Tarnów 1115 Graudenz 926 f., 937 Graz 122, 295A, 404, 726, 765, 773 f., 775A, 778A, 779, 857, 1027 Greifswald 62, 82, 118, 146, 178A, 222A, 348, 446A, 452, 456, 500 f., 526, 529, 601, 644, 672A, 677 f.A, 744, 944, 972A, 1047, 1050, 1092A, 1106, 1116 Griechenland 452, 983 Groningen 183A, 184, 241, 864 Großbritannien 747, 774A, 775, 784, 803, 996A, 1051, 1074, 1096 Hadersleben 120A, 759A Halle 25, 72, 122, 270, 402, 411, 460, 469, 476, 492, 508, 597, 599, 601, 628, 724, 750, 790A, 811, 848, 849A, 858A, 865, 896, 942A, 972A, 977, 984, 987, 1049, 1092–1094, 1092A, 1106, 1121A Hamburg 266A, 272, 681, 762, 944, 947, 954, 969, 1091 f., 1094, 1114A Hannover 319A, 513, 514A Hannover (Königreich) 954 Hannover (preuß. Provinz) 34 Hannoversch-Münden 137A Harvard 123, 131A, 291A Hasenpoth (lett.: Aizpute) 890 Hawaii 275A Heidelberg 5, 7, 8A, 20, 58A, 64, 99 f., 139, 171, 188, 198, 213A, 222, 258, 260, 270, 273, 282A, 288, 291, 333A, 360A, 380, 383, 398, 411, 419A, 426A, 433A, 446A, 455, 487A, 496, 537A, 548, 567A, 585, 601 f., 601A, 605–607, 610, 612, 625, 634, 646 f., 677 f.A, 712, 712A, 714, 725, 739, 742, 771, 772A, 773, 789, 798, 800A, 809, 815, 815A, 837, 850A, 862, 873 f., 877, 900, 933A, 962, 963A, 972, 977, 990, 1004 f.A, 1028, 1031, 1033, 1035 f., 1038, 1042, 1090, 1093, 1121, 1121A, 1133A Heiliges Römisches Reich 24, 816, 1083, 1085 Helsingfors 763A Hessen (allgemein) 24, 200, 402, 552 Hessen (Großherzogtum) 21, 26 f., 31, 82, 94 f., 99, 167, 199 f., 221, 232, 362, 393, 401, 416, 456, 718, 744, 747, 751, 753, 763, 773, 788, 795, 824–826, 833, 869, 871, 1080, 1080A Hessen (Volksstaat) 167A
Register
Hessen-Nassau (preuß. Provinz) 281 Hildesheim 319A Hilversum 355A Hohenheim 591 Hohkönigsburg 1013 Hubertusburg 536A Indien 275, 277, 644A, 803 Irland 531, 578, 774A Italien 37, 287, 291A, 544A, 762, 771, 780 f., 783, 966, 1018, 1054 Itzehoe 448 Iwangorod (poln.: Dęblin) 335 Japan 83, 192A, 671, 775, 953, 1051–1053 Jena 26, 77A, 91A, 159A, 178A, 188A, 190A, 198, 198A, 249A, 270, 323A, 329A, 358, 433, 449 f., 462, 468, 476, 487A, 490–493, 508, 510 f., 513, 514A, 525, 529, 532, 601, 621, 628, 629A, 634, 644, 645A, 666, 677 f., 684, 689, 715, 717, 735, 737A, 748A, 792, 802, 862, 864, 899, 921A, 977, 1001, 1029A, 1048A, 1121A Jütland 760 Jur’ev s. Dorpat Kärnten 122, 130 Kairo 131, 144, 778A Kamerun 920 Kanada 131 Karlsbad 434 Karlsruhe 100, 215, 454, 548, 771, 774A, 786, 794, 1019, 1036A Karthago 1099 Kassel 492A, 493, 529, 628 Kaukasus 551 Kehl 821 Kiel 20, 96, 122, 252A, 253, 337 f., 340, 372, 384, 403, 411, 446A, 539, 586, 650, 724, 790A, 799A, 842, 845A, 849, 903, 939, 947 f., 954, 1029A, 1038, 1052, 1092 f., 1092A Kiev 980 Kleinasien 452 Kniebis 737 Koblenz 275A Köln 664 Königsberg 6 f., 20 f., 121, 146, 214A, 222A, 232A, 329A, 353, 411, 442, 448A, 452, 456, 479A, 598 f., 649, 677A, 680, 717,
1211
718A, 740, 756, 773, 794A, 802, 948, 954, 961, 971 f., 1025A, 1083A, 1092, 1116, 1132 Konstantinopel 352 Kopenhagen 459, 673 Krakau 785 Kurland 536, 583, 613, 613A, 679A, 741, 752A, 773, 780–785, 793, 887, 890, 1056 Kuttenberg 185A Lahn 28 Langemarck 12, 657, 1039, 1088 Langres 761 Leiden 122, 267 Leipzig 5, 30, 36, 58A, 64, 72, 74, 90, 94, 97A, 99, 119 f., 122A, 124, 139, 144, 155, 178A, 183–185, 184A, 235, 244, 329A, 337, 356, 393A, 436, 443, 456, 469, 476, 487A, 492, 586, 599, 610–612, 642A, 670 f., 679A, 685, 695A, 734A, 736, 743A, 748A, 773, 833A, 862, 896, 942A, 954, 973, 984, 1010, 1092, 1092A, 1094A, 1121A Lemberg 14A, 785, 789, 1101 Libau 785, 787A Lille 695, 717A, 721, 977 Linz 158A Liverpool 131, 348 Livland 548, 571, 583, 930 Lodz (poln.: Łódź) 366A Löwen 263 London 72, 276 Longwy 421 Lothringen 74, 108, 211, 279, 308, 322, 402, 506, 738, 762, 837, 977, 1007 Lowitz (poln.: Łowicz) 366A Lüttich 642A, 755, 1084A Luneville 642A Luxemburg 83A, 275A, 783, 1058 Lyon 103 f., 244, 347, 926 Mährisch-Weißkirchen (tschech.: Hranice na Moravě) 451 Magdeburg 315, 491–493, 499, 508, 513, 559 Mainz 244, 336 Malta 276 Mannheim 215, 272, 496A, 967, 1019 f. Marburg 7, 11 f.A, 22, 24, 26, 82, 95 f., 96A, 108, 120, 122, 130, 160, 169, 177, 232A, 245A, 286, 309, 360A, 391A, 393, 399, 407, 411, 446A, 459, 462, 478 f., 508 f., 526A,
1212 Anhang 529–531, 537A, 557A, 593, 600 f., 600A, 628, 629A, 630, 643, 648, 651, 677A, 679, 681, 735, 739, 790A, 802, 806, 809, 814A, 818, 847, 849, 850A, 862, 863A, 865, 870, 872A, 874, 894, 900A, 905, 912, 918A, 919, 921A, 924, 936, 942, 973 f., 1036, 1047, 1092, 1092A, 1106, 1113, 1121A Marburg (Wahlkreis) 174, 273 Marne 265, 431, 544 Marseille 277 Masuren 336, 1115 f. Mazedonien 560, 980–982, 985, 987 f., 995, 999, 1025 Mecklenburg s. Mecklenburg-Schwerin (Großherzogtum) Mecklenburg-Schwerin (Großherzogtum) 32A, 61, 458, 835, 903A Memel 42 Metz 42, 140, 213A, 230, 279A, 601A, 717, 738A, 977, 1117 Minsk 980 Mitau (lett. Jelgava) 613 Mittelamerika 970 Mitteleuropa 39, 546, 1095 Mogilev 103, 741, 748 Monastir 982A Montenegro 771, 774A, 775 f. Moskau 65A, 132, 183A, 778A Mühlhausen 642A, 761, 966, 968 München 20, 64 f., 67, 69, 70A, 72, 90, 93A, 99, 124, 137, 139, 146, 148A, 178A, 188, 229, 411, 415, 452, 456, 528, 539, 592, 599, 601, 610, 612, 625, 633, 635, 644, 647–649, 675, 677 f.A, 681, 707, 725, 762, 773, 778, 790A, 796A, 802, 972, 976 f., 1038, 1091–1093, 1109, 1121A Münster 59, 143, 160, 378, 411, 418, 446A, 452, 501 f., 513, 526, 537A, 599, 672, 790A, 844, 872A, 952, 1092–1094, 1121A Naher Osten 972 Namur 335 Nancy 24A Neuguinea 275A Neuseeland 275A New York 53A, 123, 489A, 539 Niederlande 95, 130, 219A, 535, 939, 951A, 1015A Norddeutscher Bund 1084A Nordsee 1096
Northeim 407 Norwegen 267, 291, 670 Oberelsaß (Bezirk des Reichslandes ElsaßLothringen) 302A, 354, 402 f., 448, 507, 738A, 840, 844, 967, 968 f. Oberhessen (Provinz des Großherzogtums Hessen) 27, 31, 416 Oberhofen 629 Oberschlesien 42, 279 Odessa 103, 748, 750, 787 Örebro 884, 884A Österreich 122, 130, 335, 538, 687, 731A, 737, 857, 954, 983, 1051 f., 1096 f., 1102 Österreich-Ungarn 50, 102, 104, 118A, 121 f., 140, 158, 188, 241, 241A, 244, 245A, 281, 284, 291A, 294, 326A, 345, 373, 452, 474, 543, 551, 595, 624 f., 749, 762, 773, 780 f., 783, 785, 789, 793, 885, 915, 1069, 1073, 1074 f.A, 1095 Offenbach 1101 Oslo s. Christiania Osmanisches Reich 348, 783, 939, 1073 Ostende 368 Osthausen 147A Ostmitteleuropa 14, 972 Ostpreußen 7, 21, 275, 334 f., 339, 389, 393, 401, 403, 405, 442, 522, 524A, 541, 564, 573, 664, 756, 811, 872, 1075, 1116 Oxford 7A, 52, 131, 183A, 287, 687, 753 f., 916 Palästina 335 Paris 29, 36 f., 53A, 64, 101, 114, 182, 190A, 277, 286, 341, 687, 761, 899, 909 Petersburg s. Sankt Petersburg Pfalz 33 f. Pfirt 738A Philippinenthal (fiktiver Ort) 26 f. Pilsen 121 Polen (allgemein) 160A, 335, 420, 467A, 574A, 664, 943, 987 Polen (Königreich ab 1916) 538, 546, 781 f., 788, 793, 889 Polen (russ. Teilungsgebiet) 404, 571, 717, 728A, 776, 785 Poltava 750A Pommern 146, 282A Posen (preuß. Provinz) 27, 74A, 201, 280, 355, 363, 573, 681A, 735, 767A, 931, 977 Posen (Stadt) 977
Register
Potsdam 46, 72, 223, 227, 282A, 383, 916, 950, 1130 Prag 14A, 121, 185, 198, 203A, 294A, 735, 1051, 1067A Prenzlau 359 Preußen 5, 5A, 6A, 7, 18, 18A, 20, 24, 33 f., 40–44, 46 f., 52, 54, 57, 57A, 64 f., 64A, 74 f., 87, 89A, 91–96, 99, 113, 117 f., 117A, 119 f., 122, 140, 144, 146, 150, 153, 157, 159–161, 159A, 162, 164, 166 f., 169 f., 174, 176, 188, 198A, 199–201, 203A, 206 f., 207A, 208, 211A, 221–223, 233 f., 233A, 281 f., 298, 300, 302–305, 302A, 325, 329, 331, 339, 353, 372, 378, 391, 393, 409, 415, 417, 426, 438, 445A, 452, 458, 467, 476f-479, 498, 504, 527, 533, 539, 545, 552, 575, 579, 587, 610, 623, 669, 671, 700, 715–717, 730, 736, 744, 746–748, 751, 759, 763, 771 f., 773A, 777, 779, 781 f., 788, 790, 794, 802, 815, 818 f., 824–827, 833–836, 840 f., 844, 848, 852, 854–856, 858, 862, 865, 868, 871 f., 890, 900, 903, 905, 912, 918–920, 928A, 944 f., 947–949, 952 f., 956, 960–962, 965, 969, 971, 978 f., 988, 1017, 1033 f., 1055, 1061, 1064, 1076, 1075, 1083, 1084A, 1085, 1096–1098, 1101, 1106, 1114 f., 1130 Prilep 980 f., 982A, 983, 987, 990 f., 998, 1002A Princeton 144 Przasnitz (poln: Przasnysz) 336 Pulkovo 121 Rastenburg 275, 334 f., 338A Réchésy 762 Reims 359 Reval (estn.: Tallinn) 422 Riga 130, 422, 613, 777 f., 780, 887, 980, 1025A, 1048 Rhein 33, 74, 1116 Rheinland 33, 41, 279, 282A, 318, 504 Rheinland (preuß. Provinz) 279, 281, 1045 Rom 420, 1099 Rostock 57A, 82, 101, 411, 677A, 678, 738, 739A, 767A, 769, 773, 777, 801, 834–836, 1092, 1092A Rostov am Don 1075A Ruhleben 757 Rumänien 119, 130, 321, 335, 519, 758, 781, 783, 889A, 891A, 916, 954, 983, 1050
1213
Russisches Reich 50, 61A, 64 f., 74–76, 76A, 79, 83, 103, 119A, 120 f., 130–132, 160A, 184, 193, 193A, 211, 241, 241A, 243A, 246, 248 f., 254, 266, 271, 281, 289 f., 295, 303, 321, 322A, 334 f., 339, 350, 353, 405, 418, 420, 544A, 545 f., 548, 551A, 573, 589, 664, 669–671, 747 f., 750–752, 752A, 753, 756, 763, 765 f., 771, 773–776, 778, 780–784, 786, 788 f., 793, 802, 804, 813, 838, 877–879, 882, 885, 890, 895, 926, 943, 953 f., 955A, 956, 963, 972 f., 996A, 1002, 1018, 1049, 1052, 1054 f., 1069, 1075, 1087, 1100, 1115 f., 1118 Sachsen 107, 362, 477, 527, 552, 744 Sachsen (Königreich) 122, 182A, 184, 477, 527 Sachsen (preuß. Provinz) 316A Sachsen-Altenburg 715A Sachsen-Coburg-Gotha 715A Sachsen-Meiningen 715A Sachsen-Weimar-Eisenach (Großherzogtum) 667A, 715A Saloniki 987 Salzburg 189 St. Andrews 131A Sankt Petersburg 65A, 103, 121, 121A, 130, 132, 184A, 193A, 216, 241, 244, 280 f., 418, 434, 748, 750, 752, 777, 779, 838, 889 f. São Paulo 131 Sarajevo 242 f., 443 Saratov 132 Schlesien 43, 282A, 334, 362, 573, 1042, 1116 Schlesien (preuß. Provinz) 42 f., 267, 279 Schleswig 120, 759 Schleswig-Holstein 201, 407 Schlettstadt 1013 Schwäbische Alb 407A Schwarzwald 217 Schweden 291, 804, 884, 887 Schweiz 83A, 95, 102, 122, 140, 213A, 219A, 244, 262, 277, 281, 294, 320, 334, 366 f., 403, 473A, 474, 724, 738A, 744, 774, 783, 787, 789, 895, 899, 927, 983, 1056, 1112 Seebrügge 368 Sedan 300, 522, 598 f., 642 Serbien 241A, 244, 245A, 321, 554, 771, 774A, 775 f., 885, 1000 Siebenbürgen 321 Siegen 504 f., 514
1214 Anhang Simferopol’ 748 Skandinavien 619 Skopje (Üsküb) 990 Sofia 420, 983 Somme 346, 584 Spandau 516 Spanien 804 Spree 46 Stettin 284, 966 Stockholm 53A, 291A, 635 Stralsund 1050 Stuttgart 215, 505, 591, 762, 970 Südafrika 285 Südamerika 928A, 938A, 956 Süddeutschland 629, 706A, 790, 1093 Südafrikanische Union 364A Südosteuropa (s. auch Balkan) 973 f. Südtirol 122 Sydney 275A Syrien 335, 347 Tannenberg 280, 315, 383, 541, 642A, 643, 1084A, 1116, 1119 Taškent 777 Tegernsee 130 Thüringen 248, 450 Tirol 122, 537 Torgau 492, 516 Tournai (Doornik) 633, 980, 985, 987 f., 991–994, 996–998, 1000, 1001A, 1002 f., 1025 Trentino 291A Triest 762 Tsingtau 1051A Tuchel 926 Tübingen 5, 7, 7A, 36, 100, 108, 117A, 139, 143, 148A, 178A, 245 f.A, 273, 329A, 331, 407A, 428A, 440, 448A, 468, 476, 487A, 531A, 551, 582, 591, 603, 629A, 644A, 677A, 678, 712, 724, 737, 738A, 743A, 818, 849, 866, 903A, 937, 947, 963A, 972, 987, 1017, 1023A, 1047 Türkei 335, 545, 938, 942, 983, 1073, 1138A Turkestan 551 Uckermark 359 Üsküb (Skopje) 990 Ukraine 132, 321, 335, 354, 774, 782–784, 887
Ulm 733 Ungarisch-Altenburg 122 Ungarn 789, 961, 973 USA 23, 47, 52, 55 f., 64, 83, 123, 143, 181, 184, 193, 275, 289, 291, 383, 539, 567A, 586, 596, 622, 749, 755, 757, 778A, 781, 804, 877, 889, 889A, 926, 953, 956, 966, 985, 1035, 1050, 1085 Unterelsaß (Bezirk des Reichslandes Elsaß-Lothringen) 24A, 278, 416, 505 f., 837, 966 f. Verdun 219A, 341, 361, 742, 995, 999, 1104 Versaille 7 Vogesen 217, 361, 655, 1117 Vorderer Orient 672 Warburg – Höxter 110A Warschau 193A, 284, 335, 366, 410, 418 f., 422, 560, 682, 732, 782, 788, 977, 986 f., 989, 991, 995 f., 1022, 1025, 1075 Washington 53A Weichsel 317 Weimar 950 Weißrußland 741 Westfalen 504, 675 Westpreußen 574, 926, 931, 1082 Wien 1, 90A, 121–123, 131A, 165, 190, 355A, 404, 857, 864, 983, 990 f., 1038 Wilna 723, 753A, 980, 1022 Wittenberg 1103–1106 Wörth 255 Wolga 132 Worms 282, 282A Württemberg 33, 146, 458, 625 f., 738, 828 f., 831–833, 852 Würzburg 131A, 165, 393A, 409, 411, 456, 468, 582, 599, 678, 695 f.A, 779, 815A, 977A, 1030, 1092, 1092A, 1121A Wunsdorf 917A Wytschaete 685A Ypern 343, 639, 1088 Zabern 207 f., 238 Žitomir 779 Zossen 284, 348 Zürich 122, 183A, 190A, 294A, 489, 887A