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German Pages 351 Year 1996
FRANK-ERICH HUFNAGEL
UN-Friedensoperationen der zweiten Generation
Schriften zum Völkerrecht Band 123
UN -Friedensoperationen der zweiten Generation Vom PutTer zur Neuen Treuhand
Von
Frank-Erich Hufnagel
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Hufnagel, Frank-Erich: UN-Friedensoperationen der zweiten Generation: vom Puffer zur Neuen Treuhand / von Frank-Erich Hufnagel. - Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Schriften zum Völkerrecht; Bd. 123) Zugl.: Bonn, Univ., Diss., 1994/95 ISBN 3-428-08618-X NE:GT
D5 Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0251 ISBN 3-428-08618-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 \9
Meinen Eltern
Vorwort Die Arbeit lag der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn im Wintersemester 1994/95 als Dissertation vor. Das Manuskript wurde im August 1994 im wesentlichen abgeschlossen. Spätere Entwicklungen konnten in der Untersuchung deswegen nicht mehr berücksichtigt werden. Insbesondere für die die ersten Kapitel beherrschende tatsächliche Aufarbeitung der UN-Operationen in Namibia, Kambodscha und Somalia mußte daher der Sommer 1994 als Zäsur gelten. Während die Operationen in Namibia und Kambodscha zu diesem Zeitpunkt bereits beendet waren, sollte die Mission UNOSOM 11 in Somalia noch ein weiteres Jahr andauern. Der weitere Verlauf dieser Mission bis zum endgültigen Abzug Anfang 1995 hat die auf der Basis des ersten Operationsjahres getroffenen Feststellungen jedoch bestätigt, so daß die gezogenen Schlußfolgerungen uneingeschränkt aufrecht erhalten werden. Dasselbe gilt für die auf dieser Tatsachengrundlage aufbauende rechtliche Analyse. Für die Betreuung und Förderung der Arbeit möchte ich in besonderem Maße meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Christian Tomuschat, danken, der nicht nur die Wahl des Themas angeregt, sondern auch dessen Durchdringung in vielen Gesprächen und Hinweisen unterstützt hat. Ebenfalls danken möchte ich allen Mitarbeitern des Instituts für Völkerrecht der Universität Bonn, die mir die Sammlung und Aufarbeitung des umfangreichen Materiales erleichtert haben, sowie meinem Freund und Kollegen Mare Reysen, ohne dessen tatkräftige Hilfe die Druckfassung der Arbeit wohl nie vollendet worden wäre. Die Untersuchung wurde durch ein Promotionsstipendium der KonradAdenauer-Stiftung gefördert, der ich für die großzügige und flexible Unterstützung gleichfalls sehr zu Dank verpflichtet bin. Schließlich und vor allem danke ich meiner lieben Verlobten, MariaTheresia, für ihre Hilfe und besonders für ihre Engelsgeduld auf dem langen Weg zur Fertigstellung dieser Arbeit.
Mülheim, im Mai 1995 Frank-Erich Hufoagel
Inhaltsverzeichnis A Einfuluung ....................................... .................................................................................................... 15 I. Die Problemstellung ...................................................................................................................... 15 I. Ausgangslage ............................................................................................................................ 15 a) Eine neue Aufgabe ............................................................................................................. 15 b) Reaktionsmöglichkeiten der UNO ..................................................................................... 17 2. Untersuchungs gegenstand ......................................................................... ............................... 19
11. Traditionelles Peace Keeping ....................................................................................................... 20 I. Grundlegende Charakteristika ................................................................................................. 20 2. Rechtsgrundlage ....................................................................................................................... 25 3. Besondere Operationen ............................................................................................................ 30 a) UNTEA 1962/63 ................................................................................................................ 31 b) ONUC 1960-64...................................................... ,........................................................... 33
III. Vorläufer in der Völkerbundzeit .................................................................................................. 36 I. Wilna 1920 .............................................................................................. ................................. 36 2. Leticia 1933/34 ........................................................................................................................ 37 3. Saargebiet 1934/35 .................................................................................................................. 38 B. Peace-Keeping der zweiten Generation ............................................................................................... 41 I. Namibia ...................................................................................... ................................................... 42 I. Geschichte ................................................................................................................................. 42 a) Vor 1945 ............................................................................................................................. 42 b) 1945 bis 1989 ..................................................................................................................... 43 c) 1989 und 1990 .............................................................................. .. ................................... 46 d) Bewertung .......................................................................................................................... 48 2. Rechtliche Fundierung ............................................................................................................. 48 a) Rechtsgrundlage .................................................................................... , ............................ 49
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Inhaltsverzeichnis b) Kompetenzverteilung ......................................................................................................... 53 3. Umfang des Mandats ................................................................................................................ 57 a) Verteilung hoheitlicher Gewalt - Das Verhältnis zu Südafrika ......................................... 57 b) Funktionen der UNTAG im einzelnen ............................................................................... 61 aa) Militär .................................................................................................. ....................... 61 bb) Polizei .................................... ,.................................................................................... 62 cc) Nichtpolizeiliche Zivilkomponente ............................................................................ 63 c) Einfluß auf die staatlichen Gewalten ....................... .......................................................... 65 aa) Judikative .................................................................................................................... 65 bb) Legislative .................................................................................................................. 67 cc) Exekutive .................................................................................................................... 68 (1) Allgemeine Verwaltung ........................................................................................ 68 (2) Besondere Verwaltungsaufgaben ....................................................................... >•• 69 (3) Auswärtige Vertretung .............................................. ............................................ 71 d) Bewertung .......................................................................................................................... 72 4. Ressourcen ................................................................................................................................ 73 a) Finanzierung ....................................................................................................................... 74 b) Personal .............................................................................................................................. 78 aa) Militär ............................................................... ,......................................................... 78 bb) Polizei ......................................................................................................................... 79 cc ) Wahlbeobachter und Zivilverwaltung ........................................................................ 80 dd) Bewertung................................................................................................................... 81 5. Abschluß des Einsatzes - Erfolgskontrolle ............................................................................... 84 11. Kambodscha .................................................................................................................................. 85 1. Geschichte ................................................................................................................................. 86 a) Vor 1989 - Vorgeschichte .................................................................................................. 86 b) 1989 - 1991 - Der Weg zum Friedensschluß..................................................................... 89 c) 1991-1993 - VerlaufderUN-Operation .......................................................................... 91 d) Bewertung .......................................................................................................................... 94 2. Rechtliche Fundierung ............................................................................................................. 95 a) Rechtsgrundlage ................................................................................................................. 95 b) Kompetenzverteilung ....................................................................................................... 104 3. Umfang des Mandats .............................................................................................................. 107 a) Verteilung hoheitlicher Gewalt - Das Verhältnis UNTAC - SNC .................................. 107 b) Funktionen der UNT AC im einzelnen ............................................................................. 110 aa) Wahl organisation...................................................................................................... 111 bb) Menschenrechte ........................................................................................................ 114 ce) Zivil verwaltung ......................................................................................................... 116 dd) Militär ....................................................................................................................... 121 ee) Polizei ........................................................................................................................ 123 ff) Wiederaufbau ...................... ....................................................................................... 124 gg) Repatriierung ............................................................................................................ 127 c) Einfluß auf die staatlichen Gewalten ............................................................................... 128 aa) Judikative .................................................................................................................. 129
Inhaltsverzeichnis
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bb) Legislative ................................................................................................................ 131 cc) Exekutive .................................................................................................................. 133 (1) Allgemeine Verwaltung ...................................................................................... 133 (2) Besondere Verwaltungsaufgaben........................................................................ 135 d) Bewertung ........................................................................................................................ 136 4. Ressourcen .............................................................................................................................. 138 a) Finanzierung ..................................................................................................................... 139 b) Personal ............................................................................................................................ 144 aa) Militär ....................................................................................................................... 145 bb) Polizei ....................................................................................................................... 146 cc) Wahlorganisation ...................................................................................................... 147 dd) Menschenrechte ........................................................................................................ 148 ee) Zivil verwaltung ......................................................................................................... 149 ff) Wiederaufbau .................................................................................... ......................... 150 gg) Flüchtlingsrepatriierung ........................................................................................... 150 hh) Stab und Verwaltung ................................................................................................ 151 ii) Bewertung .................................................................................................................. 151 5. Abschluß des Einsatzes - Erfolgskontrolle ............................................................................. 153 III. Somalia ....................................................................................................................................... 156 1. Geschichte ............................................................................................................................... 156 a) Bis 1991 ........................................................................................................................... 156 b) 1991 - 1993 ...................................................................................................................... 157 c) Wertung ............................................................................................................................ 161 2. Rechtliche Fundierung ........................................................................................................... 162 a) Rechtsgrundlage ............................................................................................................... 162 b) Kompetenzverteilung ....................................................................................................... 170 3. Umfang des Mandats .............................................................................................................. 172 a) Hoheitliche Gewalt ........................................................................................................... 173 b) Funktionen von UNOSOM 11 .......................................................................................... 177 aa) Militärische Herstellung der öffentlichen SicherheiL. ............................................. 177 bb) Ziviler Wiederaufbau ............................................................................................... 180 (I) Justiz und Strafvollzug........................................................................................ 181 (2) Rechtsordnung..................................................................................................... 183 (3) Exekutive Funktionen ......................................................................................... 185 (a) Neuaufbau von Polizei und Verwaltung ....................................................... 186 (b) Sonstige Tätigkeiten von UNOSOM II ........................................................ 188 c) Wertung ............................................................................................................................ 193 4. Ressourcen .............................................................................................................................. 194 a) Finanzierung ..................................................................................................................... 195 b) Personal ............................................................................................................................ 197 aa) Militär ....................................................................................................................... 198 bb) Zivilpersonal ............................................................................................................. 201 cc) Personal - Zusammenfassung ................................................................................... 203 c) Wertung ............................................................................................................................ 204
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Inhaltsverzeichnis 5. Abschluß des Einsatzes - Erfolgskontrolle ............................................................................. 206 IV. Ergebnis der Fallstudien ............................................................................................................. 208 1. Charakterisierung des Peace-Keeping der zweiten Generation ............................................. 209 a) Erscheinungsbild .............................................................................................................. 209 aa) Gemeinsamkeiten mit dem traditionellen Peace-Keeping........................................ 209 bb) Unterschiede zum traditionellen Peace-Keeping...................................................... 210 cc) Ergebnis ..................................................................................................................... 212 b) Treuhänderischer Charakter............................................................................................. 212 2. Systematisierung in Fallgruppen ............................................................................................ 216 a) Typologie der neuen Form des Peace-Keeping ................................................................ 216 b) Typologie der Einsatzfelder ............................................................................................. 219
C. Rechtsgrundlage ................................................................................................................................ 222
I. Die Aufgabe - Wahrung des Weltfiiedens .................................................................................. 222 1. Traditionelle Interpretation .................................................................................................... 226 a) Negativer, zwischenstaatlicher Frieden ............................................................................ 226 b) Konsequenz rur UN-Friedensoperationen ........................................................................ 228 2. Neue Interpretation ................................................................................................................. 230 a) These: Erweiterung des Friedensbegriffs ......................................................................... 231 b) Übertragung des positiven Friedensbegriffs ? .................................................................. 232 c) Freies Ermessen des Sicherheitsrats ? .............................................................................. 233 d) Dynamisch-objektive Interpretation................................................................................. 234 aa) Veränderte Umstände ............................................................................................... 236 bb) Auslegungspraxis des Sicherheitsrats ................................................ ..... .................. 239 (1) Ältere Auslegungspraxis ..................................................................................... 240 (2) Schutz der Menschenrechte ................................................................................. 243 (3) Internationaler Terrorismus ................................................................................ 247 (4) Innerstaatliche Krisen.......................................................................................... 248 (a) Namibia ......................................................................................................... 249 (b) Kambodscha .................................................................................................. 250 (c) Somalia .......................................................................................................... 250 (d) Jugoslilwien ................................................................................................... 252 (e) Liberia .......................................................... , ................................................. 254 (f) Georgien ......................................................................................................... 256 (g) Haiti ............................................................................................................... 257 (h) EI Salvador .................................................................................................... 260 (i) Mosambik. ...................................................................................................... 262 (j) Ruanda ........................................................................................................... 264 (5) Zwischenergebnis: Expandierender Gebrauch des Friedensbegriffs .................. 266 cc) Einverständnis der übrigen Staaten .......................................................................... 270 (1) Im Sicherheitsrat geäußerte Auffassungen ......................................................... 270 (2) In der Generalversammlung geäußerte Auffassungen ....................................... 274 (3) Von der Literatur wahrgenommene Äußerungen ............................................... 278 (4) Zwischenergebnis: Zögernde Zustimmung......................................................... 279 dd) Resultat der dynamisch-objektiven Interpretation: Expandierender Friedensbegriff .......................................................................................................... 279
InhaltsvelZeichnis
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e) Prüfung anhand anderer Interpretationsmethoden ........................................................... 280 aa) Teleologische Interpretation ..................................................................................... 281 bb) Historische Interpretation ......................................................................................... 286 3. Ergebnis ............................................................................................................ ...................... 289 11. Das Instrument - Abgrenzung zu Zwangsmaßnahmen .............................................................. 289 1. Peace-Keeping der zweiten Generation im Allgemeinen ....................................................... 290 a) Tatsächliche Praxis ........................................................................................................... 290 b) Rechtliche Einordnung ..................................................................................................... 291 2. Die einzelnen Fallgruppen des Peace-Keeping der zweiten Generation ................................ 293 3. Ergebnis .................................................................................................................................. 296 III. Rechtliche Schranken ................................................................................................................. 297 1. Das Interventionsverbot des Art. 2 (7) ................................................................................... 297 a) Dekolonisationsfälle ......................................................................................................... 298 b) Friedensoperationen ohne Zustimmung ................................... ........................................ 299 c) Friedensoperationen mit Zustinunung.............................................................................. 300 d) Ergebnis ............................................................................................................................ 302 2. Systematische Erwägungen .................................................................................................... 303 3. Selektivität .............................................................................................................................. 305 a) Rechtliche Relevanz des Selektivitätsproblems ................................... ............................ 305 b) Bedeutung fiir Friedensoperationen der zweiten Generation ........................................... 305 aa) Existenz eines Se1ektivitätsproblems ..................................................... .................... 306 bb) Gewicht des Selektivitätsproblerns........................................................................... 307 IV. Ergebnis ...................................................................................................................................... 309 1. Expansion des Friedensbegriffs .............................................................................................. 309 2. Modifikation des Peace-Keeping-Konzepts ........................................................................... 310 a) Erweitertes Aufgabenprofil .............................................................................................. 310 b) Einschluß von Zwangsmaßnahmen ................................................................................. 310 D. Grenzen und Vorgaben der Friedensoperationen der zweiten Generation ....................................... 311
I. Vorgaben fiir künftige Friedensoperationen der zweiten Generation ......................................... 311 1. Äußere Vorgaben ................................................................................................................... 312 a) Subsidiarität. ..................................................................................................................... 312 b) Opportunität ..................................................................................................................... 315 aa) Auswahlkriterien der Praxis ..................................................................................... 315 bb) Opportunitätsprinzip als rechtliches Auswahlkriterium .......................................... 316
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Inhaltsverzeichnis c) Zielklarheit ....................................................................................................................... 318 2. Innere Vorgaben ..................................................................................................................... 320 a) Inhaltliche Vorgaben - "Good Governance" im Sinne der UNO ..................................... 320 aa) Demokratische Regierungsbildung .......................................................................... 321 bb) Förderung der Menschenrechte ................................................................................ 322 cc) Kontrolle der Vollzugsgewalt ................................................................................... 323 dd) Rechtstaatlichkeit ..................................................................................................... 324 ee) Wirtschaftliche Entwicklungshilfe............................................................................ 324 fl) Ergebnis ...................................................................................................................... 325 b) Operative Vorgaben ......................................................................................................... 327 aa) Zustimmung der Konfliktparteien ............................................................................ 327 bb) Aufbau einer Gesellschaft "von unten" .................................................................... 328 cc) Beteiligung von NGOs ............................................................................................. 329 dd) Zurückhaltender Einsatz des Militärs ...................................................................... 330 H. Grenzen treuhänderischer Friedensoperationen ......................................................................... 331 I. Ressourcen .............................................................................................................................. 331 a) Finanzierung ................................ ............................................... :..................................... 331 b) Personal ............................................................................................................................ 333 c) Bewertung......................................................................................................................... 335 2. Operationsmanagement .......................................................................................................... 335 3. Politik im Sicherheitsrat ......................................................................................................... 337
E. Schlußbetrachtung ............................................................................................................................. 339
Literaturverzeichnis .............................................................................................................. .................. 342
A. Einführung I. Problemstellung 1. Ausgangslage
Die Welt hat sich verändert. Das Ende des Ost-West-Gegensatzes hat alte Bedrohungen des Friedens zurücktreten lassen. Gleichzeitig sind neue entstanden. Das Ende des globalen "Kalten Krieges" ist an vielen Stellen der Welt Hand in Hand gegangen mit einem Aufflammen begrenzter "heißer" Konflikte. Ob die Welt in der Gesamtbilanz sicherer geworden ist, ist eine müßige Frage. Klar ist, daß sie sich nach wie vor einer Fülle von Gefahren gegenübersieht, denen es zu begegnen gilt. Terrorismus und internationale organisierte Kriminalität, regionales Hegemoniestreben und geographisch begrenzte Kriege oder auch das Risiko einer unkontrollierten Waffenproliferation können hier als Beispiele angeführt werden. a) Eine neue Aufgabe
Eine dieser neuen Herausforderungen verdient besondere Aufmerksamkeit. Seit einigen Jahren treten vermehrt Fälle staatlicher Zusammenbrüche infolge interner Konflikte auf. Dieses von der Politikwissenschaft beschriebene Phänomen innerlich zerrütteter Staatswesen I, der sogenannten "failed states"2, läßt sich in einleuchtender Weise auf das Ende des Kalten Krieges zurückführen3 Dieser veranlaßte die Supermächte lange Zeit, latent instabile Staaten4 , die in großer Zahl im Zuge der Dekolonisierung besonders in den 60er Jahren ent-
I Grundlegend dazu z.B. Jackson, Quasi-states: sovereignty, international relations and the Third World, Cambridge 1990. 2 Diesen Begriffprägten Helman/Ratner, Foreign Policy, No. 89 (1992/93), 3; Cooper, EA 1993, 508 f, bezeichnet sie als "prämoderne" Staaten.
3 Vgl. Helman/Ratner, Foreign Policy, No. 89 (1992/93), 3 ff. Jackson, International Organization 1987, 528 f bezeichnet sie als "quasi-states", die keine empirische sondern nur eine aus der internationalen Anerkennung erwachsende "juridical statehood" besitzen. 4
A Einfiihrung
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standen waren, ohne Rücksicht auf deren eigene Lebensfähigkeit durch massive Unterstützung zusammenzuhalten, um sich Einflußbereiche zu schaffen. Mit dem Ende dieser Unterstützung offenbart sich die schon in der Art und Weise ihrer Staatwerdung angelegtes Existenzunfähigkeit vieler derartiger Staaten. Verschärft wird dieses Problem noch durch den Zerfall des ehemaligen "Ostblocks" in eine Fülle neuer Staaten, deren Überlebenschancen offen sind6 . Mit der Desintegration des Ostens geht eine Sezessionswelle durch die Staatengemeinschaft, die bestehende Staaten zerreißt und oft von grausamen Bürgerkriegen begleitet wird 7 Dieser Zerfallsprozeß ist eine weitere Quelle potentieller "failed states" R• Mit dem Zusammenbruch und der inneren Auflösung solcher Staaten ist oftmals Instabilität in der Region verbunden - zuweilen unmittelbar in Form einer Gefahr für die Nachbarn, jedenfalls aber in Form einer generellen Unruhe, die Rückwirkungen auf die regionale Sicherheit hat. Immer bringen sie in großem Umfang menschliches Leid für die betroffene Bevölkerung mit sich. Aus diesen Gründen stellt die Erscheinung des desorganisierten Staates eine Herausforderung für die Weltgemeinschaft dar, auf die in irgendeiner Form reagiert werden muß. Diese Feststellung wirft zunächst die Frage auf, wer am besten geeignet ist, diese Herausforderung anzunehmen. Zwei Möglichkeiten sind denkbar. Eine Reaktion kann entweder unilateral oder international erfolgen. Die erste Option würde die Annahme eines Rechts einzelner Staaten erfordern, in "failed states" mit dem Ziel zu intervenieren, die staatliche Ordnung dort wiederherzustellen. Diese Alternative muß jedoch aus mehreren Gründen ausgeschlossen werden. Zunächst geriete sie mit dem gewohnheitsrechtlichen Interventionsverbot in Konflikt. Sie würde des weiteren eine erhebliche Mißbrauchsgefahr mit sich bringen. Dies zusammen mit der Tatsache, daß die Übernahme lebensunfähiger Staaten durch entwickelte Länder äußerlich wie eine Neuauflage des Kolonialsystems erschiene und deshalb schon prinzipiell für potentielle Zielstaaten in der 3. Welt kaum annehmbar wäre, untergräbt die für ihre Akzeptanz nötige Legitimität dieser Option. Schließlich ist es nicht ausgeschlossen, daß die Übernahme der Verantwortung für zusammengebrochene Staaten so aufwendig, gefährlich und politisch wenig ergiebig ist, daß sich im Einzelfall kaum Staaten bereit finden würden, diese Bürde auf sich zu nehmen.
S Vgl. dazu eingehend Jackson, International Organization 1987, 524-529.
6 Helman/Ratner, Foreign Policy, No. 89 (1992/93), 5. 7 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 6. 1992, An Agenda for Peace, UN Doc. S/24111 A/47/277, para. 11. 8
So auch Cooper, EA 1993, 509.
I. Problemstellung
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Die zweite Option, eine Reaktion auf internationaler Ebene, besteht darin, die Aufgabe der Übernahme von Verantwortung für "failed states" internationalen Organisationen zuzuweisen. Zuerst wäre dabei an regionale Organisationen zu denken. Diese Möglichkeit hat zweifellos den Vorteil, daß regionale Organisationen nicht nur geographisch, sondern auch sachlich eine größere Nähe zu dem jeweils betroffenen Staat und dem ihn erschütternden Konflikt haben werden. Daneben spricht der Gedanke einer Verteilung der Lasten für die Zuständigkeit der Regionalorganisationen für die in ihrem jeweiligen Einzugsgebiet auftretenden Fälle. Andererseits werden regionale Organisationen niemals denselben Grad an Überparteilichkeit und das gleiche Maß an Legitimität erreichen wie die UN09 Auch haben regionale Organisationen keine Befugnisse zur Konfliktlösung, die denjenigen gleichkommen, die in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegt sind lO . Daher erscheint politisch die UNO die geeignetste Stelle für die Annahme der Herausforderung des "failed state" zu sein. Dies schließt eine parallele Zuständigkeit regionaler Sicherheitssysteme nicht aus. Eine solche Parallelität der Aufgaben entspricht vielmehr durchaus der in Kap. VIII der Charta angelegten Vorstellung. Die UNO ist als Weltgemeinschaft jedoch der einzige Ort, an dem in globalem Maßstab auf die neue Herausforderung reagiert werden kann. Insofern ist sie durch die neue Aufgabe besonders gefordert. Das rechtfertigt es, die Untersuchung auf die UNO zu beschränken. b) Reaktionsmöglichkeiten der UNO
Damit stellt sich als nächstes die Frage, wie die UNO auf die Aufgabe der "Rettung" zerfallender Staaten reagieren kann. Bei der Untersuchung dieser Frage wird von der UNO in ihrem aktuellen Erscheinungsbild, d.h. insbesondere von der unveränderten Geltung der Charta, ausgegangen. Zwar bestünde daneben noch die Möglichkeit, Änderungen oder Ergänzungen derselben zu erwägen. Angesichts des aufwendigen Änderungsverfahrens, welches die Rati-
9 In diesem Sinne auch Homan, Int. Spect. 1993, 655: Krylov in: Damrosch/Scheffer, Lawand Force, 99; Kühne in: ders., Blauhelme, 82. Dieses Defizit regionaler Organisationen zeigt sich Z.B. im Falle Liberias. Die dort von der Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten (ECOW AS) zur Beilegung des Bürgerkriegs eingesetzte Friedenstruppe ECOMOG hatte Schwierigkeiten, als überparteiliche Operation akzeptiert zu werden. - 3. Bericht des Foreign Affairs Committee des britischen Unterhauses über die Rolle der Vereinten Nationen v. 23. 6. 1993, para. 154. Das bemerkt auch Nolte, ZaöRV 1993, 636 (insbesondere Fn. 185) sowie 626, wo er zu dem Schluß kommt, daß die völkerrechtliche Rechtfertigung fiir die Invasion von ECOMOG in einer gültigen Einladung durch die von den Rebellen bedrängte Regierung zu sehen ist. Insgesamt beurteilt er ECOMOG allerdings positiv als einen "useful precedent for future regional action" (S. 604). 10 Vgl. zu den Grenzen der einzelnen Regionalorganisationen auf diesem Gebiet Farer in: Kühne, Blauhelme, 282 ffund 291. 2 Hufnagel
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A Einflihrung
fikation jeder Änderung durch 2/3 der Mitgliedstaaten verlangt11 - z. Zt. wären dies mehr als 120 Staaten -, sind substantielle Änderungen der Charta in naher Zukunft jedoch eher unwahrscheinlich l2 . Dementsprechend haben auch die Organe der UNO selbst in den letzten Jahren - ungeachtet der neu entbrannten Diskussion um eine Revision der Charta - versucht, die Spiel räume der bestehenden Vorschriften zu nutzen, um Antworten auf die neuen Herausforderungen zu geben. Eine realistische Analyse der Möglichkeiten der Weltorganisation sollte sich daher primär innerhalb des bestehenden rechtlichen Rahmens bewegen und das vorhandene Instrumentarium auf sein Potential zur Bewältigung neuer Aufgaben hin untersuchen. Da es sich hier um das Problem handelt, Staaten im Inneren zu reorganisieren und ihre eigenständige Lebensfähigkeit wiederherzustellen, ließe sich an das Treuhandsystem der Charta denken. Dieses diente dem Zweck, in noch nicht selbst lebensfähigen ehemaligen Kolonialgebieten die "Entwicklung zur Selbstregierung oder Unabhängigkeit (. .. ) zu fördern"lJ Diese auf den inneren Aufbau gerichtete Zielsetzung legt den Gedanken an eine Übertragung des Treuhandsystems auf die Fälle nahe, in denen es gilt, nicht mehr selbst lebensfähigen Staaten wieder auf die Beine zu helfen l4. Die Wiederbelebung des Treuhandsystems der Kapitel XII und XIII als Reaktion auf diese Aufgabe ist der UNO jedoch aus politischen und rechtlichen Gründen versperrt. Politisch spricht das historische Erscheinungsbild des UN-Treuhandsystems 15 gegen seine Wiederbelebung. Da in der Praxis die alten Treuhandgebiete regelmäßig von den ehemaligen Kolonialstaaten verwaltet wurden 16, stellte sich dieses System für viele Staaten als eine Fortsetzung des Kolonialismus dar 17 Seine Neuauflage dürfte somit kaum durchsetzbar sein. Rechtlich wäre die UNO zwar nach Art. 81, S. 2 theoretisch in der Lage, die Treuhandverwaltung in einem Gebiet selbst auszuüben, welches von dem für seine Administration zuständigen Staat freiwillig dem UN-Treuhandsystem unterstellt würde (Art. 77 (1) (C))18. Die Ermächtigung des Art. 81, S. 2 wäre möglicherweise auch eine hinreichende Rechtsgrundlage für die Aufstellung 11 Einschließlich aller ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats - Art. 108 der Charta.
12 Suy in: Wolfrum, Reform der Vereinten Nationen, 189. 13 Art. 76 b) der Charta.
16.
14 Dieser Gedanke findet sich Z.B. bei Helman/Ratner, Foreign Policy, No. 89 (Winter 1992/93),
15 Vgl. dazu eingehend: Thullen, Problems ofthe Trusteeship System, Genf 1964. 16 Rauschning, EPIL, Bd. 5,371. 17 Vgl. Jackson, 74. 1R Entsprechende Vorschläge sind fiir bestimmte "Problemgebiete" früher schon gemacht worden Bowett, InternationalInstitutions, 73.
I. Problemstellung
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einer UN-Operation desjenigen Umfangs, der erforderlich ist, um die Verwaltung eines Gebietes durchführen zu können 19. Der Unterstellung eines gesamten Staates unter eine UN-Treuhandverwaltung nach Art. 81, S. 2 in Verbindung mit Art. 77 (1) (c) steht heute jedoch der Art. 78 entgegen. Nach seinem klaren Wortlaut ist die Anwendung des Treuhandsystems auf UN-Mitgliedstaaten ausgeschlossen. Dieser Ausschluß erfaßt heute praktisch alle Staaten der Welt. 2. Untersuchungsgegenstand
Ist damit die Option der Wiederbelebung des alten Treuhandsystems verbaut, rückt schließlich das Instrument des UN-Peace-Keeping in den Blick. Vom Sicherheitsrat autorisierte Friedensoperationen sind - in Anbetracht der Tatsache, daß die Option des Art. 81, S. 2 ausgeschlossen ist - wohl die einzige Handlungsform der UNO, die durch ihren Umfang und ihre Befugnisse die Eignung besitzen könnte, die mit der Übernahme innerstaatlicher Funktionen verbundenen Aufgaben zu übernehmen. Dem seit Jahrzehnten bewährten Konzept des UN-Peace-Keeping ist in den letzten Jahren schon äußerlich eine neue Dimension zugewachsen. Hatte es in den gut 40 Jahren bis 1987 insgesamt 13 Peace-Keeping-Operationen gegeben, so sind allein in den fünf Jahren von 1987 bis 1992 13 weitere dazugekommen 20 Darüber hinaus hat sich das Erscheinungsbild der "Blauhelme" auch qualitativ verändert. Sie haben neue Funktionen übernommen und neue Befugnisse erhalten. Diese Veränderungen stehen in engem Zusammenhang mit der gerade beschriebenen neuen Herausforderung der Weltorganisation und führen zu der immer weiter verbreiteten Wahrnehmung, hier sei eine neue Form des Peace-Keeping, eine "2. Generation"21 von Friedensoperationen entstanden. Sie zu untersuchen wird Gegenstand der vorliegenden Arbeit sein. In ihr soll das sich hier herauskristallisierende neue Modell des Peace-Keeping dargestellt und unter rechtlichen Gesichtspunkten analysiert werden. Dabei wird die enge Beziehung dieser Form des Peace-Keeping zu der neuen Aufgabe der Rettung zerbrechender Staaten im Auge behalten, um die Eignung der Friedensoperationen der zweiten Generation zur Wahrnehmung dieser Aufgabe beurteilen zu können.
19 Vgl. Kelsen., 652. 20 Report des Generalsekretärs v. 17. 6. 1992 ( "An Agenda For Peace" ), UN Doc. A/47/277 ~ S/24111, Para. 47.
21 Diese Bezeichnung verwendet der UN-Generalsekretär Boutros-Ghali in seinem Vortrag v. 25. 3. 1993, UN Press Release SG/SM/1423, S. 3.
20
A Einfiihrung
Methodisch wird dabei in zwei Schritten vorgegangen. Der erste Schritt ist ein empirischer. Drei der jüngeren Peace-Keeping-Operationen der UNO werden untersucht, um an ihrem Beispiel das Modell der Friedensoperationen der zweiten Generation herauszuarbeiten. Dieser Abschnitt wird von der Beschreibung der UN-Praxis geprägt sein. Sodann wird in einem zweiten Schritt dieser empirisch-faktische Befund einer normativen Prüfung unterzogen. Diese soll die Chartakonformität der beschriebenen neuen Handlungsform untersuchen. Hier wird die Auslegung der einschlägigen Charta-Bestimmungen im Mittelpunkt stehen.
11. Traditionelles Peace Keeping Ziel der vorliegenden Arbeit ist es also, die Entwicklung des UN-PeaceKeeping zu untersuchen. Es soll die sich herausbildende neue Form der UNPeace-Keeping-Operationen 1 beschrieben, von dem klassischen Muster abgegrenzt und auf ihre rechtlichen Grundlagen und Grenzen hin analysiert werden. Dies setzt zunächst eine Darstellung dessen voraus, was traditionell als Peace-Keeping verstanden wird. 1. Grundlegende Charakteristika
In der Charta selbst findet sich kein Konzept der Friedensoperationen. Es handelt sich dabei um eine "Erfindung" der Praxis, die allerdings in den Jahrzehnten seit ihrem ersten Auftauchen in Form von UNSCOB (United Nations Special Committe on the Balkans) 1947, beziehungsweise UNEF (United Nations Emergency Force) 1956 2 zu einem gewohnten Bild geworden ist, zu einer Standardhandlungsform der Weltorganisation, deren beschreibende Merkmale sich im Laufe der Jahre herausgebildet und verfestigt haben. Dementsprechend müssen diese Merkmale primär aus der Praxis gewonnen werden 3 Dazu sind die von diesen Operationen übernommenen Aufgaben, ihre Zusammensetzung und die ihnen zugrundeliegenden rechtlichen Bedingungen heranzuziehen. Von vorneherein ausgeklammert werden dabei die reinen Be-
1 Von den vielen möglichen deutschen Übersetzungen dieses Begriffs wird in der vorliegenden Arbeit derjenige der "Friedensoperationen" gebraucht. 2 UNEF auf der Sinai Halbinsel ist die erste Operation von Friedenstruppen in großem Stil gewesen, während UNSCOB und die anderen Vorläufer von UNEF ausschließlich eine Beobachtungsfunktion hatten; vgl. zu UNSCOB: Higgins, Bd. 4, 5 ff; Bowett, UN Forces, 61 . 3 Insoweit wird damit dem von Schaefer, 409, so bezeichneten "empirisch-funktionellen Ansatz" gefolgt.
11. Traditionelles Peace-Keeping
21
obachtermissionen4 , die sich auf VerifIkationsaufgaben beschränken und mit viel weniger Personal auskommen als die umfangreichen Friedensoperationen. Die ihnen gemeinsame Aufgabe, zur Wahrung des Weltfriedens durch die Beruhigung internationaler Konflikte beizutragen, vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, daß unter dem Begriff der Friedensoperationen höchst unterschiedliche UN-Missionen zusammengefaßt werden, die zum Teil völlig verschiedene Funktionen zu erfüllen hatten. Sie beobachteten und überwachten Waffenstillstandslinien und Abkommen 5, sie stellten sich zwischen die Fronten6 , sie sicherten Recht und Ordnung in umstrittenen Gebieten7 , sie bewahrten die territoriale Einheit eines Staates8 und verwalteten Gebiete9 Diesen umfangreichen Strauß von Funktionen versucht die Literatur über eine kasuistische Kategorisierung zu bewältigen. Wenngleich sich dabei eine weitgehende Übereinstimmung dahingehend erkennen läßt, daß sich die drei Hauptfunktionen als Beobachtung, Interposition und Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung beschreiben lassen 10 , ist diese Kategorisierung zur Bestimmung des Konzepts der Friedensoperationen nicht sehr hilfreich. Zunächst erfassen diese drei Kategorien offensichtlich nicht alle im Rahmen des UN-Peace-Keeping übernommenen Funktionen 11. Darüber hinaus schlossen die Mandate diverser Friedensoperationen Aufgaben aus zwei oder sogar allen drei Hauptkategorien ein 12 Schließlich sind sie keinesfalls erschöpfende Beschreibungen der von Friedensoperationen potentiell zu erfüllenden Funktionen 13 Auf der anderen Seite läßt sich nicht leugnen, daß die Friedensoperationen in den ersten vier Jahrzehnten des Bestehens der UNO von der Rolle als Puffer zwischen den Par-
4 Solche waren Z.B. UNTSO, UNMOGIP oder UNHMOG. 5 Z.B. im Rahmen von UNEF, UNEF Hund UNDOF; vgl. Charta der UN, Kommentar-Bothe, nach Art. 38, Rz. 33. 6 Dies war und ist die Hauptaufgabe der bis dahin wichtigsten Friedenstruppen, nämlich UNEF, UNEF H, UNDOF, UNIFIL und UNFICYP; vgl. ebenda, Rz. 34. 7
In den Fällen von UNFICYP und ONUC; vgl. ebenda, Rz. 35.
8 Dies war ein weiteres Charakteristikum der Kongo-Operation ONUC; vgl. ebenda, Rz. 36 und
s.u. A, 11., 3., b).
9 Diese Funktion tauchte erstmals bei der UNTEA in West - Neuguinea auf; vgl. ebenda; Rz. 32 und s.u. A, H., 3., a).
10 Diese Merkmale nennen z.B.: Charta der UN, Kommentar-Bothe, nach Art. 38, Rz. 33-35; Verdross/Simma, § 256; Bowett, UN Forces, 268-273; Schaefer, 404-407. 11 Vgl. Charta der UN, Kommentar-Bothe, nach Art. 38, Rz. 36; Schachter in: Darnrosch/Scheffer, Law and Force, 80 sowie Bowett, UN Forces, 268-274, die jeweils weitere Funktionen auflisten Bowett kommt insgesamt auf neun (!) Kategorien. 12 Bowett, UN Forces, 268; Schaefer, 407, FN. 211 rur UNFICYP. 13 Vgl. Bowett, UN Forces, 268 und 273 f, der vier potentielle Funktionen beschreibt.
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A Einfilhrung
teien eines internationalen Konfliktes geprägt waren I 4. Durch ihre Präsenz sollten sie Waffengewalt verhindern und so einen status quo erhalten, nicht dagegen selbst an der Konfliktlösung mitwirken I 5. Letzteres blieb Sache der Politiker und Diplomaten. Die Friedensrnissionen hatten lediglich die Aufgabe, den für diese Bemühungen erforderlichen ruhigen Rahmen zu gewährleisten. Jede Einmischung in innere Angelegenheiten war ausgeschlossen I 6. Diese statische Aufgabenfixierung bringt es mit sich, daß innerstaatlich gestaltende Funktionen nicht nur nicht zum Kennprofil traditioneller Friedensoperationen gehören, sondern für geradezu unvereinbar mit diesem gehalten wurden 17 Die Aufgabe, durch Dazwischentreten die Waffenruhe zu bewahren, hat die Agenda der "Blauhelme" beherrscht, ihr Bild in der Öffentlichkeit bestimmt und ihnen zuweilen auch den Vorwurf eingetragen, Konflikte nicht zu lösen, sondern nur "einzufrieren"18. Obwohl sich die einzelnen von den verschiedenen Missionen wahrgenommenen Tätigkeiten nicht abschließend eingrenzen lassen, läßt sich aus diesem knappen Abriß als erstes Charakteristikum traditioneller Friedensoperationen insgesamt herleiten, daß ihr Erscheinungsbild wesentlich von der statischen Pufferfunktion geprägt ist l9 Die Betrachtung der Zusammensetzung der Friedensoperationen beginnt zwar mit der Feststellung, daß es sich immer um militärische oder paramilitärische Einsätze handelte20 Oftmals war dieser ihr militärischer Charakter aber kein ausschließlicher. Schon an früheren Operationen wie ONUC, UNTEA oder UNFICYP war auch nichtmilitärisches Personal beteiligt, wenngleich die militärischen Aspekte eindeutig dominierten. Klarer als der militärische sind demgegenüber zwei andere Aspekte der Zusammensetzung von PeaceKeeping-Operationen. Es handelt sich bei ihnen um multinational zusammengestellte Einheiten, in denen Angehörige verschiedener Mitgliedstaaten - individuell oder in kompletten Kontingenten - unter dem Kommando der UNO Dienst tun und die dadurch zu Organen der UNO werden21 - also um internationale Verbände. Außerdem gilt für ihre Aufstellung der Grundsatz der
14 Tomuschat, EA 92, 46; Ben Achour, 157; vgl. auch Boutros-Ghali, EA 1993, 126 f; Lachs, RGDIP 1992, 544; Ghebali, GYBlL 1991, 116; Bardehle, EA 88,592. 15 Schaefer, 413; Hemdl, RdC 206 (1987-VI), 338; Fleischhauer, 1. 16 Boutros-Ghali, Vortrag v. 25. 3. 1993, UN Press Release SG/SMIl423, S. 3. 17 So war es im Kongo-Fall noch als vehementer Vorwurf gemeint, wenn der UNO vorgehalten wurde, sie wolle den Kongo unter "Treuhandschaft" stellen - vgl. die Darstellung bei Franke, 91, FN. 9.
18 SO Z.B. Franck, 178 f zur UNFICYP; Blodgett in: Die Blauhelme, 287; Wirth in der WELT v. 17.12. 1991. 19 AA James, Int. Spect. 1993,622, der diese Charakterisierung - insbesondere mit dem Hinweis aufUNTEA und ONUC - nicht tur zwingend hält. S. zu diesen Operationen sogleich A, 11., 3. 20 Verdross/Simma, § 248; Schaefer, 408.
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Bothe, 39-43 und 87.
II. Traditionelles Peace-Keeping
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Freiwilligkeit22, was nicht zuletzt auf das Fehlen von Abkommen nach Art. 43 zurückzuführen ist. Dementsprechend sind die Mitgliedstaaten nicht zur Stellung von Personal verpflichtet. Aus der Zusammensetzung der Friedensoperationen läßt sich für die Definition also die Erkenntnis schöpfen, daß es sich um internationale, freiwillig zusammengestellte Operationen handelt, deren Merkmal ein primär militärischer Charakter ist. Schließlich lassen sich die rechtlichen Voraussetzungen zur Beschreibung dieser Operationen bestimmen. Zum Teil im Zusammenhang mit ihrer umstrittenen Rechtsgrundlage, auf die sogleich einzugehen sein wird, haben sich in der Praxis des Peace-Keeping während der vergangenen rund 40 Jahre einige Voraussetzungen herausgebildet, die für die Legalität der "Blauhelmeinsätze" für entscheidend gehalten werden. Die erste dieser Voraussetzungen ist die Beschränkung der Kompetenz zur Autorisierung solcher Missionen auf den Sicherheitsrat. Nachdem alle PeaceKeeping-Operationen seit UNTEA 1962 nur noch durch den Sicherheitsrat initiiert worden sind, herrscht heute die Auffassung vor, allein dieser dürfe solche Operationen autorisieren 23 , da der Generalversammlung eben die Befugnis zu praktischem Handeln, insbesondere zur tatsächlichen Durchführung einer Friedensoperation auf dem Gebiet eines Mitgliedstaates, abgeht24 Allerdings darf nicht übersehen werden, daß in der Literatur bis heute ebenfalls noch die bereits vom IGH25 vertretene Auffassung von einer eigenen, subsidiären Zuständigkeit der Generalversammlung zur Aufstellung von Friedensoperationen zu finden ist26 Sobald sich der Sicherheitsrat mit einer bestimmten Situation befaßt, ist diese Möglichkeit jedoch durch Art. 24 in Verbindung mit Art. 12 (1) ausgeschlossen. Solange die momentane politische Handlungsfahigkeit des Sicherheitsrats anhält, wird das regelmäßig der Fall sein. Des weiteren werden Friedensoperationen inzwischen von allen UN-Mitgliedern auf der Basis gemeinsamer Kostentragung gern. Art. 17 (2) finanziert27 Nachdem die Finanzierungsfrage lange umstritten war und nachdem 22 Diesen bringt Z.B. die Res. 47171 der Generalversammlung v. 14. 12. 1992 in den Ziffern 2-11 des operativen Teils zum Ausdruck. Vgl. auch Bardehle, EA 1988, 596. 23 Charta der UN, Kommentar-Bothe, nach Art. 38, Rz. 45; Verdross/Simma, § 257; Tomuschat, EA 1992, 46; Suy, NILR 1988,319; vorsichtiger Bardehle, Aussenpolitik, IVl1989, 385; vgl. auch die Draft Guidelines for United Nations Peace-Keeping Operations des Special Committee on PeaceKeeping Operations, UN Doc. A/32/394, Annex II, Appemdix I v. 2. 12. 1977, in denen nur der Sicherheitsrat als ermächtigendes Organ auftaucht. 24 Vgl. Art. 11 (2) der Charta. 25 "Expenses" Fall, Rechtsgutachten v. 20. 7. 1962, ICl Rep. 1962, 150, 164. 26 Bowett, UN Forces, 289; Dicke/Rengeling, 159 f; Lehmann, Nordic lournal ofInternational Law 1985, 12; Sybesma-Knol, NILR 1988, 323. 27 Vgl. Suy, EPIL, Bd. 4, 263; Charta der UN, Kommentar-Bothe, nach Art. 38, Rz. 59.
24
A. Einfiihrung
bei UNTEA28 und UNFICYP29 zu abweichenden Lösungen gegriffen wurde, ist die Finanzierung über Art. 17 (2) heute anerkannt. Eine weitere Bedingung ist das Zustimmungserfordernis. Nach überwiegender Meinung setzen Operationen der Friedenstruppen der Vereinten Nationen prinzipiell die Zustimmung des Aufnahmestaates oder sogar aller in den zu schlichtenden Konflikt verwickelten Parteien voraus 30 Schließlich wird die Gewaltlosigkeit dieser Operationen als bedeutsame Bedingung des traditionellen Peace-Keeping genannt31 Die Auffassung hat sich gebildet, daß UN-Friedenstruppen, wiewohl sie leicht bewaffnet sind, keine Waffengewalt ausüben dürfen, es sei denn als Mittel der Selbstverteidigung32 . Die beiden letztgenannten Bedingungen hängen eng zusammen. In ihnen kommt die Abgrenzung der traditionellen Friedensoperationen von bewaffneten Zwangsmaßnahmen nach Art. 42 der Charta zum Ausdruck. Um solche "enforcement action" soll es sich bei den "Blauhelmen" traditionellen Zuschnitts gerade nicht handeln33 . Insofern läßt sich sagen, daß traditionelle Friedensoperationen gerade auch durch die Abgrenzung von Zwangsmaßnahmen definiert wurden. Diese Betonung der wesensmäßigen Verschiedenheit der Friedensoperationen von Zwangsmaßnahmen hatte vornehmlich politische Gründe. Nur als "minus" gegenüber Erzwingungsoperationen waren sie angesichts der bremsenden und dem ganzen Konzept lange Zeit sehr kritisch gegenüberstehenden Kraft des damaligen Ostblocks realisierbar. Damit ergibt sich folgende, der vorliegenden Arbeit zugrundeliegende Beschreibung des klassischen Peace-Keeping-Konzepts: 28 Bowett, UN Forces, 260 f 29 Handbuch VN-Rudolph, Ziffer 25.
"Friedenstruppen", Rz. 23; Siekmann, Int. Spect. 1993,640. Die Finanzierung von UNFICYP wurde mit Res. 831 (1993) des Sicherheitsrats schließlich auch unter Art. 17 (2) der Charta gebracht. 30 UN Special Comrnittee on Peace-Keeping Operations, Draft Guidelines for United Nations Peace-Keeping Operations, Art. 9, UN Doc. A/32/394, Annex 11, Appendix I v. 2. 12. 1977; Handbuch VN-Rudolph, Ziffer 25. "Friedenstruppen", Rz. 16 sowie Blumenwitz, Ziffer 24. "Friedenssicherung", Rz. 15; Charta der UN, Komrnentar-Bothe, nach Art. 38, Rz. 31; Verdross/Simrna, § 256; Suy, EPIL, Bd. 4, 261; Ben Achour, 157; Franke, 247; Ciobanu in: Cassese, United Nations Peace-Keeping, 38; Herndl, RdC 206 (1987-Vl), 339; Boutros-Ghali, For Aff, Winter 1992/93,90; Pease/Forsythe, AlPIL 1993, 13; Bardehle, Aussenpolitik, IV/1989, 385; Sybesma-Knol, NILR 1988,325; Fleischhauer, 4; differenzierend Higgins in: Cassese, United Nations Peace-Keeping, 5, mit dem Hinweis darauf, daß die Praxis hier eine andere Richtung eingeschlagen habe als der Wortlaut der Charta. 31 Hemdl, RdC 206 (1987-VI), 339; .farnes, Int. Spect. 1993,621. 32 Charta der UN, Komrnentar-Bothe, nach Art. 38, Rz. 37; Verdross/Simrna, § 256; Ben Achour, 157; Bardehle, Aussenpolitik, IV/1989, 384; Lehmann, Nordic Journal ofInternational Law 1985, 16; Suy, EPIL, Bd. 4, 262, der allerdings darauf hinweist, daß es sich hierbei nicht um ein unverrückbares Prinzip handelt. 33 Vgl. Ben Achour, 157; Krylov in: Darnrosch/Scheffer, Lawand Force, 96.
H. Traditionelles Peace-Keeping
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Traditionell wird eine Friedensoperation durch einen internationalen, primär militärischen Verband durchgeführt, dem Kontingente aus verschiedenen Staaten angehören, die auf freiwilliger Basis rekrutiert werden. Der Wahrung des Weltfriedens dienend erfüllt sie eine "Pufferfunktion" in internationalen Konflikten, hält sich aber aus der Konfliktlösung wie aus den inneren Angelegenheiten der betroffenen Länder heraus. Sie ist keine militärische Zwangsmaßnahme und daher auf die Zustimmung der am Konflikt beteiligten Parteien angewiesen; der Einsatz von Waffengewalt ist nur im Falle der Selbstverteidigung zulässig. Darüber hinaus wird sie vom Sicherheitsrat autorisiert und von den Mitgliedern der UNO gemeinsam gemäß Art. 17 (2) finanziert. 2. Rechtsgrundlage
Eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für die als Peace-Keeping bezeichnete Aktivität der Weltorganisation gibt es nicht. Diese zutreffende Feststellung steht regelmäßig am Beginn rechtlicher Analysen dieser Form von Friedenssicherung34 . Gleichwohl besteht heute praktisch Einigkeit darüber, daß es sich beim Einsatz der "Blauhelme" um eine zulässige Handlungsform der UNO handelt35 Nicht abschließend geklärt ist demgegenüber, was die genaue Charta-Grundlage der einzelnen Operationen ist. Bei der Untersuchung dieser Frage sind zwei Problemebenen auseinanderzuhalten. Zunächst stellt sich die Frage, ob die Charta der UNO die Kompetenz einräumt, sich mit denjenigen Situationen zu beschäftigen, in denen es zum Einsatz von Friedensoperationen gekommen ist, mit anderen Worten, ob die von den Friedensoperationen übernommenen Aktivitäten überhaupt zu den der UNO in der Charta zugewiesenen Aufgaben gehören. Erst wenn das zu bejahen ist, muß dann in einem zweiten Schritt geprüft werden, ob die Weltorganisation diese Aufgaben gerade mit dem Instrument des Peace-Keeping lösen darf, also ob die Charta Vorschriften enthält, welche geeignet sind, eine Friedensoperation zu tragen. Die erste dieser beiden Fragen - Bothe bezeichnet sie als die Frage nach den "materiellen Kompetenzen" des handelnden Organs36- wird regelmäßig schnell abgehandelt. Friedensoperationen reagieren auf Gefährdungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Die Aufgaben, die sie zu erfüllen hat-
34 Vgl. Charta der UN, Kornrnentar-Bothe, nach Art. 38, Rz. 38; Bowett, UN Forces, 266; Franke, 232; Ciobanu in: Cassese, United Nations Peace-Keeping, 15; Bardehle, EA 1988, 591; Lehrnann, Nordic Journal ofInternational Law 1985, 12. 35 Handbuch VN-Rudolph, Ziffer 25. "Friedenstruppen", Rz. 5; Schachter in: DarnroschlScheffer, Law and Force, 82; Suy, EPIL, Bd. 4, 259; Urquhart, NILR 1989, 52; Ciobanu in: Cassese, United Nations Peace-Keeping, 15. 36 Charta der UN, Kornrnentar-Bothe, nach Art. 38, Rz. 38.
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A Einfiihrung
ten, betrafen regelmäßig37 die Entspannung eindeutig internationaler Konflikte 38 . Damit handelte es sich bei den Situationen, in denen sie aufgestellt wurden, unproblematisch um Krisen entweder der in Kap VII oder aber jedenfalls der in Kap. VI beschriebenen Art. Wie Bothe zurecht feststellt, konnte somit "keinerlei Zweifel daran bestehen, daß die materielle Befugnis des Sicherheitsrats gegeben war, sich mit diesen Fragen zu befassen"39. Die eigentliche Diskussion spielt sich im Bereich der zweiten Frage ab. Nach wie vor herrscht Uneinigkeit daIiiber, aufweiche spezielle Vorschrift sich das nicht ausdIiicklich vorgesehene Instrument der Friedensoperationen stützen läßt. Diese umfangreiche Kontroverse läßt sich zusammenfassend40 wie folgt beschreiben. Akzeptiert ist ihr Status als Hilfsorgan des Sicherheitsrats gern. Art. 29 der Charta (oder der Generalversammlung gern. Art. 22, wenn dieses Hauptorgan die Peace-Keeping-Operation autorisiert hat)41. Selbst wenn man sich in Übereinstimmung mit dem oben Gesagten42 darauf beschränkt, nach der Rechtsgrundlage für Peace-Keeping-Operationen des Sicherheitsrats zu forschen43 , stößt man in der Literatur auf nicht weniger als zehn verschiedene Erklärungsmöglichkeiten. Zunächst kommt die Möglichkeit in Frage, sie auf Vorschriften des Kap. VI, wie Z.B. den Art. 34, zu stützen44 . Während sich einige Beobachtermissionen sicherlich in dieser Weise erklären lassen45 , steht dem Rückgriff auf Kap. VI als allgemeiner Grundlage für Peace-Keeping-Operationen der Einwand entge-
37 Zu den besonderen Fällen UNTEA und ONUC s.U. A, H., 3. 38 Vgl. oben A., H., 1.; so auch das Ergebnis der Analyse von
United Nations and Peace-Keepirig, 36.
Wiseman in: Rikhye/Skjelbaek,
39 Charta der UN, Kommentar-Bothe, nach Art. 38, Rz. 39. 40 Für eine ausfuhrliche Darstellung der verschiedenen Optionen siehe insbesondere: Bowett, UN Forces, 274 ff; Seyersted, 127 ff; Ciobanu in: Cassese, United Nations Peace-Keeping, 15 ff; Tomuschat in: Koch, Die Blauhelme, 45 ff.
41 Handbuch VN-Rudolph, Ziffer 25. "Friedenstruppen", Rz. 7 und 10; Charta der UN, Kommentar-Bothe, nach Art. 38, Rz. 39 und 42; Verdross/Simma, § 257; Bowett, UN Forces, 285 und 289; Lehmann, Nordic Journal ofintemational Law 1985, 12. 42 S.o. A, 11., I. 43 Eine Darstellung
der möglichen Rechtsgrundlagen solcher Operationen, die von der Generalversammlung aufgestellt wurden, findet sich bei Bowett, UN Forces, 285-298. 44 Dies wurde in den Anhörungen des IGH im "Expenses"-Fall von den Delegierten Kanadas und Norwegens, Cadieux und Evensen, ICI Pleadings, Certain Expenses ofthe United Nations (Article 17, paragraph 2 ofthe Charter), 1962, 304 f (Kanada) beziehungsweise 370 (Norwegen) vorgeschlagen.
45 Handbuch VN-Rudolph, Ziffer 25. "Friedenstruppen", Rz. 10 f; Bowett, UN Forces, 275; Schaefer,414.
11. Traditionelles Peace-Keeping
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gen, daß diese regelmäßig den - wenngleich eng auf Selbstverteidigung begrenzten46 - Einsatz von Gewalt nicht ausschließen47 . Damit richtet sich der Blick auf die Vorschriften des Kap. VII. Hier werden fünf verschiedene Artikel, teilweise alleine, teilweise in Kombination miteinander, als Rechtsgrundlage der Peace-Keeping-Operationen erwogen. Der Vorschlag, Art. 48 als solche aufzufassen, wird mit dem Hinweis darauf verworfen, daß diese Vorschrift ihrerseits das Vorliegen einer Entscheidung des Sicherheitsrats voraussetze, die dieser folgerichtig auf einer anderen Grundlage treffen müsse48 . Verbreiteter sind diejenigen Varianten, die den Artikel 39 entweder allein49 oder in Kombination mit Art. 42 50 als tragfahige Basis für die Friedensoperationen ansehen. Auch sie sind jedoch begründeten Angriffen ausgesetzt. So sei eine "recommendation" nach Art. 39 nur geeignet, die Handlungen der an einer Friedensoperation teilnehmenden Staaten zu rechtfertigen, nicht aber das Tätigwerden des Sicherheitsrats als solches51 . Eine "decision" nach Art. 39 ist nach dem ausdrücklichen Wortlaut nur in Verbindung mit Art. 42 oder 41 möglich. Dem Verweis auf Art. 42 wiederum wird einerseits das zweifelhafte 52 Argument entgegengehalten, daß Maßnahmen gern. Art. 42 den Abschluß von Abkommen nach Art. 43 voraussetzen53, andererseits wird im Hinblick auf die bereits dargestellte 54, dem klassischen Peace-Keeping-Konzept zugrundeliegende Abgrenzung zu Zwangsmaßnahmen darauf verwiesen, daß die klassischen Peace-Keeping-Operationen gerade keine "enforcement measures" von der in Art. 42 beschriebenen Art waren 55 . Dieser letzte Einwand ist es auch, der der ebenfalls vorgeschlagenen56 Abstützung der Operationen auf Art. 41 entgegengehalten wird57 . Darüber hinaus ist festzuhalten, daß Art.
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s.o. A, 11., I.
47 Ciobanu in: Cassese, United Nations Peace-Keeping, 17. 48 Bowen, UN Forces, 284.
49 Skubiszewski, 263. Bowen, UN Forces 276-278 hält beide Optionen rur möglich. 50 Sohn, AJIL 1958, 230. 51 Ciobanu in: Cassese, United Nations Peace-Keeping, 22. 52 Vgl. Charta der UN, Kommentar-Bothe, nach Art. 38, Rz. 40; Bowen, UN Forces, 277; Higgins
in: Cassese, United Nations Peace-Keeping, 2 f.
53 Dies wurde lange Zeit vor allem von der UdSSR aber auch von anderen Ländern herausgestellt vgl. Bowen, UN Forces, 276 f Ebenso: Ciobanu in: Cassese, United Nations Peace-Keeping, 19. Neustens wieder in diese Richtung argumentierend: Djiena Wembou, AJICL 1993,348 f
54 S.o. A, 11., I. 55 Diese Feststellung trifft der IGH im Rechtsgutachten v. 20. 7. 1962 ("Certain Expenses"), ICJ Rep. 1962, 150, 166. 56 Sohn, AJIL 1958,230. 57 Ciobanu in: Cassese, United Nations Peace-Keeping, 18.
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A Einfiiluung
41 nach seinem klaren Wortlaut58 jedenfalls nur solche Operationen beziehungsweise solche Aspekte umfassender Operationen zu stützen vermag, die ohne Waffengewalt auskommen59 . Aus all diesen Gründen neigt die überwiegende Zahl derjenigen Autoren, die in Kap. VII die Rechtsgrundlage für PeaceKeeping-Operationen suchen, dem Art. 40 ZU60, der auch vom damaligen Generalsekretär Hammarskjöld im Zusammenhang mit der Operation im Kongo 1960 favorisiert wurde61 . Doch auch gegen Art. 40 werden Bedenken erhoben. Die dort gemeinten vorläufigen Maßnahmen, so wird argumentiert, seien nur solche, die von den im Streit befindlichen Parteien selbst ergriffen werden sollten. Operationen der Vereinten Nationen seien davon nicht umfaßt62 Allerdings gibt es auch einzelne Erklärungen, die die konstitutionelle Basis der Peace-Keeping-Operationen außerhalb der Kapitel VI und VII sehen. Die in Art. 29 vorgesehene Möglichkeit, Hilfsorgane zu schaffen, wurde in diesem Zusammenhang als hinreichende Grundlage für Friedensoperationen betrachtet63 . Dem wird entgegengehalten, daß dieser Artikel nicht allein die Aufstellung eines Hilfsorgans unabhängig von der diesem zugewiesenen Aufgabe rechtfertigen könne64 Eine weitere Option bestünde darin, die dem Sicherheitsrat in Art. 24 zugewiesene allgemeine Verantwortung für die Wahrung des Weltfriedens als Grundlage der Aufstellung einer Friedensoperation anzusehen65 . Dazu wird entgegnet, daß es zweifelhaft sei, ob aus Art. 24 zusätzliche Kompetenzen hergeleitet werden können, die dem Sicherheitsrat nicht bereits an anderer Stelle eingeräumt sind66 Eine verbreitete Auffassung in der Literatur hält es nicht für erforderlich, die Peace-Keeping-Operationen auf eine bestimmte Vorschrift der Charta zu
5R "( ... ) measures not involving the use of armed force ( ... )".
59 Dies betont auch Bowett, UN Forces, 280. 60 Handbuch VN-Rudolph, Ziffer 25. "Friedenstruppen", Rz. 9; Bowett, UN Forces, 280-283; Goodrich, 139; Schaefer, 406 und 414; Miller, AlIL 1961, 6; Sheikh, Revue beige de droit international 1971, 486 f; Riad, Egyptian Review ofintemational Law 1961, 21 f; Harrington Gagnon, International Organization 1967, 820.
61 UNSCOR, 15th year (1960), 920th meeting, s. 19, para. 75. lnteressant ist, daß auch Generalsekretär Boutros-Ghali in seiner Agenda For Peace fur die von ihm vorgeschlagenen "peace enforcement units", den Art. 40 als Rechtsgrundlage ausdrücklich anspricht - Bericht des Generalsekretärs v. 17.6.1992, UN Doc. A/47/277 = S/24111, para. 44. 62 Südafrika stellte dies in seiner schriftlichen Stellungnahme im "Expenses"-Fall heraus; ICl Pleadings, Certain Expenses ofthe United Nations (Art. 17, paragraph 2 ofthe Charter), 1962,261 f So auch Ciobanu in: Cassese, United Nations Peace-Keeping, 20-22. 63 Draper, ICLQ 1963,392. 64 Bowett, UN Forces, 178. 65 In diesem Sinne äußert sich Herndl, RdC 206 (1987-VI), 337. 66 Ciobanu in: Cassese, United Nations Peace-Keeping, 25 f
11. Traditionel1es Peace-Keeping
29
stützen. Vielmehr ließen sie sich als Teil der implied powers67 der Weltorganisation begreifen68 . Ein argumentum a maiore ad minus unterstützt diesen Ansatz. In Situationen, in denen die Charta den Einsatz militärischer Zwangs gewalt zur Friedenssicherung erlaubt, muß erst recht eine weniger einschneidende, gewaltfreie Handlungsform zulässig sein, selbst dann, wenn diese nicht ausdrücklich in der Charta vorgesehen ist69 . Der auf die Lehre von den "implied powers" gestützten Erklärung wird mit Bedenken im Hinblick auf die Rechtssicherheit begegneCo. Sie verwische die festgelegten Zuständigkeiten und Verfahren, mit denen die UNO ihre Zwecke zu verfolgen habe. Die Zwecke selber seien sehr weit formuliert. Ihnen könne nicht entnommen werden, daß die UNO sie mit allen Mitteln verfolgen dürfe71 . Schließlich gewinnt eine weitere Erklärungsalternative, nach der die Befugnis des Sicherheitsrats zur Durchführung von Peace-Keeping-Operationen in inzwischen entstandenem Organisationsgewohnheitsrecht wurzelt 72 , mit den Jahren mehr und mehr an Überzeugungskraft. Schon lange gibt es praktisch keinen Staat mehr, der die Zulässigkeit dieser Operationen bezweifeln würde, während der Bestand an Praxis auf diesem Gebiet von Jahr zu Jahr anwächst und die Zahl der an solchen Operationen teilnehmenden Staaten ständig steigt. Für den Zweck der vorliegenden Arbeit kommt es auf eine abschließende Stellungnahme in dieser schon fast klassischen Kontroverse nicht an. Vielmehr genügt es, diejenigen Grundlinien nachzuzeichnen, über die Einigkeit herrscht. Die ganz überwältigende Mehrheit der Autoren und praktisch alle Staaten73 sehen systematisch die Kapitel VI und VII der Charta als den Ort der Rechtsgrundlage der Peace-Keeping-Operationen. Das gilt auch für diejenigen, die der Begründung den Vorzug geben, die sich auf die implied powers stützt. Schon um die Kompetenzverteilung zwischen den verschiedenen Organen nicht zu sprengen, muß sich die Herleitung der implied powers eines Organs 67 Die Geltung der implied powers Doktrin fiir die UNO wurde vom IGH bereits 1949 im "Bernadotte" Fal1 bestätigt: "Under international law, the Organisation must be deemed to have those powers which, though not expressly provided in the Charter, are conferred upon it by necessery implication as being essential to the performance of its duties. This principle of law ( ... ) must be applied to the United Nations." - Rechtsgutachten v. 11. 4. 1949, ICJ Rep. 1949, 174, 182 f.
68 So Bowett, UN Forces, 307-311; Seyersted, 160; Verdross/Simma, § 257; Suy, EPIL, Bd. 4, 260; Lehmann, Nordic Journal ofinternational Law 1985, 12. Ähnlich: Halderman, AJ1L 1962.972 f, der Art. 1 I in den Mittelpunkt rückt. 69 Tomuschat in: Koch, Die Blauhelme, 48 f. 70 Sonnenfeld, 10 I. 71 So Richter Winiarski in seiner abweichenden Meinung zum Rechtsgutachten des IGH vom 20. 7. 1962 ("Certain Expenses"), ICJ Rep. 1962, 150, 230. 72 Bothe, 86; Ciobanu in: Cassese, United Nations Peace-Keeping, 26-29 und 41; Franke, 247; Tomuschat in: Koch, Die Blauhelme, 49. 73 Vgl. die Darstel1ung bei Schaefer, 409-412.
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A Einfiihrung
an den Aufgaben und Befugnissen orientieren, die diesem Organ durch spezielle Vorschriften übertragen sind74. Da ihm die Wahrung des Weltfriedens mit Hilfe des Instrumentariums der Kap. VI und VII Übertragen ist, sind diese Kapitel auch der Ausgangspunkt für die Bestimmung weiterer implied powers des Sicherheitsrats zur Friedenswahrung. Das erwähnte a maiore ad minus-Argument verdeutlicht dies. Es ist nur dann tragfähig, wenn die Situationen, in denen Friedensoperationen zum Einsatz kommen, solche sind, in denen auch militärische Zwangsmaßnahmen zulässig wären, mit anderen Worten, wenn es sich mindestens um Friedensbedrohungen im Sinne des Art. 39 handelt. Für die Abstützung auf Art. 24 oder Organisationsgewohnheitsrecht kann insoweit nichts anderes gelten. Insgesamt lassen sich damit zwei Punkte festhalten, die als sicherer Bestand in der Debatte über Peace-Keeping gelten können: (1) Beim traditionellen Peace-Keeping handelt es sich um eine von der Charta gedeckte Aktivität der Weltorganisation zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, die systematisch im Bereich der Kapitel VI und VII75 oder - in Dag Hammarskjölds Worten - in ein "Kapitel VI 1/2"76 einzuordnen ist.
(2) Die Handlungsform des traditionellen Peace-Keeping, die durch die oben aufgelisteten Merkmale 77 - insbesondere durch das Zustimmungserfordernis und die prinzipielle Gewaltlosigkeit - zugleich charakterisiert und beschränkt wird, ist abzugrenzen von den in Kap. VII der Charta vorgesehenen Zwangsmaßnahmen. Diese Abgrenzung ist ihrerseits Teil der Definition des traditionellen Peace-Keeping als "minus" zur militärischen Erzwingung. 3. Besondere Operationen
Legt man die eben gewonnene Definition traditioneller Friedensoperationen an die früheren Missionen der UNO an, so fallen vor allem zwei davon ins Auge, auf die die genannten Merkmale nicht ganz zu passen scheinen: UNTEA und ONUC. Beide heben sich durch ihr Aufgabenprofil von der dem traditionellen Peace-Keeping attestierten "Pufferfunktion" insofern ab, als in diesen beiden Fällen die Einwirkung der UN-Kräfte auf die internen Verhältnisse in den betroffenen Gebieten eine dominierende Rolle gespielt hat. Aus diesem Grund muß ihr Verhältnis zu der Definition traditioneller Friedensoperationen geklärt werden. Darüber hinaus soll kurz geprüft werden, ob diese beiden Ope74 In diesem Sinne auch Bowett, UN Forces, 311. 75 Tomuschat, EA 1992, 46. 76 Zitiert nach Weiss, Washington Quarterly, Winter 1993, 52. 77 S.o. A, II., 1.
11. Traditionelles Peace-Keeping
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rationen bereits selbst frühe Beispiele für das neue Konzept der Friedensoperationen der zweiten Generation sind. a) UNTEA J962/63
Die am deutlichsten innerstaatlich orientierte Operation in der Phase des klassischen Peace-Keeping war der Einsatz in der damaligen holländischen Kolonie West-Neuguinea (West Irian)78. Dort übernahmen die Vereinten Nationen durch die UNTEA (United Nations Temporary Executive Authority) vom 1. 10. 1962 bis zum 1. 5. 1963 für sieben Monate die Verwaltung des Landes 79 in eigener Verantwortung. Zusammen mit der UNSF (United Nations Security Force), deren Aufgabe es war, Recht und Ordnung zu wahren und die UNTEA Administration als "Polizei-Arm" zu unterstützen80 , übernahm die UNTEA während dieser Zeit West-Neuguinea völlig. "The world had conceived and given birth to an international nation."8!. Die Aktivitäten von UNTEA und UNSF in diesen sieben Monaten nehmen vieles von dem vorweg, was für die neue Form des Peace-Keeping, die es hier zu untersuchen gilt, charakteristisch ist. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung stand unter der Kontrolle der UNSF, die zivile Verwaltung der UNTEA übernahm Gesetzgebung, Rechtsprechung und exekutive Funktionen wie Finanzverwaltung, Gesundheitswesen, Bildung und Wirtschaftsförderung82 Insofern trägt bereits diese frühe Peace-Keeping-Operation innerstaatliche, zivile Züge, wie sie auch bei der neuen Form des PeaceKeeping zu finden sind. Dennoch ist diese Operation noch nicht als ein frühes Beispiel für die zweite Generation des UN-Peace-Keeping verwendbar, sondern gehört entgegen dem ersten Anschein zu der Kategorie der traditionellen Friedensoperationen. Das ergibt sich aus mehreren Gründen. Erstens stellt sich der UNTEAlUNSF Einsatz im Kontext der ersten vier Jahrzehnte nicht nur bezüglich seiner innerstaatlichen Ausrichtung als eine Ausnahme dar. Auch die von den Konfliktparteien Indonesien und den Nieder-
78
Dazu insgesamt Higgins, Bd. 2,93 ffm.w.N.
79 AdG 1962, 10141 A; Report des Generalsekretärs, UN Doc. Al5501 & Add. 1; zit. nach: Higgin~,
Bd. 2, 147.
80 Higgins, Bd. 2, 116 f.
8! Franck, 80.
82 Report des Generalsekretärs, UN Doc. Al5501 & Add. 1, para. 36 ff, zit. nach Higgins, Bd. 2, 142 ff. Vgl. auch Bardehle in: Kühne, Blauhelme, 197 f.
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A Einfuhrung
landen allein übernommene Finanzierung83 sowie die Autorisierung der Mission durch die Generalversammlung84 untermauern ihren besonderen Charakter und damit die Einschätzung, daß sie einem ganz speziell gelagerten Einzelfall begegnen sollte, nicht aber ein neues Modell der Friedenssicherung indizierte. Zweitens handelt es sich bei diesem Einsatz trotz seiner innerstaatlichen Ausgestaltung um die Antwort auf einen zwischenstaatlichen Konflikt zwischen den Niederlanden und Indonesien 85 . Zwischen der alten Kolonialmacht und Indonesien, das West-Neuguinea als sein Territorium beanspruchte, waren im Laufe des Jahres 1962 diplomatische und militärische Streitigkeiten entbrannt 86 ; ein Krieg um das Gebiet drohte. Demgegenüber war das Gebiet intern im wesentlichen ruhig. Die koloniale Verwaltung arbeitete störungsfrei, bedeutsame Unruhen oder gar einen nationalen Befreiungskampf gab es nicht, die von den Holländern aufgebaute Regierungsorganisation war intakt87 Die in dieser Lage auf das Betreiben des US-amerikanischen Vermittlers Bunker zustandegekommene UN-Aktion hatte also das Ziel, eine internationale Krise zu entschärfen. Da sich dies nur in Form einer zeitweiligen Übernahme der internen Verwaltung West-Neuguineas bewerkstelligen ließ, wurde diese Form des Einsatzes konzipiert. Drittens - und dies ist der entscheidende Unterschied - hat zu keihem Zeitpunkt der Aufbau des Staatswesens in West-Neuguinea eine Schwerpunktrolle gespielt. Das zeigt sich insbesondere daran, daß die Wegbereitung einer staatlichen Selbstorganisation der Bevölkerung - etwa in Form eines Referendums oder einer Wahl - nicht zum Mandat der UNTEA gehörte, sondern entgegen niederländischen Forderungen88 auf später verschoben wurde 89 . Damit fehlte diesem Mandat ein innerstaatlicher Gestaltungsauftrag. Um die Herstellung staatlicher Lebensfähigkeit mit dem Ziel der Entlassung in eine souveräne Unabhängigkeit oder auch "nur" der Durchführung eines freien Aktes der Selbstbestimmung, der durchaus zu einem freiwilligen Anschluß an Indonesien hätte führen können, ging es hier nicht. Ein deutlicher Beleg dafür ist auch die Tatsache, daß ein 1961 von den Niederlanden gemachter Vorschlag, das Gebiet 83 Bowett, UN Forces, 260 f 84 In Res. 1752 (XVII) v. 21. 9. 1962. 85 Ebenso Bowett, UN Forces, 256 f; Dicke/Rengeling, 157 f. 86 AdG 1962,9673 Fund 9882 A 87 Zu veffilerken ist aber, daß West-Neu guinea angesicht~ der extremen Rückständigkeit der eingeborenen Bevölkerung als unabhängiger, eigenständiger Staat kaum lebensfähig gewesen wäre vgl. Leyser, ArchVR 1962/63,271. 88 Vgl. die Darstellung bei Franck, 78 f 89 Art. XVIII bis XX des Abkommens zwischen den Niederlanden und Indonesien v. 15. 8. 1962, zitiert nach Higgins, Bd. 2, 104.
II. Traditionelles Peace-Keeping
33
unter eine treuhänderische UN-Verwaltung zu stellen, am Widerstand Indonesiens scheiterte90 Sinn und Zweck der UNTEA Operation war es demnach, die Übergabe des Gebietes von einem Land (Holland) an ein anderes Land (Indonesien) durch das Einschieben einer Übergangsphase abzufedern. Insofern spielte die Friedensoperation auch in diesem Fall wieder primär die Rolle eines Puffers zwischen feindlichen Ländern, eines Puffers, der die Konfliktparteien freilich nicht geographisch, sondern zeitlich auseinanderzuhalten bestimmt war. Die interne Verwaltung des Gebietes war ein notwendiges Nebenprodukt dieser Aufgabe, nicht jedoch Ausdruck des gezielten und zweckgerichteten Aufbaus eines Staatswesens. Aus diesen Gründen ist die UNTEA/UNSF-Operation noch kein Beispiel für die neue Form des Peace-Keeping. Die Handhabung der internen Verwaltungsaufgaben ist nichtsdestoweniger in weiten Bereichen vergleichbar mit den zu untersuchenden Einsätzen, so daß UNTEA in diesem beschränkten Sinne als eine Vorläuferin der neuen Form des Peace-Keeping angesehen werden kann91 . b) ONUC 1960-64
Ungleich spektakulärer als UNTEA/UNSF fällt die vieldiskutierte92 UNOperation im Kongo (ONUC) aus dem Rahmen des traditionellen PeaceKeeping. Sie war die größte und teuerste Peace-Keeping-Operation in den ersten 45 Jahren der UN093 und erinnert daher schon ihrem Umfang nach an die hier zu untersuchenden Operationen der zweiten Generation. Auch sprengt sie die oben gefundene Definition traditioneller Friedensoperationen fast in allen Punkten. Zunächst geriet die gemeinsame Kostentragung nach Art. 17 (2) insbesondere durch die Zahlungsverweigerung der UdSSR und Frankreichs unter Beschuß, was zur größten Finanzkrise in der Geschichte der UNO führte 94 Darüber hinaus wurden die ONUC-Verbände im Verlauf der Operation in heftige Kampfhandlungen verwickelt und schlugen schließlich sogar die Sezessionsbewegung in der Provinz Katanga gewaltsam nieder95 , so daß weder
90 Higgins, Bd. 2, 95-99; Dicke/Rengeling, 152 f 91 Ähnlich Ratner, AJIL 1993, 13; Leurdijk, Int. Spect. 1993,665 f 92 Aus der umfassenden Literatur zu ONUC exemplarisch: Bowett, UN Forces, Kap. 6; Higgins, Bd. 3; Lefever, Crisis in the Congo, Washington 1965; Simmonds, UN Military Operations in the Congo, Den Haag 1968; Franke, Die UN-Operation im Kongo, Diss. Bonn 1978. 93 Ca. 20000 Mann Personal, über 400 Mio. US Dollar Kosten; vgl. Handbuch VN-Rudolph, Ziffer 25. "Friedenstruppen", Rz. 3. 94 Handbuch VN-Rudolph, Ziffer 25. "Friedenstruppen", Rz. 22; vgl. auch die Darstellung der Krise bei Franck, 82-87. 95 Franke, 142-144; Schachter in: DarnroschlScheffer, Law and Force, 84 f 3 Hufnagel
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A Einfuhrung
von einer prinzipiellen Gewaltlosigkeit der Operation noch von der vorliegenden Zustimmung aller Konfliktparteien die Rede sein kann. Als Grundlage für diesen Einsatz militärischer Gewalt diente eine Resolution des Sicherheitsrats vom 21. 2. 1961 96, in der der Rat die Lage im Kongo als "Friedensbedrohung" im Sinne des Art. 39 der Charta bezeichnete, den Einsatz von Gewalt autorisierte und die Operation damit - anders als alle anderen traditionellen PeaceKeeping-Missionen - ausdrücklich in das Kap. VII einordnete97 . Schließlich zielte die Mission eindeutig auf die Beruhigung eines innerstaatlichen Konflikts in einem souveränen Staat98 . Sie wurde als Reaktion darauf gestartet, daß der Kongo im Chaos zu versinken drohte99 , beinhaltete eine umfangreiche zivile Komponente mit vielfältigen Funktionen auf diversen Gebieten der Landesverwaltung lOO und hat insofern erheblichen Einfluß auf die internen Verhältnisse des Landes gehabt. Als Puffer in einem zwischenstaatlichen Konflikt läßt sich ihre Aufgabe folglich gerade nicht charakterisieren. Als ein Modell für die zweite Generation des Peace-Keeping kann die ONDC-Operation dennoch nicht gelten. Das ergibt sich schon aus der Tatsache, daß auch diese Operation grundsätzlich der Erhaltung des Zustandes der Waffenruhe, nicht aber der Durchsetzung politischer Lösungen diente lol . Die Nichteinmischung in den inneren Konflikt war ein Grundmerkmal des Mandats lO2 , wenngleich dieses später zum Zweck der Niederschlagung der Sezession preisgegeben wurde I 03. Darüber hinaus schließt auch der völlig atypische Ablauf der Operation ihre Einordnung als Modell für eine neue Form des Peace-Keeping aus lO4 . Das Engagement im Kongo hat die Weltorganisation in die schwerste Zerreißprobe ihrer Geschichte geführt. Sowohl ihre Zielsetzung als auch die Einzelheiten ihrer Durchführung waren unter den Mitgliedstaaten im allgemeinen und den Sicherheitsratsmitgliedern im besonderen extrem umstritten. Das hatte zur Folge, daß das ihr zugrundeliegende Mandat bewußt unscharf formuliert
96 UN Doc. S/4741, UNSCOR 16th Year (1961), Supplement Januar - March, S. 147 f 97 Ob als Zwangsmaßnahme nach Art. 42 ist umstritten - vgl. Franck in: R.-J. Dupuy, Role du Conseil de Securite, 94; Schachter in: Darnrosch/Scheffer, Law and Force, 82. 98 Wenngleich dieser Konflikt natürlich erhebliche internationale Rückwirkungen hatte. 99 James in: Rikhye, The United Nations and Peace-Keeping, 134; Paris, RUS1 Yearbook 1991,
271.
100 Bardehle in: Kühne, Blauhelme, 196 f 101 Vgl. Franke, 87,90 und 114. 102 Vgl. Franke, 32, 38,40, 50. 103 Franke, 129. 104 Zu diesem Ergebnis kommt "uch Franke in seiner Studie; vgl. dort, 222 und 230.
11. Traditionelles Peace-Keeping
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warlOS. Die von ihr tatsächlich wahrgenommenen Funktionen sind ONUC infolgedessen eher aufgrund eines undurchsichtigen Wechselspiels verschiedener politischer Kräfte zugewachsen, als daß ihr Erscheinungsbild als Ausdruck eines klaren politischen Willens der Organisation verstanden werden kann. Nicht von ungefähr bezeichnete der damalige Generalsekretär Hammarskjöld sie als "the craziest operation in history" 106. Dies alles führte dazu, daß schließlich Konsens nur noch dahingehend bestand, daß eine derartige Operation sich nicht wiederholen sollte - "Virtually everyone agreed, however, that ONUC should not be a precedent for future operations. "107 In diesem negativen Sinne trug das in die frühe Phase der Peace-Keeping-Aktivität der UNO fallende, fast traumatische Erlebnis jener Operation dann sogar entscheidend zur Festigung desjenigen Konzepts der Friedensoperationen bei, das diesen dann für die nächsten gut 25 Jahre zugrundeliegen sollte. Insofern verdanken manche der oben angeführten Bestandteile der Definition des traditionellen Peace-Keeping, insbesondere die in Zustimmungserfordernis und Gewaltfreiheit zum Ausdruck kommende kategorische Abgrenzung zu Zwangsmaßnahmen nach Kap. VII der Charta, ihre Existenz nicht zuletzt dem Bemühen, eine Wiederholung der ONUC-Erfahrung zu vermeiden. Ist die Operation auch nicht als Beispiel für die neue Form des PeaceKeeping heranzuziehen, so ist sie doch für die Bewertung der Definition des UN-Peace-Keeping äußerst bedeutsam. Einerseits erklärt sie den Hintergrund der oben vorgestellten, die traditionelle Konzeption der Friedensoperationen determinierenden Merkmale. Damit offenbart sie aber gleichzeitig auch, daß diese traditionelle Begriffsbestimmung historisch bedingt und nicht absolut ist. Indem die ONUC-Mission aus dem Rahmen dessen herausfällt, was in Reaktion auf sie als Definition des Peace-Keeping-Konzepts entstanden ist ist sie selbst ein Hinweis darauf. daß dieses Konzept prinzipiell auch weiter sein kann, als jene enge Definition es zuläßt.
105 Franck, 175.
106 Zitiert nach Franke, 259. 107 Franck.
177.
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A Einfiihrung
III. Vorläufer in der Völkerbundzeit Am Abschluß der Einführung - und gleichzeitig als Überleitung zu den Fallstudien - soll ein kurzer Blick in die Geschichte stehen. Dieser soll die Frage beleuchten, ob es eine dem Untersuchungsgegenstand vergleichbare Konzeption, also die Wahrnehmung innerstaatlicher Funktionen durch internationale Operationen, bereits zu Zeiten des Völkerbundes als des Vorgängers der UNO gegeben hat. Wenn von internationalen Operationen des Völkerbundes die Rede ist, werden regelmäßig drei Fälle genannt: Wilna 1920, Leticia 1933/34 und das Saargebiet 1934/35 1 In diesen drei Fällen spielte der Einsatz internationaler Streitkräfte unter den Auspizien des Völkerbundes eine Rolle. Interessant in unserem Zusammenhang ist es, daß in allen drei Fällen die interne Verwaltung des betroffenen Gebietes durch die internationalen Kräfte eine herausragende Rolle gespielt hat. Zwei dieser Fälle (Wilna und Saargebiet) zielten auf die Durchführung von Plebisziten unter internationaler Kontrolle. Anders als bei den durch ihre Pufferfunktion charakterisierten klassischen UN-Friedensoperationen zeigt das Kennprofil der Völkerbundaktionen somit eine interne Ausrichtung. Dementsprechend könnten diese Aktionen mit der neuen Form des Peace-Keeping vergleichbar sein. Daher sollen sie kurz beleuchtet werden. 1. Wilna 1920
Der Konflikt um die litauische Hauptstadt resultierte aus der Besetzung Wilnas durch polnische Truppen im Oktober 1920 2 Die Aufgabe der für Wilna vorgesehenen internationalen Truppe war es, die polnischen Truppen zu ersetzen und die Sicherheit in Wilna während der Vorbereitung und Durchführung eines Plebiszits zu kontrollieren. In diesem Plebiszit, dessen Organisation ebenfalls den Völkerbund-Kräften obliegen sollte, hätten die Einwohner der Stadt zu wählen gehabt zwischen einer Zugehörigkeit zu Litauen und einem Anschluß an Polen3 . Die Völkerbund-Kräfte kamen allerdings nie zum Einsatz. da während der Vorbereitung der Aktion die anfangliche Zustimmung Polens und Litauens zu dem Verfahren verloren ging und Russland Druck gegen eine Einschaltung des
1 Vgl. statt Vieler: Charta der UN, Kommentar-Bothe, nach Art. 38, Rz. 7: Bothe, 71 ff; Seyersted, 28 f; Williams, 37 ff. 2 Williams, 37 f 3 Vgl. Williams, 38.
III. Vorläufer in der Völkerbundzeit
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Völkerbundes ausübte4 . Die Wilna-Aktion blieb also in der Planung stecken das Plebiszit wurde am 3. 3. 1921 abgesagt5 Schon aus diesem Grund kann diese Operation nicht als Vorbild oder Vergleichsmaßstab der neuen Form des Peace-Keeping der UNO herhalten, wenngleich sie zum Modell für den Einsatz im Saargebiet 1934/35 werden sollte. 2. Leticia 1933/34
Die Leticia-Operation wurzelte in einem Konflikt zwischen Peru und Kolumbien. Peru hatte das sogenannte "Leticia-Trapez", ein Gebiet am Amazonas, vertraglich an Kolumbien abgetreten6 Im September 1932 hatten peruanische Banden das Gebiet jedoch besetzt, und Peru weigerte sich im folgenden, es an Kolumbien zuruckzugeben7 . Daraufhin kam es zu militärischen Spannungen zwischen Peru und Kolumbien 8 . Nach dem Tod des peruanischen Präsidenten bei einem Attentat am 30.4.1933 9 konnte jedoch auf Vermittlung des Völkerbundes eine Lösung gefunden werden, derzufolge das Gebiet dann zwischen dem 25.6.1933 und dem 19.6.1934 unter der Kontrolle des Völkerbundes verwaltet und danach an Kolumbien übergeben wurde lO Für ein Jahr trug somit der Völkerbund die Verantwortung für die Verwaltung Leticias. Allerdings handelte es sich bei den Kräften, die zur Unterstützung der Völkerbundkommission für die Verwaltung Leticias eingesetzt wurden, nur um kolumbianische Truppen. Die Einordnung dieser Kräfte als "internationale Truppe" blieb umstritten I I. Des weiteren war das streitige Gebiet zwar geographisch groß, aber fast unbewohnt und völlig unentwickelt l2 Insofern kann von umfassenden Verwaltungsaufgaben mit quasi-treuhänderischem Charakter für die internationale Verwaltungskommission kaum die Rede sein. Dementsprechend minimal war der personelle Einsatz für diese Operation (er
4 Walters, 141 f 5 Williams, 39. 6
Durch einen Vertrag von 1922, der schließlich 1928 ratifiziert worden war; Walters, 536.
7 Walters,
536 f; Homan, Inl. Specl. 1993,651.
8 Walters, 537 ff.
9 AdG 1933, 818 F. 10 Bothe, 72. II Für eine "internationaJe Truppe" halten sie z.B. Williams, 42 und wohl auch Bothe, 73; ihren
"internationalen" Charakter bezweifeln demgegenüber u.a. Bowett. UN Forces, 11, Fn. 43 und Walters, 592, Fn. I. 12 Walters, 536.
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A Einfuhrung
schwankte zwischen 50 und 150 Personen 13 ). Schließlich gehört auch diese Operation in die Kategorie der Interposition zwischen zwei im Konflikt befindlichen Staaten. Ähnlich wie bei der UNTEA 1962/63 in West-Neuguinea ging es auch hier darum, die Übergabe eines umstrittenen Gebietes von einem Land an ein anderes durch eine Zwischenperiode internationaler Kontrolle abzufedern. Trotz der während des Jahres internationaler Kontrolle zu konstatierenden Förderung der Entwicklung Leticias (es wurden u.a. drei Schulen und ein Krankenhaus gebaut l4) ist diese Entwicklung auch hier nicht der Zweck der Verwaltung, sondern ein "Nebenprodukt" derselben gewesen. Entscheidend war die Pufferrolle. Aus diesen Gründen erscheint auch die Leticia-Operation nicht als ein Vorläufer der neuen Form des Peace-Keeping der UN. 3. Saargebiet 1934/35
Wie im Versailler Vertrag vorgesehen l5 wurde das Saargebiet von 1920 bis 1935 treuhänderisch vom Völkerbund verwaltet. Am Abschluß dieser rund fünfzehnjährigen, internationalen Kontrolle sollte ein Plebiszit über die zukünftige Zugehörigkeit des Gebietes stehen. Hatte sich die zur Administration des Saargebietes eingesetzte Regierungskommission des Völkerbundes l6 bis dahin fast ausschließlich auf einheimische Kräfte bei der Wahrung der inneren Sicherheit stützen können l7. so ließen es die politische Spannungen im Vorfeld des Plebiszits angezeigt erscheinen. dessen Durchführung und Überwachung in die Hände internationaler Kräfte zu legen 1K. Dementsprechend entstanden eine zivile internationale "Plebiscite Commission", unter deren Autorität in der Spitze rund 1000 Personen aus verschiedenen Ländern als Wahlorganisatoren tätig waren l9 , eine rund 120 Mitglieder umfassende Gruppe internationaler Polizisten20 und - auf Beschluß des Völkerbundrates vom 8.12.1934 - eine inter-
13 Williams, 42. 14
Walters. 540.
15 Art. 49 des Versailler Vertrages sowie Annex zu den Artikeln 45-50 des Vertrages; zit. nach: Treaties And Other International Agreements Of The United States Of America 1776-1949, Bd. 2. 43 ff 16 Vgl. die Ziffern 16 und 17 des Annexes zu den Artikeln 45-50 des Versailler Vertrages. 17 Lediglich zwischen 1927 und 1930 hatte zusätzlich eine knapp 800 Mann starke, internationale "Railway Guard Force" ( mit französischen, britischen und belgischen Angehörigen ) zu ihrer Verfti gung gestanden; Bowett, UN Forces, 10. IK Bowett, lJN Forces, 10; Walters, 592; Williams, 43.
19 Bowett, UN Forces, 10; Walters, 590 f. 20 Fabian. 51.
III. Vorläufer in der Völkerbundzeit
39
nationale Streitmacht mit weiteren 3.300 Mann21 Unter dem Eindruck dieser starken internationalen Präsenz verliefen das Plebiszit, die Auszählung der Stimmen und schließlich die Abwicklung der internationalen Administration reibungslos, so daß am 1. März 1934 das Saargebiet gemäß dem Abstimmungsergebnis vom Völkerbund an Deutschland zurückgegeben wurde 22 . Während in der Literatur insbesondere das 3.300 Soldaten umfassende militärische Kontingent hervorgehoben und als "first and last International Force in the service of the League"23 bezeichnet wurde, ist für die vorliegende Untersuchung die Gesamtheit der Saaraktivitäten des Völkerbundes bemerkenswert. Über 15 Jahre hinweg hat die fünfköpfige internationale Regierungskommission die Geschicke des Saargebietes gelenkt. In dieser Zeit wurde nicht nur die öffentliche Ordnung bewahrt, es fand auch eine erfolgreiche Entwicklung des Gebietes statt (Wirtschaft, Bildung, Infrastruktur, Landeshaushalt etc.)24. Zum ersten Mal wurde eine internationale Polizeitruppe zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eingesetzt25 . Schließlich führte die Organisation und Durchführung des Plebiszits durch die internationale Organisation zu einem zweifelsfreien Akt der Selbstbestimmung der Einwohner des Saargebiets und seiner reibungslosen Umsetzung. Insofern ist die Saaroperation der interessanteste und überzeugendste Vorläufer derjenigen Aktivitäten der UNO, denen diese Arbeit gewidmet ist. Dennoch sollten Besonderheiten betont werden, die diesen Fall von der neuen Form des Peace-Keeping der UNO unterscheiden. Während der Völkerbundverband durchaus mit dem Konzept der Friedensoperationen vergleichbar ist, erscheint die Vergleichbarkeit der übernommenen Funktionen zweifelhaft. Das Saargebiet als Zielgebiet der Operation kann weder als zeitweilig nicht staatlich lebensfähig bezeichnet werden, noch handelte es sich um ein komplettes Staatsgebiet. Es war ein integraler Bestandteil des in seiner Gesamtheit durchaus funktionsfähigen Deutschen Reiches. Folgerichtig bestand der Zweck der Operation nicht in dem staatsorganisatorischen (Neu-) Aufbau eines fürderhin selbständigen Landes. Vielmehr wurde die Rückeingliederung des Gebietes in das Deutsche Reich zunächst zeitlich aufgeschoben und dann begleitet. Schließlich gründete sich das Mandat für die Übergangsverwaltung und
21 Wambaugh, 283 mit einer Aufschlüsselung der Truppe nach Nationalitäten: Walters. 593: Williams, 44 f
22 Walters, 593, 596 f 23 Walters, 592; im gleichen Sinne: Bowett, ON Forces, 11; Seyersted, 28. 24 Walters, 597 f; Wambaugh, 321. 25 Fabian, 49 ff, der auf die Novität dieses Aspektes hinweist.
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für die Ausrichtung des Plebiszits nicht auf einen Akt des Völkerbundes, sondern auf Bestimmungen des Versailler Friedensvertrages. Trotz allem bleibt als bemerkenswerte Beobachtung festzuhalten, daß die einzige echte "PeaceKeeping"-Operation des Völkerbundes mehr mit der hier zu untersuchenden neuen Form des Peace-Keeping der UNO gemein hat als mit der klassischen Variante.
B. Peace-Keeping der zweiten Generation Innerhalb der großen Zahl jüngerer Peace-Keeping-Operationen der UNO häufen sich die Beispiele, anhand deren das veränderte Erscheinungsbild dieses Konzepts nachgewiesen werden könnte. Dies gebietet es, eine Auswahl zu treffen, die Entwicklung und Bandbreite der neuen Form des Peace-Keeping besonders klar hervortreten läßt. Zu diesem Zweck sollen die Operationen UNT AGI in Namibia, UNT AC2 in Kambodscha und UNOSOM 113 in Somalia hier eingehender dargestellt werden. In Namibia hat sich die UNO 1989/90 erstmals in großem Maßstab mit der Übernahme interner Funktionen in einem Land auseinandergesetzt. In Kambodscha dann wurde 1992/93 in einer ungleich größeren Operation die Administration eines Landes in weiten Teilen der UNO unterstellt, so daß sich diese Operation als zentrales Beispiel für die Übernahme der Verantwortung für die innere Entwicklung eines Landes durch die Weltorganisation darstellt. In der 1993 begonnenen Operation UNOSOM 11 wurden schließlich mit dem Rückgriff auf Erzwingungsmaßnahmen nach Kap. VII der Charta rechtliche Grenzen übersprungen, die bislang zum unabdingbaren Bestand des Peace-Keeping-Konzepts gerechnet wurden. Damit sind diese drei Operation besonders geeignet, das rechtliche wie faktische Spektrum des Peace-Keeping der zweiten Generation auszuloten. Die Fallstudien haben den Zweck, auf einer empirischen Ebene zu belegen, daß sich hier ein gegenüber dem bisherigen Verständnis neuer Typus der Friedensoperationen herausgebildet hat, der sich nach Aufgabe und Gestalt von dem bisher mit ooPeace-Keeping bezeichneten Modell unterscheidet. Die Charakteristika des neuen Typus des Peace-Keeping aus seinem tatsächlichen Erscheinungsbild herauszuarbeiten und sie in Fallgruppen zu systematisieren, ist die Voraussetzung für die sich anschließende rechtliche Prüfung jenes PeaceKeeping der zweiten Generation. Im Dienste dieser Zielsetzung soll den Fallstudien zunächst entnommen werden, ob es sich bei den hier untersuchten Operationen tatsächlich um eine Erweiterung des Peace-Keeping und nicht um eine qualitativ völlig andere Handlungsform der UNO handelt. Darüber hinaus soll im einzelnen untersucht werden, welche neuen, insbesondere innerstaatlichen Funktionen diese Operationen wahrgenommen haben. OO
I UNT AG = United Nations Transition Assistance Group. 2 UNTAC = United Nations Transitional Authority in Cambodia. 3 UNOSOM = United Nations Operation in Somalia.
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
Diese Zwecksetzung begrenzt auch den Rahmen der Fallstudien. Das Mandat der drei genannten Operationen wird unter dem Aspekt betrachtet werden, wie und mit welchen Mitteln die UNO die gestellten Aufgaben bewältigt hat. Demgegenüber soll es nicht um eine gültige zeitgeschichtliche Analyse dieser Fälle gehen. Die Darstellung wird sich auf die für die rechtliche Betrachtung erforderlichen Aspekte beschränken. Dementsprechend liegt der Betrachtungsschwerpunkt auf der jeweiligen UN-Operation und nicht auf den darüber hinaus gehenden Aspekten der politischen Lösung der jeweiligen Konflikte oder der Darstellung der Schwierigkeiten im Umfeld der einzelnen Operationen.
I. Namibia Der Fall Namibias, des früheren Südwestafrika, beschäftigte die organisierte Weltgemeinschaft bereits seit der Frühzeit des Völkerbundes. Insbesondere die UNO hat seit ihrer Gründung ständig mit diesem "Fall" zu tun gehabt. 1. Geschichte
Das in Frage stehende Territorium im südwestlichen Mrika umfaßt 824.268 Quadratkilometer (einschließlich des 1.124 Quadratkilometer großen Gebiets der Walfischbucht, das allerdings erst Ende Februar 1994 von Südafrika an Namibia übergeben wurde!) und wird heute von ungefahr 1,5 Millionen Menschen bewohnt2, von denen knapp 90% Schwarze sind. Etwa 50% davon wiederum gehören zu dem dominierenden Stamm der Ovamb03 .
a) Vor 1945 Um die Jahrhundertwende 30 Jahre lang deutsche Kolonie4 , wurde es am 9. 2. 1915 im Zuge des 1. Weltkriegs von Südafrika besetzt, welches damals ein Dominion der britischen Krone war 5 . Nach Ende des Krieges führte eine eingehende Debatte während der Pariser Friedensverhandlungen6 schließlich ! Die Welt v. I. 3. 1994, S.3; zum langjährigen Streit um das Gebiet vgl. Berat, VN 1991,51 ff.
2 Schneider, KAS 12/1991,56. 3 Handbuch VN-Stoll, Ziffer 82, "Namibia", Rz. 2; Kamto, RdDi 1990, 578. 4 Zur Begründung der deutschen Kolonialherrschaft vgl. Silagi, I ff.
5 Silagi, 15. 6 Slonim, 22 ff mit einer Beschreibung der z. T. heftig gefilhrten Debatte über die Zukunft der deutschen Kolonialgebiete; dazu auch Silagi, 49 ff.
1. Namibia
43
dazu, Südafrika die Verwaltung Südwestafrikas in Fonn eines "e"-Mandats unter der Kontrolle des Völkerbundes zu überlassen 7 . Dadurch war es Südafrika möglich, das Gebiet weitgehend den eigenen Vorstellungen entsprechend zu verwalten 8. Nicht zuletzt aus diesem Grund verliefen die Beziehungen zwischen dem Mandatsstaat Südafrika und dem Völkerbund unproblematisch9, und Südafrika erfüllte seine unter dem Mandat bestehenden Berichtspflichten bis zum Ausbruch des 2. Weltkriegs anstandslos 1o b) 1945 bis 1989 Nach dem Ende des 2. Weltkriegs veränderte sich die Situation. Der Völkerbund löste sich alsbald auf, und die UNO erwuchs als neue Weltorganisation. Südafrika, das schon während der Beratungen der Vorbereitungskommission seine dahingehende Intention deutlich gemacht hatte, schlug auf der ersten Sitzung der UN-Generalversammlung die Integration Südwestafrikas in sein Territorium vorlI, unter anderem mit Hinweis auf ein 1946 durchgeführtes Referendum, in dem sich die Mehrheit auch der nicht-europäischen Bevölkerung für die Integration ausgesprochen habe l2 . Die Generalversammlung lehnte den Vorschlag mit Res. 65 (I) vom 14. 12. 1946 ab. Die Resolution enthielt vielmehr die "Recommendation", das Gebiet dem UN-Treuhandsystem zu unterstellen. Dies wiederum wurde von Südafrika abgelehnt 13 , welches darüber hinaus ab 1948 alle weiteren Berichte an die UN bezüglich der Verwaltung Südwestafrikas einstellte l4. Es argumentierte, daß es in keiner Weise verpflichtet sei, die Verwaltung des Gebietes dem UN-Treuhandsystem zu unterstellenIS, daß die UNO nicht in die Überwachungsrechte des Völkerbundes eingerückt l6 und daß das Mandat als solches nach der Auflösung des Völkerbundes beendet sei 17 Daraufhin rief die Generalversammlung den IGH an, der in seinem 7 Der Völkerbund bestätigte dieses "C"-Mandat am 17.12.1920; Sionim, 40. 8 Sionim, 57 f; Kamto, RdDi 1990,580. 9 Sionim, 57 f. 10 Kamto, RdDi 1990, 580 f.
II
Handbuch VN-Stoll, Ziffer 82, "Namibia", Rz. 3; Sionim, 77.
12 Sionim, 78. 13 Schreiben an den Generalsekretär vom 23.7. 1947, UN Doc. A/334 in UNGAOR 2nd Sess., 4th Comittee, Annex 3a, 135; zit. nach Sionim, 84. 14 Schreiben an den Generalsekretär vom 11. 7. 1949, UN Doc. A/929 in UNGAOR, 4th Sess. 4th Comittee, Annex, 7 f; zit. nach Sionim, 99.
IS Eine Auffassung,
101.
die übrigens von der Mehrheit der Staaten geteilt wurde, vgl. Sionim, 87 und
16 Kamto, RdDi 1990, 581. 17 Sionim, 96.
44
B. Peace-Keeping der zweiten Generation
Rechtsgutachten vom 11. 7. 1950 zu dem Schluß gelangte, das Mandat bestehe fortIS und die UNO sei für dessen internationale Überwachung zuständig I9. Allerdings sei Südafrika nicht verpflichtet, das Gebiet dem UN-Treuhandsystem zu unterstellen20 . Von diesem Streit ausgehend entwickelte sich ein jahzehntelanger Dauerkonflikt zwischen der UNO und Südafrika über das Gebiet. Im Verlaufe dieses Konflikts kam es zu einer Fülle von Resolutionen und mehreren IGH-Entscheidungen 21 , die schließlich in den Urteilen von 1962 22 und 196623 gipfelten, in denen der IGH den Vorwurf Äthiopiens und Liberias zu untersuchen hatte, Südafrika habe - unter anderem durch das Apartheidsystem - seine Mandatspflichten verletzt24 . Mit der überraschenden Zurückweisung der Klage am 13. 7. 1966 aufgrund mangelnder Klagebefugnis der Länder Äthiopien und Liberia25 enttäuschte der IGH die Mehrheit der Mitglieder der UNO. Noch im selben Jahr nahm sich die Generalversammlung selber des Themas an und zog den Südwestafrikakonflikt damit von der juristischen auf die politische Ebene. In Res. 2145 (XXI) v. 27. 10. 1966 entzog sie Südafrika das Mandat und unterstellte Südwestafrika direkt der Verantwortung der UNO. Damit erschuf sie für das Land einen neuartigen internationalen Status, ein "statut 'sui generis' sans pn:cedent"26 Von diesem Moment an bestand nun eine besondere, unmittelbare Verantwortung der Vereinten Nationen für das weitere Schicksal Südwestafrikas und seine Entwicklung bis zur Unabhängigkeit. Als verantwortliches Gremium wurde ein Rat für Südwestafrika (später: Namibia-Rat) gegründet27 , das Gebiet in "Namibia" umbenannt28 und schließlich auch die gegen die südafrikanische Herrschaft kämpfende Guerilla-Organisation SWAPO als authentische Vertreterin des namibischen Volkes anerkannt29 . Auch der Sicherheitsrat 18 Je] Rep. 1950, 128, 133. 19 JeJ Rep, 1950, 128, 137. 20 Je] Rep. 1950, 128, 140. 21 Je] Rep. 1955, 671f - Abstinunungsmodus in der Generalversanunlung; Je] Rep. 1956,23 1fKompetenzen des Ausschusses. 22 Je] Rep. 1962, 3191f - Entscheidung über die Zuständigkeit des Gerichts. 23 Je] Rep. 1966, 6 1f - Endurteil. 24 Slonim, 185 f 25 Eine Entscheidung, die vor allem im Hinblick auf das vorausgegangene Urteil von 1962 verblüffte, in dem der JGH seine Zuständigkeit, in der Sache zu entscheiden, mit Argumenten angenonunen hatte, die eine derartige Klageabweisung ausgeschlossen zu haben schienen; vgl. in diesem Sinne z.B. die abweichende Meinung des Richters Koretsky, Je] Rep. 1966, 237-241; Klein, EPJL, Bd. 2, 266 f 26 Kamto, RdDi 1990, 584. 27 Generalversanunlung Res. 2248 (S-V) v. 19.5. 1967.
2S Generalversammlung Res. 2372 (XXIJ) v.
12.6. 1968.
29 Generalversanunlung Res. 3111 (XXVIII) v. 12.12. 1973.
I. Namibia
45
betonte in verschiedenen Resolutionen die Rechtswidrigkeit der südafrikanischen Besetzung des Landes30 . In einem Rechtsgutachten von 1971 äußerte sich schließlich der IGH noch einmal in Sachen Namibia, bestätigte die wirksame Beendigung des südafrikanischen Mandats und erklärte die fortdauernde südafrikanische Präsenz in Namibia folgerichtig für illegaPI. All diese Aktivitäten können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß kein Versuch unternommen wurde, die vielen Resolutionen in der Namibia-Frage mit Zwangsmaßnahmen durchzusetzen32 . Die westlichen Mächte im Sicherheitsrat waren dazu nicht bereit33 . Neue Bewegung kam in den Namibia Fall Ende der 70er Jahre durch die Bemühungen der sogenannten "Kontaktgruppe"34, mit denen die beteiligten westlichen Länder auf das wachsende Verlangen der Dritten Welt nach wirksamen Sanktionen gegen Südafrika reagierten 35 . Die Verhandlungen der Kontaktgruppe mündeten in einen von Südafrika und der SWAPO akzeptierten Plan für die Unabhängigkeit Namibias36, den sich schließlich der UN-Sicherheitsrat in der Form der Res. 435 (1978) v. 29. 9. 1978 zu eigen machte - dem "Blueprint" für Namibias Unabhängigkeit. Die Durchsetzung dieses Plans scheiterte jedoch an der Unentschlossenheit der Länder der Kontaktgruppe, notfalls auch wirtschaftlichen Druck auf Pretoria auszuüben 37 Südafrika versuchte unterdessen durch die Abhaltung von Wahlen in eigener Regie, aus der schließlich eine - freilich international als "Marionettenregierung" 'von niemandem anerkannte - namibische Regierung hervorging, das Namibiaproblem in seinem Sinne zu lösen38 . Als die neue US-Regierung 1981 auch noch ihr afrikapolitisches Konzept änderte und die Unabhängigkeit Namibias mit dem Rückzug kubanischer Truppen aus Angola verknüpfte ("Linkage"), fiel die Kontaktgruppe auseinander39 .
30 Z.B. in den Resolutionen 276 (1970) v. 30.
I. 1970 und 283 (1970) v. 29. 7. 1970.
31 Rechtsgutachten v. 21.6. 1971, ICJ Rep. 1971, 16,54 (para. 118).
32 Das in Res. 418 (1977) v. 31. 10. 1977 gegen Südafrika verhängte Waffenembargo richtete sich gegen die südafrikanische Apartheidpolitik, nicht gegen seine fortgesetzte Herrschaft über Namibia. 33 Soni, CITL 1991, 578.
34 Diese
bestand aus den damaligen runf westlichen Mitgliedern im Sicherheitsrat: USA, Großbritannien, Frankreich, BR Deutschland und Kanada; vgl. v.d. Ropp, Aussenpolitik 1989, 195.
35 Kühne, EA 1989, 106. 36 Briefv. 10.4. 1978, UN Doc. S/12636 - sog. "Settlement Proposal". 37 Kühne, EA 1989, 107; Soni, CITL 1991, 593.
38 Handbuch VN-Stoll, Zi. 82. "Namibia", Rz. 25 f. 39 v.d. Ropp, Aussenpolitik 1989, 196 f; Soni, CITL 1991, 594.
46
B. Peace-Keeping der zweiten Generation
1988 schließlich führte der Z.T. heftig kritisierte40 "Linkage"-Ansatz zum Durchbruch, nachdem die militärische Sackgasse in dem Regionalkonflikt Südafrika-Namibia-Angola offenkundig geworden warlJ und die fortschreitende Entspannung der Supermächte eine Lösung auch dieses Konflikts möglich machte42 Nach intensiven Verhandlungen von Juli 1988 an konnten am 22. 12. 1988 in New York die Verträge zwischen Angola, Kuba und Südafrika unterzeichnet werden, die den kubanischen Truppenabzug aus Angola vorsahen und den Weg für die Unabhängigkeit Namibias freimachten 43 . Mit diesen Abkommen trat die UNO wieder auf den Plan. Wenngleich erst die Abkommen die Tür zu Namibias Unabhängigkeit aufgestoßen hatten, sollte doch der Weg durch diese Tür hindurch, das "Wie" des Übergangs zur Unabhängigkeit, in der Verantwortung der UNO liegen und zwar in den Bahnen, die der Sicherheitsrat in Res. 435 (1978) vorgezeichnet hatte44 . Das bedeutete die "'resurrection' de la resolution 435"45 c) 1989 und 1990
Die UNO nahm den ihr somit wieder zugespielten Ball unverzüglich auf. Schon am 20. 12. 1988 hatte der Sicherheitsrat mit Res. 626 (1988) zur Überwachung des vereinbarten kubanischen Truppenrückzugs aus Angola die Beobachtermission UNA VEM46 beschlossen. In zwei weiteren Resolutionen - 628 und 629 (1989) - begrüßte er am 16. 1. 1989 die in New York geschlossenen 40 Vgl. die Resolutionen 539 (1983) v. 28. 10. 1983, Zi. 4 und 566 (1985) v. 19.6. 1985, Zi. 8, in denen der Sicherheitsrat erkärt, "that the independence of Namibia cannot be held hostage to the resolution of issues that are alien to resolution 435 (1978)". Zur Kritik in der Lit. vgl. z.B. Golob. Internationale Politik 1983, Heft 795, 10: "... wodurch die Erreichung der Unabhängigkeit Namibias in unabsehbare Feme rückt."; UN Chronicle, June 1989, 11: "A major obstacle was the Iinkage ... "; s. auch Soni. CITL 1991, 599 fm.w. Bsp. 41 Südafrikanische Truppen waren 1987/88 bei den Kämpfen um Cuito Cuanavale im Süden Angolas erstmals an ihre Grenzen gestoßen; vgl. Kühne, EA 1989, 109; v.d. Ropp, Aussenpolitik 1989, 199; Kamto, RdDI 1990, 589. 42 Es soll hier nicht der umstrittenen Frage nachgegangen werden, ob diese letztgenannten Faktoren zusammen mit den wachsenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten Südafrikas oder die diplomatische Finesse des "Linkage" den größeren Anteil an dem schließlichen Durchbruch hatten. Als Bsp. der unterschiedlichen Wertungen vgl. einerseits Soni, CITL, 1991, 600 ff, der betont, daß das "Linkage" alle Beteiligten zu Gewinnern machte und andererseits Kühne, EA 1989, 108 f, der die genannten äußeren Faktoren als Grund nennt, weshalb es trotz (!) "Linkage" zu einem Erfolg gekommen ist. 43 Cadoux, AFDI 1988, 15 ff mit einer Schilderung der verschiedenen Etappen dieser Verhandlungen und der geschlossenen Abkommen. 44 Vgl. die Ziffern 1-3 des Abkommens zwischen Angola, Kuba und Südafrika v. 22. 12. 1988, abgedruckt in ILM 1989,957 f 45 Cadoux, AFDI 1988,30.
46 UNAVEM =
United Nations Angola Verification Mission.
I. Namibia
47
Abkommen und bestätigte den 1. 4. 1989 als Beginn der Übergangsperiode, an deren Abschluß die Unabhängigkeit Namibias stehen sollte. Res. 632 (1989) v. 16.2. 1989 enthält dann schließlich die Entscheidung, Res. 435 (1978) gemäß dem Plan des Generalsekretärs47 umzusetzen. Damit war der Startschuß für UNT AG gefallen. Der Rest ist eine Erfolgsgeschichte48 , wenngleich die Umsetzung der Res. 435 (1978) nicht immer reibungslos ablief. So hatten Meinungsverschiedenheiten über den personellen Umfang und die Kosten der Operation49 schon zu diplomatischen Turbulenzen geführt, bevor eine zahlenmäßig reduzierte UNT AG am 1. 4. 1989 ihre Mission aufnehmen konnte. Auch die ersten Tage der Übergangsperiode waren wenig erfolgversprechend. Schon am 1. 4. 1989 kam es im Norden Namibias zu blutigen Zusammenstößen der südafrikanisch kontrollierten Sicherheitskräfte mit aus dem Norden in das Land gelangten SWAPOKämpfern 50 Zwar hatte deren Erscheinen gegen die geltenden Abkommen verstoßen5!, scheint aber nicht als offensiver Akt gemeint gewesen zu sein52 . Im Verlauf dieser Kämpfe fanden rund 300 Menschen den Tod53 Das Blutvergießen konnte jedoch am 9. 4. durch die Deklaration von Mt. Etj 0 54 der gemeinsamen Komission von Kuba, Angola und Südafrika55 beendet werden 56 Der weitere Verlauf der Übergangszeit war weitgehend ruhig 57, und UNT AG führte ihre Überwachungs- und VerwaItungsaufgaben planmäßig aus. Auch der Höhepunkt. die Woche der Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung vom 7.- 11. 11. 1989, verlief ohne nennenswerte Zwischenfalle58 , die Wahlen waren "fair und frei"59 Wahlsieger, wenngleich nicht mit der erhofften Zwei-
47 Bericht des Generalsekretärs v. 23. I. 1989, UN Doc. S/20412. 4R
Skeptischer Melber, VN 1990, 89 ff
49 Siehe dazu unten B., 1., 4., a). 50 Ausfiihrlieh über diese Zwischenfälle: The B1ue Heimets, 361 ff. 51 Kamto, RdDi 1990,619. 52 Vgl. The B1ue Helmet~, 363. 53 Kamto, RdDi 1990, 619: 262 bei der SWAPO, 27 bei den Sicherheitskräften und eine unbekannte Zahl von Zivilisten. 54 Abgedruckt in ILM 1989, 10 11 ff 55 Sie war in dem Protokoll von Brazzaville am 13. 12. 1988 (abgedruckt in ILM 1989,951 ) zur Lösung von Meinungsverschiedenheiten während des Friedensprozesses eingerichtet worden. Die USA und die UdSSR waren als Beobachter zur Teilnahme eingeladen worden. 56 UN Chronicle, .Tune 1989,6: Kamto, RdDi 1990,620. 57 Melber, VN 1990,92 berichtet von einigen Zwischenfällen. SR
Kamto, RdDi 1990,627.
59 So der UN-Sonderbeauftragte fiir Namibia, M. Athissari, am 14. 11. 1989 bei der Bekanntgabe des Ergebnisses, UN Chronide, March 1990,42; skeptischer hingegen Melber, VN 1990,93.
48
B. Peace-Keeping der zweiten Generation
drittelmehrheit, wurde die SWAP060 Nach erstaunlich kurzen Beratungen konnte die verfassunggebende Versammlung bereits am 9. 2. 1990 einstimmig die neue Verfassung annehmen61 , die in der Literatur als "ausgezeichnet" bewertet worden ist62 . Am 21. 3. 1990 erklärte der neugewählte Präsident Nujoma die Unabhängigkeit Namibias, das daraufhin der 160. Mitgliedstaat der UNO wurde. Das UNT AG-Mandat war - zehn Tage früher als geplant63 - abgeschlossen. d) Bewertung
Bei Namibia handelte es sich um einen klassischen Dekolonisationsfall. Das von Südafrika wie eine Kolonie geführte Namibia strebte in die Unabhängigkeit. In Namibia hatte es die UNO dementsprechend auch nicht mit einem zusammengebrochenen Staatswesen zu tun. Eher das Gegenteil war der Fall. Die unter südafrikanischer Regie errichtete Infrastrukur funktionierte, und die UNT AG konnte hier auf einer stabilen Staatsverwaltung aufbauen. Trotz dieser günstigen Ausgangslage war angesichts der Geschichte des Landes unparteiische, internationale Geburtshilfe für den neuen Staat nötig. Einer von Südafrika allein kontrollierten Übergangszeit hätte die nötige Legitimität und Akzeptanz gefehlt. Die von der UNO hier geforderte Rolle war daher eine eher unterstützende und überwachende Begleitung des Weges in die Unabhängigkeit. Gleichzeitig stellte sie die Fähigkeit der Weltorganisation auf den Prüfstand, eine großangelegte Operation mit rein innerstaatlicher Zielsetzung zu realisieren. 2. Rechtliche Fundierung
Der Startschuß für die Operation UNT AG fiel mit der Annahme der Res. 632 (1989) v. 16. 2. 1989 durch den Sicherheitsrat. Dort beschloß der Rat "to implement its resolution 435 (1978) of 29 September 1978 in its original and definitive form"64. 60 Das Ergebnis der beiden Hauptkontrahenten lautete: SWAPO 57.3% = 41 Sitze, DTA 28.6% = 97.4%~ UN Chronicle, March 1990, 41 f~ Melber, VN 1990,
21 Sitze bei einer Wahlbeteiligung von 94. 61 Kamto, RdDI 1990,628.
62 Tomuschat, VN 1990, 100. Vgl. auch Ansprenger, KAS 12/1991, 14 ff, der auch bezüglich der Verfassungswirklichkeit nach einem Jahr zu einer positiven Bewertung gelangt. 63 UN Chronicle, June 1990, 8.
64 Ziffer 2 des operativen Teils.
I. Namibia
49
a) Rechtsgrundlage Damit rückt diese Res. 435 (1978) v. 29. 9. 1978 in den Blick. Sie enthält in Ziffer 3 ihres operativen Teils den Beschluß, UNT AG aufzustellen. Alle späteren Beschlüsse und Abkommen nehmen auf diese Resolution Bezug. Folglich ist die Res. 435 (1978) die Ermächtigung, die "enabling resolution" für die UNT AG-Operation. Für die Einzelheiten der Operation maßgeblich ist der Bericht des Generalsekretärs vom 23. 1. 198965 , auf den Res. 632 (1989) ausdrücklich verweist66 Die Suche nach der Rechtsgrundlage, auf der die Res. 435 (1978) basiert, ist etwas aufwendiger. In ihrem Wortlaut findet sich kein ausdrücklicher Hinweis auf eine allgemeine oder spezielle Befugnis in der Charta, auf die der Sicherheitsrat die Aufstellung der UNT AG gestützt haben könnte. Insbesondere ist nirgendwo davon die Rede, daß der Rat die Lage in Namibia als Gefahr für den Weltfrieden angesehen hat. Demgegenüber beruft sich die Resolution auf die "legal responsibility" der UNO für Namibia. Diese Feststellung ist im Zusammenhang mit der Ziffer 2 des operativen Teils zu sehen, in der auf die Res. 385 (1976) verwiesen wird. Dort wird sowohl auf die Res. 2145 (XXI) der Generalversammlung Bezug genommen, die Südafrika das Mandat für Namibia entzogen hatte, als auch auf das Re~htsgutachten des IGH vom 21. 6. 1971°7, in dem die Gültigkeit dieses Mandatsentzugs bestätigt worden war. Insofern deutet der Te"-1 der Resolution auf die Übernahme der Verantwortung für die Unabhängigkeit Namibias in der Nachfolge der Mandatsmacht Südafrika als Grundlage für die Aufstellung der UNT AG hin. Unklar bleibt dabei jedoch die konstitutionelle Grundlage für das Tätigwerden des Sicherheitsrats. Im Rahmen des Treuhandsystems der UN-Charta - und da würde die Übernahme der aus einem Völkerbundmandat fließenden Verantwortung für ein Land gemäß Art. 77 (1) (a) primär hingehören - ist nämlich nicht der Rat, sondern die Generalversammlung zuständig; dies bestimmt Art. 85 (1). Etwas mehr Klarheit schafft eine Untersuchung der Debatte aus Anlaß der Annahme der Res. 435 im Sicherheitsrat. Zwar wird in keinem der Wortbeiträge in der 2087. und 2088. Sitzung am 29. und 30. 9. 1978 eine bestimmte Ermächtigungsgrundlage für UNT AG genannt, sondern lediglich die Übernahme der Verantwortung für Namibia durch die UNO in Generalversammlung Res. 2145 (XXI) in Erinnerung gerufen68 Allerdings findet sich bei meh65 UN Doc. S120412 sowie das Explanatory Statement v. 9. 2. 1989, UN Doc. S120457. 66 4. Vorspruch und Ziffer 1 des operativen Teils. 67 ICl Report 1971, 16. 68 So z.8. durch den Vertreter Nigerias, UNSCOR, 33rd year, 2087th meeting, S. 10, para. 99; den Vertreter Gabuns, a.a.O., S. 18, para. 181; die Präsidentin des Namibia Rats der UN, a.a.O., 2088th meeting, S. 2, para. 9. 4 Hufnagel
50
B. Peace-Keeping der zweiten Generation
reren Rednern der drohende Hinweis an Südafrika, der Rat könne nötigenfalls auch Maßnahmen nach Kapitel VII ergreifen, um den Unabhängigkeitsplan für Namibia durchzusetzen69 . Das wiederum setzt die Annahme einer Friedensbedrohung voraus. Von anderen Delegationen wurde UNTAG in die Reihe klassischer UN-Friedensoperationen gestellCo. Die Sicherheitsratsdebatte legt somit den Schluß nahe, daß der Rat in der Präsenz Südafrikas eine Friedensgefahr gesehen und die Aufstellung der UNT AG als Maßnahme zur Wahrung des Weltfriedens verstanden hat. Dieser Schluß läßt sich durch den historischen Kontext der Resolution erhärten. Der gesamte "Namibia-Fall" gehört in den Zusammenhang der Dekolonisation. Die Aufgabe der Dekolonisation steht für die UNO bereits grundsätzlich in engem Zusammenhang mit der Wahrung des Weltfriedens 71 . Im Falle Namibias wurde dieser Zusammenhang besonders deutlich, da sich die nach dem Entzug des Mandats illegal gewordene Präsenz Südafrikas als Besetzung eines anderen Landes darstellte72 . Gleichzeitig verbaute die Weigerung Südafrikas, das Gebiet dem Treuhandsystem der UNO zu unterstellen, der Weltorganisation die Option, sich derjenigen Handlungsformen zu bedienen, die die Charta als spezielle Instrumente zur Bewältigung der Dekolonisation vorsieht. So kam es bezüglich Namibias nicht zum Abschluß eines Treuhandabkommens gemäß Art. 79 der Charta, das nach Art. 81 S. 2 durchaus die UNO selbst - in Gestalt des Sonderorgans UNT AG - zur Verwaltung des Gebietes hätte berufen können 73 Damit blieb der UNO nur der Rückgriff auf den allgemeineren Aspekt der Friedensgefahrdung. Eine Operation im Gewande des bereits etablierten Konzepts der "Blauhelme" ist in dieser Lage der einzige politisch gangbare Weg gewesen. Obwohl in ihrem Text der Begriff "international peace and security" nicht ein einziges Mal auftaucht, ist die Res. 435 (1978) dementsprechend als eine Maßnahme des Sicherheitsrats zur Wahrung des Weltfriedens im Sinne des Art. 24 (l) einzuordnen. 69 Vgl. beispielsweise die Erklärung des indischen Vertreters in UNSCOR, 33rd year, 2087th meeting, S. 10, para. 94: "If South Africa fails to do so, ... , the Council will be obliged to apply such measures as may be necessary under chapter VII ... ". 70 SO Z.B. der Vertreter Großbritanniens, UNSCOR, 33rd year, 2087th meeting, S. 8, para. 77. Diese Einordnung wird durch die Bemerkung des sowjetischen Delegierten bestätigt, es gehe hier um einen Einsatz bewaffueter Kräfte, der daher streng nach der Charta, namentlich durch den Sicherheitsrat, überwacht werden solle - a.a.O., S. 20, para. 207 -; eine von der UdSSR in bezug auf Friedensoperationen damals regelmäßig vertretene Position. 7J Das läßt sich bereits an der Verknüpfung der Aufgabe der Friedenswahrung mit derjenigen der Verwaltung von Kolonialgebieten in den Artikeln 73 c) und 76 a) der Charta erkennen.
72 Vgl. Res. 385 (1976) des Sicherheitsrats v. 30. I. 1976, 7. Vorspruch, in dem von "continued illegal occupation of Namibia" die Rede ist. Anders als der Sicherheitsrat bezeichnete die Generalversammlung diese Situation auch ausdrücklich als "threat to international peace and security" Z.B. in Res. 43/26 A v. 17. 11. 1988. 73 Eine solche Lösung wird Z.B. von Dore, 171 fvorgeschlagen.
I. Namibia
51
Damit stellt sich als nächstes die Frage, auf welche besonderen Befugnisse im Sinne des Art. 24 (2), 2 sich die Aufstellung von UNTAG gründet. Auch hier hilft der Wortlaut nicht weiter. Anders als in vielen Resolutionen, in denen die Formulierung indirekt auf die Rechtsgrundlage schließen läßt, weist die Terminologie dieser Resolution nicht auf eine bestimmte Vorschrift in der Charta. Weder die Wortwahl des Art. 33 - was als ein Hinweis auf Kapitel VI als intendierte Rechtsgrundlage verstanden werden könnte -, noch diejenige des Art. 39 - als ein Indiz für den Rückgriff auf Kapitel VII - werden in der Formulierung der Resolution 435 aufgegriffen. Ein Hinweis ergibt sich aber aus der Präambel. Dort wird Bezug genommen auf Schreiben der südafrikanischen Regierung 74 und der SWAP075, in denen diese beiden betroffenen Parteien ihre grundsätzliche Zustimmung zu dem von der Kontaktgruppe ausgehandelten Plan für die Unabhängigkeit Namibias erklären. Das ist ein deutliches Indiz dafür, daß die UNT AG keine Zwangsmaßnahme nach Kap. VII der Charta, sondern eine Konsensoperation sein sollte. Daß es sich bei der SWAPO um eine nichtstaatliche Organisation handelte, führte dabei nicht zu Schwierigkeiten, da diese seit langem - besonders seit ihrer Einordnung als einzige authentische Vertreterin des namibischen Volkes durch die UNO - als nationale Befreiungsbewegung anerkannt war76 . Insofern besaß sie jedenfalls partielle Völkerrechtssubjektivität und konnte wirksam ihr Einverständnis erklären. Der Einordnung als Konsensoperation steht allerdings die Beobachtung entgegen, daß Südafrika zwar dem Plan der Kontaktgruppe 77 zugestimmt hatte78 , der vom Generalsekretär vorgelegten Version dieses Plans79 aber nicht 8o . Da der Plan des Generalsekretärs und nicht derjenige der Kontaktgruppe mit Res. 435 (1978) zur Basis der UNTAG-Operation gemacht wurde, hat die Zustimmung Südafrikas bei der Annahme der Resolution also faktisch nicht vorgelegen. Dessen waren sich die Mitglieder des Sicherheitsrats
740amit gemeint sind die folgenden, dem Sicherheit~rat bei der Annahme der Res. 435 vorliegenden Mitteilungen: UN Ooc. S/12836 v. 6. 9. 1978 (Brief an den Generalsekretär); UN Ooc. S/12853 v. 20. 9. 1978 (Presseerklärung); UN Ooc. S/12854 v. 27. 9. 1978 (Schreiben an die 5 ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats). 75 Schreiben v. 8. 9. 1978, UN Ooc. S/12841. 76 Vg\. Oppenheim, Bd. I, 2, § 49. 77 Brief der Vertreter der Staaten der Kontaktgruppe an den Sicherheitsrat vom 10. 4. 1978, UN Ooc. S/12636. 78 Südafrika stellt in dem Schreiben vom 6. 9. 1978, UN Ooc. S/12836, fest, daß dies bereits am 25.4. 1978 geschehen sei.
79 UN Ooc. S/12827 v. 29. 8. 1978, UNSCOR, 33rd year, Supp\. July-Sept. 1978, S. 33 ff. RO Oas ergibt sich aus dem Schreiben Südafrikas vom 6. 9. 1978, UN Ooc. S/12836. Seine ablehnende Haltung begründete Südafrika mit Modifikationen des Ausgangsvorschlags der Kontaktgruppe.
52
B. Peace-Keeping der zWeiten Generation
bei der Annahme der Res. 435 durchaus bewußt 81 . Daraus den Schluß zu ziehen, daß diese Resolution doch auf Kapitel VII gestützt wurde, weil nur dort bindende Maßnahmen des Sicherheitsrats gegen den Willen eines betroffenen Staates vorgesehen sind, wäre aber verfehlt. Dies wird durch die Ereignisse nach der Annahme von Res. 435 bestätigt. Nachdem Südafrika durch die einseitige Ankündigung von Wahlen in Namibia für den Dezember 1978 gezeigt hatte, der Resolution nicht Folge leisten zu wollen, nahm der Sicherheitsrat am 13. 11. 1978 die Res. 439 (1978) an 82 . Dort wird Südafrika "gewarnt", bei fortgesetzter Mißachtung der Res. 435 wäre der Sicherheitsrat gezwungen, "appropriate actions under the Charter ofthe United Nations, including chapter VII thereof. .. " zu ergreifen83 . Daraus folgt im Umkehrschluß, daß die bisherigen Maßnahmen des Sicherheitsrats in dieser Frage - einschließlich der Res. 435 - noch keine solchen gemäß Kapitel VII gewesen sind. Eine eindeutige konstitutionelle Basis für die Aufstellung von UNT AG ist somit nicht gewählt worden. Klar ist lediglich, daß sie keine Zwangsmaßnahme nach Kap. VII sein sollte. Dies fügt sich in das Bild der klassischen Peace-Keeping-Operationen84 Genau wie dort war auch für die UNT AG die Zustimmung der betroffenen Parteien des Konfliktes die entscheidende Grundlage. Demgegenüber trat die Notwendigkeit, eine spezifische Ermächtigungsnorm in der UN-Charta zu benennen, in den Hintergrund. Diese rechtliche Fundierung führte zu dem Mißerfolg der Res. 435 (1978) im Jahre 1978. Die Resolution enthielt den Defekt, daß die in der Präambel angesprochene Zustimmung des Hauptbetroffenen zur Zeit ihrer Annahme faktisch nicht existierte. UNTAG war damit ein totgeborenes Kind. Erst mit der Wiederherstellung dieser Zustimmung im Jahre 1988 konnte sie wieder zum Leben erweckt werden. Erst dadurch nämlich wurde der fehlende Baustein in das rechtliche Fundament eingefügt, dessen es bedurfte, um die Aufstellung einer Friedensoperation zu tragen. Im Verlauf der Operation selbst führten die rechtlichen Grenzen des klassischen Peace-Keeping-Konzepts - neben dem Zustimmungserfordernis insbesondere die Gewaltfreiheit 85 - nicht zu Schwierigkeiten. Die Kämpfe zu Beginn der Operation im April 1989 hätte die UNTAG auch mit einem anderen Mandat nicht verhindern können, da ihre Stationie81 V g!. die Verurteilung dieser Haltung Südafrikas durch mehrere Delegierte in der Debatte; UNSCOR, 33rd year, 2087th meeting, S. 6, paras. 51 - 53 (Frankreich), S. 9, para. 86 (Kanada), S. 10, para. 93 (Indien). 82 Angenommen wurde die Res. 439 übrigens nur mit 10 Stimmen bei Enthaltungen der 5 westlichen "Kontaktgruppe" Staaten - vg!. 17 ILM (1978), 1575. 83 Ziffer 6 des operativen Teils der Resolution, UNSCOR, 33rd year, Supp!. Resolutions and Decisions, S. 14.
84 Vg!. Seyersted, 128, der diese "Unterlassung" rur charakteristisch rur die Aufstellung von Friedensoperationen hält. 85 S.o.
A, 11., \.
I. Namibia
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rung zu diesem Zeitpunkt gerade erst begonnen hatte und sie personell noch viel zu dünn besetzt war, um wirksam eingreifen zu können 86 . Insgesamt ist festzuhalten, daß der Annahme der Res. 435 (1978) eine spezifische Spannungslage zugrundelag. Einerseits galt es, bei dem Übergang Namibias in die Unabhängigkeit primär innerstaatliche Aufgaben zu bewältigen, andererseits war ein Peace-Keeping-Einsatz das einzige politisch realisierbare Instrument zur Bewältigung dieser Aufgabe. Obwohl die UNO ihren Anspruch auf die Lösung der Aufgabe auf die "legal responsibility of the United Nations over Namibia" stützen konnte, setzte der Einsatz des Instruments einer Friedensoperation die - unausgesprochene - Einordnung dieser Aufgabe als Maßnahme zur Wahrung des Weltfriedens voraus. Darüber hinaus hielt sich der Sicherheitsrat bei der rechtlichen Fundierung der UNTAG im Rahmen des traditionellen Musters für UN-Peace-Keeping und stützte die Operation auf die Zustimmung der beteiligten Parteien. In diesem Sinne ist die Formulierung der Resolution zu deuten, in der der Sicherheitsrat sich auf beide Standbeine - die Zustimmung der Konfliktparteien und die rechtliche Verantwortung der UNO für Namibia - stellt und die Benennung einer Ermächtigungsgrundlage in der Charta vermeidet. b) Kompetenzverteilung
Während die entscheidenden Anstöße für die UNT AG-Operation von außerhalb der UNO kamen - im Jahre 1978 durch die Initiative der "Kontaktgruppe" und 1988 dann in Gestalt der von den USA geförderten trilateralen Verhandlungen zwischen Südafrika, Angola und Kuba -, war das federführende Organ der UNO während der Umsetzung des Plans für die Unabhängigkeit Namibias eindeutig der Sicherheitsrat. Dies folgt schon aus der Tatsache, daß er in seiner Res. 435 die Aufstellung der UNTAG "under its authority" beschloß. Verschiedene Stellungnahmen in der Debatte über die Annahme der Resolution 87 und der ihr zugrundeliegende Umsetzungsbericht des damaligen Generalsekretärs Waldheim88 bestätigen dies. Die Dominanz des Sicherheitsrats äußerte sich auch im praktischen Verlauf der Operation. Bereits bei der Vorbereitung des UNT AG-Einsatzes konnte der Generalsekretär erst auf Ermächtigung des 86 Vg!. The Blue Heimets, 362. 87 So z.B. von der Bundesrepublik Deutschland, UNSCOR, 33rd year, 2087th meeting, S. 5, para. 43; Frankreich, a.a.O., S. 6, para. 54; der UdSSR, a.a.O., S. 20, para. 207. 88 Bericht des Generalsekretärs v. 29. 8. 1978, UN Doc. S/12827, para. 9 (UNSCOR, 33rd year, Supp!. for July-Sepl. 1978, S. 34): "The Secretary General, in accordance with the mandate entrusted 10 hirn by the Security Council, will keep the Council fully informed of developments relating 10 the implementation ofthe proposal and to the functioning ofUNTAG. All matters which might affect the nature or the continued effective functioning of UNTAG will be referred to the Council for its decision."
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
Sicherheitsrats hin die erforderlichen Vorfeld- und Sondierungsmaßnahmen durchführen 89 . Während der Operation begleitete der Sicherheitsrat dann in zwei Resolutionen9o die Entwicklung in Namibia, forderte den Generalsekretär zu Berichten auf9 1 und traf gegebenenfalls auch wichtige Einzelentscheidungen selbst92 . Ein hervorstechendes Beispiel für die Wirksamkeit der Sicherheitsratskontrolle in der Praxis ist schließlich die vom Sicherheitsrat erhobene93 und vom Generalsekretär erfüllte94 Forderung nach einer Verkleinerung der UNT AG aus Kostengründen95 . Neben dem Oberkommando des Sicherheitsrats blieb dem Generalsekretär dennoch ein nicht unerheblicher Handlungsspielraum im operativen Bereich. Dies meinte Generalsekretär Perez de Cuellar mit der Feststellung: "(. .. ) resolution 435 (1978) entrusts to the Secretary General a wide range of responsibilities in connection with the supervision and control of free and fair elections in Namibia. "96. Zunächst zeigte sich dies daran, daß es an ihm lag, dem Sicherheitsrat in seinem Bericht ein Konzept der Operation vorzutragen. Mit einem solchen Vorschlagsrecht geht naturgemäß ein großes Maß an Gestaltungsfreiheit einher. Auch darf der Spielraum nicht unterschätzt werden, der aus der Verantwortung für den täglichen Einsatz und der Erstzuständigkeit für die Reaktion auf aktuelle Entwicklungen "in the field" erwächst. Daß der Generalsekretär diesen Spielraum genutzt hat, zeigt sich beispielsweise an seinen Entscheidungen, die Zahl der eingesetzten Polizeibeobachter von geplanten 500 zunächst auf 1.000, später sogar auf 1.500 Personen zu erhöhen, um Schwierigkeiten mit der südafrikanisch kontrollierten Polizei zu begegnen97 . Beide Male notifizierte er diese Veränderungen an den Sicherheitsrat; beide Male antwortete dessen Präsident, daß keine Einwände bestünden98 . Ein anderes Beispiel ist die Ernennung des botswanischen Diplomaten Legweila zum stell-
89 Die Ermächtigung erfolgte in Form von Res. 629 (1989) v. 16. I. 1989. Der Generalsekretär kommt dem in Form seines Berichts vom 23. I. 1989, UN Doc. S120412, Para. 34 ff( abgedruckt in 28 ILM (1989), 977 ff) nach. 90 Res. 640 (1989) v. 29. 8. 1989 und Res. 643 (1989) v. 31. 10. 1989. 91 Res. 632 (1989) v. 16.2. 1989, Ziffer 5 des operativen Teils; Res. 640 (1989), Ziffer 9; Res. 643 (1989). Ziffer 15. 92 Res. 643 (1989), Ziffer 8 des operativen Teils (Aufhebung einer Proklamation in Namibia). 93 Res. 629 (1989) v. 16. I. 1989. 94 Bericht des Generalsekretär vom 23. I. 1989, UN Doc. S/20412, para. 53 (abgedruckt in 28 ILM (1989), 983). 95 Dazu noch ausfiihrlicher unten, B., I., 4., a). 96 Bericht des Generalsekretärs vom 23. I. 1989, UN Doc. S/20412, para. 61 (abgedruckt in 28 ILM (1989), 985). 97 UN Chronicle, September 1989, 5 f; UN Chronicle, December 1989, 10. 98 S.u. B., 1., 4., b), bb).
1. Namibia
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vertretenden Sonderbeauftragten für Namibia am 6. 6. 198999 . Eine solche Position war bis dahin in keinem Dokument vorgesehen gewesen und dementsprechend auch vom Sicherheitsrat nicht gebilligt worden loo . Die Generalversammlung schließlich war an der gesamten Operation nur indirekt im Rahmen ihrer Budgethoheit aus Art. 17 (1) der Charta beteiligtlol. Außerhalb des finanziellen Aspekts trat die Generalversammlung bei der Kontrolle und Durchführung der UNTAG-Operation hingegen nicht in Erscheinung. Vielmehr hüllte sie sich in völliges Schweigen, nachdem sie in Res. 43/26 vom 17. 11. 1988 noch einmal vehement Klage gegen Südafrika geführt hatte. Nicht einmal eine politische Unterstützung der UNT AG-Operation ist zu finden. Erst nach dem Ende der Operation im Jahre 1990 meldete sich die Generalversammlung zurück l02 , ohne jedoch UNT AG auch nur mit einem einzigen Wort zu erwähnen. Wie weit die Generalversammlung durch den Sicherheitsrat in den Hintergrund gedrängt wurde, läßt sich anschaulich an zwei Beispielen belegen. Das eine ist die Frage der Überparteilichkeit der UNO in Namibia. Wie erwähnt hatte die Generalversammlung bereits 1973 die SWAPO als die einzige authentische Vertreterin des namibischen Volkes anerkannt l03 Diese Erklärung vertrug sich nicht mit dem Postulat der Überparteilichkeit der UNO in Namibia und der völligen Gleichbehandlung aller Parteien, einer wieder und wieder betonten Voraussetzung der UNTAG-Operation 104. Folgerichtig erklärte der Generalsekretär in seinem Bericht zur Umsetzung der Res. 435 (1978) vom 23. 1. 1989, daß "all the parties of the conflict would be treated equally on the commencement of implementation of the United Nations plan. "105. Damit war auch die SWAPO gemeint lO6 Indem der Sicherheitsrat mit Res. 632 (1989) diesen Bericht bestätigte, hat er faktisch den von der Generalversammlung 1973 zugesprochenen besonderen Status der Swapo aufgehoben. Das andere Beispiel ist der Namibia-Rat, der am 19. 5. 1967 von der Generalversammlung als deren Nebenorgan geschaffen worden war. Nach seinem ursprünglichen Mandat wäre dieser Rat berufen gewesen, Namibia in die
99 UN Chronicle, September 1989, 6.
100 Vgl. Bocarly, Revue de Droit International de Sciences diplomatiques et politiques 1992, 148. 101 Z. B. mit den Resolutionen 43/232 v. 1. 3. 1989,44/191 v. 21. 12. 1989 und 45/265 v. 17.5.
1991.
102 Mit den Resolutionen S-18/1 v. 23. 4. 1990 (Aufuahme Namibias in die UNO) und 44/243 v. 11. 9. 1990 (Namibia-Rat und Fund for Namibia). 103 Letztmals bestätigt noch an mehreren Stellen in der in Res. 43/26 v. 17. 11. 1988.
100 Vgl. UN Chronicle, June 1989, 13; Statusabkommen zwischen der UNO und Südafrika v. 10.3. 1989, Ziffer 11 (abgedruckt in 28 ILM (1989), 1000). 105 UN Doc. S/20412, para. 26 (abgedruckt in 28 ILM (1989), 974).
106 So ausdrücklich der Sonderbeauftragte des Generalsekretärs in Namibia, M. Ahtisaari, in einer Stellungnahme am 1. 3. 1989, UN Chronicle, June 1989, 13.
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
Unabhängigkeit zu führen und es übergangsweise zu verwalten l07. Bei der Fonnulierung und Durchführung des Unabhängigkeitsplans des Sicherheitsrats, der die UNT AG mit dieser Aufgabe betraute, wurde der Namibia-Rat jedoch nicht einmal mehr erwähnt, geschweige denn einbezogen l08 . Er spielte bei der UNTAG-Operation keine Rolle\09, obwohl er noch am 28. 3. 1989 festgestellt hatte, daß sein Mandat vor der vollständigen Umsetzung des Unabhängigkeitsplans nicht beendet sei; daß dies vielmehr eine ausdrückliche Entscheidung der Generalversammlung oder die völlige Unabhängigkeit Namibias voraussetze llO . Am 11. 9. 1990 wurde das völlig bedeutungslos gewordene Gremium schließlich von der Generalversammlung aufgelöst ill . Aus der Praxis der UNTAG-Operation läßt sich demnach folgendes Erscheinungsbild der Kompetenzverteilung zwischen den einzelnen UN-Organen herausfiltern: (1) Der Sicherheitsrat hatte die letzte Kontrolle und Autorität über Beginn und Ablauf der Operation und ist dabei sogar bereit gewesen, sich über vorhergehende Maßnahmen der Generalversammlung hinwegzusetzen. (2) Der Generalsekretär hatte im Rahmen des Mandats des Sicherheitsrats, an dessen Gestalt er in Fonn seines Umsetzungsberichts Anteil gehabt hat, den nötigen Handlungsspielraum für die operative Durchführung der Mission. Dieser Spielraum war begrenzt durch ein ständiges "Selbsteintrittsrecht" des Sicherheitsrats auch in Detailfragen und durch die Befristung des Mandats auf zwölf Monate. (3) Die Generalversammlung war darauf beschrärikt, den finanziellen Rahmen der Operation zu schaffen. Da diejenigen Ausgaben, die mit einer Maßnahme des Sicherheitsrats notwendig verbunden sind, von der Generalversammlung genehmigt werden müssen l12 , war die Bedeutung dieser Beteiligung sehr begrenzt.
107 Res. 2248 (S-V) der Generalversanunlung v. 19.5. 1967; vgl. Handbuch VN-Haase, Ziffer 83. "Namibia-Rat", Rz. 9. 108 Vgl. die Resolutionen 431,432,435 (1978), 629, 632, 640 (1989) des Sicherheitsrats, in denen die Existenz des Namibia-Rates nicht mehr erwähnt wird. 109Vgl. Melber, VN 1990,89; Bocarly, Revue de Droit international de Sciences diplomatiques et politiques 1992, 159 ff. 110 UN Chronicle, June 1989, 11.
III Res. 44/243 A v. 11. 9. 1990. 112 IGH Gutachten v. 13.7. 1954, ICJ Rep. 1954,47,59; Handbuch VN-Wolfrum, Ziffer 35. "Haushalt", Rz. 7.
I. Namibia
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3. Umfang des Mandats
Bei der Analyse des Mandatsumfangs ist der fortdauernden Präsenz südafrikanischer Staatsgewalt in Namibia Rechnung zu tragen. Daher muß der Betrachtung der einzelnen von der UNT AG übernommenen Funktionen eine Betrachtung des Verhältnisses zu den südafrikanischen Hoheitsträgern vorausgehen.
a) Verteilung hoheitlicher Gewalt - Das Verhältnis zu Südafrika Ausdrückliche Regelungen über die Verteilung der hoheitlichen Gewalt in Namibia sind nicht getroffen worden. Einen ersten Hinweis enthält aber das Abkommen über den Status von UNTAGll3. Die Tatsache, daß ein solches Abkommen mit Südafrika geschlossen wurde, läßt Rückschlüsse auf die Rolle der UNT AG in Namibia zu. Offensichtlich wurde es für nötig gehalten, der UNT AG die erforderlichen Vorrechte und Immunitäten durch Südafrika garantieren zu lassen. Zuständig für die Garantie derartiger diplomatischer Rechte ist der Inhaber der Territorialhoheit in dem Gebiet, in das die Truppe entsandt wird. Aus dem Abschluß des Abkommens mit Südafrika läßt sich folglich schließen, daß Südafrika auch während der Übergangsphase als Träger der Staatsgewalt in Namibia angesehen wurde, daß also die UNTAG jedenfalls nicht die alleinige hoheitliche Gewalt in Namibia übernehmen sollte. Tatsächlich blieb der südafrikanische Administrator General für Namibia während der gesamten Übergangsperiode im Amt und agierte - stellvertretend für die südafrikanische Regierung - als oberste Autorität im Lande. Daher muß in diesem Zusammenhang auf das Verhältnis zwischen dem UN-Sonderbeauftragten und dem südafrikanischen Generaladministrator für Namibia eingegangen werden. Da der eine die UNO und der andere die Republik Südafrika in Namibia repräsentierte, sind Ausgestaltung und praktische Handhabung der Kompetenzabgrenzung zwischen diesen beiden entscheidende Hinweise auf die Verteilung der Hoheitsgewalt in Namibia. Dreh- und Angelpunkt dieser Kompetenzabgrenzung ist der Punkt 5 des Settlement Proposal von 1978, den der Generalsekretär in seinen Implementierungsbericht vom 23. 1. 1989 aufnahm I 14. Diese Bestimmung sah vor, daß alle Maßnahmen des Generaladministrators, die irgendeinen Einfluß auf den poli-
113 Status of Forces Agreement (SOFA) v. 10. 3. 1989, UN Doc. S/20412/Add.1 v. 16. 3. 1989, abgedruckt in 28 lLM (1989), 999 ff. Dieses Abkommen entspricht weitgehend den üblichen SOFAs rur frühere Blauhelmoperationen. 114UN Doc. S/12636 v. 10.4. 1978; aufgenommen im Bericht des Generalsekretärs v. 23. I. 1989, UN Doc. S/20412, para. 38.
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
tischen Prozeß haben könnten, des Einverständnisses des UN-Sonderbeauftragten bedurften: "as a condition of the electoral process, the elections themselves and the certification of their results, the Uni ted Nations Special Representative will have to satisfy hirnself at each stage as to the fairness and appropriateness of all measures affecting the political process at all levels of administration before such measures take effect"1J5. Insofern war für die Mitwirkungsbefugnis des UN-Sonderbeauftragten im Einzelfall entscheidend, ob die in Frage stehende Maßnahme zu den "measures affecting the political process" gehörte. Da sich die relevanten Dokumente zu der Frage ausschweigen, wem die Zuständigkeit für die Auslegung dieses kritischen Begriffs zukommen sollte, waren hier Schwierigkeiten vorprogrammiert. Tatsächlich kam es in der Praxis zu kleineren Reibereien. So weigerte sich der Generaladministrator, die umstrittene, weil ein System ethnischer Administration beglÜndende, Proklamation AG 8 zu widerrufen, obwohl der Generalsekretär und der Sicherheitsrat I 16 dies verlangten 117 Er beglÜndete diese Weigerung damit, daß die fragliche Proklamation nicht vom Settlement Proposal erfaßt sei, da sie keinen Einfluß auf freie und faire Wahlen habe I 18 Selbst wenn diese Hürde genommen, eine bestimmte Maßnahme also unstreitig als "politisch" einzustufen war, fiel kein unmittelbares Selbsteintrittsrecht an den UN-Sonderbeauftragten. Vielmehr waren die Funktionen der UNT AG auch dann mehr "begleitender" Art. Wie aus dem Settlement Proposal hervorgeht, lag nicht nur im Bereich von Sicherheit und Ordnung, sondern auch bezüglich des ordnungsgemäßen Ablaufs des Wahlprozesses die Zuständigkeit bei dem südafrikanischen Generaladministrator 119, der folgerichtig auch in diesem Bereich als primär Verantwortlicher in Erscheinung trat l20 . Die Befugnis des UN-Sonderbeauftragten beschränkte sich demgegenüber darauf, Vorschläge zu machen. Allerdings erhielt dieses Vorschlagsrecht dadurch Zähne, daß die UNO ihre Wahlüberwachung und die Bestätigung der Wahlergebnisse davon abhängig gemacht hatte, daß der UN-Sonderbeauftragte die Ordnungsgemäßheit aller "politischen" Maßnahmen des Generaladministrators im Umfeld der Wahl akzeptierte. Diese Konstruktion stärkte die Position des UN-Sonderbeauftragten politisch. Rechtlich hingegen waren seine Befugnisse eng begrenzt, insbesondere konnte er nicht ohne oder gar gegen den General115 Brief an den Sicherheitsrat v. 10.4. 1978, UN Doc. S/12636, para. 5. 116 Res. 643 (1989) des Sicherheitsrats v. 31. 10. 1989, Ziffer 8. 117 Bericht
des Generalsekretärs Y. 3. 11. 1989, UN Doc. S/20943, para. 13.
118 Bericht des Generalsekretärs v. 6. 10. 1989, UN Doc. S120883, para. 51. 119 Brief an den Sicherheitsrat v. 10.4.1978, UN Doc. S/12636, paras. 7, 9; vgl. auch den Bericht des Generalsekretärs v. 6. 10. 1989, UN Doc. S/20883, Annex II, A., 1., a.E.; Bericht des Generalsekretärs v. 14. 11. 1989, UN Doc. S/20967, para. 9 sowie Annex I, A., 1., a.E. 120 Vgl. z.B. den Bericht des Generalsekretärs v. 6. 10. 1989, UN Doc. S/20883, para. 40; Bericht des Generalsekretärs v. 3. 11. 1989, UN Doc. S/20943, paras. 16, 18.
I. Namibia
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administrator direkt auf die Administration des Landes einwirken. Zuständig für die Gesetzgebung 121 und für andere Verwaltungsaufgaben, wie z. B. die Kontrolle der Medien im Lande l22 , blieb allein der Generaladministrator. Die Frage der Verteilung hoheitlicher Gewalt in Namibia während der Übergangsperiode ist damit klar zu beantworten. Die südafrikanische Hoheitsgewalt wurde beschränkt, zu keinem Zeitpunkt jedoch von der UNO übernommen. Die Beschränkung war funktional begrenzt. Die Mitwirkung des UN-Sonderbeauftragten war nur für solche Maßnahmen vorgeschrieben, die den politischen Prozeß zu beeinflussen geeignet waren. Diese funktionale Beschränkung zeigt, daß der UNT AG nur diejenigen Befugnisse eingeräumt werden sollten, die das Mandat, freie und faire Wahlen zu garantieren, erforderte. Nicht hingegen sollte hoheitliche Gewalt in umfassendem Sinne auf die UNT AG übergehen. Dieser Befund entspricht der Wahrnehmung des UN-Generalsekretärs. Dieser wurde nicht müde, die Verantwortung des Generaladministrators in seinen Berichten wieder und wieder zu betonen l2 3, die Beschränkung des UN-Mandats herauszustellen 124 und beispielsweise im Zusammenhang mit der Wahldurchführung die Aufgabenverteilung zwischen UNT AG und Generaladministrator wie folgt zu charakterisieren: "the effective arrangements made by the Administrator General and his electoral staff and (... ) the excellent performance of UNT AG in supervising and controlling the arrangements" 125. Auch die Praxis während der Übergangszeit enthält keine Hinweise für eine Modifikation der ursprünglich entworfenen Zuordnung von Hoheitsgewalt. Weil der UNTAG unmittelbare Eingriffsrechte versagt waren, konnte der UN-Sonderbeauftragte z.B. die erwähnte Proklamation AG 8 nicht selbst widerrufen, sondern blieb darauf beschränkt, den Widerruf (erfolglos) einzufordern l26, obwohl sich der Sicherheitsrat diese Forderung zu eigen machte 127. Auch beschränkte sich die Rolle der UNTAG-Wahlbeobachter, die während der Übergangsperiode in den Vereinbarungen zwischen der UNT AG und dem Generaladministrator detailliert festgelegt wurde 128 , wie diejenige von Militär und Polizei wieder auf die -
121 Vgl. Brief an den Sicherheitsrat v. 10. 4. 1978, UN Doc.S/12636, para. 7 Ca); Bericht des Generalsekretärs v. 6.10.1989, UN Doc. S120883, paras. 51. 55. 122 Bericht des Generalsekretärs v. 6. 10. 1989, UN Doc. S/20883, para. 40. 123 Vgl. exemplarisch: Bericht des Generalsekretärs v. 6. 10. 1989, UN Doc. S/20883, para. 40; Bericht des Generalsekretärs v. 3. 11. 1989, UN Doc. S120943, paras. 16, 18. 124 Bericht des Generalsekretärs v. 6. 10. 1989, UN Doc. S/20883, para. 56; Bericht des Generalsekretärs v. 3. 11. 1989, UN Doc. S/20943, para. 19. 125 Bericht des Generalsekretärs v. 14. 11. 1989, UN Doc. S/20967, para. 9. 126Bericht des Generalsekretärs v. 6. 10. 1989, UN Doc. S/20883, para. 51; Bericht des Generalsekretärs v. 3. 11. 1989, UN Doc. S/20943, para. 13. 127 Res. 643 (1989) des Sicherheitsrats v. 31. 10. 1989, Ziffer. 8. 128 Bericht des Generalsekretärs v. 6. 10. 1989, UN Doc. S/20883, Annex II - Exchange ofLetters.
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8. Peace-Keeping der zweiten Generation
wenngleich sehr enge l29 - Überwachung und Beobachtung des Wahlvorgangs, dessen Organisation und Durchführung der Verwaltung des Generaladministrators unterstand 130 . Schließlich legte der Generaladministrator Wert auf die KlarsteIlung, daß aus Vereinbarungen, die er mit dem UN-Sonderbeauftragten zur Regelung von Einzelfragen traf, keine Beschränkung seiner Verantwortlichkeiten erwachsen würde. So stellte er im unmittelbaren Umfeld der Wahl in bezug auf die Rolle der verfassunggebenden Versammlung fest, die getroffene Vereinbarung "does not detract from my own responsibilities to ensure the orderly transition of South West Africa/Namibia to independence in accordance with (. .. ) Security Council resolution 632 (1989). "131. Die Hoheitsgewalt ist also tatsächlich niemals von Südafrika auf die UNT AG übergegangen. Symbolisches Zeichen dafür war, daß am 21. 3. 1990 die südafrikanische Flagge und nicht etwa das UN-Banner den Farben Namibias Platz machte I32 . Trotz dieses komplizierten Verhältnisses ergaben sich im Zusammenspiel der bei den Kräfte kaum Schwierigkeiten. Abgesehen von den Unruhen zu Beginn des UNT AG-Mandats im April 1989 und dem Streit um die Proklamation AG 8 gelang es den beiden - dem UN-Sonderbeauftragten Ahtisaari stand der Südafrikaner Louis Pienaar gegenüber - in allen Bereichen durch Konsultationen und Verhandlungen über die notwendigen legislativen und administrativen Maßnahmen während der Übergangsperiode einig zu werden l33 . Die politische Stärke des UN-Sonderbeauftragten erwies sich als ausreichend. Eine denkbare Alternative hätte auf den Entzug des Mandats für Namibia in den sechziger Jahren l34 gestützt werden können. Seit diesem Mandatsentzug war die de facto-Herrschaft Südafrikas über Namibia rechtswidrig geworden l35 . Die UNO hatte mit dem Namibia-Rat ein Gremium geschaffen, das die Verwaltung Namibias theoretisch bereits übernommen hatte. Die Position der UNTAG hiervon abzuleiten und die so lange nur auf dem Papier bestehende Hoheitsgewalt der UNO nun auch tatsächlich auszuüben, wäre rechtlich konse-
129 Bericht des Generalsekretärs v. 6. 10. 1989, UN Doc. S/20883, Annex II, 1., para. 2. 130 Bericht des Generalsekretärs v. 6. 10. 1989, UN Doc. S120883, Annex II, 1., para. 2 (a) - (d): "... appointed by the Administrator-General;". 131 Brief des Generaladministrators v. 3. 11. 1989, abgedruckt in: UN Doc. SI20967/Add.l v. 29. 11. 1989, Annex II, 8. 132 Bericht des Generalsekretärs v. 28. 3. 1990, UN Doc. S/21215, para. 1; UN Chronicle, June 1990,4 f. l33 Vgl. exemplarisch: Bericht des Generalsekretärs v. 6. 10. 1989, UN Doc. S/20883, paras. 31, 35; Bericht des Generalsekretärs v. 3. 11. 1989, UN Doc. S/20943, para. 6; Bericht des Generalsekretärs v. 14. 11. 1989, UN Doc. S/20967, para. 3 und Annex I. 134 Res. 2145 (XXI) der Generalversammlung v. 27. 10. 1966; Resolutionen 264 (1969) v. 20. 3. 1969,269 (1969) v. 12.8. 1969 und 276 (1970) v. 30. 1. 1970 des Sicherheitsrats. 135 Vgl. IGH Rechtsgutachten v. 21. 6.1971, IeJ Report 1971,16,54 (Para. 118).
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quent und logisch gewesen l36 . Bei der Formulierung des UNTAG-Mandats ist die UNO jedoch nicht von dieser Option, sondern von der Akzeptanz de facto der Hoheitsgewalt Südafrikas ausgegangen. Das Motiv für diese Gestaltung ist in dem angesprochenen Erfordernis zu· suchen, die Zustimmung des tatsächlichen Machthabers Südafrika zu sichern. b) Funktionen der UNTAG im einzelnen
Die zentrale Aufgabe der UNT AG bestand darin, die Durchführung fairer und freier Wahlen möglich zu machen. Diesem Hauptzweck dienten alle Teile der Operation, die sich aus zwei großen Komponenten zusammensetzte - einer militärischen und einer zivilen. Die zivile Komponente wiederum läßt sich in die Polizeibeobachter (CIVPOL) und die nicht-polizeilichen Teile einteilen. aa) Militär Die Aufgaben des militärischen Teils von UNTAG waren fast ausschließlich beobachtender Natur: das vertragstreue Verhalten der südafrikanischen Sicherheitskräfte und der ihnen gegenüberstehenden SWAPO-Verbände wurde überwacht und beobachtet ("monitoring"). Dabei ging es insbesondere darum, die Einhaltung des Waffenstillstands sowie den vereinbarungsgemäßen Verlauf der Kasernierung und des Truppenabbaus zu kontrollieren. Daneben hatte das UNTAG-Militär die Aufgabe, die Landesgrenzen zu überwachen und gegebenenfalls die zivile Komponente der Operation bei ihrer Tätigkeit zu unterstützen 137 . Während Zwangsmaßnahmen ausdrücklich ausgeschlossen waren l38 , bemühte sich die Militärkomponente, durch intensive Patrouillentätigkeit im ganzen Land sichtbar Präsenz zu zeigen und auf diese Weise einen beruhigenden Einfluß auf die Sicherheitslage auszuüben 139 . Abgesehen von den ersten Tagen des Mandats hielten sich beide Seiten an die Vereinbarungen, so daß der militärische Teil des UNT AG-Mandats planmäßig verliefl4O . Demgegenüber führt die einzige große Störung der Über136 80 auch Kamto, RDI 1990,622. 137 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 23. 1. 1989, UN Doc. 8120412, paras. 43 (a)-(e), 54 (a); Bericht des Generalsekretärs v. 6. 10. 1989, UN Doc. 8/20883, paras. 17 - 19.
138 80 betonte der Generalsekretär, daß "the current mandate of the military component ( ... ) of course does not extend to enforcement functions ... " - Bericht v. 3. 11. 1989, UN Doc. 8/20943, para. 19. 139 Bericht des Generalsekretärs v. 3. 11. 1989, UN Doc. 8/20943, para. 19. 140 Zum Verlauf des militärischen Mandat~ im einzelnen und den - geringfugigen - Schwierigkeiten, die in diesem Bereich auftraten vgl. The Blue HeImets, 370 - 373.
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
gangsphase im April 1989 141 in dramatischer Weise vor Augen, welche Konsequenzen die Beschränkung des militärischen Mandats der UNT AG auf die passive - Beobachtung hatte. Die nicht den Vereinbarungen entsprechende Rückkehr von SWAPO-Kämpfern nach Namibia löste einen Gegenschlag der südafrikanischen Sicherheitskräfte aus, der mit der Verantwortung Südafrikas für Sicherheit und Ordnung begrül}det werden konnte l42 , Obwohl von dem UNSonderbeauftragten autorisiert l43 , hatte Südafrika durch diesen Schlag deutlich gemacht, daß es sich selbst als "Ordnungshüter" in Namibia verstehen und entsprechend verhalten würde. Wenn auch die UNT AG zu diesem frühen Zeitpunkt der Übergangsphase wahrscheinlich noch gar nicht in der Lage gewesen wäre, mit eigenen Kräften die Ordnung wiederherzustellen l44, so hat dieser Zwischenfall doch klar gemacht, wer die letzte Gewalt über die Waffen in Namibia hatte. bb) Polizei Nach dem Konzept, das dem Mandat der Polizeibeobachter zugrundelag, sollte die Verantwortung für die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung nicht auf die UN-Kräfte übergehen l45 , sondern in der Hand der bestehenden (südafrikanisch kontrollierten) Polizeikräfte (SWAPOL) verbleiben. Damit bestand die Rolle der UNTAG-Polizei (CIVPOL) ebenfalls darin, zu beobachten. Sie war damit betraut, die SWAPOL-Polizisten bei der Ausübung ihrer Tätigkeit so genau wie möglich zu überwachen l46 und dadurch sicherzustellen, daß diese sich ordnungsgemäß verhielten und Einschüchterungen oder Wahlbeeinflussungen unterließen. Daneben hatten die UNT AG-Polizisten zwar noch die etwas unscharf formulierte Aufgabe, "to exercise a general overview in regard to the maintenance of law and order in the Territory, in accordance with the mandate of the Special Representative of the Secretary-General. "147. Was immer mit diesem "general overview" gemeint war, die letzte Verantwortung für die Wahrung der inneren Sicherheit in Namibia während der Übergangsperiode - und das bedeutete in der Tat bis zu dem Tag der Unabhängigkeit 141 S.o. B., 1., 1., c). 142 So geschehen durch den südafrikanischen Außenminister in einem Brief an den Sicherheitsrat v. 19.5. 1989, UN Doc. S/20647. 143 Chatton, Trimestre du monde No. 7 (1989),58. 144 So waren am 3.4. 1989 erst 921 "Blauhelme" in Namibia eingetroffen; International Herald Tribune v. 4. 4. 1989.
145 Wie dies bei UNTEA in West-Neuguinea der Fall gewesen war - vgl. Bowett, UN Forces, 258. 146 Bericht des Generalsekretärs v. 23. I. 1989, UN Doc. S120412, paras. 40 f; Bericht des Generalsekretärs v. 6. 10. 1989, UN Doc. S/20883, para. 23.
147 Bericht des Generalsekretärs v. 23. I. 1989, UN Doc. S/20412, para. 41.
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Namibias - blieb jedenfalls in den Händen des südafrikanischen Generaladminstrators l48 . Genauso wie dem militärischen Teil war auch der UNTAG-Polizei ein aktives Eingreifen zur Wahrung von Recht und Ordnung verwehrt 149 Infolge dieses Mandats war CIVPOL auf die Zusammenarbeit mit der SWAPOL angewiesen. Nicht alle SWAPOL-Einheiten waren dazu aber in gleicher Weise bereit 150 Dies war einer der Gründe für die zweimalige Erhöhung des CIVPOL-Kontingents. Auch gab es Schwierigkeiten mit der gefürchteten "Kovoet"-Spezialtruppe. Sie war nach der Annahme der Res. 435 (1978) aufgestellt worden und tauchte daher in dem Settlement Proposal nicht auf. Ihr paramilitärisches, schwerbewaffnetes Auftreten war eine erhebliche Belastung für den Übergangsprozeßl51. Erst auf massiven Druck der UN0152 wurde die "Kovoet"-Truppe dann im Herbst 1989 weitgehend aufgelöst 153 Im weiteren Verlauf der Operation gewann CIVPOL zunehmend an Bedeutung, da sie verstärkt - oft auch unabhängig von der SWAPOL - umfangreiche Patrouillen durchführte und insbesondere bei politischen Versammlungen so auffallig wie möglich Präsenz zeigte l54. Mehr noch als die Soldaten haben es die Polizisten von UNT AG somit vermocht, auf "sanfte" Art beruhigend auf die Sicherheitslage in Namibia einzuwirken155 cc) Nichtpolizeiliche Zivilkomponente Der zweite Teil der zivilen Komponente hatte die Aufgabe, den UN-Sonderbeauftragten dabei zu unterstützen, den fairen und freien Verlauf der Wahl sicherzustellen, so wie es im Settlement Proposal von 1978 vorgesehen worden war 156 Insbesondere waren dazu die noch geltenden, diskriminierenden Gesetze aufzuheben, die politischen Gefangenen freizulassen, Flüchtlinge aus dem Ausland zurückzuführen und der ordnungsgemäße Verlauf des gesamten
148 Bericht des Generalsekretärs v. 3. I J. 1989, UN Doc. S/20943, para. 16; Settlement Proposal v. 10.4. 1978, UN Doc. S/12636, para. 9. 149 Vgl. The Blue Heimets, 374. 150 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 6. 10. 1989, UN Doc. S/20883, paras. 24 und 55. 151 Bericht des Generalsekretärs v. 6. 10. 1989, UN Doc. S/20883, paras. 13 f
152 U. a. verlangte der Sicherheitsrat in Res. 640 (1989) v. 29. 8. 1989, Zi. 2., deren Auflösung. 153 Bericht des Generalsekretärs v. 3. 11. 1989, UN Doc. S120943, para. 8. 154 Bericht des Generalsekretärs v. 6. 10. 1989, UN Doc. S/20883, paras. 23 und 26. 155 Vgl. die Schilderung bei Bardehle in: Kühne, Blauhelme, 20 I f 156 Settlement Proposal, UN Doc. S/12636 v. 10.4. 1978, paras. 5 -7.
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Wahlprozesses zu überwachen I57. Den Strauß der damit zusammenhängenden Funktionen teilten sich fünf Untergruppen dieser Komponente l58 . Zunächst gab es eine politische Gruppe, deren Herzstück das Büro des Sonderbeauftragten in Windhoek bildete. Diese Gruppe, die weitere 42 politische Außenstellen im ganzen Land einrichtete, führte die Verhandlungen mit den einheimischen Behörden, vom Generaladministrator bis zu den örtlichen Verwaltungen. Darüber hinaus organisierte sie das Informationsprogramm, mit dem UNTAG die Bevölkerung über den Verlauf der Übergangsperiode und über die Wahlen informierte J59 . Daneben stand die für die Wahl zuständige Gruppe. Sie war verantwortlich für die Vorbereitung und Durchführung der Überwachungsaufgaben der UNT AG im Bereich der Wählerregistrierung und der Wahldurchführung. Dazu gehörte auch die Beratung des UN-Sonderbeauftragten bei seinen Verhandlungen mit dem Generaladministrator über das Wahlrecht. Während der Wahl wuchs diese Gruppe stark an und kontrollierte jeden einzelnen Schritt der südafrikanischen Behörden 160. Zwei weitere Gruppen waren nicht völlig in UNT AG integriert, gehörten aber dennoch untrennbar zu der Operation dazu. Zum einen war dies das Büro des unabhängigen Juristen, der nach der Vorgabe des Settlement Proposals zur Schlichtung von Streitfragen im Zusammenhang mit der vereinbarten Freilassung politischer Gefangener berufen war l61 . Zwar war er Teil der UNTAG, handelte aufgrund seiner besonderen Aufgabe aber weitgehend autonom. Zum anderen handelte es sich um die Repatriierungsgruppe. Sie unterstand nicht nur dem UNHCR, sondern wurde auch finanziell von der UNT AG getrennt. Ihre Kosten sollten durch freiwillige Leistungen bestritten werden l62 . Sie hatte sicherzustellen, daß alle im Ausland befindlichen Flüchtlinge, die dies wollten, rechtzeitig zur Wahl nach Namibia zurückkehren konnten.
157 Bericht des Generalsekretärs v. 23. 1. 1989, UN Doc. S120412, para. 38. 158 Vgl. dazu The Blue Heimets, 354 - 357. 159 Bericht des Generalsekretärs v. 6. 10. 1989, UN Doc. S/20883, para. 43. 160 Bericht des Generalsekretärs v. 14. 11. 1989, UN Doc. S/20967. para. 2. 161 Settlement Proposal, UN Doc. S/12636 v. 10.4. 1978, para. 7, (b).
162 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 23. 1. 1989, UN Doc. S/20412, para. 55; Bericht des ACABQ v. 26. 4. 1991, UN Doc. Al45/1003, para. 6. Bei der freiwilligen Finanzierung kam es zu Schwierigkeiten. Rund 3,3 Mio. US Dollar von den insgesamt 35.325.000 US Dollar rur die Repatriierung konnten lange Zeit nicht auf diese Weise gedeckt werden - Bericht des Generalsekretärs zur Finanzierung von UNTAG v. 16.4. 1991, UN Doc. Al451997, Annex IV, para. 11; Res. 451265 der Generalversammlung v. 17. 5. 1991, Ziffer 8. Erst Ende 1992 konnte dieses Kapitel dann durch freiwillige Deckungszahlungen zweier Mitgliedstaaten abgeschlossen werden - Res. 47/207 der Generalversammlung v. 22. 12. 1992.
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Schließlich gab es noch eine allgemeine "Division of Administration", die für die Verwaltung der UNT AG sowie für die logistischen Aspekte der Operation, wie Versorgungs-, Kommunikations- und Transportfragen zuständig war. c) Einfluß auf die staatlichen Gewalten
Wie erwähnt 163 bewegte sich die UNT AG-Mission im Umfeld eines stabilen, funktionsfahigen Staatswesens. Auch hat sich gezeigt, daß ihr Mandat zur Wahrnehmung innerstaatlicher Funktionen funktional begrenzt gewesen ist und sie zu keiner Zeit eigene hoheitliche Gewalt in Namibia übernommen hat. Die Aufgabe der UNT AG bestand demnach mehr darin, die bestehende Administration zu kontrollieren, als selbst administrativ tätig zu werden. Gleichwohl hat die Operation schon durch ihre Dimension und die ausschließlich innerstaatliche Zielsetzung in erheblichem Maße Einfluß auf das staatliche Gefüge Namibias gehabt. Um den tatsächlichen Umfang des UNT AG-Mandats zu beschreiben, ist es daher erforderlich, den Einfluß der UNT AG in den Bereichen Judikative, Legislative und Exekutive herauszuarbeiten. aa) Judikative Für die Rechtsprechung ist zunächst festzustellen, daß das UNTAG-Mandat die Übernahme richterlicher Funktionen nicht vorgesehen hat. UNT AG-Gerichte hat es folglich nicht gegeben. Vielmehr ergibt sich aus dem Statusabkommen mit Südafrika l64, daß die in Namibia bestehenden Gerichte sowohl im zivilrechtlichen als auch im strafrechtlichen Bereich weiterarbeiten sollten 165 Damit lag der normale Fortgang der Rechtspflege außerhalb des Aufgabenbereichs der UNT AG. Etwas anders fällt die Einschätzung hingegen für einen speziellen Bereich der Justiz aus, der das politische Umfeld der Wahlen zu beeinflussen geeignet war - die Behandlung der politischen Häftlinge. Bereits im Settlement Proposal von 1978 war die Freilassung aller politischen Gefangenen in Namibia vorge163 S.o.
8., 1., 1.. d).
164 Abkommen v. 10.3.1989, UN Doc. S/20412/Add.1 v. 16.3.1989. 165 Das folgt rur die Zivil gerichtsbarkeit aus dem para. 55: "If any civil proceeding is instituted a member ofUNTAG before any court ofthe Territory ... "; rur die Strafgerichte läßt es sich aus dem Memorandum ofUnderstanding zu para. 54 des Statusabkommens, Ziffern (i) und (iv) ableiten: (i) "Should a participating State fail within reasonable time to take steps ( ... ) he (the accused - Anm. des VerfaNsers) shall become subject to local criminaljurisdiction." , (iv) "... where a member ofUNTAG is subject to local criminal jurisdiction. the Special Representative shall make such member available for any criminal proceedings ... ". again.~t
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sehen worden l66 . Zwar oblag diese Aufgabe dem Generaladministrator. Ein eventueller Disput über die Freilassung einer Person, deren Einstufung als "politischer" Gefangener zweifelhaft war, konnte jedoch nur mit Zustimmung des UN-Sonderbeauftragten gelöst werden, wobei dieser dem Rat eines unabhängigen Juristen folgen sollte. Wenngleich dadurch weder der UN-Sonderbeauftragte noch der unabhängige Jurist - der dänische Professor Norgaard 167 eine echte Richterfunktion erlangten, so galt es in diesem Zusammenhang doch im Einzelfall festzulegen, ob ein Gefangener wegen des Begehens einer normalen Straftat oder als politischer Gefangener festgehalten wurde. Dies ist eine rechtsprechende Aufgabe. Durch das geschilderte Arrangement war sie den normalen Gerichten entzogen und auf die UNTAG, d.h. hier auf den UN-Sonderbeauftragten und den unabhängigen Juristen, übertragen worden. Interessant ist, daß aus der Formulierung des Paragraphen 7 (b) des Settlement Proposal 168 hervorgeht, daß der UN-Sonderbeauftragte und nicht der Generaladministrator bei dieser Aufgabe das letzte Wort gehabt hätte l69 . In der Praxis akzeptierte der Generaladministrator in allen Fällen die Auffassung des unabhängigen Juristen l70 , so daß es auf die Letztentscheidungsbefugnis nicht ankam. Die Freilassung politischer Gefangener sowohl durch Südafrika als auch durch die SWAPO ist im großen und ganzen zufriedenstellend verlaufen l71 . Wenn dennoch schließlich nicht alle Schicksale mutmaßlicher politischer Gefangener geklärt werden konnten 172, so ist dies angesichts der langen vorangegangenen Phase des Untergrundkampfes wenig überraschend. Neben der Freilassung politischer Gefangener hatte die UNTAG eine weitere, wenngleich sehr kleine, quasi-judikatives Aufgabe im Zusammenhang mit der Registrierung politischer Parteien. Auch hier sollte die letzte Entscheidung über den Registrierungsantrag einer Partei nur mit Zustimmung des UN-Sonderbeauftragten getroffen werden 173.
166 UN Ooc. S/12636 v. 10.4.1978, para. 7 (b). 167 The Blue Heimets, 355.
168 "Any disputes conceming the release of political prisoners or political detainees shall be resolved to the satisfaction of the Special Representative ... ". 169 So auch Erasmus, SAYIL 1989/90, 140, der allerdings daraufhinweist, daß die Verwaltung der Geflingnisse und damit die tatsächliche Macht, eine Gefangenen freizulassen, beim Generaladministrator verblieben ist.
170 Erasmus, SAYIL 1989/90, 139; The Blue Heimets, 377 f 171 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 6. 10. 1989, UN Ooc. S/20883, para. 50 sowie den Bericht der UN Commission on Oetainees v. 6. 10. 1989, UN Ooe. SI20883/Add.l v. 16. 10. 1989.
172 Bericht des Generalsekretärs v. 3.11. 1989, UN Ooc. S/20943, para. 12: der Verbleib von 263 Personen war zu diesem Zeitpunkt noch unklar. 173 Bericht des Generalsekretärs v. 6.10.1989, UN Ooc. S120883, para. 33.
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bb) Legislative Umfangreicher war das Mandat der UNT AG im Bereich der Gesetzgebung. Obwohl die Gesetzgebungsbefugnis nicht unmittelbar auf die UNTAG überging, gab es insbesondere zwei konkrete Aufgaben für die UN-Kräfte - einerseits bezüglich der Aufhebung diskriminierender Gesetze, andererseits hinsichtlich des Wahlrechts im weitesten Sinne, einschließlich der Sicherstellung der politischen Grundfreiheiten 174 Die Aufhebung diskriminierender Gesetze verblieb nach dem klaren Wortlaut des Settlement Proposal 175 in der Macht des Generaladministrators, der aber zu deren Aufhebung verpflichtet war. UNTAG hatte hier eine beratende und überwachende Funktion. Beides, die Verpflichtung des Generaladministrators zur Aufhebung diskriminierender Gesetze wie die Mitwirkung der UNT AG, unterlag allerdings der Einschränkung, daß nur solche Gesetze zu widerrufen waren, die einen Einfluß auf die Durchführung der Wahlen hätten haben können 176 Dennoch hatte diese Mitwirkungsbefugnis eine durchschlagende Wirkung. 56 Gesetze wurden aufgehoben oder wesentlich geändert und damit wurde, nach Einschätzung des Generalsekretärs, in dieser Hinsicht der Weg zu freien und fairen Wahlen freigemacht 177. Bezüglich der Regelung des Wahlrechts im weitesten Sinne war die Position der UNT AG stärker. Zunächst waren die grundlegenden Prinzipien, das aktive und passive Wahlrecht für alle erwachsenen Namibier, die geheime Wahl, Rede-, Versammlungs-, Bewegungs- und Pressefreiheit und die ausreichende Dauer des Wahlkampfes, schon im Settlement Proposal festgelegt worden 178. Das Settlement Proposal machte darüber hinaus den offiziellen Beginn des Wahlprozesses vom Einverständnis des UN-Sonderbeauftragten mit der Ausgestaltung dieser Prinzipien im einzelnen abhängig. Im Bereich des Wahlrechts hatte der UN-Sonderbeauftragte damit eine Art Vetorecht eingeräumt bekommen. Dementsprechend wurde das Wahlgesetz Gegenstand langwieriger Verhandlungen zwischen der UNT AG und dem Generaladministrator 179 Ein Vergleich der umstrittenen Punkte des Gesetzes im ursprünglichen, vom Generaladministrator vorgelegten Entwurf mit der schließlich verabschiedeten Fas174 Settlement Proposal v. 10.4.1978, UN Doc. S/12636, paras. 6, 7 (a); aufgenommen im Bericht des Generalsekretärs v. 23. I. 1989, UN Doc. S/20412, para. 38. 175 Para. 7 (a): "". the Administrator General will repeal all remaining discriminatory or restrictive laws ... ". 176 Settlement Proposal v. 10.4. 1978, UN Doc. S/12636, para. 7 (a). 177 Bericht des Generalsekretärs v. 3. 11. 1989, UN Doc. S120943, para. 13. 178UNDoc.S/12636v. 10.4. 1978, para. 6. 179 Bericht des Generalsekretärs v. 6. 10. 1989, UN Doc. S/20883, para. 31.
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sung l80 zeigt, daß der UN-Sonderbeauftragte sich mit seinen Vorstellungen weitgehend durchsetzen konnte. Ein ähnlicher Verfahrensverlauf ist bei der Beratung des Gesetzes über die verfassunggebende Versammlung zu konstatieren l81 , für das die Grundprinzipien ebenfalls bereits im Vorfeld der Lösung des Namibia-Konflikts durch ein von der Kontaktgruppe vermitteltes Übereinkommen 182 vorgezeichnet waren. Obwohl die formale Gesetzgebungsgewalt in allen Fällen in den Händen des Generaladministrators verblieb, entwickelte UNT AG somit einen erheblichen Einfluß auf die inhaltliche Gestaltung der Gesetze mit politischem Inhalt. Insofern wirkte sie an der politischen Gesetzgebung in Namibia mit und wurde damit selbst legislativ tätig. cc) Exekutive Im Bereich der Exekutive soll zwischen den allgemeinen Verwaltungstätigkeiten und den besonderen Aufgaben unterschieden werden, die direkt aus den speziellen Anforderungen der Übergangsperiode erwuchsen. Zu letzteren, die im Folgenden als besondere Verwaltungsaufgaben bezeichnet werden, sind im Rahmen der Namibiaoperation vornehmlich die Repatriierung von Flüchtlingen, die Wahlüberwachung und die Informationspolitik zu zählen. (1) Allgemeine Venvaltung
Anders als bei der UN-Operation in West-Neuguinea l83 ist UNTAG die allgemeine Verwaltung Namibias, also z.B. die Finanzverwaltung, die Wirtschaftspolitik, das Verkehrs- und Bildungswesen etc., nicht übertragen worden. Sie verblieb bei dem südafrikanischen Generaladministrator und seinen Behörden. Dies gilt auch für den brisanten Bereich der Polizeigewalt. Wie bereits dargetan l84 , übten die UNT AG-Polizeibeobachter keine eigene Polizeigewalt in 180 Bericht des Generalsekretärs v. 6. 10. 1989, UN Doc. S/20883, paras. 30 und 36 sowie Exchange ofLetters v. 9. 10. 1989, UN Doc. S/20967 v. 14. 11. 1989, Annex I. 181 Bericht des Generalsekretärs v. 6. 10. 1989, UN Doc. S/20883, para. 39; Bericht des Generalsekretärs v. 3. 11. 1989, UN Doc. S/20943, para. 7; Bericht des Generalsekretärs v. 29. 11. 1989, UN Doc. SI20967/Add.l, Annex I und II.
182 Brief an den Sicherheitsrat v. 12.7.1982, UN Doc. S/15287. 183 S.o. A., II., 3., a). Dort gründete sich die lJNTEA-Verwaltung auf einen ausdrücklichen Übertragungsakt durch die Niederlande in dem Abkommen mit Indonesien v. 15.8. 1962, Art. II: "... , the Netherlands will transfer administration of the territory to a United Nations T emporary Executive Authority (UNTEA) ... "; abgedruckt bei: Higgins, Bd. 2, 101.
184 S.o. 8., 1., 3., b), bb).
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Namibia aus, sondern waren darauf beschränkt, die bestehende Polizei bei deren Tätigkeit zu überwachen. Zum Ende des Mandats hin verwischten hier allerdings die Grenzen. Indem die UNT AG-Polizei zunehmend allein im Lande patrouillierte, hatte sie durch den psychologischen Effekt ihrer Präsenz eigenen Anteil an der Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Daneben wurde in einigen vitalen Verwaltungsfunktionen vereinzelt internationales Personal eingesetzt, um kurzfristig solche Lücken zu fiillen, die durch das "Phasing-Out" südafrikanischen Personals gerissen wurden, und die nicht unmittelbar durch Namibier aufgefiillt werden konnten 185 In dieser Weise wurden u.a. Fluglotsen, Ärzte und Lehrer bestellt 186 (2) Besondere Verwaltungsaufgaben
Ein anderes Bild präsentiert sich bei den besonderen Verwaltungsaufgaben. Jahrzehntelange Fremdherrschaft und der langandauernde interne Konflikt zwischen den südafrikanischen Sicherheitskräften und der Befreiungsbewegung SWAPO hatten Zehntausende aus dem Land getrieben 187 Selbstverständlich sollten und wollten die meisten dieser Flüchtlinge in ein unabhängiges Namibia zurückkehren und an der Gestaltung der Übergangsperiode teilhaben. Insgesamt wurden auf diese Weise rund 45.000 Flüchtlinge repatriiert 188 . Zur Durchfiihrung der Flüchtlingsrückfiihrung wurden verschiedene Spezialorganisationen des UN-Systems herangezogen. Hauptverantwortlich war der UNHCR mit dieser Operation betraut 189 . Daneben waren FAO, UNESCO, UNICEF und WHO im Rahmen einer "inter-agency mission" in die Lösung des Problems der Wiedereingliederung zurückkehrender Flüchtlinge in Namibia einbezogen 190 Diese Verwaltungsaufgabe übernahm die UNO aus politischen Gründen ganz. Viele der Rückkehrer waren vor der südafrikanischen Ordnungsmacht ins Ausland geflohen und mißtrauten dieser tief. Eine von südafrikanischen Behörden organisierte Rückkehr kam in dieser Lage nicht in Betracht. Dementsprechend waren südafrikanische Behörden nicht involviert~ ihre Beteiligung erschöpfte sich in dem Erlaß einer Generalamnestie fiir alle
185 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 3. 11. 1989, UN Doc. S/20943, para. 10. 186 Un Chronicle, March 1990, 45. 187 Nach Schätzungen des UNHCR 69.000; UN Chronic\e, September 1989, 7. 188 Bericht des Generalsekretärs zur Finanzierung von UNTAG v. 16.4. 1991, UN Doc. A/45/997, Annex IV, para. 11. 189 Bericht des Generalsekretärs v. 6.10.1989, UN Doc. S/20883, para. 48.
190 Bericht des Generalsekretärs v. 6. 10. 1989, UN Doc. S/20883, para. 49.
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Rückkehrer l91 , die bereits im Settlement Proposal von 1978 vereinbart worden war l92 Ein weiteres Aufgabenfeld, das unmittelbar aus dem Mandat der UNT AG erwuchs, war die Wahlüberwachung. Zwar lag die eigentliche Wahlorganisation bei den Behörden des Generaladministrators l93 . Das UNT AG-Mandat, Vorbereitung und Verlauf dieser Wahl genau zu überwachen, führte jedoch dazu, daß die UNT AG jeden Schritt dieser Behörden begleitete. So waren beispielsweise Unklarheiten während der Wählerregistrierung regelmäßig von dem zuständigen UNTAG-Wahlbeobachter zusammen mit dem südafrikanischen Wahlbeamten zu klären 194 Dasselbe Prinzip galt für die Wahl selbst 195 UNT AG etablierte also quasi eine parallele Wahlverwaltung neben derjenigen des Generaladministrators. Dies ging so weit, daß letzterer in einigen Landesteilen sogar auf die besser funktionierende logistische Unterstützung der UNT AG angewiesen war 196 Obwohl UNTAG hier die südafrikanischen Behörden "nur" begleitete, belegt dies zusammen mit der Zahl der Beteiligten - während der Wahl waren 2.700 UNTAG-Mitarbeiter mit dieser Aufgabe beschäftigt197 - die bedeutende Rolle der UNT AG bei der Administration der Wahl in Namibia. Die Informationspolitik hängt schließlich eng mit dem Mandat zusammen, faire Wahlen sicherzustellen. Es handelte sich dabei um die spezielle Aufgabe, die Bevölkerung über den Ablauf der Wahl und die mit der Übergangsperiode darüber hinaus verbundenen Veränderungen in Namibia so weit in Kenntnis zu setzen, daß sie zu einem freien und informierten Votum befahigt war. Bei der Erfüllung dieser Aufgabe war die UN-Truppe gefordert, um der naheliegenden Gefahr einseitiger Berichterstattung zu begegnen. Tatsächlich war die mangelnde Objektivität der staatlichen Rundfunk- und Fernsehstation - von besonderer Bedeutung in einem Land mit hoher Analphabetenrate - ein durchgängiges Problem während der gesamten Operation l98 . UNTAG legte daher ein 191 Diese wurde am 6. 6. 1989 verkündet - Bericht des Generalsekretärs v. 6. 10. 1989, UN Doc. S120883, para. 47. 192 Brief an den Sicherheitsrat v.10. 4.1978, UNDoc. S/12636,para. 7 (c).
193 S.o. B., I., 3., a). 194Vgl. z.B. den Bericht des Generalsekretärs v. 6. 10. 1989, UN Doc. S/20883, Annex I, paras. 8 (Altersbestimmung) und 9 (Ablehnung einer beantragten Registrierung). 195 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 14. 11. 1989, UN Doc. S/20967, Annex I, paras. 4 (Berufung von Wahlbeamten), 7 (Festlegung der Wahltage), 13 (VeIWeigerung der Stimmabgabe), 18 und 19 (Stimmauszählung). 196 The Blue Heimets, 357.
197 S.u.
B., I., 4., b), cc).
19R Vgl. die Berichte des Generalsekretärs v. 6. 10. 1989, UN Doc. S/20883, paras. 40 fsowie v. 3. 11. 1989, UN Doc. S/20943, para. 14.
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"UNTAG information programme" auf, um die Bevölkerung umfassend zu unterrichten. Es bestand aus der Verbreitung von Informationen durch Presse, Funk, Fernsehen, Video, vielfältiges Informationsmaterial und Versammlungen, die von den regionalen Büros organisiert wurden 199. Insgesamt sind im Rahmen dieses Programms u.a. 202 Radiosendungen und 32 Fernsehprogramme in 13 lokalen Sprachen produziert worden 20o (3) Auswärtige Vertretung
Eine im Fall Namibias besonders pikante Sonderfrage bei der Übernahme von Verwaltungsfunktionen ist diejenige der Vertretung des Landes nach außen. Die Außenvertretung Namibias war bereits vor der Übergangsperiode problematisch. Mit der Res. 2145 (XXI) v. 27. 10. 1966, in der die Generalversammlung Südafrika das Mandat für Namibia entzogen hatte, waren nicht nur die fortdauernde Präsenz Südafrikas in Namibia und die Administration des Landes rechtswidrig geworden201 , vielmehr hatte Südafrika dadurch auch außenpolitisch die Fähigkeit verloren, die Bevölkerung zu vertreten 202 Stattdessen ist der von der UN-Generalversammlung mit Res. 2248 (S-V) v. 19. 5. 1967 gegründete Namibia-Rat in die äußere Vertretung Namibias eingerückt 203 , wenngleich der Umfang seiner Befugnis, Namibia auf internationaler Ebene zu vertreten, fraglich und in der Praxis ungeklärt blieb204 Ebenso unklar blieb auch sein Verhältnis zur SWAPO, der ebenfalls mehrfach zugesprochen wurde, einzig legitime Vertreterin des namibischen Volkes zu sein205 . In auffälligem Gegensatz zu den früheren Operationen der UNO in WestNeuguinea und des Völkerbunds im Saargebiet206 findet sich in keinem der einschlägigen Instrumente zur Aufstellung der UNT AG eine diesbezügliche Regelung. Dieses Fehlen ist jedoch kein Versehen, wie ein Blick auf eine Übereinkunft der Beteiligten vom September 1982 erhellt, die als "impartiality 199 Bericht des Generalsekretärs v. 6. 10. 1989, UN Doc. S/20883, paras. 43 - 45. 200UN Chronicle, June 1990, 8. 201 Klein, EPIL, Bd. 12, Stichwort "Namibia", 234 f
202 Junius, 128. 203 Handbuch VN-Haase, Ziffer 83. "Namibia-Rat",
Rz. 8; Junius, 128; BrüggemaIUL 128.
204 Vgl. die Darstellung bei Junius, 175 - 187 (Praxis Internationaler Organisationen) sowie 191 194 (Staatenpraxis). 205 Vgl. Handbuch VN-Haase, Ziffer 83. "Namibia-Rat",
Rz. 20.
206 Dort war die Frage der Außenvertretung im Zusammenhang mit der Zuständigkeit tur diplomatischen Schutz Gegenstand einer ausdrücklichen Vereinbarung gewesen - vgl. § 21 des Saarstatuts tur die Saaroperation und die Note Indonesiens und der Niederlande an den Generalsekretär v. 15.8. 1962, UN Doc. A/5170 (abgedruckt bei: Higgins, Bd. 2, 108) tur West-Neuguinea.
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package" bezeichnet wird207 In diesem "impartiality package", das eine der Grundlagen der UNTAG-Operation war208 , werden Aussagen zur Erscheinung Namibias auf der internationalen Bühne während der Übergangszeit getroffen. Während dieser Zeit sollte danach die Generalversammlung der UNO die Namibia-Frage nicht beraten, der Namibia-Rat sich aller öffentlichen Aktivitäten enthalten und der UN-Kommissar für Namibia jede politische Aktivität einstellen 209 . Umgekehrt wurde festgestellt, daß Südafrika der einzige Gesprächspartner der UNO in Namibia sei 21O . Damit wurden die von Südafrika abhängigen Regierungen Namibias, die von der UNO nie anerkannt worden waren 211 , ebenfalls aus der Repräsentation des Landes ausgeblendetz 12 Die Frage der äußeren Vertretung Namibias sollte - so scheint es - dadurch gelöst werden, daß möglichst jedes Auftreten von die Vertretung Namibias beanspruchenden Gremien im internationalen Umfeld während der Übergangsperiode vermieden wurde. Mit anderen Worten, die brisante Frage der auswärtigen Vertretung Namibias wurde "gelöst", indem man die Notwendigkeit einer Außenvertretung während der Übergangszeit "wegvereinbarte". Praktisch funktionierte dies. Der Namibia-Rat hielt sich während der Übergangsperiode zurück213 , und auch die damit offengebliebene Frage nach der Zuständigkeit für die Gewährung diplomatischen Schutzes führte in praxi nicht zu ersichtlichen Schwierigkeiten. d) Bewertung
Inhaltlich fallt das weite innerstaatliche Aufgabenspektrum auf, das das Mandat der UNT AG kennzeichnet. Wenngleich die Ausgangslage - die illegale südafrikanische Präsenz im Lande - einen klaren internationalen Bezug hatte, haben die von der UNT AG übernommenen Funktionen als solche doch einen fast ausschließlich innerstaatlichen Charakter. Dies schlägt sich in der Beteiligung einer Zivilkomponente nieder, die nicht mehr bloßer Anhang der militärischen Einheiten ist, sondern die völlig eigene Aufgaben hat, die - wie die im Mittelpunkt des Mandats stehende Wahlüberwachung - von so erheblicher Bedeutung für das Gesamtmandat sind, daß sie selbst zum Mittelpunkt der Operation wird.
207 Brief des Generalsekretärs v.
15. 5. 1989, UN Doc. S/20635 = Al44/280 v. 16. 5. 1989, Annex.
208 Bericht des Generalsekretärs v. 23. 1. 1989, UN Doc. S/20412, para. 35 (b). 209 Ziffern 10,
12 und 13 des "impartiality package".
210 Bericht des Generalsekretärs v. 211 Vgl. z.B. Res.
23.1. 1989, UN Doc. S/20412, para. 25.
439 (1978) des Sicherheitsrats v. 13. 11. 1978, Ziffer 3.
212 "Impartiality package", UN Doc. S/20635 213 Vgl. UN Chronicle, lune
1989, 11.
= Al44/280 v. 16. 5. 1989, Annex, Ziffer 7.
I. Namibia
73
Als weiteres Ergebnis gilt es festzuhalten, daß das Mandat der UNT AG in Namibia auch klare Grenzen hatte. Es war funktional auf diejenigen Befugnisse beschränkt, die in direktem Zusammenhang mit der Durchführung fairer und freier Wahlen standen. Insbesondere ist der UNT AG keine formale Hoheitsgewalt in Namibia übertragen worden, und der Einsatz von Zwangsmitteln blieb ihr verwehrt. Insofern kann nicht davon die Rede sein, daß die UNTAG Namibia "übernommen" hätte. Vielmehr ist zu betonen, daß die bestehende, effektive Administration des Landes unter der Autorität des südafrikanischen Generaladministrators während der gesamten Übergangsperiode im Amt blieb und die Verantwortung für Namibia behielt. Dennoch hat die UNTAG während der Übergangszeit einen erheblichen Einfluß auf die interne Entwicklung des Landes genommen und vor allem den politischen Prozeß, der schließlich zur Unabhängigkeit Namibias führte, entscheidend mitgeprägt. Dies hat sich in den einzelnen Gebieten staatlicher Gewalt unterschiedlich niedergeschlagen. Während die funktionale Beschränkung des Mandats auf die Sicherstellung fairer und freier Wahlen im judikativen Bereich und in der allgemeinen Verwaltung den Kreis der UNT AG-Aktivitäten eng begrenzte, ergab sich im gesetzgeberischen Bereich ein deutlich weiterer Gestaltungsspielraum. Am weitesten gingen die UNT AG-Befugnisse bei den besonderen Verwaltungsaufgaben. In den drei dort geschilderten Bereichen - Flüchtlingsrepatriierung, Wahlorganisation und Information - hat UNT AG umfassende Funktionen - teils alleine, teils neben den südafrikanischen Behörden - übernommen. Hier wird auch der funktionale Zusammenhang mit der Forderung, faire und freie Wahlen sicherzustellen, besonders deutlich. Bei der Flüchtlingsrepatriierung sollte die Freiheit des Entschlusses, zurückzukehren oder im Exil zu bleiben, jenseits aller Furcht vor Südafrika sichergestellt werden. Bei der Wahlüberwachung galt es, jede verfälschende Beeinflussung des Wahlakts zu verhindern und bei der Informationspolitik um eine objektive Unterrichtung der Bevölkerung über die relevanten Fakten. Insgesamt hat UNT AG also die entscheidenden Schritte Namibias in die Unabhängigkeit begleitet. Sie hat diesen politischen Prozeß durch ihre Präsenz stabilisiert und ihm durch ihre unparteiische, internationale Kontrolle die nötige Legitimation gegeben. 4. Ressourcen
Aufgrund ihres Umfangs handelte es sich bei UNTAG um eine der bis dahin personalintensivsten und teuersten Peace-Keeping-Operationen der UNO.
74
B. Peace-Keeping der zweiten Generation
a) Finanzierung
Wenn auch von den veranschlagten 416, 2 Mio. US Dollar214 schließlich "nur" rund 377 Mio. US Dollar ausgegeben wurden 215 , so ist dies doch eine Größenordnung, die vorher lediglich von den UN-Einsätzen ONUC und UNEF 11 erreicht worden war216 . Die hohen Kosten der UNTAG führten im unmittelbaren Vorfeld der Operation zu Spannungen. Es entspann sich ein Streit zwischen den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats, die nach dem für Peace-Keeping-Operationen gültigen Verteilungsschlüssel 57, 69 % der Kosten von UNT AG zu tragen hatten 217 , und einer Anzahl blockfreier, vornehmlich afrikanischer Staaten. Während die erstere Gruppe der Auffassung war, die positiven Entwicklungen in der Namibia-Frage Ende 1988 ließen gegenüber der Planung im Jahre 1978 eine deutliche Reduktion der militärischen Komponente der UNTAG zu, nahmen die Blockfreien den entgegengesetzten Standpunkt ein und äußerten, daß der seit 1978 erheblich gewachsene Umfang südafrikanischer Präsenz in Namibia sogar eine Verstärkung der militärischen Komponente erforderlich mache2l8 . Entscheidend war für die "Großen Fünf' aber eine spürbare Kostensenkung gegenüber den ursprünglich errechneten ca. 600 - 700 Mio. US Dollar für die Operation in dem 1978 geplanten Umfang219 Um diese Kostensenkung mittels einer Verkleinerung der Operation durchzusetzen, übten sie erheblichen Druck auf den Generalsekretär aus und drohten mehr oder weniger offen mit ihrer geballten Finanzmacht. Dieser Druck spiegelt sich in einer Passage in dem Bericht des Generalsekretärs, in der er mitteilt, die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats hätten ihm gegenüber ausgeführt, "that the establishment of an operation larger than they thought necessery would both put in question the financing ofthat operation (UNTAG - Anm. des Verfassers) and jeopardize the prospects of other Peace-Keeping-Operations in the fu-
214 Res. 43/232 der Generalversammlung v. 1. 3. 1989. 215 Bericht des Generalsekretärs v. 16. 4. 1991, UN Doc. N451997, para. 6: 376, 9 Mio. Dollar. Diese 8umme wurde später noch geringfUgig korrigiert - vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 28. 10. 1992, UN Doc. A/47/555, paras. 7 f, wo die Operationskosten um weitere 2 Mio. Dollar reduziert, wo aber gleichzeitig eine Rückzahlung an die U8A in Höhe von 2, 5 Mio. Dollar addiert wurden. 216 0NUC kostete zwischen 1960 und 1964 rund 400, 1 Mio. U8 Dollar, UNEF II von 1973 1979 etwa 446,5 Mio. U8 Dollar; vgl. Handbuch VN-Rudolph, Ziffer 25. "Friedenstruppen", Rz. 3. 217 Vgl. Honsowitz, VN 1989, 8. 218 Bericht des Generalsekretärs v. 23. 1. 1989, UN Doc. 8/20412, para. 49 [(abgedruckt in ILM 28 (1989), 981 f); Presseerklärung der afrikanischen Gruppe v. 20. 1. 1989, UN Doc. 8/20414 v. 23. 1. 1989; Communique der Blockfreien v. 23. 1. 1989, UN Doc. 8/20415 v. 23. 1. 1989; Kamto, RdDI 1990,612; Honsowitz, VN 1989, 10.
219 Honsowitz, VN 1989, 10.
I. Namibia
75
ture. '0220 Dem Generalsekretär blieb nichts anderes übrig, als sich zu fügen. Er tat dies in Form eines Kompromisses und schlug vor, die bereits 1978 geplante Truppenstärke von 7.500 Mann Militärpersonal als Obergrenze zwar beizubehalten, davon jedoch nur 4.650 Mann direkt nach Namibia zu schicken. Der Rest sollte als abrufbereite Reserve in den jeweiligen Heimatländern bereitstehen, würde jedoch nur dann zum Einsatz kommen, wenn die ursprüngliche Anzahl nicht ausreichend sei und der Sicherheitsrat nicht widerspreche221 . Dieser Komprorniß wurde vom Sicherheitsrat in Res. 632 (1989) v. 16. 2. 1989 einstimmig gebilligt222 Diese deutliche quantitative Beschränkung der Operation aus Kostengründen, die als "Sparsamkeit am falschen Platz"223 und nicht hinnehmbare Schwächung der UNT AG kritisiert wurde 224 , macht deutlich, welche Bedeutung der Finanzierungsfrage bei Operationen dieses Zuschnitts zukommt. Insbesondere wird klar, welche Einflußmöglichkeiten auf Planung und Durchführung eines Einsatzes den großen Zahlern unter den UN-Mitgliedern schon aus dem normalen Kostenverteilungsschlüssel für Peace-KeepingOperationen225 erwachsen. Dies mag zu einer gewissen Vorsicht gegenüber alternativen Finanzierungsmodellen Anlaß geben, die sich vom Prinzip der gemeinsamen Kostentragung durch alle Mitgliedstaaten der UNO lösen. Dieses Prinzip selbst hat durch UNT AG eine Bestätigung erfahren. Gegen die Einordnung der Operationskosten als "Kosten der Organisation" im Sinne des Art. 17 (2) der Charta226 ist keinerlei Widerspruch laut geworden. Vielmehr läßt sich ein interessanter Wandel in der chinesischen Position zu dieser Frage ausmachen. China hatte an der Abstimmung über die Res. 435 (1978) im Jahre 1978 im Sicherheitsrat nicht teilgenommen und dazu anschließend festgestellt: ". .. we did not participate in the vote ... and will not be held responsible for the expenses involved"227. Ein Jahrzehnt später ist die Volksrepublik China auf diese Position nicht mehr zurückgekommen. Vielmehr hat sie 1989 für die An-
220 Bericht des Generalsekretärs v. 23. 1. 1989, UN Doc. S120412, para. 49 a. E. (abgedruckt in ILM 28 (1989), 982).
221 Bericht des Generalsekretärs v. 23. 1. 1989, ON Doc. S/20412, para. 54 (abgedruckt in ILM 28 (1989), 983 t). 222 Security Council, Resolutions and Decisions, 44th year (1989), 3. 223 Bley, VN 1989,47. 224 Brief der afrikanischen Staaten v. 20.1. 1989 an den Generalsekretär, UN Doc. S120414 v. 23. I. 1989: Brief der blockfreien Staaten v. 23. I. 1989 an den Generalsekretär, UN Doc. S/20415.
225 Dieser Verteilungsschlüssel, der sich von dem Beitragsschlüssel rur den allgemeinen UN Haushalt insofern unterscheidet, als er die 5 ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats zugunsten der Entwicklungsländer stärker belastet, wurde 1973 von der Generalversammlung in Res. 3101 (XXVIII) v. 11. 12. 1973 beschlossen; vgl. Handbuch VN-Rudolph, Ziffer 25. "Friedenstruppen", Rz. 24.
226 Z.B. in der Res. 47/207 der Generalversammlung v. 22. 227 UNSCO R, 33rd year, 2087th meeting, s. 18, para. 179.
12. 1992,4. Vorspruch.
76
B. Peace-Keeping der zweiten Generation
nahme der Resolutionen 629 und 632 gestimmt228 und damit nachträglich auch für den Inhalt der Res. 435 (1978). Auch leistete China seinen Beitrag für die Operation bereits Ende 1989229 . Außer den Pflichtbeiträgen haben auch freiwillige Geld- und Sachleistungen einzelner Mitgliedstaaten230 in Höhe von über 23,5 Mio. US Dollar zur Finanzierung der Operation beigetragen231 . Daneben sind anderweitige Kostentragungsmodelle nicht zur Anwendung gekommen. Insbesondere wurden keine höheren Beiträge von an der Lösung des Namibia-Konflikts besonders interessierten Staaten erhoben232 Auch ist zu bemerken, daß Namibia selber, der Hauptnutznießer der Operation, an ihrer Finanzierung in keiner Weise beteiligt warm. Vielmehr ist nach Abschluß der Operation noch vorhandenes Eigentum der UNT AG im Wert von 25, 9 Mio. US Dollar (insbesondere von der UNT AG genutzte Kraftfahrzeuge) der Regierung Namibias überlassen worden234, eine Maßnahme, die übrigens von dem US-Delegierten im 5. Hauptausschuß der 45. Generalversammlung kritisiert wurde 235 . Namibia nicht mit einem eigenen Pflichtbeitrag an der Finanzierung von UNTAG zu beteiligen ist zwar insofern naheliegend, als Namibia als Staat noch gar nicht existierte als die Operation initiiert wurde. Dennoch wäre das "in Rechnung stellen" eines - vielleicht eher symbolischen - Kostenanteils keine völlig abwegige Option gewesen. Im Vergleich zu früheren Peace-Keeping-Operationen verlief die Finanzierung der UNT AG im schließlich genehmigten Umfang relativ glatt; insbesondere gab es keine spektakulären Zahlungsverweigerungen großer Zahler236 228 Security Council, Resolutions and Decisions, 44th year (1989), 3: Beide Resolutionen wurden einstimmig angenommen. 229 UN-Finanzbericht rur das Biennium 1988/89, UNGAOR, 45th session, Suppt. No. 5, UN Doc. A/45/5, S. 148. 230 Darunter auch Leistungen der Bundesrepublik Deutschland; UN-Finanzbericht rur das Biennium 1988/89, UNGAOR, 45th session, Suppt. No. 5, UN Doc. A/45/5, S. 145. 231 Bericht des Generalsekretärs v. 28. 10. 1992, UN Doc. A/47/555, para. 7.
232 So sind weder Südafrika noch Angola noch andere, regional besonders betroffene Staaten mit einer anderen als ihrer üblichen Beteiligungsquote belastet worden. Vgt. den UN-Finanzbericht rur das Biennium 1988/89, UNGAOR, 45th session, Suppt. No. 5, UN Doc. A/45/5, S. 147 (Angola: 4.067 Dollar) und 151 (Südafrika: 1.829.795 Dollar). 233 Vgt. die Liste der an der Finanzierung der UNT AG beteiligten Staaten im Bericht des Generalsekretärs v. 3. 5. 1993, UN Doc. A/C.5/47/L.38, Annex 11. Namibia kommt dort nirgends vor. 234 Bericht des Generalsekretärs v. 16. 1. 1991, UN Doc. A/45/997, Annex V, para. 15.
235 In der 53. Sitzung am 29.4. 1991, UN Doc. A/C.5/45/SR.53, para. 9. 236 So hatten Ende 1989 alle 5 ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats ihre Beiträge geleistet lediglich die USA schuldeten zu diesem Zeitpunkt noch knapp 20 % der ihnen obliegenden Zahlungen. Dieser Zahlungsrückstand der USA ist jedoch nicht zuletzt auf die Frage der Verwendung des Überschusses der UNT AG-Operation zurückzuruhren. Wie sich aus der Stellungnahme des US-Delegierten in der 54. Sitzung des 5. Hauptausschusses der 45. Generalversammlung am 30. 4. 1991 (UN Doc. A/C.5/45/SR.54, para. 25) ergibt, waren die USA der Auffassung, durch den Überschuß müßten
I. Namibia
77
Herausragend - und wohl einmalig in der Geschichte der UN-Friedenstruppen ist die "Erwirtschaftung" eines Überschusses, der - einschließlich freiwilliger Zahlungen und Zinseinnahmen - auf fast 65 Mio. US Dollar beziffert wurde237 . Dieser Erfolg brachte ganz neuartige Probleme mit sich. So stellte sich nicht nur die Frage, wie der Überschuß verwendet werden sollte, sondern es galt darüber hinaus, die erwirtschafteten Zinserträge (immerhin waren dies allein Ende 1989 bereits rund 11 Mio. US Dollar !238) unter Berücksichtigung der Tatsache zu verteilen, daß die Mitgliedstaaten ihre Pflichtbeiträge zu unterschiedlichen Zeitpunkten geleistet hatten239 . Andererseits wurde die Entstehung eines Überschusses von einigen mit großen Beiträgen beteiligten Ländern zum Anlaß genommen, die als zu großzügig empfundenen Kostenansätze des Sekretariats bei der Planung der Operation zu attackieren 240 Über das Schicksal dieses Überschusses entschied die Generalversammlung schließlich in den Resolutionen 45/265 v. l7. 5. 1991 und 47/207 v. 22. 12. 1992. Die den einzelnen Mitgliedstaaten ursprünglich in Rechnung gestellten Pflichtbeiträge wurden entsprechend nach unten korrigiert, der zuviel gezahlte Betrag dem jeweiligen Staat gutgeschrieben241 . Trotz dieses relativ positiven Gesamtbildes darf aber nicht übersehen werden, daß es bei der Zahlung der Pflichtbeiträge in großer Zahl zu Verzögerungen und Ausfällen kam. So standen gut ein Jahr nach Abschluß der Operation - im April 1991 - noch Zahlungen in Höhe von 23, 1 Mio. Dollar aus 242 , und selbst im Mai 1993 schuldeten 46 Mitgliedstaaten der UNO noch 2,3 Mio. Dollar für UNTAG243. Wenngleich die schlechte Zahdie ursprünglich angesetzten Beiträge der UN-Mitglieder rur die Operation herabgesetzt werden. Nach einer solchen Korrektur müßten die USA noch rund 2 Mio. US Dollar von der UNO gutgeschrieben bekommen. Diese Haltung bedeutete also keinesfalls eine Zahlungsverweigerung. Von den übrigen entwickelten Ländern hatte Ende 1989 nur Japan seinen Beitrag noch nicht überwiesen, holte dies aber alsbald nach (Mitteilung des Sekretariats v. 20. 5. 1991, UN Doc. A/C.5/45/L.31, Annex). Siehe dazu: UN-Finanzbericht rur das Biennium 1988/89, UNGAOR, 45th session, Supp!. No. 5, UN Doc. A/45/5, S. 145 - 152. 237Bericht des Generalsekretärs v. 22. 4. 1991, UN Doc. A/45/997/Corr.l, para. 8. Der US Delegierte sprach in der 53. Sitzung des 5. Hauptausschusses der 45. Generalversammlung am 29. 4. 1991 sogar von 68 Mio. Dollar, vg!. UN Doc. AlC.5/45/SR.53, para. 6. 238 So der Vertreter Japans in der 60. Sitzung des 5. Hauptausschusses der 45. Generalversammlung am 17. 5.1991, UN Doc. AlC.5/45/SR.60, para. 5. 239 Vg!. Protokoll der 60. Sitzung des 5. Hauptausschusses der 45. Generalversammlung am 17. 5. 1991, UN Doc. AlC.5/45/SR.60, para. 4. 240 So z.B. die USA, Protokoll der 53. Sitzung des 5. Hauptausschusses der 45. Generalversammlung am 29. 4. 1991, UN Doc. AlC.5/45/SR.53, para. 6 f; Japan, Protokoll der 54. Sitzung des 5. Hauptausschusses der 45. Generalversammlung am 30. 4. 1991, UN Doc. AlC.5/45/SR.54, para. 1. 241 Zi. 3 der Res. 45/265, beziehungsweise Zi. 4 der Res. 47/207. 242 Bericht des Generalsekretärs v. 16. 1. 1991, UN Doc. Al45/997, para. 9; Protokoll der 53. Sitzung des 5. Hauptausschusses der 45. Generalversammlung am 29. 4. 1991, UN Doc. AlC.5/SR. 53, para. 4. 243 Mitteilung des Generalsekretärs v. 3. 5. 1993, UN Doc. AlC.5/47/L.38, Annex II.
78
B. Peace-Keeping der zweiten Generation
lungsmoral der betroffenen, überwiegend der 3. Welt zuzurechnenden Staaten wegen ihres geringen Anteils an der Finanzierung einer Friedensoperation in der Summe kaum ins Gewicht fallt, ist die erschreckend hohe Zahl der säumigen Schuldner bedenklich.
b) Personal Die innerstaatliche Funktion der UNT AG-Operation, ihre Besonderheit gegenüber dem klassischen Kennprofil der Peace-Keeping-Missionen, schlug sich in der Zusammensetzung der zu der Einheit gehörenden Kontingente nieder. So treten hier erstmals neben die militärischen Teile eine zivile Polizei und eine umfangreiche zivile Komponente. Auch führte die große Bandbreite der zu bewältigenden Aufgaben zu einem erheblichen Personalbedarf. So hatte UNT AG mit allen ihren Teilen - Militär, CIVPOL, Zivilpersonal, Wahlhelfer einen Umfang von in der Spitze knapp 8.000 Angehörigen aus 109 verschiedenen Ländern244 . Damit handelte es sich bei UNT AG um die größte UN-Operation seit ONDC im Kongo und um eine fürwahr internationale Truppe. Leiter der UNTAG, in deren Verlauf 19 UNTAG-Mitglieder ums Leben kamen245 , war der UN-Sonderbeauftragte für Namibia, der Finne Martti Ahtisaari. aa) Militär Die militärische Komponente von UNT AG war in dem Planungsbericht des Generalsekretärs nach dem oben erwähnten Streit über ihren erforderlichen Umfang auf eine Stärke von 4.650 Mann festgelegt worden 246 , bestehend aus drei vergrößerten Infanteriebataillonen ä 850 Mann, 300 Militärbeobachtern, 1. 700 Mann Logistiktruppen und 100 Mann Hauptquartierpersona]247 Im tatsächlichen Verlauf erreichte die militärische Komponente im November 1989 mit 4.493 Personen ihre maximale Stärke248 . Angesichts des insgesamt ruhigen Verlaufs der Übergangsperiode reichte diese Personalstärke aus, so daß der Generalsekretär nicht auf die bereitgehaltenen Reserven 249 zurückgreifen mußte250 Die militärische Komponente wurde von Soldaten aus 21 verschiede244llN Chronicle, December 1989, 8.
245 The Blue HeImets, 445. 246 Bericht des Generalsekretärs v. 23. I. 1989, llN Doc. S/20412, para. 54, (f). 247 Bericht des Generalsekretärs v. 23. I. 1989, llN Doc. S/20412, para. 54, (c) und (f).
248 The Blue HeImet., 445. 249 Bericht des Generalsekretärs v. 23. I. 1989, lIN Doc. S/20412, para. 54, (b). (c). (g): Stellungnahme des Generalsekretärs v. 9. 2. 1989. lIN Doc. S120457, para. 4.
I. Namibia
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nen Ländern gebildet. Zwei weitere Länder (Bundesrepublik Deutschland und Schweiz) stellten ziviles Personal für die Logistiktruppen zur Verfügung251 . Bei der Suche nach Personal für die militärischen Teile der UNT AG hat es keine Schwierigkeiten gegeben. Bereits in der Planungsphase vor Verabschiedung der Res. 632 (1989) am 16. 2. 1989 hatte eine Vielzahl von Regierungen dem Generalsekretär Truppen angeboten252 Folglich fiel es dem Generalsekretär nicht schwer, bereits wenige Tage nach der Billigung seines Plans dem Sicherheitsrat einen konkreten Vorschlag für die Zusammensetzung der militärischen UNT AG-Teile zu machen 253 , der von dessen Präsident zwei Tage später angenommen wurde254 . Bezüglich der geographischen Zusammensetzung ist festzustellen, daß bis auf Großbritannien, das mit Nachschubeinheiten vertreten war, kein ständiges Mitglied des Sicherheitsrats, insbesondere keine der beiden damaligen Supermächte USA und UdSSR, Militärpersonal beisteuerte. Auch direkt beteiligte Staaten wie Angola, Südafrika oder andere unmittelbare Frontstaaten wurden nicht in die Truppenzusammenstellung einbezogen255 Dennoch sind Soldaten aus allen Erdteilen beteiligt gewesen 256 Als militärischer Oberbefehlshaber wurde der indische Generalleutnent Prem Chand bestellt257 . bb) Polizei Die Angehörigen der zur UNT AG gehörenden zivilen Polizei (CIVPOL) wurden in Anlehnung an die Verteilung der bestehenden, südafrikanischen Polizeikräfte im Lande stationiert. Sie unterstanden dem Leiter der UNT AG258. Anders als bei der militärischen Komponente veränderte sich ihr zahlenmäßiger Umfang im Verlauf der Operation. Es hatte sich schnell gezeigt, daß 250 Bericht des Generalsekretärs v. 6. 10. 1989, UN Doc. S/20883, paras. 17 und 21. 251 Brief des Generalsekretärs v. 21. 2. 1989, UN Doc. S/20479: Soldaten kamen aus Australien, Bangladesch, Dänemark, Finland, Großbritannien, Indien, Irland, Italien, Jugoslawien, Kanada, Kenia, Malaysia, Pakistan, Panama, Peru, Polen, Spanien, Sudan, Tschechoslowakei, Togo, Venezuela. 252 Bericht des Generalsekretärs v. 23. I. 1989, UN Doc. S120412, para. 55. 253 Briefdes Generalsekretärs v. 21. 2.1989, UN Doc. S/20479.
254 Brief des Präsidenten des Sicherheitsrat~ v. 23. 2.1989, UN Doc. S/20480. 255 Auf deren Nichtbeteiligung hatte Südafrika Wert gelegt - vgl. Siekmann, 77. 256 Damit wurde dem bereits in dem Bericht des Generalsekretärs v. 29. 8. 1978, UN Doc. S/12827, para. 24 und 38, betonten Prinzip der "equitable geographical representation" innerhalb der Truppe Rechnung getragen. 257 Bericht des Generalsekretärs v. 23. 1. 1989, UN Doc. S/20412, para. 59.
25R Bericht des Generalsekretärs v. 23. 1. 1989, UN Doc. S/20412, para. 41.
80
B. Peace-Keeping der zweiten Generation
das Kontingent für die zu erfüllende Aufgabe zu klein war. Zwar hatte der Generalsekretär gegenüber der Planung von 1978, die noch von 360 UN-Polizisten ausgegangen war, bereits in seinem ursprünglichen Operationsplan im Hinblick auf die inzwischen verstärkte südafrikanische Präsenz in Namibia eine Aufstockung auf 500 Mann vorgesehen259 Schon bald erwiesen sich jedoch auch 500 Mann als nicht ausreichend. Bereits im Mai 1989 mußte der Generalsekretär die Zahl der Polizeibeobachter auf 1.000 verdoppeln26o Im September wurde CIVPOL ein weiteres Mal auf dann insgesamt 1.500 Mann verstärkt261 . Diese Erhöhungen waren erforderlich geworden, um die lückenlose Überwachung der südafrikanischen Polizei zu gewährleisten, die sich angesichts des Verhaltens von Teilen ihrer Angehörigen als notwendig herausgestellt hatte 262 Bei den 1.500 Polizeibeobachtern handelte es sich um Berufspolizisten263 aus 26 verschiedenen Ländern 264 cc) Wahlbeobachter und Zivilverwaltung Auch die Stärke der anderen zivilen Mitarbeiter schwankte im Verlauf der Operation. Der Grund dafür ist die Tatsache, daß im unmittelbaren Umfeld der Wahlen in Namibia die Anforderungen an diesen Teil der UNT AG erheblich anstiegen. Insgesamt waren an der Wahldurchführung knapp 1.700 Wahlbeobachter beteiligt, von denen 885 von den Regierungen 27 verschiedener Länder gestellt wurden 265 , während die anderen aus UN-Personal (z. T. auch aus den Reihen der militärischen Komponente von UNT AG) rekrutiert wurden 266 . Um die Spitzenbelastung während der Wahltage zu bewältigen, wurden daneben noch 1.023 Polizeibeobachter von CIVPOL mit Wahlüberwachungsaufgaben betraut267, so daß insgesamt über 2.700 UNT AG-Mitglieder die Wahl beobachteten. Außerhalb dieser Zeit schwankte die Zahl der zivilen Mitarbeiter 259 Bericht des Generalsekretärs v. 23. I. 1989, UN Doc. S/20412, para. 42. des
260 Brief des Generalsekretärs v. 24. 5. 1989, UN Doc. S120657; Bestätigung durch den Präsidenten Sicherheitsrat~
v. 26. 5. 1989, UN Doc. S120658.
261 Brief des Generalsekretärs v. 26. 9. 1989, UN Doc. S/20871; Bestätigung durch den Präsidenten
des Sicherheitsrats v. 28. 9. 1989, UN Doc. SI20872.
262 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 6. 10. 1989, UN Doc. S120883, para. 23. 263 Bericht des Generalsekretärs v. 23. I. 1989, UN Doc. S120412, para. 42.
264Bericht des Generalsekretärs v. 6. 10. 1989, UN Doc. S/20883, para. 22. Beteiligt waren Polizi~1en aus: Ägypten, Bangladesch, Barbados, Belgien, Bundesrepublik Deutschland, DDR, Fidji, Ghana, Guayana, Indien, Indonesien, Irland, Jamaika, Kamerun, Kanada, Kenia, Niederlande, Neuseeland, Nigeria, Norwegen, Österreich, Pakistan, Singapur, Schweden, Tunesien, Ungarn. 265 Bericht des Generalsekretärs v. 14. I!. 1989, UN Doc. S/29967, para. 2. 266 Bericht des Generalsekretärs v. 3. I!. 1989, UN Doc. S/20943, para. 6.
267 Bericht des Generalsekretärs v. 14. 11. 1989, UN Doc. S/20967, para. 2.
1. Namibia
81
und lag im Schnitt bei etwa 900 26R . Rund 750 davon waren UN-Beamte269, die zum größten Teil für sieben Monate (einige auch für ein Jahr) nach Namibia entsandt wurden 270 Auch bei der Aufstellung dieses UNTAG-Teils hat es keine Personalknappheit gegeben. Eher das Gegenteil war der Fall. So bewarben sich allein aus den Reihen der UN-Mitarbeiter über 2.000 Personen für die 750 zu vergebenden Plätze bei UNT AG271. Die dominierende Aufgabe der Wahlorganisation beeinflußte die Art der vorwiegend ausgeübten Verwaltungstätigkeit erheblich. Dennoch waren neben den Wahlbeamten auch noch diverse andere Berufe und Qualifikationen vertreten. Den vielfältigen sonstigen Aufgaben entsprechend fanden sich bei den Mitgliedern dieses Teils der UNTAG weitgestreute Qualifikationen - von Verwaltungsfachleuten über Fernmeldetechniker bis hin zu Medizinern reichte die Bandbreite272 dd) Bewertung Wie erwähnt ist UNT AG, gemessen an vorangegangenen Blauhelmeinsätzen, eine sehr umfangreiche Operation gewesen. Die Größe des nötigen Personaleinsatzes wird noch eindrucksvoller, wenn man sich vor Augen hält, daß Namibia eine Bevölkerung von weniger als I, 5 Mio. Menschen 273 (davon 701.483 Wahlberechtigte 274) hat und daß das politische Umfeld des Übergangs Namibias zur Unabhängigkeit außergewöhnlich günstig war. Auffällig ist die Tatsache, daß trotz dieses großen Personalbedarfs zu keiner Zeit ernsthafte Schwierigkeiten bei der Suche nach Personal auftauchten, weder im militärischen, noch im zivilen Bereich. Selbst die kurzfristigen Aufstockungen der Zahl der Polizeibeobachter auf das Dreifache des ursprünglichen Plans bereiteten keine Schwierigkeiten275 . Daß die Rekrutierung von Personal für die UNT AG mit solcher Leichtigkeit gelang, läßt sich auf verschiedene Faktoren zurückführen, die nicht bei jeder vergleichbaren Operation vorliegen werden. Erstens handelte es sich bei UNT AG um die erste große UN-Friedensmission seit vielen Jahren, noch dazu in einer Zeit, in der dem Instrument der UN-
26g
Melber, VN 1990, 93.
269 UN Chronic1e, March 1989,43. 270 UN Chronic1e, March 1989,40. 271 UN Chronic1e, March 1989,43.
272 UN Chronicle, December 1989, 8. 273 S.o. B.,
1., l.
274 Bericht des Generalsekretärs v.
14. 1l. 1989, UN Doc. S/20967, para. l.
275 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 3. 1l. 1989, UN Doc. S120943, para. 15. 6 Hufnagel
82
8. Peace-Keeping der zweiten Generation
Blauhelme, ausgezeichnet mit dem Friedensnobelpreis 1988, ein besonders hohes Maß an Anerkennung und Wertschätzung zuteil wurde. Zweitens fiel UNTAG in ein ausgesprochen günstiges politisches Umfeld. Sowohl die veränderte Haltung Südafrikas als auch die globale Entspannung bescherten der Mission eine ungewöhnlich gute Erfolgsprognose. Drittens schließlich markierte UNT AG wie kaum eine andere UN-Aktivität den Aufbruch in eine neue Ära der Vereinten Nationen, die hier, nach ihrer erfolgreichen Rolle als Vermittler bei der Beendigung des Iranisch-Irakischen Krieges 1988, endlich wieder ihre Fähigkeit unter Beweis stellen konnten, weltweit Konflikte zu lösen. Dies um so mehr, als der Namibia-Konflikt die UNO bereits seit ihren Gründungsjahren beschäftigt hatte und immer wieder als Symbol für die Schwäche der Weltorganisation herhalten mußte. Alis all diesen Gründen ist eine Beteiligung an UNT AG sowohl für die Mitgliedsländer eine prestigeträchtige als auch für UN-Beamte eine befriedigende Aufgabe gewesen. Untersucht man die Zusammensetzung der UNT AG, insbesondere in ihrem zivilen Teil, so ist festzustellen, daß für diese neuartige, treuhandähnliche Peace-Keeping-Operation mehr personelle Quellen zur Verfügung stehen als für die klassischen militärischen Blauhelmeinsätze. Während die militärische Komponente wie bei allen Peace-Keeping-Operationen der UNO ausschließlich aus von verschiedenen Staaten zur Verfügung gestellten Militärkontingenten zusammengesetzt war, lassen sich bei der zivilen Komponente drei Herkunftsbereiche unterscheiden. Natürlich sind die UN-Mitgliedstaaten auch hier ein ganz wichtiges Reservoir. Genauso wie für die militärische Komponente stellten sie auch für zivile Aufgaben Personal zur Verfügung. Insbesondere die Polizeikomponente CIVPOL setzte sich ausschließlich aus Polizisten zusammen, die die Mitgliedstaaten der UNT AG zur Verfügung stellten. Daneben hat die UNO im zivilen Bereich aber verstärkt auf eigenes Personal, auf UN-Beamte aus verschiedensten Teilen des UN-Systems, zurückgreifen können. Anders als beim Militär, wo dies in Ermangelung einer stehenden UN-Truppe nicht möglich ist, sind die erforderlichen zivilen Qualifikationen bereits innerhalb der Weltorganisation selber verfügbar. Schließlich ist für UNTAG noch auf eine dritte Quelle zurückgegriffen worden. Bewohner des betroffenen Gebietes selbst wurden für Aufgaben im Rahmen der zivilen Verwaltung Namibias durch die UNT AG herangezogen 276 Wenn auch dieses Element eine kleinere Dimension hatte als ursprünglich geplant - statt vorgesehener 820 waren bis Ende September 1989 nur 425 Einheimische rekrutiert worden 277 -, so handelte 276 Allerdings hatten diese nicht den offiziellen Status als "Mitglieder der UNTAG" im Sinne des Statusahkommens zwischen der UNO und Südafrika; siehe Statusahkommen, wiedergegeben im Bericht des Generalsekretärs v. 23. 1. 1989, UN Doc. S120412, Add. I, Annex, para. 3, abgedruckt in 28 I.L.M. (1989), 999. 277 So die stellvertretende Controllerin des UN-Sekretariat~ auf der 54. Sitzung des 5. Hauptausschusses der 45. Generalversammlung v. 30. 4. 1991, UN Doc. AlC.5/45/SR.54, para. 9.
1. Namibia
83
es sich dabei doch um eine genauso nützliche wie sinnvolle Ergänzung des Personals einer Peace-Keeping-Operation mit umfangreichen zivilen Aufgaben. Nützlich ist diese lokale Personalquelle, weil es im Rahmen der zivilen Verwaltung, vor allem bei der Durchführung einer Aufgabe wie der Wahlorganisation, einen hohen kurzfristigen Personalbedarf gibt, der sich am einfachsten und sparsamsten durch örtliches Personal decken läßt. Sinnvoll ist sie darüber hinaus unter zwei Gesichtspunkten. Einerseits hat es einen nicht zu unterschätzenden symbolischen Wert, wenn an dem Wiederaufbau eines Landes nicht nur Fremde, sondern auch die Betroffenen selbst beteiligt sind. Andererseits ist es erforderlich, die Bewohner in die eigenständige Übernahme lebenswichtiger Verwaltungsfunktionen einzuführen, um das Überleben des Landes auch über den Abschluß der UN-Mission hinaus sicherzustellen278 Darüber hinaus steht das Personalmanagement der UNT AG jedoch ganz im Zeichen der üblichen Praxis bei traditionellen Peace-Keeping-Operationen279 Alle Angehörigen von UNTAG wurden auf freiwilliger Basis rekrutiert. Die insgesamt 50 Staaten, die Militär- oder Zivilpersonal entsandten280 , taten dies aus eigenem Antrieb. Sie gingen zu keiner Zeit von einer wie auch immer fundierten, aus der Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen folgenden Pflicht aus, Kräfte zur Verfügung stellen zu müssen281 . Wegen des erfolgreichen Verlaufs des UNTAG-Mandats hat keiner dieser 50 Staaten während der Operation sein Personal abgezogen oder dies angedroht. Da darüber hinaus von Anfang an genug freiwillige Entsendestaaten zur Verfügung standen, wurde der Grundsatz der Freiwilligkeit während der UNT AG-Operation keinem Funktionsfahigkeitstest unterworfen. Er genügte den konkreten Anforderungen von UNT AG, so daß kein Anlaß bestand, ihn in Frage zu stellen. Schließlich sind die für die Rückerstattung der Kosten an die kräftestellenden Länder geltenden Sätze nach dem üblichen Peace-Keeping-Muster festgelegt worden. Die Sätze orientierten sich an den früheren UN-Peace-Keeping-Einsätzen UNDOF und UNIFIL bezüglich der Infanterie- und der Nachschubsoldaten sowie der Polizisten und an UNTSO bezüglich der Militär- und Wahlbeobachter282 Unüb-
278 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 3. I!. 1989, UN Doc. S120943, para. 10 bezüglich des Ersatzes südafrikanischer Sicherheit~kräfte als Fluglot~en, Ärzte, Lehrer etc. primär durch Namibier. 279 Vgl. Siekmann, 191.
280 Bericht des Generalsekretärs v. 28. 3. 1990, UN Doc. S/21215, para. 4. 281 Dies zeigt sich an einem Vergleich mit dem Nichtmitglied Schweiz. Auch die Schweiz hat sich an der Aufstellung der UNT AG beteiligt. Wäre die Personal gestellung der UN-Mitgliedstaaten eine "Mitgliedsleistung" gewesen, so hätte die Gestellung des Kontingents aus der Schweiz, einem Nichtmitglied, sich von deIjenigen der anderen Staaten unterscheiden, die Kontribution "von außen" hätte sich von der "internen" Leistung abheben müssen. Nichts dergleichen ist jedoch der Fall gewesen. Die Beteiligung der Schweiz an UNTAG wurde in keiner Weise von deIjenigen der Mitgliedstaaten unterschieden. - Vgl. den Brief des Generalsekretärs v. 21. 2.1989, UN Doc. S/20479.
282 Bericht des Generalsekretärs v. 23. I. 1989, UN Doc. S/20412, para. 55.
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
lieh, wenngleich angesichts des erwähnten finanziellen Überschusses283 nicht verwunderlich, ist die Reibungslosigkeit, mit der die Kostenerstattung an die beteiligten Länder vonstatten ging284 5. Abschluß des Einsatzes - Erfolgskontrolle
Bei der Formulierung des Mandats für UNTAG in Res. 435 (1978) sind zwei Determinanten für den Abschluß der Operation aufgestellt worden. Absatz 3 des operativen Teils etablierte UNT AG einerseits "for aperiod of up to 12 months" und andererseits "to ensure the early independence of Namibia through free elections under the supervision and control ofthe United Nations". Damit waren sowohl ein äußerer zeitlicher Rahmen als auch eine inhaltliche Zielbestimmung für UNT AG gesetzt. In der Nacht vorn 20. auf den 21. 3. 1990 wurde Namibia unabhängig. Damit war das gesteckte Ziel bereits zehn Tage vor Ablauf des zeitlichen Limits der Mission am 1. 4. 1990 erreicht. Es handelte sich um den Idealfall der Einsatzbeendigung. Mit der in ihrer Art und Weise von allen Seiten gelobten Konstituierung des neuen Staates Namibia auf der Grundlage des Ergebnisses zweifellos freier und fairer Wahlen hat die UNO in Namibia genau das erreicht, was sie erreichen wollte. Das von vielen früheren Peace-Keeping-Operationen bekannte Problem, den zeitlichen Rahmen immer wieder aufs Neue ausdehnen zu müssen, weil die inhaltlichen Ziele der Operation noch nicht erreicht sind2R5 , stellte sich für UNT AG ebensowenig wie die noch unerfreulichere Option, eine Mission als inhaltlich gescheitert beenden zu müssen. Auch ein Blick hinter den Schleier der Unabhängigkeit auf die Qualität des neu errichteten namibischen Staatswesens trübt die Erfolgsbilanz nicht. Die aus den freien Wahlen hervorgegangene Nationalversammlung hat es vermocht, eine Verfassung zu schaffen, die in jeder Hinsicht den demokr~tischen und menschenrechtlichen Anforderungen der UNO genügt2R6 und dem neuen Staat politisch eine außergewöhnlich gute Zukunftsprognose verschafft287 Wenn der UNTAG damit im großen und ganzen ein voller Erfolg bescheinigt wird, darf dabei nicht vergessen werden, daß das Mandat der Mission beschränkt war. Wie der Name bereits indiziert, handelte es sich bei UNT AG um eine "assistance group". Ihr 2R3 s.o. 8., 1., 4., a). 284 Bericht des Generalsekretärs v. 19.4. 1991, UN Doc. A/45/997, para. 17 und Annex IV, para.
I, (c) bezüglich der Ausrüstungsgegenstände.
285 Beispiele dafur sind die Operationen UNFICYP, UNIFIL, UNAVEM 11.
286 Vgl. Tomuschat, VN
1990, 95 ff.
287 Zu diesem Schluß kommt Ansprenger, KAS 12/1991, 22, nach der Untersuchung der
Verfassung und des ersten Jahres namibischer Verfassungswirklichkeit.
11. Kambodscha
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Ziel bestand in der Unterstützung und der internationalen Kontrolle eines Unabhängigkeitsprozesses, für den die primäre Verantwortlichkeit in den Händen der südafrikanischen Machthaber verblieb. Auf der formellen Seite der Einsatzbeendigung tauchten ebenfalls keine Probleme auf. Das offensichtliche Erreichen der inhaltlichen Zielvorgabe der Res. 435 wurde vom Generalsekretär dem Sicherheitsrat mitgeteilt, genauso wie das damit verbundene quasi "automatische" Auslaufen des Mandats 288 . Ein darüber hinausgehender formaler Beendigungsakt durch den Sicherheitsrat war nicht mehr erforderlich. Das Mandat endete mit der Unabhängigkeitserklärung Namibias. Schließlich gestaltete sich die technische Beendigung des Mandats reibungslos. Das "Phasing-Out" der UNTAG-Mitglieder, insbesondere aus wichtigen Positionen in der Verwaltung des Landes, verlief weich und geordnet. Eine kleine "Nachhut" der UNTAG übernahm die administrative "Abwicklung" der Übergangsperiode in Namibia289 . Des weiteren beließen verschiedene Mitgliedstaaten das von ihnen gestellte UNT AG-Personal auf der Grundlage bilateraler Abkommen mit Namibia auch nach dem März 1990 im Lande 290 , um dort Entwicklungshilfe zu leisten. Darüber hinaus ebnete die UNTAG in der Schlußphase der Operation den Weg für das zukünftige Engagement der UNO in Namibia im Rahmen von UNDP, indem sie das während der Mission erworbene Wissen über die politische, wirtschaftliche und soziale Lage des Landes in einem urnfassenden Führer zusammenstellte291 .
11. Kambodscha Kambodscha, seit dem 14. 12. 1955 Mitglied der UNOI , urnfaßt ein Territorium von 181.035 qkm 2 im südlichen Indochina zwischen Thailand im Nordwesten und Vietnam im Südosten. Es wird von rund 8,65 Millionen Menschen bewohnt, von denen 80 % zur buddhistisch geprägten Khmer-Bevölkerung gehören. Seit 1979 sind mehrere hunderttausend Vietnamesen eingewandert, die dementsprechend die zweitstärkste Bevökerungsgruppe ausmachen.
288 Bericht des Generalsekretärs v. 28. 3. 1990, UN Doc. S/21215. para. 1 und 3. 289 Bericht des Generalsekretärs v. 29. 3. 1990, UN Doc. S121215, para. 3. 290 Bericht des Generalsekretärs v. 28. 3. 1990, UN Doc. S/21215, para. 3; The Blue Heimets, 359. 291 The Blue Heimets, 355. 1 UNYB 1991, 1023.
2 Weltatlas, 186.
B. Peace-Keeping der zweiten Generation
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Moslemische Cham (ca. 200.000), Chinesen (ca. 100.000) und einige Bergvölker bilden den Rest3 1. Geschichte
Dem unmittelbaren Engagement der Vereinten Nationen in Kambodscha, das 1991 zur Entsendung von UNAMIC (United Nations Advance Mission in Cambodia)4 und 1992 dann zur UNT AC (United Nations Transitional Authority in Cambodia)5 führte, ging ein über zwei Jahrzehnte langer Dauerkonflikt voraus, ein Konflikt, in dem interner Bürgerkrieg, regionales Hegemonialstreben und Großmachtinteressen kompliziert ineinander verwoben waren. Anders als in Namibia spielte die UNO über weite Strecken in diesem Konflikt nur eine untergeordnete Rolle. Dies hing mit den gegensätzlichen Interessen der Großmächte in Kambodscha zusammen6 . a) Vor 1989 - Vorgeschichte
Zusammen mit Laos und Vietnam gehörte Kambodscha von 1863 an zur von der Kolonialmacht Frankreich beherrschten "Union Indochinoise Francaise"7 Die französische Kolonialmacht war es auch, die 1941 Prinz Norodom Sihanouk als König inthronisierte, der das Land 1953 in die Unabhängigkeit und darüber hinaus - in wechselnden Ämtern - bis 1970 führte 8 Unter dem mehr oder weniger autokratisch regierenden Sihanouk hatte Kambodscha 1969 einen Entwicklungsstand erreicht, der damals sogar denjenigen Thailands übertraf9. Innenpolitisch war Kambodscha zwar schon während der 60er Jahre nicht frei von Instabilität gewesen 10 ; außenpolitisch gelang es Sihanouk jedoch, sein Land in dem sich verschärfenden Vietnam-Krieg weitgehend neutral zu halten 11, wenngleich es immer stärker in diesen hineingezogen wurde 12
3 Zahlen von Ende 1991 - Schier, KAS 6/1992, 8 f.
4 Sicherheitsratsres. 717 (1991) v. 16. 10. 1991. 5 Sicherheit~rat'res. 745 (1992) v. 28. 2. 1992. 6 Handbuch VN-Rapp, Ziffer 61. "Konflikte, KambodschaiKampuchea",
Rz. 5.
7 Handbuch VN-Rapp, Ziffer 61. "Konflikte, Kambod.chaiKampuchea",
Rz. 3.
8 Isoart, AFD! 1990, 267.
9 Schier, KAS 6/1992, I. JO Vgl. AdG 1967,13145 A und 13155
A
11 Handbuch VN-Rapp, Ziffer 61. "Konflikte, KambodschaIKampuchea", Rz. 4. 12 Vgl. AdG 1968, 13667 B/3.
11. Kambodscha
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Am 18. März 1970 dann wurde Prinz Sihanouk während eines Aufenthalts in Frankreich durch seinen Ministerpräsidenten, General Lon Nol, gestürzt I 3. Während dieser das Land auf einen proamerikanischen Kurs führte und schließlich in den Vietnam-Krieg verwickelte, formierte sich Widerstand. Sihanouk gründete in Peking eine Exilregierunggegen die neuen Machthaber, der auch die radikal-marxistischen Roten Khmer - bislang als Rebellen erbitterte Feinde des Prinzen - angehörten l4 . Bis 1975 tobte - immer wieder überlagert durch Kampfhandlungen im Rahmen des Vietnam-Kriegs auf kambodschanischem Gebiet l5 - ein Bürgerkrieg zwischen der Lon Nol Regierung und der von Sihanouks Exilregierung geführten Widerstandsfront, dem rund 200.000 Menschen zum Opfer fielen 16 Der Bürgerkrieg endete am 17. 4. 1975 mit der Einnahme Phnom Penhs durch die Roten Khmer l7 , der militärisch stärksten Gruppierung des Widerstands.
In den folgenden dreieinhalb Jahren beherrschten dann die Roten Khmer angeführt von einer kleinen Führungsgruppe um Pol Pot - das Land. Ideologisch motivierte Deportationen, die systematische Tötung ganzer Bevölkerungsschichten und die Zwangsumwandlung der Gesellschaft hin zu einem landwirtschaftlich orientierten "Steinzeitkommunismus" kosteten wahrscheinlich mindestens einer Million Menschen das Leben 18 . Das Terrorregime der Roten Khmer fand seinerseits am 7. 1. 1979 ein gewaltsames Ende. Kontinuierliche Grenzzwischenfälle während des ganzen Jahres 1978 19 nahm Vietnam schließlich im Dezember zum Anlaß für eine Blitzintervention, nachdem es sich zuvor sowjetischer Rückendeckung versichert hatte 20 Die vietnamesische Invasion brachte die marxistisch-leninistisch orientierte Volkspartei unter Heng Samrin und Hun Sen an die Macht21 . Zur Stützung der von ihr eingesetzten Regierung blieb die vietnamesische Armee in den folgenden Jahren als Besatzungsarmee in Kambodscha, das von Hun Sen "Volksrepublik Kampuchea" ( ab 1989 dann "Staat Kambo-
13 AdG 1970. 15500 A. 14 AdG
1970. 15500 A; Isoart, AFDI 1990,269.
15 Es sollen durch US-Bombardements in Kambodscha rund 400.000 Menschen getötet worden sein - Handbuch VN-Rapp, Ziffer 61. "Konflikte, Kambodscha/Kampuchea", Rz. 4. In Schier, KAS 6/1992. 1. 17 AdG 1975, 19405 A. 6/1992, I: 500.000 bis 1 Mio.; Weggel, EA 1988,615: 1 Mio.; Isoart, AFDI 1990,270: fast 2 Mio.; AdG 1979,22310 A: 1.53 Mio. 18 Die Zahlenangaben schwanken hier erheblich; vgl. nur Schier, KAS
19 AdG 1978.22310 N2. 20 Isoart, AFDI 1990, 270.
21 AdG 1979,22310 N6.; Schier, VN 1988,47.
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
dscha" ) genannt wurde. Es gelang ihr jedoch trotz großen militärischen Einsatzes niemals, den gegen das neue Regime entbrannten Widerstand zu zerschlagen, der von den drei kambodschanischen Fraktionen vorgetragen wurde, die jeweils einmal die Herrschaft über das Land in ihren Händen gehalten hatten - also von Sihanouks Royalisten, den Roten Khmer und den in der Nachfolge Lon Nols stehenden bürgerlichen Nationalisten unter Son Sann22 . Auf der anderen Seite erwiesen sich die drei Widerstandsfraktionen, die am 22. 6. 1982 auch offiziell eine Dreierkoalition gründeten und gemeinsam eine Exilregierung unter Sihanouk bildeten23 , ihrerseits als unfähig, die vietnamesisch getragene Regierung Hun Sen militärisch zu bezwingen24 Ein Dauerbürgerkrieg ohne Perspektive war die Folge, der bis 1991 weitere 300.000 Menschenleben forderte 25 . Die dergestalt festgefahrene interne Situation Kambodschas hatte auch eine internationale Komponente. So war die vietnamesische Intervention durch die UdSSR begrüßt, von China, den USA und den ASEAN-Staaten hingegen verdammt worden, obwohl sie das Ende des Horrorregimes der Roten Khmer bedeutet hatte. Die ASEAN-Staaten fürchteten eine vietnamesische Hegemonie in Indochina26 , China die zunehmende Umklammerung durch die UdSSR und das von ihr abhängende, immer mächtiger werdende Vietnam27 und die USA die weitere Ausbreitung des Weltkommunismus 28 . Unter dem Einfluß dieser starken antivietnamesischen Gruppe verurteilte die UN-Generalversammlung alljährlich mit ständig wachsender Mehrheit die Invasion Kambodschas29, wohingegen der Sicherheitsrat, gelähmt vom sowjetischen Veto, zu diesem Konflikt nicht Stellung nahm3o . Die Mehrheit in der Generalversammlung erklärte darüber hinaus die von der Widerstandskoalition unter Prinz Sihanouk gebildete Exilregierung (das sogenannte "Demokratische Kampuchea") zur einzig legitimen Vertreterin Kambodschas nach außen und sprach ihr damit den kambodschanischen Sitz in der UNO ZU 31 . Der Bürgerkrieg in Kambodscha
22 Isoart, AFDI 1990,273; Schier, VN 1988,47; Weggel, EA 1988,616 f. 23 Isoart, AFDI 1990,273 f; Weggel, EA 1988, 616. 24 Schier, VN 1988,47 f. 25 Schier, KAS 6/1992, 2. 26 Isoart, AFDI 1990,271; Alagappa, Journal ofInternational Affairs 1993,452 f.
27 Isoart, AFDI 1990,270. 28 Vgl. Umhoefer, Harvard International Law Journal 1991, 275. 29 Siehe statt aller die Generalversammlungsresolutionen 34/22 v. 14. 11. 1979; 3516 v. 22. 10. 3615 v. 21. 10. 1981. Vgl. auch Handbuch VN-Rapp, Ziffer 61. "Konflikte, KambodschalKampuchea", Rz. 13; Alagappa, Journal ofInternational Affairs 1993,456. 1980;
30 Handbuch VN-Rapp, Ziffer 61. "Konflikte, KambodschalKampuchea", Randziffern 9 und 11. 31 Generalversammlungsresolutionen 34/2 v. 21. 9. 1979; 3514 v. 13. 10. 1980; 36/2A v. 18.9. 37/5A v. 26. 10. 1982. Vgl. auch Handbuch VN-Rapp, Ziffer 61. "Konflikte,
1981;
Ir. Kambodscha
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war also zu einem Schauplatz für Großmachtpolitik geworden. Während die UdSSR "ihre" Regierung in Phnom Penh stützte, versorgten insbesondere China und die USA die Gegenregierung der Dreierkoalition - China primär mit Waffen, die USA mit Geld 32 Über Jahre hinweg überlagerten sich also in Kambodscha Elemente eines Widerstandskampfes gegen eine Besatzungsmacht, eines Bürgerkriegs zwischen zerstrittenen Fraktionen und eines Stellvertreterkriegs der Großmächte 33 Vor diesem Hintergrund blieben alle Versuche, den Konflikt diplomatisch zu lösen - einschließlich einer 1981 von der UNO nach New York einberufenen Kambodscha-Konferenz - letztlich erfolglos34, wenngleich sie die verschiedenen Parteien 1988 in Djakarta schließlich wenigstens an einen Tisch brachten35 . h) 1989 - 1991 - Der Weg zum Friedensschluß
Ende der 80er Jahre geriet, zögerlich zuerst, dann doch Bewegung in den Konflikt. Die militärische Sackgasse wurde immer deutlicher 36 , und 1988 gab sogar Vietnam erstmals seine erheblichen Verluste im kambodschanischen Bürgerkrieg ZU37. Das Interesse an einer politischen Lösung wuchs und wurde durch den Abzug der vietnamesischen Truppen aus Kambodscha am 26. 9. 198938 unterstrichen39 . Gleichzeitig - und sicherlich den Wandel der vietnamesischen Haltung mit beeinflussend - veränderte sich das Klima zwischen den Großmächten und damit deren jeweilige Position in der Kambodscha-Frage. Die unter Gorbatschow einsetzende Neuorientierung der sowjetischen Außenpolitik wirkte unmittelbar in das Kräfte- und Interessenverhältnis in Indochina hinein. VietKambodschalKampuchea", Rz. 18 f Eine eingehende Untersuchung der Problematik der Vertretung Kambodschas bei der UNO findet sich bei Koenig, ArchVR, Nr. 28 (1990), 266 ff 32 Urnhoefer, Harvard International Law Journal 1991, 275. 33 Vgl. WeggeI, EA 1988, 617; ähnlich auch Schier, VN 1988,47.
34 Vgl die Schilderungen bei Isoart, AFDI 1990, 272-276; Schier, VN 1988, 48-50; mit etwas optimistischerer Bewertung Weggel, EA 1988, 618-622. 35 Weggel, EA 1988, 619. 36 Schier, VN 1988,48. 37 Weggel, EA 1988,617 f; vgl. AdG 1988, 32408 A 38 AdG 1989, 33805 A 39 Wenngleich die Vietnamesen nicht gingen, ohne zuvor die Regierungstruppen Hun Sens erheblich verstärkt und zur stärksten Bürgerkriegspartei gemacht zu haben; vgl. Weggel, EA 1988, 618.
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
nam und seine hegemonialen Bestrebungen verloren die unbedingte Unterstützung Moskaus40 , während sich die Beziehungen zwischen den roten Riesen UdSSR und China stetig verbesserten41 . Letzteres wiederum führte dazu, daß Peking seine traditionelle Unterstützung der Roten Khmer zunehmend als Hindernis auf dem Weg zu einer weiteren Nomalisierung des Verhältnisses zur So\\jetunion erkannte42 . Auch der Wandel der sowjetisch-amerikanischen Beziehungen zeigte Wirkung. Mit dem Verschwinden der Notwendigkeit, der weltkommunistischen Bedrohung entgegenzuwirken, schwand in den USA das Verständnis für die - unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten fragwürdige - Unterstützung der Dreierkoalition unter Einschluß der Roten Khmer43, eine Unterstützung, die im Juli 1990 von der US-Regierung schließlich beendet wurde44 Vor diesem neuen Hintergrund kamen umfangreiche diplomatische Bemühungen auf allen Ebenen ins Rollen. Die Bürgerkriegsparteien trafen sich immer häufiger - zunächst informell zu "Cocktailgesprächen", dann bei einer Reihe sogenannter "Jakarta Informal Meetings" in der indonesischen Hauptstadt, schließlich auf insgesamt zwei Pariser Kambodscha-Konferenzen 1989 und 1991 45 . Auch rückte die UNO in dieser Phase immer stärker in das Zentrum der Konfliktlösung, nachdem ihr zuvor vornehmlich durch Vietnam und die Regierung Hun Sen der Anspruch der Überparteilichkeit mit der Begründung abgesprochen worden war, sie habe sich durch ihre Anerkennungspolitik einseitig auf die Seite der Exilregierung geschlagen46 . Nach dem Scheitern der ersten Pariser Konferenz, auf der sich die Parteien nicht in den Kernfragen der Rolle der Roten Khmer und der Zusammensetzung einer Übergangsregierung bis zu den ins Auge gefaßten freien Wahlen in Kambodscha einigen konnten47, und in Reaktion auf einen australischen Vorschlag vom 24. 11. 198948 , in dem erstmals das Modell einer UN-Übergangsverwaltung anstelle einer rein kambodschanischen Zwischenadministration auftaucht, beschäftigten sich die fünf 40 Umhoefer, Harvard International Law Journal 1991, 279 f: Alagappa, Journal of International Alfairs 1993,458. 41 Opitz/Seemüller, VN 1992, 127.
42 WeggeI, EA 1988,623. 43 Eine Schilderung des amerikanischen Meinungsumschwungs fmdet sich bei Umhoefer, Harvard International Law Journal 1991, 276 f 44 AdG 1990,34727 A 45 Vgl die ausfuhrliche Schilderung der Verhandlungen bei Isoart, AFDI 1990,277 ff.
46 Vgl. Isoart, AFDI 1990,283 und 287. 47 Isoart, AFDI 1990, 282-285 mit einer ausfuhrlichen Darstellung der verschiedenen Standpunkte. 48 OpitziSeemüller, VN 1992, 126
f
11. Kambodscha
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ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats im Verlauf des Jahres 1990 gemeinsam intensiv mit dem Problem und legten am 28. 8. 1990 einen umfassenden Friedensplan, das "Framework Document"49, vor. Dieser Plan, dessen Herzstück die Übernahme der Übergangsverwaltung durch ein großes UN-Kontingent mit ziviler und militärischer Komponente sowie die Bildung eines mit Vertretern aller vier Bürgerkriegsfraktionen besetzten "Supreme National Council" (SNC) bildete, wurde von allen Konfliktparteien am 10. 9. 1990 in Djakarta grundsätzlich akzeptiert50 Noch einmal verstärkte sich die diplomatische Aktivität5!. UN-Sicherheitsrat 52 und Generalversammlung53 billigten den Plan, der in vielen weiteren Verhandlungsrunden nicht zuletzt unter dem erheblichen Druck der Großmächte54 schließlich in ein aus vier Teildokumenten bestehendes Friedensabkommen55 erwuchs. Dieses Abkommen wurde am 23. 10. 1991 auf der zweiten Pariser Kambodscha Konferenz von den vier beteiligten Parteien sowie den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats, den ASEAN-Staaten und diversen weiteren Ländern als Garantiestaaten im Beisein des UN-Generalsekretär unterzeichnet56 . c) 1991 - 1993 - Ver/auf der UN-Operation
Durch das Pariser Abkommen war der UNO die zentrale Rolle im kambodschanischen Friedensprozeß zugefallen. Diese Rolle nahm die Weltorganisation sofort auf. Bereits wenige Tage vor der Unterzeichnung des Abkommens autorisierte der Sicherheitsrat auf die Bitte des SNC unter seinem Vorsitzenden Prinz Sihanouk57 die Vorfeldmission UNAMIC58, die am 9. 11. 1991 ihre Arbeit in Kambodscha aufnahm59 . Das Pariser Abkommen selbst wurde vom Sicherheitsrat durch Res. 718 (1991) vom 31. 10. 1991 und von der General49 UN Doc. S/21689
= A/45/472 v. 31. 8. 1990.
50 Opitz/Seemüller, VN 1992, 128; Isoart, AFDI 1990,293. 5! Vgl. die Darstellung bei Opitz/Seemüller, VN 1992, 128 f.
52 Res. 668 (1991) v. 20. 9. 1990. 53 Res. 45/3 v. 15. 10. 1990. 54 Opitz/Seemüller, VN 1992, 129. 55 UN Doc. S/23177 = A/46/608 v. 30.10.1991 (abgedruckt in 31 ILM (1991),174 ff).
56 AdG 1991, 36155 B; OpitziSeemüller, VN 1992, 129. 57 UN Doc. S/23066 v. 24. 9. 1991. 58 Sicherheitsratsres. 717 (1991) v. 16. 10. 1991. 59 ON Chronicle, March 1992, 55; Bericht des Generalsekretärs v. 3.
para. 2.
12. 1992, UN Doc. A/471733,
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
versammlung in Res. 46/18 vom 20. 11. 1991 begrüßt. Am 28.2. 1992 verabschiedete der Sicherheitsrat schließlich die Res. 745 (1992), die "enabling resolution" für die UNTAC-Operation, die am 15. 3. 1992 mit dem Eintreffen des Sonderbeauftragten des Generalsekretärs für Kambodscha, des Japaners Akashi, offiziell begann60 UNAMIC, die sich nach der Erweiterung ihres ursprünglichen Mandats durch Res. 728 (1992) v. 8. 1. 1992 insbesondere des Problems der Minenräumung angenommen hatte, ging mit dem Beginn der UNT AC-Operation in dieser auf6! . Die Übergangsperiode selbst verlief dann schwieriger als erhofft. Schon bald zeigte sich, daß nicht alle Bürgerkriegsparteien bereit waren, sich an ihre Verpflichtungen zu halten. Schwierigkeiten machten besonders die beiden militärisch bedeutsamsten Fraktionen, die Roten Khmer und die Volkspartei Hun Sens. Die Roten Khmer verweigerten alsbald die weitere Teilnahme am Friedensprozeß. Bereits der Vorfeldoperation UNAMIC enthielten sie die Informationen über ihre Truppenstärke vor6 2. Im Juni 1992 dann verboten sie der UNT AC den Zugang zu den von ihr kontrollierten Landesteilen und lehnten die vertragsgemäße Kantonierung und Entwaffnung ihrer Milizen ab 63 Bis zum Sommer 1992 hatten sie die Zusammenarbeit mit der UNT AC völlig eingestellt64 . Als Begründung für dieses Verhalten führten sie sowohl den angeblichen Verbleib vietnamesischer Kräfte in Kambodscha als auch das Fortbestehen der faktischen Macht im Lande in den Händen der Regierung Hun Sen in Phnom Penh an65 . Insbesondere der zweite Vorwurf war nicht völlig aus der Luft gegriffen. Tatsächlich gelang die Übernahme der Administration durch die UNT AC und den SNC nicht so wie vorgesehen66 . Die weiter amtierende Regierung Hun Sen kontrollierte de facto den allergrößten Teil der existierenden administrativen Strukturen des Landes. Diesen Einfluß wußte sie auch zu ihrem Vorteil zu nutzen. Es gelang ihr in vielen Fällen, die Übernahme effektiver Kontrolle über die Verwaltung durch die UNT AC zu verhindern. Auch scheute sie nicht davor zurück, ihre Kräfte auf lokaler Ebene zu Angriffen auf
60 UN Chronicle, June 1992, 11; Bericht des Generalsekretärs v. I. 5. 1992, UN Doc. S/23870, para.5. 6! UN Chronicle, June 1992, 14; Bericht des Generalsekretärs v. 1. 5. 1992, UN Doc. S/23870, para. 5. 62 Isoart, RGDIP 1993, 659. 63 Isoart, RGDIP 1993,660; Schier. KAS 6/1992, 4. 64 Bericht des Generalsekretärs v. 14.7. 1992, UN Doc. S/24286, para. 19. 65 Isoart, RGDIP 1993,660 und 676 f; Ratner, AJIL 1993, 38; Will, Aussenpolitik 1993,396. 66 Schier, KAS 6/1992, 4; Davies, Journal ofWorld Trade Law, Vol. 26 (1992), No. 5. 97.
II. Kambodscha
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konkurrierende Parteien bis hin zu politisch motivierten Morden an deren Vertetern sowie zur Einschüchterung einzusetzen67. Diese Schwierigkeiten brachten den Friedensprozeß 1992 in erhebliche Schwierigkeiten. Die vorgesehene Entwaffnung der Bürgerkriegsparteien schlug fehl. Lediglich ein Bruchteil der bewaffneten Kämpfer der Parteien konnte wie vorgesehen demobilisiert werden. Auch der vereinbarte Waffenstillstand wurde immer brüchiger. Die Verschlechterung der Lage kulminierte um die Jahreswende in umfangreichen Gefechten zwischen den "Regierungstruppen" Hun Sens und Einheiten der Roten Khmer68 . Letztere stellten sich schließlich sogar offen gegen die UNT AC69. Damit war der militärische Teil des Friedensplans Anfang 1993 endgültig gescheitert. Trotz dieses Mißerfolges hielt die UNO unverändert an dem Vorhaben fest, wie geplant bis Ende Mai 1993 Wahlen in Kambodscha durchzuführen. Nicht einmal der Entschluß der Roten Khmer, die Wahlen zu boykottieren7o , konnte die Entschlossenheit der UNT AC bremsen. Die Organisation der Wahl wurde aus der Sicht der UNO zum Rettungsanker für die ins Schlingern geratene UNTAC-Operation, zur "l'obsession des responsables de l'O.N.U."71 Und tatsächlich markiert die Wahlorganisation einen Wendepunkt im Operationsverlauf. Wider alle Erwartungen72 führte die Wahl zu einem deutlichen Erfolg. Schon die Wählerregistrierung hatte eine unerwartet große Teilnahme erkennen lassen 73 An der Wahl selber beteiligten sich dann knapp 90 % der registrierten Wähler74 In einer Provinz gingen sogar Soldaten der Roten Khmer in Uniform zur WahJ15 Darüber hinaus verhielten sich die Parteien während der Wahl völlig ruhig, nachdem die Vorwahlphase noch einmal zu einem Aufflammen von Gewalt geführt hatte 76 Dieser Verlauf gab dem Friedensprozeß einen neuen Impuls. Nachdem das überraschende Ergebnis - die von dem Sohn Sihanouks, Prinz Ranariddh, geführte FUNCINPEC gewann die Wahl vor der 67 Vgl. Isoart, RGDIP 1993, 679; Ratner, AJIL 1993, 38; Schier, KAS 9/1993, 34 f; Will, Aussenpolitik 1993, 397. 68 Bericht des Generalsekretärs v. 13.2. 1993, UN Doc. S/25289, para. 7. 69 Isoart, RGDIP 1993,664. 70 AdG 1993,37875 A, 1. 71
Isoart, RGDIP 1993, 681.
72 Vgl. einen Kommentar der FAZ: "In Wahrheit ist der Friedensprozeß in Kambodscha nicht mehr zu retten. Alles andere ist Illusion. Der Krieg hat längst von neuem begonnen." - zit. nach AdG 1993, 37875, A, 1. 73 Rund 96 % der wahlberechtigten Bürger hatten sich registrieren lassen - AdG 1993, 37875, A,1. 74 UN Chronicle, September 1993,32. 75 Will, Aussenpolitik 1993,399.
76 AdG 1993, 37875, A, 1.; Duffy, HRQ 1994, 96 f; Will, Aussenpolitik 1993,399.
94
8. Peace-Keeping der zweiten Generation
Volkspartei Hun Sens - kurz zu einiger Unruhe geführt hatte, wurde die Wahl bald von allen Beteiligten akzeptiert. Selbst die Roten Khmer lenkten ein und bekundeten die Bereitschaft, am weiteren Fortgang des Prozesses mitzuwirken77 . Die folgenden Monate waren von einer Stabilisierung der Situation in Kambodscha geprägt. Die durch die Wahl geschaffene, verfassunggebende Versammlung machte sich an die Arbeit und schrieb eine neue Verfassung für Kambodscha. Die beiden stärksten Parteien einigten sich auf ein vorläufiges gemeinsames Regierungsbündnis 78 und beteiligten sogar die Roten Khmer als "Berater" an der Regierungsarbeit79 Am 24. 9. 1993 konnte schließlich die neue Verfassung verkündet werden, die eine konstitutionelle Monarchie für das "Königreich Kambodscha" vorsieht. Am selben Tag wurde Prinz Sihanouk zum König gewählt 8o . Vor diesem Hintergrund begann die UNT AC im August 1993 mit dem Abzug aus Kambodscha sl , der bis zum 15. 11. 1993 abgeschlossen wurde82 d) Bewertung
Der UNT AC-Einsatz in Kambodscha ist ein Einsatz in einer Bürgerkriegssituation gewesen. Zwar haben internationale Einflüsse wie der regionale Machtpoker zwischen Vietnam und China oder der globale Wettstreit der Supermächte USA und UdSSR um Einflußgebiete im Fernen Osten erhebliche Auswirkungen auf den Krieg in Kambodscha gehabt, ein Land, das schließlich sogar Opfer einer militärischen Invasion durch Vietnam wurde. Diese äußeren Implikationen liegen aber nicht im Zentrum der UNTAC. Diese ist vielmehr mit der internen Seite des Konflikts beschäftigt; die Einigung der beteiligten fremden Mächte war eine Vorbedingung für den Einsatz. Die interne Seite des Konflikts ist ein von 20 Jahren der gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen verschiedenen politischen Fraktionen zerrissenes Land. Eine landesweite, einheitliche Administration existierte nicht; die Bevölkerung war entwurzelt - Hunderttausende waren aus ihrer Heimat vertrieben 77 Will, Aussenpolitik 1993,399 f; Schier, KAS 9/1993, 37. 78 AdG 1993,38014,8.; vgl. auch Schier, KAS 9/1993, 36 f. 79 Will, Aussenpolitik 1993,400. 80 Bericht des Generalsekretärs v. 5. 10. 1993, UN Doc. S/26529, para. 3. 8l Bericht des Generalsekretärs v. 26. 8. 1993, UN Doc. S/26360, para. 12. 82 Vgl. Res. 880 v. 4. 11. 1993 des Sicherheitsrats, Zi. 9 - 11: Lediglich einiges Restpersonal (Militärpolizei, Sanitäter und Minenräumpersonal) verblieb noch etwas länger im Land, um den geordneten Abzug sicherzustellen.
II. Kambodscha
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und viele davon hatten im Nachbarland Thailand Zuflucht gesucht; eine einstmals funktionsfahige Wirtschaft lag völlig am Boden. Diese Situation rückt Kambodscha in die Nähe dessen, was oben als "failed state" bezeichnet wurde. Wenn auch in Kambodscha noch eine Regierung existierte, die, wiewohl von weiten Teilen der Staatengemeinschaft nicht anerkannt, den Großteil des Territoriums einigermaßen effektiv kontrollierte, so hatte die Zerrüttung des Staatswesens doch ein solches Ausmaß angenommen, daß eine Stabilisierung ohne äußere Hilfe kaum möglich gewesen wäre. Die Ausgangslage für den UNT ACEinsatz ist also nicht durch die internationalen Aspekte, sondern durch die innere Instabilität des Staates Kambodscha geprägt gewesen. 2. Rechtliche Fundierung
Der UNTAC-Operation in Kambodscha liegen drei rechtliche Dokumente zugrunde. Die Autorisierung dieser Mission findet sich in Res. 745 (1992) des Sicherheitsrats vom 28. 2. 1992, der "enabling resolution", in der der Sicherheitsrat die Aufstellung von UNT AC beschließt83 Die Einzelheiten des Mandats der UNTAC sind einerseits in den Pariser Abkommen vom 23. 10. 1991 84 und andererseits in dem Bericht des Generalsekretärs vom 19. 2. 1992 85 dargelegt. Aufbeide nimmt die Res. 745 (1992) Bezug86 a) Rechtsgrundlage Im operativen Teil der Resolution 745 (1992) zitiert der Sicherheitsrat dann nur noch den Bericht des Generalsekretärs 87, den er in Res. 718 (1991) vom 31. 10. 1991 als Grundlage für die Aufstellung der UNT AC angefordert hatte88 Da sich auch die Pariser Abkommen selbst damit bescheiden, den Sicherheitsrat zur Aufstellung von UNTAC "einzuladen" ("invite")89, ist die Rechtsgrundlage für UNT AC in der Res. 745 in Verbindung mit dem Bericht des Generalsekretärs vom 19. 2. 1992 zu sehen; die Abkommen, wiewohl in-
83 Ziffer 2 des operativen Teils. 84 UN Doc. 5123177 = Al46/608 v. 30. 10. 1991 (abgedruckt in 31 ILM (1992), 174).
85 UN Doc. 5/23613. 86 Im 2. beziehungsweise 3. Vorspruch.
87 Ziffer 2 lautet:
"Decides that UNT AC shall be established under its authority in accordance with the above-mentioned report ( ... )". 88 Ziffer 4 des operativen Teils.
89 Art. 2 des Agreement on a Comprehensive Political Settlement of the Cambodian Conflict, UN Doc. 5/23177 = Al46/608 v. 30.10.1991 (abgedruckt in 31 ILM (1992),174,184).
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
haltliche Vorgabe für diesen Bericheo, gehören nicht selbst zur rechtlichen Fundierung der UNT AC91 . Damit stellt sich weiter die Frage, auf welche Ermächtigung in der Charta der Sicherheitsrat die Annahme der Res. 745 (1992) gestützt hat. Einen ausdrücklichen Hinweis enthält die Resolution nicht. Nicht einmal der häufig anzutreffende, auf die allgemeine Befugnisnorm des Art. 24 (1) weisende Passus "recalling its primary responsibility under the Charter ofthe United Nations for the maintenance of international peace and security"92 ist hier zu finden. Hinweise auf die vom Sicherheitsrat angenommene Grundlage der Res. 745 (1992) finden sich aber im 4. und 5. Vorspruch. Dort heißt es: "Desiring to contribute to the restoration and maintenance of peace in Cambodia, to the promotion of national reconciliation, to the protection of human rights, and to the assurance of the right to self-determination of the Cambodian people through free and fair elections, Convinced that free and fair elections are essential to produce a just and durable settlement to the Cambodia conflict, thereby contributing to regional and international peace and security," Es tauchen hier also vier Ziele der Aufstellung von UNT AC auf: die Herstellung des inneren Friedens in Kambodscha - dem dient auch die nationale Aussöhnung -, der Schutz der Menschenrechte, die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der Kambodschaner und die Stützung des internationalen Friedens. Gemäß Art. 24 (1) ist der Sicherheitsrat primär zuständig für die Wahrung des internationalen Friedens. Andere Aufgaben wie der Schutz der Menschenrechte oder des Selbstbestimmungsrechts - obgleich natürlich Ziele der UNO gemäß Art. 1 (2) und (3) - fallen als solche nicht ohne weiteres in seine Zuständigkeit. Auf der anderen Seite kommt auch diesen Aufgaben eine mehr oder weniger ausgeprägte Bedeutung für den internationalen Frieden ZU 93 . Insofern wäre es denkbar, daß der Sicherheitsrat im 4. und 5. Vorspruch die genannten Aufgaben in dieser ihrer Bedeutung für die Wahrung des Weltfriedens angesprochen hat. Eine genaue Analyse des Textes spricht für diese Annahme.
90 Vgl.
d~n Bericht des Generalsekretär v. 19.2. 1992, UN Doc. S/23613, para. 4.
91 Allerding
erfullen sie die doppelte Funktion, die Hoheitsgewalt über Kambodscha auf die UNTAC zu delegieren - s. dazu unten, B., 11., 3., a) - und die Zustimmung der Konfliktparteien zu der Operation zum Ausdruck zu bringen - s. dazu sogleich. 92 Ein solcher fmdet sich z.B. in den Resolutionen 713 (1991) v. 25. 9. 1991, 724 (1991) v. 15. 12. 1991,733 (1992) v. 23. 1. 1992 oder 743 (1992) v. 21. 2. 1992.
93 Eine Bedeutung allerdings, die von der Literatur regelmäßig mit dem sogenannten "positiven" Friedensbegriffin Zusammenhang gebracht wird - Vgl. Handbuch VN-Randelzhofer, Ziffer. 158 "Ziele und Grundsätze der UN", Rz. 12; Charta der UN, Kommentar-Frowein, Art. 39, Rz. 6; Dicke/Rengeling, 20. Siehe dazu auch unten: C., I., 1., a) und C., I., 2., b).
H. Kambodscha
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So wird das Selbstbestimmungsrecht im 5. Vorspruch - über die "Brücke" der freien Wahlen - mit dem regionalen und internationalen Frieden ausdrücklich in Beziehung gebracht ("thereby contributing to"). Die die Herstellung des inneren Friedens in Kambodscha betreffende Formulierung im 4. Vorspruch ist ihrerseits angelehnt an die Wortwahl des mit Friedensbedrohungen befaßten Kapitels VII der Charta. Nur dort nämlich ist von "Wiederherstellung" ("restore") des Friedens die Rede94 Dies scheint die Bereitschaft des Sicherheitsrats anzudeuten, auch die Störung des inneren Friedens als Gefahr für den Weltfrieden zu begreifen. Lediglich für den Schutz der Menschenrechte läßt sich ein derartiger Bezug aus dem Wortlaut nicht ableiten. Die Entstehungsgeschichte der Res. 745 (1992) bestätigt, daß der Sicherheitsrat die Genehmigung von UNT AC als Maßnahme zur Wahrung des Weltfriedens verstanden hat. Zwar ist in der Debatte des Sicherheitsrats, die auf die einstimmige Annahme der Res. 745 (1992) folgte, kaum von rechtlichen Aspekten die Rede. Die allgemeine Einordnung von UNT AC als Maßnahme zur Wahrung des Weltfriedens zieht sich aber dennoch wie ein roter Faden durch die Stellungnahmen der Ländervertreter95 . Aus all dem ist zu schließen, daß der Sicherheitsrat das umfangreiche Mandat der UNT AC, den inneren Frieden wiederherzustellen und insbesondere die Menschenrechte und die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts zu gewährleisten, als Maßnahme zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ansieht, für die ihm gemäß Art. 24 (1) die Hauptverantwortung zugewiesen ist. Ist damit geklärt, daß der Sicherheitsrat die Res. 745 (1992) auf die ihm in Art. 24 (1) zugewiesene allgemeine Befugnis zur Wahrung des Weltfriedens stützte, so ist nun zu untersuchen, welche besondere Befugnis im Sinne des Art. 24 (2) 2 er der Aufstellung von UNT AC zugrundegelegt hat. Auch diesbezüglich ist in der Resolution kein ausdrücklicher Hinweis zu finden. In Betracht kommen die Kapitel VI und VII der Charta. Daß der Sicherheitsrat die UNT AC-Operation als Zwangsmaßnahme gemäß Kap. VII autorisiert hat, kann aus mehreren Gründen nicht angenommen werden. Zunächst ist das Fehlen einer ausdrücklichen Berufung auf Kap. VII in der Resolution zu nennen. Zwar entsprach es bis in die jüngere Vergangenheit der überwiegenden Praxis des Sicherheitsrats, eine Grundlage für sein Handeln 94 In den Artikeln 39, 42 und 51. 95 Vgl. z.B. Frankreich, UN Doc. S/PV.3057 v. 28. 2. 1992, S. 12: "( ... ) undertaken by the United Nations in the maintenance ofpeace."; Russland, a.a.O., S. 23: "The decision to establish ( ... ) (UNTAC) ( ... ) marks the beginning of one ofthe largest Peace-Keeping Operations ( ... )"; Österreich, a.a.O., S. 27: "( ... ) a stronger role and a more comprehensive involvement in the restoration and maintenance of peace."; Ungarn, a.a.O., S. 30: "( ... ) the world Organization is in an even better position effectively to meet these challenges (wie den Bürgerkrieg in Kambodscha - Anm. des Verfassers), which pose a threat to international peace and security. The Cambodian operation is a tangible example of this. "; Indien, a.a.O., S. 33: "( ... ) the Peace-Keeping Operations in Cambodia.". 7 Hufnagel
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
nicht ausdrücklich zu benennen, insbesondere die Berufung auf Kap. VII zu vermeiden. Res. 745 (1992) ist aber im Februar 1992 verabschiedet worden. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Sicherheitsrat jedenfalls seine langjährige "Berührungsangst" mit Kap. VII aufgegeben. Im zeitlichen Umfeld der Res. 745 (1992) hatte er eine erhebliche Anzahl von Resolutionen im Zusammenhang mit dem Golfkonflikt oder dem Jugoslawienkrieg ausdrücklich auf Kap. VII gestützt96 , wenn er Zwangsmaßnahmen verhängen wollte. Vor diesem Hintergrund ist die Nichterwähnung des Kap. VII als Hinweis darauf zu werten, daß der Sicherheitsrat UNT AC nicht als Zwangsmaßnahme gesehen hat. Darauf deutet auch die Sicherheitsratsdebatte bei Annahme der Resolution97 hin, in der nicht an einer einzigen Stelle von irgendeinem Delegierten das Kap. VII auch nur erwähnt wurde. Vielmehr wurde in mehreren Stellungnahmen die Unabdingbarkeit der Zustimmung der kambodschanischen Konfliktbeteiligten betont98 ; eine Zustimmung, die bei Zwangsmaßnahmen nach Kap. VII gerade nicht erforderlich ist. Schließlich wird im Resolutionstext selbst die vorliegende Zustimmung aller Konfliktparteien betont, indem auf die Pariser Abkommen Bezug genommen wird, in denen diese Zustimmung zum Ausdruck gebracht wurde 99 . Auch daran zeigt sich, daß die Res. 745 (1992) keine Zwangsmaßnahme nach Kap. VII autorisieren sollte. Demgegenüber spricht im vorliegenden Fall einiges dafür, die Operation als eine Maßnahme nach Kap. VI anzusehen 100 So läßt sich die Aufstellung von UNTAC unter die Artikel 33 (1) in Verbindung mit 38 subsumieren. Wenn die interne Lage in Kambodscha eine Gefahr für den Weltfrieden darstellt - und davon ging der Sicherheitsrat wie gezeigt aus -, dann sind die Streitparteien gemäß Art. 33 (1) aufgefordert, ihren Streit unter anderem durch friedliche Mittel eigener Wahl beizulegen. Der Begriff der Streitpartei ist nicht unbedingt auf Staaten beschränkt 101 . Die kambodschanischen Bürgerkriegsfraktionen könnten daher in den Anwendungsbereich des Art. 33 (1) einbezogen werden. Ein friedliches Streitbeilegungsmittel eigener Wahl könnte in der Einschaltung der UN-Friedenstruppe UNT AC gesehen werden, die der Sicherheitsrat wiederum gem. Art. 38 als Empfehlung aufgestellt haben könnte. Die Formulierung in Art. 2 des Pariser Agreement on a Comprehensive Political Settlement 96 S. u. C., 1., 2., d), bb).
97 UN Ooc. S/PV.3057 v. 28. 2. 1992. 98 So z.B. von Frankreich, UN Ooc. S/PV.3057 v. 28. 2. 1992, S. 13; Venezuela, a.a.O., S. 29 und besonders deutlich von Ecuador, a.a.O., S. 39: "It is important to stress that the United Nations presence in Cambodia derives essentially from the express consent of the Cambodian people and all its political components. If this necessery condition had not been met, there could have been no UNT AC.". 99 Art. 2 des Agreement on a Comprehensive Political Settlement of the Cambodian Conflict, UN Ooc. S/23177 = A/46/608 v. 30. 10. 1991, Annex (abgedruckt in 31 ILM (1992), 174, 184). 100 Oafur plädiert Ratner, AIIL 1993, 40 f 101 Charta der UN, Kommentar-Tomuschat, Art. 33, Rz. 9.
11. Kambodscha
99
ofthe Cambodia Conflict l02 - "The Signatories invite the United Nations Security Council to establish (... ) UNTAC" - ließe sich als ein Antrag im Sinne des Art. 38 deuten. Zwingend ist diese Einordnung von UNT AC in das Kap. VI jedoch nicht. So bezieht sich der Text der Res. 745 (1992) an keiner Stelle ausdrücklich auf das Kap. VI. Vielmehr läßt sich in der Wortwahl eine Anlehnung an Kap. VII ausmachen. Dies gilt nicht nur, wie gezeigt, für den 4. Vorspruch sondern auch für den operativen Teil, in dessen Ziffer 2 der Sicherheitsrat die Aufstellung von UNTAC "beschließt" und nicht nur "empfiehlt". Auch die Sicherheitsratsdebatte kann nicht für Kap. VI ins Feld geführt werden, denn von diesem ist dort genausowenig die Rede wie von Kap. VII. Die Aufstellung von UNT AC läßt sich somit ebenfalls als Maßnahme ohne Zwangscharakter nach Kap. VII deuten. Eine Festlegung auf eine der beiden Optionen, die der Sicherheitsrat offensichtlich seinerseits zu vermeiden gesucht hat, ist auch objektiv nicht erforderlich. Wie gezeigt können Friedensoperationen der UNO in Situationen, die den Weltfrieden gefahrden, als ein "minus" zu den Zwangsmaßnahmen des Kap. VII verstanden werden. Als solche sind sie eine zulässige Handlungsform des Sicherheitsrats, wenn ihnen die Zustimmung der Konfliktparteien zugrundeliegt 103. Das Vorliegen einer solchen Zustimmung in Gestalt der Pariser Abkommen hat der Sicherheitsrat angenommen lO4 Dabei ist hier, ähnlich wie im Fall Namibiaslos, der Beteiligung nichtstaatlicher Konfliktparteien Rechnung zu tragen. Anders als beim "klassischen" Peace-Keeping, bei dem sich zwei oder mehrere Staaten als eindeutig identifizierbare Streitparteien gegenüberstehen, die kraft ihrer Völkerrechtssubjektivität auch ohne weiteres in der Lage sind, völkerrechtlich verbindlich ihr Einverständnis zu einer Blauhelmoperation zu erklären, sind bei innerstaatlichen Konflikten interne Bürgerkriegsfraktionen die Streitparteien. Diesen kommt - sofern sie nicht als anerkannte Befreiungsbewegungen l06 eine solche gewonnen haben - regelmäßig keine Völkerrechtssubjektivität zu, so daß sie gar nicht in der Lage sind, wie Staaten als Beteiligte eines zwischenstaatlichen Konflikts in völkerrechtlich relevanter Weise lO7 ihr Einverständnis zu einer Peace-Keeping-Operation zu erklären. Aus diesem Grund ist die einfache Übertragung des Zustimmungsgrundsatzes auf eine Friedensrnission innerhalb eines Landes problematisch. Anders als in 102 UN
184).
Doc. S123177 = A/46/608 v. 30.10.1992, Annex (abgedruckt in 31 ILM (1992),174,
103 S.o. A, 11.. 2. 104 Ratner, AJIL 1993, 12.
105 Dort wurde auf die Zustimmung der SWAPO Bezug genommen - s.o. B., 1., 2., a). 106 Vgl. Ipsen, § 8, Rz. 15, der betont, daß die Völkerrechtsfahigkeit einer Bewegung und das Ausmaß dieser Völkerrechtsfahigkeit von der konstitutionellen Anerkennung durch andere abhängt vgl. Rz. 17; siehe auch Oppenheim. Bd. I, 1, § 49; Seidl-Hohenveldem, Rz. 780 f 107 Vgl. Ipsen, § 4, Rz. 9.
100
B. Peace-Keeping der zweiten Generation
Namibia, wo mit der SWAPO eine anerkannte Befreiungsbewegung die einzige nichtstaatliche Konfliktpartei war 108 , wird dieses Problem hier akut. Die vier Konfliktparteien, die an den Pariser Abkommen beteiligt waren, erfüllen die Anforderungen an Völkerrechtssubjektivität nicht in gleicher Weise. Zwar können die beiden jeweils die ausschließliche Staatsvertretung für sich beanspruchenden 109 Bürgerkriegsgegner - die in Kambodscha regierende Fraktion um Hun Sen einerseits und die als Exilregierung auftretende Dreierkoalition andererseits - als Trägerinnen völkerrechtlicher Subjektivität angesehen werden, das gleiche gilt hingegen nicht für jede einzelne der drei Parteien der Widerstandskoalition llo . Ein weiteres, aus dem internen Charakter des Konflikts folgendes Problem ist die Tatsache, daß die vier beteiligten Parteien das Spektrum der Bürgerkriegskontrahenten zwar weitgehend, aber nicht völlig abdeckten 111 Anders als ein Staat, der für alle seine Teile spricht, vertritt eine Bürgerkriegspartei nur sich selbst, nicht auch andere Gruppierungen. Aus diesem Grund ist das Einverständnis der vier Parteien im Kambodscha-Konflikt genau besehen kein Einverständnis aller Konfliktparteien. Trotz dieser Schwierigkeiten hat der Sicherheitsrat die Aufstellung von UNT AC ersichtlich auf die Zustimmung der Beteiligten stützen wollen, wie dies dem "klassischen" Blauhelmmuster entspricht. Zu diesem Zweck hat er sich mit dem SNC eines rechtlichen Konstrukts bedient, das die aufgezeigten Probleme aus dem Weg räumen sollte. Der SNC, gern. Art. 3 des Agreement on a Comprehensive Political Settlement of the Cambodia Conflict der "unique legitimate body and source of authority in which, throughout the transitional period, the sovereignty, independence and unity of Cambodia are enshrined", und nicht die vier Konfliktparteien als solche, ist Partei der Pariser Abkommen und erklärt seine Zustimmung zu der UNTAC-Operation. Damit sollte ein Doppeltes erreicht werden. Indem der SNC als Repräsentant der Souveränität Kambodschas agierte, konnte ihm erstens Völkerrechtssubjektivität zukommen, die von den an dem Abkommen beteiligten Staaten und von der UNO in Res. 668 (1990) des Sicherheitsrats anerkannt wurde. Damit konnte er völkerrechtlich verbindliche Erklärungen abgeben. Als einzig legitimem, für ganz Kambodscha sprechendem Gremium sollte seiner Einverständniserklärung zweitens verbindliche Kraft auch für alle in ihm nicht vertretenen Splittergruppen zu-
108 S.o. B., I., 1., b); vgl. auch Oppenheim, Bd. 1,2, § 49. 109 Ratner, AJIL 1993, 10. 110 Das mag auch eine Erklärung fur das lange Beharren der Regierung Hun Sen darauf sein, daß die Dreierkoalition im SNC zusammen nur genauso viele Sitze erhalten solle, wie sie, nämlich sechs vgl. Opitz/Seemüller, VN 1992, 127. 111 Das zeigt sich Z.B. daran, daß sich bis zum Januar 1993 immerhin 20 Parteien fur die Wahl hatten registrieren lassen - Bericht des Generalsekretärs v. 25. 1. 1993, UN Doc. S/25124, para. 30. Vgl. auch Ratner, AJIL 1993, 29.
II. Kambodscha
101
kommen 112. Auf diesem Wege war ein völkerrechtlich wirksames und alle Konfliktparteien bindendes Einverständnis erreichbar, auf das der Sicherheitsrat die UNTAC-Operation stützen konnte. Ob es sich bei diesem Konstrukt aber um ein Modell für zukünftige Operationen handelt ll 3, ist zu bezweifeln. Zunächst ist die kambodschanische Situation dadurch gekennzeichnet, daß sich hier die vier Hauptkonfliktparteien eindeutig identifizierbar gegenüberstanden. Dies legte die Analogie zu einem zwischenstaatlichen Konflikt nahe und machte die Bildung eines Gremiums wie des SNC erst möglich. Darüber hinaus hat die Einverständniserklärung durch den SNC etwas Zirkuläres. Schließlich war der SNC überhaupt erst auf Betreiben der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats ll4 gebildet worden. Wenngleich die "Big Five" dabei nicht für den Sicherheitsrat gehandelt haben, so machte sich dieser den Vorschlag doch unmittelbar darauf zu eigen 115 Gleichzeitig - also zu einem Zeitpunkt, zu dem der SNC von den Parteien zwar grundsätzlich akzeptiert l16 , aber tatsächlich noch gar nicht gebildet war l17 - stellte der Rat in dieser Resolution 668 (1990) fest, daß der SNC Kambodscha völkerrechtlich vertreten werdelIR. Diese, dem SNC letztlich durch die Erklärung des Sicherheitsrats zugewachsene, völkerrechtliche Vertretungsmacht für Kambodscha ist ihrerseits die Voraussetzung für das wirksame Einverständnis mit der UNT AC-Operation, das der SNC dann wiederum dem Sicherheitsrat gegenüber erklärte. Da dem SNC die nach der Drei-Elementen-Lehre Il9 notwendigen Attribute der Staatlichkeit fehlen l2o , ist die Erklärung des Sicherheitsrats in Res. 668 (1990) als konstitutiv für die Völkerrechtssubjektivität des SNC gegenüber der UNO anzusehen l21 Insofern ist es nicht völlig hergeholt zu behaupten, daß der Sicher112 Dies stellt Art. 28 (2) des Agreement on a Comprehensive Political Settlement ofthe Cambodia Conflict ausdrücklich klar - UN Doc. S/23177 = Al46/608 v. 30.10.1991, Annex (abgedruckt in 31 ILM (1992),174,188). 113 In diesem Sinne Ratner, AJIL 1993,40. 114 Im "Framework Document" vom 28.8. 1990 - s.o. B., II., 1., c); vgl. Amer,.SIPRI Yearbook 1993,107 f.
115 Res. 668 (1990) v. 20. 9.1990. 116 AdG 1990,34861 A. 117 Vgl. AdG 1990, 34964 A und 35090 C sowie AdG 1991, 35423 A und 35779 B. Erstmals wirklich zusammentreten sollte er erst am 30. 12. 1991 in Phnom Penh - AdG 1991, 36361 All. Vorher waren die Bürgerkriegsparteien lediglich einige Male gemeinsam als SNC-Mitglieder aufgetreten - auch dies jedoch erstmalig erst am 23.6. 1991 - AdG 1991,35779 B. 118 Ziffer 6 des operativen Teils. Die Generalversammlung traf dieselbe Feststellung wenige Wochen später in Res. 45/3 v. 15. 10. 1990, Ziffer 5.
119 Nach dieser setzt die Staatseigenschaft das Vorliegen der drei Elemente Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt voraus - Ipsen, § 5, Rz. 2-8; DahmlDellbrück, 127-131; Seidl-Hohenveldern, Rz. 622. 120 Von einer effektiven Staatsgewalt dieses Gremiums, das von keiner Partei als Regierung Kambodschas angesehen wurde, kann keine Rede sein - vgl. Ratner, AJIL 1993, 11. 121 Vgl. Ratner, AJIL 1993,11.
102
B. Peace-Keeping der zweiten Generation
heitsrat sich das Gremium, auf dessen Einverständnis er die UNTAC-Operation gründete, erst selbst geschaffen hat. Allerdings soll dieser formale Schönheitsfehler nicht den Blick dafür verstellen, daß der SNC politisch tatsächlich das Gremium gewesen ist, in dem die für den Kambodscha-Konflikt relevanten Streitparteien vertreten waren, und daß daher die in diesem Gremium erreichte Einigung der Parteien auf ein Einverständnis mit der UNT AC-Operation jener jedenfalls faktisch eine urnfassende Zustimmung verschafft hat. Insofern konnte der Sicherheitsrat de facto hier vorn Vorliegen der für eine Friedensoperation erforderlichen Zustimmung der Konfliktbeteiligten ausgehen. Aus all dem ist zu schließen, daß der Sicherheitsrat die UNT AC-Operation durch Res. 745 (1992) als Friedensoperation aufgestellt und auf die Rechtsgrundlage des "klassischen" Peace-Keeping l22 gegründet hat. Auf dieser Rechtsgrundlage hat er sie weiterhin als einheitliche Operation - wenngleich mit sieben unterschiedlichen Komponenten 123 - autorisiert. Eine Trennung z.B. der zivilen von der militärischen Komponente und die jeweilige Abstützung auf unterschiedliche Rechtsgrundlagen hat der Rat nicht vorgenommen. UNT AC auf dieselbe rechtliche Basis wie "klassische" Friedensoperationen zu stellen, hat direkte Auswirkungen auf die Befugnis der UNT AC in Kambodscha gehabt. Wie gezeigt gehört die prinzipielle Gewaltfreiheit zu den Merkmalen des traditionellen Peace-Keeping I24 . Folgerichtig sah auch das Mandat der UNT AC keine Gewaltanwendung zur Durchsetzung der ihr überantworteten Aufgaben vor. So hatte die militärische Komponente der UNTAC zur Bewältigung ihres umfangreichen Aufgabenkatalogs so vielfältige Befugnisse wie "undertaking investigations"125, "assist"126, "monitor", "supervise", "verifY"127, "ensuring", "recording"128 oder "escort"129. Dazu wurden ihr zugestanden "full freedom of movement and communication and other rights and facilities that would be necessary"130 Von "enforcement" hingegen ist nirgendwo die Rede. Für die zivile Polizei der UNTAC gilt nichts anderes. Sie war auf die Überwachung der bestehenden kambodschanischen Polizei beschränkt, bei der die Verantwortung für die Rechtsdurchsetzung verblieb l3l . Diese Begrenzung des 122 8. dazu oben A, Il., 2. 123 Bericht des Generalsekretärs v. 124 8.0. A, Il., 1. 125 Bericht des Generalsekretärs v. 126 Aa.O., para. 75.
19.2.1992, UN Doc. 8123613, para. 7. 19.2.1992, UN Doc. 8/23613, para. 55.
127 Aa.O., para. 62.
128 Aa.O., para. 74. 129 Aa.O., para. 90. 130 Aa.O., para. 81.
131 Aa.O., para 112 sowie paras.
124-127.
11. Kambodscha
103
Mandats machte es UNT AC unmöglich, die Einhaltung der Verpflichtungen der Pariser Abkommen durch die Bürgerkriegsparteien mit Waffengewalt durchzusetzen. Dies wurde besonders augenfallig, als die Roten Khmer sich weigerten, die UNT AC in ihren Gebieten operieren zu lassen sowie ihre Milizen wie vereinbart zu kantonieren und zu entwaffnen 132 Ebenso war es der UNT AC aus diesem Grund verwehrt, auf die Übergriffe auf UNT AC-Angehörige 133 mit militärischen Vergeltungsschlägen zu reagieren. Alle Rückschläge besonders im militärischen Teil des Mandats - haben den Sicherheitsrat jedoch nicht dazu veranlaßt, die rechtliche Fundierung der UNT AC-Operation und damit das Mandat der Truppe zu verändern. Nicht einmal die eigentlich der UNT AC zugestandene volle Bewegungsfreiheit in Kambodscha konnte mit Waffengewalt durchgesetzt werden. Dies bestätigte der Sicherheitsrat durch seinen Beschluß, die Wahlen nur in den Landesteilen abzuhalten, zu denen die UNTAC ab dem 31. 1. 1993 freien Zugang hatte 134 In den sechs Resolutionen, die der Res. 745 (1992)135 bis zur Wahl folgten, beließ es der Sicherheitsrat bei der Mißbilligung der Verletzungen der Pariser Abkommen, ohne aber die UNT AC zur Durchsetzung der Vereinbarungen zu ermächtigen. Das einzige vom Sicherheitsrat in diesem Zusammenhang eingesetzte Sanktionsmittel ist ein "sanftes": In Res. 766 (1992) ersuchte er den Generalsekretär, die internationale Hilfe für Kambodscha zu denjenigen Parteien zu kanalisieren, die die Abkommen einhielten 136 - eine Art "weiches Wirtschaftsembargo" gegen die Roten Khmer. Ansonsten beschränkte sich der Rat auf Warnungen 137 und verbale Selbstverpflichtungen zur Ergreifung härterer Maßnahmen l38 . Aus diesen Beobachtungen folgt, daß der Sicherheitsrat die Rechtsgrundlage für UNT AC auch während des Verlaufs der Operation nicht mehr geändert hat 139
132 UN Chronicle, September 1992,19 und December 1992,31 f; Schier, KAS 6/1992, 4; Ratner, ATIL 1993, 38. 133 VgJ. den Bericht des Generalsekretärs v. 25. I. 1993, UN Doc. S/25124, paras. 44 - 51. 134 Res. 792 (1992) v. 30.11. 1992, Ziffer 5 des operativen Teils. 135 Es waren dies die Resolutionen 766 (1992) v. 21. 7. 1992; 783 (1992) v. 13. 10. 1992, 792 (1992) v. 30. 11. 1992; 810 (1993) v. 8. 3. 1993; 826 (1993) v. 20. 5. 1993 und 835 (1993) v. 2. 6. 1993. 136 Ziffer 12 des operativen Teils.
137 Z.B. Res. 826 (1993), Zi. 13. 138 Z.B. Res. 783 (1992), Zi. 14; Res. 792 (1992), Zi. 11. 139 Wenngleich anscheinend zwischendurch im Generalsekretariat darüber nachgedacht worden war, wie aus dem Friedenssicherungsmandat ein solches zur Friedensschaffung hätte gemacht werden können. VgJ. Schmitt in FAZ v. 20. 7.1992, der interessanterweise darstellt, daß diese Option - also die Mandatsänderung hin zu einem "enforcement" Einsatz - in Japan zu ähnlichen Diskussionen um die Beteiligung an UNTAC gefiihrt hat, wie in Deutschland im Verlauf von UNOSOM 11. Auch die Japaner wollen ihre Beteiligung auf "klassisches" Peace-Keeping beschränken.
104
B. Peace-Keeping der zweiten Generation
Zusammenfassend ist damit zur Rechtsgrundlage der UNTAC-Operation folgendes festzuhalten: Trotz ihrer auf den internen Wiederaufbau Kambodschas zielenden Aufgabe und der damit zusammenhängenden, umfangreichen zivilen und administrativen Funktionen l40 hat der Sicherheitsrat die UNTAC als Peace-Keeping-Operation und damit als Maßnahme zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit im Sinne des Art. 24 (1) begründet. Das impliziert die Einschätzung durch den Rat, daß die innere Instabilität Kambodschas eine Gefahrdung des Weltfriedens bedeutete. Statt sich ausdrücklich auf eine besondere Befugnis im Sinne des Art. 24 (2) 2 zu berufen hat der Sicherheitsrat weiterhin UNT AC - getreu dem eingespiel-
ten Muster für "traditionelle" Blauhelmmissionen 141 - auf keine spezifische Vorschrift der Charta gegründet. Daneben wurden die für Peace-Keeping als unabdingbar angesehenen Voraussetzungen des Vorliegens der Zustimmung aller Konfliktbeteiligten und der Gewaltlosigkeit der Operation auch der UNTAC zugrundegelegt. Diese zum traditionellen Konzept der Friedensoperationen gehörenden Voraussetzungen führten bei der Kambodscha Operation zu Schwierigkeiten. So haftet der über das Konstrukt des SNC erreichten Zustimmung ein rechtlicher Makel an, während die Gewaltlosigkeit der Operation zeitweise die Erfüllung des Mandats zunichte machte. Dennoch ist an diesen Bedingungen hier festgehalten worden. b) Kompetenzverteilung
Die Kompetenzverteilung zwischen den UN-Organen entsprach bei der UNTAC-Operation weitgehend derjenigen beim Namibia Einsatz. Die dort zutage getretene Dominanz des Sicherheitsrats, gepaart mit der operativen Befugnis des Generalsekretärs, ist auch hier anzutreffen. Ein Blick in die zum Kambodscha Konflikt erlassenen Resolutionen offenbart sofort die dominierende Rolle des Sicherheitsrats bei der Durchführung von UNTAC. Er stellte sowohl die Vorfeldmission UNAMIC142 als auch UNTAC selbst 143 flunder its authority" auf. Auch hingen bereits die für UNTAC erforderlichen Einleitungsmaßnahmen durch den Generalsekretär insbesondere die Ausarbeitung eines Durchführungsplans und die Ernennung eines Sonderbeauftragten - von der Autorisierung durch den Sicherheitsrat
140 S. dazu unten B., 11., 3.
141 Dazu eingehend oben A, 11., 2. 142 Res. 717 (1991) v. 16. 10. 1991, Ziffer 2. 143 Res. 745 (1992) v. 28. 2. 1992, Ziffer 2.
H. Kambodscha
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ab l44 Der Verlauf der Operationen bestätigt, daß der Sicherheitsrat seine "authority" auch aktiv ausgeübt hat. Zu den grundsätzlich zu erstattenden vier regelmäßigen Berichten l45 kamen noch mehrere Sonderberichte, die der Sicherheitsrat vom Generalsekretär in Reaktion auf Schwierigkeiten bei der Durchführung des UNT AC Mandats in Kambodscha verlangte l46 Weiterhin verfolgte er in einer Reihe von Resolutionen den Ablauf der UNT AC-Operation und nahm zu den auftretenden Schwierigkeiten genauso wie zu den Lösungsvorschlägen des Generalsekretärs detailliert Stellung. Zuweilen griff er mit direkten Anweisungen an den Generalsekretär unmittelbar in operative Entscheidungen ein, wie z.B. bei den Entscheidungen, die Roten Khmer von der internationalen Hilfe zu trennen l47, einen UNT AC-Radiosender einzurichten l48 oder die Wahl auf die Gebiete zu beschränken, zu denen UNTAC am 31. 1. 1993 freien Zugang hatte l49 Dies zeigt, daß er auch bezüglich operativer Entscheidungen jederzeit eine Art "Selbsteintrittsrecht" für sich in Anspruch nahm. Schließlich ist in diesem Zusammenhang zu betonen, daß der Sicherheitsrat immer die Kontrolle über die Tragweite seines Mandats behielt. Dies wirkte sich in zwei Richtungen aus. Bei der UNAMIC erweiterte er sein ursprünglich erteiltes Mandat auf ein solches zur Minenräumung, als dies erforderlich wurdeiso Bei UNTAC dann verweigerte er eine Mandatserweiterung, die eine gewaltsame Durchsetzung von Operationszielen ermöglicht hätte, obgleich er offensichtlich in diese Richtung gedrängt worden war l51 . Im operativen Bereich oblag dem Generalsekretär, beziehungsweise seinem Sonderbeauftragten, die Verantwortung für den tagtäglichen Einsatz und die unmittelbare Reaktion auf die tatsächliche Lage in Kambodscha. Zudem lag es wieder an ihm, mit dem Durchführungsplan das Konzept der Mission vorzugeben. Zu letzterem ist allerdings anzumerken, daß das Einsatzkonzept von UNT AC durch die detaillierten Vorgaben der Pariser Abkommen für das Mandat dieser Operation bereits in erheblichem Maße vorgezeichnet war l52 Auf
144 In Res. 718 (1991) v. 3l. 10. 1991, Ziffern 2 - 4. 145 Res. 745 (1992), Ziffer 10. 146 Z.B. in den Resolutionen 783 (1992) v. 13. 10. 1992, Ziffer 14; 792 (1992) v. 30. 1l. 1992, Ziffer 21; 810 (1993) v. 8. 3. 1993, Ziffer 6; 826 (1993) v. 20. 5. 1993, Ziffer 16; 835 (1993) v. 2. 6. 1993, Ziffer 2. 147 Res. 766 (1992), Ziffer 12. 148 Res. 783 (1992), Ziffer 9. 149 Res. 792 (1992), Ziffer 5. ISO Res. 728 (1992) v. 8. l. 1992. 151 Vgl. die Anspielung im Bericht des Generalsekretärs v. 15. 11. 1992, UN Doc. S/24800, para. 24; in dieser Richtung auch Schmitt in FAZ v. 20. 7. 1992. 152 Vgl. insbesondere den Annex 1 des Agreement on a Comprehensive Political Settlement of the Cambodia ConIlict (abgedruckt in 31 ILM (1992),174,189 ff).
B. Peace-Keeping der zweiten Generation
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der anderen Seite hat der Sicherheitsrat den an diesen Vorgaben orientierten Plan des Generalsekretärs dann ohne weiteres akzeptiert und nicht mehr massiv in seine Ausgestaltung eingegriffen, wie dies bei UNTAG bezüglich der Personal stärke geschehen war 153 Im übrigen bestätigt die Praxis die Aufgabenverteilung zwischen Sicherheitsrat und Generalsekretär. Während der Generalsekretär, beziehungsweise sein Sonderbeauftragter, eine Fülle von kleineren Änderungen des ursprünglichen Plans selbst vorgenommen und den Sicherheitsrat davon nur noch in Kenntnis gesetzt haben I54 , verblieben bedeutende Änderungen des ursprünglichen Plans wie z.B. die erwogene, in den Pariser Abkommen nicht vorgesehene Durchführung einer Präsidentschaftswahl parallel zu derjenigen der Nationalversammlung l55 oder die Verlängerung der militärischen Präsenz von UNT AC über die Wahlen hinaus l56 in der alleinigen Zuständigkeit des Sicherheitsrats. Sind Durchführung und Überwachung der Operation damit fest in den Händen des Sicherheitsrats, beziehungsweise - für den operativen Bereich - des Generalsekretärs, verblieb der Generalversammlung nur eine untergeordnete Rolle. Ihre unmittelbare Beteiligung an UNT AC beschränkte sich auf die Genehmigung der für UNAMIC und UNT AC erforderlichen Ausgaben und ihrer Verteilung auf die Mitgliedstaaten. Dabei setzte sie ihre Budgethoheit nach Art. 17 (l) der Charta zwar durchaus ein, um einigen Einfluß auch auf die Durchführung der UNT AC-Mission zu nehmen. Sie verlangte detailliert Einsparungen in erheblichem Umfang und bewilligte dementsprechend deutlich geringere Beträge als die vom Generalsekretär beantragten I57 . Diese Tätigkeit der Generalversammlung vermag aber nicht den Blick dafür zu verstellen, daß es sich bei der Finanzhoheit um eine nachgeordnete Kompetenz handelt. Sie gibt ihr nicht die Möglichkeit, den vom Sicherheitsrat festgelegten Umfang der Operation zu verändern oder anderweitig über die Mittelfreigabe in den Operationsplan einzugreifen. Auch diese Feststellung läßt sich anhand der Praxis des UNT AC-Einsatzes nachweisen. Ein Beispiel dafür ist der Erwerb eines eigenen Radiosenders durch UNT AC. Einen entsprechenden Vorschlag des Generalsekretärs hatte das Advisory Committe on Administrative and Budgetary Questions (ACABQ) der Generalversammlung am 15. 5. 1992 noch als nicht
153 S.o.
B., 1., 4., a).
154 Als Beispiele seien hier nur angefuhrt die Modifikation der Zahl der vorgesehenen militärischen Grenzposten - Bericht des Generalsekretärs v. I. 5. 1992, UN Doc. S/23870, para. 22 - sowie der Anzahl der Kantonierungsgebiete - Bericht des Generalsekretärs v. I. 5. 1991, a.a.O., para. 24. 155 Sicherheitsratsres. 792 (1992), Ziffer 3; Bericht des Generalsekretärs v. 21. 9. 1992, UN Doc. S/24578, para. 18; Bericht des Generalsekretärs v. 15. 11. 1992, UN Doc. S/24800, para. 21.
156 Sicherheitsratsres. 810 (1993), Ziffer 15; Bericht des Generalsekretärs v. 13.2.1993, UN Doc. S/25289, para. 44.
157 S. dazu sogleich unten B., 11., 4., a).
11. Kambodscha
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vom ursprünglichen Mandat gedeckt kritisiert 158 Der Sicherheitsrat billigte diese Anschaffung jedoch in Res. 783 (1992) und setzte sich damit durch. Über die finanzielle Beteiligung hinaus verfolgte die Generalversammlung den Friedensprozeß mit wohlwollenden begleitenden Resolutionen I59 . Insgesamt ist also festzustellen, daß der Ablauf der UNT AC-Operation bezüglich der Kompetenzverteilung zwischen den UN-Organen in der Praxis das anhand der Namibia Mission gezeichnete Bild160 bestätigt und verdichtet. 3. Umfang des Mandats
Anders als bei der Namibia-Operation ist schon der Frage der generellen Verteilung der Hoheitsgewalt eine ausdrückliche rechtliche Regelung gewidmet worden. a) Verteilung hoheitlicher Gewalt - Das Verhältnis UNTAC - SNC
Der die Souveränität Kambodschas verkörpernde SNC übertrug den Vereinten Nationen in Art. 6 des Agreement on a Comprehensive Political Settlement of the Cambodia Conflict alle erforderlichen Hoheitsrechte. um den vereinbarten Friedensprozeß mittels einer UN-Übergangsbehörde durchzuführen. Art. 6 lautet: "The SNC hereby delegates to the United Nations all powers necessary to ensure the implementation ofthe Agreement, (... )"161 Damit stellt sich zunächst die Frage, ob dadurch wirksam Hoheitsgewalt der UNT AC begründet werden konnte. Daß die Völkerrechtssubjektivität des SNC problematisch war, wurde bei der Untersuchung der wirksamen Einverständniserklärung 162 bereits dargetan. Wichtiger noch als dieses Problem ist aber die Frage, ob der SNC überhaupt als Inhaber der tatsächlichen Hoheitsgewalt in Kambodscha und damit als legitimiert angesehen werden konnte, hoheitliche Befugnisse weiterzuübertragen. Hoheitsgewalt setzt sich aus rechtlichen und tatsächlichen Elementen zusammen. Rechtlicher und faktischer Inhaber der Hoheitsgewalt können auseinanderfallen, und genau dies war in Kambodscha der Fall. Hier hatten sich in den von jeweils einer Bürgerkriegspartei kontrol158 Bericht des ACABQ v. 15.5. 1992, UN Doc. N46/916, para. 69. 159 Z. B. in den Resolutionen 45/3 v. 15. 160
10. 1990 und 46/18 v. 20.11. 1991.
S.o. 8., 1., 2., b).
161 Agreement on a Comprehensive Political Settlement ofthe Cambodia Conflict (abgedruckt in 31 ILM (1992), 174, 184). 162 S.o. B., Ir., 2., a).
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
lierten Gebieten Strukturen organisierter Hoheitsausübung faktisch gebildet. Ein plastisches Beispiel dafür sind die von jeder der vier Fraktionen aufgestellten eigenen Polizeikräfte l63 . Parallel zu dieser im Faktischen bestehenden Viergleisigkeit der Hoheitsgewalt in Kambodscha bestanden rechtlich zwei nebeneinanderstehende mögliche Hoheitsträger. Auf der einen Seite stand die Widerstandskoalition, die eine Exilregierung gebildet hatte l64, auf der anderen Seite befand sich die Regierung Hun Sen in Phnom Penh, die den größten Teil Kambodschas seit dem vietnamesischen Einmarsch kontrollierte l65 . Diese Gemengelage löste der SNC auf, in welchem alle faktischen und rechtlichen Ansprüche auf die Trägerschaft der Hoheitsgewalt in Kambodscha gebündelt waren. Dies verschaffte ihm die Fähigkeit, hoheitliche Befugnisse wirksam auf die UNTAC zu übertragen l66 Bei der Untersuchung des Umfangs der übergeleiteten Hoheitsgewalt fallt sofort auf, daß Art. 6 diese auf "all powers necessary" begrenzt. Eine solche Begrenzung ist schon deshalb erforderlich gewesen, weil der SNC sich nicht auflöste, sondern als Ort der Souveränität Kambodschas während der Übergangsperiode fortbestand und eigene Funktionen der Staatsgewalt ausübte. So trat der SNC während der Übergangsperiode als Gesetzgebungsorgan für ganz Kambodscha auf. Darüber hinaus oblag ihm die völkerrechtliche Vertretung des Landes. In dieser Eigenschaft nahm er z.B. den kambodschanischen Sitz in der UNO ein und trat im Namen Kambodschas den wichtigsten internationalen Menschenrechtsinstrumenten bei. Demegegenüber übernahm er keine eigenen exekutiven Befugnisse - vielmehr verblieben diese weiterhin bei den Bürgerkriegsfraktionen. Insgesamt war der SNC demnach ein ganz außergewöhnliches Gremium, dessen Status sich in klassischen Kategorien der Staatsgewalt nicht adäquat beschreiben läßt l67 und der zu den fortbestehenden administrativen Strukturen der Bürgerkriegsparteien einerseits und zur UNT AC andererseits in einer komplizierten Beziehung stand. Für das Verhältnis zwischen SNC und UNTAC gibt das Abkommen in Annex 1, Sect. AI68 eine grundlegende Abgrenzungsregel vor. Drei wichtige Bestimmungen werden dort getroffen:
163 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 19.2. 1992, UN Doc. S/23613, paras. 114-118. 164 Sie wurde von knapp 80 Staaten der Welt als legitime Regierung Kambodschas anerkannt
Ratner, AJIL 1993, 9, Fn. 45.
165 Sie brachte es ihrerseits aufrund 30 Anerkennungen - Ratner, AJIL 1993, 9, Fn. 45. 166 So auch Ratner, AJIL 1993,9 f; Bardehle, VN 1993,82. 167 Siehe auch oben B., 11., 2., a); vgl. Ratner, AJIL 1993, 10, der den SNC als ein Gebilde
generis bezeichnet.
-
sui
168 Agreement on a Comprehensive Political Settlement ofthe Cambodia Conflict (abgedruckt in 31 ILM (1992), 174, 189).
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1. Wenn der SNC einstimmig - oder mangels Einstimmigkeit durch den Vorsitzenden Sihanouk - der UNTAC einen Rat ("advice") gibt, hat UNTAC diesen zu befolgen, sofern er mit den Zielen des Pariser Agreement übereinstimmt I 69.
2. Kommt der SNC - auch durch seinen Vorsitzenden - nicht zu einer solchen Entscheidung, so fällt das Entscheidungsrecht an den UN-Sonderbeauftragten 170. 3. Ob eine Entscheidung des SNC mit den Zielen des Abkommens übereinstimmt, bestimmt der UN-Sonderbeauftragte I71 . Dieser Mechanismus, der die besondere Rolle des Prinzen Sihanouk als integrierende Zentralgestalt des Friedensprozesses unterstreicht 172 , balanciert die hoheitlichen Befugnisse von UNTAC und SNC aus. Einerseits ist die einheitliche Stimme des SNC dominierend. Dies ist die logische Folge seiner Stellung als "unique legitimate body and source of authority in which ( ... ) the sovereignty, independence and unity of Cambodia are enshrined. "173 Die Stimme des souveränen kambodschanischen Volkes muß den Ausschlag geben. Andererseits gibt die dritte der dargestellten Regeln dem UNTAC-Chef rechtlich die letzte Kontrolle in die Hand. Selbst einstimmige SNC-Beschlüsse binden ihn nicht, wenn sie nicht mit dem Pariser Agreement vereinbar sind, und ob sie dies sind, entscheidet er. Damit unterliegen selbst einstimmige Beschlüsse des kambodschanischen "Souveräns" seiner Kontrolle. Der UNT AC ist durch den Delegationsakt also hoheitliche Gewalt zugewachsen, die ihr während der Übergangsphase nicht mehr entzogen werden konnte, denn ein solcher Entzug hätte dem Pariser Agreement widersprochen. Für diese Zeit ist die Übertragung somit unwiderruflich gewesen. Insofern steht die UNT AC als Hüterin der Souveränität des kambodschanischen Volkes gleichberechtigt neben dem SNC. Dieser starken rechtlichen Position des UN-Sonderbeauftragten steht die Begrenzung seiner Letztkontrolle auf eine Art Vetorecht gegenüber. Zwar kann er die Entscheidungen des SNC für unwirksam erklären; dadurch wächst ihm jedoch nicht ohne weiteres ein eigenes Handlungsrecht zu. Dieses bleibt an die Voraussetzung der zweiten der dargestellten Regeln gebunden. Das Kontrollrecht des UN-Sonderbeauftragten ist also kassatorisch, nicht gestaltend. Politisch stand sowieso außer Frage, daß keine wichtige Entscheidung gegen die Stimme des SNC gefällt werden konnte. 169 Para. 2 (a), (b) und (d), Satz I. 170 Para. 2 (c) und (d), Satz 2. 171 Para. 2 (e).
172 Ratner, AJIL 1993, 12. 173 Art. 3 des Agreement on a Comprehensive Political Settlement of the Cambodia Conflict (abgedrucktin31 ILM(l992), 174, 184).
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
Auf einer allgemeinen Ebene war die Hoheitsgewalt nach der Delegation durch den SNC auf die UNT AC also gleichgewichtig zwischen diesen beiden Gremien verteilt - mit politischen Vorteilen beim SNC und rechtlichen bei der UNT AC. Daneben enthielten die Pariser Abkommen für die verschiedenen Aufgabenbereiche der UNT AC jeweils noch detaillierte Regelungen der ihnen im einzelnen zukommenden hoheitlichen Befugnisse. Diese betreffen besonders das Verhältnis der UNT AC zu den verbliebenen administrativen Strukturen der vier Bürgerkriegsparteien, enthalten aber für einzelne Sachbereiche auch Modifikationen des allgemeinen Verhältnisses zum SNC. Diesen Aspekt gilt es für jede der UNTAC Komponenten gesondert im Zusammenhang mit der Darstellung ihrer jeweiligen Funktionen zu beleuchten. b) Funktionen der UNTAC im einzelnen
Die UNT AC war organisatorisch in sieben Einzelkomponenten mit unterschiedlichen Aufgaben gegliedert: Militär, Polizei, Menschenrechte, Wahlorganisation, Zivilverwaltung, Flüchtlingsrepatriierung und Wiederaufbau des Landes l74 Diese Aufgaben waren personell nicht immer strikt voneinander getrennt, und es kam besonders auf regionaler Ebene regelmäßig vor, daß ein und derselbe UNT AC-Mitarbeiter mehrere dieser Aufgaben nebeneinander wahrnahm. Während die ersten fünf Teilkomponenten in jeder Hinsicht voll in UNT AC integriert waren, galt dies nicht für die letzten beiden. Sowohl die Flüchtlingsrepatriierung l75 als auch der größte Teil des Wiederaufbaus l76 wurden außerhalb des UNT AC-Budgets durch freiwillige Hilfsleistungen finanziert. Darüber hinaus war die Repatriierungskomponente auch organisatorisch nicht voll in UNT AC einbezogen. Vielmehr stand sie unter der Federführung des UNHCR, dem der Leiter dieser Komponente genauso verantwortlich war wie dem UN-Sonderbeauftragten für Kambodscha und Leiter von UNT AC 177. Dennoch waren auch diese beiden Aufgabenfelder zentrale Bestandteile der UN-Operation in Kambodscha l78
174 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2.1992, UN Doc. S/23613, para. 7. 175 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2. 1992, a.a.O., para. 149.
176 Bericht des Generalsekretärs v. 19. 2. 1992, a.a.O., para. 154 f
177 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2.1992, a.a.O., para. 148. 178 Dies betont der Generalsekretär u.a. im Bericht vom 19. 2. 1992, a.a.O., para. 149 (Repatriierung), beziehungsweise im Bericht vom 5. 7. 1992, UN Doc. A/46/903, para. 47 (Wiederaufbau).
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aa) Wahlorganisation Die Aufgabe der Wahlkomponente der UNT AC - vorgegeben durch Art. 13 des Agreement on a Comprehensive Political Settlement of the Cambodia Conflict l79 - bestand in der eigenverantwortlichen Organisation und Durchführung der Wahl zu einer verfassunggebenden Versammlung für Kambodscha und ging damit über das UNT AG-Mandat in Namibia hinaus, das der UNO lediglich die Wahlüberwachung aufgegeben hatte. Diese Aufgabe machte Aktivitäten auf verschiedenen Ebenen erforderlich. Zunächst galt es, einen rechtlichen Rahmen für die Wahlen zu schaffen, also ein Wahlgesetz und einen Verhaltenskodex für die Parteien zu erarbeiten l80 Dann mußte die Bevölkerung landesweit über das Wahlverfahren und die Bedeutung der Wahl aufgeklärt und es mußten die einheimischen und internationalen Wahlhelfer für ihre Tätigkeit ausgebildet werden l81 Des weiteren waren sowohl die Wählerregistrierung l82 als auch diejenige der politischen Parteien rechtlich vorzubereiten und durchzuführen l83 Den Schlußpunkt bildete die Durchführung der Wahl selbst und die Ergebnisfeststellung l84 . Diese Aufgaben ausführen zu können, setzte einige begleitende Tätigkeiten wie die Durchführung einer demographischen Untersuchung der kambodschanischen Bevölkerung l85 oder den Aufbau eines computergestützten Systems zur Datenverarbeitung I 86 voraus. Dieser umfangreichen Verantwortung für die kambodschanische Wahl entsprechend waren der "electoral component" hoheitliche Befugnisse in einem Umfang zugedacht, der über die oben dargestellte generelle Verteilung l87 hinausging. Zwar schlug das Agreement selbst bereits einige wichtige Pflöcke ein, durch die der Wahlorganisation inhaltliche Vorgaben gemacht und dem Entscheidungsspielraum der UNT AC Grenzen gezogen wurden. Die entsprechenden Regelungen finden sich in Annex 3. Dort wurden das Wahl system bestimmt I 88, die Grundlagen des aktiven und passiven Wahlrechts festgeschrie-
179 Abgedruckt in 31 ILM (1992), 174, 186. 180 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2.1992, UN Doc. SI23613, paras. 25 f. 181 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2. 1992, a.a.O., para. 27 f. 182 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2.1992, a.a.O., paras. 29-31. 183 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2.1992, a.a.O., paras. 32-35.
1~4Bericht des Generalsekretärs v. 19.2.1992, a.a.O., paras. 36-40. 185 Bericht des Generalsekretärs v. I. 5.1992, UN Doc. S/23870, para. 17. 186 Bericht des Generalsekretärs v. 19. 2. 1992, UN Doc. S/23613, paras. 44-48.
In S.o. B., 11.. 3., a). 188 Die Wahl sollte als Parteienwahl auf der Basis eines provinzgestützten Verhältniswahlrechts stattfinden - Para. 2 des Annex 3 des Agreement on a Comprehensive Political Settlement of the Cambodia Conflict (abgedruckt in 31 ILM (1992), 174, 197).
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ben l89 und schließlich noch einige grundlegende Regeln für den Wahlprozeß wie die Geheimheit der WahIl90, die Meinungs-, Versammlungs- und Bewegungsfreiheit, der freie Zugang zu den Medien l91 und die Zahl der Sitze in der zu wählenden Versamrnlung l92 festgelegt. Außerhalb dieser Vorgaben verblieb aber ein von der UNT AC zu füllender Raum, in dem ihr allein die Entscheidungszuständigkeit zukam. Die Interpretation des Art. 13 des Agreement macht dies deutlich. Art. 13 lautet: "UNTAC shall be responsible for the organization and conduct of these elections based on the provisions of Annex 1. Secl. D and Annex 3"193 Interessant ist der Verweis auf Annex 1, Secl. D und Annex 3. Von Annex 1, Secl. A ist keine Rede. Dort befindet sich aber die allgemeine Regelung des Verhältnisses zwischen der UNTAC und dem SNC. Diese Auslassung deutet darauf hin, daß die allgemeine Regelung für die Wahlorganisationskomponente nicht gelten soll. Zusammen mit der Bestimmung, daß UNT AC für die Wahlen verantwortlich ist, legt dies inhaltlich den Schluß nahe, daß der SNC in Wahlangelegenheiten - abweichend von der allgemeinen Regelung in Annex 1, Secl. A - auch einstimmig der UNT -'\C keine Weisungen erteilen konnte. Dem steht auf den ersten Blick zwar die. ormulierung des Annex 1, Secl. A, para. 2 entgegen, derzufolge der allgemeine Mechanismus "will be used to resolve all issues relating to the implementation of this Agreement" I 94. Die Wendung "ALL issues" spricht für eine Anwendung auch auf Wahlangelegenheiten l95 . Systematische Erwägungen entkräften jedoch diesen Einwand. Die inhaltliche Beschränkung des Verweises in Art. 13 des Agreement wird in dem mit der Wahl befaßten Abschnitt des Annex 1, der Secl. D, ausdrücklich wiederholt l96 . Des weiteren sieht para. 2 der Secl. D die Konsultation des SNC als fakultative Option, nicht hingegen verbindlich vor l97 Da innerhalb des Annex 1 ein Verhältnis der Spezialität zwischen Secl. D - "Elections" - und Secl. A - "General Procedures" - besteht, ist davon auszugehen, daß die Bestimmungen in Secl. D, paras. 1 und 2 für den Bereich der 189 Wahlberechtigt waren demnach alle mindestens 18 Jahre alten Kambodschaner, einschließlich der Flüchtlinge und Vertriebenen, die entweder selbst oder deren Vater oder Mutter in Kambodscha geboren worden waren - Paras. 3 und 4 a.a.O. Wählbar waren Parteien, die die Unterstützung von mindestens 5.000 registrierten Wählern nachweisen konnten, und deren Programme mit den Zielen und Grundsätzen des Agreement übereinstimmten - Para. 5 (abgedruckt in 31 ILM (1992),174,198). 190 Para. 8, a.a.O. 191 Para. 9, a.a.O. 192 Para. 1, abgedruckt in 31 ILM (1992), 174, 197. 193 31 ILM(1992), 174, 186. 194 31 ILM (1992),174,189. 195 Daraufzutreffend hinweisend Ratner, AJIL 1993, 21, FN. 125. 196 Dort heißt es in para. 1: "UNT AC will organize and conduct the election ( ... ) in accordance with
this section and annex 3." - 31 ILM (1992), 174, 191.
197 Para. 2 lautet: "UNT AC may consult with the SNC regarding the organization and conduct of theelectoralprocess."-31 ILM(1992), 174, 191.
II. Kambodscha
113
Wahlorganisation die allgemeine Regelung des Verhältnisses zwischen SNC und UNT AC in Sect. A verdrängen. Dieses Ergebnis läßt sich auch teleologisch stützen. Zweck der umfassenden Delegation der Wahl auf die UNT AC war es, ihren fairen Verlauf sicherzustellen und insbesondere Manipulationen von irgendeiner Seite auszuschließen. Da wie erwähnt 198 der SNC keine repräsentative Vertretung des kambodschanischen Volkes, sondern lediglich ein Gremium der vier stärksten Bürgerkriegsfraktionen war, sind Manipulationen des Wahlverfahrens nicht völlig auszuschließen gewesen, die zwar den Interessen der vier SNC-Mitglieder gedient, den fairen Wahlverlauf aber beeinträchtigt hätten. Vor diesem Hintergrund konnte das Ziel der fairen Wahl am besten durch die Alleinverantwortlichkeit der UNT AC für den Wahlprozeß erreicht werden. Folglich führt die Interpretation des Pariser Agreement zu dem Ergebnis, daß der UNT AC für den Bereich der Wahlausrichtung in dem durch die inhaltlichen Vorgaben des Agreement gesteckten Rahmen ausschließliche Hoheitsgewalt eingeräumt war. Sie erstreckte sich auf alle Formen staatlicher Gewalt. Zwar wurden im praktischen Verlauf der Operation fast alle auftretenden Fragen in Übereinstimmung mit dem SNC gelöst 199 Rechtlich stand UNT AC jedoch das Letztentscheidungsrecht zu. In der Praxis machte sich dies dadurch bemerkbar, daß sich UNT AC im Streitfall auch gegen den SNC durchsetzen und Z.B. im Januar 1993 eine u.a. vom Vorsitzenden des SNC, Prinz Sihanouk, geforderte Gesetzesänderung zur Erweiterung des Kreises der Wahlberechtigten ablehnen kbnnte 200 Der Verlauf der gesamten Wahlorganisation war erfolgreicher, als dies im Herbst 1992 angesichts der offensichtlichen Verweigerungshaltung der Roten Khmer erwartet worden war201 . Bereits die Wählerregistrierung, die von Anfang Oktober 1992 bis zum 31. 1. 1993 durchgeführt wurde, übertraf mit über 4,6 Mio. Wahlberechtigten die Schätzungen der Anzahl der Wahlberechtigten in mehreren Provinzen202 Der Wahlverlauf selbst bestätigte dann diesen Erfolg. 4,27 Mio. Kambodschaner, 89,6 % der registrierten Wähler, bekräftigten durch ihre Teilnahme ihr Vertrauen in die UNT AC-Operation und den Willen, dem Friedensplan entsprechend ihre Zukunft mitzubestimmen 203 Ähnlich wie in Namibia gab der weitere Verlauf auch hier der als "Augen-zu-und-durch"Politik kritisierten Ausdauer der UNT AC recht. Daß die Wahlen hinreichend 198 S.o. B., II., 2., a). 199 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. I. 5. 1992, UN Doc. S/23870, para. 15 f: Bericht des Generalsekretärs v. 21. 9. 1992, UN Doc. S124578, para. 13. 200 Bericht des Generalsekretärs v. 25. I. 1993, a.a.O., para. 34. 201 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 15. 11. 1992, UN Doc. S/24800, para. 26.
202 Bericht des Generalsekretärs v. 13. 2. 1993, UN Doc. S125289, para. 36. ElWartet worden
waren 4,5 Mio. Wahlberechtigte - Bericht des Generalsekretärs v. 15. 11. 1992, UN Doc. S/24800, para. 8. 203 Bericht des Generalsekretärs v. 10.6.1993, UN Doc. S/25913, para. 5. 8 Hufnagel
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
"fair und frei" verlaufen waren204, akzeptierten auch die Bürgerkriegsparteien, deren zunächst erhobene Betrugsvorwiirfe205 rasch verstummten 206 Selbst die Roten Khmer akzeptierten schließlich das Wahlergebnis 207 und ließen sich in die Neukonstituierung des kambodschanischen Staates einbinden. Insgesamt hat die Wahlorganisationskomponente der UNT AC somit als Motor des Friedensprozesses gewirkt und die Fähigkeit der Weltorganisation bewiesen, auch unter problematischen Bedingungen freie Wahlen nicht nur überwachen, sondern selbst durchführen zu können. bb) Menschenrechte Auf dem Feld der Menschenrechte waren die UNT AC-Funktionen nicht ganz so umfassend wie bei der Wahlorganisation. Ihr durch Art. 16 des Pariser Abkommens vorgezeichnetes Mandat wies der Menschenrechtskomponente die Verantwortung "for fostering an environment in which respect for human rights shall be ensured" ZU208 . Die Aufgabe der UNTAC bestand hier also in der Förderung ("fostering") eines von den Kambodschanern selbst zu verantwortenden Prozesses. Dafür waren ihr drei Mittel an die Hand gegeben. Erstens wurde ein Bildungsprogramm auf allen Ebenen der Bevölkerung über Medien, Schulunterricht, kulturelle Veranstaltungen etc. durchgeführt. welches das Konzept der Menschenrechte in der Bevölkerung verbreiten sollte209 Diesen Bildungsauftrag nahm sie teilweise in Zusammenarbeit mit der Informationsgruppe der Zivilverwaltungskomponente wahr210 Zum Zweiten oblag ihr die Ausübung eines "general human rights oversight" in allen Teilen der öffentlichen Verwaltung. Hier versuchte UNT AC, insbesondere durch Ausbildung von Beamten und durch Richtlinien Menschenrechtsbewußtsein zu erzeugen211 , überprüfte darüber hinaus aber auch die existierenden Gesetze auf ihre Men-
204 Res. 835 (1993) des Sicherheitsrats v. 2. 6. 1993. 205 Haubold in: FAZ v. 2. 6. 1993.
206 Bericht des Generalsekretärs v. 16.7. 1993, ON Doc. S126090, para. 5. 207 Bericht des Generalsekretärs v. 16.7. 1993, ON Doc. S/26090, para. 7. 20R Art. 16 des Agreement on a Comprehensive Political Settlement of the Cambodia Conflict (abgedruckt in 31 1LM (1992), 174, 186); Bericht des Generalsekretärs v. 19. 2. 1992, ON Doc. S/23613, para. 9.
209 Annex I, Sect, E, (a) des Agreement on a Comprehensive Political Settlement of the Cambodia Conflict (abgedruckt in 31 ILM (1992), 174, 192); Bericht des Generalsekretärs v. 19. 2. 1992, ON Doc. S/23613, paras. 12-15. 210 Bericht des Generalsekretärs v. 21. 9. 1992, ON Doc. S/24578, para. 6. 211 Annex 1, Sect. E, (b) des Agreement; Bericht des Generalsekretärs v. 19. 2. 1992, ON Doc. SI23613, para. 16 f
11. Kambodscha
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schenrechtskonformität und organisierte eine Gefangnisreform212 . Als drittes Mittel konnte die Menschenrechtskomponente behauptete Menschenrechtsverletzungen während der Übergangsperiode untersuchen und gegebenenfalls "corrective action" durchführen213 . Die Reichweite der konkreten Befugnisse der UNT AC hing von dem jeweils eingesetzten Mittel ab. Für die Menschenrechtserziehung waren eigene hoheitliche Befugnisse nicht vonnöten. Auch für den "general human rights oversight" waren sie nicht vorgesehen. So war die erwähnte Durchsicht der existierenden Justiz- und Strafsysteme in Kambodscha214 nicht mit der Befugnis verbunden, eigenständige Korrekturen vorzunehmen. Der "general oversight" schloß nicht das Recht der Menschenrechtskomponente ein, direkt in existierende Gesetze oder Verwaltungsstrukturen einzugreifen. Vielmehr stand auch unter dieser Überschrift die Ausbildung und Erziehung - hier dann der Beschäftigten in der existierenden Verwaltung - im Vordergrund215 . Das Untersuchungsrecht der Menschenrechtsgruppe schließlich ging darüber hinaus. Sie hatte Menschenrechtsbeschwerden zu prüfen und, soweit erforderlich, "corrective action" anzuordnen oder selbst vorzunehmen216 . Zwar blieb der SNC in den Untersuchungsprozeß eingeschaltet217, seine Beteiligung lag jedoch im Ermessen der UNT AC. Dies und insbesondere das Recht, korrigierende Maßnahmen verbindlich anzuordnen, gaben der Menschenrechtskomponente eine quasi judiziäre Funktion. Da ihre Entscheidungen - wie die eines Richters - bindende Kraft haben konnten, hat diese UNT AC-Komponente hier sogar eigene hoheitliche Gewalt in Kambodscha übernommen. Daß sie damit auch Zähne zeigen konnte, bewies die Verabschiedung einer Regelung zur Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen durch den UN-Sonderbeauftragten am 6. 1. 1993. Sie gab UNTAC das Recht zur Festnahme und zur Anklage von Personen, die der Verletzung von Menschenrechten verdächtig waren218 . Der Vollzug dieser Befugnis wurde auf die UNT AC-Polizei delegiert. Darüber hinaus muß an dieser Stelle bemerkt werden, daß die Menschenrechtsüberwachung in den anderen UNT AC-Komponenten ebenfalls eine Rolle gespielt 212 Bericht des Generalsekretärs v. 21. 9. 1992, UN Ooc. S/24578, paras. 6 beziehungsweise 11. 213 Annex I, Sect. E, (c) des Agreement; Bericht des Generalsekretärs v. 19. 2. 1992, UN Ooc. S/23613. paras. II und 18 f 214 Bericht des Generalsekretärs v. 21. 9.1992, UN Ooc. S/24578, para. 6. 215 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 19. 2. 1992, UN Ooc. S/23613, para. 16.
19.
216 Annex 1, Sect.
E, (c) des Agreement; Bericht des Generalsekretärs v. 19. 2. 1992, a.a.O., para.
217 Vgl. den Verweis im Bericht des Generalsekretärs v. 19.2.1992, a.a.O., para. 19 auf Annex 1, Sect. B, para. 6 des Agreement. 218 Bericht des Generalsekretärs v. 25. I. 1993, UN Ooc. S125124, para. 103. Der Generalsekretär .1ützte diese Maßnalune sowohl auf die menschenrechtlichen Bestimmungen in Art. 16 und Annex 1, Sect. E des Agreement als auch auf die allgemeine Überleitungsnorm des Art. 6.
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
hat219 . Dort wurde der Menschenrechtsschutz mit den der jeweiligen Komponente zu Gebote stehenden Instrumenten geleistet, die z.T. über die der Menschenrechtskomponente verfügbaren Mittel hinausgingen. Insbesondere die Zivilverwaltungskomponente hatte Aufgaben in dieser Hinsicht, für die ihr u.a. die direkte Kontrolle von Verwaltungsabläufen als Möglichkeit offenstand220 . Im praktischen Verlauf konnte die Menschenrechtsgruppe wichtige Grundlagen legen, deren Dauerhaftigkeit sich mit der Zeit wird herausteIlen müssen. Angesichts der Notwendigkeit, nach rund 20 Jahren des Bürgerkriegs beim Menschenrechtsschutz in jeder Hinsicht am Nullpunkt zu beginnen, ist die Menschenrechtskomponente der UNT AC personell recht dünn besetzt gewesen 221 . Dennoch bemühte sie sich, Menschenrechtskurse schwerpunktmäßig für Multiplikatoren wie Politiker, Lehrer, Geistliche und besonders auch Menschenrechtsanwälte durchzuführen, und erreichte mit diesen Kursen im Mandatsverlauf auch über tausend Menschen 222 Besonders hervorzuheben ist, daß es ihr gelang, die Bildung einheimischer Menschenrechtsgruppen zu fördern. Mit diesen Aktivitäten legte sie die Basis für das Entstehen einheimischen Menschenrechtsbewußtseins in Kambodscha223 . Demgegenüber gelang es ihr nur äußerst unzureichend, die tatsächliche Menschenrechtssituation, insbesondere im Umfeld der Wahlen, unter Kontrolle zu halten. Politisch motivierte Menschenrechtsverletzungen durch die existierenden Verwaltungen, besonders diejenige der Regierung Hun Sen, blieben an der Tagesordnung 224 . Angesichts dieser Lage erwies sich auch die dritte der genannten Aufgaben als ergiebig. So hatte die Menschenrechtsgruppe bereits im Dezember 1992 über 150 Untersuchungen in Fällen behaupteter Menschenrechtsverletzungen abgeschlossen225 . cc) Zivilverwaltung Die detaillierteste Regelung der Reichweite des UNT AC-Mandats und der damit verbundenen Einwirkungsbefugnisse auf existierende administrative Strukturen findet sich für den Aufgabenbereich der Zivilverwaltung. Die Grundannahme des Agreement ist hier das Fortbestehen der existierenden 219 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 19.2. 1992, UN Doc. 8/23613, para. 21. 22° 8. dazu unten B., II., 3., b), cc). 221 Dies ist auch in der Lit. kritisiert worden - vgl. Bardehle, VN 1993,85. 222 Bericht des Generalsekretärs v. 3.5. 1993, UN Doc. 8/25719, paras. 16 - 18. 123 Vgl. Duffy, HRQ 1994,98. 224 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 3. 5. 1993, UN Doc. 8/25719, para. 14; Will, Aussenpolitik 1993, 398; Isoart, RGDIP 1993, 681. 225 Bericht des Generalsekretärs v. 3. 12. 1992, UN Doc. A/471733, para. 41.
11. Kambodscha
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Verwaltungsstrukturen der vier Bürgerkriegsfraktionen in ihren jeweiligen Einflußgebieten226 . Darauf aufbauend sah die Regelung in Annex 1, Sect. B des Agreement eine abgestufte Eingriffsintensität der UNT AC vor. Abhängig von der Bedeutung des jeweiligen Verwaltungsbereichs für das politische Umfeld der Wahl wurden drei Stufen der UN-Kontrolle vorgesehen. Dieses 3-Stufen-System kennzeichnete die Kontrolldichte der UNT AC auf den drei Ebenen mit den Begriffen (1) "direct control"227, (2) "supervision and control"228 und (3) "supervision"229 Es schloß die Überwachung der Verwaltungstätigkeit auch der regionalen Behörden ein230 Der ersten Stufe wurden im Pariser Agreement ausdrücklich die Schlüsselressorts Auswärtiges, Verteidigung, Finanz, Innere Sicherheit und Information auf allen Ebenen der Verwaltungshierarchie unterworfen, da die Bedeutung dieser Ressorts für ein politisch neutrales Umfeld der Wahl in Kambodscha auf der Hand lag. Für die zweite Stufe sah das Agreement vor, daß der UN-Sonderbeauftragte, in Konsultation mit dem SNC, bestimmen sollte, welche weiteren Ressorts den Wahlgang direkt beeinflussen könnten. Diese sollten dann der "supervision and control" durch UNT AC unterstellt werden. Selbst ordnete das Agreement der zweiten Stufe nur die kambodschanischen Polizeikräfte ZU231 . Im Mandatsverlauf wurden darüber hinaus noch weitere Verwaltungsbehörden der zweiten Stufe (spervision and control) unterworfen232 Ähnlich flexibel war die dritte Stufe gestaltet. Der UN-Sonderbeauftragte und der SNC hatten hier diejenigen Verwaltungsteile zu identifizieren, die normal weiterarbeiten und das tägliche Leben in Kambodscha aufrechterhalten sollten. Diese konnten dann im Einzelfall unter "supervision" der UNT AC gestellt werden. Die Stufe der "direct control" gab dem UN-Sonderbeauftragten das Recht, verbindliche Verwaltungsvorschriften ("directives") zu erlassen 233 Auf der Stufe der "supervision and control" konnte er Anleitungen ("guidance")
14.
226 Primär handelte es sich dabei um diejenigen der Regierung Hun Sen - vgl.
Ratner, AJIL 1993,
227 Annex I, Sect. B, para. I des Agreement on a Comprehensive Political Settlement of the Cambodia Conflict (abgedruckt in 31 ILM (1992), 174, 189). 228 Aa.O., para. 2.
229 Aa.O., para. 3. 230 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2. 1992, UN Doc. S/23613, para. 110.
231 Annex 1, Sect. B, para. 5 (b) des Agreement on a Comprehensive Political Settlement of the Cambodia Conflict (abgedruckt in 311LM (1992), 174, 190). 232 Bericht des Generalsekretärs v. 21. 9. 1992, UN Doc. S/24578, para. 38; s. auch unten B., 11.,
3., c), cc), (1).
233 Annex 1, Sect. B., para. 1 des Agreement on a Comprehensive Political Settlement of the Cambodia Conflict (abgedruckt in 31 ILM (1992),174,189).
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
herausgeben, die ebenfalls bindenden Charakter hatten 234 . Die dritte Stufe schließlich sah lediglich die Aufsicht ("supervision") durch UNTAC. vor235 . Dabei standen der UNT AC zusätzlich drei weitere Instrumente zur Verfügung, die auf allen drei Stufen gleichermaßen eingesetzt werden konnten. Erstens hatte der Sonderbeauftragte die Befugnis, in allen kambodschanischen Verwaltungsbehörden UNT AC-Mitarbeiter mit ungehindertem Zugang zu allen Vorgängen zu stationieren. Des weiteren konnte er die Entlassung oder Versetzung jedes kambodschanischen Verwaltungsmitarbeiters verlangen236 , ein Recht, das potentiell starke personelle Einflußmöglichkeiten mit sich brachte. Schließlich hatte UNT AC ein Untersuchungsrecht, das mit der Befugnis verbunden war, "corrective steps" zu ergreifen 237 Mit Hilfe dieser Instrumente war es der UNT AC möglich, die verschiedenen Abstufungen der Kontrolldichte über die existierenden Verwaltungsstrukturen zu realisieren. Trotz dieser weitreichenden Befugnisse hat die UNTAC die Verwaltung Kambodschas nicht völlig übernommen. Schon auf der rechtlichen Ebene war die Verantwortung der UNTAC begrenzt. So enthält bereits der drei stufige Aufbau als solcher eine beschränkende Wirkung. Die ausdrückliche Abstufung der Kontrolldichte schließt gleichzeitig die Unterwerfung aller Bereiche unter uneingeschränkte UNT AC-Kontrolle aus. Konkret setzte dies dem Umfang der UN-Kontrolle auf den beiden Stufen niederer Kontrolldichte Grenzen: sie durfte jeweils nicht das Maß der nächsthöheren Kategorie erreichen, insbesondere nicht zur "direct control" im Sinne der ersten Stufe werden. Des weiteren fand sich an verschiedenen Stellen eine funktionale Beschränkung. Kontrolle war der UNT AC nur übertragen, soweit dies erforderlich ("necessary")23R für die Wahrung politischer Neutralität war. Die begrenzende Wirkung dieser Bestimmungen war allerdings ihrerseits dadurch eingeschränkt, daß regelmäßig der UN-Sonderbeauftragte festlegte, was in diesem Sinne "erforderlich" war239 Schließlich wurden die Befugnisse der UNT AC durch die Bestimmungen über ihr Verhältnis zum SNC in Sect. A des Annex 1 begrenzt. Anders als im Bereich der Wahlorganisation blieb UNT AC auf dem Gebiet der Zivilverwaltung diesen allgemeinen Bestimmungen unterworfen. Das macht ein Vergleich der Verweisung des Art. 7 des Agreement (Zivilverwaltung) - "is set forth in annex I" - mit derjenigen des Art. 13 (Wahlorganisation) - "based on the provisions of annex 1, sect. D and annex 3." - deutlich. Für die Zivilverwaltung schließt 234 Aa.O., para. 2 : "These administrative agencies, bodies and offices ( ... ) will comply with any guidance". 235 Aa.O., para. 3. 236 Aa.O., para. 4 (a) und (b).
237 Aa.O., para. 6. 238 Vgl. a.a.O., paras. 1,3,6. 239 Vgl. a.a.O., para. I.
II. Kambodscha
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die Verweisung die allgemeine Regelung des Annex I, Sect. A ein. Das hatte zur Folge, daß einstimmige SNC-Beschlüsse grundsätzlich auch im Bereich der UNTAC-Kontrolle über die Zivilverwaltung für die UNTAC verbindlich blieben, sofern sie nicht gegen das Pariser Agreement verstießen 24O . Diese rechtlichen Grenzen der UNT AC-Befugnisse erfüllten mehrere Funktionen. Zunächst dienten die Dreistufigkeit und die funktionale Begrenzung der UNTAC-Kontrolle der praktischen Realisierbarkeit des Mandats. Die Verwaltung eines souveränen Staates von der Größe Kambodschas ist eine komplexe Aufgabe. Diese im Sinne einer echten Fremdverwaltung241 völlig zu übernehmen, ist für eine internationale Organisation wie die UNO kaum leistbar. Dem trägt die Bestimmung Rechnung, daß der Grad der Realisierung des vorgesehenen Kontrollpotentials im einzelnen weitgehend dem Ermessen der UNT AC anheimgestellt war. Daneben hatte die Begrenzung noch einen psychologischen Zweck. Schließlich handelte es sich bei Kambodscha um einen souveränen Staat, ein Mitglied der UNO. Hier galt es zum einen, Empfindlichkeiten Rechnung zu tragen, die der "Verlust der Souveränität" insbesondere bei der Regierung Hun Sen auslöste242 Die begrenzende Rolle des SNC, des Repräsentanten der kambodschanischen Souveränität, hatte diese Funktion. Überhaupt läßt sich mit der Sorge um die Souveränität die komplizierte Regelung des Umfangs der UNT AC-Befugnisse erklären, die sich - in auffälligem Kontrast z.B. zu der Übertragung von "full authority ( ... ) to administer the territory" auf die UNTEA 1962 in West Neuguinea243 - nicht mit der Einräumung einer Vollmacht für die UNO begnügte244. Zum anderen konnten auf diese Weise die Kambodschaner selbst enger in den Prozeß der Stabilisierung des Landes, der Wiedererrichtung der Staatlichkeit und insbesondere der Wahldurchführung eingebunden werden, als dies bei uneingeschränkter Treuhandverwaltung der Fall gewesen wäre. Dadurch wurde die von der UNO immer betonte Eigenverantwortlichkeit des kambodschanischen Volkes unterstrichen. Schließlich spielte für die Begrenzung noch ein politischer Aspekt eine Rolle. Wie gezeigt war UNTAC nicht als Zwangsmaßnahme, sondern als Zustimmungsoperation autorisiert worden 245 . Damit fehlten ihr die Mittel, sich gegen die einstimmige 240 Annex 1, Sect. A, 2., a) des Agreement. Eine wichtige Ausnahme bildete hier die "direct control" der Stufe 1. Eine Beschränkung der UN-Kontrolle über die 5 in dem Pariser Agreement ausdrücklich bestimmten Schlüsselressorts wäre dem SNC wegen dieser Klausel auch einstimmig nicht möglich gewesen.
241 Zum Begriffvgl. Bothe, 61. 242 Vgl. 243
Ratner, AJIL 1993, 22.
Agreement Conceming West New Guinea, UNTS 437, 276; s. auch oben A, II., 3., a).
244 Kritisch wurde dazu bemerkt, daß es eine kaum lösbare Aufgabe gewesen sei, ohne volle legislative und exekutive Gewalt ein politisch neutrales Umfeld zu schaffen - 3. Bericht des Foreign Affairs Committee des britischen Unterhauses über die Rolle der Vereinten Nationen v. 23. 6. 1993, para. 86.
245 S.o. 8., II., 2., a).
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
Haltung der vier großen Bürgerkriegsparteien durchzusetzen. Die grundsätzliche Unterwerfung der UNT AC-Kontrolle unter einstimmige Beschlüsse des SNC spiegelte diese politische Realität. Deutlicher noch als die rechtlichen Beschränkungen traten die tatsächlichen Grenzen der UNTAC-Verwaltung im praktischen Verlauf der Operation zutage. Mit der geringen Zahl von nur 260 Verwaltungsfachleuten246 war die Zivilverwaltungskomponente nicht in der Lage, die ihr durch das Mandat rechtlich eingeräumte effektive Kontrolle über die bestehende Administration tatsächlich auszuüben. Dies umso weniger, als nicht nur die Roten Khmer, sondern auch die de facto 80 % des Landes administrativ kontrollierende Regierung Hun Sen247 alles taten, um die UNT AC-Kontrolle zu unterlaufen. Schon in den zentralen Ministerien in Phnom Penh versuchten die einflußreichen Beamten, ihre Position den UNT AC-Mitarbeitern gegenüber zu verschleiern248 Auf lokaler Ebene fiel es den noch dünner gesähten UN-Beamten entsprechend schwerer, sich gegenüber den örtlichen Machthabern durchzusetzen. Selbst eindeutig der UNT AC zustehende Befugnisse wie das Recht, Personen aus der Verwaltung zu entfernen, wurden ihr von diesen teilweise verweigert 249 Um diesem Problem entgegenzuwirken, stellte UNT AC im Januar 1993 ein mobiles Kontrollteam auf, das versuchte, die Überwachung der Verwaltung außerhalb Phnom Penhs zu intensivieren250 Eine besonders wichtige Rolle in diesem Zusammenhang spielte die Informationspolitik. Neben der Überwachung der existierenden Informationsstrukturen251 richtete UNT AC eine eigene Informationsgruppe ein, die Material erstellen sollte, um die Bevölkerung über alle Aspekte des UNT AC-Mandats aufzuklären 252 Herzstück dieser Aktivität war das ab dem 9. 11. 1992 betriebene UNT AC-Radio253 , das sich mit regelmäßigen Sendungen254 in der Bevölkerung als verläßliche Berichterstattungsquelle etablieren konnte 255 Diese eigene Tä-
246 S.u. B., II., 4., b), ee). 247 Schier, KAS 9/1993, 35 f.
248 Bardehle, VN 1993,86. 249 Zu diesem Ergebnis kam eine Untersuchungskommission des französischen Senats im April 1993 nach einem Besuch in Kambod~cha - Isoart, RGDIP 1993,679. 250 Bericht des Generalsekretärs v. 3. 5. 1993, UN Doc. S/25719, paras. 57 - 59. 251 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2. 1992, UN Doc. S/23613, para. 104 f.
252 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2. 1992, a.a.O., para. 162 f. 253 Bericht des Generalsekretärs v. 21. 9. 1992, UN Doc. S/24578, para. 62; Bericht des Generalsekretärs v. 15. 11. 1992, UN Doc. S124800, para. 10. 254 Im Mai 1993 erreichte UNTAC-Radio eine tägliche Sendezeit von 15 Stunden - Bericht des Generalsekretärs v. 15.5. 1993, UN Doc. S125784, para. 9. 255 Haubold in: FAZ v. 2. 6. 1993.
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121
tigkeit war deshalb so bedeutsam, weil sowohl die Roten Khmer als auch die Hun Sen Administration ihre jeweiligen Medien entgegen dem Pariser Abkommen zu massiver Propaganda mißbrauchten, die gegen die um AC gerichtet war256 Zusammenfassend hat umAC im Bereich der Zivilverwaltung rechtlich also erhebliche Einwirkungsbefugnisse auf die bestehenden administrativen Strukturen erhalten, ohne allerdings die Verwaltung des Landes völlig übernommen zu haben. Die Konkretisierung der allgemeinen Überleitungsnorm des Art. 6 des Agreement für die Zivilverwaltung offenbart vielmehr eine kompliziert ausbalancierte Verteilung der Befugnisse zwischen der umAC, dem SNC und den fortbestehenden Verwaltungen. In der Praxis schöpfte umAC ihre Befugnisse nur zum Teil aus. Zwar etablierte sie mit einiger Verzögerung in den fünf Schlüsselministerien eine enge Überwachung der Aktivitäten. Verwaltungsentscheidungen dort wurden sowohl aposteriori als auch apriori kontrolliert, und umAC-Personal begleitete kambodschanische Spitzenfunktionäre bei all ihren Tätigkeiten257 . Insgesamt hatte die umAC aber erhebliche Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der direkten Kontrolle 258 Vor diesem Hintergrund bemühte sie sich, den SNC beziehungsweise die vier Bürgerkriegsparteien an ihren Maßnahmen auf dem Gebiet der Verwaltung vornehmlich durch die Einrichtung gemeinsamer Arbeitsgruppen zu beteiligen259 Dieser in der Literatur zum Teil angegriffene260 Kurs der Verständigung war notwendig, da UNT AC die Mittel zur Durchsetzung ihrer rechtlichen Position fehlten. Aus diesem Grund gelang es ihr auch nicht, ihre Verwaltungsbefugnisse in den von den Roten Khmer kontrollierten Landesteilen wahrzunehmen, nachdem diese ihre Mitarbeit verweigerten26l . dd) Militär Die Funktion der militärischen Komponente der umAC veränderte sich im Verlauf der Operation. Bis zum Jahreswechsel 1992/93 hatte sie die in ihrem
256 Bardehle, VN 1993, 86: Die Roten Khmer bereits seit Mitte 1992, die Hun 8en Fraktion ab Apri11993. 257 Bericht des Generalsekretärs v. 21. 9. 1992, UN Doc. 8/24578, para. 27.
258 Z.B. bei der Kontrolle des Finanzmjnisteriums - Bericht des Generalsekretärs v. 25. 1. 1993, UN Doc. 8/25124, para. 65; vgl. auch Bardehle, VN 1993,86. 259 Vgl. exemplarisch den Bericht des Generalsekretärs v. 21. 9. 1992, UN Doc. 8/24578, paras. 31,34 und 35; Bericht des Generalsekretärs v. 25. I. 1993, UN Doc. 8/25124, paras. 62, 65 und 70.
260 Bardehle, VN 1993,86. 26l Bericht des Generalsekretärs v. 21. 9. 1992, UN Doc. 8/24578, para. 26; Bericht des Generalsekretärs v. 25. I. 1993, UN Doc. 8/25124, para. 56.
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
Mandat ursprünglich vorgesehenen Aufgaben der Verifikation des endgültigen Abzugs ausländischer Truppen aus Kambodscha262, der Überwachung der Waffenstillstandsvereinbarungen, der Kontrolle der Waffen im Lande und der Hilfe bei der Minenräumung263 . Der personelle Schwerpunkt lag dabei zunächst auf der zweiten Aufgabe, zu der die kritische Durchführung der Kantonierung, Entwaffnung und Demobilisierung der Bürgerkriegsparteien gemäß den Pariser Abkommen gehörte 264 Nachdem die Verweigerung der Roten Khmer diesen Teil des Friedensplans effektiv zu Fall gebracht hatte 265 , wurde das Mandat von der UNT AC mit Zustimmung des Sicherheitsrats jedoch modifiziert. Die Kantonierung der Bürgerkriegstruppen wurde suspendiert und die Hauptaufgabe der militärischen Komponente neu definiert266 Von nun an sollte diese Komponente für Sicherheit im Umfeld des Wahlprozesses sorgen267 Dazu intensivierte sie ihre Zusammenarbeit mit der Polizeikomponente und schützte gemeinsam mit dieser Wahlveranstaltungen der Parteien. Schließlich übernahm UNTAC in Übereinstimmung mit den drei noch am Prozeß beteiligten Bürgerkriegsfraktionen allein die Verantwortung für die Sicherung der Wahllokale während der WahF68 Daneben beschäftigten sich Pioniereinheiten während der ganzen Zeit mit der Wiederherstellung für die Operation wichtiger Verkehrsverbindungen im Lande 269 und dem Minenräumprogramm 270 Die ursprünglichen Aufgaben des UNT AC-Militärs können ohne weiteres in die Rubrik des "klassischen" Peace-Keeping eingeordnet werden. Letztlich ging es hier wieder um die militärische Überwachung von Waffenstillstandsvereinbarungen. Auch das Fehlen von Zwangsbefugnissen 271 fügt sich in dieses Bild. Allerdings hebt die Tatsache, daß der zu kontrollierende Konflikt ein innerstaatlicher war, den militärischen Aspekt von UNT AC von dem klassischen Modell ab. Dies schlug sich besonders in dem modifizierten Mandat nieder, bei dem ab Anfang 1993 die Wahrung der inneren Sicherheit in den Mittelpunkt
262 Eine Aufgabe, der die UNT AC viel Aufmerksamkeit und Personal widmete, nachdem die Roten Khmer eine angebliche vietnamesische Truppenpräsenz in Kambod~cha zum Vorwand fiir ihren Bruch der Pariser Abkommen gemacht hatten - vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 12. 6. 1992, UN Doc. S/24090, para. 12; Bericht des Generalsekretärs v. 14.7. 1992, UN Doc. S/24286, para. 11. 263 Bericht des Generalsekretärs v.
19.2.1992, UN Doc. S/23613, para. 53.
264 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2. 1992, a.a.O., paras. 63 -75.
265 Bericht des Generalsekretärs v. 15. 11. 1992, UN Doc. S/24800, paras. 7 und 17. 266 Bericht des Generalsekretärs v. 3. 5. 1993, UN Doc. S/25719, para. 6. 267 Bericht des Generalsekretärs v. 15. 11. 1992, UN Doc. S/24800, para. 31. 268 Bericht des Generalsekretärs v. 3.5.1993, UN Doc. S/25719, para. 37.
269 Bericht des Generalsekretärs v. 3. 5.
1993, a.a.O., para. 50.
270 Bericht des Generalsekretärs v. 3.5. 1993, a.a.O., paras. 52 - 56.
271 S.o. 8., 11 .. 2., a).
11. Kambodscha
123
rückte. In dieser Phase der Operation verließ insofern auch die militärische Komponente die Bahnen traditioneller Friedensoperationen. ee) Polizei Die Aufgabe der UNT AC-Polizei war derjenigen des Militärs ähnlich. Die Verantwortung für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit verblieb nach dem Pariser Abkommen in den Händen der existierenden Polizeikräfte der vier Bürgerkriegsfraktionen272 Demgegenüber hatten die UNT AC-Polizisten den Auftrag, deren Verhalten zu überwachen und zu kontrollieren273 sowie sie in Polizei technik und Recht auszubilden 274. Auch sollten sie durch bloße Präsenz "Flagge zeigen"275 und so in der Bevölkerung Vertrauen für UNT AC gewinnen. Daneben bestand ihre Aufgabe in der Unterstützung der verschiedenen anderen UNT AC-Komponenten, insbesondere der Menschenrechtsgruppe und der Wahlorganisation 276 Mit Näherrücken der Wahl, also ab Anfang 1993, trat immer stärker das Ziel in den Vordergrund, Sicherheit und ein neutrales Umfeld für die Wahl herzustellen. Dazu wurden zusammen mit der militärischen Komponente von UNT AC verschiedene Maßnahmen wie Z.B. die Bewachung von Parteibüros ergriffen277 Obwohl der gesamte Bereich der inneren Sicherheit der "direct control" der UNTAC-Zivilverwaltungskomponente unterstellt war278 , kam der UNTAC-Polizei als solcher keine eigene Polizeigewalt zu. Allerdings konnte ihr Polizeigewalt aufgrund ihrer Zuständigkeit für die Unterstützung anderer Komponenten der UNT AC zuwachsen. Insoweit als der Menschenrechts-, Wahl- und Zivilverwaltungskomponente der UNT AC hoheitliche Befugnisse zukamen, 272 Jede der vier Parteien hatte eigene Polizeikräfte in den von ihr kontrollierten Landesteilen. Dabei entfielen auf die Regierung Hun Sens 47.000, auf die Roten Khmer 9.000, auf die Royalisten (FUNCINPEC) 150 und auf die von Son San gefiihrte Gruppierung 450 Mann - Bericht des Generalsekretärs v. 19.2.1992, UN Doc. SI23613, paras. 114 - 118.
273 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2. 1992, UN Doc. S/23613, paras. 112, 124 und 127. 274 Bericht des Generalsekretärs v. 19. 2. 1992, UN Doc. S/23613, para. 126; Bericht des
Generalsekretärs v. 15. 11. 1992, UN Doc. S/24800, para. 13.
275 Bericht des Generalsekretärs v. 21. 9. 1992, UN Doc. S/24578, para. 46. 276 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2. 1992, UN Doc. S/23613, paras. 124 und 127; Bericht des Generalsekretärs v. 21. 9. 1992, UN Doc. S/24578, para. 43; Bericht des Generalsekretärs v. 15. 11. 1992, UN Doc. S124800, para. 12. 277 Bericht des Generalsekretärs v. 3. 5. 1993, UN Doc. S/25719, para. 80.
2n In diesen Zusammenhang gehört auch das Recht des UN-Sonderbeauftragten, die Zahl der
benötigten kambodschanischen Polizisten fiir jede der vier Bürgerkriegsparteien verbindlich festzulegen und damit direkten Einfluß auf den Umfang der lokalen Polizei zu nehmen.- Annex I, Sect. B, Nr. 5 (a) des Agreement on a Comprehensive Political Settlement of the Cambodia Conflict (abgedruckt in 31 ILM (1992), 174, 190); Bericht des Generalsekretärs v. 19.2. 1992, UN Doc. S/23613, 112.
124
B. Peace-Keeping der zweiten Generation
konnte deren Vollzug auf UNTAC-Polizisten delegiert werden, wenn und soweit diese für die delegierende Komponente unterstützend tätig wurden. Hauptbeispiel dafür ist die Festnahmebefugnis im Auftrag des am 6. 1. 1993 eingerichteten UNT AC-Sonderbüros für die Verfolgung politisch motivierter Straftaten und Menschenrechtsverletzungen, dessen Einrichtung auf die Befugnisse in den Bereichen Menschenrechte und Zivilverwaltung gestützt worden war279 In diesem Zusammenhang führte die UNT AC-Polizei eigene Ermittlungen in Fällen schwerer Straftaten durch280 . Die Reichweite dieser indirekten Befugnisse blieb aber unklar281 . Die Tatsache, daß der UNT AC-Polizei als solcher polizeiliche Vollzugsbefugnisse fehlten, erwies sich als schweres Handicap der Operation282 . Aufgrund dieses begrenzten Mandats war die UNT AC-Polizei gezwungen, der in Kambodscha um sich greifenden Kriminalität, der die lokalen Behörden nicht beikommen konnten 283 oder wollten284, weitgehend tatenlos zuzusehen. Dies kostete die UNTAC einiges an Vertrauen in der Bevölkerung285 fi) Wiederaufbau
Angesichts der desolaten Lage Kambodschas, dessen Staatswesen völlig zerrüttet war286 , kam der Aufgabe des Wiederaufbaus große Bedeutung zu. Dennoch ist sie in dem das UNT AC-Mandat vorzeichnenden Annex 1 des Agreement on a Comprehensive Political Settlement mit keinem Wort erwähnt. Ihr ist vielmehr die Declaration on the Rehabilitation and Reconstruction of Cambodia 287 (im Folgenden: Declaration) gewidmet, die neben dem Agreement ein weiterer Bestandteil der Pariser Abkommen vom 23. 10. 1991 ist. In para. 2 dieser Declaration wird klargestellt: "The main responsibility for deciding 279 s. o. B., 11., 3., b), bb). 280 Bericht des Generalsekretärs v. 3. 5. 1993, UN Doc.
S/25719, para. 82.
281 Zu dieser Bewertung kam auch eine Delegation des britischen Unterhauses, die im März 1993
Kambodscha besuchte - 3. Bericht des Foreign Affairs Committee des britischen Unterhauses über die Rolle der Vereinten Nationen v. 23. 6. 1993, Annex A, 20. 282 In dem 3. Bericht des Foreign Affairs Committee des britischen Unterhauses über die Rolle der Vereinten Nationen v. 23. 6. 1993, para. 82 wird die Polizeikomponente als "the weakest link in the UNTAC operation" bezeichnet. 283 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 3. 5. 1993, UN Doc.
S/25719, para. 82.
284 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 25. I. 1993, UN Doc.
Generalsekretärs v. 3. 5. 1993, UN Doc. S/25719, para. 5.
S/25 124, para. 95; Bericht des
285 Vgl. Dodd in: Die Welt v. 4. 8. 1993; Bardehle, VN 1993,86. 286 Vgl. zum Maß der Zerrüttung Kambodschas Freiling in: Die Zeit v. 3. 4. 1992. 287 Abgedruckt in 31 ILM (1992),174,203 ff.
II. Kambodscha
125
Cambodia's reconstruction needs and plans should rest with the Cambodian people and the government formed after free and fair elections. No attempt should be made to impose a development strategy on Cambodia (... )"288 Damit wurde deutlich gemacht, daß der UNT AC im Bereich des Wiederaufbaus lediglich eine unterstützende Funktion zuerkannt wurde. Diese Einschränkung spiegelte sich in ihrem Auftrag. Die Declaration unterscheidet zwischen "rehabilitation" und "reconstruction". Die Rehabilitationsphase lief vom Beginn der Übergangszeit bis zur Bildung einer neuen Regierung, während der langfristige Wiederaufbau ("reconstruction") erst nach der Regierungsbildung beginnen sollte289 . Während die "reconstruction" damit schon zeitlich aus dem UNT AC-Mandat herausfiel, war ihr im Bereich der "rehabilitation" eine Rolle zugedacht. Die unter "rehabilitation" zusammengefaßten Aufgaben waren umfassend und vielfaltig. Einerseits galt es, dringende Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. Hierunter fielen humanitäre Hilfe wie die Versorgung mit Nahrungsmitteln, Unterkunft, Medikamenten u.ä., Wiederansiedlungshilfe für Flüchtlinge und Vertriebene z.B. in Form von Trinkwasserversorgung, Schulen und landwirtschaftlichem Gerät und schließlich der Wiederaufbau der Infrastruktur sowohl in verkehrstechnischer als auch in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht29o . Darüber hinaus fielen die erforderlichen Wiedereingliederungsmaßnahmen für die demobilisierten Kämpfer der Bürgerkriegsparteien in das Aufgabenspektrum der Wiederaufbaukomponente. Vorwiegend handelte es sich dabei um Berufsausbildung auf den verschiedensten Gebieten - von kaufmännischen bis hin zu technischen Berufen291 Damit wirkte die UNTAC-Wiederaufbaukomponente trotz der Beschränkung auf "rehabilitation" in alle Lebensbereiche hinein. Daß diese Komponente dennoch mit einer auffällig kleinen Zahl von Mitarbeitern auskam292 , läßt sich damit erklären, daß sie lediglich die Aufgabe hatte, die verschiedenen Wiederaufbaumaßnahmen zu koordinieren 293 . Ausgeführt wurden diese dann von den unterschiedlichsten Stellen. So wurden für Reparaturen der Verkehrs infrastruktur Teile der militärischen Komponente294 ebenso herangezogen wie private Vertragspartner295 , Aufgaben im Zusammenhang mit 288 31 ILM(1992), 174,203. 289 Paras. 8 und 11 der Declaration (abgedruckt in 31 ILM (1992), 174,204). 290 Bericht des Generalsekretärs v. 19. 2. 1992, UN Doc. S/23613, para. 153.
291 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2.1992, a.a.O., para. 154. 292 S.u. 8., II., 4., b), ff). 293 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2.1992, UN Doc. S/23613, para. 152.
294 Bericht des Generalsekretärs v. 3.5.1993, UN Doc. S/25719, para. 50. 295 Bericht des Generalsekretärs v. 7. 5. 1992, UN Doc. A/46/903, Annex II, para. 47.
126
B. Peaee-Keeping der zweiten Generation
der Wiedereingliederung von Flüchtlingen wurden von der Repatriierungsgruppe des UNHCR in Zusammenarbeit mit dem UN Development Programme (UNDP) wahrgenommen 296 , Ausbildungs- und Versorgunsaufgaben teilweise von UNICEF297. Bedeutsamer noch war im gesamten Bereich des Wiederaufbaus die direkte Tätigkeit der Entwicklungshilfe leistenden Staaten und der nichtstaatlichen internationalen Organisationen (NGOS)298. NGOs wurden im Rahmen dieser Komponente in weitreichender Weise in die Anstrengungen der UNT AC einbezogen und an der Steuerung der Programme durch internationale Konferenzen auch direkt beteiligt299 Die der zuständigen UNT AC-Abteilung unmittelbar zufallende Rolle der Koordination hatte demgegenüber den doppelten Zweck. einerseits durch Kanalisierung der aus vielen Quellen herbeiströmenden Hilfe deren Effizienz zu steigern300 und zum anderen neutral über die Verteilung der Hilfe auf die Einflußgebiete der vier Bürgerkriegsparteien zu befinden, um dadurch Verzerrungen des politische Umfelds im Vorfeld der Wahl auszuschalten 301 . Dies war eine politisch bedeutsame Funktion, da internationale Hilfe oftmals nur dann floß, wenn ihre unparteiische Verwendung sichergestellt war. In der Praxis wurde der aufgezeigten Eigenverantwortung der Kambodschaner für den langfristigen Wiederaufbau ihres Landes dadurch Rechnung getragen, daß alle Entscheidungen über Wiederaufbaumaßnahmen während der Übergangsphase vom SNC gefallt wurden, der dabei freilich oft den Vorschlägen der UNTAC folgte 302 . Sogar bei der Durchsetzung von Entscheidungen des SNC auf diesem Feld wie z.B. dem Exportstopp für Tropenholz, der zum Schutz der natürlichen Ressourcen Kambodschas beschlossen wurde, wurde darauf geachtet, daß UNTAC lediglich beobachtend tätg wurde303 , während die Vollzugsmaßnahmen den kambodschanischen Polizei- und Verwaltungskräften vorbehalten blieben304 Ob der Wiederaufbau der kambodschanischen Wirtschaft über den von der Anwesenheit der UNT AC erzeugten kurzfristigen Boom305 hinaus auch dauerhaft erfolgreich sein wird, ist schwer abzuschätzen. 296 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 19. 2. 1992, UN Ooe. S/23613, para.,. 137 (a) und 138 (e). 297 Bericht des Generalsekretärs v. 21. 9. 1992, UN Ooe. S/24578, para. 54.
29R Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 19.2. 1992, UN Ooe. S/23613, para. 157.
299 Bericht des Generalsekretärs v. 13.2. 1993, UN Ooe. S/25289, para. 32. 300 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2.1992, UN Ooe. S/23613, para. 156. 301 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 21. 9.1992, UN Ooe. S/24578, para. 53. 302 Bericht des Generalsekretärs v. 21. 9. 1992, UN Ooe. S/24578, paras. 54, 55 und
des Generalsekretärs v. 25.1. 1993, UN Ooe. S/25124, paras. 86, 87 und 88.
303 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 3. 5.
1993, UN Ooe. S/25719, para. 98.
304 Bericht des Generalsekretärs v. 25. 1. 1993, UN Ooe. S/25 124, para. 89.
305 Siegele in: Oie Zeit v. 23. 7.
1993, 17.
58; Bericht
II. Kambodscha
127
Zwar signalisierte die Weltgemeinschaft schon im Juni 1992 unerwartet große Hilfsbereitschaft durch die Zusage von rund 880 Mio. Dollar für das Wiederaufbauprogramm306 . Die tatsächlichen Zahlungen zogen sich dann allerdings erheblich in die Länge und verschleppten auf diese Weise die geplanten Maßnahmen in bestimmten Bereichen in besorgniserregender Weise. So waren im Februar 1993 erst 95 Mio. Dollar tatsächlich geleistet worden 307 gg) Repatriierung Auch bei der Repatriierung waren die rechtlichen Befugnisse der UNO begrenzt. Die Flüchtlingsrückkehr war konstruiert als individuelles Recht der einzelnen Rückkehrwilligen auf Rückkehr nach Kambodscha. Die UNT AC sollte die Ausübung dieses Rechts nur erleichtern und im Hinblick auf die erwartete Menge der Rückkehrer organisieren30R . Diese Begrenzung ergibt sich aus dem Text der Pariser Abkommen. In dem mit der Repatriierung befaßten Annex 4 des Agreement309 wird die UNO nur im dritten Teil unter der Überschrift "Operational Factors" erwähnt. An erster Stelle steht dort die Betonung der Souveränität der beteiligten Staaten, einschließlich Kambodschas 31O Die Rolle der internationalen Organisationen in diesem Prozeß wird als "Unterstützung" ("assisting" oder "assistance") beschrieben311 Dies entspricht der Formulierung in Art. 20 (2) des Agreement, in dem der UNO die Aufgabe vorgegeben ist, "to facilitate the repatriation"312. Dennoch war die Rolle der Repatriierungskomponente, die unter der Führung des UNHCR stand und außerhalb des UNT AC-Budgets durch freiwillige Leistungen finanziert wurde 313 , in der Praxis weitreichend. Ihre Aufgabe, die rund 365.000 314 in Thailand lebenden Flüchtlinge rechtzeitig zur Teilnahme an der Wahl nach Kambodscha zurückzuführen315 , erforderte nicht nur die Orga-
306 Bericht des Generalsekretärs v. 21. 9. 1992, UN Doc. S/24578, para. 52. 307 Bericht des Generalsekretärs v. 13.2. 1993, UN Doc. S/25289, para. 31. 308 Art. 20 des Agreement on a Comprehensive Political Settlement of the Cambodia Conflict (abgedruckt in 31 ILM (1992), 174, 187). 309 31 ILM (1992),174,198 f 310 Annex 4. para. 8. 31 1 Z. B. Annex 4, paras. 9 und 1 I. 312 31 ILM (1992),174,187. 313 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2.1992, UN Doc. S/23613, paras. 132 und 149. 314 Bericht des Generalsekretärs v. 3. 5. 1993, UN Doc. S/25719, para. 88. 315 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2. 1992, UN Doc. S/23613, para. 149.
128
B. Peace-Keeping der zweiten Generation
nisation des tatsächlichen Rücktransports dieser Menschen 316 , sondern darüber hinaus die Identifizierung und Zuweisung geeigneter Landflächen für die Heimkehrer317 und deren Ausstattung mit den nötigsten Hilfs- und Lebensmitteln, um sich dort niederlassen zu können318 . Ein besonderes Problem im Zusammenhang mit der Rückkehr der Flüchtlinge und der Landzuteilung bestand in der Gefahr durch die überall verbliebenen Minen aus dem Bürgerkrieg. Dementsprechend lag hier ein Schwerpunkt des UNT AC-Minenräumprogramms 319 . Zwar verzögerte sich die ursprünglich auf neun Monate, d.h. April bis Dezember 1992, angesetzte 320 Repatriierung u.a. aufgrund des langwierigen Minenräumungsprozesses 321 , aber auch aus Geldmangel und wegen 12.000 verarmter Kambodschaner, die, wiewohl selbst keine Flüchtlinge, von dem Repatriierungsprogramm profitieren wollten322 . Trotzdem konnte die Repatriierung Ende April 1993 - und damit rechtzeitig zur Wahl - abgeschlossen werden 323 . Unter Beobachtern besteht Einigkeit darüber, daß die Rückführung der gewaltigen Menge kambodschanischer Flüchtlinge einen der größten Erfolge der UNTAC-Operation darstellt 324 . c) Einfluß auf die staatlichen Gewalten
Kambodscha war ein weitgehend nach sozialistischen Konzepten organisiertes Land. Das hatte Folgen für die Gliederung der Staatsgewalt. Die drei klassischen Gewalten waren nicht nach dem Prinzip der Trennung, sondern der Ein-
316 Bericht des
Generalsekretärs v. 19.2. 1992, a.a.O., para. 138.
317 Bericht des Generalsekretärs v. 19. 2. 1992, a.a.O., para. 141. Bei dieser Aufgabe bediente sich die UNO erstmals in großem Umfang der Hilfe von Beobachtungssatelliten - Heintze, Zeitschrift fur Luft- und Weltraumrecht 1993, 279 ff. 318
Bericht des Generalsekr~tärs v. 19.2.1992, a.a.O., paras. 144-146.
319
Bericht des Generalsekretärs v. 19.2. 1992, a.a.O., paras. 134 und 142.
320 Bericht
85.
321
des Generalsekretärs v. 19.2. 1992, a.a.O., para. 137.
Bericht des Generalsekretärs v. 21. 9. 1992, UN Doc. S/24578, para. 49; Bardehle, VN 1993,
322 OpitzlSeemüller, 323
VN 1992, 131.
Bericht des Generalsekretärs v. 3. 5. 1993, UN Doc. S/25719, para. 88.
324 Vgl.
den Eindruck der Delegation des britischen Unterhauses, die Kambodscha im März 1993 besuchte: "The repatriation by UNHCR of refugees ( ... ) has been an enormous success and the Committee was extremely impressed by the exercise." - 3. Bericht des Foreign Affairs Committee des britischen Unterhauses über die Rolle der Vereinten Nationen v. 23. 6. 1993, Annex A, para. 16. Zu einem ähnlich positiven Urteil kommen auch: Will, Aussenpolitik 1993, 397; Isoart, RGDIP 1993. 682; Bardehle, VN 1993,87.
Ir. Kambodscha
129
heit organisiert325 Weder war die Justiz unabhängig, noch gab es einen von der Exekutive klar zu scheidenden Gesetzgeber oder ein im Rang über Exekutiverlassen stehendes Normgefüge. Die Folge war ein erhebliches Übergewicht der exekutiven Gewalt im kambodschanischen Staatswesen326 und das teilweise völlige Fehlen funktionstüchtiger Gremien der Legislative und Rechtsprechung. Dazu kam die Aufspaltung der Staatsgewalt zwischen den vier Bürgerkriegsparteien - wenn auch die Strukturen der Regierung Hun Sen in Phnom Penh eindeutig dominant waren 327 Vor diesem Hintergrund muß das UNT AC-Mandat gesehen werden. Während auf den Feldern der Judikative und Legislative, also dem gesamten Gebiet des Rechts im Lande, weitgehend Neuaufbau zu leisten war, galt es die Exekutive zu zügeln und Machtmißbrauch einzuschränken, aber auch die durch die Zersplitterung und den langen Bürgerkrieg zerstörte Verwaltungsinfrastruktur wiederzuerrichten. aa) Judikative In die Kategorie der rechtsprechenden Gewalt im weitesten Sinne können diejenigen Funktionen der UNT AC eingeordnet werden, die die verbindliche Schlichtung von Streitigkeiten zwischen einzelnen beziehungsweise einzelnen und der bestehenden Exekutive sowie die Strafverfolgung zum Gegenstand hatten. Dies sind insbesondere die der UNT AC eingeräumten Untersuchungsbefugnisse gewesen. Solche bestanden zunächst im Zusammenhang mit der Wahrung der Menschenrechte. UNT AC hatte die Aufgabe, nicht nur aus eigener Initiative mögliche Menschenrechtsverletzungen zu prüfen, sondern auch einen Mechanismus zur Untersuchung von Menschenrechtsbeschwerden Dritter einzurichten. Als Ergebnis solcher Untersuchungen konnte sie bindende Entscheidungen fällen 328 Diese judikative Aufgabe führte zum einen während der Übergangszeit zu einer Fülle von Einzelverfahren, in denen die behauptete Verletzung individueller Menschenrechte geprüft wurde 329 Zum anderen \\'urde auf ihrer Grundlage untersucht, ob Häftlinge in kambodschanischen Gefängnissen aus politischen Gründen fest gehalten wurden. Knapp 260 als politische Gefangene eingestufte Personen wurden als Folge dieser Untersuchung bis zum September
325 Donovan, The International Lawyer 1993, 450. 326 Donovan, The International Lawyer
1993, 448.
327 Donovan, The International Lawyer 1993, 447. 328 Bericht des Generalsekretärs v. 19. 2. 1992, UN Doc. S/23613, para. 18 f 329 Bis zum Dezember 1992 allein 150 Venahren - Bericht des Generalsekretärs v. 3. 12. 1992, UN Doc. A/471733, para. 41; s. auch o. B., Ir., 3., b), bb). 9 Hufnagel
130
B. Peaee-Keeping der zweiten Generation
1992 freigelassen 33o . Die geringe Personalstärke der Menschenrechtsgruppe hinderte diese allerdings daran, den weiteren Weg der so Entlassenen zu verfolgen 33 !. Ein vergleichbares Untersuchungsrecht mit der Befugnis zu verbindlichen Entscheidungen bestand im Bereich der zivilen Verwaltung im allgemeinen. Dies ermöglichte es den Kambodschanern, auch unabhängig von möglichen Menschenrechtsverletzungen Beschwerde gegen die bestehende Verwaltung zu führen, wenn deren Tätigkeit mit den Pariser Abkommen für unvereinbar gehalten wurde 332 Vornehmlich wurden in dieser Verfahrensform Streitigkeiten über Grundeigentum behandelt333 . Ausdrücklich auf diese Untersuchungsbefugnisse stützte die UNT AC im Januar 1993 schließlich die Aufnahme einer eigenen Strafverfolgungstätigkeit in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen334, die bald darauf zu ersten Mordverfahren führten 335 . Über die Untersuchungsrechte hinaus erfüllte UNTAC bemerkenswerte judikative Funktionen auf dem Gebiet der Wahlorganisation. Die ihr zugewiesene Verantwortung für die Wahldurchführung brachte es mit sich, daß UNT AC zur Klärung von wahlrechtlichen Streitfallen, wie z.B. der Frage der Wahlberechtigung im Einzelfall, berufen war. Zu diesem Zweck sah das Wahlgesetz das Recht jedes nicht zugelassenen Wählers zur Anfechtung der Nichtzulassung vor dem zuständigen UNT AC-Distriktswahlleiter vor 336 Die Bedeutung dieser rechtsprechenden Befugnisse wird klarer, wenn man sich vor Augen hält, daß gerichtliche Streitschlichtung in Kambodscha traditionell eine untergeordnete Rolle gegenüber der außergerichtlichen Einigung spielt337 Dies, gepaart mit der jahrelangen Bürgerkriegssituation und der oben erwähnten, auf dem sozialistischen Ordnungsmodell beruhenden Bedeutungslosigkeit der Justiz, führte dazu, daß ein allgemeines Gerichtswesen im Lande
330 Bericht des Generalsekretärs v. 21. 9. 1992, a.a.O., para. 11. 33! Bardehle, VN 1993,85. 332 Bericht des Generalsekretärs v. 19. 2. 1992, UN Ooe. S/23613, para. 107 f; Annex I, Seet. B, para. 6 des Agreement on a Comprehensive Politieal Settlement ofthe Cambodia Confliet, abgedruckt in 311LM (1992),174,190. 333 Bericht des Generalsekretärs v. 25. I. 1993, UN Ooe. S/25 124, para. 72. 334 Bericht des Generalsekretärs v. 25. 1. 1993, a.a.O., para. 103. 335 Bericht des Generalsekretärs v. 13.2. 1993, ON Ooe. S/25289, para. 15. 336 Bericht des Generalsekretärs v. 25. I. 1993, UN Ooe. S/25124, para. 30. 3370onovan, The International Lawyer 1993, 446 und 452.
Ir. Kambodscha
BI
praktisch kaum existierte338 Bei der Neuerrichtung eines kambodschanischen Gerichtswesens aus diesem Zustand spielte UNT AC abermals eine erhebliche Rolle, indem sie die Ausbildung von Richtern und Anwälten organisierte. Im November 1992 wurde beispielsweise die Ausbildung von 60 Verteidigern abgeschlossen339 - ein höchst bedeutsames Unterfangen in einem Land, in dem es bislang keine professionellen Strafverteidiger gab 34O . Ebenfalls in diesen Zusammenhang fallt die von der UNT AC angeregte Einrichtung einer Berufungsinstanz, die dem kambodschanischen Gerichtswesen bislang fremd war341 . Wenn es sich hierbei auch nicht um die Ausübung rechtsprechender Gewalt im engeren Sinne handelte, so enthielt diese Facette der Tätigkeit der UNT AC auf dem Gebiet der Justiz doch vielleicht den bedeutendsten Beitrag zum staatsorganisatorischen Neuaufbau Kambodschas. Hier wurden Wurzeln für die Entstehung eines funktionsfahigen Justizsystems gelegt, der unverzichtbaren Grundlage jedes an Recht und Gesetz orientierten Staatswesens. bb) Legislative Als legislative Funktionen der UNT AC sollen solche Aufgaben zusammengefaßt werden, bei deren Wahrnehmung die UNT AC entweder selbst als Gesetzgeber auftrat oder den Inhalt vom SNC erlassener Gesetze durch beratende Mitwirkung entscheidend beeinflußte. Umfassende legislative Befugnisse wuchsen der UNT AC bezüglich des Wahlrechts zu. In Annex 1, Sect. D, para. 3 (a) des Agreement on a Comprehensive Political Settlement of the Cambodia Conflict342 war ihr das Recht eingeräumt worden, ein Wahlrecht zu schaffen. Wenngleich dies in Konsultation mit dem SNC geschehen sollte und auch geschah 343 , hat UNTAC nach diesen Bestimmungen beim Wahlrecht selbst die gesetzgeberische Befugnis gehabt344
338 So gab es in ganz Kambodscha nur ca. 70-90 Richter - Donovan, The International Lawyer 1993,447 und 450 f Vgl. auch Duffy, HRQ 1994,93. 339 Bericht des Generalsekretärs v. 25. 1. 1993, UN Doc. S/25124, para. 16. 340 Donovan, The International Lawyer 1993,450. 341 Donovan, The International Lawyer 1993,451, FN. 22. 342 31 ILM (1992),174,191. 343 Vgl. z.B. den Bericht des Generalsekretärs v. 1. 5. 1992, UN Doc. S/23870, para. 15 f: Bericht des Generalsekretärs v. 14.7.1992, UN Doc. S/24286, para. 15; Bericht des Generalsekretärs v. 21. 9. 1992, UN Doc. S/24578, para. 13. 344Daher konnte die von Prinz Sihanouk Anfang 1993 im SNC vorgeschlagene Wahlrechtsänderung gegen die Ablehnung des UN-Sonderbeauftragten nicht zustandekommen - s. o. 8., H., 3., b), aa).
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
und verkündete schließlich auch selbst das Wahlgesetz345 . Diese Befugnis reichte weit. Auf ihrer Grundlage konnte UNT AC erforderlichenfalls sogar Strafgesetze erlassen346 . Unter dem Vorbehalt einer SNC-Entscheidung nach dem allgemeinen Verfahren des Annex 1, Sect. A des Pariser Agreement347 konnte UNTAC des weiteren im Bereich der allgemeinen Verwaltung begrenzt selbst gesetzgeberisch tätig werden. So gab die Bestimmung des Annex 1, Sect. D, para. 3 (b) der UNT AC das Recht, bestehende Gesetze aufzuheben, die den Zweck des Agreement gefährden konnten. Dies ging über den Bereich des Wahlrechts im· engeren Sinne hinaus und taugte als Ermächtigung für die Aufhebung von Gesetzen in fast allen Bereichen der Zivilverwaltung348 Diese Befugnis nutzte UNT AC z.B. im Bereich der Inneren Sicherheit für die Zusammenstellung des geltenden Rechts und die Abänderung solcher Bestimmungen, die gegen das Pariser Agreement verstießen 349 Die eigene legislative Befugnis der UNT AC war dabei allerdings auf die Aufhebung von Gesetzen beschränkt; die Verabschiedung neuer Gesetze stand ihr in diesem Kontext nicht zu. Dementsprechend wurde sie bei der Schaffung neuer Gesetze außerhalb des Wahlrechts nicht selbst als Gesetzgeber tätig - diese Rolle war dem SNC zugewiesen, der überhaupt hauptsächlich als legislatives Organ in Erscheinung trat. Die UNT AC nahm jedoch starken Einfluß auf den Inhalt der vom SNC beschlossenen Gesetze. So bewegte sie den SNC dazu, den wichtigsten internationalen Menschenrechtsinstrumenten beizutreten, und durchforstete die bestehenden Gesetze auf ihre Vereinbarkeit mit diesen Instrumenten350 Darüber hinaus initiierte UNT AC die Verabschiedung von Gesetzen durch den SNC, in denen z.B. die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit garantiert wurden. Ein Übergangsstraf- und -strafprozeßrecht wurden vom SNC auf Vorschlag der UNTAC genauso verabschiedet351 , wie ein vorläufiges Straßenverkehrsrecht352 .
345 Bericht des Generalsekretärs v. 25. I. 1993, UN Doc. S/25124, para. 33: "promulgated by UNTAC".
346 Ein Beispiel ist eine im März 1993 erlassene Verordnung, die den Waffenbesitz unter Strafe ,teilte - Bericht des Generalsekretärs v. 3.5. 1993, UN Doc. S/25719, para. 84. 347 S.o. 8., 11., 3., a). 348 Um dieses Potential beurteilen zu können, war UNT AC umfassend über die bestehenden Gesetze zu unterrichten- Bericht des Generalsekretärs v. 19.2.1992, UN Doc. S123613, para. 103. 349 Bericht des Generalsekretärs v. 21. 9. 1992, UN Doc. S124578, para. 34. 350 Bericht des Generalsekretärs v. 21. 9. 1992, a.a.O., para. 6; DuflY, HRQ 1994,95.
351 Bericht des Generalsekretärs v. 21. 9. 1992, a.a.O., para. 28.
352 Bericht des Generalsekretärs v. 25. I. 1993, UN Doc. S/25124, para. 63.
H. Kambodscha
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Nach der Wahl beriet UNT AC schließlich die verfassunggebende Versammlung bei der Ausarbeitung der neuen Verfassung 353 . Diese Darstellung, die besonders bezüglich der beratenden Mitwirkung bei der Gesetzgebung während der Übergangszeit bei weitem nicht erschöpfend ist, offenbart weite legislative Funktionen der UNT AC. Sie war vollwertiger Gesetzgeber im Bereich des Wahlrechts im weitesten Sinne. Auf allen anderen Gebieten hatte sie weitreichende kassatorische Befugnisse und war an der inhaltlichen Gestaltung neuer Gesetze für die Übergangsphase vielfältig beratend beteiligt. Das in Kambodscha während dieser Phase geltende Recht wurde also in weiten Teilen von der UNTAC geprägt. cc) Exekutive In dem von Zersplitterung und Funktionsuntüchtigkeit der bestehenden Verwaltung gekennzeichneten Umfeld stellte sich das Mandat der UNT AC als eine Mischung aus Kontrolle und Selbstvornahme von Verwaltungstätigkeiten dar, als eine Mischung also aus kontrollierter Selbst- und echter Fremdverwaltung. (1) Allgemeine Venvaltung
Deutlich wird dies zunächst in den fünf Schlüsselressorts, die der "direct control" unterworfen waren. Neben der reinen Überwachung griff UNT AC auch selbst steuernd in Verwaltungsabläufe ein. Dies geschah sowohl durch Verwaltungsvorschriften und Personalentscheidungen als auch durch die Beteiligung von UNT AC-Personal an Verwaltungshandlungen und durch die Mitgliedschaft in Entscheidungsgremien. Beispielsweise übernahmen UNT AC-Beamte, die dem Außenministerium zugeordnet waren, Funktionen einer Einwanderungs- und Zollbehörde354 Im Ministerium für Innere Sicherheit stellten UNT AC-Beamte verbindliche "Codes of Conduct" auf und führten den Vorsitz in einer Arbeitsgruppe "Innere Sicherheit"355. Eine ähnliche Arbeitsgruppe wurde im Informationsministerium eingerichtet356 Oft war die Grenze zwischen Kontrolle und Selbstvornahme fließend. In den Finanzbehörden waren z.B. nicht nur nachträgliche Ausgabenkontrollen vorgesehen, sondern UNT AC 353 Bericht des Generalsekretärs v. 16. 7. 1993, UN Doc. S/26090, para. 4; Bericht des Generalsekretärs v. 26.8. 1993, UN Doc. S/26360, para. 4. 354Bericht des Generalsekretärs v. 21. 9. 1992, UN Doc. S/24578, para. 31; Bericht des Generalsekretärs v. 3. 5. 1993, UN Doc. S125719, para. 62. 355 Bericht des Generalsekretärs v. 21. 9.1992, a.a.O., para. 34. 356 Bericht des Generalsekretärs v. 21. 9. 1992, a.a.O., para. 36.
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
war in der Lage, einzelne Ausgabenposten auch im Vorfeld zu prüfen und zu genehmigen357 Auch der im Verteidigungsministerium eingerichtete Mechanismus der "a priori"-Kontrolle bevorstehender Entscheidungen durch UNT AC358 ging über bloße Kontrolle hinaus. Die UNT AC-Einwirkung auf die Verwaltung beschränkte sich nicht auf das Primärziel, ein faires Umfeld für die Wahl zu schaffen. In vielen Bereichen wurde die 18monatige Übergangsperiode darüber hinaus für den Neuaufbau staatlicher Strukturen und Versorgungseinrichtungen genutzt, die nicht direkt mit den Wahlen in Verbindung standen. Ein Beispiel sind die Bemühungen der UNT AC, die kambodschanische Volkswirtschaft zu stabilisieren359 . UNT AC versuchte hier z. B. durch gezielte Markteingriffe, die galoppierende Inflation einzudämmen360 Im Rahmen der Beteiligung gemäß der Stufe 2 - "supervision and control"361 - nahm die UNT AC weiterhin Einfluß auf die Verwaltung in den vielfaltigen Bereichen Gesundheitswesen, Erziehung, Landwirtschaft, Fischerei, Post- und Telekommunikation, Energie, Verkehr, Tourismus, Minen oder Hafenadministration362 . Das Erscheinungsbild der polizeilichen Tätigkeit der UNT AC blieb demgegenüber zwiespältig. Zwar übernahmen die UNT AC-Polizisten ab Anfang 1993 einige echte Polizeifunktionen wie den Schutz der politischen Parteien363 selbst und widmeten sich auch den während der Übergangsphase verschärft auftauchenden Problemen der Bandenkriminalität und der Verkehrskontrolle364 Dabei blieb die UNT AC allerdings nach ihrem Mandat weitgehend auf Ausbildung, Anleitung, Beratung, Überwachung und Unterstützung der einheimischen Polizei beschränkt und übernahm nicht selbst die Verantwortung für die innere Sicherheit. Einfluß auf die Verwaltung des Landes nahm mit ihren geschilderten Aktivitäten natürlich auch die Wiederaufbaukomponente. Die von ihr zum Teil koordinierten, zum Teil selbst durchgeführten Maßnahmen trugen entscheidend zur physischen Wiederherstellung Kambodschas bei.
357 Bericht des Generalsekretärs v. 21. 9. 1992, a.a.O., para. 35. 358 Bericht des Generalsekretärs v. 25.1. 1993, UN Doc. S/25124, para. 60. 359 Wenngleich diese freilich auch mit der Notwendigkeit begründet wurden, ein ruhiges Umfeld fur die Wahlen zu schaffen - Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 25. 1. 1993, a.a.O., para. 66. 360 Bericht des Generalsekretärs v. 3. 5. 1993, UN Doc. S/25719, para. 71. 361 S.o. B., 11., 3., b), ce). 362 Bericht des Generalsekretärs v. 21. 9. 1992, UN Doc. S/24578, para. 38; Bericht des Generalsekretärs v. 25. I. 1993, UN Doc. S/25124, para. 74 f 363 Bericht des Generalsekretärs v. 13.2. 1993, UN Doc. S/25289, para. 12. 364Bericht des Generalsekretärs v. 21. 9. 1992, UN Doc. S/24578, para. 44 f; Bericht des Generalsekretärs v. 15. 11. 1992, UN Doc. S/24800, para. 13.
11. Kambodscha
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(2) Besondere Verwaltungsaufgaben
Neben der allgemeinen Verwaltung fielen in Kambodscha einige besondere Aufgaben an, die unmittelbar mit dem Friedensprozeß verbunden waren. Herausragend ist hier zunächst die Wahlorganisation, die komplett in der Verantwortung der UNTAC stand365 . Folgerichtig oblag ihr die gesamte Wahlverwaltung von der Führung des Wahlregisters366 bis zur Auszählung der Stimmen367 Eine andere, direkt aus dem Friedensprozeß resultierende exekutive Aufgabe war die Organisation der Flüchtlingsrückführung. Die damit zusammenhängenden Tätigkeiten wie Registration, Rücktransport, Landzuweisung für die Rückkehrer, Wiedereingliederungshilfe, Organisation von Auffanglagern und ähnliches 368 wurden ebenfalls komplett von der UNO, diesmal durch den UNHCR369, übernommen. Von vitaler Bedeutung für die Zukunft Kambodschas war weiterhin eine Tätigkeit, die· bereits von der Vorfeldmission UNAMIC begonnen - der fürchterlichsten "Altlast" des langen Bürgerkriegs gewidmet war: die Organisation der Minenräumung. Während UNAMIC und UNT AC hier lediglich in geringem Maße eigenhändig tätig wurden, nahm die Ausbildung einheimischer Minenräumungstrupps durch die militärische Komponente während der gesamten Übergangsphase einen hohen Stellenwert ein 370 Schließlich gehört in diese Kategorie noch das Gebiet der Information und Ausbildung. Verschiedene Komponenten der UNTAC betrieben in allen Bereichen und auf allen Ebenen Volkserziehung im weitesten Sinne. Dies schloß nicht nur urnfassende journalistische Informationstätigkeit durch Radio371 , Fernsehen372 , Video373 , Publikationen und sonstige Medien374 ein, sondern umfaßte auch Schul- und Universitätsunterricht375 , Polizeischulung376 , Berufs-
365 S.o. B., 11., 3., b), aa). 366 Bericht des Generalsekretärs v.
19.2. 1992, UN Doc. S/236\3, para. 30 f.
31i7 Bericht des Generalsekretärs v.
19.2. 1992, a.a.O., para. 40.
368 Bericht des Generalsekretärs v. 369 S.o. 8., II., 3., b), gg).
19.2.1992, a.a.O., paras. 137 ff.
370 Bericht des Generalsekretärs v. 19. 2. 1992, UN Doc. S/23613, para. &0: Bericht des Generalsekretärs v. 25. l. 1993, UN Doc. S/25124, para. 43.
371 Bericht des Generalsekretärs v. 15. 1l. 1992, UN Doc. 8/24800, para. 10. 372 Bericht des Generalsekretärs v. 25. l. 1993, UN Doc. S/25124, para. 7l. 373 Bericht des Generalsekretärs v.
25. l. 1993, a.a.O., para. 19.
374 Bericht des Generalsekretärs v. 25. l. 1993, a.a.O., para. 91.
375 Bericht des Generalsekretärs v. 25.
1. 1993, a.a.O., para. 17.
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
ausbildung für ehemalige Soldaten377, Beamtenfortbildung378 und ähnliches mehr. Schwerpunkt dieser Anstrengungen war die Verbreitung von Informationen über die Wahl und das Mandat der UNT AC. Die verschiedenen Ausbildungsprogramme reichten jedoch weiter und stellten einen außerordentlich wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Wiederaufbau Kambodschas dar. Nachdem vor allem die Kahlschlagpolitik der Roten Khmer das Land seiner ausgebildeten Eliten beraubt und der lange, erbitterte Bürgerkrieg den moralischen Unterbau der Gesellschaft - insbesondere die Achtung der Menschenrechte - zerstört hatte, kann die Bedeutung dieses Aspekts des Wiederaufbaus und damit die Bedeutung der Informations- und Ausbildungspolitik der UNT AC nicht hoch genug eingeschätzt werden. d) Bewertung
Im Rahmen der UNT AC-Operation sind hoheitliche Befugnisse in einem Mitgliedstaat formal auf die Vereinten Nationen übertragen worden. Darin unterscheidet diese Mission sich von allen vorangegangenen Blauhelmoperationen 379 Die hoheitliche Gewalt über Kambodscha wurde aber nicht in Bausch und Bogen auf die UNT AC übergeleitet. Vielmehr f,Hlt die detaillierte und komplizierte Regelung des Verhältnisses zwischen UNT AC, SNC und bestehender Verwaltung in jedem einzelnen Tätigkeitsfeld auf. Wenngleich diese Detailliertheit sicherlich zu einem erheblichen Teil auf die Komplexität der Lage in Kambodscha und das verfahrene Verhältnis der vier Bürgerkriegsparteien untereinander zurückzuführen ist, so diente sie zweifellos auch dem Zweck, der Sorge um die Aushöhlung der staatlichen Souveränität Kambodschas zu begegnen380 Dies zeigt sich vornehmlich an der formalen Anknüpfung der Legitimation der von der UNT AC auszuübenden Hoheitsbefugnisse an den SNC und an der Rolle dieses Gremiums während der Übergangsphase. Es wird aber z.B. auch in der Betonung der Verantwortlichkeit Kambodschas und der begrenzten Rolle der UNT AC in Fragen des Wiederaufbaus des Landes deutlich und schlägt sich in der wiederholten verbalen Beschwö-
376 Bericht des Generalsekretärs v. 25. I. 1993, a.a.O., para. 78. 377 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2. 1992, UN Doc. S/23613, para. 154. 378 Bericht des Generalsekretärs v. 25. I. 1993, UN Doc. S/25124, para. 18. 379 Eine fonnale Übernahme hoheitlicher Gewalt durch UNTAG war in Namibia nicht erfolgt, und bei der UNTEA in West-Neuguinea ging es nicht um ein souveränes Land sondern um ein Kolonialgebiet.
380 Dies andeutend bereits Ratner, AJIL 1993, 15.
11. Kambodscha
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rung der nationalen Souveränität Kambodschas in den Pariser Abkommen381 nieder. Diese Bemühungen, den Fortbestand der kambodschanischen Souveränität zu betonen, können aber nicht den Blick dafür verstellen, daß die UNTAC in allen drei Bereichen staatlicher Gewalt umfangreiche Aufgaben übernommen hat. Teilweise waren diese mit der eigenständigen Ausübung von Hoheitsgewalt durch die UNT AC verbunden, teilweise beschränkten sie sich auf die Beratung und Anleitung fortbestehender einheimischer Hoheitsträger, teilweise schließlich handelte es sich um solche Aktivitäten, die kein hoheitliches Tätigwerden involvierten. Zwar zielten die UNT AC-Funktionen primär auf die Schaffung eines neutralen politischen Umfeldes für die Wahl im Mai 1993. Dementsprechend waren die UNT AC-Befugnisse um so weitreichender, je näher eine gegebene Verwaltungsaufgabe sachlich dem Wahlumfeld im weitesten Sinne stand. Darauf beschränkt waren die Tätigkeiten aber nicht. Vielmehr wurden auch über den Wahlprozeß hinaus vielfältige Beiträge zum physischen, organisatorischen und gesellschaftlichen Neuaufbau des kambodschanischen Staates geleistet. Insgesamt können der UNTAC-Administration in Kambodscha somit ohne weiteres treuhänderische Züge attestiert werden. Diese Feststellung kollidiert zwar aus einem formalen Blickwinkel nicht mit dem traditionellen Souveränitätsverständnis. Schließlich beruhten die Befugnisse der UNT AC auf einem Überleitungsakt des SNC - des formalen Trägers der kambodschanischen Souveränität. In dieser Weise haben auch die beteiligten Parteien auf der Pariser Konferenz die Übertragung von Hoheitsgewalt gesehenm. Eine solche Sichtweise greift jedoch zu kurz. Der Umfang der Übernahme staatlicher Gewalt durch die UNT AC, insbesondere die Übernahme von Befugnissen, die ihr nicht mehr vom SNC entzogen werden konnten 383 , lassen sich überzeugender als ein Indiz für den Wandel des Souveränitätsbildes im internationalen Recht erklären. Wenn man als den Träger nationaler Souveränität nicht mehr jede - wie auch immer an die Macht gelangte und sich dort behauptende - Regierung, sondern das Volk selbst und freie Wahlen als Akt der Ausübung dieser Souveränität sieht384, dann fügt sich die Gestaltung des UNT AC-Mandats bezüglich der Übernahme von Staatsgewalt zwanglos in ein solches Souveränitätskonzept. Die UNT AC als das Gremium, das die Ord-
381 Z.8. Final Act ofthe Paris Conference on Cambodia, para. 10 (abgedruckt in 31 ILM (1992), 174, 182); Präambel, 7. Vorspruch sowie Art. 12 des Agreement on a Comprehensive Politica1 Settlement ofthe Cambodia Conflict (abgedruckt in 31 ILM (1992),174,183, beziehungsweise 185). 382 Vgl. Ratner, ATIL 1993, 23, der diese Sichtweise als "traditional perspective" bezeichnet. 383 Es waren dies insbesondere die Wahlorganisation, die Schiedsrichterfunktion bei SNCEntscheidungen und die direkte Kontrolle der Schlüsselministerien - s.o. 8., 11., 3., a), bzw. b), aa), bzw. b), cc). 384S. dazu u.
c., 1., 2., e), aa).
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B. Peaee-Keeping der zweiten Generation
nungsgemäßheit der Wahl garantieren soll, wird in diesem Lichte zu einem Hüter der Souveränität des kambodschanischen Volkes aus eigenem Recht. Diese Position muß dann auch - jedenfalls in den mit der Wahl zusammenhängenden Bereichen - gegenüber einem Organ wie dem SNC Bestand haben können, das seinerseits nicht durch Wahlen legitimiert, sondern eine Zusammenfassung der vier Kampfparteien eines Bürgerkriegs ist. Andererseits erklärt diese Perspektive auch die Beschränkung der Befugnisse der UNT AC im Bereich des Wiederaufbaus. Hier sind langfristige Planungen und Entscheidungen erforderlich, die möglichst nicht von einem Hüter, sondern von dem Träger der Souveränität selbst gefällt werden sollten. Für die abschließende Charakterisierung des UNT AC-Mandats muß nochmals hervorgehoben werden, daß neben der UNT AC eine eigene kambodschanische Administration weiterexistierte. Einerseits war mit dem SNC ein kambodschanisches Gremium sui generis geschaffen worden, das insbesondere legislative Staatsgewalt ausübte. Andererseits bestand auch die von der Regierung Hun Sen aufgebaute Administration Kambodschas fort und wirkte nicht zufällig auf außenstehende Beobachter lange Zeit als Inhaberin der "eigentliche(n) Macht in Phnom Penh"385 Für die UNO galt demgegenüber, daß "( ... ) UNTAC control should be exercised through the 'existing administrative structures' of each of the four Cambodian parties. "386 Damit ist klar, daß die UNT AC nicht an die Stelle der einheimischen Administration getreten ist. Gleichzeitig ging ihre Funktion aber über die in Namibia beobachtete begleitende Rolle hinaus. Neben der Übernahme einer Fülle von Aufgaben, die als treuhandähnlich zu qualifizieren sind, hat die UNTAC in Kambodscha selbst in Teilbereichen Hoheitsgewalt ausgeübt. Dies alles rechtfertigt es, die Rolle der UNT AC als Mitverwaltung zu charakterisieren. 4. Ressourcen
Die UNT AC-Operation ist unter materiellen Gesichtspunkten rekordverdächtig. War UNT AG in Namibia bereits eine aufwendige Unternehmung, so schlugen die finanziellen und personellen Aufwendungen für UNT AC alles bisher Dagewesene um Längen.
385 Schier, KAS 6/1992, 4. 386 Bericht des Generalsekretärs v. 14.7. 1992, UN Doe. S/24286, para. 13.
11. Kambodscha
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a) Finanzierung
Mit einem Aufwand von über 1,5 Mrd. Dollar387 war um AC viermal so teuer wie UNT AG. Der größte Anteil dieser Summe entfiel auf die Personalkosten der militärischen Komponente (32,7 %), dicht gefolgt von den Kosten des Zivilpersonals einschließlich der Polizei (26,6 %)388 Die gewaltigen Dimensionen der um AC erforderten bereits in der Anfangsphase der Finanzierung eine unkonventionelle Vorgehensweise. Auf Antrag des Generalsekretärs billigte die Generalversammlung bereits am 14. 2. 1992, also noch vor der Fertigstellung des Operationsplans und auch vor der "enabling resolution" 745 (1992) des Sicherheitsrats pauschal die Summe von 200 Mio. Dollar, um die Aniaufkosten 3R9 von UNT AC zu finanzieren 390 Dies geschah auf der Basis eines Berichts des Generalsekretärs 391 , der das Aufgabenprofil der UNT AC kursorisch darlegte 392 und die zu erwartenden Anlaufkosten überschlägig aufführte 393 Es war nötig geworden, so zu verfahren, weil die allgemeine Verpflichtungsermächtigung des Generalsekretärs394 zur Dekkung der Anlaufkosten bei weitem nicht ausgereicht hätte 395 Eine Verzögerung der Operation schied jedoch wegen der im Sommer bevorstehenden Regenzeit und aus politischen Gründen 396 aus. In ähnlicher Weise autorisierte die Generalversammlung den Generalsekretär in Res. 47/209 vom 22. 12. 1992 pauschal zur Eingehung von Verbindlichkeiten in Höhe von rund 240 Mio.
387 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 8. 12. 1993, UN Doc. Al481701, paras. 84 fund Annex IX, S. I: 1.547.851.900 Dollar.
38R Bericht des Generalsekretärs v. 8. 12. 1993, UN Doc. A/481701, S. 24. 389 Was alles als "start-up" einer solchen Operation erforderlich ist und welche zeitlichen Vorläufe
einkalkuliert werden müssen, schildert der Generalsekretär eindrucksvoll in seinem Bericht vom 31. I. 1992, lIN Doc. S/46/235IAdd.1, paras. 28-32. u.a. gehörten dazu Einkauf, Verschiffung und Aufbau von Gerät, das Chartern von Flugzeugen, der Abschluß vielfaltiger Verträge mit Zulieferern, Monate im Voraus abzugebende Bestellungen bei Produzenten, wochenlange Schiffstransporte und Ausschreibungen rur benötigte Dienstleistungen. 390 Res. 461222 A v. 14. 2. 1992. 391 Bericht des Generalsekretärs v. 31. I. 1992, UN Doc. A/461235IAdd.1.
392 Aa.O., paras. 6 - 23. 393 Aa.O., para. 36. Eine etwas genauere, aber ebenfalls nur unverbindliche Aufstellung, die in Höhe von ca. 206 Mio. Dollar ausweist, stellte der Generalsekretär dem ACABQ zur Verrugung - Bericht des ACABQ v. 11. 2. 1992, UN Doc. A/46/874, Annex.
Anlaufko~1en
394 3 Mio. Dollar allein. 10 Mio. Dollar mit Zustimmung des ACABQ - Generalversammlungsres.
46/187
V.-
20. 12. 1991.
395 Bericht des Generalsekretärs v. 31. I. 1992, lIN Doc. A/46/235IAdd.1, para. 33. 390 Bericht des Generalsekretärs v. 31. I. 1992, UN Doc. A/46/235IAdd.1, para. 3.
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
Dollar für die Schlußphase der Operation, also für die Zeit vom 1. 5. bis zum 31. 7. 1993 397 Im Verlauf der Finanzierung der Mission wurde die Kontrolle dann allerdings genauer. Einerseits geschah dies dadurch, daß die Generalversammlung die Gesamtkosten von UNTAC nicht - wie noch bei UNTAG398 - insgesamt genehmigte, sondern portionsweise. Zwar wurden die vom Generalsekretär in seinem Bericht geschätzten Gesamtkosten von der Generalversammlung zur Kenntnis genommen399 , genehmigt wurden aber immer nur Teilbeträge40 o. Dieses Vorgehen trug nicht nur der Tatsache Rechnung, daß die Gesamtkosten einer Operation von dieser Größe schwer zu prognostizieren sind401 , die Teilbeträge waren wegen ihrer geringen Größe natürlich auch besser zu kontrollieren. Weiterhin prüfte die Generalversammlung durch das ACABQ vor der Genehmigung jedes Teilbetrages den jeweiligen Finanzplan des Generalsekretärs sehr genau402 und zögerte nicht, die dort angesetzten Kosten erheblich zu kürzen. So beschnitt das ACABQ den im ersten Finanzierungsplan des Generalsekretärs beantragten Teilbetrag für die Kosten der Operation bis zum 31. 12. 1992 um knapp 160 Mio. Dollar40 3 Für die zweite Sechsmonatsperiode vom 1. 11. 1992 bis zum 30. 4. 1993 zog die Generalversammlung auf Vorschlag des ACABQ404 dem Generalsekretär 150 Mio. Dollar von seinem Kostenvoranschlag ab und verringerte die beantragte Verpflichtungsermächtigung des Ge397 Freilich nur mit vorheriger Genehmigung des ACABQ. Diese Genehmigung erteilte das ACABQ nur in Höhe von 236 Mio. US Dollar - Bericht des Generalsekretärs v. 27. 7. 1993, UN Doc. Al471733/Add.l, para. 22. 398 Vgl. Res. 43/232 v. 1. 3. 1989. 399 Res. 46/222 B, 5. Vorspruch. 400 So folgten der Genehmigung der 200 Mio. Dollar Startkosten in Res. 46/222 A v. 14. 2. 1992 am 22. 5. 1992 die Genehmigung eines weiteren Teilbetrags von 606 Mio. Dollar fiir die Zeit bis zum 31. 10. 1992 durch Res. 46/222 Bund am 22. 12. 1992 in Res. 47/209 die Freigabe der nächsten Tranche in Höhe von 483.961.200 Dollar fiir den Zeitraum vom 1. 11. 1992 bis zum 30. 4. 1993 sowie der erwähnten Verpflichtungsermächtigung über gut 240 Mio. Dollar fiir die Schlußphase der Operation. Am 14. 9. 1993 genehmigte die Generalversammlung in Res. 47/209 B dann die letzten 85 Mio. Dollar. 401 Daraufweist der Generalsekretär in seinem Bericht v. 7. 5. 1992, UN Doc. Al46/903, para. 45 hin; vgl. auch den Bericht des ACABQ v. 15.5.1992, UN Doc. A/46/916, para. 10. 402 In seinem Bericht v. 15. 5. 1992, UN Doc. Al46/916, nimmt das ACABQ beispielsweise Stellung zu Einzelposten wie der Tagesration fiir die Blauhelmsoldaten ( para. 46 f), der Anzahl der benötigten KFZ (para. 54 f), deren durchschnittlicher Tagesfahrleistung ( para. 56) oder der als übertrieben gerügten Leistungsfähigkeit des Computersystems (para. 62). 403 Der Generalsekretär hatte die Freigabe von 764.058.800 Dollar beantragt, Bericht v. 7. 5. 1992, UN Doc. Al46/903, para. 48. Das ACABQ hielt nach Auflistung vielfältiger möglicher Einsparungen hingegen nur die Autorisierung von 606.000.000 Dollar fiir angemessen, Bericht v. 15. 5. 1992, UN Doc. Al46/916, para. 78. 404Bericht des ACABQ v. 10. 12. 1992, UN Doc. Al471763. In para. 62 heißt es dort: "(... ) the Advisory Committee is ofthe view that the cost estimates for the remaining period ofUNTAC (... ) can be reduced by $ 200 million.".
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neralsekretärs für die letzten Monate der Operation um 50 Mio. Dollar405 . Schließlich reduzierte die Generalversammlung in dieser Weise noch die Kostenveranschlagung des Generalsekretärs für die Periode vom 1.5. bis zum 31. 8. 1993 um gut 45 Mio. Dollar406 . Zusammengenommen kürzte die Generalversammlung auf Vorschlag des ACABQ die Kostenansätze des Generalsekretärs für die Operation also um über 400 Mio. Dollar. Der Umfang dieser Kürzungen ist ein klares Anzeichen für den Willen der Generalversammlung, über ihr Haushaltsrecht Einfluß auf den Verlauf von UNT AC zu behalten407 , namentlich die gewaltigen Kosten dieser Mission zu kontrollieren. Organisatorisch wurde die Finanzierung von UNT AC auf einem von dem regulären UN-Budget getrennten Sonderkonto abgewickelt, in welches das zuvor für UNAMIC eröffnete Sonderkonto überführt wurde408 . Res. 46/222 B vom 22. 5. 1992 regelte die Verteilung der Kosten auf die UN-Mitglieder nach dem üblichen Schlüssel für Peace-Keeping-Operationen409 auf der Basis der damals geltenden Einteilung der Länder in die vier verschiedenen Kategorien von Zahlergruppen410 und der Beitragstabelle für die Jahre 1992 bis 1994411 . Sowohl für UNAMIC als auch für UNT AC hat es wieder einige freiwillige Leistungen, diesmal vorwiegend in Form von Sachleistungen, gegeben, deren Höhe im Verhältnis zum Gesamtumfang der Operation jedoch in bescheidenem Rahmen blieb412 Dabei ist jedoch darauf hinzuweisen, daß die mit UNT AC zu405 Der Generalsekretär hatte in seinem Bericht v. 3. 12. 1992, UN Doc. A/47/733, para. 68, 633.961.200 Dollar und eine Verpflichtungsermächtigung von 291.841.300 Dollar beantragt. Die Generalversammlung gewährte in Res. 471209 v. 22. 12. 1992 aber nur 483.961.200 Dollar beziehungsweise 241.841.300 Dollar. 406 Der Generalsekretär hatte in seinem Bericht v. 27. 7. 1993, UN Doc. A/47/733/Add.l, para. 78, 130.341.700 Dollar beantragt und erhielt lediglich 85 Mio. Dollar - Res. 47/209 B der Generalversammlung v. 14. 9.1993 auf den Vorschlag im Bericht des ACABQ v. 27. 7.1993, UN Doc. A/47/982, para. 14. 407 Damit ist auch ein begrenzter Einfluß auf den operativen Verlauf der Operation gemeint. Ein Beispiel dafur ist die Forderung des ACABQ, den Stationierungsplan fur die Militäreinheiten zu überarbeiten und drei Infanteriebataillone und Nachschubeinheiten bereits vor dem vom Generalsekretär geplanten Datum, d.h. vor dem 31. 5. 1993, wieder aus Kambodscha abzuziehen Bericht des ACABQ v. 15. 5. 1992, UN Doc. A/46/916, para. 50. 408 Bericht des Generalsekretärs v. 7. 5. 1992, UN Doc. A/47/903, para. 44; Generalversarnmlungsres. 461222 A v. 14. 2. 1992, Ziffer 7 sowie Generalversarnmlungsres. 461222 B v. 22. 5. 1992, Ziffer 3. 409 Generalversammlung Res. 3101 (XXVIII) v. 11. 12. 1973 - vgl. Handbuch VN-Rudolph, Ziffer 25. "Friedenstruppen", Rz. 24; Siekrnann, Int. Spect. 1993,642.
410 Festgelegt in Res. 43/232 v. I. 3.1989, modifiziert durch die Resolutionen 44/192 B v. 21. 12. 1989,45/269 v. 27.8.1991 und 46/198 A v. 20.12.1991. 411 Res. 46/221 A v. 20.12.1991. 412 Deren Höhe steht noch nicht fest, bewegt sich aber um die 35 Mio. Dollar - vgl. die Berichte des Generalsekretärs v. 3. 12. 1992, UN Doc. Al47/733, para. 28 und v. 27. 7. 1993, UN Doc. Al47/733/ Add.l, para. 67.
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
sammenhängenden Programme der Flüchtlingsrepatriierung sowie des Wiederaufbaus von Kambodscha413 fast ausschließlich414 aus freiwilligen Leistungen der Mitgliedstaaten finanziert worden sind. Darüber hinaus haben Kostentragungsmodelle, die von dem üblichen Schema für Peace-Keeping-Einsätze abweichen, keine Anwendung gefunden. Zwar war Kambodscha als betroffener Staat hier - anders als Namibia im Falle von UNTAG415 - auch an der Finanzierung der Operation beteiligt. Diese Beteiligung ging jedoch nicht über die für das UN-Mitglied Kambodscha normale Beteiligungsquote an PeaceKeeping-Operationen hinaus416 Dasselbe gilt für die Beteiligung Vietnams und anderer, direkt betroffener Staaten wie z.B. Thailands sowie für die regionalen Großmächte Japan und China417 . Eine besondere Kostenverantwortung unmittelbar betroffener Staaten kann bei der UNT AC-Operation mithin nicht nachgewiesen werden. Zwar verlief die Finanzierung nicht reibungslos. Insbesondere kam es zu einigen - z.T. erheblichen - Zahlungsverzögerungen418 . Spektakuläre Zahlungsverweigerungen großer Zahler blieben aber aus. In diesem Zusammenhang ist zu vermerken, daß Sicherheitsraf l9, Generalversammlung420 und Generalsekretär21 einmütig betonten, daß es sich bei den Kosten für UNTAC um "Ausgaben der Organisation" im Sinne des Art. 17 (2) handelte, die zu tragen die Mitglieder dementsprechend verpflichtet waren. Widerspruch gegen diese Einordnung ist an keiner Stelle erhoben worden. Bei der Bewertung der Finanzierungsgeschichte der UNT AC steht die abermalige Betonung der "Mammutkosten "422 der Operation am Anfang. Diese Ko-
413 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2. 1992, UN Doc. S/23613, paras. 149 (Repatriierung) und 155 (Wiederaufbau). 414Lediglich diejenigen Wiederaufbaumaßnahmen, die zur Erfullung des UNTAC-Mandats erforderlich waren, wurden aus dem regulären UNT AC-Budget bestritten vgl. Bericht des Generalsekretärs v. 7. 5. 1992, UN Doc. A/46/903, Annex H, para. 47. 415 S.o. B., 1., 4., a). 416 Gern. Res. 43/232 der Generalversammlung v. I. 3. 1989 befindet sich Kambodscha dabei in der Zahlergruppe c, d.h. der Entwicklungsländer, die nicht zu den besonders aufgefiihrten ärmsten Ländern (Kategorie d) gehören. 417 Wobei diese bei den natürlich auch nach dem normalen Kostentragungsschlüssel fiir PeaceKeeping-Operationen höher belastet werden. 418 So standen am 31. 10. 1993 noch 230.682.200 Dollar an falligen Beitragszahlungen aus Bericht des Generalsekretärs v. 8. 12. 1993, UN Doc. A/481701, para. 57. 419 Implizit in Res. 718 (1991), Zi. 4. 420 Res. 46/222 B v. 22. 5. 1992,7. Vorspruch. 421 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2. 1992, UN Doc. S/23613, para. 172. 422 So die treffende Bezeichnung des Delegierten aus Zimbabwe in der Sicherheitsratsdebatte vom 28.2. 1992, UN Doc. S/PV.3057, S. 41.
IL Kambodscha
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sten waren schon in der Sicherheitsratsdebatte der "enabling resolution" 745 (1992) für viele Nationen Anlaß, ihre Sorge und den Wunsch nach enger Kostenkontrolle zum Ausdruck zu bringen423 . Sie führten folgerichtig auch im Rahmen der Kostenprüfungen im ACABQ der Generalversammlung zu den erwähnten, tiefgreifenden Korrekturen der vom Generalsekretär vorgelegten Kostenschätzungen. In bemerkenswertem Kontrast zur Namibia-Operation wurden diese Korrekturen hier von dem zuständigen Ausschuß der Generalversammlung und nicht außerhalb des Haushaltsverfahrens auf den Druck der fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder hin vorgenommen. Dies ist ein Schritt hin zu einem ordnungsgemäßen Ablauf der Finanzierung derart großer Einsätze auch unter dem Gesichtspunkt der Budgetkompetenz. Daß die Kürzungen inhaltlich nicht völlig unberechtigt waren, zeigt sich in der Tatsache, daß UNT AC ihrer ungeachtet zwischenzeitlich424 sogar mit einem finanziellen "Überschuß"425 gegenüber der genehmigten Summe durchgeführt werden konnte426 Eine weitere, interessante Beobachtung, die sich bei der Finanzierung der UNT AC machen läßt, ist diejenige, daß ziviles Personal im Verhältnis deutlich teurer ist als Soldaten. Obwohl sich UNT AC nur zu ca. 30 % aus Zivil- und zu 70 % aus Militärpersonal zusammensetzte427, lagen die Personalkosten beider Teile mit etwa 27 % (Zivil) zu 33 % (Militär)428 dicht beieinander. Insgesamt verdient die UNT AC-Operation unter finanziellen Gesichtspunkten eine vorsichtig positive Bewertung. Ohne die notorischen Zahlungsrückstände leichtfertig übergehen zu wollen, muß dieser Operation - zumal angesichts ihrer Größe - ein relativ glatter Finanzierungsverlauf bescheinigt werden. Die dem zugrundeliegende grundsätzliche Bereitschaft der UN-Mitglieder zu der Übernahme auch großer Kosten läßt sich als ein Indiz sowohl für die po-
423 In diesem Sinne äußerten sich z.8. China, UN Doc. S/PV.3057 v. 28. 2. 1992, s. 21; Russland, a.a.O., S. 24-25; Indien, a.a.O., S. 33; Belgien, a.a.O., S. 34 f; Ecuador, a.a.O., S. 39; Zimbabwe, a.a.O., S. 41. 424 Am Schluß stand dann zwar wieder ein Defizit von gut 65 Mio. Dollar zu Buche, das jedoch in der Mandatwerlängerung bis zum 24. 9. 1993 seine Ursache hatte - Bericht des Generalsekretärs v. 8. 12.1993, UN Doc. A/481701, para. 85. 425 Für den Bewilligungszeitraum bis zum 31. 10. 1992 waren z.8. 162.345.800 Dollar weniger benötigt worden, als dies in dem - schon vom ACABQ modifizierten (!) - Plan vorgesehen gewesen ist Bericht des Generalsekretärs v. 3. 12. 1992, UN Doc. Al471733, para. 33; Res. 47/209 der Generalversammlung v. 22. 12. 1992. 426 Allerding muß dazu bemerkt werden, daß dieser "Überschuß" zum Teil (rund 34 Mio. Dollar) auch darauf beruhte, daß sich die Stationierung des UNT AC-Personals planwidrig verzögerte. Das "sparte" natürlich Personalkosten - vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 3. 12. 1992, UN Doc. Al471733, paras. 34 f.
427 S.u. 8., IL, 4., b): 15.900 Soldaten standen im Durchschnitt etwa - hier gab es wahlbedingt erhebliche Schwankungen - 7.000 internationale und einheimische Zivilmitarbeiter gegenüber. 428 Bericht des Generalsekretärs v. 8. 12. 1993, UN Doc. A/481701, S. 24.
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
litische Zustimmung der Staaten zu dieser Operation (wie auch bereits für die UNTAG-Operation in Namibia), als auch für ihre Bereitschaft werten, die rechtliche Einordnung der Kosten als Ausgaben nach Art. 17 (2) zu akzeptieren. Insgesamt scheint das traditionelle Modell der Finanzierung von Blauhelmen also auch bei dieser Art von Friedensoperationen nicht besser oder schlechter zu funktionieren, als beim traditionellen Peace-Keeping. b) Personal
Eine abschließende Gesamtstärke der UNT AC-Operation läßt sich nicht genau angeben, da die Personalstärke sich im Verlauf des Einsatzes kontinuierlich veränderte; einerseits, weil bestimmtes Personal (z.B. Wahlhelfer) nur zu bestimmten Zeiten gebraucht wurde, andererseits, weil Transportverzögerungen429 und Rekrutierungsschwierigkeiten430 mehrfach Revisionen des ursprünglichen Plans erforderten. Unter diesem Vorbehalt lassen sich aber einigermaßen präzise Zahlenangaben machen, die die Größe und Vielfaltigkeit der Mission auch im Bereich der personellen Ressourcen vermitteln. Der internationale Teil der UNTAC urnfaßte knapp 21.000 Personen, zu denen während der Wahlperiode noch weitere 1.000 Wahlbeobachter hinzustießen431 . Von diesen rund 22.000 Personen aus 44 Ländern432 gehörten 15.900 zur militärischen Komponente, 3.600 zur zivilen Polizei und die restlichen ca. 2.500 zu den verschiedenen zivilen Aufgabenbereichen. Das internationale UNT AC-Kontingent sollte darüber hinaus von 5.371 Einheimischen unterstützt werden433 , eine Zahl, die aufgrund erheblicher Rekrutierungsschwierigkeiten aber um 2.000 gesenkt werden mußte434 . Während der Wahlperiode sollte die Zahl der einheimischen Mitarbeiter dann um bis zu 56.000 Personen erhöht werden435 Auf diese Weise waren in der Spitze ca. 22.000 internationale und 61.000 lokale Mitarbeiter für UNTAC in Kambodscha tätig zusammen über 80.000 Personen! Die Operation, die unter der Leitung des japanischen Diplomaten Akashi als Sonderbeauftragtem des Generalsekretärs für 429 Bericht des Generalsekretärs v. 1. 5. 1992, UN Doc. 8/23870, para. 48. 430 Besonders im zivilen Bereich - Bericht des Generalsekretärs v. 3. 12. 1992. UN Do.:. A/471733, Annex 11, para. 10; Bericht des ACABQ v. 10. 12. 1992, UN Doc. A/471763, paras. 24 und 41. 431 Bericht des Generalsekretärs v. 7. 5.1992, UN Doc. A/46/903, para. 25. 432 Die Welt v. 7. 11. 1992. 433 Bericht des Generalsekretärs v. 7. 5. 1992, UN Doc. A/46/903, para. 37. 434 Dafur wurde die Anzahl der internationalen Mitarbeiter um etwa 400 erhöht - Bericht des Generalsekretärs v. 3. 12. 1992, UN Doc. A/47/733, Annex IV, para. 26 sowie Annex VII. 435 4.000 während einer drei- bis viermonatigen Wählerregistrierung, 56.000 während der Wahl selbst - Bericht des Generalsekretärs v. 7. 5. 1992, UN Doc. A/46/903, para. 25.
11. Kambodscha
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Kambodscha stand, kostete 84 Teilnehmer, darunter 23 Einheimischen, das Leben; 58 wurden verletzt4 36 . aa) Militär Die Gesamtstärke der militärischen Komponente von UNT AC war von Anfang an auf 15.900 Soldaten festgelegt worden, die sich wie folgt zusammensetzten437 : 204 Hauptquartiersoldaten, 485 Militärbeobachter, 10.200 Infanteristen (zwölf vergrößerte Bataillone), 2.230 Instandsetzer, 326 Luftunterstützer, 582 Fernmelder, 541 Sanitäter und Ärzte, 160 Militärpolizisten, 872 Nachschubsoldaten, 376 Marinesoldaten. Die genaue Zusammensetzung wurde später noch leicht verändert, ohne daß dies an der Gesamtstärke etwas änderte438 . Diese hohe Zahl erwies sich insgesamt als ausreichend439 und wurde nicht mehr erhöht. Die Weigerung der Roten Khmer, an dem Prozeß der Kantonierung und Demobilisierung teilzunehmen, führte jedoch dazu, daß während des Wahlprozesses im Frühjahr 1993 noch ein viel größerer Teil der kambodschanischen Bürgerkriegsparteien unter Waffen stand, als im ursprünglichen Plan vorgesehen440 , nach welchem eine Demobilisierungsquote von 70 % bereits im September 1992 hätte erreicht werden sollen44l . Dementsprechend verzichtete die UNO darauf, Teile der militärischen Komponente von UNT AC wie geplant442 bereits vor der Wahl im Mai 1993 abzuziehen443 Dem Generalsekretär wurden Soldaten von über 30 Ländern aus allen Erdteilen zur Verfügung gestellt444 . Trotz der großen Zahl der benötigten Soldaten
436 Bericht des Generalsekretärs v. 8. 12. 1993, UN Doc. A7481701, Annex 1Il, para. 6.
437 Bericht des Generalsekretärs v. 19. 2. 1992, UN Doc. S1236 13, para. 85. 438 Bericht des Generalsekretärs v. 7. 5. 1992, UN Doc. A/46/903, para. 29. 439 Sie wurde in der Literatur z. T. als viel zu hoch kritisiert - vgl. Will, Aussenpolitik 1993, 40 I. 440 Bericht des Generalsekretärs v. 15. 11. 1992, UN Doc. S/24800, para. 26. 441 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2.1992, UN Doc. S/23613, para. 91. 442 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2. 1992, UN Doc. S1236 13, para. 89.
443 Bericht des Generalsekretärs v. 15. 11. 1992, UN Doc. S/24800, para. 31; Sicherheitsratsres. 792 (1992) v. 30. 11. 1992, Ziffer 1. 444 Vgl. den Brief des Generalsekretärs v. 31. 3.1992, UN Doc. S/23773 v. 2. 4.1992; Brief des Generalsekretärs v. 2. 4. 1992, UN Doc. S/23774; Brief des Generalsekretärs v. 6. 8. 1992, UN Doc. S/24397 v. 9. 8. 1992; Bericht des Generalsekretärs v. 3. 12. 1992, UN Doc Al471733, para. 30; Bericht des Generalsekretärs v. 27. 7. 1993, UN Doc. Al471733/Add.l, para. 68. Es handelte sich um Algerien, Argentinien, Australien', Österreich', Bangladesh', Bulgarien', Kanada', Chile', China'. Frankreich', Deutschland' (deut~che Sanitätssoldaten und Ärzte bildeten den Kern der medizinischen Versorgung von UNTAC), Ghana', Kamerun, Indien', Indonesien', Irland, Italien, Japan', Malaysia', Namibia', Niederlande', Neuseeland', Pakistan', Russland', Phillipinen', Polen', Thailand', Senegal, Singapur', Tunesien', Uruguay' und Großbritannien, wobei die mit' gekennzeichneten 25 Länder 10 Hufnagel
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
ist der Generalsekretär nicht auf Schwierigkeiten bei der Rekrutierung gestoßen. Sie folgte dem üblichen Verfahren für Peace-Keeping-Operationen445 , welches darin besteht, daß der Generalsekretär ad hoc auf freiwillig angebotene Kontingente aus den Mitgliedstaaten zurückgreift446 . Hier scheint der Generalsekretär dabei keine Probleme gehabt zu haben. Jedenfalls konnte er dem Sicherheitsrat bereits am 31. 3. 1992 eine Liste mit 27 truppenstellenden Ländern unterbreiten447 . Weitere Länder kamen alsbald hinzu44H . Die Tatsache, daß Anfang Dezember 1992 "nur" 20 Nationen - einschließlich aller ständigen Sicherheitsratsmitglieder außer den USA - unter den TruppensteIlem vertreten waren449 , indiziert eher ein Überangebot als einen Mangel. Dabei ist aber zu beachten, daß dieses Überangebot sich primär auf das militärische "Fußvolk" sprich: auf die Infanteriebataillone - bezog, während in technisch aufwendigeren Bereichen wie Instandsetzung oder Luftunterstützung durchaus zeitweilige, wenngleich nicht sehr gravierende Engpässe auftauchten450 . Militärischer Kommandeur von UNT AC war der australische General Sanderson451 . bb) Polizei Die Polizeibeobachter stellten das größte der zivilen Kontingente der UNTAC. Eine Stärke von 3.600 Personen war für diese Komponente vorgesehen und wurde, wenngleich mit einiger Verspätung452, bis zum Jahresende 1992 auch ungefahr erreicht453 . Diese Personalstärke berechnete sich primär diejenigen sind, deren Truppen nach den Berichten des Generalsekretärs v. 3. 12. 1992 und v. 27. 7. 1993 in Kambodscha eingesetzt wurden. 445 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2.1992, UN Ooc. 8/23613, para. 170. 446 Vgl. Bowett, UN Forces, 330 f. 447 UN Ooc. S/23773 v. 2. 4.1992. 448 Z.B. Großbritannien, Brief des Generalsekretärs v. 2. 4. 1992, UN Ooc. 8/23774: Japan, Brief des Generalsekretärs v. 6. 8. 1992, UN Ooc. 8/24397 v. 9. 8. 1992. UNTAC ist die erste UNOperation, an der japanische Truppen beteiligt waren. Nicht zuletzt dafur hatte Japan im Juni 1992 eigens ein Gesetz über die Beteiligung an Peace-Keeping-Operationen erlassen - 8chmitt in FAZ v. 20. 7. 1992; das Gesetz ist abgedruckt in 32 ILM (1993), 215. 449 Bericht des Generalsekretärs v. 3. 12. 1992, UN Ooc. Al471733, para. 30; im Juli 1993 waren dann Truppen aus 25 Nationen in Kambodscha - Bericht des Generalsekretärs v. 27. 7. 1993, UN Ooc. A/471733/Add.l, para. 68. 450 8chmitt in FAZ v. 20. 7. 1992. 451 UN Chronicle, June 1992, 12. 452 80 waren am 14. 7. 1992 erst 1780 Polizisten eingetroffen - Bericht des Generalsekretärs v. 14. 7. 1992, UN Ooc. 8/24286, para. 15. Vgl. auch den Bericht des Generalsekretärs v. 21. 9. 1992, UN Ooc. 8/24578, para. 42.
453 3.400 waren Anfang Oezember 1992 in Kambodscha - Bericht des Generalsekretärs v. 3. 12. 1992, UN Ooc. Al471733, para. 60; der Rest sollte alsbald eintreffen - Bericht des ACABQ v. 10. 12. 1992, UN Ooc. Al471763, para. 11.
Ir. Kambodscha
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nach der Zahl der in Kambodscha bestehenden Polizei stationen. Deren gab es ca. l.500. Jede sollte mit zwei Polizeibeobachtern besetzt werden. Die anderen 600 Polizisten wurden für die überörtlichen Ebenen gebraucht454 Die UNT AC-Polizei bestand aus Polizeibeamten, die von Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt worden waren455 . Im Vergleich zur Namibia-Operation fiel es dem Generalsekretär hier jedoch deutlich schwerer, die nötige Anzahl zügig zusammenzubekommen. So waren ihm bis zum l. 5. 1992 lediglich l.903 Polizisten von den Mitgliedstaaten zugesagt worden456, und selbst am 2l. 9. 1992, als bereits 2.500 Polizisten in Kambodscha stationiert waren, fehlten dem Generalsekretär immer noch Zusagen über 500 Polizeibeamte457 cc) Wahlorganisation Der Natur ihrer Aufgabe entsprechend schwankte die Personalstärke der Wahlorganisationskomponente am stärksten. Den Kern bildeten 175 internationale Beamte im Wahlhauptquartier und den Provinzbüros sowie 400 UNFreiwillige in den Distriktsbüros458 . Auch bezüglich dieser Zahlen waren wieder einige kleinere Korrekturen im Verlauf der Operation nötig, durch die die Zahl der internationalen Beamten auf knapp 200 anwuchs459 . Dieser Kern wurde im zeitlichen Umfeld der Wahl erheblich erweitert. Während der dreibis viermonatigen Phase der Wählerregistrierung traten 4.000 Einheimische hinzu. Während der Wahl selber sollte die Anzahl kambodschanischer Mitarbeiter in dieser Gruppe bis auf 57.000 steigen46o . Zusätzlich stießen noch einmal knapp l.000 internationale Wahlbeobachter hinzu461 . Die Verstärkung der Komponente während der Wahlperiode gelang sowohl im Bereich der einheimischen Mitarbeiter als auch der internationalen Wahlbeobachter zufriedenstellend462 Unmittelbar nach dem Abschluß der Wahl wurde diese Komponente dann aus Kambodscha abgezogen463 . 454 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2.1992, UN Doc. S/23613, para. 131. 455 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2.1992, UN Doc. S/23613, para. 170. 456 Bericht des Generalsekretärs v. 1. 5. 1992, UN Doc. S/23870. para. 36. 457 Bericht des Generalsekretärs v. 21. 9. 1992, UN Doc. S/24578, para. 41. 458 Bericht des Generalsekretärs v. 7. 5. 1992, UN Doc. Al46/903, para. 25. 459 Bericht des Generalsekretärs v. 3. 12. 1992, UN Doc. Al471733, para. 46.
46056.000 Wahlhelfer und 1.000 zusätzliche Dolmetscher. 461 Bericht des Generalsekretärs v. 19. 2. 1992, UN Doc. SI23613, para. 43: Bericht des Generalsekretärs v. 7. 5. 1992, UN Doc. Al46/903, para. 25. 462 Bericht des Generalsekretärs v. 3. 5. 1993, UN Doc. S/25719, paras. 28 f 463 Bericht des Generalsekretärs v. 16.7. 1993, UN Doc. S/26090, para. 23.
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B. Peaee-Keepingder zweiten Generation
Die internationalen Beamten wurden auch für diesen Bereich aus dem UNSystem rekrutiert, wohingegen Staaten die knapp 1.000 zusätzlichen internationalen Wahlbeobachter stellten464 . Auffällig ist der große Anteil einheimischer Mitarbeiter in dieser Komponente, der sowohl durch den während der Wahl erheblich vergrößerten Arbeitsanfall bedingt, als auch aus politischen Gründen wünschenswert war. Gerade bei dem Wahlakt, der sinnfälligen Ausübung des Selbstbestimmungsrechts, ist eine große Partizipation durch die Bevölkerung positiv zu bewerten465 . Die Aufgabenstruktur setzte auch in dieser Komponente beim Kernpersonal ein hohes Qualifikationsniveau voraus. Neben Wahlexperten und Juristen waren hier u.a. Bildungs- und Informationsfachleute sowie Volkszählung- und Computerspezialisten erforderlich. Dieses hohe Qualifikationsniveau findet seinen Niederschlag in der relativ großen Zahl von insgesamt 149 Beamten der höheren UN-Besoldungsstufen (P-3 bis D-2), die in dieser Komponente vertreten waren466 Wegen der Bedeutung der Wahl für den Gesamtprozeß stand der Sonderbeauftragte des Generalsekretärs für Kambodscha selbst an der Spitze dieser Komponente467 . dd) Menschenrechte Obwohl Schutz und Förderung der Menschenrechte ein zentrales Anliegen der UN-Operation waren468 , gehörten zur UNT AC nur 34 Mitglieder, die sich ausschließlich dieser Aufgabe widmeten469 Allerdings oblag auch allen anderen UNT AC-Komponenten470 die Förderung der Menschenrechte im Rahmen ihrer speziellen AufgabenHJ . Die Stärke der Menschenrechtskomponente selbst wurde im Verlauf der Operation leicht erhöht. Während ursprünglich zwölf internationale Beamte vorgesehen waren472, wurden schließlich 28 in dieser 464 Bericht des Generalsekretärs v. 19. 2. 1992, UN Ooe. S/23613, para. 43. 465 Allerdings fiihrten Schwierigkeiten, geeignete einheimische Mitarbeiter zu finden, auch in dieser Komponente zu einer Erhöhung des zunächst vorgesehenen Anteils internationalen Personals - Bericht des Generalsekretärs v. 3. 12. 1992, UN Ooe. A/47/733, Annex IV, para. 26 und Annex VII.
466 Bericht des Generalsekretärs v. 3. 12. 1992, UN Ooe. A/47/733, Annex VII. 467 Bericht des Generalsekretärs v. 19. 2. 1992, UN Ooe. S/23613, para. 41. 468 Ratner, AJIL 1993, 25.
469 Oavon waren sechs lokal rekrutierte Mitarbeiter - Bericht des Generalsekretärs v. 3. 12. 1992, UN Ooe. A/47/733, Annex VII. 470 Insbesondere der Polizei - Bericht des Generalsekretärs v. 19. 2. 1992. UN Ooe. S/23613, para. 124; Bericht des Generalsekretärs v. I. 5. 1992, UN Ooe. S/23870, para. 12; Bericht des Generalsekretärs v. 21. 9. 1992, UN Ooe. S/24578, para. 10. 471 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2.1992, UN Ooe. S/23613, para. 21. 472 Bericht des Generalsekretärs v. 7. 5. 1992, UN Ooe. A/46/903, para. 22.
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Funktion eingesetzt·473 . Auf diese Weise konnten Menschemechtsbeamte auch auf regionaler Ebene stationiert werden474 , was zunächst nicht vorgesehen war475 . Ihre Aufgaben bedingten hohe Anforderungen an die Qualifikation der eingesetzten Mitarbeiter. Nötig waren Menschemechtsjuristen, Bildungsexperten und ein Verbindungsbeamter zu den NGO S476. Das Personal hierfür wurde aus den Reihen der UN-Beamten rekrutiert477, verstärkt um einige einheimische Kräfte478 . ee) Zivilverwaltung Überwachung und Kontrolle der bestehenden Verwaltung in Kambodscha übernahm die Zivilverwaltungskomponente. Sie sollte 219 internationale Mitarbeiter umfassen479 Diese Zahl wurde im Verlauf der Operation um 41 auf 260 angehoben48o Sie wurden aus den Reihen internationaler Beamter des UNSystems gestellt481 . Dazu traten auch bei dieser Komponente knapp 400 einheimische Mitarbeiter482 Wie bei der Wahlkomponente lag die Leitung der Zivilkomponente der UNT AC ebenfalls unmittelbar in den Händen des UN-Sonderbeauftragten483 Von den internationalen Beamten waren etwas mehr als die Hälfte in den 21 Provinzverwaltungsbüros, der Rest in der Hauptstadt Phnom Penh stationiert484 In den rund 200 Distriktsverwaltungsbüros wurden hauptsächlich einheimische Mitarbeiter eingesetzt485 . Auf regionaler Ebene nahmen die Angehörigen dieser Komponente regelmäßig auch Aufgaben anderer
473 Bericht des Generalsekretärs v. 3. 12. 1992, UN Doc. A/471733, Annex VII. 474 Bericht des Generalsekretärs v. 21. 9. 1992, UN Doc. S/24578, para. 7. 475 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2. 1992, UN Doc. S/23613, para. 22. 476 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2. 1992, UN Doc. S/23613, para. 21.
477 Bericht des Generalsekretärs v. 7. 5. 1992, UN Doc. A/46/903, para. 22. 478 Bericht des Generalsekretärs v. 3. 12. 1992, UN Doc. A/471733, Annex VII. 479 Bericht des Generalsekretärs v. 7. 5. 1992, UN Doc. A/46/903, para. 32. 480 Bericht des Generalsekretärs v. 3. 12. 1992, UN Doc. A/471733, Annex IV, para. 26 und Annex
VII.
481 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2. 1992, UN Doc. S/23613, para. 170. 482 Bericht des Generalsekretärs v. 3. 12. 1992, UN Doc. A/471733, Annex VII. 483 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2. 1992, UN Doc. SI23613, para. 109.
484 Bericht des Generalsekretärs v. 21. 9.1992, UN Doc. S124578, para. 29: 123 in der Provinz, 95 in der Hauptstadt. 485 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2. 1992, UN Doc. S/23613, para. 111.
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
UNT AC-Teile, besonders die der Menschenrechtsgruppe oder der Wahlorganisation, wahr4 86 . Diese vielfältigen und teilweise hochspezialisierten Aufgaben im kambodschanischen Verwaltungsapparat erforderten hier wiederum hochqualifiziertes Personal. So machte die beschriebene Übernahme der direkten Kontrolle in verschiedenen Ministerien z.B. Expertise nicht nur auf dem allgemeinen Gebiet der Verwaltung, sondern auch in Spezialbereichen wie Finanzverwaltung, Innere Sicherheit, Verteidigung u.ä. erforderlich. Darüber hinaus bedurften die vorgesehenen Überprüfungen der geltenden Gesetze487 der Beteiligung von Rechtsexperten. Diese hohen Anforderungen führten zu Engpässen bei der Rekrutierung der benötigten Zahl von Mitarbeitemm . Nicht zuletzt diese Verzögerungen waren der Grund dafür, daß UNT AC die vorgesehene direkte Kontrolle über die Schlüsselministerien erst zwischen Juli und September 1992 übernehmen konnte489 ft) Wiederaufbau
Die Wiederaufbaukomponente war zwar finanziell, nicht jedoch organisatorisch von der UNT AC getrennt490 Ihre Mitarbeiter gehörten direkt zum UNT AC-Personal. Trotz ihres gewaltigen Aufgabenberges ist die ausschließlich der Wiederaufbaukomponente der UNT AC gewidmete Personalstärke minimal gewesen. Lediglich zehn internationale Beamte, unterstützt von sechs einheimischen Mitarbeitern, waren dieser Komponente zugeteilt491 . gg) Flüchtlingsrepatriierung Die Repatriierungskomponente war nicht nur finanziell, sondern auch organisatorisch weitgehend aus UNT AC ausgegliedert492 Sie wirkte als "interagency effort" unter der Führung des UNHCR493, dessen Personal die Aufgaben 486 Bericht des Generalsekretärs v. 19. 2. 1992, a.a.O., para. 110; Bericht des Generalsekretärs v. 21. 9.1992, ON Doc. 8124578, para. 39.
487 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2. 1992, ON Doc. 8123613, para. 103. 488 Bericht des Generalsekretärs v. I. 5. 1992, ON Doc. 8/23870, para. 33.
489 Bericht des Generalsekretärs v. 14.7. 1992, ON Doc. 8/24286, para. 17. 490 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2. 1992, ON Doc. 8/23613, para. 156. 491 Bericht des Generalsekretärs v. 3. 12. 1992, ON Doc. Al471733, Annex VII. 492 8.0. B., 11., 3., b), gg). Bericht des Generalsekretärs v. 19. 2. 1992, ON Doc. 8/23613, para.
132.
493 Bericht des Generalsekretärs v. 7. 5. 1992, ON Doc. Al46/903, para. 36.
11. Kambodscha
151
dieser Komponente ausführte494. Dementsprechend traten diese Mitarbeiter nicht als Bestandteil des UNT AC-Personals in Erscheinung. Wegen der großen Bedeutung der rechtzeitigen Flüchtlingsrückführung für den Friedensprozeß war diese Komponente neben dem UNHCR allerdings auch dem UN-Sonderbeauftragten für Kambodscha verantwortlich495 . hh) Stab und Verwaltung Nicht alle Mitglieder der UNT AC waren einer der sieben Komponenten zugeteilt. Hinzu kamen einerseits der Sonderbeauftragte des Generalsekretärs mit seinem Stab, der insgesamt 127 internationale und 51 einheimische Mitarbeiter umfaßte, und andererseits eine Verwaltungsgruppe der UNT AC ("Division of Administration") mit insgesamt 774 internationalen Angehörigen496 und 383 lokalen Kräften497 . Damit waren allein 901 internationale und 434 einheimische Mitarbeiter, also 1.335 UNT AC Angehörige mit komponentenübergreifenden Aufgaben beschäftigt. ii) Bewertung
Schlüsselt man UNT AC nach der Herkunft ihrer Mitarbeiter auf, so waren außerhalb der Wahlperiode - knapp 3.500 Personen in Kambodscha rekrutiert worden, deutlich weniger als ursprünglich geplant498 , während knapp 1.900 internationale Beamte und UN-Freiwillige in den zivilen Bereichen und in der allgemeinen Division of Administration beschäftigt waren - mehr als zunächst vorgesehen. Die beiden größten Blöcke, Militär und Polizei, wurden von den Mitgliedstaaten gestellt. Schließlich ist im Zusammenhang mit der Aufschlüsselung des Personals nach der Herkunft noch die erwähnte Einbeziehung anderer UN-Organisationen wie UNHCR, UNICEF oder UNDP und verschiedener NGOs zu betonen. Allerdings wurden diese Personalquellen nicht direkt für das UNT AC-Kontingent herangezogen; vielmehr blieb das Personal aus diesen Quellen seinen jeweiligen Herkunftsorganisationen zugeordnet. Für Militär und Polizei kommt eine Rekrutierungsalternative kaum in Betracht, da sowohl die Notwendigkeit, zusammenwirkende Einheiten zu haben, 494 Bericht des Generalsekretärs v. l. 5.1992, UN Doc. S123870, para. 37. 495 Bericht des Generalsekretärs v. 19.2. 1992, UN Doc. S/236 13, para. 148. 496 196 davon waren UN-Freiwillige.
497 Bericht des Generalsekretärs v. 3. 12. 1992, UN Doc. A/471733, Annex VII. 49H Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 3. 12. 1992, a.a.O., Annex IV, para. 26.
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
als auch die große Zahl des benötigten Personals eine individuelle Rekrutierung hier ausschließen. Bei UNT AC ist aber deutlich geworden, daß es den Staaten erheblich schwerer fällt, Polizisten abzustellen als Soldaten. Polizisten sind in ihren Heimatländern, da akut im Einsatz stehend, offenbar schwerer zu entbehren. Sogar beim Militär wurden Grenzen im Bereich der technisch anspruchsvollen Waffengattungen berührt, wenngleich die Engpässe hier nicht zu Friktionen führten. Noch deutlicher wurden die personellen Limits im zivilen Bereich. Das hierfür primär genutzte Reservoir internationaler Beamter ist nicht unerschöpflich, zumal diese Personen auch nicht ohne weiteres und in unbegrenzter Zahl von ihren normalen Aufgaben innerhalb der UNO und ihren Unterorganisationen freigestellt werden können. In allen zivilen Komponenten der UNT AC ist es hier zu Verzögerungen und Rekrutierungsschwierigkeiten gekommen. Diese Schwierigkeiten wurden noch dadurch verstärkt, daß an die Angehörigen dieser Komponenten aufgrund ihrer komplexen Aufgaben hohe Qualifikationsanforderungen gestellt werden mußten. Aus diesen Beobachtungen läßt sich der Schluß ziehen, daß in diesem Bereich ein verstärkter Rückgriff auf die Mitgliedstaaten und auch auf NGOs ins· Auge gefaßt werden sollte. Ein solches Vorgehen würde nicht nur zur Kostenreduzierung im Personalbereich beitragen499 , sondern auch dem Problem der hohen Qualifikationsanforderungen begegnen, da das Reservoir an Fachpersonal durch die Mitgliedstaaten und die NGOs deutlich angereichert werden dürfte. Als eine nicht unproblematische Personalquelle erwiesen sich schließlich die Einheimischen. Es zeigte sich, daß in einem Land wie Kambodscha kurzfristig einfach nicht genug qualifiziertes Personal gefunden werden kann. Dies wurde noch dadurch erschwert, daß qualifizierte Verwaltungsbeamte regelmäßig bereits in der existierenden Verwaltung tätig waren. Der Rekrutierung solcher Personen steht einerseits politisch entgegen, daß die existierende Verwaltung von einer der Konfliktparteien kontrolliert wird, und ihre Angehörigen insofern für die anderen Parteien diskreditiert sind; andererseits kann es auch für das Ziel des Wiederaufbaus einer eigenen Verwaltung im Lande kontraproduktiv sein, zuviel Personal aus existierenden Verwaltungsstrukturen in die UN-Übergangsverwaltung abzuziehen. Trotz allem bleibt natürlich die möglichst urnfassende Beteiligung des betroffenen Volkes an der UN-Verwaltung politisch wünschenswert, um dessen Eigenverantwortlichkeit für sein Schicksal zu verdeutlichen. Besonders klar wurden die aufgezeigten Begrenzungen der Personalquellen in der ersten Phase der Operation spürbar. Bei allen UNT AC-Komponenten dauerte die tatsächliche Stationierung und Herstellung der Einsatzbereitschaft länger als geplant. Diese Verzögerungen, die teilweise auch auf Transportschwierigkeiten zurückzuführen waren 500, haben das UN-Mandat in Kam499 Darauf weist das ACABQ mehrfach hin - vgl. den Bericht v. 15. 5. 1992, UN Doc. A/46/916, para. 25; Bericht v. 10. 12. 1992, UN Doc. A/47/763, para. 25.
500 Bericht des Generalsekretärs v. 1. 5. 1992, UN Doc. S/23870, para. 48.
11. Kambodscha
153
bodscha in Schwierigkeiten gebracht. Ihretwegen war es der existierenden Verwaltung der Regierung Hun Sen möglich, bis weit in die Übergangsphase hinein die eigentliche Macht in Kambodscha auszuüben. Außerdem machten sie die effektive und glaubwürdige Verifrkation des vietnamesischen Abzugs aus Kambodscha schwierig. Dies beides wiederum lieferte den Roten Khmer einen Vorwand, sich von ihren Verpflichtungen loszusagenSOl. Wie schon in Namibia erwies sich auch hier die Startphase als eine gravierende Schwachstelle der Operation. Bemerkenswert ist dabei aber, daß die Aufstellung der UNT AC am reibungslosesten in dem Bereich gelang, für den ausschließlich die Mitgliedstaaten "zuständig" sind - dem Militär. 5. Abschluß des Einsatzes - Erfolgskontrolle
Die Ermächtigungsresolution 745 (1992) des Sicherheitsrats setzte der UNTAC ausdrücklich einen zeitlichen Rahmen von 18 Monaten502 , d.h. von März 1992 bis August 1993. Dieser Rahmen sollte unbedingt eingehalten werden. Das zeigt bereits die gewählte Formulierung ("for aperiod not to exceed 18 months"), die von den sonst für die Festlegung des zeitlichen Rahmens einer Peace-Keeping-Operation gebräuchlichen Klauseln ("for aperiod of"503) abweicht. Darüber hinaus enthalten die Berichte des Generalsekretärs mehrere Hinweise darauf, daß die Kambodschaner nicht auf eine Erweiterung des Mandats in zeitlicher Hinsicht rechnen konnten 504 In diese Richtung weisen schließlich auch die Resolutionen 783 (1992), 792 (1992) und 810 (1993), in denen der Sicherheitsrat die Unabdingbarkeit der Einhaltung des Zeitrahmens betont505 . Dieser Wille, eine Mandatsverlängerung zu vermeiden, liegt in dem gewaltigen Umfang der Mission begründet, die monatliche Kosten in Höhe von 100 Mio. Dollar verursachte506 Auch hätte die große Zahl qualifrzierter internationaler Beamter bei einer Missionsausdehnung noch länger nicht in ihren eigentlichen Tätigkeitsbereich im UN-System zurückkehren können. Eine Verschiebung der Wahl über den Mai hinaus hätte darüber hinaus eine monateSOl Schier, KAS 6/1992, 4; vgl. auch den Bericht des Generalsekretärs v. 14. 7. 1992, UN Ooc. S/24286, para. 11. 502 In Ziffer 2 des operativen Teils. 503 Oiese Wortwahl findet sich z.B. bei den Ermächtigungen des Sicherheitsrats rur UNAVEM H, Res. 696 (1991) v. 30. 5. 1991, UNPROFOR ("for an initial period of'), Res. 743 (1992) v. 21. 2. 1992 und UNOSOM H ("for an initial period"), Res. 814 (1993) v. 26. 3.1993. 504 Bericht des Generalsekretärs v. 15. 11. 1992, UN Ooc. S/24800, para. 25; Bericht des Generalsekretärs v. 13.2. 1993, UN Ooc. S/25289, para. 46.
505 In Res. 783 (1992) in Ziffer 2, in Res. 792 (1992) in Ziffer 2 und im 4. Vorspruch, in Res. 810 (1993) in Ziffer 13. 506 Bericht des Generalsekretärs v. 15. 11. 1992, UN Ooc. S/24800, para. 25.
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
lange Verzögerung bedeutet, da während der allsommerlichen Regenzeit an eine Wahldurchführung in Kambodscha nicht zu denken gewesen wäre. Diese Faktoren ließen eine Verlängerung der UNTAC-Operation faktisch kaum zu, ohne die Weltorganisation über die Grenzen ihrer Belastbarkeit hinaus zu treiben. Neben dem zeitlichen Rahmen enthielt Res. 745 (1992) implizit auch eine inhaltliche Zielvorgabe für das UNT AC-Mandat. Sie nimmt auf das Pariser Abkommen Bezug. Das Agreement on a Comprehensive Political Settlement of the Cambodia Conflict setzte eine Übergangsperiode in Gang, die gern. Sect. I, Art. 1 enden sollte, sobald die aus freien Wahlen hervorgehende, verfassunggebende Versammlung eine Verfassung angenommen, sich selbst in eine gesetzgebende Versammlung verwandelt und eine neue Regierung gebildet haben würde. Dieses Hauptziel der Pariser Abkommen machte Res. 745 (1992) zur inhaltlichen Vorgabe der UNTAC507 Die besondere Betonung galt dabei der Durchführung der Wahl 508 Wenngleich damit die Wahlorganisation schon in der Ermächtigungsresolution in den Mittelpunkt des UNT AC-Mandats rückte 509 , so war dies doch nicht das einzige Ziel der Operation. Vielmehr gehörte die Durchführung der Pariser Abkommen in ihrer Gesamtheit, insbesondere auch die Entwaffnung und die Herstellung eines neutralen politischen Umfelds, zu den inhaltlichen Zielen der UNT AC. Tatsächlich gelang es der UNTAC, ihr inhaltliches Hauptzie}510 bei minimaler Überschreitung des zeitlichen Rahmens zu erreichen. Die Wahl fand Ende Mai 1993 statt. Danach entspannte sich die Lage in Kambodscha rasch. Die verfassunggebende Versammlung nahm nach dreieinhalbmonatiger Beratung am 21. 9. 1993 die neue Verfassung an. Diese wurde am 24. 9. 1993 von Prinz Sihanouk als Staatsoberhaupt verkündet. Am selben Tag wurde Sihanouk zum König gewählt und ernannte eine neue Regierung unter der Führung des Premierminister Norodom Ranariddh, des Führers der FUNCINPEC, und des Vizepremiers Hun Sen. Gleichzeitig wandelte sich die verfassunggebende in eine gesetzgebende Versammlung umSlI. An diesem 24. 9. 1993 endete dementsprechend das Mandat der UNTAC512 Zuvor hatte der Sicherheitsrat der gut
507 Dies bestätigt Res. 860 (1993) v. 27. 8. 1993, 5. Vorspruch und Zi. 3. 508 Im 4. und 5. Vorspruch.
509 Das erklärt auch die
B., II., 1., c).
"Obsession" der UNTAC bezüglich der Durchfuhrung der Wahl - vgl. o.
510 Die Wahl sieht auch Leurdijk, Int. Spect. 1993,666 als Hauptziel der Operation. AA Zemanek in: Blokker/Muller, Towards More Effective Supervision, 36, der die Wahl nicht fiir das zentrale Ziel der Operation, sondern lediglich fiir ein Element des Gesamtprozesses hält.
511 Bericht des Generalsekretärs v. 5.
10. 1993, UN Doc. S/26529, paras. 2 - 6.
512 Dies bestätigte der Sicherheitsrat in Res. 880 (1993) v. 4. 11. 1993,5. Vorspruch.
II. Kambodscha
155
dreiwöchigen Mandatsverlängerung über den 31. 8. 1993 hinaus zugestimmt513 . Obwohl damit das Hauptziel der Operation mehr oder weniger innerhalb des vorgesehenen Zeitraums erreicht wurde, darf nicht übersehen werden, daß UNT AC wichtige Teile ihres Mandats nicht verwirklichen konnte. Insbesondere gelang es ihr nicht, ein wirklich neutrales Umfeld für die Wahl herzustellen und die Bürgerkriegsparteien zu entwaffnen. Das erstgennante Defizit erscheint im Lichte des positiven Wahlverlaufs zwar weniger gravierend, als dies in der Literatur teilweise angenommen wurde 514 Allerdings hatte diese Schwäche die Folge, daß die Anhänger der alten Regierung Hun Sen ihre Dominanz in der Verwaltung des Landes über die Übergangsperiode hinweg erhalten konnten. Damit wird die neue Regierung leben müssen. Viel gefahrlicher noch ist die fehlgeschlagene Entwaffnung der Bürgerkriegsparteien Sie ist eine schwere Hypothek auf die Zukunft des Landes. Diese beiden Aspekte beleuchten strukturelle Schwächen der UNTAC. Einerseits erlaubte ihr Mandat ihr nicht, die Einhaltung der Vereinbarungen von Paris auch militärisch durchzusetzen; andererseits war ihre zivile Komponente im Verhältnis zu der Größe der Aufgabe zu dünn besetzt. Trotz allem ist der UNT AC aber zu bescheinigen, ihre Mission erfolgreich abgeschlossen zu haben. Die Hoffnung, einen tiefgehenden inneren Konflikt durch Eingreifen von außen vollständig lösen zu können, ist unrealistisch. Demgegenüber kann die Kraft, die von einer unanfechtbaren Äußerung des Volkswillens in einer freien Wahl ausgeht, nicht hoch genug eingeschätzt werden. Zusammen mit der relativen Stabilisierung der politischen Lage während einer Übergangsphase gibt sie einem zerrissenen Land eine neue Chance. Beides. eine freie Wahl und eine - relativ - stabile Übergangsphase, konnte UNT AC den Kambodschanern verschaffen und damit einem von 20 Kriegsjahren zerrissenen Land und seiner gepeinigten Bevölkerung diese neue Chance geben. Damit ist bereits sehr viel - vielleicht überhaupt das Mögliche ereicht.
513 Res. 860 (1993) v. 27. 8. 1993, Zi. 3 in Verbindung mit dem Bericht des Generalsekretärs v. 26. 8. 1993. ON Doc. S/26360, para. 30.
514 ygl. Z.B. Will, Aussenpolitik IY/1993, 398 f
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
IH. Somalia Es handelt sich bei Somalia um ein 637.657 qkm großes Land l an der äußersten Ostspitze des afrikanischen Kontinents, dem "Horn von Mrika". Es ist seit dem 20.9. 1960 Mitglied der Vereinten Nationen2 und wird z. zt. von rund 6,5 Millionen Menschen bewohnt3 Die ethnisch homogene (Somali) und überwiegend moslemische Bevölkerungt ist in eine Vielzahl von Familienclans zersplittert, die in wechselnden Allianzen bald kooperieren, bald konkurrieren 5 . 1. Geschichte
Die Vereinten Nationen haben sich mit Somalia - anders als in den Fällen Namibias und Kambodschas - erst in der jüngeren Vergangenheit befaßt. Das Land rückte durch die der akuten Krisensituation des Jahres 1992 vorausgegangenen Auseinandersetzungen seit 1988 in den Blickpunkt zunächst der Generalversammlung, schließlich auch des Sicherheitsrats der Weltorganisation. a) Bis 1991
Das Gebiet des heutigen Somalia setzt sich aus zwei bis 1960 getrennt bestehenden Kolonialgebieten zusammen. Während der Norden des Landes als Britisch-Somaliland der englischen Kolonialherrschaft unterstand, verwaltete Italien den Südteil als UN-Treuhandmandat. Innerhalb weniger Tage erlangten beide Teile im Sommer 1960 ihre Unabhängigkeit und vereinigten sich zu einem gemeinsamen Staat, der Somalischen Republik 6 Neun Jahre lang erlebte der junge Staat relativ demokratische, wenn auch durch verbreitete Korruption getrübte Verhältnisse?, bis im Oktober 1969 ein Staatsstreich des Militärs den General Muhamad Syad Barre an die Macht brachte8 .
Weltatlas. 186. 2 UBYB 1991, 1023. 3 AdG 1992,36325 A. 4 Rauschning, Jahrbuch f. Int. Recht, Bd. 12 (1965), 165; AdG 1988, 32388 B. 5 Gaus, Blätter rur deutsche und internationale Politik 1993, 788f. 6 Cotran, ICLQ 1963, 1010. ?
Clark, ForM, Vol. 72 (1993), 110; AdG 1991,35294 A. AdG 1969, 15042 B, 2; Sore!, AFD! 1992,62.
III. Somalia
157
Dort hielt sich dieser 21 Jahre lang. Während jener Jahre pendelte das Land außenpolitisch von der zunächst verfolgten Annäherung an die UdSSR Ende der siebziger Jahre hinüber zu einer Kooperation mit dem Westen9 , während Barre innenpolitisch versuchte, die traditionelle Stammesstruktur der somalischen Gesellschaft auszurotten lO Die immer mehr zu einem repressiven Polizeistaat degenerierende Diktatur Barres zerrüttete die ohnehin schwache II Wirtschaft und die Gesellschaft Somalias l2 . Durch die Niederlage im OgadenKrieg 1978 gegen Äthiopien l3 in seiner Autorität beschädigt, sah sich Barre wachsendem Widerstand in der eigenen Bevölkerung gegenüber, der im Norden des Landes bald zur Bildung der Widerstandsbewegung "Somali National Movement" (SNM) führte l4 . Im Sommer 1988 schließlich kam es in den nördlichen Landesteilen zu heftigen Kämpfen zwischen der Regierung und der SNM, in denen Barre mühsam die Oberhand behielt I5 Die Kämpfe hatten auf internationaler Ebene die Folge, daß sich die UN-Generalversammlung unter dem Aspekt der humanitären Nothilfe für die betroffenen Teile der somalischen Bevölkerung erstmals mit der Lage in dem ostafrikanischen Land befaßte l6 Nach diesen Auseinandersetzungen kam das Land nicht mehr zur Ruhe. Feindseligkeiten flammten bald darauf auch in den südlichen Regionen und in der Hauptstadt Mogadischu auf, mit SPM ("Somali Patriotic Movement") und USC ("United Somali Congress") entstanden weitere Rebellenbewegungen und Somalia versank bis 1990 in einem landesweiten Bürgerkrieg l7 , der im Januar 1991 schließlich zum Sturz Syad Barres führteIR. 21 Jahre Diktatur hatten am Horn von Afrika "ein wirtschaftlich ruiniertes Land mit einer traumatisierten Bevölkerung" 19 hinterlassen. b) 1991 - 1993
Mit dem Ende der Regierung Barre sollte das gebeutelte Land aber nicht zur Ruhe kommen. Unmittelbar nach seinem Sturz brachen Rivalitäten zwischen 9 AdG 1991,35294 A; C1ark, ForAff, Vol. 72 (1993),110 f 10 AdG 1978,21846 B.
II
Rauschning, Jahrbuch fur Internationales Recht, Bd. 12 (1965), 167.
12 Matthies, VN 1993,45 f 13 AdG 1978,21637 A 14 Clark, ForM, Vol. 72 (1993), 111. 15 AdG 1988,32388 B; AdG 1990,35124 A 16 Res. 43/206 v. 20. 12. 1988. 17 AdG 1989,33558 A; AdG 1990,35124 A 18 AdG 1991, 35294 A 19 AdG 1991,35294 A
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
den verschiedenen Widerstandsgruppen aufw. Keiner von ihnen gelang es in der Folgezeit, effektive Gewalt über Somalia in die Hände zu bekommen. Innerhalb des die Hauptstadt kontrollierenden USC verfeindeten sich der seit dem Sturz Barres als Interimspräsident agierende Ali Mahdi Mohamed und General Farrah Aidid, was zur faktischen Teilung Mogadischus führte 21 Im Norden spalteten die Angehörigen der SNM die ehemals zum britischen Kolonialgebiet gehörenden Landesteile vom restlichen Somalia ab und riefen die unabhängige "Republik Somaliland" aus, die freilich von niemandem anerkannt wurde 22 Im Süden operierten wieder andere rivalisierende Gruppen, und kurzzeitig tauchte sogar der gestürzte Diktator Barre dort wieder auF3. Dieses totale politische Chaos, gepaart mit einer großen Zahl von Waffen, die in den Jahren der Unruhen in das Land gelangt waren, sowie dem wirtschaftlichen Ruin, dem Zusammenbruch der Verwaltung und den umfangreichen Zerstörungen, die der Bürgerkrieg angerichtet hatte, ließen Somalia weitgehend 24 in die schiere Anarchie abgleiten25 . Während der Bürgerkrieg um die Macht andauerte, durchstreiften marodierende Banden das Land. "Gnadenlos versorgt sich heute jeder in Somalia selbst mit dem Gewehr in der Hand" war eine treffende Beschreibung der Lage26 Der Herrschaft der Gewehre fielen in zunehmenden Maße auch die Lieferungen internationaler, humanitärer Hilfe zum Opfer. Überf.ille und Plünderungen führten dazu, daß schließlich bis zu 70 % dieser Lieferungen ihr Ziel nicht mehr erreichten27 Diese Lage - vom US Außenministerium Anfang 1992 als "schlimmste aktuelle menschliche Tragödie der Welt" bezeichnet28 - produzierte eine schwere Hungersnot, der mindestens 300.000 Menschen zum Opfer fielen und die über 1 Millionen Flüchtlinge in die Nachbarländer trieb 29 . Während sich seitens der UNO bis Ende 1991 lediglich die Generalversammlung 30 und der ECOSOC31 mit der humanitären Notlage in Somalia be20 AdG 1991,35294 A. 21 AdG 1991,36325 A; Gaus, Blätter fiir deutsche und internationale Politik 1993,787. 22 AdG 1991,35705 A; Sorel, AFDI 1992,63.
23 Gaus, Blätter fiir deutsche und internationale Politik 1993, 787; AdG 1992, 36903 A. 24 Im Süden noch mehr als im Norden des Landes - Matthies, VN 1993,46; AdG 1992, 37059 B: AdG 1992, 37381 A. Auch im Norden war die Lage indes beklagenswert - vgl. AdG 1991, 35705 A sowie Bericht des Generalsekretärs v. 21. 4. 1992, UN Doc. S/23829, para. 9. 25 AdG 1991, 35705 A AdG 1991,36325 A; Matthies, VN 1993,46. 26
Der Spiegel, zit. nach AdG 1992,37059 B.
27 Matthies, VN 1993,47. 28 AdG 1992,36485 A. 29 Clark, ForAff, Vol. 72 (1993), 113: Matthies, VN 1993,46. 30 Der Res. 431206 v. 20. 12. 1988 folgten die Resolutionen 44/178 v. 19. 12. 1989, 45/229 v. 21. 12. 1990 und 46/176 v. 19. 12. 1991.
III. Somalia
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faßt hatten, trat im Januar 1992 erstmals der Sicherheitsrat auf den Plan und verhängte mit Res. 733 (1992) vom 23. l. 1992 ein Waffenembargo über das Land. Im weiteren Verlauf des Jahres weitete die UNO ihr Engagement für Somalia Stück für Stück aus. Friedensinitiativen wurden unternommen 32 , eine Reihe von Sicherheitsratsresolutionen erlassen33 und eine UN-Peace-KeepingOperation in Somalia (UNOSOM) gestartet34 . Dennoch blieb die UN-Aktivität gebremst und weitgehend wirkungslos. So wurden für UNOSOM - entgegen einem weitergehenden Vorschlag im Sicherheitsrat - zunächst nur 50 Beobachter genehmigt35. Die Entsendung einer größeren Sicherheitsgruppe, die zunächst 500 Mitglieder stark sein sollte36 , wurde von noch zu verhandelnden Abmachungen mit den Bürgerkriegsparteien abhängig gemacht37 Während sich die Verhandlungen mit den somalischen Kriegstreibern in die Länge zogen. wurde die Situation im Lande immer unhaltbarer. Auch die am 28. 8. 1992 beschlossene Erhöhung der Stärke von UNOSOM auf 3.500 Mitglieder38 vermochte daran nichts zu ändern. Wachsender Druck der durch schockierende Fernsehberichte aufgeschreckten Weltöffentlichkeit und massives Drängen des UN-Generalsekretärs. der den Mitgliedern des Sicherheitsrats vorwarf, mit zweierlei Maß zu messen und dem "rich man's war" in Jugoslawien mehr Beachtung zu schenken, als der Tragödie in Somalia39 führten schließlich Ende 1992 zu einem grundsätzlich neuen Ansatz4o . In einer bislang beispiellosen Operation sollten durch den Einsatz massiver militärischer Macht Ruhe und Ordnung in Somalia wiederhergestellt und damit die Voraussetzung für wirksame internationale Hilfe geschaffen werden. Zu diesem Zweck ermächtigte der Sicherheitsrat mit Res. 794 (1992) 31 In der Ent~cheidung 1989/11 1 v. 22.5. 1989 und der Res. 1991/3 v. 29.5. 1991.
32 Zu
erwähnen sind insbesondere die - heftig kritisierten - Verhandlungsrunden, die zwischen Januar und März 1992 von dem damaligen Sonderbeauftragten rur Somalia, James Jonah, initiiert wurden und die schließlich in einen Waffenstillstand mündeten - vgl. die kritischen Darstellungen bei Clark, ForM, Vol. 72 (1993),115 und Matthies, VN 1993.47.
33 Die Resolutionen 746 (1992) v. 17.3. 1992,751 (1992) v. 24. 4. 1992,767 (1992) v. 27. 7. 1992 und 775 (1992) v. 28. 8.1992. 34 Res. 751 (1992). 35 Res. 751 (1992). Ziffer 3; vgl. AdG 1992,36903 A. 31i Res. 751 (1992), Ziffer 4 und Bericht des Generalsekretärs v. 21. 4. 1992, UN Doc. S123829, para. 29. 37 Res. 751 (1992), Ziffern 4 und 5. 38 Res. 775 (1992), Ziffer 3 und Bericht des Generalsekretärs v. 24. 8. 1992, UN Doc. S124480, para. 37. 39 Clark, ForM, Vol. 72 (1993), 116. 40 Dieser hatte sich freilich in den weiteren Somaliaresolutionen während des Jahres 1992 bereit~ angekündigt. Vgl. ausruhrlich dazu Sore!. AFD! 1992, 68 ff, der anschaulich von einer "escalade graduelle" spricht (68).
B. Peace-Keeping der zweiten Generation
160
v. 3. 12. 199241 einen internationalen Militärverband unter der Führung und maßgeblichen Beteiligung der USA zur Invasion in Somalia. Unter dem Operationsnamen "Restore Hope" begann am 9. 12. 1992 eine Militäraktion, an der 30.000 Soldaten aus 21 Ländern beteiligt waren42 Dieser Invasionstruppe, die als UNIT AF (Unified Task Force) von der in ihrem Schatten fortbestehenden Friedenstruppe UNOSOM organisatorisch getrennt blieb, gelang es in den folgenden Monaten, entscheidende Teile Somalias unter ihre Kontrolle zu bringen und die Sicherheitslage soweit zu beruhigen, daß das Massensterben beendet werden konnte43 . Demgegenüber verhielt sich UNIT AF bei der Entwaffnung der Banden in Somalia zurückhaltend. Anders als der UN-Generalsekretär waren die für UNIT AF verantwortlichen USA ursprünglich nicht der Ansicht, diese gehöre zum Mandat des Invasionsverbandes44 Als Folge dessen war die von UNITAF Anfang 1993 hergestellte Ruhe in Somalia als äußerst zerbrechlich. Das NahzieL den Hilfsorganisationen den Zugang zu der hungernden Bevölkerung zu öffnen und damit die unmittelbarste, menschliche Not zu lindern, hatte UNIT AF Anfang 1993 allerdings erreicht45 . Darüber hinaus gelang es unter dem Eindruck der Anwesenheit von UNIT AF, einen nationalen Versöhnungsprozeß zu initiieren. Noch im Dezember 1992 versöhnten sich die bei den großen Gegenspieler in Mogadischu, Farrah Aidid und Ali Mahdi, in medienwirksamer Form46 . Im Januar 1993 begannen dann in Addis Abeba die Vorbereitungen für eine nationale Versöhnungskonferenz, die im März unter breiter Beteiligung aller relevanten Kräfte tagte und am 28. 3. 1993 einen Friedensplan für eine Übergangszeit verabschiedete47 . Die in der Folgezeit zutage tretende, mangelnde Bereitschaft einzelner Gruppen, sich an die Abkommen von Addis Abeba zu halten, lassen die Erfolgsaussichten dieses Prozesses jedoch eher gering erscheinen. Am 4. Mai 1993 wurde der von Anfang an nur für einen befristeten Einsatz geplante Invasionsverband UNIT AF von einer neugeschaffenen UN-Friedensoperation in Somalia (UNOSOM 11) abgelöst4R , die zugleich die glücklos gebliebene und seit Dezember 1992 völlig in den Hintergrund getretene, alte
41 Für eine eingehende Interpretation der Res. 794 (1992) siehe Sorel, AFD! 1992,74 ff. 42 AdG 1992.37381 A. 43 Matthies, VN 1993,49; Wagner, EA 1994, 156 f. 44 AdG 1992, 37381 A. 45 Zu diesem Befund kam eine Delegation des britischen Unterhauses, die Somalia Anfang März 1993 besuchte - 3. Bericht des Foreign Affairs Committee des britischen Unterhauses zur Rolle der Vereinten Nationen v. 23. 6. 1993, Annex A, para. 25. Vgl. auch Gaus, Blätter f. deutsche und int. Politik 1993, 786. 4i)
AdG 1992,37381 A.
47 AdG 1993,37701 A; Matthies, VN 1993,49 f. 4R AdG 1993.37955 A.
III. Somalia
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Friedenstruppe UNOSOM ersetzte. Im weiteren Verlauf des Jahres wurde UNOSOM 11 vor allem in der Hauptstadt Mogadischu immer wieder in Kämpfe vornehmlich mit Anhängern des Generals Aidid verwickelt, die auf beiden Seiten Opfer forderten 49 und deren Verlauf die Operation erheblicher Kritik in der Öffentlichkeit aussetzte. Unter dem Eindruck dieser Kritik entschlossen sich Anfang 1994 die meisten westlichen Teilnehmerstaaten zu einem Abzug ihrer Truppen von UNOSOM 11, die daraufhin im Februar 1994 verkleinert und mit einem modifizierten Mandat versehen wurde. Allerdings ist zu bemerken, daß die Kampfuand1ungen im Sommer und im Herbst 1993 sich weitgehend auf die Hauptstadt beschränkten, während UNOSOM 11 in weiten Teilen des Landes auch Erfolge zu verzeichnen hatte. c) Wertung
Mehr als in den beiden vorherigen Fällen handelt es sich hier um die Situation eines "failed state" im oben5o beschriebenen Sinne. Die Diktatur Syad Barres in Somalia wurde über lange Jahre durch die wechselnde Unterstützung der beiden Supermächte am Leben gehalten. Nachdem das Land mit dem Ende des Kalten Krieges seine Bedeutung für die Großmächte und damit auch deren Unterstützung verloren hatte, offenbarte sich das Fehlschlagen des Versuchs, in Somalia ein modernes Staatswesen zu errichten. Weder waren dauerhafte administrative Strukturen entstanden, noch hatte sich eine einheitliche Gesellschaft gebildet. Als Konsequenz daraus zerfiel die Bevölkerung mit dem Ende der Diktatur in sich bekriegende Clangemeinschaften, der Staat zerbrach. Verschlimmert wurde die Agonie nicht zuletzt durch die während der Zeit der Unterstützung durch die Supermächte ins Land gespülten Waffen mengen. Demgegenüber spielen internationale Rückwirkungen des innerstaatliche Zusammenbruchs hier fast 51 keine Rolle. Insbesondere ist keine Gefahr eines zwischenstaatlichen Konflikts ersichtlich. Damit erscheint Somalia als ein besonders eindringliches Beispiel für die neue Herausforderung der Weltgemeinschaft durch zerrüttete Staaten.
49 AdG 1993,37955 A; AdG 1993,38114 A. 50
S.o. A., 1., l., a).
Internationale Rückwirkungen ergeben sich natürlich aus dem Flüchtlingsstrom in die Nachbarländer. 51
11 Hufnagel
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
2. Rechtliche Fundierung
In Somalia hat es insgesamt drei sukzessive UN-Operationen gegeben. Die erste war die Friedensrnission UNOSOM, die im April 1992 durch Res. 751 (1992) des Sicherheitsrats aufgestellt und im August desselben Jahres mit Res. 775 (1992) in ihrem Umfang vergrößert wurde. Bei der zweiten UN-Operation handelte es sich um den mit Res. 794 (1992) im Dezember autorisierten Invasionsverband UNITAF. Dieser war nicht eigentlich ein UN-Verband, sondern eine multinationale Truppe unter der Führung der USA, deren Einsatz lediglich von der UNO mandatiert wurde. Dementsprechend hatte die Aufstellung von UNIT AF keinen Einfluß auf UNOSOM; letztere bestand während der Tätigkeit von UNIT AF parallel zu dieser fort 52 . Die dritte Operation schließlich UNOSOM II - absorbierte beide Vorgängeroperationen. Als erweiterte ("expanded"53) Version von UNOSOM unmittelbare Nachfolgerin dieser ersten UN-Anstrengung in Somalia, sollte UNOSOM 11 - dies u.a. der Grund für die "Erweiterung" des Mandats - auch die Funktionen von UNIT AF übernehmen54 Am 4. 2. 1994 wurde durch Res. 897 (1994) dann auch ihr Mandat wieder geändert. Insbesondere sollte sie ab diesem Zeitpunkt ihre Aufgaben nicht mehr zwangsweise durchsetzen55 . Gleichzeitig wurde ihr Umfang reduziert. Gegenstand eingehender Betrachtung im Rahmen der vorliegenden Arbeit ist nur die dritte der genannten UN-Operationen, UNOSOM II, in der Zeit bis zu jener Mandatsmodifizierung im Februar 1994. a) Rechtsgrundlage
Für UNOSOM II konstitutiver Akt ist die Res. 814 (1993) des Sicherheitsrats vom 26. 3. 1993. In den Ziffern 5. und 6. des operativen Teils dieser Resolution wird die Operation UNOSOM 11 für einen vorläufigen Zeitraum von 6 Monaten - bis zum 31. 10. 1993 56 - autorisiert. Gleichzeitig wird in dieser Resolution der Bericht des Generalsekretärs vom 3. 3. 1993 57 genehmigt, der die Konzeption von UNOSOM II enthält. Insbesondere dasjenige Kapitel dieses Berichts, das die Modalitäten des Übergangs von UNIT AF zu UNOSOM 11 be-
52 Vgl. Res. 794 (1992) v. 3. 12. 1992, Ziffer 6. 53 Res. 814 (1993) v. 26. 3. 1993, Ziffern 5. und 6. 54 4. Vorspruch und Ziffer 14. des operativen Teils. 55 Bericht des Generalsekretärs v. 6. 1. 1994. UN Doc. S/1994/12, para. 57.
56 Später wurde das Mandat sukzessive verlängert - vgl. z.
B. Res. 878 (1993) v. 29. 10. 1993 (bis zum 18. 11. 1993) und Res. 886 (1993) v. 18. 11. 1993 (bis zum 31. 5. 1994). 57 UN Doc. S/25354.
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handelt, wird ausdrücklich zum Bestandteil des Mandats gemacht 5R . Dementsprechend ist die unmittelbare rechtliche Fundierung der Operation die Res. 814 (1993) in Verbindung mit dem Bericht des Generalsekretärs vom 3. 3. 1993.
Obwohl sowohl der größte Teil der Präambel der Resolution als auch die überwiegende Zahl ihrer operativen Bestimmungen sich mit der inneren Lage Somalias und ihrer Stabilisierung beschäftigen, kann kein Zweifel daran bestehen, daß der Sicherheitsrat diese Resolution auf seine Aufgabe zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit gestützt hat. Beleg dafür sind zunächst die im 26. Vorspruch enthaltene, in der Wortwahl an Art. 39 der Charta orientierte Feststellung: "DETERMINES that the situation in Somalia continues to threaten peace and security in the region" sowie die ausdrückliche Nennung des Kap. VII im Vorspruch zu Ziffer 5 des operativen Teils. Noch eindeutiger wird dieser Befund, wenn man die Vorgeschichte der Res. 814 (1993), insbesondere die Vorgängerresolutionen zum Somaliafall, in die Untersuchung einbezieht. Diese früheren Resolution werden durch den ersten Vorspruch der Res. 814 (1993) ausdrücklich bestätigt und die Formulierung des 26. Vorspruchs - "continues to threaten" - untermauert den Zusammenhang. Bereits in der ersten Resolution zu Somalia, der Res. 733 (1992) vom 23. 1. 1992, bezeichnete der Rat die anarchische Situation in Somalia als Bedrohung des Weltfriedens 59 , um unmittelbar im Anschluß daran auf seine primäre Verantwortung für die Wahrung des Weltfriedens hinzuweisen60 Die Einordnung der Lage in Somalia als Friedensbedrohung wurde in allen folgenden Resolutionen61 wiederholt. Darüber hinaus wurde die Gewährung humanitärer Hilfe als eine Maßnahme zur Wiederherstellung des Weltfriedens bezeichnet62 . In Res. 794 (1992) vom 3. 12. 1992 wurde dann schließlich die Feststellung getroffen, "that the magnitude of human tragedy caused by the conflict in Somalia, further exacerbated by the obstacles being created to the distribution of humanitarian assistance, constitutes a threat to international peace and security"63 Einmal mehr hat der Sicherheitsrat also die Reaktion auf eine innerstaatliche Krise als Bestandteil der ihm in Art. 24 (1) übertragenen Verantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit aufgefaßt. Besonders die gerade zitierte Formulierung in Res. 794 (1992) läßt SR Ziffer 5. 59 "the continuation of this situation constitutes, ( ... ), a threat to international peace and security" 4. Vorspruch. 60
5. Vorspruch.
61 Res. 746 (1992) v. 17. 3. 1992; R.:s. 751 (1992) v. 24. 4. 1992; Res. 767 (1992) v. 27. 7. 1992; Res. 775 (1992) v. 28. 8. 1992. 62 Res. 767 (1992). 9. Vorspruch; Res. 775 (1992), 8. Vorspruch. 63 3. Vorspruch.
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nach ihrem klaren Wortlaut keinen Zweifel daran zu, daß die Lage des Landes als solche - und nicht eine von ihr ausgehende Bedrohung anderer Länder - als Gefahr für den Weltfrieden eingestuft wurde 64 . Diese Beobachtung ist umso bedeutungsvoller, als der Generalsekretär selbst dem Sicherheitsrat im Vorfeld der Resolution den Vorschlag gemacht hatte, die Feststellung der Friedensbedrohung gern. Art. 39 im Hinblick auf die Rückwirkungen in den Nachbarländern zu treffen65 , ein Vorschlag, den der Sicherheitsrat bei seiner Wortwahl nicht aufgegriffen hat. Damit richtet sich der Blick auf die besonderen Befugnisse im Sinne des Art. 24 (2) 2, die der Operation UNOSOM 11 zugrundeliegen. Anders als bei UNT AG und UNT AC - und überhaupt im Unterschied zu praktisch allen66 bisherigen UN-Friedensoperationen - führt der Sicherheitsrat in Res. 814 (1993) ausdrücklich das Kap. VII als Rechtsgrundlage an67 . Fraglich ist aber, ob diese Fundierung für die Operation in ihrer Gesamtheit gilt. Anlaß daran zu zweifeln gibt die Dreiteilung des operativen Teils der Resolution. Die Berufung auf Kapitel VII steht am Anfang nur des zweiten Teils und nicht etwa vor dem operativen Teil in seiner Gesamtheit. Daraus könnte man schließen, daß sich nur Teile der UNOSOM 11 auf das Kap. VII gründen. Der Inhalt der verschiedenen Teile stützt einen solchen Schluß. Teil A ist in erster Linie den zivilen, Teil B primär den militärischen Aspekten und Teil C schließlich den finanziellen und sonstigen Gesichtspunkten der Operation gewidmet. Die Beschränkung des Rückgriffs auf Kap. VII auf die militärischen Aspekte des Mandats erscheint prima facie plausibel. Eine derartige, auf Teilbereiche beschränkte Eingrenzung der Stützung von UNOSOM 11 auf das Kap. VII scheint auch dem Generalsekretär vorgeschwebt zu haben, der das Mandat als "teilweise zeitweilig unter das Kap. VII" fallend bezeichnet hat68 Schließlich ließe sich jene Aufteilung damit erklären, daß UNOSOM 11 Fortsetzung sowohl der ursprünglichen UNOSOM-Friedensmission als auch des Invasions-
64 A.A. Djiena Wembou, African Journal of International and Comparative Law 1993, 347, der ohne jede Begründung behauptet, die fragliche Formulierung in Res. 794 (1992) sei "en raison des n&percussions du conflit en Somalie sur I'ensemble de la region" gewählt worden. 65 Brief des Generalsekretärs an den Sicherheitsrat v. 29.11. 1992, UN Doc. S/24868. 66 Eine Ausnahme ist die Operation UNPROFOR im ehemaligen Jugoslawien, die - obwohl ursprünglich ohne Berufung auf eine ausdrückliche Rechtsgrundlage aufgestellt - durch die Resolution 807 (1993) v. 19. 2. 1993 zwei Wochen vor der Autorisierung von UNOSOM 11 ebenfalls ausdrücklich auf das Kapitel VII der Charta gestützt wurde. 67 Im Wortlaut der Resolution heißt es: "( ... ) Acting under Chapter V11 ofthe Charter ofthe United Nations, ( ... ) 5. Decides to expand the size ofthe UNOSOM force and its mandate ( ... ); 6. Authorizes the mandate ofthe expanded UNOSOM (ONOSOM 11) for an initial period through 31 October 1993, ( ... )".
68 Als eine der "operation~ whose mandates fall, at times partially, under chapter V11." - Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, ON Doc. S/26317, para. 78.
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verbandes UNIT AF ist, einer auf Kap. VII gestützten Erzwingungsoperation. UNOSOM 11 wäre in dieser Sichtweise als Oberbegriff zweier, rechtlich voneinander getrennter Unteroperationen zu verstehen einer zivilen "Blauhelmmission" und einem militärischen "Kampfeinsatz". Indes erscheint die Richtigkeit der Vorstellung von einem gesplitteten Mandat der Operation UNOSOM 11 in einen auf Kap. VII gestützten, militärischen und einen auf einer anderen Rechtsgrundlage stehenden, zivilen Teil fragwürdig. Dagegen spricht schon eine flüchtige Betrachtung der Tatsache, daß UNOSOM 11 - anders als die zeitweilig parallel bestehenden UNOSOM und UNIT AF - ihrer Bezeichnung und ihrer Gesamtkonzeption nach immer als eine einheitliche Operation in Erscheinung tritt69 Dies ist auch bei einer tiefergehenden Betrachtung nicht verwunderlich, denn - und auch das ist der Vorstellung von einem zweigeteilten Mandat entgegenzuhalten - die dem Wiederaufbau Somalias dienenden zivilen Aktivitäten und die militärischen Operationen sind untrennbar miteinander verzahnt und voneinander abhängig. In den Worten des Generalsekretärs: "Without improved security the political process cannot prosper. But there is little prospect of a sustained improvement in security unless the political process does prosper."70 Militärische und zivile Operationsziele lassen sich hier nicht streng trennen 71 Dem entspricht auch das tatsächliche Erscheinungsbild von UNOSOM 11, deren militärische Verbände regelmäßig durch ihre Beteiligung an zivilen Wiederaufbaumaßnahmen in Erscheinung traten 72 Hier getrennte Rechtsgrundlagen anzunehmen erscheint konstruiert. Des weiteren läßt eine genaue Untersuchung der Res. 814 (1993) Zweifel an der auf den ersten Blick durch die Dreiteilung des Textes beabsich~ tigt erscheinenden Trennung des Mandats aufkeimen. Die Autorisierung von UNOSOM 11 selbst findet sich erst im Teil B, in den eben zitierten Ziffern 5. und 6., und damit unzweideutig in dem auf Kap. VII gestützten Resolutionsabschnitt. Wenn damit wirklich eine strikte Trennung der Rechtsgrundlagen in69 So ist in den Berichten des Generalsekretärs immer nur einheitlich von der Operation UNOSOM II die Rede, die aus militärische und zivilen Teilen bestehe - vgl. exemplarisch den Bericht des Generalsekretärs v. 19. 12. 1992, UN Doc. S/24992, para. 45: "an integrated approach"; Bericht des Generalsekretärs v. 3. 3. 1993, UN Doc. S/25354, para. 89; Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. S/26317, para. 73 und 69, wo es ausdrücklich heißt, "daß der Sicherheitsrat die UNOSOM II aufgrund von Kap. VII der Charta der Vereinten Nationen eingerichtet hat.". 70 Bericht des Generalsekretärs v. 19. 12. 1992, UN Doc. S/24992, para. 44. 71 Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Delegation des britischen Unterhauses, die Somalia im Frühjahr 1993 besuchte: "the parts of the mandate requiring cantonment of arms, re-establishment of communications, basic health and education infrastructure and the rebuilding of the demolished towns and cities only seemed to be possible with the active support of the military machine." - 3. Bericht des Foreign Affairs Committee des britischen Unterhauses zur Rolle der Vereinten Nationen v. 23. 6. 1993, para. 134. 72 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 29. 6. 1993, UN Doc. Al47/916/Add.l, para. 19. Für das deutsche Kontingent in Belet Huen vgl.: Der Spiegel 43/1993 v. 25.10.1993,31 f. In diesem Sinne auch Krabbe in der FAZ v. 2. 6. 1993.
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tendiert gewesen wäre, dann ließe sich die Schlußfolgerung nicht vermeiden, daß die - eben erst im Teil B der Resolution auftauchende - Operation UNOSOM 11 zur Wahrnehmung der dem Generalsekretär im "zivilen" Teil A der Resolution - insbesondere in der Ziffer 4. - übertragenen Aufgaben zum Wiederaufbau Somalias nicht befugt wäre. Der Generalsekretär dürfte also UNOSOM 11 für die zivilen Aufgaben nicht heranziehen - ein völlig absurdes Ergebnis, das der Sicherheitsrat nicht beabsichtigt haben kann 73. Ein weiteres Indiz dafür, daß der Sicherheitsrat UNOSOM II insgesamt als Operation nach Kap. VII aufgestellt hat, ist das völlige Fehlen eines Hinweises in der Resolution auf irgendwessen Zustimmung oder Bitte um die Entsendung der Mission; ein Hinweis, der bis zur Res. 794 (1992) in allen früheren Somaliaresolutionen jeweils im ersten Präambelsatz zu finden war74 Daß die äußere Dreiteilung der Res. 814 (1993) nicht den Schluß auf eine gespaltene Rechtsgrundlage der Operation rechtfertigt, zeigt sich schließlich auch an den späteren Resolutionen des Sicherheitsrats. Die Dreiteilung taucht dort nirgendwo mehr auf. So verlängerte der Rat in den Resolutionen 878 (1993) vom 29. 10. 1993 und 886 (1993) vom 18. 11. 1993 das Gesamtmandat von UNOSOM 11 ohne jede Einteilung in verschiedene Abschnitte ausdrücklich unter Berufung auf das Kap. VII der Charta. Noch deutlicher gilt dies für die Modifikation des Mandats in Res. 897 (1994) vom 4. 2. 1994. Hier ist der Hinweis auf Kap. VII als letzter Vorspruch dem operativen Teil in seiner Gesamtheit vorangestellt und erfaßt damit ohne Zweifel auch die zivilen Aufgaben der Operation, die - zusammen mit den modifizierten militärischen Operationszielen - in Ziffer 2 dieses operativen Teils präzisiert werden. Aus diesen Gründen ist UNOSOM II als eine einheitliche Operation zu verstehen, die als solche auch eine einheitliche rechtliche Fundierung hat. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Resolution ist diese Fundierung in Kap. VII der Charta zu sehen. Die Tatsache, daß der Rat mit seiner Feststellung gern. Art. 39 im 26. Vorspruch der Res. 814 (1993) das Tor zur Anwendung von Kap. VII bereits vor dem operativen Teil in seiner Gesamtheit und nicht etwa erst vor dem militärischen Teil B aufstößt, bestätigt diese Sichtweise. Damit ist natürlich nicht gesagt, daß jede einzelne Aktivität von UNOSOM 11 Zwangscharakter haben muß - im Bereich nationaler Aussöhnung und des Wiederaufbaus des Landes wäre das auch ein ganz unsinniger Ansatz. Allerdings ist damit gesagt, daß UNOSOM 11 zur Erreichung ihres Ziels der Stabilisierung Somalias in allen Bereichen ihres Mandats, also auch bei der Wahrnehmung "ziviler" Aufgaben, Zwangsmaßnahmen einsetzen darf, sofern dies erforderlich 73 Das belegt der gern. Res. 814 (1993), Zi. 5. zum Bestandteil des UNOSOM lI-Mandats gemachte Abschnitt im Bericht des Generalsekretärs v. 3. 3. 1993, UN Doc. S/25354, para. 85: "Alle militärischen Kräfte würden an den fortgesetzten Anstrengungen zur Unterstützung der humanitären Maßnalunen ( ... ) mitwirken. "; ausdrücklich in diesem Sinne auch para. 91 desselben Berichts. 74 S. dazu auch unten c., 1., 2., d), bb), (4), (c).
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ist. Spezielle Rechtsgrundlage der gesamten Operation UNOSOM 11 im Sinne des Art. 24 (2) 2 ist damit das Kap. VII der Charta und dort - insoweit der Einsatz auch bewaffneter Gewalt genehmigt ist - der Art. 42, die einzige Vorschrift in der Charta, die diesen Einsatz erlaubt. Mit der rechtlichen Fundierung im Kap. VII der Charta steht UNOSOM 11 in scharfem Kontrast zur ursprünglichen UNOSOM-Mission. Diese war getreu dem Muster traditioneller Peace-Keeping-Operationen7s ohne ausdrückliche Berufung auf eine Rechtsgrundlage in der Charta eingerichtet worden. Ebenfalls getreu dem traditionellen Muster war sie dementsprechend gerade keine Zwangsmaßnahme gern. Kap. VII. Diese Konzeption tritt besonders im Zusammenhang mit den ebenfalls zu jenem traditionellen Muster gehörenden Grundannahmen der Erforderlichkeit der Zustimmung und der Gewaltfreiheit hervor. Beide wurden als Voraussetzungen für UNOSOM (I) angesehen 76 und in den einschlägigen Resolutionen und Berichten betont77 . Dieser Ansatz führte letztlich zum Scheitern von UNOSOM (I). Die Erforderlichkeit der Zustimmung, entwickelt für die klassischen "Pufferblauhelme" als Erfordernis der Zustimmung souveräner Stationierungsstaaten, wurde übertragen auf die Bürgerkriegssituation in Somalia und dort verstanden als Erfordernis der Zustimmung der Konfliktparteien 78 . Die bereits im Kambodschafall angedeutete Problematik dieser Vorgehensweise 79 verschärfte sich in Somalia erheblich. Monatelang versuchte die UNO vergeblich, die Zustimmung kriegstreibender warlords zu erreichen8o, während das Land täglich tiefer im Chaos versank 81 und die potentiellen Blauhelme in ihren Heimatländern auf den Einsatz warteten 82 Von den Bandenchefs einmal gegebene Zusagen wurden ohne Zögern wieder ge-
7S S. dazu oben A., 11., 2. 76 Vgl. den Brief des Generalsdcretärs an den Sicherheitsrat v. 29. 11. 1992, UN Ooc. S124868. 77 Vgl. die Hervorhebung des Zustimmungserfordemisses in den Resolutionen 751 (1992), 4. Vorspruch sowie Zi. 4. und 5., 767 (1992), Zi. 4. und 7., 775 (1992), Zi. 5. sowie im Bericht des Generalsekretärs v. 21. 4. 1992, UN Ooc. S123829, paras. 23 und 26. Oie Gewaltfreiheit der Operation wird z.B. betont im Bericht des Generalsekretärs v. 21. 4. 1992, UN Ooc. S/23829, para. 28, wo die Funktion der UNOSOM security force in dieser Hinsicht beschrieben wird als "to deter attack and to fire effectively in self-defence". 78 Vgl. die Resolutionen 751 (1992), Zi. 5., 767 (1992), Zi. 4., 775 (1992), Zi. 5. ("all parties, movements and factions") sowie den Bericht des Generalsekretärs v. 21. 4. 1992, UN Ooe. S/23829, para. 22 fund den Brief des Generalsekretärs an den Sicherheitsrat v. 29. 11. 1992, UN Ooe. S/24868.
79 S.o. B., 11., 2., a). 80 Vgl. z.B. die Schilderung dieser Bemühungen im Bericht des Generalsekretärs v. 24. 8. 1992, UN Ooc. S124880, para. 26 sowie im Brief des Generalsekretärs an den Sicherheitsrat v. 24. 11. 1992, UN Ooc. S/24859. Ebenso Bericht des Generalsekretärs v. 19. 12. 1992, UN Ooc. S/24992, para. 19. 81 Clark, ForAff, Vol. 72 (1993), 116 f; Matthies, VN 1993,46 f.
82 Vgl. die Stellungnahme Belgiens im Rat am 3.12.1992, UN Ooc. S/PV.3145, S. 23.
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brochen83 . Die mangelnde Repräsentativität der von der UNO zu den Verhandlungen eingeladenen Clanchefs - die kompromißlosesten Guerillaführer gewannen durch diese Einladungen ein unverhofftes, internationales "standing" war kontraproduktiv und Anlaß berechtigter Kritik 84 Die Schaffung eines anerkennungsfahigen, einigermaßen respektablen Gremiums, dem, wie dem SNC im Kambodschafall, irgendeine Legitimation zuerkannt werden konnte, für Somalia zu sprechen, blieb jedenfalls in dieser Phase unmöglich 85 War damit die Grundlage für die Stationierung der Masse der für UNOSOM (I) schließlich vorgesehenen 3.500 Personen unerreichbar, so wurden die wenigen, die schließlich in Somalia eintrafen R6 , durch die zweite rechtliche Schranke des traditionellen Peace-Keeping-Konzepts, das Gewaltverbot, zu Statisten degradiert, die dem sich ständig verschlimmernden Chaos hilflos zusehen mußten und mit dem Schutz ihres eigenen Lebens ausreichend beschäftigt waren 87 Die offensichtliche Unmöglichkeit, selbst das elementarste Ziel der Operation - die Sicherung der humanitären Hilfe für die verhungernde Bevölkerung - mit UNOSOM (I) auf der Basis des traditionellen Peace-Keeping-Konzepts zu erreichen RR , führte schließlich über die Erzwingungsoperation UNITAF zu dem neuen Ansatz für UNOSOM H. Die ausdrückliche Abstützung dieser erweiterten Somaliaoperation auf das Kap. VII markiert einen klaren Ausbruch aus den in 40 Jahren Praxis verfestigten rechtlichen Grundmauern des Peace-Keeping. War Peace-Keeping bislang gerade dadurch definiert, nicht Erzwingung zu sein, so ist bei UNOSOM II die Erzwingung Bestandteil der Operation geworden. Dies schlägt sich unmittelbar in den Funktionen und dem tatsächlichen Erscheinungsbild von UNOSOM II nieder. Die ihr übertragenen militärischen
83 Vgl. den Brief des Generalsekretärs an den Sicherheitsrat v. 24. 11. 1992, UN Doc. S/24859; Brief des Generalsekretärs an den Sicherheitsrat v. 29. 11. 1992, UN Doc. S/24868. R4 Z.B. bei Clark, ForAff, Vol. 72 (1993),115; Matthies, VN 1993,47.
85 Die Schaffung eines dem SNC vergleichbaren Übergangs-Nationalrats (TNC) wurde erst Monate nach der Invasion der UNITAF am 28. 3. 1993 in Addis Abeba auf einer nationalen Versöhnungskonferenz beschlossen. Dieser TNC war dann aber selb~1 im Januar 1994 noch nicht gebildet - Bericht des Generalsekretärs v. 6. I. 1994, UN Doc. S/1994/12, para. 14 -, obwohl dies bis zum I. 7. 1993 hätte geschehen sollen - Matthies, VN 1993, 50. 86 Am 19. 12. 1992, also bereits zehn Tage nach der Landung von UNITAF, waren erst 564 (!) UNOSOM-Mitglieder im Land - Bericht des Generalsekretärs v. 19. 12. 1992, UN Doc. S/24992, para. 6.
87 Sehr plastisch die Schilderung im Brief des Generalsekretärs an den Sicherheitsrat v. 24. 11. 1992, UN Doc. S124859, in dem von einem gelungenen Raubüberfall auf zwei UNOSOMPatrouillenfahrzeuge, dem verzweifelten und letztlich vergeblichen Versuch, den Hafen offen zu halten, aber auch von der erfolgreichen Verteidigung des Flughafens von Mogadischu durch ein pakistanisches Kontingent berichtet wird. 88 Brief des Generalsekretärs an den Sicherheitsrat v. 24. 11. 1992, UN Doc. S124859; Brief des Generalsekretärs an den Sicherheit~rat v. 29. 11. 1992, UN Doc. S/24868.
III. Somalia
169
Aufgaben schlossen ausdrücklich die erforderlichen Zwangsmaßnahmen ein89 , und UNOSOM 11 hat auch nicht gezögert, von diesem Mittel Gebrauch zu machen und die vorgesehenen Entwaffnungen - z. T. mit dem Einsatz erheblicher militärischer Kräfte sowohl am Boden als auch in der Luft - durchzusetzen90 Darüber hinaus hat die Zustimmung aller Konfliktparteien ihre konstitutive Bedeutung für den Einsatz von UNOSOM 11 verloren 91 . Dementsprechend ist eine solche Zustimmung in Res. 814 (1993) nicht mehr erwähnt worden. Anders als in Kambodscha, wo die Einsatzplanung der UNT AC durch die Pariser Abkommen - und damit durch den die Zustimmung ausdrückenden Akt - vorgegeben war, ist eine solche bindende Vorgabe hier nicht mehr vorhanden. Wenn sich die Operation dennoch in ihren Aktivitäten an den in den Übereinkomen von Addis Abeba Anfang 1993 - also unter dem Eindruck der laufenden Operation UNITAF - ausgehandelten Schritten orientiert92 , so hat dies den politischen Grund, daß eine Stabilisierung Somalias nicht ohne die Beteiligung der relevanten somalischen Kräfte erreicht werden kann. Eine rechtliche Bindungswirkung für UNOSOM 11 kommt diesen Abkommen hingegen nicht zu, wie sich schon an der Tatsache ablesen läßt, daß sie erst zwei Tage nach der Res. 814 (1993)93 und damit zu einem Zeitpunkt geschlossen wurden, als das Mandat von UNOSOM 11 bereits "stand". Zusammenfassend läßt sich damit festhalten, daß auch UNOSOM 11 eine vom Sicherheitsrat in Wahrnehmung seiner allgemeinen Befugnis aus Art. 24 (1) - "to maintain international peace and security" - eingerichtete UN-Operation ist. Die Aufgabe der internen Stabilisierung Somalias wurde also als Maßnahme zur Wahrung des Weltfriedens begriffen. Als spezielle Befugnis, auf die UNOSOM 11 gestützt wird, benennt der Sicherheitsrat ausdrücklich das Kap. VII der Charta. Als Operation mit der Befugnis zum Einsatz bewaffneter Zwangsgewalt liegt UNOSOM 11 innerhalb des Kap. VII der Art. 42 zugrunde. Auch die nach Art. 39 dafür vorausgesetzte Feststellung, daß die Lage in Somalia eine Bedrohung des Weltfriedens darstellte, hat der Sicherheitsrat in seinen Resolutionen ausdrücklich getroffen.
R9
Bericht des Generalsekretärs v. 3. 3. 1993, UN Doc. S/25354. para. 57.
Siehe Z.B. Bericht des Generalsekretärs v. I. 7. 1993, UN Doc. S126022, paras. 19-22, 25-28 sowie 32. 90
91 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 3. 3. 1993, UN Doc. S/25354, para. 97 sowie den Brief des Generalsekretärs an den Sicherheitsrat v. 29. 11. 1992, UN Doc. S124868, in dem der Generalsekretär bereit~ zu UNIT AF feststellt: "Im Moment gibt es in Somalia keine Regierung, die um einen solchen Einsatz von Gewalt nachsuchen und ihn erlauben könnte. Deshalb wäre es fiir den Sicherheitsrat notwendig, einen Beschluß unter Art. 39 der Charta zu treffen,( ... )" (Hervorhebung durch den Verfasser). 92
Vgl. z.B. den Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. S/26317, paras. 35-42.
93 Nämlich am 28.3. 1993 - AdG 1993, 37701
A
170
B. Peace-Keeping der zweiten Generation
b) Kompetenzverteilung
Die Kompetenzverteilung zwischen den beteiligten UN-Organen entspricht dem durch die ermittelte Rechtsgrundlage Vorgegebenen. Autorisierendes und federführendes Organ dieser Operation zur Wahrung des Weltfriedens nach Kap. VII ist der dafür zuständige Sicherheitsrat. Er hat die Operation in Res. 814 (1993) aufgestellt, ihr die notwendigen Befugnisse vermittelt (Ziffer 5.), ihre Aufgaben festgelegt (Ziffer 4.) und später dann modifiziert94 sowie ihre zeitliche Dauer geregelt (Ziffer 6. 95 ). Im übrigen wurde der Generalsekretär durch den Rat mit der Wahrnehmung der festgelegten Aufgaben und der Führung der UNOSOM 11 beauftragt96 Die fraglose Hauptverantwortung des Sicherheitsrats zeigt sich deutlich daran, daß der Rat diese zunächst weitgehende Delegation im Verlauf der Operation wieder einschränkte, indem er in Res. 865 (1993) vom 22. 9. 1993 den Generalsekretär zur Erstellung und Vorlage eines detaillierten Einsatzplans mit dem Ziel aufforderte, die Operation im März 1995 zu beenden. Ebenfalls in dieser Resolution findet sich erstmals die Aufforderung an den Generalsekretär, den Sicherheitsrat "fortlaufend voll unterrichtet zu halten", die eine dichtere Kontrolle signalisiert als die bis dahin übliche Praxis, periodische Berichte einzufordern. Noch fester in die eigenen Hände nahm der Sicherheitsrat die Operation dann mit Res. 878 (1993) vom 29. 10. 1993. Dort verlängerte er das Mandat von UNOSOM 11 nur noch um den extrem kurzen Zeitraum von knapp drei Wochen bis zum 18. 11. 1993 und forderte den Generalsekretär zur umfangreichen Berichterstattung auf. In diesem Zusammenhang griff er dann auch direkt in operative Entscheidungen ein und hob den am 17. 6. 1993 durch den UN-Sonderbeauftragten Howe auf der Basis der Res. 837 (1993), Ziffer 5 ausgesprochenen "Haftbefehl"97 gegen den Rebellenführer Aidid auf. Dennoch fallt neben der Hauptverantwortung des Sicherheitsrats die gewichtige Rolle des Generalsekretärs auf. Schon im Vorfeld der Operation UNIT AF hat er durch sein persönliches Engagement viel dazu beigetragen, die Sicherheitsratsmitglieder zu einem gegenüber der ursprünglichen UNOSOM (I) er-
94 In Res. 897 (1994) v. 4. 2. 1994, Zi. 2. 95 In Res. 865 (1993) v. 22. 9. 1993 gibt er dem Einsatz auch einen zeitlichen Gesmatrahmen vor:
bis März 1995 soll sie abgeschlossen sein (Ziffer 4.).
96 Dies wird an mehreren Stellen in der Res. 814 (1993) deutlich, in denen der Sicherheitsrat den Generalsekretär ausdrücklich auffordert, zur Bewältigung bestimmter Aufgaben die UNOSOM IITruppen zu benutzen (Ziffern 10. und 12.) und es ergibt sich aus dem zum Bestandteil des Mandats von UNOSOM II gemachten para. 78 des Berichts des Generalsekretärs v. 3. 3. 1993, UN Doc. S/25354, wonach der militärische UNOSOM II-Befehlshaber direkt dem Sonderbeauftragten des Generalsekretärs untersteht.
97 Bericht des Generalsekretärs v.
1. 7. 1993, UN Doc. S/26022, para. 32.
1II.80malia
171
höhten Mitteleinsatz zu bewegen98 . Konkret hat er dem Rat dann in seinem Briefvom 29. 11. 199299 ein Handeln nach Kap. VII nahegelegt und in~gesamt fünf Handlungsoptionen unterbreitet. Der Rat hielt sich in seiner Res. 794 ( 1992) an eine dieser fünf Varianten, so daß die Beobachtung gerechtfertigt erscheint, daß die tatsächliche rechtliche Gestalt von UNIT AF maßgeblich auf den Vorschlag des Generalsekretärs zurückging. In der Literatur ist dieser Befund als Ausübung des Initiativrechts des Generalsekretärs nach Art. 99 bewertet und als "la renaissance du droit d'initiative du Secretaire general" bezeichnet worden loo Seine solchermaßen gestaltende Rolle setzte der Generalsekretär auch bei der Vorbereitung von UNOSOM 11 fort. Ursprüngliche Planung war es gewesen, nach der Befriedung Somalias durch UNIT AF wieder zu einer Peace-Keeping-Operation vom Schlage der ersten UNOSOM-Mission zurückzukehren IOI. Schon bald bildete sich beim Generalsekretär jedoch die Überzeugung, die von der neuen UNOSOM zu übernehmenden, auch militärischen Aufgaben I02 seien auf der Basis jenes Ansatzes nicht zu erreichen. Dementsprechend regte er an, auch UNOSOM 11 als Zwangsmaßnahme nach Kap. VII zu autorisieren I03 , und auch hier folgte der Sicherheitsrat mit seiner Entscheidung wieder dem Vorschlag des Generalsekretärs. Schließlich ergriff er auch in der Domäne der Generalversammlung die Initiative. Über seine schon in den anderen betrachteten Operationen zu beobachtende Rolle hinaus, den Kostenplan für die Operation zu errechnen, äußerte er sich hier auch zur Art und Weise der Finanzierung dieser Kosten, indem er die Beibehaltung des für UNIT AF errichteten freiwilligen Beitragsfonds zur Entlastung des für Friedensoperationen üblichen allgemeinen Umlageverfahrens "beabsichtigt(e)" 104. Wenn man sich weiterhin vor Augen führt, daß der Generalsekretär bei der Durchführung dieser Operation den schon bei den anderen Operationen beobachteten, aus der Planungszuständigkeit und der operativen Kontrolle fließenden erheblichen Handlungsspielraum hat, der durch die Tatsache, daß es sich bei UNOSOM 11 um eine Operation mit Zwangsbefugnissen nach Kap. VII handelt, noch viel weitreichender und folgenschwerer ist als bei Nichtzwangsmaßnahmen, so wird die zentrale Rolle des Generalsekretärs bei UNOSOM 11 deutlich. Sie ist nicht ohne Kritik geblieben. Insbesondere die Fähigkeit des Sekretariats, eine derart umfangreiche Verantwortung zu übernehmen, wurde
98
8.0. B., lII., 1., b).
99 UN Doc. 8/24868. 100 Djiena
Wembou, African Journal ofInternational and Comparative Law 1993, 344 f.
Vgl. Res. 794 (1992), Zi. 18; Bericht des Generalsekretärs v. 19. 12. 1992, ON Doc. 8/24992, paras. 21 und 23; Brief des Generalsekretärs v. 29.11. 1992, UN Doc. 8/24868. 101
102 Diese stellte 103 Bericht des
er bereit~ in seinem Bericht vom 19. 12. 1992, UN Doc. 8/24992, para. 32 heraus.
Generalsekretärs v. 3. 3. 1993, ON Doc. 8/25354, para. 58.
104 Bericht des Generalsekretärs v. 3. 3. 1993, UN Doc. 8/25354, para. 89.
172
B. Peace-Keeping der zweiten Generation
in Frage gestellt I 05. Auch die erwähnte Verdichtung der Kontrolle des Sicherheitsrats im Verlauf der Operation und sein schließlicher Eingriff in das Mandat sind in diesem Zusammenhang zu sehen und stellen eine Reaktion auf die zunehmende Kritik an der militärischen Einsatzleitung dar. Für die Generalversammlung verblieb auch bei dieser Operation die Zuständigkeit für die Finanzierung nach Art. 17 (1) der Charta. Eine weitergehende Beteiligung hat es nicht gegeben. Trotz der starken Rolle des Generalsekretärs zeigt die rechtliche Analyse der Kompetenzverteilung zwischen den Organen ein für Peace-Keeping-Operationen normales Bild. So ist auch bei UNOSOM 11 der Sicherheitsrat das entsendende und für den Operationsverlauf letztzuständige Organ, während dem Generalsekretär die operative Kontrolle obliegt, die er durch einen Sonderbeauftragten ausübt l06 , und die Generalversammlung für die Finanzierung verantwortlich ist. 3. Umfang des Mandats
Wie bei den bei den bisher untersuchten Operationen, so soll auch bei UNOSOM 11 der inhaltliche Umfang des Mandats anhand der Einwirkung der UN-Kräfte auf die verschiedenen Bereiche staatlicher Tätigkeit ausgeleuchtet werden. Im Unterschied zu jenen beiden Fällen, bei denen die Ausgestaltung des Mandats jeweils das Ergebnis jahrelanger Vorbereitungen gewesen ist, hat das Mandat von UNOSOM 11 in vielen Einzelfragen erst während der Operation detailliertere Formen angenommen. In vielen Bereichen mußte die UNO in der Frühphase der Operation - beziehungsweise in deren unmittelbarem Vorfeld - durch die Entsendung von Sachverständigen zunächst das Ausmaß der tatsächlich notwendig werdenden Aktivitäten sondieren lassen l07 Dies schlägt sich in der Untersuchung insofern nieder, als sich die von der Operation übernommenen Funktionen auf den verschiedenen Gebieten staatlicher Tätigkeit nicht mit derselben Genauigkeit nachzeichnen lassen wie z.B. bei der UNT AC.
105 Vgl. The Economist v. 31. 7.1993,40. 106 Bei UNOSOM II war das 1993 der US-Admira1 Jonathan Howe, der vierte Sonderbeauftragte des Generalsekretärs rur Somalia seit Anfang 1992. Seine Vorgänger waren die Diplomaten Jonah, Sahnoun und Kittani - vgl. Matthies, VN 1993,47.
107 Vgl. z.B. den Bericht des Generalsekretärs v. 3. 3. 1993, lTN Doc. S/25354, paras. 39 (Minenräumung), 42 (Schaffung einer Regierungsstruktur); Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. S/26317, paras. 26 (mobile Schnelleingreiftruppe der Polizei), 64 (korrigierte Einschätzung des Ausmaßes der nötigen Anstrengungen zum Wiederaufbau des somalischen Justizwesens).
III. Somalia
173
a) Hoheitliche Gewalt
Die Verteilung der Hoheitsgewalt zwischen den UN-Kräften und der verbliebenen Staatsgewalt ist in Somalia von der besonderen Ausgangslage geprägt. Nach dem Sturz des Diktators Barre hatte sich in der ständig unübersichtlicher werdenden, allgemeinen Anarchie im Lande keine der vielen Konfliktparteien und Splittergruppen als neue Staatsgewalt festigen können. Der komplette staatliche Zusammenbruch hatte an der Stelle einigermaßen effektiver hoheitlicher Gewalt ein Vakuum hinterlassen. Diese Situation le~ eine Analogie zur Lage des Deutschen Reiches nach der Kapitulation 1945 nahe. Dort war mit dem Zusammenbruch des Reiches dessen Staatsgewalt zwar nicht untergegangen, aber in ihrer Ausübung suspendiert l08 Das entspricht der Lage in Somalia im Jahre 1992. Auch hier bestand die Staatsgewalt virtuell fort, wurde aber wegen der chaotischen Verhältnisse nicht mehr tatsächlich ausgeübt. Ohne daß der Staat Somalia als Subjekt des Völkerrechts untergegangen wäre, ist er in Ermangelung einer effektiven Staatsgewalt also gleichsam zweitweilig außer Funktion getreten. Das Fehlen eines staatlichen Hoheitsträgers, der der UNO die Staatsgewalt hätte übertragen können, hatte der Sicherheitsrat bereits bei der Annahme der Res. 794 (1992) erkannt und aus diesem Grund UNIT AF als Zwangsmaßnahme nach Kap. VII der Charta autorisiert l09 Mit dem Einmarsch des multinationalen Verbandes in Somalia begründete dieser in den Regionen des Landes, in denen er sich festsetzte, de facto effektive Hoheitsgewalt. Ähnlich wie bei einer Besatzungsmacht llO handelte es sich hier nicht um von einheimischen Autoritäten übertragene, sondern um eigene auf völkerrechtlicher Grundlage begründete Hoheitsgewalt lll . Da der Sicherheitsrat die Operation auf der Basis der Charta autorisiert hatte, war diese Übernahme hoheitlicher Gewalt rechtmäßig. Insofern ist die suspendierte somalische Staatsgewalt also vorübergehend durch die von der UNIT AF auf der Grundlage der Res. 794 (1992) errichtete Hoheitsgewalt ersetzt worden. UNIT AF übte diese Hoheitsgewalt auch ak-
108 So beschrieb die höchstrichterliche Rechtsprechung die Rechtslage Deutschlands nach der Kapitulation - vgl. die Ent~cheidung des Badischen Staatsgericht.hof. vom 15. I. 1949 (StGH 2/48), Fontes Iuris Gentium, Series A, Sectio 11, Tomus 3, 101, (Nr. 82). 109 Vgl. den Briefdes Generalsekretärs v. 29. 11. 1992, UN Doc. S/24868. 110 Dazu Ipsen, § 67, Rz. 22. Nach klassischem Kriegsvölkerrecht hat die Besatzungsmacht im besetzten Gebiet eines anderen Staates das Recht, eigene Hoheitsgewalt - und nicht die des besetzten Staates - auszuüben. III Vgl. dazu noch einmal die bereits zitierte Entscheidung des Badischen Staatsgerichtshof. vom 15. 1. 1949 (StGH 2/48), Fontes Iuris Gentium, Series A, Sectio II, Tomus 3, 101, (Nr. 82): "Anstelle der deutschen Regierung, doch nicht als Stellvertreter, sondern kraft unmittelbar aus dem Völkerrecht fließenden eigenen Recht. übte die Besatzungsmacht vorübergehend die volle deutsche Staat~gewalt aus."
174
B. Peaee-Keeping der zweiten Generation
tiv aus, indem sie z.B. gewaltsame Entwaffnungen durchführte l12 oder eine somalische Hilfspolizei aufstellte 113 Da die zum Zeitpunkt der Aufstellung von UNOSOM 11 in Somalia bestehende Hoheitsgewalt auf der Basis eines UN-Sicherheitsratsmandats errichtet worden war, konnte der Rat sie auch von der von ihm mandatierten UNIT AF auf die von ihm geschaffene Operation UNOSOM 11 weiterübertragen. Dies geschah in Res. 814 (1993), in der UNOSOM 11 ebenfalls auf der Grundlage des Kap. VII der Charta aufgestellt und mit der Übernahme der Funktion von UNIT AF beauftragt wurde. Bei der tatsächlichen Ablösung von UNIT AF durch UNOSOM 11 am 4. 5. 1993 114 wurde besonders darauf geachtet, daß zu keiner Zeit und an keinem Ort während des Übergangs der Verantwortung ein Machtvakuum entstehen konnte 11 5. Auf diese Weise wurde die effektive Hoheitsgewalt nahtlos von UNIT AF zu UNOSOM 11 weitergeleitet. Da UNOSOM 11 anders als UNIT AF, die nur 40 % des somalischen Staatsgebietes kontrolliert hatte 11 6, im gesamten Land operieren sollte ll7, beinhaltete ihre Autorisierung auch eine geographische Erweiterung der von UNIT AF im Auftrag der UNO ausgeübten Hoheitsgewalt in Somalia. In der Praxis wurde diese Erweiterung freilich nur begrenzt verwirklicht, da UNOSOM 11 in den nordöstlichen Landesteilen keine Streitkräfte disloziertem. Insgesamt übernahm UNOSOM II also die von UNIT AF auf die Ermächtigung des Sicherheitsrats hin begründete und an die Stelle der suspendierten somalischen Staatsgewalt getretene Hoheitsgewalt und dehnte sie über weite Teile des Landes aus. Auf somalischer Seite stand dem auch nach der Entsendung von UNOSOM 11 im Mai 1993 auf nationaler Ebene nichts gegenüber. Daran änderte auch ein Friedensübereinkommen nichts, auf das sich ein breiter Querschnitt der somalischen Bevölkerung während einer zwischenzeitlich - im März 1993 - in Addis Abeba abgehaltenen nationalen Aussöhnungskonferenz geeinigt hatte 119 Zwar sah dieses Abkommen auch die Schaffung grundlegender Organe der öffentlichen Gewalt in Somalia vor. So sollte neben Bezirks- und Regionalräten als lokalen Einheiten auf nationaler Ebene ein Transitional National Council (TNC) entstehen. Ähnlich wie der Supreme National Council in Kambodscha 112 Bericht der USA an den Sicherheitsrat v. 19. 1. 1993, UN Ooe. S/25126, S. 3. 113 Bericht des Generalsekretärs v. 26.1. 1993, UN Ooc. S125168, para. 23. 114 Bericht des Generalsekretärs v. 17.8.1993, UN Ooe. S1263 17, para. 4. 115 Bericht des Generalsekretärs v. 3. 3. 1993, UN Ooe. S/25354, para. 95. llti Bericht des Generalsekretärs v. 3. 3. 1993, UN Ooe. S/25354, para. 72. 117 Res. 814 (1993), Zi. 5 in Verbindung mit dem Bericht des Generalsekretärs v. 3. 3.1993, UN Ooe. S/25354. para. 57. IIH Bericht des Generalsekretärs v. 6.1. 1994, UN Ooe. S/1994/12, para. 17. 119 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Ooe. S/26317, para. 23.
III. Somalia
175
und sicherlich nicht zufallig schon von der Bezeichnung her an jenen erinnernd - sollte dieser TNC in Somalia Träger der somalischen Souveränität während einer Übergangszeit bis zur Wiederherstellung einer somalischen Regierung sein. Er sollte sich aus Vertretern aller Regionalräte zusammensetzen, die ihrerseits aus Vertretern der Bezirksräte aufgebaut wurden 120 Schon von Anfang an war allerdings klar, daß dieser TNC erst während der Operation gebildet werden würde l21 . Anders als im Fall Kambodschas, wo der Supreme National Council nicht zuletzt zu dem Zweck konstruiert worden war, der UNOperation die erforderliche Hoheitsgewalt zur Erfüllung ihrer Aufgaben in Kambodscha zu übertragen. ist es in Somalia somit vielmehr umgekehrt die von UNOSOM II ausgeübte Hoheitsgewalt über das Land, in deren Schutz sich der TNC konstituieren und eine eigene somalische Staatsgewalt wiederbegründen soll. Bis zur Gründung des TNC besteht jedoch kein Zweifel an der Trägerschaft landesweiter Hoheitsgewalt in Somalia. Dies zeigt sich beispielsweise daran. daß ein somalisches Übergangsgremium, welches für die Zeit bis zur tatsächlichen Gründung des TNC an dessen Stelle zusammentreten sollte, ausdrücklich nur als "a consultative body to UNOSOM II" bezeichnet wurde 122 Demgegenüber wuchsen im Laufe der Operation auf Regional- und Bezirksebene mit den in dem Abkommen von Addis Abeba vorgesehen Räten in ständig zunehmender Zahl somalische Gremien heran, die mit der Hilfe von UNOSOM II eine neue somalische Staatsgewalt aufbauten. Diese Staatsgewalt wurde dabei, beginnend auf der Bezirksebene, sukzessive "von unten her" neu errichtet. Abhängig vom Tempo des Aufbaus dieser unteren Gremien sollte sich die staatliche Gewalt dann in den einzelnen Regionen konsolidieren und sich auf diese Weise langsam ausdehnen l23 Auf ihren jeweiligen Ebenen erstreckte sich die Zuständigkeit der Bezirks- und Regionalräte - im Rahmen ihrer tatsächlichen Möglichkeiten - auf alle Verwaltungsangelegenheiten, insbesondere auch auf die Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung 124 Die unterstützende Rolle der UNOSOM II bei der Bildung und Festigung dieser lokalen staatlichen Strukturen war dabei von Region zu Region unterschiedlich 125 Besonders im Norden gelang es den somalischen Clanführern of120 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, a.a.O .. para. 24. 121 Ursprünglich war vorgesehen worden, daß dies bis zum I. 7. 1993 zu erreichen wäre - vgl. Matthies, VN 1993, 50. Später wurde dieses Ziel dann auf den Januar 1994 verschoben - vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 12. 11. 1993, UN Doc. S/26738, para. 28 -, eine Planung, die schließlich ebenfalls nicht eingehalten werden konnte - Bericht des Generalsekretärs v. 6. I. 1994, UN Doc. S/1994/12, para. 14. 122 Bericht des Generalsekretärs v. 12. 11. 1993, UN Doc. S/26738, para. 28. 123 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. S/263 17, Annex L para. 15. 124 Bericht des Generalsekretärs v. 6. I. 1994, UN Doc. S/1994/12, paras. 9 und 13. 12S Die Bedeutung von UNOSOM II rur diesen Prozeß wird z.B. sehr skeptisch beurteilt von Eikenberg, Blätter rur deutsche und internationale Politik 1993, 1067.
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
fensichtlich weitgehend selbst, die Lage zu stabilisieren und Sicherheit herzustellen!26, obwohl UNOSOM II dort nur spärlich vertreten war. Ohne die Bündelung im TNC, dessen Konstituierung sich immer wieder verzögerte, blieben all diese neu entstehenden Träger somalischer Staatsgewalt in ihrer Reichweite aber auf den lokalen Bereich beschränkt. Der übergeordneten, landesweiten Hoheitsgewalt der UNOSOM II waren sie eindeutig untergeordnet. Dies zeigte sich exemplarisch in der Nordwestregion bei Berbera. Dort forderte die regionale Administration UNOSOM II im Herbst 1993 zum Rückzug aus dem Gebiet auf, ließ diese Forderung aber schnell wieder fallen, nachdem der Generalsekretär - sicherlich nicht zuletzt, um eine faktische Abspaltung des Nordens vom Rest Somalias zu verhindern - darauf hingewiesen hatte, daß UNOSOM II auf der Basis des Kap. VII der Charta operierte!27 Insofern gilt für die neu entstehenden Organe somalischer Staatsgewalt, daß diese sich erst schrittweise auf lokaler Ebene entwickeln und im Schutze der UN-Kräfte konsolidieren. Von eigener, überregionaler Hoheitsgewalt im Lande waren sie im hier betrachten ersten Jahr der UNOSOM II aber weit entfernt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach einer Verteilung der Hoheitsgewalt in Somalia zwischen der UN-Operation und den staatlichen Hoheitsträgern nicht. Es gab keine effektiven einheimischen Hoheitsträger in Somalia. An ihre Stelle trat UNOSOM II und wurde damit vorübergehend treuhänderische Inhaberin der umfassenden und ungeteilten staatlichen Gewalt im Lande. Diese Gewalt wurde von den UN-Kräften auch effektiv ausgeübt. Beispiele dafür sind neben spektakulären Aktionen wie der zwangsweisen Entwaffnung von Spliuergruppen!28 oder der Verkündung eines "Haftbefehls" für den Rebellenführer Aidid!29 auch die von UNOSOM II ausgeübte Kontrolle und Führung der neu zu schaffenden nationalen Polizeieinheiten!30 oder die Aufsicht über den Strafvollzug!3!.
!26 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. 5/26317, Annex I, para. 6. !27 Bericht des Generalsekretärs v. 12. 11. 1993, UN Doc. 5/26738. para. 33. !28 Vgl. z.B. den Bericht des Generalsekretärs v. 1. 7. 1993, UN Doc. 5/26022, paras. 19,21,25,
28. Grundsätzlich zur zwangsweisen Durchsetzung der Entwaffnung siehe auch den Bericht des Generalsekretärs v. 17.8.1993, UN Doc. 5126317, para. 15.
!29 Am 17.6. 1993 - Bericht des Generalsekretärs v. 1. 7. 1993, UN Doc. 5/26022, para. 32. !30 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 17.8.1993, UN Doc. 5126317, Annex I, paras. 21 und
26: Bericht des Generalsekretärs v. 29. 6. 1993, UN Doc. A/47/916/Add.l, Annex IV, para. 137.
!3! Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. 5/26317, Annex I, para. 42.
111. Somalia
177
b) Funktionen von UNOSOM 11
Der völlige Zusammenbruch staatlicher Strukturen in Somalia im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg stellte die UNO hier vor ein anderes Problem als in Namibia oder Kambodscha. In Somalia kam es nicht darauf an, eine bestehende Administration bei ihrer Tätigkeit zu überwachen und zu zügeln. Vielmehr mußte das somalische Gemeinwesen in allen Aspekten der Staatlichkeit neu errichtet werden. Naturgemäß standen dabei zunächst die elementarsten Aufgaben im Vordergrund, die ein Staatswesen gegenüber seinen Bürgern zu leisten hat, nämlich die Sicherung der existentiellen Grundversorgu:ng und die Herstellung öffentlicher Sicherheit und Ordnung. Darüber hinaus galt es im Hinblick auf eine auch längerfristige Stabilisierung der Lage in Somalia, die Grundlagen einer eigenen staatlichen Ordnung zu legen und somalische Institutionen aufzubauen, die dazu in der Lage sind. Die UN-Aktivitäten stellen sich hier also nicht als ein "Einrücken" in eine bestehende Administration dar; statt um die Ausübung staatlicher Funktionen ging es in Somalia vornehmlich um deren Errichtung. Daneben ist noch eine zweite Besonderheit im Falle Somalias zu erwähnen. Die Peace-Keeping-Operation stand hier im engen Zusammenhang mit einer Fülle von Aktivitäten anderer Akteure in Somalia. Neben dem direkten Engagement einzelner Staaten sind vor allem die anderen UN-Organisationen und eine große Zahl nichtstaatlicher Organisationen an dem Wiederaufbau Somalias beteiligt. Die von diesen Akteuren übernommenen Funktionen bei der Entwicklung des Landes und die Aktivitäten der UNOSOM lI-Einheiten waren vielfältig miteinander verbunden und aufeinander abgestimmt. Z.T. kam es hier auch zu Überschneidungen. Daher müssen auch diese Tätigkeiten, wiewohl nicht Bestandteil von UNOSOM 11 im engeren Sinne, in die Betrachtung einbezogen werden. aa) Militärische Herstellung der öffentlichen Sicherheit Die gerade beschriebene Lage Somalias rechtfertigt die herausgehobene Behandlung des militärischen Teils des Mandats. UNOSOM 11 ist die Reaktion auf das weitgehende Fehlen jeder geordneten Staatsgewalt in Somalia. Da große Teile des Landes in blanker Anarchie versunken waren l32 , mußte die Friedensoperation sich ihr Aktionsumfeld zunächst selber schaffen. Sie mußte zuerst die Grundfunktion jeder staatlichen Ordnung erfüllen, das Gewaltmonopol im Lande an sich bringen und die öffentliche Sicherheit herstellen. Dies zu 132 Auf die schnellere Stabilisierung der nördlichen Landesteile wurde bereits hingewiesen - s.o. 8., III., 3., a); vgl. auch unten 8., III., 3., b), bb), (3). 12 Hufnagel
178
B. Peace-Keeping der zweiten Generation
erreichen war die Aufgabe des UNOSOM lI-Militärs. Dementsprechend stand die militärische Komponente nicht nur zahlenmäßig im Zentrum der Operation l33 , sondern hatte auch besonders weitreichende Aufgaben. Diese Aufgaben waren vielfältig. Die Militärkomponente sollte u.a. die Einhaltung der Übereinkommen von Addis Abeba, insbesondere der Waffenruhe zwischen den Konfliktparteien, überwachen, jedes Wiederauftlammen von Gewalt unterbinden, organisierte Splittergruppen und nicht organisierte Bewaffnete entwaffnen, die Sicherheit der humanitären Hilfslieferungen gewährleisten, die Minenräumung organisieren und bei der Flüchtlingsrepatriierung helfen l34 . Bei der bloßen Betrachtung dieser Aufzählung militärischer Aufgaben ist UNOSOM 11 UNT AG und UNT AC noch recht ähnlich. Etwas anderes gilt aber für die mit ihren besonderen Befugnissen zusammenhängende Umsetzung dieser Aufgaben. Da anders als in Namibia und Kambodscha hier ein sicheres Umfeld erst geschaffen werden mußte, lag der Schwerpunkt der Aktivitäten des UNOSOM lI-Militärs auf der Wiederherstellung von Recht und Ordnung im Lande. Sicherheitsrat135 und Generalsekretär 136 waren davon überzeugt, daß dies eine unverzichtbare Vorbedingung für den erfolgreichen Einsatz humanitärer Hilfe und den Wiederaufbau staatlicher Strukturen in Somalia war. Das schlug sich in der praktischen Umsetzung des Mandats nieder. UNOSOM II setzte die ihr zuerkannte Befugnis zum Einsatz von Zwangsmitteln ein, um diesen Teil ihres Mandats zu erfüllen. So wurden Z.B. im Sommer 1993 Entwaffnungen mit Waffengewalt durchgesetzt sowie ein Radiosender militärisch zum Schweigen gebracht, über den zu Gewalt aufgerufen worden war 137 , und im Oktober nahm die zur Unterstützung von UNOSOM 11 tätige "Schnelle Eingreiftruppe" der US Armee in Mogadischu im Rahmen einer Militäroperation mehrere Gehilfen des Rebellenführers Aidid fest 138, der sich der Entwaffnung widersetzt und mehrfach zur Gewalt gegen die UNO aufgerufen hatte. Nicht überall allerdings ging UNOSOM II so rigoros vor. In ruhigeren Landesteilen, besonders im Norden, konnte sie sich auf die bloße Begleitung der wiederhergestellten somalischen Polizei beschrän-
133 S.u. B.,
IIJ., 4., b).
134 Res. 814 (1993), Zi. 5 des Sicherheit~rats in Verbindung mit dem Bericht des Generalsekretärs v. 3. 3. 1993, ON Doc. S/25354, para. 57. 135 Vgl. z.B. die Resolutionen 814 (1993),16. Vorspruch; 837 (1993),9. Vorspruch sowie Zi. 3. 136 Vgl. Z.B. den Bericht des Generalsekretärs v. 3. 3. 1993, UN Doc. S/25354, para. 94: Bericht des Generalsekretärs v. 17.8. 1993, ON Doc. S/26317, paras. 14 und 73; Bericht des Generalsekretärs v. 12. 11. 1993, UN Doc. 8/26738, para. 83. 137 Bericht des Generalsekretärs v. 1. 7. 1993, ON Doc. S/26022, paras. 19-22. 138 Bericht des Generalsekretärs v. 12. 11. 1993, ON Doc. S/26738, para. 70.
III. Somalia
179
ken l39 oder sogar dieser allein das Feld überlassen und ganz im Hintergrund bleiben 140. Als besonders problematisch erwies sich die Entwaffnung der verschiedenen Banden, Konfliktparteien, Splittergruppen und Kriminellen. Der Bürgerkrieg und der völlige Zusammenbruch der staatlichen Ordnung hatten zur Verteilung einer gewaltigen Menge von Waffen im ganzen Land geführt. Vor dem Hintergrund allgemeiner Anarchie war die der somalischen Tradition grundsätzlich nicht fremde eigene Bewaffnung zu einer Grundbedingung des Überlebens geworden. Verschiedene Splittergruppen waren in den Besitz moderner Waffensysterne mit hoher Zerstörungskraft gelangt und scheuten sich nicht, diese im Kampf um die Vorherrschaft einzusetzen. Diese Ausgangslage brachte die UNO, vor allem aber Generalsekretär Boutros-Ghali und den UNOSOM 11Chef Howe, zu der Überzeugung, daß die Entwaffnung das vorrangige und wichtigste Ziel der UN-Operation in Somalia sei und daß der Erfolg aller anderen Bemühungen um den staatlichen Wiederaufbau entscheidend vom Erreichen dieses Ziels abhingen l41 . Dementsprechend lag hier ein Schwerpunkt besonders der militärischen Aktivität von UNOSOM 11 in den ersten Monaten der Operation, in denen versucht wurde, die Entwaffnung gemäß den Vereinbarungen von Addis Abeba auch mit militärischer Zwangsgewalt durchzusetzen. Es zeigte sich aber bald, daß der Versuch von UNOSOM 11, mit militärischen Mitteln Waffenlager aufzuspüren, Waffen sicherzustellen beziehungsweise zu vernichten und die verschiedenen Milizen zu demobilisieren, nicht zum Erfolg führte. Nach der Verabschiedung der Res. 865 (1993) im September 1993 nahm UNOSOM 11 daher von der gewaltsamen Entwaffnung Abstand und bemühte sich verstärkt darum, die Entwaffnung auf freiwilliger Basis durchzuführen l42 . Dafür war es von entscheidender Bedeutung, die Wiedereingliederung der mehrheitlich jungen Kämpfer in ein ziviles Umfeld und deren Ausbildung zu einer zivilen Tätigkeit zu ermöglichen l43 Die erfolgreiche Durchführung entsprechender Programme scheiterte aber an dem Fehlen der nötigen finanziellen Mittel l44 . Dies zusammen mit der mangelnden Bereit139 So Z.B. in Bardera - vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. S/26317, Annex I, para. 8. 140 Dies galt z.B. fur den Nordosten und die Region Bay - vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, a.a.O., Annex I, paras. 6 f 141 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. S/26317, paras. 14 sowie 71-73; Bericht des Generalsekretärs v. I. 7. 1993, UN Doc. S126022, para. 39; Bericht des Generalsekretärs v. 3.3.1993, UN Doc. S/25354, para. 100. 142 Bericht des Generalsekretärs v. 12. 11. 1993, UN Doc. S126738, para. 38; Bericht des Generalsekretärs v. 6. I. 1994, UN Doc. S/1994/12, para. 33.
143 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. S/26317, para. 15; vgl. auch den Bericht des Generalsekretärs v. 12. 11. 1993, UN Doc. S126738, paras. 39 und 41. 144 Vgl. The Economist v. 16.4.1994,52.
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
schaft der somalischen Konfliktparteien, an einem sinnvollen Entwaffnungsprozeß teilzunehmen, hatte zur Folge, daß die Entwaffnung Anfang 1994 faktisch gescheitert war, und eine neuerliche Aufrüstung einzelner Splittergruppen einsetzte 145 . Bei der Charakterisierung des militärischen Mandats von UNOSOM 11 ist demnach insgesamt ein klarer Unterschied zu den beiden bisher betrachteten Operationen festzuhalten. Waren die militärischen Teile von UNT AG und UNT AC - von ihrem innerstaatlichen Einsatzgebiet abgesehen - noch ganz überwiegend mit Aufgaben befaßt, die denjenigen der traditionellen, rein militärischen "Pufferblauhelme" entsprechen und eine ausschließlich friedensbewahrende Tätigkeit zum Inhalt hatten, so gehen die Funktionen des Militärs von UNOSOM 11 darüber hinaus. Die Truppe hatte in Somalia eine elementar staatstragende Aufgabe zu erfüllen, indem sie die Grundbedingung der Staatlichkeit überhaupt - die Herstellung und Bewahrung der öffentlichen Sicherheit - schaffen sollte. Das geht weiter als bloße Friedenswahrung und enthält eine eindeutig friedenschaffende Komponente. Der Tätigkeitsschwerpunkt des UNOSOM lI-Militärs liegt auf einem Gebiet, für das in einem existierenden Staatswesen die Polizei zuständig ist. Durch den Rückfall Somalias in einen quasi-vorstaatlichen Zustand der Anarchie konnte diese Aufgabe mit einiger Aussicht auf Erfolg nur durch das Militär übernommen werden, da eine funktionierende Polizei zumindest die Existenz staatlicher Grundstrukturen voraussetzt. Damit ist die militärische Komponente von UNOSOM 11 - unter zeitweiliger Überschreitung der Schwelle zur friedenschaffenden Operation - hier selbst in einer das Land wiederaufrichtenden, staatsbegründenden Weise tätig geworden. Dies unterscheidet sie von Namibia und Kambodscha, wo die Aufgabe der militärischen Komponente primär darauf beschränkt war, die Aufbautätigkeit der zivilen Komponenten durch die Überwachung der ihr zugrundeliegenden Vereinbarungen sozusagen "von außen" zu unterstützen. bb) Ziviler Wiederaufbau Neben dieser der militärischen Komponente von UNOSOM 11 zugewiesenen und das Mandat beherrschenden Primäraufgabe der Wahrung der öffentlichen Sicherheit bemühte sich die UNO auch um die langfristige Wiedererrichtung von Staat und Gesellschaft in Somalia, wenngleich die zivilen Teile der Operation von der internationalen Berichterstattung weitgehend unbeachtet blieben, deren Aufmerksamkeit von den spektakuläreren militärischen Zwangsoperationen in Anspruch genommen wurde. Nicht alle zivilen Aktivitäten wurden als integrale Bestandteile der Operation UNOSOM 11 durchgeführt. Vielmehr 145 Bericht des Generalsekretärs v. 6. I. 1994, UN Doc. S/1994/12, paras. 34 f.
III. Somalia
181
wurden auf diesen Tätigkeitsfeldern verschiedene UN-Sonderorganisationen und Mitgliedstaaten auch in eigener Regie tätig. Dennoch gehören diese Teile des UN-Engagements in Somalia ebenfalls untrennbar zum Gesamtbild der UNOSOM 11. Bereits bei der Untersuchung der Rechtsgrundlage wurde dargetan, daß UNOSOM 11 trotz der äußeren Aufteilung der Ermächtigungsresolution 814 (1993) vom Sicherheitsrat als einheitliche Operation angelegt war, in der nicht streng zwischen militärischem und zivilem Teil unterschieden wurde. Gleiches gilt für diejenigen Tätigkeiten, die nicht unmittelbar organisatorisch in die Operation integriert waren. Auch ohne Bestandteile der Friedensoperation zu sein, konnten sie doch nur in Koordination mit und unter dem Schutz von UNOSOM 11 durchgeführt werden. Die organisatorische Auslagerung einzelner ziviler Aufgaben auf nicht direkt zu UNOSOM 11 gehörende Akteure hatte primär den finanziellen Hintergrund, das UNOSOM lI-Budget zu entlasten 146 (1) Justiz und Strajvol/zug 147
Angesichts des staatlichen Zusammenbruchs ging es in Somalia auf dem Feld der Justiz nicht nur um die direkte Übernahme von Streitschlichtungsund Strafverfolgungsfunktionen durch die UN-Kräfte, sondern insbesondere auch um den Wiederaufbau des Justizsystems insgesamt 148 Die direkte Übernahme judikativer Aufgaben durch UNOSOM 11 begegnet im Zusammenhang mit dem menschenrechtlichen Aspekt der Überwachung der Einhaltung des humanitären Völkerrechts. In Umsetzung eines ausdrücklichen Auftrags in Res. 814 (1993)149 richtete UNOSOM 11 ein Menschenrechtsbüro ein, dessen Aufgabe in der Untersuchung schwerer Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und der Erleichterung der strafrechtlichen Verfolgung derselben lag. Für den Fall, daß es einheimische Richter aufgrund von Drohungen oder Einschüchterungen ablehnen sollten, sich mit diesen Fällen zu befassen, wurde der Einsatz internationaler Richter vorgesehen 150 Die Option,
146 S. dazu unten B., III., 4., a). 147 Beides wird hier zusammen betrachtet, da es sowohl thematisch eng zusammenhängt als auch vom Generalsekretär selbst in einem eigenen Plan, der seinem Augustbericht angehängt war, UNOSOM II zur Aufgabe gemacht wurde - Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. S/26317, Annex!.
148 Aus diesem Grund ist das Kapitel nicht mit "Judikative" überschrieben; auch der Aufbau des Justizsystems - als solcher keine rechtsprechende Funktion - soll hier beleuchtet werden. 149 Ziffern 4 (d) und 13 der Resolution. 150 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. S/26317, Annex I, paras. 53 und 56.
182
B. Peace-Keeping der zweiten Generation
ausländische Richter mit der Rechtsprechung zu betrauen, stand auch auf dem Gebiet der allgemeinen Strafgerichtsbarkeit zur VerfügungiSI. Ungleich umfangreicher waren die Aktivitäten der UNOSOM 11 beim Wiederaufbau des somalischen Gerichtswesens und des StrafVollzugs. Neben der noch zu behandelnden Neuerrichtung der Polizei 152 wurde dies als ein Schlüssel zur Wiederherstellung eigener somalischer Staatlichkeit betrachtet l53 In einem Annex I zu seinem Bericht vom 17. 8. 1993 legte der Generalsekretär daher einen diesbezüglichen Plan vor, den der Sicherheitsrat mit Res. 865 (1993) vom 22. 9. 1993 billigte l54 und damit zum Bestandteil des UNOSOM lI-Mandats machte. Zwar war nach dem Abkommen von Addis Abeba der Transitional National Council (TNC) dafür zuständig, eine unabhängige Rechtsprechung in Somalia zu schaffeni"". Da sich dessen Gründung jedoch verzögerte. wurde UNOSOM 11 hier selbst aktiv und begann mit der Einrichtung eines vorläufigen Gerichtssystems 156, das, angelehnt an die früher bestehende Gerichtsverfassung von 1962. drei Instanzebenen haben sollte 157 Um dessen Funktionsfähigkeit herzustellen. wurden verschiedene administrative Maßnahmen von der Einsetzung eines Richterwahlausschussesl'iX über die Durchführung eines Aus- und Fortbildungsprogramms für Richter lW bis hin zur Instandsetzung der Gerichtsgebäude eingeleitet 160. Anfang 1994 waren landesweit 16 Bezirks-, sechs Regional- und sechs Berufungsgerichte wiedererrichtet worden, je eines davon in Mogadischu 1o ] Bei diesen Aktivitäten wurde UNOSOM II von zivilen Rechtsberatern unterstützt, die daneben die Aufgabe hatten, der somalischen Justiz bei der Verfolgung schwerer Straftaten behilflich zu sein 162
I" I B~richt d~s Uen~ralsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. S/263 17, Annex I, para. 35. 1'i 2 S. u. 13.. III.. 3 .. h), hh). (3), (a).
IS1 Vgl. Res. 865 (1993) v. 22. 9. 1993,10. Vorspruch; Bericht des Gen~ralsekr~tärs v. 17.8. 1993,1 iN Doc. S/263 17. para. 21.
154 Zilter 9. d~r Resolution. 155 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993. UN Doc. S/26317, Annex I. para. 2.
156 Dieses sollte dann später dem vom TNC bis zum 31. 3. 1995 zu beschließenden Gerichtssystem angepaßt werden- Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, a.a.O., Annex I. para. 30. 157 Bericht d~s Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, a.a.O., Annex I, paras. 29 und 33. 15X B~richt d~s G~n~rals~kretärs v. 17. 8. 1993, a.a.O., Annex I, para. 34.
159 Bericht des Generalsekretärs v. 160 Bericht des Uen~rals"kretärs v.
17. 8. 1993, a.a.O., Annex I, para. 40. 17. 8. 1993, 1I.1I.0 .. Annex I, paras. 29 und 4 \.
Die meisten davon im Nordwesten - Bericht des Generalsekretärs v. 6. 1. 1994, UN Doc. S/1994/12. para. 17. I()I
162 B"richt des Gencralsekrdärs v.
17. 8. 1993. UN Doc. S/263 17. paras. 37 f.
111. Somalia
183
Ein ähnliches Programm widmete UNOSOM 11 dem somalischen Strafvollzugssystem. In Somalia vorhandene Gefängnisgebäude wurden renoviert und wiedereröffnet l63 , das erforderliche Strafvollzugspersonal wiedereingestellt l64 . Unterstützend wurde das UNOSOM lI-Militär zur Außensicherung der Gefängnisse herangezogen165 . Daneben übernahmen zivile Berater der UNOSOM 11 die Aufgabe, die Gefängnisverwaltungen zu beaufsichtigen und sie in den mit dem Strafvollzug zusammenhängenden Fragen zu unterstützen l66 Besonderer Wert wurde auf die Einhaltung der Menschenrechte gelegt. Ausdrücklich forderte der Generalsekretär auch nichtstaatliche Organisationen wie das IKRK oder amnesty international zur Überwachung des Strafvollzugs in dieser Hinsicht aufl67 , und besonders amnesty zögerte nicht, auch Menschenrechtsverletzungen durch die UNOSOM 11 in ihren Berichten anzuprangern l68 . Der Ausgangslage entsprechend bildete der Wiederaufbau eines funktionsfähigen Justizsystems in Somalia den Schwerpunkt. Demgegenüber spielte die eigene Übernahme von Justizfunktionen eine untergeordnete Rolle. Auf beiden Feldern - Gerichtswesen und Strafvollzug - wurde für die eigentliche Tätigkeit fast ausschließlich auf Somalier zurückgegriffen. Das internationale Personal blieb demgegenüber auf Beratungs-, Aufsichts- und Unterstützungsaufgaben beschränkt. Dies entspricht der Zielsetzung, eine lebensfähige eigene Administration in Somalia zu hinterlassen und erklärt die geringe Zahl des hier eingesetzten internationalen Zivilpersonals l69 . (2) Rechtsordnung
Im Bereich der legislativen Aufgaben war die Tätigkeit von UNOSOM 11 ebenfalls von dem Bemühen getragen, den Somaliern weitestmöglich selbst die Gestaltung ihrer Rechtsordnung zu überlassen. Dort, wo auf die klare Festlegung eines anwendbaren Rechts nicht verzichtet werden konnte, bemühte sich 163 Zunächst in Mogadischu und Hargeisa - Bericht des Generalsekretärs v. 6. 1. 1994, UN Ooe. S/1994/12, para. 17. 164 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Ooc. S/26317, Annex I, paras. 42 fund 45 f. Anfang 1994 standen bereit. wieder 700 Vollzugsbedienstete im Oienst - Bericht des Generalsekretärs v. 6.1. 1994. UN Ooc. S/1994/12, para. 17. 165 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Ooc. S/26317, Annex I, para. 50. 166 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, a.a.O., Annex I, paras. 42 und 51. 167 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, a.a.O .. Annex I, para. 52. 168 So warf arnnesty international UNOSOM II Ende 1993 u.a. die Internierung von Personen aus politischen Gründen ohne Anklage oder Gerichtsverfahren vor - AdG 1993, 38466 A; AdG 1994. 38792 A. 169Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 6. 1. 1994, UN Ooc. S/1994/12, para. 18. Siehe auch unten 8.,111.,4., b), bb).
184
B. Peace-Keeping der zweiten Generation
UNOSOM 11, die äußere Einflußnahme dadurch zu minimieren, daß sie sich an der früher in Somalia gültigen Rechtsordnung orientierte. Darüber hinaus unterstützte sie die Somalier bei der Ausarbeitung von Rechtstexten und der Formung rechtsetzender Körperschaften. Unmittelbar selbst rechtsetzend tätig wurde UNOSOM 11 außerhalb der schon erwähnten Gerichtsverfassung vor allem auf dem Gebiet des Strafrechts und des Strafprozeßrechts. Hier war die möglichst schnelle Bezeichnung klarer Normen unerläßlich. UNOSOM 11 schuf allerdings kein völlig neues Strafrecht, sondern erklärte die Wiederanwendbarkeit des somalischen Straf- und Strafprozeßrechts von 1962 17 Insbesondere im menschenrechtlichen Bereich fügte UNOSOM 11 diesem alten Recht aber auch einzelne neue Vorschriften hinzu. Beispiele dafür sind die Anordnung, daß innerhalb von 48 Stunden nach jeder Verhaftung eine richterliche Vernehmung stattzufinden habe l71 , oder die generelle Verpflichtung des Strafvollzugs auf die Einhaltung der Menschenrechtsnormen der Vereinten Nationen I 72
°.
Indirekt beteiligte sich die UNO an der Legislative, indem sie den Aufbau legislativer Gremien in Somalia förderte. Zentrales Gesetzgebungsorgan in Somalia sollte nach den Abkommen von Addis Abeba der Transitional National Council werden. Dieser sollte mehrheitlich aus Vertretern der Regionalräte bestehen, die sich ihrerseits aus Vertretern der Bezirksräte zusammensetzten l73 Beim Aufbau dieses rätedemokratischen Systems leistete die UNO vielfaltige Unterstützung. Schon die Konferenz in Addis Abeba, die zur Einigung der verfeindeten Gruppen auf dieses System geführt hatte, war von der UNO initiiert worden 174 Danach unterstützte UNOSOM 11 aktiv die tatsächliche Bildung der Bezirks- und Regionalräte und damit der Voraussetzung für die Formung des TNC175 Auch bei der Erarbeitung einer neuen Verfassung für Somalia assistierte UNOSOM 11. Zwar war das für die Ausarbeitung des Textes einer Übergangsverfassung zuständige Gremium, der Redaktionsausschuß für die Übergangsverfassung, von den Beteiligten an der Konferenz in Addis Abeba bestimmt worden. Dennoch nahm UNOSOM auch hier erheblichen Einfluß, indem sie die ursprüngliche Zusammensetzung dieses Ausschusses so veränderte, daß eine möglichst breite Beteiligung aller für die somalische Gesellschaft wichtigen Gruppen und nicht nur der Bürgerkriegsparteien gewährleistet
170 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. S/26317, Annex I, paras. 29 und 32. 171
Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, a.a.O., Annex I, para. 36.
172 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, a.a.O., Annex I, para. 39. 173 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, a.a.O., para. 24. 174 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, a.a.O., para. 23. 175 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, a.a.O., paras. 36 - 42; vgl. auch unten B., III., 3., b), bb), (3), (a).
III. Somalia
185
war 176 . Genauso verfuhr die UNO mit einem weiteren, auf der Konferenz von Addis Abeba gegründeten Ausschuß, der Richtlinien für die Behandlung von Vermögensstreitigkeiten erstellen sollte, der also ebenfalls eine legislative Aufgabe hatte 177. Insgesamt war UNOSOM 11 somit einerseits insofern an der Gesetzgebung in Somalia beteiligt, als sie die Schaffung des organisatorischen Rahmens unterstützte, der dem somalischen Volk eine eigenständige Gesetzgebung ermöglichen sollte. Bis zur Konstituierung des als nationaler Gesetzgeber vorgesehenen TNC war sie darüber hinaus der einzige Träger legislativer Gewalt auf nationaler Ebene in Somalia und übernahm als solcher selbst die erforderlichen gesetzgeberischen Funktionen, um den in der Zwischenzeit unverzichtbaren rechtlichen Grundbestand insbesondere im strafrechtlichen Bereich festzulegen. An diesem Befund ändert auch die enge Anlehnung an die in Somalia früher geltende Rechtsordnung nichts, da die Wiederherstellung der normativen Kraft dieser Rechtsordnung an sich bereits ein legislativer Akt ist.
(3) Exekutive Funktionen Die Ausgangslage im Bereich der staatlichen Verwaltung war uneinheitlich. Zwar hatte der lange Konflikt die überregionalen Verwaltungsstrukturen hinweggefegt. Auf lokaler Ebene hingegen stellte sich die Lage von Region zu Region durchaus unterschiedlich dar. Insbesondere in einigen nördlichen Landesteilen übten dort ansässige Bewegungen die administrative Kontrolle über ihre Gebiete effektiv aus und hatten die Sicherheitslage weitgehend im Griffl78 In anderen Regionen wie Mogadischu oder Kismayo hingegen wurde um die Vorherrschaft zwischen verschiedenen Clans bitter gerungen; eine einheitliche Administration bestand dort nicht l79 . Auch die aus der Zeit allgemeiner Anarchie übriggebliebenen bewaffneten Kriminellen und Banden beeinträchtigten die Bemühungen um Stabilität und den Wiederaufbau der Administration in einigen Gegenden erheblich 180 Vor diesem Hintergrund galt es für UNOSOM 11 zum ersten, Sicherheit und Stabilität in den unruhigen Gebieten wieder herzustellen, um so die Grundlage
176 Bericht des Generalsekretärs v. 17.8.1993, UN Doc. S/263 17, paras. 25-29. 177 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, a.a.O., Annex I, para. 31. 178 Vgl. die Schilderung der Situation in den nordöstlichen und nordwestlichen Regionen im Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. S1263 17, Annex I, paras. 6 und 11. 179 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, a.a.O., Annex I, paras. 9 und 12. 180 Z.B. im Gebiet zwischen Merka und Afgoi südlich von Mogadischu - vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 17.8.1993, a.a.O., Annex I, para. 10.
186
B. Peace-Keeping der zweiten Generation
für den Neuaufbau administrativer Strukturen zu legen. Daneben war in den Gegenden, in denen sich die Sicherheitslage beruhigt hatte, bei diesem Neuaufbau zu helfen. Schließlich mußten dort, wo sich derartige Strukturen bereits gebildet hatten, diese bei der Konsolidierung ihrer Anstrengungen unterstützt werden. Überall war darüber hinaus Hilfe bei der Revitalisierung der für die Grundversorgung der Bevölkerung notwendigen Verwaltungsaktivitäten erforderlich, und administrative Tätigkeiten auf überregionaler Ebene konnten ebenfalls nur von UNOSOM 11 übernommen werden. Ca) Neuaufbau von Polizei und Verwaltung Für die Herstellung eines sicheren Umfelds war - wie gezeigt181 - zunächst und vor allem die militärische Komponente von UNOSOM 11 zuständig. Über diesen militärischen Einsatz hinaus und mit dem Ziel, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit auch langfristig zu gewährleisten, betrieb UNOSOM 11 den Aufbau einer einheimischen Polizei. Deren Grundstock bildete eine von UNIT AF in Mogadischu aufgestellte Hilfspolizei 182. Anfang 1994 gab es, aufbauend auf den Resten der alten somalischen Polizei, bereits wieder über 6.700 Polizisten in Somalia 183 , und bis Ende 1994 sollte diese Zahl auf 10.000 Mann anwachsen 184. Um das zu erreichen gründete UNOSOM 11 eine Polizeiakademie und mobile Ausbildungsteams, von denen Lehrgänge durchgeführt wurden 185 , führte ein umfassendes Rekrutierungsprogramm durch 186 und sorgte für die unverzichtbare Grundausstattung der Polizeistationen 187 . Nachdem auch dafür zunächst das UNOSOM lI-Militär verantwortlich war, wurden im weiteren Verlauf der Operation internationale Polizeiberater mit Ausbildungs- und Beratungsaufgaben eingesetzt 188 Überall bestand die Strategie von UNOSOM 11 darin, die somalische Polizei von der örtlichen Ebene herauf wiederaufzubauen und sie organisatorisch an die sich neu bildenden
181 S.o. B., III., 3., b), aa). 182 Bericht des Generalsekretärs
v. 17. 8. 1993, UN Doc. S/263 17, Armex I, para. 24; zur Aufstellung der Hilfspolizei vgJ. den Bericht des Generalsekretärs v. 26. I. 1993, UN Doc. S/25168, para. 23.
183 Bericht des Generalsekretärs v. 6. I. 1994, UN Doc. S/1994/12, para. 17. 184 Bericht des Generalsekretärs v. 29. 6.1993, UN Doc. A/47/91 6/Add.1, Armex IV, para. 138. 185 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. S/26317, Armex I, para. 22. 186 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, a.a.O., Armex I, para. 25; Bericht des
Generalsekretärs v. 12. 11. 1993, UN Doc. S/26738, para. 34.
187 Z.B. mit Funkgeräten - Bericht des Generalsekretärs v. 6. I. 1994, UN Doc. S/1994/12, para. 19; vgl auch den Bericht des Generalsekretärs v. 12. 11. 1993, UN Doc. S/26738, para. 35. 188 Bericht des Generalsekretärs v. 29. 6.1993, UN Doc. A/47/916/Add.l, Armex IV, para.
137.
III. 80malia
187
Bezirks- und Regionalräte anzubinden l89 . Einen nationalen Polizeiapparat zu schaffen, wurde bis zur Gründung des TNC zurückgestellt l90 . Die operative Kontrolle über die somalische Polizei verblieb bei UNOSOM II191. In den nördlichen Landesteilen unterstützte sie die dort bereits wieder funktionsfahigen einheimischen Polizeieinheiten 192. Zu den politischen Bemühungen von UNOSOM 11 um die Schaffung eines sicheren und stabilen Umfelds in Somalia gehörte auch die Förderung der nationalen Aussöhnung zwischen den verschiedenen Clans und Splittergruppen auf allen Ebenen. UNOSOM II organisierte nicht nur nationale Konferenzen zur politischen Aussöhnung wie das Treffen in Addis Abeba im März 1993 193 , sondern führte auch in den einzelnen Regionen immer wieder die widerstreitenden Gruppen zusammen und versuchte, sie zu Aussöhnung und Friedensschluß zu bewegen 194 Diese Bemühungen waren allerdings oft vergeblich. Zum Teil hatten sie schon unmittelbar das Gegenteil des angestrebten Erfolges, namentlich das Wiederaufflammen von Gewalt zwischen rivalisierenden Clans zum Ergebnis 195 Darüber hinaus gelang es den UN-Vermittlern nicht, die tiefgreifenden Zerwürfnisse zwischen der Aidid-Fraktion und den anderen Konfliktparteien zu überwinden und die Anhänger des Rebellengenerals zur Akzeptanz der Rolle von UNOSOM II zu bewegen l96 , nachdem man Bedeutung und Kampfkraft dieser Konfliktpartei zu Beginn offensichtlich unterschätzt hatte. Dort, wo die Sicherheitslage stabil war, unterstützte UNOSOM II den Aufbau von Bezirks- und Regionalräten, die nicht nur die bereits angesprochene Bedeutung für die Konstituierung einer nationalen Legislative hatten, sondern die darüber hinaus die Verantwortung für die örtliche Verwaltung übernehmen
IS~ Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. 8/26317, Annex I, paras. 15 und 19. 190 Bericht des Generalsekretärs v. 17.8. 1993, a.a.O., Annex I, para. 18. 191 Bericht des Generalsekretärs v. 29. 6. 1993,UN Doc. A/47/916/Add.l, Annex IV, para. 137.
192 Bericht des Generalsekretärs v. 12. 11. 1993, UN Doc. S/26738, para. 34. 193 Ein Beispiel fur eine weitere gesamtsomalische Aussöhnungsbemühung ist eine vom 30. 9. bis zum 1. 10. 1993 in Mogadischu abgehaltene "all-8omali conference" - vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 12. 11. 1993, UN Doc. 8/26738, para. 31. 194 Z .8. in Kismayo und Juba - vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 17.8. 1993, UN Doc.
8126317, para. 40 - sowie in den nördlichen Gebieten und in Gedo - vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 12. 11. 1993, UN Doc. 8/26738, para. 30.
195 80 fuhrte eine im Anschluß an eine Konferenz der verschiedenen Teile des Hawiye Clans am 17. 10. 1993 unternommene Friedensdemonstration in Mogadischu, von deren Durchfuhrung UN080M II die Konferenzteilnehmer allerdings abzubringen versucht hatte, zu Kämpfen zwischen verschiedenen Clans - vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 12. 11. 1993, UN Doc. 8/26738, para. 31. 196 Bericht des Generalsekretärs v. 6. 1. 1994, UN Doc. 8/1994/12, paras. 3-6.
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
sollten I 97. Dazu traten UNOSOM lI-Angehörige mit örtlichen Führungspersönlichkeiten wie den Clanältesten in Konsultationen, um die Bildung dieser Gremien zu organisieren l98 . Im Januar 1994 hatten sich auf diese Weise 53 von vorgesehenen 81 Bezirks- und acht von 13 Regionalräten bilden können I 99, obwohl die Anhänger des Generals Aidid sich deren Gründung aktiv entgegenstellten2oo . Die Besetzung der Bezirksräte wurde dabei jeweils in einem der somalischen Tradition entsprechenden Konsensverfahren vorgenommen201 und von UNOSOM lI-Mitarbeitern als Zeugen bestätigt202. Schließlich wurden diese neu entstandenen staatsorganisatorischen Strukturen durch UNOSOM 11 bei der Aufnahme ihrer Tätigkeit unterstützt. Zusammen mit zwei nichtstaatlichen Organisationen führte UNOSOM 11 zu diesem Zweck beispielsweise ein Fortbildungsprogramm für die Mitglieder der Bezirksräte durch, um diese auf ihre neuen Aufgaben vorzubereiten203 . Ein mobiles UNOSOM lI-Team besuchte alle neuen Bezirksräte, um sich ein Bild von der benötigten Unterstützung zu machen, und verschiedene Länder sowie nichtstaatliche Organisationen stellten den Räten eine Grundausstattung an Büromaterial und -möbeln zur Verfügung 204. Darüber hinaus assistierten UNOSOM lI-Berater den Bezirksräten bei dem Aufbau der lokalen Verwaltung, besonders der Polizei205 (b) Sonstige Tätigkeiten von UNOSOM 11
Außer der Unterstützung der neu entstehenden einheimischen Institutionen führte UNOSOM 11 einige exekutive Aufgaben auch selbst durch. Der Schwerpunkt lag dabei auf solchen Aktivitäten, die für die Grundversorgung der Bevölkerung unmittelbar erforderlich waren, insbesondere also den dringenden humanitären Hilfsmaßnahmen. Die schon unter dem Schutz von UNITAF erfolgreich begonnenen Anstrengungen, die Not der Bevölkerung zu beheben,
197 Vgl. Z.B. ihre Rolle als Polizeibehörde - Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. 8/263 17, Annex I, para. 15. 198 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. S/263 17, paras. 36-39. 199 Bericht des Generalsekretärs v. 6. 1. 1994, UN Doc. S/1994/12, paras. 9 und 13.
200 Bericht des Generalsekretärs v. 6.1. 1994, UN Doc. 8/1994/12, paras. 10 f 201 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. 8/26317, paras. 24, d) und 35. 202 Bericht des Generalsekretärs v. 6. 1. 1994, UN Doc. 8/1994/12, para. 10. 203 Bis zum 17. 10. 1993 hatten an diesem Programm bereits 651 Ratsmitglieder teilgenommen -
Bericht des Generalsekretärs v. 12. 11. 1993, UN Doc. S/26738, para. 27.
204 Bericht des Generalsekretärs v. 6.
1. 1994, UN Doc. S/1994/12, para. 12.
205 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 12. 11. 1993, UN Doc. 8/26738, paras. 32 und 35.
III. Somalia
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wurden im Rahmen der Operation UNOSOM 11 fortgeführt 206 Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, die der Hungersnot und dem Massensterben von 1992 ein Ende bereitete. Die Hauptlast dieser Anstrengung wurde von nichtstaatlichen Hilfsorganisationen und UN-Sonderorganisationen getragen, die im Schutz von UNOSOM 11 wieder operieren konnten207 Ende 1993 führte die wachsende Unsicherheit im Lande allerdings wieder zu einer Verschlechterung der Nahrungsmittelversorgung in einzelnen Regionen208 In engem Zusammenhang mit dieser humanitären Soforthilfe stehen die Anstrengungen im Bereich des Gesundheitswesens. Hygienische Probleme und eine mangelnde medizinische Versorgung, insbesondere das Fehlen von Impfstoffen, hatten zu erheblichen Gesundheitsgefahren in Somalia geführt209 . Unter der Leitung von UNOSOM II gelang es nichtstaatlichen Organisationen und UN-Sonderorganisationen, zusammen mit der Bevölkerung Krankenhäuser wiederzueröffnen und landesweit mobile Impftrupps einzusetzen21O . Darüber hinaus wurden in Mogadischu und anderen somalischen Städten die Wasserversorgung wiederhergestellt und andere Beiträge zur Hebung des Hygienestandards geleistet211 . Ein weiteres Feld der Wiederaufbautätigkeit war der gesamte Bildungsbereich, der während der Wirren völlig aus den Fugen geraten war212 Auch hier arbeiteten UNOSOM II, nichtstaatliche Organisationen und UN-Sonderorganisationen wie UNICEF gemeinsam, um landesweit Schulen wiederzueröffnen, sie mit Lehrmaterial und Verpflegung für die Schüler zu versorge nm sowie Lehrer auszubilden 214 In Mogadischu wurde von der UNESCO ein landesweites Bildungszentrum eingerichtet215
206 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. S/26317, para. 50, a); Bericht des Generalsekretärs v. 6.1. 1994, ON Doc. 8/1994/12, para. 21. 207 Vgl. den Bericht des Generalsekrdärs v. 3. 3. 1993, UN Doc. S/25354, para. 19; Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. S/26317, para. 45. 20R
Bericht des Generalsekretärs v. 6.1. 1994, UN Doc. S/1994/12, para. 21.
209 Bericht des Generalsekretärs v. 3. 3. 1993, UN Doc. S/25354, para. 23. 210 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. S/26317, para. 50, d); Bericht des Generalsekretärs v. 12. 11. 1993, UN Doc. S/26738, para. 9: 32 Krankenhäuser, 103 Impftrupps und 81 Zentren fur die medizinische Versorgung von Müttern und Kindern waren bis November 1993 wieder in Funktion.
2U Bericht des Generalsekretärs v. 12. 11. 1993, UN Doc. 8/26738, para. 10. 212 Bericht des Generalsekretärs v. 3. 3. 1993, UN Doc. 8/25354, para. 2R Beispielsweise stieg in den südlichen Landesteilen die Zahl der in 8chulen unterrichteten Kinder innerhalb weniger Monate von weniger als 1.000 auf über 10.800 an - vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 12. 11. 1993, UN Doc. 8/26738, paras. 6 f 213
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
Eine langfristige Zielsetzung hatte das Programm zum wirtschaftlichen Wiederaufbau. Die Koordinierung dieser Wiederaufbaubemühungen lag außerhalb des Spektrums von UNOSOM 11 und wurde von der Weltbank organisiert216 UNOSOM 11 trug zu diesem Aspekt des internationalen Engagements in Somalia aber durch die Reparatur der Infrastruktur des Landes bei. Wenngleich sie sich bei dieser Tätigkeit grundsätzlich auf das zur unmittelbaren Erfüllung des militärischen Auftrags Erforderliche beschränken sollte, waren die Grenzen hier fließend 217, und UNOSOM lI-Kräfte stellten Häfen, Flughäfen und Straßen wieder her21B Für diesen Teil des Programms wurden vorzugsweise auch Somalier herangezogen, die früher einer der Milizen oder Banden angehörten und im Rahmen der Entwaffnung mit Arbeit versorgt werden mußten 219 Wie bereits bei UNTAG und UNT AC, so spielte auch während diesef Operation die Information der Bevölkerung eine wichtige Rolle. Die Menschen sollten nicht nur mit dem Inhalt des UNOSOM 11 Auftrags und dem Fortgang der Operation sondern auch mit den aktuellen politischen Entwicklungen im Lande, wie z.B. der Gründung der Räte oder der Wiedereinsetzung der Gerichte, vertraut gemacht werden. Dazu produzierte UNOSOM 11 ein tägliches Radioprogramm und eine Tageszeitung in somalischer Sprache220 Angesichts der begrenzten Sendeleistung der verfügbaren Radiostationen, die hauptsächlich in der Region um Mogadischu zu empfangen waren221 , und des geringen Alphabetisierungsgrades der somalischen Bevölkerung, der die ohnehin in relativ kleiner Auflage (31.000 222 ) erscheinende Zeitung nur einem eingeschränkten Leserkreis zugänglich machte, wuchs der Information durch persönliche Präsenz und Kontakte der UNOSOM lI-Mitarbeiter zur Bevölkerung ein hohes Gewicht zu. Treffen mit den verschiedenen gesellschaftlichen Grup-
214 Bericht des Generalsekretärs v. 215 Bericht des Generalsekretärs v.
12. 11. 1993, a.a.O., para. 8. 12. 11. 1993. a.a.O., para. 7.
216 Bericht des Generalsekretärs v. 12. 11. 1993, UN Doc. 8/26738, paras 16-21. 217 Vgl. den Bericht des ACABQ v. 27. 7. 1993, ON Doc. A/47/984, para. 14. 218 80 baute das Bundeswehrkontingent in Belet Huen z.B. 8chulen wieder auf, setzte Brücken und 8traßen instand, errichtete Dämme und Bewä.~serungssysteme und bohrte siehen Brunnen fur die Bevölkerung - AdG 1994, 38792 A. Vgl. auch den Bericht des Generalsekretärs v. 29. 6. 1993, UN Doc. A/47/916/Add.1, Annex IV, para~. 55 f 219 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. 8/26317, para. 46. 220 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. 8/26317, paras. 55 und 60; Bericht des Generalsekretärs v. 12. 11. 1993, UN Doc. 8126738, para. 36. 221 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. 8/26317, para. 56. 222 Bericht des Generalsekretärs v. 12. 11. 1993, UN Doc. 8/26738, para. 36.
III. Somalia
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pen in den Regionen sollten dem Rechnung tragen223 . Daneben versuchte UNOSOM 1I, die Reichweite ihres Radioprogramms durch die Einrichtung weiterer Stationen sowie die Nutzung von in Nachbarländern bestehenden Sendern zu erweitern224 . Die Flüchtlinge waren eine weitere Herausforderung. Bürgerkrieg, Anarchie und Hungersnot hatten 1,7 Millionen Somalier aus ihrer Heimat vertrieben. Über 1 Million davon waren in Nachbarländer geflüchtet225 Teil des UNOSOM lI-Mandats war es, die Rückkehr dieser Menschen in ihre Heimatregionen zu erleichtern226 , sie gegebenenfalls neu anzusiedeln und mit Arbeitsplätzen zu versorgen. Daneben mußte humanitäre Hilfe für die Flüchtlingslager organisiert werden 227 . Trotz des Umfangs dieser Aufgabe nimmt sich das UNOSOM lI-Programm hier recht bescheiden und wenig konkret aus. In kleinem Maßstab betrieb UNOSOM 1I in verschiedenen Regionen eine Neuansiedlungspolitik228 , primär wurde diese Aufgabe aber verschiedenen humanitären Organisationen überlassen229 Auch hat eine Rückführungsoperation in großem Maßstab und nach festen Zeitplänen nicht stattgefunden. Vielmehr blieb es den Flüchtlingen und Vertriebenen überlassen, spontan und eigenständig zurückzukehren 230 Ein Grund dafür wird in der Tatsache zu sehen sein, daß die Zahl der Rückkehrwilligen auch nach dem Beginn der Operation UNOSOM II angesichts der nach wie vor ungewissen Zukunft des Landes gering blieb23I . In ähnlichem Umfang wie in Kambodscha hatte auch in Somalia der interne Konflikt hunderttausende von Minen im ganzen Land hinterlassen232 und Somalia zu einem der zehn am schwersten verminten Länder der Welt gemacht. Straßen, Flugplätze, traditionelle Wanderungsrouten der Nomaden, Stadtge-
223 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. S/26317, paras. 66 und 68.
224 Bericht des Generalsekretärs v.
17. 8. 1993, UN Doc. S/263 17, paras. 58 f
225
Bericht des Generalsekretärs v. 12. I!. 1993, UN Doc. S/26738, para. 23.
226
Res. 814 (1993) des Sicherheitsrats v. 26. 3. 1993, Zi. 4 (b).
227
Bericht des Generalsekretärs v. 3. 3. 1993, UN Doc. S125354, paras. 25 f
22X
Bericht des Generalsekretärs v. 17.8.1993, UN Doc. S1263 17, para. 50, b).
229
vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 12. 11. 1993, UN Doc. S/26738, para. 22.
230 Vgl. die Schilderung im Bericht des Generalsekretärs v. 12. 11. 1993, UN Doc. S/26738, para. 24: Einer geschätzten Rückkehrerzahl von 70.000 steht die Aussage gegenüber, daß wöchentlich 800 Flüchtlinge bei ihrer Rückkehr in die südlichen Landesteile unterstützt würden. 231 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 6. I. 1994, UN Doc. S/1994/12, para. 22, den Bericht des Generalsekretärs v. 12. 11. 1993, UN Doc. S/26738, para. 25 sowie den Bericht des Generalsekretärs v. 3. 3. 1993, UN Doc. S/25354, para. 26.
232 Schätzungen im Sommer 1993 gingen von bis zu einer Million Minen aus - Bericht des Generalsekretärs v. 17.8.1993, UN Doc. S126317, para. 19.
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
biete und sogar Wasserstellen hatten Hauptziele der Verminungen gebildet233 . Jede Form staatlichen Neuaufbaus setzte somit unabdingbar eine umfassende Minenräumung voraus. Die UNO initiierte daher ein Minenräumprogramm234 . Dabei wurde zwischen solchen Minenräummaßnahmen differenziert, die für die Durchführung der UNOSOM lI-Mission selbst unmittelbar erforderlich waren, und solchen, die darüber hinausgehend auf die landesweite Lösung des Minenproblems zielten. Grundsätzlich war UNOSOM 11 nur für ersteres selbst zuständig; eine klare Abgrenzung ließ sich aber auch hier nicht immer vornehmen235 . Insgesamt blieben Minenräumungen durch UNOSOM 11 örtlich begrenzt236 Die Bemühungen, Somalier in Minenräumtechniken auszubilden 237, die genaue Lage der Minen zu ermitteln238 und erkannte Minenfelder zu 'kennzeichnen, sowie ein Aufklärungsprogramm über die Minengefahr239 trugen aber zur Reduzierung des Problems bei. Daneben finanzierten westliche Länder 1993 ein Minenräumprogramm in dem von Minen am schlimmsten betroffenen Nordwesten240 . In anderen Landesteilen behinderte die sich verschlechternde Sicherheitslage Ende 1993 diese Arbeit dagegen in zunehmendem Maße241 . Schließlich betätigte sich UNOSOM 11 indirekt auch auf dem Gebiet der auswärtigen Gewalt. Zwar übernahm sie nicht die völkerrechtliche Vertretung Somalias; sie organisierte jedoch die Treffen mit den Vertretern der Geberländer und der nichtstaatlichen Hilfsorganisationen, die erforderlich waren, um ausländische Hilfe für den Neuaufbau des somalischen Staates ins Land zu holen242 Dabei beteiligte sie eine Anzahl somalischer Repräsentanten, die verschiedene Gruppierungen und Gesellschaftsschichten des Landes vertraten243 .
233 Bericht des Generalsekretärs v. 12. 11. 1993, UN Doe. S/26738, para. 42.
234 Bericht des Generalsekretärs v. 3. 3. 1993, UN Doe. S/25354, para. 39. 235 Bericht des Generalsekretärs v. 29. 6.1993, UN Doe. A/47/916/Add.l, Annex IV, para. 131.
236 Bericht des Generalsekretärs v. 12. 11. 1993, UN Doc. S/2673R, para. 43. 237 Bericht des Generalsekretärs v. 29. 6. 1993, UN Doc. A/47/916/Add.l, Annex IV, para. 132, (e) und (d); Bericht des Generalsekretärs v. 12. 11. 1993, UN Doc. S12673R, para. 43. 238 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. S/26317, para. 19.
239 Bericht des Generalsekretärs v. 3. 3. 1993, UN Doc. S/25354, para. 40. 240 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. S126317, para. 19; Bericht des Generalsekretärs v. 12. 11. 1993, UN Doc. S/26738, para. 43.
241 Bericht des Generalsekretärs v. 6. I. 1994, UN Doc. S/1994/12, para. 36. 242 Z.B. das Koordinierungstreffen über humanitäre Hilfe in Addis Abeba im März 1993 oder die infomlellen Konsultationen von UNO, Geberländern und nichtstaatlichen Organisationen in Nairobi im Juni sowie in Paris im Oktober 1993 - vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. S/26317, paras. 43, 49, 51; Bericht des Generalsekretärs v. 12. 11. 1993, UN Doc. S/26738, para. 20.
243 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 17.8.1993, UN Doc. S126317, para. 43.
III. Somalia
193
c) Wertung
Herausgehobenes Merkmal von UNOSOM 11 ist die umfassende Übernahme hoheitlicher Gewalt. Damit ist Somalia der bislang einmalige Fall der vollständigen Übernahme der Staatsgewalt in einem souveränen Staat, einem Mitglied der UNO, durch die Weltorganisation. Dieser Befund fügt sich in das im Zusammenhang mit der Kambodscha-Operation bereits angedeutete Bild eines sich wandelnden Souveränitätsverständnisses. Hoheitsgewalt und Souveränität hängen eng zusammen. Souveränität ist eine Eigenschaft der Staatsgewalt244, sozusagen die "äußere" Komponente derselben. Angesichts des Zusammenbruchs der staatlichen Ordnung wurde die organisierte Weltgemeinschaft hier selbst zur Treuhänderin der Souveränität des somalischen Volkes, indem die UNO die Ausübung der Staatsgewalt übernahm. Diese Ausübung der Hoheitsgewalt durch UNOSOM 11 war dabei aber kein Selbstzweck, sondern sie war zielgerichtet. Von Anfang an wurde die eigene Verantwortung des somalischen Volkes für das Schicksal des Landes immer wieder herausgestellt245 Folgerichtig war die Wiederherstellung des somalischen Gemeinwesens und die Wiedererrichtung einer eigenen somalischen Staatsgewalt überall erkennbarer zentraler Zweck der Operation. Durch die oben erwähnten, gemäß dem Abkommen von Addis Abeba zu schaffenden Organe sollten die Somalier die öffentliche Gewalt in ihrem Land schnellstmöglich wieder in ihre eigenen Hände nehmen. Dementsprechend war der Einsatz von UNOSOM II von Anfang an auf eine Übergangszeit beschränkt - wenn auch deren genaue Dauer zu Beginn noch nicht feststand 246 . Insgesamt ist damit festzustellen, daß UNOSOM 11 vorübergehend treuhänderisch die umfassende Hoheitsgewalt in Somalia ausgeübt hat, und daß sie dies mit dem Ziel getan hat, den Wiederaufbau einer eigenen Staatlichkeit durch die Bevölkerung zu ermöglichen und zu fördern. Dem entspricht das Aufgabenprofil der Operation. Kernstück war die - wenn nötig militärische - Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit. Dem folgte neben der unmittelbaren humanitären Soforthilfe die Unterstützung beim Neuaufbau eines politischen Systems. Die Verknüpfung zwischen der Herstellung öffentlicher Sicherheit und der Wiederaufbauhilfe durchzieht das Mandat wie ein roter Faden. Dasselbe gilt für die Reihenfolge, in der diese beiden Ziele einander zugeordnet wurden. Der Generalsekretär ließ nie einen Zweifel daran, daß er die Stabilisierung der Sicherheitslage für eine unverzichtbare Voraussetzung aller anderen Aktivitäten hielt. Folgerichtig dominierte das Militär die Operation in viel größerem Maße als bei UNT AG und UNT AC. Dies kann man 244 Ipsen, § 5, Rz. 7. 245 Z.B. in Res. 814 (1993), 8. Vorspruch; Res. 865 (1993), 4. Vorspruch; Bericht des Generalsekretärs v. 3. 3. 1993, UN Doc. S/25354, para. 92. 246 Vgl. unten B., 111., 5. 13 Hufnagel
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
UNOSOM 11 zum Vorwurf machen247 . Andererseits zeigen aber gerade die Auswirkungen, die die Verschlechterung der Sicherheitslage Ende 1993 auf die zivilen Operationsteile hatte, daß zivile Aufbauhilfe in einem unsicheren Umfeld schnell wieder zusammenbricht. Besonders dann, wenn - wie in Somalia keine staatliche Gewalt mehr neben der UNO besteht, ist die Priorität der militärischen Herstellung der öffentlichen Sicherheit daher unausweichlich. Eine Schwäche von UNOSOM II zeigt sich im Vergleich mit UNT AG und UNTAC. War dort der Inhalt des Mandats jeweils in jahrelangen Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien vereinbart und - wie in Kambodscha Gegenstand eines präzisen Vertragswerks gewesen, so wurde hier - getrieben von den Ereignissen - ad hoc ein Programm begonnen, das nicht in vergleichbarem Maße vorbereitet war. Als Folge davon ist das UNOSOM lI-Mandat im Vergleich zu den beiden anderen weniger genau. Z.B. existierten keine klaren Zeitpläne für die Bildung des Übergangsnationalrats oder gar der Durchführung von Wahlen sowie für die Flüchtlingsrepatriierung. Dennoch erscheint der zuweilen erhobene Vorwurf der Konzeptlosigkeit der Operation24R angesichts der dargestellten, sowohl umfangreichen als auch zielgerichteten Aufbautätigkeit überzogen 249 Die konsequent verfolgte Strategie der Widererrichtung staatlicher Strukturen "von unten her", gepaart mit den fortgesetzten Bemühungen um eine Aussöhnung zwischen den großen Konfliktparteien auf nationaler Ebene, belegt dies. Völlig offen ist allerdings, wie dauerhaft die wiederaufgebauten, politischen Strukturen sein können, wenn die nationale Aussöhnung nicht gelingt. 4. Ressourcen
Anders als bei den Operationen UNTAG und UNT AC läßt sich im Fall von UNOSOM II nur ein sehr vorläufiges Bild von den für den Einsatz erforderlichen personellen und materiellen Anforderungen zeichnen, da die Operation noch nicht abgeschlossen ist. Die Darstellung wird sich daher an den in der Anfagsphase der Operation vorgenommenen Berechnungen und Planungen orientieren müssen. Wie bereits bei der Untersuchung der rechtlichen Fundierung herausgestellt, ist Gegenstand der Betrachtung hier allein die Operation UNOSOM 11. Daher werden die im folgenden über die eingesetzten Ressourcen zu machenden Angaben die beiden Vorläufer UNOSOM und UNIT AF nicht einschließen. Das Gesamtengagement der Vereinten Nationen in Somalia ist also noch deutlich umfangreicher als dies in den allein die UNOSOM II betref247 1n diesem SilUle Leurdijk, Int. Spect. 1993, 667. 24X Z.B. Eikenberg, Blätter rur deutsche und internationale Politik 1993, 1068. 249 So auch Kühne in: ders., Blauhelme, 58.
III. Somalia
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fenden Zahlen zum Ausdruck kommt. Auch UNOSOM II allein wird jedoch in ihren Dimension sogar noch die Kambodscha-Operation übertreffen. a) Finanzierung Die Gesamtsumme, mit der UNOSOM II finanziell zu Buche schlagen wird, wird erst dann einigermaßen genau zu bestimmen sein, wenn die Gesamtdauer der Operation definitiv feststeht. Sie läßt sich anhand der Planungen für das erste Einsatzjahr jedoch erahnen. Für die zwölf Monate vom 1. 5. 1993 bis zum 30.4. 1994 veranschlagte der Generalsekretär Operationskosten von 1.55 Mrd. US Dollar25o Legt man die vom Sicherheitsrat in Res. 865 (1993) zum Ausdruck gebrachte Absicht zugrunde, UNOSOM II bis zum März 1995 abzuschließen, so sind selbst unter Berücksichtigung der deutlichen Reduzierung der militärischen Komponente Anfang 1994 Gesamtkosten von knapp 2 Mrd. US Dollar zu erwarten. Damit würde UNOSOM II noch einmal deutlich teurer als die Rekordoperation UNT AC251 . Die Bereitstellung der notwendigen Mittel durch die Generalversammlung erinnert in ihrem Ablauf an das Verfahren bei UNT AC. Wieder wurden jeweils nur Teilbeträge für begrenzte Zeiträume genehmigt252 Die Anlaufphase stellte sich für UNOSOM II demgegenüber jedoch nicht so problematisch dar wie für UNTAC. Da die UNO mit UNOSOM in Somalia bereits präsent war253 , große Teile von UNIT AF als Teilnehmer von UNOSOM II im Lande verbleiben sollten 254 und schließlich aus dem schon genehmigten255 Budget für UNOSOM zu Beginn der Operation UNOSOM II noch rund 70 Mio. US Dollar Überschuß verfügbar waren 256 , war die Vorausgenehmigung eines Pauschalbeitrages für die Anfangsphase hier nicht vonnöten. Demgegenüber entspricht die Kontrolle der Ausgabenplanung des Generalsekretärs durch das ACABQ der Generalversammlung dem bei der UNT AC beobachteten Bild, wenn auch die vorgenommenen Kürzungen hier nicht mehr ganz so hoch ausfielen wie dort. Für die 250 Bericht des Generalsekretärs v. 31. 3. 1993, UN Doc. A/47/916, para. 7.
251 Das gilt, obwohl die genannten Beträge und Leistungen sich nur auf die unmittelbare Durchfuhrung der Operation UNOSOM 11 selber beziehen und nicht solche Leistungen einschließen, die verschiedene Geldgeberländer dem Treuhandfonds rur das Hilfs- und Wiederaufhauprogramm rur Somalia zur Verrugung stellten. - Vgl. Die Welt v. 15.3. 1993, wo von 142 Mio. US Dollar rur diesen Zweck die Rede ist. 252 Z.B. zunächst einen Betrag von 300 Mio. Dollar rur die ersten 2 Operationsmonate - Res. 47/41 B v. 15.4.1993. 253 Bericht des Generalsekretärs v. 31. 3.1993, UN Doc. A/47/916, para. 3. 254 Bericht des Generalsekretärs v. 31. 3.1993, UN Doc. A/47/916, para. 6.
255 Mit der Generalversammlungsres. 47/41 v. I. 12. 1992. 256 Bericht des Generalsekretärs v. 31. 3. 1993, UN Doc. A/47/916, para. 9.
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
Sechsmonatsperiode von Mai bis Oktober 1993 reduzierte das ACABQ den Kostenplan des Generalsekretärs beispielsweise um rund 9,5 %257. Wie bei UNTAC, so folgte die Generalversammlung auch hier den Vorschlägen des ACABQ. Technisch fand die finanzielle Abwicklung wie üblich auf einem Sonderkonto statt. Zu diesem Zweck wurde das für UNOSOM in Res. 47/41 vom 1. 12. 1992 bereits eingerichtete Sonderkonto genutzt258 Auch bezüglich der Verteilung der Kostenlast auf die Mitgliedstaaten sind keine Besonderheiten zu vermerken. Grundlage bildete wieder der für die Finanzierung von PeaceKeeping-Operationen üblich gewordene - und ebenfalls wie gewohnt als "ad hoc arrangement" bezeichnete - Umlageschlüssel unter Zugrundelegung der aktuellen Einteilung der verschiedenen Zahlergruppen. Die diesem Verfahren zugrundeliegende Auffassung, daß die Kosten für UNOSOM II "Ausgaben der Organisation" im Sinne des Art. 17 (2) sind, wurde folgerichtig von der Generalversammlung in Übereinstimmung mit dem Generalsekretär259 .zum Ausdruck gebracht. Eine erwähnenswerte Ergänzung des ansonsten in eingespielten Bahnen verlaufenden Finanzierungsverfahrens ist die Errichtung eines Fonds für zusätzliche, freiwillige Leistungen einzelner Mitgliedstaaten für die Operation. Dieser Fonds war bereits im Zusammenhang mit UNIT AF eingerichtet worden und wurde nun für UNOSOM II fortgeführt, um darüber den Wiederaufbau Somalias zu finanzieren 2lio Auffallig daran ist neben dem technischen Aspekt der Abwicklung freiwilliger Zuwendungen über einen solchen Treuhandfonds vor allem die Tatsache, daß Einrichtung und Fortführung dieses Fonds durch den Sicherheitsrat beschlossen 261 und der Generalversammlung nur zur Kenntnis gebracht worden sind262 Bezüglich UNIT AF erscheint ein solches Vorgehen einsichtig, da es sich dort nicht um einen UN-Verband handelte, dessen Finanzierung daher außerhalb des UN-Budgets stattfand. Die Erstrekkung dieses Arrangements auf UNOSOM II ist demgegenüber als ein Eingriff in die Zuständigkeit der Generalversammlung zu bewerten. Im Zusammenhang mit dem Treuhandfonds bestätigt sich darüber hinaus die bereits bei der Ana257 Allerdings hatte das Sekretariat selbst seine ursprünglichen Schätzungen fiir diesen Zeitraum (249.732.900 Dollar - Bericht des Generalsekretärs v. 29. 6. 1993, UN Doc. A/47/916/Add.l, para. 30) bereits um 36 Mio. Dollar reduziert. Von den verbleibenden rund 213,7 Mio. Dollar zog das ACABQ dann seinerseit~ noch einmal 23,7 Mio. Dollar ab - Bericht des ACABQ v. 27. 7. 1993, UN Doc. A/47/984, paras. 5 und 51. 25R Bericht des Generalsekretärs v. 29. 6. 1993, UN Doc. A/47/916/Add.l, para. 34.
259 Bericht des Generalsekretärs v. 3. 3. 1993, UN Doc, S/25354, para. 89. 260 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. S/263 17, Annex I, para. 66. 261 Res. 794 (1992), Zi. 11, beziehungsweise Res. 814 (1993), Zi. 15.
262 Bericht des Generalsekretärs v. 31. 3. 1993, UN Doc. A/47/916, para. 4.
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lyse der Rechtsgrundlage gemachte Beobachtung, daß eine klare Trennung der Operation in einen friedenserhaltenden militärischen und einen humanitären zivilen Teil nicht möglich ist. Da die Wiederaufbaumaßnahmen nicht dem Peace-Keeping-Budget, sondern dem Treuhandfonds zur Last fallen sollten, versuchten Generalsekretär und ACABQ, die Ausgaben für beides budgettechnisch auseinanderzuhalten. In der Praxis erwies es sich aber bei Aktivitäten wie z.B. der Minenräumung oder der Wiederherstellung der Verkehrsinfrastruktur als unmöglich, eine klare Trennlinie zu ziehen, was schließlich auch von Generalsekretär und ACABQ anerkannt wurde263 . Bewertend kann über die Finanzierung von UNOSOM II zunächst festgestellt werden, daß das Verfahren zur Bereitstellung der erforderlichen Mittel bis auf die Besonderheit des erwähnten Treuhandfonds - insgesamt dem normalen procedere bei Peace-Keeping-Operationen entspricht. Die Teilfinanzierung ist wegen der zunächst unklaren Mandatsdauer und der vom Generalsekretär selbst hervorgehobenen Schwierigkeiten, eine exakte Kostenschätzung zu erstellen 264, unvermeidlich gewesen. Die Anwendung des für Friedensoperationen bestehenden Umlageschlüssels und die ergänzende Verwendung freiwilliger Zusatzbeiträge entsprechen ebenso dem für Peace-Keeping-Operationen der UN üblich gewordenen Muster wie die Feststellung, daß es sich um gemeinsame Ausgaben nach Art. 17 (2) der Charta handelt. Selbst die Zahlungsmoral unterscheidet UNOSOM II nicht von anderen Peace-Keeping-Operationen. Auch bei dieser Operation führten verspätete und nicht erbrachte Beitragsleistungen zu erheblichen Rückständen265 Wenig verwunderlich ist in diesem Zusammenhang die Beobachtung, daß die wachsenden Finanzrückstände sich im Operationsverlauf auch negativ auf die Zahlungsbereitschaft der eigentlich zahlungswilligen Mitgliedstaaten auswirkten266 b) Personal
UNOSOM II ist auch von ihrem personellen Umfang her gewaltig. Mit in der Spitze 28.000 Soldaten und 2.800 zivilen Mitarbeitern ist sie - nach UNPROFOR - die umfangreichste UN-Operation in der Geschichte. Schon an dem Zahlenverhältnis zwischen militärischer und ziviler Komponente wird 263 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 29. 6. 1993, UN Doc. A/47/916/Add.l, Annex IV, paras. 55 (Infra..truktur) und I31 (Minenräumung); Bericht des ACABQ v. 27. 7. 1993, UN Doc. A/47/984, paras. I3 f. 264 Bericht des Generalsekretärs v. 31. 3.1993, UN Doc. A/47/916, para. 8. 265 Am 9. 11. 1993 standen noch 140,6 Mio. Dollar aus (Bericht des Generalsekretärs v. 12. 11. 1993, UN Doc. S/26738, para. 101) und am 31. 12. 1993 immerhin noch rund 100 Mio. Dollar (Bericht des Generalsekretärs v. 6. 1. 1994, UN Doc. S/1994/12, para. 54). 200 Bericht des Generalsekretärs v. 6. 1. 1994, UN Doc. S/1994/12, para. 54.
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
zugleich deutlich, daß die Mission eindeutig vom Militär dominiert wurde. Wie bei der Finanzierung, so ist auch bei der Darstellung der personellen Mittel an dieser Stelle lediglich ein grober Überblick möglich. Der noch unklare Fortgang der Operation und die erheblichen Personalfluktuationen Anfgang 1994 stehen einer abschließenden Beurteilung noch entgegen. aa) Militär Die militärischen Teile von UNOSOM 11 setzten sich aus Soldaten aus 31 Mitgliedstaaten zusammen267 Von den insgesamt 28.000 militärischen Teilnehmern entfielen entfielen 8.000 auf logistische Unterstützungseinheiten26R . Des weiteren stand UNOSOM 11 eine von den USA gestellte taktische Schnelleingreiftruppe von 1.167 Mann zur Verfügung. Diese war jedoch nicht in UNOSOM 11 eingegliedert, sondern verblieb unter ausschließlich US-amerikanischem Kommando und konnte in besonderen Fällen zur Unterstützung der UN-Operation von der UNOSOM 11 angefordert werden269 . Der Generalsekretär brauchte nach der Verabschiedung der Res. 814 (1993) nicht sehr lange, bis er dem Sicherheitsrat eine Liste mit 30 Staaten aus allen fünf Erdteilen präsentieren konnte, die bereit waren, sich an UNOSOM 11 zu beteiligen270 Das signalisiert, daß sich auch für diese Operation zu Beginn wieder eine ausreichende Teilnehmerzahl in relativ kurzer Zeit gefunden hat. Dieser Befund gilt jedoch nicht für alle Verbände in gleicher Weise. So erforderte der Umfang der eingesetzten Kräfte eine große Zahl logistischer Unterstützungstruppen. Diese zusammenzubringen bereitete dem Generalsekretär besonderes Kopfzerbrechen271 - eine Beobachtung, die die bereits bei UNT AC getroffene Feststellung bestätigt, daß aufwendige Truppengattungen und insbesondere Logistikeinheiten deutlich schwerer zu organisieren sind als Infanterieabteilungen. Außerdem ließ die Bereitschaft der Mitgliedstaaten, Soldaten zur Verfügung zu stellen, im Laufe der Operation rapide nach, worauf noch einzugehen sein wird. 267 Nach dem Bericht des Generalsekretärs v. 17.8. 1993, UN Doc. S/26317, para. 6 sind dies: Ägypten, Australien, Bangladesch, Belgien, Botswana, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Indien. Irland, Italien, Kanada, Kuwait, Malay~ia, Marokko, Nepal, Neuseeland, Nigeria, Norwegen, Pakistan, Repuhlik Korea, Rumänien, Sambia, Saudi-Arabien, Schweden, Simbabwe, Tunesien, Türkei, Uganda, USA, Vereinigte Arabische Emirate. 26R Bericht des Generalsekretärs v. 3. 3. 1993, UN Doc. S/25354, para. 7l. 269 Bericht des
Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. S/26317, para. 6.
270 Brief des Generalsekretärs v. 2. 4. 1993, UN Doc. S/25532 v. 5. 4. 1993.
271 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 19. 12. 1992, UN Doc. S/24992, para. 36; Bericht des Generalsekretärs v. 6. l. 1994, UN Doc. S/1994/12, para. 43: Auf den Versuch, die Anfang 1994 abziehenden US- Logistikverhände zu ersetzen, erhielt der Generalsekretär von allen von ihm angesprochenen 42 (!) Ländern eine Absage.
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Die Militärkomponente hatte im ersten Jahr einen umfangreichen Aufgabenkatalog zu erfüllen 272 . Militärische Hauptaufgabe von UNOSOM 11 war jedoch die Herstellung und Erhaltung eines sicheren Umfelds in Somalia273 . Zu diesem Zweck war die Operation ausdrücklich zum Einsatz militärischer Zwangsgewalt ermächtigt worden, um gegen gewalttätige Splittergruppen vorzugehen, die landesweite Entwaffnung durchzuführen, Häfen, Flughäfen und Nachrichtenverbindungen zu sichern, Personal und Material der humanitären Hilfsorganisationen zu schützen und bewaffnete Elemente auszuschalten 274 Damit wird - neben der Ausrichtung auf einen internen Konflikt - die Einbeziehung von Zwangsmaßnahmen zum herausragenden Charakteristikum des militärischen Aufgabenkatalogs von UNOSOM 11 im Vergleich zum traditionellen Peace-Keeping. Diese Einbeziehung von Erzwingungsmaßnahmen in das Mandat von UNOSOM 11 spiegelte sich in dem großen Umfang der militärischen Komponente wider. In der Tat bestanden sogar von Anfang an Bedenken, ob eine 28.000 Mann starke Truppe zur Gewährleistung eines sicheren Umfelds in ganz Somalia ausreichen könnte275 . Insbesondere der Vergleich mit UNITAF, die mit bis zu 37.000 Mann im Einsatz in nur 40 % des somalischen Gebietes stand, bestärkte diese Bedenken, denen schließlich nur mit dem Hinweis auf die nach dem Einsatz von UNIT AF erheblich günstigere Ausgangslage begegnet werden konnte 276 Die relativ dünne Personalstärke führte dann im Operationsverlauf auch dazu, daß UNOSOM 11 in den nördlichen Landesteilen nicht stationiert werden konnte 277 . Zwar hatte sich der Generalsekretär zunächst ausdrücklich vorbehalten, den Sicherheitsrat zu einem späteren Zeitpunkt - sofern nötig - um eine Verstärkung von UNOSOM 11 zu bitten278 ; dies wurde dann allerdings alsbald hinfällig, da ab Ende 1993 schon für die Aufrechterhaltung einer Truppenstärke von 28.000 Mann nicht mehr genug Personal bereitstand. Neben dem Gesamtumfang waren auch Ausrüstung und Ausbildung des UNOSOM lI-Militärs von dem Erzwingungscharakter der Operation geprägt. Es waren Kampftruppen notwendig, die u.a. die Fähigkeit zu Nahkampf, indirektem Schießen, Panzerabwehr, dem Abtransport von Toten
272 S.o. 8., 1II., 3., b), aa); vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 3. 3. 1993, UN Doc. S/25354, para. 57. 273 Res. 814 (1993), Zi. 14. 274 Bericht des Generalsekretärs v. 3. 3. 1993, UN Doc. S/25354, para. 57. 275 U.A. von dem militärischen Befehlshaber von UNOSOM 11, dem türkischen Generalleutnant Cevik Bir - vgl. Krabbe in: F AZ v. 2. 6. 1993. 276 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 3. 3. 1993, ON Doc. S/25354, para. 72 f. 277 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 6. 1. 1994, ON Doc. S/1994/12, para. 17.
278 Bericht des Generalsekretärs v. 3. 3. 1993, UN Doc. S/25354, para. 74.
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
und Verwundeten sowie zur Luftunterstützung (Feuerkraft und Transport) mitbringen mußten 279 Obwohl UNOSOM 11 auf die schon bestehende militärische Präsenz der UNO in Somalia aufbauen konnte und zu einem erheblichen Teil aus im Lande verbleibenden UNIT AF Verbänden zusammengesetzt wurde280, traten bei der Dislozierung Schwierigkeiten auf. Zugesagte Truppen wurden von den Entsendestaaten nicht rechtzeitig bereitgestellt, die Ausstattung mancher Einheiten war unzureichend, und die Koordination des Einsatzes der Soldaten aus den verschiedenen Ländern gelang schlecht281 . Das monatelange vergebliche Warten des deutschen Logistikverbandes in Belet Huen auf das indische Kontingent, dessen Unterstützung eigentlich die Hauptaufgabe der Bundeswehr sein sollte282 , ist ein Beispiel für die Abstimmungsschwierigkeiten innerhalb von UNOSOM 11. Diese Schwierigkeiten sind ein Hinweis darauf, daß die vom UNSekretariat organisierte Einsatzleitung den vielfaltigen Anforderungen einer derart umfangreichen und komplexen Operation nicht gewachsen ist. Fraglich ist, inwieweit dieses Problem durch Anpassung der Verfahren und Abläufe im Sekretariat2 83 zu bewältigen ist. Zu ernsthaften Problemen führte bei UNOSOM 11 nach einigen Monaten auch die Angewiesenheit der UNO auf die freiwillige Truppenstellung durch die Mitgliedstaaten. Meinungsverschiedenheiten über die operative Umsetzung des Mandats zur Erzwingung der Entwaffnung der Konfliktparteien hatten bald zur Folge, daß einzelne nationale Verbandskommandeure sich im Einklang mit ihren Regierungen gegen den einheitlichen UNOSOM lI-Oberbefehl stellten2R4 Italien brachte seine Unzufriedenheit mit dem Vorgehen von UNOSOM 11 in Mogadischu sogar durch einen Abzug seiner Soldaten aus der somalischen Hauptstadt zum Ausdruck28s Schließlich beschlossen verschiedene, insbesondere westliche, truppenstellende Länder, ihre Kontingente Anfang 1994 von UNOSOM 11 abzuziehen. Infolgedessen verlor die Operation bis Ende März 1994 über 9.000 Soldaten aus acht westlichen Staaten286 Diese Lücke konnte 279 Bericht des Generalsekretärs v. 3. 3. 1993, a.a.O., para. 77. 28u Bericht des Generalsekretärs v. 3. 3. 1993, a.a.O., para. 96. 281 Bericht des Generalsekretärs v. 17.8. 1993, UN Doc. S/26317, para. 8 f
282 Vgl. Krabbe in: FAZv. 2. 6.1993; Der Spiegel v. 25.10.1993 (43/1993), 32. 283 Z. T. sind hier inzwischen Verbesserungen vorgenommen worden, wie z.B. die Einrichtung eines "Situation Rooms" in New York - Mackinlay, Int. Spect. 1993, 657. Vgl. auch den Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. S/26317, para. 77. 284Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 17.8.1993, UN Doc. S/26317, para. 77. 285 AdG 1993, 38114 A; vgl. auch Fischer in: FAZ v. 16. 7. 1993 sowie den Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. S/26317, para. 77. 286 Es waren dies Belgien, Frankreich, USA, Italien, Deutschland, Türkei, Schweden und Norwegen.
IIr. Somalia
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trotz intensiver Bemühungen des Generalsekretärs nicht mehr gefüllt werden, so daß die Truppenstärke auf 19.700 zusammenschrumpfte287 Dem Sicherheitsrat blieb nichts übrig, als diese Entwicklung hinzunehmen und die' autorisierte Truppenstärke von UNOSOM 11 im Rahmen der Mandatsrevision vom Februar 1994 auf eine Obergrenze von 22.000 Mann zu reduzieren 288 Der westliche Truppenabzug war für UNOSOM 11 um so schmerzlicher, als gerade die aufwendigen Logistikverbände von westlichen Ländern, insbesondere von den USA, gestellt worden waren. Dieser Ausfall war nicht zu kompensieren. 42 Regierungen, bei denen der Generalsekretär um Logistkverbände nachsuchte, erteilten eine Absage, so daß ihm nichts anderes übrigblieb, als Privatunternehmen, vornehmlich aus den USA, mit der Versorgung der Operation zu beauftragen289 Schon die Ankündigung dieses massiven Rückzugs von Personal durch die Mitgliedstaaten hatte im Herbst 1993 den Eindruck vermittelt, UNOSOM II sei dabei auseinanderzufallen, und war im November dann der Hauptauslöser für eine grundlegende Überprüfung des Mandats durch den Sicherheitsrat290 Es zeigt sich hier in aller Schärfe die Schwäche des Prinzips der ad hoc organisierten freiwilligen Truppenstellung durch die Mitgliedstaaten. Militärische Zwangsmaßnahmen in das Mandat einer UN-Friedensoperation einzubeziehen, erhöht das Risiko der beteiligten Soldaten erheblich. Dies wiederum macht es den Mitgliedstaaten schwer, ihr Personal auch dann bedingungslos der operativen Führung durch die UNO zu unterstellen, wenn sie mit dieser Führung konkret nicht einverstanden sind. Da die Stellung von Personal freiwillig geschieht, nimmt es nicht wunder, daß die nationalen Regierungen geneigt sind, ihre Soldaten bei derartigen Meinungsverschiedenheiten wieder abzuziehen. Die Freiwilligkeit der Kontingentstellung führte also bei UNOSOM 11 zu einer äußerst zerbrechlichen Personalbasis - dies vornehmlich, weil Zwangsmaßnahmen zum Bestandteil des Mandats geworden waren. bb) Zivilpersonal Auffallig ist zunächst die völlig untergeordnete Rolle, die das immerhin 2.800 Personen umfassende zivile Kontingent in den Berichten des Generalsekretärs spielt. So ist z.B. in den jeweils der Organisation der Mission gewidmeten Abschnitten in seinen Berichten von August und November 1993 291 neben 287 Bericht des Generalsekretärs v. 6. 1. 1994, UN Ooc. S/1994/12, paras. 37 - 40 und 53.
288 Res. 897 (1994) v. 4. 2. 1994, Zi. 3. 289 Bericht des Generalsekretärs v. 6. 1. 1994, UN Ooc. S/1994/12, para. 43; The Economist v. 16. 4. 1994,52.
290 Res. 886 (1993) v. 18. 11. 1993. 291 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Ooc. S/26317, para. 6; Bericht des Generalsekretärs v. 12. 11. 1993, UN Ooc. S/26738, para. 47.
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detaillierten und nach entsendenden Mitgliedstaaten aufgeschlüsselten Auflistungen aller militärischen Teilnehmer der Operation an keiner Stelle von der Zusammensetzung des zivilen Teils die Rede. Lediglich andeutungsweise wird in einem Satz darauf hingewiesen, daß es Abteilungen für humanitäre Hilfsrnaßnahmen und Wiederaufbau, für politische Angelegenheiten, für Rechtsfragen, für Öffentlichkeitsarbeit und für Verwaltung innerhalb von UNOSOM II gibt292 . Dies steht in scharfem Kontrast zu der genauen und umfangreichen Einsatzplanung bezüglich der zivilen Komponenten, die bei UNTAC zu beobachten war. Das auffallige Übergewicht des Militärs in den ersten Monaten der Operation hatte seinen Grund einerseits in der inhaltlichen Einsatzplanung. Dort war ein Vorgehen in vier Phasen anvisiert worden, von denen die ersten beiden (Übergang von UNIT AF zu UNOSOM II, Konsolidierung der militärischen Aktivitäten von UNOSOM II) primär militärische Aktionen beinhalteten. Erst in der dritten Phase sollte der zivile Aufbau in den Mittelpunkt rücken 293 . Außerdem ist zu bemerken, daß die zivilen Funktionen in Somalia zu einem wesentlichen Teil von anderen UN-Organisationen oder von internationalen, nichtstaatlichen Organisationen übernommen wurden, während UNOSOM 11 hauptsächlich deren Schutz, Koordinierung und Unterstützung zur Aufgabe hatte. Dennoch gehörten verschiedene Zivilkomponenten direkt zu UNOSOM 11. Zunächst ist auch bei dieser Operation wieder ein internationales Polizeikontingent beteiligt gewesen 294 . Da es in Somalia keine funktionierende Polizei mehr gab, die hätte überwacht werden müssen, waren die internationalen Polizeiberater in dieser Komponente von UNOSOM II jedoch vornehmlich mit Ausbildungs- und Rekrutierungsaufgaben mit dem Ziel der Schaffung einer neuen somalischen Polizei betraut295 . Für die Erhaltung der inneren Sicherheit waren demgegenüber nicht die Polizeiberater, sondern das Militär von UNOSOM 11 zuständig. Den juristischen Seiten des Mandats widmeten sich die Mitglieder der für die Rechtsfragen zuständigen Komponenten. Sie hatten die Aufgabe, die Wiedererrichtung des somalischen Gerichtswesens beratend zu begleiten296 , bei der Verfolgung schwerer Straftaten zu helfen297 und die Führung von Haftanstalten und Gefangnissen zu beaufsichtigen29R . In diesen Zusammenhang gehört darüber hinaus eine Menschenrechtsgruppe. die Verstöße
292 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. 8/26317, para. 11. 293 Bericht des Generalsekretärs v. 3. 3. 1993, UN Doc. 8/25354, paras. 80-87. 294 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. 8/26317, Annex I, para. 19. 295 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 12. 11. 1993, UN Doc. 8/26738, para. 34. 296 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. 8126317, Annex I, para. 37. 297 Bericht des Generalsekretärs v. 17.8. 1993, a.a.O., Annex I, para. 38. 29R Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993. a.a.O., Annex I, paras. 42 und 51.
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gegen die Menschenrechte zu untersuchen hatte 299 Die humanitäre Komponente kümmerte sich um die Versorgung der Bevölkerung. Ihre Mitglieder waren in allen Regionen Somalias präsent und beschäftigten sich dort mit der Koordination internationaler Hilfsprogramme und der Erweiterung der Wiederaufbaumaßnahmen300 Die Aufgabe, einerseits die Bevölkerung Somalias30I , andererseits die Weltöffentlichkeit über UNOSOM 11 zu unterrichten, war der Komponente für Öffentlichkeitsarbeit übertragen. Bei der Information der Bevölkerung mit Hilfe von Radioprogrammen302 , einer Zeitung303 und anderen Informationsmitteln waren journalistische sowie sprachliche Qualifikationen vonnöten. Ebensowenig wie das Militär blieb der zivile Teil von UNOSOM 11 von den im Verlauf der Operation auftretenden Personalengpässen verschont. Die ungünstigen Bedingungen, denen die Mitarbeiter von UNOSOM 11 ausgesetzt waren, vor allem die Gefahren für die persönliche Sicherheit, machten es zunehmend schwerer, die zivilen Mitarbeiter im Lande zu einer Verlängerung ihres anfänglich jeweils auf sechs Monate angesetzten Aufenthalts zu bewegen. Die Folge war eine hohe Personalfluktuation unter den Zivilangehörigen der UNOSOM 11, die sich negativ auf Effizienz und Qualität der zivilen Operationsteile auswirkte 304 und Z.B. im Bereich der Minenräumung dazu führte, daß sich in einigen Regionen überhaupt kein internationales Personal für diese Aufgabe mehr bereit fand 305 . cc) Personal - Zusammenfassung Bei der Betrachtung des Personaleinsatzes für UNOSOM 11 zieht zunächst die militärische Komponente, nicht nur wegen ihres Umfangs an sich, sondern auch wegen ihrer Dominanz im Verhältnis zu dem zivilen Teil, die Aufmerksamkeit auf sich. Beides läßt sich unmittelbar auf den Zwangscharakter der Operation zurückführen. Eine Zwangsoperation erfordert eine erheblich größere Feuer- und Durchschlagskraft als eine Mission ohne Kampfauftrag. Auch lenkt der Einsatz von Waffengewalt schon wegen seiner politischen Brisanz alle Konzentration auf die militärischen Aspekte der Operation und drängt
299 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, a.a.O., Armex I, paras. 53 fund 58. 300 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, a.a.O., para. 48. 301 Vgl. dazu oben B., 111., 3., b), bb), (3), (b). 302 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. S/26317, paras. 55 f.
303 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, a.a.O., paras. 60 und 62. 304 Bericht des Generalsekretärs v. 6. I. 1994, UN Doc. S/1994/12, para. 30. 305 Bericht des Generalsekretärs v. 6. I. 1994, UN Doc. S/1994/12, para. 36.
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
zivile Aufgaben in den Hintergrund. Selbst wenn man sich dies vor Augen hält, bleibt es erstaunlich, wie klein sowohl die Anzahl ziviler UNOSOM lI-Mitarbeiter als auch der Raum ist, der ihrer Tätigkeit in den Berichten des Generalsekretärs gewidmet wird. Ebenfalls kann es - zumal im Vergleich zur UNTACMission - dem Beobachter nicht entgehen, daß es dem Zivilpersonal von UNOSOM 11 an präzisen, klar beschriebenen Aufträgen fehlt, die ihrerseits Voraussetzung für eine nachvollziehbare Berechnung des Personalbedarfs sind. Interessanterweise begründet der Generalsekretär in seinen 1993 für den Sicherheitsrat erstellten Berichten über die Operation an keiner Stelle, wie er zu der von ihm angesetzten Zahl von 2.800 Zivilmitarbeitern kommt. Es drängt sich der Eindruck auf, daß der zivilen Seite des Mandats innerhalb der UNO erheblich weniger Aufmerksamkeit gewidmet wurde und daß ihr die klare Zielsetzung fehlte. Schließlich reichte die Zahl der zivilen Mitarbeiter nicht aus, um alle anfallenden zivilen Aufgaben zu erfüllen und eine ordnungsgemäße Verwaltung der Operation sicherzustellen306 . Auf der militärischen Seite hat UNOSOM 11 die Grenzen des aus dem traditionellen Peace-Keeping bekannten und in Ermangelung eigener UN-Truppen oder bestehender Sonderabkommen nach Art. 43 (1) der Charta auch unvermeidlichen Prinzips der freiwilligen Truppenstellung durch die Mitgliedstaaten drastisch vor Augen geführt. Aus den genannten Gründen hat sich dieses Prinzip für Operationen mit Erzwingungscharakter als nur bedingt tauglich erwiesen. Die Erfahrung von UNOSOM 11 zeigt, daß für die Durchführung solcher Operationen unter effizientem, einheitlichem UN-Kommando der Abschluß von Abkommen gern. Art. 43 (1) der Charta eine solidere personelle Basis schaffen würde als die traditionelle Praxis. Ob sie sich tatsächlich erreichen lassen wird, darf allerdings nach wie vor bezweifelt werden, haben die Staaten doch gerade während der Somaliaoperation klar gezeigt, daß sie nicht gewillt sind, auf die Kontrolle über das Schicksal ihrer Soldaten zu verzichten. c) Wertung
Die nur äußerst kursorische und vorläufige Untersuchung der für UNOSOM 11 aufgewandten Ressourcen hat doch bereits deutlich gemacht, daß es sich hierbei personell wie materiell um eine quantitative Dimension handelt, die weit jenseits dessen liegt, was beim traditionellen Peace-Keeping begegnete. Hier spiegelt sich neben dem Erzwingungscharakter dieser Operation auch die gegenüber dem traditionellen Modell neue innerstaatliche AufgabensteIlung
306 Für den Bereich der Verwaltung der Friedensoperation stellt der Generalsekretär dies ausdrücklich in seinem Bericht vom 6. J. 1994, ON Doc. S/1994/12, para. 41 fest.
III. Somalia
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wider, die die Übernahme der Verantwortung für das gesamte Territorium eines Staates erforderlich machte. Demgegenüber bewegt sich die Bereitstellung der erforderlichen Res50urcen eindeutig in den vom traditionellen Peace-Keeping gewohnten Bahnen. Die Verteilung der Kosten der als Ausgabe gern. Art. 17 (2) der Charta eingestuften UNOSOM II auf die Mitgliedstaaten richtete sich nach dem für Peace-KeepingOperationen gültigen Umlageschlüssel. Die Stellung des Personals von UNOSOM II, insbesondere der militärischen Teile der Operation, erfolgte ausschließlich auf der Basis des Prinzips der Freiwilligkeit, das ebenfalls ein traditionelles Charakteristikum von Friedensoperationen ist. Diese Diskrepanz zwischen dem gegenüber den klassischen Peace-KeepingOperationen erheblich gestiegenen Aufwand einerseits und der traditionellen Weise, die erforderlichen Ressourcen bereitzustellen andererseits, führte bei UNOSOM II im Bereich sowohl der Finanzierung als auch der PersonalsteIlung zu Schwierigkeiten. Besonders der massive Truppenabzug und seine Folgen für die Operation führen vor Augen, daß das traditionelle Muster der ad hoc freiwillig bereitgestellten Verbände für schwierige und umfangreiche innerstaatliche Operationen nur begrenzt tauglich ist. Der Verlauf der Somaliaoperation macht die Zerbrechlichkeit dieser Personalbasis sichtbar, die vom Erfolg der beiden bisher betrachteten Operationen UNT AG und UNT AC noch kaschiert wurde. Sobald Friedensoperationen - zumal in Bürgerkriegssituationen - in bewaffnete Auseinandersetzungen geraten, läßt die Neigung der Mitgliedstaaten, ihre Soldaten daran teilnehmen zu lassen, besonders im Westen unter dem Druck einer schnellebigen öffentlichen Meinung, rapide nach. Dies wiederum schwächt sowohl die Operation als auch die Glaubwürdigkeit der UNO insgesamt und verringert dadurch die Chance, zur Lösung komplexer interner Konflikte beizutragen. Gleichzeitig zeigt die Haltung der Mitgliedstaaten aber auch, daß sie offensichtlich nicht bereit sind, ihre Soldaten unwiderruflich der UNO zu überstellen. Wenn dies schon bei einer einzelnen Operation so ist, wird die Neigung der Staaten, der UNO generell Streitkräfte für Friedensoperationen auf Abruf zur Verfügung zu stellen, noch geringer sein. Trotz seiner zutagegetretenen Grenzen wird sich daher an der traditionellen Weise der Truppenstellung kurzfristig wenig ändern lassen.
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8. Peace-Keeping der zweiten Generation
5. Abschluß des Einsatzes - Erfolgskontrolle
Die für UNOSOM 11 grundlegenden Rechtsakte, also die "enabling resolution" 814 (1993) und der Bericht des Generalsekretärs v. 3. 3. 1993, enthalten keine abschließende zeitliche Vorgabe für die Dauer der Operation. In diesem Bericht heißt es dazu lediglich, daß sich die Dauer des Mandats "nur schwer einigermaßen verläßlich voraussagen" lasse307 Erst mehrere Monate nach dem Beginn der Operation. am 22. 9. 1993, äußerte sich der Sicherheitsrat erstmals zu dem von ihm in Aussicht genommenen zeitlichen Gesamtrahmen von UNOSOM 11. In Res. 865 (1993) benennt er die Hauptziele von UNOSOM 11 und bezeichnet ausdrücklich den März 1995 als voraussichtliches Abschlußdatum für die Mission 30R . Dieses Datum war zuvor in einem dem Bericht des Generalsekretärs vom 17. 8. 1993 beigefügten Annex I im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau der somalischen Polizei als geschätzter Endtermin für den Abschluß des Mandats von UNOSOM 11 erstmals aufgetaucht 309, ohne daß der Generalsekretär allerdings die dieser Schätzung zugrundeliegenden Überlegungen offengelegt hätte. Sie ergeben sich auch nicht aus dem Inhalt des Mandats, denn für keines der inhaltlichen Ziele wurde ein fester zeitlicher Rahmen gesetzt. Aus all dem läßt sich erkennen, daß die zu Beginn noch völlig offene Dauer der Operation UNOSOM 11 durch den Sicherheitsrat quasi von außen festgesetzt worden ist, während der Rat bei UNTAG und UNT AC umgekehrt den inhaltlichen Vorgaben der jeweiligen Operation bei der Bemessung des zeitlichen Rahmens gefolgt war. Bei der Betrachtung der inhaltlichen Zielvorgaben von UNOSOM 11 ist an das anzuknüpfen, was die Untersuchung des Mandatsumfangs ergeben hat 310 Die in Res. 814 (1993) der Operation gesteckten Ziele sind außerordentlich vielfaltig. In Ziffer 4 des operativen Teils der Resolution werden sie beschrieben mit "to provide humanitarian and other assistance to the people of Somalia in rehabilitating their political institutions and economy and promoting political settlement and national reconciliation"311 Das Ziel der Operation UNOSOM 11 bestand demnach darin, in Somalia ein einigermaßen funktionierendes Gemeinwesen wiederzuerrichten. Diese Zielsetzung ist ebenso umfangreich wie vage. Anders als in Namibia und Kambodscha, wo der Ankerpunkt des Mandats jeweils die Durchführung einer landesweiten Wahl war, aus der 307 Bericht des Generalsekretärs v. 3. 3. 1993, UN Doc. S/25354, para. 101. 30R Ziffer 4 des operativen Teils.
309 Bericht des Generalsekretärs v.
17. 8. 1993. UN Doc. S/263 17. Annex I, para. 17.
310 S.o. 8., III., 3., c).
311 In Res. 865 (1993), Zi. 4. beschreibt er als die Ziele der UNOSOM 11 die Erleichterung der humanitären Hilfe, die Wiederherstellung von Recht und Ordnung und die Herbeifiihrung der nationalen Aussöhnung in einem freien, demokratischen und souveränen Somalia.
III. Somalia
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dann eine legitimierte Staatsgewalt hervorgehen und die Strukturen der neu zu errichtenden staatlichen Ordnung selbst schaffen konnte, fehlte hier eine derartige Konkretisierung des Operationsziels. Die Möglichkeit, bei der Ausrichtung einer Wahl auf lokaler, regionaler oder nationaler Ebene zu helfen, wird in Res. 814 (1993) nur in einem der 26 Präambelsätze angedeutet3l2 . Der sukzessive Aufbau des Rätesystems hatte zwar einen vergleichbaren Zweck, war aber als Operationsschwerpunkt viel weniger greifbar und wurde niemals zu einem Mittel- und Höhepunkt der Mission, wie es die Wahlen in Namibia und Kambodscha gewesen sind. Die schon bei der Analyse des Umfangs des Mandats erkennbare inhaltliche Unschärfe zeigt sich also auch bei der Zielsetzung der Operation. Das Mandat von UNOSOM II zielt nicht auf ein konkretes, klar beschriebenes Ereignis, das es herbeizuführen galt. Ein zu Beginn offener und erst im Nachhinein - und dann ohne tiefere Begründung - als Zweijahresperiode deklarierter zeitlicher Rahmen zusammen mit einer globalen und wenig konkreten inhaltlichen Zielsetzung der Operation erschwert sowohl eine Erfolgskontrolle als auch die Beendigung des Einsatzes. Die mangels nachvollziehbarer planerischer Herleitung nicht unbedingt zwingend wirkende zeitliche Festlegung auf zwei Jahre ist als Kriterium für den Abschluß der Operation angreifbar. Der Unterschied zu den minutiösen Zeitplänen der Operationen UNT AG und UNT AC macht das deutlich. Die dort jeweils angesetzten Zeiträume hatten einen operativen Hintergrund und eigneten sich daher für einen als Ergebniskontrolle tauglichen Abgleich zwischen Plan und Wirklichkeit, der eine begründete Abschlußentscheidung - in Namibia zehn Tage vor, in Kambodscha drei Wochen nach dem Ablauf des vorgesehenen Zeitraums - ermöglichte. Ein solcher Abgleich ist für UNOSOM II kaum möglich. Ist das Ziel einer Operation ein konkreter Akt wie die Durchführung einer Wahl, so läßt sich die Zielerreichung eindeutig dann feststellen, wenn diese Wahl stattgefunden hat und als fair und frei bestätigt wurde. Demgegenüber sind die Ziele von UNOSOM II so weit formuliert, daß sich ein gewaltiger Beurteilungsspielraum bei der Einschätzung auftut ob diese Ziele erreicht worden sind oder nicht313 Die Entscheidung, die Operation zu einem bestimmten Zeitpunkt abzuschließen, weil sie ihre Ziele erreicht habe, wird dadurch subjektiv und zweifelhaft. Dies gilt für UNOSOM II um so mehr, als besonders die Erleichterung der humanitären Hilfe, die vom Sicherheitsrat als eines der Ziele der Mission bezeichnet wurde3l4, in hohem Maße von der fortdauernden UN-Präsenz in Somalia abhängig ist und daher schon inhaltlich nicht als Kriterium für die Bestimmung des Zeitpunkts taugt, zu dem diese Präsenz beendet werden soll. 3l2 1m 20. Vorspruch.
313 In diesem Sinne auch Wagner, EA 1994,156 f 3l4 Res. 865 (1993) v. 22. 9.1993, Zi. 4.
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B. Peace-Keeping der zweiten Generation
Die mangelnde inhaltliche Bestimmtheit des Mandats zusammen mit der wenig überzeugenden zeitlichen Vorgabe bringt den Abschluß der Operation von zwei Seiten in Gefahr. Einerseits könnte sich die UNO bei der Bemühung um das - wohl utopische - Ziel der umfassenden Lösung des Somaliakonflikts in ein weiteres endloses Blauhelmengagement verheddern. Andererseits könnte das - angesichts des gewaltigen Aufwandes wahrscheinlich unvermeidliche Beharren auf einem pünktlichen Abschluß im März 1995 dazu führen, daß UNOSOM 11 in der Gefahr steht, beendet zu werden, ohne eine politische Stabilisierung Somalias erreicht zu haben. Auch die Modifizierung des Mandats im Februar 1994 hat dieses Dilemma nicht aufgelöst, da auch die Res. 897 (1994) v. 4. 2. 1994 das politische Operations ziel nicht präziser beschreibt als ihre Vorgängerresolutionen315 Bewertend ist daher festzustellen, daß das Fehlen eines klaren und zur Nachprüfung hinreichend konkreten Mandatsziels die UNO in Somalia in eine Operation verwickelt hat, die nur schwer in glaubwürdiger Weise zu Ende gebracht werden kann. Die schon für das traditionelle Peace-Keeping immer wieder betonte politische Voraussetzung eines klaren und eindeutigen Mandats, gilt für Operationen mit komplexen innerstaatlichen Funktionen wie UNOSOM 11 in noch schärferer Weise. Sie sind wegen ihres Aufwandes und wegen ihres tiefgreifenden Einflusses auf die interne Entwicklung eines Landes noch unverrückbarer auf eine zeitlich begrenzte Dauer festgelegt als traditionelle "Puffermissionen" . Glaubwürdig beendet werden können sie aber nur, wenn die gesteckten Ziele erreicht sind beziehungsweise ein nachvollziehbar festgelegter, zeitlicher Rahmen abgelaufen ist. Beides setzt überprüfbare, konkrete Zielvorgaben voraus, an denen es UNOSOM 11 fehlte.
IV. Ergebnis der Fallstudien Das Studium der UN-Friedensoperationen in Namibia, Kambodscha und Somalia ermöglicht es nun, das sich herausschälende Muster des Peace-Keeping der zweiten Generation als Konzept, losgelöst vom Einzelfall, zu beschreiben.
315 Dort lautet die Formulierung des politischen Auftrags der UNOSOM II in Ziffer 2, f) des operativen Teils: "Unterstützung des zur Zeit in Somalia stattfindenden politischen Prozesses, der seinen Höhepunkt in der Einsetzung einer demokratische gewählten Regierung finden soll".
IV. Ergebnis der Fallstudien
209
1. Charakterisierung des Peace-Keeping der zweiten Generation
Dabei soll die Abgrenzung zu dem oben vorgestellten Muster des traditionellen Peace-Keeping im Mittelpunkt stehen, um zeigen zu können, daß es sich in der Tat um eine neue Form des Peace-Keeping handelt. a) Erscheinungsbild
Auch Peace-Keeping der zweiten Generation ist noch Peace-Keeping und nicht etwas wesensmäßig anderes. Das schlägt sich nicht nur in äußerlichen Merkmalen wie den blauen Helmen oder den weißen Autos nieder. Vielmehr läßt sich bei allem Bemühen um eine Abgrenzung doch erkennen, daß die neueren Peace-Keeping-Operationen mit ihrem "traditionellen" Widerpart wesentliche Charakteristika gemeinsam haben. Daher soll die Darstellung dieser Gemeinsamkeiten am Beginn der Beschreibung des Erscheinungsbildes stehen. aa) Gemeinsamkeiten mit dem traditionellen Peace-Keeping Oben wurde das traditionelle Peace-Keeping anhand der Kriterien der Aufgabe, der Zusammensetzung und der rechtlichen Voraussetzungen definiert. Unter allen drei Gesichtspunkten finden sich Übereinstimmungen der untersuchten Operationen mit den traditionellen Friedensoperationen. Im Bereich der rechtlichen Voraussetzungen des Peace-Keeping bestätigen sie zunächst die seit den frühen sechziger Jahren bestehende Beschränkung der Kompetenz zu Autorisierung derartiger Operationen auf den Sicherheitsrat. Keine der untersuchten Operationen ist von einem anderen Organ aufgestellt worden, und der Verlauf der einzelnen Operationen hat deutlich gezeigt, daß der Sicherheitsrat jeweils das letztzuständige Gremium auch im operativen Bereich gewesen ist. Auch die zum traditionellen Peace-Keeping-Konzept zu zählende Regel der gemeinsamen Kostentragung gemäß Art. 17 (2) der Charta gilt genauso für die untersuchten Operationen und hat dadurch eine Verfestigung erfahren. Die Parallelitäten überwiegen sogar bei der Zusammensetzung der Operationen. Der internationale Charakter des eingesetzten Personals hat sich eher noch verstärkt. Die Teilnahme von Personen aus insgesamt 109 Ländern an der Namibia-Operation UNT AGl ist ein klarer Beleg dafür. Auch gehören die ständigen Sicherheitsratsmitglieder, deren Teilnahme früher fast immer still1 UN Chronicle, December 1989, 8. 14 Hufnagel
210
B. Peace - Keeping der zweiten Generation
schweigend ausgeschlossen wurde 2, inzwischen zum Kreis der personalsteIlenden Staaten. Ebenfalls unverändert gültig ist der Grundsatz der Freiwilligkeit bei der Personalrekrutierung. Gerade im Somaliafall hat sich gezeigt, daß die Mitgliedstaaten bis heute nicht bereit sind, sich des Rechtes zu begeben, die von ihnen zur Verfügung gestellten Kräfte unilateral wieder abzuziehen, wenn sie dies für opportun halten 3 . Selbst der den traditionellen Friedensoperationen attestierte primär militärische Charakter ist den neueren Operationen wenigstens auf einer quantitativen Ebene erhalten geblieben. Am dürftigsten fällt die Suche nach den Gemeinsamkeiten bei der von den Operationen zu bewältigenden Aufgabe aus. Zwar lassen sich die klassischen militärischen Aufgaben der Verifizierung und Beobachtung auch hier noch ausmachen. Sie stehen jedoch nicht mehr im Mittelpunkt der Einsätze. bb) Unterschiede zum traditionellen Peace-Keeping Alle drei oben herausgestellten Kriterien beleuchten aber auch Unterschiede der untersuchten Operationen zum traditionellen Peace-Keeping. Bei den rechtlichen Bedingungen der Missionen deutet sich eine Modifikation der bisherigen strikten Trennung zwischen Peace-Keeping und militärischen Zwangsmaßnahmen an, die ihrerseits zu einer Neubewertung der aus dieser Trennung resultierenden Bedingungen des Erfordernisses der Zustimmung aller Konfliktparteien und der grundsätzlichen Gewaltfreiheit von Friedensoperationen führt. Besonders die auf der Grundlage des Kap. VII der Charta durchgeführte Operation UNOSOM II ist ein Meilenstein auf diesem Weg. Auf diese Veränderung wird im Zusammenhang mit der Untersuchung der Rechtsgrundlage noch einzugehen sein4 . Bei isolierter Betrachtung der Zusammensetzung ergeben sich kaum Unterschiede zwischen traditionellem Peace-Keeping und den untersuchten Operationen. Auffällig ist aber eine Bedeutungsverschiebung zwischen militärischer und ziviler Komponente, die eng mit den neuen Aufgaben zusammenhängt. Wenngleich die Militärs nach wie vor zahlenmäßig jeweils den Löwenanteil einer Mission ausmachen, so treten doch die zivilen Teilnehmer hier aus deren Schatten heraus. Stellten sie früher höchstens ein Anhängsel der primär militärischen Operationen dar, so übernehmen sie inzwischen bedeutende Aspekte der Mandate völlig. Entsprechend ist ihre Zahl im Verhältnis zu traditionellen Operationen deutlich angewachsen. Auch nimmt regelmäßig ein ziviles Poli2 Handbuch VN-Rudolph, Ziffer 25. "Friedenstruppen, Rz. 18. 3 S.o. B.. III.. 4 .. b). aa) und c). 4 S.u. C .. 11., I.
IV. Ergebnis der Fallstudien
211
zeiaufgebot an den Einsätzen teil, die, dies ein weiteres Zeichen für die Aufwertung des zivilen Teils, von zivilen Sonderbeauftragten des Generalsekretärs geleitet werdenS. Die hervorstechendste Eigenheit der neuen Operationen ist jedoch ihre Aufgabenstruktur. Einsatzgebiete, Zweck und Inhalt der hier untersuchten Einsätze unterscheiden sich grundlegend vom traditionellen Peace-Keeping. So sind ihre Einsatzgebiete nicht mehr zwischenstaatliche Konflikte, sondern Krisensituationen innerhalb eines Staates. Folglich operieren die Missionen hier nicht mehr im Grenzgebiet zwischen zwei Staaten, sondern sind im gesamten Staatsgebiet eines Landes disloziert. Dort haben sie die Aufgabe, am staatlichen Wiederaufbau mitzuwirken, und sind selbst an der politischen Lösung interner Konflikte beteiligt. Ihr Zweck ist kein statisch-bewahrender mehr, sondern auf die dynamische Entwicklung einer innerstaatlichen Situation hin gerichtet. Dies schlägt sich im Inhalt der Mandate nieder. Die Fallstudien haben gezeigt, daß die UN-Operationen umfangreiche administrative Aufgaben in den jeweiligen Ländern übernommen haben. Sie haben in alle drei klassischen Staatsgewalten hineingewirkt und teilweise hoheitliche Gewalt übernommen. Kernaufgaben waren regelmäßig vor allem aufbauende, in die Zukunft weisende Funktionen wie die Schaffung legitimierter Volksvertretungen - in Namibia und Kambodscha durch Wahlen, in Somalia auf der Basis traditioneller Auswahlverfahren -, Ausbildung, Aufbau einer Polizei, Menschenrechtserziehung oder die Förderung der Gesetz- und Verfassungsgebung 6 . Von einer zwischenstaatlichen "Pufferfunktion" kann angesichts dieses Befundes keine Rede mehr sein. Diese grundlegende Aufgabenverschiebung hat ihrerseits Rückwirkungen auf die äußere Gestalt der Operationen. Die umfangreichen Funktionen erfordern personell wie materiell erheblich größere Ressourcen, als dies bei Einsätzen nach dem traditionellen Muster regelmäßig der Fall ist. Es nimmt daher nicht wunder, daß die untersuchten Operationen zu den größten und teuersten in der Geschichte des UN-Peace-Keeping gehörten. Für den Personalbereich gilt nichts anderes. Die untersuchten Missionen hatten nicht nur zahlenmäßig einen hohen Bedarf, die Fülle der zu übernehmenden Aufgaben wie auch die Größe des abzudeckenden Gebietes erforderten darüber hinaus im zivilen wie im militärischen Bereich besondere Fähigkeiten und Qualifikationen des eingesetzten Personals. Obwohl sie natürlich unmittelbar von der neuen Aufgabenstruktur abhängt, kann die quantitative und qualitative Dimension der OperaS Bezüglich dieser Merkmale ist die UNOSOM II in Somalia eine "halbe" Ausnahme. Das sehr weit gehende Erzwingungsmandat und besonders die starke amerikanische Beteiligung an den Kampfeinheiten veranlaßten den Generalsekretär hier, mit dem ehemaligen US-Admiral Howe einen Ex-Militär zum Sonderbeauftragten zu bestellen. 6 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs vom 3. 1. 1995, UN Doc. S/1995/1 und 21.
=
A/50/60, paras. 20
212
B. Peace - Keeping der zweiten Generation
tionen wegen ihrer Signifikanz doch als ein weiterer Gesichtspunkt benannt werden, der die Friedensoperationen der zweiten Generation vom traditionellen Peace-Keeping abgrenzt. cc) Ergebnis Das sich als Destillat der Fallstudien ergebende Erscheinungsbild der Friedensoperationen der zweiten Generation weist noch ein hinreichendes Ausmaß an Gemeinsamkeiten mit dem traditionellen Konzept auf, um es als eine Modifikation dieses traditionellen Konzepts und damit noch als UN-PeaceKeeping und nicht als etwas wesensmäßig anderes zu deuten. Der auffälligste Unterschied und damit das Hauptcharakteristikum des Peace-Keeping der zweiten Generation ist ihr neuartiges Aufgabenspektrum, in dessen Mittelpunkt ein innerstaatlicher Aufbau steht. Alle anderen Abweichungen vom traditionellen Konzept - von der Betonung der zivilen Komponente bis hin zu der neuen Dimension dieser Einsätze - hängen damit zusammen7 h) Treuhänderischer Charakter
Die als herausragendes Merkmal der neuen Form des Peace-Keeping identifizierte Aufgabe der Übernahme innerstaatlicher Funktionen mit dem Ziel, innerhalb eines Landes politische Stabilität und staatliche Ordnung neu- oder wiederaufzubauen, erinnert an das Treuhandsystem der Charta, und es ist nicht umsonst im Zusammenhang mit den neuen Friedensoperationen immer wieder von einer "Treuhand" die Rede gewesen8 Dies legt es nahe zu prüfen, ob es sich bei dieser Ähnlichkeit um einen rein äußerlichen Eindruck handelt oder ob das Peace-Keeping der zweiten Generation tatsächlich als Instrument zur Übernahme treuhänderischer Funktionen durch die Weltorganisation taugt, ob es sich als eine Art "neue Treuhand" bezeichnen läßt. Daß das Treuhandsystem selbst als Grundlage einer Reaktion auf die von den neuen Peace-Keeping-Operationen übernommenen Aufgaben nicht in Frage kommt, wurde bereits dargestelle. Dennoch taugt es als Ausgangspunkt
7 Das gilt auch fur die angedeutete Verschiebung der rechtlichen Grundlage in das Kap. VII, die gerade im Kontext innerstaatlicher Konflikte notwendig werden kann. Siehe dazu eingehend unten C., 11.
8 Vgl. den 3. Bericht des Foreign Affairs Committee des britischen Unterhauses über die Rolle der Vereinten Nationen v. 23. 6. 1993, para. 88; Matthies, VN 1993,45; Sullivan in Newsweek v. 18. 1. 1993, 8. 9 S.o. A.,
1., 1., b).
IV. Ergebnis der Fallstudien
213
für eine inhaltliche Bestimmung des Begriffs der "treuhänderischen Funktionen" und damit als Basis für den Vergleich mit den Funktionen der Friedensoperationen der zweiten Generation. Das alte Treuhandsystem läßt sich anhand von vier Kriterien beschreiben. Es sind dies die Zielgebiete, der Zweck, der Inhalt und der Abschluß der Treuhandverwaltung. Zielgebiete der Treuhandverwaltungen des klassischen Treuhandsystems der Charta waren in Fortführung des Mandatssystems des Völkerbundes vormalige Kolonialgebiete, die aufgrund ihres niedrigen Entwicklungsniveaus als zu einer Selbstregierung noch nicht befähigt angesehen wurden 10 Diese Gebiete sollten von der kolonialen Verwaltung in die Selbstregierung überführt werden, eine Aufgabe, die sich historisch inzwischen weitgehend erledigt hat n Die Zielgebiete der neuartigen Operationen gehören teilweise ebenfalls noch in diese Kategorie. Darüber hinaus handelt es sich regelmäßig um solche Staaten, die bereits Selbständigkeit erlangt haben, die aber innerlich so zerrüttet sind, daß ihre eigenständige staatliche Lebensfähigkeit nicht mehr gegeben ist. Gemeinsam ist all diesen Aktivitäten, daß sie in Gebieten anfallen, deren Staatlichkeit - jedenfalls zeitweilig - nicht gefestigt genug ist, um die eigenverantwortliche Lebensfähigkeit sicherzustellen. Bezüglich des zweiten Kriteriums ist bereits dem Begriff der Treuhand (trust) der Zweck immanent, die zur treuen Hand übernommenen Befugnisse zum Wohle der Nutznießer, im völkerrechtlichen Kontext also der Bewohner des betroffenen Landes, auszuüben 12 Das ist der Inhalt des dem Treuhandsystem der Charta zugrundeliegenden jahrhundertealten "sacred trust"-Prinzips13 Dieses greift Art. 76 auf und konkretisiert unter dem Buchstaben b) die Förderung der Entwicklung als den Hauptzweck treuhänderischer Verwaltung 14 Damit erscheint die Ziel gerichtetheit als ein unabdingbarer Bestandteil des Konzepts der Treuhand. Bei der treuhänderischen Verwaltung eines Gebietes geht es folglich nicht um die bloße Verwaltung als solche, sondern um die Erreichung eines bestimmten Ziels. Insofern wohnt dem völkerrechtlichen Treuhandgedanken ein finales Element inne. Im klassischen Treuhandsystem beschrieb Art. 76 b) dieses Ziel als "self-government or independence"15 Auch dieses Merkmal läßt sich bei den in dieser Arbeit betrachteten Fällen erkennen. 10 Vgl. Art. 22 (1) des Völkerbundpakts: "(... ) peoples not yet able to stand by tbemselves under tbe strenous conditions ofthe modem world ( ... )".
11 Charta der UN, Kommentar-Rauschning, Art. 75, Rz.
l.
12 Kelsen, 566. 13 Charta der UN, Kommentar-Rauschning, Art. 75, Rz. 2. 14 Rauschning, EPIL, Bd. 5,370: Kelsen, 569. 15 In der Praxis fiihrte politischer Druck in der UNO allerdings bald dazu, allein die schnelle Unabhängigkeit der Mandatsgebiete als Ziel der Treuhandverwaltung anzusehen - vgl. Bowett, InternationalInstitutions, 78.
214
B. Peace - Keeping der zweiten Generation
Da es sich bei den hier betroffenen Ländern allerdings weitgehend um bereits selbständige Staaten handelt, geht es dort in der Regel nicht mehr um die Erreichung des Status der Unabhängigkeit, sondern vielmehr um die Schaffung der Voraussetzungen dafür, diesen Status durch staatliche Selbstregierung tatsächlich ausfüllen zu können. Dazu müssen Ordnung und Stabilität hergestellt, die Grundstrukturen eines funktionsfähigen Staatswesens neu aufgerichtet und mit Legitimation versehene staatliche Institutionen eingesetzt werden l6 Normative Ansatzpunkte dieser Zielbestimmung sind vor allem das in Art. 1 (2) festgeschriebene Selbstbestimmungsrecht, das nicht nur - negativ - zu respektieren, sondern dessen Wahrnehmung durch die Bevölkerung des verwalteten Gebietes auch - positiv - zu fördern ist, sowie die in Art. 1 (3) - und auch in Art. 76 c) für das Treuhandsystem der Charta - betonte Förderung der Menschenrechte, deren Achtung Grundvoraussetzung einer staatlichen Ordnung ist. Diese normativen Ansätze führen natürlich dazu, daß die treuhänderische Funktion nicht völlig wertneutral ausgeübt werden kann l7 . Ihr liegt vielmehr eine Vorstellung von "good governance" zugrunde, die den demokratischen Aspekt des Selbstbestimmungsrechts und die Achtung der Menschenrechte als inhaltliche Vorgaben des staatlichen Neuaufbaus einschließtIR. Insgesamt teilen die untersuchten Operationen mit dem Treuhandsystem also die Eigenschaft, daß sie - in Abgrenzung zu der internationalen Verwaltung eines Gebietes ohne diesen Entwicklungszweck - final auf das Ziel der Errichtung eigenstaatlicher Lebensfähigkeit hin gerichtet sind. Eng mit dem Zweck verknüpft ist der Inhalt, d.h. das operative Erscheinungsbild der treuhänderischen Verwaltung. Die Aufgabe, staatliche Strukturen zu errichten, erfordert eine umfangreiche, alle vitalen Bereiche erfassende Einwirkung auf die zivile Verwaltung mit dem Schwerpunkt auf zukunftswirksamen Tätigkeiten wie z.B. Ausbildung und Erziehung, Aufbau der Infrastruktur oder Errichtung einer Rechtsordnung. Herstellung und Erhaltung politischer Stabilität und Ordnung setzen auf politischer Ebene die Förderung eines nationalen Versöhnungsprozesses sowie auf operativer Ebene den Einsatz hinreichender militärischer und polizeilicher Kräfte mit Beobachtungs- und Verifikations-, gegebenenfalls sogar mit Durchsetzungs- und Vollzugsaufgaben voraus. Dies alles läßt sich auch bei den hier untersuchten Operationen erkennen l9 , wenngleich der Treuhandgedanke gerade im Bereich des Inhalts der Verwaltung natürlich erhebliche Spiel räume läßt, um den Umfang der Administration dem Ausmaß erforderlicher Aufbauhilfe anzupassen. So mag z.B. in einem Fall militärische Zwangsgewalt nötig sein, im nächsten hingegen nicht, 16 Vgl. Boutros-Ghali, Vortrag v. 25. 3. 1993, UN Press Release SG/SM/1423. 17 In diesem Sinne auch Bardehle in: Kühne, Blauhelme, 210. 18 S.u. D., 1., 2., a).
19 Vgl. im einzelnen unten D., 1., 2., a).
IV. Ergebnis der Fallstudien
215
oder es mag hier die Überwachung der Wahl genügen, während dort ihre gesamte Ausrichtung von der UNO übernommen werden muß. Vor diesem Hintergrund tritt hier die bei der klassischen Treuhand strittige Frage der Souveränität20 über das verwaltete Gebiet ebenso zurück, wie die damit zusammenhängende Problematik der formalen Verteilung innerstaatlicher Hoheitsgewalt zwischen UN-Adrninistration und einheimischen Behörden. Während es die klassische Treuhand noch kennzeichnete, daß die Mandatsmacht Trägerin der Hoheitsgewalt im Treuhandgebiet war, so ist dieses formale Kriterium der Übernahme von Hoheitsgewalt in den hier untersuchten Fällen kein notwendiger Bestandteil der Operation, kann aber als Indikator für den Umfang der übernommenen administrativen Funktionen dienen. Zusammenfassend läßt sich bezüglich des Inhalts der Verwaltung als Gemeinsamkeit der klassischen Treuhand mit den neuen Operationen festhalten, daß kennzeichnend für beide der Einsatz umfassender militärischer und ziviler Kräfte ist die intensiv in alle vitalen Bereiche staatlicher Verwaltung hineinwirken. Schließlich ist der Abschluß der treuhänderischen Verwaltung als ein Kennzeichen des Treuhandkonzepts genannt worden. Unmittelbar abhängig vorn Zweck der Treuhand handelte es sich schon bei der klassischen Treuhandverwaltung immer nur um eine zeitlich begrenzte Übergangsperiode 21 , wenngleich ein vorher festgesetzter zeitlicher Rahmen die Ausnahme blieb22 Die Beschränkung auf eine Übergangsphase läßt sich ohne weiteres auf die untersuchten Operationen übertragen. Mit Erreichung des Entwicklungszwecks endet auch die UN-Verwaltung. Die Tatsache, daß es sich bei den Zielstaaten jetzt regelmäßig um unabhängige Länder handelt, legt eine eher kurze Dauer der treuhandähnlichen Verwaltung nahe, ohne daß sich daraus aber die zwingende Erforderlichkeit eines festgelegten zeitlichen Rahmens ergibt. Treuhänderische Funktionen sind demnach zeitlich begrenzte Aktivitäten, die spätestens mit Zweckerreichung enden. Insgesamt lassen sich "treuhänderische Funktionen" also wie folgt zusammenfassen: (1) Ihr Zielgebiet sind zeitweillig nicht selbst lebensfähige Staaten: (2) sie sind final auf das Ziel hin gerichtet, eigenständige und selbstbestimmte staatliche Lebensfahigkeit unter Achtung der Menschenrechte zu erreichen; (3) sie beinhalten eine umfangreiche Einwirkung auf die vitalen und insbesondere die zukunftswirksamen Bereiche staatlicher Verwaltung durch zivile und militärische Kräfte und (4) sie sind auf eine Übergangsperiode beschränkt. Diese Merkmale sind durchgehend. wenngleich zum Teil mit leichten Modifikatio20 Vgl. dazu Charta der UN, Kommentar-Rauschning, Art. 75, Rz. 15; Leyser, ArchVR 1962/63, 270; Kelsen, 688-694. 21 Charta der UN, Kommentar-Rauschning, Art. 76, Rz. l. 22 Die italienische Treuhandverwaltung in Somalia war auf zehn Jahre terminiert - Charta der UN. Kommentar-Rauschning, Art. 76, Rz. 26.
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B. Peace - Keeping der zweiten Generation
nen, im Erscheinungsbild der untersuchten neuartigen Friedensoperationen wiederzufinden. Der Vergleich mit der Treuhand ist also kein rein äußerlicher, sondern erweist sich als eine adäquate Beschreibung des herausragenden Merkmals der neuen Form des Peace-Keeping. Die Übernahme treuhänderischer Funktionen im Inneren eines Landes als Hauptaufgabe ist das Charakteristikum, welches die zweite Generation der Friedensoperationen ebenso prägnant beschreibt, wie die "Pufferfunktion" das traditionelle Konzept bezeichnete. Schlagwortartig ist das Peace-Keeping in der zweiten Generation vom "Puffer" zur "Neuen Treuhand" erwachsen. 2. Systematisierung in Fallgruppen
Aus den Fallstudien läßt sich aber nicht nur die einheitliche Konzeption der neuen Form des Peace-Keeping gewinnen. Vielmehr sind auch innerhalb dieses neuen Konzepts des Peace-Keeping der zweiten Generation Differenzierungen erkennbar, die einer systematisierenden Beschreibung zugänglich sind. Gleichermaßen ist es möglich, die jeweiligen Einsatzfelder der einzelnen Ausprägungen der Friedensoperationen der zweiten Generation typisierend zu beschreiben. a) Typologie der neuen Form des Peace-Keeping
Ausgehend von der soeben getroffenen Unterscheidung zwischen traditionellem Peace-Keeping und der neuen Form des Peace-Keeping der zweiten Generation läßt sich anhand ihrer jeweiligen Funktionen eine Art Typologie der Blauhelme entwickeln, in der dann auch die hier untersuchten, treuhänderischen Operationen in ihren Verästelungen ihren Platz finden. Die Unterscheidung zwischen der klassischen "Pufferfunktion" im weitesten Sinne und der neuartigen Übernahme treuhänderischer Aufgaben steht dabei am Anfang. Dazu ist allerdings zu bemerken, daß auch die mit traditionellen Aufgaben betrauten Peace-Keeping-Operationen in den letzten Jahren mit neuen Instrumenten ausgestattet worden sind23 Weiterhin soll nicht unerwähnt bleiben, daß unter den vielfaltigen neuen Aufgaben, die für UN-Peace-Keeping vorgeschlagen werden, auch solche sind, die sich nicht zwanglos in eine der beiden Kategorien einordnen lassen. Die Freihaltung internationaler Seewege24 23 Siehe unten C., 11., 1., a): Beispielsweise sind die Beobachtermissionen UNIKOM und UNIIMOG ebenso wie die Friedensoperation UNPROFOR in den letzten Jahren ausdrücklich auf Kap. VII der Charta gestützt worden. 24 Vgl. Mackinlay/Chopra, Washington Quaterly, Summer 1992,117.
IV. Ergebnis der Fallstudien
217
oder der Kampf gegen den Drogenhandel25 seien als Beispiele dafür genannt. Da es sich hierbei jedoch zur Zeit erst um potentielle Aufgabengebiete handelt, soll hier davon abgesehen werden, sie in die Typologie einzubeziehen. Die nächste Einteilung, .die in jeder der beiden Obergruppen zu finden ist, ist diejenige zwischen selektiven und umfassenden Operationen. Während erstere auf einen Teilaspekt, auf eine sachlich begrenzte Teilaufgabe aus dem jeweiligen Gesamtbereich beschränkt sind, handelt es sich bei letzteren um die umfassende Übernahme der als Obergruppe genannten Aufgabe. Bei den traditionellen Peace-Keeping-Operationen spiegelt sich diese Unterscheidung weitgehend in der Differenz zwischen Friedenstruppen und Beobachtermissionen26 . Bei der hier interessierenden neuen Form des Peace-Keeping läßt sich eine parallele Unterscheidung ausmachen. So sind manche der neueren Operationen von vorneherein auf die Durchführung oder Überwachung eines Teilbereichs treuhänderischer Verwaltung wie z.B. die Wahlüberwachung27 oder die Flüchtlingsrepatriierung28 beschränkt, während andere ein umfassendes Mandat haben29 Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, daß Operationen, die mit selektiver Zielsetzung gestartet wurden, in umfassende Einsätze umgewandelt werden. UNOSOM, das als humanitäre Hilfsaktion begann30 , ist ein Beispiel dafür. In dieser grundlegenden Einteilung finden sich alle drei untersuchten Operationen in der Kategorie der umfassenden, treuhänderischen Peace-KeepingEinsätze. Dennoch weisen sie für die rechtliche Würdigung bedeutungsvolle Unterschiede auf. Die Intensität der UN-Einwirkung auf die innere Administration ist nicht in allen Fällen gleich. Vielmehr lassen sich, eng zusammenhängend mit der unterschiedlichen Fundierung der UN-Verantwortung in den einzelnen Fällen, drei Stufen des Engagements unterscheiden 31 .
20.
25 Vgl. Diehl/Kumar, Bull. of Peace Proposals, Vol. 22 (1991), 374; Kühne in: ders., Blauhelme, 20 Vgl. Handbuch VN-Rudolph. Ziffer 25. "Friedenstruppen", Rz. 2.
27 So bei UNAVEM 11, Sicherheitsratsres. 696 (1991) v. 30. 5. 1991 in Verbindung mit dem Bericht des Generalsekretärs v. 20.5. 1991, UN Doc. S/22627. 28 So bei UNGOMAP, Sicherheitsratsres. 622 (1988) v. 31. 10. 1988 in Verbindung mit dem Brief des Generalsekretärs v. 22. 4. 1988, UN Doc. S/19835.
29 So bei UNT AG und UNT AC, s.o. B., 1., 3. und B., 11., 3. 30 S.o. B.,
III., 2., a).
31 Ähnlich Helman/Ratner, Foreign Policy, No. 89 (Winter 1992/93), \3 ff, die allerdings die dritte
Stufe rur mit der Charta unvereinbar halten. Diese könne nämlich nur auf eine Neubelebung des alten Treuhandsystems der Charta gestützt werden, die ihrerseits durch Art. 78 ausgeschlossen sei. Nach der hier vertretenen Auffassung ist demgegenüber das Kap. VII der Charta eine taugliche Rechtsgrundlage rur die 3. Stufe des UN-Engagements. Siehe dazu eingehend unten C., 11., 2.
218
B. Peace • Keeping der zweiten Generation
Die erste dieser drei Stufen, die am wenigsten intensive Einsatzform, ist die begleitende Beteiligung der UN-Kräfte an dem staatlichen Aufbau des betroffenen Staates. In dieser Form unterstützt die UN-Mission die (noch) bestehende effektive Regierung des Landes bei der Durchführung derjenigen Schritte, die erforderlich sind, um dieses Land entweder zu stabilisieren oder in die Unabhängigkeit zu führen. Die Unterstützung ist dabei eng verbunden mit einer internationalen Kontrolle dieser Entwicklung daraufhin, daß sie völkerrechtlichen Standards genügt. Entsprechend fallen Wahlbeobachtung und Kontrolle der Sicherheitskräfte in den hier zu erfüllenden Aufgabenrahmen. Auch die Übernahme einzelner Verwaltungsaufgaben durch UN-Angehörige ist möglich, bleibt jedoch subsidiär gegenüber der existierenden Staatsgewalt und wird sich in der Regel auf Lückenfüllung und Hilfestellung beschränken. Eigene Hoheitsgewalt übernehmen die UN-Kräfte hingegen nicht. Eine solche Art von Peace-Keeping der zweiten Generation begegnete im Fall Namibias. Diese Form der Unterstützung der Verwaltung ist auch der Modus selektiver Operationen wie der reinen Wahlüberwachung. Es handelt sich auf dieser ersten Stufe also um Unterstützung der Administration durch die UNO. Auf der zweiten Stufe geht die UN-Verantwortung weiter. Sie ist gekennzeichnet durch die Delegation von Teilen der Administration auf die UNKräfte. Hier übernimmt die UNO eigene Hoheitsgewalt in dem betroffenen Staat. Diese Form des Engagements setzt zwar noch das Vorhandensein einer den Staat repräsentierenden Autorität voraus, die ihrerseits die Hoheitsgewalt auf die UNO transferiert und auch selbst ein Mitspracherecht behält. Anders als bei der ersten Stufe muß es sich bei der staatlichen Autorität hier jedoch nicht mehr um eine effektive Regierung handeln. Ein die verschiedenen Fraktionen in einem zerrütteten Staatswesen umfassendes Gremium oder sogar ein einmaliger Zusammenschluß dieser Fraktionen reicht aus, um der UN-Operation die nötige Legitimation zu verschaffen. Gegebenenfalls übernimmt es diese dann, eine effektive Übergangsverwaltung einzurichten, mit der das Land in eine neue Staatlichkeit geführt werden kann. Eine Vorgehensweise nach diesem Muster ist bei der UNT AC in Kambodscha zu konstatieren. Auf dieser zweiten Stufe liegt somit bereits Mitverwaltung durch die UNO vor. Die am weitesten gehende Variante treuhänderischer Verantwortungsübernahme durch die UNO in einzelnen Staaten ist die völlige Übernahme der Staatsgewalt ohne vorherigen Delegationsakt. Diese Eingriffsform, bei der eine Zustimmung der im Lande befindlichen Akteure nicht mehr eingeholt wird, setzt folgerichtig auch das Vorhandensein einer Rest-Autorität, die für das betroffene Gebiet spricht, nicht mehr voraus. Die UNO wird hier zum Träger aller staatlichen Gewalt, die sie treuhänderisch zum Nutzen des Landes mit dem Ziel seiner Entlassung in eine wiederhergestellte Staatlichkeit ausübt. Insofern kann man diese Eingriffsform als echte Treuhandverwaltung (zeitweilig) unselbständiger Gebiete bezeichnen. Neben der umfassenden administrativen
IV. Ergebnis der Fallstudien
219
Verantwortung, die diese Form der UN-Verwaltung mit sich bringt, ist das charakteristische Merkmal der dritten Stufe die Tatsache, daß die UN-Operation die Legitimation für ihre Tätigkeit nicht mehr auf eine Zustimmung der Parteien gründen kann, sondern diese unmittelbar aus der Charta schöpfen muß. Zu einer Mission diesen Zuschnitts hat sich UNOSOM 11 in Somalia entwickelt. Die dritte Stufe rechtfertigt es, von einer Alleinverwaltung durch die UNO zu sprechen. Dem gerade gezeichneten Bild von den drei Stufen des Engagements der UNO muß sofort eine Einschränkung angefügt werden. Es handelt sich bei diesen Stufen keineswegs um ausschließliche Kategorien. In der Praxis sind vielmehr Vermischungen der den verschiedenen Intensitätsstufen zugeordneten Aktivitäten im Detail ebenso möglich wie der Übergang von einer Stufe zur anderen im Verlauf einer Operation. Dennoch erscheint diese Darstellung hilfreicher als die in der Literatur zum Teil anzutreffende Beschreibung der Bandbreite des Peace-Keeping als "Kontinuum"32, da sie die qualitativen Unterschiede zwischen den verschiedenen möglichen Ausprägungen des PeaceKeeping der zweiten Generation schärfer vor Augen führt. Anders als die Vorstellung von einem Kontinuum, die ein unkontrolliertes "Hineinschlittern" in immer intensivere Formen der Einwirkung geradezu fördert, bietet die Erkenntnis, von einer Stufe zur nächsten überzugehen, allen Beteiligten - vom betroffenen Land über die personalsteIlenden Mitgliedstaaten bis hin zum Sicherheitsrat - ein berechenbares Bild von der Entwicklung einer Operation. Diese typisierende Einteilung darf hingegen keineswegs als Korsett verstanden werden. b) Typologie der Einsatz/eider
In engem Zusammenhang mit der Typologie der treuhänderischen Friedensoperationen der zweiten Generation steht die Systematisierung derjenigen Krisensituationen, auf die diese Operationen eine Antwort darstellen. Aus den untersuchten Fallstudien lassen sich typische Krisensituationen herausdestillieren und den beschriebenen drei Stufen des UN-Engagements zuordnen. Auf diesem Weg wird es möglich sein, die Nützlichkeit jeder der drei Einsatzvarianten für die Bewältigung solcher Krisensituationen zu bewerten, die die internationale Gemeinschaft in der Zukunft wahrscheinlich beschäftigen werden.
32 Z.B. von Weiss, Washington Quarterly, Winter 1993, 61; Mackinlay/Chopra, Washington Quarterly, Summer 1992, 116; Weiss in: Kühne, Blauhelme, 189; gegen das Bild vom "Kontinuum" wendet sich auch der UN-Generalsekretär in seinem Bericht vom 3. 1. 1995, UN Doc. S/1995/1 = A/50/60, para. 36.
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B. Peace - Keeping der zweiten Generation
Die erste Stufe fand in Namibia Anwendung. Dort ging es letztlich um ein Dekolonisationsproblem. Die UNTAG konnte sich auf die funktionierende Verwaltung durch die Kolonialmacht Südafrika stützen. Ein vergleichbarer Fall, in dem es ebenfalls um den Abschluß des Dekolonisierungsprozesses geht, ist die West-Sahara. Hier ist eine Operation in einer der UNT AG vergleichbaren Form denkbar und - als MINURSO - bereits vorgesehen 33 . Die tatsächlichen Voraussetzungen einer Operation der Stufe 1 existieren aber nicht nur im Kontext der Dekolonisation. Auch schon unabhängige Staaten, in denen eine einigermaßen effektive Regierung besteht, deren wirtschaftliche und politische Institutionen aber so instabil sind, daß der Zusammenbruch droht, könnten Kandidaten für diese Form treuhänderischer Verantwortung der UNO werden. In dieser Kategorie lassen sich manche junge Staaten Osteuropas oder Afrikas 34 wie auch südamerikanische Länder denken. Die Stufen der MitverwaItung und der Alleinverwaltung wurden für die Fälle Kambodscha und Somalia herangezogen. Kambodscha war durch jahrzehntelangen Bürgerkrieg, das Terrorregime der Roten Khmer und die vietnamiesische Besatzung völlig zugrundegerichtet3S , Somalia nach dem Sturz der Regierung Barre 1991 binnen eines Jahres in eine totale Anarchie zerfallen 36 . Der Unterschied zwischen bei den Situationen besteht darin, daß sich im ersten Fall die beteiligten Parteien noch einigermaßen klar erkennen ließen, während davon in Somalia keine Rede mehr sein konnte. Die typische Krisensituation, auf die beide Varianten des Peace-Keeping der zweiten Generation reagierten, ist also das oben beschriebene Phänomen des desorganisierten Staates, der die Fähigkeit zu eigenverantwortlicher Existenz verloren hat. Als eine Folge der neuen Weltlage, quasi als eine "Altlast des Kalten Krieges", verspricht diese Erscheinung ein weites Anwendungsgebiet für die in Kambodscha und Somalia entwickelten Varianten treuhänderischer Verantwortungsübernahme für einzelne Staaten durch die UNO zu werden. Daneben läßt sich eine UN-Operation auf der Stufe 2, also in Form der Mitverwaltung oder sogar der Alleinverwaltung auf der Basis eines Transfers von Hoheitsgewalt auch im Kontext der Dekolonisierung vorstellen. Dies könnte dann erforderlich werden, wenn sich die Fortführung der Verwaltung durch die alte Kolonialmacht während der Übergangsphase aus politischen Gründen verbietet37
33 Res. 690 (1991) v. 29. 4. 1991 des Sicherheitsrats; Bericht des Generalsekretärs über die Arbeit der Organisation vom 10.9. 1993, UN Doc. A/48/1, para. 402. 34 Helman/Ratner, Foreign Policy, No. 89 (Winter 1992/93), 13 nennen exemplarisch Georgien und Zaire. 3S S.o. B., II., 1., d). 36 S.o. B., III., 1., c).
37 So ist es zum Beispiel in dem frühen Fall West-Neu guinea 1962 gewesen, wo die UNTEA von der niederländischen Kolonialmacht die Administration des Gebiets übertragen bekam - vgl. Bothe, 60;
IV. Ergebnis der Fallstudien
221
Zusammenfassend lassen sich die weltweiten Krisensituationen, in denen das Instrument der Friedensoperationen der zweiten Generation in seinen drei beschriebenen Intensitätsstufen eine Reaktionsoption der internationalen Gemeinschaft darstellt, wie folgt typisieren: Einerseits handelt es sich um DekoIonisierungssituationen, andererseits um Fälle instabiler Staaten, wobei sich letztere, abhängig vom Ausmaß des staatlichen Zusammenbruchs im Einzelfall, ihrerseits in drei Untergruppen einteilen lassen: den instabilen Staat, der zu zerbrechen droht, den schon zusammengebrochenen Staat mit noch erkennbarer Repräsentation und schließlich den in Anarchie versunkenen Staat ohne erkennbare Repräsentation. Während der Dekolonisierungsprozeß weitgehend abgeschlossen ist 38 , wird das Phänomen des instabil werdenden Staates aus den angedeuteten Grunden in der nahen Zukunft vermehrt auftreten und eine der großen Herausforderungen der Weltorganisation werden.
Bowett, 257 f; Seyerstedt, 76 f (allerdings mit dem Hinweis darauf, daß die Souveränität über das Gebiet möglicherweise nicht auf die UNTEA übergegangen ist). 38 Allerdings sind noch Rest-Fälle zu finden. Die West-Sahara ist ein Beispiel, Neu-Kaledonien könnte ein anderes werden - vgl. zur Situation Neu-Kaledoniens Islam, Indian Journal of International Law, Vol. 29 (1989),1 ff.
C. Rechtsgrundlage Nachdem bis hierhin einige derjenigen jüngeren Fälle des Einsatzes von UN-Friedensoperationen, die aufgrund ihres Aufgabenschwerpunkts an das Treuhandsystem erinnern, aufgearbeitet und systematisiert wurden, wird es nunmehr darum gehen, die konstitutionelle Basis dieser Art von Friedensoperationen zu bestimmen, die Rechtsgrundlage der zweiten Generation des PeaceKeeping in der UN-Charta.
I. Die Aufgabe - Wahrung des Weltfriedens Die Fallstudien haben ergeben, daß sich das Aufgabenprofil der untersuchten neueren Peace-Keeping-Operationen deutlich von demjenigen der bis dahin unternommenen traditionellen Missionen unterscheidet. Interne Konfliktlösung und treuhänderischer, innerstaatlicher Wiederaufbau sind in den Mittelpunkt der Operationen der zweiten Generation gerückt. Diese grundlegende Aufgabenverschiebung führt zu der Frage, ob die zur Begründung der materiellen Kompetenz des Sicherheitsrats für die traditionellen Einsätze gegebene Erklärung ohne weiteres auf die neue Form des Peace-Keeping übertragen werden kann. Die materielle Kompetenz des Sicherheitsrats, Friedensoperationen durchzuführen, stützt sich, wie oben ausgeführt], auf die ihm in Art. 24 der Charta zugewiesene Aufgabe, "to maintain international peace and security"2 Jede Friedensoperation des Sicherheitsrats setzt damit eine Gefahrdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit voraus 3 Folglich ist die Schlüsselfrage für die neuen Operationen diejenige, ob sie sich ebenfalls unter diese Aufgabenzuweisung subsumieren lassen, ob also auch sie von dem Mandat der UNO, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren, gedeckt sind.
] S.O. A, II., 2.
2 Daß dies nach wie vor die Grundlage fiir die Aufstellung von Friedensoperationen ist, ist offensichtlich auch die Auffassung der Generalversammlung, wie sich aus Res. 47/71 v. 14.12.1992,4. Vorspruch ergibt: "Überzeugt, daß die Wirksamkeit der Vereinten Nationen bei der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit durch Friedensoperationen erhöht wird". 3 Vgl. Bowett, UN Forces, 424.
I. Die Aufgabe - Wahrung des Weltfriedens
223
Der Begriff des Weltfriedens4 in der Charta ist schillernd. Seiner Förderung, gemäß Art. 1 (1) Hauptaufgabe der UNO, dienen eine Fülle von Einzelvorschriften, die auf verschiedene Formen der Friedensgefahrdung reagieren5, beziehungsweise verschiedene Wege der Friedensförderung vorsehen6 Zu diesem Zweck stellt die Charta eine weite Bandbreite von Mitteln zur Verfügung, die von der Abwehr zwischenstaatlicher Aggression 7 bis hin zur Förderung wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts reicht 8 . Nicht allen diesen Facetten der Aufgabe der Friedenswahrung dienen die Friedensoperationen. Insbesondere kann die Reichweite ihrer Aufgabe nicht losgelöst von den spezifischen Befugnissen des Sicherheitsrats betrachtet werden9 Anderenfalls führte der als Begründung der Zulässigkeit von Friedensoperationen favorisierte "implied powers"-Ansatz zu dem Schluß, daß möglicherweise jedes UNO-Organ - z.B. der ECOSOC - Blauhelme in Förderung des Art. 1 (1) aufstellen könnte lO . Daher ist es nötig, den diesem Begriff im Zusammenhang mit der Aufstellung von Friedensoperationen durch den Sicherheitsrat zukommenden Bedeutungsgehalt zu präzisieren, um dann prüfen zu können, ob auch die zweite Generation des Peace-Keeping unter die so verstandene Ermächtigung zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit paßt. Angesichts der Verschiedenheit der Mittel der Friedensförderung in unterschiedlichen Kapiteln der Charta ist ein erster Schritt zur Präzisierung des den Friedensoperationen des Sicherheitsrats zugrundeliegenden Friedensbegriffs dessen genauere Verortung in der Charta. Da es sich bei den Friedensoperationen der UNO wegen ihres internationalen Charakters 11 um kollektive Maßnahmen handelt, fallt als ein erster Ansatzpunkt zu diesem Zweck der Art. 1 (1) ins Auge. Dieser statuiert nicht nur die Friedenssicherungsaufgabe der UNO, sondern er ist auch die einzige Zweckbe4 "Weltfrieden" und "internationale Sicherheit" sind trotz des enumerativen Wortlauts als ein einheitliches Ziel zu verstehen - Kelsen, 13; DickelRengeling, 23. Wenn hier und im Folgenden von "Weltfrieden" die Rede ist, ist damit dieses einheitliche Ziel gemeint. 5 Z.B. Art. 33 :"( ... ) dispute, the continuation of which is likely to endanger the maintenance of international peace and security ( ... )"; Art. 34 "( ... ) situation which might lead to international friction ( ... )"; Art. 39: "( ... ) threat to the peace, breach ofthe peace, or act of aggression ( ... )"; Art. 51: "( ... ) if an armed attack occur~ ( ... )"; Art. 99: "( ... ) any matter which in his opinion may threaten the maintenance of international peace and security.".
6 Z.B. Art. 73 (c): "( ... ) to further international peace and security; ( ... )"; Art. 76 (a): "( ... ) to further international peace and security; ( ... )". 7 Art. 39 der Charta. S Art. 55 der Charta: "( ... ) conditions of stability and well-being which are necessery for peaceful
and friendly relations among nations ( ... )" macht die Mittel-Zweck Relation zwischen der und sozialen Lage und dem Frieden deutlich.
wirt~chaftlichen
9 Art. 24 (2) 2 der Charta verdeutlicht diesen Zusammenhang. 10 Daraufweist Bowett, UN Forces, 311, Fn. 70 zutreffend hin. 11 S.o. A., 11., 1.
224
C. Rechtsgrundlage
stimmung der Weltorganisation, in der ausdrücklich von gemeinsamen Maßnahmen die Rede ist. Dort heißt es: "I. To maintain international peace and security, and to that end: to take effective collective measures for the prevention and removal of threats to the peace, and for the suppression of acts of aggression or other breaches of the peace (... )" Die Aufgabe der Friedenssicherung wird also in direkten Bezug gesetzt zu der Durchführung gemeinsamer Maßnahmen gegen die dort aufgeführten Gefahren für den Weltfrieden. Damit stellt Art. 1 (1) durch Wortwahl und Inhalt eine Verbindung insbesondere zu Kap. VII her, das die gemeinsamen Aktionen zur Friedenswahrung regelt. Das ist ein Hinweis darauf, daß die Bestimmung des den Friedensoperationen als kollektiven Maßnahmen zugrundeliegenden Friedensbegriffs unter Rückgriff auf Kap. VII vorgenommen werden muß. Dies wird induktiv durch die Betrachtung des eingesetzten Instruments bestätigt. Die rechtliche Grundlage für Peace-Keeping-Operationen liegt, wie gezeigtl2, im Kontext der Kapitel VI und VII der Charta. Nur bei Friedensgefahren der dort beschriebenen Art können Friedensoperationen des Sicherheitsrats eingesetzt werden l3 Folglich muß der präzise Inhalt des Friedensbegriffs, der den Peace-Keeping-Operationen zugrundeliegt, aus den Kapiteln VI und VII gewonnen werden. Diese Feststellung führt zu der weiteren Frage, ob auch zwischen den Friedenskonzepten dieser beiden Kapitel unterschieden werden muß. Eine solche Differenzierung ist in der Literatur vorgeschlagen worden. Den verschiedenen Friedenssicherungskapiteln der Charta liege kein einheitlicher, sondern ein "pluraler" Friedensbegriff zugrunde. Danach sei die in Kap. VII vorausgesetzte "Friedensbedrohung" enger zu verstehen als die "Friedensgefahrdung" , von der in Kap. VI die Rede sei 14 Dieses differenzierende Konzept erscheint jedoch bezüglich der Kapitel VI und VII nicht überzeugend l5 Eine eingehendere Prüfung der jeweiligen Wortwahl der Kapitel VI und VII verdeutlicht dies. Beide Kapitel beschäftigen sich mit der Abwehr von Störungen des Weltfriedens. Während in Kap. VI Probleme gemeint sind, die "likely to endanger the maintenance of international peace and security" sind (Art. 33), ist in Kap. VII von "threat to the peace, breach of the peace, or act of aggression" die Rede (Art.
12 S.o. A., 11., 2.
13 Bowett, UN Forces, 424 formuliert dies ganz deutlich: "( ... ) a threat to, or breach of, international peace and security - and this, it will be argued, is the precondition of even a peace-keeping operation". 14
Schaefer, 18 f
I S Etwa., anderes gilt hezüglich des Kap. XII, dem Schaefer, 19 f, wie die h.M. auch, den positiven Friedenshegriffzuordnet. Insofern läßt sich tatsächlich von einem "pluralen" Friedensbegriff sprechen.
1. Die Aufgabe - Wahrung des Weltfriedens
225
39). Dies zeigt zwar, daß in Kap. VII schwerere Friedensstörungen ("Bedrohung") ins Auge gefaßt sind als in Kap. VI ("Gefahrdung"). Angesichts der hochgradigen Unbestimmtheit dieser Begriffe scheint es aber unmöglich, hier eine abstrakte Abgrenzung vorzunehmen l6 Wie schwer es ist, die verschiedenen Formen der Friedensstörung, die von der Charta beschrieben werden, auseinanderzuhalten, räumt sogar der IGH ein. So stellte er im "Expenses"-Fall fest, die Lage im Mittleren Osten 1956, die zur Aufstellung von UNEF I führte, "could be described as 'likely to impair ... friendly relations among nations' (Wortlaut des Art. 14 - Anmerkung des Verfassers), just as weIl as they could be considered to involve 'the maintenance of international peace and security' (Wortlaut des Art. 11 - Anmerkung des Verfassers)."17 Zwar ging es hierbei um die Abgrenzung der Artikel 11 und 14. Die Begriffe der Kapitel VI und VII sind jedoch um keinen Deut klarer. Auch der Sicherheitsrat hat regelmäßig nicht klar zwischen diesen Begriffen unterschieden l8 . Ob er in einem gegebenen Fall seine Tätigkeit auf das Kap. VI oder auf das Kap. VII stützt, ist in der Praxis primär eine Frage des Mittels, das der Rat einsetzen will; nicht hingegen kommt in dieser Auswahl eine qualitative Bewertung der tatsächlichen Lage zum Ausdruck l9 . Diese kann in jedem Fall gleichermaßen friedensbedrohend sein. Gegen die Konzeption eines "pluralen" Friedensbegriffs spricht noch eine weitere Überlegung. Durch die scharfe Abgrenzung zu Kap. VI engt sie die Interpretation des Kap. VII unnötigerweise auf einen sehr eng verstandenen Friedensbegriff ein und verkürzt den Reaktionsspielraum des Sicherheitsrats in einer gegebenen Krisensituation. Aus diesen Gründen erscheint es sowohl theoretisch vertretbar als auch im Hinblick auf die Praxis realistisch, bei der Bestimmung des Friedensbegriffs, der der Aufgabe der Friedensoperationen zugrundeliegt, darauf zu verzichten, sich an einen der beiden Begriffe - "Friedensbedrohung" im Sinne des Kap. VII oder "Friedensgefahrdung" im Sinne des Kap. VI - festzuklammern. Entgegen der Auffassung, die einen "pluralen" Friedensbegriff auch innerhalb der verschiedenen Friedenssicherungskapitel postuliert, ist daher davon auszugehen, daß den Kapiteln VI und VII ein einheitliches Friedenskonzept zugrundeliegt.
16 Vgl. Charta der UN, Kommentar-Frowein, Art. 39, Rz. 17; Hemdl, RdC 206 (1987-Vl), 331; a.A Schaefer, 18 f. 17 JGH Gutachten vom 20.7.1962, JCJ Rep. 1962, 150, 172. IR CotlPellet-Cohnen Jonathan, Art. 39,653; Charta der UN, Kommentar-Frowein, Art. 39, Rz. 18 f m.w.N.; Hemdl, RdC 206 (l987-VJ), 331.
19 So auch Tomuschat, RdC 241 (1993-JV), 341. 15 Hufnagel
226
C. Rechtsgrundlage
1. Traditionelle Interpretation
Als traditionelle Interpretation soll hier diejenige Auslegung des gerade beschriebenen, einheitlichen Friedenskonzepts bezeichnet werden, die sich in den ersten gut 40 Jahren des Bestehens der Weltorganisation gefestigt hat, und die dementsprechend auch der Begründung der Zulässigkeit der traditionellen Friedensoperationen zugrundeliegt. a) Negativer, zwischenstaatlicher Frieden
Die bereits beschriebene, sich in unterschiedlichen Formen der Friedensförderung in den verschiedenen Kapiteln niederschlagende Weite des Begriffs des Weltfriedens hat die Wissenschaft dazu gebracht, in der Charta zwei getrennte, nebeneinanderstehende Friedensbegriffe auszumachen, den sogenannten "negativen" und den "positiven" Friedensbegriff. Der negative oder enge Friedensbegriff setzt Frieden mit der Abwesenheit von Gewalt oder Drohung von Gewalt zwischen Staaten gleich. Demgegenüber geht der "positiv" genannte Friedensbegriff über die Abwesenheit von Krieg, Aggression oder Drohung mit Gewalt hinaus und meint einen gutnachbarlichen Frieden auf der Grundlage einer gerechten internationalen Ordnung20 Dieser weite Friedensbegriff findet sich in der Präambel, den Vorschriften über Wirtschafts- und Sozialfragen sowie im Treuhandsystem 21 . Er liegt z. B. auch dem Art. 1 (2) zugrunde 22 Im Bereich der dem Sicherheitsrat durch Art. 24 (1) übertragenen Aufgabe der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, und damit insbesondere auch für das dem Friedenssicherungssystem der Kapitel VI und VII gemeinsame Friedenskonzept, gilt nach der ganz überwiegenden Meinung 23 sowie nach der langjährigen Praxis des Sicherheitsrats 24 der "negative" Friedensbegriff. Ein Kernelement des "negativen" Friedensbegriffs ist seine Bezogenheit auf die Gewaltfreiheit im zwischenstaatlichen Verhältnis. Diese Begrenzung wird durch die Beobachtung untermauert, daß in fast allen Vorschriften der Charta, 20 Vgl. Handbuch VN-Randelzhofer, Ziffer 158. "Ziele und Grundsätze der UN", Rz. 12; Dicke/Rengeling, 19 ( 21
Handbuch VN-Randelzhofer, Ziffer 158. "Ziele und Grundsätze der UN", Rz. 12.
22 Charta der UN, Kommentar-Frowein, Art. 39, Rz. 6. 23 Charta der UN, Kommentar-Tomuschat, Art. 33, Rz. 13; ebda., Frowein, Art. 39, Rz. 6; Arntz, 64; differenzierend Verdross/Simma, § 234. AA rur Art. 24 I - Dicke/Rengeling, 57. 24 Arntz, 109 f, der zu diesem Ergebnis nach eingehender Untersuchung der Resolutionspraxis des Sicherheitsrats bis 1974 gelangt.
L Die Aufgabe - Wahrung des Weltfriedens
227
die das Ziel der Friedenswahrung zum Inhalt haben, von "international peace and security" die Rede ist2s . Schon dieser Wortlaut legt den Schluß nahe, daß es sich bei dem von der UNO zu wahrenden Frieden um den zwischenstaatlichen in Abgrenzung zum innerstaatlichen Frieden handelt. Beinhaltet jene Formulierung aber eine Abgrenzung - und damit eine Eingrenzung - in diesem Sinne, dann gehört es nicht mehr zu den Zielen der UNO, den inneren Frieden in einem Staat zu wahren26 . Dieser Befund wird über den Wortlaut hinaus auf den Zusammenhang der Zielbestimmung mit Art. 2 der Charta gestützt. Gemäß Art. 2 (7) ist der UNO die Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates verboten27 Die einzige ausdrücklich genannte Ausnahme sind Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII der Charta (Art. 2 (7) 2. Hs.). Dadurch scheint zwar der Wert dieses Arguments begrenzt, da ein Eingreifen gemäß Kap. VII zulässig bleibt. Sofern der Sicherheitsrat also eine innerstaatliche Situation als Bedrohung des internationalen Friedens qualifiziert und nach Kap. VII vorgeht, kann ein Staat sich nicht mehr auf Art. 2 (7) berufen. Die Klärung des Umfangs des Begriffs der Friedensbedrohung, der die Tür zu Kap. VII öffnet, muß seinerseits außerhalb des Art. 2 (7) stattfinden28 Allerdings - so wird argumentiert - reflektiere Art. 2 (7) den Geist, der der Gründung der Vereinten Nationen zugrundelag: aus inneren Angelegenheiten eines Staates sollte sich die Weltorganisation grundsätzlich heraushalten29 Insofern könne diese Vorschrift als allgemeine "Interpretationsrichtlinie" für die Charta-Auslegung verstanden werden3o . Darüber hinaus spricht der Charakter der Charta als Gründungsdokument einer zwischenstaatlichen, internationalen Organisation sowie der historische Kontext der Gründung der UNO, die eine Antwort auf die vorangegangenen beiden Weltkriege sein sollte31 , dafür, daß es sich bei dem Frieden, den zu wahren die UNO den Auftrag hat, allein um den Frieden zwischen den Staaten
2S Das gilt fur die Präambel, Abs. 6 sowie fur die Artikel 1 (1); 2 (3) und (6); 11 (1), (2) und (3); 12 (2); 15 (I); 18 (2); 23 (1); 24 (1); 26; 33 (1); 34; 37 (2); 39; 42 (1); 43 (1); 47 (1); 48 (1); 51; 52 (1); 54; 73; 76 (a); 84; 99 und 106. 26 CotlPellet-Lachs, Art. 1 paragraphe 1, 32; Dicke/Rengeling, 17 m.w.N.; Kelsen, 19; Goodrich/Hambro/Simons, 27; Amtz, 62 f; so auch die Stellungnahme des britischen Delegierten Cadogan auf der 296. Sitzung des Sicherheitsrats am 19. 5. 1948 zur Palä~tinafrage, UNSCOR, 3rd year, No. 69, S. 2. Vgl. auch Delbrück in: Kühne, Blauhelme, 103 f. 27 S. dazu eingehend unten C., III., 1. 28 Vgl. Delbrück, Indiana Law Journal 1992, 898. 29 Vgl. O'Connell, Indiana Law Journal 1992, 911. 30 Charta der UN, Kommentar-Ermacora, Art. 2 Ziffer 7, Rz. 10. 31 Dies macht die Präambel der Charta der Vereinten Nationen deutlich; vgl. Charta der UN, Kommentar-Wolfrum, Präambel, Rz. 5.
228
C. Rechtsgrundlage
handelt32 . Die travaux pn:paratoires bestätigen, daß diese Auslegung die Auffassung des überwiegenden Teils der Delegierten beim Abfassen der UNCharta in San Francisco widerspiegelt 33 . Dieses deduktiv gewonnene Ergebnis wird durch die Praxis der traditionellen Friedensoperationen bestätigt. Wie erwähnt34 kamen sie nur in solchen Fällen zum Einsatz, die sich eindeutig als internationale, zwischenstaatliche Konflikte beschreiben lassen. Folglich läßt sich festhalten, daß der der Entsendung von Friedensoperationen zugrundeliegende Begriff "international peace and security" nach der traditionellen Interpretation einen negativen, zwischenstaatlichen Frieden meint. b) Konsequenz[ür UN-Friedensoperationen
Der so umrissene Umfang des Begriffs "international peace and security" hat Konsequenzen für das UN-Peace-Keeping. Sie lassen sich mit Bowett dahingehend zusammenfassen, daß eine UN-Friedensoperation, auch bei vorliegendem Einverständnis des betroffenen Staates, keine Funktionen übernehmen darf, die für die Wahrung des internationalen Friedens nicht erforderlich sind35 . "Hence, the problems of internal peace are not, as such, problems for which a United Nations Force should assurne any functional responsibility. The prevention of secession (... ) or the enforcement of a particular political solution upon the internal parties to a civil strife are thus not permissible functions, (... )."36 Bowetts Fazit - "therefore, an internal policing role is not one which a United Nations Force might assurne. "37 - offenbart die Grenze, die die klassische Kon-
32 Dahm, Völkerrecht 11, 388 f; Amtz, 63; Tomuschat, EA 1992, 45; Mackinlay/Chopra, Washington Quarterly, Summer 1992, 114; vgl. die Darstellung bei Franke, 203. 33 Daß die Delegierten unausgesprochen regelmäßig nur den zwischenstaatlichen Frieden im Auge hatten, läßt sich exemplarisch unter anderem an folgenden Äußemngen festmachen: Philippinen, UNCIO 3,538: "Any nation should be considered as threatening the peace ( ... ), if( ... )"; Griechenland, UNCIO 3, 533: "( ... ) disputes between two or more countries ( ... )"; Bolivien, UNCIO 3, 579: "( ... ) between two or more states ( ... )"; Bericht des Berichterstatters des Ausschusses 111/3 an die Kommission 111, UNCIO 12, 507, in dem "threat to the peace" und "threat of war" synonym benutzt werden; vgl. auch die Untersuchung bei Amtz, 55-60 m.w.N. Siehe aber unten C., I., 2., e), bb). 34 S.o. A, 11., 2.
35 So auch Simmonds, 290. Vgl. zur Bedeutung der Zustimmung in diesem Zusammenhang auch Franke, 196 fm.w.N. 36 Bowett, UN Forces, 425 f, vgl. auch 272; im gleichen Sinne Handbuch VN-Randelzhofer, Ziffer 158. "Ziele und Grundsätze der UN", Rz. 16. 37 Bowett, UN Forces, 426.
1. Die Aufgabe - Wahrung des Weltfriedens
229
zeption des Begriffs "international peace and security" den Einsätzen der Friedensoperationen zieht38 . Welche Folgerung läßt sich aus dieser Konzeption für die hier untersuchten Einsätze ziehen, bei denen die Einwirkung auf die inneren Verhältnisse eines Landes in den Mittelpunkt rückt? Sofern die innere Instabilität jedenfalls auch eine unmittelbare Gefahr für den internationalen Frieden darstellt, sei es, weil das militärische Eingreifen dritter Staaten droht39 , sei es, weil Nachbarstaaten von einem Übergreifen der Kämpfe betroffen werden könnten4o , läßt sich ein auf die internen Verhältnisse des betroffenen Landes konzentrierter Einsatz auch nach dieser Konzeption noch als Wahrnehmung der den internationalen Frieden bewahrenden Aufgabe der UNO qualifizieren41 . Demgegenüber hilft diese Fundierung in solchen Fällen nicht weiter, in denen ein interner Zusammenbruch keine unmittelbaren Auswirkungen auf den zwischenstaatlichen Frieden hat42 Als unmittelbare Bedrohung auch für den internationalen Frieden läßt sich die Situation Kambodschas charakterisieren, das jahrelang ein Unruheherd in der gesamten Region gewesen ist43 Im Falle Somalias ist eine derartige Annahme hingegen schon fragwürdiger44 und bezüglich einer Lage wie der Haitis fast unhaltbar. Selbst im Fall Jugoslawiens sind die Meinungen zu dieser Frage völlig uneinheitlich45 Darüber hinaus führt die klassische Konzeption von Frieden und Sicherheit zwangsläufig zu einer weiteren Beschränkung. Auch in den Fällen, in denen innerstaatliche Instabilität den Frieden in der Region unmittelbar gefährdet, rechtfertigt sie nur einen begrenzten Einsatz der Friedensoperationen. Insofern
38 Vgl. exemplarisch den Brief der UdSSR an den Sicherheitsrat v. 2. 3. 1963, UN Doe. S15249. UNSCOR 18th Year (1963), Supplement January - March, S. 109: "The Charter does not authorize the UN to act in such cases as concern the maintenance oflaw and order in a country." 39 Wie im Kongo - vgl. Bowett. UN Forces, 125. 40 Vgl. Arntz, 67; HelmaniRatner, Foreign Policy, No. 89 (1992/93), 8. 41 Handbuch VN-Randelzhofer, Ziffer 158. "Ziele und Grundsätze der UN", Rz. 16; Simmonds. 290. 42 Daraufläßt jedenfalls die Betonung des internationalen Elements in der Definition des UN-PeaceKeeping durch den zuständigen Untergeneralsekretaär Goulding vom März 1991 schließen. Danach sind Peace-Keeping-Operationen: "United Nations field operations in which international personneI, civilian andlor military, are deployed with the consent of the parties and under United Nations command to help control and resolve actual or potential international conflicts or internal conflicts which have a c!ear international dimension." Vgl. auch Helman/Ratner, Foreign Policy, No. 89 (1992/93), 9.
43 Vgl. Helman/Ratner, Foreign Policy, No. 89 (1992/93), 8. 44 Vgl. Stedman, ForAff, Vol. 72 (1992/93), 9; Sullivan, Newsweek v. 18. 1. 1993,7. 45 Eine Bedrohung rur den internationalen Frieden machen Helman/Ratner, Foreign Policy, No. 89 (1992/93), 8 und Stedman, ForAff, Vol. 72 (1992/93), 9 aus. Eine solche verneinen demgegenüber Sullivan, Newsweek v. 19. 1. 1993,8 sowie O'Connell, Indiana Law Journal 1992, 910.
230
C. Rechtsgrundlage
sich die unmittelbare Friedensbedrohung in der Gefahr auswärtiger Interventionen oder dem Übergreifen von Kampfhandlungen erschöpft, läßt sich ein Mandat der Friedensoperationen zur Eindämmung dieser Bedrohung auch nur so weit rechtfertigen, wie dies zum Verhindern einer auswärtigen Intervention oder eines Übergreifens von Kampfhandlungen erforderlich ist46 . Dies würde wohl ein Fernhalten auswärtiger Elemente, beziehungsweise eine Art "Containment" des Konfliktstaates erlauben47, kaum hingegen einen umfassenden staatsorganisatorischen Neuaufbau. Dies ist jedoch gerade der Hauptzweck der Einsätze der zweiten Generation der Friedensoperationen. Zusammenfassend läßt sich also feststellen, daß die klassische Konzeption des UN-Ziels, den internationalen Frieden und die Sicherheit zu wahren, den zulässigen Aufgaben von Friedensoperationen im innerstaatlichen Bereich eine doppelte Grenze zieht. Erstens begrenzt sie erlaubte Operationen zur Wiederherstellung innerer Stabilität auf solche Fälle desorganisierter Staaten, deren Instabilität zugleich auch unmittelbar eine Gefahr für den äußeren Frieden darstellt. Zweitens beschränkt sie den Umfang des Mandats der Friedenstruppe auf dasjenige, was erforderlich ist, um diese unmittelbare Gefahr für den äußeren Frieden abzuwehren. Ein innerstaatlicher Neuaufbau wird in der Regel nicht dazugehören. Es ist offensichtlich, daß das veränderte Aufgabenprofil bei UN-Friedensoperationen der zweiten Generation nach dieser Konzeption nicht mehr von dem Ziel der UNO, den Weltfrieden zu wahren, gedeckt ist. Der umfangreiche staatliche Neuaufbau, der in den untersuchten Fällen zu beobachten war, sprengt diesen Rahmen. Entweder stellte die Instabilität im Einzelfall schon keine echte Bedrohung für den äußeren Frieden dar (z.B. Somalia), oder die übernommene Verantwortung für den staatlichen Wiederaufbau ging über das im gerade entwickelten Sinne erforderliche Maß hinaus (z.B. Kambodscha) und überschritt damit jedenfalls die zweite der nach der klassischen Konzeption dem UN-Peace-Keeping gezogenen Grenzen. Daher muß nach einer neuen Grundlage gesucht werden. 2. Neue Interpretation
Wenn bis hierhin festgestellt wurde, daß die neuartigen Friedensoperationen der zweiten Generation nicht mehr als "maintenance of international peace and security" im Sinne der traditionellen Interpretation verstanden werden können, und wenn weiterhin diese traditionelle Interpretation nicht zuletzt anhand der 46 Bezeichnend in diesem Sinne ist der Wortlaut des Art. 39, in dem als Ziel angefiihrt wird: "to restore international peace and security". 47 In diesem Sinne schon Bowett, UN Forces, 425; vgl. Franke, 206.
L Die Aufgabe - Wahrung des Weltfriedens
231
Praxis der klassischen Friedensoperationen bestimmt wurde, dann folgt aus dieser Feststellung zunächst nur, daß die zur Begründung der materiellen Kompetenz des Sicherheitsrats für jene klassischen Friedensoperationen gegebene Erklärung nicht ohne weiteres auf die neue Form des Peace-Keeping übertragen werden kann. Damit ist noch nicht entschieden, ob es sich dabei um chartawidrige Aktivitäten der Vereinten Nationen handelt. Da jedoch außer der Ermächtigung zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit keine andere Grundlage für ihre Aufstellung in Betracht kommt48 , wäre ein solches Verdikt unausweichlich, wenn es sich bei der als "traditionelle Interpretation" bezeichneten Auslegung des Begriffs "international peace and security" um die einzig gültige Interpretation handelte. a) These: Erweiterung des FriedensbegrifJs
Daß die traditionelle Interpretation des Begriffs "international peace and security" einen derartigen ausschließlichen Geltungsanspruch hat, läßt sich in Frage stellen. Diese Interpretation, nach der die Ermächtigung des Sicherheitsrats, Friedensoperationen als gemeinsame Aktionen zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit durchzuführen, auf die Abwehr von Gefahren für den negativen zwischenstaatlichen Frieden beschränkt ist, zeichnet kein zutreffendes Bild der heute vorzufindenden Rechtslage mehr. Vielmehr ist es möglich nachzuweisen, daß sich der Friedensbegriff, der dem Friedenssicherungssystem der Charta - und damit dem Handeln des Sicherheitsrats - zugrundeliegt, in einem Prozeß dynamischer Erweiterung befindet und inzwischen auch innerstaatliche Instabilitäten erfaßt, unabhängig davon, ob diese unmittelbar eine Bedrohung für Nachbarstaaten darstellen. Folglich ist durch die Ermächtigung zur Durchführung von Maßnahmen zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit in der Charta auch die Aufstellung solcher Friedensoperationen gedeckt, die die Bereinigung derartiger Instabilitäten durch Errichtung stabiler staatlicher Strukturen zum Ziel haben. Die Wahrnehmung treuhänderischer Funktionen durch Friedensoperationen der zweiten Generation ist demnach chartakonform. Daß der Begriff "international peace and security" einer Erweiterung in diesem Sinne zugänglich ist, und daß eine solche Erweiterung bereits stattgefunden hat, läßt sich durch die Auslegung der Charta nachweisen, in deren Mittelpunkt ein dynamischer Interpretationsansatz steht.
48 Das ergibt sich auch aus Art. 1 (1) der Charta, der lediglich im Zusammenhang mit der Wahrung des Weltfriedens kollektive Maßnahmen vorsieht - vgl. o. C., L
232
C. Rechtsgrundlage
b) Übertragung des positiven FriedensbegrifJs ?
Demgegenüber läßt sich die Erweiterung des klassischen Begriffs von Frieden und Sicherheit noch nicht auf die einfache Übertragung des erwähnten "positiven" Friedensbegriffs auf die Kapitel VI und VII stützen. Zwar gibt es in der Literatur Stimmen, die in diese Richtung weisen49 Eine Ausdehnung des dem Friedenssicherungsmechanismus der Charta zugrundeliegenden Friedensbegriffs auf den sog. "positiven" Friedensbegriff machte diesen Begriff jedoch vage und unscharf und damit letztlich anfallig für vielerlei Deutungen, die seine Handhabbarkeit auf globaler Ebene gefahrden würden 50 Diese Gefahr erscheint um so gewichtiger, als die Übertragung des unscharfen, weiten Friedensbegriffs in die Kapitel VI und VII unabsehbare Folgen im Bereich des gewaltsamen peace enforcement haben könnte 51 . Soziale oder wirtschaftliche Gerechtigkeitserwägungen von interessierter Seite könnten die gerade zurückgewonnene Handlungsfahigkeit der UNO gegenüber internationalen Aggressionen schnell wieder zunichte machen. Hier muß es grundsätzlich bei dem klareren und handhabbaren negativen Friedensbegriff bleiben. Allerdings muß einer solchen Feststellung relativierend angefügt werden, daß es sich bei der gegenseitige Ausschließlichkeit suggerierenden Gegenüberstellung der beiden Friedensbegriffe um eine akademische Abstraktion handelt, die in der Praxis der UNO nur von begrenztem Wert ist. Auch ausgehend vom engen Friedensbegriff kann die Praxis Modifikationen erfahren, ohne daß dadurch die Formel "international peace and security" schon im Sinne des positiven Friedensbegriffs mit seinen unscharfen Grenzen verstanden werden müßte. So ließe sich vielleicht besser von einer Erweiterung des negativen Friedensbegriffs um Elemente des positiven Friedensbegriffs sprechen52 . Eine solche Formulierung in ihrer Vagheit verdeutlicht indessen, daß der Nutzen der Diskussion um die dogmatischen Kategorien des positiven und des negativen Friedensbegriffs für die Auslegung der einschlägigen Bestimmungen in der Charta äußerst gering ist. Vielmehr gilt es, die hier einschlägige Bedeutung von "international peace and security" ausgehend von dem klassischen, "engen" Friedensbegriff zu bestimmen, ohne sich dabei von dem in der Lehre teilweise 49 So wohl Ipsen, VN 1992, 41 f, der die Erklärung des Sicherheitsrats auf der Ebene der Staatsund Regierungschefs vom 31. 1. 1992 ( UN Ooc. S123500 ) in diesem Sinne deutet. Ähnlich auch Heiz/Philipp/Wolfrum, VN 1991, 126. 50 Vgl. Handbuch VN-Blumenwitz, Ziffer 24. "Friedenssicherung", Rz. 5; Tomuschat, RdC 241 (1993-IV), 342; Bothe in: R.-J. Oupuy, Role du Conseil de Securite, 72; Arntz, 52-54 m.w.N. 51 Man denke z. B. an den heftig umstrittenen Begriff der "strukturellen Gewalt", der auf dem Wege über eine unschatf weite Ausdehnung des Friedensbegriffs in die Friedenssicherungsmaschinerie der Kapitel VI und VII eindringen könnte; vgl. Arntz, 19. 52 In diesem Sinne äußern z.B. Verdross/Simma, § 234, daß sogar das "Kap. VII der Charta nicht lediglich auf die Sicherung eines 'negativen Friedens' ( ... ) ausgerichtet ist.".
1. Die Aufgabe - Wahrung des Weltfriedens
233
durchschimmernden Ausschließlichkeitsverhältnis der beiden "Friedensbegriffe" auf eine zu starre Sichtweise einengen zu lassen. c) Freies Ermessen des Sicherheitsrats?
Ebensowenig läßt sich die Erweiterung der Zuständigkeit des Sicherheitsrats auf innerstaatliche Krisensituationen auf die Annahme eines freien Handlungsermessens des Sicherheitsrats stützen. Zweifellos handelte es sich bei einer Interpretation, die auf eine inhaltliche Bestimmung des Begriffs verzichtete und die Frage der Definitionskompetenz in den Mittelpunkt rückte, um eine Option zu einer solchen Erweiterung. Da der Sicherheitsrat gemäß Art. 39 die Befugnis hat, das Vorliegen eines Friedensbruchs festzustellen, so könnte man argumentieren, liege es an ihm, jede Situation zu einer Bedrohung des Weltfriedens zu erklären53 In diesem Sinne ließe sich ohne weiteres jede interne Konfliktsituation als eine Bedrohung des Weltfriedens beschreiben und damit in den Zuständigkeitsbereich der UNO heben54 Allerdings läßt sich die in Art. 39 eingeräumte Einschätzungsprärogative des Sicherheitsrats nicht als eine von jeder inhaltlichen Vorgabe losgelöste Befugnis des Sicherheitsrats verstehen 55 . So sind zunächst die Befugnisse der UNO insgesamt durch die Charta zugleich begründet und begrenzt. Damit bilden die Grenzen des Charta-Rechts auch die Befugnisgrenze für den Sicherheitsrat. Art. 24 (2) stellt dies klar 56 Des weiteren sprechen systematische Erwägungen gegen ein völlig freies Ermessen des Sicherheitsrats im beschriebenen Sinne. Dieses nämlich liefe auf eine umfassende "Kompetenz-Kompetenz" hinaus, die nicht mit den in der Charta festgelegten Befugnissen der anderen UN-Organe vereinbar wäre 57 Könnte der Sicherheitsrat Zuständigkeiten frei an sich ziehen, so wäre die in der Charta vorgenommene Aufgabenteilung hinfallig. Die Einschätzungsprärogative, die dem Sicherheitsrat in Art. 39 eingeräumt ist, bezieht sich somit auf die Tatsachenbeurteilung, ist also in Anlehnung an die Begrifflichkeit im deutschen Verwaltungs recht eher als "Beurteilungsspielraum" denn als "Ermessen" zu begreifen5R . Schließlich zeigt 53 Combacau, 100; Franke, 208; in diesem Sinne auch CotlPellet-Cohen Jonathan, 655. VgL Komamicki, RdC 75 (1949-II), 82 : "... le Conseil peut agir tout il faire arbitrairement dans la qualification de ('aggression.". 54 VgL Kelsen, 19, der diese Möglichkeit andeutet; Franke, 210. 55 1n diesem Sinne auch Tomuschat, The Review, No. 48 (.Iune 1992),47; Bothe in: R.-.T. Dupuy, Role du Conseil de Securite, 69; Me Dougal/Reisman, AJIL 1968, 9. 56 VgL Charta der UN, Kommentar-Delbrück, Art. 24, Randziffem 4 und 11; Schachter, 399; Kahng,26. 57 Ipsen, VN 1992,42. 58 VgL auch Amtz, 41. Ähnlich Bothe in: R.-J. Dupuy, Role du Conseil de Securite, 70.
234
C. Rechtsgrundlage
die Tatsache, daß die Kapitel VI und VII tatbestandliche Voraussetzungen für ein Eingreifen des Sicherheitsrats fonnulieren - nämlich gerade die "Gefahrdung" beziehungsweise "Bedrohung des Weltfriedens"-, daß das Handeln des Sicherheitsrats an das tatsächliche Vorliegen dieser Tatbestandsmerkmale gebunden ist59 Daran ändert es nichts, daß es sich hier um unbestimmte Rechtsbegriffe handelt. Zugegebenerweise ist die Grenze in der Praxis fließend. Wenn der Sicherheitsrat unter Berufung auf seine Aufgabe, Frieden und Sicherheit zu wahren, auf eine konkrete Situation reagiert, dann wird daraus in der Regel nicht ersichtlich, ob dies auf einer Qualifikation der konkreten Tatsachen oder auf einer bestimmten Interpretation des normativen Begriffs der "Friedensbedrohung" beruht. Dennoch kann es mit einer "lediglich formale(n) Definition"60 dieses normativen Begriffs nicht getan sein. Wenn es aber Grenzen der Interpretationsmacht des Sicherheitsrats gibt, die durch den Begriff "international peace and security" gezogen sind, dann müssen diese inhaltlich bestimmt werden. Dabei spielt die Interpretationspraxis des Sicherheitsrats als des kompetenten Organs eine gewichtige Rolle. Seine Praxis bei der Interpretation ist jedoch kein Ersatz für diese Interpretation.
d) Dynamisch-objektive Interpretation Wenngleich der Sicherheitsrat - wie gezeigt - bei der Bestimmung der Reichweite des Begriffs der Bedrohung von Frieden und Sicherheit in der Charta "nicht willkürlich verfahren" darf6 1, so ist doch seine Interpretationspraxis von besonderer Bedeutung für die Auslegung dieses Begriffs. Die Charta als rechtliche Grundlage des Handeins der Vereinten Nationen mit Verfassungselementen 62 hat sich in den fast 50 Jahren des Bestehens der Weltorganisation formell fast nicht verändert. Da sich die Anforderungen und Aufgaben, die auf die UNO zukommen, in einer sich verändernden Welt im Laufe der Zeit jedoch wandeln, ist eine evolutive oder auch "dynamisch-objektiv" genannte Auslegung notwendig63 . Ziel dieser dynamischen Auslegung ist es, dem sich im Lichte veränderter Umstände wandelnden Verständnis der in der Charta gebrauchten Begriffe Rechnung zu tragen. Ein derartiger Verständniswandel offenbart sich vornehmlich in der späteren Vertragspraxis. Ist in der Praxis eine einheitliche Neubestimmung eines Begriff.,> festzustellen, aus der 59 Arntz, 40.
60 So aber Franke, 208. 61 So schon Dahrn, Völkerrecht 11, 389. 62 Wolfrum in: Wolfrum, Die Reform der Vereinten Nationen, 130; Suy, ebda., 189. 63 Charta der UN, Kommentar-Ress, Auslegung, Rz. 3 und 39.
I. Die Aufgabe - Wahrung des Weltfriedens
235
sich auf einen Auslegungskonsens der Vertragsanwender schließen läßt, so ist diese Praxis gemäß Art. 31 Nr. 3 b) der Wiener Vertragsrechtskonvention vom 23. 5. 1969 (WÜV)64 für die Interpretation maßgeblich65 Auslegung und konkludente Vertragsänderung sind hierbei miteinander verschlungen66 In diesem Sinne läßt sich aus der Praxis der zuständigen Organe der UNO hier also des Sicherheitsrats - auf die dynamisch-objektive Interpretation des Begriffs "international peace and security" in der Charta schließen67 . Zu beachten ist dabei allerdings der Unterschied zwischen Organpraxis und mitgliedstaatlicher Praxis 68 Zwar ist es grundsätzlich möglich, auch aus der Praxis eines Organs, in dem nicht alle Mitglieder vertreten sind, auf einen generellen Auslegungskonsens im o.a. Sinne zu schließen69 . Dabei ist aber der Inhalt der zu interpretierenden Vorschrift zu beachten. Anders als z. B. bei der Auslegung einer nur die fünf ständigen Ratsmitglieder unmittelbar betreffenden Verfahrensregel wie der des Art. 27 (3)1°, ist von der Auslegung des Friedensbegriffs jeder Mitgliedstaat unmittelbar betroffen. Auch ist zu beachten, daß das in der Charta vorgeschriebene Änderungsverfahren nicht durch eine uferlose dynamische Auslegung durch das am wenigsten repräsentative Organ ausgehöhlt werden darf. Folglich muß in diesem Zusammenhang neben einer konsistenten Auslegungspraxis des Sicherheitsrats auch die Zustimmung der übrigen Staatengemeinschaft zu dieser Auslegungspraxis geprüft werden. Neben der neuen Auslegungspraxis des Sicherheitsrats und dem Einverständnis der übrigen Mitglieder sind die veränderten äußeren Umstände zwar nicht im engeren Sinne Voraussetzung für die dynamisch-objektive Interpretation. So stellt auch Art. 31 Nr. 3 b) WÜV lediglich auf die Übung und den darin zum Ausdruck kommenden Auslegungskonsens ab. Allerdings ist es gerade das aus dem Zeitablauf und den damit verbundenen Veränderungen der "Außenwelt" folgende Anpassungsbedürfnis, welches der dynamisch-objektiven Auslegung ihre wichtige Funktion bei der Interpretation des Gründungsvertra64 BGBI. 1985 11, 927. 65 Die Geltung der allgemeinen Regeln über die Vertragsauslegung fiir die Auslegung der Charta bestätigt der IGH, Gutachten vom 20.7. 1962, IC] Rep. 1962, 150, 157. Da die Interpretationsregeln der WÜV, zu denen Art. 31 WÜV gehört, Gewohnheitsrecht in diesem Sinne beinhalten sind sie folglich auch auf die UN-Charta anwendbar - Charta der UN, Kommentar-Ress, Auslegung, Rz. 8 m.w.N. 66 Karl, 27 fund 369.
67 Vgl. Ipsen, VN 1992, 42, fiir den die dynamische Interpretation "auf einen Begriff wie den der Friedensbedrohung geradezu zugeschnitten" ist. 6X
Skubiszewski, Festschrift Mosler, 896.
69 Charta der UN, Kommentar-Ress, Auslegung,
Rz. 30.
70 In diesem Fall hat auch der IGH die Zulässigkeit der dynamisch objektiven Interpretationsmethode fiir die Charta anerkannt - Rechtsgutachten v. 21. 6. 1971, "Namibia", IC] Rep. 1971, 16, 22 ( para. 22 ). Daher wird er regelmäßig als Beispiel fiir diese Auslegungsmethode zitiert - vgl. statt Vieler: Charta der UN, Kommentar-Ress, Auslegung, Rz. 33.
236
C. Rechtsgrundlage
ges einer internationalen Organisation wie der UNO verleiheI. Insofern steigert es die Überzeugungskraft einer Auslegung, die eine gewandelte Interpretationspraxis zum Ausgangspunkt nimmt, wenn gezeigt werden kann, daß diese gewandelte Praxis auf eine tatsächliche Veränderung relevanter äußerer Unstände reagiert. Dann nämlich erscheint der Wandel in der Auslegung nicht willkürlich oder zufallig, sondern folgerichtig und damit wahrscheinlich auch dauerhafter. Aus diesen Gründen ist es angezeigt, zunächst die Veränderung der äußeren Umstände nachzuzeichnen, die einer dann zu zeigenden neuen Auslegungspraxis des Sicherheitsrats zugrundeliegen. Zusammenfassend ist es für die Erweiterung des Begriffs "international peace and security" im Sinne der dynamisch-objektiven Interpretation also maßgeblich, daß (1) geänderte äußere Umstände vorliegen, auf die (2) der Sicherheitsrat mit einer gewandelten Auslegungspraxis reagiert hat, die ihrerseits (3) von den übrigen Mitgliedstaaten mitgetragen wird. aa) Veränderte Umstände Eingeleitet durch die Öffnungspolitik des letzten sowjetischen Präsidenten Gorbatschow und gipfelnd in dem Zusammenbruch des Weltkommunismus sowie der Auflösung des sogenannten "Ostblocks" ist Ende der 80er Jahre der Kalte Krieg zu Ende gegangen. Dieser hatte die Welt seit den späten 40er Jahren in Atem gehalten und damit auch das Schicksal der UNO fast von ihrem ersten Tag an bestimmt und überschattet. Insofern standen Weltpolitik wie Weltorganisation für rund 40 Jahre im Banne des übermächtigen Ost-WestKonflikts. Wenn man sich diesen Tatbestand vor Augen führt - einen Tatbestand, dessen Spuren sich in jedem Winkel der Welt und in jeder Aktivität der UNO nachweisen ließen -, dann wird deutlich, daß der weltpolitische Wetterumschlag, den das Ende dieser lähmenden Konfrontation mit sich gebracht hat. vielleicht die bedeutendste Zäsur in der Weltgeschichte seit dem Ende des 2. Weltkriegs gewesen ist - mithin der bedeutendste historische Wandel seit Bestehen der UNO. Dieser weltgeschichtliche Umschwung ist ein Ausgangspunkt für die Veränderung verschiedener für das Handeln der Weltorganisation bedeutsamer Umstände. Einerseits hat sich die Organisation selber verändert. Das Ende der gegenseitigen, ideologisch bestimmten Dauerblockade der beiden führenden Weltmächte hat der UNO eine neue Beweglichkeit und Handlungsfahigkeit verliehen, die ihr angesichts ihrer 40jährigen Eingeschränktheit wohl nur noch wenige zugetraut hätten. Ein Beispiel ist der Gebrauch des den Sicherheitsrat so
71 Vgl. Charta der UN, Kommentar-Ress, Auslegung, Rz. 3; Karl, 140 f.
I. Die Aufgabe - Wahrung des Weltfriedens
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sehr paralysierenden Vetos. 279 mal hatte eines der fünf ständigen Mitglieder den Rat bis zum Mai 1990 auf diese Weise ausgeschaltet72 Seither ist sein Gebrauch rar geworden73 , die Bedeutung des Sicherheitsrats zu neuen Höhen emporgewachsen74 Weitere Beispiele - wie die Ausdehnung des Menschenrechtsschutzes -ließen sich anführen. Diese internen Veränderungen haben der UNO auch im Ansehen der Öffentlichkeit neuen Glanz verliehen 75. Auf der anderen Seite führte das Ende des Ost-West-Gegensatzes zu einem Wandel der "Außenwelt", zu einschneidenden Veränderungen der Weltbühne, auf der die Organisation agiert. Zum ersten ist hier der bereits erwähnte Zerfall souveräner Staaten zu nennen76 Eng mit diesem für die vorliegende Untersuchung besonders interessanten Phänomen hängt der Schub neu entstehender Staaten als weitere Veränderung der Weltlage im Gefolge des Endes des Kalten Krieges zusammen77 Dabei sind vor allem im ehemaligen "Ostblock" viele neue Staaten entstanden, an deren noch jungen staatlichen Fundamenten und Grenzen schon heftige ethnische Konflikte und Sezessionsbestrebungen zerren. Weiterhin hat die Abrüstung der Blöcke in Ost und West den negativen Effekt, daß nicht mehr benötigte Waffen in die Hände aggressiver Potentaten oder auch terroristischer Kräfte in anderen Teilen der Welt zu fallen beginnen78 Neue Gefahrenquellen entstehen auf diese Weise. Weitere Beispiele für Veränderungen der Welt, die mit dem Ende des Ost-West-Konflikts einhergehen, ließen sich finden 79 Das als "weltpolitischer Wetterumschlag" bezeichnete Ende des Kalten Krieges ist jedoch nicht die einzige Quelle für Veränderungen des Umfeldes, in denen die UNO sich behaupten muß. Die gegenwärtige Zeit ist von darüber hinausgehenden Veränderungen im Verhältnis der Staaten zueinander geprägt, die allmählicher vonstatten gehen als die eben beschriebenen, die aber genauso 72 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 6. 1992, An Agenda for Peace, UN Doc. S124111 = A/471277, paras. 14 f; Boutros-Ghali, EA 1993, 123.
73 So vergingen zwischen dem 114. Veto der UdSSR im Jahre 1984 und dem 115. (inzwischen nicht mehr der UdSSR, sondern Russlands) am 11. 5. 1993, bei dem es um die Finanzierung von UNFICYP ging, immerhin neun Jahre - AdG 1993, 37833 A 74 Es soll nicht verhehlt werden, daß es sich dabei um eine durchaus fragile neue Beweglichkeit handelt. Allein die weiterhin über dem Rat schwebende Möglichkeit des Vetos einer ständigen Ratsmacht setzt seiner Macht Grenzen, wie der Jugoslawien Konflikt vor Augen fuhrt, vgl. unten
D., H., 3. 75 Vgl. van WeIl, EA 1992, 704, der den Stimmungswandel in der US-amerikanischen Öffentlichkeit beschreibt.
76 S.o. A, 1., 1., a).
77 Weiss, Washington Quarterly, Winter 1993, 58. 78 Blodgett in: Die Blauhelme, 291. 79 Genannt seien hier nur die unkontrollierte Verbreitung von Atomwaffentechnologie oder die Zunahme des internationalen, organisierten Verbrechens; vgl. Ghebali, GYBIL, Vol. 34 (1991), 109 f
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C. Rechtsgrundlage
tiefgreifenden Einfluß auf Möglichkeiten und Aktivitäten der Weltorganisation haben. Die Bande zwischen den Staaten werden immer enger, was zwangsläufig zu einer schon faktischen Einschränkung der staatlichen Souveränität und der Unabhängigkeit von fremden (auch kulturellen) Einflüssen führt. Die regionale Zusammenarbeit vertieft sich, und globale Umweltfragen verlangen nach gemeinsamen Ansätzen80 Mit etwas Optimismus läßt sich sogar eine Ausbreitung demokratischer Regierungsformen über die Welt ausmachen 81 . Schließlich bringt die ständig zunehmende Verbreitung der Telekommunikation die Kulturen näher zusammen. Gleichzeitig zwingt sie sie damit aber auch zueinander, macht die Begegnung und Auseinandersetzung mit dem Schicksal ferner Völker unvermeidlich und übt damit beachtlichen Einfluß auf die Politik aus 82 Insgesamt läßt sich sicherlich feststellen, daß die Vereinten Nationen in den letzten Jahren in eine neue Phase eingetreten sind, die von gravierenden Veränderungen ihres äußeren Umfelds geprägt ist83 . Diese Veränderungen offenbaren der Organisation neue Chancen, bringen aber auch eine neue Instabilität der Welt mit sich. Der UN-Generalsekretär Boutros-Ghali spricht in seinem Bericht "An Agenda for Peace"84 von einer "time of global transition"85 und von einer "new dimension of insecurity"86, die mit dieser Übergangsperiode einhergeht. Somit ist davon auszugehen, daß die UNO erheblich veränderten äußeren Umständen im oben beschriebenen Sinne gegenübersteht. Zu untersuchen ist daher nun ihre Reaktion auf diese Veränderungen.
80 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 6. 1992, An Agenda for Peace, UN Ooc. S/24111 A/47/277, paras. 11 f: vgl. auch Ghebali, GYBIL, Vol. 34 (1991),110.
SI Bericht des Generalsekretär s v. 17. 6. 1992, An Agenda for Peace, UN Ooc. S/24111 A/47/277, para. 9; Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrats (anläßlich des Treffens auf der Ebene der Staats- und Regierungschef.~) v. 31. 1. 1992, UN Ooc. S/23500, S. 2; eingehend in diesem Sinne: Franck, AJIL 1992,46 ff, der ein "Emerging Right to Oemocratic Governance" in der Welt erkennt. 82 Vgl. die Feststellungen in dem 3. Bericht des Foreign Affairs Committee des britischen Unterhauses über die Rolle der Vereinten Nationen v. 23. 6. 1993, para. 11: "( ... ) television coverage has a huge effect on the pressure members of the public put on parliamentarians and govemments, which in turn may effect the policy of govemments."
83 Oiese Einschätzung wird in der Literatur einhellig geteilt. Vgl. statt Aller Boutros-Ghali, ForM Winter 1992/93, 89; van Weil, EA 1992, 705; Blodgett in: Oie Blauhelme, 290 f: Weiss, Washington Quarterly, Winter 1993, 51; Ghebali, GYBIL 34 (1991), 108; Mackinley/Chopra, Washington Quarterly, Summer 1992, 113. 84 Bericht v. 17.6. 1992, UN Ooc. S/24111 85 A.a.O., para. 11.
86 A.a.O., para. 13.
=
A/47/277.
I. Die Aufgabe - Wahrung des Weltfriedens
239
bb) Auslegungspraxis des Sicherheitsrats Dabei ist nach dem oben Gesagten87 die Praxis des Sicherheitsrats als des gern. Art. 24 für die Wahrung des Weltfriedens primär verantwortlichen Organs von herausragender Bedeutung. Es ist die Frage zu beantworten, ob sich eine neue Auslegungspraxis des Sicherheitsrats bezüglich des Begriffs des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit im Sinne der Friedenssicherungskapitel VI und VII der Charta nachweisen läßt, die den gerade dargestellten veränderten Umständen der letzten Jahre Rechnung trägt. Dabei wird die Resolutionspraxis des Rates unter zwei Blickwinkeln studiert, die sich teilweise überschneiden, die aber auch jeder für sich die Tendenz zur Einbeziehung innerstaatlicher Krisen in den Kreis der abzuwehrenden Gefahren für den Weltfrieden zu belegen geeignet sind. Der erste Blickwinkel ist ein begrifflicher. Hier wird es darum gehen, auf welche Erscheinungen der Rat in den letzten Jahren seinen eigenen ausdrücklichen Gebrauch des Begriffs des Weltfriedens ausgedehnt hat. Wie oben gezeigt88 wird der Inhalt dieses Begriffs negativ von den Formulierungen in den Artikeln 33 und 39 - "Gefährdung" und "Bedrohung" - beschrieben. Im Folgenden soll nun der Schwerpunkt auf der Verwendung des Begriffs der "Friedensbedrohung" im Sinne des Art. 39 liegen. Damit wird nicht die These aufgegeben, daß den Friedensoperationen ein einheitlicher Friedensbegriff - ein solcher der "Friedensgefährdungen" im Sinne des Kap. VI einschließt - zugrundeliegt. Diese Schwerpunktsetzung ist jedoch sinnvoll, da der Gebrauch des Begriffs der "Friedensbedrohung" rechtlich signifikanter ist. Die Qualifikation einer Situation als "Friedensbedrohung" öffnet dem Sicherheitsrat die Tür zu den Befugnissen des Kap. VII der Charta und damit zu den umfangreichsten Handlungsermächtigungen, die die Charta bereithält. Dementsprechend ist der Sicherheitsrat beim Gebrauch dieser Qualifikation besonders zurückhaltend. Wenn sich daher nachweisen läßt, daß der Sicherheitsrat interne Verhältnisse in einem Land sogar ausdrücklich als "Friedensbedrohung" im Sinne des Art. 39 qualifiziert, dann folgt daraus, daß er sie erst recht in das weitere - weil Kap. VI umfassende - Konzept des Friedensschutzes einbezieht, das die Voraussetzung für die Aufstellung von Friedensoperationen ist. Darüber hinaus soll bei der begrifflichen Analyse der neueren Auslegungspraxis des Sicherheitsrats nicht allein die Behandlung des zerbrechenden Staates betrachtet werden, denn die Neubewertung des Friedensbegriffs durch den Sicherheitsrat verläuft nicht eindimensional. Auch in anderen Bereichen müßte sich eine parallele Tendenz hin zu einer Erweiterung des Friedensbegriffs feststellen lassen. Aus diesem Grund soll begleitend der Gebrauch des Begriffs der 87
S.o. C., L 2., d).
88 S.o. C., I.
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C. Rechtsgrundlage
"Friedensbedrohung" durch den Sicherheitsrat im Zusammenhang mit den beiden exemplarischen Problemen des internationalen Terrorismus und des Menschenrechtsschutzes beleuchtet werden. Der zweite Blickwinkel ist ein funktionaler. Da der Sicherheitsrat ein politisches Gremium ist und bei der Formulierung seiner Resolutionen oftmals eine strenge, am Wortlaut der Charta orientierte Begriffsbestimmung vermeidet89, läßt sich die Interpretation von "international peace and security", die er selbst seinen Handlungen zugrundelegt, oftmals nur indirekt anhand der von ihm übernommenen Funktionen ermessen. In diesem Sinne ist bereits die Tatsache, daß der Sicherheitsrat treuhänderische Funktionen im Inneren eines zerrütteten Staates den von ihm autorisierten Friedensoperationen überträgt, ein Indiz dafür, daß er solche Funktionen in seine Interpretation der Befugnis zur Wahrung des Weltfriedens einbezieht. Daran ändert nichts, daß er die interne Lage in dem betreffenden Staat zuvor nicht ausdrücklich und begrifflich klar als "Friedensbedrohung" bezeichnet hat. Folglich kann die Aufstellung von Friedensoperationen mit treuhänderischen Funktionen als solche ebenfalls als ein Hinweis auf die Erweiterung der Interpretation von "international peace and security" durch den Sicherheitsrat in seiner Praxis gelten. Schließlich führt die Analyse der Resolutionspraxis des Sicherheitsrats zu der Feststellung, daß die Befassung dieses Organs mit internen Situationen in einem souveränen Staat im Rahmen der Zuständigkeit für die Wahrung des Weltfriedens keine völlig neue Erfindung zu sein scheint. Daher wird ein kurzer Rückblick auf die ältere Auslegungspraxis am Beginn stehen. (1) Altere Auslegungspraxis
Regelmäßig wird in diesem Zusammenhang auf die Fälle Rhodesien und Südafrika hingewiesen9o , in denen der Sicherheitsrat eine interne Lage als Bedrohung des Weltfriedens qualifiziert habe 91 . Im Fall Rhodesiens 92 ist der klarste Ansatzpunkt für eine solche Deutung die Res. 232 (1966) vom 16. 12. 1966. Ebenfalls zitiert werden die Resolutionen 89 Bei den klassischen Friedensoperationen ist dies die Regel gewesen, wodurch der Raum fur die oben unter A, 11., 2. geschilderte Kontroverse entstand. 90 Zum Kongo-Fall, der ebenfalls hierher gehört, siehe bereits oben A, 11., 3., b). 91 Vgl. Handbuch VN-Bruha, Ziffer 103. "Sicherheitsrat", Rz. 7; Verdross/Simma, § 234; Harris, 876; Delbrück, Indiana Law Journal 1992, 899; Franck in: R.-J. Dupuy, Role du Conseil de Securite, 96 f
92 Eine ausfuhrliche Darstellung dieses Falls findet sich in: Handbuch VN-Stoll, Ziffer 66. "Konflikte: RhodesienlZimbabwe" sowie bei Mc DougallReisman, AJIL 1968, 1 ff
I. Die Aufgabe - Wahrung des Weltfriedens
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217 (1965) vom 20. 11. 1965 und 221 (1966) vom 9.4. 1966 93 . Während sich die Res. 221 darauf beschränkt, den konkreten Fall eines Bruchs des über Rhodesien verhängten Ölembargos als "Friedensbedrohung" zu bezeichnen94, heißt es in Res. 217 bezüglich der Situation, die aus der Unabhängigkeitserklärung der illegalen weißen Regierung Smith entstanden war, ganz generell, daß "its continuation in time constitutes a threat to international peace and security". In der Res. 232 beseitigte der Sicherheitsrat dann ein Jahr später letzte Unklarheiten über die Einordnung dieser Feststellung95 Dort heißt es unter Hinweis auf die Artikel 39 und 41 der Charta der Vereinten Nationen, daß der Sicherheitsrat "Determines that the present situation in Southern Rhodesia constitutes a threat to international peace and security"96 Daraufhin werden Embargomaßnahmen angeordnet. Die Feststellung des Vorliegens einer Friedensbedrohung wurde in den folgenden Jahren in einer Vielzahl von Resolutionen wiederholt 97 In der Literatur ist die Bewertung dieser Feststellung durch den Sicherheitsrat streitig. Nach einer Auffassung hat der Sicherheitsrat die gravierenden Verletzungen der Menschenrechte durch das rassistische Regime in Rhodesien im Auge gehabt und insofern tatsächlich deutlich gemacht, daß "auch interne Zustände in einem Staat, z.B. massive Verletzungen der Menschenrechte, eine objektive Bedrohung des Weltfriedens bilden" können98 . Demgegenüber wird von anderen Autoren die Meinung vertreten, "the present situation" im Sinne der Res. 232 (1966) hätte sich auf die Gefahr einer militärischen Konfrontation zwischen Rhodesien und den Nachbarstaaten bezogen und könne daher nicht als Präzedenzfall für eine weite Auslegung des Begriffs der Friedensbedrohung durch den Sicherheitsrat angesehen werden99
Die Lage in Südafrika loo hat die UNO über Jahrzehnte hinweg beschäftigt. In einer Fülle von Resolutionen lol stellte der Sicherheitsrat eine Verbindung 93 Z.B. von HeinziPhilipp/Wolfrum, VN 1991, 126. 94 Handbuch VN-Stoll, Ziffer 66. "Konflikte: Rhodesien/Zimbabwe", Rz. 15. 95 Bei Cot/Pellet-Cohnen Jonathan, Art. 39, 657 findet sich z.8. die Ansicht, die Formulierung der Res. 217 erinnere eher an den Wortlaut des Art. 33, und damit an Kap. VI, als an das Kap. VII der Charta. 96 Ziffer 1 des operativen Teils. 97 Vgl. exemplarisch Res. 253 (1968) v. 29. 5. 1968; Res. 277 (1970) v. 18. 3. 1970; Res. 326 (1973) v. 2. 2. 1973. 9H Verdross/Simma, § 234; Franck in: R.-J. Dupuy, Role du Conseil de Securite, 96; in dieser Richtung auch Amtz, 105.
99 Charta der UN, Kommentar-Frowein, Art. 39, Rz. 21; Heinz/Philipp/Wolfrum, VN 1991, 126; van Boven, The Review, No. 48 (June 1992), 16; Ellerman, Vanderbilt .Tournai ofTransnational Law 1993,350 f Ion Dazu eingehend Handbuch VN-Stoll, Ziffer 67. "Konflikte: Südafrika". 101 Res. 134 (1960) v. I. 4. 1960; Res. 181 (1963) v. 7. 8. 1963; Res. 182 (1963) v. 4. 12. 1963; Res. 191 (1964) v. 18.6.1964; Res. 311 (l972)v. 4. 2.1972. 16 Hufnagel
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C. Rechtsgrundlage
zwischen der (internen) Politik der Apartheid und dem Weltfrieden her l02 . Auffallig ist allerdings, daß der Rat sich in diesen Resolutionen Mühe gegeben hat, die Terminologie des Kap. VII zu vermeiden und diejenige des Kap. VI zu verwenden I 03. Von der Lage in Südafrika wird gesagt, sie sei "seriously disturbing international peace and security" I 04. Als "threat" im Sinne des Art. 39 wird sie aber nicht bezeichnet. Ausdrücklich auf Kap. VII rekurriert wird lediglich in Res. 418 (1977) vom 31. 10. 1977. In dieser Resolution beschließt der Rat ein Waffenembargo gegen Südafrika. Dabei wird festgestellt, daß "the acquisition by South Mrica of arms and related materiel constitutes a threat to the maintenance of international peace and security"105 Obwohl in derselben Resolution ausdrücklich die südafrikanische Apartheidpolitik verdammt wird, läßt sich die Resolution doch nicht dahin deuten, daß diese interne Politik vom Sicherheitsrat als Friedensbedrohung angesehen worden ist. Vielmehr scheint der Sicherheitsrat hier anzuknüpfen an die schon in Res. 282 (1970) vom 23.7. 1970 zu findende Unterscheidung zwischen der aus der Apartheid Politik folgenden Situation, die einen "potential threat to international peace and security" darstelle 106 und der massiven Aufrüstung Südafrikas, die als "real threat to the security and sovereignty of ( ... ), in particular the neighboring states" angesehen wird 107 . Insofern ist der Ausgangspunkt für die in Res. 418 (1977) festgestellte Friedensbedrohung offenbar die den Nachbarstaaten drohende Gefahr durch die südafrikanische Rüstung und - jedenfalls primär - nicht die innere Lage des Landes als solche lOB Die in der Literatur zu findende Schlußfolgerung, daß in "the decisions taken under chapter VII against the apartheid regime in South Mrica, the Council characterized the apartheid system as a 'threat to international peace and security'" 109, kann vor diesem Hintergrund kaum aufrechterhalten werden. Wenngleich damit festzuhalten ist, daß eine klare Einordnung als "Friedensbedrohung" im Sinne des Kap. VII nicht nachgewiesen werden kann, so läßt sich doch konstatieren, daß der Sicherheitsrat in seinen Resolutionen zu Südafrika bereits in den 60er Jahren das rassistische Apartheid-System, mithin also eine interne Situation, als relevant für den Weltfrieden beurteilt und sich folgerichtig regelmäßig mit dieser Situation befaßt hat. Angesichts der Schwierigkeit, die verschiedenen Grade der Friedensgefahrdung, die von den Kapiteln VI und VII jeweils angesprochen werden, auf 102 Vgl. die ausruhrlichen Darstellungen bei Amtz, 94 - 98 und Pauer, 103 - 105.
103 Amtz, 95 f
I04 Res. 181 (1963)v. 7. 8.1963,8. Vorspruch.
105 Ziffer I des operativen Teils. 10°7. Vorspruch der Res. 282 (1970).
107 8. Vorspruch der Res. 282 (1970). lOg AA Pauer, 89 und 105, der die Ansicht vertritt, die Resolution trenne bei der Fe~1stellung der Friedensbedrohung nicht zwischen der Gefahr rur die Nachbarstaaten und der Apartheidpolitik.
109 Delbrück, Indiana Law Journal
1992, 899.
I. Die Aufgabe - Wahrung des Weltfriedens
243
der tatsächlichen Ebene auseinanderzuhalten, kann die auffällige Vermeidung der Wortwahl des Art. 39 eher mit dem fehlenden Willen des Rates erklärt werden, die Zwangsmittel des Kap. VII in diesem Fall einzusetzen, als mit seiner Überzeugung, Menschenrechtsverletzungen in einem Land könnten prinzipiell keine Bedrohung des internationalen Friedens sein. Ohne die rechtliche Beurteilung dieser beiden Fälle hier vertiefen zu wollen llO lassen sich für die in Frage stehende Beurteilung der Auslegungspraxis des Sicherheitsrats doch einige Erkenntnisse gewinnen. Obgleich beide Fälle keinen eindeutigen Präzedenzfall für die Einordnung einer internen Situation als "Friedensbedrohung" im Sinne des Kap. VII liefern lll , zeigen sie doch, daß der Sicherheitsrat bereits in seiner früheren Praxis jedenfalls grundsätzlich Gefahrdungen des Weltfriedens schon durch die innere Lage eines Landes für möglich gehalten hat. Allerdings handelt es sich bei diesen Fällen um solche, die einem sachlich und regional eng begrenzten Kontext zuzuordnen sind ll2 Beide Male ging es um die Verurteilung der spezifischen Menschenrechtsverletzung des Rassismus in Form der Apartheid im südlichen Afrika l ]3 Einen Beleg für eine generelle Auslegungspraxis des Sicherheitsrats dahingehend, umfassende Menschenrechtsverletzungen in einem Land, geschweige denn sonstige interne Konflikte, als Störung des Weltfriedens zu qualifizieren, liefern sie nicht. Das Weitestgehende, was sich über die ältere Auslegungspraxis des Sicherheitsrats somit sagen läßt, ist, daß sie die Möglichkeit, eine Einwirkung auf die innere Lage eines Landes als Wahrung des Weltfriedens zu qualifizieren, nicht grundsätzlich ausschließt. Vor diesem Hintergrund ist nun die neuere Praxis des Sicherheitsrats zu beleuchten. (2) Schutz der Menschenrechte
In dem ersten hier zu betrachtenden Bereich, dem des Menschenrechtsschutzes durch den Sicherheitsrat, ist zuerst die vieldiskutierte "Kurdenresolution" vom 5. 4. 1991 zu nennen 1l4 . Mit dieser Resolution reagierte der Sicherheitsrat auf die massive Verfolgung irakischer Kurden im Anschluß an den Golfkrieg von 1991 und stellte in diesem Zusammenhang eine llO Dies ist eingehend bereits von Arntz, 94 ff (Südafrika) und 9& ff (Rhodesien) sowie Pauer, 9& ff (Rhodesien) und 103 ff(Südafrika) geleistet worden. Neuerdings auch van Boven, The Review, No. 4& (June 1992), 16-1&. llll.E. ebenso HeinzlPhilipp/Wolfrum, VN 1991, 126. ll2 Alston, Australian Year Book of International Law 1992, 130 bezeiclmet sie als "exceptions". ll3 So auch Delbrück, Indiana Law Journal 1992, &94. ll4 Vgl. dazu statt Aller: Alston, Australian Yearbook of International Law 1992, 107 ff; HeinziPhilipp/Wolfrum. VN 1991, 126; Greenwood, EA 1993, 96 f; Delbrück, Indiana Law Journal 1992, &95 f
244
C. Rechtsgrundlage
Bedrohung des Weltfriedens und der Sicherheit in der Region fest l15 Fraglich ist, ob er damit die Kurdenverfolgung als solche als eine Bedrohung des Weltfriedens qualifiziert hat, wie dies von vielen Autoren angenommen I 16 und von Politikern verkündet wird ll7 . Der Wortlaut der Resolution spricht bei genauer Betrachtung dagegen. So ist im 3. Vorspruch davon die Rede, daß die durch die Verfolgung verursachten Flüchtlingsströme über internationale Grenzen hinweg sowie damit zusammenhängende Grenzzwischenfälle den Frieden bedrohen (hätte sich das "bedrohen" im letzten Teil des Vorspruchs auf die Unterdrückung der Zivilbevölkerung bezogen, hätte es "threatens" und nicht "threaten" heißen müssen). In Ziffer I dann werden die "Konsequenzen" der Verfolgung (nicht diese selbst) als Friedensbedrohung bezeichnet, um folgerichtig in der nächsten Ziffer die Beendigung der Verfolgung als einen "Beitrag" zur Beseitigung dieser Bedrohung (und nicht schon selbst als deren Beseitigung) zu fordern. Diese Formulierungen legen den Schluß nahe, daß die grenzüberschreitenden Wirkungen der Verfolgung, nicht hingegen diese selbst als Bedrohung des internationalen Friedens angesehen wurden. Dieser Schluß läßt sich durch einen Blick auf die Entstehungsgeschichte der Resolution erhärten. So sind jene Formulierungen gewählt worden, um die Unterstützung der UdSSR, Rumäniens und Ecuadors für die Resolution zu gewinnen und die Enthaltung Chinas sicherzustellen 118 Darüber hinaus betonten die meisten im Sicherheitsrat vertretenen Staaten den grenzüberschreitenden Aspekt der Verfolgungen als Grundlage für die Feststellung des Friedensbruchs ll9 . Jemen und Zimbabwe stimmten sogar u.a. deshalb 115 Die
relevanten Passagen der Resolution lauten:
3. Vorspruch: "Gravely Concerned by the repression of the Iraqui civilian population in many parts of Iraq, including most recently in Kurdish populated areas which led to a massive flow of refugees towards and across international frontiers and to cross border incursions, which threaten international peace and security in the region" Ziffer 1 des operativen Teils: "Condernns the repression of the Iraqi civilian population in many parts of Iraq, including most recently in Kurdish populated areas, the consequences of which threaten international peace and security in the region" Ziffer 2 des operativen Teils: "Demands that Iraq, as a contribution to removing the threat to international peace and security in the region, irnmediately end this repression ( ... )". 116 In diesem Sinne z.B. Schachter, AJIL 1991, 468; Heiz/Philipp/Wolfrum, VN 1991, 126 und 128; Delbrück, Indiana Law Journal 1992, 895; ders. in: Kühne. Blauhelme, 104 f; Greenwood, EA 1993, 96; Pease/Forsythe, AJPIL 1993, 12 f; Freudenschuß in: Kühne, Blauhelme, 158; Fromuth, Journal ofinternational Affairs 1993,348. 117 Z.B. vom damaligen deutschen Außenminister Genscher (siehe EA 1991, D 238), von seinem britischen Amtskollegen Hurd (zitiert von Greenwood in: EA 1993, 96) oder von dem französischen Außenminister Dumas (zitiert bei ToreIli, RIdCR 1992,262 f). 118
Freudenschuß, AJPIL 1993, 7.
119 Vgl.
die ausfiihrliche Darstellung der Sicherheitsratsdehatte bei Alston, Australian Yearbook of International Law 1992, 133 f, der exemplarisch die Stellungnahmen Rumäniens, Ecuadors, Indiens und Kanadas in diesem Sinne zitiert.
1. Die Aufgabe - Wahrung des Weltfriedens
245
gegen die Annahme der Resolution, weil sie in der Situation im Irak keine Gefahr für den internationalen Frieden zu sehen vermochten 12o. Schließlich unterstreicht die Tatsache, daß der Sicherheitsrat in Res. 688 (1991) - anders als bei allen vorangegangenen Resolutionen im Golfkonflikt - jeden ausdrucklichen Hinweis auf Kap. VII oder auf die vorangegangenen (auf Kap. VII gestützten) Resolutionen unterlassen hat, daß er hier äußerst vorsichtig vorgehen wollte l21 . Aus all dem ist zu folgern, daß der Sicherheitsrat mit Res. 688 (1991) zwar eine Menschenrechtsverletzung in einem Land zum Anlaß für ein Eingreifen zur Wahrung des Weltfriedens genommen 122, daß er dabei aber darauf geachtet hat, die Qualifikation dieser Situation als "Friedensbedrohung" nicht allein auf die Menschenrechtsverletzungen innerhalb des Irak, sondern auf deren internationale Rückwirkungen (auf die Türkei und den Iran) zu stützen 123 Insofern handelt es sich nur um einen kleinen Schritt zur Ausdehnung des Begriffs der Bedrohung des internationalen Friedens auf den Fall massiver Menschenrechtsverletzungen in einem Land, ohne den festen Boden der klassischen, auf die zwischenstaatliche Bedrohung abstellenden Begriffsbestimmung völlig zu verlassen l24 Daß die Verfolgung der Bevölkerung im Irak zum Anlaß für ein Eingreifen genommen wurde 125 , könnte jedoch den Beginn eines neuen Trends in der Auslegung bedeuten l26 Auch in dem mit dem Menschenrechtsschutz verwandten Bereich der humanitären Hilfe bietet die Befassung des Sicherheitsrats mit dem Irak interessantes Anschauungsmaterial. In mehreren Resolutionen befaßte er sich mit der Versorgungslage der irakischen Zivilbevölkerung im allgemeinen 127 Wie intensiv dabei die Einwirkung des Sicherheitsrats auf die inneren Angelegenheiten des Iraks gewesen ist, verdeutlicht exemplarisch die Res. 706 (1991), in der der Sicherheitsrat die Verteilung von Hilfsgütern an die irakische Bevölkerung unter UN-Beobachtung und -Überwachung stellte l2R - als Zwangsmaßnahme nach Kap. VII ! Darin liegt ein tiefer Eingriff in das, was traditionell
120 Alston, a.a.O., 130 und 134. 121 So auch Greenwood, EA 1993, 96. 122 Weiss, Washington Quarterly, Winter 1993, 57. 123 Tomuschat, EA 1992, 45 spricht von einer "Hilfskonstruktion".
124 In diesem Sinne auch Alston, Australian Yearbook of International Law 1992, 158 f; Djiena Wembou, AJICL 1992, 581 f 125 ToreIli, RIdCR 1992, 276 weist auf die Neuartigkeit dieses Ansatzes hin; ebenso Weiss, Washington Quarterly, Winter 1993, 57. 126 In diesem Sinne auch Delbrück, Indiana Law Journal 1992, 895; HeinzlPhilipp/Wolfrum, VN 1991, 128; Franck in: R.-J. Dupuy, Role du Conseil de Securite, 103. 127 Z.B. in Res. 706 (1991) v. 15.8.1991 und in Res. 712 (1991) v. 19.9.1991. 128 Ziffer 1. c) des operativen Teils.
246
C. Rechtsgrundlage
als ein Kernbereich der nationalen Souveränität eines Landes gilt, nämlich die ausschließliche Hoheitsgewalt im eigenen Territorium. Nicht nur der Vertreter des Irak 129 , auch mehrere Mitglieder des Sicherheitsrats bemerkten dies in der Sicherheitsratdebatte mit Sorge 130 Es darf jedoch nicht übersehen werden, daß diese bei den Resolutionen im Kontext des Golfkriegs stehen, einem besonderen Fall 131 , bei dem es zweifellos um einen klassischen Bruch des internationalen Friedens ging. Ebenfalls in den Kontext eines zweifellos zwischenstaatlichen Konflikts gehören die Resolutionen 808 (1993) vom 22.2. 1993 und 827 (1993) vom 25. 5. 1993. Mit letzterer hat der Rat den in Res. 808 (1993) beschlossenen internationalen Gerichtshof für die Verfolgung von Kriegsverbrechern im ehemaligen Jugoslawien geschaffen. In diesen Resolutionen brachte der Rat zunächst seine große Beunruhigung über die fortgesetzten Berichte über weitverbreitete und flagrante Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht zum Ausdruck 132 , um unmittelbar darauf festzustellen ("Determining"), daß diese Situation eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit sei 133 . Auf diese Feststellung hin wurde der internationale Gerichtshof zur Verfolgung dieser Verbrechen in Res. 827 (1993) dann ausdrücklich als Maßnahme nach Kap. VII der Charta geschaffen 134 Auffallig ist, daß der Rat in diesen Resolutionen die Verletzungen des humanitären Völkerrechts, die eine spezielle Form der Menschenrechtsverletzung darstellen, als solche als "Friedensbedrohung" bezeichnet hat. Zwar ist der im ehemaligen Jugoslawiem tobende Konflikt inzwischen 135 ein internationaler im klassischen, zwischenstaatlichen Sinn; der Rat bezeichnete aber nicht diesen, sondern die in seinem Verlauf begangenen Menschenrechtsverletzungen als "Bedrohung". Auch ist hervorzuheben, daß die in Res. 827 (1993) ergriffene Maßnahme, die Gründung eines internationalen Tribunals, nicht primär der Beendigung des Krieges dienen soll, sondern der Beendigung der Menschenrechtsverletzungen 136 Die Beendigung der Menschenrechtsverletzungen wird dann ihrerseits - wenn auch mit der Einschränkung: "in the particular circumstances ofthe former Yugoslavia" - als Beitrag
129UN Doc. S/PV.3004 v. 15.8.1991, S. 41. 130 Zimbabwe, UN Doc. S/PV.3004 v. 15.8. 1991, S. 62; Kuba, a.a.O., S. 68 fbezeichnet sie als "a type of trusteeship system", das entgegen der Charta dem Irak auferlegt werde; China, a.a.O., S. 82; Indien, a.a.O., S. 97 f; Ecuador, a.a.O., S. 101 f.
131 Stedman, For Aff, Vol. 72 ( 1992/93),7; Djiena Wembou, AlICL 1992, 581. 132 3. Vorspruch der Res. 827 (1993); 6. Vorspruch der Res. 808 (1993). 133 4. Vorspruch der Res. 827 (1993); 7. Vorspruch der Res. 808 (1993). 134 Res.
827 (1993),11. Vorspruch und Ziffer 2. des operativen Teils.
135 Siehe sogleich C., 1.,2., d), bb), (4), (d). 136 Dieses Ziel legt der Sicherheitsrat ausdrücklich im 7. Vorspruch fest.
I. Die Aufgabe - Wa/uung des Weltfriedens
247
zur Wiederherstellung des Friedens bezeichnet 137 . Aus diesen Gründen bestätigen die Resolutionen 808 (1993) und 827 (1993) den in der "Kurdenresolution" 688 (1991) nur angedeuteten Trend des Sicherheitsrats, Menschenrechtsverletzungen in den Begriff der "Friedensbedrohung" einzubeziehen. Wenngleich es sich bei den hier betroffenen Menschenrechtsverletzungen nicht um interne Verhältnisse in einern Land, sondern vielmehr um Begleiterscheinungen eines zwischenstaatlichen Krieges handelt, können die beiden Resolutionen als ein Beleg für Erweiterung des Friedensbegriffs in der Praxis des Sicherheitsrats im Zusammenhang mit dem Schutz der Menschenrechte angeführt werden. (3) Internationaler Terrorismus
In ähnlicher Weise wie beim Schutz der Menschenrechte hat der Sicherheitsrat bei der Handhabung des internationalen Terrorismus Neuland betreten. In der an Libyen adressierten Res. 731 (1992) vom 21. 1. 1992 hat er im Zusammenhang mit zwei Terroranschlägen auf die Zivilluftfahrt festgestellt, daß Handlungen des internationalen Terrorismus den Weltfrieden bedrohen l38 . In den Folgeresolutionen 748 (1992) vom 31. 3. 1992 und 883 (1993) vom 11. 11. 1993 bestätigte er zunächst die Einschätzung, daß die Unterbindung des internationalen Terrorismus unabdingbar für die Wahrung des Weltfriedens sei l39, ging dann aber noch weiter und bezeichnete die Verweigerung der Kooperation der libyschen Regierung bei der Verfolgung von Luftpiraten ausdIiicklich als "Friedensbedrohung"14O. Im operativen Teil dieser Resolutionen zog er dann die folgerichtige Konsequenz, gegen Libyen nach Kap. VII vorzugehen 141 und umfangreiche Embargomaßnahmen - von einern Waffenembargo 142 bis zu einern Einfrieren libyscher Auslandsguthaben 143 - zu verhängen. Diese Resolutionen gewinnen besondere Signifikanz dadurch, daß sie Libyen verpflichten, die beiden libyschen Staatsangehörigen, die für den Bombenanschlag auf den PanAm Flug 103 im Jahre 1988 verantwortlich gemacht wurden, an Groß-
137 6. Vorspruch der Res. 827 (1993). 138 2. Vorspruch. 139 Res. 748 (1992), 4. Vorspruch; Res. 883 (1993), 5. Vorspruch. 140 Res. 748 (1992), 7. Vorspruch; Res. 883 (1993), 6. Vorspruch.
141 Es überrascht nicht, daß Libyen in der Sicherheitsratsdebatte zur Res.
748 (1992) den Rückgriff auf Kap. VII als "an insult to the intelligence of the international community" und als "flagrant act of forgery" bezeichnet hat, UN Doc. S/PV.3063 v. 31. 3. 1992, S. 19-20.
142 Res. 748 (1992), Zi. 5. 143 Res. 883 (1993), Zi. 3.
248
C. Rechtsgrundlage
britannien beziehungsweise die USA zu übergeben l44 . Damit greift der Sicherheitsrat in die Zuständigkeit eines Landes zur Strafverfolgung eigener Staatsangehöriger und damit "in den Kernbereich der inneren Souveränität"145 ein. Dies ist auch ein Grund für die Kritik an der Resolution 748 (1992) im Sicherheitsrat l46 , die fünf Staaten schließlich zur Stimmenthaltung veranlaßte l47 . Insgesamt ist jedoch auff'allig, daß die geäußerte Kritik primär einerseits mit dem Argument begründet wurde, Res. 748 käme zu früh und hätte nicht genug Zeit für eine Verhandlungslösung gelassen l48 , andererseits unter Hinweis auf die gleichzeitige Befassung des IGH mit der Frage 149 Demgegenüber brachten die Vertreter anderer Staaten in unzweideutigen Worten zum Ausdruck, daß sie in der Resolution 748 (1992) den Begriff der Bedrohung des Weltfriedens auf Akte des internationalen Terrorismus ausgeweitet haben 150 Für die Auslegungspraxis bezüglich des Begriffs der Friedensbedrohung kann daher festgehalten werden, daß die Resolutionen 731 und 748 als Beleg für eine Tendenz des Sicherheitsrats zu einer extensiveren Interpretation des Begriffs der Friedensbedrohung als Reaktion auf neue Herausforderungen der Weltgemeinschaft (hier durch den internationalen Terrorismus) taugen I51 , die in Res. 883 (1993) ausdrücklich bestätigt wurde. (4) Innerstaatliche Krisen
Die für die vorliegende Untersuchung entscheidende Frage im Zusammenhang mit der Auslegung des Begriffs des Weltfriedens ist diejenige, ob der 144 Res. 748 (1992), Ziffer I in Verbindung mit Res. 731 (1992), Ziffer 3 in Verbindung mit den Ersuchen Großbritanniens, UN Doc. S123307 v. 20. 12. 1991, S. 8, und der USA, UN Doc. S/23308 v. 20.12. 1991, S. 2. Bestätigt in Res. 883 (1993), Zi. I.
ent~prechenden
145lpsen, VN 1992,45. Ebenso Graefrath, EJIL 1993, 192. 146 Er kommt zum Ausdruck in der Stellungnahme Kapverdes, UN Doc. S/PV.3063 v. 31. 3. 1992. S. 46. Bedenken in dieser Hinsicht waren bereits in der Debatte um Res. 731 (1992) geäußert worden vgl. die Darstellung bei Weller, AJICL 1992, 310 ff. 147 Kapverde, China, Indien, Marokko, Zimbabwe. 148 Vgl. die Stellungnahmen Marokkos, UN Doc. S/PV.3063 v. 31. 3. 1992, S. 64; Indien, S. 58 und Kapverdes, a.a.O., S. 47. 149 Vgl. die Stellungnahmen Zimbabwes, UN Doc. S/PV.3063 v. 31. 3.1992, S. 53, wo die Sorge geäßert wird, daß der Sicherheitsrat "is risking a major constitutional crisis" und Indiens, a.a.O., S. 58. 150 Vgl. dazu die Stellungnahmen Großbritanniens: "By adopting this resolution, the Security Council has acted in full confonnity with its primary responsibility for the maintenance of international peace and security.", UN Doc. S/PV.3063 v. 31. 3. 1992, S. 72 und Ungarns: "( ... ) those acts (die Terroranschläge gegen die beiden Zivilflugzeuge - Anm. des Verfassers) constitute beyond any shadow of doubt a threat to international peace and security.". 151 So auch Ipsen, VN 1992, 42 und 45 sowie Freudenschuß in: Kühne, Blauhelme, 158 f. Kritisch dazu Weller, AlICL 1992, 323; Graefrath, E.lIL 1993, 196 f. Vgl.dazu auch Arcari. Rivista di Diritto Inkrnazionale 1992, 963 f.
1. Die Aufgabe - Wahrung des Weltfriedens
249
Sicherheitsrat neben den bislang beschriebenen Erweiterungen des Friedensbegriffs im Zusammenhang mit dem Schutz der Menschemechte und der Bekämpfung des Terrorismus auch den internen Zusammenbruch souveräner Staaten in seiner jüngeren Praxis als Gefahr für den Weltfrieden angesehen hat. Dabei sind zunächst die drei in dieser Arbeit genauer untersuchten Fälle treuhandähnlicher Verantwortungsübernahme durch die UNO in Erinnerung zu rufen. (a) Namibia In Namibia handelte es sich um eine späte Dekolonisation. Ein staatlicher Zusammenbruch lag nicht vor. Dementsprechend ist die UN-Operation dort auch nicht auf Kap. VII gestützt worden 152 Die Frage der Qualifikation der Lage in Namibia als Friedensbedrohung stellte sich nicht. Dennoch ist auch im Namibia-Fall ein Zusammenhang zur Wahrung des Weltfriedens hergestellt worden. Dies geschah ausdrücklich allerdings nicht durch den Sicherheitsrat, sondern durch die Generalversammlung. Diese äußerte sich noch im Jahre 1988 dafür umso schärfer, verurteilte die südafrikanische Präsenz in Namibia als "aggression", äußerte "dismay at the failure to date of the Security Council to discharge effectively its responsibilities for the maintenance of peace and security in Southern Africa" und nannte die südafrikanische Haltung einmal mehr "a threat to international peace and security"153. Es bleibt jedoch festzuhalten, daß der Sicherheitsrat die Entsendung einer Friedensoperation mit innerstaatlichem Auftrag zur Lösung dieses späten Dekolonisationsproblems erst beschloß, nachdem der Weg über die Entziehung des südafrikanischen Mandats und die Einrichtung eines Nambia-Rats durch die Generalversammlung in eine Sackgasse geführt hatte. Damit lag der Ermächtigung der UNT AG eine sehr spezielle Ausgangslage zugrunde. Außerdem liegt die Formulierung der Ermächtigungsresolution 435 (1978) bereits länger zurück und fällt zeitlich in einen völlig anderen weltpolitischen Rahmen. Aus diesen Gründen ist die Präzedenzwirkung des Namibia-Falles im Zusammenhang mit der neuen Auslegung des Friedensbegriffs durch den Sicherheitsrat begrenzt. Wegen ihres Modellcharakters als innerstaatlich wirkende treuhänderische Funktionen erfüllende Friedensoperation wirft die Entsendung der UNT AG aber doch schon ein Schlaglicht auf das Potential dieses Instruments der Friedenswahrung.
152 S.o.
B., 1., 2., a).
153 Res. 43/26 A v. 17.11.1988, Ziffern 4, 15 und 17 des operativen Teils.
250
c. Rechtsgrundlage
(b) Kambodscha
In Kambodscha dann stand die UNO dem Fall eines durch jahrzehntelange Feindseligkeiten zerrissenen Staatswesens gegenüber. Zwar verzichtete der Sicherheitsrat darauf, diese Situation ausdrücklich als "Friedensbedrohung" zu qualifizieren und die UNT AC-Operation auf Kap. VII der Charta zu stützen. Dennoch hat er in seiner Ermächtigungsresolution 745 (1992) ausdrücklich die Aufgaben der UNT AC mit der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit in Verbindung gebracht. Wie gezeigt154 hat er mit ihrer Aufstellung in der ihm durch Art. 24 zugewiesenen Verantwortung für die Wahrung des Weltfriedens gehandelt und insofern die Mission auf die Einschätzung gestützt, daß die Situation in Kambodscha eine Störung des Weltfriedens darstellte 155 Allerdings ist zu wiederholen. daß der Konflikt in Kambodscha bereits seit Jahrzehnten die gesamte Region destabilisierte und damit wohl in die Kategorie eines internationalen Konflikts auch im traditionellen Sinne gehörte. Besonders der Umfang des UNT AC-Mandats in Kambodscha zeigt aber, daß der Sicherheitsrat diesem Mandat eine Auslegung des Friedensbegriffs zugrundelegte. die es erlaubt, den Wiederaufbau eines desorganisierten Staates als Maßnahme der Friedenswahrung im Sinne des Art. 24 zu verstehen 156 (c) Somalia Im Fall Somalias ging der Sicherheitsrat dann einen Schritt weiter und bezeichnete die anarchische Situation in Somalia in einer Reihe von Resolutionen 157 ausdrücklich als "Bedrohung" des Weltfriedens 158 Auch zögerte der Sicherheitsrat nun nicht mehr, die Konsequenz aus dieser Feststellung zu ziehen und Kap. VII der Charta der Vereinten Nationen anzuwenden. Schon Res. 733 (1992) berief sich ausdrücklich auf Kap. VII und verhängte auf dieser Grundlage ein Waffenembargo 159 Res. 794 (1992) überschritt dann eine weitere Schwelle, indem einzelne Mitgliedstaaten zum militärischen Einsatz er154 S.o. S., II., 2. a). 155 In diesem Sinne auch Delbrück, Indiana Law Journal 1992, 899. Fn. 54. 156 So auch HelmanlRatner, Foreign Policy, No. 89. Winter 1992/93, 8. Ähnlich Delbrück. Verfassung und Recht in Übersee 1993, 18.
157 Res. 746 (1992) v. 17.3. 1992; Res. 751 (1992) v. 24. 4. 1992; Res. 767 (1992) v. 27. 7. 1992; Res. 775 (1992) v. 28. 8. 1992; Res. 794 (1992) v. 3. 12. 1992; Res. 814 (1993) v. 26. 3. 1993. 15R Wörtlich heißt es im 4. Vorspruch der Res. 733 (1992) v. 23. 1. 1992, die den Beginn dieser Reihe markiert: "the continuation of this situation constitutes, ( ... ), a threat to international peace and security".
159 Ziffer 5 des operativen Teils.
I. Die Aufgabe - Wahrung des Weltfriedens
251
mächtigt wurden 160 In Res. 814 (1993) schließlich benannte der Rat das Kap. VII sogar ausdrücklich als Rechtsgrundlage für die Friedensoperation UNOSOM II 161, nachdem er bei der Aufstellung der ersten UNOSOM durch Res. 751 (1992) diesen Schritt noch bewußt vermieden hatte 162 Auch verzichtete der Sicherheitsrat in den Resolutionen 794 (1992) und 814 (1993) auf den Hinweis auf die Bitte Somalias um eine Behandlung seiner Situation im Rat. Dieser Hinweis hatte bei allen vorangegangenen Resolutionen jeweils als l. Vorspruch am Beginn der Präambel gestanden und damit zum Ausdruck gebracht, daß das Handeln des Sicherheitsrats mit Zustimmung der Regierung erfolgte 163 Zwar stellte Res. 794 (1992) - dem Hinweis mehrerer Staaten in der Sicherheitsratsdebatte folgend l64 - die Einmaligkeit der Lage in Somalia heraus 165 Diese in Anbetracht des o. a. Befundes 166 durchaus bezweifelbare Feststellung 167 vermag jedoch nicht den Blick dafür zu verstellen, daß die Somaliaresolutionen, vornehmlich die Resolutionen 794 (1992) und 814 (1993) besonders gewichtige Belege für die Erstreckung des Friedensbegriffs auf innerstaatliche Instabilitäten in der Praxis des Sicherheitsrats sind. Hier nämlich decken sich der begriffliche und der funktionale Blickwinkel. Ausdrücklich stellte der Rat fest, daß der interne Zusammenbruch Somalias eine "Friedensbedrohung" im Sinne des Art. 39 ist und ermächtigte dann in Res. 814 (1993), in der von der "Einmaligkeit" der Lage in Somalia keine Rede mehr ist, eine Friedensoperation mit treuhänderischen Funktionen als friedenswahrende Maßnahme. Signifikant ist weiterhin, daß in diesem Fall - anders als z.B. bei der Kurdenresolution 688 (1991) - nicht mehr auf die internationalen Rückwirkungen der internen Situation zurückgegriffen wurde, um die Friedensbedrohung zu begründen. Eine Bedrohung anderer Staaten - bei der irakisehen Kurdenverfolgung
160 Ziffer 10 des operativen Teils. 161 Ziffern 5 und 6 des operativen Teils.
162 Auch in der auf Res. 751 (1992) folgenden Resolution 775 (1992) enthielt sich der Rat ausdrücklicher Hinweise auf das Kap. VII. 163 Vgl. Greenwood, EA 1993, 100. 164 Z.B. Indien, UN Doc. S/PV.3145 v. 3. 12. 1992, S. 49; Marokko, a.a.O., S. 46; China, a.a.O.,
S. 17; Ecuador, a.a.O., S. 12; Zimbabwe, a.a.O., S. 7.
165 2. Vorspruch. Sie wird auch von UN-Generalsekretär Boutros-Ghali in EA 1993, 129 betont. 166 S.o. A, 1., 1., a). Beachte auch, daß die Einschätzung, staatliche Zusammenbrüche seien ein heute wahrscheinlich immer häufiger anzutreffendes Phänomen auch von verschiedenen Staaten geteilt wird; vgl. die Stellungnahme Jemens in der Sicherheitsrat~debatte vom 25. 9. 1991 zum Bürgerkrieg in Jugoslawien, UN Doc. S/PV.3009, S. 33. 167 Vgl. auch den 3. Bericht des Foreign Affairs Committee des britischen Unterhauses über die Rolle der Vereinten Nationen v. 23. 6. 1993, para. 135: "Somalia is obviously a very special case; ( ... ). However, it is probable that many of the future disasters of the world will be located in similar situations to that found in Somalia, ( ... )".
252
C. Rechtsgrundlage
noch unmittelbar einsichtig - kann hier auch kaum in vergleichbarer Weise angenommen werden l68 . Außerhalb der in dieser Arbeit eingehender untersuchten Fälle finden sich weitere Nachweise für die zunehmende Bereitschaft des Sicherheitsrats, den inneren Zerfall von Staaten ausdrücklich als "Friedensbedrohung" zu qualifizieren und in einem innerstaatlichen Wiederaufbau eine geeignete Maßnahme zur Friedenswahrung zu sehen. (d) Jugoslawien Als erstes Beispiel hierfür sei der Fall Jugoslawiens angeführt. Im Herbst 1991 wurden die Feindseligkeiten in dem auseinanderfallenden Jugoslawien vom Sicherheitsrat noch als innerer Konflikt in einem Land angesehen. Im Jahre 1992 änderte sich diese Beurteilung. Mit der Anerkennung Kroatiens, Sloweniens und Bosnien-Herzegowinasl 69 war der Konflikt zu einem internationalen Krieg geworden. Dementsprechend wählte der Sicherheitsrat für das Gebiet in Res. 752 (1992) vom 15. 5. 1992 erstmals die Bezeichnung: "former Socialist Federal Republic of Yugoslavia" 170. Bis einschließlich Res. 743 (1992) vom 21. 2. 1992 behandelte er das alte Jugoslawien aber noch als existent, den Konflikt mithin als Bürgerkrieg l71 . Vor diesem Hintergrund sind besonders jene frühen Resolutionen für die Untersuchung von Bedeutung. Dort wurde die Bürgerkriegssituation in Jugoslawien ausdrücklich als "threat to international peace and security" bezeichnet l72 Wie dies in Res. 733 (1992) zu Somalia der Fall gewesen war, so ist diese Feststellung auch hier regelmäßig verbunden mit einem Hinweis auf die primäre Rolle des Sicherheitsrats bei der Wahrung des Weltfriedens 173 , und auch hier führte sie zu der Konsequenz, daß Zwangsmaßnahmen nach Kap. VII der Charta beschlossen wur168 Greenwood, EA 1993,101; Sullivan, Newsweek v. 18. 1. 1993,7. 169 Der Sicherheitsrat empfahl die Aufuahme dieser drei Republiken in die UNO am 18. 5. 1992 in den Resolutionen 753 (1992) (Kroatien) und 754 (1992) (Slowenien), beziehungsweise am 20.5. 1992 in Res. 755 (1992) (Bosnien-Herzegowina). 170 3. Vorspruch. 171 Die zeitlich zwischen den Resolutionen 743 und 752 liegende liegende Res. 749 (1992) v. 7. 4. 1992 vermied schamhaft jede namentliche Nennung des auseinanderbrechenden Jugoslawien und sprach in der letzten Ziffer des operativen Teils lediglich alle "parties and others concemed in BosniaHercegovina" an. 172 Res. 713 (1991) v. 25. 9.1991,4. Vorspruch; Res. 721 (1991) v. 27.11. 1991,4. Vorspruch: Res. 743 (1992) v. 21. 2. 1992,5. Vorspruch.
173 Res. 713 (1991), 5. Vorspruch; Res. 724 (1991) v. 15. 12. 1991,3. Vorspruch; Res. 727 (1992) v. 8. 1. 1992, 3. Vorspruch; Res. 740 (1992) v. 7. 2. 1992, 5. Vorspruch, Res. 743 (1992), 6. Vorspruch.
I. Die Aufgabe - Wahrung des Weltfriedens
253
den l74 Zwar nahm Res. 713 (1991) noch ausdrücklich auf die Zustimmung Jugoslawiens zu der Befassung des Sicherheitsrats mit dem Bürgerkrieg Bezug l75 und scheint damit einmal mehr den Bedenken einiger Ratsmitglieder l76 Rechnung zu tragen, die eine Zustimmung als Vorbedingung des Eingreifens des Sicherheitsrats angesehen hatten l77 Eine solche allgemeine Bezugnahme findet sich in den nachfolgenden Resolutionen aber nicht mehr. Lediglich im Zusammenhang mit der Aufstellung der Friedensoperation UNPROFOR wurde zunächst auch in den Folgeresolutionen noch auf die Zustimmung der jugoslawischen Regierung und der beteiligten Konfliktparteien rekurriert 178. Am Rande soll hier allerdings erwähnt sein, daß der Sicherheitsrat später auch diese Operation ausdrücklich auf das Kap. VII gestützt und weitere Mandatserweiterungen danach folgerichtig nicht mehr von der Zustimmung der Parteien abhängig gemacht hat l79 Dies geschah jedoch erst zu einem Zeitpunkt, zu dem der Konflikt bereits ohne Zweifel zu einem zwischenstaatlichen Krieg geworden war und damit nach der hier untersuchten Phase. Ob der Bürgerkrieg in Jugoslawien in dieser frühen Phase eine Bedrohung anderer Staaten (z.B. Österreichs) und damit eine im klassischen Sinne internationale Friedensbedrohung bedeutete, wird unterschiedlich beurteilt l80 . In den ersten bei den einschlägigen Resolutionen jedenfalls wurde dieser Aspekt zwar ebenfalls angeführt l81 Anders als bei der Res. 688 (1991) erscheint er jedoch nicht als das die Friedensbedrohung eigentlich tragende Merkmal des Konflikts. Die Formulierung "( ... ) by the fighting in Yugoslavia (... ) and by the consequences for the countries of the region" spricht eher dafür, daß der Sicherheitsrat den Bürgerkrieg selbst und seine grenzüberschreitenden Folgen als gleichberechtigte Gründe für die Friedensbedrohung gesehen hat. Wenngleich nicht unterschlagen werden soll, daß der grenzüberschreitende Aspekt
174 Res. 713 (1991), Ziffer 6 (Waffenembargo ); Res. 724 (1991), Ziffer 5 (Überwachung des Embargos). 175 1. Vorspruch. 176 Z .B. Zimbabwe, UN Doc. S/PV. 3009 v. 25. 9. 1991, S. 28 f; Jemen, a.a.O., S. 36; Indien, a.a.O., S. 45; China, a.a.O., S. 49. 177 Vgl. ÜTeenwood. EA 1993,102; Freudenschuß, AJPIL 1993, 12 mit der Feststellung, daß diese Bezugnahme nur den Zweck hatte, die Einstimmigkeit im Rat rur die Resolution sicherzustellen. 178 Res. 721 (1991),2. und 6. Vorspruch; Res. 740 (1992), 3. Vorspruch; Res. 743 (1992), 2. Vorspruch. 179 Vgl. die Resolutionen 815 (1993) v. 30. 3. 1993; 836 (1993) v. 4. 9. 1993; 844 (1993) v. 18. 6. 1993; 847 (1993) v. 30. 6. 1993. Siehe dazu auch unten C., H., 1., a). 180 Vgl. einerseit~ Helman/Ratner, Foreign Policy, No. 89 (1992/93), 8 und Stedman, Foreign Affairs. Vol. 72 (1992/93), 9. andererseit~ O'Connell, Indiana Law Journal 1992, 910; Delbrück in: Kühne. Blauhelme, 105; Sullivan, Newsweek v. 19. 1. 1993,8.
IRI Res. 713 (1991), 3. Vorspruch; Res. 721 (1991),3. Vorspruch.
254
C. Rechtsgrundlage
von mehreren Ratsmitgliedern hervorgehoben wurde 182 , so spricht für diese Auslegung doch auch die Tatsache, daß der Rat die Gefahr für die Nachbarstaaten in den folgenden vier Resolutionen nicht mehr ausdrücklich erwähnt hat. Für die Untersuchung der Auslegungspraxis des Sicherheitsrats läßt sich aus den in der Anfangsphase des Jugoslawienkonflikts erlassenen Resolutionen demnach die Erkenntnis schöpfen, daß der Sicherheitsrat hier einen internen Konflikt jedenfalls auch um seiner selbst willen als eine Friedensbedrohung im Sinne des Kap. VII behandelt hat. Daß diese Dimension seiner Entscheidung zum Eingreifen dem Sicherheitsrat vor Augen stand, zeigt sich an verschiedenen kritischen Stellungnahmen in der Debatte um Res. 713 (1991)183 In diesem Zusammenhang wirken die oben geschilderten Stellungnahmen westlicher Länder, die den zwischenstaatlichen Aspekt des Konflikts betonten, wie ein Versuch, die kritischen Stimmen zu beruhigen und zum Mittun zu animieren. Auch die Erwähnung der anfanglichen Zustimmung Jugoslawiens zu der Befassung des Sicherheitsrats ändert an der gerade geäußerten Einschätzung der Resolutionen nichts, da ihr Vorliegen den Sicherheitsrat nicht daran gehindert hat, ausdrücklich eine "Bedrohung des Weltfriedens" festzustellen. Eine solche Feststellung allein trägt jedoch bereits die Handlungen des Sicherheitsrats und macht die Zustimmung überflüssig. (e) Liberia Der nächste hier zu erörtende Fall ist der Liberias. Dort hatte ein Bürgerkrieg das Land 1990 in die Anarchie gestürzt. Daraufhin rückte eine Friedenstruppe (ECOMOG) der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS) ein. Diese Intervention führte im weiteren Verlauf zur Bildung einer Übergangsregierung, vermochte aber nicht, das Land zu befrieden 184 1992 flammten Kämpfe mit Rebellengruppen wieder auf185 Diese wirkten bis
1R2 Vgl. Z.B. Belgien, UN Doc. S/PV.3009 v. 25. 9.1991, S. 21; Indien, a.a.O., S. 46 in besonders deutlicher Weise betonend, "that the Council's consideration of the matter relates not to Yugoslavia's internal situation as such, but specifically to its implications for peace and security in the region"; Großbritannien, a.a.O., S. 57; USA, a.a.O.; S. 58: "It is this danger of escalation. on which I know we all agree, which makes this matter a prime concern to this Council". 183 So wies z.B. der Vertreter des dieser Entwicklung skeptisch begegnenden Jemen daraufhin, daß er diesen Konflikt lieber nicht im Sicherheitsrat diskutiert hätte, hätte nicht Jugoslawien selbst darum gebeten - UN Doc. S/PV.3009 v. 25. 9. 1991, S. 36. Ähnlich äußerten sich Indien, a.a.O., S. 46 und China, a.a.O., S. 50. 184 Zu ECOMOG vgl. Jonah in: Kühne, Blauhelme, 303 ff; Nolte. ZaöRV 1993. 603. 185 Greenwood. EA 1993, 98 f; Nolte, ZaöRV 1993,61 J.
I. Die Aufgabe - Wahrung des Weltfriedens
255
in das benachbarte Sierra Leone hinein l86 . Vor diesem Hintergrund befaßte sich der Sicherheitsrat mit der Situation und nahm am 19. 11. 1992 einstimmig die Res. 788 (1992) an, der am 26. 3. 1993 die Res. 813 (1993) folgte l87 In beiden Resolutionen qualifizierte der Rat die Situation in Liberia als "a threat to international peace and security, particularly in West Africa as a whole"188. Auf dieser Grundlage verhängte er als Maßnahme nach Kap. VII ein Waffenembargo über Liberia l89 Damit hat der Sicherheitsrat also auch in Liberia eine interne Konfliktsituation als Friedensbedrohung eingestuft. Zweierlei gilt es hier jedoch zu beachten. Einerseits war der Rat wieder bemüht, das Vorliegen einer Zustimmung zu seinem Handeln durch die liberische Regierung und die ECOWAS herauszustellen I 90. Andererseits, und das ist für die vorliegende Untersuchung noch bedeutsamer, hat der Liberiakonflikt zweifelsfrei l91 eine zwischenstaatliche Dimension. Neben dem unmittelbar in die Kämpfe verwickelten Nachbarland Sierra Leone gefährdete die liberianische Krise die gesamte Region l92 Darauf bezog sich der Sicherheitsrat mit der Formulierung "(. .. ), particularly in West Africa as a whole". Dementsprechend hat in diesem Fall eine Bedrohung des Weltfriedens auch im traditionellen Sinn vorgelegen. Die Art der Formulierung - "Determines that the deterioration of the situation in Liberia constitutes a threat to international peace and security, particularly in West Africa as a whole" - legt jedoch den Schwerpunkt bei der Feststellung der Friedensbedrohung auf "the situation in Liberia". Dies verdeutlicht ein Vergleich mit der Wortwahl in Res. 688 (1991)193, in der ebenfalls beide Seiten der Friedensbedrohung angesprochen werden, in der aber der grenzüberschreitende Aspekt eindeutig im Vordergrund steht. Hier scheint sich also langsam die Betonung zu verschieben. Darauf deuten auch die Stellungnahmen einiger Länder in der Sicherheitsratsdebatte hin, die zwar das grenzüberschreitende Element des Konflikts erwähnen, die aber ein größeres Gewicht auf den Aspekt der Lösung des inneren Konflikts in Liberia (z.B. die Or186 VgJ. die Stellungnahme des Vertreters von Sierra Leone im Sicherheitsrat am 19. 11. 1992, UN Doc. S/PV.3138, S. 49 ff Siehe auch Jonah in: Kühne, Blauhelme, 312. 187 Daß der Rat so lange brauchte, bis er sich mit Liberia beschäftigte, lag vornehmlich daran, daß die UdSSR und Indien die Zuständigkeit des Rates fur eine interne Konfliktlage wie diejenige in Liberia lange Zeit in Frage stellten - vgJ. Freudenschuß, AJPIL 1993,23.
m Res. 788 (1992),5. Vorspruch; Res. 813 (1993), 11. Vorspruch. 189 Res. 788 (1992), Ziffer 8 des operativen Teils. 190 Res. 788 (1992), 14., beziehungsweise 13. Vorspruch. 191 AA Helman/Ratner, Foreign Policy, No. 89, Winter 1992/93,9. 192 Diese wurde in der Sicherheitsratsdebatte von dem Vertreter Senegals, UN Doc. S/PV.3138 v. 19. 11. 1992, S. 22 besonders eindringlich dargestellt; vgJ. auch die Stellungnahmen von Kapverde, a.a.O., S. 69; Ecuador, a.a.O., S. 81 und Indien, a.a.O., S. 87: "this is cJearly an international dimension to the situation that presents a direct threat to regional peace and security".
193 S.o. C., I., 2., d), bb), (2).
256
C. Rechtsgrundlage
ganisation von Wahlen) legen 194 . Daß es dennoch in diesem Fall nicht zu der Entsendung einer UN-Friedensoperation mit innerstaatlichem Auftrag gekommen ist, liegt daran, daß sich in Liberia die ECOW AS als Regionalorganisation engagiert und die Bürde des Peace-Keeping übernommen hat 195 . Für die Analyse der Interpretationspraxis des Sicherheitsrats kann als erstes festgehalten werden, daß der Rat hier einmal mehr eine Bürgerkriegssituation als Bedrohung des Weltfriedens angesehen hat, auf die mit den Mitteln des Kap. VII der Charta der Vereinten Nationen zu reagieren war. Darüber hinaus unterstreicht die Behandlung dieses Falles die zunehmende Bereitschaft der Ratsmitglieder, die innerstaatlichen Ursachen zwischenstaatlicher Konflikte traditionell ein Element des "positiven" Friedensbegriffs - in die Auslegung des Begriffs der Bedrohung des Weltfriedens einzubeziehen. (f) Georgien
Noch einen Schritt weiter auf dem Weg, innere Konflikte als solche unter ausdrücklicher Verwendung der Wortwahl des Art. 39 als "Bedrohung" des Weltfriedens zu qualifizieren, ging der Rat bei der Behandlung des Bürgerkriegs in Georgien. In dieser jungen, aus dem Zusammenbruch der ehemaligen Sowjetunion hervorgegangenen Republik brachen im August 1992 bewaffnete Auseinandersetzungen aus. Abchasien, nordwestlicher Landesteil Georgiens und ehemalige autonome sozialistische Sowjetrepublik, versuchte sich vom Rest Georgiens zu trennen und unabhängig zu werden 196 Dieser Sezessionsversuch fiel zusammen mit einem Machtkampf zwischen dem ersten Staatsoberhaupt Georgiens, dem inzwischen verstorbenen Swiad Gamsachurdia, und seinem Nachfolger, dem neugewählten Präsidenten Eduard Schewardnadse. Gamsachurdia operierte mit seinen Anhängern hauptsächlich von Westgeorgien aus und versuchte, die Macht in der Hauptstadt Tiflis militärisch zurückzuerobern. Georgien versank in der Folgezeit in einem blutigen Bürgerkrieg; das Land drohte auseinanderzubrechen 197
194 Dies läßt sich Z.B. beobachten in den Beiträgen Russlands, UN Doc. S/PV.3138 v. 19. 11. 1992, S. 67; Chinas, a.a.O., S. 72; Marokkos, a.a.O., S. 89 und Ägyptens, a.a.O., S. 95 f 195 Mit mäßigem Erfolg allerdings. Die Schwierigkeiten der Friedenstruppe ECOMOG in Liberia, als unparteiische Instanz akzeptiert zu werden, beleuchten die Schwächen regionaler Organisationen bei der Lösung interner Konflikte - vgl. den 3. Bericht des Foreign Affairs Committee des britischen Unterhauses zur Rolle der Vereinten Nationen v. 23. 6. 1993, para. 154. Die Weltorganisation hat hier eindeutige Vorteile, auf die bereits hingewiesen wurde - s.o. A., 1., 1., a). 196 AdG 1992, 37118 A., 2.; UN Chronic1e, December 1992, 39. 197 AdG 1993,38199 B.
I. Die Aufgabe - Wahrung des Weltfriedens
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Bereits im Herbst 1992 begann die Beschäftigung der UNO mit dem Konflikt in Form der Entsendung zweier fact-finding missions in das Krisengebiet durch den Generalsekretär l98 . Am 9. Juli 1993 schließlich nahm sich auch der Sicherheitsrat der Lage in Georgien an und entsandte schließlich mit Res. 858 (1993) vom 24. 8. 1993 eine 88 Personen starke Beobachtermission (UNOMIG) in das Land l99 . In dieser Resolution trifft der Sicherheitsrat ausdrücklich die Feststellung, daß die Fortsetzung des Konflikts in Georgien den Frieden und die Stabilität in der Region bedroht200, eine Feststellung, die er in der Folgeresolution 876 (1993) vom 19. 10. 1993 wiederholt201 Damit wird ein Bürgerkrieg ausdrücklich als "Bedrohung" des Weltfriedens qualifiziert. Diese Feststellung ist umso gewichtiger, als in der Resolution 858 (1993) - genauso wie übrigens in ihren beiden Vorgängerresolutionen 849 (1993) und 854 (1993) - jeder Hinweis auf irgendwelche konkreten, grenzüberschreitenden Auswirkungen dieses internen Konflikts auf andere Staaten in der Region fehlt. Zwar muß ebenfalls konstatiert werden, daß der Sicherheitsrat - trotz der Einordnung der Lage in Georgien als "Friedensbedrohung" - darauf verzichtete, sich auf das Kap. VII der Charta zu berufen. Diese Enthaltsamkeit läßt sich jedoch politisch erklären. Es ist anzunehmen, daß der Sicherheitsrat auf den Einsatz von Zwangsmitteln in einer Region verzichten wollte, die die ständige Ratsmacht Russland als ihr unmittelbares Einflußgebiet versteht. Dennoch ist die Behandlung Georgiens durch den Rat ein klarer Beleg für die neue Auslegungspraxis des Sicherheitsrats. Die ausdrückliche Anwendung der Begrifflichkeit des Art. 39 auf den internen Konflikt in Georgien zeigt, daß der Sicherheitsrat nicht mehr zögert, den inneren Zerfall eines Staates als solchen als Gefahrdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu begreifen. (g) Haiti Fortgeführt hat der Sicherheitsrat die Reihe der ausdrücklichen, begrifflichen Einordnung innerstaatlicher Krisen als Bedrohung des Weltfriedens im Fall Haitis. Dort hatte das Militär am 1. 10. 1991 den durch von der UNO überwachte Wahlen ins Amt gelangten Präsidenten Aristide gestürzt und eine 198 Bericht des Generalsekretärs über die Arbeit der Organisation v. 10. 9. 1993, UN Doc. N48/1, para. 332. 199 Zi. 2 der Resolution. 200 Der 6. Vorspruch der Resolution lautet: "Detennining that continuation of the conflict in
Georgia threatens peace and stability in the region,".
201 6. Vorspruch. Im 5. Vorspruch der Res. 881 (1993) v. 4. I!. 1993 heißt es dann immer noch: "Expressing Its Serious Concem that continuation of the conflict in in Abkhazia, Republic of Georgia, threatens peace and stability in the region". 17 Hufnagel
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C. Rechtsgrundlage
Militärdiktatur errichtet202 In der Folge wurden in Haiti die Menschenrechte massiv verletzt und das sowieso schon zu den Ärmsten der Welt gehörende Land versank in wirtschaftlichem und sozialem Elend203 Nachdem sich primär die OAS und die UN-Generalversammlung - letztere schließlich durch die Entsendung von 260 Beobachtern am 20. 4. 1993 204 - mit dieser Krise befaßt hatten, griff im Juni 1993 schließlich der Sicherheitsrat den Fall auf. In Res. 841 (1993) vom 16. 6. 1993 verhängte er unter Berufung auf Kap. VII der Charta ein Handelsembargo über das Land. In dieser Resolution stellt der Sicherheitsrat in der Sprache des Art. 39 bezüglich der Lage in Haiti fest, daß "die Fortdauer dieser Situation den Weltfrieden und die internationale Sicherheit in der Region bedroht"205 Die dadurch zum Ausdruck gebrachte Qualifikation eines internen Konflikts als "threat to international peace and security" wird noch unterstrichen durch den ausdrücklichen Hinweis 206 auf eine Sicherheitsratserklärung vom 26.2. 1993 207, in der der Rat geäußert hatte, daß "there may be a dose relationship between acute needs for humanitarian assistance and threats to international peace and security" und mit Sorge "the incidence of humanitarian crises, (... ). becoming or aggravating threats to international peace and security" bemerkte. Zwar versucht der Sicherheitsrat auch in dieser Resolution wieder, die Präzedenzwirkung seiner Interpretation abzumildern. So bezieht er sich ausdrücklich auf das Ersuchen des ständigen Vertreters Haitis um die Verhängung des Embargos, stellt die negativen Auswirkungen auf die Nachbarländer durch den drohenden Flüchtlingsstrom und damit ein zwischenstaatliches Element heraus 20S und betont gleich zweimal, daß es sich hier um eine "einmalige und außerordentliche" Situation handele209 . Die Bedeutung dieser Formulierungen ist jedoch begrenzt. Zwar produziert die Krise in Haiti eine Fülle von Flüchtlingen, die in die Nachbarstaaten drängen. Davon, daß sie den zwischenstaatlichen Frieden in der Region gefährdet, kann aber ernstlich keine Rede sein. 202 AdG 1991,36079 B. 203 AdG 1992,37195 A; vgl. die Schilderung der Lage in Haiti bei Petyko in: "Die Zeit" v. 24. 9. 1993,64.
204 AdG 1993,37758 A.
205 14. Vorspruch. In den Folgeresolutionen 861 (1993) v. 27. 8.1993,862 (1993) v. 31. 8. 1993 und 867 (1993) v. 23. 9. 1993 wird die Feststellung der Friedensbedrohung zwar nicht ausdrücklich wiederholt. Allerdings beruft sich der Rat in Res. 861 (1993) wieder auf das Kap. VII der Charta und betont in den beiden anderen Resolutionen jeweils unter Hinweis auf die Situation in Haiti, seine Verantwortung fiir die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit - 6 .. beziehungsweise 7. Vorspruch. 206 Im 9. Vorspruch.
207 UN Doc. S/25344 v. 26. 2.
1993.
20R 1. beziehungsweise 11. Vorspruch.
20~ 13. und 14. Vorspruch.
1. Die Aufgabe - Wahrung des Weltfriedens
259
Fü~ ein Übergreifen der Unruhen auf die Dominikanische Republik ist kein
Anhaltspunkt ersichtlich21O, und mit anderen Ländern hat Haiti als Inselstaat keine gemeinsamen Landgrenzen. Insofern hat dieser Fall zwar ein internationales Element, ist aber keine internationale Bedrohung im Sinne des traditionellen Verständnisses vom internationalen Frieden. Der Hinweis auf die Aufforderung zum Handeln durch den Vertreter Haitis 211 ist nicht nur für ein Tätigwerden des Rates nach Kap. VII rechtlich überflüssig, er hat auch politisch nur begrenzten Wert, da es sich bei dem Vertreter nicht um einen Gesandten der faktischen Militärregierung, sondern um einen solchen des verjagten rechtmäßigen Präsidenten handelte. Schließlich wirkt auch der Hinweis auf die Einmaligkeit der Situation in Haiti 212 lediglich als verbale Beruhigung skeptischer Staaten im Rat ohne große Überzeugungskraft. Sie stimmt fast wörtlich mit einer entsprechenden Formulierung in der Somaliaresolution 792 (1992)213 überein. Das gehäufte Auftreten solcher "einmaliger" Fälle indiziert prima facie aber, daß diese so außergewöhnlich nicht mehr sein können. In den Resolutionen 873 (1993) vom 13. 10. und 875 (1993) vom 19. 10. 1993 führte der Rat die von der Res. 841 (1993) vorgezeichnete Linie weiter. Unter Bezugnahme auf das Abkommen zwischen Präsident Aristide und den Militärmachthabern, das am 3. 7. 1993 auf Governors Island in New York geschlossen wurde und die Rückkehr des Präsidenten nach Haiti vorsah 214, stellt er in diesen beiden Rsolutionen fest, daß die Nichteinhaltung dieser Vereinbarung "eine Bedrohung des Friedens und der Sicherheit in der Region" darstelle215 . Dies ist eine bemerkenswerte Feststellung, wenn man sich vor Augen führt. daß es sich bei dieser Vereinbarung um ein innerhaitianisches Abkommen zwischen zwei internen Fraktionen handelt. Aus diesen Gründen ist festzuhalten, daß Haiti ein weiterer gewichtiger Beleg für die zunehmende Einbeziehung innerstaatlicher Krisen in den Begriff der Friedensbedrohung in der Sicherheitsratspraxis ist.
210 Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Auf einer OAS Sondersitzung am 22.6.1993 stellte die Dominikanische Republik selbst ausdrücklich fest, daß - trotz des Flüchtlingsstroms aus Haiti - keine Bedrohung des Friedens vorläge. - Vgl. Freudenschuß, AlPIL 1993,27. 211 Diese Aufforderung ist enthalten in dem Brief des ständigen Vertreters Haitis bei den Vereinten Nationen an den Präsidenten des Sicherheitsrats v. 7. 6. 1993, UN Doc. S/25958 v. 16.6. 1993. 212 Dieser Hinweis wird wiederholt in Res. 875 (l993)v. 19. 10. 1993, 7. Vorspruch. 213 2. Vorspruch dieser Resolution: vgl. auch oben C., 1., 2.. d), bb), (4), (c). 214Vgl. den Bericht des Generalsekretärs über die Arbeit der Organisation v. 10.9. 1993, UN Doc. A/48/1, para. 344. 215 Res. 873 (1993), 4. Vorspruch: Res. 875 (1993), 7. Vorspruch.
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C. Rechtsgrundlage
(h) EI Salvador Verläßt man nun die begriffliche Ebene und erstreckt die Suche nach einschlägiger Praxis des Sicherheitsrats auf solche Fälle, in denen er zwar auf die ausdrückliche Bezeichnung einer innerstaatlichen Krisensituation als "Friedensbedrohung" verzichtet, in der er sich einer solchen jedoch durch die Mandatierung einer Peace-Keeping-Operation mit innerstaatlichem Aufgabenschwerpunkt angenommen hat, so ist, neben den untersuchten Operationen UNT AG und UNT AC, zunächst die UN-Beobachtermission in EI Salvador (ONUSAL216) zu entdecken. Zwar handelt es sich hierbei dem Namen nach um eine Beobachtermission, die daher eigentlich nicht in den dieser Untersuchung gezogenen Rahmen fallt 217 Die Operation hat sich aber während ihrer Laufzeit mehrmals verändert, ist mit immer weiteren Funktionen versehen worden und hat daher Stück für Stück wenn auch nicht den Umfang, so doch das breite Aufgabenspektrum der hier untersuchten Friedensoperationen erhalten218 Die Ausgangssituation für die UN-Operation ist auch in diesem Fall ein Bürgerkrieg gewesen. Fast zwölf Jahre lang hatten sich in dem mittelamerikanischen Land die Guerrillaorganisation Frente Farabundo Marti para la Liberacion Naciona1 (FMLN) und die zunächst christdemokratische, später dann äußerst rechts gerichtete Regierung des Landes in einem Konflikt gegenüber gestanden, der knapp 75.000 Menschen das Leben kostete. Am 31. 12. 1991 fand der Krieg mit der Annahme eines von der UNO vermittelten219 Friedensabkommens in New York sein Ende 220 , das am 16. 1. 1992 in Mexico City offiziell von beiden Seiten unterzeichnet wurde 221 . Der damit in Gang gebrachte Friedensprozeß erfordert eine umfangreiche Neugestaltung des Landes in wirtschaftlicher, sozialer, rechtlicher, militärischer und politischer Hinsicht 222 Bereits während der Friedensverhandlungen, die diesen beiden Abkommen vorausgingen, folgte der Sicherheitsrat einem Ersuchen der Konfliktparteien und stellte mit Res. 693 (1991) vom 20. 5. 1991 die Beobachtermission ONUSAL auf223 . Diese zunächst rund 170 Personen starke Operation hatte die 216 "ONUSAL" = Observadores de las Naciones Unidas en EI Salvador 217 S.o.
A., 11., 1.
218 Der Sicherheitsrat selbst bezeichnete sie als eine "integrated Peace-Keeping Operation" - vgl. Res. 693 (1991) v. 20. 5.1991, Zi. 2.
219 Zur sukzessiv gesteigerten Rolle der UNO in den Friedensverhandlungen vgl. Holiday/Stanley, Journal oflnternational Affairs, Winter 1993, 417 ff 220 UN Chronicle, March 1992, 50. 22i UN Chronicle, June 1992,29.
222 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs über die Arbeit der Organisation v.
A/48/1, para. 422.
223 Zi. 2. des operativen Teils.
10. 9. 1993, UN Doc.
I. Die Aufgabe - Wahrung des Weltfriedens
261
in der Geschichte des UN-Peace-Keeping neue Funktion, in erster Linie die Einhaltung menschenrechtlicher Verpflichtungen zu überwachen, die die beiden Kriegsparteien bereits im Juli 1990 eingegangen waren 224. Dieser Aufgabe entsprechend setzte sich die Operation fast ausschließlich aus Zivilisten zusammen225 . Nach dem Abschluß des Friedensvertrages Anfang 1992 wurde das Mandat von ONUSAL zum ersten Mal erweitert. In Res. 729 (1992) vom 14. l. 1992 dehnte der Rat die Aufgaben der Mission auf die Verifikation und Überwachung der Einhaltung aller in dem Friedensvertrag getroffenen Vereinbarungen aus226 . ONUSAL wurde um eine militärische und eine zivilpolizeiliche Komponente erweitert227. Während ersterer die Überwachung der vereinbarten Truppenentflechtung und der Einhaltung des Waffenstillstands oblag, hatte letztere die Funktion, bis zum Aufbau einer neuen Polizei die bestehende nationale Polizei zu kontrollieren und damit zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung beizutragen228 Diese Mandatserweiterung erforderte eine Verstärkung des ONUSAL-Personals auf über l.000229 Mitarbeiter23o . Am 27. 5. 1993 vergrößerte der Sicherheitsrat die Operation dann noch einmal. In Res. 832 (1993) fügte er ihr eine 900 Personen starke Wahlkomponente hinzu, deren Aufgabe in der Überwachung der am 20. 3. 1994 abgehaltenen landesweiten Wah1 23 ! bestand232 . Insgesamt handelte es sich bei ONUSAL schließlich um eine komplexe Operation, die auf verschiedenen Gebieten am innerstaatlichen Neuaufbau in EI Salvador mitwirkte. Mit diesem Aufgabenschwerpunkt fügt sie sich in das Erscheinungsbild des Peace-Keeping der zweiten Generation und wäre in der
224 Res. 693 (1991) v. 20. 5. 1991, Zi. 2; Bericht des Generalsekretärs v. 16. 4. 1991, UN Doc. S/22494, para. 8; vgl. UN Chronic1e, September 1991, 22 f. 225 Bericht des Generalsekretärs v. 16. 4. 1991, UN Doc. S/24494, para. 12: Ca. 90 zivile Mitarbeiter, 66 Polizisten und 15 Verbindungsoffiziere. 226 Zi. 2. des operativen Teils. 227 Bericht des Generalsekretärs v.
10. 1. 1992, UN Doc. S/23402, para. 8.
228 Bericht des Generalsekretärs v. 10. I. 1992, UN Doc. S/23402, paras. 4 (Militär) und 6 f (Polizei).
229 Bericht des Generalsekretärs v. 13. I. 1992, UN Doc. S/23402/Add.l, paras. 2: 244 (in der Spitze 372) Militärbeobachter, 631 Polizeibeobachter und 95 zivile Mitarbeiter. 230 Tatsächlich kam allerdings nur eine geringere Anzahl zum Einsatz. Insbesondere bei der Polizeikomponente forderten personelle Engpässe erheblichen Tribut. So reduzierte das Sekretariat den personellen Ansatz hier bald auf 362 Mitarbeiter. Selbst diese waren nicht leicht zusammenzubringen, was sich daran zeigt, daß im März 1992 erst 264 Polizisten in EI Salvador eingetroffen waren.- Vgl. den 3. Bericht des Foreign Affairs Committee des britischen Unterhauses zur Rolle der Vereinten Nationen v. 23. 6. 1993, para. 81; vgl. auch den Bericht des Generalsekretärs v. 25. 2. 1992, UN Doc. S/23642, para. 3. 23! AdG 1994, 38773 A - am 24. 4. 1994 fand die erforderliche Stichwahl statt.
232 Zi. 3. des operativen Teils; vgl. UN Chronic1e, September 1993,23.
262
C. Rechtsgrundlage
oben vorgenommenen Typologie auf der ersten der drei dargestellten Stufen233 anzusiedeln. Auffällig ist neben dem innerstaatlichen Charakter des dem Einsatz zugrundeliegenden Konflikts vor allem die herausragende Bedeutung der menschenrechtlichen Aufgaben der Operation234 . Beides zeigt deutlich, wie weit die Interpretation des Friedensbegriffs geworden ist, die der Sicherheitsrat seiner friedenssichernden Tätigkeit in den letzten Jahren zugrundelegt. Zwar bezeichnet der Rat in seinen Resolutionen zu EI Salvador den inneren Konflikt an keiner Stelle ausdrücklich als "Bedrohung" des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Dennoch bringt er - vorsichtig, aber deutlich - seine Überzeugung zum Ausdruck, daß dieser Bürgerkrieg und der zwischenstaatliche Frieden in der Region untrennbar zusammenhängen235 Der Verzicht auf die Terminologie des Kap. VII läßt sich auch hier ohne weiteres mit der Wahl des eingesetzten Mittels erklären. ONUSAL ist von Anfang an und in all ihren späteren Modifikationen eine Konsensoperation gewesen, der nicht nur das Einverständnis, sondern das ausdrückliche Ersuchen der beiden Konfliktparteien zugrundegelegen hat. Damit konnte sie - insoweit dem traditionellen Peace-Keeping entsprechend - unter bewußter Vermeidung der Benennung einer speziellen Rechtsgrundlage in der Charta aufgestellt werden. (i) Mosambik Von besonderem Interesse für die vorliegende Arbeit ist weiterhin die Behandlung der Situation in Mosambik. Dort hatte für rund 16 Jahre ein Bürgerkrieg gewütet, dem ca. 600.000 Menschen zum Opfer fielen. Um die 5 Millionen Menschen wurden aus ihrer Heimat vertrieben, 1,5 Millionen davon flohen in die Nachbarländer236 , Wirtschaft und Infrastruktur wurden weitgehend zerstört. In dieser Lage schlossen am 4. 10. 1992 die Regierung und die Rebellenorganisation RENAMO in Rom einen Friedensvertrag, in dem die Unterstützung des Friedensprozesses durch eine UN-Friedensoperation vorgesehen wurde 237 Nachdem der Sicherheitsrat in Res. 782 (1992) vom 13. 10. 1992 das 233 S.o. 8., IV., 2., a). 234 Auf die Neuartigkeit dieser beiden Aspekte im Rahmen des UN-Peace-Keeping ("groundbreaking experience n) wies auch Generalsekretär Boutros-Ghali in seiner Rede anläßlich der offiziellen Unterzeichnung des Friedensvertrages am 16. 1. 1992 in Mexico City ausdrücklich hin. - Vgl. UN Chronicle, June 1992,30. Ähnlich Holiday/Stanley, Journal oflnternational Affairs. Winter 1993,416. 235 So betont er im 6. Vorspruch der Res. 729 (1992): nExpressing it~ conviction that a peaceful settlement in EI Salvador will make a decisive contribution to the Central American peace process". Eine fast gleichlautende Formulierung findet sich in Res. 693 (1991), 10. Vorspruch. 236 Bericht des Generalsekretärs über die Arbeit der Organisation v. 10.9. 1993, UN Doc. A/48/1, para. 383.
237 Vgl. UN Chronicle, Dez. 1992, 12; Weimer, VN 1993, 193 f; Michler in FOCUS v. 20. 9. 1993,192 f; Welt v. 18. 12. 1992.
I. Die Aufgabe - Waluung des Weltfriedens
263
Friedensabkommen begrüßt und die notwendigen Vorbereitungen angeordnet hatte, stellte er am 16. 12. 1992 mit Res. 797 (1992) die UN-Friedensoperation in Mosambik (ONUMOZ) auf. Dieser rund 7.400 Personen umfassenden 238 Friedensoperation wurden neben den militärischen Aufgaben der Überwachung des Waffenstillstands, der Demobilisierung der Bürgerkriegsparteien und der Sicherung von Transportkorridoren auch treuhänderische Funktionen im Lande übertragen. So oblagen ihr u.a. die Unterstützung des Wiederaufbaus einer einheitlichen nationalen Armee und die Reparatur wichtiger Verkehrswege, die Wiedereingliederung von Rückkehrern und die Durchführung von Hilfs- und Entwicklungsprogrammen239 Außerdem wurde im Verlauf der Operation auf Vorschlag des Generalsekretärs die Überwachung der Polizei und der Schutz der Grundrechte in das Mandat der ONUMOZ einbezogen240 . Ziel der Operation ist es, den inneren Frieden in Mosambik zu stabilisieren und den Aufbau einer dauerhaften Demokratie zu unterstützen 241 . Dementsprechend ist ein zentraler Punkt auch dieser Friedensoperation die Abhaltung einer für den Oktober 1994 vorgesehenen, landesweiten WahI242, deren Durchführung - angelehnt an die Gestaltung im Falle Namibias - von der ONUMOZ unterstützt und überwacht wird 243 . Zwar verzichtete der Sicherheitsrat auch in diesem Fall auf die ausdrückliche Qualifikation der Situation als "Friedensbedrohung". In Res. 782 (1992) stellt er aber den Zusammenhang zwischen dem inneren Frieden in Mosambik und der "restoration of peace and security in the region" her244 und bezeichnet ONUMOZ in Res. 797 (1992) als "Peace-Keeping-Operation"245, so daß an seiner Überzeugung, bei ihrer Aufstellung in Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu handeln, kein Zweifel bestehen kann. Diese Feststellung ist für die Auslegung des Friedensbegriffs durch den Sicherheitsrat insofern bedeutungsvoll, als eine über den Flüchtlingsstrom hinausgehende direkte Gefährdung benachbarter Staaten durch die Lage in Mosambik nicht zu erkennen ist, von einer Gefährdung des zwischenstaatlichen Friedens im traditionellen Sinn also auch hier keine Rede sein kann. Interessant im Zusammenhang mit der Rechtsgrundlage für ONUMOZ ist weiterhin der Hinweis in Res. 23R
AdG 1993, 38295 A.
239 Zum Mandat der ONUMOZ: Bericht des Generalsekretärs über die Arbeit der Organisation v. 10.9. 1993, UN Doc. A/48/1, para. 386; Weimer, VN 1993, 194 ff. 240 Res. 863 (1993) des Sicherheitsrats v. 13.9. 1993, Ziffer Il. 241 Dieses Ziel benennt der Sicherheitsrat in Ziffer 2. der Res. 850 (1993) v. 9. 7. 1993 ausdrücklich. 242 Res. 850 (1993) v. 9. 7. 1993, Zi. 4; Res. 882 (1993) v. 5. Il. 1993, Zi. 3. 243 Weimer, VN 1993, 195.
244 2. Vorspruch. 245 7. Vorspruch.
c. Rechtsgrundlage
264
782 (1992)246 auf die gemeinsame Erklärung der Präsidenten der Regierung Mosambiks und der RENAMO, in der diese ihr Einverständnis mit der UNOperation bekunden247 . Wie bei UNTAC und ONUSAL wird also auch hier der Weg eingeschlagen, die Friedensoperation auf das erklärte Einverständnis der erkennbaren Bürgerkriegsparteien zu stützen und - insoweit ganz dem Muster des klassischen Peace-Keeping getreu - die Nennung einer spezifischen Rechtsgrundlage zu vermeiden. Insgesamt reiht sich die Operation ONUMOZ aufgrund ihrer Aufgabenstruktur als ein weiteres Beispiel in die Linie des UN-Peace-Keeping der zweiten Generation ein. Dort ist sie nach ihrem Erscheinungsbild der ersten der drei oben herausgearbeiteten Stufen248 zuzuordnen und insofern mit der Operation UNT AG in Namibia vergleichbar. Bezüglich der hier zu prüfenden Auslegungspraxis des Sicherheitsrats ist die Operation ONUMOZ ein weiterer Beleg dafür, daß der Sicherheitsrat für sich die materielle Kompetenz zur Übernahme treuhänderischer Funktionen in einem Mitgliedstaat durch eine Friedensoperation auf der Grundlage seiner Ermächtigung zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit in Anspruch nimmt. Ebenfalls festzuhalten ist aber, daß die Einigkeit der beiden Bürgerkriegsparteien und deren gemeinsame Bitte um die Entsendung einer UN-Operation dem Sicherheitsrat die Einordnung der Lage in Mosambik als "Friedensbedrohung" im Sinne des Kap. VII erspart hat. (j) Ruanda
Einmal mehr auf dem afrikanischen Kontinent liegt ein letztes Beispiel für die sich erweiternde Auslegung des Friedensbegriffs durch den Sicherheitsrat: Ruanda. Das Land litt bereits seit einiger Zeit unter einem Bürgerkrieg, als der Sicherheitsrat sich in den Resolutionen 812 (1993) vom 12. 3. 1993 und 846 (1993) vom 22. 6. 1993 mit der Lage zu befassen begann und eine Beobachtermission (UNOMUR) an der Grenze zwischen Ruanda und Uganda aufstellte249 Am 5. 10. 1993 entschloß sich der Sicherheitsrat dann, auch in Ruanda eine Friedensoperation einzurichten. Mit Res. 872 (1993) autorisierte er die Hilfsrnission der Vereinten Nationen für Ruanda (UNAMIR), deren Mandat u.a. die Überwachung der Waffenruhevereinbarungen zwischen den Bürger246 Im 3. Vorspruch. 247 Brief an 248 S.o.
den Sicherheit~rat v. 10. 8. 1992, UN Doc. S/24406.
B., IV., 2., a).
249 Res. 846 (1993). Ziffer 2 des operativen Teils. Dies geschah auf die ausdrückliche Bitte der Regierungen Ruandas und Ugandas - vgl. Res. 814 (1993),1. und 2. Vorspruch.
I. Die Aufgabe - Waluung des Weltfriedens
265
kriegsparteien, die Räumung von Minen, die Koordination humanitärer Hilfe, die Flüchtlingsrückführung und auch die Überwachung der inneren Sicherheit einschloß25o Nach ihrem Mandat ist UNAMIR damit zu den Friedensoperationen der zweiten Generation zu zählen. Bei ihrer Aufstellung spielte allerdings die Tatsache eine wichtige Rolle, daß hier das Nachbarland Uganda unmittelbar in den Konflikt verwickelt war und beschuldigt wurde, die gegen die Regierung in Ruanda kämpfenden Rebellen mit Nachschub zu versorgen251 . Insofern war der Bürgerkrieg in Ruanda zunächst also der Fall eines innerstaatlichen Konflikts mit starker zwischenstaatlicher Komponente und taugte daher in diesem Stadium eher als ein Beleg für die häufig zu findende Verschlingung interner und zwischenstaatlicher Konflikte denn als Indiz für eine Interpretationspraxis des Sicherheitsrats, rein interne Konflikte als Gefahr für den Weltfrieden einzuordnen. Zu Beginn des Jahres 1994 veränderte sich die Lage jedoch dramatisch. Nach dem Tod des ruandischen Staatspräsidenten bei einem Flugzeugabsturz am 6. 4. 1994 brachen heftige Kämpfe zwischen den Angehörigen der beiden großen Volksstämme des Landes, den regierenden Hutu und den die Rebellenbewegung beherrschenden Tutsi aus252 . UNAMIR konnte diese Eskalation nicht verhindern. Der Sicherheitsrat reagierte am 17. 5. 1994 mit der Resolution 918 (1994), in der er die Situation in Ruanda als Bedrohung des Friedens bezeichnete, das Mandat von UNAMIR um den Schutz von Zivilpersonen und humanitären Hilfslieferungen erweiterte, die Erhöhung der Truppenstärke auf 5.500 genehmigte und schließlich ein Waffenembargo über das Land verhängte 253 . Für die vorliegende Untersuchung bietet Ruanda sowohl funktionales als auch begriffliches Anschauungsmaterial für die neue Interpretationspraxis des Sicherheitsrats. Die ursprüngliche Aufstellung von UNAMIR bestätigt den Ansatz des Sicherheitsrats, durch die Übernahme treuhänderischer Funktionen im Inneren eines Landes internationale Friedensgefahren abzubauen. Die Reaktion auf die Eskalation Anfang 1994 belegt seine Bereitschaft, innerstaatliche Krisen ausdrücklich zur Friedensbedrohung zu erklären und mit den Mitteln des Kap. VII zu reagieren.
250 Res. 872 (1993). Zi. 3. 251 AdG 1993, 37995 A. 252 AdG 1994. 38835 A. 253 Auffallig ist, daß der Rat lediglich das
Waffenembargo im Teil B der Resolution ausdrücklich auf Kap. VII stützt, während die Mandatserweiterung von UNAMIR im Teil A ohne eine solchen Hinweis erfolgt. Hier beläßt es der Rat vielmehr bei einer ausdrücklichen Betonung des Rechts zur Gewaltanwendung im Rahmen einer sehr weit verstandenen Selbstverteidigung, die die Verteidigung von Schutzzonen einschließt - Zi. 4.
266
C. Rechtsgrundlage
(5) Zwischenergebnis: Expandierender Gebrauch des Friedensbegriffs
Aus der dargestellten jüngeren Resolutionspraxis des Sicherheitsrats lassen sich einige Ergebnisse herleiten, die für die dynamische Auslegung des Begriffs "international peace and security" relevant sind. Ganz generell ist zu konstatieren, daß der Sicherheitsrat in seinen Resolutionen den Begriff der "Friedensbedrohung" des Art. 39 weiter gefaßt hat, als dies in knapp 45jähriger Praxis vorher der Fall war. Er hat Phänomene wie den internationalen Terrorismus einbezogen, eine früher kaum vorstellbare Entwicklung. Auch in dem sensiblen Bereich des Menschenrechtsschutzes als solchem (außerhalb des Kontextes zerfallender Staaten) hat er die schon in seiner älteren Praxis - im besonderen Fall der Bekämpfung der Apartheid - anklingende Option der Einbeziehung schwerer Menschenrechtsverletzungen in einem Land in den Begriff der Friedensbedrohung aufgegriffen und fortgeführt - wenn auch nicht ohne Zögern und Doppeldeutigkeiten, wie die Kurdenresolution 688 (1991) zeigt. Auf dem für diese Arbeit interessanten Gebiet der Behandlung desorganisierter Staaten - einer Fallgruppe, der ebenfalls ein menschenrechtlicher Aspekt innewohnt - ist die jüngere Auslegungspraxis des Sicherheitsrats noch aussagekräftiger. Der staatliche Zerfall eines Landes als solcher wird immer klarer als Gefahr für den Weltfrieden angesehen. Dies läßt sich schon unmittelbar am Te>..'"! der beschriebenen Resolutionen nachweisen. Zunächst ist zu bemerken, daß der Sicherheitsrat immer weniger Hemmungen zeigt, die internen Zusammenbrüche in der Sprache des Kap. VII als "Bedrohung" des Weltfriedens zu bezeichnen. Die Signifikanz dieser Feststellung wird klar, wenn man sich die Formulierungskapriolen vor Augen führt, mit deren Hilfe der Rat genau diese Wortwahl früher zu vermeiden suchte254 Daß die an Kap. VII orientierte Sprache kein Zufall ist, zeigt sich an der neuen Bereitschaft des Sicherheitsrats, auf als "Friedensbedrohung" bezeichnete interne Konflikte mit den Zwangsmitteln des Kap. VII zu reagieren. Regelmäßig wurden so Waffenembargos verhängt, deren Grundlage nur Art. 41 sein kann. Es zeigt sich darüber hinaus auch an der nachlassenden Bedeutung, die der Rat der Zustimmung der betroffenen Staaten zumißt. Zwar wird sie in vielen der betrachteten Resolution noch an prominenter Stelle - oft in den ersten Präambelsätzen - herausgestellt und erscheint dadurch als eine Vorbedingung der Befassung des Sicherheitsrats mit der inneren Lage eines Landes. Das hinderte den Rat aber regelmäßig nicht daran, trotz der vorliegenden Zustimmung ausdrücklich festzustellen, daß die fragliche Situation eine Friedensbedrohung sei. Wenn aber eine Bedrohung des Weltfriedens vorliegt, dann 254 Die Formulierung, die Situation in Südafrika sei eine "Störung" ("disturbing") des Weltfriedens, mit der die Verwendung der Sprache des Kap. VII ("threat") vermieden werden sollte, in der Res. 181 (1963) v. 7. 8. 1963 ist ein beredtes Beispiel; vgl. auch CotiPellet-Cohen Jonathan, Art. 39,656 m.w. Beispielen.
1. Die Aufgabe. Wahrung des Weltfriedens
267
kann das Recht des Sicherheitsrats, sich mit dieser zu befassen, nicht von der Zustimmung des Landes abhängen, von dessen Gebiet diese Bedrohung ausgeht; anders formuliert: die Qualifikation einer internen Situation als Friedensbedrohung in einer Resolution relativiert die Bedeutung der in derselben Resolution erwähnten Zustimmung des betroffenen Landes als Voraussetzung eines Tätigwerdens des Rats. Sie wird zu einem - politisch zweifellos gewünschten - "Extra", erscheint aber im Zusammenhang der Resolution nicht mehr als tragende Begründung für die Tätigkeit des Rats 255 Die Konsequenz dieser Redundanz zog der Sicherheitsrat in den Resolutionen 794 (1992) und 814 (1993) zu Somalia. Dort war eine Zustimmung politisch nicht mehr zu erreichen, also verzichtete man auf sie. Das ist ein deutlicher Beleg für ihre rechtliche Überflüssigkeit. Schließlich betont der Sicherheitsrat in den mit internen Konflikten befaßten Resolutionen immer wieder ausdrücklich seine primäre Verantwortlichkeit für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Darin ist ein weiterer Hinweis darauf zu sehen, daß er diese internen Konflikte als eine Gefahr für den von ihm zu wahrenden Weltfrieden ansieht. Fügt man dieser begrifflichen Ebene noch einen nicht allein von der Wortwahl der Resolutionen abhängigen funktionalen Blickwinkel hinzu, so wird die Praxis des Sicherheitsrats noch reichhaltiger. Von EI Salvador über Kambodscha bis Mosambik sind Friedensoperationen mit treuhänderischen Funktionen innerhalb souveräner Staaten eingesetzt worden. In diesen Fällen konnte die ausdrückliche Qualifizierung der jeweiligen internen Lage in den Zielstaaten als "Friedensbedrohung" entfallen, weil das Einverständnis der Konfliktparteien vorgelegen hatte und die nur von Kap. VII vermittelten besonderen Zwangsbefugnisse für nicht erforderlich gehalten wurden. Dennoch kann kein Zweifel daran bestehen, daß auch diese Operationen als Maßnahmen zur Wahrung des Weltfriedens verstanden wurden. Durch ihre umfangreichen, treuhänderischen Aufgaben bezeugen sie also aus einem funktionalen Blickwinkel den erweiterten Inhalt des Begriffs des Weltfriedens, den der Rat seiner Tätigkeit neuerdings zugrundelegt. Dieser Schluß kann auch nicht durch den in vielen einschlägigen Resolutionen zu findenden Hinweis, die konkrete Situation sei über die Grenzen des betroffenen Landes hinaus auch für die Region eine Gefahr, widerlegt werden. Ohne diesen Aspekt hier bereits erschöpfend behandeln zu wollen256 , sei dazu doch schon folgendes festgestellt: Der Sicherheitsrat hat im Somaliafall auf eine derartige Feststellung verzichtet. Es scheint also auch dies keine unverrückbare Bedingung für sein Tätigwerden zu sein. Auch kann dieser Fall nicht als eine völlig aus dem Rahmen fallende Sondersi-
255 A.A. O'Connell, Indiana Law Journal 1992, 913: "Under current law, the UN may not intervene in civil war without consent." 256 S. dazu eingehender unten C., 1., 2., e), aa).
268
C. Rechtsgrundlage
tuation verstanden werden257 . Vielmehr erscheint er als konsequente Fortsetzung einer schon vorher zu beobachtenden Entwicklung. Den Somaliaresolutionen 794 (1992) und 814 (1993) war bezüglich dieses Gesichtspunkts eine kontinuierliche Verschiebung in der Betonung vorausgegangen. So tendiert die Formulierung der Resolutionen immer deutlicher von einem Abstellen auf die grenzüberschreitende Gefahr (in Res. 688 (1991)) über die "Gleichberechtigung" der internationalen und der internen Aspekte (wie in Res. 713 (1991)) bis zur bevorzugten Betonung der internen Lage (in der Liberiares. 788 (1992) sowie der Res. 858 (1993) zu Georgien). Darüber hinaus verdeutlicht die auf den inneren Aufbau zielende Schwerpunktsetzung vieler der neuen Friedensoperationen des Sicherheitsrats, daß die interne Situation in einzelnen Ländern auch funktional immer mehr in den Mittelpunkt rückt. Eine notwendige Bedingung für ein Eingreifen des Rats kann das "internationale" Element vor diesem Hintergrund nicht genannt werden. Der somit feststellbare "Trend" des Sicherheitsrats, den inneren Zerfall souveräner Staaten als Gefahr für den Weltfrieden anzusehen, ist kein ZufalL Er ist ein bewußter und gewollter Beitrag zur Ausdehnung des Friedensbegriffs auf breiter Front. Daß es erstens ein bewußter Interpretationsakt ist, läßt sich eindrucksvoll durch ein Zitat aus der Stellungnahme des Vertreters des Jemen, einer dieser Entwicklung eher skeptisch gegenüberstehenden Nation, in der Debatte zur Jugoslawienresolution 713 (1991) am 25. 9. 1991 belegen. Dort stellte er über den auflodernden Bürgerkrieg im auseinanderfallenden Jugoslawien fest: "C.) in the contex1 of the major changes now taking place on the international scene, it (der Jugoslawien-Konflikt) provides us with an example of the new types of problems that will face the United Nations in the last decade of the twentieth century and thereafter. Such problems are characterized by political upheavals inside States and a slide towards fragmentation or even anarchy. Those new problems will no doubt make it necessary for the United Nations, and particularlyfor the Security Council, to deal with them creatively, in order to avoid their aggravation and escalation to the point where they would threaten regional and international security. In addition, there are living examples other than that of Yugoslavia in the cases of Liberia and Somalia. Furthermore, there is a distinct possibility that similar problems will arise in other parts of the world. (. .. ) the manner in which these new problems are dealt with greatly affect (. .. ) the Charter and international law"258 Deutlicher läßt sich die dynamische Interpretation in Antwort auf veränderte Umstände nicht auf den Punkt bringen.
257 VgL den vieldeutigen Hinweis Zimbabwes im Sicherheitsrat am 3. 12. 1992, UN Doc. S/PY.3145, S. 7: "( ... ) any unique situation and the unique solution adopted create of necessity a precedent against which future, similar situations will be measured." 258 UN Doc. S/PV.3009 v. 25. 9. 1991, S. 33.
L Die Aufgabe - Wahrung des Weltfriedens
269
Daß es sich, zweitens, um einen gewollten Interpretationsakt handelt, wird deutlich, wenn man die dargestellte Praxis im Zusammenhang mit der Erklärung des Sicherheitsrats im Anschluß an seine erste Sitzung auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs vom 31. 1. 1992 sieht259 . Dort führte der britische Premierminister Major als Ratspräsident im Namen aller Mitglieder u.a. aus: "( ... ) there are new favourable international circumstances under which the Security Council has begun to fulfil more effectively its primary responsibility for the maintenance of international peace and security (. .. ). The absence of war and military conflicts among States does not in itself ensure international peace and security. The non-military sources of instability in the economic, social, humanitarian and ecological fields have become threats to peace and security."26o Diese Erklärung zeigt deutlich, daß der Sicherheitsrat dem Friedensbegriff heute eine größere Reichweite zumißt als das früher der Fall gewesen ist 261 und daß er, in Reaktion auf neue äußere Umstände, den Begriff der "Friedensbedrohung" weiter fassen will. Dieser Wille wird von der dargestellten Resolutionspraxis reflektiert. Daß es sich, drittens, um einen Beitrag zu einer generellen Neubestimmung des Friedensbegriffs handelt, wird einerseits ebenfalls durch die gerade zitierte Erklärung des Rates, andererseits durch die Tatsache unterstrichen, daß sich diese Neuinterpretation nicht nur im Zusammenhang mit zusammenbrechenden Staaten, sondern parallel auch in anderen Bereichen, wie z.B. dem internationalen Terrorismus, nachweisen läßt. Zusammenfassend kann damit festgestellt werden, daß der Sicherheitsrat auf die von ihm erkannte Veränderung der Weltlage in den letzten Jahren mit einer gewandelten Auslegungspraxis bezüglich des Begriffs des "Weltfriedens und der internationalen Sicherheit" reagiert hat262 Seine Resolutionspraxis läßt einen expandierenden Friedensbegriff erkennen. In diesem Zusammenhang tendiert der Rat immer klarer dazu, den inneren Zusammenbruch eines Staates begrifflich als "Friedensbedrohung" im Sinne des Art. 39 einzuordnen und seinen staatsorganisatorischen Wiederaufbau funktional als Maßnahme zur Wahrung des Weltfriedens aufzufassen.
259 Der Tex1 dieser Erklärung ist übrigens ohne nennenswerten Widerstand in kürzester Zeit zustandegekommen - vgl. Freudenschuß, AJPIL 1993, 2R 260 UN Doc. S/23500 v. 31. I. 1992, S. 2 und 3.
261 So auch Alston, Australian Yearbook ofInternational Law 1992, 161. 262 LE. ebenso Greenwood, EA 1993, 105; van Weil, EA 1992, 706; Delbrück, Indiana Law
Journal 1992, 899; Ipsen, VN 1992,42; HeinziPhilipp/Wolfrum, VN 1991, 128; Delbrück, Verfassung und Recht in Übersee 1993, 18 f
270
C. Rechtsgrundlage
cc) Einverständnis der übrigen Staaten Nach dem oben263 zur dynamischen Interpretation Gesagten kann eine dynamische Erweiterung des Begriffs der Friedensbedrohung nur dann angenommen werden, wenn zu den veränderten Umständen, auf die der Sicherheitsrat mit einer erweiternden Auslegungspraxis bezüglich dieses Begriffs reagiert hat, noch das Einverständnis der Staatengemeinschaft mit dieser neuen Auslegungspraxis tritt. Für die Annahme eines solchen Einverständnisses ist nicht die ausdrückliche Zustimmung aller Mitglieder erforderlich. Vielmehr kann es genügen, wenn die neue Auslegungspraxis nicht auf Widerspruch stÖßt 264 Bedeutsam bei der Auslegung der UN-Charta ist es, die in den verschiedenen WeItregionen jeweils dominierenden Ansichten herauszuarbeiten. Um im Rahmen dieser Arbeit einen Überblick über die Auffassungen der UNMitgliedstaaten zu der neuen Auslegungspraxis des Sicherheitsrats zu gewinnen, werden zunächst die Auffassungen der Vertreter der verschiedenen Staatengruppen im Sicherheitsrat selbst beleuchtet werden. Daraufhin ist dann ein Blick auf die sich außerhalb des Sicherheitsrats manifestierende Rechtsüberzeugung der Mitglieder in dieser Frage zu werfen, und zwar einerseits durch eine Analyse der Positionen der Staaten in der Generalversammlung, andererseits indem untersucht wird, wie sich die Auffassungen der Staaten in der Literatur niederschlagen. (1) Im Sicherheitsrat geäußerte Auffassungen
Begonnen werden soll die Analyse der Reaktion der UN-Mitgliedstaaten auf die neue Auslegungspraxis des Organs Sicherheitsrat mit der Aufarbeitung der Auffassungen, die die während der letzten Jahre im Sicherheitsrat vertretenen Staaten zu dieser neuen Praxis geäußert haben. Dabei steht natürlich die Feststellung am Anfang, daß die Mehrheit dieser Staaten die neue Auslegungspraxis mitträgt - wie sonst hätte sie auch zustandekommen können. Besonders gefördert worden ist sie von den drei ständigen Mitgliedern England, Frankreich und USA"!65 Aber auch Russland hat erkennen lassen, daß es den neuen Kurs nicht nur hinnimmt, sondern aktiv unterstützt266 Lediglich 263 C., 1., 2., d). 264 Charta der UN, Konunentar-Ress, Auslegung, Rz. 30. 265 So tauchen diese drei Länder als Sponsoren der umstrittenen Resolutionen 688 (1991) (UNYB 1991,205),706 (1991) (UNYB 1991,208) und 748 (1992) (UN Doc. S/PV.3063 v. 31. 3.1992, S. 3) auf 266 Russland hat u.a. die Res. 706 (1991) mitgesponsort (UNYB 1991. 208) und fiir alle anderen dargestellten Resolutionen gestinunt. Vgl. auch die Stellungnahme Präsident leizins im Sicherheitsrat am 31. I. 1992 (UN Doc. S/PV.3046 v. 31. I. 1992, S. 46): "I believe that these questions (die
I. Die Aufgabe - Wahrung des Weltfriedens
271
China hat die neue Praxis mit einiger Reserve aufgenommen, manchen Vorbehalt erkennen lassen267 und durch einzelne Stimmenthaltungen bekräftigt268. Es hat die generelle Linie des Sicherheitsrats aber nicht verworfen, wie sich daran zeigt, daß China sein Vetorecht nicht gebraucht hat. Außerhalb der fünf ständigen Ratsmitglieder haben vor allem die Repräsentanten der Gruppe der westlichen Industriestaaten die erweiternde Auslegung des Friedensbegriffs aktiv unterstützt 269 . Wenn auch zuweilen eine gewisse Zurückhaltung der Großmächte angemahnt wurde 270 , so dominiert in dieser Gruppe doch eindeutig die ausdrückliche Zustimmung zu der neuen Linie. Nicht viel anders stellen sich die Positionen der Länder des ehemaligen Ostblocks im Sicherheitsrat dar. Auch hier ist - unbeschadet zuweilen geäußerter Zurückhaltung271 - insgesamt ausdrückliche Zustimmung zu konstatieren 272 Garantie der Menschenrechte - Arun. d. Verf) are not an internal matter of States ( ... ). The Security Council is called upon to underscore the civilized world's collective responibility for the protection of human rights and freedoms.".
267 Vgl. dazu die Stellungnahme des Ministerpräsidenten Li Peng im Sicherheitsrat am 31. I. 1992 (UN Doc S/PY.3046 v. 31. I. 1992, S. 92): "The core ofthese principles (auf die die neue Weltordnung gegründet werden soll- Arun. d. Verf.) is non-interference in each others internal affairs. ( ... ) In essence. the issue of human rights falls within the sovereignty of each country.". 268 Bei der Verabschiedung der Resolutionen 688 (1991) (UNYB 1991,205) und 748 (1992) (UN Doc S/PV.3063 v. 31. 3.1992, S. 65). 269 Bei Res. 688 (1991) (UNYB 1991,205) und Res. 706 (1991) (UNYB 1991,208) tauchte z.B. BELGIEN als Co-Sponsor auf. Auch haben alle westlichen Länder fur alle angesprochenen Resolutionen gestimmt. Vgl. dazu auch folgende Stellungnahmen ÖSTERREICHS im Sicherheitsrat: 'Terrorism is a most dangerous threat to international peace and scurity. That is why it is appropriate for the Security Council to deal firmly with the matter." (Am 31. 3. 1992, UN Doc. S/PV.3063) und "Many ofthe question~ currently on the agenda ofthis Council relate directly to internal conflicts (... ) Nevertheless, they all sooner or later affect regional or international peace and security." (Bundeskanzler Vranitzky arn 31. I. 1992, UN Doc S/PV.3046, S. 63). Siehe ebenfalls die Äußerung des Premierministers Martens aus BELGIEN in derselben Sitzung (a.a.O., S. 73): "Belgium would suggest that the Security Council deal with such cases (Fälle schwerer Menschenrechtsverletzungen Arun. d. Verf) at an early stage and support any action taken elsewhere to put an end to unacceptable situations that could pose a direct threat to international peace and security." 270 Vgl. die Stellungnahme Belgiens zur Somalia Operation lJNITAF, lJN Doc. S/PY.3145 v. 3. 12. 1992, S. 24: "Belgium would have preferred this to be a purely United Nations operation ( ... )".
271 Vgl. Rumänien zu Res. 706 (1991), UN Doc. S/PV.3004 v. 15. 8. 1991, S. 99: "We understand that the provisions of resolution 706 (1991), just adopted, are extraordinary ones ( ... )". 272 Vgl. exemplarisch die Position des ungarischen Außenministers im Sicherheitsrat arn 31. I. 1992, UN Doc. S/PV.3046, S. 115: "For the Republic of Hungary, respect for human rights and the right. of national minorities is not merely a legal and humanitarian question: it is also an integral part of international collective security. Therefore, it is indispensable for the Security Council to defend and protect these rights." und Ungarns Stellungnahmen zu Libyenres. 748 (1992), UN Doc. S/PV.3063 v. 31. 3. 1992, S. 76: "( ... ) those acts (Terroranschläge auf Flugzeuge - Arun. d. Verf.) constitute beyond any shadow of doubt a threat to international peace and security." sowie zur Somaliares. 749 (1992), lJN Doc. S/PV.3145 v. 3. 12. 1992, S. 48: "The Security Council today has demonstrated that it is quite possible and feasible to adapt to the realities of the world of today and to undertake an international operation that will make it possible to carry out wide-scale and ell.1raordinary humanitarian actions.".
272
C. Rechtsgrundlage
Dieser Befund wird durch die Beobachtung untennauert, daß alle ehemaligen Ostblockländer für alle dargestellten Resolutionen gestimmt haben. Dieses Bild der Einigkeit verändert sich jedoch, sobald der Blick sich auf die blockfreien Länder der Dritten Welt richtet. Hier zeigen sich zum Teil erhebliche Vorbehalte gegen die neue Auslegungspraxis. Offen wird die Gefahr benannt, die neue Interpretationslinie könne zu tiefen Engriffen in die Souveränität betroffener Staaten führen und insofern mit Art. 2 (7) der Charta unvereinbar sein273 . Auch wird von dieser Seite regelmäßig betont, nicht die innere Lage eines Landes als solche, sondern nur deren grenzüberschreitende Auswirkungen könnten als "Friedensbedrohung" zu einem Tätigwerden des Sicherheitsrats führen274 . Ebenso wird von den Vertretern der Dritten Welt des öfteren die Notwendigkeit der Zustimmung der betroffenen Staaten zu Maßnahmen des Sicherheitsrats im Zusammenhang mit ihrer internen Lage hervorgehoben275 Die Opposition einiger Länder der Dritten Welt kommt auch in ihrem Abstimmungsverhalten zum Ausdruck. Besonders die Resolutionen 688 (1991) 273 Vgl. Kuba, UN Doc. S/PV.3004 v. 15. 8. 1991, S. 68 f: "My delegation does not believe that Chapter VII of the Charter, or indeed any other Chapter of the Charter, authorizes this Council to take upon itself certain functions ( ... ) which are c1early a breach of the principle of non-intervention in the internal affairs ofStates and ofthe principle ofthe sovereign equality ofStates."; Indien, ebenda, S. 97: "My delegation considers it especially important that the measures adopted (Res. 706 (1991) - Anm. d. Verf.) must not adversely affect or undermine lraq's sovereignty."; Zimbabwes Außenminister, UN Doc. S/PV.3046 v. 31. I. 1992, S. 131: "( ... ) great care has to be taken to see that these domestic conflicts are not used a, apretext for the intervention of big powers in the legitimate domestic affairs of small States ( ... ) we cannot but e"l'ress our apprehension about who will decide when to get the Security Council involved in an internal matter and in what manner. "; Ministerpräsident Li Peng aus China, ebenda, S. 93: "( ... ) it (China - Anm. d. Verf) is opposed to interference in the internal affairs of other countries using the human rights issue a, an excuse. ". 274 Vgl. Indien, UN Doc. S/PV.3009 v. 25.9. 1991, S. 46 zum Bürgerkrieg in Jugoslawien: "( ... ) the Council's consideration of the matter relates not to Yugoslavia's internal situation as such, but specificallyto it. implications for peace and security in the region" sowie in UN Doc. S/PV.3138 v. 19. 11. 1992, S. 87 zur Lage in Liberia: "Large numbers of refugees have fled their hornes into neighbouring countries. ( ... ) There is c1early an international dimension to the situation that presents a direct threat to international peace and security."; Ecuador, ebenda, S. 81: "We members ofthe Council have noted with regret how the problems of that country, ( ... ), have been deteriorating, giving rise to suffering for the people and at the same time e"1ending the consequences of the crisis to neighbouring countries, which has given the crisis an international character."; Zimbabwe, ebenda, S. 62: "( ... ) with ( ... ) thousands of refugees spilling over into neighbouring countries, it cannot longer be considered a purely domestic issue to be resolved by the Liberians themselves. The conflict ha. now spilled over into neighbouring countries and thus presents a threat not only to the region but to international peace and security."; Senegal, ebenda, S. 22: "All the harm that this crisis has done to Liberia is weil known. But in addition it has many destabilizing factors for the countries of the region. ( ... ) Perhaps tomorrow it will spread to other countries ofthe region."; Marokko, UN Doc. S/PV.3145 v. 3. 12. 1992 zur Lage in Somalia: "This poses areal threat for the Horn of Africa ( ... ). Hence it is also a threat to international peace and security." 275 Vgl. Indien, UN Doc. S/PV.3004 v. 15. 8. 1991, S. 97 zur Res. 706 (1991): "Of cardinal importance in any such exercice is the consent of the country concerned. ". Ähnlich äßerten sich in der Debatte zur Jugoslawienres. 713 (1991), UN Doc. S/PV.3009 v. 25. 9. 1991 die Vertreter aus Zimbabwe (5. 28 f), Jemen (5. 36), Indien (5. 45) und China (5. 49).
I. Die Aufgabe - Wahrung des Weltfriedens
273
zum Kurdenproblem276 , 706 (1991) zum Irak 277 und 748 (1992) zum internationalen Terrorismus278 können dafür als Beleg angeführt werden. Nichtsdestotrotz ist jedoch ebenfalls festzuhalten, daß die Dritte Welt in dieser Frage keinesfalls geschlossen ist. So finden sich bei allen angeführten Resolutionen auch Länder der Dritten Welt unter den Befürwortern der neuen Interpretationslinie279 . Dies schlägt sich ebenfalls im Abstimmungsverhalten nieder und gilt auch für die drei umstrittenen Resolutionen 688 (1991)280, 706 (1991)281 und 748 (1992)282. Außerdem gilt es zu vermerken, daß die anderen herausgestellten Resolutionen einstimmig, d.h. mit der ausdrücklichen Zustimmung auch der Vertreter der Dritten Welt beschlossen wurden. Besonders deutlich wurde die Kritik an den Resolutionen 688 (1991) und 748 (1992) festgemacht. Zu Res. 688 ist zu vermerken, daß es sich dabei um den ersten der untersuchten Fälle, noch dazu in dem besonders sensiblen Bereich der Menschenrechte handelt. Res. 748 wiederum, im Kontext der Terrorismusbekämpfung stehend, ging sehr weit, indem von Libyen die Übergabe eigener Staatsangehöriger zum Zwecke der Strafverfolgung an ein anderes Land verlangt wurde283 . Außerdem fühlten sich hier besonders die arabischen Länder 276 Dagegen stinunten: Kuba, Jemen und Zimbabwe; es enthielten sich: China und Indien - UNYB 1991,205. 277 Dagegen stinunte Kuba; es enthielt sich Jemen - UNYB 1991,208. 27R Hier enthielten sich: China, Indien, Kapverde, Marokko und Zimbabwe; keiner stinunte allerdings dagegen - UN Doc. S/PV.3063 v. 31. 3. 1992, S. 65.
279 Vgl. dazu exemplarisch die Stellungnahmen des Premierministers von Kapverde im Rat am 31. 1. 1992, UN Doc. S/PV.3046, S. 81: "National conflicts are sometimes as destructive as the fiercest international conflicts ( ... ) Apart from the loss of human lives, every national conflict has an international dimension, for it generates massive numbers of refugees, ( ... ). We are glad to note the positive response ofthe Security Council in this respect in recent cases, and we encourage the Council to pursue this course." sowie des Präsidenten Perez von Venezuela in derselben Debatte, a.a.O., S. 57: "We must adapt the traditional concept of national sovereignty, incorporating into it the transnational responsibilities implicit in the interdependence of all our nations and in supranationality, which has been fully reckognized through the democratization of global society. We must reshape the traditional concept of national sovereignty to the full range of State duties and people's rights.". Eine besonders deutliche Zustinunung erfahrt die neue Interpretationsline des Sicherheitsrats in folgender Stellungnahme des Vertreters aus Kapverde, UN Doc. S/PV.3145 v. 3. 12. 1992, S. 21: "The United Nations Charter gives the Council the primary responsibility for the maintenance of international peace and security. We take the view that, during the last few years, the Council has succeeded in acting correctly and effectively in discharging all its responsibilities in the field of international security. "; Liberia, UN Doc. S/PV.3138 v. 19. 11. 1992, S. 13 bezeichnete die klassische Konzeption von nationaler Souveränität als "anachronistic". 280 Unter den Befurwortern waren hier: Elfenbeinküste, Zaire und Ecuador - UNYB 1991,205. 281 Unter den Befurwortern waren hier: China, Elfenbeinküste, Ecuador, Indien, Zaire
Zimbabwe - UNYB 1991,208.
und
282 Unter den Befurwortern waren hier: Ecuador und Venezuela - UN Doc. S/PV.3063 v. 31. 3. 1992, S. 65.
283 Diesen Aspekt betont Tomuschat, The Review, No. 18
Hufnagel
48 (1992), 45 f.
274
C. Rechtsgrundlage
betroffen, da ein arabisches Land Adressat der Resolution war284 . Bei den im Mittelpunkt dieser Arbeit stehenden Fällen der Einordnung zerfallender Staaten unter den Begriff der Friedensbedrohung ist der im Sicherheitsrat zutage tretende Widerstand der Dritten Welt deutlich geringer. Zwar kommt in den Äußerungen immer wieder eine bremsende Tendenz zum Vorschein. Das Abstimmungsverhalten ist jedoch durchgehend und einhellig zustimmend. Erhellend ist in diesem Zusammenhang die Debatte der Liberiaresolution 788 (1992) am 19. 11. 1992 im Sicherheitsrat. Dort äußerten sich viele afrikanische Staaten, auch solche, die nicht Mitglieder des Rats waren, so daß diese Debatte ein gutes Bild von den Auffassungen anderer UN-Mitglieder vermittelt. Einmütiger Tenor aller dieser Stellungnahmen ist die Anerkennung der Verantwortung des Sicherheitsrats für die Situation in Liberia und deren Einordnung als "threat to international peace and security"28s Die Debatte der Somaliaresolution 794 (1992) bestätigt diesen Eindruck 286 . Die Analyse der Äußerungen und des Verhaltens der Mitgliedstaaten im Sicherheitsrat führt somit zu dem Ergebnis, daß die neue Auslegungspraxis sich auf eine breite Zustimmung der Mitgliedstaaten gründet. Zwar ist die bremsende Stimme der Dritten Welt unüberhörbar. Im Zusammenhang des Problems zerfallender Staaten aber kann eine weitgehende, mit fortschreitender Zeit immer deutlicher werdende Zustimmung auch der Staaten der Dritten Welt festgestellt werden. (2) In der Generalversammlung geäußerte Auffassungen
Diesen Befund gilt es nun anhand der Praxis der Staaten außerhalb des Sicherheitsrats zu überprüfen. Dabei sind die Positionen, die von den Staaten in der UN-Generalversammlung vertreten werden, von besonderem Interesse. Der Rahmen dieser Arbeit erlaubt nur die schlaglichtartige Darstellung der Rechtsauffassungen von Staaten auf dieser Bühne in exemplarischer Weise. Im 284 Nicht überraschend daher auch die Res. des Rates der arabischen Liga v.
22. 3. 1992, UN Ooc.
S/23745 v. 23. 3. 1992, in der der Sicherheitsrat zu einem Verzicht auf Schritte gegen Libyen gedrängt
worden war.
285 UN Ooc. S/PV.3138 v. 19. 11. 1992 : Benin als Vorsitzender der ECOWAS, S. 11; Liberia, S. 19-20; Senegal, S. 22; Burkina Faso, S. 34; Gambia, S. 37; Guinea, S. 43: "The Security Council must meet this challenge to the international cornmunity in order to enhance it~ growing prestige and strengthen the credibility ofthe United Nations."; Sierra Leone, S. 53 f; Togo, S. 58 t Zimbabwe, S. 62 f; Kapverde, S. 69; Mauritius als Vorstizender der Afrikanischen Gruppe, S. 91; Ägypten, S. 94-95: "Given this deteriorating situation which threatens peace and security in a region that embraces a number of States Members of the United Nations, the Security Council is duty-bound to discharge its responsibilities under the Charter ( ... ).". 286 Vgl. nur die Stellungnahmen von Ecuador, UN Ooc. S/PV.3145 v. 3. 12. 1992, S. 14: Kapverde, a.a.O .. S. 21 und Venezuela, a.a.O., S. 39-40.
I. Die Aufgabe - Wahrung des Weltfriedens
275
Mittelpunkt soll daher die Untersuchung der im Herbst 1992 geführten Debatte über den Bericht des Generalsekretärs v. 17. 6. 1992, "An Agenda For Peace"287, stehen, in der die Positionen der Staaten recht pointiert zum Ausdruck gekommen sind. Bestätigt wird das aus den Debatten im Sicherheitsrat gewonnene Bild insofern, als die Position westlicher Staaten in Frage steht. Hier wird die neue Interpretationslinie des Sicherheitsrats befürwortet, die daraus folgende Verantwortung der UNO für innere Probleme eines Landes grundsätzlich akzeptiert288 . Bezüglich der Länder der Dritten Welt hingegen verschärft sich der bisher nur als leicht beschriebene Meinungsunterschied. Viele Vertreter der Dritten Welt nutzen die Plattform der Generalversammlung, um ihre Sorge vor einer Erosion des Prinzips der staatlichen Souveränität deutlich zu machen289 Sie betonen dies im Zusammenhang mit der Frage der Intervention zum Schutz von Menschenrechten, die in Res. 688 (1991) eine Rolle gespielt hat290 , aber auch darüber hinaus in Bereichen wie der Hilfe bei internen Schwierigkeiten in einem Land. Wenn auch selten ausdrücklich von der erweiterten Interpretation des Begriffs der Wahrung des Weltfriedens durch den Sicherheitsrat die Rede ist291 und erst recht kaum die Einbeziehung des internen Zusammenbruchs von 287 UN Doc. S/24111 = Al47/277. 28R Schweden fiir die Nordischen Länder sprechend, UN Doc. Al47/PV.31 v. 22. 10. 1992, S. 76: "We support the strengthened role of the Security Council ( ... ). Other sources of instability in the economic, social, humanitarian and ecological fields are increasingly considered threats to international peace and security. "; Grossbritannien fiir die EG sprechend, ebenda, S. 11: "The absence of democratic and pluralistic internal structures is a source of political and economic instability which may weil result in a threat to international peace and security. ( ... ) Sovereignty cannot be used as a general cover for systematic human rights violations (... )". 289 Argentinien, UN Doc. A/47/PV.31 v. 22. 10. 1992, S. 27: "( ... ) discussions must be based on respect for the principle of sovereignty, non-intervention, sovereign equality, the territorial integrity of States (... )"; Mexiko, ebenda, S. 51: "(... ) the adoption of any measures that might impair sovereign right~ or be transformed into an excuse to intervene in the internal affairs of States would cause us concern." Para. 59 der "Agenda For Peace", (Dieser befiirwortet UN-Unterstützung bei der Stärkung demokratischer Strukturen innerhalb von Staaten) UN Doc. S/24111 = Al47/277 v. 17. 6. 1992, "merits cautious consideration, since these ideas fall exclusively within the sovereignty of States. "; Kuba, ebenda, S. 64 f: "(... ) our concern and unease over the development within the United Nations of concepts, practices and trends that flagrantly contradict the principles I have just mentioned (Souveränität und Interventionsverbot - Anm. d. Verf.)" und S. 66: "( ... ) a small group of countries ( ... ) in c1andestine councils where no one knows exactly what is happening ( ... ) impose their own interests (... )"; Malaysia, ebenda, S. 90: "There cannot be any attrition of sovereignty, either by actions of the Security Council or even in peace-keeping and similar actions.".
290 Dieser Aspekt stand im Mittelpunkt der Debatte der 46. Generalversammlung Ende 1991 über die "Humanitarian Assistance". Diese Debatte - und gerade auch die kritischen Stimmen der Dritten Welt gegenüber einer solchen Intervention - wird ausfiihrlich geschildert bei Alston, Australian Yearbook ofInternational Law 1992, 162 - 164. 291 So aber z.B. in der Stellungnahme Kubas, UN Doc. Al47/PV.31 v. 22. 10. 1992, S. 67 f: "( ... ) we should ( ... ) prevent it (the Security Council - Anm. d. Ven.) from assuming fimctions that are not
276
C. Rechtsgrundlage
Staaten in diesen Begriff explizit angesprochen wird292 , so läßt sich aus vielen Stellungnahmen doch überdeutlich die Skepsis vieler Staaten der Dritten Welt gegenüber einer Ausdehnung des Begriffs ableiten. Die Furcht, eine derartige Ausweitung könne einem neuen Interventionismus unter der Ägide des Sicherheitsrats Vorschub leisten, ist allgegenwärtig; die Sorge um die Unantastbarkeit dessen, was als nationale Souveränität verstanden wird, unübersehbar. Auf der anderen Seite hat auch die Generalversammlung in einigen Resolutionen der letzten Jahr zu erkennen gegeben, daß sie "neue(n) normative(n) Ansätze(n)"293 bei der Bestimmung der Verantwortung der Weltgemeinschaft für interne Ausnahmesituationen in einem Mitgliedstaat nicht prinzipiell entgegensteht. Die Resolutionen 43/131 vom 8. 12. 1988 und 45/100 vom 14. 12. 1990 sind Beispiele dafür. Allerdings ging es bei diesen beiden Resolutionen primär um Naturkatastrophen, wenngleich die Formulierung "natural disasters and similar emergency situations" darüber hinausgeht und prinzipiell auch humanitäre Notlagen infolge eines Zusammenbruchs der Staatsgewalt einzuschließen294 geeignet ist. Außerdem ist zu beachten, daß diese Resolutionen in sich nicht ganz widerspruchsfrei sind und beide mehrfach ausdrücklich die Souveränität der Staaten auch in derartigen Ausnahmesituationen betonen 295 . Insofern sind sie tatsächlich bestenfalls "Ansätze", die eine Tendenz erkennen lassen. Eine Fortführung dieser Ansätze findet sich in Res. 46/182 vom 19. 12. 1991, als deren Annex ein Text zur "Humanitarian Emergency Assistance" durch die Vereinten Nationen angenommen wurde. In der Debatte, die der Annahme dieser Resolution vorausging, wurde die Sorge vieler Staaten um die Unversehrtheit des Prinzips staatlicher Souveränität einmal mehr zum Ausdruck gebracht296 Dennoch wurde sie ohne Abstimmung angenommen 297 und enthält in ihrem Text einige interessante Nuancen. Zwar wird wieder die Beachtung der Souveränität der betroffenen Staaten unterstrichen; die Formulierungen lassen jedoch erahnen, daß dieses Prinzip im Falle extremer mensch-
within it. mandate, as it does by interfering in the internal affairs of States. ( ... ) limit the uses and abuses ofChapter VII ( ... )." 292 In diesem Sinne ist aber wohl die o.a. Äußerung Malaysias, UN Doc. A/47/PV.31 v. 22. 10. 1992, S. 90 zu verstehen.
293 ToreIli, RldCR 1992, 262. 294 In diesem Sinne auch ToreIli, RldCR 1992,272. 295 Res. 43/131, 2. Vorspruch und Ziffer 2 des operativen Teils;
Res. 45/100, 3. Vorspruch und Ziffer 2. Bettati, The Review 1992, 6 will die darin angelegte Spannung durch da. Subsidiaritätsprinzip lösen. 296 Vgl. die Schilderung der Debatte bei Ellerman, Vanderbilt Journal of Transnational Law 1993, 364 Ir
297 UNYB 1991, 421.
I. Die Aufgabe - Wahrung des Weltfiiedens
277
licher Not nicht mehr absolut verstanden wird298 . Zu beachten ist bei diesen drei Resolutionen freilich, daß sie die Verantwortung der Weltgemeinschaft nicht durch einen Rückgriff auf die Aufgabe der Wahrung des Weltfriedens begründen. Für den speziellen, dafür bei den Friedensoperationen der zweiten Generation besonders bedeutsamen Aspekt der Wahldurchführung durch die UN-Kräfte stellte die Generalversammlung dann aber auch diesen Zusammenhang ausdrücklich her. In der Res. 47/130 vom 18. 12. 1992, die den Titel "Respect for the principles of national sovereignty and non-interference in the internal affairs of States in their electoral processes" trägt, stellt sie fest, "that there is no universal need for the United Nations to provide electoral assistance to Member States, except in special circumstances such as cases of decolonization, in the context of regional or international peace processes or at the request of specific sovereign States, (. .. )"299. Andersherum bedeutet dies, daß im Zusammenhang solcher Friedensprozesse nicht nur eine Handlungsbefugnis, sondern sogar ein Bedürfnis nach UN-Wahlhilfe anerkannt wird. Gerade die Formulierung, die den Zusammenhang mit einem Friedensprozeß dem Ersuchen eines Staates als Voraussetzung für UN-Wahlhilfe gleichstellt, ist beachtlich und bestätigt die in dieselbe Richtung weisende Praxis des Sicherheitsrats. In unmittelbarem Zusammenhang mit der neuen Praxis des Sicherheitsrats steht schließlich die Res. 47/167 vom 18. 12. 1992. Zwei Wochen, nachdem der Sicherheitsrat die Somaliaresolution 794 (1992) verabschiedet hatte, wurde diese durch die Generalversammlung ausdrücklich zur Kenntnis genommen, und es wurde dieser Kenntnisnahme die "Begrüßung der Anstrengungen, die vom Sicherheitsrat (. .. ) unternommen werden", angefügt30o. Damit gab die Generalversammlung zu erkennen, daß sie dem Sicherheitsrat jedenfalls in diesem Fall zu folgen bereit ist. In gleicher Weise hatte sie ihm in Res. 46/18 vom 20. 11. 1991 bereits ausdrückliche Unterstützung für die UNTAC-Operation in Kambodscha bekundet30I . Zu beachten ist allerdings, daß es sich bei Generalversammlungsresolutionen selbstverständlich nicht um eine Rechtsquelle handelt; als ein Indikator für die Rechtsauffassung der Staatengemeinschaft können sie aber herangezogen werden 302 Als Ergebnis dieser recht kursorischen Betrachtung der in der Generalversammlung zum Ausdruck kommenden Positionen der übrigen Mitgliedstaaten 298 In para. 3 des Textes heißt es: "( ... ) humanitarian assistance should be provided with the consent ofthe affected country (nicht "state" - Anm. d. Verf) and in principle on the basis of an appeal by the affected country" (Hervorhebungen durch den Verf.). 299 Ziffer 4. des operativen Teils.
300 3. beziehungsweise 8. Vorspruch der Res. 47/167. 301 Zi. 2.: "supports the efforts of the Secretary-General
to set up an effective United Nation Transition Authority in Cambodia, ( ... ), with the aim ofrestoring peace and stability in Cambodia". 302 Das stellte der IGH im Urteil v. 27. 6. 1986 (Nicaragua), ICJ Rep. 1986, 14,99 (para. 188) und 101 (para. 191) fest; vgl. auch Ipsen, § 16, Rz. 23 und § 18, Rz. 21.
278
C.Rechtsgrundlage
zu der neuen Auslegungspraxis des Sicherheitsrats ergibt sich ein zwiespältiges Bild. Ohne offen gegen diese Praxis zu Felde zu ziehen und sich ihr ausdrücklich entgegenzustellen, werden viele Staaten der Dritten Welt doch nicht müde, ihre Skepsis gegenüber den Implikationen der neuen Auslegungspraxis deutlich zu machen. (3) Von der Literatur wahrgenommene Äußerungen
Dieser Eindruck von der unter den Staaten der Dritten Welt herrschenden Position wird auch in dem mit dieser Frage befaßten Schrifttum nahezu einhellig geteilt. Die Autoren, die sich dem Problem der Ausweitung des Friedensbegriffs überwiegend im Zusammenhang mit dem Schutz der Menschenrechte durch den Sicherheitsrat widmen303 , beschreiben übereinstimmend den oben herausgearbeiteten "Nord-Süd"-Unterschied304 in dieser Frage. Die kritische Haltung vieler Länder der Dritten Welt unter dem Banner der Unantastbarkeit nationaler Souveränität und des Interventionsverbots wird überall geschildert 305 Darüber hinaus findet sich in der Literatur aber fast ebenfalls durchgehend die Betonung eines dynamischen Elements: Zwar seien - so der Tenor die Staaten der Dritten Welt noch überwiegend skeptisch, doch lasse sich hier ein allmählicher Wandel ausmachen hin zu einem neuen, "relativen" Souveränitätsverständnis306 Diese Betrachtungsweise impliziert den Schluß auf eine zunehmende Akzeptanz der Ausdehnung des Friedensbegriffs, die ihrerseits die Grundlage für den Einschluß interner Problemlagen innerhalb eines Staatswesens in den Zuständigkeitsbereich der UNO ist, unter den Ländern der Dritten Welt. Insofern bestätigen die in der Literatur zu findenden Wahrnehmungen die gerade gefundenen Ergebnisse zu der Frage nach dem Einverständnis der UNMitgliedstaaten mit der· neuen Auslegungspraxis des Sicherheitsrats. Diese Praxis stößt in der Dritten Welt auf Skepsis. Allerdings - und dafür schärft die 303 So Z.B. Alston, Australian Yearbook ofInternational Law 1992. 107; Djiena Wembou. AJICL 1992, 570; Greenwood, EA 1993, 93; Pease/Forsythe, A.lPIL 1993. 1. 304 Die "Nord-Süd"-Terminologie wird von Pease/Forsythe, A.lPIL 1993, 16 fbenutzt.
305 Ellerman, Vanderbilt Journal ofTransnational Law 1993, 364 - 366 und 368; Pease/Forsythe, AJPIL 1993, 15 fund 18; van Weil, EA 1992,706; Greenwood, EA 1993, 104 f; Alston. Australian Yearbook of International Law 1992, 163; HelmaniRatner, Foreign Policy, No. 89 (1992/93), 10; Weiss, Washington Quarterly, Winter 1993,61; Wagner, EA 1994, 158; Lillich. ZaöRV 1993, 567 569; Weiss in: Külme, Blauhelme, 190; Sullivan, Newsweek v. 18. 1. 1993,8. 306 Helman/Ratner, Foreign Policy, No. 89 (1992/93), 10 f: "The tide is slowly changing" ( S. 10); van Weil, EA 1992, 706; Greenwood, EA 1993, 95 f; Alston, Australian Yearbook of International Law 1992, 171 f; Weiss, Washington Quarterly, Winter 1993, 60; Freudenschuß, A.lPIL 1993. 35; Farer in: Külme, Blauhelme, 286 f; Külme in: ders., Blauhelme, 31 ff mit zahlreichen Nachweisen entsprechender Äußerungen aus den Staaten der 3. Welt.
1. Die Aufgabe - Wahrung des Weltfriedens
279
Literaturbetrachtung den Blick - handelt es sich dabei nicht um einen rein statischen Befund. Vielmehr bemerkt der Beobachter eine allmählich zunehmende Akzeptanz der neuen Praxis des Sicherheitsrats. Nicht verschwiegen werden soll demgegenüber jedoch, daß es auch in der Wissenschaft von Vertretern der Dritten Welt z.T. erheblichen Widerstand gegen die neue Entwicklung gibt307 . (4) Zwischenergebnis: Zögernde Zustimmung
Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß die neue Auslegungspraxis des Sicherheitsrats nicht auf die ungeteilte Zustimmung der UN-Mitglieder trifft. Diverse Länder der Dritten Welt stehen ihr skeptisch gegenüber. Ihre Hauptsorge betrifft die eigene Souveränität; hier fürchtet man eine zunehmende Bereitschaft großer Mächte zu vielfältigen Interventionen in die inneren Angelegenheiten. Allerdings ist diese auf einem absoluten Souveränitätsbegriff basierende Position in Bewegung geraten. Auch die Länder der Dritten Welt erkennen in Fällen, in denen sie sich selbst von dem inneren Zusammenbruch anderer Länder betroffen fühlen, das Ordnungspotential einer Weltorganisation, die sich auf eine weitergehende Zuständigkeit bei der Wahrung des Weltfriedens stützen kann. Die Fälle Liberias und Somalias haben dies ebenso deutlich gezeigt, wie die Bereitschaft gerade der afrikanischen Staaten, sich mit der Bereitstellung von Soldaten an der erweiterten Operation in Ruanda zu beteiligen 308 Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht der weiten Zustimmung, die die neue Auslegungspraxis in anderen Teilen der Welt gefunden hat, erscheint der Schluß gerechtfertigt, daß jedenfalls eine Tendenz zu einer erweiternden Interpretation des Begriffs des Weltfriedens - wenn auch nicht alle Manifestationen dieser Tendenz im Einzelfall - von den UN-Mitgliedern zunehmend akzeptiert wird. dd) Resultat der dynarnisch-objektiven Interpretation: Expandierender Friedensbegriff Nach all dem ist zur dynamisch-objektiven Auslegung des Begriffs der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit damit folgendes festzustellen: Der Sicherheitsrat hat auf die veränderte Weltlage der letzten Jahre mit dem Trend zu einer immer extensiveren Auslegung des Begriffs der Friedensbedrohung reagiert. Dieser als expandierende Auslegung beschreibbare 307 Vgl. Djiena Wembou, AlleL 1993, 340 ff, besonders 352 f
308 Vgl. The Economist v. 18.6. 1994, 15.
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C. Rechtsgrundlage
Trend wird von der überwiegenden Mehrheit der UN-Mitglieder zunehmend, wenn auch zum Teil zögerlich, akzeptiert. Als Ergebnis der dynamisch-objektiven Auslegung ergibt sich also kein feststehender neuer Friedensbegriff, sondern eine an den Rändern durchaus noch unscharfe, dynamische Tendenz hin zu einer neuen Friedenskonzeption. Die Reichweite des Begriffs des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, die von entscheidender Bedeutung für den Umfang der Zuständigkeit der UNO ist, ist dabei sich auszudehnen. Die jüngste Praxis des Sicherheitsrats bewegt sich - bildlich gesprochen - an der äußersten Grenze eines expandierenden Friedensbegriffs, und indem sie dies tut ist sie zugleich die Quelle seiner Ausdehnung. Jedenfalls aber geht der Begriff der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit heute über den oben309 geschilderten, negativen und zwischenstaatlichen Friedensbegriff hinaus und schließt immer klarer auch die Verhinderung innerstaatlicher Zusammenbrüche ein. Damit ist die Aufgabe der neuen Form des Peace-Keeping, den staatsorganisatorischen Aufbau eines vom Zusammenbruch bedrohten Landes zu leisten und es zu neuer Selbständigkeit zu befähigen, unter das neue Konzept der Wahrung des Weltfriedens zu subsumieren. Folglich erlaubt die dynamisch-objektive Interpretation des Begriffs, die Zuständigkeit der UNO für den internen Neuaufbau von Staaten zu begründen. Dies gilt angesichts der Reichweite des neuen Friedenskonzepts sowohl für die Aufgabe. innerstaatliche Instabilität um ihrer selbst willen zu beheben, unabhängig davon, ob sie zugleich auch eine unmittelbare Bedrohung für den äußeren Frieden darstellt, als auch für den Umfang solcher Operationen, d.h. ihre Ausrichtung auf einen umfassenden staatsorganisatorischen Neuaufbau. e) Prüfung anhand anderer Interpretationsmethoden
Hat die dynamisch-objektive Interpretation zu dem Ergebnis geführt, daß die Konzeption von "international peace and security" im Sinne der UN-Charta in einem Wandel begriffen ist und daß das veränderte Aufgabenprofil bei PeaceKeeping Einsätzen der zweiten Generation nach der sich herauskristallisierenden, neuen Konzeption von dem Ziel der UNO, den Weltfrieden zu wahren, gedeckt ist, gilt es nun, dieses Ergebnis anhand anderer Interpretationsmethoden zu überprüfen. Dazu sollen teleologische und historische Überlegungen angestellt werden.
309 C., 1., 1., a).
I. Die Aufgabe - Wahrung des Weltfriedens
281
aa) Teleologische Interpretation Teleologischen Erwägungen kommt bei der Auslegung der Charta wegen ihres konstitutionellen Charakters besondere Bedeutung zu. Dies wird durch die Hervorhebung der Zwecke der Organisation in der Charta bestätigt310 Wichtig ist bei der teleologischen Betrachtung, das Zusammenspiel verschiedener Ziele im Auge zu behalten und zu vermeiden, daß eine Interpretation, die ein Ziel fördert, zugleich andere Ziele ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt311 . Dieses Prinzip bestätigt der Art. 24, in dessen Abs. 2 ausdrücklich festgelegt ist, daß der Sicherheitsrat bei der Wahrung des Friedens im Einklang mit den Zielen und Grundsätzen der UNO zu handeln hat. Vor diesem Hintergrund lautet die zu untersuchende Frage, ob die dargestellte Einbeziehung innerstaatlichen Wiederaufbaus in den Begriff der Wahrung des Weltfriedens die in den Artikeln I und 2 der Charta der Vereinten Nationen niedergelegten Ziele der UN fördert. Das Hauptziel der UNO ist die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit Art. I (I). Die Reichweite dieses Ziels gilt es hier jedoch erst zu bestimmen. Insofern kann es für eine teleologische Interpretation nur höchst eingeschränkt von Nutzen sein, will diese Argumentation dem Vorwurf des Zirkelschlusses entgehen. Allerdings läßt sich in diesem Zusammenhang die Frage aufwerfen, ob die klassische Unterscheidung zwischen dem zwischenstaatlichen Frieden - dem unbestrittenen Kerninhalt des Begriffs des Weltfriedens im Sinne der Charta - und dem innerstaatlichen Frieden - dessen Einbeziehung in diesen Begriff hier untersucht wird - noch aufrechterhalten werden kann 312 Die große Bedeutung dieser Unterscheidung in der Praxis wurde oben deutlich gemacht. Viele Staaten wurden nicht müde zu betonen, daß die eigentliche Begründung für eine UN-Zuständigkeit in Fällen innerstaatlicher Konsolidierung die Bedrohung der Nachbarstaaten sei, die von interner Instabilität ausgehe. Die Friedensbedrohung, so wurde betont, resultiere jeweils aus diesem "internationalen Element". Diese Sichtweise impliziert die klare Unterscheidung und Unterscheidbarkeit interner und internationaler Stabilität. Auffällig ist hingegen, daß unter den Beobachtern regelmäßig keine Einigkeit über das Vorliegen des "internationalen Elements" besteht313 . Diese Feststellung läßt Zweifel an der Überzeugungskraft der Unterscheidung aufkei-
310 Skubiszewski, Festschrift Mosler, 893; Charta der UN, Kommentar-Ress, Auslegung, Rz. 34. 311 In diesem Sinne de Visscher in seiner Dissenting Opinion zum Gutachten des IGH über den internationalen Status Südwe~1afrikas vom 2.7. 1950, ICI Rep. 1950, 186, 187. 312 Vgl. Perez de Cuellar, Bericht des Generalsekretärs zur Arbeit der Organisation v. 16. 9. 1990, UN Doc. A/45/1, Section IV. Dies verneinend auch Tomuschat, RdC 241 (l993-IV), 342. 313 Vgl. oben C., 1., 1., b) sowie C., 1., 2., d), bb), (4), (d) rur Jugoslawien.
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C. Rechtsgrundlage
men 314 , Zweifel zunächst im tatsächlichen Bereich. So belegen gerade diejenigen Fälle, in denen der Sicherheitsrat noch die Feststellung getroffen hat, ein interner Zusammenbruch stelle eine Bedrohung der Nachbarstaaten dar, daß interne Konflikte, die eine gewisse Intensität erreichen315 , - wenn nicht immer, so doch häufig - eine gefahrliche Ausstrahlungswirkung haben können. Diese kann in einem Übergreifen von Kampfhandlungen auf das Gebiet von Nachbarstaaten wie auch in Flüchtlingsströmen 316 über die Grenzen bestehen. Andere denkbare internationale Rückwirkungen wären die äußere Einmischung durch dritte Staaten oder die Betroffenheit einer ethnischen Minderheit, deren "Heimatstaat" dadurch seine Interessen berührt sieht. Der Grad dieser Gefahr kann sich im Verlauf ein und desselben Konflikts verändern 317 Daher ist sie ein guter Grund dafür, interne Konflikte generell als Friedensgefahr zu erkennen, nicht hingegen ist sie ein Argument, eine Friedensgefahr erst bei einem tatsächlichen Übergreifen des Konflikts auf Nachbarstaaten anzunehmen. Dies umsomehr, als die "spill-over"-Gefahr kaum jemals ganz ausgeschlossen werden kann 318 Zweifel weckt die Unterscheidung darüber hinaus auch auf moralischer Ebene. Interne Konflikte können grausamer sein als internationale Kriege 319 . Ein unbeteiligtes Zusehen der Weltorganisation aus rechtlichen Gründen ist daher schwer vermittelbar. Dies um so weniger, als das primär moralisch-ethische Postulat weltweiter, humanitärer Solidarität320 seinerseits in der Betonung der Menschenrechte und der Würde des Individuums in der
314 Vgl. CotiPellet-Cohnen Jonathan, Art. 39, 655. 315 Nur von solchen internen Konfliktsituationen ist hier die Rede. Kleinere Unruhen in begrenzten Gebieten oder lediglich kurzzeitige Störungen der öffentlichen Ordnung bleiben außer Betracht. Der Begriff des "failed state" impliziert bereit~ einen internen Auflösungsprozeß von erheblichen Ausmaßen. - Vgl. zur Bedeutung der Intensität eines internen Konflikts fur das Recht der UNO zum "Eingreifen" unten D., 1., 1., a). 316 Vgl. Zemanek, 43 f Wobei allerdings zu beachten ist, daß eine Flüchtlingsbewegung als solche noch keine Bedrohung der Nachbarstaaten im Sinne des klassischen Begriffs bedeutet. 317 Delbrück, Indiana Law Journal 1992, 900 fuhrt Jugoslawien dafur als Beispiel an; ähnlich auch Tomuschat, EA 1992, 45. 31R Van Weil, EA 1992, 706; Fromuth, Journal of International Affairs 1993, 360; ähnlich Delbrück, Indiana Law Journal 1992, 900 fur den Fall massiver Menschenrechtsverletzungen.
319 Das betont James, Int. Spect. 1993, 632 mit Hinweis auf den Jugoslawienkonflikt. Ein weiteres Beispiel sind die Massentötungen in Ruanda im Frühjahr 1994. In diesem Sinne auch Fromuth, Journal ofInternational Affairs 1993, 360. 320 Daß dieses moralisch-ethische Postulat Konsequenzen fur die internationale Politik hat, verdeutlichte der Vatikan, der am 5. 12. 1992 - also zwei Tage nach der Verabschiedung der Res. 794 (1992) zu Somalia durch den Sicherheitsrat - im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg in BosnienHerzegowina erklärte, daß "the conscience of humanity requires that humanitarian intervention be obligatory in situations that seriously endanger the survival of peoples and of entire ethnical groups. It is the obligatory duty ofnations and ofthe international community." - zit. nach Bettati, The Review No. 49 (1992),5.
I. Die Aufgabe - Wahrung des Weltfriedens
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Charta 321 auch eine solide rechtliche Verankerung gefunden hat. Daher kann diesem Argument auch nicht die Feststellung entgegengehalten werden, Bürgerkriege seien heute nicht brutaler als früher 322 . Das Bewußtsein von der humanitären Verantwortung hat sich gewandelt323 Nationale Grenzen als Schranken dieser Verantwortung verlieren an Akzeptanz. Angesichts dieser Entwicklung ist der Hinweis auf die Härte vergangener Bürgerkriege nicht sehr schlagkräftig. Es sprechen also gute Gründe dafür, die strenge Unterscheidung zwischen dem internationalen und dem internen Frieden aufzugeben und auch interne Konflikte als Bedrohung des Weltfriedens zu begreifen. Art. 1 (2) benennt die Förderung des Selbstbestimmungsrechts der Völker ebenfalls als ein Ziel der UNO. Dieses Postulat ist in der Literatur als ein entscheidendes Argument gegen jede Einwirkung der UNO auf die innere Entwicklung eines Landes angeführt worden 324 Selbstbestimmung, so wird gesagt, erlaube, ja schütze sogar innere Auseinandersetzungen· mit Gewalt. Wie eine innerstaatliche Gesellschaft ihre Herrschaft organisiere und Machtkämpfe austrage, sei vom Standpunkt des Völkerrechts aus ihre Sache; mit anderen Worten, jedes Land habe völkerrechtlich ein Recht zu Revolte und Anarchie, solange es nur nach außen "friedliebend" bleibe325 Unabhängig davon, ob der heutige Standard des Menschenrechtsschutzes eine solche Sichtweise überhaupt noch zuläßt 326, ist ihr bereits entgegenzuhalten, daß das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes in verschiedener Weise ausgeübt werden kann. Der Gebrauch von Gewalt mag eine Weise sein; demokratische Wahlen sind eine bessere327 . Zentrale Aufgabe der untersuchten Operationen war regelmäßig die Ausrichtung freier, demokratischer Wahlen als entscheidenden Schritts zu einer neu errichteten staatlichen Ordnung. Damit steht die zweifelsfreie Ausübung des Selbstbestimmungsrechts durch das Volk im Mittelpunkt der auf den inneren Aufbau gerichteten neuen UN-Missionen. Keine andere Institution kann mit derselben Legitimität und Glaubwürdigkeit faire Wahlen in einem 321 Insbesondere in Art. 1 (3) und in der Präambel, in der es heißt"We The Peoples Of The United Nations Detennined ( ... ) to reaffmn faith in fundamental human rights, in the dignity and worth ofthe human person, ( ... )". 322 So Stedman, ForAff, No. 72 (1992/93), 7. 323 Vgl. nur Perez de Cuellar, The Review, No. 47 (1991), 26; A1ston, Australian Yearbook of International Law 1992, 171 f; in diesem Sinne auch die Stellungnahmen Ecuadors und Russlands im Sicherheitsrat am 3. 12. 1992, UN Doc. S/PY3145, S. 11 beziehungsweise 27; a.A. O'Connell, Indiana Law Journal 1992, 904. 3240'Connell, Indiana Law Journal 1992, 904 und 908 f, Fn. 38. 325 Vgl. Bowett, UN Forces, 426; in diesem Sinne letztens noch O'Connell, Indiana Law Journal 1992,911. 326 Vgl. dazu die Ausfiihrungen auf der nächsten Seite sowie die Fußnoten 330 und 331. 327 Daß freie Wahlen eine Fonn der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts sind, haben die UN-Organe inzwischen ausdrücklich festgestellt; z.B. in der Res. 745 (1992) des Sicherheitsrats v. 28. 2. 1992,4. Vorspruch und in der Res. 46/18 der Generalversammlung v. 20. 11. 1991, Ziffern 3 und 4.
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C. Rechtsgrundlage
zerbrochenen Staatswesen durchführen wie die Weltorganisation328 . Diese "Bilderbuchvariante" der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts, die der erwähnten älteren Literatur kaum in den Sinn gekommen sein dürfte 329 , ist einem gewaltsamen inneren Machtkampfvorzuziehen. Daher sind auf den internen Neuaufbau durch Organisation freier Wahlen gerichtete Operationen der UNO nicht nur keine Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht, sie sind vielmehr eine Förderung desselben und dienen damit dem Ziel des Art. 1 (2). Ein weiteres Ziel der UNO ist die Förderung der Menschenrechte, Art. 1 (3). Diese Zielvorgabe streitet förmlich für eine Einbeziehung innerstaatlichen Wiederaufbaus in die Zuständigkeit der UNO. So läßt sich mit Blick auf den heute ereichten Schutzstandard der Menschenrechte und der anerkannten Verantwortung der Weltorganisation in diesem Feld eine Untätigkeit der UNO angesichts der flagranten Menschenrechtsverletzungen, die mit staatlichem Zerfall regelmäßig einhergehen, kaum rechtfertigen330 Darüber hinaus hat die Entwicklung des Menschenrechtsschutzes durch die UNO dazu geführt, daß heute die Menschenrechtslage in einem Staate als "international concern" verstanden wird mit der Folge, daß die UN-Verantwortung hier in den Souveränitätskreis sogar funktionierender Staaten hineinreicht. Selbst ein mögliches Recht auf eine zwangsweise humanitäre Intervention der UNO zum Schutz von Menschenrechten wird zunehmend wohlwollender diskutiert 331 . Wenn die UNVerantwortung für die Beachtung der Menschenrechte in einem Land so stark geworden ist, dann kann sie nicht mit dem staatlichen Zusammenbruch des Landes erlöschen. Vielmehr ist das Einspringen der UNO als unmittelbare Schutzgarantin in diesem Fall das wirksamste Mittel der Förderung der Menschenrechte. Schließlich ist das Prinzip staatlicher Souveränität ein Grundprinzip der UN03 32 , das in diesem Zusammenhang zu nennen ist. Es findet in Art. 2 (1) und (7) seinen Niederschlag. Eine Erweiterung des Friedensbegriffs im dargestellten Sinne führt zu einer Ausdehnung des Zuständigkeitskreises der UNO auf Gebiete, die traditionell als eigene Angelegenheit der Staaten angesehen wurden. Daher überrascht es nicht, daß - wie die Untersuchung der Auffassun-
328 Tomuschat, EA 1992, 46; in diesem Sinne auch Perez de Cuellar, The Review, No. 47 (1991), 27; zweifelnd Hassner, EA 1993, 153. 329 Vgl. die Schilderung bei Bowett, UN Forces, 272, die den Eindruck vermittelt, eine UN-Truppe könne in einem zerbrechenden Staat nur der gewaltsamen UnteTh1ützung der Regierung gegen Rebellen dienen. 330 Tomuschat. EA 1992, 47.
331 Z.B. von Ellerman, Vanderbilt Journal of Transnational Law 1993, 341 ff; Greenwood, EA 1993, 104 f; Lillich, ZaöRV 1993, 564. 332 Charta der UN. Kommentar-Ermacora, Art. 2 Ziff. 7, Rz. 12.
I. Die Aufgabe - Wahrung des Weltfriedens
285
gen der Mitgliedstaaten333 gezeigt hat - die Sorge um die staatliche Souveränität einer der Haupteinwände gegen diese Neuinterpretation ist. Dies ist nicht der Ort, die Entwicklung des schillernden Souveränitätsbegriffs in jüngerer Zeit erschöpfend nachzuzeichnen 334 . Es kann dem Beobachter aber nicht entgehen, daß sich die Vorstellung vom Kerninhalt des Souveränitätsbegriffs in den letzten 40 Jahren deutlich verschoben hat. Die Basis staatlicher Souveränität wird heute primär von dem Recht der Individuen auf die Garantie der Menschenrechte her beschrieben, während früher die Staatsgewalt der Regierungen den Ausgangspunkt bildete. Die Gegenüberstellung zweier Zitate möge dies verdeutlichen. So schrieb Kelsen in seinem großen Werk über das Recht der Vereinten Nationen 1951: "By 'sovereignty' we mean the usual amount of powers which a government, independent from other governments, exercises under international law over a territory and its population. "335. Genau 40 Jahre später stellte der damals amtierende UN-Generalsekretär Perez de Cuellar in einem Vortrag fest, daß es zum "very core of the concept of sovereignty" gehöre, "that sovereignty shall reside in the people and that governments shall pursue strategies of governance aiming for the realization of human rights", und daß "Sovereignty has as its fundamental objective to enable each people to chart its own course and to realize its full potential. "336 Unter diesem neuen Blickwinkel ist eine erweiternde Auslegung des Friedensbegriffs, die der UNO die Möglichkeit bietet, im innerstaatlichen Bereich die staatsorganisatorischen Voraussetzungen für die Realisierung seiner so verstandenen Souveränität zu schaffen, sogar souveränitätsfördernd. Aus dieser Perspektive steht also der Schutz staatlicher Souveränität der Einbeziehung interner Zusammenbrüche in den Begriff des Weltfriedens nicht entgegen. Dies wird besonders deutlich in den Fällen, in denen in dem zusammengebrochenen Staat keine echte Staatsgewalt mehr existiert337 , den "failed states" im eigentlichen Sinne. Hier macht die Annahme eines Souveränitätspanzers gegenüber Eingriffen der UNO nach dem oben zum Selbstbestimmungsrecht und dem Menschenrechtsschutz Gesagten keinen Sinn mehr. In Ermangelung jeder Staatsgewalt kann die Souveränität nirgendwo anders als im Volk selber ruhen. In einem solchen Fall ist die Annahme staatlicher Souveränität als Abwehr gegen eine die Neuerrichtung der Staatlichkeit einschließende UN-Zuständigkeit auf der Grundlage eines erweiterten Friedensbegriffs geradezu widersinnig. Darüber hinaus ist zu 333 S.o. C., 1., 2., d), cc). 334 Zur neu entflarrunten Debatte um den Souveränitätsbegriff vgl. u.a.: Perez de Cuellar, Tbe
Review, No. 47 (1991),24 ff; Helman/Ratner, Foreign Policy, No. 89 (1992/93), 9 ffund 17; BoutrosGhali, ForAff, Winter 1992/93, 98 f; Bericht des Generalsekretärs v. 17. 6. 1992, "An Agenda for Peace", UN Doc. S124111 = A/47/277, para. 17. 335 Kelsen. 688.
336 Perez de Cuellar, The Review, No. 47 (1991), 25 und 24. 337 Ähnlich Helman/Ratner, Foreign Policy, No. 89 (1992/93),17.
286
C. Rechtsgrundlage
vermerken, daß die meisten der auf einen weiteren Friedensbegriff gestützten innerstaatlichen Aktivitäten des Sicherheitsrats - von der Unterstützung bei der Wahlorganisation bis zu einer umfassenden Operation wie der UNT AC - nicht nur mit dem Einverständnis, sondern regelmäßig sogar auf Anforderung noch vorhandener Regierungen beziehungsweise erkennbarer Parteien eines internen Konflikts durchgeführt wurden. Zwar vermag dieses Einverständnis nicht die Zuständigkeit der UNO für die Übernahme innerstaatlicher Aufgaben zu begründen33R . Es ist jedoch ein Hinweis darauf, daß die Betroffenen selbst die Souveränität nicht als ein Hindernis für die entsprechende Erweiterung der UN-Zuständigkeit empfinden. Ob sich aus dem die staatliche Souveränität schützenden Interventionsverbot des Art. 2 (7) selbst noch eine weitergehende Beschränkung für die innerstaatlich orientierten Friedensoperationen ergibt, wird noch zu untersuchen sein339 . Bereits an dieser Stelle läßt sich für den Hinweis auf die staatliche Souveränität aber folgendes festhalten: Wenn ein Einverständnis noch verbliebener Hoheitsträger erreichbar ist, so hilft dieses über die Souveränitätsbarriere hinweg. Handelt es sich dagegen um einen "failed state", in dem die staatliche Ordnung völlig zusammengebrochen ist, dann fördert die UN-Operation sogar das Prinzip staatlicher Souveränität, indem sie die Staatlichkeit aufrichtet, in der die Souveränität des Volkes Ausdruck und Wirkmächtigkeit nach innen und außen erlangen kann. Insofern steht auch das Prinzip staatlicher Souveränität der erweiternden Auslegung des Friedensbegriffs nicht entgegen. Aus all diesen Gründen läßt sich folgern, daß die untersuchte Aufgabenerweiterung, durch die neue Handlungsfahigkeit des Sicherheitsrats möglich geworden, geeignet ist, die UN-Ziele der Wahrung des Weltfriedens, der Förderung des Selbstbestimmungsrechts und des Schutzes der Menschenrechte zu fördern, ohne mit dem Prinzip staatlicher Souveränität in Widerspruch zu geraten. Somit wird sie auch von einer an teleologischen Gesichtspunkten orientierten Interpretation der Charta getragen. bb) Historische Interpretation Der Auslegung soll abschließend noch ein Blick in die travaux preparatoires angefügt werden, die gern Art. 32 WÜV als ergänzendes AuslegungsmiUel herangezogen werden können. Der Art. 32 WÜV spiegelt Gewohnheitsrecht wider und kann insofern auch für die Auslegung der UN-Charta fruchtbar gemacht werden 34O .
33R
Bowett, UN Forces, 311 und 422.
339 Siehe unten C., III., 1. 340 Charta der UN. Kommentar-Ress, Auslegung, Rz. 8.
I. Die Aufgabe - Wahrung des Weltfriedens
287
Wie erwähnt341 hatte die Mehrheit der Delegierten auf der Gründungskonferenz der UNO in San Francisco bei der Beratung des späteren Kap. VII der Charta nur den zwischenstaatlichen, nicht den internen Frieden im Auge. Dies veranlaßte die ganz herrschende Meinung in der Literatur zu dem Schluß, daß in San Francisco niemals an den inneren Frieden gedacht wurde 342 . Die historische Auslegung wird also regelmäßig als eindeutiges Argument gegen die Einbeziehung interner Sachverhalte in den Begriff der Friedensbedrohung angeführt. Diese Feststellung erschöpft das Bild jedoch nicht. Vielmehr lassen sich sowohl in der Diskussion des Kap. VII im Ausschuß III/3, als auch in derjenigen des heutigen Art. 2 (7) im Ausschuß 1/1 Hinweise darauf finden, daß auch über interne Konfliktlagen nachgedacht worden ist. So hat Norwegen den Vorschlag gemacht, dem heutigen Art. 42 folgenden Passus anzufügen: "The Security Council may further, in special cases, and for the period of time deemed necessary, take over on behalf of the Organization, the administration of any territory of which the continued administration by the State in possession is found to constitute a threat to the peace. "343 Dieser Vorschlag wurde dann allerdings von dem norwegischen Delegierten auf der elften Sitzung des Ausschusses 111/3 am 24. 5. 1945 zurückgezogen, nachdem er von dem englischen Vertreter mit der Begründung kritisiert worden war, die Erwähnung spezieller Befugnisse des Sicherheitsrats (hier also der Befugnis zur eigenen Verwaltung eines Gebiets) könne die Vermutung erzeugen, der Sicherheitsrat hätte nur diese speziellen Befugnisse und keine anderen. Dies aber könne sein Handeln in einer Krisensituation behindern344 Die englische Argumentation verwirft den Gedanken der Administration eines Gebiets durch den Sicherheitsrat also nicht völlig. Es scheint vielmehr, als ob man eine derartige Möglichkeit durchaus angenommen hat und nur vermeiden wollte, andere Handlungsoptionen durch die ausdrückliche Erwähnung dieser einen e contrario auszuschließen. Auch die Formulierung des Berichterstatters des Ausschusses III/3, Paul-Boncour, in seinem Bericht über diese Diskussion an die Kommission III deutet an, daß der norwegische Vorschlag für zu restriktiv, nicht hingegen für zu weitgehend gehalten wurde 345 Neben diesem Vorschlag lassen sich auch aus der Diskussion des Art. 2
(7)346 Stellungnahmen benennen, die belegen, daß der Gedanke einer Zustän341 S.o. C., l., 1., a) m. w. N.
342 Statt Vieler: Arntz, 68 f; Lillich., ZaöRV 1993, 564; Fromuth, Journal of International Affairs 1993,344. 343 UNCIO 3,371 f
3440NCIO 12,354 f 345lJNCIO 12, 508. 346 Er ist wegen seiner engen entstehungs geschichtlichen Verbundenheit mit den Kapiteln VI (dort war er in dem Dumbarton Oaks Entwurf vorgesehen) und VII (dort wollte ihn ein australischer
288
C. Rechtsgrundlage
digkeit des Sicherheitsrats bei internen Konflikten 347 den Delegationen jedenfalls nicht völlig ferngelegen hat. So sah Norwegen eine Rolle des Sicherheitsrats in Bürgerkriegen wie dem spanischen348 , während Frankreich dem Entwurf des heutigen Art. 2 (7) die Einschränkung beifügen wollte: "unless the dear violation of essential liberties and of human rights constitutes in itself a threat capable of compromising peace." 349 . Daneben betonte noch Uruguay den Zusammenhang zwischen einem internen Unrechtsregime und der Bedrohung des Weltfriedens350 Auch hier setzten sich die geschilderten Positionen nicht durch 351 . Die Stellungnahme Norwegens, die sich gegen den australischen Vorschlag richtete, den 2. Hs. des Art. 2 (7) in der heutigen Fassung zu verabschieden352 , führte nicht zum Erfolg. Die australische Fassung setzte sich durch 353 Allerdings ist damit nicht auch die dem norwegischen Vorschlag zugrundeliegende Prämisse verworfen, der Sicherheitsrat habe ein Handlungsrecht bei internen Konflikten. Lediglich die Mittel seines Handeins sind beschränkt worden (eben auf Zwangsmaßnahmen nach Kap. VII). Der französische Vorschlag wurde schließlich zurückgezogen. Es scheint, als habe der französische Delegierte ihn für überflüssig gehalten354 Die Möglichkeit Menschenrechtsverletzungen als solche als Friedensbedrohung zu qualifizieren, auf die der Sicherheitsrat reagieren kann, ist damit jedoch nicht als ausgeschlossen betrachtet worden 355 . Folglich ergibt die historische Interpretation hier bei weitem kein so eindeutiges Bild, wie dies in der Literatur regelmäßig behauptet wird. Aus der Beobachtung, daß einerseits die Mehrheit der Konferenzteilnehmer in San Francisco offenbar stillschweigend nur den zwischenstaatlichen Frieden als Gegenstand ihrer Beratungen angesehen hat und daß andererseits die auf die Einbeziehung interner Sachverhalte zielenden Vorschläge sich nicht behaupten konnten, kann nicht eindeutig geschlossen werden, daß interne Konflikte dem ZustänVorschlag plazieren - lTNCIO 3, 551 f - und auf Kap. VII weist sein 2. Hs. hin) fiir deren Auslegung besonders bedeut.am. 347 Und zwar sowohl wegen ihrer mittelbaren Gefahr fiir den zwischenstaatlichen Frieden. als auch der französische Vorschlag zeigt dies - um ihrer selbst willen. 34R
UNCIO 6. 432.
349 UNCIO
6. 386.
350 UNCIO 6, 630.
351 Für die Stellungnahme Uruguays siehe UNCIO 6, 633. 352 Mit der Beschränkung auf "Zwangsmaßnahmen nach Kap. VII", die allein die Einrede der inneren Angelegenheit ausschließen können sollten. 353 UNCIO 6. 499. 354 UNCIO
6, 498 f
355 Vgl. auch die in diese Richtung deutende Stellungnahme Australiens zu dem französischen
Vorschlag, UNCIO 6, 439.
II. Das Instrument - Abgrenzung zu Zwangsmaßnahmen
289
digkeitsbereich des Sicherheitsrats ganz entzogen werden sollten. Daß die erwähnten Vorschläge diskutiert wurden, zeigt, daß man in San Francisco internen Konflikten friedensbedrohendes Potential zuerkannt hat. Die Gründe, mit denen sie zurückgezogen wurden, lassen sich zum Teil sogar als Hinweis darauf deuten, daß auch bei internen Konflikten eine Handlungsbefugnis des Sicherheitsrats angenommen wurde. Selbst wenn man den travaux pf(!paratoires damit keine Bestätigung der nach der dynamisch-objektiven und teleologischen Interpretation für zulässig befundenen, neuen Auslegungspraxis des Sicherheitsrats entnehmen kann, so muß doch festgestellt werden, daß die historische Betrachtung dieser neuen Auslegung auch nicht eindeutig entgegensteht. Die gefundene Auslegung ist also keine grundlegende Abkehr von den Wurzeln der Charta.
3. Ergebnis
Der klassische Begriff der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit hat in den letzten Jahren eine Bedeutungserweiterung erfahren. Bezeichnete er früher nur die Aufrechterhaltung des "negativen" Friedens zwischen den Staaten, so erfaßt er heute zunehmend auch innerstaatliche Aspekte. Die dynamisch-objektive Interpretation im Lichte der Praxis hat keinen starren. sondern einen expandierenden, am Rande noch unscharfen neuen Begriffsumfang aufgedeckt der die innere Stabilisierung zerfallender Staaten in die Aufgabe der Wahrung des Weltfriedens einschließt. Dieser neue Begriffsumfang wird von teleologischen Erwägungen getragen. Selbst die - gemäß Art. 32 WÜV nachrangige - historische Interpretation kann ihm nicht eindeutig entgegengehalten werden. Dies rechtfertigt die Abkehr von dem traditionellen, engeren Begriffsumfang. Die auf die innere Entwicklung von Staaten konzentrierte Aufgabe der zweiten Generation des Peace-Keeping wird somit von dem Mandat der UNO zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit in seinem neuen, weiteren Umfang gedeckt.
11. Das Instrument - Abgrenzung zu Zwangsmaßnahmen Mit der Feststellung, daß die von den Friedensoperationen der zweiten Generation übernommenen treuhänderischen Funktionen der dem Sicherheitsrat zugewiesenen Aufgabe der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit unterfallen. ist ihre Rechtsgrundlage aber noch nicht erschöpfend beschrieben. Dazu ist es weiterhin erforderlich zu bestimmen. auf welche der ihm zur Erfüllung dieser Aufgabe eingeräumten besonderen Befugnisse im Sinne des Art. 24 (2) 2 der Charta der Sicherheitsrat ihre Entsendung im Einzelfall stützen kann. Beim traditionellen Peace-Keeping ist diese Frage Haupt19 Hufnagel
290
C. Rechtsgrundlage
schauplatz der Diskussion um die rechtliche Fundierung der Operationen gewesen I. Diese Diskussion hat - wie bereits dargestellt - die traditionellen UNFriedensoperationen den besonderen Befugnissen des Sicherheitsrats im Bereich der Kapitel VI und VII zugeordnet. Tragendes Element der Begründung ihrer Zulässigkeit war ihre Eigenschaft als Nichtzwangsmaßnahme, als ein "minus" zum enforcement des Kap. VII. Dementsprechend haben sich mit dem Erfordernis der Zustimmung aller Konfliktparteien und der grundsätzlichen Gewaltfreiheit gewohnheitsrechtliche Bedingungen für solche Operationen gebildet, deren Kern die Abgrenzung zur Erzwingung ist. 1. Peace-Keeping der zweiten Generation im Allgemeinen
Die Fallstudien haben gezeigt, daß bei den neueren Peace-Keeping-Operationen in dieser Beziehung ein Wandel eingetreten ist. a) Tatsächliche Praxis
Zwar war die UNT AG-Operation in Namibia noch ganz nach dem Muster traditioneller Peace-Keeping-Operationen auf die Zustimmung der Konfliktparteien gegründet und als Operation ohne Zwangsgewalt ermächtigt worden. Auch die in Kambodscha operierende UNT AC wurde noch in dem für traditionelles Peace-Keeping üblichen Grenzbereich "zwischen" den Kapiteln VI und VII autorisiert. Hier zeigten sich aber bereits die Grenzen der aus diesem Ansatz folgenden Beschränkungen. So konnte der Sicherheitsrat die für unabdingbar gehaltene Zustimmung der Konfliktparteien nur mit Hilfe der Konstruktion eines Supreme National Council erlangen, den er sich letztlich selbst geschaffen hatte und dessen Fähigkeit, das kambodschanische Volk völkerrechtlich zu vertreten, zweifelhaft war. Auch brachte die Festlegung des UNT AC-Mandats auf Gewaltfreiheit die Operation angesichts des Widerstandes insbesondere der Roten Khmer zeitweise in erhebliche Schwierigkeiten. machte die Erreichung der militärischen Ziele unmöglich und wurde während des Einsatzes mehrfach in Frage gestellt. Bei UNOSOM II schließlich machte der Sicherheitsrat den letzten Schritt und gründete die Operation ausdrücklich auf Kap. VII der Charta. Damit war der traditionelle Rahmen verlassen. Folgerichtig wurden bei der Somaliaoperation auch die beiden Ausprägungen der Abgrenzung zur Erzwingung über Bord geworfen. Auf die Zustimmung der Konfliktparteien als rechtliche Voraussetzung für den Einsatz wurde verzichtet. und an die Stelle der traditionellen Beschränkung auf Selbstverteidigung
1 Siehe ohen A, Il., 2.
11. Das Instrument - Abgrenzung zu Zwangsmaßnahmen
291
trat die ausdrückliche Ermächtigung zum Einsatz militärischer Gewalt zur Erreichung der Operationsziele. Der empirische Befund der untersuchten Operationen läßt hier also eine Verschiebung der rechtlichen Fundierung des Peace-Keeping hinein in das Kapitel VII ausmachen. Auch außerhalb des Kontexts der hier untersuchten Operationen hat innerhalb der UNO eine Neubewertung der prinzipiellen Abgrenzung der Friedensoperationen von Erzwingungsmaßnahmen nach Kap. VII stattgefunden. Es ist nicht zu übersehen, daß die Betonung dieser Abgrenzung neuerdings nachgelassen hat. So hat der Sicherheitsrat beispielsweise die Erweiterung des Mandats der UNPROFOR-Friedensoperation im ehemaligen Jugoslawien im Februar 1993 ebenfalls ausdrücklich auf Kap. VII gestützt 2 . Zuvor waren bereits die Beobachtermisionen UNIKOM3, die die Einhaltung der Waffenstillstandsresolution 687 (1991) durch den Irak überwacht, und UNIIMOG4, die zur Überwachung des Waffenstillstands zwischen Iran und Irak eingesetzt war, explizit mit dieser rechtlichen Basis versehen worden. Daß es sich bei diesem Bedeutungswandel nicht um einen Alleingang des Sicherheitsrats handelt, läßt sich anhand der Aussagen zu dem Erfordernis der Zustimmung der Konfliktparteien zum Einsatz einer Friedensoperation nachzeichnen. Dieses früher für eine unabdingbare rechtliche Bedingung des Peace-Keeping gehaltene, immer wieder betonte5 Erfordernis wird inzwischen auch vom Generalsekretär relativiert 6 und selbst von der Generalversammlung in ihren 41 beziehungsweise 62 Absätze umfassenden Resolutionen 46/48 vom 9. 12. 1991 und 47/71 vom 14. 12. 1992 zum Peace-Keeping an keiner Stelle mehr erwähnt. b) Rechtliche Einordnung
Wie bereits erwähne sind diejenigen Merkmale, die in vierzigjähriger Praxis zu festen Bestandteilen dessen wurden, was als "Peace-Keeping" zu verstehen war, nicht zuletzt aus politischen Gründen entstanden 8 Besonders die zum
2 Res. 807 (1993) v. 19.2. 1993 - eine Maßnahme, die übrigens mit der Notwendigkeit begründet wurde, die Sicherheit der lJN-Blauhelme zu schützen. 3 Ziffer 5 der Sicherheitsrat Res. 687 (1991) v. 3. 4. 1991.
4 Sicherheit~rat Res. 598 (1987) v. 20. 7. 1987, Ziffer 2 sowie 10. Vorspruch.
Z.B. in Res. 33/114 v. 18. 12. 1978. 6 Boutros-Ghali, Vortrag v. 25. 3. 1993, UN Press Release SG/SM/1423, S. 3: "with or without an
agreement": vgl. andererseit. aber die eher relativierende Formulierung im Bericht des Generalsekretärs vom 3.1. 1995, lJN Doc. S/1995/1 = A/50/60, para. 33. 7
S.o. A.. 11.. 3., b).
Für das Zustimmungserfordernis betonen dies bereits Bowett, lJN Forces, 414; Harrington Gagnon, International Organization 1967, 822. R
292
C. Rechtsgrundlage
Erkennungsmerkmal der "Blauhelme" gewordene Abgrenzung zu den Zwangsmaßnahmen des Kap. VII, die ihre Bedeutung der Unfahigkeit der Mitglieder des Sicherheitsrats verdankte, sich auf die Durchführung von Zwangsmaßnahmen zu einigen, hat einen solchen politischen Hintergrund. Als politisches Merkmal ist sie Veränderungen, die auf eine veränderte politische Lage folgen, jedoch ohne weiteres zugänglich. Selbst wenn die Abgrenzung zu Erzwingungsmaßnahmen im Laufe der Zeit über die Herausbildung entsprechenden Organisationsgewohnheitsrechts zu einem auch rechtlichen Merkmal des Peace-Keeping erstarkt sein sollte, so steht auch eine solche gewohnheitsrechtliche Begründung einem Wandel nicht prinzipiell entgegen, denn Gewohnheitsrecht kann sich in der Zeit verändern. Peace-Keeping ist, wie die Generalversammlung in der bereits zitierten Resolution 46/48 feststellt 9 , ein "evolving concept" geworden. Das Eindringen von Zwangselementen in das Peace-Keeping-Konzept läßt sich in dieser Sichtweise als Modifikation desselben deuten, als Merkmal einer "2. Generation" von Friedensoperationen. Eine derartige Erweiterung des gewohnheitsrechtlich verfestigten Erscheinungsbilds der UN-Friedensoperationen setzt voraus, daß sich auch das neue Erscheinungsbild in den Rahmen der dem Sicherheitsrat in der Charta eingeräumten besonderen Befugnisse einfügen läßt. Nach dem oben Gesagten lO ist davon auszugehen, daß den Befugnissen des Sicherheitsrats nach den Kapiteln VI und VII der Charta - und damit auch der Befugnis zur Aufstellung von Friedensoperationen - tatbestandlich ein einheitliches Konzept der Friedensgefahrdung zugrundeliegt. Daraus folgt, daß dem Sicherheitsrat bei der Reaktion auf derartige Gefahrdungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit das ganze Arsenal der von den Kapiteln VI und VII vorgesehenen Friedenssicherungsmechanismen eröffnet ist. Dies gilt unabhängig davon. ob die Friedensgefahr aus einer zwischenstaatlichen Konfrontation oder aus einem innerstaatlichen Konflikt resultiert, und es gilt insbesondere auch dann, wenn der Rat mit der Entsendung von "Blauhelmen" auf die Gefahr reagiert. Die in der klassischen Definition festgeschriebene Beschränkung der Friedensoperationen auf Nichtzwangsmaßnahmen macht damit keinen Sinn mehr. Wenn eine Gefahrdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit vorliegt und wenn der politische Wille im Sicherheitsrat vorhanden ist, die Möglichkeiten der Charta auszuschöpfen, dann kann eine Peace-Keeping-Operation von Fall zu Fall mit denjenigen Mitteln ausgestattet werden, die zur Erfüllung der konkreten Aufgabe erforderlich sind. Dies schließt Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII ein. Dementsprechend kann die Abgrenzung zur Erzwingung heute nicht mehr als notwendiger Bestandteil einer Definition des Konzepts der Frie9
Ziffer 28 des operativen Teils.
10 S.O. C .•
1.
11. Das Instrument - Abgrenzung zu Zwangsmaßnahmen
293
densoperationen betrachtet werden, ohne den eine Operation den Charakter einer Friedensoperation verlöre 11. Die Grenze zwischen Peace-Keeping und Erzwingung ist fließend geworden. Wenn die Rechtsgrundlage für das traditionelle Peace-Keeping als "systematisch zwischen den Kapiteln VI und VII der Charta liegend" treffend bezeichnet war, dann gilt heute, daß es sich auf die ganze Bandbreite der Befugnisse von Kapitel VI bis Kapitel VII stützen kann. Hand in Hand mit der Verwischung der Grenze zwischen Peace-Keeping und Erzwingung nach Kap. VII der Charta verlieren die diese Grenze markierenden Bedingungen der Zustimmung der Konfliktparteien und der Gewaltfreiheit der Operationen ihr kategorisches Gewicht. Von der äußeren Begrenzung des Konzepts des Peace-Keeping werden sie zu Gestaltungsoptionen des Sicherheitsrats innerhalb dieses Instruments der Friedenssicherung. Dies ist von besonderer Bedeutung für die Friedensoperationen mit treuhänderischen Aufgaben. Die Fallstudien haben gezeigt, daß gerade solche Missionen der zweiten Generation leicht in die Lage geraten können, auf Erzwingung angewiesen zu sein. So ist es in einer Bürgerkriegssituation viel schwieriger als bei einem zwischenstaatlichen Konflikt, ein wirksames Einverständnis der Konfliktbeteiligten zu erhalten, die oftmals kaum zu identifizieren sein werden. Auch erfordert das gegenüber der klassischen Pufferfunktion ungleich erweiterte Aufgabenspektrum weitergehende Befugnisse. Umfangreiche innerstaatliche Verwaltungsaktivitäten lassen sich ohne die Möglichkeit zum Vollzug mit Hilfe von Zwangsmitteln nicht durchsetzen. Hier liegt es nach dem Gesagten im Ermessen des Sicherheitsrats 12 , welche der ihm von Kapitel VI bis Kapitel VII zur Verfügung stehenden Mittel er im Einzelfall heranzieht. 2. Die einzelnen Fallgruppen des Peace-Keeping der zweiten Generation
Bezogen auf die oben herausgestellten drei Fallgruppen bedeutet das, daß diesen unterschiedlichen Ausprägungen des Peace-Keeping der zweiten Generation zwar die einheitliche Aufgabe der Wahrung des Weltfriedens durch die Stabilisierung einer internen Krisensituation gemeinsam ist, daß ihnen aber durchaus unterschiedliche besondere Befugnisse im Sinne des Art. 24 (2) 2 zugrundeliegen können. Die Entscheidung darüber obliegt dem Sicherheitsrat und ist von der gestellten Aufgabe im Einzelfall abhängig. Dabei ist noch einmal zu betonen. daß die drei oben herausgearbeiteten Fallgruppen nicht als eindeutig abgegrenzte, sich gegenseitig ausschließende Kategorien zu verstehen sind. Vielmehr kann ein- und dieselbe Operation sowohl Elemente ver11 Vgl. die Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrats v. 28. 5. 1993 zur "Agenda For Peace", UN Doc. S/25859, S. 1. 12 Zu den Grenzen dieses Ermessens siehe sogleich: D .• I.
294
C. Rechtsgrundlage
schiedener der drei Stufen vereinigen als auch in ihrem Verlauf von einer Stufe auf eine andere überwechseln. Dennoch eignen sie sich zur Darstellung der Bandbreite der möglichen Rechtsgrundlagen dieser Operationen. Für die Wahrnehmung der unterstützenden Funktionen der ersten Stufe reicht die Abstützung auf die für die traditionellen Friedensoperationen gefundene 13 rechtliche Fundierung als eine der Charta immanente Befugnis unterhalb der Schwelle der Zwangsmaßnahmen nach Kap. VII aus. Als Konsequenz daraus setzen Friedensoperationen auf dieser Stufe weiterhin das Vorliegen der Zustimmung voraus. Da die Ausgangslage für Missionen auf dieser Stufe dadurch gekennzeichnet ist, daß eine effektive Staatsgewalt noch besteht, ist unter dem Gesichtspunkt des Interventionsverbots rechtlich zunächst nur deren Zustimmung Voraussetzung der Operation. Aus dem Selbstbestimmungsrecht l4 kann sich darüber hinaus im Einzelfall aber auch das Erfordernis der Zustimmung anderer Konfliktbeteiligter, insbesondere anerkannter nationaler Befreiungsbewegungen, ergeben. In einem Umfeld nationalen Konflikts wird die Zustimmung aller Streitparteien allerdings wenn schon nicht rechtlich erforderliche, so doch politisch regelmäßig unverzichtbare Voraussetzung einer derart konsensorientierten Operationsform sein l5 Da es sich nicht um Zwangsmaßnahmen nach Kap. VII handelt, sind Friedenstruppen auf dieser Stufe nicht zum Einsatz von Gewalt außerhalb der Selbstverteidigung befugt. Der inhaltliche Umfang ihres Mandats ergibt sich aus den Vereinbarungen mit den noch bestehenden nationalen Hoheitsträgern. Wie die traditionellen Friedenstruppen haben somit auch die Friedensoperationen der zweiten Generation auf dieser Stufe ihre rechtliche Basis im "Kap. VI 112". Die Mitverwaltung der Stufe 2 gründet sich primär ebenfalls noch auf dasselbe Erklärungsmodell wie die traditionellen Friedensoperationen und unterliegt damit grundsätzlich denselben Konsequenzen. Allerdings ergeben sich Besonderheiten aus dem weiteren Umfang der von diesen Operationen übernommenen Aufgaben und aus der Art der Konfliktsituationen, in denen sie zum Einsatz kommen. Im Unterschied zur 1. Stufe werden diese oftmals durch die Zersplitterung der faktischen Gewalt auf mehrere Bürgerkriegsparteien geprägt sein. Das im Zusammenhang zwischenstaatlicher Konflikte entwickelte und sich auf das Einverständnis der betroffenen Staaten beziehende Zustimmungserfordernis muß vor diesem Hintergrund modifiziert werden. Seine Übertragung in den innerstaatlichen Bereich verlangt, es auf die internen Bürgerkriegsfraktionen zu erstrecken, wenngleich diese zumeist nichtstaatliche Akteure sein werden. Ihnen muß insoweit - analog den anerkannten nationalen 13 S.o. A., 11., 2.
14 Zu den aus dem Selbstbestimmungsrecht folgenden rechtlichen Rahmenbedingungen vgl. auch unten, D., I., 2. 15 Siehe dazu auch unten D., 1., 2., b), aa).
11. Das Instrument - Abgrenzung zu Zwangsmaßnahmen
295
Befreiungsbewegungen - eine partielle Völkerrechtsfähigkeit zuerkannt werden, ohne die eine der UNO gegenüber wirksame Zustimmungserklärung nicht möglich ist. Wegen des weiteren Mandats muß auch die strenge Gewaltfreiheit Modifikationen erfahren. Die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben setzt die Befugnis zum Einsatz eines gewissen Masses an Vollzugsgewalt voraus, die über die reine Selbstverteidigung hinausgeht. Ihre Grundlage muß diese Befugnis entweder in dem dem Einsatz zugrundeliegenden Akt der Delegation hoheitlicher Gewalt finden oder in einem Rückgriff auf Kap. VII der Charta. Es besteht also auf dieser Stufe die Möglichkeit, daß ein beschränkter Rückgriff auf die Zwangsmittel des Kap. VII erforderlich wird. Damit liegt die Grundlage der Friedensoperationen dieser Stufe insgesamt näher an Kap. VII, als dies bei der ersten Stufe der Fall war. Auch kann die Entwicklung der Lage eine Verschiebung der Rechtsgrundlage ganz oder teilweise hin zum Kap. VII während der Operation nötig machen. Insbesondere hat der Sicherheitsrat die Option, die Zwecke der Mission durch den partiellen Einsatz von Zwangsmaßnahmen nach Kap. VII - z.B. durch die Verhängung von Embargomaßnahmen gemäß Art. 41 gegen einzelne Konfliktparteien - zu fördern. Schlagwortartig, wenngleich etwas ungenau l6 , könnte man das rechtliche Fundament dieser Operationen als "Kap. VI 3/4" beschreiben. Die dritte Stufe schließlich, die Alleinverwaltung eines staatlich völlig zusammengebrochenen Landes durch die UNO, kann auf der Grundlage des traditionellen Peace-Keeping-Konzepts nicht mehr durchgeführt werden. In einem in die Anarchie versunkenen Land, in dem nicht nur keine staatliche Autorität mehr besteht, sondern in dem sich auch eine überschaubare Anzahl einigermaßen organisierter Konfliktparteien nicht mehr identifizieren läßt, ist eine auf Zustimmung gegründete, gewaltfreie Operation zur Wiederherstellung der Stabilität ungeeignet. Die Zustimmung lokaler warlords - selbst wenn sie denn erreichbar wäre - hat rechtlich nicht den erforderlichen Wert. Anders als im Fall weniger, klar erkennbarer und organisierter Bürgerkriegsparteien fehlt hier schon der repräsentative Charakter, der der Zustimmung einer großen Befreiungsbewegung unter dem Gesichtspunkt des Selbstbestimmungsrechts Bedeutung zukommen läßt. Des weiteren ist von solchen Gruppierungen nicht zu erwarten, daß sie sich an eingegangene Verpflichtungen in verläßlicher Weise gebunden fühlen. Infolgedessen kann ihnen auch eine beschränkte Völkerrechtsfähigkeit nicht zuerkannt werden. Aus diesen Gründen können Operationen in einem solchen Umfeld nicht mehr als Zustimmungsoperationen ablaufen 17 Außerdem wird es der UNO hier nur dann möglich sein, eine Stabilisie16 Ungenau vor allem deshalb, weil der Einsatz von Zwangsmittdn - auch wenn er nur Teilaspekte der Gesamtoperation betrifft - jedenfalls einer Fundierung in Kap. VII bedarf, während die Rede von "Kap. VI 3/4" suggeriert, daß die gesamte Operation sich noch unt.:rhalb der Schwelle des Kap. VII hdind.:t. 17
Sieh.: dazu auch unten D., I.. 2., h). aa).
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C. Rechtsgrundlage
rung ZU erreichen, wenn sie die nötigen Mittel zur Verfügung hat, eine politische Konfliktlösung auch durchzusetzen. Das wird regelmäßig den Einsatz von Zwangsmitteln, einschließlich auch militärischer Gewalt auf der Basis des Art. 42, erfordern. Die militärischen Komponenten solcher Operationen werden also ein Mandat benötigen, das über die Friedensbewahrung hinausgeht und jedenfalls zeitweise - friedensschaffenden Charakter hat. Somit bedürfen Operationen dieses Typus der Abstützung auf die besonderen Befugnisse des Sicherheitsrats nach Kap. VII der Charta. Dies ermöglicht dem Rat einerseits die Entsendung einer Friedensoperation in ein Land auch dann, wenn keine wirksame Zustimmung vorliegt. Zum anderen gibt es ihm die Möglichkeit, die Blauhelme zur Erfüllung ihrer Aufgabe mit Zwangsbefugnissen auszustatten. Die spezielle Rechtsgrundlage für derartige Friedensoperationen der zweiten Generation ist also das Kap. VII der Charta. 3. Ergebnis
Nicht nur die Aufgabe des Peace-Keeping hat sich verschoben, auch das Instrument selbst hat sich verändert. Die klare Grenze, die die "Blauhelme" von "Kampfeinsätzen" trennte, ist verschwunden. Auch Friedensoperationen können im Einzelfall zu Erzwingungseinsätzen werden. Damit ist die traditionelle Kategorie der konsens gestützten, gewaltfreien Friedenstruppen aber nicht ausgestorben. Vielmehr ist der Oberbegriff "UN-Peace-Keeping" weiter geworden und erstreckt sich neben dieser traditionellen Kategorie auch auf "robustere" 18 Einsatzformen. Mit der Übernahme neuer Aufgaben hat sich dieses Instrument der Friedenssicherung also aus seinem langjährigen Korsett befreit und bietet dem Sicherheitsrat nun einen deutlich weiteren Spielraum, auf verschiedene Gefahren für den Weltfrieden kreativ zu reagieren. Dieser Spielraum besteht nicht nur zu Beginn einer neuen Friedensoperation; vielmehr kann der Rat auch während einer laufenden Mission deren Mandat innerhalb der Bandbreite der Kapitel VI und VII modifizieren und sie beispielsweise zum Einsatz militärischer Zwangsmittel ermächtigen l9 Auf der anderen Seite birgt die Vermischung von "Peace-Keeping" und "enforcement" Gefahren. Der Einsatz militärischer Gewalt kann, anders als die gewaltfreie, von allseitiger Zustimmung abhängige Präsenz kaum völlig unpar18 Diesen treffenden Begriff benutzen das Foreign Affairs Conunitte des britischen Unterhauses in seinem 3. Bericht über die Rolle der Vereinten Nationen vom 23. 6. 1993, para. 134, Kühne in: ders .. Blauhelme, 54 fsowie Matthies, VN 1993,51.
19 Ein derartiges Vorgehen war beim Übergang von UNOSOM zu UNOSOM II (Res. 814 (1993) v. 26. 3. 1993, Ziffern 5. und 6. - s.o. B., III., 2., a» und - noch deutlicher, weil auch äußerlich innerhalb ein und derselben Operation - bei UNPROFOR (Res. 807 (1993) v. 19. 2. 1993, Zi. 5. und dann noch einmal in Res. 836 (1993) v. 4. 6. 1993, Zi. 9.) zu beobachten.
III. Rechtliche Schranken
297
teiisch sein. Gerade die Überparteilichkeit ist aber ein Hauptgrund für die Legitimität und die weite Akzeptanz der UN-Operationen. Genauso wie das traditionelle Peace-Keeping immer in der Gefahr stand, Konflikte zu zementieren, droht einer mit Zwangsmitteln ausgestatteten Mission das Risiko, selbst Konfliktpartei zu werden. Auch können sich mit Gewalt gegen beachtlichen Widerstand durchgesetzte Friedenslösungen, zumal im innerstaatlichen Kontext, nach einem Abzug der UN-Kräfte schnell als brüchig erweisen. Schließlich nimmt die Option, das Mandat einer bereits gestarteten Friedensoperation nachträglich zu verschärfen, dem Peace-Keeping die Vorhersehbarkeit und könnte manchen Mitgliedstaat davor zurückschrecken lassen, eine UN-Friedensoperation freiwillig in die Lösung eines ihn betreffenden Konflikts einzubeziehen20
IH. Rechtliche Schranken Mit der Feststellung, daß die neuartigen Friedensoperationen mit treuhänderischen Funktionen von einer erweiterten Auslegung des Friedensbegriffs getragen werden und sich in ihrer konkreten Gestalt mit den besonderen Befugnissen des Sicherheitsrats nach den Kapiteln VI und VII begründen lassen, ist die Chartakonformität des Peace-Keeping der zweiten Generation noch nicht abschließend geklärt. Dazu ist es darüber hinaus erforderlich, einige weitere Gesichtspunkte zu prüfen, die, obgleich sie der neuen Interpretation des Friedensbegriffs als solcher nicht entgegenstehen, die darauf basierende spezielle Handlungsform der treuhänderischen Übernahme innerstaatlicher Stabilisierungsaufgaben durch Friedensoperationen des Sicherheitsrats ausschließen könnten. 1. Das Interventionsverbot des Art. 2 (7)
Eine erste rechtliche Barriere für den Einsatz von Friedensoperationen mit treuhänderischen Funktionen könnte das Interventionsverbot des Art. 2 (7) sein. Zwar wurde bereits oben ausgeführt, daß der von Art. 2 (7) geschützte Grundsatz staatlicher Souveränität der neuen Interpretation des Friedensbegriffs nicht entgegensteht. Das Interventionsverbot könnte jedoch den innerstaatlich orientierten Friedensoperationen selbst einen Riegel vorschieben. In Art. 2 (7) heißt es:
20 Diese Sorge äußert z.B. das Foreign Affairs Committee des britischen Unterhauses in seinem 3. Bericht über die Rolle der Vereinten Nationen v. 23. 6. 1993, para. 94.
298
C. Rechtsgrundlage
"Nothing contained in the present Charter shall authorize the United Nations to intervene in matters which are essentially within the domestic jurisdiction of any state (... )". Die treuhänderischen Funktionen der neuen Friedensoperationen haben das Aufgabenprofil der "Blauhelme" gegenüber demjenigen "klassischer" Missionen verschoben. In den Vordergrund gerückt ist die umfassende, politische Lösung innerstaatlicher Konflikte!. also die innere Entwicklung eines Landes, einschließlich der (Neu- oder Re-) Organisation seiner staatlichen Ordnung. Diese Aufgabe liegt an sich ohne weiteres "within the domestic jurisdiction of any state". Damit drängt sich die Frage auf. ob Art. 2 (7) der UNO solche Operationen verbietet. Bei der Untersuchung dieser Frage ist danach zu differenzieren. ob eine Operation mit oder ohne die Zustimmung der betroffenen Staaten durchgeführt wird. Zuvor läßt sich jedoch ein Teil der fraglichen Operationen bereits unter einem spezielleren Gesichtspunkt abschichten: es ist dies die Rolle der Vereinten Nationen im Zusammenhang mit Fragen der Dekolonisation. a) Dek%nisalion.\jdlle
Wie oben gezeigt 2 , ist eines der Einsatzfelder der zweiten Generation des Peace-Keeping die Bewältigung des Übergangs noch unter fremder Verwaltung stehender Gebiete in die Unabhängigkeit. Darin bestand auch der Auftrag der UNT AG in Namibia. Folglich läßt sich die Zuständigkeit der UNO für ähnlich gelagerte Rest-Fälle mit der Verantwortung der Weltorganisation für die DekoIonisierungsproblematik begründen Diese Verantwortung der UNO ist im Laufe der Jahre vom politischen Postulat zu einer anerkannten rechtlichen Realität geworden 3 Sie ergibt sich aus den umfassenden Regelungen der Kapitel XI - XIII der Charta sowie aus dem in Art. I (2) Charta der Vereinten Nationen verankerten Ziel der Achtung der Selbstbestimmung. Sie besteht unabhiingig von der Einordnung eines unselbständigen Gebiets in das Treuhandsystem der Kapitel XII und XIII der Charta, wie sich aus Art. 73 Charta der Vereinten Nationen ergibt. der auch diejenigen Gebiete ohne Selbstregierung in die Charta einschließt. die nicht dem Treuhandsystem unterfallen, und der auch diese Gebiete insofern zu einer Angelegenheit von "international concern"
! Eine Zidsdzung. die z.B. im Kongo-Fall IUr mit Art. 2 (7) unvereinhar gehalten wurde - vgl. Schaefer. 168 L Franke. 20 I C der von einer (freilich gerechtfertigtcn) "Durchhrcchung des Art. 2 (7)" spricht.
S.O. A.. IV .. 2 .. h). :l
Szasz. Gcorgia Journal of International and Comparative Law 1983. 349 f
III. Rechtliche Schranken
299
und damit zu einer Angelegenheit der UNO macht". Eine solche Angelegenheit ist folgerichtig keine "innere" (des betroffenen Landes oder der Kolonialmacht) mehr, so daß der auf die Dekolonisation gründenden UN-Zuständigkeit der Art. 2 (7) nicht im Wege steht. Dies kommt insbesondere in Art. 73 e) zum Ausdruck, der eine Berichtspflicht der Kolonialmächte bezüglich derjenigen Gebiete statuiert, die nicht unter das Treuhandsystem fallen 5. Sofern die Konfliktsituationen, in denen die Friedensoperationen der zweiten Generation aktiv werden sollen, also dem Kontext der Dekolonisation zuzurechnen sind, steht ihnen Art. 2 (7) der Charta nicht entgegen. Die Probleme der Dekolonisation sind heute jedoch weitgehend gelöst, so daß der Haupteinsatzfall der neuartigen Friedensoperationen künftig nicht mehr in diesem Bereich, sondern auf dem Gebiet des Wiederaufbaus zusammengebrochener Staaten liegen wird. h) Friedensoperationen ohne Zustimmung
Eine Friedensoperation, die der Sicherheitsrat ohne die Zustimmung des betroffenen Landes entsendet, kann nur eine Operation auf der Basis des Kap. VII der Charta sein. Für Maßnahmen nach Kap. VII enthält Art. 2 (7) aber in seinem 2. Hs. bereits selbst eine Ausnahme vom Interventionsverbot. Dementsprechend verstoßen Friedensoperationen, die als Zwangsmaßnahmen auf der Basis des Kap. VII durchgeführt werden, wegen des 2. Halbsatzes dieser Vorschrift nicht gegen Art. 2 (7). Entgegen dem zu eng geratenen, auf "enforcement measures under Chapter VII" beschränkten Wortlaut gilt diese Ausnahme nach ganz überwiegender Ansicht 6 für das gesamte Kap. VII. Selbst wenn man in Anlehnung an entsprechende Erklärungsmodelle bezüglich des traditionellen Peace-Keeping7 Operationen für möglich hält, die zwar auf Kap. VII gestützt sind - z.B. auf den Art. 40 -, die aber nicht "enforcement measures" sind8 , gilt folglich nichts anderes.
4
Vgl. Charta der UN, Kommentar-Fastenrath, Art. 73, Rz. 5.
5 Diese Ptlicht ist von der Generalversammlung zu einer Berichl~ptlicht ihr gegenüber gemacht worden, vgl. Charta der I TN, Kommentar-Fastenrath, Art. 73, Rz. 7 und 19. 6
Kelscn, 788: Schaefer. 26 fund 89: ähnlich Franke. 201 f
7 S.o. A., 11., b): Friedensoperationen wurden u.a. als Maßnahmen nach Art. 40, beziehungsweise als "dccisions" nach Art. 39 gedeutet, also als Maßnahmen nach Kap. VII, die keine "enforcement measures" sind.
X Daß eine solche Erklärung. die fiir die traditionellen Friedensoperationen tauglich sein mag, deren Wesensmerkmal nicht zuletzt das Erfordernis der Zustimmung ist. auf die hier betrachteten Friedensoperationen übertragbar sein könnte, die ohne die Zustimmung des betroffenen Staates durchgefiihrt werden. ist äußerst zweifelhaft. Die Entsendung einer Peace-Keeping-Operation in einen
300
C. Rechtsgrundlage
Freilich setzen solche Operationen gemäß Art. 39 das Vorliegen einer "Friedensbedrohung" voraus. Wie gezeigt ist heute aber nicht mehr ausgeschlossen, daß auch interne Konflikte eine Bedrohung des Weltfriedens in seiner neuen Auslegung darstellen. Wenn dies der Fall ist, dann steht der Entsendung einer Friedensoperation mit innerstaatlichem Auftrag gern. Kap. VII der Art. 2 (7) nicht entgegen. c) Friedensoperationen mit Zustimmung
Ist ein betroffener Staat mit der Entsendung einer Friedensoperationen der zweiten Generation einverstanden, so beinhaltet diese Zustimmung den Verzicht auf seine Rechte nach Art. 2 (7)9 Die Wirksamkeit eines derartigen Verzichts setzt aber voraus, daß die Regelung des Art. 2 (7) dispositiv ist und in der Verfügungsgewalt des Staates liegt. Dem könnte entgegenstehen, daß dem Art. 2 (7) ein objektiver Gehalt zukommt, der die UNO sozusagen "von Verfassungs wegen" verpflichtetet, sich prinzipiell aus inneren Angelegenheiten eines Staates herauszuhalten - unabhängig davon, ob der betroffene Staat mit einer UN-"Einmischung" einverstanden ist oder nicht. In der Literatur gibt es Vorschläge in dieser Richtung 10 . Akzeptiert man diese Sichtweise, so können auch solche treuhänderischen Operationen, denen die Zustimmung der Betroffenen zugrundeliegt, mit Art. 2 (7) in Kollision geraten. Dafür ließe sich die systematische Stellung des Art. 2 (7) unter den "Principles" der Charta ins Feld führen. Sie deutet darauf hin, daß die Organisation prinzipiell nicht befugt ist, sich mit inneren Angelegenheiten in einem Staat zu befassen. Ebenfalls für diese Interpretation spricht der Vergleich des Wortlauts mit demjenigen der historischen Vorgängervorschrift des Art. 2 (7), dem Art. 15 (8) des Völkerbundpaktes 11 Dort war das Interventionsverbot eindeutig als "Schutzvorschrift" formuliert, welche der Völkerbund solange nicht zu beachten hatte. bis sich ein Staat ausdrücklich darauf berief12 Schließlich Staat, der ihr die Zustinunung verweigert, kann kaum anders als als "Zwangsmaßnahme" aufgefaßt werden. 9 Franke, 195; vorsichtiger Higgins, The Development ofintemational Law, 106 f, die den Art. 2 (7) durch das Einverständnis nur bezüglich der Anwesenheit der UN-Kräfte als solcher rur ausgeschaltet hält, ihm aber darüber hinaus noch ein Anwendungsgebiet bei operativen Entscheidungen zubilligt. 10 Vgl. Szasz, Georgia Journal ofInternational and Comparative Law 1983,353 f In diesem Sinne Schaefer, 168. Ähnlich auch Charta der UN, Konunentar-Ermacora, Art. 2 Ziff. 7, Rz. 8; CotiPelletGuillaurne, Art. 2 VII, 145. 11 Art. 15 (8) lautete: "Macht eine Partei geltend, und erkennt der Rat an, daß sich der Streit auf eine Frage bezieht, die nach internationalem Recht zur ausschließlichen Zuständigkeit dieser Partei gehört, so hat der Rat dies in einem Bericht festzustellen, ohne eine Lösung der Frage vorzuschlagen." 12 Nisot, AJIL 1949, 777.
III. Rechtliche Schranken
301
läßt sich argumentieren, daß der objektive Gehalt des Art. 2 (7) die UNO vor einer völligen Überforderung ihrer Ressourcen schützt, indem er sie vor den gewaltigen finanziellen und personellen Lasten eines Hineingezogenwerdens in innere Angelegenheiten bewahrt 13 Dennoch sprechen die gewichtigeren Gründe dagegen, dem Art. 2 (7) einen objektiven Gehalt zuzubilligen, der ihn zu einer absoluten Schranke der UNKompetenz im innerstaatlichen Bereich außerhalb des Kap. VII machte. Zunächst läßt sich der Wortlaut anführen. Dort ist von "intervene" die Rede. Wenngleich "intervene" nicht so eng ausgelegt werden kann, daß es nur die "dictatorial, mandatory interference, intended to exercise direct pressure upon the State concerned" erfaßt 14, so impliziert es doch, daß die "Intervention" gegen oder ohne den Willen des Betroffenen geschieht. Selbst wenn man den naheliegenden Schluß, daß eine Operation mit Zustimmung der Parteien schon begrifflich den Tatbestand des "intervene" nicht erfüllen kann, für zu weitgehend hält 15 , läßt sich nicht leugnen, daß die Zustimmung jedenfalls eine Rolle bei der Beurteilung der Frage spielt, ob in einem konkreten Einzelfall eine Intervention vorliegt oder nicht. Damit steht der Wortlaut dem Verständnis des Art. 2 (7) als objektiver, vom Willen des betroffenen Landes unabhängiger Schranke der UN-Tätigkeit entgegen. Daß die UNO zum Schutz ihrer eigenen knappen Ressourcen zugestandenermaßen die Möglichkeit haben sollte, innerstaatliche Friedensoperationen auch auf ein Ersuchen der Parteien hin ablehnen zu können 16 , ist umgekehrt kein Grund dafür, ihr die Befugnis zu solchen Operationen generell abzusprechen. Schließlich drängt sich hier ein argumentum a maiore ad minus auf. Der 2. Halbsatz des Art. 2 (7) nimmt Handlungen der UNO auf der Grundlage des Kap. VII ausdrücklich vom Interventionsverbot aus. Wenn, wie oben dargelegtl7, den Friedenssicherungskapiteln VI und VII ein einheitliches Friedenskonzept zugrundeliegt, kann eine Krise in einem Land, die den Weltfrieden gefahrdet, rechtlich ohne weiteres vom Sicherheitsrat als "Friedensbedrohung" eingestuft werden. Umgekehrt ist dann, wenn die innere Lage noch keine Gefahrdung des Weltfriedens im oben entwickelten Sinn darstellt, jedes Handeln des Sicherheitsrats - mit oder ohne Zustimmung - ausgeschlossen. Alle Situationen, in denen er zur Wahrung des Weltfriedens handeln darf, könnte der 13 Vgl. Bowett, UN Forces, 426, der betont daß es sich die UNO aus einer "purely financial consideration" nicht leisten könne, "to assurne functions related solely to the internal stability of aState, ( ... ). ". 14 So aber H. Lauterpacht in: Oppenheim, 8. Auflage, Bd. I, 415
§ 263.
15 So anscheinend Schaefer, 168, Fn. 118. 16 S. dazu sogleich D., 1.,1., b). 17 S.o. C., I.
f; dagegen Verdross/Simma,
302
C. Rechtsgrundlage
Sicherheitsrat folglich auch als "Friedensbedrohung" qualifizieren und damit die Tür zu Kap. VII aufstoßen. Gern. Art. 2 (7) 2. Hs. überwände er dadurch gleichzeitig auch die Sperre des Interventionsverbots. Wenn er in einer friedensgefahrdenden inneren Situation mit Zustimmung aller Beteiligten handeln kann und - nicht zuletzt auch deshalb - auf den Rückgriff auf das Kap. VII verzichtet, dannn handelt es sich dabei um ein "minus" gegenüber dem Einsatz einer auf das Kap. VII gestützten Operation. Folglich wäre es absurd anzunehmen, daß Art. 2 (7) dieses verbietet. Es ist also nicht davon auszugehen, daß Art. 2 (7) eine objektive Schranke enthält, die der UNO ein Handeln im innerstaatlichen Bereich außerhalb von Kap. VII unabhängig vom Vorliegen einer Zustimmung verbietet. Damit steht auch innerstaatlichen UN-Friedensoperationen mit Zustimmung der Betroffenen der Art. 2 (7) nicht entgegen. d) Ergebnis
Insgesamt ist festzustellen, daß Art. 2 (7) trotz seiner Formulierung letztlich der effektiven Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit durch die UNO untergeordnet ist 18 Seine Reichweite ist daher direkt abhängig von der Reichweite des Begriffs des Weltfriedens. Auch ihrer Natur nach innere Angelegenheiten eines Landes können zum Gegenstand friedens sichernder UN-Operationen werden, wenn die Wahrung des Weltfriedens dies gebietet. Sofern dies der Fall ist, sind sie dann eben nicht mehr "essentially within the domestic jurisdiction"19 Dieser umgekehrt proportionale Zusammenhang zwischen der Reichweite des Interventionsverbots und derjenigen des Friedensbegriffs hat zur Folge, daß auch im Zusammenhang mit Art. 2 (7) "international peace and security" der Schlüsselbegriff ist. Wenn eine Friedensoperation mit treuhänderischen Funktionen zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlich ist, dann steht ihr - unabhängig davon, ob sie auf Kap. VII gestützt ist oder mit Zustimmung der Parteien durchgeführt wird - der Art. 2 (7) nicht entgegen. Andererseits hat Art. 2 (7) - auch darauf wurde schon hingewiesen 20 - den Charakter einer allgemeinen Interpretationsrichtlinie, die auf den Schutz der staatlichen Souveränität zielt. Als solche spielt diese Vorschrift bei der Auslegung auch des Begriffs "international peace and security" ihrerseits eine Rolle.
18 Schaefer, 90; Franke, 202. 19 Me DougaliReisman, AJIL 1968, 14; in diesem Sinne auch Bowett, 424; Lauterpacht in:
Oppenheim, 8. Auflage, Bd. 1,418 f. 20 S.o. C., I., I., a).
III. Rechtliche Schranken
303
Zwischen beiden muß eine Balance gefunden werden, die auch dem Interesse souveräner, funktionsfähiger Staaten Rechnung trägt, ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu regeln 21 . Daraus ergeben sich Konsequenzen für die Friedensoperationen der zweiten Generation, auf die noch einzugehen sein wird22 2. Systematische Erwägungen
Der Einsatz von Friedensoperationen des Sicherheitsrats zur Wahrnehmung treuhänderischer Funktionen im innerstaatlichen Bereich könnte des weiteren aus systematischen Grunden ausgeschlossen sein. Ansatzpunkte für Zweifel an der Ausdehnung der Zuständigkeit des Sicherheitsrats auf die temporäre Verwaltung einzelner Länder in systematischer Hinsicht sind einerseits der Art. 78, andererseits ein argumentum e contrario aus den Treuhandvorschriften der Charta im allgemeinen. So schließt Art. 78 die Anwendung des Treuhandsystems auf solche Gebiete aus, die Mitglieder der UNO geworden sind. Wie oben dargetan wurde 23 , erfüllen die neuen Peace-Keeping-Operationen der UNO treuhänderische Funktionen. Man könnte nun argumentieren, die in Art. 78 ausgedruckte und durch die Formulierung des zweiten Halbsatzes dieser Vorschrift unterstrichene Beschränkung des Anwendungsgebietes der Treuhandvorschriften auf noch nicht souveräne Staaten schließe nicht nur die Anwendung des Treuhandsystems der UNO in einem Mitgliedstaat aus, sondern stünde auch UN-Operationen entgegen, die dort auf anderer Grundlage treuhänderische Funktionen wahrnehmen. In eine ähnliche Richtung weist ein möglicher Gegenschluß aus den Treuhandvorschriften insgesamt. Die dort insbesondere durch die Art. 77 und 81 vorgesehene spezielle Möglichkeit treuhänderischer Verwaltung eines Gebietes durch die UNO könnte jede andere Art direkter UN-Verwaltung eines Territoriums, insbesondere die Übernahme treuhänderischer Funktionen durch das Instrument der Peace-Keeping-Operationen, ausschließen24 Zu diesem letzteren Argument ist zu bemerken, daß ein die Kompetenzen der Organisation einschränkender Gegenschluß bei der Auslegung der Charta schon vom Prinzip her skeptisch zu beurteilen ist. Die ausdrucklichen Handlungsbefugnisse der Organisation e contrario zu interpretieren bedeutet. ihr jede über diese Befugnisse hinausgehende Kompetenz abzusprechen. Dem steht 21 Kahng, 3l. 22 S.u. D.,
1.. I.. a).
23 A., IV.,
I.. a), cc).
24 VgJ. Kelsen, 651: "the Organization is not authorized by the Charter to exercise sovereignty over a territory, which has not the legal status of a trust territory".
304
C. Rechtsgrundlage
jedoch die vom IGH bestätigte Geltung der "implied powers"-Lehre25 bei der Interpretation der UN-Charta entgegen. Aus diesem Grund ist die Interpretation e contrario in anderem Zusammenhang von dem überwiegenden Teil der Literatur zurückgewiesen worden 26 . Dieser Gedanke läßt sich auch hier fruchtbar machen. Allein aus der Tatsache, daß im Kontext des Treuhandsystems durch Art. 77 und 81 die Option vorgesehen wurde, die Mandatsverantwortung für ein Gebiet der Organisation selbst zu übertragen, läßt sich nicht der Schluß herleiten, eine außerhalb dieses Kontexts bestehende, allgemeinere Befugnis der UNO zur Administration einzelner Länder sei ausgeschlossen27 Was den Art. 78 angeht, so gebietet dessen Wortlaut noch nicht die Auslegung dahingehend, daß der UNO die Übernahme treuhänderischer Funktionen in einem Mitgliedstaat generell verboten sein soll. Es ist dort nur von dem Treuhandsystem die Rede. Eine anders begründete, wenn auch treuhandähnlich gestaltete Verwaltung ist davon direkt nicht erfaßt. Sie könnte folglich nur durch eine analoge Anwendung des Art. 78 ausgeschlossen sein. Gegen eine solche erweiternde Analogie spricht aber schon die Entstehungsgeschichte. Art. 78 hatte eine äußerst begrenzte Funktion. Es ging darum, zu verhindern, daß Libanon und Syrien unter Treuhandschaft nach Art. 77 (1) (a) gestellt werden konnten28 . Beide hatten als Gründungsmitglieder der UNO an der Konferenz in San Francisco teilgenommen, standen aber de jure noch unter französischer Mandatsverwaltung. Ihretwegen wurde Art. 78 als Klarstellung in den ursprünglichen Entwurf der Charta eingefügt29 Darüber hinaus ist Art. 78 eine Folgerung aus dem in Art. 2 (1) niedergelegten Grundsatz der souveränen Gleichheit der Mitgliedstaaten3o . Das Prinzip staatlicher Souveränität selbst steht der UN-Administration durch Friedensoperationen der zweiten Generation aus den schon dargestellten Gründen nicht entgegen31 Dieselben Erwägungen sprechen gegen die Annahme, diese Operationen seien durch Art.· 78 ausgeschlossen. Entscheidend ist schließlich, daß die Übernahme der Administration in instabilen Staatswesen, wie gezeigt32, der Förderung grundlegender Ziele der UN-Charta dient. Auch die Treuhandvorschriften stehen im 25 S.o. A., 11., 2. 26 Für die Artikel 39, 43, 46, 47 z. B. von Bowett, UN Forces, 309 f; ebenso Seyersted, 157. Ähnlich argumentiert im Zusammenhang mit Art. 43 der 1GH im "Expenses" - Fall, Gutachten v. 20. 7. 1962, 1Cl Rep. 1962, 150, 167. 27
118 f.
Leyser, ArchVR, Bd. 10 (1962/63), 270; E. Lauterpacht, 1CLQ 1956, 410 f; Brüggemann,
28 Kelsen, 574, der jedoch daraufhinweist, daß Art. 78 bezüglich dieser beiden Staaten überflüssig
war.
29 UNC10 10, 678 und 681; Charta der UN, Kommentar-Rauschning, Art. 78, 30 Charta der UN, Kommentar-Rauschning, Art. 78,
31 S.o.
c.. 1., 2., e), aa).
32 S.o. C., 1., 2., e), aa).
Rz. 2.
Rz.
I.
III. Rechtliche Schranken
305
Dienst dieser Ziele. Das schließt ihre analoge Erweiterung aus, wenn die erweiternde Interpretation dazu führt, daß sie der Verfolgung dieser Ziele im Wege stehen. Art. 78 kann daher nicht gegen die Übernahme treuhandähnlicher Verantwortung durch Peace-Keeping-Operationen der UNO ins Feld geführt werden. 3. Selektivität
Schließlich könnte das Problem der Selektivität dieser Einsätze der Zulässigkeit von Friedensoperationen der zweiten Generation im Wege stehen. Während die Welt voll ist von Fällen innerstaatlicher Krisen und Zusammenbrüche, läßt sich ein Engagement von UN-Friedensoperation nur an einigen Stellen ausmachen. Dies hat der Weltorganisation den Vorwurf eingetragen, ungleiche Maßstäbe anzulegen. Obwohl es sich hierbei um einen primär politischen Gesichtspunkt handelt, hat er auch eine rechtliche Dimension. a) Rechtliche Relevanz des Selektivitätsproblems
Die rechtliche Relevanz dieses Problems ergibt sich letztlich aus der Begründung des Geltungsanspruchs völkerrechtlicher Regeln. Mehr als im innerstaatlichen Bereich, in dem die Autorität des Gesetzgebers Legitimitätsdefizite zu überspielen vermag, ist die Geltung völkerrechtlicher Regeln von ihrer Legitimität abhängig. Für die Legitimität einer neu entstehenden Regel ist im völkerrechtlichen Kontext, der stark von der Praxis und der auf sie gestützten rechtlichen Erwartung geprägt wird, ihre gleichmäßige Anwendung eine Kernbedingung 33. Wenn dies für eine neu entstehende Regel des Völkergewohnheitsrechts so ist, dann kann für ein auf organisationsgewohnheitsrechtlicher Basis entstehendes neues Instrument der Friedenswahrung nichts anderes gelten. In diesem Sinn ist die dem Selektivitätsproblem zugmndeliegende Frage, ob Gleiches gleich behandelt wird, auch für die Untersuchung der rechtlichen Zulässigkeit der neuen Form des Peace-Keeping bedeutsam. b) Bedeutung für Friedensoperationen der zweiten Generation
Diese neue Handlungsform gewinnt völkerrechtliche Legitimität durch gleichmäßige Anwendung; umgekehrt untergräbt es ihre Rechtmäßigkeit, wenn
33 Vgl. Franck, AJIL 1992, 77-79 und 85-87; ders., AJIL 1988, 743. 20 Hufnagel
306
C. Rechtsgrundlage
sie offensichtlich nur selektiv eingesetzt wird. In diesem Sinne wird denn auch in der Literatur gegen den mit der neuen Auslegung verbundenen "neuen Interventionismus" argumentiert34 aa) Existenz eines Selektivitätsproblems Daß die UNO nicht auf alle innerstaatlichen Krisensituationen gleichmäßig reagiert, muß nicht erst empirisch nachgewiesen werden. Ein solcher Nachweis wäre auch kaum leistbar, da die Frage, ob die Zustände in einem bestimmten Land ein Eingreifen der UNO tatsächlich erfordern, einen großen, politisch auszufüllenden Beurteilungsspielraum beinhaltet, der sich - außer in Evidenzfallen - der rechtlichen Nachprüfung entzieht. Vielmehr kann die Selektivität des Einsatzes von UN-Friedensoperationen auf diesem Gebiet auch auf einer theoretischen Ebene durch strukturelle Erwägungen nachgewiesen werden. Strukturelle Merkmale des eingesetzten Instruments sprechen bereits gegen seine gleichmäßige Anwendbarkeit auf alle Fälle. Zunächst ist dabei der politische Charakter der Entscheidungsfindung im Sicherheitsrat zu nennnen. Entscheidungen dort erfordern mindestens den politischen Konsens der fünf ständigen Mitglieder. Wenngleich diese Grundbedingung den Sicherheitsrat zur Zeit nicht übermäßig zu beeinträchtigen scheint, macht es ihn doch strukturell anfallig und setzt ihn der Gefahr aus, von den ständigen Mitgliedern zu sehr in ihre eigene Interessenpolitik eingebunden zu werden 35 . Die durch die neue Interpretation dem Rat zuwachsenden Handlungsbefugnisse könnten zur Verfolgung eigener politischer Ziele dieser Mächte mißbraucht werden 36 . Diese Konstellation macht treuhänderische Friedensoperationen gegen das dezidierte Interesse einer ständigen Ratsmacht faktisch unmöglich. Dadurch wird die gleichmäßige Anwendung des neuen Instruments strukturell beeinträchtigt. Noch gewichtiger erscheint ein zweiter struktureller Aspekt, der mit der neuen Form des Peace-Keeping selbst verbunden ist, und daher auch bei politischer Einigkeit im Sicherheitsrat nicht zu vermeiden ist. Aus den Fallbeispielen wurde deutlich, daß die Operationen dieses Typs einen gewaltigen Ressourcenaufwand erfordern. Finanziell und personell gehören sie zu den größten Operationen in der Geschichte der UNO. Dazu kommt noch das Problem, daß die von ihnen zu übernehmenden treuhänderischen Aufgaben einen erheb34 Stedman, For Aff No. 72 (1992/93), 9; im gleichen Sinne: ToreIli, RICR 1992, 277; Djiena Wembou. AJICL 1993, 353 f; Wagner, EA 1994, 158; Holmes, Journal oflnternational Affairs 1993, 337. 35
ToreIli. RICR 1992,277; Sullivan in Newsweek v. 16. l. 1993, S. 8.
36
Was den drei westlichen unter ihnen im Fall der Res. 748 (1992) auch vorgeworfen wird.
III. Rechtliche Schranken
307
lichen Zeitaufwand erfordern. Wie in Somalia deutlich wird, kann ein solches Engagement eine zeitlich unkalkulierbare Verpflichtung werden. Hoher Aufwand und lange Dauer machen diese Operationen zu einer Aktivität, die die Kapazitäten der UNO bis an die äußerste Grenze fordert 37 Dies um so mehr, als die Weltorganisation sowohl im Bereich der finanziellen als auch der personellen Ressourcen völlig auf die prekäre Bereitschaft der Mitgliedstaaten angewiesen ist, ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Diese Problematik setzt der Fähigkeit der Organisation, mehrere derartige Friedensoperationen parallel durchzuführen. enge Grenzen38 . Die dadurch notwendige Selektivität steht einer gleichmäßigen Anwendung entgegen. Aus diesen Gründen muß davon ausgegangen werden, daß ein gleichmäßiger Einsatz der neuen Form des Peace-Keeping in allen Fällen nicht möglich ist. Damit besteht für diese neue Handlungsform der Weltorganisation ein Selektivitätsproblem39 . bb) Gewicht des Selektivitätsproblems Mit dieser Folgerung ist allerdings das Schicksal der hier in Frage stehenden Befugnis zur Durchführung von Friedensoperationen mit treuhänderischen Funktionen noch nicht entschieden. Vielmehr ist nun in einem weiteren Schritt die Frage zu prüfen, ob die strukturelle Unfähigkeit der UNO, diese Befugnis gleichmäßig auszuüben, ein Argument dafür ist, sie ihr gar nicht erst zuzubilligen. Prima facie spricht gegen eine solche Annahme bereits die Überlegung, daß nicht nirgendwo handeln darf, wer nicht überall handeln kann4O , daß also ein Recht zur Vornahme einer Handlung nicht auch bedeutet, daß eine Pflicht zur Vornahme derselben besteht. So einfach allerding läßt sich im Falle der UNO das Legitimitätsdefizit nicht beiseite schieben, das aus der ungleichen Handhabung eines ihr zur Verfügung stehenden Instruments entsteht. Anders als z.B. bei dem Recht eines einzelnen Staates, unilateral in einem anderen Staat zu intervenieren, spielt dann, wenn die entsprechende Befugnis der UNO in Frage steht, die Tatsache eine Rolle, daß die Weltorganisation eine überparteiliche, nicht einzelnen Interessen, sondern der Gesamtheit der internationalen Ge37 Tomuschat, EA 1992,47.
38 Darauf weist auch Stedman, For Aff No. 72 (1992/93), 10 f hin. Ebenso Holmes, Journal of International Affairs 1993,336 f. Siehe auch unten 0.,11., I. 39 ToreIli in: R.-J. Dupuy, Role du Conseil de Securite, 192 spricht in diesem Zusammenhang wenn auch nicht speziell auf Friedensoperationen bezogen - plastisch von einer "vision de l'humanite a la carte".
40 Hassner, EA 1993. 157.
308
C. Rechtsgrundlage
meinschaft verpflichtete Position einnimmt. Anders als der Staat, der die willkürlich ungleiche Ausübung eines ihm zustehenden Rechts legitimerweise mit anderweitigen nationalen Interessen begründen kann, verbietet sich ein solches Vorgehen für die UNO. Sie ist diesbezüglich in ähnlicher Lage wie der Staat im nationalen Recht, dem anders als dem Privatmann willkürliche Ungleichbehandlungen versagt sind. Diese Ähnlichkeit mit dem innerstaatlichen Recht ist zugleich Ansatz für einen etwas tiefergehenden Grund für die Relativität des Selektivitätsarguments. Es läßt sich hier eine Parallele zum innerstaatlichen Polizeirecht auftun. Wie die UNO ist die staatliche Polizei bezüglich der Abwehr von Gefahren prinzipiell unparteiisch. Auch die staatliche Polizei kann aber nicht jeder Gefahr begegnen, weil dazu ihre Mittel regelmäßig nicht ausreichen werden. Damit entsteht auch hier automatisch ein Spielraum, ein Selektionsproblem, das im Polizeirecht unter anderem mit dem Opportunitätsprinzip beantwortet wird. Dieses besagt nichts anderes, als daß die Notwendigkeit einer Auswahl, also der Selektivität des Handeins, anerkannt und der Polizei ausdrücklich zugestanden wird. Diese kann legitimerweise ihre Kräfte auf diejenigen Einsätze bündeln, die den maximalen Gefahrenabwehrerfolg versprechen. Ein analoger Gedanke kann für die UNO fruchtbar gemacht werden. Auch die Übernahme treuhänderischer Funktionen in einem Land ist eine Form von Gefahrenabwehr - der Abwehr von Gefahren für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit. Die UN-Friedensoperationen haben eine der Polizei vergleichbare Schutzund Rettungsfunktion41 . Folglich sollten - schon faktisch unvermeidbare Gleichbehandlungsdefizite bei der Ausübung solcher Funktionen der UNO genausowenig wie der nationalen Polizei die Befugnis zu dieser Ausübung nehmen. Allerdings ist die Analogie damit noch nicht beendet. Das innerstaatliche Opportunitätsprinzip ist kein Blankett für polizeiliche Willkür und unlautere Motive. Seine Anwendung ist inhaltlich durch die Aufgabe der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit gebunden. Es ist dem Zweck der maximalen Gefahrenabwehr im Sinne dieser Aufgabe verpflichtet. Auch dies muß auf die UNO übertragen werden. Die konstatierte Selektivität tut der Legitimität des Einsatzes von Friedensoperationen mit treuhänderischen Funktionen nur dann keinen Abbruch, wenn sie erkennbar durch das Bemühen gemildert wird, die nötige Auswahl nach legitimen Opportunitätskriterien wie Z.B. der Erfolgsaussicht42 vorzunehmen. Andererseits würde jene Legitimität aber unweigerlich zerstört, wenn die Auswahlkriterien willkürlich erschienen, wenn also z.B. er-
41
Aufdiese Parallelität weist bereits Urquhart, NILR 1989, 53 hin.
42 Dieses Kriterium fiir die neuen Friedensoperationen wird Z.B. vorgeschlagen vom Foreign Affairs Corrunittee des britischen Unterhauses in seinem 3. Bericht über die Rolle der Vereinten Nationen v. 23. 6. 1993, para. 95. Vgl. auch Ellerman, Vanderbilt Journal ofTransnational Law 1993,370.
IV. Ergebnis
309
kennbar würde, daß die Großmächte das Instrument der zweiten Generation des Peace-Keeping nur zur Förderung eigener Interessen einsetzten. Insofern ist die Legitimität des neuen Instruments also durch die Art seiner Handhabung bedingt. Welche Konsequenzen sich daraus für den rechtlichen Rahmen dieser Friedensoperationen ergeben, wird noch zu behandeln sein43 . Für die hier gestellte Frage genügt hingegen die Feststellung, daß die strukturell bedingten Ungleichmäßigkeiten beim Einsatz der Friedensoperationen der zweiten Generation diesen noch nicht prinzipiell die Legitimität nehmen. Folglich kann aus der konstatierten Selektivität jener Operationen nicht auf ihre Unzulässigkeit geschlossen werden.
IV. Ergebnis Die Untersuchung hat eine Veränderung der Interpretation der Charta zum Vorschein gebracht, die ihrerseits Folgen für den Inhalt des Konzepts des UNPeace-Keeping hat. 1. Expansion des Friedensbegriffs
Es hat sich gezeigt, daß der Begriff "international peace and security", ein Schlüsselbegriff der Charta und insbesondere der Friedensoperationen des Sicherheitsrats, eine inhaltliche Erweiterung erfahren hat. Innerstaatliche Konfliktsituationen werden als solche zunehmend als Friedensgefahr begriffen, der nur durch die Neu- oder Wiedererrichtung einer staatlichen Ordnung begegnet werden kann. Dementsprechend unterfällt die Durchführung von Friedensoperationen, die durch die Übernahme treuhänderischer Funktionen im innerstaatlichen Bereich dieser Gefahr begegnen sollen, der in Art. 24 (1) dem Sicherheitsrat übertragenen Aufgabe "to maintain international peace and security". Dieser Ausdehnung der Zuständigkeit des Sicherheitsrats stehen weder das Interventionsverbot des Art. 2 (7) noch die aus strukturellen Gründen unvermeidliche Selektivität solcher Einsätze im innerstaatlichen Bereich entgegen.
43 S.u. D., 1., 1., b).
310
c. Rechtsgrundlage 2. Modifikation des Peace-Keeping-Konzepts
Die geschilderte Expansion des den Aktivitäten des Sicherheitsrats zugrundeliegenden Friedensbegriffs der Charta hat unmittelbare Auswirkungen auf das Konzept des Peace-Keeping. a) Erweitertes Aufgabenprofil
Mit der Erweiterung des Inhalts des Begriffs des Weltfriedens, dem zu dienen Aufgabe der Friedensoperationen ist, verbreitert sich notwendigerweise auch deren Aufgabenprofil. Charakterisierte die Pufferfunktion das traditionelle Peace-Keeping, so werden die treuhänderischen Funktionen zum Zweck des innerstaatlichen Aufbaus zu einem prägenden Kennzeichen des PeaceKeeping der zweiten Generation. Dieser Weg der "Blauhelme" vom "Puffer" zur "Neuen Treuhand" ist auch systematisch nicht zu beanstanden. b) Einschluß von Zwangsmaßnahmen
Hand in Hand mit dem erweiterten Aufgabenprofil hat sich die rechtliche Basis des Peace-Keeping verändert. Waren UN-Friedensoperationen traditionell als ein "minus" zum "enforcement" des Kap. VII auf die im Laufe der Zeit gewohnheits rechtlich verdichtete Abgrenzung zur Erzwingung festgelegt und damit auf Befugnisse unterhalb der Schwelle des Kap. VII beschränkt, so ist diese Abgrenzung heute verschwunden. Peace-Keeping ist nicht mehr in die Grauzone "zwischen" den Kapiteln VI und VII eingezwängt, sondern kann sich nun auf die ganze Bandbreite der in diesen beiden Kapiteln eingeräumten besonderen Befugnisse stützen. Die Grenze zwischen "peace-keeping" und "enforcement" ist fließend geworden.
D. Grenzen und Vorgaben der Friedensoperationen der zweiten Generation I. Vorgaben für künftige Friedensoperationen der zweiten Generation Nachdem bis hierhin geklärt wurde, daß die UN-Friedensoperationen treuhänderische Funktionen beim innerstaatlichen Wiederaufbau übernommen haben und daß diese neue Aufgabe von der Charta gedeckt ist, soll nun noch dargelegt werden, innerhalb welcher Vorgaben sich künftige Friedensoperationen der zweiten Generation bewegen. Die Analyse der Rechtsgrundlage der Friedensoperationen der zweiten Generation hat ergeben, daß der Sicherheitsrat der neuen Aufgabe interner Stabilisierung von Staaten durch eine Ausdehnung des Friedensbegriffs begegnet ist. Dies war erforderlich, da nur der Sicherheitsrat, und dieser wiederum nur zum Zwecke der Friedenssicherung, die nötigen Handlungsbefugnisse hat, um derartige Operationen durchführen zu können. Die Ausdehnung der Ermächtigung zur Wahrung des Weltfriedens auf einen Bereich, der im traditionellen Verständnis nicht von dieser Aufgabenzuweisung umfaßt war, bringt das Problem mit sich, daß ausdrückliche inhaltliche Vorgaben für die Wahrnehmung dieser Aufgabe nicht vorhanden sind. Da der Sicherheitsrat hier aber kaum von jeglicher Vorgabe frei sein kann, gilt es, auch für diese neue, unvorhergesehene Handlungsform der UNO Richtlinien zu entwickeln, die den Bereich zulässigen Handeins strukturieren und begrenzen. Dies soll in einem zweigleisigen Vorgehen geschehen. Einerseits wird der Versuch unternommen, in der Praxis der bisherigen Friedensoperationen der zweiten Generation nach übereinstimmenden Merkmalen zu suchen, aus denen sich ein grobes Gerüst für Operationen dieses Typs herausfiltern läßt. Wie bereits beim klassischen Peace-Keeping, so ist auch bei den neuen Operationen die rechtliche Gestalt stark von Gewohnheitsrecht geprägt, so daß dieser empirische Ansatz als Mittel der Erkenntnis der inhaltlichen Vorgaben adäquat erscheint. Auf der anderen Seite ist die gefundene Rechtgrundlage als normative Quelle für die Gewinnung rechtlicher Leitlinien des neuen Peace-Keeping heranzuziehen. Ansatzpunkt dafür ist der Art. 24 (2) I der Charta. Danach hat der Sicherheitsrat bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben im Einklang mit den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zu handeln. Diese Vorschrift gilt für alles Handeln des Rates und bindet damit auch seine Aktivitäten bei der Durchführung von Friedensoperationen der zweiten Generation.
312
D. Grenzen und Vorgaben der Friedensoperationen der 2. Generation
Da die Praxis dieser Operationen noch sehr jung und bei weitem noch nicht in allen Einzelheiten verfestigt ist und da daruber hinaus die normative Vorgabe des Art. 24 (2) I mit der Verweisung auf die "purposes and principles" einen weiten Interpretationsspielraum läßt, wird der aus diesen beiden Quellen zu schöpfende Rahmen nicht die Form eines detaillierten "Blueprint" für die Durchführung künftiger Operationen annehmen können. Möglich ist es allerdings, einige Vorgaben herauszufiltern, an denen zukünftige Friedensoperationen der zweiten Generation sich orientieren müssen und die insofern dem politischen Ermessen des Sicherheitsrats Richtung und Grenzen aufzeigen. Dabei sollen zum einen diejenigen Kriterien untersucht werden, die für die Entscheidung, eine Friedensoperation der zweiten Generation zu starten und zu beenden, maßgeblich sind. Ihr Anwendungsbereich liegt im Vorfeld einer konkreten Operation, und sie sollen daher als "äußere Vorgaben" bezeichnet werden. Zum anderen werden diejenigen inhaltlichen Vorgaben nachgezeichnet, die während des Verlaufs einer derartigen Operation dieser als inhaltliche Leitschnur und als Rahmen zugrundeliegen. Da diese Kriterien etwas über den inhaltlichen, inneren Ablauf einer einzelnen Operation aussagen, werden sie hier "innere Vorgaben" genannt. 1. Äußere Vorgaben
a) Subsidiarität
Die erste Vorgabe für die Durchführung einer Friedensoperation mit treuhänderischen Aufgaben ist die grundsätzliche Nachrangigkeit gegenüber eigenverantwortlicher Problemlösung durch den betroffenen Staat. Es handelt sich dabei um nichts anderes als um eine Ausprägung des dem Verhältnis der UNO zu den Mitgliedstaaten immanenten Subsidiaritätsprinzipsl. Diese Vorgabe läßt sich direkt aus der rechtlichen Fundierung der PeaceKeeping Operationen herleiten. Sie folgt aus dem Grundsatz staatlicher Souveränität. Dieser Grundsatz und das daraus resultierende Recht der Staaten, ihre inneren Angelegenheiten selbst zu regeln2, gehört zu den "puposes and principies" der Vereinten Nationen und wird insbesondere durch Art. 2 (1) und (7)
1 Vgl. Tomuschat, RdC 241 (1993-IV), 342. 2 Declaration on the Principles of International Law Concerning Friendly Relations and CoOperation among States in Accordance with the Charter of the United Nations der Generalversammlung, Res. 2625 (XXV) v. 24. 10. 1970, Annex, The Principle of Sovereign Equality of States, Buchstabe e).
I. Vorgaben fiir künftige Friedensoperationen der zweiten Generation
313
ausgedrückt und geschützt. Die geschützte staatliche Souveränität hat zwei Gesichter. Einerseits beinhaltet sie das Recht jedes Staates, bei der Regelung und Organisation seiner inneren Struktur von äußerem Druck und von Einmischung frei zu bleiben. Dies wird durch die dem Art. 2 (7) innewohnende Interpretationsrichtlinie3 unterstrichen. Auf der anderen Seite impliziert die Souveränität aber auch eine Verpflichtung jedes Staates, für seine eigenen Angelegenheiten zunächst einmal selbst zu sorgen. In diesem Sinne setzt sie die primäre Verantwortung des Staates für sein eigenes Volk voraus4 Im Umkehrschluß bedeutet dies, daß die internationale Gemeinschaft - und damit die UNO, insoweit sie diese verkörpert - jedenfalls keine primäre Verantwortung für die innere Entwicklung eines Volkes trägt. Dies ist unmittelbare und unvermeidliche Konsequenz des die Staaten in den Mittelpunkt stellenden aktuellen Völkerrechts, dessen Ausdruck die Artikel 2 (1) und 2 (7) sind. Das aus dem Grundsatz der souveränen Gleichheit abzuleitende Subsidiaritätsprinzip wirkt in vielfältiger Weise auf Initiierung und Durchführung der gegenständlichen Friedensoperationen ein. Zunächst wirkt es sich auf die Art von Krisensituationen aus, in denen eine Friedensoperation zum Einsatz kommen kann. Es beeinflußt die diesen Operationen zugrundeliegende Interpretation von "international peace and security", indem es die Weite der Auslegung dieses Schlüsselbegriffs begrenzt. Wie gezeigt ist es möglich, innerstaatliche Krisen als solche als Gefahren für den Weltfrieden zu begreifen. Ohne daß sich dies in genauen Größenordnungen festmachen ließe, folgt nun aus dem Subsidiaritätsprinzip eine quantitative Untergrenze für eine solche Interpretation. Die innere Krise in einem Land muß schon erhebliche Ausmaße angenommen haben, um zur Friedensgefahr werden zu können 5 Dementsprechend können allgemeine Schwierigkeiten eines Staates mit seiner inneren Sicherheit nicht ausreichen. Ebensowenig taugt jede Form ziviler Unruhe in einem Land bereits als Friedensgefahr. Ein Indiz für den somit erforderlichen Schweregrad - nicht aber Voraussetzung dafür6 - ist das Vorhandensein internationaler Rückwirkungen der internen Krise. Darüber hinaus muß es sich qualitativ um einen politischen Konflikt handeln, durch den der Staat gerade in seiner Staatlichkeit betroffen ist. Das ist dann der Fall, wenn die staatliche Struktur selber von diesem Konflikt erschüttert und daher unfähig ist, mit ihm umzugehen. Eine interne Krisensituation, die z. B. von einer Naturkatastrophe ausgelöst wurde, die aber den Staatsapparat selber nicht zerrissen hat, wäre demnach wegen des Fortbestandes der staatlichen Struktur aus Gründen der Subsidiarität nicht als 3 S.o. C., 1., 1., a).
4 Diese Verantwortung wurde von Sicherheitsrat und Generalsekretär im Zusammenhang z. B. der UNT AC-Operation immer wieder betont - vgl. Res. 810 (1993) v. 8. 3. 1993, Zi. 12; Res. 826 (1993) v. 20. 5.1993, Zi. 15; Bericht des Generalsekretärs v. 13.2.1993, UN Doc. S/25289, para. 46. 5 So auch Szasz, Georgia Journal ofinternational and Comparative Law 1983, 347. 6 S.o. C., 1., 2., d), dd).
314
D. Grenzen und Vorgaben der Friedensoperationen der 2. Generation
Friedensgefahr einzustufen und könnte folgerichtig zwar Ziel umfangreicher UN-Hilfen, nicht aber das einer Friedensoperation sein. Des weiteren hat das Subsidiaritätsprinzip Konsequenzen für die Ausgestaltung des Mandats einer Friedensoperation. Die UN-Operation sollte nur das übernehmen, was die innerstaatlichen Kräfte nicht selbst zu leisten fähig sind. Diese Vorgabe wirkt in alle Bereiche der Organisation einer Mission - von der Rechtsgrundlage bis zur Personalstärke - hinein. So ergibt sich daraus für die UNO bei der Wahl der Rechtsgrundlage ein klarer Vorrang für Konsens- gegenüber Zwangsmaßnahmen. Wo immer die Zustimmung der beteiligten Parteien zu erreichen ist, muß sich die Operation auf diese Zustimmung gründen. Als Zwangsmaßnahme nach Kap. VII darf sie folgerichtig erst dann autorisiert werden, wenn eine Zustimmung nicht erlangt werden kann - z. B. weil sich die beteiligten Parteien in einer Situation interner Anarchie nicht identifizieren lassen. Auch hinsichtlich der zu übernehmenden Aufgaben ist das Subsidiaritätsprinzip die Richtschnur. Wo z. B. die Wahlbeobachtung ausreicht, muß die UN-Friedensoperation eine Wahl nicht selbst durchführen, wo es genügt, existierende Polizeikräfte zu überwachen, müssen die UN-Polizisten nicht selbst Vollzugsaufgaben übernehmen, wo sich auf einheimische Helfer zurückgreifen läßt, sollte dies getan werden. Ganz generell läßt sich festhalten, daß aus dem Subsidiaritätsprinzip das Gebot folgt, soweit wie möglich auf die jeweils niedrigste der oben herausgearbeiteten drei Stufen treuhänderischer Friedensoperationen der UNO? zu rekurrieren. Daß das Subsidiaritätsprinzip umgekehrt auch die Zuweisung bestimmter Aspekte auf die UNO erfordern kann, wird am Beispiel derjenigen Aufgaben deutlich, für deren erfolgreiche Handhabung zweifelsfreie Überparteilichkeit essentiell ist. Sie werden regelmäßig von den UNKräften übernommen werden müssen, weil den innerstaatlichen Kräften diese Eigenschaft in einer inneren Konfliktsituation gerade fehlen wird. Schließlich hat das Subsidiaritätsprinzip Auswirkungen auf Zielsetzung und Abschluß der Operationen. Die grundsätzliche souveräne Selbstverantwortung eines Volkes gebietet es, eine Friedensoperation nur so lange durchzuführen, bis die Grundlagen eigener Staatlichkeit gelegt sind und damit die Voraussetzungen vorliegen, um den weiteren nationalen Weg selbst bestimmen zu können. Regelmäßig werden dabei politisch die Durchführung von Wahlen und rechtlich die Verabschiedung einer Verfassung die Schlußpunkte sein. Auf praktischer Ebene wird die Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit der für das eigenständige Überleben grundlegenden Infrastrukur diesen Punkt markieren. Jedenfalls ist eine unbegrenzte "Mandatsverwaltung" der UNO für ein Land unter diesem Gesichtspunkt ausgeschlossen.
? s.o. B., IV., 2., a).
1. Vorgaben rur künftige Friedensoperationen der zweiten Generation
315
b) Opportunität
Die nächste rechtliche Vorgabe läßt sich nicht unmittelbar aus der Charta gewinnen, kann aber aus den im Zusammenhang mit der gefundenen Rechtsgrundlage diskutierten rechtlichen Grenzen des Peace-Keeping der zweiten Generation hergeleitet werden. Dort wurde das Problem betrachtet, daß diese Handlungsform der UNO aus strukturellen Gründen nicht gleichmäßig in allen Fällen eingesetzt werden kann. Die daraus zwangsläufig resultierende Selektivität wurde unter Heranziehung des aus dem nationalen Polizeirecht bekannten Opportunitätsprinzips für hinnehmbar befunden8 Die Konsequenz daraus ist die Notwendigkeit, die Implikationen dieses Prinzips beim Einsatz treuhänderischer Peace-Keeping-Missionen zu beachten. Nach dem Opportunitätsprinzip ist die Auswahlentscheidung, in welchen Fällen eine Friedensoperation begonnen wird, eine rechtlich gebundene Ermessensentscheidung, der sachliche Kriterien zugrundeliegen müssen. aa) Auswahlkriterien der Praxis Die Betrachtung der in der Praxis für die Entscheidung zur Durchführung der Friedensoperationen der zweiten Generation maßgeblichen Erwägungen ist schwierig, da für die vielen Akteure, die im Sicherheitsrat und in der UNO generell an einer solchen Entscheidung mitwirken, jeweils ein ganzer Strauß von nur zum Teil öffentlichen Erwägungen eine Rolle spielt. Einige Kriterien lassen sich dennoch nachzeichnen. Der Somaliafall zeigt, daß die Erfolgsaussicht eine Rolle bei der tatsächlichen Entscheidung für eine Peace-Keeping-Operation in einem innerstaatlichen Konflikt spielt. Der Startschuß für die Operationen UNITAF und UNOSOM 11 in Somalia ist nicht zuletzt auf der Basis der Einschätzung gefallen, hier die Chance zu haben, relativ schnell zum Erfolg zu kommen, wie die ursprüngliche Terminierung der Operation UNIT AF auf wenige Wochen zeigt. Eine weitere Erwägung - sie 1st bei der Entscheidung, in Liberia keine umfangreiche UN-Friedensoperation einzusetzen, aufgetaucht - ist der Gedanke der Nachrangigkeit des UN-Engagements gegenüber regionalen Friedensoperationen. In Liberia hat die WeItorganisation von der Durchführung einer eigenen Peace-Keeping-Operation abgesehen, nachdem die Regionalorganisation ECOW AS dort bereits eine Friedensrnission unternommen hatte. In der Praxis läßt sich des weiteren das Kriterium der gleichmäßigen geographischen Verteilung der Peace-Keeping-Anstrengungen der Weltorganisation nachweisen. Der Generalsekretär hat dieses Argument mit einem Hinweis auf das umfangreiche 8 S.o. c., IIl., 3., b), bb).
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D. Grenzen und Vorgaben der Friedensoperationen der 2. Generation
Engagement in Jugoslawien eingesetzt, um den Sicherheitsrat zu der großangelegten Operation in Somalia zu bewegen. Eine wichtige Rolle hat daneben regelmäßig die Gefahrdung gespielt, die von einer konkreten Krisensituation für andere Länder in der Region ausgegangen ist. Kambodscha oder auch EI Salvador sind Beispiele für Operationen in Ländern, deren innerstaatliche Konflikte in der Vergangenheit für Instabilität in der ganzen Region gesorgt haben. Auch der humanitäre Aspekt, schweres menschliches Leid mit einer Friedensoperation zu beheben, spielt eine erkennbare Rolle in der Praxis. Er hängt eng zusammen mit dem Gewicht der öffentlichen Meinung insbesondere in den westlichen Staaten. Der Fall Somalias hat gezeigt, daß die von den Medien vermittelten Eindrücke unerträglichen menschlichen Leides in der Öffentlichkeit einen erheblichen Handlungsdruck auf die politischen Entscheidungsträger in demokratischen Staaten produzieren, der schließlich zu einer Entscheidung für eine Friedensoperation führen kann. bb) Opportunitätsprinzip als rechtliches Auswahlkriterium Die in der Praxis zu beobachtenden Erwägungen lassen sich unter Zugrundelegung des Opportunitätsprinzips überprüfen und generalisieren. Dabei ist die Auswahl dieser Kriterien inhaltlich an den rechtlichen Vorgaben der Charta zu orientieren, denn das Opportunitätsprinzip gibt die größtmögliche Effizienz gerade in bezug auf die in Art. 1 genannten Ziele der UNO vor. Ein erstes sachliches Entscheidungskriterium ist die Erfolgsaussicht einer Operation9 unter Minimierung des Risikos, dem die UN-Kräfte bei ihrem Einsatz ausgeliefert sind 10 Ein geeignetes Hilfskriterium für die Einschätzung der Erfolgsaussicht ließe sich als Kriterium des geringsten Widerstandes bezeichnen. Innerstaatlich operierende Friedensoperationen sollten dort bevorzugt zum Einsatz kommen, wo eine breite Unterstützung des UN-Engagements erwartet werden kann. Damit soll keiner "form of morality on the cheap"11 das Wort geredet werden. Vielmehr gewinnt dieses Kriterium seine Legitimität aus der Tatsache, daß die Chance, die Friedensoperation positiv abzuschließen, um so größer wird, je größer die Akzeptanz in der Bevölkerung des Zielstaates für das Engagement der UNO ist. Fehlt diese Akzeptanz oder geht sie im Operationsverlauf verloren, so ist nicht nur das Risiko eines Fehlschlags außerordentlich hoch 12 , die Operation läuft dann auch Gefahr, der Bevölkerung eine Konflikt9 Das schlägt auch der 3. Bericht des Foreign Affairs Conunittee des britischen Unterhauses zur Rolle der Vereinten Nationen v. 23. 6. 1993, para. 95 vor. 10
In diesem SilUle auch Ellerman, Vanderbilt Journal ofTransnational Law 1993, 370.
11 Langan, Vortrag v. September 1993, S. 23. 12 Diesen Aspekt betont auch Mackinlay, Int. Spect.
1993,661.
I. Vorgaben fiir künftige Friedensoperationen der zweiten Generation
317
lösung von außen aufzuoktroyieren und damit dem in Art. 1 (2) der Charta betonten Selbstbestimmungsrecht zuwiderzulaufen. Dementsprechend spricht das Opportunitätsprinzip auch für die Bevorzugung solcher Operationen, die auf einen Konsens der relevanten Gruppierungen im Lande gestützt werden können. Ebenfalls ein im Rahmen des Opportunitätsprinzips sachliches Kriterium ist die Berücksichtigung regionaler Bemühungen zur Konfliktlösung. Es entspricht dem Gedanken des Art. 52 der Charta, UN-Operationen dort zurückzustellen, wo eine Möglichkeit der Problemlösung durch regionale Aktionen besteht. Allerdings ist bei der Entscheidung, hinter das Engagement einer regionalen Organisation zurückzutreten, Vorsicht geboten, da Regionalorganisationen, wie bereits betont 13 , bei treuhänderischen Missionen gegenüber der UNO gewichtige Nachteile - insbesondere die nicht in gleicher Weise gegebene Überparteilichkeit - haben. In Anbetracht des überall auf der Welt bestehenden Bedarfs ist als ein weiteres Auswahlkriterium auch die gleichmäßige geographische Verteilung der Einsätze auf verschiedene Regionen gültig. Da sie eine universelle Organisation ist, muß die UNO in globalem Maßstab als Friedensschützerin sichtbar sein. Ein anderer Aspekt des Opportunitätsprinzips ist der Vorrang der Bekämpfung der größten Gefahr. Dieser Aspekt streitet für die Priorität solcher Fälle, in denen die aus den internen Zuständen resultierende Bedrohung für andere Staaten in der Region oder auch das durch den staatlichen Zusammenbruch ausgelöste menschliche Leid am größten sind. Diese beiden Kriterien lassen sich inhaltlich auf die in Art. 1 (1) und (3) der Charta festgelegten Zwecke der UNO zurückführen, den Weltfrieden zu wahren und die Menschenrechte zu fördern. Eng mit diesem Gesichtspunkt hängt die Möglichkeit zusammen, daß in ganz extrem gelagerten Fällen das Opportunitätsprinzip zugunsten einer Handlungspflicht zurücktritt. Möglicherweise gehört der Somaliafall bereits in diese Kategorie. Derartige Überlegungen spielten auch Anfang 1994 angesichts der Massaker in Ruanda bei der Entscheidung eine Rolle, neue Peacekeeper in das Land zu schicken. Wenn interne Wirren auf einen Nachbarstaat übergreifen oder ein unerträgliches Maß an menschlichen Opfern fordern, dann kann die UNO aus diesem Gedanken heraus nicht nur befugt, sondern sogar verpflichtet sein, dieser Situation durch die Übernahme treuhänderischer Funktionen ein Ende zu bereiten. In ähnlicher Weise ließe sich daneben eine Priorität für den Einsatz in den letzten verbliebenen Dekolonisationsfallen begründen, da es sich dabei unpro1,' S.o. A, 1., 1., a).
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D. Grenzen und Vorgaben der Fnedensoperationen der 2. Generation
blematisch um Restfalle des in Art. 1 (2) festgeschriebenen Selbstbestimmungsrechts in seiner unbestrittenen Form des Rechts auf Dekolonisation handelt. Namibia und die Westsahara können in diesem Zusammenhang angeführt werden. Schließlich ist auch die Einbeziehung der zu erwartenden Kosten einer Operation in die Auswahlentscheidung legitim l4 . Die finanziellen Mittel der UNO sind - nicht aus rechtlichen, sondern aus tatsächlichen Gründen 15 - äußerst begrenzt. Eine bankrotte UNO aber kann niemandem mehr helfen. Insgesamt machen diese Ableitungen aus dem Opportunitätsprinzip allerdings deutlich, daß es sich hierbei nicht um ~in klares, quasi-justiziables Rechtsgerüst handelt. Der im Rahmen der Vorgaben dieses Prinzips dem Sicherheitsrat verbleibende politische Spielraum ist erheblich. Auch können verschiedene Opportunitätserwägungen durchaus im Einzelfall einander widerstreiten und müssen dann gegeneinander abgewogen werden. Ein Beispiel dafür bietet Somalia. Dort gebot die Schwere des Konflikts einen Einsatz trotz des fehlenden Konsenses der Parteien. Da darüber hinaus dem Sicherheitsrat auch bei der Entscheidung, ob er eine bestimmte interne Situation als Friedensgefahr ansieht, ein politisches Einschätzungsermessen zukommt l6 , kann ein Rest von Willkür hier nicht völlig ausgeschlossen werden. Andererseits bewahren diese Spielräume das ad hoc so erfolgreiche Instrument der Friedensoperationen neuen Typs davor, in ein starres, die Flexibilität zerstörendes Prokrustesbett gepresst zu werden. c) Zielklarheit
Eine letzte äußere Vorgabe für die Durchführung von Friedensoperationen der zweiten Generation entspricht einer schon für das klassische PeaceKeeping immer wieder betonten Anforderung: Eine Friedensoperation setzt ein klares und handhabbares Mandat mit eindeutiger Zielsetzung voraus. Von Anfang an muß klar sein, was eine Friedensoperation erreichen soll. Dies ist von erheblicher Bedeutung für die Entscheidung, eine Friedensoperation zu einem bestimmten Zeitpunkt abzuschließen, sowie für die Erfolgskontrolle. In den untersuchten drei Fallbeispielen bestand die diesbezügliche Vorgabe jeweils aus einer mehr oder weniger präzisen inhaltlichen Zielsetzung einerseits und einer zeitlichen Begrenzung des Engagements auf der anderen Seite.
14 Vgl. in diesem Sinne schon Hassner, EA 1993,157. 15 S. dazu unten D., 11.. 1., a).
16 Eine Art "Beurteilungsspielraum" - s. o. C., 1., 2., c).
I. Vorgaben fur künftige Friedensoperationen der zweiten Generation
319
Während in Namibia und Kambodscha der zeitliche Rahmen und die im einzelnen festgelegten Operationsziele aufeinander bezogen waren und somit einen nachvollziehbaren Abgleich zwischen Soll und Ist ermöglichten, der wiederum als Grundlage fur eine Erfolgskontrolle taugte, wies das Mandat von UNOSOM 11 Unklarheiten auf. Die inhaltlichen Zielvorgaben waren nicht sehr präzise formuliert, und dem Zeitplan, der schließlich - bezeichnenderweise nicht in der Ermächtigungsresolution, sondern erst einige Monate später - der Mission gegeben wurde, fehlte der erkennbare Bezug zu den operativen Zielen. Dies führte zu dem bereits beschriebenen Dilemma bei der Erfolgskontrolle 17 und machte einen glaubwürdigen, erfolgreichen Operationsabschluß praktisch unmöglich. Als Folge davon wurde die Operation UNOSOM 11 nach einem Jahr in der Öffentlichkeit fast einhellig als völliger Fehlschlag eingestuft, obwohl sich die humanitäre Lage unter dem Schutz der UN-Truppen erheblich verbesserte und obwohl UNOSOM 11 bei dem von ihr geförderten Aufbau somalischer staatlicher Strukturen beachtliche Fortschritte erzielen konnte. In scharfem Kontrast dazu steht die Beurteilung der UNT AC. Auch sie hatte am Ende des ihr vorgegebenen zeitlichen Rahmens nicht alle ihre Ziele erreicht; insbesondere der Fehlschlag der vorgesehenen Entwaffnung und Demobilisierung der Bürgerkriegsparteien ist ein schwerer Mißerfolg. Dennoch war es möglich, sie insgesamt erfolgreich abzuschließen, da sie ihre Hauptaufgabe, die Durchführung freier Wahlen zu einer verfassungsgebenden Versammlung, in diesem Zeitraum bewältigen konnte. Aus diesen Beobachtungen ergibt sich, daß es für die Handhabbarkeit des Mandats der Friedensoperationen der zweiten Generation von essentieller Bedeutung ist, klare und begrenzte Zielvorgaben zu machen. Dabei sollte die Ausrichtung einer Wahl oder einer vergleichbaren demokratischen Willensäußerung der betroffenen Bevölkerung regelmäßig im Mittelpunkt stehen. Dafür spricht nicht nur die Tatsache, daß eine derartige Schwerpunktsetzung als Förderung eines zweifelsfreien Aktes der Selbstbestimmung eine normative Abstützung in Art. I (2) der Charta findet; sie ist darüber hinaus auch praktikabel und realistisch. Praktikabel ist sie insofern, als die Durchführung einer Wahl eine klares, zeitlich genau bestimmbares und nachprüfbares Ereignis ist. das sich deswegen gut für eine objektive Erfolgskontrolle eignet. Sie ist auch realistisch, da die Möglichkeit der Weltorganisation, tiefsitzende interne Konflikte von außen durch eine zeitlich begrenzte internationale Präsenz grundlegend zu lösen, minimal ist. UN-Friedensoperationen können lediglich den Rahmen für eine Konfliktlösung schaffen. Sie können dazu während einer Übergangsphase elementare staatliche Strukuren wiedererrichten und dem politischen Neuanfang einen Anstoß geben, indem sie überparteilich einen zweifelsfreien Willensakt des Volkes ermöglichen. Damit wird einem Land eine neue Chance ge-
17 s.o. 8.. IIl.. 5.
320
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geben. Das Beispiel Angolas zeigt, daß auch eine solche Chance verspielt werden kann, daß auch eine von der UNO überwachte Wahl keine Garantie für eine friedliche Zukunft ist. Dennoch erscheint der durch eine Wahl ennöglichte demokratische Neuanfang das beste zu sein, was eine Friedensoperation der internationalen Gemeinschaft einem zerrissenen Land als Hilfe bieten kann. Weitergehende Ziele kann die UNO in internen Konflikten nicht erreichen und sollte sie sich deshalb auch nicht vornehmen. Aus diesen Gründen sollte das Mandat einer treuhänderischen Friedensoperation das zentrale Ziel enthalten, eine demokratische Willensäußerung der Bevölkerung herbeizuführen. Alle anderen Mandatsbestandteile wie die Rückführung von Flüchtlingen, die Überwachung von Waffenstillständen, die Überwachung noch existierender Polizei- und Regierungsstrukturen, die Information der Bevölkerung und ähnliches dienen diesem Kernziel. Darüber hinaus muß das Mandat von Anfang an einen an dieser inhaltlichen Zielsetzung orientierten, klaren und nachvollziehbaren Zeitplan enthalten. Ist eine derartige Vorbereitung vor dem Start einer Operation wegen der Dringlichkeit der Lage in dem betroffenen Land nicht möglich, so muß sie unverzüglich nachgeliefert werden, wenn aus der humanitären Rettungsaktion eine erfolgversprechende Friedensoperation der zweiten Generation werden soll.
2. Innere Vorgaben
Nachdem eine Friedensoperation mit treuhänderischem Charakter unter Berücksichtigung der gerade aufgezeigten Kriterien in einem bestimmten Land mandatiert worden ist, wird ihre Tätigkeit in diesem Land ebenfalls von den Leitlinien geprägt, die sich einerseits in der Praxis der Operationen der zweiten Generation herausgebildet haben und die andererseits aus den die UNO bindenden rechtlichen Grundentscheidungen abzuleiten sind Es handelt sich dabei sowohl um inhaltliche als auch um operative Vorgaben. Erstere beantworten die Frage. welche Art von Staat die UNO in einem Land errichten helfen soll, letztere die Frage, wie sie diesen Staat errichten kann. Beide Aspekte sind eng miteinander verknüpft und nicht immer klar zu trennen. a) Inhaltliche Vorgahen - "Good Governance" im Sinne der UNO
Bei der als Ergebnis der Fallstudien versuchten Charakterisierung des Peace-Keeping der zweiten Generation ist die Feststellung getroffen worden. daß die Weltorganisation ihre Aufbautätigkeiten in einem zerrissenen Staatswesen nicht völlig wertneutral ausüben kann, sondern daß ihrer Tätigkeit eine inhaltlich festgelegte Vorstellung von "good governance" zugrundeliegt, die
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sich in der Gestaltung des Mandats niederschlägt18 Den Inhalt dieser Vorstellung gilt es nunmehr zu präzisieren. aa) Demokratische Regierungsbildung Gemeinsamer Bestandteil aller untersuchten Operationen ist die Unterstützung bei der demokratischen Fundierung der neu zu errichtenden staatlichen Strukturen. In allen Fällen hat die UN-Operation die demokratische Willensäußerung der betroffenen Bevölkerung in Form einer landesweiten Wahl oder - wie im Fall Somalias - durch die Bildung repräsentativer Gremien von der lokalen Ebene her unterstützt beziehungsweise selbst organisiert. Dazu gehörte nicht nur die Durchführung der Willensäußerung durch den Wahlakt selbst, sondern die Bemühungen der Friedensoperationen umfaßten jeweils auch den gesamten Bereich der demokratischen Willensbildung, der der Willensäußerung vorausgeht und deren Voraussetzung ist. Zu diesem Zweck wurden in allen Fällen Informationsprogramme für die Bevölkerung aufgelegtl9, die grundlegenden politischen Rechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit festgeschrieben, die Freiheit von Einschüchterung garantiert, gleicher Zugang zu Medien gewährt und ein allgemeines Wahlrecht geschaffen. Dazu gehörte auch die Wahlbeteiligung von Flüchtlingen, deren Rückführung ebenfalls Bestandteil aller untersuchten Operationen war. Die in dieser Praxis zum Vorschein kommende inhaltliche Festlegung auf einen demokratisch fundierten Staatsaufbau läßt sich normativ auf die demokratischen Vorstellungen der UN-Charta und insbesondere auf die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte enthaltenen, demokratischen Grundwerte zurüchführen. So läßt sich zunächst die Durchführung einer Wahl als Grundlage der Staatsbildung rechtlich als Ausübung des Selbstbestimmungsrechts des bestroffenen Volkes qualifizieren und als solche auf Art. 1 (2) der Charta stützen. Des weiteren sind das Recht auf Beteiligung an freien Wahlen 2o , das Recht auf Meinungsfreiheit21 und das Recht auf Versammlungsfreiheit22 in den beiden angeführten Menschenrechtsinstrumenten jeweils ausdrücklich genannt.
18 S.o. 8., IV ..
1.. b).
19 Deren herausgehobene Bedeutung unterstreicht der Generalsekretär in seinem Bericht vom 3.
1995. I JN Doc. 5/1995/1
=
A/50/60, para. 46.
1.
20 Art. 21 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, Art. 25 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte.
21 Art. 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, Art. 19 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte. 21 Hufnagel
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D. Grenzen und Vorgaben der Frieden~operationen der 2. Generation
bb) Förderung der Menschenrechte Ein zweiter gemeinsamer Zug aller untersuchten Operationen ist die Förderung der Menschenrechte in dem Zielland. Diese wurde auf vielen Wegen zu erreichen versucht. So war es eines der Hauptziele der jeweiligen Informationsprogramme, Menschenrechtserziehung durchzuführen und ein Menschenrechtsbewußtsein in der Bevölkerung aufzubauen. Darüber hinaus hatten die Operationen regelmäßig auch Untersuchungsrechte bei Menschenrechtsverletzungen, besonders im Bereich der Justizgrundrechte, sowie legislative Befugnisse bei der Rücknahme menschenrechtswidriger Gesetze. Am· ausgeprägtesten ist die menschenrechtliche Zielsetzung in Kambodscha zu beobachten, wo der Friedensoperation UNT AC eine eigene Menschenrechtskomponente gegeben wurde. Auch bei der Operation ONUSAL in EI Salvador stand der Menschenrechtsschutz im Mittelpunkt. Er spielte aber bei den anderen Operationen ebenfalls eine zentrale Rolle und war integraler Bestandteil der Aktivitäten aller eingesetzten Komponenten. Ein Sonderaspekt dieser Zielsetzung ist die Organisation humanitärer Hilfe. Eine wichtige Funktion der Friedensoperationen bestand regelmäßig darin, akute humanitäre Notlagen der Bevölkerung zu beseitigen. Im Somaliafall war dies das primäre Ziel des Eingreifverbandes UNIT AF. Auch von den Missionen regelmäßig übernommene soziale Maßnahmen, wie die Gesundheitsversorgung oder die Wiedereröffnung von Schulen, sowie individuelle wirtschaftliche Starthilfen, wie die Bereitstellung minengeräumten Bodens und einer Grundausrüstung für die Landwirtschaft, können als Gewährung wirtschaftlicher und sozialer Rechte dem Aspekt der Menschenrechtsförderung zugerechnet werden. Schließlich hat die Rückführung der Flüchtlinge, die zu allen untersuchten Operationen gehörte, einen menschenrechtlichen Aspekt. Auch diese Schwerpunktsetzung läßt sich direkt auf verbindliche Normen des Völkerrechts zurückführen. Die generelle Förderung der Menschenrechte ist als Ziel der Organisation in Art. 1 (3) sowie in Art. 55 c) der Charta festgeschrieben. Im einzelnen ausgeführt wird sie in einer Fülle weiterer völkerrechtlicher Instrumente, die, wie die beiden schon genannten Pakte, von der UNO ausgearbeitet und angenommen worden sind.
22 Art. 20 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, Art. 21 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte.
I. Vorgaben rur künftige Friedensoperationen der zweiten Generation
323
cc) Kontrolle der Vollzugsgewalt Eine wichtige Rolle spielte bei den untersuchten Operationen die Kontrolle und Überwachung der militärischen und polizeilichen Gewalt im Lande. Es liegt auf der Hand, daß Militär und Polizei als bewaffnete, organisierte Einheiten in einer internen Konfliktsituation eine entscheidende Rolle spielen und politische Lösungen ohne die Bändigung dieser Kampfpotentiale nicht möglich sind. Gemeinsames Ziel umfangreicher Arrangements in allen Fällen war die Kontrolle von Militär und Polizei und deren Unterordnung unter die politischen Kräfte im Lande. Hinsichtlich der militärischen Verbände der Konfliktparteien waren daher neben einem Waffenstillstand jeweils genaue Entwaffnungs-, Kasernierungs- und Demobilisierungsmaßnahmen Bestandteile der untersuchten Friedensoperationen. Auffällig ist allerdings, daß die UNO diesen Maßnahmen trotz ihrer Wichtigkeit für eine dauerhafte Konfliktlösung letztlich nicht die entscheidende Bedeutung zugemessen hat. So wurde sowohl in Kambodscha als auch schließlich23 in Somalia von einer zwangsweisen Durchsetzung der entsprechenden Arrangements abgesehen. Bezüglich der Polizeikräfte variierte die Funktion der Friedensoperationen je nach der Ausgangssituation von der rein begleitenden Überwachung einer bestehenden Polizeitruppe in Namibia bis hin zur Organisation des Neuaufbaus einer einheimischen Polizei in Somalia. Gemeinsames Ziel dieser Aktivitäten war jedoch in allen Fällen die Ausschaltung der Polizei als Instrument der Unterdrückung, ihre Bindung an das Recht, insbesondere an die Menschenrechte, und ihre Umgestaltung zu einer professionellen Ordnungshüterin. Rechtlich läßt sich diese Zielsetzung der Operationen ebenfalls auf die menschenrechtlichen und demokratischen Vorgaben der Charta und der diversen UN-Menschenrechtsinstrumente zurückführen. Der Schutz des einzelnen vor willkürlichen Übergriffen staatlicher Vollzugsgewalt und damit - mittelbar die Bändigung dieser Vollzugsgewalt insgesamt ist primärer Schutzzweck der Grundrechte. Gleichermaßen setzt die freie, demokratische Willensbildung notwendigerweise die Freiheit von Einschüchterung durch bewaffnete staatliche oder von einzelnen Parteien ausgeübte Gewalt voraus. Außerdem gehört die Subordination der Vollzugsgewalt unter die demokratisch legitimierte politische Führung zum Kernbestand einer demokratischen Ordnung.
23 Nachdem die Entwaffnung dort lange Zeit als essentielle Voraussetzung jeder Konfliktlösung betrachtet und im Sommer 1993 noch mit militärischem Zwang verfolgt worden war.
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D. Grenzen und Vorgaben der Friedensoperationen der 2. Generation
dd) Rechtstaatlichkeit Bei allen untersuchten Operationen hat die UNO Einfluß auf die Rechtsordnung und die Justiz der Zielländer genommen. Wo dies nötig war - wie in Kambodscha und Somalia - haben die UN-Kräfte ein neues Gerichtssystem aufgebaut, das von der Regierungsgewalt unabhängig agieren sollte. In Teilbereichen wie dem Menschenrechtsschutz oder dem Wahlrecht kam es zu der Übernahme einzelner rechtsprechender Funktionen. Regelmäßig gehörte die Ausbildung von Richtern, Anwälten und anderen Justizangestellten zu den Operationsaufgaben. Darüber hinaus überwachten die Missionen den Strafvollzug und die Behandlung von Gefangenen. Im legislativen Bereich oblag es den UN-Operationen ungeachtet kleiner Unterschiede im einzelnen, grundlegende Korrekturen an der nationalen Rechtsordnung - vor allem im Hinblick auf die Garantie der Menschenrechte und die Wahlgesetzgebung - entweder selbst vorzunehmen oder zumindest anzuregen und zu überwachen. Auch spielte in allen Fällen die Beratung bei der Neuformulierung einer demokratischen Verfassung eine wichtige Rolle. Auch diese Aktivitäten lassen sich primär auf die Verpflichtung zur Förderung der Menschenrechte in der Charta zurückführen. Zum Kernbestand der Menschenrechte gehören die rechtstaatlichen Grundgarantien, wie sie in den Justizgrundrechten der einschlägigen Menschenrechtsinstrumente niedergelegt sind24 Ihrer Verwirklichung dient der Aufbau eines rechtstaatlichen Gerüsts durch die UN-Operationen. ee) Wirtschaftliche Entwicklungshilfe Schließlich ist der Beginn des wirtschaftlichen und infrastrukturellen Wiederaufbaus der betroffenen Länder Teil der Anstrengungen der untersuchten Friedensrnissionen. Zwar wurde immer wieder betont, daß die Aufgaben der Peace-Keeping-Operationen auf diesem Gebiet lediglich der Operationsdurchführung selber dienen und nicht die Gestalt langfristiger Entwicklungshilfe annehmen sollten, die schon aus finanziellen Gründen nicht zum Peace-Keeping gehört25 Es ist aber deutlich geworden, daß hier eine strenge Trennung nicht möglich ist26 und daß die von den UN-Kräften unternommenen, für die Durchführung der Friedensoperation notwendigen Aufbautätigkeiten wie die Repara24 Z.B. die Artikel 9, 10, 14 und 15 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte; die Artikel 8, 9, 10 und 11 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. 25 Vgl. die Res. 47171 der Generalversammlung v. 14. 12. 1992, Zi. 20. =
26 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 17.6. 1992, "An Agenda for Peace", UN Doc. A/47/277 S/24111, para. 58.
1. Vorgaben rur künftige Friedensoperationen der zweiten Generation
325
tur der wichtigsten Verkehrswege, die Minenräumung oder die Unterstützung der Wiederaufnahme landwirtschaftlicher Tätigkeit entscheidende Grundlagen auch für die weitere wirtschaftliche Entwicklung sind. Rechtlich findet dieser Aspekt des Peace-Keeping der zweiten Generation ebenfalls eine Stütze in der Charta. In Art. 1 (3) und konkreter in Art. 55 der Charta werden die Förderung des wirtschaftlichen Fortschritts und die Verbesserung des Lebensstandards zu Zielen der Vereinten Nationen erklärt. ff) Ergebnis
Die vorstehenden Beobachtungen der gemeinsamen Ziele der untersuchten Friedensoperationen der zweiten Generation lassen erkennen, daß die der treuhänderischen Tätigkeit der UN-Friedensoperationen zugrundeliegende Vorstellung von "good governance" die wichtigsten Elemente eines demokratischen Staatswesens enthält27, nämlich die Garantie der Menschenrechte einschließlich fundamentaler wirtschaftlicher und sozialer Rechte, die Legitimation der Staatsgewalt durch das Volk in freier Wahl, die Unterordnung der Vollzugskräfte unter das Gesetz und ein in den Grundzügen rechtstaatliches Justizsystem mit unabhängiger Rechtsprechung. Grundlage für ein nach dieser Vorstellung geformtes Staatswesen ist die wirtschaftliche Entwicklung, deren Förderung damit ebenfalls zu den Kernbestandteilen des treuhänderischen Engagements der UN-Friedensoperationen gehört. Gleichzeitig ist indessen auch deutlich geworden, daß die diese inhaltliche Vorstellung von "good governance" ausmachenden Elemente letztlich alle auf rechtliche Grundentscheidungen der Charta zurückgeführt werden können. Vor diesem Hintergrund verliert der oft erhobene Vorwurf, hier würde eine neue Form des Kolonialismus entstehen, mit deren Hilfe die westlichen Wertvorstellungen dem Rest der Welt aufdiktiert werden sollten, seine Überzeugungskraft. Selbst wenn die in der Charta und den verschiedenen menschenrechtlichen Instrumenten der UNO getroffenen Wertentscheidungen ihren Ursprung im abendländischen Kulturkreis haben sollten, kann dies heute, fast 50 Jahre nach der Gründung der UNO, nicht mehr als ein Grund dafür herhalten, die Universalität der zwar auf diesen Wertentscheidungen beruhenden, inzwischen jedoch längst zu allgemeinem Völkerrecht gewordenen Rechtssätze in Frage zu stel-
27 Dies wird vom Generalsekretär selbst auch ausdrücklich bestätigt. So heißt es in seinem Bericht vom 17. 6. 1992, "An Agenda for Peace", UN Doc. A/47/277 = S/24111, para. 59: "There is an obvious connection between democratic practices - such as the rule of law and transparency in decisionmaking - and the achievement of true peace and security in any new and stable political order. These elements of good governance need to be promoted at all levels of international and national political communities ...
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D. GTenzen und Vorgaben der Friedensoperationen der 2. Generation
len. Sobald die UNO durch ein Unterorgan wie eine Friedensoperation handelt, ist sie an diese Rechtssätze gebunden und hat ihnen Geltung zu verschaffen. Auffällig ist schließlich, daß die inhaltliche Gestalt der Friedensoperationen der zweiten Generation auf solchen Vorschriften der Charta beruht, die nicht unmittelbar die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zum Gegenstand haben. Darin liegt jedoch kein Widerspruch zu der oben getroffenen Feststellung, daß die Aufstellung einer Friedensoperation eine Gefahrdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit voraussetzt. Letztere betrifft das "Ob" des Einsatzes von Friedensoperationen des Sicherheitsrats. Dieses ist an das Vorliegen einer Friedensgefahr gebunden. Ohne eine solche könnte eine Friedensoperation vom Sicherheitsrat nicht begonnen werden. Bei der weiteren Frage allerdings, wie eine Friedensoperation die von einer internen Krisensituation ausgehende Friedensgefahr beseitigen. also an welchen rechtlichen Maßstäben sie den zur Beseitigung der Gefahr erforderlichen staatlichen Neuaufbau orientieren soll, muß sie sich - dies ist der Inhalt der Anordnung des Art. 24 (2) 1 - an diejenigen Vorschriften in der Charta halten, die diesbezügliche inhaltliche Vorgaben enthalten - insbesondere an die in Art. 1 festgeschriebenen weiteren Ziele der Organisation. In diesen Zielen nämlich findet sich der rechtliche Niederschlag der der Charta der UN zugrundeliegenden Vorstellung, daß ein dauerhafter Frieden zwischen den Völkern vom Vorliegen bestimmter qualitativer Voraussetzungen abhängt. Dauerhafter internationaler Frieden setzt nach dieser Vorstellung gerade die in Art. 1 der Charta aufgeführten Grundlagen wie die Achtung der Menschenrechte oder das Selbstbestimmungsrecht voraus. Eine strikte Trennung zwischen diesen Zielen und der Wahrung des Weltfriedens, eine "compartmentalization of issues" ist daher nicht möglich 28 . Die Aufgabe der Wahrung des Weltfriedens schließt wie gezeigt29 - den treuhänderischen Wiederaufbau zerfallener Staaten, in der Terminologie des UN-Generalsekretärs das innerstaatliche "peace-building"30, ein. Dieses peace-building orientiert sich inhaltlich an der in die Charta gegossenen Vorstellung von den internen Bedingungen des internationalen Friedens.
28 In diesem Sinne auch der Bericht des Generalsekretärs v. 10. 9. 1993 über die Arbeit der Organisation, UN Doc. A/48/1, para. 410 sowie Boutros-Ghali, Vortrag v. 25. 3. 1993, UN Press Release SG/SM/1423, S. 2.
29 S.o. C .. IV., 30 Bericht des
1.
Generalsekretärs v. 17. 6. 1992, "An Agenda for Peace", UN Doc. A/47/277 S/24 II 1, paras. 55 ff.
=
1. Vorgaben rur künftige Friedensoperationen der zweiten Generation
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b) Operative Vorgaben
Aus den untersuchten Friedensoperationen der zweiten Generation läßt sich nicht nur die inhaltliche Vorgabe für die Zielsetzung der treuhänderischen Operationen herausfiltern, aus ihnen lassen sich auch einige Lehren für die operative Handhabung künftiger Friedensoperationen dieses Typs gewinnen. aa) Zustimmung der Konfliktparteien Die Erfahrung der untersuchten Operationen hat gezeigt, daß das UN-Engagement am effektivsten in solchen Fällen ist, in denen der Operation eine Einigung der innerstaatlichen Konfliktparteien und deren Zustimmung zu einer Einbeziehung der UNO in die Konfliktlösung vorausgegangen ist 31 . Wenngleich ebenfalls deutlich geworden ist, daß eine derartige Zustimmung aller Konfliktbeteiligten nicht in jedem Fall zu erreichen sein wird, so zeigt diese Erfahrung doch, daß dem Bemühen um ein Einverständnis der Parteien in jedem Fall zentrale Bedeutung beigemessen werden sollte32 Da als Parteien eines internen Konflikts regelmäßig nichtstaatliche Akteure auftreten, ist hier allerdings zu differenzieren. Sofern es sich bei diesen um eine überschaubare Anzahl klar erkennbarer und stabiler Gruppierungen handelt, die für bestimmte Teile der Bevölkerung stehen, muß diesen durch die UNO bei der Bemühung um Zustimmung eine eingeschränkte Völkerrechtssubjektivität zuerkannt werden, durch die sie hinsichtlich des UN-Engagements eine der verbliebenen Staatsgewalt äquivalente Stellung erhalten. Sofern es sich demgegenüber um eine Vielzahl kleiner Splittergruppen handelt, deren Repräsentativität für relevante gesellschaftliche Gruppen fragwürdig ist und deren Fähigkeit, eingegangene Verpflichtungen auch intern unter ihren Angehörigen durchzusetzen, in Zweifel steht, kann auf eine allgemeine Zustimmung dieser Gruppen verzichtet und stattdessen direkt die Unterstützung der Bevölkerung, insbesondere ihrer lokalen Autoritäten, gesucht werden. Bei der Entscheidung, ob es sich in einem konkreten Fall um den ersten oder zweiten Typus von Konfliktpartei handelt, könnte analog auf die Überlegungen zurückgegriffen werden, die zur Bestimmung nationaler Befreiungsbewegungen angestellt worden sind33
31 Di~se Beobachtung macht auch Holmes, Journal of International Affairs 1993, 332 f, unter Betonung der Erfahrungen in EI Salvador; ähnlich äußert sich inzwischen der Generalsekretär - vgl. den Bericht vom 3. I. 1995, UN Doc. S/1995/1 = Al50/60, para. 33. 32 Vgl. auch oben D., 1., 1., a) und b), bb). 33 Vgl. dazu z. B. Ipsen, § 8, Rz. 14 f[
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D. Grenzen und Vorgaben der Friedensoperationen der 2. Generation
Eine interessante Möglichkeit, die Zustimmung der Konfliktparteien in einer Bürgerkriegssituation zu erlangen, ist die Förderung der Bildung eines nationalen Gremiums, welches sich aus den wichtigsten Gruppierungen zusammensetzt. Ein solches Gremium hat gerade in einem zerfallenen Staatswesen den legitimsten Anspruch, für das betroffene Volk zu handeln. Diese Möglichkeit entwickelte die UNO im Fall Kambodschas in Gestalt des Supreme National Council (SNC) und versuchte, sie in Somalia zu wiederholen. Sie hat den weiteren Vorteil, der UN-Operation ein einheimisches, regierungsersetzendes Gremium zur Seite zu stellen, in dem alle wichtigen Fraktionen für die UNO unmittelbar ansprechbar sind. bb) Aufbau einer Gesellschaft "von unten" Eine wichtige Lehre aus den untersuchten Operationen liegt darin, daß eine interne Konfliktlösung nicht nur die Einigung der großen Konfliktparteien auf nationaler Ebene, sondern darüber hinaus auch die Bildung einer demokratischen Gesellschaft "von unten" her voraussetzt. Die bloße Durchführung einer landesweiten Wahl bleibt ein oberflächliches und wenig dauerhaftes Ereignis, wenn die Demokratie nicht auch in der Bevölkerung Wurzeln geschlagen hat. Dies haben alle untersuchten Operationen im Rahmen ihrer Informationsprogramme, UNT AC in Kambodscha darüber hinaus durch die Unterstützung der Bildung einheimischer Menschenrechtsgruppen und UNOSOM II in Somalia durch den Aufbau regionaler demokratischer Strukturen in Form von Bezirksund Regionalräten zu erreichen versucht. In Somalia hat die UNO diesen Weg sogar bewußt als Mittel eingesetzt, um die nicht zu erreichende Einigung der Splittergruppen auf nationaler Ebene zu kompensieren. Diese Konzeption der Bildung demokratischer Strukturen "von unten" trägt unmittelbar dem Selbstbestimmungsrecht Rechnung. Auf diesem Weg wird die Bevölkerung direkt, ohne die - oft wenig repräsentative - "Vermittlung" irgendwelcher Bürgerkriegsparteien, befahigt, auf die sie betreffenden politischen Entscheidungen Einfluß zu nehmen. In gleicher Weise setzt auch der effektive Menschenrechtsschutz die ständige Wachsamkeit der Bevölkerung voraus, die wiederum ein solides Fundament menschenrechtlichen Bewußtseins in der Gesellschaft selbst erfordert. Schließlich bietet dieser Ansatz noch den operativen Vorteil, die Friedensoperation eng an die Basis anzubinden, ihren Finger an den Puls des Volkes zu halten und sie damit gegen Stimmungswechsel und die unkontrollierte Wirkung feindseliger Propaganda zu wappnen.
1. Vorgaben fiir künftige Friedensoperationen der zweiten Generation
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cc) Beteiligung von NGOs Eng mit der Bedeutung eines demokratischen Aufbaus "von unten" hängt die Empfehlung zusammen, die Beteiligung nichtstaatlicher internationaler Organisationen an Friedensoperationen der zweiten Generation zu stärken. Die effektive Bildung eines demokratischen Fundaments in der Gesellschaft eines Landes erfordert umfangreiche Präsenz auf allen Ebenen. Trotz des gewaltigen personellen Umfangs der untersuchten Operationen hat sich gezeigt, daß deren zivile Komponenten jeweils zu klein gewesen sind, um die Bevölkerung umfassend zu erreichen. Nichtstaatliche Organisationen können in dieser Hinsicht wegen ihres dezentralisierten Charakters und ihrer Vielfalt eine effektive Hilfe sein. Darüber hinaus bündeln sie durch ihre längerfristige Tätigkeit häufig Kenntnisse der lokalen Verhältnisse, die den kurzfristig in ein Land strömenden UN-Beamten abgehen. Auch dürfen die Vorteile nicht unterschätzt werden, die eine nichtstaatliche Organisation bei der Zusammenarbeit mit nichtstaatlichen Konfliktparteien gegenüber einer zwischenstaatlichen Organisation wie der UNO haben kann34 Schließlich ist ein verstärkter Rückgriff auf derartige Organisationen auch unter dem Aspekt der knappen Ressourcen vorteilhaft. Er entlastet nicht nur den Personalbedarf, sondern erweitert auch die Finanzbasis, da diese Organisationen ihre Finanzierung aus anderen Quellen sichern als die Weltorganisation, die fast ausschließlich auf Beitragszahlungen der Mitgliedstaaten angewiesen ist35 . Der Einbeziehung nichtstaatlicher Organisationen sind allerdings auch Grenzen gesetzt. Je größer die Zahl der an einer Operation beteiligten Akteure wird, desto schwieriger wird es, die Anstrengungen zu bündeln und zu koordinieren. So tauchte in der Vergangenheit die Schwierigkeit auf, daß es zwischen den vielen mitwirkenden UN-Unterorganisationen sowie den Truppenkontingenten aus einer Fülle verschiedener Länder immer wieder zu kontraproduktiven Konkurrenzen und Koordinationsproblemen gekommen ist 36 Die Einbeziehung völlig unterschiedlich strukturierter, nichtstaatlicher Organisationen in ihrer Vielfalt macht eine einheitliche Führung nicht leichter. Erschwerend kommt hinzu, daß nichtstaatliche Organsiationen insbesondere dem militärischen Engagement der UNO regelmäßig distanziert gegenüberstehen und daher oft wenig geneigt sein werden, sich der operativen Leitung der UNOperation unterzuordnen. Schließlich kann die UNO ihre Verantwortung für die Operation in ihrer Gesamtheit nicht aus der Hand geben.
34 Vgl. Weiss in: Kühne, Blauhelme, 189. 35 So auch der Generalsekretär in seinem Bericht vom 3. 1. 1995, UN Ooc. S/1995/1 para. 89. 36 Vgl. Mackinlay, Int. Spect. 1993,659.
=
Al50/60,
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D. Grenzen und Vorgaben der Friedensoperationen der 2. Generation
dd) Zurückhaltender Einsatz des Militärs Schließlich lassen sich aus den Erfahrungen, die von den untersuchten Operationen gemacht wurden, auch operative Lehren für den Einsatz militärischen Zwangs ziehen. UNT AG und UNT AC besaßen keine Ermächtigung zum Einsatz von Gewalt und setzten dementsprechend keine militärischen Zwangsmittel zur Erreichung ihrer Aufgaben ein. Diese Zurückhaltung brachte beide Operationen in Schwierigkeiten. In Namibia mußte der UN-Sonderbeauftragte infolge des Fehlens militärischer Möglichkeiten der UNTAG die südafrikanisch kontrollierten Sicherheitskräfte ermächtigen, gegen SWAPO-Mitglieder vorzugehen, die sich unvorhergesehen aus Angola in das Land bewegt hatten. Dies führte bereits in den ersten Tagen zu blutigen Auseinandersetzungen, die die Mission um ein Haar hätten scheitern lassen. Auch in Kambodscha verlor die UNT AC in der Bevölkerung viel an Glaubwürdigkeit dadurch, daß sie sich den um den Jahreswechsel 1992/93 aufkeimenden Kämpfen zwischen den Roten Khmer und der Regierung Hun Sen ebensowenigentgegenstellte wie der zunehmenden Gewaltkriminalität im Lande. Die fehlende Möglichkeit, die vereinbarten Entwaffnungen gewaltsam durchzusetzen, hatte sogar das völlige Scheitern des Demobilisierungsprogramms zur Folge. Im Kontrast zu den beiden Vorgängern war UNOSOM 11 durch ihr Kapitel-VII-Mandat zum Einsatz militärischer Gewalt zur Durchsetzung ihres Auftrages ermächtigt und machte von dieser Ermächtigung im Sommer 1993 bei der Jagd auf den Rebellengeneral Aidid und zur Durchsetzung der Entwaffnung intensiven Gebrauch. Dieser massive Militäreinsatz, der sowohl unter den Blauhelmen als auch unter der somalischen Zivilbevölkerung erhebliche Opfer forderte, hatte jedoch nicht nur die negative Folge, daß die Operation international unter heftige Kritik geriet und die westlichen Staaten ihre Truppenkontingente abzogen, sondern führte auch in Somalia dazu, daß UNOSOM 11 in Teilen der Bevölkerung ihre Reputation als überparteiliche Kraft im Lande verlor und stattdessen selbst als Konfliktpartei und als ausländische Besatzungsarmee angesehen wurde. Diese Erfahrungen zeigen, daß eine Friedensoperation mit treuhänderischen Aufgaben bei der Anwendung militärischer Gewalt auf einem äußerst schmalen Grat wandelt 37 Sie kann sowohl durch den Verzicht als auch durch den übermäßigen Rückgriff auf Waffengewalt die Unterstützung der betroffenen Bevölkerung und der internationalen Gemeinschaft verlieren, die beide für den Erfolg einer solchen Friedensoperation erforderlich sind. Es handelt sich hier um ein Dilemma, für das es keine schneidige Lösungsformel gibt. Viel hängt von der konkreten Situation ab, in der die Entscheidung über den Einsatz von Militär getroffen werden muß. Die schwere Krise, in die die Somaliaoperation nach 37 Vgl. zu diesem Problem Mackinlay, Int. Spect. 1993, 661; auch der Generalsekretär betont diese Schwierigkeit inzwischen ausdrücklich - vgl. seinen Bericht vom 3. 1. 1995, UN Doc. S/1995/1 = A/50/60, para. 14.
II. Grenzen treuhänderischer Friedensoperationen
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der mißglückten Jagd auf den General Aidid geraten ist, indiziert aber, daß eine Friedensoperation auch dann, wenn sie als Operation der Stufe 3 ein Erzwingungsmandat hat, bei dem konkreten Einsatz von Waffengewalt äußerst zurückhaltend vorgehen, unverhältnismäßige Reaktionen vermeiden und eine Entfremdung der Bevölkerung verhindern muß.
11. Grenzen treuhänderischer Friedensoperationen Die Durchführung von Friedensoperationen der zweiten Generation steht nicht nur unter rechtlichen, sondern auch unter politischen und tatsächlichen Einflüssen, Zwängen und Begrenzungen. Wiewohl diese eher politisch zu bewerten und daher nicht unmittelbar Gegenstand der vorliegenden rechtlichen Untersuchung sind, wäre es verfehlt, sie ganz aus der Betrachtung auszublenden. Es sollen daher zum Abschluß wenigstens die wichtigsten außerrechtlichen Grenzen des neuen Peace-Keeping kurz beleuchtet werden. 1. Ressourcen
Alle untersuchten Operationen haben, wenn auch in unterschiedlichem Umfang, vor Augen geführt, wie prekär die Bereitstellung der für Friedensoperationen großen Ausmaßes erforderlichen finanziellen und personellen Mittel durch die UNO ist. Während UNTAG in Namibia als Vorreiterin von Engpässen noch weitgehend verschont blieb, führten die unbefriedigende Zahlungsmoral vieler Länder und die Schwierigkeit, geeignetes Personal in der benötigten Zahl zur Verfügung gestellt zu bekommen, bei den anderen untersuchten Operationen zu erheblichen Problemen. Die Vielzahl gleichzeitig laufender Friedensoperationen 1 und die weltweite Fülle von Situationen, in denen PeaceKeeping der zweiten Generation möglich und vielleicht sogar erforderlich ist, werden die Kapazitätsgrenzen, die hier ans Licht gekommen sind, in Zukunft noch schärfer spürbar machen. a) Finanzierung
Im Bereich der Finanzierung der Operationen läßt sich nicht ein Beispiel finden, in dem alle Staaten die ihnen obliegenden Beiträge auch nur einigermaßen rechtzeitig gezahlt hätten. Selbst bei der unter finanziellen Aspekten 1 Im September 1993 waren bei 17 Peace-Keeping-Operationen nicht weniger als 80.000 zivile und militärische Teilnehmer weltweit im Einsatz - Bericht des Generalsekretärs über die Arbeit der Organisation v. 10.9. 1993, UN Doc. A/48/1, para. 296.
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D. Grenzen und Vorgaben der Friedensoperationen der 2. Generation
mustergültigen Namibia-Operation standen Mitte 1993 -' also über drei Jahre nach Abschluß der Operation - noch Zahlungen von 46 Mitgliedstaaten aus 2. Daß die UNO angesichts dieser hohen Zahl säumiger Schuldner überhaupt noch irgendwelche Peace-Keeping-Aktivitäten entfalten kann, liegt lediglich daran, daß die großen Beitragszahler ihre Zahlungen - wenn auch z.T. nicht unerheblich verspätet3 - leisten. Demgegenüber ist die Zahlungsmoral vieler kleinerer Länder äußerst schlecht. Wenn deren Beitrag auch nicht essentiell für die Durchführbarkeit großer Friedensoperationen ist, so ist diese Feststellung unter dem Aspekt der gemeinsamen Kostentragung4 doch bedenklich. Rechtlich stellt sich die Finanzierung demgegenüber klar dar. Die Einordnung der Kosten von Friedensoperationen als "Ausgaben der Organisation" im Sinne des Art. 17 (2) der Charta mit der Folge der Kostentragungspflicht aller Mitgliedstaaten ist seit Jahren unbestritten. Sie wurde für alle neuen PeaceKeeping-Operationen von der zuständigen Generalversammlung ausdrücklich bestätigt5. Auch wenn sich der Beitrag der weniger leistungsfahigen Staaten nach dem aktuellen Finanzierungsschlüssel6 auf einen minimalen, eher symbolischen Betrag beschränkt, ist die Regel der gemeinsamen Kostenverantwortung aller Mitglieder für das UN-Peace-Keeping auch in seiner neuen Form politisch von hoher Bedeutung7 Alternativmodelle, die beispielsweise eine freiwillige Finanzierung durch interessierte Staaten vorschlagenS , würden jene Regel unterlaufen und das Peace-Keeping von einer UN-Aktivität zu einem Instrument einzelner Staaten machen. Daher sollte trotz aller Schwierigkeiten an der allgemeinen Kostentragung festgehalten werden. Es bleibt aber zu konstatieren, daß die Diskrepanz zwischen der Rechtslage und der politischen Realität in diesem Bereich extrem ist und zeigt, daß die völkerrechtliche Verpflichtung des Art. 17 (2) trotz der Sanktionsmöglichkeit des Art. 19 von vielen Staaten nicht sehr ernst genommen wird. 2 S.o. B., 1., 4., a).
Dies hat oft weniger mit dem mangelnden politischen Willen und mehr mit haushalto;technischen Zwängen wie den im Verhältnis zur UNO unterschiedlichen Daten des Haushaltsjahres z.B. in den USA, in England und in Japan zu tun - vgl. den 3. Bericht des Foreign Affairs Committee des britischen Unterhauses über die Rolle der Vereinten Nationen v. 23. 6. 1993, para. 164. 3
4 Das Prinzip, daß die UN-Friedensoperationen als UN-Aktivität von allen Mitgliedern gemeinsam getragen werden sollen, wurde einmal mehr betont in der Res. 47/71 der Generalversammlung v. 14. 12. 1992, Zi. 12 sowie in dem Bericht des Generalsekretärs v. 10. 9. 1993 über die Arbeit der Organisation, UN Doc. A/48/1, para. 303.
5 In genereller Form z.B. in der Res. 47/71 v. 14. 12. 1992, Zi. 12. 6 Dieser ist dargestellt bei Siekrnann, Int. Spect. 1993, 642; zu den Problemen mit diesem Schlüssel und der Diskussion um seine Anpassung an die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung der Mitgliedstaaten vgl. Schoettle in: Kühne, Blauhelme, 542 f 7 Vgl. Schoettle in: Kühne, Blauhelme, 545 ff, der auch auf Tendenzen hinweist, die de facto bereits zu einer AufWeichung dieser Regel zugunsten zunehmender freiwilliger Beiträge gefuhrt haben.
S Z.B. Siekrnann, Int. Spect. 1993, 644 f
Ir. Grenzen treuhänderischer Friedensoperationen
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b) Personal
Auch hinsichtlich des benötigten Personals sind bei den untersuchten Operationen Engpässe zutage getreten. Zwar ließ sich feststellen, daß die benötigten Soldaten für die militärischen Komponenten der Operationen grundsätzlich relativ reibungslos zusammengebracht werden konnten. Bei genauerer Betrachtung gab es jedoch auch hier Schwierigkeiten. So trifft diese Aussage zunächst nur auf die weniger qualifizierten Infanterieverbände zu. Selbst in diesem Bereich erwiesen sich Mitgliedstaaten indessen als nicht in der Lage, den von ihnen gestellten Soldaten auch die nötige Ausrüstung mitzugeben9 Erheblich größere Schwierigkeiten bereitet es, technisch und organisatorisch anspruchsvollere Einheiten, insbesondere Logistiktruppen in ausreichender Zahl zusammenzubekommen. Ähnliches gilt für die Truppenteile mit Kampfauftrag. Auch hier erweist sich das Potential an Kontingenten, die über die Fähigkeit zu moderner, erfolgreicher Kampfführung verfügen, als begrenzt. Dazu kommt bei Operationen mit Erzwingungscharakter das Problem, daß viele Staaten zwar zur Beteiligung an "friedlichen" Blauhelmmissionen bereit sind, die Mitwirkung an Zwangsmaßnahmen jedoch ablehnen lO Schließlich haben die Fülle der in den letzten Jahren begonnenen Operationen und das von harscher öffentlicher Kritik begleitete Ausbleiben schneller Erfolge bei den großen Einsätzen in Somalia und Jugoslawien offensichtlich zu einem Nachlassen der Bereitschaft geführt, Truppen für Blauhelmeinsätze zur Verfügung zu stellen. Die vergeblichen Bemühungen des Generalsekretärs, die am 17. Mai 1994 vom Sicherheitsrat genehmigten 5.500 Soldaten für die erweiterte Operation UNAMIR 11 in Ruanda zusammenzubekommen 11, ist hierfür ein beredtes Zeugnis. Noch größer sind die personellen Engpässe bei den zivilen Missionskomponenten, die beim Peace-Keeping der zweiten Generation besonderes Gewicht haben. So hat sich gezeigt, daß die bei den neuen Operationen regelmäßig nötigen Polizeiverbände schwerer zu rekrutieren sind als Militäreinheiten. Offensichtlich sind sie für die Mitgliedstaaten schwerer zu entbehren. Gleiches gilt für die anderen zivilen Mitarbeiter. Auch hier sind die Mitgliedstaaten nur in geringem Maße bereit, beispielsweise Verwaltungsfachleute für Friedensoperationen abzustellen. Folgerichtig tritt als Personalquelle für diese Komponenten die UNO selbst mit ihren Unterorganisationen in den Mittelpunkt. Auch das Reservoir internationaler Beamter ist indessen nicht unerschöpflich, zumal 9 Z.B. im Fall von UNOSOM II - s.o. B., III., 4., b), aa). 10 So ist die Erweiterung des Peace-Keeping-Konzepts z. B. bei den skandinavischen Ländern, die traditionell zu den verläßlichsten Personalquellen der UN-Operationen gehören, mit Skepsis aufgenommen worden - vgl. Eknes in: Kühne, Blauhelme, 518. 11 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs vom 3. 1. 1995, UN Doc. S/1995/1 und 98 f: The Economist v. 28. 5. 1994,44: Die Welt v. 30. 5. 1994,4.
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D. Grenzen und Vorgaben der Friedensoperationen der 2. Generation
es nicht möglich ist, UN-Beamte fortwährend von ihren normalen Aufgaben abzuziehen l2 Schließlich ist deutlich geworden, daß die UN-Beamten nicht immer über die erforderlichen Qualifikationen für die erfolgreiche Bewältigung der besonderen Anforderungen internationaler Operationen in fremden Ländern besitzen \3. Wie bei der Finanzierung, so ist auch im Personalbereich die rechtliche Lage klar, wenn auch unter umgekehrten Vorzeichen. Der dem traditionellen Peace-Keeping zugrundeliegende Grundsatz der Freiwilligkeit der Personalstellung l4 gilt in gleicher Weise für die Operationen der zweiten Generation. Eine konkrete Pflicht der Mitgliedstaaten zur Teilnahme an einzelnen Operationen, die über die von Art. 43 verlangte grundsätzliche Bereitschaft zu einer Beteiligung an Maßnahmen zur Friedenswahrung hinausgeht, besteht nicht. Die Praxis der untersuchten Operationen hat diesen Grundsatz noch verstärkt. In allen Fällen ist der Personalrekrutierung das Prinzip der Freiwilligkeit - bei den eingesetzten UN-Beamten individuell, bei den nationalen Militärkontingenten hinsichtlich des truppenstellenden Staates - zugrundegelegt worden. Dies hat sich besonders klar bei UNOSOM II gezeigt. Hier haben mehrere Mitgliedstaaten ihre umfangreichen Einheiten im Operationsverlauf unilateral abgezogen, ohne daß dieses Vorgehen von irgendeiner Seite aus rechtlichen Gründen beanstandet wurde. Eine auf der Hand liegende Alternative zu dieser Situation ist der Abschluß von Sonderabkommen gemäß oder analog Art. 43 der Charta, nach denen sich die Mitgliedstaaten zur Bereitstellung von Streitkräften verpflichten 1S . Der Vorschlag, daß die Staaten in dieser Weise im voraus bestimmte Truppenteile der UNO auf Abruf zur Verfügung stellen (IEarmarking")16, ist gemacht worden 17 Die Praxis im Somaliafall läßt es allerdings zweifelhaft erscheinen, ob die Mitgliedstaaten hierzu bereit sind. Selbst wenn solche Abkommen zustandekämen, wäre dies keine Garantie für die tatsächliche Verfügbarkeit des Personals im Einzelfall, wie sich aus einem Vergleich mit der Finanzierungsfrage und der dort erkennbaren mangelnden Bereitschaft der Staaten erahnen läßt, ihre - dort in Gestalt des Art. 17 (2) bereits bestehenden - rechtlichen Ver12 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 10.9. 1993 über die Arbeit der Organisation, UN Doc. A/48/l, para. 302. 13 Daraufweist zutreffend hin: Mackinlay, Int. Spect. 1993,659 14 S.o.
f
A, 11., 1.
15 Lillich, ZaöRV 1993, 573.
16 In den skandinavischen Ländern existiert ein ähnliches Konzept in Gestalt der "stand-by forces"
fiir UN-Peace-Keeping-Operationen bereits seit Mitte der 60er Jahre. Allerdings ist der Einsatz auch dieser Einheiten in jedem Einzelfall abhängig von einer vorherigen nationalen Entscheidung - vgl. Eknes in: Kühne, Blauhelme, 512. 17 Kühne in: ders., Blauhelme, 61 ff.
II. Grenzen treuhänderischer Friedensoperationen
335
pflichtungen zu honorieren. Im übrigen ist für die erfolgreiche Durchführung von Friedensoperationen die politische Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Teilnahme wichtiger als die rechtliche. Das Prinzip der Freiwilligkeit der Truppenstellung stellt sicher, daß einmal zustandegekommene Operationen diese politische Rückendeckung besitzen. Aus diesem Grund erscheint das Prinzip der Freiwilligkeit der Personalstellung für die betrachteten Friedensoperationen durchaus adäquat. Hinsichtlich der Knappheit der zivilen Mitarbeiter schließlich wäre die - bereits angesprochene l8 - verstärkte Einbeziehung nichtstaatlicher internationaler Organisationen, die oft über ein hohes Qualifikationspotential auf den Gebieten verfügen, die zu den zivilen Aspekten treuhänderischen Peace-Keepings gehören, in die Friedensoperationen der zweiten Generation ein Weg, die personellen Ressorcen zu erweitern. c) Bewertung
Die zu beobachtende Ressorcenknappheit ist somit nur begrenzt ein rechtliches Problem. Hinsichtlich der Finanzierung ist die rechtliche Pflicht der Mitgliedstaaten zur Kostentragung in Art. 17 (2) der Charta festgelegt. Bezüglich der Stellung von Personal hat die aktuelle Rechtslage den Vorteil, die politischen Voraussetzungen einer erfolgreichen Friedensoperation realistisch zu reflektieren. Eine Veränderung der rechtlichen Grundlagen der Beschaffung der Ressourcen für Friedensoperationen der zweiten Generation ist folglich nicht erforderlich. Letztlich hängt die Fähigkeit der UNO zur Durchführung komplexer PeaceKeeping-Operationen unvermeidlich von der politischen Bereitschaft der Mitgliedstaten ab, ihre Beiträge zu diesen Engagements zu leisten. An dieser Erkenntnis vermögen auch rechtliche Verpflichtungen nichts zu ändern. Die Knappheit der Ressourcen ist somit eine politische Grenze für die PeaceKeeping-Aktivitäten der UNO. Operationen, die nicht einmal soviel Unterstützung unter den Mitgliedstaaten finden, daß die nötigen personellen und finanziellen Mittel bereitgestellt werden, haben auch keine Aussicht auf Erfolg. Dies zwingt die UNO zur Auswahl und zur Beschränkung auf solche Missionen, in denen ein Engagement sinnvoll und erfolgversprechend ist. 2. Operations management
Eng mit der Beschränkung der Ressourcen hängt eine weitere Kapazitätsgrenze zusammen, die hier ebenfalls kurz angerissen werden soll. Es handelt 18 S.o. D., I., 2., b), ce).
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D. Grenzen und Vorgaben der Friedensoperationen der 2. Generation
sich dabei um die beschränkten Fähigkeiten der Vereinten Nationen zur einheitlichen Einsatzführung bei Operationen des hier zu beobachtenden Umfangs. Anders als die klassischen Peace-Keeping-Operationen, die fast ausschließlich militärisch zusammengesetzt waren und im Rahmen ihrer "Pufferfunktion" ein relativ eng begrenztes Aufgabenspektrum hatten, sind die Friedensoperationen der zweiten Generation sowohl durch die Vielfalt ihrer militärischen und zivilen Funktionen als auch durch die Uneinheitlichkeit ihrer personellen Zusammensetzung geprägt. Daß es den Angehörigen der verschiedenen UNSonderorganisationen sowie beteiligten nichtstaatlichen Hilfsorganisationen grundsätzlich schwerfallt, sich einer einheitlichen Einsatzleitung unterzuordnen l9 , war bei traditionellen Operationen zuweilen lästig, aber nicht wesentlich für den Operationserfolg. Bei treuhänderischen Operationen kommt es hingegen auf die Kooperation zwischen den vielen beteiligten Akteuren entscheidend an. Auch können sich bei diesem Typus von Engagement, der starken kulturellen Einfluß auf die Gesellschaft des Ziellandes ausübt, unvermeidliche disziplinarische Schwächen20 der eingesetzten nationalen Truppenkontingente viel negativer auf den Gesamterfolg auswirken 21 . Darüber hinaus schafft die Integration ziviler und militärischer Operationsteile neue Probleme. So mißlang in Kambodscha und Somalia die Abstimmung zwischen den zivilen Verwaltungsgrenzen und den militärischen Einsatzsektoren22 Zu Schwierigkeiten hat daneben die Tatsache geführt, daß die Mandate der zweiten Generation des Peace-Keeping teilweise Erzwingungscharakter haben können. Im Verlauf von UNOSOM 11 neigten nationale Kontingente dann, wenn es um militärische Kampfhandlungen ging, dazu, Rücksprache primär bei ihren nationalen Befehlsstellen und nicht bei der UN-Einsatzleitung zu suchen23 Die während der Auseinandersetzungen in Mogadischu im Sommer und Herbst 1993 so wichtige Schnelleingreiftruppe der USA war sogar ganz aus dem UNOSOM lI-Verband und seiner Kommandostruktur ausgegliedert 24 Dies ist eine Reaktion auf 19 Mackinlay, Int. Spect. 1993,659; - vgl. auch oben D., 1., 2., b), cc). 20 Vgl. Perger in: Die Zeit v. 8. 10. 1993, 8. 21 Schwierigkeiten in dieser Hinsicht zeigten sich z.B. während der UNTAC-Operation in Kambodscha. Das Auftreten der Blauhelmsoldaten in der Hauptstadt Phnom Penh kostete die Operation viel Sympathie in der Bevölkerung. Die UN-Soldaten wurden kritisiert als "rasende Rowdies. Kolonialherren mit unzivilisiertem Benehmen, ohne Verständnis fiir die kambod.chanische Kultur und asiatische Zurückhaltung" - Dienemann in Focus 44/1993 v. 30. 10. 1993, 232; vgl. auch ders. in Focus 42/1993 v. 18. 10. 1993,243. 22 Mackinlay, Int. Spect. 1993,659, Fn. 20. 23 Ein Beispiel sind die Eigenmächtigkeiten des italienischen Kontingents der UNOSOM II im Sommer 1993 - vgl. den Bericht des Generalsekretärs v. 17.8. 1993, UN Doc. S126317, para. 78; diese Tendenz wird vom Generalsekretär in seinem Bericht vom 3. 1. 1995. UN Doc. S/1995/1 = Al50/60, paras. 41 f scharf kritisiert. 24 Bericht des Generalsekretärs v. 17. 8. 1993, UN Doc. S/26317, para. 6.
11. Grenzen treuhänderischer Friedensoperationen
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die in der Literatur kritisierte 25 unzureichende Fähigkeit des UN-Sekretariats zur Führung komplexer militärischer Operationen. Schließlich ist noch ein Engpaß anzuführen, der nicht im Sekretariat, sondern im Sicherheitsrat auftaucht. Angesichts der Fülle gleichzeitig laufender Friedensoperationen fällt es den Mitgliedern des Rates zunehmend schwerer, den Verlauf einzelner Operationen im Auge zu behalten und wirksam zu überwachen26 . Um diesen Schwierigkeiten zu begegnen, ist es dringend erforderlich, einheitliche Einsatzrichtlinien festzulegen, die Qualifikation und Austattung der UN-Einsatzleitung zu stärken sowie eine operative Einsatzdoktrin für die neue Form des Peace-Keeping zu erarbeiten, die den neuen Anforderungen angepaßt ist27 3. Politik im Sicherheitsrat
Eine letzte außerrechtliche Grenze des Peace-Keeping der zweiten Generation, politisch wahrscheinlich die entscheidende, ist das Verhalten der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats. Die bisherigen Betrachtungen beschäftigten sich mit der Rechtsmacht des Sicherheitsrats und gingen insofern von der Annahme aus, daß der Rat gewillt und in der Lage sei, seine rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. Dies wiederum hängt entscheidend, bei realistischer Betrachtung ausschließlich, von dem übereinstimmenden Willen der fünf Vetomächte ab. Dieser übereinstimmende Wille hat die zweite Generation des Peace-Keeping in den letzten Jahren ermöglicht und getragen; sein Fortbestand ist aber keineswegs garantiert. Daß China den menschenrechtlichen Aspekten der neuen Operationen zurückhaltend gegenübersteht und auch das interventionistische Potential derartiger Einsätze skeptisch betrachtet, ist kein Geheimnis. Die Möglichkeit, daß die chinesische Duldung der jüngsten Entwicklung nicht unerheblich mit dem chinesischen Interesse an wohlwollender wirtschaftlicher Behandlung durch die westliche Welt zusammenhängt, hat einige Plausibilität. Auch die fortdauernde Unterstützung der neuen Linie durch die Russische Föderation ist zerbrechlich. Der Jugoslawienkonflikt und die dort aufgetretenen Meinungsverschiedenheiten über die Ziele und Mittel des UN-Engagements zeigen, daß Rußland eine Großmacht mit eigener Interessenlage ist, die in der Zukunft mit derjenigen der westlichen Sicherheitsratmitglieder in konkreten Fällen kollidieren und ein 25 Z.B. von Rikhye, 203 ff; jüngstens wieder von Mackinlay, Int. Spect. 1993, 657. 26 So auch Freudenschuß in: Kühne, Blauhelme, 162. 27 Dies wird inzwischen auch von der Generalversanunlung gefordert - siehe Res. 47171 v. 14. 12. 1992, Zi. 36; erste Ansätze dazu legte der Generalsekretär in seinem Bericht vom 3. I. 1995, UN Doc. S/1995/1 = A/50/60, paras 58 ffinzwischen vor. 22 Hufnagel
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D. Grenzen und Vorgaben der Friedensoperationen der 2. Generation
gemeinsames Handeln in Form einer Friedensoperation des Sicherheitsrat verhindern kann. Selbst unter den drei Westmächten im Rat ist ein Nachlassen des ursprünglichen Enthusiasmus für die neue Form des Peace-Keeping zu konstatieren. Die Schwierigkeiten der Operationen im ehemaligen Jugoslawien und besonders in Somalia haben hier für Ernüchterung gesorgt. Vor allem hat die massive, nicht immer faire öffentliche Kritik an jenen Operationen die politischen Führungen dieser Länder, die als entwickelte Demokratien für den Druck der Öffentlichkeit sehr sensibel sind, äußerst zurückhaltend gemacht, wenn es galt, neue Friedensoperationen mit innerstaatlicher Zielsetzung auf den Weg zu schicken. Das lange Zögern des Sicherheitsrats, auf die Eruption von Gewalt in Ruanda im Frühjahr 1994 zu reagieren, ist sicherlich zu einem erheblichen Teil auf diesen letztgenannten Faktor zurückzuführen.
E. Schluß betrachtung Am Beginn der vorliegenden Untersuchung stand die Feststellung, daß die Welt seit dem Ende des Kalten Krieges der neuen Herausforderung gegenübersteht, in zunehmendem Maße auf innerstaatliche Krisen reagieren, "failed states" retten zu müssen. Es schloß sich die Frage an, wie die Weltgemeinschaft auf diese Herausforderung reagieren könne. Die von der UNO gefundene Antwort ist eine neue Form des Peace-Keeping, eine zweite Generation der UN-Friedensoperationen. Diese zweite Generation unterscheidet sich von ihrem klassischen Vorgänger in mehreren Punkten. Zunächst hat sie eine neue Aufgabe erhalten. Die das klassische Peace-Keeping charakterisierende zwischenstaatliche Pufferfunktion ist der treuhänderischen Übernahme innerstaatlicher Aufbautätigkeit gewichen; das Stillegen von Krisen mit dem Ziel, einen status quo zu bewahren, hat der aktiven Gestaltung von Konfliktlösungen Platz gemacht. Nicht zuletzt wegen dieser aktiveren Rolle der Blauhelme hat das Konzept der Friedensoperationen in der zweiten Generation des weiteren eines der zentralen Merkmale des traditionellen Peace-Keeping verloren: die strenge Abgrenzung zum gewaltsamen "peace enforcement". Wenngleich eine Friedensoperation nach wie vor etwas anderes ist als eine großangelegte militärische Reaktion auf einen Akt zwischenstaatlicher Aggression, wie sie im Golfkrieg 1991 zu beobachten war, so ist die Grenze zwischen Friedenssicherung und Friedensschaffung innerhalb des UN-Peace-Keeping doch fließend geworden. Erzwingungsmaßnahmen sind heute möglicher Bestandteil von Friedensoperationen. Dieses neue Erscheinungsbild des PeaceKeeping basiert schließlich auf einer veränderten Rechtsgrundlage. Das erweiterte, die treuhänderische Konsolidierung innerstaatlicher Krisen einschließende Aufgabenprofil gründet sich auf eine Erweiterung des Begriffs "international peace and security", der die Rechtsmacht des Sicherheitsrats bestimmt und damit auch seine Kompetenz zur Aufstellung von Friedensoperationen begrenzt. Die Einbeziehung von Erzwingungselementen ist durch eine Verbreiterung der spezifischen Rechtsgrundlage der Friedensoperationen möglich geworden. Waren sie früher in dem imaginären "Kapitel VI l/2" gefangen, so stützt der Sicherheitsrat sie heute auf die gesamte Bandbreite der Kapitel VI und VII der Charta. Das so entstandene neue Instrument des Peace-Keeping der zweiten Generation enthält das Potential, auf die Herausforderung des "failed state" in abgestufter Form zu reagieren.
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E. Schlußbetrachtung
In der zweiten Generation des Peace-Keeping die Antwort auf die Ausgangsfrage zu finden, kann als zu enge Sichtweise kritisiert werden. Es läßt sich ar~ gumentieren, daß Friedensoperationen nicht die einzige Option sind, die der UNO als Antwort auf die neue Herausforderung zur Verfügung steht. Eine Alternative ließe sich z.B. in einer Neubelebung des Treuhandsystems durch eine Modifikation der Charta sehen. Solche Überlegungen sind zweifellos richtig. Die vorliegende Arbeit erhebt hier keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr greift sie bewußt eine Option der UNO heraus. Der Grund für diese Beschränkung liegt zum einen darin, daß gerade der Einsatz von Friedensoperationen der von der UNO in der Praxis der letzten Jahre tatsächlich beschrittene Weg bei der Übernahme treuhänderischer Funktionen in desorganisierten Staaten gewesen ist. Auf der anderen Seite hat diese Option den Vorteil, ohne eine Änderung der Charta auszukommen, die angesichts der großen Mitgliederzahl nur schwer erreichbar sein dürfte. Dem Rückgriff auf die Fortentwicklung des Instruments der Friedensoperationen läßt sich darüber hinaus der Vorwurf machen, dieser Ansatz leite die Analyse von vorneherein in eine zu enge Bahn. Es wäre denkbar, die treuhänderischen Operationen als ein völlig neues, eigenständiges Konzept zu begreifen, das von demjenigen des Peace-Keeping getrennt werden muß und eine selbständige Handlungsform der Weltorganisation darstellt. Um dies zu verdeutlichen, könnte man sie dann mit einer eigenen Bezeichnung, wie "PeaceBuilding-Operationen", belegen oder sie zumindest als zusammengesetzte Missionen mit einem Peace-Keeping-Teil und einem davon klar getrennten treuhänderischen Teil begreifen. Diese Alternative entspricht aber nicht den tatsächlichen Beobachtungen bei allen untersuchten Operationen. Alle fraglichen Missionen wurden als einheitliche Operationen autorisiert und durchgeführt und von den Beteiligten als Weiterführung des Peace-Keeping-Konzepts verstanden. Vor diesem Hintergrund erscheint die Fortentwicklung jenes Konzepts gegenüber der Einführung neuer Bezeichnungen und Operationstypen die realitätsnähere Vorgehensweise. Am Schluß steht die Bemerkung, daß die vorliegende Untersuchung aus einem primär juristischen Blickwinkel vorgenommen wurde. Ziel war es, die Fortentwicklung des UN-Peace-Keeping rechtlich einzuordnen, die rechtliche Tauglichkeit dieses Instruments zur Bewältigung innerstaatlicher Konfliktlösungen zu prüfen und den rechtlichen Rahmen auszuloten, in dem sich diese Operationen bewegen. Selbstverständlich handelt es sich bei diesem Instrument aber in erster Linie um eine politische Handlungsoption der Weltgemeinschaft zur Bekämpfung innerstaatlicher Krisen. Sein zukünftiger Einsatz hängt ausschließlich vom politischen Willen der Staaten, insbesondere der leistungsfähigen unter ihnen ab, diese Option zu nutzen. Sie müssen die damit verbundenen Lasten auf sich nehmen, um solchen Ländern eine zweite Chance zu geben, die dazu aus eigener Kraft nicht mehr fähig sind. Das Nachlassen dieses poli-
E. Schlußbetrachtung
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tischen Willens seit Ende 1993 ist unübersehbar. Es ändert aber nichts daran, daß das rechtliche Instrumentarium im Rahmen der Vereinten Nationen nunmehr zur Verfügung steht. Ob es tatsächlich genutzt wird, liegt außerhalb der Macht der Weltorganisation.
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