Ueber religiöse Glauben in Sinne des Christenthums: Academische Festrede gehalten am Stiftungsfeste der Universität Gießen 1. Juli 1887 [Reprint 2022 ed.] 9783112682944


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German Pages 32 [36] Year 1888

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Meine Herren Kollegen! Meine Herren Kommilitonen!
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Ueber religiöse Glauben in Sinne des Christenthums: Academische Festrede gehalten am Stiftungsfeste der Universität Gießen 1. Juli 1887 [Reprint 2022 ed.]
 9783112682944

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rdigiöfen Kiniibm im Sinnt bts khliAtnihnins.

flnufemisdiß äestieile g e I) a 11 e ii nm

Stiftungsfeste der Aniverßtät Hießen 1. Juki 1887 von

Dr. Ferdinand Kattendnsch ordentlichem Professor der Theologie d. Z. Rektor.

Gießen, 1887. I. Ricker'schc Buchhandlung.

Meine Herren Kollegen! Meine Herren Kommilitonen!

Es entspricht den Gepflogenheiten mit Bezug auf unsere

heutige Feier, wenn ich mir ein Thema gewählt habe,

welches

sich innerhalb der Sphäre meines speciellen Berufes an unserer

Hochschule hält. der Dogmatik.

Ich möchte zu Ihnen sprechen über eine Frage Einen Augenblick habe ich geschwankt, ob ich

nicht einmal einen Griff thun sollte in die ganz concreten be­ sonderen Fragen, die ein Dogmatiker vor seinen Schülern zu

erörtern hat.

Es ist manche darunter, deren Benennung vielen

von Ihnen,

wie ich fürchten muß, die Vorstellung erwecken

würde, daß

der Dogmatiker

mit sich herumtrage.

wohl recht verschollene Probleme

Ja, Sie möchten zum Theil Zweifel ver­

spüren, ob das, was ich etwa als ein Problem bezeichnete, wohl wirklich mit diesem für jeden Gelehrten ehrwürdigen Titel zu schmücken sei.

Es hat mich dennoch gerade gereizt, ein specielles

Lehrstück, eilt einzelnes „Dogma" Ihnen vorzuführen; ich dachte an den Gedanken von der Gottheit des Menschen Jesus.

Ich fühlte mich verlockt, ein solches für sehr Viele in unseren

Tagen einfach absurd scheinendes Gedankengebilde des christlichen

Glaubens vor Ihnen zu verhandeln, etwa wie ich mir denken könnte, daß ein Mathematiker, wenn er zu den Kollegen und Kommilitonen aller Fakultäten reden sollte, die Gelegenheit

4 wahrnähme, über eine Behauptung wie die, daß zwei parallele Linien sich schneiden könnten, zwar nicht in der Endlichkeit, jedoch in der Unendlichkeit, zu handeln.

Es wird Niemand leugnen

wollen, daß ein mathematischer Satz, wie der genannte, wenn

er kurz und schlicht so lautet, auch den Eindruck des Absurden

erwecken kann.

Die Mathematik ist, wie die Dogmatik, nicht

sicher von Fernstehenden für eine Wissenschaft gehalten zu werden, in welcher die bloße begriffliche Speculation ein unheimliches Wesen treibe, so sehr, daß ihr wohl zuzutrauen sei, sie führe

letztlich auf die Behauptung von Möglichkeiten, die nicht —

möglich seien, oder Unsinn bedeuten.

Ich habe nie gezweifelt,

daß ein Satz, wie der erwähnte, für den Mathematiker vielleicht

eine Art elementarer Verständlichkeit habe, man werde nur wissen müssen, was sein Sinn sei.

Ich habe mir gesagt, es werde

darauf ankommen, die Bedingungen des Zustandekommens eines

solchen, für den Nichtmathematiker absurd klingenden Satzes, sich

darlegen zu lassen, so werde derselbe in seiner Art zweifelsohne unanstößig oder nothwendig erscheinen.

Vielleicht dürfte ich

hoffen, meinerseits auch ein Verständniß dafür zu erwecken, was es für eine Bewandniß hat mit dem Gedanken von der Gottheit

Christi, und vielleicht könnte ich damit zugleich dem Eindrücke

Raum verschaffen, daß dieser Gedanke — der fundamentalen einer der christlichen Anschauungen — auch Etwas bezeichne, was in seiner Weise sich ebenso sicher und frei bem Denken

bezeuge, wie dasjenige, was der Mathematiker mit jenem er­ wähnten Satze ausdrückt.

Aber ich müßte doch zu weit aus­

holen, weiter als die Zeit, die mir zugemessen ist, gestatten dürfte.

Der Theolog, wenigstens der Dogmatiker, muß die

Eigenthümlichkeit des von ihm geübten Denkens darlegen können,

5 ehe er hoffen darf für seine einzelnen Gcdaukenbildungen Ver­

ständniß zu finden.

Wenn ich von dem theologischen Denken wie einem be­ sonderen spreche, so ist natürlich nicht von Vorbehalten wider die gemeinen Gesetze des Erkennens von wirklichen Dingen die

Rede. Ich würde nicht wagen von der Theologie wie von einer Wissenschaft zu reden, wenn sie bei ihrer Arbeit solche Vorbe­

halte in Anspruch nähme.

Ich meine nur, das theologische

Denken unterstehe besonderen Bedingungen und bedeute eine specielle, nicht immer einfache Kunst, sofern der Glaube ein sachlich durchaus eigenartiges, mit anderen nicht vergleichbares Gebiet

von Realitäten zu eigen hat.

Daraus resultirt naturgemäß

eine Methode und Form der wissenschaftlichen Arbeit, die nur der Theolog inne hält, auf die jedoch mit eingeheu muß, wer

ein Theologumenon will beurtheilen können.

Es ist ein land­

läufiges Vorurtheil, daß die Theologie wenigstens mit der

Philosophie, die Dogmatik mit der Metaphysik, die Arbeit viel­ fach theile.

Das ist falsch, wenn auch die Geschichte beider

Wissenschaften mehr als ein Jahrtausend als ein Beleg dafür angerufen werden kann.

Die Objecte, um welche sich die

Philosophie in der Metaphysik, sofern sie nicht blos übele dog­

matische Sätze produciren will, zu bemühen hat, sind ganz

andere, als diejenigen, welche wir Dogmatiker in's Auge fassen.

Umgekehrt mag die Dogmatik zusehen, daß sie nicht bleibe, was sie allerdings lange gewesen ist, zu einem Theile nur eine traurige Art von Philosophie.

Sie muß sich auf einer ganz

anderen Basis neu erbauen und thut es zur Zeit.

Es gilt

für den Theologen, der Linie bewußt zu bleiben, innerhalb deren er sich zu bewegen hat. 3tur derjenige, der sich nicht ver-

6 wirren

läßt

der Fixirung seiner Objecte,

bei

verläßliche Wahrheitserkenntnisse

im Stande,

ist

zn zeitigen.

Der Dogmatiker, sagte ich, sieht sich ans das Gebiet des religiösen

angewiesen.

Glaubens

Dieses

ein gegebenes, historisch deutlich umschriebenes.

Es

Gebiet

ist

dem

kann

Dogmatiker nicht beikommen, sich von der christlichen Religions­ gemeinde, von der Kirche, ablösen zu wollen.

Was er erforscht,

ist gar nicht vorhanden außerhalb dieses besonderen Kreises von Menschen.

Christlicher Glaube ist Etwas, was thatsächlich geübt

wird, und hat der Dogmatiker sich

zunächst zu bescheiden, daß

er diesen Glauben nur einfach darstellt.

Allein damit ist doch

ein Weiteres nothwendig verknüpft. Denn was die Kirche vertritt, ist nach ihrer Meinung

heit

angeht.

eine Sache,

welche die ganze Mensch-,

tritt der Dogmatiker, wenn man

So

ihm

nicht

den Vorbehalt einräumen will — und wer könnte das wollen?

— gegebenenfalls

ein

Ungläubiger

im Sinne

der

Kirche

zu

sein, trotzdem er Lehrer in ihr sei, so tritt der Dogmatiker noth­

wendig auch in die Stellung eines Anwalts eben der Gesammt­

heit vor der Kirche.

Die Kirche wird das nur sehr gerne sehen

Denn in der That, der Dogmatiker muß auch mit der

dürfen.

Aufgabe

sein, ihr, der Kirche,

betraut

der Behauptung

das gute Gewissen bei

in der Geschichte zu bewahren.

ihrer Position

Er kann ihr diesen höchsten Dienst natürlich nur dann leisten, wenn er gänzlich frei und seines

Amtes

walten

ohne

darf.

So

irgend welche

muß

der

Bevormundung

Dogmatiker

jed­

wedes, was Geltung hat in der Kirche, antasten und von jedem

Gesichtspunkt

aus

bis

auf

den

Grund

prüfen

dürfen.

Es

darf ihm, wie jedem Manne der Wissenschaft, Nichts heilig sein als die Wahrheit.

Auch er hat Nichts zu rechtfertigen, was

sich nicht dem, der es begriffen hat, aus seiner Natur heraus

zu rechtfertigen vermöchte.

Rechtfertigt sich denn nun wirklich

die Position des christlichen Glaubens auch noch unter den

Bedingungen des immerfort wachsenden Wissens oder steht der christliche Glaube nicht längst schon in der Situation, daß er Unmögliches vertheidigt? Es ist nicht direkt diese Frage, der ich in meiner heutigen Rede näher treten möchte, sondern die Vorfrage, welches überhaupt die Position des religiösen Glaubens im Sinne des Christenthums ist. Was heißt „Glauben

haben" ?

Es gehört mit zur Signatur unserer Zeit, daß diese Frage so sehr eine offene ist, wie es thatsächlich der Fall ist. Vielleicht ist über wenige Dinge zur Zeit so viel Unsicherheit

vorhanden als darüber, wie man sich den Glauben zu denken habe.

Freilich, ich weiß sehr wohl, daß diese Frage in der

Gegenwart auch nur von verhältuißmäßig Wenigen unter den Gebildeten als eine solche, die der Mühe lohne, betrachtet wird.

Nämlich für die Mehrzahl unserer wissenschaftlich denkenden Zeitgenossen gilt dieselbe für eine von denen, die gar nicht zu

erledigen sind.

Es sind Wenige unter uns, denen die Dinge

des Glaubens gänzlich gleichgültig wären.

Die Meisten sehen

darin ein geheiligtes Etwas, an dem sie wohl irgendwie Theil

haben möchten.

Aber man soll mit ihnen darüber nicht dis-

cutiren wollen.

Es gilt besonders als ein Recht des modernen

Menschen, daß er sich nie vor der Oeffentlichkeit zu äußern

brauche, wie er in religiösen Angelegenheiten eigentlich denke. Die Oeffentlichkeit soll verschont bleiben mit allen Differenzen,

die den Glauben angehen.

So ist man zum Theil sogar ge­

neigt, die Augen dagegen zu verschließen, daß es religiöse, kirch-

8 liche Fragen giebt, die thatsächlich ein öffentliches Interesse jetzt

wie ehedem, ja mehr wie ehedem,

in Anspruch nehmen.

Die

Streitigkeiten zwischen dem Staate und der Kirche in unserer Zeit werden dann erklärt als

ein Fortwirken alter, noch nicht

ausgetragener Machtfragen, die einen ganz anderen Hintergrund

hätten, als die wirklichen Bedürfnisse der Religiösen.

Es seien

zuletzt Fragen bestimmter Stände oder Partheien, zumal der Conservativen wider die Liberalen. — Wer wollte leugnen,

daß diese Stimmung der Gebildeten unter uns viel Recht habe?

Es ist wahr: was als Anspruch der Kirche oder der Religion in der Erörterung der politischen Fragen

das ist noch zu

formulirt wird,

jeder Zeit großentheils aus anderem als dem

Geiste des Glaubens zu begreifen

gewesen.

Daß

in unseren

politisch-kirchlichen Wirren wieder unendlich viel blos politischer, sehr geringwerthig weltlicher Geist seinen Rumor treibt, ist sicher

und nur zu deutlich. Ich exemplificire auf Nichts.

Es leugnet

es letztlich auch innerhalb jener Partheien selbst kaum Jemand. Was das andere betrifft, daß Keiner gehalten sein soll, über

seine persönliche Stellung zum Glauben Rechenschaft zu geben, so

ist das Ausdruck einer Stimmung, die sehr werthvoll ist.

Zwar es

ist zu constatiren, daß dabei zu einem Theile Er­

wägungen Platz greifen, die alles Andere als erfreulich, nämlich

allerhöchstens in gewissem Maaße entschuldbar sind. T r e i t s ch ke

redet einmal von religiöser Feigheit bei Vielen

bildeten.

unter den Ge­

Es ist noch immer ein Risiko in manchen Verhältnissen,

die davon in der That nicht berührt werden sollten, wenn einer

sich etwa zum Unglauben bekennt.

Es ist

offenbar eine Art

Versuch der Gesellschaft, die stark gefährdete Ehrlichkeit unter

sich zu retten, wenn sie den Grundsatz da billigt, daß man sich

9 über

religiöse Dinge möglichst selten und nie mit direkten,

unverblümten Worten äußere.

Aber der Grundsatz, daß Reden

Silber, Schweigen Gold sei, ist wo es den Charakter angeht,

noch nie für besonders ehrenwerth angesehen worden.

„Feigheit"

ist doch ohne jeden Zweifel längst nicht das einzige Motiv

unserer gebildeten Gesellschaft, wenn sie die religiösen Themata meidet.

Die religiöse Feigheit hat auch wohl ihre Tage in

einem etwas früheren Geschlechte als dem unsrigen in erster

Linie gehabt.

Auch damals sind ganz andere Motive doch

mindestens ebenso mächtig gewesen, um in Glaubensdingen Schweigen nicht nur zu einem Rechte, sondern zu einer gewissen

Pflicht zu erheben. Der Wille einer absoluten ehrlichen Toleranz mit Bezug auf religiöse Ueberzeugungen, welcher sich in jenem Schweigen der Gesellschaft vielleicht den beredtesten Ausdruck giebt, ist sicherlich zu einem Theile ein ehrender Tribut an den

Ernst, welchen die religiöse Frage für den Einzelnen hat oder vielmehr nach einer nicht erloschenen Auffassung haben sollte.

Bewußt und unbewußt wird dieser Tribut dargebracht.

Man

will nicht, weder daß Jemand seinen Glauben, noch auch daß er seinen Unglauben wie eine gewöhnliche Sache behandele.

Dann aber ist Beides in seiner Art nothwendig wie Etwas anzu­ sehen, worüber man eben nicht spricht oder doch nur unter besonderen Bedingungen.

Es ist eine Empfindung dafür vor­

handen, daß es ein Zeichen von oberflächlicher Personart ist, wenn einer alle Gründe seiner religiösen Stellung kurz bei der

Hand hat und bereit ist, jedem ohne Unterschied seine Weltan­ schauung darzulegen.

Aber dann soll auch derjenige, welcher

mit sittlichem Ernste sich auf einen Standpunkt gestellt hat, wo der Glauben dahinten liegt, nie bedrängt werden, Rechen-

10 schäft zu geben, warum ihm aller Glaube ein Traum geworden.

Es hat Niemand das Recht, von einem reifen ernsten Manne Bekenntnisse zu verlangen.

Wie er geworden ist, was er ist,

das mag er für sich behalten und was er ist, mag man auch beurtheilen nach dem, was er offenbaren will. Umgekehrt soll Niemand seinen Glauben vor den Leuten im Munde führen.

Man weiß es sehr wohl: der wirkliche Religiöse legt auch das

Geheimniß seiner Persönlichkeit, das Geheimniß dessen, was sein

Glaube ihm in seinem inneren Leben bedeutet, uicht gerne dar. Deu geistlichen Schwätzer will mau nicht hören: er soll vor eine eherne Regel des geselligen Lebens gestellt sein.

Auch das ist nicht Alles.

Aber nun komme ich von den

Motiven vielmehr zu den Grünben der Schweigsamkeit der

Gesellschaft in religiösen Dingen. Ich habe T r e i t s ch k e citirt. In demselben Aufsatze über die „Freiheit", wo er die religiöse

Feigheit Vieler unter den Gebildeten — er schrieb den Aufsatz im Jahre 1864 — zu geißeln Anlaß zu haben meint, kommt

gerade er doch auch auf die Gedanken hinaus, in deren Schil­

derung und Beurtheilung ich cingetreten bin. Als Grund für die Abgeneigtheit so Vieler, die religiösen Fragen zu disculircn,

giebt er die Ueberzeugung an, daß die „helleren Köpfe unseres Volkes dem religiösen Meinungsstreite bereits entwachsen sind".

Das ist unfraglich die Auffassung Ungezählter.

Es ist dabei,

wie ich schon bemerkt, durchaus nicht bei Allen die Meinung, daß die Religion überhaupt hinfällig sei, daß der religiöse

Glaube gänzlich des Grundes entbehre.

Aber die Religion gilt

für etwas völlig Individuelles.

„Das Gebiet des Glaubens

ist ein Reich absoluter Freiheit."

Wie jedes Individuum ein

Wesen für sich ist, so ist es natürlich, daß sein Glaube etwas

11 Individuelles ist.

Es ist nothwendig die Privatsache jedes Ein­

zelnen, wie er sich mit den Räthselfragen des Lebens, falls sie ihn drücken, abfindc. Die weltalte Frage hat uns ja gewiß Alle einmal beschäftigt: Was bedeutet der Mensch?

Woher ist er kommen, wo geht er hin? Wer wohnt dort oben auf goldenen Sternen?

Aber sind wir nicht Alle gezwungen uns mit dieser Frage auscinanderzusetzen, wie es eben geht?

Wer könnte eine allge­

mein gültige Antwort darauf ertheilen? Die Kirche meint es mit

ihrem Dogma zu können; aber das ist Thorheit.

Die immer

wachsende Summe derer, die es leugnen, daß das Dogma ihnen

gemüthliche oder gedankenmäßige Befriedigung gewähre, ist die schlanke schlichte Widerlegung.

Wozu also noch Besprechung,

wozu vor Allem Streit über religiöse Meinungen? Es ist gar

nicht möglich, daß man zu einer Einigung käme.

Treitschke

berührt cs nicht mehr, aber es liegt auch auf der Bahn seiner

Gedanken, wenn ich schließlich noch hinzufüge, daß die Mehrzahl wohl auch der Meinung ist, der Glaube oder der religiöse Stand­ punkt, den einer einnimmt, liege überhaupt höher als die Region des bloßen Denkens.

Das kann einer etwa noch sagen, daß

er dies und das nicht glaube.

So kann einer sagen, daß er

nicht dem Dogma anhänge, und das scheint Treitschke gegebenen­ falls zu verlangen, daß man negativ rundum sage: ein

Christ im landläufigen Sinne des Wortes sei man nicht, könne man nicht sein, wolle man auch nicht zu sein scheinen.

Aber

darüber hinaus positiv zu sagen, welche Residuen des Christen­

thums oder welche Elemente alter und neuer philosophischer Systeme man etwa acceptire, welche Gedanken über den Sinn

12 des Lebens und die Zusammenhänge des Seins einem selbst auf

Grund eigener Lebensschicksale, eigenen Berufsstudiums, eigener individueller Stimmung entstanden seien — das Alles geht kaum

an.

Wer will die Tiefen des menschlichen Herzens, darinnen die

WeltanschaMng des Einzelnen wurzelt und wurzeln muß, wenn

sie Werth haben soll, wer will die räthselhaften Bedürfnisse des Gemüthslebens mit der Reflexion ausschöpfcn?

Ich habe gesagt, diese Betrachtung und Behandlung der religiösen Frage führe viele beachtenswerthe Momente mit sich. Aber sie hat doch mehr Unrecht als Recht.

Und wer die Zeichen

der Zeit zu deuten weiß, der könnte, wenn er sie theilt, angesichts der letzten Epoche unserer Geschichte wohl selbst zweifelhaft

geworden sein, ob sie die richtige wirklich sei.

Sind nicht Fragen aufgetaucht im Gesichtskreise des socialen Lebens, angesichts deren der Eindruck unvermeidlich ist, daß

nur ein großer, alle Glieder des Volkes, ja der Menschheit,

durchdringender gemeinsamer Glaube die Stürme beschwören könne, welche sie erwarten lassen und deren Wucht sonst Alles

zertrümmern möchte, was geschichtlich geworden? Sodann aber das unverkennbare Steigen des Gegensatzes, der im Abendlande,

in unseren! Volke zumal, durch die Reformation geschaffen worden

ist.

Das Bewußtsein dieses Gegensatzes hat seit zwei Jahr­

hunderten nicht solche Fortschritte gemacht, als in unseren Tagen, und es hat den Anschein, als ob eine Zeit heraufziehe, da der

Kampf der Kirchen wieder in eine seiner großen welthistorischen Phasen eintrete. Hegen Sie nicht die Besorgniß, daß ich speciell

diese Aussicht hier weiter verfolgen möchte.

That nicht des Ortes.

Es wäre in der

Aber das muß gesagt werden: es

irren, die da meinen, der gerade unser Vaterland in jedweder

13 Beziehung so unendlich lähmende Kirchenstreit sei zu schlichten,

wenn der Gedanke, daß der Glaube lediglich eine Privatange­ legenheit sei, möglichst intensiv im Volke verbreitet werde. Vor

dieser Formel weichen die Kirchen nicht zurück und durch sie können sie nicht entwaffnet werden.

Denn jene Formel meistert

nur die Realitäten des Lebens; die richtige Deutung der Religion, vollends der wahren Form derselben, ist sie nicht. In der That, die Formel ist an und für sich etwa so

berechtigt, wie wenn man sagen wollte, die Deutung des Volksthums sei Privatsache des Einzelnen.

Jedweder möge als ein

Deutscher nur bei sich selbst bestimmen, was ihm vom Deutsch-

thum dünke.

Man wolle jede Meinung gerne toleriren, aber

von keiner einen gemeinsamen Gebrauch machen.

Man werde sich

dann am sichersten vertragen und die Sache, das Deutschthum, werde auch letztlich am sichersten blühen und gedeihen.

Das

erscheint jedwedem, zur Zeit wenigstens, eine Thorheit.

Wir

sind ja nicht einig darüber, was deutsch sei.

Gott sei's geklagt.

Ein jeder weiß, was es heißen will, Deutsche wirklich zu Einem Sinne, zu Einem politischen Willen, zu Einer großen kraft­

vollen Entschließung zu vereinigen.

Von ihnen Allen will viel­

leicht Keiner Deutschland lassen, und doch kommen kaum zwei völlig überein, was sie für Deutschland hoffen und erstreben.

Wir verzweifeln doch nicht daran, eine Einigung der politischen Denkweise unter uns in weitem Umfange mit der Zeit herbei­

zuführen.

Denn wir verlassen uns darauf, das Volksthum, sein

Geist, seine Bedürfnisse sind objective, geschichtlich begründete,

geschichtlich auch sich bewährende Mächte.

Wir stehen unter dem

Zwang von Realitäten des Lebens, die darum noch nicht auf­ hören zu wirken, daß wir sie nicht verstehen, daß wir in

14

unserem Bewußtsein noch nicht Raum für sie alle gefunden haben. Das gilt auch für die Religion.

In Gestalt der Kirche, der

Kirchen, ist das Christenthum unter uns mehr als das Bewußt­ sein der Einzelnen von ihm hält und versteht.

Sache der Einzelnen als solcher.

Es ist ja auch

Denn es will Sache der

Ueberzeugungen sein und noch ganz anders werden, als es zur Zeit ist.

Aber darüber hinaus ist es Sache des Volkes, der

Völker, ja der ganzen Gemeinschaft, in der wir geschichtlich stehen.

Und es beruht auf Realitäten, die uns nicht loslassen,

wenn wir sie loslassen möchten, weil wir sie noch nicht zu

würdigen wissen, auf Realitäten, von deren Wirksamkeit frei zu

werden es stärkerer Mittel bedürfte als der harmlosen modernen

Formel von der Religion, die ihnen in gewisser Weise ja sogar Raum gewährt, so hinderlich sie, diese Formel, an ihrem Theile

mit ist, daß diese Realitäten jetzt schon so voll zur Geltung kämen, wie sie möchten.

Ich könnte sagen: was hat es denn

für Noth, daß über die Religion, über das Christenthum ge­ stritten wird?

Das braucht an und für sich noch Niemandem

seine Zuversicht zu rauben, daß es eine wirklich erkennbare Wahrheit mit Bezug auf das Christenthum gebe.

Auch die

Zuversicht nicht, daß die Wahrheit des Christenthums sich früher

oder später durchsetzen werde und daß der Kampf der Con­ sessionen vom wahren religiösen Frieden abgclöst werde, weil

die geschichtlichen Realitäten, die in der Christenheit wirksam

sind und auf die der Christenglaube sich vielfach nur erst ge­

brochen bezieht, sich endlich so kraftvoll und überwältigend klar

den Gemüthern bezeugen werden, daß die Partheiung ersterbe. Ich habe in meiner Auseinandersetzung bereits von meinen Gedanken hinsichtlich des Themas, das ich verfolge, sachlich

15 mehr an den Tag gelegt, als vielleicht einem Jeden bemerkbar

geworden.

Wenn ich den Glauben bezeichnet habe als ein Be-

wußtwerden mit Bezug auf Realitäten unseres geschichtlichen Lebens, Realitäten, die mir erst die Gemeinde der Christen

beherrschen und die Christenheit gar aus dem Gesammtleben

aussondern gewissermaßen wie ein Volk, so habe ich damit eine sehr scharf hervortrctende, wie ich sofort hinzufüge, auch von der Wissenschaft vom Glauben heftig bestrittene Position

eingenommen.

Hinter der vulgären Meinung unter uns, bei

der ich auknüpfte, steht auch eine andere Idee über die Art

des Glaubens.

Ich muß dieselbe mit der Vorstellung, die ich

selbst erwecken möchte, wohl auseinaudersetzcn.

Statt daß der Glaube wie eine Kräftigung unseres Per­ sonenlebens an geschichtlich Gegebenem betrachtet würde, geht die durchschnittliche Anschauung dahin, daß er eine Stützung

desselben auf Wesenheiten sei, die gerade mit nichts Geschichtlichem mehr solidarisch wären.

Eins werden mit dem Unendlichen,

die Seele durchströmen lassen von der Ahnung des hinter allem Einzelnen waltenden Ewigen, in den Unzulänglichkeiten der be­ sonderen Situation sich besinnen auf die absoluten Gesetze des

Seins und ihre Alles rechtfertigende Erhabenheit — das etwa wird, soweit man sich im Stande sieht eine allgemeine Beschrei­

bung zu geben, als das Wesen der Religion gedacht.

Man

will in der Gegenwart diese Gedanken durchaus nicht durch­

schnittlich dahin verstanden sehen, daß mau die Welt pantheistisch

deute.

Den Pantheismus denkt man als eine Religionsform,

die schärfer zugespitzt sei als man sich selbst das Verhältniß von Endlichem und Unendlichem, Geschichtlichem und Ewigem vorstellen

könne.

Ein lebhaftes Bewußtsein, daß das Christenthum doch

16 auch Elemente berge, die man nicht preisgeben möchte, bricht die Sympathie,

gegenbringt.

Sinne Ehrfurcht und

wird empfunden

freiwillige

Untergebung

ent­

wohl

die man dem Pantheismus

Das Unendliche

durch­

als

in jedem

erzwingend —

nur wer den Gedanken von ihm so festzuhalten vermag,

bleibt

dabei der Religion einen Raum in seinem Seelenleben zu ge­

währen;

wer es nicht vermag, ist in der Verfassung, wo man Die Religion soll das Ausruhen der Seele

religionslos wird.

bedeuten können und doch zugleich auch die Summe der stärksten Impulse zu lebensfrohem Wirken

und Schaffen.

Sie soll

in

der Enttäuschung durch das Leben die Hoffnung neu entzünden und sie soll in der Mitte der Erfolge demüthig machen. denkt sich den wahrhaft

Man

religiösen Menschen wie Jemand, dem

man zugleich in allen sittlichen Beziehungen das beste Zutrauen entgegenbringen dürfe, und so empfindet man das Maaß von

allem

wie einen sittlichen Halt.

das man selbst hegt,

Religion,

dem

stimmt der folgerechte Pantheismus nicht

Rest für die innere Anschauung,

daß

Gebildeten öfter als System träfe. giosität bedeutet

in

der That

so ohne

man ihn unter unseren

Die coucret geübte Reli­

eine Stimmung, die

heterogenen Elementen beherrscht ist.

Mit

von

sehr

So kann es kommen, daß

viele den Gedanken eines persönlichen Gottes festzuhalten bestrebt sind, andere und vielleicht die Mehreren verwerfen die Möglich­ keit das

zu thun

ausdrücklich.

und

Ein Theil

auch

das Interesse solchen Glaubens

glaubt auf persönliche Unsterblichkeit

rechnen zu dürfen und zu müssen, ein Theil ist selbst bei einem Glauben an einen persönlichen Gott zum Mindesten gleichgültig

dagegen re.

Aber gerade in der merkwürdigen Subjectivität aller

besonderen Gedanken, die man

sich wohl über den

möglichen

17 und rechtsbeständigen Inhalt des Glaubens macht, empfindet man cs wie das höchste Prädicat, das man der Religion geben

könne, wenn man sie vorstelle als die innere Stützung des

Menschen auf ein Absolutes, das sein Wesen daran habe, daß es das Ganze des Seienden bedeute.

Gerade weil man

sich in allen Btomenten des thätigen oder reflektirendeu Lebens

in seiner Subjectivität nur relativ berechtigt sieht und doch relativ wieder als so berechtigt erachtet, daß man meint, trotzen zu

dürfen auf die Eindrücke von dem Sinne und der Ordnung des Weltlebens, die man individuell geschöpft hat, so meint man die höchst erreichbare, wenn auch vielleicht nie rein erreichte

Stimmung, die der Religion, sich vergegenwärtigen zu sollen als die Stimmung, da an und für sich nur ein Eindruck des

Ganzen, nicht irgend eines Einzelnen, den inneren Sinn be­

rührt.

Ueberragt sei alles besondere Sein von einer Potenz,

die nirgends sich ganz offenbare und überall doch wirke.

Dieser

Potenz inne werden, das nur schaffe das Hochgefühl in der

subjectiven Lebensempfindung, um dessen willen man die Religion als eilte Kräftigung der Seele erachte.

Es ist eine Combination von wahren und von willkür­ lichen Gedanken über die Religion, die uns in dieser Auf­ fassung entgegentritt.

Demjenigen, der die Geschichte unseres

geistigen Lebens seit dem vorigen Jahrhundert kennt, ist deutlich,

wie sie historisch bedingt ist.

Es ist an ihr zu constatiren,

wie gewaltig vor Allem der Einfluß Göthe's, der wahrlich

mehr als ein „Dichter" gewesen, noch immer unter uns ist. Denn auch keines anderen Mannes Worte treten denen, die also das Wesen der Religion verstehen, lieber auf die Lippen, als die Worte, in welchen Göthe zumal durch den Faust, sich über

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das, was ihm Glaube fei, ausspricht.

Um diese Ausfassung

mit derjenigen des Christenthums vergleichen zu können, müssen wir sie auf zwei elementare Gedanken, auf denen sie beruht und

die in ihr wie selbstverständliche auftreten, znrückführcn. Nämlich

zunächst setzt sie ein Recht des Einzelnen voraus, Nichts von dem, was einmal mit packender Lebendigkeit ihm die Seele gesiillt hat, preisgcben zu brauchen. Demgemäß bewegt man sich

in der Ueberzeugung, daß dem Einzelnen jede Speculatiou er­ laubt sei, wenn er kraft ihrer Friede» und persönliche innere

Beglückung bewahre. Das Zweite ist, daß man sich ohne jedes Bedenken dein Gedanken hingiebt, man könne nur allenfalls er­

warten, durch eine Intuition mit Bezug auf das Ganze des

Weltlebens als solches, zu dem man aufsteige durch eine mög­

lichst sorgsame Berücksichtigung alles Einzelnen, ein Weltver­ ständniß zu erreichen, das irgendwie die letzten Gründe treffe.

Dabei ist es freilich unvermeidlich, daß das Individuum sehr bald auf seine Schranken stößt und aufmerksam wird auf die begrenzte Sehweite, die ihm eignet.

Eben daher die Ueberzeugung,

es gebe natürlich nie mehr als eine subjective Glanbenswahrheit. Gelten diese Voraussetzungen, so ist es mit dem Christen­

thum nichts. Denn dieses steht und fällt mit einer einfach um­ gekehrten Betrachtung.

Das zu zweit berührte Moment zunächst. Es ist geradezu von entscheidender Bedeutung für das Verständniß des Christen­ thums, daß man sich Gott nicht wie das Ganze des Seins,

sondern wie ein Individuum innerhalb desselben vorstelle und zwar als Person. Jeder andere Gedanke macht das geistige

Bild von dem, was für den Christen das Höchste ist, undeutlich. Zunächst: Gott ist nach christlichem Glauben in keinem Sinne das

19 Ewige, sondern immer der Ewige; d. h. die letzte Realität stellen

wir uns vor als einen Einzelwillen mit besonderem Ziele und

Zwecke, mit Ueberlegung und stetiger Achtsamkeit auf seinen Zweck, mit freilich unbeschränkter Macht und doch mit einer Kraftbe­

thätigung, die letztlich, nämlich dem Menschen als solchen gegen­ über, keine andere ist, als jene, welche der Persönlichkeit eignet. Und ferner: der Träger dieses Willens, Gott, hat in seinem essentiellen Wesen Nichts gemein mit dem Leben, das von ihm stammt, mit dem Leben der Welt.

Freilich ich muß sogleich

bemerken, daß doch nicht alle dogmatische Gedankenbildung in der christlichen Kirche diese Gesichtspunkte zur Norm ihrer Gottes­

lehre nimmt. Das Wort „Person" sagt richtig verstanden Alles mit Bezug auf Gott und allerdings das Wort ist von einem Dogmatiker nie preisgegeben worden ohne heftigsten Widerspruch.

Aber der Inhalt, den das Wort, wenn es der Wirklichkeit des Personlebens entsprechen soll, hat, kommt Vielen niemals zum deutlichen Bewußtsein.

Es steht in der Dogmatik thatsächlich

immer noch so, daß vielfach von Gott nicht anders geredet wird, wie wenn er auch für das Christenthum ein Inbegriff des ganzen

Seins sei.

Die Erklärung ist einfach genug, welche der Dogmen­

historiker für diese Thatsache gewähren kann.

Der christliche

Gottesbegriff wird noch sehr stark verwirrt durch eine Gottes­ vorstellung, die auf ganz anderem Boden entstanden ist, nänilich

durch diejenige der griechischen Philosophie, die ihrerseits deutlich

die religiöse Stimmung des griechischen Volkes mit seiner über­ wiegend ästhetischen Disposition zur Voraussetzung hat.

Es ist

eines der fesselndsten Capitel der Dogmengeschichtc, wenn man

daran kommt den letzten geistigen Kampf der antiken und der christlichen Weltanschauung zu verfolgen. Der Neuplatonismus,

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das letzte, in seiner Art großartigste System, welches die Antike geschaffen hat, erliegt ja dem Christenthume. Aber es gilt da noch einmal das Wort: Graecia capta ferum victorem cepit. Es war ein sehr merkwürdiger Sieg, so sehr wie nur einer ein Pyrrhussieg, den die Kirche erstritt, aber es war immerhin ein Sieg, ja der Sieg. Denn ein neuer gleicher» st er Kampf ist dem Christenthum nicht wieder augcbote» worden bis auf die Gegenwart. Wenn cs noch bis zur Stunde nicht gelungen ist, in den innerkirchlichen Kämpfen — man kann den Gegensatz von Protestantismus und Katholicismus darauf znrückführen — die fremdartigen Elemente, die das christliche Dogma in sich aufgeuomnien hat, völlig anszuscheiden, nun was bedeuten die andert­ halbtausend Jahre, die seither verrauscht sind, für eine Sache, die alle Zeiten vor sich hat und die nicht siegen kann, es sei denn bei völliger geistiger Auseinandersetzung mit allen Mächten des Weltlebens? Denn auf Decrete über die Wahrheit hat das Christenthum es nicht abgesehen. Was die Geschichte uns ver­ dorben hat, das kann uns doch auch eine bedeutsame Mahnung sei». Wir können nicht erwarten, die Gottesvorstellnng je von den Resten der antiken Ideen zu befreien, wenn wir uns nicht klar machen, welches Interesse die letzteren zumal in der Gegen­ wart wieder Hervorrufen, indem sie hier verwandte Seiten treffen m ü s s e n. Es ist der Gedanke der einheitlichen und ab­ soluten Sachordnniig der Welt, der Gedanke des Kosmos, der uns zeigen sann, wo die Anschauungen des Griechenthnms und die moderne Betrachtung sich sympatisch begegnet sind und wo das Christenthum eine Unklarheit, die seiner Gottesvorstellnng anhaften kann, beseitigen muß. In der That, es ist so gewiß, daß cs keiner Weltbetrach-

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tung je wieder fern trete» darf und auch vou der christlichen, weuu sie die wahre ist, ausdrücklich muß anerkannt werden können, daß wirklich auch ein Sachliches, ein Ewiges unsere Existenz nmfaßt, ja Gott und die Welt verbindet. Wer wollte und dürfte es in der Gegenwart angesichts einer reifen Welt Wissenschaft leugnen, daß unser Leben überall geboren ist aus Ordnungen und Gesetzen, daß wir ge­ zwungen sind, Maaße des Seins uns vorzustellen, welche die gleiche» sind allenthalben und immer, wie weit wir Vordringen im Raume, wie weit unsere Gedanken die Bahnen der Zeiten durchmessen. Es war die geschichtliche Begründung des echten Wissens, als die Griechen z u c r st, ahnend und begreifend, die Vorstellung von Alles befassenden, einheitlich regelnden Grund­ kräften im Weltleben erzeugten. Den hohen Geistern jenes Volkes ist es wie selbstverständlich erschienen, daß sie das Eine, was sie hinter und über allem Einzelnen letztlich zu bemerken glaubten, jenes Oberste, das überall seine Herrschaft bezeugt und doch von keinem Denken mehr voll erreicht werden kann, jenes Unendliche, welches Leben und Tod in sich birgt, welches bei aller rastlosen Bethätigung nie größer wird und sich nie erschöpft — ich sage es schien den großen Denkern der Griechen wie selbstverständlich, daß sie dieses Gott nannten. Und Tausenden tritt ja immer noch dieser heilige Name in das Herz, wenn sie die Höhen der wissenschaftlichen Betrachtnng der Welt beschreitend den er­ greifenden Eindrnck von einem Ewigen aufnehmen, das allem Meuscheuwitz, der es zu fassen versuche, in seiner Unergründlichkeit spotte, so willig es sich im Einzelnen unserem Verständnisse neige. Allem das Christenthum will da geradezu noch nicht von Gott geredet wisse». Das Christenthum macht uns ausdrücklich vor-

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sichtig, den Namen Gottes nicht da schon zu verschwenden, wo irgend ein sonstiger ausreicht.

Wo das Ewige nicht anders

vorgestellt wird als das essentiell die Wcltdinge in sich

Zusammenfassende, da ist aber wirklich kein anderer Name am Platze als der der „Natur".

Denn über sie sind wir dann

noch nirgends hinausgekommem Wäre wirklich das der Inbegriff

des Ewigen, so würde ein Christ sagen: cs gebe gar keinen

Gott.

Denn für den christlichen Glauben ist die Natur unter

keinem Gesichtspunkte mit Gott in Eins zu denken.

Natur gehört Gott.

Aber die

Es giebt im Christenthume noch ein neues

Verständniß für den Begriff dessen, was das Ewige sei und von hier aus gewinnen wir dann auch dasjenige Maaß von Aner­ kennung für jenen erste» Begriff desselben, welches die berechtigten

Ansprüche eben dieses, scheint mir, mitbefriedigt. Das Ewige, was das Christenthum statuirt, ist das

Sittliche.

Das Sittliche ist auch ein Gesetz des Weltlebens,

ja es ist nach christlicher Anschauung das eigentlich letzte Gesetz alles Lebens.

Dieses Gesetz ist ein anderes als das Naturgesetz.

Es begründet von sich selbst aus nirgends ein Geschehen, sondern

nur ein Sollen, welches einen Willen afficiren und dazu bringen kann, zu schaffen und zu gestalten.

Als die Daseienden erkennen

wir in dem Sittengesetze das Maaß des Rechtes unserer Existenz.

Wir begreifen, daß wir für das Sittliche da sind und daß das­ jenige, was sich dem Sittengesetze nicht fügt, den Anspruch auf

Leben und Sein verwirkt hat.

Die ewige Bewahrung eines

Seins, das gleichgültig gegen das Sittliche wäre, vollends das unsittlich wäre, erscheint uns letztlich widersinnig. Wer es nicht

mehr wagt, das Weltleben darauf zu beurtheile», daß es sittlichen

Zwecken diene und wirklich sittliche Verhältnisse an das Licht

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bringe, wird immer der Versuchung erliegen, das Getriebe

des WeltlebcnS letztlich für sinnlos zu erklären. Für die unter

den Wirkungen des Christenthums stehende Menschheit ist diese Versuchung als thatsächlich für weite Kreise bestehend erwiesen.

Der ganze sog. Pessimismus unserer Tage ist die Probe darauf. Ich kann auch umgekehrt sagen, der Gedanke, daß die Welt sitt­

lichen Zielen diene, findet unter uns selten decidirten Wider­ spruch.

Kein Gedanke des Christenthums hat sich so sicher und

fest verankert in den Herzen der geschichtlichen Christenheit, sie sei gläubig oder ungläubig, als der von dem wirklichen und von dem unveräußerlichen Werthe des Sittlichen.

Sittengesetz

ist unter uns

insofern kein

Streit,

Ueber das als

die

Mehrzahl der Ungläubigen, so gut wie die Gläubigen, seine Und ich darf weiter sagen: selbst über den

Existenz anerkennen.

Inhalt des Sittengesetzes ist im weitesten Umfange unter Un­ gläubigen und Gläubigen Uebereinstimmung vorhanden, jenes große Maaß von Uebereinstimmung, welches es gestattet, trotz

aller religiösen Differenzen von einer geschichtlichen Christenheit

wie einem Komplex von Menschen, die einerlei geistigen Habitus

haben, zu reden.

Nun wohl, das Christenthum ist diejenige

Religion, welche das Sittliche als die eigentliche Sachbegründung

alles Daseins ansieht.

Die Dinge sind nicht nur da, um eben

zu sein und zu existiren, soweit in ihnen naturhaftes Leben sich

entfalten kann. entstehe.

Sie sind da, damit s i t t l i ch e s L e b e n

Sie haben, das ist der christliche Gedanke, ihr

Dasein von einem Gotte, der fähig gewesen, die Bedingungen

eines anderen Lebens neben seinem zu schaffen, so zwar, daß er

selbst durch und durch sittliches Wesen ist und daher nichts anders

will, ja wollen kann, als das andere Leben zugleich sittlich zu

24

not m i v e n.

Wir reden als Christen von einem Reiche Gottes,

das in der Welt entstehen soll und auf welches Alles angelegt

sei.

Es ist für uns „das" Ewige, welches das Maaß und

das immer gleiche Gesetz alles Daseins ist.

Es bewahrt, und

an ihm verzehrt sich was ihm nicht dienen will.

Der Gott,

von dem nach unserem Glauben das Sein gekommen ist, erhält

was Seinesgleichen geworden ist und er setzt umgekehrt ein Ziel

allem Sein, das seiner Bestimmung nicht entsprechen will oder als ein bloßes Mittel seinen Dienst gethan hat.

Wir sagen

nun als Christen nicht, daß wir aus unserem Glauben heraus

die Einzelheiten des Weltseins, welches als Natur uns wie

ein bloßes Mittel für den sittlichen Zweck erscheint, ergründen könnten.

Wie sollten wir dazu im Stande fein.

Die Er­

gründung der natürlichen Ordnungen als solcher übergeben wir

nothwendigerweise und getrost der Wissenschaft, von der wir nur

das Eine verlangen, daß sie absoluten Ernst damit mache, das Seiende lediglich als solches und so vollständig wie möglich zu

erforschen, daß sie immer bereit sei, in angestrengter Beobach­ tung dessen was da ist, zu lernen und umzulernen.

Nur kraft

des Wissens nehmen wir realen Besitz von der Welt.

Der

Glaube repräsentirt nur die Zuversicht von dem, was Zweck und Sinn der Welt und Inhalt unserer eigenen Aufgabe an der Welt sei.

Wir meinen es dabei nicht nur wie ein gleich­

gültiges Datum hinnehmen zu sollen, wenn die Wissenschaft von der Naturwelt uns immer gleiche Regeln des Natur­

lebens anzunehmen zwingt.

Wir empfinden es wie eine Be­

stätigung der Unerschütterlichkeit des Willen Gottes, an den wir glauben, wenn wir die Welt als Natur sich enthüllen sehen als

ein in, sagen wir ruhig: ewigen Gesetzen dahinlebendes

25 Gebilde, in Gesetzen dahinlebend, die uns umklammern nnd aller Bethätigung auf unserer Seite das nimmer versagende

Substrat gewähren. Ich meine, es ist Vieles in unserem inneren Empfinden

im Bunde mit der christlichen Gottes- und Weltvorstellung. Wo immer wir von Etwas reden, dem wir Theil geben an dem

Begriffe des Ewigen, da taucht au unserem Horizonte doch wie von selbst mit dem Gedanken des Jmmerbeharrendeu noch der weitere eines immer Werthvollen auf. Es entsteht uns die

Ahnung eines Lebens, das immer lebenswerth sei, weil der Inhalt, den cs habe, feine» Reiz nie erschöpfe.

Und scheint

uns nicht unser eigenes Leben immer lebenswerth, wenn wir alle seine Formen eiugetaucht denken in das Sittliche? Ja wenn das wirklich die höchste Realität wäre, was das Christenthum von Gott „glaubt" ?

Aber wie will das Christenthum es je

bewähren, daß es einen solchen Gott gebe? Ich kann nicht davon reden, wie man solchen Glauben auf Sachbegründilng oder Jllusiou untersuchen könne, als indem

ich das zweite Moment auch noch heranziehe, worin die christliche Religionsanschauung sich von der, die man die moderne nennt, unterscheidet.

Das Christenthum ist eine sehr anspruchsvolle Religion.

Aber nur weil es zugleich eine absolut bescheidene Religion ist.

Es bittet nicht um Duldung, sondern es beansprucht Geltung. Es behauptet die Wahrheit über Gott zu haben.

fordert für seinen Glauben die Menschen.

Es

Aus dem Sinne

der modernen Religionsanschauung thut T r e i t s ch k e in dem

citirten Aufsatze den emphatischen Ausspruch: „wer darf beim

Glauben von einem Sollen reden?" Es ist die Meinung

26 des Christenthums,

daß beim Glauben allerdings

Sollen geredet werden könne. das Christenthum meint,

von einem

Das kann nur bedeuten, daß

auch hier habe der Mensch sich

nicht

an bloßen Eindrücken, die ihm so oder so gekommen, zu orien-

tiren, sondern an Instanzen, die einen Anspruch an ihn behaupten.

Dieser Gedanke wird in der Gegenwart

Gebildeten belächelt. Mißverständisse

muß ich noch belehrt,

Vielleicht doch nur, weil er

gepaart

in der

leider — auch

werden pflegt.

zu

evangelischen Kirche

immer sagen: meist?)

als ob

von den Meisten der

es ein Recht

Wir



mit einem

werden ja

vielfach (oder

über das Christenthum

für sich behaupte, Dogmen

zu

proklamiren. Ja vindicirte es sich dieses Recht, so wäre es ge­

schichtlich nicht anders zu beurtheilen als darauf, daß es eine Spielart von Religion sei, unleidlich wo es die Macht besitze,

harmlos und neben anderen auch berechtigt, wenn es, wie gegen­

wärtig ,

Es würde vielleicht ja immer

sich bescheiden müsse.

Leute geben, denen es lieb und

die christ­

Andere gäbe es sicher,

lichen Dogmen anzuerkennen.

gegengesetzt empfänden.

befriedigend wäre,

die ent­

Wo die Kirche im Namen des Christen­

thums für Dogmen Gehorsam fordert, hat sie auch die Erfahrung gemacht, wie sehr sie nur zum Theile sich durchsetze.

es wissen — und viele in ihr es ist, der ihr das Werk,

Sie könnte

wissen es — daß Gott selbst

die Menschen unter Dogmen von

ihm zu beugen, nicht gelingen läßt.

Denn Gott muß auf V e r -

ständniß seines Wesens rechnen, sonst kann der Mensch gar

nicht werden, was

er aus ihm machen will:

ein sittliches Wesen, eine Persönlichkeit.

Seinesgleichen,

Mit dem Allem

ist jedoch die Idee nicht abgelehnt, ja noch gar nicht gestreift,

die das Christenthum allerdings Jedem entgegenbringt als seine

27 nämlich

Rechtfertigung,

gebe.

daß es eine Offenbarung

eine Thatsache — würden

bezeichne

das

Gesetzt

die,

wir

dann nicht wirklich von einem „Sollen" auch mit Bezug auf den Glauben zu reden haben?

Wenn Gott sich selbst kund gegeben

hat, was haben dann unsere Speculationen über ihn und unsere

„Eindrücke" von

den

letzten

Realitäten zu bedeuten?

Hätten

wir dann nicht eine allgemeingültige Deutung der Welt und der besonderen Stellung des Menschen in ihr? Natürlich — es

darf

mit

dem

Eine Offenbarung Beweises,

nicht gespielt werden.

Worte Offenbarung bedarf

ihrem Begriffe nach

keines

als daß sie als Faktum aufgezeigt werde.

anderen Da wo

sie geschehen, muß jeder das Faktum als solches erkennen können. Das Scheinen der Sonne ist eine Offenbarung der Sonne an die

Sehenden.

Ist Gott

werden können,

Linie

geworden, so

offenbar

wie die Sonne.

muß

gesehen

Doch halt! — hier liegt die

zwischen Verständniß und Mißverständniß

Christenthume.

er

von Gott

int

Nein, wie die Sonne kann Gott nicht offenbar

sein, denn das Christenthum meint ja, Gott sei Person, und eine

Person

als eine Sache.

wird anders offenbar

Ich habe hier

den Punkt erreicht, wo ich hoffen darf, die Eigenart des religiösen

Glatibens im Unterschiede vom Wissen und Meinen abschließend

characterisiren zu können. ist Gott nicht offenbar.

Wie die Sonne — in der That, so Aber das ist nun eben, ich kann nicht

anders sagen als: die Unklarheit, mit welcher der christliche

Glaube

unter

uns

noch immer

meinen, Gott müsse eigentlich

kämpfen

zu

hat,

in dieser Weise

daß Viele

offenbar sein,

wenn man wirklich an ihn solle glauben können, wenigstens wenn wir Alle in übereinstimmender Weise können.

Denn

was Viele,

was

an

wir

ihn sollten Alle

zugleich

glauben

sollten

28 das müsse doch wirklich handgreiflich oder mit

glauben können,

den Mitteln der Logik für jeden demonstrirbar sein.

Das wäre

richtig, wenn Gott ein Naturwesen wäre, wenn er der Inbegriff

alles

Seins

Seins

zu

sein

sein.

müßte,

um

von

Denn

der Urheber den

weltlichen

des

Naturdingen,

den einzelnen

Existenzen und den allgemeinen Ordnungen, den besonderen Fällen

und den Formen, in denen diese sich

halten,

da

gilt wirklich,

daß sie entweder uninittelbar in den Sinn fallen oder im An­

schlüsse

an

sinnliche

Beobachtungen

zwingend

logisch

müssen

erschlossen werden können, sonst existircn sie für uns nicht.

war den Alten noch so

viel

leichter

Es

im Blicke auf die Natur

eine gemeinsame Formel für deren Grundkräste und Grund­

tendenzen aufzustellen, weil ihre Naturkenntniß noch so sehr gering war und ihre Phantasie sich noch so. frank und frei be­

wegen

durfte

in der Statuirung

von Wirklichem.

Wir

im

Zeitalter der genauesten Ausbildung der Detailkenntniß der Natur

haben um deßwillen es verlernt da, wo wir in der sog. modernen Weise

unsere Religionsanschauung

formiren,

auf

gemeinsame

Ueberzeugungen zu rechnen, weil wir wissen, wie unendlich zer­ splittert

unsere Kenntniß der Welt

möglich

halten,

irre

werden.

zu

noch

jeden Augenblick an Aber

ist und weil wir für

jedem Gedanken wieder

was zwingt uns,

Naturwesen für denkbar zu erklären

und

Gott nur zu meinen,

als ein wenn er

existire, so müsse er in der Natnrwelt als solcher der Beobach­

tung zugänglich werden und könne bei unserer unfertigen Welt­ kenntniß selbstverständlich immer nur mit subjectivem Eindrücke constatirt werden? Sind wir denn nicht selbst als Personwesen

unergründlich für die bloße Beobachtung unserer natürlichen Art und Bethätigungsweisen?

Wer kennt denn den Menschen, wer

29 hatte die Persönlichkeit als solche auch mir gestreift, wenn er jemandes physisch-psychische Art ergründet hat?

Die Person

spottet jedweder naturwissenschaftlichen Erklärung ihrer geistigen

Art — es sei denn daß sie abnorm d. h. krank geworden. Die Person, die wirklich als solche in Betracht kommt, ist für die natürliche Erklärnng immer mir eine Thatsache, nie

Ausdruck eines Gesetzes.

Was für die Wissenschaft an ihr

erklärbar ist, das Alles ist nur die Bedingung ihres Daseins, nicht der Grund desselben, nicht sie selbst.

Ihre Wirklichkeit

enthält Faktoren, die cs nimmer gelingt als logisch nothwendig in ihr vorhanden irgendwem, am allerwenigsten ihr selbst zu

demoustriren.

Und es ist uns dennoch Nichts vertrauter und

verständlicher, als die Person. Und es giebt dennoch auch Ge­

setze, nach denen wir sie dem Bereiche der bloßen blinden Thatsächlichkeit für uns entrücken, Gesetze, kraft deren wir sie auch berechnen, ihre Art i» allgemeingültiger Weise ergründen können. Das sind die sittlichen Gesetze, sofern die Person sie geltenläßt. Wir kennen einander und verstehen einander, weil und soweit wir einander sittlich verstehen. Wenn wir eine bestimmte einzelne Person kennen sollen, muß sie sich irgendwie

ausdrücklich kundmachen.

Die vollkommen verschlossene, ihr

Innenleben geflissentlich verbergende Person bleibt für uns unergründlich.

Ja wir müssen schon sagen: als Person ist

sie gar nicht als Realität für uns vorhanden.

Wir sähen sie

etwa, aber wir könnten nicht wissen, ob sie nicht blos wie ein Mensch, wie eine Person, aus sähe, ohne wirklich eine Person

zn sein.

Die Thatsache des Daseins eines Personlebens er­

gründen wir immer nur an seinen besonderen Aeußerungen und

wirkliche Aeußerungen des P e r s o n l e b e n s sind uns immer

5Ö nur die sittlich verstehbaren Thatleistungen, Gesinnungsbe­ zeugungen, Gemüths- und Willensäußerungen.

Umgekehrt wo

die Proben eines Persondaseins als solchen erlegt sind, wo wir einen sittlich meßbaren Willen und seine Kraft constatirt haben, da fragen wir gar nicht nach der Natur des Betreffenden um

uns mit ihm eiuzulassen und mit ihm zu handeln wie mit einer­ erwiesenen Realität, auf die wir uns verlassen.

Dem sittlichen

Menschen trauen wir vor Allem zu, daß er sich keines Werkes unterwinden werde, als wozu er wirklich sittlich und natürlich

Kraft und Macht habe. Gesetzt einmal das Christenthum hätte

Recht mit dem Gedanken, Gott sei vollkommen und nur als Person vorzustellen, könnten wir wirklich dabei beharren, er müsse dann als eine Realität constatirbar sein wie eben eine

Naturrealität, er müsse mindestens dem eine logisch sich ihm aufnöthigende Realität dünken, der das ganze Sein der Welt

überschaue, in der Tiefe der Dinge da müsse er endlich auf­ tauchen, nun, wie die wirklich letzte Naturkraft? Aber ich behaupte umgekehrt, es sei ein seltsames Mißverständniß, es für m ö g l i ch zu halten, daß die Naturforschimg, die Weltweisheit, sei es auch die oberste Form derselben, die Philosophie, ihn jemals wirklich

finde. Fände sie ihn, so würde er nicht Person sein.

Ist er

eine Realität, so kann er nur so erkannt werden, wie eine

Person erkannt wird.

Er ist nicht vorhanden für uns öder­

er ist es in Form eines ganz bestimmten Personlebens und es ist selbstverständlich, daß er nur demjenigen offenbar ist, der Per­

sonleben als solches in seiner Eigenart zu verstehen fähig und auf sich wirken zu lassen willig ist.

Das Christenthum verweist

auf Jesus Christus, der seine Person hingestellt hat als das Organ der Enthüllung Gottes.

Man wolle es verstehen: wirk-

31 lich nur das Personleben, das Christus geführt hat, nicht seine blos uaturhafte Art (die ist bei ihm nicht anders zu würdigen als die gleiche Art eines jeden Menschen), der Inhalt des

Gemüthes und Willens Christi, seine geistige Art und Macht die Welt sich anzueignen, seine Hoffnungen und freilich auch das,

was ihm als Mittel seiner Legitimation zu Gebote gestanden

hat, das ist im Sinne des Christenthums die Offenbarung Gottes. Und mau wolle auch das verstehen: es kann, ja darf unmöglich sich um niehr handeln, als daß wir befähigt werden, im sitt­

lichen Sinne, in Vertrauen und Verlaß mit Gott als persönlichem

Herrn der Welt wie mit einer Realität für unser eigenes persönliches Leben zu rechnen.

Man kann an der einsamen, scheinbar räthselhaften und doch jedem, der auf sie achtet, immer verständlicher, ja vertrauter

werdenden Person, die Jesus Christus heißt, vorübergehen, wie man an Allem,

vorübergehen kann.

was die Geschichte lehren kann, achtlos

Es ist uns noch Nichts so wenig geläufig,

als die Schätze des Personlebens der Führer der Menschheit

mit Bewußtsein zu heben und uns selbst anzueignen für unser Verständniß der Welt und die Kräftigung unserer Person. Christi

Gedanke von der Mission seiner Person ist noch kaum verstanden,

geschweige denn als Illusion erwiesen.

Ich meinte vorhin, der

christliche Glaube unter uns zehre von geschichtlichen Realitäten. Wir leben thatsächlich von den Realitäten, die Jesus Christus

hineingebracht in die Geschichte.

Es ist nichts Anderes als

sein übermächtiges geistiges Wesen, das die Gemüther be­

herrscht, soweit das Bedürfniß und das Verständniß des sitt­ lichen Lebens erweckt ist.

Der durch sein Bild entbundene

geistige Habitus der Christenheit, er wird auch je länger je

32

mehr darauf hinführen, zum Wenigsten einmal die Probe zu machen, ob wir nicht Alle in ihm die Wahrheit von Gott er­

kennen. Ich habe meinen Anfang, den Gedanken von der Gottheit Jesu Christi, wieder berührt. Nicht ihn habe ich irgeild ausreichend beleuchten können oder wollen; dagegen hoffe ich verständlich gemacht zu haben, was nun „Glaube" sei. Glaube ist Verlaß, Verlaß auf Gott als bezeugte sittliche Person. Die Dogmatik ist die Schilderung des göttlichen Personweseus in seiner Be­ ziehung auf uns als sittliche Personen. Der Welt wissen schäft treten Glaube und Dogmatik niemalen in den Weg.

Verlag der J. Ricker’schen Buchhandlung in Giessen. Früher erschien von demselben Verfasser: Kattenbusch F., Lut her’s Stellung zu den ökumeni­ schen Symbolen. ' 4°. 1883 M. 1.60

Gleichzeitig erschien: Vorträge der theologischen Konferenz zu Giessen« III Folge. (1. Herrmann, Dr. W., Prof, in Marburg: Der Begriff der Offenbarung. — 2. Müller, Dr. Karl, Prof, in Giessen : Der Begriff über den gegenwärtigen Stand der Forschung auf dem Gebiet der Vorreformator. Zeit.) M. 1.— Früher erschienen ,f e r ner: Baur, G. A. L., Grundzüge der Homiletik, gr. 8°. 1848 M. 3.— -------Predigten. 1857------------------------------------------------ M. 5.— ------- Predigten in dem ersten halben Jahre seiner Amtsführung zu Hamburg, gr. 8°. 1862 M. 6.— Bode, Ad«, die Bergpredigt ausgelegt f. d. Gemeinde. 8°. 1869 M. 2.— Credner, K. A«, Philipps des Großmüthigen Hessische Kirchen­ reformations-Ordnung. Aus schriftl. Quellen herausg., übersetzt und mit Rücksicht a. d. Gegenwart bevorwortet. 8°. 1852 M. 4.— Diegel und Baudissin: Zwei Vorträge (Theolog. Wissenschaft u. pfarramth Praxis. — Der heutige Stand der alttestam. Wissen­ schaft) gehalten zu Giessen am 12. Juni 1884 8° M. 1.^Gottschick, J«, Luther als Katechet. Vortrag gehalten in der Oberhessischen Pastoralkonferenz. 8°. 1885. M. —.60 Harnack, A., das Mönchthum, seine Ideale und seine Bedeutung. 8°. 2 A. 1882 M. —.80 — — Martin Luther in seiner Bedeutung für die Geschichte der Wissenschaft und der Bildung. 8°. 1883. M. —.60 — — Das. Mönchthum und Martin Luther. Zwei kirchenhistorische Vorlesungen in 1 Heft. 2. A. 1886 M. 1.60 Hatsch, E., die Gesellschaftsverfassung der christlichen Kirchen im Alterthum. 8 Vorlesungen. Vom Verfasser autorisirte Uebersetzung* der zweiten durchgesehenen Auflage, besorgt von A. Harnack. 8°. 1883 ■' M. 4.— Schrader, E., die Keilinschriften und das alte Testament. Nebst chronologischen Beilagen, einem Glossar, Registern und zwei Karten. 8°. 2. A. 1883 M. 16.— Sell u« Heinrici: Zwei Vorträge. (Die geschichtl Entwickelung der Kirche im 19. Jahrhundert etc. — Die Forschungen über die paulinischen Briefe etc.) gehalten zu Giessen am 24. Juni 1886. 8° M. 1.60 Stade, B«, Ueber die Lage der evangel. Kirche Deutschlands. Akadem. Festrede. 8°. 1883 M. —.80 Weigand’s deutsches Wörterbuch. Vierte verbesserte und ver­ mehrte Auflage. 2 Bde. gr. 8°. 1882 M. 34.— Geb. in 2 Hfzbd. . M. 38.— Zeitschrift für die alttestamentl. Wissenschaft. Herausgegeben von Prof. Dr. B. Stade. Preis d. Jahrgangs v. 2 HeftenM. 10.—